R
003800
>
(JotmU Unioeratty Eibrary
Nrtn fork
BOUOHT WITH THE INCOMC OF THE
SAGE ENDOWMENT FUND
THE QtFT OF
HENRY W. SAGE
1891
Digitized b'
Google
I
1
Original fro-m
CORNELL UNiVERSITY
Digitized by
frfi rrj
1 QO Ä F\Ctr\ IMPllill'IflTflliiHi;I
1924 069 760 688
Original from
CORNELL UNfVERSmf
Difitized by Google
Original fr&m
CORNELL UNÜVERSITY
DEUTSCHE
MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
BEGRÜNDET VON DB: P. BOERNER
HERAUSOEOEBEN VON
PROF. DB: J. SCHWALBE
OEH. SAN.-RAT IN BERLIN
1922
%
XLVIII. JAHRGANG
LEIPZIG 1922
VERLAG VON GEORG THIEME
VJ
Digitized by
Gck 'gle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
/
Digitized by Gei 'öle
Uxigiral from _
CORNELL UNiVERSITY
INHALTSVERZEICHNIS.
Der jetzige Stand wichtiger wissenschaftlicher Probleme.
Dir jetzige Stand: _
t der Lehre von den Chromosomen, von Gen. Med.-
* R. Prof. Dr. 0. Hertwif in Berlin 9-
2. der Tuberkulinbehandlung, von Gen. San.-R.
Prof. Dr. F. Klemperer in Berlin 13-
, der operativen Behandlung des Kropfes, von Geh.
Med -R. Prof.-Dr. 0. Hildebrand in Berlin 16.
Der jetzige Stand:
4. der klinischen Psychiatrie, von Priv.-Doz. Dr. E.
Kretschmer in Tübingen 95 .
5 . der Pankreaserkrankungen, von Prof. Dr. G.
Singer in Wien 162 . 193 .
6 . der Pathogenese und Therapie der Rachitis, von
Prof. Dr. R. Fischl in Prag 232 . 261 .
Der jetzige Stand:
7- der Lehre von der Ermüdung und deren Beseiti¬
gung, von Priv.-Doz. Dr. J. Bauer in Wien 868.
8. der Lehre von den Aufbrauchkrankheiten, von
Prjv.-Doz. Dr. J. Bauer in Wien 1348 .
9- der Physiologie und Pathologie der Milzfunktion,
von Priv.-Doz. Dr. G.Lepehne in Königsberg 1606 .
1 . Diagnose und Behandlung der Hoden- und Neben¬
hodenaffektionen, von Prof. Dr. L. Casper in
Berlin 1416.
Fortbildungsvorträge.
2. Diagnostik und Behandlung der Prostataleiden,
von Prof. Dr. L. Casper in Berlin 1448. t
3- Diagnose und Behandlung der Blutungen aus dem
H amapparat, von Prof. Dr. L. Casper in Berlinl480.
4. Urämie und ihre Behandlung, von Prof. Dr. H.
Strauss in Berlin 1719 .
5* Steinkrankheiten der Harnwege» von Prof. Dr.
F. Voelcker in Halle 1721 .
I
Spezialärztliche Ratschläge für Praktiker.
1. Chirurgische. Von Geh. Afed.-R. Prof. Dr. G. Led*
derbose inMünchen4$9 .527.562.596. 633 . 664 . 698 .
733- 907-841.870. m 1013-1049- 1111.1141.1175-
2 . Gynäkologische- Von Prof. Dr. W. Liepmann
in BeHinjO. 69.96. 130 .164.195- 234. 262 . 296 .324.
3 . Ueber Lungenkrankheiten. Von Geh. Med.-R.
Prof. Dr. Goldscheider in Berlin 1248. 1287 .
1317- 1349- 1389- 1417- 1512. 1554.
4. Neurologische. Von Geh. Hof.-Rat Prof. Dr.
A. Hoche in Freiburg 389 . 1246.
5- Psychiatrische. Von Geh. Med.-R. Prof. Dr.
R. Henneberg in Berlin 359 . 906 .
6. Ueber Verdauungskrankheiten. Von Geh.
San.-R. Prof. Dr. L. Kuttnerin Berlin 1450.1481.
1604. 1637- 1704. 1727 .
1 . Angenirztliche, von Prof. Dr. Abelsdorff
und Dr. K.Steindorff in Berlin 1078 . 1143 . 1177 .
1214. 1289.1351. 1389 * 1419. 1451.
2 . Dermatologische, von Prof. Dr. M. Joseph
in Berlin 361 .391. 426 . 461 .
Spezialärztliche Technik.
3 . Geburtshilfliche, von Prof. Dr. M. Henkel in
Jena 1515- 1555- 1583- 1650. 1679-
4. Gynäkologische, von Prof. Dr. H. Freund! in
Frankfurt a. M. 598. 635- 666. 699- 735- 776.",
5 . Ohrenärztliche, von Prof. Dr. H. Haike in
Birlin 1319- 1483-
6. Rhinologische, von Prof. Dr. G. Finder in
Berlin 1585. 1651. 1681. 1706 . 1729 .
7- Urologische, von Prof. Dr. L. Casper in Berlin
872. 908. 944. 983. 1016.
8. Venerologische, von Prof. Dr. M. Joseph in
Berlin 491- 529.
Oeffentliches Gesundheitswesen.
* y Auwßoifrage in Norwegen, von
nost in Giristiania 32 .
w uinsuama 32.
2 . Intematioittk Seuchenbekämpfung, voi
Keg-R. Dr. Berger in Berlin 165 . 198 .
* ^5LS?5 n . twurf 2ur Bekämpfur
Geschkchtskrankheiten, von Prof. Dr. I
lewsky m Dresden- 326 .
hrfnrf® W ^ den Geheimmitl
R - Prof - Dr - J - Sch
^ Fleckfieber und seine jetzige Infe
k'*""* des Berliner Städi
ST'"' ™ S»n..R. Dr. Fr,
‘arsii'rr.Äf
* Bericht über die Stangen des vorläufig
Ptot-Ausschusses des
10 . Die natürliche Bevölkerungsbewegung in den
deutschen Städten im Jahre 1921 , vonOb.-Reg.-
R. Dr. E. Roesle in Berlin 873 .
11. Geburtenzahl und Kindersterblichkeit während
des Jahres 1921 im Regierungsbezirk Düsseldorf
und daraus sich ergebende Betrachtungen, von
Geh. Med.-R. Prof. Dr. A. Schlossmann in
Düsseldorf 946 .
12. Neue Spezialitäten und Geheimmittel, von
Dr. Zernik in Wilmersdorf 1016 .
13- Das neue preußische Hebammengesetz, von Prof.
Dr. Hammerschlag in Berlin 1051 .
14. Entwurf zu einem preußischen Tuberkulose¬
gesetz 1079 .
15* Arbeitswissenschaft und Gesundheit, von Landes¬
gewerbearzt Dr. Thiele in Dresden 1143 .
16. Geburtenzahl im Regierungsbezirk Düsseldorf,
von Dr. F. Reichert in Burg a. d. W. 1215 .
17- Einige Bemerkungen zur Frage der hygienischen
Volksbelehrung, von Geh. Med.-R. Prof. Dr.
Neufeld in Berlin 1252 .
18. Zum Entwurf des preußischen Tuberkulosege¬
setzes, von Dr. W. Hagen in Lennep 1289 .
19- Die Bekämpfung des Geheimmittetech windete in
Amerika durch die Abteilung für Pharmakologie
und Chemie der American Medical Association,
von W. A. Puckner 1352 .
20 . Geburtensterblichkeit und Sterblichkeit aus
Infektionskrankheiten, von San.-R. Dr. Prin¬
zin g in Ulm 1390 .
21 . Probleme der Lyssabekämpfung in Rußland, von
Dr. L. Poleff in Kiew 1422 .
22. Zum Entwurf des preußischen Tuberkulosege¬
setzes, von Prof. Dr. K. Süpfle in München 1486.
23 . Milderung des Impfzwanges, von Geh. San.-R.
Prof. Dr. Schwalbe in Berlin 1616 .
24. Milderung des Impfzwanges durch Einführung
der Gewissensklausel, von Prof. Dr. A. Grot-
jahn in Berlin 1616 .
25 . Die Gefahren der Aufhebung des Impfzwanges,
von San.-R. Dr. Prinzing in Ulm 1618 .
26. Bemerkungen zum Grotjahnschen Aufsatz, von
Dr. H. A. Gins in Berlin 1619-
27 . Zum Entwurf des preußischen Tuberkulosege¬
setzes, von Dr. E.HartmanninMagdeburg 1707 .
28. Zur Charakterisierung des v. Niessenschen
Pockenbazillus, von Dr. H. A. Gins in Berlin
1730.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNiVERSITV
IV
INHALTSVERZEICHNIS
Soziale Medizin und Hygiene.
1. Die Mitarbeit des Arztes in der Wohlfahrtspflege,
von Minister.-Rat Prof.Dr.Thiele in Dresden 132 .
2. Unterbringung der Lungentuberkulosen, von
Reg.-Med.-R. Dr. G. Barth in Zschadrass 667 .
3 . Halbtätige Luftbadkuren für Kinder, von Anna
Edinger 737-
4. Aufbau des Jugendamtes, von Prof. Dr Rott
in Berlin 910 .
5 . Zum Reichsgesetz für Jugendwohlfahrt von Dr.
G. Tugendreich in Berlin 948.
6 . Schulneulinge 1922, von Dr. Vonessen 1017 .
7. Die Arbeitsmethoden der Abtreiberinnen und
ihre Bedeutung für den praktischen Arzt, von
Dr. Mahlo in Hamburg 1051 .
8. Soziale Hygiene und Rassenhygiene, von Dr.
Schütz in Kiel 1144.
9- Die Geldbesduffungsfrage in der sozialen Ge
sundheitsfürsorge, von Dr. Paetsch in Bielefeld
1177-
10. Werden die zu fürsorgerischen Zwecken aus
geworfenen Mittel gerecht verteilt? Von Dr.
Paetsch in Bielefeld 1353
11 . Krankheiten der oberenLuftwege undTuberkulose
fürsorgestellen, von Dr. Ballin inSpandau 1518
Tropenhygiene.
Geburtenhäufigkeit und Kindersterblichkeit bei den Rundi in Deutsch-Ostafrika, von Med.-R. Dr. R.Lurz in Bad Nauheim 1557. 1586. 1620. 1652.
1 . Zum 100 . Geburtstage von A. Kussmaul, von Dr.
E. Ebstein in Leipzig 266 .
») Rechtsfragen.
1 . Rechtsfragen aus der ärztlichen Praxis, von
Oberreichsanwalt Dr. Ebermayer in Leipzig
70 . 98. 739- 809- 843- 875-1252.1621.1655* 1683-
1708.
2. Zur Stellung des Arztes im Entwurf 1919 zu
einem Deutschen Strafgesetzbuch, von Ober¬
reichsanwalt Dr. Ebermayer in Leipzig 394 .
3 . Bemerkungen dazu, von Geh. San.-R. Dr. S.
Alexander in Berlin 395 .
4. Die rechtlichen Beziehungen des Privatarztes zu
dem gegen Krankheit Versicherten nach der
Gebührenordnung vom 15 . III. 1922 , von Dr. H.
Joachim in Berlin 777 .
5- Gesetzesfragen, von Geh. San.-R. Dr. S.
Alexander in Berlin 544.
6 . Die wissenschaftliche Kritik auf der Anklagebank,
von Senatspräsident beim Kammergericht F.
Leonhard 1453- 1487-
b) Orgaaisfttorlsehe und wirtschaftliche Fragen.
1 . Was kann und soll der Aerztestand von einer
Aenderung der RVO. für die Kassenpraxis er-
Geschichte der Medizin.
2. Hippokratische Heilkunde, von Geh. Med.*R.
Prof. Dr. J. Hirschberg in Berlin 669- 701. 738. I
778. I
3- Eine Vorlesung von R. Virchow über Lungen¬
Standesangelegenheiten.
warten? Von Geh. San.-R. Dr. S. Alexander in I
Berlin 32 .
2 . Standesangelegenheiten, von Geh. San.-R. Dr. S.
Alexander in Berlin 133- 600. 1320 .
3 . Die Aerzte Deutschlands im Jahre 1921 , von
San.-R. Dr. F. Prinzing in Ulm 166 .
4. Zur Erklärung der Umsatzsteuer, von San.-R. j
Dr. H. Joachim in Berlin 167 .
5 . Verhandlungen der Berlin-Brandenburgischen
Aerztekammer, von Geh. San.-R. Dr. S. Alexan¬
der in Berlin 328 .
6. Die Kaiser-Wilhelms-Akademie für das ärztlich¬
soziale Versicherungswesen, von Dr. Grabowski
in Berlin 330 .
7- Die Verhandlungen der Aerzteschaft mit den j
Krankenkassen über die Neuregelung der Hono- ;
rare am 22 . und 23 .März, von Geh. San.-R. Prof. !
Dr. Schwalbe in Bgrlin 429 . j
8. Nochmals: Das Gesetz zur Sicherung der ärzt¬
lichen Versorgung bei den Krankenkassen, von
Oberreichsanwalt Dr. Ebermayer in Leipzig984. |
9 . Standeswohlfahrtsfragen, von Geh. San.-R, Dr.
S. Alexander in Berlin 984. I
phthise vom 3 . VIII. 1869 , von Geh- Med.-R. Pro!.
F. Marchand in Leipzig 949 .
4. Die Aerzte in den hessischen Biographien, von
Dr. A. Martin in Bad Nauheim 1341.
10. Wirtschaftliche und andere Standesfragen, von
Geh. San.-R. Dr. S. Alexander in Berlin 1112.
11 . Die Gehaltsverhältnisse der Krankenhausärzte,
von Prof. Dr. C. Stern in Düsseldorf 1353 .
12. Krankenkassen und Aerzte, von Geh. San.-R. Dr.
S. Alexander in Berlin 1519-
13 . Die Not der Aerzte und die Krankenkassen, von
Prof. Dr. Stier-Somlo in Köln 1588 .
c) Sonstiges.
1 . Arzneimittelkommission der Deutschen Gesell
schaft für Innere Medizin, unterstützt vom
Deutschen Ärztevereinsbund 330.
2 . Zur Prüfungsordnung für technische Assisten¬
tinnen an medizinischen Instituten, von Priv.
Doz. Dr. F. Groedel in Frankfurt a. M. 463-
3 . Die Beseitigung der Fremdausdrücke in der
medizinischen Schriftsprache 493-
4. Vertragsnormen und Auslegungsgrundsätze für
Verlagsverträge über wissenschaftliche Werke
1558.
1 . M. Verworn, von Prof. Dr. R. Matthaei in
Bonn 102.
2. M. Löhlein, von Prof. Dr. M. Vers6 in Berlin
266 .
3.0. Busse, von Prof. Dr. F. Landois in Berlin
494.
Nekrologe.
4. K. L. Schleich, von Geh. San.-R. Prof. Dr.
Holländer in Berlin 494.
5 . A. Blaschko, von Prof. Dr. Galewsky in Dres¬
den 533-
6. W. v. Leube, von Prof. Dr. Lüdke in Würzburg
819 .
I 7 . H. Quincke, von Prof. Dr. F. Külbsin Köln913-
8. F. Hofmeister, von Prof. Dr. M. Jacoby in
! Berlin 1354 .
9- H. Gutzmann, von Prof. Dr. v. Eicken in Berlin
1656.
10 . O.Hertwig.vonProf.Dr.SobottainBonn 1657-
Feuilleton.
1 . Allerlei aus dem Auslande 71-99- 135- 235 . 264. I
331- 365- 532. 564. 638 . 740. 1178 . 1709-
2 . Erinnerungen, von Geh. San.-R. Dr. J. Lands- I
berger in Charlottenburg 168 . 200.
3 - Ueber die Hände von W. v. Waldeyer-Hartz, von
Geh.Med.-R. Prof. Dr.H. Virchow in Berlin 199 . |
4. Brief aus Japan, von Prof. Dr. S. Hata 601 .
5. Aerztliches aus Italien, von Dr. Jastrowitz I
in Halle 702 . }
6. Offener Brief an den Herausgeber dieser Wochen- 1
schrift, von Prof. V. Ruzicka in Prag 809 .
7- a) Der medizinische Nutzen des Ballonfahrens,
b) Eine heilgymnastische Anstalt in einer Ge¬
wehrfabrik vor 125 Jahren. Von Dr. F. M.
Feldhaus 876 .
8. Aerzte, lernt fremde Sprachen, von Prof. Dr. J.
Boas in Berlin 950.
9- Kurzer Bericht über die Untersuchung des Ge¬
hirns Emst Haeckels, von Prof. Dr. F. Maurer
in Jena. 1080.
10 . Die Rechtschreibung des Mediziners, von Geh. R.
Prof. Dr. A. Hartmann in Heidenheim 1145 .
11. Zur Geschichte der Rechtschreibung, von Dr. E.
Ebstein in Leipzig 1354.
12. Begrüßungsrede bei der Eröffnung der Hundert¬
jahrfeier der Gesellschaft deutscher Naturforscher
und Aerzte, von Geh. Med.-R. Prof. Dr. A.
Strümpell in Leipzig 1423.
13- Die Not an Aerzten in den französischen Kolo
nien, von Geh. Med.-R. Dr. Waldow in Berlin
1587.
14. Aerztliches aus den deutschen Wolgagebiete 11 ,
von Dr. O. Fischer in Hamburg 1654. 1682
Digitized by »öle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
INHALTSVERZEICHNIS
V
„ , 3 . 137. 203- 237- 269. 301
MM7W 91 s. 953- 987.
»K w 1181. 1217- 1255.
j^lW- < 4 » 1491 ' ’ 525 ' ,561 -
1623- 1687- 1711*
*S 5 SÄio^if
,Äl430L 1493.1528.1563.1595.1624.
Biorraphie 137 - 497 -M 1 .847-1019- 118t-1427-
eie» 105. 237.367. 781.879.915.987.
olÄ vW™ % Z
■M 335. 37a 401. 434. 467- >01. 53ö. 309.
53.67S.708.744. 7M.816. 849. 881. 917.
989 1020 . 10 S 6 . 1085- 1116 . 1148. H 84*
, 257 . 1294 . 1325. 1360 . 1394. 1429- 1461.
, 526 . 1563- »595- 1624. 1660 . 1688 . 1713-
Diagnostik, allgemeine 37- 74. 171- 204.
Ä 432. 465. 498. 536. 567- 604. 642.
743. 782 .814.848- 880.916. 988. 1053 - 41084 .
,182. 1218 . 1256. 1292. 1324.'1358. 1428.
, 593 . 1623. 1659- 1687. 17 1 2 .
Frauenheilkunde 39- 76- 108. 139- 173-
240. 273 - 303- 336. 371- 402. 435- 468. 502 .
571 . 606 . 644. 676 . 709- 744. 784. 81 7- 850.
9 i 9 . 955 . 990 . 1021 . 1058 . 1086 . 1118 . 1149-
1220 . 1257 1295- 1325. 1360 . 1462. 1492.
1563.1595. 1661. 1689-1714. 1732.
Geschichte der Medizin 367 . 399* 535 603 .
781.847.987.1053.1147-1291. 1357- 1459-
1525- 1711.
■ 333.
1217-
171.
I. 641.
1019.
1291.
1593.
468.
1150.
1661 .
1561.
1019-
272 .
605-
955-
1219.
1492.
1732.
270 .
. 674.
1116 .
1491.
207.
538.
881 .
1185-
1527.;
743.
1491-
Literaturberichte.
Haut- und venerische Krankheiten 40. 77 .
108 . 141. 174. 207- 274. 303 . 337- 371. 401. 436 .
468. 502 . 539- 571. 608 . 645- 677- 710 . 746. 785 .
817- 851- 882. 920 . 956. 990. 1021. 1058. 1086.
1118 . 1150. 1186. 1220. 1296. 1326. 1361. 1395 .
1462. 1493- 1528 . 1564. 1596. 1625. 1661 . 1689 .
1714. 1732.
Hygiene 142. 208. 241. 274. 338. 372. 436 . 469. 502.
539. 608. 746. 785- 817 . 852. 882. 920. 956. 991.
1022. 1058. 1186. 1258. .1296. 1326. 1395- 1463-
1494. 1528. 1564. 1596. 1733-
Innere Medizin 38 . 74. 106. 138 . 171 . 204. 239 .
271. 302. 334. 368. 400. 432. 466. 499. 536. 568.
604. 643. 675- 706. 744. 783- 815- 848. 880. 9t6.
954. 989. 1020 . 1054 . 1084. 1116 . 1148. II 83 . 1218.
1257- 1293. 1324. 1359. 1393- 1428. 1460. 1492.
1526. 1562. 1594. 1624. 1660. 1688. 1712. 1732.
Kinderheilkunde 40. * 78 . 108 . 141. 174. 208. 241.
274. 304. 337- 372. 401. 436. 468. 539. 571. 608.
645- 677. 710 . 746. 785- 817 . 852 . 882 . 920 . 956 .
991 - 1021. 1058. 1086. 1118. 1186. 1220. 1258.
1296. 1326. 1361. 1395. 1463- 1493- 1564. 1596.
1625- 1661. 1689- 1714. 1733-
Krankenpflege 138 . 204. 675- 744. 848. 989 . 1054.
1562.
Mikroben- und Immunitätslehre 37- 105- 137-
171. 238. 270. 333- 431. 465- 535* 603- 642. 705. !
743- 782. 814. 848. 879- 953. 988. 1020. 1053- 1083- j
1147- 1182. 1217- 1256. 1292. 1423- 1358. 1525. j
1562. 1593- .!
Ohr und obere Luftwege 40. 77. 108. 140. 336. |
468. 645- 710. 745- 817 882. 1058. 1118 . 1295- I
1395- 1430. 1689.
Naturwissenschaften 73- 399- 465- 603 . IO 83 . !
1181. 1491. 1711.
Pathologie, allgemeine, und Pathologische
Anatomie 37- 73- 1 5- 137- 171. 23 24 . 238
270 . 301 . 333. 367. 399. 431- 465- 497. 535. 567 -
603 . 641. 673- 705. 743- 781. 813- 847- 879 . 915
953- 988. 1019- 1053. 1Q83- 1115- 1147. 1181. 1217
1255. 1291. 1423. 1357. 1393- 1427. 1459- 1491
1525. 1561. 1593- 1623- 1659- 1687- 1711.
Philosophie 37. 367 . 1217-
Psychologie 203- 238 . 301 . 567- 673- 705- 743 78,.
953. 1083- 1217. 1255. 1423- 1659 .
Sachverständigentätigkeit 108 . 208 . 242. 338.
372. 469- 502 . 608. 645- 785- 852. 920. 1022. 10^8.
1150. 1186. 1220. 1361 . 1430. 1564. 1625- I 690 .
Soziale Medizin und Hygiene 40. 78 . 108. 142.
174. 208. 242. 274. 304. 1430. 1625- 1689-
Standesangelegenheiten 40. 78 . 1118 - 1150 .
1430. 1494. 1528.
Strahlenkunde 37- 73- 106 . 171 . 204. 239 . 270 .
400. 498. 535. 567- 604. 642. 674. 743- 782. 814.
848. 879. 954. 1020. 1083- 1115- 1148. 1218. 1256.
1292. 1324. 1358. 1393- 1427- 1459- 1593- 1659
1687 . 1712.
Therapie, allgemeine 38 . 74. 106 . 138 . 171 . 204.
239. 271. 302. 334. 368. 400. 432. 466. 498. 536.
568. 604. 642. 674. 706. 743- 782. 814. 848. 880.
916. 954. 988. 1020. 1054. 1084. 1116 1148. 1183
1218. 1256. 1292. 1324. 1359- 1359- 1393- 1428.
1459-1491.1525.1562.1594.1624.1654.1687-1712-
Zahnheilkunde 174. 207- 371. 502 . 608. 677 . 710 .
746. 851. 1021 . 1086 . 1118 . 1150 . 1625 . 1689- 1714.
Kritische therapeutische Rundschau 42. 176 .
402. 748. 818. 884 . 958. 1024. 1120. 1260. 1362.
1396. 1596.
Aus der ausländischen Literatur 41 .' 109 . 175
305. 540. 646. 786. 957- 992. 1119* 1259 *1431-
Kritische Sammelreferate.
1 . Leber die innere Behandlung der Gelenkerkrankun¬
gen, von Dr. van den Velden 44.
2 . Leber neuere Ergebnisse der Chemie und Pharma-
kok$e der Digitalis, von Dr. P. Wolff in Berlin
306 .
.? Ueber intravenöse Traubenzuckerinfusionen, von
Dr. H. Zimmer in Berlin 470.
4 . lieber Novasurol als Diuretikum, von Prof. Dr.
Vonnenbruch in Würzburg 572 .
5 . Ueber die Widalsche hämoklastische Krise als keit, von Prof. Dr. G' Linzenmeier in Kiel
Leberfunktionsprüfung, von Priv.-Doz. Dr. Le- 1023 .
pehne in Königsberg 678 . 1 9- Ueber Erfahrungen mit Lufteinblasung in Rücken-
6. Ueber Arbeiten aus dem Gebiete der akuten Er- I mark und Gehirn, von^Prof. Dr. S. Schoenborn
nährungsstörungen des Säuglings, von Prof. Dr. in Remscheid 1432.
St. Engel in Dortmund 747- 10. Ueber Nebennierenexstirpation, von Doz. Dr. P.
7 . Ueber Bluttransfusionen, von Dr. B. Cohn in Wagner in Leipzig 1626 . 1662.
Berlin 883- 11 Ueber die Behandlung des Scharlachfiebers, von
8. Ueber die Blutkörperchensenkungsgeschwindig- Prof. Dr. C. Klieneberger in Zittau 1698 .
Sozialhygienische Rundschau 503 . 609 . 749 .
921 . 1059- 1187 . 1363 . 1499-
a) AJkoholismus, Bekämpfung 505 . 923 . 1061 .
1365- 1500 . 1632 .
b) Allgemeines 503 . 609 . 749- 921 . 1059 . 1187 .
1363- 1499. 1631.
c) Berufshygiene 506. 752. 924 . 1062 . 1190 . 1366 .
1502. 1634.
d) Bevölkerungsbewegung 503 . 749 - 921 . 1059 .
1187. 1362. 1499 . 1631.
t) Blindenfürsorge 750 .
0 Deszendenzhygiene 611 .
Erholungsfürsorge 1632
Sozialhygienische Rundschau
h) Ernährungsfürsorge 504. 610. 1060. 1631 . I
i) Geschlechtskrankheitenbekämpfung 505 . 612. 1
752. 923. 1062 . 1366 . 1501 . 1634.
k) Gesetzgebung, soziale 924.
l) Jugendpflege- und -fürsofge 504.609*922. 1188 . 1
1632.
m) Krüppelfürsorge 504. 610 . 750. 922 . 1060. 1188 . i
1364. ,
n) Mutter-, Säuglings- und Kleinkinderfürsorge 1
503. 609 . 750. 921. 1059-1187- 1364. 1499- 1631.
0 ) Prostituiertenfürsorge 506 . 1062 . 1190 .
p) Psychiatrie, soziale 611 . 751- 922 . 1061 . 1365
1500.
q) Psychopathenfürsorge 504. bio. 922 . 1060 . 1189
1365- 1500 .
r) Schulkinderfürsorge 504. 609 . 750 . 921 . 11,59
1187 . 1364. 1500.
s) Sehschwache, Fürsorge für 1188 .
t) Seuchenbekämpfung 505 . 61 i.
u) Taubstummen-, Schwerhörigen- und Sprach-
heilwesen 751- 1060 . 11 89-
v) Tuberkulosefürsorge 505 . 611. 751- 923- 1061 .
1189 . 1366 . 1501 . 1632 .
w) Versicherungswesen 506. 1502 .
x) Volkswohlfahrtspflege, allgemeine 506. 752 . 1502 .
y) Wohnungswesen 506. 924. 1062. 1190. 1634.
'u c 'm?, Dir!lllche Gesellschaft ( 27 ..X.)
1-753. 03- III.IS. 1151 . ( 8 .“ s fSt' »VI
S; 1367 . (10. VII.,S. 1433. (iax!)S 1 «j. ( 13 . xlj
»0 II.) s. 373 . (k 11 .) s!471' o'm f- 1
*•«'•) S. 647. (28. 1fv.) S .959 I 2 - S v 574 - ,
-y VI.)S. ,297- (14 VII.IS.iW7 (27 X ?'« V '
III- XI IS |<*3 7 ,27 X > s 4597 .
Vereinsberichte.
—, Verein für innere Medizin und Kinderheil¬
kunde ( 7 . XI.) S. 79- (14. XI.) S. 111. (5- XII.)
S.143- (19. XII.) S. 177- (12. XII.) S.338. (16. 1.22)
S. 405 u. 573. (13- II.) S. 6Ö1. (20. II. u. 6. III.)
S. 787« (13. III.) S. 1025. (3- IV.) S. 1063. (I- V.)
S. 1087- (19- VI.) S. 1,151. (8. V.) S. 1191- (15- V.)
S. 1261. (29. V.)S. 1297- (12. VI.)S. 1327- (10. VII.)
S. 1397- (9- X.) S. 1495- (3- VII.) S. 1495- (6. XI.)
S. 1628. (13- XI.) S. 1663. ( 27 . XI.) S. 1715
—, Laryngologische Gesellschaft ( 16 . XII.)
S. 112. (20. I. u. 3. III. 22) S. 437- (21. IV.)
S. 1222.
Medizinische Gesellschaft ( 7 . u. 14 . Xll.)
S. 45- (21. XII.) S. 79 <11 1 22) S. 177 ( 18 . ).)
S. 209. (25. 1.) S. 243- (1. II.) S. 307. (15- II.)
S. 339. (I. III.) S. 373. (4. III.) S. 437. (15. III.)
S. 471. ( 22 . III.) S. 507- (29. III.)S. 541. ( 3 . V.)
S. 753. (10. V.) S. 787- (17- V.) S. 819- (24. V.)
S. 853- (31. V.) S. 885- (14. VI.) S. 925 . ( 21 . VI.)
S.959. (28. VI.) S. 993- (5- VII.) S. 1025. (11. X.)
S. 1495- (18. X.) S. 1531. (25. X.) S. 1565 (1. XI.)
S. 1597. (8. XI.) S. 1627. (15. XI.) S. 1663-(29- XI.)
S. 1734.
-, Otolcgische Gesellschaft (10. Hl.) S. 6,3.
(7- IV.) S. 1121. (23- VI.) S. 1262. (7- VII.)
’ S. 1434.
-, Gesellschaft für Psychiatrie und Nerven
krankheiten (14 XI ) S.46. ( 12 . Xll ) S 3‘>8
Digitized by
Gck igle
Original frc%rri
CORNELL UNIVERSITV
VI
INHALTSVERZEICHNIS
(9. I. 22) S. 373- (13- IM S. 573- (13- III.) S- 64«.
(8. V.) S. 1261 . ( 12 . VI.) S. 1327 - ( 26 . VI.) S. 1368 .
( 10 . VII.) S. 1397 .
Berlin» Röntgenvereinigung (1. XII.) S. 144.
( 26 . 1. 22 ) S. 471. ( 23 - II.) S. 613- (23- III.) S. 925 .
( 1 . VI.) S. 1191 .
Bochum, Medizinische Gesellschaft ( 19 . X.)
S. 180 . ( 30 . XI.) S. 244. ( 18 . I. 22 .) S. 509- ( 22 . II.)
S. 994. (12. IV.) S.885- (22. III.) S-1153- (10. V.)
S.1329- (10. VI.) S. 1399- (15. VII.) S. 1435-
Bonn, Niederrheinische Gesellschaft für
Natur- und Heilkunde ( 31 . X.)S. 80. (14. XI.)
S. 276. (12. XII.) S. 374. (16. I. 22) S. 574.
(13- II.) S. 993- (13- III.) S. 1088. (8. V.) S. 1330.
(19-VI.) S. 1369. (10. VII.) S. 1692. (10. VII.)
S. 1715-
Breslau, Schlesische Gesellschaft für vater¬
ländische Kultur ( 11 ., 18 ., 25 . XI.) S. 179 . (2.,9-
u. 16 . XII.) S. 276 . (13-, 20. u. 27- I. 22) S. 614.
( 3 . II.) S. 1025- (10. u. 17 . II.) S. 1122. ( 3 ., 17- u.
24. III.) S. 1152 . ( 12 ., 19 . U. 25 . V.) S. 1398 .
(16., 23 . u. 39* VI.) S. 1467. (7- VII.) S. 1533-
(14., 21. u. 27. VII.) S. 1565- (20. U. 27. X.)S. 1628.
(3. XI.) S. 1663. (10. XI.) S. 1692.
Frankfurt a. M., Aerztlicher Verein (2. X.) S. 1598.
(16. X.) S. 1664.
Freiburg, Medizinische Gesellschaft ( 29 . XI.)
$.144. (13. XII.) S. 277. (17. I.22JS.407. (31.1.)
S. 542. (21. II.) S.616. (9- V.) S. 1155- (20. VI.)
S. 1225. (4. VII.) S. 1435- (25. VII.) S. 1567-
(18. VII.) S. 1598.
Gießen, Medizinische Gesellschaft (11. u.
30 . XI., 14. XII.) S. 376 .. ( 11 . 1. 22 ) S. 439. (1. II.)
S. 575. (15. II.) S. 682 . ( 1 . III.) S. 754. ( 3 . V.)
S. 1194. (17. u. 31 . V.) S. 1225. (4. VI.) S. 1299.
(12. VII.) S. 1497- (26. VII.) S. 1628.
Bakteriologen- und Epidemiologen-Kongreß, All¬
russischer, Moskau, 3-—8. V. S. 930 . 995*
Balneologen-Kongreß, 38., Berlin, 15—18. III.
S. 543.
Chirurgie, 46. Versammlung der Deutschen Gesell¬
schaft für, Berlin, 19 .— 22 . IV. S. 679- 713- 756 . 820 .
855. 929. 961.
Gesundheitspflege, Deutscher Verein für öffentliche,
Frankfurt a. M., 10.—12. IX. S. 1401.
—, Gesellschaft für öffentliche, Berlin, 24. X. S. 1532.
Gynäkologie, 1 7 . Tagung der Deutschen Gesellschaft
für, Innsbruck, 7 .—10. VI. S. 1027 .
—, Nordostdeutsche Gesellschaft für, 1087 . 1568.
1 . Praktikanten, schließt den Ring! Von J. Berg¬
mann in Leipzig 49-
2. Zur Frage der medizinischen Fachschule, von
H. Barnung in Düsseldorf 50 .
3 . Leipziger Naturwissenschaftliche Korrespondenz,
von F. W. Arlt in Leipzig 147-
4. Rassenhygiene, von G. Jorus in München 147.
5 . Fürsorgeärzte, von Dr. L. Teleky in Düsseldorf
213.
6. Bemerkungen zum Aufsatz „Fürsorgeärzte“, von
Prof. Dr. Kruse in Leipzig 213 .
7 . Unsere praktische Ausbildung in der Geburts¬
hilfe, von A. Seligmann in Leipzig 214.
8. Gedanken über die Freiburger Vorklinikerschaft,
von E. Holzmann in Freiburg 214.
9 . Bericht über die Sitzung der Fachgruppen¬
vertreters mit dem Vorstand der deutschen
Studentenschaft, von R. Herzger in Leipzig 344.
10 . Nochmals: Fürsorgeärzte, von Dr. F. Goldmann
442.
11 . Botanik, von E. Lehmann in Berlin 442.
12. Aufgaben und Aussichten des Sportarztes, von
Dr. H. Herxheimer in Charlottenburg 511 .
13 . Zur Frage des medizinischen Staatsexamens, von
Dr. Th. Friedrichs 512 .
14. Die Gleichstellung der akademischen Assistenten
im Reich, von Priv.-Doz. Dr. V. Schilling 617 .
15. Zur Besoldungsfrage der Medizinalpraktikanteri,
von W. Krebs 617 .
Greifswald, Medizinischer Veiein ( 11 . XII.)
S. 46. ( 25 . XI.) S. 243- (20. I. 22) S. 507. (3- II.)
S. 885. (17. II. u. 12. V.)S. 1192. (24. V. u. 16. VI.)
S. 1222. ( 30 . VI.) S. 1436. (4. VII.) S. 1533.
Hamburg, Aerztlicher Verein ( 25 . X.) S. 113 .
(8. XL) S. 209. (22. XI.) S. 309. (6. XII.) S. 342.
(20. XII.) S. 407. (3- I. 22) S. 472. (17- I.) S. 508.
(31. I.) S. 613- (14. II.) S. 1026. (28. II.) S. 1065.
(14. III.) S. 1193. (28. III. u. 11 . IV.) S. 1223.
(25. IV.) S. 1262 . ( 9 . V.) S. 1932 . ( 23 . V.) S. 1370 .
(6. VI.) S. 1400. (20. VI.) S. 1534. (4. VII.) S. 1664.
Heidelberg, Naturhistorisch- medizinischer
Verein ( 15 . XI.) S. 81 . (6.XII.) S. 310. (10. 1.22.)
S.439. (7. II.) S. 576. (22.11.) S.616. (2. u.
16 . V.) S. 1226 (4. VI.) S. 1263 . ( 20 . VI.) S. 1468 .
( 11 . VII.) S.1534. (25. VII.) S. 1566 . ( 3 . XI.)
S. 1716.
Kiel, Medizinische Gesellschaft ( 17 . XI.)
S. 47. (1. XII.) S. 210. (15. XII.) S. 473- (19 -1 22)
S.649. (2. II.)S. 682. (16. II.)S. 925. (H.U.25.V.)
S. 1192. (15. VI.) S. 1298. (29. VI.) S. 1329.
(13. VII.) S. 1565- (27- VII.) S. 1597-
Köln, Wissenschaftlich-medizinische Gesell¬
schaft ( 2 . XII.) S. 211. (13. I. 22 ) S. 509. (3- II )
S. 615- (3- III.) S. 1088. (16. u. 26. VI.) S. 1468.
(7-VII.) S. 1629.
—, Allgemeiner ärztlicher Verein ( 28 . XI.)
S. 277 . ( 12 . XII.) S. 438. ( 9 . I. 22 ) S. 474. (6. II.)
S. 574. ( 20 . II.) S. 886. ( 27 . III.) S. 1154. ( 1 . V.)
S. 1224. (5. V.) S. 1264. (15- V.) S: 1298. (29- V.)
S. 1330. (3- VII.) S. 1566. (17- VII.) S. 1629.
Königsberg, Verein für wissenschaftliche
Heilkunde ( 7 . XI.) S. 112 . ( 21 . XI.) S. 178 .
(5- XII.) S. 308 . (19. XII.) S. 341. ( 19 . XII.)
S. 374. (9-1.22) S. 406. ( 23 - I.) S. 541. (6. II.)
S. 648. (20. II.) S. 959- (6. III.) S. 1064. (20. III.)
Versammlungen.
Hals-, Nasen* und Ohrenärzte, II. Kongreß der Ge¬
sellschaft deutscher, Wiesbaden, 1 .- 3 . VI. S. 1089 .
Innere Medizin, 34. Kongreß der Deutschen Gesell¬
schaft für, Wiesbaden, 24 .- 27 . IV. S. 711. 754.
788 . 819 . 853. 886. 927 .
Krebskrankheit, Generalversammlung des deutschen
Zentralkomitees zur Erforschung und Bekämpfung
der, Frankfurt a. M., 23 . IV. S. 71 5-
Mikrobiologie, 9 . Versammlung der deutschen Ver¬
einigung für, Würzburg, 8.—10. VI. S. 1066.
Naturforscherund Aerzte, Hundertjahrfeier deutscher,
Leipzig, 17.—24. X. S. 1464. 1529-
Nervenärzte, 12. Jahresversammlung der Gesell¬
schaft deutscher, Halle, 13 . u. 14. X. S. 1600.
Praemedicus.
16 . Fürsorgeärzte zum drittenmal, von Dr. W. Hagen
in Lennep 618 .
17 . Medizinische Botanik, von Dr. R. F. Weiß in
Charlottenburg 618 .
18 . Nach dem Vertretertage, von W. Seemann in
Leipzig 683 .
19 . Zur Frage der geburtshilflichen Ausbildung, von
Dr. Kritzler in Erbach 684. 757*
20. Zur Frage des medizinischen Staatsexamens, von
P. Herszky in Berlin 758.
21. Uiber die Art des Unterrichts in der Geschichte
der Medizin, von Ob.-Reg.-Med.-R. Dr. W.
Haberling in Düsseldorf 823 .
22. Medizinstudium in Leipzig, von W. Seemann 824.
23 . Die deutsche Studentenschaft und die Fach¬
gruppen, von W. Seemann in Leipzig 889 .
24. Die Papstspende für tuberkulöse Studierende 890.
25 . Medizinschulen, Universitäten und praktische
Ausbildung des Mediziners, von Dr. W. Hans¬
berg in Dortmund 963- 1092 .1157- 1228. 1268.
1334. 1404. 1470. 1536. 1602 . 1668 . 1718 .
26 . Warum der deutsche Akademische Assistenten¬
verband sich dem deutschen Gewerkschaftsbund
anschloß 1191 .
27 . Herbstfrische auf Schloß Elmau* von M. Reichelt
in München 1192 .
28 . 7urStudienreform, von D. Jahn in Freiburg 11 57 .
29 . Die Mitwirkung der Medizinstudierenden bei der
Reform des medizinischen Studiums, von C.
Panick in Gießen 1227 .
S. 1191- (8. V.) S. 1328 . ( 22 . V.) S. 1368 . (6. XI.)
S. 1692.
Leipzig, Medizinische Gesellschaft ( 29 . XI.)
S. 48. (13. XII.) S. 437. ( 10 . I. 22 ) S. 613 . (24. 1.,
7. u. 14. 11.) S- 650. (28. JMS.994. (7- III.)S. 1088.
(2. u. 16. V.) S. 1264. (30. V.) S. 1298. (13- VI.)
S. 1497. (27. VII.) S. 1567. (12. VII.) S. 1597.
(25- VII.) S. 1665. (7. XI.) S. 1734.
München, Aerztlicher Verein ( 23 . X.) S. 48.
(4. XII.) S. 211 . ( 11 . I. 22 ) S. 245- (25.1.) S. 310 .
(8. II.) S.439- (22. II.) S. 575. (8. III.) S. 615.
(10. V.) S. 886. (17. V.) S. 1155- (31. V.) S, 1265.
(12. VII.) S. 1629- (18. X.) S. 1665. (29- XI.)
S. 1734.
Prag, Verein deutscher Aerzte (2., 9 . u. 16 . XII.)
S. 246. (23. XII.) S. 342. ( 13 . u. 23. I. 22) S. 376.
( 27 . I.) S. 510 . ( 3 . II.) S. 576 . ( 10 . II.) S. 616 .
(17. II.) S. 886. (24. II.) S.995- (3- IIL) S. 1089.
(10. u. 17- III.)S. 1123. (24. III.)S. 1266. ( 31 . IIL,
5-, 7. u. 28. IV., 5. u. 12. V.) S. 1400. (19- U. 26. V.,
9 - u. 13 . VI.) S. 1498. ( 16 . VI.) S. 1630 . (23. u. 30 .
VI.) S. 1666. (7. VII.) S. 1,716.
Sächsisch-Thüringische Kinderärzte ( 27 . XL)
S. 144. (28. V. 22) S. 1265.
Wien, Medizinische Gesellschaften 82. 245-
440. 995- IO 89 . 1123 . 1300 . 1534. 1666 .
Würzburg, Physikalisch-medizinische Ge¬
sellschaft ( 30 . VI. u. 14. VII.) S. 180. (10. XL u.
24. XI.)S. 212 . ( 1 . XII.U. 15 . XII.)S.408. (12.1.22)
S. 5ia (2. II.) S. 542 u. 926. (16. II.) S. 995-
( 23 . II.) S. 1026 . ( 18 . V.) S. 1332 . ( 1 . VI.) S. 1370 .
(22. VI. u. 6. VII.) S. 1498. (13. VII.) S. 1599-
(20. VII.) S. 1629-
Zwickau, Medizinische Gesellschaft (1. XL)
S. 438. (6. XII. u. 21. II. 22) S. 960.
Ophthalmologische Gesellschaft, 43 . Versammlung
der deutschen, Jena, 8.—10. VI. S. 1124. 1155-
Röntgen Gesellschaft, XIII. Tagung der deutschen,
Berlin, 23 .- 28 . IV. S. 789 . 856. 888.
Schulgesundheitspflegje, 18 . Jahresversammlung des
deutschen Vereins für, Frankfurt a. M., 13 . IX.
S. 1465.
Tropenmedizinische Gesellschaft, Deutsche, Hamburg,
17 —19. VIII. S. 1401.
Tuberkulosekongreß, Deutscher, Bad Kosen,
17-—19- V. S. 821.
Verdauungs* und Stoffwechselkrankheiten, 3 . Ta¬
gung für, Homburg v. d. Höhe, 28. und 29 . IV.
S. 712 .
30 . Ein neuer Entwurf zur Wahl der Astt, von F-
Lickiat 1267 .
31 . Bericht der Frankfurter Medizinerschäft über
das Sommersemester 1922 , von Burger in Frank¬
furt a. M. 1267 .
32 . Instrumentenbeschaffung zu verbilligten Preisen,
von W. Ernesti in Leipzig 1268.
33- Das Medizinstudium in Gießen, von C. Panick
1333-
34 . Noch ein Vorschlag für die Art des Unterrichts
in der Geschichte der Mec'izin, von Dr. F.
Lejeune in Greifswald 1403 .
35. Die Mängel der berufsständischen Vertretung für
dieangestellten Aerzte, von Dr. Finkenrath 1469 .
36 . Münchener Sommer, von M. Reichelt in
München 1469-
37- Fachgruppen und Hochschulpolitik, von R.
Herzger in Leipzig 1535-
38. Mehr Seminarbetrieb, ein Gedanke zur Studien¬
reform, von G. Daiber in München 1536.
39- Auf zur Gründung von medizinischen Arbeite*
Stuben, von Dr. P. Strassmann in Berlin 1601-
40. Noch einmal: Studienreform, von Willgrod in
Leipzig. 1602.
41. Die Arbeiten der Fachgruppen innerhalb de r
deutschen Studentenschaft, von R. Herzger in
Leipzig 1667 .
42. Bericht über das vergangene Sommersemester der
Freiburger Klinikerschaft, von W. Ebell 1717 .
Digitizsa by Gck igle
Q4gmal from
CORNELL UNiVERSITY
INHALTSVERZEICHNIS
VII
JSrankheiten 1191.
Xbd«n* ialt >'P hus ’ Az,(los s ^
1259.
- Fall I» 22 - .
_ schwer ru diagnostizierende
J t Epidemie unter Kindern
4 (ß.
_in Schlesien 1566-
Immunbiologie 849*
- und Schilddrüse 205-
_ - Stillen 1266 .
Zentralnervensystem bei
1182 . ^ .
—, proteinkörpertnerapie
1394.
Abduzenslähmung bei Otitis
media 1089-
Abduzens«, Trochlearis* ^ und
Okulomotoriuskeme, nicht
der Augenbewegung dienend
1124.
Abführmittel, Wirkung und
Verwendung in der ärzt¬
lichen Praxis SSO.
—, Unfug mit 204.
Abmagerung bei Darmkrank-
heiten 1437.
Abnutzungsquote bei Kindern
und Schwangeren 785-
Abort,Ditierentialdiagnose zwi¬
schen —, Schwangerschaft
und Erkrankung 745-
—, fieberhafter 165$.
— nicht komplizierter 1583.
— und Douglaseiterung,‘ Te¬
tanus nach 77-
—, infektiöser — der Haus¬
tiere 1628 .
Abortbehandlung 108.336.403-
438. 1295. 1311.
—, Indikation und Technik
471. 574.
—, aktive oder abwartende
1021 .
- in der Privatpraxis 1732 .
- bei fieberhaftem Abort 24t.
645. 1021 . 1086.
— septischem 435 .
SchweDenreiztherapie bei
fieberhaftem 606 . 884 .
- Notwendigkeit einer all¬
gemeinen Statistik der —
des fieberhaften 676 .
Abortus artefidalis, mit Ei-
hautstich kombinierte Chi-
nrädarreichung zur Einlei¬
tung 43 .
—> .$p«ale, eugenetische u.
Notzüthtsindikation 303 .
und Sterilisierung wegen
Löwen- und Kehlkopf,
tnwrkulose 371 .
-, Prognose und Therapie
des 1191 .
- Fälle von versuchtem kri-
minellen — bei fehlender
Schwangerschaft 1400 .
Abrißfraktur der unteren Hals- -
oder oberen Brustwirbel¬
dome 538.
Abszeß, künstlicher — durch
Einführung von Speichel
unter die Haut 1057 .
~, periösophagealer - nach
Fremdkörper 112 .
“• Punktion des priverte-
bralen 817 .
*) Die Seitenzahlen bei den
Abszesse, Behandlung kalter
110 .
—, 103 operativ behandelte
appendizitische 850.
Abtreiberinnen, Arbeitsmetho¬
den der — und ihre Bedeu¬
tung für den praktischen
Arzt 1051.
Abtreibung seitens eines Arztes
843-
— und Gesetz 71 .
Abtreibungsparagraph, Kritik
der Anträge betreffs Ände¬
rung 242.
Abwehrfermente 1053-
Abwehrleistungen, Pathologie
497-
Acarus gallinarum, Heilerschei¬
nungen hervorgerufen durch
1467.
Achseldrüsenabszesse, Terpen¬
tin und Terpichen bei 293.
Achselhöhlenfurunkulose 206.
Achselhöhlenmilchdrüsen 1149-
Achsendrehung des Mesente¬
riums, Blutdruck bei 434.
Achsenskelett der Wirbeltiere,
Entwicklung des, von Held
1147-
Achylia gastrica 1713, zur Pa¬
thologie 928.
Addisonsche Krankheit 613-
-, Blutzucker bei 369 .
-, postgrippöse 175-
Adenomyomas containing Ute¬
rine mucosa, The distribu-
tion of, von Cullen 1119 .
Adenomyosis uteri 571 .
Aderhautmetastase nach Mam¬
makarzinom 209 .
Aderhautsarkom 342 .
—, Frühenukleation 1156.
Aderlaß, Indikation 1031.
— in Geburtshilfe und Gynä¬
kologie 1118.
Adhäsionen in der Bauchhöhle,
postoperative 919-
Adnexerkrankungen, Blutkör-
perchensenkungs - Geschwin¬
digkeit als differentialdia¬
gnostisches Hilfsmittel 710 .
—, mensueller Zyklus bei ent¬
zündlichen 174 .
—, Terpentineinspritzungen
bei entzündlichen 303 .
Adnexoperationen, Klinik und
pathologische Physiologie der
konservativen 745 .
Adnextumor, eitriger — zu
operieren oder nicht? 919 .
Adonigen 334. 783 .
Adrenalin 616 .
—, Histochemie 1300 .
—> intrakardiale Injektion bei
einem Säugling 47- 403.
— Veränderungen des arteri¬
ellen Drucks infolge subku¬
taner Injektion von 305 .
—, genetischer Zusammenhang
zwischen Wasserstoffionen-
Konzentrationsverschiebung
■' iw Pfortaderblute und der
Hyperglykämie nach Injek¬
tion von 886.
— Änderungen in der Wasser¬
stoffionenkonzentration im
zu- und abführenden Leber-
venenblute nach Injektion
von 886.
Einfluß auf die Netzhaut
1595.
Sachregister. 1 )
Adrenalin, Einfluß patholo¬
gischer Zustände auf die Zer¬
störung des 1115-
—, Untersuchungen über 1568 .
—, Zerstörung im mensch¬
lichen Körper 1561 .
Adrenalinämie 1358.
Adrenalinblutdruckkurven,
Einfluß des vegetativen Ner¬
vensystems 497-
Adrenalinblutdruckreaktion bei
Hypertonikern 916.
Adrenalin-Hyperglykämie 73-
953-
—. — beim Säugling 1361 .
Adrenalinintoxikation, experi¬
mentelle Beobachtungen
1400.
Adrenalinlymphozytose und
Funktionsprüfung der. Milz
205.
Adrenalinuntersuchung, Me¬
thodik 936.
Adrenalinwirkung, Adrenalin¬
resorption und 1086.
—, probatorische — beim Dia¬
betiker 1055 .
—, Kreislaufwirkung u. Wand¬
druck der Arterien 536.
— auf Blutdruck und Blut¬
zucker bei verschiedener Kon¬
zentration 886.
—, die Permeabilität von Mus¬
kelfasergrenzschichten 269-
Adsorptivdesinfektion in Ge¬
genwart anderer Adsorben-
tien 991.
Adsorptionstherapie, pharma¬
kologische Grundlagen 783-
Adstringierende Wirkung, We¬
sen 1097.
Adynamie, paroxysmale — bei
Insuffizienz der Nebennieren
854-
Aerzte als Giftmörder, von
Spinner 1147-
— in den hessischen Biogra¬
phien 1391.
— Deutschlands im Jahre 1921
166.
—, Not an — in den französi¬
schen Kolonien 1587.
— und Gewerbesteuer 843-
1252 .
—, Haftbarkeit für Fehler eines
zugezogenen zweiten Arztes
809 .
— und Krankenkassen 1519.
1588.
—, öffentliche — und ihre Be¬
deutung als Sozialökonomen
und Gesundheitspolitiker
142.
—, Stellung als Vertreter der
wissenschaftlichen Medizin
und der öffentlichen Gesund¬
heitspflege 70 ,
—, — im besonderen Teil
des Entwurfes zu* einem
deutschen Strafgesetzbuch
70.
—, -— im letzten österreichi¬
schen und im deutschen
Strafgesetzentwurf 809-
—, — im geltenden und künf¬
tigen österreichischen Recht
71.
—, Mitarbeit in der Wohl¬
fahrtspflege 132.
Aerztekammer, Verhandlun¬
gen der Berlin-Brandenbur-
gischen 328.
Originalartikein sin d fett gedruckt.
Aerztlidje Betrachtung, Grund¬
lagen, von Grote 105.
— Kunst, das Problem der,
von Honigmann 1217-
Aerztliches Denken von heute
269-
Aether bei Peritonitis 1725.
Aetherdämpfe, desinfizierende
Einwirkung auf Eitererreger
1148.
Aethernarkose, Aethergehalt in
Blut, Milch, Harn und Ex¬
spirationsluft bei 1492.
Afenil bei Frühlingskatarrh und
Heufieberkonjunktivitis 818.
-skrofulösen Augenent¬
zündungen 1260.
Afenilinjektionen, Beschwer¬
den nach intravenösen 1486.
Agarical bei Hyperidrosis 982.
Agglutination bei Ozäna 745 .
Agranulozytose, pathologisch¬
anatomische Befunde bei
1496.
Ahnenbüchlein, von Finckh
37-
Akridinfarbstofflymphe zur
Schutzpockenimpfung 227. |
Akroasphyxia chronica hy-
pertrophica 541.
Akromegalie und Riesenwuchs
im Kindesalter 1022.
Aktinomykose des Menschen,
von Noesske 1325 .
—, biologische Methoden zur
Diagnose 756.
— des Ganglion . semi lunare
und aktinomykotische eitri
ge Leptomeningitis 586.
— der Nieren 709 .
—, Kupfersulfatbehandlung
816 .
—, Vakzinebehandlung 109 .
—, Yatren bei 1325 .
Aktionsstrom der granulieren¬
den Wunde 1461.
Aktivatoren, biologische 143t.
Albeesche Operation bei Wir-
belsäulentuberkiilose 39- 864.
918.
Albertan 400. 622.
Albuminurie, Bence-Jonessche
75-
—, orthostatische 1431.
—, lordotische und zyklische
— bei tuberkulösem Gibbus
433.
— der Neugeborenen, Geburt¬
einfluß und konstitutionelles
Element in der Genese 851 .
—, Bedeutung der Reaktion
des Harns für das Auftreten
der statischen — im Kindes¬
alter 1494.
Albusol 783- 1116.
Alexander S. zum 70 . Ge¬
burtstage 299.
Alexander-Adamssche Opera-
J on 307. 373- 709-
ilitätsbestimmung in Wäs¬
sern und Nährboden 1326 .
Alkaloide, Schutzfärbung gif¬
tiger 1732.
Alkaptonurie und Ochronose,
Fall 863.
Alkohol, gesundheitliche Wir.
kungen der Einschränkung
der Herstellung und des Ver¬
kaufs im Deutschen Reiche
während des Krieges 242.
—, „vergällter“ — zur Hände¬
desinfektion 1572.
Alkohol, nochmals „vergällter“
1707.
— (50°/q) zur Blutstillung 502 .
—, unmittelbarer Einfluß auf
Glykosurie u. Blutzucker
beim Diabetes 1594.
— und Magenverdauung 540.
Alkoholfrage im deutschen und
österreichischen Strafgesetz¬
entwurf 1430 .
— in Norwegen 32.
Alkoholfreie Jugenderziehung,
2. deutscher Kongreß für
1061.
Alkoholgefahren, Anträge be¬
treffend Bekämpfung 923 .
Alkoholgegnerische Tagungen
in Weimar 1632 .
Alkoholismus, Bekämpfung
1365-
—, das Gemeindebestimmungs¬
recht, ein Volksrecht zur
Abwehr des 1500.
Alkoholstatistik 1917—1921
708.
Alkoholvakuumsterilisation für
Instrumente, Katgut usw.
1125.
Alkoholverbot, Wirkungen des
amerikanischen 78 .
—, das amerikanische — in
gesundheitlicher Beleuchtung
106t.
Alkoholvergiftung, Sehstörun¬
gen bei 1531-
Allergie oder Anergie? 301 ,
—, parafokale pharmakodyna-
mische 74.
—, Bedeutung der tuberku¬
lösen — für das Entzün¬
dungsproblem und die Pro¬
teinkörpertherapie 54.
Allergiefrage 1322 .
Allgemeininfektion, chirurgi¬
sche 679-
Alopezie, Lichtbehandlung, von
Nagelschmidt 1118 .
Alter und Tod, Botanische
Betrachtungen über, von
Küster 465-
Alterskrankheiten, Leitfaden,
von Dithmar 568 .
Altersstar, Extraktion in der
Kapsel 1156.
Alttuberkuline, Toxität ver¬
schiedener 1127.
Aluminiumseiten zur Aufnahme
des Elektrokardiogramms
432.
Alveolarpyorrhoe 342.*
—, Aetiologie und Therapie
1065.
—pathologisch-anatomisches
Bild 1223 .
Alzheimersche Krankheit 211.
Amaurose durch Migräne 1408.
Amaurosis edamptica 1028,
Retinitis gravidarum u. 241.
Ambardsche Konstante als Me¬
thode der Nierenfunktions¬
prüfung 500.
-der Harnsäure 1688 .
Ambozeptoren, Abspaltung
bakteriolytischer und hämo¬
lytischer 238.
Amenorrhoe, Behandlung 336.
—, Röntgenbehandlung 1028.
American Medical Association,
Bekämpfung des Geheim¬
mittelschwindels durch die
1352
Digitized by Gougle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
VIII
INHALTSVERZEICHNIS
Aminoazidurie, pathologische
848.
Ammensyphilis und Syphilis¬
verhütung 413.
Ammenwesen, Regelung 338.
609-
Ammoniak, Gekrauch bei Bak¬
terienfärbung durch Silber¬
salze und Methylenblaufär¬
bung von Malariablut 1259-
Ammoniakbestimmungen im
Blutserum 466.
Amöbenruhr, autochthone —
in Deutschland 880.
—, Leberabszeß nach 277-
—, Behandlung der chroni¬
schen 1402.
—, Yatren bei chronischer
1325.
Ampullenwasser, Verwendung
675.
Amputatio interscapulo-tho-
racalis 864.
Amputation nach Gritti 784.
-Pirogoff 1664.
Amputationen, kongenitale
376.
— s. auch Kriegsamputationen.
Amputationsstumpf, Ausnüt¬
zung des 681.
Amputierte in der Marine, Ver¬
sorgung und Ausrüstung,
von Niemy 538 .
Amputierter Mensch und seine
Rente 242.
Amylasebestimmung in Blut
und Urin 567 .
Amyloidablagerungen in der
Schleimhaut der Lippen,
Zunge, des Rachens und der
Tonsillen 1124.
Amyostätischer Symptomen -
komplex, Erkrankungen mit
708.
-nach Salvarsan 708 .
-, Augenmuskelstörung bei
1192 .
Anämia, Skorbut und alimen¬
täre 1492.
—, experimentelle chronische
204.
- im Kindesalter 1733-
. Knochenmarkfunktion bei
41. 537-
—, Sehstörungen und Augen-
hintergrundsveränderungen
bei 11*56.
—, Bluttransfusion bei 783 .
—, Autotransfusion von Blut
bei 606 .
, Injektionen von künstlich
geschädigtem Eigenblut bei
H 83 . 1396 . 1688 .
—, hohe Eisendosen bei 707 .
—, Elektroferrol bei 39- 176.
, Serumbehandlung 772.
— der Kinder, Proteinkörper¬
therapie 852. 958.
—, Knochenmark und Blutbild
und apiastische 852.
— durch Bakterienextrakte
916.
— der Pferde, ansteckende
1531-
haemolytica, Elektroferrol
bei 628.
— sub partu, Behandlung
156.
— perniciosa 369
-und gastrische Anazidi¬
tät 41.
-, Blut bei 1594.
-, Blut- und Knochenmark¬
befunde bei 178 .
—, Gesamtblutmengenbe¬
stimmungen bei 1427-
Anämia perniciosa, Erythro-
gonien bei 1182.
-bei drei Geschwistern
1545.
-, Knochenmark bei 1431 .
-, Regeneration ‘des Kno¬
chenmarks bei — nach Ent¬
markung 990.
-, Katalasegehalt des Blu¬
tes bei 1055-
-, Katalaseindex und Dia¬
gnose 75.
-, Koli - Indexbestimmun-
mungen und Mutaflorbe-
behandlung bei 42.
-, Sektionsbefund eines
Falles im Stadium vollstän¬
diger Remission 285.
-, Rückenmark bei 41.
1594.
-, Behandlung 39 .
--, Bluttransfusionen bei
1641.
-, — durch Entmarkung
eines Röhrenknochens 714.
-, operative Behandlung
435-
-, Arsenbehandlung 1024.
1085- 1183-
-, Milzbestrahlung bei
1596.
—, Ziegenmilch- 1058 . 1258.
Anaerobe Sporenbildner 1066 .
Anagrobenbakterien, Beweg¬
lichkeit 1323 .
Anagroben Züchtung 1066.
Anaerobier, die zur Rausch¬
brandgruppe gehörigen 1066.
Anästhesie bei Zahnextrak¬
tionen 207 .
—, parasakrale — bei 130 vagi¬
nalen Operationen 851 .
Analkrämpfe,idiopatische 1183 .
Analprolaps kleiner Kinder,
Behandlung 542.
Anaphylaxie, Entzündung, all¬
ergische Immunität und 567 .
— bei isolierten Organen des
Frosches 333
— bei Proteinkörpertherapie
1070. 1727.
— und Überempfindlichkeit
743-
-Störungen des Ver¬
dauungsapparates 814.
Anaphylaxieerscheinungen
nach Serieninjektionen art¬
fremden Serums 257.
Anaphylaxiefrage 238 .
Anaphylaxiestudien mit hypo¬
tonischen uni hypertoni¬
schen Lösungen 887-
Anaphylaxieversuche am über¬
lebenden Darm 642.
Anatomie des Menschen, Lehr¬
buch u. Atlas, von Rauber-
Kopsch 987 .
—, Atlas und Lehrbuch der
topographischen und ange¬
wandten, von Schultze
1459-
—, Leitfaden der topographi¬
schen, von Oertel 269- M
—, mikroskopische — der Wr-
beltiere, von Krause 641.
—, kurzes Lehrbuch der de¬
skriptiven, von Sobotta
705.
—, Lehrbuch der speziellen
pathologischen, von Kauf¬
mann 1357 .
—, — für Zahnärzte, von
Wetzel 1561.
Anazidität, Aetiologie 1534.
Anenzephalie und Nebenniere
1666 .
Aneurysma aortae s Aorten¬
aneurysma.
Aneurysma Art. anonymae
1153-
— arteriovenosum zwischen
Art. carotis interna und Si¬
nus cavernosus, doppelseiti¬
ges, nicht traumatisch ent¬
standenes 287.
-der Subclavia 1624.
— Art. axillaris 209-
-vertebralis nach Trauma
338.
— der Bauchaorta 1193-
-mit Ileuserscheinun-
gen 1429 .
-Karotis mit sackförmi¬
ger Ausstülpung in die Tra¬
chea 1262.
-Uteringefäße 1150.
— venae anonymae, Rekur-
rensparese bei 437-
Aneurysmaoperation und Gren¬
zen der direkten Gefä߬
stumpfvereinigung £44.
Aneurysmen, Kreislaufstörun¬
gen bei arteriös venösen 1367 .
—, embolische 273 .
—, neue Art der Versorgung
675-
Angina abdominalis 1460.
— der Larynxtonsille 745-
—, Monozyten- 1495 .
—, Nierenerkrankungen nach
643-
—, Argaldon bei 696.
— pectoris 783-
— Plautii 745-
Anginose 616 .
Angiolymphe 954.
Angiomalazie, Elastizität der
Arterien und 781 .
Angiomatosis retinae 77-
Angiome, Kuhpockenlymph-
behandlung 211. 1370.
Angiospasmus, Geburts- 1661 .
— in der Pathogenese der
vasomotarischen Neurosen
1572.
Angiospastische und angiopara-
lytische Erscheinungen in
der Chirurgie 11 16 .
Angliogliosis retinae et cerebri
1597-
Angst, zur Psychopathologie
1534.
— und Zwangsneurose, gleich¬
artige Vererbung einer 1665 .
Anilinfarben in der Chirurgie
401.
Aniridia oculi utriusque 341.
Anisometropie bei eineiigen
Zwillingen 1156 .
Ankylosen, Mobilisierung knö¬
cherner 1224.
Ankylostomiasis, Tetrachlor¬
kohlenstoff 992
Anpassungen, über die Vor¬
stellbarkeit der direkt be¬
wirkten — und der Ver¬
erbung erworbener Eigen¬
schaften durch das Prinzip
der virtuellen Verschiebun¬
gen, von Jackmann 1019-
Anthropologie und ihre An¬
wendung auf ärztliche Pra¬
xis 270 .
—, Kretschmers Körperbau¬
lehre und die 705 .
Anthropometrie 137- 498.
Anthroposophie und Homöo¬
pathie 953-
Antikörper, Aetherempfindlich-
keit 782 .
Antilux 1666 .
Antipyrininjektionen, epidu
rale — bei Ischias 1666 .
Antisepsis, experimentelle
Grundlagen der chemischen
680.
—, Tiefen- 680.
—, chemotherapeutische 45.
—, Ziele und Wege der chemo¬
therapeutischen 368 .
Antispermia, biologische Wert¬
bestimmung 1224.
Antistaphylosinreaktion, Be¬
deutung 1660 .
Antistoffe, * Entstehung spezi¬
fischer — auf pathologisch -
anatomischer Grundlage 376 .
Antitrypsin bei Bestrahlungen
mit künstlicher Höhensonne
270.
Antrumresektion bei Ulcus ven-
triculi und duodeni, Erfolge
76.
Anus praeternaturalis, konti-
nenter 173-
-, Operation 614. 918.
-, Verschluß ohne Sporn¬
quetschung 371 .
-, Pelottenverschluß 816 .
-, plastischer Verschluß
1429-
-vestibularis, neue Opera¬
tionsprinzipien beim 139 .
Aolan, Einfluß auf die kutane
Tuberkulinreaktion 1256 .
Aolaninjektionen, lokale Re¬
aktion auf intrakutane 74.
Aorta und Aeste, Lokalisation
und phylogenetische Grund¬
lage der Verfettungen und
Sklerosen 518.
-, Aneurysma mit Ileus-
erscheinungen 1429-
— abdominalis, Diagnostik des
Aneurysmas der 1193-
-s. auch Bauchaorta.
Aortalgien und das Symptom
des anginösen linkseitigen
Plexusdruckschmerzes 205-
Aortenaneurysma, die tiefen
Kompressionsstenosen der
Luftröhre, besonders beim
75.
—, traumatisches 335 - 1625
—, Behandlung 1370 .
—, entlastende Mediastinoto¬
mie bei 708 .
Aortenerkrankung, Isthmus¬
stenose der Aorten bei syphi¬
litischer 335 .
—, Therapie der syphilitischen
1361.
Aorteninsuffizienz, Gefäßver
änderungen in Arm- und
Beinarterien bei 1338.
—, eigentümliches Verhalten
der Herzgröße bei 1498.
Aortenkompressorium, bedarf
der Arzt in der Geburts¬
hilfe eines „selbsthaltenden“
108.
Aortitis luica 60. 1370 .
-neonatorum 1493-
Aphasieforschung, Theorien
und Methoden 1257-
Aphorismen, von Verworn
1115-
Apochin 783 .
Apoplexia uteri bei Senilen
1028.
Appendektomie, Technik 606.
—, Beschwerden nach 1604.
—, Spätblutungen nach 1117 -
Appendektomien, 9000 1117 -
Appendices epiploicae des Dick¬
darms 1370.
Appendix, Gleitbruch der
mit Netzadhäsionen in Lei
stenhernie 1420.
Lage 939
— Invagination 501 . 5/0
Appendix, Invagination bei gy*
näkologischen Operationen
571.
— und Ileum, Spontananasto-
mose zwischen 302 .
Appendixfrage an Hand von
1000 operierten Fällen 850 .
Appendixgeschwulst 918 .
Appendizitis, konstitutionelles
Moment in der Aetiologie
569-
— im Bruchsack 920 .
—, Cholezystitis und Ulcus
ventriculi bzw. duodeni 1434.
—, chronische — und Coecum
mobile 107 .
— chronica im Kindesalter 1 74
-und Lebererkrankung
707-
-, Druckpunkte in der
Blinddarmgegend und 605-
—, neues diagnostisches Sym
ptom 605-
—, Differentialdiagnose 205-
— gangraenosa, Meningitis se-
rosa im Verlaufe von 643-
—, Hämaturie und 501. 1429-
1526.
— und Gonorrhoe, die beiden
häufigsten Ursachen der
chronischen Entzündungen
der Tuben und Ovarien 798.
942. 1316.
-Helminthen 302 .
—, doppelseitige Muskelne -
krose im Verlaufe einer 1395
— und Oxyuren 1020.
—, Magenschmerz bei 1072.
— und Situs inversus 605 . 81 5
1394.
— statistische Studie 1294.
—, geographische Verbreitung
und epidemiologische Be
deätung 570 .
—, Netzstrangulation unter
dem Bilde akuter 1057-
— während der Schwanger
schaft, Behandlung 955-
— und Witterung 38 .
—, chirurgische Behandlung
1057-
—, Frühoperation 886.
—, Operation im Indermediär-
stadium 885-
Appendizitische Abszesse 103
operativ behandelte 850.
Appendizitisfage 707 .
Appetitlosigkeit, Behandlung
1324.
Arabian medicine, von Browne
847-
Arbeiter, Emährungslage des
deutschen — im Vergleich
zur Vorkriegszeit 1255-
Arbeitsinspektion in den Nie¬
derlanden, der medizinische
Dienst der 1062.
Arbeitspausen in Gewerbebe
trieben 1062.
•Arbeitspsychologische Unter¬
suchungen 369 .
Arbeitswissenschaft und Ge¬
sundheit 1143.
Archäopteryx, Becken, Schul
tergürtel and andere Teile
der Londoner, von Petro -
nievics 1357-
Argaldon bei Anginen 696.
Argochrom bei Gonorrhoe 57 1
Argopotron bei Gonorrhoe 1528
Arhythmia perpetua, Pulsun¬
tersuchung bei 433-
-, Chinin und Digitalis
bei 445.
Armamputierte. Versorgung
mit Kunstgliedern 1433
Armtonusreaktion 246. 1090
Digitized by Go cle-
—Original frorn
CORNELL UNiVERSiTV
INHALTSVERZEICHNIS .
IX
I
Amdt-Scholaches Grundge¬
setz 9$4-
FWoffl« der Blut-
bfldung «#•
-, Dosis letalis 271-
_ Beziehungen zur Leoer
ond Syphilisbehandlung mit
Silvusan 1528.
_ septischen Zuständen
928 .
Arsenbehandlung 1712.
Aisenmelanose 886.
Arsenvergiftung, Polyheunhs
nach 308. Bi ' .
Arsenwasserstoff im Blut 642.
Arsenwirkung, Arsengewoh-
nung und Arsenvergiftung
916. 1089-
Arteriainonyma, Aneurysmen
M53-
- axillaris, Aneurysma 209-
- hepatica, Folgen der Liga¬
tur 1394.
_propria, Unterbindung
ohne Uberbeschädigung 434.
- tibialis anterior, Unterbin¬
dung 917.
-- vertebralis,Aneurysma nach
Trauma 338-
Arteria-Angularislappen, oben
gestielter - ohne Hautstiel
273-
Arterieller Minimaldruck 466.
Arterienlappen und Epithel¬
einlagen 708. 787.
Arteriosklerose, zur Aetiologie
1129.
- und Xrteriolosklerose 1148.
Gefäßveränderungen in
Am- und Bemrterien bei
I3JS.
—, zur Pathogenese 1181 .
-, intravenöse Kieselsäure*
Injektionen bei 106.
Arteriotomie 204.
Arthritiden, Wesen und For¬
men der chronische« 138 . ,
.Arthritis chronica infantum 681. j
Purinstoffwechsel bei nicht
gichtischer chronischer 206
- deformans Jugendlicher,
Verlängerung der Röhren¬
knochen bei 401.
- des EUbogengelenks
1057.
-in den Metatarso-Phal-
angealgelenken, Entstehung
1549.
-juvenilis, Entwicklungs¬
hemmungen des Skeletts
bei 1361 .
- operative Behandlung
- gonorrhoica,- Beteiligung
der Knochen bei 467 .
, Meningokokkenserum
hei 992.
- heredosyphilitica, Fall 246.
- und Periostitis typhosa 38 .
•Arthrodese der Fußgelenke nach
Klapp 1462.
im Sprunggelenk, Spätre¬
sultate 1369 .
Articulatio cricoarytaenoidea,
Fall von Arthritis 245 .
Artopan 1687 .
Arzneibehandlung, Uhrbuch
der klinischen, von Pen
zold 138 .
Araieifestigkeit. m Kenntnis
der 1066.
Anneiflora, rationelle Aus¬
wertung unserer einheimi¬
schen 536-
Arzneikörper, Beziehungen zwi-,
<chen chemischer Konstihi-
und Wirkung 1491 .
Arzneimittel, Anleitung zur Er-
kennung und Prüfung aUer
im deutschen Arzneibuch,
5 . Ausgabe, aufgenommenen,
von Biechele 1491.
—, neue 29. .
_ t _und pharmazeutische
Spezialitäten, von Arends
568. , „ t .
—, Spezialitäten und Geheim¬
mittel, neue 828.
—, unerlaubtes Handeln mit
1708.
— -Synthese auf Grundlage
der Beziehungen zwischen
chemischem Aufbau und
Wirkung, von Fränkel 239-
Arzneimittelkommission der
Deutschen Gesellschaft für
Innere Medizin 330.
Arzneimittellehre und Arznei¬
verordnungslehre, Lehrbuch
von v. Tappeiner 1020 .
Arzneimittelprozeß, ein 99-
Arzneiverordnungen im Kin¬
desalter 403 .
-* in Krankenhaus und Praxis
466.
Ascites chylosus beim Säug¬
ling 852 .
Aseptik, zur Handhabung der
756.
Askariden, seltener Befund 341.
— in Choledochus und He-
patikus 576 .
— Choledochusverschluß durch
1220.
—, Infektionsweg bei 335- 744.
—, Wandern der Larven in
inneren Organen 1358.
Arkaridenileus 648.
Askarislarven, Wanderung
1468.
Askaridiasis der Gallenwege
431. 1057-
-Leber 1257-
-Speiseröhre, der Gallen¬
wege und Leber 1219 .
Asoziale Individuen, Verhal¬
ten in und nach dem Kriege
369-
Aspermatismus, funktioneller
577.
Asphaltdermatitis 1300 .
Asphyxia pallida der Neuge¬
borenen, Behandlung 1565 .
1596.
Aspirator 1326 .
Assistentinnen, Prüfungsord¬
nung für technische 463.
Assistenzärzte, Bund deut¬
scher 135. 365. 740. 876.
Asthma und Tuberkulin 954.
— anaphylacticum 1119-
—- bronchiale s auch Bron¬
chialasthma.
Astigmatismus, Achsenschema
für 607 .
Asymmetrie, funktionelle 1395 .
Aszites beim Weibe, physiolo¬
gischer 919 -
— durch Dauerdrainage ge¬
heilt 1368 .
—, chirurgische Behandlung
des tuberkulösen 434.
Ataxie, zerebellare — bei chro¬
nischer Bleivergiftung 1153.
Atemgeräusch, Entstehung des
saldierten 1084.
Atemweg, pathogenetische Be¬
deutung für den Gesamt¬
organismus 988 .
Atmen, zur Pathogenese des
periodischen 61. #
Atmung in bewegter Luft 238 .
falsche 840 .
.Größe des Luftwechsels bei
künstlicher 814.
Atmungsepithel und Atmung
1562.
Atmungserkrankungen des Kin¬
desalters, chronische nicht¬
tuberkulöse 141.
Atmungserregende Mittel 1153.
Atmungsorgane, zur nor¬
malen u. pathologischen Phy¬
siologie 1547.
Atmungsregulation, Jahres¬
schwankungen 788 .
Atmungsstörungen infolge chi¬
rurgischer Erkrankungen
562.
Atmungstetanie, neurotische
880.
Atophan, zur Wirkungsweise
1441. 1677.
—, Einwirkung auf die durch
Diuretika bedingte Harnaus¬
scheidung 246.
—,-Leukozyten 1161.
— bei Gicht H 83 .
Atresia vaginae pueperalisi40.
Atrophie und Hypertrophie 705-
Atropin und Kokain, Kombina¬
tionswirkung 60 7 .
— und Magenmotilität 642.
—, Einfluß auf die renale
Wasser- und Kochsalzaus¬
scheidung beim Kinde 991-
Atropinprobe des Pylorus 368 .
Atropinvergiftungen 39-
Auenbruggers Inventum no-
vum 1711 .
Aufbrauchskrankheiten, jetzi¬
ger Stand der Lehre 1348.
Augapfelabschnitt, Untersuch¬
ung des vorderen 77- 1078.
1597.
—, Tuberkulose des vorderen
241.
—, Röntgentherapie experi-*
menteller Tuberkulose des
vorderen 1 1 55-
Auge, Neurologie, von Wil-
brand und Sänger 607 .
—, Atlas der Spaltlampen¬
mikroskopie des lebenden,
von Voigt 435.
—, Zauberkraft des — und das
Berufen, von Seligmann
535. -
—, örtliche Anwendung von
Arzneimitteln 1419.
—, Eisensplitterverletzung
1328.
—, Ernährung bei allgemeinen
' und örtlichen Erkrankungen
45.
—, Entfernung von Fremd¬
körpern 1451.
—, zur Funktionsprüfung 1124.
—, Funktionsprüfung in der
Sprechstunde 241.
—, Sensibilität der Hornhaut
und Bindehaut 212 .
—, Kosmetik nach Entfernung
649. 1396.
—, Bedeutung der Finsenbe¬
handlung für Augenkompli¬
kationen bei Lupus des 607 .
—, Lymphgefäße 1124.
-—.‘manometrische Untersuch¬
ungen am Säuger- ti24.
—, Maul* und Klauenseuche
am 867.
—, Sehsphäre bei Mi^bildun-
gen 1563 .
—, zur Pharmakologie 1124.
—, Pigmentgenese im — und
Natur des Pigmentkoms 274.
—, Herdreaktion am — bei
unspezifischer, Proteinkörper¬
therapie 435-
—, Rosazeaerkrankungen 607 .
Stumpfbilder nach opera¬
tiver Entfernung 677
Auge, Tensionsprüfung 1289.
—, toxische tuberkuloide Struk¬
turen am 1264.
—, Tuberkulin bei Erkrankun¬
gen 677-
—, Verkupferung 118.
—, Korrelationen im Wachs¬
tum 1156 .
—, Entwicklung des Wirbel¬
tier- 77-
Augen im Schlafe 677 . .
Augenarzt, Erfahrungen eines
alten 25. 1250. 1271.
Augengläserabgabe von Augen¬
ärzten 1683.
Augengonorrhoe, Behandlung
607 .
—, Caseosan bei 958.
Augenheilkunde, Handbuch,
von Axenfeld und Elsch-
nig 40. 1058. 1430. 1595.
Augenhintergrundsveränderun¬
gen und Sehstörungen bei
Anämie 1156.
Augenhöhlenlymphadenome.
Strahlentherapie bei 607 .
Augeninneres, ektdermale Bil¬
dungen im 1124.
Augenkrankheiten durch Koch-
Weeksche Bazillen 11 56.
— u. Nasenkrankheiten, Zu¬
sammenhang 1566 .
—, entzündliche — der Neu¬
geborenen in der Nachkriegs¬
zeit 372 .
— in der Schwangerschaft
1156.
—, Serodiagnose der Syphilis
bei 1150.
—, Sachs-Georgische Reaktion
bei syphilitischen 1595-
— tuberkulöse 1399-
—, Afenil bei skrofulösen 1260.
—, Lichtbehandlung 1156.1 361 .
—-, Behandlung mit hetero¬
genen Eiweißstoffen 786 .
1595.
— Milchinjektionstherapie 958.
—, Partialantigene bei tuber¬
kulösen 1596.
— Tuberkulin bei 468.
—, Verbände bei 1389.
Augenlid, Druck auf den Bul¬
bus 1156.
Augenlider, Karzinom beider
— und des Augapfels 508.
Augenmenschen und Ohren-
menschen 677-
Augenmuskeln, vestibuläre In¬
nervation 1156 .
Augenmuskellähmungen, Dia¬
gnose 1177.
Augenspiegel und ophthalmo¬
skopische Diagnostik, von
Dimmer 207-
Augenspiegeluntersuchung
1214.
Augensyphilis, Liquorbefunde
bei 77-
Augentränen, Heilung durch
Strikturotomie 502.
Augentropfen, osmotischer
Druck 1563-
Augentuberkulose, Behandlung
468.
—, Friedmann-Behandlung der
1155.
—, Radiotherapie bei 241.
Augenvorderkammer, Verfet¬
tung im Bereich der 1156 .
Augenzittern s. Nystagmus.
Ausfallerscheinungen, Hypnose
bei 571. 748.
Auskultationsphänomen, neues
1358.
von Karplus 1394 .
postmortales 642.
Ausländerhonorare 1683.
Ausland, ärztliche Praxis, im
von Schwalbe 1494.
—, Allerlei aus dem 71.99.135.
235. 264. 331. 365. 532. 564.
638. 740. 951. 1178. 1709.
Auslandsrätsel. Nordamerika¬
nische und spanische Reise¬
berichte, von Dessauer 1083 .
Auslöschphänomen bei Schar¬
lach 403. 568.
Auswurf s. Sputum.
Autismus und Regression in
modernen Kunstbestrebun
gen 781 .
Autoserotherapie, endovenösc
957-
— bei Tuberkulose 957-
Autovakzination bei infek
tiösen Prozessen 1628 .
Avitaminosen, zur patholo
gischen Physiologie 965.
Azetaldehyd, Brenztraubensäu
re Quelle des — im mensch¬
lichen Körper? 755-
Azetbn und ß-Oxybuttersäure
im Harn, Mikroverfahren zur
getrennten quantitativen Be¬
stimmung 674 .
Azetonkörper im Urin und
Blut, Bestimmung 1292 .
Azetylen-Aethernarkose 1028.
Aziditätsverteilung in der Zelle
879-
Azidose bei Diabetes, für die
Entwicklung wichtige Fak¬
toren 854.
—, Narkose und 1687 .
— bei Scharlach, Dysenterie
und Typhus 1259-
Azoospermie, neue Form 335
Azotämie und die Ambardsche
Konstante bei emährungsge-
störten Säuglingen 1021 .
B.
Bacillus abortus infect. bovis
und Bacillus melitensis 706.
— bifidus, Ernährungsphysio¬
logie 535-
— melitensis und Bacterium
abortus infect. bovis 706 .
— mucosus anaärobius 1066 .
1468.
Bactdriophage, Le. Son röle
dans rimmunitl. Vond’He-
relle 992.
Bad, hydrostatische Beein¬
flussung des Kreislaufs im
887.
Badeanstalt, Reilsche — in
Halle 781.
Baden, Neugestaltung der Ge¬
sundheitsfürsorge in 1499-
Badener Heilquellen, Zusam¬
mensetzung und Wirkungs¬
weise 1256.
Badereisende, A-B-C-Ratgeber
für 271.
Badgasteiner Thermalwasser,
biologische Wirkungen 271-
404.
Bäder, Wirkung der einzelnen
Formen natürlicher kohlen¬
säurehaltiger 1396 .
! —, Wirkung kohlensaurer —
I auf die innersekretorische
Funktion der Haut 544.
—, Reaktionserscheinungen u.
Beinflussung der Wa.R.
durch radioaktive 544.
Bäderbehandlung $ Balneo
therapie.
Bäderkalender, deutscher 1116.
Bäderreaktion 74.
Bäderwesen im besetzten Rhein
iand, von Dietrich 954
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
X
INHALTSVERZEICHNIS
Bajonettkomzangen 107 .
Bakterien, anaürobe — als In¬
fektionserreger septischer in¬
terner Erkrankungen 499-
—, Abhängigkeit der Wirkung
der Chininalkaloide auf —
von der Alkalität 368 .
—, Eigenwasser-Stoffzahl 82.
—, vergleichende Färbever¬
suche an lebenden und toten
879.
—, Wirkung oszillierender
Ströme 271 .
—, Saprophytismus und Pa¬
rasitismus bei 333-
—» Verwendungsstoffwechsel
pathogener 1358.
—, Wirkung der Röntgen¬
strahlen 1358.
—, Differenzierung säurefester
— durch Komplementbin¬
dung 431-
—, Extrahierbarkeit säure¬
fester — durch Aether-Aze-
tongemische 432.
—, Veränderungen säurefester
— durch Kultur auf
saponinhaltigem Nährboden
.1066.
—, Reinfektionsversuche mit
säurefesten 1001 .
—, Überempfindlichkeits - Ver¬
suche an 654. 1066.
Bakterienagglutination, Wesen
und Bedeutung 756 .
Bakteriengifte, Arndt-Schulz-
sches biologisches Grundge¬
setz u. Wirkung von 1593 .
Bakteriennährboden, neues Ma¬
terial zur Herstellung 868 .
Bakteriensporen, Abtötung
durch Licht 1 564.
Bakteriologische Forschung,
Rückblick auf die Anfänge
1685 .
Bakteriolyse im Darme von
Insektenlarven 1194 .
Bakteriophagen 1147.
—, Misch- 432 .
—, Zur Natur der d’Hdrelle-
schen 83.
—, Shiga- 37.
Bakteriophagenwirkung, spezi-
fische 782 . '
Bakteriophages Virus 270 .
Balantidiasis coli 500 .
Balken, der, von Mingazzini
915.
Balkenstich, Erfahrungen 46.
—, — an der Leipziger chirur¬
gischen Klinik 855 . 1600 .
— und Subokzipitalstich 42.
Ballenkrankheiten 1433-
Ballonfahren, medizinischer
Nutzen 876.
Balneologie, medizinische Kli¬
matologie und Balneogra-
phie, Handbuch, von Diet¬
rich und Kaminer 954.
—, Diabetes und 475.
— und Klimakterium 544.
-Mineralstoffwechsel 543-
-Stoffwechselfragen 543.
Balneologische Wissenschaft u.
Praxis, von Dietrich 1292 .
Baineotherapeutisches Denken,
Neuorientierung im 543-
Balneotherapie und Fettsucht¬
behandlung 543.
— der Gicht 544.
—, Heilentzündung und Heil¬
fieber im Lichte der 556.
— und Hypertonie 544.
—- und innere Sekretion 544.
Barbiere und Chirurgen, Gilden
in den Hansestädten, von
v. Brunn 781.
Barlowsche Krankheit, lar-
. vierte 557.
-, Vorstadium 882.
Bartflechten und Flechten im
Bart, von Jessner 1714.
Bartholinitis purulenta, kon¬
servative Behandlung 785 .
Baryumsulfat als Kontrastmit¬
tel 790.
Baryumvergiftungen bei Rönt¬
genuntersuchungen ? 319.
Basalfibroid, Genese 929- <692.
Basedowkranke, Respirations-
Stoffwechselversuche an rönt¬
genbehandelten 917.
Basedowsche Krankheit, Fall
1221.
-und Kriegskost 954.
-, Polyarthritis chronica
deformans progressiva und
1660.
-, Serumkonzentration u.
Blutviskosität bei 537-
-, Sympathikustheorie 107 .
-, Verlauf im Gebirge 928 .
-, zur Behandlung 244.
-, intravenöse Chemothe¬
rapie 896.
-, Besserung durch fri¬
sche Nebennierenrinden oral
404.
-, röntgenologische oder
chirurgische Behandlung?
748.
Basedowstruma, Radikalope¬
ration bei 993-
Bassini-Operation, nervöse Stö¬
rungen nach 275-
Bau- und Industriearbeiter,
typische Verletzungen 995-
Bauchaorta, retroperitoneale
Ruptur durch stumpfe Ge¬
walt 1713 .
Bauchaortenaneurysma, gebor¬
stenes 1065.
Bauchdecken, Beteiligung bei
Lumbago 272 .
Bauchdeckenfibrom in einer
Appendektomienarbe 401.
Bauchdeckenhämaton, intra
partum entstandenes 502.
Bauchdeckenkontraktion, Be¬
seitigung der durch Palpation
des Abdomens ausgelösten
74.
Bauchfellmißbildung und Heus
990. 1148.
Bauchfelltuberkulose, seltener
Fall 1387.
Bauchfellverwachsungen,
Schicksal operativ herge¬
stellter 1568 .
Bauchfell s. auch Peritoneum.
Bauchhöhle, Pathologisch-ana¬
tomische Situsbilder, von
Oberndorfer 847- #
Bauchkoliken mit Porphyrin
urie 500.
Bauchmuskulatur, Verwendung
in der orthopädischen Chirur¬
gie 606.
Bauchoperalionen, querer bo¬
genförmiger Bauchschnitt bei
eitrigen 434.
Bauch- und Beckenorgane,
stumpfe Verletzungen 850 .
Bauchschmerz und seine diffe¬
rential-diagnostische Bewer¬
tung bei akuten abdomi¬
nellen Erkrankungen 333.
Bauchschuß und Shok 370 .
Bauchspaltenbruch, Herzdiver-
tikel in angebornem 1118 .
Bauchspeichelfluß auf Aether-
reiz 272 .
Bauchwandnerven, vordere —
und Bauchschnitte 173-
Bayer 205 als Trypanosomen¬
heilmittel 1335 .
-, Prüfung in Afrika 1693.
Bayern, Be völkerungsbewegung
in — im Jahre 1921 1059-
Bazillenträger, zur Pathogenese
und Therapie 928.
Bazillosan bei Fluor 176 . 402.
676 . 919 .
Becken von „Otto-Chrobak“
mit Fractura acetabuli 402.
—, das enge 1028.
—, chirurgische Behandlung
der Geburten bei engem
1149-
Beckenluxation, Fall 1691 •
Beckenmesser 402.
Beckenmessung, röntgenogra¬
phische 676 .
Beethovens Leiden, von
Schweisheimer 603 .
Begabtenschulen, Schüleraus¬
lese für 1150 .
Beiersdorfs Aerztekalender
1686.
Beine, Operation zur Bekämp¬
fung der Innenrotation 1325 .
Beinfrakturen, Behandlung
1022.
Bellocque-Katheter 917-
Benzaldehydreaktion, grüne —
im Ham und hämoklasti-
sche Krise 674.
Benzoereaktion, kolloidale 109 ,
im Liquor cerebrospinalis 814.
Benzolvergiftung, Lezithin¬
emulsion bei 272 .
—, akute Pylorusstenose nach
627.
Bergkristall, Verwendung im
bakteriologischen Laborato¬
rium 696.
Beriberi, postoperative 1428.
Berlin, das medizinische, von
Mamlock 742.
Bernsteinsäure im Zysteninhalt
eines Glioms 431 .
Berufsberatung, ärztliche 1634.
Berufseignungsprüfungen in ge¬
werblichen Betrieben 920 .
1366 .
Berufskrankheiten der Feuer¬
wehr, von Chajes 1502.
Berufsvormundschaften nach
dem Kriege 504.
Beschälseuche, „Bayer 205“
bei 368.
Beschneidungstuberkulose 111.
141.
Bettnässe rf ürsorge,soziale 1365 .
Bevölkerungsbewegung, natür¬
liche — in den deutschen
Städten im Jahre 1921 873.
-Bayern im Jahre 1921
1059-
— in Frankreich 1913—1920
1187.
-Italien 1913—19191059-
— Österreich 1904-1920 749-
Bewegungsnystagmus 1090. ,
Bewegungsstörung, Wesen der
striären und extrapyramida¬
len 433-
Bewußtsein und Unterbewußt¬
sein 1234.
Biddersches Organ der Kröten
1263 .
Bienen, Sprache der 813-
Biermersche Krankheit, Ge¬
samtblut und Eiweißbestim¬
mung bei 928 .
Bier, Genußwert 988 .
Biergenuß, Blutdruck nach
1130 .
Bilharzia, Behandlung 75- 82.
—, Emetin bei 271 .
Bilharziosis des Harnsystems
501.
Bilirubinbestimmung, klini¬
sche Bedeutung 1293 .
— im Blut 271 . 1053-
-Scharlachkranker 304 .
Bilirubinämie bei Ulcus duo-
deni 815-
Bilirubinbildung in der über¬
lebenden Milz 535 .
Bilirubingehalt des Duodenal¬
saftes 1358 .
—, Nahrungsaufnahme und
535-
Bilirubinham, grüne Benzal-
dehydreaktion im 1491.
Bilirubinkristalle im Urin bei
Ikterus 453.
Bilirubinreaktion im Serum bei
Erkrankungen der Leber und
des Blutes 712.
—, neue 1123 .
Bindegewebe, Physikochemie
des — und ihre Bedeutung
für Lymph- und Oedembil-
dung 819-
Bindehaut s. Konjunktiva.
Binswanger, O., zum 70 . Ge¬
burtstage 1489.
Biologie, moderne, von Much
1182.
—, allgemeine — als Lehrge¬
genstand des medizinischen
Studiums, von Ruzicka
1528.
—, Reiz, Bedingung und Ur¬
sache in der 269-
Biologische Arbeitsmethoden,
Handbuch, von Abderhal¬
den 171 .
Blaschko, A. f 533.
Blase, Fremdkörper 107 .
—, intraligamentäre 1663 .
—, Inversion bei Carcinoma
uteri und vaginae 1295*
—, Form bei verschiedenen
Körperlagen 402.
—, Veränderungen bei einem
Falle von Kolibazillensepsis
706.
— Messungen in der 39-
— Projektile der 246.
—, Purpura Simplex 500 .
—, — haemorrhagica 1553.
— Verletzung durch Pfählung
107-
—,-Splitter eines in der
Scheide zerbrochenen Pes¬
sars 956.
Blasendivertikel, transvertika¬
les Entfernen eines 273 .
Blasendrainage mit Trokar*744.
—, Gefährlichkeit der — mit
Trokar, Gefahrlosigkeit der
kapillaren Blasenpunktion
1149-
Blaseninhaltsstoffe über spezi¬
fischen Reaktionen 337-
— bei Lues congenita 1220 .
Blasenkrankheiten, Fortschritte
in der Erkennung und Be¬
handlung 1293-
—, Thermopenetration bei
weiblichen 1186 . 1643.
Blasenmole, Fall destillieren¬
der 307.
Blasenparese, operative Hei¬
lung tabischer 467 .
Blasenrupturen, spontane 974.
Blasenschließmuskeldefekt mit
doppelter Klitoris 209 .
Blasenspalte, operativ ge¬
heilte 112.
—, Operation der angeborenen
1527.
Bl^sensprung, anatomische Ver¬
änderungen der kindlichen
Eihäute und Zeit des 241.
Blasenstein als Geburtshinder¬
nis 1185-
Blasenstein mit Granatsplitter
als Kern 1226.
Blasensteine 705-
Blasensyphilis 1595-
Blasentuberkulose bei Frauen
1086.
Blasentumoren im Röntgen¬
bild 308.
Blasenvorfall durch die Harn¬
röhre 1360 .
Blasenwanddefekte, Hilfsma߬
nahmen bei Operation 76 .
Blausäure, mikrochemischer
Nachweis bei Vergiftungen
1116.
Bleiarbeiter, Blutuntersuchung
bei 675.
Bleifarbenfabriken, Gesund¬
heitszustand der Arbeiter
in den — und der Maler in
Deutschland 752.
Bleifarbenverwendung zu An¬
streicherarbeiten, von T e-
16ky 108.
Bleilösung nach Genuß blei¬
haltigen Obstweins 1502 .
Bleisteckschüsse, Giftwirkung
1116 .
Bleivergiftung und Bleiauf¬
nahme, von Legge und
Goadby 142.
—, zerebellare Ataxie nach
1153-
—, Blutuntersuchungen bei 75-
1660.
—, chronische—unter der bäu¬
erlichen Bevölkerung Ober¬
österreichs 1502 .
— im Kindesalter, chronische
539-
— Nierenveränderungen bei
1053-
Blende, Pottersche 1566 .
Blepharochalazie 1716 .
Blepharospasmus, Therapie
468.
Blicklähmung, vertikale 1368 .
Blitzverletzungen 1498.
Blut, Amylasebestimmung im
567.
—, Arsenwasserstoff im 642.
—, Methode zur quantitativen
Bestimmung 522.
—, Bakterienagglutination im
erkrankten 1182.
—, Bilirubin im — Scharlach-
kranker 304.
—, Bilirubinbestimmung im
271 . 1053-
—, biologische Unterschiede im
Verhalten 847-
— bei Bleierkrankungen 75-
—, Suspensionsstabilität bei
Bronchialdrüsentuberkulose
der Kinder 1689 .
—, Veränderungen bei chirur¬
gischen Erkrankungen 714.
—, zur Mikrobestimmung des
Chlors im 755.
—, Cholesteringehalt 1394.
—, — bei Cholelithiasis 1360 .
—, Hamazidität u. C0 2 -Span-
nung im arteriellen 788 .
—, Endothelien in und bei
Endocarditis lenta 537-
—, Gefrierpunkt bei Magen-
und Duodenalgeschwür und
Magenkarzinom 1116.
— und Gewebe, Austausch-
Vorgänge zwischen 536 .
— bei Gewichtsstürzen im
Säuglingsalter 822.
—, Hämatin im 711 .
—, Harnsäure im 755-
—, kolorimetrische Methoden
zur Bestimmung des Harn-
säuregehalts 1623 .
Digitized by »öle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
INHALTSVERZEICHNIS
XI
Blut, chemische Beschaffenheit
bei Hautkrankheiten 403 .
— im Hochgebirge i05. 269.
—, gefaßverengemde Stoffe im
— bei Hypertonien 465.
—, Kaliumspiegel und seine
Beeinflussung durch Gifte
1182 .
—, Gehalt an Kalk und anor¬
ganischem Phosphor im Säug¬
lingsalter 1086 .
—, Kalziumgehalt des — und
seine Beeinflussung durch
Störungen der inneren Sekre¬
tion 887-
—, Kalziumspiegel im 333 .
—, Katalasegehalt 500 .
—, — bei perniziöser Anämie
t055-
—, katalatisches Vermögen
1593-
—, Hitze - Koagulationspunkt
1256.
—, chemische Veränderungen
bei Krebskranken 1256.
—, Einfluß des Lichtes 498.
—, Lipasegehalt 1 593-
—, Glyzerinreaktion nach Gab-
be ein Indikator des Lipoid¬
gebaltes im — nach Injek¬
tion körperfremder Stoffe?
270 .
—, Veränderungen nach Nah¬
rungsaufnahme bei Gesunden
und Leberkranken 712.
—, warum ist bei zu tiefer
Narkose das ausfließende —
dunkel gelirbt? 813 -
— von Nierenkranken, Cho¬
lesterin im 206 .
—, Millonsche Reaktion im 755 .
—, relativer Phosphorgehalt,
besonders bei Krebskranken
Ml-
—■, Quellungs- und Entquel¬
lungsvorgänge im — nach
Zufuhr verschiedener Salze
819-
—•, Änderung der physikali¬
schen Struktur des—bei Reiz-
körpertherapie u. Blutkörper»
diense nkungsgeschwindigkeit
819-
—, Bestimmung des Rest¬
stickstoffs 1182 .
—, Reststickstoff im — bei
Pneumonie, Scharlach, Ma¬
sern und Diphtherie 226, bei
Nierenerkrankungen 500 , bei
der Reizkörpertherapie 1531,
bei kardialer Stauung 1594.
—, Retransfusion in die Bauch¬
höhle ergossenen 241.
—, Nachweis mit dem Fuld-
schen Rhodamin 469-
— nach Röntgenbestrahlungen
und deren Sensibilisierung
888 .
—Röntgenbestrahlung und
Kohlensäure bindungsve rmö-
gen des 1358 .
— nach Aufnahme von Salz¬
lösungen 887 .
—, Einfluß von Sauerstoff-
öberdruckatmtfng 887 .
— bei Skorbut 569-
—, Stabilitätsreaktion 988.
— bei Stenosen der oberen
Luftwege 815-
—, Stromgeschwindigkeit 788.
1688- 1359.
—, Prüfung des Stuhls auf ok¬
kultes 323.
— bei Tuberkulose 1394-
—, oftmalige Verwendung der
U-Kapillarröhrchen bei Se¬
rien Untersuchungen 1347. |
— bei Varizen 1367 -
Blut, Viskosität und Eiwei߬
gehalt bei Thyreosen 929 .
—, Toxizität und Differen¬
zierung 1028 .
—, Gehalt des kindlichen —
an trypanozoider Substanz
1022.
— bei Tuberkulose im Hoch¬
gebirge 569-
—, Viskosität 819-
—, Wassergehalt bei hydro-
pischer Konstitution 274.
—, — beim Säugling 1021.
— bei Zyanose 788 .
Blutalkaleszenzuntersuchungen
bei Säuglingen 436.
Blutbeförderung, aktive Be¬
teiligung der Blutgefäße an
der 1687 .
Blutbild als klinisches Unter¬
suchungsmittel 903.
— im Kindesalter 1733*
—, Leberdiagnostik durch das
754.
—, lymphatisches—bei akuten
Infektionskrankheiten 786 .
— bei Neugeborenen und
Säuglingen 403 .
— atypische Fälle von eitriger
Peritonitis, festgestellt zuerst
durch ihr 764.
—, weißes — bei Lungentuber¬
kulose 38 , und Bronchial¬
drüsentuberkulose im Kin¬
desalter 1733-
—, Verschiebung des weißen
816 .
Blutbild bestimmung, Zeitdauer
904.
Blutbildende Organe, Funk¬
tionsprüfung 205 .
Blutbildung, Förderung durch
Eisen und Arsen 836.
—» extramedulläre — bei anä¬
mischen Mäusen 1020.
Blutbildungsgewebe, Erythro-
blasten-, Leukoblasten- und
Lymphoblastengewebe, Ein¬
wirkung auf das 928 .
Blutdruck,nach Biergenuß 1130.
—, Differenz zwischen beiden
Seiten bei zerebraler Hemi¬
plegie 1300 .
— bei Dyspnoe der Herzkran¬
ken 621.
— nach Bestrahlung mit
künstlicher Höhensonne bei
Kindern 882 .
—, Einfluß gewisser Lichtarten
auf den gesteigerten 272 .
— bei Achsendrehung des Me¬
senteriums 434.
— während operativer Ein¬
griffe 714-
— bei Operationen in Novo¬
kain - Suprarenin - Anästhesie
180 .
—, Wirkung von Organextrak¬
ten 1259-
— und Blutzucker, zentrale
Regulation 1531-
— nach Röntgenbestrahlung
238 .
Blutdruckapparat mit Regi¬
striervorrichtung 887 .
Blutdruckmessung, Differenzen
bei der — und Gefäßverän-
derungen in Arm- und Bein¬
arterien bei Aortenklappen¬
insuffizienz, Hypertonie und
Arteriosklerose 1338.
zur Kritik der Verfahren
zur unblutigen 1222 .
—, neues Stethoskop zur 594.
— nach Korotkow 1716, Band-
mansdiette zum Membran¬
stethoskop z ur 1485.
HII teppzrat 64 2 .
Blutdruckmessung, Fehler¬
quellen 74. •'
—, Bedeutung in der augen¬
ärztlichen Unlallbegutach¬
tung 338.
—, fortlaufende — bei Infek¬
tionskrankheiten 887-
— am Schlafenden 646.
Blutdruckwerte, diagnostische
und prognostische Bedeutung
hoher — 916 .
Blutersparnis und Blutersatz
in der Chirurgie 1461.
Blutfärbung, einfache Me¬
thode 642.
Blutgefäße, Prüfung der Funk¬
tion in der Geburtshilfe 207 .
—, Kriegsverletzungen 107 .
—, Ursache und Häufigkeit
der Nekrose bei Ligaturen
großer 172 .
—, Schmerzempfindlichkeit der
— und die Gefäßreflexe 1688 .
Blutgefäßfüllung und Herz¬
größe 205 .
Blutgefäßkrampf, traumatisch¬
segmentärer 172 .
Blutgefrierpunkt, Schwankun¬
gen während des Wasser- und
Konzentrationsversuchs 816.
Blutgerinnung nach Milzbe¬
strahlung 888. |
—, Einfluß der Röntgenmilzbe- ]
Strahlung auf die Zeit der
lll.
—, Untersuchungen über Be¬
schleunigung 819 *
— und Röntgentiefentherapie
604.
—, Untersuchungen 616 . 81 9-
Blutgerinnungszeit, Messung
819 .
Blutharnsäuregehalt bei Nie¬
renkrankheiten im Ver¬
gleich zu Reststickstoffund
Kreatinin 537-
Blutkalk bei Spasmophilie
1733-
Blutkapillaren, periodische,
konstitutionelle und patho¬
logische Schwankungen im
Verhalten 1507.
Blutkoagulationsgeneratoren
782.
Blutkörperchen, osmotisches
Verhalten 743 .
—, Suspensionsstabilität im
Kindesalter 304.
—, Einfluß der venösen
Stase auf die physikalisch¬
chemischen Eigenschaften
1431.
—, Katalaseindex der roten —
bei Blutkrankheiten 174-
—, Sauerstoffzehrung der ro¬
ten — bei Graviden 709 .
—, Volummessung der roten
567.
—, Senkung der roten — im
Zitratblut bei Lungentuber¬
kulose 537. 815 .
Blutkörperchensenkungsge¬
schwindigkeit 1623 , Sammel¬
referat über 1023 .
— bei Differentialdiagnose der
Adnexerkrankungen 710.
-Blutkrankheiten 1461.
— in der Diagnostik chirur¬
gischer Erkrankungen^388.
501.
— in der Gynäkologie 1100.
1257 .
—, Beeinflussung durch Reiz¬
stoffe 431.
— im zitratblut syphylitischen
Säugling 882.
— in der Urologie 1149t
Blutkolloide, Rolle der — bei
der Regulation der Diurese
und des Wasserhaushalts
819 .
Blutkrankheiten, Röntgenbe¬
handlung 994 .
Blutkrise bei Infektionskrank¬
heiten 1461.
Blutleere, künstliche, von
Momburg 1595-
Blutlehre, praktische, von
Schilling 1218.
—, qualitative, von Arneth
171-
Blutmengebestimmung 1323 .
— bei kryptogenetischer perni¬
ziöser Anämie 1427-
—, Physiologie und Patholo¬
gie 569-
—, Refraktometrie oder Blut¬
körperzählung zur Bestim¬
mung von Aenderungen der
Blutmenge 1562 .
Blutmodell, elementares 341.
Blutnachweis mit Pyramidon
916 .
Blutplättchen Gesunder und
Kranker 335.
—, Struktur und Herkunft
439.
Blutplättchenentstehung 928 .
Blutplättchenfrage im Säug¬
lingsalter 1258.
Blutplättchenuntersuchung, n
bei Nephritisanämie 211 .
Blutplatte, die auf Methämo-
globin und Hämatinbildung
beruhende 1066.
Blutserumeiweißkörper, Frak-
tionsspezifizität und Art¬
spezifität 1323 .
Blutstillung bei Verletzungen
schwer zugänglicher Gefäße
76.
—, intrauterine — mit Alko¬
hol 1150 .
Bluttransfusion 744. 1026 . 1027 .
1154.
—, Infusion und, von Schöl¬
ten 1359.
— und Eigenbluttransfusion
1054.
—, Sammelreferat 883 .
—, zur Technik 1302.
—, vereinfachte Methode der
indirekten 271 .
— nach Oehlecker 316. 352.
707.
— mit modifiziertem Kimpton-
Brownschen Tubus 989-
—, die amerikanische Methode
der serologischen Vorunter¬
suchung bei 1517.
— bei Anämie 783 . 1641.
— in Geburtshilfe und Gy¬
näkologie 1118.
—, Wirkung von Isoaggluti-
ninen und Isolysinen bei 81 4.
Blutung, postlentikuläre 851-
—, Wurzelschädigung durch
subdurale — nach Kopfver¬
letzung 708 .
— als Asphyxie 1712.
Blutungen bei Verwundungen
durch Feuerwaffen im
Kriege, von Fantozzi 109-
— aus dem Hamapparat, Dia-
gnose und Behandlung 1480.
—, intrakranielle traumatische
489. 1568.
—,-Neugeborener 468.
— aus den oberen Luftwegen
1434.
—, Bestimmung der okkul¬
ten — durch quantitative
Methoden 1293 .
—, Fehlerquellen beim^Nach-
weis okkulter 74 .
Blutuntersuchung, minimetri¬
sche Methoden, von Mandel
und Steudel 536.
—, Irrtümer der chemischen
229.
—. Bedeutung bei chirurgi¬
schen Erkrankungen 713-
Blutzirkulation, Organstoff¬
wechsel und 819 .
Blutzucker, klinische Bedeu¬
tung 1034.
— bei Addisonscher Krank¬
heit und seine Beeinflussung
durch Adrenalin 369 .
-chirurgischen Erkran¬
kungen 708 .
-Herzkranken und intra¬
venöse Traubenzuckerinjek¬
tionen 75-
— nach Einnahme von Ga¬
laktose 813-
—, Hypertonie und 172.
—, Immunität bei Aemjerung
des 1431.
—, Kohlensäure und 673-
— nach Röntgenbestrahlungen
der Schilddrüse 854.
—, Verteilung im Bhit 91 7-
Blutzuckerbestimmung 1677.
Blutzuckerspiegel bei elemen¬
tarem Krampf 370.
— nach intravenösen Infu¬
sionen hochprozentiger Trau¬
benzuckerlösungen beim Kin¬
de 270 .
— bei enteraler Zuckerzufuhr
und dessen Bedeutung für
die Leberfunktion 674.
Borstenwürmer im Darm 1468.
Botriomykose, zur Frage der
47-
Bougierung ohne Ende 1324.
Brandwundenbehandlung 95.
Breiverfütterung bei Säuglin¬
gen 882.
Breuersche Operation 439
Brief, offener,— an den Her¬
ausgeber 809.
Briefe an die Braut, von
Haeckel 847-
Brillen, Versuche zur Anpas¬
sung an beide Augen 1124.
—, graphisches Rechnen beim
Verordnen 1124.
Brillenmacher, die Meister¬
stücke der Nürnberger 1155-
Bronchialasthma 604. 1317.
1503
—, zur Lehre vom 1373.
—, Beziehung zu anderen Er¬
krankungen 575- 1116.
— und Lumbalpunktion 604.
818.
-Lungentuberkulose 1460.
-Stottern 106. 643-
—, Studien über 1 119-
—, Behandlung 111 9 .
—, — im Anfall 1474.
—, Quecksilberquarzlampe bei
82.
—, Röntgentherapie 401. 818 .
—, neue Gesichtspunkte aus
der physiologischen Muskel-
physik für die Therapie 849-
—, Tuberkulin bei 880. 1120.
1359
Bronchialdrüsenschwellung
nach Pharyngitis 1219 .
Bronchialdrüsentuberkulose,
Diagnose der kindKchen 1343.
—^RÖntgendiagnose der kind¬
lichen 241.
—, weißes' Blutbild bei kind¬
licher 1733-
—, Suspensionsstabilität des
i Blutes bei kindlicher 1689 .
—; Strahlenbehandlung 1088
Digitized by L^ouQie
Original from
CORNELL UNIVERSITY
XII
INHALTSVERZEICHNIS
Bronchialkrebs» * Metastasen
bei 497-
Bronchiektasien 1389.
Behandlung 1713 .
—, Phrenikotomie bei 1085 -
Bronchitis acuta 1248.
— chronica 1287.
-pseudomembranacea u.
Gravidität 1428.
Bronchopneumonie, Behand¬
lung 1599 . •
Bronchospirochätose in China
1562.
Brot, das, von Neumann
1463-
—, Backart und Verdaulich¬
keit 1459-
Brown -Slquardsche Halbsei¬
tenläsion des Halsmarks 206.
Bruchsack, Verschluß mit auto¬
plastischem Knoten 501.
Brustumfang, respiratorische
Exkursionsbreite 189.
Brustwarzen, Chininumsprit¬
zung 919 .
Buchdrucker, Phthise bei 401.
Bulbärparalyse, apoplektiforme
— mit Adams-Stokesschem
Symptomenkomplex 1261.
1595.
—, epidemische — im Fürsorge -
haus 1595-
Bulbokapnin-Katalepsie 567 .
Bulbus s. Augapfel.
— Scillae, Wirkungswert 334 .
-bei Herzinsuffizienz 405 .
Busse, 0. t 494.
Butter, Typhusbazillen in 743.
Buttermehlbrei und Butter¬
mehlvollmilch 436 .
Buttermehlnahrung 208 .
— in fester Form 1564 .
—, grobes Mehl und 608.
—, Ausnutzung von Kohlen¬
hydraten und Fett bei 608 .
Buttermilch, Erfahrungen mit
Einbrenne angereicherter
1039.
Buttersäurevergiftung und Ko¬
ma 1594.
C.
Cachexia hypophvseopriva
1297.
Calcaona 604.
Calorose, besonders bei Herz-
► krankheiten 1276.
Capsella bursae pastoris, Ute¬
ruswirkung 642. 1687.
Caseosan bei chronischen^Ar¬
thritiden 1148.
— — Augengonorrhoe 958.
-akutem Dickdarmka¬
tarrh 39 .
Catamin bei Krätze 371
Cataracta coerulea 340 .
— complicata, Wasserspalten
im Kern einer jugendlichen
Linse bei 340.
Caudaequina, Pathologie und
Therapie der Erkrankun¬
gen 1429 .
Cavemitis traumatica 39 .
Cehasol 1562.
Chalazeon, Behandlung 1482.
CJialcosis retinae et lentis 1401.
Chaulmoogra-Derivate bei Le¬
pra 1402.
Chelonin bei chirurgischer Tu¬
berkulose 538. 0
Chemie, Lehrbuch, von Kauf-
mann 399-
-, — der physiologischen, von
Hammersten 1019
. kurzes Lehrbuch der phy
siologischen, von H & ri 1181 .
Chemie, Praktikum der physio¬
logischen, von Schulz 1291 .
—, Die geschichtliche Ent¬
wicklung der, von Färber
603 .
—, physikalische — und Chi¬
rurgie 1529 .
—, Bedeutung der physikali¬
schen — für die Innere Me¬
dizin 1269.
Chemotherapie der Kaninchen¬
syphilis 1066.
— bei Puerperalfieber 1734.
— — Tuberkulose 1066.
Chenopodium, Ungiftigkeit 175-
Cheyne-Stokessches Atmen 537-
-und Zusammenhang
mit pathologischen Muskel-
und Gefäßbewegungen 955 .
Chinidin, seine Antagonisten
und Synergisten 1256 .
Chinin, Verhalten im Organis¬
mus 498 .
— als Herz- und Gefäßmittel
466.
— -Digitalis bei Herzkrank¬
heiten 414. 448.
-bei Arhythmia per-
petua 445.
Chininalkaloide, Abhängigkeit
der Wirkung auf Bakterien
von der Alkalität 368 .
Chininresistenz bei Malaria tro¬
pica 1415 .
Chinintherapie, Technik der
parenteralen 884.
Chirurgie, Handbuch der
praktischen, von Garrö,
Küttner und Lexer 370 .
1184.
—, Lehrbuch, von Garre und
Borchard 272 .
— und Orthopädie, Vademe¬
kum, von Ziegner 1492.
—, antike 1398.
—, struktive 606.
—, Unterbau in der struktiven
989.
Chirurgische Praxis, aus der,
von Blumberg 1020 .
Chlor im Blute und anderen
albuminhaltigen Medien, zur
Mikrobestimmung 755-
Chloräthylrausch, Todesfall im
336.
Chlorkalziumtherapie, Indika¬
tionsgebiet 1375.
— bei Kokainvergiftung 988 .
Chloroformtod 1330.
Chlorophyll, Aldehydreaktion
im Ham nach peroraler
Zufuhr von 989 .
—, therapeutische Bedeutung
1159.
Chlorophyllpräparate, Beein¬
flussung des Stoffwechsels
durch 368 .
Chlorose und Verwendung hoher
Eisendosen bei Anämien 707 .
Chlorspiegel und Verdauung
unter besonderer Berück¬
sichtigung fettreicher Nah¬
rung 852.
Chlorstoffwechsel und Lungen¬
tuberkulose 37-
Chloryleninhalation, Wirkung
auf die Hornhaut 1466.
Cholaktol 378.
Choledochoduodenostomie als
Ersatz der Kehrschen Hepa-
tikusdrainage 1461.
Choledochusstenosen, gut¬
artige 1185-
Choledochusverschluß beim
Kinde 1151.
— durch Askariden 1220 .
— und Anurie durch Solitiir
zyste der Niere 1325
Choledochuszyste, idiopathi¬
sche 1381.
Cholelithiasis, Cholesteringehalt
des Blutes bei 1360 .
Cholera, Inkubation 1259.
—, Muskelveränderungen bei
1387.
Choleragefahren in Rußland
930.
Choleraimmunität, Tropine
und Antitoxine bei 988 .
Cholesteatom, Fall 407 .
— der Stirnhöhle 1153*
Cholesterin im Blut von Nieren¬
kranken 206.
—, Ausscheidung kristallini¬
schen — im Harn 994.
— und Gallenfarbstoffe, che¬
misch-physikalische Unter¬
suchungen an 711 .
— und Infektion 1358.
Cholesteringehalt des Blutes
1394.
-bei Cholelithiasis 1360 .
Cholesterinstoffwechsel u. Gal¬
lensäureausscheidung 711 .
Choesterinurie und Indigourie
707-
Choleval in der Rhino-Oto-
Laryngologie 1345.
Cholezystektomie, Keimgehalt
der Gallenwege und Technik
der 709- 1
—, Drainage nach 1057 .
pericholezystitische Adhä¬
sionsstenose des Duodenums
alsSpätfolgeerscheinung nach
1057.
Cholezystitis, Bakteriologie
1323.
— dysenterica chronica 1116.
Cholin als Hormon der
Darmbewegung 238 . 301 .
674. 1427-
Chorda dorsalis und maligne
Chordome an der Schädel¬
basis 1090.
Chorea, zur Klinik und Ver¬
erbung der Huntingtonschen,
von Entres 499-
-, Fälle chronischer 994.
—, Bewegungsübungen bei 40.
—, diagnostische Bedeutung
des Gordonschen Patellar-
reflexes 746.
— Huntington 1056.
— —, pathologisch-anatomi¬
sche Differentialdiagnose der
Paralysis agitans und 1056.
-und — postgripposa 246.
Chorionepithelioma mit Ver¬
blutung in die Bauchhöhle
607 .
— malignum, Heilung durch i
Röntgenstrahlen 1087-
Chorioretinitis 207 .
— juxtapapillaris 1156.
Choroidea, Melanosis und Me-
lanosarcomatosis 1597 .
Chromatophoren in der Haut
269-
Chromodiagnostik der Leber
38.
Chromosomen, jetziger Stand
der Lehre 9.
Chylurie, transitorische euro¬
päische 1086.
Chylusgefäße des Mesenteri¬
ums, subkutane isolierte Ver¬
letzung 570.
Chyluszyste, Fall 1151
— des Mesenteriums 336.
Cignolin bei Psoriasis 785-
Cinchonin bei Malaria 305-
Claudicatio intermittens non
arteriosderotica 106.
- 3 * — infolge von Herzhypo-
i plasie 335
Colitis, Ileitis und — gan¬
graenosa neurotrophica all-
mentaria postopera tiva 1395 .
— diphtherica bei Wirbel-
Verletzungen 954.
— gravis, chronische BazHlen-
ruhr und 605 -
— ulcerosa 175 .
-, mittels Kolonirrigation
per os behandelt 369 .
Collifixatio uteri 303 .
Colon ascendens und transver-
sum, Regenerationsfähigkeit
303. 918.
— sigmoideum, multiple Diver¬
tikel 302.
Condyloma acuminatum, Kon-
tagiosität 372.
Conjunctivitis chronica, Gal¬
vanokaustik bei 1 150.
— granufaris lateralis 571-
— phlyctaenulosa und Tuber¬
kulose 1156.
— vemalis, Behandlung 818 .
Corpus luteum. Blutungen 309 .
-Extrakt, Einfluß auf die
Erythropoese 567 .
-Zyste und Corpus lu¬
teum persistens 1258.
— mobile am Knie, trauma¬
tisch entstanden 919-
— striatum, gummöser Prozeß
im 79-
Corynebacterium abortus in-
fectiosi 782 .
CO-Vergiftung 110.
Coxa valga luxans 435-
Coxitis tuberculosa, Spanar-
. throdese bei 48.
Cranio - deido - dysostosis con¬
genita 961 .
Cullensches Zeichen und Ex¬
trauterinschwangerschaft
941 .
Cyarsal-Mischspritze 337-
Cysticercus cellulosae 367-
Cystitis und Cystopyelitis acuta
und chronica 1219-
D.
Dämmerschlaf, Geburten im
424 . 1118. 1153. 1493-
—, hypnotischer Geburts- 571-
—, angebliche Gefahren 371.
571.
Dakryozystorhinostonie, pero¬
rale 241.
Daktylogramme bei Geistes¬
kranken 46. 1327 .
Dammriß, totaler 139-
Dammschutz in linker Seiten¬
lage 851.
Dampfdesinfektion, Theorie
274.
—, chirurgische 1369 .
Darm, Untersuchungen über
den 926 .
—, entzündliche Geschwülste
am 434.
—, Kapillarlähmungen im —
bei Grippe 171 .
—, Wirkung intensiver Rönt¬
genbestrahlung 642.
—, Rolle von Aktivatoren bei
der Bildung giftiger Spalt-
produkte im 848.
Darmbakterien des Säuglings,
Gram-Verfahren und Ab¬
hängigkeit von der Art der
Nahrung 1265-
Darmbewegung, Cholin als
Hormon der 238 .
—, Physiologie 275-
— und Schilddrüse 854.
Darmblutungen, okkulte
beim Säugling 372.
Darmflagellaten. Schnelliiu
bung 456 .
Darmflöra und Darmfunktion
1296 .
Darmgeschwülste bei Kindern
durch Trichozephalus 1274.
Darmin vagination, Röntgen¬
untersuchung 76 .
Darmkolik, Pathogenese der
Schmerzen bei 37-
Darmkrankheiten,Abmagerung
bei 1637.
Darmlähmung, postoperative,
Behandlung mit Lumbal¬
punktion 1028.
Darmlänge und Sitzhöhe 108 .
274 .
Darmmotilitätsstörungen als
Fernsymptom einer Pro¬
statitis 880.
Darmneurose der Säuglinge,
sympathische 991 .
Darmpassage im Säuglingsalter
1361.
Darmpatronenmethode 498.
674.
Darmquetsche 336.
Darmruptur bei Selbstrepo¬
sition eines eingeklemmten
Bruches 806.
Darmstörungen, Therapie post-
dysenterischer 75-
Darmtuberkulose 335. •
—, Diagnose 272 .
— chirurgische Behandlung
1467.
Darmverschluß, akuter 733.
— durch Haematoma disse¬
cans 1532.
Darmzerreißung durch Repo¬
sition eines Leistenbruches
850 .
Darwinismus, zur Abwehr
des ethischen, des sozialen,
des politischen, von Hert-
wig 781 .
Das liebe ich, von Stekel 567-
Dauerinjektion, intravenöse
1691 .
Dauerkatheterhalter 1148.
Dauerverstopfungen jm Ge¬
folge des Hungers 540.
Daumen, Transplantation des
Abductor dig. V bei fehlen¬
der Oppositionsfähigkeit des
402 .
Daumenersatz 542.
Daumenplastiken 508.
Degeneration und Regeneration
215.
Degenerationspsychosen, auto-
chthone 240.
D6g6n6rescence h^pato - lenti -
culaire, la, von Hall 1439-
Deltoideusplastik, Erleichterung
1220.
Dementia paralytica, Malaria -
impfung bei 957-
— praecox, Anatomie der Kör¬
perorgane bei 535-
-, Muskeldystrophie und
240.
Denken, Normalbegriff in ärzt¬
lichen 1593-
Denkweise in der Medizin, kau¬
sale und teleologische 1233.
Dentale Infektion 82.
Depogen 1596 .
Depressin 1183 -
Dermatitis herpetiformis Duh-
ring, Fall 1064.
Dermatosen beim Arbeiten .mit
Mineral- und Schmierölen
1564.
Dermographismus 1020 .
Dermotropisntus und Ekt*-
dermosen 956.
| Desinfektion 1066.
' — des Sputums 1478
-, innere 271
□ igitiz«f-by -Ger-gle
_ Original from-
CORNELL UNiVERSITY
INHALTSVERZEICHNIS
XUI
DesmfektUmserfolg, Keim-
menge und 991-
Desinfektionsmittel, Begut¬
achtung von 432.
Desinfektionsordnung, neue
preußische — und Zukunft
des Desinfektorenstandes 142.
Desinfektionswesen. zur Neu¬
ordnung in Preußen 530.
Desinfektor, Handbuch des,
von Gr e im er 1528.
—, Leitfaden für, von So-
bernheim 6o8.
Desoxycholsiure bei Gallen¬
steinerkrankungen 989-
Deutsch-ostafrikanischer Feld¬
zug in tropenhygienischer
Beleuchtung 1402.
Deutschmann, zum 70 . Ge¬
burtstage 1590.
Dextrosezufuhr, rektale — und
Blutzucker 1360 .
Diabetes insipidus 853- 917-
-und mellitus gleichzeitig
1325.
-, Fall 1122 .
—, Mikrophotogramm eines
Falles 1663.
— — mit kompletter bitem-
porater Hemianopsie 1221.
-, Pituglandol bei einem
Falle von 280.
— mellitus s. Zuckerkrankheit.
—, renaler 1460.
Diabetiker, Phloridzinempfind
lichkeit 1460.
Diabetisches Oedem und Azi¬
dose 917-
Diadin 882.
DiätverordnungsJehre nach
dem Pirquetschtn System
in der Pädiatrie, von Am-
brozic und Rach 174.
Diagnostik und Untersu-
chungsmethoden, Lehrbuch
klinischer, von Brugsch
und Schittenhelm 1322 .
—, Grundriß der klinischen,
von Klemperer 81 5-
—, Lehrbuch der klinischen
— der inneren Krankheiten
der Haustiere, von Marek
1147.
Diarrhöen, Diagnose und The¬
rapie chronischer 1481.
— beim Neugeborenen, Bak¬
teriologie initialer 539-
—, Behandlung 467-
Diathermie, von Ko war -
schik 536.
Diathermie behandlung, An¬
leitung zur, von Bucky
498.
— in der Gynäkologie 1396 .
— der weiblichen Brust 77-
Diathermie tiefenstich bei La-
rynxtuberkulose 67.
Diathese, konstitutionspatho¬
logische Betrachtungen zur
174.
—, neuere Anschauungen über
exsudative 1329-
—, Behandlung der exsuda¬
tiv-lymphatischen 1260.
—, hereditäre hämorrhagische
1102 .
— , vigotonische Manifestation
an der Haut und uratische
433-
Dichterisches Schliffen und hy¬
sterische Dämmerzustände
369 .
DickcUrm, Divertikulitis 273-
— zur Diagnose und Therapie
1727.
— operative Behandlung 1600.
Dickdarm, durch Darmresek-
tion geheilte Phlegmone 173-
Dickdarmaufblähen, röntgen¬
diagnostischer Wert bei
Milz-, Leber- und Gallen
blasenuntersuchung 1360.
Dickdarmkatarrh, Caseosan
bei 39-
Dickdannresektioh, Verbesse-1
rung der Resultate 989-
Differentialniagnose, von Ca-
Iot 1687-
— innerer Krankheiten, Lehr¬
buch, von Matthes 1146
Diketokamphan 377.
Digitalis 604.
—, neuere Ergebnisse der Che¬
mie und Pharmakologie
306.
— bei chronischen Lungen-,
krankheiten 38-
—, Wirkung 1531 -
— -Chinin bei Herzkrank¬
heiten 414.
— -Kaltextrakt in Trockem
form 1393-
Digitalisbehandlung, positive
unspezifische Wa.R. und
Meinickesche . Reaktion als
Folge von 436 .
—, rektale 271 . 748.
Digitalispräparate 204. 1024.
Digitalisstoffe und Digitalis¬
medikamente 791.
Dinitrobenzol, Giftigkeit 1377.
Diphtherie, Aetiologie 1292.
—, Diagnose 1428.
—, bakteriologische Diagnose
469-
—, Bekämpfungsmaßnahmen
611.
—, Ursache des negativen Aus¬
falls der Diphtheriehaut¬
reaktion bei maligner 1256.
— in einer Erziehungsanstalt
171-
—, histologische Veränderun¬
gen im Gehirn bei hyper¬
kinetischen Erkrankungen
der Maus nach 498.
— des Meerschweinchens, Herz-
und Gefäßveränderungen bei
experimenteller 1291 .
—, aktive Immunisierung ge¬
gen 141. 468. 1182.
—, Nierenveränderungen bei
498 .
—, Säkularkurve der — und
die Brücknerschen Klima¬
perioden 539-
—, Spätlähmung nach 1326 .
— der Speiseröhre und ihre
Folgezustände 1056. |
—, Trypaflavin bei 433-
Diphtheriantitoxin 988 .
Diphtheriebakterien, Verdrän¬
gung durch Kolibakterien
in der Nase von Keim¬
trägern 1323-
— Invasion bei diphtherischen
Affektionen der Luftwege
1661.
—Jn der Lunge und im
Pleuraexsudat 847-
-Nase 141.
-Scheide 468. 1185 .
— und diphteroide Stäbchen
beim Neugeborenen 141.
—, farbstoffbildende Abkömm¬
linge 1066.
—, Pathogenität virulenter und
avirulenter 238-
—, Nährboden zur Differen¬
zierung 1 066.
Diphtheribazjjlenträger, Diph-
thosan bei 113- <46. 171 -
334.
Diphtherieimmunität, postin¬
fektiöse 848. 1666.
Diphtheriekranke Schulkinder,
Mandelabstriche vor Zulas¬
sung zum Schulbesuch 1186 .
Diphtherieprophylaxe, moder¬
ne 87. 112 .
Diphtheriereaktion Schicks bei
Erwachsenen 1292.
Diphtherieserumbehandlung
541. 753-
Diphtherietoxinreaktion, ku¬
tane 541. 751 -
Diphtherische Infektion neu¬
geborener Zwillinge 817-
Diphthosan bei Diphtherie-
bazillenträgem 113 .146. 1 71-
334.
Diplegie, familiäre spastische
1368.
Dipsobiostatik, Lippichs 956.
Dispargen bei puerperalen In¬
fektionen 1395.
Disposition und Konstitution
743-
Distichiasis congenita 1156 . 1
Diurese 819 .
— und Wasserhaushalt, Rolle
der Blutkolloide bei Regu¬
lation von 819-
—, Beziehungen der Gewebe
zur 183.
— Herz- und Nierengesunder,
Einfluß aufrechter Körper¬
haltung 1413.
—, Beeinflussung durch intra¬
venöse Traubenzuckerinfu¬
sion 205 .
Diuretika, Angriffspunkte 334.
—, Einwirkung einiger — auf
Fibrinogen 814.
Divertikel an der Flexura
duodeno-jejunalis 240.
Divertikulitis des Dickdarms
273-
— perforativa der Flexura sig-
moidea 816 .
Doldsche Trübungsreaktion
207 - 1661 .
-s. auch Syphilis.
Dopa-Reaktion und Melanome
301.
j Doppelbildungen von Glied-
| maßen 673-
j Doppelkatarakt, Entfernung
677-
Doramadsalbe,Erfolge mit1385.
Dorsalskoliose, Entstehung der
— und Möglichkeiten ihrer
chirurgischen Behandlung
644.
Drehnystagmus, Mechanik 645-
— optischer 677-
Dreieckschema Einthovens in
der Elektrokardiographie 376.
Drillingsgeburten 919-
Drüsen und drüsige Gebilde in
der Scheide 402.
— mit äußerer und innerer
Sekretion, Kachexie und
polyglanduläre Insuffizienz
der 467*
—, Einfluß endokriner — auf
die Krampffähigkeit 856.
- 7 -, endokrine — und Psycho¬
sen 302 . 1182.
—, Beeinflussung endokriner
— durch Röntgenbestrah¬
lungen 854.
—, Zahn- und Kieferanomalien
und endokrine 231.
— s. auch Lymphdrüsen.
Drüseneinheiten, teilungsfähige
— oder Adenomeren, von
Heidenhain 535-
Drüsentuberkulose, Röntgen¬
therapie 1148.
Ductus choledochus, trauma¬
tische Ruptur am 139 .
Dünndarm, bakterizide Funk¬
tion 73 .
—, motorische Funktion 928 .
—, primäres Myosarkom 1108 .
—, Volvulus des gesamten
725 .
Dünndarmdivertikel, Fall 309-
Dünndarminhalt, Gewinnung
von 432.
Dünndarminvagination, retro¬
grade — nach Gastroentero¬
stomie 434.
Dünndarmmesenterium, Lym¬
phom 1435-
Dünndarmscheide 606 .
Dünndarmsyphilis 1117 -
A. Dürers Krankheit und Lei¬
den 1147-
Düsseldorf, Geburtenzahl und
Kindersterblichkeit während
des Jahres 1921 im Regie¬
rungsbezirk 946 .
Dulcin, antipyretische Wirkung
695 .
, Dunkeladaptation, klinische
Bedeutung 11 50.
Dunkelfeldlampe 171-
Duodenaldivertikel 705-
Duodenalfistel nach Magen -
resektion, Verschluß 918 .
Duodenalinhalt, fraktionale
Analysen 1119-
—, morphologische Bestand¬
teile 334.
Duodenalsaft und Fäzes, ver¬
gleichende Fermentuntersu¬
chungen in 205 .
—, Bilirubingehalt 1358.
Duodenalsonde bei Erkran¬
kungen der Gallenwege 418 .
— Juttesche 1370.
Duodenalstenose, chronische
336.
—, experimentelle — und
Magenatonie 1661 .
— bei einer Neugeborenen 474.
— infolge alter Peritonitis tu-
berculosa 880 .
Duodeno-Jejunaldivertikel 239-
Duodenum, Fremdkörper im
1185-
—, Technik zum Nachweis der
endogenen Infektion 785-
—, kaacinomatöses Pseudo¬
divertikel der Pars descen-
dens 75-
—, Retentionsmechanismus im
1072 .
—, direkte Sondierung 1624.
Dura- und Schädelplastik 570
Durchfalls- und Verstopfung^
krankheiten, von v. Noor¬
den 1084.
Durchleuchtungsschirm, Neue¬
rungen 1084.
Durchtränkungsspannungl 323 .
Durstempfindung, Entstehung
der — und Regulation der
Wasserzufuhr 277-
Dyskinesia intermittens 1394.
Dysmenorrhoe, Behandlung
336. 1295-
—, medikamentöse Behand¬
lung 1361.
—, Strahlenbehandlung 1361 .
Dyspepsie, besonderes Sym-
ptomenbild der psychogenen
1405 .
Dysphagie bei Kehlkopftuber¬
kulose und -karzinom, Be¬
handlung 1223 .
Dystonischer Sj0nptomenkom-
plex, Beiträge zum 210. 370.
Dystrophia adiposogenitalis
647.
Dystrophia adiposogenitalis
Fälle 1630.
-mit Muskelschwund 373
-, Späteunochoidismus u
1563-
— marginalis corneae 11 53
— myotonica 3 70
E.
Ecliinokokkenanaphylaxie 84y
Echinokokkus im Douglas 502 .
— in einer Mamma lactans
1295.
— der Wirbelsäule und des
Rückenmarks 272 .
—, zur Differentialdiagnose
1691 -
Ehekonsens, gesundheitlicher
608.
Ehrengericht, Stellung des
Beauftragten des Ministe¬
riums bei Ablehnung dessen
Antrags auf Einstellung des
Verfahrens seitens des 98 .
Ehrlich, P., von Lazarus
1427-
Ei, sehr junges menschliches
in situ 173*
—, Wanderung durch den Ei
leiter 1088.
—, Einnistung und Weiterent
Wicklung im Uterus 139-
—, Entstehung der Tropho
blast- und Syncytiallakunen
502 .
Eidetiker, Kind mit Fähig¬
keiten der 1495-
Eigenart, die weibliche — im
Männerstaat und die männ¬
liche — im Frauenstaat, von
Vaorting 813-
Eigenhamreaktion 642. 1084.
1218.1326.1358. 1431- 1468.
— im Säuglingsalter 274.
— bei Tuberkulose 815 . 1358.
—, Wert beim tuberkulösen
Kinde 1022 .
Eigenhamvakzine bei Pyelo-
zystitis 1118 .
Eigenwasserstoffzahl der Bak¬
terien 82 .
Eingeweide, Schmerzproblem
der 929 .
—, abnorme Lagerungen 17U
Eingeweidesensibilität 988 .
Einrenkungen des Schäfers
von Löhne 960.
Eisen zur Förderung der Blut-
bildung 836.
Eiter, Zellen des — bei Con¬
junctivitis und Urethritis
gonorrhoica 204.
Eiterung, zelliger Gewebebau
und seine Beziehung zur 497-
Eiüberwanderung, äußere und
innere 207-
Eiweiß und Gärung 1265*
—, Wirkung von heterogenem
— auf Augenkrankheiten
1595.
Eiweißeinstrom in die Blutbahn
819-
Eiweißgehalt der Oedemflüs-
sigkeit, Bestimmung 1026.
Eiweißinjektionen, Hyperpro-
tei'nämie nach 782 .
Eiweißkörper, Bence-Jones
scher 333-
—, parenterale Behandlung
mit unspezifischeh 311.
—physiologische Umformung
1530.
Eiweißmilch 1220.
Eiweißmilchbehandlung 1301 .
Eiweißpräparate, Bewertung
1133.
Digitized by »öle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
XIV
INHALTSVERZEICHNIS
Eiweisßttickstoff, abiureter —
in der Kuh- und Frauenmilch
1147.
Eiweißstoffwechsel, Nerven¬
system und Fieber 81 .
Eiweißverdauung beim Säug¬
ling 991.
Eiweißzerfall bei Vergiftun¬
gen 915-
Ejaculatio deficiens intercon-
gressum 577.
Eklampsie 1370 .
—, Aetiologie und Behand¬
lung 140.
— f Amaurose bei 1028.
—, refraktometrische Eiwei߬
bestimmungen der Oedem-
flüssigkeit bei 571.
—, Bedeutung der kapillarmi¬
kroskopischen Befunde 817 .
— und Albuminurie, Einfluß
der Lebensmittel auf die
Entstehung 881.
—, Verstärkung des zweiten
Lungenschlagadertons bei 78 .
—, Toxizität von Plazenta¬
lipoiden und Aetiogenese
der puerperalen 173 .
—, badische Statistik für das
Jahr 1919 im Lichte der
Diätetik 140.
— post partum 990 .
— der Säuglinge 920 .
—, Ulcus duodeni bei 243 .
—, 10 Jahre abwartender Be¬
handlung 402.
—, künstliche Höhensonne bei
1118.
—, Kaiserschnitt bei der Toten
und Sterbenden bei 745-
—, Luminalnatrium bei 1415.
Eklampsiefrage, zur 1339.
—, gegenwärtiger Stand 502.
—, Klärung 140.
Ektebinverfahren 11 16 .
Ekthyma gangraenosum 1022.
Ektodermosen, Dermotropis-
mus und 956.
Ektropium beider oberen Lider
1568.
Ekzem, seborrhoisches — und
Psoriasis 357.
—, Vakzine behandlung mit
Staphar 371.
Elektrischer Strom, Tod durch
1115.
-, Vorrichtungen zur Un¬
terbrechung 1358.
Elektrizität im Dienste des
praktischen Arztes, von
Zuelschaur 848.
—, Handbuch der gesamten
medizinischen Anwendungen,
von Boruttau und Mann
848.
Elekrodiagnostik und Elek¬
trotherapie, Grundzüge, von
Kahane 1393 .
—. R.form durch das Chron-
axmeter 1328 .
Elektoferrol 176 .
— bei Anämien 39- 628.
Elektrokardiogramm, Alumi¬
niumsaiten zur Aufnahme
432.
— Bedeutung der Veränderun¬
gen der Initialschwankung
315-
—, vereinfachter Weg der Ab¬
leitung 1218. 1598.
Elektrokollargol 1150 .
Elektrolytwirkungen im Orga¬
nismus 1530.
Elektronenröhre, Müllersche
1084.
Elektromedizin, Leitfaden, von
Laquer, Müllerund Nix¬
dorf 674 .
Elektrotherapie bei Herz- und
Gefäßkrankheiten 404.
Elephantiasis craris, Lymph¬
drainage bei 675.
Elfenbein, Sterilisation 1148.
Eitorvibrionen und Cholera¬
vibrionen 603 .
Emanationsgehalt der Aus¬
atmungsluft nach Trinken
von emanationshaltigen
Wasser u. Oel 1660.
Embolie nach Varizenbehand¬
lung mit Preglscher Lösung
467.
Empfindungsqualität, Theorie
der—als Abbildes des Reizes,
von Pikier 915 .
Empfindungszeit, Messung 574.
Emphysem, allgemein ver¬
breitetes 93.
— bei Fremdkörpern im Oeso¬
phagus 1434.
— des Penis, Hodens und der
Schenkelflächen 1401.
Empyem s. Pleuraempyem.
Encephalitis congenita 1055*
— epidemica 308. 309- 334.
535- 1259.
-mit besonderem Ver¬
lauf 342.
-, Hemianopsie bei 75«
-und Herpes febrilis, Zu¬
sammenhänge des Virus 1256 .
-, Verkalkung von Him-
gefäßen bei 535-
-,zur Histopathologie 1299*
-, bei Kindern 41. 145-
— —, chronische Krankheits¬
bilder bei Kindern nach 145.
-, Kontagiosität 1184.
-, Leberfunktionsstörun¬
gen bei 1148.
-, Leukozyten bei 271.
-, leukozytäre Einschlüsse
bei 270 .
-, Moria-artige Zustands¬
bilder und Defektzustände
als Spätfolge 1184.
-, rhythmische Muskel¬
zuckungen im Schlaf nach
38.
-, unter dem Bilde der
Paralysis agitans verlaufend
993.
-, Paralysis agitans nach
142.
-, persönliche Eindrücke
eines Anfalls 1259*
—■ —, Persönlichkeitsverände-
rangen bei Kindern nach
1058 .
-und Poliomyelitis acuta
anterior 967.
-bei Kindern, psychische
Residuärzustände nach 1022.
-, Epidemie an einer Säug¬
lingsabteilung 1564 .
-, Schwangerschaftsunter¬
brechung bei 1149. 1369-
-, Seborrhoea faciei bei
1055.
-in der Selbstbeobach¬
tung 1055 .
-, Spätzustände nach 1 624.
-, zur Differentialdiagnose
der sporadischen und epide¬
mischen -und mancher
strio-pallidärer Spätsympto¬
me 1276.
-, Verlauf 1526 .
-, Zelleinschlüsse bei 246.
-, Zuckungen im Mund¬
winkel nach 1123 .
-, intralunfbale Injektion
von Grippeserum 80.
— neonatorum interstitialis u.
Geburtsstörungen des Ge¬
hirns 302 ,
Encephalitis und Encephalo-
pathia postgripposa 1116 .
— s. auch Enzephalitis.
Endocarditis lenta 205 . 537 .
1638 .
-, Endothelien im Blute
bei 537.
-, chronische Nierener¬
krankungen und 1660 .
-und Streptococcus vi-
ridans 928 .
— septica chronica 1400.
Endokarditis im Kindesalter
durch Streptococcus viridans
40.
—, Erythema annulare bei 677 -
Endokrine Störungen, Stand¬
ardumsatzsteigerang nach
Zuckerzufuhr bei 1181 .
-im jugendlichen Alter
1625.
Endoskopische Beleuchtungs¬
technik in der Oto- Rhino-La-
ryngologie 1222 .
Endothelhyperplasie als Syst¬
emerkrankung des hämato-
poetischen Apparates 537*
Endothelsymptom, zur Theorie
und praktischen Verwendbar¬
keit 1007.
— in Geburtshilfe und Gynä¬
kologie 1294.
— im Säuglingsalter 882.
Energetischer Grundumsatz bei
Kindern 304.
Englische Häfen, Warnung vor
dem Besuch 202.
Enophthalmus, kongenitaler
851.
Entartungsreaktion, Ermü¬
dungserscheinungen bei 1397 .
Entbindung, Schmerzbetäu¬
bung bei 110. 20 7 . 336.
— schmerzlose — in der Pri¬
vatpraxis 108.
Ententekommissionen, Vergü¬
tung für ärztliche Behand¬
lung von Offizieren der 99 .
Enteritis, Kriegs- 172 .
Enteroptose 175 .
Entfettung und Nierenthera¬
pie 1492.
Entfettungskuren, zur Metho¬
dik 543.
— mit Glaubersalzquellen 543 .
— bei Komplikationen 543-
—, Bedeutung der Vitamine
bei 1467.
—, hypnotische 988 .
— s. auch Fettsucht.
Entgiftungspaarangen im Or¬
ganismus 1598 .
Entmündigung wegen Geistes¬
krankheit, Geistesschwäche
und Trunksucht 875 .
Entropium spasticum, Opera¬
tion 1 595.
Entwicklungsmechanik und
praktische Medizin 631. 662.
731. 773.
Entzündliche ' Vorgänge und
Wundinfektion im Bilde der
physikalischen Chemie 679 .
-, Beeinflussung • durch
subkutane Einspritzung eige¬
nen Eiters 680.
Entzündung, Begriffsbestim¬
mungen 1019-
—, Vorgänge der — und
ihre Behandlung im Bilde
der physikalischen Chemie
1053-
—, allergische Immunität und
Anaphylaxie 567 .
—, Beginn im Bilde direkter
Kapillarbeobachtung 1291.
— und Nervensystem 203.497.
Entzündung, gewebsspezifische
und nicht gewebsspezifische
Reize und ihre Beziehung zur
966.
—, Theorie 1147. 1666 .
Entzündungsbegriffe 497.
— und Entzündungstheorien
705. 915. 953.
-Nervensystem 1242.
—, Bedeutung des Stand¬
punktes für die Abgrenzung
1053.
Entzündungsproblem, Bedeu¬
tung der tuberkulösen Aller¬
gie 54. 685.
Entzündungsvorgänge bei durch
Benzol aleukozytär gemach¬
ten Kaninchen 1019 .
Enukleation, Kosmetik nach
1563.
Enuresis nocturna, Kampfer¬
therapie 730.
-, Urinaltherapie 539-
Enzephalitis, anatomische Un¬
tersuchungen 1156 .
—, Erblindung bei dissemi-
nierter 648.
—, experimentelle 1255-
—, Kau- und Schluckstöran-
gen bei 433-
! —, Bewegungs- und Reflex¬
eigentümlichkeiten bei amy-
ostatischer 433-
—, experimentelle Mangan-
peroxyd- 433-
—, otogene 369 .
— im Frühstadium der Sy¬
philis während Salvarsan-
behandlung 443.
— s. auch Encephalitis.
Enzephalogramme 1332 .
Enzephalographie 1089 . 1629.
1664.
—, Apparat zur 1428.
—, Bedeutung für die Hirn- u.
Rückenmarksdiagnose 1600.
Enzymchemie, Ergebnisse und
Ziele der allgemeinen 1529 .
Enzyme, Gewinnung von 1 529 .
Eosinophilie bei Muskelrheu¬
matismus 524.
-Tumoren 604. 11 83 .
— als Indikator für die Re¬
aktionsfähigkeit 816 .
Epidemien in Rußland seit 1914,
von Tarass 6 witsch 1296 .
Epidemiologie und öffentliche
Gesundheitspflege, von
Vaughan 1689 .
Epidemiologische Verhältnisse
in Osteuropa 502.
Epidemische Krankheiten in
Zentral- und Ost-Europa
1528.
Epididymitis u. Samenstrang,
entzündung, nicht spezifi¬
sche 82.
— bei Grippe 1847.
—, unspezifische Behandlung
1332.
— gonorrhoica, intraskrotale
Kochsalzinjektion bei 1313.
-, intravenöse Kalzium¬
injektionen bei 1732.
-, Röntgenbehandlung 459.
Epiglottis, Basalzellenkrebs 82.
Epignathus 570.
Epilepsie 708.
— und manisch-depressives
Irresein, von Krisch 1324 .
—, alkoholische — und Ab¬
sinth 1259.
—, kleine gehäufte Anfälle und
1327.
—, Belastungsverhältnisse bei
genuiner 369 .
—, experimentelle 238 .
Epilepsie, heutiger Stand der
Forschung 1435.
— und Krieg 1429 .
—, Pathogenese und Prognose
1461.
—, Pupillenstarre bei 675 .
— und Schwachsinn, Schädel.
Inhalt, H imgewicht und Groß-
Kleinhirngewicht bei 1182.
— und Syphilis 305 .
— bei postoperativer Tetanie
605 .
—, Behandlung 1033.
— Nebennierenexstirpation bei
153. 274. 402. 467. 709. 784.
1185-
—, Luminalnatrium bei 305-
—, 50 Schädeltrepanationen
bei 118$.
—, operierte Fälle Jackson¬
scher 573-
— nach Steckschuß, operativ
geheilte okzipitale Rinden-
817 .
Epilepsy, social and economic
aspects of 1500 .
Epileptischer Anfall, Leuko¬
zyt* «Veränderungen beim
1184.
-, Pathogenese 272 .
Epimeningitis spinalis 438.1462.
Epiphysäre Emährungsunter-
brechungen 916.
-, Folgezustände 111.
Epiphyse, feinere Histologie
237.
Epiphysenerweichung im
Wachstumsalter 918 .
Epiphysenstörungen, neue
Form multipler 676 .
Epitheleinlagen, Arterienlappen
und 708. 787.
Epithelisierangsversuche 962.
Epithelkörperchen, die 42.
—, Rolle in der Pathologie 781 .
Epithelkörperverpflanzung bei
postoperativer Tetanie 107 .
Erblichkeitslehre und Rassen¬
hygiene, Grundriß, von
Baur, Fischer und Lenz
237.
—, ihre Geschichte und Be¬
deutung für die Gegenwart
1239.
Erblindung und Augenverlust,
Rentenbemessung bei 1186-
— s. auch Amaurose.
Erbrechen der Säuglinge,
habituelles 1260.
-, zur Aetiologie 1726.
Erde, Stoffwechsel der 1529 -
Erdgeschichte, Fortschritt und
Rückschritt im Lauf der
1465.
Erdöl als Heilmittel 161.
Erfrierungen, lokale — in der
chirurgischen Klinik Zürich
39-
Erholungsfürsorge für Kinder
504. •
— und Heilstättenbehandlung
für Kinder 504.
Erinnerungen 168. 280.
Erkältungskatarrhe 81 5*
Erkenntnislehre, Schriften zur,
von v. Helmholtz 367 .
Erkrankungen, Behandlung
akut bedrohlicher. Von
Schwalbe 1525 .
Ermüdung und deren Beseiti¬
gung, der jetzige Stand der
Lehre von der 868.
— und Uebung'217*
-Uebermüdung 1561.
Ernährung, die Methoden der
künstlichen, von Einhorn
1526.
Digitized by LjOl »öle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
INHALTSVERZEICHNIS
XV
— Neugeborener, künstliche
Ernährung 339.
-und junger Säug-
linge in Anstalten 539 .
—, Deutschlands — unabhän¬
gig vom Ausland 613 . 1026 .
— der Japaner 706.
— bei geistiger Arbeit 987 .
Ernähningsgestörte Säuglinge,
späteres Schicksal schwer
785. .
Ernährungsstörungen, akute —
im Säuglingsalter 372 . 747 .
— der Säuglinge, Säuregehalt
des Blutes und Harns bei
chronischen 992 .
—, Pathogenese der akuten ali¬
mentären 468-
—, — alimentäre —, Nahrung
und Magensaftsekretion 436 .
— der Gliedmaßen, Behand¬
lung seniler 1435-
Emährungstherapie, neuere
Betrachtungsweisen in der,
von Gigon 1624.
Ernährungszustand der Be¬
völkerung in Preußen im
Jahre 1920 , von Glaubitt
208.
—, Alter und Fettpolsterdicke
als allein ier Maßstab 539-
—, objektive Beurteilung mög¬
lich? 1596.
Erregung und Erregbarkeits-
Steigerung sowie Dauer¬
erregungen im Zentralner¬
vensystem 1164. 1198.
Erwerbsunfähigkeit, Begriff
der — in der sozialen Medizin
920.
Erysipel, zszendierende Infil¬
trative Myelitis nach 308.
—> heilender Einfluß auf ma¬
ligne Tumoren 204.
—, abortive Behandlung 605 .
—, Argentum nitricum-Salbe
bei 675-
—, Quarzlampenbehandlung
989.
Erythema annulare bei Endo¬
karditis 677-
— infectiosum 1431.
— rheumaticum annulare 1300.
Erythrämie, Pathologie 643-
—, Symptomatologie* Patho¬
genese und Therapie 917-
—, Röntgenbehandlung 272 .
Eiythrocyanosis cutis symme¬
trica 501 .
Erythrodermia desquamativa
956, Behandlung 1714.
— exfoliativa nach Necpal-
varsan 13 OO.
Erythrogenien bei perniziöser
Anämie 1182 .
Erythroltetranitrat bei Koro-
nirsklerose und Hypertonie
42.
Erythrozyten, deutlichere Dar¬
stellung im dicken Bluts¬
tropfen 1337.
—•, Oberflächenveränderungen
unter Einfluß des elektri¬
schen Stromes 887-
—, Verteilung des Hämoglo¬
bins auf die Oberfläche der
887 . 1225.
—> Zelltheorie des —als Grund¬
lage der klinischen Wertung
anämischer Blutbefunde 500.
— und Milz 1325*
—, Senkungsgeschwindigkeit
642.
—des strömenden Blutes Trau¬
benzucker enthaltend? £13-
Erythrozytenzählungen , Ein¬
fluß der Verdflnnurigs-
flüssigkeit 1428.
Esalcopat 302.
Eserin und Pilokarpin, Kom¬
binationswirkung 607-
EssigätherbeiKopfläusen 1678.
Essigsäurevergiftung mit Ik¬
terus 995-
Eukalyptusöl, Vergiftung mit
1020.
Eukupin 1452.
Eukupinöl bei Reizblase 228.
Eunuchoide, physischer For¬
menreichtum der 1327 .
Eunuchoidismus bei Kanin¬
chen in Gegenwart von
Spermatozoen in den Hoden¬
kanälchen 320.
Euphyllin, Blutgerinnung bei
oal verabreichtem 136 O.
— als Herzmittel 42.
Euresol gegen Schnaken 324.
Exarticulatio coxae, auto¬
plastische Knochenverpflan¬
zung in den Weichteilsstumpf
bei 1149 .
Exnersches Modell, welche
chlüsse erlaubt es bezüg-
ch der mechanischen Vor¬
gänge im Vorhof-Bogenap-
parat? 77-
Exophthalmus der Neugebore¬
nen 1150 .
Expektorantia 1613.
Expressionismus, Psychologie
1124.
Extensoren, Atrophie der
1222.
Extrasystolen, interpolierte —
bei Kammerautomatie 1359-
Extrauteringravidität 195.
—, wiederholte — derselben
Seite 851-
—, zur Aetiologie und The¬
rapie 606.
—, Blutreinfusion bei 24 Fäl¬
len rupturierter 92.
— und Cullensches Zeichen
941.
Extremitäten, zur Verlänge¬
rung 1475.
F.
Fäzes, wichtigste Ergebnisse
der Untersuchung 1450.
—, Prüfung auf okkultes Blut
323.
Familie, Kongreß zur Förde¬
rung der — im Einklang
mit den Lebensgesetzen 506.
Familienfürsorge und Wohl¬
fahrtsamt 506 .
Farbenblindheit, Pupillenre¬
aktionen bei angeborener
totaler 1156 .
Farbenerscheinungen, Bedeu¬
tung der Gitterstruktur in
den lebenden Augenmedien
für die Theorie der subjek¬
tiven, von Koeppe 1150 .
Farbenindikatoren, Gebrauch
von, von Kolthoff 782 .
Farbenlehre, Entwicklung seit
Newton 1237.
— messende 1529 .
Farbensehen, Lehre vom 1530.
Farbensinn, Stillings pseudo¬
isochromatische Tafeln zur
Prüfung 1661.
Farbenunterscheidungsvermö¬
gen, zentrales — nach kör¬
perlichen Anstrengungen 990.
Farbenungleichungen, Erler-
. nung von 207 .
Farbschwel/en, Aequivalenz
1531.
Farbstoffe, Ausscheidung durch
Magensaft un( j Galle 368,
Farbstoffe, — intravenös ein¬
verleibter — bei Amyloid¬
kranken 819 -
Favus autochthon in Pom¬
mern 77-
Fazialislähmung, drei Fälle
1495-
— infolge von Aetzung mit
Chromsäure 965.
—, Kenntnis der peripheri¬
schen 1429-
Fazialisphänomen 1255-
— bei Kindern des späteren
Lebensalters 305- 338. 1 564.
Febris recurrens, Spirochäten
und Blutbild bei 334.
Fermente, Natur und Ent¬
stehung diastatischer 203 .
—, Lichtwirkung auf 1531*
Fermentgehalt des Säuglings¬
magens 1361 .
Fermentlehre, jetiger Stand
1529.
Fermentproblem, das, von Fo-
dor 431 .
Fermentuntersuchungen im
Duodenalsaft und den Fäzes,
vergleichende 205 .
Fermentwirkungen durch
Nichtfermente 1427 .
Fettausnutzung beim Säugling,
Einfluß verschiedener Korre¬
lation der Nahrungsbestand¬
teile 468.
Fettminmium für die Ernäh¬
rung 1322 .
Fettpolster und Ernährungs¬
zustand bei Kindern 338.
Fettsklerose im Säuglings¬
alter, zirkumskripte sym¬
metrische 1662 .
Fettsucht, endokrine 854.
—, Gaswechseluntersuchungen
bei 406. 1055.
—, hypophysäre — im Kindes¬
alter 1463.
—, Stoffwechsel bei 1293 .
Fettsuchtbehandlung und Bal¬
neotherapie 543*
— s. auch Entfettungskuren.
Feuerbestattung, Gesetzge¬
bung und — in Deutsch¬
land 637.
Feuerwehr, Berufskrankheiten,
von Chajes 1502 .
Fibrinogen, Einwirkung einiger
Diuretika auf 814.
Fibrinogenese, Fäden in den
Leberzellen und 1259-
Fibuladefekt, angeborener 1300 .
Fieber, alimentäres 145. 746.
—, Eiweißstoffwechsel, Ner¬
vensystem und 81.
—, differentialdiagnostische
Bedeutung bei Erkrankun¬
gen des Ohrs und der
oberen Luftwege 1328 .
—, Pathogenese 1673. 1696.
Fiebertheorien, neue — und
ihre Bedeutung für die Chi¬
rurgie 714.
Fieberthermometer, unzuver¬
lässige 95.
Filaria loa, eitrige Entzündung,
infolge Infektion mit 47«
— medinensis, Fall 1495*
Filmaronöl, akute gelbe Leber¬
atrophie nach 205 .
Filmschauspieler, Augenver¬
änderung bei 1156 .
Fingerendgangrän 614.
Fingergelenke, operative Mo¬
bilisierung versteifter 570 .
Fingerkontraktur, PhaHngen-
resektion bei 784.
—, Morestinsche Plastik bei
1689»
Fingerschiene 571-
Fingerstrecksehne, Fixations¬
schiene bei Verletzungen 273-
Fingerstrecksehnenruptur am
Endgliede 1360 .
Fingerstreckung, Mechanik
1398.
Fingerverletzungen, Transplan¬
tationen bei 1299 .
Finsenbäder bei Larynxtuber-
kulose 935.
Fissura ani, Aetiologie 1086.
— stemi 570 .
Fistula colli mediana completa
1649.
— gastrocolica, Frühdiagnose
771.
Fläschchen zur sterilen Auf¬
bewahrung von Medika¬
menten 204.
Flavizid in der Dermatologie
20 7 .
Fleckfieber 568.
—, Aetiologie, Prophylaxe u.
Therapie 1663 .
—, zur Geschichte der patho¬
logischen Anatomie 35.
—, neuer Erreger? 782 .
—, Studien über 128.
— und seine jetzige Invasions¬
gefahr 428.
—, zur Kasuistik 1678.
—, chirurgische. Komplikatio¬
nen 917.
—, Protozoen in der Zerebro¬
spinalflüssigkeit bei 400.
— in Rußland 930.
—, sedative Therapie 106.
Fleckfiebergefahr 81 5*
Fleckfieberinfektionen, Erzeu¬
gung von inapparenten, zu
. aktiver Immunität führen¬
den — bei passiv immuni¬
sierten Meerschweinchen
848.
Fleckfiebervirus, Kultur außer¬
halb des Körpers 106.
Fleischbeschau, bakteriologi¬
sche, von Standfuss 920 .
Fleischvergiftung, Depersona-
sation nach 1732 .
Flexura deduodenojejunalis, Di¬
vertikel an der 240.
-r— lienalis, Karzinom mit Co¬
litis ulcerosa 1122 .
— sigmoidea, Diverticulitisjper-
forativa 816.
--, Karzinom 1151.
-, im Mesenterialschlitz
eingeklemmte 1006.
-, Volvulus 336 . 993 .
Fliegen, Wirkung des Sauer¬
stoffmangels in größeren
Höhen beim 81 3 .
Flimmern, Prädisposition der
Vorhöfe zum 335 .
Flockungsreaktion bei Kin¬
dertuberkulose 221 .
Flockungs- und Trübungsreak¬
tionen bei Syphilis 219.
—, Pferde- und Rinderherz als
Material zur Herstellung von
Extrakten zu 1097.
-s. auch Syphilis.
Flügelfell, Operation des rezi¬
divierenden 1595*
Flüssigkeitsabgabe, pharmako¬
logische Beeinflussung 242.
Fluor albus, Bazillosan bei 176 .
402. 676.
-, Levurinose bei 594.
-, Thyoparametron bei
1139.
-, Zelluloidkapselbehand-
lu$g 956.
Fluomatriumvergiftung 1153«
Foetus compressus 1226 .
Fontanellen, Schaltknochen der
großen 1568.
Foramen ocdpltale magnum,
Erweiterung 1056.
— ovale, Embolie 1225.
— supratrochleare humeri 881 .
Formaldehyd, Erzeugung von
allgemeiner Anidrosis bzw.
Oligidrosis durch 171 .
Formalindermatitiden, gewerb¬
liche 1190 .
Formalinreaktion bei Syphilis
786 .
Forssmann-Masse bei Her¬
stellung künstlicher Glieder
744.
Fortpflanzung. Die Geschlechts¬
organe des Menschen und ihre
Krankheiten, von Schall
817 .
Frakturen und Luxationen,
Atlas und Grundriß, von
Helferich 708 .
— Pseudarthrosen nach 955 .
—, funktionelle Behandlung
850 .
—, Behandlung nach Lane 275-
371.
Frakturheilung und Pseudar*
throse 727.
Frankfurt a. M., Arbeiten aus
dem Staatsinstitut für expe¬
rimentelle Therapie und dem
Georg Speyer-Hause, von
Kolle 106. 705 .
Frau, Eignung zu gewerblichen
Berufsarbeiten 1190 .
Frauenheilkunde, Taschenbuch,
von Koblanck 1185 .
Frauenkrankheiten, Handbuch,
von Hof me ier 817 .
Frauenmilch, Beschaffung von
— u. Säuglingsfürsorge 1493-
Frauenmilchverfälschung 372 .
Fremdausdrücke, Beseitigung
in der medizinischen Schrift¬
sprache 493.
Fremdkörper, zur Lagebe¬
stimmung 917 .
—, Lagebestimmung vor dem
Röntgenschirm 1115 .
—, Tod durch 1263 .
— im Auge, Entfernung 1451.
—, Lokalisation intraokularer
1359.
— im Bauch, Glas als 959.
— der Blase 107 .
— im Duodenum 1185 .
— in Empyemhöhlen, rönt¬
genologischer Nachweis 76.
-der Lunge 993-
— im Magendarmkanal 1117 .
— in der Nase 1681.
— in Nase, Larynx, Bron¬
chien, Magnet zur Extrak¬
tion 613 .
-den oberen Luftwegen,
Vortäuschung einer diphthe¬
rischen Larynxstenose durch
537.
-Oesophagus und Ma:gen
374. 649.
-, Emphysem nach
1434.
— der Orbita in 7 .
— im Uterus 1568 .
Fremdkörperperitonitis, Dia¬
gnose 139-
v. Frey, M., zum 70 . Geburts¬
tage 1559.
Friedmannsches Mittel s. Tu¬
berkulosemittel.
Friedreich-ähnliche Krankheits¬
bilder 1056 .
Fronto-pontino-zerebellare
Bahn, gibt es eine? 1090 .
Froschmuskel, Bildung anorga¬
nischer Phosphorsäure beider
Kontraktion 203 .
Digitized by »öle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
XVI
Froschzunge, Kreislauf an der
781 .
Frostbeulen, Röntgenbehand¬
lung 1086.
Fruchtabtreibung dnrch Gifte
und andere Mittel, von
Lewin 881.
Früchte und Samenkörner
744.
Frühgeborene, Aufzucht in
der Familie 1493-
—, kalorischer Bedarf 1596.
Frühgeburtenstigmata 785-
Frühjahrskatarrh, epitheliale
zystische und follikuläre Bil¬
dungen bei 1156.
Frühreife, sexuelle — bei einer
Idiotin 367 .
Fürsorgeärzte, Honorar Verhält¬
nisse 1363 .
Fürsorgeärztliche Tätigkeit,
Aufgaben und Grenzen
1363 . 1364.
Fürsorgerische Zwecke, Ver¬
teilung der Mittel für 1353.
Fürsorgeschwestem des Haupt¬
gesundheitsamtes der Stadt
Berlin, Bericht über die Tä¬
tigkeit 611 .
Fürsorgestellen, Behandlung
in? 1363 . 1395-
Fürsorgewesen im Unterricht
1631 .
Funktionsprüfungen, Wesen
und Bedeutung der klini¬
schen 961.
Furunkel, Behandlung 866.
1517.
Furunkelähnliche Erkrankung,
Bakterienbefund bei einer
1628.
Fuß, der Menschen-, von Wei¬
denreich 237-
Fußschmerzen in den Wachs¬
tumsjahren, Vorkommen
und Bedeutung des Ostibi-
ale extemum bei 644.
Fußstümpfe, Operation von
Spitzfußstellungen 371.
Q.
Gähnen 538.
Gänmgsförschung, Ergebnisse
der neueren 1529.
Galaktosurie, alimentäre —
bei Leberkrankheiten 712 .
Galle im Hamsäurestoffwechsel
1115-
—, Oxyhämoglobin und Hä-
matoporphyrin in der 1291 .
— und tryptische Verdauung
310 .
Gallenblase, Stauungs- 434.
Gallenblasenerkrankungen
1492.
— und Affektionen des Ver-
dauungstraktus, zur Diffe¬
rentialdiagnose zwischen
997.
Gallenblasenexstirpation mit
primärem Verschluß der
Bauchhöhle 76 .
Gallenblasenkrankheit, neuere
Gesichtspunkte 707 .
—, Desoxycholsäure bei 989-
Gallenblasenkrebs 961 . 1266.
Gallenfarbstoffbildung, Topik
712 .
Gallenfarbstoffe, Umwandlung
durch fäulniserregende Darm -
bakterien 465- 1115-
— und Cholesterin, chemisch¬
physikalische Untersuchun¬
gen an 711 .
— bei Icterus neonatorum 78 .
Gallenfarbstoffprobe im Harn,
Modifikation der Jod- 642. 1
Gallenfistel, Operation durch
perduodenale Hepatodraina-
ge 472.
Gallengangystem, Hydrops in¬
folge Pankreaskarzinoms
1166.
Gallenphlegmone, retroperito-
neale 1222.
Gallensäureausscheidung und
Cholesterinstoffwechsel 711-
— bei Lebergesunden, Leber¬
kranken und Neugeborenen
712.
Gallensäuren beim Ikterus und
Icterus dissociatus 744.
Gallenstein, Abgang eines sehr
großen — ohne Kolik 109-
—, Perforation ins Duode¬
num oder in den Magen
1262.
Gallensteinanfall, röntgenolo¬
gisches Verhalten des Magens
während des 272 .
Gallensteine 576.
—, Aetiologie und Patho¬
genese der Bildung von 712 .
—, spontane Auflösung 305-
—, Bildung der 109 . 270 . 673 .
—, Entstehung 988 .
—, Klinik 1117 .
— und Krebs der Gallenblase
105 . 849-
— im Magen 1367 .
— und Magengeschwür 664.
—, pseudokristalline Formen
1244.
—, Röntgendiagnose 499. 1221 .
Gallensteinileus 1665-
Gallensteinkrankheit, Klinik
und Behandlung 712 .
Gallensteinoperation, Indika¬
tion 1257.
—, Rezidive nach 1117 .
—, Indikationen 712 .
Gallenthromben, Zusammen¬
setzung 674.
Gallenwege, Askaridiasis 431-
1057-
—, primärer Bauchdeckenver¬
schluß bei Operationen an
den 1527 .
—, Chemotherapie 712 .
—, Desinfektion 712.
—, Brauchbarkeit der Duode¬
nalsonde bei Erkrankungen
418.
—, Funktion 1612 .
—, Gummidrainprothese in
der Chirurgie der 676 .
—, Chirurgie des Krebses der
1117-
—, Muskelinnervation und ihre
Beziehungen zur Pathologie
711.
Galletreibende Mittel 378.
Galvanisation 1459-
Galvanopalpation 465-
— und Röntgenstrahlen 1292 .
Ganglion Gasseri, Kautätigkeit
und Alkoholanästhesie des
139.
-, Tumorbildung des 110.
— in der Nervenscheide des
N. ulnaris 68. 694.
— semilunare, Aktinomykose
586.
Gangrän der Gliedmaßen, em-
bolische 850.
Gasaustausch, respiratorischer
— und Lungendurchblutung
unter normalen und krank¬
haften Zuständen der At¬
mungsorgane 813 .
Gasbrand, Zentralnervensystem
bei 63.
Gase, Körperhöhlenbehandlung
mit pharmakologisch wirk¬
samen 642.
INHALTSVERZEICHNIS
Gastroduodenalsonde 880.
Gastroduodenostomie, termino-
laterale — bei Resektion
nach Billroth I 1461.
Gastroenteritis paratyphosa B
und Paratyphus B abdo¬
minalis 400.
Gastroenterostomie, retrograde
Dünndarminvagination nach
434.
—, Tetanie nach 467 .
Gastrointestinalpalpation, me¬
thodische, von H a u s m a n n 74 .
Gastropexie mit dem Ligam.
teres hepatis als vorbereiten¬
de Operation zur Röntgen¬
behandlung gewisser Magen-
karzinome 401.
Gastroptose 1433-
—, chirurgische Behandlung
1660 . 1788 .
Gastroskop 1563 .
Gastroskopie, diagnostische Be¬
deutung 605•
—, neue Position zur 1428.
Gastroskopien, 120. 310.
Gaswechsel, Wirkung der aus
endokrinen Drüsen herge¬
stellten Präparate auf den
203 .
— während der Geburt 1021 .
Gaumen, Endotheliom des
harten 77-
—, Tumor des weichen 508 .
Gaumendefekte nach Schu߬
verletzung, Deckung durch
gestielte Stirnhautlappen 708 .
—, Hartparaffininjektionen in
die hintere Rachenwand bei
1222.
Gaumenmandel, Entzündungen
1491. 1629.
—, Enukleation 77-
—, Epithelverhornung 537-
Gaumenplastik 112. 437- 613-
Gaumensegellähmung, post¬
diphtherische 1463-
Gaumenspalte, submuköse 576.
Gebiß und Schädel, verglei¬
chende Untersuchungen 1086 .
-Verdauung 707 .
Geburt, mit Eihautstich kom¬
binierte Chinindarreichung
zur Einleitung 43 .
— im Dämmerschlaf 424. 1118 .
1153. 1493.
—, angebliche Gefahren des
Dämmerschlafs bei 371.
—, Gaswechsel während der
1021.
—, parametrane und subperi¬
toneale Hämatome bei 139-
— in Hypnose 881. 956. 1028.
—, Leitung der normalen 1555.
, Mechanik 1325 .
—, Ovulation und Menstrua¬
tion, Beziehungen zwischen 76 .
—, Schmerzlinderung bei 990.
—, Pathologie der — und ihrer
Beziehung zum Wochenbett¬
fieber 1493.
— s. auch Entbindung.
Geburten, Eheschließungen
und Sterbefälle im Jahre
1919 503.
— im Deutschen Reiche vor
und nach dem Kriege 1499-
Geburtenhäufigkeit u. Kinder¬
sterblichkeit bei den Rundi
in Deutsch-Ostafrika 1557. 1
1586. 1620. 1652. 1
Geburtensterblichkeit 1390. |
Geburtenzahl und Kinder¬
sterblichkeit während des
Jahres 1921 im Regierungs¬
bezirk Düsseldorf 946. 1215.
Geburtsanalgesie, posth ypno -
tische 1300 .
Geburtsangiospasmus 1661 .
Geburtshilfe, Handbuch, von
Döderlein 571.
—, von v. Jaschke 1492 .
—, Repetitorium, von Hü sys
108.
die neue — und ihr Ver¬
hältnis zürn Staate und zur
Bevölkerungspolitik 507 .787-
819-
—, operative 136 Ö.
Geburtshilflich - gynäkologische
Propädeutik, von Polano
744.
Geburtshilflicher Phantomkurs,
von Liepmann 1462.
Geburtshilfliches Seminar, von
Liepmann 1149-
Geburtslähmung, Aetiologie
605-
—, Beziehung zu anderen
angeborenen Deformitäten
1056.
—, Schiefhals und Schulter¬
hochstand 956. *
Geburtsmechanismus u. Rönt¬
genstrahlen 1028.
Geburtstage von:
Geh. San.-R. Dr. Alexan¬
der (Berlin) 299-
Prof. Dr. Binswanger
(Jena) 1426.
Prof. Dr. Deutschmann
(Hamburg) 1560.
Hof-R. Prof. Dr. v. Ebner-
Rofenstein (Wien) 268.
Prof. Dr. Flesch (Frank¬
furt a. M.) 104.
Prof. Dr. Helfreich (Würz-
ourg) 1458.
Prof. Dr. Hueppe (Prag)
1216.
Geh. Med.-R. Prof. Dr.
K öl liker (Leipzig) 704.
Geh. Med.-R. Prof. Dr.
Kümme 11 (Hamburg) 704.
Geh. San.-R. Dr. Küster
(Berlin) 236 .
Dr. Loose (Bremen) 1254.
Dr. Mecke (Bremen) 1254.
Hof-R. Prof. Dr. Petrina
(Prag) 812.
Prof. Ramön y Cajal
(Madrid) 640. 811 .
Prof. Dr. Siebenmann (Ba¬
sel) 780.
Dr Stahl (Rostock) 812.
Ob.-Gen.-A. Dr. Stechow
(Berlin) 170 .
Dr. Stern (Wien) 170 .
Dr. Straßmann (Wien)
1146.
Prof. Dr. Stumpf (München)
332.
Dr.Triebenstein(Rostock)
202 .
Geh. Med.-R. Prof. Dr. Tu-
czek (Marburg) 812.
Geh. Med.-R. Prof. Dr. Vir-
chow (Berlin) 1254.
Prof. Dr. Wagenhäuser
(Tübingen) 1426.
Geburts- und Sterblichkeits¬
verhältnisse in den deut¬
schen Großstädten 921 . 1363 .
1631 .
Gefäße, Einfluß der Gefäßner-
ven auf die _ Permeabilität
1147-
—, Transposition der großen
1332.
Gefäßdruckmessung, experi¬
mentelle Leichenatmung und
953.
Gefäßfunktion bei Schwan¬
geren, Prüfung 676 .
Gefäßklemme 569 .
Gefäßmittel, Mikrokapillar
beobachtungen über die Wir
kung 707 .
i Gefäßreaktion, asthenische
| als konstitutionelles Stigma
bei Kindern 468.
Gefäßreflexe der Rücken
markskrankheiten 439
Gefäßsklerosen 567-
Gefäßverletzungen, Versor
1 gung der 675-
I Gefäßwachstum, postembryo
nales 649-
Gefäßwand, schleimige Degenc
ration 926 .
—, Durchlässigkeit 1561 .
Gefäßwanddefekte, Behänd
lung mittels aufgeklebte 1
Gummischutzhüllen 1461.
Gefäßwunden, Alloplastik mit
tels Klebemethode 784.
Gefäße s. auch Blutgefäße.
Geheimmittel, zum Begriff
1082.
Geheimmittelmißbrauch,
Kampf gegen 363 .
Geheimmittelschwindel, Be¬
kämpfung in Amerika durch
die American Medical Asso
ciation 1352 .
Geheimmittelunwesen 843-
Gehirn, Persistenz embryonale!
Verbindungen zwischen Art.
carotis interna und Art. ver
tebr. cerebralis und ihre Be¬
deutung für den Circulus ar
teriosus des 1264.
—, traumatische Geburtsschä
digung 1149.
—, histologische Veränderun¬
gen bei hyperkinetischen Er¬
krankungen der Maus nach
Diphtherie 498.
—, Apparat zur Bestimmung
des elektrischen Widerstan¬
des im 206.
—, Geburtsstörungen des —
und Virchows Encephalitis
neonatorum interstitialis 302.
—, ungewöhnliche Gefäßver
Minderungen im 114.
—, vaskuläre Kalkimpräg
nation 1155-
— bei akuter gelber Leber¬
atrophie 1182.
—, traumatische Pseudo¬
abszesse 1249.
—, pathologische Anatomie in
ihren Beziehungen zur
Psychiatrie 399- 437-
—..chemische Zusammensetz¬
ung des Säuglings- 274.1021.
—, traumatische Erkrankun¬
gen 509-
—, — Geburtsschädigung1295-
—, Venenwege im — und Ge-
himdesinfektion 1429 .
—, Zystizerkose 507 .
Gehimabszeß, embolischer Er¬
weichungsherd oder otoge
ner — im linken Schläfen-
lappen 643-
—, Bedeutung der Himpunk-
tion und Lumbalpunktion
für Diagnose und Prognose
des 279.
—, Behandlung 387.
Gehimangiome 538.
Gehimarterien, röntgenogra
phische Darstellung 1084.
Gehimchirurgische Eingriffe in
die Hinterhauptsgruben 990 .
Gehirndruck, palliative Tre¬
panation bei 1406 .
Gehirnerweichung bei Neu
geborenen, traumatische 403
Difitized by Google
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
INHALTSVERZEICHNIS
XVII
ulUr-
Wir
ie --
tignu
:fcti ■
l» -*nd
61
mit
&
urd;
.der
trt
Gehirnhäute, Beteiligung bei
den fieberhaften Erkrankun¬
gen der oberen Luftwege 272 .
— und Rückenmarkshäute,
Kirzinomatose der weichen
1223-
! Gehimhemisphäre, funktionelle
Superiorität der linken 312.
Gehimkrankheiten, Bedeutung
neuerer Ergebnisse der Ana¬
tomie des Zentralnerven¬
systems für die topische Dia¬
gnostik der 1046. 1077.
Gehimnarben, Verkalkung und
f Knochenbildung in 535 .
i Gehirn- und Rückenmarks-
i Operationen, zentrales Fieber
nach 1185 -
Gehimpunktion, Bedeutung
| für Diagnose und Prognose
1 des Hirnabzesses 279.
Gehimschädel der Frühgebur¬
ten S 52 .
Gehirnschnitte von mit Re-
| kurrens infizierten Mäusen
1 1715-
Gehimsklerose, diffuse 1056 .
Gehimsyphilis, Störungen der
Funktionen von Hypophyse
und Zwischenhim bei 369 *
Gehimtemperatur, Einfluß lo¬
kaler Kälteapplikation 706 .
Gehirntumor nach Kopfver¬
letzung 469-
—, ungewöhnlicher Verlauf 46.
— des 3- Ventrikels 1498-
Gehirntumoren, Beobachtun¬
gen bei 1089-
— nach gynäkologischen Ope¬
rationen 1258.
—, Klinik und Anatomie 433-
— der mittleren Schädel-
grube, Hypokinesis und zere¬
brale Ataxie als Symptom
1184.
—, Auffinden bei der Trepa¬
nation durch elektrische Wi¬
derstandsmessung 206.
—, Apparat zur Auffindung
von — mittels Messung des
elektrischen Widerstandes
1222.
—, Behandlung 1714.
—„ Salvarsan bei 206.
Gehirnverletzte, körperliche
Leistungsfähigkeit 1055-
Gehörgangswand, Fraktur der
vorderen 613 .
«Gehörknöchelchen, kann uns
die Kenntnis der Lokalisa¬
tion der — bzw. Pauke auf
dem Röntgenbild bei der
Diagnosen- und Prognosen-
steliung weiterhelfen? 1089-
Gehstottern und Rindenkrampf
538.
Geisteskranke, Bildnerei der,
von Prinzhorn 1322.
—, Daktylogramme bei 1327-
i —. Körpergewichte während
\ der Kriegszeit 784.
—, Sterblichkeit in den säch
sischen Anstalten während
des Krieges 78 5-
Geisteskrankheiten, Krieg und
708.
Geistige Höchstleistungen, phy¬
siologische Ursachen, von
Vaerting 987-
Gelähmte Glieder, neuropa-
thische Veränderungen in
zentral 43*.
Gelltine als Heilmittel 74.
Gelbfieber, spezifische Therapie
and Prophylaxe 401.
Gelenke, mathematische und
biologische Mittelstellung J
025-
Gelenke, Mobilisierung versteif¬
ter, statisch belasteter 371-
—, pathologisch-anatomische
Untersuchungen an operativ
mobilisierten ankylotischen
105 .
—, extraartikuläre Knochen¬
überbrückung 107 .
Gelenkerkrankungen,v Diffe¬
renzierung chronischer — im
Röntgen bilde 790.
—, innere Behandlung 44.
—, Sanarthrit bei 302.
—, Schwefelöl bei chronischen
I 707.
—, Schwefelbehandlung chro¬
nisch deformierender 500.
—, Schwefelinjektionen bei
chronischen 1398 .
—, Behandlung chronischer in¬
fektiöser 1183-
Gelenkknorpel, regeneriert sich
der hyaline — nach Resek¬
tionen? 76 .
—, Wirkung antiseptischer Ge¬
lenkinjektionen auf den 990
Gelenkmäuse, anatomische Be¬
deutung d. Wachstums 1057-
—, Entstehung 1257-
—, spontane Entstehung 1 185-
Gelenkmausbildung, Biologie
1185-
Gelenkplastik, primäre — bei
Tuberkulose 784 .
Gelenkrheumatismus im Kehl¬
kopf 499-
— mit Beginn in den Kehl¬
kopfgelenken 1116 .
—, Bedeutung geringer Tem¬
peraturen bei gewissen
Fällen 544. 1055- 1396.
—, histologisch untersuchter
Fall von tuberkulösem 1219 .
—, Mastkur bei 467-
—, zur Serum- und Thorium¬
therapie des chronischen
1120 .
Gelenkspaltbildung im ver¬
knöcherten ersten Rippen¬
knorpel 605 .
Gelenksyphilis 175.
Gelenktransplantationen 1117 .
Gelenktuberkulose 1117-
—, Diagnostik und Therapie,
von Kisch 39-
—, konservative Behandlung
1360.
—, Behandlung mit Tuberkel-
bazillenspaltprodukten 39-
—, extraartikuläre Arthrodese
bei 918 .
—, Arthrodese durch para-
artikuläre Knochenspanein¬
pflanzung bei 644.
— s. auch Knochentuberkulose.
Generationsrhythmen 1567 .
Genese, der Begriff der — in
der Physik, von Lewin 11 81 .
Genitalblutungen, Milzbestrah¬
lung bei 1118.
Genitalflora, Entstehung 1257-
Genitalien, Doppelmißbildung
der weiblichen 851.
—, Lageveränderungen der
weiblichen 30. 69.
—, Gonorrhoe, Tuberkulose und
Syphilis der weiblichen 96.
—, Saprophyten der weiblichen
241.
Genitalkarzinome, Statistik
1258.
Genitalnervenkörperchen in Kli¬
toris und kleinen Labien 81 7-
Genitalproiapse, Ballbehand¬
lung 207 .
Genitaltuberfcu/ose, anato¬
misch • pathologische Bei¬
träge 303 .
Genitaltuberkulose, und Uro¬
genitaltuberkulose, männ¬
liche 606 .
—, Therapie 955-
Qenius epidemicus 73*
Genu recurvatum beim Tabiker
1085-
— valgum - Operation, Nach¬
blutung nach 614.
Geradstand, hoher — bei Stirn-
läge 851.
Geräusche, störende 99- 875-
Gerichtliche Medizin, Lehrbuch,
von Dittrich 785 .
--Kratter 372 .
-und Gerichtsarzt, Stel¬
lung in Wien und Österreich
208.
Gerinnungsferment, Wesen des
282.
Geruch in der klinischen Dia¬
gnostik 1280. 1281.
Geruchsmischung 1567 .
Gesang und Kreislauf 1090.
Geschichte der Medizin im Her¬
zogtum Oldenburg, Aufsätze
zur, von Roth 1053-
Geschlecht und Geschlechter
im Tierreiche, von Meisen-
heiraer 879-
Geschlechtsbestimmung beim
Menschen 1192.
— und Krieg 139-
-Reduktionsteilung 1026.
Geschlechtsbildung des Kin-1
des, statistische Beiträge
1258.
Geschlechtskranke, Fürsorge
für 1634.
Geschlechtskrankheiten, von
Stein 990.
—, — Zieler 468.
—, allgemein verständlich dar¬
gestellt, von Rau 920 .
—, 20 Ratschläge für junge
Männer 923 .
—, Behandlung 1625 .
—, Bekämpfung 241.
—, der neue Gesetzentwurf
zur Bekämpfung 326. 752.
1501.
—, Beratungen des Bevölke¬
rungspolitischen Ausschusses
des Reichstags über den
Gesetzentwurf zur Bekäm-
. fung der 1062 .
—, die Grundsätze der Seuchen¬
bekämpfung im Entwurf des
Gesetzes zur Bekämpfung
der 1062.
—, Die Beratungsstellen im
Entwurf des Reichsgesetzes
zur Bekämpfung der 1366 .
—, Schutzmittel gegen 1714 .
—, Verhütung durch Selbst¬
schutz 505-
—, Verbreitung in Nürnberg
882.
Geschlechtliche Aufklärung im
Erziehungswerke, von Fried¬
jung 1501.
Geschlechtsleben des Menschen,
von Placzek 1561 .
Geschlechtsreife und ihre Pa¬
thologie 1427-
Geschlechts trieb und innere
Sekretion 188.
Geschlechtsverhältnis der Ge¬
borenen, Einfluß des Krieges
auf das 1022.
Geschlechtsverirrungen auf psy¬
choanalytischer Grundlage,
Lehre von den, von Sadge r
536.
Geschoßwanderung im Seiten¬
ventrikel 681 .
Geschwülste s. Tumoren.
Geschwür s. Ulkus.
Geschwulstdisposition, allge¬
meine Entstehungsbedingun¬
gen kongenitaler Erkrankun¬
gen und Konstitutionsano¬
malien, insbesondere der
1471 .
Geschwulstproblem u. Epithel¬
wachstum 1393 .
Geschwulstprophylaxe, germi-
nale 1218 .
Gesellschaft deutscher Natur¬
forscher und Ärzte, Begrüs-
sungsrede zur Eröffnung der
Hundertjahrfeier 1423 .
Gesetzesfragen 844.
Gesicht, chirurgisch-plastische
Versorgung der Weichteils¬
schäden 1057-
Gesichtsempfindung, zeitlicher
Verlauf 1716 .
Gesichtsfeld, intermediäres
1156.
— bei psychogenen Erkran¬
kungen 1156.
Gesichtslage, spontane Um¬
wandlung in Hinterhaupts¬
lage in der Beckenhöhle 709 .
— und Kiellandsche Zange 571.
Gesichtsplastiken, Schuster¬
spanverbände bei 273 .
Gestationstoxonosen, Bedeu¬
tung 850.
Gesundheitsämter, Notwendig¬
keit und Organisation
städtischer 1059 .
Gesundheitsfürsorge in Baden,
Neugestaltung 1499-
—, die Geldbeschaffungsfrage
in der sozialen 1177 .
—, wissenschaftliche Grund¬
lagen 1494.
— und Wohlfahrtsamt 503 .
Gesundheitspflege, weibliche,
von Flautau 955-
—, Stellung des Arztes als
Vertreter der wissenschaft¬
lichen Medizin u. der öffent¬
lichen 70 .
Gesundheitstumen, Leitfaden
zur Einführung in das, von
Lehmann 1256 .
Gesundheits Verhältnisse des
deutschen Volkes 1920/21,
Denkschrift über 609 .
Gesundheitswesen des Preußi¬
schen Staates in den Jahren
1919/20 1430.
Gewebe, Beziehungen der —
zur Diurese und Bedeutung
als Depots 183.
—, in vitro-Kulturen der em¬
bryonalen 535-
—, Feinstruktur der Materie
mit besonderer Berücksich¬
tigung der 853*
—, Verwendung für verschie¬
dene Zwecke 1219 .
Gewebsautolyse und regenera¬
tiver Reiz 756 .
Gewebsfärbungen mit Anilin¬
farben, Verstärkung durch
Züsatzmittel 604.
Gewebsveränderungen, Bedeu¬
tung der Nervenlähmung und
Nervenreizung für die Ent¬
stehung trophischer 605 .
Gewerbearzt, Stellung 304. 752.
Gewerbeaufsichtsbeamte, ge¬
sundheitsschädliche Einflüsse
nach den Jahresberichten
der deutschen 506 .
— und Gewerbearzt 752 .
Gewerbekrankheiten, Inter¬
nationale U ebersicht über,
von Brezina 242.
Gewerbeordnung, die Unter-
suchungs- u. Uberwachungs-
ärzte der 1366 .
Gewerbesteuer der Aerzte 843 .
1252 .
Gicht, die, von So pp 1624 .
zur Lehre von der 471-
507-
—, Blutharnsäurekonzentra¬
tion und 783 .
—, mechanische Momente bei
Entstehung und Heilung 544.
—, das humorale Syndrom 646.
—, hämolytischer Ikterus und
1360 .
— und Klimakterium 7 C 9 -
—, Nierenveränderungen bei
1053-
— u. Nukleinstoffwechsel 605 .
—, zur Pathogenese 849.
—, Probleme d.Therapie H38.
—, Atophan bei 1183 .
—, Balneotherapie 544.
—, alkalisch-erdige hypotoni¬
sche Wässer bei 544.
Gichtproblem, zum 1531 .
Gifte, inverse Herzwirkungen
parasympathischer 238 .
— und Arzneimittel, Reak¬
tionsveränderungen des Or¬
ganismus gegen 1322 .
Gitterfasern in normaler Haut
399-
— bei syphilitischen und an¬
deren Hautkrankheiten 724.
| —, zur Darstellung von 604.
Glandula submaxillaris, Spei¬
chelsteinerkrankung 855-
Glandulae parathyreoideae, Bi¬
ologie und Pathologie 705-
Glasbläser, Berufsschädigun¬
gen 752.
Glaskörper, zur Chemie 1124.
—, Eiweißgehalt 1124.
Glaskörperabsaugung 1156 .
Glaskörperbegrenzung, vordere
1156.
Glaskörperblutung, juvenile
rezidivierende 851 -
Glaskörpererkrankungen, von
Lauber 1430 .
Glaskörpertrübungen, senile
207 .
Glasmacherpfeife 1190 .
Glasschleifer, Beschäftigungs¬
neuritis 1116 .
Glaukom, Mechanik des aku¬
ten 1124.
—, zur Kritik der experimen¬
tellen Formen 1328 .
—, zur Pathogenese 340.
—, Kokain - Alkoholinjektio¬
nen am Ganglion sphenopa-
latinum bei 677-
—, Skleraltrepanation beim
chronischen 77-
Glaukombehandlung 61 4.
Glaukomoperationen, Erfah¬
rungen mit 607 .
Gleichgeschlechtlichkeit, von
Kronfeld 1255 .
Gleitbrüche 402.
Gliafaser-Färbung 237 .
Gliom, Bernsteinsäure im
Zysteninhalt eines 431-
Gliosarkomdes Stirn- und Schlä¬
fenlappens 1222.
Globulinvermehrung im Liquor
cerebrospinalis im Kindesal¬
ter 142.
Glomerulonephritis acuta dif¬
fusa eine primäre Gefäßaffek¬
tion? 465-
Glomerusmembran, Permeabi¬
lität für stereoisomere Zucker
399-
Glomerulusschlingen, Mem¬
brana propria 368 .
Glühkathodenröhren in der
Röntgendiagnostik 1314.
Digitized by »oie
Original from
CORNELL UNfVERSrry
XVIII
Glühlichtbehandlung akuter
Erkrankungen, Lampe zur
1090.
Glutäalabszeß, metapneumo¬
nischer 1116 .
Glutäalklonus, diagnostische
Bedeutung 1056.
Glykämie, kohlenhydratreiche
Nahrungsmittel und 755*
Glykosurie, alimentäre — als
diagnostische Probe 571.
— der Neugeborenen 746.
—, Tcünstlich erzeugte — und
Frühdiagnose der Gravidi¬
tät 850. 1340.
—, Schwangerschafts- und
Menstruations- 371-
Glysanin 74.
Glyzerinpepsin Grübler, Wir¬
kung bei Säuglingen 1011.
Goercke, Joh. 987-
Goldbehandlung der Tuber¬
kulose 487. 900.
Gonokokken, Transport durch
Sperma tozoen 1028.
—, Praeputium clitoridis und
468.
Gonokokokkenkulturen, färbe¬
rische Versuche über die
Degeneration von — und
Gonovakzine 1068.
Gonorrhoe, Abortivbehandlung
677-
—, therapeutischer Versuch
bei 1313.
— Wert der inneren Behand¬
lung 1443.
—, neues Prinzip der Behand¬
lung 1531-
—, Argochrom bei 571-
—, Argoproton bei 1528.
—, chirurgische Behandlung
677-
—, Merlusan bei 956.
—> Pellogon bei 746.
—, Ponndorfsche Impfung bei
1223 .
—, Rivanol bei 769.
• —, Terogon bei 1286.
—, Traubenzuckerinjektionen
intravenös bei 1326 . 1 596.
—, Desinfektion der Uretlya
bei 1508.
—, Yatren bei 502.
— und Appendizitis, die beiden
häufigsten Ursachen der chro¬
nischen Entzündungen der
Tuben und Ovarien 798. 942.
1316.
— der Frau 1361 .
-, Provokation laten¬
ter 274.
-—, Vakzinediagnostik
und -therapie des aszendie-
renden 241.
-, Behandlung 1058.
-, Biersche Stauung u.
Vakzinebehandlung 1528 .
-, Cholevaltamponade
des Uterus bei 336.
-, intravenöse Behand¬
lung 468. 958. 990. 1186 .
Kollargolinjek-
tionen bei 978.
— — —, — Trypaflavinbe-
handlung 1021 .
-, Thermopenetration
bei 902.
-, Heizsondenbehand¬
lung 746.
-, Behandlung mit Zel¬
luloidkapseln 746. 956.
— — Kinder, Rektalbefunde
bei 1285.
Gonorrhoische Hautmetastasen
372.
Gradeinteilung, einheitliche
1679.
Granulom mykotischen Ur¬
sprungs, in Südamerika vor¬
kommend 1525 .
Granulozytensystem, gangrä-
neszierende Prozesse und De¬
fekt 1495-
Greffes testiculaires, von V 0 r o -
noff 1713 .
Grenzfälle der Chirurgie und
Gynäkologie 575-
Grippkallen 1056 . 1526.
Größenwahn, Psychologie des
paralytischen 1184.
Großfernfeldbestrahlung, zur
Technik 567 .
Großhirnfunktion, Wiederher¬
stellbarkeit 1088. 1116.
Großhirnrinde, Zellgehalt 237.
—, Topik 1600.
Gruber-Widalreaktion, diagno¬
stische Verwertbarkeit 239-
-, Hemmung durch Ma¬
sern 1010.
-im Säuglingsalter 372 .
Grünfärbung bei Säuglings¬
stühlen 208. 310.
Guanidintoxikosen 927 .
Gummi-Kochsalzlösung, Wir¬
kung 1218 .
Gummihandschuh, Student und
76.
Gutachten, säumige Erstattung
1684.
Gutachtenzwecke, operative
Eingriffe zu 71-
Gutzmann, H. f 1656.
Gymnastik als Vorbeugungs¬
und Heilmittel 1054.
Gynäkologie, von v. Jaschke
1493-
—, chirurgische Aera in der
676 .
Gynäkologische Ausbildung,
Grundlagen, von Linde-
mann 538.
Gynatresie, seltene 473.
Gynergen bei Atonia uteri 371 -
H.
Haarausfall s. Alopezie.
Haargefäßwand, Durchlässig¬
keit 368.
Haarkrankheiten, Lehrbuch,
von Joseph 436.
— und Glatze, von Thede-
ring 1462.
—, Röntgenreizdosis und 1462.
Haarwuchs, Behandlung nach
Zuntz und Kapp bei schwa¬
chem 161.
Habitus, praktische Bedeu¬
tung der Lehre vom 333-
— asthenicus und seine Be-
ziehu igen zu den Brustorga¬
nen 641.
— der Zwerge 641.
Habitusformen des Schul¬
alters 1493-
Haeckel und sein Nachfolger,
Prof. Dr. Plate, von Schmidt
137-
—, Untersuchung des Gehirns
von 1080.
Hämagglutination, Wesen und
Bedeutung 756.
—, Bedeutung der gruppen¬
weisen — für die freie Trans¬
plantation und über Verän¬
derung der Agglutinations¬
gruppen durch Medika¬
mente, Narkose, Röntgenbe¬
strahlung 85.
— und Bakterienagglutination
als Diagnostikum 814.
— und Veränderungen der Ag¬
glutinationsgruppen durch
Medikamente, Narkose und
Röntgenstnhlen 1293-
INHALTSVERZEICHNIS
Hämatin im Blut, diagnostische
Bedeutung 711.
Hämatoidin 1491.
Hämatologische Technik, von
Schridde und Nägeli 604.
Hämatome bei der Geburt, pa-
rametrane und subperitone¬
ale 139-
Hämaturie und Appendizitis
501 . 1526.
— nach Natriumbromid bei
Pyelo- und Zystoradio-
graphie 1714.
—, Nierendekapsulation bei
renaler 918 .
Hämochromogenkristalle, Dar¬
stellung nach Takayama 271 -
Hämoglobin beim gesunden und
blutkranken Menschen 1291.
—, Verteilung auf die Ober¬
fläche der Erythrozyten 887-
‘1225.
Hämoglobinbestimmungen
nach Sahli und Autenrieth
Königsberger 591 .
Hämoglobinurie, Kälte- 240.
—, unspezifisch wirkende Salz
lösungen bei Kälte 172 .
—, paroxysmale — und Sy¬
philis 172 .
—, hämoklasische Krise und
paroxysmale 786 .
Hämogramm in der Tropen-
praxis 1402.
Hämokavernom, Fall von sub¬
kutanem und subfaszialem
1435-
Hämoklasische Krise 1323 .
-und grüne Benzaldehyd¬
reaktion im Harn 674.
-als Leberfunktionsprü¬
fung 678 .
Hämolyse, intravitale 367-
— durch Phenolphthalein 1311
Hämolysinbildung nach Milz¬
exstirpation 367 .
Hämophilie, Pseudohämophilie
und exsudative Diathese,
neuere Anschauungen über
1329.
— und Mineralstoffwechsel
206.
Hämoptoe, Behandlung 1594.
— s. auch Lungenblutungen.
Hämorrhoidalleiden, das, von
Boas 1594.
Hämosiderosis bei den Ernäh¬
rungsstörungen der Säug¬
linge 781 .
Händedesinfektion mit Iso¬
propylalkohol 68.
— mit „vergälltem“ Alkohol
1572 .
Hagedorn-Nadelhalter in Bo¬
genform 76 .
Hallux valgus 1433*
Hals-, Nasen- und Ohrenarzt,
der praktische, von Panse
1058.
Halsdrüsentuberkulose * Fall
888 .
Halsgeschwülste, kongenitale
1332.
Halslymphdrüsentuberkulose,
experimentelle Erzeugung
der — durch orale und kon-
junktivale Infektion 1096 . |
Halsmuskelkrampf und Tor¬
sionsspasmus 272. 648.
—, progressiver 1607 .
Halsreflexe und Vestibular-
reaktion 1090.
Halsrippe, doppelseitige 341.
Halsrippen 975.
--» Topographie 1117-
Halssympathilcusreizung 851 -
Halswirbel, Irrtumsquelle bei I
Röntgenaufnahme der obe¬
ren — durch den offenen ]
Mund 881 .
Halswirbelanomalie 1714.
Halswirbelbrüche 1691 .
Halswirbel Verletzungen 180.
Haramerfingerperkussion 11 16 .
Hand, die hypogenitale 109-
— in der Zitherspielerstellung
für die röntgenologische Dar¬
stellung 239.
Handgelenk, Spontanverren¬
kung 1220.
Handwurzelknochen, Fraktu¬
ren und Höhlenbildung 681.
Harn, Aldehydreaktion im —
nach peroraler Zufuhr von
Chlorophyll 989 .
—, Amylase bestimmungim 567 .
—, Mikroverfahren zur ge¬
trennten quantitativen Be¬
stimmung von Azeton und
/?-Oxybuttersäure 674.
—, Bilirubinkristalle im — bei
Ikterus 453.
—, Ausscheidung kristallini¬
schen Cholesterins im 994 .
—, Modifikation der Jod-
Gallenfarbstoffprobe im 642.
—, Kalkzylinder im Säug¬
lings- 852.
-—, Anreicherung zum Nach¬
weis von Keimen im 432.
—, Kolloidchemie 707-
—, Kolloidgehalt 105 .
—, Leukozytennachweis im
695.
—, Nachweis von Leuzin und
Tyrosin im 848.
—, Bestimmung des spezifi¬
schen Gewichts kleiner Men¬
gen 880.
—, Bedeutung der Stalagmone
des — für die Prognose inne¬
rer Erkrankungen 567«
—, stalagmometrische Unter¬
suchungen 1185 .
—, Bestimmung des Gesamt¬
stickstoffs im 1182 .
—, Tagesschwankungen des
Urobilingehaltes 245- 705.
— Neugeborener, Zucker im
1596.
Hamapparat, Diagnose und
Behandlung der Blutungen
aus dem 1480.
Hamazidität und CO a • Span¬
nung im arteriellen Blute
788.
Hameisen und Nierenfunktion
567-
Harngallensäure, Bedeutung
für Klinik und Pathologie
646.
Harninkontinenz, Operation bei
107 . 140.
—, Goebell-Stoeckelsche Ope¬
ration 1186 .
Harnorgane, röntgenologische
Fortschritte im Bereiche der
Physiologie, Pathologie und
Diagnostik 676 .
—, Schußverletzungen der un¬
teren 709.
—, Terpichin bei entzündlichen
Erkrankungen 709.
Harnretention, Nephrostomie
bei akuter 1124.
-— bei myomatösem Uterus
1124.
Harnröhre, Desinfektion der
gonorrhoischen 1508.
—, Dilatatio e coitu 140.
—, Dilatation ohne Ende 676.
—, Durchleuchtung 1361.
—, Veränderungen der männ¬
lichen —im Röntgenbilde 76 .
Hamröhrendefekte, Mobilisa¬
tion des Penis bei 1117 .
Hamrohreninsuffizienz, behal¬
ten die bei — transplantier¬
ten Levatorbündel ihre funk-
tionelle Tätigkeit? 821 .
Hamröhrenkrebs, Ausrottung
unter zeitweiligem Aufklap¬
pen der Schoßfuge 140.
Harnröhrenspiegel, Aenderung
am Valentinschen 402. 918 .
Harnröhrenwulst, Anatomie u.
Histologie des weiblichen
140.
Harnsäure, Verhalten im Blut
und Ham 755- 1531*
— im Blut, kolorimetrische
Methoden zur Bestimmung
1623 .
—, Verhalten in Eiweißlösun¬
gen 1019 .
—, enterotropische 1292.
—, Schicksal gehäuft injizierter
1623 .
—, Ambardsche Konstante
1688 .
Hamsäureausscheidung, endo¬
gene — bei Lebererkrankun¬
gen 756.
— unter Einfluß subkutaner
Adrenalingaben 755-
Harnsäuregehalt in der Körper¬
flüssigkeit 1224.
Harnsäurekolloid und über¬
sättigte Hamsäurelösungen,
physikochemische Gesetz¬
mäßigkeiten 333 .
Hamsäurestoffwechsel, zur Pa¬
thologie und Pharmako¬
logie 1224.
Harnsediment, Alizarinfärbung
des — als Diagnostikum in
der internen Medizin 1035.
Harnsteine, Durchlässigkeit für
Röntgenstrahlen 440.
Harnstoff, Apparat zur Be¬
stimmung des — in kleinen
Blutmengen und in orga¬
nischen Sekreten 1278.
Harnstoffreaktion, neue 814.
Harnuntersuchung, Irrtümer
der chemischen 229.
Harnverhaltung ohne nachweis¬
bare Ursachen 357.
—, intravenöse Urotropininjek¬
tionen gegen postoperative
43. 139-
Hamwrge, Reaktion z. Nach¬
weise infizierter 1256. 1534.
—, Steinerkrankungen 1721.
Hasenscharte, Fall doppelter
107 .
— und Kieferspalten, Opera¬
tion 336.
Hasenschartenoperationen, Na¬
senkorrektur bei 467 .
Hausindustrie, Krankheitsfol-
gen einer 208.
Haustiere, Lehrbuch der kli¬
nischen Diagnostik der in
neren Krankheiten, von Ma¬
rek 1147 .
Haut, Vorlesungen über Phar¬
ma kologie der, von L u i t h 1 e n
74.
—,' Schädigungen durch Beruf
und gewerbliche Arbeit, von
Oppenheim, Rille u. Ull-
mann 1689 .
—, Wirkung kohlensaurer Bä¬
der auf die innersekretorische
Funktion 544.
—, die Chromatophoren in der
269 .
— und Gesamtorganismus 274.
—, Giftempfindlichkeit der : —
tuberkulöser und tuberku¬
losefreier Menschen 1672.
Digitized by Google
Origmal frorri
CORNELL UNfVERSITY
INHALTSVERZEICHNIS
XIX
Haut, Gitterfasern in normaler
399.
—, Karzinom und Bronce-
ftrbung 1255-
—, Oedemi proprium 1118 .
—, Papillomatosis 510.
—, Röntgenhypersensibilität,
besonders bei innersekre¬
torischen Störungen 1134.
— Sareoma haemorrhagicum
308.
—, Beeinflussung der Schmerz¬
empfindlichkeit durch Quarz¬
lampenbestrahlung 568.
—, vagotonische Manifesta¬
tion an der — und uratische
Diathese 433 .
Hautabzesse, Behandlung 1495-
Hautbeschaffung aus Mamma,
Präputium usw. 917 .
Hautblutungen nach Salvarsan
1361 .
Hautdermoid, Karzinoment¬
wicklung in einem 1123 .
Haut- und Tuberkuloseimmu-
nitit 400.
Hautjucken bei multipler Blut¬
drüsenerkrankung 643-
Hautkapillaren. Morphologie
und Topographie 499.
Hautknopflöcher, vorüberge¬
hender Verschluß der Kör¬
peröffnungen durch 467- 647-
918 .
Hautkrankheiten, Lehrbuch,
von Joseph 571-
— und Geschlechtskrankhei¬
ten, Leitfaden der Pflege bei,
von Oppenheim 1732 .
— und Syphilis im Säugtings-
und Kindesalter. von Fin¬
ke f stein, Galewsky und
Halberstaedter 746.
—, chemische Blutbeschaffen¬
heit bei 403 .
— auf nervöser Basis 1564.
—, intravenöse Behandlung
juckender 108 .
Hautkrebs, Röntgenbehand¬
lung 176 .
H autmetastasen, gonorrhoische
372.
Haut gment in Lymphdrüsen
399-
Hautreaktionen,spezifische und
unspezifische nach v. Groer-
Hecht 783 .
—, diagnostische — bei Säug¬
lingen 1689-
Hautschrift, ikterische 593.
Haut tuberkulöse, Typus der
Tutx-rkelbazillen bei 821.
—, neue Intrakutane Reaktion
bei 40.
—, intrakutane Behandlung
746.
—. Infektionsmethode des Tu¬
berkulins bei 274. 436.
—, Trypaflavin bei 6 77.
—, Tuberkulomuzin bei 576.
Hauttumoren, leukämische 246.
Hau twassera bga be, rela ti ve
Luftfeuchtigkeit und un-
merkliche 535-
Headsche Zonen, Bedeutung
und Lokalisation 614.
Hebamme, Anklage gegen eine
— »egen fahrlässiger Tötung
1220 .
—. Unzuverlässigkeit einer
1799.
Hebammen, Ausbildung 1027-
Hebammengesetz 1027-
—, das neue preußische 1051-
Hehimmenwesen, zum preus-
stschen Entwurf eines Ge¬
setzes über dis 57**
Hebeapparat 1056 .
Hechtsche Reaktion 1116 .
Hefe und Hefepräparate, Sekre¬
tingehalt 1460.
-Hefeextrakt, Bedeutung
für die Ernährung 1582.
Hefeextrakt und Fleischextrakt
1428.
Heftplasterdermatitis 608.
Heilgymnastische Anstalt in
einer Gewehrfabrik 876.
Heilgymnastischer Unterricht
für körperlich minderwertige
Schulkinder 74.
Heilkunde, deutsche — vom
Anfang des 19- Jahrhunderts
. 1357-
Heilmittel, nicht zündende Sub¬
kutaninjektion entzündlich
wirkender 1243.
Heilturnen mit schultumbe-
freiten und asthenischen Kin¬
dern 623.
Heiraten Schwerlungenkranker
923-
Heiratszeugnis, ärztliches 611.
612.
— s. auch Ehekonsens.
Heliobrom 1703.
Heliotherapie, intermittierende
466.
Helleborein, Wirkung von dia-
zetiliertem — auf das Frosch¬
herz 498.
Hel.nholtz als Physiker, Physio¬
loge und Philosoph, von
Warburg, Rubner und
Schick 1561 .
Helminthen und Appendizitis
302 .
Hemeralopie, ererbte idiopa¬
thische 440.
Hemianopsie bei Encephalitis
lethargica 75-
Hemiatrophia fariei n. Keuch
husten 995-
Hemichorea, Fall 276-
Hemimikrosomie, Fall von
245-
Hemiplegie, linkseitige Apraxie
bei rechtseitiger 1368.
Hemiplegien, vasomotorische
Störungen bei zerebralen 467.
Hemiplegischer Arm, seltene
Bewegungsstörung im 1368 .
Hemisphäre, rechte — und das
Handeln 1264.
Hepatikusdrainage 11 85-
Hepatopexie mittels Le’ber-
stützung 1149.
d’Hdrellesche Bakteriophagen,
Natur der 383.
-, Nachweis 603 .
d'H6rellesches Phänomen 1 37-
988. 1066. 1218. 1533- 1734.
-von Bedeutung für die
Chirurgie? 756.
Hermaphroditismus als inner¬
sekretorische Störung 853-
Hernien bei Kindern, wann zu
operieren? 1361 .
—, Entstehung und Beurtei¬
lung der Kriegs- 1022.
Hemia cruralis, Radikalopera¬
tion mittels plastischer Ver¬
wendung des Uterus 990.
— diaphragmatica 707 .
-incarcerata 650.
-, Diagnose und Opera¬
tion 1056 .
-spuria 145 . 474-
-nach Schußverletz¬
ung 273 .
-, traumatische 509-
-und Evtntntio diaphrag¬
matica, rönfg erJO |ogische Dif-
fercnt}*ldjag nose zwischen
Hernia encystica 472.
— epigastrica, Beziehungen zu
den ulzerösen Prozessen am
Magen und Duodenum 1526 .
— femoralis, Kummersche Ope¬
ration 402.
— inguinalis, Gleitbruch der
Appendix mit Netzadhäsio¬
nen in einer 1429-
-, Peritonealverschluß ohne
Kanalnaht oder Bassini bei
schräger 1149-
-directa incarcerata 850.
-, Darmzerreißung durch
Reposition 850 .
-und Harnblase 918 .
-, Operation der schrä¬
gen 501 .
-, Modifikation der Ope¬
ration nach Bassini-Hacken -
bruch 850.
-, Rezidive nach Bassini
676 .
-, Radikaloperation mit¬
tels plastischer Verwendung
des Uterus 990 -
— obturatoria, Inkarzeration
1185-
-, Operation der einge¬
klemmten 206.
Herpes castrationis 1226.
— corneae 1156 .
— febrilis und Encephalitis
epidemica, Zusammenhänge
zwischen dem Virus 1256 .
— genitalis, Übertragbarkeit
auf Kaninchen 1182.
— zoster, doppelseitiger 605 .
-, Uebertragbarkeit auf
Kaninchen 238 .
-im ' Zervikalgebiet, Ok¬
tavusneuritis und 77-
Herpesvirus, Uebertragbarkeit
auf Ratten 1702.
Hertwig, O. f 1^57.
Herz, der funktionelle Bau des,
• von Koch 1623 .
—, atrioventrikuläre Automa¬
tic 789-
—, Dynamik bei Dilatation
und Behandlung des Lungen¬
ödems 401.
—, Drehung bei Zwerchfell¬
hochstand 1257-
—, Beeinflussung durch die
normalen Funktionen des
Organismus 138 .
-, Nahrungs-, Genu߬
mittel und Gewürze 604.
—, zur Ernährungsphysiologie
des überlebenden Warmblü¬
ter- 789-
—, Wirkung von Organextrak¬
ten auf das isolierte Warm¬
blüter- 789-
—, Kalziumwirkung am 789 .
—- im Kindesalter 40.
—, Beziehungen zwischen
Kropf und 1394.
—, Beurteilung der Leistungs¬
fähigkeit vor dem Tode 73-
—, ist das hypoplastische —
einer kompensatorischen
Hypertrophie fähig? 788 .
—, Mühlengeräusch 1594.
—, Reflexe vom Mesenterium
auf das 1711-
—, neurogene Hemmung hete-
rotoger Reizbildung im 788 .
—, Röntgenfunktionsprüfung
499- 1054.
—, starke Erweiterung des Si¬
nus coronarius mit Insuffizi¬
enz der Valvula Thebesii
1019-
—, Schädigung durch Stark¬
ströme 953-
Herz, der Gefäßpartien, Tiefen¬
lage der im Orthodiagramm-
randbildenden 75 .
—, Herzaneurysma, Röntgenbe¬
fund bei chronischen 499-
Herzbeschwerden bei sub- und
anaziden Zuständen des Ma¬
gens 675-
Herzbeutel, Granatsplitter¬
steckschuß im 474.
—, reine Synechie und plasti¬
scher Ersatz 955-
Herzblock, Kind mit partiellem
atrioventrikulären 995 .
— mit Adams-Stokesschen An¬
fällen 1628-
Herzdivertikel in angeborenem
Bauchspaltenbruch — 118 .
Herzerweiterung, Mechanismus
246.
Herzfehler, Ursache 175-
— und Schwangerschaft 173-
303.
Herzfrequenz, Temperaturstei¬
gerung und 987-
—, Abkühlung und 897-
Herzfunktion, Prüfung mittels
der plethysmographischen Ar¬
beitskurve 916 . 1087 .
Herzgeräusche, akzidentelle
650. 1325 .
Herzgiftwirkungen und Kalzi¬
um 1712 .
Herzgröße und Blutgefäßfül*
lung 205 .
—, röntge nologische Bestim¬
mung 675 .
Herzhypertrophie und -dilata-
tion im Röntgenbilde 334.
Herzinsuffizienz und ihre Di¬
gitalistherapie 1675.
—, chronische Postikusläh¬
mung und 171 3*
Herzkammerflimmem, Bedin¬
gungen 1394.
Herzklappenzerreißungen, zur
Kasuistik 229.
Herzklopfen bei Mitralstenose
1359-
Herzkranke, Blutdruck bei
Dyspnoe der 621.
Herzkrampf 1394.
Herzkrankheiten, Bedeutung
der plethysmographischen
■ Funktionsprüfung bei 894.
—, Chinin- Digitalis bei 414.448.
— u. Gefäßkrankheiten, Elek¬
trotherapie 404.
—, Zuckerbehandlung 650.
—, hypertonische Trauben¬
zuckerlösungen bei organi¬
schen 1020 . 1369 . 1396.
—, Invertzucker bei 1276.
Herzmassage, direkte 273-
—- bei Wegbleiben der Kinder
304.
Herzmißbildungen, Phyloge¬
nese der Septierung des
Wirbeltierherzens und deren
Bedeutung für die Erklärung
der 1054.
Herzmittel, Prüfung 498.
—, elektrodiagraphische Un¬
tersuchungen bei Anwendung
verschiedener 789 .
Herzmuskel, postmortale Säu¬
rebildung und Totenstarre
im 781 .
Herzmuskelschädigungen durch
mittelbare Verletzungen im
Kriege 1 593-
Herzmuskeltonus, Nachweis
auf elektrographischem Wege
789-
Herznerven, Beeinflussung der
Funktion der extrakardialen
— durch Aenderungen der
Blutzirkulation im Gehim788.
Herznerven, Mißbildungen
1567-
Herznervenenden, Erregbar¬
keit der sympathischen 237 -
Herznerven Wirkungen, humo¬
rale Uebertragbarkeit 203 .
237. 567-
Herzreflex vom R. auricu-
laris n. vagi 1115 -
Herzschatten, doppelte Kontu¬
rierung im Röntgenbilde bei
Perikarditis 499-
Herztätigkeit, Beeinflussung
durch intravenöse Trauben¬
zuckerinfusion 205 .
Herztöne, Beurteilung künst¬
licher 139 .
—, die normalen — und ihre
Beziehungen zum Elektro¬
kardiogramm 643.
— im Kindesalter, Intensität
991.
Herzvarizen 399-
Heufieber, Palliativverfahren
662 .
i Heufieberkonjunktivitis, Afenil
bei 818 .
Hilfsschule in Gefahr! 1060.
—, Untersuchung von Hilfs-
schulkindem vor Aufnahme
in die 1060.
— endogene und exogene Fak¬
toren bei Kindern der 241.
Hilfsschulkinder, klinisch-päd¬
agogische Prüfungen bei 677 .
Hinken, Klinik und Therapie
des intermittierenden 205 .
1600 .
H-Ionenkonzentration als Aus¬
druck der wahren Azidität
466.
-, intrakutane Injektion
abgestumpfter 431.
Hippokratische Heilkunde 669 .
701. 738. 778, Vorlesungen
über, von Hirschberg 1459-
Hippursäureausscheidung bei
Schrumpfniere 110 .
Hippus bei beiderseitiger
Ophthalmoplegia interna 995 .
Hirn s. Gehirn.
Hirschsprungsche Krankheit
885.
--, Aetiologie 815-
-, Fälle 1124.
Histologie, Lehrbuch, von
Stöhr 1255-
— und mikroskopische Anato¬
mie, Lehrbuch, von Szymo-
nowicz 137 , von Petersen
1181 .
-Histogenese, Lehrbuch,
von Schaffer 1491.
—, pathologische, von Borst
1181 .
Hitzeschädigungen der Säug¬
linge 1361 .
Hochdrucktachykardie 401.
Hochfrequenz, Kompendium
der. von Schnee 432.
Hochgebirge, Blut im 105 .
—, Wirkung bei Gesunden
674.
—, Wirkunjgen auf Blut und
Flüssigkeitsaustausch zwi¬
schen Blut und Geweben
269-
—, Blutbild der Tuberkulose
im 569-
—, Serumeiweiß- Untersuchun¬
gen im 269-
Hochschulnachrichten:
1 . Amtsniederlegungen von:
Prof. Dr. v. Luschan (Ber¬
lin) 986 .
Geh. Med.-Rat Prof. Dr.
Rubner (Berlin) 846.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTy
XX
INHALTSVERZEICHNIS
2. Berufungen und Ernennun¬
gen von:
Prof. Dr. Ach (Königsberg)
1052.
Prof. Dr. Ackermann
(Würzburg) 36 .
Geh. - Med. - R. Dr. Alter
(Düsseldorf) 1114.
Priv.-Doz. Dr. Amersbach
(Freiburg) 104.
Priv.-Doz. Dr. Amsle(Wien)
72.
Priv.-Doz. Reg.-R. Dr. An-
selmino (Berlin) 952.
Prof. Dr. Aßmann (Leipzig)
846.
Priv.-Doz. Dr. Atzler (Ber¬
lin) 72.
Priv.-Doz. Dr. Baer (Frank¬
furt a. M.) 430.
Priv.-Doz. Dr. Baerthlein
(Würzburg) 300 .
Prof. Dr. Barth (Leipzig)
464.
Prof. Dr. Bayer (Innsbruck)
1052.
Prof. Dr. Becker (Greifs¬
wald) 640.
Prof. Dr. Beitzke (Düssel¬
dorf) 1392.
Priv.-Doz. Dr. Belohrads-
ky (Prag) 1524.
Priv.-Doz. Dr. Beltz (Köln)
1622 .
Prof. Dr. Berblinger (Kiel)
1254.
Geh. Med.-R. Prof. Dr.
Bielschowsky (Marburg)
1146.
Priv.-Doz. Dr. Blühdorn
(Göttingen) 366 .
Priv.-Doz. Dr. Blumenthal
(Berlin) 72.
Priv.-Doz. Dr. Böker (Frei¬
burg) 104. 1114.
Priv.-Doz. Dr. Böttner (Kö¬
nigsberg) 672.
Priv.-Doz. Dr. Bosse rt
(Breslau) 640.
Priv.-Doz. Dr. Braun-
schweig (Halle) 36 .
Prof. Dr. Brock (Erlangen)
' 704.
Priv.-Doz. Dr. Brodersen
(Hamburg) 268.
Priv.-Doz. Dr. Broemser
(München) 1458.
Priv.-Doz. Dr. Brüning
(Berlin) 72 .
Prof. Dr. Bruns (Göttingen)
366. 496.
Priv.-Doz. Dr. Bürger (Kiel)
1524.
Priv.-Doz. Dr. Burkard
(Graz) 366 .
Prof. Dr. zum Busch (Mün¬
chen) 1322 .
Prof. Dr. Capelle (Mün¬
chen) 742.
Priv.-Doz. Dr. Clausen
(Halle) 36.
Prof. Dr. Dessauer (Frank¬
furt a. M.) 1146.
Prof. Dr. Dittler (Marburg)
1490.
Priv.-Doz. Dr. Dorner
(Leipzig) 846.
Priv.-Doz. Dr. Drachter j
(München) 1458. j
Prof. Dr. Dürken (Breslau) 1
640.
Priv.-Doz. Dr. Eckert (Ber- :
lin) 952.
Prof. Dr. v. Egge 1 ing (Jena) I
430.
Prof.' Dr. v. Eicken (Gies- j
sen) 202. !
Prof. Dr. Eisler (Wien) 742. 1
Priv.-Doz. Dr. Elz (Bonn)
398.
Prof. Dr. Euler (Göttingen)
300 .
Prof. Dr. Fischer (Bonn)
464.
Prof. Dr. Fischl (Prag)
1392. j
Prof. Dr. Frankel (Ham-1
bürg) 812. j
Priv.-Doz. Dr. Frese (Halle)
36.
Priv.-Doz. Dr. Freuden-!
berg (Heidelberg). 72 .
Priv.-Doz. Dr. Freund
(Heidelberg) 72 .
Prof. Dr. Fröhlich (Wien)
1426.
Prof. Dr. Frühwald (Leip¬
zig) 1524.
Prof. Dr. Fründ (Bonn) 36 .
1254.
Prof. Dr. Ganss (Freiburg)
846.
Priv.-Doz. Dr. Ganter
(Würzburg) 104.
Doz. Dr. di Gaspero (Graz)
1622.
Priv.-Doz. Dr. Gold-
schmid (Frankfurt a. M.)
534-
Priv.-Doz. Dr. Gold-
schmidt (Leipzig) 136 .
Prof. Dr. Goldstein (Frank¬
furt a. M.) 1146.
Priv.-Doz. Dr. Gräff (Hei¬
delberg) 1524.
Dr. Greve (Erlangen) 104.
Priv.-Doz. Dr. Grund
(Halle) 36 .
Priv.-Doz. Dr.Güttich(Ber-
lin) 72 .
Priv.-Doz. Dr. Guggenhei-
mer (Berlin) 72 .
Priv.-Doz. Dr. Haasler
(Halle) 36.
Prof. Dr. Habermann
(Graz) 812.
Z.-A. Hacke (Köln) 1458.
Prof. Dr. Hagen (Christi-
ania) 72 .
Geh. Med.-R. Prof. Dr.
Hahn (Freiburg) 672 .
Prof. Dr. Hedinger (Basel)
672 .
Prof. Dr. Heiderich (Bonn)
640.
Prof. Dr. Heine (München)
1322.
Prof. Dr. Heinemann(Ham-
burg) 812.
Priv.-Doz. Dr. Henning
(Frankfurt a. M.) 332 .
Dr. Henze (Innsbruck) 72 .
Priv.-Doz. Dr. Hertwig
(Berlin) 1290 .
Priv.-Doz. Dr. Hertwig
(Rostock) 1658.
Priv.-Doz. Dr. Hess (Köln)
1622 .
Priv.-Doz. Dr.Hilgenreiner
(Prag) 1180.
Geh. Med.-R. Prof. Dr. Hof-
mann (Marburg) 11 46.
Priv.-Doz. Dr. Hübotter
(Berlin) 72 .
Prof. Dr. v. Illyds (Buda¬
pest) 1426.
Priv.-Doz. Dr. J aff £ (Frank¬
furt a. M.) 534 .
Dr. Jagic (Wien) 1322 .
Priv.-Doz. Dr. Jahnel
(Frankfurt a. M.) 534.
Prof. Dr. Jedlicka (Prag)
986 . 1082 .
Priv.-Doz. Dr. Jehn (Mün¬
chen) 1458.
Priv.-Doz. Dr. Joachimo-
glu (Berlin) 72.
Minister.-Rat Prof. Dr.
Juckenack (Berlin) 430.
Priv.-Doz. Dr. Jungmann
(Berlin) 72 .
Priv.-Doz. Dr. Kauffmann
(Halle) 36 .
Priv.-Doz. Dr. Kehl (Mar¬
burg) 1052 .
Prof. Dr. Keibel (Königs¬
berg) 104.
Priv.-Doz. Dr. Kisch (Ber¬
lin) 72 .
Priv.-Doz. Dr. Kisch (Köln)
1622.
Priv.-Doz. Dr. Klee (Mün¬
chen) 1458.
Dr. Klestadt (Breslau)l254.
Prof. Dr. Klughardt (Jena)
1622.
Ob.-Med.-R. Prof. Dr.
Kockel (Leipzig) 914.
Dr. Koehler (Jena) 1180 .
Geh. Med.-R. Prof. Dr.
Köllicker (Leipzig) 914.
Priv.-Doz. Dr. Kohlrausch
(Berlin) 72 .
Priv.-Doz. Dr. Kotzenberg
(Hamburg) 268.
Prof. Dr. Knaffl-Lenz
(Wien) 742.
Priv.-Doz. Dr. K ra n z( Frank¬
furt a. M.) 1458.
Priv.-Doz. Dr. Kranz (Mün¬
chen) 1426.
Priv.-Doz. Dr. Krause (Ro¬
stock) 202 .
Dr. Kremer (Bonn) 1254.
Prof. Dr. K r e u t e r (Erlangen)
704. 952.
Priv.-Doz. Dri Krisch
(Greifswald) 914.
Priv.-Doz. Dr. Kuc$ra(Preß-
burg) 1622 .
Priv.-Doz. Dr. Kuffler(Ber¬
lin) 72 .
Priv.-Doz. Dr. Kuznitzky
(Breslau) 332.
Dr. Lahm (Dresden) 496.
Priv.-Doz. Dr. Laker (Graz)
672 .
Prof. Dr. Laubenheimer
(Heidelberg) 1458.
Priv.-Doz. Dr. La über
(Wien) 986.
Priv.-Doz. Dr. Leine r
(Wien) 986.
Priv.-Doz. Dr. Leupold
(Würzburg) 104.
Priv.-Doz. Dr. v. Lichten¬
berg (Berlin) 72 .
Priv.-Doz. Dr. Lindig
(Freiburg) 104.
Priv.-Doz. Dr. Loeiiing
(Halle) 36.
Priv.-Doz. Dr. Loose (Zü¬
rich) 952.
Hof.-R. Prof. Dr. Lorenz
(Innsbruck) 1622.
Priv.-Doz. Dr. Ludwig (Ba¬
sel) 464.
Priv.-Doz. Dr. Lutz (Basel)
1082.
Priv.-Doz. Dr. Lutz (Tübin¬
gen) 118 O.
Prof. Dr. Manasse (Würz¬
burg) 1322 .
Prof. Dr. Manna berg
(Wien) 1458.
Priv.-Doz. Dr. Martin (Ber¬
lin) 72 .
Priv.-Doz. Dr. Martius
(Bonn) 1082.
Priv.-Doz. Dr. Mattau¬
scheck (Wien) 986 .
Prof. Dr. Merkel (Mün¬
chen) 202.
Prof Dr. Meves (Hamburg)
534.
Priv.-Doz. Dr. L. F. Meyer
(Berlin) 72 .
Priv.-Doz. Dr. A. Meyer
(Heidelberg) 72 .
Prof. Dr. v. Möllendorff
(Freiburg) 986 .
Dr. Molitoris (Erlangen)
1254.
Prof. Dr. Moll (Wien) 268.
Priv.-Doz. Dr. Munk (Ber¬
lin) 72.
Dr. Nathan (Frankfurta.M.)
1356.
Prof. Dr. Neuberg (Berlin)
812 .
Geh. Med.-R. Prof. Neu¬
mann (Bonn) 1114 .
Priv.-Doz. Dr. Neumann
(Brünn) 1524.
Dr. Neureiter (Riga) 1490.
Priv.-Doz. Dr. Nonnen¬
bruch (Würzburg) 104.
Priv.-Doz. Dr. Oertel (Köln)
72.
Prof. Dr. Oppikofer (Ba¬
sel) 1458.
Prof. Dr. Pal (Wien) 986 .
Priv.-Doz. Dr. Pflaume r
(Erlangen) 704.
Prof. Dr. Piskacek (Wien)l
268.
Prof. Dr. Pötzl (Prag) 268.
Priv.-Doz. Dr. Pol (Rostock
566 .
Priv.-Doz. Dr. Poppel-
reuter (Bonn) 640.
Priv.-Doz. Dr. Pribram
(Prag) 268.
Priv.-Doz. Dr. Propping
(Frankfurt a. M.) 366 .
Prof. Dr. Pütter (Bonn)
236 . 300 .
Prof. Dr. Redlich (Wien)
986 .
Priv.-Doz. Dr. v. Redwitz
(Heidelberg) 72 .
Dr. Reichert (Jena) 72 .
Priv.-Doz. Dr. Reiß (Frank¬
furt a. M.) 72 .
Prof. Dr. Rietschel (Würz¬
burg) 1322 .
Prof. Dr. Roesle (Jena) 986 .
Priv.-Doz. Dr. Romeis
(München) 1458.
Priv.-Doz. Dr. Rosenow
(Königsberg) 640.
Dr. Rosenthal (Breslau)
1254.
Prof. Dr. Rubeska (Prag)
986. 1082.
Prof. Dr. Ruete (Marburg)
534.
Dr. Ruppert (Frankfurt
a. M.) 104.
Priv.-Doz.Dr. Ruttin(Wien)
986 .
Prof. Dr. Schaxel (Jena)
1592.
Prof. Dr. Scheibe (Erlan¬
gen) 1622.
Prof. Dr. Schlesinger
(Wien) 1458.
Dr. Schnabel (Basel) 72 .
Priv.-Doz. Dr. Schneider
(Köln) 1622.
Prof. Dr. Schön feld (Greifs¬
wald) 640.
Prof. Dr. Schröder (Kiel)
986.
Prof. Dr. Schröder (Ro¬
stock) 1082.
Priv.-Doz. Dr. Schrotten-
bach (Graz) 640.
Priv.-Doz. Dr. Schück(Ber¬
lin) 72.
Gen.-Ob.-St.-A. Dr. Schult
zen (Berlin) 812 .
Priv.-Doz. Dr. Seele rt (Ber
lin) 72 .
Priv.-Doz. Dr. v. Seuffert
(München) 1458.
Priv.-Doz. Dr. Seyfarth
(Leipzig) 1018 . 1114.
Prof. Dr. Siebeck (Heidel
berg) 1622.
Priv.-Doz. Dr. Siefert
(Halle) 36.
Priv.-Doz. Dr. Siegel (Gies¬
sen) 846.
Prof. Dr. Singer (Prag) 268.
Priv.-Doz. Dr. Sioli (Bonn)
1052.
Dr. Slavik (Brünn) 1356.
Prof. Dr. Sonntag (Leipzig)
1180 .
Priv.-Doz. Dr. Sowade
(Halle) 36.
Priv.-Doz. Dr. Springer
(Prag) 268.
Priv.-Doz. Dr. Stephan
(Greifswald) 236 .
Dr. W. Stepp (Gießen) 1290 .
PriV.-Doz. Dr. Stern (Göt
tingen) 268.
Prof. Dr. Sternberg (Wien)
986 .
Geh. Hof-R. Prof. Dr.
Straub (Freiburg) 1290 .
Prof. Dr. Straub (Halle)
136 .
Prof. Dr. v. Stubenrauch
(München) 1392 .
Prof. Dr. Süpfle (München)
742.
Priv.-Doz. Dr. Thannhau
ser (München) 1458.
Priv.-Doz. Dr. Thörner
(Bonn) 1082.
Priv.-Doz. Dr. Thomas
(Köln) 1622.
Prof. Dr. Toennissen (Er¬
langen) 1658.
Priv.-Doz. Dr. Traugott
(Frankfurta.M.) 1458 .
Prof. Dr. Uffenorde (Göt¬
tingen) 812.
Priv.-Doz. Dr. Vahlen
(Halle) 36.
Priv.-Doz. Dr. Vogt (Würz¬
burg) 104.
Prof. Dr. Vorkastner
(Greifswald) 672 .
Prof. Dr. Wagen er (Mar
bürg) 534.
Hof-R. Prof. Dr. Walkhoff
(München) 430.
Priv.-Doz. Dr. Walterhoe
fer (Berlin) 104.
Priv.-Doz. Dr. Weingaert
ner (Berlin) 72 . .
Priv.-Doz. Dr. Weißenberg
(Berlin) 72.
Priv.-Doz. Dr. v. Weisz
äcker (Heidelberg) 72 .
Priv.-Doz. Dr. Wettstein
(Heidelberg) 464.
Priv.-Doz. Dr. Wetzel (Hei
delberg) 332.
Prof. Dr. Zange (Jena) 1052 .
Prof. Dr. Zieler (Würzburg)
1216.
Prof. Dr. Zflkens (Köln)
1458.
Priv.-Doz. Dr. H. Zondek
(Berlin) 72.
3 . Habilitationen von:
Dr. Ascher (Prag) 986 .
Dr. Bachstez (Wien) 332 .
Dr. Bierich (Hamburg )‘430
Dr. Bostroem (Leipzig) 236 .
Dr. Breitner (Wien) 704 .
Dr. Deusch (Rostock) 986 .
Dr. Drügg (Köln) 914 .
Digitized by »oie
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
INHALTSVERZEICHNIS
XXI
Dr. Eggers (Rostock) 300.
Dr. Freund (Wien) 300.
Dr. Fuchs (Wien) 332.
Dr.Gerstminn (Wien) 300.
Dr. Goebel (Jena) 952.
Dr. Gottlieb (W r ien) 170.
Dr. Grauhan (Kiel) 1356.
Dr. Greving (Erlangen)
1082 .
Dr. Groß (Heidelberg) 496.
Dr. Grütz (Kiel) 332.
Dr. Haas (Erlangen) 136.
Dr. Hafferl (Wien) 170.
Dr. Halberstädter (Ber¬
lin) 398 .
Dr. Hauenstein (Erlangen)
366 .
Dr. Hofbauer (Wien) 534 .
Dr. Hoffmann (Tübingen)
268 .
Dr. Hülse (Halle) 1560.
Dr. Jacobi (Jena) 1322.
Dr. Jacobshagen (Leipzig)
430.
Dr. Jessner (Breslau) 1356.
Dr. Kleinschmidt (Heidel¬
berg) 332 .
Dr. Kofler (Wien) 812 .
Dr. Kuczynski (Berlin) 36.
Dr. Lang (Innsbruck) 1322.
Dr. Lange (München) 170.
Dr. Le Blanc (Hamburg)
332 .
Dr. Leichtentritt (Bres¬
lau) 1356 .
Dr. H. F. Le wy (Berlin) 104 .
Dr. Luger (Wien) 300 .
Dr. Martini (München) 170.
Dt. Meyer-Bisch (Göttin¬
gen) 332 .
Dr. Mosler (Berlin) 398 .
Dr. Nidoleczny (München)
170.
Dr. Naegeli (Bonn) 986.
Dr. Odermath (Basel) 430 .
Dr. Oelze (Leipzig) 704 .
Dr. Opitz (Breslau) 1356 .
Dr. Paniperl (Prag) 496.
Dr. Pekelsky (Prag) 986.
Dr. Plesch (Köln) 1254 .
Dr. Pribram (Berlin) 398.
Dr. Re bei (Göttingen) 1114 .
Dr. Renner (Breslau) 366.
Dr. Rösler (Graz) 780.
Dr. Salomon (Berlin) 104 .
Dr. Schach witz (Kiel) 1180 .
Dr. Scherr (Frankfurt a.M.)
300 -
Dr. Schiff (Berlin) 104 .
Dr. Schiffmann (Wien)
1322.
Dr. Schilf (Berlin) L 114 .
Dr. Schlemmer (Wien) 496 .
Dr. Schüttler (Basel) 300 .
Dr. Schmidt (Hamburg)
332.
Dr.Schmidt(München) 300.
Dr.Schwarz (Rostock)300.
Dr. Seitz (Gießen) 236.
Dr.Sgalitzer (Wien) 496 .
Dr. Slawik (Prag) 1180 .
Dr. Staemmler (Göttingen)
1426.
Dr. Lfnverricht (Berlin)
398.
Dt. Wagenseil (Freiburg)
366 .
Dr. Weltmann (Wien) 534 -
Dr. Wolff-Eisner (Berlin)
398-
Dr. S- G- Zondek (Berlin)
1114 .
Hoden, Unterbindung am
—und die „Pubertätsdrüsen-
lehre“, von Tiedje 673 • I
—, Beitrag zur Atrophie des, J
von Goette 673
Hoden, Anomalie bei mangel¬
haftem Deszensus 76 .
—, Chorionepitheliom 498 .
— und Grenzstrang 1712 .
—, Verhalten nach Unterbin¬
dung der Vasa spermatica
1661.
Hoden- und Nebenhodenaffek¬
tionen, Diagnose und Be¬
handlung 1416.
Hodenkarzinom mit Lungen¬
metastasen 1400.
Hodenreduktion, Einfluß auf
die elektrische Erregbarkeit
des peripherischen Nerven¬
systems 813-
Hodentiefstand, rechtseitiger
— und nervöse Blasenbe¬
schwerden 1612.
Hodentransplantation und Ho¬
mosexualität 784.
—, Endergebnisse 1341.
— mit der Leiche entnom¬
menem Hoden 1461.
—, die neuesten Bestrebungen
209 . 676 .
Hodentuberkulose, Röntgen¬
tiefenbehandlung 39 .
Hodentumor als Ursache für
Ehescheidung und Invalidi¬
tät 1690 .
Höhenklima, Kapillarkreislauf¬
beobachtungen im 105 .
—, Einfluß auf den Kapillar¬
kreislauf und Beziehungen
des letzteren zu der in
Höhenlagen beobachteten
Hämoglobin- und Blutkör¬
perchenvermehrung 1119 .
—, Mastkuren im 106 .
— und Ohr 108 .
Höhenkuren, Indikationen 106 .
— und Krankheiten der Ver¬
dauung 107 .
Höhenkurorte und Sing¬
stimme 108.
Höhenschielen, objektive Mes¬
sungen 1156 .
Höhensonne, Antitrypsin bei
Bestrahlung mit künst¬
licher 270 .
—, künstliche — bei Eklampsie
1118.
—,-und Kinderheilkunde
1326.
—,-bei Pemphigus neona¬
torum 1255.
—, Lungenblutungen im An¬
schluß an Bestrahlung mit
der künstlichen 1594.
Höhensonnendosierung 346.
Höhensonnenlicht, Auswer¬
tung in spektralanalytischer i
und mikroskopischer Hin¬
sicht 348.
Hörprüfung 1483.
Hörnervenapparat, Prüfung
mit der c*- Stimmgabel 120.
Hofmeister, F. f 13S4.
Hohlfuß, neue Operation 1124.
Holland, Briefe aus 331. 1656.
Homatropin, Wirkung auf das
'Auge des Säuglings 852.
Homoeopathia involuntaria877.
Homöopathie, Anthroposophie
und 953-
Homosexualität 78 t.
—, Behandlung biochemisch
oder psychisch? von Moll
204.
— Hodentransplantation und
660. 784.
Honorarerhöhung. nachträg¬
liche 1683.
Hordeolum, Behandlung 1451.
Hormone, Einfj u ß auf den
intermediären Stoffwechsel
1296.
Hornerscher Symptomenkom-
plex, Fall 1266.
Hornhaut des Tierauges, Wir¬
kung einiger Chlorderivate
des Methans, Aethans und
Aethylens 1466. 1624.
— des Menschen, Wirkung
des Chloryleninhalationen
1466.
—, rezidivierende Epitheler¬
krankungen 1150 .
—, metaplastische Umwand¬
lung bei Forellenembryonen
607 .
—, Fremdkörpereinreibung,
Transplantation, Wund¬
heilung u. Regeneration 1665 .
—, Schädigung durch Per-
hydrol 607 .
—, indolentes Randfurchen-
geschwür 67 7- 1153-
—, Sensibilität 212.
Hornhautreflex, zur Prüfung
129.
Hornhauttrübungen, ionto-
phoretische Behandlung 241.
Hornhautverkupferung 1595-
Hovatabletten 1460.
Hüftgegend, Verletzungen
1049.
Hüftgelenk, Aetiologie der
Osteoarthritis deformans ju¬
venilis 76 .
—, extraartikuläre Ankylo-
sierung 1624.
! Hüftgelenkerkrankungen 1111.
I —, Bedeutung der Außen¬
rollung bei 744.
Hüftlähmung, Verpflanzung
der Bauchmuskeln bei 1368 .
Hüftgelenksverrenkung,. Häu¬
figkeit der angeborenen 1430 .
—Behandlung der angebore¬
nen 309. 342. 955- 1330.
—,-veralteten angebo¬
renen 1476.
—, Operation bei angebore¬
ner 1462.
—, subtrochantere Osteotomie
bei angeborener 962.
—, Einrenkung bei Erwach¬
senen und der Ileopsoas als
Repositionshindernis 962.
Hueppe, F., zum 70 . Geburts¬
tage 1425.
Hundestaupe, Leukotropien bei
1453.
Hungern vom chirurgischen i
Standpunkt 786 .
Hungerkatastrophe in Ru߬
land 996.
Hungerosteomalazie in Wien
305.
Hungerschmerzen, Genese der
— und ihre Bedeutung für
die Ulkusdiagnose 1257-1526.
Hustentröpfchen und Tuber¬
kuloseinfektion 1116.
Hydrocephalus chronicus bei
Kindern, zwei Fälle 655.
— externus und Geburt 406.
— und die Geburtsleitung bei
Schädellagen hydrozephali-
scher Kinder 606.
— internus, Operationen an
den Plexus chQrioidei und
offene Fensterung des Bal¬
kens bei 538.
Hydronephrose, Entstehung
1117 . 1152.
—, Fall intermittierender 1221.
Hydronephrosenfrage 709-
Hydrops gravidarum 139 . 571.
Hydrozele, Behandlung 1381.
Hydrozelenoperation, Blut¬
stillung nach 107-
Hygiene, von W. Hoffmann
1733
Hygiene, Handbuch, von Rub-
ner, v. Gruber und Ficker
1395.
—, Grundriß, von Flügge 436.
— und Bakteriologie, Repe¬
titorium, von Schürmann
1058.
—, praktische — in der Kinder¬
aufzucht 1733 -
I — im Denken, Urteilen und
! Ausdrücken 502 .
' — Ausschuß des Völkerbun¬
des, Bericht über die Sitzun¬
gen 737.
Hygienische Volksbelehrung,
| zur Frage 1252.
Hygiogenese 1687 .
Hyperemesis gravidarum 1295-
-, Aetiologie und Behand¬
lung 919- 1087 .
-, Wesen 1021 .
-, vorgetäuscht durch Ma¬
genkarzinom 1400.
-, organotherapeutische
Behandlung 1396 .
-, Röntgentherapie 851-
-, Salvarsan bei 39-
[ Hyperfeminismus, experimen¬
teller 953-
i Hyperglykämie bei Krankheits¬
zuständen mit Hochdruck
916.
Hyperglykämiekurve, Bedeu¬
tung der alimentären 369 .
Hyperidrosis, Behandlung 557.
—, Agarical bei 982.
Hyper- u. hypokinetische Stö¬
rungen, Untersuchungen
über 1261 .
Hyperorchidie 402.
Hyperproteinämie nach Ei¬
weißinjektionen 1659-
Hyperfension, zur Aetiologie
789-
—, Gefäßfunktion bei 789-
Hyperthymisation, Folgen 705 .
Hyperthyreosen 420.
— leichteren Grades 537
Hypertonien 717.
—, die wichtigsten 439-
—, Gefäßveränderungen in
Arm- und Beinarterien bei
1339.
— im Klimakterium 1118 .
Hypertonie, pathogene und
essentielle 466.
— und Blutzucker 172 .
—, gefäßverengernde Stoffe im
Blute bei 465-
— im Klimakterium 1293 .
—, Reststickstoffgehalt bei
arteriosklerotischer 239 .
— nach Starkstromunfall 1647.
— und Zuckerkrankheit 106.
643-
—, Behandlung 1596.
—, Balneotherapie 544.
—, physikalische Therapie
544.
Hypertrophie und Atrophie
705-
Hyperventilationstetanie 1 79-
Hypnodonal 604.
Hypnose, Wesen der, von
Schilder 1054 .
—, Suggestion und Erzie¬
hung, von Seeling 916.
— und Suggestion, die Be¬
wußtseinsvorgänge bei, von
Kauffmann 1217 -
-, von Sanders 1732.
-, zur Psychologie der,
von Friedrichs 1322 .
— bei Ausfallserscheinungen
571- 748.
— in Geburtshilfe und Gynä¬
kologie 850- 919- 955-
—, Geburten in 881 . 1028 .
Hypnose, modifizierte Verbal
Suggestion bei 1383.
— gegen den Willen 1317.
Hypnosegeburten und Hypnose¬
narkosen 919 .
Hypnoseverbrechen 675 -
Hypnotische Heilweise und ihre
Technik, von Levy-Suhl
1687-
Hypnotisierbarkeit ohne Wil¬
len 358.
Hypnotismus und Medizin,
von Loewenfeld 1218 .
— und Geistesstörung 210.
Hypocholie, funktionelle 71 1-
Hypogalaktie 245- 403 .
—, Verbreitung 1446.
! Hypokolasie 882.
Hypomochlion, Bezeichnung
— in der Lehre vom Ge¬
burtsmechanismus berech¬
tigt? 919.
Hypophyse, über die 853-
— und Pankreas 1020 .
—, Stellung der Pars inter-
media 1147-
—, zur klinischen Pathologie
854.
—, Röntgenbestrahlung 121 7-
—, Schwangerschaftshypertro¬
phie 540.
—, Veränderungen 538.
—, Weg zur — durch die
Keilbeinhöhle 570 .
Hypophysenerkrankuhg mit
Störung im Wasserhaushalt
1628.
Hypophysenerkrankungen,
Gaswechseluntersuchunge n
bei 853- 1055-
—, respiratorischer Gaswech¬
sel 1413.
Hypophysenextrakt, selbst ge¬
wonnener 1687 .
Hypophysenextrakte, Wehen-
anregung durch 303-
—, Wirkung auf den Wasser¬
haushalt des Frosches 916 .
Hypophysenhinterlappen - Ex¬
trakte, Gehalt an uterus¬
erregenden Substanzen 271 -
Hypophysenpräparate, Wert¬
bestimmung einiger 854.
—, Gefahren bei Anwendung
1359-
Hypophysistumor, operierter
407-
Hypophysistumoren, Rönt¬
gentherapie 722.
— und gynäkologische Er¬
krankungen hypophysären
Ursprungs, Hypophysenbe¬
strahlungen bei 784.
Hypospadie und Defekte der
Pars pendula urethrae, Ope¬
ration 606.
Hypreka, Röntgenkassette 925
Hypslophonie 1256.
Hysterie bei Kriegsbeschädig¬
ten 40.
—, Vortäuschung pathologi¬
scher Reflexe bei 993-
Hysterische, das Geschlechts¬
leben der, von Placzek
1257-
Hysteromyomektomie 1257-
Idiotie, juvenile Form der
amaurotischen 144.
—, Histopathologie der in¬
fantil-amaurotischen 708 .
—, Präventivverkehr bei idio¬
pathischer amaurotischer
919.
Ikterische Hautschrift 593.
Digitized by »oie
Original from
CORNELL UNÜVERSrrf
XXII
INHALTSVERZEICHNIS
Ikterus 711.
—, experimentelle und klini¬
sche Beiträge 711.
—, Bilirubinkristalle im Urin
bei 453.
—, tödliche Bluterkrankung
bei einem Neugeborenen nach
abgeheiltem angeborenen 905.
—, Blutfarbstoffabbau und
711.
— mit besonderer Berücksich¬
tigung der Duodenalsaft-
und Serumuntersuchung 466.
—, intravitale Hämolyse und
1020.
—, Bedeutung von Leber
und Milz für die Entstehung
711.
—, Pathogenese einiger For¬
men 643-
— im Säuglingsalter 1463.
— und Salvarsan 711.
— Leberatrophie, Provokation
durch Salvarsan bei Infek¬
tionen der Leber und Gallen¬
gänge 1360.
—, mit Röntgenstrahlen be¬
handelter Fall 1379.
— catarrhalis, zur Pathoge¬
nese 1026. '
-bei Kindern 1395-
-, dauernde Leberver¬
größerung nach 1493-
— chronicus durch Kompres¬
sion ‘einer tuberkulösen
Lymphdrüse 606.
— dissociatus, Vorkommen
von Gallensäuren beim
Ikterus und 744.
— haemolyticus 1122. 15*3-
-, Eisengehalt von Kin¬
dermilzen bei familiärem
1463-
-und Gicht 853- 136Ö.
-, chronisch hereditärer
1360.
-hereditarius, altgemein¬
pathologische Beziehungen
1660.
-, Rezidiv nach Milz¬
exstirpation 79-
-hereditarius congenitalis,
Splenektomie bei 1057-
— infectiosus s. Weilsche
Krankheit.
— neonatorum 339- 608.1296.
-, der Gallenfarbstoff bei
78.
— reticulo-endothelialer 1566.
—, zur Pathogenese des Sal¬
varsan- 1173.
—, septischer 172.
Ikterusepidemie 1118.
Ileitis und Colitis gangraenosa
neurotrophica alimentaria
postoperativa 1395-
Ileozökaltuberkulose mit Per¬
foration in die Blase 692.
—, Röntgentherapie 1661.
Ileozökaltumoren, entzünd¬
liche 960.
Ileum und Appendix, Spon-
tananastomose zwischen 302.
—, Fall von Atresie 245-
Ileus, Bauchfellmißbildung und
990. 1148.
—, Askariden- 648.
—, Diagnose 918.
—, seltener Fall 270. 905.
—, Gallenstein- 1665-
— in der Schwangerschaft
1021.
—, operative Darmentleerung
beim mechanischen und
paralytischen 709.
— spasticus, Operation 1461.
Immunisierung, aktive — im
Säuglingsalter 1 677-
Immunität, endogene Infek¬
tion und 1296.
— und akzessorische Nähr¬
stoffe 1036.
—, zelluläre — und Krank¬
heitsdisposition 1115-
Impetigo contagiosa und
Pemphigus neonatorum 40.
— Nephritis 675. 1360.
Impfung, zwangsweise Vor¬
führung zur 843-
— und privatärztliches Zeug¬
nis 1709.
Impfzwang, Milderung 1616.
1618. 1619.
Hnpotenz des Mannes, von
Orlowski 334.
—, Behandlung der männ¬
lichen 39.
Incontinentia urinae s. Harn¬
inkontinenz.
Index ponderis des Ernäh¬
rungszustandes und die
Quäkerspeisung 126.
Indigourie und Cholesterinurie
707.
Indikanbestimmung im Blut¬
serum, quantitative 604.
Indikatorenmethode, Anwen¬
dung auf Magen- und Darm¬
saft 252.
Indolbildung durch Bakterien¬
nachweis dieses Körpers in
Kulturen 879-
Induratio penis plastica 371.
Infantilismus 406. 497-
—, dystrophischer universeller
537-
—, statischer — bei zerebraler
Diplegie 1055-
Infektiöse Prozesse, Behand¬
lung mit Autovakzination
1628.
Infektionen, autogene Vakzine
bei chirurgischen 680.
Infektionserreger, Aktivierung
der Körperzellen und der
1291.
Infektionskrankheiten, Aetiolo-
gie 1217. 1292.
—, allergetische Betrachtungs¬
weise in ihrer Anwendung
auf chirurgische 1219.
—, lymphatisches Blutbild bei
786.
—, Blutkrise bei 1461.
—, Kreislaufschwäche bei aku
ten 205.
—, Sterblichkeit an 1390.
—, Verlauf bei dauernder
Unterernährung 581.
—, Kieselsäuretherapie 928.
166n.
Infiltratbildung, Hämolysen¬
versuch als Kriterium für
465-
Infiltration, epituberkulöse
1123.
Influenza, pathologisch-anato¬
mische und histologische
Beiträge, von v. Werdt238.
—, Aetiologie 1562.
—, Morphologie der hämoglo-
binophilen Bazillen und 1066.
—, Bekämpfung in Kinder¬
anstalten durch Freiluft¬
behandlung 677.
—, Charakterveränderung nach
407.
—, chirurgische Komplikatio¬
nen 467-
—, Epididymitis bei 1347.
—, Influenzaagglutinine und
Klinik der 706.
—, Jodprophylaxe bei 401.
—, Kapillarlähmungen im
Darm bei 171.
—, Kopliks bei 539-
Influenza, korsakowähnlicher
Symptomenkomplexnach 993-
—, Koxitis bei 1726.
—, laryngologische Erfahrun¬
gen 1090,
— bei Lungentuberkulose 568.
—, psychiatrische Beobach¬
tungen bei 302.
—, iSpechtschlagrhythmus bei
335-
—, Behandlung 540.
— bei Schwangeren, Behand¬
lung 20 7.
— Myositis, Fall 334.
Influenzabazillen, Biologie 105.
—, epidemiologische und mor¬
phologische Studien 105.
Infusion und Bluttransfusion,
von Schölten 1359-
—, intraperitoneale 338. 1359-
1577.
Infusionsapparat, wärmehal¬
tender 675. 756.
Injektionen, Spritze für sub¬
muköse 645.
Injektionsanästhesie, 600 in —
vorgenommene Operationen
881.
Injektionsepithelisierung 917.
Injektionsphlegmonen 1460.
Injektionsspritzen und Injek¬
tionskanülen, Behandlung u.
Aufbewahrung 1421.
Inkarzeration, retrograde 918.
Inkrete, Wirkung auf die
Zelloxydationen und den
Wärmehaushalt 886.
Innere Krankheiten, Grundriß
der klinischen Therapie, von
Klemperer und Dünner
643.
— —, Versalimmerung 242.
-— Sekretion, ungewöhnliche
Störung 42.
-s. auch Sekretion.
Innersekretorische Organe, bio¬
logische Bedeutung 1711.
Innersekretorische Vorgänge
bei der Frau 544.
Innervation und Sekretbildung
203.
Inokulationstuberkulose 1713-
Insekten und Krebse, Seh¬
qualitäten 1238.
Instrumente, neue — in der
Geburtshilfe 209.
Insufficientia vertebrae, Dia¬
gnose der traumatischen Wir¬
belsäulenerkrankungen und
die 990.
Intelligenzprüfungen an Men¬
schenaffen, von Köhler 603-
Intentionsschütteln, Fall 1065.
Intestinalemphysem, Pathoge¬
nese 498.
Intoxikation, infektiöse -*■ im
Säuglingsalter 436.
Into.ükationsamblyopien 614.
— vor, in und nach dem
Kriege 1207.
Intraabdominale Erkrankun¬
gen, segmentäre Schmerz¬
aufhebung durch paraver¬
tebrale Novokaininjektion
zur Differentialdiagnose 1461.
Intrakutanimpfung, Leuko¬
zytensturz infolge 1564.
Intrakutanreaktion unspezi¬
fischer Stoffe 1323.
—, diagnostischer Wert der
serologischen —.beim Kar¬
zinom 1323.
Intubation 608.
—, scheinbare und wirkliche
Grenzen 1266.
—, Larynxstenosen nach 880.
Intubierte Kinder, Schluck¬
störung bei 146.
Inulin bei Diabetes 1563,
Inversio uteri puerperalis to-
talis 1326.
Invertzuckeranwendung, be¬
sonders bei Herzkrank¬
heiten 1276.
Ionen, Wirkungen an physio¬
logischen Grenzflächen 1530
—, — auf Zellen und Gewebe
1530.
Ionometer 848.
Iontophorese in der Augenheil¬
kunde 1533.
Ipekakuanha durch einheimi¬
sche Arzneipflanzen ersetz¬
bar? 204. 404.
Iris, neurogene Heterochromie
als Symptom innerer Krank¬
heiten 1429.
—, intermittierende neurogene
Heterochromie 1688.
Iristuberkulose, Röntgenthera¬
pie 607.
Irisvorderfläche, Bau 1625.
Irrenärzte, deutsche, von
Kirchhoff 497-
Irrengesetz. Schaffung eines
neuen 274.
Irrenheilkunde, Lehrbuch für
Pfleger, von Haymann 848.
Irrenpflegepersonal, Ausbil¬
dung 751.
Irresein, Bedeutung der Erb¬
konstitution für Entstehung,
Aufbau und Systematik
der Erscheinungsformen des
1183.
—, klinische Stellung des ma¬
nisch-depressiven 537-
—, Verlaufsart beim manisch-
depressiven 302.
Irrtümer,diagnostische und the¬
rapeutische, von Schwalbe
606. 710. 784. 881. 1084.
1 63-
Ischaemia retinae, Pathoge-
genese und Therapie 1156,
Ischiadikus, Neurofibrom 1223.
Ischialgie infolge Steinbildung
1388.
Ischias, Aetiologie und Pa¬
thogenese 335-
— und Phlebalgia ischiadica
1294.
— —, Spina bifida occulta
538.
—, chirurgische Behandlung
1117.
—, Injektionsbehandlung 1563.
—, perineurale Injektionen
bei 302. 708.
—, Antipyrininjektionen bei
138. 1 66.
Isoagglutiuine und Isolysine,
Wirkung bei der Bluttrans¬
fusion 814.
Isohämagglutinine 708.
Isopropylalkohol zur Hände¬
desinfektion 68.
Italien, Aerztliches aus 702.
—, Bewegung der Bevölke¬
rung in — 1913—1919 1059-
J.
Jahresbericht über soziale Hy¬
giene, Demographie u. Me¬
dizinalstatistik, von Grot-
jahn und Kriegei 1631.
Jahresschwankungen in Phy¬
siologie und Pathologie
1409.
Jahreszeiten, Krankheiten und
915-
Japan, Brief aus 601.
Japaner, Ernährung 706.
Jenseits von klug und blöde,
von Bresler 1293.
Jochbein, Depressionsfrakturen
139-
Jod bei Thyreotoxikosen 335.
Jodbehandlung, intensive 109.
Joddiuretal gegen stenokar-
dische und asthmatische
Zustände 988.
Jod-Elarson 1460.
-Ichthyolanfctrich 302.
Jodismus bei Potatoren 137
Jodismusproblem 334.
Jodnatriumbehandlung ent
zündlicher Prozesse 568.
Jodoformbildung auf der Bla¬
senschleimhaut mittels Kal.
permang. 988.
Jodonaszin in Geburtshilfe und
Gynäkologie 1661.
Jodothyreoidismus 1394.
Jodspeicherung bei malignen
Tumoren 715-
Jubiläen von:
Geh. Med.-R. Dr. Barnick
(Frankfurt a. O.) 136.
Geh. San.-R. Dr. Böger (Os¬
nabrück) 878.
Geh. Med.-R. Prof. Dr. 0.
Hertwig (Berlin) 1180.
Geh. Med.-R. Prof. Dr. R.
Hertwig (Berlin) 1180.
Med.-R. Dr. Hölscher (Düs¬
seldorf) 36.
Ob.-Gen.-A. Prof. Dr. Kern
in (Berlin) 1686.
Hof-R. Prof. Dr. Klernen-
siewicz (Graz) 136.
San.-R. Dr. Meyer (Greifen¬
hagen) 104.
Geh. San.-R. Dr. Müller
(Mainz) 268.
Geh. San.-R. Dr. Müller
(Reetz) 104.
Geh. Med.-R. Prof. Dr. Pen-
zoldt (Erlangen) 496.
Prof. Dr. Solger (Greifs¬
wald) 398.
Geh. Med.-R. Prof. Dr. v.
Soxhlet (München)
1114.
Geh. San.-R. Dr. Volkmuth
(Saarburg) 1180.
Geh. Med.-R. Prof. Dr.
Winter (Königsberg) 1560.
Jugendamt, Aulbau 910.
Jugendgerichtsgesetz und Psy¬
chiatrie 1183-
Jugendirresein, Ursachen, be¬
sonders Kriegsschädigungen
369-
Jugendamtsgesetz, Denkschrift
desWürttembergischen Aerz-
teverbandes über den ärzt¬
lichen Dienst bei Durchfüh¬
rung des 609.
Jugendverwahrlosung und ihre
Bekämpfung, von Többen
1188.
Jugendwohlfahrt, zum Reichs¬
gesetz für 948.
Jugularisphänomen als Sym¬
ptom fehlerhafter Atemtech¬
nik 1394.
Jugularvenenpuls, Gestaltung
der Stromkurve des —
durch Arbeit und Füllung
des Herzens 849-
K.
Kachexie, hypophysäre 50S.
1397.
Kältehämoglobinurie u. Kälte-
ikterus 240.
—, Beeinflussung durch un-
spezifisch wirkende Salzlö¬
sungen 172.
Kältehautphänomen, Säugling
mit 1716.
Digitized by »oie
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
INHALTSVERZEICHNIS
Kiltenephritis 467-
Kaiserschnitt, seltene Indika¬
tion 467 .
—, hoher Gradstand als Indi¬
kation 209.
— am wehelosen Uterus 919 .
— an der Toten und Sterben- j
den bei Eklampsie 745-
— bei Placenta praevia 1027 .
—, abdominaler —• in Lokal¬
anästhesie 39 .
—, klassischer — in Lokal¬
anästhesie mit temporärer
Fixation des Uterus 1563 .
—, vorderer oder hinterer
zervikaler? 606.
—, Perforation des lebenden
Kindes oder extraperitone¬
aler 919.
Kaiserschnittfrage 77-
Kaiser Wilhelms-Akademie für
das ärztlich-soziale Versiche¬
rungswesen 33®.
Kala-azar 41.
Kalium bichroraicum, Vergif¬
tung mit 983.
Kalk, basisch salizylsaurer 1624.
Kalkaneusfraktur, Behandlung
1430.
Kalkaneussarkom 206.
Kalkgicht. Fall 341.
Kalkstoffwechsel und innere
Sekretion 1325-
Kalkzylinder im Säuglings-
ham 852.
Kallusbildung ohne Fraktur
an den Metatarsalia 1527 .
Kalomel, welche chemischen
Prozesse können — zu einem
gefährlichen Gift werden las
sen? 204.
Kzlomelöl bei angeborener Sy¬
philis 920.
Kalorie, Bedeutung in der Me¬
dizin 535- .
Kalzium intravenös in der
Frauenheilkunde 1689-
-bei Epididymitis go¬
norrhoica 1732-
— zur Beseitigung der Herz¬
giftwirkungen 1712.
Kalziumgehalt des Blutse¬
rums und seine Beein¬
flussung durch Störungen
der inneren Sekretion 887 .
Kalziumspiegel im Blut 333
Kalziumtherapie, theoretische
Grundlagen und Indikatio¬
nen 604.
—, intravenöse 783-
Kamillosan 204. 404.
Kammerwasser, Chemie 510.
—, Irüvnrderfläche und 1124.
Kampferölinjektion, intrave¬
nöse 302- 368 . 674.
—, Wirkung intravenöser ISS.
Kampfersol 377.
Kampfertherapie, intravenöse
541. 568. Ä
— der Lungentuberkulose Ip4.
Kampferwasser intravenös bei
Säuglingen 403-
Kampfgasvergiftung, patho¬
logische Anatomie und Pa¬
thogenese 781 .
KaninchensyphiIis,anatomische
Veränderungen bei experi¬
menteller 603 .
—, Liquor-Diagnostik im Dien¬
ste der experimentellen 603 .
—, Abortivbehandlung 1066.
— Chemotherapie 1066.
Kan/nchentreponemose 535-
Kantharidenblasen, Unter¬
suchung von — bezüglich
Pirquetscher ,und Wa. K-
, 882 .
Kants Einführung in die Kri¬
tik der reinen Vernunft,
von Deyke 1217 .
Kapillaren, Anatomie 1255-
—, Blutbewegung in den 238 .
—, Gesunder 673*
—, Kontraktilität 301.
—, Reaktion auf mechanische
Reize 301 .
Kapillarendothelien und hä¬
matogene Allgemeininfektion
1066.
Kapillarkreislauf, Einfluß des
Höhenklimas auf den — und
die Beziehungen des letzte¬
ren zu der in Höhenlagen be¬
obachteten Hämoglobin- und
Blutkörperchen - Vermehrung
1119-
Kapillarkreislaufbeobachtun¬
gen im Höhenklima 105-
Kapillarmikroskopische Unter¬
suchungen 9 88.
Kapillarsystem ein peripheres
Herz? 915.
Kapillarwandung, Verände¬
rungen im Verhalten der
Dichte der 499-
Karbolsäure in der Rhino-Chi-
rurgie 1090.
Karbunkel mit Staphylo-
kokkämie 613-
KardiaVeränderungen b. Spei¬
seröhrenprozessen 39- 335-
Kardiolyse bei schwerer Mi¬
tralstenose und -insuffizienz
80 .
—, Schnittführung bei der
Brauerschen 303-
Kardiospasmus 466. 1526 .
— und Speiseröhrenerweite¬
rung 707 .
— infolge Strangbildung 374.
—, Operation 139-
—, Geißler-Gottsteinsche Son¬
denbehandlung 209-
Karlsbader Wasser und Salz,
Wirkung auf Zuckerkranke,
beurteilt nach einer neuen
Auffassung über den Diabe¬
tes 250.
Kamolaktin 988 .
Karotisdrüsen, zur Chirurgie
681 .
Kartoffelkindermehl in der Er¬
nährung kleiner Kinder 1714.
Kaskadenmagen, Aetiologie
880 .
Kassen s. Krankenkassen.
Kassen- und Mitgliedernum¬
mer, unrichtige 1708.
Katalasegehalt des Blutes 500 .
Katalaseindex und Diagnose
der perniziösen Anämie 75-
— der roten Blutkörperchen
bei Blutkrankheiten 1 71 -
Katalepsie, mycelektrische Un¬
tersuchungen bei hypnoti¬
scher 369 .
Katarakt bei Ratten durch
Thalliumfütterung 1466.
-10jährigem Kinde 1692 .
—, Spaltlampenmikroskopie
1624.
— s. auch Star und Altersstar.
Katatonie unter dem Bilde der
Hysterie und Psychopathie,
von Urstein 1526.
—, psychiatrische Bedeutung
der Erkrankungen der sub¬
kortikalen Ganglien 369 .
Katgutfrage, zur 917-
Katheter, in der Blase stecken¬
der abgebrochener — durch
Ausmelken entfernt 1312.
Kausalitätsbegrjff, Relativisie-
rung, von Mokrzycki 1561.
Kautätigkeit und Motilität des
Magens 988 .
Kaverne, Eröffnung einer
tuberkulösen 1026.
Kayser-Fleischerscher Ring bei
einem Falle von Pseudo¬
sklerose 1666 .
Kegelwelle, intraokulare 1124.
Kehldeckelzyste 1116 .
Kehlkopf, Gelenkrheumatismus
im 499-
—, Photographie 1090.
—, Kugelverfahren 645.
Kehlkopfdipbtherie, konserva¬
tive Behandlung 304.
—, Tracheotomia inferior bei
784.
Kehlkopfexstirpation, halb¬
seitige 276 .
Kehlkopffunktion, Wirkung
der äußeren 1090 .
Kehlkopf ähmungen, neuere
Gesichtspunkte und offene
Fragen bei 1090 .
Kehlkopfmuskulatur, elektro-
physiologische Untersuchun¬
gen 616. 1090.
Kehlkopfnekrose als Röntgen¬
schädigung 308 .
Kehlkopfpapillom, Aetiologie
und Pathogenese 1090.
| Kehlkopfpolypen, doppelte
| 1262 .
Kehlkopfsoor 140.
Kehlkopfspekulum zur direk¬
ten Operation 1090 .
Kehlkopfstenosen nach Intu¬
bation 880.
—, operative Beseitigung der
durch doppelseitige Postikus¬
lähmung bedingten 1090 .
Kehlkopftonsille, Angina 745-
Kehl köpf tuberkulöse, Beein¬
flussung durch Schwanger¬
schaft, Geburt und Wochen¬
bett 39.
—, Schwangerschaftsunterbre¬
chung wegen 371 -
—, Diathermietiefenstich bei67.
—, Finsenbäder bei 935.
—, Neurotomie des Laryn-
geus superior bei 605-
—, Röntgenbehandlung 1624.
—, Sonnenbehandlung 108.
—, Tuberkulomuzin bei 576.
Keilbein, Pneumatisation 1090 .
Keimblattbildung, Dynamik
926 .
Keimdrüsensphäre. multiple
maligne Teratome der männ¬
lichen 368 .
Keime, Anreicherung in flüssi¬
gen Medien 105-
Keimlingsschädigungen, intra¬
uterine 817-
Keratitis neuroparalytica, Fa-
zialis- und Trigeminusläh¬
mung mit H53-
— parenchymatosa, Aussich¬
ten der antisyphilitischen
Behandlung 290.
— scrophulosa interstitialis607.
Keratokonus 1493-
—, Zeißsche Kontaktgläser
bei 1121 .
—, Vermessung eines — mit
dem Stereokomparator 11 56.
Keratomalazie 1150 .
Keratoplastik 1493-
—, zur Histologie 1156 .
Keuchhusten, Klinik und Epi¬
demiologie, von Pospischill
436.
—, Therapie 1058. 1463-1733.
—, Aetherinjektionen bei 920 .
—, Novokain - Alkoholinjektio¬
nen bei 508.
Keulenschiene nach Payr 1003.
Kiefer und Nasenscheidewand,
Wachstum und Verbildung,
von Franke 468.
Kieferankylosen 342 . 729-
Kieferanomalien, anatomische
Grundlagen 1568 .
Kieferhöhlenfisteln, Entstehung
und operativer Verlauf 77 .
Kieferhöhlenspülung, üble Zu¬
fälle bei 1296 .
Kieferklinik in Düsseldorf, .von
Bruhn 1714 .
Kiellandsche Zange 1058 . 1563 .
-und praktischer Arzt 919 .
-, Erfahrungen 1297 .
Kieselsäurehaltige Teesorten bei
Lungenleiden i 1 83 -
Kieselsnureinjektionen, intra
venöse, bei Arteriosklerose
und Stenokardie 106.
Kieselsäure therapie 1266.
— bei Infektionskrankheiten
928 . 1660 .
— des Pruritus senilis 785-
— der kindlichen Tuberkulose
785-
— — Lungentuberkulose
1713-
Kind, Lehrbuch der Untersu¬
chung am Krankenbette des,
von Brüning 141.
—, das Seelenleben des, von
Groos 1058 .
—,-und seine Pflege,
von Flachs 1714.
—, Probeausstellung: das un¬
eheliche 922 .
—, zum Problem des unehe¬
lichen 1364.
—, Gesellschaft für Physiologie
. und Psychologie des abnor¬
men 922.
Kinder, anormale 1689 .
, Pathologie der frühge¬
borenen 956.
—, Aufnahme nervöser und
schwer erziehbarer — in
Arztfamilien 505-
—, Schulkindergärten für kör¬
perlich und geistig zurück¬
gebliebene und schwer er¬
ziehbare 1189 .
—, das Gesetz betr. Beschu¬
lung blinder und taubstum¬
mer 1188 .
—, Milchbelieferung und Zahl
der tuberkulösen, kranken
und unterernährten — in
deutschen Großstädten 751 .
—s Gewichts- und Längen¬
wachstum unterernährter
schulpflichtiger —- bei Wie-
dcrauflütterung 785 -
—. Mißhandlung und Verwahr¬
losung 632 .
— und Jugendliche, strafrecht¬
licher Schutz im Entwurf
zum StGB, von 1919 610 .
Kinderernährungsfürsorge in
Landkreisen 610.
Kinderfürsorge, Organisations¬
fragen bei der Mitwirkung
der Krankenkassen auf dem
Gebiete der gesundheit¬
lichen 1499-
Kinderheilkunde, Leitfaden,
von Birk 1463 .
Kinderhilfe, Tätigkeit der deut¬
schen 922 .
Kinderkrankheiten, Diagno¬
stik, von Feer 991 .
—, kurzes Lehrbuch, von Lehn¬
dorff 1625-
Kinderlähmung, spinale — in
Marburg 4569.
Kinderschicksale ehelich und
unehelich Geborener 1326 .
1364.
XX1I1
Kinderspeisung 504 .1022. 1060 .
Kindertuberkulose s. Tuberku¬
lose.
Klammem, Verbesserung der
Wundvereinigung durch v.
Herffs 989-
Kleinhirn, umschriebene Er¬
weichung 1123 .
—, Ersatz der Bewegungs-
leistungen u. Entwicklungs-
störungen des 1600.
Kleinhirnaffektion 1368 .
Kleinhirnblutung unter dem
Bilde traumatischer Spät¬
apoplexie 1436. -
Kleinhirnbrückenwinkeltumor
bei einem Knaben 1225 .
Kleinhirnbrückenwinkeltumo¬
ren, Symptomatologie und
Differentialdiagnose 369-
Kleinhimoperation, zwei Fälle
1498.
Kleinhirnrinde, Gliastrauch-
werk 431.
—, innere Verbindungen und
deren Beziehungen zu
Pons und Medulla oblon-
gata 1255-
Kleinhirnsyndrom, Fall von
245-
Kleinhirnzysten, Fälle 507 .
Klima Deutschlands 1465-
-, Literatur über 544.
—, Pflanzenwuchs als Kenn¬
zeichen des örtlichen 544.
Klimakterische Erscheinun¬
gen, Röntgenbehandlung 539 -
— Toxikodermien, Ovarialbe-
handlung 818 .
— Uterusblutungen, Radium
bei 1326.
Klimakterium, Klinik 108.
— und Balneologie 544.
-Gicht 709-
—, Hypertonien im 1118 . 1295 -
Klima- und Badekuren und
Stoffwechsel 543.
Klimasan 995-
Klimatologie und Meteorologie
in den Kur- und Badeorten
544.
Klima tologisches aus den
schlesischen Kurorten 706 .
Klimatotherapie und Nerven¬
krankheiten 107 .
Klumpfuß, Aetiologie des kon-
‘ genitalen 173-
—, Häufigkeit des angeborenen
1430.
— infolge Diplopedie 1663 .
Knickfuß, Therapie des Senk-
336.
Knickplattfuß, Varusschuto-
system und 1430.
Knie, traumatische Sklerose des
Fettkörpers am 681 .
Knieankylosen, Behandlung in
Beugestellung 676 .
—, Keilumpllanzung bei Beu¬
gestellung 1462.
Kniegelenk, chronische Ent¬
zündung nach Verletzung
576. 644.
—, Deformitäten nach Resek¬
tion des kindlichen I22u.
Kniegelenkeiterung, Behand¬
lung der traumatischen 1220.
Kniegelenkerkrankungen 1141.
Kniescheibenbrüche, Operation
1220.
Knochen, Beteiligung bei
Arthritis gonorrhoica 467-
—, Wirkung dauernder mecha¬
nischer Insulte 962.
Knochenbildung, traumatische
1219-
— in der Subkutis, symmetri
t sehe heterotope 1664.
Digitized by CjCk »oie
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
INHALTSVERZEICHNIS
XXIV
Knocheneinschuß, Größe 522.
Knochenerkrankungen, radio¬
logischer Befund 500 .
#§, chirurgisch-radiologische
Fehldiagnosen bei 676 .
Knochenmark, Methode zur
Untersuchung von — vom
Lebenden zur Vermeidung
der Milzpunktion 1402.-
— bei perniziöser Anämie 1431-
—, Regeneration bei perni¬
ziöser Anämie nach Ent¬
markung 990 .
Knochenmarksfunktion, Stei¬
gerung durch* Röntgenreiz¬
dosen 206.
Knochenmarkspunktion bei
Anämien 41.
Knochennaht, Technik 962 .
Knochenspongiosa, die Archi¬
tekturen der menschlichen,
von Triepel 1217 .
Knochen- und Kehlkopfsyphi¬
lis 681.
Knochensystem, angeborene
Frühsyphilis im 498 .
Knochentransplantationen
11 17-
Knochentuberkulose 1117 .
— und Gelenktuberkulose, Dia¬
gnostik und Therapie, von
Kisch 39-
— -, Krankheitserschei¬
nungen und Behandlung 107 .
-, konservative Be¬
handlung 136 O.
— — —, Behandlung mit
T uberkelbazillenspaltproduk-
ten 39 .
Klinik 1732 .
Knochenuntersuchungen nach
kurzdauernder Immobilisie¬
rung im Gipsverbande 850.
Knochen Verkrümmungen, Seg¬
mentierung rachitischer 376 .
Knochenwachstum, physiolo¬
gisches und rachitisches 885-
Knorpel, Reaktion auf Schädi¬
gungen 1629 .
Knotenbildung, instrumentelle
1257-
Kochbuch für Zuckerkranke,
von v. Gilgen 916 .
Kochsalz, Wirkung der intra¬
venösen Zufuhr 1561 .
Kochsalzausscheidung von kon¬
stitutionellen Gesichtspunk¬
ten aus 203-
Kochsalzlösung, biologisches
Verhalten der Gewebe und
Organe gegenüber physio¬
logischer 814.
Kodein, Dosierung im Kindes¬
alter 1614.
Köhlersche Krankheit 240.
-, Aetiologie 318.
-, Fälle 681.
-der Metatarsalköpfchen,
Aetiologie 1220.
-des zweiten Metatarso-
Phalangealgelenks 881.
Königsberg, Paratyphus A-Epi¬
demie in 1034.
Körperlänge und -fülle, Er¬
nährung und 372.
Körpermessung, Bank für 461.
Körperseitentemperatur 368 .
Körpertemperatur, Messung im
Harn 1323 .
Körperübungen, Hygiene der,
von Hueppe 1528 .
Körperverletzung, Anzeige ge¬
gen einen Arzt wegen fahr¬
lässiger 1361 .
Koffein und Kaffee, Wirkungen
540.
— bei sportlichen Leistungen
1359-
Koffein, Vorbehandlung mit —
bei Salvarsanbehandlung d.
zentralen Nervensyphilisi 120 .
Kohlenhydratabbau im Tier¬
körper 399 .
Kohlenhydrate und Fermente,
von E. Fischer 1083 .
—, von Zempl£n 1711-
Kohlenhydratstoffwechsel und
Bestrahlung 270 .
— der Leberkranken 420. 770.
1200.
—, Einfluß der Magenfunk
tion 567 .
Kohlenhydratumsatz, experi¬
mentelle Beeinflussung
durch Mineralwässer 827.
Koh le noxy dgas vergif tung,
schlaffe Lähmung nach 995 .
—, Lähmung des N. axillaris
infolge 569 -
Kohlensäurebäder in St.
Moritz, Wirkung 1460.
—, Wirkung 674. 1116.
Kohlensäureschneebehandlung
von Naevi, Lupus erythema¬
tosus, Akne usw. 1666 .
Kokain und Atropin, Kombi¬
nationswirkung 60 7 .
—, Schutzfärbung 1732 .
Kokainismus 1183-
Kokainvergiftung, Bekämp¬
fung 643-
—, Chlorkalzium bei 988 .
Kokainwirkung,' Verstärkung
durch hypertonische Trau¬
benzuckerlösung 783 .
Koktol 1526.
Kokzidien der Ratte 375-
Kokzidiose und Wa.R. beim
Kaninchen 171 -
Koliagglutinine bei ernährungs¬
gestörten Säuglingen 1255-
Koliaszension bei den Er¬
nährungsstörungen der Säug¬
linge 1258 .
Kolibakterien, chemische Lei¬
stung 1562 .
Koliindexbestimmungen bei
perniziöser Anämie 42.
Koliserumtherapie, Heilprinzi¬
pien der akuten Ernährungs¬
störungen im Säuglingsalter
und Möglichkeit einer 337 .
Kollaps, intravenöse Dauer¬
tropfinfusion mit Normosal
und Adrenalin bei peritoni-
tischem und postoperativem
1688.
Kollargol und Elektrokollargol,
Wirkung auf den Gehalt an
Schutzkolioid zurückzufüh¬
ren? 880-
Kollargolintoxikation, Klinik
und Pathogenese 784.
Kolloidale Zustandsänderun¬
gen, der lebende Kaltblüter¬
organismus als Indikator von
641.
Kolloidchemie, Leitfaden, von
Handovsky 1255-
— des Lebens, Beiträge zu
einer, von Liesegang 915 .
Kolloide, Bedeutung für Arz¬
neiwirkungen 1371.
Kolloidkorrektur, therapeu¬
tische 1562.
Kolloidreaktionen im Liquor
cerebrospinalis 1182 .
Kolonien, Not an Aerzten in
den französischen 1587.
Koloptose und Obstipation 500 .
Kolorimeter 604.
— ohne Vergleichsflüssigkeit
1428.
Koma, parathyreoprives 849-
Kommunalwissenschaften,
Handwörterbuch 1187
Komplementablenkungsreak¬
tion, Anteil Moreschis an der
1083-
Komplementgehalt beim Meer¬
schweinchen, Schwankungen
171.
Komplementkonservierung 270 .
Komplexchemie 180.
Kongorubin, Liquordiagnostik
mit 466.
Konjunktiva, Pneumokokken¬
katarrh 851-
—, Erkrankung durch Rau-
I penhaare 851-
—, Plasmom 1625 .
—, Sensibilität 212.
Konstitution, heiße Bäder als
Test der 304.
— und Disposition 743-
-endokrines System 500.
-Temperament bei Frau¬
enkrankheiten 1028.
—, Konstitutionsanomalie und
Konstitutionskrankheit 641.
— und Tuberkulose 499-
-Vererbung 653.
-erworbener Eigen¬
schaften 270 .
Konstitutionelles Problem in
der Chirurgie 833.
Konstitutionsanomalie Stillers
bei Säuglingen 1326 .
Konstitutionsanomalien, Wesen
743-
Konstitutionsforschung oder
Personallehre, Ziel und Wege
1357-
Konstitutions- und Vererbungs¬
lehre, Vorlesungen über all¬
gemeine, von Bauer 203-
—, Fachausdrücke 1711 .
— und Lebensversicherungs¬
medizin 270 .
Konstitutionspathologie, Richt¬
linien 850.
—, Wert der verschiedenen In¬
dizes für die 1086.
Konstitutionsproblem in der
Psychiatrie 537- 1183-
—, Reiztheorie, Entwicklungs¬
lehre und 1197.
Konstitutionstherapie 5.
Konstitutionstypen, psycho¬
physische 989 .
Kontraktur, Entstehung der
ischämischen 821.
—, Dauerwirkung kleiner
Kräfte bei der Behandlung
1325.
Kontrastmittel, pyelogra-
phische 962.
Kontrastspeise im Bronchial¬
baum 783 .
Konzeptionszeit, Ueberschrei-
tung der gesetzlichen 1468.
Konzession zur Errichtung
einer Privatentbindungsan¬
stalt 98.
Kopf und Hals, Chirurgie, für
Zahnärzte, von Seifert 608.
Kopfhaubenverband 107 .
Kopfläuse, Essigäther gegen
1678.
Kopfschmerz, tuberkulöser 38.
245.
—, Kochsalz bei 434. 646.
Kopfschwarte, elephantiasti-
sches Neurofibrom 107 .
Kopfstellung, Feststellung bei
der geburtshilflichen Unter¬
suchung 468.
Kopliksche Flecke bei Grippe
539-
Kornea s. Hornhaut.
Koronararterien, anatomische
Studien und Untersuchun¬
gen über ihre Durchgängig¬
keit 1 593
Koronarkreislauf, zur Patho¬
logie 1369 .
Korpusadenom der Matrone
402.
Korynebakterium Abortus in-
fectiosi für Menschen pa¬
thogen? 333-
Kosmetik, neuzeitliche 886.
Kosmisch-chemische Vorgänge,
physikalische Gesetzmäßig¬
keiten bei den 1529 .
Kostkinderaktion des Briti¬
schen Hilfswerkes 1500.
Kostkinderbeaufsichtigung, 25
Jahre 1059-
Koxitis bei Grippe 1726.
Krampfadern, Behandlung 837.
865.
—, Sublimatinjektionen b. 1 72 .
Kranioplastik 918 .
Krankenbehandler 1253-
Krankenernährung, begründet
auf der allgemeinen Ernäh¬
rungslehre, von Sick 814.
Krankenhausärzte, Gehaltsver¬
hältnisse 1353.
Krankenhausfürsorge, soziale —
und ihre Bedeutung für die
Versorgungskrankenhäuser
1502.
Krankenkassen und Aerzte 1519.
1588.
-Entwurf eines Ge¬
setzes zur Regelung der
Beziehungen zwischen 739-
—, Verhandlungen mit der
Aerzteschaft über Neurege¬
lung der Honorare 429.
—, Gesetz zur Sicherung der
ärztlichen Versorgung bei
den 984. 809 .
—, Organisationsfragen bei der
Mitwirkung der — auf dem
Gebiete der gesundheitlichen
Kinderfürsorge 1499-
— und Volkswirtschaft 338.
Krankenkassenarzt und Son¬
derhonorare 875-
Krankenkassenmitglied, Be¬
strafung wegen Krankengeld¬
erhebung trotz Weiterarbei-
tens 875-
Krankenkassenmitglieder, Arz-
neihunger der 1502 .
Krankenpflege, Erster Unter¬
richtin der, von Feßler 138 .
—, zweijährige Ausbildungs¬
zeit in 204.
—, Säuglings- und Wochen¬
pflege, Entwurf eines Reichs¬
gesetzes über 921 .
Krankenpflegepersonal, An¬
steckungsgefahr bei d. Pflege
Lungentuberkulöser 1054.
Krankenpflegerin, Kleidung der
989-
Krankenversicherung. 1921 ,
Jahrbuch 1502 .
Krankheit und Seelenleben
als Folgen gestörter Aequiva-
lenz der Reizbeantwortung,
von Bittier 641.
-Mensch 1322 .
Krankheitserreger, Vorschrif¬
ten über 1118 .
Kreatin - Kreatiningrundumsatz
und Schilddrüse 854.
— -Kreatininstoffwechsel und
seine Beziehungen zu physio¬
logischen u. pathologischen
Zustandsänderungen d. Mus¬
kulatur 927 .
Kreatininausscheidung b. Säug¬
lingen und Kindern 956.
Krebs 367-
—, zur Behandlung mit Rönt¬
genstrahlen, von Dessauer
743
Krebs, Abwehrmaßnahmen des
! organisierten Gewebes gegen
j 73-
| —, Altem und 641.
r—, chemische Veränderungen
| des Blutes bei 1256 .
—, diagnostischer Wert der
serologischen Intrakutanre¬
aktion 1323 .
auf der Rückenhaut 1151
— und Schwangerschaft 881 .
—, experimentelle Erzeugung
von — durch Teerbestand¬
teile 109 .
— bei Mäusen durch Teerpin
selung 1692 .
—, Sammelforschung d. öster¬
reichischen Gesellschaft für
Erforschung und Bekämpf¬
ung des 431 .
—, neue Gedanken zur Thera
pie 480. 697. 715
—, nichtoperative Behand¬
lung 604.
—, Igniexzision 715 . 1219-
—, Immunotherapie 959-
—, Strahlenbehandlung 385.
416. 1063-
—, Radiumbehandlung 1687 .
—, Röntgentherapie 716 .1148.
Krebsätiologie auf Grund der
Krebsstatistik in Kuba 367 .
Krebsanämie, Pathogenese
1054.
Krebse, Wachstum implantier¬
ter — bei Vorbehandlung
mit Röntgenstrahlen 1322 .
Krebsentwicklung, Grundlage
der Disposition zur 1467 .
Krebsforschung, neue Wege
1217 .
Krebsfrage, Bedeutung des
Teerkrebses für die 1019
Krebsfragen 1186 .
Krebs- und • Granulations¬
gewebe, Haut-Epithel-Aty-
pie bei 497-
Krebshaare 1623 .
Krebsheilungsresultate, zur
Verbesserung, von Schär
1594.
Krebsmaterial, Beurteilung der
Qualität 1295 .
—, zunehmende Verschlechte¬
rung 1568 .
Krebsoperationen, fortlaufende
Instrumentensterilisation bei
569-
Krebsproblem vom Stand¬
punkt der Immunität 715-
Krebsprophylaxe 540.
Krebsreaktion, zytolytische
1256.
Kribsstatistik 710. 1186 .
Krebstiere, Experimente an
1027 .
Kreisarzt und Kommunalarzt
749-
Kreislauf, Physiologie, von T i -
gTYstedt 465-
—, hydrostatische Beeinflus¬
sung im Bade 887-
Kreislaufschwäche bei akuten
Infektionskrankheiten 205-
—, konstitutionelle — und
Cardiopathia adolescentium
954.
—, Behandlung 1031.
—, elektrisches Bad bei 707-
—, Behandlung der chroni¬
schen 10. 57. 143-
Kreislaufstörungen bei Bauch-
Operationen, mechanische
Behandlung 1219 .
—, Spätfolgen von 544.
— und Störungen der Verdau¬
ungsorgane 713 .
Digitized by LjOi »oie
Original from
CORNELL UNIVERSITY
INHALTSVERZEICHNIS
XXV
smus, Sexualität bei
Jachem 467 .
hmerzen 1028 . 1732 .
Geschichte des, von
enunn 129 t.
kung auf die Sterb-
it in Wien, von Ro-
U 372.
Epilepsie 1429-
iuß auf die Gesund¬
er Frau in Baden 921 .
isteskrankheiten 708 .
iuß auf das Ge-
ltsVerhältnis der Ge-
1 1022.
iisen und Kinder von
eschädigten, Merk-
r Schulentlassung 610.
utation an den un-
Gliedmaßen, Ergeb-
23.
hädigte, Begutach-
■enkranker 1497-
ienfürsorge 750.
irgie des Jahres
n Köhler 1660.
itis 172.
en. Entstehung und
ng 1022.
iden Münchens, so-
aische Untersu-
an 325 offen-tuber-
501 .
ktion in den Fa-
offen -tuberkulöser
lozytose, besteht
1594 .
itiker, Schicksale
borene 919 -
•e in ärztlicher
uchtung 401.
en, Erfahrungen
cht und Straf voll-
Kropf, gegenwärtiger Stand der
operativen Behandlung 16.
—, operative Behandlung des
angeborenen — des Säug¬
lings 403 .
—, Operation eines übergroßen
616 .
Kropffrage, zur 657.
Kropfoperation 1688, völliger
Wundschluß oder Wund
schluß mit Drainage nach?
1056.
Kropfstridor 1326 .
Kropfrezidive 1394.
Krüppel in der Kriminalistik
1188.
Kruppeifälle, Anzeige beim
Jugendamt 504.
Krüppelfürsorge, Leitfad. 1365 .
—, —, von Biesalski 1188 .
—, was ist? 922.
—, VII. Kongreß für 1060.
—, Mitwirkung des prakti¬
schen Arztes in der 1364 .
— als sozialhygienisches Pro¬
blem 1060 .
Krüppelheime, Zusammenar¬
beit mit der ambulanten
Krüppelfüsorge 750.
Krüppeltum, Bedeutung 1060 .
Krukenberg-Arm, Prothese zum
1367-
Krysolgan bei Lungentuber¬
kulose 1085-
-Lupus erythematosus
1661.
Küche, gesunde, von Kraft
302 .
—, diätetische — für Magen-
u. Darmkranke, von Wegele
1594.
Klimmell, H., zum 70 . Ge¬
burtstag 845.
Kugeleinlage nach Spitzy990.
Kuhmilch, Idiosynkrasie gegen
539-
Nach Kriegsopfer,
4 113-
ler, Spätkrank-
von Ko lieb 432.
Nachbehand-
hwedischer Mas-
ilgymnastik 706.
Kindergärten,
i.e: 921.
isische 783 und
H ä moglobinurie
nschaftliche —
1 ge bank 1453.
beweglicher
an die 241.
1 harter 929-
ceitsfrage 915-
>ei Münchener
hülem 335-
94.
er 1394.
'- 1257- 1325.
' 401.
Iter 852.
bei Sdhulkin-
4-
hämorrhagi-
und Prophy- j
nischen 206.
1460- 1567-
e 41-
Cheinothera-
rnit paren-
n Spritzungen
Kuhpockenimpfung s. Schutz¬
pockenimpfung u. Impfung.
Kumbuke, von Hauer 73-
Kunstarm bei den physiolo¬
gischen Anforderungen 1220 .
Kurettement, Uteruserschlaf¬
fung, Tubensondierung und
Uterusperforation beim 1186 .
Kunstfehler, ärztliche 71 .
—, Haftbarkeit des Arztes für
— eines zweiten zugezogenen
Arztes 809 .
Kupfersplitterverletzung,
Scheinkatarakt nach 851 -
Kupffersche Stemzellen, Cho¬
lesteringehalt 93.
Kur- und Badeorte Oesterreichs
und Bayerns, von Dietrich
und Lennhoff 954.
Kurpfuscherei, Gesetz gegen die
— in Schweden 843-
Kurpfuscherische Agitations¬
tricks 98.
Kurzsichtigkeit s. Myopie.
Kußmaul, A., zum 100. Ge¬
burtstage 266.
Kutandiagnostik innerer Krank¬
heiten 465-
Kyphosis osteschondropathica
816 .
Kyphoskoliose, Fall 48.
Kystokopischer Atlas, von
Wossidlo 569 .
j L. -
Labia minora, Verwachsung
post partum *295-
Laboratoriumsinfektionen,
erste Maßnahmen bei 401.
Lab yriiithäre n e bererregbar-
k eit 1090
Labyrinthanomalie, Anatomie
der angeborenen 1089-
Labyrinthreaktion 1090.
Labyrinthreizung, Reaktions¬
bewegungen des Körpers
bei galvanischer 1090 .
— s. auch Ohrlabyrinth.
Lactana-Milch 1220.
Lähmungen s. Paralysen
Lärmerregung 1709.
Lävulosurie, alimentäre 1200.
Laktation, Beeinflussung 273-
676 .
— und Menstruation 303-
—, virginelle 146.
Landaufenthalt erholungsbe¬
dürftiger Großstadtkinder
504.
Landeck, Einwirkung der ra¬
dioaktiven Quellen von Bad
— auf Rheumatismus und
Gicht 1660 .
Landesgewerbearzt, aus der
Tätigkeit des 1629 .
Landesversicherungsanstalten,
Leistungen im Jahre 1920
506.
Landrysche Paralyse, Schu߬
fraktur des Felsenbeines mit
Eiterverhaltung im Zusam¬
menhang mit 645-
Laparoskopie, Technik und
Grenzen 536.
Laparotomien, mechanische
Nachbehandlung 43-
—, Preglsche Lösung bei 919-
Laparotomierte, Nachbehand¬
lung 538.
Lapiswirkung auf die Schleim¬
häute 1090 .
Laryngektomierte, Pharynx¬
sprache bei 85.
Larynx s. Kehlkopf.
Lastautos, Geräusche durch 99-
Lazariter, zur Geschichte der
987 .
Leben, Aus meinem, von E.
Fischer 641, von G.Fischer
137.
—, Freigabe der Vernichtung
lebensunwerten 1655.
Lebensdauer, Altem und Tod,
von Korschelt 1255-
Lebensnerven 1291-
Lebensschwäche, zur Aetiolo-
gie 1631 .
Lebensversicherungsmedizin,
Konstitutionslehre und 270 .
Leber, Chromodiagnostik 38 .
—, Eiweißabbau in der —
durch spezifische und un¬
spezifische Reize 1147-
— bei fleckfieberkranken Meer¬
schweinchen 203 .
—, Rolle bei Geistes- und Ner¬
venkranken 1600 .
—, Glukosepermeabilität 879-
—, harnstoffbildende Tätigkeit
bei Leberkranken 537-
—, anatomische Grundlagen
für Resektionen 1220.
—, Veränderungen nach Sple-
nektomie 1067.
— im intermediären Stoff¬
wechsel 641.
, Physiologie 301.
—, Reizbestrahlung 107-
—- Gall^nsteinerkrankungen,
Differentialdiagnose 38 .
Leberabszeß, Vibrio und, von
Horst 786.
—, postdysenterischer 507 -
— nach Amöbenruhr 277-
Leberabszesse, Aetiologie und
Diagnostik gashaltiger 39 .
Leberatrophie und ihr Verhält¬
nis zu Syphilis und Salvar-
san 1021.
Leberatrophie, Provokation
durch Salvarsan bei Infek¬
tionen der Leber und Gallen¬
gänge 1360 .
—, genuine 376.
—, akute und subakute 11 83-
—, — gelbe 675- 1020 . 1492 .
—, — — — nach Filma¬
ronöl 205-
—,-mit Ileus 707 .
—,-im Kindesalter
645- 852.
—, — — und ihre Bezie¬
hungen zur Phosphorver¬
giftung 205 .
—, — — nach intravenöser
Anwendung von Yatren 707 .
—, Gehirnbefunde bei akuter
gelber 1182 .
—, Nieren bei akuter gelber
782.
— bei Syphilis, Komplikati¬
onen und Heilungen sub¬
akuter 1168.
—, chirurgische Eingriffe bei
1532.
Leberdystrophie, toxische 1257.
Leberechinokokkus, Vereite¬
rung nach Typhus 569-
Leberentartung, toxische —
und akute gelbe Leber¬
atrophie in der Schwanger¬
schaft 745-
Lebererkrankungen 1492 .
—Bedeutung der endogenen
Harnsäureausscheidung bei
756.
— und Magensaftsekretion 588.
—, Statistik 643-
—, Stoffwechsel bei 1054.
—, Kohlenhydra tstoffwechsel
bei 420. 770.
—, Behandlung 1325 .
Leberexstirpation, Neben¬
nieren nach 1427 .
Leberfunktion 1623 .
—, Blutzuckerspiegel bei ente-
raler Zuckerzufuhr und
dessen Bedeutung für die
674.
—, Chromodiagnostik 643.
— in der Schwangerschaft 711 .
— sub partu 1295-
Leberfunktionsprüfungen 432.
542. 849.
— und chirurgische Diagnose
756.
— in Schwangerschaft, Geburt,
Wochenbett und Eklampsie
1149.
— — — und renale Schwan-
gerschaftsglykosurie 88i.
Leberfunktionsstörungen bei
Encephalitis epidemica 1148.
Lebergefäße, Einfluß auf
Wasserhaushalt und hämo*
klasische Krise 431.
Leberinfarzierung durch Lep-
tothrix-Infektion bei Ulcus
duodeni 498 .
Leberinnervation, Anatomie u.
Physiologie 711 .
Leberlappen,solitärerAbszess in
der Kuppe des rechten 277 .
Lebersarkom der Ratte 110.
Leberschädigung bei Lues und
Salvarsantherapie 43.
Lebertraninjektionen in der
Dermatologie 43.
Lebervergrößerung, dauernde
— nach Icterus catarrhalis
1493.
Leberverletzungen, schwere
1153.
—, Chirurgie 1220 .
Leberzirrhose, Ursache 957-
—, Einfluß der Abstinenzge¬
setzgebung in Amerika 100 .
Leberzirrhose, ikterischekonge¬
nitale 1265.
—, Splenektomie bei 1117 .
Lehrlingsalter, Konstitution
und Umwelt im 1190 .
Leibesübungen, Biologie und
Hygiene, von Schnell 1494.
—, Aerzte und 615-
— als Lehr- und Forschungs¬
fach 78 .
—, Lehrgang für praktische 504.
Leib- und Kreuzschnierzen
1732.
Leitungsanästhesie der unte¬
ren Extremität 1056.
Lekutyl bei chirurgischer Tu-
kerkulose 1299 .
Lendenschmerz als Unfall 40.
Lendenwirbelsäule, Luxation
816.
—, Steckschuß in der 1266.
Lepra, Fall makuloanästheti-
scher 1192 .
— maculosa, Fall 1598 .
— mixta, Fall 113 .
— in Rußland 996.
—, Behandlung 1562 .
—, Chaulmoogra-Derivate bei
1402.
Le Richesche Operation 1398 .
Leseproben 1150.
v. Leube, W. t 810.
Leuchtgasvergiftung, Magnesi-
umperhydrol bei 42.
Leuchtmarken 674. 1358.
Leucoderma syphiliticum und
Blochsche Dopareaktion 337.
Leukämie der Haut 1226 .
—,'akute 1020.
—, Fall von akuter^lymphati-
tischer 405.
—, lymphatische — unter dem
Bilde symmetrischer Paro-
tisschwellung 172 .
—,-mit Rückenmarks¬
kompression 1370.
—, Eisengehalt von Kinder¬
milzen bei lymphatischer
1463-
—, akute Monozyten- und
Stammzellen- 537-
—, zur Prognose 1003.
—, Veränderungen der Re¬
spirationsorgane bei 743.
— und Schwangerschaft 1713
Leukolysine 436.
Leukopenie bei hochfieber¬
haften Erkrankungen 814.
Leukoplakie, Pepsinbehand¬
lung 785-
Leukotropin bei Hundestaupe
1453.
Leukozyten bei Encephalitis
epidemica 271 .
— beim epileptischen Anfall
1184.
—, Reingewinnung nativer
432.
—, Verbesserung der Unter¬
suchung auf 1337.
Leukozytenbild im Puerperi¬
um, vollständiges Differen¬
tial- 422.
Leukozytennachweis im Ham
695.
Leukozytenverteilung in der
Blutbahn 314.
Leukozytozoen der Hausgans
1402.
Leukozytose, Bedeutung für
Diagnose und Prognose peri¬
tonealer Erkrankungen 714.
— durch Einspritzung einer
Emulsion von Tusche 957-
— und Röntgenbestrahlung
1256 .
Leukozytosen, Wesen und Ur¬
sachen Qi 6
Digitized by LiOi >gie
Original from
CORNELL UNÜVERSrrf
XXVI
Leukutan 988.
Leuzin und Tyrosin, Nachweis
im Harn 848.
Levurinose bei Scheidenaus¬
fluß 594.
Lex veneris in Schweden 142.
Licht, Einfluß auf das Blut 498.
—, physiologische Wirkung auf
den Organismus 1019.
Lichtbehandlung, Kompen¬
dium, von Schmidt 17 L
Lichterythem und Pigment¬
bildung. Abhängigkeit von
der Wellenlänge 1191 .
Lidplastik mit rundem Stiel 607-
— — wanderndem Stiel 851.
Lichtschäden, Schutzmittel ge¬
gen 1256 .
Lichtwirkungen, biologische
1531.
— gewisser Wundheilmittel für
die Narbenbildung 1712 .
—, Schutz der Haut gegen
schädliche — mit Naphthol-
sulfosäure 1666 .
Lidkarzinom, Behandlung mit
einem Antikeimzellen-Serum
1260.
Lidspalte, typische Mißbildung
246.
Ligamentum latum, Varikozele
571. 919. 1326.
— —, Varizen 817 .
Lilienfeldröhre, Homogenisie¬
rung der Entladung in der
880.
—, Vorzüge 888.
Linkshändigkeit im Kindes¬
alter 1733 -
Linse, Kupfertrübung 851.
Linsenkemerkrankungen 244.
Linsenluxation, Zonulalamelle
bei 1124 .
Linser-Verfahren, ein Jahr 337.
Lipämie, cholämische 272 .
Lipasegehalt des Blutes 1593-
Lipodystrophia progressiva,
Fall 292
Lipoide im Ovarium 1192
Lipoidgehalt im Blut nach In¬
jektion körperfremder Stoffe,
Glyzerinreaktion nach Gabbe
ein Indikator des 270 .
Lipoidnephrose, genuine 1495.
—, Verfettung parenchymatö¬
ser Organe und 1 562.
Lipomatose, symmetrische mul¬
tiple 885 .
—, Spätmyxödem bei kon¬
stitutioneller 1644.
Lippen und Mundschleimhaut.
Fall von multiplen Fibro-
epitheliornen 648.
— — —, Geschwüre 527.
Lippenschluß, Herstellung des
aktiven - nach Plastik der
Unterlippe 1429.
Liquitalis 1116 .
Liquor cerebrospinalis und iso¬
lierte Pupillenstörung, von
Dreyfus 466.
— — bei luischen Augen¬
erkrankungen 77.
— —, kolloidale Benzoeharz¬
reaktion im 814.
— —, Einheitlichkeit der
Rückenmarksflüssigkeit in
den einzelnen Bezirken unter
Zugrundelegung der frak¬
tionierten Untersuchung des
1436.
-von Fleckfieberkranken,
Proto oen im 400.
— —, Globulinvermehrung
bei Erkrankungen im Kin¬
desalter 142
— —, Kolloidreaktionen im
1183
Liquor cerebrospinalis, Konzen¬
trationsverhältnisse 927 .
-, Konzentrationsbestim¬
mung bei Erkrankungen des
Zentralnervensystems 955 .
-nach Lufteinblasung
1089- 1526.
— —, Mastixreaktion im 674.
-, Mechanik 569 .
-und multiple Sklerose
1698.
— —, Kommunikationsvei-
hältnisse bei syphilogenen
Geisteskrankheiten 538.
— —, Entstehung der syphi¬
litischen Reagine im 1147.
— — bei Syphilis congenita
78.
— —, Verhalten bei Neuro-
lues ein Maßstab für unser
therapeutisches H andeln ?
1305.
-, Reaktion zur Erkennung
der pathologischen Verände¬
rungen 41.
— —, Normomastixreaktion
1305.
-, fraktionierte Unter¬
suchung 1593-
-, zur Zählung der Zell¬
elemente 867.
— — mit hohem Zuckergehalt
305.
-, Veränderungen des
Zuckergehaltes bei inneren
und Nervenerkrankungen
172.
Liquordiagnostik mit Kongo¬
rubin 466.
Liquordruck, Theorie 1666.
Liquorreaktion, Weichbrodts
einfache 626.
Lobärpneumonie bei einem
Kinde mit tuberkulöser
Spitzeninfiltration 174.
Lobelin, Anwendung 960.
Löffelstiel und andere Metall¬
stücke, Verschlucken 1388.
Löhlein, AL t 266.
Lösungen, Verfahren zur Her¬
stellung 138 .
Loggs Krankheit s. Perthes-
sche Krankheit.
Lokalanästhesie und Allgemein¬
narkose 467.
—, Grenzen in der Chirurgie
151.
— bei gynäkologischen Ope¬
rationen 745-
Luftbadkuren für Kinder,,
halbtägige 737.
Luft- und Sonnenbäder, Un¬
terschied 106.
Luftbeschaffenheit und gei¬
stige Leistungsfähigkeit 746.
Lufteinblasung in Rücken¬
mark und Gehirn 1432.
—, Liquorveränderungen nach
1089. 1526.
Luftröhre, tiefe Kompressions¬
stenosen 75-
—, Bronchotomie bei tiefen
unheilbaren Verengerungen
206 .
Luftwege, Blutungen aus den
oberen 1434.
—, Photographie der oberen
1090.
—, Syphilis der oberen 1090.
Lugano als Kurort 466.
Lumbago, Aetiologie und
Pathogenese 335.
—, Beteiligung der Bauch¬
decken bei 272 .
Lumbalanästhesie 1713, in der
Gynäkologie 273.
—, gefahrlose 855.
, Nachwirkungen 881.
INHALTSVERZEICHNIS
Lumbalflüssigkeit s. Liquor.
Lumbalpunktion und Bron¬
chialasthma 604. 818 .
— bei postoperativer Darm¬
lähmung und Peritonitis
1028.
—, Bedeutung für Diagnose
und Prognose des Him-
abszesses 279.
Luminal bei motorischen und
psychischen Erregungen 434.
— und Luminalexanthem 744.
Luminalnatrium bei Eklamp¬
sie 1415 .
-Epilepsie 305.
Lunge, Durchgängigkeit für
Ammoniak 1711 .
—, Fremdkörper in der 993.
—, Miliarkarzinose 1124.
—, normale — bei Kindern
1689.
—, epituberkulöse Infiltration
571. 1296.
—, phthisische Primär- und
Reinfektion 1358 .
—,-— — und broncho-
gene Metastasen in der —
und ihre Beziehungen zur
tertiären Phthise 1292 .
—, zur Frage der Unität oder
Dualität der tuberkulösen
Prozesse in der phthisischen
1437 .
—, neues auskultatorisches
Zeichen bei Verdichtungen
und Flüssigkeitsansamm¬
lungen 1562 .
Lungenabszeß nach Grippe,
Behandlung 818 .
— durch Ruhramöben und mul¬
tiple tierische Infektion 1665 .
-subkutaner Thoraxver¬
letzung 368.
Lungenaktinomykose, primäre
801.
Lungenanthrakose im Rönt¬
genbild 1084.
Lungenazinus und Sitz der
azinösen phthisischen Pro¬
zesse 1020.
—, Morphologie der normalen
und emphysematosen 1019.
Lungenbefund bei puerperaler
Sepsis 13 76.
Lungenblutungen,* zur Ent¬
stehung 284 . .
— im Anschluß an Bestrah¬
lung mit künstlicher Höhen¬
sonne 1594.
—, Behandlung 1259.
Lungenechinokokkus Aorten¬
aneurysma vortäuschend 706.
—, Röntgenbild 682
Lungenembolie in gravidit ite
76 .
Lungenemphysem 1349 .
— und Mediastinalemphysem,
spontanes interstitielles 962.
—, zur physikalischen Behänd
lung 289.
— Gegenanzeige des künst¬
lichen Pneumothorax bei
138.
Lungengangrän 438. 957-
—, Therapie, insbesondere mit
Salvarsan 690. 1526.
—, chirurgische Behandlung
816.
Lungengeschwülste 1555 , Dia¬
gnose 790.
Lungengrenzen, Bestimmung
durch Inspektion mit freiem
Auge 1663 .
Lungenhemie, Operation 1429.
Lungeninfarkt im Röntgen¬
bild 790.
Lungenkarzinose, lymphogene
239.
Lungenkranke, soll in den
Fürsorgestellen für — auch
behandelt werden? 1395.
Lungenkrankheiten, Ratschlä¬
ge über 1248. 1287. 1317.
1349. 1389 1417 1512. 1554.
—, neues Symptom bei 916.
—, chirurgische Therapie de¬
struktiver 138.
Lungenkrebs, Diagnostik 604.
—, Metastasen bei 497.
Lungenkavemen, Heilbarkeit
tuberkulöser 137.
Lungenödem, Dynamik des
Herzens bei Dilatation und
Behandlung des 401.
—, Abbinden der Glieder Bei
akutem nephritischen 460.
Lungenröntgenogramme, über
Vergleichbarkeit von 721.
Lungenschlagaderton, Verstär¬
kung des zweiten — bei
Schwangeschaft und Eklam¬
psie 80.
Lungenspitzen, Durchleuch¬
tungstechnik 1428.
—, zur diagnostischen Bedeu¬
tung der Respirationsbewe¬
gung der — bei ihrer ini¬
tialen Infiltration und bei
Spitzenpleuraverwachsung
1444.
Lungenspitzenkatarrh, tuber¬
kulöser und nichttuberku¬
löser 1359.
Lungenstreptotrichose 815.
— im Röntgenbild 790.
Lungensyphilis 707. 1554.
Lungentuberkulose, Unterbrin¬
gung 667.
— Frauen mit abgelehnter
Schwangerschaftsunterbre- *
chung, Befinden der 76 .
Lungentuberkulose, von Klem-
perer 1686 .
— die hausärztliche Behand¬
lung der, von Bacmeister
643-
—, klinische Abgrenzung 1085.
—, Einteilung nach den ana¬
tomischen Grundprozessen
1084
—, lokale Abkühlung und
protrahierte kalte Bäder und
466.
—, Bedeutung komplement¬
bildender Antikörper bei 205-
—, weiß s Blu b.l bei 38.
—, Senkung der roten Blut¬
körperchen im Zitratblut
bei 537. 815-
—, Asthma bronchiale und
1460.
— bei Buchdruckern 401.
—, Chlorstoffwechsel und 37-
—, Differentialdiagnose durch
Bestimmung der Sedimen-
tierzeit der Erythrozyten 707.
—, Einteilung in offene und
geschlossene 1291.
—, Untersuchungen über Ent¬
stehung durch Fütterung
und Inhalation 1126.
—, zur Geschichte der 1599-
—, Influenza bei 568.
— im Kindesalter, Prognose
der offenen 1062.
-, weißes Blutbild bei
1733.
—, Komplementfixierungsprobe
bei 109.
—, Locus minoris resistentiae
hereditarius der Lunge bei
815.
—, tuberkulöse Lymp hone und
815.
—, Nebengeräusche bei funk¬
tionell geheilter 675.
Lungentuberkulose und vegeta
tives Nervensystem 1630 .
—, pathologische Anatomie u.
Nomenklatur 204.
—, Einwirkung von Pleuraex¬
sudaten 38.
—, Primär- und ReTnfekte 278 .
—, primäre Herde, Miliartu.
berkulose u. Tuberkulose¬
immunität 1598.
—, Röntgendiagnose 1399.
—> röntgenologischer Beitrag
106. 335. 605.
—, Begutachtung auf Grund
der Röntgenuntersuchung
239.
—, Beeinflussung durch
Schwangerschaft, Geburt
und Wochenbett 39.
—, Schwangerschaftsunterbre¬
chung wegen 371.
—, Statistik bei verschiedenen
Sektionsmethoden 568.
—, Vorlesung von R. Virchow
über — vom 3 . VIII. 69- 949.
—, Digitalis bei 38.
—, Behandlung durch Anre¬
gung des Kreislaufs 176. 205.
—, neues chemotherapeutisches
Heilverfahren 605.
—, spezifische Intrakutanbe¬
handlung 1203.
—, Kampferbehandlung 1614.
—, Kieselsäure behandlung 1 713 .
—, Kollapstherapie der Lun¬
gen bei 1154.
—, Einfluß der Kollapsthera¬
pie auf Form und Wachs¬
tum des Thorax 707.
— r Krysolgan bei 1085.
—, Milchinjektionen bei 75-
Novalgin bei 1183.
—, kombinierte Petruschky-
Silistrenbehandlung 1713-
—, chirurgische Behandlung
1533.
—, Indikationen für thorax¬
chirurgische Maßnahmen 643.
—, extrapleurale Plombierung
76.
—, Phrenikusausschaltung bei
1219 .
—, Phrenikotomie bei 961.
1148.
—, Prognose bei operativer
Behandlung 961.
—, Behandlung mit Sonnen¬
licht und künstlichem Licht
106.
—der einseitigen kavernösen
— mit Pneum lyse und
Paraffinplombierung 138.
—, Pneumothoraxbehandlung
276. 368. 1085. 1211. 1359-
—, ist künstlicher Pneumo¬
thorax kontraindiziert bei —
mit Nierenerkrankung? 906.
—, Tuberkulosemittel Fried¬
manns ei 272 .
—, Vitaltuberkulin bei 1526 .
— s. auch Phthise.
Lungentuberkuloseinfektion
auf dem Lande 849.
Lungentumor und Aorten¬
aneurysma, Differentialdia¬
gnose 1084.
Lungenzeichnung 499.
Lupineneiweiß beim Säugling
1258 .
Lupus und chirurgische Tu¬
berkulose, Kohienbogen-
lichtbehandlung 920.
— der Augen, Finsenbehand¬
lung bei Augenkomplika-
tionen 607.
— — Schleimhäute 1058.
Digitized by Google
—
CORNELL UNfVERSlTV
INHALTSVERZEICHNIS
XXVII
erythematodes, durch
genbehandlung 1 geheiltes
nom auf der Basis von
krysolgan bei 1661 .
ans. Kontagiosität 185.
k'nchsalzumschläge hei
erdermasan bei 1220 .
mjlung mit Tuber¬
ind intravenösen Trau-
:kerinjektionen 1368 .
sten. Aetiologie 710 .
groß; 77.
davicularis retroster
06 .
ismus 1025 .
rsen, Hautpigment in
i Drüsen
^enerkrankungen,
272
sengranulom, malig*
>■
iße des Auges 1124.
mulom, tuberkulö-
mulomatose, zur
der 482. 520. 650.
s Gewebe, Studien
9.
. tuberkulöse — und
:berku!ose 815 -
en, lipnidspaltende
794. 1155-
ose 138.
'dn an serösen Häu-
1 Menschen 1123-
913—1919 in Wien
; mp fang durch das
er behandelte Virus
der Zerebrospi-
:eit bei 879 .
A utkrankheit.
düng in Rußland
spmalis 1431.
eia . 645.
Deformität des
:s 39-
ilste, experimen-
inimpfung von
n Karzinomen
nen entstandene
ae Methoden im
e für den Nach-
nsfähigkeiteine'
s besondere der
tgehalt d. Säug-
n Fundus uteri
790.
ir im 374.
? im 1366.
des gastropto-
Jie Rippen 434.
erden bei sub-
Zuständen 675-
experimentelle
törung' an 953.
Li f ungen am
durch Sonde
präpy torischen
275 -
(.ches Verhal-
tllensteinanfall
operierten -
d 7S9-
Magen u. Duodenum, psychische
Einflüsse auf die Sekretions¬
tätigkeit 1594.
—, Histologie des ulkusberei¬
ten 1534.
—, Zähnelung der großen
Kurvatur im Röntgenbild 917.
Magenatonie, experimentelle
Duodenalstenose und 1661.
Magendamikanal der Neuge¬
borenen, Röntgendiagnostik
78.
Magendarmkrankheiten, unge¬
teilte Arbeitszeit und 209-
Magendarmprobe und die
Vorschriften über das Ver¬
fahren bei gerichtlicher
Untersuchung menschlicher
Leichen 1430.
Magendiagnostik, praktische
Proben 2Ö5-
Magenfunktion, Einfluß auf
den Kohlenhydratstoffwech¬
sel 567 .
— undGallenblasenerkrankung
1688.
Magenfunktionsprüfungen beim
gesunden Säugling 1662.
Magengeschwülste, Diagnostik
nichtkarzi omatöser 989 .
—, gutartige — im Röntgen¬
bild 789.
Magenhyperazidität, Neutraion
und Belladonna- N eutralon
bei 107»
Mageninhalt Schichtung des
— und Kohlenhydratverdau¬
ung 988.
—, seltener mikroskopischer
Befund 205.
Mageninsuffizienz im Säug¬
lingsalter 174.
Magenkarzinom, Gefrierpunkt
des Blutes bei 1116 .
—, verhältnismäßige Häufig¬
keit der einzelnen makro-
und mikroskopischen For¬
men 1220.
—, Perforation eines 1185 .
—, Spirochäten im Magen¬
saft und 172 .
— und Ulcus ventriculi, Was¬
serversuch als differential-
diagnostisches Mittel 815 .
-, Unterscheidung
1732.
—, Gastropexie mit dem
Ligam. teres hepatis als vor¬
bereitende Operation zur
Röntgentherapie gewisser
Fälle von 01.
—, Röntgentherapie 1358.
Magenkrankheiten, Röntgen¬
diagnostik, von Faulhaber
1084.
—, Soorpilz im Magensafte bei
1360.
Magenlähmung, Aetiologie der
akuten 139.
Magenmotilität, Kautätigkeit
und 988.
Magenoperationen,Technik 206.
Magenperforationen, zur Klinik
und Röntgendiagnose ge¬
deckter 650. 790.
Magenpolyp, Fall 1666 .
Magensaft, Einfluß auf die Bak¬
terien der Typhus-, Koli-,
Dysenteriegruppe 917.
—, Kapillaranalyse 743-
—, refraktonietrische Pepsin¬
bestimmung im 928 .
—, Spirochäten im — und
Carcinoma ventriculi 172 .
Magensaftazidität, Meßmetho¬
den und einfache kolorime-
trische Reaktionsbestimmung
175.
Magensaftsekretion, Großhim-
tätigkeit und 240.
— und Lebererkrankungen 588.
Magenschmerz 1492 .
— bei Appendizitis 1072.
Magensonde, feine permanente
— als Methode der Magen¬
untersuchung 1119 .
Magenstraße, Exstirpation 206.
606.
—, funktionelle Bedeutung 569 .
Magentuberkulose 1220 .
—, chirurgische Behandlung
1467 .
Magenwanderung bei Omni¬
voren* 567 .
Magenvolvulus, partieller —
bei einem Zwerchfelldefekt
370.
Magenwand, Einfluß der Naht¬
methode auf die Heilung ope¬
rativer Kontinuitätstrennun¬
gen 1527 .
Magenzuckerkurve 142.
Magermilchsp 1 er 786 .
Magie als Naturwissenschaft,
von Pollack- Rudin .1083.
—, Grundlagen der experimen¬
tellen, von Pollak- Rudin
und Schulhof 1357.
Magnet zur Extraktion von
Fremdkörpern aus Nase, La*
rynx, Bronchien 613.
Makrocheilie 816 .
Makulapigment u. seine op¬
tische Bedeutung 1 563 .
Malaria in Niederösterreich,
von Russ 848.
-Bonn 1692 .
—, chronische 81.
—, Einwirkung auf pro¬
gressive Paralyse 1184.
—, neuere Forschungen in Nie¬
derländisch-Indien 1401.
— in Rußland 995-
— tropica, Fall aus Berlin 406.
1042.
-, Ausbreitung in der ein¬
heimischen Bevölkerung und
ihre Beziehungen zum Sal-
varsan 1218.
—, okkulte—durch Salvarsan
manifest geworden 1713 .
—, gehäuftes Auftreten in Ver¬
bindung mit Syphilis und
Salvarsan 1361.
—, Behandlung 56 S.
—, Cinchonin bei 305 .
— tropica, Chininresistenz bei
1415.
Malariaähnliches Fieber, zwei
Fälle von 287.
Malariaparasiten, Wirkung des
Sonnenlichts 642.
Malariatodesfälle, Häufung
nach Salvarsaninjektionen
1020.
Mamma, Erkrankungen 633.
—. — der männlichen 570.
—, Diathermiebehandlung 77-
— lactans, Echinokokkus in
einer 1295 .
Mammakarzinom, Aderhaut¬
metastase nach 209-
— während Gravidität und
Laktation 273 .
—, Sensibilitätsstörungen nach
Durchschneidung der Nn.
intercostobrachiales bei Am¬
putation des 1153-
—, doppelseitiges inoperables
1193.
—, Dauerheilung des operierten
— mit und ohne prophylak¬
tische Röntgenbestrahlung
172 .
—, Wert der prophylaktischen
Röntgenbestrahlung 3/6.
Mammakarzinom, Erfolge der
prophylaktischen Nachbe¬
strahlung radikaloperierter
1087 .
—, Rezidiv durch Röntgen¬
bestrahlung geheilt 1368 .
—, Statistik 849-
Mammakarzinomrezidive, nach
Röntgenbestrahlung 5 Jahre
und mehr geheilt 166 O.
Mammasekretion und -krisen
bei Tabes 272 .
Mandelentzündungen, patholo¬
gisch-anatomische Einteilung
1090 .
Manganperoxyd - Enzephalitis,
experimentelle 433-
Manganvergiftung mit Man-
ganstottern 472 .
Manie, Psychologie 1124.
Manometer zum Tonometer,
Selbstanfertigung 1317.
Marasmus, zur Frage des 1498.
Masern, epidemiologische Beob¬
achtungen und abortive 78 .
—, Hemmung der Gruber-Wi-
dalschen Reaktion durch
1010.
—, Verhütung in Krippen 505 .
—, Vorexanthem bei 991.,
Masernrekonvaleszentenserum
145. 1493-
Masernprophylaxe 1701.
Masernschutzimpfungen 175-
Masernschutzserum 26.
Masernstudien 1259-
Masse nbestrahlungseinrich tun -
gen in Krankenhäusern 1491 .
Mastdarmerkrankungen 807.
Mastdarmfisteln, Entstehung
und Therapie 881 .
Mastdarmkrampf 91 7-
Mastdarmkrebs 206.
—, Behandlung 336 .
—, erstrebenswerte Ziele bei
Behandlung 1149-
Mastitis chronica . cystica 47-
— puerperalis, Folgezustände
354.
—, Rivanol bei 1258.
—. Vuz.in bei 1021. 1120.
Mastixreaktion i 600 im Liquor
Cerebrospinalis 674 .
Mastkuren im Höhenklima 106.
Materialisationsexperimente
mit M. Franek-Kluski 783 .
Mathematik, Einführung in die,
von Michaelis 1491-
—, — — die höhere, von
Salpeter 203 .
Maul- und Klauenseuche, sep¬
tisch-marantische Form 1066.
-, Infektion und Im¬
munität bei 1066.
-am Auge 867.
Meatus acusticus internus, Frei¬
legung 61 3-
Mechanistische und teleologi¬
sche Betrachtungsweise 987-
Medianusverletzung 1123-
Mediastinaltumoren 1294.
Mediastinalverlagerung bei in¬
filtrativen Lungenerkrankun¬
gen im Säuglingsalter 1255-
Mediastinum, Angiosarkome
1042.
—, Dermoid des vorderen 245-
—, Veränderung des Oeso¬
phagus bei Lymphosarkom
und Lymphogranulom des
954.
Medikamente, perlinguale Ap¬
plikation 1660 .
Medizinalverwaltung, Reform
142.
—, Veröffentlichungen aus dem
Gebiete der 53°. 567- 991-
1022.
Medizinische Betrachtungs¬
weise, insbesondere die
mechanistische und teleo¬
logische 879 .
Medulla oblongata, Stoffwech¬
selneurologie 917.
Meerrettichvergiftung 1148.
Meerschweinchenkomplement
und menschliches Serum,
Einfluß der Inaktivierungs¬
erwärmung auf 936.
Meerschweinchentuberkulose,
Immunitätsverhältnisse bei
465.
Meerzwiebel als Herzmittel 176 .
Mehlnahrung, konzentrierte
flüssige — für Säuglinge 436.
Mehrlingsgeburten im Deut¬
schen Reich 1901—1919 503-
Meinicke-Reaktion 108. 207 .
208
-, Kontrolle durch For-
molzusatz 1552.
-als Folge von Digitalis¬
therapie 436 .
-in Malarialändern 38 .
-s. auch Syphilis.
Melanin 756.
—, Histochemie 1300 .
Melanome, Dopa-Reaktion und
301 .
Melanose, Fall 575-
Me n de 1, Gr., zum 100 jährigen
Geburtstag 876.
Meningitis durch Strepto¬
coccus viridans 783 .
—, Sauerstoffeinblasungen in
den subarachnoidalen Raum
1713.
— des Rückenmarks, zystische
1401.
— cerebrospinalis, lmmunli-
quor-Transfusion bei 815 .
-acuta syphilitica im
Frühstadium d. Syphilis 207 .
— gummosa bei einem Neu¬
geborenen 400.
—, Genese und Therapie der
otogenen 1328 .
—, Sero- und Chemotherapie
der otogenen und rhino-
genen 336 .
— purulenta, chirurgische Be¬
handlung 47-
— serosa mit Amaurose 682.
-bei Appendicitisgangrae¬
nosa 643-
:-traumatica 240.
-und Unfall 1074.
—, Strahlenpilz- 1294 .
— syphilitica acuta, Fall 407 .
— toxiaca nach Mumps 38.
— tuberculosa 816 .
-, Atmungsstörungen bei
469-
-discreta 708 .
-, Eigenliqorreaktion bei
1732 ;
-, Früjilingsgipfel 1086 .
—, tuberkulotoxische 849-
Meningoencephalomyelitis sy¬
philitica acuta, Fall 342.
Meningokokkenmaterial, Be¬
handlung bis zur Unter¬
suchung in den bakterio¬
logischen Anstalten 674.
Meningokokkensepsis 646.
1526 . 1660 .
Meningokokkenserum bei Poly-
arthitis gonorrhoica 902.
Meningokokkentypen 1509.
Meningomyelitis luica 1123 .
Menschenfuß, der, von Wei¬
denreich 237 .
Menschenrätsel, das, von Als¬
berg 1459-
Menstruation und Laktation
I 303-
Digitized by CjOa »öle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
XXVIII
INHALTSVERZEICHNIS
Menstruation, Ovulation, Ge¬
burt, Beziehungen zwischen
76.
—, gibt es vikariierende 139-
—, anatomischer Befund bei
vikariierender 275 .
—, Wechselbeziehungen zu
den einzelnen Organen 544.
— und Wellenbewegung 744.
Menstruationsglykosurie 371 .
Menstruationsstörungen b ei
lungenkranken Frauen 576.
Menstruationsunregelmäßig¬
keiten, Benennung 402.
Mental hygiene and prophy-
laxis in France 611.
-, the field of a state so-
ciety for 611 .
Menthol- Eukalyptolölinjektio-
nen 541. 568. 848.
Mercks Jahresbericht für 1921 .
1686 .
Merlusan 956.
Mesaortitis luica mit Insuffi¬
zienz der Aortenklappen
1498.
Mesenterialzyste, Volvulus
durch 308 .
Mesenterium, subkutane iso¬
lierte Verletzung der Chylus-
gefäße 570.
—, Chyluszyste 336.
—, Reflexe auf das Herz 1711 .
Mesocolon transversum, Blut¬
zyste 371.'
Messingdermatitis* Fall 1224.
Metacarpale 1, Luxationsfrak¬
tur 371 .
Metalle, Einfluß kolloidal ge¬
löster — auf die blutberei¬
tenden Organe 1459-
Metalleinlagen 11 85-
Metastasen, Primärgeschwülste
vortäuschende 137 -
Metasyphilis, Pathogenese 956.
—, phlogetische Therapie und
ein neues Mittel bei 882.
Metatarsophalange algelenk,
Luxation im ersten 371 .
—, dorsolaterale Luxation im
571-
Metatarsusköpfchen II, typi¬
sche traumatische Erkran¬
kung 1447’.
Meteorologie und Klimatologie
in den Kur- und Badeorten
544.
Meteorologisch-klimatologische
Kenntnisse 432 .
Methämoglobinplatte 1323 .
Methylalkoholvergiftung 11 56.
Metranoikter 1 149-
Metreuryse, Technik 606.
Migräne, Aetiologie 175-
—, Erblindung durch 1408.
—, familiäres Vorkommen 335-
—, Ohr- 369-
—, zur Pathogenese und The¬
rapie 1600.
—, Heilbarkeit 989 .
Migräneserum, Bohnstedts —
von spezifischer Wirkung?
1660 .
Mikrobiologische Technik,
Handbuch, von Kraus und
Uhlenhuth 292 .
Mikroskopische Technik, Ta¬
schenbuch. von Romeis
1256.
Mikrosporie, Epidemie in
Frankfurt 1220, Kiel 682 .
Mikrostoma, Fall 1534.
Milch, Unterscheidungsreak¬
tion zwischen Frauen- und
Kuh- 852.
Milchbehandlung bei veneri¬
schen und Hautkrankheiten
1714.
Milchbelieferung und Zahl der
tuberkulösen kranken und
unterernährten Kinder in
deutschen Großstädten 751-
Milchinjektionen bei Augen¬
erkrankungen 958.
-Lungentuberkulose 75-
Mischpumpenfrage, zur 1118 .
Milchverdünnungen bei Ernäh¬
rung junger Säuglinge 1578.
Milch Versorgung der Gro߬
städte 610.
— Berlins 1397-
Milchzucker und Dünndarm¬
peristaltik 142.
Miliartuberkulose, Fall 790 .
—, statistische Mitteilungen
1182.
Milliampäremeter als Maß der
Strahlungsintensität 879-
Millonsche Reaktion im Blut
755-
Milz, Adrenalinlymphozytose
zur Funktionsprüfung 205 .
—, Bilirubinbildung in der
überlebenden 535-
— und Erythrozyten 1325 .
—, Funktion 847- 1504.
—, neue Funktion 1441.
—, jetziger Stand der Physio¬
logie u. Pathologie der Funk¬
tion 1606.
—, Reizbestrahlung 107 .
—, Röntgenbestrahlung der —
und Blutgerinnung 111 .
—, — bei Genitalblutungen
1118 .
—, Spontanruptur 307 .
Milzausschaltung 1712.
Milzbrandpustel, Behandlung
786.
Milzerkrankungen, Stoffwech¬
sel bei 1054.
Milzexstirpation 179-
—, Indikationen 644.
—, Hämolysinbildung nach
367-
Milzgegend, Röntgenbestrah¬
lung bei operativ Entmilzten
714.
Milzruptur, zur Diagnose ?75-
— im Zusammenhang mit
Grippe und eitriger Blind¬
darm - Bauchfellentzündung
76.
Mineralquellen, chemische und
physikalische Beobachtun¬
gen 543-
Mineralstoffwechsel und Bal¬
neologie 543-
Mineralwasser und Süßwasser
543-
Mineralwässer, Schwankungen
in der Zusammensetzung
543-
Mirion bei gonorrhoischen Kom¬
plikationen 852.
-Keratitis parenchyma-
tosa und Lues hereditaria
174.
Mirioninjektion, Zungenödem
nach 604.
Mischbakteriophagen 432 .
Mischungszyanose beim Neu¬
geborenen 141.
Mißbildung, angeborene 1219 -
Mißbildungen, biologische Ein¬
teilung 497-
—, interessante 919-
Mitigal bei Dermatosen 337-
-Skabies 174.
Mitralinsuffizienz, Symptoma¬
tologie 106 .
Mitralstenose, angeborene 196 .
—, Herzklopfen bei 1359-
—, Fälle larvierter 1298 .
Mittelfußerkrankung, eigen¬
artige 402. 676 1430
Mittelfußgeschwülste, nicht¬
traumatische 1149-
Mittelohr und Gravidität 1089 .
Mittelohreiterung s. Otitis.
Mittelohrtuberkulose 1 153-
—, Röntgentherapie 1090 .
Möller-Barlowsche Krankheit,
Gefäßveränderungen bei 781.
Molke, Einfluß auf die Darm-,
zellen 310 .
Mongolenfleck, zur Frage des
231 .
Monismus und Okkultismus,
von Tischner 300 .
Monozytenangina 1495-
Morbus Basedowii s. Basedow.
— Gallorum oder Malum
Franciae, erstes Auftreten in
Mainz, von Veit 367 .
— Gaucher, zur klinischen Dia¬
gnose und pathologischen
Anatomie 1495- 1531-
Morphiumspritze, mißbräuch¬
liche Verwendung 98 .
Mühlengeräusch 849- 1 562.
1594..
Mülheim, nicht aufgeklärte Er¬
krankung im St. Josefshaus
in 1428.
Münchner Briefe 101 . 298 . 395 .
670 . 911 . 1081 . 1455 . 1684 .
Münzenklang, Verwertbarkeit
für die Diagnostik 466.
Mumps s. Parotitis.
Mund, die Krankheiten des, von
v. Mikulicz und Kümmel
1526.
Mund- und Nasenatmung 342.
Mundhöhle und Zähne, Sinnes¬
physiologie, von Türkheim
105 .
— — Rachenhöhle, Trypa-
flavin bei Erkrankungen 75-
Mundhöhlen wunden, Neosal-
varsan bei 708.
Mundschleimhaut, 266 Fälle
von primärem Karzinom 816.
—, Desinfektion für Injektio¬
nen innerhalb der Mundhöhle
möglich? 1689 .
Murphyknopf 20 Jahre im Ma¬
gen 76 .
Musculus opponenspollicis, Er¬
satz 173-
Musikaufführungen und Ge¬
sundheitsschädigungen 99-
Musikautomaten 1709.
Muskelangiom des Rumpfes
995-
Muskelatrophie, Theorie 821 .
—, Fall neuraler progressiver
1435-
—, halbseitige progressive
1666 .
Muskeldystrophie und Demen¬
tia praecox 240.
Muskelerkrankung, rachitische
338.
Muskelkontraktur, Aetiologie
der ischämischen 781. 1295-
Muskeln, auffällige Beherr¬
schung willkürlicher und
Beeinflussung unwillkürli¬
cher 73-
— bei Cholera asiatica 1387.
—, Aenderung der Elastizität
der Skelettmuskeln unter
dem Einfluß der Belastung
927.
—, Energieumwandlungen in
den 301 .
—, willkürliche Betätigung der
glatten 335-
—, Glykogengehalt 41.
—, zur psysiologischen Härte¬
messung 11^3
Muskeln, Kreatin-Kreatinin¬
stoffwechsel und seine Be¬
ziehungen zu physiologischen
und pathologischen Zu¬
standsänderungen der 927-
—, Faradisation der querge¬
streiften — bei Krampfkran¬
ken und Gesunden 538 .
—, dreifache motorische Inner¬
vation der quergestreiften
1357-
—, myokinetische und myo-
tonische Funktion und die
Tonuskrankheiten der 1429.
—, parasympathikotonische
Innervation der quergestreif¬
ten — und ihre humoralhor¬
monale Nachahmung durch
Azetylcholie und Guanidin
788.
—, funktionelle Anpassung im
Sport 171 .
—, rote und weiße 237 .
—, Arbeitsleistung transplan¬
tierter 173-
—, Verfettung der willkürli¬
chen 781 .
Muskelnarkose, die beiden Ar¬
ten der 857.
Muskelnekrose, Fall 1330.
— im Verlaufe einer Appendi¬
zitis 1395-
Muskelpartien, Fall exzessiver
Verknöcherung von — an
Hüften und Knien 1193-
Muskelrheumatismus 784.
—, Muskelneuralgie, Muskel¬
härten 1219-
—, Eosinophilie bei -524.
—, Wesen und Behandlung
1325-
Muskelstarre, Lösung 301.
Muskeltonus 1053- 1192 .
Muskeltransplantation 820.
Muskeluntersuchungen beim
Neugeborenen 141.
Muskelzuckungen, rhythmische
— im Schlaf nach Encephali¬
tis lethargica 38 .
Mutaflor bei perniziöser An¬
ämie 42.
Mutterkompräparate 848. 1020 .
1024.
Muttermäler, Tierzeichnung,
Menschenscheckung und
Systematisation der, von
Meirowsky und Leven
270 .
Muttermilch, Antikörper 337-
Mutterschutzproblem 274.
Myastenia gravis, Muskelak¬
tionsströme bei 240.
Mycosis fungoides 555.
Myelitis ascendens infiltrativa
nach Erysipel 308 .
— e compressione, Operation
bei 1185-
— gripposa acuta 94 .
— im Frühstadium der Syphilis
während Salvarsanbehand-
lung 443 .
Myelodysplasie, Fall 407-
Myelodysplasielehre 852.
Myeloisches System, Hauter¬
scheinungen bei Erkrankun¬
gen des 1610.
Myelome, multiple 498. 1224.
Myelose, akute 1563 .
Myelozyten bei inneren Krank¬
heiten 1394.
Myokard, Rundzelleninfiltrate
im —bei Status thymolym-
phaticus 436 .
Myokarditis, akute diffuse in¬
terstitielle 499-
— rheumatica und Rheumatis¬
mus acutus 17^
Myoklonien und Parkinson
scher Symptomenkomplex
nach Encephalitis epidemica,
intravenöse Injektionen von
eigener Lumbalflüssigkeit bei
816 .
Myoneurin bei Muskel- und
Nervenschmerzen 1085.
Myope, Einwärtsschielen der
1156 .
Myopie, von Hirsch 1086.
—, prääquatoriale Sklerotonie
bei maligner 1493-
Myopiegenese und Sehnerven-
Schlängelung 1121.
Myopieoperation nach Fukala
1260 . 1493-
Myositis, Fall von Influenza- 334 .
—, pluriglanduläre endokrine
Insuffizienz und 1394.
Myosklerose, Fall IO 65 .
Myxödem, inkomplette Formen
433-
—, Untersuchungen an einem
kongenitalen 917 -
— und Kauffmannsche Krank-
heit 681 .
Myxoedema frustrum 472.
N.
Nabelgangrän, Fall 1300 .
Nabelgeschwür, syphilitisches
682. 1662 .
Nabelschnurbruch, Kasuistik
77.
—, zur operativen Behandlung
1213.
Nabelschnurkreislauf im Römt
genbilde 237 -
Nabelstrang, Bakteriologie des
abfallenden — bei verschie¬
denen Behandlungsmethoden
745-
Nabeltetanus beim Neugebo¬
renen 141.
Nachgeburtsperiode 207-
Nackenzeichen Brudzinskis als
Reflex des Säuglingsalters
141.
Nährklistiere beim Säugling
1463-
Nährmittel, Beurteilung der
diätetischen — im Rahmen
des deutschen Rechts 1020 .
Nährstoffe, oxydativer Abbau
und wechselseitiger Umbau
1530.
—, Immunität und 1036.
Naevus pigmentosus, riesen¬
hafter 111 .
—, Tierfell- 1316.
—, verruköser maligner 209 .
Naftalan 334.
Nahrungen, konzentrierte **
bei Säuglingen 146.
Nahrungsbemessung bei unter¬
gewichtigen Säuglingen 852 .
Nahrungsstoffe mit besonderen
Wirkungen, von Abderhal¬
den 1427-
-spezifischer Wirkung 301
Nahtlinien, Entspannung 605
Nanosomie, Fall 1329 .
Narben im Gesicht, Korrektur
336.
Narbenbildung, Beeinflussung
durch Lichtfilter 1256 .
Narbenerweichung, Pepsin und
Trypsin zur 1148.
Narbenilfiltrate im Pylonus
Schließmuskel 1527-
Narkohypnose 1298.
Narkolepsie 1429-
Narkose, Untersuchungen 203 *
— und Azidose 1687 .
—, weshalb ist bei zu tiefer
— das ausfließende Blut
dunkel gefärbt? 81 3-
Digitized by L^QuQie
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
INHALTSVERZEICHNIS
XXIX
e. schädigende Dämpfe
odtinktui und 1688.
Solästhin 1359-
emaske zur selbsttätigen
hrung der Chloroform-
Aetherdämpfe 1185 .
kum, Frage des 1054.
ibetkubung 1436.
)bturationen und Ner*
item 1713-
lvsiologie und Patho-
140.
ldkörper 1681.
mphvsiologische Ge¬
unkte für lumener-
ide Operationen an
X).
gung und Einbrin-
von Medikamenten
361 .
suchung 1585 .
pparat zur Hebung
r 1422.
d Mundatmung 342.
en 1729.
therie im Kindesalter
id Augenerkrankun-
sammenhang 1566 .
lansaugen, Faszien-
zung bei 107 .
?ktur, intranasale
nhöhlen, Sehnerv
J.
uchung 1651.
nhöhlenentzündun-
ennung und ßehand-
tgenbild 1090.
boh lenerkrankun-
;kratzung der ge-
1 Schleimhaut bei
löhlenoperationen,
ißere, und kombi-
o.
ion, Tamponade
wand, Operation
ratlonen 140.
; 140 .
ade 1729.
ilose 140.
cleinicum, intra-
Ictionen 642.
Malariabehand-
’aralyse 706.
lämolyse, Hem-
1 das Serum bei
>n Krankheiten
oat, körperliche
igkelt und pri-
ersammlung,
Hunderjahrfeier
e rsam ml ungen,
e deutscher, von
die Medizin auf
ilarisreizung bei
ur 1057-
erative 17 3-
ründung s. bpi-
Nasenneben-
oxvsmale Ady-
isuffizienz der
Nebennieren, Anenzephalie und
1666.
— und Bakterienwachstum
1468.
—, Hypernephrom 1370 .
— nach Leberexstirpation
1427-
—malignes Neuroblastom
1331.
—, Chirurgie 273-
Nebennierenexstirpation bei
Hyperfunktion der Neben¬
niere oder von deren zentral
übergeordneten Zentren, Er¬
folge der 929-
-Epilepsie 153. 275- 402.
467- 709. 784. 1185-
—, einseitige 955-
—, Sammelreferat 1626. 1662 .
—, Technik 1429-
Nebennierenreduktion 434.
Nebennierenrinde, paroxysmale
Adynamie bei Amyloidose
der 1183-
—, Funktion 431. 886.
—, funktioneller Zusammen¬
hang zwischen dem drüsigen
Teil des Eierstocks und der
1259.
—, Lipoidgehalt der — des
Meerschweinchens bei ex¬
perimentellem Skorbut 953-
Nebennierentumor, epithelialer
886.
Nebenschilddrüse, Verpflan¬
zung im allgemeinen und bei
Paralysis agitans 849-
Neissersche Spritze, Modifika¬
tion 372.
Neo-Antiluetin 1511.
Neosalvarsan, Identitätsproben
106.
—, Verhinderung von Intoxi¬
kationserscheinungen nach
Injektion durch Calcium bro-
matum und Calciumchlora-
tum 586.
—, Nebenwirkungen und ihre
Bekämpfung unter beson¬
derer Berücksichtigung des
Suprarenins 804.
—, Erythrodermia exfoliativa
nach 1300 .
—, Färbung an Syphilisspiro-
chäten mit 645-
— bei Mundhöhlenwunden
708 .
-Rückfallfieber 1148.
-Cyarsalkur, einzeitige
kombinierte 645-
— s. auch Syphilis.
Neosilbersalvarsan 17. 207 .436.
584. 624. 645- 748. 785 . 979.
1307. 1361.
— allein und als Mischspritze
1044.
— und seine einzeitige Ver¬
wendung mit Novasurol 158.
—■ bei Neurosyphilis 372 .
— s. auch Syphilis.
Neosilbersalvarsannatrium 436 .
457.
Nephrektomie, transperitoneale
1266.
Nephritis b. Appendizitis 1526 .
— chronica, Dauer 1543.
—, eiweißfreie 569 .
—, hämaturische einseitige
992.
—, Impetigo- 675. 1360 .
—, Kälte- 467-
—, Zuckertage bei kindlicher
208.
— s. auch Kriegsnephritis.
Nephritisanämie, Blutplätt¬
chenuntersuchungen bei 211 .
Nephritislehre, Wandlungen in
der 467 .
Nephropyelitis, septische 1435-
Nephropathia gravidarum 917 .
Nephropexie bei anormalen und
pathologischen Nieren 273-
Nephrosen 782 .
Nerven, elektrische Reizungen
sensibler 927 .
Nervenlepra 113 .
— und Syringomyelie, Diffe¬
rentialdiagnose 1056 .
Neryenoperationen mit Nach¬
untersuchungen 173.
Nervensubstanz, Ernährung
271 .
Nervensyphilis, Vorbehandlung
mit Koffein bei der Salvar-
sanbehandlung der zentralen
920 .
Nervensystem, Histopatholo¬
gie, von Spielmayer 1393-
—, Fernwirkung nasaler Ob-
turationen 1713 .
—, seltenere Tumoren am
peripherischen 885-
—, pharmakologische Prüfung
des vegetativen 105.
—, physikalische Zustands¬
änderungen 1255.
—, Einfluß der Ernährung auf
Funktionen des vegetativen
788 .
Nervöser Charakter, überden,
von Adler 1293-
‘Nervosität, die Rätsel der, von
Gerster 1394 .
Nervus axillaris, isolierte Läh¬
mung infolge Kohlenoxyd-
Vergiftung 569-
— hypoglossus, Pfropfung auf
den N.facialis 744.
— ischiadcius und saphenus,
Vereisung bei angiospasti-
schen Schmerzzuständen der
unteren Extremität 501.
— lingualis, Motorischwerden
nach Degeneration des N.
hypoglossus durch elektri¬
sche Reizung der Chorda
tympani 1467 .
— phrenicus, temporäre Aus¬
schaltung 193.
— ulnaris, Ganglion in der
Nervenscheide 68. 694.
Netzhaut und Papillentumoren
1124.
—, Phosphorsäureausschei¬
dung bei Belichtung 269 .
Netzhautablösung, zur Aetio-
logie und Behandlung 115.
408. 1156.
— bei Tuberkulose 1625 .
—, Behandlung mit salzloser
Diät 1396. 1564.
—, Druckverband bei 647-
Netzhautmißbildung bei Netz¬
hautgliom 1328 .
Netzlymphangiektasien bei er¬
weichtem Uterusfibrom 303 .
Netzstrangulation unter dem
Bilde akuter Appendizitis
1057-
Neugeborenes, diagnostische u.
therapeutische Irrtümer
beim, von Zangemeister
und Esch 1563-
— und seine Eigentümlich¬
keiten 1296 .
— mit 4 oberen Schneidezäh¬
nen 1226 .
Neugeborene, Geburtseinfluß
und konstitutionelles Eie-
ment in der Genese der Al¬
buminurie der 851-
—, entzündliche Augenerkran¬
kungen in der Nachkriegs¬
zeit 372.
—, weiße Blutzellen bei 403 .
—, künstliche Ernährung 339 .
Neugeborene, Ernährungssta¬
dien bei 372.
—, traumatische Gehirnerwei¬
chung bei 403.
—, Glykosurie der 746.
—, Übertragung pathogener
Keime der Kreißenden und
Wöchnerin auf 240.
—, Kriegs- 919-
—, Ausbau der Röntgendia¬
gnostik für Anatomie und
Physiologie 790.
—, Röntgenphotographie als
Lebensprobe zum Nachweis
des Lungenluftgehaltes bei
790.
—, Zuckerim Harn von 1596.
Neulandhandgriff für Prothe¬
senträger 644.
Neuralgien, Behandlung, von
Alexander 1148.
Neurasthenie, eine endokrine
Erkrankung, von Harro wer
305.
—, Beurteilung in Rent'en-
sachen 1186 .
Neurinome bei Recklinghausen¬
scher Krankheit 1184.
Neurinomfrage 850.
Neuritis, multiple 692.
—,-in und nach dem
Kriege 659.
— optica nach Filixextrakt
957-
-während der Laktation
677-
— retinae luica 77-
Neurofibromatosis, familiäre
1182.
— mit traumatischer maligner
Geschwulstbildung 437-
—Knochenveränderungen bei
402.
—, peripherische und zentrale
308.
—, chirurgische Behandlung
1532.
Neurome, Verfahren zur Ver¬
hütung der Trennungs- 371.
Neurosen, System der, von
Kugler 568.
—, die umschriebene Herab¬
setzung des Gleichstrom¬
widerstandes der mensch¬
lichen Haut bei gynäkologi¬
schen, von Al brecht 1218 .
—, ätiologische Therapie 1429.
—, Behandlung der Organ-
1713-
—, kausale Psychotherapie bei
Organ- 605-
—, Pathologie und Chirurgie
der spastischen 1526 .
—, der Angiospasmus in der
Pathogenese vasomotori¬
scher 1572.
—, periarterielle Sympathek¬
tomie bei vasomotorisch-
trophischen 1057-
—, s. auch Unfall- und Kriegs¬
neurosen.
Neurosenfrage 338.
Neurosenlehre, Sammlung klei¬
ner Schriften zur, von
Freud 271 .
—. Epikritisches zur 922 .
Neutraion und Belladonna-Neu¬
traion bei Magenhyperazi¬
dität 107-
Ngundu-Krankheit 1402.
Niere, Blutzyste neben der 111 .
jtions-
115.
Leber-
Ht.
U53-
— im Sinne der bexr«
theorie eine Drüse i i
~ bei ak“ ter gelber
_ at >We v
Niere, Choledochusverschluß
und Anurie durch Solitärzyste
der 1325 .
—, Ueberlastungssymptome der
erkrankten 1411.
Nierenaktinomykose 709 .
Nierenanomalien, kongenitale
1153-
Nierenatrophie, angeborene
einseitige 435-
Nierenbeckenpapillom 440.
Nierenblutung auf entzünd¬
licher Grundlage 709 .
—, essentielle 886.
Nierenchirurgie, gegenwärtiger
Stand 1220 .
—, Fortschritte und Ausblicke
1294 .
Nierendegeneration, polyzy¬
stische 615-
Nierendekapsulation 1691 .
— bei akuten Schädigungen
der Niere 1294 .
-renaler Hämaturie 918 .
-Sublimatvergiftung 570 .
Niereneiterungen, zur Erken¬
nung und Beurteilung 1595-
Nierenerkrankungen, Diagno¬
stik der chirurgischen, von
Baetzner 501 .
— nach Angina 643 .
—, Ausscheidung körperfrem¬
der Stoffe bei — und ihre
Beziehungen zur Prognose
1293.
—, Blutharnsäuregehalt bei
— im Vergleich zu Rest¬
stickstoff und Kreatinin 537-
—, Blutreaktion und Dys¬
pnoe bei 537-
—, funktionelle Diagnostik bei
469-
—, experimentelle chronische
508.
—, chronische — bei Endocar-
ditis lenta 1660 .
—, Entwicklung der Lehre
von den hämatogenen — in
den letzten 10 Jahren 1293-
—, Bedeutung des Plasma-
eiweißes für Klinik und
Behandlung 401.
—, Prognostik 569-
—, Reststickstoff in Blut und
Gewebe bei 500.
—, Röntgendiagnostik 376.
—, die chirurgischen — im
Röntgenbilde 1401.
— in der Schwangerschaft, Be¬
nennung, Pathologie und
Klinik 140.
— bei kongenital r Syphilis
1662.
—, Wasser- und Konzentra¬
tionsversuche bei chirurgi¬
schen 570.
—, Behandlung 335 . 1152.
—, Diätproblem bei entzünd-
1 liehen und degenerativen
1603.
Nierenfunktion 1623 , im Säug¬
lingsalter 882.
— bei gesunden und kranken
Schwangeren und Entbun¬
denen 173-
Niererifunktionsprüfung 517.
—, Ambardsche Konstante zur
500.
—, neue Methode 1054.
—, Wert der neueren Methoden
für die Chirurgie 955-
Nierengefäße, klinische Bedeu¬
tung der akzessorischen 850.
Niereninsuffizienz, Nitrogen-
Retention und Rest-N-Ver-
I teilung in den Geweben bei
333-
\ — des Prostatikers 3/6.
Digitized by »oie
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
XXX
Nierenkelche, Funktion 709 .
—, nervöse Versorgung 1427-
Nierenkollateralkreislauf 1532.
Nierenkontusion, Fall 1124.
Nierenkranke, Salz- und Was-
serwechseTbei 75-
Nierenlager, Pneumoradio-
graphie 39- 177- 790. 881.
Nierennarben, schmerzende 501.
Nierenpathologie im Kindes¬
alter, zur 1495.
Nierenprozesse, intravenöse
Urotropininjektionen bei py¬
ogenen 784.
Nierenschußveiletzungen 1021.
Nierensenkung und Magen¬
darmlähmung, Beziehungen
zwischen 1137.
Nierensteine, für Echinokokken
gehalten 240.
— und Nierentuberkulose 574.
1563-
Nierensteindiagnostik, Irrtum
in der 240.
Nierensteinkrankheit, Klinik
und Therapie 500 .
Nierentuberkulose bei Frauen
1086 .
— im Kindesalter 1086.
—, Behandlung 336, konserva¬
tive 342.
Nierentumoren, zur Diagnose
der malignen 1360.
—, feste — und ihre chirurgi -1
sehe Behandlung 1429.
— im Kindesalter 1532.
Nierenveränderungen bei Blei-!
Vergiftung und Gicht 1053-
Nierenzyste, traumatische 206.
Nierenzysten, solitäre 850.
—, Entstehung 1595-
N etzsche, F., von Köhler
1181 .
Ni kotin, zur Pharmakologie
1598.
N schenschatten ohne Vorhan¬
densein eines Ulkus 1085.
Nischensymptom, Verschwin¬
den 1400.
Nitral, biologische Wirkung
des — und seine Bedeutung
für die Hygiene der Ernäh¬
rung 1564.
Nitroglyzerin-Darreichung 302.
Nitroisobutylglyzerin, physio¬
logische Wirkungen 643.
Nitroverbindungen, Giftigkeit
aromatischer 1377.
Noma S5S.
Nomainfektionen 1594.
Norm, ihre Bedeutung und Be¬
stimmung, von Rautmann
497-
—, über die 333.
Normaltafeln des Kindesalters
1361.
Normomastixreaktion des Li¬
quor cerebrospinalis 1305.
Normosal, Blutauswaschungen
mit 43.
Normosalinfusion, intravenöse
— in der Chirurgie 744.
—, biologisches Verhalten der
Gewebe und Organe gegen¬
über 814.
Norwegen, Alkoholfrage in 32.
Novalgin 91, bei Lungentuber¬
kulose 1183.
Novasurol 334.
— als Diuretikum 38 204.4 3
466. 536 572. 650. 988. 1428-
-und Strophanthin bei
einem Falle von Hydrops
1713-
—, Nebenwirkungen 1183-1460.
—, hämorrhagische Kolitis
nach Injektion 783.
—.Todesfallnach Injektion436.
Novatropin 171 . 1594.
Novitan 324.
Novokain, Wirkung auf den
Skelettmuskeltonus 831.
Novokaininjektion, Totalamau¬
rose nach — oder Luft¬
embolie? 604.
Novokainlösungen, Herstellung
76.
Novokainschäden, Beitrag 802.
Novokain - Seprareninanästhe-
sierung t'Jutdruck und Puls
während und nach 1056.
Nürnberg, Verbreitung der Ge¬
schlechtskrankheiten in 882.
Nuforal bei Tuberkulose 334.
1624.
Nutramine, Wesen und Be¬
deutung 269 .
Nystagmus 1089.
—, harmonische Analyse 1156.
—, Bewegungs- 1090.
—, Bedeutung für die Herd¬
diagnose 849 .
—, Beobachtungsschirm bei
opt.schem 1090 .
Regstr.erung mittels des
Saitengalvanometers 1361.
Nystagmusproblem 746.
O.
Oberarmfrakturen, Schiene für
644.
Oberflächenspannung, Bestim¬
mung 1402.
— bei sehr geringen Flüssig¬
keitsmengen 37.
Oberkieferhöhle, bösartige Ge¬
schwülste 1090.
Oberlid, Mitbewegung des lin¬
ken — beim Kauen 1328.
Oberschenkelfrakturen 1625 .
Obst.patio chronica und ihre
Behandlung 467. 1467.
-, Pathologische Physio¬
logie der 272 .
— und Koloptose 500.
Ochronose, Fall von — und Al-
kaptonune 863.
Octomitus mtest.nalis 375.
Oedem, Eiwe.ßkonzentration
und Chlornatr.umabsorp-
tionsvermögen des Blut¬
serums bei &41.
—, Fragen der Pathologie des
641.
—, diabetisches — und Azidose
917.
—, plethysmographische Kur¬
ven bei latentem 1594 .
—, malignes — nach Laparo¬
tomie 570.
— der Schwangeren 1258.
Oedema cutis proprium 11 18 .
— scorbuticum invisibile 403.
Oedematöse, Stoffwechselver¬
suche an entwässernden 73.
Oedembereitschaft bzw. Oe-
demtorpidität, Blasenme¬
thode bei 1219 .
Oedemkrankheit bei italieni¬
schen Kriegsgefangenen in
Deutschland 41.
— auf Grund der Kriegserfah¬
rungen des Pathologischen
Institutes Halle 367 .
Oel, intravenöse Injektionen
in — gelöster Medikamente
568 .
Oelinjektionen, Einfluß intra¬
venöser — auf das Lungen¬
gewebe 848.
Oeltherapie, intravenöse 356.
1324.
Oesophago-Trachealfistel nach
Gumma der Trachea 472.
Oesophagoplastik, antethora-
kale 1117 .
INHALTSVERZEICHNIS
Oesophagoplastik, intrathora -1
kale 1117 . I
—, Komplikationen bei totaler
753.
Oesophagoshopie, Beiträge zur
77.
Oesophagotomie, Technik 76 .
Oesophagus, chirurgische Er¬
krankungen im Brustteil 616 .
— y Fremdkörper im 374. 649.
—, Emphysem bei Fremdkör¬
pern 1434.
—, Entfernung eines im —
steckenden Gebisses vom
Magen aus 47.
—, Grenzdivertikel 1401.
—, *Karzinomsarkom 498.
—, Veränderung bei Lympho¬
sarkom und Lymphogranu-
lom des Mediastinums 954.
—, Magenschlauch im 437-
—, plastischer Ersatz 1219 .
Oesophagusatresie 141. 642.
— und Oesophagus-Tracheal-
fistel 367 .
Oesophagusdilatation und
Kardiospasmus 707 .
—, Behandlung der kardio-
spastischen 928.
Oesophagusdiphtherie und ihre
Folgezustände 1056 .
Oesophagusdivertikel, Rönt¬
gendiagnose des tiefsitzendeij
499.
—, zur Operation 719. 930.
Oesophaguskarzinom, Fall von
hochsitzendem 648.
— bei vertebralen Exostosen
! 1085.
! —, Operation 138.
—, Radiumbehandlung 720.
930.
Oesophaguskarzinomstenosen,
Symptom bei 1085.
Oesophagusperforation und
Röntgendurchleuchtung 499.
Oesophagusplastik 401. 509.
Oesophagusresektion 570.
Oesophagusstenosen 650 .
—, antethorakale Oesophagus¬
plastik bei kongenitalen 173 .
Oesterreich, Bevölkerungsbe¬
wegung in — 1914—1920.
749.
Ohr, Krankheiten des äußeren
und mittleren, von Brügge¬
mann II18.
— und obere Luftwege. Hand¬
buch der Speziellen Chirurgie,
von Katz und Blumenfeld
140. 710. 1395-
— — — —, Lehrbuch der
Krankheiten, von Denker
und Brünings 336.
—, differentialldiagnostische
Bedeutung des Fiebers bei
Erkrankungen des — und
der oberen Luftwege 1328.
—, Funktionsprüfung 61 5.
—, zur Entwicklung der aty¬
pischen Gewebsformation im
häutigen Innen- 1090.
—, Höhenklima und 108 .
—, Technik, Komplikation und
Indikation der Radikalope¬
ration 745.
—, zur Klinik der Syphilis des
Innen- 1121 . 1262.
—, Zostererkrankungen im
Gebiete des 1295 .
Ohrenkrankheiten, Diagnostik
und Therapie, von Stein
882.
—, Nasen-, Rachen- und Kehl¬
kopfkrankheiten, von Knick
4a
—, — und Kehlkopfkrank¬
heiten, Lehrbuch, von Kör¬
ner 1430.
Ohrlabyrinth, kalorische Erre¬
gung 140.
—, Therapie der vaskulären Er¬
krankungen 1688 .
— s. auch Labyrinth.
Ohrmigräne 369 .
Okkulte Phänomene, Tätigkeit
des Münchener Ausschusses
zum Studium der 245-
Okkultismus und Monismus,
von Tischner 301.
—, Einführung in den, von
Tischner 333.
Oktavusneuritis und Herpes
zoster im Zervikalgebiet 77.
Okular nach Siedentopf, mikro¬
photographisches 1439.
Oldenburg, Aufsätze zur Ge¬
schichte der Medizin im Her¬
zogtum, von Roth 1053.
Oligurie, primäre 1055-
Omentum majus, Bedeutung
für ektopische Früchte 1258 .
Oninadin bei akuten Infektio¬
nen 1110.
Onanie im Kindesalter 1186 .
—, Bedeutung der — und Be¬
ziehung zur Neurose 1734.
Oophoritis chronica, Histo-
mechanik 368 .
Operationen zu Gutachten¬
zwecken 71 .
Operationssaal, der chirurgi¬
sche. von Bert hold 172 .
Ophthalmia electrica beim
Film 1445.
Ophthalmoblenorrhoea neona¬
torum, Sopholprophylaxe
606 .
Ophthalmoplegia externa,
doppelseitige 1261.
Opium und seine Präparate 27.
Optarsan 334.
Optikusatrophie, endolumbale
Salvarsanbehandlung bei ta-
bischer 1600.
Optische Lokalisation, Grund¬
lagen der egozentrischen
1531.
Optisches Prinzip, wenig be¬
achtetes 251.
Optochin. basic. 1452.
— bei postoperativen Lungen¬
komplikationen 172. 1260.
—, Kupierung von Pneumokok¬
keninfektionen durch .>57.
— bei Pneumonie 989 . 1120.
Oralsepsis und von Zahnleiden
abzuleitende Fernerkrankun¬
gen 783.
— und Wurzelbehandlung 677 .
Orbita, Tumoren, Pseudotu¬
moren und Fremdkörper 1117 .
Orbitalpunktion, Bcrielsche —
nebst vergleichenden Un¬
tersuchungen über Lumbal-
und Orbitalliquor 1218 .
Orchitis und Epididymitis,
chronische, nicht spezifische
1057.
— bilharrica 402.
— syphilitica 78 .
Organotherapie 992.
— bei nervösen Zuständen 887 .
Orgasmus ohne Ejakulation
1171.
Orientbeule 995-
Orthodontisches Modell, Orien¬
tierung im Schädel 1088.
Orthopädie, Lehrbuch, von
Lange 1085-
Osmotherapie, Grundlagen, von
Stejskal 1562 .
Os tibiale externum bei Fu߬
schmerzen in den Wachs-
tumsjahren 644.
Osteoarthritis deformans juve¬
nilis des Hüftgelenks 1595-
Aetiologie 76 .
Osteochondritis deformans
coxae juvenilis 644. 1 525 .
— dissecans 614.
— juvenilis, operative Behand-
| lung 930.
Osteodysplasia fibrosa cystica
congenita 1463.
Osteoma ovarii 209 .
Osteomyelitis und Knochenge¬
fäße 847. 993.
— des Oberschenkels nach
Zahnbehandlung 336 .
— acuta patellae 919.
— purulenta acuta, geogra¬
phische Verbreitung 107 .
—, chronische, nicht eitrige —
mit primärer Totalnekrose
der Diaphyse 1527 .
—, Pathogenese der Säug¬
lings- 78 .
— typhosa ulnae als Ausgangs¬
punkt einer Typhusepide¬
mie 138 .
— der Wirbelsäule 1368 .
-— bei Säuglingen 956 .
— traumatica der Wirbel¬
säule und Rippen beim
Kinde 1463.
— acuta, Behandlung 972 .
—, tamponlose Behandlung
1368.
—, Nachbehandlung mit dem
luftabschließenden Verband
nach Bier 817 .
Osteophytenbildung in der
Schwangerschaft 173.
Osteopsathyrosis 1090 .
—, künstliche Höhensonne bei
342.
Osteotomie, keilförmige 570.
Ostitis deformans 1086.
— — oder Enchondrom? 107 .
— —, zur Kasuistik 544.
— —, Wesen und Pathogenese
537.
-des Schädels 1056.
— fibrosa 1057-
-, Fall allgemeiner 1599.
-, lokalisierte 855.
— — und Sarkom, differential-
diagnose im Röntgenbild 790.
Otitis media, Abduzensläh¬
mung bei 1089.
— —, chronische polypöse —
— mit zirkumskripter La¬
byrinthitis 276 .
— — perulenta, Urobilinogen-
nachweis im Harn zur Erken¬
nung von Hirnblutleiterer¬
krankung im Verlauf von 645.
Otogene Blutvergiftung, bak¬
teriologische Blutbefunde bei
1089 .
Otolithenapparat, isolierte Er¬
krankung 1090.
Otosklerose 277- 645.
—, Blutkalkveränderungen
bei — und ihre Beziehungen
zu Störungen der inneren Se¬
kretion 1090.
Otoskopie 1319.
Ovarialbehandlung klimakte¬
rischer Toxikodermien 818 .
—, Wasser- und Salzwechsel
bei 1055.
Ovarialhämatome 1150.
Ovarialkarzinome 1027 .
—, Dauerheilung 178 .
Ovariallipoide, Bedeutung 881 .
Ovarialschwangerschaft 959 .
Ovarialtumor, Geburt kom¬
pliziert durch 303.
—, in der Gravidität entfern¬
ter, im Becken eingeklemm¬
ter 059 .
Ovarialtumoren als Komplika¬
tionen der Schwangerschaft
und Geburt 273 .
—, Zähne in 1150 .
Digitized by »oie
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
INHALTSVERZEICHNIS
XXXI
ilzyste, Fall 41.
Jisendrehung 125 S.
:lle Blutungen, Organo-
apie bei 1258.
ntransplantation, Myo-
eentwicklung nach 468.
m, Arbeitsteilung im 606.
tomechanik des norma-
3aues 368.
Tima 403.
oide im 1192.
ktioneller Zusammen-
zuischen dem drüsigen
ies - und der Neben-
i rinde 1259-
om 209.
-flächenpapillom 851.
:genbestrahlung und
Sekretion des 1256.
rimenteile Röntgen¬
rungen und ihr Ein-
uf die Nachkomme n-
1088.
5-
eaktioneri bei ent-
hen Prozessen 1358.
is Vorgänge, Mecha-
1529 .
fer 377.
jnd akute Appendizi-
).
rkrankung nach
ur gegen 942.
> 172. 500. 882.
fektionen, chirurgi-
mplikationen 1661 .
gglutinatior» bei 745.
s diagnostische Re-
?ei 1090 .
riologisdhe und sero-
Befunde bei 1090.
nnahtmethode bei
'oblem der 1090.
>eschädigungsfrage
e Behandlung 77.
Je Naht bei 745.
is, Spezifizität des
a 137-
pathologisch- ana-
; tu dien 140.
P.
ineatus 1468.
anJcheit s. Ostitis
Beseitigung der
elkontraktionen
ehandlung 1295 .
itzflnd ungen in
109-
hyse f020.
.* der äußeren Se-
ikungen, gegen-
nd 161. 193.
on im Rönt-
ilose 643-
; 1207.
te vor und nach
>n Aether ins
320.
rose, akute —
durch Chole-
1435.
Fall 1219 -
n bei ^hr
m , Hydrops
Gallengang'
e 1166.
1257-
Pankreasnekrose, Vorstufen der
akuten — und Zweckmäßig¬
keit der Frühoperation bei
Gallensteinleiden 881 . 1332.
akute hämorrhagische 1117.
Pankreassaft, physiologische
Regurgitation von -r- in den
Magen 1085.
—, Rückfluß und Trypsin-Salz-
säure- Resistenz 499.
Pankreasschwanzkarzinome
614.
Pankreastumur, gutartiger 484.
Pankreaszyste, Fall 1223 .
—, traumatische 46.
Papilla nervi optici, morpholo¬
gische Grundtypen in der
Wirbeltierreihe 408.
— Vateri, Behandlung der Kar¬
zinome 507 . 1107. 1117 .
-, Beseitigung von gut¬
artigen Stenosen 538.
Papillarmuskel im linken Ven¬
trikel, Abriß 743.
Papillomatosis cutis 510.
Parabioseforschung, Stand und
Ziele 1083.
Parallelitätseindruck 1124.
Paralysen, Stoffels Behandlung
der spastischen 374.
—, Glüheisenbehandlung spon-
dylitischer 605 .
Paralysis agitans, Fälle 407.
1329.
-im Rahmen der Arterio-
sderosis cerebri 433.
-u. Huntingtonsche Cho¬
rea , pathologisch - anatomi¬
sche Differentialdiagnose
1056.
-nach Encephalitis epi¬
demica 142.
-, das Symptom der passi¬
ven zitterigen Kontraktion
646.
--, Nebenschilddrüsenüber¬
pflanzung bei 113. 210. 849.
—, paroxysmal is 1223 .
— progressiva 359.
-, anatomische Schnelldia¬
gnose 1394.
-, senile 1055.
-, Fälle mit Besonder¬
heiten und Spirochäten 302.
-im Lichte der Spiro¬
chätenforschung 369.
— —, Spirochätennachweis
bei 1055.
-, Frequenz der letzten
20 Jahre ln der Wiener
Irrenanstalt 955.
-bei Heeres- und Marine¬
angehörigen in Krieg und
Frieden 302.
-, Behandlung 11 84.
-, Notwendigkeit der ätio¬
logischen Gestaltung der The¬
rapie 240.
-, unspezifische Therapie
und Prophylaxe 206.
— —, Einwirkung von Mala¬
ria 1184. 1259.
— —, Natrium nucleinicum
bei der Malariabehandlung
706.
-, Benkössches Jodpräpa¬
rat bei 302.
-Silbersalvarsan bei 1055-
Paranoia, ätiologische Grund¬
legung H84.
— und genealogische For¬
schung 369 .
Paranoiker, dramatische Dich¬
tung eines — über Wahn 240.
Parasiten der Wirbeltiere in
Nordchina 109.
Parasiteneier im Kote der
Haustiere, Nachweis 1629 .
Parasympathikusglykämie, Me¬
chanismus 1255.
Paratyphus A-Epidemie in Kö¬
nigsberg 1034.
— B 1323.
-- abdominalis und Gastro¬
enteritis paratyphosa B400.
-, Bakterien, Systematik
706.
-, Erkrankungen bei Neu¬
geborenen 852 .
Paraurethraler entzündlicher
Bindegewebstumor 918 .
Paravertebral- und Parasakral¬
anästhesie bei Operationen
des Bauches und des Uro¬
genitalsystems 1225 .
Parazentesekuren 1156.
Parcograph 11 83.
Parkinsonsche Krankheit, post¬
enzephalitische 309.
—■ — und Parkinsonismus,
Differentialdiagnose der Mus¬
kelstarre bei 1071 .
Paronychie, chronische 816 .
—, Behandlung 818 .
Parotitis epidemica, toxische
Meningitis nach 38 .
-, seltene Varietät 880.
Partigenbehandlung, zelluläre
Erscheinungen nach 1084.
— der Tuberkulose 38. 1 96 .
Partigenforschung, experimen¬
telle <§hmdlage der, von
P inner 1020.
Partigentherapie, praktische
Ergebnisse, von Grau und
Schulte-Tigges 1020.
Pasteursche Schutzimpfung,
Sterilität des 'Kaninchen¬
rückenmarkes zur 5 6
Patella, unbekannte Erkran¬
kung 305 .
—, akute Osteomyelitis 919-
Patellarfrakturen im Greisen-
alter 1532.
Patellarreflex, Gordonscher —
und Chorea minor 746.
Pathologie, Handbuch der all¬
gemeinen, von Krehl und
Marchand 399.
—, Ribberts Lehrbuch der All¬
gemeinen — und der Patho¬
logischen Anatomie 567 .
Pavor noctumus und Wasser¬
mangel 1186 .
Pelidisi-Tafel, von Pirquet
1661.
Pellogon bei Gonorrhoe 746.
Pemphigus conjunctivae 1156.
1400.
— neonatorum und Impetigo
contagiosa 40.
-, künstliche Höhensonne
bei 1255 .
Penis, Induratio plastica 371.
—, Melanosarkom 402.
Peniskarzinom, totale Emas-
kulation bei 139.
Pepsin, salzsaures — ein phy¬
siologisches Antiseptikum
1260. 1291.
—, Wirksamkeit des erhitzten
1185.
— und Trypsin zur Narbener¬
weichung 1148.
Pepsinlösung, kolloidale — zur
Narbenerweichung und Lö¬
sung von Verklebungen 303-
613.
Pepsin-Pregllösung, Erfahrun¬
gen mit 715.
-bei inoperablen Tumoren
1359.
— -Salzsäure als physiologi¬
sches Antiseptikum 995.
Peptonpräparat für die bak¬
teriologische Praxis 1076.
Perhydrol, Homhautschädi-
gungen durch 607.
Periarteriitis nodosa 431. 744.
1359.
Pericarditis 302 .
— exsudativa und Pleuritis
mediastinalis anterior, Diffe¬
rentialdiagnose im Röntgen¬
bild 790.
— purulenta, chirurgische Be¬
handlung 989 .
Pericolitis membranacea 681 .
Perikardpunktion, Technik 887 .
Perilymphatisches Gewebe
1090.
Perinealkrampf 501.
Periodontitis, Radiumbestrah¬
lung bei 851.
Periostitis infectiosa 644.
— luica, ungleiches Wachstum
der Beine infolge 1400.
— und Arthritis typhosa 38.
Periostreflexe 1534.
Peripachymeningitis acuta lum-
balis 1193 .
Peripherie und Zentrum, von
Cornelius 1054.
Peritonealtuberkulose, Behänd
lung 614. 955.
—, Pneumoperitoneum bei
exsudativer 205.
Peritoneum, postoperative Ver¬
wachsungen 401.
—, Pseudomyxoma 1026.
Peritonitis, Pathologie und
Therapie 76 .
— nach Mandelentzündung
1075.
—, mikroskopisches Bild und
Prognose der 714.
— durch tuberkulöse Mesoko¬
londrüsenperforation 850.
— aus seltenen Ursachen 1399-
— acuta 698.
—, gallige 402.
—, — ohne Perforation 434.
—, Lumbalpunktion bei post¬
operativer 1028.
— purulenta, atypische Fälle
festgestellt zuerst durch ihr
Blutbild 764.
-nach Mandelentzündung
290.
— serosa acuta 816 .
— tuberculosa 1260 .
—, Aethertherapie 1725, und
Prophylaxe 607-
—, chirurgische Behandlung
1788.
—, Pepsinsalzsäurespülungen
bei 1666 .
—, Rivanol bei diffuser 434.
—, zur Prognose und Therapie
der geburtshilflich-gynäkolo¬
gischen 1568 .
Peritonsillitis, Therapie 501.
Perivesikaler Steckschuß,
Selbstheilung 303.
Perkussion und Auskultation
782. 1053
—, seitliche oberflächliche
Stoßwirkung bei der — und
Perkussion mit Seitenschall¬
dämpfung 465.
Perlsuchttuberkulm zur Ku¬
tandiagnostik erforderlich?
814. 1061.
Pemionen, Schilddrüsenpräpa¬
rate bei 337.
Röntgentherapie 207 .
Persönlichkeitswandlung, for¬
male — als Folge veränder¬
te Milleubedingungen 369.
P^'^e 'schulint-
Pertussis s. Keuchhusten.
Pes planus, aktive Hebung des
Fußgewölbes bei 744.
Pest in Rußland 996.
Petruschky oder Ponndorf
1118.
Pfannenvorwölbung, intrapel-
vine 273 .
Pferde, ansteckende Blutarmut
der 1531.
Pflanzenfamilien, chemische
Vererbung in 1531.
Pflugschar, die, von Ludovici
237.
Pfriemenschwanz 75-
Pfropfungerl von Gliedmaßen
995.
Phagozytose, Einwirkung ul¬
travioletter Strahlen 1347.
Phagozytoseversuche mit Mye¬
loblasten, Myelozyten und
eosinophilen Leukozyten 368
Phakoöresis 647-
Pharmakokompendium, von
Rosenberg 1659-
Pharmakologie der Haut, Vor¬
lesungen von Luithlen 74.
—, Probleme der allgemeinen
988 .
Pharmakotherapie, Lehrbuch,
von Uhlmann 400.
Phenolbildung durch Bakte¬
rien Nachweis dieses Körpers
in Kulturen 879-
Phenolkampfer in der Gelenk¬
chirurgie 1149.
Phenolphthalein, Hämolyse
durch 1311.
Phenoltetrachlorphthaleinprobe
und Leberfunktion 992.
Phenylchinolinkarbonsäure, in¬
travenös angewandt 829.
— s. auch Atophan.
Philosophie der Individuali¬
tät, von Müller-Freien¬
feld 37-
Phlebitis hepatica syphilitica
1182 .
Phlebalgia ischiadica und Is¬
chias 1294 .
Phlegmone Ludovici, Exstir¬
pation der Glandula su b-
maxillaris bei 1563 .
Phlogetan 1123 .
Phlogetische Therapie 1123 .
Phloridzinempfindlichkeit der
Diabetiker 1460.
Phloridzinglykosurie und
Schwangerschaftsdiagnose9t9.
Phloridzinstudien 1715 .
Phonasthenie, zur Diagnose
1090.
Phosphate und Zellatmung 269 .
1021.
Phosphorgehalt im Serum bei
Tetanie, Schwankungen 917 .
Phosphorsäureausscheidungder
Netzhaut bei Belichtung 269 .
Phosphorvergiftung und akute
gelbe Leberatrophie 205.
Phosphorsäureion, Wirkung auf
den Blut- und Harnzucker
916 .
Phrenektomie bei Bronchiek-
tasie 1085.
-Lungentuberkulose 961 .
1148.
Phrenikus, Untersuchungen
über den 1085 .
Phrenikusausschaltung bei
Lungentuberkulose 1219 .
Phrenikusdurchtrennung, dop¬
pelseitige — bei Singultus
1360.
Physiologie, Aufgaben und
Ziele der vergleichenden —
auf geographischer Grund¬
lage, von Fitting 847-
>.
Digitized by L^QuQie
Original from
CORNELL UNfVERSSTy
XXXII
INHALTSVERZEICHNIS
Phrenikuslähmung bei Läh¬
mung des Plexus brachialis
500.
Phthise, Nomenklatur 333.
— s. auch Lungentuberkulose.
Physikalisch-therapeutische
Anstalten, Zeitgemäße Er¬
wägungen für die Einrich¬
tung, von Plate und Loren¬
zen 17t.
Physikalische Prozeduren, Wir¬
kungsweise 1324.
— Therapie, die Praxis der,
von Laq-ueur 880.
— — der inneren Medizin 568.
Physiologie, Handbuch der
vergleichenden, von W int er¬
stein 603.
—, Grundriß, von Oppen¬
heimer und Weiss 1711-
Pathologische, von Krehl
1115.
—, Lehrbuch der pathologi¬
schen, von Lüdke und
Schlayer 1711 .
—, — für Krankenpflege¬
schulen, von Stigler 675.
—, Grundriß für Studierende
der Zahnheilkunde, von
Krummacher 1118 .
Physormon 303.
Pigment, Vorstufe des — bei
melanotischen Tumoren 755-
Pigmentanomalien, Fall 959-
Pigmentflecke in der Haut, zur
Beseitigung von 526.
Pigmentkom, Pigmentgenese
im Auge und Natur des 274.
Pigment Verschiebung, Fall 959.
Pikrinsäureverbindungen 1 593-
Pilokarpin und Eserin, Kombi¬
nationswirkung 607 .
Pituglandol bei einem Falle von
Diabetes insipidus nach Trau¬
ma 280.
Pituin in der Geburtshilfe 74.
Placenta accreta 745-
— bidiscoidalis 851.
— increta 1436.
— praevia, Behandlung 502.
709. 994.
-, Kaiserschnitt bei 1027 .
-, Metreuryse bei 435-
— s. auch Plazenta.
Plasmaeiweiß, Bedeutung für
Klinik und Behandlung von
Nierenleiden 401.
Plasmon-Schleimgemisch 574.
Plastik 1464.
—, Prinzipien bei chirurgischer
856.
Plattenfort 888.
Plattfuß, Diagnose und Thera¬
pie des statischen 467.
— und Dienstbeschädigung
242.
—, Einteilung und Behandlung
39- 336.
Fußgewölbe und 39-
—, Muskelspasmen beim kon¬
trakten 571.
—, statischer 1462.
Plattfußoperation, neue 173.
Plazenta, vorzeitige Lösung der
normal sitzenden 440.
—, weiße Nekrosen 745-
—, Physiologie 575
— s. auch Placenta.
Plazenta- und Hodenlipoid
237-
Plazentalipoide, Toxizität der
— und Aetiogenese der Puer-
peraleklampie 173 .
Plazentarablösung, Nabel¬
schnurzeichen bei 709 .
Plazentarextrakt 1058 .
Plazentargefäße, zur Physio¬
logie 510. 11 R5.
Plazentarlösung, Blutungen bei
1462.
—, intraamniotische Verblu¬
tung bei vorzeitiger 1568 .
Pleuraempyem, zur Frage 962.
—, latentes — mit akuten Peri¬
tonealerscheinungen 917 .
—, Differentialdiagnose des
interlobären 239-
—, Behandlung 173. 917- 1056 .
1325. 1688.
—, — des grippösen 404.
—, — mit Druckdifferenz
1429. 1461.
—, Radikaloperation 138.
—, Thoraxresektionen bei ver¬
altetem 273.
—, primärer Wundverschluß
bei der Operation des 644.
Pleuraempyemfisteln, Behand¬
lung 43-
Pleuraempyemhöhlen, röntge¬
nologischer Nachweis nicht
schattengebender Fremdkör¬
per in 76 .
Pleuraerkrankungen, neues
Symptom bei 916 .
Pleuraexsudate, Einwirkung
auf die Lungentuberkulose
38.
Pleuraspalt, Freiheit des —
mit Berücksichtigung des
künstlichen Pneumothorax
605 .
Pleuraverwachsungen, Gesetz¬
mäßigkeiten beL278.
Pleuritis 1417.
— exsudativa als Komplikation
des Thermothorax artefici-
alis 1219 .
— mediastinalis anterior und
Pericarditis exsudativa, Dif¬
ferentialdiagnose im Rönt¬
genbild 790.
— serosa beim Kinde, Aetiolo-
gie und Prognose 436.
— tuberculosa der Kinder, Pro¬
gnose 403.
—, nicht tuberkulöse und tu¬
berkulöse 1428.
— und Pleuraempyem, Be¬
handlung 1293 .
Plexus brachialis, Neuralgie bei
Polyzythämie 341. '1
-, Phrenikuslähmung bei
Lähmung des 500.
— chorioideus, Pathologie
1255.
Plexusveränderungen und Ur¬
ämie 400.
Pneumatosis cystoides inlestini
918. 1294.
Pneumodiagraphie und Nieren¬
diagnostik 681 .
Pneumokokken, Pathogenität
bei metapneumonischen Er¬
kranken im frühesten Kindes¬
alter 469-
— in der Umgebung Gesunder
und Kranker 1712
Pneumokokkenempyeme im
frühen Kindesalter, Behänd-
lung 1120 .
Pneumokokkeninfektionen, Ku-
pierung durch Optochin 357.
Pneumokokkennephrose 1624.
Pneumonokoniosen im Rönt¬
genbild 75.
Pneumonie 1512.
—, neue Forschungsesgebnisse
51. 177 .
—, abszedierende — im Säug¬
lingsalter 1326 .
— der Säuglinge, asthenische
304.
—, Diagnose der asthenischen
oder frühgeborenen und le-
bensschwachenSäuglinge 403 .
Pneumonie der Säuglinge, para¬
vertebrale dystelektatische
539-
—, Therapie 1492.
—, Aderlaß bei 957-
— im Kindesalter, parenterale
Chinintherapie 1463.
—, intravenöse Zufuhr großer
NaCl-Mengen bei — und
beim Gesunden 783 .
—, Optochin bei 989- 1120.
—, Serumbehandlung 540.
—, Proteinkörpertherapie bei
783.
Pneumoperitoneum, Indikation
1053-
— in der Gynäkologie 957-
1714.
—, Zwischenfall bei Anlegung
205 .
—, Todesfall nach 74.
Pneumoradiographie des Nie¬
renlagers 39- 790. 881 .
Pneumothorax, 104 Fälle 38 .
—, einfacher und Spannungs-
172 .
—, diagnostischer 880.
—, Entspannungs- 537 .
— und Höhenwechsel 605 .
—, zur röntgenologischen
Symptomatologie und Patho¬
logie 499-
—Spannungs- 962.
—, spontaner — dilTch Ruptur
von Spitzennarbenblasen
1594.
—, spontan entstandener Ven¬
til- 1263-
— arteficialis 1563 .
— — Beobachtungen bei
Tuberkulösen mit 81 5-
-, Pleuritis exsudativa als
Komplikation 1219 .
-, Spontanpneumothorax
als Komplikation 1085-
Pneumothoraxapparate 41.558.
Pneumothoraxapparat, Ver¬
besserungen an Leschkes 258.
Pneumothoraxbehandlung 38 .
75-
—, Gegenanzeige bei Lungen¬
emphysem 138 .
— der Lungentuberkulose 276 .
368. 1085. 1211. 1359-
— kontraindiziert bei Lungen¬
tuberkulose mit Nierener¬
krankung? 900.
Pneumothoraxgase 1085-
Pockenbazillus, v. Niessen-
scher 1730.
Pockenimpfung, intrakutane
1700.
— s. auch Impfung u. Schutz¬
pockenimpfung.
Polioencephalitis epidemica
1715, Pathogenese 174.
Poliomyelitis und Influenza¬
epidemie 1056.
— acuta anterior und seine Be¬
ziehungen zur Encephalitis
epidemica 967.
-, Serumbehandlung 41.
Polyarthritis destructiva chro¬
nica atrophicans 1534.
— chronica deformans pro¬
gressiva und Basedow 1660.
— rheumatica, Thermalbäder¬
therapie 706 .
Polycythaemia rubra 1624 .
— hypertonica 180 . 1121.
Polyneuritis alcoholica mit Pe¬
roneuslähmung 1225 .
— nach Arsenvergiftung 308 .
—, leichtere Formen sensibler
212 .
— mit erhaltenen Kniesehnen¬
reflexen 107
Polyperiostitis hyperaesthetica
500 .
—Krankheitsbilder der 439-
Polyzythämie, Neuralgie des
Plexus brachialis bei 341 .
Ponndorf oder Petruschky
1118 .
Ponndorfsche Kutanimpfung
614. 1155. 1315.
-, Beitrag zur 1224 .
-bei Gonorrhoe 1223 .
-Hautkrankheiten 1596.
i-Tuberkulose 1266 .
Pons, Gliosarkom 541.
Porphyrinurie mit und ohne
Koliken 619.
Portiokarzinome, Strahlenbe¬
handlung 977.
Positivismus, der philosophi¬
sche — und seine Weltan¬
schauung 1235.
Posthemiplegische Haltung
1368 .
Postikuslähmung 1090 .
—, chronische — und Herz¬
insuffizienz 1713 .
—, operative Beseitigung der
durch doppelseitige — be¬
dingten Kehlkopfstenose
1090 .
Präödem 73-
Präparierübungen, G. Ruges
813 -.
Präputium ditoridis und Gono¬
kokken 468.
Präzipitation, Typen 953-
Präzipitin, Natur des hetero-
. genetischen 1182 .
Prag und Padua 1498.
Preglsche Lösung 1183 . 1393-
-, Erfahrungen mit 916 .
|-in der inneren Medizin
1054.
-bei Laparotomien 919 .
-und kolloidales Silber
bei puerperal-septischen Pro¬
zessen 1150 .
Primäraffekte, extragenitale
376. 803. 1714.
Primärgeschwülste, mehrfache
1181 .
Prismatischer Fehler 1 124.
Privatkrankenanstalt und Un¬
zuverlässigkeit 1684.
Prolapsus vaginae et uteri ante
et intra partum 77-
Propylalkohol als Desinfek¬
tionsmittel 358.
Prostata, Röntgenologie 501 .
Prostatahypertrophie, zur Ana¬
tomie und Klinik, von Tand-
lerund Zuckerkandl 1 148.
—, eine Allgemeinkrankheit 1 10.
— als Fehldiagnose bei ange¬
borener Harnröhrenveren¬
gung 709 .
—-, pathologische Veränderun¬
gen bei 1459-
Prostataleiden, Diagnostik und
Behandlung 1448.
Prostatektomie 962.
—, suprapubische oder peri¬
neale 1294.
—, ideale 1220 .
—, kombinierte 1220.
—, mediane 784.
— nach Voelcker 1265-
—, nach Young 1462.
—, späte zweizeitige 435-
Prostatismus, Chirurgie des9l8.
Prostatitis, Darmmotilitätsstö¬
rungen als Fernsymptom
einer 880.
— gonorrhoica, Arthigon und
Terpentin bei 677 .
Prostituierte, Fürsorgebestre¬
bungen an — im Kranken¬
haus 506.
Prostituiertenfürsorge, Kom¬
munalisierung in Berlin 1190 -
Prostitution und Geschlechts¬
krankheiten, Gegen, von
Quarck 174.
— und Tuberkulose, von
Samson 38 .
—, Reglementierung der —
und Berliner medizinische
Gesellschaft 45 .
—, persönliche Prophylaxe bei¬
der Geschlechter * als Hilfs¬
mittel zur Sanierung der 322.
526.
— in Europa 1062.
Protargol in der Rhinolaryngo-
logie 337-
Protargolwundsalbe 906.
Proteinkörper und Reizkörper
334.
Proteinkörperinjektion, Kom¬
plementtiter und 988 .
Proteinkörpertherapie 271 . 748.
1393-
—, Theorie und Praxis 1066.
—, Albusol zur 1116 .
—, Bedeutung der tuberku¬
lösen Allergie 54. 685.
— kindlicher Anämien 852.
958.
—■, Anaphylaxie bei 1070.1717.
—, lokale Hautüberempfind-
lichkeit durch 1491-
— bei akuten Infektionskrank
heiten 783 .
—, parenterale 1116. *
— und Bedeutung des Schutz¬
kolloids bei Silberhvdrosolen
814.
— bei Typhus 1394-
—, Esophylaxie und Wild¬
bader Thermalbäder 988 .
Proteinkörperzufuhr, Einfluß
intravenöser — auf die Bak-
terizidie des Normalserums
1593-
Proteinurie, Bence-Jonessche
1292 .
Proteosen in der Kinderheil¬
kunde 1022 .
Protistenstudien, experimen¬
telle, von Jollos 1217-
Protoplasmaaktivierung, gibt
es eine allgemeine — mit
allgemeiner Leistungssteige¬
rung? 1094.
— und Osmotherapie, ins¬
besondere durch intrave¬
nöse Traubenzuckerinjek¬
tionen 404.
Protoplasmahysteresis und
Verjüngungsproblem 931.
Protozoen, Wirkung oszillieren
der Ströme 27 I-
Provinzialirrenanstalten der
Provinz Hannover, Ausbil¬
dung des Pflegepersonals in
den 751 -
Prüfungsordnungen für Aerzte
und Zahnärzte, von Opitz
78.
Pruritus, psychogene Kompo¬
nente 337-
— ani 1462.
— senilis, intravenöse Kiesel
Säuretherapie 785-
— vulvae, Röntgenbehandlung
176.
Pseudarthrosen, Entstehung
144.
—, Fälle 1264.
— nach Frakturen und Kno¬
chentransplantationen 955-
—, Frakturheilung und 727.
754.
— und^Unfall 40.
-‘verzögerte Kallusbil¬
dung, Fibrin bei 1527-
Digitizeü trGa glc
— Original from
CORNELL UNfVERSITY
INHALTSVERZEICHNIS
XXXIII
ippendizitis durch
darmspasmen 816 .
:>ulbärparilyse, extra-
nidale Spannungen und
pyramidale 370 .
limophilie, neuere An-
ungen 1329 .
lyxoma peritonei 1026 .
klerose 646. 1594.
925-
mbefunde bei 925 .
ornealring und Schein-
1 kt 816 .
sydiosen 1055-
. zur Aetiologie 762.
ma seborrhoicum und
;allol und Cignolin bei
lusextrakt bei 1211.
usröntgenbestrahlung
Neurose — Cortex,
Ganglien 1183-
ie. Lehrbuch der spe-
von Piltz 954.
!er klinischen, von
ier 675-
zte, vonGruhle 1712.
;er Stand der klini-
5.
und neue Probleme
athologische For-
in der 1358 .
J uge ndgeridi tsgese tz
lachspielkunst 11 83 .
ilosophie 1261.
\scVi fachärztliche Ver¬
bei den Behörden
sehe Diagnostik,
0, von Raecke 1183 .
Einführung in die
Kraepelin 74.
urologäsche Gegen¬
den 1500.
Anomalien im
lesalter 338 .
n bei organischen
ten 1265- 1293-
Geschehen bei Nor-
id Geisteskranken,
itze wichtiger kör-
Hrscheinungen beim
se, von Allers
r. Gefahren und
45-
>stik und Psycho-
1 der Frauenheil¬
medizinische, von
er 673-
'bleme der medi-
von de Montet
m menhänge und
n, von Strasser
ig in die Probleme
inen, von BiJis-
59-
hopathologie der
geschichte, von
in 453-
>se und der Sug-
on Friedrichs
iatrie 335*
iterricht, A« f '
medizinischen 1
e Typen, von
Psychopathen, Tätigkeit des
deutschen Vereins zur Für¬
sorge für jugendliche 922.
Psychopathen- und Fürsorge¬
erziehung, jugendliche 610 .
Psychopathenfürsorge 242. 504.
—, besondere Aufgaben der
Gegenwart an die Schul¬
kinde rpflege in bezug auf die
1500.
Psychopathologie der Aus¬
nahmezustände und — des
Alltags, von Stransky 106 .
—, die neurologische For¬
schungsrichtung in der, von
Pick 1492 .
Psychopathie hospital, the state
611 .
Psychosen, Nachkommenschaft
bei endogenen, von Huff-
mann 849-
—, endokrine Drüsen und 302.
—, funktionelle 1264.
—, Wert der genealogischen
Forschung für die Einteilung
369-
— nach gynäkologischen Ope¬
rationen 1258 .
Psychotherapie und Erziehung,
von Schultz 782 .
—, kausale — bei Organneu-
rosen 605 .
— und Psychoanalyse 1226.
— bei Psychopathen 240.
—, Relativierung 650.
Ptosisoperation 1694 .
Pubertätsblutungen, Fall 1226.
Puerperale Gassepsis und Ik¬
terus 1258 .
— Sepsis, Lungenbefund bei
1376.
Puerperalfieber 303-1028.
—, Pathologie der Geburt und
ihrer Beziehung zum 1493-
—, zur Verhütung 75». 1726.
—, Behandlung 22. 502 . 958.
1102.
—, Ligatur der großen Becken¬
venen bei 40.
—, Sero- und Chemotherapie
1734.
—, kolloidales Silber und Pregl-
sche Lösung bei 1 1 50.
—, permanente Tröpfchenirri¬
gation bei 1577.
Puerperium s. Wochenbett.
Puls, Beeinflussung durch die
normalen Funktionen des
Organismus 138 .
—, — durch Nahrungs-, Genu߬
mittel und Gewürze 604.
Pupillarreaktionsprüfung 1289.
Pupille, Abduktionsreaktion
1327.
—, abnorme Mitbewegung 607-
Pupillenreaktion, hemianopi-
sche 569-
Pupillenstarre bei Epilepsie 675.
—, Pathologie der reflektori¬
schen 1492 .
Pupillenstörung, isolierte —
und Liquor cerebrospinalis,
von Dreyfus 466.
—, prognostische Richtlinien
bei isolierter syphilogener
206.
Pupillomotorische Zone, Funk¬
tionsprüfung 77 -
F^uppenauge, eine postdiph¬
therische Lähmung 138 .
Purinäquivalententabelle 916 .
Purinderivate, krampflösende
Wirkung 536 .
Purinstoffwechsel bei nicht
gichtischen chronischen Ar¬
thritiden 206 .
—, Reizwirkung der Nahrung
im 605 . 1261 . 1309-
Purinsubstanz, Resorption und
bakterielle Zersetzung im
Darm 1623 .
—, Einfluß parenteral verab¬
reichter freier und gebundener
— auf die Purinkörperaus¬
scheidung im Urin 1623 .
Purostrophan 74.
Purpura nach Salvarsaninjek-
tion 1174.
— Simplex der Harnblase 500.
— vesicae haemorrhagica 1553.
Purpurafragen 206 .
Pyelitis, Infektionswege bei
240.
—, Pyelonephritis , Pyelone-
phrose 39 .
—, Meyer-Betz-Haassche Diät
bei 1642.
Pyelographie 273 .
—, Kontrastmittel für 76 . 918 .
— mit Jodkalifüllung, Gefahr
1395.
Pyelon 273-
Pyelonschädlichkeit 136 O.
Pyelozystitis 882.
—, Eigenharnvakzine bei 1118 .
Pygmäeneigenschaften der
deutschen Bevölkerung 682 .
Pylephlebitis, ungewöhnliche
Entstehung 1262.
Pylorospasmus, Nahrungszu¬
fuhr durch Dauertropfsonde
bei 524.
—, Behandlung 1255-
— der Säuglinge, chirurgische
Behandlung 608 . 1461.
Pylorus, Atropinprobe 368 .
Py lorusdrüsense kre tion 1119 .
Pylorusmagen und Ulkusgenese
1661.
Pylorusrhythmus 301.
Pylorusring, Bestimmung für
das Ulkusrezidiv und das
Ulcus pepticum jejuni 1293-
Pylorusstenose nach Benzolver¬
giftung 627.
—, Bedingungen d. kindlichen
403-
Pyodermien, Rivanol bei 769.
Pyogene Blutinfektion, Dia¬
gnose, Prognose und Thera¬
pie 679-
-, Urotropin intravenös
bei 401.
Pyonephrose im Röntgenbild
39.
Pyozyaneus, Menschenpatho¬
genität 431-
Pyramidon, Blutnachweis mit
916.
Pyrogallol bei Psoriasis 785-
Pyurie, Nachweis nach Donn6
1093.
Q.
Quadrizeps, Tenodese 173*
Quadronal 1214.
Quäkerspeisung, der Index pon-
deris des Ernährungszustan¬
des und die 126.
—, ärztliche Grundlagen 1631 .
—, körperliche Erfolge bei
Kleinkindern 1631 .
—, Erfolge bei Schulkindern
1631 .
Quantenlehre und photoche¬
mische Prozesse 1529-
Quarzglas, Verwendung im
bakteriologischen Laborato¬
rium 696.
Quarzlichtbehandlung, zur
Technik 160.
— des Erysipels 989-
Quecksilber und Salvarsan,
Mischung von 439*
-, Betrachtungen eines
alten Praktikers über 686.
Quecksilber, Kolloidnatur efes
— bei intravenöser Injektion
von Neosalvarsan-Queck-
silbersalzlösungen 174.
—, zur Kenntnis der unspezi¬
fischen Wirkung 1538.
— ein symptomatisches Heil¬
mittel, oder beeinflußt es den
Verlauf der Syphilis? 436.
— bei experimenteller Kanin¬
chensyphilis 1664.
— als Reizmittel bei Stomati¬
tis ulcerosa 191.
—, Ueberempfindlichkeit gegen
— und Salvarsan 1401.
Quecksilberchlorid, Aufnahme
durch Bakterien und Körper¬
zellen 793.
Quecksilberdermatitis 608 .
Quecksilberexantheme 141.
Querfortsatzfrakturen 1 73-
Querstand, Aetiologie des tiefen
402.
Querulanten, zwangsweise An¬
staltsinternierung eines pa¬
ranoischen 1625 -
Quincke, H. f 913.
R.
Rachenreflex, zur Prüfung 129.
Rachitis 1395*
—, Aetiologie 109 .
—, Unstimmigkeit zwischen
klinischer und anatomischer
Diagnose 78.
—, Beziehungen zu seltenen
Knochendeformitäten 994 .
—, Morbiditätsstatistik 304.
610.
—, Pathogenese und Behand¬
lung 992. 1285.
—, jetziger Stand der Patho¬
genese und Therapie 232.
261.
— und Tetanie 539-
—, Verbreitung in den Jahren
1914—1921 78.
—, zerebrale — und Intelli¬
genz 957 .
—, Therapie 454. 573«
—, mechanische Behandlung
710.
—, Röntgenbehandlung 608.
682 .
—, Tonophosphan bei 40.
Rachitische Deformitäten,
orthopädische Behandlung
551. 592.
-, Zeitpunkt zur Korrek¬
tur 146.
-, Segmentierung 376.
— Muskelerkrankung 338.
Rachitisforschung, Wege und
Ziele der neuen 1022.
Rachitisfrage 174.
Radioaktivität als Heilfaktor
604.
R idiosensibilität 1027 .
Ridio-Silex-Apparatur, rönt¬
genologische Fortschritte mit
der 773.
-, Vorzüge 888.
Radiothorium und seine An¬
wendung 451. 477. 1063 .
—, Einfluß auf den Stoffwech¬
sel 252.
Radiotoxämie 1712 .
Radium, Handel’mit 1709.
Therapie, von Simpson
1119 .
Ra diumbe$trab' un K m Munde>
Radiumtherapie, Technik der
intrauterinen und intravagi¬
nalen 1186 .
— des Krebses 1687 .
— inoperabler maligner Tu¬
moren 960.
— des Oesophaguskarzinoms
930.
— Uteruskarzinoms 110 .
957- 1224.
— klimakterischer Uteru:blu-
tungen 1326 .
Radius, posttraumatische To-
taldekalzination 790.
Radiusfrakturen, Behandlung
435. 1003. 1498.
—, funktionelle Behandlung
753-
Rad-Jo 1052 . 1179-
Ramon y Cajal zum 70 . Ge¬
burtstage 811.
Rassenhygiene und Soziale Hy¬
giene 1144.
Ratinkulturen, Massenerkran¬
kungen durch 239 -
Ratschläge, chirurgische 489.
527. 562. 596. 633. 665. 698.
733. 807. 841. 870. 943. 1013.
1049. 1111. 1141. 1175.
—, gynäkologische 30. 69. 96.
130. 164. 195. 234. 262. 296.
324.
— über Lungenkrankheiten
1248. 1349. 1417. 1512. 1554.
—, neurologische 389.
—, psychiatrische 359. 906.
— für Verdauungskrankheiten
1450. 1481. 1637. 1704. 1727.
Rattenbißlieber, Spirochäte des
41.
Rauschbrandsporen, Dampf¬
resistenz 1593-
Raynaudsche Krankheit, Fall
1534.
-und Schwangerschaft
140.
Reaktion, intrakutane — mit
unspezifischen Stoffen 211 .
Reaktionsveränderungen des
Organismus gegen Gifte und
Arzneimittel 1322 .
Rechts-Links-Störungen und
Agrammatismus, anatomi¬
scher Befund bei 573-
Rechtsfragen aus der ärztlichen
Praxis 70. 98. 739. 809. 843.
875. 1252. 1453. 1487. 1621.
1655. 1683. 1708.
Rechtschreibung des Medi¬
ziners 1145.
—, zur Geschichte 1354.
Recklinghausensche Krank¬
heit, Fälle 1224.
-, Häufigkeit der Heredi¬
tät und Malignität 1182 .
-, Neurinome bei 1184.
Reden, fünf, von Hering 1053-
Reflexbewegungen und ihre
Dynamik 927*
—, Vermeidung von — bei
Eingriffen am Schlund 368 .
Reflexe Pilomoteur, Le, von
Andr6-Thomas 1431.
Reflexe, psychologische Auf¬
fassung einiger 538.
Regeneration 409. 1464.
Regenerative Potenzen, Akti¬
vierung 542.
Regurgitation, Mechanismus
917.
Reiben, pleuroperikardiales
916 .
Reichsgesundheitsschein 991-
Reichshaftpflichtgesetz für
Eisenbahnen 338.
Reichsstrafgesetzbuch, von
1 Ebermayer, Lobe und
> Rosenberg 1686.
Digitized by »öle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
XXXIV
Reichsversicherungsordnung,
von Hoffmann 645-
— vom 19 . Juli 1911 nebst
deren Einführungsgesetz in
der jetzt geltenden Fassung,
von Stier-Somlo 1564.
— und Kassenpraxis 32.
—, Anwendung der §§ 122,
370 99-
Reichsversorgungsgericht, aus
Obergutachten und Ent¬
scheidungen 108.
Reichswochenhilfe und Fami¬
lienversicherung 609*
Reinfectio syphilitica 207 .
Reisebriefe, Indische, von
Haeckel 1561 .
Reizbarkeitsänderung in der
Krankenbehandlung 1669.
Reizblase, Eukupinöl bei 228.
Reize, Umstimmung durch un¬
spezifische 310 .
—, schmerzerregende 1332.
Reizharnsäure 955-
Reizkörpertherapie 466.
—, spezifische und unspezi¬
fische 407. 472. 508.
—, defibfiniertes Eigenblut in
der 1054.
—, Untersuchungen über —
und über die kritische Ent¬
fieberung 1537.
—, Reststickstoff im Blut bei
der 1 531 -
—, Tonusschwankungen bei
916 .
— und Tuberkulose 1069.
Reizkörperwirkungen als Folge
des Zellzerfalls nach Rönt¬
genbestrahlungen 706 .
— auf das Blutbild 1593-
Reiztheorie, Entwicklungslehre
und Konstitutionsproblem
1197.
Reizzeit, reduzierte — und ihre
Bedeutung für Physiologie
und Pathologie 927-
Rejuven 1384.
Rekordspritze, Modifikation
1679.
Rektale Untersuchung 1027 .
Rektalerkrankungen, Klinik der
entzündlichen 1057-
Rektalgonorrhoe, bakteriolo¬
gische Diagnose 1678.
Rektum, Chirurgie 538.
—, hämorrhagische Erosionen
1732.
Rektumkarzinom, Therapie
1294.
Rektumprolaps, Operation
durch. Auslösung des Rek-
tpms aus der Excavatio sa-
cralis 850.
Rektumstenosen, entzündliche
1119-
Rekurrenslähmungen, unvoll¬
kommene 141.
— Therapie d. postoperativen
1148.
Rekurrensparese bei Aneurys¬
ma Venae anonymae 437-
Rekurrensspirochäten. Unter¬
suchungen an 270.
Relativitätstheorie 1464.
Respirationsapparat zur Be¬
stimmung des Energieum¬
satzes 603 .
Reststickstoff bei arteriosklero¬
tischen Hypertonien 239-
—, Bestimmung in den Gewe¬
ben, Methodik 642.
— im Blut, Bestimmung 1182.
-und Gewebe bei Nieren¬
erkrankungen 500.
-bei Pneumonie, Schar¬
lach, Masern und Diphtherie
226 .
Reststickstoff im Blut, bei der
Reizkörpertherapie 1531-
-kardialer Stauung
1594.
Retina, Angiomatosis 77-
—, luische Neuritis 77-
—, s. auch Netzhaut.
Retikuloendotheliales System
1123 .
-, Pathologie 1147-
Retinitis gravidarum und Am-
aurosis eclamptica 241.
— pigmentosa, Fälle 1630 .
— stellata 614.
Retrobulbärtumor, Refrak¬
tionsstörungen bei 607 .
Retroflexio uteri 30.
-, Behandlung 989-
-, Ergebnisse der Opera¬
tionen bei 1028.
-, Ligamentoventrofixatio
bei 1257-
Retroperitonealgesch wülste
246.
Rettiingswesen, Neugestaltung
des Berliner städtischen 492.
Rezepttaschenbuch, von Frie-
sicke, Capeller und
Tschirch 1324 .
— für Dermatologen, von
Bruck 851 *
Rezeptur, Taschenbuch der
ökonomischen und rationel¬
len, von Fröhlich und Wa-
sicki 38 .
Rhachipagus parasiticus 709-
Rheumatische Erkrankungen,
kryptogenetische Aetiologie
1401.
Rheumatismus und Körperhal¬
tung 272 .
-Schilddrüse 786.
Rhinoneoplastik 570.
Rhinosklerom 1498 .
Rickets, experimental, von
Mellanby 646.
Rickettsia Prowazecki, Kultur
auf festen Nährböden 1020.
Riechhirnmangel 240.
Riesenwuchs und Akromegalie
im Kindesalter 1022.
— der ganzen unteren Körper¬
hälfte 959-
Ringzange 1678.
Rippe, bewegliche 10. — als
Stigma enteroptoticum 367 .
Rippenanomalie 1191 -
Rivanol als granulationshem¬
mendes Mittel 803.
— in der Augenheilkunde 1 595-
— bei Gonorrhoe und Pyoder¬
mien 769.
-lokalen Infektionen 481.
-Mastitis 1258.
-diffuser Peritonitis 434.
Röntgenabsorption der Gewebe,
Messung 1191 .
| Röntgenanlage der Chirurgi¬
schen Universitätsklinik
Würzburg 1115-
Röntgenapparate, Methode zur
Eichung 73-
Röntgenbestrahlung , eines
Wärters 809-
Röntgenbestrahlungen, Blut¬
veränderungen nach 888.
— und Kohlensäurebindungs¬
vermögen des Blutes 1358.
— der Hypophyse 1217-
-Milz und Blutgerinnung
111.
—, Beeinflussung der inneren
Sekretion des Ovariums 1256.
— und Leukozytose 1256 .
—, Reizkörperwirkungen als
Folge des Zellverfalls nach
706.
, Spätreaktion nach 1292.
INHALTSVERZEICHNIS
Röntgenbild, das Ulkusleiden
im, von Schinz 401.
— im ersten schrägen Durch¬
messer 790 .
—, Blasentumoren im 308 .
—, Darminvagination im 76 .
—, 10 %ige Jodkalilösung zur
Darstellung von Fistelgängen,
Empyemhöhlen und Abszeß*
höhlen im 434.
—, Gasgehalt der Flexura dex-
tra im^790.
—, Gallensteine im 1221 .
—, Veränderungen der männ¬
lichen Harnröhre im 76 .
—, Herzhypertrophie und -di-
latation im 334.
—, doppelte Konturierung des
Herzschattens im — bei Peri¬
karditis 499.
—, zystischer Lebertumor nach
Anlegung eines Pneumoperi¬
toneums im 790.
—, Lungenanthrakose im 1084.
—, Lungeninfarkt im 790.
—, Streptotrichose der Lungen
im 790.
—, Funktion des operierten
Magens im 789 .
—, gutartige Magentumoren in
789.
—, Zähnelung der großen Kur¬
vatur im 917-
— eines peruanischen Mumien¬
teils 78.
—, Nabelschnurkreislauf im
237.
—, die chirurgischen Nieren¬
erkrankungen im 1401.
—, Manifestation von Pank¬
reaserkrankungen im 467.
—, Nasennebenhöhlenentzün¬
dungen im 1090.
— der Pneumonokoniosen 75-
—, Pyonephrose im 39.
—, tuberkulöser Primärkom¬
plex im 1085.
—, tuberkulöse Senkungsabs¬
zesse im 681.
—, anatomisch-physiologische
Grundlagen der Bogenunter¬
teilungen des Zwerchfells im
688 .
Röntgenbilder aus dem Gebiet
der Knochen- und Gelenk¬
tuberkulose 681 .
—, fehlerhafte Wiedergabe von
Schattenintensitäten 400.
Röntgendiagnostik der inneren
Krankheiten, von Aßmann
1359.
— — — —, Grundriß, von
Munk 239.
— in der inneren Medizin und
den Grenzgebieten, Grundriß
und Atlas, von Groedel 400.
— der Magenkrankheiten, von
Faulhaber 1084.
—, physikalische Grundlagen
674.
—, Verwendung von Glüh¬
kathodenröhren in der 1314.
— der kindlichen Bronchial¬
drüsentuberkulose 241.
-- Gallensteine 499-
-gynäkologischen Verän¬
derungen 1714 .
-intrakraniellen Affektio¬
nen 1292.
-Lungentuberkulose 1399-
— des Magendarmkanals der
Neugeborenen 78 .
—, Ausbau für Anatomie und
Physiologie der Neugebore¬
nen 790.
— der Nierenerkrankungen
376.
Röntgendiagnostik des tief-
sitzenden Oesophagusdiver-
tikels 499-
— eines Stimhirntumors 1055.
— des Ulcus duodeni 499.
1332. 1431. 1530. 1666 .
— des Ulcus ventriculi 615 .
-subkardialen Ulkus an der
kleinen Kurvatur durch
linkes Seitenlagem 272
—, urologische 501.
— bei Erkrankungen des uro-
poetischen Systems 1264.
— verkalkter Zystizerken 1085-
Röntgendosisbestimmung, Ver-
stärkungsstolien zur photo¬
graphischen 1084.
Röntgendosismesser, Siemens
848.
Röntgenempfindlichkeit pflanz¬
licher Objekte 204.
Röntgenerythem, Kapillarmi¬
kroskopie 1219.
Röntgenhypersensibilität der
Haut, besonders bei innerse¬
kretorischen Störungen 1134.
Röntgenkater 1561, Ursachen
888 .
— und -kachexie 1646.
Röntgenkunde, Lehrbuch von
Rieder und Rosenthal
1427.
Röntgenlaboratorien, Selbst¬
kosten, Wirtschaftlichkeit u
sparsame Leitung 204.
Röntgenologe und Pathologe,
Zusammenarbeiten 1711 .
Röntgenologie, Taschenbuch,
von Hirsch und Arnold
1292 .
—, Auditorium für Studenten¬
unterricht in der medizini¬
schen 1083.
— bei Kindern 677.
— der inneren Organe des
Neugeborenen 1361 .
— des unteren Teils der Speise¬
röhre und der Kardia in
Beckenhochlagerung 790.
— der Wirbelsäule 790.
—, Studentenunterricht in 879.
Röntgenphysik, die allgemeine
Röntgentechnik, das dia¬
gnostische Röntgenverfahren
von Levy-Dorn 848.
Röntgenplatte, Recht an der
98.
—, Fehlerquellen auf der 1665 .
Röntgenröhren, Entwicklungs¬
geschichte der Vorrichtungen
zur Erzeugung hochgespann¬
ter elektrischer Ströme für
den Betrieb von 879.
—, Index zur Größenbestim¬
mung des Fokus 1084;
Röntgenröhrenspannung und
Bromsilberschwärzung 1084.
Röntgensarkome 673.
Röntgenschädigung, indirekte
— des Organismus bei iso¬
lierter Organbestrahlung 642.
Röntgenentschädigungen 192.
595. 1659-
—, was muß der praktische
Arzt von — wissen? 1420.
Röntgenspektrometrie 1323 .
Röntgenspektroskopie, Me߬
methoden 925.
Röntgenspektrometer 954.
Röntgenstereoaufnahmen bei
intrapleuralen, intraabdomi¬
nalen und diaphragmalen
Veränderungen 675.
Röntgenstereographie als chi¬
rurgisch-diagnostisches Hilfs-
1 mittel 643-
Röntgenstrahlen, Grundlagen
der Dosimetrie, von Schreus
1393.
—, Anthropometrie 1711 .
—, vergessene Anwendungen
1687-
—, biologische Wirkung 642.
—, physikalische Eigenschaf- j
ten und biologische Wirkung
der von der Rückseite der |
Antikathode ausgehenden
1358. {
—, Konvergierung 1459. 1566.
—, Reizwirkung 498.
—, Wirkung auf Bakterien
1358.
—, Beeinflussung endokriner
Drüsen durch 854.
—, Energiemessung durch die
Wärmewirkung 888.
—, Galvanopalpation und 1292 .
—, Wachsen der Oberflächen¬
intensität proportional mit
der Spannung 888.
—, Steigerung der Wirkung
mit Thoriumnitratlösung 888.
—, Einfluß auf niedere Lebe¬
wesen 888.
—, Einwirkung auf Tuberkel¬
bazillen 1066.
—, vagabundierende 1565 .
—, zur Theorie der zellfunk¬
tionerhöhenden 1136.
Röntgenstrahlendosierung in
der inneren Medizin 1256.
Röntgenstrahlendosis, ratio¬
nelle 856.
Röntgenstrahlengemische, Ho¬
mogenisierung 888.
Röntgenstrahlenkegel für Tu¬
moren im kleinen Becken
1528.
Röntgenstrahlenspektrum, Ab¬
hängigkeit von der Span¬
nungskurve 498.
Röntgenstrahlungen, zur Cha¬
rakterisierung 879 .
Röntgentherapeutisches In¬
strumentarium, von Mar
tius 1148.
Röntgentherapie 1400.
— in der Dermatologie, von
Schreus 710.
— des Karzinoms, von Des
sauer 743.
—, Dosierungstabelle für die.
von Holzknecht 1687 .
— der Amenorrhoe 1028 .
— des Asthma bronchiale 401.
818 .
— in der Beschneidungstuber
kulose 111 .
— der Blutkrankheiten 994.
— eines Chorionepithelioma
malignum 1087 .
— der Drüsentuberkulose 11 48.
-Epididymitis gonorrhoi
ca 459.
— — Erythrämie 272 .
— des Hautkrebses 176 .
— der Hyperemesis gravidarum
851.
—vonHypophysistumoren 722.
— bei Ikterus 1379.
— * — Ueozökaltuberkulose
1661.
-Iristuberkulose 6 O 7 .
— der Karzinome 716. 114S.
— — Kehlkopftuberkulose
1624.
— klimakterischer Erschei¬
nungen 539.
— eines Lymphosarkoms des
Brustbeins 1368 .
— gewisser Magenkarzinome-
Gastropexie und dem Li
I gam. teres hepatis als vor.
bereitende Operation zur 40 1
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSITY
INHALTSVERZEICHNIS
XXXV
itherapie bei Mittelohr-
itulose 1090.
Perniones 207 . 1086.
Pruritus vulvae 176 .
Rachitis 60S. 682.
Sarkomen 172 .
aler und extragenitaler
ne 345.
iklerodermie 40.
erilität 1565-
ranenträufelns 1625-
ironischen Tubeneite-
0 S 9 .
uberkulose 433. 1066.
imenteller Tuberku-
s vorderen Augenab-
es 1155-
hung der Metastase
imärtumor in der 962 .
hnfistelnund Wurzel¬
te 1192 .
und Grenzen 1712 .
lerapieapparate, An-
ngen vom medizini-
lesichtspunkt aus an
rungen mit — der
itätsklinik in Berlin
lerapiebetrieb, phy-
le und technische Ge-
inkte für Erzielung
it ioneilen 1084.
efendosimetrie 37.
efentherapie vom
lischen Standpunkt
erinnung bei 604.
ung- 177-
■ umzsfehler in der —
erwendung des Span-
rtemessers 535- 743.
ali sehe Grundlagen
ch erzeugte Licht-
auf die Hautkapil-
Maßstab in der 604.
len tuberkulöse 39-
genkarzinoms 1358.
e ntherapieapparate
.ungsänderung 782.
brennung, Ursachen
ü tu ng 1485.
tschädigungen 856.
ahren, Leitfaden
röntgenologische
naJ, vonFürsten-
imelmann und
239 .
ner, Beleuchtungs-
g 642.
ttung im 204.
i 839.
Index und Massen-
ngen 142.
:s Symptom , Prü-
n klingen des Au-
m Rückfallfieber
nsche Linie für
nicht traumati-
[ üftgelenkserkran-
twendig? 538-
und Arbeitsge-
sozialhygienischer
ande 609-
heit als Erbeigen-
/OO.
Angioma race-
iatische Degene-
1186 .
Rückenmark, Klinik der trau-
matischen Schädigungen 370.
Rückenmarkkanal, Verschluß
605.
Rückenmarksblutung infolge
Ueberanstrengung 1625 .
Rückenmarkstumoren, Opera¬
tion 166 t.
Rückfallfieber in Rußland 930.
—, Neosalvarsan und Milch¬
zuckerinjektionen bei 1148.
— s. auch Febris recurrens.
Rückgratverkrümmungen 1185.
Ruhr 1436.
—, Azetonurie und Adrenalin-
glykämie bei 205 .
—, Azidosis bei 1259 .
—, chronische — und Colitis
gravis 605.
—, Stellung unter den Ernäh¬
rungsstörungen im Kindes
alter 991-
—, Pankreasfunktion bei 433-
—, Behandlung 1460.
—, die rigorose Abführbehand¬
lung bei 628.
—, chirurgische Behandlung der
akuten 1666 .
—, Kohlenbehandlung 203- 818 .
1362.
—, Vakzinetherapie 38 .
— s. auch „Amöbenruhr“.
Ruhrbazillenträger 1098.
Rumination der Säuglinge 677 .
Rußland, Bericht über die Epi¬
demien in — seit 191 4, von
TarrasSwitsch 1296 .
—, Hunger- und Seuche-
katastrophe in 1402.
—, Lyssabekämpfung in 1422.
S.
Saccharin indifferent für den
tierischen Organismus? 957-
—, Stoffwechsel bei großen
Gaben 1054.
—, Einfluß auf Herz und Kreis¬
lauf 1325 .
—, — — Verdauungskanal
und Nieren 989 .
Saccharinvergiftung 989 .
Saccharometer, abgeänderte
Form 95.
Sachs - Georgi - Reaktion 207 .
786 .
-, Methodik 303-
-in Malarialändern 38 .
-bei syphilitischen
Augenerkrankungen 1595-
-, Syphilisnachweis
durch 108 .
-Meinicke-Reaktion, ein¬
zeitige 77-
-und Wa. R., Vergleich
41.
-s. auch Syphilis.
Sachverständige, Richter und
875.
Säuglinge, Gedeihen in ge¬
schlossenen Anstalten 956.
—, kontrollierte Außenpflege
„ rekonvaleszenter u. schwäch
licher 503 .
Säuglingsaufzucht in bäuer¬
lichen Bevölkerungskreisen
1187-
Säuglingsdermatosen, univer¬
selle 1493-
Säuglingseklampsie 920 .
Säuglingsernährung, künstliche
1021.
■ Säuglingsfürsorge auf dem Lan¬
de 1187 .
— und ihre wissenschaftliche
Verwertung 1631-
— und Kleinkinderfürsorge,
Organisation in Oesterreich
1 1187 .
Säuglingsgehirn, chemische Zu¬
sammensetzung 274 . 1021 .
Säuglingsintoxikation 78 . 1463-
Säuglingsmagen und Atropin
1733.
Säuglingsnahrung, Bedeutung
der Lösungsform bzw. des
Zerteilungsgrades der orga¬
nischen Nährstoffe in der
852.
— konzentrierte 1186 . 1260 .
1361 .
Säuglingsosteomyelitis, Patho¬
genese 78 .
Säuglings- und Kleinkinder¬
pflege in Frage und Antwort,
von Krasemann 744-1733-
Säuglingsskabies, zur Klinik
294.
Säuglingssterblichkeit im deut¬
schen Reiche 1920 und 1921
1499-
— und Todesursachen wäh¬
rend der Kriegsjahre 372.
—, Gebiete geringer und hoher
— vor und nach dem Kriege
503-
Säuglingsstridor 746.
Säuglingssyphilis, Skelett¬
system bei 468.
— bzw. Ammensyphilis und
Syphilisverhütung 413.
—, Behandlung 176 .
Säuglings- und Kleinkinder¬
tuberkulose 338.
—, Prognose 956.
Säureausscheidung durch den
Urin im Säuglingsalter, Ein¬
fluß der Ernährung 1296 .
-bei Tetanie 1296 .
Säure-Blasengleichgewicht bei
experimentellen Nierenver¬
änderungen 788 .
Sakralanästhesie 643-
Sakralisation des 5- Lenden¬
wirbels bei Schmerzen der
Lendenkreuzhüftgegend 110.
Salizyltherapie.intravenöse 783 .
Salvarsan, endolumbale An¬
wendung 372. 818.
—, Einfluß auf die Bilirubin¬
reaktion im Blutserum bei
Syphiliskranken 1021.
j —, Mittel zur verstärkten
Wirksamkeit auf das Ner¬
vensystem 271 .
—, Erhöhung der spirilloziden
Wirkung durch intravenöse
Traubenzuckerinjektionen
309-
—, heilende und schädigende
Wirkungen 956. 1153-
—, Schädigungen 1625-
— und Hg, Ueberempfindlich-
keit gegen 1401.
—, Nebenwirkungen 78 .
—, Hautblutungen nach 1361 .
—, amyostatischer Sympto-
menkomplex nach 708 .
— und Ikterus 711 .
—, Provokation von Ikterus
und Leberatrophie durch —
bei Infektionen der Leber
und Gallengänge 1§60.
—, Ausbreitung der tropischen
Malaria in der einheimischen
Bevölkerung und ihre Be¬
ziehungen zum 1218 .
—, Häufung von Malariatodes-
fällen nach Injektion von
1020.
—. Purpura nach 1174.
—, fahrlässige Tötung durch
1253-
—, Verweildauer und Konzen¬
tration im Blut 1528 .
— bei Hyperemesis gravidarum
l 39-
Salvarsan, bei Lungengangrän
690 . 1526.
— endolumbal bei tabischen
Optikusatrophie 1600.
-multipler Sklerose 42.
-Syphilis s. dort.
-Tumoren 206.
-chirurgischen Eingriffen
in septischen Wunden 806 .
—, Mischungen 539-
— und Quecksilber, Mischung
von 439-
-, Betrachtungeneines
alten Praktikers über 686.
—, Hg - Kollargolbehandlung,
Haut- und Schleimhautblu¬
tungen mit Knochenmark¬
schädigung nach 141. 571-
—Novasurol bei syphilitischen
Herzkranken 486 .
— Hirntod 337-
Salvarsaninjektion, biologisch-!
aktivierte 1044 .
— s. auch Silbersalvarsan.
Neosilbersalvarsan.
Salvarsanbehandlung, modifi¬
zierte — bei Lues der inneren
Organe und des Nerven¬
systems 223.
—, vorbeugende 852.
Salvarsandermatitis 541. 608.
767 .
Salvarsaneinspritzung, diagno¬
stische — berechtigt? 40.
Salvarsanexantheme 141.
Salvarsanfragen 243- 307- 339-
373- 437- 1186 .
Salvarsanikterus, zur Patho¬
genese 1173 .
Salvarsanpräparate, neue 146.
—, vergleichende Beobach¬
tungen mit den neueren 956.
—, chemotherapeutische Ak¬
tivierung durch Metalle 17 .
Salvarsanprovokation oder me-
ningeale Frühsyphilis 1665-
Salvarsantod, zur Frage 1182 .
Salvarsan s. auch Syphilis.
Salzlösungen, Aenderungen des
Blutchemismus nach Trin¬
ken von — bei Stoffwechsel¬
gesunden und Zuckerkranken
1525.
—, Resorption und Geschmack
543-
Salzsäuremilch bei Spasmophi-
lie 748.
Salzsäuresekretion bei Säug¬
lingen 1119-
Salzstoffwechsel, isolierte Stö¬
rung 1148. 1297-
Salzuflen, Neubrunnen in 1460.
Samariter, Rembrandts Radie¬
rung „Der barmherzige 472.
Samen, der menschliche — in
der gerichtlichen Medizin,
von Straßmann 1022.
Samenstrang, Ablösung des
Nebenhodens zur Verlänge¬
rung des 570.
Sanarthrit bei chonischen Ge¬
lenkkrankheiten 302 .
Sanatorium ins Handelsregister
einzutragen? 99-
Saponin, Einfluß auf die Flok-
kungsreaktion 954.
Saprophyten, Reaktion des tu¬
berkulösen Organismus auf
intrakutane Verimpfung
säurefester — und deren Tu¬
berkuline 248 . %
—, Virulenzsteigerung säure¬
fester — durch Tierpassagen
Sarkom, chirurgische Behand¬
lung 715- 955-
—, Strahlenbehandlung 716 .
—, Röntgenbestrahlung bei
172 .
—, Röntgentherapie genitaler
und extragenitaler 345.
Samol 1687;
Sarscato bei Krätze 1140.
Sattelnase, Plastik mit Kork
437-
Sauerampfervergiftung 1184.
Sauerbruchverfahren 1 257-
1360 .
— und -prothese 336 .
—, Spätergebnisse 371-
Sauerbruchsche Operations¬
stümpfe, Beobachtungen an
644.
Sauerstoffmangel, Wirkung des
— in größeren Höhen beim
Fliegen 813-
Sauerstoffüberdruckatmung,
| Einfluß auf das Blut 887 -
Scabisapon 882.
Scalae hypographicae, von
Birkhäuser 1528 .
Schachspielkunst und Psychia¬
trie 1183-
Schädel, Ostitisdeformansl056.
— und Gebiß, vergleichende
Untersuchungen 1086 .
— — Gehirn, traumatische
Erkrankungen 509 .
Schädelbasisfrakturen, Seh¬
nervenzerreißungen bei 1223 .
Schädelgrube, raumbeschrän¬
kender Prozeß der rechten
mittleren 1089 .
Schädelinnendruck, Apparat
zur Messung an der Fonta¬
nelle des Säuglings 468.
Schädelplastik 570.
Schädlingsbekämpfung 1066 .
Schallerbach, Riesentherme von
1116 .
Schallkurven zu den Problemen
von Perkussion und Aus-
kaltation 928 .
Scharlach, Auslöschphänomen
bei 205 . 274. 403 ., 568.
—, Azidosis bei 1259-
—, Bilirubin im Blut bei 304.
—, Desqüamationsprozeß in
den Hamwegen bei 426.
—, Herzstörungen bei 433-
—, Sammelreferat überBehand
lung 1690 .
—, Behandlung mit mensch¬
lichem Serum 305 .
Scharlachproblem, zum 274.
991.
Scharlachrückfälle 110.
Schattensumnation 674.
Scheide s. Vagina.
Scheidenbeleuchtung, elek¬
trische 1650.
Scheidengewölbe, Verletzung
durch Abtreibungsversuch
839.
Scheinverkrümmung der un¬
teren Gliedmaßen beim Neu¬
geborenen 141.
Scheitelbeine, hereditäre Ossi¬
fikationsdefekte 677-
Schenkelhals und Knorpel¬
fuge, Spalthildungen an 240.
Schenkelhalsfraktur, doppel¬
seitige 918 .
—, N.krose des proximalen
Bruchstücks bei 1527-
Schenkelhalsfrakturen 1661 .
—, Operation der subkapitalen
1527.
350. 999 1000.
^tge nsaT k° m und! Schenkelkopf, zentrale Luxa-
SÄ«
U82.
tion 676 .
Schiefhals, Aetiologie 649.
Digitized by »öle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
XXXVI
Schiefnasenplastik 1090. 1294.
Schilddrüse, Blutzucker nach
Röntgenbestrahlungen der
854.
— und Darmbewegung 854.
—, zur funktionellen Diagno¬
stik 854. 1460.
—, Funktionsnaphweis und
Funktionsprüfung 849-
—, Einfluß auf den Kreatin-
Kreatiningrundumsatz 854.
— und Rheumatismus 786 .
—, Typhus und 205-
— und essentielle Uterusblu¬
tungen 1661 .
Schilddrüsenerkrankungen,
Klimabehandlung 544.
Schilddrüsenexstirpation bei
Froschlarven 1263 .
Schilddrüsenfütterung an Wir¬
bellosen 301 .
Schilddrüsenhälfte, rudimen¬
täre Entwicklung der linken,
bei Kropf der rechten 1294.
Schildkrötenbazillen, Verhalten
in Tierpassagen 239-
Schizophrene Veränderungen
des Bewußtseins der Aktivi¬
tät 1184.
Schizophrenie und Körperbau
240.
—, Spiel, Scherz, Ironie und
Humor in der 240.
—, Dauernarkose mit Som-
nifen bei 1184.
Schizotripanum, Vererbung im
Zwischenwirt 1402.
Schläfenbein, Röntgenbefunde
am — bei Tumoren 1360 .
Schlaf und Schlaf kontrollappa-
rat 1427 .
-Temperatur 76S.
Schlaflosigkeit 389.
Schlafmittel im Säuglingsalter
304.
Schlangengifte der Kopfdrüsen
ungiftiger 1324 .
Schlattersche Erkrankung,
Aetiologie 538.
-als Systemerkrankung
1220 .
Schleich, K. L. t 494.
Schleimhaut, Quellbarkeit nor¬
maler und entzündeter 988 .
Schleimhautlupus 1058.
Schlingen und Gurte in der
Geburtshilfe 76.
Schlüsselbeinbruch, Mechanik
und Behandlung 435 .
Schmerz und seine Behandlung
1246.
—, Bedeutung und Behand¬
lung 39-
Schmerzbetäubung in der Chi¬
rurgie 744.
Schmerzensgeld des Unfallver¬
letzten 208 .
Schmerzerregende Reize 1332 .
Schmerzproblem der Einge¬
weide 929-
Schmerzsinnesprüfung an funk¬
tionellen Nervenleidenden
mit chemischen Reizen 1358.
Schmierseifeneinreibungen bei
der Syphilisbehandlung 157.
Schnaken, Euresol gegen 324.
Schnittführungen in der struk-
tiven Chirurgie 849-
Schnupfen, Kollargol bei 466.
Schönheit, von Grosse 1596.
Schriftstreit und Augenarzt 77 .
Schrumpfniere, familiäre juve¬
nile 405.
—, exstirpierte 707 .
Schülerselbstmorde 921 .
Schularzt, Aufgaben 1060 .
—, Honorarverhältnisse 1363 .
Schulärztliche Tätigkeit, Auf¬
gaben und Grenzen 1363 .
1364.
-, Einführung 1059-
Schularztwesen, Entwicklung
des deutschen — in den
letzten 25 Jahren 750 .
Schule, Tuberkuloseinfektion u.
1186.
Schulgesundheitspflege und
Sparsamkeit 1465-
Schulkinder, Lebensverhält-
nisse von 1367 Berlin-Pan-
kower Gemeinde- 1 500.
—, Körpermessungen und -Wä¬
gungen an deutschen 1500 .
— in Baden, gesundheitliche
Schäden 921 .
—, soziale Hilfs- und Heilbe¬
dürftigkeit der geistig schwa¬
chen 1060.
—, Bekämpfung von Sprach*
leiden unter den 1061 .
—, ärztliche Versorgung schwer¬
höriger — in Berlin 1060.
—.Mandelabstriche diphtherie¬
kranker 1186.
Schulkindergärten für körper-
» lieh und geistig zurückge¬
bliebene und schwer erzieh¬
bare 1189 .
Schulkinderpflege, besondere
Aufgaben der Gegenwart an
die — in bezug auf die Psy¬
chopathenfürsorge 1500 .
Schulneulinge 1922 1017.
—, Kölner — 1914/21 92 t.
Schulskoliose 570 .
Schulterblatthochstand, opera¬
tive Behandlung des ange¬
borenen 48.
Schulterluxation, Therapie der
habituellen 1220.
Schulterschlottergelenk nach
Schußlähmungen, operative
Behandlung 108.
Schußkanäle 1598.
Schußverletzungen, Tätigkeit
des Gerichtsarztes bei Unter¬
suchung von 1058.
Schusterspanverbände 1185-
Schutzimpfung in Rußland 996.
Schutzpockenimpfung 1920 in
Bayern 78 .
—, Verwendung von Akridin¬
farbstofflymphen 227 .
—, intrakutane 246.
— s. auch Impfung.
Shutzpockenlymphe, Gewinn-
nung keimfreier 1580.
Schwammvergiftung, Leber¬
veränderungen nach 440.
Schwangere, Körpergewicht von
240.
—, Sauerstoffzehrung der ro¬
ten Blutkörperchen bei 709-
—, Untersuchung 1515.
—, psychische Untersuchungen
an 709-
— und Gebärende, Unzuver¬
lässigkeit der Serumunter¬
suchungen auf Syphilis bei
241.
Schwangerenfürsorge, Prinzi¬
pielles zur 503-
Schwangerenschutz, zur Be¬
gründung des — durch an-
thropometrische Untersu¬
chungen an Neugeborenen
1499-
—, Mütter- und Kinderschutz
als Aufgabe der Justizreform
750.
Schwangerschaft nach beider¬
seitiger Adnexentzündung
468.
—, Aetiologie der ektopischen
881.
INHALTSVERZEICHNIS
Schwangerschaft, Appendizitis
während der 955 .
—, Augenerkrankungen in der
1156.
—, neue Methode zur Früh¬
feststellung 754 .
—, Phloridzindiagnostik der
Früh- 303 . 676 . 919-
—, artefizielle Glykosurie in
der 1325 .
—, Wert der Adrenalinglyko-
surie zur Diagnose 173 . 850.
1340.
—, Prüfung der Gefäßfunktion
in der 676.
—, Herzfehler und 1 73- 303 .
— und Karzinom 881 .
—, Leberfunktion in der 711 .
—, Leberfunktionsprüfung in
der — und renale Schwanger-
schaftsglykosurie 881 .
—, toxische Leberentartung
und akute gelbe Leberatro¬
phie in der 745 .
— bei Leukämie 1713 .
—, Lungenembolie in der 76 .
—, Verstärkung des zweiten
Lungenschlagadertons bei 80.
— und Mittelohr 1089 .
—, Benennung, Pathologieaind
Klinik der Nierenerkrankun¬
gen in der 140.
—, Nierenfunktion in der 173 .
—, Osteophytenbildung in der
173-
—, Raynandsche Krankheit
und 140.
— nach doppelseitiger Sakto-
salpinx mit Douglasabszeß
1326 .
—.Stoffwechselstörungen 1325 .
— über 302 Tage? 1149-
— und Tuberkulose 1528 .
— und Nachkommenschaft
spezifisch behandelter tuber¬
kulöser Frauen 1568 .
—, Uteruskarzinom und 575-
Schwangerschaftsangiospasmus
745-
Schwangerschaf tsglykosurie
137. 647-
—, Aetiologie der experimen¬
tellen 1527 .
—, renale — als Frühsymptom
der Gravidität 336.
—, diagnostischer Wert und
Aetiologie der experimentel¬
len 1021 .
Schwangerschaftsnierenerkran¬
kungen, refraktrometrische
Eiweißbestimmungen der
Oedemflüssigkeit bei 571 -
Schwangerschaftsödem 1258 .
Schwange rsch af tsrea ktion,
Fahrräassche 644.
Schwangerschaftsunterbre¬
chung bei epidemischer En¬
zephalitis 1149. 1369-
— s. auch Abort.
Schwangerschaftszeichen 473-
Schwarzwasserfieber 1394 .
—, Therapie 1666.
Schwefel, Wirkung parenteral
verabfolgten 1293 .
Schwefelbehandlung chronisch
deformierender Gelenker¬
krankungen 500 .
Schwefelöl bei chronischen Ge¬
lenkerkrankungen 707 .
Schweigepflicht, ärztliche 809 .
Schweinerotlauf, Behandlung
916 .
Sch we inerotlauf Übertragung
durch Kadaververwertung
489.
Schweißdrüsenabszesse der
Achselhöhle 1688 .
—, Behandlung 61 4.
Sch weißdrüsengeschwülste,Fall
multipler 1226.
Schweißloses Individuum, Be¬
obachtungen am 1293 .
Schweißsekretion 466.
Schweizerfürsorge für er¬
holungsbedürftige deutsche
Kinder 1632 .
Schwellenreizvakzinetherapie
der Streptokokkenerkran¬
kungen 988 .
Schwerhörigkeit, lokal den
Blutdruck regelnde Mittel bei
1090 .
Schwestern in den Krankenan¬
stalten Deutschlands, die,
von Maes 1562.
Schwimmbadkonjunktivitis
340. 677- 1400.
Schwitzkuren, Wesen 440.
Seborrhoea faciei als Symptom
der Encephalitis lethargica
1055.
Sectio caesaria s. Kaiserschnitt.
Seekönig und Graspfeifer, von
Finckh 1524.
Seele und Körper in der inneren
Medizin, von v. Bergmann
953-
Seelenleben der Jugendlichen,
von Bühler 743 .
Sehen, zur Theorie 1121,
Sehnenersatz ohne Muskel 955-
Sehnennähte, Prognose und
Heilung 336.
Sehnenphänomene, zur Reflex¬
theorie 244.
Sehnenreflexe 370.
— und Methodik ihrer Latenz¬
zeitbestimmung 1184.
—, Unterschiedsempfindlich¬
keit der rezeptorischen Or¬
gane 927 .
Sehnerv und Nasennebenhöh¬
len 1150 .
Sehnervenatrophie, zur Thera¬
pie der tabischen 11 56.
— bei Turmschädel, operative
Behandlung 111 .
Sehnerveneintritt, Entwicklung
77-
Sehnervenzerreißungen bei
Schädelbasisfrakturen 1223 .
Sehproben nach Snellen, von
Roth 920 .
Sehprüfung, Technik 1351.
Sehqualitäten der Insekten und
Krebse 1238.
Sehschärfe, Einfluß von Be¬
leuchtung und Kontrast 1493.
Seife und Serum 269 .
Sekalepräparate, Wirkung 989 .
Sekoin 783 .
Sekretion, innere 269- 1053-
—,-und Balneotherapie 544.
—, Geschlecljtstrieb und innere
188.
—, die Ergebnisse der Lehre
von der inneren — für die
Physiologie 559.
—, innere — und Genese eini¬
ger Skelettvarietäten 676 . „
Sektionstechnik, von Nau-
werck 301 .
Sekundärfollikel, Bedeutung
1019.
Selbstblendung 1429 .
Selbstmord von Jugendlichen
1061.
Selbstverstümmelung, Beihilfe
zur 98 .
Semmelweis, der Begründer der
Anti- und Aseptik, von
Bruck 987 .
—, nicht Lister 603 .
Senega durch einheimische Arz¬
neipflanzen ersetzbar? 204.
404.
Senfölprießnitz 814.
Senkungsabszesse im Bauch,
Handgriff zum Nachweis40i.
—, tuberkulöse — im Röntgen¬
bild 681.
Sennatin 1012 .
Sensibilität, viszerale 1659 .
Sensibilisation, optische 237 .
Sepsis nach Abort, Unterbin¬
dung beider Vv. hypogastri
cae und ovaricae bei 1400.
— im Säuglingsalter 304 .
—, orale — und deutsche
Zahnheilkunde 1021.
— tuberculosaacutissimal33l.
Septische Zustände, Arsenbe¬
handlung 928 .
Sera und Antisera, Yatren zur
Konservierung forensischer
487 .
Serodiagnose und Blutchemis¬
mus 814.
Serologie, Grundriß, von Ascoli
782 .
Serumeiweiß im Hochgebirge
269.
—, immunbiologische Analyse
der komplexen Struktur 132 2.
Serumeiweißkörper, Einfluß des
Quellungszustandes auf ihr
Lieh t bre chungs ve rmögen81 9 .
Serumfarbstoffphänomene 879-
Serumglobulin und Serum¬
albumin als Anaphylakto-
gene 1562 .
Serumhitzekoagulation, klini¬
sche Verwertbarkeit 1256 .
Serumkolloide, Zustandsände¬
rungen von — und ihre Be¬
deutung für den Flüssigkeits¬
haushalt 789 .
Serumkrankheit, Verhütung
durch Diphtherie- und Teta¬
nusserum immunisierter Rin¬
der 334.
—,-heterologe Antigene
162 .
Serumlipase und Ernährungs¬
störungen 1086.
Serumtherapie des chronischen
Gelenkrheumatismus 1 120.
Serumvakzine 109 .
Seuchenbekämpfung, interna¬
tionale 165 . 198 .
— in Kiel im 18. Jahrhundert
925.
Sexual-Physiologie 1147-
— Psychologie, von Roh-
leder 73 .
Sexualität, kindliche 403 . 1186 .
— bei sporadischem Kretinis¬
mus 467.
—, phänomenologische Psycho¬
logie der innerlichen — und
erotischen Liebe 433-
| Sexualpathologie 469-
Sexualreform und Sexualwis¬
senschaft, von Weil 1625-
—, psychophysisches Problem
in der 501.
Sexuelle Funktionsstörungen,
zur medikamentösen Thera¬
pie 970 .
Sezierübungen, topographisch¬
anatomische, von K iss 1525 .
Shiga-Bakteriophagen 37 .
— Bazillus, Elementarbakte¬
riophagen des 1525 .
Shock, anaphylaktischer 1427 .
—, elektrokardiographische
Untersuchungen über Be¬
ziehungen des vegetativen
Nervensystems zum ana¬
phylaktischen 1393 -
Siebbein, Karzinom 510 .
Siebbeinlabyrinth, architekto¬
nischer Aufbau 1090 .
Sigmatismus, Behandlung 783 .
Digitized by »öle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
INHALTSVERZEICHNIS
XXXVII
um, heterotope Epi-
lcherung in der Wand
drosole, Proteinkör-
rapie und Bedeutung
Schutzkolloids bei
rarsan 43- 624. 786.
aralyse 1055-
e, Wirkung auf die
77-
;sare 336 .
der Bergarbeiter in
ka 540.
34.
che Krankheit, Fälle
i geistiger Störungen
>4.
bei Beinphlegmone
us nach Grippe-En-
s 616 .
icus 138 .
imretention infolge
hypertrophie 918 .
riff zur Hebung 841.
seitige Phrenikus-
nnung bei 136 O.
hren der operativen
iR 645-
sus, Thrombose
ius cordis, Erweite¬
rt Insuffizienz der
Thebesii 1019-
linalis, Punktionen
geborenen 175-
nhose bei Mittelohr-
1497-
ung 139 -
5 verbrechen des
ifgesetzentwurfs 71 •
demie imTriesting-
rlingen 960 .
: der Säuglings-294.
bei 371.
?ei l 74.
ei 1687-
bei 1140.
ing in der Kassen-
6 .
handlung 1361 .
hen 643- 1360.
lale. funktionelle
artspezifischer
uren 646.
rs of the, von
> 4 .
Sudhoff 915-
Fall 1122.
ion mit Addison
lynaud und Ten-
crepitans 1428.
ehandlu ng 40.
tiple 44.
eruf 1056.
jnose der multi-
lepsie bei multi-
- mit positivem
hefund 1056-
und Therapie
tn 42.
bei multipler 42.
Thora koplasti 1c,
g der Dorsal-
Behandlung 107-
Skoliosebecken 1 73-
Skopzen, die russisch-rumäni¬
sche Kastratensekte der, von
Koch 673 .
Skorbut 1297-
— und alimentäre Anämie
1492-
—, Blutbild bei 569-
—, zwei Fälle 885-
—, Lipoidgehalt der Neben¬
nierenrinde des Meerschwein¬
chens bei experimentellem
953-
— mit Xerose und Hemeralo¬
pie 82.
Solaesthin, Narkose mit 334.
1359-
Soluesin und Neosalvarsan ein¬
zeitig gegen Syphilis 337-
Somnifen, Dauemarkose bei
Schizophrenie mit 1184.
Sonnen- und Luftbäder, Unter¬
schied 106.
Sonnenbehandlung der Kehl¬
kopftuberkulose 108.
Sonnenlicht, Wirkung auf Ma¬
lariaparasiten 642.
Soor des Kehlkopfes 140.
Soorpilz im Magensafte bei
Ulkus und bei anderen Er¬
krankungen des Magens 1360 .
Sopholprophylaxe der Oph-
thalmoblenorrhoea neonato¬
rum 606.
Sowjetrußland, Medizinisches
und Aerztliches aus 469-
Soziale Fürsorge auf fremde
Rechnung 752.
— Hygiene, Kompendium, von
Chajes 40.
-in ihrem Verhältnis zur
Weltanschauung und Ethik,
von Walter 78 .
-und Politik, Grund¬
legung zur, von Stehr 238 .
-, Aufstieg 503-
— —und Rassenhygiene II44.
— Versicherung, Vereinheit¬
lichung 142.
Späteunuchoidismus u. Dys¬
trophia adiposogenitalis
1563-
Spätkrankheiten bei Kriegsteil¬
nehmern, von Kolieb 432.
Spätmyxödem bei konstitu¬
tioneller Lipomatose 1644.
Spätrachitis und Hungerosteo¬
pathie, von Simon 567 .
Spättetanus 138 . 570.
Spaltblende, Leppersche 1191-
Spaltlampenmikroskopie des
vorderen Bulbusabschnittes
77.
Spannungspneumothorax 962.
Spasmophilie, Blutkalkgehalt
bei 1 733, und Kalkzufuhr 782 .
1022.
—, verschiedene Wirkungen
von Kuhmilch und Frauen¬
milch bei 1463-
—, Beeinflußbarkeit durch
Salzsäuremilch 469- 748.
—, zur Genese 1265-
— der Kinder, Wirkung des
Kaliumions bei 677-
Spasmolytika bei spastischen
Zuständen 1031.
Spechtschlagrhythmus bei
Grippe 335-
Speicheisteine 708.
Speichelsteinerkrankung der
Glandula submaxillaris 885-
Spektrometer für die Röntgeno¬
logie 239 .
Spektrometrische Eichungs-
Methode, Ausbau 879-
Spezialarzt, Klage eines —
wegen Honorarforderung
1430 .
Spezialitäten u. Geheimmittel,
neue 1016.
Sphinkter ani, Krampf 1257 .
Sphinkterplastik am Rektum
474.
Sphygmobolometer, Unter¬
suchungen mit dem 887 . 1394.
Sphygmographie unter Ver¬
wendung der graphischen
Arteriometrie 1119 .
Spiegelkondensor für Dunkel¬
feldbeleuchtung, Übergang
vom Dunkel- zum Hellfelde
mit dem 743-
Spina bifida occulta 1220.
-, pathologische Ana¬
tomie und Klinik 173*
-und Ischias 538.
— ventosa multiplex adul¬
torum 816.
Spiralkanal, Drainage ohne
Lumbalpunktion bei Neuro-
syphilis 1120 .
Spinatsekretinlösung, entgif¬
tende Wirkung auf Stro¬
phanthin 313.
Spirochaeta pallida, morpholo¬
gische Verschiedenheiten 879-
-und cuniculi, chemo¬
therapeutische Differenzie¬
rung 879-
Spirochäten im Magensaft und
Carcinoma ventriculi 172 .
— bei atypischen Paralysen
1055.
—, Wachstumsbedingungen
pathogener — in Kulturen
1402.
Spirochätendarstellung im Ge¬
frierschnitt 271 •
Spirochätose des vorderen Bul¬
busabschnitts 1493-
Splenektomie bei kongenitalem
hereditären hämolytischen
Ikterus 1057-
—, Veränderungen der Leber
nach 1067.
— bei Leberzirrhose 1117-
Splenomegalie, familiäre 989-
Spondylitis 816 .
—, Grundprinzipien der me¬
chanischen Behandlung 606.
—, Schienung mit Zelluloid¬
stäben bei 1220.
— tuberculosa 336.
-in der Atlanto-okzipital-
Gegend 1122 .
-und chronischer Rheu-'
matismus der Rückenmus¬
keln, Differentialdiagnose
zwischen 880 .
-, operative Versteifung d.
Wirbelsäule bei 173-
-, Albeesche Operation bei
864. 918 . 1065-
Spondylitische Lähmungen,
Glüheisenbehandlung 605-
Spondylopathia leucaemica
1732.
Sprachen, Aerzte, lernt fremde
950.
Sprachheilwesen an den Ber¬
liner Volksschulen, von
Schorsch 1189 .
Sprachleiden, Bekämpfung un¬
ter der Schuljugend 1061 .
Sprue 375- 1402.
Sputum, Desinfektion des tuber¬
kulösen 259. 260. 495. 1478.
1564. 1579.
—, zur Anreicherung v. tuber¬
kulösem — Antiformin not¬
wendig? 536.
Sputumdesinfektion, Apparat
zur 1733 .
Staatsexamen,Statistisches 277.
Stalagmone des Urins, Bedeu¬
tung für die Prognose innerer
Erkrankungen 567 .
Stalagmometrischer Quotient,
Wert für die Differential-
diagnose zwischen benignem
und malignem Tumor 107 .
Stammesphysiognomien, Er-
scheinungs- u. Entstehungs¬
weise deutscher 1716 .
Standesangelegenheiten 133.
600.1112.1320.
Standeswohlfahrtsfragen 984.
Staphar bei Ekzem 371 .
Staphylo-Yatren 1054.
Staphylokokkenbakteriophagen
1083 .
Staphylomykosen, Behandlung
mit Pferdeserum 1688 .
Star der Alten 1250. 1271.
— bei Glasbläsern 1625 .
— und Zyklitis, zur Hetero¬
chromie mit 1156.
— s. auch Katarakt.
Staroperation, subkonjunkti-
vale 1156. 1563 .
Statistische Forschungsmetho¬
den, von Czuber 274.
Statisches Organ normal. Säug¬
linge und Kinder 785 .
Status thymo-lymphaticus,
Rundzelleninfiltrate im Myo¬
kard bei 436.
Staubinde 1615.
Staublunge, röntgenologische
Feststellung 790.
Stauungsgallenblase 434.
Stauungspapille bei Tetanie
207 .
—, druckentlastende Opera¬
tionen bei 1563 .
Steckschüsse, Beurteilung 108 .
—, Giftwirkung der Blei-1116.
Steinachsche Operation 1688 ,
Theorie und Praxis, von
Schmidt 1624.
-Folgen 540.
Steinkohlenbergwerke in Preu¬
ßen, Erkrankungs-und Sterb¬
lichkeitsverhältnisse der Ar¬
beiter der 300 .
Steinniere, beiderseitige — und
Spondylarthritis ankylopog-
tica 1294.
Stenokardie, Behandlung 1664.
—- intravenöse Kieselsäure¬
injektionen bei 106 .
Stenosen der oberen Luftwege,
Blutveränderungen bei 81 5-
Sterbefälle im deutschen Reiche
vor und nach dem Kriege
1499-
Sterblichkeit in Wien, Wirkung
des Krieges, von Rosenfeld
372.
— und Todesursachen im Säug¬
lingsalterwährend der Kriegs¬
jahre 372.
—, Geburten- 1390.
— an Infektionskrankheiten
1390.
Sterblichkeitsverhältnisse in
den deutschen Großstädten
1922 1363 . 1631.
Stereo-Mikroskop, mono-bino¬
kulares 1116 .
Stereobrille für reduzierten Pu-
Pülerubstand 109 °-
Sterile Ehen $ei tdemKriege Ko¬
stern!*.. " temporäre — vor
d er ’> und r ’ittete Röntgen.
Sterilisierung des weiblichen
Tierkörpers, hormonale 76 .
987.
Sterilität, Ursachen und Be¬
handlung, von Kehrer 1527 .
— und Spermaimmunität 850 .
— der Frau 817-
—, Behandlung 336.
—, operative Behandlung 1 326 .
—, Röntgentherapie 1565-
Sternumspaltung 139- 570.
Stethoskop zur Blutdruckmes¬
sung 594.
Stickstoffhaushalt im Greisen-
alter 238 .
Stieldrehung intraabdominaler
Organe 1117-
Stieltorsionen 1028.
Stigmamometer 1121.
Stillen vor, in und nach dem
Kriege 40.
Stillfähigkeit, Beurteilung 1266.
—, Erhebungen über 750.852.
Stimmansatz, harter und. wei¬
cher — bei Natur- und Kunst¬
stimmen 1124.
Stimmband, stimmhafte Spra¬
che mit einem 1118 .
Stimmbandmedianstellung,
operative Korrektion der bei¬
derseitigen 1090 .
Stimmumfang von Sopran bis
Bariton 1434.
Stimhimtumor, Nachweis mit
Röntgenstrahlen 1055-
Stimhirntumoren mikroskopi¬
sche Befunde 373-
StimhimVerletzungen, zur Ka¬
suistik 1475.
Stirnhöhle, Cholesteatom 11 53-
—, Probepunktion 77-
Stimhöhleneiterung, Osteo¬
myelitis, Stirnhirnabszeß 112.
Stimhöhlengegend, Vorwöl-
bung 1222.
Stirnlagen und Kiellandsche
Zange 571-
Stirnlappenspätabszeß, Ent¬
leerung eines 402.
St. Louis, Briefe aus 33. 396.
912. 1488.
Stoffumsatz mit dem Respira¬
tionsapparat gemessen 1332.
Stoffwechsel in der Biologie.von
Gottschalk 641.
—, Beeinflussung durch Chlo¬
rophyllpräparate 368 .
— der Erde 1529 .
— bei Fettsucht 1293-
—, Einfluß der Hormone auf
den intermediären 1296 .
—, Klima- und Badekuren und
543.
— bei Milz- und Lebererkran¬
kungen 1054.
—, Einfluß des Radiothoriums
252.
—, Wirkung des Thyreotoxins
und kleinster Jodgaben 1687-
—, Trinkkuren und 543-
Stoffwechselfragen, Balneolo¬
gie und 543-
Stoffwechselkrankheiten, Ther¬
malwasserbehandlung 543-
Stoffwechselprobleme 513. 545.
Stoffwechselstörungen der
Schwangerschaft 1 325-
Stomatitis mercarialis, Verhü¬
tung 677-
—, septische Form 1118 .
I — ulcerosa, Quecksilber als
Reizmittel bei 191.
I Stottern und Asthma 106. 643-
I—, physiologisches 1085-
, prophylaktischer Kunst-
\ fehler bei 852.
Digitized by »öle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
XXXVIII
Stabismus convergens surso-
adducto'rius 1156 .
Strafgesetzbuch, Entwurf zu
einem deutschen 740.
—, zur Stellung des Arztes im
Entwurf 1919 zu einem deut¬
schen 394.
Strafgesetzentwurf, Sittlich¬
keitsverbrechen des neuen
71.
—, Stellung des Arztes im
letzten österreichischen und
im neuen deutschen 809 .
Strahlenpilzkrankheit s. Akti-
nomykose.
Strahlenpilzmeningitis 1294.
Strahlentherapie, gynäkolo¬
gische 1533. 1566. 1595,
Praktikum der gynäkolo¬
gischen, von Runge 303 .
—, Sensibilität und Sensibili¬
sierung in der 674. 814.
—, Wandlungen und Ausblicke
1575.
—, paravaginale 1027 .
— der Dysmenorrhoe* 1 361 .
— des Krebses 385. 416. 1063 -
-Uteruskarzinoms 207 .
371. 762. 956. 977. 1361.
— der Tuberkulose 821 .
— bei Bronchialdrüsentuber¬
kulose 1088.
— s. auch Röntgen- und Ra¬
diumtherapie.
Strahlenwirkung, experimen¬
telle Studien 888.
Streik, Schädigung von Kran¬
ken währenddes Berliner 299.
Streptococcus mucosus, unge¬
wöhnliche Art 1298 .
-, klinisches Bild von 1298 .
Streptokokken, Nährboden für
im Blute kreisende 69.
—, Depressionsimmunität bei
intravenöser Superinfektion
mit 238 .
—, Ernährung, Rassenbildung
und Immunität bei 1020.
—, Virulenzprüfung nach Sig-
wart 502.
Streptokokkenarten, Methämo-
globinplatte zur Differenzie¬
rung verschiedener 1066 .
Streptokokkenerkrankungen,
Schwellenreizvakzinethera¬
pie 988.
Streptokokkeninfektion, Wesen
und Bekämpfung 1734.
Streptokokkenmundinfektion,
Antiseptika gegen 744.
Striäre Bewegungsstörungen,
Analyse und Pathophysiolo¬
gie 1055-
Striatumerkrankungen, myo-
elektrische, Untersuchungen
bei 569 .
Stridor der Säuglinge 746.
— congenitus, Zungengrund¬
zysten bei 882 .
Strindberg, im Lichte seiner
Selbstbiographie, v. Storch
431-
Strongyloidosis, Fall 1088.
Strophalen „Tosse“ 314.
Strophanthin, entgiftende Wir¬
kung der Spinatsekretinlö¬
sung auf 313.
Strophanthintherapie, moderne.
314. -
Strumektomie, zur Technik
929-
—, Drainage nach 434.
Strumitis postyphosa 675-
Strychnin, Nachweis der peri¬
pherischen Wirkung auf den
N. acusticus und allgemeine
Wirkung auf die Sinnesfunk¬
tion des Hörens 255.
Stützkorsett-Typus, eigenarti¬
ger 39-
Stuhl s. Faezes.
Sublimatniere, chirurgische Be¬
handlung 709 . 1220.
Sublimatvergiftung, Nieren-
dekapsulation bei 570.
Subokzipitalstich und Balken¬
stich 42.
Suggestivbehandlung in der
Frauenheilkunde 468.
Sugillationen bei Tabes 138 .
Sulfhämoglobinämie, autotoxi¬
sche intraglobuläre 1428.
Sulfobadin zur Herstellung von
Bädern 804.
Sulfozyansäureradikal, klini¬
sche Bedeutung 1574.
Superfötation bei einer Zwil¬
lingsgeburt 1028.
Superinfektion 238 .
Suprarenin, Wirkung 989-
— und Wachstum der Kaul¬
quappen 301 .
Sympathikotonieprüfung, phar¬
makologische Grundlagen
788.
Sympathikusreizung, perma¬
nente 1566.
Sympathisches Nervengeflecht,
physiologische Wirkung der
Exstirpation des periarte¬
riellen 1019 .
Symphysenvereiterung post
partum 1087-
Symphysenzerreißung durch
Zangenentbindung 111 .
Symptomatologie innerer
Krankheiten, von Ortner
604.
Synergismus, chemischer und
pharmakologischer 954. 1298 .
Synostose, prämature 855-
Syntropie kindlicher Krank¬
heitszustände 539-
Syphilide, xanthomähnliche
1467-
Syphilis 491.
—, Atlas, von v. Zumbusch
608.
—, jetziger Stand der Lehre von
cjer Pathologie und Therapie,
von Kyrie 274.
— und Hautkrankheiten im
Säuglings- und Kindesalter,
von Finkeistein, Galews-
ky und Halberstaedter
746.
— des Zentralnervensystems
von Gennerich 174 .
—.115 Fälle, 5 Jahre nach der
Infektion untersucht 786 .
— degenerativa maligna acuta
1058.
—, Beitrag zur galoppierenden
1210.
—, Serodiagnose 1220 . 1307.
—, Methoden zur Serodiagnose
1400.
—, Organextrakte und ihre
wirksamen Bestandteile für
die Serodiagnostik 1131.
1648.
—, Flockungs- und Trübungs¬
reaktionen bei 219. 825.
1045. 1046.
—. Ausflockungsreaktion zur
Diagnose als Allgemeingut
des praktischen Arztes 207 .
—, Methoden und Modifika¬
tionen des sereologischen
Nachweises mittels Flockung
891. 1132.
—, Brucksche Flockungsreak¬
tion 1510.
—, — Zentrifugiermethode
1612
INHALTSVERZEICHNIS
Syphilis, Ausflockungsreak¬
tionen s. auch Sachs-Georgi
und Meinicke.
—, Kombination der Sachs-
Reaktion und der 3 . Modifi¬
kation der Meinicke-Reak¬
tion 1186 .
—, neue Trübungsreaktion 384.
—, Serodiagnose bei Augen¬
krankheiten 1150 .
—, Serodiagnostik s. auch die
einzelnen Reaktionen.
—, Fälle frambösiformer und
varioliformer 1025 -
—, Frühheilung frischer 337-
—, Todesfälle bei frischer 1021 .
—, diagnostische Salvarsan-
einspritzung berechtigt? 40.
—, Einfluß des Salvarsans auf
die Bilirubinreaktion im Blut¬
serum bei 1021 .
—, Enzephalitis und Myelitis
im Frühstadium der — wäh¬
rend der Salvarsanbehand-
lung 443.
— und Epilepsie 305 .
—, Einfluß toxischer Exan¬
theme auf den Ablauf 981.
1372.
—, paroxysmale Hämoglobin¬
urie und 172.
—, Immunbiologie 958.
—, Infektion intra partum
539.
— im Knochensystem, ange¬
borene Früh- 498 .
—, Laboratoriumsuntersuchun¬
gen 305-
—, Leberschädigung bei —
und Salvarsantherapie 43-
—, Komplikationen und Hei¬
lungen subakuter Leberatro¬
phie bei 1168.
— der oberen Luftwege 1090 .
— meningealis, endolumbale
Technik 1528 .
-, Behandlung 207 .
—, oto-laryngologische Fälle
1090 .
— des Nervensystems, Früh-
860.
—, intrakutane Reaktion bei
956.
—, zeitweilige natürliche Re¬
sistenz gegen 468.
— der Säuglinge, Skelett¬
system bei 468.
— bei Schwangeren, Kreißen¬
den, Wöchnerinnen und Neu¬
geborenen, Serumuntersu¬
chungen bei 241. 956.
—, Meningitis cerebrospinalis
acuta im Frühstadium der
207.
—, Salvarsanprovokation oder
meningeale Früh- 1665 .
—, Primäraffekte s. d.
—, Störungen der Nn. cochlea-
ris, acusticus und vestibula-
ris bei 179-
—, Selbstheilung der 1 364, und
das Quecksilber 78 .
— und Tuberkulose, Koinzi¬
denz 207-
— der Sekundärperiode, vesti¬
buläre Untersuchungen bei
unbehandelter rezenter 1090 .
—, Verlauf zeitweiser unbehan¬
delter — und Wa. R. in dieser
Zeit 372.
—, innerhalb 5 Jahre zweima¬
lige Infektion 108.
—, congenita 608 . 1435-
-, Blaseninhaltsstoffe bei
1220.
-in der 2. und 3- Genera¬
tion, zur physiognomischen
Erkenntnis 108.
Syphilis congenita, Ernährungs¬
probleme bei 785.
-, Herz- und Gefäßstö¬
rungen bei 106.
-, Liquorbefunde bei 78 .
-, Mirion bei 174.
-, Muskeluntersuchungen
bei 141.
-, Nierenerkrankungen bei
1662.
-und Tuberkulose, Dop¬
pelerkrankung bei Kindern
an 993-1361.
-, Zahnveränderungen bei
1224.
-und Zahnhypoplasien 40.
-und Zwillingsschwan¬
gerschaft 1386.
— extragenitalis 785-
— latens und Variolois, Kom¬
bination 108.
— s. auch Primäraffekt.
Syphilisbehandlung durch den
praktischen Arzt 19.
—, moderne 1024.
—, Resultate der modernen
1714.
—, abortive 171 4.
—, Sammelforschung über
abortive 468.
—, experimentelle Untersu¬
chungen über Abortiv- 1301.
— beim Säugling 176 .
— mit Kalomelöl bei Lues
congenita 920 .
-Merlusan 956.
-Salvarsan 207 .
-, gegenwärtiger Stand
474.
-und Leberschädigung
durch Lues 43 .
--, Beziehung des Ar¬
sens zur Leber und zur 1528.
-bei Lues der inneren
Organe und des Nerven¬
systems 223.
—, Vorbehandlung mit Koffein
bei der Salvarsanbehandlung
der zentralen Nervensyphilis
920 .
— mit Mischspritzen 1282.
—, zur Frage der intravenösen
Mischinjektionen 835.
— mitSalvarsan-Embarin und
Saivarsan-Zyanol gleich¬
zeitig 337-
-Quecksilber bei Lues
congenita 1596.
--Novasurol 731.
— Herzkranker mit Salvarsan-
Novasurol 486.
— mit Metallsalvarsan-Nova-
surolgemischen 608.
—, — Neosilbersalvarsan 436 .
785- 1361.
-allein und als Misch¬
spritze 1044.
-und Soluesin, ein¬
zeitige 337.
-Neosilbersalvarsannatri-
um 457.
— mit Neosilbersalvarsan 17.
-und Novasurol 158.
— mit Silbersalvarsan 43-
—, Schmierseifeneinreibungen
bei der 157.
—, Tinct. Jodi in der 1388.
— mit Wismut 41. 608. 1362 .
1395- 1431- 1462. 1492. 1493-
1732.
Syphiliserreger, Untersuchun¬
gen über den, von Oelze
1026.
Syphilisforschung, zur experi¬
mentellen 1209. 1528.
Syphilisreaktionen, chemische
Zusammensetzung der bei
den — gebildeten Flocken 89.
Syphilisspirochäten, Färbungs.
versuche mit Neosalvarsan
645-
Syphilisverhütung und Säug-
lings- und Ammensyphilis
413.
Syphilitische Erkrankungen in
der Allgemeinpraxis, die, von
Mulzer 1058.
-im viszeralen Nerven¬
system mit Ulkusbildung im
Magen und Duodenum 1058 .
Syphilitische Infektion, Ab¬
wehrmittel des Körpers gegen
die — — und ihre Beein¬
flussung durch Quecksilber
337-
Syringomyelie, Hämatomyelie
bei — und zur Pathogenese
der 1397 -
—, Kehlkopferscheinungen bei
107 .
— und Nervenlepra, Differen¬
tialdiagnose 1056 .
— und peripherisches Trauma
335.
Systematik, Grundgedanken
zur klinischen 1181 .
T.
Tabak Vergiftung, Sehstörun¬
gen bei 1 531-
Tabes, Arthropathien als Früh¬
symptom 650 .
—, orthopädischer Ausgleich
der Hypotonie und Tiefenan¬
ästhesie bei 206.
—, Knochenerkrankungen bei
245-
—, Magengeschwüre und 1293 -
—, Mammasekretion und -Kri¬
sen bei 272 .
—, Reichmannscher Sympto-
menkomplex bei 537-
—, Sugillationen bei 138 .
—, Therapie 1020. 1184. 1461.
—, modifizierte Salvarsanthe¬
rapie 223.
— juvenilis 434.
Tabische Skeletterkrankungen,
ätiologische Erklärung 538 .
Tachykardie, Hochdruck- 401.
—, paroxysmale 79- 335-
—, Sektionsbefund eines Falles
von paroxysmaler 901.
Talmasche Operation, Indika¬
tion 370 .
Talus, traumatische Läsionen
371.
Tamponade, resorbierbare 855 .
Tanninpräparale bei dyspep¬
tischen Zuständen im Kindes¬
alter 1220 .
Taubheit infolge Gehörknöchel¬
chenfixation 817 .
Taubstumme, anatomische Be¬
funde bei 1090 .
— Kindergarten und Vor¬
schule für 751 -
—.Sprachunterricht im Kinder¬
garten und in der Vorschule
für 751.
—, Stimmwerkzeuge und
Stimme von 745-
— Kinder, Sprechatmung bei
1090.
Taylorsystem in der Medizin
208. 924.
Tebelon bei Tubei kulose 1380
Tebezin-Dortal 43-
Technik im kleinen 1116.
—, augenärztliche 1078. 1143.
1177. 1214. 1289. 1351. 1389.
1419. 1451.
—, dermatologische 361. 391.
426. 461.
—, geburtshilfliche 1515. 1555.
1583. 1650. 1679.
Digitized by »öle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
INHALTSVERZEICHNIS
XXXIX
ik, gynäkologische 598.
666. 699. 735. 776.
irenärztliche 1319. 1483.
ätiologische 1585. 1651.
1. 1766. 1729.
ologische 872. 908. 944.
1016.
nerologische 491. 529.
standteile, experimen-
Erzeugung von Karzi-
en durch 109 .
xzinome, experimentelle
sugung 137. 439-
I Krebsfrage 1019 .
Maus 10 S 3 . 1369-
uch Krebs.
hie und Hellsehen, von
hner 333-
;rbindung-en, elektive
ung auf die Bazillen der
us-Koligruppe 706 .
■atur, Methoden der
ung und neues Verfah-
ler Schnellmessung 209 .
Schlaf 765.
atursinn, zur Physiolo¬
ge.
ein 412. 1367 .
um und Falx cerebri,
Bungen unter der Ge-
207 . 1040. •
1 bei Gonorrhoe 1286.
in und Terpichin bei
eißdrüsenabszessen der
:1 höhle 293.
in bei entzündlichen
inkungen der Ham-
le 709-
trv 466-
I parathyreopriva, Be-
lung 172 . 434.
. Fall akuter 614.
lahmen der Arteriosde-
cerebrl 433-
ehungen des Chemis-
des Organismus zur
1037.
emische 1330.
?psie bei postopera-
505-
Gastroenterostomie
sehe Studien 569-
»perative — nach
peration 849-
genese 142. 370.
\t infantilen 338.
ankungen des Phos-
lalts im Serum bei
perative — und Un¬
ille bei Anästhesien
- mit epileptischem
1148.
achitis 539-
lungen von Säure
kali zur 1525-
iusscheidung durch
n bei 1296 -
ngspapiile bei 207-
mphosphat bei 880-
ehandlung 1022-
ider, Salmiak bei 403-
I I körperverpfla n zung
operativer 107-
impfe 370-
01 .
wtund DouglÄse lte '
achoperationen 4 691-
r 47-
ralis 1058-
138- 570- w „
Starkstromveroren -
S. ,
echsel bei 9»9
Tetanus, Lichttherapie 675-
—, intrakranielle Serumthera¬
pie 79- 675-
Tetanusantitoxininjektion, an¬
aphylaktische Erscheinungen
nach prophylaktischer 1660.
Tetanusgift, Resorption durch
den Darm 847-
Tetralinvergiftung, Fall 1534-
Thalliumwirkung, Untersu¬
chungen über 859.
—, biologische 787 -
—auf dasendokrineSy$tem744.
Thalliumsalze und Haarwachs¬
tum 614.
Thelygan 466.
Theologie und ärztlicher
Stand, von Diepgen 1525-
Therapie, zur Charakteristik
der gegenwärtigen 1.
—, einige Fortschritte 1031.
—, Zukunft der internen 1459-
—, rein mechanistische Auf¬
fassung berechtigt? 1183 .
Thermalbäder, Erklärungsmög¬
lichkeiten 42.
Thermalwasserbehandlung von
Stoffwechselkrankheiten 543-
Thermische Behandlungsme¬
thoden, Tiefenwirkung 1293-
Thermogenetischer Apparat,
regulatorische Dysfunktion
bei mißgebildeten Neugebo¬
renen 991-
Thermopenetration bei weib¬
licher Gonorrhoe 902.
-weiblichen Blasener¬
krankungen 1643.
Thermophon 1090.
Thermopräzipitinreaktion, von
Ascoli 1623 .
Thiersch, Carl, Sein Leben.
Von J. Thiersch 1019 .
Thorakoplastik und Skoliose,
von Hug 335 .
Thorakoskopie 138 .
Thorakophagus, Fall 603 .
Thora koplastik wegen Lungen¬
tuberkulose, Mobilisierung
des ganzen Schultergürtels
bei 1624.
Thorax, chirurgische Behand¬
lung der Entzündungen des
— und seiner Organe 273-
—, Einfluß der Kollapsthera¬
pie der Lungentuberkulose
auf Form und Wachstum
des 707
TU i.ixform und Gesamtorga-
rU.iion <41.
Thoraxresektionen wegen ver¬
alteter Pleuraempyeme 273-
Thoraxverletzungen, Behand¬
lung penetrierender 76 .
Thoriumthenpie des chroni¬
schen Gelenkrheumatismus
1120.
Thorium X-Salbe s. Doramad.
Thrombopenie, Fall essentieler
1124.
—, Klinik und Therapie der
essentiellen 1293 -
Thrombozyten bei malignen
Tumoren 714.
Thrombozytenfrage 1293-
Thymusextrakt bei Psoriasis
1211.
Thymusröntgenbestrahlung bei
Psoriasis 991-
Thyoparametron bei Fluor
1139.
Thyreoidin,Einfluß kleinerMen
gen auf das röte Blutbild
1033.
Thyreoidintherapie, Bedeu¬
tung der gasanalytischen Be¬
stimmung des Stoffwechsels
f ür die 853 .
Thyreoidintherapie, Wasser-
und Salzwechsel bei 1055-
Thyreosen, Viskosität und Ei¬
weißgehalt des Serums bei
929 .
Thyreotoxikosen, Jod bei 335.
Thyroxin und kleinste Jod¬
gaben, Einwirkung auf den
Stoffwechsel 1687 .
Tibet-Hochland und seine Be¬
wohner 1465-
Tibia, Ersatz durch Magnalium-
Prothese 1057-
Tibiaapophyse, Abrißfraktur
1089-
Tic des Gesichts, geheilter 995-
Tiefenantisepsis 680.
Tiefentamponade, zur Technik
904.
Tiefenthermometrie 644.
Tiere, Umwelt und Innenwelt
der, von v. Uexküll 301 .
Tierfell-Nävus 1316.
Tierheilkunde und Wiederauf¬
bau 1531-
Tierischer Körper, synthetische
Theorie des-, abgeleitet
aus dem Fortpflanzungsver¬
mögen der geweblichen Sy¬
steme höherer Ordnung 1240.
Tik, psychische Behandlung
1325.
Tinctura Jodi bei Syphilis 1388.
Tintenstift - Gewebsnekrose
1383.
Tötung, Strafverfahren gegen
zwei Aerzte wegen fahrlässiger
1150.
—, Anklage gegen eine Heb¬
amme wegen fahrlässiger
1220.
—, homizide Impulse als Ur¬
sache fahrlässiger 1184.
Tollwutkranke Tiere, Behand¬
lung der Bißverletzungen
932.
Tonerdepräparate 4C0.
Ton- und Geräuschlokalisation
246.
Tonophosphan 40.
Tonsillen, Physiologie und Pa¬
thologie 140. 1295-
— und Lymphdrüsen, die re¬
duzierenden Substanzen der
1295.
—, innere Sekretion der 542 .
1295.
Tonsillenfrage 140. 1296 . 1428.
Tonsillentumoren, Behandlung
maligner 1713-
Tonusschwankungen bei Reiz¬
körpertherapie 916 .
Topographie der Körperor¬
gane, Faktoren einwirkend
auf die 570.
Tote des Jahres 1922 :
Albrecht, Prof. Dr. (Wien)
952.
Bayer, Geh. San.-R. Dr.
(Hannover) 812 .
Beerwald, Geh.San.-R.Dr.
(Berlin) 1356.
Berthold, Geh. Med-R.
Prof. Dr. (Schleswig) 496 .
Bertilion, Prof. Dr. (Paris)
1082.
Biberfeld,' Prof. Dr. (Bres¬
lau) 986 .
Bing, Prof. Dr. (Wien) 1622.
Blaschko, Geh. San.-R.
Prof. Dr. (Berlin) 464.
Bloch, Dr. (Berlin) 1622.
Boas, Geh. San.-R. Dr.
(Berlin) 136 .
Breitung, Geh. San.-R. Dr.
(Koburg) 36 .
Burkhardt, Prof. Dr.
(Nürnberg) 430 .
Busse,Prof.Dr. (Zürich)268.
Classen, Gen.-A. a. D. Dr.
(Düsseldorf) 36 .
Deiters, San.-R. Dr. (Dü¬
ren) 878 .
Dunbar, Prof. Dr. (Ham¬
burg) 430-
Garlipp, Minister-R. Dr.
(Berlin) 366 .
Gerhartz, Geh. San.-R. Dr.
(Rheinbach) C02.
Goette, Prof. Dr. (Heidel¬
berg) 236 .
Groß, Prof. Dr. (Wien)
1392.
Gutzmann, Prof. Dr. (Ber¬
lin) 1560.
Hart, Prof. Dr. (Berlin)
1322.
Hasse, Geh. Med-R. Prof.
Dr. (Breslau) 952.
Heineke, Prof. Dr. (Berlin)
566 .
Heitzmann, Dr. (Wien)
300 .
Hertwig, Geh. Med-R.
Prof. Dr. (Berlin) 1524.
Hofmeister, Prof. Dr.
(Würzburg) 1082.
Jacob, Prof. Dr. (Ebenhau¬
sen) 1322 .
Jendrassik, Prof. Dr. (Bu¬
dapest) 268 .
Jolly, Prof. Dr. (Berlin)
1560.
Katzenstein, Prof. Dr.
(Berlin) 1254.
Kayser, San.-R. Dr.
(Frankfurt a. M.) 1254.
Kirchhoff, Prof.Dr. (Schles¬
wig) 1560.
Klein, Prof. Dr. (Kiel) 366 .
Klemensiewicz, Hof-R.
Prof. Dr. (Graz) 202 .
Kolisch, Priv-Doz. Dr.
(Wien) 640.
K ratsch me r- Forstburg,
Prof. Dr. (Wien) 914.
Krön, Geh. San-R. Dr.
(Berlin) 72 .
Kroner, Geh. San-R. Dr.
(Berlin) 566 .
Kükenthal, Geh-Reg.-R.
Prof. Dr. (Berlin) 1180.
Lassar-Cohn, Prof. Dr.
(Königsberg) 1426.
Latham, Prof. Dr. (London)
1524.
Laveran, Prof. Dr. (Paris)
704.
Lehmann, Geh-R. Prof.
Dr. (Karlsruhe) 878 .
v. Leube.Geh. Rat Prof. Dr.
704.
Lindner.Geh. Med-R. Prof.
Dr. (Dresden) 300 .
Löhlein, Prof. Dr. (Mar¬
burg) 36.
Manson, Sir (London) 566.
Maxen, Dr. (Telgte) 640.
Mertens, San-R.Dr. (Köln)
1018.
Merzweiler, Dr.(Tiflis)496.
Neuberger, Dr. (Frank¬
furt a. M.) 1392 .
Nippold, Ob-Med-R. Prof.
Dr. (Freiberg) 430 .
Obersteiner, Prof. Dr.
(Wien) 1686 .
Passet, San.-R. Dr. (Mün¬
chen) 1180 .
Pecirka, Prof- Dr - (Prag)
Dr-
id-R.
a.M.)
Prof.
170,
Pe ^e\hariP g ’ „
Q®«*» Mi
Ranvier, Prof. Dr. (Paris)
704.
Reerink, Prof. Dr. (Frei¬
burg) 268.
Re iss, Dr. (Metz) 1426.
Riess, Prof. Dr. (Berlin)
464.
Riffel, Prof. Dr. (Karlsruhe)
398.
Rosanes, Hof-R. Dr. (Wien)
704.
Rosenbaum, Geh. San.-R.
Dr. (Frankfurt a. M.) 104.
Rubens, Geh.-R. Prof. Dr.
(Berlin) 1018 .
Rüdin, Prof. Dr. (Hamburg)
332.
Sander, Geh. Med-R. Dr.
(Dalldorf) 72 .
Saphier, Ob.-A. Dr. (Mün¬
chen) 332 .
Schaumann, Dr. (Genf)
496.
Scheff, Prof. Dr. (Wien)
704.
Schlange, Geh. Med-R.
Prof. Dr. (Hannover) 780 .
Schleich, Geh. San-R.
Prof. Dr. (Berlin) 366 .
Schönheimer.Geh.San. P.
Dr. (Berlin) 1392 .
Scholinus, San-R. Dr.
(Pankow) 986 .
Seeger, Geh. San.-R. (Kiel)
534.
Sioli, Geh. Med-R. Prof.
Dr. (Friedrichsdorf) 878 .
Smith, Dr. (Neuyork) 1356.
Smitt, Prof. Dr. (Dresden)
640.
Solvay (Brüssel) 780.
Starke, San.-R. (Leipzig)
236 .
Stricker, Ob-Gen.-A. a. D.
Dr. (Berlin) 602.
Tomaszewsky, Prof. Dr.
(Berlin) 1458-
Vocke, Med-R. Dr. (Bre¬
men) 1426.
Wagner, Geh. San-R. Dr.
(Hamburg) 36 .
Weber, Geh. San-R. Dr.
(Kassel) 464.
Weil, Prof. Dr. (Prag) 878.
Wertheim-Salomonsen,
Prof. Dr. (Amsterdam)
i356.
Wiesinger, Prof. Dr. (Ham¬
burg) 1114.
Wieting, Prof. Dr. (Cux¬
haven) 496.
Woodhead, Prof. Dr.
(Cambridge) 170.
Zippel, Ob.-A. Dr. (Ham¬
burg) 1490-
Totenstarre 301 .
—, Physiologie 1530.
Toxikose und Intoxikation
als Krankheitsbezeichnung
539-
Tracheale Schleimdrüsen, Pa¬
thologie 1019 .
Trachealflimmerepithel, Rege¬
neration 1090 .
Trachealstenose infolge abnor¬
men Verlaufs der Aorta 1255.
Tracheoskopie, Beiträge zur 77-
Tracheotomia inferior bei kind¬
licher Larynxdiphtherie 784.
Trachom, Aetiologie 77-
—, operative Behandlung 607-
—, Tarsektomie bei 241.
Tränendrüse, Verödung durch
Röntgenstrahlen 159.
1 Tränenröhrchen, Blennorrhoe
851.
1 , Wiederherstellung des ge-
' spaltenen unteren 1625 .
Digitized by LaOuQle
Original from
CORNELL UNÜVERSrn 1
XL
INHALTSVERZEICHNIS
Tränenträufeln, Röntgenthe¬
rapie 1625 .
Transplantationen 1464.
—, Bedeutung der gruppen¬
weisen Hämagglutination für
die freien 85.
—, Thierschsche primäre —
bei frischen Verletzungen mit
großen Hautvferlusten 849-
— bei Fingerverletzungen
1299 .
—, homoplastische — von Ex¬
plantaten aus erwachsener
Froschhaut 1163.
—, unblutige 1257-
— von freien Hautlappen 1294.
Trapezius, Ersatz des gelähm¬
ten 542.
Trapeziuslähmung, professio
nelle muskuläre 75-
Traubenzucker als Wehenmit¬
tel 467. 884.
Traubenzuckerinjektionen, in¬
travenöse 404. 1257-
—, Sammelreferat über intra¬
venöse 470.
—, Beeinflussung der Herz¬
tätigkeit und Diurese durch
intravenöse 205 .
—, Blutzucker bei Herzkran¬
ken und intravenöse 75-
1629-
— intravenös bei Gonorrhoe
1326. 1596.
— bei Infiltraten 1625-
— mit Kalziumzusatz 706 .
Traubenzuckerlösungen, hy¬
pertonische — bei organi¬
schen Herzerkrankungen
1020.
—, hochprozentige — ein Pro-
phylaktikum gegen Opera-
tions- und Narkoseschäden
1624.
Traum, die Sprache des, von
Stekel 815-
—, Hypnose und Geheimwis¬
senschaften, von Meyer 954.
Tremor, hereditärer 648.
Trennungsneurome, Verfah¬
ren zur Verhütung 371.
Trichinenepidemie in Erlangen
1359-
Trichinose, Verbreitung in
Deutschland 1910 — 1919 ,von
Caesar 1326 .
Trichloräthylen bei ' Tri¬
geminusneuralgie 538.
Trichomonas in der Mundhöhle
375.
— muris im Oesophagus einer
Ratte 375-
— vaginalis 375.
Trichomonaskolpitis 990.
—, Aetiologie und Therapie 43 .
Trichophytie-Immunität 1692 .
Trichozephalus, Darmgeschwül¬
ste bei Kindern durch 1274.
Trichozephalusinfektionen, chi¬
rurgische Komplikationen
1661 .
Trichozephalustyphlitis 47.
Trichterbrust, Erblichkeit
1217 .
Trigeminusneuralgien, Alko¬
holinjektionen bei 1156 .
—, Trichloräthylen bei 538 .
Trinkkuren und Stoffwechsel
543-
Trochoskop 879 .
Trockenmilch in der Kinder¬
ernährung 372 .
Trocknungsverfahren von
Krause für Arzneimittelfor¬
men 1393.
Tröpfchenirrigation, perma¬
nente — bei Puerperalfieber
1577.
Tröpfchenverschleuderung
beim Sprechen 991-
Trommelfell, Empfindlichkeit
für äußere Reize 1089-
— und obere Luftwege, Pho¬
tographie t l 090 .
Trommlerlälimung 303 .
Trompetenbazillen, Verhalten
in Tierpassagen 239-
Tropenhygiene, Fortschritte u.
Wandlungen 1497-
Trübungsreaktion für Syphilis,
neue 384.
—Vereinfachungen der Dold-
schen 797.
— s. auch Syphilis.
Trübungs - Flockungsreaktion
mit Formolkontrolle 247.
Trypaflavin 1084.
—, Aufnahme durch Bakterien
und Körperzellen 793.
— bei Diphtherie 433-
— — weiblicher Gonorrhoe
1021.
-Hauttuberkulose 677-
-Erkrankungen der
Mund- und Rachenhöhle 75-
-Urtikaria 882.
Trypanosoma gambiense, Ver¬
halten im menschlichen Kör¬
per 238 .
Trypanosomenkrankheiten,
Bayer 205 bei 744.
Trypanosomenzüchtung, ge¬
genwärtiger Stand 1402.
Ttypanozidieschwund bei Le¬
berkranken, Mechanismus
1291 .
Trypsin Vergiftung 1427 .
Tryptophanaufnahme und Try¬
ptophanbedarf im Kiij^es-
alter 539 .
Tryptophangehalt der Lebens-
• mittel 82.
Tuba Eustachii, direkte Unter¬
suchung des Lumens der
knorpligen 1090 .
Tubargravidität, Fälle 1533-
—, Klinik der —, Schicksal der
operierten Fälle, Reinfusion
bei Rupturen 241.
—, intratubare Untergangs¬
formen 1088.
Tube, isoliert torquierte nor¬
male 919-
Tuben, Durchgängigkeit 1028.
—, Prüfung der Durchgängig¬
keit mittels der Rubinschen
Probe 1528 .
Tubeneiterung, Röntgenbe¬
handlung der chronischen
1089 .
Tubenkarzinom, primäres 502.
71 p. 1568 .
Tubensterilisation 1028 .
Tuben orsion mit Hämotom-
bildung 851 .
Tubenverschluß, Mechanik
1257 .
Tuber c-lcanei, Abbruch 1149.
Tuberkel, zur Kenntnis des 399-
Tuberkelbazillen, Wirkung ab¬
getöteter 400.
—, Nachweis im dicken Trop¬
fen 466.
—.quantitative Ueberlegenheit
der Leuchtbildmethode 536.
—, Wachstum in eidotterhalti¬
gen Nährböden 706 .
—, Typus bei Hauttuberkulose
821.
—, Kochfestigkeit 1712 .
—, Einwirkung von Röntgen¬
strahlen 1066.
— und verwandte Bakterien,
Resistenz gegenüber ent¬
färbenden chemischen Ein¬
flüssen 814.
Tuberkelbazillenfärbung 1218
—, insbesondere zur Unter
Scheidung der tuberkelbazil
lenähnlichen Stäbchen 381
Tuberkulin, kutane und sub
kutane Impfungen mit 1084
—, perkutane Anwendung
1732.
—, • iagnostischer Wert bei
Erkrankungen der Hamwege
1293.
—, diagnostisches 956 . 988 .
1526 .
— Koch imstande, Tuberkel zu
beseitigen? 74 .
—bei sonnenbehandelter chirur¬
gischer Tuberkulose 1056.
—, Injektionsmethode bei aus¬
gebreiteter Hauttuberkulose
274. 436.
Tuberkulinbehandlung, gegen¬
wärtiger Stand 13.
— bei Asthma bronchiale 880.
954. 1120. 1359.
-Augenkrankheiten 468.
677.
Tuberkulindiagnostik 1300 .
Tuberkuline, vergleichende Un¬
tersuchungen über — in dia¬
gnostischer Anwendung 880.
—, Reaktion des tuberkulösen
Organismus auf intrakutane
Verimpfung säurefester Sa-
prophyten und deren 248.
—, Wirkungsunterschiede von
— verschiedener Herkunft
und Tuberkulinschäden nach
diagnostischen Tuberkulin¬
injektionen 271 .
Tuberkulinprobe, modifizierte
perkutane 368 .
Tuberkulinreaktion, Paralle T
lität der Hautreaktion nach
Groer-Hecht und der spezifi¬
schen 1218 .
Tuberkulinsalbe, diagnostische
1659-
Tuberkulinschädigung durch
diagnostische Dosen 1127.
Tuberkulöse, Nutzanwendun¬
gen aus den Kriegserfahrun¬
gen für die Anstaltspflege
142.
— mit künstlichem Pneumo¬
thorax, Beobachtungen bei
815-
—, Bau des Gesichtsskeletts
und Brustkorbes bei 815-
—, Behandlung außerhalb von
Heilstätte und Krankenhaus
821.
— Frauen, Schwangerschaft
und Nachkommenschaft spe¬
zifisch behandelter 1568 .
— Reinfektion 304 .
— —, histologisches Reak¬
tionsbild 813-
Tuberkulöser Primärkomplex
im Röntgenbilde 1085.
Tu erkulomu in bei Haut-
tuberku ose un J Larynxtub^r-
ku ose 576.
Tuberku’ose, Lehrbuch der spe¬
ziellen Diagnostik und The¬
rapie, von Bandelies und
Roepke 1393-
—, praktisches Lehrbuch der,
von Dey.cke 1460.
—, Handbuch, von Brauer,
Schröder und Blumen¬
thal 1428.
—, Bekämpfung in ländlichen
Bezirken Italiens, von Ga-
lassi, Campani und Gio-
seffi 109 .
— im Mittelstand, von L. R a -
binowitsch 1501 .
Tuberkulose, Prostitution und,
von Samson 38 .
—, Antikörperstudien bei 1116 .
—, Ausheilung der —, Tuber¬
kulinempfindlichkeit, Immu¬
nität 569 .
—, Erkrankungen der Bauch¬
speicheldrüse bei 643-
—, zweckmäßigste Bekämp¬
fung durch die öffentlichen
Versicherungsträger 304.
—, Beschneidungs-111.141.
—, Blutbild im Hochgebirge
569-
—, Gruppenreaktion mit Blut¬
körperchen zum Nachweise
aktiver 204.
—, spezifische Diagnostik 989 .
—, Eigenharnreaktion bei 81
1358.
—, Verwendung eines aus Tu¬
berkelbazillen gewonnenen
Eiweißkörpers zur spezifi¬
schen Diagnostik 928 .
—, zur klinischen Diagnose der
Entwicklungsformen 205 .
—, Hauptformen 48.
— und Hungersnot 499 .
—, In"kuiali<«ns 1713-
—, Zusammenwirken öffent-
, licher und privater Kräfte
im Kampfe gegen die 822.
—, Beziehung zu Karzinom,
Ulcus ventriculi, Kyphosko¬
liose 301.
— der Kinder 305 .
-, Altersbestimmung
der 246.
-, systematische Fest¬
stellung der Ausbreitung
1632 .
-, Befundstelle für 785.
-, Bekämpfung 1632 ,
Mitwirkung des Schularztes
dabei 1633-
-, Fürsorge maßnah-
men 1633 .
-, Häufigkeit 1326 .
-, Heilstättenbedürf¬
tigkeit 1634.
-, zum Kampfe gegen
1263 .
— — —, Laboratoriums¬
methoden und Prognosen-
Stellung der 746.
-, Prognose der offenen
817.
-, Häufigkeit der Wa.
R. und Ausflockungsreaktion
bei 221.
-, Kieselsäuretherapie
785.
—, Klinik 1563 .
—, klinische und biologische
Heilung 138 .
—, eine Reaktion der Kolloid¬
labilität des Serums bei
Toxinbildung im Organismus
besonders bei aktiver 553.
— und Konstitution 499-
— nach dem Kriege 272 .
—, Kutanreaktion bei 1183 .
— mit leukämischem Blutbe¬
fund 787 .
— myeloische Leukämie?, ein
unklarer Krankheitsfall 405-
—, Pathogenese 1400.
— oder Phthise? 499-
—, Säuglings- 338. 956.
— und Sarkom 11 82.
—, Scheidemikrobismus und
1021.
— und Schwangerschaft 1528 .
—, Serodiagnostik mit Extrakt
Besredka 379.
—, Einfluß der Unterernährung
auf die Sterblichkeit an 752 .
Tube kulose und Syphilis,
Koinzidenz 207 .
-congenita, Doppel¬
erkrankung bei Kindern an
993- 1361.
— und Unfall 608.
— der Vagina, Portio, des En¬
dometriums und der Tuben
1087 .
— in der Venezia Giulia 1463.
, Wasserhaushalt und Blut¬
veränderung bei 1394 .
— und Wohnungsnot 1501 .
Tuberkuloseansteckung 1061 .
— der Kinder in den Haushal¬
tungen minderbemittelter
offener Tuberkulöser 1061 .
Tuberkulosebehandlung des
praktischen Arztes 1594.
— auf perkutanem Wege 568.
880.
—, Intrakutanmethode im
Rahmen allgemeiner 106-
—, allgemein-hygienische 821 .
—, spezifische — und Diagnose
466. 821.
—, Autoserotherapie 957-
—, Chemotherapie 1066.
— mit Gold 223. 487. 900.
-intravenösen Menthol-
Eukalyptolinjektionen 848.
— mit Partialantigenen 38 .
— nach Ponndorf 961 . 1266 .
— mit Reiztherapie 1069.
—, Strahlenbehandlung 821.
— mit Röntgenstrahlen 433 .
1066.
-Tebelon 1380.
—, Methoden der chirurgischen
1117 .
—, biologische Gesichtspunkte
bei der Behandlung der chi¬
rurgischen 1129.
—, enterale Therapie der chi T
rurgischen Tuberkulose mit
Aminosäuren 884.
—, Kohlenbogenlichtbehand¬
lung chirurgischer Tuberku¬
lose 920 .
—, Chelonin bei chirurgischer
538.
—, Lekutyl bei chirurgischer
1299 .
— mit Tuberkulin bei sonnen¬
behandelter chirurgischer Tu¬
berkulose 1056.
—, Anwendung lebender Tu¬
berkelbazillen ein Fortschritt
in der? 1195.
Tuberkulosebekämpfung 1189 .
1190 .
—, sozial-hygienischeund vo’ks-
wirtschaftliche Bedeutung
1366.
Tuberkulosebibliothek 1020.
Tuberkulosediagnostik, Grenz-
fälle 246.
Tuberkulosediagnostikum 536 .
Tuberkuloseerkrankungen und
Tuberkulosesterblichkeit in
Deutschland, Einfluß des
Weltkrieges auf, von Bock
991.
Tuberkuloseforschung, biologi -
sehe Vorfragen der experi -
mentellen — vom dermato¬
logischen Standpunkt aus.
von Jesionek 1296 .
Tuberkulosefrage, Klarheit zur
137-
Tuberkulosefürsorge in Breslau
1467.
—, Familien- 505 .
— und extrafamiliäre Expo¬
sitionsprophylaxe 172.
— im Mittelstände 822 .
—, schulärztliche II 87 . 1501 _
Digitized by
Go gle
Original from
CORNELL UNfVERSITV
INHALTSVERZEICHNIS
XLI
Tuberkulosefürsorge, Zusam¬
menarbeit mit der Kinder¬
fürsorge 1501.
Tuber kulosef ürsorgestellen,
Kinderfürsorge in den 822.
—, Krankheiten der oberen
Luftwege und 1518.
—, wissenschaftliche Bedeu¬
tung 142.
Tuberkulosegefährdete, Ueber-
wachung 822 .
Tuberkulosegesetz, Entwurf
zum preußischen 1079, 1289.
1366 . I486. 1707.
Tuberkulosegifte, Wirkung auf
den Organismus, insbeson¬
dere die Schleimhäute 1153-
Tuberkulosehäufigkeit Oester¬
reichs, Aenderungen durch
den Krieg, von Rosenfeld
304.
Tuberkuloseimmunität 1182.
—, Haut- und 400.
—, erworbene und vererbte
895.
Tuberkuloseinfektion bei Kin¬
dern der Privatpraxis 141.
— im Kindesalter, Statistik
1528.
— in der Familie 752 . 1370 .
—, welche Methode eignet sich
zur Feststellung 1593-
— durch Greise 786 .
—, intrauterine 1086.
— auf dem Lande 605-
— und Schule 1186 .
—, Hustentröpfchen und 1116.
1366. 1629.
Tuberkulosemittel Friedmanns,
Spätreaktion nach 138 .
-, tierexperimentelle Un¬
tersuchungen 2 t 2 .
-bei Lungentuberkulose
272.
— — — Augentuberkulose
11 55-
Tüberkuloseproblem, das, von
v. Hayek 302 .
T u berkuloseschutzimpfüng
1 066.
Tuberkulosestämme, Prüfung
von Bazillenemulsionen ver¬
schiedener 381.
Tuberkulosesterblichkeit und
Einkommen, nach der Ham¬
burger Statistik 923*
— in den Vereinigten Staaten
von Nordamerika 1494.
Tuberkulosestudien 1001.
Tuberkulose virus, granuläre
Form des — und Prognose
1085-
Tuboovarialzysten, Pathoge¬
nese 7257-
Türkensittel, Trepanation 929-
TuJaraemia 1460.
Tumoren, Genese und Thera¬
pie der echten, von Lü bbert
St 3-
—, Tumorzellen und 71 6 -
— Erzeugung bei Vogelembry¬
onen HO.
— mit Teer im Tiere xpen-
ment 1715- . _
—, Operation intratrachealer
930-
— am peripherischen Nerven¬
system, seltenere 885-
—, Salvarsanbehandlung 200 .
—, Eosinophilie bei malignen
- rasches Wachstum maligner
- nach Probeexzision 8»+-
, Wert des stalagmometri-
schen Quotienten für <dte Di
ferentialdiagnose b ^ t fdes
und maligner speziell des
Magendarmkanals 107- 707-
Tumoren, Jodspeicherung bei
malignen 715-
—, Hemmung der Natrium-
oleathämolyse durch das Se¬
rum bei malignen 368 . 1659 .
—, Perforation maligner — in
Gefäße 1224 .
—, Probeexzision bei malignen
569-
—, Thrombozyten bei mali¬
gnen 714.
—, maligne — in warmen Län¬
dern 1541.
—, Behandlung maligner 83.
122. 149.
—, heilender Einfluß des Erysi¬
pels auf maligne 204.
—, Pepsin-Pregl-Lösung bei
malignen 1359-
—, Radiumtherapie inoperab¬
ler maligner 960 .
—, Vorstufe des Pigments bei
melanotischen 755-
—, mehrfache Primär- 1181 .
Turmschädel mit Optikusatro¬
phie nach Stauungspapille
885-
—, operative Behandlung der
Sehnervenatrophie bei 111.
Turnen und Sport, Wirkungen
auf Körperbildung erwach¬
sener junger Männer 608.
Typhöse Knötchen in Leber,
Milz und Knochenmark 1019-
Typhus abdom. s. Abdominal¬
typhus.
— exanthematicus, Aetiologie
und Pathogenese, von Wol-
bach, Todd u. Palfrey
1562.
-s. auch Fleckfieber..
Typhusagglutinine, Uebergang
von der Mutter auf das Neu¬
geborene und den Säugling
1021.
Typhusbazillen, Einfluß des
Nährbodens auf die Agglu-
tinabilität 171.
— und Bakterizidie 238 .
— in Butter 743 .
Typhusexantheme bei Kindern
956.
Typhusinfektionen unter dem
Bilde von Paratyphus 1 713-
Typhusschutzimpfung, Wert,
von Ickert 1326 .
U.
Ueberempfindlichkeit und An¬
aphylaxie 743.
Ueberempfindlichkeitsversuche
an Bakterien 1066 .
Uebung und Ermüdung 237-
Uebungsapparat füT Vorder¬
fuß bzw. Zehen 501.
U-Kapillarröhrchen, oftmalige
Verwendung bei Serienunter¬
suchungen im Blutserum
1347.
Ukraine, Brief aus der 101.
Ulcus cruris, sekundär infi¬
ziertes 1462.
-, Behandlung 645-
-, Pyoktanin bei 303*
-, Unterspritzung bei kal-
lösem 1732 .
-, Behandlung des sekun¬
där infizierten 1186.
— duodeni 467- 675- 1704.
-, Appendizitis und Cho¬
lezystitis 1434.
-, Bilirubinämie bei 815-
-, Gefrierpunkt des Blu¬
tes bei 1116 .
-> Diagnostik und Thera¬
pie 1530.
~ ~~ bei Eklampsie 243-
Ulcus duodeni et oesophagi,
zur Kasuistik 1219 .
-im Kindesalter 469 .
-, Konstitution und Ver¬
erbung bei 954.
-, durch Leptothrix-Infek-
tion bedingte Leberinfarzie¬
rung bei 498.
-, Wirkung verschiedener
Magenoperationen auf die
motorische Funktion des Ma¬
gens bei 1219 .
-, Pathogenese und Thera¬
pie 1666 .
-, pathologische Anatomie
1530.
-, Röntgendiagnose 1332 .
1431. 1530. 1666.
-, Röntgensymptomatolo¬
gie 499-
-nach Verbrennung 1056 .
-, Vernarbung 1393 .
-, Behandlung 38 .
-, chirurgische Behand¬
lung 1105. 1394. 1433-
-, Frühoperation bei aku¬
ten Blutungen 955- •
-, Erfolge der Antrum¬
resektion 76 .
-, Gastroenterostomie bei
992.
-, Natronlaugenbehand¬
lung 82.
-, parenterale Reizbe¬
handlung 885 . 1360 .
-, Perforation 206.
-perforatum und Gesamt¬
mortalität 937.
-, Therapie und Pro¬
gnose 850. 899.
-, Resektion 336 .
— jejurii pepticum 885- 989-
-, Aetiologie 501.
-, Entstehung nach
Pylorusausschaltung 676 .
-, Klinik und Opera¬
tion 1117-
-, Operation des post¬
operativen 467-
-, Antrumresektionbei
918.
— Simplex des Dünn- und
Dickdarms 368.
— ventriculi 239 . 245- 675-
--im Röntgenbild und seine
Kontrolle durch den Opera¬
tionsbefund, von Schinz
401.
-, Appendizitis und Cho¬
lezystitis 1434.
-, Bau und Entstehung
367-
-, Gefrierpunkt des Blutes
bei 1116.
-und Gallensteine 664.
-, Ronstitution und Ver¬
erbung bei 954.
-, Konstitutioneller und
infektiöser Einfluß bei Ent¬
stehung des 1053-
-, krebsige Entartung
1119-
-, zur Pathogenese 603 .
1217 .
-, Durchbruch in die linke
Herzkammer 399-
-der großen Kurvatur mit
Nischenbildung 989 *
— — und Magenkarzinom,
Wasserversuch als differen¬
tialdiagnostisches Mittel 815-
-, Unterscheidung
1732.
-, makroskopische Be¬
funde 1393 -
-, Pathologie und Thera¬
pie 1666 .
Ulcus ventriculi, Pylorusmagen
und Genese des 1661 .
-, röntgenologische Sym¬
ptome bei 1360 .
-, Röntgendiagnose 615-
-subkardiale an der klei¬
nen Kurvatur, Röntgendia-
nose durch linke Seitenlage
272 .
-, Soorpilz im Magensafte
bei 1360 .
-und Tabes 1293-
-, Behandlung 38 . 48. 94.
-, kausale Behandlung
434. 1056.
-, chirurgische Behandlung
48. 1105. 1394. 1433-
-, Frühoperation bei
akuten Blutungen 955 .
-, Gegenwart und Zukunft
der Chirurgie des 206.
-, Erfolge der Antrum-
resektion 76 .
-, Gastroenterostomie oder
Resektion? 401. 675- 992.
-an der kleinen Kurvatur,
Behandlung mittels Rekon¬
struktion derselben 1148.
-, Wirkung verschiedener
Magenoperationen auf die
motorische Funktion des Ma¬
gens bei 1219 .
-, Natronlaugenbehand-
lurfg 82.
-, parenterale Reizbe¬
handlung 885- 1360.
-, Sippy-Methode bei 992.
-callosum, Chirurgie 434.
-transstomachale Ex¬
zision bei 1220.
-, interne Therapie des
penetrierenden 1398 .
-perforatum 206, und
Gesamtmortalität 937.
-, Therapie und Pro¬
gnose 850 . 899.
-, Magenausheberung
vor Operation 76 .
-, Resektion 336.
-mit Bildung eines sub¬
phrenischen Gasabszesses, zur
Therapie 125.
— vulvae rodens 1226.
Ulna, isolierte! Luxation im
unteren Radioulnargelenk
1057-
Ultraviolette Lichtstrahlen,
Wirkungen 1183-
-, Verhalten von Keimen
auf der Haut gegenüber 1186 .
Ulzera, trophische 1294.
— des Verdauungskanals, Ent¬
stehung der „peptischen“
589.
Umklammerungsreflex Moros
als Reflex des Säuglings¬
alters 141.
Umsatzsteuer, Erklärung der
167.
Umsatzsteuergesetz 99-
Umschläge aufs Auge 1143.
Unfall und Tuberkulose 608.
Unfallbegriff 208 .
Unfall- und Invaliditätsbegut¬
achtung, Einführung in die,
von Reichardt 502.
—, Bedeutung der Blutdruck¬
messung in der augenärzt¬
lichen 338.
Unfallfolgen, Häufigkeit ner¬
vöser — und ihre praktische
Bedeutung 289.
Un fa\lneurosen im Strafrecht
und <strafvoü zu ß 852 *
Bel ' indUmg
Unf^' i,te, Behandlung
s^V stt
Unfallverletzte, Zwang, sich
einer Kur oder Operation zu
unterwerfen 843.
—, Gebot der planmäßigen För¬
derung des Heilverfahrens
für 1022.
Unfruchtbarkeit s. Sterilität.
Universalpipette für serolo¬
gische Arbeiten 108 .
Unterbewußtsein, von Bumke
1255-
„Unterernährt“ und „tuber¬
kulös“, zu den Begriffen 868.
Unterernährung im Säuglings-
alter 991 -
Unterkiefer, Paraffinplastik
bei Hypoplasie 681 .
Unterkieferdurchsägung,
Weichteilschnitt für tem¬
poräre 606.
Unterschenkelerkrankungen
1175.
Untersuchung, rektale — in der
Geburtshilfe 786 .
Unverwundet gefangen. Von
Breitner987-
Unzurechnungsfähigkeitspara¬
graph im neuen deutschen
Strafgesetzentwurf 1430.
Urämie, Plexusveränderungen
und 400.
—, psychotische Bilder 784.
— und ihre Behandlung 1719.
Urämische Zustände, Differen¬
tialdiagnose 467-
Ureometer von Ambard-Hallion
302 .
Ureter, Vorfall durch die Harn¬
röhre 571 -
Ureterenkatheterismus bei in¬
fizierter Blase, aseptischer
402.
Ureterknotung 571- 1186.
Ureterkreuzung, komplette
246.
Ureterpapillome 1429 .
Urethra s. Harnröhre.
Urethritis protozoica und der
Erreger der Prowazekschen
Körperchen, von Th im 645-
Urethroskope, Uebungssonden
zur Einführung 955-
Urin s. Harn.
Urinverhaltung s. Harnverhal¬
tung.
Urnierenleistenband, Bildung
174.
Urobilin 536.
—, quantitative Schätzung
1074. 1442.
Urobilinbildung, zur entero-
genen 712 .
Urobilingehalt des Harns, Ta¬
gesschwankungen 245- 705-
Urobilinogennachweis 1491 -
— im Harn zur Erkennung von
Hirnblutleitererkrankung im
Verlaufe eitriger Mittelohr¬
entzündung 645-
Urobilinogenurie, Diabetes und
75-
Urobilinreaktion, pol'ychemi-
sche 38 . 848.
—, Schlesingersche 1325-
Urobilinurie 646.
Urochromausscheidung bei
Frauenkrankheiten Sl 7-
Urologie 7 S 4 , Lehrbuch, von
Casper 75-
—, Verhandlungen der deut¬
schen Gesellschaft für 1688 .
j Urotropin intravenös bei pyo¬
gener Blutinfektion 401.
Ursache und Bedingung, Na¬
turgesetz und Regel 1232.
Urtikaria, Trypaflavin bei 882.
Urtikariaquaddel, Entstehung
1687.
Digitized by »öle
Original from
CORNELL UNÜVERSrrf
XLI1
INHALTSVERZEICHNIS
Uteringefäße, Aneurysma 1150 .
—, temporäre Abklemmung
bei Blutungen 1185 .
Uterus» Adenomyosis 571.
—, diagnostische Ausschabung
mit tödlichem Ausgang 709 .
—, Bewegungen 1120.
—, Collifixatio 303 .
—, Entzündungen 131.
—, Fremdkörper im 1568 .
—, puerperale Gasbrandinfek¬
tion 1149 .
—, Karzinomsarkom 502.
—, erste Totalertstirpation des
karzfriomatösen 174.
—, Resectio cuneiformis me¬
diana 1597-
— und Scheide, Lage Verände¬
rungen 994.
—, Zervixtorsion des myoma-
tösen 1150 .
—, benigne Schleimhautwu¬
cherungen 1087 .
—, Ovarialzyklus und Verän¬
derungen des 402.
—, Papilloma der Portio 174.
— gravidus, Verminderung
der Abortgefahr bei Opera¬
tionen am 402.
-, Exstirpation 959-
-, Stich Verletzung 1021.
—, seltene Verletzung 676 .
Uterusapoplexie bei Senilen
1028 .
Uterusausräumung in der All¬
gemeinpraxis 371-
Uterusblutungen und Vor¬
gänge der inneren Sekretion
.1086.
—, Schilddrüse und essenti¬
elle 1661.
—, Radium bei klimakterischen
1326 .
Uteruserschlaffung, Tubenson¬
dierung und Uterusperfo¬
ration beim Kürettement
1186.
Uterusfibrom, Netzlymphan-
giektasien bei erweichtem
303.
Uterusinversion, totale puer¬
perale 1326 .
Uterusisthmus, zur Biologie
1258.
Uteruskarzinom 263.
—, Inversion der Blase bei
1295.
— und Schwangerschaft 575-
—,-Statistik 606.
—, Wachstumsschnelligkeit
881.
—, operative und operations¬
lose Behandlung 1534 .
—, Operabilität 607 .
—. die zunehmende Inoperabi¬
lität 77-
—, hat der Krieg die Operabi¬
lität verschlechtert? 1295-
—, Herabsetzung der Morta¬
lität der Freund-Wertheim-
schen Operation 502.
— zu operieren oder zu be¬
strahlen? 1640.
—, Strahlenbehandlung 1 75*
207 . 371. 716. 762. 956 . 1361 .
Radiumbehandlung 110 .
957. 1224.
—, Kombination von Radium-
und Röntgenbestrahlung 649-
Uterusmyom mit Aszites 851.
—, Stieltorsion eines subserösen
— in'der Gravidität 309 .
— Myompräparat mit Total-
nekrose eines — und gelber
Erweichung eines anderen
1087 .
Uterusmyome 262.
—, Primat der Eizelle, Corpus
luteum, Menstruationszyklus
und 173-
—, verkalkte 959-
—, Röntgenbestrahlung in zwei
Sitzungen 468.
—, Schwangerschaft und Ge¬
burt nach Röntgenbestrah¬
lung 305-
—, Behandlung 1689 .
—, Bestrahlung der Hypo¬
physe bei 1027 .
—, operative Behandlung 676 .
—, konservative Operationen
886 .
Uterusperforation bei intak¬
tem Ei 374.
— mit schwerer Verletzung der
Adnexe 1326 .
Uterusprolaps ante et intra
partum 77 .
Uterusprolapse, zur Behand¬
lung großer 851.
Uteruszerreißung 990.
— unter der Geburt ohne er¬
sichtliche Ursache 1326 .
— nach Radiumbestrahlung
1226.
—, Totalexstirpation bei 1021 .
Uterussonde ein gefährliches
und entbehrliches Instru-
| ment 1397*
I Uveitis chronica, Behandlung
1156.
V.
Vagina, puerperale Atresie 140.
—, Diphtheriebazillen in der
468.
—, Drüsen und drüsige Gebilde
in der 402.
—, Entzündungen der 130.
—, künstliche Bildung 112.402.
1021 .
—, Bildung nach Schubert 606.
—, Dünndarm- 606.
—, Erweiterung der steno-
sierten 1257-
—, Ulzerationen 174.
Vaginalflora, Beziehung des
Scheidensekrets zur 1562 .
Vaginalmikrobismus und Tu¬
berkulose 1021.
Vaginal- und Uterusprolaps
ante et intra partum 77 .
Vaginalriß, zirkulärer 919-
Vaginalsekret, Beziehung des
Glykogengehaltes zur Re¬
aktion 606.
Vaginalspülungen, Technik 881 .
Vagitus uterinus 817 .
Vakzination und Pocken in
Nord-China 1494.
Vakzine, Wirkungsweise und
Altern 270 . 432 .
—, Variola und 706 .
Vakzinetherapie 334.
— bei Nervenkrankheiten 206.
— der Ruhr 38 .
Valvula Bauhini, Insuffizienz
370.
Variationsstatistik, Einführung
in die, von Collier 367 .
Varikozele, Analogon zur männ¬
lichen — bei der Frau 1118-.
— des Ligamentum oder Vari-
cocele pelvica? 1326 .
—, Operation 336 . 606. 1462.
Variola unter Affen in
Südbrasilien 1053-
— und Vakzine 706 .
— — Vakzine - Immunität
1053. 1531. 1565. 1597.
Variolois und Lues latens,
Kombination 108 .
Varizellen und ultraviolette
Strahlen 645-
Varizellenschutzimpfung 571.
Varizen, Blut bei 1367 . >
— des Ligamentum latum, ek¬
topische Schwangerschaft
vortäuschend 817 -
Varizenbehandlung 917 . 1429-
— mit Preglscher Lösung, töd¬
liche Embolie nach 467.
Vasomotorisch-trophische Stö¬
rungen und deren Heilung
durch periarterielle Sym¬
pathektomie 880.
Vegetativ-neurotische Störun¬
gen bei Kindern, anfallsweise
auftretende 78 .
Vegetative Innervationseigen¬
tümlichkeiten und vegetative
Sensibilität 407 .
Vegetatives System und Inva¬
lidität 1627 .
• Vena cava inferior, syphilitische
Thrombophlebitis 82.
-, Zerreißung 471-
— ileocolica, Unterbindung und
Resektion 438 .
Venendruck, klinisch meßbarer
1054.
—, von welchen Faktoren Höhe
des meßbaren — abhängig?
887.
Venendystrophie im Säuglings¬
alter 852 .
Venenpuls, Bedeutung des
photographisch registrierten
— für die Beurteilung der
Herzfunkiton 544.
Ventilpneumothorax, spontan
entstandener 1263-
Ventrikulographie, Apparat zur
1428.
—, Bedeutung für die Hirn¬
diagnostik 855-
Ventrofixatio Uteri 990.1293-
-Indikation zur 468.
Verband, der, von Härtel und
Loeffler 467.
Verbände mit abgekochtem
Wasser, feuchte 259.
— bei Augenerkrankungen
1389.
Verdauung nach Magendarm¬
operationen 1566 .
Verdauungskrankheiten, Fun¬
damente zu Diagnostik, von
Meyer 744.
—, Ratschläge für 1450. 1481.
1604. 1637. 1704. 1727.
Verdauungsleukozytose und
Verdauungsleukopenie bei
Kindern 1493-
Vereisung bei Staphylokokken¬
infektionen 694.
Vererbung, stoffliche Grund¬
lage der, von Morgan 105-
—, äußere Erscheinungsform
und 1464.
— und Konstitution 270. 653.
— in der Psychiatrie 1394.
Vererbungsforschung, 1 00 Jahre
1464.
Vererbungslehre 1465, Fami¬
lienforschung und, von
Sommer 1291 .
—, Fachausdrücke aus der 367 .
Vererbungsstatistik, besonders
in der Psychiatrie 784.
Vergewaltigung bei ärztlicher
Untersuchung? 1655.
Verhältnisblödsinn 1184.
Verjüngungsproblem, Proto-
plasmahysteresis und 931.
Verkrümmungen, Zeitpunkt
zur Korrektur rachitischer
146.
Verlagsverträge über wissen¬
schaftliche Werke 1558.
Vemisanum purum zur Desin¬
fektion des Operationsfeldes
und zur Behandlung infi¬
zierter Wunden 1461.
Veronalvergiftung, zur Kasu¬
istik 1518.
Verschenken, Eigentumdelikte
infolge krankhaften Triebes
zum 1055-
Versicherte, die rechtlichen Be¬
ziehungen des Privatarztes
zu den gegen Krankheit —
nach der Gebührenordnung
vom 5- III. 1922 777.
Verwachsungsstränge im Tho¬
rax, Lösung von 928 .
Verwandtenehen, Häufigkeit in
drei württembergischen Dör¬
fern 91 5-
Verworn, M. f 102.
Vestibuläre Untersuchungen
bei unbehandelter rezenter
Syphilis der Sekundärperiode
1090 .
Vestibularapparat, Einfluß auf
das Gefäßsystem 1090 .
—, Prüfung 1484.
Vestibularreaktion 337, und
Halsreflexe 1090 .
Vestibularuntersuchungen nach
Ausschaltung einer Gro߬
hirnhemisphäre 1090 .
Veto^ experimentelle Wirksam¬
keit 1183 .
Vibrio und Leberabszeß, von
Horst 786 .
Vierhügelregion, Anatomie und
Physiologie 1329 .
Vierpunktverfahren bei An¬
wendung der Meiselschen
Schubleere 1220 .
Virchow, H., zum 70. Ge¬
burtstage 1456.
—, R., Gedenkband zum 100 .
Geburtstag 497-
—, R, Eine Vorlesung von —
über Lungenphthise vom
3 . VIII. 69 . 949.
Virulenz, künstliche — und
Chemie 73-
Vitalfärbung,' Nerveneinfluß
1370.
Vitaltuberkulin 184. 934. 1526 .
Vitamine, die, von Funk 1593-
—, Bedeutung 1534.
—, — bei Diätkuren 1467-
— und Diabetes 569-
—, Wichtigkeit für die Ent¬
wicklung des fötalen und
mütterlichen Organismus
1323.
— in der Ernährungsbehand¬
lung bei Kinderkrankheiten
651.
—, Einfluß auf Verdauung und
Stoffwechsel 269 .
Vitaminlehre, derzeitiger Stand
705.
Vitaminose 1703.
Vitaminproblem 1561 , neue Ge¬
sichtspunkte zum 1147-
Vitaminreiche Kost, Einfluß
auf das Blut wachsender
Ratten 1322 .
Volksschulkinder, Körpermaße
Augsburger — vor und nach
dem Kriege 1364.
Volksseuchen im östlichen Mit¬
telmeer, Bericht der Kom¬
mission zum Studium der
1494.
Volnodermol 1526.
Volumbolometrie 239- 1359-
Volumbolograph 239 .
Voluntal 1732.
Volvulus coeci durch falsche
Drehung der Nabelschleife
434.
Volvulus des gesamten Dünn-
darms 725.
— flexurae sigmoideae 993-
-, Therapie 336.
— durch Mesenterialzyste 308.
Vorfußschmerz 76 .
Vorhofflattern, durch Chini¬
din geheilt 928.
Vorhofflimmern, Chinidinsul¬
fat bei 175-
Vorhofstacbyysstolie, inter¬
mittierende heterotope 1359-
Vulva, entzündliche Krankhei¬
ten 130.
Vulvaverschluß durch Ver¬
brennung 473-
Vulvovaginitis, paragonokok-
kisch-epidemische 141.
Vuzin, Oberflächen- und Seifen¬
desinfektion der Wunden und
Leistungsfähigkeit des 708 .
— bei Mastitis 1021.
W.
Wachsleiche, Demonstrationen
an einer 1628 .
Wachsende Tiere, Einfluß
schlechtei kohlensäurereicher
Luft und von Lichtabschluß
auf 1564.
Wachstumsblässe 1086.
Wachstumshemmung der Kin¬
der in den Nachkriegsjahren
337-
Wadenkrämpfe, nächtliche 401.
Wärmelähmung und Wärme-
tod, zwischen 1331 -
Wärmeschirm für Säuglinge
1300 .
Wäsche, Desinfektion mit tu¬
berkulösem Auswurf infi¬
zierter 817 . 1061.
v. Waldeyer-Hartz, die Hände
von 199.
Walohr, zur Physiologie 1089-
Wandermilz, Exstirpation einer
stielgedrehten 850.
Wanderniere, Operation 1367-
Wange, Rotation 816.
Warzenhof, Anschwellung und
Ausdehnung während der
Schwangerschaft 881 .
Waschseifen, Reizwirkungen
1361.
Wasser, Untersuchungen an
Ort und Stelle, von K1 u t 746.
—, Nachweis fäkaler Verun¬
reinigung mittelst der Indol -
probe 882.
Wasser- und Kochsalzaus¬
scheidung bei abdominellen
chirurgischen Erkrankungen
1299-
Wasserhaushalt bei Tuberku¬
lose 1394.
Wassermannsubstanz, Metho¬
dik der Gewinnung 81 7 .
Wa.R., die, von Boas 956.
-, die staatlichen Bestim¬
mungen über die Ausfüh¬
rung, von Baumgärtel 536.
-, Beeinflussung durch ra¬
dioaktive Bäder 544. 1150.
-, zur Beurteilung 376.
-, Technik der Blutent¬
nahme bei Säuglingen 1046.
1579.
-, positive unspezifische —
— als Folge von Digitalis¬
therapie 436.
-, Vorteile hochausgewer-
teter 1493-
-, bei Kindertuberkulose
221.
-und Kokzidiose beim
Kaninchen 171 .
-, diagnostischer Wert in
Malarialändem 38 .
Digitized by »oie
Original from
CORNELL UNIVERSITY
INHALTSVERZEICHNIS
Wa.R., Arionextrakt bei der
Hechtschen Modifikation 920 .
-, Kiupsche Modifikation
m.
-und Brucks che Flockungs¬
reaktion, Untersuchung von
lOOO Seren mittels 1370.
-und Sachs-Georgi, Ver¬
gleich 41.
-, Tagesschwankungen u.
unmittelbarer Einfluß des
Salvarsans 1493-
-, Luesnachweis durch
108 .
-bei Tumoren des Zen¬
tralnervensystems 175-
-, zum Wesen der 1220 .
-, Zuverlässigkeit 1292 .
Wassermengen, Wirkung der
Aufnahme großer — auf den
Organismus 955-
Wasserprobe 916 .
Wasserspirochäten, freilebende
— als Krankheitserreger
1066 .
Wasserstoffionenkonzentration,
von Michaelis 953-
Weber-Rammstedtsche Opera¬
tion, Erfolge und Wirkung
351 .
Wechselfieber, delirant hypo¬
thermisches 175-
Wegbleiben der Kinder, Herz¬
massage bei 304.
Wehenanomalien 1679 .
Wehenschwäche, Behandlung
1498.
Wehentätigkeit, neue Methode
zur Anregung 1295-
Weichstrahlaufnahmen 106.
WeHsche Krankheit, Charak¬
teristik 540.
Wellenschnitt SOI. 675-
Weltgebäude,das, von Lingen-
berg 1255-
Wendung in der Geburtshilfe,
von Potte 1595-
Werlhofsche Krankheit, nach
wiederholtem Proteinshock
geheilt 1594.
Wiederbelebung eines schein¬
bar totgeborenen Kindes 745-
SS6.
Wiederherstellungschirurgie
995-
Wiederimpfpflicht 1769 .
Wiener Briefe 493 . 1521 .
— medizinische Schule im Vor¬
märz, von Neuburger 743-
Wildbader Thermalbäder, Pro¬
teinkörpertherapie , Esophy-
larie und 988
-, Osmotherapie und 1660 .
Wifsonsdie Krankheit, Fall 79-
Winckelsche Krankheit derNeu-
geborenen Sepsis? 852.
WinterausscMag, juckender
337.
Wirbel, pathologische Formen
der Verknöcherungslücken
an den Verschlußbögen der
790.
Wirbelerkrankung, gehäuft auf¬
tretende deformierende
und ihre Beziehungen zur
Hungerosteomalazie 9t 7-
—, posttraumatische 433-
Wjrbelkörper, scheinbare Spal¬
tenbildung 881.
Wirbelsäule uud Rückenmark,
Echinokokkus 272 .
. seltene Fraktur 501-
metastatisches
Karzinom
ildung 1713-
imvelitis 1368-
i Säuglingen 950-
pinöse Schienung 13^5-
Wirbelsäule, Röntgenaufnahme
790-
—, Schmerzen in der 401.
—, Stützpfeileroperation 1527 .
Wirbelsäulenerkrankung, akute
Form der ossifizierenden resp.
deformierenden 955-
Wirbelsäulenerkrankungen
1013.
—, traumatische 242.
—, Diagnose der traumati¬
schen — und Irisufficientia
vertebrae 990.
Wirbelsäulentuberkulose, La-
minektomie bei 1430.
Wirbelsäulenversteifung und
Störungen der inneren Sekre¬
tion 1505.
—, chronische ankylosierende
272 . 569 - 816 .
Wirbelsarkome, eine zu den
Sanduhrgeschwülsten der
Wirbelsäule gehörige Gruppe
der 990.
Wirbeltierauge, Entwickelung
77-
Wirbeltuberkulose, spastische
Störungen bei 1300 .
—, Albeesche Operation 39-
Wismutsalze als Syphilisprä¬
ventivmittel 540.
— s. auch Syphilisbehandlung.
Wissenschaft, Umstellung in
der 1635.
Witterung und Krankheit 549.
Witzelfistel, künstliche Epithe¬
lisierung 1057-
Wochenbett, Differentialleuko¬
zytenbild im 422.
Wochenbettfieber s. Puerperal¬
fieber.
Wochenbettpflege, Taschen¬
buch der, von Ebeler 989-
Wöchnerinnen, Arbeitsverbot
503.
Wohlfahrtsamt und Familien¬
fürsorge 506.
—, Gesundheitsfürsorge und
503.
Wohlfahrtspflege, Mitarbeit der
Aerzte 132.
Wohnungsaufsicht, praktische
Ausübung 1062.
— und Reichsmietengesetz
924.
Wohnungsnot 1401. 1634.
— in einer kleinen Stadt 925-
—, Seuchenbekämpfung und
Wohnungsämter 506.
Wohnungsneubautätigkeit 924.
Wohnungswesen, das, von
Eberstadt 1022.
— und Wohnungsfrage, Hand¬
buch, von Eberstadt 338.
— und Siedlungswesen seit
1914, Denkschrift des Reichs¬
arbeitsministers 1190 .
Wolgaflüchtlinge, Unterkunfts¬
stätten in Petersburg 34.
Wolgagebiete, Aerztliches aus
den deutschen 1654. 1682.
Wolkenkratzer 304.
Wortneubildungen bei Geistes¬
kranken 1184.
Worttaubheit, reine 1368 .
Wünschelrute, zur Psycholo¬
gie 1498.
Württemberg, Brief aus 845.
Wundantiseptika, Prüfungs-
methoden im Tierexperi¬
ment 642.
Wundbehandlung 206 .
— mit Albertan 622.
—» Berieselung mit heißem
Wasser zur 5 70 .
Wunddesinfektion, experimen -j
teile 432 .
Wunddesinfektion, experimen¬
telle bei Meerschweinchen
und Mäusen nach Infektion
mit Hühnercholerabazillen,
Pneumokokken und Strepto¬
kokken 432 .
Wunddiphtherie 370 . 1056 .
1266.
Wunden, Oberflächen- und
Seifendesinfektion der — und
Leistungsfähigkeit von Vuzin
708 .
—, Aktionsstrom der granu¬
lierenden 1461.
Wundhöhlen und Fisteln, auf-
saugbares Füllmittel bei 958.
Wundhormone, Auslösung von
Zellvermehrungen durch
187.
Wundinfektionen der Aerzte,
Behandlung der von den
Händen ausgehenden 336.
—, entzündliche Vorgänge und
— im Bilde der physikali¬
schen Chemie 679 .
Wundscharlach durch Dau¬
menlutschen 141.
Wurstvergiftungen durch Ba¬
cillus proteus vulgaris 335-
X.
Xanthomatosis und Hyper-
cholesterinämie 205 .
Xeroderfna pigmentosum mit
Karzinombildung 376 .
Xerostomie 1428.
X-Ray Technic for diagnosis,
von Metzger 1 593-
Y.
Yatren 8t 8. 989- 1359-
Erfahrungen mit — und
die Gefahren intravenöser
Anwendung 848.
— bei Aktinomykose 1325-
-chronischer Amöben¬
ruhr 1325 .
—, das Antiseptikum der
Wahl 604.
— bei Gonorrhoe 502.
— zur Konservierung foren¬
sischer Sera und Antisera
487.
—, akute gelbe Leberatrophie
nach intravenöser Anwen¬
dung von 707 .
— -Kasein bei Gelenk- und
Muskelerkrankungen 209-
1205.
Yoghurtbakterien, Lebens¬
dauer 1323 .
Z.
Zähne, Sinnesphysiologie der
Mundhöhle und, von Türk¬
heim 105-
— des Kindes, von Kronfeld
1150 .
—, Infektionen der — und All-
gemeinerkrankungeh 181.
— in Ovarialtumoren 1150 .
—, Physiognomik der Stellungs¬
anomalien 1088 .
Zahnärztliche Instrumente, Ste¬
rilisierung 174 .
— Sanierung der Schuljugend
574.
Zahn- und Kieferanomalien,
endokrine Drüsen und 231.
Zahnextraktion, Praxis der,
von Mayrhofer 1625-
—, Anästhesie bei 207 . 245 .
Zahnfisteln und Wurzelgranu¬
lome, Röntgentherapie 1192 .
Zahnheilkunde, von Pareidt
371.
Zahnheilkunde, deutsche, von
Walkhoff 710 .
—, Lehrbuch der Grenzgebiete
der Medizin und, von Misch
746.
Zahnkaries bei Schädeln prä¬
historischer, antiker und mo¬
derner exotischer Völker
1086.
— und Streptococcus lacticus
1086.
Zahn- und Mundkrankheiten
in ihren Beziehungen zu Or¬
gan- und Allgemeinerkran¬
kungen, von Albu 371 -
Zahnhypoplasien und Lues con¬
genita 40.
Zahnkrankheiten, Lehrbuch,
von Mayrhofer 502.
Zahnpflege 142.
Zahnpulpa bei Allgemeiner¬
krankungen 1346.
Zahnsubstanzen, Diffusions¬
vorgänge in den harten 144.
Zahnveränderungen bei Lues
congenita 1224.
Zahnwurzelgranulome, Epithel
in 615-
Zange, Kiellandsche 745- 851 -
Zehenreflexphänomen 1368 .
Zeigereaktion, psychogenes
Fehlen 369-
Zeigeversuch und Kopfhaltung
1090.
Zellatmung, Phosphate und
269-
—, Mechanismus 1567-
Zelle der Pflanzen und Tiere,
morphologische und physio¬
logische Analyse, von Meyer
73-
Zellen, die azurgranulierten
987 , und ihr normales quali¬
tatives Blutbild 1594.
— und Gewebe, Arzneiwirkung
und Giftempfindlichkeit
1148.
Zellgebilde, körperfremde —
im Körper 705-
Zellkern als Virusträger 105-
Zellularpathologie, R. Virchow,
F. Marchand und die 1357-
Zene Arznei 1530, von G. Bud-
juhn 399-
Zentralgefäße, Stammverschluß
1156.
Zentralnervensystem, Syphilis
des, von Gennerich 174.
—, frühsyphilitische Erkran¬
kungen 860. 1370.
—, Dauererregungen im 1164.
1198.
— bei der Gasbrandinfektion
63.
—, Bedeutung neuerer Ergeb¬
nisse der Anatomie des — für
die topische Diagnostik der
Gehirnkrankheiten 1046.
—, Einfluß schwerer Leber¬
schädigungen 1182.
—, organische Veränderungen
als Spätfolge eines Traumas
1429-
—, Wa. R. bei «Tumoren des
175.
— bei Typhus abdominalis
1182 .
—, Behandlung der metasy¬
philitischen Erkrankungen
1361.
Zentralnervensystemsubstanz,
Behandlung mit 466.
Zen triW n bodensatz, Vorrich-
tUn SzumSl mme ' nund Auf '
| Zerrten s L>-
XL1I1
Zervikalanästhesie, Unglücks¬
fälle bei der paravertebralen
955.
Zervixerkrankungen, Behand¬
lung mit Zelluloidkapseln
274.
Zervixhämatom 1028.
Zervixiisse, Bedeutung für Ent¬
stehung und Weiterentwick¬
lung der Kollumkarzinome
1399-
Zeugegebote 304.
Zeugengebühren des Arztes
1253-
Zeugnisverweigerungsrecht
1252.
Ziegenmilchanämie 174. 1058 .
1258.
Ziehkinderwesen 1500.
Zigarren- und Zigarettenrauch,
Giftigkeit 1531-
Ziliarmuskel,* zur Anatomie
1124.
Ziliate, Ausscheidung entgif¬
tender Schutzstoffe bei 1066.
Zinkvergiftung, zwei Fälle 488.
Zirbeldrüse, Histologie und
Physiologie 1181. 1711 .
Zirkulationsphänomen bei einer
Schwangeren und einer Ek-
lamptischen 254.
Zirkumzision s. Beschneidung.
Zökaltumor, Operation 570.
Zorulalamelle bei Linsenluxa¬
tion 1124.
Zopfabschneider 605-
Zostererkrankungen im Ohrge¬
biet 1295-
— s. auch Herpes.
Zucker, Permeabilität der Glo-
merulusmembran für stereo¬
isomere 399-
—, Synthese von Schwefel- und
selenhaltigem 46.
— im Urin Neugeborener 1266.
1596.
Zuckerharnruhr 42. 783-
—, probatorische Adrenalinwir-
• kung bei 1055-
—, Aetiologie 675-
—, unmittelbarer Einfluß von
Alkohol auf Glykosurie und
Blutzucker 1594.
—- als endokrine Autointoxi¬
kation 1120.
—, Beobachtungen bei 1284.
I —, Entwicklung aus einer
| Cholelith iasis 1221.
—, über die für die Entwick¬
lung der Azidose wichtigen
Faktoren 854.
| — und Balneologie 475.
— — chirurgischer Eingriff
! 39-
—, Dauer der letal verlaufen-
I den Fälle 172 .
— und Diabetes insipidus
gleichzeitig 1325 .
—Fortschrittstendenz 1594.
—, ! weibliche Generations¬
organe und renaler 1258 .
— und Hypertonie 106. 643-
—, zur hypophysären 854.
—, Muskelarbeit und Intensi¬
tät der Zuckerverbrennung
bei 1055.
—, Fall renaler 272 .
— im’Säuglingsalter 1086.
—, experimentelle Studien
1593-
— und Urobilinogenurie 75-
—, Wärmeproduktion bei 497-
—, Behandlung 179 . 1665 .
—, moderne Entwicklung der
Therapie 707 .
' —, experimentelle Grundlagen
1 einer Arbeitstherapie 206.
Digitized by »oie
Original from
CORNELL UNÜVERSm 1
XLIV
Zuckerhamruhr, die Aufgaben
der Diätbehandlung 546.
—, ist die Begründung der
Fermenttherapie zutreffend ?
1310.
—, Inulin bei 1563 .
—, Wirkung der Mehltage bei
643-
—, Diät und Mineralwasserkur
bei 543-
—, Wirkung des Karlsbader
Wassers und Salzes auf
Zuckerkranke, beurteilt nach
einer neuen Auffassung über
250.
—, Organotherapie bei 217.
—, Vitamine und 569-
Zuckerhaushalt, Wirkung an-
organischer Salze auf den
156t.
A.
Abderhalden, E. (Halle) 171.
1427.
Abels. H. (Wien) 1534.
Abelsdorff. G. (Berlin) 1078.
1177. 1214. 1261. 1289.
Adam (Berlin) 1156 .
Adam (Heidelberg) 82.
Adler, E. (Frankfurt a.M.) 712 .
886 .
Adler, O. (Karlsbad) 756.
Adler, A. (Leipzig) 711. 1442.
1612.
Adler (Prag) 1123. 1666.
Adler. A. (Wien) 1293.
Adloff (Königsberg) 1065 .
Adrion (Freiburg) 144.
Akerlund (Stockholm) 1530.
Albela, D. (Santiago) 1347.
Albrecht, H. (München) 1218 .
Albu, A. 371.
Alexander, S. (Berlin) 32. 133.
328. 395. 600. 844, 984.
1112. 1320. 1519.
Alexander, W. (Berlin) 1148.
Alexander. B. (ReichenhaU)
840. 1614.
Alexander (Wien) 1090 .
Alexander-Katz, E. (Berlin)
557.
AUvisatos, G. P. (Nisch) 295.
Allers, J. (Wien) 1124.
Allers, R. (Wien) 1688 .
Alsberg; J. (Hamburg) 1108.
1534.
Alsberg. P. 1459-
Altschul (Prag) 376, 1400.
Ambrocic, M. (Wien) 174.
Alwens, W. (Frankfurt a. M.)
1664.
Amersbach (Freiburg) 542.
616. 1090 .
Andr 6 -Thomas (Paris) 1431.
Andree (Hamburg) 1224.
Anschütz (Kiel) 47. 1406.
Anton, G. (Halle) 16 OO.
Apel (Berlin) 161.
Appelt (Berlin) 275.
Arends, G. 568 .
Arneth. J. (Münster) 171.
Arndt (Berlin) 243-
Arnold, R. (Ems) 1292 .
Arnold (Köln) 211 .
Arnold, K. (München) 1580.
Arnoidi, W. (Berlin) 80. 250.
887.
Arnstein, A. (Wien) 1534.
Aron (Breslau) 1565 .
Arons, H. (Berlin) 771.
Arrhenius, S. (Stockholm)
1529.
Asch (Breslau) 1399.
INHALTSVERZEICHNIS
Zuckerkranke, Kochbuch für,
von v. Gitgen 916.
Zuckerstoffwechsel 333-
Zunge, zur Entwicklungsge¬
schichte 1263-
Zungenbasis, Karzinom 1123 .
Zungengeschwür mit Trichinen
1691 .
Zungenkrebs 1122.
Zungenödem nach Mirioninjek-
tion 604.
Zungenstruma 784.
Zwangsvorstellung und Psy¬
chose 1429 .
Zwerchfell,Doppelbogen bei Re-
laxatio diaphragmatica 604.
—, anatomisch-physiologische
Grundlagen der Bogenunter¬
teilungen des — ira Röntgen¬
bilde 688.
Zwerchfell, Bedeutung patho¬
logischer und künstlicher
Phrenikusschädigungen für
die Einstellung und Funk¬
tion des 1394.
Zwerchfellbewegungen beim
Sprechen und Singen 1551.
Zwerchfellhochstand, diagno¬
stischer Wert von einseiti¬
gem — zur Erkennung
raumbeschränkender Pro¬
zesse im Abdomen mittels
Röntgenstrahlen 994 .
Zwerchfellinnervation 1085-
Zwerchfellähmung, künstliche
ein- und doppelseitige 850 .
Zwerchfelltonus 11 15 .
Zwerge, Habitus 641.
Zwergwuchs, hypophysärer
743-
Zwillinge, Anisometropie bei
eineiigen 1156 .
Zwillingsgeburt, längere Ge-
. burtspause bei 1258.
Zwillingsplazenta, monamnio-
tische 959-
Zwillingsschwangerschaft, he-
terotope — in Uterus und
Tube mit nachfolgender Tu¬
benschwangerschaft der an¬
deren Seite 1202.
Zwischen Wasser und Urwald,
von Schweitzer 4659 .
Zwischenhirn, zur klinischen
Pathologie 854.
Zyanose, gasanalytische Unter¬
suchungen des Blutes bei 788 .
— beim Neugeborenen, Mi-
schungs. 141.
— und Pneumonose 813 .
Ascher (Prag) 50. 1156 . 1401.
1716 .
Aschner, B. (Wien) 245.
As.'hoff (Freiburg) 277. 278 .
794. 1225.
Ascoli, A. (Pavia) 782. 1623.
Assmann (Leipzig) 994. 1359.
1665-
Auer, A. (Karlsruhe) 91.
Auerbach (Köln) 1224.
Axenfeld, Th. (Freiburg) 40.
1058. 1430. 1594.
Axhausen (Berlin) 111. 681.
B.
Baare, L. (Hamburg) 524.
Bab. M. (Berlin) 731.
Bach (Bonn) 375 .
Bacherach (München) 615 .
Bachlechner (Zwickau) 960.
Bacmeister, A. (St. Blasien)
643. 821.
Baensch, W. (Halle) 318.
Baensch (Leipzig) 962 . 1264.
Bänziger (Zürich) 1124.
Baetzner, W. (Berlin) 501 .
Ballin (Spandau) 1518.
Bamberger,J. (Kissingen) 594.
Bandelier (Schömberg) 1393.
Baron (Breslau) 614.
Bartels (Dortmund) 1124.
Barth, A. (Leipzig) 1503.
Barth, G. (Zschadrass) 667.
Bathe (Berlin) 647.
Bauer, K. H. (Göttingen) 653.
833.
Bauer, J. (Wien) 82. 203. 854.
868. 1348.
Baum (Breslau) 1027.
Baumgärtel.T. (München) 536.
Baumgarten, W. (Berlin) 1096.
1126.
Baumgarten, W. (Trier) 932.
Baur, E. (Berlin) 237.
Beck (Heidelberg) 1090.
Beck, A. (Kiel) 720.
Beck (Wien) 1090. 1666.
Becker (Breslau) 614.
Becker (Greifswald) 1192.
Beckmann, K. (Greifswald)
788. 1409.
Behr (Kiel) 1156.
Behrens, B. (Gießen) 755-
Beitzke, H. (Diisseldoif) 1040.
Beltz (Köln) 211. 927.
v. Benczur (Budapest) 543.
Benda (Berlin) 307- 373-
Bender, W. (Bern) 381.
Bennhold (Hamburg) 819 .
B^nthin (Königsberg) 112.374.
1087. 1191. 1568.
Namenregister.
Bergeil, P. (Berlin) 1098.
Bergemann (Beslau) 822.
v. Bergmann (Frankfurt a. M.)
789. 929. 953. 1530.
Bergmann (Hamburg) 1332.
Bernhard, P. (Mülheim) 1375.
Bernhardt, G. (Berlin) 68.
Bernhardt, H. (Berlin) 1368 .
Berthold, F. (Berlin) 172 .
Best (Dresden) 1 156 .
Bettmann (Heidelberg) 762.
1226.
Beumer (Königsberg) 960.
Biberstein, H. (Breslau) 769.
1467.
Bickel, A. (Berlin) 543. 965.
Bieber (Danzig) 1678.
Biechele, M. (Regensburg) 1491 •
Biedl (Prag) 853. 1630.
Bieger (Bochum) 1435.
Bieling (Frankfurt a. M.) 711.
Bielschowsky (Berlin) 648.
Bielschowsky (Marburg) 1156 .
Biemann (Hamburg) 113 . 407-
508 .
Bier, A. (Berlin) 1464 .
Biesalski, K. (Berlin) 1188 .
Bijlsma (Utrecht) 854.
Billigheimer (Frankfurt a. M.)
788.
Bingold, K. (Hamburg) 711.
B'nswanger (Kreuzlingen) 1 435 •
1659-
Birch-Hirschfeld (Königsberg)
341. 1156 .
Birk, W. (Tübingen) 1463-
Birkhäuser, R. (Basel) 1528 .
Bitter (Kiel) 1298 .
Bittier, A. (Scheidegg) 641.
Blass, O. (Bielefeld) 803.
Blau (Görlitz) 1090.
Bliedung (Greifswald) 47.
Blohmke (Königsberg) 308.
1089-
Blum, V. (Wien) 82. 440.
Blumberg, J. (Dorpat) 1020.
Blumenfeld, F. (Wiesbaden)
140. 710. 1395-
Blumenfeldt (Berlin) 927 .
Blumenthal (Berlin) 613 . 1691-
Blumenthal, F. (Wiesbaden)
1428.
Boas, J. (Berlin) 950. 1405.
1594.
Boas, H. (Kopenhagen) 956.
Bock (Berlin) 991.
Bockenheimer (Berlin) 694.729.
Boden (Düsseldorf) 789-
Bodenheimer (Berlin) 1121.
Böhm (Berlin) 1433-
Böhme (Bochum) 244. 885 .
Bönniger (Berlin) 1628.
Boerninghaus (Breslau) 387.
de Boer, S. (Amsterdam) 831.
Bötticher (Berlin) 275-
Böttner (Königsberg) 887.
Bofmger (Stuttgart) 1518.
Bogusat (Berlin) 637.
Bohn, H. (Stuttgart) 1347.
Bohnenkamp( Heidelberg) 1567 .
Bolle, H. (Berlin) 1151* 1381.
Bonhoeffer (Berlin) 573.
Bonne (Hamburg) 613 .
Bonnin, L. (Berlin) 1098.
Borak, J. (Wien) 1534.
Borchard, A. (Berlin) 272.
Borchardt, L. (Königsberg)
406. 1197.
v. Borg (Berlin) 925 .
Bormann, F. (Dorpat) 320.
Bornstein, A. (Hamburg) 1224.
14C0.
Borst, M. (München) 1181 .
Boruttau, H. (Berlin) 848 . 876.
1328. 1703.
Braatz (Königsberg) 1369 .
Bradt (Berlin) 437.
Brandenburg (Kassel) 1090 .
Brandis, G. Hamburg 229.
Brandt, L. (Berlin) 159.
Brandt, G. (Halle) 972.
Brauer, L. (Hamburg) 1428.
Braun (Berlin) 1532.
Braun (Zwickau) 151. 438 .
Brauns, W. (Pattensen) 287.
Braus, H. (Würzburg) 995-
Breger (Berlin) 165. 198.
Breitner, B. 987-
Bresler, J. (Kreuzbure) 1293-
Bresslau (Frankfurt a. M.) 1066 .
Bretz (Bochum) 994.
Brezina, E. (Wien) 242.
Brinkmann (Holland) 1402.
Brodt (Heidelberg) 1090.
Brösamlen (Tübingen) 854.
Browne, E.G. (Cambridge) 847-
Bruck, C. (Altona) 825. 851 .
1046
Bruck, F. (Berlin) 987 .
Brückner (Jena) 1124.
Brückner, G. (Lüdenscheid)
1285.
Brüggemann, A. 1118.
Brüggtmann (Bochum) 1153*
Brüegemann (Gießen) 1497.
Büning, F. (Berlin) 622. 1572.
Brüning, H. (Rostock) 141.
Brünings, W. (Greifswald) 336.
Brütt (Hamburg) 1065-
Brugsch (Berlin) 471. 711.
854. 1322.
Bruhn, Ch. (Düsseldorf) 1714.
v. Brunn, W. (Rostock) 781 .
Zyklitis und Katarakt, zur He¬
terochromie mit 1156 .
Zykloform in der Ohrenheil¬
kunde 1118.
Zymarintherapie 204.
Zysten, subseröse 498.
Zystenleber, Fall 341.
ZystikusVerschluß, autoplasti¬
scher 1461.
Zystitis durch Paraffin verur¬
sacht 1284. 1430.
— und Zystopyelitis 1526.
-, Behandlung 788 .
Zystizerken, röntgenologischer
Nachweis verkalkter 1085-
Zystoskope, U <. bungssonden zur
Einführung 955 .
Zystoskopie in der luftgefüll¬
ten Blase 139-
Brunner, A. (München) 961.
Brunner (Wien) 1090.
Bucky, G. (Berlin) 498. 790.
853 . 888.
Budde (Wien) 855-
Budjuhn, G. 399.
v. Büben, J. (Budapest) 1643.
Bühler, Ch. 743-
Bürger (Kiel) 927 .
Bi'trgi, E. (Bern) 1159.
Bürker (Gießen) 887 . 1225 .
Büttner, K. (Chemnitz) 1079.
Bum, A. (Wien) IO 89 .
Bumba (Prag) 576.
Bumke.O. (Leipzig) 1255-1264.
Bumm (Berlin) 178. 307 . 1027 .
1734.
Burchardt, K. (Baden-Baden)
185.
zum Busch, J. P. (Kreuznach)
694. 941.
Buschke, A. (Berlin) 787 . 859.
1068. 1168. 1372. 1466.
1538. 1715.
Buzello (Freiburg) 679.
Buzello (Greifswald) 46 . 507.
1192 .
C.
Cabot, R. C. (Boston) 1687 .
Caesar, J. (Dortmund) 1326.
Calmann, A. (Hamburg) 1678.
Campani, A. (Brescia) 109-
Canon (Berlin) 680.
Capeller, W. (Jena) 1324 .
Carelli (Buenos-Aires) 144.
Carl (Königsberg) 308.
Caspari, W. (Frankfurt a. M.)
715-
Casper, L. (Berlin) 75- 872.
908. 944. 983. 1016. 1416.
1448. 1480.
Cassel (Berlin) 655. 993-
Cassirer (Berlin) 507 . 648.
Cemach (Wien) 1090.
Ceranke, O. (Wien) 1124.
Chajes, B. (Berlin) 40. 1502.
Christiansen, J. (Kopenhagen)
358.
Citron, J. (Berlin) 79. 80. 789-
Clairmont (Zürich) 756.
Claudius (Kopenhagen) 755-
Clausen (Halle) 1156 .
Coenen (Breslau) 929 . 1692.
Cohn, B. (Berlin) 883-
Cohn, E. (Hamburg) 226.
Cohn-Wolpe, Ch. (Berlin) 1505.
Collier, W. A. 367 .
Cornberg (Berlin) 1156 .
Conradi (Zwickau) 961 .
Cords (Köln) 1089 - 1156 . 156 O-
Cori, F. (Wien) 1124.
Digitized by »öle
Original from
CORNELL UNÜVERSrn 1
Cornelius. A. (Berlin) 1054.
Co$tt,N. (Hamburg) 358. 1373.
Gramer (München) 48.
Creutzfeldt (Kiel) 211.
Cullen, Th. S. (Chicago) 1119.
Czerny (Berlin) 541.
Czuber, E. (Wien) 274.
D.
Daniel, G. (Budapest) 1642.
Daniel (Wien) 819.
Danziger, F. (Hamburg) 209-
1026.
v. Daranyi, J. (Budapest) 553,
Daude (Pyrmont) 544.
David (Halle) 854.
Davidsohn (Berlin) 1495-
Davidsohn, H. (Berlin) 339.
Decker, A. (Elberfeld) 802.
Deckert (Berlin) 1453.
Degkwitz, R. (München) 26.
Derrfetridiades (Wien) 1090 .
Demmer, F. (Wien) 245.
Dengg (Kissingen) 543.
Denk (Wien) 855-
Denker, A. (Halle) 336.
Dennig (Heidelberg) 439.
Deseniss (Hamburg) 309.
Dessauer, F. (Frankfurt a. M.)
7 1 6. 743- 1083.
Deusch (Rostock) 854.
Deutschländer (Hamburg) 309,
1223 . 1476.
Deutschmann (Hamburg) 508.
Deycke, G. (Lübeck) 1217 .
1460.
Diepgen, P. (Freiburg) 1525-
Di&Arich (Berlin) 954 .
Dietrich, E. (Berlin) 1292.
Dietrich, W. (Berlin) 361.
Dietrich (Köln) 1090. 1629.
Dietich,C (TepicNiyarit) 662.
Dimmer, F. (Wien) 267 .
Dinkin, L. (Berlin) 1675.
Dithmar (Wiesbaden) 568 .
Dittrich, R. (Breslau) 974.
Dittrkrh, P. (Prag) 785 .
DöJerlein, A. (München) 22.
571.
Dohme (Berlin) 1121.
DoU (Marburg) 247. 797. 1402.
Doilinger, A. (Berlin) 1726.
Domer, G. (Leipzig) 453. 994.
Dresel, K. (Berlin) 712. 854.
1531-
Dreyer (Köln) 1224.
Dreyfus, G. L. (Frankfurt a. M.)
466. 860.
Dreyfuß (Hamburg) 472.
Driesch, H. (Leipzig) 1234.
Drossbach (Würzbu'g) 819*
Drügg. W. (Köln) 1129.
Dubs, J. (Winterthur) 68 .
Dührssen (Berlin) 507- 787-
Dünner, L. (Berlin) 643- 1460.
1715.
Dürck, H. (München) 11 55-
Duttminn (Gießen) 376 . 1299-
Duken, J. (Jena) 93. 146 .
Dumpfert (Heidelberg) 1534-
Dunzelt (Zwickau) 960 .
Duschak, E. (Wien) 1300 .
Dusser de ßarenne (Utrecht)
1090 .
Ebbecke (Göttingen) 92 7.
Ebeler, F. (Köln) 989-
I herm.iyer (Leipzie) 79 . jf®'
394. 119. 889. 843. 87S. 984.
1232 . 1921 . 1655. 1683. 1686.
1798. . x --o
Eberstadt, R. (Berlin) 33»-
Ererif'w. (Zschadraß)
Ebstein. E. (Leipzig) 266. 1354.
INHALTSVERZEICHNIS
XLV
Eckstein (Berlin) 681 . 1222 .
Eden, R. (Freiburg) 85. 542.
679-
Eder, V. (Wien) 1666.
Edinger, Anna (Frankfurt a.M.)
737.
Egtermeyer (Greifswald) 885-
1533.
Ehrenberg, L. (Falun) 460.
Ehrenreich (Köln) 886 .
Ehrmann, R. (Berlin) 1675.
Eichenwald, R. (Wien) 1666 .
Eichhoff (Breslau) 756.
v. Eicken (Berlin) 1222 . 1262 .
1656.
Einhorn, M. (New York) $97.
1526 .
Eiseisberg, A. (Wien) 1249.
Eisenstein, A. (Moskau) 722.
Eisler (Wien) 790 .
Eisner, G. (Berlin) 1261 .
Eitel (Köln) 1629 .
Ellerbroek, N. (Celle) 1027.
1213.
EUinger (Frankfurt a. M.) 789 .
Ellinger.Ph. (Heidelberg) 1567-
Els (Bonn) 993.
Elschnig (Prag) 40. 246. 1058 .
1156. 1400. 1430. 1595.
1630 .
Embden, H. (Hamburg) 472.
Emmert (Cannstatt) 877.
Engel, E. (Berlin) 1311.
Engel, St. (Dortmund) 747.
Engelen (Düsseldorf) 887 .1130.
1347.
Engelking (Freiburg) 1156 .
Engelsmann, R. (Kiel) 488.
Enters, J. L. (Eglfing) 499.
Eppinger (Wien) 711. 1 i 23 .
Epstein, B. (Prag) 11 23 .
Epstein, E. (Wien) 89. 1648,
Erggelet (Jena) 1156.
Erkes (Reichenberg) 929.
Ernst, P. (Heidelberg) 215. 409.
Esau (Oschersleben) 489.
Esch, P. (Marburg) 1563-
Eschenbach (Breslau) 1153-
Eskuchen, K. (München) 1698.
Esser, J. F. S. (Berlin) 787 . 856 .
Ettisch, G. (Berlin) 631. 662.
731. 773.
v. Euler (Stockholm) 1529.
F.
Fabry (Bochum) 1435.
Färber, E. (Mannheim) 603 .
Fahr(Hamburg) 114.613. 1262 .
1370.
v. Falkenhausen, M. (Breslau)
1173.
Falkenheim (Heidelberg) 439-
Fantozzi, G. (Pisa) 109 .
Farago, S. (Budapest) 1553.
Faulhaber (Würzburg) 1084.
Federmann (Berln) 714.
Feer, E. (Zürich) 991-
Feilchenfeld, W. (Berlin) 867.
Feldbaus, F. M. 876.
Felke, H. (Rostock) 1097.
Feriz, H. (Amsterdam) 1679.
Fertig (Berlin) 647.
Feßler, J. (München) 138 .
Fetscher, L. (Stuttgart) 289.
Fick, R. (Berlin) 1456.
Ficker, M. (Berlin) 1395-
Finckh, L. (Gaienhofen) 37.
1524.
Finder (Berlin) 1222. 1585.
1651. 1681. 1706. 1729.
Fink (Königsberg) 406. 1088.
1568.
Finkeistein, H. (Berlin) 746.
,1495.
Finkeistein, L. (Kowno) 128.
Finsterer, J. (Wien) 995.
Fische!, K. (Wien) 1300.
Fischer, E. 641. 1083 .
Fischer, W. (Bonn) 277- 375.
482. 520. 1693.
Fischer (Breslau) 1153.
Fischer, E. (Freiburg) 237 .
Fischer, G. (Hannover) 1 37-
Fischer, O. (Hamburg) 1654.
1682.
Fischer, W. (Idar) 864.
Fischer, B. (Prag) 1089- 1090.
1123. 1401.
Fischer, M. H. (Prag) 246.
Fischer (Wien) 1090 .
Fischl, R. (Prag) 232. 261.
Fitting, H. 847.
Flachs (Dresden) 146. 1266 .
1714.
Flatau, W. S. (Nürnberg) 955.
1028.
Fleischer (Erlangen) 1156.
Fleischmann (Frankfurt a. M.)
1090 .
Flesch, M. (Frankfurt a. M.)
1598.
Flesch-Thebtsius (Frankfurt
a. M.) 681.
Flörcken (Frankfurt a.M.) 929 .
Flügge, C. (Berlin) 436 . 1685.
Fodor, A. (Halle) 431.
Foerster (Breslau) 1122 . 1600 .
Foerster (Hamburg) 1534.
Förster, W. (Suhl) 942.
Förtig, H. (Würzburg) 312.
Forche, W. (Königsberg) 1010.
Forschbach (Breslau) 1122.
Förster (Berlin) 308. 1398.
Förster, E. (Buer) 1385.
Frankel (Berlin) 373-962. 1367 .
Frankel, E. (Berlin) 79. 711.
Fränkel, F. (Berlin) 1327.
FraenkeI,M. (Berlin) 159.1066.
1136.
Fränkel (Breslau) 276 .
Fraenkel, E. (Hamburg) 63.613.
1263 . 1370. 1665-
Fränkel, S. (Wien) 239.
Frangenheim (Köln) 509-
Frank (Berlin) 492.
Frank (Breslau) 179* 788.1467.
Frank, A. (Köln) 1330.
Frank (Leipzig) 145. 1266.
Franke, G. (Berlin) 468.
Franke.F.(Braunschweig) 1312.
1381.
Frankenstein, C. (Berlin) 1700.
Frankl, 0. (Wien) 440.
Franz (Berlin) 544.
Franz (Breslau) 1153.
Frehse, K. (Heidelberg) 621.
1543.
Fresenius, L. (Wiesbaden) 543.
Freud, S. (Wien) 271 .
Freudenberg (Heidelberg) 310.
Freund (Berlin). 1452.
Freund, H. (Frankfurt a. M.)
598. 635. 666. 699. 735.
776. 819.
Freund, H. (Heidelberg) 81 .
Freund (Oranienburg) 1422.
Freund, L. (Wien) 82. 839.
16 66 .
Freund, P. (Wien) 1243.
Frey (Breslau) 1664.
Frey (Kiel) 819 .
Frey, E. (Marburg) 857.
v. Frey, M. (Würzburg) 212 .
1332.
Friedberg, W. (Freiburg) 1345.
Friedberger (Greifswald) 925.
Friedemann, U. (Berlin) 541.
Friedemann (Langendreer) 885 .
1399.
Friedenthal, H. (Berlin) 1574.
Friedjung, J. K. (Wien) 1 501.
Friedlaender, K. F. (Berlin)
1139.,
Friedländer, E. (Wien) 1035.
Friedmann, A. (Freiburg) 1125.
v. Friedrich,L.(Frankfurta.M.)
928.
Friedrich (Leipzig) 650.
Friedrichs, Th. 1322 .
Friesicke, G. (Jena) 1324.
Frik (Berlin) 790. 1191-
Frisch, A. (Wien) 245.
Fritz (Wildbad) 544.
Froboese, C. (Heidelberg) 1129.
Fröhlich, W. (Bonn) 574. 1716 .
Fröhlich, A. (Wien) 38 .
Froemsdorff, C. (Dresden) 902.
Fröschels, E. (Wien) 1124.
Frühwald (Wien) 1090.
Fründ (Bonn) 374. 930. 994.
Fuchs (Danzig) IO 87 . 1568.
Fühner (Leipzig) 1298 .
Fürbringer (Berlin) 577. 1093.
Fürstenau, R. (Berlin) 239*
Füth, H. (Köln) 1468.
Fuld (Berlin) 790.
Full (Frankfurt a. M.) 887 .
Funck (Freiburg) 616 .
Funk, C. (New York) 1 593-
Fuss, E. M. (Berlin) 422.
Q.
Gaethgens, W. (Hamburg)
1045. 1307.
Galassi, C. (Brescia) 109 .
Galewsky, E. (Dresden) 326.
533. 746.
Gar,ss (Heidelberg) 1226.
Ganter, G. (Würzburg) 926 .
928 .
Garr£, C. (Bonn) 272. 370.
1184.
Garz (Frankfurt a. M.) 1465.
Gassmann (Berlin) 790.
Gassul, R. (Berlin) 1163.
Gastpar (Stuttgart) 822.
Gattner, J. (Berlin) 522. 790.
Gaugele (Zwickau) 960 .
Gauss (Freiberg) 1028. 1436.
v. Gaza (Göttingen) 756.
Gebb (Frankfurt a. M.) 1124.
Gehrig (Hamburg) 755.
Gehrt (Berlin) 682.
G ley, G. (Paris) 783 .
Gdlhom (Halle) 1124.
Gennerich, W. (Kiel) 174.
G orgi (Heidelberg) 1468.
Geppert (Hamburg) 1224.
Gerhartz (Bonn) 1692 .
Germann (Budapest) 1089.
Gerster, K. W. (Gießen) 1394.
Geyer (Zwickau) 806. 1284.
Ghon (Prag) 246. 376. 1400.
1498.
Gigon, A. (Basel) 1624.
Gildemeister (Berlin) 1066.
v. Gilgen, H. 916 .
Glse (Harlem) 1090 .
Gins, H.A. (Berlin) 1066. 1531.
1619. 1730.
Ginsb.rg (Berlin) 1328.
G ; oseffi, M. (Parenzo) 109 .
GUessner, R. (Wien) 82 .
Glass (Hamburg) 259. 508.
1108. 1483.
Glaubitt (Berlin) 208.
Goadby, K. W. 142.
Goebel, C. (Breslau) 1541.
Goebel (Jena) 146.
Göball (Kiel) 474.
Görres, H. (Heidelberg) 864.
G>ette, K. (Freiburg) 673.
Gotting, H. (Hamburg) 1641.
Götz, W. (Berlin) 626.
dötze (Frantf urt a * 96i.
(Berlin) 351.
Berlin) 10. 57.
1\1.1349.1389.
1554.
Ädt, ß;
Go *«Vide*
‘nrV-
Goldschmidt, V. M. (Kristiania)
1529.
Goldschmidt (Leipzig) 1156.
Goldstein, K. (Frankfurt a. M.)
1600.
Gonnella, M. (Köln) 426.
Gotke, H. (Breslau) 1166.
Gotthardt (Münctun) 888.
Gottlieb (Heidelberg) 3 10.1531.
Goltschalk, A. (Frankfurt a. M.)
641. 886.
Grabowski (Berlin) 330.
Gräfenberg 1028.
Gräff, S. (Heidelberg) 1346.
Graff 1028.
Grahe (Frankfurt a. M.) 1090 .
Grau, H. 1020.
Grauhahn (Kiel) 48.
Graul (Neuenahr) 543.
Grebe (Bonn) 888.
Greeff (Berlin) 647. 1156.
Greil, A. (Inmbruck) 1471.
Greimer, K. (Dresden) 1528 .
Greving (Erlangen) 711. 1673.
1696.
Griesbach, W.(Han bürg) 1224.
Grimme, C. (Hamburg) 314.
Gioedel, F. (Frankfurt a. M.)
463.
Groedel, F. M. (Nauheim) 400 .
544.
Groenouw (Breslau) 61 4.
Groos, K. (Tübingen) 1058 .
Gross, B. G. (Berlin) 1211.
Gross, W. (Greifswald) 508.
1436.
Gross (Hamburg) 3C9- 472.
Grosse (München) 886. 1596.
Grossmann (Wien) 1090 .
Grote, L. R. (Halle) 105.
Groth, A. (Münch n) 1580.
Grotjahn, A. (Berlin) 1616.
1631.
Gruber, G. R. (Mainz) 1530.
v. Gruber, M. (München) 1395-
Grüter (Marburg) 11 56 .
Grütz (Kiel) 682 .
Gruhle, H. W. (Heidelberg)
1712 .
Grunert (Bremen) 1156.
Gudzent (Berlin) 405- 544.
1531.
Günther (Leipzig) 1567 .
Güttich (Berlin) IO 89 .
Guggenheimer (Berlin) 1297-
Guhr (Tatra-Weszternheim)
544. 928.
Guillery (Köln) 1264.
Gulecke (Jena) 962 .
Gundermann (Gießen) 714.
1299.
Guth (Aussig) 576. 1630 .
Gyergyaiy (Budapest) 1090 .
György (Heidelberg) 310 .
H.
Haas, L. (Budapest) 1134.
Haas (Gießen) 755-
v. Habcrer (Innsbruck) 930 .
Haberfeld, W. (Wien) 1123-
Haberland, F. H. O. (Köln)
1330.
Habermann, R. (Köln) 322.
Haeckel, E. 847. 1561.
Haenisch (Hamburg) 1193.
Härtel, F. (Halle) 467-
Hagemann, J. (Berlin) 1376.
Hagemann, R. (Würzburg) 212 .
Hagen, W. (Lennep) 1289.1507.
Hahn (Breslau) 1566 .
Hahn, M. (Freiburg) 793. 1125
H ihn (Nauheim) 544.
Hahn, L. (Teplitsch-Schönau
1600.
i Haike, H. (Berlin) 1319. 1483.
1 Hailer (Dahlem) 1066 .
\ Hajek (Wien) 1090 . 1123 .
Digitized by Le-Oi »öle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
XLV1
Halban, J. (Wien) 995-
Halb:rstaedter,L. (Berlin) 746.
1715-
Halbertsma, J. J. (Amsterdam)
1517.
Hall, H.C. (Kopenhagen) 1430.
Hallauer (Berlin) 1298 .
Halle (Berlin) 112 . 437. 613.
1090.
Hayward (Berlin) 1691 -
Helle (Bochum) 1316.
Hamburger, C. (Berlin) 45.
1328.
Hamburger, R. (Berlin) 454.
Hammerschlag (Berlin) 307.
1027. 1051.
Hammersten, 0. (Upsala) 1019.
Hampeln, P. (Riga) 901.
Handovskyj, H. (Göttingen)
1255.
Hane (Berlin) 1465-
Hanssen (Kiel) 925 .
Häri, P. (Budapest) 1181.
Harrover, H. R. 305-
Harry, F. (Berlin) 1068.
Hartmann, A. (Heidenheim)
1145.
Hartmann, E. (Magdeburg)
1707.
Haselhorst, G. (Hamburg) 1100.
Haslinger, K. (Wien) 1124.
Hassencamp, E. (Halle) 1638.
v. Hattingberg (München) 245 .
1734.
Hauck (Berlin) 1398.
Hauck, L. (Erlangen) 1625-
Haudek (Wien) 1530.
Hauer 73- 1402.
Haug (Mergenthe.m) 543-
Hauke (Breslau) 179- 1533-
Hausmann, Th. (Moskau) 74.
628.
Hausser (Berlin) 1191.
v. Hayek (Innsbruck) 302 .
Haymann 848.
Hayn (Breslau) 1398.
Hazen, H. H. (Washington)
1564.
Hecht, P. (München) 418. '
Hecht (Prag) 371. 1666.
v. Hecker, H. (Bonn) 482. 520.
Hedin, S. 1465.
Heermann (Cassel) 841. 1090 .
Heermann (Essen) 1090 .
Hetfter (Berlin) 243-
Hegler (Hamburg) 309.
Hegener (Hamburg) 1090 .
Heidenhain, M. (Tübingen)
535. 811. 1240.
Heile (Wiesbaden) 714.
Heilminn, J. (Barmen) 294.
Heimann (Breslau) 1566 .
Heine (Kiel) 1124. 1597.
Heinemann-Grüder (Berlin)
573.
Heinlein (Bochum) 994.
Heinz (Erlangen) 928. 1531.
Held, H. 1147.
Helferich. H. (Eisenach) 708.
Heller (Heidelberg) 310.
Hellmann, O. (Berlin) 1465.
Hellmuth (Hamburg) 1026.
Hellpach, W. (Karlsruhe) 1716 .
He Iwig, A. (Frankfurt a. M.)
420. 929.
v. Helmholtz, H. 367 .
Helmreich, E. (Wien) 245.
Hempel, E. (Leipzig) 316. 352.
Henius. L. (Berlin) 299.
Henke (Königsberg) 649.
Henkel, M. (Jena) 1515. 1555.
1583. 1653. 1679.
Henneberg, R. (Berlin) 308.
359. 648. 906. 1397.
d’HGrelle, F (Pari:) 992.
Hering (Köln) 788. 1053-
Hermann, G. (Prag) 1089. 1123 .
v. Hervensclnvand (Innsbruck)
1156.
Herrnheiser (Prag) 790. 1666.
Hertel (Leipzig) 1124.
Hertwig.O. (Berlin) 9.781.1239.
v. Heß, C. (M inchen) 1238.
1530.
HetSnyi. G. (Budapest) 420.
770. 1200/
Hetzer, W. (Dortmund) 627.
Heubner (Göttingen) 819 .
Heuß (Berlin) 1691 .
Hey (Köln) 211 .
Heyer (München) 1265-
Heymann, B. (Berlin) 999.
Heymann, E. (Berlin) 484. 725.
Heyn, W. (Berlin) 767.
Hiero’Hs, C. ,X. (Salonique)
1388.
Hieß, V. (Wien) 440.
Higier, H. (Warschau) 1276.
Hildebrand, O. (Berlin) 16. 11 1.
Hildebrandt, K. (Berlin) 1262.
Hildesheimer (Berlin) 1466.
Hilgenreiner (Prag) 1266.
Hinsberg (Breslau) 276 . 1090 .
Hinselmann, H. (Bonn) 254.
Hintz (Wiesbaden) 543 .
Hintze (Berlin) 790.991. 1368.
v.-Hippel (Göttingen) 1156.
Hirsch 1028.
Hirsch, H. (Altona) 1646.
Hirsch (Berlin) 1397.
Hirsch, S.* (Frankfurt a. M.)
1664.
Hirsch, G. (Halberstadt) 1086.
Hirsch, H. (Hamburg) 1292 .
Hirsch, P. (Jena) 936.
Hirsch-Kauf fmann (Breslau)
788 .
Hirschberg, J. (Berlin) 25. 669.
701. 738. 778. 1250. 1271.
1459.
Hirschfeld (Berlin) 1222.
Hirschfeld, F. (Berlin) 1411.
Hirschmann, C. (Berlin) 753-
His (Berlin) 821. 1635.
Hoche, A. (Freiburg) 389. 1246.
Hochstetter (Berlin) 1368.
Höher, R. (Kiel) 1530.
Hoeflmayr (München) 61 5 .
Högler (Wien) 81 9 . 1666 .
Hoehne (Greifswald) 1533-
Hopfner, H. (Lübeck) 1284.
Hoepke (Heidelberg) 1263 .
Hörmann (Berlin) 308 .
Höst, H. F. (Kristiania) 1302.
van d. Hoeve (Leiden) 1124.
Hofer (Wien) 1090 .
Hoffbauer (Dresden) 1027 .
Hoffmann, W. (Berlin) 1733-
Hoffmann, A. (Düsseldorf) 713.
Hoffmann,W. H. (Habana) 903.
Hoffmann, F. A. (Leipzig) 645.
Hoffmann, H. (Tübingen) 849.
Hoffmann, P. (Würzburg) 927.
1370. 1559.
Hofmann (Bonn) 1531 .
Hofmann, A.H. (Offenburg) 939.
Hofmeier, M. (Würzburg) 817 .
1028.
Hofvendahl, A. (Stockholm)
67. 558.
Hohlbaum (Leipzig) 614.
Hohlfeld (Leipzig) 146. 1266.
Holländer (Berlin) 495.
Holste, A (Jena) 29.
Holthusen (Hamburg) 888 .
1665.
Holzapfel (Kiel) 473-
Holzknecht, G. (Wien) 1687 .
Honigmann, G. (Gießen) 1217 .
Horn, P. (Bonn) 289.
Homer (Prag/ 886.
Horst, M. D. 786.
Host, H. F. (Christiania) 32.
Hübner (Elberfeld) 157. 624.
Hübschmann (Leipzig) 1598.
INHALTSVERZEICHNIS
Hueppe, F. (Prag) 1528 .
Hüssy, P. (Basel) 10 s.
v. d. Hütten, F. (Gießen) 376.
1225 .
Hu% O. (Zürich) 335-
Huismans (Köln) 1298 .
Huldschinsky (Berlin) 682 .
Hundeshagen, K. (Freiburg)
1509.
Hutter, F. (Wien) 245.
1 .
Ickert (Mansfeld) 1315. 1326 .
Igersheimer,J .(Göttingen) 1001.
liiert, E. (Goddelau) 227.
Imhofer (Prag) 616.
Imm (Breslau) 178 .
Immelmann (Berlin) 239- 1 191.
Isaac (Frankfurt a. M.) 71 1 .
Israel (Berlin) 853- 1367 .
J.
Jackmann, O. (Sangerhausen)
1019-
Jacobsohn, F. (Berlin) 859-
Jacobsthal, E. (Hamburg) 867.
Jacoby, M. (Berlin) 1355.
Jadassohn, J. (Breslau) 19.
1025. 1153. 1467.
Jaeckel (Berlin) 613 . SS8.
Jakob, A. (Hamburg) 11 3-1370.
Jaksch-Wartenhorst(Prag) 246.
995.
Jansen (München) 245- 439.
Janus (Berlin) 471.
Japha, A. (Berlin) 681. 942.
Jarecki, M. (Stettin) 1174.
Jaroschy (Prag) 1498 .
v. Jaschke, R. (Gießen) 5 75-
1492. 1493.
Jastrowitz (Halle) 703.
Jendralski, F. (Breslau) 61 4.
1 155- 1207.
Jedwab ick (Königsberg) 1368 .
Jensen P. (Göttingen) 269.
Jentz (Hamburg) 1065 .
Jerusalem, M. (Wien) 995.
Jesionek (Gießen) 376. 1296 .
Jeß (Freiburg) 1226.
Jeß, A. (Gießen) 118. 1124.
Jessner, S. (Königsberg) 1714.
Jester, K. (Königsberg) 1011.
Joachim, H. (Berlin) 167. 777.
Joachimoglu, D.G. (Berlin) 27.
1613.
Joel, E. (Berlin) 1309.
Jötten (Leipzig) 1734.
Johannsen (Kopenhagen) 1464.
John, F. (Wien) 1666 .
Jollos, V. 1217 .
Jolowicz (Leipzig) 650 .
Jores (Kiel) 649-
Joseph (Berlin) 754.
Joseph, E. (Berlin) 1401.
Joseph, M. (Berlin) 361. 391.
426. 436. 461.491. 529. 557.
571.
Joseph, W. (Berlin) 1703.
Juliusburger, O. (Berlin) 1703.
Jung. C. G. (Zürich) 203 .
Jungeblut, C. W. (Charlotten¬
burg) 696.
Junger (Wien) 1090.
Jungmann, P. (Berlin) 405 .
1297. 1628.
K.
Kaboth (Elberfeld) 905.
Kaczke, H. (Greifswald) 1039.
Kadza (Wien) 715-
Käding (Bonn) 790. 888.
Kämmerer (München) 575. 712.
Kästner (Leipzig) 855- 1600.
Kafka, V.( Hamburg) 1305.1400.
Kahane, M. (Wien) 1393.
Kahler, H. (Wien) 1300 .
Kahn, W. (Dortmund) 1446.
Kaiser, R. (Hamburg) 407.
Kaiserling (Königsberg) 341.
1439.
Frl. Kalinke (Breslau) 61 4.
Kalisch, D. (Wien) 1666 .
Kall, K. (Nürnberg) 1044.
Kallius (Heidelberg) 1263.
Kaminer (Berlin) 357. 954.
Kamiya, H. (Freiburg) 794.
Kantorowicz, E. (Berlin) 1650.
Kantorowicz(Bonn) 574. 1088 .
v. Kapff, W. (München) 445.
Käppis (Kiel) 47- 48. 681 .,
Karger (Berlin) 1495-
Kaßner (Berlin) 544. 1 -|
Kassowitz, K. (Wien)’lG 66 .
Kastan, M. (Königsberg) 1191-
Katakura, T. (Tokio) 591.
Käthe (Breslau) 1076. 1566 .
Katz, L. (Ludwigshafen) 710 .
1395.
Katzenstein (Berlin) 613 . 821.
1090 1262. 1532.
Kauffmann, E.|( Frankfurt a.M.)
927.
Kauffmann, M. (Halle) 1217 .
Kaufmann, M. (Berlin) 524.
Kaufmann, E. (Göttingen)
1357.
Kaufmann, H |P. (Jena) 399.
Katz, L (Ludwigshafen) 140.
Kausch (Berlin) 79. 1433-
Kautz (Hamburg) 790.
Kayser,*C. (Berlin) 819 .
Kayser - Peterson (Frankfurt
a. M.) 887-
Kaznelson( Prag) 928.995 • 1 400.
Keeser (Berlin) 1214.
Kehrer, E. (Dresden)' 1 527.
Keining, E. (Marburg) 1552.
Kelemen, J. (Humenne) 1444.
Kelen (Budapest) 888.
Keller, Ph. (Freiburg) 346.
Kenedy, D. (Budapest) 586.
v. Kern, B. (Berlin) 1235.
Kern (Torgau) 1388.
Kestner (Hamburg) 853- 1332 .
Kiefer (Bonn) 375.
Kingreen (Greifswald) 885.
Kionka (Jena) 543. 1371.
Kirchheim, R (Königsberg)
1369.
Kirchhoff, Th. (Schleswig) 497.
Kirchner, M. (Berlin) 821.
Kirjchmann, K. (Berlin) 982.
Kirschner (Königsberg) 11 2.
374. 962. 1368.
Kirst (Frankfurt a. M.) 790 .
Kirstein, F. (Hannover) 1579.
Kisch (Berlin) 39- 681.
Kisch, B. (Köln) 615 . 788.
Kisch, F. (Marienbad) 1644.
Kiß, F. (Ofenpest) 1525 .
Klapp (Berlin) 1367.
Klare (Scheidegg) 821. 1594.
Klarfeld (Leipzig) 437. 1299 .
Klein (Idstein) 324.
Klein (Prag) 886. 1498.
Kleine, F. E. 1693.
Kleiner (Prag) 342.
Kleinschmidt (Berlin) 507.
Kleinschmidt, P. (Berlin) 1107.
Kleinschmidt, L. (Essen) 981.
Kleinschmidt (Hamburg) 342.
1263.
Kleinschmidt (Heidelberg) 576 .
Kleinschmidt (Leipzig) 1264.
1265.
Klmperer, F. (Berlin) 13.1686.
Klemperer, G (Berlin)643- 815 -
Klestadt (Breslau) 276 .
Klett (Hamburg) 342.
Klewitz (Königsberg) 789-1003.
1369.
Klieneberger(Königsberg) 1064.
Klieneberger, C. (Zittau) 1690 .
Klimont, J. (Wien) 1281.
Klose (Frankfurt a. M ) 68t.
Klostermann (Bochum) 1330 .
Klostermann, M. (Halle) 1131.
Klut, H. (Berlin) 746.
Knapp, A. (Düsseldorf) 659.692.
Kneier (Breslau) 614.
Kneschke (Dresden) 146. 1265 .
Kneucker, A. (Wien) 245.
Knick, A. (Leipzig) 40. 1089 .
Kniep, H. (Würzburg) 1026.
Knoop (Freiberg) 1530 .
Koblanck (Berlin) 1185.
Knuth (Landsberg) 1402.
Kobrak (Berlin) 1121. 1262.
Koch (Berlin) 1397.
Koch, J (Berlin) 4066. 1096.
Koch, W. (Berlin) 673- 1623
Koch, R. (Frankfurt a.M.) 92 S.
Koch (Köln) 788. 1088.
Kock, F. (Freiburg) 1226.
Köhler 603.
Köhler, A. (Berlin) 1660*
Köhler, F. (Köln) 1181.
Köhler, O. (Leipzig) 145. 1266
Kölsch (München) 1629 .
Köllner ( m ürzburg) 1156.
König (Königsberg) 308. 714.
1065.
’- önig, W. (Wien) 1534.
K nig, F.(ü ürzburg) 719.1629.
König r, H. (Erlangen) 1669.
Königsfeld (Freiburg) 542.
Königswieser, A. (Wien) 1124.
Koepchen, A. (Gladbeck) 1071.
Koeppe (Halle) 11 24. 1150 .
Körner, O. (Rostock) 1430.
Körte, W. (Berlin) 784.
Köster, K. (Elberfeld) 863.
Köthe, F. (Leipzig) 191.
Kötschau (Szillen) 1044.
Kogerer, H. (Wien) 1300 .
Kohlmann (Leipzig) 650. 790 .
Kohlrausch, W. (Berlin) 623.
1531.
Kohn, A. (Prag) 1666 .
Kolieb, S. (Wien) 432 .
Kolle.W. (Frankfurt a.M.) 17.
106 . 243. 705 . 1066 . 1301.
Koller-Aeby (Winterthur) 978.
Kolthoff, J. M. (Utrecht) 782 .
Komiya, E. (Tokio) 591.
Konjetzny (Kiel) 47 . 855-
Kontschalowsky, M. (Moskau)
722.
Kopsch, F. (Berlin) 987.
Kornfeld, F. (Snine) 1444.
Korschelt, E. (Marburg) 1255
Kossel, A. < Heidelberg) 1530.
Kott, B. (Danzig) 1042.
Kotzenberg (Hamburg) 681 .
715 . 846.
Kovjantf, R. 94.
Kowalski, W. (Nordenham)
1210.
kowarschik (Wien) 536.
Kowitz (Hamburg) 472. 853
I 665
Kraepelin, E. (München) 74.
Kraffczyk (Breslau) 11 53-
Kraft, J. (Wien) 302 . 440.
Kramer (Berlin) 308.132 7.1397-
Krasemann, E. (Rostock) 744.
1733.
Kratter, J. (Graz) 372.
k ratzeisen 565.
Kraul, L. (Wien) 246. 1534.
Kraupa (Teplitz) 1156 .
Kraus, A. (Prag) 1498 .
Kraus, F. (Berlin) 5. 1627.
Kraus, R. (San Paolo) 1292 .
Krause (Berlin) 507 .
Krause, R. (Berlin) 641.
Krause, P. (Bonn) 81 . 319.
790. 1084. 1715.
Krause, E. (München) 755-
Krause, W. (Reval) 1105.
Krautwig (Köln) 822. 1401 .
Digitized by »oie
Original from
CORNELL UNÜVERSm 1
XLVII
Krebs, G. (Hildesheim) 898.
webs, G. (Leipzig) 158.
weck* (München) 4 S.
Krehl,L (Heidelberg) 399.1115.
Kreidl, A. (Wien) 246.
Kretschmer. E. (Tübingen) 95.
673.
Kreuzfuchs, S. (Wien) 1072.
Kriegei, F. (Berlin) 1631.
Krisch (Greifswald) 1223. 1324.
Kritzler (Erbach) 866. 1028.
1421. 1726.
Krömecke, F. (Münster i. W.)
1112 .
Kroetz (Halle) 887.
Kromyer (Berlin) 686.
Frl Kromayer, G. (Berlin) 526.
Krön, J. (Moskau) 975.
Kronenberg (Solingen) 1090.
Kronfeld, A. (Berlin) 970.1255-
1261.
Kronfeld, R. (Wien) 82. 1150.
v. Krüdener (Riga) 1156.
Knimmacher.O.(Münster) 1118.
Kubik (Prag) 995- 1124. 1400.
1666 .
Kuczynski (Berlin) 1663.
Kühne (Berljn) 613-
Kulbs, F. (Köln) 439. 717. 887.
913.
Kümmel, W. 1526.
Kümmel!, H. (Hamburg) 855-
Kömmell, R. (Hamburg) 209.
342. 1223. 1534.
Küppers. E. (Freiburg) 407-
Küster, E. (Gießen) 465-
Küstner. H. (Breslau) 1340.
164«.
WÄi\\.neT, H: (Breslau) 370 . 412.
715- 1122. 1184. 1481.
K agier, E. (Gmunden) 568.
Kuh, R. (Prag) 376. 1400.
Kuhle, J. (Danzig) 293.
Kuhn (Dresden) 1066.
Kulenkampff (Zwickau) 438.
961. 1156.
Kundratitz (Wien) 246.
Kunowski (Zehlendorf) 906.
Kuntre (Dresden) 146.
Kurtzahn (Königsberg) 308.
648. 930. 960. 1368.
Kutschera, E. (Wien) 1300.
Köttner, L. (Berlin) 1450.
1604. 1637. 1704. 1727.
Kyaw (Dresden) 902.
Kyrie, J. (Wien) 274.
L.
Landauer (Berlin) 1691 -
Landeis F. (Berlin) 492.
Landsberger, J. (Berlin) 168.
Lange. B. (Berlin) 248. 350.
1000.
Lange, L. (Berlin) 1066.
Lange (Bonn) 1089-
Lange, F. (München) 1085.
Lange, E. (Sommerfeld) 248.
Langendorff, F. J. (Berlin) 290.
Langer, E. (Berlin) 1168.
Langer, H. (Charlottenburg)
588. 1343.
Langstein (B.rlin) 1663-
Laqaeur, A. (Berlin) 674. 880.
Lasker, W. (Bonn) 1369 •
LassarCohn (Königsberg) 95.
Lauber (Wien) 1430.
Lauche (Bonn) 1331*
Laudenheimer (Alsbach) 887-
v. Laue (Berlin) 1464-
Lauter. L. (Buch)
Lazarus, A- { Berlin ) 4427-
Lazarus. P- (Berlin) 451. 477.
Le Blanc 788 .
Lehsche 122. 149.
LeJderhose, G. (München) 489.
527. 562. 596. 633 664. 698.
733. 807. 841.870.943.1013.
1049. 1111. 1141. 1175.
Lederer, M. (Prag) 1401.
Lederer, R. (Wien) 245-
Leege, C. 0. (Jena) 1615.
Legge, Tb. M. 142.
Lehmann, R. (Düsseldorf) 1256.
Lehndorff, H. (Wien) 1300.
1625.
Leicher (Frankfurt a. M.) 887.
1090-
Leichsenring (Hamburg) 1223.
1370.
Leiner (Wien) 246.
Leitner (Danzig) 1568.
Leitner, K. (Wien) 1300.
Lenn6 (Neuenahr) 1310.
Lennhof, G. (Berlin) 1434.
Lennhoff, R. (Berlin) 822. 954.
Lenz (Breslau) 1156.
Lenz, F. (München) 237. 1465-
Lenzmann (Duisburg) 356.
Leo. H. (Bonn) 155. 377.
Leonhard, Fr. 1453. 1487.
Leonhartsberger (Wien) 245.
Lepehne (Königsberg) 541.712.
1606.
Leschke, E. (Berlin) 258. 853-
959. 1338.
Leven (Elberfeld) 231. 270.
1209.
Levinsohn (Berlin) 340. 1121.
Levinthal (Berlin) 1066.
Levi, J. (Berlin) 1578.
Levy, E. (Essen) 223. 900.
Levy-Dom, M. (Berlin) 348.
848. 888.
Levy-Lenz (Berlin) 588.
Levy-Suhl (Berlin) 1317. 1687.
Lewin, C. (Berlin) 959.
Lewin, K. (Berlin) 1181.
Lewin, L. (Berlin) 881.
Lewy, F. H. (Berlin) 79. 854.
1261. 1663-
Lexer (Freiburg) 144. 370. 679-
1435- 1464.
Lexer, E. (Wien) 995-
Leyser, E. (Gießen) 1600.
Lichterfeld (Hohenmölsen) 801.
Lichtwitz (Hamburg) 508. 712.
1193-
v. Liebermann, Th. (Budapest)
905.
Liebermeister (Bonn) 1331 -
1369
Liebermeister, G. (Düren) 574.
1547.
Liebers, M. (Jena) 936.
Liegner, B. (Breslau) 424.1153-
Liek, E. (Danzig) 192.
Liepmann, W. (Berlin) 30. 69.
96. 130. 164. 195. 209. 234.
262. 296. 324. 1149- 1462.
Liesegang,R.E.(Frankfurta.M.)
915-
Lieck (Königsberg) 1328.
Undemann, W. 538.
Lindig, P. (Freiburg) 765. 1226.
Llngenberg,E.(Kissingen) 1255.
Link (Königsberg) 1090.
Linzenmeier', G.‘ (Kiel) 1023.
1565.
Lion, H. (Frankfurt a. M.) 255.
Lippmann, H. (Berlin) 1495.
Lippmann (Hamburg) 1026.
, Lipschitz, F. (Berlin) 1286.
Lipschütz, A. (Dorpat) 320.
Lipschütz (Frankfurt a. M.) 886.
Littauer (Berlin) 1434.
Lobe, A. (Leipzig) 1686.
Loeffler, F. (Halle) 467- 6S1.
Löffler, E. (Wien) 1124. -
Löhlein, W. (Greifswald) 1408.
Lohr, H. (Kiel) 819.
Löhr, W. (Kiel) 388. ?14.
Loening, K. (Halle) 217.
INHALTSVERZEICHNIS
Loeser (Berlin) 853.
Loewe (Leipzig) 1531 -
Löwenfeld, L. (München) 1218.
Löwenstein (Prag) 1124 .
Loewy. A. (Berlin) 854.
Löwy, M. (Wien) 1666.
Loewy, O. (Wien) 82.
Löwy-Hattendorf (Berlin) 46
Lohaus (Berlin) 1151.
Lorant, S- (Prag) 853-
Lorenz (Hamburg) 1193- 1332.
Lorenzen (Hamburg) 171.
Lorey (Hamburg) 790. 1066.
Lossen (Frankfurt a. M:) 789.
790. 888.
Lotsch (Berlin) 111. 714. 961.
1723.
Lubarsch (Berlin) 787. 1025.
Luce (Hamburg) 1193. 1370.
Lucksch (Prag) 246.
Ludovici, A. 237.
Lübbert (Hamburg) 813.
Lübke (Berlin) 275. 905.
Lüdke (Würzburg) 810. 1557.
1711-
Lührs (Berlin) 1531.
Luithlen, F. (Wien) 74.
Lurz, R. (Bad Nauheim) 1557.
1586. 1620. 1652.
M.
Maas (Berlin) 1532.
Maase, C. (Berlin) 405.
Maass, H. (Berlin) 885-
Mackenrodt (Berlin) 307- 1597.
Maes, U. (Rendsburg) 1562.
Magnus (Jena) 756. 1124.
Magnus* Alsleben, E.. (Würz¬
burg) 1370.
Mahlo (Hamburg) 1051.
Makai, E. (Budapest) 257. 680.
Mamlock, G. (Berlin) 742.
Manasse (Würzburg) 1089-
Mandel, J. A. (New York) 536.
Mandelbaum (München) 1066.
Mandl, F. (Wien) 1280.
Mangold (Freiburg) 1155.
Mann, L. 848.
Mann (Paderborn) 1027.
Manninger (Budapest) 715-
Man teuf el (Dahlen) 1066.1.402.
Mantz, J. (München) 418.
Marbe (Würzburg) 1498.
Marchand (Leipzig) 48. 399-
949. 1242.
Marcuse, M. (Berlin) 1171.
Marek, J. (Budapest) 1147.
Markert, H. J. (Würzburg)
1672.
Markovits, E. (Wien) 459.
Marr (Elberfeld) 624.
Marschik, H. (Wien) 82.1090.
Martenstein( Breslau) 179-1692.
Martin, A. (Bad Nauheim) 1391.
Martin, E. (Elberfeld) 1027.
Martin (Köln) 886.
Martini (München) 928.
Martius (Bonn) 977. 1148.
Marx (Heidelberg) 1090.
Marx (Prag) 1498.
Mathias (Breslau) 275- 1467.
Matthaei, R. (Bonn) 103. 1164.
1198.
Matthes (Königsberg) 341.542.
1146.
Mau (Kiel) 1329.
Mauelshagen. F. (Bonn) 1282.
Maurer, F. (Jena) 1080.
Mayer 1028.
Mayer, M. 1402.
Mayer (Charlottenburg) 821.
Mayer, M. (Hamburg) 1335.
Mayer, P. (Karlsbad) 827.
Mayr, F. X. (Karlsbad) 744.
Mayrhofer, B. (Innsbruck) 502.
1625.
Meesmann (Berlin) 340. 1124.
1328.
Meggendorfer (Hamburg) 309.
1665-
Meier, Kl. (München) 61.
Meinicke, E. (Ambrock) 219.
384. 1132.
Meirowsky (Köln) 276. 474.
Meisen he imer, J. (Leipzig) 879.
1464.
Meisner (Berlin) 647. 1155-
Meissner (Breslau) 1153-
Melchior (Breslau) 1398.
Mellanby, E. (London) 646.
Mendel, B. (Berlin) 829. 1441.
Mendel, F. (Essen) 896.
Mendl, A. (Wien) 82.
Menk 1402.
Menzel, K. (Wien) 1124.
Messerschmidt, Th. (Hannover)
260.
Metzger, J. A. (Los Angeles)
1593-
Meyer, A. W. (Berlin) 1221.
1222.
Meyer, F. (Berlin) 1734.
Meyer, F. G. (Berlin) 1012.
Meyer, F. M. (Berlin) 160.
Meyer, L. F. (Berlin) 682.
Frl. Meyer, CI. (Halle) 887.
Meyer, N. (Hamburg) 1400.
Meyer, E. (Königsberg) 309.
341.
Meyer, E. (Magdeburg) 934.
Meyer, A. (Marburg) 73-
Meyer, H. H. (Wien) 1243.
Meyer. M. (Würzburg) 510.
Meyer, O. B. (Würzburg) 212.
Meyer, S. 954.
Michaelis, L. (Berlin) 252. 953-
1269. 1491.
Miesbach, E. (München) 657.
Miessner (Hannover) 1066.
v. Mikulicz, J. 1526.
v. Mikulicz- Radecki (Kiel) 1192.
1565-
Mikus (Breslau) 1122.
v. Miller (München) 711.
Milner (Leipzig) 1665.
Mingazzim,G.(Rom)9l5.1600.
Minkowski, O. (Breslau) 179-
475.
Minnigerode (Berlin) 1434.
Minor (Moskau) 648.
Mintz (Riga) 975.
Misch, J. (Berlin) 746.
Mittenzwei (Oberschlema) 544.
Miyadera (Tokio) 252. 313.
Mobitz (München) 789-
Mock, F. (Bad Nauheim) I486.
Modelsee (Prag) 995-
Moehlis (Breslau) 1122.
Möller, B. (Berlin) 925.
Möller, M. (Berlin) 129.
Möller, S. (Hamburg) 595.
Möiler (Peine) 161.
Moewes, C. (Berlin) 588.
Mokrzycki, G. (Bromberg) 1561.
Moll, A. (Berlin) 204.
Moll, L. (Wien) 1300.
Momburg, F. (Bielefeld) ^95.
Moncaips (München) 711-
deMontet,Ch. (Lausanne) 1083.
Morgan, Th. H.(New York) 105.
Morgenroih (Berlin) 45. 1066.
Morgenroth (München) 1401.
Mosse (Berlin) 959.
Moszkowicz, L. (Wien) 1534.
Much, H. (Hamburg) 407.1182.
Müpge (Eisleben) 1156.
Mühlens 1402. .
Mühsam, R* CBetlin) 1341 . 1 367.
169t.’
MütW 681.
MÜIWV ^er\\n) 229 . 252.
Uö «*• WW. HM-
9®V. VUltagtn) 711.
Müller, E. F. (Hamburg) 928.
Müller, R. (Köln) 1468.
Müller (Marburg) 962. 1569.
Mueller, A. (München) 798.
1316.
v. Müller, F. (München) 48.
513. 545.
Müller, O.(Recklinghausen)803.
Müller, P. F. (Ulm) 589.
Müller-Freienfels,R. (Berlin) 37
Münch (Göppingen) 1156.
Münzer (Prag) 1400.
Mulzer, P. 1058.
Munk, F. (Berlin) 239.
N.
Nägeli 604.
Naegeli, Th. (Bonn) 993-
Natgelsbuch (Freiburg) 1599.
Nagel, V. (Halle) 835.
Nagelschmidt (Berlin) 177.
1118.
Naswitis, K. (Berlin) 187. 1441.
Nathan (Berlin) 1495.
Naujoks (Königsberg) 1087.
Naunyn, B. (Baden-Baden)
1244.
Nauwerck, E. (Chemnitz) 301.
zur Nedden (Düsseldorf) 1156.
Nernst, W. (Berlin) 1529.
Nettesheim, W. (Köln) 1468.
Neuberg, C. (Berlin) 1529.
Neuburger, M. (Wien) 743-
Neuda, P. (Wien) 1124.
Neudert (Prag) 1266.
Neufeld, F. (Berlin) 51. 68^.
1066. 1252.
Neuhaus, K. (Düsseldorf) 1413.
Neuhaus (Greifswald) 1223.
Neukirch, P. (Düsseldorf) 789.
1413.
Neumaier (München) 1090.
Neumann, R. O. (Bonn) 1463.
Neumann (Hamburg) 1332.
Neumann,E.(Neumünster)868.
Neumann (Wien) 1089.
Neumann-Spengel (Schwan¬
heim) 1727.
Neupert (Berlin) 1221. 1222.
Neurath, R. (Wien) 246. 440.
Neuschloß (Frankfurt a.M.)854.
Neuwirth, K. (Wien) 1534.
Nick (Berlin) 888. 1191.
Nieden (Hamburg) 209.
Nieden (Jena) 962.
v. Niedner (Salzbrunn) 544.
Niemeyer (Köln) 1629.
Niemy, C. 538.
Nieschulz, O. (Utrecht) 1402.
Niklas, F. (Bochum) 1154.
Nippe (Greifswald) 522.
Nishikawa (Tokio) 1067.
Nissl v. Mayendorf (Leipzig)
1088 .
Nixdorf, W. 674.
Noeggerath (Freiburg) 1599-
Noesske, H. (Kiel) 1325.
Noether (Freiburg) 1598.
Nötzel (Saarbrücken) 756.
Nonne (Hamburg) 342. 1223.
Nonnenbruch (Würzbuig) 183.
819
v. Noorden, C.( Frankfurt a.M.)
1084.
Nordmann (Berlin) 1433.
Nothmann (Berlin) 927.
Nothmann (Breslau) 788.
Nowak (Wien) 1156.
Nürnberger, L. (Hamburg) 354.
711. 1026.
Nußbaum, A. (Bonn) 993.
°.
1 Oberndorfer, S. (München) 847.
1 Ochsenius, K. (Chemnitz) 1726.
I Oeckinghaus, W. (Greifswald)
‘ 1192 .
Digitized by CjCk »oie
Original from
CORNELL UNfVERSSTy
XLVIII
Oe der, G. (Niederlößnitz) 126.
Oehlecker (Hamburg) 407. 508.
929.
Oehler, R. (Frankfurt a.M.) 456.
Gehirn (Bonn) 277. 819.
Oelze, F. W. (Leipzig) 1021.
Oertel, O. (Kö.n) 269- 1264.
Offenbacher (Förth) 756. 1677.
v. Ohlen 1069.
O.im (Bottiop) 1156.
Oloff (Kiel) 925 . 1156.
O.pp (Tübingen) 1402.
Oit (Gießen) 1194.
Omankowski, F. (Danzig) 428.
Opitz 1027.
Opitz, K. (Berlin) 78.
Opitz, H. (Breslau) 87.
Oppnheim, A. (Wien) 1300.
Oppenheim, M. (Wien) 1689-
' 1732.
Oppenheimer, C. (München)
1711 .
Orgler (Berlin) 1008. 1037.
Orlowski, P. (Berlin) 334.
Orth, J. (Berlin) 1437.
Ortner, N. (Wien) 604.
v. Ostertag (Stuttgart) 1531.
Ostwal J,W. (Großbothen) 1237.
1529. 1530.
Oswald (Kiel) 1597-
Octen (Magdeburg) 790.
Otto, R. (Berlin) 383.
Overzier (Köln) 1224.
P.
Paderstein (Berlin) 340.
Pietsch (Bielefeld) 1177. 1353.
Palfrey, F. W. 1562 .
Palugyay (Wien) 790.
Paniperl (Prag) 1266.
Panse, R. (Dresden) 1058.
Pappenheim, M. (Wien) 1666.
Pareidt, J. (Leipzig) 371.
Pariser, C. (Woltersdorf) 1384.
Paschen (Hamburg) 1370.
Paseheff (Sofia) 11 56 .
Patschkowski (Bochum) 1399.
Paul, F. (Wien) 89. 1648.
Paulsen (Kiel) 682.
Payr (Leipzig) 61 3 . 715.1264.
1567. 1572.
Peemö.ler (Hamburg) 209.
690. 1205.
Peiser (Berlin) 1466. 1702.
Peltason, F. (Würzburg) 721.
Penzoldt, F. (Erlangen) 138 .
Pesch, K. L. (Köln) 1468 r
Peter (Greifswald) 1192.
Petersen, H. (Heidelberg) 1181.
Petrin (Lund) 854.
Petronievics, B 1357.
Petruschky (Danzig) 1568 .
Pette (Hamburg) 1223-
Petzei, W. (B rlin) 231.
Pfalz, W. (Denklingen) 1647.
Pfänner (Innsbruck) 962.
Pfeifer, B. (Halle) 1600 . ;
Pfeifer (Leipzig) 1264.
Pfeiffer, E. (Budapest) 660.
Pflanz (Marienbad) 543-
Pfleiderer (Ulm) 1678. 1679.
Pflü'er, H. (Hamburg) 1224.
v. Pflugk (Dresden) 1155-
Pick. L. (Berlin) 1495- 1532.
Pick (Königsberg) 1692 .
Pick, A. (Prag) 1492.
Pick, F. (Prag) 1498.
Pickler, J. (Budapest) 915-
Pilcz, A. (Wien) 954.
Pincussen, L. (B.riin) 1074.
1321. 1443. 1531.
Pinfcts (Berlin) 1368 .
Pinner, M. 1020.
Piorkowski G (Berlin)69.1 5 31.
Pirquet, C. (Wien) 1661 .
Placzek,S. (Berlin) 1257 . 1561 .
Plate (Hamburg) 171 .
INHALTSVERZEICHNIS
Piate, L. (Jena) 533.
Frl. Plaut, R. (Hamburg) 1413.
P.enz, P. G. (Beilin) 1137.
Plesch (Berlin) 887 .
Pletnew, D. D. (Moskau) 1678.
Poelchau (Berlin) 209 .
Poensgen (Bochum) 1329 .
Pötzl (Prag) 1089-
P<-hle (Frankfurt a. M.) 886.
Pohlhch (Berlin) 46.
Pohlmann (Leipzig) 888.
Pokahr (Königsberg) 959.
Pokomy (Prag) 1401.
Polano, 0. (München) 744.
.1028.
Poleff, L. (Kiew) 1422.
Polis (Aachen) 544.
Poll (Berlin) 46. 1327.
Pollak-Rudin 1083 . 1357.
Pollyak (Budapest) 1090.
Pophal (Greifswald) 244. 1436.
P< ppen (Wien) 1090.
Popper, E. (Prag) 616 .
Porges, O. (Wien) 1666 .
Pospischill, D. (Wien) 436 .
Pototzky, C. (Berlin) 730.
Potter, J. W. (New York) 1 595-
Prausnitz, G. (Breslau) 1066.
1468. 1533.
Prezsing (Köln) 277- 1090.
Pribram (Berlin) 885.
Pribram, E. (G eßen) 575.
Pribram, H. (Prag) 246. 1031.
Prinzhorn (Heidelberg) 1226.
1322.
Prinzing, F. (Ulm) 166. 549.
1390.
Prinzing, W. 1618.
Proebsting (Freiburg) 616 .
1568 .
Puckner, W. A. 1352.
Pütter, A. (Bonn) 276 .
Puhl (Freiburg) 278.
Pulay, E. (Wien) 223.
Puppe (Berlin) 1628 .
Pust (Jena) 756.
Q.
Quarck, M. (Berlin) 174.
Quirin (Zwickau) 1447..
R.
Rabe (Hamburg) 712 .
Rabinowitsch-Kempner, L.
(Berlin) 379. 1501.
Rach, E. (Wien) 174.
Raecke, J. (Frankfurt a. M.)
1183.
Raether (Bonn) 277. 993.
Rahn (Breslau) 1566 .
Rau (Köln) 920.
Raulmann, H. (Freiburg) 497.
1504. •
Rave, W. (Berlin) 682.
v. Redwitz (Heidelberg) 1566 .
v. Redwitz (Würzung) 576.
Reh (Frankfurt a.M.) 692.
Rehn (Freiburg) 855 962.
Reich (Bochum) 1435-
Reichardt, M. (Würzburg) 502.
Reichert (Berlin) 1445.
Reichert, F. (Burg) 1215.
Reichert, L. (Plauen) 1102.
Reichle (Breslau) 1153.
Reichmann (Bochum) 180.
Reinhard-Eichelbaum (Berlin)
804.
Reiß, E. (Frankfurt a. M.) 712.
928 .
Remy, F. (Freiburg) 793.
Reschke (Greifswald) 885 . 962.
Rethi (Budapest) 1090.
Retzlaff (Berlin) 711.
Reye (Hamburg) 1400.
Richter, J. (Annen) 509 .
Richter, P. F. (Berlin) 543-
Richter, W. (Berlin) 1313.
Richter, Ei (Hamburg) 348.
Rickmann, L. (S . B'asien) 284.
Rieael, F. (Gera) 1075.
Rieder, H. (München) 1427.
Riediger (Königsberg) 1087-
Riehm (Rastatt) 287.
Rieß (Benin) 1368 .
Riesser (Greifswald) 1192.
Rille, J. H. (Leipzig) 1689 .
Rindfleisch, W. (Dortmund)
279.
Rinufleisch (Weimar) 1155 .
Risel (Leipzig) 1266 .
Ritter (Zü i:h) 756 .
Rorhow, G. (Chemnitz) 1075.
Röder, F. (Wien) 1666 .
Römer (Hamburg) 1263-1370.
Röpke, W. (Barmen) 899.
Roepke (Melsungen) 1393-
Roesle, E. (Berlin) 873.
Roesner (Breslau) 614 .
Roffenstein, G. (Wien) 953.
Rohleder,H.(Leipzig) 73-1147.
v. Rohr (Jena) 1124.
Rohr, F. (Wilhelmshöhe) 1579.
Rolly (Leipzig) 650 .
v. Romberg (München) 821.
Romeis, B, (München) 1256 .
Rosei bäum (Leipzig) 1266.
Rosenberg, H. (Freiburg) 1659*
Rosenberg, W. (Leipzig) 16 S 6 .
Rosenberger (B.riin) 959.
Rosenreld (Breslau) 1152 . 1467 .
1664.
Rosenfeld, S. (Wien) 304. 372.
Rosenow (Königsberg) 541.
Rosenstein, P (Berlin) 471 . 681 .
Rosenthal, H. (Berlin) 209.
Rosenthzfl, F. (Breslau) 712 .
1566 .
Rosenthal, J. (München) 1427.
Rosinski (Königsberg) 649.
Rost (Freiburg j 1598 .
Rost (Heidelberg) 576. 681 .
Roth, A. 920 .
Roth, N. (Budapest) 1207.
Roth, M. (Oldenburg) 1053.
Rothbart, L. (Budapest) 1485.
Rother (Berlin) 755.
Rothmann, M. (Elbing) 936.
Rothmann (Gießen) 439.
Rott (Berlin) 910.
Rotter 1028.
Roubitschek, R. (Karlsbad) 250.
Roux, W. (Halle) 1232.
Rowe, Ch. (Görbersdorf) 900.
Ruber, M. (Beilin) 1395-
Rubner, M. (Berlin) 1561 .
Rubsamen (Dresden) 821.
Rühle (Leipzig) 1265.
Rülf (Bonn) 1330.
Rüscher, E. (Kuxhaven) 221.
Rüsing (Recklinghausen) 555.
Rumpel (Berlin) 1152 . 1367.
Rumpf, Th. (Bonn) 1716 .
Rund (Dresden) 145.
Runge, E. (Berlin) 156. 303 .
Runge (Kiel) 210.
Rupprecht (Leipzig) 145-1265.
Russ, V. (Wien) 818 .
Russmann (Freiburg) 616 .1568.
Ruttin (Wien) 1090 .
Ruzicka, V. (Prag) 809. 931.
1528.
S.
Sabalitschka, Th. (Berlin) 1582.
Sachs (Berlin) 647. 959. 1663.
Sachs, H. (Heidelberg) 891.
Sacki, F. (Dresden) 1276.
Sadger, J. (Wien) 536.
Sänger, A. 607 .
Salomon, W. (Berlin) 1614.
Salpeter. J. JWien) 203*
Salzer, F. (München) 1665 .
Samson, J. W. (B rl»n) 38.
Samson, G. (Hamburg) 524.
Samter (Königsberg) 1368.
Samuel, M. (Köln) 438.
Sanders, H. Th. (Lüdenscheid)
1732.
Sano (Freiburg) 616 .
Sattler (Königsberg) 649 .1531
Sau^rbruch, F. (München) 83.
122. 149. 439. 616. 714.
Schaber (München) 71 1 .
Schade (KU) 819 . 1529 .
Schaedel (Hamburg) 2c9.
Schäfer (Berlin) 178.753. 1027 .
Schaefer, C. (Görlitz) 1380.
Schäfer, P. (vjrfenburi) 1006.
Schäffer, H. (B eslau) 789 .
Schär, O. (Zürich) 1594.
Schaifer. J. (Wien) 1491.
Schalk; H. (Falkenberg) 1415.
Schall, H. (Königsfeld) 817 .
Schanz (Dresden) 962. 1121.
1156. 1531-
Scharl, M. (Wien) 1600 .
Scheel, K. (Berlin) 95.
Scheerer (Tübingen) 1156.
Scheidt (München) 189.
Schekher, R. (Dresden) 146.
Schellenberg, G. (Rupperts
hain) 487.
Scheller (Breslau) 1628.
Schenk, P. (Marburg) 854 .
Schereschewsky.J.(Berlin) 526.
1508.
Schieck (Halle) 1124.
Schiff (Berlin) 339. 651.
Schilder (Wien) 1054. 1124.
Schiller (Breslau) 1398 .
Schiller, R. (Würzburg) 1307.
Schilling, R. 1551.
Schilling.C. (B.riin) 737. 1337.
Schilling. V. (Berlin) 406. 754.
764. 904. 1218 . 1402. 1495.
Schilling, E. (Chemnitz) 290.
Schilling (Freiberg) 1090.
Schindler, R. (München) 310.
Schinz, H. R. (Zürich) 401.
Schirokauer, H. (Berlin) 517.
1034.
Schittenhelm, A. (Kiel) 60.
1066 . 1322 . 1329 .
Schlagint weit, E. (München)
251, 615 .
Schlayer (Berlin) 544. 1191.
1711-
Schlesinger (Berlin) 790.
Schlesinger, E. (Berlin) 522.
Schlesinger (Breslau) 1122.
Schlesinger, H. (Wien) l6c,0.
S.hesinger (Wiesbaden) 696.
Schliik (Kiel) 1464. 1561 .
Schkeßmann (Bochum) 244.
1330.
Schloff er (Prag) 616. 1401.
1498. 1716.
Schlomer, G. (Berlin) 675-
Schoßbergtr, H. (Frankfurt
a. M.) 1001. 1066 .
Schloßmann, A. (Düsseldorf)
946.
Schmid, H. H. (Prag) 886
Schmidt, W. (Barmen) 1615.
Schmidt, H. E. (Beilin) 171.
Schmidt, P. (Berlin) 1Ö24.
tri. Schmidt, K. (Hamburg)
1224.
Schmidt, H. (Jena) 137.
Schmidt, L. (PMyan) 461. 544.
Schmidt, H. H. (Prag) 246.
1400.
Schmidt, F. (Zwickau) 800.
Schmilinsky (Hamburg) 209 .
472. 1311.
Schmitt, W. (Leipzig) 1607.
Sei m.tt, W. (Würzburg) 510.
Schmitz- P feiffer (Hamburg)
* 209 .
Schmoeger (Leipzig) 650.
Schnabel, A. (B -rlin) 654.1066.
Schnee, A. 432.
Schneider, C. (Biückenau) 228.
Schneider (München) 1156 .
Schnell, W. (Halle) 1494, .
Schneller (B.eslau) 275.
Schnürer (Wien) ic66.
Schob (Dresden) 144.
Schober (Wildbad) 543. 556.
Schoen, H. (Carhfeiu) 773.
Schönbauer, J. (Wien) 905 .
1666 .
Schoenborn, S. (Remscheid)
1432.
Schönemann (Bern) 1090 .
Schönfeld (Greifswald) 1436.
Schönhof (Piac) 510. 1123 .
Schönlank (Zürich) 1C9$.
Schölten, G. C. J. (München)
1359.
Scholtz. W. (Königsberg) 1443.
Scholz, L. (Bremen) 1689 .
SLhouger, J. W. (Erlangen) 378.
Schorer 928.
Schorsch, E. (Berlin) 1189 .
Schott (Köln) 887 . 1627 .
Schottmüller, H. (H imburg)
181. 788. 1370. 1474.
Schramm (Berlin) 714.
Schreiber, H. (Berlin) 1337.
Schreiber, K. (Dresden) 1313.
Schreus, H. Th. (Bonn) 710 .
1369. 1393.
Schreyer (Breslau) 1153 .
Schridde 604.
Schroeder, E. (Königsberg)
1568.
Schröder, G. (Schömberg) 1428.
Schrötter, H. (Wien) 995.
v. Schubert (Berlin) 1297.
Schubert (Königsberg) 649.
821.
Schubert (Prag) 246.
Schuchmann (Gießen) 1629 .
Scl.ück (Berlin) 714.
Schiiffner (Leipzig) 1497.
Schüffner (Mcdan-Deli) 140t.
Schule, A. (Freiburg) 1517.
Schüller, J. (Freiburg) 1598 .
Schüller, A. (Wien) 245.
Schürer,J. (Mülheim a. R.) 593.
928.
Sei ürmann, W. (Gießen) 1058.
Sei ürmeyer (Kiel) 47.
Sclücz, F. (Kiel) 1144.
Schüize.J. (Berlin) 2 J 9 . 1314.
Schulhof, F. 1357 .
Schulhoff (Berlin) 888.
Schulte (Recklinghausen) 555.
Schulte-Tigees, H. (Honnef)
1020. 1203.
Schultz, W. (Berlin) 1495-
Schultz, O. (Bonn) 819 .
Schultz, J. H. (Jena) 782.
Schultz, A. (Kiel) 926.
Sci.ultze, E. (Marienburg) 839.
Schultze, O. (Würzburg) 1459-
Schulz (Berlin) 1532.
Schulz (Breslau) 1153.
Schulz, F. N. (Jena) 1291.
Schulze (Heidelberg) 1263.
Schumacher (Berlin) 177 .
Schuscik, O. (Win) 1300 .
Schuster (Berlin) 373. 1368 .
Frl. Schuster, E. (Königsberg)
1003.
Schwa be.J. (Berlin) 363. 430.
606. 710. 784. 881. 1084.
1254. 1494. 1525. 1563
1616.
Schwarz, E. (Frankfurt a. M.)
716.
Schwarz (Langendreer) 1399-
Schwa» zwald, Th. (Wien) 246.
Schwermann (Schömberg)
1127.
Schweisheimer, W. (München)
603 .
Schweitzer, A. (Straßburg)
1659-
Difitized by
OrigrrBttrom
CORNELL UNSVERSSTY
INHALTSVERZEICHNIS
FrI w S 2 Chwenke » J * (Düsseldorf)
(Berlin) 1151 .
Seelert (Berlin) 46.
Setliger (Breslau) 180 .
Seeliger (Freibürg) 1226 .
Seeling, O. 916 .
v.Seggem (Kiel) 1597 .
Seidel (Heidelberg) 1124 .
Seifert, E. (Würzburg) 608 . 681 .
137a
Seiffert (Berlin) 112. 1090 .
Seiffert, W. (Marburg) 1066 .
Seiffert (München) 1629 .
Seitz,L. (Frankfurt a. M.) 345.
716.
Seitz (Gießen) 575.
Seitz (Leipzig) 1066 .
Selberg (Berlin) 275-
Seligmann, S. (Hamburg) 535.
SeUheim 1028 .
Selter. H. (Königsberg) 54. 686 .
1066. 1195. 1465.
Semenow, S. S. (Stara Zagora)
94. 1387.
Send (Coblenz) 1119.
Severin (Breslau) 614.
Seyfarth (Leipzig) 1402.
Sick, K. (Stuttgart) 81 4.
Sickinger (Freiburg) 1226.
Siebelt (Flinsberg) 544.
Sieben, H. (Bürstadt) 357.
Siebrecht, H. (Berlin) 481.
Siedamgrotzky (Berlin) 111 .
Siedentopf (Jena) 1124.
Siefart (Berlin) 471.
Sie gm und (Köln) 615.
SvemeTling (Kiel) 210. 925.
Silberstein (Königsberg) 1064.
Simon, F. (Berlin) 259. 1478.
Simon, W. V. 567.
Simons (Berlin) 1397-
Simpson, F. E. (Chicago) 11 19 .
Singer,G. (Wien) 162.193. 712 .
Sippel, A. (Frankfurt a. M.)
1292.
Sittig (Prag) 1123 .
Sklarz, E. (Berlin) 1538.
v. Skramlik, E. (Freiburg)
1567 .
Skutetzky (Prag) 886.
Slawik (Prag) 1716 .
Smechula (Hannover) 1140.
Snapper, J. (Amsterdam) 619.
Sobernheim, G. (Bern) 608.
Sobotta (Bonn) 705. I 088 .
1657.
Sobotta (Braunschweig) 1797.
Sohn (Leipzig) 650.
Sommer, R. (Gießen) 1291 .
Sommer (Greifswald) 47. 885 .
1222 .
Sonntag (Leipzig) 1993. 1265-
Sopp, A. (Frankfurt a. M.)
1624.
Spit (Prag) 1498.
Specht (Gießen) 856.
Specht (Kiel) 1298.
Spiegel (Wien) 1090 .
Spielmeyer, W. (München)
1393.
Spinner , J. R. (Zürich) 114 7 .
Spiro (Basel) 1530.
Spitzer (Breslau) 6l4.
Spitzy (Wien) 246. 1300 .
Springer (Prag) 376 .
Staemmler, M.( Göttingen) 966.
SUhl , O. (Berlin) 314. 7 13-
Stahl, R. (Rostock) 125«
Stahr, H. (Danzig) SS 6. 1274.
Starck (Karlsruhe) 928-
Stargard (Bonn) USB.
Starken stein (Prag) 246. 414.
448. 1161. 1677.
Starker, H. (Wien) 1300 .
Stegemann, H. (Bern) 1291.
Stehr, A. (Wiesbaden) 238 .
Stein, F. W. (Töplitz-Schönau)
1600.
Stein, C. (Wien) 882.
Stein, R. 0. (Wien) 990.
Steinberg (Königsberg) 309 .
Steinbrinck, W. (Breslau) 628.
Steindorff, K. (Berlin) 1143.
1351.1389.1419.1456.1466.
Steinhardt, J. (Nürnberg) 1046.
Steinsberg (Karlsbad) 544.
Steinweg, P. (Berlin) 594.
Stekel, W. (Wien) 245.567. 815 .
995.
Stenger (Königsberg) 1328 .
Stephan, R. (Frankfurt a. M.)
282.
Stephan (Greifswald) 243 .1436.
1533.
Stepp, W. (Gießen) 755.
Stern, C. (Düsseldorf) 1353.
Stern (Wien) 1090.
Stemberg, F. (Budapest) 1207.
Sternberg, A. (Petersburg) 581.
Stemberg, C. (Wien) 440. 1090 .
Sternlhal, A. (Braunschweig)
457.
Steudel, H. (Berlin) 536.
Steuer (Darmstadt) 543.
Sticker, G. (Würzburg) 1599 .
Stieber (Danzig) 1568 .
Stieda, C. (Simmem) 1725.
Stier (Berlin) 1327.
Stier-Somlo, F. (Köln) 1564.
1588.
Stigler, R. (Wien) 675 .
Stintzing, R. (Jena) 311.
Stiskal, K. (Wien) 1562 .
Stock, W. (Tübingen) 881 .
1156.
Stoeber, Chr. (Berlin) 324.
Stöckel (Kiel) 1027 .
Stöcker, A. (Jassy) 93.
StÖhr, Ph. (Würzburg) 1255.
Stoeltzner (Halle) 822.
Stoewer (Witten) 1399.
Stolte, K. (Breslau) 1036.
Storch, A. (Tübingen) 431 .
Stoye (Halle) 1265.
Sträter (Aachen) 790.
Strandberg, 0. (Kopenhagen)
935.
Standfuß (Potsdam) 920 .
Stransky, E. (Wien) 106.
Strasser, A. (Wien) 440. 544.
Strass er, V. (Zürich) 705 .
Straßmann, F. (Berlin) 1022 .
Straßmann, G. (Berlin) 487.
Straßmann, P. (Berlin) 959.
1028.
Straub, W. (Freiburg) 791.
1598.
Straub (Greifswald) 788 . 1222.
Straub, H. (Halle) 61.
Strauch. F. W. (Halle) 712.
Strauß, H. (Berlin) 543. 546.
1438. 1603. 1719.
Strauß, O. (Berlin) 385. 416.
790. 888. 1420. 1575.
Strauß, W. (Berlin) 999.
Strauß, L. (Frankfurt a. M.) 712.
Strauß (Halle) 819 .
Streißler (Graz) 929 .
Streit (Königsberg) 648.
Strempel, R. (Bonn) 1282.
Struber (Freiburg) 1568.
Strümpell, A. (Leipzig) I. 994.
1423. 1665.
Struycken (Breda) 1090 .
Stüber (Freiburg) 616 . 819 .
Stübel (Jena) 1124.
Stühmer, A. (Freiburg) 584.
Stümpke, G. (Hannover) 804.
Stürtz (Köln) 1154.
Stukowski, J. (Breslau) 1377.
Stursberg, H. (Bonn) 80. 277 .
1369.
Stutzin, J. J. (Berlin) 357.
Sudeck, P. (Hamburg) 85. 210 .
1224.
Sudhoff, K. (Leipzig) 915- 1229.
1491.
Süpfle, K. (München) 530. I486.
Süß (Osnabrück) 1415.
Sultan, G. (Berlin) 153.
Szasz (Eudapest) 1089 . 1090 .
Szemzö, G. (Budapest) 1379.
Szili, A. (Budapest) 1278.
v. Szily (Freiburg) 408. 1156.
Szymonowicz,L.( Lemberg) 137.
T.
Takagi (Tokio) 1067.
Takeda, G. (Kagoschima) 1649.
Tallqvist (Helsingfors) 788 .
Tancrd, E. (Königsberg) 184.
Tandler, J. (Wien) 1148.
Tannenbaum, H. (Würzburg)
695.
v.Tappeiner.H.(München) 1020 .
Tarass 6 witsch (Moskau) 1296 .
Taterka (Berlin) 1368 .
Tannhauser,S.J.(München )75 5-
Taschenberg, E. W. (München)
695.
Teichmann, W. (Göttingen)
1612.
Teleky, L. (Düsseldorf) 108 .
Teschendorf, W. (Königsberg)
541. 790. 967.
Teuschert, O. (Wien) 245.
Teutschländer( Heidelberg) 439 .
Thannhauser (München) 439.
575. 711. 755.
Thedering,F. (Oldenburg) 1462.
Theys (Hamburg) 1026.
Thiele (Dresden) 132. 1143.
Thiersch, J. (Dresden) 1019 .
Thilo, K. (Rostock) 868.
Thim, J. R. (Wien) 645.
Thoenes, F. (Dortmund) 1386.
Thömer, W. (Bonn) 280. 1331.
Thoma (Freiburg) 928.
Thomas (Köln) 211 . 574. 895.
1088.
Thomas, E. (Leipzig) 688.1088.
Thoms (Berlin) 1531.
Thoring, H. (Kiel) 1192 .
Tiedje, H. (Freiburg) 673-
Tietz, L. (Königsberg) 1034.
Tietze (Breslau) 11 53- 1467.
Tigerstedt, R. (Helsingfors) 465.
Tischner, R.(München) 301. 31 3.
Többen, H. (Münster) 1188.
Todd, J. J. 1562.
Toennissen (Erlangen) 9?8.
Töpler, B. (Berlin) 92.
Treis, J. (Bonn) 1485.
Trendelenburg (Rostock) 788 .
Treplin (Hamburg) 1332.
Triepel, H. (Breslau) 1217 .
Trömner (Hamburg) 407.1065.
1332.
Tscheming, R. (Berlin) 1545.
Tschirch, A. (Jena) 1324 .
Tsuzuki, M. (Hirneji) 1511.
Tsykalas, L. (Wien) 82.
Türkheim, H. (Hamburg) 105 .
Tugendreieh, G. (Berlin) 948.
Tunger (Leipzig) 95.
U.
v. Ubisch, L. (Würzburg) 542.
v. Uexküll, J. 301.
Uffenorde, W. (Göttingen) 120.
Uffenorde (Marburg) 1090 .
Uhlenhuth, P. (Marburg) 495.
1066 . 1292 .
Uhlmann, F. (Bern) 400.
Uhthoff, W. (Breslau) 115. 614.
1153. 1 156.
Ujhelyi, S. (Berlin) 481.
Ullmann, K.(Wien) 1089 .1090.
1689-
Ulrici (Berlin) 1565 .
Umber (Berlin) 885 . 1221.
Unger (Berlin) 1691 .
Unna, P., jun. (Hamburg) 113 .
Unterberger (Königsberg) 1088 .
Unverricht (Berlin) 928.
Urstein, M. (Warschau) 1526 .
V.
Vaerting, M. 813 . 987-
Vahlen, E. (Halle) 217.
Valenta, E. (Wien) 839.
Vaughan, V. C. (St. Louis)
1689 .
Veil (München) 788 .
Veit, Ph. J. 367 .
Veit, R. (Offenburg) 1475.
v. d. Velden (Berlin) 713 .
Vers£, M. (Berlin) 267. 437-
1496.
zur Verth (Hamburg) 1664.
Verwom, M. 1115-
Vieth (Ludwigshafen a. Rh.)
1076.
Virchow, H. (Berlin) 199.
Völcker (Halle) 712 . 837. 865.
1721.
Völger (Frankfurt a. M.) 1089 .
Vogel (Breslau) 61 4.
Vogl, A. (Wien) 1123 .
Vogt, A. (Basel) 435-
Vogt, E. (Tübingen) 790. 1007.
Vogt, W. (Würzburg) 926.
Voltz (München) 1027 .
Vonessen (Berlin) 1017.
Voronoff, S. (Paris) 1713-
Vorschütz (Elberfeld) 756. 861.
1072.
Voß (Frankfurt a. M.) 1090.
Vossius (Gießen) 1591.
W.
Wachendorf, K. (Köln) 1549.
Waelsch (Prag) 1123. 1401.
Wagner, K. (Dorpat) 320.
Wagner, P. (Leipzig) 1626 .
1662.
Wagner (Lübeck) 937. 1577.
Wagner (Prag) 376. 576. 1028 .
1400.
Wagner (Salzbrunn) 543.
Waldmann (Riem) 1066.
Waldow (Berlin) 1587.
Walkhoff, 0. (München) 710.
Wallenberg, A. (Danzig) 1046.
1077.
Walter, F. (München) 78 .
Walther (Chemnitz) 1266 .
Walther, J. (Halle) 1465.
Wandel (Leipzig) 650 .
Warasi, W. (Tiflis) 1387.
Warburg, E. (Berlin) 1561.
Wamekros 1028.
Warsow (Leipzig) 1299 .
Wasicki, R. (Wien) 38.
Weber, E. (Berlin) 894.
Weber (Freiburg) 1568.
Weber, A. (Gießen) 376.
Weber (Nauheim) 544.
Wegele, C. (Königsborn) 193.
^594.
Wege\o 565.
W 4cWeich (Heidelberg) 1534.
(Mannheim)
V- (Leipng) \3Q5.
V/’
XLIX
Weil, A. (Berlin) 188. 559.
162^
Weil (Breslau) 1663 .
Weilbauer (Hamburg) 1370 .
Weinberg (Rostock) 886.
Weingärtner (Berlin) 437.
Weinland, R. (Würzburg) 180 .
Weisbach, W. (Halle) 1131.
Weiser (Prag) 246. 1498 .
Weiß (Berlin) 1124.
Weiß, R. (Freiburg) 323.
Weiß, 0. (Königsberg) 1711 .
Weiß, St. (München) 755-
Weiß, K. (Wien) 1072.
Weisz, E. (Pistyan) 461. 544 .
1663 .
Weitz (Tübingen) 789 .
v. Weizsäcker (Heidelberg) 927 .
Weleminsky (Prag) 1425.
Wellmann (Hamburg) 1223 .
Werner (Freiburg) 1225 .
Weltmann, O. (Wien) 245 .
1354.
v. Werdt, F. (Innsbruck) 238 .
Werther (Dresden) 443.
Wessely, K. (Würzburg) 408.
Wessely (Wien) 1090 .
Westenhöfer (Berlin) 518.
Wester-Ebbinghaus, A. (Mar¬
burg) 1552.
Westnes (Freiburg) 1599-
Westphal (Bonn) 993.
Westphal(Frankfurt a.M.) 711 .
Wetterer, J. (Mannheim) 459.
480. 697. 772.
Wetzel, G. (Halle) 1561 .
Weverinck (Düsseldorf) 1577.
Widowitz, J. (Wien) 1300 .
Wiechmann, E. (München) 78S.
Wiechowski (Prag) 543.
Wieland (Freiburg) 1529 .
Wiemann, 0. (Würzburg) 180.
Wieting (Cuxhaven) 904.
Wilbrand, H. (Hamburg) 607 .
Willstätter (München) 1529 .
Winckler, A. (Nenndorf) 1388.
Winkler, W. F. (Berlin) 383.
Winkler, C. (Nauheim) 486.
Winter,G.(Königsberg)64. 1 08 7.
1568 .
Winterberg, H. (Wien) 995-
Winterstein (Rostock) 603 .
1530.
Wintz, H. (Erlangen) 345. 856.
Wirth (Berlin) 1328 .
Wissmann (Erlangen) 1156 .
Wodak (Prag) 246. 1090 . 1123 .
Wömer, H. (Weißenfels) 712 .
Wohlgemuth (Berlin) 1691 .
Wohlwill, F. (Hamburg) 63.
1262.
Wolbach, S. B. 1562 .
Wolff, E. (Berlin) 111.
Wolff, G. (Berlin) 259. 1478.
Wolff, J. (Berlin) 697.
Wolff, P. (Berlin) 306 .
Wolff, F. (Hanau) 1383.
Wollenberg, A.( Berlin) 551.592.
Wollenberg,G.W. (Berlin) 1042.
Wollenberg (Breslau) 276 . 1628 .
Wollheim, E. 712.
Wolpert (Berlin) 1368 .
Worms, W. (Berlin) 526.
Wortmann (Berlin) 1532.
Wossidlo, E. (Berlin) 569 .
Wotzilka (Außig) 342. 1090.
Wrede (Greifswald) 46.
Wulfsohn, H. (Chemnitz) 1317.
Wullstein (Essen) 820.
Wuth, O. (München) 1339.
lladek, J. (Berlin) 178 . 285.
\ Zadek-Korbasiewicz (Buckow)
' 928 .
Digitized by »öle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
L
Zangemeister (Marburg) io28.
1563.
Zeißler (Altona) 1066.' 1370.
1510.
Zemplgn, G. (Budapest) 1711 .
Zernik (Berlin) 328. 1017.
Ziegler (Berlin) 79<>.
Aerzte, Mängel der berufsstän¬
dischen Vertretung für die
Angestellten 1469-
Arbeitsstuben, medizinische
1601.
Assistenten, Gleichstellung der
akademischen — im Reich
617-
Assistentenverband, Anschluß
des deutschen Akademischen
— an den deutschen Gewerk-«
schaftsbund 1191 -
Asta, zur Wahl des 1267-
Botanik 442. 618.
Arlt 147-
Barnung, H. (Düsseldorf) 50.
Bergmann, J. (Leipzig) 49-
Barge (Frankfurt a. M.) 1267 .
Daiber, G. (München) 1536 .
Emesti, W. (Leipzig) 1268.
Finkenrath 1469 . -
Friedrichs, Th. 512. 1030 .
INHALTSVERZEICHNIS
Ziegler, A. (Glogau) 979.
Ziegner, H. (Küstrin) 1492.
Ziehen,Th. (Halle) 1233. 1489.
Zieler, K. (Würzburg) 413. 468.
685. 1672.
Ziemann.H. (Berlin) 202.1402.
Zimmer, H. (Berlin) 470.
Zimmermann, L. (Greifswald)
Zondek, M. (Berlin)
727.
1701.
1475.
Zimmermann (Jena) 1028.
Zuckerkandl, 0. (Wien) 1148.
Zins, B. (Wien) 1123 .
Zuelschaur, W. (Berlin)
848.
Zoepffel (Hamburg) 1332 .
Zuelzer (Berlin) 1066 .
1 Zondek, H. (Berlin) 406. 854.
v. Zumbusch, L. (München)
| 1033. 1297.
608 .
Sachregister zum Praemedicus.
Elman, Herbstfrische auf
Schloß 1092 .
Fachgruppen und Hochschul¬
politik 1535-
—, Arbeit der — innerhalb
der deutschen Studenten¬
schaft 1667 .
Fachgruppenvertreter, Sitzung
mit dem Vorstand der deut¬
schen Studentenschaft 344.
Fachschule, medizinische 50.
Frankfurter Medizinerschaft,
Sommersemester 1922 . 1267 .
Fürsorgeärzte 213 . 442. 618 .
Geburtshilfe, Ausbildung in |
214. 684. 757- I
Geschichte der Medizin, Unter- j
rieht in 822. 1403 .
Hochschulpolitik, Fachgruppen
und 1535. 1
Instrumentenbeschaffung, ver- 1
billigte 1268.
Korrespondenz, Leipziger Na- j
turwissenschaftliche 147- |
Gießen, Medizinstudium in I
1333.
I Leipzig, Medizinstudium in j
; 824. !
Medizinalpraktikanten, Be¬
soldung 617 .
Medizinstudium in Leipzig 824.
-Gießen 1333 .
—, Medizinschulen, Universi¬
täten und 963 . 1029- 1092 -
1156. 1228. 1268. 1334. 1404.
1470. 1536. 1602. 1668.
Münchener Sommer 1469- *
Pabstspenden für tuberkulöse
Studierende 890 .
Praktikanten, schließt den
Ring 49 .
Rassenhygiene 147-
Namenregister zum Praemedicus.
Goldmann, F. 442.
Haberling, W. (Düsseldorf) 822.
Hagen, W. (Lennep) 618 .
Hansberg, W. (Dortmund) 963-
1029-1092. 1157- 1228. 1268.
1334.1404. 1470. 1536. 1602.
1668.
Herszky, P. (Berlin) 758.
Herxheimer, H. (Charlotten¬
burg) 511 .
Herzger, R. (Leipzig) 344. 1 535-
1667 .
Holzmann, E. (Freiburg) 214.
Jahn, D. (Freiburg) 1157-
Joms 147 .
Krebs, W. 617 .
I Kritzler (Erbach) 684. 757.
1 Kruse (Leipzig) 213 .
Lehmann, E. (Berlin) 442.
Lejeune, F. (Greifswald) 1403 .
Lickint, F. 1267 .
I Panick, C. (Gießen) 1227 . 1333-
Reichelt, M. (München) 1192 .
1 1469.
Druck von Oscar Brandstetter in Leipzig.
Zuntz, L. (Berlin) 959.
Zurhelle, E. (Bonn) 724. 1610.
1692 .
Zweifel (Leipzig) 759. 1028.
Zweifel, E. (München) 762.
Zwick (Gießen) 1628 .
Seminarbetrieb, mehr 1536 .
Sportarzt, Aufgaben und Aus¬
sichten 511 .
Staatsexamen, medizinisches
512. 758. 1030-
Studentenschaft und Fach¬
gruppen 888 .
Studienreform, zur 1156. 1602 .
—, Mitwirkung der Medizin¬
studierenden an der 1227 .
Vertretertag, nach dem 683 .
Vorklinikerschaft, Freiburger
Schilling, V. 617 .
Seemann, W. (Leipzig) 683 .824.
889-
Seligmann, A. (Leipzig) 214.
Straßmann, P. (Berlin) 1601 .
Teleky, L. (Düsseldorf) 213 .
We iß, R. F. (Charlottenburg )6i 8.
Willgrod (Leipzig) 1602.
Digitized by »öle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
Deutsche Medizinische Wochenschrift
HERAUSGEBER:
Begründet von Dr. Paul Börner
VERLAG:
Geh. San.-Rat Prof. Dr. Schwalbe
Berlin-Charlottenburg, Schlüterstraße 53
GEORG THIEME/ LEIPZIG
Antonstraße 15
Nummer 1
Donnerstag, den 5. Januar 1922
48. Jahrgang
Zur Charakteristik der gegenwärtigen Therapie.
Von Prof. Dr. Adolf Strümpell in Leipzig.
Der Aufschwung der pathologischen Anatomie in den
ersten Jahrzehnten und utn die Mitte des vorigen Jahrhunderts mußte
notwendigerweise zu einer Resignation in den therapeutischen Be¬
strebungen und Hoffnungen der Aerzte, ja vielfach zu einem voll¬
ständigen therapeutischen Nihilismus führen. Denn mit dem ge-
aaueren Bekanntwerden der schweren Veränderungen und oft aus¬
gedehnten Zerstörungen, welche die Krankheiten im Inneren des
Körpers hervorrufen, schien fast jede Aussicht schwinden zu müssen,
die so veränderten Organe des Körpers durch äußere Mittel und
Einflüsse wieder in ihren normalen Zustand zurückzuführen. Gerade
die wissenschaftlich tüchtigsten und unterrichtetsten Aerzte waren
in der Regel die größten therapeutischen Skeptiker. Ihnen erschien
die „Diagnose“ als der wesentlichste Teil der ärztlichen Tätig¬
keit, und mit dem Ruhm des ausgezeichneten Diagnostikers verband
sich nur selten der Ruhm eines erfolgreichen Therapeuten. Aus¬
gedehntes therapeutisches Handeln wurae meist als Ausfluß einer
unwissenschaftlichen und unkritischen Empirie betrachtet. Nur einer
kleinen Zahl von Heilmittetn — Quecksilber, Jod, Digitalis, Chinin
and einigen andern — blieb die allgemeine ärztliche Anerkennung
einer tatsächlichen, wenn auch immerhin beschränkten Wirksamkeit er¬
halten. Kein Wunder, daß diese Zeit des ärztlichen Skeptizismus
der Entstehung und Ausbreitung anderer, außerhalb der wissenschaft¬
lichen Aledizin angewandter Behandlungsmethoden besonders gün¬
stig war.
In den letzten Jahrzehnten hat sich nun in den allgemeinen thera¬
peutischen Anschauungen der Aerzte ein höchst auffallender Um¬
schwung vollzogen. Wir befinden uns jetzt wieder in einer Zeit der
therapeutischen Hochflut Das therapeutische Handeln des Arztes
ist gegen früher viel umfangreicher und vielgestaltiger geworden.
Fast jeder Tag bringt uns neue Heilmittel und Heilmethoden, die
eindringlich empfohlen und von zahlreichen Aerzten eifrig angewandt
und nachgeprüft werden. An vielen Orten sind Fabriken entstan¬
den, die fast nur die Erfindung und Herstellung neuer Arznei¬
präparate zur Aufgabe haben. Eine ganze Anzahl wissenschaftlich
medizinischer Zeitschriften ist fast ausschließlich dem weiteren Aus¬
bau der Therapie und der Verbreitung der neu empfohlenen Heil¬
methoden gewidmet.
Der ältere Arzt, der diesen ganzen Umschwung allmählich selbst
miterlebt hat und nicht wie die jetzige medizinische Jugend von vorn¬
herein in den breiten therapeutischen Strom hineingesetzt ist und mit
ihn] weiter schwimmt, vielmehr, wenn er auch oft genug mitfahren
muß, doch immerhin von Zeit zu Zeit, am Ufer stehend, einen prüfend-
kritischen Blick auf die zahlreichen vorüberziehenden therapeutischen
Scfi/fflein zu werfen imstande ist, wird sich oft die Frage vorlegen,
welche wirksamen treibenden Umstände diesen erneuten Umschwung
und Aufschwung der Therapie bewirkt haben. Er wird sich auch
fragen, welches^die wirklich unbestreitbaren und dauernden Erfolge
der neueren therapeutischen Bestrebungen sind, ob aber alles Neue
auch wirklich gut ist und ob sich nicht, wie bei jeder machtvoll
vorwärts treibenden geistigen Richtung, auch gewisse Einseitigkeiten,
Uebertreibungen und Auswüchse geltend machen, die zur Besonnen¬
heit und Vorsicht mahnen müssen.
Ueberlege ic h m i r, w elche Antri eb e die therapeutischen Bestre-
angen, soweit ich ihre Entwicklung in den letzten 45 Jahren selbst
mit verfolgen konnte , am meisten gefordert haben, so mochte ich
Folgendes hervorheben . . ,
Der allgemeine Aufschwung der Therapie ging, wie mir scheint,
etwa in den siebziger . Jahren des vorigen Jahrhunderts von der
nhirnrtrie aus die im Zusammenhang mit den Anfängen der
itJLtrrinlocric durch die Einführung der „antiseptischen Wundbehand-
lun j“ e°n° g sehr erhebliche Enverterung ihres Wirkungsgebie.es erfuhr
lun P c fets wachsende Erf 0 fo e erzielte. Fast schien es eine
und dann Fortschritte (t r Therapie nur auf chirurgischem
wU'Z&ndht werden könnte»• Cda, wo man mit dem Mesler dem
^InkheYttherde^unmittelbar zu L eibe ge h en konnte, schien eine wirk-
££ aktive Beseitigung . J 5 Krankheitsprozesses möglich.
,Ch Anlin die Erfolge der ^v^ ^terdisziplin stachelten doch die
innere Medizin an. eb die Infektionserreger
einzutreten. Da sich aber hier ein unmittelbarer Angriffspunkt noch
nicht finden ließ, so wandten sich die therapeutischen Bestrebungen
zunächst einem fast allen Infektionskrankheiten gemeinsamen Symptom
— dem Fieber — zu, dessen ausschlaggebende Bedeutung bei der
Beurteilung akuter Krankheiten seit der Einführung der Thermometrie
durch Wunderlich allgemein anerkannt war. Nach den Anschat»*
ungen- Liebermeisters und seiner Schüler sollte aber das Fieber,
d. h. die erhöhte Eigenwärme des erkrankten Körpers, nicht nur ein
den anderen Krankheitserscheinungen beigeordnetes Symptom, son¬
dern außerdem auch die hauptsächlichste Ursache der meisten bei
den akuten Krankheiten auftretenden gefahrdrohenden Erscheinungen
sein. Fast alle schweren Zustände von seiten des Nervensystems, des
Herzens, der Respiration u. a. wurden als Folgen der erhöhten
Körpertemperatur betrachtet. Damit trat nun selbstverständlich die
Bekämpfung des Fiebers, die „antipyretische Therapie“ als
erstrebenswertes und auch erreichbares Ziel ganz in den Vordergrund
des ärztlichen Handelns. Als wirksamste Form der Fieberbekämpfung
zeigte sich zunächst vor allem die unmittelbare physikalische Ab¬
kühlung des Körpers durch das kalte Bad. Die „Kaltwasser¬
behandlung“ der akuten fieberhaften Krankheiten fand eine immer
allgemeinere Anwendung. Sie galt als einer der größten therapeutischen
Fortschritte der damaligen Zeit. Ihrer Methodik, ihrer theoretischen
und praktischen Ausarbeitung widmeten viele der besten Kliniker
ihre Hauptarbeit. ,
Einen wesentlichen neuen Antrieb erhielt aber die antipyretische
Therapie und damit alsbald auch die Therapie überhaupt durch die
Einführung der chemischen Antipyretika. Bis etwa zum Jahre
1873 war das Chinin das einzige bekannte wirksame Antipyretikum,
das freilich seine hauptsächlichste Anwendung nur bei den Malaria-
, Fiebern fand. Da kam die synthetische Darstellung der Salizyl¬
säure durch H. Kolbe und die Entdeckung ihrer antipyretischen,
antibakteriellen und beim Gelenkrheumatismus auch hervortretenden
spezifisch-therapeutischen Einwirkung. Die Anregung, welche die ge¬
samte Therapie durch die Einführung der Salizylsäure in den ärztlichen
Arzneischatz erfuhr, kann m. E. gar nicht hoch genug angeschlagen
werden. Die Darstellung und die Anwendung der Salizylsäure bilden
den Ausgangspunkt nicht nur für die zahlreichen späteren analog
wirkenden Derivate und verwandten Mittel (Aspirin, Antipyrin, Phen¬
azetin u. v. a.), sondern, wie man wohl sagen darf, für die ganze
erstaunliche Entwicklung der chemischen Arzneimittelindustrie in den
letzten Jahrzehnten. Deutschland wurde so zum Zentrum dieser
Industrie und ist es auch bis heute geblieben. Immer mehr und mehr
erweiterte sich der Kreis der chemisch hergestellten neuen Arznei¬
mittel. An die Antipyretika schlossen sich vor allem die Diuretika,
die Herzmittel u. a. an.
Gleichzeitig mit diesen Fortschritten vollzog sich aber auch die
weitere Entwicklung der Bakteriologie. Zunächst durften die
schon lange bekannte Wirkung des Chinins auf die Malaria und die
neu entdeckte, auffallend erfolgreiche Bekämpfung des Gelenkrheuma¬
tismus durch die Salizylpräparate die Hoffnung erwecken, daß es
auch bei anderen Infektionskrankheiten gelingen könnte, ähnlich „spe¬
zifisch“ wirksame chemische Heilmittel zu finden. Zahlreiche ver¬
suche in dieser Hinsicht wurden mit allen möglichen antiseptischen
und antibakteriellen Substanzen (Karbol, Sublimat, Jodoform u. a.)
angestellt, .aber leider ohne den gewünschten Erfolg. Da trat jener
bewunderungswürdige neue Ausbau und Umbau der Bakteriologie
ein, der sich vorzugsweise an die Namen von R. Koch, Pasteur,
P. thrlich und Behring knüpft. Nicht die Auffindung der spezi¬
fischen Infektionserreger allein, sondern vor allem die Erforschung
der Art und Weise ihres Angriffs auf den menschlichen Körper und
ebenso auch der Abwehrmittel, die diesem den eingedrungenen
Feinden gegenüber zur Verfügung stehen, wurde die umfassende
Aufgabe der Bakteriologie. Aus de»; Ergebnissen dieser Forschungen,
die sich freilich zu einem immer komplizierter und unentwirrbarer
erscheinenden Lehrgebäude zusammenschlossen, ergaben sich nun
notwendigerweise auch zahlreiche neue therapeutische Anregungen
und Folgerungen. Dje Bekämpfung der Lyssa und des Milzbrands
durch Pasteur in pranVteich, die Koch sehe Entdeckung des Tu ber¬
kul ins und di^ ft p V\f in 8 sc ^ e Entdeckung des antitoxischen Di-
phtherieheil s QC mS bei uns in Deutschland waren die Aus¬
gangspunkte fü r U rt xe neuere Serum- und Vakzinetherapie,
die sich noch ; d^^ 0 \\em Fluß befindet und deren schiießliche
Entwicklung P 4 abiusehen ist. Der Bau der Könige der
Digitized by Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 1
Wissenschaft gibt auch dqn Kärrnern reichliche Arbeit — nicht immer
zum Vorteil des Ganzen.
Aus dem Gesagten ergibt sich, daß der Aufschwung der mo¬
dernen Therapie sich zunächst auf dein Gebiete zu erkennen gab,
das naturgemäß einer erfolgreichen therapeutischen Behandlung am
ehesten zugänglich erscheinen mußte, dem Gebiete der Infektions¬
krankheiten. Aber damit waren natürlich die Bedürfnisse der Praxis
keineswegs vollständig erfüllt. In der großen Menge der nicht in¬
fektiösen Krankheiten fand die wissenschaftlich-kritische Medizin noch
immer genug Anlaß zur therapeutischen Resignation. Hier kam,
wenn auch natürlich nicht ausschließlich, so doch gewiß zu einem
großen Teil, die Anregung zu einem aktiveren therapeutischen Handeln
und zu neuen therapeutischen Versuchen aus den Kreisen der Outsiders
der wissenschaftlichen Medizin. Der Kranke sucht Hilfe, wo er sie
zu finden glaubt. Ihm liegt wenig an der wissenschaftlich-theoreti¬
schen Begründung der angewandten Behandlung, vielmehr alles an
ihrem Erfolge. Je mehr die wissenschaftliche Heilkunde die Aus¬
sichtslosigkeit ihrer therapeutischen Bemühungen zu erkennen glaubte,
um so zahlreicher und um so mehr von den Kranken aufgesucht
wurden die „Naturheilanstalten“, in denen mit klarem Verstände und
offenem Auge für die Bedürfnisse und Schwächen der Menschen
begabte Praktiker, unbeschwert vom Bleigewicht kritischen Denkens
und wissenschaftlicher Vorsicht, sich bald in den weitesten Kreisen
den Ruf heilkundiger und erfolgreicher Aerzte erwarben. Wollte die
wissenschaftliche Heilkunde nicht rühmlos die Waffen strecken, so
mußte sie im Hinblick auf die unleugbaren in den verschiedenen
Naturheilanstalten erzielten guten Erfolge die dort angewandten
Behandlungsmethoden sich ebenfalls aneignen und wissenschaftlich
erproben. So entsfand jener in der neueren Zeit immer stärker hervor¬
tretende Zug zur Anwendung der sog. physikalisch-diäteti¬
schen Heilmethoden in der modernen Therapie. Der Diätetik
kam dabei freilich auch das eingehende Studium des normalen und
krankhaft gestörten Stoffwechsels zugute. Immer zahlreicher wurden
die verschiedenen diätetischen „Kuren“, immer häufiger wurde der
Leyden sehe Satz zitiert: Qui bene nutrit, bene curat.
Aber noch in einer anderen Hinsicht kam der wissenschaftlichen
Heilkunde eine wichtige Anregung von außerhalb der staatlich appro¬
bierten Medizin. Ließen sich die physikalisch-diätetischen Methoden,
die Hydrotherapie, Massage, Diätetik und ihre Erfolge leicht in eine
wissenschaftliche Form bringen, so war dies anscheinend für eine
Reihe anderer, immer wieder auftauchender und unleugbar ebenfalls
von praktischen Erfolgen begleiteter, außerhalb der ärztlichen Fachkreise
entstandener Heilmethoden zunächst kaum möglich. Ich meine hier
einmal die mit großer Hartnäckigkeit und gewiß oft aus reinster
Ueberzeugungstreue von ihren Vertretern verteidigte Homöopathie,
sodann aber vor allem diejenigen Heilmethoden, die am häufigsten
mit dem Namen des Heilmagnetismus bezeichnet wurden. Aiußte
man den angeblichen therapeutischen Erfolgen der Homöopathie doch
mindestens mit großer Skepsis, den Wunderheilungen des „Magnetis¬
mus“ mit völliger Ablehnung gegenübertreten, so blieben zahlreiche
tatsächliche Erfolge doch unleugbar bestehen und erforderten eine
wissenschaftliche Aufklärung. Diese ergab sich aus dem eingehen¬
deren Studium aller derjenigen Krankheitszustände, die offenbar nicht
von gröberen anatomischen Veränderungen der inneren Organe, son-
von rein funktionellen Störungen abhäugen. Hierbei erkannte man
alsbald die große Bedeutung psychischer Vorgänge auf die
Entstehung mannigfacher Kraukheitszustände, aber ebenso auch ihre
Bedeutung für deren Beseitigung. Man erkannte, daß Krankheiten,
die durch Vorstellungen entstanden waren, auch durch Vorstellungen
geheilt werden konnten. Für die gesamte Therapie, nicht nur für
Homöopathie, Heilmagnetismus und dergleichen trat damit ein bedeu¬
tungsvoller Faktor in Rechnung, der natürlich stets wirksam gewesen,
aber doch in seiner Wirksamkeit früher nicht genügend erkannt
worden war. Aus der richtigen Bewertung und Verfolgung dieses
Faktors entwickelte sich die ganze ausgedehnte moderne Psycho¬
therapie und Suggestionstherapie — ein höchst willkom¬
menes, aber freilich sehr gefährliches Gebiet für solche Aerzte, deren
eigene Psyche nicht immer den erforderlichen Grad der Festigkeit hat,
um die schwankende Psyche ihrer Kranken in der erwünschten Weise
zu beeinflussen.
Schließlich habe ich noch einen höchst bedeutsamen Fortschritt
der Physiologie zu erwähnen, der unmittelbar den Anlaß zu zahl¬
reichen — zum Teil unzweifelhaft erfolgreichen — therapeutischen
Schlußfolgerungen und Versuchen gegeben hat. Ich meine die Lehre
von der inneren Sekretion und der Wirkung der Hormone.
Die Wichtigkeit dieses Gebietes ist dadurch noch größer gewordg^-
daß man es in enge Beziehung zu den Tatsachen der Kßj±&iTui-
tionslehre bringen kann. Wie sich neben derPrgänpathologie
neuerdings immer mehr die KonstitutionspatbokigTe zu entwickeln
scheint, so machen sich dementsprechejjtL^gegenwärtig neben der
Behandlung der einzelnen krankenprgane auch schon die Anfänge
einer KonstitutionstherajM^Demerkbar.
Damit glaube ich imJyRrfbergchenden die hauptsächlichsten Wur¬
zeln dargelegt zu tpbCnT aus denen sich der weitverzweigte Baum
der gegenwärtj^erTTherapie entwickelt hat. Dem heutigen Arzt stehen
unzweifeltaFTweit zahlreichere wirksame Arzneimittel und Behand-
lung^m'ffioden zur Verfügung als dem Arzt vor etwa 50 Jahren,
^r^entsteht nun aber die berechtigte Frage, in welcher Weise dieser
umfassende ärztliche Apparat praktisch angewandt wird und in wel¬
chem Maße dieser Vermehrung des ärztlichen Arsenals nun auch
eine Zunahme der wirklichen ärztlichen Erfolge entspricht
Selbstverständlich muß ich mich bei dem Versuch, einer, wenn
auch nur kurzen, Erörterung und Beantwortung dieser Fragen im
wesentlichen auf die „inneren“ Behandlungsmethoden und die „in¬
neren“ Krankheiten beschränken. Auch bei dieser Beschränkung werde
ich nur einige der wesentlichsten und mir am wichtigsten erscheinen¬
den Punkte nervorheben können. Für die Chirurgie scheint mir eine
entsprechende Ueberlegung überhaupt von geringerem Interesse zu
sein, da die enormen Fortschritte der operativen Chirurgie klar zutage¬
liegen und einer kritischen Musterung nicht so bedürftig sind, wie
die schon an sich weit schwerer zu beurteilenden therapeutischen
Maßnahmen der Inneren Medizin. Nur insofern sich gewisse charakte¬
ristische allgemeine Züge der gegenwärtigen Therapie auch auf chi¬
rurgischem Gebiete zeigen u*.d bei der immer inniger werdenden Ver¬
knüpfung der inneren Medizin mit der Chirurgie auch der Beurteilung
des Internisten unterliegen, werde ich mir erlauben, gelegentlich auch
einen Seitenblick auf die Tätigkeit des mächtigeren Nachbars zu
werfen.
Versuche ich, mir einen Ueberblick zu verschaffen über die Ge¬
samtheit des therapeutischen Handelns, wie es jetzt tatsächlich fast
allgemein ausgeübt wird, und versuche ich, dieses therapeutische
Handeln nach seiner Bedeutung und nach seiner Wirksamkeit
auf den Kranken zu beurteilen und zu sondern, so möchte ich
die folgenden vier Arten der Therapie unterscheiden, um eie
meinen weiteren Betrachtungen zugrundezulegen. Ich unterscheide
1. die notwendige Therapie,
2. die nützliche Therapie,
3. die unnötige Therapie,
4. die schädliche Therapie.
Wie verhält sich nun, möchte ich fragen, die jetzige Therapie
im Vergleich zu der früheren, wenn man sie nach diesen vier Ge¬
sichtspunkten hin betrachtet?
1. Unter notwendiger Therapie verstehe ich jede Behand¬
lungsweise, die jeder gewissenhafte und erfahrene Arzt im einzelnen
vorliegenden Krankheitsfall anwenden muß, weil diese Behandlung
nach dem anerkannten jetzigen Stande unseres therapeutischen Könnens
die sicherste und beste, ja unter Umständen sogar einzige Gewähr
bietet zu einer Heilung oder wenigstens erheblichen Besserung des
vorliegenden Krankheitszustandes. Die Verordnung des Chinins bei
der Malaria, die Darreichung eines Digitalispränaratcs bei einer dekom-
pensierten Mitralstenose, die spezifische Behandlung offenkundiger
syphilitischer Krankheitserscheinungen sind Beispiele einer derartigen
unbedingt notwendigen Therapie.
Wir fragen nun: welche derartig notwendiger», durch nichts
Besseres zu ersetzenden neuen Behandlungsmöglichlceit en hat uns die
therapeutische Arbeit der letzten Jahrzehnte gebrachte
Leicht ist die Antwort, wenn man die Frage auch auf das
chirurgische Gebiet bezieht. Daß zahlreiche Kranke mit inneren
Eiterungen, Neubildungen, Stenosenbildungen u. a., denen die Medizi»
in früheren Jahren machtlos gegenüberstand, jetzt operiert werden
müssen und erfreulich oft durch die Operation geheilt werden,
unterliegt nicht dem geringsten Zweifel und ist jedem unterrichteten
Arzte zur Genüge bekannt. Viel unsicherer und bedenklicher bin ich
aber, wenn ich die obige Frage in bezug auf die uns hier inter¬
essierende Innere Medizin beantworten soll. Sagt man, daß die
Antwort hier vielfach von dem besonderen subjektiven Standpunkte
des Beantworters abhängen wird, so gibt man damit schon den nicht
gar zu großen Umfang des neu hinzugekommeuen, unbedingt not¬
wendigen therapeutischen Handelns zu. Wenden wir uns zunächst
zu dem sicher interessantesten und vielleicht auch aussichtsreichsten
neuerworbenen therapeutischen Gebiet, der spezifischen Behandlung
der Infektionskrankheiten durch die moderne Serum- und Vakztne-
therapie, so wird doch jeder unbefangene Beurteiler zugeben
müssen, daß trotz der großen geleisteten Arbeit und der Fülle von
gewonnenen Einzeltatsachen und neuen Gesichtspunkten doch der
wirklich gesicherte , neu gewonnene therapeutische Besitz — von
den prophylaktischen Impfungen will ich hier absehen — doch
immer noch recht beschränkt ist. Nur das Diphtherieserum
dürfte wohl jetzt von der Mehrzahl der Aerzte als ein not¬
wendig anzuwendendes Heilmittel bezeichnet werden, dessen Nicht
anwendung im Beginne einer schweren Diphtherieerkrankung als
ärztliche Unterlassungssünde angesehen werden müsse. Aber selbst
das Diphtherieserum erfreulich-doch keiner allgemein gesicherten
Anerkennung^_ScnrT'lirfolge und seine Wirkuugsart unterliegen be-
Jtg^zrtkdrTioch immer mannigfachen Erörterungen und Zweifeln. Noch
"weit unsicherer ist aber die Beurteilung der jetzt in so umfassender
Weise betriebenen sonstigen immunkörpertHerapie. Der theore¬
tische Aufbau der Immunitätslehre muß schon jetzt jeden Kundigen
mit Stolz und Bewunderung erfüllen. Man wird auch unbedingt
zugeben müssen, daß hier zahlreiche Ansätze zu einer vTefleicnt
wirklich aussichtsreichen Bekämpfung der Infektionskrankheiten ge¬
wonnen sind, die zu weiterer Arbeit anspornen müssen. Aber aas
ganze Gehiet ist doch noch voll von dunkeln und ungelösten Fragen,
und die sicheren, praktisch-therapeutischen Erfolge sind doch noch
recht gering.
Audi von den unzähligen neu dargestellten chemischen Arznei¬
stoffen haben sich nur wenige die Stellung eines wirklich notwendigen
und unersetzlichen Heilmittels erwerben können. Von dem hier au
erster Stelle zu nennenden Salvarsan wird man im Hinblick auf
die durchaus übereinstimmenden Berichte wohl sagen dürfen, daß
es ein notwendiges und sicher wirkendes Mittel bei der Febris
□ igitized by Gougle
Original from
CORNELL UNIVERSSTV
5. Januar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
3
recurrens und der Framboesia tropica geworden ist, ein
erfreulicher Beweis für die vorhandene Möglichkeit einer wirklichen
Therapia sterilisans. * Aber über den Wert der verbreitetsten An¬
wendung des Salvarsans, über den Wert seiner freilich äußerst eingrei¬
fenden Einwirkung auf den Ablauf der Syphilis sind meines Erachtens
die Akten noch lange nicht abgeschlossen. Daß diese Einwirkung in
vielen Fällen anscheinend sehr günstig ist, wird niemand leugnen.
Aber die jetzigen jungen Aerzte, die gewissermaßen schon mit
der Saivarsanspritze in der Hand geboren werden und aufwachsen,
wissen häufig gar nicht, daß die Syphilis doch auch durch die älteren
Behandlungsmethoden mit Quecksilber und Jod in äußerst wirksamer
Weise bekämpft werden konnte. Ueber die Unterschiede in den Er¬
folgen der älteren Behandlungsmethode und der neueren Salvarsa-
behandlung bei den Frühformen der Syphilis an Haut und Schleim¬
häuten will ich mir kein Urteil erlauben, da mir hierin eine größere
Erfahrung fehlt. Vergleiche ich aber die jetzigen Erfolge aer Sal-
varsanbehandlung bei der spinalen und zerebralen Syphilis sowie bei
der Tabes und der progressiven Paralyse mit dem, was ich früher
jahrelang bei der Behandlung dieser Krankheitszustände teils mit
spezifischen (Quecksilber und Jod), teils mit unspezifischen Mitteln
gesehen habe, so kann ich eigentlich keinen gar zu großen Unter¬
schied finden. Früher und jetzt viele höchst erfreuliche Erfolge,
früher und jetzt bei der Tabes und Paralyse meist dieselben trau¬
rigen Mißerfolge. Die jüngeren Aerzte sollten auch die ältere medi¬
zinische Literatur etwas eifriger studieren, um den richtigen Maßstab
für die Beurteilung der Gegenwart zu gewinnen.
In bezug auf die anderen therapeutischen Methoden kann ich
micfi kurz fassen. Die älteren physikalisch-therapeutischen Methoden
. sind vielfach erweitert worden, ohne daß aber hierbei eine Neuerung
von durchgreifendem Erfolge erzielt wäre. Vielmehr ist hervorzuheben,
daß die frühere LJeberschätzung mancher Heilmethoden — so nament¬
lich der Hydrotherapie — jetzt einer kritischen Beurteilung Platz
gemacht hat. Dagegen ist als unzweifelhaft höchst bedeutsamer Ge¬
winn die moderne Strahlentherapie hinzugekommen. Obwohl
auch hier -- namentlich bei der Behandlung der Ge'schwülste und
ebenso gewisser konstitutioneller Anomalien, z. B. der Gicht — in
vielen Punkten ein abschließendes Urteil noch nicht möglich ist,
so darf doch anderseits die Behandlung der Leukämie und Ly mph-
ämie durch Rontgenstrahlen als einer der interessantesten und
praktisch wichtigsten Fortschritte der modernen Therapie bezeichnet
werden. — Die moderne Psychotherapie hat zwar in der Literatur
und in der Praxis viel von sich reden gemacht, aber eigentlich ist
es doch größtenteils nur alter Wein, der in neue Schläuche gefüllt
ist — und dabei sind die neuen Schläuche („Psychoanalyse!“) nicht
einmal immer gut. Der ältere Arzt hat in den letzten Jahren oft im
stillen fächeln müssen, wenn höchst wirksame „neue Heilmethoden“
bei der Hysterie mit viel Emphase der staunenden Mitwelt verkündet
wurden, bei denen auch nicht ein wesentlich neuer therapeutischer
Gedanke zum Vorschein kam, wohl aber nicht selten eine beklagens¬
werte Verkennung der erlaubten ärztlichen Eingriffe. Von den an¬
scheinend vielversprechenden Anfängen der sogenannten Organo¬
therapie ist wenigstens ein unzweifelhafter Gewinn zu nennen:
die Erfolge der Schilddrüsentherapie beim Myxödem und bei
verwandten Erkrankungen.
2. Die nützliche Therapie. Wesentlich günstiger als bei
der notwendigen Therapie gestaltet sich unser Urteil, wenn wir uns
jetzt der Besprechung der nützlichen Therapie zuvvenden. Ich
verstehe hierunter jede Behandlungsweise, die zwar keine conditio
sine qua non zur möglichst sicheren und raschen Heilung eines
Kranken ist, die aber doch unzweifelhaft in vielen Fällen die Krank¬
heit in erwünschtem Sinne beeinflußt, ihre Heilung oder wenigstens
Besserung beschleunigt, gewisse Symptome bessert und dadurch dem
Kranken ^Linderung seiner Beschwerden und ersichtlichen Nutzen
*schafft. Trotz aller Schwierigkeiten, welchen bekanntlich die'sichere
tcritische Beurteilung vieler unserer therapeutischen Maßnahmen stets
tanterlieo’f, kann man doch bestimmt sagen, daß die letzten Jahrzehnte
Mns eine große Anzahl in dem erwähnten Sinne wirksamer und
Nützlicher neuer Heilmittel und Heilmethoden gebracht haben. Ihre
■^ucfi nur einigermaßen vollständige Aufzählung ist hier natürlich
^eder notwendig noch möglich. Ich will hier zunächst nur bemerken,*
von dem Oes ich tsp unkte der nützlichen Therapie aus auch
**nser Urteil über die neueren immuntherapentischen Metho¬
den sich brünstiger gestaltet, als es oben ausgesprochen wurde.
r rfpm Meningokokkenserum und einigen anderen Heilsera,
Gewissen Vakzin?, der Tuberkulinbehandlung und endlich auch
^»em neuesfen therapeutischen Steckenpferd der Reizkorpertherap|e“,
>*Vird man einen gewissen Nutzen in manchen Fallen n.cht absprechen
^nnpn feiler Kundige weiß freilich, wie schwfer es gerade auf diesem
Gebiete ist zu unzweideutige n Ergebnissen zu gelangen Man darf
^ hpr A Skensis auch nicht zu weit treiben. Denn übermäßige hkepsis
L Lust zur therapeutischen Weiterarbeit.
h \r„rh C drherer wird unser Urteil, wenn wir uns der großen Zahl
Noch sich zu wenden, mü denen die Pharmakologie und
^ Tncfustrie uns in den letzten Jahrzehnten beschenkt
Neben vielen tauben Süssen findet sich hier manche brauch-
^aben. . p nicht. Ich etf nn ere nur an die vielen guten
bare und nutz j Cj e f ^ ß an die zahlreichen äußerst
neueren Her * re tika, an viele p'gtisch wichtige neuere Nar-
Afir J‘. s g n,en tPcehiafmitte/r M cili Adrenalin u. a. Man kann
COt r k nfrht — abgesehen Anästhetika — sagen, daß
nya^mdit Mit*^ /efcf ^b|^ e erzielen können, denen nichts
Aehnliches aus früherer Zeit an die Seite zu stellen ist. Aber die Er¬
folge sind doch vielfach jetzt leichter und sicherer zu erzielen als
früher, und es wäre unrichtig und undankbar, dies nicht anzuerkennen.
Auch in dem AusLau der neueren physikalisch-diätetischen
Heilmethoden ist viel Gutes und Nützliches gewonnen worden. Durch
die kritische Beurteilung der älteren physikalischen Heilmethoden,
namentlich der Hydrotherapie und z. T. auch der Elektrotherapie, hat
ihre Wertschätzung zwar manche Einbuße erlitten. Dafür hat uns
die neuere Zeit aber einige weit eingreifendere und wertvollere
physikalische Hilfsmittel gelehrt, von denen ich die Thermopene-
tration und namentlich die verschiedenen Formen der schon er¬
wähnten Strahlentherapie (Röntgen, Radium u. a.) hervorheben
muß. Was die in neuerer Zeit so vielfach behandelte Diättherapie
betrifft, so kann ich selbstverständlich ihren großen Wert nicht in
Abrede stellen. Ich kann aber — aufrichtig gesagt — nicht behaupten, daß
die unzweifelhaft großen Fortschritte in der theoretischen Kennt¬
nis des gestörten Stoffwechsels auch ganz entsprechend große prak¬
tische Fortschritte gezeitigt haben. Erfahrung und gesunder ärzt¬
licher Blick haben auch früher meist schon das Richtige getroffen,
und ich kann nicht finden, daß wir älteren Aerzte früher unsere
Diabetiker, Gichtiker und Fettleibigen mit wesentlich schlechterem prak¬
tischen Erfolg behandelt haben, obwohl sie keine täglichen Kalorien-
zetfel und Stoffwechselanalysen in die Hand bekamen. Aber un¬
bedingt ist doch zuzugeben, daß das therapeutische Handeln des
Arztes in diesen Fällen jetzt weniger eine Sache des natürlichen guten
Menschenverstandes und der ärztlichen Intuition als vielmehr ein
auf guter theoretischer Grundlage beruhendes, zielbewußtes Handeln
ist — oder wenigstens sein soll. Als entschiedenen Fortschritt der
diätetischen Therapie muß ich die jetzt fast allgemein übliche Er¬
nährungsweise gewisser schwerer Nierenkranker (kochsalzarme
Diät, Einschränkung der Flüssigkeits- und Eiweißzufuhr u. a.) be¬
zeichnen. Hier hat die Erweiterung unserer theoretischen Kenntnisse
wertvolle praktische Ergebnisse gehabt. Auch gewisse Fortschritte in
der diätetischen Behandlung als Diabetes muß ich anerkennen, ob¬
wohl hier die theoretischen Grundanschauungen und deren praktische
Folgerungen sich doch noch in vollem Fluß befinden.
In mancher Hinsicht ähnlich liegen die Verhältnisse bei der
Psychotherapie, demjenigen therapeutischen Felde, auf dem sich
ernstes wissenschaftliches Streben, unklares und verworrenes Denken,
ärztliche Selbstüberhebung und offenkundiger Charlatanismus in so
merkwürdiger Mischung zusammenfinden. Psychotherapie ist von
allen wirklich guten Aerzten zu allen Zeiten getrieben worden, und
gewiß oft mit demselben guten Erfolge wie jetzt. Vieles, was heut¬
zutage mit gelehrten Ausdrücken Weitläufig auseinandergesetzt und
analysiert wird, haben schon die alten Aerzte mit gesundem Blick
richtig erkannt und mit einfacheren Worten dargcstellt. Immerhin
ist natürlich auch hier zuzugeben, daß unsere gesamte Auffassung
der psychogenen Erkrankungen wesentlich vertiefter geworden ist
und daß auch die Therapie daraus manchen Vorteil gezogen hat.
3. Die unnötige Therapie. Habe ich mich im Vorher¬
gehenden bemüht, wenigsten.", die wichtigsten Posten anzuführen,
die man auf das Kredit der gegenwärtigen Therapie im Gegensatz
zur früheren zu setzen hat, so komme ich nun zur Besprechung
mancher Erscheinungen in der jetzigen ärztlichen Handlungsweise,
die dieser meines Erachtens als Debet wohl zu Lasten geschrieben
werden müssen. Ich gestehe auch zu, daß gerade der Wunsch, mich
über diese Dinge einmal offen auszusprechen, der Hauptantrieb zur
Abfassung dieses Aufsatzes gewesen ist.
Ich habe vorhin hervorgehoben, daß dem jetzigen Arzt eine weit
größere Anzahl wirksamer Arzneimittel und Kurmethoden zu Gebote
steht als dem Arzt vor 50 Jahren oder in noch früherer Zeit. Zeigt
sich hierin eine entschiedene Ueberlegenheit der heutigen Therapie
über die frühere, so entspringt aber doch gerade auch hieraus ein
gewisser Uebelstand. Die übergroße Zahl der dem Arzte^ zur Ver¬
fügung stehenden Heilmittel veranlaßt ihn auch oft zu "ihrer An¬
wendung, ohne daß ein hinreichender Grund dazu vorliegt. So ent¬
stehen jene zahllosen ärztlichen Verordnungen, die man bei wirklich
sachlicher Ueberlegung nur als unnötige Therapie bezeichnen
kann. Es sind dies die Verordnungen, die, objektiv betrachtet, gar
keinen wirklichen Zweck und Nutzen haben, die, wie die ältere Medizin
sich ausdrückte, nur gegeben werden experimenti causa oder, ut äli-
quid fiat, oder, ut aliquid fieri videatur. Diese Art von Therapie hat
es natürlich zu allen Zeiten gegeben, früher ebenso wie jetzt, aber
früher doch in weit harmloserer Form als jetzt. Unsere jetzigen
Mittel sind meist erheblich eingreifender als die früheren, meist recht
unschuldigen pflanzlichen Infuse und einfachen Salze. Daher geht
die unnötige Therapie, wie wir später sehen werden, leider nicht ganz
selten in die schädliche über. Aber auch davon abgesehen, scheint
mir die unnötige Therapie jetzt einen ganz besonders großen Umfang
angenommen zu haben. So oft ich mir auch diesen Punkt eingehend
überlegt habe, stets bin ich zu dem Ergebnis gekommen, daß die
unnötige Therapie gegenwärtig die notwendige und nützliche Therapie
an Ausdehnung erheblich übertrifft. Ueberlegen wir uns, woher dies
kommt, 'so stoßen wir hierbei auf Antriebe des ärztlichen Handelns,
die zwar zu allen Zeiten wirksam waren, in der Gegenwart aber
besonders stark hQr\inrtr e * en - Sie sta mmen teils von seiten der
Kranken, teils eiten der Aerzte selbst. Denn die Therapie
ist immer auch et\ x , ^pcramentsache!
Daß die Mehw V <V^ y f Kranken aktiv behandelt werden will,
ist eine allgemein 0 C \ C Tatsache. Auch wenn das Leiden unge¬
fährlich und di|w V ad''\atüd\chen Kräfte des Organismus selbst
□ igitized by Gougle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr.
heilbar ist, sind doch verhältnismäßig nur wenige Kranke geneigt,
den natürlichen Ablauf des Leidens abzuwarten und den Arzt nur
als kundigen Ueberwacher des Krankheitsverlaufes und als den
Berater bei allen notwendigen allgemein diätetisch-hygienischen
Maßnahmen in Anspruch zu nehmen. Je ernster und langwieriger
das Leiden ist, und ganz besonders in den unheilbaren, den Kranken
immer mehr schwächenden Krankheitszuständen, wird dessen immer
lebhafter hervortretender Wunsch, daß doch „etwas Ordentliches
eschehen müsse“, wohl begreiflich. Nun versteht es sich von selbst,
aß der Arzt auch in allen diesen Fällen durch Linderung der Be¬
schwerden und dergleichen viel Gutes tun kann. Aber wie oft wird
die voll berechtigte notwendige oder nützliche Therapie um¬
rankt und umwuchert von zahlreichen ganz unnötigen Verordnungen.
Arzneiflaschen und Pulverschachteln häufen sich am Krankenbett immer
mehr an, alle möglichen Nähr- und Stärkungspräparate werden ver¬
schrieben, um nach kurzer Zeit wieder verlassen zu werden. Und
nun denke man noch an die sogenannte „wilde Therapie“, an die
Verordnungen, die sich die Kranken ohne Wissen des Arztes selbst
machen, teils verlockt durch die gegenwärtig im Vergleich zu früher
viel ausgedehntere Arzneimittelreklame, teils auf den Rat guter Freunde,
Verwandter oder Kurpfuscher. Besonders das Heer der nervösen
Kranken, getrieben von ängstlichen Vorstellungen, treibt diese „wilde
Therapie“ in größtem Maßstabe. Welche Mengen von Aspirin, Pyra-
midon, Migränin, Adalin, Veronal und vieles andere werden auf diese
Weise alljährlich verbraucht, sicher mehr zum Nutzen der Apotheker
und Fabriken als zum Wohle der Verbraucher.
Aber auch auf seiten der Aerzte finden wir manche Motive zu
unnötigen therapeutischen Anordnungen. Sie sind teils durchaus be¬
rechtigter Art, teils entspringen sie auch aus recht bedenklichen
Erwägungen. Vollkommen berechtigt ist die Verordnung an sich
wirkungsloser Mittel, die aber zur psychischen Beruhigung, zum
Tröste und zur suggestiven günstigen Beeinflussung des Kranken
dienen. Dies siud die alten Remedia psychica oder Medicamenta
solaminis causa. Berechtigt ist natürlich auch die Verordnung neuer,
von anderer Seite als wirksam ampfohlener Mittel, deren Nutzlosigkeit
sich erst durch die weitere Beobachtung herausstellt.
Aber damit sind die bei den Aerzten wirksamen Motive zur
Verordnung einer an sich ganz unnötigen Therapie nicht erschöpft.
Dem Wunsche nach einer möglichst aktiven Therapie auf seiten des
Kranken entspricht häufig derselbe Wunsch auch beim Arzt. Ihm
liegt nicht nur au der Heilung oder Besserung des Kranken an sich,
er möchte auch selbst als der eigentlich wirksame und erfolg¬
reich eingreifende Bekämpfcr der Krankheit betrachtet werden.
Nicht die Natur oder der liebe Gott sollen helfen, sondern er, der
Arzt Seine Kunst und seine Geschicklichkeit sollen gepriesen werden,
er selbst will das befriedigende Gefühl des Könnens und der Macht
über die Krankheit haben. Diese erklärlichen psychischen Motive
verleiten ihn nicht selten zu Verordnungen, die an sich ziemlich
gleichgültig sind, aber bei günstigem Verlauf der Krankheit nun doch
leicht als die Ursachen dieses günstigen Verlaufs dargestellt werden
können.
Und endlich darf ich noch einen weiteren Beweggrund zur un¬
nötigen Therapie — da ich nun einmal die Dinge betrachten will,
wie sie sind — nicht unerwähnt lassen, das ist der wirtschaftliche.
Wie jeder Kaufmann seine Ware möglichst reichlich und vorteilhaft
verkaufen will, so wünscht auch der Arzt aus seiner beruflichen
Tätigkeit einen möglichst großen wirtschaftlichen Gewinn zu ziehen.
Mit 'dem Heil des Kranken, das nach dem alten Grundsatz die
Suprema lex des Arztes sein soll, tritt damit die Salus medici in
bedenkliche Konkurrenz. Denn es liegt auf der Hand, daß die wirt¬
schaftliche Verwertung des ärztlichen Handelns bei einer möglichst
vielgestaltigen Therapie viel größer sein kann als bei einer ruhig
abwartenden und beobachtenden Behandlung des Kranken.
Alle die genannten Beweggründe zu unnötiger therapeutischer
Vielgeschäftigkeit waren sicher zu allen Zeiten wirksam. Aber sie
machen sich gegenwärtig noch stärker und häufiger geltend als früher.
Die Kranken lesen und hören jetzt viel mehr von allen möglichen
Mitteln und Behandlungsmethoden. Sie halten sich oft für vernach¬
lässigt, wenn nicht alles mögliche Neue, von dem sie erfahren haben,
angewandt wird. Sie drängen zuweilen geradezu den Arzt zu an sich
unnötigen Verordnungen. Und das wirtschaftliche Denken und Han¬
deln der Aerzte — geweckt und gefördert von ihren wirtschaft¬
lichen Organisationen — ist, ebenso wie bei anderen Berufen, auch
viel allgemeiner und intensiver geworden als früher. Dazu kommt,
daß der Konkurrenzkampf unter den Aerzten immer schwieriger wird.
Ueberall zeigt sich aber, daß die aktiv regsamen Aerzte, die in
jedem Fall mit allen möglichen Mitteln und Kuren, mit Injektionen,
Inhalationen und Bestrahlungen aller Art bei der Hand sind, einen
viel stärkeren Zulauf von Kranken haben, sich einen weit größeren
ärztlichen Ruhm gewinnen und insbesondere weit bedeutendere wirt¬
schaftliche Erfolge erzielen als die wissenschaftlich oft viel tüchtigeren,
aber dabei ruhigeren, abwartenden, kritischeren Aerzte. Kein Wunder,
daß die ersteren überall Schule machen. Niemand lernt mehr die
Dummheit der Menschen kennen als Priester und Aerzte. Wer das
Talent dazu hat, nützt die Dummheit anderer zum eigenen Vorteil aus.
Mundus vult decipi.
So hat sich jene oft so unnötige ärztliche Polypragmasie ent¬
wickelt, die eine der hervortretendsten Eigenheiten unserer gegen¬
wärtigen Therapie ist und als wucherndes Unkraut auch die zahl¬
reichen wertvollen Blüten und Früchte der modernen Wissenschaft
fast zu ersticken droht. Wer sich frei von Schuld fühlt, hebe den
ersten Stein auf. Aber auch ohne Pharisäertum muß doch immer
wieder auf diesen Mißstand hingewiesen werden.
Hätte die an sich unnötige Therapie zur Folge nur die größere
Befriedigung und Beruhigung des Kranken sowie den vermehrten
wirtschaftlichen Nutzen für den Arzt, so möchte die Sache noch hin¬
gehen. Sic hat aber unter Umständen auch eine Kehrseite. Denn
mit der größeren Nutzbarmachung der ärztlichen Berufstätigkeit ver¬
bindet sich natürlich stets auch eine größere Inanspruchnahme der
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Kranken. Ich will nichtein¬
seitig übertreiben. Der Wohlhabende mag sich den Luxus der Dumm¬
heit und der Befriedigung aller seiner Wünsche erlauben, soweit es
ihm gefällt. Aber die gewissenlose Ausbeutung der weniger bemit¬
telten und dabei gleichzeitig oft weniger urteilsfähigen und daher
leichtgläubigeren Kranken, die — eigentlich doch mit Recht! -
wenigstens den approbierten Vertretern des ärztlichen Standes glauben
vertrauen zu dürfen, sollte doch energisch bekämpft werden. Gewiß
handelt es sich nur um einzelne Auswüchse des ärztlichen Treibens.
Sie sind aber immerhin leider häufig genug, um bei dem weitaus
überwiegend großen, ethisch unverdorbenen Teile der
deutschen Aerzteschaft ernste Beachtung zu verdienen.
4. Die schädliche Therapie. Und nun komme ich iu dem
letzten, ernstesten Teile meiner Betrachtungen. Den gewissenhaften
Aerzten aller Zeiten hat stets der mahnende Gedanke vorgeschwebt,
daß der ärztliche Eingriff unter Umständen trotz der besten Absichten
des Arztes auch einen schädlichen Einfluß auf den Kranken aus¬
üben kann. An dem guten Arzt wurde stets auch seine Vorsicht
als anzuerkennende Eigenschaft gerühmt. Das Primum non nocere
galt von jeher als einer der wichtigsten Wahlsprüche für jede ärzt¬
liche Tätigkeit. Nun liegt es aber auf der Hand, daß mit der zu¬
nehmenden eingreifenden Wirksamkeit der ärztlichen Mittel auch die
Möglichkeit ihrer unerwünschten schädlichen Nebenwirkung zunimmt.
So war es sicher ein oft empfundener Vorzug der homöopathischen
Medikamente, daß man niemals einen von ihnen angerichteten Schaden
beobachten konnte. Und anderseits muß die Chirurgie mit ihren
blutigen Eingriffen als Schattenseite ihrer immer zunehmenden be¬
wunderungswürdigen Heilerfolge auch die gesteigerte Möglichkeit
unerwarteter Mißerfolge mit in den Kauf nenmen. Aehnliches gilt,
wenn auch in geringerem Grade, von der immer wachsenden Zahl
sehr energisch auf den Körper einwirkender Arzneimittel. Je größer
die pharmakologische Wirkung eines Mittels ist, desto näher liegt
auch die Gefahr seiner toxisenen Nebenwirkung. Daher sind unbe¬
absichtigte toxische Wirkungen bei den neueren, äußerst wirksamen
chemischen und biochemischen Mitteln weit eher möglich als bei
den älteren, vielfach harmloseren, darum freilich auch wirkungs¬
schwächeren Mitteln. Man denke nur an die traurigen Erfahrungen,
die wir Aerzte mit Sublimat, Karbol, Jodoform, Salvarsan, Optochin,
Sulfonal und vielen anderen Mitteln erst machen mußten, ehe wir die
nötige Vorsicht bei ihrer Anwendung lernten. Es liegt nun auf der
Hand, daß mit der Zunahme der ärztlichen Polypragmasie die Mög¬
lichkeit einer schädlich wirkenden Therapie zunimmt. Ich kann der
heutigen Therapie auch nicht ganz den Vorwurf ersparen, daß das
Streben nach aufsehenerregenden ärztlichen Erfolgen und nach ärzt¬
lichem Ruhm nicht ganz selten das ärztliche Gewissen einschläfert
Die jetzige ärztliche Jugend, vielfach aufgewachsen in den Methoden
und Gedankengängen der „experimentellen Medizin“, unterliegt nut
zu leicht der Versuchung, auch den Kranken zu sehr als Objekt
experimentierender Forschung zu betrachten und dabei die nötige
Vorsicht außerachtzulassen. Ich habe manche traurige Erfahrung
gemacht, daß das Streben nach neuen therapeutischen Entdeckungen
die ärztliche Vorsicht und Gewissenhaftigkeit bedenklich in den
Hintergrund drängte: ich erinnere an die ersten Versuche, die
Syphilis mit giftigen Arsenpräparaten zu behandeln, an die Versuche
der Anästhesierung des Rückenmarks durch eingreifende narkotische
Mittel u. a. Zwar kann man sagen, wer nichts wagt, der gewinnt
nichts, und wer gönnte einem Chirurgen auch nur den leisesten Vor¬
wurf machen, der bei einem unheilbaren inneren Karzinom, einem
Gehirntumor oder dergleichen, sobald auch nur noch eine leise Hoff¬
nung auf die Möglichkeit eines operativen Erfolges bestand, die
Operation vorgenommen hat, auch wenn der erhoffte Erfolg nich!
eintrat? Anders aber liegt die Sache, wenn bei einer vielleicht an
sich ganz unnötigen Operation (etwa einer unnötigen Appendektomie.
Tonsillotomie, Ausschabung des Uterus, Nierenbeckenspülung usw.),
ein Unglück passiert oder nach dem Eingriffe dauernde Beschwerden
und Krankheitszustände nachbleiben. Und ähnliche traurige Ereig¬
nisse treten doch auch nicht ganz selten nach einer vielleicht an
sich unnötigen Anwendung eines eingreifenden inneren Heilmittels ein.
Ich habe früher von der Rechtfertigung gesprochen, welche auch
die unnötige Therapie dadurch erfährt, daß sie durch ihre psvehiscjfre
Einwirkung auf den Kranken oft wesentlich zu dessen Beruhigung
und damit sogar zu dessen Besserung und Heilung beiträgt. Aber —
auch der umgekehrte Fall kann eintreten. Die an sich vielleicht un¬
schädliche, aber unnötige Therapie kann unter Umständen den
gerade umgekehrten seelischen Einfluß auf den Kranken
ausüben, ihn ängstigen und aufregeu. Durch die unnötige Behandlung
wird mancher ängstliche Hypochonder in seiner unbegründeten Be¬
fürchtung, ernstlich krank zu sein, unterstützt und bestärkt, denn
wenn er nicht krank wäre, würde der Arzt ihn doch nicht behandeln.
Gar nicht selten wird die Befürchtung, ernstlich krank zu sein, über¬
haupt erst durch eine gänzlich unnötige verordnete Kur hervor¬
gerufen. Diese unnötige, in psychischer Hinsicht aber zugleich schäd¬
liche Therapie ist meiner Erfahrung nach ein besonders trauriges
□ igitized by Gougle
Original from
CORNELL UNIVERSSTV
5. Januar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
5
häufiges Charakteristikum unserer heutigen Therapie. Ihre Verord¬
nung entspringt zum Teil aus übertriebener Aengstlichkeit und man¬
gelnder Sachkenntnis, nicht selten aber leider aus wirtschaftlichen
Interessen. Um nur einige der prägnantesten Beispiele dieser Art
der schädlichen Therapie zu nennen, erwähne ich zunächst die zahl¬
losen unnötigen Tuberkulosekuren nach allen möglichen Methoden
(Tuberkufin, Serum, Friedmann-Mittel u. a.) bei Personen, die absolut
gar keine tuberkulöse Erkrankung haben, durch die ihnen verordnete
Kur aber in die größte Sorge versetzt werden. Wie häufig derartige
unnötige Tuberkulosekuren verordnet werden, kann nur der Kliniker
und konsultierende Arzt ermessen, der oft Gelegenheit hat, derartige
Kranke später aufs genaueste mit allen Hilfsmitteln der Diagnostik
zu untersuchen und ihre völlige körperliche Gesundheit festzustellen.
Gewiß mag in manchen Fällen das Urteil schwer sein Und daher
zweifelhaft bleiben; daß meine obige Angabe aber häufig den Tat¬
sachen entspricht, wird jeder sachkundige und unbefangene Beurteiler
zugeben. Wie oft werden derartige Kranke erst wieder gesund und
lebensfroh, wenn man sie der Wahrheit gemäß für gesund erklärt
und sie endlich von allen „Kuren“ und den damit verbundenen Weit¬
läufigkeiten und Kosten befreit. Und was von den Pseudo-Lungen¬
kranken gesagt ist, gilt ebenso von den zahllosen Pseudo-Herzkranken,
deren Herzleiden („etwas Herzerweiterung“!) nur in einer wissentlich
oder unwissentlich falschen Diagnose besteht, die aber trotzdem
monate- und jahrelang mit elektrischen Bädern, mit Herzmassage,
mit allerlei Bestrahlungen u. dgl. behandelt werden, gewiß oft mehr
zum Nutzen des Arztes als zu ihrem eigenen Nutzen.
Noch ein m. E. praktisch beachtenswertes Beispiel von un¬
nötiger und zugleich schädlicher Therapie will ich erwähnen:
die vielen jetzt so beliebten, gänzlich unnötigen, durch die an¬
dauernde psychische Beunruhigung der Kranken aber oft höchst schäd¬
lichen Salvarsankuren. Wahrscheinlich wird man sich hier auf
die Verschiedenheit der therapeutischen Ansichten berufen und manche
Salvarsankur für notwendig erklären, die ich für unnötig halte.
Vielleicht irre ich mich auch zuweilen in meinem Urteil. Aber füi
manche Fälle glaube ich sicher recht zu haben, und namentlich führe
ich die folgenden besonderen Umstände an, unter denen ich schon
wiederholt recht traurige Folgen der Salvarsanbehandlung gesehen
habe. Ein vollkommen rüstiger, arbeitsfroher Mann, der über nichts
zu klagen braucht, glücklich verheiratet ist, gesunde Kinder hat,
kommt durch irgendeine Veranlassung oder auf irgendeine vielleicht
ganz unbegründete Vermutung hin zu dem unseligen Entschluß, eine
Wassermannuntersuchung seines Blutes vornehmen zu lassen. Das Er¬
gebnis ist „zweifelhaft“ oder gar „schwach positiv“. Und nun geht der
Jammer an' Der Arzt hält eine „energische“ Behandlung für notwendig.
Kur folgt auf Kur, Blutuntersuchung auf Blutuntersuchung. In kurzer
Zeit ist aus dem glücklichen gesunden Mann ein körperlich und
geistig geschwächter Neurastheniker geworden. Seine Ruhe ist hin
und all sein Glück. Und das hat mit ihren Kuren die „Therapie“
getan!
Und endlich kann ich es nicht unterlassen, auch hier auf das
Treiben mancher „Psy ch oanalytiker“ hinzuweisen. Die „Psycho-
anaJvse“ — ein guter Name für keine ganz gute Sache — hat in
den Köpfen der Aerzte und im Leben der Kranken schon viel
Schaden angerichtet. Es ist hier nicht der Ort, auf dieses traurige
Kapitel der modernen Therapie näher einzugehen. Wer die Verhält¬
nisse kennt und zu beurteilen imstande ist, wird wissen, was ich
meine, und mir zustimmen.
Die angeführten Beispiele werden genügen, um zu zeigen, wie
die unnötige Therapie nicht nur in körperlicher und wirtschaftlicher,
sondern auch in seelischer Hinsicht den Kranken schädigen kann.
Der gewissenhafte Arzt wird daher alle diese Möglichkeiten bei seinen
Verordnungen stets mit in Betracht ziehen. —
Und damit will ich meine Betrachtungen zur Charakteristik der
heutigen Therapie schließen. Ich habe mich bemüht, objektiv und
ohne° einseitige Uebertreibung zu urteilen. Immer wieder will ich
hervorheben, daß man neben dem, was ich glaubte als tadelnswert
bezeichnen zu müssen, auch das viele Gute, das uns die Neuzeit
auf therapeutischem Gebiete gebracht hat, freudig anerkennen muß.
Aber freilich auf keinem anderen Gebiete unserer Wissenschaft sind
der Fortschritt und die Beurteilung des Fortschritts mit solchen
Schwierigkeiten verbunden, wie auf dem Gebiete der Therapie. Ueberäll
sonst in°der Wissenschaft sucht man die reine Wahrheit nur um ihrer
selbst willen Der Therapeut sucht aber die Wahrheit nicht nur um
ihrer seihst willen, er sucht auch zugleich Erfolg und Anerkennung.
Darum ist nirgends ein rein objektives wissenschaftliches Urteil so
schwierig, wie "in therapeutischen Fragen, weil sich hier immer noch
subjektive Einflüsse und Wunsche geltend machen.
Vielleicht wird man an meinen Ausfuhrungen tadeln, daß sie den
li • £* n^ernem der „wissenschaftlichen Heilkunde“ willkom-
zahlreichen Gegnern Bck ’ ämpfung der „Schulmedizin“ in die Hand
m Zi "Trh Glaube gerade das Gegenteil ist der Fall. Die wissen-
8 !+f(fi;rhe ttedkn nde, die diesen Namen verdient — und die Schul-
schaftuche ri Hochschulen ist wissenschaftliche Heilkunde —,
med i^Z* a ?hrn Stellung nicht dadurch, daß sie ängstlich jede Kritik
verstärkt ihre' .rückt, sondern dadurch , daß sie stets deutlich die
n3Ch , 'FrfoAÄun? der ''Wahrheit afe ihr einziges Ziel zu erkennen
reine Erfor^cnu g ^ niir ein so gjbt es auch nur eine
wissenscha fUich e Hc'lkunde, mi „ erc ' n Gegner können nur Bös-
willige oder Ignoranten se .
Konstitutionstherapie 1 ).
Von Fr. Kraus.
Daß kein falscher Ton zwischen mir und dem Leser aufkommt:
der Name Konstitutionstherapie rührt nicht von mir her. Ich will
ihn aber im Folgenden gebrauchen für die Indikationen und
Modifikationen, welche unserer Therapie erwachsen
aus der Berücksichtigung des besonderen (angebore¬
nen und auch erworbenen) biologischen Dauerzustan¬
des eines Einzelindividuums oder ganzer Gruppen von
Menschen: und zwar insofern dieser Dauerzustand eine vorher¬
sehbare, individuell abweichende Reaktion auf gewisse
äußere und innere Reize zur Folge hat. Konstitution in
diesem Sinne ist schon vor der Krankheit da, sie macht sich aber-
auch als Disposition oder als konstitutionelles Moment i n Krankheiten
selbst geltend. Analysierbar sind die maßgebenden Zustände sowohl
morphologisch wie nach Leistungen. Da aber insbesondere der Habitus
(Phänotypus) 2 ) keine völlig sicheren Anhaltspunkte zu geben vermag,
überwiegt, ohne weitgehende Systemisierung, die funktionelle Be¬
trachtungsweise. Diagnostische Kriterien liefert ebenso das Ver¬
halten bestimmter Einzelleistungen wie die Gesamtheit des körper¬
lichen und seelischen Zustands und der Arbeitsweisen einer Person,
vor allem in Hinsicht auf Reizbarkeit, Leistungsgröße, Widerstandskraft
und Krankheitsbereitschaft, Verjüngungsfähigkeit, Lebenszähigkeit des
Organismus. Konstitutionelle Maße werden besonders aus der Haupt¬
leistung des Lebens: Erregung (Erregungsausgleich und Hemmung)
und Adaptation herzuleiten sein.
Therapie kann hier nur im weitesten Sinne gelten. Ist
Biologie die Lehre vom normalen Ablauf des Lebens, so zeigt Therapie,
wie wir die Lebensführung beeinflussen sollen, damit das Leben
behauptet werden kann. Die Konstitutionstherapie ist ebenso wie
die Biologie aus dem Gesichtspunkte der körperlichen und seelischen
Entwicklung der Spezies und des Individuums Mensch zu verstehen.
Der Entwicklung liegt eine arteigene, systematische Verbindung von
Entwicklungsansätzen (genotypisches System) zugrunde. Diese Kom¬
bination manifestiert sich ursprünglich in Einheitlichem, mehr Homo¬
genem, „entfaltet“ sich nachher zu Verschiedenem, wobei jedoch
der Epigenese ein reiches Feld bleibt. Vererbt werden nicht äußere
(phänotypische) Merkmale, sondern die genotypische Reaktions¬
norm bzw. die Dispositionen, auf äußere Einflüsse in bestimmter
Weise zu reagieren. Es kann gar nicht genug betont werden, daß
genotypische Konstitution einerseits, Reize und Lebensbedingungen
anderseits hierbei von gleicher Wichtigkeit sind. Anlagen¬
bestand und Lebenslage bestimmen in wechselseitiger Bedingt¬
heit die Entwicklungsarbeit, und diese dauert durch die ganze
Individualitätsphase fort. Der Genotypus verbindet das art- und
individualgemäße Bildungsgesetz, indem letzteres fortwirkt, mit den
im fertigen Organismus realisierten Prozessen. Abänderungen
können auf Modifikationen durch die zufällige Konstellation der
Umweltbedingungen beruhen (Kondition, Somation) oder erb¬
liche Variationen darstellen (Konstitution im genotypischen Sinn), und
zwar erstlich solche durch Mutabilität der Artzelle infolge Neukom¬
bination zweier artverschiedener Idioplasmen 3 ) oder durch eine solche
infolge direkter Veränderung des Idioplasmas (sprunghafte Muta¬
tion) ohne nachweisliche unmittelbare Einwirkung äußerer Fak¬
toren, zweitens vielleicht doch auch solche infolge Einflusses der
Lebenslage auf den Genotypus. Für unsere Aufgaben ist ferner von
größter Bedeutung, daß immer bestimmter die Chromosomen als Träger
der Erbeinheiten sich heraussteilen, so zwar, daß die Zahl der Chromo¬
somen gleich der Zahl der „Koppelungs“gruppen ist, jedes Chromosom
also eine ganze Anzahl von Genen 4 ) enthält, welche zwischen je zwei
homologen Chrcmosomen ausgetauscht werden; benachbarte Erb¬
einheiten bleiben beim Austausch öfter beisammen als entferntere.
Die Chromosomen-Individualität erhält sich also nur innerhalb des
Einzellebens, nicht durch Generationen. Die Idiovariation (Mutation)
ist in immer ste gendem Maße bedeutungsvoll auch für alles, was
beim Menschen Degeneration heißt. Ebenso gewinnt der Selek¬
tionismus gegenüber dem Vitalismus immer mächtigere Stützen.
Man grenzt nun gegenwärtig Personen- und Rassen hygiene
(Euthenik und Eugenik) voneinander ab. Letztere will als Ver¬
erbung s hygiene durch soziale Maßnahmen die Tüchtigkeit der Erb¬
anlagen eines Volkskörpers heben bzw. deren Minderung verhüten.
Die Personalhygiene, welche nur das ontogenetisch 5 ) fertige
individuelle Leben zum Gegenstand hat, kann nur die bestmöglichen
äußeren Bedingungen, wiederum z. T. durch Sozialpolitik, für Hebung
der Tüchtigkeit und Volksgesundheit schaffen. Ohne ärztliche Therapie
(im obigen Sinne), welche für Euthenik wie für Eugenik gewisser¬
maßen die „gemeinsame Endstrecke“ bildet, sind aber wohl
beide nur unvollkommen durchführbar.
Wie kann der Arzt sich eugenisch betätigen? Da muß man,
obwohl wir dem Mendelismus schon jetzt höchst wichtige prin¬
zipielle Aufklärungen auf physiologischem und pathologischem Ge¬
biet verdanken, nur sagen, daß zu einer direkten Beeinflußbarkeit
*) Auf Wunsch " *) Phänotypus PhSno-men) ist
der Menschentypus, ^ seiner Erscheinung entgegen!ritt, wobei keine Tren¬
nung zwischen ko T W)';..\\onf\len und konditionellen, d. h. also erwor*
iiuiik Awntucu K ^
benen und ang^L."
tun«. l<«^_
• m\\onr\len und konditionellen,«], h. also erwor*
(ererbten 1 ) Eigenschalten pemacht wird. — Geno-
er allein durch die ererbten Paktoren bMmgt
typus (ybo c) ist<Jeyr^t , a(i e V rf \e« a " cin durch die ererbten Paktoren bMmgt
wird. — •) „Anlage^ *Y\ C 4; * Aet Erbmasse. Die Substanz in den Ei- und Samen¬
faden, welche Tra^^^y.4 erbenden Eigenschaften ist. - «) Gene = Erbeinheiten. -
Ontogenie - Entwf^t* ^e TC ^\nen\nd\v\duums.Phylogenie - Stammesgeschichte
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
ö
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 1
der Nachkommenschaft praktisch noch ein weiter Weg
zurückzulegen ist. In der Klinik der Person würde nach ihrem der¬
zeitigen Stande eine zu weitgehende Trennung euthenischer und
eugenischer Bestrebungen eher Verwirrung stiften. Gewiß, auch
der Arzt muß genotypische Konstitution und Modifikation mehr als
bisher auseinander halten. Schon deshalb, weil augenfällige phäno¬
typische Unterschiede sich finden lassen, wo keine genotypische
Differenz vorhanden ist, und weil auch einmal bei Gleichheit der
Phänotypen genotypische Verschiedenheiten da sind. Und sicher hat
auch der Arzt einzusehen, daß mit der Schaffung der bestmöglichen
äußeren Bedingungen allein die Hebung einer verderbten Population
nicht vollständig gelingen kann.
Uns Aerzten kommen erbliche Abänderungen normaler oder
solche pathologischer Natur zur Beobachtung, stets aber Ab¬
änderungen von Rassecharakteren. Schon die Tatsache, daß die
ersönliche Beschaffenheit des menschlichen Individuums über-
aupt doppelt bestimmt ist, setzt, zusammen mit der Kompli¬
ziertheit des Mendelismus selbst, grundsätzliche Schwie¬
rigkeiten für die diagnostische Entscheidung: genotypisch oder kon¬
ditionell. Die Kompliziertheit des Mendelismus geht aus Folgendem
hervor. Ein Haupttatbestand für den Menschen ist, daß mendelnde
Unterschiede gerade zwischen den niedrigsten systematischen Ein¬
heiten bestehen: jede normale geschlechtliche Fortpflanzung inner¬
halb unserer Spezies ist eine Kreuzung im Sinne des Mendelismus.
In Wirklichkeit sind die Bastardierungsprozesse mehrfach hetero-
zygotisch 1 ), während sich das Mendelexperiment meist an die Spal¬
tung bei einfach heterozygotischen Organismen, und zwar solchen,
wo eine Einzeleigenschaft verschieden ist, hält. Das einzelne Gen 2 )
vertritt nicht immer je ein Merkmal. Bei den allogamen Organismen
wirken meist Modifikationen durch die Lebenslage und Neukom 4
binationen (Bastardspaltung) zusammen. Beide Kategorien machen
die gewöhnliche „fluktuierende“ Variation aus. Gegen¬
über der freien Kombination der Gene mendeln zwei oder meh¬
rere persönliche Merkmale nicht unabhängig voneinander infolge
von Faktorenkoppelung (vgl. oben), vielleicht der wichtigsten
Grundlage der Vererbung (zwei Erbeinheiten bleiben bei der Mendel-
Spaltung häufiger beisammen, als sie sich trennen: bei den verschiede¬
nen Arten ist die Zahl der verschiedenen Gruppen von Genen mit
Koppelung verschieden, der Ausdruck der Erbeinheiten zwischen den
homologen Chromosomen kann auf eines der Geschlechter beschränkt
seii). Zur Dominanz und zur Aufspaltung kommt noch
die Kryptomerie (bei der Keimzellenbildung der Fj-bastarde werden
entweder zusammengesetzte Charaktere aufgespalten, oder es werden
von den sichtbar manifestierten Anlagen bei den Stammformen latente
Charaktere abgespalten, die sich einzeln geradeso selbständig zeigen
wie andere Gene). Es werden dadurch in der F r Generation nicht
zweierlei, sondern eine größere Zahl von Gametenarten 3 ) geliefert,
welche nach der Isolierung in späteren Generationen zum Vorschein
kommen. Fernerhin der Umstand, daß sich das Artbild aus einer
Summe von Erbanlagen zusammensetzt, die, einer Anzahl von Arten
gemeinsam, bei den einzelnen Arten (bis zur Mendelart) sehr ver¬
schieden kombiniert sind. Die in einem Bevölkerungskörper der¬
selben Art vorhandenen Entwicklungsformen erschöpfen nicht den
ganzen Umfang der in ihrer genotypischen Konstitution liegenden
Möglichkeiten („Ueberschläge“, zum normalen Merkmalskomplex
gehörig, aber nur unter ungewöhnlichen Bedingungen manifestiert),
weiter die Schwächung gewisser Anlagen, welche bloß von der
einen Zeugungszelle „einschichtig“ überbracht sind, in der Zygote
(Genasthenie). Endlich bleibt bei Fremdbefruchtung das Zahlen¬
verhältnis von F ? in den drei Formen von Individuen nur fortbestehen,
falls alle theoretisch sich ergebenden genotypischen Konstitutionen
in gleichem Maße an der weiteren Fortpflanzung beteiligt sind. In
Windichkeit findet aber überall Selektion statt: Zygoten 4 ) gehen bei
der Ontogenese frühzeitig zugrunde, die theoretisch möglichen Zustände
kommen nicht alle zustande, nicht sämtliche Individuen nehmen teil
an der Erzeugung der folgenden Generation. Dies ist eine Haupt-
cuielle der vorkommenden Nichtübereinstimmung zwischen den nach
der (hier als bekannt vorausgesetzten) Mendeltheorie zu erwartenden
Zahlen und den faktischen Befunden. „Reine Linien“ dürften wir,
falls so etwas für den Menschen überhaupt möglich wäre, gar nicht
anstreben. Bei Wirbeltieren kann schon nicht ohne Schaden Inzucht
etrieben werden. Selbst von pflanzlichen Bastarden ist sichergestellt,
aß sie besser gedeihen und mehr Samen liefern als die Elterrassen.
Wenn ferner die in der Artzelle gegebene Anlage nur mittels
eines Systems von äußern Bedingungen schrittweise
entwickelt werden kann, wenn der Zusammenhang zwischen den
inneren und den realisierenden Faktoren untrennber ist, so sind
schon rein theoretisch beide kaum auseinanderzuhalten. Auch wird
sich kaum näher oder gar vollständig bestimmen lassen, inwieweit und in
welcher Weise denn nun eigentlich der fertig gebildete Organismus (Phä-
notypus) in der Organisation der Artzelle präformiert ist und was man
physiologisch unter Vererbung von Merkmalen zu verstehen hat.
Echte Erblichkeit besagt vorwiegend statistisch: Anwesenheit gleicher
Gene bei Nachkommen und Vorfahren. Klinisch und überhaupt
praktisch läuft die von der exakten Erblichkeitsforschung einge¬
führte „falsche Erblichkei t“, die Umprägung von Organismen ge¬
schlecktem durch Milieuänderung ohne genotypische Aenderung,
*) Aus der Vereinigung ungleichartiger Geschlechtszellen hervorgehend.—•) Siehe
Fußnote 2 auf S. 5. — *) Gameten = die beiden Zellen, die sich bei der Konjugation und
Kopi lat*on miteinander vereinigen. — 4 ) Die durch Kopulation der männlichen und
weiblichen Gameten entstandene Entwicklungsstufe.
beinahe auf dasselbe hinaus, wie die wirkliche. Ohne genotypisdie
Aenderung ist durch „Induktion“ und „P r ä i n d uktion“
eine durch mehrere Generationen sich bemerkbar
machende Beeinflussung möglich, wenn die Lebenslage
gleichbleibt. Man denke dabei z. B. an den Habitus asthenicus.
Es gibt einen rassemäßigen europäischen Hochwuchs ohne Kümmern.
Aber die vom Lande in die Großstadt übersiedelnden Familien mit einer
Durchschnittsgröße von 1,65 m hinterlassen ganze Geschlechter mit
hochwüchsigen (1,80—1,90 m) und darunter vielfach kümmernde Indi¬
viduen. Die Diagnose der echten und falschen Erblichkeit im Einzelfall,
des Genotypisch-Individuellen, wird klinisch durchaus nicht immer
möglich sein. Planmäßige Züchtung der zwei bis drei ersten Bastard¬
generationen (Inzucht) bleibt beim Menschen natürlich ausgeschlossen.
Mit dem statistischen Verfahren (Davenport, Bäte on) ist
nicht immer das Auslangen zu finden. Eine klinische Diagnose
des Zeugungs wertes gegenüber dem persönlichen Wert
(„solche Eltern bekommen solche Kinder“) ist ebenfalls, und auch
da bloß in bezug auf eine oder die andere quantitative Eigenschaft, beim
Tier nur bei kreuzweiser Paarung aus der Beschaffenheit der
Nachkommen möglich. Diese „di all eie“ Kreuzung (z. B. von
Forellen) stellt für die Zukunft vielleicht eine aussichtsvolle Methode
relativer „Veredelungs“züchtung dar und gleichzeitig ein Verfahren, die
erblichen Verschiedenheiten vollkommen heterozygotischer Individuen
zu messen. Sie weist einen Weg zur Beurteilung der Einwirkung der
Außenbedingungen und des Einflusses der erblichen Grundlage, sie
würde also wirklich, falls die Sache praktisch ginge, eine Messung des
Abstandes zwischen Genotyp und Phänotyp beim einzelnen (Forellen-)
Individuum ermöglichen. Es fehlt jedoch nicht an gegnerischen Kritiken
dieses ganz neuen Verfahrens. Es wird dabei dasselbe Weibchen mit
mehreren (a) Männchen, bzw. ein Weibchen mit mehreren Männchen
(b) gepaart, wobei (unter einheitlichen Milieuverhältnissen) axb ver¬
schiedene Nachwuchskombinationen entstehen. Durch Subtraktion der
sich hierbei ergebenden Gleichungen für das Verhalten bei der
Kreuzung wird der Unterschied einerseits zwischen den Weibchen,
anderseits zwischen den Männchen bestimmt und diese klassi¬
fiziert. Nehmen wir nun einmal au, es wäre, durch eine Revolution
etwa, erreicht, daß menschliche Staatszuchtanstalten eingerichtet wür¬
den mit provisorischen Zuchtkandidaten und -Kandidatinnen (die Zahl
der ersteren brauchte viel geringer zu sein), aus denen die wirklichen
und ständigen Menschenhengste und Staatsmütter nach den Etgebnissen
der diallelen Kreuzung auszuwählen sind, während vielleicht die übrigen
Männer im Lande „human“ kastriert würden (ich erinnere an einen
Roman Aage Madelungs: Zirkus Mensch): W orauf hinaus
wäre denn dann, bevor die, besonders von seiten der Weiber
sicher zu erwartende, Gegenrevolution diesem utopis tischen Spuk ein
Ende machte, quantitativ zu züchten? Der Mensch lebt nicht
im Urwald oder in einem Stall, sondern in einem Kuitursystem
mit intellektueller Aktivität, seine quantitativen Eigenschaften beschrän¬
ken sich nicht auf die wenigen von uns bevorzugten Merkmale von
Getreidearten oder Rindern!
Mit Unrecht hält sich die Nosologie vielfach noch an die sta¬
tistische Fiktion des „normalen Durchschnittsmenschen“, an den
beiläufigen Begriff des absolut gesunden Individuums, bei dem alle
Abweichungen durch die sich kreuzenden Tendenzen der Vererbungs¬
und Variationsfähigkeit aufgehoben wären. In Wirklichkeit besteht
selbst der scheinbar ziemlich einheitliche Phänotypus einer Popu¬
lation immer aus einem Gemenge von Elementararten. Zwei ver¬
schiedene Menschen einer Millionenbevölkerung mit freier Panmixie 1 )
sind kaum jemals genotypisch identisch, sondern komplizierte Hetero¬
zygoten. Die gegenseitigen Unterschiede verknüpfen sich bei jeder
geschlechtlichen Fortpflanzung (Bastardierung) kaleidoskopartig aufs
neue. Mit den gewöhnlichen Verwandtschaftsbezeichnungen hängt
die in der genotypischen Konstitution gegebene Reaktionsnorm nur
unsicher zusammen, man kann aus der Abstammung nicht direkt auf
letztere oder umgekehrt schließen. Die Mutation einer Zelle braucht
durchaus nicht der „Ortho“genese zu dienen, ja letztere verliert durch
den Zusammenhang von genotypischer Konstitution und Karyomitose
allen Boden. Man ist bereits imstande, Pflanzen und Tiere mit ab¬
weichenden Chromosomenzahlen experimentell zu erzeugen. Künstlich
tetraploid gemachte Formen 2 ) müssen aber, den diploiden gegenüber,
ewissc Benachteiligungen zutagetreten lassen. Eine mutierte Zelle
ann ganz im allgemeinen auch eine Karzinomzelle sein: und so sehen
wir gerade hier eine Quelle nicht bloß von Ab-, sondern auch von
Entartung.
Die Wirkung der Lebenslage ist, neben der Neukom-
binatiQn, ein zweiter Faktor der fluktuierenden Variabilität. Das,
allerdings über die Artgrenzen nicht hinausgehende, Divergieren
der Entwicklungsarbeit in Differentiation und Integration des meta-
zoischen Organismus, welche beide während der Individualitäts¬
phase sich in der Norm ein Gleichgewicht halten, beruht auf Dämp¬
fung anderweitiger artgemäßer Entwicklungsansätze in den Ge¬
weben mit organspezifischer Energie. Die sich ergebenden onto-
enetischen Unterschiede der Individuen begründen deren spezielle
edeutung schon in den tiefstehenden Biozönosen, vor allem aber
auch das Menschenglück im Kultursystem, weil sie die soziale
Brauchbarkeit entscheiden. Aber als Beschränkungen von
Entvvicklungsmöglichkeiten der Art enthalten auch sie einen
Keim zur Degeneration. Alle Biozönosen, auch die lockersten
*) Geschlechtliche Vermischung aller (für den Kampf ums Dasein gut und schlecht
ausgestatteter) Individuen. — *) Siehe Fußnote 2 auf S. 5
Digitized by Go gle
— Original from
CORNELL UNIVERSUM
5. Januar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
7
(z. B. Pflanzengesellschaften, Austembänke), führen zu Arbeitstei¬
lung und damit zu einer eigentümlich differierenden Ausbildung
bestimmter Organe der beteiligten Tierspezies, zu gewissermaßen
von Individuum zu Individuum verbundenen und zusammenarbeiten¬
den, aber auch in stark einseitiger Richtung sensibilisierten In¬
strumenten, welche alle chemisch-physikalischen und biologischen
Einwirkungen gerade dieser Biozönose dauernd aufweisen: schon
eine Austernbank z. B. ist nicht wie die andere: Jede Lebensgemein-
scpaft ftt somit ein einheitliches Gefüge, in gewissem Betracht ähnlich,
w,e die - a - e ^ en ‘. m differenzierten metazoischen Organismus durch
gesetzmäßige Beziehungen verbunden sind. Der Menschenstaat stem¬
pelt jedes Individuum, sei es zum Untertan oder „freien“ Bürger,
■mner jedoch als Herdenorgan ab. Dann kommt aber das Leben
und stellt Ansprüche an . alle Entwicklungsmöglichkeiten der Art,
gerade auch an die zurückgestellten, z. B. ein Krieg, eine Hungersnot,
eine Epidemie. Der Staat, obwohl er an die natürliche Biozönose
anknupft, macht also die Selektion besonders gefährlich. Schon die
Ehe bzw. die Brutpflege intensiviert die Biozönose (vgl. die Bienen)
und kann dadurch verkümmernd wirken. Durch noch stärkere Stei¬
gerung der Bedingungen des bloßen organischen Lebens („Men¬
schenstaat ein Organismus“) allein kann die Gesellschaft nicht
emp o rgezüchtet werden: neben der Entwicklung behaupte die Ge¬
schichte ihren Platz!
Nicht bloß eine genotypische, auch eine phänotypische, ja selbst
eine _ historische Wurzel hat also Gedeihen und Entartung einer
Biozonose. In menschlichen Kultursystemen gibt es auch Kombi¬
nationen: den echt erblich Schwachsinnigen (Moronen) z. B. kann
das Milieu zum Verbrecher machen. In allen Schichten einer Po¬
pulation gibt es dieselben Minderwertigen, die Oberklassen „ver¬
bergen“ sie nr? besser. Weitaus nicht alles Entartete aber ver¬
erbt sich!
Machen wir uns aus therapeutischen Gesichtspunkten einmal klar,
was die Entartung charakterisiert: 1. Ueberstarke Variabilität,
zusammenhängend mit Ueberempfindlichkeit und Tendenz zu negativer
Reaktion. 2. Auch Dauerermüdung bzw. Pseudoermüdung gehört dazu.
3. Mit der Verkümmerung der Gesamtheit artgemäßer Entwicklungs-
raöglichkeiten hängen zusammen das paihologische Prinzip der In¬
volution, die Neotenie und die Psychoneurosen, wie ich diese in
meiner Pathologie der Person geschildert habe. Dazu kommt noch
4. die besonders starke Gefährdung durch planlose Selektion.
.Nach allem diesem wiederhole ich die Frage: Worauf hinaus
wäre im menschlichen Kultursystem mit seinen geschicht¬
lichen Umstellungen (Zunftwesen, Manufaktur, Kapitalismus)
quantitativ zielbewußt zu züchten? Wo sind die somati¬
schen (sozial-anthropologischen) Regeln, wo ist die Psyche *echnik,
welche darüber Aufschluß gibt und solche Ideale verwirklichen hilft?
Platon z. B. in seiner Politeia vermochte nicht einmal eine halb¬
wegs vollständige Definition seiner Phylakes des Staates zu geben.
Die heutige Soziologie wird noch vielfach sehr deduktiv betrieben,
die Physiokraten, die Städteauflockerer arbeiten mit starken Vor¬
urteilen. Die Konkurrenz der biologischen und patho-physiologischen
mit wirtschaftlichen, rechtlichen, historischen und ethnographischen
Problemen erschwert die Lösung einschlägiger Fragen ungeheuer.
Neue Erfindungen gleich neuen Organprojektionen (im
Sinne von Kapp) wirken ganz wie Mutationen. Auch kommen wir
nicht um die Tatsache herum, # daß der faßbare augenblick¬
liche Zustand der Rasse, von welchem wir jeweils tatsächlich aus¬
gehen müssen, doch der Inbegriff aller persönlichen Eigen¬
schaften ist. Individuell und praktisch greift konstitu¬
tionelle Therapie diese Dinge noch am besten an als
abweichende psychologische und physiologische Zustände.
Wir haber gesehen, daß der bisher gesichertste Weg der Neu¬
bildung von Biotypen, also von echt erblichen Variationen, geht:
über die Keukombi natton von Genen bei Kreuzungen und über die
Mutation. Wenigstens bei den Pflanzen gibt es tatsächlich bereits
eine Kombinationszüchtung. Nach Baur ist es zweckmäßig, aus
einer Kreuzung zweier Rassen, die eine große Zahl von Neukom¬
binationen in F 2 ergeben, um eine gewünschte Kombination homo-
zygotisch zu erhalten, nicht in der F 2 -Generation die Individual-
Selektion beginnen zu lassen, sondern erst später, weil sehr rasch
die Zahl der Heterozygoten kleiner wird. Die züchterische Individual-
auslese geschieht nach einem bestimmten Schema. Von vornherein ist
nun aber wahrscheinlich, daß eine herausgezüchtete Getreideart, welche
auch auf kümmerlichem Boden ihr Fortkommen findet,
in den hier meist in Betracht kommenden quantitativen Eigenschaften
kaum das Durchschnittsmaß erreichen kann. Ob die Lebens¬
lage bzw. das Experiment förderlich auf die genotypische Grundlage
einmal selbst direkt wird orthogenetisch einwirken können, ist
problematisch . In der Zeit, in welcher die fermentative Verlängerung
der Kohlenstoffketten möglich geworden ist, braucht man auch nicht
an der Herstellung von F e rmentko m b i n a tione n, wie sie im
Genotypus vermutlich gegeben sind, völlig zu verzweifeln.
Alles in allem muß der Medi^j ner ^ der seine Hypothesen von
Andern sich machen zu lassen a/j^ s tark gewöhnt ist, endlich ver¬
stehen^ daß gerade die ^ e ** kt * V ere rbungslehre gezeigt hat, wie
wenig' Entwicklung überWisch ist mit der Vorstellung be¬
stimmter Deszendenzreihen im ^e/, ea j 0 gischen bzw. geschichtlichen
Sinne und mit Orthogenes e.
Daß ein Schwachsinniger enj Zuchtwert hat, braucht man
nicht ‘us den Fingerbeeren » cj,^Jf ostiziere n. Praktisch-thera¬
peutisch aber Bleiben der Rassenhygiene (Eugenik) hier wie über¬
all vor allem Maßregeln der Selektion. Wir praktischen Aertte
können gewiß viele unvernünftige Ehen durch unsern Einspruch ver¬
hindern. Man wünscht auch gesetzliche einschlägige Maßnahmen:
Untersuchung der Brautleute, Eheverbote, „humane“ Kastration. Ich
möchte darüner nicht absprechen, aber erst die Erfahrungen abwarten,
welche mit dergleichen Gesetzen und Verordnungen in Amerika ge¬
macht werden, wo gegenwärtig ein derartiges Experiment im Großen
angestellt wird. Für eine allgemeingehaltene Indikation der vor¬
zeitigen Schwangerschaftsunterbrechung aus eugenischen, Gesichts¬
punkten werden sich nur wenige Aerzte erwärmen.
Noch schwieriger ist es für uns Aerzte, eine feste Stellung einzu¬
nehmen gegenüber dem menschlichen Reproduktionspro¬
blem (Geburtenrückgang und Geburtenregelung). Hier tobt der
Streit, auch fehlen Rechtsgrundlagen zum Eingreifen. Dem Ueber-
völkerungsgespenst der Malthusdoktrin des klassischen Darwinis¬
mus läßt z. B. Goldscheid nur einen Rest von Geltung: die Be¬
teiligung des Individuums bedeutet die Hingabe an einen lustvollen
Trieb, die Vermehrung der Subsistenzmittel kostet „unlustvolle“
Arbeit. Mit der Spencer sehen Formel, nach welcher auch die
Fruchtbarkeit eine biologische Anpassungserscheinung ist (abnormer
Vernichtung folge abnorme Vermehrung), können wir nicht mehr
das Auslangen finden. Manche überkonsequente Neodarwinisten be¬
trachten überhaupt die Kultur als Kontraselektion und
verstehen unter Eugenik die Bekämpfung der letzteren. Gebesserte
Lebensstellung sei kein rassebesserndes Moment, Hauptmotor der
Entwicklung sei vielmehr Naturauslese und Völkerkampf. Manche
wiederum sehen das Heil in der weitestgehenden willkürlichen Begren¬
zung der Kinderzahl; starke Vermehrung * sei bloß eine primitive
Eigenschaft niederer Geschöpfe. Höchst bemerkenswert scheint mir
demgegenüber der Standpunkt E. Baurs und Grotjahns. Ein Volk
mit Selektion gerade der Besten, wie sie eine ganz willkürliche
Regelung, z. B. zunächst die absolute Beschränkung der Kinder¬
zahl mit sich bringt, wobei die einzelnen Teile der Bevölkerung diese
Einschränkung noch dazu ungleich stark durchführen, bringt den
Verfall des Volkes mit sich. Denn ein Heterozygotenbestand bleibt
in-seiner Buntscheckigkeit bestehen, eben solange kein Selektions¬
prozeß eingreift. Anderseits gestattet, wie Goldscheid und Grot-
jahn auseinandersetzen, das Kultursystem auch nicht, alles dem
generativen Automatismus zu überlassen, ein Rationalisieren, ein
Öekonomisieren der Reproduktion sei geboten. Je ernster speziell
wir Aerzte dieses Problem erfassen, desto leichter können wir in
naheliegende peinliche Konflikte kommen. Zuletzt sind es wir, die
auch den ganz gesunden Menschen die Instrumente der kondomalen
Liebe zu empfehlen hätten. Unbedingt muß man Grotjahn zu¬
stimmen, wenn er hohe Kapitalsanlagen für die Menschenproduktion
bzw. für eine besonnene Steigerung der Menschenzanl fordert.
Wenn, nach dem Vorstehenden, vorbeugende und therapeutische
Bestrebungen züchterischer Art, zumal beim Menschen, so schwer
in Gang zu bringen und zu regulieren sind, muß man die Eugenik,
wie Johannsen sagt, durch Euthenik, welch letztere im einzelnen
ia in Eugenik übergehen kann, stützen. Wenn ich weiß, daß das
Wechseln der Kleider usw. mit der Laus das Fleckfieber aus der Welt
schafft, werde ich dann warten, bis eine (die Euthenik verketzernde)
Erblichkeitsforschung eine Menschenrasse ohne Chemorezeptoren für
das Virus, also eine mit diesbezüglich natürlicher Immunität heraus¬
gezüchtet hat? Ein neues Keimplasma sollen wir bekommen. Gut,
sehr gut! Aber jeder mutierte Organismus ist, wenn nicht gerade
bloß die Farbe der Haare u.dgl. geändert worden, auch krank:
er muß sich erst sein neues Milieu schaffen. Bekämpfung des
Alkoholismus, der Syphilis, richtige Ernährung, Wohnungspflege u. a.
können sich in ihren praktischen Folgen für die Konstitution des
Einzelnen und des Volkes daneben sehr wohl sehen lassen.
Erst die psychophysische Betrachtung der Zustands- und
Leistungseigenschaften des Phänotypus wird für die Zwecke der
ärztlichen Euthenik die das Wesen umfassende.
Das Kind projiziert seine Vorstellung der Welt nicht aus dem In¬
nern hinaus, es lernt sein „Ich“ von der Welt absondern. Der Grad, in
welchem die verschiedenen Menschenrassen die Kraft des Ichgefühls
empfinden, ist sehr ungleich: je weiter westwärts, desto „persönlicher“
werden die Völker. Für die fernöstlichen Menschen ist die geistige
Individualität eine „flüchtige Illusion“. Die Einheit des Ichs kann wirk¬
lich nur als eine Art von Zweckeinheit gelten, das Geistesleben ist
teleologisch und aktiv im Sinne von vorwiegend automatischer Denk-
und Handlungsökonomie: sein Ordnungsprinzip gründet sich biologisch
zuletzt auf die Mneme der Gattung. Gerade die Völker des starken
Ichgefühls sind nun aber auch diejenigen, welche das Verhältnis von
Person und Sache nebengeordnet so verstehen, daß die Teile der Welt
völlig analytisch und nur dinglich oder tatsächlich zu betrachten
sind. Sie huldigen nur dem Dogma der Wirksamkeit für die Erhöhung
des Lebensgefühls und der Aktivität, also dem Grundtrieb der Selbsf-
erhaltung. Wissenschaft ist dort bloß: abgekürzte Praxis. Die An¬
dern projizieren zu se hr verdoppelnd ihre eigenen Eigenschaften'
hinaus, weniger ihr« Logik als ihre Emotionen und Träume und
ergänzen dichteris^u j‘ ie Kluft zwischen Geschichte und Natur. Mir
scheint gerade biologischen Gesichtspunkten eine „thera¬
peutische“ SyuLw^ * eW* m Sinne von E. Hering, der sich
nicht mit dem des Räderwerks der Uhr begnügt, son¬
dern auch ihre foehagt, um aus deren Stellung und Be¬
wegung auf Aes versteckten Mechanismus schließen zu
können, spezi^^v^tt^ ^gabe unseres Volkes, mitten zwischen
w\e
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
8
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 1
westlichen und östlichen Nationen, zu sein. Besonders sollte die Er¬
ziehung in unserem Kultursystem die Natur als Komplex von Ge¬
setzen, die Gesellschaft als solches von Zwecken lebendig machen.
Im übrigen haben wir Mediziner uns viel mehr als aut die sub¬
jektive auf die von Edinger, Pawlow, Bechterew u. A. begrün¬
dete objektive Psychologie zu stützen, welche auf Bewußtsein und
Willkür verzichtet und sich an die Aeußerungen der Motilität, vom Re¬
flex bis zu den kompliziertesten Handlungen, hält. V’or allem haben wir
Medizinc” unsere höchste Aufmerksamkeit den Engrammen (Erinnerungs¬
bildern) 1 ) früherer Reize zuzuwenden. Alle Funktionen, welche die ob¬
jektive Psychologie zusammenfaßt, beruhen in ihrer ganzen Entwicklung
während des Kindesalters und beim Erwachsenen nur auf der Hinter¬
lassung von Spuren (einfacher Assoziationsreflex als Kreisreaktion
und Nachahmung, die Konzentrierung, die Symbolisierung, die „per¬
sönliche Sphäre“ im engeren Sinn). Der Vorrat der persönlichen
Erfahrung ist nichts anderes als die Gesamtheit der Engramme ver¬
gangener und teilweise gehemmter Assoziationsreflexe. Schon die
instinktiven Reflexe (Emährung;s-, Geschlechtstrieb, Selbsterhaltung,
mütterlicher, sozialer Instinkt), im allgemeinen vererbte komplizierte
Automatismen (Reflexketten) gewöhnlicher Art, sind mit beeinflußt
durch individuelle Erfahrung und Nachahmung. Wer die Engramm¬
bildung und die Wiederbelebung der Spuren erziehe¬
risch in der Hand hält, kann im Kultursystem minde¬
stens ebensoviel für die Erhaltung und Hebung der
Population leisten, wie der Schöpfer eines neuen Genotyps für
eine Rasse. Stellen wir uns ernstlich auf den Standpunkt der Ab¬
hängigkeit des Seelischen vom Gehirn, müssen wir ein organisatori¬
sches Fortschreitgn des letzteren mit dem unleugbaren fortwährenden
geistigen Entwicklungsprozeß der menschlichen Individuen, wenn auch
innerhalb des Rahmens der Art, annehmen. Diese Entwicklung aber
erfolgt durch Einflußnahme der Umgebungsverhältnisse. Auf den Be¬
ziehungen der Engramme beruht auch die persönliche Aktivität,
welche uns an die Umgebung heranbringt, unsere Reaktionstypen,
also auch unsere Konstitution zu ändern vermag und das Milieu
gestaltet. Der natürliche Trieb nach Anstrengung als solcher
ist durch die Erziehung am meisten zu entwickeln, etwa so
wie der Appetit zum Essen oder die sexuelle Libido kulturelle Beein¬
flussung erfahren hat. Schon jede Sinneswahrnehmung ist nicht bloß
vom Standpunkt der Erregung, sondern auch von dem der Adaptation
ans Milieu zu betrachten. Besonders das gegenüber der Geistes- und
Leibestätigkeit bei uns vernachlässigte Spiel kommt hier als mächtig
fördernder Faktor in Betracht. Nachahmung und Suggesti-
bilität spielen eine Hauptrolle bei allen nicht direkt
ererbten assoziativ-reproduktiven Reflexen. Beides sind
auch physiologische Gegenstände. Gerade der Arzt kennt aber
am besten ihre pathologischen Grenzen. Viel mehr als bis
heute müssen daher auch wir mitwirken an der Begrenzung der
Suggestion in der Kindererziehung. Als Zwischenstufe zwischen in¬
stinktiven und „vernünftigen“ Handlungen ist die Nachahmung
anzusehen. Im Kultursystem selbst spielt eine Hauptrolle neben der
Toleranz die Autorität. Abgesehen von der Gattungserfahrung,
in der letztere wurzelt, spielen die an sie geknüpfte Nachahmung
und die bei uns zu wenig gewürdigte Massensuggestion eine große
Rolle. Je passiver die Personen, z. B. die hypnotisierten, sind, desto
gefährlicher wird die Suggestion. Man muß deshalb einen bio¬
logischen Zustand bevorzugen, den man in neuester Zeit im präg¬
nanten Sinne Wachheit genannt hat. Ueberall hat hier die Me¬
dizin pädagogisch, soziologisch usw. mitzusprechen, dies alles ge¬
hört in die ärztliche Bevölkerungspolitik. Die Klinik
darf gar nicht ausgeschlossen werden von der Beeinflussung der
Belebung der Eindrücke, denn hier entscheiden auch rein soma¬
tische Bedingungen, wie Alter, Geschlecht und individuelle Konstitu¬
tion. Die Arbeitsphysiologie liefert neben und mit der Psycho-
technik die Regeln bei der Abwechslung von geistiger Tätigkeit,
körperlicher Anstrengung und Spiel hinsichtlich der Uebung, des
Grades der Ermüdbarkeit u. a. Beide zusammen sollen in Zukunft
die Menschen den für sie passenden Berufen zuführen. Die rein
biologische Grundlage der „Symbolisierung“ von Spuren, auf welche
zuletzt alle unsere sittlichen und Rechtsverhältnisse zurückgehen,
geben uns ein Anrecht, auch auf diese Einfluß zu üben. Ihre
erzieherische Beeinflussung ermöglicht die Handhabung von mne-
mischen*) Kombinationen, welche uns loslösen von der Beschränkt¬
heit der instinktiven Reflexe und, mit der Erhebung über die Umwelt,
die Persönlichkeit entwickeln. Letztere, einmal entwickelt, leitet
dann auch selbst wiederum die Konzentration und die Auslese der
assoziierten Spuren.
Ich habe versucht, für die Konstitutionslehre den Personalis¬
mus (die Person zunächst im Sinne der generellen Morphologie ver¬
standen) zu stärkerer Geltung als bisher zu bringen. Es wird vielleicht
Verwunderung erzeugt haben, warum ich gerade Erholungs¬
fähigkeit und Ermüdung als ein Maß der Konstitution be-
zeichnete. An und für sich ist Ermüdung nicht schädlich. Die Vor¬
aussetzungen dafür findet der Leser in den wichtigen Unter¬
suchungen von Parnas. Der Stoffaufwand bei der Muskelarbeit
dient ganz direkt der Erholung. Anderseits beweist die
Praxis, daß selbst eine geringe Ermüdung, die vom Arbeiter kaum
empfunden wird, wenn si£ lange Zeit immer wieder in gleicher
Weise, etwa in demselben Muskelkomplex, sich geltend macht, zu
*) Siehe Fußnote 2. — •) Mneme nennt R. Semon zusammenfassend das individuelle
und des StammescedSchtnis. Die Mneme ist der Inbegriff der „Engramme“, d. h. der
dauernden Veränderungen, welche Reize in der organischen Substanz zurticklassen
frühzeitiger und irreversibler Schädigung des objektiven und sub¬
jektiven Befindens, mindestens zu verschlechterter Arbeitsökonomie
führt. Viele Krankheiten disponieren besonders stark zu Ermüdung
und Dauerermüdung. Wenn ein in jedem Betracht ungleichwertiges
Menschenmaterial ohne Rücksicht auf die besonderen Unterschiede der
geistigen und körperlichen Verfassung den gleichen Anforderungen
unterworfen wird, kommt es leicht zu einer irreversiblen Schädigung
der physikalisch-chemischen Struktur der Muskeln, etwa wie bei
längerer direkter elektrischer Reizung. Dann, nach erfolgter Schädi¬
gung, erst tritt im gegenwärtigen Kultursystem die „Fürsorge“
ein, welche überdies bezüglich der Kosten die Allgemeinheit
belastet. Das Natur- (Entwicklungs ) recht begründet die Forderung
des Arbeiters, daß die industriellen Betriebe selbst eine fort¬
laufende ärztliche Beobachtung seiner Gesundheit vornehmen
lassen. Da der individuellen Organisation angepaßte Arbeit die
Dauerermüdung nicht erzeugt, müssen wir Aerzte diese Forderung
befürworten. Eine breite Verallgemeinerung dieser fortlaufenden
Untersuchung annoch „Gesunder“ ist überhaupt ein dringendes Postu¬
lat. Die Berücksichtigung der Grenzen von Gesundheit und
Krankheit ist praktisch ergiebiger als die Krankenheilung selbst
Die einschlägige Therapie besteht nicht bloß in Sommerfrischen
u. dgl.: Wechsel der Arbeit selbst (z. B. Siedelungstätigkeit mit teil¬
weiser Eigenversorgung) ist für den heutigen taylorisierten Fabrik¬
arbeiter noch viel besser. Eintönige Arbeit vernichtet die Lust des
Anstrengungstriebs ebenso, wie einseitige Kost „abgegessen“ macht.
Bei den endogen Deprimierten gibt es eine „falsche“ Er¬
müdung. Kaum daß sie die Tagesarbeit begonnen haben, klagen
viele Fabrikarbeiter über Ermüdung, während sie im Sportverein
ziemlich leistungsfähig sind. Hier handelt es sich um Kontra¬
suggestionen mit Hemmung, wie sie ähnlich auch der wirklichen
Ermüdung zukommen. Die Therapie ist auch da keine völlig andere.
Ich habe weiterhin gewisse adaptative Zustandsänderun¬
gen, welche den Organismus oder die Organe vor Ermüdung und
Erschöpfung schützen, der Konstitutionslehre zur Berücksichtigung
empfohlen. In diesen Fällen finden wir eine eigenartige gesteigerte
Reizsamkeit mit nachträglich verringerter Leistung, selbst bei stäncster
Beanspruchung, verbunden (hypodyname Reaktiousweise). Entschei¬
dend ist nicht die Reizschwelle, sondern die Unter¬
schieds schwelle. Die Schwäche der Leistung ist dann nicht
Folge von wirklicher Erschöpfung. Das Wesen des artgemäBen
Stoffwechsels ist, neben fortwährender Arbeitsbereitschaft, Ver¬
hütung der Erschöpfung. Entgegen den. äußeren chemisch-physi¬
kalischen Einflüssen erhalten die organischen Bedingungen das
vitale System beständig in einer gewissen Lage oberhalb des
definitiven Gleichgewichts. Durch Uebergang aus einem in ein
anderes dynamisches Gleichgewicht, indem Störungen der Protoplasma-*
Zusammensetzung automatisch Hemmungen auslösen, schützt sich nach
E. Hering das vitale System vor Erschöpfung, wird aber insofern
minderwert g, als ein Zustand von verminderter Arbeitsbereitschaft
und geänderter Erregbarkeit eintritt. Schon unter dem Einfluß des
gewöhnlichen Reizfeldes treten derartige Individuen adaptiert ein
in einen Erregungsvorgang, sie fühlen sich bloß wohl in einem
weniger intensiven Reizfeld als in dem der Gesunden. Die Therapie
muß eine Uebungstherapie'sein.* Solchen Menschen, besonders in
den Großstädten, fehlt, neben der Wohltat der Leibesübung, vor allem
der Kälte reiz und der Reiz der bewegten Luft. Es scheint
mir ein überaus dringendes Gebot, .bei der Städtesanierung die Ein¬
richtungen, welche Dosquet für die Krankenhäuser geschaffen hat,
auch diesen an der Grenze von Gesundheit und Krankheit stehenden
Menschen zugutekommen zu lassen. Ich zweifle nicht, daß dadurdi
nicht bloß die hypodyname Reaktionsweise als konstitutionelle Eigen¬
tümlichkeit, sondern auch z. B. der kümmernde Hochwuchs zum Ver¬
schwinden gebracht würde.
Daß „Protoplasmaaktivierung“ kein konstitutionelles Allheil¬
mittel sein kann, geht schon aus der Kompliziertheit des Erregungs¬
vorganges hervor. Die Reize tun nur m i t den Protoplasten ihre
Schuldigkeit. Auch in Krankheiten werden durch eingespritzte Proteine
usw. oft wohl Einschnitte in den Prozeß erzielt, aber durchaus nicht
immer Heilung. Ebensowenig genügen die bekannten Virchow-
sehen Indikationen. Unsere heutige spezifische, unsere spe¬
zielle pharmakologische und vor allem auch unsere physi¬
kalisch-diätetische Therapie wird durch die Konstitutionstherapie
durchaus nicht überflüssig!
Das Allerletzte der Konstitution ist die Beherrschung des Mas¬
senwirkungsgesetzes durch die Autokatalyse und der Kon¬
zentrationseffekte durch die Grenzflächenpotentiale.
Hier entscheidet (neben der Anlage) die Uebung des vegeta¬
tiven Nervensystems. Eine solche liegt im Bereich des Möglichen.
Ich bedaure, daß diese Konsultation nicht mit einer Reihe von
Rezeptformeln gewöhnlicher Art schließt. Aber ich kann in dieser
Beziehung wenigstens verweisen auf die Untersuchungen von Koni-
ger, welcher zum erstenmal planmäßig und konsequent bei den
verschiedenen Medikationen auf den physiologischen Zustand Rück¬
sicht genommen hat. Der mir zugemessene Raum zwingt mich, aut
diesen Autor zu verweisen.
Bezüglich der Literatur im übrigen beziehe ich mich auf mein
Buch über die Pathologie der Person 1 ). Auf Originalität erhebt die
vorstehende Abhandlung keinen Anspruch. Je mehr Leser darin
ihre Gedanken wiedeninden, desto besser.
*) Erschienen bei G Thieme (Leipzig) 1919.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNÜVERSrrf
5. Januar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
9
Der jetzige Staad der Lehre von den Chromosomen.
Von 0. Hertwig.
Seitdem Waldeyer in den Jahren 1886 und 18S7 zwei Vorträge
über Karyokinese und ihre Beziehungen zu den Befruciiturigsvor-
gange/i im Verein für Innere Medizin gehalten und in der D. m. W.
veröffentlicht' hat, sind weitere wichtige Fortschritte, die von hohem
wissenschaftlichen Interesse sind, weil sie gleiciizeitig ganz neue
Forschungswege eröffnen, gemacht worden. Daher ging ich bereit¬
willig aut den Wunsch der Redaktion der D. m. W. ein, das die
l eberschrift bildende Thema im Rahmen der verschiedenen Auf¬
sätze zu besprechen, welche sie seit 1920 über den jetzigen Stand
wichtiger theoretischer und praktischer Probleme veröffentlicht.
Während in den von Waldeyer referierten Untersuchungen
die mikroskopischen Veränderungen des Kerns, die Entstehung der
komplizierten karyokinetischcn Figuren, die Bildung der Chromo¬
somen aus dem Knäuelstadium, ihre Segmentierung und Wanderung
der Spalthälften nach den von den Zentrosomen beherrschten Kernpolen,
dis Zahlengesetz und die Individualitätslehre der Chromosomen noch
vorzugsweise im Vordergrund standen, hat sich in den drei letzten
Jahrzehnten das Interesse der Biologen mehr und mehr sehr wichtigen
physiologischen Fragen zugewandt, welche sich an die mikroskopischen
Entdeckungen anknupfen lassen. Von diesen ist daher auch in meinem
Aufsatz vorzugsweise Bericht zu erstatten.
Schon in der älteren Periode der Zellforschung, die man als
die vorwiegend histologische bezeichnen kann, war eine Brücke zu
physiologischen Problemen durch die Entdeckung des Befruchtungs-
prozesses geschlagen worden. 1875 wurde zuerst durch Untersuchun¬
gen am Ei der Echinodermen die biologische Theorie der Befruch¬
tung begründet und einige Jahre später (1884) am Ei des Pferde¬
spulwurms, das seitdem für den Binnenländer das weitaus geeigneteste
Objekt für das Studium der Befruchtung geworden ist, bestätigt
und in einzelnen Zugen noch 'erweitert. Es wurde die wichtige Er¬
kenntnis gewonnen, daß die Befruchtung und damit die Einleitung
des ganzen Entwicklungsprozesses oder der Ontogenese in der Ver¬
schmelzung zweier Zellkerne besteht, von denen der eine weib¬
licher, der andere männlicher Herkunft ist, von denen der eine
vom Keimbläschen des Eies, der andere vom Kopf des in
das Ei eiugedrungenen Samenfadens* abstammt. Der Keimkern
des sich entwickelnden Eies, von dem die Kerne aller nachfolgenden
unzähligen Zellgenerationen einer Ontogenese sich durch den so
merkwürdigen, komplizierten Prozeß der Karyokinese ohne Unter¬
brechung heiieiten (oinnis nucleus e nudeo), ist also ein Verschmel-
zungs- und Mischprodukt der Kernsubstanzen von Vater und Mutter.
Schon gleichzeitig mit dem Studium des Befruchtungsprozesses
wurde die gleichfalls bedeutungsvolle Entdeckung gemacht, daß neben
der Befruchtung und sie ergänzend noch eine zweite Reihe eigen¬
tümlicher Erscheinungen einhergeht, die man seitdem unter dem
Namen der Ei- und Samenreife und des Reduktionsprozesses zu¬
sammengefaßt hat. Die Erscheinungen bestehen im wesentlichen
darin, daß bei der Oogenese und bei der Spermiogenese die Zahl
der Chromosomen, die ja nach dem schon oben kurz erwähnten Zahlen¬
gesetz der Chromosomen für jede Tierart eine konstante ist, z. B.
24 in den Keimzellen der Säugetiere und des Menschen, 24 bei den
Echinodermen, 4 bei Ascaris megalocephala bivalens, 8 bei der Tau¬
fliege (Drosophila usw.), auf die Hälfte der Normalzahl, also auf
12 bei Mensch, Säugetieren, Seeigel usw., auf 2 bei Ascaris megalo¬
cephala, auf 4 bei Drosophila herabgesetzt wird.
Durch die Reduktion wird die Konstanz der Chromosomenzahl
in den aufeinanderfolgenden Geschlechtsgenerationen in der Nach¬
kommenschaft erreicht und sichergestellt. Denn wie man leicht er¬
kennen wird, müßte ohne sie jede Zeugung eine Verdoppelung der
Chromosomenzahl zur Folge haben, wenn sich die mütterlichen und
die väterlichen Chromosomensätze verbinden; es müßte bei Askaris
in der Zeugungsreihe die Zahl von 4 Chromosomen auf 8, dann auf
16 32, 64 128 und so fort in geometrischer Progression mit dem
Quotienten 2 steigen. In sehr kurzer Zeit würde bei einem der¬
artigen Verlauf überhaupt der Raum einer gewöhnlichen Zelle die
diromatinmasse gar nicht mehr fassen können^
Die Reduktion spielt sich wahrend der Oogenese bei der Bil-
düng der Polzellen ab, jener winzigen Zellen, die in allen Klassen
des Tierreichs schon viele Jahrzehnte vor der Entdedrung des Be¬
fruchtungsprozesses von zahlreichen Forschern beobachtet, aber cni-
für etwas sehr Nebensächliches gehalten oder in sehr will-
kürhrher und oft verkehrter Weise gedeutet worden waren. In der
e rSLnPtf aber geschieht die Reduktion dadurch, daß die Chromo-
»SS der Sp^matogonien anstatt auf 2 gleichauf 4 Zellen, auf die
die sich in che Spermatozoen um wandeln, verteilt werden.
Spcrmat.den, die s.cn^^ritte feh , te lm , ess en noch ein tieferes Ver-
der phvsiologischen Bedeutung der so auffälligen Er-
s tandnis von l<ary 0 ]cjnese, der Befruchtung und der Reduktion,
5ch £ir unge *l* nur im ganzen Tierreich , sondern auch bei Pflanzen
welche nicht ^ Lebewesen in ganz auffälliger Uebereinstimmung
^nd bei u ßrs?t die Kern/d/op/asmatheorie hat hierfür eine
wiederkehren. . versucht Sie gleichzeitig von mir und dem
Erklärung |U ««*££ r g e r außest e , f Worden, ßurch die Kern-
Botamker S werde, «ff e m ikroskopischen Bcob-
ac'ht un*g e*n mit den. der Vererbung in Ver-
5 ‘ n Zu "^erSelhen*ZeiU in wMe <Jj e oben besprochenen mikroskopi¬
schen Entdeckungen fielen, hat der Botaniker Nägeli ohne Bezug¬
nahme auf diese, lediglich aus theoretischen Gesichtspunkten, seine
Idioplasmatheorie zur Erklärung der Erblichkeit veröffentlicht. Er
betrachtet Ei und Samenfaden unter dem Gesichtspunkt, daß sie
Substanzen seien, durch welche die Eigenschaften der Eltern auf den
kindlichen Organismus übertragen werden, daß sie insofern als die
Erbträger bezeichnet werden können. Da nun die Kinder von beiden
Eltern Eigenschaften in gleicher Weise erben und als ein Mischprodukt
von beiden bezeichnet werden können, erscheint es zunächst unver¬
ständlich, daß Ei und Samenfaden so außerordentliche Größenunter-
schiede voneinander darbieten. Hiervon ausgehend, sah sich Nägeli
veranlaßt, in den mütterlichen und väterlichen Keimzellen zwei ver¬
schiedene Substanzen anzunehmen und sie als idioplasmatische und
als nichtidioplasmatische zu unterscheiden. Das ldioplasma ist der
Träger der erblichen Eigenschaften und in gleicher Menge in Ei
und Samenfaden als ein Netzwerk von Mizellen verbreitet; dagegen
fehlt die nichtidioplasmatische Substanz im Samenfaden so gut wie
ganz, ist aber im Ei, zuweilen in sehr großer Masse, angesammelt
und hat die Aufgabe, der Ernährung des aus dem befruchteten Ei
sich entwickelnden Embryos zu dienen. Sie wird daher auch von
Nägeli das Ernährungsplasma genannt. 1
Der aus theoretischen Erwägungen entsprungenen und gleich¬
sam noch in der Luft schwebenden Hypothese von Nägeli habe
ich nach dem Erscheinen seines berühmten Werkes: „Die mechanisch-
physiologische Theorie der Abstammungslehre“ (1884) noch in dem¬
selben Jahr eine auf Tatsachen beruhende, feste Basis dadurch ge¬
geben, daß ich sie mit den neuentdeckten Tatsachen des Befruch-
tungs- und Reduktionsprozesses sowie der Karyokinese in Verbindung
brachte. Denn, wie diese lehren, gibt es in der Tat in der reifen
Ei- und Samenzelle eine minimale Menge von Substanz, welche den
von der Hypothese geforderten Bedingungen in jeder Beziehung
entspricht und zugleich die wichtigste und auffälligste Rolle bei der
Befruchtung und bei der Reduktion spielt. Sie ist in dem Ei- und
Samenkern, die etwa von gleichem Volum und Gewicht sind, be¬
sonders aber in ihrem Chromatin enthalten. So wurde die Idio-
plasmahypothese in eine Kernidioplasmatheorie, wel¬
chen Namen ich als den am meisten passenden und zugleich historisch
begründeten einführte, umgewandelt.
Mehr als die Lehre von Nägeli hat die Kernidioplasmatheorie,
gleich bei ihrer Veröffentlichung, überzeugte Anhänger, wie van Be¬
il eden, Kölliker, Weismann u. a., gefunden, ist aber auf der
anderen Seite auch vielfach auf heftigen Widerspruch bis zu völliger
Ablehnung gestoßen. Auch Waldeyer hat sich mit skeptischer
Reserve über sie in seinem eingangs erwähnten Bericht über die
Karyokinese ausgesprochen. Seitdem hat sich die Situation von Jahr¬
zehnt zu Jahrzehnt sehr wesentlich zu ihren Gunsten verändert.
Denn jetzt gewann die Kernidioplasmatheorie Bundesgenossen in der
wachsenden Zahl von Forschern, welche im Anschluß an die bahn¬
brechenden, eine Zeitlang verkannten und in Vergesssenheit geratenen
Beobachtungen von Mendel wieder anknüpften und eine auf dem
Boden des Experiments fußende, exakte Erblichkeitsforschung be¬
gründeten. Es zeigte sich hierbei, daß die morphologischen und
die physiologischen Erkenntnisse sich gegenseitig unterstützen und
in bester Harmonie zueinander stehen. Die meisten Mendel-Forscher
suchen daher ihre experimentellen Ergebnisse über Erbfaktoren
(Gene) mit der Kernidioplasmatheorie, also mit den Verhältnissen
des Befruchtungs- und Reduktionsprozesses, sowie der Karyokinese
in Verbindung zu bringen 1 ).
E. Baur, einer unserer verdientesten Erblichkeitsforscher, hat
dieser Sachlage in der dritten Auflage seines Lehrbuchs: „Einführung
in die experimentelle Vererbungslehre“ Ausdruck gegeben, indem
er sagt: „Wenn man sich rein theoretisch irgendeine Vorstellung
machen wollte von den zoologischen Grundlagen der Spaltungs-
regeln (von Mendel), so konnte man immer einen ähnlichen Prozeß
ausdenken, wie wir ihn an den Chromosomen der Kerne bei der
Reduktionsteilung tatsächlich beobachten; ein Prozeß, welcher der
Reduktionsteilung entspricht, wird in jeder Theorie über die stoff¬
lichen Grundlagen der Spaltungsgesetze immer angenommen werden
müssen. Daß wir bei der zytologischen Untersuchung in dem Zell¬
kern und speziell in den Chromosomen nun gerade Gebilde finden,
die in ihrem ganzen Verhalten dieser theoretischen Postulation ent¬
sprechen, das macht es sehr wahrscheinlich, daß in diesen Organen
die mendelnden idioplasmatischen Grundunterschiede liegen.“
Am meisten hat diesen Gesichtspunkt der auf dem Gebiet der
Mendel-Forschung hervorragende amerikanische Gelehrte Morgan
sich zu eigen gemacht; er ist auf Grund von mehr als zehnjährigen
experimentellen Züchtungsversuchen über die Erblichkeitsverhältnisse
bei der kleinen Taufliege, Drosophila ampelophila, zu Vorstellungen
geführt worden, welche bei weiterer Durcharbeitung und Prüfung
an Vertretern zahlreicher Pflanzen- und Tierarten eine weite Zukunfts¬
perspektive eröffnen.
Morgan hat mit seinen Schülern bis jetzt schon Stammbaum¬
züchtungen von über 100 000 Drosophilafliegen ausgeführt und dabei
mehr als 100 Merkmale, die zum großen Teil der wilden Ausgangs-
rasse nicht • eigen ^ren, sondern erst im Laufe der Experimente
als Mutationen y^ e \en Zuchten auftraten, einer genauen Erblich-
*) Eine ausführH ov «teftWS aller dieser Verhältnisse sowohl in morphologischer
als in physiologisch*/^^. v*t Sieben 1. meine .Allgemeine Biologie'* 5. Auflage 1920
Kapitel XI, XII, XIII ur/\ T mehr abgekürzter Form „das Werden der Organismen'*
Zur Widerlegune ,t\Vi „ 'LnlaMslheorle durch das Gesetz in der Entwicklung*
2. Auflage 1918
\y
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
10
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 1
keitsanalyse unterworfen. Für die Zurückführung derselben auf histo¬
logische Verhältnisse ist in diesem Fall der Umstand günstig, daß
der Kern der Taufliege im reduzierten Zustand nur aus 4 Chromo¬
somen besteht. Daraus folgt, wie übrigens auch alle anderen unter¬
suchten Pflanzen und Tiere lehren, daß ein einzelnes der vier Chromo¬
somen nicht Träger eines einfachen mendelnden Faktors sein kann,
da die Zahl der Faktoren sehr viel größer ist. Also ist die Ver¬
teilung der mendelnden Eigenschaften durch eine verschiedenartige
Verteilung ganzer Chromosomen auf die weiblichen und männlichen
Geschlechtszellen bei der Reduktionsteilung nicht zu erklären. Viel¬
mehr muß ein einzelnes Chromosom der Träger von einer sehr viel
größeren Zahl mendelnder Eigenschaften sein.
Hier konnte nun Morgan ein erstes wichtiges Ergebnis durch
kritische Sichtung seiner zahlreichen Experimente gewinnen. Aus
der Verbindung, in welcher die mendelnden Eigenschaften in den
Nachkommen gekreuzter Mutanten auftreten, oder, wie man sich
gewöhnlich in der Erblehre ausdrückt, aus ihrer Koppelung konnte
er den Schluß ziehen, daß bei Drosophila sich so viele Gruppen von
unabhängig mendelnden Merkmalspaaren unterscheiden lassen, als
ihr Kern Chromosomen besitzt, mithin vier. Mit diesem experimen¬
tellen Ergebnis hat Morgan zu den verschiedenen morphologischen
Beweisen, die für die Richtigkeit der Kcrnidioplasmatheorie sprechen,
auch noch einen physiologischen, schwerwiegenden Beweis hinzugefügt.
Von einer noch größeren Tragweite ist das zweite Ergebnis
seiner erbanalytischen Studien, da sie die Möglichkeit eröffnen, einen
Einblick in die Anordnung, in der sich die einzelnen Eigenschafts¬
träger innerhalb eines Chromosoms verbunden finden, mit einem
Worte, in ihre Topographie im Chromosom zu gewinnen. Ausgangs¬
punkt für diese Hypothese bildeten Erwägungen, die bereits von
morphologischer Seite bei der Erforschung der Karyokinese und der
Reduktionsteilung ausgesprochen worden waren. Schon 1883 hat
Roux in einem kleinen Aufsatz „Ueber die Bedeutung der Kerntei¬
lungsfiguren“ diese „als Mechanismen bezeichnet, welche es ermög¬
lichen, den Kern nicht bloß seiner Masse, sondern auch der Masse
und Beschaffenheit seiner einzelnen Qualitäten nach zu teilen“. Er
stellt sich vor, daß der feine Chromatinfaden sich aus einer Reihe
qualitativ verschiedener Mutterkörper zusammensetzt und „daß alle
übrigen Vorgänge der Karyokinese nur den Zweck haben, von den
durch Teilung entstandenen Tochterkörnern desselben Mutterkorns
immer je eins in das Zentrum der einen, das andere in das Zentrum
der andern Tochterzelle sicher überzuführen“. Durch besondere Me¬
thoden der Konservierung und Färbung ist es den Histologen auch
gelungen, einen Aufbau des Chromosoms aus aneinandergereihtem
Körnern, den sogenannten Chromomeren, sichtbar zu machen.
Noch drei weitere mikroskopische Beobachtungen bilden eine
Grundlage tür die gleich zu besprechende zweite Morgan sehe Hypo¬
these und müssen, um sie zu verstehen, kurz erwähnt werden. Bei
der Ei- und Samenreife hat man im bläschenförmigen Kern ein bei
allen Pflanzen- und Tierarten stets wiederkehrendes, sehr charakteristi¬
sches Stadium beobachtet, dem Moore den Namen „Synapsis“
gegeben hat (Montgomery, Sutton, Mc Clung, Haecker,
Boveri, Strasburger u. a.). Während seiner Dauer findet sich
das chromatische Fadenwerk des Chromatins in einer Hälfte des
Kerns dicht zusammengedrängt. Etwas später tritt wieder eine Locke¬
rung und gleichzeitig ein Zerfall in getrennte Fäden ein, welche der
halben Chromosomenzahl entsprechen; die Fäden sind nämlich durch
paarweise Aneinanderlagerung während der Synapsis entstanden und
daher bivalent. Montgomery deutet die Erscheinung dahin, daß
während der Synapsis eine Konjugation oder Kopulation zweier uni¬
valenter zu einem bivalenten Chromosom stattlinde und daß von
den beiden gleichsam kopulierenden Chromosomen das eine mütter¬
licher, das andere väterlicher Herkunft sei. Durch die Reduktions¬
teilung werde dann die Kopula wieder in ihre Bestandteile getrennt.
Durch eine zweite Reihe mikroskopischer Beobachtungen wurde
dann die väterliche und die mütterliche Herkunft der gepaarten
Chromosomen zu beweisen versucht. Bei vielen Insekten unter¬
scheiden sich die einzelnen Chromosomen voneinander teils in ihrer
Größe, teils durch besondere Form. Im Verlauf der Oogenese und
Spermiogenese kopulieren nun während der Synapsis stets nur Chromo¬
somen von gleicher Größe und Form und werden bei der Reifeteilung
so verteilt, daß sowohl jede Eizelle als auch jede Samenzelle je ein
Element der Serie erhält.
Bezeichnet man die Serie für den Samenkern mit A, B, C ... N
und für den Eikern mit a, b, c ... n, so kommen durch die Befruch¬
tung beide Serien in einem Kern zusammen, kopulieren dann während
der Synapsis A mit a, B mit b, C mit c ... N mit n, also ein Chromo¬
som väterlicher mit einem solchen mütterlicher Herkunft.
Der gewiß auffälligen Kopulation bei der Synapsis ist Boveri
geneigt eine tiefere Bedeutung durch die Annahme beizumessen,
daß während ihrer Dauer die konjugierten Chromosomen gewisse
Substanzen, wie zwei konjugierte Paramäzien, austauschen und daher,
wenn sie sich trennen, nicht mehr die gleichen wie zuvor sind. Auch
hierfür glaubt man in histologischen Befunden eine gewisse Stütze
finden zu können. Man beobachtet nämlich auf dem Stadium der
Synapsis häufig, daß die paarweise zusammenliegenden Chromosomen
sich kreuzen oder umeinandergeschlungen sind und an den Kreuzungs¬
stellen fester Zusammenhängen.
Solche Verhältnisse hat ein Schüler Morgans, Müller, auch
bei Drosophila gefunden und sie in Fig. 1 A und B auf der linken
Seite des Schemas dargestellt. A zeigt einen Fall einfacher Ueber-
kreuzung (crossing over) der zwei kopulierten Chromosomen, B eine
A Synapsis mit einfacher Ueber-
kreuzung (Crossing over) und Aus¬
tausch, der an einer Stelle jeden
Chromosoms vor sich geht.
B Synapsis mit doppelter Ueber-
kreuzung und Austausch, der an
zwei Stellen jeden Chromosoms vor
sich geht. (Nach Mutier.)
doppelte Ueberkreuzung. An dem einfachen oder doppelten Be¬
rührungspunkt soll eine Verschmelzung stattfinden. Wenn dann eine
Trennung bei der Reduktionsteilung erfolgt (siehe rechte Seite der
Fig. 1), wird von der Schule Morgans angenommen, daß an den
Verschmelzungsstellen zugleich ein Austausch von Chromosomen-
stücken zwischen den Paarlingen vor sich gegangen ist.
Wie die in Fig. 1 A und B rechts abgebildeten Chromosomen nach
ihrer Trennung im Fall der einfachen und doppelten Ueberkreuzung
veranschaulichen, hat auf diesem Wege
F g ' '• — das mütterliche Chromosom auch väter-
liehe Eigenschaftskomplexe in der
schwarz gezeichneten Strecke und um-
gekehrt erhalten.
Auf Grund solcher histologischen
Annahmen hat Morgan eine Hypo¬
these zur Erklärung der Befunde, die
er bei seiner Erbanalyse von Drosophila
gewann, aufgebaut. Er fand, daß die
einzelnen mendelnden Merkmale fester
oder lockerer zusammengekoppelt sind,
und vermutet, daß dies duren den Ab¬
stand der sie repräsentierenden Chromo¬
meren im Chromosom bestimmt wird,
oder mit anderen Worten, daß die
Chromomeren mit den durch sie ver¬
tretenen Eigenschaften, je näher oder je weiter ihr Abstand im
Chromosom ist, um so tester oder um so lodkerer gekoppelt sind.
„Also muß“ — schließt Morgan weiter — „der Grad der Koppelung,
welchen 2 Faktoren zeigen, gewissermaßen einen Maßstab abgeben
für den Abstand der zwei Chromomeren, in denen die beiden Fak¬
toren lokalisiert sind.“
Wenn dies alles zutrifft, so würde in der Verbindung von erb¬
analytischen Experimenten mit den histologischen Untersuchungen
über Karyokinese ein vielversprechender Weg gewiesen sein, au(
welchem es möglich ist — wie man wohl sagen kann —, gleichsam
eine topographische Karte über die Lage der Faktoren in den
4 Chromosomen von Drosophila aufzunehmen. Eine solche hat bereits
Morgan mit seinen Schülern anzufertigen versucht. Dasselbe müßte
sich dann auch ebensogut in anderen Fällen, wenn in ihnen auch die
zu überwindenden Schwierigkeiten oft vielmals größer als bei Droso¬
phila sein werden, prinzipiell durchführen lassen. So gibt schon
jetzt Baur in seinem Lehrbuch an, daß er bei dem Löwenmaul
(Antirrhinum), welches, er schon über 10 Jahre lang erbanatytisch
bearbeitet und dessen Chromosomenzahl die doppelte von Droso¬
phila ist, im wesentlichen die gleichen Verhältnisse nachgewiesen hat.
Wenn ich oben den von der Erblichkeitsforschung und der mikro¬
skopischen Untersuchung der Karyokinese eingesehlageneu Weg als
einen vielversprechenden bezeichnet habe, so geschah es auch im
Hinblick auf eine Analogie, welche sich auf unserem Gebiete zwischen
biologischer und chemischer Forschung darbietet. Denn wenn die
Hoffnungen sich verwirklichen sollten, so würde der Biologe etwas
Aehnliches wie der Chemiker seit der Begründung der Struktur¬
chemie erreicht haben. Wie dieser durch Analyse und Synthese sich
eine Vorstellung von der Lagerung und Verbindung der Atome im
Molekül macht, würde jener dann auch eine Vorstellung von der
Architektur der Erbfaktoren im Chromosom annäherungsweise ge¬
winnen können._
Die Behandlung der chronischen Kreislaufschwäche (unter
vorwiegender Berücksichtigung der physikalisch¬
diätetischen Methoden) 1 ).
Von Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Goldscheider.
Die Behandlung der chronischen Kreislaufschwäche gehört zu
den dankbarsten ärztlichen Aufgaben und läßt sich größtenteils mit
einfachen Mitteln durchführen. Die Diagnose der Kreislaufschwäehe
gründet sich auf die subjektiven und objektiven Zeichen des un¬
genügenden Blutumlaufes. Erstere bestehen in gesteigerter Ermüd¬
barkeit, Kurzatmigkeit, verschiedenartigen Empfindungen in der Herz¬
gegend, wie Schmerz, Herzklopfen, Spannungsgefünl, Beklemmung,
Angor retrosternalis, in bestimmten Fällen Angina pectoris, anfalls-
weiseni Asthma cardiale. Die Beschwerden sind je nach dem Grade
der Kreislaufstörung bereits in der Ruhe vorhanden oder treten erst
bei irgendwelchen Mehrbeanspruchungen des Kreislaufs auf. In jedem
Falle steigern sie 9ich bei solchen, also z. B. bei Bewegungen, bei
Einwirkung stark differenter Außentemperaturen, bei psychischen Er-
regungen, nach dem Essen usw. Wegen der Möglichkeit von Ver¬
wechslungen mit nervösen Erkrankungen gewinnt die Diagnose erst
durch den Nachweis objektiver Schvvächesymptome des Kreislaufes
Sicherheit. Hierher gehören die Zyanose, die Dyspnoe, die Stauungs¬
erscheinungen in der Lunge, den Unterleibsorganen, den Nieren, die
Veränderungen des Herzens selbst, des Gefäßapparates, bei stärkeren
Graden die Wassersucht, endlich der Nachweis der Steigerung aller
Symptome bei Mehrbelastung des Kreislaufes, der Milderung der¬
selben bei Ruhe bzw. Reduktion der kreislaufbelasteuden Bedingungen.
Ich verzichte darauf, hier die zahlreichen objektiven Herzsymptome
einzeln aufzuführen. Auf einige derselben habe ich später einzugehen.
*) Referat, erstattet im Verein für Innere Medizin und Kinderheilkunde in Berlin
am 21.11. 1921.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
5. Januar 1922
ÖEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
Die Kreislaufschwäche kommt in sehr vielfältigen Abstufungen
vor: von den leichtesten, erst bei gewissen Beanspruchungen auf¬
tretenden Storungen bis zum Bilde der schweren, auch bei völliger
Ruhe verbleibenden Insuffizienz mit Hydrops universalis usw. Wie
bei vielen anderen Krankheitszuständen begegnen wir auch bei der
Kreislaufschwache der Scinvierigkeit, die leicntesten krankhaften Stö¬
rungen von solchen Schvvächezuständen abzugrenzen, welche als noch
physiologisch zu bezeichnen sind. Die Leistungsfähigkeit des Kreis¬
laufes ist individuell verschieden; sie ist von der Konstitution, dem
Lebensalter, der Lebenshaltung, der Gewöhnung an körperliche An¬
strengungen abhängig, sie schwankt bei ein und demselben Individuum
in Abfiängigkeit von Momenten, welche noch der physiologischen Breite
von Beeinflussungen angeboren, wie Ermüdung, unzureichender Er¬
nährung, ungenügendem Schlaf, psychischen Erregungen, Menstruation
u. a. m. Man wird als krankhaft diejenige Kreislaufschwäche bezeich¬
nen, welche unabhängig vo:i den genannten Faktoren dauernd vor¬
handen ist und sich bereits bei sqjchen Anforderungen kundgibt,
wie sie das tägliche Leben für jeden mit sich bringt und wie sie von der
befaiienen Person bis dahin ohne Beschwerden bewältigt worden sind.
Man teilt die grobe Zahl der vorkommenden Abstufungen der
Kreislaufschwache in die beiden Gruppen der relativen und absoluten
Insuffizienz ein, wobei man ersterer diejenigen Fälle einordnet, bei
welcher die unzureichende Funktion erst bei gewissen Beanspruchungen
in Erscheinung tritt, während als absolute Insuffizienz die schon in
der Ruhe vorhandene bezeichnet wird. Natürlich ist diese Abgrenzung
keine scharfe. Eine andere Einteilung bezieht sich auf den zeitlichen Ver-
auf: Initialstadium und Stadium der schweren Kreislaufstörung (Romberg ).
Die Kreislaufinsufiizienz kann durch das Herz oder durch
die Gefäße bedingt sein. Die Bedeutung der Gefäße als Motor
für die translatorische Blutbewegung ist jedenfalls sehr untergeord¬
net; um so größer ist sie für die Regulierung der Geschwin¬
digkeit und Gleichförmigkeit der Blutströmung, für die Erhaltung
des Blutdrucks und für die Anpassung der örtlichen Blutmenge an den
jeweiligen Bedarf und die ausgleichende Regulierung der verschie¬
denen Örtlichen Blutverteilung. Es handelt sich hierbei im wesent¬
lichen um die Veränderungen der Lichtung und des Tonus der
Arterien. Die nachgewiesene Automatie der Kapillaren hat lediglich
eine örtliche Bedeutung. Eine ausgebreitete Hypotonie der Gefäße
kann zur Kreislauf schwäche führen; wir treffen diese Form vor¬
wiegend akut, seltener chronisch an. Es ist wenigstens bis jetzt sehr
schwer feststellbar, in welcher Ausdehnung bei der chronischen Kreis¬
laufschwäche die herabgesetzte Gefäßfunktion sich am Krankheitsbilde
beteiligt; daß sie eine Rolle spielt, geht aus den E. Weberschen
Untersuch urigen hervor.
Auch die krankhafte Hypertonie kann durch Erhöhung der
Widerstände und Herabsetzung der Anpassungsfähigkeit der Gefäße
an den Blutbedarf zur Kreislaufschwäche führen. Ferner ist die ver¬
änderte Dehnbarkeit und Elastizität der Gefäßwände von Bedeutung.
Eine sehr beachtenswerte Mitwirkung bei der Blutbewegung
kommt der willkürlichen Muskulatur und insonderheit der Atmungs¬
bewegung zu. Störungen der Muskeltätigkeit führen zwar für sich
nicht zur Kreislaufinsuffizienz, können diese jedoch wesentlich steigern.
Wahrscheinlich kommt außer den peripherischen Blutgefäßen
auch dem Gewebe selbst ein gewisser Anteil an der Mechanik des
Kreislaufs und seiner Störungen zu. Der in den Kapillaren herr¬
schende Druck wird wahrscheinlich in der Hauptsache vom Gewebe
getragen. Die Eindrückbarkeit und die Elastizität des Gewebes müs¬
sen von Bedeutung für die kapillare Durchströmung sein; Ver¬
änderungen dieser Eigenschaften müssen die letztere schädigen. Ich
erinnere an die Ausführungen Langers über die Elastizität des
Eimdegewebes, welche später von Buttersack aufgenommen wor¬
den sind. Neuerdings hat Schade auf die Bedeutung der physi¬
kalischen Beschaffenheit des Gewebes für die Blutzirkulation hinge-
i* iesen. Die Vorgänge des Stoffaustausches zwischen Kapillarblut
Ci nd Gewebe, die kolloidochemische Beschaffenheit des letzteren und
der Kapillaru’ände spielen für die Blutbewegung eine Rolle. Kapillaren
G nd umgebendes Gewebe bilden eine funktionelle Einheit mit gemein-
s araer Regulation (Hagen)*). Auch die Blutbeschaffenheit selbst
* Viskosität; Konzen trationsverhältnisse, Zahl der Blutkörperchen) ist
^cben der Blutmenge von Bedeutung.
Die Gesamtheit der sekretorischen Vorgänge, namentlich aber
^te Nieren- und Hauttätigkeit (auch die Wasserabgabe durch die
Xtmn'ogsluft) sind infolge ihrer Beziehungen zur Blutbeschaffenheit
^ nd zum Gewebsstoff Wechsel auf den Kreislauf von Einfluß
Auch zu den endokrinen Drusen, vor allem zu den Nebennieren
1 nd dem' diromaffinen System bestehen innige Beziehungen Die
Bedingtheit des Kreislaufs gegenüber dem Nervensystem und den
^'r^AUch^kann afles was sich unter dem Zwerchfell abspielt, auf Herz
^nd^rÄ? mechanisch, reflektorisch und chemisch einwirken
hUtehen die innigsten Beziehungen in Wirkung und Ruck-
„ ™ iLT-hen der Blutbewegung und dem gesamten blutversorgten
V** J-*’c welche nicht bloß unter normalen Verhältnissen, sondern
nTTc? der krankhaften Kreislauf Schw äche teils regulierend, teils
udi bei der Kr Z^schlimmemd ihre Ro n e spielen,
uslosend und gichtigsten Anf^ an dem Entstehen der chro-
h Dcn k^eLlaufschvväche hat de r e e 'L en tIiche Motor des Blutes,
aschen ^ reis! au c *; lich gültig, ob e e ^ h um Dekompensation von
a S app H enfehlem; ErkÄr«“ „er Herzmuskulatur, um kardial
i) Zscbr. f. d. «es. exper.
M t92h 1*
dekompensierte Nierenerkrankungen, um perikarditische Verwachsun¬
gen u. a. m. handelt, das allen diesen Gemeinsame und für die Kreis-
tautschwäche Entscneidende ist die ungenügende, den Kreislaufwider¬
ständen gegenüber zu schwache Kraft des Herzmuskels. In den
meisten Fallen liegen anatomische Veränderungen der Herzmuskulatur
vor, aber sicherlich können auch rein funktionelle Bedingungen zur
Herzinsuffizienz führen, so z. B. übermäßige Beanspruchungen durch
Muskeltätigkeit und seelische Erregungen, Unterernährung, lang-
dauernde Ruhe, dauernde Erhöhung der Kreislaufwiderstänüe. Ana¬
tomische Erkrankungen der Herzmuskulatur können sich mit funk¬
tionellen Einflüssen kombinieren.
Die Diagnose hat den Bedingungen der Kreislaufsdiwäche in
jedem Einzellalle nachzugehen; die Art der Erkrankung des Herzens
und der Gefäße, die Ursachen der ungenügenden Leistungsfähigkeit
der Herzmuskulatur sind zu ermitteln. Ferner ist der Grad bzw.
das Stadium der Insuffizienz festzustellen. Prognose und Therapie
werden durch die in jedem Einzelfall vorliegenden Bedingungen der
Insuffizienz bestimmt. Es kommen als Typen der zur Kreislauf¬
schwäche führenden krankhaften Bedingungen folgende in Betracht:
Klappenfehler, Nierenerkrankung, Hypertonie und Arteriosklerose,
Sklerose und Syphilis der Koronararterien, Myokarditis, Syphilis des
Herzmuskels, Erkrankung des Reizleitungssystems, Herz der Fett¬
leibigen, Insuffizienz durch Ueberanstrengungen, toxische Erkran¬
kung des Herzmuskels durch, Alkohol usw., Herzschwäche durch
Unterernährung, Kropfherz, Herz der Astheniker.
Hierzu kommen gewisse mechanisch bedingte Herzinsuffizienzen,
welche in der Praxis noch oft nicht hinreichend beachtet werden: so
durch' Verwachsung der Herzbeutelblätter, durch Lungenschriimpfung
oder umfangreiche Verwachsung der Pleurablätter, durch Lungeii-
emphysem, durch Kyphoskoliose. Die Ueberanstrengung führt haupt¬
sächlich bei schon vorhandenen Herz- oder Gefäßleiden“ zur Insuf¬
fizienz; es sind nicht immer einmalige oder wiederkehrende unge¬
wöhnliche Kraftanstrengungen, sondern auch oft wiederholte oder
dauernde, an und für sich nicht allzu große Beanspruchungen bei unzu¬
reichender Ausruhe, denen gegenüber die Anpassung schließlich erlahmt
Für die prognostische Beurteilung der Insuffizienzerscheinun-.
gen ist eine eingehende Untersuchung des Herzens und der Gefäße,
der Atmungs- und Nierentätigkeit erforderlich. Durch die Funktions¬
prüfung des Herzens suchen wir bei geringer oder auch nur drohender
Insuffizienz etwas über die vorhandenen Reservekräfte zu erfahren.
Der Vagusdruckversuch und das Elektrokardiogramm können uns
wichtige und zuweilen überraschende Aufschlüsse geben. Die feh¬
lende oder negative Finalzacke, gewisse Deformationen der Initial¬
schwankung sind sicherlich für die Erkenntnis eines schlechten Herz¬
muskels von Bedeutung. Ueber die Webersche Funktionsprüfling
der’ Gefäße werde ich noch sprechen. Auch die subjektiveil Emp¬
findungen müssen bewertet werden; so sind abgesehen von den echten
Stenokardien die Todesgefühle und Todesahnungen der Herzkranken
zu beachten; freilich muß man sich vor Verwechselungen mit neur-
asthenischen Zuständen hüten.
Im übrigen würde es hier zu weit führen, auf den modernen
Ausbau der Herzfunktionsprüfung durch die pulsdynamischen Metho¬
den, arterielle, venöse und kapillareDruckmessung usw. näher einzugehen.
Kommt es zu einer beginnenden Insuffizienz, so ist dies ein
Zeichen dafür, ist die natürliche Regulierung erschöpft ist, d. h. daß
die vorhandenen Bedingungen so beschaffen sind, daß die Kreislauf¬
regulierung auf eine abschüssige Bahn gedrängt ist. Falls die Be¬
dingungen dieselben bleiben, muß diese Abwärtsbewegung sich offen¬
bar fortsetzen. Mit anderen Worten, die Insuffizienz ist der Ausdruck
eines Circulus vitiosus und trägt in sich selbst die Bedingungen zur
Progredienz. So muß z. B. die Stauung als Folge der Insuffizienz
die Widerstände für den Kreislauf vermehren und damit die Kreislauf¬
schwäche selbst steigern.
Die Therapie ist einmal allen Formen der Kreislaufschwäche
gemeinsam und hat außerdem den jeder Form zukommenden be¬
sonderen Bedingungen Rechnung zu tragen. Sie hat stets von dem
Gesichtspunkt auszugehen, daß Herz und Gefäßsystem in höchstem Grade
die Fähigkeit der automatischen Anpassung und Ausgleichung besitzen
Ist daher eine Kreislaufschwäche vorhanden, so muß festgestelitt
werden, welche Umstände die natürliche Regulierung verhindert oder
gestört haben. Es kann sich z. B. darum handeln, daß der Herz¬
muskel so schwer erkrankt ist, daß eine Anpassung aus eigner Kraft
überhaupt nicht mehr möglich ist; aber auch darum, daß die Lebens¬
weise, die Diät, die Berufstätigkeit ein zu hohes Maß von Herz¬
beanspruchung mit sich geführt haben, oder daß Einflüsse vorliegen,
welche dauernd das Herz schädigen (Alkohol, Nikotin), daß andere
Organe (s. oben) einen schädlichen Einfluß auf den Kreislauf ausüben usw.
Es ist daher durchaus unrichtig, in jedem Fall von Kreislauf-
schwache sofort Digitalispräparate und Aehnliches schematisch zu ver¬
ordnen. Oft genügt die Beseitigung derjenigen Bedingungen, welche
die automatische Regulierung stören, um die Kreislaufschwäche zu
beseitigen. Es handelt sich somit, kurz gesagt, um die Ausschaltung
der schädlichen Konstellation und Herstellung optimaler Bedingungen
für die Blutbewegung bzw- die Steigerung der Regulierungstätigkeit.
Zuweilen sind die \ Ursachen, welche die Insuffizienz herbeigeführt
t.„I_ —„in...- li. v l: 1. —i c r.A _
relative R uh e b ^ JA\ cO v Auch der Anschluß an Diatfehler,
übermäßiger Oer** W oder Getränken gibt einen sofor¬
tigen Hinweis ^\ftdv\agende Therapie.
1 V e
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSUM
12
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 1
Ganz allgemein wild bei Insuffizienzen solcher Personen, die
sich bis dahin frei bewegt haben, zunächst körperliche und geistige
Ruhe zu verordnen sein, zugleich mit einer Einschränkung der Diät
auf das zur Erhaltung gerade notwendige Kostmaß und Reduktion
der i liissigkeitsmenge auf etwa 1 — lu Liter (an tropfbarer Flüssig¬
keit), wobei die Nahrungs- und Getrankaufnahme in kleinen Einzel*
Portionen zu erfolgen hat. Dies dient zur Herabsetzung der Be¬
anspruchung des Herzens und der Gefäße. Psychische Berunigung des
Kranken, wo die Individualität desselben es erfordert, ist schon hier
sehr wichtig, da seelische Faktoren die Herztätigkeit, namentlich
des oft überempfindlichen kranken Herzens, ganz außerordentlich
beeinflussen. Mit der Darreichung von spezifischen Herz- und Gefäü-
mitteln beginne man erst, wenn die genannte physikalisch-diätetisch¬
psychische Behandlung, die man erforderlichenfalls durdi sedative
Mittel unterstützen kann, nicht in ausreichender Weise zum Ziele
führt. Aber auch bei medikamentöser Behandlung verfehle man nicht,
den physikalisch-diätetischen Maßnahmen die größte Sorgfalt zu wid¬
men. Die beiden Behandlungsmethoden beeinflussen sich gegenseitig
in fördernder Weise. Die Digitalisbehandlung kann versagen, nur
weil die physikalisch-diätetische nicht in korrekter Weise durctigeführt
wird. Anderseits sieht man die Erfolge der letzteren nicht selten
in gewissen Fällen sofort viel stärker und dauernder hervortreten, sobald
durch eine, wenn auch kurzdauernde, Digitalisbehandlung die Regulierung
auf die Bahn gebracht, der Circulus vitiosus durchschlagen worden ist.
Die physikalische Behandlung richtet sich bezüglich Art und
Intensität ganz nach dem Grade der Insuffizienz. Die Dosierungs¬
frage ist für den Erfolg entscheidend.
Einer besonderen Wertschätzung erfreuen sich bekanntlich die
Kohlensäurcbäder. Sowohl ihre Einwirkung auf das erkrankte Gefä߬
system wie die Theorie ihrer Wirkung stehen noch immer zur Dis¬
kussion. Die Hauptfrage, nämlich die nach ihrem Nutzen für den
Herzkranken, möchte ich dahin beantworten, daß ein solcher für
gewisse Fälle zuzugeben ist, daß die Bäder aber bei manchen Fällen
nutzlos und sogar schädlich sein können, daß sehr viel auf die
richtige Dosierung derselben ankommt und daß daher die Durch¬
führung der Kur eine spezielle Erfahrung voraussetzt. Ferner ist
hervorzuheben, daß die Wirkung und der eventuelle Nutzen nicht
immer sicher vorhergesagt werden kann und daher die individuelle
Beobachtung des Kranken während der Kur notwendig ist, und end¬
lich, daß der Nutzen der Bäder wohl im ganzen etwas überschätzt
worden ist und noch wird. Ganz verkehrt ist es jedenfalls, die
COo-Bäder als eine Panazee für Herzleiden aller Art anzusehen. Was
speziell die Herzinsuffizienz betrifft, so ist ein Erfolg der Kohlen¬
säurebadkuren nur für die leichteren Formen derselben vorhanden.
Es kann nur davor gewarnt werden, Kranke mit schwerer Insuffizienz
in die sogenannten Herzbäder zu schicken. An zuverlässigen, kritisch
gesichteten Erfahrungen über die Heilwirkung der kohlensauren Bäder
bei Kreislaufinsuffizienz, namentlich über die Dauer ihrer Wirkung,
fehlt es noch durchaus. Es liegt auch in der Natur der Sache, daß
es außerordentlich schwierig ist, hierüber wirklich geordnete Erfah¬
rungen zu sammeln. Daß ein gewisser Nutzen für die Blutbewegung
ausgeiibt wird, kann, wie gesagt, nicht zweifelhaft sein. Eine Reihe
hervorragender Kliniker, ich nenne nur Krehl und Romberg,
schätzt die Wirkung der C0 2 -Bäder. Schott behauptet das Ver¬
schwinden von Dekompensationen, von Stauungsdilatation des Her¬
zens, ja sogar eine Zunahme der Herzmuskulatur. Daß leichte In¬
suffizienzen günstig beeinflußt werden können und daß dieser Erfolg
eine gewisse Dauer haben kann, vermag ich selbst zu bestätigen.
Es ist freilich nicht immer mit Sicherheit zu sagen, inwieweit andere
Umstände, wie Regelung der Lebensweise usw., hierbei mitwirken.
Sehr häufig findet sich eine subjektive Besserung, während uns der
objektive Befund kaum geändert erscheint. Es kann sich hier um
psychologische Wirkungen handeln, welche übrigens immerhin auch
als.ein Vorteil zu buchen sind; e9 kommt aber auch, wie J. Fischer in
Nauheim mit Recht bemerkt, in Betracht, daß unsere objektiven Fest¬
stellungen nicht fein genug sind, um funktionelle Besserungen nach¬
zuweisen. Es bedürfte jedenfalls in solchen Fällen der Heranziehung
aller uns zu Gebote stehenden genaueren klinischen Untersuchungs¬
methoden. Hier liegt noch eine Lücke der klinischen Forschung vor.
Man hat sich eingehend mit der Einwirkung der C0 2 -Bäder auf
den Blutdruck und die Herzschlagfolge beschäftigt. Es wird einerseits
eine Steigerung des krankhaft erniedrigten, anderseits eine Senkung
des krankhaft erhöhten Blutdrucks beobachtet, was zuerst Jacob in
Cudowa festgestellt hat. Die Beeinflussung desselben ist sicherlich
zum Teil von der Temperatur des Badewassers abhängig (O. Müller);
allein auch in Bädern unterhalb des thermischen Inaifferenzpunktes
von 34° C kann der Blutdruck sinken; es muß also ein spezifischer
Einfluß der Kohlensäure angenommen werden (Strasburger,
Hirschfeld, I. Fischer).
Anderseits Kommen Blutdrucksteigerungen bei nicht erhöhtem
Blutdruck auch in KohlensäurCbädem oberhalb des Indifferenzpunktes
vor (J. Fischer). Auch die Anfnfitüde wird in einem oft als günstig
zu bezeichnenden Sinne beeinflußt. Die Pulsverlangsamung und Ver¬
tiefung der Atmung kommen auf die kühle Temperatur des Bades.
Im übrigen geht aus den J. Fi sch ersehen Untersuchungen
hervor, daß die Beeinflussung des Blutdrucks sehr wechselnde Ver¬
hältnisse darbietet (Zschr. f. physik. diät. Ther. 1921, 25, H. 4).
, Es handelt sich freilich beim Blutdruck um ein vieldeutiges
Symptom, welches au sich nichts für eine günstigere Gestaltung des
gesamten Krankheitsbildes beweist. Auch darf man aus Veränderungen
«cs Blutdruckes noch nicht ohne weiteret auf solche der Herzarbeit
schließen. Immerhin kann man den allgemeinen Schluß ziehen, daß
die Kohlensäure eine Einwirkung auf das Gefäßsystem besitzt und
daß diese in manchen Fällen vom Organismus im Sinne der Regulierung
verwendet wird (Jacob). Die druckherabsetzende Wirkung wird
durch eine peripherische Gefäßerweiterung, die nach Strasburger
nicht bloß die Kapillaren, sondern auch die Arterien betrifft, erklärt
die drucksteigernde durch eine anregende Einwirkung auf das Herz,
welche die durch die Gefäßerweiterung bedingte Druckherabsetzung
überkompensiert.
E. Weber hat plethysmographische Untersuchungen über die
Wirkungen von natürlichen (Altheide) wie künstlichen CCE-Bädern
ausgeführt, welche ihn zu dem Ergebnisse führten, daß bei Herz¬
insuffizienz die normale positive Arbeitsvolumkurve in eine negative
verwandelt sei, welche durch CCX-Bäder wieder der Norm zugeführt
werde. Weber erklärt dies durdi einen Einfluß auf das Herz, ver¬
mittelt durch die Reizung peripherischer sensibler Nerven durch die
Kohlensäure. Die peripherische Gefäßerweiterung lehnt er als Basis
der Kohlensäurewirkung ab. Ob die wissenschaftlich interessanten
Versuche von Weber diesen Schluß zulassen, bezweifle ich. Meines
Erachtens können die verschiedenartigen Veränderungen der Gefall
füllung, welche sich bei der isolierten Muskeltätigkeit reaktiv vor
finden (die normale, die verschiedenen Formen der Ermüdungskurven)
rein vasomotorisch, d. h. durch Regulierungen im peripherischen üc
fäßsystem bedingt sein.
Ich stehe einer direkten reflektorischen Einwirkung der Kohlen
säure auf das Herz nicht absolut ablehnend gegenüber, gebe vielmehr
die Möglichkeit zu, daß die stattfindenden sensiblen Reizungen sich
auch auf die Herzinnervation übertragen; nur vermag ich die Beweis
kraft der plethysmographischen Ergebnisse in dieser Hinsicht nicht
anzuerkennen. Weber schließt von seinem Standpunkte aus nun
auch, daß die CO.,-Bader eine hervorragende Heilwirkung auf die
Herzinsuffizienz ausüben, eben weil sie die negative Volumkurve in
eine positive verwandeln. Er gelangt zu einem geschlossenen System
der Bäderbehandlung: Die natürlichen Kohlensäurebäder sind den
künstlichen überlegen. Sie können eine übermäßige Anregung des
Herzens (geschlossen aus der Ueberkorrektion der plethysmographi
sehen Kurve) bewirken, zuweilen aber auch eine Dämpfung der Herz
erregung. Eine ähnliche, nur nicht so nachhaltige Wirkung habe die
Hochfrequenzbehandlung, ferner die tiefe Bauch- und die Herzmassage
Der Hochfrequenzbehandlung komme außerdem eine sehr aus¬
gesprochene dämpfende Wirkung zu, sodaß sie verwendet werden
solle, falls durch die C0 2 eine Uebererregung des Herzens herbei¬
geführt worden ist. Die Kohlensäurebäder sollen nur abgedeckt ver¬
wendet werden, da durch Einatmen des Gases (mittels Reizung der
Vagusenden) die Herzaktion abgeschwächt werde. Jedes CCK-Bad
soll nach einigen Stunden von einer allgemeinen Hochfrequenzbehand¬
lung gefolgt sein u. a. m.
Der in der Wcberschen Arbeit liegende Fehler besteht darin,
daß er die negative Volumkurve mit einer Herzinsuffizienz identifiziert.
Beweisende Krankengeschichten, welche erkennen lassen, daß
die betreffenden Patienten das klinische Bild der Insuffizienz de>
Kreislaufs darbieten, bringt er nicht. Seine Arbeit ist eine sehr
interessante pathologisch-physiologische Studie, aber sie ist nicht hin¬
reichend klinisch 1 ). Es ist sehr unwahrscheinlich, daß wir das Recht
haben, die negative Volumkurve als pathognomonisches Symptom
der Herzinsuffizienz anzusehen.
Zwar kommt, wie es scheint, die negative Kurve bei Herz¬
insuffizienz vor, aber sie tritt auch bei gesundem Kreislauf nach
ermüdender Muskeltätigkeit auf, was Weber durch Einwirkung von
Ermüdungsstoffen auf die Gefäßzentren erklärt. Ferner findet sich
diese Invertierung der Kurve bei schwerer Chlorose, Diabetes mellitus,
nach Infektionskrankheiten, Gehirnerschütterung, Gasvergiftung. Da
wir durch Kraus wissen, daß Herzkranke eine gesteigerte Ermüd¬
barkeit darbieten, so liegt es nahe, auch die Umkehrung der Volum¬
kurve sowie die anderen Abarten derselben (träge Kurve usw.) auf
gesteigerte Ermüdbarkeit zu beziehen. Dafür, daß es sich so verhält,
erbringt nun Weber selbst einen überzeugenden Beweis. Er berichtet,
daß die negative Kurve bei Herzinsuffizienz durch 1—2 Kohlensäure¬
bäder, ja durch eine Hochfrequenzsitzung in die normale positive
Kurve übergeführt werden kann. Wenn diese Umwandlung auch
nicht von Dauer ist, so zeigt sie doch, daß die negative Kurve nicht
identisch mit der klinischen Herzinsuffizienz ist, welche leider nicht
in so einfacher Weise behoben werden kann.
Unter diesen Umständen vermag ich nicht anzuerkennen, dal!
bisher durch die plethysmographische Methode die Heilwirkung der
kohlensauren Bäder auf die Herzinsuffizienz bewiesen worden ist
Wohl aber geht aus den Weberschen Untersuchungen hervor, daß
eine funktionelle Einwirkung auf das Gefäßsystem stattfinden kann,
welche als eine günstige bezeichnet werden muß, da sie die
abnorme, dem Ermüdungszustand entsprechende vasomotorische
Reaktion der normalen nähert. Inwieweit sich hieran das Herz,
inwieweit sich die Gefäße beteiligen, liegt zunächst noch nicht klar
Was sich über die physiologische Wirkung der C0 2 -Bäder sicher
sagen läßt, dürfte Folgendes sein: Die gasförmige Kohlensäure wie
das Kohlensäurebäd bewirkt eine auffallende Wärmeempfindung, an
empfindlichen Stellen auch Prickeln; ferner erzeugt sie eine aktive
Rötung der Haut. Oeringe Mengen C0 2 dringen vvohV in die Haut
*) Zusatz bei der Korrektur: Auch aus der Arbeit von F. Meyer, einem
Schüler Webers, welcher zuerst die negative Volumkuive bei Herzmuskelkranken
fand, geht nicht hervor, daß die betreffenden Patienten an einer klinisch als solche zu
bezeichnenden Insuffizienz gelitten haben. (Arch. f. Anal u. Phys. 1915; M. El 1914.)
Digitized b'
v Google
Original fram-
CORNELL UNIVERSUM
5. Januar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
13
ein und werden vom Blut aufgenommen. Die Körperoberfläche ist
zum Teil mit einer Gasschicht umgeben in Form der sich ansetzenden
Bläschen. Infolge der Hyperämie der Haut ist die Wärmeabgabe des
Körpers trotz der isolierenden Gasschicht im kühlen C0 2 -Bade größer
als im gleichtemperierten Wasserbade. Die Wärmeempfindung ist
nicht von der Hyperämie allein abhängig, sondern beruht auf einer
direkten Reizung der spezifischen Wärmenerven. Die Kälteempfindung
sowie die Käitereflexe sind bis zu einem gewissen Grade unterdrückt.
Die vasokons tringierende Wirkung der Abkühlung durch das Bad
und die vasodilatierendc der Kohlensäure führen zu einem Wettstreit
der vasomotorischen Innervationen. Ob die Gefäßerweiterung wirk¬
lich die Herzarbeit erleichtert, steht dahin, da wir nicht wissen, ob
die Erweiterung nicht durch eine kompensatorische Verengerung
anderer Gefäßgebiete ausgeglichen wird. Es ist auch äußerst un¬
wahrscheinlich, daß die zeitweise kurzdauernde Entlastung, d. h.
Schonung des Herzens, das wesentliche Moment der Heilwirkung aus-
machcn sollte; um eine bloße Gefäßerweiterung herbeizuführen, be¬
dürfte es auch nicht der C0 2 -Bäder; auch kann man eine Herz-
sdionung in einfacherer Weise herbeiführen als durch eine Reise
nach Nauheim. Durch das C 0 2 -Bad werden vasomotorische, vielleicht
auch Herzreizungen ausgelöst, welche funktionsanregend wirken und
vom Organismus im Sinne der Regulierung verarbeitet werden, vor¬
ausgesetzt, daß er noch über die hierzu erforderlichen reaktiven Kräfte
verfügt; andernfalls können die gleichen Reizungen sich zu schädi¬
genden Belastungen des Kreislaufs gestalten. Es handelt sich also
um eine sehr schonende Uebung der Regulation. Es scheint mir
jedoch zu weit gegangen, wenn man, wie Schott, von einer Turn¬
stunde des Herzens spricht. In einer lichtvollen Studie führt neuer¬
dings Dalmady 1 ) aus, daß das Kohlensäurebad eine Zunahme des
SchTagvoiumens 'bei gleichzeitiger Zunahme des Blutdrucks herbei¬
führe und so eine Tonisieruug und Kräftigung des Herzens bedinge.
Für diese Ansicht fehlt es immerhin noch an Beweisen. Auf jeden
Fall erfordert die Heilwirkung des CXL-Bades hinreichende Reserve¬
kräfte, sie wird daher bei stärkeren Graden von Insuffizienz nicht
zu erwarten sein; vielmehr besteht hier die Gefahr einer Schädigung.
Daß dem Wasser ein erheblicher Anteil an der Wirkung des Gasbadcs
zukommt, geht daraus hervor, daß gasförmige Kohlensäurebäder viel
geringere Wirkungen auf das Gefäßsystem entfalten.
Elektrokardiographische Untersuchungen über die Einwirkung von
Bädern und speziell von COo-Bädern sind mehrfach ausgeführt wor¬
den. Nach Rheinboldt und Gold bäum, die bei Nicolai arbeite¬
ten, wird durch kalte wie warme Bäder die Zackenhöhe des Elektro¬
kardiogramms herabgesetzt, am wenigsten die der F-Zacke, die sogar
absolut vergrößert sein kann; diese Wirkung wird durch Zusatz von
Sole, Sauerstoff und Kohlensäure verstärkt. Nach Brandenburg
und Laqueur wird auch bei leichter Herzinsuffizienz durch C0 2 -
Bäder von 33° bis 31° C die F-Zacke vergrößert, eine Veränderung,
welcher Pulsveriangsamung, Verzögerung der Reizleitung von den
Vorkammern zu den Kammern, Erhöhung des Blutdrucks und Ver¬
tiefung der Atmung parallel gehen. Diese Beeinflussungen schwächen
sich, wie schon für das Kaninchen Waledinsky (bei Bickel) ge¬
funden hatte, mit. der Zahl der Bäder ab 2 ). Bei nervösen'Personen
fehlten diese Veränderungen oder erschienen in umgekehrtem Sinne,
wobei dann auch das Bad nicht vertragen wurde. Die Erhöhung der
F-Zacke sei um so mehr zu bewerten, als durch das kühle COo-Bad
nach den Messungen der beiden Autoren der Hautwiderstand ver¬
größert werde. Da bekanntlich die Zackenhöhe u. a. auch von der
Stellung des Herzens abhängig ist, so wurden Personen, bei denen
das Tiefertreten des Zwerchfells durch das C0 2 -Bad nicht erfolgte,
untersucht. Auch diese zeigten eine Erhöhung' von F. Branden¬
burg und Laqueur fassen die Veränderung des Elektrokardio¬
gramms als durch eine nervöse Reaktion bedingt auf und schließen
nicht auf eine Besserung der Herzfunktion. Alle diese Untersuchungen
waren an künstlichen C0 2 -Bädem angestellt worden. Weißbein
fand bei Anwendung der natürlichen C0 2 -Bäder ähnliche Wirkungen,
bei Herzkranken in stärkerem Grade als bei Herzgesunden. Leidner
fand k Moorbade von 28° C gleidifalls die >-Zacke vergrößert.
Wenn die Ansicht von Kraus und Nicolai zutrifft, daß die
Herabsetzung des „Ventrikelquotienten“, d. h. des Verhältnisses von
o 7 ,, > besseren Funktion entspricht, so würden wir in der
naX F-Zacke — falls alle anderen für diese in Betracht
kommen Jen Umstände gleichbleibend sind — doch wohl den Ausdruck
r'ZV besteuerten Herzfunktion erblicken dürfen. Es ist damit noch
f f diese in allen Fällen von Kreislaufschwäche nützlich
" h a e B r sicherlich doch in sehr vielen. Bemerkenswert ist
^'"F.'bwi^'unb des künstlichen CO,-Bades. Wir können die Frage
d . r R,b,r fl 11 «SUnrr des Elektrokardiogramms bisher nur als angeschmt-
der B e . e,n «Vfb" fie bedarf noch eines umfangreichen Studiums. Was
bisher drüber boriiegf. gestattet „och keine irgendwie sicheren
Schlüsse. a uch noch einer klaren Einsicht in die Kohlensäure-
W ,e sehr wir c ^ eine isf s/chei% daß es sich um Rciz .
Wirkung ermang Welche vom Gefäßsystem verarbeitet werden. Eine
wnkungen hnndeff ^ber die Wirkung ist nicht möglich, weil letztere
sichere Voraussage abhänpf
von dem Rcakt denke* 1 » daß d ,* e stärkere Wärmeentziehung
E* r^ R^kHonen führen sowie daß vielleicht durch
die mdei^eine Beeinflussung der " pl |larwahd und damit des Stoff-
.. Zrchr. I.pbytik- dUt. Ttier. „„ aielche sah Hegglin bei Duschen,
* na* eotu
Z«Chr f.
W M 1994. 26.
austausches zwischen Blut und Gewebe stattfindet. In dieser Hinsicht
erwarten wir von der zukünftigen Forschung Aufklärung.
Der Unterschied der Wirkung zwischen natürlichen und künst¬
lichen C0 2 -Bädern ist quantitativ; er ist durch die schwächere
Bindung der CO« und die stürmischere und schneller sich erschöpfende
Gasblasenbildung in den künstlichen Bädern bedingt.
Selbst bei leichter Kreislaufschwäche können die COo-Bäder
kontraindiziert sein, nämlich, wenn die vorliegenden organischen Ver¬
änderungen eine Blutdrucksteigerung als gefährlich erscheinen lassen:
hohe Grade von Arteriosklerose, Arteriosklerose der Himschlagadern,
höheres Lebensalter, stattgefundene Hirnblutung, auch Netzhautblu¬
tung, Aortenaneurysma, maligne Schrumpfniere.
Bei gleichzeitiger nervöser Ueberempfindiichkeit kann das Kohlen¬
säurebad starke Reizwirkungen entfalten, sodaß es unverträglich wird.
Wie aus den vorgetragenen Angaben und aus anderen Unter¬
suchungen (z. B. von Hegglin über die Wirkung der Dusche) her¬
vorgeht, können hydrotherapeutische Maßnahmen ähnliche Wirkungen
wie die C0 2 -Bäder erzielen. Ich verordne wechselwarme Abreibungen
und Fußbäder, Teilgüsse, Frottierungen schon seit langer Zeit bei
Herzkranken und, wie ich glaube, mit Nutzen. (Schluß folgt.)
Ueber den gegenwärtigen Stand der Tuberkulinbehandlung.
Von Felix Klemperer in Berlin-Reinickendorf.
In allen ihren Phasen lag der Tuberkulintherapie Robert Kochs
der Gedanke der Immunisierung zugrunde. Von seinem ersten grund¬
legenden und noch heute bedeutungsvollsten Präparat, dem Filtrat
der bei Siedetemperatur auf Vio ihres Volumens eingeengten Glyzerin¬
bouillonkultur von Tuberkelbazillen, das er 1890 unter dem Namen
Tuberkulin (Alttuberkulin) der Oeffentlichkeit übergab, nahm
Koch an, daß es die schädlichen Stoffwechselprodukte des Tuberkel¬
bazillus enthalte, welche im infizierten Organismus die für die Tuber¬
kulose charakteristischen Gewebsschädigungen und Allgemeinerschei¬
nungen verursachen; die Immunisierung mittels Tuberkulin sollte
gegen diese Tuberkulosegifte schützen. Als sich dann an Tieren und
Menschen zeigte, daß mit der Einverleibung steigender Mengen von
Tuberkulin zwar eine Tuberkulinimmunität, aber nicht Schutz gegen
die krankmachende Wirkung der Tuberkelbazillen erreicht wurde,
schloß Koch, daß das Alttuberkulin nur einen Teil der in den
Tuberkelbazillen vorhandenen aktiven Substanzen enthalte, und suchte
in systematischer Weise nach neuen Präparaten, welche alle wirk¬
samen Substanzen des Tuberkelbazillus enthalten sollten. Die Arbeit
eines Jahrzehnts führte ihn endlich zum Neutuberkulin, der
Bazillenemulsion (B. E.), die in einer Aufschwemmung in der Kugel¬
mühle verriebener Bazillen besteht; die mechanische Zertrümmerung
sollte die reaktiven Stoffe des Tuberkelbazillus ungeschädigt lassen,
die Bazillenemulsion den vollständig aufgeschlossenen, d. h. resorbier¬
bar gemachten Bazillus darstellen und daher die Immunisierung mittels
B. E. gegen alle wirksamen Stoffe des Tuberkelbazillus, gegen seine
Toxine wie Endotoxine, schützen. Der Kochschen B. E. sehr nähe
steht ein von Prof. Selter (Königsberg) kürzlich *) herausgebrachtes
Präparat Vital-Tuberkulin, das gewonnen wird durch Verreiben
schwach virulenter humaner Tuberkelbazillen im Achatmörser in leben¬
der, feuchter Form fast bis zur völligen Auflösung.
Die Kochschen Präparate haben durch Aenderungen der Her-
stellungsweisc (Verwendung besonderer Bazillen, Aenderung der Kul¬
turflüssigkeit, der Extraktionsmethoden usw.) mannigfache Modifi¬
kationen gefunden, von denen einige — so das Rosenbachsehe und
BeraneksT uberkulin, das albumosenfreieT uberkulin, die sensibilisierte
B. E. u. a. — zahlreiche Anhänger gewannen. Infolge ihrer anders¬
artigen Zusammensetzung sollte in diesen Tuberkulinpräparaten der
Giftanteil, der den Kochschen Präparaten innewohnt, mehr weniger
ausgeschaltet sein und der immunisierende Anteil reiner und milder
zur Wirkung kommen; im Prinzip sind sie alle dem Kochschen Tuber-,
kulin gleich. Einer chemischen Analyse ist keines der Tuberkulin-
präparate zugänglich; sie charakterisieren sich als Tuberkulin aus¬
schließlich biologisch durch die spezifischen Haut-, Herd- und All¬
gemeinreaktionen, welche sie am tuberkulös infizierten Organismus
hervorrufen, deren höchste Steigerung der Tuberkulintod des tuber¬
kulösen Tieres ist. Als Tuberkuline sind dahet alle nicht lebenden
Präparate zu bezeichnen, die aus Tuberkelfrazillen gewonnen sind
und die eben erwähnten charakteristischen Reaktionen geben.
Auch die Parti ge ne von Deycke und Much, die in den
letzten Jahren die Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben, gehören
in diesem Sinne zu den Tuberkulinen. Deycke und Much gingen
von der Vorstellung aus, daß der Tuberkelbazillus, wie jeder andere
Krankheitserreger, eine Reihe scharf voneinander getrennter Partial-
antigenc (= Partigene) enthält, deren jedem ein besonderer Anti¬
körper entspricht; nur die Summe dieser Antikörper erzeuge eine
wirksame Vollimmunität. Der Tuberkelbazillus enthält nach Deycke-
Much außer einem Giftstoff (L) drei reaktive Partialstoffe: einen
Eiweißstoff (A), einen Fettsäure-Lipoidstoff (F) und ein Neutral¬
fett (N). Durch einfache chemische Eingriffe, insbesondere durch
längere Einwirkung , eT dünnter Milchsäurelösung, lassen sich diese
wirksamen Stoffe** 'geschädigt aus dem Bazillus gewinnen; das
Filtrat der Milche ^ ,$schYiedung enthält den Giftstoff L, der Rück¬
stand MTbR \\ Extraktion mit Alkohol und Aether in die
*) Verhandlung ,**$es der Deutschen Gesell sch. f. Inn. M. Wiesbaden,
1921 S. 139. pW
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
»4 DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCH ENSCH PI FT Nr 1
.1r ' v * .r:» r. 4 . - r..*>. 4 <2;*: f- ***4 <*r *
I -'P-* 7 . ",>r 't- r T ;b**k ■„ Wc-c':
T .',-rv . - ■* .'/ ■ "i />.:. -*■'*r* Tr a .fyMV’.'t **ör!c :.
'I * '«v i > * .* *£>-r. E/>' r*+r hrr : .'t.'r.*-n V. 4 **:k
< * T .r/'V, '.'*%/♦ * '*■ Ar* j^^r.-A-.’iicörp^Treair* on ö*r:T*n.
>r pf\ 1 .:****■&*/.. .\ ?.h*t Y'»ry.x zu e.-.*r Ab'.rhr-
; ♦ ' •/ ':* A' • riM 7u.',*rfc* t r,*/.! n '.erur^'hrn d.e Bi d iTg
-- *• - * * .t d--r V*"*- '. / h*;d*:r r*vj’.*:crf die Tub^rzu';*:-
• ■ *.. [/' Ar * .'="> *-r.‘'. 44 -r.*ft '.-.d wir/rn ir. erster L;r..e im
ff*-"! <>n d*\h* r> d '• hv;pt.**chi 'Be P'-ak t:ftn /Herd-
r* ; /* ' r, /*-h,d*.'. i> tr^en dar.n ir,* Bl ut und wirken auf
* *• %-d <ta. rn %p*/.»ff .vj'h auf d:c Zeilen der Haut,
*«•*-* d*d ."h />r B / 1-7 *. vn Ar.vzorpcrn fih:g. d h tubcrkubn-
'ft b/>/ jr^rernnfir.di.'h werden — *0 erklären sich die
A " <► * - u-d d * Mau*r»-air*:ftnen.
,*• \ d *v-r g*'-n h *f v'.h die Tuberkuliritherapie nach
/.>• p 'r* .ry»r. +r.* Einmal wird das Tuberkulin seihst als
f r*rV , uvf* urd die Heilung dadurch erstrebt, d'^h der
' t .: ft E.;. -allmahlirh wachsender und schließlich
frw-n . on T .ft^rku/n ur.emrdir.dli'h gegen T uberkulin (an-
/ < r,rh* w;rd; »s ist d.e« du- weitverbreitete und von den
r * s 4 " K - /"rr errsrTohiene ein-/hauchende Tuberkulirhehandlung.
d " vg rr ; i d " Pealcfionsmethode, die bei unkomplizierter, gut
ve • -br 'h' '*r urd n/ht ausgedehnter Erkrankung m:t dem stärkere
E/*" p"*/vor."n her /orrub nden Alttuberkulm. bei infiltratr.en Pro
/tr, rr,, 4 E r vhmH/ungstenden/ und bei starker verbreiteter Er-
kr*r > >r g rr. t <W milder wirkenden Ba/illenemulsion in vorsichtig in*
d • rer/W Behandlung unter Vermeidung jeder stärkeren Re*
a/t.ori von kb:nst/-n und kleinen Tuberkulindosen zu den höchsten
/■* g'dsr.g'n sucht ft:e Vertreter dieser immunisierenden Be*
h a r; dl ; r; gsm et hode werden als Anergisten bezeichnet. Die
\,<r/ruyir*,irn unter ihnen vertreten neuerdings als letztes Ziel die
b: o ! o g i s' h ^ Heilung'* (C. Krämer, O. Liebermeister):
d'*r Vbr.'/h y* h*-»fte Fall bleibt tuberkulinempfindlich (behält positiven
Piruu' t uv;, ). der tiiberkelba/illcnfieic Oesunde ist absolut unempfind-
!nh yryt-r, Tuberkulin (positiv anergisch; im Gegensatz zu der
negativen Ari^rgie d;-s Schwertuberkulosen, der infolge Versagens
all«-r Kräfte nicht mehr auf Tuberkulin zu reagieren vermag); daher
•st di#* Tub'-rkiilinbrhandliJng mit größten Dosen so lange fortzusetzen
bis du* Tubcrkulinreaktion — bei gutem Befinden — dauernd er¬
loschen ist.
Auf der andern Seite wird die Tuberkulinempfindlichkeit — die
Allergie — als Ausdruck der Abwehrfähigkeit gewertet; je mehr
der Körper sieh gegen die Tuberkelbazillenantigene zu wehren ver¬
mag, um sc; stärker und gegen um sc; kleinere Dosen reagiert er auf
Tuberkulin. Dies ist der Standpunkt der sog. Allergisten, welche
mittels anaphylak tisierender Methoden, d. h. durch fort¬
gesetzt wiederholte Einverleibung kleinster und kleiner, nur wenig
steigender Dosen, die Reaktionsfähigkeit auf Tuberkulin zu erhalten
und zu steigern suchen.
Die letztgenannten Anschauungen werden insbesondere von
Deyrke und Much vertreten, die sie bis zur letzten Konsequenz
durihführen. Sie glauben durch abgestufte Intrakutanimpfungen „einen
meßbaren Einblick in das eigentliche Wesen der Abwehrvorgänge“,
eine „quantitative Immunitätsanalyse“ zu gewinnen. Durch Intrakutan-
injektionen von je 0,1 ccm verschiedener Verdünnungen (von 1:1000
bis 1:100000 Millionen und darüber) ihrer Partigene stellen sie den
Intrakutanster (Immunitätstiter oder Schwellenwert der Partial-
1 mmuntUit) fest und beginnen die Behandlung mit ‘/ioo ccm derjenigen
Verdünnungen der getrennten Partigenc (A -f- F f- N-Behandlung)
oder des Antigengemisches MTbR, die im Intrakutanversuche eben
noch eine Reaktion gaben, d. i. für MTbR und A im allgemeinen
ft. 1 der Verdünnung von 1:100000 Millionen, für F und N 0,1 ccm
der Verdünnung von 1:10000 Millionen; die Einspritzungen werden
täglich fortgesetzt mit langsamer Steigerung der Konzentration, über
die Verdünnung von 1:1 Million bei MTnR und A, von 1:100000
bei f und N wird selten hinausgegangen; die höchsten von Deycke
angewandten Konzentrationen liegen für MTbR und A bei 1:100000,
für I bei 1:10000 und für N bei 1:1000.
Zu den anaphylaktisierenden Methoden der Tubcrkulinbehandlung
gehört auch Petruschkys Inunktionskur, bei der ein Tuber-
kullnlniirm-nt in steigender Konzentration — erst 1:25, dann 1:5,
zuletzt unverdünnt in ansteigender Menge von 1 bis 4 Tropfen
jeden 4. Tag abwechselnd rechts und links am Ober- und Unter¬
arm in die Haut eingerieben wird. Ihr nahe steht die Behand¬
lung mittels multipler kutaner Impfungen, die Sahli
empfohlen hat und die in der Form der Ponndorfschen Pir-
quetlerungen - Aufträufelung von Tuberkulinlösungen bzw. kon¬
zentriertem Tuberkulin auf reihenweis mit der Impflanzette gesetzte
größere Impfstriche jetzt in weitere Kreise zu dringen scheint. Von
(len Erwartungen, die an Petruschkys Methode geknüpft werden,
wird sogleich die Rede sein; Ponndorf 1 ) ist „fest davon überzeugt“,
dad sein Verfahren berufen ist. sowohl die Menschen- wie die
Rindertuberkulose auszurotten und „die Menschheit endlich von dieser
•) M, m. W 1014 11 . .Dic'HeilunK der Tuberkulose* u»w. 1021.
r.~ *X> ■*. * * i'. :r.f Er*. - zt ^rrü.-.det si~<j
h *- ^ " -^ ^«en.'d 3 ß
-i-r hr: ;*r'i*r V. h 7 - zt—zrr.Un Tuber-
y i-z 'B*- dj^eeen
d-r :n > --t Ua'.-z dt*, Hw^-zs-.s - E*v^- des
T.ft-'k. -i i-.-z*. t ,*/T* •- *2tr H;*J! u>.\. -
r> - 4 * r."- - dt ^ Lri auch die
M t d*r Erz dtr Th' r tr u-i Mt 4 *: jit-. der Tuber-
k'.!:rh^:hsr.d;-jr.g auch ihr I r. d : k 1 1:r s r t h : e: :n den letzten
Jahren verbre rert werden A!s Zt : - ^ h-rfjr sten einige An*
schwur g**n v,/ d-r;-* g-ben. die :n d;n be dt-tarnen Tuberkulose-
Werken und iöul > . n v Hay ic-> und G. L i e be r me is ter-)
vertreten werden.
Hav'k. dem ..dir Tuberkulose :n erster und letzter Linie ein
mm nbiolog sthts Proh'* m ‘ ist. r.er.r.t ..die spez f^che Tuberkulose-
fh^r-arie e n v,isse^s'-ha 44 !::h fest begründetes. p'akt:sdi bereits viel-
fach bewahrtes Verfahren- 1 . Von der Perkutanthcrarie nach Pe¬
tro sch kv m-int er. dah sie gegenüber der rr.miren Tuberkulose
A‘-n Vorgang der natürlicher. Heilung nachahmt und ihn unter-
stutzt 11 , und er ist überzeugt, dafj s.e. ..wer.n gr-:/zügig organisiert,
Ger:#-rat:'.ren retten und Md'iardenve*!us’e an v r !ksw irt^chaftiicher
Arbe: 4 skraft verhüten 11 könnte. Für d e Tuberkulmbe-handlung der
Lungentuberkulose glaubt Hayek au: Grund der Erkenntnis ..ver-
schieden starker biologischer Affi-itat künstlicher Artigenpräparate
zu proliferierer.den und recht nroliferierenden Heiden“ bereits ge¬
wisse ..immur.biologische Richtlinien* 4 geben zu können; er teilt die
Tub/*rku!:r.e in 1 Pr-parate, mit welchen v.ir kräftige Herdreaktionen
erzielen können (Alttuberkulin); 2. Präparate, mit welchen wir ohne
allzu streng einschh-xhende Dosierung zu starke Herdreaktionen
vermeiden können falb umosefreles Tube-kulin und Neutuberkulin-
Bazillenemulsioh): 3 ein Präparat, mit welchem wir, ohne auf streng
einschleichr-rde [Dosierung beschränkt zu sein, bei chronischen Pro¬
zessen kräftige Antigenreize setzen können und dabei doch einige
Sicherheit haben, daß evtl, vorhandene schon oder noch proliferierende
Herde nicht zu stark gereizt werden. Em solches Präparat ist nach
Hayek das Tuberkulomuzin. bei dessen Anwendung man mit 2—I mg
beginnen könne und das sich für solche Falle eigne, in welchen die
Patienten aus äußeren Gründen nur kurze Zeit (2—3 Monate) in
Behandlung bleiben könnten; endlich 4. ein Präparat, „mit dem
wir unter möglichster Schonung prolifcrierender Herde, also unter
möglichster Umgehung unerwünschter Herdreaktionen in diesen
Herden, bei drohender negativer Anergie die allgemeine zelluläre
Abwchrleistung anregen können“ (1. c. S. 269): als solches Präparat
verwendet Hayek die Partialantigene nach Deycke-Much, die
zu jenen Antigenreizen gehören, welche „imstande sind, unter Ver¬
meidung unerwünscht starker Reaktionen in proliferierenden Herden
eine möglichst starke Förderung der zellulären Abwehr¬
leistung außerhalb dieser Herde zu erzielen“ (S. 266).
Liebermeistcr, der gesehen hat, „daß durch nichtspezifische
Behandlung so gut wie nie biologische Heilung d#r Tuberkulose er¬
reicht wird, daß wir dagegen eine solche in vielen Fällen durch
spezifische Behandlung erreichen“, erhebt die Forderung: „Wir
müssen daher jedes tuberkulös infizierte Kind spezifisch behandeln,
wenn die Tuberkulose nicht so schwer ist. daß eine spezifische Be¬
handlung nicht durchführbar ist. Tuberkulöse Familien muß man
auf diese Weise zu sanieren suchen. Tuberkulös infizierte Kinder
sind zu behandeln, auch wenn zur Zeit keine Krankheitserscheinungen
nachweisbar sind“ (1. c. S. 430). Von dem immunisierenden Effekt
der Tuberkulinbehandlung ist Liebermeister so fest überzeugt,
daß er schreibt (S. 448): „Wenn man spezifisch behandelt, so ist
es nicht notwendig, offene und geschlossene und scheinbar inaktive
Tuberkulosen voneinander zu trennen. Denn diese Fälle werden sich
gegenseitig nicht infizieren und werden durch die Immunisierung
gegen Infektionen geschützt.“
Daß solch hochgespannter Glaube an die immunisierende Wirk¬
samkeit der Tuberkulinbehandlung sich weiter verbreitet, dafür noch
zwei Belege. Der Mannheimer Kinderazt Dr. T o e p I i t z fordert in
einer Denkschrift, welche von der Buchhandlung des Verbandes der
Aerzte Deutschlands verbreitet wird, den ungesäumten Erlaß eines
Reichsgesetzes, wonach 1. jedes Kind vom 2. bis 10. Lebensjahre
alljährlich, ferner im 12. und 14. Lebensjahre je einmal der Tuber
kulinhautnrobe nach Pirquet zu unterwerfen, 2. jedes bei dieser
Probe tuberkulös befundene Kind zwangsweise einer vollständigen
Tuberkulinkur zu unterwerfen ist. Und der Prager Kliniker
R. Jaksch-Wartenhorst empfiehlt in einem Vortrag über die
„Ziele der Tuberkulosebekämpfung 113 ) „Petruschkys wohlbegrün¬
dete und wohlfundierte Anschauungen“ und stimmt Hayek „ent¬
schieden zu, wenn er in unserem heutigen Kampfe gegen die Tuber¬
kulose die immunbiologischen Methoden in den Vordergrund stellt
und wenn er verlangt, daß, bevor die Tuberkulose klinisch greif¬
bar wird, zu einer Zeit also, wo sie noch keine Organerkrankung
hervorgerufen hat, schon die Behandlung einsetzt 11 .
n.
Ein ganz anderes Bild — die Kehrseite der Medaille sozusagen —
zeigten die Verhandlungen des 33. Deutschen Kongresses für innere
Medizin in Wiesbaden (18.—22. IV. 1921) und des Tuberkulose-
*) Das Tuberkulose-Problem. Berlin, Julius Springer, 192a — •) Tuberkulose.
Berlin, Julius Springer, 1921. — *) B. kl. W. 1921, 38.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNÜVERSrTf
5. Januar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
15
kongresses zu Bad Elster (19. und 20. V. 1921), wo P. Uh len -
huth über „experimentelle Grundlagen der spezifischen Behandlung
der Tuberkulose“ und A. v. Wassermann und F. Neufeld über
die „Immunität gegen Tuberkulose“ referierten. Alle drei kamen
übereinstimmend zu dem Resultat, daß mit keinem Tuberkulinprä¬
parat eine Immunisierung gegen Tuberkulose gelingt.
Uhlenhuth analysiert sämtliche bekannt gegebenen Tierver¬
suche und experimentellen Arbeiten mit dem Ergebnis: „Wenn wir
lediglich auf Grund dieser Tierversuche die Tuberkulintherapie be¬
urteilen wollten, so wäre es um die experimentellen Grundlagen
schlecht bestellt.“ Demgegenüber stehen die günstigen Resultate am
Menschen, und „die am Menschen gewonnenen experimentellen Grund¬
lagen, so schwierig ihre objektive Beurteilung auch ist, dürfen nicht
vernachlässigt werden“; soviel scheint „aus den klinischen Erfah¬
rungen am Menschen hervorzugehen, daß die Alttuberkulinbehandlung
eine partielle Immunisierung gegen gewisse toxische Substanzen
hervorruft und die toxischen Symptome günstig beeinflußt“. An
dem Agglutinationstiter, wie Koch anfänglich glaubte, an den komple¬
mentbindenden Stoffen oder einem anderen der bekannt gewordenen
Antikörper freilich läßt sich die Schutz- oder Heilwirkung des Tuber¬
kulins nicht messen; „vorläufig können wir es nicht als erwiesen
ansehen, daß die bisher bekannten Serumantikörper echte Schutz-
und Heilkörper sind. Es ist also falsch, die Erfolge der Tuberkulin-
kur auf das Auftreten von Serumantikörpern zurückzuführen“. Die
Heilwirkung des Tuberkulins hat nach Uhlenhuth einen anderen
Grund: „Sie beruht auf der experimentell beobachteten lokalen Herd¬
reaktion des tuberkulösen Gewebes, die durch Ueberempfindlichkeit
(Allergie) zustandekommt und die wir als eine zelluläre Abvvehr-
erscheinung auffassen müssen. Das Wesen der Tuberkulinüberemp-
ftndlichkeit und das Zustandekommen der Tuberkulinreaktion sind
allerdings trotz aller Bemühungen noch nicht geklärt“. — Zur Tuber¬
kulintherapie gehört nach Uhlenhuth auch die Partigenbehandlung
nach Deycke und Much, von der er sagt: „Eine auf die Er¬
zielung einer Immunität im Tierversuch begründete experimentelle
Basis besteht bei der Partigentherapie nicht; es handelt sich ledig¬
lich um eine TuberkulipWirkung in oben besprochenem Sinne“; den
Nachweis von Fettantikörpern, zum mindesten gegenüber Neutral-
fetten, hält Uhlenhuth noch nicht mit Sicherheit für erbrächt.
v. Wassermann führt aus, wie Koch es erst vom Alttuber-
kulin, später von den Neutuberkulinen für sicher hielt, daß es sich
hierbei um einen Immuiiisierungsvorgang handele; tatsächlich aber
„mußten Koch und alle anderen Beobachter unter dem Zwange
der Tatsachen sich späterhin überzeugen, daß auch durch die Be¬
handlung mit der Bazillenemulsion eine Unempfänglichkeit des Or¬
ganismus gegenüber dem lebenden Tuberkelbazillus, worin doch
eben die gesuchte Immunität bestehen mußte, nicht eintritt“. Warum
ist dies der Fall — fragt Wassermann —, warum verhält der
Tuberkelbazillus sich im Vergleiche zum Diphtherie- oder Typhus¬
bazillus und anderen Infektionserregern immunisatorisch so ab¬
weichend? Die Antwort ist: „Nicht wegen der besonderen physi¬
kalisch-chemischen Natur dieses Keimes, nicht wegen seiner Un¬
aufgeschlossenheit, seiner mangelnden Resorbierbarkeit; denn „dar¬
über kann kein Zweifel bestehen, daß der Organismus durchaus im¬
stande ist. beträchtliche Mengen von Tuberkelbazillen aufzulösen
und auf die in ihnen enthaltenen Stoffe zu reagieren“. Daß eine
echte Immunität gegen Tuberkulose bisher nicht zu erzielen war,
liegt vielmehr „an den von Natur aus biologisch gegebenen Ver¬
hältnissen im Organismus“; wir kennen bisher nur einen Zustand
der Resistenzerhöhung gegen Tuberkulose, der in seiner praktischen
Wirkung der Immunität gleichkommt, sich aber dadurch von der
echten Immunität unterscheidet, „daß er an das Vorhandensein eines,
wenn auch noch so kleinen Depots der injizierten Tuberkelbazillen
gebunden ist, aber eines Depots, auf welches das Gewebe reagierte,
d. h. eines tuberkulösen Herdes“. Diese Resistenzerhöhung gegen
die tuberkulöse Infektion ist untrennbar verbunden mit der Tuber-
ku/fnüberempfindlichkeit, über die „unsere Kenntnisse noch sehr
lückenhaft sind“ und „nur eines sicher scheint, und das ist, daß diese
Ueberempfindlichkeit von Stoffen ausgeht, die in dem tuberkulösen
Gewebe sitzen, welches sich in spezifischer Weise um das Depot
der eingedrungenen Tuberkelbazillen bildet“. „Die Bildung des tuber-
Jculösen Gewebes , d. h. der um den Tuberkelbazillenherd sich aus-
bildenden Gewebsveränderungen, ist der Verteidigungs- und Hei-
lun/gsweg des Organismus. Von der Beschaffenheit und Funktion
dieses Gewebes hängt es ab, ob eine Tuberkuloseinfektion klinisch
ausheilt oder nicht/* Dieses tuberkulöse Gewebe nun vermögen
wir durch die Tuberkuline spezifisch zu beeinflussen, und dann liegt
lhr Affe Tuberkelbazillenpräparate, welche diese biologische
mm tuberkulösen Gewebe haben, sind als Tuberkuline
'wohnen alte sind qualitativ gleich, keines hat sich nach
»ssemanns Meinung grundsätzlich den ursprünglichen Koch-
Sdvw Tuberkulinen überlegen gezeigt, denn „vorläufig können wir
TR Pränmtpn nichts anderes hervorrufen, als immerwahrend
dne Reaktion auf die dem tuberkulösen Gewebe innewohnende Ueber-
'^Besonders* eindrucksvoll sind die Darlegungen Neufelds, der
als Assistent und Mitarbeiter an Kochs Tuberkulinarbeiten engsten
Anteil hatte und als ie^er ^Leiter.des
des
sich
immer _
sofern unter einem
eil hatte und als jetzig- aes insmuis „Kouen ivoen;-
Meisters Werk pietätvoll n er zu dem Eingeständnis
i £?c/wum*en sieht, daß „die Entdeckung des Tuberkulins, die
nJZe dir Größten Talen Robert Kochs bleiben wird, in-
unter einem unglückliches Stern stand, als Koch das Mittel
ziir Verwendung am Menschen empfahl, bevor es genügend im Tier¬
versuch erprobt \Var“, und wenn er mahnt, „nicht immer wieder
dieselben Irrwege und Umwege zu machen“ und „aus den Irr-
tümern jener Tage, die Kocn selbst am schwersten gebüßt hat,
zu lernen“, so verdient solche Warnung Beachtung und Beherzigung.
Neufeld führt im einzelnen aus, daß die Tuberkulinbehandlung
„nur eine, allerdings sehr auffallende äußere Aehnlichkeit mit den
Methoden der aktiven Immunisierung hat, indem meist überraschend
schnell eine Gewöhnung an steigende Dosen des Mittels eintritt“,
daß aber „dem Alttuberkulin eine immunisierende Wirkung durch¬
aus fehlt“. Von den Neutuberkulinen erkennt er an, daß sie „nicht
nur Antikörper, sondern auch in gewissem Grade bei gesunden
Tieren Ueberempfindlichkeit und Immunität erzeugen“, wobei „in
allen Fällen die Wirkung des abgetöteten Virus nur schwach und
unregelmäßig war“; beim Menschen aber wurden damit andere Er¬
gebnisse als mit dem Alttuberkulin nicht erzielt, und es lassen sich
keine Beweise anführen, daß das Neutuberkulin grundsätzlich andere
Wirkungen hat als das Alttuberkulin. Eine eingehende Analyse der
Partigenlehre führt Neufeld zu dem Schluß, daß ihre „experi¬
mentellen Grundlagen mangelhaft“ sind und „daß für die Behauptung,
daß Muchs Präparate gegenüber den anderen Tuberkulinen einen
Fortschritt bedeuten und daß man mit ihnen etwas grundsätzlich
anderes erreichen kann, ein experimenteller Beweis nicht geliefert
ist“. Neufelds Standpunkt ist, „daß wir die Erfolge aller bis¬
herigen Tuberkulintherapie nicht auf eine direkte immunisierende
Wirkung der Mittel zurückführen können“; zur Erklärung müssen
wir vielmehr auf andere Faktoren zurückgreifen, vor allem „die
Herdreaktionen, wobei unter dem Bilde einer spezifischen Entzündung
die im Organismus bereits vorhandenen Schutzkräfte mobilisiert und
dem Krankheitsherde zugeführt werden; bei dieser Heidreaktion
können aus dem Krankheitsherde Antigene ausgeschwemmt werden,
die immunisierend wirken; in diesem Sinne, also indirekt, kann auch
das Alttuberkulin Immunisierungsvorgänge auslösen“. Aber „die
Tuberkulinbehandlung vermag nur die im Organismus vorhandenen
Heilkräfte zu unterstützen, nicht (wie z. B. die Pasteursche Toll¬
wutbehandlung) neue zu erzeugen“. Vermutlich tragen auch bessere
Ernährung und sonstige bessere Lebensbedingungen zur Verstärkung
dieser Schutzkräfte bei, und so besteht, wie z. B. auch Deycke
annahm, „zwischen der spezifischen und der diätetisch-klimatischen
Behandlung der Tuberkulose in der Art ihrer Wirkung vielleicht
gar kein so starker Gegensatz“. Dementsprechend können wir „durch
alle spezifischen Behandlungsmethoden auch nur solche Tuberkulose¬
fälle zur Heilung bringen, bei denen unter günstigen äußeren Ver¬
hältnissen eine Spontanheilung nicht ausgeschlossen ist. Daher ist
die klinische Beurteilung der Tuberkulinerfolge so schwierig“.
Zur Vervollständigung des Bildes, das die Referate Uhlen-
huths, Wassermanns und Neufelds geben, sei noch kurz
auf zwei Mitteilungen hingewiesen. E. Leschke, auf dessen ge¬
meinsam mit Much publizierte Tierversuche zutneist die Annahme
einer immunisierenden Wirkung der Partigene sich gründet, sagte
in der Tuberkulosedisküssion in Wiesbaden: „Immunisierungsver¬
suche an Meerschweinchen auf breiterer Grundlage haben jedoch er¬
geben, daß weder mit der Milchsäureaufschließung noch mit der
HpOo-Aufschließung eine einwandfreie prophylaktische Immunisierung
möglich ist. Vergleichende therapeutische Anwendung des Neu¬
tuberkulins (B.E. von Koch), der Milchsäure- und Wasserstoffsuper-
oxyd-Aufschließung von Tuberkelbazillcn, die ich seit 8 Jahren durch¬
führe, hat mir keinen eindeutigen Unterschied in der Wirksamkeit
dieser Präparate ergeben.“ Und der Königsberger Hygieniker Prof.
H. Selter, der „das Wesen der Tuberkulinreaktion“ 1 ), wie es nach
den bisherigen Theorien aufgefaßt wird, noch einmal in umfang¬
reichen methodischen Versuchen nachprüfte, kommt zu dem Ergeb¬
nis, daß das Tuberkulin nicht an die tuberkulösen Gewebszellen ge¬
bunden wird, sondern frei bleibt; ,*die Tuberkulinreaktion ist keine
Antikörperreaktion“, sie gehört auch nicht in das Gebiet der Ana¬
phylaxie — die durch abgetötete Bazillen hervorgerufene Anaphylaxie
ist ..eine Tuberkelbazillen ei weißanaphylaxie, die aber mit der
fuberkulinempfindlichkeit nichts zu tun hat —; wir wissen vom
Tuberkulin nur, daß es einen „Reizstoff vorstellt, der mit dem emp¬
findlichen Gewebe in Berührung kommt und es zur Entzündung
bringt, ohne selbst dabei gebunden oder verändert zu werden“.
III.
Die hypothesenreiche Partigenlehre Muchs und Hayeks glück¬
lich geformter Gedanke immunbiologischer Richtlinien für die Therapie
haben viel Anziehendes, Petruschkys, Liebermeisters, Ponn-
dorfs optimistische Hoffnungen und Versprechungen etwas Fort-
reißendes. Demgegenüber sind die ruhigeren Ausführungen Uh len-
huths, Wassermanns, Neufelds mit ihrer mehr negierenden
Kritik wenig erfreulich für den Arzt. Und doch müssen wir den
letzteren folgen, denn sie stehen auf dem Boden der Tatsachen.
Ueber die Schwierigkeit, daß die Partigene im Experiment so
wenig wie die aride ren Tuberkulinpräparate immunisieren, daß das
Tuberkulin bei Pinlühtung durch die Haut nicht anders wirkt als
bei Einverleibung“ .c anderem Wege, daß die Tuberkulinreaktion im
letzten Wesen * geklärt ist, suchen Much und andere Autoren
mit dem Ein^^V^h*. vL^egiugehen. daß dies Laboratoriumsweisheit
an Tierver^^tyA n“ gönnen, daß Tierversuche und Beobachtungen
kranken ~ - p ganz verschiedene Resultate gäben, Theorie
- A Ä e °
sei,
am
>) Zschr. f. i
\
fO’
X gi\A0tW4, H. 3/4.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
r y£'.7V.f-£
. r i-.f'AT ■ -"ti-r- Tt 1 isV»" '* ' '
’ It . , * * ".o» *-'./>* ,v» ► ' 7 * ' >-
.» ✓ *v»r <v?. r.'^h - E*
'• * ’ ‘t - - x /. >**■%/ + '. *:*r v *• :. A ■
•■■■;*• < • l .*/*'■/ . .. » d ■/ 'I *♦.,-* *:■.•**' fv- • * >
• ' ' ?«>* g g /*j W r D*
'»-»'b *...< rr, r 4'b 'I b?'-rwKg v b ^/p'-'Ts*-'.
f ',fvh .t g », * r.i'it >*• u X ,'b'r» LrfX».' ;* yu - !.‘-yi V ••.*! r'
f,- <• • '*.* V, ,rr * r* ,',i #*4%. .*,\\ *\‘ :> p h< r ;•'«••; f 1 r ; t%t : * 1 / *- r.
' I -b'fVf' f. b * b * r ’ . r, g ni.hr. :./‘u vd.r- von d'-r.-- n rh
< «r I ',lg< ( '!<^ tag* n i, ,\:
S H.» 'h't'U <\*r Auswahl t\*i f all#-: V;r b'ha r ,d! : r " h*--
'G *?♦';/'- f X> *•. r;d zu b'hap'blr»; f all»-. di»- -uh unW hv;-.'■ . 'h
b* r AV.'/* rri‘-,!,t,‘'U*!,'Unr>x fortv hr*ri»r;d K'-v '-rn. h*-&ir\*>*
'• ' r/t d* r f du f✓ ■b< bandlufi;/ h lat'gt k»-;r» Gnjpd >* es ka r n
//,'f'lbaff *rb< ir.< » ob ein P»»M vorlugf, klir.iuh r j»- unde aus-
••'biu ß;u b v,*g*-ri tu.<% pv.itj <n Pirqv-t rn;t f ub«-rkzu be-
ba/uJHfl
7 Hu^'ldli'h d'-r A«J»wahl d*-* MiMijU: f>M; Wahl
M:»M* k! v/‘rn;/*'f b'diiiHarn ab. Sywruny. da aliir Tuh*r-
t .l.r,«' v/abrv 1 h inl^ b •//<• ■ < fi>.;/b'Kb *.ind /ti b'-ru^ X.r ht-;^f 4 j-t nur
d.d» da^ AlHub'-rkulfU ffi-rtlt-i** h* tti jni'i n rna^ht aU die
f/uldi r vorVmdi'fi M* ufub'-rkuliiM-, /u d< ru ri airh das Miuhsrhe
Mfbl y /u zahlen r.f, ebenv; v/ie das -al»er fc /he Vitaltuberkulin, das
uh t<if nullen Monaten mit f/utern, ab"r in nuhts -.on dem yt-
z/ohtden ab z/ei# f»enden f jfi/lye very/i fide
J Mur.uhtluh der Methodik der f: 1 n v e r I e j h ti n y: Jeder
Wejz der J uberkulmziifuhr, der perkufane. rler intrakutane wie der
■aibkiitane, i%t erlaubt, [)afJ der kutane Wry die Tuberkulinwirkun^
verändert oder verbessert, ist unbewiesen und unwahrscheinlich. Der
zuverlassi^sti Wty bleilrt rjer subkutane, weil er der einzige ist,
der eine v/irkluhe bosu-riillg gestattet.
1 Hintulifli'h <ler Itotiernng riet Mittels: Die Dosen sind
mi beginne mit Vorsuht und rr rhl klein zu wählen, da die Reaktions¬
fähigkeit individuell versr hieden ist; eine vorherige Prüfung der
I lautieaktioir.lahigkeil mittels Pirquet- oder Intrakutanprobr kann
für rhe | est-.i t/img der f istdoMt einen gewissen, wenn auch nicht
sulieren Anhalt gehen I lir rin- Steigerung rler Dosen, die Inter-
■alle zwnuhen den Injektionen usw. sollen nicht vorgefaßte Mei-
nnng»n von (lern inimunitiererideii oder anaphylaktisierendcn 7.weck
di r lmpfnn|/en, sondern der klinische Pr folg maßgebend sein. Meist
i.t eine langsame Steigerung der Dosen nützlich. Die Tuberkulin-
therapie midi streng individualisierend sein und stärkere Reaktionen
vermeiden.
I liutir litlir h riet Zielet der Mehaud hing: Nicht die Zu¬
fuhr grüßet und größter f tosen, die ahsolute Unempfanglichkcit gegen
I iiberkulln, die „biologische Heilung" (s. oben) soll das Ziel sein,
solidem die klinische Heilung.
lieber den gegenwärtigen Stand der operativen Behandlung
de« Kropfes.
Von Otto Hildebrand.
I bis Dunkel der Aellologie des Kropfes ist trotz aller Hcmühuugcn
uüht aufgehellt. Weder die geographisch-geologischen Forschungen
Mit che ts, Kor hers, noch die expenmeulilleu Untersuchungen
Wilma, Hit eilet s haben etwas Sicheres ergeben. Was wir sicher
wissen, Ul, daß der Kropf in (ir birgslaudern, wie z. H. in der Schweiz,
'f/l litr. it. Otgnttw. 1090.
s:r \£ iv>:LSV KFT Nt. 1
-"t z. ht’t’ irt'.rr.” Lnzt:
' .i*: : . • - f'r: z : .t *d:e
*. * *^ r f \ f Z. *-r-' i- 2 *jäea
r*'.- ;-'r Er - i.r- i t -:r - -chwere
rr. **-•: 1 - ‘ ' d --r • • - r \r.- dir-;gv»:e ich
- rr. r r. I i .'.n z Vj } .- -. rer. «n -t.-tm V.ütr.ii »in mehreren
, F:•* g .r.z r* .r. *.-rd n. did stt*s e:re l/rter-uchung
! d--| r'r-r.-: rrij . l'nttrr- j j be^orders de>
P f -■' -• » ,%ru-d d-- Herzens, ob ctwi tr.n K'ararrh. eine
7:r• - oder Hr'.r.-h r > vr ri.e^* L: se K'a'irrhe -:r.d oft chronisch
; r d h: : ; ;y he: * ; t d jrch den Drj .k der Struma a j: d e Trachea
f-r--h d 4 -". -:e me:^t ra-:h nssh Fr.rerrrj-g der drückenden
' : . i :rj-e S.r. j -:e ak .t. so kor.::-n -;e -::h I- .:nt nach der Ope-
r-v,n gz-rr. u d zu Pr.eumon en *uhre : Es i-t aber keineswegs
::reu f/i>:n. von vv: her S-.-re de K« rr.rres-ion kommt
: t immer :-t der f;erS. h und fühlbare Kropf das Ent-
-./h‘-;der,df- f/er K*r.!sopf mit der Hal-strachci kar.n d utfich aut
du- *- :v <*■ te v- r-rhoben sem. und doch ksnn die wesentliche K'om-
-ton der Truhea au' d-r and--reu Se.tr -itzen. ja, manchmal
findet suh auf der einen Seite %% gut wie uar nichts von einer Schild-
dru-e. und doch wird von dieser S ite ein Druck auf die Trachea
an-g'uht. der zu h^-ch-ter Atemnot fuhrt, dann freilich intrathorakal
Zur Klarstellung dieser Verhältnisse ist die Röntgenaufnahme das
best-- M:tt» 1, bt-'-er als d.e Perkussion. Da entdeckt man. wo etwa
eine vdi-tf-rn jlr- oder intrathorakale Struma sitzt. In manchen Faller,
wirkt freilich der Druck von vorn nach hinten, weil die Struma sich
/wischen Sternum und Trachea eingt keilt hat. und dann weist das
PontgcnhÜd keine>weg- immer deutliche Schatten auf, ebenso wie
in den Fallen, wo die Trachea durch den hinten herum wachsenden
Kropf eingeschnürt wird. Hat man kein Röntgenbild zur Verfügung,
so kann mm auf einen substcrnalen Zapfen schließen, wenn bei
der Schlutkbev. egung und dem dabei erfolgenden Flinaufrücken
df*r Struma das Jugulum nicht frei wird. Im übrigen ist vor einer
einfachen Stnimaoperation eine besondere \ ; orbereitu tg nicht nötig,
die Her/storungen sind selten so hochgradig, daß sie einer besonderen
voraii-gehenden Behandlung bedürfen Die durch den Kropf ver¬
ursachten Beschwerden, die Atembeschwerden, sind meist so staik.
daß die Kranken zum Chirurgen kommen, ehe das Flerz insuffizient
ist In einzelnen Fällen aber, wo Irregularität des Pulses besteht,
mache ich gern Gebrauch von einer vorausgeschickten Behandlung
mit Bettruhe und Digitalis.
Die Operation selbst führe ich bei der gewöhnlichen Struma
regulär in Lokal- resp. Leitungsanästhesie aus. Das ist jetzt wohl
dis allgemein l’ebliche. Nur ganz vereinzelt habe ich midi bereit
finden lassen, bei sehr ängstlichen Patienten die Allgemeinnarkose
anznwenden: Aethcrnarkose in solchen Fällen, wo keine Bronchitis.
Chlorolormnarkose, wo keine Herzschädigung bestand. Aber wie
gesagt, ich entschließe mich dazu nur schwer, es blutet viel mehr,
jede Atemstörung macht sich in erheblicher Vermehrung des Blut¬
verlustes aus den durchschnittenen Venen geltend, und damit wird
das Operationsfeld unübersichtlich.
Welche Schnittführung man wählt, ob den Kocherschen Kragen¬
schnitt tief über das Jugulum oder höher in einer Flalsfalte, ob einen
oueren Bogenschnitt mit einer Verlängerung seitlich nach oben am
Innenrand des Sternokleidomastoideus oder auf ihm, das hängt von
der Form und Größe des Kropfes ab. Es ist für die kosmetische
Frage ohne Bedeutung, da die Narben, aseptische Heilung voraus¬
gesetzt, bei jeder Schnittführung so gut werden, daß sie nach einiger
Zeit kaum mehr zu sehen sind und leicht zuzudecken sind, wenn
man nur die Wunde durch eine sehr exakte, genau liegende Naht
schließt Ich lege Wert darauf, den Schnitt nicht sehr jgroß zu machen ,
er muß aber auf die andere Seite herrüberreichen, um sich über die
«andcrseit : ge Struma orientieren zu können. Die Halsmuskeln, den
Sternothvrcoidcus und Sternohyoideus wie den Omohyoideus schneide
ich prinzipiell durch, nähe sie aber nach der Operation exakt zu¬
sammen Das halte ich für nötig, weil diese Muskeln nach den von
Katzenstein für die Stimme, speziell für die HöFie, von Wichtig-
5. Januar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
17
keit sind, was bei Sängerinnen von großer Bedeutung ist. Werden
die Muskeln gut genäht, so stellt sich die Stimme im alten Umfang
wieder ein. Gelegentlich schneide ich auch den M. sternocleidomastoi-
deus ein, um meiir Platz zu bekommen. Nach der Entfernung des
Kropfes wird dieser Schnitt ebenfalls wieder genau genäht, einen
Schaden habe ich davon nie gesehen. Ob man nun mit der Isolierung
des oberen Pols und der Unterbindung der Art. thyr. sup. beginnt,
wie ich es meist mache, oder ob man zunächst den Isthmus von
unten freimacht und ihn durchtrennt, hängt von der Form und Lage
des Kropfes ab, ist aber meist ohne Bedeutung. Doch bevorzuge
ich das erstere, weil es dann durch Zug au dem heigemachten oberen
l J ol besser gelingt, den unteren Pol, besonders wenn er teilweise
substernal liegt, lierauszuziehen und zugänglich zu machen. Üb man
nach der Lösung des oberen Pols die Struma luxiert und dann die
Art. thyr. inf. nahe der Struma unterbindet, oder ob man nach de
Quervain die Art. thyr. inf. extrakapsulär unmittelbar nach dem
Hcrvorfreten neben der Karotis unterbindet, ist gleichgültig; wenn
man nur die Augen offen hat, passiert dem N. recurrens nichts. Direkte
Operationsverletzungen des Nerven habe ich im ganzen nur zweimal
erlebt Und auch in diesen Fällen verlor sich nach einiger Zeit die
Heiserkeit vollkommen, und die laute, tönende Sprache stellte sich
wieder her, sodaß ich keinen dauernden Ausfall des Nerven beobachtet
habe. Dabei betone ich, daß ich nie einen Rest der Schilddrüse aus
diesem Grunde stehen lasse. Sind dann die unteren. Venen unter¬
bunden, so wird die Struma über die Trachea hinübergewälzt, von
der Trachea abgelöst bis zur anderen Seite, der Isthmus mit der
Kocherschen Quetsche gefaßt und die Struma ^bgetrennt. Ist die
Trachea erweicht, leicht eindrückbar, so tritt bei diesem Hinüber¬
legen des Kropfes auf die andere Seite durch den Druck leicht
Atemnot auf, die aber sofort wieder behoben wird, wenn die Struma
lockergelassen wird. Nur zweimal war ich gezwungen, vor Voll¬
endung der Strumektomie Tracheotomie zu machen. Einen Nachteil,
etwa Wundinfektion, habe ich davon nicht gesehen. — Dies war eine
Hemistnunektomie, wie ich sie hier gewöhnlich übe. — Ob mau
diese ausführt, oder ob man auf beiden Seiten operiert, hängt ganz
vom Fall ab. Hier in Berlin sind die einseitigen Fälle in der ganz
überwiegenden Zahl, deshalb die Hemistrumektomie. Ist die Scnild-
drüse beiderseitig vergrößert, so füge ich zu der Hemistrumektomie
noch die Keilresektion der anderen Seite oder die Wegnahme etwa
einer umschriebenen
Vergröberung des an¬
deren Lappens. Dies
letzte ist aus kosme¬
tischen Gründen nötig,
weil sonst auf der einen
Seite eine Aushöhlung,
auf der anderen Seite
eine leichteVorwölbung
bleibt, was eine un¬
schöne Halsform ergibt.
Sendet die Struma
einen großen Zapfen
unter das Sternum in
den Thorax, so luxiere
ich ihn, indem ich an
dem oberen Pol ziehe
und mitdem Zeigefinger
der anderen Hand den
unteren Pol umhake und
herausziehe. Das ist mir
bis jetzt stets gelungen,
auch bei rein intratho-
rakalen(siehcFig.J,oHne
einen Löffel, ohne Fa¬
denzügel usw.; nur in
einem Falle vor langen
Jahren habe ich den me¬
dialen Teil der Klavi-
kuLa resezieren müssen.
Die Schwierigkeiten be-
ruhen ja darauf, daß der Kropf im Thorax Raum zu freier En-
‘eicklumr hat und deshalb meist dem Umfang nach großer ist als
der ' Raum unmittelbar hinter dem Sternum bzw. der ersten Rippe;
nun der intrathorakale Kropf durch einen Engpaß hindurch,
es muH a7 f^^* n J- r ^ ralJs beför d ert werden soll. Ist das auch schwie¬
ge/7/i er Aufgabe dadurch erleichtert, daß für gewöhnlich
rag, so ,st doch die A“' f f ath0 r a kalen Teil eintreten, sodaß man ener-
jkeme ° e {f ß r e , , "?5" n arbeiten kann, ohne Besorgnis, Gefäße zu ver-
gisch an der L . lI J t h : nc j un g in der tiefen Höhle große Schwierig-
vefiren, deren Un Solche substernalen Kropfzapfen sind hier
jtvacnen * Schwierigkeiten bei der Operation habe ich
\\auhg, beson - bei den ganz tiefen intrathorakalen. Die
wauug, ‘ t, nicht bei den ganz tiefen intrathorakalen. Die
gefunden, auc ~ hn i,* c h ihren Abgang in der normalen Höhe,
Art thyr. inf. hat g - t a ber ihre Eintrittsstelle in den Kropf tiefer
geht quer zum Krop , 1 dem Kropf in die Tiefe gesenkt hat.
unten, weil sie sich m ~j inten F all war wegen der Erstickungsnot
ln dem "vorher Tracheotomie gemacht worden, und
schon mehrere Woche unten im Thorax saß, ein langes Rohr
d;1 da f-^ ,nder r!V S g ?dehe FigT )• Die Entfernung gelang von einem
eingefuhrt worden a 5s, vielleicht aber nur deshalb, weil bei
deTäUmpuIalion des Luxicrens ein zystischer Teil des Tumors platzte.
j Größere Zysten enukleiere ich meist nach dem Vorgang von
So ein. Liegen mehrere Zysten auf derselben Seite, so nehme ich
lieber gleich die eine Hälfte der Struma mit den Zysten weg. Bei
der Zystenenukleation ist die Blutung meist lebhafter als sonst bei
der Strumektomie, laßt sich aber durch Zusammennäheu des Schilü-
drüsenbettes gut stillen. — Die Blutung wird nach der Kropf¬
operation exaxt gestillt, bis das Bett ganz trocken ist. Dann wird
ein dünnes Rohr eingeführt und eine genaue Naht der Halsmuskeln
1 gemacht. Darauf folgt eine exakte Naht des Platysmas mit dem
i subkutanen Fettgewebe und darauf die Hautnaht, die mit feinen
Nadeln und Fäden knapp am Wundrand angelegt wird. Auf die
, isolierte Fettnaht lege ich Wert, weil dadurch die Verschieblichkeit
der Hautnarbe gesienert wird. Von der exakten Hautnaht hängt die
Fe’inheit und Zartheit der Narbe ab. Ich bin mit meinen Resultaten
sehr zufrieden, ln einzelnen Fällen freilich habe ich keloidartige
I Narben beobachtet.
i Die Bestrebungen, ohne Drain auszukommen, billige ich nicht.
I Nicht zur Ableitung des möglicherweise infizierten Wundsekretes halte
ich die Drainage tur wichtig, sondern zur Offenbarung der möglicher¬
weise eintretenden Nachblutung. Nachblutungen kommen ja sehr
I selten vor, aber immerhin kommen sie vor, icn habe sie im ganzen
I fünfmal erlebt. Nun ist die Blutung als solche freilich nicht gefährlich,
( aber ist die Wunde vollständig geschlossen ohne Drain, dann füllt
sich die Wundhöhle mit Blut, die Spannung wird groß, dadurch der
Druck auf die Wand der Trachea. Gibt diese nach, so kommt es zu
! Atemnot, dadurch entsteht große Aufregung und Unruhe, die Blutung
wird stärker, die Zyanose größer. Kommt dann nicht noch recht-
j zeitig Hilfe, so kann der Kranke zugrundegehen. So ist mir eine
Patientin gestorben, weil der Assistent den Fall nicht richtig deutete.
I Die Nachblutung kommt meist in den ersten Stunden nach der
i Operation. Da macht sie sich dadurch bemerkbar, daß aus dem
, Drainrohr reichlich Blut abfließt und den Verband durchtränkt. Mehr¬
mals war sie verursacht durch Abgleiten einer Ligatur von einer
' Arterie, einmal durch Anstechen eiijer Vene bei der Naht. Außer
bei dem einen eben erwähnten Fall gelang es in den vier anderen
Fällen, durch rechtzeitiges Eingreifen die Blutung durch Unter¬
bindung zu stillen und damit die bedrohliche Gefahr zu beseitigen.
Nach zweimal 24 Stunden entferne ich das Drain, die Nähte am
7. Tag.
Fragen wir uns nun nach den Erfolgen, so kann ich
darüber nur Gutes berichten. Die Wundheilung ist stets primär,
glatt, hier und da braucht die Stelle, wo das Drain lag, noch ein
paar Tage länger zur Heilung. Die Mortalität ist so gut wie aus¬
geschlossen, auf 500 Fälle noch nicht 1 Fall, da Pneumonien, die
einzige Todesursache, die in Frage kommen könnte, äußerst selten
sind. Gelegentlich ist die Stimme in den ersten Wochen nach der
Operation etwas schwach, das gibt sich aber bald. Sobald die Muskeln
gut verwachsen und gut verschieblich sind, ziehen sie sich wieder
normal zusammen und üben ihre normale Funktion auf den Kehlkopf
aus. Rezidive bzw. Strumaentwickelung auf der anderen Seite habe
ich hier außerordentlich selten beobachtet, sodaß eine zweite oder
gar dritte Operation bei einfacher Struma hier sehr selten nötig ist.
Fassen wir das alles zusammen, so ist wohl kein Zweifel, daß
j die Strumaoperation die allergüustigsten Resultate gibt, die inan über-
l haupt in der Chirurgie erzielen kann.
Aus dem Georg Speyer-Haus in Frankfurt a. M.
Ueber Neosilbersalvarsan und die chemotherapeutische
Aktivierung der Salvarsanpräparate durch Metalle.
Von W. Kolle.
Das vor mehr als drei Jahren der klinischen Erprobung über¬
gebene und seit mehr als zwei Jahren in der Praxis gebrauchte
Silbe rsalvarsan hat sich als ein sehr stark wirkendes Anti-
syphilitikum durchaus bewährt. Es bietet auch ohne Anwendung
von Quecksilber die von allen Seiten anerkannte Möglichkeit, die
Syphilis in den Frühstadien zu heilen, und hat von allen Salvarsan-
präparaten die stärkste Wirkung auf die die Ansteckung vermitteln¬
den spirochätenhaltigcn Erscheinungen an Haut und Schleimhaut.
Zwar läßt sich auch mit dem Silbersalvarsan nicht bei jedem Syphili¬
tiker in der Frühperiode die Therapia magna sterilisans nach
Ehrlichs Grundsätzen erzielen, aber doch bei einer sehr großen
Zahl aller Patienten, die im sogenannten seronegativem Primär¬
stadium zur Behandlung gelangen. Ich habe, im Verfolg der Ehr¬
lich sehen Ideen über die Sterilisierung in der Frühperiode und
die Auslösung des Iktus immunisatorius, gerade das Silbersalvarsan
für die Abortivbehandlung der Syphilis empfohlen. Das Präparat hat
aber nicht nur f(j r ^ cS en Zweck, sondern auch für die Behandlung
der sekundären * P ftVäven Syphilis, sei es mit, sei es ohne Queck¬
silber, weite VqJJu ., Runden. Es wäre sicher noch mehr als
bisher auch fü r wu\ante Poliklinik- und Sprechstundenbehand¬
lung benutzt \ v 2^ e nn nicht von manchen Aerzten der angio-
neurotische Syv^^T n, aVs ^ örend empfunden wäre. Es ist
zwar noch ni^^ e^To d ^ aU oder em lan 2 er dauernder bedroh-
VHoV
\\*
Digitized by Goosle
Original from
CORNELL UNÜVERSm 1
18
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
licher Zustand infolge der angioneurotischen Reaktion beobachtet
worden, aber diese bei einem Teil der Patienten auftretenden
Nebenerscheinungen sind lästig. Es ist allerdings auffallend, daß viele
Autoren oft bei 1000 und mehr Injektionen von Silbersalvarsan den
Symptomenkomplex fast nie sahen, während andere über häufigeres
Auftreten bericnten. Es müssen hier also kleine Kunstgriffe der
Technik bzw. Unterlassung derselben eine Rolle spielen. Stärkere
angioneurotische Erscheinungen haben vielfach sicherlich mit der
Empfindlichkeit mancher Syphilitiker gegen die Arsenobenzolderivate
überhaupt zu tun. Das Gleiche gilt für das Auftreten von Dermatitis.
Hier ist die wichtige Tatsache zu verzeichnen, daß im Auslande, wo
die Kriegsschäden, die sich auch jetzt noch zum Teil bei uns als
Ernährungsschäden fortsetzen und die Krankheitsempfänglichkeit
steigern, fehlen, das Auftreten von Dermatitis nach allen Salvarsan-
präparaten und so auch nach Silbersalvarsan außerordentlich viel
seltener beobachtet wurde als bei der Bevölkerung der Mittelmächte,
vor allen Dingen der armen oder verwahrlosten Bevölkerung der
deutschen Großstädte.
Dem Bestreben, eine stärkere Wirkung des in der Praxis viel
angewendeten Neosalvarsans herbeizuführen, ist in neuerer Zeit von
Linser 1 ) versucht worden, mit der Einführung der von ihm emp¬
fohlenen sogenannten einzeitigen Injektionen von Sublimat-Neosal-
varsan-Mischungen gerecht zu werden. Es erfolgt tatsächlich, wie
ich auch experimentell nachgewiesen habe, durch die Beimischung
von Quecksilberverbindungen zu allen Salvarsanp rä-
paraten eine chemotherapeutische Aktivierung; aber
es wird durch die kleinen Quecksilberdosen, die man bei den ein¬
zeitigen Mischinjektionen, z. B. von Sublimat-Neosalvarsan- oder
Novasurol-Neosalvarsanlösung, dein Körper einverleiben kann, nur
eine vorübergehende Steigerung der spirilloziden Wirkung des
Salvarsans erzielt. Durch die Beifügung von Quecksilberverbindungen
zum Salvarsan läßt sich im Tierversuch, worüber ich in Hamburg auf
dem Dermatologenkongreß 2 ) berichtet habe, keine stärkere
Dauerwirkung erzielen als mit den gleichen Dosen von
Salvarsan allein. Die Spirochäten verschwinden zwar aus den
Schankem rascher als z. B. nach einer Neosalvarsandosis von doppel¬
ter Stärke, aber die absolute heilende Dosis des Neosal¬
varsans, die rezidivfreie Heilung der Schanker der
Kaninchen wird durch die Beimischung der kleinen Queck¬
silberdosen nicht wesentlich gesteigert. Auf Grund der
Tierversuche, über die ich später in dieser Wochenschrift berichten
werde, läßt sich ferner sagen, daß die chemotherapeutisch (die Sal-
varsanpräparate) aktivierende Beimengung kleiner, allein, d. h. ohne
Salvarsan, a kaum wirksamer Hg-Mengen, die therapeutisch beim
Menschen erprobte Kombinationskur nicht ersetzen kann, bei der
große, allein stark antisyphilitisch wirkende Hg-Dosen einverleibt
werden.
Zudem bestehen gewisse rein chemische Bedenken gegen die
Anwendung der Mischung von Sublimat mit Salvarsan oder Neo-
salvarsan. Denn es erfolgt, wie die auf meine Anregung hin im
Georg Speyer-Haus ausgeführten chemischen Untersuchungen von
Binz und Bauer 3 ) gezeigt haben, in diesen Mischungen eine
roße Anzahl von gleichzeitig stattfindenden Reaktionen. Es werden
urch das Sublimat, wie diese Autoren, ferner Kircher und Ruppert
in den Laboratorien der Höchster Farbwerke, gezeigt haben, Verände¬
rungen an dem Arsenobenzolmolekül hervorgebracht. Bei Mischung
z. B. von Sublimat mit Neosalvarsan bilden sich neben erheblicher
Menge von unverändertem Neosalvarsan Arsinoxyde, zum Teil gebun¬
den an Methylensulfoxylsäure oder methylenschweflige Säure, und da¬
neben die aus dem Neosalvarsan entstandene formaldehydschweflige
Säure und Formaldehydsulfoxylsäure, während das Quecksilber
durch Reduktion allmählich in metallisches Hg übergeführt wird
und zunächst in sehr fein verteilter Form erscheint (Rot hm an n 4 )).
Wenn die Veränderungen in dem Salvarsanmolekül auch anfangs
nicht tiefgreifend sind, so muß man sich doch klar sein, daß eine
Veränderung dieses leicht zersetzlichen Moleküls
hier schon vor der Injektion, d. h. außerhalb des Kör¬
pers, erfolgt. Es wird also eine in Zersetzung begriffene Salvarsan-
lösung den Syphilitikern injiziert, über deren weiteres Schicksal wir
bei der Unkenntnis, die wir überhaupt über den chemischen Abbau
der Salvarsankörper im Organismus besitzen, sehr wenig Voraussagen
können. Viele Syphilitiker sind jedenfalls für die Anwendung der
Neosalvarsan-Sublimatgemische nach Linser sehr empfindlich, und
es bedarf großer klinischer Erfahrung, um sie ohne Schaden bei ein
und demselben Patienten öfter anzuwenden. Jedenfalls sollte man
stets die Injektion der Lösung unmittelbar nach dem Zusammen¬
mischen vornehmen, um schwere Schädigungen zu vermeiden, und
ferner für die einzeitige Mischung nicht das so stark oxydierende
Sublimat, sondern weniger oxydierende Körper, z. B. Novasurol und
ähnliche aromatische Quecksilberv^rbindungen heranziehen. Hier ist
jedenfalls noch ein Feld für die chemische und biologisch-chemische
Forschung, vor allem, wenn es gelingen sollte, Verbindungen
mit einwertigem Hg herzustellen, die sich mit dem Salvarsan
mischen lassen.
Was die verstärkte Wirkung auf die Spirochäten betrifft, die bei
der Linserschen Mischung sicher vorhanden ist, so läßt sie sich bei
den Metallsalvarsanen in einer viel präziseren Weise und mit größerer
*) M. KI. 1919,15, S. 1027. - ») VÖff. d. Denn. Kongr. Hamburg 1921. - •) Zschr. f.
angew. Chem. 1921.34, S. 261. - <) D. m. W. 1921 Nr.. 47.
Nr. 1
Sicherheit, wie klinische Beobachtungen und Tierversuche zeigen,
herbeizuführen. Die Metallsal varsane sind einheitliche
Körper, bei denen von einer Stabilität im Gegensatz zu den Ge¬
mischen von Quecksilber und Salvarsan, die während ihrer Wechsel¬
wirkung injiziert werden, gesprochen werden kann. Es läßt sich mit
den Metallsalvarsanen im Tierversuch an syphilitischen Kaninchen
genau die Dosis bestimmen, bei der eine reziaivfreie Ausheilung der
Schanker erfolgt, und sie besitzen einen ganz genau festgelegten
chemotherapeutischen Index mit konstantem Verhältnis der Dosis tole-
rata zur Dosis curativa. Sie sind, wie das auf Grund der Ehr lieh -
sehen klassischen Arbeiten mit den gleichen Methoden für das Alt-
und Neosalvarsan im Tierversuch gefunden wurde, ebenso genau
biologisch prüfbar, wie sie sich chemisch konstant herstellen lassen.
In den Metallsalvarsanen ist durch den Eintritt des Metalls in das
Arsenobenzolmolekül die zur rezidivfreien Dauerheilung nötige Menge
des Arsenobenzolrestes, verglichen mit metallfreiem Salvarsan, ver¬
mindert.
Deshalb bin ich mit meinen Mitarbeitern im Georg Speyer-
Haus seit Jahren auf den beschrittenen Wegen weitergegangen,
um womöglich das Neosalvarsan in Form eines sta¬
bilen M e t a 11 s a 1 v a r s a n s chemotherapeutisch zu
aktivieren. Ebenso richtig könnte man sagen: es kommt
darauf an, ein ungiftigeres Silbersalvarsan zu gewinnen, um
höhere Dosen desselben anwenden zu können, und ferner
womöglich durch die Einführung entgiftender Gruppen zu einer
Beseitigung des von manchen Praktikern als störend empfundenen
angioneurotischen Symptomenkomplexes zu gelangen. Von dem Ge¬
sichtspunkt der chemotherapeutischen Aktivierung der Salvarsanprä-
parate durch Metalle bin ich in gemeinsamer biologisch-chemischer
Arbeit mit den Chemikern des Georg Speyer-Hauses, Binz und
Bauer, nach Ueberwindung technischer Schwierigkeiten, an der auch
die Chemiker der Höchster Farbwerke, Dr. Ammei bürg, Dr.
Scholl und Dr. Streitwolff, beteiligt waren, zur Herstellung des
Neosilbersalvarsans gelangt.
Die Herstellung der neuen Verbindung nahm ihren Ausgangs¬
punkt von einer Beobachtung, die bei Studien über sog. gemischte
Arsenobenzolderivate gemacht wurde. Karrer hatte zuerst durch
Einwirkung von zwei verschiedenen Arsenobenzolderivaten aufein¬
ander, z. B. von Hexaminoarsenobenzol mit Dioxydiamidoarsenobenzol
(Altsalvarsan), neue Körper herzustellen vermocht nach der Formel
As———As As ■ - As As ■ - - -As
NH,(^) OnH, + NH,llNH t NH,OnH, = 2MoI. NH,(^ NH.OnH,
OH OH NH, NH, OH NH,
1 Mol. + 1 Mol.
Diese Körper erwiesen sich allerdings praktisch als nicht brauch¬
bar, weil sie nicht stabil genug sind, sondern offenbar im Organismus
unter Abspaltung giftiger neurotroper Substanzen zerfallen.
Unter Zugrundelegung neuartiger Vorstellungen über den Bau des
Arsenobenzolmoleküls und aus anderen Gesichtspunkten hatten wir
u. a. auch Mischungen von Sulfoxylaten, wie Neosalvarsan mit Arseno¬
benzolderivaten, z. B. Silbersalvarsan, unter verschiedenen Bedin¬
gungen hergestellt. Ueberraschenderweise zeigte sich, daß bei Ein¬
wirkung von Neosalvarsan auf Silbersalvarsan unter Ein¬
haltung bestimmter Mengenverhältnisse ein neuer
Körper, das Neosilbersalvarsan, entsteht. Das kann da¬
durch bewiesen werden, daß die Neosalvarsan-Silbersalvarsanlösung
selbst nach längerem Stehen an der Luft fast keine Zunahme an
Giftigkeit erfährt. Enthielte die Lösung noch freies, nicht an das
Silbersalvarsan gebundenes Neosalvarsan, so würde sie innerhalb
24 Stunden 5—6 mal giftiger geworden sein. Neosilbersalvarsan-
lösungen nehmen aber, wie ich mit Frl. F. Leupold feststellte,
innerhalb 24 Stunden nur ganz gering an Giftigkeit auch bei un¬
gehindertem Luftzutritt zu. Aber es kann auch kein freies
Silbersalvarsannatrium in der Neosalvarsan-Silbersalvarsanlösung vor¬
handen gewesen sein. Denn freies Silbersalvarsannatrium wäre in
24 Stunden durch die Wirkung der C0 2 der Luft als unlösliche Silber-
salvarsanbase ausgefallen, während die Neosilbersalvarsanlösung sich
in CO^-haltiger Luft 48—72 Stunden, ohne Ausfüllung zu zeigen,
hält. Man kann sogar reines C0 2 stundenlang durch Neosilbersal¬
varsanlösung durchleiten, ohne daß eine Ausfällung oder Veränderung
des Neosilbersalvarsans erfolgt. Silbersalvarsanlösungen fallen bei
Durchleiten von CO a sofort aus. Das Neosilbersalvarsan ist also
ein in jeder Beziehung chemisch stabilisierter neuer Körper mit
neuen chemisch-physikalischen Eigenschaften. Ueber die Einzelheiten
der chemischen und technischen Darstellung sowie über die chemische
Konstitutionsformel möchte ich aus Patentrücksichten sowie aus Grün¬
den, die durch die Nachahmung der Ehrl ich sehen sowie der neuen,
sich daran anschließenden Patente im Auslande ohne weiteres ver¬
ständlich sind, vorläufig nichts mitteilen. Es möge nur erwähnt sein,
daß das Ag, ähnlich wie beim Silbersalvarsan, mit Nebenvalenzen
an verschiedene Atomgruppen im Neosilbersalvarsan-Molekül ge¬
bunden zu betrachten ist.
Das durch geeignete Fällung gewonnene Neosilbersalvarsan ist
ein braunschwarzes Pulver, das sich in evakuierten Röhrchen unver¬
ändert hält. Solange das Präparat unzersetzt ist, löst es sich außer¬
ordentlich leicht, noch leichter als das Silbersalvarsan, und zwar
vollkommen klar mit hellbrauner Farbe wie Silbersalvarsan und mit
Digitized by
Gck igle
- Original frorrr—
CORNELL UNfVERSITY
5. Januar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
19
schwach alkalischer Reaktion wie Neosalvarsan. Der As-Oehalt be¬
trägt etwa 20o/ 0 , der Gehalt an Ag etwa 6<>/o.
Das in den Ampullen eingeschmolzene, von Luft befreite Pulver
erfährt bei Zutritt von Luft und Feuchtigkeit, wie sie bei Sprüngen
des Glases erfolgt, allerdings auch nach einiger Zeit eine Zer¬
setzung und damit eine Zunahme der Giftigkeit. Dann verändert
sich auch die Farbe des Pulvers, die Lösung ist nicht klar, sondern
trübe, mißfarbig und bei starker Zersetzung milchfarbig.
Einwandfreie Operationsnummern zeigen im mikroskopischen
Bilde ein optisch leeres Gesichtsfeld bei starker und schwacher Ver¬
größerung; es finden sich nur allerfeinste Partikelchen. Zersetztes
Neosilbersalvarsan zeigt dagegen unter dem Mikroskop große Schollen
und Kugeln, die Lösungen sind nicht mehr durchsichtig, sondern
besitzen eine mehr oder minder starke Opaleszenz oder rötliche Ver¬
färbung an Stelle der ichthyolbraunen Farbe. Wenn irgendwelche
Zweifel bestehen, ob ein Präparat zersetzt ist, so hat man schon
durch das makroskopische Aussehen (Farbenton und Trübung) einen
Anhaltspunkt dafür, ob das Präparat einwandfrei ist. Das ist für
die Vermeidung von Nebenerscheinungen von Wichtigkeit.
Obgleich die Lösungen von Neosilbersalvarsan chemisch stabili¬
siert und an der Luft außerordentlich wenig oxydabel sind und ob¬
gleich sich bei. ihnen auch keine Zunahme der Giftigkeit innerhalb
der ersten Stunden durch Toxizitätsprüfungen an Tieren nachweisen
läßt, möchte ich doch trotz dieser Stabilisierung des Präparates
— selbst nach 24stündigem Stehen an der Luft ist die Zunahme
der Giftigkeit minimal — aus prinzipiellen Gründen
nicht dafür eintreten, die Lösungen des Neosilber-
salvarsans vor der Injektion längere Zeit stehen zu
lassen. Denn es können Veränderungen in dem Arsenobenzol-
molekül eintreten, die sich durch die Tierversuche allein nicht
nachweisen lassen. Immerhin gestattet die relative Stabilität des
Neosilbersalvarsans, größere Mengen v^n Lösungen für Serien¬
injektionen herzustellen, wenn diese innerhalb einer Stunde nach
der Lösung benutzt werden. Das kommt vor allen Dingen für
größere klinische und poliklinische Anstalten in Frage.
Von dem Neosilbersalvarsan kann bezüglich der chemothera¬
peutischen Bewertung gesagt werden, daß es ein durch die
Einfügung der Silberkomponente biologisch aktivier¬
tes Neosalvarsan darstellt. Es hat annähernd den gleichen chemo¬
therapeutischen Index bei Kaninchensyphilis wie das Silbersalvarsan.
Die absolute Menge, die zur rezidivfreien Heilung der Schanker
gebraucht wird, ist halb so gering wie diejenige des Neosalvarsans,
während sie etwas mehr als diejenige des Silbersalvarsans beträgt.
Das Neosilbersalvarsan besitzt ferner annähernd nur die Hälfte der
Toxizität des Silbersalvarsans und ist nur imerheblich giftiger als
das Neosalvarsan.
Die Dosis tolerata betragt für Mause (pro 20 g Körpergewicht):
Neosilbersalvarsan. VimS
Neosalvarsan. Vm g
Silbersalvarsan.. Vjoo g
für Kaninchen (pro kg Körpergewicht):
Neosilbersalvarsan.0,16 g
Neosalvarsan.0^22 g
Silbersalvarsan.0,11 g
Neosilbersalvarsan ist mindestens so leicht verträglich für den
Menschen wie das Neosalvarsan, besitzt aber eine stärkere spirillozide
Wirksamkeit, die bei gleicher Dosis diejenige des Neosalvarsans
im Tierversudi und bei klinischer Erprobung recht erheblich über¬
trifft. Das Neosilbersalvarsan ist seit mehr als 18 Monaten einer
eingehenden klinischen Erprobung von vielen Klinikern und
Aerzten unterworfen worden. Die am meisten angewandten Dosen
waren 0,4 und 0,45 g. Aus den mir zugegangenen Berichten über mehr
als 100 000 Injektionen bei vielen Tausenden von Syphilitikern in allen
Stadien der Krankheit geht hervor, daß die experimentell-biologisch
und biologisch-chemisch festgestellten Tatsachen klinisch bestätigt
wurden. Fast von allen, die das neue Präparat klinisch studierten,
wird die gute Verträglichkeit des Neosilbersalvarsans ebenso hervor¬
gehoben wie das Fehlen des angioneurotischen Symptomenkomplexes
auch bei Dosen von 0,45—0,5. Als biologisch, durch die Silber¬
komponente verstärktes und chemisch stabilisiertes Neosalvarsan hat
das Neosilbersalvarsan, ebenso wie das Silbersalvarsan, aus den mit-
geteilten Gründen für die Behandlung aller Formen der Syphilis, vor
altem aber für die F r ü h b e h a n d 1 u n g in der Klinik, wie in der Ambu¬
lanz, als stark wirkendes und gut verträgliches Salvarsan-
präparat sich bisher bewährt und kann nunmehr der Allgemeinheit
zugänglich gemacht werden. Es verbindet die chemothera¬
peutischen Vorzüge desSilbersalvarsansmitdenprak-
tisch so wichtigen Vorteilen der leichten Löslichkeit
und guten Ve rträgl ichkeit des Neosalvarsans, ohne
dessen Oxydierbarkeit und relativ geringe Wirksam¬
keit aufzuweisen. Weil es eine Formaldehydsulfoxylat-Kompo-
r-ente enthält ist es auch für die Kombination, sei es in Form der
VI ischsnritze sei es in Form der alten Kombinationskur, geeignet.
D e Anwendung des Neosilbersalvarsans in Form der einzeitigen
Inilkti on desselben, gemischt mit Hg-Präparaten, muß, ehe sie all-
eingeführt «reroen darf, noch ausgiebig klinisch studiert werden.
Syphilisbehandlung durch den praktischen Arzt.
Von J. Jadassoha (Breslau).
Nichts ist schwerer, als zur Zeit bestimmte Regeln über die
Behandlung der Syphilis zu geben. Ich habe daher nur mit großen
Bedenken die mir vom Herausgeber gestellte Aufgabe übernommen,
den Standpunkt zu skizzieren, der meines Erachtens jetzt von den
praktischen Aerzten bei der Syphilisbehandlung eingenommen werden
sollte. Ich werde mich jeder Kritik, jedes Zitierens oder Eingehens auf
die unendlich angeschwollene Literatur und auf die Theorien enthal¬
ten und vieles nur streifen können, manches übergehen müssen. Ich
schreibe ja keinen Lehrbuchabschnitt. Nur wenige Worte möchte ich
voranschicken: Ich glaube nicht,, im Besitz der alleinseligmachenden
Methode der Syphilisbehandlung zu sein; ich glaube ferner nicht, daß
diese durch Argumentationen als solche erwiesen werden kann, auch
wenn sich die Autoren auf allgemeinpathologische Tatsachen und
selbst auf Tierversuche stützen. Ich kann nicht leugnen, daß solche
Betrachtungen jetzt in der Therapie überhaupt und in der meines
Spezialfaches im besonderen einen sehr großen Raum einnehmen
und daß sie in einem, selbst auf therapeutischem Gebiete ungewohnten,
Maße die Objektivität der Beobachtung zu stören scheinen.
Bei der Syphilistherapie stehen sich die Ansichten vielfach dia¬
metral gegenüber. Der eine gibt nur Salvarsan, der andere kombiniert
immer, der dritte will Salvarsan auf bestimmte, relativ spärliche
Indikationen beschränkt wissen. Der schwört auf Abortivbehaudlung,
jener hält auch bei der modernen Therapie an dem „chronisch-inter¬
mittierenden“ Schema fest. Neues wird andauernd wärmstens emp¬
fohlen. Gewiß ist das Bessere stets der Feind des Guten, aber
wenn der Arzt stets das Neueste, das doch oft nachträglich sich nicht
als das Bessere herausstellt, gleich benutzt, dann lernt er keine
Methode gründlich kennen und kommt zu einem fortwährenden
Wechseln. Er muß bei einer Krankheit, wie es die Syphilis ist, bei
der — wenigstens in den frühen Stadien — eine große Anzahl von
Fällen nach einem gewissen Schema verläuft, auch für die Therapie
ein solches vor sich haben, nach dem er sich, selbstverständlich
immer individualisierend, richten kann. Dieses sollte er nicht in kurzen
Zwischenräumen ändern.
Die Mitteilungen über neue Mittel und Methoden sind gewiß
notwendig; aber sie sind in erster Linie für die Fachärzte bestimmt,
welche Gelegenheit haben, sie an einem größeren Material zu prüfen.
Sind diese zu einem übereinstimmenden Resultat gekommen — und
das geschieht oft genug auch in langer Zeit nicht —, dann kann der
allgemeine Praktiker die Methode übernehmen. Sonst aber bleibt
ihm nichts übrig, als nach seinem allgemeinen Urteil, nach seinen,
wenn auch spärlicheren, Erfahrungen und nach seinem persönlichen
Vertrauen zu einem der Fachautoren seine Methode zu wählen.
Ich werde in den folgenden kurzen Ausführungen manchem als
zu konservativ, manchem als zu modern erscheinen. Aber alles,
was ich sagen werde, ist erprobt und hat sich relativ gut be¬
währt. Es kann vom Arzte angewendet werden, und sollte es nach
meiner Ueberzeugung, bis die Superiorität anderer Methoden längere
Zeit erprobt ist. Was ich hier empfehle, ist nicht die „beste“
Syphilisbehandlung, auch wie sie jetzt schon durchzuführen wäre und
in Kliniken vielfach durchgeführt wird — freilich auch nur bei den
verhältnismäßig wenigen Patienten, welche sich regelmäßig genug
stellen. Wir müssen in der allgemeinen Praxis Konzessionen machen,
besonders in bezug auf die Häufigkeit der Wassermann-Untersuchun¬
gen und der Lumbalpunktionen. Bei beiden spielt vielfach der Preis
eine große Rolle, bei den letzteren auch die Angst der Patienten und die
von den meisten Aerzten und auch von mir noch aufrechtgehaltene
Bedingung der ein- bis zweitägigen vollständigen Ruhe nach der
Punktion. •
Der eigentlichen Therapiebesprechung seien noch einige Sätze
vorausgeschickt, die ich dann nicht mehr zu erörtern brauche:
1. Die frühzeitige Diagnose muß mit allen Mitteln an¬
gestrebt werden. Das ist etwas, was den Praktikern noch lange
nicht genug in Fleisch und Blut übergegangen ist. „Durch Versäumnis
der Frühdiagnose kann der Arzt schuldig werden an Paralyse, Tabes,
Aneurysma usw.“ Diesen Satz sollte jeder vor Augen haben, und
zwar bei jeder Genitalläsion — denn fast jede ist auf Syphilis ver¬
dächtig. Untersuchung des Reizserums, Grund- und Drüsenpunktion —
wer nicht das Recht hat, sich dieser Methoden sicher zu fühlen, soll
das einem Facharzt oder -institut überlassen; es ist immer besser,
den Patienten selbst zu schicken als das Untersuchungsmaterial!
2. Trotz aller Erfolge mancher Autoren und trotz aller theoreti¬
schen Erörterungen ist die Kombinationstherapie heute noch
(ich betone das noch) die Methode der Wahl für den Praktiker.
3. Das Salvarsan stellt trotz aller Bedenken im ein¬
zelnen einen außerordentlichen Fortschritt dar. (Be¬
weis u. a.: Die zahlreichen Reinfektionen, die Seltenheit sekundärer,
kontagiöser Rezidive und das lange Negativbleiben der Wa.R.)
4. Die Furcht vor dem Salvarsan ist einmal begründet auf
den Nebenwirkungen. Mit welchen Mitteln und Methoden diese
teils vermieden, teils ihre Gefahren vermindert werden können, soll
am Schluß noch kurz besprochen werden. Ganz beseitigen werden
sie sich nie lassen; denn ein so aktives Mittel, wie das Salvarsan,
wird bei der bekannten, in sehr weiten Grenzen schwankenden indivi¬
duellen Reaktionsfähigkeit auch einmal die Grenzen der Toleranz
überschreiten müssen, selbst wenn es chemotherapeutisch noch so
Digitized by
Gougle
Original from
C0RNELL UNIVERSITY
20
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
ausgezeichnet abgestimmt ist. Aber — wie nicht energisch genug |
betont werden kann: die Dosis spielt auch bei der individuellen ,
Leberemptindlichkeit eine ausschlaggebende Rolle. Bei stärkster ln- |
toleranz kann auch eine kleinste Uosis schädlich wirken, aber eine '
gröbere wird es noch mehr tun, und die stärksten Intoleranzen sind ,
seltener als die schwächeren.
Es muß hier auch betont werden, daß einzelne Fabrikations¬
nummern, speziell des Neosalvarsans, nicht einwandfrei waren (solche
Beobachtungen sind auch z. B. in Frankreich mit den dortigen habri-
katen gemacht worden). Deswegen empfiehlt es sich immer, die
Fabrikationsnummer bei jeder Injektion zu notieren und, sowie sich
mehrfach selbst unbedeutende Nebenwirkungen bei einer solchen
zeigen, sie nicht mehr zu benutzen, sondern an das Georg-Speyer-
Haus zur wiederholten Prüfung zu melden. Ls sind dort eiie Vor¬
sichtsmaßregeln schon in weitestem Maße verstärkt worden.
Anderseits hat sich besonders in neuester Zeit die Besorgnis
eingestellt, die Salvarsanbehandlung könne zu einer häufigeren
und zeitigeren Lokalisation der Syphilis im Zentral¬
nervensystem führen. Ich kann hier aut diese schwierige Frage
nicht eingehen, aber ich muß auf Grund der Literatur und eigener j
Erfahrungen betonen, daß nur eines mir bisher wirklich sicher zu sein
scheint, daß nämlich unzureichende Salvarsanbehandlung die
Neurorezidive begünstigt. Vielleicht auch (auf Grund eigenen Ma¬
terials kann ich das nicht behaupten) treten Tabes und Paralyse bei
solcher „A nbehandlung“ öfter und früher auf. Man sagt dagegen I
wohl, daß das, was wir heute „genügend“ nennen, bald schon als j
ungenügend bezeichnet werden kann. Aber das trifft insofern nicht
zu, als die meisten hier in Frage kommenden Behandlungsmaße auch
nach dem schon seit Jahren, z. B. von mir eingenommenen Standpunkt
als unzureichend angesehen werden müssen.
5. Ueber die Bedeutung der Wa.R, für die Therapie
ganz kurz das Folgende: Sie ist ein, aber nicht der Führer in der
Behandlung. Ich behandle bei allen Fällen, die einmal positiv waren,
über das negative Stadium hinaus. Ich wiederhole die Kuren auch
bei negativer Wa.R., bediene mich dabei der „Provokation“ (Wa.R.
am Tage nach der ersten Injektion einer Kur und dann noch wieder¬
holt), lasse mich durch negative Wa.R. bei auch nur einigermaßen
begründetem Verdacht auf Lues nie von einer Kur zurückhalten,
forciere das Negativwerden nicht unter jeder Bedingung, erstrebe es
aber immer energisch und sehe eine negative Reaktion als ein im
allgemeinen relativ günstiges Zeichen an.
6. Die Liquoruntersuchung dient nicht nur zur Differential¬
diagnose von Erkrankungen des Zentralnervensystems, sondern sollte
auch bei allen anderen auf Syphilis verdächtigen Erkrankungen bei
negativer Wa.R. herangezogen w-erden. Sie sollte auch viel mehr zur
Beurteilung des Gesamtstatus benutzt werden, als es jetzt meist ge¬
schieht bzw. leider geschehen kann.
Daß vor und neben den Laboratoriumsmethoden alle
klinischen Untersuchungsbehelfe aufs sorgfältigste
benutzt werden müssen, sollte sich von selbst ver¬
stehen (jetzt z. B. die Röntgenuntersuchung der Aorta).
7. Die Diagnose ex juvantibus hat mit der Verfeinerung
unserer Methoden viel von ihrer Bedeutung verloren; aber sie darf
doch noch nicht zum alten Eisen geworfen, freilich auch nur mit
scharfer Kritik verwendet werden.
Nun die Behandlung selbst: Die am häufigsten gebrauchte
Art der kombinierten Behandlung besteht noch immer in intravenösen
Neosalvarsan- und in Quecksiloerinjektionen: Neosalvarsan bei
Erwachsenen in Einzeldosen von 0,15 bis höchstens 0,6, nur in Aus¬
nahmefällen weniger, in Pausen von 3—7 Tagen. Bei den kleineren
Dosen kleinere, bei den größeren Dosen größere Intervalle; Beginn
mit kleinen Dosen.
Statt dessen Silbersalvarsan-in der Hälfte der Neosalvarsan-
dosen, also 0,05—0,3 alle 3—6 Tage, oder neuestens Neosilber-
salvarsan, etwa in den gleichen Dosen wie Neosalvarsan, doch
nicht über 0,5. Namentlich mit dem letzteren waren wir bisher in
der Klinik recht zufrieden. Altsalvarsan und Salvarsannatrium ver¬
wende ich nur sehr selten.
Von Quecksilber kann benutzt werden: die noch immer,
wenn gut gemacht, sehr brauchbare Inunktionskur, die ich selbst
freilich selten verordne, die Injektion ungelöster Hg-Präparate: Sali-
zyl- und (wohl noch besser) Thymolquecksilber, Kalomel, Mercinol,
oder gelöster Präparate: l<Voige Sublimat-Kochsalzlösung und — jetzt
am meisten verwendet — Novasurol, das gewöhnlich, aber natürlich
auch keineswegs immer, gut vertragen wird. Auf die nur selten
indizierte interne Behandlung gehe ich hier nicht ein.
Der Begriff der „Kur“, wie er früher beim Hg allgemein
üblich war, ist auch jetzt noch nicht zu entbehren. Wir geben meist
mehr von den Spezifika, als zur Beseitigung der klinischen und sero¬
logischen Symptome notwendig ist, brechen manchmal ab, ehe die
Wa.R. negativ ist, und richten uns in der Dosierung nach den weiter¬
hin zu besprechenden Gesichtspunkten.
Eine Kur schwankt, auf Neosalvarsan und Erwachsene be¬
rechnet, zwischen 3,0—5,0 innerhalb von 5—8 Wochen. Beim Hg
rechne ich Inunktionen 36—42 ä 3—5 g, 10—12 Injektionen Salizyl-
oder Thymol-Hg, in Einzeldosen von 0,05—0,1, in Pausen von
3—6 Tagen, im ganzen 0,8—1,2 = Hg etwa 0,46—0,69; 10—12 Injek¬
tionen Kalomel 0,03—0,07 mit den gleichen Pausen, im ganzen
0,5—0,84Hg etwa 0,42—0,7; 8—10 Injektionen Mercinol 0,03
bis 0,07 in Pausen von 5—7 Tagen, im ganzen 0,4—0,7 Hg; Nova¬
surol 1— 2mal wöchentlich 1—2 ccm, im ganzen 15—20 ccm = 0,45
Nr. I
bis 0,66 Hg. Man kann mit Vorteil auch kombinieren: Etwa die
Hälfte der Kur mit Salizyl- oder Thymol-Hg oder Novasurol, die
andere Hälfte mit Mercinol oder Kalomel. (Für Mercinol und das
■lO ’oige Kalomelöl ist die Zielersche Spritze notwendig.)
Sow'ohl beim Hg als auch beim Salvarsan beginne ich seit vielen
Jahren mit kleineren Dosen, um nicht von zu starker Intoleranz über¬
rascht zu werden. Die Hg-Dosen, die ich hier angegeben habe, sind
in weiten Grenzen gehalten (speziell mit Rücksicht auf die sehr ver¬
schiedene Toleranz bei den noch immer nicht normalen Emährungs-
verhältnissen). Ich habe aber immer mehr den Eindruck, daß man
bei kräftigen Salvarsankurcn weniger Hg braucht. Jedenfalls
haben sich die erwähnten Dosen bei genügender Individuali¬
sierung und Beobachtung als genügend wirksam und relativ gut
verträglich erwiesen. Ich gebe Hg und Salvarsan meist zu gleicher
Zeit, oft auch (aus äußeren Gründen) am selben Tage; aber ich
empfehle für die allgemeine Praxis als die vorsichtigere Methode,
bei allen schon seropositiven Fällen (außer bei Nierenbeteiliguiigj
mit Hg zu beginnen und erst nach Verabreichung einiger Dosen das
Salvarsan hinzuzunehmen.
Die jetzt sehr viel verwendete „Mi s ch spritze“: Mischung
von Neosalvarsan mit gelösten Hg-Praparaten (Sublimat, Novasurol,
Cyarsal) ist für den Patienten unzweifelhaft viel angenehmer als
die intramuskuläre Hg-Injektion; aber die Akten über ihre Dauer¬
wirkung sind noch lange nicht geschlossen. Meines Erachtens sollte
diese Methode vorläufig noch den Fachärzten zur Prüfung überlassen
bleiben.
Bei der Syphilisbehandlung sind zu berücksichti¬
gen: Stadium der Krankheit, Ort und Art der Erscheinungen, Alter, Ge¬
schlecht, Konstitution, andere Erkrankungen, Toleranz gegen Salvarsan
und Hg. Man gibt schwächere Kuren (kleinere Einzeldosen und
größere Intervalle): beim weiblichen Geschlecht, ganz besonders bei
schwächlichen und bei graviden Frauen, bei älteren Leuten (nach
dem 50. Jahre), natürlich auch bei Jugendlichen, bei Tuberkulösen,
Nervösen, Chlorotischen, Fettleibigen, bei auf endokrine Störungen
(z. B. Status thymo-lymphaticus, Basedow' usw.) und bei auf Arterio¬
sklerose Verdächtigen. Bei allen Nierenleidenden muß man besonders
mit dem Hg sehr vorsichtig sein. Man vermeidet es dabei entweder
ganz oder gibt nur gelöste Präparate oder Inunktionen. Auch beim
Salvarsan, das die Niere ja viel besser verträgt, muß man der Un¬
sicherheit der Ausscheidung wegen bei den Nierenkranken besonders
auf genügende Intervalle halten.
Für den Gesamtverlauf der Syphilisbehandlung
möchte ich folgende Regeln anführen:
Sobald die Diagnose „primäre Syphilis“ gesichert ist (Spiro-
chaetae pallidae bei negativer Wa.R. = seronegativer Primäraffekt),
sofort Salvarsan und Hg. Kräftige Kur. Bei bloßem Verdacht aut
Primäraffekt behandle ich zunächst nicht. Der Spirochätenbefund ist
meist bei genügender Geduld (evtl. Grund- und Drüsenpunktion, bei
Frauen genaueste Untersuchung des Zervikalsekrets!) bald zu erbringen.
Man unterscheidet noch die im strengen Sinne seronegativen Fälle, die
es auch während der Behandlung bleiben, von denen, die zweifelhaft
oder positiv w erden. Wie weit eine solche prinzipielle Sonderung (theo¬
retische und) praktische Bedeutung hat, will ich hier dahingestellt
sein lassen. Für den Praktiker ist es manchmal schwer, so oft, wie
es zu dieser Untersuchung notwendig ist, die Wa.R. anstellen zu lassen.
Die viel besprochene Abortivmethode soll nur bei den im engeren
Sinne seronegativen Fällen Anwendung finden. Der allgemeine Arzt
sollte meines Erachtens die Entscheidung, ob, wie ich glaube, die
Abortiverfolge bei den frischesten Fällen genügend sicher sind, noch
abwarten und wenigstens zwei Kuren, von denen die zweite etwas
schwächer sein kann, mit einem Intervall von 4—8 Wochen vor¬
nehmen. Beim Beginn der zweiten Kur Provokationskontrolle der
Wa.R. Wer besonders vorsichtig ist, wird auch noch eine dritte Kur
nach 2—3 Monaten anschließen.
Alle primären Fälle, in denen die Wa.R. positiv ist oder während
der Kur wird, müssen, wie die frische sekundäre Lues, eine besonders
energische erste Kur erhalten. Diese kann, speziell mit Salvarsan,
über das beabsichtigte Maß noch weitergeführt werden, wenn, was
hierbei selten der Fall ist, die Wa.R. noch positiv und die Toleranz
vollständig ist. Aber man sollte auch unter diesen Umständen den
Umschlag der Reaktion nicht zu forcieren suchen, da sie sehr oft
nach einer energischen Kur noch nachträglich negativ wird.
Bei seropositiven Primäraffekten und frischer sekundärer Lues
sollte immer nach 4—8 Wochen Intervall eine zweite Kur angeschlossen
weiden, auch diese mit Provokation. Niemals begnüge ich mich in
diesen Fällen mit zwei Kuren. 2—3 Monate nach der zweiten gebe
ich eine dritte, evtl, nach weiteren 3—4 Monaten noch eine vierte,
diese letzteren aber bei vollständig einwandfreiem Befund weniger
stark, namentlich in bezug auf Hg. Ob man noch weiter gehen will,
ist in der Tat „Temperamentssache“. Ich versuche jetzt allmählich,
wie ich es auch bei der frischen primären Lues getan habe, mit der
Zahl der Kuren herunterzugehen, um zu sehen, ob sich die Erfolge
dabei verschlechtern. Es empfiehlt sich sehr, wenn irgend möglich,
in allen diesen Fällen am Ende des zweiten Jahres eine Liquor¬
untersuchung vorzunehmen, da ein positives Resultat bei dieser,
wenn ich es auch keineswegs für revoltierend halte, doch zu weiterer
energischer Behandlung Anlaß geben sollte.
Beginnt die Behandlung erst längere Zeit nach dem ersten
Exanthem, so muß sie besonders kräftig und langdauernd sein.
Ich gebe dann 4—6 Kuren, nähere mich also immer mehr der chronisch-
intermittierenden Therapie. Vor Ablauf von 2—3 Behandlungsjahren
Digitized by
Google
_Original from _
CORNELL UNÜVERSrrr
5. Januar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
21
sollte man bei dieser Gruppe die Kuren bei dem heutigen Stand unserer
Kenntnisse nicht abbrechen. Zeigen sich klinische Rezidive, oder ist
die Wa.R. besonders hartnäckig, oder tritt sie wieder auf, dann muß
die Behandlung mit großer Intensität lange Zeit fortgesetzt werden.
Jeder, auch der serologische, Rückfall in der sekundären Periode ist
meines Erachtens ein genügender Grund für eine neue Serie von
Kuren.
Die seronegativen primären Fälle müssen klinisch und serologisch
mindestens zwei Jahre, zunächst jeden Monat, späterhin jeden zweiten
oder dritten Monat kontrolliert werden. Nach D/ 2 —‘2 Jahren sollte
auch der Liquor einmal untersucht sein. Bei den seropositiven Früh¬
fällen sollte die Kontrolle auf drei Jahre ausgedehnt werden, bei den
älteren sekundären Fällen auf 4—5 Jahre. Bei beiden Gruppen ist
Provokation und Liquoruntersuchung, evtl, wiederholt, anzuraten.
Wenn ich hier von „Kontrollzeit“ gesprochen habe, so meine ich
nicht, daß nach ihrem Ablauf nun die Syphilis ganz außeracht-
gdassen werden sollte, sondern nur, daß die wirklich regelmäßige
Untersuchung nicht mehr notwendig ist. Man muß die Patienten
doch auch einmal psychisch zur Ruhe kommen lassen. Unbedingt
notwendig ist natüriieh eine gründliche Untersuchung vor der Ehe¬
schließung.
Bei der manifesten tertiären Lues der Haut, Schleim¬
haut usw. ist zunächst eine energische Kur notwendig, die durch
Jodpräparatc verstärkt werden sollte. Auf die letzteren gehe ich hier
nicht ein. Man kann die Jodalkalien oder eines der -modernen
Mittel benützen. Mit Rücksicht auf die Möglichkeit von Rezidiven,
besonders an weniger harmlosen Stellen, lasse ich auch bei der
tertiären Lues einige weitere Kuren anschließen. Während aber bei
den Frühfällen alles Mögliche geschehen soll und kann, um das Blut
negativ zu machen und zu erhalten, ist dieses Ziel bei den tertiären
bekanntlich schwerer zu erreichen. Die Jagd nach der negativen Wa.R.
darf meines Erachtens in diesem Stadium nicht so weit gehen, daß
man damit den Patienten, wenn nicht somatisch, so doch wenigstens
psychisch schädigt. Ich sage seit vielen Jahren den tertiär Syphiliti¬
schen von vornherein, daß sie auf eine negative Reaktion nicht,
rechnen dürfen, daß aber bei sonstigem Wohlbefinden die positive
keine wesentliche Gefahr darstellt, und glaube auch, daß das bei
sorgfältiger Kontrolle des allgemeinen Gesundheitszustandes richtig
ist.^ Eine solche Kontrolle ist speziell mit Rücksicht auf das Gefä߬
system notwendig, während das Zentralnervensystem bei der externen
tertiären Syphilis bekanntlich oft, freilich keineswegs wirklich regel¬
mäßig, frei bleibt (wenigstens klinisch, nicht aber der Liquor, der
relativ oft verändert ist).
Besonders schwierig ist die Frage der Behandlung bei der sog.
Lite nt en Lues. Die Zahl dieser Fälle vermindert sich naturgemäß,
je genauer man untersucht (Spirochäten im Zervikalkanal und in der
männlichen Urethra während der sekundären Lues, Aortenuntersuchung
in der Spätperiode usw.). Man muß unterscheiden die klinisch latente
und die auch serologisch latente Lues. In der sekundären Periode
sieht man wohl ziemlich allgemein die positive Wa.R. als einen ge¬
nügenden Grund zur Behandlung an. Das erscheint um so mehr
berechtigt, als es in dieser Zeit meist ohne zu große Kuren gelingt,
die Reaktion definitiv umzustimmen. Die Notwendigkeit der Kuren
auch bei serologischer Latenz habe ich schon betont.
Bei der spät-latenten Lues gibt nach meiner Ansicht die positive
Reaktion, namentlich nach ungenügender Vorbehandlung, eine Indi¬
kation zur Vornahme selbst mehrerer Kuren. Ich habe mich nicht
überzeugen können, daß auf diesem Gebiete die Furcht vor dem
„quieta movere“ berechtigt ist. Erst recht behandle ich, wenn der
Liquor positiv ist. Wir wissen doch, wie oft Spätrezidive der ver¬
schiedensten Lokalisation ohne „therapeutische Provokation“ auf-
treten. wie wenig dann also das vermeintlich hergestellte „Gleich¬
gewicht zwischen Immunitätszustand und Spirochäten Vegetation“, das
wir nicht stören sollen, Bestand hat. Vorsichtiger Beginn ist auch
bei solchen Kuren unbedingt angezeigt.
Nun noch einige Bemerkungen über die Behandlung bei be¬
stimmten Krankheitszuständen: Bei allen zerebrospinalen
Symptomen, speziell den meningealen Reizungen — zu den letzteren
gehören auch die „Neurorezidive“ —, ist besondere Vorsicht not¬
wendig. Beginn mit Quecksilber und Jod, Fortsetzung mit kleinen,
allmählich steigenden Salvarsandosen, wiederholte Liquoreontrolle. Nur
bei besonderer Gefahr gebe ich auch von vornherein neben dem Hg
kleinste Salvarsaninjektionen. Bei allen zerebrospinalen Symptomen
müssen die Kuren wegen der größeren Rezidivfähigkeit besonders
häufig wiederholt werden.
Beim Ikterus ohne vorherige Behandlung ebenfalls zunächst Hg,
und zwar am liebsten gelöste Präparate, um der erkrankten Leber
durch Salvarsan nicht gleich zuviel zuzumuten, dann aber energische
Salrarsanbehandlung . Umgekehrt bei allen Nierenerscheinungen zu¬
nächst Salvarsan in kleinen Dosen, das die gesunde und die kranke
Sierc viel besser verträgt als Hg. Bei Gefäßerkrankungen,
besonders bei Aortitis , ist die Salvarsantoleranz meist gut; aber
ich fanrre auch da mit Hg und Jod an und gebe zunächst ganz kleine ,
Dosen Neosalvarsan, steige auch selten über 0,3. Gewiß werden
auch größere Dosen gut vertragen, aber es ist doch selbstverständlich,
wiche Patienten , wenn einmal heftigere Iutoleranzerscheinungen
iuftclteu, mehr gefährdet sind. Dafür mache ich dann größere Serien
wvx<\. w\ederhole sie öfter.
EAn besonderes und besonders schweres Kapitel stellen die „para-
'-vphilitisehen“, besser „parenchymatösen“ Erkrankungen des
Zentralnervensystems dar. Der Syphilidologe hat über diese meist
nicht genügend persönliche Erfahrungen; speziell bei der Paralyse
fehlen sie *mir. Die Tabiker sind oft gegen Hg empfindlicher als
gegen Salvarsan. Ich behandle bei ihnen zunächst mit kleinen, dann
mit mittleren (0,45) Dosen, gebe aber große Gesamtmengen und richte
mich mit dem Hg-Zusatz ganz nach der individuellen Toleranz.
Bei Kombination der Lues mit anderen Krankheiten genügen
die allgemein-medizinischen Gesichtspunkte. Ich erwähne nur: bei
Tuberkulösen besondere Vorsicht mit dem Hg und Vermeidung
starker Salvarsanreaktionen; bei Arteriosklerose kleine Dosen, ge¬
naueste Herz- und Nierenkontrolle.
Nicht beschäftigen möchte ich mich auch mit der lokalen
Behandlung der Syphilis. Die Exzision der Primäraffekte wird
wenig mehr geübt, da die Erfolge der frühen allgemeinen Behandlung
so gut sind. Die lokale Behandlung der Lvmphdrüsen, der Papeln usw.
bietet nichts Neues (Hg-Pflaster, Kalomel usw.). Bei der tertiären
Syphilis wird manchmal mit der chirurgischen Entfernung von Ne¬
krosen in Knochen usw. zu lange gewartet. Viel vernachlässigt wird
auch die allgemein-medizinische Behandlung (Herzmittel, Diuretika
usw'.). Als noch nicht spruchreif und für den allgemeinen Praktiker
nicht in Frage kommend übergehe ich die endolumbalc, die in¬
trakranielle und die Karotisbehandlung. Die jetzt wieder
mehr in den Vordergrund gerückte Bedeutung der Behandlung mit
Bädern, Schwitzen, Bestrahlungen und die moderne „Protoplasma¬
aktivierung“ (inkl. Fiebertherapie) sind in ihrem Einfluß auf die
Syphilis unendlich schwer zu beurteilen. Nie darf man meines Er¬
achtens zu ihren Gunsten die spezifische Quote vernachlässigen.
Selbst ein ganz kurzer Aufsatz über Syphilisbehandlung darf
die enorme Wichtigkeit der psychischen Beeinflussung aller syphi¬
litischen Patienten nicht mit Stillschweigen übergehen.
Einige Worte noch über die Behandlung der kongenitalen
Syphilis: Bei älteren Kindern kann sie unter entsprechender Be¬
rücksichtigung der Dosen der der Erwachsenen gleich sein. Die
intravenöse Injektion gelingt bei ihnen meist leicht. Hg kann intra¬
muskulär oder in Einreibungen gegeben werden. Schwieriger ist die
Behandlung der Säuglinge. Auch bei ihnen bevorzuge ich die kom¬
binierten Kuren, fange aber gerne mit Hg an, und zwar mit Ein¬
spritzungen von Sublimat ( 1 / 2—2 mg pro injectione in Pausen von
4—8 Tagen, im ganzen 8—lOmal und mehr) oder Kalomel (ungefähr
in den gleichen Dosen). Die alte Methode der Hg-Pflastereinwickelung
wirkt recht gut, ebenso die interne Behandlung. Die für Geübte meist
leichten intravenösen Einspritzungen von Salvarsan sind für die all¬
gemeine Praxis nicht zu empfehlen, wohl aber die intramuskulären
•bzw. epifaszialen Injektionen in den oberen äußeren Quadranten
des Gesäßes (nicht immer dieselbe Stelle!), die von den Säuglingen
im allgemeinen auffallend gut vertragen werden. Man löst das Neo¬
salvarsan in 1/4 ccm sterilisierten destillierten Wassers und spritzt es
sofort ein. Dosis für intravenöse und intramuskuläre Injektionen 0,0075
bis 0,015 pro Kilo Körpergewicht, alle 5—7 Tage, Gesamtdosis pro
Kilo etwa 0,08—0,1, also z. B. für ein Kind von 4 kg 0,3—0,4 (und
bei guter Toleranz mehr!). Genaueste Kontrolle des Gewichts, der
Verdauung und des Urins. Bei positiver Wa.R. am Ende der Kur
würde ich nur eine kleine Pause machen, dann von neuem anfangen.
Recht häufige Wiederholungen der Kuren bis zum Ablauf des vierten
Jahres.
Bei klinisch und serologisch freien Kindern, besonders früh-
syphilitischer Mütter, muß die Untersuchung (auch des Blutes) viele
Monate fortgesetzt werden. Bei dauernd negativem Befunde behandle
ich nicht (wiederum „Temperamentssache“!).
Zum Schluß noch einige Bemerkungen über die Prophylaxe
und Behandlung der Nebenwirkungen der Spezifika. Auf
technische Fehler bei der Injektion gehe ich nicht ein (die Salvarsan-
Präparate müssen auf Unversehrtheit der Ampullen, normale Farbe
und Löslichkeit besonders kontrolliert werden!). Die beste Prophy¬
laxe besteht in: sorgfältiger Untersuchung von Niere, Leber, Mund¬
schleimhaut und in Aufnahme einer sehr genauen allgemeinen Ana¬
mnese vor der Behandlung, um einen Einblick in die „Konstitution“
des Organismus zu bekommen, in individualisierender Dosierung, im
Beginn mit kleinen Dosen und sorgfältiger Ausschaltung aller ver¬
meidbaren Schädigungen. Wir müssen die Syphilis vielfach ambulant
behandeln, aber auch „ohne Berufsstörung“ können die Patienten meist
größeren Anstrengungen und Aufregungen aus dem Wege gehen,
alle Exzesse unterlasset, Rauchen und Trinken zum mindesten stark
einschränken, eine reizlose und (das ist jetzt schwieriger) kräftige
Kost genießen, für regelmäßigen Stuhlgang und reichliche Zufuhr
blander Getränke sorgen. Der Mund ist zu sanieren, alle zwei
Stunden zu spülen, nach jeder Mahlzeit sind die Zähne zu putzen.
Am Tage der Einspritzung mit Salvarsan keine großen Mahlzeiten,
am besten einige Stunden vor- und nachher keine Nahrungsaufnahme.
Bei allen akuten interkurrenten Krankheiten ist die Behandlung auszu¬
setzen.
Ebenso wichtig wie all dieses ist die sorgfältigste Beobachtung
auf alle überhaupt möglichen Nebenwirkungen während und nach
der Kur. Würden alle kleinen Störungen frühzeitig ent¬
deckt und beachtet, so würden sehr viele große ver¬
mieden werden. Daher ist immer und regelmäßig während der
Kur zu untersuchen: der Urin (erstaunlich oft vernachlässigt), die
Haut, der Mund, evtl, auch das Körpergewicht. Es ist immer genau
zu fragen, wie die letzte Injektion vertragen worden ist (Kopf¬
schmerzen, Magen-, Darm-, Hauterscheinungen, Urinmenge, evtl. Tem¬
peratursteigerungen).
Digitized by
Go gle
/
Original from
CORNELL UNfVERSITV
22
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr.l
Bei der Behandlung der Nebenwirkungen kommt man
meist mit den allgemeimnedizinischen Prinzipien aus. Im einzelnen
möchte ich nur ganz aphoristisch Folgendes hervorheben:
Bei der Salvarsaninjektion selbst Zudrücken der Nase zur Ver¬
meidung des unangenehmen Geruchs (Erbrechen!). Gegen die „vaso¬
motorischen Erscheinungen“ sofort Vs—1 ccm l% 0 igesSupra-
renin subkutan. Bei den geringsten Zeichen von Gehirnbeteiligung
(Encephalitis haemorrhagica) sofort vollständige Ruhe, Supra-
renin in einstündigen Pausen je 1 mg subkutan, sehr reichliche Flüs¬
sigkeitszufuhr, ausgiebiger Aderlaß, intravenöse Kochsalzinfusion, Lum¬
balpunktion, in allerletzter Linie Trepanation.
Bei Ikterus, auch bei den leichtesten Graden, strenge Diät,
Karlsbader* Salz, sehr reichlich Flüssigkeit, Diuretika usw. Bei Der¬
matosen (die fixen Exantheme haben keine allgemeinere Bedeu¬
tung) neben, dieser Behandlung sorgfältigste Hauttherapie, besonders
Trockenpinselungen und Puder, evtl, weiterhin auch Röntgenbestrah¬
lungen, total oder auf die besonders stark ergriffenen Gegenden; sorg¬
fältigste Lokalbehandlung der besonders häufigen und schweren
Pyodermien, speziell bei Furunkeln (evtl, auch Versuche mit Staphylo¬
kokkenvakzine, Terpentin-, Milch- usw.-Injektionen). Regelmäßige
Lungenuntersuchung und strengste Beobachtung auch der unbedeu¬
tendsten Bronchitiden, da Bronchopneumonien augenscheinlich eine
besonders häufige und schwere Komplikation darstellen. Zu achten
ist auch auf die Konjunktivitiden, die zu Hornhautgeschwüren führen
können.
Viel zu wenig bekannt ist die Neigung zu Blutungen bei
der Salvarsantherapie (Haut, Uterus, Mundschleimhaut). Sie können
zu letalem Ausgang führen (Thrombopenie). Deswegen ist bei allen
Blutungen (stärkere Hämorrhagien bei Anlegen der Stauungsbinde!)
auszusetzen, das Blut genauestens zu kontrollieren (Thrombozyten!)
und Kalzium- usw.-Therapie einzuleiten.
Allgemeiner bekannt sind die Nebenwirkungen des Hg. Bei der
Enteritis sorgfältigste Diät, Ruhe, erst nach gründlicher Entleerung
des Darms Bekämpfung der Durchfälle (ob Opiate angezeigt sind,
darüber sind die Ansichten noch immer geteilt). Bei der Stomatitis
reichlichste Diurese und Diaphorese, sorgfältigste Reinigung der Mund¬
höhle (Karbolsäure-Wattestäbchen, 10 0 ,oige Chromsäure und nach¬
träglich Argentum usw.). Immer ist auch zu achten auf die evtl,
schweren Nekrosen des Rektums und der weiblichen Genitalien. Bei
Nierenschädigungen und Dermatitis sorgfältigste Allgemeinbehandlung.
Die Embolien bei Injektionen ungelöster Präparate werden durch
die Aspiration vor der Injektion meist vermieden, weniger die zu
wenig bekannte sog. Hg.-Grippe: Temperatursteigerungen, subjek¬
tive und evtl, auch objektive Erscheinungen von seiten der Lunge am'
Tage der Injektion, aber nicht unmittdbar nach derselben wie bei
den Embolien, oder am nächsten Tag (ebenfalls auf Verteilung des
Hg-Depots in disseminierter Form in der Lunge zurückzuführen).
Alle diese Erscheinungen gehen bei Ruhe und allgemeinen medizini¬
schen Maßnahmen ohne weiteren Schaden in wenigen Tagen zurück.
Sehr viel diskutiert ist auch die Frage, wie man sich beim
Auftreten der Nebenerscheinungen mit der Fortset¬
zung der Therapie verhalten soll. Das läßt sich natürlich
nicht allgemein entscheiden. Manche Schwierigkeiten entstehen da*
durch, daß bei der kombinierten Therapie es nicht immer sicher ist,
auf welches der Spezifika die betreffende Schädigung zurückzufuhren
ist. Hier nur einige Bemerkungen über die wichtigsten Fälle: Bei den
vasomotorischen Salvarsanerscheinungen kann man Salvarsan
weiter geben; da sie sich aber oft verstärken und bei den verschie¬
denen Präparaten nicht gleich sind, so ist das Präparat zu wechseln
und von dem neuen zunächst eine kleinere Dosis zu geben. Der
größeren Sicherheit wegen 10 Minuten vor der Injektion 1 mg
Suprarenin. Die Salvarsaninjektionen sind besonders langsam zu
machen. Hg ist weiter zu geben. Bei Temperatursteigerungen nach
Salvarsan (außer nach der 1. bzw. 2. Injektion) große Vorsicht bei
der Weiterbehandlung, Wechsel des Präparats!
Bei der hämorrhagischen Enzephalitis kommt die Frage
der Weiterbehandlung zunächst natürlich nicht zur Diskussion, wohl
aber bei leichteren nervösen Störungen, die während der Kur auftreten
und bei denen man im Zweifel sein kann, ob sie auf Salvarsan oder
auf Syphilis (evtl. Provokation!) zurückzuführen sind. In solchen
Fällen ist es richtiger, zunächst mit Hg fortzufahren, dazu Jod zu
geben, die Lumbalpunktion zu machen, und erst wenn man die Ent¬
wickelung einer Schädigung durch Salvarsan als sehr unwahrscheinlich
ansehen kann, zu diesem in kleinen Dosen zurückzukehren.
Beim Ikterus setze ich Salvarsan zunächst aus, gebe aber wegen
der evtl, syphilitischen Komponente gelöste Hg-Salze weiter (beim
Spätikterus ebenfalls zunächst neben der allgemeinen Behandlung nur
Hg).
Bei den Dermatosen wird Salvarsan und Hg ausgesetzt, die
Toleranz gegen extern appliziertes Hg geprüft (Auflegen von
Hg-Pflaster auf eine nicht erkrankte Stelle). Fällt dieser Versuch
negativ aus, so kann man mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auf
Hg-Toleranz schließen und mit kleinen Dosen Hg anfangen, selbst
wenn die Dermatose noch nicht ganz abgeheilt ist, natürlich nur bei
besonders drängender Indikation" und gutem Allgemeinzustand. Es
gibt allerdings auch Fälle, in denen durch eine Salvarsandermatitis
eine Hg-Ueberempfindlichkeit geweckt zu werden scheint. Bei sicherer
leichter Hg-Dermatitis kann man mit Salvarsan vorsichtig fortfahren.
Bei Hg-Stomatitis gibt man Salvarsan weiter, wenn ich auch trotz
der fusospirillären Symbiose nicht den Eindruck habe, daß dabei
der Mund besonders schnell besser wird.
Nierensymptome während einer Kur sind meist auf Hg zu be¬
ziehen; trotzdem wird man bei ihnen wegen der Retentionsgefahr auch
mit Salvarsan sehr vorsichtig sein und erst nach einiger Zeit bei guten
Ausscheidungsverhältnissen nur kleine Dosen unter sorgfältiger Kon¬
trolle des Urins (auch der Menge) geben.
Ebenso schwierig ist die Frage, wie weit man nach dem
Wiederverschwinden von Neben Wirkungen die gleiche
Therapie wieder aufnehmen soll. Das hängt natürlich von
der Wichtigkeit der Indikation der Weiterbehandlung und von der
Art und Bedeutung der Nebenwirkungen ab. Sowohl beim Salvarsan
als auch beim Hg tritt manchmal eine gesteigerte Empfindlichkeit ein, so
zwar, daß schon die erste Wiederapplikation selbst in kleinerer Dosis
die Nebenwirkung auslöst, während diese in wieder anderen Fällen,
wie namentlich beim Salvarsan meist auch bei der ersten Kur, erst
nach mehreren Injektionen von neuem eintritt. Gerade der letzte
Punkt vermehrt die Bedenken bei der Weiterbehandlung.
Man wird, wenn es sich um eine sichere Nebenwirkung nur
eines Mittels handelt, zunächst mit dem anderen wieder beginnen und
das schuldige nur mit besonderer Vorsicht heranziehen. Der Verzicht
auf das Hg wird uns dabei leichter als der auf das Salvarsan.
Im einzelnen: Nach geheilter hämorrhagischer Enzephalitis (ich
habe drei solche Fälle beobachtet) wird man Salvarsan nur wieder
benutzen, wenn das Hg nicht genügend wirkt (wie andere, habe
auch ich das ohne Schädigung getan), natürlich zunächst mit äußerst
kleinen Dosen und mit Wechsel des Präparats. Nach Abklingen des Früh-
und Spätikterus kann man vorsichtige Salvarsankuren wieder aufnehmen
und sie zu voller Höhe steigern. Bei den leichten Dermatosen kann
man Salvarsan, evtl, mit Wechsel des Präparats, in kleineren Dosen mit
größeren Pausen wieder geben; das habe ich oft schadlos getan.
Nach den schwersten Dermatosen wird man sich dazu nur unter
ganz besonderen Umständen entschließen, überhaupt kaum bei den
augenscheinlich sehr unberechenbaren Blutungen. Ueberstandene
Stomatitis gestattet unter besonderer Mundpflege neue Hg-Kuren ohne
weiteres. Bei Enteritis muß man noch vorsichtiger sein. Bei den
Hg-Nierenschädigungen habe ich wiederholt die Intoleranz gegen Hg
unüberwindlich gefunden. Bei Hg-Dermatitiden tritt relativ oft eine
vollständige Gewöhnung ein. Auch bei Hg ist ein Wechsel des
Präparats (gelöste Präparate statt der ungelösten) zu empfehlen.
Auen da muß man unterscheiden zwischen der Hg-Empfindlichkeit
im allgemeinen und der gegen ein bestimmtes Präparat im speziellen
(z. B. Novasurol nicht, wohl aber Sublimat vertragen).
Werden alle diese Erwägungen in jedem einzelnen Fall, sorgfältig
angestellt, so werden unzweifelhaft viele schwere Folgeerscheinungen
der kombinierten Therapie vermieden werden. Ganz ausgeschlossen
können sie, wie schon erwähnt, wohl niemals werden. Das aber muß
bei der Wichtigkeit energischer Syphilisbehandlung, wie bei jeder
eingreifenden Therapie, mit in Kauf genommen werden.
Ueber die Behandlung des Puerperalfiebers.
Von A. Dftderlein.
Zu den schwerst errungenen, deshalb aber auch schätzbarsten
Errungenschaften der Neuzeit gehört die Sicherheit der Verhütung
des Kindbettfiebers bei regelrechten Geburten. Sie gipfelt in dem
Grundsatz der Fernhaltung aller äußeren Schädlichkeiten und aller
nicht dringend notwendigen Eingriffe. Innere Untersuchungen wer¬
den nur mit sterilen Gummituschierhandschuhen ausgeführt, keine
Desinfektion der inneren Genitalien der Kreißenden, keineriei Be¬
rührung oder Spülung der Wöchnerinnen.
Auf vielen Irrwegen sind wir damit zu dem Ziele gelangt, das
die Natur uns vorschreibt; ist doch die Fortpflanzungstätigkeit in
allen ihren Phasen ein natürlicher Lebensakt, der mit weitgehendem
Selbstschutz umgeben sein muß. Nicht nur theoretische Untersuchun¬
gen, sondern auch die praktische Erfahrung krönen nun diesen heutigen
Standpunkt der Wissenschaft, wie mich die tägliche Beobachtung lehrt.
Seit dem Jahre 1918, dem Bezüge des Neubaues meiner Klinik, haben
wir hier bei denkbar größtem Hochbetrieb autochthone Fälle von
Kindbettfieber bei regelrechten Geburten nicht mehr zu sehen be¬
kommen. Dabei ereignen sich hier über 4000 Geburten im Jahre, an
denen in jedem Semester zwischen 900 und 1000 Praktikanten teil¬
nehmen, 300—400 Examinanden, über 100 Schülerinnen, das übrige
Personal der Klinik nicht gerechnet, und zwar alle auch mit der
Berechtigung der inneren Untersuchung. Ein größeres Exempel auf
die Probe der Leistungsfähigkeit dieser Grundsätze zur Verhütung
des Kindbettfiebers kann nicht gedacht werden. Freilich dürften auch
nicht leicht irgendwo so günstige hygienische Bedingungen vorliegen.
Aber es ist auch hier dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in
den Himmel wachsen. Trotz dieser Fortschritte in der Verhütung
des Kindbettfiebers ist es noch lange nicht verschwunden, denn ganz
anders liegen die Verhältnisse bei regelwidrigen Geburten. Hier tritt
Kunsthilfe ein, und aus beiden, der Regelwidrigkeit uncJ’ der Hilfe,
erwächst Gefahr. Eine Frau, die nicht entbinden kann, geht rettungslos
samt ihrem Kinde zugrunde. Den Uebergang vom Leben zum Tode
bildet die Krankheit, und da gilt es nun, den richtigen Zeitpunkt
abzufangen, wo die Hilfe einzusetzen hat, um von selbst auftretende
Gefahren zu bekämpfen.
Das Geheimnis des Erfolges liegt hier nicht allein in der Anti¬
sepsis, die ja nicht mehr verteidigt werden muß, sondern vielmehr
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
5. Januar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
23
in der richtigen fndikationsstellung, Abgrenzung des Physiologischen
vom Pathologischen, rechtzeitigem Erkennen unheilverkündender Vor¬
boten. Es gehört wohl für jeden Arzt zu den interessantesten und
lehrreichsten Studien aus der Geschichte der Geburtshilfe, die so
wechselvollen Anschauungen über die Notwendigkeit geburtshilf¬
lichen Eingreifens bei den verschiedenen Störungen zu verfolgen.
Es wird schwerhalten, einen Zweig der Medizin zu finden, wo im
Wandel der Zeiten so tiefgreifende Unterschiede sich geltend ge¬
macht haben. Es sei hier nur erinnert an die zwischen Extremen
schwankende Häufigkeit der Zangenoperation, an die Behandlung
der Deflexionslagen, der Steißlagen und vor allem an die Leitung
der Geburt beim engen Becken. In all dem zeigt die Gegenwart
äußerste Zurückhaltung.
Ich betrachte es als einen der wichtigsten Grundsätze für den
geburtshilflichen Unterricht, bei jeder Gelegenheit vor unberechtigtem
Handeln und Operieren zu warnen. Leider kommen uns aber immer
wieder Fälle zu, die uns lehren, daß auch der Konservatismus ge¬
fährlich werden kann, wenn eben der richtige Zeitpunkt zum Han¬
deln durch Verkennung warnender Zeichen verpaßt ist. Nichts ist
so sehr zu fürchten als lange und vergebliche Geburtsarbeit nach
dem Blasensprung, gleichgültig, welche Ursache dieser nutzlosen
Gebuilstätigkeit zugrundeliegt, ob rigide Weichteile, fehlerhafte Lage,
enges Becken oder andere Störungen. In diesen Fällen kommt es
unfehlbar zur Entwicklung von Bakterien. Dagegen ist die Antisepsis
machtlos, Hilfe bringt nur die rechtzeitige Entleerung des Uterus.
Glücklicherweise haben wir ein unverkennbares und sehr ein¬
faches Mittel, den Beginn dieser unvermeidbaren Schädlichkeit zu
erkennen, das Thermometer. Fieber in der Geburt ist von je als
eine der wichtigsten Indikationen zur Beendigung angesehen worden,
und dies gilt heute mehr als je, seitdem wir mit der ungeheuren
Zunahme der Aborte uns täglich mit der Behandlung fieberhafter
beschäftigen müssen, bei denen uns nun tausendfältige persönliche
Erfahrung immer eindringlicher lehrt, welch prompte Wirkung der
alsbaldigen Entleerung des Uterus zur Kupierung des beginnenden
Kindbettfiebers zukommt. Ich halte es für eine verhängnisvolle Irr¬
lehre, zu empfehlen, fieberhafte Aborte abwartend zu behandeln 1 ).
Es bedeutet dies die Preisgabe eines unserer erfolgreichsten Hilfs¬
mittel zur Bekämpfung schwerer Erkrankungen durch Zersetzung
des Uterusinnern. Entstandenes Fieber, gleichgültig, zu welcher Zeit
der Schwangerschaft, kann augenblicklich beseitigt werden, wenn
das keimbeladene Ei entfernt ist, natürlich aber nur unter der Voraus¬
setzung, daß die Bakterien nicht schon Zeit gewonnen haben, über
die Grenzen des Eies im Körper vorzudringen, wozu ihnen abwartendes
Verhalten des Arztes Vorschub leistet,
So liegt die Verhütung des Kindbettfiebers keineswegs, wie man
früher glaubte, ausschließlich in der Desinfektion mit allen ihren
Varianten, sondern es spielt außerdem — ich möchte sagen. — die
wissenschaftliche Leitung der Geburt, das Wissen des Arztes, eine
mindestens ebenso große Rolle. Daß aber auch die bei regelwidrigen
Geburten notwendigen Eingriffe noch nicht aller ihrer Gefährlichkeit
entkleidet werden konnten, zeigen so manche Streitfragen in der
Geburtshilfe, so z. B. die nach der Berechtigung oder der Notwendig¬
keit der Tamponade bei Placenta praevia oder atonischen Blutungen.
Nichts habe ich mehr fürchten gelernt als das lange Verweilen von
Fremdkörpern, wie Tamponadematerial, Metreurynter, Bougies oder
gar der so besonders gefährlichen Laminaria, in den Genitalien
Kreißender.
Allen diesen Notbehelfen überlegen sind die kurzdauernden chirur¬
gischen Eingriffe, die mit diesen Infektionsgefahren nicht belastet
sind. Aber leider dürfen wir diese unseren Studierenden und den
praktischen Geburtshelfern nicht wahllos empfehlen, denn die Ge¬
burtshilfe des Privathauses ist eben eine Behelfsgeburtshilfe aus
äußeren und inneren Gründen, deren Gefahren mit ihrer Entwicklung
nach der chirurgischen Seite hin zweifellos wüchsen. Diese häus¬
liche Behelfsgeburtshilfe und die dabei an Stelle der blutigen Ein¬
griffe tretenden Ersatzmittel ihrer Gefahren zu entkleiden, ist noch
eine besondere Aufgabe unserer Wissenschaft. Damit eröffnen sich
wichtige und weite Arbeitsgebiete. Wenn es einmal gelingen sollte,
alle diese Probleme zu lösen, dann erst wären die letzten Ursachen
für die Entstehung des Kindbettficbers beseitigt.
Wie bei. allen Infektionskrankheiten, so soll auch der Behandlung
des Puerperalfiebers in jedem Falle die Kenntnis der krankmachenden
Bakterien und der durch sie erzeugten pathologisch-anatomischen
Veränderungen zugrundegelegt werden. Dabei ist daran festzuhalten,
daü das Puerperalfieber eine Wundinfektion ist und durch mancherlei
Bakterien erzeugt werden kann. Daß man spezifische Erkrankungen
im Wochenbett *wie die Diphtherie, den Tetanus, die Gonorrhoe nicht
unter den Allgemeinbegriff des Kindbettfiebers einrechnen soll, hat
schon Ol sh au sen eindringlich betont, und mit der Entdeckung
spezifischer Heilsera bei diesen besonderen Wundinfektionen ist es
wohl für jeden Arzt klar , daß man hier diesen Besonderheiten in
der Diagnose wie in der Behandlung Rechnung tragen muß.
Als*eigentliche Erreger des Kindbettfiebers wären dann nur
»eni ? e abzugrenzen. In erster Linie sind zu berücksichtigen die am
häufigsten anzutreffenden Streptokokken, dann die Staphylokokken,
18 XII. 1921 stattgehabten Tagung der Bayerischen Gesellschaft für
.V, u l.t,nu und 0vnäkolo«ie in Nürnberg wurde der gleiche Standpunkt »on den Vor-
i *»ndiatt und OynMoio« Schnitaer, W Simon und den Diskussionsrednern
'?’sTm?n S Holmeier 'und Döderlein eingenommen. Eine ausführliche Begründung
^e« mit der benschenden Lehre Widerspruch stehenden Anschauung erlolgt durch
meinen:Assistenten Schnitze r in ausführlicher Arbeit.
vielleicht noch einige seltenere Formen, der Pneumokokkus, als die
pyogenen Wundinfektionserreger, denen gegenüber dann die In¬
toxikationen stehen, die besonders durch Retention von Eiteilen
veranlaßt werden. Der eigentliche Repräsentant bleibt der Strepto¬
kokkus, der zugleich auch der gefährlichste Keim ist und dem sowohl
die bedeutungsvollen lokalen, wie namentlich die Allgemeinerkran¬
kungsformen des Kindbettfiebers zur- Last gelegt sind.
Falsch ist meiner Ansicht nach, diesem Hauptfeind der Wöch¬
nerin verschiedene Eingangspforten zuzuschreiben, so zu trennen als
Infektionsstellen die Wunden des Scheideneingangs von denen der
Scheide, der Zervix und endlich der Plazentarstelle. Bakteriologische
Untersuchungen zeigen, daß, wenn pathogene Streptokokken über¬
haupt in Betracht kommen, sie das puerperale Genitale von oben
bis unten besiedeln uifd gleichzeitig alle Stellen, an denen ihnen
die Möglichkeit zum Eindringen gegeben ist, befallen. Es ist dies
insofern von grundsätzlicher Bedeutung, als, wenn man sich über¬
haupt auf eine lokale Behandlung einläßt, man sich nicht begnügen
darr, einzelne etwa durch Beläge leicht gekennzeichnete Stellen,
also Puerperalgeschwüre, zu behandeln. Sie sind wichtig .als An¬
zeichen dafür, daß überhaupt Streptokokken vorhanden sind; aber
sie sind nicht nur da, sondern überall im Genitale. Es schiene danach
unsere Aufgabe in der Behandlung des Kindbettfiebers in erster
Linie darin zu bestehen, diesen Streptokokken im Genitale zu Leibe
zu rücken. Leider versagt schon hier beim Beginn unserer Aufgabe
unsere Kunst.
Durch bakteriologische Untersuchungen Friedrichs ist fest¬
gestellt, daß es auf keine Weise gelingt, in Wunden eingedrungene
Bakterien, auch wenn mail sofort nach dem Ircipfexpenment Des¬
infektionsmittel einwirken läßt, abzutöten. Hat bei einer Geburt eine
Infektion stattgefunden, so dauert es in der Regel 3—4 Tage, bis der
erste Temperaturanstieg erfolgt. Auch bei regelmäßiger und sorg¬
fältiger Temperaturmessung der Wöchnerin, die nie unterlassen wer¬
den soll, werden wir also den Bakterien einen mehrtägigen Vor¬
sprung lassen, bis wir ihre klinische Auswirkung feststellen können.
Wäre der Körper nicht in der Lage, durch Abwehreinrichtungen
biologischer und anatomischer Art sich zu wehren, so wäre wohl in
allen diesen Fällen das Schicksal der Wöchnerin besiegelt.
So scheint es also nach allgemeiner Anschauung nutzlos, irgend¬
welche desinfektorische Maßnahmen im Genitale der Wöchnerin bei
beginnender Erkrankung zu treffen, und man will davon um so mehr
Abstand nehmen, als die in Betracht kommenden örtlichen Behand¬
lungsmethoden nicht nur unwirksam, sondern auch gefährlich scheinen,
insofern sic den vom Körper aufgeworfenen Schutzwall, wenn auch
nur stellenweise, durch neuerliche, wenn auch nur kleine, Verwun¬
dungen einwerfen.
So berechtigt diese Einwendung gegen desinfizierende Aus¬
spülungen der infizierten Genitalien zu sein scheint, so kann ich
mich doch nicht ganz von ihnen lossagen und empfehle sie stets
nach dem ersten Temperaturanstieg. Freilich ist es um so mehr
Pflicht, sorgfältig darauf zu achten, daß mit diesen Ausspülungen
nicht Schaden angerichtet wird. Sie müssen mit ungiftigen Mitteln
ausgeführt werden; das mit Sublimat- und Karbolintoxikationen an-
gerichtete Unheil ist Lehrgeld, das man nicht vergessen darf. Aber
wir haben im Lysoform, wie namentlich auch in Jodlösungen Mittel,
deren Giftigkeit wir nicht zu fürchten brauchen und denen doch
eine gewisse Wirksamkeit zugedacht werden kann. Besonders emp¬
fehlenswert haben wir in dieser Beziehung das von.Dr. Reichert
(Plauen) empfohlene Präparat „Mea-Jodina“ gefunden, von dem wir
eine Tablette in einem Liter warmem Wasser auflösen und mit dem
wir Uterus und Scheide irrigieren. Auch die Technik der Spülung
ist sorgfältig zu handhaben. Die Wöchnerin ist auf einen Unter¬
suchungstisch oder mindestens ins Querbett zu legen. Der Mutter¬
mund ist vorsichtig mit Klappenspiegeln einzustellen, nicht anzuhaken,
um nicht durch Dislokation des Uterus Zerrungen in seinem Lymph-
apparat auszuführen. Ein möglichst dicker, doppelläufiger Katheter
ist der Lage des Uterus entsprechend schonend einzuführen. In dieser
Weise und mit solchen Mitteln ausgeführte Uterusspülungen richten
keinen Schaden an, auch nicht die früher manchmal beobachteten
folgenden Schüttelfröste.
Abgesehen von der Möglichkeit, dadurch doch den Prozeß lokal
günstig beeinflussen zu können, empfehle ich aber diese Behandlung
auch noch aus anderen Gründen: 1. Es erfolgt dabei unwillkürlich
eine genaue Inspektion der Genitalien. Belegte Puerperalgeschwüre
können dann noch besonders, etwa mit konzentrierter Jodlösung,
behandelt werden. Aus dem Muttermund herausragende Eihautfetzen
können schonend mit Pinzette oder Komzange entfernt werden.
Zersetzte Blutgerinnsel werden herausgespült. Kurz, es wird dabei
sich so manches gleichzeitig ausführen lassen, was doch nicht ganz
unterlassen werden sollte. In Fällen, in denen es zu einer Lochial¬
stauung im Uterus gekommen ist, erhellt der Nutzen einer derartigen,
zum mindesten reinigenden, aber auch desinfizierenden Ausspülung
ohne weiteres.
2. Bei dieser Gelegenheit ist die Möglichkeit gegeben, bakterio¬
logische Untersuchungen auszuführen, die die Diagnose klären und
zu weiteren therapeutischen Maßnahmen Anlaß geben können. Es
ist hier namentlich auf die Differentialdaignose zwischen Kindbett¬
fieber und anderen interkurrenten. Erkrankungen, so z. B. namentlich
der jetzt wieder herrschenden Grippe, hinzuweisen. Vor Einführung
des Spülrohres wird mit dem Lochienröhrchen Sekret aus der Uterus¬
höhle entnommen, das das geeignete Material zur bakteriologischen
Diagnose gibt.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSITV
24
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 1
Natürlich haben alle diese Maßnahmen nur einen Sinn, wenn
sic so frühzeitig wie möglich ausgeführt werden, solange eben die
Bakterien noch nicht aus dem Bereich des Genitales in den Körper
vorgedrungen sind; denn ^aun würde all dies nur eine unnütze
Quälerei der Wöchnerin bedeuten.
Einig sind wir alle darin, daß eingreifendere Maßnahmen, wie sie
auch für dieses Stadium empfohlen worden sind, unbedingt unter¬
lassen werden müssen. Dahin gehören die Curettage, die Ausbürstung
der Uterushöhle oder gar noch eingreifendere Verletzungen. Das
Wichtigste ist, so vorzugehen, daß keinerlei Schaden damit ange¬
richtet wird.
Glücklicherweise entfiebern viele Wöchnerinnen alsbald wieder
— sogenanntes Eintagsfieber —, ein Zeichen dafür, daß entweder
der Körper wehrkräftig genug war, die Bakterien abzuschlagen, oder
daß anderseits die Bakterien nicht invasiv, also giftig genug waren,
über diese erste Angriffsfläche vorzudringen. Erleichtert wird ihnen
dies durch Schlaffheit des Uterus, wozu ihnen ein Klaffen und eine
gewisse Weite der Blut- und Lymphgefäße Vorschub leistet. Man
wird deshalb gut tun, den Körper durch die uns zur Verfügung
stehenden Tonika — Mutterkorn oder Hypophysenpräparate — auch
nach der Richtung hin zu unterstützen.
Ein Weiterbestehen der Temperatursteigerung mit gleichzeitiger
Erhöhung deutet dagegen auf Fortschreiten der Erkrankung, woraus
dann die ernsteren Formen der lokalisiert bleibenden Krankheiten,
wie Parametritis, oder auch die schweren Allgemeininfektionen, Sepsis
und Pyämie, entstehen. Ihnen zuvorzukommen, schiene am zweck¬
mäßigsten durch alsbaldige Anwendung eines Heilserums. Leider
haben wir aber bei der Bekämpfung der Wundinfektionen, namentlich
derjenigen mit Streptokokken, keine so wirksamen Sera zur Verfügung
wie bei anderen Infektionskrankheiten, z. B. bei Diphtherie oder
Tetanus 1 ). Es bleibe hier unerörtert, woran das liegt; die Möglich¬
keit, daß auch hier noch wirksame Sera gefunden werden, iat aber
keineswegs von der Hand zu weisen. Trotz dieser bedauerlichen
Unsicherheit in der Wirkung der Antistreptokokkensera scheint es
mir aber nicht gerechtfertigt, auf sie heute deshalb ganz zu ver¬
zichten. Wenn sie aber wirken sollen, so können sie nur in den
frühesten Stadien der Erkrankung einen Nutzen haben, und ich
empfehle deshalb, in allen Fällen, in denen die bakteriologische
Untersuchung Streptokokken als die Erreger der Erkrankung hat
feststellcn lassen, alsbald das Serum zu verwenden. Eine einmalige
oder anderntags wiederholte Injektion schadet unter keinen Um¬
ständen. Zu warnen ist nur vor zu häufiger und in zu langen Zeit¬
räumen wiederholter Injektion wegen der Gefahr der Anaphylaxie.
Die gleiche Skepsis gegen die Wirksamkeit besteht gegenüber der
Verwendung der Kolloidalmetalle, wie Nr. 324 2 ) von Heyden, Dispar-
gen, Kollargol, Elektrargol, Argochrom, oder neuerdings der Pro¬
teinpräparate Sero-Kasein, Abbusol, Caseosan, die auf der einen
Seite so vielfach angepriesen, von anderer als gänzlich unwirksam
fallen gelassen wurden. Bei dem außerordentlich wechselvollen Ver¬
lauf der Wundinfektionskrankheiten ist dem subjektiven Ermessen
in der Einschätzung derartiger Mittel ein zu weiter Spielraum ge¬
lassen, als daß wir sie wirklich zu beurteilen vermögen. Auch hier
gilt aber, wie bej so vielen anderen Mitteln in der ärztlichen Tätig¬
keit, als erster Grundsatz, nicht zu schaden. Eine solche Furcht ist
aber bei diesen glücklicherweise ungiftigen Mitteln nicht zu hegen,
und so würde ich die Unterlassung ihrer Anwendung doch als einen
Fehler bezeichnen; denn sonst kommt man schließlich auf einen
gänzlich nihilistischen Standpunkt, der zum mindesten dem ärzt¬
lichen Ansehen sehr Abbruch tut.
Nicht anders stehe ich dem Gebrauch der Antipyretika gegen¬
über, gegen die in neuerer Zeit von verschiedener Seite Front ge¬
macht wird mit der Begründung, daß das Fieber eine heilsame Reak¬
tion des Körpers sei, deren Unterdrückung Nachteile mit sich brächte.
Auch hier dürfen wir aber derartige Theorien nicht überschätzen,
und die praktische Erfahrung lehrt wie bei allen Infektionskrank¬
heiten, daß zum mindesten ein günstiger subjektiver Effekt ausgelöst
wird. Namentlich vermögen sie in den Fällen, in denen wochenlang
kontinuierliches hohes Fieber besteht, durch die zeitweisen künst¬
lichen Remissionen das subjektive Befinden günstig zu beeinflussen;
man sieht in diesen Zeiten dann eine Hebung des Appetits, Verminde¬
rung der Nebenerscheinungen, wie Kopfweh, Schlaflosigkeit usw.
Auch hier ist der ärztlichen Tätigkeit ein dankbares Feld gegeben,
durch richtige, dem Individuum anzupassende Auswahl bekömm¬
licher Mittel zum mindesten Erleichterung zu bieten.
Können wir auch keiner dieser Maßnahmen eine entscheidende
Rolle im Verlaufe der Erkrankung zuschreiben, da sie eben alle
nicht kausal, sondern nur mehr oder weniger symptomatisch zu wirken
vermögen, so erschiene es mir doch ungerechtfertigt, auf alle diese
ungläubig verzichten zu wollen. Um so gerechtfertigter erscheint
nun aber bei dieser relativen Hilflosigkeit das Suchen nach wirk¬
sameren, wenn auch gefährlicheren Mitteln, und hier setzt die
chirurgische Behandlung ein.
Daß man Eiterherde im Körper zur Entleerung bringen soll,
ist eine alte Wahrheit, an der nicht gerüttelt werden darf, und auch
der Verlauf schwerer Kindbettfieber gibt dazu Anlaß bei der Bildung
parametritischer Abszesse. Ihr spontaner Durchbruch läßt oft viel
zu lange auf sich warten, und frühzeitigere Eröffnung kürzt nicht
J ) Für diese, wie viele andere, hier einschlägigen Fragen verweise ich auf die
erschöpfende, glanzende Abhandlung Paul Zweifels im 3. Band meines Handbuches
der Geburtshilfe „Das Kindbettfieber* A. F. Bergmann 1920 S. 253ff.
*) Ei.» Silber-Kupferpräparat.
nur die Krankheit ab und bewahrt die Erkrankte vor noch längerem
Schmerzenslager, sondern sie spart auch ihre Kräfte und wird man¬
ches Menschenleben retten. Ob man den Abszeß von der Scheide
aus eröffnet oder etwa oberhalb des Beckens, hängt ganz von seiner
topographischen Lage ab. Man kontrolliere durch vaginale Unter¬
suchung mindestens jede Woche den Fortschritt der Abszedierung
und eröffne bei festgestellter Fluktuation am geeigneten Ort.
So klar und einfach hier das chirurgische Vorgehen ist, so
schwierig wird dessen Indikationsstellung nun, wenn man zu größeren
oder gar verstümmelnden Operationen schreiten will. Hier kommt
vor allem die Totalexstirpation des Uterus in Betracht. Bei den
reinen Streptokokkeninfektionen versagt sie so gut wie vollkommen
und setzt außerdem noch neue Gefahren durch die Schaffung weiterer
großer Wundgebiete, vor allem aber auch durch die Möglichkeit der
Verschleppung des Infektionsprozesses auf das Peritoneum. Trotzdem
aber wiru es Fälle geben, in denen die Totalexstirpation des Uterus
in Betracht zu ziehen ist. So habe ich beispielsweise mit Erfolg die
Totalexstirpation eines septischen, von Myomen durchsetzten Uterus
gleich nach der Geburt ausgeführt, wobei nicht nur das bestehende
Fieber, sondern natürlich auch die Myome die Indikationsstellung
beeinflußten. Es sei ferner erinnert an den klassischen Fall von
B. S. Schultze von Retention der Plazenta, die in Zersetzung über-
gegangen war und auf andere Weise nicht beseitigt werden konnte.
Eine der schwierigsten Entscheidungen trifft uns bei der häufig¬
sten der schweren Puerperalfiebererkrankungen, der Thrombophlebitis,
gekennzeichnet durch die immer wiederkehrenden Schüttelfröste mit
hohen Temperaturanstiegen. Sobald sich dies mehrmals wiederholt,
steht die Diagnose auch ohne jeden objektiven Befund, der hier nur
in der Minderzahl der Fälle erhoben werden kann, fest, und cs
eröffnet sich in jedem Falle die Frage, ob nach dem Vorgänge von
Trendelenburg der sicher bevorstehenden Verschleppung der
zerfallenden Thrombenmassen im Venengebiet durch Unterbindung
oberhalb des erkrankten Stammes Einhalt getan werden kann. Ich
verweise Interessenten auf die Bearbeitung dieses schwierigen Ka¬
pitels durch Weber im letzten Bande meines Handbuches der
Geburtshilfe 1 ).
Daß die Venenunterbindung lebensrettend sein kann, kann füg¬
lich nicht mehr bestritten werden. Daß die richtige Wahl des Zeit¬
punktes, die richtige Auswahl der Falle und vor allem auch die
richtige. Ausführung der Operation auf große, manchmal unüberwind¬
liche Schwierigkeiten stoßen können, darüber herrscht keine Meinungs¬
verschiedenheit.
Auch die puerperale generalisierte, purulente Peritonitis wird
chirurgisch in Angriff genommen, leider mit denkbar ungünstigen
Aussichten. Von der Eröffnung und Drainage der Bauchhöhle nach
den Hypochondrien zu bin ich vollständig abgekommen, da ich nie
einen Erfolg davon gesehen habe. Wohl aber übe und empfehle
ich auf das wärmste die Eröffnung der Bauchhöhle an ihrem tief¬
sten Punkte durch die Colpocoeliotomia posterior Den besten
Erfolg haben wir von diesem kleinen, gänzlich ungefährlichen Eingriff
bei der sogenannten „Abtreibungsperitonitis“ gesehen, die eine typische
Form der durch die kriminellen Eingriffe bei Unterbrechung der
Schwangerschaft hervorgerufenen Erkrankungen darstellt. Freilich ist
diese nicht auf eine Stufe zu stellen mit der Streptokokkenperitonitis
nach rechtzeitigen Geburten, denn hier handelt es sich wohl in der
Mehrzahl der Fälle um toxische, nicht eigentlich infektiöse Prozesse,
dadurch hervorgerufen, daß bei der beliebten Einspritzung von Flüssig¬
keit in die LJterushöhle ein Teil davon durch die Tuben in den
Douglasschen Raum geflossen ist, wie ich dies zuerst experimentell
nachgewiesen habe 3 ). Aber auch bei wirklichen bakteriellen Infek¬
tionen, die durch die bakteriologische Untersuchung der entleerten
Massen festgestellt sind, haben wir hier überraschende Heilungen
gesehen, um so überraschender, wenn man außer den klinisch ein¬
deutigen Symptomen der Peritonitis auch noch Massen von Fiter
aus den: Douglasschen Raum hervorstürzen sah. Unter 51 auf diese
Weise operierten Kranken sind nur 14 = 27,4° / o gestorben, während
37 = 72,6°/o geheilt sind. Ich habe an diesem Material den Eingriff
immer mehr schätzen gelernt, sodaß ich ihn schon ausführe, wenn nur
der leiseste Verdacht auf eine Beteiligung des Peritoneums gegeben
ist, ebenso wie er mir auch bei auf Extrauteringravidität verdäch¬
tigen Fällen zur Klärung der Diagnose die besten Dienste leistet.
Es wird das hintere Scheidengewölbe mit dem Elektrokauter in der
Längsrichtung gespalten und mit einer Kornzange das Peritoneum
durchstoßen. Zeigt sich dann die Bauchhöhle frei von Eiter oder Blut
und ergibt die Besichtigung des Peritoneums keinerlei Mitbeteiligung
an der Entzündung, so wird mit 1—2 Nähten das kleine Loch im
Douglas verschlossen. Andernfalls bleibt es offen. Bei Tubenschwan¬
gerschaft wird die Laparotomie angeschlossen. Ich möchte nicht
verfehlen, auch bei dieser Gelegenheit auf die hohe, oft lebens¬
rettende Bedeutung dieses kleinen Eingriffes eindringlichst aufmerk¬
sam zu macehn.
») Weber, Die chirurgische Behandlung des Puerperalfiebers. Handbuch der
Geburtshilfe von A. Döderlein, 3. — *) Siehe Weber, Arch. f. Gyn. t09. und W.
Simon, Protokoll der Versammlung der bayerischen Gesellschaft für Geburtshilfe und
Gynäkologie, 18. XII. 1921. — *) Döderlein, Experimentelle Untersuchungen über Intra-
uterin-Injektionen. Verhandlungen der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie Leip¬
zig 1897.
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
5. Januar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
2
Erfahrungen eines alten Augenarztes.
Von Julius Hirschberg.
Am 22. XL 192! hatte der Herausgeber der Deutschen Medizinischen
Wochenschrift die Freundlichkeit, schriftlich mich aufzufordem, daß ich „in
Form aphoristisch gehaltener Aufsätze .Erfahrungen eines alten Augenarztes
für die Praxis mittcilen möge, zur Ergänzung der gewöhnlichen Lehrbuch-
Kapitel“. Mit Vergnügen entspreche ich der ehrenvollen Aufforderung, zu¬
mal ich einige Aufzeichnungen dieser Art schon seit einiger Zeit in meinem
Schreibtisch liegen habe.
Mir war näm ich die Beobachtung nicht entgangen, daß etliche aus¬
gezeichnete Aerzte mit reicher Allgemeinerfahiung, und zwar die gewissen¬
haftesten, gerade auf dem Gebiet der Augenheilkunde sich unsicher fühlen,
von einer unbestimmten Scheu beherrscht werden, daß hier gerade besondere,
fast unüberwindliche Schwierigkeiten vorhanden sind. Zu einem gründlichen
Fortbildungskurs fehlt veileicht die Zeit, fehlt die Entschließung. Ein großes
Lehrbuch, wie das von E. Fuchs verfaßte ( 10 . Aufl. 1910 , 1023 S.), das von
Th. Axenfeld herausgegebene ( 5 . Aufl. 1919 , 844 S,), der Grundriß von
A. Brückner und W. Meißner { 1920 , 644 S.) weckt gelinde Beängstigung.
Nun gibt es Repetitorien, wie das von H. Gebb ( 1918 , 65 S.) und Kom¬
pendien, wie das von P. Silex; ferner ein Taschenbuch der Augen¬
heilkunde von Curt Adam (3- Aufl. 1914 , 395 S.), eine Therapie der Augen¬
kranken von V. Hanke (19)3, 254 S.), Bücher, wie Der praktische Arzt als
Augenarzt von J. Hell (1897, 12°, 118 S.) 1 ).
Nach einem schönen Mythos von Platon wird uns Sterblichen die
Erkenntnis der Wahrheit zuteil durch Wieder-Erinnerung aus einem früheren
Leben, ln einem ähnlichen Sinne können wir das Repetitorium der
Augenheilkunde gelten lassen dem Arzt, welcher in seinem früheren akade¬
mischen Leben dte Grundzüge der Augenheilkunde erlernt hatte, werden in
dem jetzigen praktischen und arbeitsreichen die früheren Kenntnisse durch
kurze Bemerkungen des Verfassers wieder in das Gedächtnis zurückgerufen,
sodaß er das Passende zu wählen, das Unpassende zu vermeiden in Stand
gesetzt wird. Aber — es ist doch nur ein Mythos!
Von wirklichem Nutzen wäre — ein deutsches Buch von der Augen¬
heil künde für praktische Aerzte, das den ganzen Ballast der gelehrten
uni überflüssigen Kunstausdrücke über Bord wirft und geradewegs auf das
Ziel lossteuert, das schö.ie Gebiet der Augenkrankheiten und Heilmittel dem
praktischen Arzt so klar vor Augen zu führen, daß er den verbreiteten lrr-
gl mben von der besonderen Schwierigkeit der Augenheilkunde aufzugeben
sich entschließen kann.
Ein solches Buch vermag ich, zumal an dieser Stelle nicht zu bringen.
Aber im Sinne eines solchen Buches will ich versuchen, über einige wichtige
Kapitel, wie Blindheit und Sehstörung, Star, Augenentzündung, dem prakti¬
schen Arzt einige kurze Erörterungen zu bieten.
I. lieber Blindheit und Sehstdrung.
Zwei Pfade stehen dem Arzt offen, um zur Erkerfntnis eines
Augenleidens zu gelangen, erstlich die Rede des Kranken, sowohl
seine Klagen als auch seine Antworten auf das Befragen;
zweitens die eigne Beobachtung des Arztes.
Beide Pfade muß dieser betreten; doch ist ihm der erste ver¬
schlossen bei ganz kleinen* Kindern und gelegentlich auch bei solchen
älteren Kranken, die unmündig sind: aber dann bleibt für manche
Fälle unsre Erkenntnis auch unvollständig — geradeso wie in der
Tierheilkunde.
Die Klagen der Kranken beziehen sich einmal auf Sehstörun-
gen, sodann auf unangenehme oder schmerzhafte Empfindungen
im Bereich des Sehwerkzeuges.
Die Sehstörungen können plötzlich hereingebrochen sein oder
allmählich sich entwickelt haben, beide Augen oder nur eines be¬
treffen, geringfügig, stärker oder gewaltig sein.
Das fürchterlichste Unglück ist die plötzliche, doppel¬
seitige und vollständige Erblindung. Diese aber kann,
abgesehen von dem Fall einer schrecklichen Verletzung, nur da ihren
Sitz haben, wo alle Sehnerven fasern auf den engsten Raum zusammen¬
gedrängt sind, nämlich an der Grundfläche des Großhirns;
oder in der Substanz beider Sehnerven und ihrer Netzhautaus¬
breitungen.
Diese blitzartig 2 ) schnell hereinbrechende Erblindung kann
binnen einer Stunde das Sehvermögen, sogar den Lichtschein völlig
vernichten; sie kommt vor bei Erwachsenen wie bei Kindern, mit
Ausgang in bleibende Erblindung oder in Wiederherstellung des
Sehvermögens.
Am I/. V. 1869 hatte ein siebenjähriger, scheinbar gesunder Knabe
mittags ganz munter gespielt, war dann in die Schule gegangen
und aus dieser völlig erblindet nach Hause geführt worden. Am
19. V. wurde der Knabe mir gebracht. Die Erblindung war ganz
vollständig. Beiden Augen fehlte jede Spur von Lichtschein. Die
Pupillen waren mittel weit und ließen nicht die geringste Zusammen-
ziehung auf Lichteinfall erkennen. Der Augenspiegel zeigte beider¬
seits Stauungspapille in stärkster Ausprägung. Sonst fand sich nur
noch unbedeutender St imkopfschmerz, weiter aber kein Zeichen einer
andenveitigen Erkrankung, bei genauester Untersuchung des ganzen
Körners Trotzdem mußte man doch eine Hirnhautreizung an der
Schädelgnindfläche wenigstens vermuten.
Fs iiel mir schwer, trotz meiner Bemühung, der verzweifelten
N\utter einer bedürftigen Witwe, Trost zu spenden. Eine sichere
«) Fremdsprachige Werke hier anzufflhren. mag man mir bilHgerweise erlassen
) „Fulminiereride Erblindung .
Vorhersage konnte ich bei mir selber nicht feststellen, weder aus
meiner eignen, noch jungen Erfahrung, noch aus der Literatur.
Zur Beruhigung der Mutter und des Vormunds brachte ich den
Knaben noch an demselben Abend in die Privatsprechstunde meines
Lehrers Al brecht v. Graefe, der nach eingehender Untersuchung
mit meiner Auffassung und mit meinem Kurplan sich einverstanden
erklärte.
Die Behandlung erforderte, entsprechend den damaligen An- *
schauungen, zunächst die Blutentziehung. Vier Blutegel wurden den
Warzenfortsätzen angesetzt. Stärkere Blutentnahmen verboten sich
durch das blasse Aussehen des Kindes. Später, als bereits einige
Sehkraft wiedergekehrt, wurde noch einmal der künstliche Blutegel
angevvendet. Außerdem verordnete ich sogleich Kaloniel in abführen¬
der, dann einige Tage hindurch in geringerer Gabe, und ließ hierauf,
als der Lichtschein wiedergekehrt war, Jodkalium und Sublimat ab¬
wechselnd einnehmen.
Die Beobachtung konnte aber keineswegs die Wirksamkeit eines
dieser Mittel in zweifelloser Weise erhärten. Die Wiederherstellung
der aufgehobenen Sehkraft, die Ausgleichung der so bedeutenden
Veränderungen des Augengrundes erfolgte in ziemlich gleichförmiger
Weise, anscheinend ohne Beeinflussung seitens unsrer Maßnahmen.
Am 25. V. war zuerst Lichtempfindung auf dem linken Auge nach¬
weisbar; bald jedoch gewann das rechte die Oberhand. Am 29. V.
wurden rechts die Finger auf 2 Fuß Entfernung gezählt, links auf
1 Fuß. Gesichtsfeld beiderseits noch sehr stark verengt. Pupillen
mittelweit, auf Lichteinfall sich zusammenziehend: ein erfreu¬
liches Zeichen. Das Bild der Stauungspapille war in wenigen
Tagen geschwunden.
Am 10. VI. zählte das rechte Auge die Finger auf 8 Fuß, das
linke auf 5 Fuß. Die Schwellung des Sehnerveneintritts ist abgeflacht
und bleich. Am 10. VIII. 1869 (bei der letzten Untersuchung) ist
Höhe und Grenze der Sehnervenscheibe beiderseits normal, die Sub¬
stanz blaßrot, ohne erhebliche Trübung.
Am 14. I. 1884 kehrte der jetzt 24jährige Kaufmann wieder
wegen mangelnder Ausdauer bei der Arbeit. Er klagte auch über
Augenmigräne und häufige Kopfschmerzen, die ihn seit der Kindheit
nicht ganz verlassen.
Aber der Zustand seiner Sehkraft war erfreulich, wenn wir
an den zeitweiligen, völligen Verlust zurückdenken.
Das rechte Auge zeigt Sehkraft 3 / 4 , das linke V 2 * Gesichtsfeld
(und namentlich Farbenfelder) konzentrisch eingeengt, ersteres jedoch
in mäßigem Grade. Der Sehnerv sieht beiderseits ganz erheblich blaß,
fast atrophisch aus. Das kennen wir ja als einen Rückstand der
Sehnervenentzündung oder Anschwellung, der mit ganz leidlicher
Sehkraft vereinbar ist. Sonst war der Herr nicht wesentlich krank.
Bei der großen Wichtigkeit des Falles ersuchte ich meinen Freund
E. Mendel um eine genaue Prüfung. Derselbe fand auch einige
leichte Abweichungen und stellte aic Zweifeldiagnose Pachy-
meningitis.
Ich bemerke noch, daß für Annahme von Lues jeder Anhalts-
E unkt fehlt, daß aber der Vater ein Alkoholiker gewesen. Bromkali
esserte den Kopfschmerz. In den Jahren 1894 sowie 1904 habe ich
den nämlichen guten Zustand angetroffen. Im Jahre 1921 wurde eine
Sehkraft von nahezu ■'/ H beiderseits von einem Fachgenossen fest¬
gestellt.
Dies ist meines Wissens der einzige Fall von blitzartiger Er¬
blindung, dessen Schicksal länger als ein halbes Jahrhundert verfolgt
werden konnte.
Also die erste Ursache der jähen ‘doppelseitigen Erblindung
liegt in entzündlichen Veränderungen an der Grundfläch e
des Gehirns: gegen diese Ursache nat die ärztliche Behandlung
sich zu richten. Die Vorhersage ist zweifelhaft, wegen der Natur
des Grundleidens. Aber scheinbar ganz schlimme Fälle können zur
Genesung führen und befriedigende Sehkraft für das ganze Leben
zulassen.
Die zweite Form der jähen, doppelseitigen und vollständigen
Erblindung ist die Giftblendung. Die Netzhaut ist das feinste
Reagens auf Vergiftung. Die erste Entartung findet man in ihren
Ganglienkugeln.
Das schrecklichste Beispiel der Giftblendung ist die Erblindung
durch Genuß von Holzgeistschnaps (Methylalkohol). Kata¬
strophal hat diese Vergiftung gewütet im Dezember 1911 unter den
Besuchern unsrer Asyls für Obdachlose, welche ihren billigen Morgen¬
schnaps in einer benachbarten Schenke entnahmen, deren Leiter in
schnöder und verbrecherischer Gewinnsucht billigen Holzgeist für
die Bereitung seines Schnapses bezog. Dies Massenunglück traf
die Berliner Aerzte ganz unvorbereitet. Ich hatte es an der
Mitteilung von warnenden Sturmzeichen, die hauptsächlich von Ame¬
rika, ferner aus Ungarn, aus Rußland zu uns gelangten, nicht fehlen
lassen: regelmäßig habe ich von 1899 an in meinem Zentralblatt die
einschlägigen Beobachtungen veröffentlicht, 1901 in elf Nummern,
1911 im August-Heft und noch ganz ausführlich im Dezember-Heft,
um unsren Landsleuten den Feind, der unsren Boden noch nicht
heimgesucht, genau kenntlich zu machen —, aber leider vergeblich.
In diesen zahlreichen Berichten über Methylschnapsvergiftung
entrollt sich vor unsren Augen ein düsteres Gemälde von Unglück,
Torheit und Frevel. Was ist das Ergebnis?
Wenn unter einer Bevölkerungsgruppe, welche regelmäßig und
reichlich Schnaps, und nicht den besten, zu sich zu nehmen gewohnt
ist, plötzlich, ja explosiv, eine Vergiftungskrankheit ausbricht, mit
Kopf- und Magenschmerz, Erbrechen, Betäubung, mit weiten und
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSUM
26
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 1
starren Pupillen, jäh und regelmäßig eintretender und vollständiger
Erblindung, in den schlimmsten Fällen mit tödlichem Ausgang, schon
wenige Stunden nach dem Beginn der ersten Erscheinungen; so sollte
man zunächst immer an Methylschnapsvergiftung denken
und die Quelle dieser Vergiftung zu verstopfen suchen.
Die Beurteilung eines Einzelfalles ergibt sich aus den erwähnten
Zeichen.
Die Verhütung dieser Vergiftung kann hauptsächlich nur durch
strenge Gesetze und durch genaueste Ausführung derselben geleistet
werden.
Giftblendung ist auch erfolgt durch Verabreichung von Arz¬
neien. Verhängnisvoll waren die Arsen Verbindungen, namentlich
das Atoxyl.
Nachdem vereinzelte Fälle schon in den Jahren 1905 bis 1907
mitgeteilt und auch im Zentralblatt gesammelt worden, kam 1907 die
Mitteilung von Robert Koch über die Tätigkeit der deutschen
Expedition zur Erforschung der Schlafkrankheit in Südafrika.
(D. m. W. 1907 Nr. 46.) Verfasser bezeichnet das Atoxyl als eine
gewaltige Waffe im Kampfe gegen die Schlafkrankheit. Aber es sind
22 Fälle von dauernder Erblindung dabei vorgekommen,
unter den 1633 so behandelten Fällen, das sind 1,5o/o. Bei uns ist
das Atoxyl wegen seiner Gefahren wohl ganz aufgegeben worden.
Von den Giftblendungen durch Arzneien ist am längsten bekannt
die Chininamaurose.
In unsren Gegenden ist sie sehr selten, ich habe nie einen
Fall beobachtet. Aber sie kommt vor in Fiebergegenden,
wo die geöffnete Chininbüchse mit Löffel in der Hausapotheke oder
auf dem Tische steht, wie anderswo die Natronbüchse. Ein 8jähriges
Mädchen in Atalanta (Staat Georgia der Vereinigten Staaten) nahm
binnen drei Tagen 32 g Chinin. Unter schweren Allgemeinerschei-
nungeu trat erst Taubheit, dann vollständige Erblindung ein. Die
erstere verschwand wieder, die letztere blieb bestehen; beide Seh¬
nerven sind atrophisch, die Schlagadern fadendünn. Die krampf¬
artige Zusammenziehung der letzteren wird als Ursache der Erblin¬
dung angesehen. Die Schlagadern der Netzhaut sind Endgefäße. Die
Netzhaut verträgt vollständige Absperrung des arteriellen Blutes nur
für wenige Minuten. Aber das Erste und Wichtigste ist auch hier
wohl die Entartung der Ganglienkugeln in der Netzhaut.
Natürlich gibt es auch leichtere Formen, wo einige Sehkraft
wiederkehrt, aber das Gesichtsfeld allseitig eingeengt bleibt.
Leider sind Erblindungen und Sehstörungen auch nach ärzt¬
licher Verabreichung von Optochin vorgekommen, aber bei rich¬
tiger Gabe wohl zu vermeiden.
Aus der Universitäts-Kinderklinik in München.
(Direktor: Prof. Dr. v. Pfaundler.)
Ueber Masernschutzserum.
Von Dr. Rudolf Degkwltz, Assistent der Klinik.
In Wien sind in den Jahren 1907 bis 1910 mehr Kinder an Masern
gestorben als an Scharlach, Diphtherie und Keuchhusten zusammen.
Dabei handelte es sich aber nicht um Masernjahre. 1912 war ein
Masernjahr. Da gab es mehr Todesfälle an Masern als an Scharlach,
Keuchhusten, Diphtherie und Kindbettfieber zusammen. In der kinder¬
ärztlichen Literatur der verschiedenen Völker stößt man immer wieder
auf die Bemerkung, daß die Masern keineswegs die harmlose Er¬
krankung sind, für die sie noch in weiten Kreisen gelten. Damit
sind Laien, aber auch Aerzte gemeint.
Die Masern fordern ihre Opfer ags ganz bestimmten Kreisen
und von einem ganz bestimmten Lebensalter. Nach den Untersuchun¬
gen von Rosenfeld in Wien war die Masernmortalität von 1891
bis 1900 in den ärmsten Stadtteilen (10,99°/o) zwanzigmal höher als
in den reichsten (0,55°/o). In analogen Untersuchungen fand Reiche
in Hamburg für die Jahre 1901—1910 im ärmsten Stadtteil (6,4%)
die Masernmortalität 13mal höher als im reichsten (0,55%). Daß die
Armenkinder die überwiegende Mehrzahl der Masernopfer stellen, liegt
unter anderem daran, daß sie meist schon während ihrer drei ersten
Lebensjahre erkranken, während die Kinder sozial höherer Schichten
erst im Schulalter infiziert werden. Pfaundler hat für München
gezeigt, daß von 673 Maserntodesfällen 86,5% auf Kinder unter
6 Jahren fielen, während Reder bei 2772 Maserntodesfällen für 91,1%
ein Alter unter 6 Jahren feststellen konnte. Gelänge es also, für
Proletarierkinder das Erkrankungsalter an Masern bis ins Schulalter
zu verschieben, so würden die Masern aus der Reihe der Krankheiten
gestrichen, welche die Bevölkerungszahl merklich beeinflussen. 40 bis
45 000 Kinder starben bisher jährlich in Deutschland. Die fort¬
schreitende Prolctarisierung des Mittelstandes wird diese Zahl noch
erhöhen. Die Gesamtsterblichkeit an Masern beträgt 6—7%, in
Krippen und Säuglingsheimen werden Mortalitätshöhen von 26—28°/o
und in Krankenhäusern Epidemien mit einer Sterblichkeit bis zu 50°/o
beobachtet.
Die Masern sind im Prodromalstadium, schon vor dem Erscheinen
der Koplickschen Flecke und ehe hohe Temperaturen und deut¬
liches Krankheitsgefühl die Kinder ans Bett fesseln, hochinfektiös.
Aus diesem Grunde eine Masernprophylaxe durch sofortige Iso¬
lierung der als masernkrank erkannten oder der zu schützenden Kinder
praktisch unmöglich. Kann man erst einmal die Diagnose Masern
stellen, so sind auch schon alle ungemaserten Individuen in der
Umgebung des Erkrankten infiziert. Alle Versuche, durch chemische
Desinfizientien vor Masern zu schützen, sind erfolglos geblieben. Da
gelang es mir bei Gelegenheit einer Hausinfektion im November 1919
zu zeigen, daß maserninfizierte Kinder mit Masern¬
rekonvaleszentenserum vor dem Ausbruch der Erkran¬
kung bewahrt werden können 1 ). In sofort begonnenen syste¬
matischen Untersuchungen konnte ich zeigen, daß so geringe
Mengen Masernrekonvaleszentenserum (MRS.) genü¬
gen, um maserninfizierte Individuen mit Sicherheit
vor dem Ausbruch der Erkrankung zu schützen, daß
der Methode eine über die KrankenhausanWendung
hinausreichende Bedeutung zukommt.
Vergegenwärtigt man sich, daß bei der Infektion eine kleine
Menge Masernerreger in den Organismus eindringen und sich unauf¬
haltsam vermehren und Gifte produzieren, so leuchtet es ein, daß
der Erfolg einer Schutzseruminjektion von 2 Faktoren abhängig sein
muß: nämlich von dem Zeitpunkt, an dem man die Schutzimpfung
vornimmt, und von der Menge des injizierten Serums. Injiziert man
vor oder kurz nach der stattgehabten Infektion, so sind nur wenige
Erreger und geringe Giftmengen unschädlich zu machen, und man
wird mit kleinen Serumdosen auskommen. Mit der rasch ansteigenden
Erreger- und Giftmenge wird die Menge des benötigten Serums rasch
ansteigen, bis ein Zeitpunkt erreicht ist, an dem auch sehr große
Serumdosen vor der Erkrankung nicht mehr schützen können. Dieser
Zeitpunkt ist erreicht, wenn vor der Schutzinjektion schon sehr viele
und funktioneil hochwertige Zellen geschädigt worden sind. Schon
erfolgte Schädigungen rückgängig zu machen, vermag das Schutzserum
nicht. Bringt man es in die Körpersäfte, wenn die Erregergifte schon
in wichtige Zellkomplexe eingedrungen sind, dann läuft die Erkran¬
kung durch das Serum unbeschadet ab. Es hat sich nun gezeigt, daß
bis zu 4 Tagen nach der stattgehabten Infektion 2,5 ccm MRS. ge¬
nügen, um ein Kind bis zu 4 Jahren mit Sicherheit vor dem Ausbruch
der Erkrankung zu schützen. Diese Dosis wurde als 1 Schutzeinheit
(Sch.E.) bezeichnet. Am 5. und 6. Tage post infectionem schützen
5—6 ccm (2 Sch.E.) mit Sicherheit. Am 7. Tage post infectionem
ist der Erfolg auch mit mehreren Schutzeinheiten nicht mehr ganz
sicher. Am 8. Tage post infectionem und noch später zu spritzen
ist nutzlos, weil auch enorme Dosen (bis zu 30 ccm) die Erkrankung
weder verhüten, noch ihren Verlauf günstig beeinflussen. Geht man
von der Erfahrung aus, daß ein Masernkind, wenn es gerade seinen
Ausschlag bekommt, schon 4 Tage lang ansteckend war, so heißt
das, die obigen Ausführungen in die Praxis übersetzt, Folgendes:
Wird man zu einem masernkranken Kinde gerufen, das ein frisches,
beginnendes Exanthem an Kopf und Brust hat, und sieht man in
seiner Umgebung schutzbedürftige, von ihm infizierte Kinder, so
kann man .diese mit Sicherheit mit 2,5 ccm (1 Sch.E.) Schutzserum
vor der Erkrankung bewahren. Ist das Exanthem des Patienten
schon 24 oder 48 Stunden alt, so schützt man mit Sicherheit mit
5—6 ccm (2 Sch.E.). Die zu schützenden Kinder können in beiden
Fällen ruhig bei dem Patienten belassen werden. Ist das Exanthem
schon 72 Stunden alt — es handelt sich der Lage der Dinge nach um
eine Komplikation, wenn man dann noch gerufen wird —, so soll
ein Versuch mit 3 Schutzeinheiten jedenfalls noch gemacht werden,
wobei man bei etwa 2 /s der Fälle noch einen vollen Erfolg erzielt.
Bringt man 100 noch ungemaserte Individuen im Alter von
8 Monaten aufwärts mit infektiösen Masernkranken zusammen, so
erkranken mit aller Sicherheit mehr als 90 von ihnen. Bei dieser
Sachlage mußte die Nachprüfung meiner Arbeiten bald ein klares
Resultat zeitigen. In rasen aufeinanderfolgenden Arbeiten 2 ) wird
an über 1000 Fällen berichtet, daß die Masern schutz-
injektionen ohne irgendeine Schädigung vertragen
werden und mit einer an Sicherheit grenzenden Wahr¬
scheinlichkeit — 2—3% Versager — innerhalb der ange¬
gebenen Grenzen und mit den angegebenen Dosen vor
der Erkrankung schützen. Dazu kommen noch eigne
Fälle, welche die Zahl 700 überschritten haben und
dasselbe Ergebnis zeitigten. Ein sicheres Mittel, Masern¬
infizierte vor der Erkrankung zu schützen, ist also gefunden. Es
erhebt sich nun die Frage, wie es der Allgemeinheit in möglichst
großem Umfange dienstbar gemacht werden kann.
Auf ein Mittel verzichten, das jährlich in Tausenden von Fällen
lebensrettend wirken und das durch kein anderes ersetzt werden kann,
ist nicht angängig. Der Arzt in der Praxis kann es sich nicht selbst
herstellen. Für die Fürsorge-, Krippen- und Säuglingsheimorganisa¬
tion ist es aber angesichts der hohen Gefährdung und der hohen Mor¬
talität durch Masern, die jedwede Kasernierung von Kindern mit sich
bringt, Pflicht geworden, sich mit der -Beschaffung von MRS. zu
’) Degk witz, Zschr. f. Kindhlk. 25; Verh. d. M. Ges. f. Kindhlk. 21. V. 1920; Zschr.
f. Kindhlk. 27; Verh. d. M. ärztl. Vereins 9. II. 1921. Vor mir haben im Jahre 1918 die
Franzosen Nicolle und Conseil veröffentlicht, daß sie einmal mit Erfolg versucht
haben, mit Rekonvaleszentenserum ein maserninfiziertes Kind vor der Erkrankung zu
schlitzen. Auf diesen Fall hin haben im April 1919 die Amerikaner Connor und
Richardson einige Fälle veröffentlicht, von denen sie selbst schreiben, daß Schlüsse
daraus nicht gezogen werden dürften. (Journal of Am. Med. Assoc. 1919, 72.) Diese
feindliche Kriegsliteratur war Ende 1919 noch nicht in Deutschland und mir unbekannt.
«) Pfaundler, M. m. W. 1920 Nr. 9; Zschau, M. m. W. 1920 Nr. 33; Torday,
Zschr. f. Kindhlk. Nr. 29; R i e t sche 1, Zschr. f. Kindhlk. Nr. 29; Ku 11 er, Zschr. f. Kindhlk.
Bd. 30: Glaser und Müller, M. Kl. 17. Jahre. Nr. 22; Manchot und Reiche, M. Kl.
17. Jahrg. Nr. 41; Maggiore, La Pediatria 1921, 29, Nr. 19; Blake und Track, Roeke-
feller inst. f. med res. 1921, 77, Nr. 3.
Digitizeaby
Gon g le
OrigirasEfröm
CORNELL UNSVERSITY
5. Januar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
27
befassen, seitdem die Unschädlichkeit und die Wirksamkeit des Mittels
erwiesen ist. Es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß in jedem Kranken¬
hause, wo masemkranke Kinder aufgenommen werden und wo die
Literatur über MRS. bekannt ist, Masernschutzserum, sei es auch nur
zur Bekämpfung von Hausinfektionen, hergestellt wird. Auf diesen
Grundlagen muß weitergebaut werden. Es genügen ja verhältnis¬
mäßig wenige Semmspender, um vielen zu helfen. In München er¬
kranken z. B. jährlich etwa 6000 Kinder an Masern. Gelänge es,
300 Semmspender zu gewinnen, so könnten etwa 2000—3000 Kinder,
also sicherlich das Gros der Gefährdetsten unter 3 Jahren, vor
Masern bewahrt werden. In unserem Institut konnten wir bisher
etwa 1500 Schutzeinheiten jährlich herstellen. Wir haben daraufhin
folgende Modellorganisation geschaffen: Den Krippen und Säuglings¬
heimen der Stadt wurde bekanntgegeben, daß bei drohenden Masern¬
epidemien Schutzserum vom Institut bezogen werden kann. Es ist
nun, wenn der erste Fall rechtzeitig gemeldet wurde, jedesmal in den
Krippen und Säuglingsheimen gelungen, eine Masernepidemie zu ver¬
hüten. Weiterhin wurde den Aerzten der Stadt bekanntgegeben, daß
ihnen auf persönlichen telephonischen Anruf mit Angabe der Gründe,
des Alters und des Standes der Inkubation die notwendigen Schutz¬
einheiten von Fall zu Fall gebrauchsfertig im Preise von 10 Mark
pro Schutzeinheit abgegeben werden. Weist ein Arzt ein Kind ein,
das als Serumspender in Betracht kommt, so wird ihm eine Schutz¬
einheit unentgeltlich reserviert, sodaß für solche Kollegen jederzeit
Serum zur Verfügung steht. Die infizierten Geschwister eines masern-
krank ein gelieferten Kindes, das als Serumspender in Betracht kommt,
erwerben das Recht, unentgeltlich vor Masern geschützt zu werden.
Auch für solche Fälle ist stets Serum vorhanden. Von unserer Or¬
ganisation wird fleißig Gebrauch gemacht, und zahlreiche telegra¬
phische Bestellungen aus allen Teilen Deutschlands, aus Oesterreich
und der Schweiz, denen leider meist nicht stattgegeben werden kann,
beweisen das lebhafte Bedürfnis nach dem Schutzserum.
Ich habe in meiner letzten Arbeit (Zschr f. Kinderhlk. 27) vor¬
geschlagen, die Krankenhäuser der verschiedenen Städte als Serum¬
zentralen einzurichten und in diesen Krankenhäusern mit öffent¬
lichen Mitteln Freiplätze für solche Kinder zu schaffen, die als Serum¬
spender in Betracht kommen und gegen einen Freiplatz bereit sind,
sich eine bestimmte Menge Blut abnehmen zu lassen. Es ist Sache
der Behörden, zu prüfen, wie weit diese Vorschläge durchführbar
und mit unserer Finanzlage vereinbar sind. Bis auf weiteres ist
eine Organisation nach dem Muster der Münchener vielerorts durch¬
führbar und erwünscht, bis sich zeigt, ob eine straffere, behördliche
Organisation möglich ist, oder bis sich entscheidet, ob di$ Ergebnisse
meiner neuen Untersuchungen 1 ) zu einem gleich wirksamen und all¬
gemein anwendbaren Masernschutzmittel führen werden.
Die Grenzen des Mittels liegen klar zutage. Es ist kein allgemein
anwendbares Masemschutzmittei. Es handelt sich um Menschenserum,
das Serum ist nicht in unbegrenzten Mengen zu beschaffen und die
Serumbereitung in nennenswerten Mengen nur in großen Städten
möglich. Die Tatsache, daß Kinderblut gewonnen werden muß, macht
die Methode, wenn sie von Unwissenden oder Böswilligen durch die
Tagespresse gezogen wird, vor allem heutzutage außerordentlich
angreifbar. Die Möglichkeit einer Luesübertragung ist bei unserer
Serumbereitung: Wassermannprobe, Karbolsäurezusatz und nachfol¬
gende Trocknung, völlig ausgeschlossen. Auch die Gefahr einer
Tuberkuloseübertragung ist bei sachgemäßem Vorgehen gleich Null.
Wesentlich ist die Frage nach der Dauer des durch MRS. ver¬
liehenen Schutzes. Es handelt sich, wie ich mit theoretischen Gründen
und durch den Versuch gezeigt habe, wenn post infectionem injiziert
wir* nicht um eine rein passive, sondern um eine kombinierte Im¬
munisierung. Im Blut von Kindern, die am 6. Inkubationstage erfolg¬
reich immunisiert worden waren, ließen sich reichliche Mengen Maserh-
schutzstoffe nachweisen, die vorher nicht darin gewesen waren. Der
Charakter der kombinierten Immunisierung — Einverleibung von
Antigen -f- Antikörper — wird um so ausgesprochener sein, je weiter
die Inkubationszeit vorgeschritten ist, d. h. je mehr Antigen = Erreger
und Erregergifte mit den Körperzellen in Beziehung getreten sind.
Praktisch heißt das, der Schutz ist von kürzerer Dauer, wenn zeitig,
und von langer Dauer, wenn spät in der Inkubation immunisiert
worden ist. Es wurden bei den Nachprüfungen Neuerkrankungen
frühestens 33 Tage nach der Schutzinjektion beobachtet.
Das betreffende Kind war am 2. Inkubationstage gespritzt worden
und erkrankte nach der angegebenen Zeit an leichtesten Masern,
die ohne Prodrome, ohne wesentliche Temperatursteigerungen und
ohne Krankheitsgefühl verliefen. Bei einigen Kindern, die am 6. In-
kubationstage gespritzt worden waren, traten nach 9—10 Wochen
bei Reinfektionen typische Masern auf. Ich selbst verdanke der
Freundlichkeit Dr. Hu rlers folgende Beobachtungen in einer Mün¬
chener Krippe:
Im Mai 1920 wurden bei einer Hausinfektion 12 Kinder am 5. In-
kubationstage erfolgreich gespritzt. Im Januar 1921 wurde die Krippe
erneut mit Masern infiziert. Die Infektionsquelle blieb unbekannt.
3 Ta&e nach Erkennung des ersten Falles wurden 82 Kinder immuni-
iert^ 1^ Kinder fieberten schon bei der Injektion, die Diagnose
Xixcern war aber noch nicht zu stellen, und das Fieber wurde für
rrrrl gehalten 3—4 Tage nach der Schlitzinjektion erkrankten
S\2 Kindcr an Masern. Bei 70 Kindern war die Impfung er-
\cA£re\ch. Von den 12 Kindern, die vor 9 Monaten immunisiert
») Degk witz, Tagung der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde 1921.
worden waren und die diesmal unbehandelt blieben, erkrankten 2
an Masern. Nach 4V 2 Monaten wurde die Krippe zum dritten Male
infiziert. Alle Kinder, die inzwischen neu zugegangen waren, wurden
mit Erfolg behandelt, die 70 vor 4y 2 Monaten mit Erfolg immunisier¬
ten blieben unbehandelt. Von diesen erkrankten 6 an typischen Masern,
3 an Bronchopneumonien, die vielleicht Masernäquivalente waren.
Von den vor nunmehr Jahresfrist geimpften Kindern erkrankte
keines mehr.
Weitere Untersuchupgen müssen eine klare Analyse der die
Schutzdauer beeinflussenden Faktoren versuchen. Die klassische Me¬
thode der kombinierten Immunisierung: Einverleibung von Antigen
4* Antikörper und nach einiger Zeit Einverleibung von Antigen allein,
ist bei den Masern bewußt noch gar nicht versucht worden. Es hieße
das, spät in der Inkubation spritzen und nach 3—4 Wochen das Kind
einer kräftigen Reinfektion aussetzen. Von den meisten Nachunter¬
suchern wurden meine Beobachtungen bestätigt, daß etwas knappe,
nahe der schützenden Dosis minima gelegene Schutzdosen, frühzeitig
in der Inkubation appliziert, die Erkrankung aufschieben und in
einer Weise abschwächen, daß die leichten Temperatursteigerungen
mit oder ohne spärliche Exantheme oft kaum als Masern erkannt,
von den Kindern aber in der Mehrzahl der Fälle gar nicht als Krank¬
heit empfunden werden. Ich konnte feststellen, daß solche abge¬
schwächte Masern eine jahrelange Immunität hinterlassen.
Der praktische Arzt wird kaum je imstande sein, sich MRS. auf
Vorrat herzustellen. Hat man kein Krankenhaus zur Hand, das Serum
abgibt, so kann man sich so helfen, daß man mit einer Spritze eine Vene
eines Rekonvaleszenten punktiert und das Blut sofort dem zu schützen¬
den Kinde injiziert. Man sehe aber in einem solchen Falle mindestens
10 ccm Blut als 1 Schutzeinheit entsprechend an, weil man zufällig an einen
schlechten Antrkörperbildner geraten kann. Diese Klippe umgeht man in
der Anstalt durch Verwendung von Mischseren. Als Notbehelf kann
man auch Erwachsenenserum injizieren. Einige 90o/o aller Erwachsenen
haben ja Masern durchgemacht und sind in gewissem Sinne Masern-
rekonvaleszenten. Ich habe im Versuch gezeigt, daß sie Masernschutz¬
stoffe, wenn auch in geringer Konzentration, im Blute haben. Wegen
dieser geringen Konzentration muß man hohe Dosen injizieren. Unter
30 cem Serum soll man nicht heruntergehen, wenn man die Erkran¬
kung verhüten oder wenigstens eklatant abschwächen will. Da man
Säuglingen und Kleinkindern nicht 60 ccm Blut, was ungefähr 30 ccm
Serum entspricht, injizieren kann, so entnimmt man Erwachsenen,
am besten Vater und Mutter, die notwendige Menge Blut, läßt es in
ein steriles Gefäß einlaufen, stellt es an einen kühlen Ort und inji¬
ziert nach 3—4 Stunden das ausgepreßte Serum. Ein solches Vorgehen
ist der ganzen Sachlage nach in der Praxis ein Notbehelf, der nie
die MRS.-Methode ersetzen kann. Ich habe mit 30 ccm Serum bei
50 0/0 der Fälle die Erkrankung verhütet, bei der anderen Hälfte
eklatant abgeschwächt. Hat das zu schützende Kind ältere Ge¬
schwister, die vor einigen Jahren Masern durchgemacht haben, so
wird man voraussichtlich mit geringeren Serumdosen auskommen als
mit Erwachsenenserum.
Kinder, die schon krank sind, müssen unter allen Umständen vor
Masern geschützt werden. Floride Rachitiker, Keuchhustenkranke,
tuberkulös infizierte Kleinkinder und fette, pastöse Säuglinge geraten
durch eine Masernerkrankung in höchste Lebensgefahr. Die Sterb¬
lichkeit beträgt für solche Kinder bis zu 30o/ 0 . Wenn es irgend an¬
gängig ist, sollen gesunde Kinder unter 3 Jahren vor der Erkrankung
bewahrt werden. Kinder jenseits des 4. Lebensjahres brauchen nur
in besonderen Fällen, vor allem bei aktiver Tuberkulose, geschützt
zu werden.
Aus dem Pharmakologischen Institut der Universität in Berlin.
Ueber Opium und seine Präparate.
Von Priv.-Doz. D. G. Joachimogln.
Um die Wirkungen einer Droge zu verstehen, müssen wir uns
zuerst fragen, welche wirksamen Stoffe darin enthalten sind. Aus
der Analyse der Wirkung dieser Körper werden sich in den meisten
Fällen die pharmakologischen Eigenschaften der betreffenden Droge
herleiten lassen. Ob es ratsam sein wird, Drogen in der Therapie
durch chemisch reine Stoffe zu ersetzen, hängt davon ab, ob ihre
Chemie vollständig erforscht ist oder nicht. Bei den Digitalisdrogen
z. B. sind wir noch nicht so weit. Man darf aber nicht dieses Ziel
aus den Augen verlieren. Im Gegensatz zu den Digitalisblättern sind
wir bei der Opiumdroge über ihre chemische Zusammensetzung ziem¬
lich gut unterrichtet. Seitdem der Apotheker Sertürner im Jahre
1806 aus dem Opium das Morphin isoliert hat, ist bis heute eine
große Reihe von weiteren Opiumalkaloiden bekannt geworden. Die
meisten von ihnen kommen in so geringen Mengen im Opium vor,
daß wir sie vernachlässigen können. Es wird genügen, wenn wir
uns hier mit den sechs Alkaloiden Morphin, Narkotin, Kodein, Papa¬
verin,. Narzein und Thebain beschäftigen. Wenn auch die chemische
Konstitution aller dieser Verbindungen noch nicht restlos aufgeklärt
worden ist, so wissen wir, daß sie Derivate zwei verschiedener orga¬
nischer Ringsysteme darstellen. Folgendes Schema soll darüber Aus¬
kunft geben. Es sind dabei einige Derivate der Opiumalkaloide, die
therapeutisch angewandt werden, berücksichtigt worden.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
28 DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT Nr. 1
stopfende Wirkung des Morphins und des Opiums zurückzuführen.
Daneben scheint aber die oben erwähnte lähmende Wirkung des
Morphins auf den Darm von Bedeutung zu sein. Auch andere Organe
mit glatter Muskulatur, wie Blase usw., können durch Morphin eine
Herabsetzung ihres Tonus erfahren.
Kodein wirkt weniger narkotisch als Morphin, zeigt aber eine
stärkere Beeinflussung des Hustenzentrums. Dion in und Peronin
wirken ähnlich. Narkotin ist insofern wichtig, als es die Wir¬
kung des Morphins zu potenzieren vermag. Papaverin setzt
den Tonus der glatten Muskulatur herab und bedingt eine Er¬
weiterung der Gefäße, was bei Hypertonie, Angina pectoris usw.
therapeutisch wertvoll ist. Das Papaverinmolekül enthält eine Benzyl¬
gruppe. Man hat (Macht in Baltimore) seine Wirkung auf diese
Gruppe zurückgeführt und andere Benzylverbindungen, .wie Benzyl¬
alkohol und Benzylbenzoat, an Stelle von Papaverin benutzt. Vor
einiger Zeit hat Pal ein als „Akineton“ bezeichnetes Präparat emp¬
fohlen, welches ein Alkalisalz des Phthalsäuremonobenzylamids dar¬
stellt. In Dosen von 0,5—1,0 wird es bei spastischen Zuständen an¬
gewandt.
Aus dem Gesagten geht hervor, daß die Opium- und Morphin¬
wirkung nicht identisch sein kann. Daß das Opium stärker stopfend
wirkt als Morphin, ist zum Teil darauf zurückzuführen, daß die
Resorption der Alkaloide aus der Droge langsamer vor sich geht
als aus reinen Alkaloidlösungen. Das bedingt ein längeres Verweilen
der Alkaloide im Darm. Es unterliegt aber keinem Zweifel, daß die
Verschiedenheit der Wirkung des Morphins und Opiums zum Teil
auf die Nebenalkaloide zurückzuführen ist. Eukodal ist ein aus
Thebain hergestelltes Präparat, das man an Stelle von Morphin
empfohlen hat. Es scheint einige Vorzüge zu besitzen, aber auch
hier kann Gewöhnung eintreten, und wir haben einen Eukodalismus
genau so wie einen Pantoponismus.
bürg die 3 Phenatrenderivate Morphin, Kodein und Thebain lähmend Um die im Opium vorkommende Kombination der Alkaloide
wirken und von den Isochinolmderivaten das Narkotin eine lähmende auc h subkutan anwenden zu können, hat Sahli das Pantopon
Wirkung nicht zeigt. Wie sich der Darm von Menschen gegenüber eingeführt, ein Präparat, welches aus den salzsauren Salzen der
den Opiumalkaloiden im einzelnen verhält, ist experimentell noch Opiumalkaloide besteht. Dieses Präparat spielt bekanntlich in der
nicht genügend erforscht. Nach P. Trendelenburg verhält sich Therapie eine große Rolle und hat zur Einführung vieler ähnlicher
der Meerschweinchendünndarm wie der menschliche, und es ist Präparate geführt, die sich vom Pantopon zum Teil nur durch die
interessant, daß dieser Autor durch Opium und Morphin eine Läh- Verschiedenheit des geschützten Namens unterscheiden. Es seien
mung beobachtet hat. Noch in der Konzentration 1:100 Millionen erwähnt Glykopon, Glykomekon, Totopon, Holopon, Pavon usw.
war Morphin am isolierten Meerschweinchendarm wirksam. Jedenfalls Es ist klar, daß lediglich merkantile Gründe zur Einführung einer
zeigen diese Untersuchungen, daß wir auf Grund der chemischen so gro ßen Anzahl von pantoponähnlichen Präparaten geführt haben.
Konstitution eine allgemein gültige Einteilung der Opiumalkaloide Von einigen dieser Präparate, wie z. B. von Pavon, ist behauptet
vorläufig nicht machen können. Eine Schematisierung erweist sich wor den, daß das Atemzentrum in therapeutischen Dosen nicht beein-
auch hier als nicht durchführbar. flußt wird. Es ist unwahrscheinlich, daß man die Wirkung des
Das komplizierte Gebilde, welches wir Organismus nennen, läßt Morphins (Pavon enthält 25 «'o Morphin) durch Kombination mit
sich nicht schematisch behandeln. Bei allen Ueberlegungen, die wir anderen Nebenalkaloiden aufheben kann. Experimentell ist von Pohl
zur Lösung der Frage der Abhängigkeit der pharmakologischen Wir- nachgewiesen, daß Pavon eine Verlangsamung der Atmung hervor-
kung von der chemischen Konstitution machen, müssen vvir berück- ru ft, lin d es empfiehlt sich, ähnlichen Behauptungen bezüglich der
sichtigen, daß diese Wirkung eine Reaktion zwischen dem Pharmakon Vorzüge neuer Opiumpräparate mit größter Skepsis zu begegnen,
und dem Protoplasma darstellt. Ist nun die Konstitution des Phar- Narkophin ist ein Doppelsalz von Morphin und Narkotin
makons bekannt, so bleibt das lebende Protoplasma immer noch m jt Mekonsäure. Wie oben gesagt, soll hier das Narkotin die
ein unbekanntes X, und was für das eine Protoplasma, gilt, ist für Wirkung des Morphins verstärken. Dieses Präparat hat den Vorzug,
ein anderes eben nicht gültig. Dafür ließe sich eine große Anzahl daß seine Zusammensetzung konstant ist, während bei anderen Prä-
von Beispielen anführen. paraten (Pantopon usw.) der AlkaloidgehaJt je nach dem Opium,
Zum Verständnis der Wirkung der Opiumpräparate wird es welches zur Herstellung gedient hat, verschieden ist. Laudanon
zweckmäßig sein, die Pharmakologie der einzelnen Alkaloide ganz j st e in Gemisch verschiedener Opiumalkaloide. Eine Ampulle von
kurz zu besprechen. Zunächst das Hauptalkaloid, das Morphin. Laudanon I enthält 0,01 Morphin, 0,001 Kodein, 0,002 Papaverin,
Morphin ist ein Gift des Zentralnervensystems. Die Wirkung o,0005 Thebain, 0,0005 Narzein. Eine Ampulle von Laudanon II
ist aber hier verschieden von der Wirkung der Schlafmittel aus der enthält: 0,01 Morphin, 0,002 Narkotin, 0,001 Kodein, 0,001 Papa-
Methanreihe (Chloralhydrat, Urethan, Sulfonal usw.). Bei diesen V erin, 0,0005 Thebain, 0,001 Narzein. Ist die Beurteilung der Wir-
Mitteln haben wir eine Lähmung des Zentralnervensystems in der kung eines Arzneimittels am Krankenbett sehr schwierig, so werden
Reihenfolge Großhirn, Rückenmark, Medulla oblongata, wahrend wir die Schwierigkeiten außerordentlich groß, wenn wir gleichzeitig
bei Morphin die Reihenfolge Großhirn und dann Medulla oblongata, mehrere Pharmaka applizieren, wie es hier der Fall ist.
insbesondere Atemzentrum antreffen und eine Lähmung des Rücken- Morphin wäre ein noch wertvolleres Arzneimittel, wenn es nicht
marks hier nicht beobachtet wird. Wir haben sogar bei verschiedenen die unangenehme Eigenschaft der Gewöhnung hätte. Es ist bekannt,
Laboratonumstieren eine Steigerung der Reflexe wie bei Strychnin. daß der Morphinismus wie auch der Kokainismus während und nach
Die Wirkung des Kodeins und noch mehr des Thebains entspricht dem Kriege ganz enorm zugenommen haben. Dem wissenschaftlich
vollkommen der Wirkung des Strychnins. Was das Morphin so wert- denkenden Arzt ist es klar, daß man einen Menschen, der Sklave
voll für die Medizin gemacht hat, ist die Tatsache, daß bei der des Morphins geworden ist, mit einem Arzneimittel nicht heilen kann.
Lähmung des Großhirns die Zentren der Schmerzempfindung ganz Gegen solche Zustände, wie auch gegen den Alkoholismus, ist kein
besonders beeinflußt werden. Wollen wir durch die Narkotika der Kraut gewachsen. Aus diesen Gründen muß man alle Mittel, die
Fettreihe Analgesie hervorrufen, so müssen die Dosen so groß gegen Morphinismus empfohlen werden, äußerst vorsichtig beur-
gewählt werden, daß eine vollständige Lähmung des Großhirns teilen. Besonders gefährlich sind einige Geheimmittel. In dem Anti-
emtritt. Bei Morphin haben wir dagegen, lange bevor andere Zentra morphin Fromm, das Tinctura Colombo, Wein, Chinin und
des Zentralnervensystems beeinflußt sind, eine Aufhebung der andere Stoffe enthalten soll, ist Morphin nachge wie s e n w o r-
Schmerzempfmdung. Wir kennen sonst kein Mittel, das dem Morphin den. Ein anderes Anti morphin besteht aus einer Lösung von
in dieser Hinsicht gleichkommt, und wir wären während des Krieges Dinatriumphosphat. Auch im Nikolizin, einem bei Morphinismus
nicht in der Lage gewesen, ein Ersatzmittel für dieses wertvolle empfohlenen Mittel, ist Morphin nachgewiesen worden. Eumekon
Mittel anzugeben, wenn uns der Bezug des Opiums aus Kleinasien enthält 1.5 o/o sa 1 zsau res Mo rph in. Trivalin enthält Morphin,
nicht möglich wäre. Glücklicherweise waren die Handelswege nach Kokain und Koffein. Gegen solche Auswüchse der Arzneimittel-
der Türkei während des Krieges offen. — Ein anderes Zentrum, industrie haben wir nur eine Waffe, und das ist die gründliche
das gegen Morphin besonders empfindlich ist, ist das Atemzentrum. Ausbildung der Aerzte in der experimentellen Pharmakologie
Im ersten Stadium dieser Wirkung haben wir eine Abnahme der Man hat auch mit gesetzlichen Mitteln versucht, den Mißbrauch
Frequenz, während Inspiration und Exspiration ausgiebiger werden. von Morphin einzuschränken. Zunächst ist darauf hinzuweisen daß
Wird die Erregbarkeit des Atemzentrums weiter herabgesetzt, so Morphin und seine Derivate im Verzeichnis C. der „Vorschriften
kann dies zu bedrohlichen Erscheinungen führen, und die Todes- über die Abgabe stark wirkender Arzneimiittel“ enthalten sind d h
Ursache ist bei Morphinvcrgiftung Lähmung des Atemzentrums. Die ihre wiederholte Abgabe darf nur auf jedesmal erneute ärztliche
Wirkung auf den Magen besteht darin, daß seine Entleerung, wie Anweisung erfolgen. Inzwischen ist am 31. XII. 1920 ein Gesetz
Magnus gefunden hat. verzögert wird. Der Speisebrei verläßt den zur Ausführung des Internationalen Opiumabkommens vom 23. 1.1012
Magen nicht nach 2-3 Stunden, sondern bleibt im Fundus ventriculi erlassen worden. Nach diesem Gesetz unterliegen Morphin, Opium
fe 12 Stunden. Auf diese Wirkung haben wir zum Teil die Heroin, Kokain usw. hinsichtlich der Ein- und Ausfuhr, Herstellung
Vom Phenathren
CH CH
CHX/-- \C CH
ch w>ccC_; ch
CH CH CH CH
(C J4 H,„)
leiten sich ab:
/ Apomorphin
Morphin / Aethylmorphin (Dionin)
(6—18°/o im - Methylmorphin (synth. Kodein)
Opium) N Diazethylmorphin (Heroii)
' Benzylmorphin (Peronin)
Kodein
(0,4-4% im
Opium)
Thebain •
(0,2—0.5% - Eukodal
im Opium)
Vom Isochinolin
CH CH
ch/ \ ‘\ch
CH 1 ^ A /N
CH C CH
, Narkotin
(1,5-6% im -
Opium)
Papaverin
- (0.05-0.1 %
Narzein
(0,01—0.04%
im Opium)
Kotarnin und seine Salze (Styptoi,
Styptizin).
Es hat sich nun gezeigt, daß die Alkaloide der I. Gruppe den
Tonus der glatten Muskulatur verschiedener Organe (Gefäße, Blase,
Uterus usw.) erhöhen können, während die der II. Gruppe eine Er¬
schlaffung dieser Organe hervorrufen. Diese hauptsächlich, von Pal
und Popper vertretene Ansicht hat eine besondere Bedeutung er¬
langt für das Verständnis der Wirkung der Opiumalkaloide auf den
menschlichen Darm. Es scheint in der Tat, daß sie für den Darm
von Hunden und Kaninchen zutrifft, während z. B. am isolierten Meer¬
schweinchendünndarm nach den Untersuchungen von P. Trendelen-
Digitized by Gck igle
Original from
CORNELL UNiVERSSTV
5. Januar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
29
und Verarbeitung einer behördlichen Aufsicht. Nur Personen, welche
eine besondere Erlaubnis haben, und Apotheker dürfen diese Prä¬
parate erwerben. Dazu ist ein Bezugschein erforderlich, der von
einer unter Aufsicht des Reichsgesundheitsamtes stehenden Opium-
steile erhältlich ist. Das Gesetz ist am 1. I. 1921 in Kraft getreten.
Es ist zu hoffen, daß es wesentlich dazu beitragen wird, den Schleich¬
handel mit diesen Alkaloiden einzuschränken.
Die Mitarbeit der Aerzte ist zur Bekämpfung des Morphinismus
unerläßlich. Schematisch darf man diese so wertvollen, daneben
aber so gefährlichen Mittel nicht verordnen. Bei jeder Morphinspritze
denke der Arzt daran, daß sie zum Morphinismus führen kann.
In wirtschaftlich so schwierigen Zeiten muß sich der Arzt auch
mit den Preisen der von ihm verordneten Mittel be¬
schäftigen. Die Opiumpräparate gehören zu den teuersten Arznei¬
mitteln, da ja das Rohprodukt aus dem Auslande bezogen werden
muß. In der nachstehenden Tabelle habe ich die Preise für einige
Präparate zusammengestellt, und zwar auf Grund der Arzneitaxe 1921,
II. Ausgabe. Dabei ist nur der Materialpreis berücksichtigt. Dazu
kommen, je nach der Art der Verordnung, Zuschläge für das Dis¬
pensieren usw.
Preis für 1 g
M.
Pulv. fpecacuanh. opiat.— 25
Opium pulv. :.eo
Extrakt. Opii. 3,—
Tinct. Opii simpl.—.25
Tinct. Opii crocata.—,55
Papaverin, hydrochlor. 2,95
Morphinum hydrochlor.12,80
Diacethylmorphin. hydrochlor. (Heroin).17,50
Paracodin bitartaricum.33,—
Eukodal.38,75
Aethylmorphin. hydrochlor. . ..15,—
Dionin.18,£0
Codeonal. 3,—
Narcophin.11,35
Laudanon.12,50
Pantopon.27,50
Vergleicht man nun den Preis des Morphins mit dem des
Pantopons, so ergibt sich Folgendes: Pantopon wird in doppelt so
großer Dosis verordnet als Morphin. Da nun der Preis des Pan¬
topons etwa das 2fache des Morphinpreises beträgt, so wird für
eine Dosis Morphin, wenn man es durch die entsprechende Dosis
Pantopon ersetzen will, etwa das 4fache bezahlt werden müssen.
In manchen Fällen wird man vielleicht für die subkutane Applikation
das Pantopon und ähnliche Präparate nicht entbehren können. Wenn
es sich um die Applikation per os handelt, so glaube ich, daß man
in allen Fällen diese teuren Präparate durch Tinct. Opii simplex usw.
vollkommen ersetzen kann.
Neue Arzneimittel.
Von Prof. Dr. Arnold Holste in Jena.
Auf Wunsch der Schriftleitung bringe ich im Nachstehenden eine
kurze Charakteristik der im Jahre 1921 in die Praxis eingeführten
neuen Arzneimittel. Es handelt sich um eine knappe Darstellung auf
Grund von Prospekten der herstellenden Firmen und der bislang er¬
schienenen Publikationen. Die Verantwortung für die Angaben über¬
nehmen also, wie in meinen gleichen Aufsätzen früherer Jahre,
lediglich die Autoren der von mir benutzten wissenschaftlichen Ar¬
beiten.
I. Neurotonika.
Optarson (Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer 8c Co.):
Kombination von Solarson mit Strychnin. Solarson, das Am¬
moniumsalz der Heptinchlorarsinsäure, ist ein gut verträgliches,
30 ■ iges Arsenpräparat. Es gibt als sehr labile Verbindung As leicht
ab und besitzt die typische Arsenwirkung. Im Gegensatz dazu ist
bei den Kakodylaten das As-Molekül so fest gebunden, daß nur
Spuren abgespalten werden, während die größere Menge unver¬
ändert ausgeschieden wird. Zur Erzielung einer rasch einsetzenden
Euphorie bei nervösen Störungen ist das langsam wirkende Arsen
nicht geeignet, wohl aber das Strychnin, sodaß durch die Kombination
des Solarsons mit dem Strychnin vielen Indikationen genügt wird.
Gute Verträglichkeit und absolute Reizlosigkeit geben dem Optarson
einen besonderen Vorzug; seine Wirkung setzt prompt ein.
Indikationen: Neurasthenie, Kreislaufschwäche im Verlauf
akuter Infektionskrankheiten, Erschöpfungszustände.
Dosierung: Jeden zweiten Tag 1 ccm subkutan; bei empfind¬
lichen Patienten zweimal wöchentlich.
Handels fo r m en: Schachteln mit 12 Ampullen zu 1,2 ccm.
Klinikpackungen: Schachteln mit 100 bzw. 250 Ampullen zu 1,2 ccm.
II. Hxpektorantia et Sedativa.
Paracodltt-Simp (Knoll & Co.):
Haltbarer wohlschmeckender Sirup mit 0,2o/ 0 Paracodinum bitar¬
taricum und mehreren die Expektoration fördernden Bestandteilen,
l ^xU Orindeliae, Senegae und Althaeae, nebst 0,2«/o Acid. benzoic.,
w\\v Kräuteressenzen aromatisiert. Die hustenstillende Wirkung des
Varacodins in Kombination mit den genannten Expektorantien ge¬
währleistet den therapeutischen Effekt.
Indikationen: Katarrhe der Atmungsorgane.
Dosierung: Erwachsene 1, Kinder »/*—‘4 Teelöffel mehrmals
täglich.
Handelsformen: Originalflaschen zu 100g.
III. Uterina.
Ergopan (Temmler-Werke, Vereinigte Chemische Fabriken):
Ein aus der frischen Sekalcdroge hergcstelltes, genau dosierbares
und reizloses Uterinum, welches die wirksamen Prinzipien des Mutter¬
korns, aber nicht die Gangrän verursachende Substanz und die sog.
Ballaststoffe enthält. 1 ccm Ergopan entspricht 4 g Secale cornutum.
Experimentelle und klinische Untersuchungen haben die prompt ein¬
setzende und energische Uteruswirkung erwiesen; unerwünschte
Nebenwirkungen fehlen vollständig. Das Präparat ist deutschen 'Ur¬
sprungs und versetzt den Arzt in die Lage, auf ausländische Fabri¬
kate zu verzichten.
Indikationen: Blutungen in der Nachgeburtsperiode, im
Wochenbett und nach Aborten; Metrorrhagien im Klimakterium.
Dosierung: Dreimal täglich 10—20 Tropfen oder 1 —1 Tablet¬
ten; intraglutäal 1—2 Ampullen.
Handelsformen: Tropfen, Tabletten, Ampullen.
IV. Histoplastika.
Silistrea (Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer 8c Co.):
Organische Siliziumverbindung als Unterstützungsmittel bei der
Tuberkulosetherapie. Farblose, sirupöse, beständige, in jedem Ver¬
hältnis mit Wasser klar mischbare, süße Flüssigkeit mit 18—20%
SiO«. Die Kieselsäure ist ein normaler Bestandteil aller binde¬
gewebigen und epithelialen Gebilde des tierischen Körpers und ge¬
hört zu den Gerüstsubstanzen. Bei der Tuberkulose ist die Fähig¬
keit des Organismus, die notwendige Kieselsäure aufzuspeichern,
vermindert, sodaß das Lungengewebe seine Widerstandskraft allmäh¬
lich verliert. Bei regelmäßiger Zuführung von Kieselsäure werden
die Gewebe mit dieser angereichert, der phagozytäre Index er¬
höht und schnell einsetzendes Nachlassen der katarrhalischen Sym¬
ptome erzielt. Das Silistren ist auf Grund klinischer Prüfungen gut
verträglich und leicht assimilierbar.
Indikationen: Phthisis, chirurgische Tuberkulose, Bronchitis,
exsudative Katarrhe.
Dosierung: Erwachsene 25—30, Kinder 10—15 Tropfen drei¬
mal täglich nach den Mahlzeiten, mit kaltem Wasser verdünnt.
Handelsformen: Flakons zu 30g.
V. Spezifika.
Cyarsal (I. D. Riedel, A.-G.):
p-zyanmerkurisalizylsaures Kalium, ein lösliches, organisches
Quecksilberpräparat mit 46 0/0 Quecksilbergehalt. Geruch- und farb¬
loses Kristallpulver, an der Luft unverändert haltbar und in Wasser
mit neutraler Reaktion löslich. Diese Lösung ist ebenfalls beständig,
zersetzt sich auch beim Kochen nicht und verursacht in Eiwei߬
lösungen keine Fällung. Cyarsal wird mit Neosalvarsan in einer
Spritze gemischt, zur intravenösen Injektion bei Lues empfohlen.
Dabei entsteht zunächst eine komplexe, labile Verbindung beider
Komponenten, sodann langsam durch die reduzierende Wirkung des
Neosalvarsans kolloidales, metallisches Hg in feinster Verteilung.
Deshalb opalesziert die Mischung der beiden Präparate anfangs nur
schwach und bleibt durchsichtig genug, um das mit der Spritze
angesaugte Blut leicht zu erkennen. Die intravenöse Injektion kann
unbedenklich und ohne Schädigung der Venen gegeben werden, in¬
dem weder Verhärtungen der Venenw r andung, noch Thrombosen ein-
treten. Unerwünschte Nebenerscheinungen, wie Stomatitis mercurialis,
bleiben bei dieser Mischspritzenbehandlung aus.
Indikationen: Lues.
Dosierung: Bei der einzeitigen intravenösen Mischinjektion
wöchentlich zweimal je 0,45 g Neosalvarsan -f- 0,5 bis 2 ccm Cyarsal.
Handelsformen: Für Mischspritzenbehandlung: Schachteln mit
rotem Etikett und 10 Ampullen zu je 2,2 ccm der 1 % Hg enthalten¬
den Lösung (1 Ampulle = 0,02 g Hg).
Für intramuskuläre Injektion: Schachteln mit grünem Etikett lind
10 Ampullen zu je 1,5 ccm der 30/0 Hg enthaltenden Lösung (1 Am¬
pulle = 0,04 g Hg).
Stibenyl „Heyden“ (Chemische Fabrik von Heyden, A.-G.):
p-azetylaminophenylstibinsaures Natron; ein chemotherapeutisch
erprobtes organisches Antimonpräparat. Das Antimon ist im Brech¬
weinstein nur locker an das Molekül der Weinsäure, beim Stibenyl
aber fest an den Kohlenstoff einer organischen Verbindung gekettet.
So entsteht eine weniger giftige und reizende, dagegen wirksamere
Darreichungsform mit etwa 33% organisch gebundenem Antimon.
Stibenyl ist ein Pulver, welches in sterilen Ampullen in den Handel
gelangt, und wird mit sterilem Wasser unter Umrühren gelöst, darf
aber nicht erhitzt werden.
Indikationen: Trypanosomenerkrankungen, insbesondere
Schlafkrankheit, Kala-azar, Leishmaniosis, Orientbeule und andere In¬
dikationen des Antimons.
Dosierung: Intravenös und intramuskulär: Anfangsdosis bei
Erwachsenen 0,05—0,1 g jeden zweiten bis dritten Tag.
Handelsformen: Schachteln mit je 3 bzw. 10 Ampullen zu
0,1 g, 0,2 g, 0,3 g Stibenyl.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNÜVERSrn 1
30 DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT Nr. 1
Cnti-Taberkalia (Farbwerke vorm. Meister, Lucius & Brüning):
Ein staatlich gi-prufics TubcrkuIosedi a g n o st ik um zur Vornahme
Jer liautreaktion. Bu unterem iiirten Tieren und Menschen ist die
Reaktionsfähigkeit der Haut gc;/». ruber dem Alttuberkulm erheblich
herabgesetzt, was zu schweren diagtt ^tischen Irrtümern führen kann.
Das Cuti-T uberkuhn ubertriftt in!'J||e seines hohen Gehaltes an
Hautreaginen das Alttuberkuhn so an Genauigkeit, daß auch der
schlecht ernährte und geschwächte, krankheitsverdachtige Organis¬
mus noch positive Hautreaktionen zeigt. Der Name weist darauf
hin, daß da-, Pra parat nur zur diagnostischen Verwendung bestimmt
ist; für die subkutane Injektion kommt es nicht in Betracht.
Indikationen: diagnostische Tuberkulinproben nach v. Pir¬
quet oder Petruschky; Morosche Salbenreaktion.
Handelsformen: Fläschchen zu 1 ccm; Schachteln mit 6 Glas¬
röhrchen für Einzelreaktionen.
Catamifl (I. D. Riedel, A.-G.):
Neutrale, färb- und geruchlose, mit jucklindernden, pflanzlichen
Stoffen verriebene Zmk-Schwefelsalbe. Die therapeutische Wirkung
wird erhöht durch die außerordentlich feine, gleichmäßige Verteilung
des Schwefels. Die Konsistenz der Salbe erlaubt eine leichte Ver¬
reibung. Die Verwendung ist außerordentlich sauber, und die Wäsche
wird geschont. Das reizlose Präparat vernichtet alle Parasiten und
hebt den Juckreiz, auch den postskabiösen, auf. Vorhandene oder in
Entwicklung begriffene sekundäre Pyodermien bringt Catamin sehr
schnell zur Heilung.
Indikationen: Skabies in j'cdem Stadium; in der Kinderpraxis
anderen Präparaten vorzuziehen.
Dosierung: Für Erwachsene 2—3 Tuben, für Kinder die
Hälfte; an drei aufeinanderfolgenden Tagen am ganzen Körper,
nicht im Gesicht, einzureiben.
Handelsformen: Originaltuben.
VI. Desinfizientia.
Cbloranlo-Heydea (Chemische Fabrik von Heyden, A -G.):
p-To!uoIsuIfonchloramidnatrium; ein festes, organisches Chlor¬
präparat. Weißes, kristallinisches Pulver mit 12,6°o Chlor als wirk¬
samem Bestandteil, unbegrenzt und unverändert haltbar, sowie leicht
wasserlöslich bei nahezu neutraler Reaktion. Die klare Lösung ver¬
liert nur sehr langsam an Wirksamkeit. Das Präparat ist stark bak¬
terizid wie das Sublimat und übertrifft die keimtötende Kraft des
Phenols. Es ist fast ungiftig, übt in den gebräuchlichen Konzentra¬
tionen keine Aetzwirkung aus und koaguliert Eiweiß nicht. Chlor¬
amin fördert die Granulationsbildung, beschleunigt die Epidermisie-
rung und wirkt desodorierend, ohne die Haut zu schädigen. Ver¬
bandstoffe und Wäsche werden geschont.
Indikationen: chirurgische und geburtshilfliche Antisepsis.
Dosierung: y 2 «/oige kalte wäßrige Lösung zur äußeren Ver¬
wendung. y 4 o/oige warme wäßrige Lösung zur Spülung von Wund-
und Körperhöhlen. 1 /io _ " 1 /»%ige warme Lösung zu Blasenspülungen;
mit Talkum 1:10 als Streupulver.
Handelsformen: Pappdosen zu 100 und 1000 g mit Ma߬
gefäß zu 2,5 g.
Gynäkologische Ratschläge für den Praktiker.
Von W. Liepmana in Berlin.
1 .
Die Lage Veränderungen der weiblichen Genitalien,
a) Einleitung.
Man kann Diagnose und Therapie der Lageveränderung der
weiblichen Genitalien nicht besprechen, ohne — wenigstens im kurzen
Umriß — des anatomischen Substrates sich zu erinnern. Der Prak¬
tiker kommt so ganz von selbst wieder beim Studium der Lage¬
veränderungen zur Anatomie der Genitalien zurück, wie er sich
bei entzündlichen Erkrankungen der bakteriologischen Ergebnisse er¬
innern muß, um sicher und erfolgreich wirken zu können.
Das Wort Heraklis, ndvixgei, trifft auch für die Anatomie
der weiblichen Genitalien zu: Kindheit, Geschlechtsreife, Schwanger¬
schaft, Klimakterium und Greisenalter, immer eine andere Lagerung
der Genitalien. Diese normal vorhandene Beweglichkeit aber erfordert
einen ligamentösen Suspensionsapparat und eine muskuläre Stütze im
Becken raum, deren Studium allein die Erkenntnis pathologischer Zu¬
stände verbürgt.
Wie ein Handtuch schlägt sich das Bauchfell von oben her über
den in der Norm anteflektierten Uterus und die Adnexe herüber,
nur das Keimepithel des Eierstocks freilassend. Aber dieses Bauchfell
hätte keinen Halt, wenn es nicht durch Bindegewebsstränge, denen
reichlich elastische Fasern untermischt sind, gestützt würde. Dieses
unterhalb des Bauchfells gelegene Bindegewebe ist
der eigentliche Suspensionsapparat der Genitalien.
Seine Hauptmasse erstreckt sich zu beiden Seiten des Uterus, geht von
seinen lateralen Kanten aus und reicht bis zum knöchernen Becken, es
ist das als Ligamentum latum bekannte Gebilde; also die dem Bauchfell
zugekehrte Seite des Ligamentum latum ist ein Anteil des die Becken¬
organe allseits umziehenden Peritoneums. Der der Uteruskante der
Vagina, dem Beckenboden zugekehrte Anteil ist Bindegewebe = Para-
metrium. Dieses Bindegewebe ist fest und elastisch, eigentlicher Sus¬
pensionsapparat des Uterus, seine Entzündung macht e 3 dick und un¬
elastisch, die Beweglichkeit des Uterus vermindert sich: Parametritis;
aus diesem Grunde habe ich die sonst als Ligamenta cardinalia,
transversa oder lata genannten Gebilde- als Ligamenta suspensoria
bezeichnet.
Die Ausbuchtung des Peritcnejiraums, die allgemein als Douglas¬
scher Raum bezeichnet wird, und die sich zwischen Hinterwand
I des Uterus und Vagina auf der einen Seite, und dem Mastdarm auf
I der anderen Seite befindet, wird ebcnialls durch zwei analog unter¬
halb des Peritoneums liegende Bmdegewebszüge verstärkt. Ent¬
sprechend ihrem Verlauf von der Zervix zum Os sacrum werden sie
als Ligamenta sacro-uterina bezeichnet. Halten die Ligamenta suspen¬
soria (lata) den Uterus wie ein Sprungtuch elastisch und doch nicht
sinkbar in der Beckenhöhle, ;>o ziehen die Ligamenta uterina die Zervix
1 nach hinten. Schließlich geht noch ein dünnerer, aber bei entzünd¬
lichen Erkrankungen in die Erscheinung tretender, wiederum unter¬
halb des Peritoneums verlaufender Bindegewebszug, von der Vorder¬
wand der Zervix die Blase umrandend, zur Hinterwand des Os
pubis: Ligamenta pubo-vesico-cervicalia. Das Ligamentum rotundum
aber hat als Analogon des üubernaculum ovarii wohl entwickelungs-
gcschichtlich, wie wir noch sehen werden, eine Bedeutung beim
Descensus Uteri, nicht aber eine Bedeutung für den Suspensious-
apparat.
Die Ligamenta suspensoria halten mit den beiden genannten Hilfs-
ligamcnten (Ligamenta sacro-uterina und Ligamenta pubo-vesico-cervi-
calia) den Uterus in situ.
Der M. levator ani ist das eigentliche Diaphragma pelvis mit
seinen beiden um Vagina und Urethra herumgehenden, an der hin¬
teren Fläche des Os pubis inserierenden Schenkeln. Der Praktiker
erinnert sich dieses Muskels aus der Anatomie und Physiologie,
! er weiß aber nicht, daß er in jedem Falle diagnostiziert
1 werden kann!
Der linke Zeigefinger wird in die Vagina eingeführt und tastet
dicht hinter dem Introitus den um die Vagina herumziehenden Muskel¬
rand (Levator-Schenkel); deutlich kann er seine Kontraktion beob-
: achten, wenn er die Patientin auffordert, den Anus fest einzuziehen
oder die Bauchpresse in Tätigkeit zu setzen. Auch w r enn man die
Kniee der zu Untersuchenden adduzieren läßt und sich nun bemüht,
diese voneinander zu entfernen, kontrahiert sich der Muskel. So
können wir uns in überraschend einfacher Weise ein Urteil über seine
Stärke und Wirksamkeit bilden.
Und schließlich haben wir noch ein als Stützapparat dienen¬
des Organ zu erwähnen, die Harnblase. Bei normaler Anteflexio Uteri
ist sie hinten zwischen dem vom M. trigoni urogenitalis ausgefüllten
Schambergwinkel gelagert, die durch die Bauchpresse auf die hintere
Wand des Corpus uteri wirkenden Kräfte paralysierend.
Während aber Suspensions- und Stützapparat die Zervix elastisch
fixieren, wird dem Corpus uteri seine Beweglichkeit im hohen Maße
erhalten, wie es der wechselnde Füllungsgrad der Blase und sein
Wachstum in der Schwangerschaft erfordern.
Die Stellungsanomalien 1 ) des Uterus sollen uns nun, soweit ihre
Diagnose und Therapie in Frage kommen, beschäftigen.
Wie zahlreich die Arten der verschiedenen StelTungsanomalien
sein müssen, erhellt aus der einfachen Ueberlegung, daß erstens
Corpus und Cervix uteri in verschiedenem Winkel zueinander stehen
(Flexionen: Anteflexionen, normale und pathologisch spitzwinklige;
Retroflexionen), daß zweitens die Lage des ganzen Organes (Korpus
und Zervix) im Beckenraum seine Stellung ändern kann (Positionen:
Ante-, Retro-, Sinistro-, Dextropositio); drittens kann bei nicht mehr
flektierter, sondern gestreckter Verbindung zwischen Korpus und
Zervix der Uterus um seine transversale Achse nach vorn oder hinten
geneigt (Versionen: Ante-, Retroversio); und viertens kann das Korpus
zur Zervix gedreht sein (Torsionen: Dextro- und Sinistrotorsio).
Bedenkt man nun noch, daß alle die Stellungsanomalien mitein¬
ander in Kombination treten können, so ist das Bild des Einzelfalles
äußerst wechselreich.
b) Retroflexio.
Von allen diesen Modifikationen kommt für den Praktiker in
erster Linie die Beugung des Korpus nach hinten, die Retroflexio,
beziehungsweise die mit einer Neigung des ganzen Organes einher¬
gehende Retroversio-flexio in Frage.
Die Diagnose ist einfach, der tuschierende Finger findet bei
entleerter Blase den vorderen Douglasraum frei: äußere Hand und
innerer Finger berühren sich. Geht nun der innere Finger an die
Hinterseite, dem hinteren Douglas zu gerichtet, und drückt tief
kreuzbeinwärts von außen die andere Hand, so fühlt man das Korpus
im hinteren Douglas. Bildet es einen Winkel mit der Zervix, so
spricht man von einer Flexio. Ist der Winkel stumpf, von einer
Versio-Flexio, und ist er aufgehoben, von einer Versio.
So leicht demnach die Diagnose der Lageanomalie als solche
gestellt wird, um soviel schwerer ist die diagnostische Forderung
zu erfüllen: „Handelt es sich um eine fixierte oder um eine be¬
wegliche Retroflexio?“ Und doch muß diese Forderung erfüllt
sein, bevor eine ordentliche Therapie in die Wege geleitet werden
kann.
Die Bew'eglichkeitsprüfung ist also der Schlußstein unserer Dia¬
gnose.
*) Die Senkung (Descensus) und Hebung (Elevatio) werden später gesondert
besprochen.
Digitized by sie
Original frem—
CORNELL UNIVERSITY
5. Januar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
31
Die Beweglichkeitsprüfung wird nach den von B. Schultze
angegebenen Griffen ausgeführt
1. Handgriff: Diesmal zwei Finger der inneren Hand drücken
das Korpus aus dem hinteren Douglasraum heraus und nach oben.
2. Handgriff: Ist der Uterus aus dem Douglasraum heraus „ge¬
lüftet“, so gehen die inneren Finger schnell an die Portio, diese nach
hinten drängend, während die äußere Hand das Korpus zwischen
Promontorium und Uterus in die Tiefe gehend nach vorne, blasen-
wärts, drückt.
Im allgemeinen wird der Handgriff bei vernünftigen Frauen
zum Ziele führen; gelingt er nicht, so muß man ihn in Narkose
ausführen.
Die Aufrichtung mittels Zug an der "Portio, der durch eine Kugel¬
zange ausgeübt wird (nach Küstner), empfehle ich dem Prak¬
tiker nicht, obwohl die Methode dem Spezialisten in manchen Fällen
gute Dienste leistet.
Nachdem man auf diese Weise festgestellt hat, ob die Lage¬
veränderung, die Retroflexio, beweglich ist oder fixiert, wird man
unter Zuhilfenahme der subjektiven Symptome der Patientin zu einer
kausalen Therapie gelangen.
Die Therapie der Retroflexio wird sich also in zwei ganz ver¬
schiedenen Bahnen bewegen müssen, je nachdem es sich um eine
bewegliche oder fixierte Knickung handelt. Die subjektiven Beschwer¬
den der Patientinnen mit Retroflexio mobilis sind Legion, sie zerfallen
ihrer Art nach in zwei: erstens in die lokalen und zweitens in die
allgemeinen Symptome.
Hielt man in früheren Zeiten all die allgemeinen Symptome, wie:
Kopfschmerzen, leichte Erregbarkeit, Abgeschlagenheit, Schlaflosig¬
keit und Stimmungswechsel, durch die Retroflexio bedingt, so ist
man in neuerer Zeit vielfach zu dem Gegenteil übergegangen, auch
die lokalen Beschwerden: Kreuzschmerzen, ziehende Schmerzen im
Leib, Blasenbeschwerden, als Zeichen einer allgemeinen Hystero-
Neurasthenie anzusprechen. Ich stehe nicht an zu behaupten, daß,
ebenso wie die früheren Anschauungen nicht das Richtige trafen, auch
die moderne Diagnose der Hystero-Neurasthenie oft falsch gestellt ist.
Wenn man Fälle sieht, wo bei normalem Tusdiierbefund und ante-
flektiertem Uterus fortgesetzt diese eben beschriebenen lokalen und
allgemeinen Beschwerden geäußert werden, so muß jeder zu dieser
Diagnose Hystero-Neurasthenie kommen. Läßt man sich nun durch
die Klagen der Patientin bewegen zu operieren und findet dann,
wie ich erst jüngst in zwei Fällen, bindfadendünne Verwachsungen
zwischen Netz und Genitalapparat, so muß man, wenn man ehrlich
ist, zu dem Ergebnis kommen, daß unsre Diagnose in vielen Fällen
bei Adhäsionen versagt und wir dann zu unrecht die Diagnose
Hystero-Neurasthenie stellen.
Der hierdurch klar gegebene Gang unseres Heilverfahrens ist
also kurzgefaßt folgender: Finden wir bei unseren Patientinnen, die
mit den bezeichneten Klagen zu uns kommen, eine Retroflexio, so
werden wir sie, falls sie beweglich ist, aufzurichten versuchen und
in dieser Lage erhalten. Für den Praktiker wird hier m erster Linie
die Ringbehandlung in Frage kommen.
Die Gebärmutter wird in der beschriebenen Weise aufgerichtet
und nun am besten mit einem Pessar nach Hodge, von dem man
alle Größen vorrätig halten muß, eingelegt; auch die Pessare nach
Thomas sind für manche Fälle empfehlenswert. Während die
linke Hand die Vulva entfaltet, wird das Pessar in folgender Weise
mit der rechten Hand schräg gegen den Introitus gelegt: Das oval¬
geformte, aus Hartgummi bestehende Pessar hat einen breiteren
hinteren, etwas nach oben gekrümmten Bügel und einen vorderen
schmäleren, nach abwärts gebogenen Rand. Die rechte Hand hält
nun in der beschriebenen Weise das Pessar so gegen den Introitus, daß
beim vorsichtigen Einschieben, wobei stets die vordere Kommissur
und die Klitoris zu meiden ist, der breitere obere Bügel hinter die
Portio zu liegen kommt, während der schmälere, abwärts gekrümmte
Bügel vulvawärts sieht. Durch die Streckung der Scheide und durch
den im hinteren Scheiden ge wölbe liegenden breiteren Bügel wird die
Portio nach hinten gezogen und dadurch das Corpus uteri in Ante-
flexio gehalten. Der nunmehr auf die hintere Fläche des Uterus
wirkende intraabdominelle Druck befördert die Lagekorrektur.
Zwei Regeln sind beim Pessareinlegen zu beachten: 1. Das
Einlegen eines Pessars darf nicht wehtun; 2. es darf stets nur die
kleinste, gerade noch haltende Nummer gewählt werden.
Wird das Pessar in der geschilderten Weise eingelegt, so ist es
nicht mit Schmerzen verbunden. In der Praxis werden, wie man
immer und immer wieder sehen kann, im allgemeinen zu große
Nummern gewählt. Uebermäßiges Ausdehnen des Scheidenrandes,
Druckusuren und Schmerzen sind die Folge. Besser ist es, ein Pessar
wird zu klein gewählt und fällt heraus, als daß ein zu großes drückt.
Man lasse nach dem Einlegen des Pessars die Patientin mehrmals
schnell durch die Stube gehen. Man bestelle sie am nächsten Tage
zur Kontrolle wieder in die Sprechstunde. Wird ein Pessar ver-
loren, so wählt man die nächstgrößere Nummer. Die Patientin muß
täglich eine Scheidenspülung, am besten mit Kamillentee machen.
Uri Reirinn der Menstruation muß sie das Pessar selbst herausnehmen
.Vnrf nach der Menstruation es wieder vom Arzte einlegen lassen.
Wie ?eder Fremdkörper, reizt das Pessar die Scheidenschleimhaut,
es lenkt die Psyche der Patientin auf ihr Gebrechen; so wird aus
Ohmden der Aesthetik von vielen Frauen die Pessarbehandlung
^'Aber’e» eibt noch andre Kontraindikationen für die
Pessarbeli andlunfir: Es ist falsch, bei entzündlichen Erkrankungen
der Scheide und der Portio (Erosionen) Pessare einzulegen. Es ist
falsch, bei den durchaus nicht seltenen Retroflexionen der Virgines,
die als eine Entwickelungshemmung ein Analogon des Kryptorchismus
darstellen, einen Ring einzulegen; Detlorationen sollen in der Sprech¬
stunde nicht stattfinden.
Es ist falsch, bei Frauen mit schlecht erhaltenem Damm die
Ringbehandlung zu beginnen. Der vordere Bügel, der nur bei gutem
Vulvaschluß seinen Zweck erfüllt, wird hier herausgleiten müssen,
und die Riesenpessare, die man in solchen Fällen zu sehen bekommt,
eignen sich besser für die tierärztliche Praxis; sie pressen sich, statt
ihre Stütze am fehlenden Damm zu finden, in die zarte Schleimhaut der
Scheide und bewirken schließlich, statt zu helfen, Gangrän und
aashaft stinkenden Ausfluß.
für all diese Fälle, mögen sie nun psychisch oder anatomisch
und pathologisch-anatomisch kontraindiziert sein, haben wir in der
sachgemäß ausgeführten Operation eine bessere Methode, die
die Frauen in kürzester Zeit gesund und arbeitsfähig macht. Daß
neben der tatsächlichen Korrektur der Lageveränderung auch der
psychische Effekt: jetzt bin ich gesund, mitspricht, ist selbstver¬
ständlich.
Rekapitulierend kann man also sagen: Jede bewegliche Retro¬
flexio, die Beschwerden macht, wird aufgerichtet, ob mit Hilfe des
Pessars oder mit Hilfe der Operation, ist im Einzelfall zu entscheiden.
Jede bewegliche Retroflexio, die keine Beschwerden macht und als
Gelegenheitsbefund festgestellt wird, wird zunächst nur protokolliert
und der Patientin nichts davon gesagt. Aber man sei sich darüber
klar, was in den Lehihüchern viel zu wenig zum Ausdruck kommt, daß
jede bewegliche Retroflexio mit der Zeit zu einer fixierten Retroflexio
werden kann. Es ist gar keine Frage, daß das verschiebliche, durch
den wechselnden Füllungszustand der Blase bewegliche Peritoneum
des vorderen Douglasraumes statisch und physiologisch besser den
Druck des Corpus uteri verträgt als das an ihn nicht gewöhnte
Peritoneum des hinteren Douglasraumes. Dort kommt es leicht zu
Verwachsungen und Adhäsionen, besonders bei der Menstruation, zu
Hyperämien und Reizungen-des Mastdarmes und dadurch wieder zur
Durchwanderung von Kolibakterien.
Mit anderen Worten, wir sind bei der Retroflexio uteri
fixata angelangt. Die Retroflexio uteri fixata stellt also nichts
anderes dar als eine chronische Bauchfellentzündung bei bestehender
Lageanomalie, deren Ursache in der Lageanomalie zu suchen ist.
Die Diagnose der Retroflexio uteri fixata muß immer dann gestellt
werden, wenn es dem Geübten auch bei der narkotisierten Frau
nicht gelingt, den Uterus aufzurichten, aber das Umgekehrte ist, wie
wir uns bei unseren Operationen überzeugen können, nicht der Fall.
Es gibt zahlreiche Retroflexionen, die sich mehr oder minder leicht
aufrichten lassen, in Narkose oder ohne diese, und bei denen die
schlaffen, die Aufrichtung nicht hindernden Adhäsionen dann erst recht
Beschwerden machen. Meist führt uns aber die Anamnese auf den
richtigen Weg: hatten wir doch schon am Ende des vorigen Ab¬
schnittes lins die Gründe klargemacht, warum eine bewegliche Retro¬
flexio mit der Zeit fixiert werden müßte.
Besonders gefährdet ist die Frau in der Zeit des Wochenbettes.
Der schwere, nach hinten sinkende puerperale Uterus findet in dem
aufgelockerten Peritoneum eine vorzügliche Klebefläche. Wer ge¬
wohnt ist, am Ende eines jeden Wochenbettes die Wöchnerin darauf
zu untersuchen, wird manche Retroflexio fixata ex puerperio ver¬
hindern können.
Aber auch die perimetritisdien Prozesse können Ursache sein,
mögen sie nun septischer, gonorrhoischer, tuberkulöser, seltener lui-
scher Natur sein. Die Blinddarmentzündung spielt hier eine ge¬
wichtige Rolle. Die“ Blutkoagula einer Extrauteringravidität werden
organisiert und zu Adhäsionen gewandelt. All diese so entstehenden
Pseudobänder überspannen in allen Richtungen und Variationen den
Raum des kleinen Beckens, überziehen in erster Linie das Cavum
Douglasii, ziehen zum Mastdarm und, wie die gespannten Saiten den
Bogen, beugen sie den Uterus bei ihrem Sch rümpf prozeß nach hinten.
Daß bei diesen Adhäsionsbildungen in erster Linie die Adnexe mitbe¬
teiligt sind, ist selbstverständlich und wird bei Besprechung der Ad¬
nexe an anderer Stelle noch abgehandelt werden. So variabel wie die
Morphologie der Adhäsionen, die zur Retroflexio fixata führen, so
variabel ist ihre Wirkung auf das Befinden der Patientinnen. Findet
man bei Operationen, die aus anderen Gründen, z. B. Blinddarmope¬
ration, Bauchhöhleaschwangerschaft, ausgeführt werden, Adhäsions¬
bildungen schwerster Art, ohne daß die Patientinnen vorher jemals
über Schmerzen geklagt haben, so ist manchmal eine Adhäsion von der
Dicke einer Stricknadel imstande, die Trägerin um jede Lebens¬
freude zu bringen.
Therapie: Nur auf diese letzten beschwerdenmachenden Fälle
hat sich im allgemeinen die Therapie zu beschränken. Wer Geld,
Zeit und Geduld hat, kann durch resorbierende Diät, durch Sol-
und Moorbäder, Ruhe bei der Menstruation, Einschränkung beim
geschlechtlichen Verkehr, Prießriitzsche Umschläge, heiße Scheiden¬
duschen, Ichthyoltampons, Jodbäder der Portio 1 ), Jodeinpinselungen
des Unterleibes und einiges mehr den Zustand der Patientinnen
bessern. Solche Behandlungsmethoden ziehen sich oft über Jahre hin.
In vielen Fällen kommt man schneller zum Ziel, wenn man sich
der Thure-Brandtschen Methode, der Vibrationsmassage oder der
*) Bäder der Portio macht man in der Art und Weise, daß man ein Milchglas¬
spekulum einfuhrt, die Portio einstellt und nun 3—4 ccm des zu verwendenden Präparates
hineingießt. Nach 5—10 Minuten wird das Präparat, Jod z. B., entweder mit Watte ent¬
fernt oder, wie bei Ichthyol z. B., durch vorgelegte Wattetampons ln situ gehalten.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
32 DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT Nr
Diathermie bedient. Die Massageverfahren sind nicht ganz ungefähr¬
lich und nur bei völlig chronischen Prozessen gestattet. Aber auch
sonst bin icli kein I ieund der Thurc-Brandtschen Massage, weil
sie, wie begreiflich, manchmal nicht ohne schädlichen Einfluß auf
die Sexualpsyche der Patientinnen ist. Besser ist die Vibrations¬
massage, besonders mit dem von Stoeckel angegebenen Ansatz,
aber auch diese erfordert Zeit, Ruhe und Geduld.
Von der Diathermie habe ich in manchen Fällen wesentliche
Besserung der Schmerzen gesehen, eine anatomische Restitutio ad
integrum ist wohl nicht zu erwarten.
ln sehr vielen Fällen aber läßt sich die Operation nicht ver¬
meiden. Die runden Mutterbänder werden im Leistenkanal freigelegt,
alsdann wird mit kleinem Laparotomieschnitt der kleine Beckenraum
dem Auge sichtbar gemacht und nun unter genauer Berücksichtigung
der Adnexe, des Blinddarmes und des Intestinaltraktus überhaupt
die Adhäsionen beseitigt, durch Anziehen der schon vorher fretee-
legten Ligamenta rotunda der Uterus in die richtige Lage gebracht,
alsdann die Bauchhöhle geschlossen.
Fassen wir noch kurz die Gründe zusammen, die uns zur Ope¬
ration der Retroflexio-versio uteri fixata veranlassen, so sind dieses:
1. Fälle, bei denen aus äußeren Gründen eine längere ambula¬
torische Behandlung unmöglich ist;
2. Fälle, in denen die Retroflexio fixata Ursache der Sterilität ist;
3. Fälle, in denen die konservative Behandlung ihren Endzweck:
die Schmerzlosigkeit, nicht erreicht;
4. schließlich alle die Fälle, bei denen eine Operation sowieso
notwendig ist, wie z. B. die Typhlitis.
Alle die andern eingangs erwähnten Anomalien der Gebärmutter
bedürfen keiner speziellen Behandlung, wohl aber sind sie uns Weg¬
weiser zu anderen Erkrankungen des Genitalapparates, und sie werden
deshalb noch öfters bei diesen genannt werden.
Oeffentliches Gesundheitswesen.
Oie Alkoholfrage in Norwegen.
Von Dr. H. F. Host in Christiania.
Während des Krieges w'urde in Norwegen ein provisorisches
Verbot gegen Branntwein und Südweine (stark alkoholhaltige Weine,
wie Portwein, Sherry und Madeira) eingeführt. Diese konnten nur
als Medizin gegen Rezept erhalten werden. Das Verbot war nicht
populär, weil der Glaube an Branntwein als vorbeugendes und heilen¬
des Mittel besonders bei akuten Infektionskrankheiten auch unter
der Bevölkerung in Norwegen sehr verbreitet ist. Während dei
Influenzaepidemie in 1918 wurde der Schrei nach Branntwein so
groß, daß der Minister für soziale Fragen — obgleich er einer der
hervorragendsten Männer der Abstinenzpartei war — sich genötigt
sah, jedem Erwachsenen die Zuteilung je einer' halben Flasche
Branntwein einzuräumen.
Nach Aufhören des Krieges fand die gegenseitige Agitation ihr
vorläufiges Ende, indem man sich einigte, die Entscheidung dieser
Frage einer Volksabstimmung zu überlassen. Das Resultat dieser
Abstimmung zeigte zur Ueberraschung vieler, daß nur Vs der Be¬
völkerung für die Aufhebung des Verbots, dagegen 2 /a für seine
Aufrechterhaltung stimmte. Die “Bevölkerung der großen Städte,
besonders von Kristiania, war überwiegend verbptsfeindlich, während
die Land- und Fischerbevölkerung verbotsfreundlich war.
Diese Antialkoholpolitik hat Norwegen in sehr ernste handels¬
politische Differenzen mit den weinproduzierenden Ländern gebracht,
während anderseits der Alkoholkonsum kaum nennenswert abge¬
nommen hat, da die Selbstbrennerei sowie besonders der Schmuggel
ziemlich überhand genommen haben.
Die Alkoholverbotspolitik hat in hohem Grade die Aerzteschaft
berührt, indem die Forderung nach der neuen „Medizin“ sofort zu
Beginn sehr groß würde. Der überwiegende Teil der Aerzte hat
sich dem Verbot gegenüber loyal verhalten und Alkohol nur als
notwendige Medizin verschrieben. Ein kleiner Teil konnte aber der
Versuchung, Geld zu verdienen, leider nicht widerstehen. Einer
der ersten, der als „Branntvveinsdoktor“ sich bemerkbar machte,
bekam so großen Zulauf, daß die Polizei die „Queue“ die Treppe
hinunter und die Straße entlang in Ordnung halten mußte. Ein
anderer Arzt hat Tausende von Rezepten per Post an ganz un¬
bekannte Leute verschickt, die sich schriftlich darum an ihn ge¬
wandt hatten, und neulich wurde ein Arzt verhaftet, der sich mit
seinem „Sekretär“ in einem der im Mittelpunkt der Stadt gelegenen
Hotels „etabliert“ hatte und dort Zehntausende von Rezepten „ver¬
kauft“ hatte. Im letzten. Jahre ist jedoch so viel Schmuggelw'are
auf den Markt gekommen, daß der „Run“ auf die Aerzte nach¬
gelassen hat.
Der Aerztestand hat schon mehrmals eine gewisse Rationierung
des medizinischen Alkoholverbrauchs empfohlen, ähnlich wie das in
Schweden durchgeführte Brattsche Rationierungssystem, um die Re¬
zeptschreiberei los zu werden, aber bis jetzt vergebens.
Standesangelegenheiten.
Was kann und soll der Aerztestand von einer Aenderung
der RVO. für die Kassenpraxis erwarten?
Von S. Alexander in Berlin.
Als im Dezember 1920 auf dem Ortskrankenkassentage in Berlin
eine durch nichts begründete Kampfansage an die Aerzte erfolgte
und mit einem Male üer Schlachtruf: Gesetzliche Regelung der Arzt-
frage! ertönte, mußte man sich des Ernstes der Lage bewußt sein.
Denn die, die jenen Ruf erhoben, sind heute politisch tonangebend
und halten die Klinke der Gesetzgebung fest in ihrer Hand. Wenn
trotzdem ein volles Jahr dahingegangen ist, ehe ein Entwurf, der
der Veröffentlichung wert erschien, das Licht der Welt erblickte, so
ist das ein Beweis dafür, daß selost die im Gebrauche der Gesetz-
gebungsmaschinc bewährten Künstler bei dem Bestreben, Kranken¬
kassen und Aerzte in gleicher Weise zu befriedigen, einige harte
Nüsse zum Knacken vortanden. Und das ist weder neu, noch zu ver¬
wundern, denn die Materie ist spröde. Als das erste Gesetz über die
Krankenversicherung im Jahre 1883 erschien, war die Regelung des
ärztlichen Verhältnisses zu den Versicherungsorganen durch einen
kurzen Satz erfolgt: „Als Krankenunterstützung ist zu gewähren von
Beginn der Krankheit an freie ärztliche Behandlung.“ Mit dieser lapi-
daien Vorschrift waren Kassen und Aerzte zufrieden, letztere sogar
so weit, daß eine Berliner Standesorganisation sich weigerte, in eine
Erörterung über das Krankenversicherungsgesetz einzutreten, „weil
dies nur die (fixierten) Gewerksärzte angehe“. Nun, diese An¬
schauungen haben sich mit der Ausdehnung der Krankenversicherung,
mit der elenden Vergütung, mit der brüsken Willkür der Kassen¬
vorstände bei Begebung der Kassenarztstellen, der Heranziehung
von Kurpfuschern zur ärztlichen Behandlung recht schnell geändert,
und noch bevor die erste Novelle im Jahre 1892 in Kraft trat, war
auf der ganzen ärztlichen Linie nicht nur der Ruf nach freier Arzt*
wähl, sondern der Ruf nach gesetzlicher Festlegung der freien Arztwahl
erschallt. Dieser Wunsch, der sich mit der Forderung eines großen
Teils der Kassenmitglieder deckte, ging nicht allein nicht in Er¬
füllung, sondern erzeugte, wie so häufig, einen wirksamen Gegendruck,
der zu dem ominösen § 6a der Novelle führte. Hiernach wurden
die Versicherungsorgane ermächtigt, zu beschließen, daß die ärztliche
Behandlung nur durch bestimmte Aerzte zu gewähren ist und die
Bezahlung der durch Inanspruchnahme anderer Aerzte entstandenen
Kosten, von dringenden Fällen abgesehen, abgelehnt werden kann.
Als Pilaster auf die Wunde wurde den Versicherten zugestanden,
zu beantragen, daß noch weitere als die bestimmten Aerzte heran¬
gezogen werden können, wenn durch die von der Kasse getroffenen
Anordnungen eine den berechtigten Anforderungen der Versicherten
entsprechende Gewährung jener Leistungen nicht gesichert ist. Und
damit mit dieser Vergünstigung nicht etwa Mißbrauch getrieben
wurde, lag die Entscheidung nach Anhörung der Kasse und der
Aufsichtsbehörde bei der höheren Verwaltungsbehörde. Die Novelle
von 1903 brachte keine Aenderung, wohl aber die durchgreifende
Neubearbeitung der Reichsversicherungsordnung des Jahres 1914. Hier
wurden neue Bestimmungen getroffen für den Fall der Auflösung
und Schließung von Kassen über die Verträge mit Aerzten, über die
Entschädigungspflicht bei Vereinigung von Kassen, während das Ver¬
hältnis zu den Aerzten in einem besonderen Abschnitt ausführlich ge¬
regelt wurde. Verlangt wird ein schriftlicher Vertrag. Den Ver¬
sicherten soll, soweit es die Kasse nicht erheblich mehr belastet, die
Auswahl zwischen mindestens zwei Aerzten freistehen. Wenn der
Versicherte die Mehrkosten selbst übernimmt, steht ihm die Auswahl
unter allen von der Kasse bestellten Aerzten frei. Die Satzung kann
bestimmen, wann der Behandelte den Arzt mit Zustimmung des Vor¬
standes wechseln darf. Bei Gefährdung der ärztlichen Versorgung kann
das Oberversicherungsamt die Kasse ermächtigen, statt der ärztlichen
Behandlung Barleistung zu gewähren. Das Oberversicherungsamt
kann zugleich bestimmen, wie der Zustand dessen, der die Leistung
erhalten soll, anders als durch ärztliche Bescheinigung nachgewiesen
weiden darf, auch daß die Ueberführung in ein Krankenhaus erfolgen
darf ohne die sonstigen Voraussetzungen der Krankenhausbehandlung.
Genügt die ärztliche Behandlung durch die bestellten Aerzte nicht,
so kann das Oberversicherungsamt die Leistung durch andere Aerzte
anordnen. Endlich ist noch zu erwähnen, daß unter ärztlicher Be¬
handlung die Behandlung durch approbierte Aerzte zu verstehen ist.
Ueberblickt man die Summe der gesetzlichen Bestimmungen über
ärztliche Behandlung, so erkennt man unschwer, daß sie ausnahmslos
dazu dienen sollen, den Versicherten die ärztliche Behandlung zu
sichern und den Kassen die Durchführung ihrer Aufgaben zu ermög¬
lichen. Das ist ganz naturgemäß, denn die Versicherungsgesetzgebuug
ist nicht dazu da, um den Aerzten ihre eigenen Rechte zu schützen
oder gar ihnen Vergünstigungen oder Privilegien zu gewähren. Stellt
man sich auf diesen staatsrechtlichen Standpunkt, so wird man ver¬
stehen, daß für die Aerzte qua Versicherungsgesetzgebung zweierlei
zu beachten ist: einmal, nur solche Forderungen für das Gesetz zu
stellen, welche auch im Interesse der Versicherten oder der Kassen
liegen, und sodann, darüber zu wachen, daß nicht durch die Ver¬
sicherungsgesetzgebung ihre eigenen staatsbürgerlichen Rechte ver¬
kümmert werden. Darüber hinaus gesetzliche Bestimmungen anzu¬
streben, die nur im Interesse der Aerzte liegen, ist unbillig und
wird an dem Widerstande des Gesetzgebers scheitern. Einige wich-
Digitized fr
»v Google
-Griginrdl from
CORNELL UNÜVERSITY
5. Januar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
33
•ÜT z !i ,che . Ford ^rungen Hegen offenbar auch im Interesse der
versicherten, insbesondere die freie Arztwahl. Es muß indes in
a* 1? C u cht - r buchenden Verhältnisse zugegeben werden, daß die
Autnahme dieser Forderung in das Gesetz nicht bedingungslos ge-
uj- n * ami unc * Sicherungen umkleidet werden müßte, die eine
Verkümmerung der Freizügigkeit und der freien Wahl des Berufes
nach sich ziehen könnte. Hier wird eine mittlere Linie einzuhalten
sein und dafür gesorgt werden müssen, daß mindestens den Ver¬
sicherten eine viel größere Zahl von Aerzten zu Gebote steht, als
- * £^" e *jde Gesetz zuläßt. Ob die Festlegung der Gebühren für
ärztliche Leistungen in das Reichsgesetz gehört, ist sehr zweifei-
%- U a lm * Intere ? se der Kassen und der Versicherten läge es,
^ A 5 rZt< V g l ,t hon oriert würden, aber eine Formel zu finden,
durch die die Gebühren auch nur für absehbare Zeit festgelegt
! e . rden ’ e fschetnt bei den jetzigen Wertverhältnissen unausführbar,
.ff ef * hr,, ch l , auch nur generell im Gesetze Instanzen zu
d J e e .} nseitl S darüber zu befinden haben. Unannehmbar
lur den Mand waren alle gesetzlichen Bestimmungen über den Ver-
30 sich » v ° n zweifelhaftem Werte Bestimmungen über die Be-
f ung - VOn .Stetigkeiten aus dem Vertrage, denn letzten Endes
wuiaen sie eine Einschränkung unserer staatsbürgerlichen Rechte
„I 1, Unda - s « e gesetzlich verankert wären, würde eine Aende-
apeff i T T lt ß roßten Schwierigkeiten verknüpft sein. Auch die
u* ^* nei ti ;5 ,inu, ]& der heutigen ärztlichen Spitzenorganisationen
vare nicht denkbar, denn ihnen fehlt die gesetzliche Grundlage so
lange, als wir nicht ein deutsches Aerzterecht haben.
, wir n . l,n den Entwurf eines Gesetzes zur Regelung
des Verhältnisses zwischen Aerzten und Krankenkassen, wie er der
gemeinsamen Verhandlung zwischen Kassen und Aerzten unter Vor-
f“ z . ae ? 1 Kelchsarbeitsministeriums zugrundegelegt worden ist, so
ist zunächst festzustellen, daß die Bestimmungen der RVO. über den
f 2 * 2 3rZ x. IC . ien Behandlung durch Barleistungen und über den
• w« ärztlichen Bescheinigungen durch andere Nachweise, die
eine vtaffe gegen die etwaige Unbotmäßigkeit der Aerzte darstellen,
r 1 !? in dem Entwürfe sich wieder vorfinden, jedoch mit der wesent¬
lichen Verschlechterung, daß, während die RVO. die Anordnung der
Barleistung statt der ärztlichen Behandlung durch das Oberversiche-
rungsamt vorsieht, dieses Recht auf den Kassenvorstand übergeht.
Wenn auch das Schiedsamt endgültig entscheidet, so kann doch
. , . d»e subjektive Auffassung eines Kassenvorstandes schon recht
viel Unheil angerichtet werden. Einen sehr breiten Raum nehmen
me Autsichtsorgane, Vertragsausschüsse und Schiedsinstanzen in dem
Entwurf ein, deren Aufnahme in das Gesetz wir, wie schon erwähnt,
mit großer Skepsis betrachten. Eine überragende Machtfülle ist
dem Reichsausscnusse zugedacht. Er ist zwar paritätisch zusammen¬
gesetzt, aber an der Spitze stehen zwei Beamte des Reichsarbeits-
ministeriums, die natürlich im Streitfälle den Ausschlag geben. Der
Reichsausschuß kann und darf alles, er stellt zwar nur Richtlinien
auf, aber diese umfassen den ganzen ärztlichen Betrieb, Zulassung
der Aerzte, allgemeinen Inhalt der Verträge, Vergütungen, Maßnah¬
men gegen übermäßige Inanspruchnahme der Aerzte, geeignete Ver¬
teilung der Kassenärzte usw. usw. Es erregt die höchste Verwunde¬
rung, daß die bei den Verhandlungen tätig gewesenen ärztlichen Mit¬
glieder hiergegen nicht Widerstand geleistet haben. Sollte cs zu einer
gesetzlicher Festlegung dieser Vorschläge kommen, so muß min¬
destens zum Ausdruck gebracht werden, daß die Richtlinien keine
bindende Kraft haben. Die übrigen Bestimmungen entsprechen im
großen und ganzen den Bestimmungen des Berliner Abkommens,
welches durch freiwillige Vereinbarung zwischen Kassen einerseits
und dem Deutschen Aerztevereinsbunde und dem Leipziger Ver¬
bände anderseits Ende 1913 abgeschlossen worden ist und noch bi*
31. XII. 1923 läuft. Insbesondere das Arztregister, der Vertragsaus
schuß und die Schiedsinstanzen sind nach diesem Vorbilde entvvorfen
Wird also der Entwurf Gesetz, so wird er nicht viel anderes um
jedenfalls nichts Besseres bieten, als jetzt durch freie Vereinbarung
Geltung hat. Die einschränkenden Bestimmungen der Reichsver
Sicherungsordnung bleiben, die Wünsche der Aerzte, insbesondere di’i
gesetzliche Festlegung der freien Arztwahl, erfahren keine Berück
sichtigung, die Bildung des Reichsausschusses und die Machtvoll
kommenheit seiner Aufgaben bedeuten eine wesentliche Verschlechte
rung des Berliner Abkommens. Dazu kommt der Zwang der gesetz
Ziehen Festlegung für unabsehbare Zeiten gegenüber der freien Ent
Schließung über eine Vereinbarung mit begrenztem Termin. End
lieh aber droht noch die Gefahr weiterer gesetzlicher Eingriffe zu
ungunsten unseres Standes. Die • berufenen Organisationsvertretei
sollten sich daher, so lange es noch Zeit ist, gegen jede gesetzliche
Regelung aussprechen und ihren Einfluß aufbieten, um dem Reichs
tage mindestens die Nutzlosigkeit der Gesetzesänderungen für die
Versicherten klar zu machen. Sie sollten darauf hinweisen, daß die
freie Vereinbarung , mögen ihre Mängel auf beiden Seiten noch sc
erheblich sein, der Wesenheit der beiden Parteien besser entspricht
vier gesetzliche Zwang. Sollte jedoch die Mehrheit der Reichs-
\ja.\ysn\\tgUeder der Forderung der Kassen nach gesetzlicher Regelung
WÄcVvgeben, dann muß der Versuch gemacht werden, das Gesetz sc
umzugestalten, daß es den Versicherten nützt und den Aerzten nicht
schadet. Die Kassen aber, als öffentlich-rechtliche Körperschaften, seien
gewarnt. Als ihnen gleichberechtigte Faktoren und als Träger eines
freien Berufes werden die ärztlichen Organisationen stets bereit sein,
mit ihnen eine Arbeitsgemeinschaft zu bilden und an der Förderung
ihrer sozialen Pflichten teilzunehmen. Gesetzlich eingeengt aber und
mit Mißtrauen behandelt, können die Aerzte die Aufgaben, an denen
mitzuwirken sie an erster Stelle berufen sind, nicht mit der Freudig¬
keit erfüllen, die ein freier Beruf braucht. Am Bogen, der zu straft
gespannt ist, platzt die Sehne, und dann? — Meinen die Kassen im
Ernst, daß der Ersatz der ärztlichen Behandlung in natura durch
Barleistungen oder der Ersatz ärztlicher Bescheinigungen durch solche
von Kurpfuschern oder behördliche Zwangsmaßnahmen die Sozial¬
versicherung zu fördern vermögen?
Brie! aus St. Louis.
Im ganzen scheint die Hetze Kegen die deutsche Wissenschaft
und ihre Vertreter jetzt endlich allmählich nachzulassen. Nicht
nur bringen die medizinischen Zeitschriften wieder regelmäßig ihre
Auszüge aus der deutschen medizinischen Literatur und Korrespon¬
denzen aus Berlin und Wien, sondern sie gedachten auch Helm-
holtz’ und Virchows gelegentlich ihrer Hundertjahrfeier in durch¬
aus anerkennenden Worten. Dazu kam der Besuch von Einstein,
der ganz hervorragend gefeiert wurde, und der von Dr. Karl
Lindner aus Wien, der auch hier in St. Louis einen beifällig auf¬
genommenen Vortrag hielt, und nach und nach kommen andere Ver¬
treter deutscher Wissenschaft auf Einladung herüber. Um so un¬
angenehmer berührt es, daß das mit Recht hochangesehene Smith-
sonian Institute in Washington in seinem soeben erschienenen Jahres¬
berichte einen Nachruf auf den verstorbenen englischen Chemiker
Sir Wm. Ramsey aus der Feder eines Franzosen abdruckt, in dem
sich Stellen finden wie diese: Einige wenige Deutsche haben die
höchsten Gipfel erreicht und verdienen allgemeine Bewunderung,
aber trotz dieser brillanten Ausnahmen kann man sagen, daß Origi¬
nalität nie Sache der deutschen Rasse war: ihre Aufgabe war es,
Erfindungen auszubeuten und Entdeckungen anderer nutzbar zu
machen. Die größten Leistungen wissenschaftlichen Denkens ver¬
danken wir nicht den Deutschen, und eine Beschränkung ihrer Tätig¬
keit würde nur die Welt von einer Flut von Mittelmäßigkeiten be¬
freien. — Natürlich findet sich in dem Artikel auch wieder die
Redensart, daß der Weltkrieg ein Kampf der Zivilisation mit der
Barbarei war usw.
Es verlohnt sich wirklich nicht,’ weiter darauf einzugehen. Auf¬
gabe der deutschen Wissenschaft aber wird es sein, der Welt zu zeigen,
daß sie immer noch leistungsfähig ist und selbst mit geringeren Mitteln
zu arbeiten versteht, ohne Liebedienerei gegen das Ausland, aber
auch ohne Entgleisungen daheim, an denen es, wie es scheint, in
den letzten Jahren an den deutschen Universitäten nicht gefehlt hat,
worauf ich schon früher hingewiesen habe. Daß Belgien und Serbien
jetzt ihre wissenschaftlichen Vertreter hierher schicken, um ameri¬
kanische Einrichtungen kennenzulernen, braucht nicht weiter wunder¬
zunehmen, da hier allerdings riesige Geldmittel für wissenschaftliche
Institute aller Art aufgewendet werden.
Die Verleihung des medizinischen Doktortitels an General Luden¬
dorff seitens der medizinischen Fakultät der Universität Königsberg
hat hier eigentümlich berührt, beinahe noch mehr ihre Begründung.
Man urteilt im Auslande doch über manches anders, wenn auch viel¬
leicht nicht immer gerechter. Der Aufforderung der M. m. W , dieser
Verleihung und ihrer Begründung weiteste Publizität zu geben, sind
die hiesigen Zeitschriften und Zeitungen mit wahrer Wollust nach-
gekominen. Ob Deutschland und der deutschen Wissenschaft mit
der Angelegenheit gedient ist, ist allerdings eine andere Frage.
Von den vielen Kollegen, die wegen ihrer UebersiedlunK nach
dfen Vereinigten Staaten an mich geschrieben haben, hat sich, soviel
ich weiß, bisher nur einer entschlossen, zum Frühjahr hierherzu¬
kommen. Die Furcht vor dem Examen und der niedrige Stand der
deutschen und österreichischen Währung, die das Reisen so sehr ver¬
teuert, scheint die anderen nicht zu einem Entschluß kommen zu
lassen. Wer eine gute Praxis hat, sollte natürlich daheim bleiben,
denn man ist hier auch nicht auf Rosen gebettet. Wer sich erst
eine Existenz gründen will und muß und die nötigen Bedingungen
erfüllen kann, der mag es schon wagen, obgleich ich durchaus nicht
jedem zuraten möchte, ohne ihn persönlich zu kennen. Die deut¬
schen Aerzte, die hier sind, haben beinahe alle ihren Kampf gehabt,
bis der Erfolg kam, und ohne Kampf geht es hier auch nicht. Immerhin
bin ich nach wie vor zu jeder Auskunft bereit, obgleich viele Kol¬
legen, wie es scheint, ganz und gar keine Ahnung von hiesigen Ver¬
hältnissen haben. Wenn aber Aerzte und, nebenbei bemerkt, Künstler
hoffen, daß bei den vielen Sammlungen, die von den Deutschen hier
noch immer veranstaltet wurden, meistens für Anstalten und Kinder
in Deutschland, es möglich wäre, ihnen mit Reisegeld und noch mehr
auszuhelfen, so sind sie in einem Irrtum befangen.
Die erste Woche im November wurde im ganzen Lande als
„Cancerwoche 4 * bezeichnet, und in allen größeren Städten wurden
von berufenen Fachleuten Vorträge gehalten, teils vor Aerzten, teils
vor dem allgemeinen Publikum, das zahlreidi erschien, in denen
darauf hingewiesen wurde, wie wichtig es schon die ersten An¬
fänge des Cancers zu erkennen und sofort e'umigreiten, wo
die Aussichten auf vollständige Heilung n^\ ^ seien, ln der
Behandlung, darin schienen alle Autoritä ^ smelt
noch immer die onerative Entfernung die oo\\^ N^nium
und die Röntgenstrahlen bedeutend nach^^^,^
die Nachbehandlung angezeigt. Man
* V
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
' 1 DEGT'GHF MEDIZIN;
J<r,f a.’t v. *r> A ;;T‘- •-j jr, ;r.*-nr -u -. :.* rn Lar.de ^ij*r Verb!: Jikeit
y-‘- d K.v.'-rr. b ! d r * '-r war. Da \k!': dieser
'1 '-'O ' *;• " ' G. /• ‘ :••• ‘.‘ri.-o den Frauen
V* A. e ; /j G'-by':. wo erfahren kennen, wie sie
• ■ - -; : r' "i r h'r;v.a:.;**T-.eha?t /y v'-rfcaben haben, 1,'rm- und
B .''Je.v; - A:n/',- ..'-rß-r. ;hans Her/ gelegt und ihnen
d '• j r ner A hH der Lr;*b:rrJun:/ und im Wo dien-
G r /.■* f * ; t v. o! • rie ht /u be/weffeG, dab auch diese
An?/' t v. ' r i- r /«•:* ;.nre I r j'.h’e tragen wird.
s«f f,‘d Htaa‘ -et/yebur. v'-n. darunter au eh die des Staa¬
tes ,V.; v-:< d;e-."s Jahr (je*"t/e angenommen, die es den
A' r/t. i v, H'-narr.nnen b'-i seh.-.'-rer S’rafe /ur Piiidit mic!vn, die
AMfe« eiae* jede« Nf»feb*re«e« prophylaktisch mit eiier Silber-
Ufunx zu hehaotelo. f.\ steht /u erwarten, daß mit der Zeit da*
d' d f r hi:.*:den D-tr*'hriich abnehm»-n wird. Ls ist
~-v-r i.-/> - h- > A für h'»--iye V'erhaltrii*.se T daß die Gesundbeter (Ver-
*" ’* d-r b: r.'-.’n?! v . eil b'rojßiyt fühlten, diese Gesetze
n . / .r, >. y:>:t zu be/ampb-.n, ali*-rd:uy s ohne Erfolg. 1 eher*
'< '* Grr/n* h.'r ro•U"rd:r i p •> ein au y" breitete s Quack ».alberUim,
n • 4 ; U'.t*r .n'-ij' n Narre n auffnrt und trotz aller Anstrengungen
d'r Aerz f e f;* au*/uro‘te n j.f. Das Neueste auf diesem Gebiete
• d d‘- Gboopra'Gr-., die wie pjj/e aus der Erde herausschieben
«. d ai.e Krau, ru iti-ri davon ahb-io n, daß sich ein Wirbel verschoben
har, 4 a ;i r-ini-n N'-rven driuke. f.s genüge, diesen Druck zu
b'- < *<. uni Appf-ndi/iii■>, Gallenleiden, Nervosität, Verstopfung
um] was v>fint nuht alh-s irn Handumdrehen zu heilen. Wie stark
das l ebe] hu r verbreitet ist, geht aus der einfachen Tatsache hervor,
«Jab it, St I Oius allem ;/e ; ,,- M 700 solcher Heiler, bei etwa 1000
Aer/feri, vorhanden sind. Wenn wir auch mehr als einem das Hand¬
werk j'ejeyt haben, vermehren sie sich doch wie die Köpfe der
llvdia
Nimmt man dazu die Unsitte des Publikums, bei jeder Gelegen¬
heit Latentmedj/men zu schlucken, die mit großer Reklame angezeigt
werden, so ist es kein Wunder, wenn darüber geklagt wird, daß der
ar/tlu he Beruf in den Städten überfüllt sei. Auf dem Lande da-
j/ryen wirr! mehr als je über Mangel an Aerzten geklagt und, wie cs
■ f heult, mit Recht.
Seit «Jem 1 nde des Krieges haben ‘die Gesundheitshehörden der
versr hiedenen Staaten mit der Unterstützung der Regierung mehr
»i* 400 Polikliniken errichtet zwecks Bekflmpfaag der Geschlechts¬
krankheiten, da diese eine Gefahr für das Land zu werden schienen,
wie man behauptet. Die Regierung hat 2 500 000 Dollars für diesen
Zweck angewiesen und die einzelnen Staaten die gleiche Summe.
In diesen Polikliniken werden die nötigen Medikamente umsonst
oder zum Kostenpreis abgegeben und die neuesten Methoden der
Wissens« halt angewendet, da sonst viele Kranke überhaupt nicht
behandelt würden oder doch nicht genügend. In den letzten zwei
Jahren wurden über 200 000 Personen behandelt. Im Jahre 1920
wurden 1»/.» Millionen Behandlungen vorgenommen. Es wird mit
lö’cht betont, daß die GesrhleuJitskrankheiten nicht nur ein Unglück
hü' die davon Befallenen, sondern auch eine Gefahr für ihre nähere
und fernere (’mgcbimg seien. So betritt der Staat auch hier, im
I and«? des Individualismus, jetzt Gebiete, die man noch vor kurzem
als außerhalb seines Wirkungskreises liegend bezcichriete. Da diese
staatlich«* fütigkeit fortwährend im Znnehmen begriffen ist, werden
sich die praktischen Aer/te wohl oder übel damit abfinden müssen,
so schwer di«*s ist. Ls ist eben das auch eine Folge des Krieges,
d«*r hier so manche Neuerung gebracht hat, deren Ergebnisse sich
noch nicht klar erkennen lassen.
Im Gegensatz dazu ist es allerdings mit Freuden zu begrüßen,
daß die Regierung eine größere Summe ausgesetzt hat, um genaue
Untersuchungen anzusfeilen über die Verunreinigung der Flusse
ihre Selbstreinigung und über Pläne, sie so gut wie möglich zu
reinigen. Wenn man bedenkt, daß die Riesenstadt Chikago ihren
Unrat mittels eines Kanals, der den Michigansce mit dem Illinoisflttß
verbindet, diesem Fluß zuführt und dadurch dem Mississippi, aus
«lein St. Louis und andere Städte ihr Trinkwasser beziehen, so ist
huht «‘in/useheu, daß es sich hier um ein hygienisches Problem
H ier Ordnung handelt.
Im Anschluß an solche Erwägungen waren alle Dampfer, die
auf Nüssen und den großen Seen verkehren, diesen Sommer au-
l'i halten für durchaus einwandfreies Trinkwasser zu sorgen, wodurch
swherluh manchem Fall von Typhus vorgebeugt wurde.
S i m o n (St. Louis).
-GHE VE 'OG H EN SG H PI FT Nr. \
1 Bericht über Besichtigung von UaterVnnftsstittea für
Wolgaflöchtlinge in Petersbarg (17. XI. I92I). 1 )
7 -r Kc--.-:s der Le* der FÜdnK,«
v -rde* am 17. XI d U . - rr..r in (Wo-
■‘■W tu '..*.: 1. r/.:r-.r.-ir--:-_er rer F..:- -je. 2. Kranken,
r.-e .-rr: a« .n. bi \’-.-n-e .j-.'-.-i: ;n. i FliAtlmi«.
iver. t v.-.!:he . n drr^ Zerjftf-Tvüe d.-~ Gesundheiu-
A-..; ': f! ;h b- ; ' J-r, - :h :r. Pe*r rrid t: * a 2 ;. r » n Flücht-
däver. ef. a (/**> :r. c-.n KTir.kenhiusern
t'r*erk :-:*:^*:**er: G.v.h A-y-r-n v r. Dr. Sc ko! nwa». Aus-
sch!:‘r."...:h vom War-thvjcr fGhch A gehr.yen sie in zusammen-
j/'-Afl’y'-n Ab:e:!.:ryt:n :n d:e Dnrchya*:js!ayer. z. B. in das Hospi¬
tal P/5 oder das f-rm:! v. v:be Djr:hyjryslager (Ecke der
, 5. Roshd# st'.ven-ka;a urd L:y' vka. in einem ehemaligen Schulde-
bändep Wenn d:e Fluchtlmge h:.-r ar. inyen. ihnen die Möglich¬
keit geboten v. er Jen. v.;h z*j waschen: die KIe:dung*stücke werden,
soweit es moyi eh i-t. gesäubert. d:e Vi a-che desinfiziert. Das Ge¬
bäude. die Einrichtung und das Inventar sind mehr oder minder voll¬
ständig von dem Krankenhaus übernommen, das sich in dem ehe¬
maligen Schulgebäude befand. Daraus erklärt sich die einigermaßen
erträgliche Aufenthalt-moylichkeit der Flüchtlinge, wenn man natür¬
lich das Fehlen von Seife und den Mangel an Heizmaterial nicht in
Betracht zieht GU Bespiel wäre die Zimmertemperatur in dem
Bade raum anzuführen, die 15 m:ht ubersteigt, ein Umstand, der die
Flüchtlinge vor dem Baden leicht zuruck-^chrecken und gänzlich auf
ein Bad verzichten laßt, zumal da viele Flüchtlinge ihre gewohnten
russischen Badestuben verrussen und sich dem vorhandenen Brause¬
bad zu entziehen suchen), ln diesem Krankenhaus finden sich Ab-
tf.-ilurg'en Jur Kranke und für Gesunde. In den ersteren finden sich
auf den Schlafstellen Matratzen. Kissen und Decken; die Gesunden
besitzen solche nicht, sie müssen einfach auf Holzpritschen oder
Drahtmatratzen liegen. Ihre Sachen befinden sich bei ihnen oder
liegen auf dem Fußboden umher.
Der Zustand in diesem Krankenhaus ist nur insofern als leidlich
zu bezeichnen, als der Wunsch der Verwaltung, bessere Verhältnisse
zu schaffen, unverkennbar ist, trotzdem man wegen des Mangels an
Hilfsmitteln in jeder Beziehung auf Schwierigkeiten stößt. Die
größte Not zeigt sich vor allem im Mangel an Heizmaterial (das
völlige Fehlen von Holz ist eine häufige Erscheinung) und an
Seife; die Flüchtlinge sind der Möglichkeit beraubt, sich zu waschen;
vom Waschen der Körperwäsche kann überhaupt keine Rede sein.
Bei meiner Ankunft bekam ich einige Flüchtlinge zu sehen — ihre
Stimmung ist natürlich äußerst niedergeschlagen, ihre bleichen und
mageren Gesichter sprechen von den Leiden, die sie durchzumachen
hatten, dürftige Kleiderfetzen umhüllen ihren durch Hunger und
Not geschwächten Körper. Eine der schlimmsten Plagen sind die
Läuse; die Flüchtlinge klagen, es sei ihnen auf keine Art und
Weise möglich, sich von ihnen zu befreien.
So ein Durchgangslager beherbergt vorübergehend etwa 500
Flüchtlinge, doch ist der Zugang fast immer größer, und aus diesem
Grunde ist oft eine gewissenhafte Versorgung der Flüchtlinge nur
in ungenügendem Maße möglich.
Von hier aus, d. h. aus diesen Durchgangslagern, werden die
Flüchtlinge in das Smolnner Krankenhaus übergeführt. Hier bleiben
sie eine gewisse Zeit in Quarantäne, dann gelangen sie in die
Flüchtlingsunterkunftsstätten. Die Quarantäne dauert zwei Wochen.
Die kranken Flüchtlinge werden in Rettungswagen (offene Lastautos)
in die städtischen Krankenhäuser befördert, die gesunden schickt
man von dem Vcrteilungslager (2. Abteilung des Krankenhauses) auf
Arbeit und bringt sic in Asylen unter.
Im Smolnaer Krankenhaus ist die Lage der Dinge noch schlechter
als im Durchgangslager 165. Auch hier herrscht eine empfindliche
Kälte, die Niedergeschlagenheit der Flüchtlinge ist groß. Es fehlt
an Wäsche, Essen und Arzneimitteln. Eine Renovierung des Ge¬
bäudes wäre dringend erforderlich, vor allen Dingen müßten Wasser¬
leitung, Abflußrohre, Beleuchtung instand gesetzt werden. Aeußerst
fühlbar wird der Mangel an ausreichenden Desinfektionsmitteln, es
fehlen neue Desinfektionsapparatc, die zur Verfügung stehenden
alten Apparate bedürfen dringend der Reparatur. Im allgemeinen
ist der Eindruck noch erheblich ungünstiger als in den ersten von
mir besichtigten Durchgangslagern.
Der traurige Zustand in den Durchgangslagern findet natürlich
seine Erklärung einerseits in dem Mangel an allen möglichen not¬
wendigen Dingen, anderseits aber auch in der unsachgemäßen Ver¬
wendung der Rettungs- und Krankentransportwagen. Viel Infektions¬
kranke werden zurückgehalten, obgleich die für sie bestimmten Isolier¬
baracken eine äußerst primitive innere Einrichtung besitzen und eine
Uebertragung der Krankheiten auf Gesunde zur Tagesordnung gehört.
Die kleinen, ungeheizten Räume, überfüllt mit Flüchtlingen (bis
zu 12 Personen im kleinen Zimmer), Gesunde und Sterbende, in¬
fektiöse und nichtinfektiöse Erkrankte, Männer, Frauen, Kinder —
alles durcheinander. Kälte, Hunger und Feuchtigkeit, alt und jung
in Lumpen gehüllt, in derartiger Bekleidung müssen die Gesunden
zur Arbeit gehen. Die ärztliche Hilfe ist ungenügend organisiert; es
mangelt an Aerzten (auf 500 Flüchtlinge 1 Arzt), und anderes Hilfs-
>) Vom „Russischen Hilfswerk des Deutschen Roten Kreuzes“ zur Veröffentlichung
übersandt.
Digitized by
Gck igle
—Original ffom -
CORNELL UNSVERSITY
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
35
5. Januar 1922
perscnal fehlt überhaupt. Dies erklärt sich wiederum aus der ent¬
setzlichen Notlage der Angestellten, es fehlt ihnen selbst an aus¬
reichender Ernährung. Der Koch an schwerer Tuberkulose erkrankt,
der Arzt erschöpft, der Heilgehilfe halb verhungert.. Medizinische
Hilfsmittel sind nicht vorhanden. Die Abortanlagen sind unbenutzbar.
Der Kampf mit dem Elend und der Infektionsgefahr ist bei der
niedrigen Kulturstufe der Flüchtlinge äußerst schwierig. Auf Schritt
und Tritt stößt man auf Unverstand, völliges Verkennen der Gefahr
und eigensinniges Beharren.
Unter den Flüchtlingen sind viele Tataren und Tschuwaschen,
die kein Wort Russisch sprechen und denen eine Verständigung mit
dem russischen Dienstpersonal unmöglich ist.
Einige von den Flüchtlingen richten an uns die Bitte, es möchte
ihnen doch die Möglichkeit gegeben werden, sich in einer warmen
Badestube mit Seife zu waschen, frische Wäsche anzuziehen. Ob¬
schon sie vom Essen nicht sprechen, ist mit Sicherheit anzunehmen,
daß ihre Ernährung äußerst kärglich ist und dringender Aufbesserung
bedarf. Die Tagesration im Smolnaer Krankenhaus ist folgende:
Kartoffeln 506 g, Grütze 64 g, Salz 12 g, Fett 16 g, Konserven 32 g,
Brot 1 Pfd. == 400 g, Zucker 12 g.
Von seiten der Aerzte' und der Verwaltung wurde an uns die
Bitte gerichtet, in erster Linie für eine Versorgung mit Wäsche,
Seife und Arzneimitteln Sorge tragen zu wollen.
Nach dem Smolnaer Krankenhaus wurde von mir die Unter¬
kunftsstätte in der Starorusskaja 5 besichtigt. Die Lage der un¬
glücklichen Flüchtlinge war hier so bejammernswert, daß es fast
den Eindruck machte, als seien die in den beiden anderen Stellen
untergebrachten Leidensgefährten diesen Unglücklichen gegenüber
zu beneiden. Vor allem war das Haus, eine alte Mietskaserne, für
die Unterbringung der Flüchtlinge insofern völlig ungeeignet, als
es von oben bis unten einer völligen Instandsetzung bedurfte. Unter
den gegebenen Verhältnissen erschien ein Bewohnen dieses Hauses
kaum denkbar.
Kinder, Frauen, Männer sind zum Teil in gemeinsamen Baracken
untergebracht, auch ihr Hab und Gut befindet sich bei ihnen. Hier
trocknet die noch feuchte gewaschene Wäsche, trotz strengen -Ver¬
botes. Besondere Baracken sind für Waisenkinder vorgesehen, deren
Eltern unterwegs gestorben sind. Hier macht sich der äußerste
Mangel an Körper- wie auch an Bettwäsche bemerkbar. Die Kinder
sind vielfach ohne Stiefel, ohne warme Kleidung, ohne die not¬
wendigen Dinge, verwahrlost, unsauber und halb erfroren.
Um nicht die fünf Treppen hinabzusteigen, verrichten die Flücht¬
linge nachts ihre Notdurft, wie mir gezeigt wurde, im Korridor, im
Zimmer neben ihren Betten. Die Hauptarbeit der Vorsteher des
Heimes besteht darin, daß sie die Flüchtlinge dazu anhalten, die
Fußböden der Zimmer und Korridore wieder zu säubern.
Not, Elend und Schmutz herrscht hier in jeder Beziehung. Es
mangelt an Lebensmitteln, Kleidung, Seife, Arzneimitteln, Heizmaterial.
Das Gebäude bedarf einer vollständigen Erneuerung. Rauchfänge und
Ofen sind in völliger Unordnung. Es wurde um elektrische Lampen
gebeten, die elektrische Leitung ist zwar gelegt, doch fehlen die
Lampen, und die Unglücklichen verbringen den größten Teil des
Tages in völliger Finsternis, ohne Beschäftigung, hungernd und
frierend.
Die Tagesration ist folgende: Brot 400 g, Zucker 12 g, Tabak 12g,
Fett 16 g, Kartoffeln 306 g, Bohnen und Grütze 64 g.
Kinder bis zu 3 Jahren erhalten dazu: Reis 48 g, Zucker und
Salz 12 g.
Kinder von 12 bis 3 Jahren werden außerdem von amerikanischen
Küchen versorgt.
Unter diesen Verhältnissen leben die Flüchtlinge, die von der
Verteilungsstation des Smolnaer Krankenhauses nach Ablauf der
Quarantäne hierher übergeführt werden. In ein und demselben
Zimmer sterben Unglückliche, während Kinder geboren werden, er¬
kranken andere, ohne wohl je die Aussicht auf Genesung zu haben.
Augenblicklich sind in der Starorusskaja 5 etwa 500 Leute unter¬
gebracht, es wird jedoch beabsichtigt, die Zahl auf 2000 zu er¬
höhen. da ständig neue Flüchtlinge in Petersburg eintreffen.
Die Besichtigung dieser Zufluchtsstätten der Flüchtlinge machte
ich mit Erlaubnis des Kommissars Dr. Perwuchin und in Be¬
gleitung des Kommissars Dr. Antonowsky, des Bevollmächtigten
der Städtischen Abteilung für Gesundheitswesen und Frl. Ostrowa.
Am nächsten Tage besichtigte ich noch einige Unterkunftsstätten
im 10. Petersburger Bezirk. In jedem der 10 Bezirke befinden sich
über die ganze Stadt verstreut 5—6 solcher Unterkunftsstätten. Eine
nähere Beschreibung erübrigt sich, da sie alle dasselbe Bild boten.
\ ur in einigen Zimmern waren von den Flüchtlingen selbst er¬
richtete Oefen vorhanden, die die Räume notdürftig erwärmten.
Die Anspruchslosigkeit der Flüchtlinge geht so weit, daß sie durch
diese geringe Annehmlichkeit scheinbar schon zufriedengestellt sind.
mit Bestimmtheit verlautet, sollen in allernächster Zeit, ab-
«■'eseVveu von den Militärlazaretten, bloß noch drei Krankenhäuser
Vetexsburgs staaatlich versorgt werden: 1. das Obuchow-Kranken-
haus 2 das Petrooawl-Krankenhaus, 3. das Marienkrankenhaus. Die
ersten beiden mit etwa je 1000 Betten für aller Art Kranke, das
dritte mit etwa 600— 700 Betten. An Stelle des Marienkranken¬
hauses werden auch die Botkinschen Baracken für Infektionskrank¬
heiten genannt. ... , , ... , „ ..
Die übrigen Krankenhäuser werden auf „örtliche Hilfsquellen“
angewiesen, d. h. sie dürfen sich amtlichen Stellen, Eisenbahnen,
Fabriken u. a. anschließen, welche ihren Unterhalt zu übernehmen
bereit sind. Ferner wird beabsichtigt, die Zahl der städtischen Am¬
bulatorien durch Schließung zu verringern. Von einer kommenden
entgeltlichen Behandlung wird offiziell noch nicht gesprochen, wohl
aber von Überlassung von Ambulatorien in private Hand. Aerzt-
licherseits wird die Eröffnung privater Ambulatorien geplant.
Korrespondenzen.
Zur Geschichte der pathologischen Anatomie
des Fleckfiebers.
Von Eugen Fraenkel in Hamburg.
In dem jüngst erschienenen Bd. 14, Heft 6 des Zbl. f. d. ges.
Chir. stellt ein Herr Hesse gelegentlich des Referats über eine
Arbeit von Schujeminoff: „Pathologisch-anatomische Veränderun¬
gen beim Flecktyphus“, die Behauptung auf, daß „die von Fraenkel
beschriebenen Veränderungen der Hirngefäße schon 1876 von L. W.
Pop off in Botkins Archiv veröffentlicht wurden und selbst in
Rußland unbekannt geblieben sind“. Diese Behauptung ist in
ihrer ersten Hälfte in jeder Hinsicht unrichtig. Richtig
ist vielmehr, daß Popoff schon im Jahre 1875, und zwar in Nr. 36
des Zbl. f. m. Wiss., eine. Arbeit „über die Veränderungen im Ge¬
hirn bei Flecktyphus“ veröffentlicht hat, die in Deutschland wohl-
bekannt und viel zitiert worden ist.
Unrichtig ist ferner, daß diese von Popoff beschrie¬
benen Veränderungen der Hirngefäße auch nur im ge¬
ringsten identisch sind mit den in Deutschland als
charakteristisch für Fleckfieber angesehenen. Vielmehr
unterscheiden sie sich durch die von Popoff geschilderten „Pro¬
liferationserscheinungen in den Gefäßwänden, die hier noch viel
ausgebreiteter und ausgesprochener sind als beim Ileotyphus“, und
durch das Auftreten von „Fett- und Pigmentinfiltration der Gefä߬
wände“ von den beim Fleckfieber im Gehirn und in den Roseolen zu
erhebenden Befunden in jeder Beziehung.
Wie es in Wirklichkeit mit der pathologischen Anatomie des
Fleckfiebers bis zum Jahre 1914 stand, dafür will ich nur einen
einzigen, und zwar nicht deutschen Zeugen anführen, Herrn Grzywo-
Dabrowsky, der seine Arbeit in Virch. Arch. 228, S. 299—300 mit
folgenden Worten beginnt: „Die pathologische Anatomie des Fleck-
fiebers ist bis zum gegenwärtigen Kriege nicht genau untersucht
worden, und es waren keine autoptischen Veränderungen bekannt,
die für dieses Leiden als spezifisch gelten konnten. ... ln diesem
Jahre (1914) veröffentlichte Fraenkel seine Untersuchungen über
die mikroskopischen Veränderungen in der Roscola des Fleckfiebers
und legte somit den Grundstein für die pathologische Anatomie dieses
Leidens.“
Kleine Mitteilungen.
— Berlin. Der preußische Minister für Volks Wohl¬
fahrt hat nach einer Mitteilung der D.A.Z. auf eine kleine Anfrage
über die Notlage der Aerzte im besetzten Westen folgende
Antwort erteilt: „Die Ansichten sind zur Zeit darüber geteilt, ob
noch eine besondere Notlage der Aerzte in dem besetzten Westen
besteht gegenüber den Aerzten in den angrenzenden Gebieten des
unbesetzten Westens. Auch ist neuerdings seitens der nachgeordneten
Behörden wiederholt darauf hingewiesen worden, daß der Rück¬
gang der freien Praxis der Aerzte zum Teil auf die
hohen Honorarsätze zu rückzuführen sei, die zur Zeit
von den Aerzten berechnet werden. Die Frage der be¬
sonderen Berücksichtigung der Aerzte im besetzten Gebiet wird bei
den demnächst beginnenden Vorarbeiten über die Neufassung der
Gebührenordnung für approbierte Aerzte und Zahnärzte vom 1. IX.
1920, die am 1. IV. 1922 in Kraft treten soll, erneut eingehend ge¬
prüft werden.“ Die Vorstände der Aerztekammern und insbesondere
der preußische Aerztekammerausschuß wird hoffentlich Anlaß nehmen,
den Herrn Wohlfahrtsminister, der als solcher ja auch Minister der
Medizinalabteilung ist, mit geeigneten Nachweisen und mit dem
nötigen Nachdruac darüber aufzuklären, daß sein wegen der hohen
Honorarsätze allgemein gegen die Aerzte erhobener Vorwurf durch¬
aus unberechtigt ist. Vielleicht von manchen Spezialistenhonoraren
abgesehen, sind die ärztlichen Honorare auch in der freien Praxis
noch nicht entfernt den gesteigerten Lebensunterhaltskosten ange¬
paßt und gewiß nicht so gestiegen, wie die Löhne der früheren Be¬
rufsgenossen des Herrn Ministers.
—- Für die Behandlung der Kriegsbeschädigten ist
im vorigen Jahre unter Mitwirkung des Reichsarbeitsministeriums
zwischen den Hauptverbänden der Krankenkassen ein besonderer
ärztlicher Reichstarif für das Versorgungs\y eS en vereinbart worden,
der allen Zugeteilten freie Arztwahl sichert allgemeine
Teil des Reichstarifs für fünf Jahre gilt, läutet J'l Qcbühr ^ n '
Sätze am 31. XII. 1921 ab. Zu seiner U ^ baben m der
vorigen Woche im Reichsaibeitsministerii^
finden. Für das letzte Vierteljahr *«?$**£,
Teuerungsauschlag von 4° '>■ H -
X
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
36 DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT Nr. 1
1922 sollen für die Beratung in der Sprechstunde 7 Mark, für den Be¬
such 14 Mark bezahlt werden, auf die Gebühren für Sonderleistungen
kommen 40 v. H. Zuschlag. Sollten aber die kassenärztlichen Honorare
durch ein Zentralabkommen darüber hinaus erhöht werden, dann wird
der Reichstarif ebenso erhöht. Kommt es irgendwo zwischen Aerzten
und Krankenkassen zum Streit und dabei zu einem vertraglosen
Zustand, daun werden sowohl die Kassenmitglieder als auch die Zu¬
geteilten wegen des Kriegsbeschädigungsleiuens in der gewohnten
Weise weiter behandelt und nicht, wie die übrigen Kassenmitglieder,
nur als Privatpatienten.
— Ein Erlaß des Ministers für Volkswohlfahrt vom 23. XI. be¬
stimmt Erleichterungen in der Beibringung amtsärztlicher Be¬
scheinigung zum Zwecke der Feuerbestattung.
— Der preußische Landesgesundheitsrat hat seine Beratungen über
den Entwurf eines preußischen Tuberkulosegesetzes
abgeschlossen. Das preußische Wohlfahrtsministerium wird nunmehr
den Gesetzentwurf fertigstellen und ihn möglichst bald dem Staats¬
ministerium zur Beschlußfassung vorlegen.
— Für die Zulassung der Fachärzte bei der Wirt¬
schaftlichen Abteilung des Groß-Berliner Aerzte-
bundes wurden u. a. von der aus den Herren S. Alexander,
Alfred Frank 1, Freudenthal bestehenden Kommission fol¬
gende Grundsätze aufgestcllt: Es wird eine Ausbildungszeit für er¬
forderlich gehalten: in Gynäkologie und Geburtshilfe 4 Jahre, in
Chirurgie 4 Jahre, in der Augenheilkunde 3 Jahre, in der Dermato¬
logie 3 Jahre, in der Inneren Medizin (mit ihren Nebenfächern)
3 Jahre, für Hals-, Nasen-, Ohrenärzte 3 Jahre. Für den Fall klini¬
scher nicht poliklinischer — Ausbildung in einer größeren öffent¬
lichen Krankenanstalt unter Leitung eines namhaften, wissenschaft¬
lich durchgebildeten Facharztes kann die Ausbildungszeit von 3 Jahren
auch für Chirurgie und für Gynäkologie (Geburtshilfe) als genügend
erachtet werden. Poliklinische Tätigkeit ist mit Ausnahme
von Chirurgie und Gynäkologie - der klinischen gleichzusetzen,
wenn sie in einer größeren öffentlichen Krankenanstalt unter Leilung
eines namhaften wissenschaftlich durchgebildeten Facharztes absol¬
viert wird und nicht mehr als ein Drittel der geforderten Gesamt¬
ausbildungszeit beträgt. Eigene Fortbildung eines approbierten
Arztes ermöglicht dann die Zulassung als Facharzt, wenn der Nach¬
weis der fachärztlichen Ausbildung erbracht wird durch besondere
wissenschaftliche Leistungen oder durch eine etwa 5jährige praktische
Betätigung in dem betreffenden Fache.
— lieber die für die Entwickelung unserer Rechtspflege wichtige
und auch vom ärztlichen Standpunkte beachtenswerte Frage, ob sich
die Frau zum Richteramt eignet, wird in der Forensisch-Medi¬
zinischen Vereinigung zu Berlin am 20. I. 1922, abends 8 Uhr (Unter¬
richtsanstalt für Staatsarzneikunde, Hannoversche Straße 6) eine Dis¬
kussion stattfinden. Berichterstatter: Landgerichtsdirektor Stadel-
mann (Potsdam), Geh.-Rat Moll und Fräulein Dr. jur. Marga¬
rete Behrendt.
— „Deutsches Blatt, Zeitschrift zur Förderung des deutschen
Volkswohls“, benennt sich ein von G. Ä. Müller-Czerny in Hom¬
burg v. d. H. redigiertes Organ, das dazu dient, den Namen seines
Schriftleiters als „Wunderdoktor“ (wie ihn angeblich Behörden,
Priester und das deutsche Volk nennen sollen) weiterzutragen. Der
Wunderdoktor Müller-Czerny ist (wie er selbst sagt) kein gewöhn¬
licher Sterblicher. Gott schützt ihn gegen irdische Gewalt ohne
Ausnahme. Gicht, Rheumatismus, Ischias und ähnliche Leiden heilt
er in Sekunden, Blinde, Lahme, Krebskranke, Tuberkulöse, Taube
und Stumme werden wieder gesund bzw. sehend, hörend und spre¬
chend. — Es ist doch schade, daß der frühere Ministerpräsident
Sepp Oerter nicht auf den Wunderdoktor Müller-Czerny aufmerk¬
sam wurde. Ein Lehrauftrag wäre sonst dem verdienstvollen Mann
sicher gewesen.
— Vom 12.—14. XII. fand in London auf Veranlassung des Vor¬
sitzenden der Hygienekommission des Völkerbundes Prof. Madsen
(Kopenhagen) (vgl. auch D. m. W. 1921 S. 1596) eine Konferenz
zur Standardisierung (Feststellung des Antitoxingehalts) der
Heilsera (Diphtherie, Dysenterie, verschiedener Typen des Me¬
ningo- und Pneumokokkus, Syphilis und Tetanus) statt. Es nahmen
u. a. daran Teil: Prof. Kolle (Frankfurt), Prof. Sachs (Heidelberg),
Prof. R. Müller (Wien), Prof. Dörr (Basel).
— Nach dem Bericht der Laucet vom 17. XII. ist in London
eine Internationale Gesellschaft der Medizinischen
Hydrologie gegründet worden. Für die tiefschmerzliche Tatsache,
daß Deutschland und Oesterreich ausgeschlossen sind, muß uns
einigermaßen Trost gewähren, daß wenigstens Neuseeland durch
einen Delegierten dabei vertreten ist.
— Eine starke Grippeepidemie ist in Berlin, Hamburg,
Frankfurt a. M., Koblenz, Würzburg und Mannheim auf¬
getreten.
— Ein Provinzialausschuß Groß - Berlin für hygienische
Volksbelehrung ist dieser Tage begründet worden zu dem
Zwecke, durch volkstümliche Vorträge und anderweitige Aufklärung
das Verständnis für die wichtigsten Fragen der Gesundheitslehre zu
fördern. Der neue Ausschuß, dessen Vorsitz der Stadtmedizinalrat
Geh.-Rat Dr. Rabnow führt, wird die von dem zentralen Landes¬
ausschuß bisher erfolgreich geleistete Aufklärungsarbeit in dessen
Sinne fortführen.
— Die Höchst mieten sätze für gewerbliche Räume sind
in Berlin infolge der Einsprüche der Aerzte, Rechtsanwälte und
kleineren Gewerbetreibenden von der Aufsichtsbehörde für ungültig
erklärt und deshalb vom Magistrat geändert worden: 1. für Woh¬
nungen, insbesondere auch solche, die mit gewerblichen Räumen
verbunden sind, 70 v. H.; 2. für zu gewerblichen Zwecken im Sinne
der Gewerbeordnung hergestellte Räume a) bis zu einer Friedens¬
miete von 2000 M. 70 v. H.; b) bis zu einer Friedensmiete von
5000 M. 90 v. H. und von über 5000 M. 120 v. H. — Ueber die
Auslegung der Bestimmung in Ziffer 2 „im Sinne der Gewerbe¬
ordnung“ wird vom zuständigen Dezernenten erneut mit der Auf¬
sichtsbehörde verhandelt werden, die ermächtigt ist, den Beschluß
je nach Ausgang dieser Verhandlung entsprechend zu ändern.
— Geh. Med.-Rat Barnick, der frühere Direktor der Provinzial¬
hebammenlehranstalt in Frankfurt a. O., beging sein 50jähriges Dok-
torjubiläum.
— Fleckfieber. Deutsches Reich (11.—19. XII.): 141, davon in Frankfurt a.O.( bei
Wolgadeutschen) 132, Stettin und Osternothofen je 1 (bei Heimkehrern).- Genick¬
starre. Preußen (27.X!.—3.XII.): 6. — Spinale Kinderiahmung. Preußen (27.XI.bis
3 XII): 8. — Ruhr. Preußen (27. XI.-3.XII): 101. — Abdominaltyphus. Preußen
(27. XI 3 XII.): 233.
Düsseldorf. Med.-Rat Dr. Hölscher hat die Leitung
einer Abteilung für Ohren-, Nasen- und Halsleiden an der west¬
deutschen Kieferklinik übernommen.
Karlsruhe. Die in Offenburg zwischen den badischen
Aerzten und Kassen geführten Verhandlungen hatten zu keinem
Ergebnis geführt. Beide Parteien einigten sich auf das iin badischen
Mantclvertrag vorgcschlagene Schiedsamt. Dieses hat nun einen
Schiedsspruch gefällt, der von beiden Parteien anerkannt wurde.
- München. Am 17. XII. fanden in Augsburg zwischen Ver¬
tretern der bayrischen Krankenkassen und der Aerzteschaft
Verhandlungen über Teuerungszulagen statt. Man einigte sich
auf der Grundlage des ersten Berliner Schiedsspruchs vom 31. X. 1921
— Hochscbalnach richten. Berlin. Dr. Kuczynski, Abteilungs-
Vorsteher am Pathologischen Institut, hat sich habilitiert. — Bonn.
Dr. Heinrich Fründ, Oberarzt an der Chirurgischen Klinik, hat die
Dienstbezeichnung a. o. Professor erhalten. — Erlangen. Priv.-Doz.
Ewald, Assistent der Psychiatrischen Klinik, ist zum etatsmäßigen
Oberarzt daselbst ernannt worden. — Halle. Die Priv.-Dozz. Braun-
schweig (Augenheilkunde), Haasler (Chirurgie), Vahlen (Pharma¬
kologie), Frese (Laryngologie), Sief ert (Neurologie), Loening (Innere
Medizin), Kauffmann (Neurologie), Grund (Innere Medizin), Clausen
(Augenheilkunde), Sowade (Dermatologie) erhielten die Dienstbezeich¬
nung a. o. Professor. — Würzburg. Priv.-Doz. Prof. Ackermann
ist zum etatsmäßigen a. o. Professor der Physiologischen Chemie er¬
nannt.
— Gestorben. Prof. Löhlein, Ordinarius des Pathologischen
Instituts, als Opfer seines Berufs an den Folgen einer Infektion,
44 Jahre alt, am 27. XII. in Marburg. (Der ausgezeichnete Forscher,
dessen Verdienste noch besonders gewürdigt werden sollen, hatte
soeben einen Ruf als Nachfolger von Mönckeberg nach Tübingen
erhalten.) — Generalarzt a. D. Classen, Aerztlicher Direktor der
Städtischen Krankenanstalten in Düsseldorf, am 23. XII. im 60 Lebens¬
jahr. — Geh.-Rat Prof. Max Breitung am 13. XII. im 70. Lebens¬
jahr in Koburg. — Geh. San.-Rat Albert Wagner, langjähriger Arzt
in Ribnitz (Meckl.-Schw.), Begründer des Seehospizes in Müritz,
86 Jahre alt, in Hamburg.
— Literarische Neuigkeiten. Dr. Paul Horn (Bonn), Privatdozent
für versicherungsrechtliche Medizin, ist als 2. Schriftleiter in die Redak¬
tion der „Aerztlichen Sachverständigen-Zeitung" eingetreten.
— Der VerbanddcutscherKolonial-undAuslandärzt e (Anschrift Geh. Med.
Rat Dr. Waldow, Berlin-Grune wald, Franzensbaderstr. 6) bittet mit Rücksicht auf die
Erhöhung der PortogebUhren Kollegen, welche Auskünfte wünschen, den Anfragen einen
Freiumschlag für die Rückantwort beifügen zu wollen, da sonst Beantwortung nicht
mehr erfolgen kann.
— liie letzte Nummer der B. kl. W. wird von Absehiedsbetrach-
tungen der bisherigen Schriftleiter beschlossen. Prof. H. Kohn
scheidet bei der bereits in Nr. 48 S. 1470 angezeigten Aenderung
der Wochenschrift an Haupt und Gliedern, an Inhalt und Titel aus
der Schriftleitung aus, um sich ganz seiner internen (praktischen
wie gutachtlichen) und pathologisch-anatomischen Arbeit zu widmen.
Wir. sehen ihn mit lebhaftem Bedauern seine redaktionelle Tätigkeit
aufgeben, in der er sich namentlich als charaktervoller, seine Ueber-
zeugung offen und rückhaltslos nach allen Seiten vertretender Kollege
die Sympathien weiter Kreise erworben hat. Geh.-Rat Posner hält
die Tradition der von seinem Vater begründeten Wochenschrift auch
in ihrer neuen Gewandung aufrecht: uns eine erfreuliche Gewähr
dafür, daß die nahen kollegialen Beziehungen, deren wir uns stets
bei der Redaktion dieses Berliner Schwesterorgans erfreuen durften,
auch weiterhin bestehen werden. Getrennt marschieren, aber dem
gemeinsamen Ziele: Förderung der medizinischen Wissenschaft und
der ärztlichen Praxis zustreben, wird unsere Losung bleiben. J.S.
— In Anbetracht der enormen Erhöhung der Portokosten müssen wir nochmals
nachdrücklich ersuchen, Manuskripten, auf deren Annahme die Herren Kollegen nicht
mit Sicherheit rechnen können, Freimarken für eine eventuelle Rücksendung beizutegen
und Anfragen, die lediglich im Interesse der Fragesteller liegen, mit Porto für die
Beantwortung zu versehen.
Digitized by ■Go gle
Original fro-m
CORNELL UNIVERSUM
LITERATURBERICHT
Redigiert von Prof. Dr. R. von den Velden.
Verzeichnis der regelmäßig referierten, in deutscher Sprache erscheinenden Zeitschriften mit den Referenten.
,r>. ~ - Monatsblätter für Augenheilkunde (Geh.-Rat Groenouw, Breslau) Zeit-
schritt für Ohrenheilkunde (Priv.-Doz. Amersbach, Freiburg), Archiv
für Laryngologie und Rhinologie (Priv.-Doz. Amersbach, Fctibarg),
Zeitschrift für Urologie (Geh.-Rat Fürbringer, Berlin), Archiv für Kinder-
heilkunde (Priv.-Doz. / . F. Mfivpr Rprlin\ lahrRuol. f<» I/':_I__1__j_
(Priv.-
Klinische Wochenschrift (Dr. Dresel, Berlin), Münchener medizinische
Wochenschrift (Dr. Grabowski, Berlin), Medizinische Klinik (Dr. Gaupp,
Dresden), Wiener klinische Wochenschrift (Dr. Tachau, Braunschweig),
Wjener medizinische Wochenschrift (Dr. Dörbeck, Berlin), Schweizerische
medizinische Wochenschrift (Dr. Mennet, Bern), Zeitschrift für physi¬
kalische und diätetische Therapie (Dr. Mamlock, Berlin), Therapie der
Gegenwart (Dr. Mamlock, Berlin), Fortschritte auf dem Gebiete der
Köntgenstrahlen (Prof Levy-Dorn, Berlin), Pflügers Archiv für die ge¬
samte Physiologie (Prof. Boruttau, Berlin), Biochemische Zeitschrift (Prof.
Holste, Jena), Zentralblatt für allgemeine Pathologie und pathologische
Anatomie (Prof. Paul Prym, Bonn), Virchows Archiv für pathologische
Anatomie und Physiologie (Prof. Paul Prym, Bonn), Beiträge zur patho¬
logischen Anatomie (Prof. W. Groß, Greifswald), Zeitschrift für die ge-
samte experimentelle Medizin ( von den Velden), Zentralblatt für innere
Medizin (Pnv.-Doz. David, Halle), Deutsches Archiv für klinische Medizin
(Prof. Klicncherger, Zittau), Zeitschrift für klinische Medizin .(Dr. Reckzeh,
Berlin), Wiener Archiv für innere Medizin (Priv.-Doz. David, Halle),
£f.., klatt für Herz- und Gefäßkrankheiten ( von den Velden), Beiträge zur
Klinik der Tuberkulose (Dr. Grau, Honnef), Archiv für Psychiatrie
#n V j^PS z ; Düsseldorf), Zeitschrift für die gesamte Neurologie
!w* r Löweeistein, Berlin), Arbeiten aus dem Neurologischen Institut,
Wien (Prof. W. Groß , Greifswald), Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie
(Dr. Liebers, Leipzig), Zentralblatt für Chirurgie (Priv.-Doz. Wagner,
Leipzig), Archiv für klinische Chirurgie (Priv.-Doz. Wagner, Leipzig),
Br ? n i ß /L ,tr % e für klinische Chirurgie (San-Rat Stettiner, Berlin), Zeit-
sennft für orthopädische Chirurgie (Prof. Vulpius, Heidelberg), Mit¬
teilungen aus den Grenzgebieten der Medizin und Chirurgie (Prof.
Clemens, Chemnitz), Zentralblatt für Gynäkologie (Prof. Zangemeister,
Marburg a. L.), Archiv für Gynäkologie (Prof. Zangemeister, Marburg
\ 4)-» z * ltschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie (Prof . Jolly, Berlin),
Archiv für Ophthalmologie (Geh.-Rat Groenouw, Breslau), Klinische
r; ' * «ubcnrin lur Mnaerhcilkunde (Priv.-Doz
DF. Meyer, Ber in), Jahreskurse für ärztliche Fortbildung (Oberstabsarzt
O. Strauß, Berlin), Zentralblatt für Bakteriologie (Prof. Gildemeister Berlin)
Arbeiten aus dem Reichsgesundheitsamt (Prof .Laubenheimer, Heidelberg)
Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten (Generaloberarzt a D*
Hetsch, Freiburg), Hygienische Rundschau (Generaloberarzt a. D Hetsch
Freiburg) Archiv für Hygiene (Prof. Süpfle, München), Oeffentliche
Gesundheitspflege (Prof. Siipße, München),' Zeitschrift für Schulgesund-
heitspflege (Prof. Süpfle, München), Aerztliche Sachverständigenzeitung
(San.-Rat Dr. Deus, Berlin), Vierteljahrsschrift für gerichtliche Medizin
(San.-Rat Dr. Deus, Berlin), Monatsschrift für Unfallheilkunde (Prof
Vulpius, Heidelberg) Zeitschrift für Krankenpflege (San.-Rat Jacobsohn,
Berlin), Zedschrift für soziale Hygiene, Fürsorge und Krankenhaus¬
wesen (Dr. Haustein, Berlin), Zeitschrift für ärztlich-soziales Versonzunes-
wesen (Geh.-Rat Landsberger, Berlin). e ®
Ausländische Literatur. Schweiz: Dr. Mennet (Bern), Holland:
Dr. Koopman (Haag) und Prof. Scholtz (Königsberg), Dänemark-
Dr. Aagard (Kopenhagen), Schweden: Dr. Larsson (Stockholm), Nor-
wegen: Dr. Hast (Chnstiania), Nordische Literatur: Reg.-Med.-Rat
Eisenhardt (Königsberg), Italien: Dr. Jastrowitz (Halle), Spanien:
Dr. Af. Friedemann (Königstein) und San.-Rat Sobotta (Braunschweig)
England: Dr. zum Busch (Kreuznach), Frankreich: Hofrat Schober (Wild¬
bad), Amerika: Dr. zum Busch (Kreuznach) und Physikus Dr. Sicveking-
(Hamburg), Japan und China: Dr. Pankstat (Shanghai).
Allgemeines.
♦ ♦Ludwig: Finckh (Gaienhofen), Ahnenbüchlein. Stuttgart,
Strecker 8t Schröder, 1921. 76 S. Geb. Ref.: J. Schwalbe.
Diesmal kommt uns unser lieber Dichter- Kollege biologisch, ins¬
besondere rassenbiologisch und genealogisch. Seine erstaunlich aus¬
gedehnte, mühevolle Suche nach seinen Vorfahren hat ihn den
allgemeinen Wert solcher Feststellungen für die Beurteilung der
eigenen und der fremden Persönlichkeiten gelehrt: „8000 deutsche
Männer und Frauen haben an-mir gewoben". „Man würde vieles
verstehen, was im andern Menschen vorgeht, wenn man von seinen
Vorfahren wußte. Man würde vieles in sich besser verstehen, wenn
man seine eigene Ahnen kennte." Sich hat er nun noch besser kennen-
gelernt. Für uns war es nicht nötig; aber seine Plaudereien über
manchen seiner Ahnen unterhalten und erfreuen.
Philosophie.
♦♦ **. Mfilier-Freienfels {Berlin), Philosophie der Individuali¬
tät. Leipzig, L. F. Meiner, 1921. 272 S. Geh. M 36.—, geh. M. 45.—.
Ref.: Frischeisen-Köhler (Halle a. S.).
Das Buch, fesselnd, lebhaft und anschaulich wie alle Schriften
des Verfassers geschrieben, packt ein Problem, das im Mittelpunkt
unserer philosophischen Interessen steht. Und mit einer erfrischen¬
den Energie sucht es ihm in einer Weise beizukommen, die von dem
Standpunkt der Betrachtungsweise unserer klassischen und akademi¬
schen Philosophie grundsätzlich abweicht. Es ist der Standpunkt
des Irrationalismus gegenüber dem Rationalismus, des Lebens gegen¬
über dem Verstand, der hier mit Entschiedenheit verfochten und
durchgeführt wird. Die Individualität erscheint dem Verfasser als
etwas Irrationales, das nicht in die Begriffe der traditionellen Logik
eingeht, als etwas, das zwar unter mancherlei Gesichtspunkten ra¬
tionalisierbar ist, aber in seinem tiefsten Wesen sich doch jeder
Schablone entzieht, indem es sich als das sich ewig wandelnde, nur
relativ sich konsolidierende, unendlich sich spaltende Leben ent¬
hüllt. Dies einzusehen, bedarf es allerdings einer besonderen Er¬
kenntnisweise, welche nicht die der rationalen Logik ist, sondern
als ein irrationales Denken, als Instinkt oder Intuition oder Ein-
fühlen der Welt des Lebens allein gerecht werden kann. Ja, des
Philosophen besondere Aufgabe ist es, mit den Mitteln des Ver¬
standes an ein Sein heranzuführen, das niemals ganz mit den
Mitteln dieses Verstandes erfaßbar ist. Damit ordnet sich diese
.Schrift jener Bewegung ein, die als „Philosophie des Lebens“ be-
zu werden pflegt und in Bergson und Simmel ihre
^Wegbereiter besitzt. Die großen theoretischen Schwierigkeiten, mit
denen diese Bewegung zu ringen hat, werden nun freilich in dem
vorliegenden Buch nicht erledigt, kaum gestreift. Seine Stärke liegt
vielmehr in der Eindringlichkeit, mit der es uns den irrationalen
Aspekt erschließt. In diesem Sinne kann es aber als sehr geeignet be¬
zeichnet werden, den Fernerstehenden in die moderne Philosophie
des Lebens einzuführen. _
Allgemeine Pathologie.
Boehnheini, Chloretoffwecbsel und Lungentuberkulose. Beitr.
z. Klin. d. Tbc. 49 H. 2. Bei Lungentuberkulose besteht eine Dechlo¬
rierung infolge zu starker und zu leichter Sensibilisierung des Chlors
bei gleichzeitig daniederliegender Magensekretion. Es entsteht ver¬
mehrte Chlorausscheidung durch die Nieren und Chlorhuncer der
Gewebe. 6
F. Brüning und E. Gohrbandt (Berlin), Experimenteller Beitrag
zur Pathogenese der Schmerzen bei der Darrakoiik. B. kl. W. Nr 49
Tierversuche ergaben, daß auf die Darmschleimhaut wirkende Reize
nur dann Schmerzen auslösen, wenn durch sie heftige Kontraktionen
der üarmmuskulatur verursacht werden. Die Schmerzen entstehen in
der Darmwand selbst und nicht durch eine Zerrung des Mesenteriums
Die Darmschleimhaut zeigt im Gegensatz zur Außenfläche der Darm¬
wand eine primäre Reizhyperämie, muß demnach also sensibel ver¬
sorgt sein. _
Mikroben- und Immunitfltslehre.
O. Bail (Prag), Shiga-Bakteriophagen. W. kl. W. Nr. 46. Shiga-
Bazillen sind am leichtesten der Wirkung des Bakteriophagen zugänglich
Die Bakteriophagie ist an bisher nicht genau bestimmbare körperliche
Elemente gebunden. Sie nimmt zu bei Zusatz lebender Shigabazillen.
Bei intraperitonealer Injektion lassen sich in dem Exsudat der Versuchs¬
tiere tortzüchtbare Bakteriophagenwirkungen erzielen. Auch in lange
fortgefuhrten Reinzuchten in Bouillon lassen sich Bakteriophage nach-
weisen, die bewirken, daß frische Einsaaten nach einer gewissen Zeit
nicht mehr angehen. Das alles weist mit Sicherheit auf die Ent¬
stehung der Bakteriophagen aus den Bazillen selbst hin
Den gleichen Schluß lassen Versuch^ mit antibakteriophagem Serum
zu. Durch Behandlung von Kaninchen mit Bakteriophagen kann leicht
anfibakteriophages Serum gewonnen werden. Das Gleiche ist in
schwächerem Grade der Fall bei Vorbehandlung mit Bazillen selbst
In käuflichen Shigaseren, bei deren Herstellung sicher nicht an Bak¬
teriophagen gedacht war, ließ sich durch eine besondere Versuchs¬
anordnung ebenfalls geringfügige Bakteriophagie nachweisen.
Strahlenkunde.
KurtStettner (Stuttgart), R&ntgentiefeodosimetrie. M.m.W.Nr.48.
Empfehlung der Methode von Mühlmann in Nr. 41. Die Nutzdosis
wird an den Strahlenkegelschablonen mit dem jeder Röhre eigenen
Abschwächungskoeffizienten und den neuen Dessauer-Vierhellerschen
Tabellen ermittelt. _j__
Allgemeine Diagnostik.
R. Brinkman und E. van Dam (Grot\\t*«ettV Stimmung der
Oberflächenspannung bei sehr geringen Fli» ^ m W.
Nr. 48. Die zu untersuchende Lösung wir<i tw* unter
ein an einer Torsionswage aufgehängtes Das
Uhrgläschen wird nun so hoch taerautgescly^V^^ *** d\e
Digitized by
Gck igle
Original frorri
CORNELL UNIVERSITY
38
LITERATURBERICHT
Flüssigkeitsoberfläche gerade oben beiührt. Mittel» der Torsionswage
kann man nun die Kratt bestimmen, die zum Losreißen des Ringes von
der Flüssigkeit nötig ist.
Theodor Hausmann (Moskau), Polycheaiacfce Urobiliireaktfoa.
M. m. W. Nr. 4 ««. Zu 20 ccm Harn werden einige Kubikzentimeter
möglichst staiker LctLng von Kupfersulfat oder irgendeines anderen
Schwcrmtlallsalzes oder tir.tr Säure zugtsetzt. Ausschütteln mit
Chlorofoim. Dieses nimmt das piäformierle Urobilin und das aus
dem Urobilinogen gebildete in sich auf. Die Farbennuance ist ver-
schieden je nach der Oxydationsstufe, orarge, kupfergelb, hellrosa.
Allgemeine Therapie.
♦♦ A. Fröhlich und R. Waslcky (Wien), Taschenbuch der
ökonomischen und rationellen Rezeptur. Wien, Urban &
Schwarzenberg, 1921. 215 S. M. 15.—. Ref.: Holste (Jena).
Der im Sommer 1920 von der niederösterrcichischen Landes¬
regierung eingesetzte Arbeitsausschuß war beauftragt, dem ordi¬
nierenden Arzt, insbesondere der Krankenkassen und der öifentlichen
Ambulatorien, Richtlinien festzufegen für der jetzigen Preislage ent¬
sprechende zweckmäßige Rezepte. Im Gegensatz zu diesen allgemein
gehaltenen Ratschlägen soll dies Büchlein spezielle Rezepturvorschriften
bringen. Es soll dem rczeptierenden Arzt die in der Jetztzeit vor¬
handenen Schwierigkeiten aus dem Wege räumen, ihn vor Wertlosem
warnen und eine Handhabe dazu bieten, in welcher pharmazeutischen
Form er das gewählte Heilmittel rationell und dabei billigst verschreiben
kann. Derinhalt ist in einen allgemeinen und speziellen Teil gegliedert,
der letztere nach pharmakotherapeutischen Gruppen geordnet
Fritz Brunn (Prag), Novasurol als Diuretikum. M. m.W. Nr.48-
Novasurol führt auch bei Gesunden zu einer starken Wasser- und
Kochsalzausscheidung. Ausgezeichnete Erfolge bei dekompensierten
Klappenfehlern. Es versagte in einem Fall von Oedemen infolge De-
eneration des Herzmuskels. Kontraindiziert ist es bei bestehender
ntcritis.
Georg Hubert (Bad Nauheim), Novasurol als Diuretikum.
M. m. W. Nr. 48. Bei kardial und renal entstandenen Oedemen über¬
trifft Novasurol die Purinkörper und Digitalis bei weitem an Wirksam¬
keit, die diurctische Wirkung hält etwa 12 Stunden nach der Injektion
an. Um Quecksilberschädigungen zu vermeiden, soll mit nicht mehr
als 0,75 ccm angefangen werden, Höchstdosis 1,5, Intervall zwischen
den Injektionen mindestens 4 Tage. Bei entzündlichen Veränderungen
der Niere ist das Mittel kontraindiziert.
Innere Medizin.
♦ ♦ J. W. Samson (Berlin), Prostitution und Tuberkulose.
Klinische und sozialmedizinische Untersuchungen. Leipzig, Georg
Thieme, 1921. 120 S. M. 18 .—. Ref.: Grau (Honnef).
* Der Arbeit liegen Untersuchungen an 1300 Prostituierten zu Grunde.
Für die Häufigkeit des Vorkommens ist nur das Ergebnis der letzten
300 Untersuchungen mit 34 Fällen von Tuberkulose insgesamt zu ver¬
wenden. Unter 899 als tuberkulös festgestellten Fällen gehörten 73 °/ 0
dem ersten, 23 dem zweiten und 4 dem dritten Stadium an. An¬
steckungsquellen und Ansteckungswege sind so mannigfaltig, daß man
hier von einer stark gesteigerten Exposition sprechen muß. Die
Wohnungsverhältnisse haben sich nach dem Kriege auch für die Dirnen
sehr zum Ungünstigen geändert. Dagegen waren die Einkommens¬
verhältnisse durchschnittlich sehr günstig. Lues ist, wenn sie mit
frischer oder proliferierender, fortschreitender Tuberkulose zusammen¬
wirkt, sehr ungünstig. Eine Bedeutung des Alkoholismus war nicht
nachzuweisen, dagegen eine Bedeutung des Tabakmißbrauchs. Die
Forderungen des Verfassers, dessen verdienstvolle Arbeit allgemeiner
Aufmerksamkeit empfohlen sei, gehen auf spezialhygienische Fürsorge
in möglichster Trennung von polizeilichen Einrichtungen (Gesundheits¬
amt), nicht Beseitigung der Ueberwachung, sondern Verbesserung und
Verbreiterung unter neuzeitlichen Gesichtspunkten.
H. Strauß (Berlin), Periostitis und Arthritis typhosa. B. kl. W.
Nr. 49. Beschreibung dreier einschlägiger Fälle.
C. Schelenz (Trcbschen), Vakzinetherapie der Ruhr. B. kl. W.
Nr. 49. Kurzes Sammelreferat.
Joachim Brock (Berlin), Rhythmische Mnskelzucknngen im
Schlaf nach Encephalitis letharglca. M. m. W. Nr. 48. 46jähriger
Patient mit den typischen Erscheinungen der Encephalitis epidemica.
Rhythmische Zuckungen, nicht mit dem Puls synchron, im linken
Kopfnicker. Außerdem nur im Schlaf choreiforme Zuckungen und
Wackelbewegungen des Kopfes.
E. Urbantschitsch (Wien), Toxische Meningitis bei Mumps.
W. kl. W. Nr. 46. 1 Fall.
H. Heinemann (Petoemboekan, Sumatra), DiagnostischerWert
vom Wassermann, Sachs-Qeorgl und Meinicke in Malarialändern.
M. m. W. Nr. 48. Unspezifische Reaktionen sind bei Malaria häufig.
Unspezifische positive Umstimmungen verschwinden unter Chinin¬
behandlung Es empfiehlt sich stets Wa. R. und auch Flockungs¬
reaktion anzustellen, letztere allein nur nach sehr genauer Prüfung der
Extrakte und nach Feststellung des Malariafehlers.
Nr.l
A. Kleemann, Aeademgea des meißea (Mathilde* im Verlaufe
der Laageataberkalose. Beitr. z. Klin. d. Tbc 49 H. 2 . Das weiße Blut¬
bild ist von der Art der Lungenerkranknng abhängig. Die Gesamt-
Leukozytenzahl allein läßt keine Schlüsse zu. Lymphozytose bestand
bei den leichtesten zur Heilung neigenden Fällen. Neutrophilie bei
Fehlen von Komplikationen kennzeichnet schwerste ungünstige Fälle.
Verschiebung des Blutbildes nach links fand sich bei den meisten
schweren Fällen. Eosinophilie, spontan oder nach Tuberkulinanwendung,
wurde bei günstigen Fällen festgesteilt. Ihr Fehlen ist prognostisch
ungünstig. Die Aenderung des Blutbildes ging teilweise bei Wen¬
dungen im Krankheitsbild allen anderen Escheinungen voraus.
O. Orszagh, Einwirkung von Plearaexsudatei auf die Lngei-
tuherkolose. Beitr. z. Klin. d. Tbc. 49 H. 2. Untersuchung bei 16 Fällen.
Die Kutanreaktion der an Pleur. exs. leidenden Kranken war meist negativ
— Herabsetzung der Widerstandskraft des Körpers. Bei Kranken mit
Pneumothoraxexsudat war die Kutanreaktion positiv, aber schwächer
als bei Kranken ohne Exsudat. Nach Ablauf der Pleuritis zeigte der
größere Teil der Kranken Verschlechterung des Lungenzustandes. Die
Dauererfolgsstatistik der an Pleuritis erkrankten Tuberkulösen ist un¬
günstig. Zu bemerken ist, daß es sich durchweg um Begleitpleuritis
von ziemlich schweren Tuberkulösen handelte.
HansAlexander (Davos- Platz), Pnenmothoraxbehandlmg. M jn.W.
Nr. 48. Die von Neumayer in Nr. 43 autgestellten Indikationen sind
durchaus abzulehnen. Der Eingriff ist durchaus nicht harmlos. Das
Exsudat ist eine sehr unangenehme und oft auch gefährliche Komplika¬
tion. Das wichtigste Anwendungsgebiet des Pneumothorax muß die
schwere einseitige Tuberkulose und die mittelschwere progrediente
Form bleiben.
H. Liebe, 104 Pnenmotboraxfllle. Beitr. z. Klin. d. Tbc. 49 H. 2 .
52 Kranke wurden mit gutem, davon 8 mit vollständigem Pneumothorax
entlassen. Von 64 Kranken, über die spätere Nachrichten vorliegen,
sind 35,6 °/ 0 gestorben, 10,9°/ o sind in schlechtem Zustande, 43,8°/ # be¬
finden sich gut. Diese Erfolge sind immerhin als ganz erfreulich zu
bezeichnen.
A. V. Frisch, Tuberkulöser Kopfschmerz. Beitr. z. Klin. d. Tbc. 49
H. 2 . Es wird eine Reihe von Krankengeschichten beigebracht, in
denen es sich um lange bestehende Kopfschmerzen und endokranielle
Drucksteigerung bei gleichzeitiger Tuberkulose anderer Organe, der
Bronchialdrüsen, der serösen Häute und der Lungen handelte. Es
wird angenommen, daß teilweise eine toxische Wirkung vorliege. Dabei
wird an eine entzündliche Tuberkulose im Sinne von Poncet gedacht,
in anderen Fällen an eine Beteiligung der Meningen an dem polysero-
sitischen Vorgänge im Sinne einer Meningitis serosa. Wiederholt erwies
sich die Tuberkulinbehandlung als wertvoll. Die Lumbalpunktion ergab
in einigen Fällen günstigen Erfolg, der nicht immer von Dauer war.
Brinkmann und Schloeger, Tuberkulosetherapie mitPartial¬
antigene. Beitr. z. Klin. d. Tbc. 49 H. 2. Die statistisch mitge teilten Kur¬
ergebnisse sind günstige. Freilich bestätigte eine Nachforschung, das
(oft erhobene Ref.) Resultat, daß die Ergebnisse zum Teil vorübergend
waren. Immerhin neigen die Verfasser' zu einer günstigen Beurteilung,
zumal die Partigenbehandlung Herdreaktionen herbeiführt.
CFocke (Düsseldorf), Digitalis bei chronischen Lungeokrank-
heiteo, besonders Schwindsucht. Ther. d. Gegenw. H. 11 . Bei bron¬
chialem Asthma ist kein Erfolg zu erzielen, wenn nicht gerade eine
Herästorung mitspielt. Bei chronischen Bronchialkatarrhen älterer
Leute ist Digitalis eventuell in Verbindung mit Kampfer oder Opium
oft geeignet. Bei Phthise kann im Anfangsstadium allerdings nur bei
monatelanger Anwendung kleiner, einmaliger Tagesgaben unter Um¬
ständen eine bessernde Wirkung erzielt werden.
K. Olaessner (Wien), Therapie des Magen- und Zwölffingerdarm-
geschwürs. W. kl. W. Nr. 47. Nachdem im Tierversuch festgestellt
war, daß Normalnatronlauge keine Verätzung eines traumischen Magen¬
geschwürs hervorruft, ging Verfasser daran, Ulkuskranke mit dünner
Natronlauge zu behandeln (2 stündlich je 50 g 0,2-0,4 °/ 0 Natronlauge).
Er ging dabei von der Voraussetzung aus, daß die Natronlauge die
Salzsäure des Magensaftes neutralisiert und außerdem den Gehalt an
Pepsin herabdrückt (fermenttötende Wirkung). Von 15 so behandelten
Fällen blieben 12 während einer 6—10 monatigen Beobachtung be¬
schwerdefrei. Die Erscheinungen, selbst schwerste Meläna, ver¬
schwanden überraschend schnell.
O. Lepehne (Königsberg), Chromodiagnostik der Leber. B. kl. W.
Nr. 49. Bisher keine gleichmäßigen Resultate mit Indigkarmin. Phenol-
sulfophthalein wird anscheinend nicht durch die Leber ausgeschieden.
R. Schräder (Frankfurt a. M.), Differentialdiagnose der Leber-
Gallensteinerkrankungen. B. kl. W. Nr. 49. ln drei Fällen schwerster
mit ikterus und Lehmsiühlen einhergehender kolikartiger Schmerzanfälle
in der Gallenblasengegend, die das typische Bild der Cholelithiasis
boten, zeigte sich bei der Operation, daß weder Steine vorhanden
waren, noch sonstige Veränderungen, die die Anfälle erklären konnten.
Die histologische Untersuchung eines probeexzidierten Leberstrückes
deckte in einem Falle das Bestehen einer Leberalrophie, in zwei Fällen
das einer Leberzirrhose auf. Das Lebergewebe war in allen drei Fällen
in ausgedehntem Maße zerstört.
E. Seifert (Würzburg), Appendizitis und Witterung. M. m.W. Nr.48.
Am Material der Würzburger chirurgischen Klinik ließ sich bei Durch¬
forschung der letzten zehn Jahre irgend ein Einfluß der Witterung auf die
Häufigkeit der Appendizitis nicht erkennen.
Digitized by
Gck igle
—Öfif inal from
CORNELL UNfVERSITV
5. Januar 1922
LITERATURBERICHT
39
Gröpler (Dessau), Kaseosan bei akutem Dickdarmkatarrh.
Ther. d. Gegenw. H. 11. Beobachtung am eigenen Körper; nach sub¬
kutaner Injektion erfolgte rasch Heilung, wobei allerdings nicht klar
erkennbar ist, ob post oder propter hoc.
W. Stoeltzner (Halle a. S.), Vorschlag zur Behandlung der
Biermerschen Anämie. M. m. W. Nr. 48. Möglicherweise fehlt bei
der perniziösen Anämie die Fähigkeit, schon in der Darmwand die
abgespaltenen hohen Fettsäuren gleich nach der Resoiption wieder zu
Glyzeriden zu synthetisieren und es handelt sich dabei um eine Seifen-
Vergiftung des Blutes. Vielleicht läßt sich die Anämie durch einfache
diätetische Behandlung beeinflussen.
Th. Arndt (Dresden), Elektroferrol bei Anämien. M. m. W.
Nr. 48. Bei perniziöser Anämie manchmal vorübergehend recht gute
Erfolge, es müssen mindestens 3—6 Injektionen in Abständen von
3 Tagen gemacht werden, Wiederholung nach einigen Monaten. Bei
sekundären Anämien erreicht man schnelle Steigerung des Hämoglobin¬
gehalts.
OrJowski (Berlin), Die Behandlung der männlichen Impotenz.
Zschr. f. UroL 15 H. 11. Empfehlung von Jodkalium (zur Anregung der
inneren Sexualdrüsensekretion), Kissingen und sonstigen Badekuren,
sowie Kolhkuluskaustik je nach der Art der Störung. Yohimbin als
wirkungslos befunden; Kantharidentinktur „unbrauchbar".
Martin Sußmann (Berlin), Körperliche Schmerzen, ihre Bedeutung
und Behandlung. Ther. d. Gegenw. H. 11. Populäre Betrachtungen
über die Selbstbeherrschung gegenüber dem Schmerz, wie es z. B.
Kant in der Macht des Gemüts dargestellt hat, um durch den Willen
Herr seiner krankhaften Gefühle zu werden.
R. Meißner (Breslau), Atropinvergiftungen. Ther. d. Gegenw.
H. 11. Eingehende kritische Besprechung an 3 verschiedenen Fällen,
die zu wichtigen pharmakodynamischen, symptomatologischen und
forensischen Betrachtungen Anlaß bieten. Dabei wird auch über die
Verordnungsweise für Arzt und Apotheker das Wesentliche mitgeteilt.
Chirurgie.
♦♦Eugen Kisch (Berlin), Diagnostik und Therapie der Knochen-
trad Gelenk tuberkulöse. Leipzig, F. G W. Vogel, 1921. 284 Seiten,
6Tafeln mit 361 Abbildungen. M.98.—. Ref.: Vulpius(Heidelberg).
Das vorzüglich ausgestattete Buch beschäftigt sich in seinem
allgemeinen Teil mit der Pigmentbildung der bestrahlten Haut und
ihrem physiologischen Wert, mit der experimentellen Begründung
der kombinierten Sonnen- und Stauungsbehandlung, mit der Strahlen¬
wirkung im Hochgebirge und in der Ebene, mit der Wirkung der
Apparate zur künstlichen Bestrahlung, mit der Technik der in Hohen-
lychen fast ausschließlich verwendeten Trias: Stauung, Jod, Be¬
strahlung; endlich mit der Behandlung der tuberkulösen Abszesse,
die nur aspiriert werden. Der spezielle Teil schildert in Wort und
Bild die in Hohenlychen erzielten Erfolge an Knochen und Gelenken.
Der Optimismus der Bierschen Schule hinsichtlich der Leichtigkeit
der Therapie wie der Heilerfolge bei chirurgischer Tuberkulose hat
bekanntlich vielerorts energischen Widerspruch hervorgemfen, er
wird auch dem vorliegenden Buch nicht erspart bleiben.
Marius Lauritzen (Kopenhagen), Diabetes und chirurgischer
Eingriff, Ther. d. Gegenw. H. 11. Die eingehende Arbeit behandelt
die Indikationen für chirurgische Eingriffe bei den eigentlichen dia¬
betischen Komplikationen und zweitens diejenigen bei andern Krank¬
heiten der Diabetiker. Es werden für alle in Frage kommende Fälle
die in Betracht kommenden Eingriffe, insbesondere Narkose, kritisch
gewürdigt; ganz besonders ausführlich wird die diätetische Behandlung
bei Komplikationen und nach der eventuellen Operation erörtert.
H. Jäger, Die lokalen Erfrierungen in der chirurgischen Klinik
Znricb. Mscbr. f. Unfallhlle. Nr. 10. bericht über 3a Fälle hinsichtlich
Aetiologie und Therapie. Letztere sucht die feuchte Oangrän zu
vermeiden. Chirurgische Eingriffe erst nach vollendeter Demarkation.
O Stricker (Wien), Kardiaverändernngen bei .Speiseröhren¬
prozessen. W. kl. W. Nr. 47. Polemik gegen Barsoni (W. kl. W.
Nr. 41) Barsoni geht von falschen Grundbegriffen aus und baut
seine Schlüsse auf zu geringes Material. Diese sind daher nicht als
bindend anzuerkennen.
C Massari (Wien), Aetiologie und Diagnostik gashaltiger Leber-
VF. kl. W. Nr. 47. 1 Fall, ausgehend von einer komplizierten
Sniirrerfrakhir des Ober- und Unterarms mit Gangrän der Hand und
des Unterarms, wobei es zu reichlicher Gasbildung kam. Keine Phleg¬
mone. Reaktionslose Heilung nach Eröffnung des Abszesses und
Drainage.
EL Wossidlo (Berlin), Pyelitis, Pyelonephritis, Pyelonephrose.
\ VJrol 15 H 11. Mitteilung eigener reicher Erfahrungen, be-
tondm über Infektionsmodus, Kystoskopie, Harnleiterkatheterismus
vmd Pyelographie. Große Pyonephrosen können bis auf die Harn-
trübung vollkommen symptomlos verlaufen. Die heutige Diagnostik
erlaubt eine scharfe Erkennung der drei Krankheitsprozesse in ihren
Stadien und dementsprechende erfolgreiche Behandlung, unter Um¬
ständen Rettune des Organs, das früher unter das Messer gekommen
wäre. Die Vakzinotherapie (in 243 von 284 Fällen angewandt) unter-
stützt bei den Koliinfektionen die Heilerfolge wesentlich.
A. Moscnthal (Berlin), Die Pyonephrose im Röntgeobild. Zschr.
f. Urol. 15 H. 11. Die schönsten und schärfsten Kontraste gibt das Jod¬
lithium. Es gelingt fast ausnahmslos, den ätiologischen Faktor der
Israelschen Typen (primäre Hydronephrose mit sekundärer Infektion,
entzündliche Prozesse mit sekundärer Verhaltung, tuberkulöse Pyo-
nephrose) zu erkennen.
P. Rosenstein (Berlin), „Pneumoradiographie des Niereolagers <( ,
ein neues Verfahren zur radiographischen Darstellung der
Nieren und ihrer Nachbarorgane (Nebenniere, Milz, Leber).
Zschr. f. Urol. 15 H. 11. Anstelle des nicht ungefährlichen Pneumo¬
peritoneums legt der Autor durch extraperitoneale Einblasung von
Sauerstoff einen Oasmantel um die Nieren, um sie vor dem Durch¬
leuchtungsschirm und im Röntgenbild zu studieren. Ausführliche Dar¬
stellung der Entwicklung und des Werts der Methode. Technik „über¬
aus einfach". Das Verfahren klärt über das Vorhandensein, die Größe
und Verlagerung des Organs auf und erschließt Verwachsungen, Stein¬
nieren, Tumoren, akute Spannungen, sowie das Verhalten der intra-
peritonealen Nachbarorgane. 9 Abbildungen.
E. Hirschberg (Charlottenburg), Messungen in der Blase.
Zschr. f. Urol. 15 H. 11. Ausführliche Besprechung der besonders für
das Gebiet der organischen Neubildung m Betracht kommenden, in der
Bierschen Klinik geübten direkten Messung. Es gelang, der Forderung
eines gleichbleibenden Abstandes des abbildenden Objektivs von dem
zu messenden Objekt durch ein „Universal-Meß/ystoskop" zu genügen,
das aus dem mit einer Linse und Prisma versehenen Beleuchtungsteil,
dem gewöhnlichen optischen System und einem Okular mit leicht aus¬
wechselbaren Meßskalen besteht. Fünf Abbildungen.
O. Sachs (Wien), Cavernitis traumatica als Folgezustand einer
Schußverletzung des Penis. W. kl. W. Nr. 47. 1 Fall.
K. Ullmann (Wien), Röntgentiefenbestrahlung der Hoden-(Gen i-
tal-)Tuberkuiose. W. kl. W. Nr. 46. Die günstigen Erfolge bei 24 Fällen
decken sich im allgemeinen mit denen von Freund (W. kl. W. Nr. 42).
Die Röntgentiefenbehandlung ist also ein wertvolles Hilfsmittel. Da¬
neben sorgfältige Allgemeinbehandlung unbedingt erforderlich.
O. Stracker (Wien), Behandlung der Knochen- und Gelenktuber-
knlose mit Tuberkelbazillenspaltprodukten (Joannovics). W. kl. W.
Nr. 47. Bericht über 50 Fälle mit 2—5monatiger Behandlung. Rasche
Besserung wurde nicht beobachtet. Gleichzeitig bestehende Lungen¬
erscheinungen verliefen stürmisch und unter hohem Fieber, ln vielen
Fällen Besserungen, aber auch schwere Rückfälle. Vorläufig ist kein
abschließendes Urteil möglich.
H. Math eis (Graz), Albeesche Operation bei Wirbelsäulentuber¬
kulose. W. kl. W. Nr. 46. Bei 6 Operationen 3 Mißerfolge. 1. Lang¬
sames Redressement vor der Operation mißlang, der Span (dessen
Corticalis auffallend dünn war!) brach 4 1 /« Monate nach der Operation
in der Mitte durch. — 2. 4 Monate nach der Operation kalter Abszeß
im unteren Teile des Spans. — 3. 6 Monate nach der Operation Er¬
scheinungen von Druckschädigung des Rückenmarks.
M. Brandes (Dortmund), Madelungsche Deformität des Hand¬
gelenks. Zschr. f. orthop. Chir. 42 H. 1. Mindestens ein Teil der
Fälle beruht auf lokalen Wachstumsstörungen des Epiphysenknorpels
dts Radius, rachitischen oder kongenitalen Ursprungs.
A. Brüning (Gießen), Fußgewölbe und Plattfuß. Zschr. f. orthop.
Chir. 42 H. 1. Verfasser betrachtet das Metatarsale Iil als vorderen
Anteil des Längsbogens. Neben klinischen Beobachtungen (Schwielen¬
bildung) führt er zum Beweis Tatsachen aus der Paläontologie an.
F. Schultze (Duisburg), Einteilung des Plattfußes und Behand¬
lung. Zschr. f. orthop. Chir. 42 H. 1. Er unterscheidet die muskuläre, -
die ligamentäre, die ostale Form des Plattfußes, beschreibt die Sym¬
ptome dieser Formen, insbesondere am Fußsohlenbild und die Art
seiner unblutigen Behandlung mittels Redressement. Einlagen werden
nie gegeben.
Fr. Staffel (Wiesbaden), Eigenartiger Stutzkorsett-Typus. Zschr. f.
orthop. Chir. 42 H. 1. Staffel verzichtet beim exakt angepaßten Stoff¬
korsett auf Hüftbügel und ersetzt dieselben durch Metallplatten, die
vor der Spina ant. sup. eingenäht werden.
Frauenheilkunde.
Mündheim (Hamm), Hyperemesis gravidarum durch Salvarsan
S eheilt. B. kl. W. Nr. 49. Bei einer Frau mit Hyperemesis gravidarum,
ie eine positive Wa. R. auf wies, wurden alle Beschwerden durch
Salvarsan behoben.
E. Frey (Zürich), Abdominaler Kaiserschnitt in Lokalanästhesie.
M. m. W. Nr. 48. Vor der Operation als Beruhigungsmittel statt des
Morphiums Somnifen. Infiltration der Bauchwand im Bereich des
Schnittes mit , / 2 °/o , g em Novokain-Suprarenin. Man kann ohne Schaden
500 ccm, ja bis 800 injizieren. Die Sectio cervicalis und fundalis ist
jetzt ohne Schmerzen ausführbar, bei der Extraktion des Kindes wird
manchmal über Druck und Kneifen im Bauch gek\agt*
E. Kehrer (Dresden), Beeinflussung der und kehlkopt-
tnberkulose durch Schwangerschaft, Geburt u *\ *•' m,w
Nr. 48. Bei ungünstigen sozialen Verhältnisse*^* »«A &e\nd\Vat\on zur
Schwangerschaftsunterbrechung auch bei T
gestellt werden. Stets möglichst frühzeitig^
Ban II, bei deutlichem Fortschreiten des Pr^ .Vf . o « 61 * *
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
LITERATURBERICHT
Nr. 1
10
Kehlkopftuberkulose abdominale Totalexstirpation mit Ovarien und
Tuben.
K. Warnekros (Berlin), Ligatur der großen Beckenvenen bei
puerperaler Pyflmie. M. m. W. Nr. 48. Die Diagnose der puerperalen
Allgemeininfektion darf erst dann gestellt werden, wenn die Bakterien
im Blut wiederholt nachgewiesen sind und die Kulturen von Probe
zu Probe reichlicher und schneller angehen. Die Prognose ist dann
infaust. In manchen Pallen gelingt es durch Unterbindung der Venae
spcrmaticae und iliacac communcs die Giftquelle auszuschalten, Erfolge
werden nur bei subakut oder chronisch verlaufenden Infektionen
erzielt, wo die Bakterien nicht die Neigung haben, sich phlegmonös
auszubreiten.
Augenheilkunde.
♦ ♦ Th. Axenfeld und A. Elschnlg. Handbuch der gesamten
Augenheilkunde. 3. Aufl. M. v. Rohr, Die Brille als optisches
Instrument. Berlin, J. Springer, 1921. 254 Seiten mit 112 Abbildungen.
M. (6.-. Ref.: F. Schieck (Malle a. S.).
In dem Buche hat nicht der Augenarzt, sondern der werktätige
Fachmann dag Wort, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Carl
Zeiß-Wcrke wie kein anderer dazu berufen ist, uns in die mehr und
mehr zur Spezialwissenschaft «ich herausbildende Brillenlehre einzu¬
führen. Es geschieht dies unter eingehender Würdigung der geschicht¬
lichen Daten und unter Betonung der mathematisch-optischen Seite
der Frage. Die Aufgabe lag weniger auf dem Gebiete der technischen
Fragen. Das Allvar Gullstrand gewidmete Buch ist hervorragend
geeignet, den Arzt mit den Problemen der optischen Wirkung der
Brillengläser bekannt zu machen.
Krankheiten der oberen Luftwege.
♦ ♦ A. Knick (Leipzig), Ohren-, Nasen-, Rachen- und Kehl
kopfkrnnkhelten. Leipzig, Buchhandlung des Verbandes der
Acrztc Deutschlands, 1921. 259 S. M. 30.—. Ref.: Haike (Berlin).
Im Rahmen der „Aerztlichen Bücherei für Fortbildung und Praxis"
bearbeitet der Verfasser die Ohren-, Nasen- und Kehlkopfheilkunde,
und zwar in so kompendiöser Form, daß d«e Darstellung ganz besondere
Ansprüche stellen mußte, um so klar zu sein, wie sie es ist. Nichts,
was dem Allgemeinpraktiker wichtig werden kann, bleibt unbesprochen,
sodaß das Buch diesem besonders empfohlen sei. Die zahlreichen
Abbildungen geben trotz ihrer Kleinheit anschauliche Bilder.
Haut- und Venerische Krankheiten.
B. Feilchenfeld (Berlin), Beziehungen zwischen Pemphigus
neonatorum und Impetigo contagiosa. B. kl. W. Nr. 49. In einer
Familie wurden bei einem Neugeborenen ein Pemphigus neonatorum,
wenige Tage später bei einer 3jährigen Schwester typische Pemphigus¬
blasen und daneben Impetigokrusten und bei einer l 1 /jährigen Schwester
typische Impetigo contagiosa beobachtet.
A. Busacca (Wien), Neue intrakutane Reaktion bei Hauttuber¬
kulose. W. kl. w. Nr. 47. Intrakutane Injektion von 0,2-0,3 ccm
Pferdescrum. Die Reaktion, die sich innerhalb 24 Stunden in ver¬
schieden ausgedehnter Rötung zu erkennen gibt, soll spezifisch sein.
Unter 105 Fällen reagierten 92 positiv, 7 negativ, 6 unbestimmt. Von
8 in Ausheilung begriffenen Fällen 2 positiv, 4 negativ, 2 unbestimmt.
Qerhard Hammer (München), Röntgenbehandlung der Sklero¬
dermie. M. m. W. Nr. 48. Auch Ascolt und Fagiuoli. Riforma
medica 1920, beobachteten Besserung einer indurativen Sklerodermie
nach Reizbestrahlung der Hypophyse und Thyreoidea. Es scheint,
als ob Störungen verschiedener endokriner Organe zur Sklerodermie
führen können, vielleicht durch Sympathikusneurose.
Zinßer (Köln), Zahnhypoplasien und Syphilis congenita. M.m.W.
Nr.48 Hutchinsonschc Zähne und Hypoplasien der Kauflächen der ersten
bleibenden Molaren werden verursacht durch Schädigungen, die das
Kind zur Zeit der Geburt, jedenfalls nicht später als nach dem 3.-4.
Lebensmonat treffen. Anamnese und serologischer Befund zeigen, daß
diese Hypoplasien in weitaus den meisten Fällen durch kongenitale
Lues bedingt sind.
F. W. Oclze (Leipzig), Ist'die diagnostische Salvarsaneinspritzung
berechtigt? M. m. W. Nr. 48. Zu Klebe in M. m. W. Nr. 42. Nur
etwa in der Hälfte der Fälle tritt bei Luetikern nach der Salvarsan-
injektion Fieber auf, es hat keinen diagnostischen Wert. Nach einer
diagnostischen Salvarsaninjektion ist der Spirochätennachweis meist
nicht mehr möglich. Die diagnostische Salvarsaninjektion ist abzulehnen.
Kinderheilkunde.
Carl Hoff mann (Offenbach a. M.), Ernährungsstörungen und
uhrc Behandlung mit Tonophosphan als Stoffwechselstimulans
inter besonderer Berücksichtigung der Rachitis. Ther. d.
Ocgenw. H. 11. Das Präpant, dessen Zusammensetzung voiläufig noch
aus zwingenden Gründen nicht mitgeteilt wird (L. Caaseüa, Mainkur),
ist ein organisches Phosphorderivat. Es wird in Dosen von 5—10 mg
subkutan injiziert und hat, wie aus den 12 beigefügten Krankengeschichten
ersichtlich ist, sich nach jeder Richtung hin bewährt.
L. Doxiades und R. Hamburger (Berlin), Einige Beobachtaagei
über das Herz im Kindesalter. Jb. f. Kindhlk. 95 H. 5,6. Bradykardie
beim hungernden Säugling, als Ausdruck einer Anpassung des Kreis¬
laufes an die verschlechterte Lage im Körperhaushalt, erscheint als
prognostisch günstiges Symptom. Kinder mit starker Vagolabilität
des Herzens reagieren günstig auf Atropin. Extrasystolen zeigen eine
Uebercrregbarkeit des Herzmuskels bei neuropathischen Kindern an,
die durch Uebungstherapie und Kalk beseitigt werden kann.
J. C. Schippers und Cornelia de Lange (Amsterdam), Durch
Streptococcus viridans bedingte Eudokurditis im Kindesalter. Jb. f.
Kindhlk. 95 H. 5 6. Endocarditis lenta und maligne Endocarditis durch
Streptococcus viridans.
P. Karger (Berlin), Behandlung choreatischer Kinder mit Be-
wegungsübungen. Jb. f. Kindhlk. 95 H. 5/6. Die allen Affekten gegen¬
über unbeherrschte Psyche der Choreatiker neigt als Folge der Un¬
durchführbarkeit gewollter Bewegungen zur Depression. Zur Beseitigung
dieser Ungeschicklichkeit der gewollten Bewegungen werden spielende
Uebungen (auch der Sprache) zunächst am isolierten Kinde vorgenommen,
bei denen eine Ueberschreilung der Ermüdungsgrenze vermieden
werden muß.
Soziale Medizin und Hygiene.
♦♦ B. Chajes (Berlin), Kompendium der sozialen Hygiene.
Berlin, Fischers Medizinische Buchhandlung, 1921. 169 S. Geb.
M. 36.—. Ref.: A. Gottstein (Charlottenburg).
Es ist dem Verfasser gelungen, für die große Zahl der schon
tätigen oder angehenden Aerzte, die ihre Berufsaufgaben zwingen,
sich mit Fragen der sozialen Hygiene zu beschäftigen und die
diesen Fragen heute ein großes Interesse entgegen bringen, ein
gutes kurzes Lehrbuch zu verfassen, das viele Ansprüche erfüllen
wird. Verfasser hatte lediglich praktische Ziele und schließt daher
mit Recht theoretische Streitfragen aus; er bringt in knapper, klarer
Form und zweckmäßiger Einteilung viele Tatsachen; mit geschultem
Blick und in guter Uebersicht wird hierbei das Wesentliche in den
Vordergrund gestellt. Sorgfältig ausgewählte Tabellen, die oft übet
das Alltägliche hinausgehen und auch Volkswirtschaft und Ausland
berücksichtigen, stützen nicht nur die Darstellung, sondern dienen
auch als Lehrmittel. Trotz strenger Objektivität gehen zwei Ge¬
danken einheitlich durch alle Abschnitte, die Aerzte zur Mitarbeit
zu erziehen und die Notwendigkeit dieser Mitarbeit durch die ge¬
sundheitlichen Folgen des Krieges zu erweisen. Dabei bleibt der
Verfasser, wo er volkswirtschaftliches Material heranzieht, immer
Mediziner und Biologe, der führt und nicht sich durch die Lehren
einer Grenzwissenschaft leiten läßt.
M. Cohn (Berlin), Stillen der Mütter vor, in nnd nach dem Kriege.
B. kl. W. Nr. 49. Während des Krieges hat die Stilldauer erheblich
zugenommen, um in der Nachkriegszeit wieder abzunehmen. Die
staatlichen Stillbeihilfen haben einen günstigen Einfluß gehabt. Sie
sollten nicht nur für 13, sondern für 26 Wochen gewährt werden.
Standesangelegenheiten.
Molineus (Düsseldorf), Pseudarthrose und Unfall. Mschr. f.
Unfallhlk. Nr. 10. Aufzählung der verschiedenen Ursachen der Pseudar-
throsenbildung, wobei besonders auf die anfänglich vernachlässigte
Muskelpflege hingewiesen wird. Letztere ist also ein wichtiges
prophylaktisches Mittel. Versagt die unblutige Behandlung, so
kommen plastische Operationen in Fragte, als beste vielleicht die
Ueberpflanzung eines gestielten Haut-Periost-Knochenlappens.
H. Grub er (Mannheim), Lendenschmerz als Unfall? Mit einem
Nachwort von. Prof. Liniger (Frankfurt). Mschr. f. Unfallhlk. Nr. 10.
Beide Autoren stehen auf Qrund des Aktenstudiums bzw. eigener
großer Erfahrung auf dem auch in der Schweiz anerkannten Stand¬
punkt, daß echte traumatische Lumbago äußerst selten ist, daß es sich
zumeist um rheumatische usw. Affektionen, wenn nicht um Simulation
handelt. Fälle, die mehr als 14 Tage zur Heilung brauchen, sind in
dieser Hinsicht verdächtig.
Fritz C. R. Schulz, Hysterie bei Kriegsbeschädigten. Zschr. f.
ärztl.-soz. Versorgungsw. 1 H. 8. Man kann bei Traumatikern die
frühere ungünstige Oppenheimsche Prognose nicht aufrechterhalten,
sondern durchaus prinzipiell die Heilbarkeit der hysterischen
Symptome betonen. Berufliche Beschäftigung und fortgesetzte Auf¬
klärung führen allmählich zur Besserung, und deshalb dürfte eine
Kapitalabfindung, wie sie früher vorgeschlagen war, nicht mehr in
Frage kommen, vielmehr eine befristete Rente (für 2 bis 3 Jahre)
nicht über 20 bis 30°/ 0 . Eventuell wäre eine vorübergehende Ent¬
fernung. aus der Familie zu empfehlen, weil die nächsten Angehörigen
häufig derartige Willensschwäche in ihrer Rentensucht und in ihren
Krankheitsideen bestärken.
Digitized b 1
Google
- Qr i g i r al from
CORNELL UNIVERSITY
5. Januar 1Q22
LITERATURBERICHT
41
Aus der ausländischen Literatur.
(Schweiz, Holland, Spanien, Frankreich, Italien, England, Amerika, Indien» China, Japan.)
S. Takenuchi (Jji Shimbun. 1918) untersuchte 200 Leichen auf
den (jlykogeugrhalt der Muskeln. 12 Stunden nach dem Tode ver¬
ringerte sich der Glykogengehalt, ebenso während des Sommers und
Winters. Am reichsten an G.ykogen zeigte sich der Gastroknemius,
weniger Interkostalmuskeln und Diaphragma, am ärmsten Oberarme,
Vorderarme und Masseieren. Der Befund war gewöhnlich negativ
bei Gelbsucht (auch Weilscher Krankheit) und bei Nephriiis.
J. Kusaraa, R. Kobayashi und K. Kuzunshi veröffentlichten
(Japan. Journal f. Bakteriologie. April 1918) ihre Untersuchungen über
die Spirochäte des Rattenbißfiebers. Die Erreger werden bei weißen
Ratten und Meerschweinchen in Lippen, Augenlidern, Zunge und häufig
in Lymphdrüsen gefunden. Uebertragung auf normale Tiere erfolgt
durch Btß, nur sehr selten, wenn infizierte Organe verfüttert wurden. Emp¬
fänglich zeigten sich Ratten, Meerschweinchen, Mäuse und auch Menschen.
Studie über Kala-itzar. Knowles R. Indian Journal Med. Research.
Juli 1920. Dauer der beobachteten Fälle bis zur Behandlung bis zu
5 Jahren. Fiebertypus ganz ungleichmäßig, oft Malaria oder Typhus
voriäuschend. Symptome: Abmagerung. Aufgetriebenes Abdomen,
Anfälle von dysenterieartigen Durchfällen. Manchmal Gelbsucht, ziem-
üch regelmäßig Pigmentationen auf Stirn und Nase. Oedem der Füße,
Nephritis und Epistaxis sehr gewöhnlich. Histologische Btndegcwehs-
wuchrrungen in Leber und Niere. Hämoglobingehalt 39—15%. Erythro¬
zyten 2.5 Mill. Behandlung. Tartar, emet. in kleinen Dosen für 2 Monate.
Sofortiges Vergeh winden des Fiebers und der Parasiten im Blut. Von
86 Fällen 46 geheilt, 12 gebessert. 22 gestorben, 6 der Beobachtung
entzogen. Uebertragungsmöglichkeit: direkt durch Fäzes, durch
Ankylostoma als Ueberträger und Wanzen. Ungefähr 21 °/ 0 der Fälle
zeigten in peripheren Gefäßen die Leishman-Dono van sehen Körper¬
chen. Punktion der Milz ergab nur gelegentlich die beschriebenen „Torpe¬
doformen*, welche durch Kultur aber sehr lebhafte Flagellaten erzeug en
Marine und Kim ball (J. Am. Med. Ass. 1921 Nr. 14) haben in
Akron (Nordamerika), wo der Kropf endemisch auftritt, durch prophy¬
laktische Gaben sehr kleiner Judmengeo das Entstehen des Kropfes
verhütet. Es genügt, wenn man im Frühjahr und Herbst je 2.0 Natr.-
jod im Verlaufe von etwa 2 Wochen nehmen läßt. Von 2190 Schul¬
kindern, die so behandelt wurden, erkrankten nur 5 am Kropf, während
von 2305 Kindern ohne Behandlung 495 erkrankten. Von 1182 Kindern
mit schon vorhandenem Kropf verkleinerte sich der Kropf bei 773 bei
dieser Behandlung, während bei 1048 unbehandelten Kindern nur bei
145 eine Verkleinerung eintrat.
Roe ssingh (Tij-ischr. voor Geneesk. 65 (II) S. 1656) beschreibt
die Methoden zur Beurteilung der Punktion des Knochenmarks bei
Anämien, worüber er schöne Untersuchungen angestellt hat. Bei nor¬
malen Individuen findet man keinen Sauerstoffverbrauch der Erythrozyten
ond die Zahl der vital gekörnten Zellen beträgt nur selten mehr als
2 # / r Bei Embryonen und Neugeborenen findet man eine starke
Sauerstoffzehrung und ebenfalls eine erhöhte vitale Körnung. Dieses
embryonale Verhalten nun findet man auch bei der perniziösen Anämie,
während es bei malignen Geschwülsten, auch wenn sie im Knochen¬
marke Vorkommen, fehlt. Bei der perniziösen Anämie besteht ein Reiz, der
das Knochenmark trifft, dieser fehlt bei den bösartigen Geschwülsten.
Levine und Ladd (Johns Hopkins Hosp. Bull. August 1921) haben
150 aufeinanderfolgende Fälle von perniziöser Anämie auf ihre ga¬
strische Anazidität geprüft. 7 Fälle, deren Diagnose später unsicher
erschienen, scheiden aus. Bei 104 von 107 Fällen fand sich im fasten¬
den Magen und nach einem Ewaldfrühstück keine freie Salzsäure; das
Pepsin fehlte in den Fällen, die daraufhin untersucht wurden, eben¬
falls. 5 Fälle, bei denen Salzsäure festgestellt wurde, wurden durch
Operation oder Sektion als mindestens sehr zweifelhafte Fälle von
perniziöser Anämie erkannt. In vielen Fällen ergab die Anamnese |
andere Fälle von perniziöser Anämie in der Familie. Die Erkrankung
ist selten bei Juden, Einwanderern aus dem Osten Europas und Ita¬
lienern viel häufiger bei Amerikanern, Kanadiern und Einwanderern
der germanischen Rassen. Syphilis spielt keine Rolle, nur 4,3% gaben
einen positiven Wassermann (während 13% aller intern erkrankten Pa¬
tienten des Hospitals einen positiven Wassermann zeigen). Antisyphi-
fitische Behandlung ändert das Krankheitsbild nicht. Eosinophilie wurde
häufig gefunden, selbst 25°/ 0 Eosinophilie schließt die Diagnose nicht aus.
Die Anazidität spielt eine sehr wichtige Rolle in der Diagnosenstellung.
Cal walader (Pennsylvan. Med.J. Juli 1021) weist darauf hm, daß
tu den meisten Fällen von perniziöser Anämie das Rückenmark er¬
krankt ist Die Sklerose erscheint zuerst in Oollschen und in der
Nachbarschaft der Burdacljschen Stränge. Schon früh ist das Knochen-
und Mu«krlgefühl gestört. Die Scheinreflexe können, gesteigert sein.
Dieser Tvdus der kombinierten Sklerose kommt mit keiner anderen
Form der Anämie als mit der perniziösen vor
P„v «Davos) pneumoihoraxapparate. Schweiz, m. W. Nr. 35.
Kritik in dem Pneumothoraxapparat von Leschke, der nicht vom
QxveTaXeur allein bedient werden kann, sondern stets eine zuverlässige
and erübte Assistenz erfordert deshalb ist er zum Anlegen eines
Pneumothorax sicher ungeeignet. Empfehlung eines eigenen trans¬
portablen Apparats mit sehr einfacher Bedienung,
Bolaffio Oedemkrankbeit bei italienischen Kriegsgefangenen in
« llPol sez. prat. 28 S. 1225. Die Symptome der be-
hS!d?Um Fälle waren im wesentlichen die gleichen: Oedem an den
unteren Extremitäten, in einigen Faden bis zu den Hüften Gesichts,
ödem, bläuliche Verfärbung der Lider, in schweren Fallen Oedeme
des Rumpfes, am Abdomen und an den Genitalien. Am Herzen leichtes
systolisches Geräusch an der Spitze, ausgesprochene Bradykardie und
Labilität der Pulsfrequenz. Auffallend war die hohe Urinmenge,
2200—6000 ccm. Schwere Fälle wurden nur wenig beobachtet; leichte
Fälle lediglich mit Polyurie und Bradykardie aber zu Tausenden. Auf¬
fällig war die Neigung zu Verstopfung trotz schlackenreicher Kost und
das Fehlen von Schweiß. Die Tagesration enthielt knapp das Eiwei߬
minimum, auch fehlte bei Soldaten das Fett völlig; die Brotportion
betrug nur 210 g pro die, bei teilweise anstrengender Arbeit. Bei
Unterkunft in geheizten Räumen und leichter Arbeit wurden keine
Oedeme, sondern nur Bradykardie und Polyurie beobachtet. Kälte
und Arbeit gehören daher zu den ätiologischen Faktoren; bei Ver¬
abfolgung ausreichender Kohlenhydrate besserte sich zwar der All¬
gemeinbefund, die Polyurie schwand aber erst mit Fettzulage. Verfasser
spricht daher dem Fett gleicherweise wie dem Eiweiß eine spezifische
Wirkung zu. Die Oedemkrankheit ist der Ausdruck einer einseitigen
und gleichzeitig ungenügenden Ernährung.
Paterson und Spence (Lancet 1921 3. IX.) stellen an 25 genau
beobachteten und nach Jahren nachuntersuchten Fällen fest, daß die
Encephalitis letbargica des Kindes fast nie zur völligen Heilung führt,
sondern meist dauernde Schädigungen zurückläßt. Nur % der Fälle,
die Verfasser beobachteten, kamen zur völligen Heilung, in den
übrigen kam es zu Störungen, die von leichten Defekten bis zur
völligen Idiotie gingen; außerdem kam es zu spastischer Diplegie,
Hemiplegie, Paralysis agitans, Muskelrigidität und Zittern. Je jünger
das erkrankte Kind ist und je länger das akute Stadium der Krankheit
dauert, um so schwerer sind die dauernden Störungen der Psyche.
Birley und Dudgeon (Brain. Vol. 44 Teil II; geben eine klinische
und bakteriologische Studie der di«seminierten Sklerose, die sich auf
35 Fälle mit Tierimpfungen in 15 Fällen und auf genaue Bearbeitung
der ganzen Literatur stützt. Die Verfasser unterscheiden 2 Typen der
Krankheit, einen remittierenden und einen chronisch fortschreitenden,
das Verhältnis der beiden Typen zueinander ist in dieser Serie 6:1.
Während der Remission kann bei Frühfällen der Kranke sich soweit .
erholen, daß er klinisch völlig gesund erscheint, eine Spontanheilung
ist nicht völlig auszuschließen. Das bakieriologische Ergebnis war
negativ, eine Uebertragbarkeit auf das Tier, sowie die Spirochäten-
Aetiologie halten die Verfasser für unbewiesen. — Der pathologische
Prozeß, der der Krankheit zugrunde liegt, ist ein entzündlicher.
Rosenow (J. Am. Med. Ass. 1921 Nr. 8) hat 259 Fälle von akuter
Poliomyelitis mit einem Serum behandelt, das durch Vorbehandlung
von Pferden mit pleomorphen Streptokokken der Poliomyelitis ge¬
wonnen wurde. Auf Grund zahlreicher Affenversuche schien die
intravenöse Einverleibung der intraspinalen überlegen und wurde des¬
halb beim Menschen angewendet. Von den 259 Fällen starben 19.
Ohne Lähmung wurden 189, mit bleibender Lähmung 37 geheilt;
durchschnittlich erhielt jeder Kranke 27 ccm Serum. Verfasser wie
zahlreiche andere Aerzte, die seine Fälle mitbeobachteten oder selbst
das Serum an wendeten, sind davon überzeugt, daß das frühzeitig ge-
gegebene Serum in den meisten Fällen das Eintreten der Lähmung
verhütet und daß es, 36—43 Stunden nach Eintritt der Lähmung ge¬
geben, von deutlichem Nutzen ist, später wird der Erfolg zweifelhaft.
J. Sanchis Banüs, Eine neue Reaktion für die Erkennung der
pathologischen Veränderungen des Liquor cerebrospinalis. Arch. de
Medicina, Cimjia y Especialidades, 1921, 15. Vil. Diese neue Reaktion
beruht auf der Senkungsgeschwindigkeit der Blutkörperchen des Pferde¬
blutes in der Rückenm*rksilüssigkeit. Die Ursache davon ist die
Gegenwart oder die Abwesenheit der Schutzkolloide, und die Reaktion
gehört zu der Gruppe der Kolloidreaktionen. 1 cm des Liquor cere¬
brospinalis in kleine exakt kalibrierte Meßzylinder mit 1 cm defibri-
• niertem Pferdeblut, Thermostat, alle 10 Minuten wird die Höhe der
Blutkörperchensäule notieit.
Dr. Heimburger und Ewers operierten in Weihsien-Shantung
eine Ovarialzytte, welche in toto 121% Pfund wog. Glatte Heilung.
(China Medical Journal 1921.)
Taniquchi und Yoshinare (Brit. Med. J. 1921 13. IV.) haben
an 1575 verschiedenen Seren die Sachs-Georgl und die Wassermann-
Probe verglichen und gefunden, daß von 1418 Fällen 553mal beide
Reaktionen positiv ausfielen, 845mal negativ und 20mal zweifelhaft.
Vergleicht man nur Fälle von vorbehandelier Syphilis, so ist die Sachs-
Oeorgische Probe häufiger positiv als die Wassermannsche.
Sazerac und Levaditi, Behandlung der Syphilis mit Wismut.
Academie des Sciences. Paris 1921 1. VIII. Das Tartrohismutat von
Na und K übt eine energische und rasche Einwirkung auf die syphi¬
litischen Erscheinungen des Kaninchens aus. Diese im Institut Pasteur
in Paris gemachte Feststellung wurde von Fournier und Guenot
am Menschen nachgeprüft. Sie behandelten 110 Patienten mit intra¬
muskulären Einspritzungen jenes Salzes in Oelsuspension. Die Primär¬
erscheinungen heilen dabei in 1—3 Wochen; die Treponemen ver¬
schwinden aus der Wunde, die vernarbt. Auch au! die sekundären
und tertiären Störungen wirkt die Behandlung günstig ein. In einem
der Fälle ist die positive Wa. R. negativ utvd geblieben.
Bei den anderen Patienten ist sie positiv Ne ' >en *
erscheinungen der Behandlung bestanden N • -etn labnUeischsaum
und in Stomatitis. Angesichts der kurzen e
beiden Forscher noch keine weitgehenden «jt.
-
Digitized fr,
Google
Original from
CORNELL UNIVERSUM
42
LITERATURBERICHT
Nr. 1
Kritische therapeutische Rundschau.
O. T. Osborne, Ungewöhnliche Störung der inneren Sekretion.
Endocrinology 1921, 5, S. 574. bei einem 2 4 jährigen Mädchen, das seit
mehreren Monaten morgens mit teigigen Schwellungen des Gesichts
aufwachte, über Herzbeschwerden klagte und starke Transpiration
zeigte, die oft bis zum förmlichen Herabträufeln des Schweißes bei
gewöhnlicher Temperatur führte, wurde die Diagnose auf eine poly¬
glanduläre Störung der inneren Sekretion mit hauptsächlicher Beteiligung
der Nebenniere, Hypofunktion der Hypophyse und gesteigerter Inkretion
der Schilddrüse gestellt, lägliche zweimalige Verabreichung von 1 g
Nebennierensubstanz ließ die Symptome, die nach Unterbrechung der
Therapie wieder auftraten, nach acht Tagen verschwinden. — Theoretisch
ist dieser Erfolg aus einer Adrenalinwirkung allein nicht zu erklären,
da dieses, per os gegeben, seihst in großen Dosen keine objektiv fest¬
stellbaren physiologischen Veränderungen hervorruft, und die Auf¬
bewahrung der getrockneten Drüsensubstanz das sehr empfindliche
Amin zerstört. W.
Boothy, Die Epithelkörperchen. Endocrinology 1921,5,S. 415. Bei
der Tetanie, die auf Erkrankungen oder Funktionsausfall der Epithel¬
körperchen zurückzuführen ist, haben sich intravenöse Injektionen von
5<y o ig en Lösungen von Calcium lacticum oder aceticum, die auch per os
gegeben werden können, gut bewährt. Diese Befunde stehen in gutem
Einklang mit älteren experimentellen Tierversuchen, in denen die ge-
steigerte-Nervenerregbarkeit nach operativer Entfernung der Gl. parathy-
reoidea durch Injektionen von Kalzium- oder Magnesiumsalzen herab¬
gesetzt wurde, sodaß die Krämpfe aufhörten. W.
Schober (Wildbad), Nene Erklärungsmöglichkeiten der Thermal¬
bäder. Fortschr. d. Med. Nr. 14. Die neueren Theorien über unspe¬
zifische Proteinkörperwirkungen legen es nahe, in der Bäder¬
reaktion, wie man sie namentlich in Thermalbädern im Anfang einer
Kur oft beobachten kann, eine Analogie zu den Reaktionen auf paren¬
terale Einverleibung von Proteinkörpern zu suchen. Die Symptome
sind bei der Bäderreaktion ganz ähnlich den nach Protein! ö'perinjektion
auftretenden. Hier wie dort findet sich neben Störungen des Allge¬
meinbefindens ein Wiederaufflackern frischerer und auch älterer ent¬
zündlicher Prozesse. Nach Schobers Beobachtung tritt in Wildbad
bei */* aller Patienten die Bäderreaktion ein, durchschnittlich nach dem
zweiten bis vierten Bad. Auch die Lehre von der Esophylaxie läßt
sich zur Erklärung der Bäderwirkung mit heranziehen. W. Krebs
hatte schon im vorigen Jahre in dieser Wochenschrift (1920 Nr. 31)
die Bedeutung dieser Theorie für die physikalische Therapie auseinander
esetzt. Schober nimmt an, daß im Thermalwasser gar keine Heil-
räfte im engeren Sinne des Worts liegen, sondern nur gewisse physi¬
kalische Eigenschaften, die abgestimmte Reize für die esophylaktischen
Abwehrvorrichtungen, deren Sitz die Haut ist, darstellen. Die Haut
ist ja der hauptsächlichste Angriffspunkt für eine Thermalbäderkur.
In diesem Zusammenhänge sei darauf verwiesen, daß auch Lilienstein
(Nauheim) kürzlich im Anschluß an Untersuchungen über elektrische
Erscheinungen an der Oberfläche des Körpers die Anregung gegeben
hat, die rein physikalischen Vorgänge, welche beim Baden an der Haut
auftreten, genauer zu erforschen. (36. Balneologenkongreß 1920). L.
S.Kottek, Behandlung von Leuchtgasvergiftnnr mit Magnesium-
perhydrol. M. m. W. 1921 S. 1396. Kottek hat in 2 Fällen von Leucht¬
gasvergiftung (einem leichten und einem schwereren) bei beginnender
Erholung dreistündlich je 1 g de9 25°/ 0 igen Magnes.umperhydrols ver¬
abreichen lassen, „um auf diese Weise dem Körper wieder
Sauerstoff zuzuführen". Der Erfolg soll ein ausgezeichneter ge¬
wesen sein, weshalb diese Therapie empfohlen wird. — Bekanntlich
ist die reichliche Sauerstoffzufuhr gerade bei der CO-V^rgiftung eine
absolute Indikation, in der ganzen Sauerstofftherapie die einzige experi¬
mentell begründete. Man läßt mehrere Liter reinen Sauerstoffs
inhalieren, um die CO-Hämoglobinverbindung zu sprengen und die
Bildung von Oxyhämoglobin zu ermöglichen. Da die Gefahr besteht,
daß auf Grund obiger Empfehlung die Verabreichung von Magnesium-
perhydrol als ein bequemer und ausreichender Ersatz der Sauerstoff-
mhalation, wenn auch nur vereinzelt, angesehen werden könnte, sei
hier darauf hingewiesen, daß 1 g Magnesiumperhydrol 0,142 g Sauer¬
stoff entstehen lassen kann, vorausgesetzt, daß diese Aufspaltung quan¬
titativ im Magen erfolgt. Da 1 g Sauerstoff einem Gasvolumen von
700 ccm entspricht, würden also unter der eben erwähnten Voraus¬
setzung dreistündlich 99ccm Sauerstoff in den Magen des Vergifteten
gebracht werden, von wo aus kaum eine schnelle quantitative Resorption
zu erwarten ist. Die Bewertung der hier in Vorschlag gebrachten
Sauerstoffersatztherapie ist damit wohl ausreichend klargelegt. Sn.
H. Ouggenheimer, Euphyllin intravenös als Herzmittel. Ther.
Hmh. 1921 S. 566. Gegenüber der innerlichen Anwendung von Herz¬
mitteln treten in der Praxis die andern Applikationsarten in den Hinter¬
grund. Es ist wenig bekannt, daß man z. B. die Digitalispräparate
zumal bei längerem Gebrauch vorteilhaft per Klysma geben kann
und so oft die Nebenwirkungen auf den Magen ausschaltet. Auch das
Euphyllin wird rektal als Zäpfchen im allgemeinen gut vertragen.
Guggenheimer hat Erfahrungen über die intravenöse Anwendung
von tuphyllin gesammelt; er bevorzugt Verdünnungen des Inhalts der
2-ccm-Ampullen — mit je einem Gehalt von 0,4 reinem Theopthyllin —
mit 8 ccni Aq. dest. und gleichmäßig lange Injektionszeiten von
2—3 Minuten. Meist wurde mit jeden dritten Tag vorgenommenen In¬
jektionen die gewünschte Wirkung erzielt, zumal bei Koronarsklerose, bei
arteriosklerotischer Myodegeneratio cordis und beim Herzblock. M.
W.Zinn und K.Liepelt, Erythroltetraoitrat in der Behandluag der
Koronarsklerose und mancher Formen von Hypertonie. Ther. d.
Gegenw. 1921 S. 329. Die Behandlung stenokardischer Anfälle mit
Nitroglyzerin, das man übrigens, zumal bei ängstlichen Patienten, lieber
als Trinitrin verordnet, ist allgemein bekannt. Diesem Mittel gegen¬
über scheint der Spiritus aetheris nitrosi heute mit Unrecht etwas ver¬
nachlässigt werden, auch in der Behandlung der Beschwerden der
Hypertoniker. Zinn und Liepelt lenken die Aufmerksamkeit erneut
auf das Erytroltetranitrat, das sie besonders bei Hypertonikern ohne
schwere anatomische Gefäßveränderungen als wirksam gefunden haben
es wird dreimal täglich eine Komprette M. B. K. zu je 0,005 verordnet
Mit Recht wird aber von dem Verfasser auch die Bedeutung der ätiolo¬
gischen Therapie, die nicht zu vernachlässigen ist, hervorgehoben. M.
Elias, Diabetes. W. kl. W. 1921, 34, S. 190. Nach intravenösen
Injektionen von Mono- oder Dinatriumphosphatlösungen wurde bei
Diabetes oder alimentärer Glykosurie der Gehalt des Blutes an Zucker
herabgesetzt, während der Zuckerspiegel des normalen Blutes nicht
dadurch beeinflußt wurde. Mißerfolg in einem Falle von schwerem
Diabetes mit Azidosis und Lipämie. — Die Phosphate wirken wohl
in diesen Fällen als Puffer, indem sie die Azidität des Blutes herab-
setzen und so schwerere Schädigungen des Organismus durch Ver¬
minderung der Azidosis verhindern. W.
J. Zadek, Kolimdexbestimmungen und Mataflorbehaodlaor bei
perniziöser AnMmie. Ther. d. Gegenw. 1921 S. 291 und 341. An dem
Material von Zadek fand Nißle ebenso wie in früheren Fällen einen
minderwertigen Koliindex bei der Perniziosa. Ein Vergleich von drei
nur mit Mutaflor behandelten Fällen von dieser Erkrankung ließ keioen
Vorzug gegenüber sechs anders behandelten erkennen. Dem Verfasser
hat sich für die Therapie der schwereren Formen die kombinierte
Anwendung von Arsen, Mutaflor und Magendarmspülungen bewährt;
das Mutaflor wird zunächst am besten 10 bis 20 Tage in schwacher
Dosis (pro die je eine blaue Kapsel) gegeben, diese Dosis wird beim
Auftreten von Durchfällen beibehalten, sonst die stärkere Dosis (pro
die je eine rote Kapsel vor dem Mittagessen) verabfolgt. Es handelt
sich also bei dieser Behandlung um eine Kombination von blutrege¬
nerierenden und entgiftenden Maßnahmen. Mit Recht wird von dem
Verfasser auf die unentbehrliche Wirkung des As in der Therapie der
Perniziosa hingewiesen. Um so mehr dürfte aber der Entscheid im
Einzelfalle schwer sein, welche Rolle das Mutaflor bei der geschilderten
Behandlungsmethode spielt, mit andern Worten, ob nicht mit As allein
dieselbe Wirkung zu erzielen ist. Werden doch vom Verfasser aus¬
drücklich drei Fälle erwähnt, die unter Ausschluß von Mutaflor im
wesentlichen mit As behandelt wurden und günstig verliefen. M.
Kalberlah, Aetiologie und Therapie der multiplen Sklerose.
B. kl. W. 1921 Nr. 3J S. 963. Voß, Salvarsanbehandlung der multiples
Sklerose. XI. Jahresversammlung der Gesellschaft deutscher Nerven¬
ärzte, Braunschweig 16. und 17. IX. 1921, nebst Diskussion. Kalber¬
lah berichtet über günstige Erfolge in nicht veralteten Fällen von
multipler Sklerose, unter ausdrücklicher Betonung, daß bei allen Fällen
ein Erfolg nicht zu erwarten ist. Ausgehend von dem Gedanken, daß
wir eine Spirochäte heute wohl sicher als Erreger der Krankheit an-
sehen können, hat auch er Silbersalvarsan angewandt, steigend von
0,03 bis 0,1, mehrere Monate lang; die Behandlung soll dann, nach
mehrmonatiger Pause, jahrelang fortgesetzt werden. Außerdem gibt
er Chininurethan (Merck) in Dosen von 0,5 intramuskulär abwechselnd
mit Salvarsan 1 bis 2 mal wöchentlich. In 36 Fällen hat er seit 1918
bei einem Teil der Fälle deutliche Besserung bis Stillstand gesehen.
Voß hat 1920 im ganzen 7 Fälle im Alter von 23 bis 45 Jahren mit
Neo- und Silbersalvarsan behandelt und zwar intravenös alle 8 bis
10 Tage in Dosen von 0,075 bis 0,45 bei Neo- und 0,15 bis 0,3 bei
Silbersalvarsan. Die Gesamtmenge betrug bei ersterem 1,05—2,3, bei
letzterem 0,9—1,65. Die Behandlung erfolgte mit Pausen 4—6 Monate
hindurch. Von seinen 7 Fällen blieben 6 völlig unverändert; einer wurde
wesentlich besser. In 3 Fällen beobachtete er nach Silbersalvarsan
schon in Menge von 0,3 neuritische Störungen, bedrohliche Herz- uod
Atemstörungen und sogar einmal eine schwere Arsenneuritis nach im
ganzen 0,9. Er steht daher der Behandlung zum mindesten mit größeren
Dosen ablehnend bzw. sehr skeptisch gegenüber. In der Diskussion
konnte Goldstein über günstige Erfolge mit Silbersalvarsan berichten,
Schuster und Mann haben keinen nennenswerten Erfolg, Löwenthal
nur Verschlechterung gesehen. Nach diesen Erfahrungen erscheinen,
im Hinblick auf den sonst völlig negativen Erfolg etwaiger Therapie,
in frischen Fällen Versuche mit niedrigen Neo-Salvarsandosen viel¬
leicht berechtigt; gewarnt werden muß vor größeren Dosen, besonders
des Silbersalvaräans. Zu bedenken bleibt eben bei Einschätzung des
Heilerfolgs, daß ja auch ohne jede Therapie die akuten Störungen bei
relativ frischer multipler Sklerose erheblich, bzw. fast ganz zurück¬
zugehen pflegen. St
Scheele, Balkenstich und Snbokzlpitalstich. Ther. Hmh. 1921
H. 17. In zusammenfassender Darstellung wird über Technik und In¬
dikation des Balkenstiches und des durch die Membrana atlantoccipi-
talis vorzunehmenden Okzipitalstiches berichtet Von den vielerlei
angeführten Indikationen interessiert uns nur die Möglichkeit auf den
Hydrozephalus einzuwirken. Bei der großen Hoffnungslosigkeit des
Zustandes und bei dem Versagen anderer Operationsmethoden muß
dem Praktiker unbedingt empfohlen werden, in geeigneten Fällen von
Hydrozephalus junger Kinder eine der angeführten Operationen vor-
Digitized by
Google
Original fiwi
CORNELL UNfVERSSTY
5. Januar 1922
LITERATURBERICHT
43
nehmen zu lassen. Es ergibt sich dann wenigstens die Möglichkeit,
den Prozeß zum Stillstand zu bringen. E.
Götze, Die mechanische Nachbehandlung Laparotemierter.
M. m. W. Nr. 44. Nach einer Laparotomie schon am ersten Tage auf¬
zustehen, wie es das Ideal der Methode des sogenannten Frühaufstehens
»t, wird zweifellos von der überwiegenden Mehrzahl der Patienten
abgelehnr. Ein frisch operierter Kranker bleibt nun einmal die ersten
Tage lieber im Bett liegen. Andererseits ist es wünschenswert, daß
wir die Schädigung der Bettruhe, besonders auf die Atmungsorgane
nach Möglichkeit einschränken. Dasselbe, was wir mit dem Frühauf-
stehen erreichen wollen, erreichen wir auch, wenn wir die Patienten,
im Bett aufsetzen. Nur hat dieses Aufsitzen im Bett den Nachteil, daß
die Patienten, wenigstens auf den gewöhnlichen Stellkissen, bald wieder
nach abwärts sinken. Hier stellt das Bettbänkchen, über das Götze
w der vorliegenden Arbeit berichtet, zweifellos einen Fortschritt dar.
Es ist weiter nichts als eine schiefe Ebene, die mit Gurten in geeig¬
neter Weise am Bett befestigt werden. Die Gefahr, daß durch solches
Liegen auf schiefer Ebene Thrombosen in den Beinen entstehen, ist
nach den vorliegenden Erfahrungen nicht groß. R.
E Vogt, Die Bekämpfung der postoperativen Urinverbaltung
durch intravenöse Urotropin Injektionen. zbl. f. Gyn. 1921 Nr. 49.
Verfasser konnte beobachten, daß durch intravenöse Urotropininjekti¬
onen, die_ zur Bekämpfung der unangenehmen Nachwirkungen der
Lumbalanästhesie angewandt wurden, eine günstige Beeinflussung der
postoperativen Blasenlähmung zu erzielen war. Die Injektionen, die
man zunächst unmittelbar nach der Operation gab, wurden später auf
den Abend des 1. Operationstages verschoben. Es genügten 5 ccm
einer 40°/ (> igen Urotropinlösung. Die Tübinger Frauenklinik verfügt
über 200 Fälle ohne jeglichen Versager. Der Referat hatte Gelegen¬
heit, sich von der erfolgreichen Bekämpfung der Blasenparese durch
parenterale Pituglandolzufuhr zu überzeugen, möchte sich aber auf
Grund der äußerst günstigen Erfolge der Tübinger Frauenklinik dem
Wunsche V ogts anschließen, sich in allen geeigneten Fällen (Vorsicht
bei Nierenkranken und solchen Patienten, wo Schädigungen der Nieren
zu erwarten sind!) intravenöser Urotropininjektionen prophylaktisch
und therapeutisch zu bedienen, um auf die Weise ein erweitertes Urteil
zu bekommen. L.
Nach Höfer (M. Kl. 1921 Nr.38) haben wir in demTebezin-Dortal
ein Präparat von zweifellos spezifischer Wirksamkeit, das Fälle von
leichter und mittelschwerer chirurgischer Tuberkulose im günstigen
Sinne durch Steigerung der Abwehrkräfte des Organismus, vermehrte
Einschmelzung des pathologischen Gewebes und raschere Regeneration
beeinflußt. Bei der praktischen Unschädlichkeit kann man mit den
Dosen natürlich individualisierend schnell ansteigen. Beginn mit
0,1 ccm subkutan. Steigerung um 0,2 ccm nach 2—5 Tagen bis zur
höchsten Einzeldosis von eventuell 3—4 ccm. Daneben natürlich chirur-
giscbeMaßnahmen (Punktion von Abszessen, ruhigstellende Verbände). B.
ln einem Aufsatz in Nr.36 der M. m. W. empfiehlt Jenkel (Altona)
zur Behandlung von Empyemfisteln die Einspritzung von Pepsin-
lösung (Pepsin 1,0, Acid. loris 3,0, Aqu. dest. 100,0). Anfangs wurde
alle 2 Tage 30—50 ccm der Lösung eingespritzt, dieselbe längere Zeit
durch Lagerung des Kranken auf die gesunde Seite einwirken lassen.
Mehrmals wurde abends vor dem Schlafengehen die saure Pepsin¬
lösung eingespritzt und die Fistelöffnung mit dem Tupfer bis zum
nächsten Morgen verschlossen. Daneben systematische Atemübungen
täglich. So gelang es bei einer etwa 1 l /« Jahre bestehenden großen
Empyemhöhle durch Erweichung und Verdünnung der die Ausdehnung
der Lunge hindernden Pleuraschwarten eine völlige Heilung in etwa
4 Monaten zu erzielen. Die Mitteilung wirkt in ihrer objektiven Dar¬
stellung so überzeugend, daß Versuche in dieser Richtung mindestens
gerechtfertigt erscheinen. B.
Stephan, Aetiof ogie und Therapie der Trichomouaskolpltls.
Zbl. f. Gvn. 1921 Nr. 43. Stephan stützt sich in seinen Darlegungen
auf die Auffassung Ho ebnes, daß für die Aetiologie der Kolpitis das
Abhängigkeitsverhältnis zwischen Trichomonaden und Fluormikroben
im Sinne einer Symbiose von ausschlaggebender Bedeutung sei. Gegen
die Ansicht Lösers, der für das Zustandekommen eines Scheiden¬
katarrhs den Glykogengehalt der Scheidenwand in den Vordergrund
schiebt, werden widerlegende Beispiele angeführt. Es gelang mit der
von Ho eh ne inaugurierten, in Waschung mit Sublimatlösung und
.Boraxglyzerin bestehenden Kolpitisbehandlung, den sogenannten zweiten
Reinheitsgrad der Genitalflora herbeizuführen und damit eine voll¬
kommene Heilung im klinischen Sinne. Es muß weiterer Erfahrungen
Vorbehalten bleiben, das endgültige Vergleichsurteil über diese Methode
und die Bazillosanbehandlung zu fällen. L.
Albert Fülöp, Mit Eihantstich kombinierte Chinindarreichoog
ur Einleitung der Geburt b z w. der Frühgeburt. Zbl. f. Gyn. 1921 Nr. 31.
) CT Verfasser hebt mit Recht hervor, daß man nach wie vor gewissen
idikationen zur Einleitung der Geburt Rechnung tragen müsse. Er
eilt rlabei die Frage der vorzeitigen Unterbrechung der Schwanger-
dnaU »n den Vordergrund. Es ist aber nicht unwichtig, darauf hin-
oiweisen und das ist in der vorliegenden Veröffentlichung nicht
Geschehen, daß gerade bei übermäßiger Schwangerschaftsdauer die
Anzeige zur Einfeitung der Geburt ms Auge gefaßt werden muß.
Fülöp kann man Im übrigen auch dann beistimmen daß die
iblichen Methoden der Oeburtseinleitung wie der Eihautstich allem,
lic Einführung von Boug.es und die Metreurys^ nicht restlos he-
riedizen können Die guten Resultate, die er durch Kombination des
üihautstiches mit der intravenösen, intramuskulären und oralen Chinin¬
darreichung erzielt hat, müssen dazu auffordem, dieser Methode
wegen ihrer technischen Einfachheit und Gefahrlosigkeit größeres
Interesse entgegenzubringen. L.
Aßmann, Blutauswaschungea mit Normosal. M. m. W. 1921
Nr. 46. Verfasser sah bei Urtikaria, Prurilus nervöses und senilis,
Dermatitis Duhring und bemerkenswerterweise auch bei Rosazea gute
Erfolge von der Bruckschen Blutwaschung, wenn er an Stelle der
physiologischen Kochsalzlösung 1 l Normallösung von 20—25° mit
langsamer Einlaufzeit gab. Die Modifikation dürfte die ursprüngliche
Methode ebenso und in demselben Sinne übertreffen, wie die Normal¬
lösung die fälschlich physiologisch genannte, tatsächlich doch die Blut¬
bestandteile schädigende Kochsalzlösung. H. H.
Patsckke, Injektionen von Lebertran in der Dermatologie.
M. m. W. 1921 Nr. 46. An Stelle des von Klingmüller empfohlenen
Terpentinöles verwandte Patschke (Klinik Unna-Hamburg) Oleum
jecoris aselli zur parenteralen, intraglutealen Injektion mit demselben
guten Erfolge, besonders bei dem so schwierig zu behandelnden
Pruritus senilis, aber auch bei Bubonen, Furunkeln und Bartholtnischen
Abszessen, bei denen die Einschmelzung sehr beschleunigt wird, sowie
bei gonorrhoischen Epididymitiden, bei denen die Resorpiion schon
nach drei bis vier Injektionen eingetreten war. Die Mitteilung zeigt,
daß sich die Erfolge der parenteralen Therapie durch die verschie¬
densten Mittel in derselben Weise erzielen lassen, daß es mithin weniger
auf die Wahl des Mittels als auf die Auswahl der Krankheitsfälle an¬
zukommen scheint. H. H.
Hammer ^München), Röntgenbehandlung der’ Sklerodermie.
M. m. W. 1921 Nr.35. Der Meinung Hammers, daß die Sklerodermie
keine lokale Erkrankung, sondern die Folge einer endokrinen Störung
sei, wird man nicht widersprechen können, wenn man sie auch nicht
beweisen kann. Die Schwierigkeit beginnt schon, wenn man auf dieser
Hypothese eine Therapie auf bauen will: Man weiß nicht, welche Drüse
schuld und daher zu behandeln ist. In einem Falle, der mit Basedow¬
symptomen kombiniert war, brachte die Bestrahlung der Thryreoidea
und Thymus mit harten, gefilterten Strahlen eine Besserung der Haut¬
krankheit. Was ist damit bewiesen? H. H.
Planner (Wien), Silbersalvarsan. Derm. Zschr. 1921, 34, H. 5/6.
Die Arbeit stellt die ersten allgemeinen Eindrücke der Fing ersehen
Klinik über das Silbersalvarsan zusammen. Planner notiert zuerst
den energischen Einfluß des Präparates auf die Erscheinungen des
ersten und zweiten Stadiums, speziell auf die Schleimhautplaques.
Die Wirkung auf die Wat R. zeige 9ich jedoch nicht so rasch und über¬
zeugend wie bei der bisher an der Fing er sehen Klinik geübten
Therapie mit Neosalvarsan und Hg. Auch wurden häufiger Neben¬
erscheinungen gesehen, und zwar sowohl der rasch vorübergehende,
bedeutungslose angioneurotische Symptomenkomplex, wie auch länger
dauerndes, prognostisch beachtenswertes Fieber und auch einige Fälle
von allgemeiner schwerer Dermatitis und ein Fall von akuter gelber
Leberatrophie. Neurorezidive wurden ebenfalls in mehreren Fällen
gesehen, meist allerdings nach zu früh abgebrochenen Kuren. Wenn
diese Beobachtungen das (Alt-)Silbersalvarsan als gefährlicher und
etwas wirkungsschwächer als das Neosalvarsan hinstellen, so muß
darauf hingewiesen werden, daß Planner seine reinen Silbersalvarsan-
kuren mit kombinierten Hg Neosalvarsankuren vergleicht, was wohl
schon die klinische Unterlegenheit erklären mag. Die Nebenerschei¬
nungen, die Planner auffallend oft beobachtete, dürften wohl zum
guten Teil auf das an vielen Stellen als gefährlich bereits erkannte
Sulfoxylatsalvarsan zu beriehen sein, das öfters bei den Silbersalvarsan-
fällen ebenfalls gegeben wurde. Bei reinen und mit Hg kombinierten
Siibersalvarsankuren hat Referent sie nur selten gesehen, und nur in
ihren leichten Formen. Gänzlich zu fehlen scheinen sie dem jetzt in
den Handel kommenden Neosilbersalvarsan. Auf dieses letztere Mittel
dürften die von Planner gegenüber Silbersalvarsan geäußerten Be¬
denken jedenfalls nicht bezogen werden. H. H.
Kirch und Freundlich (Wien), Leberschädigung bei Lues und
Salvarsantberapie. Arch. f. Derm. u. Syph. 136 H. 1. Die viel ventilierte
Frage, ob ein bei salvarsanbehandelten Syphilitikern auftretender Ikterus
jJurch die Lues oder durch das Salvarsan bedingt sei, läßt sich des¬
wegen so schwer beantworten, weil sowohl die Lues ohne Salvarsan
wie auch das Salvarsan ohne Lues eine durch Urobilinausscheidung
nachweisbare Leberschädigung setzen kann. Sobald die Spirochäten
im Körper verbreitet sind, läßt sich bei einem großen Teil der Luetiker
Urobilin im Urin nach weisen, was man als den Ausdruck des geringsten
Grades einer Leberschädigung anzusehen hat, von der fließende Ueber-
gänge zum Ikterus und zur gelben Leberatrophie führen. Ebenso
bewirkt Salvarsan auch bei Nichtluetikern Urobilinausscheidung, im
Tierversuch sogar grobe anatomische Schädigungen der Leber. Kirch
und Freundlich raten daher zu großer Vorsicht bei der Salvarsandar-
reichung in solchen Fällen, bei denen durch den Urobilin nachweis
eine Leberschädigung festgestellt werden kann. Man soll diese Vorsicht
aber nicht bis zum völligen Verzicht auf Salvarsan hei ikterischen
Luetischen ausdenen. Denn man muß sich im einzelnen Falle doch
stets die Frage vorlegen, ob nicht der Fortfall der von der Krankheit
ausgehenden Leberschädigung durch die Salvarsanbehandlunc als Ge¬
winn größer ist als die von dem Mittel ausg^v ve -^e Gelabr. Diese darf
man bei vorsichtiger Dosierung des Salv^l überschätzen.
Referent sah wenigstens bei solcher stets ei^^ s ^ ftC \v^T'«bc.V%eben des
Ikterus, nie eine Verschlimmerung. XP n. n.
Digitized by
Google
Original from
CORNELL UNIVERSUM
44
LITERATURBERICHT
Nr.l
Kritisches Sammelreferat über die innere Behandlung der Gelenkerkrankungen.
Von Reinhard yon den Velden.
Die innere Behandlung der Gelenkerkrankungeir wird immer noch
von vielen als eines der undankbarsten Kapitel der Therapie an¬
gesehen. Das hat einesteils seinen Grund in der häufig unsicheren ätio¬
logischen Stellung mancher Gelenkerkrankungen, andererseits aber vor
allem in dem Fehlen einer wissenschaftlichen Grundlage für viele thera¬
peutischen Eingriffe. Wenn nun in letzter Zeit ein „unspezifischer“
aktiver Zug durch die innere Gelenktherapie geht, so muß man die
Vorwärtsbewegung in diesem etwas stagnierenden Gebiet begrüßen.
Selbstverständlich war mit fortschreitender Kenntnis der mannigfachen
ätiologischen Faktoren die früher beliebte, nach neuerer Nomenklatur
organotrop zu bezeichnende, medikamentöse Therapie gegenüber dem
ätiotropen therapeutischen Bestreben in den Hintergrund getreten.
Man fing ja bekanntlich schon sehr bald auf dem auch jetzt immer
noch nicht gesicherten Boden einer Streptokokken-Aetiologie mit den
verschiedensten Heilseren an, und versuchte dann, mit Eintritt der
Vakzinationsära auf diesem Wege bessere Erfolge zu erzielen, als
es bislang mit den anderen Maßnahmen möglich war. Dieses sero- und
immunotherapeutische spezifische Vorgehen hat aber nur in der Hand
weniger Erfolge gezeitigt, was bei der Unsicherheit der ätiologischen
Frage nicht wundernehmen konnte. Nun war dabei schon das Eigentüm¬
liche für den kritischen Beobachter, daß auch Gelenkerkrankungen, deren
Aetiologie zum mindesten sehr fraglich war, auf derartige „spezifische“
Eingriffe reagieren konnten. Das Gleiche sah man ja bekanntlich auch
bei der spezifischen Chemotherapie, die man schon seit der Ein¬
führung der Salizylsäure in den Arzneischatz mit diesem Körper
bei einer großen Anzahl fieberhafter, meist nur bei den akut ver¬
laufenden Gelenkerkrankungen, vorzunehmen glaubte. Ich brauche
nicht daran zu erinnern, wie unbestimmt unsere Vorstellungen über
die innere Desinfektion durch die Salizylsäure und ihre Derivate bei
den auf eine unbekannte infektiöse Ursache zu beziehenden Polyarthri¬
tiden war und immer noch ist. Daran ändern auch die schönen Unter¬
suchungen von Martin lacoby nichts, aus denen hervorgeht, wie
unter pathologischen Verhältnissen die sonst nicht in den Gelenken
vorzufindende Salizylsäure hier nunmehr abgelagert wird. Aus klinischen
Beobachtungen ist nun die Ueberlegung entsprungen, daß diese, alle
mehr oder weniger der Gruppe der Fiebernarkotika angehörigen Ge¬
lenkarzneimittel eine „unspeziiische“, und zwar eine antiphlogisti¬
sche, gelenknarkotische Wirkung ausüben. Alan kann mit ihnen nur
dort einen Erfolg erzielen, wo es sich um einen mehr oder weniger
frischen entzündlichen Prozeß handelt. Sie sollen eine Dämpfung der
Entzündung, eine Einengung der sekretorischen Komponente des Ent¬
zündungsprozesses, hervorrufcn und sogar eine Resorption bereits er¬
gossener Sekrete veranlassen. Damit wäre natürlich diese ursprüng¬
lich als spezifisch chemotherapeutisch betrachtete Therapie ihrer
„Spezifizität“ entkleidet. Und doch kann man mit diesen unspezifischen
Maßnahmen nicht nur eine symptomatische Linderung hervorrufen,
sondern in vielen Fällen den Heilprozeß in entscheidender Weise
einleiten. Man kommt also mit einem Vorgehen zum Ziel, das den
seit einiger Zeit an der Spitze der Gelenktherapie marschierenden
Bestrebungen gerade entgegengesetzt läuft. Denn die meisten thera¬
peutischen Maßnahmen werden heute unter dem Gesichtspunkt der
allgemeinen, besonders der lokalen Reaktionsverstärkung, der Reiz¬
therapie, des Heilfiebers und der Heilentzündung vorgenommen.
Hier arbeitet man also bewußt einer Antiphlogistik entgegen, die
wir eben als Heilprinzip primärer Art für verschiedene medikamentöse
Maßnahmen besprochen haben. Es ist aber sehr wohl zu überlegen,
ob hier wirklich ein Gegensatz zwischen der „reizenden“ und der
„dämpfenden“ Therapie besteht. Zu der spezifisch-unspezifischen
Gelenktherapie gehören vor allem die praktisch recht viel ange¬
wandten S i I b e r präparate, mögen das nun eigentliche kolloidale
Silbersalze sein, wie man sie in den verschiedenen Herstellungen
der sog. Kollargole besitzt, oder Silberfarbstoffe (Silber¬
methylenblau, Silberakridinfarbstoffe). Ueber die manchmal recht
erfreulichen Erfolge, die man bei akuten Arthritiden verschiedenster
Genese, auch bei subakuten und chronischen Erkrankungen, bei*
einer entsprechenden vorsichtig dosierten „Schwellenreiztherapie“ mit
diesen Mitteln — am besten manchmal in einer nicht zu seltenen
Abwechslung — erzielt, braucht man sich hier nicht weiter zu ver¬
breiten. Sie bieten keinerlei Beweis für eine Spezifizität. Wichtig für
diese Anschauungen war es, daß Böttner nachweisen konnte, wie
der Erfolg dieser therapeutischen Maßnahmen nicht unbedingt an
das Silber gebunden zu sein, braucht, sondern von der Anwesenheit der
Eiweißschutzkolloide abhängig ist, eine Angabe, die allerdings einigen
Widerspruch hervorgerufen hat. Also aucn hier strebt klinische Er¬
fahrung und Experiment von der Spezifität weg. Eigentümlicherweise
ist es bisher nicnt einwandfrei gelungen, einen therapeutischen Erfolg
mit den chemotherapeutischen Mitteln zu erzielen, die wir gegen
die große Gruppe der Strepto-, Staphylo- und Pneumokokken besitzen,
ich meine mit den Körpern wie Eukupin, Optochin und ihren Ver¬
wandten. Das sollte uns nach verschiedenen Seiten zu überlegen geben.
So steht man eigentlich heute, oder vielmehr schon seit geraumer
Zeit, bei der inneren Behandlung von Gelenkerkrankungen, soweit
sie überhaupt die Folge einer allgemeinen oder lokalen infektiösen
Erkrankung sind, wieder auf dem Standpunkt, mit orgauotropen Mit¬
teln und Methoden in frischen Fällen die Abwehrreaktion zu unter¬
stützen und in älteren Fällen durch resorptive Maßnahmen die Funk¬
tion nach Möglichkeit wiederherzustellen. Das hat man ja empirisch
in der verschiedensten Weise immer mehr oder weniger gut erreicht,
wobei allmählich der physikalischen Therapie eine zunehmend wieff
tigere und größere Rolle zufiel. Hierbei hatte man als Richtschnur für
die Anwendung der verschiedenen Methoden den etwas vagen Aus¬
druck des Erstrebens einer besseren Durchblutung, einer Anfrischung
der Heilkräfte.
Unser jetziges therapeutisches Vorgehen bedient sich der gleichen
Ueberlegungen. Alles was wir therapeutisch erstreben geht in der
Hauptsache über die Regelung der Gewebsreaktion, sei es in dämpfen¬
dem, sei es in exzitierendem Sinne. Das wird man natürlich in prin¬
zipiell der gleichen Weise bei den Gelenkerkrankungen, die zur Eite¬
rung, und bei denen, die nicht dazu führen, vornehmen können, mit
dem selbstverständlichen Unterschiede, daß man bei den eitrigen Pro¬
zessen auf eine chirurgische Hilfsmaßnahme in vielen Fällen nicht wird
verzichten können, wovon an dieser Stelle ebensowenig wie von den
lokalen desinfektorischen Maßnahmen in den Gelenkhöhlen, mit den
verschiedensten Desinfizientien, wie Karbol-Kampfer, Eukupin, Vuzin
usw. die Rede sein soll. Zimmer hat in einer für den praktischen Arzt
brauchbaren Form die Leitsätze dieser Reiztherapie bei den
Gelenkerkrankungen zusammengestellt. Seine ausgedehnten Ausfüh¬
rungen seien den Interessenten zum Studium empfohlen. Man kann
nicht ein bei der Behandlung der verschiedensten Krankheiten immer
wieder gefordertes Schema, einen Behandlungsplan über die Wahl
der verschiedenen physikalischen oder arzneilichen Reiz- oder Dämp-
fungsmethoden, sowie über das Tempo des Vorgehens, die Schnellig¬
keit der Reizsteigerung usw. aufstellen. Der behandelnde Arzt darf
bei der Behandlung der Gclenkerkrankungeii ebensowenig wie bei
jeder anderen Therapie vergessen, daß die individuelle Note der
Reizbarkeit ganz verschieden^ ist, durch die Krankheit in der ver¬
schiedensten nur selten sdiematisch wiederzugebenden Weise beein¬
flußt wird und — was vor allem nie vergessen werden darf — durch
unsere therapeutischen Maßnahmen sehr erheblich verschoben werden
kann. So kommt es eben, daß man immer wieder divergierende An¬
sichten über den Wert oder Unwert eines Therapeutikum aus dieser
Gruppe hört. Ich brauche nicht daran zu erinnern, wie verschiedenartig
die anatomischen Grundlagen erkrankter Gelenke auch bei einer relativ
einheitlichen Form der Gelenkerkrankung sind, wie verschieden die
Reaktion dieser verschiedenen Gewebe sein kann u. a. m. Wenn nun
ein erfahrener Kliniker und Therapeut in den verschiedensten Fällen
von akuten und chronischen Gelenkerkrankungen, mögen sie Namen
der verschiedensten Art aus der reichlich unübersichtlichen Nomen¬
klatur der Gelenkpathologie führen, mit dem Sanarthrit (das doch
wahrscheinlich nichts anderes darstellt als ein sehr stark wirkendes
Eiweißpräparat ohne besondere organspezifische Komponente) sehr
erfreuliche Erfolge erzielt, die ein anderer durchaus nicht bestätigen
kann, der vielleicht eher mit Milch oder einem ähnlichen Körper
oder auch mit einem Silbereiweißpräparat zum Ziel kommt, so
findet das alles in den voraufgeschickten Ausführungen seine Erklä¬
rung. Wichtig erscheint es aber, daß man bei dieser mit den ver-
verschiedensten Eiweißkörpem zu betreibenden Reiztherapie durchaus
nicht eine sehr starke Fieberreaktion oder gar eine Mitbeteiligung
anderer Organe, wie der Niere, des Magens, Darmes u. ä. mit her¬
vorzurufen braucht, um eine Heilreaktion an den Gelenken zu er¬
zielen. Man kann manchmal sehr gut fahren, indem man die schwäch¬
sten und dazu noch art- resp. blutspezifische Reize wählt, indem man
durch Einspritzung weniger Kubikzentimeter hypertonischer Kochsalz¬
lösung Blut- resp. Gewebszerfallsprodukte in den Kreislauf und damit
an die erkrankten Stellen heranbringt und günstige Reaktionen bei
fehlender oder nur geringer Fieberreaktion hervorruft. Wir sehen
also viele Wege, die man zur Erzielung einer Reaktion benutzen
kann und können ja auch durch die verschiedensten Maßnahmen der
physikalischen Therapie (Wärme, Stauung usw.) im gleichen Sinne,
teils allein, teils unterstützend wirken.
Zuletzt sei noch die neuerdings sich verbreitende Schwefel-
therapie erwähnt. Man spritzt den Schwefel in kolloidaler Lösung ein
(Franzesco); das dürfte wohl vorwiegend eine unspezifische Wirkung
hervorrufen. Andere (E. Meyer) gehen nach französischem Muster
mit intramuskulären Injektionen einer Lösung von Schwefel 5,0 in 100
Olivenöl vor. Man erhält danach recht erhebliche Allgemein- und Lokal¬
reaktionen, die man übrigens mit der gleichen Menge reinen Oliven¬
öles nicht bekommt. Die Reaktionen sind so stark und der Erfolg in
den subakuten und chronischen Fällen so wenig über die anderen
Reizmethoden hervorragend, daß man sich zunächst etwas zurück:
haltend äußern muß. Natürlich ist über die Dynamik des Schwefels
noch nicht das letzte Wort gesprochen. Es sei hier daran erinnert,
daß es Zeiten gab, in denen man Gelenkkrankheiten durch stomachale
Sch»vefelzufuhr heilen wollte: erst mit Sulf. depurat. und später mit
Ichthyolpillen.
Zimmer, B. kl. W. 1921 Nr. 43 - 45. — Schwalb, Ther. Hmh. 21. H. 12. — Fran¬
zesco, Poliklinico 21, H. 37. - Rolly, M. m W. 1921 Nr 27. - Funnk, M. Kl 1921
Nr.35 - Böttner. M. m. W. 1921 Nr. 21. - E. Meyer, M. m. W 1921
□ igitized by Gougle
Original from
CORNELL UNIVERSSTV
VEREINS- UND KONGRESS BERICHTE
Redigiert von Ober-Reg.-Med.-Rat Dr. O. Strauß.
Berlin, Medizinische Gesellschaft, 7.\und 14. XII. 1921.
(7. XII.) Antrag C. Hamburger: Oie Berliner Medizinische Gesell¬
schaft wühlt einen Ansschaß für Bevölkerungspolitik. Der Antrag
wird von C. Hamburger kurz begründet.
Kraus bittet den Antrag anzunehmen. Der Antrag wird ange¬
nommen, und die Herren Kraus, Flügge, Grotjahn, Finkei¬
stein, Westenhöffer, R. Lennhoff, C. Hamburger, P.
Lazarus und Frl. Wtggoszinski werden in den Ausschuß ge¬
wählt
Antrag Fritz Lesser: Die Berliner Medizinische Gesellschaft hält
die Beibehaltung der Reglementierung der Prostitution im Interesse
der Volksgesandheit für dringend geboten.
F. Lesser begründet seinen Antrag, der sich gegen die im
neuen Gesetz geplante Abschaffung der Reglementierung wendet;
allerdings befürwortet Lesser eine Umgestaltung des alten Gesetzes.
Besprechung. Blaschko hält die Abschaffung der Regle¬
mentierung im Interesse der Volksgesundheit für dringend geboten.
Sie ist in zahlreichen Kulturländern schon vor vielen Jahren über
Bord geworfen worden, weil sich die Nutzlosigkeit herausgestellt
hat. Wichtig ist, daß mit der Reglementierung keineswegs auch
die Ueberwachung abgeschafft werden soll. Blaschko stellt den
Antrag, zur Tagesordnung überzugehen.
Kraus stellt den Antrag, auf eine Diskussion zu verzichten. Der
Antrag wird angenommen, desgleichen der Antrag Blaschko, mit
der Begründung, daß sich die Gesellschaft nicht für kompetent zur
Entscheidung dieser Frage hält. Es wird dagegen einem Antrag
Westenhöffers zugestimmt, diese Angelegenheit vor das Forum
des Bevölkerungsausschusses zu bringen.
Morgen rot h: Chemotherapeutische Antisepsis. Die Wieder
gebürt der chemotherapeutischen Antisepsis verdanken wir den Er¬
fordernissen des Krieges. In vielen kriegführenden Ländern wurden
entsprechende Versuche unternommen, so in England von Brown¬
ing usw. — Von Morgenroth und seinen Mitarbeitern wurden
die Versuche Anfang 1916 begonnen, und zwar auf Grund der Ehr-
lichschen Prinzipien der chemischen Variation und der Bakterio- und
Organotropie. Den Ausgang nahmen die Versuche von dem Optochin,
das geeignet ist, die Pneumokokkeninfektion der Maus zu heilen.
Bei der Tiefenantisepsis handelt es sich in der Hauptsache um eine
Desinfektion des Bindegewebes. Für die Gasbrandinfektion bildete
das Meerschweinchen ein gutes Modell, für die Streptokokken die
Maus. Die Methodik wird auseinandergesetzt. Das Vuzin wirkt ab¬
tötend in einer Durchschnittskonzentration von 1:12000. Das Riva-
ool ist meist noch wirksamer (1:40000). Verbindungen, die im
Reagenzglas teilweise stärker wirken als das Rivanol, haben im
Tierversuch oft kaum einen Einfluß. Anderseits wirken manche
Präparate nur auf einige Streptokokkenstämme, während Vuzin und
Rivanol alle Stämme abtöten. Das Rivanol vernichtet außerdem
noch in großer Verdünnung die Staphylokokken. Die Wirkung des
Eiters auf die Verbindungen im Reagenzglas ist verschieden beurteilt
worden. Darum ist Morgenroth gleich dazu übergegangen, die
Beeinflussung der subkutanen Phlegmone im Tierversuch zu prüfen.
Er ist dabei zu sehr günstigen Ergebnissen gelangt, was an zahl¬
reichen Versuchsprotokollen gezeigt wird. Auch Pulverversuche an
infizierten Meerschweinchen wunden ergaben zufriedenstellende Re¬
sultate. Anschließend wird noch kurz auf Versuche zur Organotropie
eiogegangen. (Vgl. auch diese Wochenschrift 1921 Nr. 44 S. 1317.)
(1LXII.) Besprechung. Leschke hat dasRivanol seit ‘/* Jahr klinisch
geprüft Es zeigte sich nach intravenöser Injektion bei den schwereren
Fällen von septischer Allgemeininfektion kein deutlicher Erfolg, des¬
gleichen nach oraler Anwendung. Besser scheinen die Erfolge bei
lokalen Erkrankungen zu sein. Ein Fall von Staphylokokkenzy stifte
heilte nach Rivanolspülungen schnell aus. Prophylaktische Behand¬
lung mit Chininderivaten wird empfohlen.
Hammerschlag hat seit Jahren mit den Morgenrothsdien
Präparaten bei gynäkologischen septisdien Allgemeinerkrankungen
und Mastitiden Versuche angestellt, ohne daß jemals eine Schädigung
beobachtet wurde. Lokale Anwendung ist erfolgreich bei Mastitiden,
PvosaJpinx, Douglasabszeß und Dammrissen. Bauchdeckenabszesse
nach eitrigen Bauchoperationen konnten nicht vermieden werden.
Oeseleichen kein Erfolg bei Allgemeinerkrankungen. Gleichzeitige
Anwendung von Meyerschein Antistreptokokkenserum und Rivanol
wirkte in diesen Fällen oft besser. ♦
Pau/ Rosenstein: Trotz der guten Wirkung des Rivanols
tnnnpn wir auf das Vuzin noch nicht verzichten. Zum Beispiel beim
ha das Vuzin die bessere Wirkung, weil es gleich-
l™ P Gewebsreiz wirkt. Das Gleiche ist beim vereiterten Schleim-
Beutel de? Fall Allgemeine septische Erkrankungen reagierten in
diue\nen Fällen gut aitf intramuskuläre Injektionen von Rivanol in
Verbindung mitArgatoxy gj re pj Q | co | { | {en j n j e | t jj on ,j es Menschen kann
nicht durch Abtötung der Streptokokken geheilt werden, sondern
nur ^ durchallmähliche Abschwächung der Virulenz. Meyer hat in
Verbindung mit den Höchster Farbwerken ein Antistreptokokkensenim
dargestellt das im Tierversuch gut wirkt; im Reagenzglas gar nicht.
Das Umgekehrte ist mit dem Rivanol der Fall, welches, intravenös
eingespritzt, wenig wirkt und im Reagenzglas sehr stark. Die Kom¬
bination beider Mittel hat zweifellos die besten Resultate. Das Blut
von mit Rivanol behandelten normalen Menschen ist geeignet, die
Virulenz von Streptokokken abzuschwächen. — Es gelingt in vielen
Fällen, Streptokokken im kreisenden Blut nachzuweisen, wenn man
sie auf einer Platte züchtet, die nicht unzerstörte, sondern gelöste
rote Blutkörperchen enthält.
Axhausen: Die Wirkung der Morgenrothsdien Präparate
wurde am Gelenkknorpel geprüft. Phenolkampfer schädigt den
Knorpel sehr erheblich. Die Wirkung von Vuzin in der Konzentration
1:200 und 1:500 ist verheerend. Bei 1:1000 dagegen sind die Schäden
sehr gering. Rivanol ist viel weniger gewebsschädigend, und man kann
stärkere Konzentrationen anwenden. Bei nichtinfizierten Gelenken
sind die Präparate nicht notwendig, bei infizierten konnte sich Ax¬
hausen von der Wirksamkeit des Vuzins nicht absolut überzeugen,
er hofft jedoch mit dem Rivanol Besseres zu sehen.
Katzenstein: Besondere Erfolge bei Furunkeln und ähnlichen
Erkrankungen wurden nicht gesehen. Bei schweren Fällen von
Eiysipel scheinen gute Wirkungen beobachtet zu werden. Desgleichen
empfiehlt er die Anwendung bei jauchenden Karzinomen. Ausge¬
zeichnete Wirkung hatte das Rivanol bei der Anwendung in Fällen
von gynäkologischer und appendizitischer Peritonitis. Die Peri¬
tonitis wurde mit großen Mengen Kochsalz gefüllt und nachher etwa
200 ccm einer l%oigen Lösung eingefüllt.
Keller ist ebenso vorgegangen wie F. Meyer. In 29 Fällen
von ausgetragenen Geburten und Aborten wurde das Verfahren be¬
nutzt und insbesondere bei frühzeitiger Anwendung Gutes damit
gesehen. . m
Kausch: Als Kollargol aufkam, hat er es empfohlen, ist dann
aber davon abgekommen, hat alle anderen Präparate,* auch Vuzin,
ausprobiert und findet, daß doch das Kollargol die beste Wirkung hat.
Klapp: Bei Gelenkempyemen helfen Rivanolspülungen ausge¬
zeichnet. Die Höhle wird steril. Desgleichen ist aie Wirkung Bei
Arthritis gonorrhoica eine sehr gute. Klapp glaubt, daß A x -
hausen seine Befunde am Tier überschätzt. Er empfiehlt, bei ver¬
letzten, noch nicht entzündeten Gelenken prophylaktisch das Rivanol
zu benutzen.
Das Schlußwort von Morgenroth wird vertagt.
Berlin, Augenärztliche Gesellschaft, 27. X. 1921.
Offizielle* Protokoll.
Vorsitzender: Greeff. Schriftführer: Wertheim.
C. Hamburger: Tonometriscbe Beitrüge zur Eroührung des Auges
bei allgemeinen und bei örtlichen Erkrankuozen. Die Le bersche
Filtrationstheorie setzt voraus, daß im Auge eine Triebkraft existiert,
welche den Humor in den Kanal hineinpreßt. Diese Triebkraft soll
der intraokulare Druck sein: 25 mm Hg; selbst nach neueren Mes¬
sungen aus Heidelberg (von Lebers früherem Mitarbeiter Seidel)
kommt die Füllung der Gefäßbäumchen erst bei 25 mm Hg zustande:
in vivo (nach Hamburger ist dieses Ergebnis falsch, Seidel
hat tonometrisch gemessen, während gleichzeitig in die Vorder¬
kammer hinein injiziert wurde). Wenn sich zeigen läßt, daß Augen
mit viel niedrigerem Druck als 25 mm bestehen können, so wäre
der Filtrationstheorie jeder Boden entzogen. Hamburger hat bei
gesunden Menschen, ferner bei Augen- sowie bei Allgemein¬
erkrankungen den Druck gemessen; soweit angängig mehrmals inner¬
halb 24 Stunden. Das von ihm benützte Tonometer hat er vorher
an der Leiche manometrisch kontrolliert. Ergebnis: Ein Augen¬
druck von 25 mm Hg ist beim Menschen nicht die Regel, sondern
die Ausnahme; noch mit 8 mm Hg kann das Auge normale Seh¬
schärfe haben. Zu ähnlichem Ergebnis kommt, auf Grund von mehr
als 2000 Messungen, G j e s s i n g (Norwegen). Da fiitrative Prozesse
umkehrbar sind, ist die Filtrationstheorie hiermit als unmöglich nach
gewiesen. Breiartig ervvejchte Augen mit guter Leistungsfähigkeit
erweisen die Ueberflüssigkeit dieser einseitigen, schematischen An¬
schauung. Ziliar entzündete Augen (mit Ausnahme des Glaukoms!)
pflegen überhaupt im allgemeinen weicher zu werden (während
sonst ein vermehrter Turgor zu den Kardinalsymptomen der Ent¬
zündung gehört): dies spricht dafür, das A uge an Ab flnflwftpf en —
besonders reich, nicht aber besonders arm ist. IJoch müssen auch
die Quellungsverhältnisse-ties Glaskörpers, nach der Theorie Martin
Hr Frsttie rs“ (Cincinnati), berücksichtigt werden.
Besprechung. Cornberg: Die jetzigen Feststellungen Ham¬
burgers haben keine besonders beweisende Kraft gegen die Le ber¬
sche Lehre. Auch wenn nur ein Druck von 8 nun Hg oder, an¬
schaulicher gesagt, von 94 mm Wasser im Auge herrscht, genügt
das Gefälle, und eine Zirkulation im Leber sehen Sinne bleibt gleich¬
wohl denkbar. Bei den neuen Seidelschetv .^VVxonsversuchen er¬
scheint die Möglichkeit einer mechanischen VA\,et\äsion, trotz aller
Vorsicht, nicht genügend ausgeschlossen. \Xaöa^üiung der
unentschiedenen Streitfragen der
burgers müßte von durchaus neutraler
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
46
VEREINS- UND KONGRESSBERICHTE
Nr. 1
großen Zahl und Kompliziertheit der strittigen Punkte erfordert das
vielleicht allein die Lebensarbeit eines Forschers. Interessant für die
Lehre vom Stoffwechsel sind die Ergebnisse des Seidel sehen
Fluoreszinversuchs an trepanierten Augen, die im Gegensatz zu
Hamburger ergeben haben, daß die Elliot-Narbe durchlässig ist.
Cornberg sah in mehr als 30 Fällen starke Filtration an der
Trepanationssteile. Besondere Beachtung verdienen dabei die Augen,
bei denen der Druck normal bzw. an der oberen Grenze des Nor¬
malen war. Z. B. konnte einmal bei einem Patienten mit stark
positivem Seidel-Versuch ein Druck von 28 mm Hg gemessen wer¬
den. Das spricht doch mindestens für stärkere Kammerwasserpro-
duktion in diesen freilich pathologischen Fällen.
H. Friedemann (a. G.): Wenn ich als Gast das Wort er¬
rette, so geschieht es nicht, um zu den von dem Vortragenden
ehandelten ophthalmologischen Problemen Stellung zu nehmen, für
die ich nicht zuständig bin, sondern um zu unsern Resultaten einige
Bemerkungen vom Standpunkt des Internisten zu machen. Ich hatte
die tonometrischen Messungen bei Infektionskranken begonnen, um
Aufschluß über das Wesen der infektiösen Kreislaufschwäche zu er¬
halten. Bekanntlich stehen sich hier zwei Auffassungen gegenüber,
die ältere, die sie aut Herzschwäche zurückführt, und die Rom-
b erg sehe Lehre, die das Wesentliche in der Vasomotorenlähmung
sieht. Im ersteren Fall also Verlangsamung des Blutstroms, im
zweiten pathologische Verteilung des Bluts zwischen Splanchnikus-
gebiet und peripherischem Kreislauf. Da die* Tonometrie nach
Wessely eine onkometrische Methode ist, welche die Blutfülle des
Auges neben dem in ihm herrschenden Blutdruck zum Ausdruck
bringt, so schien es mir auf diesem Wege möglich, Aufschluß über
die stationäre Blutfülle der peripherischen Organe zu gewinnen.
Ueber die Resultate haben Sie das Wesentliche bereits durch Ham¬
burger gehört. Ganz allgemein wurde im Infekt eine bisweilen
außerordentlich starke Herabsetzung des Augendrucks (bis zu 6 mm)
beobachtet, am stärksten bei der Grippepneumonie und Ijgim Typhus,
wenig ausgesprochen bei der Sepsis, bei der wir merkwürdigerweise
bisweilen normale Werte (23 mm) finden. Was ist die Ursache
dieser Druckherabsetzung? Der Blutdruck allein kann es nicht sein;
denn wir fanden, besonders beim Typhus, häufig sehr niedrige Werte
bei normalem Blutdruck, aber auch die Vasomotorenlähmung nicht;
denn diese ist auch klinisch an der Blässe und dem verfallenen
Gesichtsausdruck erkennbar. Wir fanden aber die niedrigsten Werte
gerade in solchen Fällen, in denen, wie beim Fleckfieber und der
Grippe, das Gesicht außerordentlich stark kongestioniert war. Auch
wurde die Augendrucksenkung meist bis weit in die Rekonvaleszenz
hinein beobachtet, wo von Vasomotorenlähmung keine Rede mehr
sein konnte. Es müssen also noch andere Momente auf den Augen¬
druck von Einfluß sein. Das steht nicht im Gegensatz zu Wessely,
der ja nur kurzdauernde Druckschwankungen unter dem Einfluß
experimenteller Eingriffe studiert hat, während wir die während
eines gewissen Zeitraums konstante Druckhöhe bei verschiedenen
Individuen vergleichen. Ich möchte annehmen, daß der Augendruck
sehr wesentlich durch die Quellung der das Auge zusammensetzen¬
den Kolloide bedingt ist. Daß gerade im Infekt das Wasserbindungs¬
vermögen der Gewebe erheblichen Schwankungen unterliegt, ist seit
langem bekannt. Denn in diesem Sinne müssen wohl die bei In¬
fektionskrankheiten beobachteten Verschiebungen im Wasser- und
Kochsalzhaushalt des Organismus gedeutet werden. Ich glaube des¬
halb, daß der niedrige Augendruck bei Infektionskrankheiten auf
eine Entquellung der Augenkolloide, besonders des Glaskörpers, hin¬
deutet.
Cornberg: Beteiligung kolloidaler Vorgänge beim Glaukom ist
nach dem Ergebnis der Hertel-Michaclisschen Versuche un¬
wahrscheinlich, da die H-Ionenkonzentration bei Drucksteigerung nicht
erhöht war. Der Fi sch ersehe Quellungsversuch beweist nichts,
da bei solchen Versuchen eine Volumsabnahme des Augeninhalts und
trotzdem eine Drucksteigerung durch Schrumpfung der Skleralkapsel
eintreten kann.
Eppenstein hat bei Quellungsversuchen Gewichtszunahme und
liartwerden der Bulbi, zum Teil bis zum Platzen, festgestellt. In
einem nicht geplatzten Bulbus war die Zonula Zinnii mit den Spitzen
der Ziliarfortsätze abgerissen und samt der Linse weit seitlich ver¬
lagert. Er erklärt diese Befunde mit dem Vorhandensein eines
kräftigen Flüssigkeitsstromes. Hamburger bestätigt er aus eigener
Erfahrung, daß Augen mit minimalem intraokularen Druck Tange
Zeit funktionstüchtig bleiben können.
Berlin, Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten,
14. XI. 1921.
Pin£as: Sogillationen bei Tabes. Bericht über mehrere einschlägige
Fälle. Blutbild normal. Pin£as nimmt eine syphilitische Schädigung
des peripherischen Gefäßrohrs an, dem entspricht auch der Herz¬
befund.
Besprechung. Kempner hat Aehnliches bei Gicht gesehen. —
T. Cohn, — Pineas (Schlußwort).
Löwy- Hattendorf: Kriegsneurologische Demonstration, a) Be¬
dingt Gebraachsanfäbi^keit des zweiten Auges infolge Fazialisparese
eine höhere Rente für den im Krieg entstandenen Verlust des ersten
Auge»? b) Bei einer Hemiatropbia faciei wird 1 eine frühere D; B;
wegen Lungentuberkulose herangezogen, da vielleicht eine Drüse auf
den Sympathikus drücken könnte.
P'ohlisch: Erfahrungen über den Balkenstich. Bericht über
10 Fälle aus der Charite-Nervenklinik und 550 Literaturfälle.
Der Balkenstich ist kein harmloser Eingriff, schwerer als die Him-
punktion, leichter als die Trepanation. Diagnostisch steht er hinter
der Hirnpunktion zurück. Therapeutisch kam es bei Hydrozephalus
vorübergehend zu Erfolgen, in allen eigenen Fällen fehlten aber
Dauererfolge. Bei Tumor waren die Erfolge noch geringer. Die
Erfolge übertreffen nicht die der Ventrikelpunktion. Auf innere Dauer¬
drainage ist nicht zu rechnen.
Poll: Daktylogramme bei Geisteskrankes. Die von Poll an¬
gegebene Methode des analytischen Dreiecks besteht darin, das
Vorkommen der 3 Hauptmuster der Fingerabdrücke, Bogen, Schlei¬
fen und Wirbel auf den 3 Seiten eines rechtwinkligen Drei¬
ecks einzutragen, entsprechend den Zahlen 1—10, und innerhalb des
Dreiecks durch Ausziehen der trennenden Linien quadratische Felder
zu bilden. Jedes Feld entspricht einem Mög'.ichkeitstypus des Vor¬
kommens der 3 Hauptmuster an den Fingern eines Menschen. Die
Prozentziffem einer Gruppe Menschen werden nun in die entsprechen¬
den Felder eingetragen. So erhält man eine Uebersicht dieser Gruppe
nach ihren Fingerformeltypen. Vorbedingung ist Untersuchung nach
Alter und Geschlecht und Voruntersuchung Gesunder. Dann hat
Poll 1500 Schwachsinnige und Schizophrene untersucht. Sind die
Zahlen auch noch zu klein, so läßt sich doch mit Vorbehalt der Schluß
ziehen, daß die Fingerformeltypen mit der Veranlagung bezüglich des
Nervensystems zu tun haben, da sowohl bei den Schwachsinnigen
wie bei den Schizophrenen besondere, von der Norm abweichende
Typen und Verteilungen festgestellt wurden. Da sich die Entstehung
der Fingertypenmuster nach den Gesetzen der Erblichkeit berechnen
läßt, ist zu erwarten, daß sich z. B. der Erbgang der schwadisinn-
gefährdeten Fingertypen wird erfassen lassen, und man wird geno-
diagnostisch durch Beobachtung der elterlichen Fingermuster die
Gefahrenklasse der Kinder z. B. hinsichtlich der Idiotiegefährdung
beurteilen können.
Seelert: Ungewöhnlicher Verlauf bei Hirntumor. Nach Fest¬
stellung eines Glioms im linken Schläfenlappen durch Hirnpunktion,
Trepanation, die aber keinen sicheren Tumor erkennen ließ. Danach
Rückgang der Stauungspapille. Tod erst nach 3 Jahren im epilepti¬
schen Anfall. Sektion: Faustgroßes, unscharf abgegrenztes Gliom
im linken Marklager. Ungewöhnlich langer Krankheitsverlauf von
4 Jahren 8 Monaten. Mit Rücksicht auf die schlechten Erfolge bei
Radikaloperationen sollte bei sicher diagnostizierten Gliomen (Punk¬
tion) nur bei dringender Notwendigkeit (Erblindung) operiert lind
auch dann nur die Entlastungstrepanatinn vorgenommen werden.
Kurt Löwen stein.
Greifswald, Medizinischer Verein, II. XI. 1921.
Offizielles Protokoll.
Vorsitzender: Peiper. Schriftführer: Sommer.
Buzello stellt einen Fall von traumatischer Pankreaszyste vor,
der in der Chirurgischen Klinik diagnostiziert und mit Erfolg operiert
wurde. Die Diagnose der traumatischen Pankreaszyste wird haupt¬
sächlich aus dem Röntgenbilde gestellt. Die Zyste selbst bietet keine
typische Verschattung auf der Röntgenplatte. Charakteristisch ist
die Verdrängung der umgebenden Organe, die man sich hauptsächlich
am Magen durch Kontrastbrei gut sichtbar machen kann. Der Magen
ist regelmäßig stark nach links verzogen, seitlich zusammengedrängt
und umlagert kranzförmig die Zyste, indem er diese fast vollständig
einrahmt. Probepunktion der Zyste zur Sicherung der Diagnose Ist
absolut unnötig, da nicht beweisend, aber auch sehr gefährlich, da
mehrfach dabei Verletzungen der umliegenden Organe vorgekommen
sind. Die Behandlung der traumatischen Pankreaszystc muß eine
chirurgische sein. Es ist ratsam, frühzeitig zu operieren und mög¬
lichst die Exstirpation der ganzen Zyste anzustreben, da hierdurch
am ersten der verdrängende Fremdkörper aus der Bauchhöhle ent¬
fernt'wird. Bei sehr großen Zysten werden sich der totalen Exstir-
ation meist unüberwindliche Schwierigkeiten entgegenstellen. Daher
ommt, wie auch in diesem Falle, nur die Eröffnung und Drainage der
Zyste, evtl, nach vorherigem Annähen an die Bauchdecken, als scho
nendste und doch den Patienten rettende Operation in Betracht
Die Eröffnung und Drainage der Zyste bietet den Nachteil des sehr
langsamen Heilungsverlaufs, eines evtl. Rezidivs, und es bleibt eine
lästige Pankreasfistel zurück. Derartige Pankreasfisteln schließen sich
meist erst in 7—9 Wochen nach der Operation. Die kohlenhydratarme
Ernährung mit Darreichung von Natr. bicarbonic. nach Wohlge-
muth hat sich auch in diesem Falle bewährt.
Wrede: Synthese von schwefel- and selenhaltigen Zockern. Aus
den Spaltprödukten des Senfölglukosids Sinigrin wurde früher die
Thioglukose als Silbersalz isoliert. Versuche zur Synthese dieses
Stoffes aus Azetobromglukose und Kaliumhydrosulfid führten uner¬
warteterweise zu einem schwefelhaltigen Disakozarid. Es gelang
jedoch, durch Reduktion eines synthetisch gewonnenen Diglukosyi-
disulfids die Thioglukose zu gewinnen. Dadurch ist die Konstitution
des Sinigrins wie folgt aufgeklärt: C,H Ä N = C — S — C 6 H n 0 5 S0 4 K.
Mit Selen ließen sich Disakozaride darstellen, die ebenso wie die
entsprechenden Schwefelzucker aufgebaut sind. Die Schwefelzucker
sind pharmakologisch wenig wirksam, die Selenzucker wirken :stairk
giftig 1 ' . . '
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
5. Januar 1 922
VEREINS- UND KONORESSBERICHTE
47
• Sommer berichtet über den pathologisch-anatomischen Befund
eines Falles von Mastitis chronica cystica bei einer 61jährigen Patientin,
der die andere Brust vor 4 Jahren ebenfalls entfernt war.
Sommer ist der Ansicht, daß es sich bei der Mastitis chronica um
einen rein entzündlichen Vorgang mit sekundären Epithelwucherun¬
gen handele, und hält die Königsche Auffassung von der Entzünd¬
lichkeit des Vorganges trotz anderer Erklärungsversuche für die
richtige. Die Verschiedenheit der mikroskopischen Bilder wird be¬
dingt durch die verschieden starke Einwirkung der von außen durch
die Milchausführungsgänge eingedrungenen Noxe auf das vielleicht
infolge des Alters an sich schon gewucherte Epithel, wodurch folgende
zwei verschiedene Ausgangsformen mit zahlreichen Uebergängen erzielt
werden. Bei starker Schädigung Abstoßung des Epithels der Milch¬
ausführungsgänge in toto, Verdickung der Membrana propria, Aus¬
bildung von derbvvandigen Retentionszysten, bei weniger starker
Schädigung bindegewebiger Ersatz der Epithelien von der Membrana
propria aus, Vernarbung des Milchausführungsganges. Demonstration
mehrerer diese Vorgänge veranschaulichender Zeichnungen und Prä¬
parate.
Büedung: Intrakardiale Adrenalioiojektloo bei einem 4 Monate
altea Siogliag. Es wurden */ t0 ccm einer P/^igen Adrenalinlösung
im 4. Interkostalraum hart am Sternum 1 Minute nach Narkose-
herzstilfstand injiziert. Dauererfolg, keine Erregungserscheinungen.
Das Kind verhielt sich nach dem Erwachen vollkommen normal.
Kiel, Medizinische Gesellschaft, 17. XI. 1921.
Offizielles Protokoll.
Vorsitzender: KUngtnüller. Schriftführer: Hoppe-Seyler.
Schürmeyer: Zar Frage der Botryomykose. Unter menschlicher
Botryomykose verstand man anfangs eine hauptsächlich an den Händen
verkommende gestielte Geschwulst, die mit der Tierbotryomykose
Kientisch sein sollte. Letztere Erkrankung ist eine durch,spezifische
Eneger, die sogenannten Botryokokken, hervorgerufene Granulations¬
geschwulst, die aus Bindegewebszügen mit kleinen, eingelagerten
Abszeßchen besteht. Von späteren Autoren wurde jedoch diese
Identität geleugnet. Sowohl rein klinisch wie auch pathologisch¬
anatomisch mußte ein Zusammenhang beider Erkrankungen abge¬
lehnt werden. Ueber die Aetiologie der menschlichen Botryomykose
ist man noch immer im Unklaren. Seit Küttners Untersuchungen
faßt man die Tumoren als durch besonders zahlreich entwickelte
Gefäße ausgezeichnete Granulationsgeschwülste unbekannter AetioLogie
auf. Die Untersuchungen von 10 in der Chirurgischen Klinik beob¬
achteten fällen ließen Schürmeyer zu einem anderen Schluß
kommen. Das vollkommene Fehlen entzündlicher Infiltration in der
Tiefe, das eigenartige, pilzförmige Wuchern, das mehr blastomatösen
Bildungen als Granulationsgewebe eigen ist, die in großen Konvoluten
zusammenliegenden Kapillarhaufen, aas Hinaufreichen der elastischen
Fasern bis in d e Peripherie des Tumors, ließen daran denken, daß
es sich um eigenartig proliferierende Angiome handelt. Das geschwulst-
mäßige Wuchern der Kapillaren ist das Primäre, während die ober¬
flächliche Entzündungsscnicht rein sekundär ist, entstanden unter
Wirkung dauernder Reize auf den das Epithel durchbrochenhabenden
Tumor. Zutreffender wäre deshalb wohl die Bezeichung des Tumors
als „Angioma proliferans polyposum“.
Käppis: Schwere eitrige Entzündung infolge Infektion mit Filaria
lea. 28jähriger Kranker, 1912 bis 1916 in Kamerun, 1913 Malaria.
Seit 1914 wiederholt Kamerunbeulen und Filaria im Augenlid. 1915
Beingeschwüre und Leistendrüsenschwellungen. Oktober 1920 Leisten-
Jrüsenschwellung rechts. Wa.R. -f, Bluteosinophilie 6%. Verdacht
mf Filariaentzündung. Weiterhin Eiterung der Lymphdrtisen, die
Eiterung griff auf Hüftgelenk, Becken und rechten Obersdienkel über.
I>ie Erkrankung machte durchaus den Eindruck einer Becken- und
Tüfffnberkulose trotz negativen mikroskopischen Befundes. Im Juli
iuftreten und Exstirpation einer Filaria loa aus dem rechten unteren
Augenlid, Nachweis von Filarialarven im Blut. Bluteosinophilie 20o/o.
on da ab rasche Besserung, Heilung der Wunden usw., insbesondere
nfer dem Einfluß einer Thymolbehandlung. Jetzt schmerzlos, alle
'unden vernarbt, Hüftgelenk versteift. Bei dem sowohl für eine
Lrberkulose wie für eine einfache Eiterung durchaus ungewohnten
erlauf muß es sich wohl um eine durch die Filaria bedingte Eiterung
d Eiiuüudung gehandelt haben.
Anschütz- Tamorblldende Trichozephalustyphlitis. Bisher voll-
nnmen gesunder, 38 jähriger Mann, der nie an Darmstörungen,
amie oder Jucken am Anus gelitten erkrankt plötzlich mit
.merzen in der Appen di xgregend Uasebstdeutliche Resistenz und
merzha ftigkeit, Temperatur 37.8“. Puls 72. Unter der Diagnose
■endizitis Laparotomie, am Zökum tumorartige Infiltration blaurot
Srbt, fibrinös-eitrig' belegt, Appendix nonnal. Klares Exsudat,
•r der Oiagnose Tuberkulose oder Tumor Resektion, Anastomose
: ™ Narh 4 Wochen geheilt entlassen, dauernd bestes
»to Das P rä parat zeigt . die Zökalwand von der Größe
er Kinderfaust, tumorartig infiltriert blaurot verfärbt, m die Wand
jebohrt zahlreiche Trichozephalen, die zum Teil nur schwer ent-
ft werden können, nirgends Ulzeration Mikroskopisch Mukosa
m verändert, nur an einigen Stellen Herde stärkerer Leukozvten-
Itration. Im submukösen Gewebe stellenweise starke Entzündung
1 Auflodkening durch Oedem Massenhafte eosinophjle Leukozyten,
nur wenig polynukleäre. An einigen Stellen geht der Prozeß auch
in die Muskulatur hinein. Es handelt sich um den außerordentlich
seltenen Fall von entzündlicher Tumorbildung durch die Eiubohrung
von Trichozephalen. Am Menschen ist derartiges bisher kaum beob¬
achtet worden, dagegen sind wohl in Experimenten an Affen durch
Weinberg ähnliche Bilder gesehen worden. Bei einigen Fällen
von Schmidt und Beck waren wegen dysenterieähnlichen Er¬
scheinungen infolge von Trichozephalen chirurgische Eingriffe nötig
(Zökostomie). Auch sind mitunter schwere Anämien, hoenfieberhafte
Zustände, Meningismus beobachtet worden. Aber trotz der gehäuften
Beobachtungen von Trichozephalusinfektionen im Kriege gehören
schwere Erscheinungen dabei zu deii größten Seltenheiten. Immerhin
beweist der Fall, daß die Trichozephalen für den Darm nicht un¬
gefährlich sind und schwere organische Veränderungen herbeiführen
können. Die ausführliche Publikation des Falles folgt an anderer
Stelle.
Besprechung. Konjetzny hat in 2 Fällen bei der Ope¬
ration periproktischer Abszesse die massenhafte Entleerung von weib¬
lichen Oxyuren im Eiter beobachtet und in den exkochleierten Granu¬
lationen Oxyuren und ihre Eier gefunden, sodaß die Abszesse sicher
durch ins Gewebe eingewanderte Oxyuren und mit ihnen einge¬
schleppte Infektionserreger hervorgerufen waren (vgl. auch Weig-
mann, B. kl. W. 1921 Nr. 27).
Anschütz: Fad von lokalem Tetanus. Ein Kind. 14 Jahre, wird
mit heftigen Schmerzen im 7. bis 8. Brustwirbel und hohem Fieber
(39—40°) in die Klinik gebracht. Das Kind soll gefallen sein. Es stellt
sich ein Spasmus im rechten Bein ein. Verdacht auf Wirbelosteo¬
myelitis. Auffallend die Streckstellung im Knie- und Fußgelenk (Spitz¬
fuß). Babinsky negativ. Gedanke an Markbeteiligung oder funk¬
tioneile Störung. 3 Tage später Trismus, Risus. Typischer, mittel¬
schwerer Tetanus. Nachträglich kommt heraus, daß vor 10 Tagen
die Mutter einen Dorn aus dem rechten Fuß gezogen hat. Nach
reichlicher Antitoxinbehandlung Heilung. Irreführend war die Kom¬
bination einer akut entzündlichen Wirbelaffektion mit einem lokalen
Tetanus am Bein, denn es erscheint nicht möglich, die Erscheinungen
an den Wirbelkörpern und die ausstrahlenden Gürtelschmerzen auf
die Tetanusinfektion zu beziehen. Möglicherweise ging eine eitrige
Infektion von derselben Wunde aus, von der aus sich später der
Tetanus entwickelte.
Besprechung. Goebell und Loehr haben ähnliche Fälle
beobachtet.
Anschütz: Entferouog eines im Oesophagus steckengebliebenen
Gebisses vom Magen ans. Bei einem 47jährigen Mann wurde
12 Stunden nach dem Verschlucken eines Gebisses dieses mit
weicher Sonde vermeintlich in den Magen befördert. 8 Tage be¬
schwerdefrei, dann Schluckbeschwerden und Schmerzen, 12 Tage
später wieder Aufnahme. Die Sondierung ergibt ein Hindernis,
28—30 cm tief. Oesophagoskopie zeigt das Gebiß fest eingekeilt,
2 Zähne sichtbar, vielfache vergebliche Extraktionsversuche, auch
in tiefer Chloroformnarkose. Das Röntgenbild zeigt das Gebiß am
8.-9. Brustwirbel. Tags darauf in Narkose breite Gastrotomie nach
Einnähung des Magens in die Bauchwand. Kardia leicht aufzufinden,
bequem für 3 Finger durchgängig. Das Gebiß ist leicht zu er¬
reichen und kann mit den Fingern extrahiert werden. Heilung.
An dem Fall ist interessant, daß erstens, wie schon häufig früher
beobachtet, die Sondierung nicht sicheren Aufschluß darüber gibt,
ob der Fremdkörper noch im Oesophagus liegt; man hätte ein
Röntgenbild machen sollen, 2. daß aucn die subjektiven Beschwerden
trotz Steckenbleibens des Gebisses zunächst vollkommen verschwinden
können, 3. daß es mitunter langdauernder Versuche eines in der
Oesophagoskopie Erfahrenen bedarf, ein steckengebliebenes Gebiß zu
extrahieren, namentlich wenn es längere Zeit, hier 12 Tage, gelegen
hat, 4. daß in diesem Fall vom Magen aus die Kardia sehr schnell
und leicht aufzufinden war, weit offen stand, sodaß die Entfernung
des Gebisses selbst bei der hohen Lage (28—30 cm) hinter der /lahn¬
reihe, Höhe des 8. und 9. Brustwirbels, gelang. Nach Versuchen an
Leichen kann man bis zum 7. Wirbel hinauf Fremdkörper vom
Magen aus entfernen. Was das Offenstehen der Kardia betrifft,
so sind darüber in den etwa 40 bisher bekannten Fällen von Gastro¬
tomie wegen Oesophagusfremdkörpem verschiedene Angaben gemacht
worden. Steht die Kardia offen, oder kann sie erweitert werden, so
ist jedenfalls die Entfernung fest eingekeilter Oesophagusfremdkörper
vom Magen aus einer gewaltsamen Extraktion mit dem Oesophago-
skop vorzuziehen. Ein Versuch, den Fremdkörper mit Oesophagoskopie
zu entfernen, muß aber in jedem Falle gemacht werden.
Konjetzny: Die thiriiifttechc Behandlung der eitrigen Meningitis.
An der Hand eines durch systematische Lumbalpunktion geheilien
Falles von Meningitis im Anschluß an eine Schußverletzung des
Kopfes und auf Grund anderer, gleichfalls günstiger Erfahrungen
erörtert der Vortragende die Bedeutung der systematischen Lumbal¬
punktion bei der Behandlung der eitrigen Meningitis. Es ist außer
Zweifel* daß durch die systematische Lumbalpunktion selbst eine
schwere, nach allgemeiner Erfahrung desolate eitrige Meningitis zur
Heilung gebracht Werden kann. Dafür bringt Vortragender zwingende
Beweise aus seinem Kriegsmaterial und den Beobachtungen der
Kieler Klinik. Die Wirkungsweise der systematischen Lumbatpunktio*
wird besprochen, sowie noch andere chiTurgisc-u ,(Dura-
schlitzungen, Punktionsdrainage, lumbale Lan\\^\k 0 tcv\c w\t Drarum
des Lumbalsackes, Trepanation des Schädels, «wl,
der Urotropinbehandlung der Meningitis hat
überzeugenden Erfolg gesehen. Auch für ^
Digitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSSTV
48
VEREINS- UND KONORESSBERICHTE
Nr.l
einer direkten medikamentösen Instillation in den Lumbalkanal (Vuzin*
injektion) sind beweisende Fälle nicht anzuführen.
Besprechung. Schittenhelm weist darauf hin, daß die
öfters wiederholte Lumbalpunktion bei eitriger Meningitis in der
inneren Medizin als erfolgreich bekannt ist
Käppis: Oie Spanarthrodese bei tuberkulöser Koxitis wird auf
Grund der Erfahrungen an 14 Operationen, die seit August 1920
ausgeführt wurden, empfohlen. (Näheres in einer demnächst in der
D. Zschr. f. Chir. erscheinenden Arbeit.)
Grauhahn: Zar operativen Behandlung des angeborenen Schalter-
blattfaochstaodes. (Sprengelsche Deformität) Die Behandlung wurde
nach dem Vorschläge Königs durchgeführt, nämlich der laterale
Teil, der den Gelenkfortsatz trägt, wurde von dem medialen Teil
getrennt und um 4 cm herabgezogen und dann treppenförmig mit dem
stehengebliebenen Teil vereint. Außerdem wurde er noch nach unten
durch einen Muskelzügel an den oberen Rand des Latissimus dorsi
fixiert. Der kosmetische und funktionelle Erfolg war jetzt, 14 Monate
nach der Operation, noch ein sehr guter. Die Verbuckelung, die die
seitliche Halssilhouette unschön unterbrach, war von vom nicht mehr
zu sehen, der Arm konnte bis zur Senkrechten erhoben werden.
Leipzig, Medizinische Gesellschaft, 29. XI. 1921.
Marchand behandelt an der Hand von Demonstrationspräparaten
die Hanptformen der Tuberkulose, insbesondere der Lungen, in patho¬
logisch-anatomischer Hinsicht, ausgehend von den ersten Arbeiten
Laennecs und Virchows und deren Auffassung hierüber kurz
kennzeichnend. Den Bestrebungen Aschoffs und seiner Schule,
durch Einführung einer veränderten Nomenklatur den Begriff der
tuberkulösen Erkrankung schärfer zu präzisieren, stellen sich infolge
Vorhandenseins von Uebergängen von proliferativer zu exsudativer
Phthise erheblichere Schwierigkeiten entgegen. Es werden die Haupt¬
formen der Tuberkulose — je nach Art der Infektion — eingehend
dargestellt. Die einfachste Form stellt die hämatogen verbreitete
akute Miliartuberkulose dar mit ihrer gleichmäßigen Ver¬
breitung gefäßloser Knötchen, die nicht nur Bindegewebszellumbil-
dung im Sinne Virchows aijfweisen, sondern exsudativ auf die
Umgebung übergreifen. Sie werden als „Tuberkel“ bezeichnet, eine
Bezeichnung, die Aschoff nicht anwendet, da ja kleinste pneutno-'
nische Herde vorliegen. Sekundär treten diese Knötchen mit Bron¬
chien in Verbindung. Durch Uebergreifen auf die Alveolen werden
ganze Läppchen eingenommen, die dann durch Verkäsung zugrunde¬
gehen. Einbruchsteiien in die Blutbahn sind meist Venen oder Ductus
thoracicus. Die zweite Form ist die bronchogene (aerogene)
Tuberkulose der Lungen, wohl meist von älteren, schon vor¬
handenen Herden durch Aspiration sich weiterverbreitend. Es wird
der feinere anatomische Bau eines Azinus als einer Gruppe von
Endverzweigungen eines Bronchus geschildert: Bronchiolus terminalis
(engster Teil der Bronchien) — Bronchiolus respiratorius mit halb-
seit.g glatter Wand und halbseitig gefalteter Wand mit Respirations¬
epithel — Ductuli alveolares — Sanuli alveolares. Azinöser (nodöser)
Herd entspricht immer einem bestimmten Bronchialgebiet. Eine ent¬
stehende Zerfallshöhle hängt somit stets mit einem Bronchus zu¬
sammen. Bronchiolus terminalis als engste Stelle ist wohl zuerst der
fnfektion ausgesetzt und entzündlich verändert; es treten Exsudat¬
massen ins Lumen, die in den Bronchiolus respiratorius und auf
die Nachbarschaft sich weiterverbreiten. Aspiration weiterhin nach
allen Richtungen. Alveolarepithelien wuchern stark bei allen tuber¬
kulösen Prozessen, und sie machen die Hauptsache aller Zellen aus.
Anfänglich infiltrieren Lymphozyten die Bronchialwand. Käsige Lobu¬
lärpneumonien sollen nach klinischen Befunden zur Resorption ge¬
langen können (Verschwinden von Dämpfungsbezirken). Drittens
weiden die Initialformen der Tuberkulose besprochen, wie
sie bei Kindern (Säuglingen) und manchen Erwachsenen beobachtet
wurden. Die Behring sehe Anschauung der Infektion vom Darm-
traktus aus ist ziemlich verlassen. Der aerogene Infektionsweg ist
wohl der häufigste. Tuberkulöse Initialaffektion bei Kindern und
Erwachsenen ist mitunter mit starker Lymphdrüsenbeteiligung ver¬
knüpft. Der primäre Lungenherd ist vielfach so klein (besser tastbar
als sichtbar), daß er nicht selten dem Nachweis entgeht und die
zugehörigen vergrößerten Lymphdrüsen öfter als die Primärerkran¬
kung angesehen werden. Drüsenerkrankung breitet sich bisweilen-
weithin nach oben unijuntfiii-4iür-4AbdomenT^^“MU der Annahme
Tiner Immunisierung, die der Weiterverbreitung der Tuberkulose
sich hindernd in den Weg stellen soll, muß man vorsichtig sein.
Nicht selten sind durch Bindegewebe abgekapselte tuberkulöse Drüsen¬
pakete der Ausgangspunkt neuer Infektionen. Es sind meist endogene
Reinfektionen, nicht solche von außen. Als Infektionsweg von außen
wird die aerogen vermittelte Infektion von Baumgarten infolge
der vorhandenen Schluckvorrichtung als kaum vorkommend angesehen,
vielmehr werden kleine Schleimhaut- und Oberhautdefekte als Ein.
gangspforten angenommen. Die Art der Ausbreitung in den Lungen
spricht aber für Aspiration von Infektionsstoff. Bei älteren Individuen
liegen die Aspirationsherde in den Oberlappen (Bronchus apicalis).
Diese Herde können ausheilen, aber gelegentlich die Quelle neuer
Infektionen sein . Die Bedeutung der Enge der oberen Thoraxapertur
Verantwortlicher Redakteur: Qeh. San.-Rat Prof. Dr. J. Sch
für die Infektion ist nicht klargestellt; vielleicht handelt es sich hierbei
mehr um die Folgezustände als die Ursache einer tuberkulösen
Infektion. Die Lungentuberkulose ist ein Gemisch von degeuerativen
und reaktiven Prozessen. Eine käsige Pneumonie kann man nicht
als reaktiven Prozeß auf fassen. Erich Thomas (Leipzig).
München, Aerztlicher Verein, 23.* XI. 1921.
Friedrich v. Müller demonstriert einen typischen Fall von
Kyphoskoliose mit sehr plattem, eneem, verbogenem Backen, kantigen
Schlüsselbeinen und spindelförmigen Fingern. Die Fußknochen sind
sehr dünn, es besteht die bei Kyphoskoliose oft sich findende Hohl¬
fußbildung. v. Müller glaubt, daß bei der mageren, schwadien,
doch nicht atrophischen Muskulatur die Kyphoskoliose dadurch
zustandekommt, daß die Muskeln zu schwach sind, um die
Wirbel im richtigen Lageverhältnis zueinander zu erhalten. Daß die
Wirbelsäule röntgenologisch schlecht darstellbar ist, spricht für Kalk¬
armut. Auch die Oberarmknochen zeigen sehr dünne Kortikalis. Die
meisten Kranken geben an, daß die Krankheit nach dem 10. Lebens¬
jahr, also erst nach der Volksschulzeit, aufgetreten ist. Bestünde die
Krankheit in einer Rachitis tarda, müßte das Dicken-, nicht das Längen¬
wachstum der Knochen gestört sein. Auch wäre dann die Mu&el-
erkrankung schwer erklärbar. Wahrscheinlich handelt es sich um eine
konstitutionelle Störung, ln diesem Falle findet sich in der Familie
Geisteskrankheit. Die Kyphoskoliotiker werden nicht alt, gewöhnlich
sterben sie an Pneumonien oder an infektiösen Bronchitiden mit konse¬
kutiver Bronchopneumonie.
Crämer: Zur fehandlung des Magengeschwürs. Die Therapie be¬
steht in möglichster Schonung des Ulkus vor mechanischen und
chemischen Reizen. Säuremenge und Beschwerden müssen nicht
direkt Zusammenhängen, denn es kann die Säuremenge gleich blei¬
ben und doch der Schmerz aufhören. Ein Magengeschwür heilt
nicht in 4 Wochen, manches heilt überhaupt nie. Sehr oft kehren
zu bestimmten Zeiten die früheren Beschwerden wieder, und
nach Ewald ist die Narbe mehr zu fürchten als das Geschwür
selbst. Leube und Ziemßen sind für Ruhe und Diätkur ein¬
getreten, womit vor allem eine Beseitigung der Reizzustände er¬
reicht wird. Wann ein Geschwür geheilt ist, wissen wir nicht. Brei-
und heiße Kataplasmen beseitigen sehr bald die Beschwerden und
zwingen vor allem den Patienten, im Bett zu bleiben. So gehen
frische Geschwüre bei guter Behandlung bald ins chronische Stadium
über; es ist aber die Nachkur genau so wichtig wie die erste Behand¬
lung. Nach starker Arbeit treten gern Rückfälle auf. Medikamentös
bevorzugt Crämer 2 mal wöchentlich Wismutbrei als Frühstück,
Aluminiumpräparate, ev. mit Belladonna, Glyzerin, Oelkur und Eskalin.
Spülungen — auch mit heißem Wasser — sind in der Hauspraxis bei
blutenden Geschwüren nicht angezeigt, alte Ulzera mit motorischen
Störungen werden aber gut beeinflußt. Das Allgemeinbefinden ist
durch Arsen und Eisen zu heben. Eine Magenblutung kann i/*—3 Liter
betragen und wird von Frauen besser überstanden als von Männern.
Nach der Blutung muß man den Kranken und seine Umgebung be¬
ruhigen und ein Opiat (Pantopon) einspritzen. In den ersten Tagen
nach der Hämatemesis ist völliger Nahrungsverzieht indiziert. Nähr¬
klistiere sind unnötig, weil durch sie das Wohlbefinden des Kranken
gestört wird. Von Hydrastis und ähnlichen Präparaten verspricht sich
Crämer keinen Erfolg, gut ist Gelatine in Form von Milchgelatine.
Ein Stuhlklisma darf man nach 3—4 Tagen anwenden. Wann soll der
Internist zur Operation raten? Wenn trotz sorgfältigster Diät und
größter allgemeiner Schonung nicht eine so wesentliche Besserung er¬
zielt wird, daß der Kranke arbeitsfähig wird, oder wenn er nicht die
Mittel zu einer langen Kur hat. Operieren soll man bei Pylorusstenose
mit konsekutiver Magenerweiterung, wenn Urinmenge und Körper¬
gewicht abnehmen oder massiges Erbrechen auftritt.
Krecke: Die chirurgische Behandlung des Magengeschwürs. Man
unterscheidet juxtapylorische und Pylorusferngeschwüre. Eine sichere
Diagnose können wir stellen, 1. wenn Magenblutungen vorherge¬
gangen sind, 2. wenn außer den Schmerzen eine Verengerung am
Pylorus besteht, 3. wenn röntgenologisch nachweisbare Veränderungen
bestehen. Leider fehlen oft diese Erscheinungen. Am wichtigsten ist
dann immer noch die Periodizität des Schmerzes. Bei starken Schmer¬
zen und zweifelhafter Diagnose ist eine Probelaparotomie gerecht¬
fertigt, doch soll man bei negativem Befund wieder zunähen, nicht
grundlos eine Gastroenterostomie machen. Sehr schwer ist die Be*
urteHung, ütrein"Geschwür ausgeheilf ist: “Einen Anhaltspunkt gibt
unter Umständen das Verschwinden der Magennische im Röntgenbild.
Ein Magengeschwür entsteht durch Einwirkung des sauren Magen¬
saftes auf eine geschädigte Stelle. Sind die Beschwerden geschwunden,
so ist damit noch nicht das Ulkus geheilt, und umgekehrt. Auct
treten Ulzera multipel auf, oder ein neues Geschwür kann entstehen
Man kann 80—90o/ 0 Heilungen durch Gastroenterostomie rechnen
Natürlich gibt es auch Versager, besonders, wenn der Pylorus nich
verschlossen wird, oder wenn sich ein Ulcus jeiuni pepticum bildet
Bei drohender oder eingetretener Perforation soll man immer und sc
rasch als möglich operieren. Am besten hat sich Exzision mit Um
nähung und anschließender Gastroenterostomie bewährt. Ueber The¬
rapie der Blutungen sind die Ansichten sehr geteilt, sie lassen sich sehi
gut konservativ behandeln, außer es liegt ein Ulcus callosum vor.
Nobili ng.
valbe. - Druck von Oscar Brandstetter in Leipzig
□ igitized by Google
Original from
CORUELL UNIVERSITY
PRAEMEDICUS
Offizielle Mitteilungen der „Vereinigung Deuteoher Medlzlnalpraktlkanten" und des„VerbandesDeuteoherMedlzlnersehalten M
VERLAG VON GEORG THIEME / LEIPZIG/ ANTONSTR.16
Nummtr 1
Donnerstag, den 5. Januar 1922
2. Jahrgang
Praktikanten, schließt den Ring!
Von Johannes Bergmann in Leipzig.
2. Vorsitzender der Vereinigung Deutscher Medizinalpraktikanten.
Wie alle Vereinigungen akademischer Kreise, die gemeinsamen
Berufsinteressen dienen wollen, hat auch der Praktikantenverband
seine größten Schwierigkeiten nicht nach außen, sondern nach innen,
gegenüber der Teilnahmslosigkeit eines bedenklich großen Teils
seiner Standesgenossen zu überwinden. Es scheint mir falsch, ihn
als eine vollkommen selbständige Gruppe zu betrachten; er ist viel¬
mehr ein notwendiges Bindeglied zwischen dem Verband deutscher
Medizinerschaften, von dem er sich abgespalten hat und mit dem
er in engster persönlicher und wirtschaftlicher Beziehung steht, und
den verschiedenen Verbänden der approbierten Aerzte. Wie wir als
Studenten geneigt waren, den „Brotstudenten“ zu verachten, der die
Hochschule wie ein Warenhaus behandelte, in dem man gegen
Bezahlung geistige Güter empfing, um deren Wohlergehen man
sich aber nicht im geringsten kümmerte, und wie der Arzt seinen
Aufgaben im sozialen Organismus unseres Volkslebens nicht voll
gerecht werden kann, der abseits von seinen Standesgenossen nur
den eignen Vorteil sucht, so erfüllt die Vereinigung Deutscher Medi¬
zinalpraktikanten die wichtige Aufgabe, die Ueberleitung der Medi¬
zinerschaftsmitglieder in den Aerzteverband zu vermitteln. Es er¬
scheint mir allein schon diese Aufgabe so wichtig, daß sie das Be¬
stehen des Verbandes rechtfertigen könnte. Schon die Mehrzahl der
Studenten zu erfassen, ist eine Aufgabe, die der Fachschaftsbewegung
ebensowenig gelungen ist wie den Korporationen, obwohl zu dieser
Zeit doch die gemeinsamen Belange das Trennende bei weitem über¬
wiegen. Für den Praktikanten hält sich beides noch nahezu die
Wage, und hier muß die Arbeit einsetzen, denn wer in dieser Zeit
den Weg nicht findet zum gemeinsamen Handeln und Denken, der
wird ihn später noch viel seltener betreten. Wie oft stehen dann
wirklich schwere Interessengegensätze einander gegenüber, bei denen
nur eine ehrlich gemeinte Kollegialität und Vertrauen auf das Stan¬
desgefühl der Gegenseite eine glückliche Lösung finden lassen. Es
sei hier an drei Probleme erinnert, deren Klärung eine Lebensfrage
der bestehenden Organisationen und mit ihnen des ganzen Standes
bedeutet. Zumindest eins von ihnen berührt die elementarsten
Lebensinteressen eines jeden von uns, mag er nun praktischer
Arzt werden wollen oder sich der wissenschaftlichen Forschung
widmen.
Im Vordergründe steht die Frage der praktischen Aerzte: Wie
tann unter Vermeidung der ärgsten Mißstände der Zustrom Neu-
ipprobierter so geleitet werden, daß sie wirtschaftlich erträglich
gestellt sind und in ihrer Ausbildung weitergefördert werden, ohne
ii* alteingesessenen Kollegen allzu schwer zu schädigen und ander¬
seits die schwere Notlage des ganzen Standes zu verschleiern, deren
unermüdliche Bekanntgabe in allen Bevölkerungskreisen nachgerade
:in e Frage des öffentlichen Interesses bedeutet. Einen Angelpunkt
*ldet die Forderung der freien Arztwahl für die Zwangsversicherten,
li <5 von den bewährten Führern der Aerzteschaft gegenüber allen
Vorschlägen der Regierung und dem zähen Widerstand der Kranken-
: *ssenvorstände immer wieder erhoben wird; sie ist das Mindeste,
als Ausgleich für die Einbeziehung immer weiterer Volkskreise
n die Zwangsversicherung verlangt werden muß. Es macht sich
darauf hinzuweisen, daß die Erhöhung der Versicherungs-
>^nze ausschließlich den Zweck hat, bisher Außenstehende zur Bei-
r ^pszahlung zu zwingen, da alle Kassenmitgüeder auch bei Er-
ihrer Bezüge oder Uebergang in eine selbständige Stellung
freiwillige Mitglieder bei ihr verbleiben können. Hier zeigt
nun das betrübliche Schauspiel, daß an manchen Orten, die sich
H*»r freien Arztwahl erfreuten, die Kassenarztvereine selbst
PrinziD dadurch durchbrechen, daß sie für Kollegen, die sich
^ niederlassen wollen, eine Wartezeit von Monaten, ja von Jahren
^ff.hren ehe sie aufgenommen und damit zur Kassenpraxis zuge-
^sen wilden. Diesem Vorgehen kann man solange eine gewisse
^ rechtigung nicht absprechen, wie die )ungen Kollegen selbst kein
'^meinschansgefühl aufbringen, sondern sich auf den Schwieger-
^ S Runfiesbruder verlassen, der ihnen zu einer Praxis ver-
^Ifentdl bis sie dann erstaunt sehen, daB derartige Bestimmungen
k L U iWr Praxisübernahme in gleicher Schärfe angewandt wer-
> Wir urtJleneinmal sehen, wie lange solche Beschlüsse aufrecht-
v » W können, wenn 25000 junge Aerzte einmütig und
^chdrtckhA ^re Aufhebung fordern. Wir brauchen dazu noch
W»oh« Medizlni*ohe Wooh»n*ohrffl Nr. 1
lange nicht innere Berufsangelegenheiten in den Tageszeitungen zu
erörtern, wie es leider schon geschieht, und anderen Berufsgruppen,
die uns um unseres geschlossenen Auftretens willen beneiden, das
beschämende Bild eines „häuslichen“ Zwistes zu bieten. Selbst der
Gedanke, die bisherigen Studenten noch von dieser Bestimmung
auszunehmen, sie aber für alle Neuimmatrikulierten als Wartiungs-
zeichen aufzurichten, ist gefährlich und bedeutet einen Schritt auf
dem Wege zur Sozialisierung des Aerztestandes, durch den eine
gesunde Entwicklung, deren Ziel wir heute noch nicht absehen
können, in unerwünschter Weise beeinflußt und in falsche Bahnen
gedrängt würde.
Den Praktiker wie den Wissenschaftler berührt in gleicher Weise
das Streben, den Begriff des Facharztes einerseits abzugrenzen,
anderseits zu schützen. Der Facharzt wünscht möglichst alle sein
Gebiet betreffenden Fälle zugewiesen zu erhalten und ein anderes
Vorgehen als Kunstfehler betrachtet zu wissen, während der prak¬
tische Arzt das Fachgebiet möglichst eng zu fassen geneigt ist.
Einige Sonderfächer, wie Frauen- und Augenheilkunde, abzugrenzen,
mag relativ leicht gelingen, aber die gesamte innere Medizin mit
der Fülle von Einzelgebieten wird ia von vielen überhaupt nicht als
Fach anerkannt, da ein völliges Beherrschen aller Möglichkeiten hier
besonders schwer zu erlangen ist und die Grundlagen jedem Arzt
geläufig sein müssen. Der Kinderarzt soll auf das Säuglingsalter
beschränkt werden, während er selbst geneigt sein soll, in richtiger
Erkenntnis seiner Mitmenschen eine obere Altersgrenze lieber gar
nicht zu ziehen. Aber selbst wenn es gelingt, einer befriedigenden
Begrenzung allgemeine Anerkennung zu verschaffen, muß ihre Be¬
achtung doch gewisse Einschränkungen erfahren, um nicht eine sinn¬
reiche Maßnahme in ihr Gegenteil zu verkehren. Auch der Facharzt
wird in einigen Familien zum Hausarzt werden und damit erst die
Möglichkeit finden, Krankheiten nicht nur zu heilen, sondern auch
zu verhüten; dabei werden notwendigerweise gelegentlich Grenz¬
überschreitungen stattfinden, oder es wird uns zuzeiten das Wort
aus dem Faust entgegen klingen: „Die Krankheit ist ein Kapital,
wer wollte das vermindern.“ Ferner würde eine strenge Auslegung
den Facharzt auf wenige größere Städte beschränken, während es
durchaus zu begrüßen wäre, wenn unter den wenigen Aerzten eines
kleinen Ortes sich ein „praktischer Arzt und Facharzt für Frauen¬
krankheiten“ oder „... Chirurgie“ befände.
Eng verwandt mit dem oben skizzierten Gebiet ist die Frage,
inwieweit im Felde auf Spezialstationen erworbene Fähigkeiten als
Fachausbildung im Sinne etwa eines Gesetzes gelten kann. Ist über¬
haupt diese rein praktischen Zwecken dienende Einteilung mit einem
wissenschaftlich geleiteten Friedensbetrieb einer Klinik in einem Atem
zu nennen? Sind Ausnahmen zu machen für die Fälle, wo der
leitende Arzt ein vollausgebildeter Fach Wissenschaftler war? Es ist
der komische Fall durchaus möglich, daß ein Truppenarzt, der wegen
eines chronischen Stirnhöhlenkatarrhs dauernd in einer Ohrenstation
lag, dort vielleicht aus Langerweile mit half und nun als fertiger
Facharzt einen Kollegen als lernenden Assistenten einstellt, der
während des Krieges seine eigentliche Stelle an der Front versah.
An der Lösung dieser Probleme mitzuwirken, sind wir Prakti¬
kanten ebenso berufen wie die älteren Kollegen, und die Qeschichte
hat Beispiele genug, daß die „Froschperspektive“ durchaus nicht
immer die einseitige ist, wie sie von solchen hingestellt wird, denen
sie unbequem ist. Aber das ist es nicht allein: die Hebung der
Medizinalpraktikantensache ist nicht nur eine Ehrenpflicht, sondern
auch eine recht praktische Angelegenheit jedes einzelnen. Eine
Ehrenpflicht gegenüber denen, die früher für die gleichen Ziele ge¬
arbeitet haben, und ich glaube, es wird nicht falsch aufgefaßt, wenn
ich den Kollegen, die eine Beteiligung deshalb ablehnen, weil es
sich für das halbe Jahr ja doch nicht lohne, sage, daß es uns erst
nach vielen Bemühungen im Sommer 1920 gelungen ist, den durch
geschickte Vorarbeit vieler Kollegen bereits verminderten Wider¬
stand des Reichsministeriums des Innern zu überwinden und den
Erlaß des halben praktischen Jahres zu erwirken, der jetzt allen
bereits als eine Selbstverständlichkeit erscheint. Andere haben sich
mit Erfolg mit den Stadtvätem gestritten und Verpflegung, stellen¬
weise sogar freie Station herausgeholt. AH das wird immer ver¬
gessen, wenn einmal ein anderes Ziel, wie freie Krankenversicherung
oder die Schaffung einer Meldestelle für alle freiwerdenden Prak-
tikantenstellen, nicht gleich beim ersten Versuch in vollem Umfang
erreicht wird. Daneben hat eine zeitgemäße Umgestaltung der Ge¬
samtstellung der Praktikanten auch für alle die Kollegen weitest¬
gehendes praktisches Interesse, die selbst eher die Approbation erlangt
haben, denn es kann keinem Arzte gleichgültig sein, ob das An-
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
50
PRAEMEDICUS
sehen seines Standes durch Minderleistungen junger Kollegen sinkt,
und einer relativen Praxiszunehme würde bei einer gesunkenen Wert¬
schätzung ärztlicher Leistungen im allgemeinen eine schlechtere Be¬
zahlung nur allzu rasch folgen. Im einzelnen ist zu bedenken, daß
f gerade die äußerlich günstige Stellung mancher Praktikanten, nament-
ich an kleinen Krankenhäusern, allein daher kommt, daß dort der
Praktikant eine Assistentenstelle versieht, eine Tatsache, die ihm
zwar viel Gelegenheit zu praktischer Arbeit bietet, aber fast jede
Anleitung und Gelegenheit zum Bücherstudium vermissen läßt, um
derentwillen ja gerade von allen Seiten die Beibehaltung des prak¬
tischen Jahres gefordert wird. Dann kann auch die ganze Ein¬
richtung wegfallen, wenn sie nur den Zweck hat, ein Assistenten¬
gehalt zu sparen, obwohl jetzt die Aerztegehälter einer Klinik weit
hinter der Gesamtsumme der Löhne der Hausmädchen und Scheuer¬
frauen Zurückbleiben. Wenn die Neuregelung bald durchgeführt wird,
kann mancher unbezahlte Volontär eine dadurch neuzuschaffende
Assistentenstelle erhalten.
Der Bund ist geschaffen, und manches ist erreicht, doch vieles
ist noch zu leisten. Außer einigen Richtlinien, die sich aus der
Lage der Dinge von selbst ergeben, sind keinerlei hemmende Para¬
graphen oder Satzungen vorhanden, die den Schaffenstrieb lähmen
könnten. Darum ergeht der Ruf zur Mitarbeit an alle Kollegen:
Praktikanten, schließt den Ring!
Zur Frage der medizinischen Fachschule.
Von Heins Barnung.
1. Vorsitzender der Klinikerschaft der Akademie für praktische Medizin
in Düsseldorf.
Während der Verhandlungen des 42. Deutschen Aerztetages in
Karlsruhe wurde im Referate Dr. Hansbergs (Dortmund) unter
anderem die Frage berührt, ob die Einrichtung und Beibehaltung
medizinischer Akademien zweckmäßig sei. Die einzige medizinische
Fachschule besteht augenblicklich in Düsseldorf, und so lief
denn das Bestreben des Referenten, der die Notwendigkeit und
Zweckmäßigkeit einer derartigen Einrichtung gänzlich verneint, dar¬
auf hinaus, der Düsseldorfer Fakultät den Lebensfaden abzuschneiden.
Da ich mehrere Semester in Düsseldorf verbracht habe, waren die
Ausführungen Hansbergs für mich von besonderem Interesse und
zwingen mich zu einer Auseinandersetzung mit seinen in Karlsruhe
vertretenen Anschauungen. Angenehm berührt es einen zunächst, daß
der Referent unsere Dozenten den Universitätsprofessoren als zu
mindestens ebenbürtig zur Seite stellte, und ich mag nur wünschen,
daß er sich an Ort und Stelle von der Wahrheit seiner Worte über¬
zeugt, sofern dies nicht' bereits geschehen ist. Genau betrachtet,
ist die Unterscheidung unserer Dozenten von Universitätsprofessoren
ja nur rein begrifflich, da verschiedene unserer Lehrkräfte einen
Ruf an eine Universität erhalten haben, andere dagegen schon
früher als Universitätslehrer tätig waren. So richteten sich denn
die Ausführungen Hansbergs ganz und gar nicht gegen die
Fakultät an sich, sondern gegen die durch ein einseitiges Fach¬
studium bedingte Verflachung der Medizinstudenten. Bevor ich an
eine Prüfung dieser Frage herantrete, möchte ich kurz auf die Be¬
merkung Hansbergs eingehen, daß man keine Aerzte zu Materia¬
listen heranziehen solle, sondern Aerzte mit warmfühlendem Herzen
für ihre Mitmenschen. Eine auch nur ganz oberflächliche Begründung
für diese Bemerkung könnte der Referent für diese Behauptung, cfaB
wir in Düsseldorf nicht zu warmfühlenden Aerzten erzogen würden,
schwer erbringen. Ganz im Gegenteil ermöglicht die geringe Anzahl
der Studierenden und die verständnisvolle Art unserer Dozenten hier
ein ganz anderes Eingehen in die Psyche des Kranken, als es der
Kollektivbetrieb der Universitätsklinik zuläßt. Wenn ich auch zu¬
gebe, daß die mehr oder minder materialistische Auffassung unseres
Berufes zum Teil von dem Lehrer beeinflußbar ist, so liegt die Frage,
Mensch oder Materialist, im großen und ganzen im Charakter des
Studenten fest gegründet, und der wird in diesem Alter nicht mehr
völlig umwandlungsfähig sein. — Was bildet aber den eigentlichen
Kern der Abneigung Hansbergs gegen die „Medizinschule“ und
die aus ihr hervorgehenden einseitigen „Medizinmänner“? Wie ver¬
hält es sich mit der so oft genannten „Universitas litterarum“, die
uns nach der Darstellung des allzu besorgten Referenten zu ent-
ehen droht? Zunächst möchte ich der Auffassung entgegentreten,
aß allein das Vorhandensein einer Universität suggestiv einen
starken Bildungsdrang zu erzeugen vermöge. Hierbei haben wir
doch als stärksten Faktor die verschiedenartige Individualität des
Studierenden zu berücksichtigen. Einseitige Fachbildung wird nicht
erst seit Gründung der ersten medizinischen Akademie den Aerzten
zum Vorwurf gemacht. Es dürfte Hansberg nicht unbekannt sein,
daß nach Beendigung des Krieges jede größere Stadt es sich zur
Aufgabe machte, durch Volkshochschulkurse dem Bildungshunger
ihrer Einwohner entgegenzukommen. Düsseldorf war von jeher eine
Kunststadt un d läßt es sich als solche ganz besonders angelegen
Nr. 1
sein, ihren Bewohnern alle Quellen der Bildung zu erschließen. Wir
dürften in dieser Hinsicht besser gestellt sein als die Studenten
der kleinen Universitäten. Auf noch eines möchte ich hinweisen
Aus seiner eigenen Studienzeit wird Hansberg vielleicht noch
wissen, daß der ältere Mediziner durch sein Studium wesentlich in
Anspruch genommen ist. Die Anforderungen, die das Studium an
den Studenten stellt, sind seit jener Zeit einerseits durch den dauernden
Zuwachs medizinischen Wissens, anderseits durch die gegen Friedens-
zeiten gänzlich veränderten Verhältnisse ungeheuer gewachsen.
Könnte mir Hansberg mit einer Statistik über die Teilnahme des
klinischen Mediziners der Universitäten an nicht fachwissenschaft-
liehen Vorlesungen aufwarten, so bliebe noch dahingestellt, zu wessen
Gunsten der Vergleich ausfieie. — Meiner Meinung nach ist es sehr
bedauerlich, daß durch anscheinend einseitige Berichterstattung über
das Wesen der Medizinischen Akademie im Verein mit einer geistigen
Uebermüdung durch das lange Referat dieser Antrag ohne Einspruch
auf dem Aerztetage angenommen wurde.
Kurze Mitteilungen.
— Die Schweizer Aerzte über die Vorbildungsfrage
Eine Urabstimmung des Verbandes der Schweizer Aerzte über die
Maturitätsfrage hatte folgendes Ergebnis: 1. Halten Sie es für
zweckmäßig, für ärztliche und technische Berufe die gleiche Maturität
zu verlangen? 85 Ja, 1542 Nein. 2. Halten Sie dafür, daß eine
Maturität, die nur die modernen Sprachen verlangt, für die Vor¬
bereitung des künftigen Arztes genüge? 67 Ja. 1557 Nein. 3. Halten
Sie dafür, daß eine Maturität, welche nur die Muttersprache, die
Naturwissenschaften und die Mathematik verlangt für die Vorbe¬
reitung des künftigen Arztes genüge? 50 Ja, 1591 Nein. 4. Halten
Sie dafür, daß das Studium der lateinischen Sprache für den zu¬
künftigen Arzt notwendig sei? 1583 Ja, 69 Nein. 5. Halten Sie da¬
für, daß das Studium des Griechischen für die Maturität des künftigen
Arztes wieder verlangt werden muß? 963 Ja, 651 Nein. 6. Halten
Sie dafür, es wäre angezeigt, auf dem Gymnasium die philosophischen
Fächer (Logik, Geschichte der Philosophie, Aesthetik) zu erweitern?
1000 Ja, 1591 Nein. — Diese Urabstimmung war vorgenommen
worden im Hinblick auf die neuesten Bestrebungen, die eidgenössische
Maturität in einem Sinne zu reformieren, wie er nun gerade durch
diese Urabstimmung wuchtig abgelehnt wurde.
— Zu unserer Mitteilung in Nr. 7 1921 über das praktische
Jahr erhielten wir folgende Zuschrift: Die Jahreszahl 1224 ist das
Gründungsjahr der Hochschule zu Neapel. Die Medizinal- und
Studienordnung Kaiser Friedrichs II. stammt aus dem Jahre 1240
und galt für Salerno, also nicht für Neaoel und Palermo. Zu dieser
Zeit hatte Neapel überhaupt keine Medizinische Fakultät, da diese
bereits 1231 eingegangen ist. und erst 1268 wurde die Hochschule
Neapel, als Nachfolgerin Salernos, wieder hergestellt. Auch der
„arme Heinrich“ ging behufs Heilung seiner Lepra nach Salerno
und nicht Palermo. — S. v. Pr.
— Ueber die Kriegsteilnehmerprüfungen für Medi¬
ziner ist im Reichstage folgende deutsch volksparteiliche Anfrage
eingegangen: Das Reichsministerium des Innern hat — ohne sich
vorher mit den Kultusministerien der Länder zu verständigen —
verfügt, daß sämtliche Kriegsteilnehmerprüfungen für Mediziner vom
nächsten Frühjahr ab fortfallen sollen. Das bedeutet gerade für die
Schwerbeschädigten unter den Studierenden eine außerordentliche
Härte. Gerade die Kriegsverletzten und Kriegsgefangenen waren
nicht in der Lage, früher die Prüfung abzulegen, und sie werden
durch den Erlaß des Reichsministeriums des Innern gezwungen,
ihre Prüfungen unter unverhältnismäßig schwierigeren Verhältnissen
abzulegen, als das den weniger geschädigten Studierenden mög¬
lich war. Sind der Reichsregierung diese Verhältnisse bekannt und
was gedenkt sie zu tun, um den kriegsbeschädigten und nicht-
kriegsbeschädigten Studierenden, denen infolge ihrer Kriegsteilnahmc
oder Kriegsgefangenenschaft die Ablegung ihrer Prüfungen seither
nicht möglich war, die für die Kriegsteilnehmer vorgesehenen Er¬
leichterungen über den in Aussicht genommenen Zeitpunkt hinaus
zu sichern?
— Entsprechend der Anregung des letzten Vertretertages des Ver¬
bandes Deutscher Medizinerschaften, betr. die Herstellung der Disser¬
tationsauszüge, hat sich der Verband mit mehreren Firmen in Verbin¬
dung gesetzt. Der Verlag G. Thieme, Leipzig, Antonstr. 15 erklärt sich
bereit, die pftichtmäßigen 200 Auszüge der Doktorarbeit für 113,90 M
bei 2 Seiten Umfang, für 226,80 M. bei 4 Seiten Umfang zu liefern.
Diese Preise sind entsprechend der Wirtschaftslage Schwankungen
unterworfen.
Für die Schriftleitung verantwortlich: Dr Hans Hirschberg, Leipzig, Sidonienstraße 66,IV. — Druck von Oscar Brandstetter in Leipzig.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSITV
Deutsche Medizinische Wochenschrift
HERAUSQEBER:
Begründet von Dr. Paul Börner
VERLAQ:
Geh. San.-Rat Prof. Dr. Schwalbe
Berlin-Charlottenburg, Schlüterstraße 53
GEORG THIEME/LEIPZIG
Antonstraße 15
Nummer 2
Donnerstag, den 12. Januar 1922
48. Jahrgang
Aus dem Institut für Infektionskrankheiten „Robert Koch«
in Berlin.
Nene Forschungsergebnisse über Pneumonie 1 ).
Von P. Neufeld.
Die neuen Fortschritte auf dem Gebiet der Pneumokokkenkrank-
beiten, über die nachstehend berichtet werden soll, verdanken wir
fast ausschließlich den Gelehrten des RockefeKer-Instituts, deren aus¬
gezeichnete, in den Jahren 1912—1920 erschienene Arbeiten bei uns
■och nicht genügend bekannt geworden sind.
Soweit es sich um die Serumtherapie handelt, knüpfen diese
Untersuchungen in einigen Punkten an die von mir tn gemeinsamer
Arbeit mit Händel 1909 bis 1912 im Kaiserlichen Gesundheitsamt
ausgeführten Arbeiten über Pneumokokkenheilserum an. Ausgehend
von dem Gedanken, daß gerade bei der menschlichen Pneumonie,
bei der sich die mächtige Wirkung der beim natürlichen Ablauf
der Krankheit entstehenden Immunstoffe in der Krisis auf das deut¬
schste offenbart, eine Serumtherapie Erfolg haben müsse, sobald es
nur gelänge, dem Kranken die richtigen Antikörper frühzeitig in
genügender Menge zuzuführen, kamen wir damals zu folgenden Er¬
gebnissen 3 ). Die Wirkung des Pneumokokkenserums ist durchaus
an bestimmte quantitative Verhältnisse gebunden; es wirkt sowohl
bei der Pneumokokkensepsis der Mäuse und Kaninchen wie bei der
experimentellen Bronchopneumonie der Meerschweinchen nicht — wie
das Diphtherieantitoxin und, innerhalb gewisser Grenzen, das Cholera-
iVsin im Pfeifferschen Versuch — nach dem Gesetz der multiplen
Proportionen, sondern nach dem Grade der Verdünnung im Tier¬
körper. sodaß z. B. zum Schutz gegen eine annähernd gleich schwere
Infektion ein 200 g schweres Meerschweinchen lOmal, ein 2 kg
schweres Kaninchen lOOmal mehr Serum braucht als eine 20 g
schwere Maus. Unterhalb einer gewissen Verdünnungsgrenze, die
wir als „Schwellenwert“ bezeichneten, hört die Wirkung überhaupt
auf. Hiernach, speziell auf Grund der Versuche an pneumonischen
Meerschweinchen, berechneten wir die für den Menschen notwendige
Menge von unserem Serum auf mindestens 75 ccm, die im Beginn der
Krankheit, und zwar intravenös gegeben werden müßten. Um dabei die
Gefahr der Anaphylaxie zu vermeiden, schlugen wir vor, der intravenösen
Einspritzung die subkutane Injektion einer kleinen Serummenge voran¬
gehen zu lassen, ein Vorschlag, der später von Besredka u. a. auf-
genommen worden Ist.
Nun stellten wir aber fest, daß es verschiedene, serologisch
völlig voneinander zu trennende Typen von Pneumokokken gibt:
vnser Serum (und ebenso die im Handel befindlichen, als polyvalent
bezeichneten Sera) schützte ausschließlich gegen unsern zur Immuni¬
sierung benutzten, als Pneumokokkus I bezeichneten und gegen die
zum gleichen Typus gehörenden Stämme, nicht aber gegen andere
von uns als „atypisch“ bezeichnete Stämme. Von diesen letzteren
fanden wir eine Varietät bei einer Anzahl regulär verlaufender
Pneumonien, zwei andere nur in Je einem Fall, wir fanden unsern
Pneumokokkus I In etwa der Hälfte der von uns untersuchten
PneumoniefäJIe, ließen aber offen, wie sich das Verhältnis in größeren
Beobachtungsreihen stellen würde und ob sich etwa dabei lokale
Verschiedenheiten ergeben würden. Wir hielten es für unbedingt
nötig in jedem mit Serum behandelten Fall den Typus des Erregers
testzusieller und nur die Fälle mit homologem Erreger zu verwerten.
Ha irtrte re Forderung von keinem der Autoren, die über unser
Senrni berichtet haben (Belt*, Weitz, Gerönne), erfüllt Worten
kt so sind ihre größtenteils günstigen Berichte nur mit Vorbehalt
za verwerten; immerhin glaubten wir, einen Einfluß des Serums zum
mindesten in 2 Fällen von Weitz annehmen zu sollen, wo durch
Biutkultur recht reichlich Pneumokokken nachgewiesen wurden, die
^^In^edem^J^rt^s^nd^d^^Versuche^weit überholt durch die ge-
rr äääk
OTSen Üichsten praktischen Ergebnisse finden sich zusammengestellt
.. ZZZ in 5 XII. 1921 ta Verein für innere Medizin und Kinderheilkunde
. y.^mroengefaSt In Koll«-W.s«er mann» Handbuch. 2. Auf-
Sil -8*9- V«l R M. W. I»ß S. 680.
in der 1917 als Monograph Nr. 7 des Rockefeller-Instituts erschienenen
Arbeit von Avery, Chickering, Cole und Dochez (im Folgen¬
den als „Monograph“ zitiert).
1. Seromtherapie.
Die Differenzierung der Pneumokokken in verschiedene „Typen“
auf Grund der Immunitätsreaktionen bildet die Grundlage aller wei¬
teren Forschungen. Die amerikanischen Untersucher stellen 4 „Typen“
auf, die jedoch untereinander nicht gleichwertig sind: Typus I ist
identisch mit Pneumokokkus I von Händel und mir, Typus II mit
dem von uns als häutigsten Vertreter der „atypischen“ Stämme ge¬
fundenen Stamm „Franz“, Typus Ul entspricht dem Pneumococcus
mucosus; jedoch ist das schleimige Wachstum nicht bei allen Stämmen
deutlich ausgesprochen und findet sich anderseits zuweilen auch bei
Angehörigen des Typus II, sodaß eine sichere Diagnose auch bei
der Gruppe III nur serologisch möglich ist 1 ). Typus IV ist nicht ein
heitlich, sondern umfaßt alle Pneumokokkenstämme, die nicht durch
die Immunsera der ersten 3 Typen beeinflußt werden, und enthält
eigentlich eine große Reihe verschiedener Gruppen, deren Vertreter
verhältnismäßig selten als Krankheitserreger Vorkommen, sodaß es
sich nicht lohnt, eigene Gruppen daraus zu machen. Die Angehörigen
der Gruppe IV werden daher als „heterogene“ Stämme den „typi¬
schen“ der Gruppen I—III gegenübergestellt.
Die Stämme der Gruppe I—III werden ausschließlich durch Im¬
munsera, die mit Angehörigen der gleichen Gruppe hergestellt sind,
agglutiniert und im Schutzversuch an Mäusen beeinflußt, die gegen
andere Typen gerichteten Immunsera wirken auf sie nicht anders als
Normalserum. Es gibt (abgesehen von gewissen, unten zu besprechen¬
den irregulären Stämmen des Typus II) keine Uebergänge, keine
teilweise Rezeptorengemeinschaft zwischen den Typen, Agglutination
und Schutzkraft des Serums gehen ausnahmslos Hand in Hand, und
das serologische Verhalten scheint unveränderlich zu sein; ich selbst
habe einzelne Stämme nahezu 10 Jahre lang daraufhin beobachtet.
In allen diesen Punkten verhalten sich die Pneumokokken ganz anders
als z. B. die Typhus-, Ruhr-, Meningitis- und Gasbranderreger, bei
denen wir ebenfalls serologische Unterschiede zwischen einzelnen
Stämmen kennen.
Was die Verbreitung der einzelnen Typen betrifft, so fand zu¬
nächst Dochez unter 23 Stämmen, von denen die meisten aus dem
Blut stammten, 12, die auf ein mit dem Pneumokokkus I von Neu¬
feld und Händel gewonnenes Pferdeserum reagierten, sodann fan¬
den Dochez und Gillespie unter 62 Pneumonien in 45 Vo Typus I,
in 20% Typus II, in 14o/o Typus III, in 22<y 0 Typus IV. Die letzte
mir bekannte Zusammenstellung (Cole), die 700 Pneunioniefälle um¬
faßt, ergab die folgenden Zahlen; daneben setze ich die auf Grund
von 600 Fällen berechnete Mortalität (Monograph S. 33):
Typus I In 35%; Mortalität 25V. I Tvpus II! in 10%; Mortalität 45V.
Typus II in 30V.; Mortalität 32V. | Typus IV in 25V.; Mortalität 16%
Ich selbst hatte aus meinen ersten Untersuchungen mit Händel
geschlossen, daß der Pneumokokkus I hier etwa in der Hälfte der
Fälle als Erreger vorkommt; eine spätere (unveröffentlichte) Beob¬
achtungsreihe von Dr. Schiemann aus den Jahren 1912/13 über
31 meist aus Berliner Krankenhäusern stammende Fälle ergab:
Typus I 9 Fälle = 29®/. 1 Typus III 3 Fflle = 10®/.
Typus II 6 Fälle = 19®/. | Typus IV 13 Fälle - 42®/.
In Dänemark stellten Thomsen und Christensen mit Hilfe
der Sera des Rodcefeller-Instituts ebenfalls das Vorkommen der glei¬
chen Typen I—IV fest, ebenso Lister (zit. nach Monograph S. 102)
in Südafrika; er fand jedoch daneben als häufigen Erreger eine«
neuen Typus (vgl. unten).
Wie die obige Tabelle zeigt, verläuft die Infektion mit Mukosus
weitaus am schwersten, die mit Typus IV am leichtesten.
*) Diese schleimig wachsenden Stämme sind früher fälschlich zu den Streptokokken
gerechnet worden. Als charakteristisch für Pneumokokken, deren Unterscheidung von
Streptokokken nicht immer so einfach ist, wie meist angenommen wird, führen, die
amerikanischen Autoren (Monograph S. 16) an: Die Kapselbildung, d»e Auflösung durch
Oalle (die sie in mehreren hundert Fällen bei frischen Pneumokokkenstämmen ausnahms¬
los feststel'ten) und Vergärung von Inulin; hinzuzufügen ist nach Moore noch die i«
ihrer Stärke allerdings wechselnde beim Mukosus ebenfalls vorhandene Beeinflussung
durch Optochin.
Digitized by Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
52
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr.
Blutuntersuchungen (Aussaat meist je 10 ccm in Agar und Bou¬
illon) bei 448 Fällen fielen in 30,3o/o positiv aus; von diesen starben
55,8o/o, von den negativen nur 8<>/o. Alle (16) Fälle, bei denen Typus 111
im Blut gefunden wurde, und alle (22) Fälle, bei denen mehr als
15 Kolonien des Typus II pro Kubikzentimeter wuchsen, endeten letal.
(Zu bemerken ist, daß nach Berichten anderer Untersucher mehrfache
Blutaussaat und verbesserte Technik fast stets positiven Blutbefund
ergeben.)
Bei schweren Fällen treten in den Urin spezifische Pneumo¬
kokkenstoffe über, die sich durch Präzipitation mit Immunserum
nachweisen lassen; durch diese Reaktion wird dann gleichzeitig der
Typus des Erregers auf schnellste Weise festgestellt. Unter 80 Fällen
g aben 52 = 65o/o positive Präzipitation. Die Sterblichkeit war bei
iesen (soweit sie nicht mit Serum behandelt wurden) 7mal so hoch
als bei den negativen Fällen, sodaß die Reaktion prognostisch bedeut¬
sam ist (Monograph S. 33). Bezüglich der prognostischen Bedeutung
der Leukozytenzahl wurden auf Grund von 463 beobachteten Fällen
die früheren Befunde bestätigt und ergänzt (ebenda S. 38).
Versuche an Kaninchen, dann an Pferden ergaben, daß es gelingt,
ein verhältnismäßig hochwertiges Serum nur gegen Typus I zu ge¬
winnen, dagegen nur schwache Sera gegen II und ganz schwache
gegen III (Serumgewinnung, siehe Monograph S. 43, ferner Cole und
Moore, Moore). Danach sind vorläufig nur die aut
Typus I beruhenden Pneumonien einer Serumbehand-
fung zugänglich. Alle diese Fälle, außer bei kleinen Kindern,
empfehlen die Autoren mit Serum zu behandeln, auch solche, die
anfangs leicht erscheinen, und solche, die erst im Spätstadium zur
Behandlung kommen, soweit sie nicht bereits Zeichen der beginnen¬
den Rekonvaleszenz oder Komplikationen, wie Otitis, Empyem, Ab¬
szesse, Meningitis, darbieten. Das Serum soll ausschließlich intra¬
venös und in großen Mengen eingespritzt werden, zunächst 90 bis
100 ccm, dann nach dem klinischen Verlauf am besten alle 6—8,
mindestens alle 24 Stunden die gleiche Dosis so lange, bis die Besse¬
rung eintritt; im Durchschnitt erhielt jeder Patient etwa 250 ccm.
Je später die Behandlung einsetzt, um so mehr Serum erfordert sie.
Zu berücksichtigen ist, daß ein erheblicher Teil der Antikörper an
gelöste spezifische Bakterienstoffe, die besonders bei Schwerkranken
reichlich im Blut kreisen, gebunden wird und dadurch für die Pneumo¬
kokken selbst verloren geht (Cole).
Vor Anwendung des Serums ist in jedem Fall (aus¬
genommen bei ganz drohendem Zustande) der Typus des Er¬
regers festzustellen. Bisweilen geschieht das, wie oben er¬
wähnt, durch den Nachweis spezifisch präzipitabler Stoffe im Harn,
in der Regel aber durch Einspritzung einer gewaschenen Flocke des
Sputums in die Bauchhöhle einer Maus: hier reichern sich die Pneumo¬
kokken im Durchschnitt in 6—8 Stunden so stark an, daß durch die
Agglutinationsprobe der Typus festgestellt werden kann (Technik
siehe Monograph S. 25) 1 ). Ein anderes ausgezeichnetes Verfahren
zur Typendiagnose hat Avery in 60 Fällen mit Erfolg angewandt;
er bebrütet eine sorgfältig gewaschene Sputumflocke 5 Stunden in
4 ccm Glukose-Blutbouillon im Wasserbad, löst die Kokken durch
gallensaures Salz auf und stellt die Präzipitinprobe an.
Die Zeit bis zur Feststellung des Typus benutzen die amerikani¬
schen Forscher, um durch Anamnese (vornergegangene Serumbehand¬
lung, Asthma, Heufieber) und eine in jedem Falle vorgenommene
intrakutane Einspritzung von 0,02 1 : 10 verdünnten Pferdeserums
eine etwa vorhandene Serumüberempfindlichkeit festzustellen und er¬
forderlichenfalls zu beseitigen; sie dokumentiert sich durch ein kleines
lokales Erythem, das meist in einer Stunde den Höhepunkt erreicht.
Da diese Reaktion aber nicht in allen Fällen auftritt, so soll (wie
zuerst von Händel und mir empfohlen) in allen Fällen mit nega¬
tiver Kutanprobe zunächst 0,5—1 ccm Serum subkutan gegeben werden,
was fast immer genügt, um schwere anaphylaktische Erscheinungen
bei der 6—8 Stunden darauf folgenden intravenösen Einspritzung zu
verhüten; treten solche dennoch auf, so werden sie durch Suprarenin
oder Atropin bekämpft. Die seltenen Fälle mit positiver Intrakutan¬
reaktion werden durch vielfache, allmählich von 0,025 ccm ansteigende
Seruminiektionen „desensibilisiert". Die intravenöse Einspritzung der
großen Dosen soll in jedem Fall ganz langsam geschehen, die Technik
wird eingehend beschrieben (Monograph S. 64). Die bekannten Erschei¬
nungen der Serumkrankheit traten nach 7—14 Tagen in der Hälfte
der Fälle in milder, in etwa 10<>/o in schwererer Form auf*).
Von Interesse für die Anhänger der „Proteinkörpertherapie" er¬
scheint mir eine Bemerkung (Monograph S. 70) über die Erscheinun-
en, die die Autoren zuweilen als Folge der intravenösen Einspritzung
er artfremden Proteine beobachteten: innerhalb einer Stunde stieg
unter Frostgefühl, Zyanose und leichten Atmungsbeschwerden die
*) Auch Ich habe mit Schiemann gelegentlich unserer Serumversuche an einer
Reihe von Patienten im fahre 1912—1913 die Typendiagnose in der Weise ausgeführt,
daß wir aus der Bauchhöhle der mit einer eitrigen Sputumflocke infizierten lebenden
Maus mit der Spritze Exsudat entnahmen und je einen kleinen Tropfen davon auf einem
Objektträger mit einem Tropfen Pneum. !-, bzw. I!-Serum und, um die Kokken besser
sichtbar zu machen, außerdem noch mit einer Oese verdünnter Kristallviolettlösung
verrieben; die spezifische Agglutination ist dann mikroskopisch leicht festzustell’n. Die
Befunde wurden durch spätere Agglutination mit der Reinkultur, z. T. auch durch Schutz¬
versuch bestätigt.
•) Es ist möglich, durch Aussalzen mit Ammontumsulfat (38—42*/ 0 ) einen großen
Teil, durch eine besondere, von Oay und Chickering beschriebene Methode sogar
fast die ganzen Eiweißstoffe (bis auf V*o) wegzuschaffen, doch sind diese Methoden
der Konzentrierung für die Praxis noch nicht anwendbar. Die letzterwähnte Methode
besteht darin, daß das fmmunserum mit gelösten Pneumokokkenstoffen versetzt und
das entstehende voluminöse Präzipitat mit dünner Sodalösung bei 42* extrahiert wird.
Temperatur schnell, um bald danach unter Schweißausbruch und
Zeichen subjektiver Besserung abzufallen, oft für längere Zeit bis
zur Norm. „Es ist derselbe Reaktionstypus, der bisweilen nach
größeren Gaben von Vakzinen auftritt und dann von manchen füi
therapeutisch wertvoll gehalten worden ist. Wir haben niemals ge-
funden, daß diese Reaktion an sich für den Kranken von Vorteil ist,
und glauben, sie sollte nach Möglichkeit vermieden werden.“
In fast allen Fällen bessern sich Puls und Allgemeinbefinden
bald nach der Serumeinspritzung, was wohl als Entgiftung aufzu¬
fassen ist. Fieber und Pulsfrequenz gehen allmählich
herab, und die lokale Erkrankung schreitet nicht weiter
fort. Am deutlichsten wirkt das Serum auf die Allgemeininfektion,
von der in der Regel der ungünstige Ausgang abhängt: nach einer,
spätestens zwei Serumgaben wird der vorher positive
Blutbefund negativ; dasselbe wurde mehrfach bezüglich der
oben beschriebenen Präzipitierreaktion im Urin beobachtet Die
Resolution des kranken Lappens dagegen ist offenbar
unabhängig von spezifischen Antikörpern; sie wird
durch Serum nicht beeinflußt. Auch Komplikationen, ins¬
besondere Empyeme, werden nicht verhütet.
Den Ausschlag gibt natürlich der Einfluß des Se¬
rums auf die Sterblichkeit. Während im selben Krankenhaus
sonst 25—30 o/o der Pneumonien des Typus I starben, starben von
107 Behandelten 8 = 7,5o/o. Dabei wurden gerade die schweren Fälle
behandelt, 38o/o davon hatten positiven Blutbefund, von den 34
gleichzeitig beobachteten, aber nicht behandelten leichten Fällen da¬
gegen nur 2 = 6o/ 0 . Unter den 8 trotz Serum Gestorbenen waren 3
erst wenige Stunden vor dem Tode gespritzt, einer starb nach
Heilung der Pneumonie an Lungenembolie, einer an beiderseitiger
Lungentuberkulose, ein anderer an, Streptokokkeninfektion. Somit
bleiben im Grunde nur 2 Fälle, in denen das Serum
versagt hat; einer davon wurde (im Beginn der Serumversuche)
am 5. Krankheitstage mit ungenügenden Dosen behandelt und starb
am Tage darauf, der andere kam mit reichlich Pneumokokken im ßlut
(300 Keime im Kubikzentimeter) am 6. Tage ins Krankenhaus,
erhielt reichlich Serum und starb am 1Z Tage (Monograph S. 76— 80)
Aehnlich gute Erfolge hatte Nichols, der unter amerikanischen
Soldaten von 63 mit Serum behandelten Fällen 5 = 8o/o, von 18 nicht
behandelten Pneum. I-Pneumonien 7 = 39o/o sterben sah, und Park
und Chickering mit 2 Todesfällen unter 41 Behandelten (durch¬
schnittliche Serumdosis 375 ccm!); einer davon starb in der Rekon¬
valeszenz an Embolie, der andere an Empyem und Erysipel. Es
handelte sich um aus Portoriko importierte, unter recht schlechten
Verhältnissen lebende Arbeiter, bei denen die Pneumonie zum großen
Teil als Komplikation oder Nachkrankheit von Influenza auftrat;
die Mortalität vor der Serumbehandlung war 30o/o. Auffallend war
bei diesen ebenso wie bei Negern die relative Seltenheit von
Serumkrankheit. Das sind Erfolge, an denen wir, wie ich
glaube, nicht vorübergehen können; wir werden uns
ernstlich die Frage vorlegen müssen, ob wir diese Er¬
gebnisse nicht für uns nutzbar machen können.
Natürlich kann man über die praktische Bedeutung des Pneumo
kokkenserums kein Urteil abgeben, ohne zuvor zu den Ergebnissen
der Chemotherapie Stellung zu nehmen. Demgemäß haben
die amerikanischen Forsher auch das Optochin, das, wie Moore
bestätigt, alle Typen der Pneumokokken gleichmäßig beeinflußt,
sowohl experimentell wie am Krankenbett eingehend studiert. Moore
und Chesney (vgl. auch Monograph S. 76) berichten nach Zur
sammenstellung von 787 Fällen aus der Literatur über 75 eigene Fälle
(ausschließlich solche vom Typus II, 111 und IV); davon kamen zur
Behandlung 1 Fall am 1., 15 am 2., 19 am 3., 20 am 4., 9 am 5., die
übrigen 11 am 6. bis 8. Krankheitstage. Die Autoren haben, auch
nach Abzug der ungenügend oder zu spät behandelten Fälle, keinen
ausgesprochenen Enolg gesehen. Die Mortalität (mit 37,3«/») und
die Krankheitsdauer waren nicht wesentlich beeinflußt, bei einer
Anzahl der Fälle schritt die lokale Erkrankung fort, und auch bei
solchen Behandelten, deren Blut in vitro Pneumokokken abtötete, ver¬
schwanden nur in einem Bruchteil der Fälle die Erreger aus dem
Blut; nicht selten wurde festgestellt, daß sie „optochinfest“ geworden
waren. Wir haben gewiß Grund zu der Hoffnung, daß die so ver¬
heißungsvoll eingeleitete Chemotherapie der Pneumokokkenkrankheite«
einmal zu einem vollen Erfolg führen wird, aber da wir nicht absehea
können, wann das der Fall sein wird, so dürfen wir auf diese Zu¬
kunftsaussicht hin nicht auf die Möglichkeit einer Serumbehandlung
verzichten — trotz der offenliegenden großen Schwierig¬
keiten und Mängel.
Zunächst muß man sich damit abfinden, daß man nur etwa Vs
der Pneumonien mit Serum behandeln kann und daß die Feststellung
der zur Behandlung geeigneten Fälle nur im Laboratorium durch
komplizierte Methoden möglich ist. Sodann ist schon die Gewinnung
eines hochwertigen Serums — anderes Icommt bei den notwendigen
großen Semmdosen gar nicht in Frage — nicht ganz leicht, und ohne
eine zuverlässige Feststellung des Antikörpergehalts bei jedem be¬
nutzten Serum würden sich solche Versuche meines Erachtens über¬
haupt nicht lohnen. Wenn uns nun aber ein staatliches Institut oder
eine Fabrik ein hochwertiges Serum zur Verfügung stellt, werde»
sich die Aerzte finden, die es in der beschriebenen, recht umständ¬
lichen Weise anwenden, und die Patienten, die es, wenn das Versuchs-
Stadium in den Krankenhäusern vorüber sein wird, bezahlen? Abge¬
sehen von der Typenfrage, liegen die Schwierigkeiten ausschließlich
in der Quantität aes zu verwendenden Serums. Daß man mit der
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERS1TV
12* Januar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
53
Serummenge nicht viel unter die angegebenen heruntergehen darf,
schließen Ce eil und Blake (VII) u. a. aus einem Mißerfolg bei
einer kleinen Epidemie unter Negersoldaten, von denen allerdings
die Hälfte erst 4 Tage oder später nach der Aufnahme ins Lazarett
mit Serum behandelt wurden: die durchschnittliche Serumgabe war
175 ccm, die Mortalität 34,5o/o. Nach denselben Autoren sind Gaben
von 40—50 ccm in amerikanischen Armeespitälern oft erfolglos ge¬
wesen. Natürlich hängt aber die notwendige Serummenge von dem
Titer ab: hätten wir ein lOmal stärkeres Serum, so brauchten wir
davon anstatt 100 nur 10 ccm zu geben. Nun ist es nach Cole und
Moore nicht möglich, mit den jetzigen Methoden die Stärke des
Pneumokokkenserums über eine ganz bestimmte Grenze hinaus zu
steigern, und es besteht wohl vorläufig wenig Aussicht, bessere Im¬
munisierungsmethoden zu finden; dagegen würde ich ergänzende Ver¬
suche über die Wertbestimmung des Serums für wünschenswert halten.
Gelänge es, feinere Unterschiede zwischen den hochwertigen Sera, die
allein für den Gebrauch an Menschen in Frage kommen, festzustellen,
so könnte man vielleicht doch Sera finden, von denen etwas kleinere
Alengen zum Erfolg genügen würden.
Versuche an Affen. Eine wichtige Ergänzung finden die
beschriebenen Beobachtungen in den ausgedehnten Experimenten von
Cecil und Blake an Affen (Macacus synchtus und Cebus capucinus),
deren Ergebnisse in 10 Arbeiten niedergelegt sind. Während die Injek¬
tion von steriler Bouillon, abgetöteten oder avirulenten Pneumokokken¬
kulturen in die Trachea von Affen ohne Wirkung blieb, hatte die Ein¬
spritzung von 0,000 001 bis 0,1 ccm hochvirulenter Kultur in die Trachea
fast regelmäßig eine lobäre Pneumonie zur Folge, die in ihrem klini¬
schen Bilde völlig der menschlichen gleicht: plötzliche, oft mit Schüttel¬
frost verbundene Temperatursteigerung, charakteristische Leukozyten-
kunr, beschleunigte Atmung, mäßiger Husten, geringe Prostration,
Krisis in der Regel zwischen dem 7.-9. Tage, in anderen Fällen lyti¬
scher Abfall; als Komplikation Empyem und Perikarditis. Das Röntgen-
büd ergab völlige Verdichtung des betreffenden Lungenlappens, und
der anatomische Befund, dem eine eigene eingehende Arbeit (II) ge¬
widmet ist, entsprach völlig dem beim Menschen. Die Hyperleukozytose
beginnt innerhalb 6 Stunden nach der Infektion und erreicht in 24—48
Stunden den Höhepunkt. Die Schnelligkeit und Tiefe des darauffolgenden
Leukozytenabfalles steht konstant in umgekehrtem Verhältnis zu dem
Grade der frühestens 6 Stunden nach der Einspritzung nachweisbaren
ßlutinfektion und der (größtenteils dadurch bedingten) Schwere des
Krankheitsverlaufs.
Der Mechanismus der Krisis ist auch durch diese Experimente
nicht völlig geklärt worden. Auffälligerweise blieb in einzelnen Fällen,
obwohl die Pneumokokken aus dem Blut verschwanden, die
Krisis aus, und die Tiere starben schließlich mit Lappeninfiltration
ohne Resolution und mit Pneumokokken darin; anderseits kann die
Septikämie zuweilen noch nach der Krisis fortbestehen und zum
Tode führen. Die Heilung des Lungenherdes und die
der Allgemeininfektion verlaufen also in gewissem
Grade unabhängig voneinander und beruhen vielleicht auf
verschiedenen Ursachen; möglicherweise sind die spezifischen Serum¬
antistoffe, deren Auftreten Dei Rekonvaleszenten Cole und seine
Mitarbeiter und Blake bestätigt haben, hauptsächlich bei der Ueber-
windung der AllgemeininTektion beteiligt. In diesem Sinne
läßt sich vielleicht auch ein früher von mir mitgeteilter Befund
verwerten, wonach im Serum eines Pneumoniekranken spezifische
Antistoffe schon 36 Stunden vor der Krisis nachweisbar waren.
Der Pneumokokkus I erwies sich für Affen weitaus am stärksten
infektiös; von 26 durch ihn erzeugten Pneumonien führten 21, also
etwa 800*0, zum Tode, darunter alle Fälle, in denen die Tiere 0,001
oder mehr erhalten hatten, während 6 mit großen Dosen (0,1—1,0)
der ebenso mäusevirulenten Stämme des Typus II, III und IV infizierte
Affen sämtlich die Pneumonie überstanden.
Subkutane und intravenöse Einspritzung führte, soweit über¬
haupt schwerere Erscheinungen auftraten, zu tödlicher Septikämie,
■ber niemals zu Lungenentzündung, und das Einbringen großer
Mengen von Kultur in Nase und Rachen blieb ohne alle Folgen;
doch blieben die Kokken dort wochenlang nachweisbar. Die Pneu¬
monie entsteht also durch Infektion von den Bron¬
chien aus, und die Blutinfektion ist sekundär.
Es sei nur kurz darauf hingewiesen, daß Cecil und Blake
das Gleiche für Streptokokken feststellen; auch bei diesen Erregern
führte nur intratracheale Einspritzung bei Affen zur Pneumonie,
in diesem Falle, entsprechend den Verhältnissen beim Menschen, zur
Bronchopneumonie. Ganz anders verhielten sich die Influenza¬
bazillen, die, in den Nasenrachenraum gebracht, bei Affen schwere
typische’ Influenza hervorriefen. Man darf wohl annehmen, daß sie
auch beim Menschen im Gegensatz zu den Pneumo- und Strepto¬
kokken von dem oberen Luftwege aus eindringen können.
Bei 5 mit großen Dosen von Pneumokokken tracheal infizierten
Affen mit bereits positivem Blutbefund wurde 24, 48 bzw. 96 Stunden
nach der Infektion die intravenöse Serumbehandlung be¬
gonnen die Einzelgaben schwankten (bei den 4,5—6 kg schweren
Tieren)* zwischen 10 und 20, die Oesamtmenge zwischen 70 und
150 ccm In allen Fällen verschwanden die Kokken so-
gleich nach der ersten Einspritzung für immer aus
Rillt alle Tiere wurden gerettet, bei frühzeitiger
Behandlung war der Verlauf abortiv. Alle Kontrolliere star¬
ben auch die Behandlung mit Normalpferdeserum war
ohne jeden Einfluß* •
2. Schutzimpfungen.
Lister hat in den südafrikanischen Minendistrikten mit einem
aus den 3 dort vorwiegend gefundenen Pneumokokkentypen her-
gestellten Impfstoff ausgezeichneten Erfolg erzielt; die Zahl der
Erkrankungen ging stark zurück, und auf einer Mine, wo eine genaue
bakteriologische Untersuchung aller Kranken durchgeführt wurde,
kamen bei 9 Monate langer Beobachtung bei den Geimpften keine
Pneumonien mehr vor, die auf einem dieser 3 Typen beruhten.
Cecil und Austin machten zunächst Vorversuche über Dosierung
und Antikörperbildung mit einem aus abgetöteten (virulenten?)
Pneumokokken der Typen I bis 111 durch Zentrifugieren erhaltenen
Impfstoff (die Gesamtdosen entsprachen etwa dem Bodensatz von
20—80 ccm Bouillonkultur) und fanden bei allen Geimpften schützende
Antikörper im Serum. Die Reaktionen waren milder als bei der
Typhnsschutzimpfung. Cecil und Austin impften alsdann 12519
Soldaten und beobachteten diese 10 Wochen lang neben Ungeimpften.
Die Erfolge waren äußerst überraschend:
12519 Geimpfte
19.481 Ungelmpfte
Er¬
Todes¬
Er¬
Todes¬
krankungen
fälle
krankungen
fälle
Pneumonien vom Typus 1—III .
... 0
0
26
7
Pneumonien vom Typus IV . .
0
33
6
Strcptokokken-Pneumonien . . .
2
106
30
Pneumonien mit unbestimmtem Erreger 0
0 .
8
5
zusammen: 16
2
173
48(=28*/.)
Hiernach wurden also bei den Geimpften Erkrankungen an den
Erregern, gegen die die Impfung schützen sollte, überhaupt nicht
beobachtet, aber auch die Erkrankungen an den heterologen Pneumo¬
kokken IV, ja sogar an Streptokokken, waren viel seltener und ver¬
liefen viel milder als bei den Ungeimpften. Das war noch deutlicher
bei 3500 farbigen Soldaten, von denen die Hälfte geimpft wurde,
die andere Hälfte unter gleichen Bedingungen ungeimpft blieb: unter
ersteren traten 2, unter den letzteren zS StreptokokkenrPneumonien
auf! Die Autoren geben keine Aufklärung für diesen unerwarteten
Erfolg; man darf aber wohl vor der Annahme nicht zurückschrecken,
daß bei diesen im Grunde einander doch recht nahe¬
stehenden Erregern im Gegensatz zu der äußerst stren-
g en Spezifität der ins Blut abgestoßenen Antikörper
ei aktiver Immunisierung am Menschen umgekehrt
eine weit übergreifende Immunität eintritt. Zweifellos
verdient diese für die allgemeine Immnnitätslehre bedeutungsvolle
Erscheinung einer Inkongruenz zwischen aktiver und passiver Immuni¬
tät eingehende weitere Untersuchung. Für eine solche Auffassung
spricht schon, daß nach Dochez und Avery die aktive Immuni¬
sierung gegen die Pneumokokkentypen II und III mindestens ebenso¬
gut gelingt wie gegen I, nicht dagegen die Gewinnung eines guten
Antisemms. In demselben Sinne sprechen aber auch die interessanten
Versuche von Cecil und Blake (IV bis VI) an Affen. Bei diesen
Tieren, die offenbar viel empfänglicher für die Erkrankung sind als
der Mensch, ergab die Impfung mit abgetöteter (allerdings avirulenter!)
Kultur nur recht unvollkommenen Schutz gegen intratracheale In¬
fektion, immerhin verlief die Krankheit leichter, und die Blutinfektion
blieb meistens aus; dagegen zeigte ein mit lebender avirulenter
Kultur behandelter Affe, vor allem aber diejenigen Tiere, die eine
subkutane oder intratracheale Infektion mit virulenter Kultur über¬
lebt hatten, eine hohe Immunität; diese griff aber in gewissem
Maße anch auf fremde Typen über.
3. Epidemiologie.
Wäre die allgemeine Ansicht richtig, daß die Pneu¬
monie nicht durch Ansteckung, sondern durch Auto¬
infektion entsteht, so müßten sich in der Rachenhöhle
des Gesunden dieselben Typen von Pneumokokken fin¬
den wie beim Pneumoniekranken. Das Gegenteil ist
aber der Fall. Während, wie oben mitgeteilt, bei Pneumonien
in etwa 35% der Typus I, in 30% Typus II als Erreger gefunden
wird, fanden Dochez und Avery sowie Still man unter 297 Ge¬
sunden durch Verimpfung von 0,5 ccm Speichel auf Mäuse llömal
virulente Pneumokokken in der Mundhöhle, darunter aber nur einmal
Typus I, keinmal Typus II. Nur solche Gesunde, die als Familien¬
angehörige oder Pfleger in enge Berührung mit Pneumonikern kamen,
hatten häufig eine Zeitlang, durchschnittlich 3—4 Wochen hindurch,
Kokken von Typus I oder II im Rachen, und zwar ausnahmslos den¬
selben Typus wie der betreffende Kranke. Die Autoren fanden bet
309 Umgebungsuntersuchungen 39 derartige „Keimträger“. Eine
weitere Ansteckungsquelle bilden die Rekonvaleszenten, bei denen
die Erreger meist in 3—4 Wochen, zuweilen aber erst nach Monaten,
verschwinden bzw. durch die „normalen“ Kokken vom Typus III
und besonders IV ersetzt werden (auf letzteren entfallen 53% der
positiven Pneumokokkenbefunde bei Gesunden). Schließlich sieht
Still man eine gewisse, bisher kaum berücksichtigte Uebertragungs-
gefahr im Fußbodenstaub der Krankenzimmer: unter 183 Proben
fand er 74mal Pneumokokken, und zwar davon in 34®/ 0 Typus 1, in
31 o/o Typus II, während der Staub von Zimmern, in denen keine
Pneumokokkenkranken gelegen hatten, unter 62 Proben 18mal Pneumo¬
kokken enthielt, darunter nur lmal solche vom Typus I und keinmal
Typus II. Aus allen diesen Beobachtungen ziehen die
Autoren den Schluß, daß die auf den Typen I und II,
den häufigsten Pneumokokkenerregern beruhenden
Digitized by Gck ’äle
Original from
C0RNELL UNIVERSITY
54
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 2
I*neunionien zum mindesten zum großen Teil auf An¬
steckung von außen zurückzuführen sind
Die Ansteckung führt jedoch nur bei besonderer Disposition,
; f so nur bei verhältnismäßig wenigen der Infizierten, zur Erkrankung;
d her tritt die Pneumonie nur bei besonders ungünstigen Verhältnissen
epidemisch auf. Das ist bekanntlich schon früher gelegentlich (in
Bergwerken, Kasernen, Schulen) beobachtet worden (Finkler, Sel¬
ter, v. Kutschera u. a), in großem Maßstab jedoch unter den
importierten Arbeitern am Panamakanal (Gorgas) und in den Minen
H Südafrika (Wright, Gorgas, Lister); als die Arbeiter aus
den überfüllten Baracken entfernt und in getrennten Hütten angesiedelt
wurden, trat ein sehr erheblicher Rückgang der Erkrankungen ein.
I cberwiegend erkrankten stets die frisch importierten Arbeiter, und
/war dura* Ansteckung seitens der älteren, die allmählich eine gewisse
Immunität, wie sie die weiße Bevölkerung besitzt, erworben hatten
und als Keimträger dienten.
Auch diese epidemiologischen Erfahrungen finden ihr Gegen-
‘tüdc in den Beobachtungen von Cecii und Blake (III) über eine
spontane Epidemie unter einem Transport von 79 Affen, die in über¬
füllten Käfigen saßen; es traten 23 auf Pneumokokkentypus IV be¬
ruhende Pneumonien mit 24 Todesfällen auf. Gelegentlich wurde
auch eine (Jebertragung von einem künstlich infizierten auf einen
gesunden Affen beobachtet.
Es sei kurz auf analoge Beobachtungen an Streptokokken hin-
r'ewiesen. Hämolytische Streptokokken spielen als Erreger gefähr¬
licher Komplikationen, besonders bei Masern, eine große Rolle, fin¬
den sich dagegen in der normalen Mundhöhle verhältnismäßig selten.
Cole und Mc. Call um beobachteten 44 in eine Masernbaracke auf-
enommene Patienten fortlaufend und fanden bei der Aufnahme nur
ei 5 von ihnen diese Keime, nach 3—5 Tagen schon bei 17, nach
2—3 Wochen bei 25. Auch bei Pneumokokkenpneumonien scheinen
sich die hämolytischen Streptokokken ähnlich „anzureichern“; auch
hier veranlassen sie schwere Komplikationen. Offenbar gewinnen
sic im Verlaufe einer Masernepidemie schnell an Virulenz und sind
öuim fähi^, Kranke, die an anderen Lungenerkrankungen, wie Pneu¬
monie, leiden, und schließlich Gesunde krank zu machen, ähnlich
wie sich die Virulenz der Wundinfektionserreger allmählich durch
Passagen steigert.
Als Maßnahmen zur Bekämpfung der Pneumokokkennneumonie,
hauptsächlich der durch die Typen I und II bedingten Pneumonie,
schlagen die amerikanischen Autoren besonders für Militärbaracken,
Krankenhäuser, Schulen, Internate usw. Absonderung, Desinfektion
von Auswurf und Wäsche, Reinigung der Fußböden, Belehrung der
Keimträger, vor allem aber allgemeine Erziehung der Bevölkerung
vor, damit die Leute lernen, daß sie mit den Absonderungen ihrer
Nase und ihres Rachens ebensowenig achtlos umgehen dürfen, wie
mit ihrem Stuhlgang und Urin. Gerade diese letzteren Maßnahmen
der allgemeinen Aufklärung und Belehrung scheinen mir höchst be¬
achtenswert. Auch eine Meldepflicht für Pneumonie (mit darauf¬
folgender Feststellung des Erregertypus in öffentlichen Laboratorien)
wird für wünschenswert erklärt. Entsprechende Absonderungsmaß-
itahmen sind in amerikanischen Truppenlagern gegenüber den Trägern
von hämolytischen Streptokokken stellenweise bereits durchgeführt
worden; auf Grund kultureller Untersuchungen des Racheusekrets
wurden in Masernbaracken die Fälle mit hämolytischen Streptokokken
als „unreine“ von den andern getrennt (Cole).
Diese epidemiologischen Verhältnisse werden dem Verständnis
näher gebracht durch einen Vergleich mit anderen Infektionskrank¬
heiten, bei denen ebenfalls die individuelle Disposition eine große
Rolle spielt und bei denen demgemäß die Zahl der gesunden Keim¬
träger viel größer ist als die der Kranken. Das ist schon bei
Diphtherie, weit mehr bei Meningitis der Fall; in zunehmendem Grade
tritt daher bei diesen Krankheiten die Ansteckung als sichtliche Ursache
zurück und die (scheinbar) spontanen Fälle in den Vordergrund. In
der Tat scheint vieles dafür zu sprechen, daß die Pneumokokkenaffek-
tionen sich in ihrem epidemiologischen Verhalten nur graduell, z. B.
von der epidemischen Meningitis, unterscheiden. Auch diese tritt
epidemisch nur unter besonderen ungünstigen Bedingungen (in Berg¬
arbeiterfamilien, in überfüllten Wohnungen, bei ungünstiger Witterung)
auf, auch hier werden von zahlreichen Infizierten nur wenige Dispo¬
nierte krank. Auch die Meningitis tritt ziemlich häufig in Kasernen
auf und befällt überwiegend die jungen Rekruten, während die älteren
Mannschaften als gesunde Keimträger die Infektion verbreiten; daher
haben kürzlich Thomsen und Wulff zum Schutz der Rekruten
besondere Absonderungsmaßnahmen in den Kasernen vorgeschlagen.
Diese Analogien sind auch dann von Interesse, wenn man an¬
nimmt, daß doch ein grundsätzlicher Unterschied in dem Sinne
besteht, daß die virulenten Pneumokokken der Typen I und II sich
unter gewissen Bedingungen aus den saprophytischen Kokken der ge¬
sunden Mundhöhle entwickeln, die Pneumonien dieser Typen daher —
im Gegensatz zur Meningitis, die, soweit uns bekannt ist, stets einer
Einschleppung bedarf — überall autochthon entstehen können, ebenso
wie Streptokokken- und Staphylokokkensepsis überall entstehen kann;
ist sie aber einmal entstanden, so können ihre Erreger dann als hoch¬
gezüchtete, für den Menschen besonders virulente Keime zu richtigen
Epidemien führen. Ich verweise bezüglich dieser Uebergänge von
ubiquitären saprophytischen Keimen zu pathogenen auf das, was
Ich kürzlich (M. KI. 1921, 551) bezüglich der Epidemiologie der
Influenza, des Rotlaufs, der Hünnerchoiera ausgeführt habe.
Für eine Entstehung der „typischen“ Pneumonieerreger aus Be¬
wohnern des normalen Rachens sprechen vielleicht auch die inter¬
essanten Beobachtungen über die „atypischen Varietäten“ des Typus II
(Avery, Still man). Es sind das Stämme, die eine schwache Mit.
agglutination mit den echten 11-Stämmen zeigen und sich also hier,
durch von den Angehörigen des Typus IV unterscheiden, während
sie sich im übrigen wie diese verhalten, d. h. sie lassen sich nach
ihrem Hauptagglutinin in zahlreiche (bisher 12) serologische Unter¬
gruppen einreihen; von diesen Untergruppen finden sich bemerkens-
werterweise die einen hauptsächlich bei Gesunden, die andern bei
Pneumoniekranken. Vielleicht darf man diese merkwürdigen Stämme,
von denen die genannten Untersucher 204 Vertreter eingehend unter¬
suchten, als in der Umwandlung begriffene, noch nicht genügend
„fixierte“ Krankheitserreger ansehen.
Unter den aus dem tropischen Afrika in die Minendistrikte ein-
geführten hochempfänglichen Negern sind nach Dochezund Avery
die Bedingungen zur Entstehung neuer Krankheitserreger in beson-
derm Maße gegeben: so erklären sie den Befund Listers, der hier
als häufigsten Erreger einen besonderen, sonst unbekannten Typus
feststellte. Derselbe ist offenbar aus einem der wenig virulenten,
bei Weißen daher nur zu vereinzelten Erkrankungen führenden Pneumo¬
kokken der Gruppe IV entstanden, der durch viele Passagen inmitten
einer nicht durchseuchten hochempfänglichen Bevölkerung zu höherer
Virulenz angezüchtet wurde.
So bieten uns die schönen Untersuchungen des Rockefeller-Insti-
tuts auch auf dem Gebiet der Epidemiologie neben zahlreichen neuen
Tatsachen eine Fülle von bedeutsamen Anregungen für weitere For¬
schungen.
Avery, Journ. exp. med.21, S. 139; Journ. Ara. med. Ass. 1918,70, S. 17. — Cecll
und Austin. Journ. exp. med. 1918,28, S. 19. — Cecii und Blake. Journ. exp. med. 31
u. 32, Studies on exper. Pneumonia (i0 Arbeit.). — Cole, Journ. exp. med. vß, S. 453;
New Jork State Journ. of med. 1919,29. S. 253; Journ. Am. med. Ass. 1918,71, S.635 — Colt
und Moore, Journ. exp. med. 26. S. 537. — Cole und Mc. Callu m, |oum. Am. med. Am.
1918,70, S. 1146. — Dochez und Avery, Journ. exp. med.2t, S. »33; 22. S. 105. — Dochei
und Gillespie. Journ. Am. med. Ass. 61, S. 727. — Finkler, Die akute Lungen¬
entzündung a’s Infektionskrankheit, Wiesbaden 1891. — Gay und Chicke'ing, Joaro
exp. med. 21, S. 389 ; 22, S. 245. — Gorgas, Bericht über die sanitären Zu-dände in da
Randminen,Johannisburg 1914. — v. Kutschera, Zbl. f. Bakt 51, S 55. — Moore.Journ.
exp. med. 22, S. 269,389, 551 . — Moore und Chesney, Journ. exp. med. 29, S. 61t; Arch.
int. med. 1918, 31, S. 659 (Studies Rock inst. Reprints 31, 441). — Park und Chicke-
ring, Journ. Am. med. Ass. 1919, 73, S. 183. — Selter, Zschr. f. Hyg. 54, S. 346 -
Stillmann, Journ. exp. med. 24, S. 65'; 26. S. 513; 29, S. 251. - Thomsen und
Christensen, Veröff, Statens Se*um Institut Kopenhagen XI. 1921, S. 501; Thomsen
und Wulff, ebenda S.5I3; Wright, Lancet, 1914,1, S. 87.
Aus dem Hygienischen Institut der Universität in Königsberg i. Pr.
Die Bedeutung der tuberkulösen Allergie für das Ent¬
zündungsproblem und die Proteinkörpertherapie 1 ).
Von Prof. Dr. H. Selter.
In einer vor kurzem veröffentlichten Arbeit „Ueber das Wese«
der Tuberkulinreaktion“*) war von mir auf Grund experimenteller
Versuche gezeigt worden, daß es sich bei dem Tuberkulin nur um
einen Reizstoff handelt, der auf ein entzünduugsbereites Gewebe
einwirkt und es zur Entzündung bringt, ohne daß das Tuberkulin
hierbei gebunden wird. In weiteren Untersuchungen mit TancrS 5 )
an Menschen konnten dann die Beobachtungen von Sorgo*) be¬
stätigt werden, daß nicht nur das Tuberkulin imstande ist, das
empfindliche Gewebe in Entzündung zu versetzen, sondern daß andere
Stoffe, wie Pepton und Dysenterietoxin, in gleicher Weise zu wirken
vermögen. Aeußerlich betrachtet, handelt es sich zweifellos um die¬
selbe Entzündungserscheinung, die in derselben Zeit und Stärke auf-
tritt wie die Tuberkulinreaktion; in dem inneren Mechanismus mußte
aber in dem entstandenen Entzündungsgewebe ein Unterschied sein,
da nach Verschwinden der Entzündungserscheinungen und neuer
Injektion von Tuberkulin (nach etwa 8 Tagen an einem anderen Ort)
die durch Tuberkulin entzündete Stelle der Haut aufflammte, während
die anderen unverändert blieben. Allerdings befinden wir uns hier
im Gegensatz zu Sorgo, der ein solches Aufflammen auch bei den
Diphtherie- und Dysenterietoxinreaktionen bemerkt hatte. Eine Be-
stätigung unserer Ansicht geben die kürzlich erschienenen Unter¬
suchungen von Sons und v. Mikulicz-Radeck i 5 ), die bei kutaner
Anwendung von Aolan, Caseosan und Schildkrötentuberkulin fast
stets negative Reaktionen erhielten und bei intrakutaner Anwen¬
dung dieser Stoffe nur in einem geringen Teil ihrer Fälle Reaktionen
sahen, die sich aber durch ihren kürzeren Verlauf wesentlich von der
echten Tuberkulinreaktion unterschieden; alte Stichstellen von Aolan
und Caseosan flammten nach wiederholter Injektion niemals auf
Ich möchte deshalb mit Bessau annehmen 6 ), daß durch das Tuber¬
kulin in einem tuberkulinempfindlichen Organismus tuberkulöses Ge¬
webe entsteht, daß dagegen andere Körper nur in unspezifischer
Weise ein leicht zur Entzündung neigendes Gewebe zur Entzündung
bringen. Von Bedeutung sind auch die Mengenverhältnisse der ver¬
wandten Reizstoffe. So brauchten wir von dem Dysenterietoxin die
s ) Vortrag lm Verein für wissenschaftliche Heilkunde in Königsberg am 21. XL 1921,
— •) Zschr. f. Immun Forsch.32, H. 3 u. 4. — •) Selter und Tancrd, Zschr. f. Tbc. 35.
H. 3. - «) D. m. W. 1911 Nr. 22. - ») D. m. W. 1921 Nr. 26. - •) Jb. f. Kindhlk. 1915,81.
Digitized by Google
Original frorri
CORNELL UNIVERSUM
12. Januar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
55
mindestens 100 fache, von Pepton die mehr als 200fache Menge, um
eine gleich starke Reaktion wie durch Tuberkelbazillenprotoplasma
zu erzielen.
So rgo meint nun, daß nicht nur die Tuberkulinreaktion, sondern
audi die Diphtherie- und Dysenteriereaktionen als Allergiereaktionen
aufzufassen seien, nicht in dem Sinne der Pircjuet-Sch ick sehen
Theorie, welche den Begriff der Allergie spezifisch nimmt und auf
die Bildung spezifischer Antikörper zuriiekführt, sondern einfach im
Sinne dessen, was das Wort besage, als Reaktion eines anders als
in der Norm reagierenden Organismus. Sorgo möchte demnach
die durch eine tuberkulöse Infektion zustandegekommene Verände¬
rung des Organismus schlechthin als Allergie bezeichnen. Man würde
ihm zustimmen können, wenn tuberkulosefreie Individuen, nicht nur
Säuglinge, auf Tuberkulin und andere wirksame Reizstoffe stets
negativ reagieren würden. Daß tuberkulosefreie Säuglinge selbst auf
gewaltige Dosen Alttuberkulin (mehrere Kubikzentimeter von konzen¬
triertem Alttuberkulin) nicht reagieren, ist durch die Untersuchungen
von Engel und Bauer 1 ) bekannt. Die Versuche von Schick*)
an nicht diphtheriekranken Säuglingen sprechen aber nicht unbedingt
in dem Sinne Sorgos. Schick fand bei kutaner Impfung mit
einem auf den zehnten Teil des Volumens eingeengten Diphtherietoxin
unter 21 Säuglingen nur einen positiv reagierend. Bei noch stärkerer
Einengung des Diphtherietoxins erhielt er bei 33 Säuglingen 31 posi¬
tive Reaktionen, von denen er jedoch bemerkt, daß sie fast immer
sehr gering waren. Wenn Sorgo glaubt, daß die Erklärung für die
positiven Reaktionen bei dem Kindermaterial Schicks in einer Tuber¬
kuloseinfektion zu suchen sei, so ist ein Beweis hierfür nicht* zu
erbringe n, da Schick die Säuglinge nicht zugleich mit Tuberkulin
geprüft hat Die Frage ist also noch offen, od ein noch nicht mit
Tuberkelbazillen infizierter Mensch sich auch gegen die Entzündungs¬
reize, welche beim tuberkulös infizierten eine der Tuberkulinreaktion
entsprechende Entzündung in der Haut hervorrufen, refraktär verhält.
Eine Beantwortung dieser Frage erscheint mir aber sehr wichtig,
da sie vielleicht zur Klärung des Wesens der tuberkulösen Allergie
beitragen kann. Wir dürfen jedoch die Allergie nicht mehr in dem
obengenannten Sinne von Pirquet-Schick als eine Antigen-Anti-
körperreaktion auffassen. Nach allem, was wir von der tuberkulösen
Allergie wissen, beruht sie nicht auf der Tätigkeit im Blute kreisen¬
der Antistoffe, sie stellt vielmehr eine Veränderung des Zellgewebes
dar, welche allerdings auch im Sinne einer Abwehr wirkt Ich würde
die Allergie als eine Entzündungsbereitschaft hin-
steilen, welche durch eine Veränderung der chemisch-
physi kalischen Eigenschaften des Zellprotoplasmas
infolge der Einwirkung lebenderTuberkelbazillen zu-
standekommt. Abgetötete Tuberkelbazillen oder aus ihnen her-
gestellte Stoffe können diese Umstimmung des Zellprotoplasmas nicht
nerbeiführen 3 ). Zwischen den Zellen eines tuberkulös infizierten
und eines normalen Organismus wird morphologisch wohl kein Unter¬
schied bestehen. In ihrer Reaktionstätiglceit gegen Tuberkulin und
andere Entzündungsreize unterscheiden sie sich aber wesentlich. Die
durch die tuberkulöse Infektion umgestimmten Zellen sind diesen
Reizen gegenüber labiler geworden und können leichter in den Zu¬
stand der Entzündung versetzt werden.
Dieses beweisen unsere Untersuchungen an tuberkulosefreien
Menschen, welche auf ihr Verhalten gegenüber verschiedenen Reiz¬
stoffen bei intrakutaner Anwendung geprüft wurden. Als Material
standen mir einmal die Kinder eines Kinderasyls im Alter von drei
Monaten bis zwei Jahren zur Verfügung, die nach früherer Beobach¬
tung 4 ) meist als tuberkulosefrei anzusehen waren. Schwieriger war
es, tuberkuJosefreie Menschen unter älteren Personen zu finden, die
wir aber unbedingt benötigten, da auf das Verhalten des Säuglings¬
gewebes allein allgemeingültige Schlüsse nicht hätten aufgebaut wer¬
den dürfen. Unter der städtischen Bevölkerung mußte die Auffindung
tuberkulosefreier Menschen im vorgeschrittenen Alter kaum möglich
sein. Dagegen gelang cs uns, auf dem Lande solche zu bekommen.
Von 8 Insassen eines Heimes zur Ausbildung von Landpflegerinnen
(Mädchen im Alter von etwa 21 Jahren) reagierten 2 auf Tuber¬
kulin negativ. Von 130 Personen aus zwei Dörfern Ostpreußens
«tn Alter von 3—21 Jahren, die von meinem Assistenten Dr. N eh ring
mit Unterstützung des praktischen Arztes Dr. 011 e s c h (Peitschendem)
geimpft wurden 5 ), erwiesen sich 16 als tuberkulosefrei*). Es standen
Uns so für eine Beurteilung der gestellten Frage 30 tuberkulosefreie
Menschen zur Verfügung, davon:
Oefters wurden auch drei Stoffe zu gleicher Zeit injiziert. Als Reiz
Stoffe wurden folgende benutzt:
Witte-Peptonlösung enthaltend in 0;1 ccm ~ 10 mg, 25 mg und 50 mg.
Caseosan: 0,1 ccm einer dreifach eingeengten Lösung (entsprechend 15 mg Kasein ' 7 .
und einer zehnfach ein gerügten Lösung (entsprechend 50 mg Kasein).
Kolitoxln*): in 0,1 ccm.1 mg
Dysenterietoxin: in 0,1 ccm.3 mg
Prodigiosustoxln: in 0,1 ccm.1 mg
Die Lösungen waren, um sie besser haltbar zu machen, mit
0,5o/o Karbolsäure versetzt.
Die Einspritzungen ergaben folgendes Resultat: Auf Pepton
und Caseosan reagierte keiner, selbst nicht aut die
stärksten Dosen (50mg Pepton, 50mg Kasein) und bei
Wiederholung der Injektion. Bei dem lOfach eingeengten
Caseosan war nach 24 Stunden eine geringe Verdickung in cler Haut
nachzuweisen, aber ohne entzündliche Erscheinungen, die nach
48 Stunden verschwunden war. Anscheinend war die ziemlich dicke
Flüssigkeit nicht gleich resorbiert worden. Bei den Peptonlösungen
mit 50 mg sahen wir diese Verdickung nicht. Nach Einspritzung
von Dysenterie-, Koli- und Prodigiosustoxin traten
stets entzündliche Erscheinungen an der Injektions-
stelle auf, die in deutlicher Schwellung und Rötung be¬
standen. Die Reaktion erreichte in einzelnen Fällen einen Durchmesser
bis zu 5 cm, meist jedoch war sie nur geringfügig. Nach 2 Tagen war
sie bereits erheblich zurückgegangen und nach 3 Tagen gewöhnlich
verschwunden. Bei einigen Kindern im 1. und 2. Lebensjahr stieg
abends die Temperatur (nach Dysenterie- und Prodigiosustoxin) bis
auf 38,5 und 39°. Am anderen Tage war sie wieder normal. Zwischen
der Einwirkung des Dysenterietoxins, Koli- und Prodigiosustoxins
*war kein Unterschied zu bemerken. In der Tabelle sind von den
130 Impfungen auf dem Lande 10 auf Tuberkulin positiv und negativ
Reagierende zusammengefaßt, um einen besseren Ueberblick über die
dabei gefundenen Verhältnisse zu geben.
e
«>
I. Impfung
11. Impfung (4 Tage später)
JS
Tuberkulin 0,1 mg
Tuberkulin 1 mg
Pepton 10 mg
Koli-Toxin
1 mg
Nr.
c
Reaktion nach:
Reaktion nach:
Reaktion nach:
Reaktion nach:
'S
3»
2
■d
2
d_
2
2
d
2
S
d
CO
m
m
m
CA
CA
t/3
m
m
m
m
m
<
3
f
P
3
5?
P
3
3
P
3
9
P
1
3
+ + +
+ + +
+ +
2
5
—
—
-
—
—
—
—
—
—
+ + +
+
—
3
7
—
—
—
—
—
—
—
—
—
+ +
—
—
4
9
—
—
—
—
+
+ +
—,
—
—
+ + +
+ + +
+ +
5
9
—
—
—
+ +
+ + +
+ +
+ +
+
—
+ + +
+ + +
+ +
6
9
—
—
—
—
—
—
—
—
_
+ + +
+
—
7
11
—
—
—
—
—
—
—
—
—
+ + +
+
—
8
11
—
—
—
—
—
—
—
—
—
+ +
+ f
+
9
12
+ +
++
+
+
+ + +
+ + +
+ +
+
—
+ + +
+ + +
+ + +
10
21
—
—
—
—
—
—
—
—
—
+ +
+ +
1 ,T
Man sieht, daß bei den zweimal auf Tuberkulin negativ Reagieren¬
den keine Reaktion auf Pepton, dagegen eine mittelstarke auf Koli¬
toxin entsteht, die am 3. Tage gewöhnlich wieder verschwunden ist.
Bei den auf Tuberkulin positiv Reagierenden ist die Peptonreaktion
meist schwächer, manchmal sogar negativ (Nr. 4), sodaß kein ganz
paralleles Verhalten vorliegt, wie es Selter und Tancrl schon
früher gefunden hatten. Die Kolireaktion ist in diesen Fällen gleich
stark, wenn nicht sogar stärker (Nr. 4) als die Tuberkulinreaktion.
Demnach kommen 2Arten von Allergien beim Menschen
vor, die voneinander zu trennen sind, eine natürlich
vorhandene, unspezifische gegen Bakterienprotein und
eine erworbene, spezifisch tuberkulöse, welche in spe¬
zifischer Weise aurch Tuberkulin, in unspezifisene r
durch Bakterienproteine und andere Reizstoffe aus¬
gelöst wird. Erstere ist viel weniger wirksam und funktioniert erst
auf große Dosen der Bakterienstoffe 3 ).
Unsere Beobachtungen eröffnen neue Ausblicke für das Entzün¬
dungsproblem und die Proteinköipertherapie. Ueber die Wirkung de:
letzteren und eine Erklärung dafür wissen wir nichts Genaues. Rolly*)
sagt mit Recht, daß viele Hypothesen und Schlagwörter hierüber be¬
stellen, die nichts besagen und z. T. nur Verwirrung und falsche Vor
Stellungen gestiftet haben. Von Weichardt wurde das vermehrte
Auftreten von Antikörpern nach Einspritzung von Proteinkörpem als
7 Kinder im I. Lebensjahr
5 Kinder in» 2. Lebensjahr
I Kind im 5. Lebensjahr
1 Kind im 7. Lebensjahr
2 Kinder im 8. Lebensjahr
3 Kinder tan 9. Lebensjahr
3 Kinder im IQ. Lebensjahr
3 Kinder im 11. Lebensjahr
1 Kind im 12. Lebensjahr
1 Kind im 13 Lebensjahr
3 Personen im 21. Lebensjahr
Wir gingen derart vor, daß wir zuerst eine intrakutane Injektion mit
i/ a mg Tuberkulin machten und dann bei den negativ reagierenden
nach 4—ö Tagen 1 mg Tuberkulin und einen anderen Reizstoff in
Menge von 0 I ccm intrakutan (beides in denselben Arm) einspritzten.
nEnget «md Bauer. Bcitr. x. Klln. d. Tbc. 12, H 3. - •) M. m. W. 1906Nr. 10. -
« Ueber die Wirkung abgetötefer Tuberkelbazillen“ (erscheint ln der
JfjJn H _ q Telter. D. n». W. 1221 Nr. 5. - •) Auf die Bedeutung dieser
Verbreitung der tuberkulösen Infektion auf dem Lande wird Dr. Neh-
T.Tlw besonderen Arbeit eingeh«.. - •) AH «riebe bezeichnen wir diejenigen
nTdle «rf zweimalige Injektion von TÄrtraün (zaernt */.. mg, <toon I mg)
negativ reagiert hatten.
’) 1 ccm Caseosan enthalt 0^05 g Kasein.
*) Die Bakterirnlösungen wurden derart bereitet, dafi e»ne fisfindige Agarkultur
mit Kochsalzlösung abgeschwemmt, die Bakterienemulsion 1 Stunde bei 60* gehalten und
dann ze»trifugiert wurde. Das Filtrat wurde bei 80° soweit eingeengt, dafi in 1 ccm die
entsprechende Menge Toxin (auf Bazillensubstanz berechnet) enthalten war. Die Repton-
und CaseosanlösunRen waren eine gleiche Zeit bei 80* gehalten.
•) Die Beobachtungen von Schirk, Bessau (Zschr. f. Immun.Forsch.32) sowie
die von v. Oröer und Kassowitz (Zschr. f. Immun. Forsch. 30) über das Auftreten
oder Ausbleiben einer Diphtherietoxinreaktion finden durch unsere Untersuchungen
auch eine natürliche Erklärung. Die Forscher fanden teils positive, teils negative
Reaktionen bei Kindern (nach Einspritzung von Diphtherietoxin. Wenn eine Mischung
von Diphtherietoxin und Diphtherieantitoxin eingrspritzt wurde, blieb die Reaktion
in einigen Fallen aus, in anderen trat sie dagegen ein; letztere Reaktion wird die
paradoxe Reaktion genannnt und auf eine hitzebestand'ge, nicht durh Antitoxin
neutrabsierbare Substanz (Diphiherieendotoxin) der Diphtherieboudlon zurückgeführt.
Diese Erscheinung ist nach unseren Untersuchungen ohne weiteres durch die unspe¬
zifische Allergie gegen Bakterieneiweiß zu erklären. Ob daneben noch eine natürlich
vorhandene oder erworbene Diphtberietomtinitlt mit im Blut kreisenden Aut körpern
eine Rolle spielt, soll hier nicht weiter erörtert werden. — 4 ) M. m. W. lfcl Nr. 27.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
56
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 2
das Entscheidende aufgefaßt und mit dem Namen Protoplasmaaktivierung
oder Leistungssteigerung belegt. Nach unseren Untersuchungen über
die Tuberkulinreaktion üben die Tuberkuline und Proteinkörper ledig¬
lich einen Reiz aus, ohne daß vorhandene oder durch das gereizte Ge¬
webe etwa produzierte Antikörper bei der Entstehung der Reaktion
beteiligt sind. Das Wesentliche ist wohl eine gesteigerte Lebenstätig¬
keit infolge der Ausübung eines Reizes auf ein dafür empfindliches
Gewebe, und zwar auf das Gewebe des ganzen Körpers, nicht nur
einzelner Teile. Es ist zweifellos, daß ein durch irgendwelche krank¬
hafte Störung bereits in Entzündung versetztes Gewebe durch die
Reize u. U. stärker getroffen wird als das gesunde Gewebe; diese
Erscheinung ist ja unter dem Namen Herdreaktion bekannt. Die
Herdreaktion wird aber in ihrer Wirkung sehr überschätzt und kann
schwerlich einen Einfluß auf die Besserung des Krankheitsverlaufs
haben. Eher könnten schon die infolge der gesteigerten Lebenstätig¬
keit der Zellen in größerem Maße vom ZelTprotoplasma ausgeschie¬
denen natürlichen Schutzstoffe, die aber nur als Folge der Reiz¬
wirkung aufzufassen sind, von Wert sein.
Eine wichtige Frage ist nun, ob neben der tuberkulösen Allergie
noch andere Krankheiten eine erhöhte Entzündungsbereitschaft be¬
dingen, oder ob diese Krankheiten nur in unspezifischer Weise die
Steigerung der vorhandenen tuberkulösen Allergie mit sich gebracht
haben und so in gewissem Maße von ihr abhängig sind. Zur Ent¬
scheidung der Frage müssen wir uns vor Augen halten, daß die
städtische Bevölkerung nach der Kindheit fast durchweg tuberkulös
infiziert ist Nach den Feststellungen meines Assistenten Dr. Neh¬
rin g scheint auch auf dem Lande die tuberkulöse Durchseuchung
schon recht vorgeschritten zu sein. Die infolge der tuberkulösen
Infektion eingetretene Umstimmung des Organismus ist eine bedeut¬
same erworbene konstitutionelle Veränderung, und da die Mehrzahl
der Menschen sie hat, müssen wir mit ihr rechnen. Borchardt 1 )
glaubt, daß verschiedene Konstitutionstypen, wie die entzündlich-
exsudative und die eosinophile Diathese, der Status thymico-lymphati-
cus, die Vagotonie und gewisse Formen der Neurasthenie, der Arthri¬
tismus, auf ausbrechende Tuberkuloseerkrankungen einen bestimmten
Einfluß haben. Dieser Zusammenhang ist durch eine Beeinflussung
der tuberkulösen Allergie seitens dieser Störungen leicht zu erklären.
Die tuberkulöse Allergie kann durch alle möglichen Krankheiten,
infektiöser und nichtinfektiöser Natur, auch durch Unterernährung u. a.
beeinflußt, entweder verstärkt oder geschwächt (gelähmt) werden.
So können bakterielle Gifte die tuberkulöse Allergie fast völlig auf-
heben, was wir an dem Verschwinden der Tubereulinreaktion wäh¬
rend des Verlaufs von Masern, Scharlach und Keuchhusten sehen 2 ).
Bemerkenswert ist die Beobachtung von Major und Nobel (Zschr.
f. d. ges. exper. M. 1913, II), daß bei masernkranken Kindern die Emp¬
findlichkeit gegen Tuberkulin verschwand, dagegen nicht gegen Dys¬
enterietoxin. Auch hiernach besteht also kein Zusammenhang zwi¬
schen der tuberkulösen Allergie und der unspezifischen gegen Bak¬
terienprotein. Soweit wir die Entzündungsbereitschaft als nützliche
Einrichtung auffassen, wozu wir, wie wir weiter unten noch sehen
werden, berechtigt sind, wird durch eine derartige Lähmung der
tuberkulösen Allergie der tuberkulösen Erkrankung Vorschub ge¬
leistet. Daher das nicht seltene Ausbrechen einer tuberkulösen Er¬
krankung nach Keuchhusten, Masern und Scharlach.
Es erscheint zwecklos, bei tuberkulösen Erkrankungen Protein¬
köroer therapeutisch zu verwenden, da z. B. Pepton viel ungleich¬
mäßiger una erst in weit stärkeren Dosen wirkt als Tuberkulin,
dessen Wirkung im Körper bei den einzelnen Stadien der Tuberkulose
in jahrelangen Beobachtungen gründlich erforscht ist 3 ). Eher würde
sich ein umgekehrtes Handeln empfehlen, daß man nämlich in allen
Fällen (auch bei nicht tuberkulösen Erkrankungen), in denen man
durch Einspritzung eines Reizkörpers eine Entzündung erzielen will,
Tuberkulin benutzt, nachdem man vorher geprüft hat, ob der be¬
treffende Mensch auf Tuberkulin reagiert. Das Versagen der Protein¬
körpertherapie mit Milchpräparaten könnte unter Umständen auf das
Fehlen einer tuberkulösen Allergie zurückgeführt werden. Bei fehlen¬
der tuberkulöser Allergie käme eventuell die Verwendung von Bak¬
terienproteinen, die ia nach unseren Untersuchungen auch dann eine
Wirkung entfalten, in Frage; bei vorhandener tuberkulöser Allergie
muß die Wirkung der Milcheiweißkörper durch Bakterienproteine
verstärkt weiden 4 ). Selbstverständlich sollte man bei der Protein¬
körpertherapie in derselben Weise vorgehen, wie es sich bei der
Tuberkulintnerapie bewährt hat, nämlicn zuerst tastend den Grad
der Empfindlichkeit feststellen und dann erst mit entsprechenden
Dosen behandeln.
Wir kommen nun zu der Bedeutung der tuberkulösen Allergie
für das Entzündungsproblem. Eine Klärung des Entzündungsproblems
würde auch der Proteinkörpertherapie erst die feste Grundlage geben.
*) D. m. W. 1921 Nr. 3&. — •) Rolly halt es nicht für unbedingt nötig, einen tuber¬
kulösen Prozeß In einem erkrankten Qelenk anzunehmen, wenn es auf die Tuberkulln-
reaktion mit einer Schwellung, Rötung, Vermehrung der Schmerzen usw. reagiert, womit
er zweifellos Recht hat. Ich kann Ihm und R Schmidt (D. Arrh. f. kl M. 31) aber nicht
zusammen, wenn sie eine Ueberempfindlichkelt gegenüber Milchinjektionen usw. für
möglich halten, als Folge anderer Krankheiten (gonorrhoische oder rheumatische Ge¬
lenkerkrankungen, perniziöse Anämie, Leukämie, nicht tuberkulöse Infektionen. Intoxi¬
kationen) bei Fehlen einer tuberkulösen Allergie. — ') Es Ist aber auch möglich, daß
eine wechselseitige Anwendung von Tuberkulin und Proteinkörpern oder anderen
Reizen (Sonnen-Röntgenstrahlen) für den tuberkulös Erkrankten von Vorteil ist —
4 ) Das Sächsische Serumwerk bringt eine entfettete Milch mit Koliproteln, die
sogenannte Xlfamilch, ln den Handel; die damit erzielte Wirkung soll weiter stärker
sein als die der gewöhnlichen entfetteten Milch (Ophtalmosan).
Ueber Entzündung ist gerade in letzter Zeit eine Reihe von Ver¬
öffentlichungen erschienen; mehrere Pathologen, wie Marchand
Aschoff, Dietrich und Ricker, haben neue Definitionen auf¬
gestellt, ein Beweis, daß man auch im Kreise der Pathologen mit
den bisherigen Anschauungen über Entzündung nicht zufrieden ist.
Marchanu 1 ) versteht unter Entzündung eine Reihe von örtlichen
Reaktionsvorgängen in den Gefäßen und dem Gewebe, die nach Ein¬
wirken von Schädlichkeiten physikalisch-chemischer und infektiöser
Art unter Bildung eines entzündlichen Exsudates in gesetzmäßiger
Weise verlaufen und im günstigen Falle zur Beseitigung der Schädi¬
gung und dadurch zur Heilung führen. Für Aschoff 2 ) steht die
direkte Reizung der Gewebe selbst im Mittelpunkt des ganzen Ge¬
schehens. Aus ihr folgt alles andere mit Notwendigkeit, insbesondere
die Störungen der Zirkulationen. Nach Dietrich 3 ) ist die Ent¬
zündung ein durch gewisse Schädlichkeiten ausgelöster Lebensvor¬
gang der Gewebe; er setzt sich zusammen aus der Störung der
Gewebstätigkeit und des Kreislaufs und aus der Reaktion der erhalten-
gebliebenen Gewebszellen, sowie der aus dem Kreislauf ausgewan*
derten Zellen und Stoffe gegen den Entzündungsreiz und dessen
schädliche Wirkung. Ricker 4 ) will endlich die Entzündung als
eine bei Nervenreizen entstehende, in verschiedenen Formen ver¬
laufende Hyperämie, die je nach ihrem Charakter verschiedenartige
Exsudate, verschiedene Gewebsvorgänge zur Folge hat, auffassen.
Wir sehen, daß die Pathologen im wesentlichen wieder im Virchow-
schen Sinne auf die Zelle als Ausgangspunkt der Entzündung zurück-
gehen, daß sie aber doch die durch die Schädigungen ausgelösten
Entzündungserscheinungen in den Vordergrund stellen und auf den
Zustand der Zelle seihst vor Einsetzen der Schädigung keinen Wert
legen. Meines Erachtens läßt sich für die Entzündung kein einheit¬
licher Begriff aufstellen, welcher alle Möglichkeiten umfaßt. Vor
allem müssen wir die Schädigungen nach Art der Reize trennen
und auf der einen Seite die Schädigungen durch grobe Reize (mecha¬
nischer, thermischer, chemischer, elektrischer Natur), auf der anderen
die durch biologische Reizstoffe (Proteinkörper, Bakteriengifte) be¬
trachten. Für die groben Reize scheint der Zustand der Zelle keine
so wesentliche Rolle zu spielen 6 ). Sie wirken auf jede Zelle schädi¬
gend ein und können sie zur Entzündung und Nekrose bringen.
Anders ist es dagegen mit den biologischen Reizstoffen. Diese wireen
wie das Tuberkulin, Pepton usw. nur, wenn vorher eine Aendemng
des Zellproloplasmas durch den Einfluß einer tuberkulösen Infektion
zustandegekommen ist. Diese Aenderung ist allerdings die Folge
eines Reizes durch die lebenden Tuberkelbazillen, der dauernd unter¬
halten wird. Insofern stellt das Eintreten einer Reaktion durch Tuber¬
kulin oder andere Stoffe eigentlich eine Summation zweier Reize dar.
Das Eintreten der Entzünduiigserscheinung hängt aber hier nicht nur
von dem Reizstoff ab, sondern ganz wesentlich von dem jeweiligen
Zustand der Zelle, die erst entzündungsbereit geworden sein muß,
deren Empfindlichkeit dann aber in sehr großen Grenzen schwanken
kann. i
Die durch eine tuberkulöse Infektion erfolgte Umstimmung der
Zellen aufzudecken, muß das Ziel der Forschung sein. Vielleicht
bringt uns die Anwendung der Methoden der physikalischen Chemie
auf diesem Gebiet weiter. Entsprechende Untersuchungen könnten ja
leicht an der Haut tuberkulös und nichttuberkulös infizierter Menschen
ausgeführt werden. Ich halte es auch für möglich, daß Meerschwein¬
chen und Rinder sich für diesen Zweck eignen werden. Aus den
Untersuchungen von Ebbecke 6 ) geht hervor, daß physikalische
Faktoren an der Entstehung der Entzündung beteiligt sind. Ebbecke
fand, daß die elektrische Leitfähigkeit der Haut für Gleichstrom durch
Reizung der Haut mit groben Reizen (mechanische, thermische, che¬
mische, elektrische) auf das Doppelte, Zehnfache bis Dreißigfache
gesteigert wurde. Er erklärt sich dies durch Zunahme der Membran¬
durchlässigkeit der Zellen. Die Impermeabilität der Plasmahaut, die
im Ruhestand den Verlust löslicher Zellsubstanzen in die Umgebung
verhindert und die zelleigene Elektrolytzusammensetzung des Zell-
innem ermöglicht, soll bei Bedarf, unter den beschleunigten und
vermehrten Umsetzungen des Reizzustandes, zeitweilig zur Abgabe
von Verbrauchsstoffen und Aufnahme von Ersatzstoffen verändert
werden. Ebb ecke will reversible Permeabilitätsänderungen als Sym¬
ptom und Indikator einer Erregung eines Reizzustandes ansehen,
das anderen Symptomen, wie Aktionsstrom, Sauerstoffverbrauch, Koh¬
lensäureproduktion, Milchsäurebildung, Wärmeentwickelung, Kapillar¬
erweiterung, Bewegung, Empfindung, Sekretion an die Seite zu
stellen ist und das aucn dort etwas über den Funktionszustand des
reizbaren Gewebes auszusagen gestattet, wo andere Beobachtung-
möglichkeiten nicht oder schwer zugänglich sind. Ebb ecke müßte
mit dieser Methode die Haut tuberkulöser und nichttuberkulöser
Menschen oder Tiere untersuchen, ob hierbei Unterschiede zutage¬
treten. Nach Freund und Gott lieb 7 ) liegt die Wahrscheinlichkeit
nahe, daß bei lebhafter Organfunktion Zellzerfallsprodukte entstehen
können. Diese Forscher halten das vorliegende Tatsachenmaterial
für ausreichend, um die Hypothese genügend zu stützen, daß manche
Zustände, bei denen man von „Umstimmung des Organismus“ oder
auch von „Allergie“ spricht, auf dem Gehalt des Blutes an Zell¬
zerfallsprodukten in vivo beruhen. Diese sollen die Erregbarkeit der
funktionierenden Elemente für physiologische Reize verändern und
*) D. m. W. 1921 Nr. 4a — •) D. m. W. 1921 Nr. 40. - •) M. m. W. 1921 Nr. 34. *
4 ) VIrch. Arch. 1921,231. — •) Es wöre allerdings nicht ausgeschlossen, daß auch hier
sich die du^ch tuberkulöse Infektion umgestimnite Zelle als empfindlicher erweisen
wörde. - •) Pflüg. Arch. 1910,4/ß. - *) M. tn. W. 1921 Nr. 13.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNÜVERSrrr
12. Januar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
57
ihre Reaktionsfähigkeit gegenüber Giften und Arzneimitteln wesentlich
modifizieren. Bei allen Zuständen, in denen ein erhöhter Zellzerfall
oder auch nur ein lebhafter Abbau von Zellen bei gesteigertem
Stoffwechsel vorliege, müsse daher mit der Möglichkeit gerechnet
werden, daß wirksame Substanzen im Blute zirkulieren, welche die
Reaktionsfähigkeit des Organismus verändern. Wenn ich zwar nach
meinen Erfahrungen über die Tuberkulinreaktion derartigen humo
ralen Stoffen gegenüber etwas skeptisch bin und sie nur als Folge
einer eingetretenen Reizung anseheu würde, so muß selbstverständlich
auch der Nachweis solcher Zellzerfallsstoffe in den Kreis der For¬
schung mit einbezogen werden.
Unsere Beobachtungen haben das Entzündungsproblem noch kom¬
plizierter gestaltet. Sie können aber vielleicht den Weg weisen, auf
welchem weiter gearbeitet werden muß. Für den Tuberkuloseforscher
hat die tuberkulöse Allergie ein ganz besonderes Interesse, weil sie
anscheinend die Grundlage der Tuberkuloscimmunität ist, über deren
Vorhandensein und Auswirkung uns die letzten Jahre manches Neue
gebracht haben, die wir aber erst werden aufdecken können, wenn
die Frage der tuberkulösen Allergie oder der Umstimmung des Zell¬
protoplasmas gelöst ist.
Oie Behandlung der chronischen Kreislaufschwäche (unter
vorwiegender Berücksichtigung der physikalisch¬
diätetischen Methoden).
Von Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Goldscheider.
(Schluß aus Nr. 1.)
Uebcr den Wert der elektrischen Einwirkungen in ihren
verschiedenen Formen besteht noch immer nicht genügende Klarheit.
Wie schon oben erwähnt, fand E. Weber für die Hochfrequenz-
hehandlung eine den C0 2 -Bädem ähnliche Beeinflussung des Gefäß-
g rstems, während Vierzellenbäder wirkungslos waren. Die praktische
rfahrung geht dahin, daß beide Formen der Anwendung hauptsächlich
sedativ, d.h. auf die Krankheitsgefühle beruhigend und blutdruck¬
senkend wirken; eine merkliche Beeinflussung der Kreislaufinsuf¬
fizienz gehört jedenfalls nicht zur Regel (Tobias).
Die elektrischen Voll- oder Vierzellenbäder, welche als galva¬
nische, faradische oder Sinusoidalbäder verabreicht werden, wirken
ähnlich wie das C0 2 -Bad durch die Temperatur des Wassers und
die sensible Reizung. Das Vierzellenbad wirkt nach V e i e 1 u. a. stei¬
gernd auf Blutdruck und Herzarbeit. Es ist mit großer Vorsicht zu
dosieren, da sehr leicht eine Ueberreizung des Herzens eintreten
kann. Das Gleiche gilt für die Vollbäder.
Die behauptete spezifische Einwirkung auf die Herzerweiterung
ist nicht erwiesen. Die Frage des Nutzens der elektrischen Prozeduren
für die Kreislaufinsuffizienz bedarf noch des weiteren Studiums.
Bisher haben sie sich, zum Teil wegen der erwähnten Bedenken, als
Behandlungsmethode für Herzinsuflizienz nicht eingebürgert. Die
Diathermie bew'ährt sich bei manchen Fällen von Angina pectoris.
Ob sie durch Beeinflussung der Koronargefäße mittelbar auf die
Herzinsuffizienz günstig einzuwirken vermag, bedarf noch des Stu¬
diums. Audi über die Rumpf sehe Methode der hochgespannten
oszillierenden Ströme wissen wir mit Bezug auf ihre Bedeutung für
Kreislaufinsuffizienz noch wenig. Bei allen diesen physikalischen Ma߬
nahmen ist auch an die Möglichkeit einer Wirkung auf das Gewebe
zu denken.
Von großer Bedeutung ist die Bewegungsbehandlung. Es
würde zu weit führen, wenn ich hier die recht komplizierten pnysio-
togischen Wirkungen der Bewegung auf den Kreislauf und die Atmung
schildern wollte; die bis jetzt bekannten Tatsachen habe ich in einem
Referat in der Zschr. f. physik. diät Ther. 1919, 1. Heft, kurz zu¬
sammengestellt. An dieser Stelle nur das Nötigste. Die aktive Be¬
wegung, selbst die lokalisierte, hat umfangreiche vasomotorische
Reaktionen zur Folge, wirkt ferner auf Herz und Atmung. Das
Herz paßt sich dem erhöhten Blutbedarf teils durch Vergrößerung
des Schlagvolums, teils durch vermehrte Schlagfolge an. Der gestei¬
gerte Saiierstoffverbrauch bedingt eine gesteigerte Atmung, durch
welche ein günstiger Einfluß auf die Blutbewegung ausgeübt, ander¬
seits aber dem Herzen eine größere Blutmenge zugeführt wird. Bezüg¬
lich des Blutdrucks enthält die aktive Bewegung Momente, welche
gegensätzlich wirken. Die Erweiterung der Muskelgefäße vermindert
die peripherischen Widerstände, was aber durch Verengerung von
Gefäßen anderer Körperregionen ausgeglichen bzw. überkompensiert
wird Die Vermehrung des Minutenschlagvolums des Herzens muß
den Blutdruck steigern, die vertiefte Inspiration durch Ansaugung
dos Venenblutes ihn herabsetzen, aber wiederum durch Zuführung
einer vermehrten Blutmetige in das linke Herz ihn erhöhen. Meistens
Sefet 'beim Menschen der Blutdruck bei der Muskeltätigkeit, aber
«m co weniger ie eingeübter diese ist; nach dem Training kann die-
cidhe Arbeitsleistung, die vorher blutdrucksteigernd wirkte, den Blut-
Ä coaar senken. Eine gleichsam automatisch sich vollziehende
ß^minl belinflußt den Blutdruck nicht oder senkt ihn sogar, eine
bewußtem Willensimpuls ausgeführte steigert ihn (Hasebroek).
aL in allem stellt somit die aktive Bewegung eine nützliche Regu-
a '„? Annassungsübung für Herz und Gefäße dar, und es
Stöhne weiteres, daß wir von diesem Mittel Gebrauch machen
können vm die Kreislaiifsorgane funkhonell zu kräftigen.
Die Bewegungsbehandlung dient daher vor allem dazu, bei
Herz- und Gefaßkrankcn der Entwicklung der Kreislautschwäche vor¬
zubeugen. Von diesem wichtigen Behandlungsgrundsatz wird bei
weitem nicht hinreichend Gebrauch gemacht. Ganz verfehlt ist es,
in solchen Fällen eine zu weit gehende Schonung oder gar Ruhekuren
zu verordnen. Das Maß der zu verordnenden Bewegungsübungen
muß mit Rücksicht auf die mit dem Beruf und den sonstigen Lebens¬
verhältnissen verbundene Muskeltätigkeit bestimmt werden.
Bezüglich der Verwendung bei vorhandener Insuffizienz gilt das¬
selbe, was bereits bei der COo-Bad-Behandlung gesagt wurde: Das
Herz muß noch zu Mehrleistungen befähigt sein; es kommen nur
die schwächeren Grade der Insuffizienz in Betracht. Da die Insuffi¬
zienz ein Beweis dafür ist, daß die Regulierung des Kreislaufs den
Beanspruchungen des täglichen Lebens nicht mehr gewachsen ist,
so könnte man grundsätzliche Bedenken haben, den Kreislauf noch
einer Belastung durch Muskelarbeit auszusetzen. Aber hier muß eine
individuelle Beurteilung Platz greifen. Ist ein Kreislaufkranker unter
der Arbeit zusammengebrochen, so ist zuförderst eine weitgehende
Schonung geboten. War dagegen die Lebensweise derart, daß sie
die Aäuskeln eher zu wenig betätigte, handelt es sich um muskel¬
schwache oder ganz besonders um fettleibige Personen, so ist mög¬
lichst bald mit einer individuell angepaßten Bewegungsbehandlung
einzusetzen. Die Bewegungsbehandlung hat zwei Ziele; zunächst
handelt es sich um bloße funktionelle Anpassungsübungen für Herz
und Gefäße; diese werden auch bei insuffizientem Kreislauf von
Erfolg sein, solange noch sog. Reservekraft da ist. Auch bei den
C0 2 -Bädern beanspruchen wir diese. Das weitere Ziel ist die
Steigerung der absoluten Muskelkraft des Herzens bzw. eine Hyper¬
trophie aesselbcn. Diese ist nach den Ausführungen von Lange
(Roux) nur dann zu erzielen, wenn jede Einzelkontraktion eines
Muskels gegen eine gesteigerte Belastung ausgeführt wird; die Uebung
schlechthin bewirkt dies nicht. Auch dies erscheint bei leichteren
Graden der Insuffizienz keineswegs unmöglich, aber die Grenzen
des Nutzens und der schädlichen Ueberanstrengung werden hier ein¬
ander sehr nahegerückt sein.
Die Bcwegungsbehandlung bei Kreislaufkranken wird in Form
von aktiven freien und Widerstandsübungen sowie von passiven Be¬
wegungen ausgeführt. Bei der aktiven sind die örtlich beschränkten
und die allgemeinen Bewegungen zu unterscheiden. Eine besondere
Stellung nimmt die Atmungsgymnastik und das Bergsteigen ein.
Die allgemeine Bewegung (Gehen) pflegt ja nach der Intensität
der Insuffizienz geregelt zu werden. Wir sind bestrebt, die absolute
Ruhe nicht länger als unbedingt nötig einwirken zu lassen, da sie
gewisse Schädlichkeiten für den Kreisläuf mit sich bringt und alle
Regulierungsübungcn ausschaltet, sondern den Kranken aufstehen,
sitzen und gehen zu lassen. Erweiternd können dann leichte Frei¬
übungen hinzutreten, deren Einwirkung auf den Kreislauf man in
jedem Falle beobaditen und die man je nach ihrer Einwirkung dosieren
muß. Die eigentliche Widerstandsgymnastik hat ihre Wiege in Schwe¬
den und wurde für Herzkranke von August Schott in Nauheim
als Behandlungsprinzip eingeführt, von seinem Bruder Theodor
Schott dann weiter studiert und verwendet. Nach den Angaben
des letzteren steigert sie den abnorm niedrigen und senkt den abnorm
hohen Blutdruck, ähnlich wie das Kohlensäurebad. Es werden ein¬
fache Beugungen und Streckungen der Extremitäten, teils passiv,
teils aktiv mit Widerstand ausgeführt, welcher entweder durch
Spannung der Antagonisten oder durch einen Gymnasten geleistet
wird. Die Zander-Apparate ersetzen den Gymnasten durch die
Maschine. Einen weiteren Ausbau stellen die Apparate und die
Methode von Herz dar. Die von Siegfried begründete Zyklo-
therapie (Uebungen auf einem zweckmäßig gebauten Dreirade) ist
in Vergessenheit geraten. Die praktische Ausführung der Schott-
schen Gymnastik ist davon abhängig, daß man einen hinreichend
ausgebildeten, intelligenten Gymnasten zur Verfügung hat, welcher
den Kranken während der Prozeduren zu beobachten imstande ist.
Unter dieser Voraussetzung kann die Widerstandsgymnastik bei ge¬
eigneten Fällen Nützliches leisten. Es ist jedoch unbedingt erforder¬
lich, daß der behandelnde Arzt den Gang der mechanischen Behand¬
lung genau verfolgt, sich um die Dosierung kümmert usw. Nur auf
diese Weise kann festgestellt werden, ob die gewünschte Wirkung
mit Bezug auf Blutdruck, Pulszahl, Amplitude, bessere Herztätigkeit
eintritt und ob der Fall sich überhaupt für diese Behandlung eignet.
Es ist klar, daß durch diese Forderung die Verwendbarkeit der Methode
für die allgemeine Praxis sehr eingeschränkt wird. Für die maschinelle
Gymnastik gilt dasselbe. Sie darf bei vorhandener Insuffizienz nur
in vorsichtiger Weise und stetiger ärztlicher Kontrolle zur Anwendung
gelangen.
Die gleichzeitige Ausführung eines Kolilejisäurebades und gym¬
nastischer Behandlung dürfte bei vorhandener Insuffizienz im all¬
gemeinen nicht anzuraten sein, wenigstens nicht in Kurorten, wo
die Bäder schnell hintereinander genommen werden. Bei Hauskuren,
wo es sich überhaupt empfiehlt, die C0 2 -Bäder seltener, etwa 2- bis
3mal wöchentlich, nehmen zu lassen, kann man sich dieser Kombi¬
nation eher bedienen.
Der passiven Bewegung kommt physiologisch mehr eine rein
örtliche Wirkung zu, da die Innervation und Arbeitsleistung der
Muskeln fehlt. Es wird eine Verschiebung des Blutes bewirkt, welche
namentlich an den Beinen immerhin einen Wechsel des Blutgehaltes
auch der Becken- und Bauchgefäße zur Folge haben kann, dessen
Einfluß sich eventuell bis zum Herzen erstreckt. Büdingen hat
eine Vorrichtung zur rhythmischen passiven Bewegung der Beine
Digitized by Gck gle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
58
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
bei Herzinsuffizienz angegeben, an welcher er günstige Erfolge ge¬
sehen hat. Auch aus der KrehIschen Klinik liegen Mitteilungen
über günstige Einwirkung passiver Bewegungen auf Herzinsuffizienz
vor (Tiedemann und Lund). Die passiven Bewegungen eignen
sich für alle Grade und Stadien der Kreislaufschwäche. Bei den
ans Bett gefesselten Kranken sind sie schon zur Fernhaltung der
bedenklichen Folgen der absoluten Ruhelage notwendig. Auch bei
der schwedischen Gymnastik wird von ihnen Gebrauch gemacht;
desgleichen bilden sie einen Bestandteil der Herz sehen Methode.
Man pflegt die aktive und Widerstandsgymnastik mit passiven Be¬
wegungen als Vorübung einzuleiten. Ich selbst lasse seit vielen
Jahren bei Herzinsuffizienzen passive Bewegungen, besonders der
Beine, sodann anschließend aktive Bewegungen mit entlastender Unter¬
stützung der Extremitäten und schließlich freie aktive Bewegungen
ausführen.
Besonders empfehlenswert ist die Unterstützung der Behandlung
der Insuffizienz durch Atmungsgymnastik, deren Dosierung
wieder ganz von dem Grade der Kreislaufstörung abhängig sein
muß. Die Inspiration wirkt ansaugend auf das Venenblut und übt
einen Druck auf die Bauchhöhle aus, welcher gleichfalls der Rück-
strömung des Venenblutes zum Herzen förderlidi ist. Sie befördert
somit die Blutströmung, verringert die Stauung und dadurch die peri¬
pherischen Widerstände. Die Exspiration verstärkt pressorisch die
Arbeit des linken Herzens. Anderseits wird durch die Beschleunigung
des Blutstroms das Herz stärker belastet. Es stellt somit auch die
Atmungsgymnastik eine Beanspruchung und Uebung des Herzens
dar und bedarf daher einer gebührenden Rücksichtnahme auf die
Reservekraft des Herzens. Dazu kommt, daß die verstärkte Arbeit
der Atmungsmuskulatur an sich eine erhöhte Herzarbeit zur Folge hat.
Wahrscheinlich gehen die Wirkungen der vertieften Atmung noch
weiter. Die verminderte Kohlensäurespannung des Blutes muß eine
Erniedrigung des Vasotonus, also Verringerung der Widerstände zur
Folge naben. Auch an die rhythmische Vagusreizung, welche
auf das Herz- und Gefäßnervensystem irradiiert, ist zu denken.
Oertel empfahl tiefe In- und sakkadierte Exspiration, welche letztere
Herz dahin modifiziert, daß jeder Atmungsstoß mit einer systoli¬
schen Pulswellc zusammenfallen soll. Eine weitere Ausgestaltung zu
diagnostischen wie therapeutischen Zwecken hat die Atmungsgym¬
nastik durch Al brecht erfahren.
Durch die gesteigerte Strömung des Venenblutes wird auch die
Bewegung der Lymphe gefördert, wie übrigens auch durch die
Muskeltätigkeit an sich. Dies muß entlastend auf das Gewebe und
dadurch mittelbar auch wieder förderlich auf die Kapillardurchströ-
mung einwirken.
Eine zweckmäßige Ausgestaltung der Atmungsgymnastik stellt
die Bruns sehe Unterdruckatmung aar, bei welcher gegen vermin¬
derten Luftdruck geatmet wird. Die Reservekraft des Flerzens wird
hierbei in erhöhtem Maße beansprucht. Die Methode, über welche
noch weitere Erfahrungen zu sammeln sind, scheint in geeigneten
Fällen, besonders bei Herzinsuffizienz infolge von Krankheitszuständen
der Atmungsorgane, günstig zu wirken. Die Dosierung muß auch
hier vorsichtig gewählt und das Verfahren auf leichte Fälle von
Kreislaufschwäche beschränkt werden.
Das methodische Bergsteigen wurde von Oertel in Form seiner
Terrainkuren empfohlen. Die Gefahren bei schon ausgebildeter Herz¬
insuffizienz sind bekannt. Es soll deshalb das Bergsteigen auf prophy¬
laktische Zwecke besonders bei Fettleibigen beschränkt werden. Aber
auch bei diesen ist sorgfältig der Zustand der Gefäße, insonderheit
der Aorta (Arteriosklerose), sowie die Herzfunktion nach dosierter
Arbeitsleistung zu prüfen, ehe man Bergsteigen empfiehlt. Dagegen
ist leichtes Steigen bei sehr geringer Kreislautschwäche sowie
nach Behebung einer Insuffizienz und endlich bei Herzschwäche aller
Art zweckmäßig, jedoch nur unter der Voraussetzung ärztlicher Beob¬
achtung der Reaktion. Selbstverständlich sind Fälle von Aneurysma,
Angina pectoris, von zunehmender Kreislaufschwäche, von frischer
Myokarditis usw. auszuschließen. Diese vorsichtigen Steigeübungen
dienen einesteils zur übenden Kräftigung des Herzens und der Atmung,
anderseits führen sie zu einem Urteil darüber, was sich der Kreislauf¬
kranke ohne Schaden zumuten kann, und gewähren somit eine Grund¬
lage für die ärztliche Gestaltung seiner Lebenshaltung.
Von der Massage gilt etwa dasselbe wie von der passiven
Bewegung; sie kann in allen Stadien der Insuffizienz als unterstützende
Maßnahme herangezogen werden. Zu starke und langdauernde Mas¬
sage ist bei höheren Graden von Insuffizienz zu vermeiden. Der
Massage und dem Beklopfen bzw. der Erschütterung (Vibrations-
mnssage) der Herzgegend wird von manchen eine besonders günstige
Wirkung zugeschrieben. Es handelt sich dabei wohl um eine Ueber-
tragung sensibler Reize auf das Herznervensystem (Headsche Zone).
E. Weber hat von der Herz- und der tiefen Bauchmassage auf¬
fällige Besserungen der Volumkurve gesehen. Wahrscheinlich kommt
der Massage eine gewisse diuretische Wirkung zu. Der Kirchberg-
schen Saug-Druckmassage des Unterleibes werden besonders günstige
Wirkungen zugeschrieben. Mir selbst fehlt es über diese an Er¬
fahrungen.
Zusammenfassend ist zu sagen, daß die physikalische Behandlung
besonders bei den leichteren Kreislaufinsuffizienzen ihr Anwendungs-
ebiet hat und hier sehr wertvoll ist. Sie dient ferner zur Nadi-
ehandlung beim Ablauf und zur Vorbeugung der Kreislauf Insuffizienz
überhaupt sowie zur Vorbeugung von Rückfällen bzw. von Verschlimme¬
rungen derselben. Sic hat die Bedeutung einer Abhärtung des Qefäß-
Nr. 2
Systems. Aber auch bei höheren Graden von Kreislaufschwäche kommt
sie in vorsichtiger Dosierung als wirksames Unterstützungsmittel der
sonstigen Therapie zur Anwendung. Sie kann in bedeutendem Um¬
fange in der Hauspraxis zur Ausführung gelangen und sollte viel mehr
in dieser verwendet werden als es geschieht Die Behandlung
der leichteren Formen der Kreislaufinsuhizienz und die Verhütung
von Rückfällen und Verschlimmerungen ist eine dankbare ärztliche
Aufgabe, welche vorwiegend dem Hausarzte zufällt.
Sobald beim Ablauf einer Herzinsuffizienz eine für die Bedingun¬
gen der ruhigen Bettlage hinreichende Herzkraft zurückgewonnen ist
laßt man in dieser Lage und in sitzender Stellung aktive Bewegungen
und weiterhin leichte Widerstandsbewegungen ausführen. Es folgen
Gehbewegungen, aktives Aufstehen ohne Unterstützung u. dgl.
Viel zu wenig gewürdigt wird die Prophylaxe gegen Kreislauf-
schwache bei in betracht kommenden noch kreislaufsufiizienten Kran¬
ken; hierher gehören Herz- und Gefäßkranke, Fettleibige, Astheniker,
Plethoriker. Vielfach beobachten diese Personen, in der Furcht, ihr
Herz zu überanstrengen, eine zu weit gehende Schonung, die ihnen
auch nicht selten ärztlich verordnet wird. Die asthenischen Kinder
sollten von früh an einen für sie passenden gymnastischen Unterricht
erhalten.
Die diätetische Behandlung hat gleichfalls dem Grundsatz
Rechnung zu tragen, optimale Bedingungen für den Kreislauf herzu¬
stellen. Einiges ist darüber schon oben gesagt worden. Die Auswahl
der Speisen soll so geschehen, daß die schwer ausnutzbaren, schlacken¬
reichen, um die Verdauungsarbeit des Herzens zu vermindern, mög¬
lichst ausgeschaltet werden. Man verordne hinreichende Eiweißkost,
Milch, Butter, Zucker und andere leicht ausnutzbare Kohlenhydrate
und sorge für zweckmäßige Verteilung der Kost; noch spät abends
ist eine kleine Portion zu reichen. Kaffee in kleinen Mengen ist im
Stadium der Insuffizienz zweckmäßig, falls er das Herz nicht über¬
mäßig erregt
Nach der Mahlzeit muß der Kranke Ruhe halten (im Sitzen oder
Liegen), uin das mit der Verdauungsarbeit beschäftigte Herz nicht
doppelt zu beanspruchen.
Die Diätvorschriften müssen sich nach dem Grade der Insuffizienz
richten. Sie brauchen bei den leichtesten Formen nicht allzu streng
zu sein; jedoch kann ich die in manchen Lehrbüchern sich vorfindende
Wendung, man müsse den Gewohnheiten der Patienten Rechnung
tragen, nur bedingt unterschreiben, da die Gewohnheiten oft recht
unzweckmäßig oder schädlich sind. Der Erfolg der Naturheilärzte
beruht zum Teil gerade darauf, daß sic den Hilfesuchenden aus
seinen lieben Gewohnheiten rücksichtslos herausreißeu. Eben die
Gewohnheiten sind es ja, welche so häufig zur Kreislaufschwäche
führen. Es ist für jeden, auch an den leichtesten Formen der Herz¬
insuffizienz Leidenden das beste, die Diät so zu beobachten, daß
nicht bloß das augenblicklich erträgliche Maß in Betracht gezogen
wird, sondern auch einer zukünftigen Verschlimmerung des Leidens,
welche stets zu befürchten ist, vorgebeugt wird. Der Alkohol ist
zu untersagen oder äußerst zu beschränken.
Man wird die Frage des Zugeständnisses kleinerer Mengen von
Alkohol von Fall zu Fall erledigen und besonders streng sein müssen
in denjenigen Fällen, wo der Alkoholisinus auf die Entstehung der
Insuffizienz hingewirkt hat.
Ueble Gewohnheiten in bezug auf die Nahrungsaufnahme, wie
z. B. die Vielesserei, das zu späte Essen des Abends, das zu schnelle
Essen u. a. m. sind zu bekämpfen.
Handelt es sich um höhere Grade von Kreislaufschwäche, so
ist eine rigorose Behandlung der Diät von größter Wichtigkeit.
Leichte, nicht blähende, salzarme Kost in häufigen kleinen Mengen
und von einem gerade ausreichenden Kaloriengehalt, wobei für ge¬
nügende Eiweißmengen zu sorgen ist, Flüssigkeitsbeschränkung auf
1—1 >/2 Liter tropfbarer Flüssigkeit ist durchzuführen. Die Flussig-
keitsbilanz ist durch Feststellung des Genossenen und der ausge¬
schiedenen Urinmenge, eventuell unter Zuhilfenahme von Körper¬
wägungen, zu kontrollieren. Milch sollte stets einen Bestandteil
der Diät in diesen Fällen bilden. Sie kann in der verschiedensten
Form, als süße, saure Milch, Yoghurt,, in Milchspeisen usw. zur Ver¬
wendung kommen. Die sehr empfehlenswerten Karelltage sollen außer
®/ 4 Liter Milch noch Ei oder Käse, auch Obst und eine geringe Kohlen*
hydratzulage (Zucker oder etwas Gebäck) enthalten. Nur ausnahms¬
weise wird man auf ganz strenge Karell-Tage zurückgreifen. Es kommt
also im wesentlichen auf eine lliissigkeits- und kochsalzarme Diät an,
die aber zugleich auch eine wirkliche Unterernähmug da « stellt Letz¬
teres halte ich für wichtig. Die Zahl der Tage wie überhaupt die
Dosierung muß man individuell bemessen. Schädigungen sind nur
bei schematischer Anwendung und länger dauernder zu geringer
Eiweißzufuhr möglich. Wenn Milch nicht vertragen oder in der
nötigen Menge nicht zu beschaffen ist, kann man in Haferschleim mit
Butter, vermehrtem Obst- und Zuckergenuß einen Ersatz suchen.
Auch ungesalzenes Gemüse empfiehlt sich hin und wieder, um die
Monotonie der Kost zu mildem. Der Milch kann man Kaffee hinzu¬
setzen; auch etwas Wein oder Kognak nehmen lassen. Mehr als
drei Karell-Tage hintereinander pflege ich nicht zu verodnen. M. Salo¬
mo n empfiehlt anstatt der Kareil-Diät eine Ernährung mit 5mal täglich
200 g in der Schale gebackener oder sonst salzfrei zubereiteter Kar¬
toffeln oder Bananen, worüber ich keine eigene Erfahrung besitze
(D. m. W. 1919 S. 320). Man soll die Entziehungsdiät nicht auf Fälle
von starkem Hydrops beschränken, vielmehr sie auch bei leichteren
Oedemen anwenden, besonders, wenn diese hartnäckig sind und
leicht wiederkehren.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTy
12. Januar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
9
Nicht seiten wird, wenn die erwartete Hamflut nicht eintritt, von
den Kareü-Tagen zu früh Abstand genommen. Ich kann nur den
Rat geben, diese auch dann, wenn ein eklatanter Augenblickserfolg
ausbleibt, längere Zeit hindurch periodisch anzuwenden; man kann
dann schließlich doch noch recht befriedigende Erfolge haben. Es
kommt wahrscheinlich durch die länger dauernde Regulierung der
Diät allmählich zu einer Umstimmung der physikalisch-chemischen
Vorgänge im Gewebe. Jedoch ist vor einer dauernden Unterernäh¬
rung zu warnen. Am besten fährt man mit häufig wechselnder Diät,
wobei man zwischen Tage mit mannigfacher und kalorienreicherer,
auch flüssigkeitsreicherer Diät von etwas größerem Salzgehalt solche
mit einförmiger vom Typus der Karell-Tage einschiebt. Auch in Hin¬
sicht der Flussigkeitsaufnahme wechseln die Gewohnheiten der Men¬
schen außerordentlich. Sehr viele Personen haben sich auf einen
ganz unnötigen Flüssigkeitskonsum — ganz abgesehen vom Alkohol¬
genuß — eingestellt. Ich habe fast nie bei meinen Patienten üble
Wirkungen oder wesentliche Widerstände bezüglich der verordneten
Beschränkung angetroffen und halte diese für sehr wichtig.
Eine leichte, schlackenarme, gut zubereitete Kost ist auch deshalb
notwendig, weil die Magen- und Darmtätigkeit bei Herzinsuffizienz
sehr häutig infolge von Stauung beeinträchtigt ist. Die bei Herz¬
kranken so gewöhnliche Blähsucht wird durch unzweckmäßige Diät
gesteigert und vermehrt nicht allein die subjektiven Beschwerden
derselben, sondern kann auch objektiv den Kreislauf schädigen.
Es kommt vor, daß die Herzschwäche auf Unterernährung bzw.
auf das Zusammenwirken dieser mit relativ zu starker Arbeitsleistung
zurückzuführen »st. ln solchen Fällen ist eine kräftige Ernährung
besonders mit Eiweiß zuweilen für sich imstande, die Insuffizienz
zu beheben (Romberg).
Eine isolierte Ernährungsbehandlung des Herzens hat Büdingen
angestrebt. Sein Verfahren besteht in der intravenösen Verabrei¬
chung von Traubenzuckerlösungen. A. Hoffmann spricht sich
lobend aus. Auch au meiner Klinik sind in einer Reihe von Fällen
günstige Erfolge beobachtet worden. Die häufig auftretenden Fröste
bilden eine störende Begleiterscheinung. Ob die Vorstellung Büdin¬
gens, welche ihn zu seiner Methode führte, daß die Insuffizienz
zuweilen in einer Glykogenverarmung des Herzmuskels infolge zu
geringen Zuckergehaltes des Blutes begründet sei, zutrifft, steht dahin.
Vielleicht wirkt die Traubenzuckerinjektion vielmehr hypertonisch auf
die Gewebsos*mose ein, wofür die stark diuretische Wirkung spricht.
Bei den höheren Graden von Kreislaufschwäche ist der Gebrauch
der Medikamente nicht zu entbehren, aber ihre Wirkung wird
wesentlich erhöht durch die gleichzeitige Anwendung der physi¬
kalisch-diätetischen Therapie. Auch bei geringer Insuffizienz wird
häufig die Anwendung cfer Digitalis und verwandter Arzneikörper
nicht bloß nicht zu umgehen, sondern sogar empfehlenswert sein.
Man versuche zunächst immer die physikalisch-diätetische Therapie,
namentlich die Regelung der Lebensweise bezüglich Ruhe und Be¬
wegung, Herabsetzung der körperlichen und seelischen Beanspruchun¬
gen, zweckmäßige Diät. Wenn ausführbar, kann man auch die Bäder-
und hvdriatische Behandlung heranziehen, jedoch nicht bei akutem
Einsetzen der Kreislaufstörung, bei welcher man noch nicht beurteilen
kann, inwieweit eine zunehmende Tendenz der Schwäche vorhanden
ist. Audi die Bewegungsbehandlung paßt nur für die Fälle, bei wel¬
chen bereits eine aufwärtsgehende Kurve der Herzschwäche erkennbar
ist Läßt sich bei den erwähnten Maßnahmen nicht in kurzer Zeit
eine deutliche Besserung erkennen, so greife man außerdem zur
Digitalis in derjenigen quantitativen und zeitlichen Dosierung, welche
gerade ausreidit, um die Insuffizienz zu beseitigen, und fahre dann
mit der nichtarzneilichen Behandlung so lange fort, als es nötig er¬
scheint. Man sieht sehr oft, wie schon erwähnt, daß dann die vorher
angewandter. Maßnahmen von viel größerer Wirksamkeit und Ver¬
träglichkeit sind.
Die Frage, ob man bei dieser Sachlage die arzneilose Behandlung
nicht ganz entbehren und sich auf die Digitalisbehandlung beschränken
solle ist dahin zu beantworten, daß die Herstellung optimaler Kreis-
laulbedingungen unter allen Umständen erforderlich ist. Es wäre
sehr unverständig, das Herz durch Digitalis zu höherer Kraftentfaltung
aufzupeitschen, ohne ihm gleichzeitig seine Arbeit nach Möglichkeit
zu erleichtern; das hieße, mit den Kräften des Herzens Verschwen¬
dung treiben. ’ Digitaliswirkung und arzneilose Behandlung stehen in
einem korrelativen Verhältnis, Wie bereits oben ausgeführt.
Bei der chronischen Kreislaufschwäche in ihren leichteren Formen
liegt das Verhältnis oft so, daß die Krankm bei der ihrem Leiden
angeDaßten Lebensweise nahezu beschwerdefrei sind, aber des öfteren
J «rhubweisen Verschlimmerungen aus den verschiedensten Ur-
befallen werden, welche sich akut oder allmählich entwickeln.
S ist in diesen Fällen wichtig, die ersten Anzeichen der Störung
“ . . 0 _i_Hier genügt oft eine strengere arzneilose Behänd-
,™ b .Ruhe zweckmäßige Diät usw. Auch kann man durch prophy-
Ru’hetas-e usw. den Verschlimmerungen oft Vorbeugen. Auch
muß häufi g emeue « w ' rden ’ w „ esh 2 lb man
die DigitalisDenanoiu b Dosen auszu k om men suchen muß. Es emp-
LF Schwereren Fällen nach erzielter Regulierung das
fieiilt sich, be* . se |, r kleinen Dosen eine Zeitlang nachwirken
Medikament nodi n schwereren Fä || en kommt die dauernde Verab-
ru lassen. Bei n cn (0,1 bis 0,2 Fol. Digit, täglich) in Betracht,
nU £h? e d£ Ziel verfolgt, stärkere Insuffizienzen gar nicht erst auf-
welche das Sehr empfehlenswert ist auch die chronische
°.?™t»i^nde Dfiritalisbehandlung, etwa so, daß man in jeder
U'och^ eUdgeTage lang hintereinander das Medikament gebrauchen
läßt. Auf Einzelheiten der Digitalistherapie einzugehen, liegt nicht
im Rahmen meines Referates.
Neben der Digitalisbehandlung kommt der Anwendung der Mittel
der Theobromingruppe eine große Bedeutung zu. In gewissen Fällen
(z. B. bei Angina pectoris-Anfällen, bei Aortenaneurysma, sehr hohem
Blutdruck, schwerer Myodegeneratio cordis) ist der Theobromin¬
behandlung der Vorzug zu geben; in anderen Fällen von Herzinsuf¬
fizienz wird man die Theobrominpräparate gleichzeitig oder abwech¬
selnd mit Digitalis verordnen, in Form eines chronischen periodi¬
schen Gebrauches. Ohne auf die Einzelheiten und die verschiedenen
Präparate einzugehen, möchte ich nur erwähnen, daß die intravenöse
Darreichung von Euphyllin nach Guggenheimer sich außer¬
ordentlich bewährt 1 ). Daß die Purinkörpergruppe erweiternd auf die
Koronararterien wirkt, darf man jetzt wohl als sicher ansehen
(vgl. die neueren Untersuchungen von Heathcote). Die zur intra¬
venösen Injektion verwendeten 2 ccm-Ampullen des Handels enthalten
0,4 reine9 Theophyllin, es entspricht somit der Theophyllingehalt des
Blutes (5 Liter Menge und gleichmäßige Verteilung angenommen)
eine Zeitlang einer Verdünnung von 1:12500; Heathcote fand
das Optimum der Theophyllinwirkung für die Koronardurchströmung
bei 1:7500 bis 1:15000 (Ref. Berichte über d. ges. Physiol. 6, S. 314).
Sehr häufig bedarf bei der*chronischen Kreislaufschwäche der Meteoris¬
mus einer besonderen Behandlung.
Der kardiale Hydrops erfordert besondere therapeutische Ma߬
nahmen. Wie ich es oben für die Stauung ganz allgemein ausgeführt
hatte, so bedingt auch speziell das Oedem einen Circulus vitiosus.
Die Wegschaffung des retinierten Wassers bildet daher einen wesent¬
lichen Teil der Behandlung der Herzinsuffizienz. In erster Reihe
ist hier wieder auf die Wichtigkeit der bekannten diätetischen Ma߬
nahmen hinzuweisen und wie oben zu betonen, daß man zuweilen
einen durchschlagenden Erfolg erst nach sehr lange fortgesetzter
konsequenter Anwendung sieht. Die Steigerung der Diurese durch
Digitalis, die Theobrominkörper und andere Diuretika ergänzt die
diätetische Behandlung, welche in vielen Fällen für sich nicht genügt
und häufig auf einen toten Punkt kommt. Ohne auf die medikamentöse
Behandlung näher einzugehen, möchte ich nur kurz erwähnen, daß
die Szilla-Präparate, welche durch die Diuretika der Puringruppe
sehr in den Hintergrund gedrängt sind, nach wie vor grolle Be¬
achtung verdienen. Die Novasurolinjektionen bewähren sich bei kar¬
dialem Hydrops ausgezeichnet; Stauungsalbuminurie bildet keine
Kontraindilcation.
Zweckmäßig ist es, die Diuretika zu wechseln und in verschie¬
dener Weise zu kombinieren. Dies gilt auch für die Mittel der
Theobromingruppe, von denen bald das eine, bald das andere besser
wirkt (besonders nützlich scheint mir das Theazylon zu sein) und bei
denen zuweilen auch eine Kombination zweier Mittel merkwürdiger¬
weise erfolgreicher ist als die isolierte Anwendung jedes einzelnen.
Die Eppingersche Thyreoidinbehandlung hat sich uns bei kardialem
Hydrops nicht bewährt; Unverträglichkeit oder Schädigungen haben
wir bei dieser übrigens nicht beobachtet.
Anregung der Schweißsekretion durch Hitzeamvendungen oder
Pilokarpin führt meist nicht zum Ziele und ist wegen der Gefahr
des Kollapses nicht unbedenklich. Ganz besonders ist zu warnen vor
Schwitzkuren bei kardial dekompensierter Nephropathie. Anregung der
Speichelsekretion durch Kautabletten hat sich mir nicht bewährt.
Die Methoden der mechanischen Behandlung des Hydrops
sind bekannt. Massage und passive Bewegungen sind meist nur von
geringem Erfolg. Die Punktion und Drainage des Hautödems ist oft
von zauberhafter Wirkung auf die Diurese und die Herztätigkeit.
Vielfach wird zu lange mit diesem Eingriff gewartet. Punktion des
Aszites oder Hydrothorax kommt seltener in Betracht.
Wie bereits erwähnt, hat die Therapie der chronischen Kreis¬
laufschwäche auf das zugrundeliegende Leiden Rücksicht zu nehmen.
Es handelt sich dabei einmal um eine ätiologische Therapie, ander¬
seits um eine besondere Auswahl der Behandlungsmaßnahmen, wobei
auch gewisse Kontraindikationen in Betracht kommen. In ätiologi¬
scher Hinsicht ist z. B. an die Behandlung einer zugrundeliegenden
Syphilis, eines Alkoholismus, Nikotinabusus, einer endokrinen Er¬
krankung, der genannten Lungen- und Rippenfellerkrankungen zu
denken. Was die Klappenfehler betrifft, so ist die Dekompensation
einer Aorteninsuffizienz prognostisch viel ernster und auch schwieri¬
ger zu behandeln als die eines Mitralfehlers. Trotz mancher gegen¬
teiligen Meinungen ist die Digitalisbehandlung der dekompensierten
Aorteninsuffizienz nur mit großer Vorsicht auszuführen. Bei be¬
stehendem Aortenaneurysma sind alle blutdrucksteigemden physi¬
kalischen Maßnahmen, wie Gymnastik und CO»-Bäder kontraindiziert.
Die Herzinsuffizienz bei sehr hohem Blutdruck (Hochdruckstauung)
ist besonders schwierig zu behandeln. Digitalis muß mit Vorsicht ver¬
abreicht werden, ist aber in kleinen Dosen auch hier sehr wirksam
und geradezu unentbehrlich. Die Theobromingruppe (Euphyllininjek-
tion!) wird mit Vorteil verwendet. Vor allem ist hier die Domäne
der antihypertonischen Diätetik. Blutentziehungen (200 ccm und mehr)
können senr nützlich sein. Ueber die C0 2 -Bäder bei hohem Blutdruck
ist bereits das Nötige gesagt worden. Lauwarme bzw. Sauerstoff¬
bäder, Teilbäder, wechselwarme hydriatische Prozeduren sind den
C0 2 -Bädern bei sehr hohem Druck vorzuziehen. Passive und auch
nicht anstrengende, sehr vorsichtig dosierte aktive Bewegungen emp¬
fehlen sich. Diathermie und sedative Mittel können durch Herab-
>) Notwendig ist zur Vermeidung von unangenehmen Nebenwirkungen die Ver¬
dünnung des Präparats und langsame Injektion. Näheres siehe Tber. Hmh. 1921 H. 1&
Digitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
60 DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT Nr.2
Setzung; des Blutdrucks günstig auf die Insuffizienz wirken. Dazu
körperliche und seelische Ruhebehandlung.
Liegt der Kreislaufschwäche ein Nierenleiden zugrunde, so ist
gleichfalls von C0 2 -Bädem und Gymnastik Abstand zu nehmen.
Die Diät hat der Nierenerkrankung Rechnung zu tragen; so kommen
z. B. eiweißfreie Diättage in Betracht. Die Behandlung berührt sich
mit der eben erwähnten bei Hypertonie, wie ja auch bei einem Teil
der Fälle von hoher Hypertonie eine blande Schrumpfniere vorliegt.
Schrumpfnieren mit sekundären Herzbeschwerden bzw. Herzinsuffi¬
zienz gehören nicht in die Herzheilbäder, wo sie nur Schaden erleiden.
Verwechslungen des renalen Herzens mit einer kardialen Niere sollten
in der Praxis nicht mehr Vorkommen, wenn den charakteristischen Er¬
scheinungen des Pulses, der Herztöne, des Blutdruckes genügend
Beachtung gesdienkt wird. Bei jedem renalen Hydrops ist ander¬
seits an die häufige kardiale Komponente zu denken, deren Ausmaß
aus dem Erfolge der Digitalistherapie merkbar wird.
Die Insuffizienz des sogenannten Fettherzens bietet der physi¬
kalisch-diätetischen Behandlung eine besonders breite Angriffsfläche.
Man hüte sich vor Uebertreibungen und gehe allmählich vor. Bezüg¬
lich der Insuffizienz des Basedow-Herzens beachte man, daß C0 2 -
Bäder hier wegen der übererregenden Wirkung sehr oft schlecht
vertragen werden. Die Digitalisthcrapie h^Jbe ich hier trotz der Be¬
denken von Edens sehr oft wirksam gefunden, so wenig sie gegen
die Tachykardie als solche zu empfehlen ist. Bei allen Kreislauf¬
insuffizienzen können nervöse Begleiterscheinungen und psycho¬
logische Faktoren auf die Auswahl der Behandlungsmaßnahmen be¬
stimmend einwirken. So scheitert z. B. die C0 2 -Behandlung zuweilen
an nervöser Ueberempfindlichkeit.
Die Behandlung der chronischen Kreislaufschwäche beansprucht
schließlich in hohem Maße die Willenssphäre. Der selbstver¬
ständliche Gesundheitswunsch wird nicht immer von einem genügenden
Gesundheits willen getragen und unterstützt. Der Kranke muß
mithelfen, sonst richtet der Arzt in diesen Fällen nicht viel aus.
Die hier so wichtige Disziplinierung des Kranken, das Durchführen
all der die Lebenshaltung beschränkenden Maßnahmen erfordert eine
sich gleichbleibende Entfaltung willensmäßiger Hemmungen. Dazu
kommt, daß der Kranke innere Erregungen, welche auf aas Gefä߬
system so störend wirken, beherrschen, Angst, Furcht und Soqje
verdrängen und seine Seele im Gleichgewicht halten soll. Dies ist
nicht leicht für denjenigen, der die Schwere seines Zustandes kennt,
unmöglich für denjenigen, welcher nichts mehr erhofft Deshalb ist
gerade bei diesem so körperlichen Leiden die psychische Behandlung
unentbehrlich, deren schönste Betätigung es ist — und es muß
immer und immer wieder gesagt werden —, dem Leidenden Hoffnung
zu geben.
Aus der Medizinischen Universitäts-Klinik in Kiel.
Ueber Aortitis luica 1 ).
Von Prof. Dr. A. Schitteohelm, Direktor der Klinik.
Obwohl in den letzten Jahren die Kenntnis der luischen Aorten¬
erkrankung durch eine Reihe wichtiger Arbeiten, vor allem von
Kraus 2 ), Schottmüller 3 ), Denelce 4 ), Stadler 6 ) u. a. geför¬
dert wurde, ist sie doch noch lange nicht in dem Maße Allgemein-
ut der ärztlichen Diagnostik und Therapie geworden, wie sie es
er Häufigkeit ihres Vorkommens und der Gefährlichkeit ihres Verlaufs
nach unbedingt verdient. Schottmüller vor allem hat auf die
große Wichtigkeit der frühzeitigen Behandlung, den prophylaktischen
wert einer spezifischen Therapie und die günstigen Erfolge derselben
hingewiesen. Die Arbeiten Döhles 6 ) über Aortenerkrankung bei
Syphilitischen vom Jahre 1885 und 1895, in welchen die wichtigsten
anatomischen Charakteristika festgelegt sind, bildeten den Ausgangs¬
punkt für die Feststellung ihrer klinischen Bedeutung. In jüngster
Zeit hat er auf weitere Merkmale aufmerksam gemacht, die auf seine
Veranlassung auch Jürgensen 7 ) beachtete und beschrieb. Die
Prädilektionsstelle ist bekanntlich die Aortenwurzel und die Aorta
ascendens. Hier wird zuerst die Media und die Adventitia ergriffen,
welche der Hauptsitz der Erkrankung sind. Es bildet sich gummöses
Granulationsgewebe, welches die elastischen Fasern rarefiziert und
entweder zu einer starken Verdickung der Wand oder zu strichweisen
Verdünnungen führt, welche sich schon makroskopisch leicht erkennen
lassen, wenn man die Aorta gegen das Licht hält. Die letzteren bilden
bei größerer Ausdehnung die Ursache für die Aneurysmen. Als
wichtiges Merkmal für aie luische Erkrankung der Aortenklappen
hat Döhle neuerdings angegeben, daß außer der Verdickung und
Schrumpfung der freien Ränder an den oberen Ansatzstellen die
Aorta zwischen den Klappen, deren Ansätze sich sonst dicht
beieinander befinden, mehr oder weniger breite Furchen oder
Rinnen zeigt, die bei Erkrankungen der Klappen aus anderer
Ursache nicht Vorkommen. Die makroskopisch sofort ins Auge
fallende Furche zwischen den Klappen entsteht durch Verdickung
der Ansatzstellen infolge Uebergreifens der Entzündung auf diese,
wodurch sie nicht mehr als dünne Stränge dicht nebeneinander an der
Aorta an setzen, sondern als mehr oder weniger dicke Wülste neben-
i) Vortrae ln Kiel am 2a VIT. 19?!. - «) D. ra. W. 1914 Nr. 12 S. 577. - •) M. Kl.
1919 Nr. 7 S. 157. - *) D. m. W. 1913 Nr. 10 S. 441. - *) Die Klinik der syphilitischen
Aortenerkrankung, Jena 1912. - •) J. D. Kiel 1885, D. Arch. f. klin. M. 1895, 55, S. 190;
M. m. W. 1921 Nr. 31 S. 1000. - ’) Zschr. f. klin. M. 1916, 83, S. 291.
einander liegen, und vielleicht auch dadurch, daß sich von der
Aortenwand ner eine geringe Menge gewucherten Gewebes zwischen
die Ansatzstellen schiebt, wodurch wiederum ein scheinbares Aus-
einanderweichen bedingt ist.
Die Erkenntnis der anatomischen Veränderungen erklärt im weiten
Maße die klinischen Erscheinungen. Die Erkrankung ist schleichend,
aber progredient, und kann, wenn die Aortenwurzel zunächst nicht
erheblich ergriffen wird, völlig symptomlos verlaufen, bis dann zu¬
weilen plötzlich krankhafte Erscheinungen, die erschreckend rasch
ein schweres Bild herbeiführen können, die Erkrankung evident
machen. Als Illustration möge folgender Fall dienen:
47jähriger Mann. Vor 28 Jahren luetische Infektion, mehrmals
kurz Gehandelt. Seither immer völlig gesund. Seit einigen Monaten
etwas Kurzluftigkeit beim Treppensteigen und schnellerem Gehen,
die in der letzten Zeit rasch zunahm und ihn vor wenigen Tagen
nötigte, einen Arzt zuzuziehen. Die Untersuchung ergab ein diktier¬
tes Herz, eine perkutorisch deutlich verbreiterte Aorta, ein leises
systolisches und diastolisches Geräusch mit dem Punctum maximum
über den Aortenauskultationsstellen; der regelmäßige, aber be¬
schleunigte Puls zeigte eine gewisse Zelerität, es bestanden Ortho¬
pnoe, mäßige Oedeme, eine Lebervergrößerung, etwas Aszites und
eine Oligurie. Der Kranke ist trotz sofort eingeleiteter gründlicher
Behandlung rasch gestorben.
Es handelt sich also hier um einen Fall, wo eigentlich erst der
Eintritt der Kompensationsstörungen den Patienten auf seine schwere
Erkrankung aufmerksam machte. Es ist eben häufig das Charakte¬
ristikum solcher Erkrankungen, daß sie lange ohne besondere Be¬
schwerden verlaufen. Dann tritt die Kurzluftigkeit bei körperlichen
Betätigungen und oft eine rasche Ermüdbarkeit und Verminderung
der Leistungsfähigkeit auf, zuweilen auch Herzklopfen. Dazu kommen
gelegentlich unangenehme Sensationen unter dem Sternum: Druck-
efühl, retrosternales Brennen oder auch leichte Schmerzen. Anginöse
eschwerden können hinzutreten. Es empfiehlt sich also, bei Leuten
mit luetischer Anamnese derlei Klagen eine große Bedeutung zuzu¬
legen und sie aufs genaueste mit allen Methoden zu untersu<$en.
Die Symptome richten sich, worauf auch von Stadler, Rom¬
berg 1 ), Hotfmann 2 ), Schottmüller hingewiesen wird, sehr
nach dem Sitz der Erkrankung. Der Schottmüllersehen Ein¬
teilung in eine Aortitis supracoronaria, coronaria, yalvularis und
aneurysmatica kann beigepflichtet werden, wenn auch im einzelnen
Falle naturgemäß die Erscheinungen sich summieren. So führt eine
luische Erkrankung der Aortenklappen im weiteren Verlauf fast
regelmäßig zu einer Beteiligung der Koronargefäße und den daraus
entstehenden klinischen Folgen (Angina pectoris und Stenokardie,
Herzmuskelerkrankung), und ebenso erzeugt eine erstmalige Er¬
krankung der Aorta ascendens durch Uebergreifen auf die Aorten¬
klappen das klinische Bild der Aorteninsuffizienz. Die Dohlösche
Feststellung der Furchenbildung an den Ansatzstellen der Aorten¬
klappen läßt vermuten, daß es Fälle gibt, wo beim Schluß der
Aortenklappen, auch wenn die Klappenränder im übrigen sich gut
Zusammenlegen, doch an der Stelle der Rinnen Oeffnungen bleiben,
durch die in der Diastole Blut in die Kammer zurückströmen kann
und dadurch ein diastolisches Geräusch entsteht. Freilich wird das
nur ein vorübergehender Zustand sein, weil die fortschreitende Er¬
krankung die Aortenklappen in größerem Ausmaße verändert und damit
eine typische Aorteninsuffizienz herbeiführt. Die Eigenartigkeit der
luetischen Aortenklappcnerkrankung gibt wohl auch eine Erklärung
dafür, daß oft die Hypertrophie und Dilatation des Herzens weniger
ausgesprochen ist als bei der endokarditischen.
Die Diagnose ist natürlich leicht, wenn bereits Erscheinungen
von seiten des Klappenapparates oder der Koronarerkrankung oe-
stehen. Sie ist aber schwierig und zuweilen nur mit einiger Wahr¬
scheinlichkeit zu stellen, wenn es sich um eine Aortitis luica ohne
wesentliche Beteiligung der Aortenwurzel handelt. Wichtig ist ganz
zweifellos die perkussorische Begrenzung der großen Ge¬
fäße — mithin der Aorta — über dem oberen Brustteil. Fr. Kraus
hat sich damit eingehend beschäftigt. Freilich muß die luetische
Aortenerkrankung einen gewissen Grad erreicht haben, der zur
Dilatation führte, wenn eine diagnostisch bedeutsame Verbreiterung
des Gefäßschattens festgestellt werden kann. Ist sie vorhanden, dann
steht oft die relative Kleinheit der Herzfigur in auffallendem Gegen¬
satz zu der breiten Gefäßfigur. Bei der Röntgendurchleuchtung,
auf die ich nachher noch näher eingehen werde, werden hierdurch
besonders charakteristische Bilder bedingt. Bei der Auskultation
hat der zweite Aortenton eine andere Färbung angenommen und hört
sich häufig mehr oder weniger klingend an; dabei braucht keine
besondere Akzentuation zu bestehen. Oft hört man über den Aus-
kuttationsstellen der Aorta ein systolisches Geräusch wechselnder
Intensität. Auch dieses kann vielleicht zuweilen ursächlich mit den
Döhle sehen Rinnen in Zusammenhang stehen. Der Blutdruck
ist zuweilen ein wenig erhöht, meist aber hält er sich in niedrigen
normalen Werten. Ich möchte Romberg beistimmen, daß bei der
Mesaortitis syphilitica die sicht- und fühlbare Pulsation an der
vorderen Brustwand oder im Jugulum nicht sehr häufig ist. Sehr
wichtig ist ferner für die Diagnose, wenn derartige Symptome sich
relativ frühzeitig einstellen. Der Beginn der Krankheit und das
erste Auftreten der subjektiven und objektiven Erscheinungen liegt
') Romberg, Krankheiten des Herzens und der Blutgefäße UI. Aufl., Stuttgart 19?!
— *) Hoff mann, Lehrbuch der funktionellen Diagnostik der Erkrankungen des Herzem
und der Oefäße, Wiesbaden 1920.
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSSTV
12. Januar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
61
Mehrzahl der Fälle zwischen dem 35. und 50. Lebensjahr,
und es decken sich meine Erfahrungen ungefähr mit denen von
Deneke, Romberg u.a. Es steht also die Erkrankung in einem
gewissen Gegensatz zur Arteriosklerose. Anatomisch
handelt es sich bei der reinen Aortitis luica um ein schlaffes Rohr,
besonders, wenn keine erhebliche Wandverdickung, sondern mehr
eine Rarefikation vorliegt; bei der Arteriosklerose ist das Rohr
starr und zeigt Kalkeinlagerungen. Natürlich kann eine luetische
Aortitis mit einer ArteriosKlerose sich kombinieren. Die Arterio¬
sklerose ist in der Regel ein langsam verlaufender Prozeß, der erst
im höheren Alter zu Erscheinungen führt, wo die Dilatation der
Aorta keine so^ hochgradige ist, wo die Akzentuation des zweiten
Aortentones stärker hervortritt, während der klingende Beiklang
seltener ist, wo die Blutdruckerhöhung beinahe die Regel wird, wo
öfter eine Pulsation im Jugulum gefühlt wird, wo endlich die sub¬
jektiven Beschwerden geringer sind.
Besonders wichtig ist natürlich der positive Ausfall der
Vva.K., aber mit Romberg und Schottmüller möchte auch ich
betonen, daß der negative Ausfall der Wa.R. kein sicherer Beweis
gegen das Vorliegen einer luetischen Aortitis ist.
Die Diagnose wird ganz wesentlich gesichert und gefördert
durch eine genaue Röntgenuntersuchung. Die Erweiterung
der Aorta, wie sie durch das Zugrundegehen der elastischen Fasern
bedingt wird, gibt häufig typiscne Bilder, sei es, daß die Erkran¬
kung nur die Aorta ascendens betrifft oder auch den Arcus aortae
und die Aorta descendens. Die ausgedehntere Erkrankung führt von
vom gesehen zu einer starken Verbreiterung, welche früher häufig
zur fehlerhaften Diagnose eines Aneurysmas Anlaß gab. Man muß
daher die Röntgendurchleuchtung unbedingt auch im ersten und
zweiten schrägen Durchmesser vornehmen. So läßt sich das Aneu¬
rysma ausschließen, und die gleichmäßige Verbreiterung des Aorten¬
rohrs tritt klar zutage. Es muß zugegeben werden, daß die Arterio¬
sklerose der Aorta bei alten Leuten so ziemlich dasselbe Röntgen¬
bild ergeben kann, wie es als charakteristisch für die Aortitis luica
anzusehen ist. ich besitze Bilder, wo kein Unterschied zu erkennen
ist; sie stammen aber alle von Leuten im hohen Alter über siebzig
Jahre. Hier findet sich sowohl die Aorta ascendens wie der Arkus
wie die Aorta descendens gleichmäßig betroffen. Im jüngeren Alter
aber findet man keine solchen Bilder. Hier sieht man als Ausdruck
einer gewissen Verlängerung den nach links vorspringenden, knopf¬
förmigen Schatten des Arkus, wobei jedoch meist keine so auf-
faUende Verbreiterung zutagetritt Im ersten schrägen Durchmesser
zeigt bei der Arteriosklerose der obere Teil der Aorta eine Zapfen-
form, und im zweiten' schrägen Durchmesser kann man die Aorta
besonders bei älteren Leuten in deutlicher Kreisform als Schlinge
erkennen. Bei der luischen Aortitis kann die Erweiterung menr
lokalisiert sein, z. B. im Aszendensteil, oder sie ist — wie schon
oben bemerkt — ausgedehnter. Im ersten schrägen Durchmesser
ist der Schatten erheblich verbreitert und mehr kolbenförmig, im
weiten schrägen Durchmesser läßt sich häufig der ganze Verlauf
wie bei der Arteriosklerose kreisförmig verfolgen, wobei jedoch
wiederum die Verbreiterung in die Augen springt. Der Röntgen¬
befund ist also, sobald die Veränderungen der Aorta ausgedehnter
sind, recht charakteristisch. Man muß aber bei seiner Verwertung
das Alter des Patienten und die übrigen klinischen Erscheinungen mit
in Betracht ziehen. Eine beträchtliche Rolle spielt bei den Beschrei¬
bungen von Röntgenbildern der Aorta die Elongation und das
Höhertreten der Aorta. Daß eine Verlängerung der Aorta
infolge Verminderung der Elastizität zustandekommt und häufig ist,
darf als erwiesen angesehen werden. Dagegen möchte ich bezweifeln,
daß es eine Verschiebung der Aorta nach oben gibt, wie oftmals
behauptet wird. Die Aorta ist fixiert durch Verwachsungen mit
dem Bronchus, auf dem sie reitet, und mit dem Herzbeutel, durch
den thymischen Fettkörper u. a. Sie kann daher nur zusammen mit
den anderen Organen nach oben rücken, z. B. bei Höhertreten des
Zwerchfells. Wenn die Aorta auffallend hoch nach oben reicht, so
ist die Verschiebung nur scheinbar. Entweder handelt es sich
um eine Erweiterung, wodurch nicht die Aorta als Ganzes, sondern
nur ihre obere Wana nach oben rückt, oder aber es besteht eine Ver¬
änderung des Skeletts, die sich namentlich im Alter findet in Form
einer mehr oder weniger beträchtlichen kyphotischen Krümmung
der unteren Hals- und oberen Brustwirbelsäule, wodurch sich die
Stellung des Sternums zur Aorta verändert. Die Verlängerung der
Aorta zeigt sich klar bei tiefstehendem Zwerchfell oder aber kommt
zum Ausdruck durch eine vermehrte kreisförmige Biegung, welche
ein Vorspringen der randbildenden Aorta rechts in leichter Bogen-
foim veranlaßt und das Vorspringen in Knopfform auf der linken
Seite des Sternums. Die Elongation der Aorta drückt sich also mehr
in der Verbreiterung des Arcus aortae aus. Bemerkenswert ist
schließlich noch die von mehreren Autoren, wie Romberg, A߬
mann 1 ) u. a., angegebene tiefere Schattenbildung derAorta,
auf die auch Vaquez und Bordet 2 ) aufmerksam machen, und die
besonders bei der luetischen Aortitis zur Geltung kommt. Mit
Lippmann und Quiering 3 ) und Aßmann möchte ich an-
nehmen daß diese Erscheinung neben der Erweiterung vor allem
auf die' häufig sehr beträchtliche Verdickung der Aortenwand bei
der Mesaortitis zurückzu führen ist.
iiAtifflaoo. Die Röntgendiagnostik der inneren Erkrankungen. Leipzig 1921.
*) Vaqaez and Bordet, Har* und ,Aorta, Leipzig 1916*
■)Lfppmen«i und Quferlng, Portachr.d.ROntgcnstr. 19.
Die Diagnose der Mesaortitis luica ist also in vielen Fällen bei
sorgsamer Untersuchung sehr wohl zu stellen, freilich erst, wenn
die Veränderungen einen gewissen Grad erreicht haben und Er¬
scheinungen machen. Im beginn entgeht sie leicht dtr Diagnose,
und ich selbst habe Fälle erleot, wo das Herz- und Gefäßsystem aufs
genaueste durchuntersucht wurde, ohne daß irgendein charakteristi¬
scher Befund zu erheben war und doch bei der Autopsie die Zeichen
einer luischen Aortitis gefunden wurden. Diese Tatsache ist für
die Frage der Behandlung wichtig. Man hat neuerdings öfter die
positive Wa.R. im späteren Tertiärstadium als Schönheitsfehler be¬
zeichnet, dem keine weitere Bedeutung beizumessen sei, solange nicht
nachweisbare Veränderungen damit verbunden sind; man muß aber
doch wohl berücksichtigen, daß bei derartigen Leuten immer die
Gefahr einer luischen Gefäßerkrankung voriiegt, da eine Alters¬
grenze bzw. ein Ueberschreiten der Gefahrzone eine gewisse Zeit
nach der Infektion mindestens nicht sicher ist. Es wird sich daher
empfehlen, Leute mit positiver Wa.R. auf diese Gefahren hinzu¬
weisen und dauernd unter ärztlicher Aufsicht zu halten, sowie sie
ab und an in Behandlung zu nehmen, wenigstens mit periodisch zu
wiederholenden intensiveren Jodkuren.
Bei ansgesprochenen Zeichen der Mesaortitis luica halte auch
ich, wie Schottmüller, Romberg, Kraus u. a., eine energische
antiluische Kur, etwa in Form einer kombinierten Salvarsan- und
Quecksilberkur, für geboten. Ich beginne mit kleinen Dosen Neo-
salvarsan (0,15 g) und steige, wenn sie gut vertragen werden, auf
0,3 und 0,45 g mit den üblichen Intervallen bis zu einer Gesamt¬
menge von 4,5 bis 6,0 g Neosalvarsan. Den Schottmüll ersehen
Vorschlag, auch weiterhin noch längere Zeit — etwa wöchentlich —
eine Salvarsandosis zu geben, halte ich für ganz zweckmäßig. Das
Quecksilber verabreiche ich meist als Inunktionskur. Eine derartige
Behandlung vermag nach meiner Erfahrung sehr heilsam auf die
luische Aortenerkrankung einzuwirken. Es ist notwendig, solche
Kuren öfter zu wiederholen.
Aus der I. Medizinischen Klinik der Universität in München
(Direktor: Prof. Dr. E. v. Romberg) und der Medizinischen Poli¬
klinik der Universität in Halle (Direktor: Prof. Hermann Straub).
Zur Pathogenese des periodischen Atmens.
Von H. Straub und Kl. Meier.
Das Auftreten periodischen Atmens bei bestimmten Krankheiten
wird meist auf eine Herabsetzung der Empfindlichkeit des Atem¬
zentrums für den natürlichen Atmungsreiz bezogen. Durch Haldane
und seine Mitarbeiter aber wurde die Aufmerksamkeit auf Störungen
der chemischen Atmungsregulation gelenkt. Die moderne Auffas¬
sung der Atmungsregulation geht dahin, daß das Atemzentrum durch
die aktuelle Reaktion, die Wasserstoffionenkonzentration, der das
Atemzentrum umspülenden Gewebsflüssigkeit zu seiner Tätigkeit an¬
geregt wird (Reaktionstheorie von Winterstein (1J). Unter diesem
Einfluß regelt das Atemzentrum die Ventilationsgröße der Lunge
so, daß die Kohlensäurespannung der Alveolarluft und damit des
arteriellen Blutes auf einem konstanten und charakteristischen Werte
gehalten wird. Der Kohlensäuregehalt wirkt dann als der rasch
einstellbare Regulator zur Erhaltung gleichmäßiger Wasserstoffzahl.
Die Kohlensäure spielt dabei die Rolle des Schwungrades der Dampf¬
maschine, das gleichmäßigen Gang bei raschen Stößen der Belastung
sichert. Haldane und Douglas (2) konnten zeigen, daß beim
Gesunden immer dann periodisches Atmen auftritt, wenn die Atmungs¬
regulation nicht mehr ausschließlich von der Kohlensäure besorgt
wird, sondern wenn neben dieser der Sauerstoffmangel eine wesent¬
liche Rolle zu spielen beginnt. Offenbar steigert der Sauerstoff¬
mangel nicht direkt die Erregbarkeit des Atemzentrums. Vielmehr
führt sein Mangel zu unvollständigen Oxydationsvorgängen, deren
Endprodukte sauren Charakter besitzen, also die Wasserstoffzahl
der Gewebsflüssigkeit erhöhen. Dadurch wird das Atemzentrum
g ereizt, ehe die Kohlensäure allein den Schwellenwert erreicht hat.
>ie Atmung setzt ein bei abnorm niedriger Kohlensäurespannung und
vertieft sich zunächst noch zunehmend, bis das durch die einsetzende
Hyperpnoe besser arterialisierte Blut das Atemzentrum erreicht und
ausgespült hat. Dann schwillt der Atemreiz ab, die Atemzüge ver¬
flachen sich und verschwinden mit rascher Oxydation der sauren
Zwischenprodukte. Erst wenn mit der zunehmenden Dauer der
Apnoe der Sauerstoffmangel mehr und mehr überhandnimmt, tritt
eine neue Atemperiode ein. Die sonst nur wenig schwankende
Kohlensäurespannung der Alveolarluft und des Arterienblutes ändert
sich bei dieser Art der Atmungsregulation sehr stark, am Ende der
Atemperiode ist sie am tiefsten und steigt während der Apnoe stetig
an, doch erreicht sie auch am Ende der Apnoe nicht den normalen
Schwellenwert, weil in dieser Phase zu dem noch unzureichenden
Kohlensfiurereiz der Reiz des Sauerstoffmangels hinzukommt.
Verschiedene Versuchspersonen sind sehr verschieden empfindlich
gegen den Reiz des Sauerstoffmangels. Daher kommt es, daß periodi¬
sches Atmen unter den gleichen Versuchsbedingungen verschieden
leicht und verschieden stark auftritt. Bei manchen dieser Versuche
an gesunden Menschen sinkt der Sauerstoffdruck der Alveolarluft
nicht tief genug, um von sich aus periodisches Atmen hervorzurufen.
Man muß deshalb zur Erklärung dieser Beobachtung annehmen,
daß der wirksame Sauerstoffmangel irgendwie im Körper entsteht,
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
62
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr; 2
und es scheint naheliegend, die Erklärungen in Veränderungen der
Kreislaufgeschwindigkeit zu suchen (Douglas [3]). Es ist anzu¬
nehmen, daß mit Auftreten der Hyperpnoe der Kreislauf durch die
' Aspiration des Blutes nach dem Thorax beträchtlich beschleunigt
wird. Mit Abflauen der Hyperpnoe wird das Blut vermindert an¬
gesaugt, und diese Wirkung wird wegen der vorangehenden über¬
mäßigen Ansaugung um so deutlicher. Diese Verlangsamung steigert
den Sauerstoffmangel im Gewebe und löst den neuen Atemreiz aus.
Pembrey (4) zeigte, daß periodisches Atmen nicht nur durch
Einatmung kohlensäurereicher, sondern auch sauerstoffreicher Luft
in den normalen Typus übergeführt werden kann. Das Auftreten
periodischen Atmens bei Gesunden unter dem Einfluß niedrigen
Sauerstoffdruckes auf hohen Bergen wird durch die vorgetragene
Hypothese gut erklärt. Zur Erklärung des periodischen Atmens bei
Kranken, die in einer Atmosphäre mit normalem Sauerstoffgehalt
leben, nimmt Pembrey eine Verminderung der Reizbarkeit der
nervösen Zentren an, die er entsprechend den älteren Theorien als
die letzte Ursache der Erscheinung anspricht.
Wir hatten Gelegenheit, bei einem Kranken mit hochgradiger
Periodizität der Atmung die Richtigkeit der bisherigen Theorien
zu prüfen und auf Grund der in den letzten Jahren neu geschaffenen
Erkenntnisse und Untersuchungsverfahren den wirksamen Atmungs¬
reiz direkt messend zu verfolgen.
J. D., 50 Jahre alt. Artenoloslderotische Nierenerkrankung ohne
Niereninsuffizienz. Renale Herzhypertrophie. Herzinsuffizienz. Kräf¬
tiger Mann, erregt und etwas verworren. Reflexe lebhaft. Starke
Zyanose. Herz nach links mäßig dilatiert, systolisches Geräusch.
Transsudate in beiden Pleuren, mäßig hochgradige Stauungsleber.
Blutdruck 200/130 mm Hg. Starke Oedeme auf Diuretin rasch aus¬
geschieden. Harn frei von Eiweiß und Zylindern. Blut: Rest-N 42 mg-
o/o, NaCl 580 mg-o/o. Exitus 10. XI. 1917. Autoptisch multiple Er¬
weichungsherde im Gehirn, frische Ponsblutung.
Der Kranke zeigte hochgradigste Periodizität der Atmung mit
langen Pausen völliger Apnoe, die auf einer aufgenommenen Kurve
etwa 25 Sekunden dauerten. Das Sensorium des Kranken war aus¬
reichend klar, sodaß es möglich war, die Kohlensäurespannung der
Alveolarluft nach Haida ne während der verschiedenen Phasen der
Atmung zu bestimmen. Aus der Höhe der Atmung schwankten die
Werte der Kohlensäurespannung der Alveolarluft während der In¬
spiration zwischen 18,5 und 19,8 mm. Während der Exspiration
wurde ein Wert von 20,4 mm bestimmt. Auf Grund einer Beob¬
achtung über die Dauer der Apnoe wurde deren vermutliches Ende
abgepaßt und dann die Alveolarluft erneut analysiert. Es ergaben
sich dabei Werte von 28,4 bis 29,4 mm.
Das Ergebnis entspricht der Erwartung insofern, als die ge¬
fundenen Werte der Kohlensäurespannung tatsächlich unter der Norm
bleiben. Die auf Grund dieser Bestimmungen im arteriellen Blute
anzunehmende Kohlensäurespannung reicht keinesfalls aus, um ein
normal empfindliches Atemzentrum in Tätigkeit zu versetzen, und
es ist unumgänglich, sich nach einem weiteren Atemreiz umzusehen.
Ueberraschend ist nur die Hochgradigkeit der Senkung der Kohlen¬
säurespannung. In den Versuchen von Haida ne und Douglas
ist die Kohlensäurespannung am Ende der Apnoe nach forcierter
Atmung auf etwa 37 mm wieder angestiegen, wenn die Atemperiode
einsetzt. Bei unserem Kranken setzt die Atmung schon ein bei
einer Kohlensäurespan¬
nung von weniger als
30 mm. Der Extrareiz
muß also sehr stark
sein.
Diese Beobachtung
erweckt Zweifel, ob
tatsächlich bei dem
periodischen Atmen
mancher Kranker die
Empfindlichkeit des
Atemzentrums herab¬
gesetzt ist, wie bisher
gen lassen viel eher
an eine abnorm hohe
Reizbarkeit des Atem¬
zentrums denken. Es
war deshalb notwendig,
die Verhältnisse im
arteriellen Blute selbst
zu untersuchen. Zu
diesem Zwecke wurde
die Wasserstoff zahl des arterialisierten Blutes in der von uns
vielfach erprobten Weise (5) aus der Kohlensäurebindungskurve des
Blutes ermittelt. Das unmittelbar nach der Alveolargasanalyse aus
der Armvene entnommene Blut ergab bei Gegenwart ausreichender
Sauerstoffmengen folgende Kohlensäurebindungskurve (siehe Abb.).
COa-Spannung. 10.7 30,6 1063 180,2 mm. Hg.
CO.-Kapazität. 43,4 553 73,1 80,8 Volum »/•
40,6 52,1 693
Die Bindungskurve verläuft also innerhalb des Bezirkes, in den
die Bindungskurven normaler Vergleichspersonen nach unsern Er¬
mittlungen fallen, und liegt dicht oberhalb der Mitte dieses Bezirkes.
angenommen. Die tat¬
sächlichen Bestimmun-
rff
t±.
%
2
A
in
p.
m
m
m
Kohlensäurebindungskurve des Blutes. Abszisse: Kohlen¬
säurespannung in mm. Hg. Ordinate: Kohlensäurekapa¬
zität in Volum °/o. Schraffiertes Dreieck am Unterrande:
physikalisch absorbierte (»freie“) Kohlensäure. Die vom
Nullpunkte des Koordinatensystems ausgehende Kurven¬
schar bedeutet Linien gleicher Wasserstoffzahl. Der
Bezirk, in den die Kohlensäurebindungskurven Gesunder
fallen, ist umrandet. Ausgezogene Kurve = Kohlensäure¬
bindungskurve des Kranken. Punkte — tatsächliche
Bestimmungen. Zwischen den beiden Kreuzen bewegt
sich das Verhalten des arteriellen Blutes auf der Höhe
der Atmung und gegen Ende der Apnoe.
Eine Verminderung der Kohlensäurekapazität, eine Hypokapnie, liegt
also nicht vor.
Berechnet man aus dieser Bindungskurve die Wasserstoffzahl
des Arterienblutes nach der Formel von Hasselbalch (6), so er¬
gibt sich, daß das Atemzentrum seine Tätigkeit beginnt, wenn durch
Anhäufung von Kohlensäure die Wasserstoffzahl auf 7,504 gestiegen
ist. Auf der Höhe der dyspnoischen Atmung findet sich die Wasser-
stoffzahl 7,63, bei der das Atemzentrum seine Tätigkeit einstellt.
Die Wasserstoffzahl des Arterienblutes Gesunder Hegt bei viel
saureren Werten, nämlich zwischen 7,30 und 7,40, im Durchschnitt
bei 7,33. Es zeigt sich also, daß bei unserem Kranken die Wasser¬
stoffzahl des Arterienblutes sehr erheblich nach der basischen Seite
verschoben ist und zudem durch die Periodizität der Atmung sehr
große Schwankungen aufweist. Daß dieses Verhalten für die Tätig-'
fceit der Gewebe nicht gleichgültig sein kann und eine ernste Schä¬
digung wichtiger Funktionen herbeiführt, ist nicht zweifelhaft. Es
wird Aufgabe der Therapie sein müssen, diese abnormen Atmungs¬
verhältnisse in ihrer Wirkung auf den Gesamtorganismus zu mildern,
was zweifellos durch Morphium erreichbar ist.
Eine Veränderung in der Kohlensäurebindungsfähigkeit des Blutes
kann also als Ursache des periodischen Atmens ausgeschlossen wer¬
den. Wir hatten zeigen können, daß sich bei vielen Nierenkranken
eine Aenderung der Kohlensäurekapazität des Blutes findet, die wir
auf das Versagen einer lebenswichtigen Funktion der Niere be¬
zogen (7). Es hatte sich gezeigt, daß die kranke Niere nicht mehr wie
die gesunde einen Ueberschuß der mit der Nahrung zugeführten oder
im Körper gebildeten sauren Valenzen mit dem Urin ausscheiden
kann. Die dadurch entstehende Retention saurer oder die Mehraus¬
scheidung basischer Valenzen führt zu Alkaliverarmung des Körpers,
zu Aenderung der Alkalireserve des Blutes, zu Mehrausscheidung von
Kohlensäure und zu dementsprechender Dyspnoe. Der Befund nor¬
maler Kohlensäurebindungskurve bei unserem Kranken beweist, daß
es sich bei ihm nicht um diese urämische Dyspnoe handelt und
daß das periodische Atmen mit einer Niereninsuffizienz nichts zu
tun hat. Die durch Hypokapnie des Blutes bedingte Dyspnoe führt
zudem, soweit bisher bekannt, auch in ihren höchsten Graden niemals
zu periodischer Atmung.
Der Kranke zeigte deutliche Zeichen von Herzinsuffizienz, nament¬
lich erhebliche Zyanose. Nach den neuesten Untersuchungen ist diese
nicht zu ausschließlich auf Erweiterung der Kapillaren zu beziehen,
sondern weist darauf hin, daß das Blut bei seinem Durchgang durch
die Kapillaren unverhältnismäßig stark reduziert wurde. Aus dem
Grade der Zyanose unseres Kranken kann nach den Feststellungen
von Stadie (8) und Lundsgaard (9) geschlossen werden, daß
in der Mitte des Kapillargebietes etwa 33—37o/o der gesamten Sauer¬
stoffkapazität des Blutes an das Gewebe abgegeben waren. Aber
diese durch die Verlangsamung des gesamten Kreislaufs veranlaßte
übermäßige Reduktion des Blutes kann nicht die Ursache des periodi¬
schen Atmens sein. Bei reinen Fällen von Herzinsuffizienz selbst
mit noch höheren Graden von Zyanose sieht man wohl Dyspnoe,
aber keineswegs regelmäßig periodisches Atmen. Die Kohlensäure¬
spannung der Alveolarluft dieser Kranken ist normal oder abnorm
hoch. Vielleicht war auch das Arterienblut unseres Kranken nicht
vollkommen mit Sauerstoff gesättigt. Aber sicherlich fehlte bei dem
hier vorliegenden Zustande von Herzinsuffizienz nur ein verhältnis¬
mäßig geringer Betrag zur vollen Sättigung des Arterienblutes. Bei
angeborenen Herzfehlern und bei Pneumonien fehlen nach Stadie
und Lundsgaard fast regelmäßig größere Mengen zur vollen
Sauerstoffsättigung des Arterienblutcs. Mag demnach auch vielleicht
eine vermutete ungenügende Sauerstoffsättigung des Arterienblutes
das Auftreten periodischer Atmung erleichtern, wie die Beobach¬
tungen auf hohen Bergen zeigen, so kann diese Reduktion des
Arterienblutes doch bei unserem Kranken keinesfalls so hochgradig
gewesen sein, um für sich allein zu periodischem Atmen zu führen.
Herzinsuffizienz als alleinige oder wesentliche Ursache des periodi¬
schen Atmens ist somit abzulehnen.
Wenn also weder eine veränderte Zusammensetzung des Blutes
noch eine allgemeine Kreislaufstörung für das periodische Atmen
verantwortlich gemacht werden kann, so muß die Ursache der
Störung in einer rein lokalen Veränderung im Zentralnervensystem
gesucht werden. Die bisherige Annahme einer herabgesetzten Er¬
regbarkeit des Atemzentrums wird durch unsere Bestimmungen für
den vorliegenden Fall widerlegt. Im Gegenteil hat man Veran¬
lassung, von erhöhter Reizbarkeit des Atemzentrums zu sprechen.
Unsere Beobachtungen führen aber über diesen Standpunkt hinaus
und sprechen dafür, daß die Erregbarkeit der nervösen Elemente
überhaupt nicht geändert ist, sondern dem von Winterstein for¬
mulierten Gesetze der chemischen Atmungsregulation folgt. Wir
glauben unsere Beobachtungen so deuten zu sollen, daß die periodische
Atmung durch lokalen Sauerstoffmangel in der das Atemzentrum
umspülenden Gewebsflüssigkeit hervorgerufen wird. Der lokale
Sauerstoffmangel entsteht nach unserer Meinung durch eine lokale
Störung des Gasaustausches zwischen Blut und Gewebe infolge
einer örtlichen Erkrankung der Blutgefäße. Daß bei unserem Kran¬
ken eine solche Erkrankung der Gehirngefäße vorliegt, das zeigt
der autoptische Befund multipler Erweichungsherde und einer frischen,
tödlich endenden Ponsblutung. Aber wir sind überzeugt, daß die¬
selbe Erklärung auch für solche Fälle Geltung besitzt, in denen
grobe anatomische Veränderungen an den Gefäßen nicht ohne wei¬
teres nachweisbar sind. Pflegen doch die funktionellen Störungen
den anatomisch faßbaren oft lange vorauszugehen. Daß solche lokale
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNSVERSITY
12. Januar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
63
Kreislaufstörungen gerade bei vielen Nierenkranken auch ohne ana¬
tomische Veränderungen Vorkommen können, das zeigen vorüber¬
gehende Amaurosen und Hemiplegien ohne anatomische Grundlage.
Unsere Beobachtungen an Nierenkranken (10) haben gezeigt, daß
auch ohne periodischen Charakter schwere Dyspnoe durch lokale
Kreislaufstörungen im Gehirn ausgclöst werden kann. Wir hatten
deshalb eine zerebrale Dyspnoe von der durch Hypokapnie be¬
dingten „urämischen“ Dyspnoe und von der durch Versagen des
Gesamtkreislaufs hervorgerufenen Kohlensäuredyspnoe abgegrenzt.
Von dem Ueberwiegen des Sauerstoffmangels im Bereich des Atem¬
zentrums, gegenüber der Kohlensäureanhäufung, von der, wie be¬
kannt, schwankenden Empfindlichkeit des Atemzentrums gegen Sauer¬
stoffmangel und wahrscheinlich auch von der mehr oder weniger
erheblichen Förderung des Blutstroms durch Ansaugung nach dem
Thorax bei dyspnoischer Atmung wird es abhängen, ob diese zere¬
brale Dyspnoe zu regelmäßiger, vertiefter und mühsamer oder aber
zu periodischer Atmung führt. Periodische Atmung jedenfalls ist
nicht die Folge einer Herz- oder Niereninsuffizienz, sie ist wahr¬
scheinlich auch nicht der Ausdruck einer geänderten Empfindlichkeit
des Atemzentrums gegenüber dem physiologischen Atmungsreiz, son¬
dern sic rührt von lokalen Kreislaufstörungen in den Hirngefäßen her.
Zusammenfassung. Bei einem Kranken mit hochgradiger Periodi¬
zität der Atmung war die Kohlensäurespannung der Alveolarluft
dauernd sehr beträchtlich herabgesetzt. Auf der Höhe der Atmung
wurden etwa 19 mm, am Ende der Atempause etwa 29 mm Kohlen-
säurespamiung gemessen. Die Kohlensäurebindungskurve des Blutes
dieses Kranken war normal. Die Wasserstoffzahl des Arterienblutes
war infolge der niedrigen Kohlensäurespannung auf abnorm basische
Werte verschoben, sie betrug 7,504 am Ende der Apnoe und 7,63
auf der Flöhe der Atmung.
Diese Beobachtung zeigt, daß die Atemstörung nicht durch eine
Hypokapnie des Blutes bei Niereninsuffizienz oder durch eine all¬
gemeine Kreislaufstörung bei Herzinsuffizienz hervorgerufen war.
Sie widerspricht auch der Annahme einer herabgesetzten Erregbar¬
keit des Atemzentrums und weist auf das Bestehen eines Sauerstoff¬
mangels in der das Atemzentrum umspülenden Gewebsflüssigkeit
hin. Die lokale Asphyxie des Atemzentrums rührt im vorliegenden
Falle von einer anatomisch an multiplen Erweichungsherden erkenn-
karen Gefäßveränderung her, kann aber zweifellos auch auf rein
funktioneller Grundlage entstehen.
1- Pflßß- Arch. 1911, 138, S 159 u. 167; 1921,187, S. 293; Biochem. Zschr. 1915.70, S. 45.
— 2. Joum. of Pbysiol. 1912. 45, S. 235. - 3. ln Erg. d. Physiol. 1914,14, S. 386. - 4 Zitiert
nach Douglas. - 5. D. Arch. f. klin. M. 1919, 129. S. 54 — 6. Biochem. Zschr. 1916. 78,
S. II2L — 7. D. Arch. f. klin. M. 1918,125, S. 477. - 8. Journ. of exp. M. 1919, 30, S. 215. —
9- Journ. of exp. M. 1919, 30, S. 259 u. 271. — 10. D. Arch. f. klin. M. 1921.
Aus dem Pathologischen Institut der Universität in Hamburg.
Das Zentralnervensystem bei der Oasbrandinfektion
des Menschen.
Von Eng. Fraenkel und Fr. Wohlwill.
Vor 3 Jahren haben wir kurz Mitteilung gemacht von Ergeb¬
nissen, die uns die Untersuchung des Zentralnervensystems
experimentell mit Fraenkelschen Gasbrandbazillen
infizierter Meerschweinchen ergeben hatte. Im Gegensatz
zu den Befunden von Anders, der bei Fällen von menschlichem
„Gasödem“ im Gehirn recht hochgradige makroskopische und
mikroskopische Veränderungen — besonders Oedem der weichen
Häute und des Gehirns selbst, schwere Zellerkrankung Nissls,
Neuronophagien, Zerfallserscheinungen an den Achsenzylindern, Ab¬
räumvorgänge an den Gefäßen — angetroffen und auf diese den
Tod der Patienten zurückgeführt hatte, hatten wir im Gehirn und
Rückenmark unserer Versuchstiere irgendwie wesentliche, für den
Verlauf der Infektion in Betracht kommende Veränderungen regel¬
mäßig vermißt. Von menschlichem Gasbrand stand uns damals
erst ein Fall zur Verfügung; auch bei diesem konnten wir, von
geringer Amöboidose der Gliazellen abgesehen, nichts Pathologisches
nach weisen.
Obwohl in der Zwischenzeit die Literatur über Gasbrand noch
weiter angeschwollen ist, sind doch auf diesen Punkt nur ganz wenige
Autoren zurückgekommen. Floercken bestätigt in seiner Arbeit
auf Grund der Sektionsergebnisse Huecks die Angaben Anders*
über die starke ödematöse Durchtränkung des Gehirns und seiner
Häute die auch mikroskopisch nachgewiesen sei, während ausge¬
sprochene Ganglienzellveränderungen in seinen Fällen fehlten. Nach
einer brieflichen Aeuflerung, die Floercken von Aschoff erhielt,
fand der letztgenannte Autor bald hochgradiges Oedem, bald konnte
er kaum Spuren davon feststellen. Irgendeine Gesetzmäßigkeit sei
nicht nachweisbar. Haberland berichtet in seiner Monographie
in einer kurzen Fußnote , daß er die von Anders beschriebenen
Veränderungen nicht habe konstatieren können. Endlich hat vor
K m Gebuchten den tierexperimentellen Weg wieder auf-
\ ’ indem er das Zentralnervensystem von Meerschweinchen
untersuchte die er mit Reinkulturen von Bac. perfringens,
VihM H o seotique und Bac. hisfo/ytlcus infiziert hatte. Er
ist dabei zu dem Ergebnis gekommen, da8, wenn die Versuchstiere
nur ein bis zwei Tage am Leben blieben, die Veränderungen äußerst
geringfügig waren: sie beschränkten sich auf etwas verminderte
Deutlichkeit der Nissl-Schollen in einzelnen Zellen der Substantia
reticularis und auf ganz gelegentliche Vermehrung der Trabant¬
zellen; blieben die Tiere länger (bis 5 Tage) am Leben, so waren
die Befunde etwas ausgesprochener: einige Zellen befanden sich im
Zustand der Chromolyse, mehrfach fand sich Ansammlung von Glia¬
zellen um die Nervenzellen herum, bisweilen sogar Neuronophagien.
Die Veränderungen werden jedoch ausdrücklich als wenig tief¬
greifend und in keiner Weise mit den von Anders gesehenen
vergleichbar bezeichnet. Die Befunde des letzteren hält van Ge¬
buchten für durch anaerobe Mischinfektion entstanden.
Da nach diesen wenigen Mitteilungen die Sachlage als keineswegs
geklärt bezeichnet werden kann, so halten wir es für angebracht,
unsere seither gemachten Beobachtungen, die sich auf vier Fälle
von Gasbrandinfektion des Menschen beziehen, der Oeffentlichkeit
zu übergeben. Vorweg wollen wir mitteilen, daß wir im Anschluß
an diese Fälle noch zweimal Meerschweincheninfektionen
vorgenommen haben, wiederum mit negativem Ergebnis bezüglich
des Befunds am Nervensystem. Da auch diese Tiere, ebenso wie
die in unserer ersten Arbeit benutzten, innerhalb von 48 Stunden
gestorben sind, so stimmt das Ergebnis mit dem van Gehuchtens
gut überein.
Was nun unsere Befunde beim menschlichen Gasbrand be¬
trifft, so kann natürlich, wie wir schon seinerzeit betonten, das Unter¬
suchungsergebnis hier nicht so eindeutig sein wie beim Tierexperi¬
ment, da wir es wohl stets mit komplizierteren ätiologischen Ver¬
hältnissen zu tun haben. Wie in dieser Beziehung die Fälle von
Anders sich verhalten, und ob die Annahme van Gehuchtens,
daß hier Mischinfektionen vorliegen, zutrifft, wird man nicht be¬
urteilen können, solange die klinischen und bakteriologischen Daten
dieser Fälle nicht bekannt sind. (Die von Anders angekündigte
ausführliche Darstellung in einer pathologisch-anatomischen Fach¬
zeitschrift ist uns bisher nicht zu Gesicht gekommen.) In den vier
Fällen, die unseren Untersuchungen zugrundeliegen, handelte es sich
dreimal um schwere Grippepneumonien, die schon seit mehreren
Tagen bestanden und zu Erscheinungen von Kreislaufinsuffizienz ge¬
führt hatten. Diese machten die Anwendung von Exzitantien nötig,
und zwar wurde einmal Koffein und Kampfer, zweimal Adrenalin
verabreicht. An diese Injektionen schloß sich dann jedesmal der
tödliche Gasbrand an. Der Fall, in dem Koffein und Kampfer be¬
nutzt war, gehört zu den dreien, über die der eine von uns (Fraen¬
kel) bereits anläßlich Besprechung der blutschädigenden Wirkung der
Gasbazillen berichtet hat. Hier trat der Tod nach 40 Stunden ein.
Bei den beiden andern Patientinnen, die im Jahre 1920 zur Be¬
obachtung kamen, wurde am gleichen Abend die gleiche Adrenalin¬
lösung injiziert; bei beiden trat nach wenigen Stunden intensiver
Schmerz an der Injektionsstelle auf, woran sich bei der Erstinjizierten
alsbald die ausgesprochenen Erscheinungen des Gasbrands anschlos¬
sen, die unter Auftreten leichter Benommenheit in 22 Stunden zum
Tode führten; unmittelbar post mortem waren im Herzblut neben
Strepto- und Pneumokokken Gasbazillen nachweisbar. Bei der zweiten
Patientin, die schon 5 1 /* Stunden nach der Injektion erlag, war erst
post mortem die subkutane Gasentwicklung nachweisbar. Bemerkt
sei noch, daß es ebensowenig, wie seinerzeit in den Koffeinlösungen,
in der benutzten Adrenalinlösung oder der Spritze Gasbrandbazillen
nachzuweisen gelang. Im vierten Fall war die Eingangspforte nicht
mit Sicherheit festzustellen; hier hatte sich einen Tag nach Ausführung
einer Ventrifixatio Uteri Gasbrand in der linken Glutäalgegend, über¬
greifend auf den linken Oberschenkel, eingestellt, ohne daß ein
Zusammenhang mit der Operationswunde, deren Ränder frisch und
reizlos waren, sich hätte nachweisen lassen. Innerhalb 24 Stunden
war der Tod eingetreten.
Wie schon angedeutet, wird man selbstverständlich pathologische
Befunde, die man in solchen Fällen antrifft, nicht ohne weiteres
auf das Konto des Gasbrands schreiben dürfen. Es ist natürlich
im einzelnen ganz unmöglich zu unterscheiden, was hiervon durch
die Grundkrankheit, was durch den komplizierenden Gasbrand bedingt
ist. Um so größeres Gewicht werden aber negative Befunde
haben, die sich trotz des Zusammenwirkens zweier verschiedener
Schädlichkeiten ergeben.
Was zunächst die makroskopischen Befunde betrifft, so
kann nach unseren Erfahrungen die in den Fällen von Anders und
Floercken so ‘eindrucksvolle ödematöse Beschaffenheit der weichen
Häute und der Hirnsubstanz keineswegs als die Regel be¬
zeichnet werden. In zweien unserer Fälle fiel im Gegenteil eine ge¬
wisse Trockenheit sowohl der grauen wie der weißen Substanz
auf, in einem weiteren Fall war aas Gehirn als mäßig feucht zu
bezeichnen. Im letzten Fall fehlen leider Angaben darüber. Mikro¬
skopisch ist bekanntlich Oedem des Gehirns sehr schwer zu er¬
kennen; wodurch seine Gegenwart in den Fällen Floercken-
Huecks mikroskopisch bewiesen wurde, ist den kurzen Angaben
Floerckens nicht zu entnehmen.
Des weiteren muß mit allem Nachdruck betont werden, daß in
unsem Fällen das Nissl-Bild in der großen Mehrzahl der Ganglien¬
zellen als vollkommen normal zu bezeichnen war und daß
Nissls „schwere Erkrankung“ überhaupt nicht zur Beobach¬
tung kam. Dieser Befund steht in krassem Widerspruch zu dem¬
jenigen von Anders, der intakte Ganglienzellen überhaupt nicht
gefunden zu haben angibt. Woran diese Differenz liegt, vermögen
wir nicht zu sagen; betonen möchten wir aber, daß, wo es sich um
Digitized by ><ae
Original from
CORNELL UNIVERSITY
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
04
Veränderungen des Nissl-Bildes handelt, der negative Befund aus¬
schlaggebender ist als der positive: denn während ein abnormes
Verhalten der Nissl-Schollen durch mancherlei Faktoren vorgetäuscht
werden kann, kennen wir keinen, der artefiziell eine normale Er¬
scheinung des Tigroids hervorbringen könnte. Im einzelnen wäre
zu sagen, daß wir insbesondere Veränderungen an den Zellen des
verlängerten Marks, auf die ja, entsprechend den theoretischen
Vorstellungen von Anders über ihre Bedeutung für den tödlichen
Ausgang des Leidens, besonderer Wert zu legen ist, völlig ver¬
mißten, mit Ausnahme einer Zelle im Hypoglossuskern eines
Falles, die Schwellung des Zelleibs, Chromolyse und* Verlagerung
des Kerns an die Peripherie aufwies. Auch die Purk in je zellen
zeigten in unsern Fällen eine von der Norm nicht abweichende Ge¬
staltung; insbesondere konnten wir die „homogenisierende Er¬
krankung“ Spielmeyers nicht finden; ebensowenig fanden sich
Strauchwerkbildungen. In der Großhirnrinde zeigte bisweilen
eine oder die andere Ganglienzelle etwas verwaschenes Tigroid, nur
ganz ausnahmsweise das ausgesprochene Bild der „primären Rei¬
zung“.
An den Nervenfasern ließen weder Markscheiden- noch
Bielschowsky-, weder Fett- noch Mann-Präparate irgend etwas er¬
kennen, was für einen beginnenden Zerfall spräche.
Nicht viel mehr ist über Gliaveränderungen zu sagen. In
einem der Grippefälle konnte vielleicht von einer geringen Ver¬
mehrung der Trabantzellen in der Rinde gesprochen werden, doch
war der Unterschied beim Vergleich mit normalen Präparaten keines¬
wegs eklatant. Neuronophagische Prozesse fanden sich nir¬
gends. Amöboide Umwandlung gliöser Elemente sahen wir
nur in dem einen Fall, der sich im Anschluß an eine Laparotomie
entwickelt hatte, in etwas ausgedehnterer Weise und über ver¬
schiedene Abschnitte des Zentralnervensystems verstreut. Auch ein¬
zelne vakuolisierte Formen sowie Zerfall in Methylblaugranula wurde
beobachtet. In zwei Grippefällen vermochte nur hingehendstes
Suchen ganz vereinzelte amöboide Zellen aufzudecken, im letzten
war auch dies nicht möglich. Ueber die Bedeutung des Befundes
von Gliaamöboidose, der auch in dem bei unserer ersten Arbeit
verwerteten Fall zu erheben war, vermögen wir nichts zu äußern.
Es scheint, daß amöboide Zellen bei physikalischen Zustands¬
änderungen verschiedener Art Vorkommen, so unter anderen
auch bei — makroskopisch nachgewiesenem — Oe dem, wie der
eine von uns (Wohl will) selbst nachwies; da aber auch
bei der entgegengesetzten Affektion, der Reichardtschen
Hirnschwellung, bei der das Gehirn abnorm trocken
ist, Amöboidose beobachtet wird, so wäre es natürlich gänz¬
lich unzulässig, wollte man aus ihrem Auftreten etwa auf Oedem
schließen. Im übrigen ist es bei der Inkonstanz und Geringfügigkeit
des diesbezüglichen Befundes unserer Meinung nach nicht statthaft,
irgendwelche weiteren Schlüsse daran zu knüpfen. Wir wollen nur
noch betonen, daß gerade in der Medulla oblongata auch in dem
Falle mit etwas reichlicherer Amöboidose der Befund am gering¬
fügigsten war.
Was endlich die Gefäße anlangt, so wurde unter den drei
Grippefällen zweimal eine erhebliche Verfettung der Gefäßwand¬
zellen, insbesondere der Endothelien konstatiert. Da wir diese Er¬
scheinung in dem Fall, der nach Laparotomie auftrat, vermißten und
wir sie anderseits in nicht mit Gasbrand komplizierten Influenza¬
fällen sehr regelmäßig in genau derselben Weise antreffen, so kann
ihr Zusammenhang mit dem Gasbrand wohl als ausgeschlossen gelten.
Abräumzellen oder irgendwelche Abbauprodukte in den Gefäßscheiden
fanden sich nicht. In einem Falle waren viele Kapillaren mit Gas¬
brandbazillen ausgestopft.
Endlich wäre der Vollständigkeit halber noch eine lokalisierte
Veränderung zu erwähnen, die wir in einem der Grippefälle ange¬
troffen haben: Hier fand sich in umschriebenem Bezirk des Globus
pallidus eine leichte Vermehrung und starke Schwellung der Kapillar-
endothelien, chronische Veränderung sämtlicher hier gelegener Gang¬
lienzellen, leichte progressive Erscheinungen an den Gliazellen. Ob
dieser Prozeß auf den Gasbrand, auf die Influenza oder auf eine
dritte, uns unbekannte Ursache zurückzu führen ist, wird sich nicht
entscheiden lassen. Man wird kaum sagen können, daß die erste
Annahme die wahrscheinlichste sei. Jedenfalls handelt es sich um
einen ganz vereinzelten Befund, der zudem sicher nicht mit dem
Tod des Patienten im Zusammenhang steht.
Zusammeafffssend läßt sich also sagen, daß sich gewiß einige
histopathologische Veränderungen im Zentralnervensystem unserer
Gasbrandfälle finden. Diese Veränderungen sind jedoch mit Aus¬
nahme der ganz leichten Amöboidose der Glia völlig inkon¬
stant, sodaß kein Zwang vorliegt, sie auf die Einwirkung der Gas¬
branderreger oder ihrer Stoffwechselprodukte bzw. der hypothetischen,
in der infizierten Muskulatur vorhandenen Gifte zurückzuführen. Sie
sind überdies so geringfügig, daß man sich eher wundern muß,
daß bei dem Zusammenwirken zweier so schwerer Infektionen, wie
das für drei unserer Fälle zutrifft, nicht hochgradigere Veränderungen
hervorgebracht wurden. Zweifeilos sind die Veränderungen in unsern
Fällen nicht erheblicher, als man sie in einer Reihe von fieber¬
haften Allgemeinerkrankungen findet, bei denen kein Mensch daran
denkt, eine zerebrale Todesursache anzunehmen. Wir müssen dem¬
nach auch nach unseren weiteren Untersuchungen die Annahme, daß
der tödliche Ausgang der Gasbrandinfektion durch toxische
Einwirkung auf das Zentralnervensystem, insbesondere das
Nr. 2
verlängerte Mark, bedingt ist, als durch den pathologisch¬
anatomischen Befund nicht gestützt bezeichnen.
Nachtrag bei der Korrektur. Inzwischen hatten wir Ge¬
legenheit, einen weiteren Fall von Infektion mit Fraenkelschen
Gasbrandbazillen zu untersuchen. Dieser unterscheidet sich von
unsern übrigen Fällen insofern, als es sich nicht um eine Gasbrand¬
erkrankung der Skelettmuskulatur handelt, sondern um eine nach
Ausräumung einer Biasenmole aufgetretene Physometra. Schon
intra vitam waren im Blut der Patientin Gasbrandbazillen und weiUe
Staphylokokken nachweisbar. Der pathologisch-anatomische Befund
dieses Falles fällt insofern völlig aus dem Reimen der übrigen heraus,
als schon bei der Sektion — 13V4 h. p. m. — in der auffallend
trocknen und brüchigen Himsubstanz gasgefüllte Hohlräume
— also beginnende „Schweizer-Käse-Gefiirn“-Bildung — nachweisbar
waren. Dementsprechend ergab die histologische Untersuchung überall
im Himgewebe .massenhafte Ansiedelungen plumper Stäbchen. Es
wird niemanden wundernehmen, daß in einem solchen, postmortalen
Veränderungen ausgesetzten Gehirn die Ganglienzellen nicht das nor¬
male Nissl-Bild aufwiesen, sondern mannigfache Zerfallserschei¬
nungen zeigten (während an den Gliazdlen weder regressive noch
progressive Veränderungen sichtbar waren). Für die Beurteilung des
Wesens intravitaler Gasbrandinfektionen ist ein solcher Befund
natürlich bedeutungslos.
Wir haben nun die Gelegenheit benutzt, aufs neue eine Meer¬
schweincheninfektion vorzunehmen, diesmal mit verringer¬
ter Dosis, um gegenüber unsern früheren Versuchen ein längeres
Ueberleben des Versuchstieres zu gewährleisten. 4 Tage nach erfolg¬
reicher Impfung wurde das Tier getötet. Im Gehirn fanden sich
diesmal einige wenige Ganglienzellen mit verwaschenem oder fehlen¬
dem Tigroid. In der Medulla oblongata waren an einigen kleineren
Elementen die Trabantzellen vermehrt; nur ganz vereinzelt waren
diese innerhalb des Zelleibs zu finden („Neuronophagie“*)). Wenn
dieser Befund bis zu einem gewissen Grade sich demjenigen nähert,
den van Gehuchten bei seinen um mehrere Tage die Infektion
überlebenden Meerschweinchen erhoben hat, so müssen wir das
Schlußurteil dieses Autors, nach dem diese Veränderungen, im Ver¬
gleich zu den von Anders gefundenen, wenig bedeutsam erscheinen,
unterstreichen.
Anders, M. m. W. 1917 Nr. 50; Bruns Beitr. 109, S. 94. — Floercken, Bruns
Beltr. 106, S. 485. — Fraenkel, D. ra. W. 1919 Nr. 12. — Fraenkel und Wohlwill,
D. m. W. 1918 Nr. 19. van Gebuchten, Cpt. rend. d. scdances de la soc. de biol. 1921,
84, S. 550 — Haberland, Die anaerobe Wundinfektion. Neue deutsche Chirurgie 71,
S. 318 Anm. — Spielmeyer, Zschr. f. d. ges. Neurol. 54, S. 1. — Wohl will, Virch.
Arch. 216, S. 468.
Weibliche Kriegs- und Nachkriegsopfer*).
Von G. Winter in Königsberg i. Pr.
M. H.l Hinter den Millionenverlusten, welche der Weltkrieg
unserer männlichen Bevölkerung an Toten, Verwundeten und Kran¬
ken gebracht hat, verschwindet die Einbuße des weiblichen Ge¬
schlechts an Leben und Gesundheit fast vollständig. Die direkten
Kriegsverluste desselben an Verwundungen und Krankheiten im Felde
sind spärlich. Dagegen zahlt in der Heimat das Weib durch Ver¬
luste an Infektionskrankheiten, Tuberkulose und den Folgen der
Hungerblockade schon mit gleicher Münze. Ganz zu eigen gehört
dem Weibe aber der Schaden, welchen der Krieg und seine Folgen
an seinen weiblichsten Organen, den Geschlechtsorganen, angerichtet
hat, und durch die Verluste, welche durch den Ausfall ihrer eigent¬
lichen Aufgabe — Empfängnis und Geburt — entstanden sind.
Die Erkenntnis, Beurteilung und Abschätzung dieser Schäden
ist weit schwieriger als die Berechnung der Kriegsverluste des
männlichen Geschlechts; denn zum Teil beruhen diese Schäden in
bis dahin unbekannten Krankheitserscheinungen, oder die auffallende
Zunahme ernster Frauenleiden tritt erst allmählich in die Erschei¬
nung, und die Abnahme der Produktionsfähigkeit konnte erst durch
statistische Vergleiche mit der Vorkriegszeit festgestellt werden.
Alle diese Gründe führten bislang zu einer Vernachlässigung
in der Erforschung dieser weiblichen Kriegsschäden, und wenn auch
von mancher Seite klinische Beobachtungen über neue und über die
Zunahme alter Krankheiten vorliegen, so fehlt doch bislang eine
zusammenfassende Bearbeitung, welche zu zeigen imstande ist, daß
auch das Weib dem Vaterland schwere Opfer an Leben und Ge¬
sundheit gebracht hat und daß durch den Ausfall seiner Produktivität
schwere Verluste dem Bestand unserer Bevölkerung zugefügt sind.
Wenn ich mir die Aufgabe gestellt habe, diese geburtsnilflich-
gynäkologischen Schäden aufzudecken, so muß und will ich mir
zunächst eine Beschränkung auferlegen, und zwar eine örtliche. Ich
will nur feststellen und Ihnen nur mitteiien, was die weibliche Be¬
völkerung Ostpreußens durch den Krieg erlitten hat. Das ist
zunächst mein engeres Arbeitsfeld, und für dieses allein besitze ich
authentische Beobachtungen und Zahlen. Ich zweifle aber nicht
daran, daß die Kriegsschäden mit gewissen örtlichen Modifikationen
anderswo ähnlich und gleich schwer sein werden.
Ich beginne mit der Erörterung derjenigen Funktion des Weibes,
in welcher sich vor allem seine Gesundheit und Tüchtigkeit offen-
*) Oder besser: Neurozytophagle, wie Lu barsch treffend ausfOhrt. — *) Ala Vor¬
trag im Verein fdr wissenschaftliche Heilkunde in Königsberg I. Pr. am 7. XI. 1021 gehalten.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
1 2. Januar 1 Q22
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
65
hart: in der Empfängnis und Geburt. Eine der ersten und am deut¬
lichsten zutagetretenden Kriegsfolgen war die Abnahme der Ge¬
burten. Ich nehme zum Ausgangspunkt für alle Vergleiche das
letzte Jahr vor dem Krieg, 1913 und stelle im Vergleich dazu, mit
Ueberspringen des Jahres 1914, dessen Zahlen wegen der Russen¬
besetzung nicht brauchbar sind, die Geburtenzahlen aus den Jahren
1915—1920, welche ich einer Mitteilung des Ministeriums für Volks¬
wohlfahrt verdanke. Die Zahlen sind aus Kurve 1 ersichtlich.
Kurve 1.
Kurve 2.
i
///J
fS /6
W?
/ftj
/9f9
me
laAU
je
/SO
j*
f*C
jy
1
/JO
Jl
1
ne
JO
j 4
r
f /0
iS
ffO
U
7
JL_
9o
jr
_/
t=
se
ZI
/
?o
IO
M
iy/
60
iS
A
Q
se
ff
~
SKj
zz
V-
Yt
fY
5E
y
J0
tz
JO
40
fO
_
_
_
Prozentzahl der Aborte — und
Zahl der fieberhaften Aborte ----
Diese Abnahme der Geburten hat in 5 Jahren einen Gesamt¬
verlust von ca. 100 000 Kindern herbeigeführt.
Wenn wir uns nun mit der Geburtenzahl auch wieder aufwärts
bewegen, so wird es voraussichtlich noch einige Jahre dauern, bis
wir die Geburtenzahl vor dem Kriege wieder erreichen, wenn wir
sie überhaupt erreichen. Nach dem Kriege von 1870 ist bekanntlich
eine beträchtliche Zunahme der Geburten eingetreten, welche von
37,2 auf 10 000 Einwohner im Jahre 1870 auf 40,0 im Jahre 1877
führte. Wenn man aber die politischen Verhältnisse von damals mit
den jetzigen vergleicht, wenn man ferner die enorme Zahl der
Aborte von jetzt berücksichtigt, so werden wir voraussichtlich die
Vorkriegsfruchtbarkeit nicht mehr erreichen, und die schon vor dem
Krieg zutagetretende Abnahme der Geburten wird ihren Weg weiter
bergab nehmen. Es liegt ja auf der Hand, daß wir diesen schweren
Verlust an Kindern dem weiblichen Geschlecht nur in sehr geringem
Maße zuschreiben können, sondern vor allem der verminderten Ge¬
legenheit zur Zeugung infolge der Abwesenheit und Kriegsverluste
der Männer und der Abnahme der Eheschließungen; für Ostpreußen
treten Flucht und Abwanderung aus der Provinz und Zerstörung der
Wohnstätten als Gründe hinzu.
Dazu kommt nun aber als weiterer sehr wichtiger Grund die
enorme Zunahme der Aborte. Würde jede Schwangerschaft
ausgetragen werden, so würde bei dem starken Begattungstrieb und
der tiefgesunkenen Moral der heutigen Zeit wohl die Geburtenzahl
von 1913 bald erreicht oder übertroffen sein. Die Aborte nagen aber
mit steigendem Erfolg an der Erholung unserer Volkskraft. Es ist
viel schwieriger, sich ein treffendes Urteil über die Zunahme der
Aborte als über die Abnahme der Geburten zu bilden; während hier
Hebammentagebuch und Standesamt nahezu richtige Zählungen er¬
möglichen, werden die Aborte nicht gezählt, oft nicht einmal be¬
merkt und diagnostiziert oder gar verheimlicht.
Als einziges zuverlässiges Material stehen mir die Zahlen meiner
Klinik zu Gebote, welche doch nur einen ganz kleinen Ausschnitt
aus der Gesamtzahl bieten und sich überhaupt nur relativ verwerten
lassen. Ich bringe die Zahl der Aborte in meiner Klinik in Be¬
ziehung zur Zahl der Geburten (nicht unter 2500 g) und gehe dabei
wieder von dem letzten Vorkriegsjahr aus (siehe Kurve 2).
Man sieht, daß weniger der Krieg als vor allen Dingen die
Nachkriegszeit, also wohl auch die Revolution mit ihrer zunehmen¬
den Demoralisation, die Steigerung der Aborte verursacht hat.
Ueber die Ursache der Zunahme der Aborte braucht man sich
keinem Zweifel hinzugeben. Die uns bekannten und in jeder Statistik
sich findenden Ursachen, d. s. Trauma, Erkrankung der Genitalien,
Allgemeinkrankheiten, Krankheiten von Ei und Frucht, künstliche
Aborte spielen eine sehr unwesentliche Rolle gegenüber dem Ab-
treiben Das war vor dem Kriege so und ist es jetzt noch in
viel höherem Maße. Es ist mir nicht zweifelhaft, daß das Auf-
cchnellen von 15 o; 0 während des Krieges auf 36—37«/ 0 in den beiden
letzten fahren nur der Zunahme der kriminellen Aborte zuzuschreiben
ist Nun aber bringen die Aborte durch das Zugrundegehen der
Schwangerschaft nicht allein eine große Einbuße an gesundem Nach-
nuchs, fondern sie schädigen die Gesundheit und kosten nicht selten
Aer Abortierenden das Leben. Wahrend Tod und schwere Er-
l 'vuncr bei gewöhnlichen, spontan eintretenden Aborten zu den
-Offenheiten gehören, sind Infektionszustände vom leichtesten
lÄtoWer bis* zur tödlichen Sepsis bei kriminellem Abort
?Ä Die Gründe sind ja bekannt.
Rfn + h i n hat die Morbidität bei fieberhaftem Abort mit 9 bis
Vw<»nsatz zu 20/0 bei Aborten überhaupt, errechnet. Außer-
}?*' kf fätfestellf worden, daß etwa 15ft der Frauen nach Ablauf
desselben* krank blieben, steril wurden oder wieder abortierten. Alle
diese trüben Erfahrungen treterr auch an unseren ostpreußi¬
schen Frauen, speziell an dem Krankenmaterial Königsbergs,
deutlich zutage. Die Zahl der fieberhaften Aborte, welche schon vor
dem Kriege nicht klein war, hat in meiner Klinik während und vor
allem nach dem Kriege weiter zugenommen (siehe Kurve 2).
Die fieberhaften Aborte sind wohl ziemlich ausnahmslos krimi¬
neller Natur; ein großer Teil der letzteren verläuft aber fieberlos,
sodaß die Zahl der Abtreibungen noch wesentlich größer ist; zu
schätzen oder gar zu berechnen ist sie naturgemäß nicht. Die große
Gefahr der kriminellen Aborte mag die Tatsache illustrieren, daß
von 32 (zugestandenen) kriminellen Aborten, welche im Jahre 1920
auf meiner septischen Station lagen, 7 starben, lauter blühende,
junge Personen, und nur 4 fieberfrei verliefen. Auch diese großen
Opfer, welche das weibliche Geschlecht an Leben und Gesundheit
bringt, muß man als Kriegsopfer bezeichnen, wenn auch als ein
selbstverschuldetes, zum mindesten als eine Kriegsfolge.
Als eine interessante Tatsache möchte ich hervorheben, daß
nach Benthins Zusammenstellung die kriminellen Aborte bei den
Verheirateten beträchtlich überwiegen. Schon vor dem Kriege waren
an unserem Material Verheiratete mit 2 / s , jetzt mit 3 / 4 beteiligt
Diese Zunahme beruht zum kleineren Teil auf Sinken der sexuellen
Moral, zum großen Teil auf dem steigenden Einfluß schon vorher
bestehender Ursachen, z. B. Wohnungsnot, schlechte soziale Ver¬
hältnisse, Bequemlichkeit und Unlust an weiterem Familienzmvachs.
Weiter möchte ich hervorheben, daß die kriminellen Aborte jetzt
seltener als früher von professionierten Abtreibern, sondern von den
Frauen selbst eingeleitet werden; mit ganz unbegreiflicher Dreistig¬
keit, oft auch mit erstaunlichem Geschick spritzen sich die Frauen
mit Ballons oder mit den bekannten Spritzen Flüssigkeit in den
Uterus und wiederholen es mehrfach, bis der Erfolg eintritt. Zum
Teil wollen sie gewiß die hohen Abtreibungskosten ersparen oder
unbequeme dritte Personen ausschalten; vor allem muß man aber in
dieser Selbsteinleitung des Abortes ein Zeichen der Gleichgültigkeit
der Frauen gegen ihre Schwangerschaft sehen, welche sie leichten
Herzens beseitigen, wenn sie ihnen unerwünscht ist. Diese Steige¬
rung der früher schon, wenn auch in viel geringerem Maße vor¬
handenen Anschauungen und Handlungen kann ich nur mit der
sozialen Folge des Krieges und vor allem mit der gesunkenen Moral
und Ethik der Nachkriegszeit in Verbindung bringen.
Es lag nahe, bei dem Aufdecken der Kriegsschäden auch dem
Kindbettfieber Aufmerksamkeit zuzuwenden. Da der aseptische
Verlauf des Wochenbettes das Resultat eines günstigen Geburtsver¬
laufes und einer aseptischen Leitung von Geburt und Wochenbett
ist und da sowohl im Krieg als auch in der Nachkriegszeit die
Bedingungen sich hierfür wesentlich geändert hatten, so war eine
Zunahme des Puerperalfiebers zu erwarten. Meine Erwartungen
haben sich leider bestätigt. Dem Ministerium für Volkswohlfahrt
verdanke ich auch diese Zahlen über die Puerperalfieber-Todesfälle
in Ostpreußen. Die Zunahme derselben läßt sich hier nicht durch
die absolute Zahl der Todesfälle ausdrücken, da mit der Geburten¬
zahl auch die Zahl der tödlichen Infektionen abnehmen muß, sondern
nur durch die Zahl derselben, welche auf einen gemeinschaftlichen
Generalnenner (10 000 Entbindungen) gebracht sind (siehe Kurve 3).
Die Zahl der Todesfälle ist also
infolge des Krieges auf das Doppelte
gestiegen. Die Gründe für diese auch
von anderer Seite bestätigte Tatsache
liegt wohl während des Krieges in
dem Mangel an Aerzten und Heb¬
ammen und an der ungenügenden
Menge an Seife und Desinfizientien.
Die Gründe für die Zunahme gegen
Ende des Krieges und vor allem in der
Nachkriegszeit lassen sich wohl nicht
anders erklären als durch eine gewisse
Verwahrlosung und Fahrlässigkeit na¬
mentlich des geburtshilflichen Per¬
sonals und durch vielfache Störungen,
welche infolge von Unruhen, Streiks
und Verkehrsstörungen die praktische
Geburtshilfe, namentlich auf dem Lande,
erlitten hat. Es ist interessant, daß die Kliniken, in welchen der
Betrieb ia ziemlich ungestört vor sich ging, diese Zunahme des
Puerperalfiebers nicht erfahren haben.
Schlechte Geburtshilfe und vor allem unzureichendes Hilfsper¬
sonal drücken sich nun aber auch noch in etwas anderem aus, d. i.
die Zahl der toten Kinder. Ich habe mir deshalb auch die
Zahl der Totgeburten aus dem Kriege und den Nachkriegsjahren
vom Ministerium für Volkswohlfahrt melden lassen und sie mit dem
Vorkriegsjahr 1913 in Vergleich gesetzt. Sie haben sich nicht ge¬
ändert und schwanken vor, während und nach dem Krieg um 3%,
vielleicht weil diejenige Geburtskomplikation, welche infolge unzu¬
reichender Geburtshilfe am ehesten dem Kinde das Leben kostet,
das enge Becken, in Ostpreußen keine große Rolle spielt.
Auf gynäkologischem Gebiet sind die Kriegs- und Nach¬
kriegsschäden noch viel häufiger, wenn auch meistens weniger schwer.
Leider sind diese auch nicht annähernd so sicher zu umgrenzen
und so klar statistisch zu erfassen, wie die geburtshilflichen. Ich
halte es z. B. für unmöglich festzustellen, inwieweit Entstehung
und Wachstum der Tumoren, Entstehen von Katarrhen und Ent¬
zündungen in Einflüssen des Krieges wurzeln. Wenn es auch nicht
Kurve'3.
m
E=S
f
Kindbettfieber-TodesfMHe
1:10000 Entbindungen.
Digitized by
Gck igle
Original from
C0RNELL UNIVERSITY
66
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 2
zweifelhaft ist, daß die schwere Arbeit der Frauen in den Fabriken
und auf dem Lande, die ungenügende Abwartung des Wochenbettes,
die ungenügende Ernährung auf die Unterleiosorgane der Frau
sehr schädigend eingewirkt und die Zahl der unterleibskranken
Frauen erheblich vermehrt haben, so wird man hier nicht leicht
über allgemeine Eindrücke und Erfahrungen hinauskommen. Wissen¬
schaftliche Untersuchungen und statistische Erhebungen zur Stütze
dieser sicher allerorten gemachten Beobachtung lassen sich schwer
anstellen. Ich will mich deshalb auch mit der Wiedergabe dieses
allgemeinen Eindrucks begnügen und mich einzelnen Folgen des
Krieges zuwenden, welche sich wissenschaftlich und statistisch zur
vollen Klarheit bringen lassen.
Schon in den ersten Kriegsjahren fiel es auf, daß eine große
Zahl von Frauen ärztlichen Rat erbat, weil sie die Menstruation ver¬
loren hatten, ohne daß sich lokal und im Allgemeinbefinden dafür
eine der uns schon bekannten Ursachen finden ließ. Die Erfahrungen
häuften sich immer mehr, und bald wurde — mangels einer besseren
Definition — der Begriff Kriegsamenorrhoe geprägt. Ich möchte
Ihnen zunächst die statistischen Erhebungen meiner Klinik mitteilen
und sic wieder mit dem Vorkriegsjahr 1913 in Vergleich setzen
(siehe Kurve 4).
Amenorrhoen.
Kurve 5.
&/J
&/<
W
'S/A
/9f0
MC
*-*/
JfO
US
ftr
iJO
A
jJ i
'CS
US
/ \
J
*te
ne
/ \
t
9t
US
1
Mi*?
ff*
99
Ito
1
\
\ /
•
Sr
ICi
j
\
\ /
J_
Si
:co
1
\
y
1
90
'Ss
1
1
,R
TZ
SA
'je
_/
_
rz
i£
f.ls
j
_/_
\
12-
'30
_L
Zf
•. J
n
'fs
r
7
t~t
so
>1o
Mj
z
'6S
'M
•r, j
ll
nt
J
'i
fSO
/■'S
fl
£1
'■/0
^4:
ce
'JS
r
6*
/X
"i;
9:
Prolapse-und Prolapsoperationen
Auf die Dauer des Bestehens dieser Amenorrhoen im einzelnen
Fall will ich nicht genauer eingehen und nur erwähnen, daß die
meisten 3—6 Monate bestanden, als unser Rat erbeten wurde; bei
*/■» der Fälle dauerte sie aber schon über 1 Jahr.
Die Kriegsamenorrhoe schwankt etwas an den verschiedenen
Kliniken; z. B. in Kiel verzehnfachte sich die Zahl der Amenorrhoen;
lokale Gründe sind wohl die Ursache. Die Frage wurde natürlich
sofort gestellt: Welches ist die Ursache der sog. Kriegsamenorrhoe,
und wo liegt ihr Zusammenhang mit dem Krieg?
Die erste Frage ist durch anatomische Untersuchungen mehrerer
Ovarien von L. Fraenkel und R. und H. Köhler und durch
sehr eingehende Untersuchungen der Uterusschleimhaut durch Novak
und Graff dahin beantwortet, daß in den Ovarien sich eine schwere
Schädigung des Follikelapparats (vorgeschrittene Atrophie der Pri¬
mordialfollikel und kleinzystische Degeneration der Follikel) und
eine Funktionsstörung der Uterusschleimhaut wenigstens in einem
Teil der Fälle zeigte. Novak und Graff fanden bei 55 Fällen, bei
welchen die Uterusschleimhaut mikroskopisch genau untersucht wurde:
17mal das normale Bild eines menstruellen Zyklus, 26mal das sog.
Ruhestadium der Schleimhaut und 12mal eine deutliche Atrophie,
ohne aber den Grad der anatomischen Veränderungen mit der Dauer
der Amenorrhoe in Verbindung bringen zu können.
Nach unseren heutigen Anschauungen über den Zusammenhang
der Menstruation mit der Eierstocktätigkeit muß man die Verände¬
rung der Uterusschleimhaut als sekundär auffassen und den Aus¬
gangspunkt der Amenorrhoe in einer Störung der Eierstocktätigkeit
sehen, wenn sie auch leider nicht durch genügend zahlreiche Unter¬
suchungen erhärtet ist. Aber wo ist der Zusammenhang mit dem
Krieg?
Diese Frage ist viel schwieriger zu beantworten. A priori
könnten bei sonst ganz gesunden Frauen und Mädchen drei ver¬
schiedene Zustände angenommen werden, deren störende Einflüsse
auf die Eierstocktätigkeit uns bekannt sind: ungenügende Ernährung,
seelische Erregung und schwere körperliche Arbeit. Alle drei Mo¬
mente, welche während des Krieges sehr schwer auf Körper und
Seele unserer Frauenwelt eingewirkt haben, sind wissenschaftlich als
Ursache dieser besonderen Form von Amenorrhoe beschuldigt worden;
von dem einen Autor mehr diese, von dem anderen mehr jene, ohne
daß bei dem meistens gleichzeitigen Einwirken dieser Momente
die Verhältnisse so recht einen wirklichen Beweis brachten. Die
Klärung dieser interessanten Frage erfolgte durch einen Psychiater
Kurtz, welcher das Material der Insassinnen einer Anstalt für
Epileptiker — Wuhlgarten bei Berlin — für diese Frage wissen¬
schaftlich bearbeitete; er sah bei 142 Kranken in 91°/o Amenorrhoe
während des Krieges auftreten. Bei diesen Kranken fielen besondere
seelische Erregungen fort, Ueberarbeitungen, insbesondere Ueber-
nahmc von männlicher Arbeit, fanden ebenfalls nicht statt; dagegen
mußten die Kranken sich vollständig auf die Ernährung mit ratio¬
nierten Lebensmitteln beschränken, ohne daß eine Beihilfe von außen
stattfand. Ebenso wie bei meinem und dem von anderen Autoren
beigebrachten Material, setzte in Wuhlgarten die Amenorrhoe im
Jahre 1916 ein, wo die Rationierung von Fleisch, Fett und Milch
begann, und namentlich der Kohlrübenwinter 1917 scheint sehr ge¬
schadet zu haben. In Petersburg war die Kriegsamenorrhoe besonders
häufig. Einzelne Neutrale sind übrigens ebenfalls von der Kriegs¬
amenorrhoe nicht verschont geblieben, wie eine Mitteilung aus
Stockholm zeigt; das agrarische Dänemark kennt keine Kriegs¬
amenorrhoe. Welche Fehler in der Ernährung die Ovarien so ge¬
schädigt haben, ist nicht geklärt. Die Prognose der Kriegsamenorrhoe
ist im allgemeinen günstig; dauernde Atrophie des Uterus mit ihren
Folgen für Menstruation und Empfängnis ist aber doch nicht selten
beobachtet worden. Die weitere Beobachtung der Frauen in Wuhl¬
garten hat ein Weiterbestehen der Amenorrhoe in Vi bis i/ 2 der
Fälle, und zwar im Durchschnitt von über drei Jahren ergeben.
Die Kriegsamenorrhoe ist im Verschwinden begriffen, wie meine
Kurve und die Beobachtungen anderer Autoren zeigen. Ein dauern¬
der Schaden ist also unseren Frauen hierdurch nicht erwachsen.
Ernster ist eine andere Schädigung der weiblichen Genitalien
zu beurteilen, welche bald nach Beginn des Kriegs sich bemerkbar
machte, das ist die Entstehung und die akute Verschlim¬
merung schon bestehender Prolapse. Die erste Mitteilung
kam aus Warschau, wo Jaworski eine Zunahme der Prolapse
auf das Doppelte beobachtet hatte. Dann kam Wien, wo im Kranken¬
haus Bettina-Pavillon im Jahre 1917 dreimal soviel Prolapsoperationen
vorgenommen werden mußten als vor dem Krieg; dann meldete
sich auch bald Deutschland mit Mitteilungen aus Dresden, Jena,
Erlangen, und Tübingen stellte auf Grund eingehender statisti¬
scher Erhebungen fest, daß sowohl die Zahl der leichten, noch mit
Pessaren zu behandelnden Fälle als auch die Prolapsoperationen um
das Doppelte im Kriege zugenommen hatten.
Ich möchte Ihnen zunächst mitteilen, was die Beobachtung an
meiner Klinik ergeben hat, indem ich wieder das letzte Vorkricgs-
jahr 1913 mit den Kriegs- und Nachkriegsjahren 1916 bis 1920
vergleiche (siehe Kurve 5).
Also Zunahme der Vorfälle um das Doppelte und der schwersten,
nur mit Operation heilbaren Fälle um 1 / 3 - Es unterliegt demnach
keinem Zweifel, daß die Prolapse häufiger im Kriege entstanden
sind und sich verschlimmert haben und daß diese schädliche Ein¬
wirkung sich noch weiter bemerkbar macht. Ueber die Ursache
können wir nicht im Zweifel sein. Mag wohl auch die schlechte
Ernährung und der damit in Zusammenhang stehende Fettschwund
im Becken die Beweglichkeit der Genitalorgane und damit die Dis¬
position zu Prolapsen verstärkt haben, so ist im wesentlichen doch
die schwere Arbeit, welche die Frau während des Krieges in Fabriken
und auf dem Lande verrichten mußte, zu beschuldigen. Die Analyse
meiner Fälle ergab, daß Landarbeiten viermal so oft als im Frieden,
häusliche Arbeiten doppelt so oft, besondere Traumen bis auf das
Dreifache häufiger, und schwere Fabrikarbeiten, welche im Frieden
ja fast gar keine Rolle spielten, recht häufig die Ursache abge¬
geben hatten. Einzelne Fälle will ich nicht anführen; aber wenn
man die Frauen erzählen hört, daß sie in den Munitionsfabriken
schwere Lasten von Granaten und Eisenteilen heben und schleppen
und sie auf dem Lande die schwere Feldarbeit des Mannes
verrichten mußten, so begreift man, daß diese Arbeit die Geni¬
talien einer Frau schädigen mußte.
Der Prolaps ist kein lebensgefährliches Leiden, aber neben
manchen sehr unangenehmen Beschwerden schädigt er die Arbeits¬
fähigkeit der Frauen beträchtlich und hebt sie in schweren Fällen
fast völlig auf. Da die Prolapsoperationen nicht sonderlich ge¬
fährlich sind und bis auf einige Ausnahmen gute Dauerresultate
geben, so können wir hoffen, daß durch diese Kriegsfolge den
betroffenen Frauen kein dauernder Schaden erwachsen ist. Längere
Zeit werden wir Gynäkologen jedoch mit der Beseitigung der Kriegs¬
prolapse zu tun haben.
Wir kommen nun zu einer sehr bedauerlichen Kriegsfolge, bei
welcher es um das Leben der Frau geht: das ist der Uteruskrebs
Ich habe mich mit der Verbesserung der Heilbarkeit dieses Lei¬
dens schon früher eingehend beschäftigt und trat im Jahre 1904
mit dem Resultat meiner Erhebungen hervor, welche mit Bestimmt¬
heit ergeben hatten, daß ein großer Teil der Uteruskrebse durch
Fahrlässigkeit der zuerst konsultierten Hebammen, eine große Zahl
durch die Sorglosigkeit und Unachtsamkeit der Flausärzte und der
größte Teil durch die Schuld der Kranken selbst zu spät für die
Heilung in die Hand der Operateure kam. Ich baute aut diesen Er¬
fahrungen mein System der Bekämpfung des Uteruskrebses auf,
führte es in Ostpreußen durch und veröffentlichte es durch Wort
und Schrift. Der Erfolg war hier in Ostpreußen erstaunlich, und fast
überall, wo nach meinen Vorschlägen der Kampf gegen den Uterus¬
krebs inszeniert wurde, ähnlich. Die Zahl der operablen Krebs¬
fälle stieg beträchtlich, und die Zahl der operativ dauernd Geheilten
wurde immer größer. Im großen und ganzen hielt der Erfolg dieser
Belehrung und Ermahnung an, namentlich wo diese gelegentlich
erneuert wurden. Wie würden sich nun aber diese Resultate, welche
sich ganz auf Berufstüchtigkeit eines stets zur Verfügung stehenden
Heilpersonals und auf eine genügende Selbstbeobachtung der Frauen¬
welt, namentlich niederer Kreise, stützten, sich unter dem Einfluß des
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNÜVERSrrf
12. Januar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
67
Inoperable- und
verschleppte Uteruskrebse-
Krieges gestalten? Die einzelnen Fälie, welche in ganz vernach¬
lässigtem Zustand in meine Klinik kamen, ließen mich schon nichts
Gutes ahnen; die Zusammenstellung meines Materials ergab erst
ganz den traurigen Zustand.
Zunächst einmal die Zahlen, in denen wieder das Vorkriegsjahr
1913 mit den Kriegs- und Nachkriegsjahren 1916 bis 1920 verglichen
ist (siehe Kurve 6).
Die Zahl der inoperablen Uteruskrebse ist immer größer ge¬
worden, je länger der Krieg dauerte, und hat jetzt eine Höhe er¬
reicht, wie sie vor dem Krieg nie¬
mals, auch nicht vor dem Beginn
meiner Krebsbekämpfung, bestan¬
den hat. Ein trauriger Zustand.
Hunderte von Frauenleben fallen
dem Gebärmutterkrebs wieder zum
Opfer, welche wir ihm schon frü¬
her entrissen hatten. Die Gründe
für die Zunahme der Inoperabilität
lassen sich aus der Anamnese,
welche bei jeder in meine Klinik
gekommenen Frau mit Krebs be¬
sonders genau aufgenommen wird,
leicht aufdecken. Die Zahl der
Fälle, welche durch das konsul¬
tierte Heilpersonal sowie durch
die Schuld der Frauen selbst nach¬
weisbar verschleppt waren, hat
während des Krieges beträchtlich
zugenommen (siehe Kurve 6).
Im Jahre 1913 waren es 13%,
im Jahre 1920 63%. Leider trifft
an diesem traurigen Zustand der
Karzinomverschleppung eine große
Schuld die Hausärzte. Ich hatte seinerzeit als dringend notwendig
die Forderung aufgestellt, bei karzinomverdachtigen Fällen sofort
innerlich zu untersuchen und daun mit allen zu Gebote stehenden
Mitteln bis zur Probeexzision und Spczialistenkonsultation die rich¬
tige Diagnose zu erzwingen. Die Hälfte der konsultierten Aerztc
hatte nicht innerlich untersucht, und diejenigen, welche wenigstens
diesen ersten zur Diagnose führenden Schritt getan hatten, hatten
oftmals diese verfehlt und die Kranken in symptomatische Be¬
handlung genommen. Ich vermag dieses Verhalten der Hausärzte
nicht mit den Verhältnissen des Krieges oder der Nachkriegszeit
in Verbindung zu bringen; denn wenn die Kranke einmal bei ihrem
Arzt ist, steht doch einer inneren Untersuchung nichts im Wege.
Wohl mag Uebcrweisung an Kliniken und Spezialisten oft unmöglich
emacht worden sein durch die Unentbehrlichkeit der Frau im
lause, Geldmangel und Kommunikationsstörungen; vor allem wird
aber wohl Sorglosigkeit der Aerzte die Verschleppung verschuldet
haben. Noch viel schroffer tritt diese Verschleppung bei denjenigen
Fällen zutage, welche zuerst Hebammen konsultiert haben; von
6 Fällen hatte keine ihrer Instruktion gemäß gehandelt. Die
roßte Zahl der Verschleppung — es sind 2 / 3 bis 3 / 4 — ist aber
em Verhalten der Frauen selbst zuzuschreiben. Hier finden wir
wieder die bekannten Gründe, welche ich seinerzeit klargelegt hatte,
vor allem ist es der verhängnisvolle Glaube, daß die Blutungen Er¬
scheinungen der Wechseljahre sind, und die Gleichgültigkeit und
Indolenz der Frauen. Hier waren es vor allem die schwere, alle
eigenen Interessen in den Hintergrund drängende Kriegsnot, die
schwere Arbeitspflicht, das Fehlen der Aerzte, die gestörten Kom¬
munikationen u. a. Alles, was ich seinerzeit in öffentlichen Ermah¬
nungen und Merkblättern mitteilte, ist vergessen. Es steht schlechter
als vor dem Beginn meines Kampfes gegen den Gebärmutterkrebs,
und daran ist auch im wesentlichen der Krieg mit seinen Folgen
schuld. Hunderte von Frauen fallen in unserer Provinz dem Gebär¬
mutterkrebs zum Opfer, deren Heilungschancen jetzt durch Verwendung
des Radiums und der Röntgenstrahlen bedeutend gewachsen sind.
Und nun die letzte und wichtigste Folge des Krieges: die Zu¬
nahme der Geschlechtskrankheiten. Diese Kriegsfolge kann
nicht einheitlich vom gynäkologischen Standpunkt behandelt werden,
da das Weib im allgemeinen der leidende Teil ist und die eigentliche
Ursache in dem während des Krieges infizierten Manne liegt; hier hat
der Syphilidologe das erste Wort.
In bezug auf die Gonorrhoe möchte ich nur die Mitteilung
machen, daß die Zahl der tripperkranken Frauen, welche in meine
Klinik kamen, seit der Zeit vor dem Kriege sich versiebenfacht hat.
Einen gewissen Anhalt über die Ausbreitung der Gonorrhoe gibt
die Statistik der Landesberatungsstelle, welche das Material aus
der ganzen Provinz sammelt; danach wurden im Jahre 1920 531 weib¬
liche Gonorrhoekranke behandelt. Die Demobilisierung der Armee
läßt die Zahl der Gonorrhoekranken in die Höhe schnellen von 369
im Jahre 1917 auf 732 im Jahre 1918 und 697 im Jahre 1919. Wenn
man berücksichtigt , daß eine große Zahl der weiblichen Gonorrhoe
auf die Adnexe übergeht, so muß ein langwieriges Siechtum und
die vernichtete Konzeptionsfälligkeit als eine weitere ernste Kriegs-
folge^m ^/jjfder^syphiliskrankeil Frauen schwankte bei der Landes-
berafungsste/le Ostpreußens in den letzten •» Jahren um 800 herum;
Vereleidismaterial mit der Vorkriegszeit steht mir nicht zu Ge¬
bote Die Lues der Frauen hat f ör den Gynäkologen ihre besondere
Bedeutung durch die Syphilis b e reditaria. Nach Mitteilung von
ff
§'
d
Loeser, auf Grund von Berichten aus einzelnen Kliniken, hat die
Syphilis hereditaria von 1,9 vor dem Kriege auf 3,9 nach dem
Kriege zugenommen; in Düsseldorf z. B. hat die Syphilis bei ver¬
heirateten Müttern von 2,7o/o vor dem Krieg auf 4,5% nach dem¬
selben und bei ledigen Müttern von 7,3 auf 13,7% zugenommen.
Die systematische Untersuchung aller Mütter auf Syphilis hat vom
1.1. bis 1. X. 1921 in meiner Klinik bei 972 Gebärenden 36 Syphili¬
tische ergeben — 3,6%.
Ich Din mit der Darstellung der Schäden, welche Krieg und
Nachkriegszeit uns in geburtshilflicher und gynäkologischer Beziehung
gebracht haben, ain Ende und betone noch einmal, daß ich nur
diejenigen zu erforschen versucht habe, welche sich in sichere ätio¬
logische Beziehungen zum Kriege bringen und sich annähernd
statistisch erfassen lassen. Meine Untersuchungen vervollständigen
einen besonders wichtigen Punkt aller früheren, nämlich, daß sie
sich auf die Nachkriegszeit ausdehnen. Dadurch konnte
ich feststellen, daß die Zeit nach dem Kriege uns noch sehr viel
ernstere Verluste gebracht hat. Ich will nicht erörtern, ob es sich
einfach um eine weitere verstärkte Einwirkung der Kriegszustände
handelt, oder ob die staatliche und soziale Unordnung, welche nach
der Revolution platzgriff, die Zustände noch verschlimmert hat.
Jedenfalls stellt fest, daß die traurigen Gesundheitsverhältnisse jetzt
noch bestehen, und kein Mensch kann wissen, wann wir die Gesund¬
heitsverhältnisse der Vorkriegszeit wieder erreichen werden.
Aus der Universitäts-Poliklinik für Hals- und Nasenkranke in der
Charite in Berlin. (Stellvertretender Direktor: Prof. Weingaertner.)
Diathermietiefenstich bei Larynxtuberkulose 1 ).
Von Dr. Agda Hofvendahl (Stockholm).
Bei der Behandlung der Larynxtuberkulose hat die Galvano¬
kaustik immer mehr Anhänger gefunden. Besonders der Tiefenstich
(Grünwald 1907) hat sich bei den tuberkulösen Infiltraten immer
gut bewährt. Dabei wird der in der Tiefe liegende tuberkulöse Herd
behandelt ohne nennenswerte Schädigung der Epitheldecke. Die
ulzerativen Veränderungen erhalten von aem Galvanokaustikbrenner
eine koagulierte Oberfläche, die für einige Zeit gegen Sckundäriufck-
tion schützt.
Im Vergleich zur Galvanokaustik bietet die von Nagelschmidt
eingeführte chirurgische Diathermiebehandlung verschiedene Vorteile,
und zwar wären folgende zu erwähnen:
1 . Die Tiefenwirkung der chirurgischen Diathermie kann je nach
der Stromstärke und der Wahl hzw. Plazierung der indifferenten
Elektrode beliebige Größe und Richtung erhalten.
2. Die Koagulation der Gewebe gibt einen weißen, weichen
Schorf mit größerem Umfang als bei der Galvanokaustik.
3. Bei Tiefenstich kann das schützende Epithel in¬
takt bleiben, wenn es gelingt, eine spitze Elektrode
so zu konstruieren, daß der untere Teil nur wirksam
ist, der obere, in der schützenden Epitheldecke stek-
kende Teil dagegen isoliert bleibt.
4. Wegen des großen Sterilisierungsumfanges genügt ein Stich,
und die Behandlung braucht nicht so oft wiederholt zu werden.
5. Bei Infiltraten der hinterwand empfiehlt es sich wegen der
Schmerzlosigkeit des Stiches, den Eingriff in Kilians Stellung mit
meiner schon erwähnten biegsamen Elektrode auszuführen. Man
kann somit den Einstich genau kontrollieren, um die erforderliche
Tiefe des Infiltrates zu erreichen.
6 . Der belästigende Rauch bei der Galvanokaustik fällt bei der
chirurgischen Diatnermicbehandlung weg.
Die Vorteile bei der Diathermiekoagulierung der Ulzera sind
nach dem vorher Erwähnten unverkennbar.
Die Vorteile der chirurgischen Diathermie vor Kaltkaustik
sind, wie bei der erwähnten Galvanokaustik, der größere Umfang
der koagulierten Fläche, die außerdem eine Verhinderung der Nach¬
blutung mit sich bringt. Weiterhin ist zu erwähnen, daß ein Ueber-
springen von Funken bei der chirurgischen Diathermie nicht in Be¬
tracht kommt.
Nicht verfehlen möchte ich, noch zu erwähnen, daß Tiefenstich mit
i Kaltkaustik schon vor Jahren von Weingärtner versucht worden ist.
Wegen der unblutigen Eingriffe, die einerseits durch die koagu¬
lierte Oberfläche Schutz gegen eine neue Sputum- wie auch Sekundär¬
infektion bieten, und anderseits eine Verschleppung der Keime in
Blut- und Lymphbahnen verhindern, ist die chirurgische Diathermie
auch bei tuberkulösen Tumoren und Neubildungen des Kehlkopfes
in Betracht zu ziehen. Eine geeignete Knopfelektrode für diesen
Zweck ist schon von Nagelschmidt angegeben.
Nach guter Kokainisierung ist die Behandlung schmerzfrei. Die
nachfolgenden Schmerzen und die Schwellung der umgebenden Ge¬
webe sind gering.
Seitdem ich den Diathermietiefenstich in die tuberkulösen Infil¬
trate des Larynx mit meiner schon erwähnten Elektrode ausgeübt habe,
bin ich auf den Gedanken gekommen, diese Methode auch für zirkum¬
skripte Lungen v ränderungen anzuwenden. Diesbezügliche Tierver¬
suche sind b^ r .. ;m Gange. Näheres wird in einer demnächst
' erscheinenden r berichtet, und behalte ich mir diese Unter¬
suchungen vo r
I ■) *«•'*':_
Digitized by
Gck gle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
68
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Aus der Chirurgischen Abteilung des Kantonsspitals in Winterthur.
(Chefarzt: Spitaldirektor Dr. R. Stierlin.)
Ganglion der Nervenscheide des N. ulnaris 1 ).
Von Dr. J. Dnbs.
Vor einiger Zeit wurde mir zur Begutachtung zugewiesen der
68 jährige Kupferschmied August M. von N. Er mußte am 28. VI. 1921
einen etwa 30 kg schweren Kupferkessel in die Höhe heben. Die
rechte Hand hatte er oben, die linke unten am Kessel. Dieser kippte
beim Heben um, wobei dem Patienten die linke Hand stark nach
außen überdreht wurde. Er will in diesem Augenblicke heftige
Schmerzen dorsal und etwas distal vom linken Handgelenk ver¬
spürt haben. Es sei eine schmerzhafte, kleine Schwellung daselbst
aufgetreten. Jedesmal, wenn man diese Stelle berühre, treten blitz¬
artig nach dem Klein- und Ringfinger zu ausstrahlende Schmerzen auf.
Seit dem Unfall will der Patient auch ein eigentümliches taubes Gefühl
im linken Klein- und Ringfinger verspüren, wie wenn er „Holz“
drinnen habe. Auch habe er ein Schwächegefühl in diesen Fingern.
Vor dem Unfall will er nie auch nur das Geringste verspürt haben.
Objektiv ist außer in der Gegend des linken Handgelenkes
nichts Besonderes zu finden; keine Schwellung, keine Verfärbung usw.
Die Bewegungen im linken Handgelenk vollziehen sich durchaus
normal, rasch und ohne Schmerzen. Das Sehnenspiel der Sehnen der
linken Hand ist vollkommen normal und ungestört. Faustschluß kräftig.
— Es besteht normale Sensibilität der Plantarfläche des Klein- und
Ringfingers, dagegen deutliche Hypästhesie der Dorsalseite derselben.
Bei der Betastung spürt man unmittelbar distal vom Proc. styloides
ulnae auf der Dorsalseite, lateral von der Extensorensehne des Klein¬
fingerstreckers, eine kleine, derbe, zirkumskript strangförmige, etwa
federkieldicke Resistenz. Wird sie gedrückt, so zuckt der Patient
jedesmal heftig zusammen und klagt konstant über hierbei auftretende
zuckende Schmerzen, die auf der Dorsalseite des Klein- und Ring-
fiugers ausstrahlen. Röntgenbild völlig negativ.
Die zur Klarstellung der unsichern Diagnose vorgeschlagene ope¬
rative Freilegung des fraglichen Gebildes ergab nun Folgendes
(26. VII. 19211:
Nach vorsichtiger Durchtrennung der Haut gelangt man, genau
der anatomischen Verlaufsrichtung des Ramus dorsalis manus
nervi ulnaris entsprechend, auf diesen Nervenast. Man überzeugt
sich genau, daß die Faszie, auf welcher der Nerv verläuft, intakt
ist, daß es sich bei dem äußerlich gefühlten Gebilde weder um
eine Sehne, noch um ein Blutgefäß handelt. Man präpariert den
Ramus dorsalis manus nervi ulnaris sin. bis zur Austrittsstelle aus
der Faszie vor dem Processus styloides ulnae und distal so weit, bis
man die beiden Aeste, die zuin Klein- und Ringfinger abgehen,
übersieht. Etwas proximal der Abgangsstelle dieser beiden Aeste
erscheint der Nerv deutlich verdickt und zeigt hier eine vielleicht
nicht ganz bohnengroße Auftreibung, aus der sich durch eine vor¬
sichtige Inzision eine deutlich glasig-gallertig klare Masse entfernen
läßt. Distal und proximal von diesem zirkumskript gauglienartigen
Gebilde zeigt der Nerv eine diffuse, spindelartige Verdickung, die
allmählich in die normale Kontinuität übergeht. Es handelt sich somit
zweifellos um eine zirkumskripte Perineuritis mit ganglionärer Bildung
der Nervenscheide. Werthei m-SaJomonson schreibt im
Handbuch der Neurologie von Lewandowski, daß diese Perineuritis
oft auch traumatisch nach Kontusionen, Distorsionen, Verwundung
usw. auftreten könne. In vielen Fällen allerdings entstehe sie dann,
wenn die Entzündung der Umgebung auf die Nerven übergreift, oder
wenn eine langandauernde mechanische Reizung des Nervenstammes
stattfindet (Mononeuritis oder Berufsneuritis).
Diese ganglionäre Bildung ist aber merkwürdigerweise bisher
ziemlich unbekannt gewesen. Oppenheim in seinem Lehrbuch
der Nervenkrankheiten, 5. Auflage, 1908, erwähnt bei Schilderung der
Neuritis nodosa die Ganglien der Nervenscheide nicht. Im Kapitel:
„Nervengeschwülste“ gibt er an, daß die Konsistenz der Neurome,
die solitär auftreten können oder eine multiple Verbreitung zeigen,
wechselnd sei; meist fühlen sie sich weich, andere Male wie
Zysten oder wie leere Säcke an, manchmal auch fast knorpelhart.
„Zystenbildung sowie myxomatöse Degeneration
kommt vor.“ In dasselbe Gebiet schlagen wohl „die herdförmigen
Indurationen, welche als knotige Verdickungen durch die Haut sich
durchfühlen lassen (Neuritis nodosa)“, von denen Moritz in dem
von Mehringschen Lehrbuch der Innern Medizin, 9. Auflage, 1915,
spricht.
In letzter Zeit sind nun zufällig zwei Publikationen erschienen,
die genau dem vorliegenden Fall, nur an andern Nerven, entsprechen.
Löffler und Volk mann haben im Zbl. f. Chir. 1920, 44 ein Gau-
lion der Nervenscheide des Nervus tibialis beschrieben,
ei dem ebenfalls eine gallertartige, wasserklare Masse herauskam und
welche die Autoren als eine vom Bindegewebe der Nervenscheide
(also vom Perineurium) des Tibialis ausgehende, wahrscheinlich trau¬
matisch bedingte Erweichungszyste auffassen. Im Zbl. f. Chir. 1921,
27 hat sodann vor kurzem C. Sultan als „Ganglion der Nervenscheide
des Nervus peroneus“ fast genau denselben Befund beschrieben, wie
er hier im Falle M. vorlag: „Halbbohnengroße, flachspindelige Ver¬
dickung. Im ganzen Bereich fühlt sich der verdickte Nerv ziemlich
*) Nach’einer Demonstration in der Gesellschaft der Aerzte der Bezirk<.Winteithur
und Andelfingen.
Nr. 2
derb an. Bei vorsichtigem Ablösen wird ein kleiner Hohlraum er¬
öffnet, aus dem sich glasartige, dicke, gallertartige Masse entleert“
Auch in diesem Falle also fand sich eine von der Nervenscheide
ausgehende Verdickung, welche in ihrem Innern eine dem Inhalt der
bekannten Ganglien gleiche, dick-gallertige, glaskörperähnliche, wnsscr-
klare Masse enthielt. Diese Gallerte hatte nach Sultan wohl durch
Verdrängung und Druck auf die Nervenfasern die sensibeln Störungen
hervorgerufen. Er meint weiter, daß nicht die Neuritis, sondern der
durch das Ganglion bewirkte Druck die Schmerzen ausgelöst hat; ob
die Neuritis oder das Ganglion das Primäre ist, will er nicht ent¬
scheiden, hält aber das erstere für wahrscheinlich.
Sowohl Löffler und Volkmann wie Sultan weisen darauf
hin, daß bisher gleiche Beobachtungen noch nicht vorzuliegen scheinen,
abgesehen von einer im Jahre 1901 von Hart well (Boston medical
and surg. journ. 1901; Ref. Zbl. f. Chir. 1901 Nr. 39) publizierten
ähnlichen Beobachtung einer gallertartigen Entartungszyste des Peri¬
neuriums im Bereiche des Nervus medianus am Oberarm.
Der Fall stellt somit eine Rarität dar. Von besonderem Interesse
ist nun, ob die Affektion traumatisch bedingt ist oder nicht (Patient
ist bei der SUVA versichert). Die angeführten Autoren drücken sich
über diesen Punkt sehr vorsichtig aus; mir persönlich ist für
den vorliegenden Fall am wahrscheinlichsten, daß ein chronisch
wirkendes Trauma ursächlich in Betracht kommt und der Fall
auch zu dem Kapitel der Berufsueuritiden zu zählen ist. Es ist wohl
ausgeschlossen, daß sich derartige Veränderungen schon so kurze
Zeit nach dem ursächlich angeschuldigten Unfall haben einstellen
können.
Aus dem Bakteriologischen Laboratorium des Städtischen
Krankenhauses im Friedrichshain in Berlin.
Ueber Isopropylalkohol als Mittel zur Häodedesinfektion.
Von Dr. Georg Bernhardt, Leiter des Laboratoriums.
Die spezifische Wirkung der Alkohole bei der Händedesinfektion
beruht zu einem wesentlichen Teile darauf, daß sie infolge ihrer
niedrigen dynamischen Oberflächenspannung sehr leicht in die kapil¬
laren Räume der rauhen Haut, in deren Tiefe sich Bakterien auf¬
halten, eindringen.
Nach den Untersuchungen von Wirgin (Zschr. f. Hyg. 40, 307)
steigt die desinfektorische Wirkung des Alkohols mit der Molekular-
große, dementsprechend wirkt Propylalkohol stärker als Aethylalkohol,
dieser wieder stärker als Methylalkohol. Verglichen wurden äqui¬
molekulare Lösungen, aber auch Lösungen mit gleichen Volum-
und Gewichtsprozenten. Immer zeigten sich dieselben Beziehungen.
Diese Versuche wurden von Stadler bestätigt (Arch. f. Hyg. 1911,
Bd. 73, S. 155).
Bei der einzigartigen Bedeutung nun, die der Alkohol für die
Händedesinfektion hat, ist der hohe und immer steigende Preis des¬
selben besonders zu beklagen, da er der ausgedehnten Verwendung
in der chirurgischen und gynäkologischen Praxis hindernd in den
Weg tritt. Namentlich für die großen Krankenhäuser mit dem enor¬
men Alkoholetat des Operationssaales wäre unter den heutigen Ver¬
hältnissen eine Herabsetzung dieser Ausgaben aufs lebhafteste zu
begrüßen. Chemische Desinfektionsmittel anderer Art als Alkohol
haben aus dem obengenannten Grunde, und ferner wegen der objek¬
tiven Ungleichartigkeit der Haut verschiedener Menschen, der ver¬
schiedenen Empfindlichkeit, bis jetzt den Aethylalkohol nicht ver¬
drängen können.
Es wäre daher ein Fortschritt, wenn es gelänge, einen höher¬
wertigen Alkohol zu einem billigeren Preis als den gewöhnlichen
Aethylalkohol herzustellen und in größeren Mengen auf den Markt
zu bringen. Die Ersparnis würde eine doppelte sein.
Bei den Untersuchungen Wirgins erwies sich die desinfekto¬
rische Wirkung des Normalpropylalkohols CH 3 CH 2 CH 2 OH gleich¬
wertig dem Isopropylalkohol l!H 3 CHOHCH 3 , d. h. es machte keinen
Unterschied, ob die OH-Gruppe in der Mitte an die CH-Gruppe oder
am Ende an die CH 2 -Gruppe gebunden war, wie ja bei gleicher
Oberflächenspannung auch gleiche desinfektorische Wirkung zu er¬
warten war. Diesen Isopropylalkohol, der neuerdings von der Tetra-
lin-G. m.b. H. im großen gewonnen und von der J. D. Riedel-A.-G.,
Berlin, in den Handel gebracht wird und im Gegensatz zum Aethyl¬
alkohol nicht nur keinerlei steuerlichen Bestimmungen unterworfen
ist, sondern auch in jeder Menge hergestellt werden kann, habe ich
hinsichtlich seiner desinfektorischen Wirkung nochmals geprüft und
speziell zur Beurteilung seiner Eignung für die Händedesinfektion
die Methodik angewendet, die Schiemann und Lan'dau in einer
neueren Arbeit aus dem Institut „Robert Koch“ (Zschr. f. Hyg. 1918,
Bd. 88, S. 129) als besonders zweckmäßig und empfindlich rühmen.
Zur Prüfung der allgemeinen Desinfektionswirkung wurden Sta-
phylococcus pyogenes aureus, Bacterium coli commune, Bacillus an-
thrads, Bacillus subtilis herangezogen.
Was das Ergebnis der Entwicklungshemmung, d. h. Auf¬
hebung des Vermehrungsvermögens, anbetrifft, so ist bereits unter
1 Volumprozent (den mir übersandten Isopropylalkohol habe ich
praktisdi als 100<>/oig angenommen) schädigende Wirkung erkennbar.
Vollständige Entwicklungshemmung trat zwischen 3 und 6% ein,
bei 7o/o keinerlei Entwicklung möglich. Es entspricht dies ziemlich
der entwicklungshemmenden Eigenschaft des Aethylalkohols. Nur
wirkt der Isopropylalkohol ein wenig stärker als jener.
Digitized b 1
Google
Original from
CORNELL UNfVERSSTY
12. Januar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
69
Was Abtötung von Keimen betrifft, so muß bei der Prüfung
der unverdünnten absoluten Alkohole bekanntlich zwischen trockenen
und feuchten Keimen unterschieden werden. Trockene Staphylokokken
werden durch absoluten Isopropylalkohol, ebensowenig wie durch
absoluten Aethylalkohol, innerhalb einer Stunde, Milzbrandsporen
selbst nicht nach drei Tagen abgetötet (geprüft mit an Glasperlen an¬
getrockneten Bakterien). Da absolute Alkohole bekanntlich die Eigen¬
schaft haben, Protoplasma zu härten, so werden die äußeren Bak¬
terienschichten gehärtet; durch diese kann dann der Alkohol nicht
weiter eindringen, sodaß die inneren Schichten lebensfähig bleiben.
Darum kann auch der Isopropylalkohol nur verdünnt zu Desinfektions¬
zwecken verwandt werden, doch ist bemerkenswert, daß nach den
vergleichenden Untersuchungen von Wirgin (1. cit.)
der absolute (Normal- und) Isopropylalkohol noch relativ
am stärksten auf trockene Staphylokokken einwirkt.
Die Verwendung absoluten Alkohols gegenüber feuchten Keimen läuft
anf dasselbe hinaus wie die Verwendung mit Wasser verdünnter
Alkohole gegenüber trockenen.
Verdünnter Isopropylalkohol wirkt hach unsern Ver¬
suchen, die in Uebereinstimmung mit den genannten von Wirgin
stehen, auf trockene Milzbrandbakterien und Staphylokokken schon
nach 2—5 Minuten ab tötend ein. Von großer praktischer
Bedeutung hierbei ist, wie dies auch schon Wirgin festgestellt hatte
und von Stadler bestätigt worden ist, daß der Isopropylalkohol,
entsprechend seinem hohen Molekulargewicht, am besten bei 30 bis
40 °/o wirkt, während der Aethylalkohol dies erst bei 50—60o/ 0 tut.
In einer Parallelreihe wurde Aethylalkohol und Isopropylalkohol
geprüft: nach drei Minuten hatte 30%iger Isopropylalkohol Keim-
Verminderung, 40<Voiger völlige Sterilisation bewirkt (10%iger und
20®/oiger waren bei 5 Minuten langer Einwiilcung ohne Effekt ge¬
blieben). Aethylalkohol dagegen hatte erst bei 60 Volumprozenten
Abtötung erzielt. Aehnlich wie bei S a 1 z w e d e I und E i s n e r (B. kl. W.
1900 Nr. 13), die die abtötende Wirkung des Aethylalkohols auf
Staphylokokken bei 55o/o fanden. Auch bei Prüfung feuchter Bakterien¬
kultur erzielte der Isopropylalkohol völlige Abtötung bei 40%, wäh¬
rend dies Aethylalkohol erst bei 55—60% tat.
Für Händedesinfektionszwecke würde daher eine
40—50<%ige Lösung völlig genügen.
Ich habe nun eine größere Reihe von praktischen Händedesinfek¬
tionsversuchen angesteflt und hierbei, wie erwähnt, die Methode
von Schiemann und Landau angewendet: starke Infektion von
verschiedenen Händen (Arzt, Diener, Laborantin usw.) mit Bacterium
coli; antrocknen lassen; dann, ohne Anwendung von Waschung,
Abreiben mit Isopropylalkohol. Zu den ersten Versuchen wurden
20 ccm, auf Mull gegossen, für beide Hände zusammen verwendet;
weiterhin erwiesen sich 10 ccm als genügend. Kontrollprüfung eines
Fingers vor Anwendung des Isopropylalkohols, indem ein Finger
in flüssigem Drigalski-Agar eingetaucht und ausgedrückt wurde, ergab
regelmäßig äußerst starke Infektion, d. h. pro Finger über 20 000
Keime.
Abreiben der stark infizierten Hände mit 80%igem und 60<ybigem
Isopropylalkohol bis zur Verdunstung ergab, bei einer Ver¬
suchsreihe von 20 Händedesinfektionsversuchen, in 60o/o völlige
Sterilisierung, in 20% eine sehr weitgehende Keimver¬
nichtung (überlebende Keime unter 10), in 20 o/o mäßige (überlebende
Keime zwischen 10 und 1000). Diese Versuche zeigen, daß der
Isopropylalkohol ebenso wirkt wie der Aethylalkohol, d. h., daß er
im Dmxdischnitt ebenso viel Hände keimfrei macht, wie der Aethyl¬
alkohol, nur daß dazu schwächere Konzentrationen genügen. Eine
Verstärkung der Konzentration verbessert die Resultate nicht. In den
Versuchen Schiemanns und Landaus ergab bei gleicher Ver¬
suchsanordnung der Aethylalkohol in 57—80% Keimfreiheit. Auf
Grund ihrer großen Versuchsreihen betonen diese Autoren immer
wieder, daß bei den großen Unterschieden der Hände in bezug auf
ihre Desinfizierbaikeit ein genauer Vergleich nur innerhalb derselben
Versuchsreihe zulässig ist Daher wird ein abschließendes Urteil
erst nach einer größeren Versuchsreihe mit den verschiedensten
Händen und nach Prüfung dieser in ihrer Beeinflußbarkeit durch
andere Desinfektionsmittel möglich sein.
Wie die Versuche von Huntemüller und Eckardt (B. kl. W.
1914 Nr.32), von Schiemann und Landau ergaben, ist an Hän¬
den, die mit einfachen Abschwemmungen von Bakterien künstlich
infiziert sind, auch 96%iger Alkohol von zuverlässiger Wirkung,
während an Händen, die mit flüssigem Kote oder infiziertem Eiter,
Blut usw. beschmutzt und dann trocken geworden sind, nur etwa
80%iger Alkohol sicher wirkt. In derartige trockene Schichten dringt
absoluter bzw. 96%iger Alkohol nicht ein, daher ist in der Praxis
überall , wo nicht eine Waschung vorherging, die Anwendung absoluten
Alkohols unbedingt zu vermeiden. Dies gilt selbstverständlich auch
von dem Isopropylalkohol Entsprechend dessen höherem Molekular¬
gewicht erseneint es nach Wirgins, Stadlers und meinen Be-
obadiftingen genügend, den Isopropylalkohol in schwächeren
.. ö , ?. ° - a a n a « i q| dh. bei t ro k -
ration von 50<>/o, bei
sei noch erwähnt, daß der
der Aethylalkohol, aber
er in seiner Wirkung auf
lieh weder subjektiv noch
eifach wiederholten Des-
Konzenrra rion a*» y'-»
kenen Händen in einer Konzent
feuchten von 7 0 —SOo/o anzuwenden. Es
Isopropylalkohol zwar etwas anders wie
keineswegs unangenehm ntait und daß
die Hände nach unseren Beobachtungen s
objektiv vom Aethylnlkohoh auch bei v,
iiifektionsversuchen, unterscheidet
Die vorliegenden Prüfungen, die an trockenen und feuchten
Bakterien angestellt wurden und die in Uebereinstimmung mit den
in der Literatur niedergelegten Befunden stehen, ergeben ebenso
wie die Prüfung an infizierten Händen, die bisher mit Isopropylalkohol
m. W. noch nicht gemacht worden sind, daß der Isopropylalko¬
hol als ein vollwertiger Ersatz des Aethylalkohols
für die Händedesinfektion gelten muß.
Aus dem Bakteriologischen Institut von Dr. Piorkowski in Berlin.
Ein neuer Nährboden zur Diagnostik und Züchtung
im Blute kreisender Streptokokken.
Von cand. med. Gerhard Piorkowski.
Der amerikanische Arzt Fischer hat in einer Arbeit 1 )» deren
Kenntnis ich der Liebenswürdigkeit des Herrn Dr. Bruno Möhring
verdanke, die Behauptung aufgestellt, daß von der Mundhöhle aus
chronische Infektionen ihren Ausgang nehmen können, und zwar
kämen hauptsächlich Einwanderungen von Streptokokken in die Blut¬
bahn in Betracht. Diese Streptokokkeneinwanderungen sollen ohne
Fieber, ohne Leukozytose verlaufen, ihre Symptome lange Zeit hin¬
durch lediglich in Anämie und Nervosität bestehen, bis dann eine
Affektion in den Gelenken, der Gallenblase, des Herzbeutels, der
Herzklappen, der Nieren das schwere Leiden erkennen läßt Eine
solche „schleichende“ Streptokokkeninfektion ist natürlich nur bei
herabgesetzter Virulenz der Bakterien denkbar. Ferner erklärt
Fischer, daß diese Bakteriämien mit Störung des Allgemeinbefin¬
dens ohne besondere Krankheitserscheinungen ungeheuer häufig seien.
Auch Rosenow hat sich mit diesen Fragen befaßt und klargelegt,
in welcher Art die Virulierung der Streptokokken vor sich geht.
Trotzdem ist es bisher nur äußerst selten gelungen, diese Strepto¬
kokken, die in der Blutbahn kreisen, auf Nährböden zu züchten. Von
den Arbeiten Fischers und Rosenows ausgehend, habe ich
nun versucht, ihre Angaben nachzuprüfen. Dabei stand mir ein
Nährboden zur Verfügung, der bei uns bereits seit langem in Gebrauch
war und der zusammengesetzt ist aus:
5 ccm einer l%igen Traubenzuckerbouillon mit 2o/ 0 Pepton und
1 ccm einer 2%igen Lösung von getrocknetem Hühnereiweiß
(in Leitungswasser), zu der man außerdem 20%ige n/10 Natronlauge
zusetzt. Auf die Alkalisierung möchte ich besonderen Wert legen,
da sie die Traubenzuckerbouülon neutralisiert. —
. Zur Beobachtung kamen Fälle von Endocarditis lenta, Poly¬
arthritis rheumatica, Osteochondritis juvenilis, Perikarditis, Ikterus
(bei dem in diesen Fällen die Weilsche Spirochäte nicht nachgewiesen
werden konnte) u. a., die mir von verschiedenen Universitätsinstituten
zur Verfügung gestellt worden sind. Als Kontrollen wurden fieberhafte
Erkrankungen benutzt, die sich später zum Teil als Tuberkulose und
Typhus abdominalis herausstellten. Ich ging dabei so vor, daß ich nur
wenige Tropfen des Patientenblutes in das Reagenzröhrchen einfallen
ließ. Es ist wichtig, diese Vorsichtsmaßregel zu beachten, da das
Blut bakterizid wirkt und daher die Bakterien leicht abtöten kann.
Die Entnahme des Blutes geschah bei 1 erwachsenen Patienten mittels
der ausgekochten Straußschen Kanüle aus einer Armvene, nachdem
ich die ersten Blutstropfen hatte ablaufen lassen. Bei Kindern entnahm
ich es meist aus der Fingerbeere, die vorher mit Wasser, Alkohol
und Aether gut gereinigt war. Zur Kontrolle dafür, daß in diesen
Fällen Streptokokken nicht etwa von äußeren Unreinlichkeiten her¬
rührten, ließ ich mehrere Kinder ihre vorher nicht besonders ge¬
reinigten Finger auf Traubenzucker-Hühnereiweiß-Agar-PIatten pres¬
sen. Hierbei erwies sich nur Gram-f Bazillen- und Staphylokokken¬
wachstum, niemals aber gingen Streptokokken an. Die Röhrchen
selbst wurden vor und nach Gebrauch ausgeglüht.
Es zeigte sich nun, daß in der Tat nach 24—48 Stunden in den
oben genannten Fällen Streptokokken aufgingen, die gemästet erschie¬
nen und deren Identität durch Färbepräparate, Traubenzucker-Bouillon-
kulturen und Gelatinestiche nachgewiesen werden konnte. Ueber die
genauen Einzelergebnisse zu berichten, ist noch nicht die Zeit, zumal
aas mir zur Verfügung stehende Material zu gering ist und die Tier¬
versuche noch in den Anfängen stecken. Immerhin läßt sich bereits so
viel sagen, daß ein Unterschied zwischen aerobem und anaerobem
Wachstum nicht zu bestehen scheint. Zu gegebener Zeit werde ich
weiter darüber berichten. Jedenfalls möchte ich, um auch einem mehr¬
fach gehegten Wunsch nachzukommen, den Nährboden allen Inter¬
essenten empfehlen.
Gynäkologische Ratschläge für den Praktiker.
Von Prof. W. Llepmann in Berlin.
II.
Die Lageveränderungen der weiblichen Genitalien.
Die Vorfälle.
In der Einl^ tn g über die Lageveränderungen (in Nr. 1) haben
wir uns das arjav ’sche BiW kurz in die Erinnerung zurückgerufen;
so werden wi^ vofllj' bei der Diagnose der Vorfälle leicht
diejenigen Fj^ J$\eiden können, bei denen es sich um eine
l ) „Infektion -*\e und ANftemeinerkrankung'\ deutsche Ausgabe von
Dr.,d.H.n<^ ^
'■V
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
70
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 2
Insuffizienz des Stützapparates handelt, und diejenigen, bei
denen es sich um eine Insuffizienz des Suspensionsappa¬
rates handelt. Schließlich drittens diejenigen Fälle, bei denen beide,
Stützapparat und Suspensionsapparat, insuffizient geworden sind. Zu¬
nächst haben wir bei der Diagnose zu unterscheiden den Deszensus
und den Prolapsus, den Deszensus, wenn die Organe bis zur Vulva-
grenze treten, und den Prolapsus, wenn sie über die Vulvagrenze
ninaustreten, und hier wiederum den partiellen und den totalen
Prolapsus. i I
Senkungen der Vagina sind so leicht zu erkennen, daß
sich eine diagnostische Betrachtung erübrigt. Von den einfachsten phy¬
siologischen Fällen bei Mehrgebärenden beginnend, die keiner Behand¬
lung bedürfen, bis zu den schweren Senkungen der vorderen Scheiden¬
wand mit Beteiligung der Blase (Zystozele) und der hinteren Scheiden¬
wand mit Beteiligung des Rektums (Rektozele} finden sich alle Ueber-
gänge. Die Erschlaffung und Senkung des Scheidenrohres geht fast
ausnahmslos mit der Erschlaffung des Beckenbodens einher, nicht
aber ist dieses ohne weiteres mit dem Uterus der Fall, deshalb haben
wir in jedem Falle von Descensus vaginae die Pflicht, uns über die
Lage der Portio im Beckenraum (Spinallinie 1 )) zu- orientieren. Selbst
bei völliger Entfernung des Beckenbodens, wie es beim Carcinoma
vulvae notwendig ist, kann lange Zeit der Suspensionsapparat allein
den Uterus in situ halten. Aber nicht nur die Stellung der Portio
bei Descensus vaginae erfordert unsre diagnostische Aufmerksam¬
keit, sondern auch die Beugungsverhältnisse aes Uterus selbst. Liegt
der Uterus in normaler Anteflexio, so wird der intraabdominelle
Druck auf seine hintere Wand wirken, ihn auf die Blase drücken,
die, als Wasserkissen funktionierend, den Druck parallelisiert und
anderseits selbst am hinteren Schoßfugenrand eine Stütze findet.
Bei Retroflexio uteri wirkt der Druck auf die vordere Fläche
des Uterus, drängt ihn in die Kreuzbeinhöhlung, wo er nur schwach
ein Widerlager im Rektum findet.
Am schlechtesten liegen die Verhältnisse, wenn sich der Uterus
in Mittelstellung befindet, da nunmehr der intraabdominelle Druck
auf den Vertex gerichtet ist und die schlaffe und deszendierte Scheide
als Widerlager und Träger nicht mehr in Frage kommt.
Erst eine in diesem Sinne gestellte Diagnose führt zu richtiger
Prognose und dadurch zu richtiger Therapie.
Von besonderer Bedeutung für die Diagnose sind die Fälle von
Elongatio collj. Hier haben wir zwei Arten zu unterscheiden.
Bei fixiertem Utenis wird die deszendierte Vagina ebenso eine
Traktion auf das Kollum ausüben müssen, wie sie früher in straffem
Zustand als hohler Säulenträger funktionierte. Anderseits kann sie
dadurch entstehen, daß bei fixiertem Uterus das Kollum in der
Gegend des geringsten Widerstandes gelegen ist und nun durch
den abdominellen Druck gewissermaßen per pressionem gedehnt wird,
die Gegend des geringsten Widerstandes aber ist der von den
Levatorfasern gebildete Schlitz, dessen Bedeutung von Halban und
Tandler zuerst erkannt und mit dem Namen Hiatus genitalis be¬
zeichnet wurde. Somit ist für die Diagnose die Berücksioitigung des
Musculus levator ani von größter Bedeutung, und wir haben deshalb
leich bei Beginn der Besprechung der Lageveränderungen darauf
ingewiesen, in wie überraschend einfacher Weise wir uns über seine
Stäree und Wirksamkeit ein Urteil bilden können.
Differentialdiagnostisch kämen wohl nur Zysten und glattwandige
Tumoren der Vagina in Frage, die aber ohne weiteres durch ihre
rundliche und isolierbare Beschaffenheit auszuschließen sind.
Bezüglich der Therapie sind wir der gleichen Meinung wie
Pankow, daß die operative Behandlung der Senkungen und Vorfälle
die beste ist. Ist ein Rock zu lang, so wird er durch Naht säumend
gekürzt, nicht mit Stecknadeln hochgesteckt. Gerade bei beginnen¬
dem Prolaps leisten unsere operativen Maßpahmen ganz Vorzügliches.
Aber keiner, der mit offenem Auge das Arbeitsfeld des prakti¬
schen Arztes überblickt, wird verkennen, daß bei zahlreichen Patien¬
tinnen die Krückenbehandlung, ich meine die Ringe, nicht zu ver¬
meiden ist.
Bei funktionierenden Levatorschenkeln und noch mäßig erhaltenem
Damm kommt man oft mit einem schon bei der Retroflexio genannten
Hodgepessar von entsprechender Größe aus, dessen Bügel man,
nachdem man es in heißem Wasser biegsam gemacht hat, stärker
beugt, um die schlaffen Scheidenwände zurückzuhalten. Während aber
das Hodgepessar bei der Retroflexio als Korrigens gewissermaßen
als Heilmittel dient, wirkt es hier lediglich dadurch, daß es die
Scheidenwände voneinander entfernt, sie entfaltet und verhindert,
nach außen zu deszendieren, die Erschlaffung wird somit nicht ver¬
hindert, sondern vermehrt. Wie auch bei der Retroflexio, aber hier
noch im erhöhten Maße, besteht die Gefahr, daß ein zu großer Ring
Druckusuren macht, ein kleiner Ring seinen Zweck verfehlt und
herausfällt.
Bei Fällen, in denen alle übrigen Pessare ihre Wirkung verfehlen,
sind die weiten, runden, breiten Ringe von Mayer, die Schalen¬
pessare nach Schatz und das Keulenpessar von Menge zu ver¬
suchen. Führen auch diese nicht zum Ziel, so sind komplizierte
Hysterophore empfohlen, die wir wegen der durch sie entstehenden
Dekubitusgefahren ablehnen müssen. In allen diesen Fällen bedürfen
solche Krückenträgerinnen dauernder Kontrolle des Arztes. Die Spü¬
lungen sind ebenso vorzunehmen wie bei den anderen Ringen, die
wir bei der Retroflexio empfohlen haben.
*) Die Spinae ossi ischil kftnnen an Jedem Becken getrennt werden; Ihre Ver¬
bindungslinie nennt man die .Spinallinie*.
Standesangelegenheiten.
Rechtsfragen aus der ärztlichen Praxis.
Von Oberreichsanwalt Dr. Ebermayer.
XXXIII.
In Nr. 1239, 1240 des AeVBl. 1921 bespricht Geh.-Rat S. Alexander
die Stellung des Arztes im besonderen Teil des Entwurfes zn einen
deutschen Strafgesetzbuch und des Arztes als Vertreter der wissen¬
schaftlichen Medizin nnd der öffentlichen Gesundheitspflege. Er erwähnt
zunächst § 199 (unterlassene Hilfeleistung), § 242 (unrichtige ärzt¬
liche Zeugnisse), § 172 (Verletzung von Schutzmaßregeln gegen
Seuchen), wozu weiteres nicht zu sagen ist. Dann kommt er zu der
Frage, wieweit ein vom Arzte lediglich zu Heilzwecken lege artis
vorgenommener Eingriff als Körperverletzung oder Tötung strafbar
sei, und vertritt hier den durchaus unrichtigen Standpunkt, daß auch
der Entw. von 1919 grundsätzlich derartige Eingriffe als rechts¬
widrige Körperverletzungen betrachte, deren Rechtswidrigkeit nur
durch die Einwilligung des Kranken oder durch das Vorliegen eines
Notstandes beseitigt würde. Hier liegt eine vollkommene Verkennung
der Stellung vor, die der Entw. von 1919 im Gegensatz zum VE.
und zum Komm.Entw. zu dieser Frage einnimmt. Ich verwaise auf
meine Ausführungen in der D. m. W. 1921 S. 134 und auf die Denk¬
schrift S. 238. Dort ist ausdrücklich gesagt, daß der Entwurf eine
nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu Heilzwecken vorgenommene
Handlung nie und nimmer als rechtswidrige Körperverletzung oder
Tötung ansieht, ganz gleichgültig, ob sie mit oder gegen den Willen
des Kranken und ob si* im Notstand oder ohne solchen vorgenommen
wurde. Es ist kaum verständlich, wie Alexander dieser klar und
deutlich ausgesprochenen Stellungnahme des Entwurfs gegenüber zu
der Meinung kommen kann, der Entwurf stehe noch auf dem Stand¬
punkte der jetzigen Rechtsprechung, betrachte den ärztlichen Eingriff
als rechtswidrige Körperverletzung, deren Rechtswidrigkeit nur bei Ein¬
willigung oder Notstand beseitigt werde. Hinsichtlich des künstlichen
Aborts weist Alexander zutreffend darauf hin, daß der Arzt gegen
Verfolgung wegen Abtreibung nur dann geschützt ist, wenn es sich um
medizinische, nicht auch dann, wenn es sich um eugenische oder
soziale Indikation handelt. Bei medizinischer Indikation schützen ihn,
wenn er zur Rettung des Lebens der Schwangeren nicht gegen deren
Willen tätig wird, die Bestimmungen über den Notstand; handelt er
gegen den Willen der Schwangeren, aber in der Absicht, von ihr
eine nicht anders abwendbare Gefahr für Leben oder Gesundheit ab¬
zuwenden, so ist er strafbar, aber nicht wegen Abtreibung, sondern
nach der wesentlich milderen Bestimmung des § 2S8. (Vgl. dazu meine
Ausführungen in der D. m. W. 1921 S. 135.) Nach § 313 E. 1919
wird bestraft, wer einen anderen gegen seinen Willen zu Heil¬
zwecken behandelt. Alexander nennt a. a. O. diese Bestimmung
ein Danaergeschenk für die Aerzte und bezeichnet sie als unlogisch.
Wiederum zu Unrecht. Er geht auch hier von der irrigen Voraus¬
setzung aus, der Entw. 1919 erachte den ärztlichen Eingriff grund¬
sätzlich als rechtswidrige Körperverletzung. Dies tut er nicht; der
ärztliche Eingriff ist nach dem Entw. 1919 nie rechtswidrige Körper¬
verletzung, vielmehr, solange er nicht gegen den Willen des Kranken
geschieht, straflos, geschieht er gegen seinen Willen, strafbar, aber
nicht als Körperverletzung, sondern als eigenmächtiger Eingriff in
die Willensfreiheit des Kranken. Wo soll da die Unlogik liegen?
Es scheint, daß Alexander der durchaus veränderte Standpunkt, den
der Entw. von 1919 gegenüber dem VE. und dem Komm.Entw. von
1913 einnimmt, vollkommen entgangen ist. — Der von Alexander
bedenklich befundene § 329 Ent\v. 1919 bedeutet gegenüber dem
geltenden Recht ohne Zweifel einen Fortschritt schon um deswillen,
weil die Gegenstände (oder Verfahren), die zur Verhütung der Emp¬
fängnis oder zur Verhütung von Geschlechtskrankheiten dienen, von
den zu unzüchtigem Gebrauche bestimmten Gegenständen getrennt
sind und ihre Ankündigung usw. nur strafbar ist, wenn sie in einer
Sitte und Anstand verletzenden Weise geschieht. Warum es dem
Richter besondere Schwierigkeiten machen sollte, festzustellen, ob
dies zutrifft oder nicht, ist nicht abzusehen. — Die Befürchtung
Alexanders, § 287, der die durch Verbreitung von Schriften usw.
erfolgende Ankündigung von Mitteln, Gegenständen oder Verfahren
zur Abtreibung bestraft, könne auch auf die wissenschaftliche Ver¬
öffentlichung einer Operationsmethode für den künstlichen Abort
Anwendung finden, erscheint kaum begründet, da die Bestimmung,
wie der ausdrückliche Hinweis auf § 286 beweist, sich nur auf Mit¬
tel usw. für die strafbare Abtreibung bezieht, die Einleitung der
Frühgeburt durch Aerzte, wenigstens soweit sie aus medizinischer
Indikation erfolgt, aber nur noch in sehr beschränktem Umfang als
Abtreibung strafbar ist. Es wird also bei solchen Veröffentlichungen
in Fachzeitschriften, wenn sie überhaupt als Ankündigungen im Sinne
des § 287 anzusehen sind, in der Regel unterstellt werden können,
daß sie nur die vom Arzte vorgenommene, nicht als Abtreibung
strafbare Einleitung der Frühgeburt im Auge haben. .Die Bestim¬
mungen des Entwurfs über Zurechnungsfähigkeit, verminderte Zurech¬
nungsfähigkeit, Erzichungs- und Verwahrungsmaßrcgeln billigt Alex¬
ander. Daß in allen diesen Fällen das Gutachten des Arztes mit
in erster Linie ausschlaggebend ist, versteht sich von selbst und
bedarf keiner besonderen Erwähnung im Gesetz. Vollkommen verfehlt
ist endlich die Annahme Alexanders, die Verfasser des Entw.
hätten die „selbstverschuldete“ Trunkenheit als das Gegebene und
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
12. Januar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
71
die sich daraus häufig entwickelnde Trunksucht demgemäß auch
als eine „selbstverschuldete“ angesehen. Auch hier hätte ein Blick
in das Gesetz und in die Denkschrift genügt, um diesen Irrtum
nicht aufkommen zu lassen. Der Entwurf spricht im § 91 ausdrücklich
von „selbstverschuldeter“ Trunkenheit, während in § 92 absichtlich
nur von Trunkenheit schlechthin die Rede ist, und die Denkschrift
S. 86 begründet diesen Unterschied gerade damit, daß die Trunksucht
vorn medizinischen Standpunkt aus sehr häufig keine selbstverschuldete
sein werde.
Im Münchener Aerztlichen Verein sprach Oberlandesgerichtsrat
v. d. Pfordten über die Sittlichkeitsverbrechen des neuen Strai-
fesetzbuchsentwurfs. Er wies darauf hin, daß der Entwurf 1919 in
den §§ 314—329 wesentliche Neuerungen gegenüber dem geltenden
Rechte nicht bringe. Hinsichtlich der Prostitution steht er auf dein
durchaus zu billigenden Standpunkte, daß gut überwachte und gut
kontrollierte Bordelle der wilden Prostitution vorzuziehen seien, und
begrüßt es deshalb, daß im Kuppeleiparagraphen die Wohnungs-
moglichkeit für polizeilich gemeldete Prostituierte nunmehr gegeben
ist. Die Bestrafung homosexuellen Verkehrs billigt er im allge¬
meinen, erachtet es aber für genügend, die widernatürliche Unzucht
zwischen Männern nur in den Fällen zu bestrafen, die der Entw. in
§ 325 Abs. 2, 3, 4 als erschwerte ansieht. Für die von ihm ge¬
forderte Bestrafung der lesbischen Liebe besteht wohl kaum ein
Bedürfnis. Bei § 324 Abs. 2 — Vornahme unzüchtiger Handlungen
von seiten der Inhaber oder der Angestellten oder Beschäftigten in
Krankenanstalten, Sanatorien usw. mit den dort aufgenommenen,
ihrer Aufsicht oder Obhut unterstellten Personen — macht v. d.
Pfordten geltend, daß die Bestimmung auch dann Anwendung
finden könne, wenn eine Krankenschwester mit einem Kranken ein
Schäferstündchen abhalte oder die als Mitinhaberin der Anstalt be¬
teiligte Frau des Anstaltsbesitzers einem Patienten ihre Gunst schenke.
Diese Bedenken sind nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen,
werden auch durch die Ausführungen der Denkschrift (S. 269) nicht
beseitigt. Dem Sinne des Gesetzes nach muß es sich allerdings immer
um den Mißbrauch eines Abhängigkeitsverhältnisses handeln, das in
den erwähnten Fällen in der Regel fehlen wird; vielleicht würde es
sich aber empfehlen, diese Voraussetzung in § 324 Abs. 2 schärfer
zu betonen.
Im letzten und vorletzten Berichte (D. m. W. 1920 S. 1395 ff., 1921
S. 784 ff.) habe ich den an den Reichstag gebrachten Antrag be¬
sprochen, die Abtreibung ganz oder unter bestimmten Voraus¬
setzungen straflos zu lassen. In der Berliner Aerzte-Korre-
spondenz 1921 S. 312 ff. wird die Frage an der Hand zweier Gut¬
achten von O rot j ahn und Radbruch, von denen der erstere
gegen, der letztere für die Straflosigkeit cintritt, von San.-Rat Dr.
Kosenthal eingehend erörtert. Grotjahn und Rosentlial stehen
vollkommen auf dem auch von mir früher in dieser Zeitschrift ver¬
tretenen Standpunkt, daß sowohl aus bevölkerungs- als kriminal-
politischen Gründen die Strafbarkeit der Abtreibung, allerdings unter
wesentlicher Minderung der Strafdrohung, wenigstens soweit die
Schwangere selbst in Frage kommt, beizubehalten ist.
Interessante Erörterungen über die Sielluog des Arztes im gel¬
tenden uod künftigen österreichischen Rechte enthält ein Aufsatz
Haberdas in der W. kl. W. 1921 S. 301: „Die Verantwortlichkeit
des Chirurgen vor Gericht“. Aus den umfangreichen Ausführungen
sei nur kurz Folgendes hier hervorgehoben: Nach geltendem öster¬
reichischen Strafgesetz kann der Arzt auch bei mißlungener ope¬
rativer Behandlung nicht wegen Körperverletzung bestraft werden,
da der Tatbestand der Körperverletzung ein Handeln „in feind¬
seliger Absicht“ fordert. Trotzdem hat es der Entw. zu einem neuen
österreichischen Strafgesetzbuch für nötig erachtet, eine eigene Be¬
stimmung gegen die eigenmächtige ärztliche Behandlung aufzunehmen
und damit implizite zu sagen, daß der ärztliche Eingriff keine Körper¬
verletzung ist und nur bestraft werden soll, wenn er gegen den
Willen des Kranken erfolgt, und zwar dann als Delikt gegen die
Willensfreiheit. Die Regelung ist also dieselbe, wie sie der Entw. 1919
für das deutsche Strafgesetzbuch Vorsicht. Auf dem Gebiete der sog.
Kunst fehler nimmt das alte österrcidiische Strafgesetz eine den
Aerzten sehr günstige Stellung ein, indem es in den §§ 356—358 die
A erzte nur dann verantwortlich macht, wenn „durch am Tage liegende
Unwissenheit“ der Tod oder eine schwere körperliche Schädigung
Verschuldet wurde, oder wenn „durch wesentliche Vernachlässigung“
c, bes Kranken diesem ein „wirklicher Nachteil“ an der Gesundheit
Cr \vuchs. Haber da würde es sehr bedauern, wenn das künftige
SfQ ß. den Aerzten dieses jus specialissimum nehmen und sie den
?*lgemeinen Vorschriften über fahrlässige Tötung oder Körperver-
^tzun^ unterstellen würde. Einen Berufszwang für Aerztc kennt
österreichische Strafgesetz nicht; der Entw. enthält in § 314 eine
^1 leremeine Verpflichtung zur Hilfeleistung bei offenbarer Lebens¬
gefahr Das zivilrecht liehe Verschulden wird bedingt durch
^^ichuldbare Unwissenheit“ oder durch „Mangel an gehöriger Auf-
^Xerksarnkeit oder Fleiß' 4 - Zutreffend weist Haberda darauf hin, daß
Zivilrechtliche Schadensersatzklagen häufig dadurch veranlaßt werden,
^ Arzt selbst vor der Operation zu viel verspricht, oder daß
zunezogenc Aerzte geneigt sind, die Tätigkeit des Vorgängers
\J>r x Jrsteckt abfällig zu kritisieren.
W en ir. i/r Zschr. f. ärztJ -soz . V e r SO rgungsw. 1021 S. 231 wirf»
Vir o.rnue/n die Frage a “fp ob operative Eingriffe za Ootachten-
^ den § 313 Ent " * Putschen StrGB. fallen. Die Frage
^wecken f^ rac htens zu verneinen . p er §313 spricht nur von der
^eharuilung ^zu Heilzwecken. Eine soIche , lege artis vorgenommen,
soll nicht mehr, wie bisher, wenn sie ohne Einwilligung des Kranken
geschah, als vorsätzliche rechtswidrige Körperverletzung strafbar sein,
sondern, solange sie nicht gegen den Willen des Kranken vorgenom¬
men wurde, straffrei bleiben, aber auch wenn sie gegen seinen
Willen geschah, nicht als Körperverletzung, sondern nur als Delikt
gegen die Willensfreiheit, als eigenmächtige Heilbehandlung bestraft
werden. Wortlaut und Tendenz des § 313 lassen keinen Zweifel, daß
nur Behandlung zu Heilzwecken in Frage kommt, nicht auch Be¬
handlung zu experimentellen oder Gutachterzwecken. Gewisse dia¬
gnostische Eingriffe können ja wohl als unter die Heilbehandlung
fallend erachtet werden, so die Punktation, die Entnahme einer Blut¬
probe usw., kurz alle diejenigen, welche dazu dienen sollen, vor
Beginn der eigentlichen Heilbehandlung festzustellen, ob und welche
Krankheit bei einem bestimmten Menschen vorhanden ist. Alle an¬
deren diagnostischen Eingriffe, mögen sie zu Versuchs- oder Gut¬
achter- oder anderen Zwecken vorgenommen werden, fallen ohne
Zweifel nicht unter § 313, und ich halte es de lege ferenda auch
nicht für wünschenswert, den § 313 darauf auszudehnen. Will der
Arzt sich hier gegen Bestrafung schützen, so mag er sich der Ein¬
willigung des anderen versichern, die ihn in der Regel straffrei
machen wird, andernfalls muß er von dem Eingriff abstehen.
Das Reichsgericht 6. Zivilsenat hat im Urteil vom 23. VII. 1921
VI 154/21 die Klage, die ein Arzt gegen einen anderen Arzt wegen
angeblichen Konstfehlers erhoben hatte, abgewiesen. In der Klage
war behauptet worden, der Beklagte habe durch fehlerhafte Be¬
handlung (Umschläge mit absolutem Alkohol) das Steifwerden eines
verletzten Fingers verschuldet. Der Sachverständige erklärte diese
Behandlung zwar für fehlerhaft, führte aber das Steifwerden des
Fingers nicht auf sie, sondern auf andere Ursachen zurück. Darauf
wiesen die beiden unteren Instanzen die Klage ab, und das Reichs¬
gericht verwarf die Revision. (Schluß folgt.)
Feuilleton.
Allerlei aus dem Auslande.
Norwegen.
Ein neues Gesetz über die Rechte und Pflichten der
Aerzte. Wenn die norwegischen Studenten der Medizin die dritte
Abteilung des medizinischen Examens bestanden haben (nach ungefähr
siebenjährigem Studium), bekommen sie ohne weiteres das „Jus
practicandi“. Diese Ordnung hat einige Nachteile. Schwere Alkoho-
listen, Morphinisten, selbst geisteskranke Studenten können das Examen
bestehen und dann Aerzte werden. Wesentlich um diesem Nachteil
vorzubeugen, wird ein neues Gesetz vorgeschlagen, dessen Haupt¬
punkte die folgenden sind: Um praktizieren zu dürfen, müssen die
Mediziner eine „Licentia practicandi“ haben. Diese Lizenz wird von
einem Regierungsdepartement ausgefertigt, und zwar erst dann, wenn
der Bittsteller beweist, daß er das Examen gemacht hat und einen
untadelhaften Wandel führt. Untersuchungs- und Behandlungsmetho¬
den, die gefährlich für die Kranken sein könnten und die eine spe¬
zielle Ausbildung fordern, dürfen nur von Aerzten, die die Autori¬
sation vom Departement haben, angewandt werden. Jeder Arzt soll
verpflichtet sein, in dringenden Fällen ärztliche Hilfe zu leisten,
wenn kein anderer Arzt zur Verfügung steht. Für diese Hilfe kann er
' vom städtischen Armenwesen Entschädigung beanspruchen. Jeder
Arzt ist verpflichtet, geordnete Aufzeichnungen über seine ärztliche
Tätigkeit zu führen. Wenn ein Arzt infolge Geisteskrankheit oder
geistiger Beeinträchtigung als unfähig, zu praktizieren, angesehen wird,
kann ihm durch gerichtliches Urteil die Berechtigung aberkannt wer¬
den 1 ). Wenn ein Arzt es unterläßt, die vorgeschriebene Meldung
über ansteckende Krankheiten zu machen, kann ihm vom Amtmann eine
Strafe von 5 bis 50 Kronen auferlegt werden. Diese Bestimmungen
werden von den Aerzten nur mit geteilter Freude aufgenommen,
da man fürchtet, daß die Ausfertigung der Lizenz seitens des zustän¬
digen Departements (das vielleicht einmal politisch von irgendeiner
Seite beeinflußt sein könnte) von verschiedenen Bedingungen abhängig
gemacht werden könnte, die eventuell die Aerzte in ihrer freien Wirk¬
samkeit beeinträchtigen würden. Es ist daher vorauszusehen, daß
ärztlicherseits eine Resolution eingebracht werden wird, die vor¬
schlägt, daß die Erteilung der Lizenz realiter der Entscheidung der
medizinischen Fakultät oder des Direktors des Medizinalwesens unter¬
liegen soll und daß das Departement nur formaliter diese Lizenz
erteilen kann.
Krankenversicherung. Seit 1911 ist die obligatorische Kran¬
kenversicherung gesetzlich eingeführt für alle Personen, die sich bei
anderen im Dienste befinden bzw. angestellt sind und die nicht mehr
als eine bestimmte Maximalsumme verdienen. Die Prämienzahlung
w'ird zu 6 /io vom Versicherten (Angestellten), zu l / i0 vom Arbeitgeber,
zu V 10 von der Kommune und zu */ 10 vom Staat geleistet. Die Ver¬
sicherten haben freie Arztwahl unter den Kassenärzten, da beinahe
sämtliche Aerzte für die Krankenkassen arbeiten. Die Aerzte erhalten
ihre Vergütung pro Konsultation oder Krankenbesuch. Die Spezial¬
ärzte haben besondere Tarife. Dieses Gesetz stieß anfänglich auf
Widerstand besonders bei den Sozialisten, die gerne die Kranken¬
versicherung vom Steuerbudget übernommen haben wollten, und auch
bei den Arbeitgebern, die unter anderem Mühe und Ausgaben be-
*) Wann wird
die Reiche Bestimmung bei uns getrolfen werden?
J. S.
Digitized by
Gck gle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
72
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr.
fürchteten. Ein Teil der Aerzteschaft fürchtete, daß ihre Einkünfte
sich vermindern würden. Das Gesetz hat im Laufe der 10 Jahre,
seitdem es in Kraft ist, einige Reibungen zwischen Krankenkassen
und Aerzten verursacht, speziell was die Honorarfrage angeht, und
zwar besonders während des Krieges und der Teuerungszeiten, aber
im großen ganzen genommen hat es zu allgemeiner Zufriedenheit
gewirkt. Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Aerzte haben sich
gebessert, da das Publikum die Hilfe der Aerzte häufiger als früher #
in Anspruch nimmt und die Bezahlung, wenn nicht größer, so doch
sicher ist. Die Grenze des versicherungspflichtigen Einkommens war
zuerst 3000 Kronen, aber seit kurzem ist sie auf 6000 erhöht worden.
Es ist gegenwärtig ein Gesetzesvorschlag in Vorbereitung, wonach
sämtliche Personen, die nicht mehr als 6000 Kronen verdienen, sei
es als Angestellter, sei es als Selbsterwerber, versicherungspflichtig
sind. Dieser Vorschlag, der von besonderer Bedeutung für die kleine
Bauernbevölkerung ist, stößt natürlich auf die Schwierigkeit der
Einkassierung der vielen kleinen Prämienbeträge. Höst (Kristiania).
Kleine Mitteilungen.
— Berlin. Im Reichsministerium des Innern wird ein
Gesetzentwurf ausgearbeitet, der Richtlinien für die Aus¬
übung der Feuerbestattung aufstellt Wir begrüßen diese
Mitteilung besonders als weiteren Schritt auf dem Wege zur reichs-
esetzlichen und damit einheitlichen Regelung der
ür alle Bundesstaaten gleichmäßigen öffentlich¬
sanitären Aufgaben.
— Am 12X11. d. J. fand im Ministerium für Volks Wohlfahrt die
jährliche Konferenz der preußischen Regierungs- und
Medizinal räte unter dem Vorsitz von Minist.-Dir. Gott stein
statt. Die Hauptverhandlungsgegenstände waren: 1. Welche Vor¬
schläge sind für die nach Erlaß eines Hebammengesetzes aufzustel-
leuden Bestimmungen über die Beaufsichtigung aer Hebammen zu
machen? 2. Lieber Quäkerschulspeisungen und deren Fortführung
durch die Gemeinden.
— Die Klage der Weimarer Aerzteschaft gegen die Einfüh¬
rung der ärztlichen Gewerbesteuer (vgl. diese Wochenschrift
1921 S. 1596) ist vom Oberverwaltungsgericht abschlägig beschieden
worden. Es ist anzunehmen, daß das Reichsgericht, das sich nun
wohl mit der Angelegenheit zu befassen hat, hierin einen ähnlichen
Standpunkt einnehmen wird, wie ihn Oberreichsanwalt Ebermayer
in D.m.W. 1921 Nr. 27 S. 782/783 vertreten hat. Die den Aerzten
auferlegte Gewerbesteuer ist danach nichts anderes als eine persön¬
liche Einkommensteuer, die nur das Reich auferlegen kann.
(Vgl. auch D.m.W. 1910 Nr. 3.)
— Dr. Hartmann (Leipzig) hat aus Gesundheitsrücksichten
sein Mandat als Vertreter der Aerzteschaft im Reichswirt¬
schaftsrat niedergelegt.
— Die Mitglieder des Reichsgesundheitsamts Regierungsräte Priv.-
Doz. Prof. Möllers, Dr. Manteufel und Dr. Hesse sind zu
Oberregierungsräten ernannt worden.
— In welchem Umfange der okkultistische und my¬
stische Unfug in Berlin, der „Stadt der Intelligenz“, blüht,
beweist folgende Veröffentlichung der Deutschen Allgemeinen
Zeitung: „Eine Leserin schreibt uns: Folgenden Brief bekam^
ich zugeschickt. Er ist anonym. ,Fürs Glück/ ,Schreibe dies*
ab iina sende es an zwei Personen, denen Du Glück wünschest
Zähle ab heute neun Tage, und Du wirst eine große Freude erleben.
Zerreiße diese Kette nicht, denn wer sie zerreißt, wird Unglück
haben. Dieser Kreis geht 44mal durch die Welt und wurde von
einem amerikanischen Offizier begonnen. Tue es gleich und lasse
keine 24 Stunden vergehen! Ganz Berlin wird zur Zeit von diesen
Glücksbriefen überschüttet. — Ein anderer Leser unseres Blattes
schreibt uns unter der Ueberschrift: ,Der okkulte Automat*, daß jetzt
im Zentrum von Berlin ein Wahrsageautomat aufgestellt ist; man legt
die Hand auf eine mit Stiften versehene Platte, nach einigen Minuten
fällt aus einem diiromantischen Apparat eine Karte heraus, die
einem die Zukunft gedruckt sagt. Legt man die Hand nicht voll¬
ständig auf, so bekommt man eine gedruckte Karte: ,Versuche die
Götter nicht*. Der Automat ist stets dicht von Volk umdrängt.
Ein Gegenstück zu diesen beiden Angelegenheiten bildet eine Zuschrift
des Ordens der Okkultisten, dessen Leiter, ein Professor Weber-
Robine, eine okkultistische Volkshochschule gegründet hat. Darin
gibt es eine ,Abteilung für Fernunterricht*, eine Studienabteilung,
ein-Medienseminar. Der Lehrgang kostet 36, 72 und 96 Mark/'
— Prof. Weber-Robine beschäftigt augenblicklich seit dem Selbst¬
mord der Okkultistin Müller-Hehling in weitgehendem Maße die
Oeffentlichkeit und insbesondere auch die Kriminalpolizei. Wir nehmen
von der uns sonst gleichgültigen Persönlichkeit Weber-Robine aus
anderem Grunde Notiz. Weber-Robine ist nämlich „Professor der
Philosophie und Musik** an der von uns schon mehrfach erwähnten
Oriental University in Washington (vgl. D.m.W. 1921 Nr. 11 S.306,
Nr. 18 S. 514 und Nr. 45 S. 1370). Weber-Robine behauptet, die Er¬
laubnis zur Führung des Professortitels von den deutschen Behörden
erhalten zu haben. Welche Behörde hat diese Erlaubnis erteilt?
— Die nächste Versammlung der Deutschen OphthaImolo-
gischen Gesellschaft findet am 10. VI. in Jena statt. Auskunft
erteilt Prof. Wagenmann (Heidelberg).
-Fleckfieber. Deutsches Reich (1&—24. XII. mit Nachträgen): 25 (davon 11 Im
Flüchtlingslager Heilsberg und 12 im Durchgangslager Osternothafen). — Genickstarre.
Preußen (4 —10. XII.): 6. — Spinale Kinderlähmung. Preußen (4.— 10. XII.) 8.-
Ruhr. Preußen (4.—10. XII.): 63. — Abdominaltyphus. Preußen (4.—10. XII.): 191.
— tiochschulnachrichten. Berlin. DenPriv.-Dozz.Ludwig F.Meyer
(Kinderheilkunde), Weißenberg (Anatomie), Hübotter (Chirurgie,
Geschichte der Medizin), Güttich (Ohren-, Nasen- und Halsheilkunde),
Weingaertner (Nasen- und Kehlkopf Heilkunde), Jungmann (Innere
Medizin), Munk (Innere Medizin), Hermann Zondek (Innere Medizin),
Ko hl rausch (Physiologie), Joachimoglu (Arzneimittellehre), Gug.
genheimer (Innere Medizin), Martin (Chirurgie), Seelert (Psychia¬
trie und Neurologie), Kisch (Chirurgie), Brüning (Chirurgie), Blumen¬
thal (Dermatologie), Kuffler (Soziale Medizin), von Lichtenberg
(Chirurgie), Atzler (Physiologie) und Schück (Chirurgie) ist die
Dienstbezeichnung a. o. Professor verliehen worden. Endlich hat die
Ernennung der Privatdozenten auch die Hauptstadt des Reichs erreicht
(vgl. D. m. W. 1921 S. 1434); nach welchen Grundsätzen dabei ver-
fahren wurde, ist auch jetzt noch nicht zu ersehen. Man vermißt
bisher die Namen einiger älterer Privatdozenten. Prof. Neuberg hat
einen Ruf nach Japan erhalten. Er soll an der Universität Nogogya
ein Biochemisches Institut einrichten. Dr. Schnabel, 1. Assistent am
Hygienischen Institut in Basel, wurde als Abteilungsvorstand an das
Institut für Infektionskrankheiten „Robert Koch“ berufen. — Frankfurt.
Priv.-Doz. Reiß (Innere Medizin) hat die Dienstbezeichnung a. o. Prof,
erhalten. — Halle. Prof. S ( traub, Direktor der Medizinischen Poliklinik,
wurde zum Direktor der Medizinischen Klinik nach Greifswald berufen.—
Heidelberg. Den Priv.-Dozz. Freih. v. Red witz (Chirurgie), Freund
(Innere Medizin und Pharmakologie), Eymer (Geburtshilfe und Gynä¬
kologie), Freih. v. Weiszäcker (Innere Medizin), Arthur Meyer
(Chirurgie) und Freudenberg (Kinderheilkunde) wurde die Dienstbe¬
zeichnung a. o. Professor verliehen. — Jena. Dr. Reichert, I. Assi¬
stent am Bakteriologischen Untersuchungsamt für Thüringen, ist zum
Etatsmäßigen Oberarzt an der Zweigstelle der Bakteriologischen Unter¬
suchungsanstalt Erlangen in Nürnberg ernannt worden. — Köln. Priv.-
Doz. Oertel ist zum Abteilungsvorsteher der Abteilung für topographi¬
sche Anatomie am Pathologischen Institut ernannt worden. — Tübingen.
Prof.Schmincke(Graz) hat einen Ruf als Nachfolger vonProf.Möncke-
berg als Ordinarius der Pathologischen Anatomie erhalten. — Inns¬
bruck. Dr. Henze, bisher Vorstand des Chemischen Laboratoriums
an der Deutschen Zoologischen Station in Neapel, wurde zum o. Pro¬
fessor der Angewandten medizinischen Chemie ernannt. — Wien. Priv.-
Doz. Am sie hat einen Ruf als Ordinarius der Pharmakologie nach
Riga erhalten und angenommen. — Christiania. Prof. Hagen wurde
an Stelle des in den Ruhestand tretenden Prof. Schiötz zum Direktor
der Universitäts-Augenklinik ernannt.
— Gestorben. Der frühere Direktor der Städtischen Irrenanstalt
in Dalldorf, Geh. Med.-Rat Dr. Wilhelm Sander im 84. Lebensjahre
am 5.1. in Berlin. Sander hat von 1887 bis 1914 an der Spitze der
gesamten Dalldorfer Anstalt gestanden. In seiner 45 jährigen Wirksam¬
keit im Dienste der städtischen Irrenpflege hat sich Sander um die
Organisation des Berliner Irrenwesens und um die Behandlung der
Geisteskranken im allgemeinen Verdienste erworben. Er hat die von
seinem Lehrer Griesinger eingeführte Methode der Irrenbehandlung,
die jeden Zwang nach Möglichkeit vermeidet, in weitestem Umfange
zur Anwendung gebracht. Er hat für die Unterbringung der leichteren
Kranken in besonderen Koloniehäusern, außerhalb der geschlossenen
Anstalt, Sorge getragen, und darüber hinaus den erfolgreichen Versuch
gewagt, ungefährliche Kranke unter fortdauernder ärztlicher Ueber-
wachung in Familienpflege zu geben. Eine besondere Aufmerksamkeit
hat Sander den geisteskranken Verbrechern gewidmet und seine Er¬
fahrungen in einem Werke niedergelegt, das er zusammen mit seinem
Nachfolger im Amte, dem damaligen Oberarzt Dr. Richter, verfaßt hat.
Seit 1876 war er Mitglied des Medizinalkollegiums der Provinz Branden¬
burg. Auch um die Bekämpfung des Alkoholismus durch die Errichtung
von Trinkerheilstätten hat sich Sander erfolgreich bemüht. — Geh.
San.-Rat H. Krön, ein Schüler von Mendel, geschätzter und vielbe¬
schäftigter Nervenspezialist, ein langjähriger treuer Mitarbeiter dieser
Wochenschrift, im Alter von 74 Jahren in Berlin.
— Literarische Neuigkeiten. Von der 17. Ausgabe des im Reichs¬
gesundheitsamte bearbeiteten Gesnndheitsbfichleins ist ein Neudruck
(Verlag Julius Springer) herausgegeben worden.
— Die im Seuchen- und Hungergebiet Kasan (Rußland) tätige sanitäre
Hilfsexpedition des Deutschen Roten Kreuzes meldet tieferschüttert den Ver¬
lust ihres Mitarbeiters, des Privatdozenten der Hygiene an der Universität
Kiel, Dr.Wolfgang Gärtner. In treuester Pflichterfüllung zog sich Gärtner
eine schwere Flecktyphuserkrankung zu, der er trotz aufopferndster Pflege
nach hinzugetretener Nephritis und Pneumonie am 13. Tage der Erkrankung
im Sanitätszuge der Deutschen Hilfsexpedition am 10 . Dezember 1921 erlag.
Wolfgang Gärtner war geboren am 26. Juni 1890 zu Jena als Sohn des
bekannten Hygienikers August Gärtner. In edler Begeisterung für seinen
Spezialberuf meldete er sich im August 1921 sofort zur Hilfsexpedition für
Rußland und teilte seit 4 Monaten mit seinen Kameraden Freud und Leid.
Wolfgang Gärtner fiel in unerschrockener Ausübung seines gefahrvollen
Berufes. Sein Name wird unter den Herzen der deutschen Aerzteschaft
unvergesslich bleiben. _ Prof. Dr. Mühlens.
- Auf Seile 14 de« Inseratenteiles ist ein Verzeichnis der bei der Redak¬
tion zur Rezension eingegangenen Bücher und Abhandlungen enthalten.
□ igitized by Google
Original from
CORUELL UNIVERSITY
LITERATURBERICHT
Redigiert von Prof. Dr. R. von den Velden.
Allgemeines.
+ * August Hauer. Kumbuke. (Erlebnisse eines Arztes in
Deutsch-Ostafrika.) Berlin, Dom-Verlag, 1922. M. 75.-. Ref.:
von den Velden.
Was dieser Kollege in den Kriegsjahren in unserer überseeischen
Kolonie mit offenen Augen und warmem Herzen erlebt hat und wie
er cs in frischer, fesselnder, vielseitiger Form wiedergibt, ist wert,
auch vom Arzte in den wenigen Ruhestunden, die ihm vergönnt bleiben,
gelesen zu werden. Das „Kumbuke“ soll wie einst das fufivrfco uns
mahnen: Eingedenk zu sein unserer Kolonien und der Pioniere, die
dort für uns gekämpft und gelitten haben.
Naturwissenschaften.
♦♦ A. Meyer (Marburg), Morphologische und physiologische
Analyse der Zelle der Pflanzen und Tiere. 2. Teil. 1. Lief.
Jena, O. Fischer, 1921. Mit 69 Abbildungen. M.25.-. Ref.: W. Berg
(Königsberg).
Verfasser hat im ersten 1920 erschienenen Abschnitte seines Werkes
seine Auffassung, von dem Aufbau der Zelle unter Berücksichtigung
der botanischen und zoologischen resp. anatomischen Literatur und
auf Grund eigener Untersuchungen, auf breiter Basis aufbauend, aus¬
führlich dargelegt. Im Protoplasten unterscheidet er das Zytoplasma,
die Trophoplasten, den Zellkern und alloplasmatische Gebilde. Außer¬
dem sind in der Zelle egastische Gebilde enthalten, „Ante", wie Eiweiß,
Fette, Oele, Kohlenhydrate, Abfallstoffe u. dgl. mehr. Für das Zyto¬
plasma nimmt er an, daß es eine optisch homogene, wässrige (kolloide)
Lösung von Molekülen und sehr kleinen Teilchen, Vitülen, darstellt.
Letztere setzen sich aus allerkleinsten Teilchen, Mionen, zusammen,
die noch weit kleiner sind als die Elektronen. Die Vitüle geben dem
Zytoplasma seinen spezifischen, vitalen Charakter und sind auch die
Träger der Vererbung. Im vorliegenden zweiten Teil macht Verfasser
weitere Anwendungen seiner Anschauungen. Die Protoplasmabewegung
ist eine durch die Vitüle geordnete Molekularbewegung. Das Proto¬
plasma kann metabolische, reversible Veränderungen im Sinne der Ver¬
dichtung erfahren. Alloplasmatische Gebilde entstehen durch Ver¬
änderung eines Teils eines [Zell-] Organs oder eines ganzen Organes.
Aus solchen alloplasmatischen resp. metabolischen Modifikationen ist
das bisher als Muskelfibrille in der glatten und quergestreiften Muskel¬
faser bezeichnete Gebilde zusammengesetzt. Die eigentlichen Fibrillen
sind von alloplasmatischem Charakter. — Der Verfasser ist Botaniker
und betrachtet dies seiner Spezialwissenschaft doch ferner liegende
schwierige Kapitel unter einem sehr persönlichen Gesichtswinkel. Auf
seine Anschauungen, nicht nur, was die Struktur, sondern auch was
die Rcizleitung in der Muskelzelle betrifft, kann hier nur andeutend
hingewiesen werden; sie sind zum guten Teile von der bisher ver¬
tretenen abweichend und bedürfen teilweise wohl einer Bestätigung.
Biologie.
♦♦ Hermann Rohleder (Leipzig), Sexual-Psychologie. Hamburg,
Paul Hartung, 1921. 100 S. M. 12.50. Ref.: Max Marcuse (Berlin).
Man steht vor einem Rätsel, wenn man im Vorwort gleich zu An¬
fang liest: „Noch kein Sexualforscher ist aut die Idee gekommen, all
die mannigfachen Beziehungen zwischen dem Sexualleben und der
geistigen Tätigkeit des Menschen . . . einer näheren Untersuchung zu
unterziehen“, — dann auf die Behauptung des Verfassers trifft, daß er
„diesen Versuch hiermit zum ersten Male unternehme“ und darauf das
Buch selbst liest, das auch nicht einen neuen oder auch nur neu formu¬
lierten Gedanken enthält, auch nicht einen neuen oder auch nur neu
g esehenen Zusammenhang aufzeigt. Ueberdles werden all die vielen
elcanntheiten und Selbstverständlichkeiten auch in dieser populären
Schrift Rohleders in demselben schlechten Deutsch vorgetragen,
unter dem man schon beim Studium seiner wissenschaftlichen Arbeiten
leidet jedenfalls scheint mir die vorliegende Broschürenreihe aus
formalen und sachlichen Gründen eines Sexuologen von dem Ansehen
Rohleders nicht würdig zu sein. Mit ganz besonderen Befürch-
yUngen muß man aber dem angekündigten dritten Bande der Reihe, der
t£exual-PhUosopbie“(!), entgegensehen.
Physiologie.
W Kohlrausch (Berlin), Auffällige Beherrschung willkürlicher
n»sf tUmtmitaemuar oii willkürlicher Muskulatur. Zschr. f. physik. diät.
tHOIhii Ausgehend von Beobachtungen an den bekannten, oft
Muskel menschen wird die Vielgestaltigkeit der Muskel-
? < !!!5zh1Z t kat und die fast unter dem Bilde willkürlicher Bewegung
^iffgehende, psychogene Beeinflußbarkeit unwillkürlicher Muskeln
^iöitert. --
Allgemeine Pathologie.
Anton Magelßen (Kopenhagen), Genius epidemicus (in Berlin).
B. kl. W. Nr. 50 und 51. An zahlreichen Kurven wird zu zeigen ver¬
sucht, daß das Wetter einen bestimmenden Einfluß auf den Gesund¬
heitszustand der Bevölkerung ausübt, und zwar daß kaltes Wetter eine
Vermehrung, warmes eine Verminderung der Sterblichkeit zur Folge
hat. ln gleicher Weise soll das Wetter auf die Zahl der Eheschließungen
und der Geburten sowie auf den Verlauf der Tuberkulose und die
eudemischen Krankheiten wie das Scharlachfieber einwirken.
Bachmann (Düsseldorf), Künstliche Virulenz und Chemie.
M. m. W. Nr. 49. Nach Much, D. m. W. Nr. 22, gelingt es, harm¬
lose Saprophyten durch gleichzeitige Injektion von Milchsäure für
Mäuse und Meerschweinchen virulent zu machen. Verfasser konnte
dies bei Nachprüfung nicht bestätigen.
C. Bayer (Prag), Abwehrmaßnahmen des organisierten Gewebes
regen den Krebs. Zbl. f. Chir. Nr. 48. Mag auch der Vorgang in
Wirklichkeit noch viel komplizierter sein, eines folgt zweifellos aus den
angestellten Erwägungen: Die mit Krebs vorbehandelten Krebsheilsera
enthalten neben der krebsschädigenden Komponente der Abwehr¬
fermente auch Abbauprodukte der normalen Gewebs- und der Krebs¬
zellen, die die schütz- und abwehrstoffbereitenden Organe des damit
beschickten Organismus schädigen; daher die ungleiche, unsichere und
unzulängliche Wirkung. Wäre ts möglich, einen krebskranken Organis¬
mus ein nur mit Schutz- und Abwehrstoffen angereichertes Serum
ohne alle Abbaufermente in ausreichender Menge und je nach Tumor¬
art geeigneter Qualität zuzuführen, dann wäre vielleicht die Möglichkeit
eines sicheren kurativen Erfolges gegeben; Abbaustoffe wird es aber
auch dann geben.
L. Wacker (München), Beurteilung der Leistungsfähigkeit des
Herzens unmittelbar vor dem Tode durch Feststellung der
Menge der postmortal gebildeten Säure. B. kl. W. Nr. 50. Je
größer der Säurewert des Herzmuskels ist, desto leistungsfähiger ist
das Herz vor dem Tode gewesen. Bei den verschiedensten Krank¬
heiten behält der Herzmuskel seine Leistungsfähigkeit am längsten bei.
Ganter und van der Reis (Greifswald), Bakterizide Funktion
des Dünndarms. D. Arch. f. klin. M. 137 H. 5/6. Im menschlichen
Dünndarm werden künstlich eingebrachte — nicht darmeigene —
Keime unabhängig vom Füllungszustand des Darms und der Diät ab¬
getötet. Wie Versuche mit Darmpatronen ergaben, muß diese bakteri¬
zide Fähigkeit dem Darminhalt, insbesondere dem Darmsaft, zuerkannt
werden. Der Dünndarm enthält eine obligate Flora (nicht Autosterili¬
sation, sondern Autodesinfektion des Dünndarms!).
Brösamlen(Tübingen), Adreoalinhyperglykämie- D.Arch.f.klin.M.
137 H. 5/6. Adrenalin beim Gesunden subxutan eingespritzt erhöht
im allgemeinen den Blutzuckerspiegel um 0,058°/ 0 . Adrenalinglykosurie
war unter 35 Versuchen nur 4mal zu beobachten, in der Regel 3 Stunden
nach der Einspritzung und längstens 11 Stunden anhaltend. Die Adre¬
nalinhyperglykämie tritt später ein, als die Veränderungen an Puls und
Blutdruck, sowie die subjektiven Empfindungen. Bei Basedowkranken
ist ein stärkeres Ansteigen der Blutzuckerkurve wie bei Gesunden zu
beobachten. Die Adrenalinblutzuckerkurve der Diabetischen zeigt kein
einheitliches Verhalten.
Maliwa (Innsbruck), Präödem. M. Kl. Nr. 45. Unter Präödem
ist meist ein flüchtiges Stadium kolloider Zustandsveränderungen zu
verstehen, das durch eine Erhöhung der jeweiligen Sättigungsgrenze
der Salzaffinität, die der vermehrten Wasserbindung vorangeht, charak¬
terisiert ist. Es ist zu trennen von dem Begriff der Oedembereitschaft.
Die analytischen Untersuchungen über etwaige Aenderung der H-{-
Konzentration gaben kein befriedigendes Resultat
Heinrich von Hößlin, Stoffwechsel versuche an entwässernden
Oedematösen. D. Arch. f. klin. M. 137 H. 5/6. Besonders die geringe
Ü-Ausscheidung während der Entwässerung spricht für die leichtere
Angreifbarkeit des Oedemeiweiß. Die niedrigen Werte für Phosphor
sind vielleicht ebenso aufzufassen, wenn auch einem besonderen Phos-
phortsoffwechsel Rechnung getragen werden muß. Die Werte für den
organischen Schwefel hängen in hohem Maße von der Diurese ab.
Strahlenkunde.
Konrad Staunig (Innsbruck), Nene Methode zur Eichung der
Röntgeuapparate. Fortschr. d. Röntgenstr. 28 H. 4. Die Eichung setzt
die Bestimmung der Strahlenqualität mittels des Röntgenspektro¬
skops voraus. Maßgebend ist der sog. „Strahlenkopf*, d. h. die
größte Härte bzw. die kleinste Wellenlänge. Diese hängt lediglich
von der an der Röhre liegenden Spannung ab. Für jede bestimmte
Körperdicke können Strahlenkopf und Milliamp&resekunden-Produkt
als Konstante angesehen werden, gleichgültig, mit welchem Apparat
man arbeitet. Die Prüfung wurde allerdings bisher nur mit Lilien¬
feld-Röhren durchgeführt, und zwar am Idealapparat, Uniplantrans-
verter und Silexapparatur. Eine Tabelle gibt Auskunft über die all¬
gemein gültigen E^positionsdaten.
Digitizerf by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
74
LITERATURBERICHT
A. March (Innsbruck), Physikalische Grundlagen derTiefentfaerapie.
Fortschr. d. Röntgenstr. 28, Heft 4. Behandelt werden die Absorp¬
tion, die Streuung, Haut- und Tiefendosis, das von der Röhre aus¬
gehende Strahlengemisch, Bestimmung der Dosis für das Strahlen¬
gemisch. die Filterung. Unter anderem wird bestätigt, daß unter
allen in Betracht kommenden Stoffen das Zink als Filtermasse am
günstigsten ist; denn „von äquivalenten Filtern arbeitet dasjenige
mit der besten Oekonomie, für welche das Produkt aus Dichte und
äquivalenter Schichtdicke den kleinsten Wert hat“, d. h. solche Filter
lassen die relativ meisten Strahlen hindurch.
Allgemeine Diagnostik.
44 Th. Hausmann (Moskau), Die methodische Gastrointesti¬
nalpalpation und ihre Ergebnisse. 2. Auil. [Herausgegeben
von Dr. E. Fuld (Berlin)]. Mit 10 Tafeln und 80 Textbildern.
Berlin, S. Karger. 389 S. Geh. M. 16.-, geb. M. 19.—. Ref.:
Rosenheim (Berlin).
Das Buch, das uns E. F u 1 d in neuer Ausgabe zugänglich gemacht
hat, verdient die Beachtung aller Aerzte, besonders in einer Zeit, in
der die Untersuchungsmethoden mit Hilfe des Gesichtssinnes, wie ich
glaube, auf Grund ungenügender Schätzung des einfachen Tast¬
verfahrens, das für den Praktiker doch immer das entscheidend
Wichtige bleibt, die Diagnostik fast ganz beherrschen. Was eine
verfeinerte Palpation, geistig geleitet, ohne alle Apparate dem Arzte
zu leisten vermag, lehrt dieses Buch in überzeugender Weise; darum
sei es wärmstens zum Studium empfohlen.
R. Picker (Budapest), Vorrichtung zum Sammeln und Aufarbeiten
des Zentrifugenbodensatzes. B. kl. W. Nr. 50. Ein Löffel wird so in
das Zentrifugenglas eingesetzt, daß das Sediment sich auf ihm sammelt.
Hans Hartz (Halle a. S.), Fehlerquellen bei der klinischen Blut¬
druckmessung. D. Arch. f. klin. M. 137 H. 5/6. Bei der palpatorischen
Bestimmung des maximalen Blutdrucks nach Riva-Recci bedeutet
das Verhalten des zwischen Manschette und Taststelle gelegenen Arte-
rienstücks eine Fehlerquelle. Der palpatorisch gemessene Maximal¬
druck ist deshalb zu niedrig. Je entspannter die Afterie ist, um so
größer wird der Fehler. Der Einfluß der Gefäßweite auf den Fehler
der palpatorischen Blutdruckmessung tritt gegenüber dem Einfluß der
Wandspannung zurück. Die Annahme Bings, daß mit der Manschetten¬
methode der Seitendruck, nicht der Enddruck in der Arteria bracchialis
gemessen werde, ist unrichtig. (Cf. H. I. Bing, B. kl. W. 1906 Nr. 52.)
G. Kelling (Dresden), Beseitigung der durch die Palpation des
Abdomens ausgelösten Bauchdeckenkontraktion. M. m. W. Nr. 49. Beim
Füllen des Magens tritt reflektorisch eine Erschlaffung der Bauchwand
ein. Man läßt den Patienten in Rückenlage Schluck für Schluck ohne
Atem zu holen trinken. Hinterher ist die Atmung dann tief und un¬
willkürlich, ohne Kontraktion der Bauchwand.
G. Gaertner (Wien), Todesfall nach Pneumoperitoneum. Be¬
merkungen zu dem gleichnamigen Aufsatz des Dr. Joseph in Nr. 46
dieser Wochenschrift. B. kl. W. Nr. 50. Gaertner warnt vor der
Verwendung von Luft zur Einblasung in die verschiedenen Körper¬
höhlen, da Luftembolien leicht Vorkommen können und tödlich ver¬
laufen. Er empfiehlt, nur reinen Stickstoff- und wasserstoffreien
Sauerstoff zu benutzen und diesen langsam und vorsichtig zu inji¬
zieren, da dann auch bei Einführung in die Vene der Sauerstoff von
den roten Blutkörperchen aufgenommen wird. Wird bei der Injektion
gleichzeitig das Herz auskultiert, so zeigt ein mit dem Pulse syn¬
chrones Plätschergeräusch sofort die Anwesenheit von Gas im Herzen
an. Die Injektion ist dann sofort zu unterbrechen.
St. Rusznyäk und F. Vändorfy (Budapest), Fehlerquellen beim
Nachweis von okkulten Blutungen. B. kl. W. Nr. 50. Alle Adsorptions¬
mittel, wie Bismut, Carbo ammalis, Bolus alba, Neutraion usw., die
häufig bei der Behandlung der Ulzera des Magendarmkanals verab¬
reicht werden, vermindern die Empfindlichkeit aller Proben, die zum
Nachweis von okkulten Blutungen verwendet werden. Die Stoffe
adsorbieren das Hämatin.
Allgemeine Therapie.
44 Fr. Lulthlen (Wien), Vorlesungen über Pharmakologie
der Haut. Berlin, J. Springer, 1921. 88 S. M. 18.—. Ref.:
von den Velden.
In leicht faßlicher Form behandelt der Verfasser, dem wir eine
Anzahl wichtiger Arbeiten aus dem Gebiet der Hautpharmakologie
verdanken, dieses interessante Thema. Es ist sehr wichtig, daß er
überall die wechselseitigen Beziehungen der Haut zum Gesamtorganis¬
mus in den Vordergrund stellt. Der Hautspezialist wie der Allgemein¬
praktiker wird mit Vorteil seine Ausführungen über Allgemeinbehand¬
lung der Hautkrankheiten (Ernährungs-, Medikamentöse-, Kolloid-, Organ¬
therapie) ebenso wie seine Darstellung der äußerlichen Behandlung
lesen. Die Lektüre wirkt anregend.
Goldscheider (Berlin), Heilgymnastischer Unterricht für körper¬
lich minderwertige Schulkinder. Zschr. f. physik. diät. Ther. H. 11. Ein
Mangel der sozialhygienischen Fürsorge ist das Fehlen heilgymnasti¬
schen Turnunterrichtes für körperlich minderwertige, insbesondere an
Rückgratverkrümmung leidende Kinder. Goldscheider begründet
Nr. 2
demgemäß die Einführung orthopädischer, individuell angepaßter
Leibesübungen für derartige Kinder unter Anführung einzelner beson¬
ders geeigneter Methoden.
Arnold Zimmer (Berlin), Biderreaktion. Zschr. f. physik. diät
Ther. H. 11. Die Bäderreaktion wird verglichen mit den Erscheinungen
bei der Proteinkörpertherapie. Die biologischen Vorgänge finden ein¬
gehende und kritische Darlegung namentlich im Hinblick auf die Art
und Dosierung der Bäder.
A. F. Hecht (Wien), Parafokale pharmakodyflamische Allergie.
W. kl. W. Nr. 48. Die pharmakodynamische Prüfung von Sonnen¬
erythemen, Urtikaria, Herpes zoster, Erythema nodosum, Atrophia cutis
idiopathica, Erysipeloid usw. mit der Methode v. Gröer und Hecht,
vorzugsweise mit Morphinlösung und mit der Ketonbase, hatten das
Ergebnis, daß die Reaktion in den hyperämischen Partien herabgesetzt
ist und zwar sowohl die „Erblassungs"- als auch die „Exsudations*.
Reaktion. Die Abschwächung reicht über den Rand der makroskopisch
sichtbar veränderten Hautpartie hinaus. Nicht selten findet man auch
eine gegensinnige Reaktion in der Umgebung der Effloreszenzen, die
dann gewöhnlich schon durch einen anämischen Hof ein solches Ver¬
halten vermuten lassen. Intrakutane und kutane Tuberkulinreaktionen
weisen parafokal der Pirquetschen Reaktion ein wechselndes Verhalten
auf, das auf veränderte unspezifische Reaktionsbereitschaft, nicht auf
spezifische Veränderungen zurückzuführen ist
Helmut Gaumitz (Jena), Lokale Reaktion auf intrakutane Ao-
laniojektionen. M. m. W. Nr. 49. Positive Lokalreaktionen in der Haut
nach Aolaninjektionen sind für die Diagnose gonorrhoischer oder
sonstiger Infektionen nicht verwertbar. Es besteht gar keine Gesetz¬
mäßigkeit in der Reaktion.
Erich Ebl er (Frankfurt), Gleichzeitig desinfizierende und adstria
gierende Mischung. M. m. W. Nr. 49. Aluminium acetotartaricum wird
mit Natriumperborat vereinigt. So erhält man gleichzeitig die desinfi¬
zierende Wirkung des Wasserstoffsuperoxyds und die adstringierende
der essigsauren Tonerde, ln Tabletten hergestellt als Perazetol von
Deiglmayr, München.
Hornberger (Frankfurt a. M.), Gelatine als Heilmittel. M. Kl.
Nr. 46. Wahrscheinlich wirkt die Gelatine als Oxydationsferment.
Kaufmann (Wildungen), Glysanin (Schering). M. Kl. Nr. 44.
Empfehlung des Glysanins (Schering) zur Behandlung besonders der
Gonorrhoe und ihrer sämtlichen Komplikationen.
G. Hirsch (Halberstadt), Ist das Kochsche Tuberkulin imstande,
Tuberkel zu beseitigen? B. kl. W. Nr. 50. Die Frage wird auf Grund
zweier Fälle bejaht. In dem einen handelte es sich um ein Tuberkel¬
knötchen der Netzhaut, im anderen um ein solches an der Innenseite
der Sehnervenkreuzung.
Mahnert (Graz), Pituin, ein neues Hypopbysenpriparat in der
Geburtshilfe. M. Kl. Nr. 46. Nach den Erfahrungen der Grazer Klinik
ist das „Pituin" den bisher gebräuchlichen Hypophysenpräparaten
überlegen.
Samolewitz (Berlin-Schöneberg), Klinische Erfahrungen mit
Purostrophan. M. Kl. Nr. 47. Purostrophan ist in prompter und zu¬
verlässiger Wirkung anderen Präparaten durchaus gleichwertig. Es
kann, da es keine Reizerscheinungen am Magendarmkanal hervorruft,
wochenlang ununterbrochen gegeben werden und stellt vermöge seiner
kristallisierten Form einen chemisch reinen und exakt dosierbaren
Körper dar.
O. Sachs, Bemerkungen zu der Arbeit von Dr. M. Fried¬
mann und Dr. Raimund Th. Schwarzwald: Schicksal der Fortn-
aldehydkompooentenach intravenöser Neosalvarsaniniektion. W. m. W.
Nr. 49. Polemik.
Innere Medizin.
44 E. Kraepelin (München), Einführung in die psychiatrische
Klinik. 4. Aufl. 3 Bde. Leipzig, J. A. Barth, 1921. Bd. 1 252 S.
M. 38.-. Bd. 2 306 S. M. 44.—. Bd. 3 399 S. M. 52.—. Ref.:
R. Hirschfeld (Berlin).
Die neue nunmehr 4. Auflage der Kraepelinschen „Psychiatrischen
Klinik" erscheint dieses Mal in 3 Bänden. Der Verfasser hat sich dies¬
mal entschlossen, die allgemeine Uebersicht über die Erscheinungs¬
formen des Irreseins von den Krankenbesprechungen völlig zu trennen
und im 1. Bande zusammenzufassen. Vorangestellt ist diesem Bande
ein Kapitel, welches psychologische Vorbemerkungen enthält. Der
2. und 3. Band bringen Krankenvorstellungen. Im letzteren ist Krae¬
pelin bemüht, eine Auswahl von Fällen zu geben, die entweder sel¬
tenere Vorkommnisse darstellen oder besondere Schwierigkeiten bieten.
Dieser Band ist außer jenen Studierenden, die tiefer in die Wissenschaft
der Psychiatrie einzudringen wünschen, vor allem den jungen Fach¬
genossen in Irrenanstalten gewidmet. Erwähnenswert sind hier unter
anderem die Fälle von Encephalitis lethargica und Kriegsneurose. Die
plastische Schilderung der Krankheitsbilder unter Hervorhebung didak¬
tisch wertvoller Gesichtspunkte in schriftstellerisch lebensvoller Dar¬
stellung haben dem Buche schon seit 1900 einen ersten Platz in der
psychiatrischen Weltliteratur gesichert; das Buch wird auch fernerhin
jedem von uns ein unentbehrlicher Ratgeber bleiben — auch in dem
bescheideneren äußeren Gewände, das der Verleger für zweckmäßig
erachtet hat ihm zu verleihen.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
tuiPl922
LITERATURBERICHT
75
Tsykalas (Kairo), Behandfnof der Bilbarziakrarkbeit in Aegypten.
W. kl. W. Nr. 48. Intra venöse Injektion von 0,1 g t metin täglich.
Männer sind nach 10—12 Tagen, Flauen und Kinder nach 6—8 Tagen
geheilt Ueber 2000 Fälle, 90% Heilungen.
Gustav Herrn heiser (Wien), Tiefen läge der im Ortbodiagramm
raadbildeodeo Herz-Gef> ßpartirn. Fortschr. d. Pöntgenstr. 28 H. 4
Es gelingt mit der Blendenrandmethode unter völliger Vermeidung
oder wesentlicher Reduzierung des „Krümmungsfehlers“ die Tiefe
für verschiedene Punkte der Herzkontur festzustellen. Die Schirm¬
distanz der Endpunkte der Transversaldimension des Herzens ist
im Normalen praktisch gleich oder rechts etwas größer. Die Differenz
wird durch Medianstellung, Tropfenherz, Verbreiterung und Tiefer¬
treten des Herzens vergrößert. Der Hautabstand beträgt links ca. 4,
rechts ca. 5 cm, Pulmonalis und Aorta liegen meist 5—8 cm tief.
Paul Travers (Wiesbaden), Blutzucker bei Herzkranken und
hitraveafae Tranbenznckeriniektionep. D. Arch. f. klin. M. 137 H. 5/6.
Bei 102 Herzkranken und Kranken mit „Kardiodystrophia hypogly-
caemica Büdingen* 1 konnte Hypoglykämie nicht festgestellt werden.
Das von Büdingen aufgestellte Krankheitsbild mit den theoretischen
Vorstellungen Büdingens kann nicht bestätigt werden Die Anwendung
hypertonischer, intravenös applizierter Traubenzuckeilösungen stellt
einen Fortschritt der Therapie dar (zumal bei der Behandlung kompen¬
sierter Herzfehler, sowie leichter Angina pectoris oder beginnender
Herzschwäche). Bei Kräfte verfall, starkem Blutverlust, Wasserarmut
ht die Infusion 10 bis 20°/ o iger Traubenzuckerlösung den bisherigen
Kochsalzlösungen überlegen.
H. Marschik, Diagnose und Behandlung der tiefen Kompression!«
Stenosen der Luftröhre, besonders beim Aneurysmaaortae. W.m.W.
Nr. 48. Kasuistik.
Walther Jaensch (Marburg), Röatgeobild der Pnenmonokoniosen,
insbesondere ihre grobknotige Form. Fonschr. d. Rcntgenstr. 28
H. 4. Es werden an der Hand von 10 neuen Fällen die ditferential-
iltagnostisch wichtigen Symptome besprochen. Die Diagnose wurde
naett den klinischen und röntgenologischen Daten gestellt. Autopsien
fehlen.
SüB (Wien), Milchinjektionen bei Lungentuberkulose. M. Kl.
Nr. 45. Eine heilsame Wirkung läßt sich nicht ausschheßen, doch ist
es unwahrscheinlich, daß sie der Tuberkulinwirkung gleichzusetzen
wäre, d. h. daß es durch Milchinjektionen gelingen sollte, den Eintritt
negativer Anergie zu verhindern bzw. die Allergie Tuberkulöser auf¬
recht zu erhalten, zu steigern oder in positive Anergie überzuführen.
J. Neumayer (Kaiserslautern), Pneumothoraxbebandloog. M.m W.
fs?jr- 40. Zu Alexander in Nr. 48. Verfasser sieht in der Behandlung
der Frühfälle die Zukunft der Pneumothoraxtherapie. Bei frühzeitig
angelegtem Pneumothorax wurden schwere Komplikationen infolge des
Eingriffs nicht gesehen. Oft besteht schon nach wenigen Monaten
wieder Arbeitsfähigkeit.
Marcus Maier (Stuttgart), Trypaflavlnwirkong bei Erkrankungen
der Mond- und Racbeaböble, besonders bei Soor M. m. W. Nr. 49.
Pinseln der soorkranken Stellen mit l / a °/ 0 Trypaflavinlösung bei Kindern,
mit 1 % bei Erwachsenen, ln einigen Tagen Heilung. Gute Erfolge
auch bei Plaut-Vincentscher Angina und bei Stomatitiden.
Fritz Demuth (Heidelberg), Motilititsprfifnngen am kranken
Magen. D. Arch. f. klin. M. 137 H. 5/6. Bei gleichgroßen Mahlzeiten ist
die Entleerungszeit der Kohlehydratmahlzeit am kürzesten, die einer
fettreichen Mahlzeit am längsten (eiweißreiche Mahlzeit: mittlere Ent-
leerungszeit). Bei Anazidität ist die Verweildauer der Kohlehydrate
relativ zu der von Eiweiß und Fett herabgesetzt. Bei den untersuchten
Karzinomen (und wahrscheinlich auch Magengeschwüren) war die Ent¬
leerungszeit für Eiweiß erheblich verzögert, so daß sie die von Fett sogar
übertraf.
Gustav Herrnheiser (Prag), Karzlnomatösea Pseudodivertikel
der pars descendens dnodenl. Fortschr. d. Pöntgenstr. 28 H. 4. ln
einem Falle haselnußgroße, glatte (!) Ausstülpung in der pars descendens
duodeoi oberhalb der papula Vateri infolge Uebergreifen eines meta¬
statischen Pankreaskarzinom auf die Duodenalwand.
Wilhelm Werle (Konstanz), Therapie post dysenterischer Darm«
Störungen. M. m. W. Nr. 49. Schwere Ruhrinftktion, Dauer des akuten
Stadiums 6 Wochen, danach monatelange Darmstörungen, die allen
Behandlungsversuchen trotzten. Nach einer Kur mit Mutaflor Heilung
in 3 Wochen, kein Rückfall seit 2% Jahren.
Nord ho f (Dortmund), PfHemenschwaoz. M. m. W. Nr. 49. Das
Wesentliche der Behandlung ist die Verhütung der dauernden Neu-
mfriction. Gründliches Abseifen der Analgegend nach jedem Stuhlgang,
änfetteo mit grauer Salbe, Abbürsten der Hände, bei Kindern Bade¬
hose. Dauer der Kur mindestens 14 Tage.
Feyerabend (Halle), Oxnral-Wnrmkar. B.kl.W. Nr.50. DasOxural
ist eine Cbenopodiumölzubereitung. Das Mittel hat sich gut bewährt.
Otza Het€nyi (Budapest), Diabetes mellitus und Urobilinogenurie.
~ ’^atione geht mit keiner Er-
er. Auch diejenigen Fälle
besteht, wo wir gewohnt
ässen die Urobilinogenurie
das Zustandekommen der
st, was eventuell auf eine
Hyperfunktion der Leber
Rudolf Neumann (Berlin), Katalaseindex und Diagnose der
perniziösen Anämie. D. Arch. f. klin. M. 137 H. 5/6. Bei 10 Fällen perni¬
ziöser Anämie war der Katalaseindex (Gehalt der einzelnen Koten
an Katalase) nur 5mal deutlich (2mal erheblich!) erhöht (im Gegensatz
zu den Angaben van Thienensl». Der Katalaseindex ist bei Normalen
ziemlich konstant. Bei den verschiedenartigen Erkrankungen fanden
sich ziemlich erhebliche Schwankungen des Katalaseindex. Nur im
schwersten Stadium der perniziösen Anämie scheint der Katalaseindex
erhöht. Mittels dieses Symptoms scheint es einstweilen unmöglich,
die echte Biermersehe Anämie gegenüber anderen Anämieformen ab¬
zutrennen. Nur deutlich erhöhter Katalaseindex spricht sicher für das
Vorhandensein einer perniziösen Anämie.
G.Seiffert (München). BtnfUntersuchungen beiBleierkraokungen.
M. m. W. Nr. 49. Zur Feststellung der Kömelung der Erythrozyten
empfiehlt sich die Färbung unfixieiter Ausstriche mit Methylenblau,
zur Orientierung dient der dicke Tropfen. Kostenlose Untersuchungen
im Laboratorium des Landesgewerbearztes in München, ebenso der
spektroskopische Nachweis des Hämatoporphyrins im Harn.
Deutsch (Wien), Kriegsoephritikerschicksafe. M. Kl. Nr. 44. Von
200 Kriegsnephritikern konnten 49,5"/ 9 als geheilt, 21,5°/ 0 als defekt
geheilt, 29°/ 0 mußten als nicht geheilt bezeichnet werden. Es war
kein Einfluß eines längeren Spitalsaufenthalts auf den Endausgang der
Krankheit zu erkennen. 29,5% wurden als rentenbedürftig beurteilt,
davon hatte aber die überwiegende Mehrzahl eine Erwerbseinbuße
von nicht über 20% erlitten.
R. Siebeck (Heidelberg), Salz- und Wasserwechsel bei Nieren¬
kranken. D. Arch. f. klin. M. 137 H. 5/6. Untersuchungen über Aus¬
scheidung und Gleichgewicht bei einmaligen Zulagen von Salz und
bei steigender Belastung in längeren Perioden: Die Ausscheidung nach
einmaliger Zulage ist geringer als die „Ausscheidungsfähigkeit“. Die
Trägheit der Einstellung ist das Wesentliche an der Funktion der
kranken Niere. Auch der Stoffaustausch zwischen Niere und Gewebe
ist zerstört. — Praktisch erscheinen Funktionsprüfungen durch einmalige
Zulagen zweifelhaft (Vorperiode!). Richtiger scheint es zu untersuchen,
wie sich Organismus und Nieren auf eine dauerde Koständerung ein-
stellen. Für die Behandlung Nierenkranker scheint es empfehlenswert,
Wasser- und Salzzufuhr brüsk zu reduzieren.
Erich Kraus (München), Bence-Jonessche Albuminurie. D. Arch.f.
klin. M. 137 H. 5/6. Es gelang aus dem Harn eines Myelomkranken B.-J. Ei¬
weiß als Prismen und feine Nadeln zur Kristallisation 2U bringen. Die Bil¬
dungsstätte des B.-J.-Eiweißstofft-s ist in den Zellen der Neubildungen zu
suchen. Die Harnausscheidungsgröße geht der Größe des Eiweißumsatzes
parallel. Möglicherweise ist die Produktion des B-J -Körpers in den Ge-
schwuist?ellen abhängig von der Giöße der angeboienenEiweißbausteine
Bei parenteraler Zufuhr des B.-J.-Körpers erfolgt Abbau und Umsetzung
im bestimmten Grade (Auftreten von Abbaufermenten!). Dabei erweist
sich die kranke Niere für das abnorme Eiweiß leichter durchgängig
als die gesunde Niere. Experimentell ließ sich der Nachweis tühren,
daß der B.-J.-Körper plasmafremde Reaktionen bedingt. Beim Kaninchen
ließ sich mit dem B.-J.-Körper allgemeine und lokale Anaphylaxie
erzeugen. Durch wiederholte Injektionen konnte eine Nephrose hervor¬
gerufen werden — (mit denselben Zügen, wie die Nierenerkrankung
des Myelomkranken mit Bence-Jones-Albuminurie).
Frankel (Altona), Schlußwort zu den mit der Kriegsnenro-
tikerbebandlung gemachten Erfahrungen. M. Kl. Nr. 44. Bei
2000 Nachuntersuchungen seit Beendigung des Krieges fanden sich
noch keine 10 mit psychogenen motorischen Störungen. Man muß
also aus der Behandlung der Kriegsneurosen auch für diejenige der
Unfallneurosen lernen. Das Wichtigste ist für beide die Abortiv¬
behandlung, man darf es gar nicht erst zur Fixierung der nervösen
Beschwerden kommen lassen.
E. Arlt (Breslau), Hemianopsie bei Encephalitis letbargica.
B. kl. W. Nr. 50. In einem Falle war die Hemianopsie das einzige
Zeichen einer leicht verlaufenden Encephalitis lethargica.
Willy Schmitt (Leipzig), Professionelle mnsknlire Trapezius¬
lähmung. M. m. W. Nr. 43. 21 jährige Schneiderin erkrankt mit Schmer¬
zen und Bewegungsstörungen im rechten Arm. Es findet sich Schaukel¬
stellung des Schulterblatts, auffällige Verbreiterung und Venietung der
Mohrenheimschen Grube, keine Entartungsreaktion, Wa.R. negativ.
Bei neunmonatiger Behandlung keine Aenderung des Zustandes. Die
Parese wird als professionell aufgefaßt
Chirurgie.
♦4 Leopold Casper (Berlin), Lehrbuch der Urologie mit Ein¬
schluß der männlichen Sexualerkrankungen. 3. Auf-
Wien, Urban & Schwarzenberg. 1921. 608 Seiten mit 2 Tafeln und
215 Abbildungen. M. 100.—. Ref.: O. Rumpel (Berlin).
Die Neuauflage ist im großen und ganzen unverändert geblieben.
Bei der Besprechung der funktionellen Nierendiagnostik sind die
Ergebnisse neuerer Forschungen auf diesem Gebiet entsprechend
berücksichtigt. Völlig umgearbeitet ist der Abschnitt der hämato-
enen Nierenerkrankungen. Verfasser schließt sich im Wesentlichen
en Anschauungen an, die von Volhard und Fahr vertreten wer¬
den. Die Darstellung gibt eine gute und klare Uebersicht über
den gegenwärtigen Stand unseres Wissens auf diesem noch viel
umstrittenen Gebiet
r kL W Nr 50 . LJCr uiaucic» sine compuc
höhunz der * Urobilinogenausscheidung einh
vnn Diabetes in welchen eine Komplikation
j - _ Urobilinogenurie zu beobachten, 1
&SS U DmSum wM geschlossen, daß
(ifn^mune beim Diabetes erschwert ii
(jkbtumf*de» Sierenfilters oder auf eine
turüekzufübreo >**-
Difitized by
Google
Original from
C0RNELL UNIVERSITY
76
LITERATURBERICHT
r.2
Q. Schmidt (München), Hagedorn-Nadelbalter in Bogenform,
21 oder 24 cm lang, mit geradem oder schiefem Manie. Zbl. f. Chir.
Nr. 48. Technische Mitteilung.
Joh. Volkmann (Halle a. S.), Blutstillung bei Verletzungen
schwer zugänglicher Gefäße. Zbl. f. Chir. Nr. 47. In einem Falle von
Verletzung der Vena iliaca, die weder gefaßt noch genäht werden
konnte und wo Jodoformgazetamponade, Suprarenin, Koagulen ver¬
sagten, hat Verfasser die V. femoral dicht unterhalb des Leistenbandes
freigelegt, zentral von der Einmündungsstelle der V. saphena ein Faden
locker geknotet und mit einer dicken Nadel zentralwärts von ihm ein¬
gestochen. Nach Anziehen der Unterbindung fiel die Blutader zu¬
sammen. Dann wurden 100 ccm Preglscher Lösung rasch injiziert.
Die Unterbindung blieb liegen. Ungestörter Verlauf, keine Nachblutung.
K. Propping (Frankfurt a. M.), Herstellung der Novokainl&sungen.
Zbl. f. Chir. Nr. 47. Technische Mitteilung."
E. Haim (Böhm. Budweis), Behandlung penetriereuder Thoraxver-
letzungeu, Zbl. f. Chir. Nr. 48. Kasuistik.
MaxSgalitzer (Wien). RöntgenologischerNachweis nicht schatten-
? ebender Fremdkörper in Empyemhöhlen. Fortschr. d. Röntgenstr. 28
i. 4. Die Empyemhöhle wird mit Kontrastmittel gefüllt und gewartet,
bis diese abgeflossen sind. Das Kontrastmittel verfängt sich in den
Fibrinfasern, welche die Drainröhren durchsetzten, und imprägniert
Qazestreifen. Beide werden dadurch sichtbar. Ihre Entfernung erfolgt
am besten unter Röntgenkontrolle mit der Kornzange.
Gustav Baer (Davos), Extrapleurale Plombierung bei Lungen¬
tuberkulose. M. m. W. Nr. 49. Bericht über einige gute Erfolge mit
der extrapleuralen Paraffinplombierung (vgl. Zschr. f.Tbk. Nr. 23). Das
Verfahren eignet sich in erster Linie für Fälle, wo ein streng lokali¬
sierter Krankheitsherd vorliegt und die Lunge an und für sich schon
Schrumpfungstendenz zeigt.
G. Mertens (Bremen), Technik der Oesophagotomie. Zbl. f. Chir.
Nr. 48. Schnitt an der linken Halsseite und Freilegung des vorderen
Randes des M. sternocleidomastoideus. Durch den Mund führt man
dann einen dicken männlichen Metallkatheter in den Oesophagus ein
und drängt mit der Spitze des Katheters die Wand des Oesophagus
kräftig nach außen in die Wunde hinein vor. Eröffnung des Oesopha¬
gus usw.
R. Gandusio und G. Pototschnig (Triest), Magenausheberung
vor Operation der Ulkusperforation. Zbl. f. Chir. Nr. 47. Ebenso wie
Brütt und Rodelius empfehlen auch die Verfasser die Ausheberung
des Mangens direkt vor der Operation der Ulkusperforation. Sie stellt,
vielleicht auch mit angeschlossener Spülung eine große technische Er¬
leichterung und einen unzweideutigen Vorteil für den Kranken dar.
H. Lorenz und H. Schur, Die Erfolge der Antrumresektion
beim Ulcus ventricull und duodeul. W. m. W. Nr. 49. Die früher
gemachte Beobachtung, daß durch Antrumresektion die Salzsäuresekre¬
tion bedeutend gehemmt wird, konnte an einem großen Materiale be¬
stätigt werden. Die scheinbaren Ausnahmen von dieser Regel ließen
sich auf Zurückbleiben größerer Antrumreste zurückführen. Ulkus¬
rezidive zeigten sich nur in den Fällen, wenn größere Antrumreste
nach der Operation zurückgeblieben waren. Die in der Literatur be¬
schriebenen Fälle von Ulkusrezidiv nach ausgiebiger Antrumresektion
lassen sich wahrscheinlich auf individuelle Variabilität der Antrumgröße
und hierdurch zurückgebliebene Reste, jedenfalls aber auf geringere
Herabsetzung der Salzsäuresekretion zurückführen. Nach Antrum¬
resektion ist stetige ärztliche Ueberwachung und eventuell medikamen¬
töse und diätetische Nachbehandlung unbedingt zu empfehlen.
G. Keiling(Dresden), Murphyknopf, der 20 Jahre im Salzsäure
sezernierenden Magen gelegen hat. Zbl. f. Chir. Nr. 47. Kasui¬
stik. Die Ueberbleibsel des Murphyknopfes bestanden aus 3 Teilen,
die sämtlich ganz schwarz verfärbt und leicht zerbrechlich waren.
Die brüchige Feder war an beiden Enden sehr spitz. Man soll den
Murphyknopf nur aus besonderen Gründen ausnahmsweise anwenden.
Wenn er nicht abgeht, soll man ihn entfernen, namentlich wenn der
Knopf im salzsäurehaltigen Mageninnern liegt.
Hans Kloiber (Frankfurt a. M.), Röntgenuntersuchung der Darm-
Invagination. Fortschr. d. Röntgenstr. 28 H. 4. Die Röntgenstrahlen
verdienen bei der Untersuchung der Darminvagination nicht jene
stiefmütterliche Behandlung, die ihnen bisher zuteil geworden ist.
ln eiligen Fällen sind Aufnahmen ohne Kontrastmittel im Stehen oder
Seitenlage angebracht. Gebricht es nicht an der nötigen Zeit, so
verabreiche man Kontrastmittel per os. Einläufe pflegen weniger
gute Ergebnisse zu liefern. Es kommt die Stagnation des Darm¬
inhalts, die Dilatation der Darmschlingen mit Niveaubildung, mit¬
unter die Invagination selbst zum Ausdruck. Bei Untersuchung ohne
Kontrastbrei darf vorher kein wäßriger Einlauf zur Reinigung ge¬
geben werden, da hierdurch schon physiologisch durch zurück-
bleibende Flüssigkeit Niveaus erzeugt werden können. An zwei in¬
struktiven Fällen wird der Nutzen der Röntgenuntersuchung er¬
läutert.
Joh. Vorschütz (Elberfeld), Exstirpation der Gallenblase mit
primärem Verschluß der Bauchhöhle. Zbl. f. Chir. Nr. 47. Auf Grund
seiner Erfahrungen kann sich Verfasser den Ausführungen von v. Ha-
berer, Ritter, Schulz anschließen, nach Gallenblasenexstirpation die
Bauch wunde primär zu vernähen, aber nur unter der Voraussetzung,
daß, wie bei der Appendixoperation keine sezernierenden Flächen
(Galle oder Blut) Zurückbleiben.
L. Fieber (Wien), Sogenannte spontane Milzrnptur im Zu¬
sammenhang mit Grippe und eitriger Blinddarm-Bauchfell¬
entzündung. W. kl. W. Nr. 48. Kasuistik.
W. Latzko, Pathologie und Therapie der Peritonitis. W.m.w.
Nr. 49. Klinischer Vortrag.
Hans Kurtzahn (Königsberg i. Pr.), Veränderungen der miss¬
lichen Harnröhre im Röntgenbilde nach Kontrastfüllung.
Fortschr. d. Röntgenstr. 28, H. 4. Die Röntgenuntersuchung ge-
schah nach Füllung der Uretra mit Aufschwemmung von Baryons
sulfuricum purissimum 1:3. Die Temperatur der Flüssigkeit muß
ca. 10° C nach oben oder unten von der Körperwärme abweidien,
damit der Sphinkter zur Kontraktur angeregt wird und möglichst
wenig von der Kontrastmasse in die Blase dringt Der hinterste
Teil der Harnröhre wird in der Regel nicht recht gefüllt Die Auf¬
nahmen geschahen in mehr oder weniger Schräglage auf dem
Trochoskop dorso-ventral. Das Verfahren hat sien bei Stenosen,
Divertikeln, falschen Wegen vorzüglich bewährt und ergab Vorteile
vor der Sondierung und Endoskopie.
E. Pölga (Budapest), Anomalie des Hodens bei mangelhaftem
Deszensus und operative Ausnützung derselben (Streckung des männ¬
lichen Genitalkanales). Zbl. f. Chir. Nr. 48. Kasuistik.
F. Linde (Oelsenkirchen), Zwei Hilfsmaßnahmen bei operativem
Verschluß ausgedehnter Blasenwanddefekte. Zbl. f. Chir. Nr. 47. Tech¬
nische Mitteilung über Dauerberieselung der Blase und Entlastung der
Naht durch Vorziehen des Uterus und Vorlagerung der Portio sym-
physenwärts.
A. v. Lichtenberg (Berlin), Kontrastmittel für die Pyelographie.
Zbl. f. Chir. Nr. 47. Die 25°/ 0 ige Bromnatriumlösung muß als die
derzeit für die Pyelographie geeignetste Kontrastflüssigkeit betrachtet
werden.
Hitzier (Heidelberg), Regeneriert sich der hyaline Gelenk-
knorpel nach Resektionen? M. Kl. Nr. 46. Die Frage der Regene¬
ration des hyalinen Knorpels, als der höchst differenzierten Knorpelart,
bedarf noch mancher Klärung. Sie kann noch nicht absolut bejaht
werden.
M. Hackenbroch (Köln), Aetiologle der Osteoarthritis deformen«
juvenilis des Hüftgelenkes. Zbl. f. Chir. Nr. 48. Aetiologisth macht
Verfasser das Operationstrauma verantwortlich; das betreffende Bein
soll früher einmal gerade gemacht worden sein.
Guido Engelmann (Wien), Vorfußschmerz. Fortschr. d. Rönt¬
genstr. 28, H. 4. Ausführliche Studie über „Metatarsalgie“. Die
Beschwerden, ihre Entstehung, der klinische und Röntgenbefund
werden auf Grund der Literatur und zahlreicher neuer Beobachtungen
besprochen. Die Veränderungen betreffen meist das erste Meta-
tarsophalangealgelenk. Als vorwiegende Ursache wird die relativ
zu große Belastung des Fußes angenommen. Die Deformierungen,
welche das Röntgenbild aufvveist, umgreifen unter anderem auch
die Veränderungen, wie sie Köhler kürzlich am Metatarsus II be¬
schrieben hat. £um Schluß wird auch der Therapie gedacht.
Frauenheilkunde.
Hans Kritzler (Erlbach), Student und Gummihandschuh. ZbL f.
Gyn. Nr. 47. Der Verfasser tritt für eine aseptische Erziehung des
Studenten ein: Derselbe soll beim Sezieren, beim Touchieren und Ope¬
rieren am Phantom Gummihandschuhe gebrauchen, um sich an den
Gebrauch der Handschuhe und die Vermeidung von Verunreinigungen
der Hände zu gewöhnen. In der Praxis muß es dahin kommen, daß
die Aerzte viel mehr, als es bisher geschieht, Gummihandschuhe ver¬
wenden.
W. Liepmann (Berlin), Schlingen und Gnrte in der praktischen
Geburtshilfe. M. m. W. Nr. 49. l l / g cm dicker Lampendocht, der im
Innern zur besseren Führung einen dünnen Kupferdraht enthält, läßt
sich leicht in der Hüftbeuge anlegen und gewährleistet einen weichen
Zug. Durch Hanfseile, die durch die Zangenfenster gezogen werden,
läßt sich die Tarniersche Achsenzugzange improvisieren. VgL Abbil¬
dungen.
L. Haberlandt (Innsbruck), Hormonale Sterilisierung des weib¬
lichen Tierkörpers. M. m. W. Nr. 49. Durch Transplantation von
Eierstöcken gravider Tiere in normale Weibchen kommt es durch die
Einpflanzung der Corpora lutea und durch Wucherung des intersti¬
tiellen Gewebes zu einer weitgehenden Ovulationshemmung, wodurch
eine vorübergehende Sterilität bis zu einigen Monaten erreicht wird.
J. Novak (Wien), Zeitliche und kausale Beziehungen zwischen
Geburt, Ovulation und Menstruation. Zbl. f. Gyn. Nr. 47. Verfasser
glaubt, daß der Oeburtseintritt normalerweise einem OvulatiQnstermio
entspricht und vermutet die Auslösung des Oeburtseintrittes in manchen
Fällen durch einen Follikelsprung.
Walter G. Deucher (Zürich), Beitrag zur Kasuistik der Lungen¬
embolie in graviditate. Zbl. f. Gyn. Nr. 48. Thrombosen der Becken-
venen sind in der Schwangerschaft selten und von ihnen ausgehende
Lungenembolien kaum beobachtet worden. Verfasser berichtet über
einen Fall von Lungenembolie bei einer Hochschwangeren, der zum
Tod führte.
C Hamburger (Berlin), Das Befinden von Inngentnberknlösea
Pranen, bei denen eine Unterbrechung der Schwangerschaft abge¬
lehnt wurde. Zbl. f. Gyn. Nr. 47. Unter 24 Fällen dieser Art wurde
abgelehnt 7mal, weil die Schwangerschaft zu weit vorgeschritten war,
14mal, weil der Lungenprozeß Stillstand, 3mal aus besonderen Gründen.
Von den 24 Frauen haben 9 ausgetragen, 5 nicht ausgetragen (10 un¬
bekannt). Von den 9 austragenden Frauen hatten 5 einen aktiven,
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNÜVERSm 1
LITERATURBERICHT
77
4 einen latenten Lungenprozeß. Bei 5 der austragenden Frauen hat sich
der Lungenprozeß durch Geburt und Wochenbett verschlimmert, 2 sind
gestorben. Unter den 5 Frauen, welche nicht austrugen, sind 3 zurzeit
symptomlos.
Fritz Heimann (Breslau), Kaiserschnitttrage. Zbl. I. Qyn. Nr.47.
Verfasser tritt für das extraperitoneale Operieren ein.
Paul Esau (Oschersleben-Bode), Tetanus nach Abort und Dou-
rlasciterung. Zbl. f. Gyn. Nr.47. Der Tetanus betraf vorwiegend die
Bauch- und Rückenmuskulatur. Er war entstanden im Anschluß an
die Eröffnung eines Douglasabszesses, welcher durch einen infizierten
Abort hervorgerufen war.
Hans Kritzler (Erbach), Prolapsus vagioae et uteri ante et intra
artuni mit tödticheni Ausgang für Mutter und Kind. Zbl. f. Oyn.
Nr. 48. Die Komplikation bedeutet eine hohe Lebensgefahr für Mutter
und Kind.
Johannes Gcnschel (Göttingen), Kasuistik des Nabelschnur-
braches. Zbl. f. Gyn. Nr. 48. Operative Heilung eines großen Nabel-
schnurbruches.
Seitz und Vey, Die Diathermiebehandlung der weiblichen Brust.
- Zbl. f. Oyn. Nr. 48. Die Diathermie erzeugt eine Hyperämie und ein
vermehrtes Einschießen der Milch im Wochenbelt. Das Verfahren
eignet sich für chronisch endzündliche Prozesse und für funktionelle
Anomalien (Hypogalaktie).
Martha Traneu-Rainer (Bukarest), Außergewöhnlich große Lute-
inzysten. Zbl. f. Gyn. Nr. 47. Doppelseitige außergewöhnlich große
Luteinzysten fanden sich bei einer wegen Tubarabort laparotomierten
Frau. ~ *
G. Winter (Königsberg), Die zunehmende Inoperabilität des
Uterus krebs es und ihre Bekämpfung. Zbl. f. Gyn. Nr. 48. Verfasser
w eist nach, daß die Inoperabilität des Uteruskrebses seit dem Krieg
erheblich zugenominen hat. Schuld daran trägt das verschleppende
Vei halten von Aerzten, Hebammen und von den kranken Frauen selbst.
Als pathognomonische Symptome kommen für die Frühdiagnose in
Betracht: Kohabitationsblutungen, Blutungen in der Menopause, Blu¬
tungen beim Urinieren und beim Stuhlgang, Blutungen unabhängig von
der Ovarialfunktion. Verfasser fordert dazu auf, ähnliche Nachfor¬
schungen über die Operabilität des Utcruskrebses seit dem Krieg auch
»m übrigen Deutschland vorzunehmen und ihm das Material zuzusenden.
Augenheilkunde«
W. W i c k (Düsseldorf), Schriftstreit und Augenarzt. Graefes Arch. 106
Fi. 3/4. Die Frage: „Deutsch- oder Lateinschrift, Fraktur oder Antiqua“,
-wird an der Hand der bisherigen Veröffentlichungen erörtert. Eigene
Untersuchungen des Verfassers ergaben eine Ueberlegenheit der deut¬
schen Druckschrift über die lateinische hinsichtlich der Lesbarkeit.
A. v. Szily (Freiburg i. B.), Entwickelung des Wirbeltierauges.
Graefes Arch. 106 Heft 3/4. Auf Grund von Plattenmodellen wird die
E.ntWickelung des embryonalen Wirbeltierauges besprochen. Die erste
Anlage der Papilla nervi optici primitiva s. epithelialis ist das vom
Verfasser entdeckte Schaltstück, welches als geschlossene Röhre von
der Netzhaut zum Becherstiel frei durch den Sehventrikel hindurch
zieht und den Nervenfasern der Netzhaut auf dem kürzesten Wege
den Zutritt zum Becherstiel ermöglicht.
1. Winski (Montana-Wallis, Schweiz), Aetiologie des Trachoms.
Graefes Arch. 106 H. 3/4. Die Untersuchung russischer Kriegsgefangener
ergab, daß unter den an Tuberkulose Erkrankten eine auffallend große
Zahl auch an Trachom litten, sodaß vielleicht irgend ein ursächlicher
Zusammenhang zwischen Trachom und Tuberkulose besteht.
A. Vogt (Basel), Spaltlampenmikroskopie des vorderen Bulbus-
absebnittes 1 und II. Graefes Arch. 106 H. 1/2. Es werden zahlreiche
Befunde an der Hornhaut und in der vorderen Kammer geschildert,
wie sie sich bei der Spaltlampen Untersuchung zeigen.
W. Reitsch (Hirschberg i. Schl.), Punktionsprüfung der pupillo-
motoriseben Zone. Graefes Arch. 106 H. 1/2. Beleuchtet man die
Macula lutea direkt mit dem Augenspiegel und beobachtet die Weite
der Pupille durch eine vorgehaltene Lupe, so muß normalerweise
die Pupille eine zeit lang eng bleiben, ehe sie sich wieder erweitert.
Aus der Art dieser Erweiterung kann man einen Schluß auf die Funktion
der pupillomotorischeu Zone ziehen.
Georg Spital (Heidelberg), Elliotscbe Skleraltrepanation beim
chronischen Glaukom. Graefes Arch. 106 H. 1/2. Durch Auftropfen
einer 2°j 0 igen FJuoreszeinkalikumlösung wurde die Filtrationsfähigkeit
der Elliotschen Trepanationsnarbe der Sklera an 86 Augen untersucht.
Es zeigte sich, daß in den 73 Fällen, in welchen die Narbe filtrations¬
fähig war, sich auch der intraokulare Druck als normal erwies, während
in den Fällen mit erhöhtem Druck keine oder nur eine ganz schwache
Filtrationsfähigkeit bestand.
R Seefelder (Innsbruck), Entwicklung des Sehnerveneintrittes
beim Menschen. Graefes Arch. 106 H. 1/2. An der Hand von 6 Em¬
bryonen verschiedenen Alters wird die Entwickelung des menschlichen
Alices dargelegt und dabei das genauere Verhalten des von Szily
beschriebenen Schaltstückes , sowie die Faltenbildung in der embryo-
iirf 1 JB rand (Heidelberg) t Angiomatosis retinae. OraefesArch.
Inf, h 1/2. Diese zuerst von v. Hippel beschriebene Krankheit wird
J jH'b/and von 40 Füllen, darunter 3 eigenen, eingehend besprochen
A.rJ*le<rt daß es sich weder um Angiome, noch um Oliosis retinae
St&SS&i «"* Endotheliornc
Nicolaus Blatt (Targul-Mures, Siebenbürgen), Llqunrbefuode
bei luetischen Augeaerkraakuogen. Graefes Arch. lüö H. 3/4. Im Liquor
cerebro-spinalis ist die Wa. R. bei luetischen Erkrankungen der Augen¬
häute negativ, bei Erkrankungen des Sehnerven meist positiv, wobei
der Blut-Wassermann negativ sein kann. Positiver Liquor-Wassermann
spricht für eine luetische Erkrankung des Zentralnervensystems, die
ber keine klinischen Erscheinungen zu machen braucht.
W. P. C.Zeeman (Amsterdam), Lustische Neuritis retinae. Graefes
Arch. 106 H. 1/2, Es wird ein Fall der von Jensen als Retinochorioiditis
juxtapapillaris, von dem Verfasser mit obigem Namen bezeichnten
Krankheit beschrieben, welcher auf Lues beruhte und sich allmählich
besserte. Ein neben der Papille liegendes Exsudat bedingte einen
sektorenförmigen Gesichtsfeldausfall. Die Adaptationsverhältnisse und
ihr Verhalten während des Krankheitsverlaufes werden eingehend be -
sprochen. _
Ohrenheilkunde.
£ K. Biehl, Welche Schlüsse erlaubt das Exoersche Modell bezüg¬
lich der mechanischen Vorgänge im Vorhof-Bogeuapparat. W. m. W.
Nr. 48. Die Anwendung der Versuchscrgebnissc am Modell auf die
Verhältnisse im Labyrinth ist nicht ohne weiteres statthaft. Hier müssen
auch die biologischen Verhältnisse berücksichtigt werden.
H. Frey, Oktavusneuritis und Herpis zoster im Zervikalgebiet.
W. m. W. Nr. 48. Beschreibung eines Falles einer rechtsseitigen Innen¬
ohrläsion, die 8 Tage nach einem Herpes zoster der Zervikalgegend
aufgetreten war. Es ist eine gleichzeitige Erkrankung der Nerven-
stämme, eine Neuritis anzunehmen.
Krankheiten der oberen Luftwege.
H. Neumann, Enukleation der Gaumenmandel. W. m. W. Nr. 48.
Die Tonsillektomie ist als ein großer Fortschritt auf dem Gebiete der
Tonsillenbehandlung zu bezeichnen. Voraussetzung ist, daß die Opera¬
tion nicht wahllos in jedem Falle, ohne entsprechende Vorsichtsma߬
regeln und ohne entsprechende Beherrschung der Technik ausgeführt
wird.
O. Finder, Endotheliom des harten Gaumens. W. m. W. Nr. 48.
Kasuistik.
O. Kahler, Operative Behandlung der Ozäna. W. m. W. Nr. 48.
Beschreibung der Operationsmethode des Verfassers, die eine Modi¬
fikation der Lautenschlägersehen Operation darstellt. Aus der
lateralen Nasenwand wird ein die untere Muschel enthaltender hinten
gestielter Lappen gebildet, wodurch die Annäherung der Concha in¬
ferior an die Nasenscheidewand leicht und in großem Umfange gelingt.
Die untere Muschel wird nach Anfrischung an das Septum angenäht.
So gelang es dem Verfasser in allen Fällen breite Synechien und damit
eine bedeutende Verengerung der Nasenhöhlen zu erzielen.
J. Fein, Die Erkeaaung und Behandlung der Nebenhöhlenent¬
zündungen durch den praktischen Arzt. W. m. W. Nr. 48. Wenn
auch die fachgemäße Behandlung der entzündlichen Nebenhöhlenerkran¬
kungen vom praktischen Arzt nicht durchgeführt werden kann, so genügt
doch die Kenntnis einiger hervorstechender Anhaltspunkte zur Stellung
einer richtigen Diagnose.
W. Kümmel, Die Probepunktion der Stirnhöhle. W. m. W.
Nr. 48. Die Probepunktion der Stirnhöhle ist ein ungefährlicher Ein¬
griff. Wenn keine Eiterung vorhanden ist, heilt die feine Ocffnung
ohne sichtbare Narbe. Liegt Eiterung vor, so kann zwar der Kanal
infiziert werden, aber dann ist auch immer eine Eröffnung der Stirn¬
höhle notwendig und da ist die Eiterung aus dem kleinen Stichkanal
völlig belanglos. Ein negatives Resultat bei der Probepunktion ist nicht
zuverlässig, da eine mehrkammerige Stirnhöhle vorliegen und die vom
Bohrer getroffene Ausbuchtung frei von Eiter sein kann. Durch
Aenderung der Kopfstellung und Ansaugen läßt sich dann doch der
Inhalt entleeren. Verfasser führt die Probepunktion immer von der
vorderen Wand her aus.
O. Mayer, Entstehung und operativer Verlauf von Kieferhöbleo-
fistelo. W. m. W. Nr. 48. Kasuistik.
E. Glas, Beiträge zur Oesophagoskopie und Tracheoskopie.
W. m. W. Nr. 48. Kasuistik.
Haut- und Venerische Krankheiten.
W. Schönfeld (Greifswald), Autochthon in Vorpommern ent¬
standener endemischer Favus. M. m. W. Nr. 49. Uebersicht über
einige in den letzten Jahren beobachtete Fälle von Favu9 bei Patienten,
die Pommern nie verlassen hatten. Die Infektionsquelle war meistens
der Vater oder die Mutter. Behandlung mit Röntgenbestrahlung. Durch
genaue Kontrollle muß die Neueinschleppung durch ausländische Ernte¬
arbeiter verhütet werden.
Karl Stern (Düsseldorf), Einzeilige Sachs-Georgi-Meinecke-Reak-
tion. M. m. W. Nr. 49. In der Art der Sachs-Georgischen und der Mei¬
neckeschen Reaktion liegt nichts, was zu einer gegenseitigen Aufhebung
führen könnte, man kann sie zur Ersparung von Arbeit und Serum
gleichzeitig anstellen. 0,2 Serum, 0,8 ccm 2°/ 0 Kochsalzlösung, dazu
0,5 Extraktmischung bestehend aus 0,5 Cholesterinextrakt -f- 0,5 Mei-
neckecxtrakt, verdünnt mit M u - dest.
\
by Google
Original ffom
CORNELL UNIVERSITY
7ö
UTEKATURBERICHT
Nr. 2
O. Rosenthal, Sefbsfhdfaug der Syphilis and dat Quecksilber.
B. kl. W. Nr. 50. Et wird ausführlich zu beweisen gesucnt, daß es
absolut irreführend ist, bei der Behandlung mit Jod und Hg von einer
Seibstheilung der Syphilis zu sprechen, wie es Resser tut. Da das
Salvarsan die Therapia magna oder gradaiim stenlisans nicht ver¬
wirklicht, sollte man froh sein, mehrere Medikamenie zu besitzen, die
die Eigenschaft haben, diese Seuche auf verschiedenen Wegen anzu-
greifen und unschädlich zu machen.
Glaser und Langer (Berlin), Akute Safvirsaasebenwlrfcngea.
M. Kl. Nr. 47. Bei 16 Patienten traten nach Injektion von Neosalvarsan
D. III Zeichen von einer schweren Schädigung auf mit Schüttelfrost.
Fieber, Kopf-, kückenschmerzen, Brechreiz, außerdem Gefäßerschei-
nungen. Es stellte sich nun heraus, daß sämtliche Patienten aus einer
neuen Kassenpackung F. M. B. 1 gespritzt worden waren. Es handelt
sich also mit größter Wahrscheinlichkeit um einen Fabrikationsfehler.
M. Zeißl (Wien). Orchitis syphilitica, eine Neubildung vor¬
täuschend. W. kLW. Nr. 48. 1 Fall.
E. Vogt (Tübingen), Rünfgesdiagsosifk des Magea-Damkanli
der Neugeborenes. Fortschr. d. Römgensir. 28 H. 4. Zum Kontrast,
mittel wurde Zitobarvum benutzt, teils mit Muttermilch, teils mit
Kuhmilch verdünnt Der Magen der Neugeborenen hat meist Angd-
hakenform und steht ziemlich steil. Die mittlere Entleerungszeit
beträgt iy 2 —3 Stunden, bei Kuhmilch etwas mehr. Das Ileum mün¬
det rechtwinklig in das Zökum. Der Dünndarm hat die stärkste
Peristaltik und wird in 3 Stunden durchschritten. Die letzte Dünn-
darmschlinge reicht nur bis ins große Becken, das Querkolon ist
galgenförmig gestreckt, das Colon descendens zeigt in bezug auf
Ausdehnung und Lage große Schwankungen. Der Kontrastbrei bleibt
3—4 Stunden im Dickdarm. Die Muttermilchmahlzeit verweilt durch¬
schnittlich 5—8 Stunden im Leibe.
A. Reuß (Wien), Aafsllsweise auftretende vegetativ-neurotische
Störungen bei Kindern. Mschr. f. Kiodhlk. 22 H. 1. Als Zeichen einer
veg etativ-neurotischen Störung werden Anfälle gedeutet, die von Srh-
störungen eingeleitet, mit starker Salivation, Brechneigung, in einzelnen
Fällen mit Kopfschmerzen einhergehen und deren Begum bei Erwachse¬
nen sich bis ins Schulalter zurück verfolgen läßt.
Kiodertaeflkuode.
F. Göppert (Oöttingen), Diagnose und Behandlnag der Nasen-
dlpbfherle im Kindesafter. Mschr. f. Kindhlk. 22 H. 1. Polemik gegen
die Vorschläge einer Unterlassung der Serumbehandlung der Naseu-
diphtherie, da eine Voraussicht über den weiteren Verlauf des Leidens
nicht möglich ist. Die früh/eiiige Zulassung diphtheriekrank gewesener
Kinder im Horte erscheint wegen des Wechsels in der Schwere der
Diphthenrepidemicn bedenklich.
E. Nassau (Berlin), Epidemiologische Beobacbtaagea und abortive
Masern im frühen Kindesalter. Mschr. f. Kindhlk. 22 H. 1. Die Dispo¬
sition zur Erkrankung an Masern und Varizellen ist im Säuglings- und
Kleinkindesalter eine absolute. Im Gegensatz dazu ist die Disposition
zur Scharlacherkrankung in allen Altersstufen gering. (Höchstens 7%
der exponierten Kinder ) Die erste Schailacherkrankung bleibt meist die
einzige, bei Masern und Varizellen treten stets zwei und drei Reihen
von Neuerkrankungen auf. Von der allgemeinen Maserndisposition
machen die Säuglinge des 1. Halbjahres anscheinend eine Ausnahme.
Erkrankungen unter dem Bilde einer Orippe im Laufe einer Masern-
epidemie sind als abortive Masern bei diesen Kindern zu deuten.
W. Knöpfeimacher und C. Kohn (Wien), Der Gallenfarbstoff
beim Icterus neonatorum. Mschr.f. Kindhlk. 22 H. 1. Der Gallenfarb¬
stoff im Blute des Neugeborenen beim Icterus neonatorum erweist sich
mittels der Probe von Hijmanns van den Bcrgh als anhepatischer
Gallenfarbstoff.
O. Bessau, S. Rosenbaum und B. Leichtentritt (Marburg-
Breslau), Beiträge zur Slaillngsiotoxlkation. Mschr. f. Kindhlk.22 H. 1.
Die alimentäre Intoxikation bevorzugt den 3.-5. Lebensmonat. Nach
dem 8. Lebensmonat kommt die reine alimentäre Intoxikation kaum noch
vor. Die Sommermonate bringen eine Häufung der Erkrankung. In¬
toxikationen beim Brustkind sind nie rein alimentär bedingt. Wo
Quantität und Qualität der Nahrung billigen Anforderungen entsprechen,
spjelt vielleicht eine exogene Koliinfektion des oberen Darms (d. h.
Einführung von Kolibazillen mit der Milch), besonders beim leicht
ernährungsgestörten Kinde, bei dem die Magensekretion vermindert
ist, eine Rolle bei der Entstehung der Störung. Das fast stets beo¬
bachtete Auftreten der Intoxikation im Anschluß an einen schon
bestehenden Durchfall würde diese Annahme stützen.
Otto Tezncr (Wien), Liaoorbefuade bei kongenital syphilitische«
Kindern. Mschr. f. Kindhlk. 22 H. 1. Bei den untersuchten syphyli-
tischen Säuglingen war bei ca. % ein krankhafter Liquorbefund zu
erheben. Mit der Zeit und ausreichender Behandlung scheinen diese
Veränderungen zurückzugehen. Dafür spricht der Befund bei den
untersuchten älteren Kindern: bei den latent syphilitischen (nurWa.R.
im Serum) fanden sich bei 16,7% krankhafte Liquorbefunde, bei den
Kindern mit den Zeichen der Späilucs 12,5°/ 0 - Post syphilitische Er¬
scheinungen am Nervensystem (Tabes, Lucs cerebri, Papillenstörungen)
gingen immer mit Liquorveränderungen einher.
B. Leichtentritt (Breslau), Pathogenese der Slugllngs-Osteo-
myeilfls. Ist der Bacillus faccalis alealigenes menschenpathogen? Mschr.
f. Kindhlk. 22 H. 1. Im Anschluß an eine Angina trat eine durch die
Bacillus alealigenes erzeugte Osteomyelitis auf.
Hilgcrs (Königsberg), Verbreitung der Rachitis in den Jahren
1914 -1921. M. m. W. Nr. 49. Untersuchungen an Kindern bis zu drei
Jahren in Königsberg. Die echte Rachitis hat nur ganz unerheblich
zugenommen, die Hungerblockade hat durch die Einschränkung der
Ernährung die Entwicklung der Rachitis im Kleinkindesalter nicht be¬
günstigt.
Er. Schiff (Berlin), Unstimmigkeit zwischen klinischer und
anatomischer Rachitisdiagnose. Mschr. f. Kindhlk. 22 H. 1. Beim atrophi¬
schen Säugling fehlen anscheinend die klinischen Zeichen der Rachitis,
weil das herabgesetzte Wasserbindungsvermögen der Zellen nicht zu
einer Quellung der Knorpel, d. h. zum Zwiewuchs, führt.
F. Salomon (Beelitz-Berlin), Rüotgenbild eines peruanischen
Mnmlentdls. Fortschr. d. Röntgenstr. 28 H. 4. Unterarm, der nach
den Entwicklungslinien im Röntgenbild von einem 2—3jährigen Kinde
stammt. Bis auf die ziemlich langen Nägel gut erhalten. Auch die
Struktur ließ sich noch darstellen.
Soziale Medizin und Hygiene.
♦♦ Franz Walter (München), Die Sozialhygiene in ihrem
Verhältnis zur Weltanschauung und Ethik. Karlsruhe,
CsF. Müller, 1921. 44 S. M. 7.70. Ref.: A. Gottstein (Clur.
lottenburg).
Der Münchener Professor der Theologie geht von der Frage aus,
wie es komme, daß alle irgendwie bedeutenden Probleme letzthin in
Weltanschauungsfragen ausmünden; er beruft sich auf die Forderung
Rubners von der Notwendigkeit des Ausbaues einer Hygiene des
Geistes und stellt dann in schöner Sprache und mit eingehender
Benutzung des hygienischen Schrifttums die Grenzbeziehungen der
sozialen Hygiene zur Weltanschauung, Sozialpolitik und Ethik dar;
er geht hierbei den noch bestehenden Gegensätzen mancher Richtungen
und den Möglichkeiten des Ausgleichs nach. Das gedankenreiche,
ruhig und sachlich geschriebene Buch empfiehlt sich in unserer der
Synthese geneigteren Zeit als anregender Lesestoff. Es darf im Zu¬
sammenhang darauf hingewiesen werden, daß auch der bekannte
Statistiker Seutemann einen soeben erschienenen sehr wichtigen
Aufsatz über die Verbreitung der Geschlechtskrankheiten in Hannover
1919 (Arch. f. soz. Hyg. 14 NT. 3) mit sehr lebhaften Forderungen für
das Wiedererstarken ethischer Lebensauffassung schließt
Alfred Groth, Scbotzpockenimpfung in Bayern im Jahre 1920.
M. m. W. Nr. 49. Bericht auf Grund des amtlichen Materials. Die
seltenen Fälle von sekundärer Infektion der Impfpusteln kamen sämt¬
lich zur Heilung. Ein Kind mit generalisierter Vakzine kam nach
7 Wochen zum Exitus.
J. Flaig (Berlin-Wilmersdorf), Von den gesundheitlichen Wir¬
kungen des amerikanischen Alkoholverbotes. OeHentL Gesdhbpfl. H.9.
Der Aufsatz ist ein Referat über eine Arbeit von Cora Frances
Stoddard über „einige gesundheitliche Gewinnposten in New York
unter dem Alkoholverbot". Die Gesamtzahl der Todesfälle an Alko¬
holismus betrug 1920 nur */ 10 des Wertes von 1916. Die Zahl der
Todesfälle an Leberschrumpfung, an Brightscher Krankheit und Nieren¬
entzündung ging deutlich zurück. Die zahlenmäßigen Veränderungen
der Kindersterblichkeit legen nach Ansicht der Berichterstatterin (Schrift¬
führerin der Scientific Tcmperance Federation) die Annahme nahe, daß
das Alkoholverbot auch an der Abnahme der Kindersterblichkeit mit
beteiligt sei.
Standesangelegenheiten.
♦♦ Kurt Opitz (Berlin), Prüfungsordnungen für Aerzte und
Zahnärzte nebst dem amtlichen Verzeichnis' der zur
Annahme von Medizinalpraktikanten ermächtigten
Krankenanstalten des Deutschen Reiches. Berlin, Aug.
Hirschwald, 1921. 109 S. M. 16.—. Ref.: Proeil (Königsberg).
Bei der schier unübersehbaren Fülle der erlassenen Prüfungs¬
ordnungen und Zusatzbestimmungen für Studierende war eine über¬
sichtliche Zusammenstellung alles Wissenswerten dringendes Er¬
fordernis. Verfasser wird als langjähriger Mitarbeiter des Medizinal¬
referenten dieser Aufgabe in jeder weise gerecht. Ueber den Rahme»
der erlassenen Verordnungen hinaus sind die Vergünstigungen der
Kriegsteilnehmer und die Behandlung der Ausländer besonders berück¬
sichtigt. Ein Verzeichnis der zur Annahme der Medizinalpraktikanten
ermächtigten Krankenanstalten wird mit Freude begrüßt werden.
Zweifellos wird das vorliegende Büchlein ein zweckdienlicher Führer
und ein unentbehrliches Nachschlagewerk für den angehenden Arzt
und Zahnarzt werden.
A. Mallwitz (Berlin), Leibesübungen als Lehr- und Forscinrags*
fach. Zschr. f. physik. diät. Ther. H. 11. Grundsätzliche Ausführungen
über den Hochschulunterricht in Leibesübungen; die Aufgaben des
Arztes werden kurz präzisiert und die großen Gesichtspunkte, nach
denen gelernt und gelehrt werden soll, werden angegeben.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
VEREINS- UND KONQRESSBERICHTE
_ . Redigiert von Ober-Reg.-Med.-Rat Dr. O. Strauß.
Berlin, Medizinische Gesellschaft, 21. XII. 1921.
Morgen rot h (Schlußwort zu seinem Vortrag: Chemothempenftische
Antisepsis [vgl Nr. 1 S. 45j) bespricht zunächst die Behandlung der
verschiedenen Formen von Meningitis mit intralumbaler Injektion
. seiner Chiuinderivate Optochin und Vuzin sowie des Rivanols. An¬
schließend geht er auf die Chemotherapie des Pleuraempyems, der
Arthritiden, des Erysipels und der allgemeinen Sepsis ein. — Es ist
bisher noch nicht möglich, aus der chemischen Konstitution einer
Substanz auf seine chemotherapeutische Wirksamkeit zu schließen.
Kraus faßt als Vorsitzender und Internist das zusammen, was
der Vortrag von Morgenroth ergeben hat. Er ist der Meinung,
daß jeder Praktiker bei der Pneumonie Chemotherapie treiben sollte,
um eine Prüfung zu ermöglichen. Die Unschädlichkeit des richtig
verabreichten Optochins ist jetzt erwiesen.
Kausch: Paroxysmale Tachykardie. In einem Fall von Splanch-
ooptose trat bei chirurgischer Hebung der Bauchoigane eine sehr
starke Tachykardie auf. Der Puls ging bis auf 200 und mehr hinauf,
der Zustand hielt 6 Tage an, ging zurück und trat noch einmal auf,
«im bei einer Röntgendurchleuchtung plötzlich zu verschwinden. Die
CYsache der Anfälle ließ sich nicht feststellen. Gleiche Erscheinungen
wurden bei der Operation eines hysterischen Ileus und zweier Falle
von Basedow beobachtet.
Besprechung. Karewski spricht sich sehr zurückhaltend
{gegenüber der Operation der Splanchnoptose aus. Die Fälle, die
«in langes Krankenlager haben oder nachher in ein Sanatorium
gehen, zeigen die besten Resultate. Die Splanchnoptose ist keine
chirurgische Erkrankung, da die Asthenie durch Operation nicht
xu heilen ist. Viel besser ist eine tadellos sitzende Bauchbinde. Die
allgemeine Enteroptose bildet direkt eine Kontraindikation zur Ope¬
ration. Dagegen kann man manchmal mit einer Gastroenterostomie Dei
stark gesenktem Magen Gutes erreichen. Die Fixation des Zökums
«st dann berechtigt, wenn aus andern Gründen eine Laparotomie
gemacht worden ist. Zum Schluß schildert er ebenfalls einen Fall
'von Tachykardie, die aber kurz vor der Operation aufgetreten war.
Oie Operation wurde verschoben, die Tachykardie verschwand,
und der chirurgische Eingriff gelang.
Benda spricht über die große Variabilität des Ligamentum gastro-
colicum.
Boenniger hat noch nie eine Splanchnoptose operieren lassen,
well er aus physiologischen Gründen eine solche Operation ablehnt.
Ex fragt ob in mandien Fällen nicht die Resektion eines Magenteils
.zweckmäßig wäre, da oft neben der Splanchnoptose eine Verlänge¬
rung des Magens vorhanden ist. .
Kausch: Schlußwort.
Ernst Frankel: Erfahrungen mit der intrakranielles Seratherapie
Bei Tetanus. In letzter Zeit ist man mehr und mehr von der thera¬
peutischen Wirksamkeit des Tetanusserums überzeugt worden. Frän-
ket bespricht zunächst die Wege, die das Tetanustoxin und -Anti¬
toxin zu nehmen pflegt. Da im Tierversuch die tödliche Vergiftung
direkt an das Zentralnervensystem heran verhindert werden kann,
durch Einbringen des Antitoxins durch eine Trepanationsöffnung,
iiat er empfohlen, auch beim Menschen derartige Versuche zu machen.
Bisher sind 10 Patienten in dieser Weise behandelt worden. 3 davon
sind zugmndegegangen, einer von diesen war durch einen Gas-
Brand kompliziert. Der Eingriff ist erheblich, es wurde beiderseits
im Scheitelbein trepaniert und je 100 ccm Antitoxinserum subdural
injiziert. Gleichzeitig wurde Antitoxin intralumbal verabfolgt. Diese
Uebersdiwemmungstherapie sollte in allen schweren Fällen verwandt
werden.
Besprechung. Blumenthal: Die bisherigen Erfolge der
Behandlung des Tetanus waren in der Tat wenig befriedigend. Die
intrakranielle Einverleibung wurde schon früher versucht, die Methode
wurde aber wegen zu großer Gefährlichkeit wieder verlassen. Auch
die intralumbale Behandlung allein genügt nicht zur Besserung der
Resultate. Vielleicht gelingt es, mit der kombinierten Anwendung
der intrakraniellen und intralumbalen Injektion, wie sie heute vor-
geschlagen wurde, bessere Erfolge zu erzielen.
Zelle hat vor 15 Jahren eine intrakranielle Injektion in einem
Falle von Tetanus gemacht, und wenn auch der Patient gestorben ist,
so hat er doch den Eindruck gehabt, daß die Injektion von günstiger
Wirkung war.
Frank ei: Schlußwort.
Berlin. Verein für Innere Madizin und Kinderheilkunde,
7. XI. 1921.
Offizielles Protokoll.
Vorsitzender: Fürbringer. Schriftführer: Brugsch.
Demonstrationsabend der II. Medizinischen Klinik.
f H Levry stellt 2 Fälle aus dem Gebiet der striären Erkrankungen
r * n-r betrifft einen 69jährigen Mann, der in seinem 25.Jahre
üfr tranz ungenügend behandelte Lues durcfigemacht hatte.
dem Kriege hat er Q ine nicfit mehr zu klärende Nerven-
F ere !*J* l° m ;t schweren Kopfschmerzen erlitten, die ohne spezifische
fyukfftmg 3 nach einiger Zeit wieder abklang und von der nur ein
leichtes Zittern zurückgeblieben ist. Im Sommer dieses Jahres er¬
krankte er neuerlich unter dem Bilde einer rapid zunehmenden Para¬
lysis agitans. Er konnte noch zu Fuß in die Klinik kommen, ver¬
mochte hier aber nicht mehr das Bett zu verlassen. Es bestand
hochgradige Rigidität, Neigung, in katatonen Stellungen zu ver¬
harren, Andeutung von Befehlsautomatie, typische Starre des Ge¬
sichts und Fehlen aller Mitbewegungen. Daneben waren Zeichen
einer Pyramidenbahnstörung vorhanden. Sämtliche Symptome waren
ganz vorwiegend einseitig. Diese Kombination von Spasmen und
Rigidität, zu der sich noch typische zentrale Schmerzen gesellten,
führten zu der Vermutung, daß es sich um eine Foerstersche arterio¬
sklerotische Hirnstarre handele. Der Patient wurde schnell apathisch,
somnolent, magerte stark ab und war nur schwer zu ernähren.
Nachdem die anfangs kaum erhebbare Anamnese den Verdacht auf
Lues geweckt hatte und sich ein stark positiver Wassermann fand,
haben sich im Verfolg einer Salvarsankur die Symptome innerhalb
drei Wochen bis auf kleine Reste zurückgebildet. Wir müssen also
annehmen, daß es sich um einen gnmmöten Prozeß im Streifenhügel
gehandelt hat. Der 2. Patient stellt einen sehr typischen Fall von
Wilsonseber Krankheit dar. Beginn mit 17 Jahren, keine hereditäre
oder familiäre Belastung, zunehmende Steifigkeit erst der linken,
dann der rechten Körpernälfte, Erschwerung der Sprache, des Ganges,
Speichelfluß. Sämtliche Prozesse sind bis jetzt gleichmäßig progredient
geblieben. Die Hypertonie des Patienten gehört dem reflektorischen
Typ Schilders an, d. h. die Muskeln sind in der Ruhe verhältnis¬
mäßig weich, und bei vorsichtigen Bewegungen treten keine Span¬
nungen auf, wohl aber bei brüsken Bewegungen. Diese haben aber
keinen spastischen Charakter, wie denn auch sonst keine Pyramiden¬
symptome bestehen. Das Gehen fällt sehr schwer, während Laufen
verhältnismäßig normal ist. Auch ist recht charakteristisch, daß zeit¬
weilig eine so hochgradige Neigung zu Pulsionen besteht, daß
Patient auch in Ruhestellung vornüberzufallen droht. Dies wird so¬
fort vermieden* wenn man ihm die Hand nur ganz lose an die
Brust anlegt, ohne ihn dabei zu stützen. Hierin kommt offenbar eine
psychische Komponente zum Ausdruck. Die Intelligenz ist normal,
es besteht eine dauernd positive Affektlage, unabhängig von dem
gelegentlichen Auftreten von Zwangslachen und Zwangsweinen.
Besprechung. H. Zondek: Bei 3 von mir untersuchten Fällen
von Wilsonscher Krankheit konnte ich mit den üblichen Unter¬
suchungsmethoden Leberschädigungen nicht nachweisen. Es fand
sich weder Bilirubin im Ham noch Urobilinogen in vermehrter
Menge, noch bestand alimentäre Laevulosurie. Das gleiche Resultat
ergab auch die Widalsche Probe.
Julius Citron: Ueber einen Fall von Rezidiv eines hämolytischen
Ikterns nach Milzexstirpation. 38jähriger Färhereibesitzer erkrankte
Weihnachten 1920 mit Zeichen der Anämie und Milzschwellung. Wird
zuerst als Malaria mit Chinin behandelt. Im April 1921 wurde auf
der 2. Medizinischen Klinik typischer hämolytischer Ikterus festge-
gestellt. 28% Hämoglobin. 1,33 Millionen Erythrozyten. Resistenz¬
verminderung. 6000 Leukozyten. 34700 Thrombozyten. Anisozytose,
Erythroblasten vereinzelt. Milz sehr groß. Leber normal. Urobilin-
urie und Urobiligenurie. Kein Bilirubin im Ham. Sehr schlechtes
Allgemeinbefinden. Wa.R. —. Hämorrhagien auf der Retina. Blut
im Stuhl. Stomatitis. Milzexstirpation am 12. IV. 1921 (Lotsch).
Milz 20:8:14. Gewicht: 1022 g. Sehr guter Erfolg: 18. IV. 40o/o
Hämoglobin, 1,48 Millionen Erythrozyten. 21. IV. 60% Hämoglobin,
2,03 Millionen Erythrozyten. 10. V. 80% Hämoglobin, 3,08 Millionen
Erythrozyten. Besserung der Resistenz: Hämolyse bei 0,5%iger NaCI-
Lösung, vorher bei 0,56%iger Lösung. Entlassung am 10. V. Nach¬
untersuchung am 28. V. 80% Hämoglobin, 3,28 Millionen Erythro¬
zyten. 5600 Leukozyten. Viele Jolly-Körper. Gutes Befinden. Voll
arbeitsfähig. Wiederaufnahme am 24. X. Fühlt sich seit ca. 4 Wochen
wieder sehr matt. Hat Herzklopfen. Tachykardie, unreinen 1. Herz¬
ton. Leber sehr stark vergrößert und palpabel. 65o/ 0
Hämoglobin; 2,42 Millionen Erythrozyten; 7600 Weiße, darunter
43% Lymphozyten, 30% Mononukleäre, 3% Eosinophile,
24o/o Polynukleäre. Resistenzbestimmung der Roten: O,54o/ 0 ige NaCl-
Lösung wirkt hämolytisch. 5. XI. Leichte Hemiplegie mit Aphasie.
Schon am 7. XI. Wiederherstellung der Sprache. Widalsche Funk¬
tionsprüfung der Leber ergibt keinen Leukozytensturz. Citron
sieht in dem Fall ein Rezidiv, hervorgerufen durch das kompen¬
satorische Wachstum der Leber, deren Kupffersche
Sternzcllen die Milzfunktion übernommen haben. Hier¬
durch erklärt sich die starke Vermehrung der Mononu¬
kleären im Blut einerseits und anderseits die negative Widal-
reaktion, da die Leberparenchymzellen an der Vergrößerung der
Leber keinen Anteil haben. Da bei der Milzexstirpation auch zahl¬
reiche Lymphfollikel ausgeschaltet wurden, hat eine lebhafte Neu¬
bildung von Lymphzellen eingesetzt, woraus sich die beträchtliche
Lymphozytose ergibt.
Besprechung. Hans Hirschfeld: Es sind jetzt über 80
Fälle von hämolytischem Ikterus splenektomiert worden, und man
kann sagen, daß Rezidive außerordentlich selten sind. Einen günstigen
Verlauf nahm folgender, auch auf der IL Medizinischen Klinik be¬
obachtete Fall: 41 jähriger Mann, Milztumor, 1901 beim Militär ent¬
deckt, darauf als untauglich entlassen. Wohlbefinden bis 1913, wo er
20 Wochen ln einem Krankenhaus wegen der Milz behandelt wurde.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
80
VEREINS- UND KONGRESSBERICHTE
Nr.
1018 als Soldat neue Erkrankung mit großer Schwäche, seitdem dauernd
in Lazaretten. Am 11.11.1920 Aufnahme in die Charite II. Medizinische
Klinik. Blutbefund: Hämoglobin 63<yo, Rote 2500000, Weiße 2200, ikte-
risches Aussehen, im Urin Urobilin, im Serum viel Bilirubin, Resistenz
der Erythrozyten herabgesetzt (Hämolyse beginnt bei 0,52). Splenektomie
am 16. III. 1920 (Prof. Lot sch). Blutbefund am 17. III.: Hämoglobin
80 o/o, Rote 5 350000, Weiße 20500, viel Jolly-körperhaitige Erythro¬
zyten. (Vorübergehende Polyzythämie durch die plötzliche Ausschal¬
tung der Milz als des wichtigsten Blutzerstörungsorgans!) Am
19. III. Hämoglobin 80o/ 0 , Rote 3600000, Weiße 9200. Am 27. III.
Hämoglobin 80»/o, Rote 3970000. Blutserum frei von Bilirubin. Am
1. IV. Hämoglobin 80o/ 0 , Rote 4 290000, Hämolyse bei 0,5<y 0 NaCl.
Am 3. V. 1920 Hämoglobin 95<y 0 , Rote 4500000, Weiße 6000, Hämo¬
lyse beginnt bei 0,56. Kein Ikterus, kein Urobilin oder Urobilinogen
im Urin. Blutbefund am 30. X. 1921, 1 Jahr und 7 Monate nach
der Splenektomie: Hämoglobin 90%, Rote 4700000, Weiße 5300.
Hämolyse beginnt bei 0,58% NaCl. Völliges Wohlbefinden, kein
Ikterus, kein Urobilin im Urin. In diesem Falle ist also trotz klinischer
Heilung die Resistenz der Erythrozyten nach anfänglicher Besserung
wieder gesunken. Das Gleiche konstatierte ich in einem vor 7 Jahren
splenektomierten Fall, über den ich kürzlich in der Berliner medi¬
zinischen Gesellschaft in der Debatte über Ikterus berichtete.
Julius Citron: Encephalitis lethargica, behandelt mit Intra-
Inmbaler Injektion von Grippesernm. 32jähriger Kaufmann, der am
6.1.1921 mit typischer Encephalitis lethargica (zur Zeit einer starken
Epidemie von pandemischer Influenza) erkrankte. Stärkste motorische
Unruhe, Flexibilitas cerea, starrer Gesichtsausdruck, Ptosis des rech¬
ten Augenlides, alle Reflexe gesteigert, Babinski negativ. Leichter
Nystagmus. Phantasiert ständig. Fieber bis 39,8° C. Leukozyten:
9000. Therapie: zunächst Eukupin. Ohne jede Wirkung. 13. I. 50 ccm
Grippeserum intramuskulär. Keinerlei Reaktion. Wa.R. im Blut } { -| )-.
14.1. Lumbalpunktion: 30 ccm Liquor werden herausgelassen. Der
Liquor entleert sich mit normalem Druck, sieht klar aus. Pandy-
Reaktion: —. Im Sediment starke Lymphozytose und einkernige
f rößere Zellen mit sehr zahlreichen großen kugligen Einschlüssen,
ie sich bei der May-Grünwald-Giemsa-Färbung dunkelblau färben
und anscheinend Makrophagen mit Gehirndetritus darstellen. In un¬
mittelbarem Anschluß an die Lumbalpunktion werden ca. 20 ccm
Grippeserum (Höchst) intralumbal injiziert. Am Nachmittag heftiger
Schüttelfrost: 41,1° C. Alle Symptome noch gesteigert. Oppenheim
beiderseits: -f, Babinski links: +. Stärkster Spasmus der Extremi¬
täten. Blutiger Stuhl, blutiger Ham. Tremor der Zunge. Beider¬
seitige Ptosis. Zeitweises Aufschreien. Gegen Abend sinkt die Tem¬
peratur auf 36° C. Gewaltiger Schweißausbruch. Puls klein, ohne
Tontis. Adrenalin, Koffein, Kampfer, Digipurat, Calc. chlorat. inner¬
lich. 15. I. Hyperleukozytose: 16200, davon 92o/o Polynukleäre, 7%
Lymphozyten, 1 o/ 0 Monozyten. Fieberfrei. Puls besser. Guter Appetit
Viel ruhiger. Schläft viel. 18. I. Bewußtsein kehrt zurück. Spasmus
beginnt nachzulassen. Babinski: —. Selten noch Zuckungen. Urin:
beginnt heller zu werden. 20. I. Wa.R. im Blut: -j—f- Klares Be¬
wußtsein. Ptosis verschwunden. Schläft noch viel und phantasiert
dann leicht. Gesichtsausdruck maskenhaft. Blutdruck andauernd sehr
niedrig: 50/80 mm Hg. 2. II. 38% Polynukleäre, 56% kleine Lympho¬
zyten. 8200 Weiße. Steht auf, gutes Befinden. 11. II. 9 Uhr.
Bestes Befinden. 9 1 /* Uhr. Plötzlich Gähnkrampf, Dyspnoe, ant¬
wortet auf keine Frage mehr. Babinski: -f- beiderseits. Rechts
Fazialislähmung. Unklarheit Temperatur. 12. II. Klares Bewußtsein.
Sprache normal. Fazialislähmung verschwunden, kein Babinski mehr.
Parästhesie. 5. III. Bis auf geringfügige Störung arbeitsfähig und
gesund entlassen. Wa.R.: —. Der Patient hat seitdem ununterbrochen
in verantwortlicher Stellung anstrengend gearbeitet. Die intralumbale
Injektion des Höchster Grippeserums hat in diesem Fall einen völligen
Umschwung herbeigeführt. Ich empfehle in einschlägigen Fällen
den Versuch zu wiederholen. Interessant ist das vorübergehende Auf¬
treten von Reaginen im Blutserum, die eine positive Wa.R. vor¬
täuschten und als Reaktionsprodukte gegen die Toxolipoide aufzu¬
fassen sind, die durch die enzephalitiscnen Prozesse entstanden sind.
Besprechung. Neustadt fragt, welcher Herkunft das ver¬
wendete Serum war. Bei der Grippeepidemie 1918/19 hat er im
Krankenhaus Friedrichshain von dem Grippeserum des sächsischen
Serumwerkes weder bei Grippe noch bei Grippepneumonien einen
Erfolg gesehen. Eine spezifische Wirkung des Serums erscheint ihm
in dem vorgetragenen Falle als ganz unerwiesen, da ja gar nicht
bekannt war, durch welchen Erreger die Enzephalitis hervorgerufen
wurde. Der Ablauf der Reaktion zeigt in geradezu typischer Weise
das nach Injektion der verschiedensten Proteinkörper zu beobachtende
Bild mit negativer und positiver Phase im Sinne von R. Schmidt.
Die starke Wirkung der intralumbalen Einspritzung rm Gegensatz
zur vorangegangenen intramuskulären Injektion erklärt sich eben¬
falls zwanglos durch die Annahme einer unspezifischen Reizwirkung,
da wir ja von der Proteinkörpertherapie her wissen, daß in die
Nähe des Erkrankungsherdes (z. B. Kniegelenk) erfolgte Injektionen
gar nicht selten eine starke Heilentzündung mit Heilfieber hervor-
rufen, nachdem vorherige Injektionen an herdentfernten Stellen keine
Wirkung hatten.
B rüg sch betont, daß er der intensiven Lumbalpunktion in
Meningitisfällen einen großen Einfluß auf die Heilung der Meningitis
zuschreibt, speziell in den Fällen, wo der Abfluß des Liquor cere¬
brospinalis günstig liegt Bezüglich des spezifischen Einflusses der
Meningokokkensera und Pneumokokkensera, ja selbst der intra¬
lumbalen Optochininjektion auf endemische und Pneumokokken-
meningitis hält er Skepsis für geboten.
Lippmann: Lumbalpunktion allein Vermochte nicht, wohl aber
endolumbale Optochingabe, den Eitergehalt des Liquors bei Menin¬
gitis pneumococcica sofort zu vermindern.
W. Arnoldi: Kardiolyse bei einem Falle schwerer Mitralstenose
and -Insuffizienz. Schwerer Mitralfehler im Anschluß an Gelenk,
rheumatismus, vor drei Jahren nach einer Grippe dekompensiert,
wird monatelang ohne durchgreifende Besserung behandelt Kardio¬
lyse (Hildebrandt). Sofortige Besserung der Stauungserscheinun¬
gen im kleinen Kreislauf und viel kräftigere Wirkung der üblichen
Herzmittel. Unverändert bleiben: die starke Leberschwellung, die
Neigung zu geringen Oedemen, der auf das Dreifache erhöhte venöse
Druck in der Armvene, die maximale Dilatation des Herzens und
die Arhythmia perpetua. Aufhellung der Lungenfelder im Röntgen¬
bild und Tiefertreten der Herzspitze. Beobachtung über ein Jahr.
An den Stellen der Rippenresektionen hat sich neuer Knochen gebildet
und die unangenehmen anfänglichen Herzpulsationen beseitigt. Trotz¬
dem keine Beeinträchtigung des günstigen Effekts. Es wird des¬
halb ein vereinfachtes Operationsverfahren mit kleinen Teil¬
resektionen, etwa an drei Rippen, angeregt, das in geeigneten Fällen
(vorwiegend Stauung im kleinen Kreislauf) bei Versagen der internen
Behandlung in Betracht ‘käme.
Besprechung. Siedamgrotzky: Für die von der Inneren
Klinik gestellte Aufgabe standen den Chirurgen zwei Wege zur Ver¬
fügung: 1. die Brauer-Operation, Kardiolyse oder besser Thoracolysis
praecardiaca, 2. die von Rehn angegebene Längsspaltung des Ster¬
nums. Letztere wurde angesichts des schweren Zustandes der Pa¬
tienten als zu eingreifend abgelehnt und die Brauersche Operation
ausgeführt. Die Brauersche Operation — die Resektion mehrerer
Rippen in nicht zu geringer Ausdehnung über dem Herzen — ver¬
langt eine sorgfältige Entfernung des hinteren Periosts der Rippen.
Da trotz sorgfältigster Technik angesichts der innigen Verbindung
zwischen Pleura und hinterem Periost eine Verletzung der Pleura
aber nicht mit Sicherheit vermieden werden kann und anderseits
jeder Pneumothorax für diese Patienten besonders gefahrvoll sein
mußte, wurde auf die Entfernung des hinteren Periosts verzichtet,
zumal die Königschen Untersuchungen ergeben haben, daß eine
totale Entfernung nicht immer notwendig ist. Durch die Entfernung
von etwa 12 cm von der 3.-5. Rippe ist dem Thorax Gelegenheit
gegeben, sich entsprechend zu erweitern. Bei Einsetzen der Re¬
generation der Rippen wird die erweiterte Form festgehalten, bzw.
selbst bei vorhandenen perikarditischen Verwachsungen hat das Herz
inzwischen Gelegenheit gehabt, die ihm gegenüberliegende Thorax¬
wand in dem für es am günstigsten Sinne zu modellieren. Die Ope¬
ration gestaltete sich folgendermaßen: Oberflächliche Aethernarkose.
Halbkreisschnitt unterhalb der linken Mamma. Hochklappen des
Mammamuskellappens. Subperiostale Resektion der 3.—5. Rippe in
12 cm Ausdehnung vom Sternum ab. Abtragen des vorderen Periosts
und Perichondriums. Jodoformdocht in die große Wundhöhle. Schluß
der Wunde. Die Operation ist relativ ungefährlich und verdient io
geeigneten Fällen wiederholt zu werden.
Kraus: Röntgendemonstration gebellter Halsdrfisentnber-
inlose. Ferner Röntgendemonstration als Beitrag zur Frage des
Sphinkterentonos.
Bonn, Niederrheinische Gesellschaft für Natur- und
Heilkunde, 31. X. 1921.
Offizielle. Protokoll.
Vorsitzender: Krause. Schriftführer: Hinselmann.
H. Stursberg: Wie ist die Verstärkung des zweiten Langen-
schlngndertones bei Schwangerschaft and Eklampsie za erklär«?
Die Bedeutung von Schwankungen der Gefäßweite für das Zu¬
standekommen von Blutdruckänderungen wird wohl jetzt ganz all¬
gemein anerkannt, und ebenso unterliegt es, trotz mancher wider¬
sprechender Angaben über Einzelheiten, keinem Zweifel, daß das
Gefäßnervensystem für diese Schwankungen wie für die gesamte
ßlutverteilung von größter Bedeutung ist. Die Untersuchungen über
diese Fragen betreffen aber fast ausschließlich den großen Kreis¬
lauf, dagegen wird der Lungenkreislauf fast ganz vernachlässigt,
meist überhaupt nicht erwähnt. Die Gründe hierfür sind naheliegend.
Anatomisch und physiologisch ist über Gefäßnerven der Lungen
nur sehr wenig bekannt, und klinische Tatsachen, die auf das Vor¬
handensein von Gefäßnerveneinflüssen in den Lungen oder auf aktive
Schwankungen der Lungengefäßweite bezogen werden könnten, fehl«
bisher ganz. L. R. Müller erwähnt in seiner verdienstvollen Dar¬
stellung des vegetativen Nervensystems die Lungengefäße überhaupt
nicht, und J. F. Hofmann faßt in dem Nagelschen Handbuch der
Physiologie das Ergebnis aus den Literaturangaben über die Gefäß-
innervation der Lungen dahin zusammen, daß „alles zusammenge¬
nommen heute die Existenz von Vasomotoren für die Lungengefäße
ziemlich wahrscheinlich gemacht ist. Daß ihre Wirkung jedenfalls
nur ziemlich gering ist, darüber stimmen alle Autoren überein“.
Es kann unter diesen Umständen nicht wundernehmen, daß bis vor
nicht allzu langer Zeit von vielen Seiten das Fehlen von Gefä߬
nerven in den Lungengefäßen angenommen werden konnte. Ich muß
allerdings sagen, daß mir die Annahme, die Blutverteilung in einem
so blutreichen und wichtigen Organ sei allein von der Tätigkeit
□ igitized by Gougle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
12. Januar 1922
VEREINS- UND KONORESSBERICHTE
81
des Herzens und den Verhältnissen im großen Kreislauf abhängig,
immer wenig befriedigend erschienen ist, und ich glaube, daß diese
Fragen wohl schon wesentlich eingehender geprüft worden wären,
wenn die Technik der Versuche nicht so außerordentlich schwierig
und die Fehlerciuellen dementsprechend groß wären. Denn onko-
metrische Versuche, die ja bei anderen Organen so schöne Aufschlüsse
über die Blutversorgung gebracht haben, sind wegen der unbe¬
rechenbaren Schwankungen des Luftgehaltes am lufthaltigen Lungen¬
gewebe nicht durchführbar. Ausschaltung des Luftgehaltes aber hat
so schwere Spannungsänderungen im Lungengewebe zur Folge, daß
die Ergebnisse dadurch unbrauchbar werden. Bei dieser Sachlage
scheint es mir berechtigt, auf eine Beobachtung hinzuweisen, die
meines Erachtens keine andere Deutung zuläßt, als die Annahme
einer Verengerung der Gefäßbahn in der Lunge durch Zusammen¬
ziehung der Gefäße. Wie ich bereits an anderer Stelle (Zbl. f. Gyn.
1920, 36) kurz mitteilte, fand ich bei zwei Fällen von Eklampsie,
die ich nach Abklingen der Anfälle untersuchen konnte, einen so
stark fühlbaren 2. Ton über der Lungenschlagader, wie ich ihn
sonst nur bei schweren Klappenfehlern beobachtet habe. Dabei bot
der Kreislauf im übrigen keine nennenswerten Abweichungen, sodaß
ich mir zunächst die Erscheinung nicht zu erklären vermochte. Bei
einer Anzahl anderer ähnlicher Fälle war zwar der erwähnte Ton
nicht fühlbar, aber doch bei der Behorchung ausgesprochen ver¬
stärkt. Audi von anderer Seite wird über diesen Befund berichtet.
O. Fellner hat (nach Beckmann) häufig Verstärkung des 2. Pul¬
monaltons beobachtet, und Beckmann (Zbl. f. Gyn. 1921, 28) fand
sie bei 38 von 200 untersuchten Schwangeren. In einem seiner Fälle
nahm sie während der Geburt derart zu, daß der Ton fühlbar und
die Erschütterung sichtbar wurde. Es fragt sich, wie diese Befunde
zu deuten sind. Verstärkung des 2. Lungenschlagadertons weist nach
allgemeiner Anschauung auf erhöhte Widerstände im kleinen Kreis¬
lauf hin, durch welche die rechte Kammer zu verstärkter Tätigkeit
angeregt wird. Für die in Rede stehenden Fälle nach einer anderen
Erklärung zu suchen, haben wir keinen Grund. Störungen an der
zweizipfligen Klappe sind in unseren Fällen ausgeschlossen, und dem¬
nach müssen wir die Ursache der Verstärkung in den Lungen¬
gefäßen selbst suchen. Kapillarembolien, wie sie besonders bei
der Eklampsie, aber auch in der regelrecht verlaufenden Schwanger¬
schaft nachgewiesen wurden, könnten den Kreislauf in der Lunge
wohl etwas erschweren und demgemäß auch vielleicht eine gewisse
Verstärkung des 2. Lungenschlagadertons bedingen. Sie müßten aber
besonders in den Fällen mit fühlbarem Ton in recht großer Zahl
vorhanden sein, und das würde doch wohl zu Schädigungen des
Lungengewebes führen, von denen in den betreffenden Fällen nichts
nachweisbar war. Gegen die Annahme, daß die Hochdrängung des
Zwerchfells als Ursache einer Erschwerung des Lungenkreislaufs in
Frage komme, macht Beckmann mit Redit geltend, daß die
Verstärkung des 2. Pulmonaltons bei kurzem Brustkorb, bei dem die
ITochdrängung stark ist, fehlen kann, daß er sie dagegen hei langem
Brustkorb, bei dem keine Hochdrängung besteht, beobachtet nat.
Für meine Fälle mit fühlbarem Ton kann diese Erklärung schon
deshalb nicht in Frage kommen, weil ich sie nach der Geburt unter¬
suchte. Außerdem hat bereits früher Dohrn (nach Ahlfeld, Lehr¬
buch der Geburtshilfe) darauf hingewiesen, daß sich bei hochge¬
drängtem Zwerchfell der Brustkorb desto ausgiebiger nach den Seiten
ausdehnen könne, daß also die Lungenkapazität im ganzen nur
wenig beeinträchtigt werde. Eine Hypertrophie des rechten Herzens
kann nicht in Frage kommen, weil sie sich nicht in so kurzer Zeit
bilden und zurückbilden würde. Mit den bisher erörterten Möglich¬
keiten sind meines Erachtens die in Betracht kommenden grob-
mechanischen Erklärungen erschöpft, und wir müssen, da sie nicht
befriedigen können, an funktionelle Vorgänge in den Gefäßen der
Lunge denken. Wie Ihnen bekannt ist, hat Kollege Hinselmann
den Nachweis erbracht, daß sich die der unmittelbaren mikroskopi¬
schen Untersuchung zugänglichen Hautgefäße in der Schwanger¬
schaft und ganz besonders bei der Eklampsie abweichend vom Ge¬
sunden verhalten: Sie zeigen gegenüber der unter regelrechten Ver¬
hältnissen beobachteten gleichmäßigen und dauernden Durchströmung
zeitweise auftretende Zusammenziehungen mit Aufhebung der Blut¬
strömung, die, bei Schwangeren schon sehr ausgesprochen, bei Ek-
hmptisenen zu außerordentlich hohen Verhältniszahlen (bis zu 90o/ 0
der Beobachtungszeit) anwachsen können. Wenn auch die Möglich¬
keit gleicher Beobachtung an inneren Körperteilen nicht gegeben ist,
so werden wir doch mit der Wahrscheinlichkeit rechnen müssen,
daß auch in ihnen ähnliche Vorgänge sich abspielen. Nehmen wir
das für die Lungen an, so bietet die Erklärung eines funktionell
gesteigerten Widerstandes in den Lungengefäßen keine Schwierig¬
keiten mehr, und damit würde sich die Verstärkung des 2. Lungen-
idilagadertons sehr wohl in Einklang bringen lassen. Der Einwand,
daß nach den Ergebnissen der physiologischen Untersuchungen die
Wirkung der Gefäßnerve n in den Lungen nicht ausreichend sein
könne, um eine zu Verstärkung des 2. Lungenschlagadertons führende
Behinderung des Kreislaufes herbeizuführen, ist nicht stichhaltig.
Denn wie oben gesagt, stehen die Anschauungen über das Verhalten
der Lungengefäßnerven bei Tieren doch auf recht unsicherem Boden,
„nd V or allem müssen wir uns hüten, sie ohne weiteres auf den
Mmcrhen zu übertragen . Außerdem scheint die Verstärkung des
i i.fnrrrncrhlapadertons sehr viel leichter zustandezukommen als
Jnc 0 Brustschlagadertons. Das dürfen wir aus klinischen Be-
schließen , die mit den von Beckmann angeführten
Versuchen Wiesels überemstirti menf nach denen am herausgeschnit¬
tenen Tierherzen die Verstärkung des 2. Lungenschlagadertons schon
bei ziemlich unbedeutender Druckzunahme (6—8 ccm Wasser) ein-
tritt, während bei der Brustschlagader erheblich mehr (20—25 ccm
Wasser) nötig sind. Ich möchte daher die oben gegebene Erklärung
für sehr wahrscheinlich halten, und damit würde wohl zum ersten
Male eine klinische Tatsache gefunden sein, aus der auf eine funk¬
tionelle Beeinflussung der Weite der Lungengefäße geschlossen wer¬
den könnte. Ob es sich dabei um eine Gefäßnervenwirkung handelt
oder um eine örtlich in den Kapillaren angreifende Giftwirkung, oder
beides nebeneinander, ist natürlich schwer zu entscheiden. Mir selbst
dünkt die erstere Annahme wahrscheinlicher, da die örtliche Ein¬
wirkung eines gefäßverengernden Stoffes wohl mehr eine gleich¬
mäßige Zusammenziehung der Hautkapillaren zur Folge haben würde,
nicht aber das Wechselspiel zwischen Zusammenziehung und Er¬
weiterung, wie es tatsächlich beobachtet wird. M. H.! Icn verkenne
nicht, daß in meinen Darlegungen noch eine Reihe von Punkten sich
nur auf Annahmen und Schlüsse stützt, deren zwingender Beweis
noch aussteht und sich mangels geeigneter Untersuchungsverfahren
auch nicht so bald wird erbringen lassen. Es kam mir aber vor
allem darauf an, auf die Möglichkeit selbsttätiger Schwankungen der
Gefäßweite in den Lungen hinzuweisen. Wir werden an dieser
Frage nicht mehr achtlos vorübergehen dürfen und auch bei der
Deutung klinischer Beobachtungen an sie denken müssen.
Besprechung. O. Prym: Zur Erklärung der Verstärkung des
zweiten Pulmonaltones sollte man die hypothetischen und unwahr
scheinlichen „Stasen“ in den Lungenkapillaren nicht eher heran¬
ziehen, bis feststeht, daß sonstige den Druck in der Pulmonalis
steigernde Faktoren nicht in Frage kommen. Als solche vom Vor¬
tragenden nicht erwähnte kommen noch in Betracht Aenderung in
der Mittellage der Lunge und Pressen.
Stursberg (Schlußwort): Die von Prym erwähnten Ursachen
sind abzulehnen. Da die Geburt in den eigenen Fällen vorüber war,
kam Pressen nicht in Frage, und ebensowenig lag irgendein An¬
haltspunkt für die Annahme einer Aenderung der Mittcllage der
Lungen vor. Außerdem würde beides vielleicht eine gewisse Ver¬
stärkung, nicht aber eine so hochgradige .Veränderung erklären, wie
sie sich in der Fühlbarkeit des Tones ausspricht. Ueberfüllung des
venösen Systems scheidet ebenfalls aus, da die Kranken außer dem
beträchtlichen Blutverlust bei der Geburt noch die Aderlässe der
Stroganoff-Behandlung hinter sich hatten.
Paul Krause: Ueber chronische Malaria.
Zurhelle: Vorkommen and Bedeutung der Gitterfasern bei syphi¬
litischen and anderen Hautkrankheiten. (Erscheint als Originalartikel
in dieser Wochenschrift.)
Heidelberg, Naturhistorisch-medizinischer Verein,
15. XI. 1921.
H. Freund: Eiweißstoffwechsel, Nervensystem und Fieber. Der
gesteigerte Eiweißzerfall im infektiösen Fieber wird bisher entweder
als „toxogen“ gedeutet oder (nach Grafe) rein energetisch als
Folge des gesteigerten Stoffverbrauchs bei gleichzeitig herabgesetzter
Nahrungszufuhr. Die Allgemcingültigkeit der ersten Auffassung ist
widerlegt durch Versuche von Freund und Grafe, in denen
gleiche und gleich verlaufende Infektionen bei normalen Kontroll-
hunden hohes Fieber und Eiweißzerfall machten, bei künstlich poikilo
thermen, fieberunfähigen Hunden dagegen die tägliche Stickstoff¬
ausscheidung ganz unbeeinflußt ließen. Gegen die energetische Auf¬
fassung des Eiweißzerfalls im Fieber spricht, daß es nur mit über¬
mäßiger, den Grundumsatz der Patienten weit übersteigender Ka¬
lorienzufuhr — und zwar nur in Form von Kohlenhydratkalorien --
gelingt, die N-Ausscheidung Fiebernder herabzudrücken und Fie¬
bernde ins Stickstoffgleichgewicht zu bringen. Beide Deutungsver¬
suche befriedigen also nicht vollkommen. Auf eine andere Möglichkeit
weist die Wirkung von Antipyrin im Gegensatz zu Chinin uml
Salizylsäure, auf den Stoffwechsel hin: am nicht fiebernden Menschen,
ebenso wie beim künstlich poikilothermen Kaninchen, lassen thera¬
peutische Dosen die Wärmebildung und die Stickstoffausscheidung
unverändert; beim Fiebernden dagegen geht die Wärmebildung meist
etwas — entsprechend der Temperaturherabsetzung — herunter, in
weit höherem Maße wird aber die N-Ausscheidung eingeschränkt
Da vom pharmakologischen Standpunkte aus das Antipyrin als nur
am Nervensystem angreifendes Mittel aufzufassen ist, ergibt sich
die Frage, ob das Nebeneinander von Antipyrese und Herabsetzung
des Eiweißumsatzes durch Antipyrin von einem nervösen Angriffs¬
punkt erklärt werden kann. Ein Zusammenhang zwischen chemischer
Wärmeregulation und Eiweißstoffwechsel ist von Freund und Grafe
bei operativer Ausschaltung des Regulationsvermögens bei Tieren
mit durchschnittenem Halsmark gefunden worden. Die Aufhebung
der chemischen Regulation und der Fieberfähigkeit geht zusammen
mit einer sehr erheblichen Vermehrung des täglichen Harnstick
Stoffs und besonders mit einem beträchtlichen Ansteigen der pro¬
zentualen Beteiligung des Eiweißes an der Gesamtwärmebildung.
Ein künstlich poikilothermer Hungerhund bestreitet fast Vs seiner
Wärmebildung aus Eiweiß (gegen 10—15<>/o in der Norm). Die
Halsmarkdurchschneidiing nähert also den Warmblüterstoffwechsel
dem Verhalten kaltblütiger Tiere an, die ihren Energiebedarf zu
50—90tyo aus Eiweiß bestreiten. Das gleiche Bild — Aufhebung des
Regulationsvermögens und Steigerung des Eiweißumsatzes — tritt
ein, wenn, wie Ff Cl ind gezeigt hat, das Wärmezentrum chemisch
\. ir Diaitaad by (jOOQlC
Original from
CORNEtTUNIVERSITY
82 VEREINS- UND KONQRESSBERICHTE
so weit gelähmt wird, daß die Tiere den Zustand der Poikilo¬
thermie aufweisen (leichtere Ueberhitzbarkeit neben leichterer Unter¬
kühlbarkeit). Die Nervenbahnen, auf denen das Wärmezentrum seine
Impulse für die chemische Regulation aussendet, und die, deren Ab¬
trennung vom Zentrum den Eiweißstoffwechsel verändert, verlaufen
nach Freund und Grafe zusammen: sie verlassen das Rücken¬
mark zwischen dem 7. Zervikalsegment und 2. Dorsalsegment, sind
also nicht identisch mit der Bahn, die vom Zuckerzentrum aus den
Kohlenhydratstoffwechsel beeinflußt, denn diese bleibt bis zum 4. Dor¬
salsegment im Rückenmark. Wenn eine nervöse Beeinflussung des
Kohlenhydratstoffwechsels dadurch verständlich wird, daß wir ein
lokalisiertes Glykogendepot in der Leber kennen, so wird auch das
.Verständnis für einen nervösen Regulationsmechanismus für den
Eiweißstoffwechsel wesentlich durch neuere Untersuchungen erleich¬
tert (Berg, Stübel, Junkersdorf), nach denen wir auch mit
einem Depot für Eiweiß in der Leber rechnen dürfen. Es liegt
somit nahe anzunehmen, daß die bei der Infektion wirksamen Gifte
zugleich mit oder auch neben ihrer Wirkung auf das Wärmezentrum
auch den nervösen Mechanismus stören, welcher den Eiweißstoff¬
wechsel beherrscht.
Adam: Oie Bedeutung der Eigenwasserstoffzahl der Bakterien.
Das Wachstum der Mikroorganismen ist von der Reaktion des Nähr¬
bodens abhängig. Gewöhnlich geht man vom Lackmusneutralpunkt
oder Phenolphthaleinumschlag aus. Man ist aber in der Lage, die
Wasserstoffzahl (H-lonenkonzentration), welche die Reaktion kenn¬
zeichnet, genauer zu bestimmen (Gasketten- oder Indikatorenmethode,
vgl. Michaelis, D. m. W. 1921 Nr. 17). Die Beachtung der Wasser¬
stoffzahl hat sich in der gesamten Biologie als fruchtbar erwiesen,
in der bakteriologischen Technik aber noch nicht genügend Ein¬
gang gefunden. Vortragender fand gelegentlich Züchtungsversuchen
von Anaerobiern des Säuglingsstuhles (Bac. bifidus, Köpfchenbak¬
terien usw.), daß diesen und einer Reihe anderer, auch aerober Arten,
ganz bestimmte Wasserstoffzahlen eigentümlich sind, bei denen sie
am üppigsten gediehen (Eigenwasserstoffzahl, E. W. Z., Zschr. f.
Kindhlk. 1921). Die Bedeutung derselben trat auch bei der Stunden¬
gärung zutage, insofern, als der Bac. bifidus auf einem neutralen,
zuckerhaltigen Nährboden, der an sich ungünstig ist, erst dann gute
Vermehrung zeigt, wenn durch Säurebilaung die E. W. Z. erreicht
ist. Unter Beachtung bestimmter Kautelen ließ sich feststellen, daß
die E. W. Z. die gleiche ist, gleichgültig, ob der Nährboden Zucker
enthält oder nicht. Dies deutet auf die Beeinflussung des Kolloid¬
zustandes der Zelle durch die H-Ionenkoozentration. Die Ferment¬
produktion ist im Bereich der E. W. Z. am stärksten. So bildet
Bac. bifidus im H-Ionenoptimum Gas, und die Indolbildung ist bei
der E. W. Z. am stärksten oder allein vorhanden. Auch die Morpho¬
logie der Bakterien ist abhängig von der Wasserstoffzahl. Der Bac.
bifidus bildet nur bei der E. W. Z. die für den normalen Brustmilch¬
stuhl charakteristische Normalform. Außerhalb der E. W. Z. findet
man Abweichungen von der Norm in der Form, Färbbarkeit usw.
Bewegliche Formen (Bact. coli) wiesen bei der E. W. Z. die meisten
beweglichen Individuen auf, außerhalb derselben konnte die Beweg¬
lichkeit trotz relativ guter Vermehrung völlig fehlen. Die praktische
Bedeutung der E. W. Z. erhellt daraus, daß es gelang, allein durch
Variierung des p R -Wertes eines und desselben Nährbodens aus einem
Gemisch zweier Arten mit verschiedener E. W. Z. Reinkulturen zu
erzielen. Die Berücksichtigung der H-Ionenkonzentration des Nähr¬
bodens, insbesondere der E. W. Z., eröffnet Aussichten im Studium
der Giftbildung, der Differenzierung nahe verwandter Arten, der
Fermentbildung, der Gewinnung von Stoffwechselprodukten, der Fest¬
stellung der Normalformen leicht degenerierender Arten, der Begeiße¬
lung, der Mutation, der Virulenz usw. Der Wechsel der Darmflora
des Säuglingsstuhles bei verschiedener Ernährung konnte vom Vor¬
tragenden mit dem Wechsel der E. W. Z. in Beziehung gebracht wer¬
den. So stimmt die E.W.Z. des Bac.'bifidus mit dem häufigsten
Pn-Werte des normalen Brustmilchstuhles überein. Verschiedene Be¬
obachtungen sprechen dafür, daß auch das Zustandekommen von In¬
fektionen mit der E. W. Z. der betreffenden Bakterienart in Zu¬
sammenhang steht. So lag die E. W. Z. einer Anzahl von Kolirassen,
die aus dem Dünndarm von Säuglingen mit Intoxikation (Cholera
infantum) gezüchtet waren, bei p R 6,4—7,1. Das H-Ionenoptimum
des Trypsin-Erepsins liegt aber bei p H $0. Seine Wirksamkeit muß
also bei der E. W. Z. der Kolirassen eingeschränkt sein. So bietet
sich die Aussicht, auch die Frage der Infektion und Disposition mit
physikalisch-chemischen Methoden zu bearbeiten. Anschließend Be¬
schreibung einer einfachen Methode zur Anaerobenzüchtung auf Ad¬
sorbensnährboden unter Luftzutritt. Die Verwendung von Koks zu
diesem Zwecke hat sich, entgegen früheren Angaben anderer Autoren,
sehr gut bewährt.
Besprechung: Sachs hob die Bedeutung der Wasserstoffzahl
besonders für die Toxingewinnung hervor. Weiteres Studium auf
diesem Gebiet kann zur Klärung widersprechender Anschauungen
über den Gasbrandbazillus, den Fleckfiebererreger usw. führen.
Greff erörterte die Wichtigkeit dieser Untersuchungen für die
pathologische Anatomie; ihre Weiterführung könne vielleicht die
Vorliebe bestimmter Bakterienarten für bestimmte Gewebe erklären.
Es wäre anzunehmen, daß sich dann zeige, daß der Tuberkelbazillus,
der kein Organ verschone, ein besonders breites Optimum habe.
In seinem Schlußwort sagte Adam, daß die Bestimmung der
E. W. Z. möglicherweise für die Differenzierung des bovinen und
humanen Tuoerkelbazillentypus von Bedeutung werden könne.
_ Grün bäu m.
Verantwortlicher Redakteur: Geh.San.-RatProf. Dr.Jf.Sch
Wien, Medizinische Gesellschaften, November I92|.
Gesellschaft der Aerzte In Wien. (4. XI.) LKIrchmavr
demonstriert ein retroperitoueales Lipom einer 54jährigen Frau.
K. Olaeßner hält einen Vortrag über die Behandlung desMarea.
und ZwfilffingerdarmgeschwSres mit verdünnter Natronlauge 1 * 1000
von welcher er zwei- bis dreistündlich 30 —40 ccm nehmen läßt wo’
durch die Säure neutralisiert und die Pepsinwirkung herabgesetzt wird*
Bei der Aussprache bezweifelt G. Singer, daß durch die so
stark verdünnte Natronlauge eine Aetzwirkung Zustandekommen könne
und daß eine dauernde Neutralisierung des Magens unwahrscheinlich
sei; die Wirkung beruhe vielmehr auf einer Schleimproduktion, indem
sich eine schützende Schleimschicht bildet, wie bei der Olivenölbehandlunc
Cohnheims. ^
B. Breitner spricht über retrograde lokarzeration und stellt fest,
daß für ihre Entstehung eine frühzeitige übermächtige Gasbildung iS
der abdominalen Schlinge von größter Wichtigkeit ist; im Mechanismus
der Entstehung gleicht sie der fälschlich sogenannten inkarzeriertes
traumatischen Zwerchfellhernie.
(11. XII.) E. Stransky demonstriert eine 26jährige Frau mit fr*,
straaem Myxödem, Zyklothymie und Zügen psychogener Resktioses.
A. Mendl spricht über die niebtspezifIsche Nebenhoden- und
Samenstrangentzündung, welche er in eine sklerosierende und eine absze-
dierende unterscheidet und die oft nach Leistenbruchoperation aufzu¬
treten pilegt. Therapeutisch bewährt sich die Heißluftbehandlung.
L. Tsykalas und V. Blum besprechen die neuere Behandlung der
Bilharzlakrankheit in Aegypten, welche in der intravenösen Anwendung
(0,1-0,2) vom Emetin bis zu 0,4 besteht. Sie beruht auf der Abtötung
der Eier und Embryonen des Distoma haematobium, bei welchen
Mollusken als Zwischenwirte eine Rolle spielen. Zu den wichtigsten
Symptomen der Krankheit gehören Verdauungsstörungen, Urtikaria,
Hodenentzündung, Hämaturie, Blasenpapillom.
R. Kronfeld hält einen Vortrag über die dentale Infektiös des
Organismus.
v (18 XL) H. Marschik zeigt einen Patienten, bei welchem er eines
Basalzellenkrebs der Epiglottis und des Zungengrundes mit Erfolg
entfernt hat, obwohl die Operation vorher von Hajek abgelehnt worden
ist und Pariser Aerzte den Exitus in drei Wochen voraussagten. Die
vorherige Radiumbehandlung und Reinigung des Geschwürsgrundes
mit Pyoktanin brachte keine Besserung. Bei der Operation, welche in
Lokalanästhesie ausgeführt wurde und sechs Stunden dauerte, wurden
der Larynx, die Epiglottis, die hintere Hälfte der Zunge, die Tomillen
und mehrere Halsdrüsen entfernt; die funktionell wertlos gewordene
Zunge wurde mit der vorderen Pharynxwand vernäht.
R. Grünbaum demonstriert einen Mann mit Schlottergelenk des
Ellbogens, welcher im Kriege durch einen Schuß eine ausgedehnte
Knochenzertrümmerung des distalen Humerus- und proximalen Ulnar¬
endes erlitt. Ein zpeziel! zu diesem Zwecke erbauter Apparat ermög¬
licht jetzt die Beugung und Streckung im Ellbogengelenk, indem die
Beuger- und Streckergruppe getrennt und in der Form von zwei Muskel-
Schläuchen bröckenartig über den Defekt gezogen wurde.
L. Freund berichtet über einen mit Erfolg durch Bestrahlung
behandelten Patienten mit Asthma bronchiale, welcher vor drei Jahren
eine schwere Pleuropneumonie und ein Pleuraempyem durchmachte, in
dessen Verlauf eine R ppenresektion ausgeführt werden mußte. Nach¬
dem alle übrigen Behandlungsarten versagt hatten, brachte die tägliche
Bestrahlung mit der Quecksilberquarztampe eine endgültige Heilung.
Gesellschaft für Innere Medizin und Kinderheilkunde.
A. Khautz demonstriert einen Säugling im Alter von 6 Wochen, welchen
er Pylorusstenose nach der Methode Weber-Ramstedt operierte. Er
war wegen fortdauernden Erbrechens elend herabgekommen, und man
sah wiederholt von links nach rechts eine breite peristaltische Welle
ahlaufen. Der Pylorus war in eine kleinkirschengroBe, knorpelharte
Oeschwulst umgewandelt. Die Wunde verheilte per primam, das Er¬
brechen blieb aus.
O. Loewy zeigt zwei Fälle von Skorbut mit Xerose und Heine
ralople, Geschwister im Alter von 8 und 9 Jahren. Es bestehen Zahn¬
fleischblutungen nebst zahlreichen flohstichähnlichen Hautblutungen am
Halse und am Stamme, nebst Trockenheit und faltenreichem Aussehen
der Bindehäute. Es handelt sich hier um eine Avitaminose, deren Ur¬
sache in dem Mangel an dem fettlöslichen A-Stoff besteht Die
Therapie bestand in der Darreichung von reichlichem grünen Gemüse
und Fruchtsäften bei sonstiger gemischter Kost.
To sh io Ide bespricht das Ergebnis seiner Untersuchungen über
den Tryptophaugehait der wichtigsten Lebensmittel mit besonderer
Berücksichtigung der Ernährung im Kindesalter. Er unterwarf nach
einer von ihm angegebenen Bestimmungsmethode besonders Frauen¬
milch, Kuhmilch und ihre Ersatzpräparate, sowie Nährmittel, ferner
Zerealiensamen, Leguminosen, Eier usw. einer eingehenden Unter¬
suchung, indem er den Tryptophangehalt perzentuell feststellte. Er
gelangte zu dem Schlüsse, daß der Gehalt der Nahrungsmittel an
Tryptophan für das Wachstum junger Tiere von hohem Werte ist;
so hat man schon früher die Ursache der Pellagra auf das Zein zurück¬
geführt, welchem Tryptophan und Lysin fehlt. In ähnlicher Weise
wurde bereits auf den Unterschied zwischen Laktalbumin und Kasein
in bezug auf die Säuglingsernährung hingewiesen.
J. Bauer: Demonstration einer syphilitischen Thrombophlebitis der
Cava Inf« O. Hovorka.
walbe. — Druck von Oscar Brandstetter In Leipzig.
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
Deutsche Medizinische Wochenschrift
Begründet von Dr. Paul Börner
HERAUSGEBER:
Geh. San.-Rat Prof. Dr. Schwalbe
Berlin-Charlottenburg, Schlüterstraße 53
VERLAG:
GEORG THIEME/LEIPZIG
Antonstraße 15
Nummer 3
Donnerstag, den 19. Januar 1922
48. Jahrgang
Aus der Chirurgischen Universitätsklinik in München.
(Vorstand: Geh.-Rat Sauerbrach.)
Die Behandlung der bösartigen Geschwülste 1 ).
Von P. Sauerbrach und Dr. M. Lebsche.
F. Sauerbrach:
M. D. u. H.! ln den bisherigen Vorlesungen sind Ihnen die
pathologisch - anatomischen Grundlagen des Krebsproblems durch
Herrn Borst, die Möglichkeiten serologischer Forschung durch
Herrn Mertens und die Ergebnisse der Strahlenbehandlung bei
den malignen Neubildungen des Uterus durch Herrn Döderlein
vor Augen geführt worden.
Meine Aufgabe ist es, die Gesichtspunkte zu entwickeln, nach
denen die Behandlung der bösartigen Geschwülste in der Chiruigie
zugunsten des einen oder anderen Verfahrens abgegrenzt wird. Für
uns alle steht ja im Vordergründe des Interesses die Frage: Sind
die Ergebnisse der operativen Behandlung mit der Vervollkommnung
der Technik und der Erweiterung der operativen Methoden besser
geworden? Haben wir wirklich bei den verschiedenen Formen und
Lokalisationen der bösartigen Geschwülste in der Operation ein
befriedigendes Mittel erfolgreichen Vorgehens? Oder aber steht
die Sache so, wie uns von den Anhängern der Strahlenbehandlung
immer wieder versichert wird, daß all unser operatives Bemühen
letzten Endes umsonst ist?
Mit dieser Präzisierung der Fragestellung haben wir den Kern¬
punkt unserer Aufgabe für heute abend erfaßt.
Erst dann dan die operative Behandlung der bösartigen Ge¬
schwülste zugunsten der konservativen aufgegeben werden, wenn
diese Frage eindeutig und klar beantwortet worden ist. Der Wunsch,
das Messer fortzulegen und wirksamere Methoden an seine Stelle
treten zu lassen, ist so wahr und tief, daß uns eine objektive Be¬
wertung der vorliegenden Ergebnisse zugetraut werden darf.
Sie erwarten heute abend ein klares Bekenntnis meiner Stellung
zu dieser Frage, und Sie erwarten es mit Recht. Aber, ich darf Sie
daran erinnern, daß Wahrheiten nicht nach Einzelerfahrungen und
subjektiven Auffassungen festgelegt werden können, sondern daß
sie vielmehr ein Ergebnis der Beobachtungen aller sind. Ich kann
Ihnen bei einem so ungeklärten Gebiet darum, auch nur meine eigene
Ansicht anvertrauen, und muß mich damit der Kritik eines jeden von
Urnen bewußt aussetzen. Die Darlegungen werden für Sie alle aber
erst dann einen Wert haben, wenn sie durch eine objektive Zusammen¬
stellung der vorliegenden Erfahrungen anderer Aerzte, Krankenhäuser
und Kliniken gestützt und eigänzt werden. Ja, es will mir scheinen,
als ob die Mitteilung der bisherigen Gesamtbeobachtungen zunächst
die Hauptbedeutung hätte.
Gestatten Sie mir, daß ich mit dieser Wiedergabe beginne. Ein
eben-an der Klinik durch Herrn Dr. Lebsche fertiggestelltes Re¬
ferat gibt ein getreues Bild unseres augenblicklichen Wissens und
Könnens. Ich habe Herrn Dr. Lebsche gebeten, das Ergebnis seiner
fleißigen Arbeit Ihnen selbst vorzutragen.
H.
M. Lebsche:
Ein Bericht über den heutigen Stand der Behandlung bösartiger
Geschwülste muß zunächst zwei wichtige Tatsachen hervorheben.
Die eine Tatsache ist, daß die Frühdiagnose des Karzinoms,
wie aus allen Arbeiten hervorgeht, noch sehr im argen liegt, und
zwar gilt das nicht nur für Karzinome, die infolge ihrer anatomischen
Eigenart oder ihrer versteckten Lage schwer zugänglich sind, son-
rtJrn ori* Ihnen neulich auf Grund der Zahlen unserer Klinik von
mrinem Chef eindringlich vor Augen geführt wuide, auch für das
^ht^i-itmastizierbare Rektumkarzinom. Noch krasser wird diese
^LrnSerte Tatsache beleuchtet durch eine Arbeit der Küttner-
kL Ue Ui Vii Köttner berichtet , daß in der Breslauer Klinik 60 bis
tyc^der Patienten mit inoperablen Rektumkarzinomen zwar rechtzeitig
<t Patienten mn ivw»m.wu 6
Ärztliche Fortbfldungswesen In Beyern“
• e h« ( ,2 - XI £ — Aufführung der Literatur unterbleibt auf
ärztliche Hilfe in Anspruch genommen hatten, daß aber aus verschie¬
denen, hier nicht zu erörternden Gründen, die Diagnose nicht gestellt
worden"war. Demnach war also nur etwa jeder dritte Patient,
der den Arzt wegen Mastdarmbeschwerden konsultiert hatte, rektal
untersucht worden.
Und zweitens die Frühoperation. Aus allen vorliegenden
Statistiken geht die Tatsache mit absoluter Klarheit hervor, daß viel
weniger für den Erfolg ausschlaggebend ist die Operationsmethode
als die Tatsache, zu welcher Zeit die Operation ausgeführt wird,
ja gegenüber der Bedeutung der Frühoperation treten Art und Aufbau
des Tumors völlig in den Hintergrund. So sind selbst frühoperierte
ungünstige Meduflarkarzinome der Mamma von Dauerheilung gefolgt
gewesen. Es braucht in Ihrem Kreise kaum betont zu werden, wie
durch diese Feststellung allein die Mitarbeit des praktischen Arztes
an dem Gesamterfolg sichergestellt und anerkannt wird.
Gleich v zu Anfang sei aber noch auf eine andere wichtige Tat¬
sache hingewiesen. Tn einer Zeit, wo unter dem Einfluß aer Be¬
strahlung der Karzinome die örtlichen Veränderungen am
Tumor über Gebühr in den Vordergrund geschoben werden, muß
man daran erinnern, daß die lokalen Veränderungen für uns zwar
am augenfälligsten sind, daß daneben aber eine Reine von Vorgängen
im Organismus sich abspielt, die bei der Gesamtbeurteilung nicht
vernachlässigt werden dürfen.
Der verschiedene Aufbau, der verschiedene Zellreichtum, das
Verhältnis des Bindegewebes zu den Tumorzellen geben uns bekannte
und verständliche Unterlagen für weitgehende anatomische Unter¬
schiede ab. Jedes Neoplasma hat seine persönliche Note, die bei
Rektum-, Magen-, Mammakarzinomen höchst charakteristisch sein
kann, am wenigsten vielleicht das Uteruskarzinom auszeichnet. G ra se r
erläutert diese Erscheinung an zwei Tatsachen: „Es gibt Mamma¬
karzinome, die selbst dann, wenn sie früh zum Chirurgen kommen,
ungünstiger verlaufen als Fälle mit einem seit Jahren ulzerierten
Tumor. Gleiches gilt vom Rektumkarzinom. Die Heilungsaussichten
sind für jugendliche Individuen, die nur kurze Zeit Beschwerden von
ihrem Leiden hatten, viel weniger günstig als für Patienten mit jahre¬
langer Tumoranamnese.“ Die anatomische Differenzierung der Tumo¬
ren bietet gegenüber diesen Erfahrungstatsachen keine genügende
Erklärung. Es kann ein Skirrhus, der im allgemeinen gutartiger ist,
bösartig verlaufen und umgekehrt ein weiches, medulläres Karzinom
sich als relativ gutartig erweisen.
Wichtiger als das verschiedene anatomische Ver¬
halten der Tumoren ist eben die Verschiedenartigkeit
des Individuums, die Eigenart des Karzinomt räg e r s.
Alles, was wir unter dem Begriffe der Abwehrvorgänge, der
Reaktionsfähigkeit auf den Tumorreiz zusammenfassen, sei mit diesem
Hinweis nachdrücklichst ausgesprochen. Bis zur Stunde können wir
diesen Faktor in unserer Beurteilung und Behandlung eines Tumors
zuverlässig nicht einsetzen.
Diese Tatsachen berechtigen uns auch, von einer örtlichen
und allgemeinen Disposition zum Karzinom zu sprechen. Es kann
nicht meine Aufgabe sein, auf die Aetiologie des Karzinoms einzu-
t ehen. Ich will nur daran erinnern, daß wir auf Grund klinischer
rfahrungen unbedingt auf verschiedene Entstehungsmöglichkeiten
eingestellt sein müssen. Der Ursprung des Karzinoms aus verspreng¬
ten Keimen (Cohn heim) oder die Entwicklung desselben im Anschluß
an traumatische oder entzündliche Reizvorgänge wird jeder Chirurg
heute als möglich anerkennen.
Unsere Gesamtauffassung vom Karzinom nähert sich wieder der
alten humoralpathologischen Auffassung, nach der das Karzinom
eine Allgemeinerkrankung mit lokalen Veränderun¬
gen ist. Die Virchowsche Auffassung, daß die Allgemeinerschei¬
nungen nur sekundäre Folgen des Tumors sein sollen, darf heute
mit Recht bezweifelt werden. Die Tatsache, daß der Körper mit
seinen allgemeinen Kräften an der Entstehung und vor allen
Dingen an der Bekämpfung des Tumors beteiligt ist, geht aus
dem Verhalten bestimmter Gewebsarten, insbesondere der Lympho¬
zyten, hervor. Und es ist die Ansicht nicht von der Hand zu
weisen, daß alle Methoden, die dahin zielen, eine Lymphozytose herbei¬
zuführen, Bedeutung für die Bekämpfung des Karzinoms haben können.
Dabei erinnern wir uns jenes Heilmittels, dem seit alter Zeit
krebsfeindliche Eigenschaften zugeschrieben werden und dem — was
nicht bedeutungslos ist — gleichzeitig blutbildende Eigenschaften
zukommen, des Arse* 18 - buchtet darüber, daß Lassar
Digitized by
Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
84
DEUTSCHE MEDIZINISCHE lWOCHENSCHRIFT
vor nicht allzu langer Zeit eine Reihe von Fällen veröffentlichte, bei
denen durch alleinige Arsendarreichung Hautkarzinome zum Ver¬
schwinden gebracht wurden.
Schließlich sei auch der älteren Methoden gedacht, in maligne
Tumoren medikamentöse Flüssigkeiten zu injizieren. Thiersch ver¬
suchte Einspritzungen mit Höllensteinlösung, Broadbent mit ver¬
dünnter Essigsäure, Senebier mit Hundemagensaft, Bill roth und
Czerny schließlich mit arseniger Säure. Erwähnenswert ist, daß
in der Eröffnungssitzung der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie
1872 der Innsbrucker Chirurg Heine über Einspritzung von Karbol-,
Chlorzink-, Salzsäure- und Lugolscher Lösung in die Umgebung
maligner Geschwülste berichtete.
Moderne Bestrebungen bei der Behandlung des Karzinoms gehen
dahin, einmal die Funktion der hämatopoetischen Organe anzuregen,
wie das von Ribbert, Teilhaber, Opitz u.a. versucht wird,
und ferner die Abwehrfähigkeit des Bindegewebes gegenüber dem
Neoplasma lokal zu steigern, was besonders Stephan, aber auch
Teilhaber, Christoph Müller und andere Forscher sich zur
Aufgabe gestellt haben. Hierher gehören die Bemühungen, dem Auf¬
treten von Rezidiven nach Entfernung der Karzinome durch aktive
und passive Hyperämie mittels heißer Aufschläge, energischer Mas¬
sage, Dehnung und Abhebelung der Narbe von der Unterlage, Stau-
und Saugbehandlung sowie Diathermie zu begegnen; es soll eben
reichlich Blut an die Narbe herangeführt und jede selbsteintretende
Anämie nach Möglichkeit verhindert werden.
Von besonderer Bedeutung sind die Versuche Biers und seiner
Schule (Ritter), Karzinome und Sarkome mittels Stauungshyperämie
zu behandeln. Bier weist darauf hin, daß beim Karzinom in der
Regel eine chronische Entzündung gefunden werde, deren Stärke bei
tiefliegenden Prozessen häufig unterschätzt würde, bei oberflächlichen
Hautmetastasen aber oft heftige, erysipelartige Rötung erreiche. - Er
läßt sich auch hier von dem Grundsatz leiten, daß jede Entzündung
als heilsame Reaktion des Körpers gegen irgendwelche Schädlich¬
keiten betrachtet werden müsse, und weist besonders darauf hin,
wie manchmal die akute Entzündung des Erysipels bösartige Ge¬
schwülste vorübergehend gebessert, ja sogar geheilt habe. Ritter
hat ein großes, inoperables Sarkom der Schulter lediglich durch
Hyperämie vollständig geheilt und nach 10 Jahren eine Dauerheilung
festgestellt. Außerdem aber ist Bier seit 1900 unverdrossen bemüht,
inoperable, bösartige Geschwülste mittels Proteinkörpertherapie zu
behandeln. Sie besteht in Einspritzung artfremden Blutes in die Um¬
gebung der Geschwülste, zum Teil auch in diese, wodurch die chro¬
nische Entzündung in der Karzinomumgebung in eine akute ver¬
wandelt werden soll; Einschmelzung des Tumors und gelegentlich
Nekrose desselben sollen die Folge sein.
Die pathologisch-anatomische Erklärung für diese Vorgänge stützt
sich auf die Feststellung Biers, daß die Gefäße der Geschwülste
physiologisch und anatomisch minderwertig sind. „Was normale Ge¬
webe und Gefäße zu der erhöhten Entzündungsfunktion reizt, kann
die kranken, karzinomatösen töten.“ — Zum Unterschied von der
Röntgenbestrahlung, durch die gelegentlich samt der Geschwulst auch
normales Gewebe zerstört wird, beschränkt sich die Nekrose bei den
Bluteinspritzungen nur auf den Tumor.
Da es sich bald gezeigt hatte, daß durch Bluteinspritzungen allein
bösartige Geschwülste nicht geheilt werden konnten, kombinierte
Bier sein Verfahren mit der Röntgenbehandlung.
Bei den meisten derart behandelten Fällen imponierten besonders
der mit heftigen Entzündungs- und Fiebererscheinungen einhergehende
rapide Zerfall der Tumoren und die Zeichen einer chronischen Ver¬
giftung. Die Geschwülste reinigten sich, verkleinerten sich und
schienen zu heilen, bis sie unter erneuten rapiden Wucherungs- und
Zerfalls Vorgängen, in welche nun aber auch das gesunde Gewebe
miteinbezogen war, den Tod der Kranken herbeiführten.
Diese Unsicherheit des Erfolges und die Hauptschwierigkeit der
Methode, den besten Grad der Entzündung darzustellen, gestatteten
bisher nicht, das Verfahren in größerem Umfange für die Behandlung
zu empfehlen. Im großen und ganzen wirken Bluteinspritzungen, wie
Bier sagt, nicht anders als die Injektionen der zahllosen anderen
Mittel, die seit Jahr und Tag zur Krebsbekämpfung empfohlen wen¬
den: Erzeugung einer entzündlichen Reaktion im krebsig erkrankten
Körperteil.
Um ferner die allgemeine Disposition zur Erkrankung an
Karzinom herabzusetzen, wird großer wert auf eine zweckmäßige All¬
gemeinbehandlung bzw. energische Bekämpfung etwa schon vorhan¬
dener Tumorkachexie gelegt (O p i t z, T e i 1 n a b e r). Aus der Beobach¬
tung, daß in Bayern Uteruskarzinome verhältnismäßig häufig bei Frauen
von Metzgern und Gastwirten Vorkommen, schließen Teilhaber
und H. Albrecht, daß die Disposition zum Karzinom durch reich¬
lichen Genuß von Fleisch und Alkohol gesteigert werde. Die eigent¬
liche Ursache hierfür erblickt man (Opitz) in einer verringerten
Widerstandsfähigkeit der Bindegewebszellen gegenüber dem Epithel
infolge Mangel an Mineralsalzen. Teilhaber empfiehlt daher eine
möglichste Einschränkung des Genusses von Fleisch und Alkohol
nach Krebsoperationen. Hygienische Lebensweise, Sonne, Luft, Bäder
usw. fördern die Zirkulation und die Durchblutung des Bindegewebes
und unterstützen den Körper im Kampf gegen etwa noch übrig¬
gebliebene Krebszellen.
Alle diese Maßnahmen, durch welche die lokale oder allge¬
meine Disposition zur Ericrankung an Karzinom verringert und die
Abwehrreaktion des Körpers gesteigert wird, vermögen die operative
Behandlungsmethode zu unterstützen, ihre Erfolge zu verbessern und
zu verlängern, aber sie sind Adjuvantien und namentlich dann unzuver¬
lässig, wenn die Grenzen der Operabilität eines Tumors überschritten
sind. Letztere sind an sich nicht absolute uud im gewissen Umfange
gezogen von dem Können, der Erfahrung und der Selbsteinschätzung
des Chirurgen. Daß infolge der fortschreitenden Entwicklung der
operativen Technik der Begriff der Operabilität heutzutage umfassen¬
der und allgemeiner geworden ist, ist eine anerkannte Tatsache.
Es kann auch zahlenmäßig nachgewiesen werden, daß sich die
primären, die absoluten und die Dauererfolge der Operation gegen¬
über früher erheblich gebessert haben, besonders unter der Berück¬
sichtigung der strikten Regel: kleine Krebse — große Operationen
Aber trotz dieser Verbesserung und der zahlenmäßig nachweisbaren
Steigerung der Erfolge kann eine Zufriedenheit beim kritischen Arzt
nicht aufkommen. Es wird Sie interessieren, welche Dauererfolge
bei der operativen- Behandlung der Karzinome einzelner Organe auf
Grund großangelegter Statistiken erzielt wurden. Es ist wichtig, von
vornherein festzustellen, daß spät zur Behandlung kommende Kar¬
zinome schlechte Resultate geben. So beträgt die Dauerheilung
beim Magenkarzinom nach Resektion 15—25%, beim Mammakarzinom
40%, beim Schilddrüsenkarzinom nur 10o/o. Beim Schilddrüsenkarzinom
wird selten eine Frühoperation ausgeführt, weil selten eine Früh¬
diagnose gestellt wird. Unter 37 operierten Zungenkarzinomen fand
Krause nach 3 Jahren noch drei rezidivfreie Fälle. Beim Rektum¬
karzinom erzielte man bis zu 40% Dauerheilung über 3 Jahre. Aber
gerade an diesem Beispiele kann gezeigt werden, daß der Wert
dieser und aller statistischen Zahlen recht relativ ist.
An dem großen Material der Breslauer Klinik bewies Küttner,
daß auch der Verlauf des therapeutisch unbeeinflußten Rektum¬
karzinoms sehr langsam sein kann. Von 170 Kranken, die jede
Operation abgelehnt hatten, lebten länger als 1 Jahr 39%, länger als
2 Jahre 15%, länger als 3 Jahre 10%, länger als 4 Jahre 4o/ 0 , länger
als 5 Jahre sogar 1 Patient. Wie qualvoll aber der Zustand dieser
Kranken ohne Anus praeternaturalis ist, geht daraus hervor, daß
2 Patienten im 5. Jahr ihr Leben durch Selbstmord endeten. Küttner
erinnert ferner an eine Tatsache, die auch Sauerbruch wieder¬
holt betont, daß auch nach Anlegen des Anus praeternaturalis die
Lebensdauer auffallend lang, die Erholung und Gewichtszunahme
außerordentlich sein kann. Es starben allerdings fast 70<y 0 dieser
Patienten innerhalb des 1. Jahres. Es lebten jedoch nach 2 Jahren
noch 15%, nach 3 Jahren noch 6%, nach 5 Jahren noch 2%, ja
2 Kranke erlagen erst im 7. Jahre ihrem Karzinom. Diese Zahlen
sprechen eindeutig für den Wert der sogenannten Palliativoperationen,
auf die die Chirurgie bei Inoperabilität des Primärtumors, bei Vor¬
handensein nicht entfernbarer Metastasen oder aus allgemeiner In¬
dikation nicht verzichten kann. Der Anus praeternaturalis hat an der
Breslauer Klinik sogar bessere Resultate bei inoperablen Rektum¬
karzinomen erzielt als die Strahlentherapie, auf die im Folgenden ein¬
gegangen werden 9oll.
Im Jahre 1896, ein Jahr nach der Entdeckung der Röntgenstrahleu,
unternahm Despeignes als Erster die Bestrahlung eines Magen-
karzinomes und konnte eine Besserung des Allgemeinbefindens fest-
steilen. Fast die gleiche Beobachtung, machte 1897 Schiff, ln der
Folgezeit fand die Strahlentherapie mehr und mehr Verwendung im
Dienste der Dermatologie, wo ja durch Finsens Verfahren der weg
schon geebnet war; dabei wurde auch die Röntgenbehandlung der
oberflächlichen Karzinome &eübt und studiert.
Für Fälle von inoperablen bösartigen Neubildungen und zur
Prophylaxe eines Rezidivs nach der operativen Behandlung, hat im
Frühjahr 1902 der Amerikaner Pusey die Röntgentiefentherapie
erstmals vorgeschlagen -und zur Anwendung gebracht. Als Vorteile
der Röntgenbehandlung führte er an: Schmerzlosigkeit des Verfahrens,
nur krankes Gewebe werde zerstört, ausgezeichnete Narbenbildung,
Sistierung des weiteren Zerfalls bei inoperablen Fällen, Verminde¬
rung der Schmerzen. Pusey erzielte bei tiefgreifenden Karzinomen
und Sarkomen gute, zum Teil überraschende Erfolge.
Auch die weiteren Beobachtungen über die Wirkung der neuen
Behandlungsmethode stammen aus Amerika und erfolgten im Jahre
1902 (vgl. Köhler, Wetterer).
Beck sah nach Röntgenbestrahlung eines inoperablen Adeno¬
karzinomrezidivs der Mamma Kolloiddegeneration und Verschwinden
des typischen Karzinombaues.
Dawson Turner konnte bei einer Frau, die innerhalb zweier
i ah re 4 mal wegen Skirrhus der Mamma operiert worden war, mit
töntgenstrahlen den Tumor zum Verschwinden bringen, von 18 in¬
operablen Krebsen 15 bessern.
Schon damals beobachtete Coley, daß namentlich Sarkome durch
Röntgenstrahlen in ihrem Wachstum gehemmt wurden, ja, daß sogar
weit vorgeschrittene und inoperable oösartige Geschwülste gänzlich
zum Verschwinden gebracht werden konnten.
Dabei muß besonders berücksichtigt werden, daß die Amerikaner
damals noch mit Influenzmaschinen aroeiteten.
In Deutschland wurde 1903 und 1904 der Einfluß der Röntgen-
strahlen auf epitheliale Gebilde (Warzen), insbesondere auf das Kar¬
zinom, von Perthes eingehend studiert und mit wissenschaftlichen
Methoden (Probeexzision bestrahlter, inoperabler Mammakarzinome
und -rezidive) geprüft. Zur Steigerung der Tiefenwirkung, d. h. um
möglichst harte, durchdringungsfähige Strahlen zur Verwendung
kommen zu lassen, benutzte er als Erster Stanniol als Strahlenfilter,
während er bei der Bestrahlung von Warzen die Haut menschlicner
Leichen auflegte. Leder, auch feuchtes Leder wurde von nun an als
Filter in der Tiefentherapie angewandt.
□ igitized by Gougle
Original from
CORNELL UNIVERSSTV
19. Januar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
85
In der Frauenheilkunde wurden zunächst nicht die Karzinome,
sondern die Myome mit dem neuen Heilverfahren behandelt. Der
Münchener Arzt Deutsch hat in den Jahren 1902—1904 die ersten
therapeutischen Tiefenbestrahlungen an 5 Uterusmyomen ausgeführt.
Aus den Jahren 1904, 1905 und 1906 berichtete Foveau de Cour-
/ne 11 es über Serien bestrahlter Myome. Inzwischen erschienen auch
experimentelle Untersuchungen über die Veränderungen an bestrahlten
Keimdrüsenr Albers-Schönberg beobachtete Azoospermie (1903),
Halberstädter Schwund der Eifollikel (1905). 1903 hat Suilly
als Erster drei Zervixkarzinome erfolgreich bestrahlt.
Vom Jahre 1903 ab fand die Röntgentiefentherapie auch in der
Inneren Medizin Aufnahme und bald ausgedehnteste Verwendung.
Man behandelte mit Erfolg die Leukämie, wobei Heineke 1904 auf
den spezifischen Einfluß der Röntgenstrahlen auf den leukoblastischen
Apparat hinwies. Pseudoleukämische Fälle galten von nun an nicht
mehr a/s absolut aussichtslos, Lymphdrüsentumoren in 10—15 cm
liefe konnten mit Sicherheit zur Verkleinerung gebracht werden.
Um das Jahr 1900 ging man in der Czerny sehen Klinik daran,
nach der Entfernung maligner Geschwülste die Operationsstelle nach¬
träglich zu bestrahlen oder auch die Tumoren der Hautwunde vorzu-
hgern und dann kräftig zu röntgen.
Schon sehr früh fand die Kreuzfeuer-Bestrahlungsmethode Ein.
gang: 1904 wurde sie von Levy-Dorn als sogenannte „mehr¬
stellige Bestrahlung" angewandt, 1906 auch von Görl, der mit
j Feldern von der Bauchseite und mit 2 von der Rückenseite her
\orging.
Als Filtermaterial fanden Leder, Stanniol, Glas, Holz, Zink, Kupfer,
versuchsweise auch Silber Verwendung, bis Hans Meyer das
Aluminium in die Röntgentechnik einführte. Unerwähnt soll nicht
bleiben, daß der Begriff der Radiosensibilität um 1907/08 ein¬
geführt wurde und seither die spezifische Empfindlichkeit
der Gewebe gegenüber den Röntgenstrahlen bedeutet.
Sie schwankt ja innerhalb weitester Grenzen, sodaß z. B. leukämische
Drüsen 6mal empfindlicher sind als Warzen, daß Plattenepithelkrebse
ganz anders auf die Radiotherapie reagieren als Adenokarzinome, daß
Rundzellensarkome der Behandlung zugänglicher sind als Spindelzellen¬
sarkome, daß sich höher differenziertes Gewebe eher refraktär ver¬
hält als Gewebe, das dem embryonalen Typ nahesteht. Erfolge und
Mißerfolge der Strahlentherapie und Mißverständnisse in deren Be¬
urteilung finde* in diesen Tatsachen hinreichende Begründung und
Erklärung. (Fortsetzung folgt.)
Die Pharynxsprache bei Laryngektomierten 1 ).
Von Prof. Dr. P. Sudeck in Hamburg.
Uuter den Folgezuständen, die die wegen Kehlkopfkrebses aus¬
geführten Operationen hinterlassen, ist die Beeinträchtigung der
Sprache am schwerwiegendsten. Die Aussicht auf Verlust der Sprache
trägt die Schuld an der Verzettelung manches noch operablen Kehl¬
kopfkrebses.
Wenn sich ein Kankroid des Stimmbandes durch Exstirpation
eines Stimmbandes total entfernen läßt, so ist die Sprachschädigung
nicht allzu schwerwiegend. In der Literatur figuriert der Fall eines
akademischen Lehrers. Ich selbst habe einen Pastor operiert, der
imstande ist, an seiner allerdings nicht sehr großen Kirche zu
amtieren. Die Stimme klingt allerdings heiser. Bei laryngoskopischer
Betrachtung sieht man an Stelle des exstirpierten Stimmbandes einen
Narbenersatz, der dem Ansehen nach sehr große Aehnlichkeit mit
einem normalen Stimmbande hat.
Bei tiefergreifenden Karzinomen sind die Aussichten auf Er¬
haltung der Sprache allerdings viel trüber. Bei diesen Karzinomen
wird heute in der Regel die Totalexstirpation nach Gluck ausge¬
führt (Totalentfernung des Kehlkopfes, Zunähen des Pharynx, Ein¬
pflanzung des Trachealstumpfes in das Jugulum). Bei diesen Ope¬
rationen ist das Schlucken vollkommen unbehindert, jedoch die
Sprache ist zunächst völlig verloren.
Allerdings bildet sich durch Uebung auch ohne Anwendung
eines künstlichen Kehlkopfes eine gewisse Sprechfähigkeit, eine
Pharynxsprache aus. Diese Pharynxsprache ist zunächst und bleibt
bei den meisten Patienten stimmlos. Die Patienten vermögen sich
aber auf kurze Entfernungen und vor allem in gewohnter Umgebung
verständlich zu machen. Einige Patienten gewinnen aber auch die
Fähigkeit, mit einer tönenden Stimme zu sprechen.
Demonstration einer Patientin, die vor einigen Monaten laryng-
ektomiert und jetzt imstande ist, sich durch die Länge eines Zimmers
bequem jedermann verständlich zu machen mit einer tönenden, wenn
auch etwas rauhen und monotonen Stimme. Wenn sie ein dem
Hörer bekanntes Gedicht yorträgt, ist sie bequem durch einen
größeren Hörsaal verständlich.
Dieses Resultat ist um so erstaunlicher, als bei der Laryng-
ektomie nach Gluck zwei Hauptteile des Stimmapparates (die Lunge
als Blasebalg nebst Trachea und der Kehlkopf als Stimmbildner)
ausfallen und einzig noch das Artikulationsorgan (Rachen und Mund¬
höhle) unverändert erhalten ist.
Auf welche Weise werden nun die ausgefallenen Organe ersetzt?
Naeh den Beobachtungen der Literatur kann als Lungenersatz, als
') Nach einer Demonstration Im Aentüchen Verein In Hamburg 11. X. 1981.
sogenannter Windkessel, sowohl der Magen (Stern) als auch der
Pharynx benutzt werden. In unserem Falle wird sicherlich nicht der
Magen als Windkessel benutzt, denn man sieht bei der Untersuchung
vor dem Röntgenschirm keine Bewegung der Magenluft, man hört
keine ruktusartigen Geräusche bei der Sprache, und endlich kann
der Beweis geliefert werden durch einen Gurgelversuch. Die Pa¬
tientin kann etwa 1 1/2 Sekunden lang in normaler Weise gurgeln
und kann diese Gurgelbewegung beliebig oft wiederholen. Wenn
man der Patientin aber die Nase zuhält, so vermag sie nur ein
einziges Mal das Gurgelgeräusch zu erzeugen und kann es nicht
wiederholen. Das beweist, daß der Ersatz der verbrauchten Gurgel¬
luft durch die Nasenhöhle geliefert wird, daß also nicht der Magen,
sondern der Pharynx als Windkessel benutzt wird. In geschickter
Ausnutzung der wenigen, im Pharynx sich befindenden Luft wird
durch Muskelkontraktion des Constrictor pharyngis der zum Sprechen
notwendige Luftstrom erzeugt. Den Kenlkopfersatz aber liefert die
sogenannte 3. Artikulationsstelle, d. h. die Pseudostimme wird er¬
zeugt durch Schwingungen des sich mit dem Zungengrund be¬
rührenden weichen Gaumens und der Gaumenbögen, also genau an
der Stelle, an der normalerweise das Rachen-Ch gesprochen wird.
Wenn man die Zunge vorzieht, ist die Patientin sofort stimmlos.
Der künstliche Kehlkopf hat erhebliche Nachteile (Atmungs¬
schwierigkeiten, Speichelung, höchst monotone und unangenehme
Stimme). Der Zustand der demonstrierten Patientin ist dem eines
Menschen mit einem künstlichen Kehlkopf bei weitem vorzuzieheq.
Ehe wir also bei den Kehlkopfexstirpationen zu einem künstlichen
Kehlkopf die Zuflucht nehmen, müssen wir den Patienten zuerst ver¬
suchen lassen, mit den ihm gebliebenen Organen sich eine verständ¬
liche Sprache auszubilden. Dazu gehört sehr viel Ausdauer und auch
Intelligenz. Ich halte es für möglich, daß man viel nützen kann, wenn
man die Patienten durch Uebung auf den richtigen Weg zu bringen
sucht, wie ich es im hiesigen Phonetischen Institut (Prof. Pancon-
celli-Calzia) gesehen habe. Die Hauptsache aber, glaube ich, muß
von den Patienten selbst geleistet werden, der durch anhaltende Ver¬
suche und Uebungen einen Weg der Tonbildung finden muß, ähnlich
einem Kinde, das allererst das Sprechen lernt. So war es bei meiner
Patientin, die keinerlei Anleitung genossen hat. Vielleicht kann auch
der Operateur helfen, wenn er die Pharynx- und Zungengrundmusku¬
latur und die Schleimhaut des Pharynx nach Möglichkeit schont, da¬
mit ein möglichst großer Windkessel im Pharynx gebildet und dieser
durch die Muskulatur des Pharynx und vielleicht auch des Zungen¬
grundes ausgepreßt werden kann.
Aus der Chirurgischen Universitätsklinik in Freiburg i. Br.
(Direktor: Geheimrat Lexer.)
Die Bedeutung der gruppenweisen Hämagglutination für
die freie Transplantation und Uber die Veränderung
der Agglutinationsgruppen durch Medikamente, Narkose,
Röntgenbestrahlung.
Von Prof. Rudolf Eden,
Durch die in den letzten Jahren vielfach mit Erfolg ausgeführten
Bluttransfusionen bei akuten und chronischen Blutverlusten sowie
bei manchen Erkrankungen haben die Prüfungen auf Hämolyse und
Agglutination auch für die Chirurgen an Interesse gewonnen. Zwar
messen mandie Autoren, welche größere Erfahrungen mit der Blut¬
transfusion gesammelt haben (z. B. Oehleker), den Isoagglutininen
und Isolysinen nur geringe Bedeutung bei, soweit direkte Blut¬
transfusion in Frage kommt. Aber es ist anderseits doch eine
Reihe von für geschwächte Personen besonders unangenehmen Zu¬
fällen, auch Todesfällen, nach der Bluttransfusion beschrieben worden,
welche auf das Vorhandensein yon sog. Isokörpern zurückzuführen
sind. Eine kritische Zusammenstellung darüber mit Literatur findet
sich in der Arbeit von Behne und Lieber (Mitt. Grenzgeb. 1921,
33, S. 291). Es ist daher richtig, die Prüfung auf Isokörper in den
Fällen, wo die Zeit nicht drängt, immer durchzuführen, und man
wird sie bei akuten, bedrohlichen Blutverlusten nur deshalb unter¬
lassen dürfen, weil die Transfusion bei Anwendung einer umständ¬
lichen und zeitraubenden Agglutinationsprüfung dann vielleicht zu
spät käme.
Durch die Einteilung der Menschen nach Agglutinationsgruppen,
welche nach der von Brem modifizierten Mo fischen Methode be¬
sonders von amerikanischer Seite angewandt, bei uns durch die
Arbeiten von Hotz in weiteren Kreisen bekannt geworden ist, ist
es nun möglich, auf schnelle und sichere Weise sich über die
Brauchbarkeit des Spenderblutes zu vergewissern. Es fällt damit ein
Haupthinderungsgrund, der in der Kompliziertheit und Dauer der
bisherigen Prüfungsverfahren für den Praktiker bestand, fort, die
Probe auf Isokörper in jedem Falle anzustellen. Die auf der Gruppen¬
einteilung beruhende Prüfung ist sicherer und ungefährlicher als
die sog. „biologische Vorprobe“, bei der zunächst eine kleinere
Menge Spenderblut injiziert wird und dann aus der Reaktion des
Empfängers (Aussehen, Puls, Atmung) darauf geschlossen wird, ob
keine schädlichen Isokörper vorhanden sind und demnach weiter
transfundiert werden darf. Die Prüfung auf Agglutination genügt,
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
um bei ihrem f ehlen auch Hämolyse in gefährdender Form aus-
schließen zu können (s. Reh ne und Lieber).
Nach beistehendem Schema werden die Menschen hinsichtlich
der aktiven und passiven Agglutinierenden Eigenschaften ihrer Blut-
arteu in 4 Gruppen eingeteilt.
Gruppe 1: Das Serum (S) agglutiniert die Blutkörperchen (E)
von keiner Person; die Blutkörperchen werden agglutiniert durch
das Serum der Gruppen 2, 3, 4.
Gruppe 2: Das Serum agglutiniert die Blutkörperchen von
Gruppe 1 und 3; die Blutkörperchen werden agglutiniert durch
das Serum der Gruppen 3 und 4.
Gruppe 3: Das Serum agglutiniert die Blutkörperchen von
Gruppe 1 und 2; die Blutkörperchen werden agglutiniert durch
das Serum von Gruppe 2 und 4.
Gruppe 4: Das Serum agglutiniert die Blutkörperchen von
Gruppe 1, 2, 3; die Blutkörperchen werden agglutiniert durch das
Serum keiner Person.
Nach Karsner sollen 3,1 o/o aller Menschen der Gruppe 1 an¬
gehören, 42,4o/o der Gruppe 2, 8,3o/o der Gruppe 3, 46,2o/ 0 der
Gruppe 4. Aus dem Schema ergibt sich, daß die Bluttransfusion
von Spendern auf Empfänger derselben Gruppe ausgeführt werden
muß; Transfusionen von der Gruppe 1 auf andere Gruppen sind
relativ ungefährlich, ebenso solche von den anderen Gruppen v auf
Gruppe 4, da nur das Spenderblut in solchem Falle agglutiniert
wird. Transfusionen von Gruppe 3 oder 4 auf Gruppe 2 z. B. ist
dagegen bedenklich, da das Empfängerblut geschädigt wird.
Durch die Freundlichkeit von Prof. Hotz besitzen wir ameri¬
kanisches „Standardserum“ von den Gruppen 2 und 3. Die Prüfung
geschieht damit in der Weise, daß je ein Tropfen des zu unter¬
suchenden Blutes mit je einem Tropfen der beiden Testsera auf je
einen Objektträger zusammengebracht wird. Nach wenigen Minuten
sieht man im Mikroskop, ob Agglutination eintritt oder nicht, und
kann dann nach der Tabelle ablesen, in welche Gruppe der betreffende
Patientspender und -empfänger gehört. Agglutiniert z. B. das Test¬
serum 2, das Testserum 3 dagegen nicht, so gehört der Patient
zur Gruppe 3, agglutinieren beiae nicht, zur Gruppe 4 usw. Mit
Hilfe des Standardserums kann man von Patienten, welche den
Gruppen 2 oder 3 angehören, stets neues Serum dieser Gruppen
gewinnen, Testsera herstellen und vorrätig halten. Nach einiger
Uebung waren wir noch selten im Zweifel, ob wirklich Ag¬
glutination vorlag oder nicht, nämlich dann, wenn keine richtige
Agglutination, sondern nur ein Aneinanderlagern (nicht zu verwech¬
seln mit Geldrollenbildung) eintrat Es gibt höchstwahrscheinlich
Zwischenstufen unter den einzelnen Agglutinationsgruppen, bei denen
bei Einwirkung des Testserums unter Abnahme der elektrischen
Ladung und des Abstoßungsvermögens nur unregelmäßige Ver¬
teilung der roten Blutkörperchen, aber noch keine Verklumpung er¬
folgt. Die später angeführten Versuche, welche die Möglichkeit des
Ueberganges von einer Agglutinationsgruppe in eine andere ergeben,
lassen Uebergangsstufen als sehr wohl möglich erscheinen. Bei
Wiederholung der Probe sind wir zuletzt fast immer zu einer Ent¬
scheidung gekommen, in welche Gruppe der Patient gehört. Ver¬
schiedentlich haben wir bei Patienten derselben Gruppe unsere Re¬
sultate mit komplizierteren Agglutinationsverfahren nachgeprüft und
dann stets gefunden, daß bei Gruppengleichheit auch hierbei keine
Agglutination erfolgte.
Aus der Gruppeneinteilung nach den Prinzipien der Agglutination
ergibt sich nun neben der Bedeutung für die Bluttranslusion eine
Reihe von biologisch und praktisch wichtigen Fragen. Amerikanische
Chirurgen (s. Baldwin, Medical Record, Oktober 1920) haben sie
auf die freie Transplantation angewendet und wollen bei Gruppen¬
gleichheit oder bei Auswechselung von solchen Gruppen, deren
Blut durch den Empfänger nicht agglutiniert wurde (z. B. immer
Gruppe 4 als Spender und immer Gruppe 1 als Empfänger), in
der Regel dauernde Anheilung von homoplastisch verpflanzten Epi¬
dermis- und Hautlappen erreicht haben.
Es war bei den zahlreichen Versuchen an unserer Klinik, durch
welche Lex er als Erster nachweisen konnte, daß homoplastisch ver-
R flanzte Kutis und Epidermis nicht anheilt, selbst wenn sie von
feugeborenen oder Verwandten entnommen wird, von vornherein
unwahrscheinlich, daß nicht auch Ueberpflanzungen unter gleichen
Agglutinationsgruppen vorgekommen waren und trotzdem die Trans¬
plantate abgestoßen wurden. Aber eine Nachprüfung unter den
neuen Gesichtspunkten war jedenfalls erforderlich. Ich verfüge bis¬
her über 4 Fälle, in denen teils Geh.-Rat Lexer, teils ich Epidermis-
transplantationen bei Patienten der gleichen Agglutinationsgruppen
vorgenommen haben. Ein Erfolg ist jedesmal ausgeblie-
ben. Es handelte sich um frische Defekte an der Stirn, nach
Mammaamputationen, am Vorderarm und in der Gegend des Knie¬
gelenkes, auf denen bei richtiger Technik autoplastische Epidermis
regelmäßig anheilt. Zweimal wurde an anderen Stellen der Wunde,
und zwar wurden dafür die ungünstigeren hinsichtlich Heilungs¬
bedingungen genommen, zu gleicher Zeit autoplastisch Epidermis
transplantiert. Sie heilte beide Male vollständig ein. Zwar sah es
zweimal bei der Homoplastik anfänglich so aus, als wenn die Trans¬
plantate anheilen wollten. Nach 3 Wochen saß die Epidermis fest
auf der Wundfläche, nach 4 Wochen war sie aber durch Granula
tionen gelöst und stieß sich allmählich ab.
Die Zahl der Fälle ist bisher gering, aber ein Zufall kann hier,
richtige Technik und Versuchsanordnung vorausgesetzt, wohl kaum
vorliegen. Man kann bei der Beurteilung über Anheilung und Nicht
anheilung von Epidermis und Kutis sehr leicht Täuschungen unter
liegen, z. B. wenn man die Transplantate an die Wundränder legt
und von hier aus das Gewebe des Empfängers einen Ersatz bewirki
solange das Transplantat noch haftet. Auf derartige Täuschungs !
möglichkeiten hat Lexer schon früher verschiedentlich hingewiesen
Wenn man die Vorgänge der Wundheilung und der Agglutination
vom Standpunkte der physikalischen Chemie aus betrachtet, so wird
man verstehen, warum homoplastische Transplantationen selbst dann
nicht gelingen können, wenn die Agglutinationsgleichheit von Spen¬
der und Empfänger eine gewisse biologische Gleichwertigkeit im
Blut und auch im Gewebe anzeigen könnte. Nach den Ergebnissen
der Kolloidchemie zerfällt die Agglutination in zwei Phasen, erstens
das Eintreten einer Bjndung zwischen dem Agglutinin und der
agglutionablen Substanz und zweitens die Ausbildung der Verklum¬
pung. Bei der ersteren Phase sind neben der primären Bindung
durch Adsorption in weiterer Einwirkung chemische Prozesse be¬
teiligt. Eine wichtige Ursache der eintretenden Verklumpung ist die
Abnahme der elektrischen Ladung der Teilchen, wodurch ihr Ab¬
stoßungsvermögen, welches normalerweise die Erythrozyten in
gleicher Entfernung voneinander hält, mehr und mehr verloren geht.
Unregelmäßige Verteilung und endlich Verklumpung wird die Folge.
Physikalische und chemische Kräfte sind demnach beim Agglutination
Vorgang beteiligt, durch ihre Umgestaltung kann er verändert, ge
hemmt oder beschleunigt werden. Hinsichtlich von Einzelheiten über
diese Vorgänge muß ich hier auf die Arbeiten von Bechhold (Die
Kolloide in Biologie und Medizin, Steinkopff, 1920) und Schade
(Die physikalische Chemie in der inneren Medizin, Steinkopff, 1921)
verweisen.
Sind solche Vorstellungen richtig, so muß der Agglutinations
Vorgang im Gewebe bei der durch die Transplantation gesetzten
Entzündung mancherlei Veränderungen unterliegen. Ionen- und Elek
trolyteinflüsse und -Verschiebungen, osmotische Kräfte spielen sich,
ganz allgemein gesprochen, in mannigfacher Weise in jedem ent¬
zündeten Gebiete ab und beherrschen die sich hier entwickelnden
Vorgänge, Hyperämie und Exsudation, Leukozytenauswanderung,
Quellung, Lösung und Spaltung im Wundgewfebe in ausschlaggeben¬
der Weise. Derartige physikalisch-chemische Vorgänge müssen auch
die Agglutinationsverhältnisse im Gewebe, welche nach dem ober,
Gesagten von physikalischen und chemischen Prozessen abhängig
sind, umgestalten, sodaß sie nicht mehr dieselben zu sein brauchen
wie vor der Transplantation und vor den mit ihr geschaffenen ent
zündlichen Vorgängen, auch nicht mehr dieselben wie im Blut der
selben Patienten. Eine gleichbleibende Agglutinationsreaktion in;
Blute bedeutet nicht ein Gleichbleiben des Agglutinationstiters auch
an der Stelle der Transplantation. Wenn also die Zugehörigkeit zu
gleichen Agglutinationsgruppen eine gewisse biologische Gleich¬
artigkeit im Blut und aucn im Gewebe anzeigen könnte, so wünie
sie durch die entzündlichen Prozesse, die mit der Transplantation
einhergehen, an der Transplantationsstelle wieder verloren gehen
Waren die Vorstellungen der Kolloidchemie in ihrem Wesen zu
Recht bestehend, so mußte es auch möglich sein, durch mancherlei,
ganz allgemein ausgedrückt, kolloidbeeinllussende Vorgänge die Ag¬
glutinationsverhältnisse zu ändern und die einzelnen Personen aus
ihren Gruppen herauszubringen. Diese Ueberlegungen haben mich
zu Versuchen geführt, über deren Ergebnisse ich kurz berichten will
1. Medikamente.
1. Patient W., gehört zur Oruppe III, erhält 2 Tage lang l g
Chinin, geht darauf in die Gruppe I, ist nach 9 Tagen wieder in
der Gruppe III.
2. Patient M., gehört zur Gruppe II, erhält 1 Tag 0,5 g Chinin,
1 Tag lg Chinin, geht darauf in die Oruppe I.
3. Patient W., gehört zur Gruppe III, erhält 1 Tag 0,4 Ca
lacticum, geht darauf in die Gruppe I.
4. Patient D., gehört zur Gruppe III, erhält 1 Tag Ca lact
0,2, am 2. Tag ebenfalls Ca lact. 0,2, bleibt darauf in Oruppe Hl.
erhält am 3. Tage 0,2 Ca lact. (im ganzen 0,6), geht darauf in
Gruppe I. Am 4. Tage nach Aussetzen des Medikamentes ist er
wieder in Gruppe III.
5. Patient G., gehört zur Gruppe IV; nach zweimal 0,5 Antipyrin
(in 2 Tagen) bleibt er in Gruppe IV, ebenfalls nach 4mal und 8mal
0,5 (je 0,5 an einem Tage). Nach 13mal 0,5 Antipyrin ergibt die
Probe: Testserum III —, II ± (?, da Aneinanderlagerung). Nach
18mal 0,5 ist Testserum II -f-, HI + (also Gruppe 1), nach 25mai
0,5 gehört er ebenfalls zur Gruppe I. In dieser Gruppe bleibt er
bis zum 10. Tage nach Aussetzen des Mittels. Am 15. Tage nach
der letzten Antipyrindose ist er endgültig wieder in der Gruppe IV
6. Patient M., gehört zur Gruppe IV, erhält Liq. kal. arsenicos
von 3mal 2 bis 3mal 8 Tropfen und dann zurück zu 3ma! 3 Tropfer
(12 Tage). Jetzt gehört er zur Gruppe II und bleibt 19 Tage nacl
Aussetzen des Mittels in dieser Gruppe. Während dieser Zeit wirr
ein Agglutinationsversuch (kreuzweise Auswertung der Blutarten
gegenüber einem anderen Patientenblut und Serum aus der Gruppe I
angesetzt. Agglutination und Hämolyse tritt in sämtlichen Ver
dünnungen nicht ein. 23 Tage nach Aussetzen ist M. in Oruppe Hl
33 Tage danach in Gruppe TV und bleibt in dieser.
Digitized by Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
19. Januar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
87
II. Narkose.
1 Patient R., gehört zur Gruppe IV. Erhält Chloroform-Aether-
narkose; 8 Minuten nach der Exzitation (nach 15 g Chloroform,
125 g Aether) ist er in Gruppe III, 5 Stunden nach der Narkose,
ebenso nach 9 Stunden ebenfalls in der Gruppe III. 3mal 24 Stun¬
den nachher wird die Gruppenzugehörigkeit fraglich, mit Testserum III
tritt unregelmäßige Verteilung auf. Nach 4mal 24 Stunden ist er
wieder in Gruppe IV und bleibt in dieser.
2. Patient E., gehört zur Gruppe IV; nach 30 Minuten Chloro-
form-Aethemarkose ist er in Gruppe III.
3. Patient K., gehört zur Gruppe II; nach 30 Minuten Chloroform-
Aethemarkose ist er in Gruppe IV, ebenfalls 50 Minuten und
10 Stunden nach Beginn der Narkose. Nach 3 Tagen ist er wieder in
seiner alten Gruppe II.
4. 3 weiter untersuchte Patienten, welche außer* Chloroform-
Aetfaernarkose noch Morphium-Atropin erhalten hatten, blieben in
ihren Gruppen. Bei einem trat bei Untersuchung nach 15 Minuten
und nach 30 Minuten unregelmäßige Verteilung, doch keine Ver¬
klumpung auf.
Hl. Röntgenbestrahlung.
1. Patient M. (Prostatakarzinom), gehört zur Oruppe II, nach
2stundiger Bestrahlung ist er in der Gruppe I, nach einer im ganzen
12stündigen Bestrahlung ebenfalls in Gruppe I, 8 Tage nach der
Bestrahlung wieder in Gruppe II.
2 Patient S. (Gesichtskarzinom), gehört zur Gruppe II, am
Schluß einer 3 ständigen Bestrahlung ist er in Gruppe II, 36 Stunden
nach Bestrahlung ebenfalls in Gruppe II, 84 Stunden und ip8 Stun¬
den nach Bestrahlung in Gruppe IV, 11 Tage nach Bestrahlung
wieder in Gruppe II.
3. Patient P. (Lupuskarzinom im Gesicht), gehört zur Gruppe II,
6 Stunden nach einer Sitzung ist er noch in Gruppe II, U/a Stunden
nach einer 2. Sitzung am folgenden Tage ist er in Gruppe IV. In
dieser bleibt er 8 Tage lang, geht dann in seine alte Gruppe II
zurück.
Schlaft. Aus diesen Untersuchungen geht zunächst hervor, daß
die Agglutination der Erythrozyten durch bestimmte Agglutinine und
damit eine Gruppenzugehörigkeit nicht unter allen Umständen bei
demselben Menschen konstant bleibt, sondern daß sie durch Medi¬
kamente oder Vorgänge, welche eine „kolloidverändernde“ Wirkung
haben, beeinflußt und umgestimmt werden kann. Dies ganz all¬
gemein mit Hilfe der Prüfung auf Agglutinationsgruppen festzu-
stdlen, war der Zweck meiner ersten Versuche. Ich habe daher
auch im obigen Versuchsprotokoll manche Zwischenstufen der ein¬
zelnen Gruppen und Zwischenuntersuchungen fortgelassen. Oftmals
ging dem Uebergang von einer Gruppe in die andere ein Schwan¬
ken zwischen Gruppen voraus, das sich in unregelmäßiger Verteilung
zeigte. Ob die gleichen Medikamente die Agglutinationsgruppen
immer in derselben Richtung verschieben, ob sich aus der Wirkungs¬
art Aufschlüsse über kolloidchemische Fragen und über Wirkungs¬
dauer von Medikamenten oder Strahlendosen gewinnen lassen, ver¬
mag ich nicht zu sagen. Wir setzen unsere Versuche fort, und
Dr. Diemer, der sie mit mir zusammen angestellt hat, wird die
ausführlichen Ergebnisse später veröffentlichen. Nach den bisherigen
Erfahrungen behalten die Patienten bei gewöhnlicher Lebensführung
ihre Agglutinationsgruppen bei. Einmal konnten wir den Uebergang
in eine andere Gruppe während der Menstruation beobachten, in
anderen Fällen blieben die Patientinnen in derselben. Es fehlen
noch Versuche bei Gravidität, Allgemcininfektion, fieberhaften Zu¬
ständen, nach sog. Proteinkörpertherapie. Für die Bluttransfusion er¬
gibt sich die Fordenmg, daß die Prüfung auf Agglutination un¬
mittelbar vor ihr bei Spender und Empfänger ausgeführt werden
muß, da Medikamente und die Narkose eine Aenderung der Aggluti-
aationsbedingungen herbeiführen können. Ferner können Medika¬
mente, welche nach der Transfusion gegeben werden, vielleicht auf
das Erhaltenbleiben der eingeführt^n Erythrozyten Einfluß gewinnen.
Aus der Universitäts-Kinderklinik in Breslau.
(Direktor: Prof. Stolte.)
lieber moderne Diphtherieprophylaxe 1 ).
Von Hmos Opitz, Assistent der Klinik.
Wie die Formulierung des Themas ergibt, betrachte ich es als
meine Aufgabe, einen Ueberblick über neue Wege im Kampfe gegen
die Diphtherie zu geben , wobei natürlich auch etwaige ältere Metho¬
den kritisch be/euemet werden sollen. Wenn ich mich dabei nur auf
die Berücksichtigung biologischer Methoden beschränke, so soll da-
mit nicht zum Ausdruck gebracht werden, daß die auf Grund jahr¬
zehntelanger Erfahrungen aufgestellten sanitätspolizeilichen Ma߬
nahmen sowie die Ergebnisse der bakteriologischen Forschung weni-
wichtig für die Diphtherieprophylaxe erscheinen. Ihre Bedeutung
% \ a allgemein anerkannt In gleichem Maße gilt dies nicht für die
Verfahren, die auf biologischem Wege den Kampf gegen die Diphtherie
anstreben. Ueber die Notwendigkeit dieses Kampfes dürfte kein
Zweifel bestehen Denn wenn auch dank der genialen Erfindung des
') Vach einem am
!1,r1 KMerheffkrmife in
14. XI- I 921 au * Veranlassung des Vereins für innere Medizin
Berlin {PSdffltrlsche Sektion) gehaltenen Vorfrage
Diphtherieheilserums durch Behring die Mortalität von 35—40o/ 0
auf 8—150/0 zurückgegangen ist, so fordert die Diphtherie im Deut¬
schen Reiche immer noch jährlich etwa 10 000 Opfer, ganz abgesehen
von der großen Zahl derer, die die Krankheit zwar überstehen, aber
doch lebenslängliche Schädigungen davontragen. Leider hat sich die
Hoffnung Behrings, durch das Heilserum nicht nur die Mortalität,
sondern auch die Morbidität zu verkleinern, nicht erfüllt. Wohl ge¬
lingt es, ein Individuum mit Hilfe des Serums vor der Erkrankung
zu schützen, für eine wirksame allgemeine Prophylaxe ist dies Ver¬
fahren jedoch ungeeignet. Denn
- 1. währt der Schutz nur drei Wochen, da bekanntlich heterogene,
d.h. artfremde Schutzkörper sehr rasch wieder ausgeschieden werden;
2. tritt bei einer Rei'njektion ein beschleunigter Antitoxinschwund
ein, und
3. ist selbst für viele Aerzte die Sensibilisierung durch Serum ein
Grund, von derartigen prophylaktischen Injektionen Abstand zu
nehmen, wobei zweifellos vielfach die Gefahr der Anaphylaxie über¬
schätzt wird.
Unvergleichlich wirksamer als die passive Immunisierung mit
artfremden Schutzstoffen ist die Zuführung artgleicher. Im Tierversuch
wie beim Menschen ließ sich nämlich nachweisen, daß homogenes
Antitoxin monatelang im Körper kreisen kann. Praktisch kommt
dieses Verfahren für die Diphtheriebekämpfung jedoch nicht in be¬
tracht. Neben der Schwierigkeit, beim Menschen ein sehr hoch¬
wertiges Serum zu erzielen, verbietet die Umständlichkeit der Anti¬
toxinbestimmung eine allgemeine Anwendung.
Im Gegensatz zu der kurzdauernden Schutzwirkung, die durch
passive Immunisierung erreicht wird, vermag bekanntlich die aktive
auf Jahre hinaus Schutz zu verleihen, wie z. B. die Jennersehe
Pockenimpfung zeigt. Daher suchte man auch im Kampfe gegen die
Diphtherie nach Methoden, eine Vermehrung der Abwehrkräfte durch
aktive Beteiligung des Körpers herbeizuführen. Die Richtigkeit der
Voraussetzung, daß ein gewisser Antitoxintiter vor der diphtheri¬
schen Erkrankung bewahre, konnte durch zahlreiche Tierversuche
erhärtet werden. Immunisiert man beispielsweise Meerschweinchen
aktiv oder passiv, so vertragen sie ohne irgendwelche Krankheits¬
erscheinungen Toxin- bzw. Diphtheriebazillenmengen, die die ein¬
fache tödliche Dosis um ein sehr Vielfaches übersteigen. Die gleiche
Beobachtung wurde bei der präventiven Bekämpfung der Diphtherie
durch Heilserum gemacht. Solange noch Reste des passiv zuge¬
führten Antitoxins im Organismus vorhanden sind, kommt es im allge¬
meinen trotz hinreichender Infektiousgelegenheit zu keiner Erkrankung.
Und zwar hält Behring auf Grund zahlreicher Antitoxinbestim¬
mungen Individuen mit Vioo^Vl-o AE pro Kubikzentimeter Serum
für hinreichend geschützt. Ausnahmen kommen allerdings vor. So
fand ich unter 26 Diphtheriekranken in je 2 Fällen l /oo und 7<o AE
pro Kubikzentimeter Serum, in einem Falle sogar 1 AE, während
die andern 21 Kinder ./Vioo AE aufwiesen. In diesen Ausnahmefällen
dürfte der Infektionsmodus und die individuelle Disposition eine
bedeutsame Rolle spielen.
Das Problem, eine aktive Immunisierung gegen Diphtherie herbei¬
zuführen, ist in erster Linie bei Tieren studiert worden. Galt es doch
nach Einführung des Behring sehen Heilserums, in großem Umfange
Antitoxin zu gewinnen. Als der geeignetste Spender erwies sich be¬
kanntlich das Pferd. Man ging dabei so vor, daß man kleine Mengen
reinen Toxins als Antigen injizierte und allmählich die Dosen steigerte.
Dabei kam es nicht selten vor, daß die Tiere an Kachexie zugrunde¬
gingen oder an langdauernden Lähmungen erkrankten. Bei der Kost¬
barkeit des Materials suchte man nach Mitteln, die gefährliche Kom¬
ponente auszuschalten, ohne den immunisatorischen Effekt aufzu-
neben. Einwirkungen physikalischer und chemischer Art führten nicht
zum Ziele. Dagegen stellte es sich heraus, daß ein Zusatz von Anti¬
toxin zu der als Vakzine zu verwendenden Diphtheriebouillon die
Impfung nicht illusorisch machte. Diese Tatsache konnten Behring
und sein Mitarbeiter Wern icke bereits im Jahre 1891/92 feststellen.
Das im Jahre 1895 dann von Babes empfohlene Immunisierungs-
verfahren mit Toxin-Antitoxingemischen wurde verschiedentlich mit
wechselnden Ergebnissen nachgeprüft, im allgemeinen sprach man
sich jedoch für die Wirksamkeit desselben aus. In neuerer Zeit hat
Loe wen stein die immunisierende Wirkung ausgeglichener bzw.
überneutralisierter Toxin-Antitoxingemische beim Meerschweinchen
nachgewiesen.
Unvergleichlich spärlicher sind die Immunisierungsversuche, die
beim Menschen angestellt worden sind. Hier war es wohl immer die
Scheu vor eventuellen Toxinschädigungen, die die Arbeiten auf diesem
Gebiete nicht vorwärts kommen ließ. Im Jahre 1902 erprobte der
russische Forscher Dzerjgowski an sich die Wirkung sehr häufiger
subkutaner Injektionen verdünnten Toxins, einige Janre später be¬
nutzte er mit unverdünntem Diphtheriegift getränkte Tampons, die
er in die Nase applizierte. Nach beiden Methoden konnte er bei sich
eine geringe Antikörperdroduktion feststellen. Eine Nachprüfung des
letztgenannten Verfahrens durch Blumeuau ergab unbefriedigende
Resultate, 1912 berichtete Petruschky über die Verwendung ab-
getöteter Diphtheriebazillen zur Entkeimung von Bazillenträgern. Anti¬
toxinbestimmungen wurden von ihm leider nicht vorgenommen. Eine
nennenswerte Anwendung hat dieses Verfahren meines Wissens nicht
gefunden. Behring war es wieder, der auch auf diesem Gebiete
bahnbrechend wirkte. Nachdem sich seine Erwartungen, mit dem
Heilserum nicht nur ein therapeutisches, sondern auch ein prophylakti¬
sches Mittel der Menschheit gegeben zu haben, nicht erfüllt hatten,
suchte er auf anderem Wege die Diphtherie als Volksscuche auszu-
Digitized b"
Google
Original ftom
CORNELL UNIVERSUM
88
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 3
rotten. Dabei ging er von der bereits im Tierversuch festgestellten
Tatsache aus, daß Zusatz von Antitoxin zu einer Diphthenebouillon
den immunisatorischen Effekt nicht aufhebt. Und zwar benutzte er
Gemische mit einem Toxinüberschuß von wechselnder Menge. Nach¬
dem so eine ganze Reihe von Präparaten in zahlreichen Versuchen
an den verschiedensten Tierarten erprobt worden war, übertrug
Behring sein Verfahren auf den Menschen. Seine damaligen klini¬
schen Mitarbeiter — ich nenne nur Hahn, Hagemann, Zange¬
meister, Viereck, K1 ei nschm idt, Kißling, Bauer,
Schreiber — haben an etwa 3000 Personen, wie Ben ring 1914
auf dem Kongreß für Innere Medizin berichten konnte, die Unschäd¬
lichkeit und Wirksamkeit seiner Vakzine nachgewiesen. Seitdem sind
sehr viele Impfungen in Deutschland, Holland und England mit Erfolg
ausgeführt worden. Ganz besonders aber hat die Immunisierungs-
metnode mit unterneutralisierten Toxin-Antitoxingemischen in Amerika
Eingang gefunden, wo die Impfpräparate von staatlichen Instituten
geliefert werden. Die Impfgemische, die in den letzten Jahren aus¬
schließlich von den Behring-Werken abgegeben wurden, enthalten
einen Giftüberschuß von 100 bzw. 1000 Ln-Dosen in einem Kubik¬
zentimeter (TA VII und TA VI). Unter einer Ln-Dosis versteht man
diejenige Giftmenge, die am Meerschweinchen bei intrakutaner Appli¬
kation eben noch Nekrose hervorruft. Nach meinen Erfahrungen
dürfte die Toxinempfindlichkeit der Haut bei Mensch und Meer¬
schweinchen annähernd gleich groß sein, d. h. eine Ln-Dosis löst
beim Menschen, intrakutan injiziert, im allgemeinen . eine zwar
schwache, aber sichere Toxinreaktion aus. Eine Giftmenge von
10 Ln-Dosen kann bei antitoxinfreien Personen schon Nekrose her-
vorrufen, braucht es aber nicht immer zu tun. Als antitoxinfrei be¬
zeichne ich dabei Individuen mit Z Vioo AE pro Kubikzentimeter
Serum.
Auf Grund zahlreicher Untersuchungen empfiehlt es sich, bei
der Impfung folgendermaßen vorzugehen: Da die Empfindlichkeit
gegen die Vakzine individuell sehr verschieden ist, injiziert man
zunächst eine etwa 20fache Verdünnung des schwächeren Präparats
TA VII und steigert dann nach je 2 Tagen die Konzentration, bis
man eine Reaktion mit deutlicher Infiltration und einer mindestens
2 cm im Durchmesser betragenden Rötung erhält. Diese immuni¬
sierende Injektion wird nach 10—14 Tagen wiedeiholt, da eine
Reinjektion die Antikörperproduktion beschleunigt und verstärkt. Bei
den weniger empfindlichen Säuglingen kann man unbedenklich etwa
die gleichen Verdünnungen des einen etwa lOmal größeren Toxin¬
überschuß führenden Präparates TA VI benützen. Neben der Lokal¬
reaktion, die häufig Schmerzen oder Spannung verursacht, kommen
nicht selten auch Drüsenschwellungen und Temperatursteigerungen
als Ausdruck einer Allgemeinreaktion zur Beobachtung, die jedoch
meist nach 48 Stunden wieder abgeklungen sind. Der Zeitpunkt, an
dem die ersten Schutzstoffe nachweisbar werden, ist verschieden;
man hat schon nach 5 Tagen eine Antikörperproduktion feststellen
können, was jedoch im ganzen selten sein dürfte; mit 8—14 Tagen
hat man bereits recht beträchtliche Mengen gefunden, während andere
Autoren erst vom 23.-25. Tage ab Antitoxin nach weisen konnten.
Verschiedene Faktoren spielen dabei eine Rolle: einmal die Anzahl
der voratfsgegangenen Injektionen, dann die Stärke der Reaktion.
Besonders in den Fällen, wo Allgemeinreaktionen ausgelöst worden
sind, hat man eine erhebliche Titersteigerung feststellen können.
Schließlich ist das Individuum selbst von großer Bedeutung. Es ist
viel leichter, einen bereits bestehenden Antikörpertiter in die Höhe
zu treiben, als bei einem antitoxinfreien Individuum überhaupt eine
Antikörpeiproduktion auszulösen. Bei dem oben angegebenen Ver¬
fahren dürfte etwa 14 Tage nach Injektion der immunisierenden
Dosis bei der Mehrzahl der Fälle ein einigermaßen ausreichender
Schutz erreicht sein. Freilich muß man sich klar darüber sein, daß
es nicht in allen Fällen gelingt, eine rasche Antikörperproduktion
herbeizuführen. Manche Individuen erweisen sich überhaupt als refrak¬
tär, eine Tatsache, die man nicht dem Verfahren zur Last legen darf,
sondern die in der sicher vorkommenden Unfähigkeit, Antikörper
aktiv zu bilden, ihre Erklärung findet. Andere lassen erst nach
mehrfach wiederholten Injektionen und nach 2—3—4 Monaten eine
Produktion von Schutzstoffen erkennen. Die prozentualen Angaben
der verschiedenen Autoren über den Impferfolg schwanken sehr.
Die Resultate von Park und Zingher, die bei schutzfreien Indi¬
viduen nur in 25% eine aktive Immunisierung erzielen konnten,
dürften jedoch ungewöhnlich schlecht sein. Im allgemeinen kann man
wohl mit einer relativ rasch eintretenden Immunität von 60—80%
rechnen. Eine Ausnahme machen junge Säuglinge bis zu etwa vier
Monaten, die ja bekanntlich sehr schlechte Antikörperbildner sind.
Hier hat die Impfung nur in einem sehr geringen Prozentsatz den
gewünschten Erfolg gehabt.
Wie ich schon erwähnte, dürfte ein Gehalt von V20 AE pro Kubik¬
zentimeter Serum im allgemeinen vor Erkrankung schützen. Diesen
Titer nicht nur zu erreichen, sondern erheblich zu überschreiten, muß
das Ziel der aktiven Immunisierung sein. Der Modus des Antitoxin¬
schwundes begründet diese Forderung. Bei aktiver Immunisierung
sowohl wie bei Einverleibung homogener Antikörper fällt die Anti¬
körperkurve einige Tage nach Erreichung des Gipfels steil ab, um
dann längere Zeit eine gewisse Konstanz zu zeigen und erst ganz
allmählich weiter zu sinken. Je geringer nun der durch die Impfung
erzielte höchste Antitoxingehalt ist, desto rascher wird der absolute
Nullpunkt erreicht sein. Faktoren, die den Eiweißabbau fördern,
wie Fieber, kachektisierende Prozesse, Nephritis usw., sollen den
Antikörperschwund beschleunigen.
Difitized by Google
Die Dauer des Schutzes wird also individuell sehr verschieden
sein, im allgemeinen glaubte Behring, mit einer einjährigen Wirk¬
samkeit rechnen zu dürfen. Nach Angaben amerikanischer und hol¬
ländischer Autoren erstreckt sie sich auf 2—4 Jahre. Von Bedeutung
ist die Tatsache, daß man einen bereits sehr gesunkenen Titer durch
eine einmalige Injektion rasch wieder erhöhen kann.
Die von den verschiedensten Autoren im In- und Ausland ge¬
wonnenen praktischen Erfahrungen haben eine volle Bestätigung aer
erwarteten Wirksamkeit gebracht. Diese sind besonders an An-
stalts- und Krankenhausinsassen, Pflegepersonal usw. gesammelt wor¬
den. Wo trotz der Impfung noch Erkrankungen vorkamen, verliefen
sie sehr leicht. Eine Erhöhung der Infektionsgefahr unmittelbar nach
der Impfung im Sinne der Schaffung einer negativen Phase wurde
nirgends beobachtet. Sehr interessant sirfd die statistischen Erhebun¬
gen, die Bieber im vorigen Jahre veröffentlicht hat. Im Jahre 1913
war in 6 Dörfern des Regierungsbezirks Magdeburg eine große
Anzahl von Kindern mehr oder weniger vollständig immunisiert
worden. Durch sehr sorgfältige Nachforschungen hat Bieber 1920
festgeStellt, daß von insgesamt 3275 nicht immunisierten Kindern im
Laufe der Jahre 15% an Diphtherie erkrankt waren, von 1097 im¬
munisierten dagegen nur 4,6%. Berücksichtigt man nur die'Vollimmuni-
sierten, so ist das Resultat noch erheblich besser; die Morbidität
dieser war etwa Vs so groß wie die der Nichtvakzinierten.
Während also an der Wirksamkeit des Behringschen Mittels
in prophylaktischer Hinsicht kein Zweifel bestehen kann, hat es die
Hoffnungen, die man in therapeutischer Beziehung an dasselbe
knüpfte, nicht erfüllt. Versuche, Bazillenträger mit Hilfe der aktiven
Immunisierung keimfrei zu machen oder postdiphtherische Lähmungen
zu beseitigen, sind im ganzen als fehlgeschlagen zu betrachten.
Wir gehen, wie bereits erwähnt, bei der aktiven Immunisierung
von der Annahme aus, daß eine gewisse Menge Antitoxin vor der
Erkrankung schütze. Nun besitzt bekanntlich ein Teil der Menschen
schon Schutzstoffe, die sie im Laufe der Jahre vermutlich infolge
latenter Durchseuchung erworben haben. Bei diesen würde sich also
die aktive Immunisierung erübrigen. Die Möglichkeit, derartige schon
geschützte Individuen durch eine einfache biologische Reaktion zu
erkennen, verdanken wir Schick. Schick konnte nämlich den
Nachweis führen, daß eine intrakutan applizierte Dfphtherietoxin-
lösung bei Antitoxin besitzenden Individuen keine Reaktionen her¬
vorruft, während ungeschützte mit Infiltration und Rötung reagieren
Und zwar empfiehlt Schick, */so Dosis letalis zu injizieren, wobei
unter einer Dosis letalis die Menge Toxin zu verstehen ist, die ein
Meerschweinchen von 250 g tötet. Die Verdünnung richtet sich
natürlich nach der Toxizität der Bouillon; Schick verwandte 500-
und lOCOfache Verdünnungen. Der negative Ausfall der Reaktion
zeigt einen Antitoxingehalt von etwa V 30 AE an, eine Menge, die
für prophylaktische Zwecke im allgemeinen ausreichend sein dürfte.
Nur sehr junge Säuglinge können trotz fehlender Schutzstoffe negativ
reagieren. Tatsächlich haben außerordentlich zahlreiche Versuche,
die besonders in Amerika angestellt wurden, die Brauchbarkeit dieses
Verfahrens ergeben. Während der negative Ausfall der Reaktion
eindeutige Resultate liefert, vorausgesetzt, daß die verwandte Di-
E htherieDouillon keine Abschwächung erfahren hat, was leider sehr
äufig und völlig ungesetzmäßig geschieht, muß man für den posi¬
tiven Ausfall eine Einschränkung machen. Bessau machte nämlich
schon 1912 die Beobachtung, daß Diphtheriebouillonlösungen, in denen
die Toxinkomponente durch Ueberneutralisierung mit Antitoxin aus-
geschaJtet worden war, noch Reaktionen auslösen konnten. Diese
sogenannten paradoxen Reaktionen treten unabhängig von dem Schutz¬
stoffgehalt des Blutes auf. Die Wiener Schule deutet diese Reaktion
als Ueberempfindlichkeit gegen Bakterienproteine, bedingt durch eine
infolge Bazillenimports vorausgegangene Sensibilisierung. Ich sehe
darin mit Bessau eine Endotoxinwirkung. Die hierfür maßgebenden
Gründe anzugeben, würde zu weit führen. Erwähnt sei nur noch,
daß man bei genügender Konzentration der Bouillon diese paradoxe
Reaktion bei allen Individuen auslösen kann. Unterscheidungsmerk¬
male gegenüber der echten Toxinreaktion gibt es zwar, doch dürfte
die richtige Deutung nur dem Geübten möglich sein. An Wert büßt
die Sch ick sehe Intrakutanprobe infolge dieser paradoxen Reaktion
jedoch nicht wesentlich ein. Wird doch dadurch höchstens das eine
oder andere Individuum der Impfung zugeführt, das eine Immuni¬
sierung nicht mehr nötig hätte. In diesem Zusammenhang erscheinen
auch die nach der Behringschen Vakzine entstehenden Lokal¬
reaktionen in einem andern Licht. Da hier nur sehr schwache Bouillon¬
verdünnungen benutzt werden, wird manche als Toxinwirkung ge¬
deutete Reaktion, manche Ueberempfindlichkeitserscheinung in aer
paradoxen Reaktion ihre Erklärung finden.
Wie aus meinen Ausführungen hervorgeht, gilt als Maßstab
für unsere Giftdosierung die Toxinempfindlichkeit des Meerschwein¬
chens. Die verschiedenen Tierarten verhalten sich jedoch recht ver¬
schieden. So konnte Behring interessanterweise nachweisen, daß
ein für Meerschweinchen'neutrales Toxin-Antitoxingemisch bei einem
Esel eine lebhafte Fieberreaktion mit nachfolgender bedeutender
Antikörperproduktion auslöste. Noch empfindlicher zeigten sich Affen,
die nach mehrmaligen Injektionen selbst hoch übemeutralisiertei
Toxin-Antitoxingemische subakut an Diphtherievergiftung starben. Auf
Grund dieser Beobachtungen kam Behring zu dem Schluß, daß.ein
in titro neutralisiertes Toxin-Antitoxingemisch nicht eine unter allen
Umständen irreversible chemische Verbindung darstellen könne. Die
Menschen erwiesen sich viel weniger empfindlich als die Affen, und
die Tatsache, daß Behring zur Immunisierung untemeutralisierte
Original from
CORNELL UNÜVERSITV
19. Januar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
89
Präparate verwandte, weist darauf hin, daß er beim Menschen sogar
einen Toxinüberschuß für notwendig hielt. Es erschien nun interessant
und von prinzipieller Bedeutung, festzustellen, welcher Faktor in
einem Toxin-Antitoxingemisch beim Menschen immunisierend wirkt.
Ist es der freilich oft nur sehr geringe Toxinüberschuß, oder wird
in vivo aus der Bindung Toxin-Antitoxin Toxin frei, das dann als
Antigeu wirken kann? In Verfolgung dieser Frage ließ sich zeigen:
1. daß ein infolge Giftabschwächung neutral gewordenes Impf¬
präparat von Behring zur Antikörperproduktion befähigt,
2. daß reine Toxinverdünnungen, deren Konzentrationen der
individuellen Empfindlichkeit angepaßt waren, die aber mindestens
20 Ln-Dosen enthielten, etwa gleich wirksam sind, und
3. daß die Dosis immumsatoria minima größer als 1 Ln-Dosis
sein muß.
Durch diese Versuche war der Beweis erbracht, daß in einem
ausgeglichenen Toxin-Antitoxingemisch sehr geringe, am Meerschwein,
dien nicht meßbare Mengen freien Toxins keine immunisatorische
Wirkung ausüben. Damit konnte freilich nicht ohne weiteres der
zweite Teil unserer Hypothese, ob eine Trennung der Verbindung
Toxin-Antitoxin in vivo erfolge, bejaht werden. Es galt noch, die
in einer Diphtheriebouiilon vorhandenen Toxoide und Toxone, denen
gleichfalls immunisierende Fähigkeiten zugesprochen werden, auszu¬
schalten. Dies sollte durch eine fünffache Ueberneutralisierung be¬
wirkt werden. In der Tat hatte die subkutane bzw. intravenöse In¬
jektion der fünffachen Menge unserer Impfdosis bei zwei Meer¬
schweinchen und einem Kaninchen keinerlei Schädigung, weder Ka¬
chexie noch Lähmung zur Folge. Bemerkenswerterweise ließ sich
in der Mehrzahl der Fälle eine Antikörperproduktion herbeiführen,
die in einem Fall mehr als das 500 fache des Anfangstiters betrug,
ein Effekt, wie er in diesem Maße bei ausgeglichenen Gemischen
und reinem Toxin nicht erzielt wurde. Gegenüber den Loewen-
stein sehen Tierversuchen, der bei Verwendung überneutralisierter
Präparate eine nicht unerhebliche Verzögerung der Antikörperbildung
im Vergleich zu reinem Toxin fand, sei hervorgehoben, daß dies bei
mir nicht der Fall war. Die Antitoxinbestimmungen erfolgten wie in
den beiden ersten Versuchsreihen nach 20 Tagen. Das Ausbleiben der
Titersteigerung in zwei Fällen spricht nicht gegen die Brauchbarkeit
der Methode. Die Impfungen wurden ja fast ausnahmslos an schutz¬
stoffreien Individuen vorgenommen, deren Immunisierung sich, wie
bereits erwähnt wurde, oft sehr schwierig gestaltet. Für eine Prozent¬
berechnung sind natürlich so wenige Fälle überhaupt nicht geeignet.
Darauf kommt es hier zunächst auch weniger an als auf die Fest¬
stellung, daß auch im menschlichen Organismus aus einem übemeutra-
lisierten Toxin-Antitoxingemisch Toxin wieder abgespalten wird, das
dann seine immunisierende Wirkung entfalten kann.
Die Erklärungsversuche für diesen hochinteressanten biologischen
Vorgang seien nur gestreift. Ein Freiwerden des Toxins durch ganz
allmählichen Abbau des Antitoxinmoleküls, wie Loe wen stein an¬
nimmt, halten wir unter Berücksichtigung unserer bisherigen Kennt¬
nisse von der Resistenz dieser beiden Körper und im Hinblick auf
den relativ schnellen Eintritt der Immunität nicht für sehr wahr¬
scheinlich. Eher dürfte es sich um eine raschere Sprengung handeln,
wobei vielleicht günstigere Resorptionsbedingungen für das kleinere
Toxinmolekül eine Rolle spielen. Möglicherweise kommt auch eine
größere Avidität des Toxins zu den Gewebsrezeptoren als zu den
freien, d. h. den Antitoxinen, in Frage.
Der naheliegende Versuch, auf (fiesem Wege passive und aktive
Immunisierung zu kombinieren, um so auch für die Zeit bis zum
Auftreten der ersten Antikörper einen Schutz zu verleihen, mi߬
glückte. Derartige hoch überneutralisierte Gemische wirkten weder
bei intra- noch bei subkutaner Applikation in nennenswertem Maße
immunisierend. Auch die unmittelbar nacheinander erfolgende ge¬
trennte Injektion von Heilserum und einem ausgeglichenen Toxin-
Antitoxingemisch lieferte keine brauchbaren Ergebnisse. Es bleibt
demnach nur die Wahl zwischen aktiver oder passiver Immunisierung.
Die Tatsache, daß es gelingt, mit übemeutralisierten Toxin-
Antitoxingemischen, d. h. mit atoxischen Impfstoffen aktiv zu immu¬
nisieren, hat nicht nur theoretisches, sondern auch ein sehr erheb¬
liches praktisches Interesse. Werden wir doch durch diese Methode
in die Lage versetzt, die aktive Immunisierung einfacher zu gestalten,
und je bequemer ein Verfahren ist, desto leichter führt es sich ja
ein. Die Vorteile gegenüber der Verwendung unterneutralisierter
Vakzine sind groß* Bei atoxischen Präparaten haben wir es nicht
nötig, mit probatorischen Injektionen die Empfindlichkeit des Indi¬
viduums zu prüfen, sondern hier können wir gleich die eigentliche
immunisierende Dosis injizieren. Sind doch keine Toxinwirkungen
zu erwarten, sondern nur sogenannte paradoxe Reaktionen, die zwar
audi mitunter einen ziemlich erheblichen Umfang annehmen können,
aber nach unseren Erfahrungen bei Menschen niemals zu Nekrose
oder Alleemeinreaktionen führen. Auch die Haltbarkeit der Präparate
Jpcrenüber den häufig Toxinabschwächungen unterworfenen
unterneutralisierten Impfstoffen einen großen Vorteil. Vier Monate
ripmicrhe erwiesen sich noch als voll wirksam, und die Tat-
tirhe daß Loewenstein 7 Jahre alte Vakzine noch brauchbar
fand bereditfg* zu der Annahme, daß die Anwendungsdauer relativ
unbegrenz* s^n ^ crsllc j, en wurx j en stets zweimal 0,1 ccm Vakzine
_ » Zwischenräumen verabfolgt. Sicherlich vermag schon
HÄe Impfung eine AntikörpeFproduktion herbeizuführen,
mit BüHrtirhf auf die zu erwartende Beschleunigung und Verstärkung
ÄfeatoriUien Effektes sollte man jedoSh auf die Reinjektion
im allgemeinen nicht verzichten. Zunächst möchte ich die intra¬
kutane Applikation empfehlen, da es bei meinen Versuchen den
Anschein hatte, als ob diese der subkutanen überlegen sei.
Eine generelle Durchführung der aktiven Immunisierung gegen
Diphtherie, etwa wie die Jennersche SchutzpoCkenimpfung, halte ich
nur dort für nötig, wo die Krankheit endemisch auftritt und recht
beträchtliche Opfer fordert. Im übrigen dürfte sie für besonders
gefährdete Personen, z. B. für das Pflegepersonal auf Diphtherie¬
stationen, öder für Schulen, Kindergärten, Anstalts- und Kranken¬
hausinsassen bei Ausbruch einer Epidemie, dringend zu empfehlen
sein. Mit Rücksicht auf die Harmlosigkeit der Vakzination kann
man wohl auf eine Auswahl der ungeschützten Individuen mit Hilfe
der Schicksehen Intrakutanreaktion verzichten und unterschiedslos
impfen. Die passive Immunisierung dagegen dürfte bei unmittelbarer
Bedrohung durch Erkrankungen in der nächsten Umgebung, die einer
ständigen ärztlichen Kontrolle nicht zugänglich ist, oder bei beson¬
ders bösartigem Charakter der Epidemie vorzuziehen sein.
Nach meiner Ueberzeugung wird sich die aktive Immunisierung
mit ausgeglichenen oder schwach überneutralisierten Toxin-Antitoxin-
gemischen in der Praxis ebenso wirksam erweisen wie das Behringsche
Verfahren. Aller Wahrscheinlichkeit nach spielt auch bei diesem
die Trennung von Toxin und Antitoxin die Hauptrolle und nicht
das überschüssige, häufig bis zur Unwirksamkeit verdünnte freie
Toxin. Ueber gute Erfolge mit neutralen Impfgemischen hat unlängst
Kassowitz aus Wien berichtet, der die Ergebnisse der Loewen-
ste in sehen Tierversuche beim Menschen anwandte. So darf ich
denn der Hoffnung Ausdruck geben, daß die aktive Immunisierung
mit atoxischen Impfstoffen die Methode der Wahl werden und all¬
gemein Eingang finden wird, denn sie ist wirksam, unschädlich, sehr
wenig beschwerlich und einfach in der Anwendung. Die praktische
Erfahrung muß lehren, wieweit etwa in methodischer Hinsicht Aende-
rungen zweckmäßig sind und wie lange der Impfschutz währt.
Aus der Prosektur der Krankenanstalt Rudolfsstiftung (Vorstand:
Hofrat Prof. Paltauf) und der Prosektur des Franz Josef-Spitales
(Vorstand: Prof. Oskar Stoerk) in Wien.
Ueber die chemische Zusammensetzung der bei den
serologischen Luesreaktionen gebildeten Flocken.
Von Dr. Emil Epstein und Dr. Fritz Paul.
Klostermann und Weisbach 1 ) veröffentlichten vor kurzem in
der D. m. W. die Ergebnisse von Untersuchungen über die chemische
Zusammensetzung der Flocken bei der Sachs-Georgi-Reaktion, nach
welchen in den Flocken bei den positiven Serumproben der Sachs-
Georgi-Reaktion nicht nur Lipoide des Extraktes, sondern in erheb¬
licher Menge auch Eiweißstoffe des Serums vorhanden wären.
Da nun die sämtlichen serologischen Luesreaktionen — die Sachs-
Georgi-Reaktion, die Meinicke-Reaktion (D.M.R.) und die Wa.R. —
unserer Ansicht nach auf identisch-physikalischen Flockungsvorgängen
beruhen, ergibt sich ein Widerspruch zwischen diesen Untersuchungs¬
ergebnissen mit Feststellungen unserer Arbeiten 2 ), aus denen hervor-
gent, daß die Flocken der positiven Serumproben der Meinicke-
Reaktion (III. Modifikation D.M.R.) ausschließlich aus Lipoiden be¬
stehen, sowie auch mit Erhebungen Niederhoffs 3 ), der die Flocken
der Sachs-Georgi-Reaktion und der Meinicke-Reaktion untersuchte und
nachwies, daß sie fast ausschließlich von Lipoiden gebildet seien.
Unsere Untersuchungen wurden überdies jüngst von Lieb 4 ) durch
exakten chemischen Nachweis bestätigt und nicht unwesentlich er¬
gänzt.
Klostermann und Weisbach gehen, in Kürze wiedergegeben,
folgendermaßen vor:
208 ccm vorschriftsmäßig mit 1040 ccm 0,85<>/oiger NaCl-Lösung
verdünnten Sachs-Georgi-Extraktes werden mit 500 ccm im vorge¬
schriebenen Mengenverhältnis mit 0,85°/oiger NaCl-Lösung (2000 ccm)
verdünnten Luetikerserums bei 37° zur Ausflockung gebracht. Die
so entstandenen Flocken werden so lange mit Aqua destillata
gewaschen, bis die Waschflüssigkeit eiweißfrei ist, sodann die Flocken
m destilliertem Wasser aufgenommen und im Apparat nach Katz
einer Aetherextraktion unterworfen. Hierauf wird die ätherlös¬
liche und die ätherunlösliche Fraktion getrennt untersucht.
Das Gewicht der ätherlöslichen Fraktion wurde mit 202mg
bestimmt, die Fraktion selbst bei qualitativer Untersuchung als Lipoide
bzw. Spaltprodukte von solchen erwiesen.
Der ätherunlösliche Rest wurde sodann in einer kochsalz¬
haltigen Kalilaugenlösung aufgenommen und ein geringer Teil des
Flockenrestes in Lösung gebracht. Es resultierten nach sorgfältiger
Filtration ein löslicher Anteil (a) und ein unlöslicher Rest (b).
Im gelösten Anteil (a) fällen Klostermann und Weis-
bach durch Halbsättigung mit Ammonsulfat unter Einleitung von
CO* spärliche Mengen eines Niederschlages, der als Globulin an¬
gesprochen wird und dessen Gewichtsmenge nach Filtration und
Trocknung 4 mg betrug. Ein anderer Nachweis für die Eiweißnatur
dieser 4 mg wurde nicht erbracht. Das Filtrat war eiweißfrei.
*) D. ffl. W. 1921 Nr. 37. - ■) Arch. f. Hyg. 90, H. 3 u. M. KL 1921 Nr. 29X30. - *) M.
m. W. 1921 Nr. 11. — *) Hoppe-Seyler, Zscbfc f. physlol. Chem. 1921,115
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
90
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 3
Der ungelöste Anteil (b) wurde gewogen und das Gewicht
mit 44mg bestimmt. Klostermann una Weisbach nehmen nun
an, daß dieser in kochsalzhaltiger Laugenlösung ungelöste Anteil (b)
Eiweiß enthalte, ohne jedoch für diese Annahme einen Beweis etwa
in Form eines qualitativen Nachweises erbracht zu haben, unterwerfen
ihn einer Stickstoffbestimmung nach Kjeldahl und rechnen den
gefundenen Stickstoffwert auf 22 mg Eiweiß um. 22 mg wurden als
Verunreinigung durch Baumwollfasem angenommen.
Die untersuchten Sachs-Georgi-Flocken enthielten demnach nach
Klostermann und Weisbach:
Lipoide. 202 mg
Globuline des in kochsalzhaltiger Kalilaugelösung löslichen Anteiles des
atherunlösllchen Niederschlagrestes (a) . 4 mg
Den auf Eiweiß umgerechnete N-Wert des in kochsalzhaltiger Kalilaugen¬
lösung unlöslichen Anteiles des atherunlöslichen Niederschlagrestes (b) 22 mg
Baumwollfasem. 22 mg
250 mg
Das Verhältnis zwischen Lipoiden und Globulin wäre demnach
im Niederschlag wie 202:26 = 9:1. Klostermann und Weis¬
bach nehmen dann noch an, daß die Globuline im Flockungsnieder¬
schlag das Siebenfache ihres Trockenvolumens einnehmen, und schlie¬
ßen daraus, daß diese Globuline einen wesentlichen Bestandteil (nahezu
die Hälfte!) der Sachs-Georgi-Flocken bilden.
Ferner wurde das Gewicht des in der ätherlöslichen Fraktion
von 200 ccm Sachs-Georgi-Extraktes vorhandenen Lipoids mit 0,244 g
bestimmt. (Für 208 ccm des für den Hauptversuch verwendeten
Sachs-Georgi-Extraktes würde demnach der Gehalt an überhaupt
ausflockbaren ätherlöslichen Lipoids 0,254 g betragen.
Wir wollen nun in Folgendem diese Untersuchungsergebnisse einer
kritischen Betrachtung unterziehen:
Klostermann und Weisbach flocken koch salzhaltigen
Sachs-Georgi-Extrakt durch Serum aus, das mit Kochsalzlösung ver¬
dünnt war, und erhalten dadurch einen Niederschlag. Diesen Nieder¬
schlag, der demnach in kochsalzhaltigem Medium entstanden
war und der bei den großen in Untersuchung gezogenen Serum-
und Extraktmengen ein recht beträchtliches Quantum ausmacht,
waschen nun Klostermann und Weisbach nicht mit Koch¬
salzlösung, in welcher der Niederschlag entstanden war, son¬
dern mit destilliertem Wasser. Sie übersehen dabei vollkom¬
men, daß an der beträchtlichen Oberfläche des zentrifugierten Nieder¬
schlags noch in Kochsalz gelöste Anteile des als Ausgangsmaterial
dienenden Mischserums haften und daß aus diesen in Kochsalzlösung
gelösten Eiweißkörpern bei Wasserzusatz Eiweiß (der wasser¬
unlöslichen« Globulinphase) ausfallen muß! Auf diesen Fehler hat
übrigens andeutungsweise schon H. Sachs unlängst 1 ) und Nieder-
hoff 2 ) in einer in allerletzter Zeit veröffentlichten Mitteilung aus¬
führlicher hingewiesen.
Die Eiweißmenge, die also Klostermann und Weisbach
in ihrem Sachs-Georgi-Niederschlage als vorhanden annehmen und die
sich aus einem Anteile ä), den sie mit 4 mg wägen, und einem
Anteile b), den sie mit 22 mg berechnen, zusammensetzt, müßte dem¬
nach wenigstens zum Teil von dem durch den Versuchsfehler (Waschen
mit destilliertem Wasser) aus den Serumresten hineingebrachten
Anteile des wasserunlöslichen Globulins herrühren, stünde somit zu
dem bei der Reaktion selbst entstandenen Niederschlag in keiner
Beziehung.
Klostermann und Weisbach bestimmen die Lipoide im
Aetherextrakt des Flockungsniederschlags mit 202 mg.
Zieht man nun in Betracht, daß aus dem für die serologischen
Luesreaktionen besonders wirksamen Meinicke-Extrakte gerade die
primär ätherlösliche Fraktion (Lipoide der Cholesteringruppe und
Neutralfette) entfernt und in diesem nur die Fraktion der
primär ätherschwerlöslichen, aber alkoholleichtlös-
iichen Lipoide der Gruppe der stickstoffhaltigen un¬
gesättigten Phosphatide 3 ) enthalten ist, so werden wir nicht
fehlgehen, auch in dem mit Aether nicht vorbehandelten alkoholischen
Sachs-Georgi-Extrakte gerade diesen stickstoffhaltigen Lipoiden eine
besondere Wirksamkeit im Mechanismus der Sachs-Georgi-Reaktion
zuzuschreiben. Es unterliegt nun aber keinem Zweifel, daß diese
der Phosphatidgruppe angehörigen Lipoide von Klo¬
stermann und Weisbach gar nicht in Rechnung ge¬
zogen werden konnten, da sie bei einer Aether-Extraktions-
methode aus mit Wasser befeuchteten Niederschlägen, wie sie von
ihnen angewendet wurde, überhaupt nicht in den Aether über¬
gehen. Sie befinden sich vielmehr in dem von Klostermann
und Weisbach sorgfältig von ätherlöslichen Substanzen gereinigten
Flockenrest b. Wir sind in der Lage, uns zu diesem Punkte auf
einen klassischen Autor der Lipoidliteratur, nämlich auf Thudichum
zu beziehen, welcher betont, daß die Lipoide der Phosphatid¬
gruppe in wassergequollenem Zustande in den Aether
nicht übergehen, ja „gar keine Berührung mit Aether
an nehmen“, während sie sich im deshydratisierten Zustande leicht
im Aether lösen. Diese Feststellung Thudichums scheint jedoch
auch sonst in der neueren Literatur ganz unberücksichtigt geblieben
zu sein, worauf bereits Löwe 4 ) hinwies. Es ist somit als unumstö߬
liche Tatsache anzusehen, daß sich ein bedeutender Teil ätherunlös-
») D. in. W. 1921 Nr.37. — 2 ) M m. W. 1021 Nr. 44. — *) Fraenkel wies für diese
1 ipoidc des Meinicke-Extrnktes ihre Zugehörigkeit zur Lezithin-Kephalingruppe nach
• I-' p s f e Mj und Paul M Kl I9?l Nr 29 30) ') Biocliem. Zschr 1012, 42, S. 208.
lieber, stickstoffhaltiger Lipoide des Sachs-Georgi-Extraktes in dem
von ätherlöslichen Substanzen sorgfältig befreiten, in Lauge unlös¬
lichen Flockenrest b befindet. Das Gewicht dieses Flockenrestes
wurde von Klostermann und Weisbach, wie eingangs erwähnt,
mit 44mg bestimmt. Für die Annahme von Klostermann und
Weisbach, daß diese Substanz Eiweiß enthalte, wurde, wie eben¬
falls bereits betont, keinerlei Beweis erbracht, vielmehr aus dem
Stickstoff werte des kjeldahlisierten Flockungsrückstandes ein Eiwei߬
gehalt von 22 mg berechnet.
Klostermann und Weisbach haben eben übersehen, daß
alkoholische Herzextrakte, wie sie auch für die Sachs-Georgi-Reaktion
in Verwendung gezogen werden, eine Gruppe von stickstoffhalti¬
gen Lipoiden enthalten; demgemäß haben sie es unterlassen, eine
Stickstoffbestimmung im Sachs-Georgi-Extrakt anzustellen, die ihren
Schlußfolgerungen eine ganz andere Richtung hätte weisen müssen.
So findet Lieb 1 ) in den Lipoiden des Meinicke-Extraktes einen
Stickstoff geh alt von etwa 7,6%, was bei einer Extraktmenge
von 208 ccm 0,158 g Stickstoff entsprechen würde. Eine von uns vor¬
genommene Stickstoffbestimmung nach Kjeldahl im Ori¬
ginal-Sachs-Georgi-Extrakte ergab einen Stickstoffwert • von
0,038 g auf 208 ccm dieses Extraktes. Dieser Stickstoffwert ent¬
spricht dem bei weitem niedrigeren Lipoidgehalte des Sachs-Georgi-
Extraktes — Meinicke-Extrakt enthält nach Lieb etwa 2g Lipoid,
Sachs-Georgi-Extrakt nach Klostermann und Weisbach nur
0,254 g Lipoid auf 208 ccm Ausgangsmaterial.
Da also bei dem Plockungsprozeß der Sachs-Georgi-Reaktion nicht
nur stickstofffreie, sondern auch die für die Reaktion so wich¬
tigen stickstoffhaltigen Lipoide der Gruppe der ungesättigten
Phosphatide in den Niederschlag gehen, so findet sich in dem von
den ätherlöslichen Lipoiden (größtenteils Cholesterin) und kochsalz¬
kalilaugelöslichen Eiweißstoffen (Globulin) befreiten Flockenrest (b)
1. Stickstoff vom stickstoffhaltigen Anteil der Lipoide,
2. möglicherweise Eiweißstickstoff.
Es geht daher nicht an, den nach Kjeldahl gefundenen Stick¬
st o f f w e r t dieses Niederschlagrestes einfach auf Eiweiß umzu¬
rechnen.
Der Stickstoffwert von 3,5 mg, der sich aus der errechneten
Eiweißzahl von 22 mg ergibt, ist vielmehr, wie wir bereits auseinander-
esetzt haben, wohl in erster Linie auf stickstoffhaltiges Lipoid zu
eziehen. Damit käme man wahrscheinlich der ganzen Menge der
noch Testierenden Substanz von 44 mg sehr nahe, ohne zu der Hilfs¬
hypothese von Klostermann und Weisbach Zuflucht nehmen
zu müssen, daß die Gewichtsdifferenz von 22 auf 44 mg gänzlich auf
eine Verunreinigung mit Baumwolle zu beziehen sei.
In der verwendeten Sachs-Georgi-Extraktmenge (208 ccm) finden
sich nach den Untersuchungen Klostermanns und Weisbachs
0,254 g ätheriöslicher Lipoide. Da der Verdunstungsrückstand des
alkoholischen Extraktes, aus dem sie diese Zahl ermitteln, wasserfrei
ist, geht natürlich fast das gesamte Lipoid in den Aether über. Von
den 254 mg Lipoid des verwendeten Extraktes wurden im Flockungs¬
niederschlage 202 mg wiedergefunden. Dazu kommen 44 mg einer
aus wäßriger Aufschwemmung ätherunlöslichen Substanz, die nach
unserer Anschauung aus Lipoia besteht, und außerdem 4 mg Globulin.
Das zu errechnende Verhältnis von Lipoid zu Eiweiß im Niederschlag
würde sich demnach wie 246:4 = 61:1 und nicht, wie Kloster¬
mann und Weisbach dies annehmen, wie 202 : 26 = 9:1
stellen. (Die Zahl 26 ergibt sich aus den 4 mg Globulin 4- 22 mg
errechneten Eiweißes des Flockungsrestes b mit einem Gesamtgewicht
von 44 mg.)
Die Annahme, daß die Globuline im Wasser das Siebenfache
ihres Trockenvolumens einnehmen, somit im Verhältnisse zu den
Lipoiden eine Relation wie 7 (Eiweiß) : 9 (Lipoide) ergeben würden,
ist schon deshalb abzulehnen, weil auch die Extraktlipoide als hydro¬
phile Kolloide im ausgeflockten Zustand ein Mehrfaches ihres Trocken¬
volumens einnehmen müßten. —
Schlisse. 1. Die gewogene Eiweißmenge von 4 mg des äther-
unlöslichen Flockungsrestes, deren Vorhandensein Klostermann
und Weisbach im Niederschlage der Sachs-Georgi-Reaktion au-
nehmen, ist höchstwahrscheinlich durch einen Versuchsfehler, nämlich
durch Waschen der im kochsalzhaltigen Medium entstandenen Flocken
mit destilliertem Wasser, in den Versuch gebracht worden und steht
zu dem bei der Reaktion selbst entstandenen Niederschlage in keiner
Beziehung.
2. Der Stickstoffwert in der ätherunlöslichen Restsubstanz b des
Flockungsniederschlages ist von Klostermann und Weisbach
irrtümlirfi auf Eiweiß berechnet worden. Er bezieht sich wohl aus¬
schließlich auf den im Extrakte vorhandenen Lipoid¬
stickstoff. Selbst wenn aber durch ein geeignetes Verfahren in
diesem qualitativ Eiweiß nachgewiesen worden wäre, so müßte man
annehmen, daß dieses Eiweiß durch den im Punkte 1 erwähnten Ver¬
suchsfehler in den Versuch gebracht worden sei.
3. Nach den Resultaten unserer Untersuchungen und nach den
analytischen Feststellungen H. Liebs, welche unsere Untersuchungs¬
ergebnisse bestätigen und nicht unwesentlich ergänzen, erscheint es
ganz ausgeschlossen, daß der im Flockungsniederschlage eventuell
feststellbare Stickstoffwert mit ausgeflocktem Eiweiß in irgend erheb¬
lichen Quantitäten in Beziehung stünde.
') I c
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSUM
IQ. Januar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
91
4. Die Beweiskraft des Nachweises, den wir als erste geführt
haben, daß die bei der Meinicke-Reaktion (D.M.R.) durch positive
Sera gebildeten Flocken ausschließlich aus Lipoiden bestehen, und der
bei der prinzipiellen Gleichheit aller Flockungsreaktionen der Syphilis
auch für die Sachs-Georgi-Reaktion und Wa.R. gilt, kann daher durch
die Untersuchungsergebnisse Klostermanns und Weisbachs nicht
erschüttert werden, aa ihnen der tatsächliche Nachweis irgendwie ins
Gewicht fallender Eiweißmengen in dem bei der Sachs-Georgi-Reaktion
entstandenen Niederschlage nicht gelungen ist.
.Aus der Medizinischen Klinik des Städtischen Krankenhauses
in Karlsruhe i. B. (Chefarzt: Prof. Hugo Starck.)
„Novalgin“, ein neues Antipyretikum und Analgetikum.
Von Dr. Aloys Auer, Sekundärarzt.
Seit etwa 9 Monaten wurden am hiesigen Krankenhaus mit
einem neuen Präparat der Farbwerke vorm. Meister Lucius $ Brü¬
ning, Höchst a. Main, klinische Prüfungen ausgeführt, deren Resultate
für den Praktiker von größtem Interesse sein dürften. Der geschützte
Name des Präparates ist „Novalgin“; es ist ein weißes, kristallini¬
sches, nahezu geschmackloses, in Wasser mit gelblicher Farbe äußerst
leicht lösliches Pulver. Hinsichtlich seiner Konstitution und physio¬
logischen Wirkung steht es den beiden Pyrazolonderivaten Pyramidon
und Melubrin sehr nahe; von letzterem unterscheidet es sich nur durch
den Methylsubstituenten in der Aminogruppe; es ist also ein phenyl-
dimethylpyrazolonmethylamidosulfonsaures Natrium. Ebenso wie
beim Melubrin, ist es auch für Novalgin ein Charakteristikum der
Mixturen und sterilen wäßrigen Lösungen, daß sie sich allmählich
gelb-rot färben, was jedoch weder für die therapeutische Wirkung,
noch für die Unschädlichkeit des Medikaments irgendwie von Be¬
lang ist.
Bei der Anwendung dieses neuen Pyrazolonabkömmlings stand
die Frage im Vordergrund, ob bei günstiger therapeutischer Wirk¬
samkeit keine Schädigungen, sei es lokal oder an irgendeinem
Organ, auftreten, oder ob sich sonst irgendwelche unangenehmen
Nebenwirkungen geltend machen. Alle Antipyretika, die bis heute in
Form von Pyrazolon-, Anilin-, Chinolin- und Salizylsäurederivaten zur
Anwendung kommen, werden doch mit einer gewissen Reserve vom
Praktiker gewählt, da sie alle nicht frei von Nebenwirkungen sind
und sehr häufig Schädigungen der verschiedensten Organe je nach
der Konstitution des Patienten in höherem oder geringerem Grade
hervorrufen. Von all diesen störenden Nebenwirkungen wurde so
gut wie nie ein Fall registriert, trotzdem bei der vielseitigen An¬
wend ungsmöglidikeit des „Novalgins“, das per os, sub Kutan,
intramuskulär und intravenös 1 ) verabreicht werden kann, die
Möglichkeit hierzu groß genug war. Ebensowenig wurden bis heute
Arzneiexantheme oder Idiosynkrasiefälle bei der protrahierten Dar¬
reichung beobachtet.
Das Bestreben der Arzneimittelsynthese wird stets darauf hinaus¬
laufen, Präparate herzustellen, die ein Optimum der Wirksamkeit bieten,
verbunden mit einem Minimum der Toxizität und Dosierung; dies
scheint bei der Herstellung des „Novalgins“ gelungen zu sein.
Denn hier erreichen wir bei minimaler Dosierung ein Optimum der
Wirkung, und darin ist das neue Präparat auch seiner Stammsubstanz,
dem Altmelubrin, weit überlegen; bei allen Applikationsarten wird
die Melubrinwirkung durch die halbe Dosis Novalgin erreicht.
„Novalgin“ ist vor allem ein hervorragendes Antipyreti¬
kum. In allen Fällen von fieberhaften Erkrankungen, in denen es
angewendet wurde, erfolgte der Fieberabfall prompt, teilweise unter
ganz mäßigem Schweißausbruch. Die antipyretische Wirkung hält un¬
gefähr 5—8 Stunden an, dann steigt die Temperatur wieder langsam
an, um aber selten wieder die ursprüngliche Höhe zu erreichen und
in verhältnismäßig kurzer Zeit die Temperatur auf die Norm zu
bringen. Bei der Art der Anwendung haben wir den Eindruck
gewonnen, daß die enterale Applikation in Pulvern zu 0,1—0,2 g
möglichst stündlich 6—10 mal pro die eine schonendere Wirkung zeigt,
der Temperaturabfall fast stets lytisch war und nie auch nur die ge¬
ringste Störung von seiten des Magen-Darmtraktes beobachtet wurde,
auch nicht bei äußerst empfindlichen Patienten, z. B. Kindern mit habi¬
tuellem Erbrechen.
Die subkutane und intramuskuläre Darreichung (in täg¬
lichen Dosen von 0,25—1 g als 50«/oige Lösung) kommt im Wirkungs¬
mechanismus derjenigen per os gleich. Ein Infiltrat oder gar eine
Abszeßbildung wurde nie beobachtet; ganz selten wurde geringe
lokale Schmerzempfindung angegeben, die aber sehr rasch wieder
SC ^'d^ intravenöse Applikation kommt überall da in Frage,
wo eine rasdhe Entfieberung erwünscht ist, oder eine analgetische
Wirkung das Ziel der therapeutischen Anwendung ist. Eine un¬
genügende Beherrschung der Technik der intravenösen Einspritzung
kann hier keinen Schaden setzen, da, wie oben gesagt, me Reiz-
ersciiei nungen bei etwaigen Infiltraten des Subkutangewebes beob¬
achtet wurden wie dies bei der Anwendung anderer wasserlöslicher
n n»c PrSoarat wird von den Höchster Farbwerken bis jetzt In Tabletten zu 0,5*
io, aJ Anolitcatfon und in sterilen 50%fgen Lösungen zu 1 und 2 ccm (ohne
sonstigen Zusa tz)f° r dIe P ftrenter *Ie Applikation in den Handel gebracht.
Pyrazolon- und Chinolinabkömmlinge nach heutiger Erfahrung für
nicht vollkommen ausgeschlossen gilt.
Die Entfieberung bei der intravenösen Darreichung ge¬
schieht wesentlich rascher als bei jeder anders gewählten Appli¬
kationsart. Oft schon nach 1—2 Stunden fällt .die Temperatur auf
normale Werte herab, um nach 4—5 Stunden wieder langsam anzu¬
steigen. Gibt man „Novalgin“ zu Beginn eines Temperaturanstieges,
so bleibt dieser aus. Die Dosierung bewegte sich in Grenzen von
0,25—1 g‘ einmal täglich; größere antipyretische Gaben wurden intra¬
venös nicht gegeben, da sonst der Temperatursturz zu jäh wird,
namentlich dann, wenn die antipyretische Wirkung mit einem
Temperaturabfall zusammentrifft. Störungen seitens des Herzens,
auch bei schweren Vitien, oder von seiten des Gefäßsystems wurden
nie beobachtet. Der Blutdruck, der vielfach kontrolliert wurde, blieb
nach Darreichung des Präparates unverändert; der Harn war stets
frei von Eiweiß und Zucker. Fast immer erfolgte auf die Injektion
ein subjektives Wohlbehagen, ja manchmal trat geradezu eine Eupho¬
rie auf. ?
Diese günstigen Eigenschaften des „Novalgins“ bei seiner zu¬
verlässigen antipyretischen Wirkung setzen seiner Anwendung als
Fiebermittel keinerlei Grenzen. Es kamen wohl fast alle fieberhaften
Erkrankungen in Frage (über 100 Fälle); ich erwähne hiervon nur,
daß das Präparat bei Polyarthritis rheumatica, Endo- und Perikarditis,
akut und rezidivierend, prompte und schonendste Entfieberung und
Erleichterung der subjektiven Beschwerden brachte; bei Pneumo¬
nien, Grippe und Pleuritiden neben Entfieberung Begünstigung der
Diaphorese, bei Typhus sichere und anhaltende Entfieberung, bei
Erysipelas faciei außerdem Nachlassen der Kopfschmerzen und der
Benommenheit.
Bei Phthisen wurde „Novalgin“ von uns ebenfalls angewandt.
Im allgemeinen war auch hier, wie bei allen anderen Antipyretika,
der Erfolg nur vorübergehend; doch bei Tuberkulosen, im Anfangs¬
stadium, namentlich bei Kindertuberkulose, war der Erfolg als ein
günstiger zu bezeichnen: allmählicher Abfall der Temperatur bis
zum fieberfreien Stadium.
Auch bei Sepsis kam die antipyretische Wirkung des Prä¬
parates zur Geltung. Hier konnte das Fieber zwar nicht beseitigt
werden, doch wurde die Temperatur um 1—2° tiefer gehalten und
so das subjektive Befinden des Patienten erheblich gebessert. Die
Applikation erfolgte in diesen Fällen nur per os, da bei der intra¬
venösen Darreichung die Remissionen zu groß waren, namentlich
wenn die antipyretische Wirkung mit dem Fieberabfall zusammentrifft,
und die Patienten Frieren oder eine stärkere Diaphorese äußerten.
Neben seinen antipyretischen Eigenschaften besitzt „Novalgin“
eine starke analgetische und in gewissem Grade antiphlo¬
gistische Wirkung, indem „Novalgin“ im Organismus wohl
Formol abspaltet und dadurch eine antiseptische und pathogene
Mikroorganismen beeinflussende Wirkung erzeugt, neben der Wir¬
kung des Pyrazolonderivates. Diese dreifach günstige Wirkung zeigte
sich besonders in der Therapie der akuten und chronischen Poly¬
arthritiden. In vielen Fällen war auch hier, besonders bei der Behand¬
lung der akuten Form, der Erfolg äußerst günstig. Die Verabfol¬
gung geschah fast ausschließlich intravenös in Dosen von 0,25
bis 1 g. Schon oft eine Stunde nach der Injektion gaben die Patienten
Nachlassen der Schmerzen in den befallenen Gelenken an; es konnten
manchmal sogar aktive und passive Bewegungen in geringem Grade
in den stark entzündlichen und geschwollenen Gelenken ohne jede
Schmerzäußerung ausgeführt werden. Schweißausbrüche in stärkerem
Grade, Schüttelfröste oder sonstige Störungen wurden nicht beob¬
achtet. Immer war auffallend, wie rasch das subjektive Befinden sich
besserte.
Im allgemeinen hatte man den Eindruck, als ob der grnze akute
Prozeß rascher ablief: lytischer Abfall der Temperatur, rasches Ab¬
schwellen der entzündeten Gelenke; vielleicht wurde auch in einigen
Fällen eine Endokarditis verhindert. Auch bei Arthritis deformans
und Ischias wurde stets ein deutliches Nachlassen der Schmerzen an¬
gegeben. In einem Fall von Tendovaginitis crepitans stand die anal¬
getische Wirkung so stark im Vordergrund, daß sich der Gedanke
aufdrängte, ob „Novalgin“ nicht überhaupt an Stelle anderer schmerz¬
stillender Mittel treten könne.
Um eine eindeutige und sichere Beobachtung zu haben, wurden
die meisten Fälle ausschließlich mit „Novalgin“ Behandelt, ohne jede
andere Medikation, nur mit Unterstützung physikalischer Heilmethoden
(Lichtkasten, Bäder, Packungen usw.).
Aus dem reichen Beobachtungsmaterial lasse ich einige charakte¬
ristische Kurven mit kurzer Krankengeschichte folgen. Ich wähle
hierzu fünf schwere und komplizierte Krankheitsbilder, aus denen die
günstige und unschädliche Wirkung des neuen Präparates zusammen-
Tassend ersichtlich ist.
Kurven, wie sie Typhus, Tuberkulose, Erysipel usw. boten, sind
des Raummangels wegen hier nicht aufgeführt.
B. M., 23 Jahre, 9. VII. 1921 eingeliefert. 1917 zum erstenmal
Polyarthritis rheumatica, die sich seither immer meist im Frühjahr
oder Winter wiederholte. Vor 14 Tagen starke Schmerzhaftigkeit
und Schwellung in allen Gelenken, desgleichen bei der Aufnahme.
Herz: starke Verbreiterung nach links; an der Basis ein schabendes,
kratzendes Geräusch. Diagnose: Polyarthritis rheumatica (Rezidiv),
Pericarditis sicca (und später hinzukoinmende Pleuritis exsudativa
sinistra). — Verlauf: Auf die 4 ersten Novalgininjektionen 0,5 g
intravenös wurde die Temperatur unter leichter Diaphorese etwas
herabgesetzt, die Schmerzhaftigkeit in den Gelenken wurde nicht
Digitized by
Gck igle
Original ffom
CORNELL UNIVERSUM
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
19. Januar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
93
Erfolge angewandt worden. Ihr Hauptanwendungsgebiet ist die ge¬
platzte Bauchhöhlenschwangerschaft geblieben, und
zwar vor allem deshalb, weil die bisherigen Behandlungsmethoden
in einer Anzahl von Fällen den Verblutungstod nicht aufzuhalten
vermögen. Nach einer Statistik Lichtensteins aus dem Jahre
1919 starben von den in der Literatur angegebenen Fällen von ge¬
platzter Bauchhöhlenschwangerschaft 12% an innerer Blutung; von
den an unser Abteilung operierten 71 Fällen der Jahre 1910—1918
starben 5,7% an dem Blutverlust, obgleich baldmöglichst operiert und
ausgiebig physiologische NaCl-Lösung infundiert wurde. Um auch
solche Frauen zu retten, wurde das von Thies angegebene Verfahren
der Reinfusion von Eigenblut von uns aufgenommen und nach dem
Kriege in 24 Fällen angewandt.
bei der Auswahl der für die Blutreinfusion geeigneten Fälle
wurden die von Lichte ns fein aufgestellten Vorbedingungen er¬
füllt. Es kamen daher nur frische Rupturen mit lebenstähigem
Blut in Frage, das nach Vorgeschichte und Operationsbefund als
nicht toxisch und nicht infiziert angesehen werden konnte. Fälle
mit Hämatozeleubildung wurden nicht herangezogen, dagegen 3 Fälle,
bei denen kleinere Blutungen vorangegangen, die aber durch eine
neue abundante Blutung in Lebensgefahr geraten waren. Bei einer
Frau, die besinnungslos in ihrer Wohnung, wo sie schon mehrere Tage
gelegen haben soll, aufgefunden wurde, wurde die Reinfusion ver¬
sucht, der Fall selbst aber aus obigen Gründen in die Statistik nicht
mit einbezogen.
In beiden Chirurgischen Abteilungen des Krankenhauses anr Urban
wurden die Rupturen nach gleichen Gesichtspunkten behandelt. Unter
den 40 seit Kriegsschhjß zur Operation gebrachten Fällen (24 der I.,
16 der II. Chir. Abt.) wurde aber nochmals eine Auswahl getroffen
derart, daß die leichteren und mittelschweren Fälle, bei denen er¬
fahrungsgemäß die einfache 0,9%ige NaCl-Lösung zum Blutersatz
ausreiuit, im allgemeinen nicht mit Blutreinfusion behandelt wurden.
Die Reinfusion blieb vielmehr auf 24 Fälle beschränkt, die klinisch
einen schwer kranken Eindruck machten, die bei hochgradiger Anämie,
kaum fühlbarem Puls, Atemnot und Kollaps dem Verblutungstod nahe
waren.
Bei der Begutachtung der Fälle war vor allem die klinische
Beobachtung maßgebend, da die Untersuchung des Blutdrucks, Hämo¬
globingehaltes und der Zahl der roten und weißen Blutkörperchen
nicht regelmäßig möglich war.
Die Mehrzahl der Patienten stand im Alter von 26 bis 33 Jahren,
lö von ihnen waren schon vorher uterin schwanger gewesen. Die
Ruptur erfolgte meistens in der 6. Schw angerschaftswoche. In 19 Fällen
fand die Operation in den ersten 24 Stunden statt, in 2 Fällen am
2. Tag, 3 Frauen gaben eine längere Rupturdauer an. Die Laparotomie
ergab in 22 Fällen Tubenschwangerschaft mit äußerem Fruchtkapsel-
juibruch, in 2 Fällen Bauchhöhlenschwangerschaft. Die Diagnose
wurde stets vor der Operation gestellt.
Die Technik der Infusion gestaltet sich derart, daß nach
Erölfnung des Peritoneums die rupturierte Tube abgeklemmt wird.
Darauf wird mit dem Schöpflöffel das freie Blut der Bauchhöhle, ein¬
schließlich Koagula, ausgeschöpft, durch 8fache Mullschicht geseiht
und in einem großen Erlmeyerkolben aufgefangen. Dort wird das
Blut mit physiologischer NaCl-Lösung verdünnt und im Wasserbade
so lange auf Körperwärme gehalten, bis es durch eine Kanüle, die ein
Assistent inzwischen in die Vena mediana cubiti einbindet, eintließen
kann. Die Reinfusion erfolgt, während der Operateur die geborstene
Tube versorgt und die Bauch wunde schließt. Das ausgeschöpfte
Blut wird weder defibriniert noch mit Natr.-citric-Lösung vermischt.
Das Mischungsverhältnis von Blut und NaCl-Lösung ist etwa 1:1. Aus
i * m Höhe fließt das im Kolben verdünnte Blut durch die KÖrtesche
Kanüle in 10—10 Minuten ab. Die Lichtensteinsche Ventilspritze
wurde nicht verwandt, ln sämtlichen Fällen gelang die Infusion ohne
große Schwierigkeit. Es gelang stets, die Kanüle in die Vena mediana
cubiti einzubinden, die von Doederlein zur Infusion vorgeschlagene
Vena spermatica interna oder eine größere Netzvene brauchten nicht
benutzt zu werden. Eine Verlegung der Kanüle durch Gerinnsel
kam nicht vor. Die vorgesehene Blutmenge floß immer ohne größeren
Rest ab, die unvermittelte Blutmenge betrug im Durchschnitt 520 ccm,
die größte Menge 900, die kleinste 150 ccm.
Die Zufuhr dieser Blutmengen haben sämtliche 24 Patientinnen
gut vertragen. Krankhafte Erscheinungen, wie Somnolenz, Unruhe,
Ikterus, die Opitz auf die Intoxikation durch die Zerfallsprodukte
der reinfundierten roten Blutkörperchen zurückführt, sind nicht ein¬
getreten. Schüttelfrost, Dyspnoe, Zyanose, von Arnim als Folgen
kapillärer Embolien gedeutet, haben wir nicht gesehen. Auch Bum ms
Beobachtungen von Frost mit hohem Temperaturanstieg konnten
wir nicht machen. Hämoglobinurie, woran Schweitzer eine Frau
sterben sah, trat bei uns nicht auf. Die Operierten zeigten als
einziges abnormes Merkmal erhöhte, meist subfebrile Temperaturen,
wie sie nach Laparotomie infolge geborstener Tubenschwangerschaft
nicht selten sind, die wohl aber in der Blutreinfusion keine Ursache
haben Peritonitische Erscheinungen sind nicht aufgetreten. Die Be¬
obachtung daß nach Gefäßversorgung der Tube die Patientinnen sich
'ehr bald erholen, haben wir bei sehr vielen, auch nicht reinfundierten
Fraupn armacht. * Bei letzteren war das Aufblühen aber ganz beson-
lWc rWJiVh da das erste Krankheitsbild meist schwerer war und
die Kranken ' trotzdem bald die Leichenblässe ihrer Haut verloren,
fühlbaren Puls und ruhige Atmung bekamen. Am nächsten Tage
zeigten die Patientinnen frische Hautfarbe, gesteigerten Blutdruä,
junchmcndcsKräfte«efühl. Sämtüche 24 mit Reinfusion behandelten
Fälle konnten nach kurzer Zeit geheilt entlassen werden. Die Be¬
handlungsdauer betrug im Durchschnitt 20 Tage, sie war kürzer
als die der nicht reinfundierten Nachkriegsfälle und als die Durch¬
schnittskrankheitsdauer der vor dem Kriege behandelten. Zu der
Menge des reinfundierten Blutes steht die Krankheitsdauer in keinem
bestimmten Verhältnis, etwa in der Weise, daß erhöhte Blutzufuhr
schnellere Herstellung herbeiführe.
Zusammenfassung: Bei 24 Fällen schwerster akuter Anämie infolge
Graviditas extrauterina rupta ist die Eigenblutreinfusion mit gutem
Erfolge angewandt worden: sämtliche Patientinnen wurden geheilt,
Komplikationen sind nicht eingetreten. Im Einzelfall ist oft die
Wirkung der Eigenblutreinfusion von der Zufuhr der NaCl-Lösung
kaum zu unterseßeiden, bei Beobachtung einer größeren Anzahl von
Fällen kommt man aber doch zu der Ueberzeugung, daß die Eigen¬
blutreinfusion geeignet ist, noch manchen Fall zu retten, bei dem die
NaCl-Lösung nicht mehr ausreichen würde.
Aus der Universitäts-Kinderklinik in Jena.
Zur Frage des „allgemein verbreiteten“ Emphysems.
Von Dr. J. Duken.
Ueber die Entstehung des „allgemein verbreiteten“ Emphysems sagt
Wen tzier in D. m.W. 1921 Nr.33, daß „nach Einriß der Schleimhaut
der bereits überdehnten feinsten Bronchien oder Alveolen durch die Ri߬
stelle in den Alveolen bei jeder Atembewegung Luft in das inter¬
stitielle Lungengewebe gepreßt wird. Ein Luftbläschen reiht sich so
an das andere, und jedes schiebt bei seinem Erscheinen das vorher
entstandene vor sich her“. Es erscheint zweckmäßig, diese Vorstellung
genauer zu präzisieren. Nicht bei jeder Atembewegung,
sondern ausschließlich bei der Exspiration, und hier
wiederum nur bei einer sehr vermehrten Exspiration
kann das interstitielle Emphysem entstehen. Die ver¬
mehrte Exspiration muß dazu auf ein exspiratorisches Hindernis
stoßen bzw. durch ein solches bedingt sein, entweder in Form eines
ventilartigen Bronchialverschlusses (denn auch ohne Husten ist die
Entstehung des Emphysems beobaentet) oder dadurch, daß die Ex¬
spiration so plötzlich erfolgt, Wie es z. B. bei Husten möglich ist,
daß die Luft durch die Bronchien nicht schnell genug entweichen
kann. Der primäre Faktor für die Entstehung des „allgemein ver¬
breiteten“ Emphysems ist danach ein vermehrter Exspirationsdruck,
der sekundäre die Dehnung oder Zerreißung der Schleimhaut von
Alveolen oder Bronchien; und nicht bei jeder Atembewegung, sondern
nur bei der Exspiration wird die Luft in das Gewebe gepreßt. Diese
Präzisierung ist deswegen notwendig, weil allein unter dieser Vor¬
stellung es denkbar ist, daß Luft aus dem Brustraum herausgepreßt
wird, sei es zwischen die Halsmuskulatur, sei es unter die Haut
oder in das Gewebe des Mesenteriums. Diese Erklärung der Ent¬
stehung des „allgemein verbreiteten“ Emphysems wurde von mir im
Jahre 1919 in einem Vortrag in der Medizinischen Gesellschaft zu
Jena näher erörtert (vgl. Referat: in M. m. W. 1919, 37, S. 1068 u. 1069).
Cholesteringehalt der Kupfferschen Sternzellen.
Histochemische Reaktion.
Von Dr. Arnold Stöcker in Jassy (Rumänien).
ln dem Lebergewebe einer an Paralyse verstorbenen jungen Frau
erwiesen sich, bei der gewöhnlichen Häinatoxylinsudanfärbung der
frisch gewonnenen Gefrierschnitte, die Kupfferschen Sternzellen aus¬
nahmsweise leicht erkennbar. Auf diese Weise wurde eine auffallende,
vorgeschrittene Lipoidaufspeicherung in den genannten Zellen sichtbar.
Das anatomische Bild der Leber war mit wenigen Worten fol¬
gendes :
Gewöhnliche Struktur des Lebergewebes im großen und ganzen
erhalten; nennenswerte Ektasie der Kapillaren und deren Wand¬
infiltration mit Lymphoidzellen. Zentrolobulärwärts polarisierte Lipo-
philie der Sternzellen; leichte Bindegewebswucherung. Die Leber¬
zellen bieten einen reichen Gehalt an Lipoidtröpfchen und -körnchen
nebst einer rotbraunen, rostigen Pigmentinfiltration. Im Sudanpräparat
erwies sich der Lipoidgehalt der Kupfferschen Zellen als hellrot ge¬
färbt. Mit Nilblau blieb er nach Differenzierung unverändert blau¬
gefärbt.
Um die chemische Konstitution der Lipoidprodukte festzustellen,
wurden die Präparate verschiedenen mikrochemischen Reaktionen
unterzogen. Bei allen diesen Versucnen erlaubte eine dieser Reaktionen,
einen befriedigenden Schluß zu ziehen, indem sie sich als ein sehr
einfaches und schönes Mittel zum Nachweis des Cholesterins in den
Geweben erwies. Das war die Golodetzsche, im Jahre 1908 zum
erstenmal beschriebene Reaktion. Sie beruht auf der Eigenschaft, bei
einer Mischung von 5 Teilen konzentrierter Schwefelsäure und 3 Teilen
30%igen Formaldehyds Cholesterinkristalle braun zu färben. Der
Wert dieser Reaktion ist um so größer, als sie für freies Cholesterin
spezifisch ist: Cholesterinester bleiben ihr gegenüber indifferent.
Um eine histochemische Reaktion zu erhalten, wurde fol¬
gendermaßen verfahren: Frische Gefrierschnitte werden in schwa-
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
94
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 3
£
chem Fonnol fixiert und vor Herstellung des Präparates für einige
Zeit (5—10 Minuten) in ein 30 n oiges Formaldehydbad übertragen.
Der farblose Organschnitt wird auf den Objektträger gebracht und
unter dem Mikroskope, bei mäßiger Vergrößerung, mit einem Tropfen
konzentrierter Schwefelsäure behandelt: fast augenblicklich wird dei
Umriß der Kupfferschen Zellen sichtbar, indem er nach einer flüch¬
tigen violetten Färbung eine tiefbraune annimmt; die Färbung greift
rasch gegen das Innere der Zelle hin, ohne jedoch die Stelle des
Zellkernes zu verdecken. Im untersuchten Falle blieben alle benach¬
barten Teile frei von jeglicher Färbung und erlaubten eine ungestörte
Beobachtung des Sternzellennetzes nebst einer Ausschließung der
Gegenwart freien Cholesterins im Lebergewebe. Die sirupöse Kon¬
sistenz der Schwefelsäure erlaubte die Auflegung eines Deckglases
und somit die Beobachtung bei vorgeschrittenerer Vergrößerung: es
war selbst eine Immersionsuntersuchung dadurch ermöglicht. Da
die Präparate sich als haltbar erwiesen, ist eine Lösung zur Auf¬
bewahrung angezeigt.
Fall von Myelitis gripposa acuta circumscripta adhaesiva.
Von Dr. S. S. Semenow,
ehemaliger Chefarzt der Chirurgischen Abteilung des Stadtkrankenhauses
in Mariupol (Rußland), zur Zeit in Stara-Zagora (Bulgarien).
In der mir zur Verfügung stehenden Literatur konnte ich keinen
ähnlichen Fall finden. Es handelt sich um eine 36jährige Patientin aus
dem gutsituierten bulgarischen Bauernstände, die Anfang April a. c.
im Dorfe erkrankte. Die anamnestischen Daten lauten: Im besten
Wohlsein erkrankte Patientin plötzlich nach einem starken Schüttel¬
frost an heftigen Kopfschmerzen, Nackenziehen, Gliederschmerzen.
In den ersten Tagen wurde die Temperatur nicht genau gemessen,
und nachher schwankte sie zwischen 38—39,9°; die Schüttelfröste
wiederholten sich einige Male, dabei waren Kot- und Urinabgang
angehalten. Außerdem bestand qualvollste Schlaflosigkeit; Sensorium
ist immer frei geblieben. Nach etwa 14tägigem Krankenlager im
Dorfe kam Patientin in die Privatklinik von Dr. Hantscheff in
Stara-Zagora.
Status Ende April: Ziemlich abgemagerte Frau, freies Sensorium,
ausgesprochener Opisthotonus, allgemeine Abgeschlagenheit. Von
seiten des Seh- und Gehörorgans keine Abweichungen von der Norm,
freie Beweglichkeit aller Gliedmaßen, Babinski und Kernig beider¬
seits deutlich; Kot- und Urinverhaltung, in den Nieren nihil. Aus
technischen Gründen konnte eine Blutprobe nicht ausgeführt werden.
Cor, Pulmones ohne Besonderheiten. Puls voll, regelmäßig, schnell
— entspricht der hohen Temperatur von 39,3°. Bauchorgane, Genital*
traktus normal. Nun ist aber das Sitzen im Bett enorm schwierig,
infolge eines Schmerzes, den Patientin nicht lokalisieren kann. Das
Betasten der Wirbelsäule ergibt überall normale Verhältnisse bis
zum 3. Kreuzbeinwirbel; hier ist der mittelstarke Druck des Fingers
auf die Crista sacralis media äußerst schmerzhaft, Patientin schreit
dabei laut auf. Die Haut über dieser Stelle ist nicht entzündlich
infiltriert, man bemerkt bloß beim genauen Zusehen ein leichtes
zirkumskriptes Oedem, das auf Fingerdruck sehr leicht schwindet.
Eine Röntgenuntersuchung konnte leider, auch aus technischen Grün¬
den, nicht bewerkstelligt werden.
Dieser Status dauerte etwa 1 Vs Wochen, die Körpertemperatur
schwankte immer zwischen 38—39,8°, einige Male Schüttelfröste ohne
Schweißausbrüche, dabei mußte Patientin stets katheterisiert werden,
und der Stuhl wurde immer durch Klismen entleert; Stuhl ohne
Besonderheiten. Da die Schmerzen im Bereiche des 3. Kreuzbein¬
wirbels immer mehr Zunahmen und die vom Internisten eingeleitete
Therapie mit Chinin u. dgl. fehlschlug, so wurde der Fall mir über¬
geben. Die hohe, mit Morgenremissionen fortdauernde Körper¬
temperatur, das stete Lokalisiertsein des Schmerzes und der schwere
Allgemeinzustand ließen mich vermuten, daß es sich um einen lokali¬
sierten Abszeß handle, der vielleicht vom Kreuzbeinwirbel ausging,
um so mehr, als ich hier in Bulgarien nach dem Kriege eine enorme
Menge verschiedenster eitrig-tuberkulöser akuter Affektionen zu sehen
Gelegenheit bekam. Ich diagnostizierte tuberkulöse Einschmelzung
eines Kreuzbeinwirbels. Unverständlich waren jedoch für mich der
Opisthotonus, Kernig und Babinski und die Erscheinungen von seiten
des Mastdarmes und Harnapparates. Ich hielt diese Symptome für
fortgeleitete irradiierte Erscheinungen, evtl, durch Druck des Fokus
bedingt, und schlug die Operation vor, mit der Patientin sich ein¬
verstanden erklärte.
Am 4. V. Operation in Chloroformnarkose bei rechtseitiger
Seitenlage der Patientin. Durch einen bogenförmigen Schnitt kam
ich bis an die Crista sacralis media vertebralis sacralis III. Diese
wurde weggemeißelt, und mit einigen Meißelschlägen kam ich auf
den Sakralkanal; sofort strömte eine erhebliche Menge kristallklaren
Liquors heraus. Dieser entleerte sich so rasch, daß ich ungefähr das
Quantum auf etwa 100 ccm schätze; der Puls änderte sich dabei
nicht im geringsten. Nun besichtigte ich die Höhle. Sie war etwa
3 cm tief, 2,5 cm hoch und 3 cm breit; sie war mit einem blau-
violetten, serösen, matten Ueberzug bekleidet, der hie und da stark
rot injizierte Blutgefäßchen zeigte. Die Höhle war nach .oben und
unten gegen den übrigen Sakralkanal völlig abgeschlossen. Am
Boden lagen 7 kleine, 3—4 stecknadelkopfgroße Klümpchen von
ziemlich derbem Gewebe, das sich als nekrotisiertes Oewebe des
Filum terminale erwies. Nach Austupfen der Höhle mit reinem
Alkohol wurde über der Trepanationsöffnung die Haut bis auf ein
geringes Spatium geschlossen, durch das ein steriler Gazedocht in
die Höhle geleitet wurde. 2 Tage post operationem kritischer Tem-
peraturabfall. Der Verband war durchfeuchtet, der Docht völlig
feucht von klarer Flüssigkeit. Der Docht wurde nicht erneuert. Die
Wunde heilte p. primam in 9 Tagen; in 14 Tagen ohne Verband
Die Temperatur war im Laufe von 7 Tagen post operationem normal,
dann wieder geringe Erhöhungen bis 38,1° abends; der Stuhlgang
ging 3 Tage post operationem von selbst vonstatten, das Harnen
jedoch nicht. Es mußte noch im Laufe von 2 Wochen katheterisiert
werden, infolgedessen bekam Patientin eine traumatische Kollum-
zystitis mit enormen Schmerzen, die auf Acid. salicyl. intern schwan¬
den. Bald nachher ging ganz allmählich auch die Retentio urinae
zurück. Als die Temperatur 7 Tage post operationem wieder in die
Höhe ging, bei vollständig reiner Wunde, wurde die Lumbalpunktion
vorgenommen, dabei floß kein einziger Tropfen von Liquor durch
die Nadel ab. Am nächsten Tage Wiederholung und wieder nega¬
tives Resultat, trotzdem durch das freigelassene Spatium im unteren
Wundwinkel ziemlich reichlich Liquorflüssigkeit* sickerte, die den
Verband immer benäßte. Diese Erscheinung blieb für mich schwer
erklärbar; es schien, als ob der Liquor tropfenweise durch die die
Wand bildenden Adhäsionen allmählich hindurchsickerte und auf
diese Weise die Höhle ausfüllte, oder daß sich im Verlaufe der
Kolumna-Zellen Adhäsionen gebildet hatten, die in den Punktions¬
stellen gerade leer waren. Es wird mich besonders interessieren,
von autoritativer Seite vielleicht eine andere Erklärung hören zu
können. Am 17. Tage post operationem war die Temperatur fast
zur Norm gekommen; Stuhl spontan; es bildete sich eine geringe
Dysuria paradoxa aus, die im Laufe von etwa 10 Tagen restlos
zurückging. Am längsten dauerte der Opisthotonus, und nach Ab¬
fall der Temperatur machten sich 2- bis 4mal am Tage Schwäche¬
delirien geltend. 1y 2 Monate post Operationen! wurde Patientin im
besten Wohlsein aus der Behandlung entlassen. Es blieben absolut
keine Reste dieser schweren, hier beschriebenen Affektion zurück.
Nun erhebt sich die Frage, worauf dieses Krankheitssyndrom
beruhte. Zu jener Zeit, als Patientin plötzlich in ihrem Dorfe er¬
krankte, herrschte dort eine heftige Grippeepidemie mit schweren
Allgemeinerscheinungen, und ich glaube deshalb, daß das hier be¬
schriebene Bird eben nichts anderes als eine eigenartige Influenza¬
affektion des Rückenmarkes war. Deshalb erlaubte ich es mir auch,
das Krankheitsbild mit dem in der Ueberschrift bezeichneten Namen
zu belegen.
Zur Behandlung des chronischen Magengeschwürs.
Von Dr. Raoko Kovjanil,
Badearzt in Vrnjacka Banja-Krusevac (Serbien).
Die Wismuttherapie des Ulcus pepticüfn chronicum war meist
wirkungslos und mußte es sein, weil der den Defekt bedeckende
Wismutbelag das Geschwür wohl vor mechanischen Traumen schützte,
nicht jedoch gegen die eine Heilung verhindernde Magensäure. Ja,
Wismutsalze in wäßriger Lösung potenzieren sogar, wie meine Unter¬
suchungen ergaben, die saure Reaktion. Diese muß unbedingt in
eine alkalische umgewandelt werden, und das geschieht dadurch,
daß man das Wismut mit der gleichen Menge 25 °/o ige 11
Magnes. peroxyd. mischt; die zu dem Geschwür gelangende
Magensäure wird hier sofort neutralisiert und — was nicht un¬
wesentlich ist — die Geschwürsfläche wird durch das dabei sich
entwickelnde Oxygen dauernd desinfiziert. Ich habe nun das Ad¬
häsionsvermögen der verschiedenen Wismutsalze an äußeren Wun¬
den geprüft und gefunden, daß am besten Bismut. subgallic. anhaftet,
sodann Bismut. subsalicyl. und am wenigsten Bismut. subnitr. Ich
verordne daher:
Bismut. subgallic. 10 # /o
Bismut. subsalicyl.40°/o
25 # / 0 iges Magnes. peroxyd.50%
und lasse 3mal täglich je 1 g vor der Mahlzeit nehmen (nach der
Mahlzeit atlßerdem etwas Natron).
Diese Behandlung wirkt bei allen chronisch-pep-
tisehen Geschwüren rasch und sicher. Heilung tritt ge¬
wöhnlich in 6—8 Wochen ein; aber schon nach 8—lOtägiger Behand¬
lung pflegten die Patienten, die oft jahrelang die größten Qualen
erlitten hatten, völlig beschwerdefrei zu sein und sich durchaus ge¬
sund zu fühlen.
Diese Heilwirkung tritt so prompt ein, daß man sie auch dia
gnostisch verwerten kann: zeigt sie sich nicht nach 8 bis
10 Tagen deutlich, so ist anzunehmen, daß ein peptisches Geschwür
nicht vorliegt. Von meinen 82 Fällen blieben nur 2 unbeeinflußt
und ungeheilt, ein Ulcus carcinoinatosum und ein Ulcus luicum.
Ich hatte keine Gelegenheit, die beschriebene Kur auch bei
akuten peptischen Ulzera anzuwenden, bin aber überzeugt, daß
sie auch hier sich als wirksam erweisen wird, namentlich bei blu¬
tenden Geschwüren, wo auch die styptische Wirkung des Oxygens
zur Geltung kommen dürfte.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERS1TV
19. Januar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
95
Unzuverlässige Fieberthermometer.
Von Prof. Dr. Karl Scheel,
Ober-Reg.-Rat an der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt
in Charlottenburg.
Unter dieser Üeberschrift macht Marinestabsarzt a. D. Dr. Hans
Kritzler in Nr. 49 S. 1497 der D. m. W. auf die Gefahren auf¬
merksam, die durch ungeprüfte Fieberthermometer entstehen können.
Das von Kritzler angeführte Gesetz über die Prüfung und Be¬
glaubigung von Fieberthermometern ist inzwischen in Kraft getreten;
es legt nicht nur den Fabrikanten die Verpflichtung auf, alle von
ihnen hergestellten Fieberthermometer amtlich prüfen zu lassen, be¬
vor sie sie in den Verkehr bringen, sondern es verlangt auch von
den Groß- und Kleinhändlern, ihre Bestände den Prüfungsanstalten
zur Kontrolle vorzulegen. Dabei haben sich nun die Angaben Kritz¬
lers voll bestätigt. Ein beträchtlicher Teil der Lagerware aus
Apotheken und Drogerien — durchschnittlich 30<>/o — mußte bei
der Prüfung als unbrauchbar ausgeschieden werden, sei es, daß die
Instrumente falsch anzeigten — Abweichungen von 1/2 Grad und
mehr sind gar keine Seltenheit —, sei es, daß der Quecksilberfaden
der Maximumthermometer beim Erkalten des Instrumentes nicht
abriß, vielmehr zurückging und somit bei der späteren Ablesung eine
viel zu niedrige Temperatur vortäuschte, sei es, daß die Instrumente
andere Mängel aufwiesen, die für die Beurteilung einer Krankheit
verhängnisvoll werden können.
Auch die Meinung Kritzlers trifft zu, daß diese durchschnitt¬
lich 30oo unbrauchbarer Thermometer nicht den gewöhnlichen Aus¬
fall bei der Prüfung darstellen, daß vielmehr gewissenlose Fabri¬
kanten und Händler danach gestrebt haben, allen bei ihnen auf¬
gehäuften Schund noch vor dem Inkrafttreten des Gesetzes an den
Mann zu bringen. Dabei sind die aus diesen Kreisen der Zwischen¬
händler zur Prüfung eingereichten Mengen von Thermometern ver¬
hältnismäßig nur klein; man muß also annehmen, daß noch viel
mehr minderwertige Ware, entgegen den Bestimmungen des Gesetzes,
von Kleinhändlern, heimlich ungeprüft an den Verbraucher abge¬
setzt wird.
Die ungeprüften Fieberthermometer bilden also jetzt in der
Uebergangszeit eine größere Gefahr Jür Leben und Gesundheit der
Menschen als je zuvor, und es ist Pflicht eines jeden Arztes, das
seinige dazu beizutragen, um solche schädlichen Instrumente so
schnell wie möglich auszumerzen und dadurch die Segnungen des
Gesetzes in vollem Umfange herbeizuführen.
Zur amtlichen Prüfung von Fieberthermometern sind zur Zeit
außer der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt zu Charlottenburg
noch die beiden thüringischen Staatsprüfämter in Ilmenau und Gehl¬
berg und das anhaltiscne Staatsprüfamt in Zerbst berechtigt. Jedes
Thermometer, das die Prüfung bestanden hat, wird von allen vier
Anstalten in gleicher Weise durch Aufatzen des Zeichens DR, einer
laufenden Nummer und der Jahreszahl beglaubigt. Amtliche Prü¬
flingsscheine werden im allgemeinen nicht ausgestellt; die bisher
vielfach von den Verfertigern mitgegebenen Fabrikscheine, welche
die amtliche Prüfung Vortäuschen sollen, sind gänzlich wertlos und,
soweit sie zahlenmäßige Angaben über die Fehler des Instrumentes
enthalten, sogar vielfach unrichtig und irreführend.
Mit amtlichem Stempel beglaubigte Fieberthermometer liefern
— die Maximumthermometer auch nach dem Erkalten — auf 0,1°
richtige Angaben der Temperatur des Kranken. Da ein solches
Thermometer aber möglicherweise um diesen Betrag zu hoch oder
zu niedrig zeigen kann, so können zwei derartige Instrumente im
ungünstigsten Falle um das Doppelte, also um 0,2 3 voneinander
abweichen. Ob sich diese Grenzen mit der Zeit enger ziehen lassen
— vorausgesetzt, daß in Aerztekreisen überhaupt ein Bedürfnis dafür
besteht —, muß einer späteren Ueberlegung Vorbehalten bleiben.
Zur Brandwundenbehandlung.
Ein Türke hatte sich mit heißem flüssigen Zucker den ganzen
Daumenballen mit angrenzenden Teilen der Hand verbrannt. Nach
erfolgter Behandlung und Heilung konnte man kaum noch etwas
sehen. Die Gebrauchsfähigkeit der Hand hatte nicht im geringsten
gelitten.
Ein Engländer hatte nach Verbrennung mit Acid. carbolic. einen
großen Hautdefekt am Arme. Auch diese Wunde war nach kurzer
Zeit bei Behandlung mit dem genannten Paraffin vollkommen geheilt.
Eine abgeänderte Form des Saccharometers.
Von Prof. Dr. Lassar-Cohn in Königsberg i. Pr.
Vor einiger Zeit wollte ich im Gärungssaccharometer den Zucker¬
gehalt eines Harns bestimmen. Aber all die verschiedenen Formen,
die das Saccharometer seit seiner Bekanntgabe durch Einhorn im
Jahre 1888 in der D. m. W. S. 620 angenommen hat, befriedigten mich
nicht hinsichtlich' der Bequemlichkeit bei der Benutzung und der
späteren Reinigung. Verbesserungsversuche haben mich schließlich
zu der nebenstehend abgebildeten Form geführt, die wohl in beiden
Beziehungen nichts zu wünschen übrig läßt.
Der Apparat wird in der Art benutzt, daß in ihn
eine Messerspitze Trockenhefe (Florylin) geschüttet
und bei geöffnetem Hahn etwas Harn gegeben wird,
worauf Umschütteln die Verteilung der Hefe im
Harn veranlaßt. Darauf wird der Apparat durch wei¬
teres Nachgießen von Harn gefüllt, wobei durch
leichtes Schräghalten dafür gesorgt wird, daß mög¬
lichst viel Hefe in den verschließbaren Schenkel
kommt. Sobald der Harn durch den Hahn tritt,
schließt man den Hahn und füllt den offenen Schenkel
ebenfalls völlig. Den auf diese Art gefüllten Apparat
läßt mau 24 Stunden in einem etwa 18° warmen
Zimmer stehen. Da eine etwas höhere Temperatur
nichts schadet, so kann er auch in die Näne des
Kochherdes oder der Stubenfeuerung gestellt werden.
Ah ä d rt Die sicb in dieser Zeit entwickelnde Kohlensäure
Saccharometerform treibt einen Teil des Harns aus dem geschlossenen
baccnarometenorm Schenkd> der seinen p|atz in dem den offene n Schenkel
umgebenden Ueberlauf findet. Darauf liest man die Menge der gebilde¬
ten Kohlensäure an dem in Kubikzentimeter eingeteilten Schenkel ab
und ermittelt den Prozentgehalt an Zucker mittels folgender Tabelle:
0,?5ccm entsprechen l / l , } °/ 0 Zucker 5,50 ccm entsprechen 5 /jo°/o Zucker
1,00 ccm entsprechen 2 /io°/o Zucker 6,00 ccm entsprechen 6 /xo°/o Zucker
4,10 ccm entsprechen s /, 0 °/o Zucker 7,80 ccm entsprechen */io°/o Zucker
4,60 ccm entsprechen ♦/ I0 °/o Zucker
die jedem Apparate beigegeben wird. Pie seltsame Zahlenreihe der
entwickelten Menge an Kohlensäure, die ich in zahlreichen Wieder¬
holungen feststellte, veranlaßte mich schließlich zum Vergleich mit
den vor mehr als 30 Jahren angegebenen, etwas anders gruppierten
Zahlen von Einhorn. Die Umrechnung ergab, daß die Ueberein-
stimmung für Saccharometer hinreichend genau ist.
Falls der zu untersuchende Harn über 0,8°> Zucker enthält, ver¬
dünnt man ihn in einer mit der entsprechenden Teilung versehenen
Röhre, die ebenfalls dem Apparat beiliegt.
Zur Reinigung des benutzten Apparates läßt man bei geöffnetem
Hahn durch inn Wasserleitungsvvasser laufen, das ihn ohne weiteres
wieder sauber spült.
Der Apparat wird von der Firma Greiner ft Friedrichs G. m. b. H.,
Stützerbad» in Thüringen, hergestellt.
Der heutige Stand der klinischen Psychiatrie.
Von Priv.-Doz. Ernst Kretschmer,
Assistent der Psychiatrischen Klinik in Tübingen.
Von cand. med. Tanger in Leipzig.
Während meines Aufenthaltes als Kriegsgefangener in Aegypten
arbeitete ich längere Zeit im Operationssaale eines Kriegsgefangenen¬
hospitals. Dort hatte ich Gelegenheit, ein Präparat zur Behandlung
von Brandwunden kennen zu lernen, welches mit großartigem Er¬
folge angewandt wurde.
Das Rezept lautet folgendermaßen:
0-Naphthol resubl .0,25
Ol. Eucalypt. 2,0
OL Oliv . 5,0
Paraffin . molle.25,0
Paraffin, dur.67,75
Für den Gebrauch wurde dies in Tafeln gegossene Paraffin bei
gelinder Hitze geschmolzen und mit einem Haarpinselchen auf die
Wunden aufgetragen bis zur vollkommenen Bedeckung. Der Ver¬
band der das Pflaster umschloß, blieb immer längere Zeit liegen.
Vier Heilungsprozeß ging sehr rasch vonstatten.
Bei infizierten Wunden wurden vor Anwendung des Paraffins
erst feuchte Verbände angelegt, bis die Wunden sauber waren.
Ich erinnere mich deutlich zweier Fälle von Anwendung mit
ausgezeichnetem Erfolg
Die Entwicklung der klinischen Psychiatrie war in Mitarbeit oder
Bekämpfung bis in das letzte Jahrzehnt hinein beherrscht durch den
Ausbau der Kräpelin sehen Systematik. Diese Entwicklungsphase
kam etwa gleichzeitig mit dem Erscheinen des letzten Kräpelin scheu
Lehrbuchbandes während des Krieges zum Abschluß. Sie war reich
an Erkenntnissen und Erfolgen. Die werdende psychiatrische Wissen¬
schaft hatte, in erster Linie durch Kräpelin, einen festen, syste¬
matischen Umriß bekommen. Aus dem Durcheinander schwankender
Nomenklaturen hob sich die Kräpel in sehe Art der klinischen Stoff-
gruppierupg mehr und mehr als die praktisch brauchbarste in wesent¬
lichen Punkten heraus und hat sich, wenn auch mit Modifikationen,
in die meisten deutschen Lehrbücher hinein durchgesetzt. Die Krä¬
pelin sehe Nomenklatur ist zur psychiatrischen Umgangssprache ge¬
worden, die wrir alle sprechen und in der wir uns verständigen können.
Die Gruppe der organischen Seelenstörungen kann in den Haupt¬
zügen als definitiv systematisiert gelten, ebenso die der toxischen und
infektiösen Syndrome. Auf dem Gebiet der endogenen Psychosen hat
sich die Kräpelin sehe Gruppierung um die beiden großen Formkreise
des manisch-depressiven Irreseins und der Dementia praecox (Schizo¬
phrenie) ungefähr allgemein durchgesetzt, denen sich dann die Epi¬
lepsie als weitere Gruppe anschließt. Dagegen ist die Einteilung
der psychogenen Seelenstörungen und psychopathischen Zustände,
Digitizerf by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSITV
96
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 3
dem hier noch wenig vonreschrittenen Forschungsstand entsprechend,
vielfach noch recht oberflächlich, locker und ohne Einheitlichkeit der
Gesichtspunkte.
Die reine klinische Systematik ist also zu einem gewissen vor¬
läufigen Abschluß gelangt. Daneben und zum Teil im Kampf damit
sind aber nun in den letzten 15—20 Jahren neue, kräftige Strömungen
emporgekommen: die Psychopathologie auf der einen, die Kon¬
stitution sbiolog4e auf der anderen Seite.
Im Zusammenhang mit der allgemeinen wissenschaftlichen Zeit-
strömung war in der klinischen Psychiatrie -das Interesse für die
Psyche als solche lange Zeit geringe Man suchte auf dem Wege der
Hirnanatomie den Ursachen der Geistesstörungen näherzukommen
und erreichte dadurch auf dem organischen Teilgebiet Bedeutendes.
Klinisch beschränkte man sich streng und grundsätzlich auf die
äußerliche Registrierung der Worte und Ausdrucksformen der Geistes¬
kranken, indem man deren innere psychologische Zusammenhänge
nach Möglichkeit beiseiteließ. Man glaubte, das Subjektive nicht
in den Kreis der naturwissenschaftlichen Forschung aufnehmen zu
dürfen, und mußte damit die Psyche im engsten Sinn, als das Subjek¬
tive schlechthin, auch bei den psychiatrischen Patienten aus der
Untersuchung ausschließen. Die experimentalpsychologische Methodik
vervollständigte die Gewinnung der exakten Außenbilder.
Schon längere Zeit, ehe in dieser Richtung der engeren klinischen
Psychiatrie nach schönen und berechtigten Erfolgen eine gewisse
Stockung eingetreten war, war ihr in der Psychoanalyse Freuds
ein extremer Antipode erwachsen. Die Psychoanalyse begann nun
gerade dort zu fragen, wo die klinische Psychiatrie damit aufhörte,
nämlich: Was steckt psychologisch hinter den „Symptomen“? Woher
stammt diese Angst, jene Wahnvorstellung, jene Zwangsidee? Was
hat der Patient subjektiv, innerlich erlebt, bis zu dem Punkt, wo die
absurde Idee folgerichtig aus ihm heraustrat? Die starken Einseitig¬
keiten und theoretischen Ueberspannungen der psychoanalytischen
Schule führten zunächst eine schroffe und fast generelle Ablehnung
derselben durch die herrschende klinische Richtung herbei, infolge
deren die Psychoanalyse sich zu einem sektenartig abgeschlossenen
Sonderdasein organisierte. Trotz aller dogmatischen Absperrungen
aber wirkte das, was wertvoll an der Psychoanalyse war, unmerklich
immer stärker umbildend auf das klinische Denken hinüber.
Ein zum Teil ähnlich gerichteter Impuls traf die klinische Psy¬
chiatrie von der phänomenologischen Denkrichtung her, die
durch Jaspers von der philosophischen Psychologie aus hierher
geleitet wurde. Auch die phänomenologische Richtung drängte über
die symptomatische Schilderung der Winischen Außenbilder hinaus
nach einer möglichst eingehenden und subtilen Bestandsaufnahme
von dem gesamten inneren Erleben der Patienten und einem ein¬
fühlenden Verstehen desselben. Dachte die Psychoanalyse mehr
genetisch, kausal, so neigte sich diese Richtung zum rein Deskrip¬
tiven, zum vorurteilslosen reinen Beschreiben des Reichtums inner-
seelischer Phänomene.
Von beiden Ausgangspunkten aus, dem psychoanalytischen und
dem phänomenologischen, entwickelte sich im Lauf der letzten Jahre
die breite Strömung innerhalb der Psychiatrie, die man als die
psychopathologische zu bezeichnen pflegt. Die Einsichten be¬
sonders in das hysterische, schizophrene und paranoische Seelen¬
leben haben sich so wesentlich erweitert und umgebildet. Man
begann sich für das „Psychogene“, durch psychische Erlebniswirkun¬
gen Entstandene, wieder lebhafter zu interessieren: der Kreis der
psychogenen Seelenstörungen neben der Hysterie erweiterte sich;
auch für psychogene Einschläge und Mitwirkungen im Verlauf endo¬
gener Psychosen, z. B. in der Schizophrenie, bekam man ein offeneres
Auge. Das wiedererwachte psychologische Interesse zog neben den
eigentlichen Psychosen vor allem auch den Reichtum psychopathi¬
scher Persönlichkeitsvarianten, ja das Persönlichkeitsproblem über¬
haupt in den Kreis der Betrachtung, was eine immer breitere soziale
Auswiritung der Psychiatrie und ein immer stärkeres Zusammen¬
wachsen mit den Forschungsgebieten der Geisteswissenschaften zur
Folge hatte.
Wie die „verstehende“, „einfühlende“ Psychologie der psycho-
pathologischen Richtung methodisch die Experimental Psychologie teil¬
weise ablöste, so trat in somatisch-biologischer Hinsicht die Kon¬
stitutionsforschung ergänzend neben die Hirnanatomie. Schon
seit längerer Zeit hatte besonders Rüdin die Bedeutung der Ver¬
erbungslehre für die Entstehung der endogenen Psychosen und
ihre klinischen Zusammenhänge betont. Anderseits gab die Lehre
von der inneren Sekretion und die an ihr wieder aufgeblühte
humorale Denkweise ein wertvolles Gegengewicht gegen eine zu
ausschließlich hirnanatomische Auffassung der seelischen Störungen.
Die Funktionsstörungen der Schilddrüse oder der Keimdrüse etwa
zeigten neben eingreifenden Veränderungen am Körperbau weit-
tragende Auswirkungen auch auf das Seelenleben. So waren die
Ausgangspunkte gegeben für eine umspannendere gesamtbiologi¬
sche Auffassung, die ihren Blick nicht nur ausschließlich auf
das Gehirn und nicht bloß auf die Psychosen selbst richtete, sondern
die sich anschickte, die Psychose im Zusammenhang mit der Gesamt¬
persönlichkeit nach ihrem seelischen Habitus wie naoi ihrer körperbau-
mäßigen Beschaffenheit und die Persönlichkeit wieder im großen
Rahmen der Vererbung zu betrachten.
All diese neuen Gesichtspunkte beginnen nun auch wieder auf
die engere klinische Psychiatrie und ihre Systematik zurückzuwirken.
Zunächst wurde der Kernpunkt der Kräpelin sehen Systematik,
nämlich die Aufstellung des manisch-depressiven und des schizo¬
phrenen Formkreises, in seiner Richtigkeit wesentlich eihärtet, er¬
weitert und biologisch vertieft, indem sich zeigte, daß diesen beiden
Psychosen auch bestimmte Persönlichkeits- und Körpertypen ent¬
sprachen, die weit ins Gebiet der Psychopathen und der Gesunden
Übergriffen und auch vererbungsmäßige Zusammenhänge zeigten.
Man kann diese Gruppen von Persönlichkeitstypen als Schizothymiker
und Zyklothymiker bezeichnen; bei den psychopathischen Grenz-
zuständeu spricht man auch von schizoiden und zykloiden Psycho-
athen. So hängt z. B. manches aus dem Gebiet der Entartungs-
ysterie, der konstitutionellen Nervosität, der asozialen Entartung
mit dem schizoiden Formkreis aufs engste zusammen, ebenfalls wirken
diese biologischen Radikale in das Gebiet der Paranoia und Para¬
phrenie hinüber.
Wenn so die konstitutionsbiologische Forschung mehr und mehr
aufzeigt, wie dieselben biologischen Veranlagungen, auf deren Boden
die endogenen Psychosen erwachsen, teilweise auch beim Zustande¬
kommen psychogener Seelenstörungen beteiligt sind, so hat umgekehrt
die feinere psychopathologische Analyse gezeigt, daß psychisch¬
reaktive, psychogene Erlebniswirkungen auch im Rahmen endogener
Erkrankungen, z. B. in der Schizophrenie, eine Rolle spielen können
Auch in den grob destruktiven, organischen Seelenstörungen, wie der
Paralyse oder den senilen Erkrankungen, können natürlich kon¬
stitutionelle Anlagemomente und psychogene Erlebnisreaktionen beim
Symptomaufbau mit im Spiel sein. Dazu kommt weiter, daß bei
vererbungsmäßiger Denkweise eine zirkuläre und eine schizophrene
Erbanlage sich nicht auszuschließen brauchen, daß also auch in einer
Psychose grundsätzlich wohl schizophrene und zirkuläre Elemente
sich vermischen können.
Aus all diesen Gedankengängen und neuen Untersuchungsresul-
taten ergab sich nun für mehrere Forscher die Konsequenz, daß es
zahlreiche praktisch-klinische Einzelfälle geben kann, aenen wissen¬
schaftlich nicht Genüge getan ist, wenn man sie in eine einzige
Kategorie unserer üblichen diagnostischen Bezeichnungen einordnet,
sondern die unter verschiedenen klinischen Gesichtspunkten gleich¬
zeitig betrachtet werden können und müssen. So können etwa in
einer paranoischen Erkrankung seelische Schädigungen durch schlei¬
chende schizophrene Schübe, zugleich aber auch psychogene Ent¬
wicklungsmomente, etwa als Reaktion auf ein kränkendes Erlebnis
stecken. Ja dieselbe Erkrankung kann vielleicht noch Kausalmomente
aus einer früher erlittenen organischen Schädelverletzung oder aus
einer beginnenden seelischen Schwächung durch Arteriosklerose ent¬
halten.
Man denkt sich also jetzt vielfach in der Psychiatrie das klinische
System nicht mehr in Form streng voneinander geschiedener „Krank¬
heitseinheiten“, sondern mehr in Form von biologischen und
psychologischen „Typen“, die zum Teil fließend ineinander über¬
gehen, sich miteinander kombinieren und vermischen können. Und
man nimmt an, daß in diesen klinischen Typen zum Teil biologische
Radikale stecken, etwa phylogenetische Entwicklungs¬
stufen, die, auch in der Normalpsyche fest präformiert, • durch
die Psychose nicht erst geschaffen, sondern nur herausgeholt werden;
eine Denkweise, die naturgemäß die grob destruktiven Zerstörungen
nicht mit umfaßt.
Wenden wir diese Gesichtspunkte auf die diagnostische Praxis
an, so ergibt sich daraus, daß an den eingebürge rten klinischen
Bezeichnungen meist ruhig festzuhalten ist, weil si e meist etwas
Wesentliches und Wichtiges enthalten, daß aber dieses ganze, wohl-
bewährte klinische System elastischer gehandhabt werden muß. Der
Mehrzahl der Fälle ist praktisch Genüge getan, wenn wir sie nach
wie vor mit einer Einheitsdiagnose, wie „Schizophrenie“, „Paralyse“
u. dgl. bezeichnen. Daß man das ausschlaggebende Hauptmoment
einer Psychose klar heraushebt, ist praktisch ganz unerläßlich. Da¬
zwischen aber finden wir immer wieder komplizierter gebaute Psy¬
chosen, die wir „mehrdimensional“, unter verschiedenen Ge¬
sichtspunkten betrachten und klinisch bezeichnen müssen. Hier müssen
wir den „Aufbau der Psychose“ sorgfältig studieren und jede
einzelne Kausalkomponente derselben herausarbeiten.
Im ganzen bietet also heute die klinische Psychiatrie das Bild
lebhafter geistiger Bewegung von den verschiedensten Punkten her,
nirgends abgeschlossene Resultate, aber überall lebendiges Vorwärts¬
drängen, nicht im Sinne eines revolutionären Umsturzes älterer An¬
schauungen, vielmehr ihrer schnellen, aber organischen Weiterent¬
wicklung.
Gynäkologische Ratschläge für den Praktiker.
Von Prof. W. Liepmann in Berlin.
III.
Die entzGndlichen Erkrankungen der weiblichen Qenitallen.
1. Gonorrhoe, Tuberkulose, Syphilis.
Zuerst werden wir uns mit der Gonorrhoe, der Tuberkulose und
der Syphilis der weiblichen Geschlechtsorgane zu beschäftigen haben,
weil diese Erkrankungen in jedem Falle, für jeden speziellen Ab¬
schnitt des Genitalrohres in Berücksichtigung zu ziehen sind. Als¬
dann werden wir der Reihe nach besprechen die Entzündungen
1. der Vulva, 2. der Vagina, 3. des Uterus, 4. des Beckenbinde¬
gewebes, 5. der Adnexe und 6. des Peritoneums.
War bei Besprechung den Lageveränderungen der weiblichen Ge
nitalien die Anatomie die alleinige Führerin zu einer wissenschaft-
Digitized b'
Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
19. Januar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
97
liehen Therapie, so spielt bei den entzündlichen. Erkrankungen der
weiblichen Geschlechtsorgane die Bakteriologie eine wichtige Rolle.
Erst nachdem die Kausa in jedem Falle festgestellt ist, gehe man
an die Therapie.
A. Oie Gonorrhoe der weiblichen Genitalien.
Wenn wir bedenken, daß nach sorgfältigen Statistiken etwa
25 o,o aller wegen Genitalleiden den Arzt auf suchenden Frauen gonor¬
rhoisch infiziert sind oder gonorrhoisch infiziert waren, so muß
unser erstes diagnostisches Postulat sein: in jedem Falle von Ent¬
zündungen der weiblichen Genitalorgane die Gonorrhoe festzustellen
oder auszuschließen.
Die Feststellung der Gonorrhoe ist nur mit dem Mikroskop
möglich, Technik und Ausführung wird als bekannt vorausgesetzt.
Da nach der Statistik von Klein, die sich mit meinen Erfahrungen
deckt, in lOOo/o der Fälle bei der akuten weiblichen Gonorrhoe sich
Gonokokken im Sekret der Urethra finden, so werden wir das zur
Diagnose wichtige Material mit ausgeglühter und wieder abgekühltei
Platinöse der Harnröhre zu entnehmen haben. .
Finden sich in diesem Sekret Gonokokken und ist
aus der Anamnese ersichtlich, daß es sich um einen
akuten Fall handelt, so ist jede weitere digitale Unter¬
suchung unter allen Umständen zu vermeiden.
Bei sicher chronischen Fällen wird man neben dem Urethralsekret
auch das im Milchglasspekulum leicht zugängliche Zervikalsekret
zu untersuchen haben. Eine genaue Betrachtung des Introitus vulvae
klärt uns darüber auf, ob die Bartholinischen Drüsen schon befallen
sind; aber die Erkrankung der Bartholinischen Drüsen ist für die
Patientinnen so schmerzhaft, daß ein Uebersehen dieser Komplikation
von seiten des Arztes ganz ausgeschlossen ist:
Therapie: Eine wissenschaftlich exakte Therapie ohne Er¬
kenntnis der Aetiologie ist unmöglich. Die Kenntnis, daß bis auf
wenige Ausnahmefälle die akute - Gonorrhoe im ersten Stadium die
Harnröhre befällt, ist wie für die Diagnose so auch für die Therapie
von grundlegender Bedeutung. Gelingt es, durch unsere therapeuti¬
schen Maßnahmen im ersten Stadium die Gonokokken an ihren
Krankheitsherd, die Urethra, zu fesseln, so gelingt uns die Heilung.
Gelingt diese Lokalisation nicht, so beginnt unaufhaltsam das zweite
Stadium, die akute aszendierende Gonorrhoe. Ist bei der Urethral-
gonorrhoc ein Restitutio ad integrum möglich, so versagt bei der
aszendierenden Gonorrhoe vorläufig jede kausale Therapie; kümmer¬
lich treten an ihre Stelle Schmerzlinderung und symptomatische Be¬
handlung. ' | i 1
Die Schleimhaut der Scheide wirkt in der Norm als Barriere
gegen das Hinaufwandem. Durchbrochen wird diese Barriere ent-
wttfer durch das Hinaufmassieren der Keime nach der Zervix zu,
wie es bei der Kohabitation, bei instrumenteller Untersuchung, bei
Spülungen, besonders aber bei der digitalen Untersuchung unver¬
meidlich ist, oder aber das herabrieselnde Blut als vorzüglicher
Nährboden überbrückt die hemmende Schranke der Vaginalschleim¬
haut. Menstruation und Puerperium wirken schädigend in diesem
Sinne. So haben wir also als erste Maßnahme unseres therapeutischen
Vorgehens die Keimverschleppung zu verhüten. So einfach dieses
betreffs des tuschierenden Fingers, der instrumentelleu Untersuchun¬
gen, der Spülungen und der Kohabitation möglich ist, so schwierig
ist es, selbst bei strikter Bettruhe, ein Aszendieren während der
Menstruation und im Puerperium zu vermeiden. Ebenso stehen
wir dem glücklicherweise seltenen Transport der Keime durch den
Blutstrom, der zur Arthritis gonorrhoica und zur Endocarditis gonor¬
rhoica führt, machtlos gegenüber. Die Uebertragung des keimhalti¬
gen Sekrets auf die Schleimhaut des Auges muß in jedem Falle
durch die Ermahnung der Patientin, sich nach jeder Berührung der
Genitalien die Hände gründlichst zu waschen, vermieden werden.
War die Keimlokalisation unser erstes Ziel, so ist die Keim-
vernichtung unsere zweite wichtige Aufgabe. Unter den vielen,
täglich neuerscheinenden Mitteln hat sich mir noch immer das
Argentum nitricum am besten bewährt, und zwar in flüssiger
Form. Im allgemeinen verwende ich 1— 3o/oige Lösungen mit einer
aus Glas bestehenden Urethralkanüle, die auf jede Pravazspritze
aufzusetzen und der Fritschschen Urethralkanüle ähnlich ist. Die
Injektionsflüssigkeit verläßt die Kanüle retrograd, und der an der
Kanüle vorn befindliche Knopf verhindert bei einiger Vorsicht das
Hineinschieben der Kanüle über den Sphitjcter urethrae internus 1 ).
Da die Kanüle aus Glas ist, läßt sie sieh leicht auskochen und
reinigen. Die Menge der langsam zu injizierenden Flüssigkeit ent¬
spricht der Größe der Pravazspritze, gleich 1 ccm. Vor der Injek¬
tion läßt die Patientin am besten Urin, damit die Injektionsflüssig¬
keit möglichst lange mit der Schleimhaut in Berührung bleibt. Nach
der Injektion läßt man die Patientin noch 5 Minuten auf dem Unter¬
such ungss tu h I oder dem Sofa liegen, wenn man nicht, was im
akuten Stadium am besten ist, bei strikter Bettruhe die Injektion
im Bett vorgenommen hat. Sind die Skenschen Drüsen erkrankt, so
beseitigt man die in ihnen enthaltenen Keime am besten durch Elektro-
ounktur Klagen die Patientinnen über Schmerzen beim Urinieren,
so wartet man mit der lokalen Behandlung am besten und gibt lieber
innere Mittel: Gonosan, Kopaivabalsam, Salol, Helmitol, Urotropin,
Vesicaes an und Bärentraubentee, außerdem mehrmals täglich ein
Glas Fachin gerwasser, und unterstützt die schmerzlindernde Behand¬
lung durch Suppositor ien von Pantopon, Morphium, Belladonna.
') Die Kanüle wird vom Medizinischen'Warenhaus, Berlin, Karlstr. 31, hergestellt.
In allen Fällen aber, sowohl bei der lokalen wie bei der inneren
und der kombinierten Behandlung, müssen sich die Patientinnen
mehrmals täglich die äußeren Genitalien auf dem Bidet mit Kamillen¬
tee oder, bei großem Keimreichtum, mit Sublimat. 1:1000 reinigen.
Nach jeder Waschung werden die Genitalien dick mit Lenicet ein¬
gepudert, das man am besten mit einer Menstruationsbinde fixie¬
ren läßt. /
Wird durch die mikroskopische Untersuchung eine Keimbesiede-
lung des Zervixsekrets nachgewiesen, eine Endometritis gonorrhoica
festgestellt, so nimmt man am besten von jeder Lokaltherapie Ab¬
stand und sucht durch strikteste Bettruhe ein weiteres Aufwandem
der Keime zu verhüten. Ich habe von intrazervikalen Be¬
handlungen niemals etwas Gutes, sehr häufig aber die
unangenehmsten Komplikationen gesehen.
Sobald bei der akuten, aszendierenden Gonorrhoe die Gono¬
kokken in die Tuben und Ovarien gelangt sind, kann unsere Therapie
selbstverständlich nur nach dem Gesichtspunkt einer frischen Peri¬
tonitis erfolgen. Die starken peritonealen Beschwerden der Patien¬
tinnen zwingen sie ja von selbst zu der vorher oft abgelehnten strikten
Bettruhe. Jetzt treten Eisblase und die vorhergenannten Suppositorien
in ihre Rechte. Mit der modernen Vakzinebehandlung habe ich bisher
keine Erfahrungen gemacht, die midi bestimmen könnten, sie als
Heilmittel zu empfehlen. Erst nach dem Abklingen aller akut ent¬
zündlicher Erscheinungen, die sich sinnfällig in Schmerzen und Fieber
dokumentieren, tritt die resorbierende Behandlung in ihre Rechte.
Je geringer die Anwendung spezifischer Behandlungsmethoden, um
so größer die Zahl der empfohlenen Mittel. Schließlich, wenn wir
die Resultate unserer resorbierenden Therapie überblicken, sind Ruhe
und Zeit doch noch immer die wesentlichsten Komponenten. Wird
man in unbemittelten Kreisen mit Jodeinpinselungen des Unterleibes,
wenn es vertragen wird, mit heißen Umschlägen, mit Sitzbädern von
einviertelstündiger Dauer mit Staßfurter Salz (sechs Pfund auf ein
Sitzbad 38 °) auskommen, so wird man da, wo man sie anwenden kann,
auch mit Dampfbädern, Lichtbädern, Moorbädern und Diathermie
durch die für die Psyche der Patientin wichtige Abwechselung Heil¬
verfahren besitzen, die unzweifelhaft günstig auf die Resorption
wirken.
Alle Behandlungen von der Vagina her finden erst dann ihre
Anwendung, wenn sicher durch das Mikroskop Keimfreiheit der Harn¬
röhre und der Zervix nachgewiesen ist; dann, aber auch dann erst
können heiße Scheidenduschen, Tampons oder besser Bäder der
Portio 1 ) mit Ichthyol, Thiopinol, Thigenolglyzerin u. a. m. Anwen¬
dung finden.
Eine besondere Besprechung bedarf die gonorrhoische
Vulvovaginitis der kleinen Kinder. Das jugendliche, zarte
Epithel der Vagina bietet den Gonokken bessere Wachstumsmöglich¬
keiten als bei der Erwachsenen, ebenso aber auch erfordert dieses
zarte Epithel ein vorsichtiges Vorgehen von seiten des Arztes. Die
Kinder müssen isoliert werden. Die Vulva wird mehrmals täglich,
am besten mit Kamillentee, gewaschen, dick mit Lenicet gepudert
und durch einen Verband geschlossen, um eine Infektion der Augen
zu vermeiden. Erst wenn die entzündlichen Erscheinungen im Rück¬
gang sind, beginne man mit vorsichtigem Betupfen der infizierten
Stellen mit 0,5f>oiger Argentum nitricum-Lösung mittels Playfairscher
Sonde. \ J *
Die Erkrankung der Bartholinischen Drüsen wird
in etwa 10<Vo aller Fälle beobachtet, braucht aber durchaus nicht immer
gonorrhoischer Natur zu sein. Ihre Behandlung geschieht nach chirur¬
gischen Prinzipien, am besten mittels Exstirpation der Drüse.
B. Die Tuberkulose der weiblichen Genitalien.
Gegenüber der Verbreitung der Gonorrhoe ist die Verbreitung
der Tuberkulose der Genitalorgane außerordentlich beschränkt. Wenn
auch die pathologisch-anatomischen Statistiken in 1—3o/o ihre An-
Wesenheit feststellen, so muß man doch bedenken, daß es sich hier
um ein Material handelt, das in erster Linie die ärmere Bevölkerung
betrifft. Am meisten befallen werden die Tuben, erst etwa in der
Hälfte der Fälle das Uteruskavum, in knapp 1 / 8 der Fälle die Eier¬
stöcke, ganz selten die Vagina und noch seltener die Vulva. Wenn
auch durch experimentelle Versuche die Möglichkeit einer aszen¬
dierenden Tuberkulose (ein Fall von Kohabitationstuberkulose ist
beobachtet) nachgewiesen ist, so kommt doch praktisch einzig und
'allein der hämatogene Weg in Frage, daher werden auch, wie schon
ausgeführt, die Tuben am häufigsten befallen.
Diagnose: Ebenso selten wie die Krankheit an sich, ebenso
selten wird eine richtige Diagnose hier zu stellen sein. Selbst¬
verständlich wird man bei tuberkulösen Individuen, bei denen Schwel¬
lungen der Tuben auftreten, an eine Gcnitaltuberkulose zu denken
haben, aber auch das ist außerordentlich selten. Das Material großer
Lungenheilstätten, daraufhin untersucht, ergibt eine überraschend ge¬
ringe Ausbeute. Fühlt man im Douglasschen Raum verschiedene
Knötchen, so ist natürlich die Diagnose erheblich erleichtert. Zu¬
erst hat man an diese Erkrankung zu denken, wenn man bei
doppelseitiger Pyosalpinx keine Schmerzen bei der Patientin nach-
weisen kann, ein Symptom, auf das schon Hofmeier hinwies. In
all den Fällen, in denen die Tuberkulose bis zum Uteruskavum fort¬
geschritten ist, führt eine Probekurettage zum Ziel, v.on der man
am besten einen Teil einem Meerschweinchen injiziert* den andern
Teil mikroskopisch untersucht.
*) Siehe Fußnote in unserenfersten Artikel „Die Lageveränderungen’der weiblichen
Genitalien”.
Digitized by
Gck igle
Original from
C0RNELL UNIVERSITY
98
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 3
Therapie. Die Therapie geht Hand in Hand mit der Be¬
handlung der Tuberkulose überhaupt: Heilstättenbehandlung, robo-
rierende Diät, bei vorsichtiger Durchführung einer Tuberkulinkur, Strah¬
lenbehandlung mit Röntgenstrahlen und künstlicher Höhensonne, kurz,
das ganze Armatorium einer modernen Heilstättentherapie. Kompli¬
kationen aller Art, wie Blutungen und Abszeßbildungen, können eine
operative Behandlung der Oenitaltuberkulose als notwendig erschei¬
nen lassen. Aber auch nach der Ausführung einer Operation ist eine
sorgfältige Therapie, wie vorher beschrieben, am Platze.
C. Die Syphilis der Genitalorgane.
Nachdem im Jahre 1905 Schaudinn und Hoffmann in der
Spirochaete pallida den Syphiliserreger entdeckten, wurde nicht nur
die Aetiologie der Syphilis auf eine feste Basis gestellt, sondern
gerade der Diagnose der syphilitischen Erkrankungen der weiblichen
Geschlechtsorgane ein wichtiges Hilfsmittel an die Hand gegeben.
Denn während bei den Genitalien des Mannes in dem knorpelharten
Primäraffekt ein sicheres diagnostisches Zeichen gegeben ist, fehlt
dieses Erkennungszeichen bei der Frau in den meisten Fällen fast
vollständig. Relativ einfach ist die Diagnose, wenn wir an der
großen Schamlippe eine Erosion finden, die, durch knorplige
Induration in die Höhe gehoben, als Ulcus elevatum imponiert. Aber
diese Induration ist schon an der kleinen Schamlippe außerordent¬
lich viel geringer und nur als pergamentähnlich zu bezeichnen. In
der Schleimhaut des Vorhofs und der Scheide, wo der Primäraffekt
am häufigsten sitzt, fällt jede Indurationsbildung weg, uncharakte¬
ristisch wie ein geplatztes Herpesbläschen oder wie eine durch un¬
schuldige Verletzung zustandegekommene Ulzeration entgeht nur allzu
leicht, auch dem Geübten, die Diagnose, daß es sich hier um einen
Primäraffekt handelt. Bedenkt man außerdem noch, daß nach Ablauf
von 14 Tagen keine Spur mehr von einer solchen Erosion zu sehen
ist, daß außerdem die Multiplizität der Ulzerationen nicht als Beweis
dafür genommen werden darf, daß es sich um einen Ulcus molle
handelt, so begreift man die Schwierigkeit, die sich der Diagnose
der Syphilis der weiblichen Genitalien bietet.
Dieselbe Erscheinung, die wir bei der Gonorrhoe beobachten
konnten, tritt uns erneut bei der Syphilis entgegen, die erhebliche
Unverletzlichkeit des Scheidenrohres. Neu mann fand unter 800
Fällen von Syphilis nur in 4 Fällen, d. h. in 0,5o/o, den Primäraffekt
in der Vagina. Beschwerdelos heilt in der Scheide in diesen seltenen
Fällen der Schanker aus und entzieht sich auch hierdurch der Beob¬
achtung.
Ganz anders liegen die Verhältnisse an der Portio vaginalis.
In 15% aller Fälle ist hier die Lokalisation des Primär¬
affektes. Die bei so vielen Frauen, bei Virgines sowohl wie bei
Frauen, die geboren haben, bestehenden Erosionen bieten einen vor¬
züglichen Locus minoris resistentiae für das Eindringen des syphi¬
litischen Virus. Auch hier ist der Primäraffekt im ersten Stadium
kaum von andern Prozessen zu unterscheiden, erst allmählich beginnt
sich der Rand scharf zu indurieren und der Grund des Geschwürs
sich mit diphtherieähnlichen, schmierigen Belägen anzufüllen.
Und schließlich müssen wir noch einer nicht allzu selten auf-
tretenden Komplikation Erwähnung tun, die in einer auffallend star¬
ken, keinen Fingerdruck hinterlassenden Schwellung der großen und
der kleinen Labien besteht. Charakteristisch ist für diese als Oedema
indurativum bezeichnete Begleiterscheinung die langsame Ent¬
wickelung und der schmerzlose Verlauf. Wird eine antisyphilitische
Behandlung eingeleitet, so verschwindet das Oedem langsam, eine
Verhärtung und Verdickung der Haut aber bleibt zurück. Die
Condylomata lata werden erst bei Besprechung der Condylomata
acuminata, d. h. bei Besprechung der übrigen entzündlichen Er¬
krankung der Vulva, ihre Erledigung finden. Wichtig für den Geburts¬
helfer ist es, daß im späteren Verlauf gummöse Prozesse an der
Portio zu einer so hochgradigen Rigidität des Muttermundes führen
können, daß sie zum Geburtshindernis werden. Das Gumma der
Vulva wird viele Jahre nach der ersten Infektion als eine bohnen-
große, schmerzlose Infiltration im gesunden Gewebe nachgewiesen.
Sicherlich sind, wie Hy des nachgewiesen hat, zahlreiche Fälle von
Estyomene oder Elephantiasis vulvae nichts weiter als solche Gummata
vulvae. Ueber die interstitiellen Gewebsveränderungen der weib¬
lichen Genitalien bei der Lues sind, trotz der guten Beobachtung
Dreyers, unsere Kenntnisse noch mangelhaft, aber nach meinen Er¬
fahrungen kann ich sagen, daß bei Syphilis ovarielle und uterine
Metrorrhagien recht häufig sind und auf interstitielle Prozesse einer¬
seits, anderseits auf eine Angiosklerosis syphilitica zurückgeführt
werden können.
Alle die bei der Lokalisation des Primäraffektes beschriebenen
diagnostischen Schwierigkeiten lassen sich fast restlos beseitigen,
wenn man sich bemüht, wie bei der Gonorrhoe, in jedem Falle zu
einer bakteriologischen Diagnose zu kommen. Die Ulzeration wird
mittels der ausgeglühten und abgekühlten .Platinöse gereizt und in
dem Reizserum nach Burri oder, falls man sie hat, mittels der Dunkel¬
feldbeleuchtung die Spirochäten nachgewiesen. In späteren Stadien
gibt die Wa.R. uns über die Natur der Krankheit Aufklärung.
Therapie: Im einzelnen sei auf die Lehrbücher für Haut- und
Geschlechtskrankheiten hingewiesen, nur soviel sei erwähnt, daß es
zweckmäßig ist, wenn es irgend geht, den bakteriologisch fest-
gestellten Irimäraffekt zu exstirpieren und sofort eine kombinierte
Guccksilber-Salvarsanbehandlung einzuleiten.
Stan desang elegenheiten.
Rechtsfragen aus der ärztlichen Praxis.
Von Oberreichsanwalt Dr. Ebermayer.
XXXIII.
(Schluß aus Nr. 2.)
Im AeVBl. 1921 S. 209ff. macht Dr. Kantor interessante Mit¬
teilungen über kurpfuscherische Agitationstricks. Er zeigt, mit welch
bedenklichen Mitteln diese Gegner der Aerzte kämpfen, wie sie die
unbegründetsten Vorwürfe erheben und teilweise durch Schriften
von Aerzten selbst unterstützt werden. Es mangelt hier der Raum,
auf die in dem Aufsatze wiedergegebenen Einzelheiten einzugehen,
doch sollte nicht unterlassen werden, auf die Ausführungen Dr.
Kantors hinzuweisen.
In den AeMitt. 1921 Nr. 40 und in der M. m. W. 1921 Nr. 45
macht Dr. Sieber Mitteilungen über die mifibrluchliche Verwendung
der Morphiumspritze durch eine Krankenschwester. Die Schwester
hatte hinter dem Rücken des Arztes dem Kranken fortgesetzt Ein¬
spritzungen mit Morphium gemacht, das sie sich auf verbotenem
Wege verschafft hatte. Nach den Angaben Dr. Siebers wurde
ihm auf seine Beschwerde an das hessische Kreisgesundheitsamt ge¬
antwortet, die Krankenschwestern hätten das Recht, auch ohne ärzt¬
liches Einverständnis Morphiumeinspritzungen zu machen. Sieber
beruhigte sich dabei nicht, und da er von der Ministerialabteilung
für öffentliche Gesundheitspflege in Darmstadt keinen Bescheid be¬
kommen habe, habe er sich an das Ministerium des Innern gewandt,
das ein Einschreiten abgelehnt habe. Erst das hessische Staats¬
ministerium habe auf weiteres Betreiben Siebers die Ministerial¬
abteilung veranlaßt, dem Pflegepersonal die wilden Morphiumein¬
spritzungen zu verbieten. Die Angaben Dr. Siebers können auf
ihre objektive Richtigkeit hier nicht nachgeprüft werden. Treffen sie
zu, so erschiene es allerdings in hohem Maße bedenklich, wenn
eine Medizinalbchörde sich auf den Standpunkt gestellt hätte, eine
Krankenschwester sei allgemein und von Notfällen abgesehen be¬
rechtigt, ohne Einwilligung, ja sogar heimlich, gegen den Willen
des Arztes, dem Kranken beliebig viele Morphiumspritzen nach ihrem
Ermessen zu geben.
In den AeMitt. aus und für Baden 1921 Nr. 12 wird ein Bescheid
des badischen Ministeriums mitgeteilt, der sich mit der Frage be¬
schäftigt, wie die Stellung des Beauftragten des Ministeriums sich ge¬
staltet, wenn das Ehrengericht seinen Antrag auf Einstellung des
Verfahrens ablehnt. Eine Wiederholung des Antrags escheint aus¬
geschlossen; anderseits kann der Beauftragte seine weitere Mit¬
wirkung im Verfahren nicht verweigern. Eine analoge Anwendung
des § '206 StPO., wonach der Staatsanwalt in dem Falle, daß das
Gericht, entgegen dem staatsanvvaltschaftlichen Anträge auf Außer-
verfolgungsetzung, die Eröffnung des Hauptverfahrens beschließt,
eine dem Beschlüsse entsprechende Anklageschrift einzureichen hat,
kommt nicht in Frage. Wohl aber steht dem Beauftragten des Mini¬
steriums gegen den seinen Antrag auf Einstellung ablehnenden Be¬
schluß des Ehrengerichts die Beschwerde an den Ehrengerichtshof
zu, der über die Frage, ob eine Anklage einzureichen ist oder nicht,
zu entscheiden hat. Der § 22 Abs. 2 Satz 1 des Ges. vorn 10. X. 1906
bezieht sich auch auf das Beschwerderecht der Beauftragten, wenn
es sich um einen die Eröffnung des Hauptverfahrens betreffenden
Beschluß des Ehrengerichts handelt.
Einem Arzte, der wegen Verbrechens nach § 218 Abs. 3 StrGB.
verfolgt wurde, wurde die Konzession zur Errichtung einer Privat¬
entbind ongsanstalt verweigert. Er bot trotzdem in der Zeitung „Auf¬
nahme und Pension“ in seinem Hause an und nahm zwei Damen auf.
Seine Klage wurde vom Bezirksausschuß begreiflicherweise abge¬
wiesen, da nur ganz zuverlässigen Personen die Erlaubnis zum
Betriebe von Privatentbindungsanstalten erteilt werden könne.
Ich habe die Frage des Rechtes an der Röntgenplatte im letzten
Berichte erörtert und darauf hingewiesen, daß sehr wohl Fälle denk¬
bar seien, in denen der Kranke ein sehr berechtigtes Interesse an
der Herausgabe der Platte habe. Die dort von mir angeführten
Beispiele werden in einem dieselbe Frage behandelnden Aufsatze in
der Berliner Aerzte-Korrespondenz 1921 S. 212 noch vermehrt. Der
schroffe Standpunkt, daß unter allen Umständen der Röntgenologe
allein das Recht an der Platte hat und daß dem Kranken oder seinem
behandelnden Arzte höchstens das Recht der Einsicht zustehe, kann
nicht durchgeführt werden. In allen Fällen, in denen der Röntgenologe
nicht zugleich behandelnder Arzt ist, wird es stets eines wohl:
wollenden und vernünftigen Abkommens bedürfen, um das an sich
unbestreitbare Eigentumsrecht des Röntgenologen an der Platte in
Einklang zu bringen mit den berechtigten Interessen des Kranken
an deren Besitz.
In einem Verfahren, das gegen einen Arzt wegen Beihilfe zur
Selbstverstümmelung eingeleitet worden war, hatte der Verteidiger
unter anderem behauptet, die infolge des Versailler Vertrags er¬
folgte Aufhebung der allgemeinen Wehrpflicht wirke zurück auf die
Zeit während des Krieges. Selbstverständlich wies das Gericht diesen
Einwand zurück. Die Bestimmung des § 142 StGB, ist allerdings
mit dem Wegfall der allgemeinen Wehrpflicht jgegenstandslos ge:
worden; es kann aber, was keiner weiteren Ausführung bedarf, keine
I Rede davon sein, daß dem Friedensvertrag in dieser Richtung irgend-
, welche rückwirkende Kraft zukomme
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
19. Januar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Im Medizinischen Korrespondenzblatt für Württemberg 1921 S. 148
weist Dr. Rein ert auf die Unbilligkeit hin, die darin liege, daß
beabsichtigt sei, im Umsatzstenergesetz die Nichtkassenpatienten einer
3<Voigen Krankensteuer zu unterwerfen. Er hebt hervor, daß die
Kassenpatienten etwa 85<>/o aller Behandelten ausmachen und daß
die übrigbleibenden 15o/o der nicht sozial Versicherten sich zum
großen Teil in viel schlechterer wirtschaftlicher Lage befinden als
die Kassenmitglieder; deshalb sei die steuerliche Differenzierung un¬
billig und widerspreche der berechtigten Kulturforderung, daß alle
Kranken ohne Unterschied des Standes und der Person gleich be¬
handelt werden sollten.
Ueber einen Arzneimittelprozeß , der die Stuttgarter Ortskranken¬
kassen betrifft, berichtet die Württembergische Krankenkassenzeitung.
Da die Akten nicht zur Verfügung stehen, läßt sich die Richtigkeit
der Angaben nicht nachprüfen: Immerhin bietet die Schilderung man¬
ches Interesse. Die Krankenkasse hatte aus Heeresbeständen ein großes
Lager von Arzneimitteln angekauft, die teilweise auf dem Markte
überhaupt nicht mehr zu haben waren. Die Arzneimittel waren vor¬
her von der Reichstreuhandgesellschaft dem pharmazeutischen Landes¬
verein angeboten worden, der den Ankauf ablehnte, da er Schwierig¬
keiten bei Aufbringung der bedeutenden Kaufsumme und beim Ab¬
satz an die Apotheker fürchtete. Im November 1919 suchte die
Ortskrankenkasse um die Erlaubnis zum Betriebe einer eigenen Apo¬
theke nach, jedoch ohne Erfolg. Sie hoffte auf diese Weise die er¬
worbenen Arzneimittel ihren Mitgliedern wesentlich billiger liefern
zu können, als sie aus Apotheken zu beziehen waren. Da dieser Ver¬
such mißlang, wurde ein Verkauf der erworbenen Arzneimittel in das
Ausland in die Wege geleitet. Ein Schweizer Käufer, von dem der
Artikel vermutet, er sei von der Landespolizeibehörde vorgeschoben
gewesen, soll 1 700000 M. geboten haben. Die Landespolizeibehörde
beschlagnahmte jedoch das Lager, und die Organe der Ortskranken¬
kassen wurden in dem gegen sie eingeleiteten Strafverfahren zu
Geldstrafen verurteilt. Kurz vor Erlaß des Urteils verkaufte die
Reichstreuhandgesellschaft die Arzneimittel weit unter dem Werte
an eine Berliner Firma, der Kasse wurde der Erlös zugesprochen.
Trifft diese Schilderung zu, so muß zugegeben werden, daß die
Kassenmitglieder nicht unerhebliche Vorteile genossen hätten, wenn
sich die Pläne, die der Leiter der Kasse beim Ankauf der Arznei¬
mittel hatte, verwirklicht hätten.
Der Bund der Naturheilvereine versucht zugunsten seiner Mitglieder
eine Aendernng der §§ 122, 370 RVO. zu erzielen. Bisher umfaßt die
ärztliche Behandlung im Sinne der RVO. die Hilfeleistung von
anderen als approbierten Aerzten und Zahnärzten, wie Badern, Heb¬
ammen, Heildienern usw. nur dann, wenn der Arzt (Zahnarzt) sie
anordnete, oder wenn in dringenden Fällen kein approbierter Arzt
(Zahnarzt) zugezogen werden konnte. Die Bestimmung soll dahin
abgeändert werden, daß die Hilfeleistung solcher Personen auch
dann als ärztliche Behandlung gilt, wenn Kassenvorstand und Aus¬
schuß die Zulassung nichtapprobierter Heilbeflissener auf Antrag
eines Mitgliedes von Fall zu Fall oder auch allgemein beschließen.
Der erste Absatz des § 370 soll einen zweiten Satz erhalten, dahin
lautend: „Kassenvorstand und Ausschuß können auf schriftlichen An¬
trag dem Mitgliede statt der Krankenpflege oder sonst erforderlicher
ärztlicher Behandlung eine bare Leistung bis zu zwei Dritteilen des
Krankengeldes gewähren, wenn das Mitglied regelmäßig den er¬
forderlichen ärztlichen Nachweis bringt, der zum Bezug der Kassen¬
leistungen berechtigt. Es bleibt nach § 122 dem Kassen Vorstand und
Ausschuß überlassen, ärztliche Bescheinigungen anzuerkennen, auch
wenn sie nicht durch Aerzte, sondern durch andere vertrauens¬
würdige Personen ausgestellt sind.“ Wie kann man von ärztlichen
Bescheinigungen sprechen, die nicht von Aerzten ausgestellt sind?
Sei man doch ehrlich und sage gleich: Es bedarf keiner ärztlichen
Bescheinigung, es genügt die Bescheinigung einer „vertrauenswür¬
digen“ Person. Fm Interesse der Kassen wird es gelegen sein, sich
Aenderungen des Gesetzes in der bezeichneten Richtung nach Kräften
zu widersetzen.
In einer Zuschrift an den Schriftleiter der D. m. W. schneidet
Prof. Wieting die Frage der Vergütung für ärztliche Behandlung von
Offizieren der in Deutschland weilenden Ententekommissionen an.
Ein englischer Major hatte im Hamburgischen Seehospital zum
Zwecke der Feststellung von Nierensteinen zwei Röntgenaufnahmen
machen lassen. Die Bezahlung der Liquidation zu 300 M. wurde vom
Behandelten abgelehnt; er schickte die Liquidation nach Berlin, und
schließlich erfolgte Bezahlung durch das Reichsvermögensamt. Es
läßt sich nicht beurteilen, wie weit die deutsche Regierung durch
Abkommen mit der Entente verpflichtet ist, für die Kosten der ärzt¬
lichen Behandlung von Mitgliedern der Ententekommissionen aufzu¬
kommen, berechtigt erscheint aber der Wunsch, daß die deutschen
Aerzte so weit möglich über die einschlägigen Verhältnisse unter-
richtet werden , damit sie wissen, ob und von welcher Stelle sie bei
Behandlung von Kommissionsmitgliedern auf Bezahlung ihres Hono¬
rars zu rechnen haben.
Bei der zunehmenden Verwendung von Lastautos gewinnt ein
allerdings schon im Jahre 1914 ergangenes Urteil des Preußischen
Ohervcrwa/ftinffsfirerichts (Ministbl. f. Medizinalangelegenheiten, Jahr¬
gang. 14 s 320) Bedeutung, das ausspricht, daß die Polizeibehörden
nach 8 10 Titel 17 Teil II des AHg. Landrechts befugt und ver¬
pflichtet sind, gegen gesundheitsschädliche, durch Kraftwagen her-
vorvemfnnp Cieräusche emzuschreiten und daß hieran durch das Ges.
vom 3 V 1909, die BRV. vom 3. IX. 1910, die das Kraftwagen¬
weser] nur unter dem Gesichtspunkte des Verkehrs auf öffentlichen
99
Straßen und Plätzen regeln, nichts geändert werde. Dem Schutze
der Allgemeinheit gegen außergewöhnliche Belästigung durch Lärm,
Rauch, Ruß dient ein weiteres Urteil des Preußischen Oberver¬
waltungsgerichts vom 7. VII. 1914, das ausspricht, daß die Polizei
bei Prüfung und Genehmigung von Baugesuchen sich nicht lediglich
auf rein baupolizeiliche Anforderungen zu beschränken, sondern auch
die Art der Benutzung einer baulichen Anlage zu berücksichtigen
hat, daß sie bei nicht konzessionspflichtigen Anlagen betriebsregelnde
Maßnahmen nicht nur da treffen kann, wo, wie bei Gesundheits¬
gefährdungen, die öffentlich-rechtlichen Voraussetzungen des polizei¬
lichen Einschreitens gegeben sind, sondern auch für den Fall bloßer
Belästigungen und Störungen.
In gleicher Weise hat das Oberverwaltungsgericht, wie sich auch
aus einem Urteil vom 25. IX. 1914 ergibt, stets daran festgehalten,
daß Musikauffübningen, die geeignet sind, infolge der durch sie ver-
anlaßten Ruhestörungen die Gesundheit der Bewohner zu gefährden,
erforderlichenfalls sowohl gänzlich durch die Polizei untersagt als
auch durch Festsetzung eines Schlußtermins zeitlich beschränkt wer¬
den können. Ob solche Gefährdung vorliegt, ist nach den örtlichen
Verhältnissen zu beurteilen. Dabei haftet der Hauseigentümer der
Polizeibehörde auch für die Unterlassung polizeiwidriger Handlungen
seitens dritter Personen, insbesondere der Mieter. Ihm liegt die
Verpflichtung ob, sein Haus im polizeimäBigen Zustande zu erhalten.
Er hat nicht nuF selbst und für seine Person alle störenden Hand¬
lungen zu unterlassen, sondern auch alles in seinen Kräften Stehende
zu tun, um auch die Mieter und deren Wirtschaftsgenossen an der
Störung des gebotenen Zustandes zu hindern.
Es wurde die Frage aufgeworfen, ob sein Sanatorium in das
Handelsregi ter eingetragen werden maß. Die Frage wird zu bejahen
sein, wenn es ein gewerbliches Unternehmen darstellt, das nach Art
und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäfts¬
betrieb erfordert (§ 2 HGB.). Ob es ein gewerbliches Unternehmen
in diesem Sinne darstellt, wird in der Regel zu verneinen sein, wenn
es lediglich Kranke aufnimmt.
In früheren Berichten wurde des Rechtsstreites erwähnt, den die
Göttinger Krankenkasse gegen die dortigen Aerzte wegen Vertrags¬
bruch in Szene gesetzt hatte. Dieser Rechtsstreit hat jetzt seine
endgültige Erledigung gefunden, indem das Reichsgericht am 25. X.
1921 das die Klage abweisende Urteil des Oberlandesgerichts Celle
bestätigt hat. Damit ist anerkannt, daß von einem Vertragsbruch
auf Seite der Aerzte keine Rede sein konnte.
Feuilleton.
Allerlei aus dem Auslande.
England, Rußland, Amerika, Belgien.
ln der Lancet vom 15. X. 1921 findet sich unter der Ueberschnft
„Nachkriegsprobleme“ folgendes Eingesandt: „Zwei Fragen: zuerst,
werden die Teilnehmer an »interalliierten medizinischen Kongressen*
auch die deutschen'Behandlungsmethoden, z. B. die Erlanger Tiefen¬
bestrahlungsmethode der Krebsbehandlung, wie sie jetzt am West
London Hospital eingeführt wurde, boykottieren? Zweitens: wann
werden englische Aerzte anfangen, die Verantwortlichkeit für den
letzten Krieg als einen des ernsthaften Studiums werten Gegenstand
zu betrachten, anstatt ihre Meinung darüber von interessierten Poli¬
tikern und halbgebildeten, aber gänzlich unskrupulösen Zeitungs¬
besitzern zu empfangen?“ Es ist erfreulich, daß es wenigstens
wieder möglich ist, daß das Eingesandt des Dr. Rivers aus Barns-
ley in England gedruckt werden konnte, geantwortet hat in der
Lancet bisher niemand darauf, und es wird wohl auch noch lange
dauern, bis die durch Staatsmänner, Presse und Kirchenredner viele
Jahre lang aufgehetzte Masse überhaupt anfängt, an den Schlag¬
worten zu zweifeln, an denen sie sich seit 1914 berauscht hat, und
es dauert um so länger (wie dem Referenten einsichtige Engländer
bestätigt haben), da die deutsche Regierung nichts, aber auch gar
nichts tut, um den Märchen von der einseitigen Schuld und von den
alleinigen Kriegsgreueln Deutschlands entgegenzutreten. Aber Mr.
Rivers darf sich beruhigen, die alten und neuen Entdeckungen
und Erfindungen der Hunnen, die ja bekanntlich nichts, aber auch
gar nichts für die Wissenschaft geleistet haben, werden ruhig weiter
benutzt, allerdings sind sich die Benutzer gewiß'häufig darüber nicht
klar,"da man (wie ein Blick in den Annoncenteil der Zeitschriften
zeigt) die früheren deutschen Namen, seit man die Patente unter
dem Stichwort „für Freiheit und Gerechtigkeit“ den eigentlichen
Besitzern einfach weg—demokratisiert hat, durch neue Namen er¬
setzt hat. So ist aus unserem Salvarsan Kharsivan, Arsphenamin oder
sonst was geworden, aus Novokain hat man Prokain, aus Atophan
Tolysin usw. gemacht, und überall werden diese Stoffe als eng¬
lische oder amerikanische Mittel angepriesen, aber sie alle stammen
aus deutschen Patenten. Als Mitte der 90er Jahre der bekannte Dichter
Oskar Wilde wegen homosexueller Betätigung nach einem ge¬
waltigen Skandalprozeß zu mehrjähriger Freiheitsstrafe verurteilt
wurde, da spielte, man in London gerade mehrere seiner Stücke auf
verschiedenen Theatern. Es wäre nun „shocking“ gewesen, die
Stücke eines solch unmoralischen Menschen weiterzuspielen, es wäre
aber auch höchst „unbusinesslike“ gewesen, diese Zugstücke abzu¬
setzen, so half man sich denn, daß man in Annoncen, Plakaten und
auf den Theaterzetteln nur noch den Namen des Stückes nannte.
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSUM
100
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 3
den Namen des Dichters aber durch ein paar Punkte bezeichnete.
So war der Moral Genüge getan, und das Geschäft ging weiter.
„Business“ as usual“ hieß es im August 1914 und heißt es noch heute.
Der Streit über die Bezahlung des „Panelarztes“ ist nun beigelegt
worden, indem die Kassenärzte und der Gesundheitsminister sich
dahin geeinigt haben, daß erstere einen Kopfpreis von 9 1 /* Gold-
niark annehmen (statt 11 M. wie bisher) und letzterer verspricht,
diese Summe für die nächsten 2 Jahre nicht herunterzusetzen. Wie
schon früher erwähnt, erhielten die Aerzte vor dem Kriege 71/2 Gold¬
mark, die erst erhöht wurden, als die Lebensbedingungen sich auch
in England stark verteuerten; jetzt, wo die Preise heruntergehen,
hat man auch die Bezahlung der Kassenärzte wieder heruntergesctzt,
obwohl diese eine Erhöhung auf 13Va M. verlangt hatten. Im
Jahre 1920 kostete das Kassenwesen in England (Hospitalbehandlung
ist darin bekanntlich nicht enthalten) 160 Millionen Goldmark, wovon
die Aerzte 134 Millionen erhielten. Außer ärztlicher Behandlung und
Medizin erhalten die Kranken zur Zeit 15 Goldmark wöchentlich
Krankengeld; da dieser Betrag geringer ist als der, den ein arbeits¬
loser Gesunder erhält, so dürfte er wohl in der nächsten Zeit her¬
aufgesetzt werden. Zu den für die ärztliche Versicherung nötigen
160 Millionen trägt der Staat nicht ganz die Hälfte, Versicherte und
ihre Arbeitgeber etwas mehr als die Hälfte bei (19:22). Die durch
das Entgegenkommen der Aerzte erzielte Ersparnis von 40 Millionen
Goldmark wird lediglich zur Entlastung der Staatsbeiträge verwendet.
Dr. Norman White und Dr. L. Raichmann haben dem Ge-
suadheitskomitee des Völkerbundes über inre in Rußland gemachten
Beobachtungen berichtet. Entgegen den vielfachen Zeitungsmeldungen
haben sie festgestellt, daß im europäischen Rußland kein Fall von
Pest vorgekommen ist. Eine Epidemie in Batum wurde durch Imp¬
fungen unterdrückt. Die in den Hungergebieten Rußlands im Sommer
schrecklich hausende Cholera ist unerwartet und plötzlich völlig
verschwunden. An Flecktyphus erkrankten 1919 nach offiziellen Mel¬
dungen über 2 Millionen und 1920 fast 3 Millionen Menschen. Die
russischen Behörden geben zu, daß diese Zahlen in Wirklichkeit viel
zu niedrig gegriffen sind; sie nehmen an, daß, wenn man für den
Kaukasus, für Sibirien, die Ukraine und andere Teile Rußlands ge¬
naue Zahlen hätte, die Anzahl der an Flecktyphus Erkrankten weit
über 20 Millionen für die letzten 2 Jahre betragen würde. Man er¬
wartet eine große Zunahme der Erkrankungen in den Hungergebieten
für den kommenden Winter. 1921 erkrankten noch mehr Menschen
an Rekurrens als an Flecktyphus (dasselbe wird von Polen berichtet).
Die Sterblichkeit an Rekurrens war, wie gewöhnlich, gering. Dys¬
enterie hielt sich in bescheidenen Grenzen, nur in Petersburg kam
es 1920 zu einem schweren Ausbruch mit hoher Sterblichkeit. Pocken
sind weit verbreitet, doch nimmt die Zahl der Geimpften ständig
zu; Malaria trat im Wolgagebiet und merkwürdigerweise in Ar-
changel in sehr schwerer Form auf.
Die zum Studium der Aenderung des ärztlichen Stadiums
eingesetzte belgische Kommission hat der Königlichen Akademie
der Medizin ihren Bericht erstattet. Der vorklinische Teil* des
Studiums soll 2 Jahre dauern, und die einzelnen Fächer sollen,
wie Zoologie, Physik usw., durchaus den Bedürfnissen der späteren
Mediziner angepaßt werden, es sollen also in diesen Fächern
besondere Vorlesungen für Mediziner, für Tierärzte, für Apotheker
und Naturwissenschaftler sowie für Ingenieure, Lehrer usw. ab¬
gehalten werden. In den ersten 2 Jahren wird auch Physiologische
Chemie mit Laboratoriumsübungen gelehrt. Jedes Physiologische In¬
stitut soll ein Laboratorium für biophysikalische Forschung besitzen,
das einen eigenen Leiter hat. Vergleichende Anatomie soll nur in¬
soweit gelehrt werden, als sie in direkter Beziehung zur Heilkunde
steht. Die klinische Lehrzeit dauert 3 Jahre. Theoretische Vor¬
lesungen in innerer und äußerer Pathologie, in Geburtshilfe, Augen¬
heilkunde und Irrenlehre sind im Zusammenhang mit praktischen
Hebungen in den betreffenden Kliniken abzuhalten. Die theoretischen
Vorlesungen können dadurch auf die prinzipiell notwendigen Dinge
beschränkt werden. Auch die Pharmakologie soll, besonders was
Pharmakodynamik anlangt, nur praktisch gelehrt werden unter viel¬
facher Vorführung von Versuchen. Empfohlen wird eine besondere
Therapeutische Klinik, wo die Studenten sich im Aufstellen und
Verschreiben von Diät und anderen Kuren üben können, hier können
sie auch kurz in Physiotherapie und Röntgenologie unterwiesen
werden. Das Studium der allgemeinen Pathologie soll auf die
Physiologische Pathologie beschränkt und soll in einem Praktikum
gelehrt werden. Die Grundlagen der Chemischen Pathologie, die
Immunität, die Tumorenlehre und alle propädeutischen Theorien
fallen fort, alle diese Dinge werden von Speziallehrern gelehrt, da
niemand mehr die ganze allgemeine Pathologie beherrschen kann,
wie sie früher gelehrt wurde. Ein Kursus in Bakteriologie und
Parasitologie mit praktischen Uebungen ist Zwangsfach. Am Beginn
der klinischen Jahre lernt der Student in der Medizinischen und
Chirurgischen Poliklinik die praktischen Handgriffe seiner Kunst,
später lernt er in kurzen Kursen die Anwendungsweise gewisser
Untersuchungsmethoden, z. B. des Augenspiegels, des Zystoskops usw.
Lange theoretische Vorträge in den Kliniken sind nach Möglichkeit
zu unterlassen, stets müssen sie mit reichlichen Demonstrationen
verknüpft sein. Das größte Gewicht ist auf zahlreiche praktische
Kurse zu legen, in denen der Student, geleitet von Professoren, zahl¬
reichen Assistenten und Monitoren (älteren Studenten), selbst tätig
ist. Fällt ein Student im Examen durch, so muß er das ganze Examen
noch einmal machen, wenn er nicht schon wenigstens 7 /, 0 der ge¬
samten Prüfungsfächer bestanden hatte.
Die Häufung der Todesfälle an Milzbrand, die auf dem Ge¬
brauch von aus Japan eingeführten Rasierpinseln zurückgeführt wird,
hat in Neuyork zum Verbot der Einfuhr dieser Pinsel und zur Be¬
schlagnahme der schon eingeführten geführt. Von 34 Fällen, die
in den letzten 19 Monaten vorkamen (11 Todesfälle), werden 20
mit Sicherheit auf den Gebrauch eines infizierten Rasierpinsels zu¬
rückgeführt (9 Todesfälle). Die Serumbehandlung erwies sich, wenn
frühzeitig begonnen, als außerordentlich wirksam. Die Zahl der
Morphinisten und ähnlicher Isten nimmt in Neuyork ständig zu,
nach dem Bericht des Dr. Simon (Special deputy police commissioner)
wurden vom 1. I. bis 1. IX. 1921 nicht weniger als 2488 derartige
Fälle verhaftet, und zwar in den letzten 3 Monaten 932. Von den
659 Fällen, die vor Gericht abgeurteilt wurden, konnten 93 0/0 be¬
straft. werden. Trotz dieser großen Anzahl von Verhaftungen laufen
in Neuyork allein noch mehr als 20000 derartige Fälle herum. Sir
Arthur Newsholme, der frühere Chefarzt des Local Govern¬
ment Board in London, ist von einem 2jährigen Aufenthalt in
Amerika zurückgekehrt und hat in der Royal Medical Society über
seine Beobachtungen in bezug auf das Alkoholverbot in Amerika
berichtet. Wenn es auch im ersten Jahre nach dem Verbot für reiche
Leute nicht allzu schwer war, sich geistige Getränke zu verschaffen,
so war dies doch schon damals für die großen Massen entweder un¬
möglich, oder sie konnten sich infolge des hohen Preises doch nur
sehr selten betrinken. Die 150 000 Aerzte der Vereinigten Staaten
sahen sich gezwungen, Mann für Mann um eine Lizenz nachzusuchen,
wenn sie Alkohol ihren Patienten verschreiben wollten. Vier von
je fünf Aerzten haben überhaupt nicht um eine Lizenz nachgesucht,
in 24 der 48 Einzelstaaten hat kein einziger Arzt eine Lizenz. Es
steht für Newsholme fest, daß der allgemeine Wohlstand seit dem
Alkoholverbot beträchtlich gestiegen ist und daß viel mehr Geld
für bessere Kleidung, Ernährung usw. ausgegeben wird als früher.
Trunkenheit und die Aufnahme von Fällen von akutem Alkoholismus
in den Krankenhäusern sind sehr heruntergegangen. Newsholme
glaubt, daß das Alkoholverbot in Amerika sich derart bewährt hat,
daß es trotz aller Gegenbestrebungen nicht wieder abgeschafft werden
wird. Daß es, wie vielfach behauptet wurde, zu einem Tabaksverbot
kommen wird, hält er dagegen für ausgeschlossen.
Der wöchentliche Bericht des „United States Public Health
Service“ vom 2. IX. enthält eine Zusammenfassung aller der Ma߬
nahmen, die in den letzten 2 Jahren zur Bekämpfung der Geschlechts¬
krankheiten In den Vereinigten Staaten ergriffen wurden. Es wurden
unter anderen 427 Kliniken für Geschlechtskranke errichtet, in denen
185 200 klinische Kranke 2103900 Behandlungen erhielten, wobei
in den besten Kliniken sich die Kosten auf 1 Dollar pro Patient
beliefen; 41100 Kranke wurden als nicht mehr infektiös entlassen.
Kranke, die vor Beendigung der Behandlung sich dieser ent¬
ziehen, werden durch soziale Helfer und Helferinnen aufgesucht,
ebenso werden die Familien der Erkrankten von diesen Helfern
besucht und veranlaßt, sich untersuchen bzw. behandeln zu lassen.
60700 Aerzte haben versprochen, ihre Dienste für diese Kampagne
zur Verfügung zu stellen, und 28000 Apotheker haben sich ver¬
pflichtet, keine Geheimmittel mehr zu verkaufen. Von 20000 Zeitungen
und Wochen- oder Monatsschriften haben nur 200 sich geweigert,
die Annoncen von Quacksalbern für die Zukunft auszu schließen. In
16 Einzelstaaten ist der Verkauf von sog. Patentmedizinen (Geheim¬
mitteln) gesetzlich verboten. Auch erziehlich geht man großzügig
vor, 15000 Plakate wurden über das ganze Land verbreitet, 740000
Knaben und Jünglinge besuchten die „Halte-Dich-gesund- Ausstellung“.
13000 Lichtbildvorträge wurden gehalten, und 3600 auf diesen Gegen¬
stand bezügliche Kinovorstellungen wurden von P /2 Millionen Per¬
sonen besucht. Viele Bordelle sind geschlossen worden, und es
werden jetzt Märiner, die dieselben besuchen, ebenso bestraft wie
Frauen, die sich dort preisgeben. In vielen Staaten gibt es Quaran¬
tänehäuser, in denen Personen interniert werden, deren Krankheit
eine Gefahr für die übrigen Bewohner bedeutet und in denen sie,
nach Möglichkeit geheilt werden.
\ Ebenso energisch wie gegen die Geschlechtskrankheiten geht man
in Amerika auch gegen die alljährlich sehr große Opfer fordernde
Diphtherie vor. Man will bei allen Kindern zwischen 6 Monaten
und 6 Jahren eine aktive Immunität hervorrufen, indem man ihnen
3 Dosen Toxin-Antitoxin gibt und sie so für Jahre oder vielleicht
für ihr ganzes Leben immupisiert. Man nimmt dabei als sicher an,
daß die Schicksche Reaktion wirklich anzeigt, daß ein Kind für
Diphtherie empfänglich ist, und daß die Toxin-Antitoxininjektionen
wirklich eine dauernde Immunität verleihen. Beide Annahmen dürften
noch unbewiesen sein. Trotzdem machen z. B. im Staate North
Carolina die Behörden schon heute die Eltern verantwortlich, wenn
ein nicht prophylaktisch immunisiertes Kind an Diphtherie erkrankt.
So wenig berechtigt dies erscheint, so sehr müssen wir den ge¬
waltigen Kampf gegen die Geschlechtskrankheiten und den Alkohol
bewundern, und es ist sehr zu bedauern, daß in Deutschland nament¬
lich gegen den Alkoholismus so wenig geschieht, sondern daß täg¬
lich neue Trinkstuben entstehen und. daß man noch immer den
Alkohol als ein Stärkungsmittel ansieht, das man z. B. Kindern gibt.
Die Universität Toronto hat sich dazu gezwungen gesehen, in
diesem Wintersemester die Zahl der neu aufgenommenen Meditin-
studenteii auf 110 zu beschränken und eine ebenso große Zahl zu¬
rückzuweisen, da die Hörsäle und Sektionssäle überfällt sind und
man dem einzelnen Studenten sonst nicht gerecht werden kann. Es
wurden an erster Stelle Kriegsteilnehmer aufgenommen, dann die¬
jenigen, die die besten Zeugnisse über ihre Vorbildung hatten. Es
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNiVERSITV
19. Januar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
101
studieren zur Zeit 1106 Personen Medizin in Toronto, gegenüber
656 im Jahre 1918, und es scheint dieser Numerus clausus ein recht
nachahmenswerter Vorgang zu sein; denn was soll man mit all
den Studenten, die man weder sorgfältig ausbilden noch später be¬
friedigend unterbringen kann?
ln Jerusalem wurde der Grundstein zu der neuerrichteten Unl-
versitlt gelegt, zu deren medizinischen Fakultät jüdische Aerzte in
Amerika 1 Million Dollar beigetragen haben. Die Universität, die
Studenten aller Rassen und aller Religionen offensteht, wird in ihrem
ärztlichen Teil von Amerikanern geleitet sein. J.P.zumBusch (Kreuznach).
Münchner Brief.
Im November hatte der Landesausschuß der Aerzte Bayerns eine
Sitzung. Dabei wurde zur Gebührenordnung beschlossen, daß die
Entschädigung für ärztliche Leistungen in der Privatpraxis nach der
bayrischen Gebührenordnung vom 17. X. 1901 zu erfolgen habe,
und zwar in der Weise, daß die Einzelsätze der Gebührenordnung
multipliziert werden mit der jeweiligen Reichsindexziffer; wo in der
alten Gebührenordnung für einzelne Leistungen keine Angaben ent¬
halten sind, werden die Sätze des Grünwaldsehen Entwurfes
eingesetzt. Den gesamten Grünwaldschen Entwurf anzunehmen,
bestanden Bedenken, ln den Wartezimmern sind entsprechende Pla¬
kate anzubringen, die das Publikum von den Beschlüssen der bayeri¬
schen Aerzteorganisation zu unterrichten haben. Darin findet sich
der bemerkenswerte Satz: „Wer sich in Behandlung eines-Arztes
begibt, unterwirft sich durch Inanspruchnahme des Arztes diesen
Bestimmungen.“ Weiterhin wurde mitgeteilt, daß die bayerischen
Zahnärzte mit den Aerzten eine Art Arbeitsgemeinschaft gründen
wollen, auch die Tierärzte beabsichtigen Aehnliches. Die erstere
Arbeitsgemeinschaft ist dann im Dezember gegründet worden. Ihre
. Aufgabe soll es sein, alle Fragen wirtschaftlicher und standespoliti¬
scher Natur, welche die beiden Berufsstände gemeinsam betreffen,
miteinander zu beraten und gegebenenfalls gemeinsam vorzugehen.
Als solche Fragen werden bezeichnet: die Verhandlungen mit* den
Krankenkassen, die Pensionsversicherung, der Gesetzentwurf zur
Regelung der Kassenarztfrage und die Bekämpfung der Kurpfuscherei.
Auf der Tagung des Landesausschusses wurde beschlossen, die
Orgaoisation des Leipziger Verbandes mit der bayerischen Landes-
irztekammer zu verschmelzen. Das war aus Gründen der Verein¬
fachung und Verbilligung der Verwaltung angeregt worden. Da der
Beirat des Leipziger Verbandes vor allem aus den Vertretern der
Landes- bzw. Provinzialverbände besteht, ist eine solche Verschmel¬
zung satzungsgemäß möglich. Der Landesausschuß der Aerzte
Bayerns wäre danach als der Landesverband Bayern des Leipziger
Verbandes anzusprechen. Die Bezirksvereine stellen die Obmann¬
schaft, die Kreiskammern den Gau und der Landesausschuß den Bei¬
rat in Bayern dar. Zur Frage der Peosionsversicherung wurde be
schlossen, die Schaffung eines Dispositionsfonds schon jetzt zu emp¬
fehlen, nachdem die statistischen Unterlagen des ganzen Vorhabens
so ziemlich fertiggestellt seien. Die ärztlichen Bezirksvereine werden
ersucht, einen 5<yoigen Abzug vom Kassenhonorar zum Zwecke der
Schaffung eines Fonds für die Pensionsversicherung quartalsweise
ab I.X. 1921 zu machen und in einem eignen Rückstellungsfonds
anzulegen. Die Aerzte, die nicht Kassenjjraxis ausüben, werden auf¬
gefordert, aus ihrem Privateinkommen in gleicher Höhe Beiträge
zu entrichten. Diese Einzahlungen sollen den Aerzten die Möglich¬
keit erhöhter Pensionsrente oder einer Vorausbezahlung der Beiträge
geben. In der Kommission für soziale Hygiene des Aerztlichen Be-
zirksvereins München wurde über die Errichtung von sozialbygle*
gischen Akademien berichtet und ihre Errichtung in Süddeutsch¬
land für notwendig erachtet. Eine Unterkommission soll die Ange¬
legenheit weiter verfolgen. — Im Ministerium für soziale rur¬
sorge wurde über den Gesetzentwurf znr Regelung der Be¬
ziehungen zwischen Krankenkassen und Aerzten Anfang Dezember
eine Besprechung abgehalten. Dazu waren geladen: das Staats¬
ministerium des Innern, die Arbeitsgemeinschaft bayerischer Kran¬
kenkassenverbände, der Landesausschuß der Aerzte Bayerns, das
Oberversicherungsamt München und das Städtische Versicherungs¬
amt München. Die Aerzte vertraten dabei ihre bekannten Forde¬
rungen der gesetzlichen Einführung der organisierten freien Arzt¬
wahl bei allen Krankenkassen, die Anerkennung der ärztlichen Or¬
ganisation, die Einfügung der Landesausschüsse in das Gesetz und
die Aufrechterhaltung des Ausnahmeparagraphen betr. Sonderrege¬
lung in den Ländern, wo bereits Landesarztverträge bestehen. Die
Besprechung zeigte eine weitgehende Uebereinstimmung zwischen
den Unterhändlern. Die bayerische Regierung wird über die guten
Erfolge des Mantelvertrages nach Berlin berichten. Die Vertreter
der Krankenkassen erklärten sich mit der Anerkennung der ärztlichen
Organisation einverstanden. Die Wiederherstellung der Landesaus-
schusse im Gesetzentwurf fand allseitige Unterstützung, desgleichen
die jetzige Fassung des § 371 k, wonach das neue Gesetz bereits
bestehende Regelungen unangefaßt lassen soll. Es fand auch Billi¬
on-. daß den Knappschaftskrankenkassen keine Ausnahmestellung
einJeräumt werden dürfe. — Zwischen den bayerischen Kranken¬
kassen und Aerzten kam eine Einigung betr. der Teoenmzszii-
tdüäre für die beiden letzten Vierteljahre 1921 zustande. Einst-
weiiJn laufen auch der Mantelvertrag und die örtlichen Verträge
weiter Ende November tagte in Würzburg der Verein bayerischer
Bahnirzte. Nachdem eine, später zurückgezogene, Entschließung,
wonach gegen die beantragte gesetzliche Einführung der organi¬
sierten freien Arztwahl bei allen Krankenkassen der Verkehrsver¬
waltung nachdrücklichst Einspruch erhoben wurde, verlesen war,
ergab eine Abstimmung die überwiegende Ablehnung der freien
Arztwahl,- ein immerhin aufschlußreiches Resultat, wenn man sich
der Stellung der großen Organisationen in dieser Frage erinnert. Diese
Meinungsverschiedenheit veranlaßte die Bahnärzte des Direktionsbezirks
Nürnberg gegen 1 Stimme aus dem Verein bayerischer Bahnärzte
auszutreten und den Landesausschuß mit der Vertretung ihrer Inter¬
essen zu- betrauen. Der Landesausschuß hat nun in einem „Offenen
Brief“ an den Verein bayerischer Bahnärzte sehr deutlich diese
Sabotierung der Organisation durch die Mitgliederversammlung der
bayerischen Bahnärzte gekennzeichnet. Ganz abgesehen davon, daß der
genannte Verein in dieser Frage gar nicht zuständig sei, bedeute
der posthume Protest gegen die Beschlüsse der führenden Organi¬
sationen eine schwere Einbuße der Interessen der bayerischen Aerzte-
schaft. Wir können überblickend sagen, vieles in unseren Standes¬
fragen harrt noch der definitiven Klärung, aber überall treibt es;
möge sich das Gute durchsetzen. (Im letzten Briefe ist mir ein
Lapsus calami unterlaufen; bei der Aufzählung der Budgetposten
muß es natürlich Luitpoldspital statt Juliusspital heißen.)
_ Taschenberg.
Brief aus der Ukraine.
Abgeschlossen von der ganzen Kulturwelt, lebt jetzt die Ukraine
ihr eigenes Leben. Keine Zeitung, kein Buch kommt dorthin von
außen. Man weiß nicht, was geschieht in Europa, man weiß auch
nicht, ob auch das Leben in aer Ukraine dort bekannt ist. Darum
haben mich die ukrainischen medizinischen Kreise bei meiner Ab¬
fahrt aus Kiew gebeten, den deutschen medizinischen Organisationen
bekanntzugeberr, wie sie in Kiew leben. Die Ukrainer haben die
tatkräftige Hilfe, welche sie vom deutschen Volke im Jahre 1918
bekommen haben, nicht vergessen, und die herzlichsten Beziehungen,
die zu dieser Zeit angeknüpft wurden mit der deutschen Nation,
möchten sie weiter aufrechterhalten. Die jetzigen gemeinsamen
Leiden, die gemeinsamen zukünftigen Interessen beider Nationen
drängen zum gemeinsamen Sich-kennen-Iernen. Eingedenk dessen
möchte ich einige Zeilen der löblichen Redaktion vonegen über die
Verhältnisse in Kiew. Vielleicht findet sich darin etwas Interessantes
auch für die Allgemeinheit der deutschen Aerzteschaft.
Die Ukraine, dieses reiche, fruchtbare Land, Kornkammer des
ganzen Rußland, ist durch die politischen Wirren, durch die un¬
unterbrochenen Kämpfe, die schon drei Jahre die wirtschaftlichen
Grundlagen des Landes zerstören, ganz verarmt. Die Städte hungern,
auf dem Lande wird alles, was von den Lebensmitteln übrig bleibt, abge-
nommert und nach dem Zentrum Großrußlands — Moskau — dirigiert.
Europa ist ganz gut informiert von der Hungersnot im Wolgagebiet,
aber man weiß nicht, daß derselbe Hunger in den südöstlichen Teilen
der Ukraine, besonders im Cherson-Gouvernement bei Odessa, wo
die deutschen Kolonien sind, und im Kkaterinoslaw-Gouvemement
herrscht. Die Bevölkerung wird durch den Hunger und die Epi¬
demien dezimiert. In den letzten drei Jahren war die Ukraine von den
großen Fleckfieber- und Rekurrensepidemien heimgesucht. Kein Gou¬
vernement, kein Dorf war verschont. Zur Verbreitung dieser Epi¬
demien haben die kämpfenden Heere der Sovjet-Denikin- und ukraini¬
schen Petluras-Armee beigetragen. Verseucht, nicht entlaust, haben
sie die ganze Ukraine durchstreift und überall die Ansteckungskeime
hineingetragen. Das Bekämpfen der Epidemien ist fast unmöglich,
es fehlt an allem: an Desinfektionsapparaten, Medikamenten, gut
versorgten Spitälern, an diszipliniertem, gut unterrichtetem Personal
und am Wichtigsten, an Geld. Im letzten Sommer mußte die Kiewer
Gesundheitsabteilung viele Spitäler schließen wegen Mangel an Mitteln.
In dem Kampfe mit Epidemien hat ein sehr beträchtlicher Teil der
Aerzteschaft den Heldentod gefunden. Es waren schon in normalen
Zeiten viel zu wenig Aerzte im Verhältnis zu den großen Gebieten
der Ukraine und zum Umfang und Verbreitungsgröße der Krankheiten;
jetzt, in diesem Ausnahmezustand, macht der Tod großer Scharen
erfahrener Kämpfer aus dem Aerztestande den Kampf mit Epi¬
demien mit den lokalen Kräften illusorisch. — Im Sommer 1921 hat
die Fleckfieberepidemie nachgelassen, dafür Bauchtyphus, Cholera
zugenommen. Cnolera hat besonders im Donezgebiet, Charkow- und
Ekaterinoslaw-Gouvernement gewütet. In Kiew waren nur etwa
50 Fälle bakteriologisch festgestellt. Im Herbst dieses Jahres war
die Fleckfieberepidemie wiederum im Zunehmen begriffen, etwa 400
Fälle wurden in Kiewer Spitälern Ende Oktober registriert. Von den
anderen Krankheiten kann man noch die venerischen erwähnen, die
mit großer Vehemenz sich verbreiten, da man sie wegen Mangel an
Spezialärzten, an Medikamenten, besonders auf dem Lande, nicht
behandelt. Die Syphilis wird endemisch wie in den Karpathen. Was
die medizinischen Institute anbelangt, so arbeitet noch das Kiewer
Bakteriologische Institut unter Leitung des Prof. Neschtschady-
menko. Es werden Impfsera und Impfstoffe für drei Gouvernements
hergestellt, doch im Vergleich zu Friedenszeiten in geringerem Um¬
fang. Im Institut gibt es noch etwa 40 Pferde, 600 Kaninchen, 100
Meerschweinchen und weiße Mäuse, die anderen Tiere, wie Hunde,
Ratten, die in großer Zahl im Institut vorhanden waren, sind wegen
Futtermangel krepiert. Wissenschaftlich wurde im Institut an folgen¬
den Fragen gearbeitet: Prof. Krontowsky und Dr. Radzimowska:
Einfluß der Wasserstoff- und Hydroxylionen auf das Gewebe bei
□ igitized
ty GOOgk
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
19. Januar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
10 J
Charaktereigenschaften machten Prioritätsstreitigkeiten und persönlich
beleidigende Polemiken, die leider so oft auch das Andenken hervor¬
ragender Forscher ^beflecken, bei ihm unmöglich. Seine Pflichttreue
wirkte als Beispiel, und seine Gewohnheit, die Neujahrsnacht mit
Arbeit zu beginnen, war ein schönes Symbol. Die Richtung erhielt
diese Persönlichkeit durch eine einheitliche Weltanschauung, die sich
harmonisch aus dem Konditionismus ergab. In Forschung und Lebens¬
gestaltung galten für Verworn die gleichen Grundsätze. Wie eine
abgeklärte Resignation klang es, als er wenige Monate vor seinem
Tode eine akademische Festrede, die bekannten Goethe-Verse be¬
nutzend. mit den Worten schloß: „Es bleibt uns nichts anderes übrig:
Nach ewigen, ehernen.
Großen Gesetzen v
Müssen wir alle
Unseres Daseins
Kreise vollenden.“
R. Matthaei (Bonn).
Korrespondenzen.
Bund Deutscher Assistenzärzte.
Rundschreiben Nr. 9 (Bericht über den diesjährigen Vertretertag) ist
zusammen mit einem Fragebogen, dessen statistisches Ergebnis einem Stan¬
dardtarifvertrag zugrundegelegt werden soll, abgeschickt. Es wird
dringend gebeten, den ausgefüllten Fragebogen spätestens innerhalb 14 Tagen
an die Geschäftsstelle des B. D. A. einzuschicken. —
In der Facharztfrage, deren Regelung jetzt vielerorts in Angriff
genommen wird, gibt der Bundesvorstand den Ortsgruppen folgende Richt-
inien an die Hand:
1. Regelung der Facharztfrage ist wünschenswert, allerdings nicht auf
dem Wege des Gesetzes oder der Verordnung, sondern durch Ueberwachung
der Zulassung als Facharzt durch die örtlichen Aerzteorganisationen nach
gemeinsam mit den beteiligten Aerztegruppen aufzustellenden Gesichtspunkten
(Fachärzteverband, Aerztevereinsbund, L. V. und B. D. A.). Alle Inter-
cssentengruppen müssen gehört werden.
2. Für diejenigen Aerzte, die unter den bisherigen Bedingungen die Aus¬
bildung zum Facharzt begonnen haben, besonders für Kriegsteilnehmer, müssen
Febergangsbestimmungen getroffen werden.
3. Als Ausbildungszeit für die sogenannten „kleinen Fächer“ (Hals-Nasen-
Ohren, Dermatologie, Augen) hält der Bundesvorstand zwei Jahre für aus¬
reichend.
4. Wo die vom Facharztverband angestrebte Ausbildungszeit von 4 Jahren
für Chirurgie, Innere Medizin und Gynäkologie in Widerspruch steht mit einer
kürzeren Befristung der Assistenzarztstellen, ist auf eine entsprechende Ab¬
änderung der Befristung zu dringen. Unter allen Umständen muß gefordert
werden, daß die Ausbildung zum Facharzt in einer Stelle erworben werden kann.
5- Auf die Ausbildung bei geeigneten Fachärzten, auch wenn sie keine
Krankenhausabteilungen usw. leiten, kann bei dem heutigen Stellenmangel nicht
verzichtet werden.
6. Ausbildung in Volontärarztstellen ist anzunehmen, wenn in ihnen ge¬
nügend Gelegenheit gegeben war, sich in dem betreffenden Spezialfach aus-
/ubüden.
7. Als Nachweis der Ausbildung sind Zeugnisse über Art und Dauer der
Tätigkeit als genügend zu betrachten. Werturteile der ausbildenden Aerzte
dürfen nicht verlangt werden.
Zusendungen, Zuschriften oder Anfragen an die Geschäftsstelle des V. D. A.,
worauf Antwort oder deren Rücksendung erwartet oder gewünscht wird, ist
mit Rücksicht auf die hohen Postgebühren künftighin Rückporto von 2.— M.
beizulegen.
Alle Zuschriften usw. sind zu richten an die Geschäftsstelle des Bundes
Deutscher Assistenzärzte, Leipzig, Dufourstr. 18, 2.
Der Vorstand.
LA.: Dr. Kortzeborn, 1. Vorsitzender.
Kleine Mitteilungen.
Berlin. Die Verhandlungen mit den Berliner Krankenkassen
zur Einführung der Familienversicherung sind neuerdings auf
Schwierigkeiten gestoßen. Nach einer Mitteilung der „Freiheit“ hat
der neugewählte Ausschuß der Allgemeinen Ortskrankenkasse der
Stadt Berlin einige Forderungen der Aerzteschaft für „unerfüllbar,
weil unsozial“ gehalten und seiner „Entrüstung über das fortwährende
Hinziehen dieser wichtigen Angelegenheit Ausdruck verliehen“.
— Unter Bezugnahme auf die Aeußerung des preußischen Mini¬
sters für Volks Wohlfahrt über die Höhe der ärztlichen Honorar¬
sätze (Nr. 1 S. 35) dürfte es von Interesse sein, daß die Berliner
Müllkutscher seit mehreren Wochen streiken, weil sie eine Erhöhung
des Wochenlohns von 480 auf 750 M. verlangen, außerdem einen
^mmpmrhub bis zu 20 Tagen und in Krankheitsfällen einen Urlaub
bis zu 30 Werktagen. Vielleicht vergleicht der Herr Wohlfahrts¬
minister einmal mit diesen Forderungen von Lohnarbeitern die durch¬
schnittlichen Aerztehonorare.
- Die 5 neu angestellten Gewerbeärzte (vgl. D. m. W. 1920,
S 1228) haben nach § 139 b der Reichsgewerbeordnung die Befugnis,
jederzeit unangemeldet Besichtigungen der ihrer Aufsicht unterstellten
Betriebe vorzunehmen. Nähere Vorschriften über dienstliche Stellung,
Befugnisse, Obliegenheiten und Amtsbezeichnung der Gewerbeärzte
werden noch erlassen, desgleichen werden die Amtsbezirke und dienst¬
lichen Wohnsitze der Gewerbeärzte noch bestimmt. Vorschriften
über die Vorbildung, Prüfung und Fortbildung der Gewerbeärzte
folgen.
— Seit dem 1. Juli v. Js. besteht ein vertragsloser Zustand
zwischen dem Rostocker Aerzteverein und der All¬
gemeinen Ortskrankenkasse. Nach der rechtzeitigen Kündi¬
gung wurde von den Aerzten die Bezahlung nach Einzelleistung ge¬
fordert und die Kasse durch das Schiedsamt in Schwerin demgemäß
verurteilt. Gegen dieses Urteil hat die Kasse beim Reichsschiedsamt
Berufung eingelegt. Weitere Verhandlungen haben nicht zum Ziel ge¬
führt. Vom 4. Jan. ds. Js. ab werden die Kassenmitglieder einstweilen
als Privatpatienten und nur gegen Bezahlung behandelt; nach § 370
RVO. wird ein fester Satz als Arzthonorar an die Krankenkasscnmit-
glieder gezahlt.
— Im Jahre 1920 verfügten 720 Ortskrankenkassen über ein
Vermögen von 503 Millionen Mark.
— Der Stadtverordnetenversammlung ist von Mitgliedern der bei
den Fraktionen der Deutschnationalen und der Deutschen Volkspartei
folgender Dringlichkeitsantrag unterbreitet worden: „Das Bezirksamt
Neukölln hat sämtlichen im Nebenamt als Schulärzte tätigen prak¬
tischen Aerzten die Kündigung für den 1. April d. J. zugestellt mit
der Begründung, daß die Anstellung hauptamtlicher Schul
ärzte beabsichtigt sei. Die Stadtverordnetenversammlung wolle be¬
schließen, den Magistrat zu ersuchen, die Kündigungen zurückzu
ziehen.“ Wie verlautet, soll der Magistrat hierzu bereit sein.
— Als öffentliche Untersuchungsstellen für den Be¬
zirk der Stadtgemeinde Berlin kommen laut Verfügung des
Ministers für Volkswohlfahrt bis auf weiteres nicht mehr das Institut
für Infektionskrankheiten Robert Koch und das Hygienische Universi¬
täts-Institut in Frage, sondern das Hygienisch-Bakteriologische Institut
im Hauptgesundheitsamt, Berlin, Fischerstr. 39/42 (für Berlin, Treptow,
Köpenick, Lichtenberg: Bezirke 1—6, 15—17); das Untersuchungsamt
im Krankenhause Charlottenburg-Westend (für Charlottenburg, Spandau,
Wilmersdorf, Weißensee, Pankow, Reinickendorf: Bezirke 7—9, IS
bis 20); Untersuchungsamt im Krankenhaus Schöneberg (für Zehlen¬
dorf, Schöneberg, Steglitz, Tempelhof, Neukölln: Bezirk 10—14.) Die
Apotheken werden wie früher die entsprechend adressierten Ent¬
nahmegefäße vorrätig halten.
— Wie wir in Nr. 28 des vorigen Jahres S. 812 mitgeteilt haben,
waren in den Haushalt des Ministeriums für Wissenschaft usw
800 000 M. für die Arbeiten des Ausschusses zur Prüfung des Fried
mannschen Mittels eingestellt worden. Auf Grund der bisherigen
Untersuchungsergebnisse haben wir uns an derselben Stelle nach¬
drücklich gegen diese Position ausgesprochen und am Schluß unserer
Ausführungen bemerkt: „Die für unsere trostlosen Finanzverhältnisse
sehr beträchtliche Summe von 800 000 M. kann ganz gewiß für bessere
Aufgaben verwandt werden.“ In diesem Sinne hat sich kürzlich der
preußische Landtag entschieden. Nach dem sehr dankenswerten An¬
trag von Geh.-Rat Lubarsch, dem Vorsitzenden des Ausschusses
für das Friedmannsche Mittel, ist die genannte Summe für Tuber¬
kuloseforschung bewilligt worden.
— Die Zahl der Beratungsstellen für Geschlechts¬
kranke betrug 138 am Ende des Jahres 1919 und 164 am Jahres¬
schluß 1920. Angemeldet wurden bei diesen im Jahre 1919 100361,
im Jahre 1920 107985 Personen gegen 19140 im Jahre 1917 und
33078 im Jahre 1918. Von den im Jahre 1919 insgesamt gemeldeten
100361 Personen wurden 31586 Männer und 17875 Frauen als an
Syphilis, 26846 Männer und 9582 Frauen als an Tripper und
11529 Personen als an einer anderen Geschlechtskrankheit leidend
gemeldet. Im Jahre 1920 waren 86456 Personen — 54547 Männer,
30256 Frauen und 1633 Kinder unter 14 Jahren — beraten. Von den
Männern litten 29116 an Syphilis, 19921 an Tripper, 1533 an Syphilis
und Tripper, und 3977 an einer anderen Geschlechtskrankheit, von
den Frauen 19364 an Syphilis, 8542 an Tripper, 1196 an Syphilis
und Tripper, und 1154 an einer anderen Geschlechtskrankheit, von
den Kindern unter 14 Jahren 1067 an Syphilis, 496 an Tripper, 5 an
Syphilis und Tripper, und 85 an einer anderen Geschlechtskrankheit.
Verheiratet waren 15580 Männer und 8851 Frauen, d. s. je 29«/o der
als geschlechtskrank ermittelten Männer und Frauen. Die Zahl der
Beratungen ist von 101728 im Jahre 1919 auf 184551 im Jahre 1920,
also um etwa 80<y 0 gewachsen. Die laufenden Betriebskosten stellten
sich auf 1110721 M. im Jahre 1919 und auf 2880831 M. im
Jahre 1920.
— Im Jahre 1919 wurden in Preußen 402 Verletzungen (ein¬
schließlich Berührungen durch Belecken u. dgl.) durch tolle oder der
Tollwut verdächtige Tiere amtlich gemeldet (gegen 194 im
Jahre 1918). Der Wutschutzbehandlung unterzogen sich 390 = 97,01 o, 0 ,
und zwar 290 im Institut für Infektionskrankheiten „Robert Koch“ in
Berlin und 100 im Hygienischen Institut der Universität Breslau. Von
den verletzten Personen sind 9 an Tollwut erkrankt und gestorben
Von diesen 9 Verstorbenen waren 5 der Schutzimpfung unterzogen
worden, sodaß sich eine Erkrankungs- bzw. Sterblichkeitsziffer von
1,28o/o der Geimpften ergibt. Von den 12 nicht geimpften Personen
starben 4 = 33,3jo/ 0 .
— Die Quäker, die in zweijähriger unermüdlicher Arbeit
Segensreiches für Deutschlands Kinder getan haben, verlassen jetzt
Digitized by >gie
Original from
CORNELL UNIVERSITY
104
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr.3
Deutschland, um an anderer Stelle neue Organisationen zu schaffen.
Die Speisung selbst wird auf der gleichen Grundlage wie bisher,
nur in neuer Verwaltungsform, fortgeführt. Die Leitung geht auf
den Zentralausschuß für Auslandshilfe über, die Speisung erfolgt
im wesentlichen durch die Schulen. Etwa 600000 Kinder und Mütter
werden zur Zeit täglich in Deutschland gespeist, und bis zum
Juli 1922 ist eine Fortführung der Speisung bereits garantiert. Die
Kosten werden jetzt allein von den Deutsch-Amerikanern, die zu
diesem Zweck den sog. Drei-Millionen-Dollar-Fonds gegründet haben,
gedeckt.
— Anläßlich der immer mehr um sich greifenden Flecktyphus-
Epidemie in Polen treffen demnächst L)r. Reichmann und der
Delegierte des Rockefeller-Instituts Prof. Gunn in Warschau ein.
Die östlichen Teile der polnischen Kreise Grodno, Bolkowysk, Bielsk
und Bialowycz sind gänzlich verseucht. — Nun haben die französischen
Aerzte Gelegenheit, ihre polnischen Freunde nicht bloß durch den Be¬
such von Verbrüderungskongressen, sondern mit ärztlichen Kräften
und Geldmitteln in ihrer Seuchennot zu unterstützen.
— Die Cholera ist in Europa 1920 besonders in Polen auf-
getreten (1262 Fälle), sonst wurde sie noch im südlichen Rußland,
Lithauen, Lettland und in der Türkei beobachtet. In Asien herrschte
sie sehr stark in Korea (24166 (13 329 fl)- In Indochina kamen 1670
Eilcrankungen und 1018 Todesfälle vor, in Formosa 2284 (903 f), auf
den Philippinen 1324 (834 f).
- Der bekannte hervorragende schwedische Neurologe Prof.
Henschen verurteilt, Zeitungsnachrichten zufolge, öffentlidi scharf
die gegen die deutsche und österreichische Wissenschaft gerichteten
Boykottbestrebungen des „International Research Council“ und
anderer unter falscher Flagge der Internationalität segelnder wissen¬
schaftlicher Verbände. Er nennt es eine Pflicht der schwedischen
Wissenschaft, selber den ersten Schritt zur Einberufung eines wirk¬
lich internationalen wissenschaftlichen Kongresses zu tun, und teilt
mit, daß vorbereitende Arbeiten zu einem internationalen
Aerztekongreß in Stockholm im Gange sind.
— In der am 27. XII. unter Vorsitz von Prof. H. Kohn ab¬
gehaltenen Sitzung des Vorstandes der Vereinigung der Deut¬
schen medizinischen Fachpresse wurde die Entscheidung der
Frage, ob es zweckmäßig sei, für die der Vereinigung an¬
geschlossenen Zeitschriften ein gemeinsames Ab¬
zeichen einzuführen, der Generalversammlung überwiesen, die ge¬
legentlich der Naturforscherversammlung in Leipzig stattfindet. — Zur
Bearbeitung zweckmäßiger Abkürzungen der häufigsten
und wichtigsten medizinischen Technizismen wurde eine
Kommission gewählt.
— Die dritte Tagung für Verdauungs- und Stoff¬
wechselkrankheiten wird am 28. und 29. IV. in Bad Hom¬
burg stattfinden. Themata: Gallensteinleiden und Beziehungen
zwischen Störungen der Kreislaufs- und Verdauungsorgane. Anmel¬
dungen an den Vorsitzenden Geh.-Rat von Noorden, Frankfurt
a. M., Hans Sachsstr. 3.
— Die nächste Tagung der Freien Vereinigung für Mikro¬
biologie soll vom 8.—10. VI. in Würzburg (Hygienisches-Institut)
stattfindeu. Als Referate sind in Aussicht genommen: 1. Desinfektion
einschließlich Schädlingsbekämpfung. 2. Theorie und Praxis der
Proteinkörperwirkung. Anmeldungen von Vorträgen bis zum 15. V.
an den Schriftführer Geh.-Rat Prof. Otto (Berlin).
— Bekanntlich schreibt der Erlaß des Ministers für Volkswohlfahrt
über die staatliche Prüfung der technischen Assisten¬
tinnen vor, daß die Lehranstalten, an welchen technische
Assistentinnen ausgebildet werden, einer staatlichen Anerken¬
nung bedürfen (vgl. diese Wochenschrift 1921 S. 1170). Als erste
Privatunternehmung hat Fräulein Elise Wolff, Berlin-Wilmersdorf,
Nassauischestraße 54/55, für die von ihr gegebenen Kurse für Histo¬
logie und mikroskopisch-anatomische Technik die staatliche Anerken¬
nung erhalten.
— Pocken. Deutsches Reich (18.—24. XII.): 2. — Fleckfieber. Deutsches
Reich (1&-24.XII. mit Nachträgen): 18 (davon 17 bei Wolga-Deutschen). - Genick-
starre. Preußen (11.—17.XI!.): 7 — Spinale Kinderlähmung. Preußen (11.Ms
17. XII.): 5. — R u h r. Preußen (11.-17. XU.): 63. — Abdominaltyphus (11.—17. XU.): 163.
— Dresden. Der nächste Fortbildungskurs für Aerzte
an der Staatlichen Frauenklinik findet vom 3. bis 29. April 1922
statt.
— Düsseldorf. Am 22. I., nachm. 3 Uhr, findet in der Aka¬
demischen Kinderklinik, Moorenstraße, eine Versammlung der Ver¬
einigung niederrheinisch-westfälischer Kinderärzte
statt. Anmeldungen an den Vorsitzenden Dr. Th. H o f f a (Barmen,
Wertherstraße).
— Frankfurt a. M. Prof. Flesch feierte am 1. seinen 70.
Geburtstag. — Im Anschluß an die Kuranstalt Hohe Mark
bei Frankfurt a. M. (Sanatorium für innere und Nervenkranke,
Chefarzt Dr. Kalb erlaß) ist unter gleicher Leitung, aber räumlich
völlig davon getrennt, die geschlossene Abteilung (Haus Altkönig)
wieder eröffnet worden, nachdem die Gebäude lange von den Fran¬
zosen besetzt waren. — Von den Mitgliedern der Ortskrankenkasse
in Frankfurt a. M. waren am 12. XII. 3,78°/o an Grippe erkrankt,
am 19. XII. 3,81 o/o.
— Greifenhagen. San.-Rat Dr. Meyer beging dieser Tage die
fünfzigste Wiederkehr des Tages seiner Approbation.
— Magdeburg. Ein Fortbildungskurs über Innere
Medizin findet unter Leitung von Prof. Schreiber und Prof.
Otten vom 6. II. bis 18. II. hier statt, für die Zeit vom 20. II. bis
4. III. ist ein Fortbildungskurs in Chirurgie unter Beteiligung von
Prof. Habs und Prof. Wendel in Aussicht genommen.
— Reetz (Kreis Amswalde). Geh. San.-Rat Müller feierte diese
Tage sein 50 jähriges Doktorjubiläum.
— Schkeuditz (Halle a. S.) In der unter Leitung von Prof.
Quensel stehenden Nervenheilanstalt der Knappschafts-Berufs¬
genossenschaft Bergmanns wohl finden Kranke allör Berufs¬
genossenschaften, Angehörige von Krankenkassen, Versicherungs¬
anstalten, Kasseneinrichtungen, Behörden sowie selbstzahlende Kranke
Aufnahme. Verpflegungssatz einschließlich Beobachtung und Behand¬
lung für den Tag 32 M. in der II. (allgemeinen) Klasse, in der
I. Klasse einschließlich ärztlicher Behandlung 60—70 M. (Vgl. D. m. W.
1921 Nr. 51 S. 1568.)
— Ulm. Im schulärztlichen Jahresbericht 1920/21 ist ein hoher
Prozentsatz Kröpfe im jugendlichen Alter vermerkt, 6jährige
(4,9o/o), 9jährige (11,7 o/o), 18jährige (15,3<y<>).
— Zürich. Zur Erinnerung an Konrad Röntgen, der
1866—69 als Student hier weilte, hat die Schweizer Röntgen-Gesell¬
schaft im Verein mit dem Zürcher Verkehrsverein beschlossen, an
dem damaligen Wohnhaus Röntgens (Seilergraben 7) eine Ge¬
denktafel anzubringen.
— Hochschulnachrichten. Berlin. Prof. K e i b e 1 (Königsberg) hat
den Ruf als Nachfolger Oskar Hertwigs angenommen. Dr. Schiff
hat sich für 1 Kinderheilkunde, Dr. H. F. Lewy für Ihnere Medizin
und Dr. A. Salomon für Chirurgie habilitiert. Priv.-Doz. Walter-
hoefer hat die Dienstbezeichnung a.o. Professor erhalten. — Er¬
langen. Hofzahnarzt Greve (München) ist zum a. o. Professor er¬
nannt worden und hat einen Lehrauftrag für Konservierende Zahnheil¬
kunde erhalten. — Frankfurt a. M. Dr. Ruppert, Assistent am
Institut für Experimentelle Therapie, hat einen Ruf als Professor für
Bakteriologie und ansteckende Krankheiten sowie als Direktor des
Bakteriologischen Institutes nach La Plata angenommen. — Frei :
bürg. Die Priv.-Dozz. Amersbach (Laryngo-, Rhino- und Oto-
logieT, Böker (Anatomie) und Lindig (Geburtshilfe und Gynäko¬
logie) erhielten die Dienstbezeichnung a. o. Professor. Die Gesell¬
schaft der Aerzte Finnlands hat Geh.-Rat Axenfeld zum Ehren¬
mitglied ernannt. — Gießen. Die Medizinische Fakultät hat Prof.
Looß zun: Ehrendoktor ernannt. — Göttingen. Die Akademie der
Wissenschaften hat Prof. C. Neuberg (Berlin) zum korrespondieren¬
den Mitglied gewählt. — Kiel. Priv.-Doz. Pütt er (Bonn) ist zum
Abteilungsvorsteher am Physiologischen Institut in Aussicht ge¬
nommen. — Münster. Profi Apfel st aedt, Direktor des Zahn¬
ärztlichen Instituts, ist für das neugegründete Extraordinariat für
Zahnheilkunde in Aussicht genommen. — Würzburg. Die Priv.-
Dozz. Leu pol d (Pathologische Anatomie), Nonnenbruch (Innere
Medizin), Vogt (Anatomie) und Ganter (Innere Medizin) (bisher in
Greifswald) wurden zu a. o. Professoren ernannt. Der Rineckerpreis
(eine silberne Medaille nebst 1000 M.) ist dem früheren langjährigen
o. Professor an der Straßburger Universität Dr. FranzHofmeister,
jetzt Honorarprofessor für Physiologische Chemie in Würzburg, zu¬
erkannt.
— Gestorben. Geh.-Rat E. Rosenbaum, ein angesehener und
viel beschäftigter Praktiker, am 7. I. 1921 in Frankfurt a. M.
An noiere Mitarbeiter.
Um unseren Lesern eine Vorstellung von der Höhe der Herstellungskosten
einer Wochenschrift zu geben, möchten wir an dieser Stelle mitteilen, daß die
Druckerei für das Setzen eines kürzlich veröffentlichten, etwas mehr als 6 Druckspalten
langen Aufsatzes 618 M. berechnet hat. Dazu kommen die Kosten für die Ausführung
der — freilich ungewöhnlich zahlreichen — Korrekturen in Höbe von 655 M. Die
Herstellung dieses einen Aufsatzes hat also nicht weniger als 1273M.
erfordert, ohne die Rechnung für Reindruck und Papier. Schon nach dieser Auf¬
stellung werden wohl unsere Leser die Erhöhung des Bezugspreises berechtigt finden.
Gleichzeitig soll sie aber für alle Mitarbeiter die dringende Mahnung enthalten,
ihre Aufsätze der Redaktion völlig druckfertig zu überliefern, und
nennenswerte Aenderungen bei der Korrektur zu vermeiden. Anderen¬
falls w8re auch unser Verlag im Interesse der Abonnenten gezwungen, die Kosten für
übermäßige Korrekturen den Verfassern selbst aufzuerlegen.
Auf vielfachen Wunsch hat sich der Verlag trotz der hohen Ausgaben dankens¬
werterweise entschlossen, den Verfassern von Aufsätzen auf Verlangen 25 Sonder¬
drucke unentgeltlich zu liefern; für eine weitere Zahl werden die Selbstkosten
berechnet. Wir unterstützen dabei seine an die Autoren gerichtete Bitte, nicht mehr
Sonderdrucke als unbedingt nötig zu bestellen. Erfahrungsgemäß sind oft
nicht nur überflüssig viel Sonderdrucke versandt worden, sondern es ist sogar ein Teil
bei den Verfassern unverwendbar geblieben und Makulatur geworden. Bei der
heutigen Notwendigkeit größtmöglicher Sparsamkeit sollen auch un¬
nötige Kosten für Druck und Versendung von Sonderdrucken vermieden
werden.
Korrekturblätter ohne Manuskript und Manuskripte allein werden von
der Post als Geschäftspapiere (nicht als Drucksachen) angesehen, müssen
also demgemäß freigemacht werden. Strafporto wird jetzt grundsätzlich vom Verlag
nicht übernommen; man bedenke, welche Summen er täglich zu tragen hätte.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
LITERATURBERICHT
Redigiert von Prof. Dr. R. von den Velden.
Biologie.
♦♦ Th. H. Morgan (New Vork), Die stoffliche Grundlage der
Vererbung, Berlin, Gebr. Bornträger, 1921. 291 S. M. 69.—.
Ref.: Siemens (Breslau).
Die Untersuchungen, die Morgan und seine Schule seit etwa
12 Jahren an der Taufliege angestellt haben, werden ganz allgemein
für das Bedeutendste gehalten, was seit der Entdeckung des Mendel-
sehen Gesetzes auf dem Gebiet der Vererbungslehre geschaffen worden
ist Es ist deshalb ein großes Verdienst Nachtsheims, daß er sich
der Mühe unterzogen hat, die 1919 erschienene zusammenfassende
\ Arbeit Morgans über die Taufliegenversuche zu übersetzen und so
dem deutschen Leser in einer prachtvollen, mit 118 schönen Abbil¬
dungen ausgestatteten Ausgabe zugänglich zu machen. Zu einem
näheren Eingehen auf den Inhalt des wichtigen Werkes ist hier nicht
i der Platz. Morgan hält es für gesichert, daß die Chromosomen die
Träger der Erbeinheiten, und folglich die „stoffliche Grundlage der
Vererbung“ sind. Als wichtigste Begründung dieser Annahme gilt
ihm die sogenannte Koppelung von Erbeinheiten, die er bei den Ver¬
suchen mit der Taufliege besonders eingehend studiert hat. Durch
die Häufigkeit der Koppelungen läßt sich nach Morgan berechnen,
ob zwei bestimmte Erbeinheiten in einem Chromosom nahe aneinander
oder in größerer Entfernung liegen: so kommt er schließlich geradezu
zu topographischen Karten über die Lage der einzelnen Erbeinheiten
innerhalb der Chromosomen. Der Uebersetzer hat dem Buch noch
eine Uebersicht über die bei Drosophila beobachteten Mutationen
beigefügt; auch das Literaturverzeichnis ist von ihm erweitert worden.
So darf man hoffen, daß das schöne und verhältnismäßig billige Buch
sich gut einführen und sein Inhalt nicht nur unter den Biologen,
sondern auch unter den Aerzten die ihm gebührende Beachtung
finden wird.
dem Eintreffen im Hochgebirge eintretenden Zunahme der Zahl der
roten Blutkörperchen. Vielmehr bestätigt die Beobachtung mit dem
Hautmikroskop die Erklärungen von Bunge und Zuntz. Nach Bunge
ändert'sich unter der Einwirkung der veränderten Luft der Raum¬
inhalt des geschlossenen Gefäßsystems, die Blutgefäße ziehen sich
zusammen, ein Teil des Plasmas tritt in die Lymphräume, und hier¬
durch kommt es zu einer relativen Vermehrung der Erythrozyten und
des Hämoglobins. Nach Zuntz erfolgt eine Aenderung der Ver¬
teilung der Erythrozyten, indem sich in den Kapillaren ein an korpus-
kulären Elementen reicheres Blut ansammelt. Mit dem Hautmikroskop
konnte Verfasser eine Verlangsamung der Strömung, eine deutliche
körnige Strömung und eine stellenweise Ansammlung von roten Blut¬
körperchen in Klumpen nachweisen.
H. Pribram und F. Eigenberger (Prag), Kolloidgehalt des
menschlichen Haroes. Zbl. f. inn. M. Nr. 50. Die stalagmometrischen
Bestimmungen ergaben eine Erhöhung des Kolloidgehaltes bei fieber¬
haften Erkrankungen, Diabetes und Neoplasmen. Die Verfasser glauben
in der Kolloidvermehrung einen Indikator für die Aenderung des Eiwei߬
abbaues zu erblicken.
St. Rusznyäk (Budapest}, Pharmakologische Prüfnng des vegeta¬
tiven Nervensystems. W. kl. w. Nr. 49. Rusznyäk hat ein Verfahren
ausgearbeitet, welches gestattet, an der Pupille vago- respektiv sym-
pathikotone Wirkungen zu erproben. Es besteht darin, daß in das Auge
eine l%ige Kokainlösung eingeiräufelt wird, der 0,3—0,4 °/ 0 Pilokarpin
zugesetzt ist. Mehr als die Hälfte aller untersuchten Augen bleibt
nach dem Einträufeln unverändert, der größere Teil des Restes reagiert
mit Miosis, der kleinere mit Mydriasis. Die Reaktion fällt bei dem¬
selben Menschen immer gleich aus, wobei der augenblickliche Zustand
der Pupille und der Zustand des übrigen Körpers keine Rolle spielt.
Von den Ergebnissen sei erwähnt, daß eine scharfe Unterscheidung
zwischen Vago- und Sympathikotonikern nicht möglich ist.
Anatomie.
A. W. Meyer (Heidelberg), Verlaufen sensible Fasern in den vor¬
deres Wnrzela ? Zbl. f. Chir. Nr. 49. Gegenüber den Veröffentlichungen
von Walter Lehmann sprechen die Tierversuche des Verfassers da¬
für, daß das Bel Ische Gesetz, nach dem die Sensibilität nur über die
hinteren Wurzeln geht, noch zu Recht besteht.
Physiologie.
♦♦ Hans Türkheim (Hamburg), Die Sinnesphysiologie der
Mundhöhle und der Zähne (Walkhoff, D. Zahnhlk. H. 52).
Leipzig, Georg Thieme, 1921. 55 Seiten mit 9 Abbildungen.
M. 11,40. Ref.: K. Kohn (Berlin).
Nach einer Besprechung des anatomischen und histologischen
Verhaltens der Sinnesnerven und ihrer Aufnahmeorgane in der Mund¬
höhle schildert Verfasser an der Hand zahlreicher Versuche die
Geschmacks-, Temperatur-, Tast- und Schmerzempfindung im Munde.
Bemerkenswert sind die eingehenden Prüfungen, inwieweit die Zahn¬
oberfläche für die Aufnahme feiner Empfindungen geeignet ist, die
durch den Schmelz auf das Dentin ein wirken, das durch seine Fasern
mit den Nervenbahnen in der Zahnpulpa in Verbindung steht. Die
Arbeit schließt mit einer erschöpfenden Literaturangabe.
Allgemeine Pathologie.
♦ ♦ Louis R. Grote (Halle a. S ), Grundlagen ärztlicher Be¬
trachtung. Berlin, J. Springer, 1921. 81 S. M. 18.—. Ref.:
von den velden.
Grote nennt diese flüssig geschriebenen, sehr lesenswerten Be¬
trachtungen eine „Einführung in begriffliche und konstitutionspatholo
gische Fragen der Klinik“ und behandelt darin den Begriff der
Krankheit, Krankheitsentstehung und Kausalität, die klinische Bedeu¬
tung des Konstitutionsbegriffes, Pathogenese und Vererbung und
schließlich Grundsätze der Therapie. Man kann dem Verfasser nur
recht geben, wenn er darüber klagt, daß der Student sich an diese
prinzipiellen Probleme leider kaum heran wagt, daß der immer mehr
* auf das Praktische eingestellte Unterricht hierzu nicht Raum und Zeit
genug lasse. Die persönliche Note, die sich in diesen Betrachtungen
findet, erhöht den Reiz der Lektüre.
H. K. Frenkel-Tissot (St. Moritz), Verhalten des Blutes im
Ikcbgebirge. M. m. W. Nr. 50. Die Blutzuckerzahlen verhalten sich
so wie in der Ebene. Die Eiweißzahlen im Serum sinken im Hoch¬
gebirge ab. Bei hämolytischem Ikterus zeigte die Resistenzverminde-
raog der Erythrozyten eine Verschlimmerung.
P Lieb es ny, Kapillarkreislaufbeobacbtungen im Höhenklima.
W m W Nr. 50. Die Zunahme der Blutkörperchenzahl und die
Hiaoelobin Vermehrung im Höhenklima sind iip wesentlichen relativ,
wie Verfasser mit Hilfe des Hautmikroskopes nachweisen konnte.
Di Erklär um? von Via ult, daß es sich um eine Vermehrung der
Erythrozyten bandle , ist nicht haltbar, schon wegen der sofort nach
Pathologische Anatomie.
F. Marchand (Leipzig), Qallensteine und Krebs der Galleoblase
W. kl. W. Nr. 50. Widerlegt die Ausführungen von L. v. Aldor
(W. kl. W. Nr. 40), daß das Ca. der Gallenblase nicht als Komplikation
der Cholelithiasis in Betracht komme. In der Gesamtzahl der bis 1921
verfolgten Gallenblasen- und Oallengangskarzinome im Sektionsmateriale
des Leipziger Pathologischen Institutes (136 Fäll) fanden sich in 80,88%
Gallensteine (110 Fälle).
K. Kalima (Leipzig), Pathologisch-anatomische Untersuchnogoe an
operativ mobilisierten ankylotischen Gelenken. Bruns Beitr. 154 H. 2.
Makroskopisch wurde ein inniges Zuuammenwachsen der Gelenkflächcn
in Form einer knorpligen, knorplig-knöchernen oder rein knöchernen
Form festgestellt. Das Knorpelgewebe innerhalb des zusammenge¬
wachsenen Gebietes zeigt Veränderungen in Form des Asbestknorpels,
es zeigten sich intraartikuläre und periartikuläre Osteophytenbildungen,
keine entzündlichen Prozesse am Knochen, hochgradige Narben- und
Schwielenbildungen, wie Verdickungen des Kapselapparates, geringere
Veränderungen der Ligamente. Dem entsprechen auch die mikrosko¬
pischen Befunde. Das Material umfaßt 18 Operationspräparate der
Payrschen Klinik. __
Mikroben- iind Immunitätslehre.
B. Lipschütz (Wien), Zellkern als Vlrustriger. Zbl. f. Bakt. Abt.
I. Orig. 87 H. 4. In einer früheren Arbeit hat Verfasser eine neue
Gruppierung der Chlamydozoa und Strongyloplasmen vorgenommen
und neben der Zytooikon- und Karyozytooikongruppe eine Reihe von
Krankheiten zusammengefaßt, die durch ausschließliche Lokalisation
der Einschlüsse im Zellkern gekennzeichnet sind: Karyooikongruppe.
Zu dieser Gruppe gehören die Bornasche Krankheit der Pferde, das
Virus myxomatosum der Kaninchen, die Gelbsucht der Raupen und
ferner drei menschliche Hautaffektionen: Herpes, zoster, Herpes febri-
lis und Herpes genitalis. Es folgt eine eingehende Beschreibung der
Kerneinschlüsse, ihrer Entstehung und ihrer Diagnose. Unter Kern¬
einschluß versteht Verfasser die Ausbildung eines in der Kemhöhle
liegenden, verschieden gestalteten, meist kugeligen, gut färbbaren, von
den Nukleolen stets leicht differenzierbaren Körpers, der entweder
kompakt und homogen erscheint oder auch eine weitere Differenzierung
zeigen kann und die Kernhöhle teilweise oder auch nahezu ganz aus¬
füllt, wobei jedoch der „Einschlußkörper“ stets durch eine, wenn auch
sehr schmale, helle Raumspalte von der Kernmembran getrennt ist.
J Huntemüller (Gießen), Anreicherung in flüssigen Medien zum
Nachweis von wenigen oder in ihrer Wachstumsenergie gehemmten
Keimen. Zbl. f. inn. M. Nr. 52. Es empfiehlt sich, zum Urin die gleichen
Teile alkalischer Nährbouillon hinzuzusetzen.
Kaikbrenner (Breslau), Biologie des Influenzabazillns. Zbl. f.
Bakt. Abt. I. Orig. 87 H. 4. Influenzabazillen können auch auf vollständig
blutfarbstofffreien Nährböden wachsen, wenn man geeignete Bakterien
hinzufügt.
Max Preuß (Breslau), Epidemiologische und morphologische In-
fluenzabazillenstndien aus dem Ende der letzten Pandemie. Zbl.
f. Bakt. Abt. I. Orig. 87 H. 4. Die Umgebungsuntersuchungen auf In-
Digitizerf by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
106
LITERATURBERICHT
Nr. 3
fluenzabazillen wurden in 2 Perioden vorgenommen, deren 1. noch in
das Ende der Epidemie hineinfiel, deren 2. in einer fast influenzafreien
Zeit lag. Von 224 in der 1. Periode Untersuchten fanden sich Influenza-
bazillen bei 25, von 102 Personen der 2. Periode bei 3. Die Influenza¬
bazillen wurden also gegen Ende der Epidemie immer spärlicher ge¬
funden. Unter den Personen mit positiver Grippeanamnese waren die
Bazillenträger bei weitem am häufigsten. Von den wenigen Personen,
die eine negative Anamnese angaben, aber trotzdem Influenzabazillen
beherbergten, darf angenommen werden, daß sie entweder früher eine
ganz leichte Grippe überstanden, oder daß sie sich an Grippekranken
infiziert hatten, wobei es aber nur zur Ansiedelung der Bazillen auf
der Schleimhaut, aber nicht zur ausgesprochenen klinischen Erkrankung
ekommen war. Ein Teil der Untersuchten erwies sich als Influenza-
azlllen-Dauerausscheider, obwohl ihre Grippeerkrankung bis zu 2 Jahren
zurücklag.
M. H. Kuczinski (Berlin), Kultur des Fleckfiebervirus außerhalb
des Körpers. B. kl. W. Nr. 51. Es gelang, das Fleckfiebervirus in
Gewebskulturen von Meerschweinchenmilzen lebend zu erhalten und
zur Vermehrung zu bringen, also zu kultivieren. Die Uebertragung
dieser Kulturen auf Meerschweinchen ließ typisches Meerschweinchen¬
fleckfieber entstehen. Das kultivierbare Virus ist die Rickettsia Pro-
wazeki.
Strahlenkunde.
F. Zacher (Erlangen), Weicbstrahlaufnahmeu. M. m. W. Nr. 50.
Modifikation des Idealapparates von Reiniger, Geppert & Schall,
Erlangen, mit umschaltbarem Transformator (siehe Abbildungen^.
Extrem weiche Röhren und hohe Stromstärken bis etwa 150 MA.
Sehr kontrastreiche Bilder bei Schwangerschaftsaufnahmen und bei
Lunge, Magen, Schädel, Hüftgelenk.
Allgemeine Therapie.
♦♦ W. Kolle (Frankfurt), Arbeiten aus dem Staatsinstitut für
experimentelle Therapie und dem Georg-Speyer-Hause
zu Frankfurt a. M. H. 13. Jena, G. Fischer, 1921. 116S. M. 20.—.
Ref.: Reiter (Rostock).
R. Otto und H. Hetsch, Die staatliche Prüfung der
Heilsera und des Tuberkulins. Mit einer Einleitung von
W. Kolle. Die von Kolle durch einen Ueberblick über die histo¬
rische Entwicklung der staatlichen Prüfung von Heilserum er-
öffnete Arbeit zerfällt in 2 Teile. Im allgemeinen Teil werden be¬
sprochen die staatlichen Präparate, ihre Zulassung zur staatlichen
Prüfung, ihre örtliche Kontrolle an der Herstellungsstätte und im
Institut für experimentelle Therapie. Die Autoren geben einen Be¬
richt über die Prüfung auf Unschädlichkeit, und in übersichtlicher,
mustergültig klarer Art einen guten Einblick in die Wertbemessung
antitoxischer und antibakterieller Sera. Im 2. speziellen Teil kommt
zur ausführlichen Besprechung die Prüfung von Diphtherie-, Tetanus-,
Dysenterie-, Meningokokkenserum und von Tuberkulin, in kürzerer
Form die Prüfung von Seren gegen Streptokokkenerkrankungen,
Schweineseuche und Geflügelcholera. Ein umfangreiches Autoren¬
verzeichnis- erhöht die Bedeutung der wertvollen Arbeit, deren In¬
halt jeden, der auf diesem Gebiet arbeitet, ein willkommener Weg¬
weiser sein wird.
O. Hovorka, Unterschied zwischen Loft- und Sonnenbädern.
W. m. W. Nr. 50. Das gewöhnliche Luftbad ist ein indifferentes Ab¬
härtungsmittel von hohem Wert für Gesunde, das Sonnenbad ein von
diesem verschiedenes Spezialbad, das bei Kranken, als ein differentes
Heilmittel, unter genauer ärztlicher Kontrolle stehen muß, da es unter
Umstanden auch üble Folgen haben kann.
F. Hansy, Indikationen für Höhenknren. W. m. W. Nr. 50. Höhen¬
kuren sind indiziert in der Rekonvaleszenz, bei allgemeiner Asthenie,
bei Erkrankungen des hämatopoetischen Systems, Stoffwechselkrank¬
heiten, allgemeinen Neurosen, Morbus Basedowii. (Letzere Erkrankung
wohl mit Auswahl d. Ref.) Kontraindiziert sind die Höhenkuren bei
schweren Herzerkrankungen, bei vorgeschrittener Lungentuberkulose
mit Neigung zu Blutungen, und bei sogenannter genuiner Schlaflosigkeit.
V. Hecht, Mastkuren im Höhenklima. W. m. W. Nr. 50. Nach
der Meinung des Verfassers, der Chefarzt des Semmeringer Palace-
Sanatoriums ist, bildet das Höhenklima ein unterstützendes Moment
bei der Durchführung von Ueberernährungskuren. Die verschiedenen,
bekannten Arten der Ueberernährung werden besprochen.
L. Kotier und A. Perutz (Wien), Wichtige Identitätsprobeo des
Neosalvarsans. W. kl. W. Nr. 49. Uebersichtliche Zusammenstellung
der bekannten Proben für den Oebrauch des Praktikers zur Erkennung
von Salvarsanfälschungen.
Innere Medizin.
♦♦ Erwin Stransky (Wien), Psychopathologie der Ausnahme¬
zustände und Psychopathologie des Alltags. Bern, Emst
Bircher, 1921. 35 S. Frcs. 2.75. Ref.: Voß (Düsseldorf).
Stransky erfaßt unter den Ausnahmezuständen nicht nur die
verschiedenen Formen der Bewußtseinsstörungen, sondern auch die
Stimmungsanomalien, wie sie namentlich in den Zyklothymien sich
äußern. Zur Erklärung der Ausnahmezustände baut Stransky ein
Schema auf: die Gesamtheit aller noopsychischcn Antriebe und Hem¬
mungen einerseits, und die Gesamtheit aller thymopsychischen Antriebe
und Hemmungen anderseits, ferner den daraus resultierenden habi¬
tuellen Reaktionstypus; außerdem veranschaulicht es die konstellative
Verstärkung nach beiden Richtungen hin. Stransky will die Aus¬
nahmezustände nicht auf eine Spaltung der Persönlichkeit, sondern
auf ein Ueberwiegen bald der einen, bald der anderen Einflüsse
zurückführen. Sehr beachtenswert und gewiß nicht unberechtigt sind
die, im Eingang der kleinen interessanten Schrift enthaltenen, kritischen
Bemerkungen über die moderne philosophisch-spekulative Richtung
in der Psychiatrie.
Theodor Hausmann (Moskau), Sedative Therapie typhöser
Erkrankungen, insbesondere des Flecktyphus. M. m. W. Nr. 50.
Fernhalten aller äußeren Reize. Medikamentös Brom und Morphium,
wenn dies nicht genügend Schlaf herbeiführt, Veronal. Schmerzen
werden mit Pyramidon bekämpft. Bei dieser Schonungstherapie sinkt
die Atem- und Pulsfrequenz ab.
Leo Hahn (Teplitz-Schönau), Herz- und Gefäßstörungen bei
Syphilis congenita und syphilitischerKeimschädigung. Die angeborene
Mitralstenose. Zbl. f. inn. M. Nr. 42. Die Untersuchung eines größeren
Materials von kongenitaler Syphilis und syphilitischer Keimschädigung
ergab in 90°/ o das Bestehen einer reinen Mitralstenose (ostiale Stenose),
die im Sinne Fournicrs als Hemmungsmißbildung anzusehen ist. Die
Unveränderlichkeit des anatomischen Zustandes bedingt die Gutartig¬
keit und die geringen physikalischen Symptome, die den Nachweis er¬
schweren.
Herzog (Mainz), Symptomatologie der Mitralinsuffien/. M. m.W.
Nr. 50. Im Stadium völliger Latenz, wo der Herzfehler allein durch
Hypertrophie des linken Ventrikels korrigiert wird, findet man meist
Akzentuation des 2. Aortentons, bei leicht gestörter Kompensation ist
der 2. Pulmonalton akzentuiert, bei stärkster Dekompensation, wenn
Insuffizienz der Trikuspidalis hinzukommt, verschwinden diese
Phänomene.
E. Tobias (Berlin), Jugendliche Claudicatio intermittens noa
arteriosklerotica mit Raynaudschen Erscheinungen. B. kl. W. Nr. 51.
Demonstration in der Berliner medizinischen Gesellschaft am
23. XI. 1921.
Eskil Kylin (Göteborg), Hypertonie und Zuckerkrankheit. Zbl.
f. inn. M. Nr. 45. Verschiedene Vermutungen über die eventuelle
Aetiologie der Hypertonie und ihres Zusammenhangs mit Diabetes
mellitus, die aber noch einer wissenschaftlich festen Grundlage ent¬
behren.
A. Kühn (Rostock), Intravenöse Kieselsänreinjektionen bei Arterio¬
sklerose, Stenokardie und verwandten Zuständen. M. m. W.
Nr. 50. Intravenös Natriumsilikat Merck in l°/ 0 iger Lösung, 1 ccm
alle 3 Tage, 10—12 Einspritzungen, dann 4 Wochen Pause. Gute
Erfolge bei Koronarsklerose, Hypertonie, Bronchialasthma.
Wilhelm Sternberg (Berlin), Stottern und Asthma. Zbl. f. inn. M.
Nr. 49. Beide Erkrankungen sollen der. Ausdruck von Uebertreibungen
und Ueberanstrengungen, namentlich infolge Fehlens des Entspannungs¬
gefühles, sein. Daraus wird rein theoretisch gefolgert, daß Uebungs-
therapie zur Heilung führen müsse. Ueber Heilungserfolge wird nicht
berichtet.
Kaestle (München), Röntgenologischer Beitrag zur Kenntnis der
Lungentuberkulose. M. m. W. Nr. 50. Bei allseitiger Durchleuchtung
der Brustorgane findet man in zahlreichen Fällen ein inspiratorisches
Nachhinken des inneren rechtseitigen Zwerchfellanteils, meist des
inneren Drittels. 'Dabei fand sich stets eine Verdichtung der Hilus-
zeichnung, ebenso meist rechts, und positiver Pirquet. Dieses Phä¬
nomen ist zurückzuführen auf eine Infektion der Lungenwurzel und
ihrer Drüsen mit dem Tuberkelbazillus, und zwar in der Primärperiode.
J. Sorgo, Methodik der Behandlung der Lungentuberkulose mit
Sonnenlicht und künstlichem Licht. W. m. W. Nr. 50. Wie die
Tuberkulininjektion, so ruft die Bestrahlung eine Herdreaktion hervor.
Nach Besonnung werden Herdreaktionen nur beobachtet, wenn die
Besonnung ein Erythem der Haut im Gefolge hat. Die Stärke der
auskultatorischen Herdreaktion und deren allgemeiner Aequivalente
(Temperatursteigerung, Beeinflussung des Allgemeinbefindens) steht in
deutlicher Beziehung zur Stärke der Hautreaktion. Ist die Haut einmal -
pigmentiert und reagiert sie infolgedessen nicht mehr auf Belichtung
mit entzündlichen Erscheinungen, so erfolgt weder eine Herd- noch
eine Allgemeinreaktion nach der Belichtung. Infolgedessen muß mit
den Körperstellen, die der Belichtung ausgesetzt werden, gewechselt
werden. Die Körpergegend ist hierbei gleichgültig. Die Belichtung
ist so lange auszudehnen, bis die Haut mit Rötung antwortet. Zwischen
je 2 Belichtungen ist ein Intervall von 3—4 Tagen einzuschieben, um
eine etwaige Herdreaktion, auch wenn sie auskultatorisch nicht fest¬
stellbar ist abklingen, zu lassen. Es ist dabei gleichgültig, wodurch die
Herdreaktion hervorgerufen war. Daher darf auch am Tage nach einer
Tuberkulininjektion keine Belichtung vorgenommen werden. Die In¬
dikationsstellung für die Belichtung deckt sich im Großen und Ganzen
mit derjenigen für die Tuberkulininjektion.
A. Petö, Die lotrakutanmethode im Rahmen allgemeiner Tuber*
kolosetherapie. W. m. W. Nr. 50. Der Hauttiter bei allein mit Frei¬
luftliegekur behandelten Tuberkulösen verschiebt sich meist in der
Richtung stärkerer Allergie. Die Erhöhung der Hautüberempfind-
lichkeit gegen das spezifische Antigen ist mit ein Erfolg der Freiluft¬
liegekur. Auch die gleichzeitige Anwendung des Quarzlichtes verstärkt
die Reaktion.
Digitized b'
Google
Original from
CORNELL UNiVERSiTV
ly. Januar 1922
LITERATURBERICHT
107
Werner Schemensky (Frankfurt a. M.), Wert des stalagmome-
triscben Quotienten für die Differentialdiagnose zwischen
benignem und malignem Tumor speziell des Magendarm¬
kanals. M. m. W. Nr. 50. In den meisten Fällen von Karzinom ergibt
der stalagmnmetrische Quotient im Urin einen Wert über 200, was
als pathologisch anzusehen ist
Ladislaus v. Friedrich (Neukölln), Behandlung der Hyper¬
azidität des Magens mit Nentralon una Belladonna-Neutralon. M.
m. W. Nr. 50. Die Neutralontabletten mit Belladonnazusatz, Hersteller
Kahlbaum, Berlin, setzten bei Hyperazidität die Säurewerte wirksam
herab, bei Hypersekretion zeigte sich ebenfalls Besserung.
G. Singer, Höhenknren und Krankheiten der Verdauung. W.m.W.
Nr. 50. Atonie des Magens und Darmes, thyreotoxische Diarrhöen,
Stoffwechselstörungen, Stauungsleber werden in mittleren Höhenlagen
gebessert und, wenn andere Heilfaktoren hinzutreten, auch geheilt.
Das Magengeschwür bildet wegen der drohenden Blutung eine Gegen¬
anzeige für die Höhenkur.
Ernst Seitz (Frankfurt), Sympathikostheorle des Morbus Base-
dtwii. Zbl. f. inn. M. Nr. 43. Aus der Blutzuckerkurve folgert der
Verfasser, daß sehr häufig bei Erkrankung der Schilddrüse ein erhöhter
Reizzustand des sympathischen Nervensystems besteht. Schon 14 Tage
nach der Operation ist beim Basedow der Zuckerhaushalt zur Norm
zurückgekehrt.
H. L. Tetzner (Zittau), Polynenritis mit erhaltenen Kniesehnen-
reflexea. B. kl. W. Nr. 51. Kasuistischer Beitrag.
H. Weißkappel (Wien), Kehlkopferscheinungen bei Syringomyelie.
W. kJ. W. Nr. 50. Kasuistik.
A. Pilcz, Klimatotherapie und Nervenkrankheiten. W.m.W.
Nr. 50. Eine Gebirgskur ist angezeigt bei Hemikrame, Menifere, Neur¬
asthenie, Paralysis agitans (? Ref.), Rekonvaleszenz nach Chorea minor
und Encephalitis epidemica, leichteren Depressionszuständen und
Morbus Basedowii. Nicht angezeigt ist das Hochgebirgsklima für
sehr erregte und schwächliche Neurastheniker, ferner in solchen
Fällen, wo gleichzeitig arteriosklerotische Veränderungen vorliegen.
Allen diesen Indikationen wird, wie Verfasser zum Schluß sagt, der
Semmering gerecht. Wie die meisten Artikel dieser Nummer der W.
m W. macht auch dieser den Eindruck, daß er pro domo ge¬
schrieben ist.
Chirurgie.
Otto Ooetze (Frankfurt a. M.), Festsitzender Kopfhaubeaverband.
M. m. W. Nr 50. Mitra mit einköpfiger Binde ohne Kinnkreisgang.
Siehe Abbildungen.
G Schmidt (München), Bajonettkornzangen. Zbl. f. Chir. Nr. 49.
Technische Mitteilung.
Fritz Partsch (Rostock), Reizbestrahlnng von Milz und Leber.
M. m. W. Nr. 50. Die Reizbestrahlung hat nur in verringerten Fällen
zu einer bei der Operation bemerkbaren Gerinnungsbeschleunigung
geführt. Ein Einfluß auf die Vermeidung von Nachblutungen und
postoperativen Hämatomen war nicht zu erkennen. Auch in vitro
war die Wirkung unsicher.
Eduard Borchers (Tübingen), Epithelkörperverpflanzuog bei
postoperativer Tetanie. M. m. W. Nr. 50. Bericht über einige günstige
Erfolge, die mehrere Jahre angehalten haben. Die Transplantation der
Epithelkörperchen muß vorläufig als das Normalverfahren angesehen
werden. Da es nicht möglich ist, ein Epithelkörperchen makro¬
skopisch von ähnlich aussehenden Gebilden, namentlich akzessorischen
Schilddrüsen, zu unterscheiden, muß stets ein Stückchen des fraglichen
Gebildes vor der Einpflanzung mikroskopisch untersucht werden.
Man entnimmt die Epithelkörperchen am besten bei Strumaoperationen
oder bei tödlich Verunglückten, weibliche Patienten eignen sich nicht
als Spender, da sie bei Menstruation und Oravidität Störungen aus¬
gesetzt sein könnten.
H. Flörcken (Frankfurt a. M.) und W. Steinbiß (Bethel-Biele-
feld), Elefaatiaatisches Neurofibrom der Kopfschwarte. Bruns Beitr.
124 H. 2.
W. Boecker (Lüdenscheid), Heilung des Ansaugefls der Nasen¬
flügel durch Faszieneinpflanznng. Zbl. f. Chr. Nr. 49. Technische
Mitteilung.
G. Mertens (Bremen), Fall von doppelter Hasenscharte. Zbl. f.
Chir. Nr. 49. Kasuistik.
O. Hahn (Breslau), Kriegsverletzungen der Blutgefäße. Bruns
Beitr. 124 H. 2. Aus dem von Küttner im Weltkriege beobachteten
Material betreffen 600 ausführliche Krankengeschichten die Verletzungen
der großen Blutgefäßstämme und sind der Arbett zugrunde gelegt.
Es werden besprochen und durch Abbildungen erläutert die frischen
Gefaßverietzungen, die Nachblutungen, die Blutung nach innen, das
Hämatom und das Aneurysma, dessen verschiedene Formen zur Dar¬
stellung gebracht werden.
C. ten Horn (Amsterdam), Chronische Appendizitis und Coecum
mobile. Bruns Beitr. 124 H. 2. Es sind 3 Formen zu unterscheiden:
die chronisch intermittierende, die chronisch remittierende und die primär
chronische die den typischen Anfall vermissen läßt. Der Besprechung
der letzteren gilt die Arbeit. Es finden sich bei ihr Veränderungen
im Wurmfortsatz , am häufigsten Wandsklerose und Verwachsungen,
nip Uinicrhen Symptome sind von der größten Verschiedenheit, am
hätificrsien Schmerzen, Uebelkeit, Brechreiz, mitunter Magen-und Darm-
svmptome selten Blnsenbcschwcrden. Objektiv hauptsächlich Druck¬
empfindlichkeit und Muskelspannung. Von 103 operierten Fällen blieben
22 ungeheilt. Das Coecum mobile wurde stets mit Zoekoplikatio
(Raffung) behandelt. Auf den Schmerz bei chronischer Appendizitis
war diese Operation ohne Einfluß, dagegen beseitigte sie die meist
vorhandene Obstipation.
J. Jungbluth (Bonn), Blutstillung nach der Hydrozelenoperation
nach y. Bergmann. Zbl. f. Chir. Nr. 49. Technische Mitteilung.
H. Flörcken (Frankfurt a. M.), Operative Behandlung der Incon¬
tinentia urlnae. Bruns Beitr. 124 H. 2. Freilegung des Blasenhalses
durch Schnitt in der Mittellinie und Abschieben des Peritoneums.
Herumführung eines Muskelfaszienstücks aus dem Musc.Tectus abdo-
minis, das am Sypmphysenansatz breit gestielt bleibt. Es handelte
sich um 2 Fälle von Epispadien, im dritten Fall um eine schwere Ham¬
blasenverletzung. In beiden ersten Fällen kam es zu einer der normalen
sehr nahe kommenden Kontinenz, im dritten Falle zu einer im Liegen,
Stehen und Sitzen vorhandenen Kontinenz. Führt das Verfahren nicht
zum Ziele, so kommt eine Anastomosenbildungl zwischen Harnwegen
und Darm in Betracht.
Walter Schröder (Stargard i. P.), Blasen Verletzung durch
Pfählung. M. m. W. Nr. 50. Schnitterin spießte sich beim Herab¬
rutschen vom Heu an einem Forkenstiel. Nach 4 Stunden Lapa¬
rotomie, Naht einer 1 cm langen Perforation des Blasenscheitels, Aus¬
tupfen des Douglas, Eingießen von Aether in die Bauchhöhle.
Verschluß der Bauch wand. Tamponade der großen Blasen-Urethra-
Scheidenwunde. Glatter Heilungsverlauf.
H. Ulrich (Kottbus), Fremdkörper der Blase. M. m. W. Nr. 50.
Patient hatte sich, um durch Verhinderung des Spermaabflusses Kon¬
zeption zu verhüten, einen Papierpfropf in die Harnröhre gesteckt.
Dieser gelangte in die Blase und verursachte eine schwere Zystitis.
Entfernung durch Sectio alta.
W. Müller (Marburg), Experimentelle Untersuchungen über extra-
artiknläre Knochenüberbrückung von Gelenken. Bruns Beitr. 124 H. 2.
Die an Hunden und Kaninchen angestellten Versuche zeigten, daß die
Kontinuität der Knochetibrücke, deren Schaffung entweder durch
Kalluswucherung oder durch Einlegung eines freien Knochentransplan¬
tats erstrebt wurde, regelmäßig in der Höhe des Gelenks unterbrochen
war. Die aus Kallus entstandene Knochenbrücke zeigte eine schmale
quere knochenfreie Zone. Die im Transplantat auf tretenden Zonen
ließen eine weitgehende Aehnlichkeit mit den an den Stellen mecha¬
nischer Irritation auftretenden Umbauzonen bei gewissen Knochen¬
erkrankungen und im frühesten Kindesalter erkennen. (Pseudarthrose).
Diese Versuche können zur Erklärung vieler noch ungeklärter Fragen
dienen, so zur Erklärung des häufig beobachteten Schwundes des zu
Gelenkbolzungen benutzten Spanes gerade im Gelenkspalt. Ein Knochen¬
span verhält sich, gleichgültig ob er durch ein Gelenk hindurchgebolzt
wird, oder um ein Gelenk herumgeführt wird, völlig identisch. Es
handelt sich dabei um Umbauzonen im Sinne Loosers, wobei die
Synovia, wie dies Bier angenommen, keine Rolle spielt. Auch bei dem
Albeesschen Span dürften oft solche Veränderungen eintreten. Ihr
selteneres Auftreten liegt an der reflektorischen Einschränkung der
Bewegungen im erkrankten Wirbelsäulenabschnitt. Auch die Bildung
von Pscudarthrosen gegenüber einer bestehenden an Parallelknochen
erklärt Verfasser auf diese Weise. Auch gewisse Spontanfrakturen
wie die Marschfrakturen zeigen, daß das Knochengewebe auf dauernde
mechanische Insulte mit vermehrter Resorption antwortet und daß ein
Abbau von neuem Knochen ausbleibt. Die Befunde Loosers an den
Umbauzonen der Rachitiker und Osteomalazischen sowie die Beobach¬
tungen von Hungerosteopathie stellen eine Parallele dieser Eigenschaften
am erkrankten Knochen dar.
H. Spitzy, Krankheltserscbeinungen und Behandlangserfolge der
Knochen- und Gelenktuberkulose. W.m.W Nr.50 u. 51. Nichts Neues.
H. Tichy (Marburg a. L ), Geographische Verbreitung der aknten
eitrigen Osteomyelitis. Brun9 Beitr. 124 H. 2. In den Alpen und Alpen¬
vorland, Neckarland und Neckarbergland, linksrheinischem Tiefland
und Durchbruchstal des Rheins, Lahntal, Gebiet von Hohem Venn und
Eifel, Wupper- und Ruhrbezirk, hessischem Bergland, Leinebergland,
Thüringen, Böhmen und Mähren, Ostseeküste des norddeutschen Tief¬
landes kommen besonders häufig Osteomyelitiden vor. 800 Fälle der
Marburger Klinik wurden geographisch gesondert. Es ergab sich
eine besondere Häufung auf isoliert aus den Ebenen aufsteigenden
.wasserarmen Anhöhen gelegenen Orten. Herstellen besserer Wasser¬
versorgung führte Abnahme der Erkrankungen herbei. Jahreszeitliche
Schwankungen bedingt durch Witterung (Nebel). Häufung der Osteo¬
myelitis bei Jugendlichen im Wachstumsalter, die schwere körperliche
Arbeit zu leisten haben.
Julius v. Finck (Dresden), Operative Behandlung der Skoliose.
M. m. W. Nr. 50. Zu v. Baeyer in Nr. 41. Auf dem Orthopäden¬
kongreß 1921 hat Verfasser bereits vorgeschlagen, bei Spina bifida
occulta mit Skoliose aus dem verlängerten Gelenkfortsatz des 5. Lenden¬
wirbels ein Stück zu resezieren. Demgegenüber erwidert v. Baeyer,
daß die Resektion mehrerer Gelenkfortsätze bei Skoliosen aller Art
zuerst von ihm ausgeführt ist.
K. Stettner (Stuttgart), Ostitis deformans oder Enchondrom?
Bruns Beitr. 124 H. 2. Der erste Fall betraf einen 62jährigen Mann,
der zunächst eine scheinbare Erkrankung im Sinne der Ostitis fibrosa
auf wies, welche im weiteren Verlaufe eine hypertrophische Verände¬
rung des Knochens nicht bloß an dem primären Herde, sondern neue
zerstreute Herde im Skelett zeigte. Hierzu kam als dritte eine tumor-
artige Umwandlung des Knochen unterhalb des Fibulaköpfchens. Die
weitere Beobachtung ergab, daß es sich um eine Ostitis deformans
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
108
LITERATURBERICHT
Nr. 3
hypertrophica im Sinne Pagets handelte. In dem zweiten, ein junges
Mädchen bedreffenden Falle, welcher sich röntgenologisch als typische
Ostitis deformans darstellte, lag ein zentrales oichomdrom vor.
P. Manasse (Berlin), Operative Behandlung des Schulter-Schlotter*
gelenks nach Schußlähmungen. B. kl. W. Nr. 51. Die nach Schuß-
lähmung der Schulter zurückbleibenden Schlottergelenke wurden durch
die Umpflanzung des M. pectonlis inaj. an die Stelle des M. deltoideus
beseitigt und eine aktive Beweglichkeit des Oberarms nach allen Rich¬
tungen in mäßigen Grenzen erreicht. Orthopädische Stützapparate und
Arthrodese sind also nur dann zu verwenden, wenn die Muskelum¬
pflanzung aussichtslos erscheint.
Frauenheilkunde.
♦♦ Paul Hüssy (Basel), Kurzes Repetitorium der Geburts¬
hilfe. 2. Aufl. Bern, Ernst Bircher, 1921. 53 S. Ref.: Jolly (Berlin).
Das kleine Werk ist gewissermaßen ein Extrakt geburtshilflicher
Lehrbücher, kann diese sowie klinischen Unterricht in keiner Weise
ersetzen, i-st aber unter der Voraussetzung eingehenderen Studiums
und Unterrichts, lediglich als Repetitorium empfehlenswert.
O. Flöel (München), Schmerzlose Entbindung in der Privstpraxis.
M. m. W. Nr. 50. Der Arzt suggeriert der Kreißenden, daß der Schmerz
der Wehe erträglich sei, in der Wehenpause solle sie nur ans Aus¬
ruhen und an Schlaf denken. Die Unzuträglichkeiten einer Hypnose
und die Gefahren des medikamentösen Dämmerschlafs lassen sich so
vermeiden.
Klaus Hoffmann (Dortmund), Bedarf der praktische Arzt
für die Qebnrtshilfe eines „selbsthaltenden* 4 Aorteokompressorfnms?
M. m. W. Nr. 50. Uterusruptur, während des 3 / 4 Stunden dauernden
Transportes ins Krankenhaus mußte Verfasser die Aorta manuell kom¬
primieren, der Momburgsche Schlauch war spröde und zerriß. In
solchen allerdings seltenen Fällen bietet das „selbsthaltende“ Kom-
pressorium für den Praktiker große Vorteile gegenüber dem Rißmann-
schen Modell. Hersteller Maag, Dortmund. Preis 300 M.
Hammerschlag (Berlin), Abortbehandlung. B. kl. W. Nr. 51. In
geeigneten Fällen von Blutungen ist der Versuch zu machen, die
Schwangerschaft zu erhalten. In allen andern Fällen ist in erster Linie
die Spontanausstoßung des Abortes anzustreben. Inkomplette aseptische
Aborte sind aktiv zu beenden. Septische Aborte sind zunächst exspek-
tativ zu behandeln. Die digitale Ausräumung mit gelegentlicher Unter¬
stützung durch geeignete Instrumente ist das für den Praktiker beste
Verfahren.
N.Jagic und G. Spengler, Klinik des Klimakteriums. W. m.W.
Nr. 50. Sammelreferat.
Krankheiten der oberen Luftwege.
L. Rethi, Bedeutung der Höhenkurorte für die Singstimme.
W. m. W. Nr. 50. Neben der Ruhe, der seelischen Erholung und der
Schonung des Kehlkopfs übt die Einatmung der reinen, staub- und
rauchfreien Höhenluft, zumal der harzigen Luft der Nadelwälder, eine
günstige Wirkung auf die Laryngitis und alle Reizerscheinungen im
Halse aus.
E. Glas, Sonneobehandlung bei Kehlkopftuberkulose. W. m. W.
Nr. 50. Sowohl durch das universelle Sonnenlichtbad wie durch lokale
Lichtbehandlung (in den Lärynx reflektierte Sonnenstrahlen) werden
gewisse Formen der Kehlkopftuberkulose. günstig beeinflußt. Zu be¬
rücksichtigen ist der Lungenzustand des Patienten. Stabile Prozesse
mit gutem Allgemeinbefinden, Mangel höherer Temperaturen und Fehlen
von Konsumptionserscheinungen geben eine bessere Prognose als vor¬
geschrittene Lungenerkrankungen mit Beteiligung des Kehlkopfs.
K. Biehl, Höhenklima und Ohr. W. m. W. Nr. 50. Der Aufent¬
halt im Hochgebirge übt nicht nur auf die durch Infektionskrankheiten
hervorgerufenen Erkrankungen des Ohres eine günstige Wirkung aus,
sondern auch auf die feineren Störungen, besonders des Innenohres.
Qualvolle Ohrgeräusche, beunruhigende Schwindelgefühle vergehen
oft im Hochgebirge, und das Hörvermögen bessert sich.
Haut- und Venerische Krankheiten.
M.Straßberg (Wien), Intravenöse Behandlung hartnäckig Jucken-
der Hautkrankheiten. W. kl. W. Nr. 49. Autoserum.- und Ogenblut-
therapie, sowie Afenilinjektionen vermögen den Juckreiz bei univer¬
sellen nässenden Ekzemen, bei Urticaria und Pruritus senilis gute
Dienste neben der Lokalbehandlung zu tun. Versuche mit 2 ccm
50 °L Traubenzuckerlösung zeitigten keine wesentlichen Erfolge. Nur
ein besonders refraktärer Fall von Urticaria soll danach sofort geheilt
worden sein.
Erna Hillenberg (Zittau i. Sa.), Kombination von Variolois und
Lnes latens. M. m. W. Nr. 50. Patientin aus der Nähe der polnischen
Grenze. Der ganze Körper war mit Makulae, Papeln und Pusteln mit
Halobildung, die genabelt und blau und schwarz verfärbt waren,
übersät. Nach Abklingen des Fiebers gutartiger Verlauf. Spirochäten
fehlten in den Pustelausstrichen. Pockenimpfung negativ. 6 Wochen
vorher makulopapulöses Exanthem und verdächtiges Ulkus am Gaumen,
Wa. R. positiv.
P. Kranz (Frankfurt), Zur Abhandlung von Dr. E. und M.Kraupa:
Zur physiognomischen Erkenntnis der kongenitalen Syphilis in der
2. una 3. Generation. Zbl. f. inn. M. Nr. 51. Zahnanomalien kann man
nur in typischen Fällen auf kongenital syphilitische Einflüsse zurück¬
führen, vielfach sind sie der Ausdruck von innersekretorischen Störungen,
die auf den Kalkstoffwechsel ein wirken.
M. Zeißl (Wien), Innerhalb 5 Jahren zweimalige Syphilis-
infektion nach der ersten Erkrankung. W. kl. W. Nr. 49. Kasuistik.
M. Schneider (Zittau), Serologischer Loesnachweis mittels der
Flockungsreaktion nach Sachs-Georgi und Meinicke und
der Wa.R. B. kl. W. Nr. 51. Bei guter Technik ist insbesondere die
Sachs-Georgische Reaktion geeignet, die Wa.R. zu ersetzen, wenn
auch möglichst immer beide Reaktionen angestellt werden sollten.
Georg Blumenthal (Berlin), Universalpipette für serologische
Arbeiten (speziell für Wassermann-Untersuchungen mit >/ 4 Dosen). Zbl.
f. Bakt. Abt. I. Orig. 87 H. 4. Die Pipette ist gekennzeichnet durch
1/100 ccm-Teilung für den Auslauf bis zu 0,5 ccm und durch neuartige,
sich von der Feinteilung durch tiefschwarze Striche und ebenso ge¬
färbte Zahlen deutlich abhebende 1 j A ccm-Einteilung, die bis zu 2 ccm
durchgeführt ist.
Kinderheilkunde.
K. Jellenigg (Prag), Darmlioge und Sitxhöhe. W. kl. W. Nr. 50.
36 Messungen am kindlichen Darm ergeben ein Verhältnis von 1:12
im Mitte), nicht 1:10, «wie es v. Pirquet bei der Aufstellung seines
Systems angenommen hat. Es finden sich aber sehr starke individuelle
Schwankungen (1:8,2—1:15,6). Das Pirquetsche System wird des
halb angefochten.
Soziale Medizin und Hygiene.
♦♦ Ludwig Teleky (Düsseldorf), Die Bleifarben Verwendung
zu Anstreicherarbeiten. Ihre Gefahren und deren Ver¬
hütung. (Veröffentlichungen auf dem Oebiete der Medizinalver¬
waltung 13 H. 9.) Berlin, R. Schötz, 1921. 36 S. M. 6.—. Ref.:
Thiele (Dresden).
Unter dem hygienischen Gesichtspunkte, daß die Wirtschaft für
den Menschen da ist und nicht der Mensch für die Wirtschaft, be¬
handelt der erfahrene österreichische Sozialhygieniker Teleky, den
wir zu unserer Freude nunmehr in Deutschland an maßgebender Stelle
begrüßen dürfen, die durch die Verhandlungen des Internationalen
Arbeitsamtes des Völkerbundes von neuem brennend gewordene Frage
des Verbotes der Bleiweißverwendung im Malergewerbe (Anstreicher-,
Maler- und Lackiererarbeiten). Er betont ganz besonders auf Grund
reicher, eigner Erfahrung, daß es im wesentlichen die Aufnahme des
verstaubten Giftes ist, die die häufigsten Erkrankungen herbeiführt.
Beschmutzte Hände und dgl. kommen erst in zweiter Linie in Frage.
Verfasser tritt mit >Rücksicht hierauf und die nicht zu überwindenden
Schwierigkeiten bei Durchführung und Ueberwachung anderer Schutz¬
maßregeln u. a. für das Verbot der Bleifarbenverwendung für alle Arten
von „Innenanstrichen“ ein unter Ergänzung des Verbotes für Anstrich
von äußeren Fensterrahmen und Gartenmöbeln, sowie in der Wagen-
und Automobillackiererei. Auch für „Außenanstriche« hält er aus
gleichen Gründen das Verbot für nötig, insbesondere ist das Minium, *
da es durch Eisenoxyd vollkommen ersetzbar, mit Ausnahme von
Unterwasserbauten unbedingt zu verbieten. Ob der gegenwärtige
Augenblick für den Erlaß solcher Verbote noch immer so besonders
geeignet erscheint, wie Verfasser meint, möchte Referent angesichts
des Verlustes unserer ganzen Zinkindustrie in Oberschlesien dahin¬
gestellt sein lassen.
Sachverständigentätigkeit.
Siebert, Aus ärztlichen Oberratachten und Entscheidansen des
Reicbsversorguogsgerichts. Zschr. 1. ärztl.-soz. Versorgungsw. 1 H. 9.
Die Reihe von interessanten Fällen progressiver Paralyse, die in
einem früheren Heft begonnen war, wird fortgesetzt und auch an ihnen
dargelegt, daß nur selten ein ursächlicher Zusammenhang zwischen
Dienstbeschädigung und Entstehung bzw. Verschlimmerung der Erkran¬
kung glaubhaft nachgewiesen zu werden vermag. Am allerwenigsten
ist er aus allgemeinen Einwirkungen (Entbehrungen, Anstrengungen
usw.) herzuleiten.
Müller-Immenstadt, Beurteilung der Steckschüsse. Zschr. f.
ärztl.-soz. Versorgungsw. 1 H. 9. Die Lokalisation eines Fremdkörpers
ist trotz der vervolikommneten photographischen und stereoskopischen
Methoden in manchen Körperteilen vielfach noch unsicher und insofern
i auch nur relativ möglich, als sie die Lage lediglich im Zeitpunkte der Auf¬
nahme angibt. Jede Bewegung kann die Lage des Fremdkörpers ändern und
er selbst vermag oft zu „wandern". (Dies letztere geschieht erstaun¬
licherweise gerade in der weichen Masse des Gehirns auffallend selten.)
Operatives Vorgehen ist indiziert bei nachträglicher Infektion durch
den Fremdkörper und bei allen Splittern, die eine dauernde Fistel¬
bildung verursachen oder durch Druck auf einen Nerven dauernd
Schmerzen bereiten oder Bewegungen hindern. Verfasser führt speziell
aus, welche Erwägungen bei den verschiedenen Organen hierbei anzu¬
stellen sind.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
19. Januar 1922
LITERATURBERICHT
109
Aus der ausländischen Literatur.
(Schweiz, Holland, Spanien, England, Frankreich, Italien, Amerika, China, Japan.)
♦♦ Carlo Galassi- Artur o Campani (Brescia)-M. Gioseffi (Parenzo),
Bekämpfung der Tuberkulose in ländlichen Bezirken
Italiens. Gavirate, 1920. 266 S. Ref.: P. Fraenckel (Berlin).
In einem Heft sind drei Preisarbeiten über die Bekämpfung der
Tuberkulose in hauptsächlich ländlichen Bezirken Italiens ver-
eint Sie geben Uebersichten über die verschiedenen Methoden der
Prophylaxe, Abwehr und Bekämpfung auf Grund ausländischer Er¬
fahrungen und statistischen Materials und gipfeln in praktischen Vor¬
schlägen, die für Deutschland nichts Neues bringen. Alle betonen
die große Gefahr der vielen tuberkulös heimkehrenden Auswanderer.
Die Arbeiten geben einen gewissen Einblick in die bisherigen Leistungen
in Italien, diejenige von Gioseffi besonders für die „erlösten Gebiete“
nach österreichischen Quellen. «
♦♦ Giuaeppe Fantozzi (Pisa), Blutungen bei Verwundungen
durch Feuerwaffen im Kriege. Pescia, 1920. 385 S. Ref.:
Jastrowitz fHalle).
instruktive Monographie unter Verwertung zahlreicher eigener Er¬
fahrungen. Die einschlägige Literatur, auch die deutsche, ist aus¬
gedehnt berücksichtigt. Historische Bemerkungen und pathologisch-
anatomische Erläuterungen ergänzen die Schilderung. Bemerkungen
über die Versorgung der Verwundeten mit Kritik der hervorgetretenen
Mißstände im Sanitätswesen sind in die Schilderung eingeflochten.
Ausgedehnt abgehandelt sind die Kapitel über Aneurysmen sowie über
Blutungen in die großen Körperhöhlen, die zahlreiche Anregungen
bieten. Aus experimentellen Ergänzungen des Verfassers sei hervor¬
gehoben, daß bei frischem experimentellem Hämatothorax am Kaninchen
stets eine Koagulation des Blutes beobachtet werden konnte. Im ganzen
wird das flüssig geschriebene Buch über den Kreis des Fach-Chirurgen
hinaus Interesse erwecken.
Bloch und Dreifuß (Zürich), Experimentelle Erzeugung von
Karzinomen mit Lymphdrüsen- und Lungenmetastasen durch
Teerbestandteile. Schweiz, m. W. Nr. 45. In Anlehnung an die be¬
kannten Yamagi waschen und Tsutsuischen Versuche stellten Bloch
und Dreifuß sehr bemerkenswerte Experimente mit Roh teer-Bepinse¬
lungen von weißen Mäusen an. Die hintere Hälfte des Rückens wurde
mit Teer jeden 2 Tag etwa 5 Monate lang gepinselt und auf diese
Weise Hautkarzinome vom Charakter des Kankroids erzeugt, die eine
große Neigung zur Metastasierung in Lymphdrüsen und vor allem in
die Lungen zeigten.
Bolt und Heeres haben physikalisch*chemische Untersuchungen
über die Bildung von Gallensteinen angestellt. (Tijdschr. voor Geneesk.
1921 (III) S. 2074.) Bei Durchströmung der überlebenden Froschleber
mit einer modifizierten Ringerschen Lösung wird reichlich Galle ab¬
gesondert, welche viele Konkremente enthält. Wenn man der Ringer¬
schen Lösung ein Kolloid, z. B. Gelatine, zusetzt, wird die Absonderung
von Galle viel geringer, sie enthält jetzt aber keine Konkremente. Die
Konkremente bestehen hauptsächlich aus Cholestearine und scheinen
mittels sogenannter tropfiger Entmischung. Setzt man der Ringerschen
Lösung Lezithine zu, dann ist ebenfalls die Neigung zur Konkrement¬
bildung minimal. Vielleicht kann das auch von therapeutischem Interesse
werden.
Dr. Faust (China Medical Journal 1921) berichtet in der anato¬
mischen Gesellschaft in Peking über Parasiten der Wirbeltiere in Nord-
China. Infektionen wurden unter mehr denn 2000 Tieren festgestellt:
bei 60.3% Säugern, 33,5% Vögeln, 22,3% Reptilien, 55% Amphibien,
66 % Fischen. Menschliche Parasiten wurden vielfach bei Tieren, aber
nicht umgekehrt gefunden. C. K. Ting berichtet in derselben Gesell¬
schaft über die Eingeborenenstämme in der Provinz Yünnan. Etwas
abweichend von Major Davis unterscheidet er den Mon Khmer-Stamm
mit der Miau Yau- und Wa Palaung-Gruppe, den Shanstamm und
drittens den Tibeto-Burmanischen Stamm mit den Gruppen: Tibetaner,
Solo, Burmagruppe und Kashin. Es werden die verschiedenen Kopf-
und Körpermaße angegeben.
Li sie Punch (Lancet 1921 3. IX.) hat mit Unterstützung und
Kantrolle von Dr. Fleming sehr sorgfältige Untersuchungen angestellt,
welchen Wert die Komplement -Fixiernngsprobe bei der Lungentnber-
kofose habe, und gefunden, daß wir in ihr ein sehr sicheres Mittel
zur Diagnose der aktiven oder vor kurzem noch aktiven Lungentuber¬
kulose besitzen, ein negativer Ausfall der Probe ist ein ebenso sicheres
Zeichen für das Fehlen einer aktiven Tuberkulose als ein positives
für das Bestehen derselben.
in einem Aufsatz über die kolloidale Benzogreaktion (Presse m£d.
1921 S.773) gehen Georges Guillain, Guy Laroche und P. Lech eile
von der Tatsache aus, die sie auch aus Beispielen aus der deutschen
Literatur belegen, daß die Langesche Goldsolreaktion und die
Emanuelsche Mastixreaktion in der Diagnostik der Nervenlues des*]
öfteren versagen (über die Mastixreaktion vgl. a. S. 1296 d. J.). Die
kolloidale Benzoereaktion stellen sie in vereinfachter Technik wie folgt
an* Der Liquor wird ftiit bidestilliertem Wasser verdünnt, und zwar im
Verhältnis 1:2, 1:4, 1:8, 1:16 (also vier Röhrchen, von denen jedes
1 ccm der Verdünnung enthält); ein fünftes Röhrchen mit 1 ccm
bidestilliertem Wassers dient zur Kontrolle. In jedem Röhrchen wird
1 ccm der Benzoelösung hinzugefügt, die Röhrchen bleiben bei Labo-
ratoriumstemperatur stehen, nach 12-24 Stunden wird abgelesen.
Normaler Liquor prazipitiert nicht, syphilitischer ruft in den vier
Röhrchen eine Präzipitation der Bpnzoe hervor, das Kontrollröhrchen
bleibt trübe. Mit eitrigem, trübem, hämorrhagischem und xantho-
chromatischem Liquor kann die Reaktion nicht angestellt werden;
manchmal kann durch halbstündiges Anhitzen von xanthochromatischem
Liquor auf 56° eine vorher negative Reaktion positiv werden. Während
die Wa. R. im Liquor bei epidemischer Enzephalitis zuweilen positiv
ausfällt, war die kolloidale Benzoereaktion bei dieser Krankheit negativ.
Hierin sehen die Autoren ein wichtiges differentialdiagnostisches Merk¬
mal; bei positivem Ausfall erscheint eine energische antisyphilitische
Behandlung angezeigt.
Das Mulford -Laboratorium, Philadelphia, gibt kurze Uebersich
über Geschichte und Gewinnung der „Serumvakzine“. Ihre Anwendung
wird sehr befürwortet, weil sofortige Immunisierung eintritt und keine
negative Phase vorhanden ist. Auch sind lokale und allgemeine Reaktionen
sehr gering und erlauben deswegen häufigere Anwendung und höhere
Dosierung. (China Medical Journal 1921.)
Boudreau, Intensive Jodbehandlnag. (Le Bulletin Medical. August
und September 1921.) Seit 1914 empfiehlt Boudreau eine progressive
intensive Jodbehandlung bei Lungentuberkulose, die nach ihm ein
direktes, spezifisches und heroisches Mittel gegen die Tuberkulose ist
und die, anfänglich mit Vorsicht angewandt, allmählich bis zu den
äußersten Grenzen der Toleranz gesteigert werden muß. In schweren
Fällen geht er bis zu einer Tagesdosis von 400 Tropfen der 10%igen
offizinellen Jodtinktur, die er verzettelt in Getränken, besonders während
der Mahlzeiten, nehmen läßt. Er ist sogar schon bis auf 1500 Tropfen
täglich aufgestiegen, womit die Unschädlichkeit des Mittels bewiesen
wird. Trotzdem muß immer mit kleinen verzettelten Dosen begonnen
werden. Die Drüsentuberkulose ist diesem Mittel besonders zugäng¬
lich, aber auch alle andern Lokalisationen reagieren darauf. Der be-
rüchtigste Jodismus ist nach Boudreau nur ein Schreckgespenst für
Furchtsame. Diese Jodtherapie richtet sich nicht nur gegen die Tuber¬
kulose, sondern gegen alle infektiösen Zustände im allgemeinen, denn
das Jod ist das wirksamste, harmloseste und handlichste innerliche
Desinfiziens. Beim Typhus ist seine Wirkung besonders ausgesprochen,
aber auch bei Cholera, Grippe, Malaria und Rheumatismus ist sie be¬
merkenswert.
Colebrook (Lancet 1921 30. IV.) berichtet über 25 Falle von
Aktinomykose, die er mit Vakzine behandelt hat, nachdem die Jod¬
kalibehandlung erfolglos geblieben war. In 11 Fällen benutzte er
eine autogene Vakzine, in den übrigen eine polyvalente von Wright
dargestellte Standardvakzine, die auch das Bacterium actinomycetum
concomitans (Klinger) enthält. Von den 11 Fällen, die Gesicht und
Hals betrafen und 1 Handinfektion waren 2 sehr ungünstig, 1 Mädchen
starb bald nach der Aufnahme an Hirnabszeß, ein schwerer Fall heilte
nach Kieferresektion und machte den Krieg mit, hat aber jetzt ein
kleines Rezidiv, das noch behandelt wird. Die 9 übrigen Fälle sind
seit 4—6 Jahren gesund; von den 6 thorazischen Fällen wurde keiner
geheilt, sie waren aber alle weit vorgeschritten, ehe sie zur Behand¬
lung kamen; einer dieser Fälle war scheinbar geheilt, rezidivierte und
starb aber nach mehreren Jahren, io denen er als Lehrer vollarbeits¬
fähig war. Von 6 weit vorgeschrittenen Bauchfällen starben 5, einer
wurde geheilt. ..... lftot
Deaver und Sweet sowie Judd behandeln (J. Am. Med. Ass. 1921
Nr. 3) die Entstehung von Entzündungen in nnd um das Pankreas;
beide Arbeiten kommen zu dem Schluß, daß eine chronische Pankreatitis
als eine Lymphangitis aufgefaßt werden muß, die ihren Ursprung fast
immer von einem Herde in der Gallenblase nimmt und durch Be¬
seitigung dieses Herdes geheilt werden kann. Miller (J. Am. Med.
Ass. 1921 Nr. 24) bespricht den Einfluß der Abstinenz-Gesetzgebung in
Amerika auf die Entstehung der Leberzirrhose. 1910_ kamen in seinem
Krankenhause in Chicago unter 33232 Fällen 137 Fälle von Zirrhose
zur Beobachtung, diese Zahl erreichte 1916 mit 160 unter 31261 Fallen
ihren Höhepunkt und ging dann seit Einsetzen der antialkoholischen
Gesetzgebung ständig herunter, sodaß 1920 unter 27862 Kranken nur
noch 19 Zirrhotiker gefunden wurden. Namentlich ist zu bemerken,
daß Bier so gut wie gar nicht mehr zu erhalten ist, während Schnaps
leichter, aber nur zu sehr hohen Preisen gekauft werden kann, viele
Leute, die sonst gerne trinken möchten, wagen dies nicht, da sie
Angst vor Vergiftung mit minderwertigen Alkoholen haben.
J. Gonzälez-Campo de Cos, Abgang eines sehr großen Gallen¬
steins ohne Kolikanfall. Arch. espanoles de enfermedades del aparato
digestivo y de la nutriciön.4,1921, S. 385-394. Mit Hilfe derRontgeno-
graphie konnte die Anwesenheit und Lage des Konkrements in der
Leber festgestellt werden. Die Form des radiären Cholesterinsteines
war oval, hatte einen Durchmesser von 4,5 cm mal 2J> cm und 10 g
Gewicht. Er hat eine Perforation der Duodenalwand allmählich ver-
ursachtvmit Bluterbrechen und Darmokklusion.
O. Maraftön, Oie hypogenitale Hand. El Siglo mldico, 68, 1921,
S. 672—675. Vor einigen Jahren (1917) hat Maranön ein neues Sym¬
ptom, „die hypogenitale Hand“, beschrieben, das man in Fällen von
genitaler Insuffizienz beobachten kann. Die Beschreibung dieses Sym¬
ptoms gleicht der Beschreibung der Akrozyanosis (blaurote Färbung;
Kälte; Feuchtigkeit; Schwellung). Zuweilen findet man trophische
Störungen der Nägel. Man sieht sie fast immer nach der Pubertät (nur
ausnahmsweise bei Kindern oder Erwachsenen), bei Frauen öfter als
bei Männern. Die Akrozyanosis befällt fast immer die Hände, die
Füße ganz selten.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
110
LITERATURBERICHT
Nr. 3
Aimes und Jagues, Häufigkeit der Sakralisation des 5. Lenden¬
wirbels bei den andauernden schmerzen der Len denk reuzhüft-
gegend in 63 Fällen. Le Progrfcs M6dical. 1921 13. VIII. Man versteht
unter dem neuen Worte eine allzustarke Entwicklung der Querfortsätze
des 5. Lendenwirbels, die beinahe die Form und Größe der Seitenteile
des Kreuzbeins annehmen. Dies kann einseitig oder doppelseitig Vor¬
kommen, kann ohne klinische Zeichen oder mit solchen, von denen
der Schmerz der häufigste und hauptsächlichste ist, bestehen. Die
Verfasser haben nun 63 junge Leute, die über chronische Lumbal- und
Iliosakralschmerzen klagten, radiographisch untersucht, ln 25 Fällen
war der Befund negativ, 16 mal bestand eine reine und 21 mal eine
mit andern Veränderungen verbundene Sakralisation des 5. Lenden¬
wirbels. Die Sakralisation findet sich also häufig bei Leuten mit
chronischen Lendenschmerzen und sehr wahrscheinlich auch bei Per¬
sonen ohne Beschwerden. Die Mißbildungen des 5. Wirbels sind oft
recht gering. Man muß also genau untersuchen, ehe man die Be¬
schwerden' auf sie zurückführt. Ein Patient, der zuerst wegen Koxitis
und dann wegen Appendizitis behandelt worden war, verlor seine
Schmerzen sofort, nachdem ihm eine tiefe Novokaininjektion in das
Orificium lumbosacrale gemacht worden war, womit zugleich die
Sakralisation als Ursache des Schmerzes erwiesen war.
Haggard und Henderson (J. Am.Med. Ass. 1921 Nr. 14)glauben,
daß CO-Vergiftung heutzutage in Amerika eine der allerhäufigsten
Todesursachen ist. Sauerstoff ist ein sehr unbefriedigendes Heilmittel,
fügt man aber 8—10°/ o CO a hinzu, so tritt sehr rasche Wiederher¬
stellung der normalen Atemtätigkeit und Genesung ein. In allen
Kohlengruben, bei Feuerwehren usw. sollten Bomben mit diesem Gas¬
gemisch vorrätig gehalten werden.
Zur Behandlung kalter Abzesse empfiehlt Kijzer (Tijdschr. voor
Geneesk. 1921 [II] 2295) die Einspritzung von Lebertran. Nach dieser
Einspritzung entsteht schnelle Erweichung mit Bildung von rahmähn¬
lichem, sterilem Eiter. In der Untgebung des Abszesses entsteht eine
leichte Reaktion. Nach der anfänglichen Zunahme der Eiterbildung
wird die Menge Eiter bald kleiner und entsteht Bildung von Bindegewebe
und bald Heilung. Zur Röntgendiagnose kann man eine Emulsion
von Bismuth carb. in Lebertran verwenden.
Pousson, Die Hypertrophie der Prostata eine Allgemeinkrank-
heit. Le Bulletin Medical. Juli 1921. Wenn auch die Prostatahyper¬
trophie als ein adenomatöser, rein lokaler Vorgang beginnt, so führt
sie doch zu einer wirklichen Allgemeinkrankheit, die sich über die
Urogenitalspäre hinaus an die meisten Apparate erstreckt. Abgesehen
von der durch die Hypertrophie bedingten Urinretention mit sich an¬
schließenden Veränderungen von Blase und Nierenbecken, Nierensklerose
und Harnsäureretention hat sich gezeigt, daß das Extrakt der hyper¬
trophischen Prostata eine toxische und eine blutdruckbeeinflussende
Substanz enthält. Die Behandlung, die bloß darauf ausgeht, die Blasen¬
entleerungen zu sichern, läßt den toxischen Faktor bei der Krankheit
unberührt. Nur die Prostatektomie richtet sich gegen ihn und macht
die gute Allgemeinwirkung nach der Operation verständlich.
Ueber die Scb merz betä ubung bei der Gebart schreibt Schelle-
kens einen Aufsatz. (Tijdschr. voor Geneesk. 1921 (II) S. 2060). Er ist
kein Freund des Dämmerschlafes. In vielen Fällen ist die Anästhesie
ungenügend, und die Gefahren für das Kind sind ziemlich bedeutend.
Dagegen kann die Sakralanästhesie nützlich sein. Ein Vorteil ist, daß
die Muskeln des Beckenbodens auf diese Weise erschlaffen und daß
auch, da die Frau ruhiger ist, der Perinealschutz sich viel einfacher
gestaltet. Speziell in Fällen von Geburt bei Vaginismus ist die Sakral¬
anästhesie indiziert. Es gibt aber immerhin doch Fälle, wo die Sakral¬
anästhesie versagt.
Duncan (J. Am. Med. Ass. 1921 Nr. 13) berichtet über seine
Techoik der Radiambehandlong des Uteruskrebses. Von 128 inope¬
rablen Fällen sind 51 gestorben, 15 gebessert und 6 verschollen, 56
klinisch geheilt seit 1—4 Jahren. Von 72 Rezidivfällen sind 46 ge¬
storben, 9 gebessert, 4 verschollen und 17 seit 1—4 Jahren klinisch
geheilt. Von 15 operablen Fällen sind 2 gestorben und 13 seit 1 bis
4 Jahren klinisch geheilt. Von 10 postoperativ mit Radium behandelten
Fällen sind 6 gestorben und 4 klinisch gesund geblieben. In 2 Fällen
trat nach der Beseitigung des Uteruskrebses ein Rezidiv im Mastdarm
auf, sie wurden kolotomiert und danp mit Radium behandelt, beide
sind gesund geblieben. Bei 3 Fällen war wegen vermuteten Fibroms
eine supravaginale Amputation gemacht worden, die mikroskopische
Untersuchung ergab bis in den Zervix reichende karzinomatöse Ver¬
änderungen im Endometrium. Sie wurden sofort mit Radium behandelt
und sind gesund geblieben. Bei 2 Fällen wurde nach ausgedehnter
Ausbrennung des Krebses bestrahlt, 1 Fall gestorben, 1 geheilt. Ver¬
fasser glaubt, daß man auch sogenannte operable Zervixkrebse nicht
operieren, sondern möglichst frühzeitig mit Radium behandeln soll.
Schmitz (ibid.) berichtet über 168 Uteruskrebse, die er von 1914 bis
1919 mit Radium behandelte. Er empfiehlt, frühzeitig erkannte Fälle
zu operieren und zwar womöglich mit dem Glüheisen, Grenz- und
vorgeschrittene (inoperable) Fälle sind mit Radium und gleichzeitig
mit Röntgen zu bestrahlen. Das Radium wird in die Zervix einge¬
führt, die Röntgenstrahlen werden von der suprapubischen und den
Sakralgegcnden angewendet. Die tabellierten Erfolge sind gute.
Clark und Keene (ibid.) haben mehr als 400 Fälle von Uteruskrebs
mit Radium behandelt, auf Grund ihrer in genauen Tabellen nieder¬
gelegten Erfolge glauben sie, daß die Zeit nicht mehr fern oder schon
gekommen ist, wo man jeden Fall von Zervixkrebs bestrahlen und
nicht operieren wird. Die erste Anwendung des Radiums, wobei auch
Rn linmnndeln in die Pnrametrien eingestochen werden (vgl. d. lllnstrn
tionen), erfolgt n Narkose, der Schutz nicht durch Metallschilde,
sondern durch Oazetamponade. Eine Hysterektomie nach einer er¬
folgreichen Bestrahlung ist gefährlich. Funduskarzinome werden hy-
sterektomiert und 14 Tage später wird das Scheidengewölbe leicht
bestrahlt. Bestrahlung unmittelbar vor oder nach einer Operation
oder gar während der Operation ist gefährlich. Meist genügt eine
Bestrahlung. Das Auftreten von Fisteln kann durch sorgfältige Tam¬
ponade der Scheide fast sicher vermieden werden.
Hutinel und Nadal, Scbarlacbrückfllle. Archives de Mldecine
des Enfants 1921, 24, Nr. 8. Die Rückfälle von Scharlach hängen mit
einer Störung der Immunisation zusammen. Es waren immer nur
Patienten, die beim Neuausbruch des Scharlachs unter der Wirkung
anderweitiger Infektionen standen. Unter den 10 beobachteten Fällen
waren diese 6mal Eiterungen, wie infizierte Wunden, Appendizitis und
eiterige Pleuritis, 3mal Pneumonie und Imal eine frische schwere
rheumatische Perikarditis. Damit eine Eiterung den Rückfall ermög¬
liche, muß sie mit dem ersten Beginn der Krankheit zeitlich zusammen¬
fallen. Wenn dagegen ein gesundes Kind Scharlach bekommt und erst
lange Tage darauf oder in der Rekonvaleszenz von Otitis, Broncho¬
pneumonie, Drüsenvereiterung oder eitriger Pleuritis befallen wird, so
ist die Immunisation dadurch keineswegs gestört und es stellt sich
kein Rückfall ein. Die Prognose der Rückfälle ist nicht wesentlich
von den gewöhnlichen Fällen verschieden. Nur eines von den 10 Kin¬
dern ist gestorben.
Heß, McCann und Pappenheimer (Proc. Soc. for exper. Biol.
a. Med. Vol. 18 1921) glauben durch ihre Versuche bewiesen zu haben,
daß die von anderer Seite aufgestellte Aetiologie der Rachitis, wonach
dieselbe durch das Fehlen des fettlöslichen Vitamins A oder eines ihm
sehr nahestehenden Vitamins entsteht, nicht richtig ist. Junge Ratten,
die 3 bis 6 Monate lang mit einer Diät gefüttert wurden, der dies
Vitamin fehlte (was dadurch bewiesen wird, daß sie, nachdem sie
2 Monate diese Nahrung erhalten hatten, nicht mehr an Gewicht Zu¬
nahmen und daß die Gewichtszunahme rasch wieder eintrat durch
Zusatz von 6 °/ 0 Butter, und durch das durch den Vitaminmangel be¬
dingte Auftreten einer Keratomalazie, die mit Butterzusatz wieder ver¬
schwand), zeigten niemals makroskopisch oder mikroskopisch rachi¬
tische Symptome. Dieselben Autoren zusammen mit Zucker experi¬
mentierten mit verschiedenen Diäten, die erfahrungsgemäß Rachitis
bei Ratten hervorrufen; eine solche Diät besteht aus Mehl, Kochsalz,
Calcium lacticum und Eisenchlorid. Ersetzt man 0,4 des Kalziumsalzes
durch dieselbe Menge von basischem Kaliumphosphat, so erkranken
die Tiere wie an Rachitis. Der Schutz erfolgt durch das Phosphat
und nicht durch das Kalium, wie weiter festgestellt wurde. McCollum
(ibid.) in einer größeren, schwer zu referierenden Arbeit hat experi¬
mentell durch zahlreiche Fütterungsversuche mit verschiedenen Diäten
festgestellt, daß Butter nur eine sehr schwache antirachitische Wirkung
ausübt, während Lebertran ein außerordentlich wichtiges Mittel in der
Verhütung und Bekämpfung der Rachitis darstellt.
F. D. Bullock und Curtis (Proc. New York Path. Soc. Oktober-
Dezember 1920) haben gefunden, daß bei der Ratte das Sarkom der
Leber fast immer mit dem Cysticercus fasciolaris vergesellschaftet ist,
der Larve der bei der Katze vorkommenden Taenia crassicollis. Das
Sarkom entwickelt sich aus der Zystenwand. Die Autoren haben nun
1165 junge Ratten mit abgemessenen Mengen einer Eieremulsion dieser
Taenie infiziert, die man ihnen in den Pharynx brachte. 600 Tiere,
die sehr widerstandsfähig gegen die Infektion waren, wurden aus¬
geschieden, von den 565 übrigen Tieren waren 279 9 Monate noch
am Leben, als der erste Tumor bei ihnen auftrat. Während der
nächsten 6 Monate starben oder wurden getötet 230, von diesen zeigten
55 (29%) Tumorentwicklung, 49 sind noch unter Beobachtung. Die
Würfe dieser infizierten Tiere, 2500 an der Zahl in vier Generationen,
stehen auch noch unter Beobachtung, von der ersten Generation haben
bereits 30 Tumoren gezeigt bis Januar 1921, bis Mai 1921 traten
weitere 125 hinzu, sodaß bei 210 Ratten bisher ein Sarkom auftrat.
Es handelte sich um Spindel- (zuweilen polymorphe Zellen) Zell¬
sarkome, die in der Zystizerküswand entstanden, rasch in die Um¬
gebung einwucherten und ausgedehnte Metastasen bildeten. Sie ließen
sich durch mehrere Generationen weiter übertragen und hatten dann
natürlich nichts mehr mit dem Zystizerkus zu tun. Die Verfasser
glauben, daß es sich bei der Entstehung dieser Neoplasraen um
chronische Reizung des Zystizerkus handele, die durch längere Zeit
auf die empfängliche Bindegewebszelle der Ratte einwirke.
K. Kiyono, V. Sueyasu und H. Tsuje (Japan. Journal f. Bakte¬
riologie) erzeugten durch Verpflanzung erfolgreich bei Vogelembryonen
Tumoren, und zwar unter 9 Fällen 2 mal Karzinom, 5 mal Sarkom und
lmal Fibrom.
Sheldon (J. Am. Med. Ass. 1921 Nr. 9) berichtet über 4 eigene
Fälle von Tumorbildung des Ganglion Gasseri. Die Symptome sind
sehr verschiedenartiger Natur, Anästhesie kann vorhanden sein oder
das Gefühl kann völlig erhalten sein, mäßige Dissoziation von Schmerz
und Temperatur war in 2 Fällen vorhanden, Epitheliome des Naso-
pharynx können dasselbe Syndrom geben. Es können sehr bösartige
Epitheliome des Ganglion und mehr gutariige Gliome Vorkommen,
ein operierter Fall von Gliom ist seit 3V-3 Jahren gesund.
S na p pe r (Tijdschr.voorGeneesk. 1921. [II] S. 2284) hatte schon früher
gezeitigt, daß die Ausscheidung der Hippursäure bei der Schrumpfniere
gestört ist, wenn Stickstoffretention im Serum besteht. Er veröffentlicht
jetzt neue Versuche, woraus hervorgeht, daß eine Störung der Hippur¬
säureausscheidung erst dann auftritt, wenn die Nierenretention schon
ziemlich hochgradig (wenigstens 1 g pro Liter Serum) ist.
□ igitized by Gougle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
VEREINS- UND KONQRESSBERICHTE
Redigiert von Ober-Reg.-Med.-Rat Dr. O. Strauß.
.Berlin, Gesellschaft für Chirurgie, 14. XI. 1921.
Offizielles Protokoll.
Vorsitzender: Körte. Schriftführer: Kausch.
Hildebrand: Die operative Behandlung der Sehnervenatrophie bei
Tnrmschldel. Hildebrand bespricht die verschiedenen Theorien über
die Entstehung der Optikusatrophie bei Turmschädel und berichtet
im Anschluß daran über 6 Fälle, die er nach einer neuen Methode
operiert und damit gebessert hat. (Der Vortrag wird ausführlich ver¬
öffentlicht.
Besprechung. Oreeff: Wir Ophthalmologen haben das größte
Interesse an allen operativen Vorgängen, die sich gegen dieSehnerven-
leiden bei Schädeldeformationen richten. Es gibt nichts Traurigeres, als
diese so behafteten Kinder ohne Operation langsam, aber sicher blind
werden zu sehen. Nicht alle Kinder mit Turmschädel bekommen
Sehnervcnleiden, wenn diese aber einsetzen, so sind sie immer
t regressiv und führen, sich selbst überlassen, zu totaler Erblindung,
eider sieht man sehr selten die Anfänge des Leidens. Die Kinder
werden meist erst gebracht, wenn die Senstörung hochgradig ist, und
die Einwilligung zur Operation wird erst gegeben, wenn die Er¬
blindung nahe bevorsteht. So kommt es denn, daß die Resultate der
Operationen keine allzu glänzenden sind, denn einmal zugrundegegan¬
gene Sehnervenfasern stellen sich nicht wieder her. Aber wird den
Kindern nun ein Rest des Sehvermögens erhalten, so bedeutet das
schon viel; unter denjenigen, welche von ewiger Nacht umgeben
sind, ist derjenige, welcher nur noch Tag und Nacht unterscheiden
kann, König. Deshalb sind die von dem Vortragenden erzielten
Resultate, die ich meist wiederholt kontrolliert habe, recht beachtens¬
wert. Seine neue Operation hat ferner den Vorzug, daß sie einiger¬
maßen beiden Theorien gerecht wird, sie schafft Raum und ent¬
lastet den Sehnerven von der Umklammerung und Einschnürung.
Axhausen: Ueber die Folgeznstftnde epiphysärer Ernfihmngs-
raterbrechaog beim Menschen. Axhausen demonstriert in Mikro-
photogrammen das histologische Bild zweier Fälle von Koehlerscher
Erkrankung des 2. bzw. 3. Metatarsalköpfchens. Es geht daraus her¬
vor, daß die Grundlage der Erkrankung eine keilförmige Nekrose im
Bereich der überknorpelten Gelenkfläche bildet, an die sich örtlich
zum Teil Substitutions Vorgänge, zum Teil Abgrenzung^- (Dissektions-^
Vorgänge anschließen, während als Fernwirkung die experimentell
festgestellten gesetzmäßigen Folgeerscheinungen solcher Ernährungs-
Unterbrechungen, nämlich die Symptome der Arthritis deformans, in
die Erscheinung treten. Diese Falle sind in der Tat vollständige
Analoga der vom Vortragenden früher experimentell erzeugten Gelenk¬
zustände. Als Ursache der Keilnekresen der Metatarsalköpfchen ist
ein Trauma auszusehen. Es kann sich also nur um einen Gefä߬
verschluß mit nachfolgendem anämischen Infarkt handeln. Als Ursache
des Gefäßverschlusses nimmt Vortragender eine bakterielle Embolie
an, bei der die Bakterien nicht zur Entwicklung gelangt sind, sei
es infolge ihrer geringen Virulenz, sei es wegen der Wirksamkeit, der
antibakteriellen Schutzstoffe des Köipers. Den gleichen Vorgang
hat Vortragender schon früher zur Erklärung der Entstehung mancher
Formen der freien Gelenkkörper angenommen, und in der Tat
stimmt die Histologie der in Bildung begriffenen und der schon
gelösten freien Gelenkkörper mit den örtlichen Befunden bei den
demonstrierten Fällen von Koehlerscher Krankheit völlig überein.
Vortragender weist ferner auf die überraschende röntgenologische
Uebereinstimmung der Koehlerschen Krankheit mit der Perthesschen
Krankheit des Hüftgelenks hin und spricht die Vermutung aus, daß
auch hier der gleidie Vorgang als Ursache aller weiteren Folge¬
erscheinungen auftreten könne. Die Uebereinstimmung der Befunde
wird an einer Reihe von Röntgenogrammen demonstriert. Zum Schluß
bespricht Vortragender den Zusammenhang zwischen der Perthes¬
schen Krankheit und der Arthritis deformans auf Grund der von ihm
vertretenen Anschauung über die Aetiologie der Arthritis deformans
überhaupt.
Besprechung. Hildebrand hebt die Bedeutung dieser Unter¬
suchungen Axhausens für die Erklärung einer Reihe von Erschei¬
nungen hervor, die bis jetzt keine gültige Erklärung gefunden haben,
und erwähnt Experimente, die er als Assistent Königs zur traumati¬
schen Erzeugung von Gelenkkörpern angestellt hat, ohne freie Gelenk¬
körper zu erhalten.
Lotsch: Einfluß der Röntgemnilzbestrahluiig auf die Zeit der Blut¬
gerinnung. Lotsch bespricht auf Grund von 37 eigenen Untersuchungen
die Wirkung der Röntgenreizbestrahlung der Milz auf den Ablauf
der Blutgerinnung. Die von Stephan angegebene Methode ist von
lura.cz für die prophylaktische Erhöhung der Blutgerinnung bei
Operationen wegen der angeblichen glänzenden Erfolge begeistert
propagiert worden. Die Nachuntersucher waren wenig zufrieden.
Die* 37 Beobachtungen betrafen zumeist Kranke, bei denen eine Be¬
schleunigung der Blutgerinnung von praktischem Nutzen gewesen
wäre Es wurde % Hauteinheitsdose am Nachmittag vor der
Ooeration auf die Milzgegend verabfolgt und etwa 15 Stunden später
onCTiert Die Blutgerinnungszeit wurde nach der Fonioschen Methode
vorder Bestrahlung und vor der Operation bestimmt, gleichzeitig
dte Blutungzeit mit der Ohrläppchenstichmethode. Praktisdi von
Belang ist nur eine Beeinflussung der Qerinnungszeit von mindestens
20%. Von den 37 Fällen zeigten 23 = 62% die geforderte Beein¬
flussung von 20%. 11 in günstigem und 12 in ungünstigem Sinne.
Dieses merkwürdige Verhältnis von zur Hälfte günstig und zur
Hälfte ungünstig beeinflußten Fällen bleibt bei den verschiedenen
Prozentstufen fast stets das gleiche. 10 Fälle zeigten vor der
Bestrahlung eine erhebliche Verzögerung der Blutgerinnung. Bei
diesen war eine Beschleunigung der Germnungszeit wünschenswert.
Interessanterweise sind außer 3 praktisch unbeeinflußten die übrig¬
bleibenden 7 Fälle günstig, und zwar um mindestens 20% beeinflußt,
5 über 40%, 3 sogar über 60%. Der von Stephan als besonders
wichtig hervorgehobene Beschleunigungsfaktor wurde nicht berück¬
sichtigt. Der Einfluß der Milzbestrahlung auf den Ablauf der Blut¬
gerinnung scheint nach den mitgeteilten Untersuchungen m einer
positiven und darauf folgenden negativen Phase sich bemerkbar zu
machen, der zeitliche Ablauf bei den einzelnen Individuen in vor¬
läufig noch nicht festgestellter Weise zu schwanken. Die bestechend
einfache Methodik von Juracz bedarf der Korrektur. Möglicher¬
weise wird es gelingen, auf Grund besserer Einsicht in den Ablauf
der Blutgerinnung mit der Milzröntgenbestrahlung auch prophylaktisch
praktisch brauchbare Resultate zu erzielen.
Siedamgrotzky.a) Symphysen e r reißang durch Zangenentbiodaog.
Danach dauernde Inkontinenz. Zweimalige Operation an der Harn¬
röhre und zweimalige Raffung des Sphinkters zur Beseitigung der
Inkontinenz ohne Erfolg. Breit klaffende Symphyse, die durch Gürtel¬
verbände zunächst einander genähert wird. Dann Operation. Nach
Zurückpräparieren der Narben Zurückdrücken der ganzen Weich¬
teile. Zurückhalten derselben durch Periost-Knochenspan aus der
Tibia, der hinter die beiden Symphysenenden geschoben wird. Lane-
Schiene zur Annäherung der Sympnysenenden. Jetzt seit 5 Monaten
voller Erfolg, trotzdem die Lanesche Schiene ausgerissen und im
Röntgenbild eine knöcherne Verbindung durch Knochenspan nicht
zu sehen ist. Offenbar hat das Zurückdrängen und die Verhinderung
eines erneuten Anwachsens der Weichteiie an die bei Belastung
sich gegeneinander verschiebenden Symphysenenden genügt, um die
Sphinxterfunktion wieder voll wirken zu lassen, b) Große Blutzyste
neben der linken Niere, als Tumor imponierend bei normalem Befund
bei Ureterenkatheterismus. Abweichend von dem durch Seidel
auf dem Chirurgen-Kongreß 1914 genau geschilderten Verlauf —
plötzliche Anämie usw. — hier keinerlei Anzeichen einer Blutung.
Von der Patientin wurde nur ein langsam wachsender Tumor in der
linken Oberbauchgegend gefühlt, öffenbar langsame, schubweise
erfolgende Blutung ohne Schmerzen oder sonstige Erscheinung,
c) Riesenhafter Naevus pigmentosus, der 3 / 4 des Rumpfes einnimmt,
und zahllose kleinere Naevi über Extremitäten und Gesicht ver¬
breitet.- Patient suchte vor 6 Wochen wegen eines geringen
anderen Leidens die Poliklinik auf, war völlig frei von Drüsen. Seit
3 Wodien bemerkt er wachsende Drüsen in der rechten Achselhöhle.
Offenbar ist eine noch nicht festzustellende Partie des Naevus maligne
entartet. Prognose daher sehr ungünstig. Röntgenbestrahlung ist
versucht. Für das Zustandekommen der Naevi reicht keine der vor¬
handenen Theorien aus, die wahrscheinlichste Theorie (Meirowskis)
der keimplasmatischen Anlage findet hier keine Stütze. Dem Patien¬
ten ist nichts davon bekannt, daß in seiner Aszendenz etwas Aehn-
liches gewesen sei. Er selbst ist verheiratet und hat ein Kind ohne
Naevus.
Berlin, Verein für Innere Medizin und Kinderheilkunde
(Pädiatrische Sektion), 14. XI. 1921.
Offizielles ProtokoU.
Vorsitzender: Cassel. Schriftführer: L. F. Meyer.
Ernst Wolff über Beschneidungstuberkulose und ihre Behänd-
luog mit Röntgenstrahlen. Im Kaiser und Kaiserin Friedrich-Kinder¬
krankenhaus kamen 2 Säuglinge im Alter von 3 Monaten zur Auf¬
nahme, bei denen sich im Anschluß an die rituelle Beschneidung
mit Aussaugen der Wunde ein Geschwür am Penis und’Leistendrüsen¬
tumoren gebildet hatten. Nach anfänglicher, erfolgloser antiluischer
Behandlung wurde auf Grund des positiven Ausfalls der Pirquetschen
Reaktion und des mikroskopischen Nachweises von tuberkulösem
Granulationsgewebe im Präputium die Diagnose Tuberkulose gestellt
und mit Röntgen bestrahlt. In beiden Fällen kam es zur eitrigen
Einschmelzung der Leistendrüsen. Der eine Säugling erkrankte an
einer Oberschenkelphlegmone im Anschluß an die Leistendrüsen-
fistelii und erlag im Alter von 8 Monaten einer unspezifischen
Bronchopneumonie. Der andere Knabe mit einem ursprünglich stark
progredienten Ulkus wurde geheilt, nachdem auch die Lymphdrüsen
am Darmbeinkamm sich stark vergrößert hatten und Hauttuberkulide
aufgetreten waren. Wolff hat 58 Fälle von Beschneidungstuberkulose
zusammengestellt. Die Prognose des Leidens ist bedeutend besser
als für Säuglinge des ersten Halbjahres, welche an Inhalations¬
tuberkulose erkrankt sind. Die Zahlen der Ueberlebenden verhalten
sich wie 37 zu 14—16o/ 0 . Die Hälfte der Todesfälle im ersten Jahr
ist nicht durch tuberkulöse Erkrankungen, sondern durch Sekundär¬
infektion der Leistendrüsenfisteln verursacht, ln den Fällen mit
guter Prognose kommen die Leistendrüsen stets zum eitrigen Durch-
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
112
VEREINS- UND KONGRESSBERICHTE
Nr. 3
bruch. Als rationelle Therapie wird vorgeschlagen, außer einer energi¬
schen Bestrahlung von Leistendrüsen und Penis im Falle der eitrigen
Drüseneinschmelzung nur zu punktieren und die Abszesse mit Jodo¬
formglyzerin zu füllen, anstatt, dem Rat der meisten Autoren folgend,
chirurgisch vorzugehen.
Karger: Demonstration eines Falles von Dermatomyositis. Die
Erkrankung ist selten, aber wohl häufiger, als sie diagnostisiert
wird. Ihr Wesen besteht in einer Myositis mit evtl. Blutungen in
die Muskeln sowie in Hauterscheinungen sehr verschiedener Art, von
erythemartigem Charakter bis zu Atrophien. Im Vordergründe des
klinischen Bildes stehen Bewegungsstörungen durch myogene Kon¬
trakturen sowie Druckschmerz der Muskeln bei Beanspruchung.
Oedeme über den erkrankten Muskelpartien können die Diagnose
weiter erschweren, doch ist ihre elektive Lokalisation und ihre an
gefrorenes Fleisch erinnernde Konsistenz auffallend. Die Hauterschei¬
nungen können im Gesicht ein Erysipel oder eine Sklerodermie
Vortäuschen. Die Behandlung hat sich gegen die Kontrakturen zu
richten, die Aetiologie ist unsicher, die Prognose ist zweifelhaft,
da die Kinder zu Infekten neigen und auch Herz und Zwerchfell
mitunter von dem myositischen Prozesse befallen werden.
Opitz (Breslau), Ueber moderne Diphtherieprophylaxe. (Vgl.
S. 87.
Besprechung. Eckert: Behring hatte die Absicht, mensch¬
liches Antitoxin mit seinen Toxin-Antitoxingemischen herzustellen
und durch Verwendung arteigenen Serums die Gefahren der Anaphy¬
laxie zu vermeiden. In Amerika war der Erfolg der Einführung der
aktiven Immunisierung 7 Todesfälle an Diphtherieintoxikation. Bei
Massenimpfungen verhielt sich das Publikum ablehnend. Die Be¬
schwerden müssen bei den Impfungen doch recht erhebliche ge¬
wesen sein.
Dunkel: Im Osten Berlins (Krankenhaus Friedrichshain) treibt
Braun seit 10 Jahren Diphtherieprophylaxe, und zwar nur durch
passive Immunisierung, d. h. die Angehörigen einer an Diphtherie
erkrankten Person werden möglichst am Tage der Einlieferung des
Patienten mit 600 I.E. gespritzt. Brauns Erfolge in der Diphtherie¬
bekämpfung des volkreichen Ostens Berlins haben den Wert der
passiven Immunisierung bewiesen, sein Material beträgt in 10 Jahren
rund 10 000 prophylaktisch gespritzte Personen. Wenn man bedenkt,
d.*ß nach der Angabe von Opitz selber die aktive Prophylaxe mit
Behring-Toxin-Antitoxin 1. bei Säuglingen sehr schlecht wirkt, 2. nicht
in allen Fällen wirksam ist (Opitz 20—40<>o Versager, amerikanische
Arbeiten sogar 75o/oj, 3. zum Teil erst nach mehreren Injektionen wirk¬
sam wird, 4. mit Sicherheit nur 1 Jahr vorhält, dann bleibt doch
ein gewaltiger Prozentsatz, wo der eigentliche Zweck der Prophy¬
laxe gänzlich verfehlt ist. Diphtherieprophylaxe treiben heißt, die
gefähmete Person unverzüglich zu schützen, bzw. wenn sie schon
unerkannt infiziert ist, sie der Frühbehandlung zuzuführen, die doch
einen Angelpunkt in der Bekämpfung der Diphtherie überhaupt bildet.
In diesem Sinne sind wir im Krankenhaus Friedrichshain bei der
passiven Prophylaxe geblieben und sehen Versuche, durch Toxin-
Antitoxin in der Prophylaxe neue Wege zu beschreiten, als die augen¬
blicklich rationellste Diphtheriebekämpfung gefährdend an. Braun
hat bis heute fortlaufend, etwa 10 Jahre hindurch, über die Diphtherie¬
erkrankung der passiv-prophylaktisch gespritzten Personen sorgfäl¬
tige Erhebungen angestellt, «r konnte unter diesen nur etwa V 2 —1%
spätere Diphtherieerkrankungen feststellen, eine Zahl, die, verglichen
mit den 4, 60/0 an Diphtherie Erkrankten nach aktiver Immunisierung
(Opitz' Errechnung), noch überlegen ist. Natürlich führen wir
diese geringe Zahl an Diphtherieerkrankungen passiv Immunisierter
nicht auf eine Dauerwirkung der passiven Immunisierung zurück, die
bekanntlich nur auf 3 —4 Wochen geschätzt wird, sondern darauf, daß
praktisch die Infektion in der Familie in diese kritischen 3—4 fällt.
Opitz (Schlußwort): Gegenüber den Angaben Eckerts, daß
es gar nicht im Sinne Behrings gelegen hätte, mit seiner Vakzine
eine aktive Immunisierung zum direkten Schutz vor einer Erkrankung
zu erzielen, sondern daß nur die Gewinnung hochwertigen Menschen¬
serums zur passiven Immunisierung mit homogenen Schutzstoffen
beabsichtigt worden wäre, möchte ich feststellen, daß Behring
doch eine generelle Immunisierung nach Art der Jennerschen Pocken¬
impfung anstrebte, wie aus seinen letzten größeren Arbeiten über
Diphtheriebekämpfung hervorgeht. Nicht alle von Amerika mitge-
teilten Statistiken über Immunisierungserfolge sind so bedeutungslos,
wie es Eckert hinstellt. Es liegen doch tatsächlich von dort wie
auch von Holland durchaus brauchbare, sich auf ein großes Zahlen¬
material stützende Arbeiten vor. — Soweit ich mich erinnere, habe
ich nicht gesagt, daß die Loewensteinsehen Impfgemische trotz
siebenjähriger Verwahrung unverändert waren, sondern ich habe
mich dahin geäußert, daß sie sich als noch wirksam erwiesen.
Gerade Loewenstein hat ja gezeigt, daß unterneutralisierte Prä¬
parate im Laufe der Zeit toxischer geworden waren, und daß aus¬
geglichene Gemische einen Toxinüberschuß erkennen ließen. — Das
durch die Impfung mit unterneutralisierten Präparaten mitunter aus¬
gelöste Fieber kann 40° und darüber betragen, aber diese unerwünsch¬
ten Toxinwirkungen werden ja eben durch übemeutralisierte Gemische
vermieden. — Wenn Dunkel schließlich erklärt, daß Braun bei
passiver Immunisierung in sechsjähriger Beobachtung eine Morbidität
von nur 1 / 2 °/° fand, aoer zugibt, daß der Schutz nur 3—4 Wochen
anhält, dann kann diese geringe Erkrankungsziffer eben nicht auf die
einmalige Injektion heterogener Antikörper zurückgeführt werden.
Berlin, Laryngologische Gesellschaft, 16. XII. 1921.
Vor der Tagesordnung. West: Ein Fall eines vor 2 Jahren
total exstirpierten Tränensacks. Tränenwege gut durchspülbar, keine
Verwachsungen.
Halle: Gaumenplastik. 2 Fälle von Gaumenplastik, bei welchen
Halle statt seitlicher Schnitte in der Medianlinie einen Schnitt
anlegte. Bei der Vernähung wird die Uvula etwas höher gegen
den Gaumenbogen gedrängt. Der therapeutische Erfolg war auch,
was die Sprache anbelangt, ausgezeichnet.
Minnigcrode: Ein Fall von Stirobeiosyphilis mit Sequester
bildung.
Seiffert: a) Großer periösophagealer Abszeß nach Fremdkörper.
Patient kam, nachdem bereits durch einen Arzt eine Fischgräte ent¬
fernt worden war, mit hoher Temperatursteigerung in Behandlung.
Röntgenologisch war eine Vorwolbung im Hypopharynx festzustellen.
Röntgenologisch ergab sich ein lufthaltiger Raum hinter der Pharynx¬
wand. Nach 8 Tagen unverminderter Schmerzen wurde der Abszeß
von außen eröffnet. Nach einigen Tagen Pneumothorax und Exitus
letalis. Seiffert rät, bei Verdacht eines retropharyngealen Abszesses
möglichst schnell von außen zu eröffnen, welches Prinzip er auch
an einem 2 . Fall bald darauf mit Erfolg anwenden konnte, b) Stirn-
höhleneiterung, Osteomyelitis und Stirohiroabszeß. Der demonstrierte
Fall begann mit Stirnkopfschmerzen und später Schwellung in der
Stirnhöhlengegend. Nach Eröffnung und Spaltung der Dura: 7 Ab¬
szesse im Stirnhirn. Augenhintergrund: Stauungspapille. Ein ziem¬
lich erheblicher Hirnprolaps geht jetzt allmählich zurück; Augen¬
hintergrund wieder normal.
Besprechung. Blumenthal hält die Durchspülbarkeit des
Tränenweges nicht beweisend für die Ausheilung der Tränensack¬
eiterung.
Salomon berichtet über multiple gangränöse Abszeßbildung der
Epiglottis und des lk. Aryknorpels.
Halle sieht in der verbesserten Westschen Operation keinen
Vorteil.
Blumenthal empfiehlt, bei der Freilegung möglichst hoch
hinaufzugehen.
Sturmann: Ein Krankheitsbild, bei welchem das Gesicht einen
affenartigen Ausdruck bekommt. Exitus letalis an interkurrenter Krank¬
heit. Sektion ergab: 2 riesige Knochenblasen der mittleren Nasen¬
muschel, welche zur Hinauswölbung der Nasenwurzel, Auswärts-
drängung der Augen, Amaurose und Anosmie geführt haben.
Blitz: Fibrom der linken Plica aryepiglottica. L. Joseph.
Königsberg i. Pr., Verein für wissenschaftliche Heilkunde,
7. XI. 1921.
Offizielles Protokoll.
Vorsitzender: Winter. Schriftführer: Schütze.
Kirschner: Operativ gebellte Blasenspalte. Bei dem 13jährigen
Knaben wurde zur Beseitigung der Blasenspalte folgende Operation
ausgeführt: 1. Akt: Laparotomie durch linkseitigen Pararektalschnitt,
Durchtrennung der Flexura sigmoidea, blinder Verschluß beider Oeff-
nungen, Mobilisierung des zuführenden Darmschenkels, Ablösung des
Rektums vom Kreuzbein. Durch 2. Operationsgruppe Whiteheadsche
Operation im Bereich der halben hinteren Zirkumferenz unter sorg¬
fältigster Schonung und Abschiebung des Sphinkters, sodaß von unten
her das Wundbett von oben ausgeführten Rektumablösung erreicht
wurde. Durchziehen des zuführenden Endes der Flexura sigmoidea
bis vor den After. Schluß der Bauchdecken. Nach einem Tage
Eröffnung des vor den After gelagerten Sigmoids. In den nächsten
Wochen gründliche Spülung des Rektums mit antiseptischen Flüssig¬
keiten. 2. Akt. Umschneidung der Blasenschleimhaut, Auslösung der
Ureteren im Zusammenhänge mit dem Trigonum, Einpflanzung des
Trigonums in die seitlich eröffnete Rektalwand, Schluß der Bauchhöhle.
— Der Kranke ist sowohl für Urin, wie für Stuhlgang vollkommen
kontinent. Er hält sich auch nachts vollständig sauber. Er muß alle
2—3 Stunden Urin entleeren. Der Urin ist klar. Ob später eine
Infektion der aus dem Rektum neu gebildeten Blase eintritt, läßt
sich nicht Voraussagen. Gegenwärtig ist das Operationsresultat jeden¬
falls ideal.
Schubert stellt einen Kranken vor, bei dem es im Verlauf weniger
Stunden zu einem völligen thrombotischen Verschluß der Vena sub¬
clavia gekommen war; eine andere Ursache für den Verschluß konnte
nicht aufgefunden werden; ein Herzfehler lag nicht vor, dagegen be¬
stand seit 15 Jahren chronische Nephritis.
Benthin: Künstliche Scheidenbildnng. Benthin hat bereits im
vorigen Jahre einen Fall von künstlicher Scheidenbildung operiert
nach der Methode Baldwin-Mori. Heute stellt er einen Fall
vor, der nach Schubertscher Methode operiert wurde. Es handelt
sich um ein 22 jähriges Mädchen, das, sehr wohl gebaut, alle sekun¬
dären Geschlechtsmerkmale aufwies. Auch der Introitus war wohl-
ebildet. Gleich hinter dem Introitus bestand ein Verschluß der
cheide. Von einem Uterus war nichts zu fühlen. Man palpierte nur
zwei von der Mittellinie ausgehende, zur Beckenwand ausstrahlende
Stränge. Die Ovarien waren beiderseits als bohnengroße Gebilde zu
fühlen. Libido und Voluptas waren in vollem Umfange vorhanden
Die Operation selbst gestaltete sich programmäßig. Der untere
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
19. Januar 1922
VEREINS- UND KONGRESSBERICHTE
113
TeH des Rektums, der zur Scheidenbildung benutzt wurde, ließ
sich mühelos in die künstlich geschaffene Scheidenöffnung hinein¬
ziehen. Ebenso ließ sich der obere Teil des Rektums bzw. Sigmoi-
deums in den After hinunterziehen. Die Rekonvaleszenz war an¬
fangs fieberhaft, der Zustand jedoch nie besorgniserregend. Die
Sakralwunde schloß sich allmählich. Der augenblickliche Befund ist
folgender: Dicht hinter dem Introitus gelangt man durch eine für
den Finger durchgängige Oeffnung in einen geräumigen, gut zeige¬
fingerlangen Schlauch. An der Grenze des Introitus zu dem ein¬
genähten Darmstück fühlt man eine Fistelöffnung, die mit dem
Rektum kommuniziert. Es wird bemerkt, daß Patientin Stuhl und
Winde ohne Mühe zurückhalten kann. Der Sphinkter ist vollkommen
funktionsfähig. Ein Abgang von Stuhl nach außen durch die Fistel¬
öffnung wird nicht bemerkt; nur bei hartem Stuhl wird etwas Stuhl
durchgepreßt in die künstliche Vagina hinein. Es steht zu hoffen,
daß die Fistel sich weiter spontan schließen wird. Der noch etwas
enge Scheideueingang soll späterhin durch eine kleine Nachoperation
erweitert werden.
Besprechung. Kirschner empfiehlt, den 1. Akt der Ope¬
ration per laparotomiam vorzunehmen in ähnlicher Weise, wie
er es soeben beschrieben hat zur operativen Heilung der Blasen¬
spalte. — E. Schroeder macht darauf aufmerksam, daß nach den
neuesten Veröffentlichungen es bei Verwendung des Dünndarms zu
künstlicher Scheidenbildung gelegentlich zu Spätileus kommen kann,
indem sich eine Darmschlinge hinter dem. angespannten Mesenterium
des ausgeschalteten Darmstückes verfängt. — Müller fragt, ob
nach der Heilung irgendeine schwerere Schädigung des Reflex-
mechanismus des Afters beobachtet ist; wenn eine solche etwa regel¬
mäßig auftrete, würde sie geeignet sein, das Schubertsche Ver¬
fahren zu diskreditieren. — Benthin (Schlußwort): Die Anregung
von Kischner, die Operation übersichtlicher zu gestalten, dadurch,
daß man erst abdominal vorgeht, ist sehr beachtenswert. Benthin
hat auch den Eindruck, daß das abdominale Vorgehen im allgemeinen
trotz größerer Gefahr sich einfacher gestaltet. Müller kann ich
nur bitten, die anwesende Patientin selbst zu fragen. Sie ist tat¬
sächlich kontinent.
Winter: Weibliche Kriegsopfer io Ostpreußen. (VgL Nr. 2 S. 64.)
Besprechung. Benthin: Auf eine Erkrankung, die in der
Nachkriegszeit besonders an Häufigkeit zugenommen hat, möchte
ich hinvveisen, auf die Peritonitis. Ihre Zahl hat sich mehr als
verfünffacht. Es hängt dies mit der Zunahme der Aborte, speziell
der kriminellen, fieberhaften Aborte zusammen. Tatsächlich waren die
meisten Peritonitiden im Anschluß an kriminelle Abtreibungsversuche
entstanden. Wenn es auch gelingt, einen Teil dieser Frauen durch
rechtzeitige Operation zu retten, so ist der Ausfall an blühenden
Frauenleben doch im ganzen bedauerlich groß.
Jeßner senior: Die Feststellung der schnellen Steigerung der
Geschlechtskrankheiten nach Beendigung des Krieges entspricht den
nach allen Kriegen festgestellten Tatsachen. Auch ohne Revolution.
Darunter leiden stets die Besiegten wie die Sieger. — Die Statistik
der stetigen, rapiden Zunahme der Aborte ist besonders wichtig in
einer Zeit, in der für die gesetzliche Freigebung der Aborte die
lebhafteste Agitation im Gange ist. Auch unter Beteiligung von
Aerzten. Der Vortragende, der auf diesem Gebiete schon so nütz¬
liche Arbeit geleistet nat, würde gut tun, die Gegner dieser Agitation
zu sammeln, damit man den Reformbestrebungen, die als höchst
verderblich zu bezeichnen sind, energisch entgegentreten kann.
Scholtz: Zweifellos haben sich die Geschlechtskrankheiten auch
ui Ostpreußen seit dem Kriege außerordentlich vermehrt, aber vor¬
zugsweise doch in den kleinen Städten und auf dem flachen Laude,
(n Königsberg selbst konnten wir eine erhebliche Zunahme, nach
dem poliklinischen Material, nicht feststellen. Zweifellos sind auch
die Geschlechtskrankheiten unter den Frauen, besonders den Kriegs¬
frauen, sehr viel häufiger geworden. Aber nicht immer handelte es
sich hier um Kriegsopfer, denn vielfach sind die Frauen von anderer
Seite angesteckt ivorden und haben dann erst nachträglich ihren
Mann infiziert. Die Häufigkeit, mit ddr die Ehefrauen als Infek¬
tionsquelle angegeben wurde, hatte in den letzten Kriegsjahren außer¬
ordentlich zugenommen. Durch die Mutter sind dann auch nicht
selten die Kinder infiziert worden, auch in dieser Beziehung war
in der Poliklinik eine Zunahme der Erkrankungen nachweisbar.
Klieneberger: Daß die Zunahme der Geschlechtskrankheiten
nicht auf den durch den Krieg bedingten Geschlechtshunger, wie
Kollege Jeßner meint, sondern vielmehr auf die nach dem Krieg
und nocn mehr nach der Revolution einsetzende Demoralisierung
zurückzuführen ist, scheint mir nach den Erfahrungen unserer Klinik
vom psychiatrischen Standpunkt aus sicher. So haben wir in den
letzten 3 Jahren eine auffallende Zunahme der Psychopathen und
unter diesen wieder eine unverhältnismäßig starke Zunahme der
kriminellen Psychopathen beobachtet und, was für die angeschnittene
Frage ausschlaggebend ist, die Psychopathen kommen in weit jüngeren
Jahren als vor der Revolution zur Aufnahme. 16—20jährige Menschen
sind jetzt die Regel , die im Gegensatz zu früher nicht nur fast
ausnahmslos sich Bereits in jungen Jahren sexuell betätigt, sondern
auch mit 15 16, 17 Jahren sich schon sexuell infiziert haben; so
habe ich erst kürzlich über 3 noch nicht 20jährige Burschen' be¬
richtet die an einer ausgesprochenen Frühsyphilis des Zentralnerven¬
systems leiden. Alles Tatsachen, die früher ungemein selten, heute
aber keineswegs mehr ungewöhnlich sind, also durchaus im Sinne
der Demoralisierung sprechen.
Scholtz: Ueber die Wirkung intravenöser Traubenzuckerinjek¬
tionen auf die Haut und ihre Erkrankungen. (Vgl. d.W. 1921 Nr. 50 S. 1522.)
Besprechung. Borchardt: Die Beziehungen zwischen Osmo-
therapie und den übrigen Formen der leistungssteigernden Therapie
sind noch ungeklärt: man weiß noch nicht, ob die Osmotherapie
den übrigen Formen der Reiztherapie gleichwertig oder ob sie ihr
überlegen ist. Es wäre deshalb wünschenswert, wenn die mitge¬
teilten Resultate mit anderen leistungssteigernden Wirkungen ver¬
glichen werden könnten, da ein Urteil über die Wirkung leistungs¬
steigernder Methoden bei Hautkrankheiten leichter möglich ist als
bei anderen Krankheiten. Eine Ueberlegenheit der Osmotherapie
über die Eiweißtherapie müßte erst noch erwiesen werden.
Scholtz: Borchardt möchte ich erwidern, daß ich zwei
wirksame Faktoren bei den Traubenzuckerinjektionen unterscheiden
möchte, einmal den verstärkten Flüssigkeitsaustausch
zwischen Gewebe und. Blut, wodurch Medikamente, z. B. Salvarsan,
lebhafter zirkulieren und mit den Geweben in innige Berührung
kommen, zweitens eine anregende, leistungsteigernde
Wirkung auf die Zellen selbst. Letztere wird allerdings, meiner
Ansicht nach, wesentlich wieder durch die osmotischen Vorgänge
zwischen Gewebsflüssigkeit und Zellen bedingt; hierdurch werden
der Zelle selbst wahrscheinlich auch Medikamente in verstärktem
Maße zugeführt werden können. Jedenfalls hat sich uns, wie später
Dr. Steinberg berichten wird, Traubenzuckerinjektion zusammen
mit Salvarsan sehr bewährt, und ich möchte die Anregung geben,
auch bei anderen Infektionskrankheiten, z. B. Rekurrens, Malaria,
Gelenkrheumatismus, aber auch Tuberkulose, das spezifisch wir¬
kende Medikament (Salvarsan, Chinin, Salizylsäure,
Tuberkulin) in Verbindung mit Traubenzucker Injek¬
tion anzu wenden.
Hamburg, Aerztlicher Verein, 25. X. 1921.
Offizielles Protokoll.
Vorsitzender: Kümmell. Schriftführer: Roedelius.
A. Jakob: Anknüpfend an die KühIschen Ausführungen in der
vorigen Sitzung über günstige therapeutische Beeinflussung der Para¬
lysis agitans durch Ueberpflanzuug von tierischer Nebenschilddrüse,
weist Jakob darauf hin, daß man die Symptome durch zielbewußte
Uebungstherapie gelegentlich weitgehend bessern kann. Sodann wird
der heutige Stand der Paralysis agitans-Frage dahin präzisiert: Die
Lund borg sehe Theorie, wonach die Paralysis agitans als ein Hypo¬
parathyreoidismus aufzufassen und peripherisch-myogen lokalisiert ist,
kann durch entsprechende pathologisch-anatomische Befunde nicht
gestützt werden. Nach neueren Untersuchungen ist sie zurückzuführen
auf eine schwere Erkrankung des Striatums und Pallidums, histologisch
am meisten verwandt mit dem senilen Involutionsvorgange. Die
neuesten Untersuchungen erlauben uns bereits weitgehende Erklärun¬
gen über das Zustandekommen der einzelnen Symptome, insbesondere
des Tremors. Die Aetiologie ist noch ungeklärt. Die Histologie zeigt
Anklänge an den senilen Prozeß. Sie dürfte wie dieser wohl auch
als eine Rückbildungskrankheit aufzufassen und nicht so einseitig
mit der Dysfunktion einer endokrinen Drüse, der Parathyreoidea,
zu erklären sein.
Biemann: a) Ausgang eines früher besprochenen Falles von
chronischem intermittierenden Fieber. Klinisch damals trotz nicht
positiven mikroskopischen Befundes (chronische Lymphadenitis) einer
Halsdrüse (sonst Keine Drüsen palpabel gewesen) Hodgkin ange¬
nommen. Mehrere Monate später bei Autopsie typischer Hodgkin
festgestellt, b) Bericht über gute Ergebnisse der Diphthosan-Therapie
bei Dipbtheriebazillentr&ger. Diphthosan ist versüßtes Flavizid, das
zu den Akridiniumfarbstoffen gehört und hohe bakterizide Eigen¬
schaft besitzt. Behandlungsmethode mittels Berieselungsverfahren des
Nasenrachenraums nach Langer. 69°/o prompte, 15 o/o mittlere Resul¬
tate, 16 o/o Versager.
Paul Unna jr.: Vorstellung zweier typischer Fälle von Lepra:
al Lepra mixta. Ausgesprochene Leontiasis. Fleckenausschlag am
Rumpf: Lepride genannt. Allgemeine Drüsenschwellung. Ulnaris¬
lähmung. Ulnaris beiderseits als harter Strang fühlbar. Anästhesien
In den Hautinfiltraten und den ringförmigen Flecken mäßige Mengen
von Bazillen. Keine in der Nase. Patient verließ vor 20 Jahren
Brasilien. Erstes Auftreten der Krankheit in Form von rezidivierender
erysipelartiger Schwellung des Gesichtes (hyperplastische Form
der Lepra), b) Typischer Fall von Nervenlepra. Keine freien Bazillen
mehr. In der Nase, in der lepröse Veränderungen vorhanden sind,
waren früher stets Leprabazillen im Nasenschleim vorhanden. Starke
Mazies, allgemeiner Muskelschwund, Muskelatrophien besonders im
Ulnarisgebiet. Anschwellung der Nn. ulnares. Greifenhand. Beginnen¬
des Ulcus plantae pedis. Knochenprozesse? Anästhesien in Bändern
und Flecken für alle Sensibilitätsqualitäten. Nasenaffektion mit Septum¬
perforation. Vereinzelte braune anästhetische Flecke am Rumpf
und den Extremitäten. Patient kam vor U/s Jahren wegen eines
angeblichen syphilitischen, papulösen Ausschlages nach Europa. Die
Nervenerkrankung war damals noch .nicht entwickelt. Ermahnung,
in allen Fällen von roten oder braunen anästhetischeri Flecken bei
Ausländern an die Möglichkeit von Lepra zu denken.
Asbeck: Demonstration eines durch Operation gewonnenen Fibro*
myxosarkoms bei einem 50jährigen Mann, das retroperitoneal gelegen war.
Bon hoff: Demonstration eines 63jährigen Gärtners, bei dem er
vor 13 Tagen durch Sectio alta wegen völliger Urinverhaltung bei
□ igitized by Go gle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
VEREINS- UND KÖNORESSBERICHTE
Nr.
Prostatahypertrophic die einzeitige Prostatektomie mit völligem pri¬
mären Blasenschluß ausgeführt hat.
Fahr: 2 Fälle ungewöhnlicher Gefäßveränderunren im Gehirn.
Fahr berichtet über einen Fall von Status thymolymphaticus bei
einem drei Monate alten Kinde, das von Geburt an Lähmungserschei¬
nungen gezeigt hatte und bei dem die mikroskopische Untersuchung
des Gehirns neben den häufiger beschriebenen kleinen Lymphozyten¬
anhäufungen Gefäßveränderungen im Sinne eines adventitiellen Oedems
und perivaskulärer Infiltrate aufdeckte. Fahr sieht in dem Fall
eine Stütze für die Auffassung, daß es sich beim Status thymolymphati¬
cus vielfach nicht um ein selbständiges Krankheitsbiid, sondern um
das Symptom einer Intoxikation handelt. Weiterhin wird dann ein
Fall von progressiver Muskelatrophie bei einem 27jährigen Mädchen
besprochen, bei dem sich gleichfalls Gefäßveränderungen im Gehirn
naenweisen ließen. Sie saßen in der Gegend des Globus pallidus,
der sich mikroskopisch durch auffallende Blässe auszeichnete, und
präsentierten sich in Form starker Wandverdickung und Media¬
verkalkung in Verbindung mit schmalen adventitiellen Infiltraten.
Die Entwickelung einer Hypothese aus diesen Befunden von Gefä߬
veränderungen im Gehirn bei krankhaften Prozessen in der quer¬
gestreiften Muskulatur wird einstweilen abgelehnt.
Besprechung zum Kafka sehen Vortrag: Serodiagnostik der
Syphilis (vgl. 1921 Nr.49 S. 1512). E. Jacobsthal: Die im Jahre
1913 von mir aufgestellte Behauptung, daß eine positive Reaktion,
insbesondere mit der von mir angegebenen Verfeinerung der Wa.R.,
der „Kältemethode“, nur eine „Narbenreaktion“, also nicht der Aus¬
druck einer noch bestehenden syphilitischen Erkrankung sei, muß
ich jetzt zurücknehmen. Daraus ergibt sich die theoretische
Forderung, immer, wenn die verfeinerten Reaktionen positiv sind,
zu behandeln. Praktisch jedoch kann aus menschlichen und tech¬
nischen Gründen der Nachteil einer fortdauernden Behandlung größer
sein als ihr Nutzen. Einen wesentlichen Teil der Entdeckung
Wassermanns, nämlich des sogenannten „Wassermannsehen
Aggregats“, habe ich hier schon vor 10 Jahren mitgeteilt. Ich
berichtete damals davon, daß man durch Zusammenbringen von Ex¬
trakt -f- positivem Serum und nachfolgendes Zentrifugieren einen
Niederschlag erhält, der für sich stark positive Wa.R. gibt, während
die überstehende Flüssigkeit so gut wie keine Reaktion mehr gibt.
Diese Isolierung des Wassermannschen Reaktion sko r-
pers ist mir also zuerst gelungen, was die Literatur und
auch v. Wassermann zu erwähnen vergißt
A r n i n g bemerkt zu der sehr bestimmt ausgesprochenen
Behauptung Kafkas — daß nämlich die positive Reaktion immer
der Ausdruck der Anwesenheit noch virulenter Spirochäten sei —,
daß die Serologen uns den Beweis für diese Behauptung noch
schuldig sind und so lange schuldig bleiben werden, bis überhaupt
die Frage nach dem Wesen der Wa.R. geklärt ist. Arning.führt
als nicht in die Kafka sehe Auffassung passend z. B. den Umstand
an, daß man mitunter eher al9 durch das spirillozide Salvarsan ein
Negativwerden der Reaktion erreichen kann durch Jodkali, von dem
allgemein angenommen wird, daß es nicht spinllozid sei. Eine
neuere Arbeit von Sahm aus der Königsberger Klinik bringt zu
dieser Frage wichtiges Material. Was weiter die Forderung Kafkas
angeht, man müsse jeden noch positiv reagierenden Patienten bis
zum Negativwerden behandeln, so bezweifelt Arning, ob diese
vom grünen Tisch der Serologie aus gegebene Forderung in der
Praxis durchführbar sei und ob der Versuch immer zum Wohle des
Patienten beitragen dürfte. Auch diese Frage der Therapie sei
nicht zu entscheiden, bis die oben erwähnten Fragen gelöst seien.
Bis dahin müsse man unter genauer klinischer Beobachtung von Fall
zu Fall das therapeutische Verhalten abwägen und sich von anderen
konkomitierenden Faktoren gerade so gut leiten lassen, wie von dem
Ausfall der Wa.R.
Graetz: Die Schwierigkeit für die nosologische Be¬
wertung der Wa.R. beruht nach wie vor in der Unkennt¬
nis ihres tieferen Wesens. Es stehen immer noch die
Auffassungen hie Immunitätsreaktion — hie Symptom
der Syphilis einander gegenüber, letztere Auffassung
überwiegt und beherrscht das therapeutische Handeln.
Graetz kritisiert die neue, unter Mitwirkung des Reichsgesundheits¬
amts erlassene Einheitsvorschrift, die sich über Ergebnisse neuzeit¬
licher wissenschaftlicher Forschung hinwegsetzt, der wissenschaft¬
lichen Behandlung des Syphilisproblems hemmende Fesseln anlegt
und dabei doch dem Untersucher in einem sehr wesentlichen Punkte,
nämlich in der Temperaturfrage, eine Bewegungsfreiheit läßt, die
erfahrungsgemäß sehr häufig zu Widersprüchen in den Ergebnissen
führt. Das Serum Syphilisveiriächtiger bedarf häufig einer eingehenden
wissenschaftlichen Analyse. Dazu müssen eventuell die verschieden¬
sten Modifikationen der Wa.R., auch die aktiven Methoden, in geeig¬
neter Form herangezogen weiden, Sachs und Georgi, Mein icke,
die eine recht gute Beurteilung erfahren haben und auch von
Kafka als praktisch brauchbar befunden wurden. Ein Ersatz der
Wa.R. durch dieselben ist nicht zulässig, da keine vollständige Ueber-
einstimmung zwischen den verschiedenen biologischen Reaktionen
besteht. Möglicherweise gelingt es, durch Kombination die sero¬
logische Syphilisdiagnostik zu einer Höchstleistung zu bringen.
Schottmiüller: Es dürfte nur wenige in diesen Dingen er¬
fahrene Autoren geben, welche heute nicht der Ansicht sind, daß
eine einwandfrei ausgeführte Wa.R. in dem Sinne des Vortragenden
als unbedingter Beweis dafür anzusehen ist, daß bei dem betreffenden
Verantwortlicher Redakteur: Geh. San.-Rat Prof. Dr.]. Sch
Patienten noch irgendwo im Körper ein Spirocbätenncst, also
eine syphilitische Erkrankung, vorhanden ist. Ist dieser Stand¬
punkt aber gerechtfertigt, woran ich, wie gesagt, auch auf Grund aus¬
gedehnter eigener klinischer Erfahrung nicht zweifele, so muß der
betreffende Patient auch bei sonst negativ emOrganbefund
antisyphilitisch behandelt werden, und das um so mehr, je länger
die Infektion zurückliegt. Denn wir wissen ja, daß die Syphilis für
den Träger im Spätstadium gefährlicher ist als im Frühstadium und
daß gerade die lebensbedrohenden syphilitischen Organerkran¬
kungin, nämlich die des Zentralnervensystems und der Blutgefäße,
speziell der Aorta, vorzugsweise im zweiten Dezennium nach der
Infektion und später auftreten. Dazu kommt noch, daß syphilitische
Veränderungen an der Aorta in 50o/ o der Fälle (nach Fraenkel, in
82 o/o nach Stadler) gefunden werden und die Anfangsstadien der
Aortitis luica Krankheitserscheinungen leider überhaupt nicht oder
nur in so versteckter Form machen, daß sie nicht erkannt werden,
oft nicht erkannt werden können. Wie unter diesen Umständen
Umber zu dem Ausspruch kommen kann, eine positive Wa.R. bei
Fehlen sonstiger Krankheitserscheinungen sei belanglos und nichts
anderes als ein Schönheitsfehler, ist mir unbegreiflich. Den Einwen¬
dungen von Nonne, die Gefahren der Salvarsanbehandlung berech¬
tigten ihn, denselben Standpunkt einzunehmen, ist zunächst entgegen¬
zuhalten, wie häufig doch die Spätsyphilis an sich mit ernster
Lebensgefahr verknüpft ist und daß deshalb auch nicht ganz
indifferente Mittel erlaubt sind; und dann kann ich nur betonen, daß
ich bei der Salvarsanbehandlung, wie ich sie übe, wirklich unangenehme
Folgen unter tausenden Fällen nicht gesehen habe. Noch ein Wort
über den negativen Ausfall der Wa.R. bei sicherer oder zweifel¬
hafter Syphilis. Wenn irgendwie auch nur der Verdacht besteht,
daß Erscheinungen auf einer Aortitis luica beruhen könnten, muß
unter allen Umständen trotz negativem Ausfall der Wa.R. eine
antisyphilitische Behandlung eingeleitet werden.
Reye betont, daß man über die Wa.R .die klinischen Erschei¬
nungen nicht außerachtlassen dürfe. In den letzten Wochen sei er
bei 3 Fällen in der Diagnosenstellung durch den negativen Ausfall
der Wa.R. irregeführt. Klinisch sei wohl die Diagnose einer Gefäß-
bzw. Knochensyphilis erwogen, aber wegen der, auch mit den ver¬
feinerten Methoden ausgeführten, negativen Wa.R. fallen gelassen;
aus demselben Grunde sei auch von einer antisyphilitischen Behand¬
lung abgesehen. In allen 3 Fällen ergab die Sektion sichere Gefäß-
bzw. Knochensyphilis, in einem Falle mit schwerer Amyloidose
(Schinkenmilz).
Eug. Fraenkel: Als Narben auftretende syphilitische Verände¬
rungen in der Aorta können das negative Verhalten der Wa. R.
erklären, ebenso alte Knochenprozesse.
Delbanco: Es ist für den Praktiker gleichgültig, mit welchen
Methoden der Serologe zu dem Positiv oder Negativ gelangt. Mög¬
lichste Verfeinerung der Methoden, um die Abortivkur zu sichern.
Die Indikationen für die Abortivbchandlung der Syphilis können gar
nicht eng genug gefaßt werden. Es scheiden alle Fälle aus und
werden der Frühbehandlung zugeführt, welche während der Abortiv¬
behandlung die positive Schwankung oder auch nur die okkulte
Schwankung Zimmerns zeigen. Diese Schwankungen verlangen
die Verfeinerung der Methoden; für den Diagnostiker existiert die
Gefahr nicht, daß dadurch unspezifische Infektionen unrichtig be¬
urteilt werden (Ulcus molle). Von Schottmüller entferne er rieh
in der unbedingten Forderung, in jedem Falle die Beseitigung der
positiven Wa.R. anzustreben, so senr auch er die Gefahren für das
Herz und das Zentralnervensystem berücksichtige. Dazu wüßten
wir noch zu wenig von dem eigentlichen Wesen der Wa. R., wüßten
in dem einzelnen Falle auch nicht immer, wie der Liquor beschaffen
sei bei negativer Wa.R. Selbst der wütendste Polypragmatiker werde
das Rückenmark nur bei einer bestimmten Auswanl der Fälle punk¬
tieren. Vorausgesetzt, daß die positive Wa.R. stets ein Spirochäten¬
nest bedeute, so bleibt immerhin zu bedenken, daß der Organismus
zu ihm in ein biologisches Gleichgewicht kommen könne. Die wich¬
tigste serologische Forderung bleibt, endgültig zu entscheiden, ob
bei der Syphilis Antikörper gebildet werden oder nicht; der sichere
Nachweis von Antikörpern dürfte bei dem Stande unseres thera¬
peutischen Könnens umgestaltend auf unser therapeutisches Handeln
wirken.
Kafka: Eine Lösung der Frage, was die Wa.R. bedeutet, ist
noch nicht voll gelungen. Immerhin stimmen fast alle bisherigen
Theorien der Wa.R. darin überein, daß ihr Auftreten an die An¬
wesenheit von Spirochäten geknüpft ist. Daraus ist die strikte Folge¬
rung zu ziehen, zu behändem, wenn die Wa. R. positiv ist. Daß keine
salvarsanfesten Stämme durch die Behandlung hervorgerufen werden,
darauf muß bei der Art der Therapie Rücksicht genommen werden.
Natürlich wird es immer wieder Fälle geben, die hier eine Ausnahme
machen, aber auch die Prophylaxe, speziell für die des Z. N. S.,
fordere generell die Behandlung bei positiver Wa.R., desgleichen die
von Schottmüller geschilderten Fälle sowie viele andere klinische
Erfahrungen. Der Dermatologe braucht sich um technische Fragen
der Wa.R. nicht zu kümmern, soll aber über die Wirksamkeit der
empfindlicheren Methoden sich auf dem Laufenden halten und ihre Aus¬
führung vom Serologen fordern. Dadurch wird ein inniger Konnex
zwischen Serologen und Dermatologen geschaffen, und manche an¬
scheinenden Unstimmigkeiten der Resultate verschiedener Unter¬
suchungsdaten werden verschwinden.
walbe. — Druck von Oscar Brandstetter in Leipzig.
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
Deutsche Medizinische Wochenschrift
Begründet von Dr. Paul Börner
HERAUSOEBER: VERLAG*
Geh. San.-Rat Prof. Dr. Schwalbe GEORG THIEME/ LEIPZIG
Berlin-Charlottenburg, Schlüterstraße 53 Anton 9 traße 15
Nummer 4 Donnerstag, den 26. Januar 1922 48. Jahrgang
Aus der ‘Universitäts-Augenklinik in Breslau.
Zar Aetiologie und Behandlung der Netzhautablösung.
Von Prof. W. Ubthoff.
Der Aufforderung des Herausgebers dieser Wochenschrift, einen
kurzen Ueberblick über die Aetiologie und Behandlung der Netz¬
hautablösung auf Grund unserer gegenwärtigen Erfahrungen zu
geben, komme ich hiermit nach. Bei dem geringen zur Verfügung
stehenden Raum ist es natürlich nicht möglich, die umfangreiche
Literatur eingehend zu zitieren. Ich werde am Schluß einen kurzen
Hinweis auf die Arbeiten geben, wo eingehende Literaturverzeich¬
nisse zu finden sind. Auch werde ich die Ausführungen haupt¬
sächlich der Behandlung der Netzhautablösung widmen und auch
dabei die Pathogenese der Netzhautablösung geeigneten Ortes
streifen. Ich werde auch die verschiedenen Behandlungsweisen der
Netzhautablösung bei dem geringen zur Verfügung stehenden Raum
nur summarisch durchnehmen können und möchte mir schon ge¬
statten, meinen persönlichen Standpunkt auf Grund 6ehr umfang¬
reicher Erfahrungen dabei zu kennzeichnen.
In Betracht gezogen wird hierbei nur die sog. idiopathische Netz¬
hautablösung mit seröser subretinaler Flüssigkeit, und ausgeschlossen
ist die sekundäre Amotio retinae infolge von perforierenden Ver¬
letzungen mit Glaskörperveränderungen dzw. Schrumpfung, sonstigen
traumatischen Einflüssen, Nephritis, Orbitalprozessen, intraokularen
Tumoren, Zystizerken, eitrigen Prozessen usw. Letztere ist ja in
der Regel nur durch die anatomische Untersuchung aufzudecken
und kommt hier nicht in Betracht, da sie mit eitriger Chorioiditis
oder Retinitis und eitrigen Glaskörperveränderungen kompliziert ist,
welche gewöhnlich gar nicht die ophthalmoskopische Prognose der
Netzhautablösung intra vitam gestatten. Auch die seltenen Fälle von
subretinalen Blutergüssen mit Abhebung der Netzhaut kommen hier
nicht in Betracht.
A. Die Entstehung der Netzhautablösung ist
noch keineswegs nach allen Richtungen geklärt, aber das steht
fest, daß ein einheitlicher Vorgang nicht für alle Fälle gilt.
Zwei Möglichkeiten müssen entschieden angenommen werden:
1. eine primäre Exsudation oder Transsudation seröser oder serös¬
fibrinöser Flüssigkeit mit Abhebung der Netzhaut und 2. eine
Entstehung durch Schrumpfung neugebildeten zeitigen Oewebes
mit Glaskörperschrumpfung und sekundärer Ansammlung von
Flüssigkeit hinter der Netzhaut, sei es durch Uebertritt aus dem
zuvor verflüssigten oder abgelösten Glaskörper, sei es durch An¬
sammlung ex vacuo. Die letztere Theorie ist ja neben anderen Autoren
vor allem von Leber, Nordenson für viele Fälle verfochten und
mit außerordefitlicher Sorgfalt auf der Basis -ausgezeichneter ana¬
tomischer und experimenteller Arbeiten begründet worden. Sie gilt
zweifellos für zahlreiche Fälle, aber nicht für alle. Auch betont
Leber besonders, daß fibrilläre Degeneration und Schrumpfungs¬
prozesse im Glaskörper vorhanden sein können, ohne daß dessen
Durchsichtigkeit wesentlich beeinträchtigt zu sein braucht. Als Folge
einer derartigen Schrumpfung sieht Leber u. a. das Einreißen der
Retina durch Zug von innen her an, das wenigstens in der Hälfte
der Fälle ophthalmoskopisch bei Netzhautablösung nachgewiesen wer¬
den kann, ja wahrscheinlich noch öfters vorhanden ist, da es sich
bei sehr peripherischer Lage und in eingebuchteten Falten der ab¬
gelösten Retina der Beobachtung mit dem Augenspiegel entziehen
kann. Dagegen muß aber als feststehend angesehen werden, daß in
andern Fällen eine Ruptur der Retina fehlt, wie auch bei anatomischen
Serienuntersuchungen nachgewiesen werden kann. In einer ganzen
Anzahl von Fällen ist mit einem primären Exsudations- oder Trans-
sodationsprozeß aus der Aderhaut bei Netzhautablösung zu rechnen,
und auch der Einwand, es müßte dann eine Drucksteigerung ein-
trefen, auch die häufig mehr oder weniger plötzliche Entstehung
der Ablösung ließe sich nicht damit vereinbaren, kann als aus¬
schlaggebend gegen diese Entstehung meines Erachtens nicht ange¬
sehen werden. Als Typus der Entstehung einer Netzhautablösung
durch primäre Transsudation aus der Aderhaut muß die Netzhaut-
ahlösung bei Nephritis , gewöhnlich begleitet von Retinitis albumin¬
urica und allgemeinen Köiperödemen, angesehen werden, wo es
MbX«, durch Beseitigung der Oedeme auch die Netz-
RjutaMösung wieder zur Anlegung zu bringen.
Die Diffusionstheorie von Raehlmann ist für den Menschen
meines Erachtens von der Hand zu weisen, wenn es beim Tier auch
gelingt, durch Injektion stärkerprozentiger Kochsalzlösungen in den
Glaskörper Netzhautablösung hervorzurufen.
Eine unumstößliche Tatsache ist die Entstehung der Netzhaut¬
ablösung bei Myopie, besonders bei den höheren Graden dersel¬
ben; sie betrug nach meinem Material 61 o/o der Fälle. Alle Stati¬
stiken betonen diese Tatsache. Aber fehlerhaft wäre es, auf Grund
dieser Tatsache die Dehnungstheorie für die Entstehung der Netz¬
hautablösung anzuerkennen, indem bei der Ausdehnung des Bulbus
nach hinten die Retina sehnenartig sich straffte und dadurch ab¬
gelöst würde. Dagegen spricht die Tatsache, daß Netzhautablösung
auch nicht selten bei normal gebauten Augen vorkommt und daß
die Dehnbarkeit der Netzhaut keineswegs hinter derjenigen der üb¬
rigen Augenhäute zurücksteht.
Auch die Abhebung der Netzhaut als Folge von Glaskörper¬
abhebung im hintern Abschnitt des hochgradig myopischen Auges
(Iwanoff) läßt sich als bewiesen nicht ansehen. Es ist auch gar
keine Frage, daß die subretinale Flüssigkeit bei Netzhautablösung
häufig eine andere chemische Zusammensetzung hat als die Olas-
körperflüssigkeit und somit auch nicht immer durch einfachen Ueber¬
tritt der Glaskörperflüssigkeit durch eine Netzhautruptur hinter die
Retina ihren Grund haben kann.
B. Die Behandlung der Netzhautablösung besteht be¬
kanntlich in einer nicht operativen und einer solchen operativer
Natur; zu den operativen Eingriffen sollen auch die subkonjunktivalen
und die intrakapsulären Injektionen gerechnet werden. Ich kann
hier natürlich nicht auf die Geschichte und die Entwicklung der
einzelnen Behandlungsmethoden eingehen, sondern lediglich einen
kurzen Ueberblick auf Grund des bisher vorliegenden Beobachtungs¬
materials, besonders meines eigenen, geben.
I. Zu den friedlichen therapeutischen Maßnahmen
bei der Behandlung der Netzhautablösung gehören Ruhe¬
lage, Druckverband, Diaphorese, die Anwendung von Resorbentien
I (Jodkalium, Jodnatrium, Quecksilberkuren), subkutane Injektionen oder
j innerlicher Gebrauch von Organpräparaten (z. B. „Okulin“, einem
Extrakt aus dem Glasköiper und Ziliarkörper vom Ochsen), Abführ¬
kuren, Blutentziehungen (Heurteloup), Sinapismen, Kanthariden, Fu߬
bäder, Einträufelungen in den Konjunktivalsack (IK, Dionin).
Zu empfehlen ist jedenfalls in erster Linie bei frischer Netzhaut¬
ablösung ein leichter (nicht zu fest geschnürter) Druckverband
und Ruhelage des Patienten, gewöhnlich in Rückenlage, gelegent¬
lich auch, je nach dem Sitz der Ablösung, in aufrecht sitzender
Stellung. Ist die Netzhautablösung zuerst buckelförmig nach oben
lokalisiert, und das ist häufig der Fall, so läßt sich die allmähliche
Senkung der subretinalen Flüssigkeit in der R$gel doch nicht ver¬
hindern, und manche Autoren verzichten deshalb wohl auf die Ruhe¬
lage, ja empfehlen dem Patienten sogar, um herzugehen, weil sie
der Ansicht sind, daß ein nach unten gesenktes Exsudat für die
Behandlung bessere Angriffspunkte biete als bei einer Lokalisation
im oberen Abschnitt.
Jedenfalls sehe ich keinen Grund, den Druckverband in der Be¬
handlung von Netzhautablösung zu verwerfen, wie das von einigen
Autoren geschehen ist. Es ist richtig, daß ein Druckverband ge¬
legentlich längere Zeit vom Patienten nicht vertragen wird unter
Eintreten von Hypotonie, tiefer vorderer Kammer, leichten Faltungs¬
erscheinungen der Hofahaut, irdischer Reizung, Schmerzen usw. Das
ist aber im ganzen selten der Fall, und unter diesen Umständen ist
man dann gezwungen, den Verband fortzulassen. Seit Samelsohns
eindringlicher Empfehlung ist er fast Allgemeingut in der Behand¬
lung der Netzhautablösung und besonders im Anschluß an operative
Eingriffe geworden. Teils suchte man die günstige Wirkung des
Verbandes in einer Erhöhung des intraokularen Druckes durch An¬
pressen des etwas hypotonischen Bulbus bei Netzhautablösung an
den Orbitalinhalt, teils in einer die Resorption der subretinalen
Flüssigkeit befördernden Wirkung durch die leichte Kompression.
Die Heilungsstatistiken einzelner Autoren waren anfangs relativ
günstig, verschlechterten sich aber mit der Länge der Beobachtungs¬
zeit, ja Adamütz gibt sogar 31 o/o Heilungen an bei Beobachtungen
von über einem Jahr. Diese Resultate konnten von andern nicht bestätigt
werden, aber eine Anzahl dauernder Wiederanlegungen hat wohl
jeder erfahrene Ophthalmologe zu verzeichnen, jedenfalls verfüge
ich über solche Beobachtungen.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNÜVERSITV
110
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 4
Wessely sah schließlich eine Dauerheilung eintreten, nachdem
die Netzhautablösung mehrmals rezidiviert war, jedesmal, wenn der
Druck verband f ortgeiassen wurde. Jedenfalls halte ich den Druck¬
verband für ein wertvolles Hilfsmittel in der Behandlung der Netz¬
hautablösung. Heftpflasterverbände mit Aluminiumkapsel usw. schei¬
nen mir nicht so angebracht, weil sich die gleichmäßige Druck¬
wirkung nicht so gut kontrollieren läßt wie bei der Biijde.
ln zweiter Linie ist bei der friedlichen Behandlung der Netzhaut¬
ablösung die Diaphorese in Betracht zu ziehen, und zwar einer¬
seits durch innere Anwendung schweißtreibender Mittel und ander¬
seits mit Heibluftapparat, elektrischen Lichtbädern usw.
Ich möchte davor warnen, mit der Anwendung einer inneren
Medikation zur Hervorrufung einer starken Diaphorese zu forciert
vorzugehen. Man ist in dieser Hinsicht, z. B. mit subkutanen Pilo¬
karpininjektionen oder Anwendung von enormen Salizyldosen, bis
zu 50 g täglich, meines Erachtens zu weit gegangen, weil sie das
Allgemeinbefinden des Kranken zu sehr angreiten.
In der ersten Zeit, als man in einer serösen Chorioiditis am häu¬
figsten die Ursache der Netzhautablösung sah, wurden diaphoretische
und medikamentöse Kuren vielfach bevorzugt, mit einer Aenderung
in der Auflassung von dem Wesen der spontanen Netzhautablösung;
besonders seit dem Ausbau der Leber-Nordensonsehen Theorie,
in betreff einer primären Glaskörperdegeneration und Schrumpfung
als Vorstufe der Netzhautablösung, sind sie mehr und mehr in den
Hintergrund getreten und dürften tatsächlich nur noch eine relativ
geringe Bedeutung haben. Aber auch hier, wie bei allen andern
Behandlungsmethoden, sind einige günstige Fälle zu verzeichnen.
Die Frage einer syphilitischen Netzhautablösung und
ihrer Behandlung mit antispezifischen Kuren hat keine
wesentliche Bedeutung. Die Fälle sind jedenfalls sehr selten, und
ich erinnere mich aus eigener Erfahrung keines sicheren derartigen
Falles. Die Anwendung von Quecksilber- und Salvarsankuren ist
somit, wie ich glaube, bis auf ganz seltene Fälle* mit syphilitischer
Anamnese und schwereren sonstigen entzündlichen intraokularen und
chorioiditischen Veränderungen aus unserer Therapie zu streichen,
während der innerliche und subkutane Gebrauch von Jodpräparaten
zuweilen von Nutzen sein kann.
Die Anwendung sog. antiphlogistischer Maßnahmen (Blutent¬
ziehungen, Fußbäder, Kanthariden, Sinapismen, Haarseil usw.), dra¬
stische Abführkuren, die innerliche Anwendung von Organpräparaten
usw. haben keinen wesentlichen Nutzen zu verzeichnen und ebenso
nicht Einträufelungen in den Konjunktivalsack (IK, Dionin, Pilo¬
karpin, Eserin u. a.).
II. Die operative BehandlungderNetzhautablösung.
1. Die Punktion oder die Durchschneidung der abge¬
lösten Netzhaut. Systematisch- versuchte zuerst A. v. Graefe
die Anlegung der abgelösten Netzhaut dadurch zu fördern, daß er
die Durchschneidung der abgelösten Netzhaut voii vorn her durch
den Glaskörper mit einer Diszisionsnadel ausführte, indem er eine
Durchstoßung von hinten her durch den subretinalen Raum widerriet,
da hierdurch evtl, mechanisch eine weitere Ablösung gefördert wer¬
den könnte. Es wai* dabei die Absicht, eine freie Kommunikation
zwischen subretinalem Raum und Glaskörper zu schaffen, somit der
subretinalen Flüssigkeit einen Abfluß in den präretinalen Raum zu
ermöglichen und die Retina wieder zur Anlegung zu bringen. Wesent¬
liches wurde durch dies Verfahren, auch von A. v. Graefe selbst,
nicht erreicht. Von einigen Autoren wurde es direkt ungünstig be¬
urteilt, von einigen vereinzelte günstige Fälle berichtet. Von andern
wurden auch theoretische Bedenken (Fehlen eines gesteigerten
Druckes in der subretinalen Flüssigkeit, häufiges Flottieren der ab¬
gelösten Retina us>V.) gegen diese Anschauungen geltend gemacht.
Vor allem aber entzog der immer häufiger werdende Nachweis einer
Retinalruptur ohne Anlegungserscheinungen (Leber, Nordenson,
Sattler, Gonin u. a.) diesem Verfahren immer mehr den Boden,
und so wurde es schon in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts
fast ganz verlassen.
2. In zweiter Linie richtet sich das operative Verfahren gegen
die subretinale Flüssigkeit direkt, und zwar zunächst in der Form
der Skleralpunktion im Bereiche der Ablösung, sei es
durch eine Punktion mit dem schmalen Messer, seines durch multiple
feinere Einstiche mit der Diszissionsnadel oder durch Sderotomia
posterior mit Punktion und Kontrapunktion. Sichel führte zuerst
solche Punktionen aus, später Kittel, Arlt und viele andere. Be¬
sonders betonten Alfr. v. Graefe, v. Kries, Sattler u. a. dieses
Operationsverfahren. A. v. Graefe hatte seine Bedenken gegen
ein derartiges Verfahren, weil durch die Punktion der Sklera und
Entleerung der subretinalen Flüssigkeit der intraokulare Druck herab¬
gesetzt und dadurch die Tendenz zu vermehrter Transsudation sub-
retinaler Flüssigkeit gegeben sei. Die Resultate der verschiedenen
Autoren lauten verschieden, sind aber im ganzen sehr bescheiden,
und vor allem muß das sehr häufig auftretende Rezidiv der Ab¬
lösung betont werden, nachdem vorübergehend Wiederanlegung zu¬
standegekommen war. Wer hat nicht die Freude und gewöhnlich
auch die Enttäuschung seiner Patienten erlebt, wenn einem anfangs
glänzenden Resultat bald das Rezidiv folgte! Immerhin ist es ein
relativ harmloses Verfahren, durch welches eine direkte Verschlim¬
merung nicht hervorgerufen wird. Es ist dafür zu sorgen, daß die
Punktionsstelle subkonjunktival zu liegen kommt, was leicht durch
vorheriges Anziehen der Konjunktiva zu erreichen ist, wobei auch,
was ich für wünschenswert halte, die austretende Flüssigkeit nicht
direkt nach außen abfließt, sondern sich subkonjunktival verbreitet.
Auch ist der Vorschlag beherzigenswert, durch leichtes wiederholtes
Anziehen der Konjunktivalfalte gleichsam noch eine absaugende Wir¬
kung auszuüben. Das Verfahren, statt der einfachen stichartigen
Oeffnung eine solche von etwas größerem Umfange anzulegen, sei
es durch Kauterisation, sei es durch Trepanation, um so einen so¬
fortigen Wiederverschluß der Oeffnung zu verhindern, hat keine
wesentlich besseren Resultate ergeben. Auch möchte ich darauf
hinweisen, daß bei der Trepanation die Anwendung eines erheblichen
Druckes auf den Bulbus nötig ist und daß die evtl, schädliche Wir¬
kung einer solchen Kompression des Bulbus bei schon bestehender
Ablösung nicht unterschätzt werden darf. Auch das Verfahren der
Absaugung des subretinalen Exsudates mit einer Spritze hat wesent¬
lich bessere Resultate nicht ergeben. Ich habe sorgfältig alle diese
Modifikationen des Verfahrens durchgeprüft und bin zu der Ueber-
zeugung gekommen, daß sie nicht mehr leisten als die einfache
Punktion bzw. Doppelpunktion (Sderotomia posterior) der Sklera,
d. h. einzelne sehr gute Resultate und sehr häufige Rezidive.
3. Auch die Versuche, einen mehr kontinuierlichen Ab¬
fluß durch Einführung einer sog. Dauerdrainage zu ge¬
währleisten, durch Einziehung einer sog. Filtrationsschunge (d e
Wecker (Golddraht], Galezowski [Katgutsphlinge], Martins
[Silberdraht], Evers [Pferdehaar]), sind als gescheitert zu betrachten,
da durch diese Verfahren ein kontinuierlicher Abfluß doch nicht ge¬
währleistet wird und sie überdies geeignet sind, schädliche entzünd¬
liche Erscheinungen hervorzurufen.
4. Die Bemühungen, durch Elektrolyse (der positive Pol
[Platin-Iridium-Spitze] in den subretinalen Raum eingeführt) direkt
auf die Resorption der subretinalen Flüssigkeit einzuwirken und in
zweiter Linie dann eine entzündliche Reaktion von seiten der Ader¬
haut anzuregen im Sinne einer für die Anlegung günstig wirkenden
adhäsiven Chorioiretinitis, haben keinen nennenswerten Erfolg gehabt.
5. Die Iridektomie wurde nach der Empfehlung von Gale¬
zowski auch für die Behandlung der Netzhautablösung von ver¬
schiedenen andern Autoren geübt. Abgesehen von dem Fehlen
einer annehmbaren Erklärung für eine günstige Wirkung bei Netz¬
hautablösung, hat sie auch praktisch keine Resultate gezeitigt.
6. In ein neues Stadium trat die Behandlung der Netzhautablösung
mit den Versuchen, in verschiedener Weise im Bereich der abge-
lösten Retina adhäsive entzündliche Veränderungen
hervorzurufen. Die Beobachtung, daß bei alten wieder ange¬
legten Netzhautablösungen ausgedehnte, flächenhafte, alte, chorioireti-
nitische Veränderungen bestehen, sowie die Wahrnehmungen, daß ge¬
legentlich alte chorioiditische Herde mit Verwachsung der Retina
einen festen Widerstandspunkt bei fortschreitender Netzhautablösung
bilden, regten zu diesen therapeutischen Versuchen an. Seit der
ersten Empfehlung von Galezowski, zu diesem Zweck eine Jod¬
lösung zu benützen, sind später diese Versuche besonders von
Schoeler wieder aufgenommen; er riet sogar anfangs, einige Tropfen
verdünnter Jod- oder Lugolscher Lösung nicht subretinal, sondern
f iräretinal zu injizieren. (Letzteres wurde bald wieder aufgegeben.)
ch habe damals die ersten guten Erfolge als Assistent miterlebt,
ich habe aber auch ebenso später die Mißerfolge und Enttäuschungen
gesehen durch Eintritt von intraokularen entzündlichen Erscheinungen,
Blutungen usw. Ein dauernder Gewinn ist meines Erachtens aus der
Anwendung dieser Methode nicht hervorgegangen. Zahlreiche ex¬
perimentelle Untersuchungen am Tier sind in dieser Hinsicht vor¬
genommen, die die Methode als zu different und zu schwer dosier¬
bar ergaben.
Etwas anders gestalteten sich die Versuche, solche adhäsiven
entzündlichen Veränderungen der Chorioidea mit Ablassung des sub-
retinalen Exsudates durch Kauterisation der Sklera im Bereich der
Ablösung hervorzurufen. Ich habe mich selbst eifrig bemüht, diese
Methode nutzbringend zu verwerten, nachdem wir uns (cf. Wer-
nicke) am Tierexperiment überzeugt hatten, daß durch die Kauteri¬
sation der Sklera von außen her auf deren Innenfläche im Bereich
der Chorioidea exsudative Vorgänge sich entwickeln, die auch zu
fester Verwachsung von Aderhaut und Netzhaut führen können. Es
ist auch möglich, eine solche Kauterisation beim Menschen am hin¬
teren Pol des Bulbus auszuführen, wenn man die lange, gebogene
Glühschlinge hinreichend in ihren hinteren Abschnitten isoliert und
nur die Spitze freiläßt. Auch hier verfüge ich über einige gute
Heilungsresultate, während die Methode in anderen Fällen wieder
versagte. Es ist jedenfalls nötig, bei dem Verfahren der Kauterisa¬
tion der Sklera gleichzeitig auf das Verschwinden der subretinalen
Flüssigkeit durch Punktion noch besonders einzuwirken.
Eine völlige Perforation der Sklera im Bereich der
Ablösung mit der Glühschlinge, wie schon de Wecker
vorgeschlagen, ist als zu eingreifend abzulehnen. Am günstigsten
lauteten noch die Erfahrungen in betreff der kaustischen Behand¬
lung von D o r in Verbindung mit starken subkonjunktivalen Koch¬
salzinjektionen, ebenso die von Stölting. Die Anwendung zu
starker Kochsalzlösungen hat unter diesen Umständen auch ihre
Bedenken, worauf ich später noch komme.
Erwähnt sei noch der Versuch, nach Anlegung einer Reihe feinster
Perforationsöffnungeil durch die Sklera diese mit Jodtinktur zu be¬
insein, um so schonend eine adhäsive Entzündung der Chorioidea
ervorzurufen (Schoeler).
7. Einen breiten Raum nehmen in der Therapie der Netz¬
hautablösung die subkonjunktivalen und intrakapsu-
lären Kochsalzinjektionen ein. Es ist unmöglich bei dem
geringen zur Verfügung stehenden Raum, auf die Geschichte und die
: Erklärungen der Wirkungsweise dieser Therapie näher einzugehen.
Erwähnt seien hier in erster Linie die Mitteilungen Mellingers
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
26. Januar) 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
117
und seiner Schüler aus der Baseler Klinik. Nach längerem Hin und
Her einigte man sich im ganzen auf die 2—5o/ 0 igen Kochsalzlösungen.
Von einigen Autoren wurden viel stärkere Lösungen vorgeschlagen
und in Anwendung gebracht, bis zu 25—30o/oigen Lösungen (Dor,
Stölting), die allerdings sehr schmerzhaft waren, auch wenn sie
mit anästhesierenden Mittel (Akoin, Kokain usw.) versetzt wurden.
Auch ist nicht zu verkennen, daß diese starkprozentigen Lösungen
Schädigungen des Gewebes mit Obliteration des Tenonschen Raumes
nach sich ziehen können; so sah ich einmal Glaukom und einmal
Glaskörperblutungen auftreten. Die Erklärung für die Wirkung des
Verfahrens infolge von Aufsaugung der subretinalen Flüssigkeit durch
die hypertonischen Kochsalzlösungen durch die Sklera hindurch er¬
litt durch die experimentellen Untersuchungen Wesselys u. a. eine
starke Einbuße. Es folgen sodann die Versuche, die subkonjunktival
injizierte Kochsalzlösung mehr direkt mit der subretinalen Flüssig¬
keit in Berührung, zu bringen, um so mehr eine direkte Wechsel¬
wirkung zwischen der injizierten Kochsalzlösung und dem subreti¬
nalen Kaum zu bewerkstelligen. Ich wählte dazu, wie auch einige
andere Autoren, multiple feine Perforationen der Sklera im Bereich
der Ablösung und nachfolgende subkonjunktivale Injektion von Koch¬
salzlösung. Audi hier, wie bei den gewöhnlichen subkoujunktivalen
schwächeren und stärkeren Kochsalzlösungen, einige gute Resultate in
Form von Heilung. Aber auch bei dieser Modifikation des Ver¬
fahrens traten gelegentlich Glaskörpertrübungen bzw. Blutungen ein.
Dor wählte die Kombination von punktförmigen Kauterisationen der
Sklera mit Kochsalzlösung, um gleichzeitig auch eine zirkumskripte
adhäsive Entzündung der Chorioidea auf der Innenfläche der kaute-
risierten Sklerastellen hervorzurufen. Auch gleich darauf ausgeführte
Sklerapunktion mit Ablassen der subretinalen Flüssigkeit scheint da¬
bei rationell. Ich habe in dieser Hinsicht die verschiedenen Modi¬
fikationen des Verfahrens in Anwendung gebracht und auch experi¬
mentell geprüft (Wernicke) und glaube, daß so gelegentlich Gutes
geleistet werden kann, unter Innehaltung der nötigen Vorsichtsmaßregeln.
Die Injektion stärkerprozentiger Kochsalzlösun¬
gen in dem Tenonschen Raum ist imstande, gelegentlich Gutes zu leisten,
hat aber auch gewisse Uebelstände, auf die schon oben verwiesen wurde.
8. Die Behandlung der Netzhautablösung nach
Deutschmann besteht erstens in einer Durchschneidung von
Netzhaut und Glaskörper bzw. präretinaler Glaskörperstränge und
zweitens in Injektion von Kaninchen- oder anderen Glaskörper¬
präparaten in den präretinalen Raum vor die Netzhaut. Näheres ist
in den Arbeiten einzusehen, und ich verweise auf meine früheren Aus¬
führungen („Ueber die Behandlung der Netzhautablösung“, 1907, Samm¬
lung zwangloser Abhandlungen aus dem Gebiete der Augenheilkunde
von Vossius. Halle, Verlag C. Marhold).
Ich glaube nicht, daß das Verfahren berufen ist, wesentlich mehr
zu /eisten als andere der oben angegebenen Behandlungsmethoden,
auch die späteren von Deutschmann selbst angegebenen Modi¬
fikationen des Verfahrens nähern dasselbe einer Skleralpunktion und
Kontrapunktion im Bereich der Ablösung mit Durchstechung der Netz¬
haut und des präretinalen Raumes.
Der dritte Eingriff Deutschmanns, Glaskörperinjektion von
Kaninchen- und anderen Glaskörperpräparaten in den präretinalen Raum,
ist meines Erachtens direkt zurückzuweisen, besonders auch unter
Berücksichtigung der experimentellen Ergebnisse am Tier (Wer*
nicke u. a.), wo zum Teil schwere destruierende Glaskörperverände-
rung (Iridozyklitis, Amotio retinae) die Folge waren. Auch die Annahme
Deutschmanns, daß durch die Quellung der in den Glaskörper
injizierten Massen eine Widerandrückung der abgelösten Retina her¬
beigeführt werde, ist lediglich eine unbewiesene Hypothese. Das
Gegenteil dürfte gelegentlich durch schrumpfende Prozesse im Glas¬
körper erreicht werden, und ich sah einen solchen genau nach
Deutschmanns Vorschrift von kompetenter Seite operierten Kran¬
ken, wo durch Iridozyklitis und Pupillarverschluß vollständige Er¬
blindung eingetreten war. Auch Katarakt entwickelt sich relativ häu¬
fig im Anschluß an dies Verfahren.
9. Der Vorschlag, durch eine Verkleinerung der
Bulbushüllen durch partielle Exzision eines Skleral-
stückes oder Faltenbildung in der Sklera in äquatorieller
Richtung durch Uebereinanderschiebung der durchtrennten Skleral-
lefzen die Netzhaut zur Anlegung zu bringen (L. Müller, Elsch-
nig u. a.), erscheint mir zu eingreifend und birgt erhebliche Ge¬
fahren in sich bei der Größe des Eingriffs. Ich habe mich nicht ent¬
schließen können, einen derartigen Eingriff auszuführen, und möchte
vor seiner Anwendung warnen bei der Größe der damit verbundenen
Gefahren. Czermak erlebte in einem von ihm operierten Auge ein
Platzen der freigelegten Aderhaut und Glaskörperblutung.
10. Von anderen Verfahren gegen Netzhautablösung
ist wenig mehr zu berichten. Gradenigos Vorschlag,
durch Massage günstig auf die Wiederanlegung der Netzhaut¬
ablösung einzinvirken, hat keine Nachahmung gefunden und muß
besonders bei herabgesetztem intraokularen Druck als irrationell an-
SeS€ Auch 'die ^Beobachtungen O. Langes über Wiederanlegung der
MrtThsuizhInsune bei schnell sich entwickelnder und quellender kom-
'olLdeiier Katarakt, die er sich eventuell aus der Volumszunahme der
,- e/t mit Normalisierung des intraokularen Druckes erklären möchte,
jESLJttr therapeutische Maßnahmen keine neuen Angaltspunkte bieten.
neuester Zeit empfiehlt Birch-Hirs ch f eld, das subretinale
einer Spritze anzusaugen, dann die Kanüle weiter vor-
mcrhlZLl? durch die abgelöste Retina in den präretinalen Raum und
hTer dfe an^esauRte subretinale Flüssigkeit in dem Olaskörper zu de-
ponieren, eventuell auch physiologische Kochsalzlösung in den Glas¬
körper zu injizieren, um so nach Entfernung der subretinalen Flüssig¬
keit die abgelöste Retina wieder anzupressen. Einen ähnlichen Zweck
verfolgte schon A. Weber 1873, indem er vorschlug, mit einem
Doppelröhrchcn (das kürzere in den subretinalen Raum, das längere
bis in den Glaskörper reichend) zu punktieren, um auf der einen
Seite die subretinale Flüssigkeit nach außen zu entleeren und dafür
Flüssigkeit durch das längere in den Glaskörper zu injizieren. Das
Verfahren fand keine Verbreitung.
Ob dem Bi rch-Hirschf eld sehen Vorschlag ein besseres Los
beschieden ist, bleibt abzuwarten, da es noch nicht hinreichend nach¬
geprüft ist. Hinweisen möchte ich nur, daß schon A. v. Graefe
Bedenken erhob gegen eine Punktion der abgelösten Retina durch
den subretinalen Raum hindurch bis in den Glaskörper, da hierbei eine
Vergrößerung der Ablösung Vorkommen könne. Auch ist der Eintritt
reaktiver entzündlicher Veränderungen nach derartigen Injektionen in
den Glaskörper nicht ausgeschlossen, die schädlich wirken können.
Audi die theoretisch angenommene Anpressung der abgelösten Retina
an die Chorioidea bleibt unsicher, wenigstens gelang sie mir nicht bei
einer Nachprüfung des Verfahrens.
Die Einspritzung von Luft in den Glaskörperraum,
wie sie gelegentlich vorgeschlagen ist, scheint nicht geeignet, den
Zweck der Wiederanpassung der abgelösten Retina zu erreichen.
Nach den auf meine Veranlassung aus der Literatur gemachten
Zusammenstellungen v. Möglich, Spamer und Wern icke über
geheilte Netzhautablösungen wurden von 351 Fällen dauernd wdeder
angelegter Netzhautablösungen 24o/o operativ geheilt, 45durch
friedliche Behandlung und 31 <>/o ohne Behandlung. Von meinen
eigenen Fällen geheilter Amotio retinae war ungefähr die Hälfte der
Fälle spontan geheilt, 28°/o durch friedliche nicht operative Behand¬
lung und 22°/o durch operative Behandlung. Es kam ungefähr nur
jeder vierte Fall zur Behandlung. Von den operativ behandelten
Fällen wurden etwa 8 o/o geheilt, das beste Resultat ergab hier noch
die Punktion der Sklera nach vorausgeschickter Kaustik derselben.
Bei den nicht operativ behandelten Fällen war das Resultat noch
etwas günstiger. Es bleibt jedoch hierbei zu berücksichtigen, daß
die Heilung zum Teil erst viel später nach abgeschlossener Behand¬
lung perfekt wurde, somit die Heilung nicht immer unmittelbar der
Behandlung zuzuschreiben war.
Von meinem Gesamtmaterial von Netzhautablösungen trat in
etwa 9Q/o dauernde Wiederanlegung ein und davon in etwa der Hälfte
der Fälle ohne Behandlung und in der anderen Hälfte mit Behand¬
lung (friedliche und operative). Man kann nicht sagen, daß bei den
letzteren Fällen die operative Behandlung wesentlich mehr geleistet
hat als die friedliche ohne operativen Eingriff. Zu berücksichtigen
bleibt ja allerdings dabei, daß die operative Behandlung in der Regel
erst eingeleitet wurde, wenn die friedliche versagte.
Ich will hiermit meine kurze Uebersicht besonders über die Be¬
handlung der Netzhautablösung schließen und möchte versichern, daß
ich mich von jeher im Interesse der Kranken bemüht habe, aus den
verschiedenen vorgeschlagenen therapeutischen Maßnahmen zu Nutz
und Frommen meiner Patienten herauszuholen, was möglich war, und
ihre Wirksamkeit zu prüfen. Einige Verfahren habe ich von vorn¬
herein abgelehnt, wenn sie mir nicht rationell oder zu gefährlich für
das Auge erschienen, denn das nil nocere muß auch hier oberster
Grundsatz unseres Handelns bleiben. Ich vermisse in dieser Hin¬
sicht in manchen Mitteilungen und Kritiken eine hinreichende Be¬
richterstattung über einen verschlechternden Einfluß besonders ope¬
rativer Maßnahmen. Es genügt nicht, um sich ein Urteil über den
Wert einer Behandlung zu schaffen, einzelne günstig verlaufende
Fälle zu berichten, sie können einer richtigen Abschätzung nur im
Rahmen einer Gesamtstatistik der behandelten Fälle teilhaftig werden.
Wie oft hat ein Autor mit Emphase über die ersten Resultate einer
neuen Behandlungsmethode berichtet, und wie oft ist diesen günstigen
Berichten dann später die Enttäuschung gefolgt! Ich spreche mich
selbst nicht frei von einer gelegentlich anfangs zu optimistischen
Auffassung über die Resultate eigener und fremder Behandlungs¬
methoden, aber ich habe mich auch stets bemüht, diese anfängliche
zu günstige Beurteilung später an der Hand meines Materials auf das
richtige Maß zurückzuführen. Ich stehe zw r ar nicht auf dem Stand¬
punkte, wie ich ihn früher einmal von einem älteren, sehr erfahrenen
Ophthalmologen äußern hörte, daß jeder, der ein neues Verfahren
für die Behandlung der Netzhautablösung enthusiastisch vertrete, sich
blamiere, aber etwas Wahres ist daran, wir erleben hier so oft später
Enttäuschungen, wie kaum auf einem anderen therapeutischen Ge¬
biet. Und doch halte ich einen absoluten Pessimismus bei der Be¬
handlung der Netzhautablösung für falsch im Interesse des Patienten.
Etw f as können wir auf diesem Gebiete leisten; freilich eignet sich nicht
jeder Fall für ein therapeutisches Verfahren, nach meiner Erfahrung
etwa der vierte Fall, wobei man allerdings den Kranken in bezug auf
die Unsicherheit nicht im Unklaren lassen darf, in den übrigen 75°/o
ist eine Behandlung abzulehnen, wenn nicht der Patient selbst auf
eine solche drängt. Alte und totale Netzhautablösungen, solche mit
Cataracta complicata usw. scheiden in der Regel aus, aber immerhin
Ö t es gelegentlich, durch Operation eines mit Netzhautablösung
izierten Stares durch die Extraktion noch ein leidliches Seh¬
vermögen zu schaffen, was besonders in die Wagschale fällt, wenn es
sich um ein letztes so erblindetes Auge handelt.
Zu beginnen ist in der Regel mit der sogenannten friedlichen Be¬
handlung, und erst, w r enn diese versagt, hat die operative Therapie
einzusetzen, die in verschiedener Weise kombiniert werden kann. Am
harmlosesten ist jedenfalls die einfache oder Doppelpunktion der
Digitized by
Gck gle
Original frorri
CORNELL UNIVERSITY
118
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 4
Sklera mit möglichster Entleerung de9 subretinalen Exsudates, ge¬
wöhnlich aber folgen Rezidive. Auch die Versuche, zirkumskripte
entzündliche Prozesse gleichzeitig in der Aderhaut hervorzurufen im
Bereich des abgelösten Terrains mit nachträglicher Skleralpunktion,
halte ich für berechtigt Direkte Eingriffe in den Glaskörper mit In¬
jektionen differenter Mittel, um eine Anpressung der Retina hervor¬
zurufen, sind tunlichst zu vermeiden wegen der Gefahr eintretender
entzündlicher Reaktionen, allenfalls kann hierbei eine ‘isotonische Koch¬
salzlösung oder die abgesaugte subretinale Flüssigkeit noch in Be¬
tracht kommen. Die Bestrebungen, durch eine operative Verkleine¬
rung des Bulbus die Netzhautablösung zur Anlegung zu bringen, sind
zurückzuweisen wegen der damit verbundenen Gefahr. Ebenso sind
die Drainageverfahren durch Einlegung von Golddraht, Katgut,
Pferdehaar usw., als abgetan anzusehen. Auch die Elektrolyse und die Ein¬
träufelungen in den Konjunktivalsack haben sich als nutzlos erwiesen.
Die subkonjunktivalen Kochsalzinjektionen allein bei intakter Sklera
können höchstens einen geringen Einfluß üben, dagegen ist es ge¬
rechtfertigt, sie mit anderen operativen Eingriffen, wie einfacher und
multiplen feinen Skleralpunktionen, Kauterisation usw., zu kombinieren.
Die Benutzung sehr hochprozentiger Kochsalzlösungen (20—30o/o) ist
zu widerraten, besonders in Verbindung mit Skleralpunktionen, weil
schwere intraokulare Glaskörperveränderungen (Trübungen, Blutun¬
gen) die Folge sein*1cönnen, außerdem sind sie sehr schmerzhaft und
führen zu destruierenden Gewebsveränderungen (wie Obliteration des
Tenonschen Raumes mit seinen Folgen).
Für den Begriff der Heilung der Netzhautablösung muß gefordert
werden, daß die Netzhaut sich dauernd völlig wieder anlegt (min¬
destens 1 Jahr und länger). Solange noch Netzhautpartien abgelöst
bleiben, kann von einer Heilung keine Rede sein. Die sogenannten
Besserungen sind ein sehr dehnbarer Begriff und können auch spon¬
tan Platz greifen.
Es kommt zur spontanen Heilung (Anlegung), d. h. ohne Be¬
handlung, eine ganze Reihe von Fällen, die sogenannte friedliche Be¬
handlung (ohne operative Eingriffe) und die operative Behandlung
dürften Tn ungefähr dem gleichen Prozentsatz zur Heilung führen. Im
ganzen können wir etwa in 8—10o/ 0 der Fälle mit einer Heilung
der Netzhautablösung rechnen, wobei ja allerdings in Rücksicht zu
ziehen ist, daß der größere Teil unserer Fälle von Netzhautablösung
aus irgendwelchen Gründen überhaupt einer Behandlung nicht unter¬
worfen werden konnte. Also etwas günstiger als 10<>/o Heilungen ge¬
staltet sich die Behandlungschance schon, und damit ist auch für viele
Fälle die Berechtigung einer Behandlung erwiesen.
In bezug auf die Literatur verweise ich in erster Linie auf die
fundamentale Bearbeitung der Netzhautablösung von Leber im Hand¬
buch der Augenheilkunde v. Graefe-Saemisch, Bd.7, Teil 2,
S. 1374 ff., 1916, mit ihrem erschöpfenden Literaturverzeichnis, ferner
auf die Bearbeitung von Lenz im gleichen Handbuch über die Ope¬
rationen der Netzhautablösung, welche noch nicht erschienen ist, aber deren
Korrekturbogen ich dankenswerterweise einzusehen .Gelegenheit hatte
Was mein eigenes Material betrifft, so sei auf meine früheren
Arbeiten: „Kasuistische Beiträge zur Prognose der Netzhautablösung“,
Jahrb. d. Prof. Schoelerschen Augenklinik 1879; „Zur Wiederanlegung
der Netzhautablösung“, 3. Vers, der Ophthalmol. Gesellsdi. zu HeideL
berg 1903, und „Die Behandlung der Netzhautablösung“ (Sammlung
zwang]. Abhandlungen aus dem Gebiete der Augenheilkunde, Marhold,
Halle 1907), sowie auf die Arbeiten von Möglich, „lieber Spontan¬
heilung der Netzhautablösung“, Inaug. Diss. Marburg 1891; Spamer,
„Ueber Netzhautablösung mit besonderer Berücksichtigung der
Wiederanlegung derselben“. Klinisch-statistische Mitteilungen, Inaug.
Diss. Breslau 1904, und Wernicke, „Klinische und experimentelle
Beiträge zur operativen Behandlung der Netzhautablösung“, Klin.
Mbl. f Aughlk. 40, Neue Folge 1. Bd., Febr./März 1906, S. 134, ver¬
wiesen. _
Aus der Universitäts-Augenklinik zu Gießen.
(Direktor: Geh.-Rat Vossius.)
Die Verkupferung des Auges«
Von Prof. Dr. A. Jeß, Oberarzt der Klinik,
Während der Begriff der Verrostung des Auges, der Siderosis,
jedem Arzt geläufig ist, dürfte das Krankheitsbild der Verkupferung
des Augapfels weniger bekannt sein. Die Kriegsjahre mit ihret
enormen Zahl mannigfaltiger Splitterverletzungen der Augen haben
unsere Kenntnis dieser seltenen Schädigung des inneren Auges be¬
deutend gefördert. Neue charakteristische Symptome haben wir ken¬
nen gelernt, welche unter Umständen auch dem Nichtfacharzt ge¬
statten, ohne besondere Hilfsmittel-*die Anwesenheit kupferhaltiger
Splitter im Augeninneren festzustellen.
Bei der Begutachtung von Kriegsverletzten kommen immer wieder
Fälle zur Beobachtung, in denen erst jetzt über Sehstörungen nach
früheren leichten Kriegsverletzungen des Gesichtes geklagt wird,
la, wir haben ehemalige Soldaten gesehen, die sich keiner Ver¬
letzung ihrer Augen in vielen Schlachten erinnern konnten, bei denen
die typischen Zeichen einer Verkupferung des inneren Auges aber
einwandfrei bewiesen, daß doch einmal ein kupferhaltiger Splitter
die äußeren Hüllen des Auges durchschlagen haben mußte, solche
minimalen Sprengstücke konnten bei Oranateinschlägen in nächster
Nähe, beim Krepieren der Minen und Handgranaten die Hornhaut
oder Lederhaut des Auges mit großer Schnelligkeit durchbohrt haben,
ohne daß in der Aufregung de9 Nahkampfes die Verletzung be¬
achtet wurde. Anderseits lenkten oft gleichzeitige schwere Verwun¬
dungen des Gesichts und anderer Körperteile die Aufmerksamkeit
des Patienten und des Arztes ab, zumal keine oder nur geringe Funk¬
tionsstörungen von seiten des Auges bemerkt wurden. Handelt«
es sich um Sprengstücke aus Eisen, so pflegten auch ohne In¬
fektion bald Erscheinungen aufzutreten, welche die stattgehabte
Augenverletzung aufdeckten. Die Siderosis bulbi machte gerade nach
Granatsplitterverletzungen infolge der besonderen Zusammensetzung
des Eisenmaterials sich auffallend früh bemerkbar. Herabsetzung
des Sehvermögens infolge Durchtränkung des Netzhautgewebes mit
Oxydationsprodukten des Eisens, Glaskörper- und Linsentrübungen,
schließlich die charakteristische rostfarbene Verfärbung der Regen¬
bogenhaut führten den Verletzten bald wieder in ärztliche Behand¬
lung, und oft gelang es durch nachträgliche Entfernung des intraokularen
Eisensplitters, das Auge mit brauchbarem Sehvermögeu zu erhalten.
Anders verhielt es sich mit kupferhaltigen Splittern. Bei diesen
Kriegsverletzungen handelte es sich ja nicht um reines Kupfer,
sondern um messingartige Legierungen, deren Kupfergehalt bei dem
allgemein herrschenden Mangel an diesem Metall mit der Zeit
immer geringer wurde. Die hier in Frage kommenden Splitter stamm¬
ten aus den Führungsringen und Zündern der Granaten, aus den
Zündkapseln und Wandungen der Handgranaten und Minen. Ihrer
Zusammensetzung entsprechend, war ihr Verhalten im Augeninneren
mehr oder weniger verschieden von dem des reinen Kupfersplitters,
wie wir es aus der Friedenspraxis kannten. Während reines Kupfer
besonders im hinteren Abschnitt des Auges schlecht vertragen wird,
schnell infolge seines chemischen Reizes große Exsudatbildungen ver¬
anlaßt und mit wenigen Ausnahmen bald zu Verlust des Auges durch
chronische Iridozyklitis führt, zeigten sich die aus Kupferlegierungen
bestehenden, oft minimalen Kriegssplitter weniger gefährlich. Sie heil¬
ten nicht nur in der Iris und in der Linse, sondern auch in der Netz-
und Aderhaut ziemlich reaktionslos ein oder hielten sich frei¬
schwebend im Glaskörper, ohne anfänglich irgendwelche ernsteren
Symptome hervorzurufen. Erst ganz allmählich kam es zu mäßigen
aseptischen Eiterungen in der Umgebung des Splitters, zu Olas-
köipertrübungen und zur Durchsetzung der Netzhaut mit Derivaten
des Kupfers, die sich als goldgelbe und gelbrötliche Einlagerungen
mit dem Augenspiegel im Augenhintergrundsbild erkennen ließen.
Für diese letzteren Veränderungen, die auch früher schon ausnahms¬
weise beobachtet wurden, hatte seinerzeit Goldzieher den Namen
„Chalkosis retinae“ vorgeschlagen. Die Regenbogenhaut zeigte
nach Kupfersplitterverletzungen wiederholt eine auffallende grünliche
Verfärbung.
Von besonderem Interesse sind nun ganz charakteristische Lin¬
sentrübungen, wie sie von Purtscher zuerst als typische Symptome
einer Verkupferung des Augeninneren beschrieben wurden.
Es handelt sich um eine zarte, grüne, sonnenblumenartige
Erscheinung, welche in der sdiwarzen Pupille bei auffallendem
Licht schon mit bloßem Auge zu erkennen ist. Eine etwa 2 mm im
Durchmesser betragende, grüne oder graugrüne Scheibe entsendet
zahlreiche schmale oder breitere Radien, welche bei künstlich er¬
weiterter Pupille nicht ganz bis an den Linsenäquator zu erkennen
sind. Diese, im auffallenden Licht sich scharf vom dunklen Orund
abhebende Linsentrübung ist merkwürdigerweise bei der Unter¬
suchung im durchfallenden Licht des Planspiegels überhaupt «nicht
in der jetzt rot aufleuchteuden Pupille zu erkennen. Purtscher
bezeichnete sie aus diesem Grunde als Scheinkatarakt. Stellt man
bei Beobachtung mit dem Hornhautmikroskop das Spaltbild der
Gullstrandschen Lampe scharf auf die grünlichgraue Sonnenscheibe
ein, so erkennt man, daß diese zarte Trübung unmittelbar unter der
vorderen Linsenkapsel gelegen ist. Besonders auffallend ist ein leb¬
haftes Farbenschillern, welches bei seitlicher Beleuchtung zustande¬
kommt und alle Regenbogenfarben erkennen läßt. Es sind bisher
sechzehn Fälle solcher eigentümlichen Linsentrübungen beschrieben
worden, und stets konnte nachgewiesen werden, daß sie ein untrüg¬
liches Zeichen der Anwesenheit eines kupferhaltigen Splitters im
Inneren des Auges waren. Die Ausbildung der grünen „Scheinkata¬
rakt“ erfolgt sehr langsam, oft erst nach Jahren. Die Zahl der
Beobachtungen wird sich mit größerem Abstand vom Kriege zweifel¬
los mehren, und es erscheint wünschenswert, die Aufmerksamkeit
weiterer ärztlicher Kreise auf dieses Krankheitsbild zu lenken. Die
ersten zwölf Fälle habe ich 1919 in den Klin. Mbl. f. Aughlk., 62,
S. 464, mit einer eigenen Beobachtung und einer farbigen Abbildung
zusammengestellt. Besonders bemerkenswert war ein von Uhthofl
mitgeteilter Fall doppelseitiger perforierender Messingsplitterver¬
letzung, in dem beide Linsen in gleichmäßiger Anordnung die typische
grüne Sonnenblume in der Pupille erkennen ließen. Eine neuere
Arbeit von Vogt (Klin. Mbl. f. Aughlk. 1921, 66, S. 277) nennt drei
weitere inzwischen veröffentlichte Fälle von Rumbaur, Brons
Haab und teilt einen eigenen mit, der mit besonderer Sorgfalt an
der Spaltlampe analysiert wurde. Es ergab sich aus dieser klinischen
Beobachtung, daß eine feinste, dichte, gleichmäßige Punktierung von
graublaugrüner Färbung unmittelbar unter der vorderen Linsen-
kapsel gelegen war una daß die Sonnenblumenfigur durch regionäre
Verdichtung dieser Punktierung zustandekam. Bei 37facher Linear¬
vergrößerung und Verschmälerung des Lichtbüschels der Spaltlampe
auf 0,05 mm ergab sich, daß die Trübung überall von derselben
unmeßbar geringen sagittalen Dicke war und daß sie im Bereich
des Kapselstreifens entweder an dessen hinterer Fläche oder dodi In
unmittelbarer Nähe derselben lag. Vogt verlegte demnach die
Sonnenblumentrübung der Linse In das bekanntlich nur unter der
vorderen Kapsel befindliche einschichtige Kapselepithel. Außer dieser
Difitized by Gougle
Original from
CORNELL UNÜVERSm 1
26. Januar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
119
Kupfertrübung der Linse konnte Vogt auch im Glaskörper grüngraue
Strange und Membranen feststellen, zwischen denen dichte Staub¬
wolken aus glänzenden, graugrünen Partikeln flottierten, deren Farbe
auffällig mit derjenigen der Linsentrübung übereinstimmte.
Im Folgenden gebe ich eine kurze Schilderung von drei neuen
Fällen innerer Verkupferung des Auges mit typischen Linsenver¬
änderungen, die aber zum Teil besondere Eigentümlichkeiten er¬
kennen lassen, wie sie bisher noch nicht beobachtet wurden. Alle
stammen aus dem Material der Gießener Augenklinik. Der dritte
Fall, der zu Verlust des Auges infolge eitriger Iridozyklitis führte,
erlaubte zum erstenmal die Untersuriiung der Kupfertrübung der
Linse im histologischen Schnitt.
1. A. G., FuBartillerist, 27 Jahre alt, wurde am 26. III. 1918 durch
Sprengkapselexplosion an der rechten Hand verwundet. Eine gleich¬
zeitige Verletzung des Auges hat er nicht bemerkt. Es fiel ihm zwar
nach der Verwundung ein Flimmern vor dem linken Auge auf, doch
war dieses nicht im geringsten entzündet oder schmerzhaft gereizt.
Erst 14 Tage später wurde ln einem Heimatlazarett festgestellt,
daß ein Metall Splitter die äußeren Hüllen des linken Auges
durchschlagen hatte und als hellglänzender Fremdkörper mit dem
Augenspiegel im Glaskörper zu erkennen war. Als der Soldat am
9. VIII. 1918 zur Beobachtung in die Gießener Klinik aufgenommen
wurde, war das linke Auge völlig reizfrei, nirgends war eine Per¬
forationsnarbe sichtbar. Hornhaut, Kammerwasser und Linse waren
klar. Im unteren Teil des Glaskörpers sah man einen metallisch
glänzenden, rechteckigen Fremdkörper, der bei Bewegungen des
Auges lebhaft hin und her flottierte. Die Netzhaut zeigte im Bereich
der Macula lutea einen kleinen weißen Herd, der Augengrund ließ
unten eine umschriebene Pigmentierung erkennen. Offenbar handelte
es sich hier um die Durchtrittsstelle des Splitters, der vorher wohl
das Unterlid und die Sklera durchschlagen hatte. Am Sideroskop
ergab sich nicht der geringste Ausschlag, auf den Riesenmagneten
reagierte der Splitter in keiner Weise. Da längere Beobachtung
zeigte, daß der Splitter anscheinend völlig reaktionslos vertragen
wurde, sah man von einem Versuch der Entfernung ab. Der Patient
wurde als gamisondienstfähig seinem Ersatztruppenteil überwiesen,
da das rechte Auge normal war und volle Sehschärfe besaß und auch
das linke ein Sehvermögen von V*o aufwies. Die Linse des ver¬
letzten Auges war bei der Entlassung vollkommen klar. Als
nach Jahresfrist der Soldat zur Rentenfestsetzung sich vorstellte,
fand sich in der Linse des reizfreien Auges eine typische grüne
Sonnenblumentrübung (s. Fig. 1) unter der vorderen Kapsel mit zahl¬
reichen radiären Ausläufern nach allen Seiten. Man sah den Kupfer-
Splitter unverändert am alten Ort; m der Makulagegend fanden sich
aber Jetzt mehrere kleine helle Flecke, die im rotfreien Licht gut
zu erkennen waren. Eine Nachuntersuchung am 13. IV. 1921 zeigte
die Sonnenblume in der Pupille wie früher, das Auge war dauernd
reiz- und schmerzfrei. Im Glaskörper sali man jetzt aber unzählige
kleinste, gelblichbräuniich schimmernde Pünkt^n, die wie eine Wolke
von Sonnenstäubchen bei Bewegungen des^uges flottierten. Den
Splitter konnte man nicht mehr deutlich erkennen, er war von grau¬
weißen Strängen bedeckt. Die Netzhaut zeigte in der Makulagegend
eine eigenartige Fleckung, die besonders deutlich im rotfreien Licht
zutagetrat. Auch erschien der ganze Fundus bei dieser Beleuchtung
auffallend bräunlich gegenüber der bläulichgrünlichen Färbung der
anderen Seite. Die Dunkeladaptation des Auges war ganz erheblich
gestört. Es bestand also hier eine einseitige Nachtblindheit, wie sie
in gleicher Weise auch bei der Siderosis nachgewiesen worden ist.
# 2. W. F., Unteroffizier, 28 Jahre alt, trat im Jahre 1913 als
aktiver Soldat mit beiderseits voller Sehschärfe ein. Am 26. VII. 1914
erlitt er beim Schießen mit einer Flobertbüchse eine Verletzung in
der Gegend des rechten Auges, da die Patrone nach hinten ex¬
plodierte. Er wurde wegen oberflächlicher Verletzungen der Lider
einige Zeit im Garnisonlazarett behandelt, doch waren diese so ge¬
ring,^ daß er keinen Verband zu tragen brauchte. Er kam bald dar¬
auf ins Feld, schoß rechts. In den Karpathen erkrankte er angeb¬
lich an Schneeblindheit, war 8 Tage im Revier, ohne die Augen
Öffnen zu können. Auf dem rechten Auge soll sich damals ein
Geschwür entwickelt haben, und seit dieser Zeit nahm das Seh¬
vermögen rechts ab. Als er im Juli 1915 wegen Darmkatarrhs in ein
Heimatlazarett verlegt wurde, meldete er die Abnahme seines Seh¬
vermögens. Der Befund einer Korpsaugenstation lautete: „S: r = Fgr
in 2 m, l = 5 /v R- Trübung in den hinteren Partien der Linse,
Hintergrund nicht deutlich zu sehen. L. normal. Muß links schießen/ 4
Mit diesem Befund ging er wieder ins Feld, wurde im Februar 1916
bei Verdun durch Kopfstreifschuß, im Oktober 1916 in Rumänien
durch Gewehrschuß am linken Orbitalrande und an der rechten
Schulter verwundet Das Sehvermögen des linken Auges war anfangs
erloschen, hob sich aber nach längerem Lazarettaufenthalt, sodaß er
wieder zur Front gehen konnte. Allerdings wurde er, da jetzt beide
Augen gelitten hatten, nur bei der Bagage verwendet, er blieb aber
bis zum Kriegsende bei der Truppe. Am 29. XI. 1920 wurde er vom
Versorgungsamt der Gießener Klinik zur Rentenfestsetzung überwiesen.
Das rechte, vor sechs Jahren durch Zündhütchenexplosion ver¬
letzte Auge war reizfrei und zeigte eine feine Hornhautnarbe nahe
dem oberen inneren Limbus, eine kleine Linsenkapselnarbe im oberen
inneren Quadranten und 2 mm unter dieser ein 1—2 mm großes,
tdiarfrandiges Metallsplitterchen inmitten völlig klarer Linsensub-
stauz. Nur ein feiner , grauer Streifen bezeichnete den Wundkanal
in der Linse. Schon bei Tageslicht schillerte die ganze Pupille in
allen Spektral färben, noch stärker wurde diese Erscheinung bei in¬
tensiver künstlicher seitlicher Beleuchtung. Bei genauer Betrachtung
sah man eine typische grünliche Sonnenblumentrübung unter der
vorderen Kapsel, mit zahlreichen Randstrahlen. Nach Erweiterung
der Pupille durch Homatropin zeigte sich konzentrisch zu dieser
ersten eine zweite, ebenfalls zart grünliche Trübungszone, über welche
die Randstrahlen hinaus zum Linsenäquator liefen. Es kam so das
Bild eines Doppelradkranzes zum Vorschein, dessen innerer
Kreis etwa 2,5 mm Durchmesser besaß, während der äußere 5 mm
erreichte (s. Fig. 2). Diese merkwürdige Doppelform ist in allen
früheren Fällen nicht beobachtet worden. An der hinteren Kortikalis
zeigte die Linse eine dichte, grauweiße Schalentrübung, die ebenfalls
in Regenbogenfarben erglänzte, aber den grünen Ton der Sonnen¬
blume nicht erkennen ließ. Im durchfallenden Licht war von der
vorderen Radkranztrübung nur ein ganz schwacher Hauch zu sehen,
während die hintere Schalentrübung sich dunkel vom roten Hinter¬
grund abhob. Bei maximal erweiterter Pupille konnte man den
Augenhintergrund übersehen, zumal der Glaskörper ungetrübt war.
Ueber der Makula zeigten sich zahlreiche radiär angeordnete, helle
Fleckchen und Streifen, sodaß eine halbe Sternfigur zustandekam.
Temporal oben fand sich eine dichte Pigmentation von Vs—ViPapülen-
Ffg. I. Fig. 2.
größe, innerhalb welcher eine scharfrandige, graue Partie auffiel, die
offenbar einen zweiten Metallsplitter darstellte. Im Röntgenbild er¬
hielt man nur von dem Linsensplitter einen deutlichen Schatten., Das
Sideroskop gab keinen Ausschlag, auch der Riesenmagnet veränderte
die Lage der Splitter nicht. Das Sehvermögen war auf »/so herab¬
gesetzt, hob sich aber nach Erweiterung der Pupille auf V 20 » da jetzt
an der dichten zentralen Schalentrübung der hinteren Kortikalis vor¬
beigesehen werden konnte.
Das linke Auge, welches bei der Gewehrschußverletzung der
linken Orbita im Oktober 1916 offenbar schwer kontudiert war, be¬
saß nur ein Sehvermögen von 6 /n infolge ausgedehnter Aderhaut¬
risse temporal von der Makula und eines querovalen Netzhautloches
unter dieser von 1/3 Papillengröße. Eine Nachuntersuchung am
11. IV. 1921 stellte rechts Zunahme der hinteren Kortikalistrübung
fest, während der grüne Doppelradkranz etwas verwaschener er¬
schien, auch waren jetzt im Glaskörper weißlichgraue, flottierende
Stränge erkennbar, wobei das Sehvermögen sich jedoch noch ge¬
halten hatte.
3. K. K., 52 Jahre alt, hat früher stets auf beiden Augen gut
gesehen. Wurde 1917 eingezogen und als Arbeiter in einer Munitions¬
fabrik verwendet. Hier hatte er mit einem entsprechenden Apparat
Zünder von Gewehrgranaten zur Explosion zu bringen, um das
Messing wieder zu gewinnen. Bei dieser Beschäftigung spritzte ihm
eines Tages ein kleiner Splitter in das rechte Auge. Es trat eine
(eichte Blutung ein, worauf ein Sanitätsgehilfe das Auge auswusch
und einen Verband anlegte, der einen Tag lang getragen wurde. Ein
Arzt wurde nicht zu Rate gezogen. Das Auge soll einige Tage ge¬
rötet und schmerzhaft gewesen sein, auch etwas schlechter gesehen
haben, dann aber stellte sich das Sehvermögen wieder her. Patient
sah seitdem einen beweglichen Dunkelfleck vor diesem Auge, der
ihn aber kaum störte. Das Auge soll 4 Jahre hindurch blaß und
schmerzfrei geblieben sein. Vor 8 Tagen flog ihm beim Verbrennen
von Fichtenreisem ein „Funken" auf das Unterlid. Eine kleine
Brandwunde heilte schnell, nach drei Tagen aber entzündete sich das
Auge, schmerzte und verlor erheblich an Sehkraft. Patient benutzte
Atropintropfen, die er von einem anderen Augenkranken erhielt, und
machte Umschläge, suchte aber keinen Arzt auf. Erst als die Ent¬
zündung des Auges immer mehr zunahm, kam er in die Klinik. Das
rechte Äuge war stark ziliar gereizt, die Hornhautoberfläche ge-
stichelt. Knitterfalten infolge eines festen Verbandes zeigten sich
in der Deszemet. Das Kammerwasser war stark getrübt, die Regen¬
bogenhaut hyperämisch, die Pupille ließ trotz maximaler Erweite¬
rung einige hintere Synechien erkennen. In der Mitte der Linse
befand sich eine typische Kupfertrübung, wie sie im ersten Falle
beschrieben und abgebildet wurde. Sie war deutlich durch das ge¬
trübte Kammerwasser hindurch zu erkennen. Das bei den anderen
Fällen beschriebene lebhafte Farbenspiel trat jedoch nicht so stark
in Erscheinung. Auch am hinteren Linsenpol waren grauweiße, dich¬
tere Trübungen zu erkennen, welche im auffallenden Licht gelblich-
rötlich schimmerten. Im Glaskörper flottierten ähnlich schimmernde
Trübungen in unregelmäßigem Gewirr. Vom Augengrunde erhielt
man nur ein ganz undeutliches Bild, erkannte aber einzelne hellere
Fleckchen. Im durchfallenden Licht war von der zarten, grünen
Kupfertrübung der Linse auch hier nichts zu erkennen.
Das Sehvermögen des Auges war auf Erkennen von Fingern in
4 Meter Entfernung herabgesetzt. Das linke Auge war normal und
besaß volle Sehschärfe.
Das Röntgenbild zeigte einen Splitter in der Ziliarkörpergegend,
der nach Untersuchung am Sideroskop und am Riesenmagneten nicht
aus Eisen bestand. Da in den nächsten Tagen das Auge sich immer
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
120
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 4
mehr entzündete, starke Schmerzen auftraten und das Sehvermögen
fast ganz erlosch, wurde auf Wunsch des Patienten das wertlose
Auge schließlich entfernt.
Leider konnte ich erst 8 Tage später die Linse untersuchen.
Das Auge hatte in 10o/ 0 iger Formollösung gelegen. Im Ziliarkörper
fand sich ein flacher, 3 mm langer und 1 mm breiter Fremdkörper
aus Messing, offenbar ein Stückchen von der Wand eines Zünd¬
hütchens. Er war fest in ein dichtes, grauweißes Exsudat von Klein¬
linsengröße eingebettet. Von der grünen Sonnenblumentrübung war
weder in situ, noch nach vorsichtiger Herausnahme der Linse aus
dem Bulbus etwas zu sehen, auch bei starker seitlicher Beleuchtung
erkannte man auf dunkler Unterlage nur noch einen zarten, grünen
Hauch unter der vorderen Linsenkapsei, die typische Anordnung der
Trübung war nicht mehr zu erkennen. Offenbar war durch das
längere Liegen des Auges in der Formollösung die Aenderung be¬
dingt. Die saure Reaktion der Lösung könnte wohl die Ursache
der Auflösung etwa abgelagerter Kupfersalze sein. Doch ist auch
daran zu denken, daß vielleicht schon die postmortale Säuerung
des Oewebes die Unsichtbarkeit der intravital so deutlichen Erschei¬
nung verursacht. Jedenfalls ist es ratsam, in Zukunft die Linsen
solcher Augen, wenn sie zur Enukleation kommen, sofort frisch zu
untersuchen. Die Linse wurde in zwei Hälften durch einen sagittalen
Schnitt zerlegt. In der einen versuchte ich vergeblich, durch Ferro-
zyankalium und Essigsäure die Kupfertrübung zu rekonstruieren.
Die andere wurde in Paraffin eingebettet und geschnitten. Hier
zeigte sich zum Glück, daß noch nicht alle Derivate des Kupfers
verschwunden waren. In ungefärbten Sagittalschnitten sah man
zwischen vorderer Linsenkapsel und dem einschichtigen Kapselepithel
eine grünlichgelbe Schicht, die als feiner Strich sich bei 500facher
Vergrößerung scharf von der ungefärbten Umgebung abhob und bei
2250facher Vergrößerung aus kleinsten, punktförmigen und scholligen
Partikeln zusammengesetzt schien. Diese Schicht hatte am vorderen
Linsenpol eine Dicke von etwa Vis der Linsenkapsel und Vs der
Linsenepithelschicht. Nimmt man für erstere an dieser Stelle eine
Breite von 7 p, für letztere 3 p an, so würde hier die kupferhaltige
Schicht nur 0,5 p betragen können. Nach dem Aequator zu ver¬
dünnte sich die Schicht aber immer mehr, sodaß sie schließlich wohl
kaum noch 0,1 p betrug. In einiger Entfernung vom Aequator war
sie völlig verschwunden. Ihre Ausdehnung entsprach also durchaus
derjenigen der in vivo sichtbaren grünen Sonnenblumenfigur, die
von einem dichteren Zentrum feine Radien aussandte, welche nicht
ganz bis an den Linsenäquator zu verfolgen waren. Diese außer¬
ordentliche Zartheit der subkapsulären Trübungszone erklärt auch
das Auftreten der Spektralfarben bei der Untersuchung des lebenden
Auges im auffallenden Licht. Es dürfte sich um die gleiche
Erscheinung handeln, die wir als Interferenzfarben dünner Blättchen
kennen. Vogt, der auch an diese Erklärung dachte, nach dem
klinischen Bilde aber die Kupfereinlagerung in das Kapselepithel
selber verlegte, glaubte, daß das lebhafte Farbenschillem auf andere
Weise Zustandekommen müsse, da nach dem Urteil des Physikers
Wiener die Schichtstärke des Epithels von 3 p zu bedeutend sei,
um Interferenzfarben dünner Blättchen hervorzurufen, welche bei
einer Dicke von etwa 0,2 p entstehen könnten. Wie wir gesehen
haben, entspricht die kupferhaltige Schicht in der Tat diesen Be¬
dingungen, es sei denn, daß sie durch das Liegen in Formo! re¬
duziert wurde. Im gefärbten Schnitt werden die feinen Kupfer¬
partikelchen offenbar von Farbstoffteilen überlagert, man sieht sie
bei gewöhnlicher Betrachtung nicht. Daß sie aber noch vorhanden
sind, erkennt man leicht bei Untersuchung im Dunkelfeld mit dem
Licht einer Bogenlampe. Dann erstrahlt die ganze Schicht infolge
der Lichtbeugung und Dispersion an den einzelnen Teilen auf das
hellste und erglänzt in allen Regenbogenfarben. Stellt man an un¬
gefärbten Linsenschnitten mit Ferrozyankalium und Essigsäure die
Kupferreaktion an, bei der abgelagerte Kupfersalze in das leicht er¬
kennbare braunrote Ferrozyankupfer verwandelt werden, so sieht
man, daß die Linsenepithelzellen das von vom durch die Linsen¬
kapsel diffundierende Kupfersalz zwar aufgehalten und im subkapsu¬
lären Spalt angereichert, daß sie selbst aber auch etwas Kupfer auf¬
genommen haben. Feine punktförmige braunrote Einlagerungen füllen
jetzt das vorher anscheinend freie Protoplasma der Zellen, während
die Kerne hell bleiben. Sogar im Linsenparenchym überall in feinen
interlamellären Spalten der R i n d e n schichten “erkennt man jetzt
Kupferderivate, und zwar nicht nur unter dem vorderen Kapselepithel,
sondern auch am Aequator und unter der hinteren Kapsel. Für die
oben beschriebene klinisch sichtbare Kupfertrübung der Linse, die
Sonnenblume, kommt natürlich nur die verhältnismäßig starke An¬
häufung von Kupfersalzen zwischen Vorderkapsel und Kapselepithel
in Frage. Aber der eigenartige gelblich-rötliche Schimmer, der die
grauweißen hinteren Kapseltrübungen auszeichnete, ließ auch schon
im klinischen Bilde vermuten, daß nicht nur von vom her Kupfersalze
in die Linse eingedrungen sein mochten. Es würde zu weit führen,
auf Einzelheiten physikalischer und mikrochemischer Untersuchungen
einzugehen, die ich in einer Fachzeitschrift mitteilen werde, es sei nur
darauf hingewiesen, daß die eigenartige Ausbreitung und Ablagerung
der Kupfersalze uns womöglich Anhaltspunkte geben kann für die noch
nicht geklärte Frage des Stoffwechsels der Linse des Auges. Hier
werden ejmerimentelle Arbeiten vielleicht neue Aufschlüsse erbringen
können. Bemerkenswert ist jedenfalls, daß ich bei zwei weiteren
Fällen intraokularer Messingsplitter, bei denen es zu totalem Wund¬
star der Linse gekommen war, wohl eine zarte, grüne, subkapsuläre
Kupfertrübung mit lebhaften Farbenerscheinungen feststellen sonnte).
daß aber hier die typische Anordnung der Sonnenblumenform sich
nicht ausgebildet hatte, wie sie in den nicht kataraktösen Linsen
immer zustandegekommen war.
Der Verlauf der drei mitgeteilten Fälle von Ver¬
kupferung des Augeninneren und Kupferveränderung
der Linse zeigt jedenfalls, daß auch die anscheinend harmloseren
Messingsplitter der Kriegsverletzungen bei jahrelangem Verweilen
schließlich doch noch eine ernste Schädigung des Sehorgans ver¬
anlassen. In den beiden ersten Fällen waren zweifellos fortsoireitende
krankhafte Veränderungen der Netzhaut und des Glaskörpers fest¬
zustellen, und der deletäre Verlauf des dritten Falles lehrt, daß noch
nach Jahren eine schwere Iridozyklitis das Auge vernichten kann.
Die leichte äußere Verletzung, die in diesem Fall dem Ausbruch der
Entzündung vorangegangen ist, mag den Prozeß beschleunigt haben.
Diese Erfahrungen müssen jedenfalls unser therapeutisches Vor¬
gehen beeinflussen. Wir werden auch bei Messingsplitterverletzungen
des Auges in Zukunft uns bemühen, wenn iigend möglich den
Splitter zu entfernen. Wenn das auch mit ganz besonderen Schwierig¬
keiten verbunden ist, da es sich ja um nichtmagnetische Splitter
handelt, so wird es guter Technik unter Leitung des Augenspiegels
doch in manchen Fällen gelingen. Selbst nach Ausbildung der zarten
Kupfertrübung, die den Einblick in das Augeninnere nicht beein¬
trächtigt, könnte die Entfernung des Splitters spätere schwere Folgen
verhindern, die noch nach vielen Jahren zu Verlust des Auges führen.
Das Auftreten der kaum zu übersehenden grünen Sonnenblumen¬
trübung in der schwarzen Pupille eines Patienten möge jeden Arzt
veranlassen, sogleich einen Spezialkollegen zu Rate zu ziehen. ^
Aus der Poliklinik für Ohren-, Nasen- und Kehlkopfkranke
in Göttingen. (Direktor: Prof. W. Lange.)
DiePrüfungdesHörnervenapparatesniitder (^-Stimmgabel.'
Von Prof. W. Uffenorde.
M. H.! Die physiologische Forschung über die obere TongVenze,
die im Laufe der Zeit vielfach einander widersprechende Ergebnisse
gezeitigt hat und mit den verschiedensten einander ablösenden Me¬
thoden geprüft ist, hat immer mehr zu der Erkenntnis geführt, daß
es überhaupt keine allgemein feststehende Grenze gibt, sondern daß
sie auch bei ganz Normalhörenden beträchtlich schwankt, und zwar
nicht nur von Fall zu Fall, sondern auch bei demselben Individuum
(Wilberg, Gildemeister).
Einmal spricht das Lebensalter mit. Die obere Tongrenze soll
nach Gildemeister noch im Kindesalter ihr Optimum aufweisen.
Bis zum Schluß der Pubertät sinkt sie schon um 1000 Schwingungen,
und nur vereinzelt findet man die an sich höchsten Orenzen um das
20. Lebensjahr. Gegen Ende des 5. Jahrzehnts beträgt sie etwa nur
noch 65o/o der Optimumzahl.
Ferner spielen die geistige Verfassung des Geprüften, ob ausgeruht
oder ermüdet, die Intelligenz, der Orad der Aufmerksamkeit, der
gute Wille des Geprüften u. dgl. m. eine wesentliche Rolle. Auch
die. Intensität der erregten Töne ist von Einfluß. Mit steigender Am*
litude rückt die obere Tongrenze hinauf. Schon ein geringfügiger,
aum nachweisbarer Tubenkatarrh kann die obere 'Tongrenze wesent¬
lich beeinträchtigen.
Wie steht es nun für die ohrenärztliche Praxis mit der
Feststellung der oberen Tongrenze?
Die Galtonpfeife, und zwar sowohl die von Burkhardt Me-
rian in die Praxis eingeführte, wie die von Ed e Im an n verbesserte,
welche in beiderlei Form als sehr handliches Instrument sich weiter
Verbreitung erfreute, mußte mit dem Fortschreiten der physiologisch-
physikalischen Erkenntnis vielen Zweifeln begegnen und ist dann
namentlich durch die Untersuchungen von Heainger, Schulze
und Hegen er vollends als unzuverlässig erkannt.
An ihre Stelle trat zunächst zur Feststellung der oberen Tongrenze
das Schulzesche und dann das Struyckensche Monochord.
Wie weit erfüllt nun in klinischer Hinsicht diese Methode, die ich
ja in diesem Kreise nicht näher zu beschreiben brauche, die daran
geknüpften Hoffnungen? Um hierüber ein Urteil zu gewinnen, habe
ich einmal von einer Doktorandin 2 ) an 175 Normalhörenden ver¬
gleichende Prüfungen mit verschiedenen Methoden anstellen lassen,
und zwar wurden diese Fälle, die sich aus allen Ständen, ver¬
schiedenen Lebensaltern von 12—60 Jahren, aus poliklinischen und
Privatkranken, auch einer Reihe von Kollegen zusammensetzten, mit
dem Struyckenschen Monochord, mit der (^-Stimmgabel (4096
Schwingungen) und der c*-Stimmgabel (2048) in Luftleitung und der
c-Stimmgabel (128) in Knochenleitung geprüft. Für den Nachweis
des normalen Gehörs wurde das Verstehen der akustisch in Zisch-
(z. B. 2, 7) und dumpfe Laute (z. B. 8, 9, 100) zu unterscheidenden
Zahlen von 1—100 in Flüstersprache in einer Entfernung von 7 m
bei durch Schüttelbewegung ausgeschaltetem anderen Ohre, das Er¬
haltensein der Knochemeitung für Uhr und ein Gehör von 50 cm'
Abstand vom Ohre für die Normaluhr gefordert.
Die Prüfung mit der Taschenuhr (Normaluhr), die bei Augen j
Schluß und festem Abschluß des anderen Ohres unter- Annäherung
der Uhr mit der Rückseite von außen, seitlich her vorzunehmen ist,
■ ») Vortrag, gehalten vor der Vereinigung Niedersächsischer Ohren-, Nasen- und
Halsärzte am 2. VII. 1921 In Hannover. — *) Martha Fricke, Vergleichende Hör¬
prüfungen bei Normalhörenden mit besonderer Berücksichtigung des Struycken-
seben Monochords and der c*-Stiramgabel. Inaug. Dias. Qöttingen 1021.
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
26. Januar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
gibt ein verläßliches Ergebnis, sobald sie so wiederholt in gleicher
Entfernung vom Ohr gehört wird. Sie ist namentlich bei geringer
Schwerhörigkeit wertvoll, weil wir im allgemeinen zur Prüfung mit
Flüstersprache nicht die nötigen Räume zur Verfügung haben, um
in der zum Nachweis geringer Grade von Schwerhörigkeit erforder-
liehen Entfernung prüfen zu können.
Alle Prüfungen wurden nach genauer Belehrung des zu Unter¬
suchenden mehrmals durchgeführt und aus den Ergebnissen das
Mittel gezogen.
In einer 2. Dissertation 1 ) habe ich ein von mir eingehend unter¬
suchtes Material von Nervenschwerhörigkeit, soweit es ein¬
wandfrei erschien, insbesondere psychogene Mitwirkungen unwahr¬
scheinlich waren, zusammenstellen lassen. Es bestand aus Explosions¬
schwerhörigkeit, aus Labyrinthschädigung mittelbarer und unmittelbarer
Art bei Verletzung der Schädelwölbung und bei Schädelgrundbrüchen.
Neben Friedensverletzungen kam namentlich eine große Zahl von
Kriegsverletzungen zur Verwendung, die ich in deii ersten l 1 /« Kriegs¬
jahren in Göttingen behandelte und an denen ich, vielfach wiederholt,
Gehörprüfungen angestellt habe.
Zunächst die Ergebnisse bei der ersten Untersuchungsreihe von
Normalhörenden.
Die mit dem sinnreich und auch verhältnismäßig handlich ge¬
hanten Struyckensehen Monochord erzielten Ergebnisse müssen
im großen und ganzen als ziemlich eindeutig erscheinen. Angesichts
der Schwierigkeit, über die obere Tongrenze überhaupt Aufschluß
zn erhalten, erwies sich auch hier das Instrument als leidlich zweck¬
entsprechend.
Doch sind, ganz abgesehen von den schon physiologisch be¬
dingten Schwankungen, die natürlich alle Untersuchungsmethoden be¬
treffen werden, auch die Nachteile des Instrumentes nicht zu ver¬
kennen.
Sie sind sowohl für den Untersucher wie für den Untersuchten
vorhanden. i
Einmal ist es schon nicht ganz leicht, mit dem Monochord über¬
haupt einen Ton zu erzeugen; das gilt namentlich für die oberste
Grenze, die Schwellenwerte. Es erfordert viel Uebung, vor allem auch,
um den Ton gleichmäßig zu erzeugen. Die Art des Reibens, das
geeignete Material dafür, die richtige Feuchtigkeit desselben, alles
wird die Ergebnisse sehr beeinflussen.'
Anderseits besteht für den Untersuchten die Hauptschwierigkeit
darin — und das betrifft wiederum die Schwellenwerte in erster
Linie —- zu entscheiden, ob es sich um einen Ton oder um ein
Geräusch handelt. Diese Schwierigkeit wird man ja bei Versuchen
an sich selbst leicht begreifen.
Unsere Ergebnisse bei der Prüfung mit dem Monochord schwan¬
ken zwischen 14 und 19000 Schwingungen für Luftleitung. Mehr als
19000 hat für Luftleitung niemand gehört. Die Werte bei der Prü¬
fung der Knochenleitung sind durchweg größer als bei der Luft¬
leitung, im Gegensatz zu denen von Struycken, der bisweilen die
Werte für Luftleitung sogar größer fand als die für Knochenleitung.
Sie erstreckt sich bei unseren Ergebnissen für Knochenleitung von
14 bis 20000 Schwingungen. Vergleichen wir damit die Resultate
anderer Autoren, so sehen wir bei Kal äh ne ein Schwanken zwischen
16 bis 18000 für Luftleitung und 17 bis 21000 bei Knochenleitung.
Struycken will mit seinem Instrument sogar ein Gehör bis
26000 Schwingungen nachgewiesen haben. Seine Angaben schwanken
noch weit beträchtlicher als die von Kal äh ne und uns, und zwar
für Luftleitung von 15 bis 22000, für Knochenleitung von 17 bis
26000 Schwingungen.
Ueber die erheblichen Unterschiede der einzelnen Untersucher
brauche ich kaum etwas hinzuzusetzen. Daß sie sich in der oliren-
arztlichen Praxis, deren Interesse hier in erster Linie Erörterung
finden soll, noch erheblich vergrößern werden, wird nicht zu ver¬
meiden sein, weil für solche sorgfältigen Untersuchungen kaum «immer
die nötige Zeit zur Verfügung steht. Da die Amplitude der Schwin¬
gungen eine wesentliche Rolle bei der Bestimmung der oberen Ton¬
grenze spielt, ist damit zu redinen, daß bei der Erregung der Mono¬
chordsaite schon durch den Unterschied der Fingerkraft bei den
einzelnen Untersuchern die Unterschiede bedingt sein können. Es
wird kein Zufall sein, wenn unsere Untersuchungsreihen, die von
einer Dame stammen, verhältnismäßig niedrige Werte aufweisen.
Das läßt sich auch mit der Annahme von Struycken in Einklang
bringen, wonach die Unterschiede bei Luft- und Knochenleitung um
so geringer sind, je kräftiger das Monochord erregt wird. Aber
gerade von diesem Gesichtspunkt aus sind wiederum die so stark
schwankenden Zahlen von Struycken beachtenswert.
Betrachten wir dann weiter die Ergebnisse mit der Stimmgabel
c 5 (4096 Schwingungen). Sie entspricht dem höchsten Klavierton, ja,
jedenfalls für die meisten Instrumente, auch etwa dem höchsten Ton
m der Musik überhaupt. Der t^-Ton liegt um ein weniges oberhalb
des Sprachgebietes, welches ja 8 Oktaven umfaßt und etwa bis
1000 Schwingungen reicht.
Die c 4 -Stimmgabel gilt als letzte in der aufsteigenden Tonreihe,
die zur Bestimmung der Hördauer (v. Conta) für die quantitativen
Prüfungen der Hör schärfe in Betracht kommen. Die Herstellung
von geeigneten Stimmgabeln mit höheren Tönen und genügender
Tondauer soll der Technik bislang nicht gelungen sein.
h PoJfmann Bietet die quantitative PrOfung ttdt der c*-S«mmgabel In Luft-
kfamg bd Nervenschwerhörigkeit einen verläßlichen Mnßstab für die Beurteilung der
HBnervealeMung? htsag. Disa. Gött,n &en 1021,
Wenn Bezold selbst der von ihm benutzten (^-Stimmgabel nur
8" Hörzeit einräumt, so trifft das für unsere Oabel nicht zu. Ent¬
weder handelt es sich dabei um ein unzweckmäßiges Modell, oder
Bezold — und mit ihm die anderen — hat seine c®-Gabel sehr
schwach erregt. Unsere d^-Gabel weist mit 30" eine genügend lange
Tondauer auf. Damit werden auch die der Stimmgabel vorgeworfenen
Messungsfehler wesentlich verringert.
Die Ergebnisse der tf-Prüfung sind ziemlich eindeutig. Sie
schwanken zwar auch, und zwar zwischen 25" und 35" Hördauer,
aber doch nur so, daß sie bei 175 Prüfungen nur 6 weniger als
28" hörten und 42 weniger als 30". Bei weitem die meisten hörten
sie zwischen 29" und 31". In der Praxis muß man aber wohl die
untere normale Grenze^ bei 25" annehmen. Genauere vergleichende
Prüfungen habe ich für die (^-Stimmgabel in der Literatur nicht
finden können, wie sie auch überhaupt nur selten zu den Hör¬
prüfungen benutzt zu sein scheint. Die Schwankungen sind bei der
(^-Stimmgabel absolut und relativ wesentlich geringer als z. B. bei
der c- (128) und g-Stimmgabel (96) und auch bei der (^-Stimmgabel
(2048), die häufig ja zur Beurteilung der Hörnervenleitung heran¬
gezogen ist.
Die an der unbelasteten Gabel mitschwingenden Obertöne können
hier kaum in Betracht kommen, jedenfalls für unseren Zweck nicht
störend wirken.
Uni die Stimmgabel möglichst gleichmäßig und auch zu einer
zweckentsprechenden Amplitude zu erregen, benutzen wir einen Holz¬
spatel, wie er den Abstrichröhrchen der Untersuchungsämter bei¬
gefügt wird. Läßt man diesen fast nur seiner Schwere nach auf
ein Zinkenende fallen, so schnellt er etwas zurück und verursacht
eine Erregung der Stimmgabel, die normalerweise einer Hördauer
von 30" entspricht.
Auf die Erfordernisse bei derartigen Prüfungen, die ja für alle
Stimmgabeln Geltung haben, wie richtige Haltung der Zinken' zu
der Gehörgangsöffnung zur Vermeidung der Interferenz, genügende
Annäherung der Gabel an das Ohr, Ab- und Zugehen mit der
Gabel u. a. m., brauche ich hier im einzelnen nicht näher einzugehen.
Auf besondere Hilfsmittel zur gleichmäßigen Erregung der Stimm¬
gabeln wird man im übrigen in der Praxis verzichten und auch ohne
Nachteil die den Stimmgabeluntersuchungen ganz allgemein anhaften¬
den Fehlerquellen (Struycken, Quix, waetzmann u. a.) in
Kauf nehmen können.
Bei den Prüfungen muß man dem ungleichmäßigen Abklingen der
Stimmgabel dadurch Rechnung tragen, daß man den Kranken be¬
sonders darauf aufmerksam macht, wie sie nach einiger Zeit nur noch
leise, aber mit schwachem Ton noch weiter klingt.
Die Schwingungsamplitude der Stimmgabeln verkleinert sich gleich
nach dem Anschlag ziemlich rasch, und zwar schon nach einem
Zehntel der ganzen hörbaren Schwingungsdauer bis auf 42o/o der
Anfangsamplitude. Später vollzieht sich diese Verkleinerung immer
langsamer bis zum völligen Verklingen der Gabel.
Erst das leiseste Verklingen des Tones soll vom Unter¬
suchten angegeben werden. Im übrigen wird der klare, von Geräu¬
schen freie Ton, der weit von der Schwelle der oberen und unteren
Tongrenze liegt, leicht und eindeutig gehört und auch die Tondauer
gut angegeben.
Wie sind nun die Ergebnisse bei der Zusammenstellung und
Nachprüfung der Fälle mit Nervenschwerhörigkeit?
Im großen und ganzen zeigen dabei die mit dem Monochord
erzielten, wie zu erwarten, eine erhebliche Herabsetzung der oberen
Tongrenze. Die Zahlen von Luft- und Knochenleitung weisen einen
großen Unterschied auf, viel größer, als er bei normalen Fällen
beobachtet wird. Dadurch werden die Resultate von Wolff bei
gleichen Veränderungen bestätigt.
In einer Reihe von Fällen sehen wir aber auch ein erhebliches
Schwanken der Eigebnisse von Untersuchung zu Untersuchung bei
demselben Fall, ohne daß eine Erklärung durch den Verlauf, etwa
durch anatomische Veränderungen und dergleichen, Wahrscheinlich¬
keit für sich hätte.
Die übrigen Untersuchungsergebnisse blieben dabei konstant oder
veränderten sich alle. Anderseits sahen wir auch bei einzelnen
Fällen mit Traumen eine unverhältnismäßig hohe Tongrenze. In
7 Fällen, bei denen es sich 3mal um Verletzungen der Schädet-
wölbung und 4mal um Explosionsschwerhörigkeit handelte, war die
Hörstörung nur gering. Die Flüstersprache wurde etwa 5 m weit
verstanden. Nur die Hörcfauer für die Stimmgabeln, besonders c 4
und c 5 , war verkürzt. Hier wäre also die Nervenschwerhörigkeit
durch das Ergebnis mit der Monochordprüfung gar nicht nachweis¬
bar gewesen.
Als beachtenswert erscheint mir noch der Umstand, daß wir mit
dem Monochord in seinem mittleren und unteren Bereich leicht recht
intensive Töne hervorrufen können, die die Amplitude der Schwellen¬
werte des Normalen ganz erheblich übersteigen. Namentlich wird
dieser Umstand bei der Prüfung der Knochenleitung ins Gewicht
fallen, wo beide Ohren ziemlich gleichmäßig erregt werden.
Die Prüfungen der c 5 -Stimmgabel zeigen demgegenüber bei
allen Fällen von Nervenschwerhörigkeit eine Verminderung der Hör¬
dauer und gewöhnlich auch im Vergleich zu den übrigen Stimmgabel¬
ergebnissen verhältnismäßig die größte Herabsetzung. Für die Ex¬
plosionsschwerhörigkeit traf es stets zu; ebenso für alle Formen
von Professionsschwerhörigkeit. Bei den übrigen Traumen wurden
nur ganz vereinzelt Ausnahmen von diesem Verhalten gefunden.
□ igitized by Gougle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
122
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 4
Sie darf mit anderen Worten als ein recht empfindlicher Maßstab
für die Beurteilung des Hömervenapparates gelten. Diese Ergebnisse
stimmen durchaus mit denen von Friedrich und Jaehne über¬
ein, die beide bei ihren Prüfungen von Artilleristen, selbst bei ge¬
ringsten Schädigungen durch Schalleinwirkung, die Hördauer Tür
c* Herabgesetzt fanden.
Die Angabe, daß die obere Tongrenze in einer größeren Reihe
von solchen Fällen mit leichter Schädigung, und zwar bei 19 von
61, nicht herabgesetzt gewesen sei, kann allerdings für sich be¬
trachtet nicht als einwandfrei gelten, da die Prüfung derselben noch
mit der Galtonpfeife vorgenommen ist. Aber im Vergleich zu den
übrigen Befunden sind sie doch sehr interessant.
Auch in diesem Zusammenhänge ist nochmals auf die vorhin er¬
wähnten 7 Fälle mit erhaltener, normaler oberer Tongrenze, aber er¬
heblich herabgesetzter Hördauer für c 5 und ziemlich guter Hör¬
fähigkeit für Flüstersprache zu verweisen. Vornehmlich durch die
Herabsetzung der tf-Hördauer wurde auch in diesen Fällen die
Nervenschädigung deutlich.
Leider fehlt in den Mitteilungen von Friedrich und Jaehne
die zahlenmäßige Angabe der Ergebnisse, wie ja audi die normale
Hördauer von c 6 nicht vermerkt ist. Darunter leidet die Uebersidit
und die Vergleichsmöglichkeit sehr.
An sich kann es natürlich nicht so auffallend erscheinen, wenn
die Hördauer für c® bei erhaltener oberer Tongrenze herabgesetzt
ist, da es sich bei der einen Prüfungsart um eine quantitative, bei
der andern aber um eine qualitative handelt.
Man könnte auch daran denken, so weit man überhaupt die
histologisch nachgewiesenen tierexperimentellen, bei den einzelnen
Tierarten sehr schwankenden Schallschädigungen von Wittmaack
u. a. zum Vergleiche heranziehen darf, daß eine selektiv umschriebene
Hörschädigung zustandegekommen sei und so nur ein umschriebener
Ausfall in dem Gesamttonbereich nachweisbar würde. Diese theoreti¬
schen Ueberlegungen dürften für unsere Fälle mit heftigen Schall-
einwirkungen nicht zutreffen können. So fand z. B. Sieben mann
schon bei den Versuchen mit der Sirene (f 3—f 4) schwere Verände¬
rungen in der ganzen Schnecke. Die Intensität der Erregung
ist eben hier in erster Linie verantwortlich zu machen. Auch Marx
hat bei seinen Tieren völlige Taubheit wahrscheinlich gemacht und
ja deshalb auch die Verwertbarkeit seiner, unseren Fällen gegenüber
viel eindeutigeren Degenerationsversuche für die Beurteilung der
H elmhol zschen Theorie abgelehnt. Für solche mehr als unpnysio-
logische Einwirkungen kann das nur als berechtigt angesehen werden,
wenn wir z. B. über ein offenstehendes Klavier mit abgehobenen
Dämpfern ein Gewehr abschießen, so kommt es auch zum Mit¬
klingen, wenn nicht zu Schädigungen aller Saiten (erzwungene
Schwingung), im Gegensatz zu der, man könnte sagen, physiologischen
Erregung z. B. mit einer Geige, wo dann nur die entsprechenden
Töne des Klaviers mitschwingen (Eigenschwingung).
Durch den Nachweis der Zu- und »Abnahme der Hördauer für e 5
konnten wir wiederholt die Verbesserung oder Verschlechterung des
Leidens feststellen und prozentual verfolgen. Dabei — das muß
als besonders wertvoll erscheinen — besserte oder verschlechterte
sich auch entsprechend das Hörergebnis für die anderen Unter¬
suchungsaften, namentlich für die Sprache. Die Zahlen 72 und 77
in Flüstersprache entsprechen ja fast der 5. gestrichenen Oktave.
Demgegenüber bietet uns die Prüfung der Hördauer von c 4 , die
Ost mann und besonders Lucae für sehr wertvoll hielten, bei
weitem nicht so verläßlichen Anhalt.
Die Hörnervenschädigung findet in der verminderten Hördauer
von c 5 im allgemeinen einen viel beredteren Ausdruck als bei c 4 .
Vielleicht würde, falls die Technik es zuließe, die Benutzung von c 6 ,
als fast der Mitte der Gesamttonstrecke entsprechend, in dieser Hin¬
sicht noch günstiger sein.
Schlafifolgernogen. Es muß namentlich für diagnostisch schwie¬
rige Fälle und vor allem für Begutachtungen, z. B. von Unfall¬
kranken, wünschenswert erscheinen, auch die obere Tongrenze zu
bestimmen. Dafür wird bis auf weiteres das Struy ckensche Mono¬
chord als das zweckentsprechende Instrument in Betracht kommen.
Ob die neuerdings angegebenen, viel versprechenden Apparate, die
auf elektrischem Wege konstante und gleichmäßige Töne erzeugen,
z. B. das Otoaudion von Grießmann-Schwartzkopf, das Mono¬
chord für die Praxis ablösen können, muß erst die Zukunft lehren.
Zur Zeit steht vor allem der hohe Preis noch hindernd im Wege.
Für die allgemeine ohrenärztliche Praxis ist zur Zeit
anderseits nicht zu verkennen, daß infolge der durch die physiologi¬
schen Schwankungen bedingten Unsicherheit der Feststellung der oberen'
Tongrenze in rein qualitativer Weise überhaupt und angesichts der
immerhin zeitraubenden Untersuchungsart und der Nachteile des
Monochords, die ja wohl auch die recht bescheidene Verbreitung
desselben bedingten, eine andere einfache Methode zur Beurteilung
des Hörnervenapparates wünschenswert erscheinen muß. Seitdem die
Galtonpfeife ihren alten Ruhm eingebüßt hat, dürfte im allgemeinen
in der ohrenärztlichen Praxis die Diagnose der Nervenschwerhörigkeit
nur auf ganz grobe und unzulängliche Prüfungsunterlagen hin ge¬
stellt werden. Oft genug wird noch lediglich auf die Ergebnisse bei
der verschieden starken Erregung der c 4 - oder fis 4 -Stimmgabel hin
die Differentialdiagnose gestellt. Ja, je nachdem die nur mit der
Hand angestrichenen oder mit dem Fingernagel angeknipste oder
mit einem festen Gegenstand angeschlagene Stimmgabel gehört wird,
bewertet man sogar nicht selten quantitativ die Nervenstörung. Daß
solche Prüfungsmethoden auch nur eine ungefähre Genauigkeit nicht
beanspruchen Können, braucht kaum hervorgehoben zu werden.
Als einen wertvollen Ersatz für die Feststellung
der oberen TongTenze glaube ich Ihnen zur Diagnose
der Nervenschwerhörigkeit die quantitative Prüfung
durch Luftleitung mit der c 5 -Stimmgabel, die ich seit
etwa 10 Jahren, ohne wesentliche Unstimmigkeiten
bemerkt zu haben, benutze, namentlich auch auf Grund
der hier zugrunde gelegten Untersuchungsreihe drin¬
gend empfehlen zu dürfen. Sie hat einmal den Vorzug,
in der einfachsten und handlichsten Weise ohne Zeit¬
verlust ausgeführt werden zu können, zum anderen
bietet sie vor allem klinisch eine hohe Verläßlichkeit.
Haben Sie eine normale Hördauer für c 6 , so dürfen
Sie damit rechnen, daß der Hörnervenapparat frei von
Veränderungen ist. Sie können sowohl in dem gefun¬
denen Wert den Grad der Hörstörung sich wider¬
spiegeln sehen, wie auch in der Veränderung der Hör¬
dauer in positiver und negativer Richtung eine Besse¬
rung oder Verschlechterung der Erkrankung des Ner¬
venapparates erkennen.
Ebenso wie schon eine leichte Tuben- oder Mittelohrentzündung
die obere Tongrenze qualitativ beeinträchtigen, also herabrücken kann,
wird auch das quantitative Ergebnis der c*-Prüfung dabei verändert
und die Hördauer vermindert werden können. Die Störung wird meist
vorübergehend, nicht selten aber auch dauernd sein und ist nament¬
lich bei akuten Prozessen noch schwer zu beurteilen.
Diese einfache, keine besondere Aufwendung er¬
fordernde Prüfungsart für die Hörnervenleistung
erscheint mir auch durchaus geeignet, im otiatri-
sehen Unterricht gebracht und so zum Allgemeingut
der Aerzte gemacht zu werden.
Aus der Chirurgischen Universitätsklinik in München.
(Direktor: Geh.-Rat Sauerbruch.)
Die Behandlung der bösartigen Geschwülste.
Von F. Saoerbroch und Dr. M. Lebsche.
(Fortsetzung aus Nr. 3.)
Ein wesentlicher Fortschritt in der Tiefentherapie ist dann auf
die Feststellung von S. Schwartz zurückzuführen, „daß anämische
Haut und anämisch gemachtes Gewebe gegen Röntgenstrahlen un¬
empfindlicher ist und daß die Anämisierung der Haut bei Tiefen¬
therapie am besten durch kräftige Kompression mit Filtern erreicht
wird“ (Köhler).
Namentlich in der Gynäkologie hat sich dann die Tiefentherapie
in der Behandlung der Tumoren durchgesetzt und an einzelnen
Kliniken die operative Therapie vollständig verdrängt.
Noch vor einigen fahren war der allgemeine Standpunkt der,
alle tiefer greifenden oder tiefer gelegenen operablen Karzinome zu
operieren und nur inoperable Fälle, sowie das oberflächliche Epitheliom
der ausschließlichen Radiotherapie zuzuweisen (WettererL Mit Zu¬
nahme der Erfahrungen. Verbesserung der Apparatur und Methodik
der Tiefenbestrahlung beanspruchte man auch die operablen Kar¬
zinome. So stellten Krönig und Gauß vor mehreren Jahren fol¬
gende Indikationen auf:
„Wenn das Karzinom noch operabel und der Kontrolle durch
Tast- und Gesichtssinn zugängig ist, so versuche man es durch
Strahlenbehandlung zu heilen. Bleibt der Erfolg aus, so kommt man
mit der Operation immer noch früh genug.
Wenn das Karzinom operabel, der Kontrolle durch Tast- und
Gesichtssinn aber nicht zugängig ist, so mag man die Radikaloperation
dann ausführen, wenn die für primäre Operationsmortalität und abso¬
lute Dauerheilung anzunehmende Zahl Aussicht auf Erfolg bietet;
ist das nicht der Fall, so wäre auch da die Strahlenbehandlung am
Platze.
Wenn das Karzinom inoperabel ist, muß auf jeden Fall eine
Intensivstrahlentherapie einsetzen, deren Erfolg man unter allen Um¬
ständen durch Kombination mit verwandten Behandlungsmethoden
unterstützen sollte.“
Zum Vergleich der Radiotherapie mit dem chiruigischen Verfahren
bei malignen Tumoren wird seitens der Radiologen hervorgehoben,
daß die Strahlenbehandlung dem chirurgischen Eingriff insofern über¬
legen sei, als sie unblutig, schmerzlos und schonend verlaufe; die
Gefahr der Implantation von Tumorzellen bestehe nicht. Sie eigne
sich auch für Träger von Neoplasmen, die eine andere Lokal- oder
Allgemeinerkrankung haben; inoperable Tumoren könnten durch Be¬
strahlung zur Operabilität geführt werden; bei operablen Fällen
könnten durch kräftige Vorbestrahlung, durch Herabsetzung der Zell¬
vitalität die Gefahren der Impfmetastasen verringert werden, und
schließlich wirke die Bestrahlung auch in desolaten Fällen anerkannt
analgesierend.
Demgegenüber muß nachdrücklichst auf die Gefahren und
Nachteile der Röntgentherapie hingewiesen werden; es kom¬
men Schädigungen der Haut und der Schleimhäute der Köroeriiohl-
organe vor, die die Gefahr der Perforation mit sich bringen. Es treten
nach Intensivbestrahhmg großer Bauchtumoren tiefgreifende Verände-
□ igitized by Google
Original from
CORUELL UNIVERSITY
26. Januar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
123
rangen im ßlutbild ein* Leukozytenabstürze, die sich nicht wieder aus-
gleichen, ein Zustand, den Krönig als irreversible Blutschädigung
Bezeichnet hat. Gelegentlich können die Tumoren weniger als ihr
Wirtgewebe von der Strahlenenergie betroffen sein, und die Folgen
sind schwere Ulzerationen, sowie stärkeres Wachstum des Tumors. Es
kann ferner die sogenannte Kolliquation des Tumors eintreten, wobei
die zentralen Partien desselben sich verflüssigen und in Nachbarorgane
durchbrechen. Die nach Bestrahlung auftretende erhöhte Gefahr der
Metastasierung wird von den einen Autoren bestritten, von anderen
(Dieterich) in bezug auf die Häufigkeit von Pleurametastasen
nach Bestrahlung von Mammakarzinomen zugegeben, ja neuerdings
besonders betont. Auf Grund unserer Erfahrungen muß die schnel¬
lere und ausgiebigere Metastasierung nach Sarkombestrahlung unbe¬
dingt zugegeben werden. Daß schließlich Schwachbestrahlungen eine
stimulierende Wachstumswirkung ausüben können, ist schon 1904 von
den Franzosen Bergoni£ und Tribondeau beobachtet worden
(Wetterer).
Zur Unterstützung der Strahlenwirkung wurde von Werner
Borcholin (Enzytol) intravenös injiziert und eine Sensibilisierung der
pathologischen Zellen angestrebt, da Cholin auf tierisches Gewebe
wie Radium- oder Röntgenstrahlen wirkt. Metalle in kolloider Form
(Kobalt, Selen), Thorium X, Kankroin, Antimeristem wurden zur
Tumorbehandlung herangezogen, leider aber in ihrer Dauerwirkung
nicht zuverlässig befunden.
Man erwartet nun eine günstige Wirkung von der Bestrah¬
lung dann, wenn nicht oder nur wenig geschädigte normale Gewebs-
elemente neben den geschädigten Tumorzellen vorhanden sind und
wenn keine zu erhebliche Allgemeinschädigung des Organismus sich
bereits findet oder durch die Bestrahlung erzeugt wird. Diese Er¬
wartung stützt sich auf die obenerwähnte Anschauung, daß die
Lymphdrüsen wie das Bindegewebe die Abwehr der eindringenden
Krebszellen besorgen. Nach einer Karzinombestrahlung sieht man,
wie Opitz sagt, neben den Quellungs- und Verschmelzungszuständen
in den Krebszellen Wucherungsvorgänge. Wanderzellen verschiedener
Art sind an der Fortschaffung zerstörter Karzinomzellen beteiligt.
Soll ein Erfolg der Bestrahlung in den Krebszellen eintreten, dann
muß auch die Reaktion des Bindegewebes erfolgen. „Wir würden
dann sagen können, daß durch die Bestrahlung zwar eine Schädigung
der Karzinomzellen gesetzt wird, die aber an sich bedeutungslos
bleiben kann, wenn nicht auch eine Reaktion des Bindegewebes ein¬
setzt, die dann in günstigen Fällen die völlige Beseitigung des
Kar/ 10 ms herbeizuführen imstande ist. Erforderlich dürfte dazu sein
eine genügend starke Einwirkung auf die Karzinomzellen und keine
oder wenigstens nur eine geringe Schädigung, besser sogar eine Reiz-
wirkung auf das das Karzinom begrenzende Gewebe.“ Die alte Auf¬
fassung von der Spontanheilung von Karzinomen findet dadurch eine
gewisse Stütze. Diese biologische Betrachtungsweise über die wün¬
schenswerte Wirkung der Köntgentiefentherapie auf die Tumoren
läßt die außerordentliche Schwierigkeit ihrer Anwendung andeutungs¬
weise erkennen und schützt vor allzu optimistischer Beurteilung der
Bestrahlungserfolge. Unstreitig waren zunächst jene Bestrebungen
berechtigt, die ein höchst leistungsfähiges und höchst zuverlässiges
Instrumentarium bezweckten. Aber die einseitige Betonung der physi¬
kalischen Seite der Aufgabe, die in der andauernden Verbesserung und
Verstärkung der Apparatur zum Ausdruck kommt, kann, wie Sauer¬
bruch aut dem 5. Bayerischen Chirurgentag betonte, nicht befrie¬
digen. Es darf vielleicht hinzugefügt werden, daß sie die Ursache
für die Entfremdung ist, die zwischen Klinik und Radiologie mancher¬
orts in Erscheinung tritt. Aber so wenig die exakten Reagenzglas¬
versuche der Bakteriologie die vitalen Vorgänge bei der Infektion
ganz zu deuten vermögen, so wenig läßt sicn der biologische Abbau¬
prozeß nach Tumorbestrahlung in mathematische Formeln zwängen.
Berechenbar mag die angewandte Strahlenenergie sein, aber Eigen¬
art der Geschwulst, ihre Wachstumsenergie und ihre Radiosensibihtät,
wie die Gesamtverfassung und -reaktion des Tumorträgers entziehen
sich exakten Meßmethoden. Kritische, klinische Beobachtung und
Betrachtungsweise allein fällt das bindende Urteil über Aussichten
und Erfolge der Tiefentherapie, die dadurch, von manchen schädlichen
Superlativen befreit, nur ein um so wertvolleres Instrument der Heil¬
kunst darstellen wird.
Ein Vergleich der Erfolge chirurgisch-operativer und radiologi¬
scher Behandlungsmethoden muß nach dem Vorgänge der Gynäko¬
logen die Zahl der tatsächlich Ueberlebenden zur Zahl der überhaupt
beobachteten Fälle in Beziehung bringen (Döderlein). Abzüge
primär oder interkurrent Verstorbener dürfen nicht gemacht werden.
Es ist üblich, eine Dauerheilung nach 5jähriger Rezidivfreiheit anzu¬
nehmen, eine Frist, die nicht immer genügen wird. So verlor Kütt-
ner von den radikal operierten Rektumkarzinomen im 4.-5. Jahr
oadi der Operation 21, im 6.-8. Jahr noch 8 und sogar* im 9. bis
10. Jahr noch 3 Fälle an Spätrezidiv.
Da ferner die Radiologen den Beginn ihrer „Neuzeit“ in das
Jahr 1918 verlegen (Albers-Schönberg), seit welcher Zeit wissen¬
schaftlich begründete Meßverfahren (lontoquantimeter) und moderne,
gasfreie (Elektronen-) Röhren im Gebrauch stehen, so werden sich
die Dauererfolge moderner Tiefentherapie erst nach Ablauf mehrerer
Jahre zeigen. Statistiken von heute haben daher nur bedingten Wert.
Sie bieten aber doch viel des Interessanten.
Citletrentiich der Tagung der Bayerischen Gesellschaft für Ge¬
burtshilfe und Frauenkrankheiten am 30.1. 1921 berichteten Seitz
und Win tz über ihre klinischen Erfahrungen und technischen Neue-
raagen 'in der Röntgenbehandlung der Karzinome. Die öjahngen
Beobachtungen von 58 vorwiegend mit Röntgenstrahlen, kombiniert
mit kleinen Mengen von Radium (lmal 50 mg Radiumelement intra-
zervikal für 24 Stunden), behandelten Kollumkarzinomen er¬
gaben eine Dauerheilung und eine absolute Heilungsziffer von 20,7o/o.
Ihre Röntgentiefentherapie versuchen die Autoren durch die soge¬
nannte „Verkupferung des Karzinoms“ zu unterstützen, indem sie
auf elektrolytischem und kataphoretischem Weg Kupfer und Kupfer¬
salze in das zu bestrahlende Gewebe bringen.
Kehrer erzielte bei der radikalen Operation des Kollumkarzinoms
eine absolute Dauerheilungsziffer von 20o/o, bei der Radiumbestrah¬
lung ebenfalls 20 o/o.
Opitz, der das Krönigsche Material der Freiburger Klinik
aus den Jahren 1912—1917 publiziert, kann berichten, daß Kollum-
karzinome bis zu 23o/o durch Röntgenbestrahlung geheilt werden
konnten.
An der Zweifelschen Klinik wird heute noch jeder operable
Fall von Uteruskarzinom nach der erweiterten abdominalen Methode
operiert. Die Strahlentherapie wird hauptsächlich zur Behandlung
inoperabler und nur ausnahmsweise operabler Karzinome herange¬
zogen. Schweitzer kann über die Erfolge folgende Mitteilungen
machen: Die absolute Heilung, welche angibt, wie viele Kollum-
karzinome bei Berücksichtigung aller die Klinik oder Poliklinik auf¬
suchenden Karzinomkranker durch diese Operation geheilt werden
können, beträgt 25°/o (ohne Abzug). Die gemischte Therapie
aber erzielte eine absolute Totalheilung aller in einem Jahre ge¬
sehenen Kollumkarzinome von 31 <Vo, eine Zahl, welche durch keine
Methode der alleinigen Strahlentherapie an gleich lang beobachtetem
Material erreicht, von anderer Seite mitgeteilt werden konnte.
Die Freiburger Klinik verzeichnet beim Korpuskarzinom eine
absolute Heilung von 52,63o/o, die Leipziger Frauenklinik eine solche
von 75°/o. Dabei ist zu betonen, daß diese überaus günstigen Erfolgs¬
ziffern an der Klinik Zweifel aus einer Zeit stammen, in der nur
Metallstrahlen (Mesothorium bzw. Radium) und noch keine modernen
Röntgenapparate zur Verfügung standen. Operation und Strahlen¬
behandlung, „Messer und Strahl“, dürften also, auch nach den
Erfahrungen der Tübinger Frauenklinik, zur Zeit selbst für jene
Karzinome das Beste sein, denen man gerne eine Sonderstellung
unter den malignen Geschwülsten einräumt und für welche viele
Gynäkologen ausschließliche Strahlentherapie reserviert wissen wollen.
Daß der letzteren Entwicklungsmöglichkeiten unter den schon er¬
wähnten Einschränkungen größer sind als die der operativen Be¬
handlung und daß in der Hand des einzelnen beide Methoden ver¬
schieden leistungsfähig sein können, muß zugegeben werden.
Bei den chirurgischen Karzinomen, die je nach histologischer
Beschaffenheit, Abkunft und Lokalisation ein ganz verschiedenes Ver¬
halten zeigen, ist die Wahl des Heilverfahrens auch von ihrer empi¬
risch gefundenen Radiosensibilität abhängig zu machen. Denn nicht
immer ist die Malignität eines Tumors im klinisch-chirurgischen
Sinne gleich zu erachten seiner Empfindlichkeit gegenüber der Strahlen¬
therapie. Wetterer führt als Beispiel dafür an, daß manche Mamma¬
karzinome mit zahlreichen lentikulären Hautmetastasen viel besser
reagieren als etwa ein kleines, nur langsam wachsendes, auf seine
Umgebung übergreifendes Hautkarzinom des Schädeldaches, das sich
sehr ungünstig verhalten kann. Dem bösartigen, weichen, rasch
zerfallenden und bald metastasierenden Medullarkrebs, der unter Strah¬
leneinwirkung wie Schnee an der Sonne schmilzt, wird der Skirrhus
gegenübergestellt, der bei spärlichen epithelialen Einlagerungen reich¬
lich derbes, faseriges Bindegewebe enthält und nur schwer zu be¬
einflussen ist. Und noch weniger empfindlich sind Psammome und
osteoblastische Sarkome. Wetterer faßt diese Erfahrungen in
dem Satz zusammen, daß die am wenigsten differenzierten, unreifen,
embryonalen Charakter aufweisenden Formen des Karzinoms, die im
allgemeinen als die bösartigsten gelten, strahlenempfindlicher und
daher leichter zu beeinflussen sind als die hochdifferenzierten. Das
Gleiche gelte von weichen, rasch wachsenden Krebsen im Gegensätze
zu Tumoren von festerem Bau und langsamerem Wachstum.
Man nimmt auch an, daß der Tumor in allen Teilen verschieden
strahlenempfindlich ist und daß die älteren, ruhenden Partien
weniger radiosensibel sind als die jüngeren, progredienten. Die Dicke,
Tiefenlage, der Boden, auf dem aas Karzinom seinen Sitz hat, und
schließlich das Alter und der Allgemeinzustand des Kranken sind
natürlich von maßgebender Bedeutung sowohl für die Wahl des
Heilverfahrens wie für die Aussichten desselben. Werden außerdem
die Ergebnisse klinischer Nachuntersuchungen therapeutisch und pro¬
gnostisch verwertet, dann lassen sich gewisse, freilich nicht unver¬
änderliche Regeln aufstellen, wie die Karzinome der einzelnen Körper¬
regionen zur Zeit am rationellsten behandelt werden, mit Operation
oder mit Strahlentherapie oder kombiniert. Wertvolle Richtlinien
darüber enthalten Arbeiten von Wetterer, Werner und Rapp,
auf die im Folgenden Bezug genommen wird.
Die klinischen Erfahrungen gehen nun im einzelnen dahin, daß das
oberflächliche Hautkarzinom, auch Epithelioma benig-
num oder Ulcus rodens genannt, durch Bestrahlung in 70—90%
der Fälle vollkommen geheilt werden kann; besonders hervorgehoben
wird die schöne, kaum sichtbare Narbe. Ein Teil der Fälle erweist
sich allerdings gegen Bestrahlung außerordentlich resistent, verträgt
riesige Bestrahlungsdosen und ist außerdem in seinen verschiedenen
Partien verschieden strahlenempfindlich.
Wenn man damit die Resultate der operativen Behandlung ver¬
gleicht, so ist zu sagen, daß nach frühzeitiger Exstirpation Rezidive
überhaupt zu den Ausnahmen gehören; ferner ist zu bedenken, daß
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
124
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 4
diese Karzinome von Haus aus eine große Neigung zu
Heilungsvorgängen zeigen und daß aer alte Thiersch schon
immer betont hat, cfiese Karzinome heilen, wenn man sie in Ruhe
läßt und ein Läppchen darauflegt. Von Zeller wurde zur Behandlung
oberflächlicher Hautkarzinome eine Arsenpaste empfohlen, mit der
gelegentlich überraschende Erfolge erzielt wurden.
Schon weniger sicher ist der Erfolg der Bestrahlung bei den tief¬
greifenden papillomatösen Hautkrebsen. Obwohl sie erfah¬
rungsgemäß auch dann noch mit Röntgen geheilt werden können (!),
wenn sie schon auf Faszie, Muskel und Knochen übergegriffen haben,
empfiehlt doch Wetterer, operable, tiefe Hautkarzinome blutig
zu entfernen. Nicht selten sind auch sie röntgenrefraktär, oder sie
reagieren auf Bestrahlung mit vermehrtem Zerfall und baldiger Meta¬
stasierung. Man schätzt aber die analgesierende Wirkung der Strahlen¬
therapie, die überdies bei rezidivierenden, inoperablen Tumoren noch
einen vollständigen Umschwung zur Besserung, ja gelegentlich klinische
Heilung herbeizuführen imstande ist.
Unter Bezugnahme auf diese Karzinomform erwähnt Bier ein
schweres, inoperables Gesichtskarzinom, das die Haut, die Parotis,
den unterliegenden Knochen und Muskel zerstört und den Nervus
facialis gelähmt hatte, und erinnert an das historische Glüheisen,
das er für ein weit besseres Mittel gegen das inoperable Karzinom hält
als das Röntgenlicht. In diesem Falle gelang es ihm, durch Aus¬
schaben und Brennen das Karzinom dauernd zu heilen. Auch wir
haben in ähnlich gelagerten Fällen das Ferrum caudens mit Glück
versucht, verfügen aber noch nicht über Dauerheilungen.
Was vom tiefen Hautkarzinom gilt, kann auf das Karzinom der
Mund- und Rachenhöhle übertragen werden.
Die operablen Lippenkarzinome sollen operiert werden, da
die Bestrahlungsresultate hinter den operativen Zurückbleiben. Man
erreichte durch ausschließliche Radiotherapie Dauerheilung in 70%
der Fälle, beobachtete aber auch noch nach 3—5 Jahren Rückfälle.
Man sollte daher auch die Karzinome der Wangenschleim¬
haut, des Gaumens, der Tonsillen, der Rachenwand,
der Speicheldrüsen, wenn irgend möglich, operativ angehen
und. sollte selbst den Versuch unternehmen, inoperable Krebse durch
Vorbestrahlung operabel zu machen. Gelegentlich bildet das Vor¬
handensein von Drüsenmetastasen keine Gegenindikation gegen
die Entfernung des Primärtumors; für die Strahlentherapie bleibt auch
dann noch ein weites, fruchtbringendes Arbeitsfeld. Krebse des
Naseninnern eignen sich besonders gut für die kombinierte Be¬
handlung mit Röntgen und Radiumeinlage.
Zungenkarzinome müssen tunlichst operiert werden. Strahlen¬
therapie allein vermag den Tumor zu verkleinern, aber oft schon
nach einigen Monaten beginnt er erst recht rapide zu wuchern.
Die in frühen Stadien operierten und dann nachbestrahlten Fälle
blieben nach Werner und Rapp fast alle gesund. Bier berichtet
über 3 Zungenkarzinome im allerersten Beginn, bei denen kleinste,
mikroskopisoi 2mal nicht als Karzinom erkannte Geschwürdien trotz
wiederholter Operationen durch rasch auftretende Rückfälle zum Tode
führten. Er spricht die Vermutung aus, daß die Operation die Weiter¬
verbreitung des Karzinoms gefördert habe, und will beim beginnenden
Zungenkarzinom den Versuch wagen, dasselbe mit Bluteinspritzung
und Röntgenlicht zu behandeln. Da aber die Krankengeschichtsaus¬
züge ergeben, daß in keinem Fall eine wirkliche Exstirpation der
Zunge und nur einmal eine Intensivbestrahlung vorgenommen worden
war, vermögen wir Biers Anschauung nicht beizupflichten.
Für Larynx- und Oesophaguskarzinome gilt als Regel,
operable Tumoren zu exstirpieren und nachzubestrahlen. Vermag die
Tiefentherapie auch manche inoperablen Fälle von Kehlkopfkrebsen
klinisch zu heilen, so haften ihr doch besondere Gefahren an, das
Glottisödem, die Perforation nach der Speiseröhre zu und die Schluck¬
pneumonie. Beim Speiseröhrenkrebs erzielte die Röntgen- bzw. Radium¬
therapie nie Heilung, nur Besserung.
Das Mammakarzinom:
Seit Gocht im Jahre 1897 erstmals das Mammakarzinom mit
Röntgen bestrahlt hatte, entstand ein immer lebhafterer Widerstreit
der Meinungen über die beste Behandlungsmethode. Chirurgischer-
seits will man der Strahlentherapie nur die inoperablen Tumoren,
Rezidive und Metastasen überantworten, die operablen Tumoren
aber bedingungslos operieren. Radiologen und Gynäkologen be¬
mängeln ihrerseits die operativen Dauererfolge und glauben gerade
durch Bestrahlung der operablen Fälle einen ungleich höheren Prozent¬
satz Dauerheilungen erreichen zu können als die Chirurgen. Aus
schon früher angeführten Gründen können die Statistiken der ver¬
schiedenen Disziplinen gegeneinander nicht verglichen werden.
Seitz und Wintz berichteten im Januar 1921, daß von den
primär bestrahlten Mammakarzinomen nach 2, 3 und 4 Jahren die
meisten noch am Leben und gesund waren und daß die Nachbestrah¬
lung operierter Mammakarzinome das Auftreten von Rezidiven ver¬
hindert habe.
Sehr lehrreich sind nun die Zahlen aus der Freiburger Klinik,
der Klinik, die am lautesten für die primäre Bestrahlung der operablen
Mammakarzinome eingetreten ist.
Für die Gesamtzahl aller beobachteten Mammakarzinome ergibt
sich nach Opitz Dauerheilung in 19,64% der Fälle. Die Rezidivtrei-
heit betrug beim gut operablen Tumor nur 14,28% (!), beim Tumor,
der die Grenzen der Operabilität schon überschritten hatte, 31,11 o/o
und beim absolut inoperablen Karzinom 0%. Recht ungünstig sind die
Freiburger Erfahrungen bezüglich de9 Krankheitsverlaufes bei Rezi¬
diven. Vs der Fälle reagierte überhaupt nicht auf Bestrahlung, das
2. Drittel wies zunächst subjektive und objektive Besserung auf, die
aber nur von kurzer Dauer war, und das 3. Drittel erlebte eine schein¬
bare Heilung für 3 Monate bis zu einem Jahr, bis auch hier das
Schicksal sich erfüllte.
Günstiger lauten Berichte von Werner und Rapp: Durch Rönt¬
genstrahlen kann man Rezidive zwar nicht verhindern, aber seltener
machen und vielfach wieder zum Verschwinden bringen, womit eine
wesentliche, oft viele Jahre anhaltende Lebensverlängerung erreicht
wird. Mit Recht erklärt man es als besonderen Vorzug der Strahlen¬
therapie, daß es ihr gelingt, Knochenmetastasen mit Spontaufraktur
zur praktischen Ausheilung zu bringen. Da aber anderseits das
operative Vorgehen einen höheren Prozentsatz Dauerheilung garan¬
tiert — es wurden, wie wir gehört haben, nach einigen Statistiken
40, 60 und mehr Prozent Dauerheilung erzielt —, so kommt man
zu dem Schluß, daß die Chirurgen daran festhalten müssen, ope¬
rable Mammakarzinome unbedingt zu operieren.
Wesentlich einfacher ist die Frage über die zur Zeit beste Behand¬
lung der Karzinome des Verdauungstraktus zu lösen. Man
sah bei Bestrahlung von Magen- und Sigmoidkarzinomen vorübergehend
Besserung, gelegentlich Rückbildung der Tumoren und Besserung des
Allgemeinbefindens, aber keine Heilung. Man kombinierte Röntgen¬
licht und Vorlagerung der Tumoren und erzielte Besserung für
2—4 Jahre, aber keine Heilung. Frühzeitige Diagnose und frühzeitige
Operation gaben allein die relativ besten Heilungsmöglichkeiten, und
nur wirklich inoperable Fälle sollten einem strahlentherapeutischen
Versuch zugeführt werden.
Das Gleiche gilt für die Behandlung der Rektumkarzinome.
Die in Freiburg bestrahlten Fälle starben alle an ihrem Krebsleiden.
Da auch anderwärts wenig befriedigende Erfolge mit ausschließlicher
Bestrahlung erzielt werden, eigibt sich als einzig mögliche Voraus¬
setzung eines Dauererfolges Frühoperation. Der Wert der Aktino-
therapie kommt zur Geltung bei der postoperativen Bestrahlung,
die ziemlich allgemein empfohlen, neuerdings freilich auch wegen
erhöhter Rezidivgefahr abgelehnt wird, und bei Behandlung inoperabler
Tumoren. Durch Verkleinerung der letzteren, Abnahme des lauchungs-
rozesses und Verringerung der Schmerzen wird das Leben des Tumor¬
ranken wenigstens erträglicher gestaltet und wohl auch verlängert.
Dabei darf man nicht vergessen, daß die anatomische Lage der
Rektumkarzinome der Bestrahlung mindestens ebensogut zugänglich
ist, wie die der Koilumkarzinome. Die Mißerfolge erküren sich ganz
zweifellos nur durch die biologische Eigenart des Tumors.
Tumoren der Niere, Nebenniere und des Pankreas
sind die wenigst dankbaren Bestrahlungsobjekte; eher noch reagieren
Blasen- und Prostata ge schwülste, doch vermissen auch hier
die Radiologen durchgreifende und längerdauernde Erfolge. Einzig
die Früh Operation ermöglicht Dauererfolge. Daß bei Blasen-
papillomen endovesikale Operationen (Elektrokoagulation) be¬
achtenswerte Erfolge erzielen können, soll kurz erwähnt werden.
Die Erfahrungen der modernen Behandlung der Sarkome gehen
zunächst dahin, daß sie auf Bestrahlung leichter reagieren als die
Karzinome, daß sie aber auch leichter rezidivieren. Manche Sarkome
verhalten sich gegenüber Röntgenlicht völlig refraktär, andere schwin¬
den rasch, führen aber, wie die Melanosarkome, bald zu Fernmetastasen,
die jeder Bestrahlung trotzen. In der Radiosensibilitätsskala stehen
als die empfindlichsten Sarkome obenan die Lymphosarkome; es
folgen die übrigen kleinzelligen Rundzellensarkome, die großzelligen
Rundzellensarkome, die kleinzelligen Spindelzellensarkome, die gro߬
zelligen Spindelzellensarkome, die Riesenzellensarkome. Deren typi¬
scher Vertreter, die Epulis, kann schon nicht mehr als besonders
strahlenempfindlich bezeichnet werden. Je höher entwickelt die Sar¬
kome sind, um so unsicherer ist der Bestrahlungseffekt. Fibrosarkome
sind noch relativ strahlenempfindlich, sehr wenig dagegen die lipo-
blastischen, chondroblastischen und osteoblastischen Sarkome.
Die Erfolge der Röntgentherapie bei Sarkomen desMediasti-
nums und der Schädelbasis sind zunächst sehr bedeutsam,
und es ist für die Kranken höchst beglückend, wenn der quälende
Lufthunger schwindet oder gelegentlich die Sehkraft nach gänzlicher
Blindheit wiederkehrt. Nur bilden leider Dauerheilungen nicht die
Regel, und die Zahl der rezidivfrei gebliebenen Sarkomträger ist nach
Jahr und Tag gering. Man tut daher gut, Sarkome, bei denen der
lokale und allgemeine Befund aktives Vorgehen gestatten, möglichst
radikal zu operieren.
Die Heilungsaussichten sind aber, wie gesagt, gerade bei den
Sarkomen abhängig von ihrer histologischen Struktur. Gegenüber
den periostalen Sarkomen sind chirurgische Mittel völlig machtlos,
Bestrahlungsversuche ohne Dauererfolg. Bei den myelogenen Sar¬
komen können Operation und Röntgenbestrahlung dauernde Heilung
erzielen, wenn sie nicht, was gelegentlich vorkommt, spontan aus¬
heilen. Auch zu diesem Thema Kann ich auf Grund der Erfahrungen
unserer Klinik Stellung nehmen. Wir haben nicht weniger als 3
anderwärts bestrahlte Sarkomkranke gesehen, bei denen die Bestrah¬
lung nicht nur keinen Erfolg, sondern im Gegenteil eher zu einem
Größerwerden der Oeschwulst geführt hatte. Zwei der Kranken sind
seit der Operation vor 2 bzw. 3 Jahren rezidivfrei und gesund.
Ueber den 3. Fall wird mein Chef nachher selbst berichten. Beim
3. Fall verschwand im Anschluß an die Operation mit demarkierender
Eiterung die Geschwulst.
Meine Ausführungen versuchten den Beweis zu erbringen, daß
die Hauptwaffc in der Abwehr der malignen Geschwülste auch heute
noch die frühzeitige radikale Operation darstellt, ein
Grundsatz, der auf dem diesjährigen Cniruigenkongreß sich erneut
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
26. Januar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
125
volle Geltung verschaffte. Gegenüber der operativen Tumorbehand¬
lung sollen die oft wunderbaren Erfolge der Aktinotherapie weder
verringert noch überschätzt werden. Für beide Methoden aber muß
eine strenge allgemeine und individuelle Indikationsstellung gefordert
werden und genauester klinischer Prüfung die Wahl des Heil¬
verfahrens Vorbehalten bleiben. Unbedingt abzulehnen ist die schema¬
tische Ueberweisung der operablen Tumoren zur Operation, der
inoperabler, zur Bestrahlung, und gerade vom klinischen Standpunkt
aus muß diese zum subkortikalen Reflex gewordene unärztliche
Ansicht bekämpft werden. Immer dringender wird verlangt, es solle
über dem lokalen Leiden der Gesamtorganismus mit seinen Bedürf¬
nissen und Krankheitsveränderungen nicht unberücksichtigt bleiben.
Schon aus diesem Grunde dürfen auch jene oben erwähnten allge¬
meinen und besonderen Maßnahmen zur Bekämpfung der bösartigen
Geschwülste (Proteinkörpertherapie, Diathermie usw.) nicht unter¬
schätzt oder vernachlässigt werden, und zwar um so weniger, als
ihre Anwendung vielleicht neuen Einblick in das Wesen der Tumoren
eröffnet. (Ein III. Artikel folgt.)
Aus der Medizinischen Universitätsklinik zu Rostock.
(Direktor: Prof. Dr. Hans Curschmann.)
Zur Therapie des Ulcus ventriculi perforatum mit Bildung
eines subphrenischen Gasabszesses (Pyopneumothorax
subphrenicus).
Von Dr. Rudolf Stahl, Assistenzarzt der Klinik.
Vor kurzem berichtete Schottmüller über 3 Fälle von per¬
foriertem Magengeschwür mit Bildung einer subphrenischen Gas¬
ansammlung (Pneumothorax subphrenicus). Sämtliche verliefen gut¬
artig unter konservativer Behandlung, trotzdem sich nach akutem
Einsetzen der Erkrankungen anfangs peritonitische Symptome mit
Verhaltung von Stuhl und Winden, teilweise mit Erbrechen, in
2 Fällen mit Temperaturerhöhung eingestellt hatten.
Beim Lesen dieser überraschend günstig verlaufenden Fälle von
Magenperforationen mit Selbstheilung wird vielleicht mancher Arzt
einen gewissen Optimismus in bezug auf den Verlauf solcher sicher
nicht häufigen Ereignisse gewinnen; er wird möglicherweise in Fällen
lokaler peritonitischer Symptome eher den Entschluß zu abwarten¬
der, konservativer Behandlung fassen. Ist doch für den Arzt in
Grenzfällen, in denen fest formulierte wissenschaftliche Thesen nicht
ohne weiteres den Weg weisen, ein intuitives Handeln, das sich
bewußt oder unbewußt auf frühere Beobachtungen oder in Er¬
innerung gebliebene Mitteilungen gründet, die Regel. Das veran¬
laßt uns gerade, im Anschluß an die oben erwähnte Veröffentlichung
eine Beobachtung mitzuteilen, unter deren frischem Eindruck wir
noch stehen.
Ein 49jähriger Mann, der nichts von früheren Magenbeschwerden
zu berichten weiß, bekommt am 1. X. 1921, nachts 11 Uhr, eine
halbe Stunde, nachdem er sich zu Bett gelegt, plötzlich überaus
heftige Schmerzen in der oberen Bauchgegend, die nach der Brust
zu ausstrahlen. Gleichzeitig tritt Kurzluftigkeit ein, kein Erbrechen,
nur saures Aufstoßen.
Erst am 3. X. abends Einlieferung in die Klinik. Der große,
kräftig gebaute Mann zeigt leicht ikterische Haut- und Skleren¬
färbung. Dyspnoe, 30 Atemzüge pro Minute, Zurückbleiben der
rechten Thoraxseite. Zwerchfellphänomen links sichtbar, rechts feh¬
lend. Untere Lungengrenze rechts vorn oberer Rand der 5. Rippe,
nicht verschieblich; rechts hinten vom 5. B.W.D. abwärts zunehmende
Dämpfung mit fehlendem Atemgeräusch.
Herz: Spitzenstoß innerhalb der Mamillarlinie eben sichtbar.
Töne leise, rein.
Leib: stark adipös; geringer Meteorismus, besonders im Epi-
gastrium. Die Leber erscheint herabgedrängt, ist aber von gas¬
haltigen Darmschlingen überlagert. As¬
zites nicht deutlich nachweisbar. Milz
nicht tastbar. Es besteht starke Druck¬
empfindlichkeit in der Mitte und rech¬
ten Seite des Epigastriums. Die linken
seitlichen sowie die unteren Bauch¬
partien, insbesondere die Appendix¬
gegend, frei von jeglicher Druck¬
empfindlichkeit und Muskelspannung.
Keinerlei Hyperästhesie der Haut nach¬
weisbar. Puls ziemlich weich, von
mittlerer Füllung, regelmäßig, 104.
Temperatur 36,8. Leukozyten 7710,
davon Polynukleäre 65%. Lympho¬
zyten 23%, Gr. Mononukleäre 6%,
Eosinophile 6%.
Röntgendurchleuchtung:
Rechts Zwerchfell hochgedrängt, unbe¬
weglich. Die darüber gelegene Lungen-
partic leicht verschaltet, nellt sich bei der Atmung auf. Unter dem
recht™ Zwerchfell kleine, flache Luftblase, unterhalb davon horizon¬
taler Flüssipkeitsspiegel* der beim Schütteln des Patienten Wellen-
S Linkes Zwerchfell gut beweglich, Herz nicht
rcnuMBgL
Am 4. X. vormittags dasselbe leidlich gute Allgemeinbefinden.
Temp. 36,6; Puls 102. Auf Einlauf erfolgt Stuhlgang und Abgang
von Winden.
Nachmittags 4 Uhr plötzlich Verschlechterung des Pulses (132),
Temperatur 37,6, stärkerer allgemeiner Meteorismus. Der sofort
hinzugezogene Chirurg lehnt Operation als zwecklos ab. Abends
V*10 Uhr Exitus. Sektion verweigert. Die nachträgliche Punktion
ergab in Höhe des 6. Interkostal rau ms rechts hinten dunkelgelbe
seröse Flüssigkeit, im 9. Interkostalraum fäkulent riechenden Eiter,
in dem Proteusbakterien nachgewiesen wurden.
Epikrise: Bei einem früher angeblich nicht magenkranken,
sonst gesunden, kräftigen, fettleibigen Manne trat mitten aus völ¬
ligem Wohlbefinden, nachdem er tagsüber gearbeitet und zum Abend¬
brot mit Appetit einige belegte Brote verzehrt, während der Bett¬
ruhe nachts 11 Uhr plötzlich ein außerordentlich heftiger Schmerz
in der Mitte und rechten Seite des Epigastriums auf. Gegen ärzt¬
lichen Rat begibt er sich erst nach ca. 43 Stunden ins Kranken¬
haus. Die Untersuchung ergibt die Diagnose eines rechtseitigen,
gashaltigen, subphrenischen Abszesses. Das Allgemeinbefinden ist
relativ sehr gut, es liegt anscheinend nur eine gut abgegrenzte, im
wesentlichen subdiaphragmatische Peritonitis vor. Es fehlen Erbrechen,
Temperatur, nennenswerte Pulsbeschleunigung, Leukozytose, Ver¬
schiebung der Leukozytenformel. Abgang von Stuhl und Winden
findet statt. In Anbetracht dieses, auch am Vormittag nach Ein¬
lieferung noch unverändert guten Befundes erschien ein sofortiger
operativer Eingriff nicht notwendig, er wurde in der Absicht, erst
eine Festigung der Abkapselung abzuw-arten, aufgeschoben. Doch
schon wenige Stunden später Verallgemeinerung der Peritonitis, Zu¬
nahme der Dyspnoe und Pulsfrequenz. Der Chirurg lehnt einen
Eingriff ab, 27 Stunden nach Aufnahme in die Klinik Exitus.
Auf Einzelheiten des Krankheitsbildes einzugehen, erübrigt sich,
da es zwar in dieser Form dem einzelnen Arzt sicher recht selten
zu Gesicht kommt, aber in der Literatur längst bekannt ist, besonders
seit der grundlegenden Arbeit Leydens über den Pneumothorax
subphrenicus. Die Stellung der Diagnose mittels der physikalischen
Hilfsmittel ist zwar nicht einfach, doch gelang sie in unserm Falle
leicht mit Hilfe der Röntgenmethode.
Als Ausgangspunkt unseres subphrenischen Abszesses kommt, da
eine Pankreasaftektion kaum annehmbar, mit größter Wahrscheinlich¬
keit die Perforation eines Magen- oder Duodenalgeschwüres in Frage.
Pinard fand unter 890 aus der Literatur zusammengestellten Fällen
270ma! ein perforiertes Magen- oder Duodenalgeschwür als Ursache.
Nach Unger spricht die Entwicklung von Gas für Perforation der
genannten Hohlorgane. Schließlich ergab die Punktion fäkulent
riechenden Eiter.
Der wesentlichste Punkt jedoch, der uns zur Veröffentlichung
des Falles veranlaßt, ist die Frage, ob durch ein frühzeitiges chirur¬
gisches Eingreifen das Leben des Patienten hätte erhalten werden
können.
Schon Leyden (1880) sagt, daß die Prognose des subphrenischen
Abszesses (S.A.) ohne chirurgischen Eingriff schlecht sei. Noth¬
nagel (1903) läßt die Therapie eine vorsichtig tastende nur sein,
solange die Diagnose noch unsicher ist. „Ist die Diagnose Abszeß
gestellt, so gibt es nur einen einzigen Weg für die Behandlung:
die sofortige Eröffnung des Abszesses.“ Und diesen Worten ver¬
leiht er kurz darauf erneuten Nachdruck: „Unter allen Umständen
steht fest, daß die Operation in demselben Moment als einziges
Mittel geboten ist, wo die Diagnose gemacht wird.“
Unger (1921) legt auf schnelle Klärung der Diagnose Wert, da
bei akuter Pankreatitis sofort einzugreifen sei, bei S.A. 1—2 Tage
abgew'artet werden könne. Auch bei den Vorstadien des S.A., in
denen man bei der Punktion nur trüb-serösen Eiter in geringen
Mengen finde, wie dies bei Grippe zur Beobachtung kommt, sei
zunächst Abwarten gestattet. Jedoch betont er, alle Fälle, bei denen
die Diagnose S.A. gestellt sei, bedürften sofortiger operativer Be¬
handlung.
ln unserem Falle erschien, genau wie bei Schottmüller,
momentanes Abwarten unter sorgfältigster Beobachtung ungefähr¬
lich, ja zur besseren Abkapselung des anscheinend streng lokalisierten
Prozesses bei dem guten Allgemeinbefinden wünschenswert. Der
Verlauf hat uns nicht recht gegeben, und wir möchten für uns die
Lehre daraus ziehen, uns in Zukunft durch das Fehlen einer allge¬
meinen Peritonitis, durch gute Temperatur-, Puls-, Zungen- und
Blutbeschaffenheit und die normale Entleerung von Stuhl und Flatus
nicht wieder täuschen zu lassen. Die Spontanheilungen akuter
Magenperforationen unter das Zwerchfell, wie sie Schottmüller
beschreibt, dürften trotz allem zu den seltenen Ausnahmen zählen.
Dazu kommt, daß in Schottmüllers Fällen eine Abszeßbildung
fehlte, bzw. sich dem Nachweis entzog. Durch die Möglichkeit
solchen günstigen Verlaufes werden wir uns in Zukunft nicht ab¬
halten lassen, sofort chirurgische Beratung einzuholen. Lau en¬
stein fand unter 104 nicht operierten Fällen 98 Todesfälle und nur
6 Heilungen. Allerdings gibt nach Ledderhose (1913) auch die
Operation 20% Mortalität, doch es ist dann wenigstens das Menschen¬
mögliche zur Rettung des Kranken geschehen.
Schnttmüller, D. in. W. 1921 Nr. 31. — Liebmann und Schinz, D. Zschr.
f. Chi r S. 159 (Röutgendiaenose, Lit). — Nothnagel, Die Erkrankung des Darmes und
des Peritoneums, Wien 1903. - Ernst Unger. Der subphrenische Abszeß (in Kraus
und Brugsch, Spez. Path. u. Ther. inn. Krkh. 1921,6, 2. HUfte S. 383- 404, daselbst aus¬
führliche Literatur.
Digitized
CjOOglc
Original from
CORNELL UNIVERS1TY
126
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Aus Dr. Oeders Diätkuranstalt in Niederlößnitz bei Dresden.
Der Index ponderis des menschlichen Ernährungszustandes
und die Quäkerspeisung.
Von Dr. Qnstav Oeder.
Die Quäkerspeisung deutscher Kinder hat das Verlangen nach
objektiver und leicht nachmeßbarer Kennzeichnung des mensch¬
lichen Ernährungszustandes aktuell gemacht. Wie die Er¬
nährungsfachärzte, so haben auch die praktischen Quäker bei ihrer
Hilfsaktion die Erfahrung gemacht, daß die bloß subjektive Beurtei¬
lung des Ernährungszustandes nicht allenthalben befriedigen kann.
Wenn auch im Einzelfall der Arzt durch die Inspektionsmethode
bestimmte Kennzeichen am nackten Körper für die Beurteilung des
gerade zufällig vorhandenen Ernährungszustandes oder seiner Ab¬
stufungen gewinnen und sie durch die Palpationsmethode des Haut¬
fettpolsters noch ergänzen kann, wenn er weiter diese Kennzeichen
des Eir.zelfalls auch mit etwaigen Erinnerungsbildern des gleichen
Falles aus früherer Zeit oder mit dem Augenschein bei zufällig
gleichzeitig untersuchten anderen Fällen vergleichen kann, so wird
er dabei doch immer nur zu einem relativen Gesamteindruck kommen
können, der ihm sagt, daß die vorliegende Ernährungsstufe vielleicht
die gleiche sei oder geblieben sei, oder eine andere sei oder ge¬
worden sei, wie die frühere, oder daß sie im einen Fall die gleiche
oder eine andere sei, wie bei den andern Fällen. Er wird bei einiger
Erfahrung, bestenfalls zu einem kurzgefaßten Werturteil, daß die zu
beurteilende Ernährungsstufe „gut“ oder „schlecht“, „besser“ oder
„schlechter“, oder zu einem präzisen Stufenurteil gelangen können, daß
der Zustand inspektorisch „mager“, „wohlgenährt“ (normal) oder „fett“
sei oder auf der Grenze zwischen 2 Stufen stehe. Aber schon hierbei
werden manche Unsicherheiten im Urteil hervortreten und recht
unangenehm sich bemerkbar machen können, weil sie als scheinbar
unvermeidlich imponieren oder lange, umständliche Beschreibungen
nötig machen. Noch viel sinnfälliger wird diese Unannehmlich¬
keit, sobald beim Untersucher die Vergleichsbilder verblaßt sind,
ganz fehlen oder von verschiedenen Nebenumständen beeinflußt
werden. Auch der erfahrenste Untersucher wird, wenn er einen
Menschen zum erstenmal besichtigt, durch blasses, verfallenes oder
sonst krankhaftes Aussehen des Untersuchten verleitet, vielleicht den
Ernährungszustand einmal ungünstig oder — durch momentan frisches
Aussehen bestochen — auch günstig beurteilen. Ja, ganz der
gleiche Untersucher wird bei gleichzeitiger erstmaliger Untersuchung
einer größeren Anzahl von Menschen (z. B. von Schulkindern) in
einer Gruppe „Magerer“ einen „wenig“ mageren Menschen als noch
„leidlich oder befriedigend genährt“ beurteilen, den er am nächsten
Tag, unter eine andere Gruppe „Wohlgenährter“ gestellt, als „aus¬
gesprochen mager“ zu kennzeichnen versucht ist, usw. Auf diese
Weise können solche Nebenumstände das Urteil auch des gleichen
Untersuchers unsicher machen und haben das schon tausendmal
getan. Ferner können Temperatur und Helligkeit des Untersuchungs-
raumes und anderes das inspektionsbild beeinflussen. Wenn zahl¬
reiche verschiedene Untersucher an verschiedenen Orten zu ver¬
schiedener Zeit ein verschiedenes Menschenmaterial zu beurteilen
haben, so treten diese Nebenumstände noch viel stärker in Erschei¬
nung, sobald die von diesen verschiedenen Beobachtern beurteilten
Menschen dann nebeneinander gestellt werden. Gegen diese Ver¬
schiedenheit der Untersuchungsergebnisse schützen auch nicht ver¬
abredete Richtlinien der Besichtigungen mit Zensurzahlen oder mit
absoluten Kilozahlen; denn die Besichtigungsmerkmale sind nur schwer
eindeutig und kurz festzulegen und noch schwerer von verschie¬
denen Untersuchern gleichmäßig anzuwenden; auch sind Nacktbesichti¬
gungen nicht immer durchführbar; und die Kilozahlen besagen nichts
Eindeutiges, weil sie außer vom Ernährungszustand noch abhängen
von der Füllung der Eingeweide, dem Geschlecht, der Körpergröße
und Körperbreite, dem Lebensalter und von noch anderem. Die Gleich¬
mäßigkeit der Besichtigungsbeurteilung gelingt höchstens dem gleichen
Untersucher, und auch diesem nur bei größerer Erfahrung einiger¬
maßen befriedigend. Die Besichtigungsergebnisse der Untersuchungen
verschiedener Untersucher zeigen zusammengestellt dagegen oft
ein ganz buntes Durcheinander verschiedener Ernänrungs-
zustandsstufen, die alle fälschlicherweise gleich zensiert worden sind.
Die Ernährungsfachärzte haben deshalb schon immer das Bedürf¬
nis empfunden, objektive Merkmale des Ernährungszustandes zu
suchen, welche die unsicheren und ungleichmäßig angewandten Be-
sichtigungs- und Betastungs- oder die uncharakteristischen Wägungs-
kriterieu ersetzen, zum Teil auch die Notwendigkeit der Nacktbesichti¬
gung ausschalten sollen. Die Quäker haben das gleiche Bedürfnis
offenbar lebhaft gefühlt und mit besonderem Ernst betont, daß die Aus-
suchung und die Kontrolle ihrer Pflegebefohlenen durch die zahlreichen
an verschiedenen Schulen und Orten tätigen verschiedenen Aerzte oder
Laien ein recht ungleich genährtes, ungleich abgehungertes,
ungleich hilfsbedürftiges Material mit der gleichen Zensur
ihrer Ernährungshilfe zugeführt, aber leider dabei manchen bedürftigen
Pflegling zurückgewiesen, dagegen Nichtbedürftige zugelassen haben.
Das empfanden die Quäker als zweckwidrig und ihnen selber uner¬
wünscht; es gab auch zu häufiger Unzufriedenheit in der Bevölke¬
rung nicht unberechtigten Anlaß, selbst dann, wenn jede absichtliche
unsachgemäße Bevorzugung oder Zurücksetzung ausgeschlossen war.
Die Quäker haben sich deshalb im vorigen Jahr veranlaßt gesehen,
Nr. 4
an ihren ärztlichen Zentralbeirat, dem u. a. auch M. Rubner ange¬
hört, mit dem Ersuchen um Angabe eines auch bei Verschiedenheit
der Untersucher gleichmäßigen, Willkür ausschließenden und ver¬
läßlichen objektiven Zahlenmaßstabcs heranzutreten. Rubner,
dem aus der Literatur und wohl auch aus meinen mündlichen und
brieflichen Angaben mein Index ponderis des Ernährungszustan¬
des für Erwachsene schon länger bekannt war, hat dann am
29. VII. 1920 durch Thomas vom Arbeitsphysiologischen Institut in
Berlin wegen der Verwendbarkeit dieses Index auch für Kinder bei
mir anfragen lassen mit dem Hinzufügen: „Bei den Massenspeisungen
durch die Quäker wird eine zahlenmäßige Unterlage gefordert, wer
an der Speisung teilnehmen soll, wer nicht. Die Quäker lehnen ein
Urteil, auch das eines beamteten Arztes, ab und verlangen eine Zahl.
In Oesterreich wird der Pirquetsche Index verwendet, der aber zu
Unzuträglichkeiten geführt hat. Ist da Ihr Index nicht besser zu
verwenden?“ Ich habe in meiner Antwort zwar darauf hingewiesen,
daß mein Index ponderis in der gleichen Weise, wie bei Erwach¬
senen, wohl auch bei den Kindern der Quäkerhilfe den erwünschten
Zahlenmaßstab liefern könnte; daß aber seine Anwendung ausschlie߬
lich abzuhängen scheine von der Auffindung ebenso genauer Formeln
zur Berechnung des „zentralnormalen“ Einzelsollge¬
wichts im Wachstumsalter, wie sie für das Erwachsenenalter
schon lange von mir angegeben und erprobt worden sind. Da ich
wegen Mangels ausreichenden Kindermaterials selber noch nicht in
der Lage gewesen war, zentralnormale Sollgewichtsformeln für Wach¬
sende aufzustellen, habe ich auch nicht empfehlen können, meinen
Index ponderis für die Kinderhilfe der Quäker zu verwenden. Der Bei¬
rat hat dann den anthropometrischen Rohrer-Index der „Körperfülle“
genommen, der sich für die Prüfung des „Ernährungszustandes“ jedoch
als ungeeignet erweisen mußte, weil er auf dem längst als dafür
unbrauchbar erkannten alten Buffonschen Index beruhte; der Rohrer-
ludex hat sich dann tatsächlich auch schnell als für die Quäkerzwecke
unbrauchbar erwiesen. Es liegt mir gerade eine Arbeit von S a 1 o m o it
darüber vor, die z. B. zu dem Ergebnis kommt, daß in den Geraer Volks¬
schulen 54o; 0 (!) aller mit Note 4 als „schwer unterernährte
Kinder, bei denen vorliegende Krankheitserscheinungen eine Zusatz¬
nahrung unbedingt erfordern“, zensierten Untersuchten sogar einen
Normal- oder Plusindex (!) (nach Rohrer) hatten. Da nun
nach den Quäkerrichtlinien nur diejenigen Kinder der Speisung zu¬
geführt werden sollten, deren Index 15<>/o Minusabweichung vom
„Normalindex“ auf wiesen, so wären diese 54 o/o samt und sonders
zurückzu weisen gewesen, wenn nicht 30 o/o aller Speisungsberechtigten
auch auf Grund der freien ärztlichen Beurteilung auswählbar ge¬
wesen wären. Diese kluge Vorsicht ist geübt worden, weil der Beirat
selber der Meinung gewesen war, daß der Rohrer-Index „nicht durch¬
weg einwandfreie Ergebnisse liefert“. Man hat also offenbar mit
30o/ 0 (!) Ausnahmen rechnen zu müssen geglaubt. Bachauer und
Lampart dagegen (M. m. W. 1920, Nr.45) haben bei über 50o/ 0 ihrer
mit Notel (gut) im Ernährungszustand zensierten Schulkinder Minus-
Abweichungen vom Normalindex (nach Rohrer) um 5—20o/ 0 ge¬
funden. Diese Kinder hätten also zum Teil trotz „guten“ Ernährungs¬
zustandes als ernährungshilfsbedürftig bezeichnet werden können! Das
alles ist schon recht übel. Dazu kommt noch Folgendes: Als „Normal¬
index“ zum Messen des Einzelindex hat man anscheinend einen „blo߬
arithmetischen“ Durchschnitt der Rohrer-lndizes von den Gruppen der
gleichgeschlechtigen, gleichgroßen, gleichaltrigen Schüler genommen,
die aber in dieser Durchschnittsberechnung ohne Rücksicht auf
ihren Ernährungszustand zusammengestellt wurden. Ich
brauche, nachdem ich bereits in der M. m. W. 1921 Nr. 25 S. 779 über
„typische“ und „atypische“ Durchschnittszahlen mich geäußert habe,
nicht nochmals die Unbrauchbarkeit solcher „bloßarithmetischeri“
Durchschnitte als „normotypische“ Zahlen zu erörtern; ich verweise
auf die genannte Veröffentlichung. Das mit dem Rohrer-Einzelindex
und dem atypischen Durchschnittsindex („Pseudo-Normalindex!“)
geübte Verfahren hat anscheinend völlig Fiasko gemacht, sodaß wohl
niemand mehr Zeit und Mühe daran wenden wird, die von Rohrer
neuerdings (M. m. W. 1921 Nr. 27) gemachten, etwas komplizierten
Vorschläge über umständliche Ergänzungen seines „Körperfüllenindex“,
die ihn zum „Ernährungszustandindex“ tauglich machen sollen, prak¬
tisch zu prüfen, zumal da Rohrer selber seine Vorschläge nur
theoretisch begründet ohne jeden eigenen Versuch ihrer
praktischen Erprobung. In der Bevorzugung der Indexmethoden
vor der Inspektionsmethode stimme ich auf Grund über lOiähriger
Erfahrung bei der Beurteilung des Ernährungszustandes allerdings
mit Rohrer überein. Auch ich glaube, „da die Indexmethoden ein
viel einheitlicheres objektives Verfahren darstellen und vielleicht auch
feinere Abstufungen erlauben, als die Inspektion“. Ja — im Gegen¬
satz zu Rohrer — bin ich der Meinung, daß eine richtige Inaex-
methode auch dem einzelnen Untersucher sogar mehr leistet
als die bloße Inspektion, nicht nur, weil eine zahlenmäßige Ab¬
stufung genauer und eine zahlenmäßige Kontrolle der Schwan-,
kungen, Aenderungen und Verschiedenheiten des Ernährungszustandes
objektiver ist, sondern auch, weil die Indexmethode die Nackt¬
besichtigung oft überflüssig macht und die schriftliche Fixierung der
Befunde mit weniger Schreibwerk eindeutiger, gleichmäßiger
und die Verständigung mit andern Untersudiem leichter ermöglicht,
als die Inspektionsmethode.
Die Frage ist nur: Welche der vielen empfohlenen Indexmetho¬
den soll man als die „richtige“ ansehen? In der gleichen Nr. 27
der M. m. W., welche den Aufsatz Rohrers „Ueber die Kennzeich¬
nung der allgemeinen bauverhältnisse des Körpers durch Indexzahlen“
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNiVERSITV
26. Januar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
127
enthält, steht ein Bericht über einen Vortrag, welchen Albert
Huth in der Münchener Gesellschaft für Kinderheilkunde am 17. II.
1921 unter dem Titel „Die Feststellung der Unterernährung mit Hilfe
von Indizes“ gehalten hat. Huth besprach dabei auch den Rohrer-
ludex bei der Quäkerspeisung, erklärte seine Anwendung als verfehlt
und empfahl die Einführung des Gewichtsquotienten
_ Wirkliches Gewicht _
der Länge entsprechendes Normalgewicht
Ich kann aus dem kurzen Bericht nicht ersehen, ob Huth von
meinem Index ponderis Kenntnis hatte; ich darf aber darauf hin-
weisen, daß dieser von Huth empfohlene Gewichtsquotient in seinem
Aufbau nichts anderes ist, als mein Index ponderis des Ernährungs¬
zustandes > wie ich ihn schon seit 1910 bei Erwachsenen
angewandt und in der Folgezeit mehrfach öffentlich mitgeteilt habe
(u.a. D. m. W. 1916 Nr.35). Huths „wirkliches Gewicht“ ist mein
„Istgewicht“, Huths „der Länge entsprechendes Normalgewicht“ ist
mein „Sollgewicht“; denn als „Sollgewicht“ habe ich das Körper-
g ewicht in Kilo bei „zentral normal er“ Ernährungszustandsstufe
enützt, wie ich es für Erwachsene aus der „proportioneilen Körper¬
größe“ nach meinen Formeln jederzeit berechnen konnte. Zur Auf¬
suchung der Berechnungsformelii dieses „zentralnormalen“ Gewichts
habe ich mich der aus Reihen von homogenen Einzelgewichten
gewonnenen, also „typischen“ Durchschnittsgewichte zentralnormal
genährter, gleichgeschlechtiger, gleichgroßer Erwachsener bedient,
deren Habitusverschiedenheiten durch Gruppierung nach der „pro-
portionellen“ Körperlänge ebenfalls annähernd ausgeglichen waren.
Diese „zentralnormale“ Ernährungszustandsstufe hat sich als die
Breite der ernährungsunbedrohten Wohlgestalt, gleichzeitig
aber auch als die Breite der ernährungsunbedrohten
Arbeitsfähigkeit und Gesundheit erwiesen; deshalb
habe ich in dem bei dieser Emährungszustandsstufe gewogenen
oder in dem ihm gleich berechneten Körpergewicht auch das
zentralnormale „Sollgewicht“ — kurz das „Normalgewicht“ —
erblicken zu dürfen geglaubt. Ich weiß nicht, ob Huth den
Divisor seines Bruches ebenso berechnet hat, wie ich. An sich
wäre das gleichgültig, wenn das Normalgewjpht nur zutreffend ge¬
funden wurde! Jedenfalls habe ich den mit meinen Normalgewichten
aufgebauten Gewichtsquotienten — in Dezimalbruchform bis
zur 2. (bzw. 3.) Dezimalen ausgerechnet — für Erwachsene in
vielen Tausenden von Fällen praktisch erprobt und damit auch
zahlenmäßig die meinen 9 Inspektionsstufenbreiten („sehr
mager“ — „mager“ — „mäßig mager“ — „fast normal“ — „zen¬
tralnormal“ — „übernormal“ — „mäßig fett“ — „fett“ — „sehr
fett“> entsprechenden I nd ex stufenbreiten begrenzen können. In weit
über 90o/o (!) aller meiner indexmäßig gekennzeichneten Einzel¬
befunde habe ich die in die zahlenmäßigen Index stufenbreiten
fallenden Einzelindizes mit den Inspektionseinzelurteilen über¬
einstimmend, die Methode also auch in den Einzelfällen als
genügend zuverlässig gefunden. Nur etwa'9°/o der Einzel-
befunde stellten „Ausnahmen“ infolge Habitus- und Krankheits¬
abweichungen dar. Bei einer 1915 gemachten Zusammenstellung
von 1000 verschiedenen Personen beiderlei Geschlechts (die Einzel¬
heiten dieser Zusammenstellung konnte ich leider wegen der un¬
günstigen Verhältnisse auf dem Büchermarkt bisher nicht ausführlich
veröffentlichen) zeigte sich nämlich, daß die Auszählung der dabei
notierten 3270 Einzelindizes nach 3 Indexgruppen (0,50—0,92; 0,93 bis
1,07; 1,08—1,70), welche den 3 Inspektionshauptgruppen „mager“ —
„normal“ — „fett“ entsprachen, sogar bis auf 8 (!) Indizes
übereinstimmte. Ich bringe hier diese Gruppenauszählungen:
V on den 3270 Einzelbefunden
nach
nach
Unter-
enthielt
Inspektionsbreiten
Indexbreiten
schied
die Magerkeitsgruppe.
- 1386 Besichtigungsbefunde
1384 Indizes
— 2
die Wohlgenährtheitsgruppe "1
(^Normalität*) /
. 1359 Besichtigungsbefunde
1363 Indizes
+ 4
die Fettleibigkeitsgruppe . . . .
525 Besichtigungsbefunde
523 Indizes
— 2
Im einzelnen allerdings fielen etwa 284 von den 3270 Einzel¬
indizes aus ihren Inspektionsgruppen bzw. die Besichtigungsbefunde
dabei aus ihren Indexgruppen heraus und in andere hinein. Das ist
auch gar kein Wunder; denn die Indexzahlenbegrenzung der Gruppen
setzt scharfe Grenzen, während die Wirklichkeit nur allmähliche
Uebergänge von einer Ernährungsstufe in die andere kennt; auch
unterliegen die Gewichtsindizes den konstitutionellen, habituellen und
krankhaften Einflüssen, ohne daß man das den Gewichtsindexzahlen
im einzelnen ansehen kann. Immerhin aber fielen bei meinem Material
die Indizes in der Regel fast nur bei krankhafter Beeinflussung
aus ihrer Inspektionsgruppe weiter als über die Mitte der unmittel¬
baren 9teiligen Nachbarstufen hinaus J und solche krankhaften Ein¬
flüsse sind natürlich bei dem meiner Krankenanstalt entstammenden
Material relativ zahlreich gewesen und vermutlich zahlreicher, als in
der allgemeinen Bevölkerung. Die Indexabweichungen infolge von
konstitutionell-habituellen Einflüssen waren nur selten
so groß, daß die Indizes dadurch aus ihren Inspektionsgruppenbreiten
heraitsfielen. Ich vermute daher, daß sie auch in der allgemeinen
Bevölkerung nicht häufig den Gebrauch der Indexzahlen stören
werden* doch kann darüber nur die praktische Erfahrung entscheiden.
Meine Indexzahlen erlaubten bestimmt bei meinem Material die
statistische Verwendung und werden vermutlich auch in der
allgemeinen Bevölkerung die statistische Verwendung ermög¬
lichen Ich habe z. B■ bei meinem Material eine fortlaufende gleich¬
mäßig um 0,01 (bzw. 0,001) steigende Indexzahlenreihe des Er¬
nährungszustandes von 0,50 (bzw. 0,500) bis 1,70 (bzw. 1,700) bilden
und in diese meine sämtlichen 3270 Einzelindizes ihrer Zahlengröße
nach einordnen und dann einfach nach Gruppenbreiten dabei ab-
streichen können, sodaß die 3270 Befunde auf V» Seite übersichtlich
und ernährungstypisch abgestuft dargestellt werden konnten. Leider
muß ich es mir auf Wunsch der Schriftleitung wegen Raummangels
versagen, diese Zahlenreihe mit ihren Einzeichnungen graphisch hier
wiederzugeben. Eine solche Zahlenreihe würde noch instruktiver als
die obigen Gruppenaufzählungen den praktischen Wert der Ge¬
wichtsindizes dartun und besonders zeigen, daß der bei der Be¬
sprechung des Huth sehen Vortrags gemachte Einwand („die An¬
nahme, einfache Maße und Maßbeziehungen, wie das Gewicht und
seine Beziehungen zur Körperlänge, seien ein Maß der Unterernährung,
trifft nicht zu“) fehlgeht; obgleich sich dieser Einwand eigentlich
nicht gegen den Gewichtsquotienten selbst, sondern nur gegen seinen
Divisor (das aus der Körperlänge berechnete Normalgewicht) richtet,
so könnte doch auch dieser Quotient keine brauchbaren Ergebnisse
geliefert haben, wenn der Divisor nicht genügend genau sich hätte
errechnen lassen. Wie genau die von mir vorgeschlagene Berechnung
des zentralnormalen Formelgewichts mit dem wirklich gewogenen
Istgewicht bei zentralnormaler Ernährungsstufe im Einzelfall, in der
Summe aller Einzelfälle und im Durchschnitt übereinstimmt, habe ich
an ca. 900 Fällen zeigen können; die letzten 477 habe ich in der Zschr.
f. exper. Path. u. Ther. 21, Heft 2 veröffentlicht. Für die „Er¬
wachsenen“ darf ich also mit aller Bestimmtheit die Richtigkeit
des formelmäßig berechneten Divisors und die Zuverlässigkeit des
Index ponderis behaupten; für die „Unerwachsenen“ allerdings kenne
ich noch keine zuverlässigen Formeln zur Berechnung des „Normal¬
gewichts“. Ich habe jedoch schon in meiner oben genannten Zu¬
schrift an Thomas der Meinung Ausdruck gegeben, daß man
solche Gewichtsformeln unter Heranziehung eines Wachstumsgewichts¬
koeffizienten für Wachsende aus Körperhöhenmaßen wohl ebensogut
finden könnte, wie für die Erwachsenen; nur dürfte inan nicht die
Pirquetsche „Sitzhöhe“ als Vergleichskörperlänge wählen, weil die
Beobachtung bei Erwachsenen gezeigt hat, daß cue „Sitzhöhe“ infolge
der wechselnden Fettpolsterdicke der Sitzflächen bei Magerkeit und
Fettleibigkeit sogar der gleichen Person recht erheblich sich ver¬
ändert; auch dürfte man nicht „bloß arithmetische“ Durchschnitte aus
atypischen Einzelgewichtsreihen der gleichen Längengruppen als „nor¬
maltypische“ wählen aus Gründen, die ich oben genannt nabe. Im üb¬
rigen könnten nur die Kinderärzte das nötige Material mit Normal-Ist-
gewichten von Kindern beibringen; ihnen muß daher auch das Suchen
der Normalgewichtberechnungsformeln dabei überlassen bleiben. Ich
möchte dazu nur bemerken, daß mir auch die vielfach empfohlene „K ö r •
perobe rflächengröße“ wegen der Unmöglichkeit ihrer direkten
Messung am Lebenden — man denke nur an die „Entfaltbarkeit“
der Haut! —, wegen der großen Fehlerhaftigkeit ihrer formelmäßigen
Berechnung und endlich wegen ihrer Veränderlichkeit bei Ernährungs-
änderungen der gleichen Person ein für Kinder ebenso ungeeigneter
Maßstab zur Vergleichung des Köipergewichts in der Praxis zu
sein scheint, wie für Erwachsene. Diese Unbrauchbarkeit wird noch
gesteigert durch die Unsicherheit, ob und wie weit man die „innere“
Körperoberfläche der „äußeren“ hinzuzurechnen habe. Durch über
20jährige praktische Erfahrung in der Wägung und Beurteilung des
Ernährungszustandes nach dem Körpergewicht unter Zuhilfenahme
der Fettpolstermessung und durch über 15jährige praktische Er¬
fahrung mit der Berechnung des zentralnormalen Körpergewichts aus
Körperhöhen maßen bei Erwachsenen bin ich zur Ueberzeugung
gekommen, daß nur die („proportioneile“) Körperhöhe
als eine durch die Ernährung fast unveränderliche und
leicht meßbare Größe zu Formelberechnungen des zentralnormalen
Körpergewichts bei Erwachsenen geeignet ist. Das gilt wohl auch
für die Kinder. Nur mit Hilfe eines so berechenbaren Divisors kann
man zu brauchbaren Gewichtsindizes kommen, die kaum bei 9»/o der
Untersuchten zu andrer klinischer Beurteilung des Ernährungszustandes
Veranlassung geben. Ich empfehle daher dringend, den Huth sehen
Vorschlag, auch für Kinder von dem Gewichtsquotientenindex zur
Beurteilung des Ernährungszustandes Gebrauch zu machen, einer
ernstlichen Nachprüfung zu unterziehen.
Die Quäker aber haben durch ihr Bestehen auf zahlenmäßiger
Beurteilung des Ernährungszustandes sich über ihre praktische Er¬
nährungshilfe hinaus das dauernde Verdienst erworben, das prak¬
tische Interesse weitester Kreise nachhaltig auf die gewichts¬
zahlenmäßige Kennzeichnung des menschlichen Ernährungszustandes
hingelenkt zu haben. Meine bisherigen, seit 1909 erfolgten zahlreichen
Veröffentlichungen darüber scheinen vielen entgangen zu sein; nur meine
Fettpolstermeßmethode hat mehr beifällige Beachtung (z. B.
schon bei den verstorbenen Albert Eulenburg und Hugo Neu¬
mann, dann aber auch bei E. Feer, Batkin, Fr. A. Hoff mann
J. Peiser u.a.) gefunden, obgleich die Ergebnisse dieser Methode
nach meiner Erfahrung nur eine beschränktere praktische Verwendbar¬
keit besitzen, als die meines Gevvichtsindex. Ich möchte die ärztlichen
Kreise hiermit nochmals besonders eindringlich auf den Gewichts¬
index zur Beurteilung des Ernährungszustandes aufmerksam machen.
Je länger ich ihn befiütze, um so wertvoller erscheint er mir besonders
für vergleichende Massenuntersuchungen, für Aussuchung gleich Ge¬
nährter bzw. Ernährungshilfsbedürftiger und für statistische Erhebun¬
gen; ja er macht diese eigentlich erst möglich.
Zu der gleichen Bewertung meines Index ponderis des Er¬
nährungszustandes ist neuerdings übrigens audi Fr. A. Hoffmann
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
128
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
gekommen, nachdem er mein unveröffentlichtes Material im Manuskript
einer eingehenden Nachprüfung unterzogen hat. Ich verweise auf
seine Veröffentlichung „Die Reichsversicherungsordnung" (Leipzig
1921, Verl. v. F. C. w. Vogel), worin er für das Versicherungswesen
die Anwendung meines Index ponderis als einer „Grundlage für die
Beurteilung, ob krank, ob gesund, ob arbeitsfähig", nachdrücklich
empfiehlt.
Studien über Fleckfieber.
Von Dr. L. Finkelsteio in Kowno.
Die nachstehende Arbeit ist eine Zusammenfassung von Be¬
obachtungen an etwa 900—1000 Fleckfieberkranken, die von mir,
als älterem Assistenzärzte des ukranischen Nr. 10/469 Reservespitals
zu Proskurow (Podolien) und später stellvertretendem Hauptarzte
des Proskurowschen Semstwo-Infektionsspitals, in den Jahren 1919
bis 1920 behandelt wurden.
Die unerhörte Fleckfieberpandemie, die in der Ukraine und Ru߬
land in den Jahren 1919 und 1920 wütete und auch jetzt noch nicht
ß a f! z . Röschen ist, wurde zuerst an den Grenzstationen längs der
gahzischen Grenze, durch die die Massenrückwanderung der Miliär-
gefangenen aus Oesterreich-Ungarn nach Ausbruch der Revolution
stattgefunden hat, bemerkt. Die ersten Fälle wurden nicht diagnosti¬
ziert, weil man in der schrecklichen Grippenepidemie stand und die
Spitaler dermaßen überfüllt waren, daß von einer individuellen Be¬
handlung der Kranken keine Rede sein konnte (so mußte z. B. ein
Spital, das 120 Betten hatte, 550 Kranke aufnehmen, und 2 Aerzte
sollten die 550 Schwerkranken behandeln). Der Krieg zwischen
Petlura und den Bolschewiki, wobei besonders die Ukrainer kein
Verständnis für epidemiologische Prophylaxe hatten, gab den passen¬
den Nährboden für die Verbreitung der Epidemie, und dies, in Ver¬
bindung mit dem niedrigen Kulturniveau der Bevölkerung, führte zu
einer solchen Pandemie, daß fast kein Haus von ihr verschont blieb
und etwa 60—70o/ 0 der gesamten Bevölkerung die Krankheit durch¬
machten.
_ i Bhe wir zum. Krankheitsbild übergehen, möchten wir über einige
Falle berichten, die ihrer Seltenheit wegen der Erwähnung wert sind.
So sahen wir einen Säugling, 5 Monate alt, der ein regelrechtes
Fleckfieber durchgemacht hat, mit großem Exanthem, das den ganzen
Körper bedeckte, und hohem Fieber. Auch einige Fälle von kombi¬
nierter Erkrankung, gleichzeitig Fleckfieber und Febris recurrens,
kamen uns zu Gesicht. Nachdem die Spirochete Obermeyeri im Blut
gefunden worden, machten wir in jedem Falle eine intravenöse Neo-
salvarsamn^ktion; wir sahen gewöhnlich nach 20—24 Stunden einen
Abfall der Temperatur, aber bald darauf stieg die Temperatur wieder
m die Höhe, und die Patienten machten einen typischen Exanthemati-
kus durch. Diese Fälle scheinen uns ein theoretisches Interesse
insofern zu haben, als sie der Annahme einiger Autoren, der Erreger
des Fleckfiebers sei ein Protozoon, strickt widersprechen.
Das Krankheitsbild, a) Die Initialperiode.
Der Anfang kann zwar schleichend sein, jeder intelligente Patient
aber kann den Augenblick bezeichnen, wenn er Kopf- oder stechenden
Brustschmerz (das habe -ich persönlich erlebt) oder Frösteln zuerst
empfunden hat. Die Temperaturmessung am ersten Tage hat nie
mehr als 37,4—37,9 ergeben. Am zweiten Tag steigt sie am
Abend gewöhnlich schon auf 39,4—39,8. — An den Organen findet
man nichts Abnormes, manchmal eine Angina catarmalis, etwas
belegte Zunge. Am dritten Tage, der uns der charakteristischste Tag
der Initialpenode zu sein scheint, kann man oft zwei Tatsachen, die
den Arzt an Fleckfieber zu denken veranlassen, feststellen: 1. Eine
bedeutende Temperatur Senkung am Morgen des dritten Tages
die nur 5 6 Stunden anhält; am Abend erreicht die Temperatur
wieder die frühere Höhe; gewöhnlich mißt man am Morgen des
dritten Krankheitstages eine Temperatur von 37,4, 37,6, 38°, in vier
Fähen sah ich sogar normale Temperatur. Diese „Senkungs¬
zacke , die in der Literatur beschrieben ist und von uns schon im
Anfang der Epidemie für die Frühdiagnose des Fleckfiebers verwertet
wurde, sahen wir immer am dritten Tage; sie scheint uns für
Fleckfieber pathognomonisch zu sein, denn in keinem einzigen
Falle, wo die Temperaturmessungen vom ersten Moment der Er¬
krankungen sorgfältig registriert wurden (was sehr selten geschieht,
denn die ersten Tage werden meistens übersehen), vermißten wir
sie. Natürlich kann diese Temperatursenkung nur dann von Bedeu¬
tung sein, wenn keine Antipyretika gegeben wurden, was infolge
des Aspinnmißbrauches recht selten der Fall ist.
2. Eine merkliche Verdumpfung der Herztöne, besonders an der
Herzspitze, schon am Abend des dritten Tages. Diese Verdumpfung
vermißt man nur in leichten Fällen. — Manchmal (in etwa 15<y 0 der
Fal.e) findet man am dritten bis vierten Tag eine vergrößerte, harte,
nicht druckempfindliche Milz.
b) Exanthem. Am vierten, öfter am fünften Tage findet man
die ersten Roseolen; seltener sieht man den Anfang des Exanthems
am sechsten bis siebenten Tag; in zwei Fällen sahen wir das Exanthem
erst am neunten Tage erscheinen. Meistens benutzt man die ersten
Roseolen an den Vorderarmen, nahe den Handgelenken, an den
Handrücken und Handtellern, manchmal zwischen den Schulterb’ättern
am • u* euz * J n u“ 3 L I a . ffen hat das Exanthem seinen Höhepunkt
erreicht, und schon bleichen die ersten Roseolen ab, während an
anderen Stellen sich eine petechiale Umwandlung der einzelnen
Nr. 4
Roseolen vollzieht. In schweren Fällen sieht man schon am siebenten
bis achten Tag zahlreiche Petechien, die den ganzen Körper be¬
decken und zum neunten bis zehnten Tag eine zyanotische Verfärbung
annehmeu (was prognostisch von sehr übler Bedeutung ist), in
mittelschweren Fällen sind schon am zehnten Tage alle Roseolen
verschwunden, und nur eine mäßige Anzahl dunkelroter Petechien
ist am Körper zu sehen, ln leichten Fällen ist das Exanthem so
flüchtig, daß es der Arzt leicht übersehen kann, und das hat wahr¬
scheinlich zu der Bezeichnung „Febris exanthematica sine exanthemate“
geführt. Sehr schwer ist der Ausschlag bei malträtierter Haut zu
sehen: bei postskabiösen Ekzemen, zwischen reichlichen Pigmentie¬
rungen, und auch bei Leuten mit dunklem Teint der Haut, z. B. bei
Zigeunern, Beßarabiern usw. — Was das Exanthem in seinem Ver¬
hältnis zur Schwere des Krankheitsverlaufs anbetrifft, so hat sich uns
der folgende Satz bewährt: je umfangreicher das Exanthem ist, je
schneller und in größerer Zahl die Petechialisierung der Roseolen
vor sich geht, um so schwerer verläuft der Fall, um so schwerer
ist die allgemeine Intoxikation, um so schlechter ist die Prognose.
c) Temperatur. Abgesehen von der Senkungszacke am dritten
Tag, ist die Temperatur fast immer eine Kontinua. Werte über 40°
sind recht selten, gewöhnlich pendelt die Temperatur zwischen 39°
und 39,9°; nur in der vorkritischen Periode hat sie eine Tendenz,
sporadisch am Abend auf 40,2—40,4 zu steigen; dabei steigt gewöhn¬
lich die Pulszahl nicht mit in die Höhe, und dieses benigne
Mißverhältnis von Pulszahl und Temperatur hat, wie wir weiter
sehen werden, eine gute prognostische Bedeutung. Abweichungen
von diesem Temperaturtypus kommen vor. Typhusähulichc Kurven
sieht man recht selten; Fleckfieber mit Temperatur, die kein einziges
Mal 38° erreichte, sah ich einmal bei einem älteren Menschen; dieser
Fall verlief sehr schwer und endete tödlich. Anderseits gibt es Fälle,
wo der Temperaturanstieg sehr langsam erfolgt, die sehr leicht ver¬
laufen, aber sich bis zum 21 bis 22. Tage hinziehen, ohne irgendeine
Komplikation. Der Temperaturabfall geschieht lytisch, im Laufe von
zwei bis drei Tagen, unter schwacher Schweißabsonderung (manch¬
mal audi ohne Sdiweiß). Die abgeschlossene Temperaturkurve ist so
charakteristisch, daß man mit ihrer Hilfe eine retrospektive Diagnose
auf Febris exanthemica auch dann stellen darf, wenn kein Exanthem
zu beobachten war.
d) Herz und Blutgefäße. Wir haben es von den ersten
Tagen der Krankheit ab mit einer akuten toxischen Myokarditis zu
tun. Die Verdumpfung der Herztöne, besonders an der Herspitze,
die schon vom dritten bis vierten Tage an bemerkbar ist, steigert sich
mit jedem Tage, um am achten bis zehnten Tag ihr Maximum zu er¬
reichen. Der Puls, manchmal im Anfang relativ verlangsamt, wird
mit jedem Tage schlechter: die Pulskurve steigt unaufhaltsam in die
Höhe, obwohl die Temperatur eine Kontinua ist; der Puls wird immer
weicher, schlechter fühlbar, ist leicht zu unterdrücken, irregulär in
der Füllung (eine Art Pulsus ältemans), aber behält gewöhnlich den
richtigen Rhythmus. Die Pulszahl steigt bis 130—140 Schläge in der
Minute (bei Frauen auch über 150). Im Laufe des zehnten
bis zwölften Tages erfolgt die Entscheidung der Frage,
ob das geschilderte Anwachsen der Herzschwäche
durch Einsetzen der Reservekräfte des Herzmuskels
halt macht oder aber es fortschreitet, um am 15. bis
16. Tage in Erlahmung überzugehen. Während dieser Tage
sehen wir in benign verlaufenden Fällen einen richtigen Umschwung in
der Herztätigkeit: zuerst eine kleine Aufhellung der Herztöne (auf der
Pulskurve gleichzeitig ein Stillstand in der Aufwärts- resp. eine kleine
Abwärtsbewegung), dann werden mit jeder Stunde die Herztöne
reiner, die Pulsqualität resp. Zahl verbessern sich (auf der Puls¬
kurve schon eine ansehnliche Abwärtsbewegung — um 4—8 Schläge
in der Minute). Das alles läßt sich li/j—2 Tage vor dem Anfang des
Temperaturabfalls, ja gewöhnlich gleichzeitig mit einer
Temperaturerhöhung feststellen. Und wenn man von einer
Temperaturkrisis bei Fleckfieber nicht reden kann, so kann man mit
vollem Recht von einer Herz- bzw. PuTskrisis sprechen,
die uns eine feste prognostische Stütze zu einem Zeitpunkt gibt, wo
die Temperatur noch sehr hoch, das Bewußtsein schwer getrübt ist
und das allgemeine Bild geradezu hoffnungslos aussieht. Sahen wir
bis zum Ende des zwölften Tages diese Herz- bzw. Pulskrisis nicht
eintreten, so war es immer ein Zeichen, daß der Herzmuskel über
keine Reservekräfte verfügt, und diese Fälle verliefen alle tödlich.
Arhythmien sahen wir während der febrilen Periode selten (das
waren Patienten mit alten Myokarditiden); viel öfter sahen wir
extrasystolische Arhythmien während oder unmittelbar nach der Ent¬
fieberung; manchmal war die Arhythmie sehr stark (Ausbleiben eines
Pillsschlages nach jeden 2—3 Schlägen); dabei blieb aber die Puls-
füliung gut und die Herztöne, abgesehen von der Rhythmusstörung,
rein. Diese späten Arhythmien naben eine gute Prognose.
4 Fälle von Fleckfieber bei Patienten mit kompensierten Herz¬
klappenfehlem (alle Mitralisinsuffizienz), die wir beobachtet haben,
verliefen nicht schwerer als andere aus derselben Reihe; in einem
dieser Fälle wurden während der Rekonvaleszenz recht starke Herz¬
schwächeanfälle beobachtet. Solche Anfälle von Herzschwäche sind
auch bei Patienten mit früher gesundem Herzen während der Rekon¬
valeszenz gesehen worden. Manchmal sieht die Herzschwäche recht
bös aus; man möchte fast von einem Kollaps sprechen. Jüngere
Patienten erholen sich aber im I aufe von ein bis zwei Tagen wieder,
ältere können daran zugrundegehen.
e) Atmungsorgane. Eine gewöhnliche Bronchitis gehört zum
Krankheitsbild. Je stärker die Herzschwäche ausgeprägt war, um
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
26. Januar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
129
so öfter sahen wir diese harmlose Bronchitis in eine Pneumonie über¬
gehen; je frühzeitiger die Pneumonie entstand, um so‘trüber war die
Prognose, denn der schwer intoxizierte Herzmuskel war innerhalb
der ersten acht bis zwölf Krankheitstage dieser neuen Aufgabe nicht
gewachsen. Hingegen verliefen die späten Pneumonien (vom
13.—15. Tage an) viel gutartiger. Es scheint uns, daß in der Aetiologie
der Pneumonien bei Fleckfieberkranken eine sehr wichtige Rolle
neben der Herzschwäche auch der Umstand spielt, daß die schwer
benommenen Patienten sehr oberflächlich atmen.
Nicht selten sahen wir im Anfang der Rekonvaleszenz exsuda¬
tive Pleuritiden; sie hatten keine Tendenz zur Vereiterung; die
Temperatur stieg nicht höher als 37,5°; manchmal klagten die Patien¬
ten über Seitenstechen. Unter kleinen Salizyldosen trat gewöhnlich
in acht bis zehn Tagen eine vollkommene Resorption der Ergüsse ein.
abwenden. Gleichmäßige Temperatur des Krankenzimmers, öfter
Lagewechsel, gute Mundpflege spielen die wichtigste Rolle. Eine
Verminderung der Immunität des Organismus gegen Eiterungen
liegt den häufigen Eiterungen zugrunde — Abszessen, Phleg¬
monen und den gefürchteten Parotitiden. Hierher gehört auch
die Phlebitis. Gangrän, von Zehen- bis Extremitätengangrän, war
nicht selten in Spitälern, besonders im Winter 1919, zu sehen, als
infolge chaotischer politischer Zustände die Holzzufuhr sehr dürftig
war. Einmal erlebten wir eine Apoplexie mit tödlichem Ausgang,
und einmal eine einseitige Rekurrenslähmung.
k) Therapie. Ebenso w'ie man bei kruppöser Pneumonie früh¬
zeitig mit der Digitalistherapie eiusetzt, ist es auch ein Gebot beim
Fleckfieber, sofort nach Klarwerden der Diagnose zur
Digitalistherapie zu schreiten. Am besten hat sich uns
1404
S±:
3
5
7 |
3 1
f 13
15
17
1
n
A
il
M
n
12D3
inn t
L
l
o- --O- -
(UUw
803
6C3
V
y
i
V
I
V
L
c.
1
t
l y
y
1
I
tf
ü
Dr.K. A., 29 Jahre. Leichter Fall.
Alls
140
120
100
+°
<t 1
40
39
38
1
3
5
7
9
11
12
15
1
17
I
b
l\
V
\
/
V
>
i /14
/
r
/
i
i
1
1
*
■&
80
37
I
jj o-*
Nr«
i
i
\
\ 1
f
Hi
\
1
ll
\ *
i 1
1
»
!
L. Q., 41 Jahre. Mittelschwerer^F.ali.
Maria P., 23 Jahre. Schwerer Fall.
f) Nervensystem. Im allgemeinen geht die Beeinträchtigung
des Nervensystems parallel der gesamten Intoxikation; aber einerseits
sahen wir schwerste tödliche Fleckfieberfälle fast ohne Delirien und
anderseits klinisch leichte Fälle mit äußerst heftigen Tobsuchts¬
anfällen, mit nachfolgenden Psychosen. Diese Psychosen dauerten
drei bis vier Wochen an und verliefen gut, ohne die allgemeine Resti¬
tutio zu benachteiligen. Es scheint uns eher die allgemeine nervöse
Konstitution des Patienten für die Stärke der nervösen Reaktion
verantwortlich zu sein als die Stärke des Virus: bei leicht erreg¬
baren Leuten mit beweglichem Temperament sahen wir öfter Delirien
und Erregungszustände als bei apathischen, zu Depression neigenden,
bei denen viel stärker die Schlaflosigkeit in den Vordergrund trat.
Eine recht schlechte Prognose geben Sprachstörungen, beson¬
ders wenn sie frühzeitig auftreten: erschwerte, skandierende, schlecht
artikulierte Sprache. Singultus ist ein quälendes und ein recht ernst
zu nehmendes Symptom, aber nicht immer von infauster Prognose:
in einem Falle, wo der Singultus den Patienten sechs Tage quälte,
trat doch schließlich Besserung und Genesung ein.
Störungen des Gehörs, Ohrensausen una zeitweilige Taubheit
kommen so oft vor, daß man sie fast zum Krankheitsbild hinzu¬
rechnen möchte. Die Taubheit hält eine bis zwei Wochen an und
schwindet spurlos; gewöhnlich wird sie in der zweiten Krankheits¬
woche bemerkt und geht in die Rekonvaleszenzperiode über.
g) Magendarmtraktus. Recht oft ist in der ersten Krank-
heitswochc bei Frauen Uebelkeit zu beobachten, die zu Erbrechen
führen kann. Eine starke Salivation, wobei die Mundhöhle immer
voll schleimigen Speichels ist und die den Patienten furchtbar quälen
kann, ist nicht selten zu sehen. Der Stuhl ist in den meisten Fallen
angehalten, in etwa 10—15% der Fälle sind hingegen Durchfälle zu
verzeichnen: stärkere Grade des Durchfalls, die zu großen Wasser¬
verlusten führen, verschlechtern die Prognose.
h) Nieren. Fast immer (mit Ausnahme der leichtesten Fälle;
fanden wir im Urin recht viel Eiweiß (bis 9%o» gewöhnlich aber
1—2% 0 ) und im Sediment hyaline und granulierte Zylinder in großer
Zahl, manchmal auch Erythrozyten. Auai hier w'ar der ParatleTismus
zwischen Schwere der allgemeinen Intoxikation und Nierenschädigung
unverkennbar: je schwerer der Fall, um so pathologischer die Harn-
zusammensetzung. In schweren Fällen haben wir eine akute Nephritis
vor uns und keineswegs nur eine Albuminurie, wie es so häufig
gesagt wird. Sofort nach Verbesserung der Herztätigkeit kann man
schon ein Besserwerden der Diurese und der Harnbeschaffenheit
feststellen, und acht bis zehn Tage nach dem Temperaturabfall ist
schon von der Nephritis nichts zu sehen.
Nicht selten sahen wir eine Erschwerung der Harnentleerung.
Gewöhnlich genügte die Anwendung einer Wärmflasche (auf die
Gegend der Harnblase ), um dem abzuhelfen, und nur selten mußte
man katheterisieren.
i) Komplikationen. Im allgemeinen sind die Komplikationen
das Resultat einer nichtindividuellen Krankenpflege, und darum sind
sie so häufig in schlecht organisierten Krankenhäusern und recht
selten in der Privat praxis. Obwohl als Ursache der verschiedenen
Komplikationen die von den Pathologen festgestellte Arteriitis((mit
Lokalisation in den prakapillaren Gefäßen und Neigung zu Wand-
nekrose und Thrombose) anzusprechen ist. kann doch eine aufmerksame,
individuell angepaßte Pflege des Patienten manches drohende Uebel
die folgende Vorschrift bewährt: Inf. f. Digitalis e 0,6:180,0; Natr.
bromati 4,0 (5,0); Codeini ph. 0,2 (0,1). Dreistündlich einen Eßlöffel.
Der Schlaf wird ruhiger, Kopfschmerzen etwas geringer. Drei Fla¬
schen dieser Mixtur reichen gewöhnlich für die Zeit vom sechsten bis
zwölften Tag aus. Wird die Herztätigkeit bis zum zwölften Tage
merklich besser, so gibt mau von diesem Tage an statt dieser Mixtur
Tinct. Strophanthi, Tinct. nuc. vomic. ää 8,0 — dreimal täglich 15 Trop¬
fen bis zum Ende des Temperaturabfalls. Wenn aber keine Besserung
eingetreten ist, so gibt man jetzt Digalen intravenös 2—3mal täglich,
manchmal noch mit Erfolg. In schweren Fällen kann man auch
Kampferöl- resp. Koffeininjektionen hinzufügen.
Eine einmalige Gabe von Pyramidon 0,3 kann bei heftigen Kopf¬
schmerzen von Nutzen sein; eine Pyramidontherapie halten wir für
kontraindiziert, da sie nur die Herztätigkeit schwachen kann. Bäder
von 28° R. können bei Erregungszuständen gut wirken, aber auch
Bädertherapie ist zu verwerfen, da es schwer ist, Bäder zu
machen, ohne den Patienten durch Bewegungen zu strapazieren.
Wir legen größten Wert auf absolute körperliche Ruhe des Patienten,
da wir wiederholt Kollapse nach unvorsichtigem Transport des
Kranken ins Krankenhaus (man ließ ihn z. B. eine Treppe steigen)
oder nach einem Bade gesehen haben. Bei kühl sich anfühlenden
Füßen soll man sofort Warmeflaschen anwenden.
Subkutane Infusionen von physiologischer Kochsalzlösung mit
und ohne Adrcnalinzusatz haben wir viel verwendet. Als Indikation
dazu möchten wir größere Wasserverluste des Organismus ansehen:
starke Durchfälle, Neigung zum Schwitzen u. a. m.
Zusammmenfassungr. 1. Als eine Gefäßerkrankung schädigt das
Fleckfieber durch die Blutgefäße alle Organsysteme des Organismus,
in erster Linie das Herz, das Nervensystem und die Nieren.
2. Die frühe Herztöneveränderung und die Temperatursenkungs¬
zacke am dritten Krankheitstage scheinen für die Frühdiagnose des
Fleckfiebers von Wert zu sein.
3. Die ersten Zeichen der eiugetretenen Intoxikationsverminderung
im Laufe der Krankheit dokumentieren sich im Laufe des zehnten bis
zwölften Krankheitstages: a) in einer Herztöneaufhellung, b) in
einer Verminderung der Pulszahl und c) in einer Verbesserung der
Pulsqualität (Herz- bzw. Pulskrisis des Fleckfiebers);
darauf folgt Verbesserung der Diurese und der Harnbeschaffenheit
und als letztes Glied der Kette die langsame Entfieberung.
4. In der Therapie des Fleckfiebers nimmt die frühzeitige Digi¬
talisverwendung den wichtigsten Platz ein.
Zur Prüfung der Korneal- und Rachenreflexe.
Von Dr. Max Möller in Berlin.
Seit mehreren Jahren pflege ich die von mir gemachte Erfahrung
zu verwerten, daß ein schwer auslöslicher Kornealreflex sofort leb¬
haft wird, wenn man bei dem betreffenden Kranken einen leichten
Labyrinthschwindel hervorruft. Unter den gleichen Bedingungen pflegt
sich auch der Rachenreflex, wenn er scheinbar fehlte, einzustellen
(gewöhnlich auch der inkonstante Lidschluß bei Berührung der Kon-
junktiva).
Digitized by
Go igle
Original frorri
CORNELL UNIVERSITY
130
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Erhöhung des allgemeinen Reflextonus, verstärkte Einstellung
des Organismus auf „Abwehr“ und gleichzeitige Verringerung der
psychisch bedingten Hemmung dürften die Grundlage für diese Er¬
seneinung bilden.
Den „Schwindel“ rufe ich in praxi dadurch hervor, daß ich bei
dem Patienten in liegender Stellung den Oberkörper etwas tiefer lagere,
den Kopf ein wenig hintenüber beuge und dann die betreffenden
Reflexe prüfe.
Dieser Kunstgriff hat sich mir durchaus bewährt, und ich glaube
daher ihn den Kollegen zur gelegentlichen Anwendung empfehlen
zu können. Könnte doch z. B. bei retrobulbären Prozessen ein dadurch
eruiertes einseitiges Fehlen des Lidschlusses bei Reizung der Kornea
und Konjunktiva (und Mangel sonstiger Erscheinungen von seiten des
Trigeminus) lokaldiagnostische Rückschlüsse erlauben, das Verhalten
des Rachenreflexes bei bulbären und pseudobulbären Erscheinungen
von Bedeutung sein usw. Dem weniger geübten Untersucher jedoch
gibt die Anwendung dieser Methode die Möglichkeit, sich leichter
Klartieit zu verschaffen.
Qynäkologische Ratschläge für den Praktiker.
Von Prof. W. Liepmann in Berlin.
IV.
Die entzündlichen Erkrankungen der weiblichen Genitalien:
II. Teil: (mit Ausschluß der gonorrhoischen, tuberkulösen
und syphilitischen Erkrankungen.)
2. Vulva, Vagina, Uterus.
A. Die entzündlichen Erkrankungen der Vulva.
Wie die Epidermis der Oberlippe, die den Schleimhautröhren
der Nase vorgelagert ist, bei Hypersekretion der Nasenschleimhaut
lädiert und wund wird, so entsteht in der Mehrzahl der Fälle eine
Entzündung der Vulva nur bei bestehenden Katarrhen der Vagina,
des Uterus, der Blase und des Darmes. Alte Dammrisse und Fisteln
aller Art sind als prädisponierende Momente bemerkenswert, so ist
im allgemeinen die Vulvitis erst die sekundäre Form einer anderen
Erkrankung oder die Folge von Unreinlichkeiten, besonders nach
der Menstruation bei zu fetten Frauen. Die gerötete und geschwollene
Vulva ist bei jeder Berührung empfindlich, das Brennen nach dem
Urinieren wird unerträglich. Bei stärkerer Entzündung erodieren Teile
des Epithels, und der Genitalgeruch wird höchst übel und unangenehm.
Therapie: Auch hier ist die Beseitigung der Grundursache,
vor allen Dingen der Ausschluß der Gonorrhoe und ihre Behandlung,
die Hauptsache. Sind die Katarrhe der Vagina und des Uterus
geheilt, so führt oft überraschend schnell nach gründlicher Reini¬
gung ein Betupfen der Vulva mit 10o/oiger Argentum nitricum-Lösung,
mit Sublimat 1:1000, mit Karbolsäure, 3%ig, und nachheriges dickes
Bepudern mit Lenicet und Trockenhaltung zum Ziel; auch Lenicet-
und Zinksalben, bei denen man als Salbengrund Resorbin nimmt,
sind sehr zu empfehlen.
Auf die seltenere Form der Vulvitis nach Masern, Scharlach,
Diphtherie und Pneumonie, Variola usw., kann hier nicht eingegangen
werden. Aknepusteln, Seborrhoe, Furunkulose und Herpes werden
wie die übrigen Hautkrankheiten behandelt.
Ueber die Vulvovaginitis der kleinen Mädchen ist das Notwendige
schon in dem Kapitel über Gonorrhoe gesagt. In seltenen Fällen
kann ein ähnliches Krankheitsbild durch den Oxyuris vermicularis
erzeugt werden. Die Therapie ist, nach Entfernung der Darmpara¬
siten, die gleiche.
Die selteneren Formen der Vulvitis, der Pruritus vulvae und die
Kraurosis vulvae, erfordern eine gesonderte Besprechung.
Pruritus vulvae. Während bei den bisherigen Entzündungen der
Vulva die schmerzhafte Entzündung im Vordergrund des Krankheits¬
bildes stand, tritt bei dem chronischen Zustand des Pruritus der
Juckreiz in den Vordergrund. Dieser Juckreiz ist so stark, daß er
besonders nachts oder nach starker körperlicher Bewegung, d. h.
immer dann, wenn der Körper warm wird, die Patientinnen zwingt,
wie wahnsinnig zu kratzen. Die dadurch bedingte Schlaflosigkeit,
ja Selbstmordiaeen, machen die Krankheit zu einem geradezu uner¬
träglichen Leiden. Aeußerlich ist an der Vulva fast nichts zu sehen,
aber eine genaue Betrachtung unter Entfaltung der Haare ist um
so notwendiger, als ich in mehreren Fällen, die mir als Pruritus
verdächtig zugeschickt wurden, unschwer Filzläuse (Phthirius ingui-
nalis) als Ursache nachweisen konnte. Daß in diesen Fällen ein
einfaches Einreiben mit Unguentum hydrargyri cinereum genügt,
ist bekannt.
Diagnose: In vielen Fällen ist der Pruritus vulvae für den
Arzt der erste Anlaß, um einen bisher verborgenen Diabetes mellitus
nachzuweisen. Hieß früher die Regel: Keine Gonorrhoebehandlung
ohne den mikroskopischen Nachweis der Gonokokken, so heißt jetzt
die Regel: Keine Pruritusbehandlung ohne eine sorg¬
fältige Untersuchung des Urins auf Zucker.
Nächst dem Diabetes können Katarrhe der oberen Genitalwege
ebenfalls zum Pruritus führen. Und schließlich gibt es noch eine
psychogene Form, die besonders um die Zeit des Klimakteriums
aufzutreten pflegt.
Therapie: Ist die Zuckerharnruhr der Anlaß der Erkrankung,
so ist zunächst die Grundkrankheit entsprechend zu behandeln, sofort
Nr. 4
aber auch eine lokale Therapie in Angriff zu nehmen. In einfachen
Fällen genügen Pinselungen mit 10°/oiger Argentum nitricum-Lösung,
in allen schwierigen Fällen empfiehlt es sich, energisch vorzugehen.
Man rasiert die Haare und seift die Vulva und Scheide so gründlich
wie vor einer Operation, läßt alsdann ein Seifensitzbad nehmen
von 5 Minuten Dauer und 28° Temperatur und bepinselt danach
die Haut mit 3—8%iger Karbolsäurelösung. Für die Nacht
verschreibe man eine 4%ige Kokainsalbe oder eine Menthol¬
salbe 2,5:50 und wähle als Salbengrundlage wieder das vorzügliche
Resorbin.
Das A und O aber jeder Behandlung ist eine starke suggestive
Beeinflussung der Patientinnen und alle nur erdenkbaren Maßnahmen,
um das Jucken, besonders im Schlaf, zu verhindern.
Aber immer werden Fälle übrigbleiben, die all diesen Behand¬
lungsmethoden trotzen. Hier sind von spezialistischer Seite aus¬
geführte Röntgenbestrahlungen am Platze.
Auch die Verschorfung einiger besonders juckender Stellen mit
dem Paquelin in Narkose oder Exzision des juckenden Gewebes haben
in einzelnen Fällen zum Ziele geführt.
Die Kraurosis vulvae. Wie ihr Name (xgavgom — schrumpfen)
sagt, besteht die Erkrankung in einer Schrumpfung und Verengerung
der Vulva, deren Aetiologie trotz der Ansicht Veits, daß in jedem
Falle ein Pruritus vorangegangen, noch heute dunkel ist. Wahrschein¬
lich hat Jung recht, der annimmt, daß es sich um das Endstadium
einer chronischen Vulvitis handelt, denn dieser Ansicht entspricht
auch das histologische Bild: Man findet Rundzellen, die auf eine
Entzündung hinweisen, reichliche Vermehrung des Bindegewebes mit
deutlicher Tendenz zur Vernarbung, Schrumpfung und Verlust der
elastischen Fasern.
Diagnose: Wer einmal eine Kraurosis vulvae gesehen hat,
wird niemals Schwierigkeiten mit der Diagnose haben. Die ganze
Plastik der äußeren Genitalien ist geschwunden, große und kleine
Labien kaum mehr zu unterscheiden, die äußere Haut sowohl wie
die Schleimhaut ist blaugrau bis weißlich verfärbt, die Epidermis
hart, trocken und fast narbig aussehend. Nimmt die Krankheit ihren
Fortgang, so treten ulzerierende Geschwüre auf, die schließlich den
Eindruck eines Vulvakarzinoms hervorrufen können.
Therapie: Bevor man in hochgradigen Fällen sich als Ultimatum
refugium zum operativen Eingriff, der in Exstirpation der erkrankten
Gewebe besteht, entschließt, wird man die Krankheit in gleicher
Weise zu behandeln versuchen, wie den Pruritus vulvae. Zwedcmäßig
kann man auch einen Versuch mit Höhensonne machen. Auch mit
Röntgenbestrahlung sind in einzelnen Fällen gute Resultate erzielt
worden.
B. Die Entzfiodunfen der Vagina (Kolpitis).
Es gibt wohl keine Krankheit, die die Frauen so häufig zum
Arzte treibt wie der sogenannte weiße Fluß (Fluor albus).
Von 100 in der Praxis sich präsentierenden Fällen von Fluor albus
sind nach meiner Erfahrung gut 50% psychogener Natur, d.h. es
handelt sich um junge Mädchen und Frauen, die entweder aus Angst
vor Konzeption oder vor den Folgen der Masturbation ihr Haupt¬
interesse auf die Genitalien konzentriert haben und nun in Unkenntnis
darüber, daß eine Schleimhaut sezerniert, zuerst die normale Sekretion
der Vagina für pathologisch halten, alsdann auf psychogenem Wege
(man denke an die Versuche von Pawlow) allmählich eine wirk¬
liche Hypersekretion der Schleimhaut erzielen. Diese Fälle wird der
psychologisch suggestiv wirkende Arzt mit jeder Behandlungsmethode
heilen können.
Wir haben schon bei der Besprechung der Gonorrhoe gesehen,
wie außerordentlich widerstandsfähig die Mukosa der Vagina selbst
so virulenten Keimen, wie sie die Gonokokken sind, gegenüber ist,
es liegt daher auf der Hand, daß zahlreiche Fälle von Hypersekretion
(die psychogenen nehme ich jetzt aus), die durch mechanische Läsionen
bedingt sind, fälschlicherweise als Entzündung (Kolpitis) bezeichnet
werden.
Erst diejenigen Fälle sind als Kolpitis anzuspre¬
chen, bei denen man nach Einführung des Spekulums
in akuten Fällen eine deutlich gerötete und mit Sekret
bedeckte Schleimhaut nachweisen kann. Tritt beim all¬
mählich Chronischwerden der Kolpitis auch die Schwellung und
Rötung zurück, so bleibt doch eine fleckenweise Rötung bestehen.
Gewöhnt man sich nur in diesen Fällen von Kolpitis zu sprechen,
so sind die Fälle, die zur Beobachtung kommen, wesentlich seltener,
als wenn, wie das gewöhnlich geschieht, auch die Fälle von Hyper¬
sekretion als Scheidenkatarrhe gebucht werden. Die Fähigkeit der
Scheidenschleimhaut, Entzündungserreger abzulehnen, ist in der Regel
so groß, daß im allgemeinen erst eine Verletzung oder biologische
Schädigung der Mukosa eintreten muß, damit eine Entzündung statt¬
haben kann. Bei allen Entzündungen der Scheide hat man also in
erster Linie nach Fremdkörpern zu suchen, die häufig ganz un¬
schuldige Dinge, wie Nähnadeln, Haarnadeln, Häkelhaken, Stearinlichte
und anderes mehr sind; oft aber kommen ganz unglaubliche Gegen¬
stände, wie Maikäfer, Pfeifenköpfe, Eßlöffel, Tannenzapfen, zutage,
ia- Amann konnte gelegentlich eines Gynäkologenkongresses einen
kleinen Zinnleuchter demonstrieren, der in der Vagina seiner Trägerin
eine recht unangenehme Kolpitis hervorgerufen hatte.
Ueberaus heftige, mit starker Gestankbildung einhergehende Ent¬
zündungen sieht man bei zu groß gewählten, eine Druck -
usur verursachenden Pessaren. Manche Vaginen vertragen
auch nicht die häufige Anwendung von Gummikondomen und Ok-
klusivpessaren.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
26. Januar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
131
Unter den biologischen Schädigungen, die die Widerstandsfähig¬
keit der Scheide gegenüber Entzündungserregern herabsetzen, sind
in erster Linie die leider allzusehr verbreiteten täglichen Spülungen
mit antiseptischen Mitteln zu nennen. Würde man in diesem Punkte
der Reinigung der Mundhöhle annähernd Aehnliches bieten, so würden
sicher ebensoviel Fälle von Stomatitis wie jetzt Fälle von Kolpitis
zu beobachten sein. Bei gesunden Frauen sind tägliche Waschungen
der Genitalien am Platze, Spülungen einmal nach der Menstruation
zweckmäßig. Bei Virgines sind Spülungen gänzlich zu verwerfen.
Außer diesen nicht energisch genug zu bekämpfenden antisepti¬
schen Spülungen der Scheide wird die normale Resistenz der Gewebe
bei zahlreichen Krankheiten, ich nenne nur die Tuberkulose, die
Chlorose und den Infantilismus, reichlich herabgesetzt. Dann erst
werden sich Staphylokokken und Streptokokken, Soor- und Hefepilze,
Darmparasiten, wie Trichomonas vaginalis, und Kolibakterien aut der
geschädigten Schleimhaut ansiedeln können.
Auch hier klärt die mikroskopische Untersuchung des Vaginal¬
sekretes manche dunklen Fälle. Die selteneren Formen der kruppösen
und diphtherischen Kolpitis, die nach akuten Infektionskrankheiten
auftreten, Stenosen una Atresien der Scheide, die mit Abstoßung
größerer Gewebsbildungen einhergehende Colpitis dissecans,
die hauptsächlich bei Schwangeren vorkommende Colpitis granu-
laris (häufig, aber nicht immer als Ursache die Gonorrhoe) und die
Colpitis emphysematosa sind so seltene Erkrankungen, daß
sie hier nur kurz berührt werden können.
Therapie: Jede Behandlung der Kolpitis hat damit zu beginnen,
bakteriologisch die Gonorrhoe auszuschalten. Vor jeder Kolpitistherapie
sollte ebenso nach der psychogenen Ursache geforscht werden. Am
einfachsten zur Behandlung sind diejenigen Fälle von Kolpitis, in
denen Pilze, Soor und Hefe, die Ursache sind. Hier führt ein mehr¬
maliges Auswischen der Scheide im Spekulum mit 3%iger Borsäure¬
lösung zum Ziel. Entsprechend dem Borsäurelutscher beim Soor
der Kinder, empfiehlt es sich in solchen Fällen, ein Borsäurebeutelchen
als Tampon für zwei Tage in der Scheide zu belassen.
Bei Trichomonas-Kolpitis sowohl wie bei allen den Fällen,
in denen das mikroskopische Bild eine starke Besiedelung mit atypi¬
schen Keimen, wie wir sie vorher im einzelnen bezeichnet haben, zeigt,
erweist sich eine stark desinfizierende Behandlung mit 1 % 0 igerSubli-
mat- oder 3»/ 0 iger Argentum-nitricum-Lösung als zweck¬
mäßig. Weit besser aber als die Spülungen führt hier das syste¬
matische Auswischen der Scheide im Spekulum mit einem
in der entsprechenden Lösung getränkten Tupfer zum
Ziel. Wer systematisch nach zu Hause gemachten Scheidenspülungen
die Scheide im Spekulum betrachtet und im vorderen und hinteren
Scheidengewölbe die danach festhaftenden, keimbesiedelten Sekret¬
massen feststellt, der wird den Nutzen solcher Manipulationen immer
geringer achten.
Der Beseitigung der Keime durch Antiseptika muß als zweiter
Heilfaktor die biologische Kräftigung der Scheidenepithelien folgen.
Diese biologische Kräftigung wird am besten durch die von Nas¬
sauer und m i r immer erneut empfohlene Austrocknungs¬
therapie erreicht. Wie in der Chirurgie, sollte auch die feuchte
Wundbehandlung bei der Kolpitis durch die trockene abgelöst werden.
Hierbei sind zwei Momente zu berücksichtigen:
1. Vor jeder Behandlung ist die Scheide im Spekulum mit Tupfern
gründlich und sorgfältig zu reinigen und auszutrocknen.
2. Das Einschütten des Trockenpulvers (am besten Lenicet-
Streupulver oder Argentum-Lenicet) erfolgt mittels eines Spatels und
so reichlich, daß das Pulver die Scheide „tamponiert“. Nicht eine
Auspuderung der Scheide, sondern eine Trockentamponade führt
zum Ziel.
Das Trockenpulver nimmt die Sekrete auf, hindert die entzündeten
Scheiden wände, sich gegenseitig zu reiben, und führt so relativ schnell
zum Abklingen der Entzündung. In veralteten Fällen läßt man der
Behandlung noch eine Nachbehandlung von seiten der Patientinnen
folgen, die das Innere der Scheide mit dem Antifluor 1 ) auspudem
können.
C. Entzündungen des Uterns.
Mehr noch als bei der Vagina wurde bei den Entzündungen des
Uterus der klinische Begriff „Entzündung“ viel zu weit gefaßt. Um
ein klares Bild zu bekommen, dürfen wir den Begriff Entzündung
hier nur rein pathologisch-anatomisch auffassen, eine durch Schädlich¬
keiten aller Art entstandene, mit pathologischen Exsudationen oder
Hypersekretionen verbundene örtliche Gewebsschädigung, die ent¬
weder zur Regeneration oder zur Gewebswucherung (Hypertrophie)
führt. Die uns von der Universität her noch im Blute liegende Tren¬
nung von Metritis und Endometritis ist heute nicht mehr aufrecht-
zueriialten, seitdem wir wissen, daß bei der wirklichen Entzündung
Uterusschleimhaut und Muskulatur gleichmäßig befallen sind. Den
echten entzündlichen Erkrankungen des Uterus, der Metroendo-
metritis also, die durch Mikroorganismen hervorgerufen werden, stehen
alle übrigen Fälle gegenüber, die gemeinhin in der Praxis mit Metro-
endometritis und Endometritis bezeichnet werden, aber besser
nach dem Vorschlag von Asch off den Namen Metropathia uteri
erhalten . Als klassisches Beispiel für die erste Gruppe, die wahre
Metroendometritis, haben wir schon die gonorrhoische, die tuber-
kulöse und die syphilitische Infektion kennen gelernt. Die im Wochen¬
bett so gefürchtete, durch Streptokokken bedingte, septische Metro-
endometritis ist jedem Praktiker bekannt, seltener sind die Staphylo-
i) MedfaiotechesIWarenhaus, Berlin, Karlstr.3I.
kokken-Metroendometritiden und die gelegentlich im Wochenbett auf¬
tretende Metritis dissecans.
Wir wollen nicht vergessen zu erwähnen, daß in der Norm die
Zervix keimfrei ist, daß der schleimige Zervixpfropf als Barriere
für das Eindringen der Bakterien aufzufassen ist und daß diese physio¬
logische Barriere nur in den Zeiten der Menstruation, bei der Geburt,
im Wochenbett und durch Einführen von Instrumenten aller Art durch¬
brochen wird.
Die wahren, bakteriellen Metroendometritiden gehören in der
gynäkologischen Praxis immer mehr und mehr, wenn wir von der
Gonorrhoe absehen, zu den Seltenheiten.
Diagnose: Entsprechend ihrer Aetiologie muß anamnestisch
ein Vorgang vorangegangen sein, der die biologische, zervikale
Pfropfenbarriere gesprengt hat: Ueberbleibsel eines septischen Wochen¬
bettes, Folgezustände eines septischen Aborts, intrauterine Eingriffe
mit nicht sauberen Instrumenten, intrauterine Eingriffe bei gonor¬
rhoisch infizierten Frauen und Intrauterinpessare.
Dementsprechend besteht meist höheres oder geringeres Fieber,
schmutziger, gelbbrauner, meist übelriechender Ausfluß, erhebliche
Schmerzhaftigkeit des Uterus bei der Untersuchung und stechende,
bohrende und ziehende Schmerzen im Unterleib und in den Flanken
lassen die Diagnose unschwer stellen.
Therapie: Wie bei der Gonorrhoe erhöht jeder digitale und
jeder instrumentelle Eingriff die Gefahr des Aszendierens der Keime.
„Hände weg“ ist die beste Therapie. Strikteste Bettruhe,
Prießnitzsche Umschläge oder Eisbeutel, je nachdem es
vertragen wird. Bekämpfung der Schmerzen durch Opiate, sonst
völlige therapeutische Ruhe.
Geht der Prozeß trotzdem weiter, ergreift er die Adnexe, so
werden wir ihn bei der Behandlung dieser wieder erneut zu betrachten
haben.
Weit größer ist die Zahl derjenigen Patientinnen, die mit
Metropathien zu uns kommen. Je kultivierter ein Volk wird, um so
mehr steigt die Zahl der an Metropathien erkrankten Frauen. Alle
Sünden der Diätetik bei der Menstruation, Masturbation, erotische
Exzesse, der Coitus interruptus, wie der Präventivveikehr überhaupt,
die Obstipation, das sinnlos lange Zurückhalten von Urin, kurz alle
die Momente, die zeitweise eine erhöhte Blutzirkulation und dadurch
eine Irritation der Beckeneingeweide hervorrufen, sind die Ursache.
Ebenso spielen Fremdkörper aller Art, zahlreiche, nicht immer
schuldlos entstandene Aborte, trophoneurotische Störungen, unzweck¬
mäßige Kleidung, Lageveränderungen der Gebärmutter eine wichtige
Rolle; das, was aus all diesen Schädlichkeiten resultiert und was wir
bisher als chronische Metritis bezeichnet haben, ist, wie schon aus
der Aetiologie hervorgeht, die verbreitetste Krankheit aller Frauen.
Diagnose: Hat man die Portio im Spekulum eingestellt und
sieht man dann, wie sich aus der Zervix reichlich dicker
Schleim entleert, so ist nach Ausschluß der bakteriellen Ent¬
zündungen die Diagnose Metropathie zu stellen. Gewöhnlich gelingt
es dann auch bei bimanueller Untersuchung, die weiche Schwellung
des Uterus und bei der chronischen Form die harte, uniforme Vergröße¬
rung festzustellen. Bei ausgeprägten Fällen aber kommt es zu charakte¬
ristischen Begleiterscheinungen, die man im einzelnen kennen muß:
Außerordentlich häufig sind als charakteristische Symptome der
Metropathien die abundanten regelmäßigen Menstrual¬
blutungen (Menorrhagien). Sie hängen mit der mangelhaften
Kontraktionsfähigkeit des metropathischen Organs zusammen; bei
der Wichtigkeit der menstruellen Störungen überhaupt werden sie
bei dem Abschnitt „Störungen bei der Menstruation“ ihre Erledigung
finden.
Die Portio ist hypertrophisch und mit zahlreichen Retentions¬
zysten (Ovula Nabothii) durchsetzt. Schließlich sieht man nicht selten
am Muttermund Erosionen, von denen man wissen muß, daß sie
häufig nicht, wie ihr Name sagt, wunde Stellen, d. h. Epithelverluste,
bedeuten, sondern vielfach mit Zylinderepithel bekleidete Partien der
Portio vaginalis sind, die nur als wunde Stellen imponieren. Dem¬
entsprechend nennt man die erste Bildung wahre Erosion, die zweite
Form Pseudoerosio Simplex. Schließlich kann drittens durch Ein¬
risse der Zervix nach Geburten oder nach instrumenteilen Eingriffen
ein Teil der Zervixschleimhaut zutageliegen: diese Affektion, die
auch eine nicht seltene Begleiterscheinung der Metroendometritis
ist, nennt man Ektropium. Dem Praktiker ist es dringend
zu raten, bei jeder Erosion an ein beginnendes Kar¬
zinom zu denken. Es gibt ein einfaches, viel zu wenig be¬
kanntes Mittel, um diese Diagnose mit Sicherheit stellen zu können:
man betupft im Spekulum mit einem Holzstäbchen die erodierte
oder pseudoerodierte Fläche mit rauchender Salpetersäure, eine
Manipulation, die völlig schmerzlos ist, und bestellt die Patientin in
zwei Tagen wieder. Ist die Erosion oder Pseudoerosion alsdann
eheilt so. ist der Nachweis ihrer Benignität erbracht, im anderen
alle ist es Pflicht des Arztes, einen so großen Keil aus dem ver¬
dächtigen Gewebe zu exzidieren, daß seine Basis gesundes Gewebe
mit enthält, diese in 10%ige Formalinlösung zu übertragen und durch
die mikroskopische Diagnose feststellen zu lassen, ob es sich um
ein beginnendes Karzinom, um ein Ulcus syphiliticum (vorherige
Spirochätenuntersuchung) oder um ein Ulcus tuberculosum handelt.
Im Gegensatz zur Pseudoerosio simplex breiten sich die vorher
enannten Affektionen zu Beginn nur über eine Lippe aus, während
ie Pseudoerosion zirkulär beide Lippen befällt.
Schließlich wären als häufige Begleiterscheinung die Zervix*
polypen zu erwähnen, deren Abtragen mit Glühschlinge oder Messer
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
(cave Blutung) in jedem Falle zu erstreben ist, um auch hier durch
sofortige mikroskopische Untersuchung die Gutartigkeit oder Bös¬
artigkeit nachzuweisen.
Therapie. Erst nachdem die Diagnose die bakterielle Natur
und eine maligne Entartung ausgeschlossen hat, kann unsere Behand¬
lung ihren Anfang nehmen. Da aber die Therapie keine kausale
sein kann, so ist sie nur eine Therapie der Symptome. Die Beseiti-
ungder Begleiterscheinungen haben wir schon im wesentlichen bei
er Diagnose besprochen. Die Beseitigung der Hypersekretion hängt
eng mit den therapeutischen Maßnahmen zusammen, die wir bei
der Kolpitis besprochen haben. Oft führt eine Trockenbehandlung
der Scheide zu einer Beseitigung der Hypersekretion des Uterus.
Obgleich noch vielfach einer lokalen Aetzbehandlung der Zervix das
Wort geredet wird, möchte ich erneut an dieser Stelle vor dieser
Behandlungsmethode warnen. Die Hypersekretion der Zervixschleim¬
haut macht schon an sich die Frauen nervös, reizbar. Diese Ner¬
vosität wird durch die dauernde Abhängigkeit vom Arzte erheblich
gesteigert. Besser als solche sich über Monate hinziehende Aetz¬
behandlung ist in Fällen, in denen die Trockenbehandlung nicht zum
Ziele führt, eine im Aether- oder Chloräthylrausch vor-
enommene Kürettage mit nachfolgender Aetzung mit
layfairscher Sonde, die mit Jodtinktur odermit5°/oiger
Argentum nitricum-Lösung getränkt ist. Die ambulante
Ausführung dieser Kürettage in der Sprechstunde ist dringend zu
widerraten. Falls die Kürettagen nicht in der Klinik ausgeführt werden,
sollen sie auf dem Querbett und im Privathause gemacht werden.
Sollte dem Praktiker hierbei eine Perforation des Uterus passieren,
so ist die Gefahr nicht allzu groß, wenn alles aseptisch vorbereitet
ist, der Praktiker sofort von weiteren Ausschabungsversuchen Ab¬
stand nimmt, die Patientin ruhig im Bett bleibt und eine Eisblase auf
den Leib bekommt. Nur bei einer solchen Behandlung im Privat¬
hause kann die Patientin nach der Operation ruhig im Bett bleiben
und die flächenhafte Wunde in den vier Tagen strikter Bettruhe zur
Ausheilung kommen. Häufig empfiehlt sich auch nach der Aus¬
kratzung, etwa vom achten Tage ab, als Nachbehandlung eine Trocken¬
behandlung der Scheide, falls diese noch zu stark sezerniert.
Ueber die Bekämpfung der Menorrhagien wird ausführlich an
anderer Stelle zu berichten sein.
Soziale Medizin und Hygiene.
Die Mitarbeit des Arztes in der Wohlfahrtspflege 1 ).
Von Min.-Rat Prof. Dr. Thiele in Dresden.
Ein bekannter Volkswirtschaftler, Phil. Stein, hat vor kurzem
(„Soz. Prax.“ 23.11.1921) ungefähr Folgendes geschrieben: „War
einst die Wohlfahrtspflege ein Sammeln und Aufrichten derer, die
im Drange der Unrast der Tage am Wege liegen blieben, eine Hilfe
beim Aufstieg im Gesamtaufstieg unserer Wirtschaft und Ge¬
sellschaft, ist ihr heute im Zusammenbruch die unsagbar härtere
und schwerere Aufgabe der Anpassung an den Abstieg unseres
Volkes, seiner Klassen und der Einzelmenschen zuteil geworden. 1 *
Dieses erschütternde Wort, das die ganze Not unserer Zeit, unseres
nach einem schier ehernen Schicksal sinkenden Volkes enthüllt —,
wäre es unumschränkt wahr, wir könnten nichts anderes tun, als
die Hände in den Schoß legen und das Ende erwarten.
Noch gibt es aber Menschen, gewöhnt, dem Naturgeschehen am
nächsten zu stehen, und geübt, das Menschenleben mit Naturforscher-
augeu zu sehen, die es unzählige Male beobachtet haben, wie zwar
im Werden immer ein Vergehen steckt, wie aber immer auch im
Vergehen neue Kräfte aufwärts streben. Es gab eine Zeit, da war
ein solcher Mensch der angesehenste, der Führer seines Volkes, und
seine Gebote galten göttlichen Ursprungs. Bald aber überwucherte
allzu Menschliches das Menschliche, und der Priestermensch wurde
aller Herren Diener und aller Knechte Knecht. Und so ist es durch
die Jahrhunderte hindurch geblieben bis auf den heutigen Tag. Denn
der Weg der Menschheit führt mit fortschreitender sogenannter Kultur
immer weiter von der Natur hinweg, und aus dem Arzt, dem Priester¬
menschen jener Tage, wurde der Nothelfer, den man nach dem
Beispiel des bekannten Mohren gehen heißt, wenn er seinen Dienst
getan hat.
Noch der Arzt der sogenannten guten alten Zeit — und uns
Aelteren ist vielleicht noch die oder jene Gestalt des Hausarztes jener
Tage in dankbarer Erinnerung — war ja nicht nur der Helfer in
der Not, er war der Freund des Hauses, der Berater der Familie,
der Vertrauensmann für Vater, Mutter und Kinder, der Vermittler
von Rat und Hilfe, der fürsorgende, der überwachende, der vor¬
beugende Arzt für groß und klein, mit einem Satz: De* HauptteU
seiner Arbeit war im eigentlichsten Sinn Wohlfahrtspflegearbeit, weil
sie ärztliche Arbeit war.
Die Zeiten haben sich gewandelt. Wirtschaftliche Verhältnisse,
gesellschaftliche Zustände beeinflußten immer mehr und mehr die
gesundheitliche Lage immer größerer Volkskreise. Aber immer und
Immer wieder war es und ist es Krankheit, die alle Maßnahmen der
Erziehung und Vorkehrungen der Wirtschaft grundstürzend über den
Haufen wirft
*) Sächsische_Wohlfahrtstagung am_28.—30. IV. 1921 ln Dresden.
Volkserzieher wie Volkswirtschaftler, die Berater des Staats¬
mannes, mußten dies sehen, wenn sie den Dingen auf den Grund
gingen. Man weiß es ja: „Die Vernachlässigung der Nöte der hilfs¬
bedürftigen und widerstandslosen Menschen belastet und bedroht
den Bestand der ganzen Gesellschaft.“ Und es war ein Arzt, der
schon 1847 das Wort prägte: „Die medizinische Wissenschaft ist
in ihrem innersten Kern und Wesen eine soziale Wissenschaft. Die
soziale Natur der Heilkunst steht über allem Zweifel.“ Und nach
diesen Worten des Berliner Arztes Neu mann sprach es Rudolf
Virchow (1848) aus: „Die Aerzte sind die natürlichen Anwälte
der Armen, und die soziale Frage fällt zum größten Teil unter ihre
Jurisdiktion.“ i
Aerzte waren es, die immer wieder auf die Umöte der Zeit hin¬
wiesen, wie sie sich aus der Umwandlung der Arbeit zur Industrie
wesentlich entwickelten. Der furchtbare Fehlerkreis von „Wohnungs¬
not, Berufs- und Arbeitsschädigung, Unterernährung und Verarmung“
erschloß sich ihnen zuerst. Sie sahen, wie die soziale La<je die Ent¬
stehung und die Verbreitung und den Verlauf von Krankheiten ma߬
geblich beeinflußt. Sie suchten sich deshalb nach dem Vorbilde eines
Pettenkofer, der u. a. die Hygiene als die Lehre von der „Ge¬
sundheitswirtschaft“ kennzeichnete, ihre Bundesgenossen unter
den Baumeistern, Ingenieuren und Verwaltungsbeamten: Die sog.
„öffentliche“ Gesundheitspflege begann ihren erfolgreichen Gang vor
allem zunächst durch die immer rascher anwachsenden Städte als
den Mittelpunkten der Industrialisierung und den ersten und bleiben¬
den Brutstätten der Massennot. Und es erscheint hier ein schlagen¬
der Beweis für die Wirksamkeit der unter ärztlicher Führung ein¬
geschlagenen Methoden zur Bekämpfung der wichtigsten Volksnöte —
ich erinnere an den Ausbau der Wasserversorgung, Kanalisation,
Beseitigung der Abfallstoffe, an die Nahrungsmittel- und Gewerbe¬
hygiene, die Seuchenbekämpfung —, ich sage, es erscheint als schlagen¬
der Beweis für die Wirksamkeit der Methoden, daß, trotzdem es
nicht gelang, die Wohnungsnot grundsätzlich zu beseitigen oder nur
erheblich zu bessern, die Gesundheitsverhältnisse in den Städten
wenigstens sich bis zum Kriege von Jahr zu Jahr besserten.
Eine weitere gewaltige und bewundernswert ersonnene Einrich¬
tung hat dann wesentlich daoei geholfen, das ist unsere sozial¬
politische Gesetzgebung. „Was Deutschlands Sozialpolitik, in
erster Linie Arbeiterversicherung und Arbeiterschutz, in wenigen Jahr¬
zehnten für den Aufstieg der breiten Massen, die Erziehung des Volkes
zum gesundheitlichen Selbstschutz, die Förderung der wirtschaftlichen
Lebensinteressen, auch des geringsten Volksgenossen, die Erhöhung
seiner Leistungsfähigkeit wie auch seines Anteils an den geistigen und
sittlichen Gütern der Nation geleistet, hat der Krieg eine Massen¬
probe auf die Nerveukraft eines Volkes geoffenbart.“
Man kann diesen Worten des verdienten Präsidenten des Reichs¬
versicherungsamts, Kaufmann, durchaus zustimmen und wird trotz¬
dem sich ein gerüttelt Maß voll Kritik Vorbehalten müssen. Die leb¬
haftesten Kritiker unserer sozialen Gesetzgebung waren die Ver¬
sicherten selbst und — die Aerzte. In welcher Richtung geht die
Unzufriedenheit der Aerzte?
Daß je nach der Zugehörigkeit zu den einzelnen Versicherungs¬
trägern der kranke Mensch gleichsam in verschiedene Teile zerlegt
wird, mag noch hingehen. Daß aber die ganze Versicherung nicht
in maßgebender Gemeinschaftsarbeit, wie mit Recht gesagt worden
ist, mit den Aerzten den einen großen Leitgedanken hatte, dem be¬
drohten, gefährdeten, geschädigten Menschen die geringstmögliche
Einbuße an Gesundheit und damit Erwerbsfähigkeit und Einkommen
so schnell als möglich zu vermitteln, -- das ist wohl der tiefste Grund
der ärztlichen Unzufriedenheit.
Man hatte wohl an die Auswirkungen eines Versicherungsrechts¬
verhältnisses gedacht, aber nicht an die zersetzende Wirkung, die
die Versicherung in der jetzigen Form auf das Verhältnis zwischen
Arzt und Kranken ausgeübt hat und noch ausübt. Zwischen das rein
persönliche Vertrauensverhältnis von Arzt und Kranken hat sich die
unpersönliche Bureaukratie eingeschoben und damit die feinen Fäden,
die sich vom Behandelnden zum Behandelten hinüber und herüber
ziehen, fast ganz oder ganz zerrissen. Damit aber noch nicht genug.
Das Hervorgehen der Krankenversicherung aus der öffentlichen Für¬
sorge für die wirtschaftlich schwächsten Glieder unserer Bevölkerung
führte bei Bewertung des Leistungsentgeltes zu Grundsätzen und
Zahlen, die der Armenpflege und privaten Wohlfahrtspflege ent¬
nommen sind. Die Folge war eine Entlohnung der geleisteten Arzt¬
arbeit zu Mindestsätzen, trotzdem doch die ärztliche Arbeit zur
Wiederherbeiführung der Gesundheit und Erwerbsfähigkeit bei einem
minderbemittelten, unter den ungünstigsten äußeren Verhältnissen
lebenden Menschen im Gegenteil eine Höchstleistung darstellt.
Diese größere Leistung, die bei den Menschen der bemittelten Kreise
im allgemeinen nicht nötig oder nicht so nötig ist, um so dringender
aber in den übrigen, weitaus umfangreicheren Kreisen der Bevölke¬
rung ist jener Teil der ärztlichen Tätigkeit, den ich eingangs als den
wohlfahrtspflegerischen kennzeichnete.
Die Arbeit des Arztes als Fürsorger und Erzieher, diese, wenn
ich so sagen darf, mehr menschliche, künstlerische Leistung des
Arztes wurde und wird von den Versicherungsträgem, die nur auf
die Sachleistung eingestellt sind, nicht bezahlt. Sie schrumpfte —
zuerst natürlich in der Großstadt zuerst beobachtet! — deshalb immer
mehr und mehr zusammen, und aus der Kassenbehandlung wurde in
vielen Fällen Massenbehandlung mit allen, hier aber ganz besonders
betrüblichen Nachteilen der Massenarbeit überhaupt. Es ist die Tragik
des Aerztestandes, daß die an sich erst recht im ärztlichen Sinne
□ igitized by Gougle
Original from
CORNELL UN1VERSSTV
26. Januar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
133
besonders wertvolle sozial-medizinische Arbeit an den Stiefkindern
der Gesellschaft fast automatisch zu einer unnatürlichen Zersetzung
der ärztlichen Tätigkeit führen mußte, und warum? Weil die Schöpfer
der ganzen sozialpolitischen Gesetze zwar gute Juristen und Volks¬
wirtschaftler, aber schlechte Naturforscher waren. In der bahnbrechen¬
den, ausgerechnet größten sozialmedizinischen Gesetzgebung der
Welt spielt der Arzt keine maßgebende Rolle, und wenn Präsident
Kaufmann in seinem jüngsten Werk „Wiederaufbau und Sozial¬
versicherung“ jenes von mir angeführte Lob auf den ja ganz zweifel¬
losen Segen der Versicherungsgesetzgebung ausspricht, an keiner
Stelle gedenkt er der Tatsache, daß diese Leistungen, und zwar nicht
nur die Sachleistungen, nur möglich waren durch die aufopferungs¬
volle Tätigkeit der deutschen Aerzte. Wenn er aber anderseits in
jenem Amsatze beachtliche Vorschläge zur Verbesserung der
Reichsversicheruugsordnung, dieses Buches mit fast 2000 Paragraphen
und 7 Siegeln macht, so tut er dies fast lediglich auf der Grundlage
ausgerechnet der ärztlichen Erfahrung. So fordert er, unter
stärkster Betonung der Notwendigkeit der vorbeugenden Tätigkeit
der Versicherungsträger, bevölkerungspolitische Maßnahmen wie z. B.
Familienhilfe. Erweiterung der Krankenhauspflege, Gleichstellung von
Berufsunfällen und Berufskrankheiten, endlich die Einrichtung zur
Durchführung einer Arbeitsbehandlung zur Erzielung von wirtschaft¬
licher Heilung nach dem Muster des Reichsversorgungsgesetzes vom
12. V. 1920. in dem wir u. a. die Anerkennung der Mutterschaft als
gesellschaftliche Leistung, sodann den Anspruch auf berufliche Aus¬
bildung zur Wiedergewinnung und Erhöhung der Arbeitskraft, den
ärztlichen Wünschen entsprechend, endlich durchgeführt finden.
Freilich, so Bewundernswertes die öffentliche Gesundheitspflege,
so Großes die Versicherungsgesetzgebung geleistet haben, alles
können sie nicht leisten. Es gibt ja Krankheiten mit ihren eigen¬
tümlichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen, die — ich
denke z. B. an die Grippe — alle Grenzen der Wohlhabenheit, der
Wohnung, der Ernährung usw. überspringen. Hier wird die
medizinische Wissenschaft als besondere Wissenschaft von der ärzt¬
lichen Krankheitsbehandlung weiter zu forschen haben. Darüber kann
weiter kein Zweifel herrschen, daß die persönliche gesund¬
heitliche Kultur des einzelnen durch jene mehr in der Rich¬
tung polizeilicher Bevormundung und behördlicher Bewahrung liegende
Gesundheitsarbeit nicht gefördert, ja vielleicht in gewissem Sinne ge¬
hemmt worden ist. Ich Drauche die tiefen Schatten unserer vor dem
Kriege äußerlich glänzenden Zeit auf diesem Gebiete hier nicht auf
zudecken. Im Tun wird der Mensch, in der Selbstbetätigung ent¬
fallet er seine besten Kräfte, nicht im Glaskasten der Versicherung
und der Verbote. Hier liegen vielleicht die tiefsten Wurzeln unserer
Niederlage. An die Stelle der Untertanenpolitik hat Menschenbildung
zu treten, und sie ist schon auf dem Wege dazu. Menschenbildung ist
Einzelarbeit am Menschen, Erweckung der in jedem schlummernden
Kräfte, und das ist — Wohlfahrtspflege im heutigen Sinne. Die Zeiten
sind endgültig vorbei, wo die Autorität, die Polizeivorschrift die wich¬
tigste Erziehungsgrundlage war; heute kommt es darauf an, in
lebendiger Gemeinschaftsarbeit nicht bloßes Wissen zu vermitteln,
sondern vor allen Dingen durch Beispiel und Vorbild Kräfte zur
Selbsthilfe zu entwickeln. Eine in ihren Ausmaßen, ihren Arbeitsweisen
scheinbar neue Arbeit ist entstanden, wie sie zunächst von freiwilligen
und freiwirkenden Kräften getragen wurde, unter denen nicht wenige
Aerzte und — Frauen waren. Wer steht denn dem Naturgeschehen
der Menschenentwicklung und Menschheitsentwicklung näher als die
Frau und der Arzt? Und darum ist die Frau ganz natürlich die
eborene Wohlfahrtspflegerin, die Gehilfin des Arztes, in unserem
inne. Die freie Wohlfahrtspflege hat Großes geleistet und wird
immer Großes leisten in ihrer Einzelarbeit von Mensch zu Mensch,
in ihrem eifrigen Suchen nach neuen Wegen. Ihr werden auch im
neuen Staate immer neue Kräfte zufließen.
Aber der enge, grundlegende Zusammenhang zwischen wirt¬
schaftlicher und gesundheitlicher Minderwertigkeit, die
immer inniger werdende Verknüpfung von Volks Wohlfahrt und
Volks gesund heit mit der Volkswirtschaft und deren nahen
grundsätzlichen Beziehungen zur Organisation der Arbeit, z. B. Ar¬
beitsvermittlung, Berufsberatung, Erwerbslosenfürsorge usw., über¬
haupt hat es mit sich gebracht, daß die praktische Aufbauarbeit der
neuzeitlichen Wohlfahrtspflege aus dem engen Rahmen des werk¬
tätigen Mitleids von einst heraustreten mußte. Wirtschaftliche Nöte
bedürfen zu ihrer Beseitigung wirtschaftlicher Maßnahmen. Der prak¬
tische Arbeiter auf dem Gebiete der verbreiterten und vertieften Wohl¬
fahrtspflege von heute, auch oder erst recht der Arzt, bedarf
selbstverständlich neuer, nicht nur oberflächlicher sozialpolitischer
und sozialhygienischer, d. h. soziologischer Kenntnisse. Um¬
gekehrt müssen wir für die weiblichen Kräfte in der Wohl¬
fahrtspflege, wie es ja auch das Gesetz vorschreibt, eingehende
hygienische Kenntnisse dringend verlangen, wenn es nicht
zu schweren Mißhelligkerten kommen soll. Der Krieg und seine
Folgen haben diese Entwicklung noch beschleunigt, wenn die Wohl¬
fahrtsarbeit selbst auch keineswegs eine Kriegsfrucht ist. Die be¬
sondere Art der neuzeitlichen Wohlfahrtsarbeit hat Menschen sich ent¬
wickeln lassen, deren Wesen ganz auf die Wohlfahrtsarbeit, die eine
volle Menschenkraft braucht, eingestellt ist, deren Tätigkeit aber nur
dann Nutzen bringen wird, wenn sie wirklich in ne fl ich zu ihrer
Arbeit berufen sind. Dasselbe gilt erst recht für die in der Wohlfahrts¬
pflege tätigen Aerzte. Ja, für eine Reihe von ihnen ist außerdem
Hierzu eine gewisse Umstellung in der Auffassung ihrer Arbeit gegen¬
über der eigentlichen Behandlungstätigkeit, namentlich wie sie sich
unter der Herrschaft der Sozialversicherung herausgebildet hat, drin¬
end nötig. Die schwierigen Verhältnisse unserer äußeren und inneren
age verlangen gebieterisch die Möglichkeit der Heranbildung und
der Fortbildung solcher Wohlfahrtsärzte. Das immer mehr sich
Geltung verschaffende Bestreben der Träger der Sozialversicherung,
im Sinne der §§ 363 und 1274 RVO. die Schaden Verhütung in den
Vordergrund ihrer Tätigkeit zu stellen — ich erinnere an die Ver¬
einbarung zwischen dem Ständigen Ausschuß der deutschen Landes¬
versicherungsanstalten und den 5 Kassenhauptverbänden vom 7. I.
1920 —, erfordert aber viel innigere Arbeitsgemeinschaften zwischen
Versicherungsträgern und Aerzten, als wie sie heute bestehen. Die
Durchführung der Familienversicherung, eine der wichtigsten Voraus¬
setzungen der Schadenverhütung, damit der Wohlfahrtspflege, ist
ohne solche Arbeitsgemeinschaft nicht denkbar. Und wenn man
daran denkt, aus unserer, wie ich hervorhob, vom ärztlichen Stand¬
punkt nicht unbedenklichen Versicherung überhaupt eine um¬
fassende Fürsorge zu machen, so ist das erst recht ohne sozial¬
geschulte Aerzte nicht zu machen.
Ich nannte die ganze Arbeit eine scheinbar neue, denn ich glaube
bewiesen zu haben, daß ein wesentlicher Teil eigentlicher ärztlicher
Arbeit in dieser Wohlfahrtspflege darin steckt; ich glaube weiter die
Wege aufgedeckt zu haben, auf denen dieser wichtige Teil ärztlicher
Arbeit allmählich in den Hintergrund getreten ist. Und aus diesem
Gefühl der Verdrängung einer eigentlich ärztlichen Arbeit aus ihrer
Berufstätigkeit ist sicher auch die Stellungnahme mancher Aerzte zu
den Fragen der prakt scheu Wohlfahrtspflege zu verstehen. Wenn
das sächsische Wohlfahrtspflegegesetz die sozialhygienische Ar¬
beit in den Vordergrund gerückt hat, so ist das nicht nur ge¬
schichtlich zu erklären, sondern es zeugt von der Einsicht des Gesetz¬
gebers, der wußte, daß für diese und die nächste Zeit die
Frage der Gesundheitserhaltung, Krankheitsvorbeugung und Krank¬
heitsheilung die Lebensfrage des deutschen Volkes vor
allen anderen ist. Ich brauche nicht an den Zusammenbruch unserer
Emährungsorganisation im Kriege zu erinnern, aus der der Arzt an
ausschlaggebender Stelle ausgeschaltet war. Ich brauche nicht das
Wort eines großen Königs anzuführen, der den Menschen für das
wertvollste Gut des Staates erklärte. Ich brauche nicht den preußi¬
schen Minister Hänisch als Kronzeugen aufzurufen, der vor zwei
Jahren dem Gesundheitswesen voraussagte, daß es durch die Er¬
fahrungen des Krieges immer mehr zu dem Mittelpunkt, zu einer
der wichtigsten Zentralfragen unseres ganzen politischen Lebens
werden würde. Ich brauche auch nicht mich auf den Reichsminister
Koch zu berufen, der noch im März d. J. im Deutschen Reichstag
erklärte: „In allen Ministerien muß genau wie der sozialpolitische
Geist auch der Geist herrschend sein, der Verständnis für die Auf¬
gabe der Hygiene hat, sonst werden alle die gesetzgeberischen Auf¬
gaben, deren Lösung den Einzelministerien obliegt, falsch und un¬
richtig gelöst werden.“ Die Zahl der Kriegs- und Blockadeopfer,
der Tuberkulösen, der Geschlechtskranken, der elenden Kinder schreit
mit lauter Stimme:
„Ach, armes Land,
beinah’ entsetzt, sich selbst zu kennen, nennt es
nicht unsere Mutter, sondern unser Grab.
Wo niemand lächeln kann als wer nichts weiß.“ (Macbeth.)
Was nützt der Ruf nach Arbeit, wenn die Kräfte fehlen,
Arme und Hände zu rühren, wenn die Gesundheit schwankt, Kopf
und Nerven anzuspannen, wenn der Nachwuchs mit körperlichen
Gebrechen heranwächst? Was nützen alle guten Lehren und
Lehrer, wenn die Schüler nicht hören, nicht sehen, nicht gehen
und nicht stehen können, wenn das Herz und die Lunge versagt und
Gehirn und Nerven auf keinen Reiz antworten? Was nützt alle
wirtschaftliche Besserung, wenn die etwa reichlicher fließen¬
den Mittel, wenn auch nur zu einem Teile, in Unkenntnis oder
Nichtachtung hygienischer Grundlehren zu gesundheitzerrüttenden Ge¬
nußgiften verwendet werden und so im Anschluß daran zu Aus¬
schweifung und Entartung führen?
Erziehung, Beratung, Gewöhnung, Ueberwachung immer unter
dem ärztlichen Gesichtspunkt der Selbstbetätigung, der Selbst¬
erarbeitung: das sind die Leitworte, unter denen die Wohlfahrts¬
pflege, diese alte Gewohuheitsarbeit des Arztes, und zwar des besten
Arztes, d. h. des, der sich selbst überflüssig macht, auch in ihrer
neuen Form arbeiten muß, wenn sie wirkungsvoll sein soll. „Erst
mit der körperlichen Gesundheit sind die Bedingungen erfüllt, unter
denen unsere Wirtschaft und unsere Moral wieder gesunden kann.“
(Krautwig.) Wir werden besser werden, wenn wir ge¬
sünder werden.
Standesangelegenheiten.
Standesangelegenheiten.
Von S. Alexander in Berlin.
IV.
In Nr. 47, 1921, S. 1434 dieser Wochenschrift haben wir uns mit der
gesetzlichen Regelang der Beziehungen zwischen Krankenkassen und
Aerzten an der Hand des vom Reichsarbeitsministerium herausge-
ebenen Vorentwurfes befaßt und sind zu dem Resultate gelangt,
aß eine gesetzliche Regelung sich vorläufig nicht empfiehlt, son¬
dern der Weg freier Vereinbarung trotz aller Schwierigkeiten und
Digitized by
* Google
Original frorn
CORNELL UNIVERSITY
134
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 4
Hemmnisse auch in Zukunft beschritten werden solle. Ob der Leip¬
ziger Verband diesen Weg der Vereinbarung grundsätzlich zurück¬
weist oder für aussichtslos hält, ist uns nicht bekannt, genug, er
bemüht sich, seine Auffassung über die gesetzliche Regelung in Form
eines Gegenentwurfes der Oeffentlichkeit kundzutun. wir halten
diesen weg für nicht ganz ungefährlich. Denn, gelingt es dem
Gegner, an dem Gegenentwurfe Blößen und Fehler zu entdecken, an
denen die Gesetzgebung nicht vorübergehen darf, so wird er tech¬
nische Unvollkommenheiten zum Anlaß nehmen, um den ärztlichen
Standpunkt möglichst zu diskreditieren. Und wir wissen ja, semper
aliquid haeret. In der einleitenden Begründung des Gegenentwurfes
werden als springende Punkte für den ärztlichen Entwurf hervor¬
gehoben: die ärztliche Organisation, die Zulassung aller bereiten
Aerzte zur Kassenpraxis und die Wiedereinsetzung der Landesaus¬
schüsse. In der äußeren Form ist der Regierungsentwurf möglichst
beibehalten. Von großer Wichtigkeit ist natürlidi die Einschiebung
der Organisation, statt der Einzelärzte, für die Vereinbarung mit
den Krankenkassen. So spricht § 368 des Gegenentwurfes von der
Vereinbarung über die Durchführung der ärztlichen Versorgung zwi¬
schen Krankenkassen und den ärztlichen Organisationen, § 370 von
einem schriftlichen Vertrag zwischen Kassen und den ärztlichen
Organisationen, § 370 a von der Bildung eines Vertragsausschusses
aus Mitgliedern der Krankenkassen und der ärztlichen Organisation.
Mit keinem Worte aber wird angedeutet, wer denn die ärztliche
Organisation oder Organisationen darstellt, wie sie beschaffen sein
muß, um den Wünschen des Gesetzgebers zu genügen, wer über
ihre Bildung und Zusammensetzung zu befinden hat. Gemeint ist
natürlich der Leipziger Verband mit seinen Zweigeinrichtungen. Aber
es darf doch nicht verhehlt werden, daß der Verband noch nicht so
anerkannt ist, um auch ohne weiteres als die Organisation zu gelten.
Dagegen sprechen ja auch Tatsachen. In Süddeutschland, in Berlin
sind, zwar unter Mitwirkung des Leipziger Verbandes, aber doch
von ihm unabhängig, Organisationen geoildet worden, mit denen
große Kassenverbänae Verträge abgeschlossen haben. Warum fordert
der Leipziger Verband nicht deutlich die gesetzliche Anerkennung
seiner Organisation? Wird sie ihm gewährt, so wird Klarheit ge¬
schaffen, und Kassen wie Aerzte werden, vielleicht mit einem ge¬
wissen Widerstreben, aber schließlich doch einheitlich den Leipziger
Verband als einzige Spitzenorganisation anerkennen. Mindestens müßte
das Gesetz Vorsorge treffen, daß die Benennung der Organisationen
durch die Ausführungsbestimmungen zu erfolgen hat. Was die freie
Arztwahl anlangt, so behauptet die Einleitung zu dem ärztlichen
Gegenentwurf, daß er „der Versorgung der Kassen mit Aerzten die
Zulassung aller bereiten Aerzte zugrundelegt“. Wir haben uns ver¬
geblich bemüht, in dem Entwurf die entsprechenden Bestimmungen
zu finden. Es ist wohl wahrscheinlich, daß die Organisationen, so¬
weit sie den Vertragsausschuß bilden helfen, in geeigneten Fällen
für die freie Arztwahl eintreten werden. Aber letzten Endes ent¬
scheidet hierüber das Reichsschiedsamt, und selbst dessen unparteiische
Mitglieder brauchten über die Zweckmäßigkeit der freien Arztwahl
nicht eines Sinnes mit den ärztlichen Wünschen zu sein. Warum
unterläßt es der Leipziger Verband, gleichzeitig im Interesse der
Versicherten die Bestimmung zu beantragen, daß zur kassenärztlichen
Behandlung alle Aerzte zuzulassen sind, die die vereinbarten Be¬
dingungen anerkennen? Auf bestehende Verhältnisse könnte Rücksicht
genommen werden. Daß die Schwierigkeiten der Durchführung nicht
unterschätzt werden dürfen, haben wir bei anderer Gelegenheit an¬
geführt und wesentlich deshalb die gesetzliche Regelung der ärzt¬
lichen Behandlung beanstandet. Hält man diese aber für unausbleib¬
lich, dann soll man die Hauptforderung auch mit dem richtigen
Namen nennen. Gegen das Verlangen, Landesausschüsse zu bilden,
wie der Gegenentwurf vorsieht, kämpfen die Kassen aus nicht ganz
verständlichen Gründen, zumal die Aerzteorganisation sich sogar mit
einer „Kannbestimmung begnügt. Im übrigen ist der ganze §369b
des Gegenentwurfs geradezu ein Muster vor\ Geschmeidigkeit. Es
„können“ Landesausschüsse vereinbart werden, welche ergänzende
oder abweichende Richtlinien aufstellen „können“. Ueber die Be¬
stellung eines unparteiischen Vorsitzenden „können“ die Mitglieder
sich einigen. Die Richtlinien „sollen“ von denen des Reichsaus¬
schusses nur insoweit abweichen, als es nach den besonderen Ver¬
hältnissen des Bezirks nötig ist. Das letzte Wort hat natürlich das
Schiedsamt. Und trotz dieser Konnivenz einfache Ablehnung seitens
der Kassen. Die übrigen Bestimmungen des Gegenentwurfs können
überhaupt kaum als Verbesserung des Regierungsentwurfes ange¬
sehen werden. Zwar ist der Reichsausschuß von der Einzelaufzählung
seiner Aufgaben entlastet, aber gekürzt ist an seiner Machtfülle nichts,
denn die drei Zeilen des Gegenentwurfes geben ihm Blankovollmacht
für alle Befugnisse. An seiner Zusammensetzung ist nichts geändert.
Unverändert sind auch die Bestimmungen über die Gewährung von
Barleistungen. Es zeugt von großer Bescheidenheit, daß von der
Spitzenorganisation der Aerzte als Gründe für die Gewährung von
Barleistungen u. a. aufgeführt wird der Umstand, daß die Aerzte
den geschlossenen Vertrag nicht einhalten und hierdurch die ärztliche
Versorgung bei der Kasse ernstlich gefährden (!). Die Verfasser
des Gegenentwurfs sollten doch wissen, daß mit der Nichteinhal¬
tung der geschlossenen Verträge — eine Möglichkeit, die eine ärzt¬
liche Organisation ins Auge zu fassen kaum nötig hat — die ärzt¬
liche Versorgung bei der Kasse absolut nicht ernstlich gefährdet ist,
denn kein Arzt wird sich weigern, auch in diesem Falle die Kassen¬
kranken zu behandeln, allerdings als Privatpatienten. Auch in diesem
Falle für anderweitigen Nachweis an Stelle der ärztlichen Beschei¬
nigungen einzutreten, hatte der Leipziger Verband nicht nötig, zumal
der behandelnde Arzt sich auch im Palle § 3701 nicht weigern wird, die
Bescheinigung gegen Geld und gute Worte auszustellen. Zu solchen
arztfeindlichen Bestimmungen, auch wenn sie durch das geltende
Recht quasi sanktioniert sind, hätte sich der Leipziger Verband nicht
hergeben sollen. Alles in allem — viel besser scheint die Position
der Aerzteschaft durch den Gegenentwurf nicht geworden zu sein.
Es kriselt auch sonst bedenklich. Am 1. XII. 1921 fand ein Schieds¬
spruch in Sachen des Kassentarifs nach dem Berliner Abkommen
statt. Die Kassenverbände erklärten sich mit ihm einverstanden, der
Leipziger Verband lehnte ihn als unannehmbar, und zwar mit Recht,
ab. Dadurch ist nicht nur das Tarifabkommen, sondern auch das
erst vor kurzem gebildete Reichsschiedsamt hinfällig geworden. Es
bleibt also nur, wenn nicht ein unheilvolles Vakuum entstehen soll,
die örtliche Vereinbarung übrig, und diese wird in vielen Fällen,
in denen die Machtfülle der Kassenspitzen ausgeschaltet ist, zum
Ziele führen. Die Berliner Verhältnisse wenigstens zeigen, daß
durch örtliche Verhandlungen, in denen die Parteien infolge lang¬
jähriger persönlicher Beziehungen einander nähertreten können, eui
Resultat Zustandekommen kann. Die Honorarerhöhung für
die Behandlung der Kassenmitglieder ist, allerdings erst durch Schieds¬
spruch, zu beiderseitiger Zufriedenheit vollzogen worden, und auch
die Verhandlungen über die Familienhilfe, die zu einem ernsten
Zwist auszuarten drohten, stehen dicht vor dem Abschlüsse. Ueber
die Bedingungen der Vereinbarung hoffen wir das nächste Mal berich¬
ten zu können.
Wenr ich heute meinen ständigen Bericht über Standesfragen
teilweise dazu verwende, um auch in eigener Sache mich auszu-
sprechen, so tue ich das nur, weil ich überzeugt bin, daß die Erörterung
über die strittigen Fragen den ärztlichen Stand als solchen berührt,
also grundsätzliche Bedeutung hat. Oberreichsanwalt Dr. Eber¬
mayer hat mir die Ehre erwiesen, meiner Veröffentlichung im
Aerztl. V. Bl. Nr. 1239, 1240 über den Entwurf zu einem deutschen
Strafgesetzbuch in D. m. W. Nr. 2 kritisch zu gedenken. Neben einigen
anerkennenden Bemerkungen, über die ich dankend quittiere, be¬
mängelt er insbesondere meine Stellungnahme in der Frage des ärzt¬
lichen Operationsrechts und der Trinkerfürsorge. Ich habe in meiner
Niederschrift den Standpunkt vertreten, daß durch die Bestimmungen
des Entwurfes, trotz mehrfacher Sicherungen und Verbesserungen
_ -i _ _u_i _ n.-Li j- r._ j _i _ ii _"_ii:_T_
einer vorsätzlichen Gesetzesverletzung mit der Ausübung der Heil¬
behandlung nicht wahrscheinlich sein dürfte, doch unser ethisches
Empfinden in dem Entwürfe nicht die erforderliche Berücksichtigung
gefunden hat. Ebermayer hält diesen Standpunkt für „unrichtig“,
„unverständlich“, und nimmt an, daß mir „der durchaus veränderte
Standpunkt, den der Entwurf von 1919 gegenüber dem Vorentwurf
und dem Kommissionsentwurf von 1913 einnimmt, vollkommen ent¬
gangen ist“. Ich habe aber in meinem Karlsruher Referat, das wohl
Oberreichsanwalt Ebermayer nicht eingesehen hat, die Gründe,
die mich zu meiner Stellungnahme veranlaßten (dies in dem orien¬
tierenden Artikel des Vereinsblatts zu tun, verbot mir Raum und
Zweck), so eingehend, zum Teil unter wörtlichem Zitat aus Entwurf
und Denkschrift, auseinandergesetzt, daß von einem „Entgehen“ oder
„Vergehen“ füglich nicht die Rede sein kann. Wollte ich hier die
Gründe noch einmal wiederholen, so fürchte ich, würde mir der Her¬
ausgeber der D. m. W. einen kräftigen Strich durch die Rechnung
machen. Ein Irrtum meinerseits wäre ja möglich, aber Gesetze*
und Denkschriften müssen so verfaßt sein, daß sie nicht nur Juristen
verständlich, sondern auch dem Intellekt des Volkes angepaßt sind,
sonst sind sie abwegig. Ich glaube jedoch gar nicht an meinen
Irrtum, denn ich könnte Ebermayer Beispiele anführen, wonach
vorsätzliche ärztliche Berufshandlungen, trotz Einverständnisses mit
dem Behandelten, auch nach dem Entwurf sich als Körperverletzung
qualifizieren, und dafür spricht auch die noch nicht aufgehobene
Keichsgerichtsentscheidung, daß die Einwilligung des Verletzten das
Nichtvorhandensein einer strafbaren Körperverletzung nicht begrün¬
det. Das ist auch der Grund, weshalb ich den Aufbau des §313
für nicht logisch halte, denn er verhütet, abgesehen von Schwierig¬
keiten in der Beweisführung, die Möglichkeit der Unterstellung der
ärztlichen Berufshandlungen unter den Begriff der Körperverletzung
nicht ganz, und dazu war er doch angeblich bestimmt. Sollte icn
mich aber wirklich geirrt haben, so ist es doch recht merkwürdig,
daß Sich mit mir etwa 300 Vertreter von 35 000 Aerzten geirrt
haben, die einstimmig dem von Geh.-Rat Puppe und mir aufgestellten
Leitsätze auf dem Aerztetage zugestimmt haben. Hat unter all diesen
Irrenden sich nicht ein einziger Wissender befunden, so muß die
Fassung des Entwurfes — denn um diesen kann es sich nur handeln,
nicht um die Denkschrift — für das allgemeine Verständnis nicht
ausreichen, und dann bedarf sie dringend der Ergänzung.
Auch hinsichtlich meiner Auffassung über §§ 91 und 92 E. (Trunk¬
sucht) glaube ich mich keiner Sünde schuldig gemacht zu haben,
die das Epitheton „verfehlt“ zur Folge haben mußte. Wenn §91
ausschließlich von selbstverschuldeter oder sinnloser Trunkenheit han¬
delt und §92 von der Unterbringung zur Strafe verurteilter „Trunk¬
süchtiger“ in Trinkerheilanstalten, so muß der Laien verstand an¬
nehmen, daß der Entwurf auch in §92 die selbstverschuldete Trunken¬
heit im Auge hat.
Gegen die Einbeziehung kranker Alkoholisten spricht auch die
weitere Fassung des §92, in der es heißt: „so ordnet das Gericht
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNSVERSITV
26. Januar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
135
seine (d. h. des Trunksüchtigen) Unterbringung in einer Trinkerheil¬
anstalt an, falls diese Maßregel erforderlich ist, um ihn an ein
gesetzmäßiges und geordnetes Leben zu gewöhnen.“ Ich meine,
man bringt einen Kranken in eine Heilanstalt nicht, um ihn
an ein gesetzmäßiges und geordnetes Leben zu gewöhnen, sondern
um ihm zu helfen oder um seine Umgebung zu schützen. Also auch
hier klafft ein Spalt zwischen Entwurf und Denkschrift Ich könnte
und kann letztere nicht für ausschlaggebend halten.
Feuilleton.
Allerlei aus dem Auslande.
Holland, England, Belgien, Amerika.
Der Gesundheitszustand in den Niederlanden. Vom
IS. IX. bis 15.X. wurden gemeldet: 215 Fälle von Unterleibstyphus,
411 von Scharlach, 548 von Diphtherie, 5 von Dysenterie und 2 von
Meningitis. Dies bedeutet für Typhus die gleiche Höhe wie in dem
vorherigen entsprechenden Zeitabschnitt, für Scharlach eine Zunahme
von 37 o/o, für Diphtherie eine solche von 33<yo. Die Sterblichkeit
im August 1921 war gegen den Juli 1921 0,67 auf Tausend der mitt¬
leren Bevölkerungszahl, gegen August 1920 1,01 auf Tausend höher.
Sehr hoch war der Prozentsatz der Säuglingssterbefälle. Es starben
im August 1921 nicht weniger als 102,23 auf Tausend der Lebend-
geborenen, also 33,46 auf Tausend mehr als im Juli 1921 und 29,91
mehr als im August 1920. Die außerordentlich hohe Temperatur
während dieses Augusts dürfte dabei von Einfluß gewesen sein.
Der Vorstand der Niederländischen Vereinigung vom Grünen Kreuz
hat an den Arbeitsminister ein Gesuch gerichtet, der Vereinigung
staatliche Unterstützung für die Gemeindepflege zu
gewähren Es wird in dem Gesuch darauf hingewiesen, von welchem
Belang die Tätigkeit der Gemeindepflege auf dem Gebiet der Seuchen¬
bekämpfung, besonders auch der Tuberkulose sei. Mit der Zeit
hat sich die Gemeindepflege aber so ausgebreitet, daß sie privatim
die Kosten nicht mehr tragen kann. Die Pflegerinnen verlangen
höhere Besoldung und Regelung ihrer Pensionsangelegenheiten. Die
Gesuchsteller denken sich den folgenden Weg als den gangbarsten:
ein Drittel der Unkosten trägt der Staat, ein Drittel die betreffende
Gemeinde, und das letzte Drittel wird von privater Seite aufgebracht.
Die Zahl der Gemeindepflegerinnen wird mit der Zeit vielleicht
einmal 2000 erreichen, vorläufig sind es noch nicht 1000, sodaß
dem niederländischen Staate aus der Bewilligung des Gesuches nicht
allzu große Unkosten erwachsen würden.
Durch ministeriellen Erlaß ist verfügt worden, daß tuberkulöse
Soldaten und Unteroffiziere auf Reichskosten im Sanatorium
zu Horn behandelt werden. Das Sanatorium gehört dem Limburger
Grünen Kreuz.
Das Zentralkomitee der antirevolutionären Partei in Holland
hat ein Programm für die kommenden Wahlen aufgestellt, in dem
unter anderem die Abschaffung des Impfzwanges gefordert wird
Die Malaria in Amsterdam. In diesem Jahr hat sich die
Malaria in Amsterdam wieder sehr bemerkbar gemacht und eine
ziemlich große Ausbreitung erfahren. Der Magistrat hat sich daher
zu einer intensiveren Bekämpfung entschlossen. Vor einigen Monaten
wurden eingehende Untersuchungen über die Brutstätten der Mücken
begonnen, die jetzt zu einem Abschluß gekommen sind. Man hat
nun einen Organisationsplan und die zur Bestreitung notwendigen
Mittel beraten und beschlossen, eine Kommission mit den Vorunter¬
suchungen zu betrauen, die dem Magistrat Bericht erstatten soll,
in dieser Kommission werden sich Kenner der Malariafrage und
Vertreter aus den Bürgerkreisen vereinigen, auf deren Mitwirkung der
Magistrat bei der Ausführung der zu ergreifenden Maßregeln rech¬
nen darf. In der Versammlung der Gesundneitskommission am 19. XII.
1921 berichtete der Direktor des Gemeindegesundheitsdienstes einiges
über die bisher ergriffenen Maßnahmen. Im letzten Quartal wurden
103 Ställe mit Staubsaugern bearbeitet und auf diese Weise mehr
als eine Viertelmillion Anophelesmücken gefangen; in einem Stall
wurden nicht weniger als 20 000 Mücken gefunden. Weiter wurden
863 Wohnungen behandelt, in denen Malariakranke wohnten; hier
wurden 15440 Mücken gefangen; die Höchstzahl in einer Wohnung
betrug 1500. Ferner wurden 142 Gräben und 22 Teiche mit einer
Oberfläche von 110000 qm im Hinblick auf die Larven behandelt;
anfänglich bediente man sich dabei des Kreolins, aber weil davon
die Fische und Wasserpflanzen eingingen, wurde späterhin Paraffin
benutzt. Bei 1235 Personen wurden Blutuntersuchungen vorgenommen.
Aus diesen Angaben geht hervor, daß mit großem Eifer gearbeitet
wird und die Unzufnedenheit einiger Kammermitglieder über die
g eringe Betriebsamkeit in der Amsterdamer Malariabekämpfung un-
erecntigt ist.
Die Pest nimmt in Niederländisch-Indien wieder merk¬
lich zu. Im September betrug die Zahl der Erkrankungen 1110, alle
mit tödlichem Ausgang, gegen 928 Fälle'im August und 439 im Juli d. J.
In England mehren sich in letzter Zeit die Pockenfälle. Es
ist dies eine Folge des Gesetzes, nach dem es den Eltern freisteht
zu erklären, daß die Impfung mit ihrem Gewissen nicht zu ver¬
einbaren sei. Die Zahl der Impfungen hat sehr abgenomraen. Noch
vor 20 Jahren wurden 70o/ 0 aller Neugeborenen geimpft, 1919 nur
noch 40 o/o. Von den 56 in Nottingham erkrankten Personen waren
44 nie geimpft worden. ,
La Presse mddicaie schätzt die Kosten des Medizin-
Studium* in Paris gegenwärtig auf 9000 Fr. pro Jahr, insgesamt
auf 54000 Fr. Alljährlich muß ein Examen bestanden werden,
das 55—65 Fr. kostet. Das Doktorexamen kostet 240 Fr., der Druck
der Dissertation 500—1000 Fr. Die Studierenden der militärärztlichen
Schule zu Lyon bezahlen 29720 Fr. für das Studium. Assistenten
erhalten ein Gehalt von 2300—3200 Fr.
Nach einem ministeriellen Rundschreiben vom 30. X. 1920 sind
in Belgien großzügige Maßnahmen auf hygienischem
Gebiet geplant, um der allgemeinen Schwächlichkeit der Jugend,
dem Anwachsen der vorgeburtlichen Sterblichkeit, der Zunahme der
Kindersterblichkeit entgegenzuarbeiten. Geplant ist in jeder Gemeinde
von mehr als 5000 Einwohnern die Einrichtung eines Desinfektions¬
dienstes, eines Brausebades sowie einer Fürsorgestelle für Tuber¬
kulöse. Handelt es sich um einen Industrieort, so ist der Für¬
sorgestelle eine Rettungsstelle anzuschließen, die sich noch der
Sypnilisbekämpfung zu widmen hätte. In Gemeinden mit mehr als
10 000 Einwohnern treten dazu noch Laboratorien für Untersuchungs¬
zwecke. Eine Zentralstelle für soziale Hygiene, die als
Musteranstalt geplant ist, soll in Wervicq errichtet werden. — Ferner
soll nach einem weiteren ministeriellen Rundschreiben vom 23. VII.
1920 an Minderbemittelte eine unentgeltliche Verabreichung
von Heilmitteln gegen Geschlechtskrankheiten stattfinden.
Den großen Wert der Typhusschutzimpfung im Heere
erhärtet Thomas G. Hüll Ph. D. im Heft 38 der Public Health
Reports vom 23. IX. 1921 an folgenden Zahlen aus denVereinigten Staaten:
1908 freiwillige Impfungen 830; Erkrankungen an Typh. abdom. 282
1910 freiwillige Impfungen 16093; Erkrankungen an Typh. abdom. 198
1911 freiwillige Impfungen 27720; Erkrankungen an Typh. abdom. 70
1912 Zwangsimpfungen 40057; Erkrankungen an Typh. abdom. 27
1913 Zwangsimpfungen 25086; Erkrankungen an Typh. abdom. 4
1914 Zwangsimpfungen 36902; Erkrankungen an Typh. abdom. 7
Seit 1910 steht in der gleichen Altersklasse (20—29 Jahre) die
Sterblichkeitsziffer des Heeres unter derjenigen der Zivilbevölkerung.
Sie betrug 1910 noch 0,16:0,27 °/ 00 , im Durchschnitt der Jahre 1911
bis 1918 aber 0,03:0,15 % 0 .
Im ersten Halbjahr 1920 begingen in den Vereinigten Staaten
225 Kinder Selbstmord, im ersten Halbjahr 1921 ungefähr die
doppelte Zahl. Ursadie dafür war Furcht vor dem Examen.
Eisenhardt (Königsberg).
Korrespon denzen.
Bund Deutscher Assistenzärzte.
1. Die in Nr. 3 S. 103 veröffentlichten Richtlinien betreffs der Facharzt¬
frage wurden in ausführlich begründeter Form auch dem Vorstand des Ver¬
bandes der Fachärzte Deutschlands übermittelt. Gleichzeitig wurde dieser
gebeten, seiner Forderung, daß die Fachärzte ihre Assistenten zeitentsprechend
besolden sollen, durch Einwirkung auf seine Ortsgruppen und durch erneuten
Hinweis in den Fachärztlichen Mitteilungen Nachdruck zu verleihen. Die zur
Zeit oft noch recht unzeitgemäße Bezahlung der Privatassistenten wurde dabei
besonders betont. Die Frage des vom diesjährigen Vertretertag angeregten
Kartells des B. D. A. mit dem B. d. F. D. ist in die Wege geleitet.
2. Die Ortsgruppen sind zur Mitarbeit eingeladen. Etwaige Beiträge
müssen Rücksicht nehmen auf die Kostbarkeit des Raumes und sind an die
Geschäftsstelle einzusenden, wo sie redigiert werden.
3 . Beitritt zum B. D. A. erfolgt durch Anschluß an die nächste Orts¬
gruppe. Vorraussetzung ist die Mitgliedschaft zum L. V. Der B. D. A. hat
keine Einzelmitglieder, sondern setzt sich zusammen aus Ortsgruppen und
bildet als Ganzes eine Sondergruppe des L. V. Ortsgruppenverzeichnis befindet
sich im Neudruck und kann demnächst von der Geschäftsstelle bezogen werden.
4. Abzüge vom Gehalt für freie Station dürfen nach Beschluß des dies¬
jährigen Vertretertages höchstens 25 bis 33 1 / a % betragen.
5- Beschleunigte Rücksendung des Fragebogens ist geboten. Ausführliche
Berichte über die gegenwärtige Lage bei den Ortsgruppen sind sehr erwünscht.
Anfragen usw. unter Beifügung von M. 2.— für Rückporto an die Geschäfts¬
stelle des B. D. A., Leipzig, Dufourstr. 18, 2. Der Vorstand
Dr. Kortzeborn, 1. Vorsitzender.
Kleine Mitteilungen. •
— Berlin. Da die Zahl der Tuberkuloseerkrankungs¬
fälle (bei abfallender Sterblichkeit) von 1919 zu 1920 noch
zugenommen hat, so bestimmt ein Erlaß des Ministers für
Volks Wohlfahrt vom 29.XII. 1921 ein neues übersichtliches Muster
für Fragebogen, an Hand dessen die dahingehenden Feststellungen bei
Krankenhäusern, Krankenkassen, Schulärzten und Tuberkulosefürsorge¬
stellen fortgesetzt werden sollen. — Für den Jahresgesundheits-
bericht der Kreisärzte wird durch Verfügung des Ministers für
Volkswohlfahrt vom 3. XII. 1921 ein neues Muster vom 1. III. 1922 ab
eingeführt. — Ein Erlaß des Ministers für Volkswohlfahrt vom 14. XII.
1921 bezeichnet es als wünschenswert, daß nur solche Aerzte als
Kommunal- und Fürsorgeärzte angestellt werden, die einen
viermonatigen Lehrgang an einer der drei sozialhygienischen Akade¬
mien in Charlotten bürg, Breslau und Düsseldorf absolviert haben. —
Nach einer Verfügung des Ministers für Volkswohlfahrt vom 31. XII.
1921 soll bei den Wiederholungskursen für Desinfektoren,
soweit sie durch die neue Desinfektionsanweisung bedingt werden,
Gebühren nicht erhoben werden.
— Nach einem Gesetzentwurf wird mit Wirikung vom l.IV. 1922
ab eine Reichsausführungsbehörde für Unfallversiche¬
rung errichtet, die der Dienstaufsicht des Reichsversicherungsamtes
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
136 DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
unterstellt wird. Die Aufgabe der neuen Behörde ist die Durchführung
der Unfallversicherung bei Betrieben und Tätigkeiten, für die das
Reich Träger der Unfallversicherung ist.
— Das Reichswehrministerium hat im August 1921 auf Antrag des
L. V. eine Abänderung der Gehaltsverhältnisse der Ver¬
trags-Zivilärzte vorgenommen, die ihre wesentliche Besserung
zur Folge hatte. Die genannten VertragsärÄe erhalten vom 1. IV.
1921 ab eine einheitliche Grund Vergütung von 30 Mark für jeden Tag
der vertraglichen Tätigkeit, außerdem wird zu diesem Satze von
30 Mark ein Teuerungszuschlag gewährt, der für die Zeit vom 1. IV.
1921 bis 31. VII. 1921 in der Ortsklasse A = 70o/ 0 , in der Ortsklasse B
= 67o/o, in der Ortsklasse C = 65o/o, in der Ortsklasse D *= 60%,
in der Ortsklasse E = 55o/ 0 und für die Zeit vom 1. VIII. 1921 bis
30. IX. 1921 in der Ortsklasse A = 93o/o, in der Ortsklasse B = 91%,
in der Ortsklasse C = 89°/o, in der Ortsklasse D = 87o/ 0 , in der Orts¬
klasse E = 85% beträgt. Vom 1. X. 1921 ab beträgt die Grund¬
vergütung 60 Mark, daneben wird ein für alle Ortsklassen gleicher
Teuerungszuschlag von 20o/o gewährt. Diese Erhöhung ab 1. X. 1921
ist der mlgemeinen Erhöhung der Beamtengehälter angepaßt worden.
— Zu unserer Mitteilung, daß 720 Ortskrankenkassen über
ein sehr hohes Vereinsvermögen verfügen (vgl. Nr.3 S. 103),
ist eine Gegenüberstellung der Ausgaben der Krankenkassen aus den
Jahren 1914 und 1920 von Interesse. Während 1914 2783 Ortskranken-
kassen 19,2o/ 0 , 9854 RVO.-Kassen (Orts-, Betriebs-, Innungs- und
Landkrankenkassen) sogar 20,6% ihrer Gesamtausgaben für die
ärztliche Krankenbehandlung und Geburtshilfe aus-
gaben, brachten die obengenannten 720 Ortskrankenkassen im Jahre
1920 nur 11,0% ihrer Gesamtausgaben für die Arztkosten auf.
—- Außer den 11 Neu-Köllner Schulärzten ist auch den
3 nebenamtlich tätigen Schulärzten von Friedenau ihre Stellung
gekündigt worden. Dem Vernehmen nach sind die Schularztstellen
in Friedenau gar nicht öffentlich ausgeschrieben, sondern unter der
Hand besetzt worden. Von diesen Kündigungen wurden Kollegen
betroffen, die seit langer Zeit ihres Amtes gewaltet haben. (Vgl. auch
Nr. 3 S. 103.)
— Als einen interessanten Beitrag zu dem in Nr. 33 veröffent¬
lichten Aufsatz über den Einfluß der Anthroposophie Rudolf
Steiners auf die Heilkunde geben wir aus dem Handelsteil
der FrankfurterZeitung eine Mitteilung, die uns ein langjähriger
Freund unserer Wochenschrift übersendet, auszugsweise wieder. „Der
Kommende Tag A.-O. zur Förderung wirtschaftlicher und geistiger
Werte, Stuttgart. Nach den nunmehr vorliegenden Einzelheiten stellt
sich der Emissionsplan dieser dem Konzern des Anthroposophen Dr.
Rudolf Steiner angehörigen, dessen wirtschaftliche Tendenzen ver¬
tretenden Gesellschaft als das Projekt einer Kapitalsverdoppelung
dar. Das Aktienkapital soll von 35 auf 70 Millionen Mark gebracht
werden. Eine Begründung wird für diese Kapitalbeschaffung nicht
gegeben... Im Zusammenhang hiermit ist daran zu erinnern, daß
in der Schweiz eine dem »Kommenden Tag* ähnliche .Futurum A.-G.
Oekonomische Gesellschaft zur internationalen Förderung wirtschaft¬
licher und geistiger Werte, Basel** gegründet wurde, der sich in
Norwegen eine »Futurum A.-G., Kristiania* anschloß. Die Aktien¬
interessenten, die sich die Steiner-Gruppe bekanntlich auf dem In-
seratenwege und durch Propagandaschriften aus dem breitesten Publi¬
kum warb, haben, nachdem von ihnen jetzt neue Mittel für das wirt¬
schaftliche, in seiner Tragfähigkeit noch unerprobte Experiment des
»Kommenden Tag* beansprucht werden, Anspruch darauf, rechtzeitig
vor der G.-V. über Oründe und Absichten der Geldbeschaffung aus¬
reichend unterrichtet zu werden. ... Nicht beseitigt ist die Sorge um
die Zweckmäßigkeit der Kapitalhingabe an die Steinersche Unter¬
nehmungsgruppe. Wir verweisen hierzu auf unsere früheren Dar¬
legungen, u. a. im II. Morgenblatt vom 1. I.» im I. Morgenblatt vom
22. II., im II. Morgenblatt vom 26. V., im Abendblatt vom 14. VI. und
im II. Morgenblatt vom 31. VIII. d. J.**
— Zwangs Verfügung gegen „Professor** Mistelsky.
Der Polizeipräsident hat gegen den bekannten Kurpfuscher eine Ver¬
fügung erlassen, in der er aufgefordert wird, innerhalb zweier Wochen
die Bezeichnung „Professor Dr. med. Arzt, im Auslande approbiert,
von der deutschen Regierung anerkannt**, von seinen Namens- und
Geschüftsschildem, wie von seinen Geschäftspapieren zu entfernen und
in den öffentlichen Ankündigungen seiner heilgewerblichen Tätigkeit
in der Presse die vorstehend beanstandeten Bezeichnungen fortzu¬
lassen. Mistelsky wird angekündigt, daß ihm sein Schild in der
Brückenstraße 10 b im Zwangswege durch dritte Personen entfernt
wird, wenn er der Aufforderung des Polizeipräsidenten nicht in
14 Tagen nachkommt.
— Die nächsten Ferienkurse der Berliner Dozentenvereinigung für
ärztliche Ferienkurse in Berlin finden vom 2.-29. III- statt. Monats¬
kurse werden jeden Monat veranstaltet. Sämtliche Disziplinen finden Berück¬
sichtigung. Programme durch die Geschäftsstelle, Berlin NW6, Luisenplatz 2—4
(Kaiserin Friedrich-Haus).
- Der 38. Baineologenkongreß wird vom 15.-18. III 1922 unter
dem Vorsitz von Wirkl. Geh. Ob.-Med.-Rat Dietrich in Berlin (Kaiserin
Friedrich-Haus, Luisenp’atz 2—4) taeen. Vorträge halten u. a. Geh.-Rat
H. Strauß und Prof. Bickel über den Einfluß der B^de-, Klima- und Trink¬
kuren auf den Stoffwechsel, Prof. Franz Müller über Balneologie und Stoff¬
wechselfragen früher und jetzt, Prof. Erich Müller über die Stoffwechsel¬
krankheiten im Kindesalter. Geh.-Rat Minkowski über Diabetes, Geh.-Rat
His über Gicht. Prof. P. F. Richter über Fettsucht, Geh.-Rat Franz, Prof.
Schlayer und Prof. Mansfeld über innere Sekretion. Auskunft erteilt
Dr. Hirsch, Charlottenburg, Fraunhoferstr. 16.
— Die Deutsche ärztliche Gesellschaft für Strahlentherapie
veranstaltet vom 6. III. bis 1. IV. einen 4wöchigen Fortbildungskurs in Frank¬
furt a. M. Weitere Kurse finden statt: vom 2.-5. IV. in Hamburg (an
der Universitäts-Hautklinik) und vom 24.-29- IV. in Tübingen. Vom
29. IV. bis 1. V. ist eine Radiumtagung der Gesellschaft in Bad Kreuznach
in Aussicht genommen. Anmeldungen für das Praktikum in Frankfurt a. M.
sind zu richten an Dr. Holfelder (Chirurgische Universitätsklinik), für den
Kurs in Hamburg an Priv.-Doz. Ritter (Krankenhaus St. Georg), für den
Vortragszyklus in Tübingen an Priv.-Doz. Jüngling (Chirurgische Klinik)
und für die Radiumtagung an Dr. W. Engel mann, Bad Kreuznach, Luden-
dorffstr. 12.
— Im Verein für innere Medizin und Kinderheilkunde fand
am 16. I. ein Demonstrationsabend der I. Medizinischen Klinik statt Von
den Assistenten der Klinik, Gudzent, Maase, Jungmann, Frik,
H. Zondek und V. Schilling, wurden eine Reihe interessanter Krankheits¬
fälle demonstriert.
— Auf Anregung des uruguayischen Gesandten Dr. Guarch finden im
März d. Js. in Berlin unter Mitwirkung der Medizinischen Fakultät und der
Dozentenvereinigung Fortbildungskurse für südamerikanische Aerzte
aus allen Gebieten der Medizin statt. Besondere Berücksichtigung finden
Syphilis, Tuberkulose, Herzkrankheiten, Strahlenkunde (Röntgen, Radium usw.).
Im Anschluß hieran soll bei genügender Beteiligung im April eine ärztliche
Studienreise durch Deutschlands Universitäten und Badeorte unternommen
werden. Nähere Auskunft erteilt das Kaiserin Friedrich-Haus, Berlin NW 6,
Luisenplatz 2—4.
— Die Sowietregierung hat — wie die D. A. Zt. mitteilt —
nach einer von ihr selbst veröffentlichten Zusammenstellung in den
ersten vier Jahren ihrer Herrschaft nicht weniger als 1 766118 Hin¬
richtungen vornehmen lassen. Zu diesen Opfern gehörten 6775
Professoren und 8800 Aerzte.
— Pocken. Deutsches Reich (1.—7.1): 1. — Fleckfieher. Deutsches Reich
(I.—7 1. mit Nachträgen): 82, meistens bei deutschstSrnmigen Flüchtlingen und Heim¬
kehrern in Frankfurt a. O. und Ostemothafen. — Genickstarre Preußen (18. 24.
XII.): 7. — Spinale Kinderlähmung. Preußen (1&-24 XI.): 9. — Ruhr. Preußen
(18—24.XII.): 56. — Abdominaltvphus. Preußen (18.—24 XII.): 193.
— Bonn. Die hiesige Röntgen-Vereinigung veranstaltet vom 2.— 8. III.
einen Röntgenkursus für Therapie und Diagnostik. Anmeldung an Priv.-Doz.
Dr. Martius, Frauenklinik, Theaterstr. 5.
— Breslau, lu den Verhandlungen zwischen dem Zweck¬
verband der Aerzte und der Arbeitsgemeinschaft sch le-
sischer Krankenkassenverbände kam es zu folgendem Schieds¬
spruch : Auf sämtliche ärztlichen Leistungen ist an Nachzahlung zu leisten :
Für die Monate August und September bei Einzelleistungen 30%,
bei Pauschsatz 35%. Ab 1. X. bei Einzelleitungen 50<y 0 , bei Pausch-
satz 60%. Die gleichen Zuschläge gelten für Funrkosten, sofern nicht
bereits die ortsüblichen Sätze bezahlt wurden. Vorschußzahlungen
werden aufgerechnet.
— Dresden. Nach einer Verfügung vom 22. X. können ap¬
probierte Aerzte als Gewerbereferendare zugelassen wer¬
den, die dann nach dreijährigem Vorbereitungsdienst eine Prüfung
abzulegen haben und nach deren Bestehen zu Gewerbeassessoren
ernannt werden. Das Arbeitsministerium kann Aerzte im Falle be¬
sonderer Eignung ohne Vorbereitungsdienst und Prüfung in den
Oewerbeaufsichtsdienst berufen.
— Frankfurt a. O. Geh. Med.-Rat Barnick beging am
21. XII. v. J. sein 50jähriges Doktorjubiläum.
— Wien. Das Professorenkollegium der Medizinischen Fakultät
hat beschlossen, sämtliche Mitglieder des Lehrkörpers der Medizini¬
schen Fakultät zu veipflichten, ausländische Aerzte nur dann
zu irgendeiner Betätigung in der Wiener Medizini¬
schen Fakultät zuzulassen, wenn sie eine Erklärung
unterschrieben haben, daß sie die Ausschließung deut¬
scher und österreichischer Aerzte von internationalen
medizinischen Kongressen mißbilligen. Von ungarischen,
bulgarischen und türkischen Aerzten ist ein solcher Nachweis nicht zu
verlangen.
-- Tokio. Am 11. XII. fand hier in Oegenwart des deutschen
Gesandten Dr. Solf eine Feier des Oeburtstags von Robert
Koch statt, bei der sein treuer Schüler Kitasato eine tiefemp¬
fundene Ansprache hielt.
— Hochschulnachrichten. Erlangen. Dr. Haas, Assistent an
der Chirurgischen Klinik, hat sich habilitiert. — Halle. Prof. Straub
hat den Ruf nach Greifswald (vgl. Nr. 2) als Nachfolger von Mora¬
witz angenommen. — Leipzig. Priv.-Doz. Goldschmidt (Augen¬
heilkunde) ist zum nichtplanmäßigen a. o. Professor ernannt worden. —
Rostock. Priv.-Doz. Fischer (Bonn) hat einen Ruf als Ordinarius
für Pathologie als Nachfolger von Prof. Hueck erhalten. — Graz.
Hofrat Klemensiewicz, der frühere Ordinarius für Experimentelle
Pathologie, feierte dieser Tage sein goldenes Doktor-Jubiläum.
— Gestorben. Geh. San.-Rat Julius Boas im 90. Lebensjahr in
Berlin. Boas war ein sehr angesehener Praktiker und war bis in sein
hohes Alter hinein bei den verschiedensten Wohlfahrtseinrichtungen
tätig. Jahrzehnte bekleidete er im Verein für Innere Medizin und
Kinderheilkunde das Amt des Schatzmeisters, und seine Verdienste
wurden anläßlich seines 70. Geburtstages durch Ernennung zum Ehren¬
mitglied anerkannt, desgleichen wurde er 1910 zum Ehrenmitglied der
Berliner Medizinischen Gesellschaft ernannt.
— Im Anzeigenteil Ist eine Ankündigung der Dresdener Staatsanstalt
für Krankengymnastik und Massage enthalten.
□ igitized by Gougle
Original from
CORNELL UN1VERSSTV
LITERATURBERICHT
Redigiert von Prof. Dr. R. von den Velden.
Allgemeines.
♦♦ Heinrich Schmidt (Jena), Ernst Haeckel und sein Nach¬
folger Prof. Dr. Ludwig Plate. (Jena), Volksbuchhandlung
O. m. b. H., 1921. 32 S. Ref.: juliusburger (Berlin).
Die Angriffe, mit denen der Nachfolger Haeckels, der Prof, der
Zoologie Ludw. Plate in Jena, das Lebensende des großen Meisters
verbittert hat, haben bereits die Oerichte beschäftigt und sind in den
Tageszeitungen öfter erörtert worden. Prof. Heinrich Schmidt, der
treue Freund und Schüler Haeckels, ergreift in der vorliegenden
Schrift noch einmal das Wort, um die wahre Natur der Plateschen
Angriffe und dessen Persönlichkeit zu beleuchten. Jeder vorurteils¬
lose Leser muß zugestehen, daß es Schmidt völlig gelungen ist, Prof.
Plate durch seine eigenen Briefe und Schriften gründlich zu wider¬
legen und den Nachweis zu führen, daß die Schmähungen Plates gegen
die Persönlichkeit Haeckels auf ihn selbst zurückfallen. Ich verweise
u. a. auf den von Prof. Plate an mich im Jahre 1011 geschriebenen
Brief, dessen charakteristische Sätze in der Schrift von Schmidt
wiedergegeben werden. Aus meinen schriftlichen und mündlichen
Beziehungen zu Haeckel könnte ich weitere Zeugnisse beibringen.
Mit tief<tem Bedauern muß man auch auf Orund der Schmidtschen
Schrift feststellen, in welcher Verblendung Prof. Plate seine Vorwürfe
gegen den Mann, der ihn selbst zu seinem Nachfolger vorgeschlagen
hat, gerichtet hat und fortzusetzen den traurigen Mut findet.
Biographie.
♦♦ Oeorg Fischer (Hannover), Aus meinem Leben. Hannover,
Hahnsche Buchhandlung, 1921. 107 S. Oeb. M. 46.20. Ref.: Mam¬
lock (Berlin).
Daß eine Selhstbiographie des feinsinnigen Herausgebers der
Billroth-Briefe anders ausfallen würde, wie die üblichen Lebenserinne¬
rungen anderer ärzilichen firößen wird nicht wunder nehmen. Die
vielfach überschätzen Autobiographien seihst hervorragender Mediziner
leiden oft an Ueherladune mit Dingen, die nur die nächsten Angehörigen
interessieren, oder sie lassen gerade wichtige zeitgenössische Probleme
unerörtert, die die Mit- und Nachwelt gern im Spiegel eines bedeu¬
tenden Mannes gesehen hätte. Die jüngst erschienene Selbstbiographie
eines hervorragenden Mediziners ermüdet z B durch die sich immer
wiederholende genaue Registrierung, wann und wo der Autor den be¬
kannten .guten Tropfen" vorgefunden hat. Der Hannoversche Chirurg
Fischer nun erzählt, zumeist im Stil kurzer Tagebuchnotizen seinen
chirurgischen und künstlerischen Werdegang; und letzterer ist nicht
minder interessant wie ersterer. Fischer lebte sozusagen in Rigamie
mit Chirurgie und Musik, und alle bedeutsamen Personen und Ereig¬
nisse aus der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts läßt er an unserm
Auge vorbeiziehen. So sind seine Ausführungen eine äußerst anregende,
für die Geschichte der Chirurgie und Musik gleich wichtige Quelle: er
hat auf beiden Gebieten sich eingehend literarisch betätigt; Fachgenossen
wie Musikfreunde werden sein reichbewegtes Leben gern in diesen
Blättern verfolgen.
Anthropologie.
Walter Scheidt (München), Anthropometrie nud Medizin. M.m.W.
Nr. 51. Kritische Betrachtungen zu Kretschmers Werk „Körperbau
und Charakter“ in bezug auf die anthropometrische Technik, die von
Kretschmer nicht genügend gewürdigt wird.
Anatomie.
♦♦ Ladislaus Szymonowlcz (Lemberg), Lehrbuch der Hlsto-
logie und der mikroskopischen Anatomie mit besonderer
Berücksichtigung des menschlichen Körpers. 4. Aufl. Leipzig,
C. Kabitsch, 1921. 570 Seiten mit 394 Abbildungen. M. 96.—. Ref.:
Eisler (Halle).
Die neue Auflage dieses guten Lehrbuchs hat sich gegen die
vorhergehende textlich nur wenig verändert. Die Zahl der Abbil¬
dungen ist um 16 vermehrt worden, doch vermißt man in manchen
Abschnitten, z B. beim Auge, noch wichtige Bilder, und außerdem
wäre eine breitere Berücksichtigung der menschlichen Histologie in
den Abbildungen wünschenswert, auch wenn das Werk sich nicht
nur auf den Menschen beschränken will, ln dem Anhang über allge¬
meine und spezielle mikroskopische Technik erkennt man allerorten
die eigne Erfahrung des Verfassers. Die Ausstattung des Buches ist
sehr gut, der Preis , besonders auch in Ansehung der zahlreichen (83)
Tafeln, für die Jetztzeit nicht hoch zu nennen.
Allgemeine Pathologie.
B. Lipschütz (Wien), Experimentelle Erzeugung der Teerkarzi¬
nome. W. kl. W. Nr. 51. Pinselung von Mäusen mit Steinkohlenteer
führte in 45°/ 0 zu Karzinomen. Es vergingen 88—125 Tage, bis sie
makroskopisch sichtbar wurden. Sie bestehen entweder aus warzen¬
artigen Gebilden oder aus breitbasig aufsitzenden, oft auch deutlich
gestielten papillomartigen Neubildungen. Die Hautveränderungen
können in diesem Zustande viele Wochen verharren. Subkutane Ver¬
impfung derartig warzenartiger Knötchen gelang in 2 Fällen. Im
Gegensatz zu den anderen, oberflächlichen Neubildungen, bildete sich
in 1 Fall ein etwa kirschgroßer Tumor. Histologisch fand sich in
den warzenartigen Neubildungen typisches Karzinomgewebe, in dem
großen Tumor dagegen Sarkomgewebe. Daneben wurden tiefdunkel-
schwarze Pigmentflecke erzeugt von wechselnder Form und Zahl.
Dieselben ließen sich bei der Transplantation der Karzinome mit ver-
impfen. Daher wird der Teer als auslösendes Moment abgelehnt.
Es handelt sich um autochthones melanotisches Pigment. Außerdem
wurden noch unregelmäßige halbkugelig vorragende Zysten erzielt,
die den Eindruck von Milien machten und zu den Talgdrüsen in Be¬
ziehung standen.
Fr. Keysser (Jena). Experimentell nach Einimpfung von mensch¬
lichen Karzinomen und Sarkomen entstandene Mäusegeschwülste.
Arch. f. klin. Chir. 117 H. 2. Weitere experimentelle Untersuchungen,
die für ein kurzes Referat nicht geeignet sind.
S. Erdheim (Wien), Primärgeschwülste vortäu«cheode Metastasen.
Arch. f. klin Chir. 117 H 2. An der H*nd von 10 eigenen Beobach¬
tungen gibt Verfasser anatomische und klinische Untersuchungen über
Primärgeschwülste vortäuschende Metastasen, insonderheit solcher des
Adenokarzinoms der Schilddrüse. Die Einzelheiten müssen im Originale
nachgelesen werden. Wenn auch nach der Operation der Metastase
allein die Kranken manchmal jahrelang gesund bleiben, so möchte
Verfasser dieses Vorgehen nicht zur Methode erheben, sondern man
muß trachten, auch den Primärtumor zu entfernen, wobei die Blo߬
legung des betreffenden Organs (Niere, unterer Srhilddrüsenpol) und
die Palpation zur Auffindung des Tumors behilflich sein dürften.
Fritz Toeplitz (Mannheim), Klarheit zur Tuberkulosefrage.
M. m. W. Nr. 51. Verfasser beklagt die besonders in der Tuberkulose¬
debatte bestehenden zahlreichen Unklarheiten und verschiedenen Auf¬
fassungen. Er versucht, durch Aufrollung einiger praktischer Haupt¬
fragen eine Einteilung der Tuherkulose, Heilung der Tuberkulose,
Behandlungsbedürftigkeit, Tuberkulinfe«.tigkeit durch scharf umrissene
Definitionen dieser Begriffe Anlaß dazu zu geben, daß endlich Klar¬
heit geschaffen wird.
J. Orth, Heilbarkeit tuberkulöser Lungenkavernen. Zschr.f.Tbc.35
H. 4. Orth tritt den Aeußerungen von H. Oräff entgegen, der das
Vorhandensein einer Kaverne als Todesurteil für den Lungenkranken
bezeichnet hat. So ernst die Vorhersage durch Kavernenbildung wird,
so schießt doch die Behauptung Gräffs weit über das Ziel hinaus.
Von Interesse ist übrigens der von Orth bei dieser Gelegenheit er¬
brachte Nachweis, daß er bereits 1P85 in seinem Lehrbuch die tuber¬
kulösen Erkrankungen der Lunge grundsätzlich in 1 produktive, 2. ent¬
zündliche (d. h. also exsudativ»*) und 3. fibröse Formen eingeteilt hat.
Welch großer Aufwand von Arbeit und Schreibwerk ist neuerdings
der Klarstellung dieser grundsätzlichen Frage gewidmet worden!
M. R. Bonsmann (Köln), Jodismua bei Potatoren. M m. W. Nr. 52.
Der chronische Alkoholismus disponiert für akuten Jodismus, wohl
infolge des Reizzustandes der Schleimhäute der oberen Luftwege.
Schnupfen, Tränensekretion, Schlaflosigkeit traten oft schon nach 2,4 g
Jodkali in 2 Tagen auf. Erkältungen fördern den Jodismus, bei Lue¬
tikern ist die Neigung zum Jodismus verringert.
Mikroben- und Immunitätslehre.
O. Hofer und H. Sternberg (Wien), Spezlfizitit des Perezschen
Ozänabazillua. Arch. f. Laryng. 34 H. 2/3. In über der Hälfte der
Sera (IM von 31) von Ozänakrnnken fanden sich den Ozänahazillus
(Perez) agglutinierende Substanzen, während in 21 Normalseris
keine Agglutinine, sog. Normalagglutinine, für den Ozänabazillu9
nachweisbar waren. Die Verfasser sehen darin einen strikten Be¬
weis, daß der Ozänabazillus (Perez) in pathologische Wechsel¬
beziehungen mit den Ozänakranken getreten ist. Die Ozänabakterien
zeigen vermehrte Toleranz ge^en Arsen, was auf einer, wenn auch
geringen Fähigkeit, Arsenverbindungen zu zerlegen, beruht.
W. Rimpau (München). D’hlrellsches Phänomen M.m.W. Nr. 51.
D’H£relIs Phänomen besteht darin, daß eine durch ein Berkefeldfilter
filtrierte Aufschwemmung einer geringen Menge Stuhl in Nährbouillon
bei Zusatz zu einer leicht trüben Aufschwemmung von Bazillen diese
durch Auflösung der Bakterien klärt. Diese lytische Wirkung läßt sich
durch Uebcrimpfung kleiner und kleinster Mengen der klar gewordenen
Bazillenbouillon in frische Bazillenaufschwemmung in Bouillon wieder
erzeugen. Nach d'H6relle wird da9 Phänomen durch ein ultravisibles,
lebendes, die Filter durchdringendes Virus erzeugt, das in die Bakterien
eindringt und nach deren Zerfall frei wird; nach Bordet steht das das
Digitized by
Original from
CORNELL UNIVERSITY
138
LITERATÜRBERICHT
Nr. 4
Phänomen auslösende Etwas mit bestimmten Bakterien in Zusammen¬
hang und stammt von ihnen ab. Verfasser berichtet weiter über den
gegenwärtigen Stand der Forschung an Hand von Literaturangaben.
Die wichtigsten vorliegenden Angaben werden durch eigene Unter¬
suchungen bestätigt. _
Allgemeine Therapie.
♦♦ Franz Penzoldt (Erlangen), Lehrbuch der klinischen Arznei¬
behandlung. 9.Aufl. Jena, Gustav Fischer, 1921. 460 S. M. 75.—.
Ref.: H. Ros in (Berlin).
Das allbekannte Penzoldt sehe Lehrbuch zeigt sich in seiner
9. Auflage im gleichen Gewände und in jener altbewährten Form, die
es seit 1889, als die erste Auflage erschien, rasch populär gemacht hat.
Es bringt nicht eine Zusammenstellung der Heilmittel an sich mit
ihren Eigenschaften, sondern es gibt mehr: eine Darstellung ihres
Wertes und ihrer Wirkungsweise am Kranken. Mit dieser Aufgabe
ist eine gewaltige kritische Tätigkeit verbunden. Ist doch die Frage,
ob es Expektorantien gibt, wie Referent glaubt, noch heute nicht
gelöst, und unter einer großen Zahl von Arzneimitteln, die wirksam
sind, steht die Art und Weise ihrer Wirkung noch nicht genau zu
Buch. Auch die Auswahl der Medikamente bei den einzelnen Er¬
krankungsformen bedarf reiflicher Ueberlegung, damit nicht der Nutzen
von schädlichen Nebenwirkungen überwuchert wird. Solchen Er¬
wägungen kommt das Lehrbuch ebenfalls entgegen, das in der neue¬
sten Auflage genötigt war, auch noch eine große Reihe neuer Heil¬
stoffe, organischer Präparate, Bakteriensubstanzen, künstlicher Nähr¬
präparate aufzunehmen und das am Schlüsse eine chirurgische Technik
der Arzneibehandlung von v. Kryger bringt. Dabei ist es gelungen,
den Umfang des Buches nicht zu vermehren. Die Anordnung des
Stoffes ist die chemische. Das Lehrbuch, altbewährt, aber vollkommen
modern, wird als unentbehrlicher Ratgeber für Studierende und Aerzte
sich auch weiterhin die Stellung behaupten, die es von jeher be¬
sessen hat.
E. Sägi und A. Sägi (Preßburg), Verfahren zur Herstellung von
Lösungen in beliebigem Zeitpunkte. B. kl. W. Nr. 52. Die Substanz
wird in eine speziell geformte Ampulle getan und mit Paraffin über-
schichtet. Auf das erstarrte Paraffin wird die Lösungsflüssigkeit gefüllt
und die Ampulle zugeschmolzen. Bei Oebrauch wird die Ampulle in
warmes Wssser gestellt.
E. Beck, Spätreaktion nach Friedmann-Mittel. Zschr.f.Tbc.35 H.4.
Bei einem Fall von Lymphdrüsenabszeß bildete sich einige Zeit nach
der Friedmann-Injektion eine Geschwulst, die 11 Monate nach der In¬
jektion zur Abszedierung führte und die Ausschneidung des Infiltrats
notwendig machte. Es fand sich eine typische tuberkulöse Veränderung,
die zweifellos auf die Friedmannschen Bazillen zurückzuführen ist.
Krankenpflege.
♦♦ J. Fessler (München), Erster Unterricht In der Kranken¬
pflege (für Haus und Beruf). 6. Aufl. München, Verlag der ärzt¬
lichen Rundschau, 1921. Ref.: P. Jacobsohn (Berlin).
Der kurzgefaßte, klargeschriebene Leitfaden vermittelt die grund¬
legendsten Kenntnisse in der Plege innerlich und chirurgisch, akut und chro¬
nisch Kranker und gibt einen guten Ueberblick über die Berufsanforde¬
rungen für angehende Pflegerinnen. Durch Verwendung der Frage- und
Antwortmethode wird die Unterweisung besonders lebendig und ein¬
prägsam und macht das Büchlein zu einem guten Anhalt für Repeti¬
tionen der theoretischen Vorträge, für Prüfungsvorbereitungen und
auch für die intrafamiliäre Krankenpflege, zumal auch das Wichtigste
über Säuglingspflege, Wochenbettpflege und Nothilfe in knapper
Form mitgeteilt ist und schädlichem Selbstkurieren eindringlich ent¬
gegengearbeitet wird. _
Innere Medizin.
Paul Michaelis (Bitterfeld), Osteomyelitis typhosa ulnae als
Ausgangspunkt einer Typhusendemie. M. m. W. Nr. 52. Polnischer
Arbeiter erkrankte nach Typhus an einer eitrigen Periostitis der Ulna.
Inzision. Patient wechselte sich öfters in unsauberer Weise selbst
den Verband. Allmählich infizierten sich einige Familienmitglieder
und Nachbarn mit Typhus.
M. Heitler, Beeinflussung des Pulses respektive des Herzens
durch die normalen Funktionen des Organismus. W. m. W. Nr. 51.
Verfasser hat sehr genau den Einfluß der normalen Funktionen des
Organismus, der Ruhe und Bewegung, des Liegens, Sitzens und
Stehens, der Sinneseindrücke, sowie der seelischen Zustände auf den
Puls und das Herzvolumen beobachtet. Die einzelnen Beobachtungen
sind im Original nachzulesen.
Roger Korbsch (Breslau), Thorakoskopie. M.m. W. Nr.51. Be¬
schreibung der bei trockner und exsudativer Pleuritis mit dem Thora-
koskop sichtbaren pathologisch-anatomischen Veränderungen der Pleura.
Aus den Bildern Rückschlüsse auf die Aetiologie zu machen erscheint
Verfasser noch unmöglich, da die histologischen Untersuchungen fehlen.
Die Laparoskopie in Verbindung mit dem Pneumoperitoneum scheint
dem Verfasser mehr zu leisten.
O. Amreim, Klinische und biologische Heilung der Tuberkulose.
Zschr.f.Tbc.35 H. 4. Gegenüber der von Liebermeister und anderen
vertretenen „biologischen Heilung 41 weist Am reim unter Anführung
von drei Fällen auf den bleibenden und grundlegenden Wert der
klinischen Heilung auch ohne spezifische Behandlung und ohne Immu¬
nitätsprüfung hin. Seine Ausführungen können jedoch ohne weiteres
mit denen Liebermeisters in Einklang gebracht werden.
E. Wulff (Reval), Gegenanzeige des künstlichen Pneumothorax
beim Lungenemphysem. B. kl. W. Nr. 52. Der Pneumothorax bei
Kranken, deren Lungentuberkulose mit einem Volumen pulm. auct. ver-
P esellschaftet ist, wirkt, wie die Krankengeschichte eines einschlägigen
alles beweist, äußerst schädigend auf die schon vorher schlechte Funk¬
tion des kleinen Kreislaufs des Emphysematikers. Der Patient kam zum
Exitus und somit bildet das Lungenemphysem eine Kontraindikation
gegen die artefizielle Pneumothoraxtherapie.
H. Stöcklin, Behandlung der vorwiegend einseitigen kaver¬
nösen Lungentuberkulose mit Pneumolyse und Paraffinplombierung
nach Baer. Zehr. f. Tbc. 35 H. 4. Ausführliche Wiedergabe der Indi¬
kationen, Technik und Ergebnisse an der Hand von 11 Fällen. Bei richtiger
Technik und Nachbehandlung wird die Plombe selten ausgestoßen.
Die Plombierung, die gegenüber der Plastik der leichtere Eingriff ist
und keine Entstellung bewirkt, findet ihre Anzeige bei Erkrankungen
des Oberlappens, die zu intensiver Schrumpfung geführt haben, bei
Restkavernen nach Plastik (Ergänzungsplombe) und in Fällen, bei denen
die Plastik durch die Schwere und Doppelseitigkeit der Erkrankung
ausgeschlossen ist (Ersatzplombe), außerdem als Notoperation bei
massigen Blutungen.
Joh. Weicksel (Leipzig), Lymphozytose. M. m. W. Nr. 51. Die
Lymphozyten spielen speziell im Kampf gegen die Tuberkulose und
dem Lues eine bedeutende Rolle, wohl durch Abgabe neuen ligolytischen
Ferments, das in gewissem Serum spezifisch wirkte. Doch ist sicher,
daß sie auch noch andere Funktionen besitzen, anders ist das so ver¬
schiedene Auftreten bei den verschiedensten Krankheiten nicht zu er¬
klären. Die Lymphozytose hält sich immer in bescheidenen Grenzen.
Daß die Lympnozytose deshalb nur durch lokale Erkrankungen irgend¬
welcher Teile des lymphatischen Apparates zu erklären ist, trifft nur
für gewisse Erkrankungen, z. B. chronische Pleuritis zu. Lymphozytose
nur bei chronischen, niemals bei akut einsetzenden Krankheiten. Lym-
^ tose nach akuten Krankheiten prognostisch günstig, dauernde
Windung akuter Schädlichkeiten, wobei es sich um chronische
Reizwirkung auf das lymphatische System handelt. Zur Lösung des
Lymphozytenproblems bedarf es noch eingehender Beschäftigung mit der
Frage des morphologischen Blutbildes und der Funktion der weißen
Blutzellen.
W. His (Berlin), Wesen und Formen der chronischen Arthritiden.
B. kl. W. Nr. 52. Die Einflüsse der Funktion, der Ernährung, toxischer,
endokriner, konstitutioneller, infektiöser und nervöser Einflüsse auf die
Gelenke werden erörtert. Die Begleiterscheinungen der Gelenkerkran¬
kungen an Knochen, Gelenkkapsel, Muskulatur, Faszien, Sehnenscheiden,
Haut, Gefäßen, Iris, Endokard und Stoffwechsel werden auseinander¬
gesetzt und die chronischen Arthritiden in degenerative vom Knorpel
ausgehende und solche von der Synovialis ausgehende eingeteilt. Der
Rheumatismus nodosus und die Erkrankungen der Wirbelsäule ver¬
dienen keine Sonderstellung. Die Einsicht in die pathogenetischen
Vorgänge muß die Therapie bestimmen.
Hans Reh, Epidemischer Singultus. M. m. W. Nr. 52. 3 Fälle,
Ursache ließ sich nicht feststellen. 2 stdl. 1 Teelöffel einer 0,4°/ 0 Ko¬
kainlösung, danach rasches Verschwinden des Schluckens.
Paul Widnwitz (Graz), Das „Pappenauge* 1 , eine postdiphthe¬
rische Lähmung. M. m. W. Nr. 52. Leichte Protrusio bulbi, seltene
und monotone, schachteldeckelähnlich erfolgende Lidbewegung. Der
Kopf bewegt sich manchmal schwerfällig mit, um dem Blick nach¬
zuhelfen.
H. Pin las (Berlin), Sugillationen bei Tabes. B. kl. W. Nr. 52.
Bei drei Tabikern zeigten sich in unregelmäßigen Zwischenräumen in
wechselnder Intensität meist an den unteren Extremitäten aber auch
am Stamm mehr oder weniger ausgebreitete Hautblutungen, ohne daß
Schmerzattacken oder irgend ein anderes erkennbares Begleitsymptom
bei ihrem Entstehen zugegen sind. Es wird angenommen, daß es sich
um syphilitische Schädigungen des Gefäßsystems handelt.
F. Högler (Wien), Perineurale Antipyrininiektionen bei Ischias.
W. kl. W. Nr. 51. 4—5 g Antipyrin, in 10 ccm Wasser gelöst. Zusatz
von etwas Novocain. Injektion am schmerzhaftesten Druckpunkte am
Gesäß. 21 Fälle. Die überwiegende Mehrzahl wurde durch eine In¬
jektion geheilt. Bei manchen Patienten waren mehrere Injektionen
nötig. Djp Symptome verschwanden gewöhnlich nach wenigen
Stunden.
Chirurgie.
W. Förster (Suhl i. Th.), Tetanus nach Starkstromverbrennung.
M. m. W. Nr. 51. Beschreibung eines Falles von Verbrennung dritten
Grades am rechten Oberarm, bei dem nach 14 Tagen Tetanus auftrat,
der trotz Serumbehandlung, Magnes. sulfur. u. a. ad exitum führte.
Fritz Rehm (Hannover), Spättetanus. M. m. W. Nr. 51. Kranken¬
geschichte eines Falles von Spättetanus bei einem mit Granatsplitter
Verwundeten, bei dem zwischen Verwundung und Ausbruch der Starr¬
krampferscheinungen ein Zeitraum von 3 Jahren lag. Behandlung mit
intraneuraler und intravenöser Seruminjektion und Narkotivis. Heilung.
W. Denk, Die Chirurgische Therapie destruktiver Lnngenerkran-
kungen. W. m. W. Nr. 51. Fortbildungsvortrag.
Kirschner (Königsberg), Radikalbehandlang des chronischen
Pleuraempyems. Arch. f. klin. Chir. 117 H. 2. Das Wesentliche des
Digitized b'
Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
26. Januar 1922
LITERATURBERICHT
vom Verfasser vorgeschJagenen Verfahrens besteht darin, die bisherigen
therapeutischen Bestrebungen gleichsam auf den Kopf zu stellen, indem
die derzeitigen, an der Basis der Höhle im Bereiche der Fistel be¬
ginnenden und sich allmählich nach aufwärts zur Spitze hinarbeitenden
Eingriffe ersetzt werden durch den planmäßigen primären Angriff auf
den höchsten, von der Fistel am meisten entfernt gelegenen Abschnitt
der Empyemhöhle, durch einen Angriff, der von einem neuen Operations¬
gebiet aus geführt wird. Einzelheiten im Original mit sehr guten Ab¬
bildungen.
H. Kümmell (Hamburg), Operation des Kardiospasmns und des
Oesopbagnskarzinoms. Aren. f. klin. Chir. 117 H. 2. Bei dem intra¬
thorakal gelegenen Oesophaguskrebs wird dieser mit dem Finger von
oben und unten gleichzeitig gelöst, eventuell extrapleural freigelegt,
die Speiseröhre nach unten und oben aus ihren Verbindungen gelöst,
der Magen nach stattgehabter Laparotomie isoliert und mobilisiert.
Zu gleicher Zeit wird der Halsteil des Oesophagus von einem anderen
Operateur freigelegt und mit dem ihn ersetzenden Magen nach außen
gezogen. Vereinigung des Magens mit dem Oesophagus. Mit diesen
Maßnahmen ist ein relativ schnelles einzeitiges Operieren ermöglicht
ohne die zeitraubende Oesophago-Jejunostomie, die Gefahr der Pleura¬
eröffnung und ihre Infektion wesentlich verringert und die Antiseptik
soweit als irgend möglich gesichert.
P. Pick (Wien), Diagnose der Premdkörperperitonitis. Arch. f.
klin. Chir. 117 H. 2. Mitteilung eines sehr charakteristischen Falles
sowie einiger Tierversuche, die beweisen, daß man von Fremdkörper¬
peritonitis nur dann sprechen darf, wenn sich in tuberkelartigen Knöt¬
chen des Peritoneums, die keinerlei Verkäsungserscheinungen zeigen,
einwandfrei Fremdkörpereinschlüsse nachweisen lassen.
H. Nieden (Jena), Aetiologie der aknten Magenlähmnng. Arch.
f. kL Chir. 117 H. 2. Sehr umfangreiche, zum Teil experimentelle Arbeit
Der Vergleich experimenteller und klinischer Befunde spricht dafür,
daß die nervöse Disposition für die Entstehung der akuten Magen¬
lähmung teilweise auf einer Disharmonierung zwischen Sympathikus
und Parasympathikus beruht; neben dieser muß eine Lähmung des
intramuralen Magennervensystems angenommen werden. Bei post¬
operativen Magenstörungen und bei der akuten Magenlähmung ver¬
bietet sich die Anwendung von Morphium.
Hans Rudberg (Amal), Traumatische Ruptur am Ductus chole-
dochus. M. m. W. Nr. 51. Bericht über einen Fall von traumatischer
Ruptur des Ductus choledochus, der durch Drainage geheilt wurde.
Hinsichtlich der Operationsmethode hält Verfasser bei partieller Ruptur
des Hepatikus oder Choledochus, falls die Naht Schwierigkeiten dar¬
bietet, Drainage für ausreichend. Bei Totalruptur des Hepatikus ist
unter allen Umständen Naht zu versuchen, bei Totalruptur des Chole¬
dochus infolge der Schwierigkeit der Naht eine Anastomose zwischen
Gallenblase und Magen oder Duodenum anzulegen.
W. Rübsamen (Dresden), Neue Operationsprinzipien bei Anus
praeternaturalis vestibularis. Zschr. f. Oeburtsh. 84 H. 1. Unter
Bcstehenbleiben der Kloake mündet bei dieser Anomalie das Rektum
bei Fehlen des normalen Afters in den Sinus urogenitalis ein. An der
Hand eines Falles wird das Operationsverfahren des Verfassers zur
Beseitigung dieses Zustandes beschrieben und abgebildet
S. Hadda flBreslau), Totale Bmaskulation bei ausgedehntem Penis-
kareinom. Aren. f. klin. Chir. 117 H. 2. Das wesentliche Charakteristi¬
kum der totalen Emaskulation (Chalot) besteht darin, daß man Penis
und Skrotum samt Hoden en bloc entfernt, die Leistendrüsen ausräumt
und den Harnröhrenstumpf in die Raphe perinei einpflanzt. Verfasser
berichtet über einen vor 4 Jahren erfolgreich operierten und bis jetzt
rezidiv freigebliebenen Fall dieser Operation. Verfasser hat aus der
. Literatur noch 68 Fälle zusammengestellt, teils mit, teils ohne Drüsen¬
ausräumung. Die totale Emaskulation ist für alle weit vorgeschrittenen Fälle
von Peniskarzinom zu empfehlen. Der Eingriff ist technisch relativ einfach.
O. Linzenmeier (Kiel), Zystoskopie in der luftgefüllten Blase.
Zbl. f. Gyn. Nr. 49. Die altbekannte Methode wird neuerlich empfohlen.
Auffüllung der Blase mit Luft durch den Ureterkatheter bei in der
Blase liegendem Ureterenzystoskop. Das Verfahren soll sich bei starkem
Eitergehalt des Harns besonders eignen.
E. Vogt (Tübingen), Die Bekämpfung der postoperativen Urin¬
verhaltung durch intravenöse Urotropininjektionen. Zbl.f. Gyn. Nr.49.
40% Urotropinlösung intravenös (7—10 ccm) dient zur Bekämpfung
der Harnverhaltung und der postoperativen Zystitis.
A. Seiffert (Berlin), Depressionsfrakturen des Jochbeins. Arch.
f. Laryng. 34 H. 2/3. Auf Orund eines selbstbehandelten Falles empfiehlt
Seiffert derartige Frakturen von der eröffneten Kieferhöhle aus
zu heben und gegebenenfalls durch Tamponade zu fixieren. Der
eigene Fall ist gut geheilt. Nach Heilung noch bestehende Ein-
Senkungen können durch freie Fetttransplantation noch verbessert
werden (Schnitt unter der Haargrenze, Tunnelierung der Haut bis
zur Frakturstelle).
J. Wechsler (Wien), Steroumspaltung. Arch.f.klin. Chir. 117H.2.
Mitteilung von 4 Fällen aus der A. Fraenkelsehen Klinik. Die Ster-
QUmspaltung als Hilfsoperation stellt bei rein endothorakalen Strumen
das geeignete operative Verfahren dar; ferner kommt sie in Betracht
bei allen thorakalen Tumoren, wo es sich darum handelt, die Luftwege
durch einen rasch wirksamen, wenn auch nur palliativen Eingriff von
einem zur Asphyxie führenden Druck, zu befreien. Die von den
mediastinaien Drüsen ausgehenden Tumoren bleiben' der_Röntgen¬
therapie Vorbehalten .
KBleichsteiner (Wien), Einfluß der"Alkoholnnisthesie des
Qaagllog Quseri auf die Kantätigkeit. Arch. f. klin. Chir. 117 H. 2.
Die Alkoholinjektion in das Ganglion Gasseri ruftjvohl eine grund¬
legende Änderung in der Kaufunktion hervor, die aber nur in Aus-
nanmefällen und zwar von solchen Patienten als Nachteil empfunden
wird, die über jede Aeußerung ihres körperlichen Befindens grübeln.
Die objektiven Behinderungen werden durch den wohltätigen Einfluß
der Schmerzfreiheit reichlich überboten. Therapeutisch ist am ehesten
die Schlaffheit der Wange mittels Faradisation und Massage zu be¬
kämpfen. Sollte die seitliche Abweichung beim Oeffnen zu unangenehm
empfunden werden, so müßte sie wie bei den Unterkieferresektions¬
fällen mittels einer schiefen Ebene bekämpft werden.
Frauenheilkunde.
H.Gänßle (Tübingen), Qeschlechtsbestimmong und Krieg. Zschr.
f. Oeburtsh. 84 H. 1. Man hat zwei Arten von Spermatozoen, solche,
die die Anlage zum Manne, und solche, die die Anlage zum Weibe
in sich tragen, anzunehmen, aber nur eine Sorte von Eiern. Das Ge¬
schlechtsverhältnis bei der Geburt beträgt beim Menschen im euro¬
päischen Durchschnitt 100:106, auf 100 Mädchen kommen 106 Knaben.
Verfasser hat 10721 Geburten aus der Zeit von 1897 bis 1919 statistisch
bearbeitet, und kommt zu dem Ergebnis, daß Einflüsse auf das Ge¬
schlecht von seiten des Alters der Mutter nicht erwiesen sind, ebenso,
daß sich ein Einfluß des Krieges auf das Geschlechtsverhältnis der
Geborenen nicht aufrechterhalten läßt. Zahlen, die aus kleinem Ma¬
terial gewonnen sind, schwanken außerordentlich und sind daher
völlig wertlos. Annahmen, die sich auf einige Hunderte von Fällen
gründen, sind nicht maßgebend.
Albert Sippel (Frankfurt a. M.), Gibt es eine vikariierende
oder komplementierende Menstruation? M. m. W. Nr. 52. Im
Sinne einer Blutdruckregulierung ist eine vikariierende Menstruation
unmöglich, da der Blutdruck schon vor oder spätestens gleich zu Be¬
ginn der Menses steil absinkt. Die Menstruation ist die Blutung aus
den durch die Abstoßung der Funktionsschicht der Uterusmukosa er¬
öffneten Oefäßen, sie hat eine rein lokale Entstehungsursache.
A. Biedl, H. Peters und R. Hofstätter (Wien), Experimentelle
Studien über die Einnistung und Weiterentwicklung des Eies im
Uterus. Zschr. f. Oeburtsh. 84 H. 1. Erste Mitteilung: Transplantation
befruchteter Eier beim Kaninchen. Eine Weiterentwicklung der im-
f dantierten Eier bis zum Wurf der Embryonen ist in einem Fall ge¬
lingen. Zur Einnistung und Weiterentwicklung transplantierter be¬
fruchteter Eier ist ein frisches Corpus luteum der Mutter nicht
unbedingt nötig. Zweite Mitteilung: Beobachtungen über Plazentom-
bildung. Die dem gelben Körper zugeschriebene Wirkung kann zum
Teil auch von anderen Derivaten des befruchteten Eichens (Fötus und
Plazenta) ausgelöst werden. Dritte Mitteilung: Beobachtungen über
die Befruchtung und Eiwanderung beim Kaninchen. Wesentliche
Unterschiede in der Koituswilligkeit der Weibchen zu bestimmten
Jahreszeiten konnten nicht festgestellt werden, wahrscheinlich infolge
der weitgehenden Domestikation der Laboratoriumstiere. Eine Ei¬
wanderung bei Karnivoren mit deutlicher Ovarialtasche ist wahr¬
scheinlich nicht möglich.
E. Langer (Berlin), Sireneobildang. Zschr. f. Oeburtsh. 84 H. 1.
Man unterscheidet Sympus apus, monopus und dipus. Mitteilung eines
neuen Falles. Als Ursache ist eine Schädigung des kaudalen Körper¬
endes anzunehmen, welche sowohl das Knochenmuskelsystem als auch
das Eingeweidesystem gleichzeitig, aber nicht gleichmäßig getroffen
haben muß.
Kj.v.Oettingen (Heidelberg), Schmerzhafte Geburt. M. m. W. Nr. 51.
Empfehlung des hypnotischen Dämmerschlafs ohne Medikamente. Der
leichte Dämmerschlaf mit geringen Skopolamin-Laudanongaben und
Chloräthyl nach Nassauer (M. m. W. 1921 Nr. 42), der die Amnesie
ausschalten will, befriedigt nicht.
W. Beckmann (St.Petersburg), Parametrane und snbperitoneale
Hämatome bei der Geburt. Zschr. f. Oeburtsh. 83, H. 3 (nachträglich
eingegangen). Die parametranen und subperitonealen Blutgeschwülste
entstehen aus den Aesten der Art. uterina oder Art. vesicalis. Sie
lassen sich nach ihrer Aetiologie in zwei Unterabteilungen einteilen,
das primäre oder eigentliche Hämatom und das sekundäre Hämatom
bei kleinen, nicht kompletten Zervixrissen. Mitteilung eines Falles von
primären und dreier Fälle von sekundärem Hämatom. Besprechung
der Differentialdiagnose und Therapie.
W. Wiegels (Schwerin), Totaler Dammriß. Zbl. f. Gyn. Nr. 50.
Kasuistik.
G. Bartram (Tübingen), Beurteilung kindlicher Herztöne. Zschr.
f. Oeburtsh. 84 H. 1. Mitteilung einiger Fälle von auffallenden Herz-
Schlaganomalien des Kindes in der Geburt, welche teils wie gewöhn¬
lich durch einfache Kohlensäureüberladung durch Zirkulationsstörung
in Plazenta oder Nabelschnur, teils durch Hirnkompression entstanden
waren.
K. Fink (Königsberg), Hydrops bei schwangeren Frauen. 1 *Zschr.
f. Oeburtsh. 84 H. 1. Untersuchungen an einem klinischen Material
von 150 Schwangeren und an etwa 200 geburtshilflich-poliklinischen
Fällen. Etwa 95 °/ 0 aller Schwangeren sind nydropisch. Wegdrückbare
Oedeme haben aber nur 80°/ 0 . Neben den Harnmessungen und Körper¬
wägungen haben sich Messungen mit dem Bandmaß als zuverlässigster
Zeuge für das Kommen und Verschwinden von Oedemen erwiesen.
Die Annahme, daß die durch die Schwangerschaft erhöhte Inanspruch¬
nahme von Herz und Nieren schon allein zu einer Verminderung der
Leistuhgsfähigkeit dieser Organe und dadurch zum Hydrops führen
könnte, erscheint nicht genügend begründet. Die Oedementstehung
□ igitized by Gougle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
140
LITERATURBERICHT
ist wohl als Folge von Veränderungen der Körperkolloide aufzufassen,
welche durch das Auftreten eines Mißverhältnisses zwischen Aus¬
scheidungskraft und notwendiger Ausscheidungsarbeit des Körpers
einen erhöhten Quellungsdruck erhalten und Wasser absondern.
Dadurch haben die Nierenepithelien vermehrte Rückresorptionsarbeit
zu leisten und werden infolge der Schwellung und folgenden Ischämie
in ihrer Leistungsfähigkeit beschränkt. Daraufhin entsteht Albuminurie
und Zylindrurie. An der Ansicht, daß es sich um eine Toxikose
handelt, muß gezweifelt werden. Eine auftretende Eklampsie ist wahr¬
scheinlich Folge eines Gehimödems; die toxischen Symptome gehen
nebenher.
K. Kautzky (Wien), Die Benennung der Nlerenerkrankongen in
der Schwangerschaft. Zbl. f. Gyn. Nr. 49. Verfasser hält die Namen:
Schwangerschaftsnephritis, Schwangerschaftsnephrose, Nephropathie u a.
für ungeeignet und schlägt vor, den alten Namen Schwangerschaftsniere
beizubehalten.
Hieß und Beckmann (Wien), Zur Pathologie und Klinik der
Nierenerkranknngen in der Schwangerschaft. Zbl. 1. Gyn. Nr. 49. Die
Verfasser betonen die diagnostischen Schwierigkeiten der Nierener¬
krankungen in der Schwangerschaft. Die Schwangerschaftsniere läßt
sich in das Volhardsche Schema nicht bzw. nicht immer einreihen.
Der Verlauf der Erkrankung ist ein sehr verschiedener. Charakteristisch ist
die rasche und restlose Wiederherstellung nach Ablauf der Schwangerschaft.
P.Silberstein (Hamburg), Raynaudsche Krankheit und Schwanger¬
schaft. Zschr. f. Geburtsh. 84 H. 1. Bei einer 22jährigen Erstge¬
schwängerten mit neuropatischer Konstitution traten 3 Anfälle von
Raynaudscher Krankheit auf. Die Schwangerschaft mußte wegen plötz¬
licher Verschlimmerung einer bestehenden Nephritis etwa im 7. Monat
unterbrochen werden. Schwangerschaft ist, besonders im Zusammen¬
hang mit Infektionskrankheiten und Glomerulonephritis, ein begün¬
stigendes Moment für die Entstehung und Verschlimmerung der
Raynaudschen Krankheit. Diese allein gibt keine Indikation zur
Schwangerschaftsunterbrechung, wenn es bereits zu einer tropischen
Störung, zur Gangrän gekommen ist. Besteht aber noch keine Gangrän,
sondern nur Synkope- und Asphyxieanfälle, so muß mit der Möglich¬
keit von Gangränanfällen mit ihren üblen Folgen gerechnet werden,
und die Indikationsstellung zur Unterbrechung der Schwangerschaft
ist berechtigt.
Wilhelm Geßner (Olvenstedt-Magdeburg), Badische Eklampsie-
statistik für das Jahr 1919 im Lichte der Diätetik. Zbl. f. Oyn.
Nr. 50. In Baden haben seit 1918 die Geburten um 50°/«, die Eklampsien
um 250% zugenommen. Verfasser führt die örtliche Differenz auf die
verschiedene Lebensweise zurück.
J. Hofbauer (Dresden), Klärung der Eklampsiefrage. Zbl.f.Gyn.
Nr. 50. Verfasser deutet den eklamptischen Anfall als Folge einer
Hypophysenwirkung auf bestimmte Gefäßgebiete.
W.Liepmann (Berlin), Aetiologie und Behandlung der Eklampsie.
Zbl. f. Gyn. Nr. 50. Die Plazenta ist die Stelle, an der das Eklampsie¬
gift gebildet wird.
O. Sachs (Wien), Anatomie und Histologie des weiblichen
Brethralwutstes. W. k 1. W. Nr. 51. Es wird der Bau des Corpus
spongiosum, des lymphatischen Gewebes, der para- und periurethralen
Zysten, der glatten und quergestreiften Muskulatur und schließlich der
in dem Septum urethrovaginale vorkommenden, mit der Prostata zu
vergleichenden Drüsenschläuche besprochen. Die weibliche Urethra
ist der pars membranacea und prostatica des Mannes vergleichbar.
H. Hisgen (Trier), Operative Therapie der Harninkontinenz. Zbl.
f. Gyn. Nr. 49. Fälle von Inkontinenz bei zentralen Nervenleiden sind
von der Operation auszuschließen, an Stelle des reinen Muskelringes
wird ein Faszien- oder Faszienmuskelring empfohlen.
Paul Graf (Neumünster), Ausrottung des Harnröhreiikrebses unter
zeitweiligem Aufklappen der Schoßfuge. Zbl. f. Gyn. Nr. 49. Kasuistik.
Constantin Stanca (Cluj), Atresia vaginae puerperalis; dilatatio
uretbrae e coitu. Zbl. f. Gyn. Nr. 49. Kasuistik.
Ohrenheilkunde.
♦♦ L. Katz (Ludwigshafen) und F. Blumenfeld (Wiesbaden), Hand¬
buch der speziellen Chirurgie des Ohres und der oberen
Luftwege. Bd. II. Lief. 6. Leipzig, C. Kabitz, 1921. Ref.:
H. Haike (Berlin).
Verfasser geht mit seiner Darstellung der chirurgischen Erkrankungen
des inneren Ohres über den Rahmen, in dem sonst die einzelnen Oebiete
des Handbuches behandelt werden, bewußt hinaus, mit der Begründung,
daß die Pathologie des Labyrinths noch zu viele Kontroversen enthalte,
die einheitlicher Auffassung entgegenstehen. „Um eine eindeutige
Verständigung zu gewährleisten" hat Verfasser bei den Hauptabschnitten
in einem allgemeinen Teil die seinen Ausführungen zu Grunde gelegten
Anschauungen einführend dargelegt. So finden wir in der Abhandlung
nicht nur die chirurgischen Eingriffe im Labyrinth und ihre Anzeigen,
sondern eingehende Erörterungen der klinischen Vorgänge und der
pathologischen Anatomie, sowie der für den Nichtotologen wenig
geläufigen, allgemeinen Begriffe von den Funktionen, besonders des
Vestibularapparates, und seinen Störungen erörtert. Im ersten Abschnitt
über die entzündlichen Erkrankungen des inneren Ohres sind im be¬
sonderen Umfange die Zusammenhänge mit den Allgemeinerkrankungen
auch dem Praktiker klargelegt durch eine Darstellung, die alle Schwie¬
rigkeiten des Stoffes durch überlegene Beherrschung überwindet. Für
den Chirurgen von besonderem Werte ist der 2. und 3. Abschnitt der
Verletzungen und Geschwülste des inneren Ohres, in dessen speziell
Nr. 4
otologischen Teil wieder eine vorausgehende allgemeine Abhandlung
einführt. Die Mißbildungen, im 4. Abschnitt, bieten selten chirurgischer
Behandlung eine Angriffsmöglichkeit, ebenso wie die im 5. Abschnitt
erwähnten funktionellen Störungen, wie quälende Ohrgeräusche und
Kompensationsstörungen am Vestibularapparat, 'Schwindel und Gleich¬
gewichtsstörungen, wo sie ultima ratio mit leider höchst seltenem
Erfolge ist. Abbildungen makroskopischer und mikroskopischer
Präparate ergänzen die Ausführungen, die in ihrer Klarheit auch dem
Fernerstehenden das behandelte schwierige Gebiet nahebringen.
Bruno Grießmann (Nürnberg), Kalorische Erregung des Ohr¬
labyrinthes. M. m. W. Nr. 51. Verfasser beweist an Hand von Ver¬
suchen, daß ein enger Zusammenhang zwischen Haut und Vestibular-
apparat besteht. Er faßt das Labyrinth als einen feinen, temperatur¬
empfindenden Nervenapparat mit stark ausgeprägtem Kälte- und
Wärmesinn auf, worauf die kalorische Erregbarkeit des Ohrlabyrinths
beruht. Durch die Kälte- und Wärmepunkte bestimmter Stellen der
äußeren Haut können dieselben gesetzmäßigen vestibulären Reaktionen
erzielt werden wie durch direkte Reizung.
Krankheiten der oberen Luftwege.
Otto Fleischmann (Frankfurt), Physiologie und Pathologie der
Tonsillen und der Nase. Arch. f. Laryng. 34 H. 2/3. Im weiteren
Verfolg der Feststellung reduzierender Substanzen, die von den
Tonsillen an den Speichel abgegeben werden sollen, und die sich
auch in der Nase finden, wirft Fleischmann die Frage nach der
Bedeutung dieser reduzierenden Substanzen auf und kommt zu dem
Ergebnis, daß diese reduzierenden Substanzen die Grundlage für
einen Oxydationsprozeß darstellen, der durch Einwirkung des Sauer¬
stoffes der Atmungsluft zustandekommt. Nach Ansicht Fleisch¬
manns schützen diese reduzierenden Substanzen die Gewebe vor
der Einwirkung des Sauerstoffs. Bei Fehlen der reduzierenden Sub¬
stanzen bzw. bei Störungen in der Produktion derselben, müssen
die in den Zellen der Schleimhaut und den tieferen Geweben auf¬
gespeicherten Reduktionsstoffe herhalten, wodurch eine schwere
Schädigung dieser Gewebe und Atrophie derselben eintritt. Auf
diese Theorie baut Fleisch mann sodann auch eine Theorie der
Entstehung der Ozäna auf, indem er annimmt, daß hier eine Störung
in der Produktion der reduzierenden Substanzen zur Herbeiführung
und Unterhaltung des atrophischen Prozesses Anlaß gebe.
A. Lautenschläger (Berlin), Pathologisch-anatomische
Studien zur Ozflnafrage. Arch. f. Laryng. 34 H. 2/3. Die Unter¬
suchungen erstrecken sich auf 400 Fälle von Rhinitis atrophicans und
zahlreiche Erkrankungen chronischer Nebenhöhleneiterungen. Die Zahl
der mikroskopisch untersuchten Fälle ist nicht angegeben. Es ergibt
sich, daß sowohl bei älteren als bei frischen Entzündungsprozessen
nichts für Ozäna eigentlich Charakteristisches in den histologischen
Veränderungen sich fand. Nur das „Uebermaß gewisser nachent¬
zündlicher Prozesse und deren Lokalisation“ soll von Bedeutung sein.
Ernst Wodak (Prag), Lues und Tuberkulose der Nase. Arch.
f. Laryng. 34 H. 2/3. Die Methoden Lues und Tuberkulose der Nase
differentialdiagnostisch zu trennen, werden einer eingehenden Kritik
unterzogen mit dem Ergebnis, daß ihnen allen nur ein bedingter
Wert zukomme, da jede einzelne, einschließlich der histologischen
Veränderungen bei beiden Erkrankungen, unter Umständen Vor¬
kommen könne. Lediglich dem Nachweis von Tuberkelbazillen oder
Spirochäten im Gewebe (Schnittpräparat) wird ein absoluter Wert
zugesprochen. Besonders schwierig ist es, die Kombination beider
Affektionen richtig zu bewerten. Verfasser berichtet über einen
selbst beobachteten Fall.
A. Seiffert (Berlin), Operative Beseitigung von Perforationen
der Nasenscheidewand. Arch. f. Laryng. 34 H. 2/3. Die Perforationen
werden am besten durch gestielte Schleimhautlappen gedeckt, die
entweder durch Tamponade oder Naht in ihrer Lage gehalten werden.
Der Stiel des Lappens sitzt, je nach Lage und Größe der Perforation,
oben im Septum selbst oder unten am Nasenboden; gegebenenfalls
können aucn zwei Lappen Verwendung finden, doch muß darauf
geachtet werden, daß sie sich nicht linear berühren,-sondern flächen¬
haft decken. Bisweilen kann auch Muschelschleimhaut zur Defekt¬
deckung verwendet werden, indem man Muschel und Septum an¬
frischt, das Septum durch Tamponade an die Muscheln andrängt
und nach eingetretener Verwachsung in zweiter Sitzung die Schleim¬
haut von der Muschel abschneidet.
J. Fein (Wien), Tonsillenfrage. Arch. f. Laryng. 34 H. 2/3. Bei
der Besprechung der Fleischmann sehen Befunde und Theorien
macht Fein einige Einwendungen. So wendet er ein, daß die in
der Tonsille nachweisbaren reduzierenden Substanzen nicht unbe¬
dingt dort produziert sein müssen, sondern auch durch den Speiche!
dahin gelangt sein können. Sodann wendet sich Fein gegen die
Einteilung der Tonsillen in verschiedene Gruppen, normale, hyper¬
trophische, akut entzündliche, chronisch entzündliche Tonsillen und
frägt, auf Grund welcher Kennzeichen diese Unterscheidung gemacht
sei. Fein glaubt, daß die Fleisch man nsehen Untersuchungen
zeigen, daß auch in biologischer Hinsicht ein Unterschied zwischen
„normalen“, „hypertrophischen“ und „chronisch entzündeten“ Ton¬
sillen nicht bestehe.
E Langer (Berlin-Schöneberg), Soor des Kehlkopfs. Arch. f.
Laryng. 34 H. 2/3. Der Soorpilz schädigt das Epithel so stark, daß
es zu oberflächlicher Defektbildung kommen kann. Das Auftreten
des Soor kann sich auf einen kleinen isolierten Kehlkopfbezirk — die
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
26. Januar 1922
LITERATURBERICHT
141
Stimmbänder — beschränken, ohne daß an einer anderen Stelle des
Mundes, Rachens usw. ein Belag nachweisbar ist. Trotzdem kann
nicht vom primären Soor des Kehlkopfs gesprochen werden, weil
wahrscheinlich in allen Fällen von Kehlkopfsoor eine vorübergehende
Ansiedlung an anderer Stelle statthat.
L. Grünwald (München), Unvollkommene Rekurrenslähmungen.
Arch. f. Laryng. 34 H. 2/3. Auf Grund seiner sehr interessanten Aus¬
führungen kommt Verfasser zu folgendem Ergebnis: 1. In der Mehr¬
zahl der Fälle allmählicher oder unvollständiger Schädigungen des
Stammes der Kamus laryngeus recurrenns vagi tritt zunächst oder
ausschließlich Adduktions-, erst später Intermediärstellung ein. Um-
S ekehrt ist der Verlauf bei eintretender Heilung: erst Medianstellung,
ann allmähliche Rückkehr aller Bewegungen. 2. In einer, bisher
nur in geringer Anzahl bekannten Minorität von Fällen wird das ent¬
gegengesetzte Verhalten beobachtet, indem zunächst oder ausschlie߬
lich Abduktionsstellung eintritt oder bei eintretender Heilung zuerst
die Abduktion sich wiederherstellt. 3. Ebenfalls in einer Minorität von
Fällen wird eine ziemlich gleichmäßige Beeinträchtigung der Abduk¬
tion wie der Adduktion beobachtet. 4. Wieviel von diesen Erschei¬
nungen auf Lähmungs-, wieviel auf Reizzustände in Nerv oder Muskel
beruht, ist vorderhand noch nicht mit Sicherheit zu sagen. 5. Läh¬
mungen können entweder auf dem differenten Verhalten der Schließer¬
gegenüber der Erweiterermuskulatur in biologischer Hinsicht beruhen,
oder auch durch individuell verschiedene Innervationsverhältnisse be¬
dingt sein. 6. Daß das Verhältnis der Minoritätsvorkommen beiderlei
Art wäre als typische Variante von qualitativer Gleichberechtigung
gegenüber den Majoritätsvorkommen anzusehen.
Haut- and Venerische Krankheiten.
F. Wolf (Frankfurt a. M.), Qnecksilberexantheme. M. m. W. Nr. 52.
Bei einer Patientin trat jedesmal, wenn ihre Haut mit einer Queck-
silberverbindung in Berührung kam, Urtikaria, Ekzem oder Bläschen-
ansschlag auf.
E. Kuznitzky und W. Langner (Breslau). Salvarsanexantheme.
B. kl. W. Nr. 52. Berichte über die Erfahrungen an 42 Fällen, die
innerhalb von etwa 2% Jahren beobachtet wurden.
Gg. Will (Greifswald), Hant- und Schleimhantblntnogen mit
Kaocfaenmarksschädignng und tödlichem Ausgang nach Salvarsan-
Hg-Kollargolbehandlnng bei sekundärer Syphilis und Tripper.
M. m. W. Nr. 52. Bei 2 Patientinnen mit sekundärer Syphilis und
Tripper traten nach Salvarsan-Hg-Kollargolbehandlung schwere Haut-
und Schleimhautblutungen mit hochgradiger Anämie auf, die zum
Tode führten, ln den Röhrenknochen viel rotes Mark. Der tödliche
Ausgang wird auf die intravenösen Kollargolinjektionen zurückgeführt,
vielleicht hatte das Salvarsan-Hg die Widerstandsfähigkeit des Organis¬
mus herabgesetzt. _
Kinderheilkunde.
H Hermann Brüning (Rostock), Kurzgefafites Lehrbuch der
Untersuchung am Krankenbette des Kindes. Stuttgart,
F. Enke, 1921. 312 Seiten mit 24 Abbildungen. M. 66.—. Ref.:
Engel (Dortmund).
Der Verfasser hat sich in seinem Buche ein sehr hohes und schwer
zu erreichendes Ziel gesteckt. Wenn man über „Untersuchung am
Krankenbett abhandelt, kann man entweder nur die Technik bringen,
oder man muß mehr oder minder ausführlich auf die ganze Fülle der
Krankheitserscheinungen eingehen, welche beobachtet, ermittelt und
zu diagnostischen Bildern zusammengefaßt werden sollen. Brüning
hat einen Mittelweg eingeschlagen und hat infolgedessen Konzessionen
nach allen Richtungen machen müssen. Was die Anordnung des
Stoffes anbelangt, so wäre es wohl wünschenswert, wenn der rein
technische Teil systematischer abgegrenzt und hervorgehoben würde.
Das Buch entspricht einem starken Bedürfnis. Die Feuerprobe der
Praxis wird lehren, ob es nach seiner ganzen Anlage den Forderungen
der Praxis gerecht wird.
H. Kritzler (Gießen), Beobachtungen über das Vorkommen von
Diphtheriebazilten und diphtberoiden Stäbchen beim Neugeborenen
unter besonderer Berücksichtigung der klinischen Bedeu¬
tung dieses Befundes. Zschr. f. Geburtsh. 84 H. 1. An 311 Kindern,
überwiegend Neugeborenen, wurden im ganzen 564 kulturelle Diphtherie¬
untersuchungen vorgenommen zur Beantwortung der Frage, ob die
„Neugeborenendiphtherie** harmlos ist oder nicht. Diese Untersuchungen
der nasalen, konjunktivalen und umbilikalen Lokalisationsform haben
keine Beweise dafür geliefert, daß die Aufstellung der sogenannten
„Neugeborenendiphtherie", die so weit über das bisher gekannte Bild
der Diphtherie hinausgeht, berechtigt ist. Es ist falsch, jeden Fall, bei
dem Diphtheriebazillen gefunden werden, mit Neugeborenendiphtherie
zu bezeichnen. Die Diphtherie ist eine Infektionskrankheit, bei der
neben dem bakteriologischen Befunde die örtlichen Entzündungs¬
erscheinungen mit der typischen Membranbildung, die Allgemeinsym¬
ptome und die etwaigen Folgen (Lähmungen) untrennbar zusammen¬
gehören. Trotz der zahlreichen Säuglinge, welche Bazillenträger waren,
ist in der Klinik keine einzige Diphtherie beim Personal und bei den
Kranken beobachtet worden.
Johannes Schoedel (Chemnitz), Dipfatheriebazillen in der Nase
der Neugeborenen und älteren Säuglinge. Rudolf Spitzner
(Chemnitz), Die Prophylaxe und Behandlung der Diphtherie-
btzillentrigeT im Säuglingsalter. Jb. f. Kindhlk. 96 H. 5. 59%
aller Neugeborenen beherbergten Diphtheriebazillen in der Nase, die
älteren Säuglinge etwa zu 25%. Zur Behandlung der Diphtheriebazillen¬
träger wird im Säuglingsalter das Diphthosan empfohlen.
Hans Opitz (Breslau), Aktive Immnoisierung gegen Diphtherie
beim Menschen. Jb. f. Kindhlk. 96 H. 1 u. 2. Ueberneutralisierte
Toxin-Antitoxingemische wirken ebenso immunisierend wie die reine
Toxinlösung. Das Toxin wird aus dieser Verbindung im Körper wahr¬
scheinlich wieder freigemacht.
I. Zeißler und B. Käckell (Hamburg), Aetiologische Diagnose
des Nabeltetanus beim Neugeborenen. Jb. f. Kindhlk. 96 H. 3/4. Der
Starrkrampferreger ließ sich an dem in sectione exzidierten Nabel ein-,
wandfrei kulturell und biologisch nachweisen.
E. Wolff (Berlin), Zirkumzisfonstnberknlose. B. kl. W. Nr. 52. In
zwei. Fällen von Tuberkulose nach Beschneidung, bei denen anfangs
fälschlich die Diagnose „Lues“ gestellt war, wurde eine Röntgentherapie
eingeleitet mit dem Erfolg, daß der eine Patient durch Sekundärinfek¬
tion und Bronchopneumonie zum Exitus kam, während der andere ge¬
heilt wurde.
F. Oöppert (Göttingen), Vorübergehende schwere Mischungs¬
zyanose beim Neugeborenen. M. m. W. Nr. 51. Gleich nach der
Geburt schwere Zyanose des ganzen Körpers. Herzbefund normal.
Lungenventilation ausreichend. Oft verlief die blaue Verfärbung wellen¬
förmig über die Haut, offenbar mischte sich das venöse mit dem
arteriellen Blut. Nach einigen Tagen verschwand die Zyanose völlig.
Tod an Erysipel am 10. Tage. Obduktion ergab ein normales Herz
mit offenem for. ovale, das aber einen gut funktionierenden Klappenver¬
schluß hatte. Das Ueberströmen des Blutes aus dem rechten Vorhof in den
linken beruht in solchen Fällen darauf, daß der linke schwächer arbeitet.
F. Göppert (Göttingen), Oesophagusatresle. M. m. W. Nr. 51. Ein
wegen Oesophagusatresie aem Krankenhause am 4. Lebenstage über¬
wiesenes Kind schluckte in der Nacht vom 5. zum 6. Tage 60—70 g
Milch und starb am folgenden Morgen. Bei der Sektion war der
Magen mit Milch gefüllt. Der blind geschlossene Oesophagus reichte
vom Mund zum Reizknorpel. Vom Magen aus reichte der untere
Oesophagusteil bis zur Bifurkation und mündete hier zwischen den
beiden Tracheen. Die Milch war also durch Stimmritze, Trachee in
den unteren Oesophagusteil und den Magen gelangt.
Fritz Thoenes (Dresden), MnskeluntersuchunKen a n Neugeborenen,
mit besonderer Berücksichtigung der kongenitalen Lues.
Jb. f. Kindhlk. 96 H. 1. u. 2. Feine Infiltration der feineren Nerven
zwischen den Muskelfasern und Veränderungen am Muskelparenchym
.fanden sich bei kongenital syphilitischen Föten und einem syphilitischen
Säugling. Da sich ähnliche Veränderungen auch an der Muskulatur
nicht-luetischer Säuglinge nachweisen lassen, so dürfte es sich um die
Auswirkungen von Toxinen handeln.
O.Zschokke (Köln), Scheinverkrümnmng der unteren Gliedmaßen
des Neugeborenen. Jb. f. Kindhlk. 96 H. 1 u.2. Die scheinbare Kon¬
kavität der Unterschenkel Neugeborener beruht nicht auf einer Ver¬
krümmung der Tibia, sondern entsteht durch eine Haltungsanomalie
der verschiedenen Gelenke neben (im Verhältnis zur Diaphyse) ver¬
dickten Gelenkenden.
E. Freudenberg (Heidelberg), Moroscher Umklammerungs¬
reflex und Brudzinskisches Nackenzeichen als Reflexe des Säug-
lingsalters. M. m. W. Nr. 51. Im frühen Säuglingsalter herrscht in den
Armen ausgesprochener Beugetonus. Beim Umklammerungsreflex werden
die Arme gestreckt und gespreitzt, um sich darauf in gestreckter Haltung
im Bogen einander und der Mittellinie wieder zu nähern. Die Finger
sind gespreizt und in Mittelstellung zwischen Beugung und Streckung.
Bei vollständigem Reflex auch in den Beinen Streckung, Abduktion,
Supination der Füße, Beugung der Zehen. Verfasser teilt seine Beo¬
bachtungen mit, die sich beziehen auf die auslösenden Reize, das
Lebensalter und die Beziehung zur Entwicklung der statischen und motori¬
schen Funktionen zu anderen Reflexen. Das Brudzinski sehe Nackeif-
zeichen, symmetrische Beugung in Knie und Hüfte bei Ventralflexion
des Kopfes läßt sich auch durch Strecken und rasches Emporheben
beider Arme des Kindes hervorrufen. Verfasser schlägt an Stelle des
Wortes Nackenzeichen die Benennung „symmetrische Bein Verkürzung** vor.
Reinhold Bloch (Koblenz), Wandscharlach durch Danmen-
lotschen. M. m. W. Nr. 52. U/rfähriges Kind zog sich durch Lutschen
eine eiternde Wunde am Daumen zu. Von hier aus entwickelte sich
ein typisches Scharlachexanthem, das dann über den ganzen Körper
ging. Es trat auch Mandel- und Submaxillardrüsenschwellung auf,
später lamellöse Schuppung.
Marcus A. Tsoumaras (Athen), Paragonokokkisch-epidemiscbe
Vulvovaginitis. Jb. f. Kindhlk. 96 H. 3 u. 4. Es wird eine Epidemie
von Vulvovaginitis im Kinderspital beschrieben, deren Erreger bei •
größter morphologischer Aehnlichkeit (intrazelluläre Diplokokken) sich
kulturell vom Neißerschen Gonokokkus unterscheiden. Klinisch läßt
sich die paragonokokkische Vulvovaginitis von der gonokokkischen durch
das Freibleiben der Harnröhre vom Entzündungsprozeß unterscheiden.
Gelenkkomplikationen kamen bei derparagonokokkischen Entzündung vor.
Hermann Brüning (Rostock), Tnberknloseiofektlon bei Kindern
der Privatpraxis. Jb. f. Kindhlk. 96 H. 5. Unter 350 Kindern der
Privatpraxis reagierten auf einmalige Pirquetisierung positiv etwa 6%
der Säuglinge, etwa 23% der Kleinkinder und 47% der Schulkinder.
Es wird offen gelassen, ob diese überraschend hohen Zahlen in einer
gutsituierten Bevölkerung örtlich oder zeitlich bedingt sind oder ob
sie eine allgemeine Gültigkeit haben.
Richard Lederer (Wien), Die chronischen nichttnberknlösen
Ataungserkranknngen des Kfndesalters. Jb. f. Kindhlk. 96 H. 3/4.
□ igitized by Google
Original fro-m
CORNELL UN RSITY
142 LITERATURBERICHT Nr. 4
Für das reiche kasuistische Material wird folgende Einteilung vor¬
geschlagen: 1. angeborene, 2. bald nach der Geburt und 3. später
erworbene Atmungserkrankungen. Zur ersten Gruppe gehören Mi߬
bildungen und die Erkrankungen als Folge fötaler Atelektase, deren
Ursache meist schwere Oeburt oder familiär-dispositionelle Momente
sind. Ungünstig auf diese Erkrankungen wirkt die Rachitis, Infektions¬
erkrankungen und schlechte Wohnungsverhältnisse. Die 2. Gruppe
entsteht durch intra oder post partum erworbene Infektionen ausgehend
von kranken Personen. Für die 3. Gruppe ist familiäre Disposition,
die exsudative Diathese und Infekte (Masern, Keuschhusten) von be¬
sonderer Bedeutung. Die „stertoröse Tracheobronchitis" der Rachitiker
ist dieser Gruppe eigentümlich. Therapeutisch wird die Adenotomie
bei den rezidivierenden Bronchititiden skeptisch, die Höhensonnen¬
bestrahlung günstig beurteilt.
P. Hoffmann und S. Rosenbaum (Marburg), Magenzuckerkurve
und ihre Bedeutung. Jb. f. Kindhlk. 96 H. 3/4. Bet eiweißreicher
Nahrung sinkt (wahrscheinlich durch eine Verdünnungssekretion in den
Säuglingsmagen) die Zuckerkonzentration im Magen, sobald der Eiwei߬
gehalt der Nahrung den der Frauenmilch übersteigt.
H. Rasor (Heidelberg), Einfluß des Milchzuckers auf die Dfinn-
darnperistaltik. Jb. f. Kindhlk. 96 H. 1/2. Durch aufeinanderfolgende
Röntgendurchleuchtungen ließ sich ein durchschnittlich um 3 Stunden
verfrühtes Uebertreten in den Dickdarm eines mit Milchzucker zu¬
bereiteten Breies gegenüber einem mit Rohrzucker zubereiteten Breie
feststellen. Wahrscheinlich übt der Milchzucker eine Reizwirkung auf
die Dünndarmschleimhaut aus.
E. Freudenberg und P.György (Heidelberg), Pathogenese der
Tetanie. Jb. f. Kindhlk. 96 H. 1/2. Kalk findet sich im Blute in
kolloidaler Bindung und als Ca-Ion, in den Geweben nur als Kolloid¬
verbindung. Verschiebungen im Gleichgewicht der Verteilung des
Kalkes im Sinne einer Ueberführung des inaktiven, kolloidal gebundenen
Kalkes in die aktive ionisierte Form müssen zu einer Verarmung der
Oewebe (Nervenzellen) an kolloidal gebundenem Kalke führen, primär
durch direkte Abwanderung aus dem Gewebe ins Blut, sekundär über
den Umweg einer Kalkverarmung der Blutkolloide. Die Kalkentziehung
aus dem Oewebe führt zu erhöhter Quellung der Zelle und damit zur
erhöhten Erregbarkeit (= Tetanie). Nach dem Sitze der primären
Störung des Kalkgleichgewichtes läßt sich eine Bluttetanie und eine
Oewebstetanie unterscheiden. Bluttetanie entsteht durch Inaktivierung
dissoziierter Ca-Verbindungen im Blute, Oewebstetanie durch Sub¬
stanzen, die das kolloidale Kalkbindungsvermögen der Gewebe herab¬
setzen (z. B. Guanidin).
Joseph Langer (Prag), Symptomatische Paralysis agitaas bei
Kindern nach Encephalitis epidemica. Jb. f. Kindhlk. 96 H. 1/2. Als
Ausgang einer Encephalitis epidemica nach Grippe entwickelte sich ein
Krankheitsbild, charakterisiert durch Zittern, Spasmen in der Muskula¬
tur, Verlangsamung der aktiven Bewegungen, Propulsion und Retro-
pulsion beim Gehen.
H. Baar (Wien), Diagnostischer Wert der Qlobnllnvermehrnng im
Liqoor cerebrospinalis bei Erkrankungen im Kindesalter. W.kLW.
Nr. 51. Die Pändysche Reaktion ist bei einer großen Reihe von
organischen und funktionellen Krankheiten positiv. Zur Differential¬
diagnose der tuberkulösen Meningitis ist sie nicht brauchbar.
Hygiene.
44 Thomas M. Legge und K. W. Goadby, Bleivergiftung und
Bleiaufnahme, ihre Symptomatologie, Pathologie und Vernutung.
Herausgegeben von Ludwig Teleky (Wien). Berlin, J. Springer,
1921. 372 S. M. 87.—. ReL: Thiele (Dresden).
Der unermüdlichen Pfadfinderarbeit Telekys verdanken wir dieses
wichtigste Werk über die noch immer wesentlichste Gewerbekrank¬
heit unserer Zeit. Die auf zahlreichen eigenen Untersuchungen und
Beobachtungen beruhende Arbeit der englischen Gewerbehygieniker
gewinnt dadurch für Deutschland ganz besondere Bedeutung, daß
Teleky seine eigenen reichen Erfahrungen sowie die Erkenntnisse des
neuzeitlichen Schrifttums in geschickter Form in das englische Original
hineinverwoben hat, sodaß man das dem erfolgreichen Institut für
Gewerbehygiene zu Frankfurt a. M. zu dankende Buch als das Blei¬
erkrankungsbuch unserer Zeit mit vollem Recht bezeichnen kann. Ein
lehrreicher Anhang bringt alle wichtigen deutschen und deutschöster¬
reichischen Verordnungen zur Verhütung gewerblicher Bleivergiftung.
Paul Hirsch, Reform der Medizinal Verwaltung. Zschr. f. soz.
Hyg. 1921 H. 2. Zu dieser Frage werden nach einem kurzen Blick auf
die jetzige Gliederung der Gesundheitsbehörden einige Anregungen ge¬
geben. Der Kreisarzt muß eine gleiche Stellung erhalten wie der
• städtische Medizinalrat, und es muß eine vollkommene Trennung der
Stellung des Gerichtsarztes von der des Kreisarztes durchgeführt
werden. Eine Personalunion von Kreisarzt und Kommunalarzt emp¬
fiehlt sich erst dann, wenn die Gesundheitsdeputationen ihres städti¬
schen Charakters entkleidet, zu städtischen Verwaltungsdeputationen
umgestaltet sind. Die gesamte Wohlfahrtspflege muß einschließlich
der Gesundheitspflege an die Selbitverwaltungsköiper zur eignen Ver¬
waltung übertragen werden, und der Erlaß eines Qesundheitsgesetzes,
das die Selbstverwaltungskörper zur Grundlage der Organisation
macht, ist erforderlich.
Korach, Oeffentliche Aerzte und ihre Bedeutung als Sozlal-
ökonomeo und Gesundheitspolitiker im nenen Deutschland. Zschr. f. soz.
Hyg. 1921 H. 1. Die Wechselwirkungen zwischen Wirtschaftswesen,
Wirtschaftspolitik und Gesundheitsfürsorge werden untersucht und der
Aufgabenkreis der verschiedenen öffentlichen Aerzte dargestellt. Diese
gruppiert Verfasser in öffentliche Individualtherapeuten, ärztliche Ver¬
treter der Staatsraison und in Sozialökonomen.
Haustein, Lex venerls in Schweden. Ill.Teil. Zschr.f.soz.Hyg. 1921
H. 1. Die Abschaffung der Reglementierung und die Einführung einer
allgemeinen anonymen neben einer namentlichen Meldepflicht für wider¬
spenstige Patienten und der Behandlungspflicht, bzw. des Behandlungs¬
zwanges hat nicht zu einer Vermehrung der Geschlechtskrankheiten
geführt. Ihre Verminderung ist verursacht durch die Veränderung
sozialer Bedingtheiten, durch Wiedereinsetzen der Kondomeinfuhr,
wahrscheinlich aber auch durch die neuen Oesetzesmaßnahmen. Hier
vor allem die großzügige Volksaufklärung über das Gesetz, die Mög¬
lichkeit kostenfreier Behandlung in ganz Schweden und die Errichtung
der Polikliniken im ganzen Lande.
Seligmann, Nene preußische Desinfektionsordnung und die
Znkonft des Desinfektorenstandes. Zschr. f. soz. Hyg. 1921 H. 3. Die
neue preußische Desinfektionsordnung verändert das bisherige Arbeits¬
gebiet der Desinfektoren und erweitert gleichzeitig den Kreis der zur
Ausführung berechtigten Personen. Sie verlegt die Desinfektion an
den Zeitpunkt und den Ort, wo sie am wirksamsten ist, und beseitigt
die Unzweckmäßigkeiten der alten Regelung. Die laufende Desinfektion
am Krankenbett soll endlich in die Wirklichkeit übersetzt werden.
Die Durchführung dieser Desinfektion durch das Pflegepersonal soll
vom Desinfektor, aber auch von den Fürsorgeschwestern überwacht
werden. Der Desinfektor muß an Hand der polizeilichen Krankheits¬
meldungen die Kontrolle bzw. die Ausführung dieser Desinfektionen
übernehmen. Die Schlußdesinfektion hat sich von nun an nur auf alle
die Gegenstände zu beschränken, die mutmaßlich mit Absonderungen
des Kranken in Berührung gekommen sind. Ausgebildete Pflegpersonen
und Fürsorgeschwestern sollen sie in erster Linie ausführen, da sie im
gegebenen Moment zur Stelle sind. Die verschärfte Schlußdesinfektion
bei besonderer Krankheits-Verbreitungsgefahr ist dem staatlichen Des¬
infektor Vorbehalten. Nur von hauptamtlichen Desinfektoren können
die Aufgaben der neuen Desinfektionsordnung, die ihnen bedeutende
Aufstiegsmöglichkeiten gewährt, bewältigt werden.
Harms, Die Bedeutung des Rohrerschen Index für die Be¬
urteilung von Massennntersochnngen. Zschr. f. soz. Hyg. 1921
H. 3. An Hand von Massenuntersuchungen zweier Berliner Gemeinden
wird gezeigt, daß der Index ein objektives Bild der Ernährungslage
darstellt, während das ärztliche Urteil vielfach so subjektiv gefärbt ist,
daß von einer einwandfreien Beurteilung nicht gesprochen werden kann.
M. Kühn, Zahnpflege. M. m. W. Nr. 51. An Stelle des Gebrauchs
der heute stark verteuerten Zahnbürsten empfiehlt Verfasser auf Grund
eigener Erfahrung die Zahnreinigung mit Zeigefinger und Zahnstocher.
Soziale Medizin und Hygiene.
Kleeis, Die Vereinheitlichung der lozitlea Versichern»*. Zschr.
f. soz. Hyg. 1921 H. 2. Die Notwendigkeit der Neugestaltung der
sozialen Versicherung ist in Artikel 262 der Reichsverfassung aner¬
kannt. Zur Vereinheitlichung ist für jeden Stadt- und Landkreis eine
Ortskasse zu errichten, die die Grundlage des ganzen weiteren Auf¬
baus der Sozialversicherung bildet. Die Ortskassen müssen nach
größeren Bezirken zusammengeknüpft werden zu Landesversicherungs¬
anstalten. Ihnen ist auch die Durchführung der Unfallversicherung zu
übertragen, also räumlichen nicht beruflichen Körperschaften. Für
die gesonderte Angestelltenversicherung sollte in der neuen Zeit
gleichfalls kein Raum mehr sein. Ebenso muß der Kreis der Ver¬
sicherungspflichtigen für alle Zweige völlig übereinstimmen und
gänzlich einheitlich sein.
Zadek, Nutzanwendungen aus den Krlegserfahrnngen für die
Anstaltspflege Tuberkulöser. Zschr. f. soz. Hyg. 1921 H.l. Für Er¬
wachsene ist in Krankenanstalten die Gefahr einer Tuberkulose-Ueber-
tragung gleich Null. Trotzdem empfiehlt sich die Absonderung der
desolaten Bazillenstreuer aus Zweckmäßigkeitsgründen und Rücksicht¬
nahme auf die übrigen Kranken. Die ängstliche schematische Isolierung
jedes tuberkulösen Brustfellergusses oder Spitzenkatarrhcs ist unnötig
und verfehlt, wie man ja auch derartige Maßnahmen ohne üble Er¬
fahrungen bei chirurgischen Tuberkulosen mit eiternden Fisteln und
Wunden nicht anwendet. Die Bazillenangst muß bei Aerzten, Pflege¬
personen und vor allem bei der breiten Masse durch Aufklärung über
das Wesen und das Zustandekommen der Schwindsucht wieder auf
das richtige Maß zurückgeführt werden. Das geeignete Pflegepersonal
für die Behandlung der Tuberkulösen sind die hereditär und konsti¬
tutionell Belasteten, sowie solche Individuen, die einmal eine tuber¬
kulöse Erkrankung durchgemacht haben — nicht aber die kräftigen
anscheinend Tuberkulosefreien, die wegen ihrer geringen Abwehrkrafte
stärker gefährdet sind. Außer der Kriegserfahrung zeigt dies die Unter¬
suchung der in den letzten Jahren tuberkulös erkrankten Schwestern
am Krankenhause Neukölln.
Eff ler, Die wissenschaftliche Bedeutung der Tuberkulosefürsorge-
steile. Zschr. f. soz. Hyg. 1921 H. 4. Die Fürsorgestelle ist m der
günstigen Lage, eine Reihe ihrer Besucher fast von der Geburt an
bis in das Erwachsenenalter zu verfolgen, wodurch die Fürsorgeärzte
besondere Forschungsmöglichkeiten haben. Theoretisch wie praktisch
ist eine der wichtigsten Fragen das Verhältnis der Kindertuberkulose
zu der der Erwachsenen sowie der Frage nach dem Nutzen von
Bekämpfungsmaßnahmen. Die katamnestische Forschung der Fürsorge¬
stelle wird außer anderen Fragestellungen auch Nachweise der Wirk¬
samkeit bestimmter therapeutischer Methoden liefern können.
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
VEREINS- UND KONGRESS BERICHTE
Redigiert von Ober-Reg.-Med.-Rat Dr. O. Straub.
Berlin, Verein für Innere Medizin und Kinderheilkunde,
6. XII. 1921.
Offizielles Protokoll.
Vorsitzender: Schwalbe. Schriftführer: Magnus Levy.
F. Neufeld: Neue Forschungsereebuisse aus dem Gebiet der Pneu-
■oaie. (Vgl. Nr. 2 S. 51.)
Besprechung vertagt.
Besprechung über den Qoldscheiderschen Vortrag: Die Be-
haadlauf der chronischeo Kreislaufschwiche. (Vgl. Nr. 1 S. 10 u. Nr. 2
S.57.)
Besprechung. Fräulein Wittgenstein berichtet über Erfah¬
rungen mit der Traubenzuckertherapie nach Büdingen bei Fällen von
Angina pectoris. Verwendung bei 12 länger behandelten Kranken.
Insgesamt über 80 Infusionen. Schüttelfröste und Temperatursteige¬
rungen bei 2 Kranken, abnehmend mit der Konzentration der Lösung,
mahnen zur Vorsicht bei den neuerdings angewandten sehr hoch-
S rozentigen Lösungen bis 50<y 0 und darüber. Bei Verwendung von
)®A>igen Lösungen ist eine Flüssigkeitsmenge von 200—300 ccm not¬
wendig. Infusionen zunächst zweimal wöchentlich mit steigendem
Intervall. Verwendung der Glykosetabletten nach Merck und des
sterilen Ampullenwassers vereinfachen die Technik. Begleiterschei¬
nungen: Regelmäßige Blutdrucksteigerung nur bei Hypertonien. In
diesen Fällen ist vorheriger Aderlaß anzuraten. Kurzdauernde Diurese
ständige Begleiterscheinung, am stärksten bei Kranken mit Oedemen
und Oedembereitschaft. Blutzucker nur in 4 Fällen subnormal, in
7 Fällen normal, in einem Fall sogar Hyperglykämie. Kein durch¬
gehender Parallelismus zwischen Hypoglykämie und Behandlungs¬
erfolg. Therapeutischer Effekt: Von den 12 Patienten blieben 5
völlig frei von Anfällen von Angina pectoris bei einer Beobachtungs¬
zeit von 6—14 Monaten. 4 erfuhren eine Abschwächung der Zahl
und Schwere ihrer Anfälle. Das Ergebnis rein auf die osmotische
Wirkung hypertonischer Lösungen zu beziehen, scheint nicht an¬
gängig. Es im Sinne Büdingens als Ernährungstherapie des Her¬
zens aufzufassen, kann nur für vereinzelte Fälle Geltung haben.
Ein allgemeingültiges Gesetz für die Wirkung der Traubenzucker¬
therapie läßt sich noch nicht aufstellen. Der therapeutische Erfolg
scheint sichergestellt und fordert zu verstärkter Anwendung auf bei
den anginoiden Beschwerden und Anfällen der Koronarsklerose.
Arnoldi: Die Nebenerscheinungen nach intravenöser Trauben¬
zuckerinfusion sind oft unerwünscht. Auf Orund eigener Studien
über per os zugeführten Traubenzucker kann ein erheb¬
licher Einfluß besonders auf den Stoffwechsel (Kohlenhydratumsatz,
Wasser- und Salzhaushalt) angenommen werden. Die Behandlung
der Kreislaufschwäche bei Infektionskrankheiten mit per os zu-
g eführtem Traubenzucker hatte ein recht günstiges Ergebnis. Die
esserung des Kreislaufes wird als Folge der Stoffwechselwirkung
aufgefaßt. Die Kohlensäurebäder erhöhen den Kh-Umsatz(eigene
Feststellung).
Fürbringer hat sich als Anhänger der Leibesübungen und
Bewegungstherapie von jeher gegen übertriebene Muskelfaulheit und
Ruhekuren gewendet. Sie mindern zwar meist während ihrer Dauer
die subjektiven Störungen, pflegen aber mit dem Zwang der Wieder¬
aufnahme von Anstrengungen zu bösen Kontrastwirkungen zu führen.
Die vom Vortragenden nicht abgelehnte, u. a. auch von L. Zuntz
anerkannte Siegfriedsche Zyklotherapie ist bei Fürbringer
und seinen Klienten für leichtere Formen der Kreislaufschwäche
nicht in Vergessenheit geraten und von ihm schon 1900 in der D.
Aerzteztg. als erfolgreiche gewürdigt worden. So zweischneidig unter
Umständen Schwimmbäder für ein nicht gesundes Herz und so er¬
schütternd die Schauspiele eines plötzlichen Todes, kann Fürbrin-
er den Satz, daß jede Störung im Zirkulationssystem eine direkte
ontraindikation bildet, nicht gelten lassen und verweist auf seine in
der Zschr. f. Baln. 1914 bekanntgegebenen Erfahrungen. Sein eigenes
Herz begab sich eines heißen Tages inmitten eines Anfalls nach den
ersten Schwimmstößen seiner Taktlosigkeit. Das steht im Einklang
mit den wissenschaftlichen Erschließungen von Kienböck, Selig
und Beck sowie Strubeil an Schwimmern, nicht minder mit dem
reflektorischen Einfluß des kalten Bades auf die Atmung und den
Gefäßtonus. Ein nachhaltiger Schaden ist dem Redner bei den nötigen
Kautelen nicht berichtet worden. Jedenfalls brauchen Träger leichterer
Kreislaufschwäche, wofern sie geübte Schwimmer, nicht unbedingt
auf die köstliche Erfrischung des unter der Hitze leidenden Körpers
zu verzichten. Allzu große Aengstlichkeit fruchtet nichts.
Tobias: Der Wert der Kohlensäurebäder bei Kreislauf¬
störungen ist erst heute allgemein anerkannt Ueber die Unzweck¬
mäßigkeit von Kohlensäurebädern bei exzessiver Hypertonie be¬
ginnt man sich mehr und mehr einig zu werden. In Fällen von mittleren
Graden sind natürliche Kohlensäurebäder oft wirksam; den künst¬
lichen sind in diesen Fällen Sauerstoffbäder vorzuziehen, die sich
nach dem Vorschläge von Otfried Müller auch zur Einleitung von
Kohiensäurebäderkuren besonders eignen. Von der früher viel dis¬
kutierten Hochfrequenztherapie ist zur Zeit nicht mehr viel die Rede.
Allgemeine Hochfrequenzbehandlung übt zweifellos, wenn
auch nicht regelmäßig, einen dämpfenden Einfluß aus und gelangt
bei Hypertonien jeder Provenienz und auch bei Herzneurosen zur .
Anwendung. Lokale Hochfrequenz kommt für schwere Kreis¬
laufschwäche nicht in Betracht; in leichteren Fällen von Herzmuskel¬
schwäche und Herzerweiterung ist sie besonders dann zu empfehlen,
wenn Kohlensäurebäder schlecht vertragen werden oder aus be¬
sonderen Gründen — Konstitution, Thrombosen usw. — kontra-
indiziert sind. Bei Herzneurosen ist Allgemeinbehandlung vorzuziehen.
Auch mit der Wechselstromtherapie ist es stiller geworden.
Hochgradige Neurasthenie bildet nach Laqueur eine Kontraindika¬
tion. Mehr als bisher sollte man sich bei Anwendung von Vier-
und Zweizellenbädern des faradischen und des Wechselstromes
bedienen.
Reh fisch: Den Bedenken des Herrn Vortragenden gegen die
praktische Bedeutung der plethysmographischen Funktionsprüfungs¬
methode Webers kann ich nicht beistimmen. Denn die pleth. Kurve
ist eine Volumenkurve, die uns über den vermehrten oder ver¬
minderten Zufluß von Blut nach den Gefäßen orientiert. Dieser
Zufluß hängt ab einmal von dem Innervationszustand der Gefäße
seitens des Vasomotorenzentrums und zweitens von der Herzarbeit.
Schon bei sehr kurz dauernder körperlicher Arbeit von Gesunden
erweitern sich diese Gefäße aktiv, das Herz kann seinen Inhalt
leicht entleeren. Das Volumen nimmt während der Arbeit zu, die
Kurve steigt. Ist aber das Vasomotorenzentrum, während das Herz
intakt ist, durch irgendeine Noxe (Intoxikation usw.) primär ge¬
schädigt, so erfolgt bei Arbeit eine Umkehr der Innervation; statt
zu diktieren, kontrahieren sich die Gefäße. Das Volumen nimmt
ab, die Kurve sinkt wegen verminderten Zuflusses seitens des
Herzens. Derselbe Zustand muß aber auch eintreten bei Herzaffek¬
tionen, wenn das Vasomotorenzentrum nicht genügend arterialisiert
ist. Das Herz vermag bei dem durch die überstarke Kontraktion der
Gefäße vermehrten Widerstand seinen Inhalt nicht zu entleeren; das
Schlagvolumen nimmt während der Arbeit ab; die plethysmographische
Kurve sinkt. Einen zweiten Typus stellt die trag abfallende Kurve
dar; ihr Abstieg nach der Arbeit ist verzögert, da sich dem Pendel¬
blut zwischen Peripherie und Hypogastrikusgebiet Widerstände ent¬
gegenstellen; meistens liegt hier eine Stauung im rechten Ventrikel
vor. Schließlich begegnen wir noch der nachträglich ansteigenden
Kurve mit ihrer primären Senkung. Hier steigt nach Beendigung
der Arbeit die Kurve weiter an. Sie ist charakteristisch für larvierte
oder manifeste Hypertrophie des linken Ventrikels. Daß diese Kurven
uns tatsächlich über den jeweiligen Zustand des Herzens orientieren,
geht einmal daraus hervor, daß wir sie niemals bei der ja nur
sekundenlang dauernden Prooearbeit bei Gesunden finden, es sei denn,
daß, wie schon oben erwähnt, bei primärer Schädigung des Vaso¬
motorenzentrums die Kurve negativ wird, zweitens aber, daß wir
dieselben Kurven erhalten, wenn wir statt des Volumens den Druck
verzeichnen lassen. Beim gesunden Herzen steigt nach der Arbeit
der Blutdruck, um ebenso schnell zu sinken, analog dem Aufstieg
im Plethysmogramm. Verzögerte sich der Abstieg entsprechend dem
trägen Abfall der Weberschen Kurve, so liegen, worauf Gräupner
zuerst hingewiesen hat, Stauungen im rechten Herzen oder im
Splanchnikusgebiet vor. Aber auch die nachträglich ansteigende Kurve
Webers findet ihr Analogon in jenen Fällen, in denen nach der
Arbeit der Blutdruck zunächst sinkt, um erst später erheblich über
den Ruhewert zu steigen. So besteht ein weitgehender Parallelismus
zwischen .«Volumen und Druckkurve. Nur in einem sehr wesentlichen
Punkte ist das Plethysmogramm der Druckkurve überlegen. Es kann
nämlich bei insuffizientem Herzen je nach der Elastizität der Oe-
fäße bei der Arbeit der Druck sinken oder steigen. Im letzteren
Falle sind wir nicht in der Lage anzugeben, inwieweit die Herz¬
arbeit an dem erhöhten Druck beteiligt ist, während der Verlauf
der plethysmographischen Kurve uns ohne weiteres hierüber orientiert.
His: Es gibt keine vereinzelte Methode, aus der man die
Leistungsfähigkeit des Herzens bestimmen kann; in Zweifelsfällen
entscheidet der Versuch, ob eine aktive Therapie angebracht ist
oder nicht.
Goldscheider: Rehfisch hat alles wiederholt, was E.
Weber sagt, ohne einen Beweis dafür zu erbringen, daß die Um¬
kehrung der Volumkurve ein Beweis für die Insuffizienz des Herzens
ist, und ohne meine Einwände zu berücksichtigen. Es ist an und
für sich höchst unwahrscheinlich, daß die negative Kurve, welche
für die Ermüdung physiologisch ist, zugleich ein Symptom der krank¬
haften Herzinsuffizienz sein soll. Wenn Herzkranke diese Um¬
kehrung der Kurve zeigen, so ist damit zunächst weiter nichts be¬
wiesen, als daß bei denselben ein gesteigertes Maß der Ermüdbar¬
keit besteht. Dies ist tatsächlich längst von Kraus festgestellt.
Daraus folgt aber keineswegs, daß diese Erscheinung identisch ist
mit dem, was man klinisch Herzinsuffizienz nennt. Weber gibt
keine Krankengeschichten, sondern bezeichnet einfach diejenigen
Herzfälle, welche die negative Arbeitskurve zeigen, als insuffizient;
er setzt also das voraus, was er beweisen will. Das Irrtümliche
dieser Behauptung geht schon daraus hervor, daß er mit einer
Hochfrequenzsitzung die negative Kurve in eine positive sich ver¬
wandeln sieht.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
144
VEREINS- UND KONORESSBERICHTE
Nr. 4
Berlin, Röntgenvereinigung, I. Xil. 1921.
Fortsetzung der Besprechung: Welche Anforderungen müssen
tn unsere Röntgen-Therapie Apparate gestellt werden? (Vgl. diese
Wochenschrift 1921 S. 1542.)
Eckhardt hebt die Vorzüge des von der Sanitas hergestellten
Apparats Hartstrahl hervor.
Scheu verlangt von einem Großtherapieapparat 1. möglichst
harte Strahlung, 2. große Intensität, 3. konstanten Betrieb und
4. Betriebssicherheit. Er teilt nicht den Standpunkt mehrerer Re¬
ferenten, daß Spannungen eines Tiefentherapieapparates von höchstens
180000 Volt vollkommen genügend seien. An Hand von Diapositiven
demonstriert Scheu die Ausdehnung des Spektrums nach seiner
kurzwelligen Seite und die Zunahme der prozentualen Tiefendosis
bei Spannungserhöhungen speziell solcher über 180000 Volt. Die
Veifa-werke glauben deshalb mit ihrem Apparat, der es ermöglicht,
Spannungen bis 200000 Volt an der Röhre aufrechtzuerhalten, auf
dem rechten Weg zu sein. Es folgt Erklärung des Intensivreform¬
apparates an Hand von Zeichnungen auf die Tafel. Zum Schluß
kündigt Scheu noch einen neuen Apparat der Veifa-Werke an, ein
Instrumentarium ähnlich dem Intensivreform, für Spannungen bis
250000 Volt an der Röhre bei einer Röhrenbelastung von 6 bis
8 Milliampere.
Carelli a. G. (Buenos-Aires): Röntgenographie der Niere. Da
die Niere sich außerhalb des Peritoneums befindet, wird sie mit
der Methode des Pneumoperitoneums oft nicht genügend sichtbar.
Um bei der Niere dieselben physikalischen Bedingungen zu erhalten,
wie beim Pneumoperitoneum, habe Carelli geglaubt, daß es nötig
sei, ein künstliches Emphysem in der Fettschicht, welche die Niere
umgibt, zu schaffen. Dies wird mit folgender Technik ausgeführt:
Nachdem man eine gewöhnliche Nierenaufnahme gemacht hat, wobei
zwei kleine Metallpunkte zwischen Niere und der Wirbelsäule auf
die Haut des Patienten geklebt werden, kann man sehen, welcher
von den beiden Punkten am nächsten dem zweiten Processus trans-
versus liegt. Sobald dieser gewünschte Punkt durch diese Methode
gefunden ist, sticht man eine feine Platinhohlnadel, die ungefähr
10—12 cm Länge hat, ein. Indem man die Nadel einführt, sucht
man den zweiten Processus transversus zu berühren. Sodann sucht
man nach oben über den Prozessus durchzugleiten und noch 2 bis
3 cm weiter durch das muskulöse Gewebe durchzustoßen. Bei einigen
Kranken sieht man sofort an den Schwingungen des Manometers
den Atmungsdruck. Jedoch bei anderen Kranken wiederum muß
man etwas Gas hineinpressen, um diese Schwingungen am Mano¬
meter zu sehen. Sobald man diese Schwingungen am Manometer
sieht, ist man sicher, sich in der Fettmasse, welche die Niere umgibt,
zu befinden. Jetzt füllt man diese Gegend mit Gas (Kohlensäure),
um ein künstliches Emphysem zu erzeugen. Die Injektion selbst
führt man mit einem Forlanini-Apparat aus. Die Absorption der
Kohlensäure im Gewebe und im Organismus geht sehr schnell vor
sich, und aus diesem Grunde muß man die Radiographie sehr schnell
ausführen. Die Menge des eingeführten Gases beträgt zwischen
200 und 600 ccm, je nach der Dicke des Patienten. Das kleine
Druckgefühl, welches die Kranken nach der Injektion empfinden,
verschwindet innerhalb V« Stunde. Man kann mittels dieser Prozedur
auch die Nebenniere sehen. Diese Methode wird in Zukunft sehr
wichtig sein zum Studium der Nebennierenerkrankungen. (Es folgt
eine Demonstration zahlreicher mit dieser Methode {gemachter Auf¬
nahmen. Die Aufnahmen sind selten schön gelungen!)
Besprechung. Paul Rosenstein spricht über sein bereits
im Mai d. Js. in der Berliner Urologischen und tn der Berliner
Chirurgischen Gesellschaft bekannt gegebenes Verfahren der Sauer¬
stoffeinblasung in die Nierenfettkapsel, das er „Pneumoradio¬
graphie des Nierenlagers“ nennt. Die Arbeit ist erschienen
in Nr. 11 der Zschr. f. Urol. 1921. Rosen stein ist auf die Idee
der Pneumoradiographie gekommen durch die Beobachtung, daß bei
gashaltigem Kolon die linke Niere deutlicher hervortritt und daß
ein Nierenstein besser sichtbar ist, wenn man in das Nierenbecken
Sauerstoff einbläst. Der den Schatten gebende Fremdkörper bzw.
das menschliche Organ wird in seinen Konturen deutlicher sichtbar,
wenn er von einem Sauerstoffmantel umgeben ist. Rosenstein de¬
monstriert die gänzliche Ungefährlichkeit der ambulatorisch auszu¬
führenden Methode an der Hand von Abbildungen und zeigt zahl¬
reiche Diapositive und Originalplatten, aus denen der Wert des er¬
haltenen radiographischen Nierenbildes für die Diagnostik hervor¬
geht. Ferner zeigt Rosenstein eine stereoskopische Aufnahme
einer gesunden Niere nach seinem Verfahren, an der man in be¬
sonderer Schönheit das Organ plastisch vor Augen hat: Es hebt
sich auf dem Bilde deutlich die Leber, der M. psoas und die Neben¬
niere sowie ein vor dem Organ liegender Dünndarm ab. Rosen¬
ste in bemerkt, daß in den stereoskopischen, pneumoradiographischen
Aufnahmen die Zukunft der Röntgendiagnostik der Nierenkrankheiten
liegt, da man durch sie auch die kleinste Veränderung des Organs
wie bei einer operativen Probefreilegung erkennen kann. Wenn
Rosenstein auch ausdrücklich bekennt, daß ihm jeder Prioritäts¬
streit fern liegt, so glaubt er doch betonen zu müssen, daß wir
das Recht haben, die Pneumoradiographie als eine deutsche Er¬
findung in Anspruch zu nehmen. Otto Strauß.
Freiburg, Medizinische Gesellschaft, 29. IX. I92I 1 ).
Offizielles Protokoll.
Vorsitzender: Ziegler. Schriftführer: Rominger.
Lexer: Ueber die Entstehung von Pseudarthroseo. Lexer be¬
spricht das Krankheitsbild der sog. Spontan-Pseudarthrosen (durch
Umbauzone, Looser), zeigt die Röntgenaufnahmen einer Patientin,
bei welcher sich allmählich im Anschluß an einen Fall Pseudarthrosen
in den 4 Schambeinästen ausgebildet hatten. Die Versteifung des
Beckens wurde durch Knochentransplantation erreicht. Im übrigen
sind für die Entstehung der Pseudarthrose die Verhältnisse wichtig,
welche sich aus der Bruchhyperämie der erhaltenen bzw. der ge¬
schädigten Gefäßbezirke des Knochens ergeben.
Adrion: Untersuchungen über Diffusionsvorglnge in den harten
Zahnsubstanzen. Die Frage des Durchlässigkeitsvermögens der harten
Zahnsubstanzen ist von Bedeutung für eine Reihe von Problemen.
Wirken Zement, Dentin und Schmelz wie eine semipermeable Membran,
oder verhalten sie sich wie eine Tonzelle? Auf Grund von Ver¬
suchen, die an extrahierten Zähnen ausgeführt wurden, wird fest¬
gestellt, daß die harten Zahnsubstanzen Diffusionsvorgänge in zwei
entgegengesetzten Richtungen gestatten. Kristalloide (Natriumnitrit,
Kochsalz u. a.) und Kolloide (Stärke, Serum) diffundieren in der
Richtung Pulpakavum-Zahnaußenfläche. Die Untersuchungsergebnisse
in bezug auf den Schmelz sind nicht eindeutig, da dieser häufig
Rißbildungen aufweist. Diese Schmelzsprünge, auf die Nieder¬
gesäß und Schwarz aufmerksam gemacht haben, sind viel häu¬
figer, als man anzunehmen geneigt ist. Sie sind im Munde des
Patienten dadurch sichtbar zu machen, daß man auf den trockenen
Zahn, von der Seite her, einen konzentrierten Lichtkegel richtet An
extrahierten Zähnen lassen sich die Sprünge färben, indem man
Farbe durch den Schmelz saugt. Dabei färben sich die nur an¬
scheinend klaffenden Sprünge, während die kleinsten Sprünge un¬
gefärbt bleiben. Untersuchungen dieser gefärbten Zähne an der
Gullstrandschen Spaltlampe sprechen dafür, daß das Schmelzober¬
häutchen über den Kleinsten Rissen nicht einreißt. Die Untersuchungen
von Bauchwitz in bezug auf den Schmelz sind nicht beweisend,
auch wenn er Zähne zu seinen Untersuchungen benützt hat .die
noch nie belastet waren, da auch diese Sprungbildungen aufweisen
können. Auch in der Richtung Zahnaußenflädie-Pulpenkavum läßt
sich ein Durchlässigkeitsvermögen demonstrieren, indem man in den
Zahn eine Kapillare einkittet und Salzlösungen von außen eindif¬
fundieren läßt. Dadurch ist der Beweis erbracht, daß Zement und
Dentin nicht wie eine semipermeable Membran wirken, sondern daß
Diffusionsvorgänge auf kapillarem Wege stattfinden. Hermann
ließ Pyoktaninlösung von außen in den Zahn diffundieren und fand
im Pulpakavum nur farblose Flüssigkeit. Daraus schließt er, daß
Zement und Dentin sich wie eine semipermeable Membran verhalten.
Dieser Schluß ist nicht berechtigt, da die Farbstoffteilchen' durch
Adsorption von der Wurzelkanalwand festgehalten werden und diese
nur dem Lösungsmittel den Durchtritt gestattet. Versuche, die zum
Vergleich auch mit einer Tonzelle ausgeführt wurden, zeigen, daß
Zement und Dentin sich genau so verhalten wie eine poröse Scheide¬
wand. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen dürfen nicht vor¬
behaltlos auf den pulpenlosen oder Gangränzahn, der noch in der
Alveole steht, übertragen werden.
Besprechung. Aschoff: Die Beobachtungen über die Dif¬
fusionsvorgänge am Dentin stimmen überein mit Beobachtungen an
der epiphysären Wachstumszone der Knochen, wo die innerhalb der
verkalkten Knochenstückchen stehengebliebenen Reste verkalkter
Knorpelgrundsubstanz allmählich aufgezehrt werden, was nur durch
Diffusionsprozesse innerhalb der Knochensubstanz denkbar ist. Hier
spielen die Kanälchen der Knochenkörperchen die gleiche Rolle wie
die Dentinkanälchen.
Vereinigung Sächsisch-Thüringischer Kinderärzte,
27. XI. 1921.
Offizielles Protokoll.
Vorsitzender: Brückner (Dresden). Schriftführer: Hohlfeld (Leipzig).
Oraupner (Dresden) demonstriert u. a. das Präparat einer hypo-
plastischen Schilddrüse von einem Säuglinz, der klinisch besonders
durch die athletenhafte Ausbildung seiner Muskulatur aufgefallen war.
Brückner (Dresden) demonstriert ein 2jflhriges Mädchen mit
einem nicht venerischen Qenitalgeschwür.
Schob (Dresden): a) Zur Kenntnis der juvenilen (Vogt-Splelmeyer-
schen) Form der amaurotischen Idiotie (mit Lichtbildern). Mädchen
arischer Abstammung, keine nachweisbare Familiarität. Bis zürn
6. Jahre normale Entwicklung, dann Krämpfe, geistiger Stillstand, fort¬
schreitende Verblödung, fortschreitende Erblindung; Optikusatrophie,
Pigmentatrophie der Netzhaut, der kongenital-syphilitischen sehr
ähnelnd. Zuletzt Erscheinungen schwerer schlaffer Lähmung (sinkt,
aufgestellt, einfach in sich zusammen), Tod mit 15 Jahren. Makro-
skop: Kleinheit des Gehirns, mäßige Verdickung der Pia. Mikro¬
skop: Allörtlidie Ganglienzellblähung, auch Dendriten, besonders
an Purkinjezellen, vielfach lokal gebläht; aber auch in Hirnrinde
großenteils nur partielle Erkrankung der Zellen. Einlagerung von
*) Bei der Redaktion eingegangen am 26. XII. 1921.
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSiTT
VEREINS- UND KONORESSBERICHTE
145
26. Januar 1922
Massen, die sich mit Scharlachrot leuchtend rot färben, mit Heiden¬
hain sowie bei Markscheidenfärbung nach Weigert und Spiclmeyer
nicht zur Darstellung kommen. In den GliazeHen lipoide Massen von
gleichem Farbton. Typisches Fibrillenbild; Randverdrängung der Fi¬
brillen in den Zellkörpern, in den partiell erkrankten Zellen Fibrillen
mit Kern seitlich verlagert, ebenso in den lokalen Dendritenauftrei¬
bungen; an den Achsenzylindern der Purkinjezellen vielfach lokale
spindlige Auftreibungen. Mark, auch der Rinde und des Optikus, nor¬
mal. Starke Randgliose der Hirnrinde; starke Vermehrung von faser-
bildenden Spinnenzellen in der tiefen Rindenschicht; starke herd¬
förmige Wucherung von Bergmannschen Fasern in der Klcinhirnrinde.
b) Chronische Krankheitsbilder nach Encephalitis lethargica bei Kindern
(alt Demonstrationen). 1. 9 jähriges Mädchen, Enzephalitis vor zwei
Jahren; hartnäckige Schlaflosigkeit; Störungen der Atmung; Herab¬
setzung der Intelligenz, Charakterveränderungen. 2. Extrapyramidaler
Symptomenkompiex (akinetisch-hypertonisches Syndrom) bei 131/ajäh-
rigem Knaben. Enzephalitis März 1920. Schlafsucht; später Bild der
jugendlichen Paralysis agitans sine agitatione. 3. 7y*jähriger Knabe.
Mai 1920 Enzephalitis. Schlafsucht Februar 1921. Allgemeine Steifig¬
keit, starke Retropulsion, Dysarthrie; keine Pyramidensymptome.
Krankheitsbild zeigt jetzt noch leichte Progression. 4. Zur Differential¬
diagnose zwischen Encephalitis epid. und zerebraler Kinderlähmung.
5>/rjähriger Knabe. März 1920 Cnorea, danach auffällige Schlafsucht
mit nächtlicher Schlaflosigkeit. Rigidität der linkseitigen Extremitäten,
Sehnenreflexe links etwas stärker als rechts, spastisch-paretischer
Gang. Hängt nach links vorn; oft Propulsion. Kein Babinski, keine
Differenz der Bauchdeckenreflexe.
Rund (Dresden): Zar Klinik der Encephalitis epidemica im Kindes¬
alter. Bericht über 15 an der Kinderheilanstalt zu Dresden beob¬
achtete Fälle. Unter den 11 akuten Fällen befanden sich 4 Säug¬
linge, die sehr verschiedene Krankheitsbilder boten. Bei zweien stand
im Vordergrund der lethargische Zustand. Ein Kind genas völlig, das
andere zeigte bei Nachuntersuchungen Intelligenzdefekte. Der dritte
Fall bot anfangs das Bild einer Meningitis; der 4. neben myoklonischen
Zuckungen starke Hypertonie der Muskulatur. Die beiden letzteren
starben. Bei einem 2 jährigen Kinde, das lange Zeit sich wie eine
spastische Diplegie verhielt, konnte die Diagnose erst durch Nach¬
untersuchung gesichert werden. 3 Fälle zeigten das choreatisch-
lethargische Krankheitsbild. Von diesen wurde ein Kind geheilt ent¬
lassen, eines starb, bei dem 3. entwickelte sich das typische Bild des
amyostatischen Symptomenkomplexes. 2 Fälle gehörten zur me-
ningitischen Form. Ein als abortiv bezeichneter Fall zeigte neben ;
Schluck- und Sprachstörungen sowie Hypertonie der Arme und Beine
noch wechselndes Verhalten der Patellarreflexe. Von den im Spät- [
Stadium eingelieferten Fällen zeigte der eine Agrypnie und einen '
während des Krankheitsverlaufes aufgetretenenen ethischen Defekt.
(Von Schob demonstriert.) Ein Fall zeigte das ausgesprochene Bild
des amyostatischen Symptomenkomplexes. Bei den beiden anderen ,
war dieses Bild nicht so deutlich ausgesprochen, doch ermöglichten die ;
psychischen Erscheinungen eine Sicherung der Diagnose. Differential- j
diagnostisch ist bei den nicht typischen akuten Formen zu achten auf !
die vorübergehenden Störungen im Gebiet der Augennerven und des ;
Fazialis, die Anfälle von keuchender Atmung, die Atemlähmungen, '
Schluckkrämpfe und das wechselnde Verhalten der Sehnenreflexe. Bei
jungen Kindern ist an den akuten zerebralen Tremor zu denken. Bei i
den Spätfolgen mit wenig ausgesprochenen körperlichen Symptomen
ist besonders auf das eigentümliche psychische Verhalten zu acnten.
Besprechung. Ibrahim (Jena) glaubt, daß man dem extra- '
pyramidalen Symptomenkompiex auch beim Little begegne.
Hohlfeld (Leipzig) berichtet über den rapiden Verlauf der En- 1
cephalitis lethargica bei einem 4 Wochen alten Brustkinde. Am ersten
Tage nicht zum Trinken wach, zu bekommen, am zweiten dieselbe j
Schlafsucht und Speichelfluß, am dritten schlaffe Lähmung der Beine,
keine Patellarreflexe, vertiefte, am Nachmittage pausierende Atmung.
Liquor klar, Sediment o. B., steril. Temperatur nicht über 38°. Am
Morgen des 4. Tages Exitus. Sektion: Bronchitis, beginnende
bronchopneumonische Herde, starke Hyperämie des Gehirns, mikro¬
skopisch herdförmige Enzephalitis. Vater kurz vor der Erkrankung
des Kindes Angina, Mutter Schnupfen.
Brückner (Dresden) denkt an eine Verwandtschaft der Enze¬
phalitis mit der jetzt von ihm häufiger beobachteten Poliomyelitis.
Frank (Leipzig): Ueber Hernla diaphragmatlca spnrla coogenlt
V* Jahr altes Kind; bis zu 7 Wochen gute körperliche Entwicklung,
aber asphyktische Anfälle von wechselnder Dauer und wechselnder
Zahl. Atmung in bezug auf Atemgröße und Frequenz stets unregel¬
mäßig. Bisweilen bemerkte die Mutter ein kollerndes, hohles Ge¬
räusch, von dem sie nicht angeben konnte, ob es aus der Brust
oder dem Bauche stammt. Leidlich entwickeltes Kind mit der in
der Anamnese beschriebenen Atmung. Linke untere Thoraxhälftc
bewegt sich bei Atemexkursion geringer als die rechte. Lungen¬
befund normal, links wechselnder Klopfschall; Atemgeräusch nur in
den oberen Partien wahrzunehmen, sonst links aufgehoben. Herz
nach rechts verlagert, sonst o. B. Leib schmal und flach, kontrastiert
auffällig mit dem hohen und breiten Thorax. Leber vergrößert,
Milz anscheinend als Tumor unter dem rechten Rippenbogen zu
fühlen. Durchleuchtung nach Abführen zeigt Dextrokardie, in der
ünken Thoraxhälfte nur oben lufthaltiges Lungengewebe, dann nach
unten unregelmäßige Verschattung, bauch zeigt keine Eingeweide¬
struktur. Leber deutlich vergrößert, Milz nicht zu sehen. Bei den
fortlaufenden Röntgenuntersuchungen mit Citobaryum zeigt sich, daß
kein Passagehindernis im Darm besteht; Magendarmtraktus nach
14 Stunden leer. Magen ziemlich median gelegen, bis ins kleine
Becken reichend und mit der großen Kurvatur nach vorn gestellt;
Pylorusanteil nach hinten gelegen und nicht zu erkennen. Das ganze
Dünndarmkonvolut in der Brusthöhle. Auch das Zökum liegt lateral
an den Rippen noch über dem Zwerchfell. Aszendens verläuft quer
bis zum Mediastinum, Transversum liegt nur zu einem Teile in der
Pleurahöhle, verläßt dieselbe median und scheint mit seiner Flexura
Iienalis in der Milzgegend fixiert zu sein. Colon descendens nimmt
normalen Verlauf. Die Diagnose des als Hemmungsbiklung auf¬
zufassenden Leidens klinisch auf Grund des auffallend leeren Bauches,
des wechselnden Perkussionsbefundes auf der linken Seite und des
Fehlens oder gering zu hörenden Atemgeräusches daselbst, sowie
durch die Dextrokardie zu stellen; ferner röntgenologisch. Gestützt
kann die Diagnose durch die Abnormität der Atmung mit epigastri¬
schen Einziehungen und die asphyktischen Anfälle werden. Letztere
könnten durch Druck auf den Vagus erklärt werden oder dadurch,
daß es durch lebhafte Darmperistaltik, durch Ingesta und Gasansamm¬
lungen im Darm zu einer Verdrängung des Mediastinums nach rechts
kommt und Zirkulationsstörungen von seiten des Herzens und der
Gefäße bewirkt werden. Die Prognose in erster Linie von der
Größe des Druckes abhängig; ie mehr Eingeweide in der Bruch¬
höhle, desto größer die Atembeschränkung, die in den meisten
Fällen den Tod herbeiführt. Auch die Gefahr der Brucheinklemmung
nicht außerachtzulassen. Therapie im allgemeinen symptomatisch.
Die Indikation zur Operation nur bei Inkarzerationserscheinungen
gegeben.
Besprechung. Walther (Chemnitz) erwähnt 2 von Reichel
(Chemnitz) mit Erfolg operierte Fälle, die nach Schußverletzungen
entstanden waren.
O. Köhler (Leipzig): Ueber Erfahrungen mit Masernrekon¬
valeszentenserum. Aus der Entdeckung von Degkwitz über die
Schutzwirkung des frühzeitig in der Inkubationszeit applizierten
Masernrekonvaleszentenserums wurde bei drei zeitlich auseinander¬
gelegenen Saalinfektionen Nutzen gezogen. Alle 3 Hausinfektionen
wurden zum Erlöschen gebracht. Von 21 gefährdeten und deshalb
geschützten Kindern erkrankten allerdings 2 der Infektion besonders
stark ausgesetzte Kinder trotz rechtzeitiger Injektion an leichten
Masern. Die vorgeschriebene Dosis 4—6 ccm dürfte bei sehr mas¬
siver Infektion vielleicht etwas höher zu wählen sein.
Besprechung. Weber (Dresden) fragt als Präsident des
Landesgesundheitsamtes, ob es sich empfehle, der Anregung statt¬
zugeben, in Dresden eine Serumsammelstelle für Sachsen einzurichten.
Hohlfeld (Leipzig) und Duken (Jena) verneinen das, der
erstere möchte aber, daß in den Krankenhäusern wenigstens für
besonders gefährdete Kinder Serum zur Verfügung steht, der letztere
weist auf die mit der Züchtung des Masernerregers eröffnete Mög¬
lichkeit eines anderen Verfahrens hin.
Brückner (Dresden) fürchtet, daß die Serumbehandlung an der
Schwierigkeit der Materialbeschaffung scheitern wird.
Rupprecht (Leipzig): Klinische Beobachtungen zur Frage des
alimentären Fiebers. Nach Darlegung der Auffassungen Moros und
Finkeisteins vom alimentären Fieber berichtet der Vortragende
über die Erwägungen, die er dem weiteren analytischen Studium
des relativen Durstfiebers zugrundelegte. Die Ergebnisse seiner Be¬
obachtungsreihen waren folgende: Bei Verabreichung von Butter-
Mehl-Zuckerbrei aus Milch (Moroscher Butter-Mehlbrei, 7 o/o Mehl,
5o/o Butter, 5<yo Zucker) kann Fieber auftreten, bei Ersatz der Milch
dieses Breis durch Wasser unter Berücksichtigung gleichen Trocken-
substanzgehaltes der Nahrung bleibt das Fieber aus, woraus der
Schluß gezogen wird, daß der auf den Wassergehalt der Nahrung
bezogene relativ große Fett- und Kohlenhydratgehalt für das Ein¬
treten der Fieberreaktion nicht maßgeblich ist. Bei Zulage von
Plasmon zu Butter-Mehl-Zuckerbrei aus Milch können febrile Tem¬
peraturen beobachtet werden. Diese verschwinden jedoch bei Er¬
satz der Milch durch Wasser, auch dann, wenn der Eiweißgehalt
des Wasser-PIasmonbreies dem des Milch-Plasmonbreies gleichge¬
macht wird. Die Verwendung vorverdauter Milch vermag keine
Temperatursenkungen zu erzielen. Bei Verwendung von Butter-Mehl-
Zuckerbrei aus Molke wurden Temperatursteigerungen beobachtet,
bei solchem aus enteiweißter Molke dagegen nicht, wohl aber bei
Anwendung von Butter-Mehl-Zuckerbrei aus Frauenmilchmolke. Das
Nichteir.treten einer Fieberreaktion bei Verwendung des Butter-Mehl-
Zuckerbreis aus enteiweißter Molke zeigt, daß die relativ hohe Salz¬
konzentration dieser Nahrung ohne Bedeutung ist. Wird zu ent¬
eiweißter Molke ein Eiweißpräparat hinzugefügt, so wird auch wieder
Temperatursteigerung beobachtet. Bei Fortlassen des Zuckerzusatzes,
unter äquikalorischem Ersatz desselben durch Fett, tritt eine Tem¬
peratursenkung nicht ein. Aus diesen klinischen Beobachtungen wer¬
den folgende Schlüsse gezogen: Das relative Durstfieber tritt auf,
wenn drei Bedingungen zugleich erfüllt sind, 1. wenn die Konzen¬
tration der Nahrung einen bestimmten Grad erreicht hat, 2. bei re¬
lativer Eiweißanreicnerung, 3. bei Gegenwart des eiweißfreien Mol¬
kenanteiles. Es gelten beim relativen Durstfieber bzgl. der Molken-
Eiweißbedingung die Gesetze des Molken-Zuckerfiebers. Die den
pathologischen Prozeß einleitende Rolle, welche beim Molken-Zucker-
fieber der Zucker spielt, wird beim relativen Durstfieber von dem
Konzentrationsgrad der Nahrung übernommen. Für das Zustande¬
kommen der Fieberreaktion ist die Anwesenheit des eiweißfreien
Molkenanteiles notwendig. Worin seine Bedeutung und Wirkung
liegt, ist noch nicht geklärt.
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSUM
146
VEREINS- UND KONORESSBERICHTE
Nr. 4
Ooebel (Jena): Ueber virginelle Laktation. Eine 3 Monate alte
virginelle Ziege wird von jungen Kaninchen angesaugt und laktiert
in Mengen von täglich 20—500 ccm bis zum Lammen. Das Sekret
der Milchdrüse ist Milch, nicht Kolostrum, anfangs mit einem Fett¬
gehalt, der halb so hoch ist wie der der Norm, mit normalem
Eiweiß- und Milchzuckergehalt. Mikroskopisch reichliche Kolostrum¬
körperchen. In der Periode kurz vor dem Lammen ist die Zu¬
sammensetzung der Milch normal geworden, die Kolostrumkörper¬
chen sind verschwunden. Ooebel ist mit Pfaundler der Ansicht,
daß durch das Phänomen der virgineilen Laktation die gebräuch¬
lichen Laktationstheorien nicht widerlegt werden.
J. Duken (Jena): lieber den geeigneten Zeitpunkt zur Korrektur
rachitischer Vericrümmungen. Die Behandlung der Rachitis mit der
künstlichen Höhensonne nach dem Vorschläge von Huldschinsky
ermöglicht eine unverhältnismäßig schnellere Heilung, als sie bis¬
her gelingen konnte. Der Zusatz von Medikamenten ist bei (Uesen
Behandlungsart nicht unbedingt erforderlich, doch sind Kalkgaben
mindestens zu empfehlen. Nicht unterlassen werden sollte dagegen
die diätetische Behandlung, die ihre Bedeutung ohne Zweifel oe-
halten wird. Die Bestrahlungserfolge bei der osteopsathyrotischen
Form der Rachitis sind denen bei der gewöhnlichen Rachitis analog.
Die beginnende Heilung der Rachitis zeigt sich in sehr charak¬
teristischen Symptomen, die ganz besondere Beachtung verdienen.
Im Röntgenbild schwindet der trübe Knorpelschatten der Epiphysen¬
knorpel, der trüber und wolkiger ist, je florider das Stadium der
Rachitis; das becherförmige Ende der Metaphysen fängt an, sich
auszufüllen, und strebt einer mehr geradlinigen Begrenzung zu, unter
Einsatz der Kalkablagerung. Epiphysenkerne, die aus Kalkmangel
röntgenologisch nicht dargestellt wurden, treten deutlich in Er¬
scheinung oder, falls sie bei unregelmäßiger, zackiger Begrenzung
schon sichtbar waren, nehmen sie langsam ihre normale Form an.
Klinisch zeigt sich ein absoluter Umschwung in der Stimmung des
erkrankten Kindes. Die Schmerzhaftigkeit der Glieder nimmt schnell
ab, die Hautfarbe, die grau-fahl war, wird frischer, die Katarrh¬
bereitschaft tritt zurück, allerdings ziemlich langsam. ’ In dem Augen¬
blick, wo diese röntgenologischen wie klinischen Heilungsvorgänge
sich deutlich zeigen, ist die -Korrektur rachitischer Verkrümmungen
vorzunehmen durch Geradebiegen und Eingipsen der betreffenden
Glieder. Die Höhensonnenbehandlung nimmt dabei ihren Fortgang.
Nicht ratsam ist es, die rachitisch verkrümmten Glieder schon im
floriden Stadium korrigieren zu wollen. Die Korrektur bedingt eine
Narkose, ja auch während des Eingipsens ist diese wohl nicht zu
entbehren. Die Narkose ist aber für aas rachitische Kind ein lebens¬
gefährlicher Eingriff wegen der Pneumoniegefahr und darf erst dann
vorgenommen werden, wenn der Augenblick in der Heilung erreicht
ist, wo die Katarrhbereitschaft schon wesentlich zurückgetreten und
damit die Gefahr der eventuell nachfolgenden Pneumonie gering
geworden ist. Unsere Beobachtungen bei der von Prof. Magnus
(Jena) an unseren Rachitikern vorgenommenen Korrektur haben ge¬
zeigt, daß auch bei den in der Heilung bereits ziemlich weit voran¬
gegangenen Fällen trotz stärkerer Kalkablagerungen die Korrektur
immer noch leichter durchzuführen war als z. B. bei den nach
erfolgter Heilung unter dem Erweichungsverfahren behandelten Fäl¬
len. Nach erfolgter Korrektur, die im beginnenden oder auch wenig
vorgeschrittenen Stadium der Heilung der Rachitis vorgenommen
wird, zeigt sich, daß der im Gips ruhiggestellte Knochen unter der i
Höhensonnenbehandlung seinen Kalk sehr gut weiter ansetzt. Trotz
der Inaktivierung des betreffenden Gliedes wird der Kalk genau
so gut abgelagert wie bei den nicht inaktivierten Knochen. Diese
Beobachtung konnte auch gemacht werden bei jenen nach unserm
Vorschlag behandelten Rachitikern, die völlig ausgestreckt und ruhig
im Bett lagen bis nach der Abnahme des Gipses. Daraus geht her¬
vor, daß der rachitische Knochen sich in dieser Beziehung anders
verhält wie der gesunde, der bei der Inaktivierung atrophieren, Kalk
abbauen würde. Die Kalkapposition bei der Rachitis ist also anders
als beim normalen Knochen. Unser Vorschlag für die Behandlung
der Rachitiker, die Gliederverkrümmungen aufweisen, würde folgen¬
der sein: Sofortige Behandlung mit künstlicher Höhensonne in jedem
Fall von Rachitis, besonders auch der osteopsathyrotischen Form,
unter Beibehaltung der bisher üblichen diätetischen Behandlung. Be¬
achtung der Heilungssymptome. Modellierendes Geraderichten der
verkrümmten Glieder im Gipsverband in dem Augenblick, wo die
fortschreitende Heilung die Pneumoniegefahr bereits bis aufs äußerste
zurück gedrängt hat, und Fortsetzung der Bestrahlung bis zur völligen
Ausheilung. Das Zusammenarbeiten von Kinderarzt und Orthopäden
ist in der Rachitisbehandlung unumgänglich notwendig.
Besprechung. Sehefcher (Dresden) fragt, in welcher Form
der Kalk gegeben wurde.
Bah rat (Dresden) betont die Wirksamkeit der Höhensonnen¬
behandlung.
Baron (Dresden) ist in manchen Fällen nicht zum Ziel ge¬
kommen.
Ibrahim (Jena) hält das Zusammenarbeiten von Orthopäden
und Kinderärzten für notwendig.
Grün er t (Dresden) hat die Kinder schon nach 14 Tagen aus
dem Gips genommen.
Duken gab Calcium lacticum oder antirachitisches Pulver.
R. Sch eich er (Dresden): Diphthosan bei Diphtheriebazillentrifern.
Nach dem Vorschlag H. Langers wurden im Dresdner Säuglings-
Verantwortllcber Redakteur: Oeh. San.-Rat Prof. Dr.J.Scb
heim Diphtheriebazillenträger mit Flavizid 1:5000 in Form von Di-
phthosanspülungen behandelt. Stündlich wurden dem liegenden Säug¬
ling mittels Pipette je 6 Tropfen in jedes Nasenloch eingeträufelt,
auch nachts, wenn das Kind gerade munter war. Die Spülflüssigkeit
wurde meist verschluckt, ohne daß störende Einflüsse auf die Ver¬
dauung, noch sonst irgendwie lokalen Reizerscheinungen beobachtet
wurden. Die Anzahl der behandelten Fälle betrug 16, bei einer
Behandlungsdauer von 3—24 Tagen, im Durchschnitt 11 Tage.
4 Fälle zeigten blutigen Schnupfen; 8 Fälle hatten positiven Nasen-
und Rachenabstrich, die anderen nur positiven Nasenabstrich. Die
Beobachtungszeit nach Aufhören der Behandlung erstreckte sich auf
12 bis über 100 Tage. Ein Fall wird besonders erwähnt, der nach
Seruminjektion 8 Wochen lang positive Abstriche hatte, dann nach
6 Tage langer Diphthosanbehandlung dauernd freiblieb. Rezidive
traten 4mal auf. Nur 1 Mißerfolg bei einem Fall, der durch beider¬
seitige Otitis media mit positivem Diphtheriebefund kompliziert war.
Es wird zu weiteren Versuchen mit dieser Methode aufgefordert,
da sie verhältnismäßig schonend ist und besonders auch die Schleim¬
haut des hinteren Nasenrachenraumes auflockert und bespült, die
sonst einer Behandlung kaum zugängig wäre.
Besprechung. Hohlfeld (Leipzig) verhält sich den Er¬
folgen des Vortragenden gegenüber skeptisch, weil eine lange Be¬
obachtung von Diphtheriebazillenträgern den Wechsel von positivem
und negativem Befund lehrt.
Brückner (Dresden) hält die Zeit für die Nachuntersuchung
zu kurz bemessen.
Bahrdt (Dresden) hält zum mindesten die stark bakterizide
Wirkung des Mittels für erwiesen.
Kuntze (Dresden): lieber neue Salvarsanpriparate. Ein neues,
von Kolle dem Dresdner Säuglingsheim zur Verfügung gestelltes
Sulfoxylat Nr. 1882 bzw. 1917 wurde seit 8 /s Jahren zur Behandlung
von 45 Fällen kongenitaler Syphilis verwandt. Es wurde pro Kilo¬
gramm des Körpergewichts 0,1—0,2 ccm der gebrauchsfertigen
10o/oigen Lösung in lOtägigen Intervallen intravenös bzw. intra¬
muskulär gegeben; insgesamt 10 Injektionen. Auf frische Erschei¬
nungen wirkte es bei weitem nicht so schnell wie Silbersalvarsan,
auf die Wa.R. dagegen ebenso gut: die Hälfte der Fälle wurde
nach einer Kur (10 Injektionen) negativ. Ob die Wirkung von längerer
Dauer als beim Silbersalvarsan sein wird, muß abgewartet werden.
Jedenfalls haben wir in dem neuen Sulfoxylat ein Präparat, das als
fertige Lösung leicht zu handhaben ist und vor allem auch intra¬
muskulär sehr gut vertragen wird. Bei kongenitaler Syphilis mit
frischen Erscheinungen wird empfohlen, zunächst in 5tägigen Inter¬
vallen 2—3 Injektionen von 0,006 Silbersalvarsan pro Kilogramm des
Körpergewichts, dann anschließend in 8—lOtägigen Pausen pro Kilo¬
gramm Körpergewicht 0,15—0,2 ccm des gebrauchsfertigen 10<>/oigen
neuen Sulfoxylats zu geben.
Besprechung. Dünzelmann (Leipzig) kann nicht zur kom¬
binierten Behandlung raten. Man muo erst über ein großes, mit
einem Präparate behandeltes Material verfügen.
Kneschke (Dresden): Erfahrungen mit konzentrierten Nahrangen
bei Säuglingen. An 74 Fällen (40 Ruhr, 34 Frühgeburten) werden die
Erfolge mit konzentrierten Nahrungen besprochen. Zur Anwendung
kamen Frauenmilch + 17o/ 0 Rohrzucker, Vollmilch -f- 17o/o Rohr¬
zucker (Dubonahrung) und selten Pirquet-Brei. Dosierung nach dem
Pirquetschen Ernährungssystem, 5—6 decinemsigna anfangs, Steige¬
rung bis auf 7 und 8 decinemsigna. Normale Stuhlbilder, seltene
positive Trommerprobe, seltenes Erbrechen, völliges Fehlen von
irgendwelchen durch zu geringe Flüssigkeitszufuhr bedingten Er¬
scheinungen (Durstfieber) beweisen die gute Bekömmlichkeit der
Nahrungen. Selbst an heißen Tagen traten keine Komplikationen auf.
Alimentäre Erscheinungen, die zum Absetzen zwangen, traten ver¬
einzelt auf (bei Ruhr wurde im Oegensatz zu v. Oröer bei Auf¬
treten von toxischen Erscheinungen von der Nahrung abgegangen).
Die Nahrung wurde über lange Zeit hinaus (16 Wochen) gut ver¬
tragen. Vor allem beachtenswert ist der sehr gute Gewichtsanstieg.
Durchschnittliche Wochenzunahmen um 200 g. Nicht selten über
300 g in den ersten Wochen auch bei den Ruhrfällen. Dies ein
großer Vorzug der konzentrierten Nahrung bei Ruhr gegenüber
anderen Ernährungsarten (Eiweißmilch, Molken-Schleimtherapie), bei
denen meist starker Oewicntssturz im Anfang auftritt. Es wird noch
auf eine eigentümlich graue Hautfarbe bei länger bestehender Dubo¬
nahrung hingewiesen und erwähnt, daß Dubovollmilch dem Auf¬
treten von Kraniotabes entgegen zu wirken scheint. Für die Ruhr¬
behandlung in der Klinik ist die Mastkur nach v. Gröer die Methode
der Wahl. Bei Frühgeburten ist die konzentrierte Nahrung mit sehr
guten Erfolgen anzuwenden, da bei kleinem Volumen großer Nähr¬
wert. Bei Neugeborenen kann man durch Füttern von Dubovollmilch
schon vom ersten Tage an die physiologische Gewichtsabnahme
stark einschränken.
Flachs (Dresden): Der Personalbogen. Ein Beitrag zur Statistik
des Kindesalters.
Hohlfeld (Leipzig): Die Schlnckstfirnng intobierter Kinder läßt
zwei Formen erkennen: Die Kinder verschlucken sich, oder sie wollen
nicht schlucken. Mit der Gewöhnung an den Tubus wird die
Schluckstörung geringer. Den Wert des Verfahrens kann sie nicht
beeinträchtigen. Voraussetzung für den Erfolg ist die strenge Ein¬
haltung breiiger Kost. Bei Säuglingen kommt die Sondenemährung
in Frage. (Erscheint ausführlich im Jb. f. Kindhlk.)
===== — == - =-===== - -■■■■■ saaoBBcasacsaasasa^ ^Bant.
^albe. — Druck von Oscar Brandstatter In Leipzig.
Digitized by Gck igle
Original frem
CORNELL UNIVERSUM
PRAEMEDICUS
OfftzMfoMtttellungen der „Vereinigung Deuteoher Medlzlnalpraktlkanten“ und des «Verbandes Deuleoher Medlzinereohaftee"
VERLAG VON GEORG THIEME / LEIPZIG/ ANTONSTR.16
Numm» 2_._Donnittag, du 26. Januir 1982 2. Jahrgang
Leipziger Naturwissenschaftliche Korrespondenz.
Von P. W. Arlt in Leipzig.
ln letzter Zeit ist viel und oft vom Werkstudententum die Rede
gewesen. Inwieweit dieser an sich schöne Qedanke für die Ange¬
hörigen der einzelnen Fakultäten durchführbar ist, darüber ließe
sich streiten, und wer in vergangener Zeit diesbezügliche Abhand¬
lungen in den einzelnen Hochschulzeitungen gelesen hat, der weiß,
daß die Meinungen da sehr geteilt sind. Es liegt jedoch nicht in
meiner Absicht, die Frage des Werkstudententunis von neuem aufzu¬
rollen, sondern ich möchte nur im Folgenden auf ein Unternehmen
hinweisen, das für die Beteiligten einen schönet! Nebenverdienst
ergibt. ~ i P;
Im letzten Vierteljahr des verflossenen Jahres ist in Leipzig auf
Anregung von Prof. Dr. Woltereck die „Leipziger Naturwissen¬
schaftliche Korrespondenz“ ins Leben gerufen worden, eine Zeit¬
schrift, in der Abhandlungen aus den Naturwissenschaften und ihren
Grenzgebieten erscheinen sollen. Diese Zeitschrift wird nun von den
einzelnen Tageszeitungen gehalten, die aus ihr wieder diejenigen
Artikel entnehmen, welche sie in ihren Unterhaltungsbeilagen zur
Belehrung und Orientierung ihres Leserkreises bringen wollen. Die
Hauptsadie ist nun, daß in der Naturwissenschaftlichen Korrespondenz
möglichst aktuelle Angelegenheiten besprochen werden, die in weitem
Maße die Allgemeinheit interessieren. Da die Artikel für Laienkreise
berechnet sind, sind in den Abhandlungen Fremdworte möglichst zu
vermeiden. Lassen sich solche nicht umgehen, dann müssen sie erklärt
werden. Nur bei besonderen Fragen ist es nötig, längere Artikel ab¬
zufassen, sonst genügen kurze Artikel in der Form der bekannten
Zeitungsnotizen, da ja eben nicht für eine wissenschaftliche Zeit¬
schrift, sondern für Tageszeitungen geschrieben wird. Werden irgend¬
welche Behauptungen oder Tneonen aufgestellt, so wären dafür
Autoritäten des betreffenden Gebietes aufzuführen, da für uns, als
noch Werdende, auch wenn wir noch so recht mit neuen Behaup¬
tungen hätten, diese Form der Veröffentlichung nicht in Betracht
käme, dadurch ja auch der eigentliche Zweck verfehlt würde. Für
die Druckzeile soll zunächst als Honorar 50 Pf. gezahlt werden, jedoch
soll sobald als möglich dieses Honorar noch erhöht werden. Der
gesamte Reingewinn des Unternehmens soll wieder der Studenten¬
schaft zufließen.
Zuschriften sind zu richten an cand. rer. nat. W. Rammner,
Leipzig-Li., Demmeringstr. 42. Für uns Mediziner kämen namentlich
Artikel in Frage, die Neues aus der Medizin bringen, die die Oeffent-
lichkeit über Wissenswertes aus unserem Gebiete aufklären. Dankbar
sind z. B. Abhandlungen, die die Hygiene mit einbeziehen oder Nach¬
richten über neue Heilmittel, neue Heilmethoden bringen; es wird
nicht schwer fallen, hier immer wieder neuen Stoff zu finden. Wenn
sich uns hier nun schon ein schöner Nebenverdienst erschließt, der
den großen Vorteil aufweist, daß das Arbeitsgebiet zum Fach gehört,
so ist auch der Gesichtspunkt nicht aus den Augen zu lassen, daß
wir uns hier um die Volksbelehrung verdient machen können, was
ein weiterer Antrieb sein sollte, sich an der Naturwissenschaftlichen
Korrespondenz zu beteiligen. Die sich hier bietende Gelegenheit,
nebenbei etwas Geld zu verdienen, erscheint äußerst vorteilhaft
Wenn es auch keine Unsummen sind, die uns zufließen, so ist es doch
in dieser schweren Zeit immerhin eine Beihilfe. Auch aus Dankbarkeit
dem Begründer des Unternehmens gegenüber, der keine Mühe scheut,
in unserem Interesse zu wirken, ist eine rege Beteiligung, die die
gute Sache fördern kann, erwünscht.
Rassenil ygiene.
Von Oerhart Jörns in München.
Vor kurzem ist in J. F. Lehmanns Verlag, München, ein „Grund¬
riß der menschlichen Erblichkeitslehre und Rassenhygiene“ in
2 Bänden von Bau r-Fis eher-Lenz erschienen, von dem der
eine der Verfasser selbst sagt, daß er sich vornehmlich an die
studierende Jugend wendet. Das gibt mir Anlaß, an dieser Stelle
auf die außerordentlidie Bedeutung der Rassenhygiene für das
Schicksal unserer Rasse und unseres Volkes hinzuweisen. Unsere bis
jetzt in der Erblichkeitsforschung und Rassenbiologie erreichten Kennt¬
nisse enthalten die unbedingte innere Notwendigkeit, weit über die
Grenzen der gesamten Medizin hinaus Anwendung zu finden und in
alle akademischen Kreise zu dringen. In erster Linie muß sich
Deutsche Medizinische WoohensohrHr-Nr. 4
Digitized by Gck igle
natürlich der Student der Medizin als angehender Arzt mit dieser
iungen Wissenschaft vertraut machen. Das genannte Werk gibt ihm
in anregendster Weise dazu Gelegenheit, die um so mehr ergriffen
werden muß, da Vorlesungen über dies Gebiet bisher noch selten
f eboten werden. Zur ersten Einführung sei auch die billige kleine
chrift von Herrmann Werner Siemens, Die biologischen
Grundlagen der Rassenhygiene und der Bevölkerungspolitik (München
1917), besonders empfohlen.
Weiterhin ist es unbedingt erforderlich, daß auch in außermedi¬
zinischen Disziplinen die Erkenntnisse der Vererbungsforschung und
Rassenbiologie Eingang finden und verwertet werden.
Wenn in Spenglers „Untergang des Abendlandes“ keine Zeile
verrät, daß der Verfasser etwas von Vererbungsgesetzen und Biologie
weiß, so kann man sich darüber nicht genug wundern.
Ein Volks Wirtschaftler, dessen Verständnis für wirtschaftliche,
soziale und völkische Fragen nicht auch an den Fragestellungen
dieser Wissenschaft geschärft ist, sollte undenkbar sein. Nur Vor¬
lesungen für Hörer aller Fakultäten können hier Abhilfe schaffen.
Man mache uns jungen Medizinern nicht zum Vorwurf, daß wir
auf Wissensgebiete anderer Fakultäten zu wenig Zeit verwenden. Die
Medizin umschließt schon genug Gebiete, auf denen wir zu Hause
sein müssen. Wo sollte es ninführen, wollten wir schon als Lernende
Spezialisten sein. Die möglichst umfassende Beschäftigung mit allen
Zweigen der medizinischen Wissenschaft wird unendlich segensreich
sein für unser Volk und für uns selbst!
Aus einem Bericht des „Deutschen Fürsorge-Büro
Leipzig“ für die Erlanger Versammlung der deut¬
schen Studentenschaft.
1. Die Gesundheitsverhältnisse der Studierenden sind unter den
Nachwirkungen von Krieg und Hungerblockade und infolge der fort¬
dauernden wirtschaftlichen Bedrängung sehr ungünstig geworden,
insbesondere ist die Zahl der an Tuberkulose Erkrankten oder
von Tuberkulose unmittelbar Bedrohten erschreckend hoch. Der pro¬
zentuale Anteil der Tuberkulose an den zur kassenärztlichen Behand¬
lung kommenden Studierenden ist z. B. in Leipzig von 2,4«/© (S. S. 1914)
auf 13,llo/o (W. S. 1920/21) gestiegen; die Gesamtzahl der Tuber¬
kulösen und Tuberkuloseverdächtigen an der gleichen Universität be¬
trägt gegenwärtig etwa 150—200. Das würde, auf die gesamten deut¬
schen Hochschulen bezogen, eine Tuberkuloseziffer von 3—4000 er¬
geben. Dabei handelt es sich fast durchweg um bedürftige Stu¬
denten, die auf Hilfe angewiesen sind. Solche Hilfe kann von den
bestehenden Organisationen (Krankenkassen üsw.) nur in verschwin¬
dend geringem Maße gebracht werden. Die große Mehrzahl dieser
Studenten ist deshalb früher oder später dem Siechtum verfallen,
wenn nicht bald und giündlich geholfen wird.
2. Eine baldige und gründliche Hilfe ist nicht nur notwendig,
weil es sich um ein Menschenmaterial handelt, das für den Wieder¬
aufbau Deutschlands besonders unentbehrlich ist, sie ist anderseits
auch durchaus möglich, da erstens die große Mehrzahl der Fälle
durch rechtzeitiges Eingreifen noch in relativ kurzer Zeit zu retten
ist — bereits schwer Erkrankte müssen i. a. die Hochschulen meiden —
und da zweitens der Zahl dieser Fälle eine Hilfsaktion entsprechen
würde, die durchaus in den Grenzen der erreichbaren Geldmittel liegt.
Es würde wahrscheinlich genügen, für 500 bis 1000 Studierende eine
Sanatoriumbehandlung einzurichten, während es für die Uebri-
gen ausreichen dürfte, im Semester eine wirklich kräftige Ernährung
und in den Ferien einen (wiederholten) Erholungsaufenthalt
zu beschaffen.
3. Diese drei hauptsächlichen Abwehrmittel müßten wie folgt
koordiniert werden: a) für alle bedürftigen und tuberkuloseverdäen-
tigen Studenten ein sehr nahrhafter und sehr billiger Mittags- und
Abendtisch („Patiententisch“: in Leipzig mit Schweizer Hilfe für
1,50 Mark bzw. 1,— Mark eingerichtet), wobei für richtige Diät,
für Eier, Milch, Fleisch und evtl, besondere Stärkungsmittel zu sorgen
ist. — b) Erholungsaufenthalt auf dem Lande, an der See
öder Im Gebirge, je nach dem Urteil des Arztes. Dieser Erholungs¬
aufenthalt hat außer dem phvsischen in der Regel auch einen sehr
segensreichen psychischen Einfluß auf den Patienten. — c) Ge¬
nesungsheime oder Sanatorien, mit Liegekur, Höhensonne
usw. für die ernsteren, aber noch in absehbarer Zeit heilbaren Fälle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
148
PRAEMED1CUS
Nr. 2
4. Die für Patiententische, Erholungsaufenthalte und Genesungs¬
heime erforderlichen Geldmittel könnten teilweise schon durch
bessere Verwertung der jetzt zur Verfügung stehenden Mittel auf¬
gebracht werden, wenn das bisherige System der Studentenspeisungen
verlassen würde. Jetzt ist es so, daß sehr vielen Studenten, auch den
nicht eigentlich Bedürftigen, eine gewisse Annehmlichkeit ge¬
währt wird. Es wäre aber sicherlich viel besser, die vorhandenen
Geldsummen nicht mehr derart in kleiner Münze an Viele zu ver¬
teilen, sondern sie auf Die, die unsere Hilfe am dringend¬
sten brauchen, zu konzentrieren. Denn nur bei diesen geht es
um Leben und Tod, um Weiterarbeitenkönnen oder Erliegen. Ange¬
sichts einer so großen Notlage ist es höchst unwirtschaftlich, vor¬
handene Hilfsmittel auf möglichst viele Köpfe zu verteilen.
Von höchstem Werte würde es sein, wenn die Deutsche Stu¬
dentenschaft sich entschließen könnte, eine allgemeine Semester-
Umlage zugunsten der kranken und bedürftigen Kommilitonen zu
eifieben. Dadurch käme ein beträchtlicher Fonds zusammen, der nicht
nur direkt Segen stiften wurde, sondern der auch eine sehr stark
_ werbende Krait im In- und Auslande haben müßte. Er würde den
ernsten Willen zur Selbsthilfe auch dieser Notlage gegenüber zum
Ausdruck bringen.
5. Bedürftige Studenten, die einmal nach sorgfältigster ärztlicher
Untersuchung als „geeignete Fälle“ erkannt sind, sollten ohne Rück¬
sicht auf die Höhe der im Einzelfalle erforderlichen Geldmittel solange
unterstützt werden, bis sie gesund sind. Sie kommen also vom
Patiententisch in das Erholungs- bzw. Genesungsheim und später
wieder zum Patiententisch zurück usw. Es ist viel besser, einer
kleineren Anzahl durchgreifend zu helfen, als bei einer größeren
Anzahl eine nur vorübergehende Wirkung zu erzielen. —
6. Als besonders wichtiges Ziel betrachtet der Unterzeichnete
die Sicherung einer oder, wenn möglich, mehrerer akademischer
Lungenheilstätten im deutschen Mittel- und im Hochgebirge. Für
das Höhensanatorium kommt, da die Schweiz zu teuer ist, in erster
Linie die „Palmschoß“, oberhalb Brixen in Südtirol, in Betracht,
die nach Lage und Klima Arosa oder Davos gleichwertig ist; ferner
Hochzirl, oberhalb Innsbruck. Auch ein kleines ständiges Heim für
Herbst- und Winterkuren im südlichen Klima (etwa Meran oder Arco)
wäre von hohem Wert. In diesen Sanatorien könnten mit den Stu¬
dierenden auch kranke und bedürftige Dozenten (aus anderen Fonds)
versorgt werden, sodaß eine beschränkte Fortsetzung des Studiums
(Repetitorien) während der Kurzeit ermöglicht würde. Es ist anzu¬
streben, daß die geplante Heilstätte unter Verwaltung der Deutschen
Studentenschaft selbst steht, um eine gleichmäßige Berücksichtigung
aller deutschen und österreichischen Hochschulen zu ermöglichen.
7. Als Vorarbeit der geplanten gesundheitlichen Fürsorge ist die
Durchführung einer jährlich wiederholten obligatorischen Unter¬
suchung aller immatrikulierten Studierenden unerläßlich, sowohl
um eine sichere Srundlage für Umfang und Verteilung der notwendi¬
gen Hilfsaktionen, ferner für die objektive Auswahl der Hilfsbedürftig¬
sten zu gewinnen, als auch um die fortlaufend notwendigen Geld¬
mittel erhalten zu können. Auch dies ist heute nur noch auf Grund
genauen Zahlenmaterials möglich. Es ist dringend zu hoffen, daß die
Deutsche Studentenschaft im Gefühle der Verantwortung für den
Gesundheitszustand ihrer eigenen, für das Volksganze so wichtigen
Klasse sich entschließen wird, eine solche Untersuchung einzuführen,
die ja auch zugleich den nötigen Maßstab für die körperliche Leistungs¬
fähigkeit (Arbeitsjahr, Leibesübungen) hergeben würde.
gez. Woltereck.
Kurze Mitteilungen.
— Zur Förderung des Studiums begabter Söhne minderbemittelter
Eltern hat der Bankier Hugo J. Herzfeld in Berlin dem Reichs¬
präsidenten einen Betrag von zunächst fünf Millionen Mark mit der
Zusicherung zur Verfügung gestellt, auch .in den kommenden Jahren
weitere größere Summen zu demselben Zwecke zu überweisen. Der
Reichspräsident hat diese Stiftung gerne entgegengenommen und be¬
stimmt, daß die überwiesenen und künftig noch eingehenden Beträge
unter dem Namen „Deutsche Studentenhilfe“ (Hugo J.
Herzfeld-Stiftung) dazu verwandt werden sollen, begabten
Söhnen minderbemittelter reichsdeutscher Eltern aus allen Teilen
Deutschlands, insbesondere begabten Söhnen von Arbeitern, Ange¬
stellten, Beamten, früheren und jetzigen Unteroffizieren und Offizieren,
ohne Unterschied der Konfession und Partei das Studium an deutschen
Hochschulen zu ermöglichen. Zur Verwaltung und Beaufsichtigung
der Stiftung wird der Reichspräsident ein Kuratorium berufen, das
unter seinem Vorsitz im allgemeinen und im einzelnen über die
Verwendung der Summen Entscheidung treffen wird. Die Zusammen¬
setzung des Kuratoriums, die Bedingungen für die Bewerbung und
die Stelle, wohin Bewerbungen zu richten sind, werden demnächst
besonders bekanntgegeben.
— Das Hilfswerk unserer deutschen Stammesverwandten und
Freunde in Amerika zugunsten der notleidenden Bevölkerung Deutsch¬
lands durch das Zentralkomitee für Linderung der Not in Deutsch¬
land und Deutschösterreich (Central Relief Committee) hat schon
ungezählte Herzen zu Dank verpflichtet. Neuerdings ist in Leipzig
durch Vermittlung des Deutschen Roten Kreuzes als amerikanische
Liebesspende ein Ballen Kleidungsstücke an die Studentenhilfe zu
Händen des Prof. Dr. Werner Spalteholz verteilt worden.
— Entsprechend dem Antrag über die Verlegung der deut¬
schen Universität von Prag nach Reichenberg ist auch
ein Antrag eingebracht worden über die Verlegung der deutschen
technischen Hochschule nach Aussig und der deutschen Kunst¬
akademie nach Reichenberg.
— Der Deutsche Akademische Assistenten verband,
die auch von den staatlichen und akademischen Behörden anerkannte
Berufsvertretung der Assistenten der akademischen Hochschulen, Lehr-
und Forschungsinstitute Groß-Deutschlands, gibt in einer „Denk¬
schrift über die Lage der akademischen Assistenten“ eine vergleichende
Darstellung der bisher erfolgten Regelung ihrer wirtschaftlichen Ver¬
hältnisse. Danach sind in Preußen die planmäßigen wissenschaftlichen
Assistenten in das Besoldungsgesetz aufgenommen und der Gruppe
der Oberlehrer wirtschaftlich gleichgestellt, jedoch besitzen sie weder
Unkündbarkeit noch Pensionsberechtigung und Hinterbliebenenfür¬
sorge. Diese Regelung hat aber wenigstens den Vorzug, daß alle
Veränderungen der Ausgleichszuschläge Anwendung finden. Sachsen
und Danzig sind Preußen in dieser Regelung gefolgt, während die
mittel- und süddeutschen Staaten (Thüringen, Hessen, Baden, Bayern)
bei der Festsetzung der Assistentenbezüge wesentlich geringere Stufen
und Zuschläge vorgesehen haben. Ueber die Notlage des akademi¬
schen Nachwuchses, insbesondere der Assistenten, die nicht nur vor¬
übergehend, sondern auch längere Zeit ihre Tätigkeit ausüben wollen,
braucht kein Wort mehr verloren zu werden. Die in Preußen als
günstigstes Resultat von allen Bundesstaaten erreichte Ordnung be¬
deutet tatsächlich nur das äußerste Minimum des unbedingt Not¬
wendigen. Daß nunmehr auch die übrigen Staaten hier nadifolgen
und daß auch die „außerplanmäßigen“ Assistenten ihren planmäßigen
Kollegen gleichgestellt werden, ist unabweislich.
— Greifswald. 1242 Studierende waren in diesem Winterhalb¬
jahr immatrikuliert, davon waren in der Medizinischen Fakultät 392
(darunter 83 Studierende der Zahnheilkunde).
— Halle. Im laufenden Winterhalbjahr zählt die Universität 2321
immatrikulierte Studierende, darunter 571 Mediziner.
— Heidelberg. Die Universität weist in diesem Winterhalb¬
jahr 2424 immatrikulierte Studierende auf, und zwar in der Medizini¬
schen Fakultät 638, darunter 136 Studierende der Zahnheilkunde.
— Münster. Im laufenden Winterhalbjahr sind hier 2718 imma¬
trikulierte Studierende, davon 291 Frauen. Die Medizinisch-propädeu¬
tische Abteilung weist 278 Studierende auf.
— Zu dem Artikel „Zwischensemester in Halle“ in Nr. 1
bittet uns Herr W. Köhler festzustellen, daß er diesem Artikel keiner¬
lei Wert mehr beilege, da er nicht in der ursprünglichen Form er¬
schienen sei.
— Der Artikel „Zur Frage der medizinischen Fach¬
schule“ in der gleichen Nummer stammt nicht, wie irrtümlich an-
egeben, von Herrn Barnung, sondern von Herrn cand. med.
tern (Düsseldorf). #
— Die Bezieher der „D. m. W. M , denen das Abonnement zum er¬
mäßigten Preise direkt vom Verlag geliefert wird, werden gebeten,
M. 15.— für das 1. Vierteljahr 1922 und noch etwa rückständige un¬
aufgefordert auf das Postscheckkonto Georg Thieme,
Leipzig 3232, zujüberweisen.
Bekanntmachung
des Verbandes Deutscher Medizinerschafteo.
Für Doktorarbeiten vermitteln wir Maschinenschrift zu erheblich
verbilligtem Preise.
Es kostet die Seite 1.— M. mit 1 Durchschlag gratis.
Jeder weitere Durchschlag bedingt einen Zuschlag von —.10 M.
pro Seite.
Papier wird zum Einkaufspreis berechnet und kann auch vom
Besteller geliefert werden.
Die Anfertigung erfolgt auf Diktat sowie auch auf Grund der
uns zugestellten handschriftlichen Ausarbeitung. Im letzteren Falle
— also bei Zusendung des Manuskripts — erhält der Besteller zu¬
nächst eine Probeschrift ohne Durchschlag zur Korrektur, wodurch
ein Mehrpreis von —.50 M. für 1 Seite entsteht.
Die Rücksendung erfolgt gegen Nachnahme.
Verband Deutscher Medizinerschaften
Leipzig, Liebigstr. 22.
— Entsprechend der Anregung des letzten Vertretertages des Ver¬
bandes Deutscher Medizinerschaften. betr. die Herstellung der Disser¬
tation sauszüge, hat sich der Verband mit mehreren Firmen in Verbin¬
dung gesetzt. Der Verlag G. Thieme, Leipzig, Antonstr. 15 erklärt sich
bereit, die pflichtmäßigen 200 Auszüge der Doktorarbeit für 113,90 M.
bei 2 Seiten Umfang, für 226,80 M. bei 4 Seiten Umfang zu liefern.
Diese Preise Snd entsprechend der Wirtschaftslage Schwankungen
unterworfen.
FQr die Schriftleitung verantwortlich: Dr. Hans Hirschberg, Leipzig, Sidonlenstrafie 66,1V. — Druck von Oscar Br.andstetter in Leipzig.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
Deutsche Medizinische Wochenschrift
Begründet von Dr. Paul Börner
HERAUSGEBER: VERLAO:
Geh. San.-Rat Prof. Dr. Schwalbe GEORG THIEME/ LEIPZIG
Berlin-Charlottenburg, Schlüterstraße 53 Antonstraße 15
Nummer 5
Aus der Chirurgischen Universitätsklinik in München.
(Vorstand: Geh.-Rat Sauerbruch.)
Die Behandlung der bösartigen Geschwülste.
Von P. Sanerbrnch und Dr. M. Lebsche.
(Schluß aus Nr. 4.)
III.
P. Sanerbrnch:
Gestatten Sie mir nun, in Ergänzung zu dem Tatsachenbericht
einige theoretische Erwägungen und kritische Erläuterungen zu geben.
Meine Ausführungen müssen subjektiv sein. Das ist bei der Eigenart
der Aufgabe kaum anders zu erwarten. Die Schwierigkeit einer zu¬
sammenfassenden Kritik wächst um ein Bedeutendes durch die über¬
raschenden Mitteilungen über die Behandlung der Karzinome des
Uterus, die uns Kollege Döderlein vor einigen Tagen gemacht hat.
Gegenüber diesen Feststellungen erblaßt jede Theorie. Auch andere
Statistiken können zum Vergleich und zur Diskussion nicht mehr
herangezogen werden; selbst nicht diejenigen, die aus Kliniken stam¬
men, an denen die Strahlenbehandlung der Karzinome ebenfalls grund¬
sätzlich durchgeführt wird. Eigene Erfahrungen stehen mir auf diesem
Gebiete nicht zur Verfügung, und darum muß ich auf eigenes Urteil
verzichten. Aber es darf betont werden, daß andere führende Gynäko¬
logen, wie Bumm, Franqu£, Franz, Winter, Stöckel und
vor allen Dingen Zweifel, nach wie vor Anhänger der Operation
aller operablen Uteruskarzinome sind. Diese Auffassung kam auf der
letzten Gynäkologentagung eindeutig zum Ausdruck.
An den überzeugenden Zahlen, die uns von Herrn Döderlein
gegeben wurden, kommen wir nicht vorbei. Wir verstehen alle, wie er
durch sie zu einem begeisterten Verteidiger der Strahlentherapie ge¬
worden ist, und wir begreifen seine grundsätzliche Ablehnung opera¬
tiver Eingriffe beim Karzinom. Gegenüber seinen Erfolgen muß jede
Kritik verstummen. Gegenüber seinen Schlüssen und Verallgemeine¬
rungen darf sie aber um so lauter reden.
Aus den statistischen Feststellungen, die Lebsche uns gegeben
hat, geht hervor, daß die Chirurgen den Standpunkt der Gynäkologen
für die Karzinome ihres Arbeitsgebietes nicht anerkennen. Sie sind
überzeugt, daß das Uteruskarzinom in pathologisch-anatomischer, klini¬
scher und biologischer Beziehung eine Sonderstellung einnimmt. Es
gehört zu den Neubildungen, die lange Zeit am Orte ihrer Entstehung
lokalisiert bleiben. Bei einem Drittel derjenigen Frauen, die ohne
jede Behandlung zugrundegehen, findet man weder Ausbreitung der
Geschwulst in die Umgebung, noch innere Metastasen. Die Frauen
erliegen einfach, wie Heidenhayn sich ausdrückt, dem örtlichen
Leiden. Auch sei auf die lange Lebensdauer mancher Frauen hin¬
gewiesen, bei denen ein inoperables, ulzeriertes Portiokarzinom nur
mit dem scharfen Löffel oder dem Glüheisen behandelt wurde. Man
vergleiche damit das Karzinom der Mamma, der Zunge oder des
Magens. Wie ganz anders ist deren Verhalten. Der Chirurg, der die
mannigfaltigen Formen der Karzinome in den verschiedenen Organen
und daneben die sehr wechselnde Reaktion des einzelnen Kranken
kennt, rechnet bei der Beurteilung im Einzelfalle mit diesen bestehen¬
den Abweichungen. Auch der Chirurg kennt Neubildungen, die einen
ausgesprochen gutartigen Verlauf zeigen. Ich erinnere an die Karzi¬
nome des Gesichtes. Sie nehmen eme Sonderstellung, ähnlich wie
die Uteruskarzinome, ein, und ihre Eigenart unterscheidet sie von
Geschwülsten anderer Herkunft. Es folgt daraus, daß man das
Uteruskarzinom nicht als Paradigma des Karzinoms überhaupt an-
sehen darf.
Weiter ist aber damit auch schon gesagt, daß die schlechten
Ergebnisse der Strahlenbehandlung bei dem chirurgischen Karzinom
nicht durch schlechte Technik oder schlechte Apparatur erklärt werden
können. Seit Perthes' ersten Versuchen bemühen sich Röntgenologen
und technisch geschulte Chirurgen, den Methoden der Gynäkologen
und damit auch ihren Erfolgen näher zu kommen. Wenn diese
Forscher heute freimütig die Enttäuschungen zugestehen, so sollte man
nach tieferen Gründen suchen und bestrebt sein, zu einem besseren
Verstehen des Geschwulstproblems zu gelangen. Wer erlebt hat,
mit welcher Sicherheit Krönig auf dem deutschen Chiruigentag
im Jahre 1914 für die grundsätzliche Bestrahlung beginnender Mamma¬
48. Jahrgang
karzinome eintrat, und die Ernüchterung kennt, die sich in der Folge,
selbst bei den Anhängern seines Vorschlages, eingestellt hat, der ist
zu vorsichtiger und kritischer Auffassung wohl berechtigt.
Die Dauerheilungen beim Mammakarzinom betragen nach den
vorliegenden Statistiken 40—60o/ 0 . Es wurde uns vorgehalten, daß
diese Angaben nicht stimmen und daß die Heilungsziffer in Beziehung
ebracht werden müsse zur Zahl aller Krebskranken, die überhaupt
as Krankenhaus aufsuchen.
Schon Zweifel hat diese Forderung als unberechtigt hingestellt.
Auch bei anderen Erkrankungen bewerten wir das Heilverfahren
nicht nach dem, was es bei fortgeschrittener Krankheit vermag. Die
operative Behandlung der Blinddarmentzündungen ist wesentlich er¬
folgreicher, wenn Durchbruch und Bauchfellentzündung noch nicht
eingetreten sind. In diesem Sinne kann sich das Urteil über die
Leistungsfähigkeit chirurgischer Therapie beim Karzinom nur stützen
auf die Gesamtzahl der operationstähigen Kranken. Nach einer
Statistik der Freiburger Klinik werden nur 14 Prozent der operablen
Mammakarzinome durch Bestrahlung geheilt. Die Ergebnisse sind
also wesentlich schlechter als die der operativen Behandlung.
Ich selbst sah zwei Frauen mit beginnendem Karzinom der
Brustdrüse. Die Operation wurde abgelehnt und eine Frühbestrahlung
vorgezogen. Nach einem halben und dreiviertel Jahr gingen beide
Kranke an Metastasen der Lunge zugrunde.
Hotz berichtet, daß er Kranke mit Mammakarzinom beobachtete,
die in der Freiburger Frauenklinik durch Bestrahlung örtlich „völlig
geheilt“ wurden, die aber einer massenhaften Krebsausbreitung in
Knochen, Leber und Lungen nach kurzer Zeit erlagen.
Es ist viel zu wenig bekannt, wie häufig im Anschluß an die
Bestrahlung der Karzinome und namentlich der Sarkome der örtliche
Tumor zurückgeht, aber auffallend schnell Metastasen in den Orga¬
nen auftreten. Auch wir haben das an der Klinik mehrfach erlebt.
Ein weiteres Beispiel ist der Mastdarmkrebs. Nach seinem ana¬
tomischen Sitz ist er der Bestrahlung ebenso zugänglich wie das
Uteruskarzinom. Die sonst bewährte Methodik der Gynäkologen hat
hier aber vollständig versagt. Die Ergebnisse sind trostlos.
Vergleichen Sie damit die Leistungen der operativen Behandlung,
die ich Ihnen an vielen Kranken und in eindrucksvollen Zahlen vor
einer Woche vor Augen führen konnte. An unserer Klinik wurde
eine Menge Mastdarmkrebskranke von dem erfahrenen Herrn Chaoul
bestrahlt. Nach anfänglichen scheinbaren Erfolgen sind wir heute
enttäuscht. Ein einfacher Anus praeternaturalis bei inoperablem Kar¬
zinom leistet mehr. Die unangenehmen Tenesmen und Schmerzen
nach der Bestrahlung sind für die Kranken oft unerträglich.
Uebersehen darf man auch nicht die ungünstige Rückwirkung
auf den Allgemeinzustand, die sich sehr häufig nach wiederholter
oder ausgiebiger Bestrahlung einstellt.
Diese Hinweise mögen genügen, um zu zeigen, daß die Erfah¬
rungen der Gynäkologen beim Uteruskarzinom nicht ohne weiteres
auf die chirurgischen Karzinome übertragen werden dürfen. Auch
die Vorstellung, die die meisten Gynäkologen von dem Einflüsse der
Strahlen auf die bösartigen Tumoren haben, ist keineswegs ge¬
sichert. Man spricht von einer Elektivwirkung der Röntgenstrahlen
auf das Karzinomgewebe. Man glaubt, daß es nur darauf ankommt,
durch möglichst intensive Bestrahlung die Krebszellen abztftöten, und
man erkennt andere und allgemeinere Faktoren der Heilung nicht an.
Die biologischen Eigenheiten der verschiedenen Tumorarten, Oigane
und Reaktionsfähigkeiten der Karzinomträger werden verwischt. Das
Problem ist auf physikalisches Gebiet verschoben. So einfach aber
liegen die Verhältnisse nicht.
Bevor man überhaupt den Heilwert einer Methode erörtert, wäre
es notwendig, die Frage zu klären:
1. Kommen Spontanheilungen beim Karzinom und Sarkom vor?
2. Wie vollzieht sich eine solche Spontanheilung?
3. Wie kann man mit künstlichen Mitteln den Heilungsvorgang
anregen und unterstützen?
Die alte Meinung ging dahin, daß Spontanheilungen beim Kar¬
zinom ausgeschlossen seien. Auf Grund der früheren pathologisch¬
anatomischen Krankheitsauffassung hat man das Karzinom und auch
das Saikom als örtliche Veränderungen angesehen. Sie breiten sich
unaufhörlich oder nur mit kurzen Unterbrechungen aus und führen
allmählich zu Metastasen. Die Kranken gehen an ihnen oder unter
dem Bilde der Kachexie zugrunde.
Donnerstag, den 2. Februar 1922
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
150
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
Nr. 5
Heute sind Spontanheilungen sichergestelit. So ist in der soeben
erschienenen Festschrift Biers aus der Feder des Rostocker Chirurgen
Müller, eines zuverlässigen und außerordentlich erfahrenen Be¬
richterstatters, ein lesenswerter Aufsatz enthalten. Er zeigt an
drei eigenen Beobachtungen sowie an Beispielen der Literatur, daß
Spontanheilungen maligner Tumoren häufiger Vorkommen, als all¬
gemein angenommen wird.
Bei einem seiner Kranken handelte es sich um ein Riesenzellen¬
sarkom des Beckens, bei dem ein unvollständiger Operationsversuch
zu schwerster Blutung führte. Der Kranke erholte sich und lebt
noch heute, 18 Jahre nach der Operation. Ein harter Tumor im
Becken ist zurückgeblieben. Die Natur der primären Oeschwulst war
mikroskopisch als Sarkom sichergestellt.
Ferner verschwand bei einem ly^jährigen Kinde ein Myxosarkom
nach einem unvollkommenen, rein diagnostischen Eingriffe und an¬
schließender Pyozyaneuseiterung völlig und dauernd. Das Kind ist
14 Jahre gesund.
Der letzte Kranke im Alter von 43 Jahren hatte eine Geschwulst
in der rechten Unterbauch-Hüftgegend, die als Enchondrom gedeutet
wurde. Im Anschluß an eine Eiterung bildete sie sich von selbst
zurück.
Müller glaubt, daß bei dem zweiten und dritten Kranken die
Entzündung und Eiterung als Ursache von Nekrose und Verschwinden
des Tumors anzusprechen sind. Den überraschenden Verlauf bei dem
ersten Kranken wagt er kaum zu erklären, weist aber auf die Mög¬
lichkeit hin, daß der starke Blutverlust regressive Veränderungen
des Tumorgewebes hervorgerufen haben könnte.
Diese seine Eigenerfahrungen hat Müller durch Hinweis auf
weitere Mitteilungen in der Literatur ergänzt und erweitert.
Rokitansky spricht bereits im Jahre 1846 von Verseifung und
Verschrumpfung von Krebsgeschwülsten, die zu ihrer Verödung fuhren.
Wenn auch die modernen Pathologischen Anatomen solchen Beobach¬
tungen sehr skeptisch gegenüberstehen, so wird doch wenigstens von
Borst und Ribbert die Möglichkeit solcher spontanen Rück¬
bildungen zugegeben.
Fehleisen und Busch haben später betont, daß bestimmte
Tumoren, namentlich die des Gesichtes, im Anschluß an Erysipel
restlos verschwinden können. Es sei erwähnt, daß therapeutische
Versuche, die auf diesen Beobachtungen fußten, soviel ich sehe, fehl¬
geschlagen sind.
H. Fischer hat im Jahre 1880 darauf hingewiesen, daß „fieber¬
hafte Störungen des Allgemeinbefindens namentlich dann, wenn sie
mit schnellem Kräfteverfall des Kranken einhergehen, eine Hemmung
im Wachstum und nicht selten eine Abnahme der Größe einer Ge¬
schwulst hervorbringen können. Dies gilt besonders von den akuten
Exanthemen, Scharlach, Typhus, Malaria. Unter den Tumoren, die
während solcher Krankheiten sich verkleinern, dann verschwinden,
sind besonders Sarkome, Adenome und Lymphdrüsengeschwülste zu
nennen. Dagegen bleiben Karzinome, Lipome, Fibrome, Enchondrome,
Osteome, auch während der schwersten Allgemeinerkrankungen, un¬
verändert.“
Müller betont mit Recht, daß die Fis eher sehen Beobachtungen
nur bedingten Wert haben, weil sichere pathologisch-anatomische
Untersuchungen fehlen.
Wichtiger ist eine Arbeit Paul v. Bruns. Er stellt 22 Beob¬
achtungen aus der gesamten Literatur über „salutäre“ Einwirkungen
der Infektion auf maligne Tumoren zusammen. Darunter befanden
sich 5 Kranke mit Sarkom, von denen 3 vollkommen und dauernd
geheilt worden sind. Auch hier darf vielleicht in Frage gezogen
werden, ob alle Tumoren mit der wünschenswerten Zuverlässigkeit
pathologisch-anatomisch untersucht sind. Immerhin bleiben einige
Beobachtungen übrig, die wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung
kurz erwähnt werden sollen.
I. Melanosarkom der Mamma mit großen Achseldrüsenmetastasen.
Exstirpation mit Achselausräumung. Nach 4 Wochen rasches Rezidiv
in der Operationsnarbe. Schweres Erysipel, das über den größten
Teil des Körpers wanderte. Das Rezidiv verschwand im Anschluß
an das Erysipel in wenigen Wochen spurlos ohne jede äußere Ein¬
wirkung. Die Patientin ist, wie es scheint, von 1880 bis 1888 gesund
geblieben. Die Diagnose wurde im Pathologischen Institut sicher-
gestellt.
2. Biedert berichtet über ein 11 jähriges Mädchen mit einem
großen, bereits seit 2 Jahren bestehenden Sarkom der Tonsillen,
das wegen großen Wachstums Erstickungsgefahr herbeiführte und
die Tracheotomie nötig machte. Im Anschluß an diesen Eingriff
bekam das Kind ein Erysipel und 6 Tage lang hohes Fieber. „Die
Tumoren schmolzen dabei rapid hinweg.“ Nach 2 Jahren lebte das
Kind völlig gesund.
P len io berichtet über ein 'Melanosarkom der Glutäalgegend
bei einem 22jährigen Mädchen. Der Tumor begann unter dem Ein¬
fluß von Schröpfköpfen und anderen Reizmitteln rapid zu wachsen.
Er durchsetzte die ganze Muskulatur und erstreckte sich bis unter
die Bauchhaut. Im Anschluß an einen erfolglosen Versuch, den
Tumor zu entfernen, entstand nach einer schweren Blutung eine
Infektion. In ihrem Verlaufe kam es zur Pyämie und Pneumonie.
Dann Eintritt der Genesung, Verschwinden des Tumors. Noch nach
4 Jahren war die Kranke rezidivfrei.
Reichel sah 1903 ein Spindelzellensarkom in der Schläfen¬
gegend, das in den Schädel hineingewachsen war und sich operativ
nicht ganz entfernen ließ. Nach T Wochen verschwindet es, ohne
Spuren zu hinterlassen.
Rotter berichtet über ein malignes Adenom im Rektum, bei
dem nach Exstirpation des Dannes zweimal ein Rezidiv im Septum
rectovaginale und Beckenbindegewebe auftrat. Nach Auskratzung
des Tumorgebietes mit dem scharfen Löffel entsteht erneut ein
Rezidiv. Dieses Rezidiv verschwindet spontan nach 1/4 Jahr. Die
Kranke ist nach 2 Jahren rückfallfrei und gesund.
Hierzu paßt auch eine Mitteilung, die Herr Christoph Müller
mir vor ein paar Tagen machte. Er sah nach einem Typhus die
vollständige Rückbildung eines inoperablen Mammakarzinoms. Die
Achseldrüsen verkleinerten sich ebenfalls ganz erheblich.
Auch Jüngling berichtet in seiner soeben erschienenen Arbeit
aus der Tübinger Klinik über das spontane Verschwinden dreier
myelogener Sarkome.
Bekannt ist weiter die Beobachtung Ritters, wonach ein großes
Schultersarkom nach einmaliger Hyperämiebehandlung vollständig ver¬
schwand.
Gestatten Sie mir aus meiner eigenen Erfahrung einige bemerkens¬
werte Mitteilungen:
Ich operierte bei einem 59jährigen Manne mit einer kurzfristigen
Anamnese eine karzinomatöse Pylorusstenose. Wegen der Ausdehnung
des Tumors war Resektion unmöglich, und es wurde die Gastro¬
enterostomie ausgeführt. Drei Jahre nach der Operation war bei
dem Kranken wegen heftiger Schmerzen in der Lebergegend eine
Relaporatomie notwendig. Es fand sich das typische Bild der Gallen¬
schrumpfblase. Der Tumor des Pylorus war restlos beseitigt.
Ich erwarte Ihren Einwand, daß es sich um ein Ulcus callosum
gehandelt habe, das bekanntlich nach einfacher Gastroenterostomie
verschwinden kann. Klinisch war es bestimmt kein Ulkus, und bei
der Wiedereröffnung des Leibes fand sich eine haselnußgroße Meta¬
stase in der Leber.
II. Fall: 56jährige Russin mit großem ulzerierten Mammakar¬
zinom, die in desolatem Zustande in die Klinik aufgenommen wurde.
Oberflächliche Verschorfung des jauchenden Tumors. Wegen der
heftigen Schmerzen erhielt die Kranke große Dosen Morphium
und Skopolamin. Sie kommt in einen. Dauerschlafzustand und ver¬
weigert während 8—10 Tagen jegliche Nahrungsaufnahme. Dann
plötzlicher Umschlag des Gesamtbefindens. Die Kranke verlangt
gierig zu essen uncf zu trinken. Auffallend schnelle und erhebliche
Besserung des Allgemeinbefindens. Schnellster Rückgang des Tumors,
der in etwa 6—7 Wochen epithelisiert ist. Die Drüsenpakete in der
Achselhöhle sind bis auf kleine Reste völlig verschwunden. Leider
fehlt ein abschließender Bericht, da diese Beobachtung kurz vor
Ausbruch des Krieges gemacht wurde.
UI. Fall: 22jähriges Mädchen, das wegen eines Fasziensarkoms
des linken Oberschenkels in der Erlanger Klinik intensiv bestrahlt
wurde. Kein Rückgang der Geschwulst, im Gegenteil, Zunahme des
Wachstums. Bei der Vorstellung in unserer Klinik erweist sich die
Geschwulst als inoperabel. Die Operation wird abgelehnt. Schließlich
wird aber auf Drängen und Bitten der Kranken selbst und der Eltern
noch ein Versuch operativer Beseitigung gemacht.
Nach Freilegung der großen Gefäße, die vorübergehend kompri¬
miert werden, beginnt die Exstirpation des Tumors. Die Geschwulst
erstreckt sich mit einem faustgroßen Fortsatz in das Becken. Es
gelingt nicht, diesen Teil zu entfernen, da er überall auf die Um¬
gebung übergreift. Die Operation wird abgebrochen.
Am 4. oder 5. Tage bildet sich eine Thrombose in der A. femo¬
ralis, die zur Nekrose des Unterschenkels führt. Seit dieser Zeit
zunehmender Verfall der Kranken. Zur Bekämpfung der Schmerzen
und zur Erzielung von Euphorie werden große Dosen Morphium
und Skopolamin verabreicht.
Nach etwa 14 Tagen plötzlicher Umschlag im Gesamtbefinden.
Gierige Nahrungsaufnahme, Rückkehr der Kräfte und Verkleinerung
der Geschwulst.
Das Bein wird oberhalb des Knies amputiert. Im Verlauf der
Nachbehandlung verschwindet die Geschwulst vollständig. Die Kranke
ist in diesen Tagen, nach im ganzen Tmonatiger Behandlung, in
glänzendem Allgemeinzustand entlassen worden.
Pathologisch-anatomische Diagnose der Geschwulst lautete:
Spindelzellensarkom.
Solche Feststellungen über spontane Heilungsmöglichkeiten sind
für das Studium der bösartigen Geschwülste von grundlegender Be¬
deutung. Der Körper verfügt also unter Umständen über die Kraft,
eine bösartige Neubildung zur Rückbildung, ja zur spontanen Aus¬
heilung zu zwingen.
B^leutungsvolier als die erwähnten klinischen Beobachtungen
sind mehrere sorgfältige pathologisch-anatomische Untersuchungen.
Aus ihnen geht nicht nur die Tatsache der spontanen Heilungs¬
möglichkeiten des Karzinoms hervor, sondern auch die Art und
Weise, wie diese Heilung sich abspielt. Diese Arbeiten ergeben
eine eindeutige Antwort auf die oben gestellte Frage: Wie heilt das
Karzinom ?
Konjetzny berichtet über eine Kranke, bei der trotz ausge¬
dehnter Netzmetastasen die Resektion eines Magenkarzinoms vor¬
genommen wurde. Bei der Operation schnitt man einen karzinomatösen
Netzzipfel zur Untersuchung heraus. Es fanden sich in ihm über¬
raschende Heilungsvorgänge, die Konjetzny näher schildert.
U /2 Jahre nach der Resektion des Magens war eine Relaporatomie
notwendig. Alle Netzmetastasen waren vollständig verschwunden.
Konjetzny konnte nun zeigen, daß an Stellen, an denen die Hei¬
lung eingesetzt, die epithelialen Zellkomplexe durch ein zellreiches plas¬
mazelluläres und lymphozelluläres Granulationsgewebe auseinander-
Digitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
2 . Februar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
151
gesprengt werden. Hier und da sah er einzelne Krebszellen völlig
isoliert, und diese abgelösten und abgetrennten Zellen waren charak¬
terisiert durch starke Verfettung, Vakuolisierung, Kernzerfall mit
herabgesetzter oder veränderter Färbbarkeit. An anderen Stellen
fand er schon makroskopisch kleine, eigentümliche, weißliche Narben,
in denen die beschriebenen Karzinomzellen durch reichliches älteres
Bindegewebe eingekapselt waren. Auch hat er beobachtet, daß ein¬
zelne der veränderten Krebszellen von einem Kranz von Riesenzellen
eingeschlossen wurden. Ja, er fand sogar hin und wieder in ihrem
Zentrum Gebilde, die er als Krebszellenkerne auffaßt.
Wodurch die autochthonen und verschleppten Krebszellen zu¬
grundegehen, darüber läßt sich Allgemeingültiges heute noch nicht
aussagen. Hier kommen örtliche Gewebsreaktion und die Wirksamkeit
allgemeiner Schutzkräfte in Betracht. Es ist wichtig, daß die Kon-
jetznysehen Befunde durch Ribbert bestätigt wurden.
Ribbert konnte nachweisen, daß Metastasen eiues ausgedehnten
Plattenepithelkarzmoms in einer Lymphdrüse ausheilten. Er fand wie
Konjetzny, daß die Krebsnester von breiten Zonen dichtzeilig
infiltrierten Granulationsgewebes umgeben wurden. Die Randzellen
des innersten Abschnittes des Granulationsgewebes, das nach außen
allmählich zu einer faserreichen, zirkulär angeordneten Zone über¬
leitete, waren klein und protoplasmaarm, die der äußeren Lage größer.
Dazwischen traten schon früh, bevor die Krebszellen in großer Aus¬
dehnung abgestorben waren, Einzelriesenzellen auf. Dieser Prozeß
führte zur völligen Vernichtung großer Krebsmassen bis zu 9 Zehntel
des ganzen Tumors.
Nach Ribbert ist der Untergang der Krebszellen durch toxische
Einflüsse bedingt, die aus den Lymphozyten stammen, die in dem
Granulationsgewebe frei werden.
Auch Borst erkennt die Wirkungen solcher Abwehrstoffe an.
Solange solche vorhanden sind oder der Körper imstande ist, sie in
genügender Menge hervorzubringen, werden verschleppte Geschwulst¬
zeilen vernichtet. Erst die Zerstörung dieser natürlichen Schutzkräfte,
vielleicht durch Stoffe, welche der Tumor selbst liefert, macht eine
ungehemmte Generalisation der Geschwulst möglich. Hieraus erklären
sich wohl auch die großen qualitativen und quantitativen Unterschiede
der metastatischen Aussaat bei den Einzeltumoren.
In diesem Zusammenhänge sei noch auf die bedeutungsvollen
Untersuchungen von M. B. Schmidt und Lubarsch hingewiesen.
Aus ihnen ergibt sich, daß emboüsch in die Lunge verschleppte
Krebszellen aus Karzinomen abdomineller Organe zugruudegehen.
Ihre Zerstörung erfolgt in den frischen Thromben während ihrer
Organisation. Sie werden durch das neugebildete Bindegewebe in
Schranken gehalten und vernichtet. Der Untergang der verschleppten
Krebszellen ist nicht aus ihrer eigenen Hinfälligkeit zu erklären,
sondern die Folge der besonderen Abwehrkräfte, die der Organismus
im noch gesunden Gewebe besitzt.
Es darf nach diesen Untersuchungen mit Borst angenommen
werden, daß viel häufiger, als man bisher meinte, von primären
Karzinomherden aus Metastasen erfolgen. Sie werden aber an der
Ueberpflanzungsstelle durch Bindegewebswucherung abgekapselt und
durch Zellentätigkeit abgebaut.
In diesem Zusammenhänge darf ich vielleicht eine eigene Ueber-
iegung kurz erwähnen.
Abstoßung und Neubildung der Körperzellen und die im Ver¬
gleich dazu große Seltenheit atypischer und unregelmäßiger Wuche¬
rungen stehen in einem auffallenden Gegensatz. Es muß also ein
den Wirrwarr der Zellneu- und -Umbildung regelnder Einfluß vor¬
handen sein, der das Gleichgewicht unter ihnen und gegenüber dem
Nachbargewebe wiederherstellt. Oder aber, es werden die aus der
Art schlagenden Zellen, ähnlich wie die embolischen Geschwulstzellen,
durch gesunde Gewebseinflüsse immer wieder vernichtet
Aus allen diesen Feststellungen folgt, daß im Krebs Heilungs¬
vorgänge sich abspielen und zu einem Verschwinden des Tumors
führen können. Der Heilungsvorgang vollzieht sich nach ähnlichen
Gesetzen wie bei anderen Erkrankungen. Eine reichliche Binde-
gewebsproliferation mit Ein- und Umwachsen des Erkrankungsherdes
ist der anatomisch wichtigste Vorgang.
Darüber hinaus muß aber besonders noch der, von dem Binde¬
gewebe und den Gewebszellen stammenden Einflüsse gedacht wer¬
den, die auf die Krebszellen auf für uns noch dunkle Weise wir¬
ken. Daß solche Zellauflösungen auch unter anderen Verhältnissen
möglich sind, dafür liefert die allgemeine Pathologie viele Beispiele.
Die spontanen Heilungsvorgänge sollten für uns den Ausgangs¬
punkt zu Versuchen konservativer- Behandlung der Geschwülste ab¬
geben. Es wäre denkbar, daß die Einwirkung bestimmter Strahlen¬
menge und Strahlenarten gesunde Gewebe zu besonderer Abwehrarbeit
anreizt. Damit wäre dem bisherigen Bestreben, durch Röntgenstrahlen
die Geschwülste zu vernichten, ein grundsätzlich anderes Verfahren
gegenübergestellt. Wir haben mit dieser Arbeit an unserer Klinik
bereits begonnen (Allgemeinbestrahlung).
Auch verdienen in dieser Beziehung andere Möglichkeiten vollste
Beachtung, z. B. die Proteinkörpertherapie Biers. Die Beeinflussung
des Gesamtorganismus durch Aderlaß, durch Aenderung der Diät
und dergleichen sind bemerkenswerte Mittel, deren praktische Be¬
deutung wir von vornherein nicht ablehnen sollten. In diesem Zu¬
sammenhänge sind die Arbeiten Teilhabers, Warnekros*, Ste¬
phans, Christoph Müllers zu erwähnen. Es ist bemerkens¬
wert, daß Stephan z. B. die hauptsächlichste Wirkung der Röntgen¬
strahlen bezieht auf eine Funktionserhöhung des Bindegewebes im
Sinne einer Stärkung der Abwehrkraft.
Mit diesen letzten Bemerkungen seien nur Möglichkeiten und
Arbeitshypothesen für die Zukunft kurz gestreift.
Man hat die Chirurgen als Gegner und Skeptiker der Bestrahlungs¬
therapie bezeichnet. Das ist unrichtig. Wir sind nicht Gegner der
Bestrahlung an sich; wogegen wir uns richten, sind die Art der
Bestrahlung und die Arbeitsverfahren, die auf diesem Gebiete modern
geworden sind. Schlagworte, wie Karzinomdosis und Sarkomdosis,
verraten keine allzu tiefe Auffassung des Problems der malignen
Tumoren. Mit den Gynäkologen bewundern wir einzelne ans Wunder¬
bare grenzende Wirkungen der Strahlen auf die Geschwülste. Mit
ihnen sind wir überzeugt, daß uns mit den physikalischen gewaltige
biologische Möglichkeiten in die Hand gegeben worden sind. Das
physikalische Problem ist in seinen Grundzügen gelöst und läßt
weitere Fortschritte kaum erhoffen. Aber wir übersehen wichtigere
Dinge nicht. Uns fehlt die Kenntnis der Gesetze des Tumorwachs¬
tums und der Tumorwirkung auf den Organismus. Eben erst sind wir
im Begriffe, Verständnis zu gewinnen für die Abwehrkräfte, über die
der Körper verfügt, ln dieser Beziehung ist die Feststellung spontaner
Heilungsmöglichkeiten und ihrer anatomischen und biologischen Unter¬
lagen ein bedeutungsvoller Schritt nach vorwärts.
Wer weiß, ob wir nicht in Bälde schon lernen, die spontanen
Heilungsfaktoren des Körpers, über die ich ausführlich sprach, künst¬
lich anzuregen und zu unterstützen. Nach meiner Ueberzeugung
wird dieser Aufgabe der Strahlenwirkung ein weites Feld zufallen.
Aber nicht in der Verstärkung der physikalischen Wirkung, sondern
in der Anpassungsfähigkeit der Strahlen an den jeweiligen Zweck
und an die jeweilige Eigenart des Tumors und des Kranken wird dieser
Fortschritt sich einsteTlen. Es sind hoffnungsvolle Anzeichen vor¬
handen, daß man allgemein für die Wichtigkeit dieser Probleme
mehr Verständnis aufbringt als bisher.
Solange aber die Ergebnisse der Strahlentherapie unsicher sind,
kann von einem Verzicht auf die operative Behandlung wenigstens
für den Chirurgen keine Rede sein. Für ihn bleiben nach wie vor
Frühdiagnose und Frühoperation eines malignen Tumors
die sicherste und beste Voraussetzung der Heilung. Der Wunsch
nach konservativer Behandlung des Karzinoms beherrscht den Chirur¬
gen vielleicht noch mehr als andere Aerzte; aber bei seiner Ein¬
stellung auf Tatsachen verlangt er Verfahren, die dem operativen
Eingriff zuverlässig überlegen sind.
Die Grenzen der örtlichen Betäubung in der Chirurgie 1 ).
Von Prof. Dr. Braun in Zwickau*
Die mit der Narkose verbundenen Uebelstände und Gefahren
bilden seit Jahrzehnten die Veranlassung zu einem immer weiteren
Ausbau der örtlichen Betäubungsverfahren. Letztere haben durch
Vergrößerung der angewendeten Dosen des Betäubungsmittels und
durch Erschließung neuer Angriffspunkte ihren Wirkungskreis immer
mehr zu erweitern sich bestrebt und sind schon hier und da an
Grenzen gelängt, wo ihnen selbst wieder Gefahren und Uebelstände
anhaften. •
Auf der anderen Seite ist die Narkosentechnik im Laufe der zeit
wesentlich verbessert worden. Die Einschränkung der Chloroform¬
narkose, der Ausbau der Technik der Aethemarkose, die Einführung
der Mischnarkosen, der Grundsatz, die Narkosen im allgemeinen viel
oberflächlicher zu halten, als man früher gewohnt war, die Anpassung
der Narkosentiefe an die einzelnen Phasen der Operation, endlich
die Einführung des Aetherrausches durch Sud eck und des Chlor¬
äthylrausches durch Kulenkampff, auf beschränktem Gebiet auch
die der intravenösen Narkose, haben die Gefahren beträchtlich ver¬
ringert, welche den Kranken während und nach einer Narkose be-
dremen.
Es ist daher an der Zeit, sich über die Abgrenzung der beiden
Betäubungsverfahren klar zu werden. Scharfe Grenzen können das
freilich nicht sein. Denn zwischen den Endpunkten einer Linie, wo
die Indikation zur örtlichen Betäubung auf der einen Seite, zur Nar¬
kose auf der anderen Seite unbestritten ist, wird es immer eine lange
Strecke geben, wo Charakter, Erfahrung und Gewohnheit des Opera¬
teurs den Ausschlag geben für die Wahl des Betäubungsverfahrens.
Verhältnismäßig einfach ist die Sachlage bei den besonderen For¬
men der örtlichen Betäubung, der Lumbal- und Sakralanästhe¬
sie. Beide sind Ausnahmeverfahren, die, so wertvoll sie auf be¬
schränktem Gebiete sind, doch der Narkose einen beträchtlichen
Abbruch nicht tun können. Denn wird die Lumbalanästhesie nicht
innerhalb enger Grenzen angewendet, so ist ihre Mortalität ohne
Zweifel beträchtlich höher als die der Narkose. Ich erwähne nur
die beiden Mortalitätsziffern von Franz und Mayer, 1:479 und
1:550, die aus den letzten Jahren stammen und aus einer größeren
Reihe eigener Beobachtungen gewonnen wurden. Dazu kommen die
nicht seltenen Neben- und Nachwirkungen. Beide sind bedingt durch
die unmittelbare Berührung des Betäubungsmittels mit den Meningen
und der Nervensubstanz und sind um so mehr zu befürchten, je
höher das Betäubungsmittel im Spinalkanal nach oben steigt Die
9 Vortrag in der Zwickauer Medizinischen Gesellschaft am 3. V. 1921. Weitere
Ausführung siche im Arcb. f. klin. Chir. 116, S. 189.
Digitized by
Gck igle
Original from
cornell university
152
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 5
Lumbalanästhesie sollte deshalb beschränkt werden auf Operationen
im Gebiet der unteren Rückenmarkssegmente, auf Operationen an
Harnröhre, Prostata, Scheide, Blase, Mastdarm und den Beinen,
während Bauchoperationen, auch solche im unteren Teile, also z. B.
die Hernien, oder die gynäkologischen Operationen ein viel höheres
Aufsteigen des Betäubungsmittels erforderlich machen und unter¬
lassen werden sollten. Ebenso müssen Beckenhochlagerung und alle
sonstigen Maßnahmen, durch welche man eine weitere Ausbreitung
der Unempfindlichkeit erstrebte, vermieden werden. Die Lumbal¬
anästhesie ist wertvoll bei den Amputationen wegen, arterioskleroti¬
scher Gangrän sowie bei frischen Verletzungen der Beine, wenn die
Kranken unvorbereitet auf den Operationstisch kommen und sich
ohne große Beschwerde äuf die Seite legen lassen. Die Einrichtung
der Hüftluxation geht in Lumbalanästhesie wesentlich leichter von¬
statten als in Narkose. Erstere erleichtert die Reposition von Frak¬
turen vor dem Röntgenschirm und das Anlegen der Verbände. Endlich
brauche ich sie gern bei Operationen auf der Rückseite der Beine,
wenn die Kranken auf dem Bauch liegen müssen. Ich komme jedoch
im Krankenhausbetriebe auf nicht mehr als 1% Lumbalanästhesien.
Nun die epidurale oder Sakralanästhesie. Sie steht, wenn
sie in Form der sogenannten „hohen Sakralanästhesie“ ge¬
braucht wird, an Gefährlichkeit der Lumbalanästhesie nicht nach, ist
frei von deren Nachwirkungen, ist aber technisch schwieriger und hat
viele Versager. Die Nebenwirkungen sind im Gegensatz zur Lumbal¬
anästhesie Vergiftungen mit dem Betäubungsmittel. Erfahrene Autoren,
wie Läwen und Schweitzer, raten, eine Dosis von 0,4 bis höch¬
stens 0,5 Novokain bei der Sakralanästhesie nicht zu überschreiten.
Damit scheidet aber die „hohe Sakralanästhesie“ ganz aus, und das
Verfahren beschränkt sich auf Operationen im Gebiet des Plexus
sacralis. Hier wird sie jedoch, ebenso wie die Lumbalanästhesie, hart
bedrängt durch die örtliche Betäubung im engeren Sinne, und zwar
durch die „parasakrale Anästhesie“, d.h. die Anfüllung der
Kreuzbeinkonkavität mit einer dünnen Novokainlösung, die ebenfalls
den Plexus sacralis unterbricht, fast frei von Versagern und fast
frei von Nebenwirkungen ist. So werden wir der Sakralanästhesie
nach den bisherigen Erfahrungen keine große Zukunft Voraussagen
können.
Nicht so einfach liegen die Verhältnisse bei der örtlichen Be¬
täubung im engeren Sinne. Wenn ich von der wenig gebrauch¬
ten Venenanästhesie absehe, so handelt es sich in der Chirurgie aus¬
schließlich um die Infiltrations- und Leitungsanästhesie durch Ein¬
spritzung von Novokain-Suprareninlösung. Dieses Verfahren war,
mindestens in seinen älteren Formen, nahezu gefahrlos und konnte
daher in weit erfolgreicherem Maße mit der Narkose in Wettbewerb
treten. Ich habe es allerdings niemals so weit gebracht wie einige
chirurgische Anstalten, wo in den letzten Jahren mehr als 90%
aller chirurgischen Operationen in örtlicher Betäubung ausgeführt
wurden. Ich kam niemals viel über 50%. Im Jahre 1920 sind im
Krankenstift Zwickau von 2644 Operationen 1221 (45,8%) in Narkose,
29 (1%) in Lumbalanästhesie, 1394 (52,7%) in örtlicher Betäubung
ausgeführt worden. Unter letzteren befanden sich 138 Unterbrechungen
des Plexus brachialis, 84 Splanchnikusanästhesien, 76 parasakrale
Anästhesien. Paravertebrale und epidurale Anästhesie wurden nicht
mehr gebraucht. Eine viel weitergenende Einschränkung der Narkose
halte ich nicht für erwünscht, weil sie unentbehrlich ist und deshalb
geübt werden muß. Das ist unmöglich, wenn 90% aller Operationen
ohne Narkose gemacht werden.
Die örtliche Betäubung erfährt eine Einschränkung durch die¬
jenigen Menschen, welche sich infolge ihrer psychischen Verfassung
dazu nicht eignen. Es ist fehlerhaft, einen Kranken mit schreckhaften
Vorstellungen zu überschütten und ihn zu quälen. Freilich läßt sich
ein großer Teil der sonst ungeeigneten Personen durch Vorbereitung
mit Skopolamin-Morphium geeignet machen. Ich bin davon ein großer
Freund geworden bei eingreifenden Operationen — nur bei solchen —,
die in örtlicher Betäubung ausgeführt werden sollen. Die Kranken
kommen, wie Krönig dies einführte, mit verbundenen Augen und
verstopften Ohren in den Operationssaal und erinnern sich hinterher
in der Regel nicht oder nur dunkel, was mit ihnen vorgefallen ist.
In der Hauptsache aber sind es die durch die Resorption von
Novokain zustandekommenden Vergiftungen, welche die Grenzen der
örtlichen Betäubung bestimmen. Sie sind abhängig von der Dosis
des Novokains, vom Ort seiner Einverleibung und — vor allem —
von der Schnelligkeit, mit der das einverleibte Mittel zur Resorption
gelangt. Da Suprarenin die Resorption verlangsamt, ist es sehr
wichtig, daß die Novokainlösung wirksames unzersetztes Novokain
enthält. Ohne Suprarenin wären die Grenzen der örtlichen Betäu¬
bung viel enger gesteckt. Unbeabsichtigte intravenöse Einspritzung,
die auch bei kleiner Dosis zu Vergiftungen führen kann, läßt sich
bei geeigneter Technik unter allen Umständen vermeiden. Man darf
bei ruhender Hohlnadel niemals einspritzen, bevor man nicht über¬
zeugt ist, daß kein Blut aus der Hohlnadel ausfließt.
Nebenwirkungen leichter Art, wie Uebelkeit und Erbrechen, vor¬
übergehende Irregularität und Schwächerwerden des Pulses, Flimmern
vor den Augen, Trockenheit im Halse, Schläfrigkeit können gelegent¬
lich einmal auch bei kleinen Dosen und bei allen Operationen Vor¬
kommen. Meine auf viele Tausende von Fällen sich erstreckende
Erfahrung geht dahin, daß solche Nebenwirkungen bei der inner¬
halb gewisser Grenzen geübten örtlichen Betäubung jedenfalls nicht
in einer Häufigkeit Vorkommen, die sich in Prozenten ausdrücken
läßt und für die Indikationsstellung in Betracht kommt. Noch seltener
sind bei den älteren Formen der örtlichen Betäubung höhere Orade
von Novokainvergiftung vorgekommen: Schlafzustände, bei denen die
Sensibilität des ganzen Körpers erloschen ist (A. W. Meyer), De¬
lirien, Krämpfe, die unmittelbar nach der Einspritzung auftreten und
ein fast sicheres Zeichen intravenöser Injektion sind, Kollapse. Häufiger
und deshalb die Indikationsstellung beeinflussend sind sie erst in
Erscheinung getreten, als die örtliche Betäubung sich an Probleme
wagte mit sehr großen Novokaindosen und neuen Einverleibungs¬
orten. Fast stets sind es Einspritzungen in unmittel¬
barer Nähe der Wirbelsäule, und zwar der Interverte¬
brallöcher, bei denen solche Vergiftungen beobachtet
sind.
Wollen wir die Grenzen der örtlichen Betäubung erkennen, so
brauchen wir uns um die gesamte kleine Chirurgie nicht zu kümmern.
Hier ist ihr Gebiet fast unbeschränkt. Nur bei ganz kurzen Eingriffen
im infizierten Gebiet wird häufig die Rauschnarkose den Vorzug
verdienen. Die Grenzen der örtlichen Betäubung sind im übrigen
da zu suchen, wo die Operationen der großen Chirurgie in Frage
kommen. Auf sie kann daher unsere weitere Betrachtung be¬
schränkt sein.
Bei den großen Schädel-und Hirnoperationen sind Novo¬
kainvergiftungen kaum zu fürchten. Die örtliche Betäubung hat da
manche Vorteile vor der Narkose, als da sind: die zeitliche Trennung
von Betäubung und Operation und die ohne weitere Hilfsmittel zu
erreichende Blutsparung, die ein zweizeitiges Operieren stets über¬
flüssig macht. Durch Narkotika besonders gefährdet sind Kranke
mit Hirndruck (Atemlähmung!). Aber die Ergebnisse der örtlichen
Betäubung sind bei den Hirnoperationen nicht unbestritten, weil die
Empfindlichkeit der Dura gegen die Schädelbasis hin nicht zu be¬
seitigen ist und das gewaltsame Aufklappen des Schädels ohne Nar¬
kose nicht jedem zugeinutet werden kann, zumal da Morphium und
Skopolamin bei Kranken mit Hirndruck nur mit der größten Vorsicht
zu brauchen sind. Man muß also von Fall zu Fall entscheiden. Oft
kommt man am besten und für den Kranken am schonendsten zum
Ziele durch Verbindung der örtlichen Betäubung mit kurzen, oberfläch¬
lichen Narkosen.
Unbestritten ist dagegen der Wert der örtlichen Betäubung bei den
Operationen an den Kiefern, im Gesicht, in Mundhöhle
und Rachen. Die Oberkieferresektionen, die Operationen bei Tumo¬
ren des Nasenrachenraums mit ihren Voroperationen, die Unterkiefer¬
resektionen, die Operationen beim Karzinom der Zunge usw. haben
durch die örtliche Betäubung ein völlig verändertes Aussehen be¬
kommen. Sie sind mit ihrer Hilfe leicht, sauber und ohne Blutverlust
möglich, Voroperationen zur Blutsparung und die Tracheotomie sind
nicht mehr nötig. Die Gefahren dieser Operationen, hauptsächlich
durch die Aspirationspneumonien bedingt, sind fast verschwunden.
Bei diesen Operationen gibt es daher kaum eine Grenze für die
örtliche Betäubung, zumal da Nebenwirkungen ernsterer Art bei
ihnen nur sehr selten vorgekommen sind. Bedenklich ist nur die
Injektion ins Ganglion Gasseri, die daher als Betäubungsverfahren
nur ausnahmsweise in Frage kommen kann.
Bei den großen Halsoperationen sind die Versuche, den
Plexus cervicaTis in nächster Nähe der Wirbelsäule zu unterbrechen
(paravertebrale Anästhesie), ein Fehlweg gewesen. In kurzer Zeit
sind 9 schwere Vergiftungen und 3 Todesfälle bei diesen Injektionen
veröffentlicht worden, obwohl die angewandten Novokaindosen ganz
geringe waren. Dies Verfahren muß daher aufgegeben werden und
ist auch unnötig. Denn wenn man beiderseits den hinteren Rand
des Kopfnickers von einem in dessen Mitte gelegenen Einstichpunkt
aus subfaszial und subkutan infiltriert, so erhält man vollkommene
Unempfindlichkeit der Vorderfläche des Halses. Bei den Strumen
fügt man jederseits noch eine Einspritzung am oberen Pol der Schild¬
drüse, in die Nachbarschaft der A. thyreoidea sup. hinzu. Dies Ver¬
fahren läßt nichts zu wünschen übrig und ist frei von Nebenwirkungen.
Fast alle Halsoperationen sind Gegenstand der örtlichen Betäu¬
bung, insbesondere die Kehlkopfspaltung und Kehlkopfexstirpation,
die Operationen am Halsteil der Oesophagus (Divertikel, Fremdkör¬
per). Die Narkose kann hier nicht in Wettbewerb treten. Auch bei
den Strumen ziehen die meisten Chirurgen die örtliche Betäubung
mit Recht der Narkose vor. Von den Basedowkranken sind nicht alle
infolge ihres psychischen Zustandes für die örtliche Betäubung ge¬
eignet.
In der Brustkorb Chirurgie ist die Verwendung der ört¬
lichen Betäubung auf die Operationen an der Brustwand beschränkt.
Sie ist angezeigt bei den Empyemen, bei Lungenabszessen, wo die
Aspirationsgefanr durch die Narkose erheblich erhöht ist, bei der
chirurgischen Behandlung der Lungentuberkulose, bei den subphre¬
nischen Abszessen. Die Einspritzungen sollen nicht unmittelbar neben
der Wirbelsäule, sondern in einiger Entfernung von ihr, interkostal
gemacht werden. Der paravertebralen Anästhesie stehen im Rücken¬
teil die gleichen Bedenken entgegen wie im Halsteil der Wirbel¬
säule. Im Inneren der Brusthöhle in örtlicher Betäubung zu ope¬
rieren, bezeichnet Sauerbruch als einen Kunstfehler, weil intra-
P leurale Maßnahmen an nicht narkotisierten Menschen reflektorisch
lerz- und Atemstillstand, Wogen der Lunge und Preßatmung her-
vorrufen.
Von den Bauchoperationen werden diejenigen, welche die
Bauchdecken oder ihnen unmittelbar anliegende, leicht zugängliche
Organe betreffen, in Deutschland wohl ziemlich allgemein in örtlicher
Betäubung ausgeführt. Selbst für den abdominellen Kaiserschnitt
genügt durchaus eine gute örtliche Betäubung der Bauchdecken.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNiVERSITY
2. Februar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
153
Ueber die großen intraabdominellen Eingriffe ist Fol¬
gendes zu sagen. Die Lungenkomplikationen nach Bauchoperationen
sind in der Hauptsache von anderen Bedingungen abhängig als
vom Betäubungsverfahren und werden daher aurcn die örtliche Be¬
täubung auch nicht nennenswert eingeschränkt. Trotzdem sind die
Bestrebungen, bei diesen Operationen die Narkose auszuschalten,
gerechtfertigt, weil der Allgemeinzustand der Kranken, welche lang¬
wierige Bauchoperationen durchzumachen haben, durch lange Nar¬
kosen weit ungünstiger beeinflußt wird als durch die örtliche Be¬
täubung.
Ein Fortschritt sind die gemischten Betäubungsverfahren: ört¬
liche Betäubung der Bauchdecken, Vorbereitung mit Skopolamin-
Morphium, Einschaltung kurzer Narkosen, wo es nötig ist. Kranke,
welche so behandelt sind, kommen besser vom Operationstisch als
nach langer Vollnarkose. Die Versuche, die Narkose ganz auszu¬
schalten, führten bisher nur iin oberen Teil der Bauchhöhle (Magen-
und Gallenblasenoperationen) zu einem guten Ergebnis. Abzulehnen
ist auch hier aus den schon erwähnten Gründen, und weil sie viel
zu umständlich ist, die paravertebrale Anästhesie. Die Unterbrechung
der Nn. splanchnici (Splanchnikusanästhesie, Käppis) macht in
Verbindung mit örtlicher Betäubung der Bauchdecken den oberen
Teil der Bauchhöhle unempfindlich. Ich ziehe es aber vor, erst die
Bauchhöhle zu öffnen, um dann unter Sicht und Gefühl die Vorder¬
fläche der Wirbelsäule zwischen den Zwerchfellschenkeln mit Novo¬
kainlösung zu infiltrieren, anstatt, wie Käppis, die Hohlnadel vom
Rücken her in diese Gegend zu führen, wir haben weit über 300
Magen- und .Gallenblasenoperationen mit diesem Verfahren ausge¬
führt, sahen keine Nebenwirkungen und so gut wie keine Versager.
Bei den Operationen wegen Peritonitis und Ileus, wo sie besonders
erwünscht wäre, hat es die örtliche Betäubung noch nicht zu be¬
friedigenden Ergebnissen gebracht. Auch bei der Appendizitis ist
die Narkose in der Regel das Betäubungsverfahren aer Wahl, die
örtliche Betäubung die Ausnahme.
Eine Anzeige, langdauernde Narkosen tunlichst zu vermeiden,
besteht bei den Nierenoperationen, welche sich ohne Schwie¬
rigkeit und, wenn sie einseitig sind, ohne zu große Novokaindosen
zuverlässig in örtlicher Betäubung ausführen lassen.
Ein wichtiges, technisch einfaches, von Nebenwirkungen und
Versagern fast freies Verfahren ist die parasakrale Anästhesie.
Sie bewirkt Unempfindlichkeit für alle im Bereich des Plexus sacralis
sich abspielenden Operationen, also die Operationen an Harnröhre,
Prostata und Blase, die vaginalen Operationen und diejenigen am
Mastdarm. Von besonderer Bedeutung ist sie für die Prostatektomie
und die perinealen und sakralen Operationen beim Mastdarmkrebs.
Bei allen Operationen in der genannten Körpergegend sollte die
örtliche Betäubung die Regel und die Narkose die Ausnahme sein.
Bei den Extremitäten Operationen können wir unsere Be¬
trachtung im wesentlichen auf die Unterbrechung des Plexus brachialis
beschränken, die in der von Kulenkampff angegebenen Form eine,
nach der Literatur zu urteilen, recht weite Verbreitung erlangt hat.
Die Vergiftungsgefahr ist bei dem Verfahren sehr gering. Dagegen
haben sich zwei andere Gefahren gezeigt. Die eine ist sehr ernst.
Durch Anstechen der Pleura und Lunge neben der linken Rippe sind
wiederholt sehr unangenehme Pleurodynien und mehrere Todesfälle
verursacht worden. Diese Gefahr läßt sich aber vermeiden, wenn man
den Plexus nicht auf der ersten Rippe, sondern nach Mulley drei
Querfinger breit über dem Schlüsselbein punktiert. Bei einiger Uebutig
gelingt dort die Punktion ebensogut wie auf der ersten Kippe. Man
muß aber noch abwarten, ob nicht nun die größere Nähe der Wirbel¬
säule wieder zu anderen Komplikationen führt. Die zweite, sehr viel
weniger ernste Gefahr besteht in der Möglichkeit einer länger dauern¬
den Nervenschädigung bei intraneuraler Injektion. Sie haftet un¬
vermeidlich jeder Nervenpunktion an. Auch bei vollkommen regel¬
rechter Zusammensetzung der Lösung, worauf allerdings das größte
Gewicht zu legen ist, kann das bloße Anstechen eines Nerven und
ein ihn durchsetzendes Hämatom solche vorübergehenden Schädi¬
gungen verursachen. In einem Teil der wenigen in der Literatur
beschriebenen Fälle von länger dauernden Lähmungen im Gebiet
des Plexus brachialis hat es sich vielleicht um Schlauchlähmungen
gehandelt. In einem Falle von Härtel und Keppler ist das
aber auszuschließen. Glücklicherweise ist diese Nebenwirkung so
selten, daß sie die Brauchbarkeit des Verfahrens kaum beeinträchtigt.
Die meist mit der Unterbrechung des Plexus brachialis verbun¬
dene Lähmung des N. phrenicus und sympathicus ist bedeutungslos.
Das Verfahren ist von erheblichem Wert, besonders bei den Ver¬
letzungen und Phlegmonen an Hand und Vorderarm, die unvorbereitet
auf den Operationstisch kommen, zumal im poliklinischen Betriebe.
Es erleichtert in hohem Grade die Einrichtung von Frakturen vor
dem Röntgenschirm. An der unteren Extremität sind alle ört¬
lichen Betäubungsverfahren, welche Unempfindlichkeit des ganzen
Querschnitts von Ober- und Unterschenkel erstreben, viel umständ¬
licher, nicht nur die Leitungsanästhesie an der Gliedwurzel, sondern
auch die sog. Querschnittsinfiltration und die Venenanästhesie. Diese
Verfahren werden daher, wenn auch einzelne Chirurgen, die Zeit
dazu haben, gute Erfahrungen mit ihnen gemacht haben, doch
niemals die Verbreitung erlangen können, welche die Unterbrechung
des Plexus brachialis bereits erlangt hat. Hier tritt nach meiner
Meinung die Lumbalanästhesie in ihr Recht in den Fällen, wo die
Vermeidung der Narkose notwendig ist oder technische Vorteile
bietet.
Die örtliche Betäubung im engeren Sinne ist bisher das einzige
Betäubungsverfahren, welches im Wettbewerb mit der Narkose brei¬
tere Erfolge gehabt hat. Sie ist, wenn nur ihre natürlichen Grenzen
eingehalteu werden, trotz der verbesserten Narkosentechnik ein weit
geringerer Eingriff in den Organismus des Kranken als eine lange
Narkose und kann letztere mit Nutzen für die Kranken in etwa
50o/o aller chirurgischen Operationen ersetzen. Entbehrlich wird die
Narkose freilich wohl niemals werden, und deshalb darf die Nar¬
kosentechnik nicht vernachlässigt werden der örtlichen Betäubung
zuliebe.
Aus der I. Chirurgischen Abteilung des Städtischen Krankenhauses
in Neukölln.
Ueber Nehennierenexstirpation bei Epilepsie 1 ).
Von Prof. G. Sultan.
Als Fischer die Exstirpation einer Nebenniere bei Epilepsie
empfahl, war er von dem Gesichtspunkt ausgegangen, daß der Be¬
griff der Epilepsie sich in verschiedene pathogenetische Einheiten
zergliedern lasse und daß das Hauptsymptom der Epilepsie, der
Krampf, nicht lediglich eine Fähigkeit des Gehirns sei, sondern auch’
auf 6iner Fähigkeit des Gesamtorganismus beruhe. Man könne, so
führt er aus, daran denken, daß der Krampf auf einem letzten Endes
physiologisch vorgebildeten Mechanismus ablaufe, und es sei wahr¬
scheinlich, daß diese Einrichtung der physiologische Mechanismus
für die motorische Reaktionsform überhaupt sei. Er sagt weiter:
„Der Krampf ist, wie jede andere Muskelarbeit, seiner Erscheinungs¬
form nach zunächst eine Leistung der quergestreiften Muskulatur.
Wir müssen also der Frage nachgehen, welche Vorgänge in der
Peripherie des Organismus für die Leistungsfähigkeit und Reizan-
sprechbarkeit der Muskulatur von Bedeutung sind. Zur Beantwortung
dieser Frage liegen vielfache Angaben in der Literatur vor, insbe¬
sondere besteht nach Beobachtung am Menschen wie im Tier¬
experiment ein funktioneller Zusammenhang zwischen Muskelarbeit
und Nebennierensystem.“ Im Tierexperiment zeigte sich weiterhin,
„daß die Fähigkeit des tierischen Organismus, auf entsprechende
Reize mit Krämpfen zu reagieren, an das Vorhandensein der Neben¬
nierensubstanz gebunden ist. Die Krampffähigkeit des Organismus
nimmt mit Reduzierung der Nebennierensubstanz ab. Es haben also
die Nebennieren für die motorische Reaktion als Krampf dieselbe
Bedeutung wie für die motorische Reaktion im allgemeinen“.
Geht man also davon aus, daß der Krampf eine von der quer¬
gestreiften Muskulatur geleistete Arbeit sei, so kann man folgern,
daß sich eine Herabsetzung der Krampffähigkeit erreichen lasse,
wenn wir die Reizansprechbarkeit der quergestreiften Muskulatur
herabsetzen.
Das sind in kurzen Zügen die wichtigsten Gesichtspunkte, auf
Grund deren Fischer die Exstirpation der Nebenniere empfohlen
hat; er betont ausdrücklich, daß er mit der Nebennierenreduktion
lediglich den Krampf beeinflussen wolle und außerdem hoffe, die
Jähzornreaktion günstig zu beeinflussen. Es könne sich dabei nicht
etwa um eine Heilung der Epilepsie handeln. Er empfiehlt, den
Eingriff während der Wachstumsperiode des Organismus schon aus
dem Grunde zu vermeiden, weil wir bisher über die Bedeutung der
Nebennieren für die Wachstumsvorgänge noch nicht aufgeklärt sind.
Es kann hier nicht meine Aufgabe sein, und ich fühle mich dazu
auch nicht berufen, zu der sehr komplizierten und schwierigen Frage
der inneren Sekretion und ihrem Einfluß auf die Krampfbildung
Stellung zu nehmen. Aus unserer chirurgischen Erfahrung will ich
nur an die tetanischen Krämpfe nach Exstirpation der Schilddrüse
und der Epithelkörperchen erinnern und an den Zusammenhang
zwischen Epilepsie und Eunuchoidismus.
Wenngleich gewisse theoretische Bedenken auch nach der Rich¬
tung hin zu erheben waren, daß nach Exstirpation der einen Neben¬
niere auf Grund von Tierexperimenten mit einer Kompensations¬
hypertrophie der anderen Nebenniere gerechnet werden muß und
daß weiterhin akzessorische Nebennieren längs des vom Testis beim
Deszensus zurückgelegten Weges und außerdem versprengt in der
Nierenrinde nicht selten Vorkommen, so hielt ich mich nach den
ersten günstigen Mitteilungen von Brüning und Anderen doch für
berechtigt, durch Operation geeigneter Fälle dieser Frage auch
meinerseits näherzutreten. Bei der Auswahl und der neurologischen
Ueberwachung der Fälle bin ich von San.-Rat Fla tau in freund¬
lichster Weise unterstützt worden.
Gestatten Sie mir, zunächst auf die von mir operierten Fälle
— es sind 5 an der Zahl — einzugehen. Für die Technik der Frei¬
legung und Exstirpation lagen verschiedene Vorschläge vor. Im
allgemeinen wurde der Exstirpation der linken Nebenniefe der
Vorzug gegeben, weil rechts durch die Nachbarschaft der Leber
und der großen Gefäße die Verhältnisse nicht so günstig liegen.
Brüning empfahl die transperitoneale Operation, während Kött¬
ner und Bumke auf Grund von Leichen versuchen dazu rieten, von
einem Lumbalschnitt aus extraperitoneal nach subperiostaler Ent¬
fernung der 12. Rippe an die Nebenniere heranzugehen. Auch ich'
glaubte, die transperitoneale Methode vermeiden zu sollen, nicht
nur wegen der Möglichkeit einer operativen Peritonitis, sondern auch
1 ) Nach einem Vortrag in der Berliner Gesellschaft für Chirurgie am 12. XII 1921.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSITV
154
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 5
deshalb, weil bei einer möglicherweise eintretenden Blutung und
der dann erforderlichen Tamponade mir die Bedingungen für den
Heilungsverlauf nicht günstig zu sein schienen. An der Leiche
überzeugte ich mich davon, daß die Freilegung der linken Neben¬
niere nach Küttners Vorschlag von einem großen Lumbalschnitt
aus nach Exstirpation der 12. Rippe leicht und übersichtlich gelang,
machte auf diese Weise aber nur die erste Operation am Lebenden
und verzichtete bei den späteren Operationen auf die Entfernung
der 12. Rippe. Denn die hier dicht ansetzende Pleura ist manchmal
so dünnwandig und zart, daß sie zweifellos sehr leicht angerissen
werden kann, was natürlich zu einer unerwünschten Komplikation
führen muß; und dann zeigte es sich, daß die Uebersicnt auch
ohne Fortnahme der 12. Rippe vollkommen genügt, wenn man den
Schnitt am unteren Rande aer ganzen 12. Rippe entlang führt und
ihn so weit schräg nach vom, unten und innen verlängert, daß man
bequem die Niere mitsamt ihrer Fettkapsel und dem Colon descendens
medial und abwärts zur Seite schieben kann. Oeht man so vor,
dann erkennt man die Nebenniere leicht an ihrer Form und der
charakteristischen gelblichen Farbe und kann sie nun zum größten
Teil stumpf mit dem Finger aus dem umgebenden lockeren Binde-
und Fettgewebe herausschälen. Dabei spannen sich die Gefäße, welche
in den oberen und unteren Pol sowie in die Mitte eintreten, als
mehr oder minder zarte Stränge an und lassen sich leicht unter-
' binden. Eine der suprarenalen Arterien, in mehreren meiner Fälle
war es die in den oberen Pol eintretende, ist gewöhnlich stärker
entwickelt als die anderen, ln allen 5 von mir operierten Fällen
verlief die Operation glatt und ohne Komplikationen, ich bekam
weder eine Blutung noch eine Nebenverletzung, sodaß ich die Wunde
stets vollständig durch die Naht schließen konnte und jedesmal
glatte Heilung erzielte.
In 3 der operierten Fälle wurden vor und nach der Operation
Blutdruckmessungen, Untersuchungen des Blutbildes und Blutzucker¬
bestimmungen vorgenommen. Das Verhalten des Blutdruckes
vor und nach der Operation war nicht einheitlich; in 2 Fällen trat
nach der Operation eine mäßige Steigerung des Blutdruckes auf,
in 1 Fall eine mäßige Herabsetzung.
Eine Verschiebung des Blutbildes, wie sie Schlund
als Folge der Nebennierenexstirpation angibt, in dem Sinne, daß
die Zahl der Lymphozyten stark herabgesetzt, die der Neutrophilen
entsprechend vermehrt sein soll, war in meinen Fällen nur in den
ersten Tagen nach der Operation nachweisbar. Am 9. bzw. 15. Tage
nach der Operation war das Blutbild wieder zur Norm zurückgekehrt.
Da nach den Untersuchungen Ungers eine ähnliche Verschiebung
des Blutbildes durch Aethemarkose eintritt, so wird man bei der
Deutung dieses Befundes besonders vorsichtig sein müssen.
Der Blutzuckergehalt wies in 1 Fall eine geringe Steige¬
rung — von 0,04 o/o vor der Operation auf 0,09o/o am 24. Tage nach
der Operation — auf; in den übrigen Fällen blieb er unverändert.
Was die erzielten Erfolge anlangt, so kann ich mich leider
der optimistischen Auffassung B r ü n i n g s nicht anschließen, welcher
von seinen ersten 9 operierten Epileptikern berichtet, daß, trotzdem
6ie vorher täglich mehrere schwere Anfälle hatten, sie diese vom
Moment der Operation verloren. Dieses überaus günstige Resultat
sei allerdings nicht bei allen Patienten dauernd erhalten geblieben.
Ich muß leider bekennen, daß keiner der von mir Ope¬
rierten seine Anfälle verloren hat, ja ich bin sogar zweifel¬
haft, ob die Besserungen, welche in 2 Fallen konstatiert werden
konnten, wirklich auf die Operation zu beziehen sind. Man sieht ja
bei Epileptikern auch sonst gelegentlich freiere Intervalle.
Ich gebe Ihnen kurz die Hauptpunkte aus den Krankengeschich¬
ten an:
Fall I. Arthur M., 45 Jahre. Typische genuine Epilepsie mit
sehr häufigen Krampfanfällen und schweren Absenzen.
Operation am 5. II. 1921. 18. II. 1921 Anfall. 21. II. 1921 zwei
Anfälle. Die Anfälle wiederholen sich in verschiedenen Intervallen
trotz Brom- und Luminaldarreichung.
Bei der letzten Nachuntersuchung am 10. XI. 1921 gibt er an,
daß die Anfälle in Abständen von ungefähr einer Woche trotz
Luminal und Brom auftreten. Er hebt aber hervor, daß er nach der
Operation wieder Interesse zum Lest»» und anderer geistiger Tätig¬
keit und daß er ein Ruhegefühl habe, welches vordem nicht vor¬
handen gewesen sei.
Fall II. Martha M., 20 Jahre. Sie leidet seit ihrem 13. Lebens¬
jahre an typischer genuiner Epilepsie. Keine Absenzen. Im letzten
Jahre Häufung der Anfälle.
Operation am 8. VI. 1921. 12. VI. 1921 Anfall. 25. VI. 1921 An¬
fall trotz Luminal.
Bei der letzten Nachuntersuchung am 8. XI. 1921 gibt sie an,
daß sie im ersten Monat nach der Entlassung drei kleine Anfälle
gehabt habe. In letzter Zeit wieder sehr häufige Anfälle trotz
Luminal (3ma! täglich 0,1).
Fall III. Martha M., 38 Jahre. Seit U/a Jahren leidet sie an
epileptischen Krämpfen, welche sich in der letzten Zeit so gehäuft
haben, daß sie manchmal bis zu 20 Anfällen in 24 Stunden be¬
kommt. Auch im Krankenhause wurden bis zu 16 Anfälle am Tage
beobachtet; in einzelnen genau beobachteten Anfällen zeigte sich
Benommenheit, Schaum vor dem Munde, Reaktionslosigkeit der
Pupillen und der Kornea und Zuckungen des ganzen Körpers.
Operation am 8. VIII. 1921. 1. IX. 1921 zwei Anfälle. £ IX. 1921
ein kurzer Anfall.
Bei der letzten Nachuntersuchung am 24. XI. 1921 gibt sie an,
daß es ihr besser gehe als vor der Operation, weil die Anfälle nicht
mehr so häufig kommen. Wenn sie Luminal einnimmt, bleibt sic
gewöhnlich anfallsfrei. Ende September hatte sie einen schweren
Anfall und 3—4mal leichte Anfälle seit der Entlassung.
Hier ist also in den vier Monaten seit der Operation eine deut¬
liche Verminderung der Anfälle zu konstatieren.
Fall IV. Otto R., 46 Jahre. Typische genuine Epilepsie, welche
mit ziemlicher Pünktlichkeit etwa alle vier Wochen einen Anfall
hervorruft mit Zuckungen, Bewußtseinsverlust, Zungenbiß usw.
Operation am 11. VIII. 1921. 14. IX. 1921 Anfall von 10 Minuten
Dauer. 28. und 30. XI. 1921 Anfall schwerer Art trotz Luminal.
Fall V. Erich H., 19 Jahre. Seit zwei Jahren typische genuine
Epilepsie.
Operation am 31. XII. 1920. 10. I. 1921 zwei Anfälle. 14. und
30. I. 1921 je ein Anfall trotz Bromdarreichung.
Am 15. III. 1921 wurde er entlassen, nachdem er in den letzten
vier Wochen bei Darreichung von 3mal täglich Luminal 0,1 keinen
Anfall gehabt hatte. Er verreiste dann aus Berlin, und ich hörte
nichts mehr von ihm, bis er am 4. VI. 1921 mit schwerer link¬
seitiger Unterlappenpneumonie auf die Innere Abteilung unseres Kran¬
kenhauses aufgenommen wurde. Er starb an seiner Pneumonie am
6. VI. 1921. Die Autopsie ergab nichts, was auf einen Zusammen¬
hang zwischen der tödlichen Pneumonie und der vor sechs Monaten
ausgeführten Nebennierenexstirpation deuten ließe. Eine kompen¬
satorische Hypertrophie der recnten Nebenniere war nicht erkennbar.
Das Resultat ist also, daß in einem Falle der psychische Zustand
des Kranken sich gebessert hatte und daß in einem anderen Falle
während der vier Monate nach der Operation die Anfälle bei
Luminaldarreichung weniger zahlreich waren. Ob diese Besserungen
aber als ein Erfolg der Operation anzusehen sind, das muß zur Zeit
noch als zweifelhaft gelten.
In der Literatur liegen bisher nur wenige Mitteilungen vor.
Auf einer Tagung der Mittelrheinischen Chirurgenvereinigung konnte
Brüning über 14 operierte Fälle berichten, von denen er 11 zur
Bewertung heranziehen konnte. Von diesen wurden 5 geheilt bzw.
erheblich gebessert. Als auffallend erwähnt er die Veränderungen
des psychischen Verhaltens: die Patienten werden ruhiger, sie ver¬
lieren ihre Reizbarkeit, ihre Intelligenz nimmt zu.
In derselben Sitzung äußerte sich Schmieden zunächst in
günstigem Sinne; er hatte damals 4 Fälle operiert, von denen bei
zweien eine deutliche Besserung der Krämpfe festzustellen war. In
späteren Arbeiten aus seiner Klinik (Peiper) schränkte er aber sein
erstes Urteil stark ein und berichtete, daß bei 7 operierten Epilep¬
tikern keine dauernde Besserung des Krampfzustandes erzielt wurde.
In einigen anderen Publikationen handelt es sich um vereinzelte
Fälle, zum Teil auch ohne Angabe über die Beobachtungsdauer.
So berichtet Pohrt über 1 Fall, bei dem die Anfälle ganz be¬
deutend an Zahl und Intensität abgenommen haben sollen, ohne
nähere Angaben; ebenso Bardenheuer über 3 Fälle schwerster
Art, welche anfallsfrei geblieben sein sollen. Kutschka-Lissberg
teilt mit, daß er in 2 Fällen, die 1/2 Jahr bzw. 7 Wochen zurück¬
liegen, günstigen Erfolg gesehen habe, und v. Brunn, daß in
2 Fällen, welche 2 bzw. 2y* Monate nachbeobachtet waren, die
Krampfanfälle vollständig ausgeblieben seien. Cordua hält es für
möglich, daß die nach der Operation erzielten Besserungen auf den
starken Blutverlust, den er bei der Schwierigkeit der Operation
vermutet, zurückzuführen seien. Demgegenüber kann ich konstatieren,
daß in allen 5 von mir operierten Fällen ein irgend in Betracht
kommender Blutverlust nicht stattgefunden hat.
Steinthal hat 7 Fälle operiert und in keinem einzigen einen
durchschlagenden Erfolg erzielt. Bei 4 von diesen Operierten blieben
die Anfälle in den ersten Tagen nach der Operation aus, stellten
sich aber bald wieder in altem Umfange ein. Aus seinen Mitteilungen
geht auch hervor, daß die Operation technisch nicht ganz einfach
ist; er operierte extraperitoneal nach Küttner mit Exstirpation der
12. Rippe und konnte in seinen ersten beiden Fällen die sehr zer-
reiBliche Nebenniere nicht im ganzen entfernen; in einem anderen
Falle wurde die Nierenvene verletzt und seitlich ligiert. Die Niere
wurde nekrotisch und mußte sekundär exstirpiert werden.
Schließlich sei noch der tierexperimentellen Studien gedacht,
welche Specht gemacht hat zur Entscheidung der Frage, ob die
Nebennierenexstirpation bei Epilepsie gerechtfertigt ist. Er entfernte
den Versuchstieren eine Nebenniere und prüfte dann, ob nach Imp¬
fung mit Tetanustoxin der Krampf aufgehoben oder abgeschwächt
werden würde. Doch gingen operierte und nicht operierte Tiere an
typischen tetanischen Krämpfen zugrunde, die operierten allerdings
etwas später. In einer zweiten Versuchsreihe verwendete er Amyl-
nitrit als Krampfmittel und konnte auch hierbei in der Regel keinen
wesentlichen Unterschied bei operierten und nicht operierten Tieren
feststellen. Er schließt hieraus, daß die Nebennierenexstirpation nach
Fischer-Brüning als Maßnahme zur Beseitigung von Krämpfen
noch der genügenden Grundlage entbehrt.
Ich bin am Schluß meiner Ausführungen und möchte auf Grund
meiner eigenen und der bisher von anderer Seite veröffentlichten
klinischen Erfahrungen mein Urteil dahin zusammenfassen, daß das
bisher vorliegende Material noch zu gering ist, um ein endgültiges
Urteil über das Verfahren abzugeben, daß aber die Aussichten, durch
die Nebennierenreduktion zu einer Heilung oder auch nur wesent-
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
2. Februar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
155
liehen Verringerung der epileptischen Anfälle zu gelangen, als gering
bezeichnet werden müssen.
H. Fischer, Zschr. f. d. ges. NeuroL 1919,59; Zum Ausbau der tierexperimentellen
Forschung in der Psychiatrie 1920; Zschr. f. d. ges. Neurol. 1920,56; D. m. W. 1920 Nr. 52. —
Brüning, Zbl. f. Chir. 1920 Nr. 43; 1921 Nr. 19. - Schmieden, Zbl f. Chir. 1921
Nr. 19. — Peiper, ZbL f. Chir. 1921 Nr. 12. — Schmieden und Peiper, Arch. f.
klin. Chir. 1921, lia - Bumke und KUttner, Zbl. f. Chir. 1920 Nr.47. — Pohrt,
D.Zschr.f.Chir. 1921,162. — Kutschka-Lissberg, W.kl. W. 1921 Nr.25. — v. Brunn,
Vereinigung Niederrheinisch-Westfälischer Chirurgen, Zbl. f. Chir. 1921 Nr. 42. —
Bardenheuer. Vereinigung Niederrheinisch'Westfälischer Chirurgen, Zbl. f. Chir.
1921 Nr. 42. - Cordua, Zbl. f. Chir. 1921 Nr. 5. - Steinthal, Zbl. f. Chir. 1921
Nr. 25. — Specht, Zbl f. Chir. 1921 Nr. 37; D. m. W. 1921 Nr. 43 S. 13ia -
Schlund, D.tn.W. 1920 Nr. 46.- Schaps, D. m. W. 1921 Nr. 17.
Aus dem Pharmakologischen Institut der Universität in Bonn.
Ueber die Wirkung intravenöser Kampferölinjektion 1 ).
Von H. Leo.
Die direkte Einführung fetter Oele in die Blutbahn galt bekanntlich
bis vor kurzem als ein Eingriff, der wegen der Gefährlichkeit der
dadurch erzeugten Fettembolien für die Therapie nicht in Betracht
kommen, sondern nur experimentell-pathologische Bedeutung haben
könne.
Neuerdings ist aber von verschiedenen Seiten (1) nachgewiesen
worden, daß die Fettembolien auch, und zwar meistens, einen harm¬
loseren Charakter haben können. Es handelt sich dabei einerseits
um zahlreiche zufällige Sektionsbefunde von Fettembolien des Men¬
schen, die intra vitam symptomlos verlaufen waren, und anderseits
um Tierversuche.
B. Fischer hat im Ticrexperiment nachgewiesen, daß relativ
erhebliche Mengen von Oel (nämlich 0,2 ccm Oliven- oder Kampferöl
pro Kilogramm Körpergewicht) bei intravenösen Injektionen ohne
Gefahr vertragen werden können. Das injizierte Oel verschwindet
mit der Zeit wieder aus der Blutbahn, und man darf nach ihm bei
einer ziemlich erheblichen Oelinjektion damit rechnen, daß nach etwa
zwei Wochen in den Lungenkapillaren von dem Oel nichts mehr
nachzuweisen ist
Wenn man diese Ergebnisse auf den Menschen überträgt, so
würde man nach Fischer einem Menschen von 60 kg 12 ccm
Kampferöl unbeschadet intravenös einspritzen können.
Daß es sich hierbei nicht um ein bloßes Phantasiegebilde handelt,
illustriert eine Beobachtung von Fibiger(2) aus dem Jahre 1901.
Es lag hier ein Versehen einer Krankenschwester vor, die einem
Patienten irrtümlicherweise 50 ccm (!) Olivenöl intravenös injiziert
hatte. Die Folge war zunächst allerdings ein schwerer Kollaps. Der
Patient ist aber schließlich doch, trotz der enormen intravenös ein¬
gespritzten Oelmenge, am Leben geblieben.
Also hieraus ergibt sich schon, daß die intravenöse Injektion
von Kampferöl zu therapeutischen Zwecken, an deren Anwendung
früher kein Mensch gedacht haben würde, nicht außerhalb des
Bereiches der Möglichkeit liegt
Und so kann es nicht wundernehmen, daß bereits im Jahre 1918
von Le Moignic(l) sowie von anderen französischen (1) und
neuerdings auch von deutschen (3) Autoren die intravenöse Ein¬
verleibung des Kampfers nicht nur nicht zum Schaden, sondern, wie
übereinstimmend berichtet wird, zum Nutzen der Patienten angewandt
worden ist.
Während die zuletzt genannten klinischen Berichte nur kurz
den günstigen analeptischen Effekt der Injektionen hervorheben und
die Mitteilungen von B. Fischer, wenn auch an der Hand eines
reichen Tatsachenmaterials, im wesentlichen nur zeigen, daß die vor¬
sichtige intravenöse Injektion von Olivenöl ohne oder mit Kampfer
für Tier und Mensch nicht gefährlich zu sein braucht, sind die
Arbeiten der französischen Forscher aus dem Jahre 1918 umfang¬
reicher und gehen mehr auf Einzelheiten der Kampferwirkung ein.
In letzterer Beziehung wird besonders, unter Zugrundelegung der an
Menschen und Tieren gemachten Beobachtungen, die schnelle und
starke Wirktfng auf das geschwächte Herz betont.
Bei der offenbaren Bedeutung der neuen Methode hielt ich es für
erwünscht, im Tierexperiment festzustellen, in welchem Grade auch
die sonstigen bekannten Wirkungen des Kampfers bei der intravenösen
Injektion des Kampferöls zutagetreten.
Wir prüften bei unseren Untersuchungen, die ich gemeinsam mit
Herrn cand. med. Denzel anstellte, zunächst die Wirkung auf die
Atmung mittels der Zuntz-Geppertschen Methode. Hierdurch
gelingt es bekanntlich bei subkutanen Injektionen und noch mehr bei
intravenöser Einverleibung von gesättigtem Kampferwasser (4), in
exakter Weise eine Erregung des Atemzentrums durch Kampfer nach-
zuweisen, die sich durch Steigerung der Atemgröße deutlich bemerk¬
bar macht.
Die von uns angestellten Versuche zeigten nun in der Tat, daß
auch nach der intravenösen Injektion von OL camphor. bei Kaninchen,
deren Atemgröße vorher durcfi Morphin herabgesetzt war, eine deut¬
liche und sehr starke Steigerung dieser Größe erfolgte, nachdem es
zunächst mehrmals zu einem kurzdauernden Atemstillstand ge¬
kommen war.
ij Vortrag in der Medizinischen Abteilung der Niederrheinischen Gesellschaft für
Natur- und Heilkunde, 12. XII. 1921.
Gleichzeitig traten, wenn auch nicht immer, klonisch-tonische
Kränmfe auf, die etwa eine Minute andauerten. .
Die erwähnte starke Steigerung der Atemgröße erfolgte in jähem
Anstieg bis auf mehr als das Dreifache des Wertes nach Morphin,
um bald einem schnellen Absinken Platz zu machen. Nach kurzer
Zeit schloß sich hieran ein erneuter, aber allmählich andauernder
Anstieg, der noch nach 5 Stunden nicht beendet war und, wenn auch
nicht immer, den Anfangswert bereits wieder in hohem Maße übertraf.
Als Beispiel diene folgender Versuch.
Ein Kaninchen von 3500 g wird tracheotomiert und durch die
gegabelte Trachealkanüle mit dem In- und Exspirationsventil ver¬
bunden, welch letzteres zu der Zuntz-Geppertschen Gasuhr geht.
Im Beginn (10,33 Uhr) beträgt in 1/2 Minute die Atemgröße (Volumen
der ausgeatmeten Luft) im Mittel aus 6 Ablesungen 256,67 Volumen,
die Zahl der Atemzüge. 21. Um 10,37 bzw. 10,41 Uhr werden ihm in
die Ohrvene 0,02 bzw. 0,01 Morph, hydrochl. injiziert. Um 10,48 Uhr
ist die Atemgröße auf 128,33 und die Zahl der Atemzüge auf 12
gesunken. 10,52 Uhr Injektion von 0,5 qcm Ol. camph. in die Ohrvene.
Dauer der Injektion U/s Minuten. 10,55 Uhr Atemgröße 530, Zahl
der Atemzüge 21. Die Werte sinken darauf wieder und betragen schon
um 11,19 Uhr 188,33 bzw. 12 und um 11,30 Uhr 176,67 bzw. 11. In
den nächsten Stunden erfolgt dann allmähliches Ansteigen, und um
3,32 Uhr haben die Werte wieder 420 bzw. 33 erreicht.
Auffallend war uns hierbei, daß die Steigerung der Atemgröße
so schnell in fast unmittelbarem Anschluß an die intravenöse Injektion
des Kampferöls erfolgte. Es erschien schlechterdings undenkbar,
daß die geringe injizierte Oelmenge von 0,2 ccm Ol. camphor. = 0,02 g
Kampfer auf 1 kg Körpergewicht im Verlauf von etwa 2 Minuten sich
von der Vene aus durch die Lungen in Großhirn und Medulla oblongata
verbreitet und dort die stark erregende Wirkung ausgelöst haben
sollte. Dies um so mehr, da B. Fischer (l.c.) durch Organanalyse
nachgewiesen hat, daß etwa */ 3 des gesamten injizierten Oels in
den Lungen festgehalten wird.
Um die Sachlage zu klären, hielt ich es für geboten, einen Ver¬
gleich mit der Injektion der gleichen Menge reinen Olivenöls ohne
Kampfer in die Vene anzustellcn. Dabei ergab sich, daß hierdurch
ebenfalls eine starke, fast gleich große, mehr als dreifache Steigerung
der Atemgröße hervorgerufen wurde.
Als Beispiel diene folgender Versuch:
Ein Kaninchen von 3000 g hat im Beginn des Versuches (3,14 Uhr)
eine Atemgröße von 320 ccm und 23 Atemzüge. Um 3,21 Uhr intra¬
venöse Injektion von 0,024 Morph, hydrochl. Um 3,32 Uhr sind die
entsprechenden Werte auf 202 und 8 gesunken. 3,36 Uhr Injektion
von 0,5 ccm Ol. olivar. in die Ohrvene während 1V 2 Minuten. 3,38 Uhr
betragen die betreffenden Werte 516 und 19, 3,45 Uhr 640 und 36^
Danach allmähliches Absinken derselben, die um 5,49 Uhr 318 und 20
betr (fffenbar handelt es- sich hier um einen Reflexakt, ausgehend
von der Oelanschoppung in den Lungenkapillaren, der zu einer
Erregung des Atemzentrums geführt hat, durch den sicherlich auch
der erste steile Anstieg der Atemgröße nach der Kampferölinjektion
A?an könnte auch daran denken, daß dabei ein ähnlicher Vorgang
eine Rolle spielt, wie ihn Friedberger (5) nach der intravenösen
Injektion von indifferenten Suspensionskolloiden beobachtet und aut
die Adsorption unbekannter Serumbestandteile bezogen hat, und wie
ich (6) ihn nach der intravenösen Injektion von Lezithinemulsionen
feststellen konnte. Die Schnelligkeit des Auftretens der Atemsteige¬
rung und der im wesentlichen nicht kolloide Charakter des Ge¬
misches von Oel und Blutplasma spricht aber gegen eine derartige
Wenn wir null aber eine der Atemkurven nach Olivenölinjektion
mit einer der nach Kampferölinjektion vergleichen, so sehen wir, ab¬
gesehen von dem ganz gleichen ersten Anstieg, einen wesentlichen
Unterschied. Während die Atemgröße im ersteren Falle nach dem
ersten jähen Abfall meist fast gleichmäßig allmählich weiter absinkt,
erhebt sie sich, wie erwähnt, bei den Kampferölversuchen kurze Zeit
nach dem analogen Abfall wieder, steigt allmählich aber stetig an
und kann dabei sogar Werte erreichen, die den ersten Kulminations¬
punkt noch beträchtlich überragen.
Ich glaubte anfangs in diesem zweiten Anstieg der Atemgröße
eine reine Kampferwirkung erblicken zu müssen. Ganz sichergestellt
ist dies aber nicht. Denn wir haben später noch Falle beobachtet,
wo auch bei OL oliv, ohne Kampfer nach dem ersten allmählichen
Abfall wieder eine allmähliche nicht unbeträchtliche Steigerung der
Atemgröße erfolgte, die allerdings später als beim Kampferöl einsetzte.
Wir gehen deshalb nicht fehl, wenn wir den zweiten Anstieg
der Atemgröße auf eine Kombination von örtlicher Oelwirkung und
resorptiver Kampferwirkung beziehen.
Sehr ausgesprochen und als reine Kampfervvirkung mit Sicher¬
heit zu erweisen war die Erregung der Großhirnrinde bei Tieren,
denen diese vorher durch ein Hypnotikum gelähmt war.
Gottlieb (7) hat zuerst gezeigt, daß der durch Paraldehyd
hervorgerufene Schlaf durch die Einverleibung einer Kampferemulsion
per os in 20—30 Minuten völlig aufgehoben werden kann, und
I Isaak (8) hat in meinem Institut den gleichen Effekt, und zwar
momentan, durch die intravenöse Injektion von gesättigtem Kampfer¬
wasser bei dem Medinalschlaf hervorgerufen.
Wir stellten unsere Versuche mit der intravenösen Injektion von
Kampferöl bei Kaninchen und Hunden an, die ebenfalls mehrere
Digitized b 1
Google
Original from
CORNELL UNiVERSiTV
156
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 5
Stunden vorher durch subkutane Injektion von Medinal in tiefen
Schlaf versetzt waren.
Bei den Kaninchen war die erregende Kampferwirkung nur an¬
gedeutet, indem nur die vorher erschlafften Muskeln der Extremitäten
sich klonisch und tonisch kontrahierten, ohne eine nachweisbare
wesentliche Beeinflussung des Sensoriums und der Reflexerregbarkeit.
Dagegen trat die Erregung bei Hunden deutlich und stark zutage.
Ein Hund von 4200 g, dem morgens um 10 und um 11 Uhr je
0,5 g Medinal subkutan injiziert war und der um 4 Uhr nachmittags
in Tiefem Schlaf daniederliegt, erhält 1 ccm Ol. camphor. forte =
0,2 Kampfer in die Jugularvene langsam während 3V* Minuten inji¬
ziert. Am Ende der Injektion erhebt er spontan den Kopf, öffnet
die Augen, richtet sich auf und versucht, zu gehen. Nach einiger
Zeit legt er sich hin und befindet sich um 5 Uhr wieder im Schlaf-
zustano, reagiert dabei aber auf stärkere Berührungen. Um 5,10 Uhr
erhält er eine zweite intravenöse Injektion von 1 ccm Ol. camph. forte
innerhalb 2 3 /i Minuten. Danach öffnet er die Augen, richtet sich
auf, stellt sich auf die Beine und geht taumelnd im Zimmer umher.
Ein anderer, gleich schwerer Hund, der sich ebenfalls im Medinal-
schlaf befindet, erhält zur Kontrolle intraverfös Ol. olivar. ohne
Kampfer. Sein Schlafzustand bleibt dadurch völlig unberührt. Dieser
Versuch ergab bei Wiederholungen dasselbe Resultat.
Fassen wir die mitgeteilten Ergebnisse zusammen, so sehen wir,
daß durch die intravenöse Injektion von Kampferöl die Wirkungen
des Kampfers auf das Gehirn und damit auch aut die Atmung in aus¬
gesprochener Weise hervorgerufen werden. Da durch die Beob¬
achtungen von Le Moignic auch die Wirkung auf das geschwächte
Herz festgestellt ist und da kein Grund dagegen spricht, daß auch
die anderen Kampferwirkungen (Erweiterung der Lungengefäße nach
Liebmann [9], pneumokokkenwidrige Wirkung usw.) gleichzeitig
ausgelöst werden, so kommen wir zu dem Ergebnis, daß bei dieser
Einverleibungsart die Gesamtheit der resorptiven Kampferwirkung
zur Geltung kommt.
Welche Anhaltspunkte erhalten wir nun aus diesen Ergebnissen
für die praktische Anwendung der intravenösen Oelinjektionen beim
Menschen?
Daß man auch hier volle Kampferwirkungen erzielen kann, ist
gewiß und wird schon durch die bereits erwähnten klinischen Er¬
fahrungen dargetan.
Eine Frage aber ist es, ob diese intravenösen Oelinjektionen
wirklich so gefahrlos sind, wie es nach den Mitteilungen von
B. Fischer u.a. den Anschein hat.
Da muß ich denn doch, trotzdem bisher von Todesfällen nichts
berichtet ist, zur Vorsicht mahnen. Denn wir haben bei unseren
12 Tierversuchen 2 Todesfälle beobachtet, trotzdem wir die Injektionen
mit der größten Vorsicht ganz langsam ausführten,' sodaß die Injektion
von 1/2 ccm Oel sich auf etwa 2 Minuten erstreckte. Der erste Todes¬
fall trat Stunden nach der Oelinjektion «in, der zweite erst nach
mehreren Stunden.
Herr P. Prym war so liebenswürdig, die Organe der eingegan¬
genen Tiere im Pathologischen Institut zu untersuchen, und kon¬
statierte bei beiden hochgradige Oelembolie der Lungen sowie mäßige
Oelembolie in den außerdem untersuchten Gehirnen und Herzen.
Es handelte sich in beiden Fällen um Kaninchen, von denen das
eine ein schwächliches Tier von nur 1500 g Gewicht war und das
andere besonders lange durch die Trachealkanüle am Respirations¬
apparat geatmet hatte. Wenn in diesen Umständen auch ein begünsti¬
gendes Moment für den üblen Ausgang liegen mag, so ist doch nicht
ausgeschlossen, daß auch bei geschwächten Menschen unter Ver¬
wendung entsprechender Oelmengen ähnliche Zufälle eintreten können.
Aus den erwähnten klinischen Mitteilungen ist freilich zu ent¬
nehmen, daß die zur Hervorrufung kräftiger Kampferwirkung beim
Menschen ausreichenden Kampferölmengen so gering sind, daß die
mit der intravenösen Injektion verbundenen Gefahren wohl vermieden
werden können. Denn die genannten Autoren sind bei ihren Patienten
nicht über die mehrmals am Tage verabfolgte Einzeldosis von 1 ccm
Ol. camphor. hinausgegangen. Bei Verabfolgung von Ol. camphor.
forte könnte diese Dosis demnach sogar noch auf die Hälfte herab¬
gesetzt werden.
Es wäre dann noch die Frage zu erörtern, inwieweit sich die
intravenöse Kampferölinjektion in ihrem Effekt von den bisher üblichen
Einverleibungsmethoden des Kampfers unterscheidet und ob in diesem
Unterschied derartige Vorzüge enthalten sind, daß sie es berechtigt
erscheinen lassen, die immerhin vorhandenen Bedenken gegen die
Anwendung dieser Methode zu unterdrücken.
Die Mängel der gebräuchlichsten Methode, also der subkutanen
Kampferölinjektion, sind so oft betont worden und so allgemein be¬
kannt, daß ich es unterlassen kann, sie nochmals hier zur Sprache zu
bringen. Die von mir (4) zuerst für den Menschen vorgeschlagene
intravenöse Injektion von gesättigter wäßriger Kampferlösung bietet
ihr gegenüber den großen Vorteil sofortiger ausgiebiger Kampfer¬
wirkung.
Wenn B. Fischer (1. c.) behauptet, daß es sich bei diesem
Verfahren nur darum handelt, große Mengen von Wasser, in dem
sich Spuren von Kampfer lösen, intravenös einlaufen zu lassen, und
daß dabei im wesentlichen nur der Flüssigkeitsersatz eine Rolle
spielt, so zeigt er sich falsch unterrichtet. Denn erstens sind die zu
injizierenden Flüssigkeitsmengen nicht so groß, wie er anscheinend
annimmt, und zweiTens handelt es sich bei dem Kampferwasser um
eine gesättigte Kampferlösung (10). Sie enthält also das Maximum
von Kampfer, das sich im Wasser und somit auch im Blut und in
den Gewebssäften auflöst.
Man könnte es ja a priori für möglich halten, daß vielleicht vom
Blutplasma mehr Kampfer als vom Wasser in kolloidem Zustande,
also als Hydrosol, aufgenommen werden könne. Das ist aber, wie
ich kürzlich durch tagelanges Schütteln von fein verteiltem Kampfer
mit Blutserum festgestellt habe, nicht der Fall.
Daraus ergibt sich, daß, wenn man noch so konzentrierte Lösungen
von Kampfer in einem anderen Lösungsmittel' als Wasser, also auch
in Olivenöl, intravenös injiziert, durch die allmähliche Resorption
aus diesem Depot niemals eine Lösung des Kampfers im Blut resultiert,
die konzentrierter oder auch nur ebenso konzentriert wäre als das,
wie sich B. Fischer ausdrückt, nur Spuren Kampfer enthaltende
Kampferwasser.
Damit ist nun nicht gesagt, daß diese allmähliche Resorption
des Kampfers aus der im Blut deponierten öligen Lösung nicht von
Vorteil sein kann. Und das scheint in der Tat der Fall zu sein,
wenn wir die Beeinflussung der Atemgröße als Maß für die Wirksam¬
keit der einzelnen Methoden benutzen.
Wir sehen dabei, daß das Ansteigen der Atemgröße nach der
subkutanen Injektion des Kampferöls nur ganz allmählich und in so
geringem Grade erfolgt, daß selbst nach einer Stunde der Anfangs¬
wert noch nicht erreicht ist. Das Ansteigen nach der intravenösen
Injektion von Kampferwasser tritt sehr schnell ein und erreicht sehr
hohe Werte, hält aber freilich meist nicht lange an. Dagegen erfolgt,
wie wir gesehen haben, im Anschluß an die intravenöse Kampferöl¬
injektion nach dem ersten jähen Anstieg und Abfall ein allmähliches
starkes und viele Stunden andauerndes Ansteigen weit über den
Anfangswert hinaus. Man darf wohl annehmen, daß durch diesen
Mechanismus eine besonders gute Ausnutzung der Kampferwirkung
erzielt wird, wenn dabei auch freilich, wie oben dargelegt, die örtliche
Oelwirkung mitspielt.
Zum Schluß weise ich noch auf eine bemerkenswerte, zuerst von
Le Moignic und S£zary (siehe S. 592) und später auch von
B. Fischer (siehe S. 872) gemachte Anregung hin. Es handelt sich
dabei um den Gedanken, auf krankhafte Lungenprozesse mit Hilfe
der intravenösen Injektion von in Oel gelösten Substanzen direkt
therapeutisch einzuwirken.
Wenn man das mikroskopische Bild der mit Scharlachrot gefärbten
Lunge nach der intravenösen Oelinjektion betrachtet und bedenkt,
daß die ganze Lunge mit derartigen zahllosen Oeldepots durchsetzt
ist, welche die in ihnen gelösten Stoffe nur allmählich in konzentrier¬
terer Lösung als an die übrigen Körpersäfte an das umliegende Lungen¬
gewebe abgeben, so erscheint es in der Tat verlockend und nicht
aussichtslos, durch intravenöse Injektion öliger Lösungen Stoffe in
die Lunge zu transportieren, um dort entweder eine das Lungen¬
gewebe direkt günstig beeinflussende oder eine antibakterielle Wir¬
kung hervorzurufen. Weitere Versuche müssen darüber entscheiden,
inwieweit dieser Plan realisierbar ist.
Für das Kampferöl kann man in der Beziehung schon jetzt, ab¬
gesehen von den bereits erwähnten Erfahrungen, einen bestimmten
Ausblick halten, und zwar bezüglich einer Beeinflussung der Lungen¬
tuberkulose.
Bekanntlich ist zuerst von Rokitansky der dauernden Blut¬
überfüllung der Lungen eine immunisierende Wirkung gegen Tuber¬
kulose zugesprochen worden im Gegensatz zu der prädisponierend
wirkenden Anämie. Nun dürfen wir annehmen, daß die zahllosen
in den Lungen deponierten Kampferölherde die von Lieb mann (9)
als Folge der Kampferwirkung nachgewiesene Erweiterung der
Lungengefäße in besonders intensiver und anhaltender Weise zur
Geltung kommen lassen. Da nach Fischer (1. c.) das Kampferöl
bis zu 2 Wochen in den Lungen verweilt, so wäre es denkbar, daß
ähnlich langfristige Injektionen, zur Erzielung eines genügenden Effek¬
tes ausreichen und so die immerhin eingreifende Prozedur für die
Bekämpfung der Lungentuberkulose in der Praxis herangezogen wer¬
den könnte. Die von Alexander, Volland u.a. empfohlene
Kampfertherapie der Lungentuberkulose könnte demnach dadurch evtl
gefördert werden.
!. B.Fischer, Verh. D. path. Ges. 1914 S. 279; B. kl. W. 1921 Nr. 31 u.41; Le
Moignic und Gautrelet, Comptes rend. Soc. de biol. 1918, 81, S. 519 u. 868; Le
Moignic und S6zary, ebenda S. 590; Louet, ebenda S. 891; Jeanneney und
Firrari, Progr.m£d. 1918Nr.40; Loeper und Fumouze, ebenda Nr.50. — 2.Nord,
med. Ark. 1901, 2, S. 19. - 3. Stoeltzner, B.kl.W. 1921 S.872; R. Schmidt, ebenda
5. 1223; Wohlgemuth, Ther. d. Gegenw. Dez. 1921 S. 484. - 4. Leo, D. m. W. 1913
Nr. 13 u. 1918 Nr.ll; M.m.W. 1913 Nr. 43. — 5. Zschr. f. Immun.Forsch. 1914,20, S.405. -
6. Leo, D.m.W. 1920 Nr.38. - 7. Arch f.exp.Path.u.Pharm. 1892,30,Nr.39.— 8. Pflüg.
Arch. 1913, 153. - 9. Arch. f. exp. Path. u. Ther. 1912, 68, S. 59. — 10. Leo und Rim*
bach, Blochern. Zschr. 1919, 96, S. 306.
Aus dem Wöchnerinnenheim am Urban in Berlin.
Zur Behandlung der akuten Anaemie sub partu.
Von Dr. Ernst Runge,
Dirigierender Arzt und Hebammenlehrer der Anstalt.
Bis vor nicht zu langer Zeit waren wir bei großen Blutverlusten
unter der Geburt, aber auch bei sonstigen chirurgischen Blutungen,
z. B. im Verlaufe der Extrauteringravidität, hauptsächlich auf die
Kochsalzinfusion angewiesen, um das verloren gegangene Blut wenig¬
stens in etwas zu ersetzen und den Blutkreislauf wieder aufzufüllen.
Digitized b
Google
Original from
CORNELL UNfVERSITY
2. Februar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
157
In den letzten Jahren wurde der an sich uralte Vorschlag der Blut¬
transfusion wieder zur Diskussion gestellt und diese teilweise warm
empfohlen. Es ist natürlich leicht verständlich, daß eine Wiederauf¬
füllung des Zirkulationsapparates mit Blut wesentlich eher lebensret¬
tend wirken muß, als eine solche mit Kochsalzlösung. Immerhin sind
mit diesem Eingriff gewisse Gefahren verbunden. Die Einverleibung
körperfremden, wenn auch artgleichen Blutes hat mehrfach zu
schweren Krankheitserscheinungen, ja zum Tode des Empfängers
geführt. Außerdem ist die Technik des Verfahrens keineswegs ein¬
fach. Es muß die Art. radialis des Spenders mit der Vena mediana
des Empfängers temporär vernäht werden, was besonderer chirur¬
gischer Fertigkeit bedarf. Daher dürfte dieses Verfahren wohl in
Kliniken anwendbar, aber für den Praktiker kaum durchführbar sein.
Des weiteren ist stets die Anwesenheit und Bereitwilligkeit eines
Spenders hierzu nötig, was in der Praxis auch oft nicht der Fall
sein wird. Und schließlich müßte man, um gewissenhaft vorzu¬
gehen, auch sicher sein, daß der Spender nicht syphilitisch erkrankt
ist. Im Falle, daß der Ehemann bereit ist, das Blut zu liefern,
dürfte dieses Bedenken allerdings hinfällig sein.
Man sieht also, daß die Wiederauffüllung des Blutkreislaufes
in dieser Form mit mancherlei Schwierigkeiten und Bedenken ver¬
knüpft ist, sodaß sie für die allgemeine Praxis kaum in Betracht
kommen dürfte.
Den relativ schwierigen operativen Eingriff der Gefäß naht hat
man später dann dadurch zu umgehen gelernt, daß man Blut aus
der freigelegten und eröffneten Vena mediana des Spenders in ein
steriles Glasgefäß fließen ließ und es hier mit einer Lösung von
Natrium citricum vermengte, um seine Gerinnung zu verhindern. Mit
Kochsalzlösung vermischt, wird dann dieses Gemisch in die blo߬
gelegte Vena mediana der Ausgebluteten eingespritzt. Dieses Ver¬
fahren ist sicher wesentlich einfacher; es bedarf aber immer noch
eines gesunden Spenders, eines chirurgischen Eingriffs (Eröffnung
der Blutgefäße) und eines besonderen sterilen Instrumentariums, ab¬
gesehen von den eventuellen Gefahren durch die Transfusion körper¬
fremden Blutes. Daher dürfte auch diese Methode der Blutüber¬
tragung in der allgemeinen Praxis noch auf mancherlei Schwierig¬
keiten stoßen und kaum Allgemeingut der praktischen Aerzte werden.
Daß der Erfolg dieser beiden Verfahren für die ausgeblutete
Entbundene frappant sein muß und sehr viel eher lebensrettend
wirken wird als eine Kochsalzinfusion, ist leicht verständlich.
Inzwischen kam der Vorschlag von Thies, bei Blutungen im
Verlaufe einer Extrauteringravidität das in die Bauchhöhle ergossene
und von dort steril entnommene Blut der Kranken, nach eventueller
Vermengung mit Natr. citric.-Lösung, wieder durch Transfusion in
eine Vene einzuverleiben.
Diesen Gedanken auf die Behandlung der rein geburtshilflichen
Blutungen zu übertragen, war natürlich sehr verlockend. Man brauchte
einmal keinen Spender mehr, einverleibte körpereigenes Blut, und
die Blutentnahme aus einer Vene war nicht mehr nötig. Aber ein
Erfordernis stand im Wege.- Das Blut muß natürlich steril auf-
gefangen und so wieder einverleibt werden. Das von der Kreißenden
per vaginam verlorene Btut kann daher zu einer intravenösen In¬
fusion nicht benutzt werden, da es nicht mehr steril ist.
Um auf diesem Wege vorwärts zu kommen, machte ich bei
einigen infolge Atonie stark ausgebluteten Frauen folgenden Ver¬
such: Das in einer gewöhnlichen Schale aufgefangene Blut wurde,
soweit es noch nicht geronnen war, in einen Irrigator gegossen und
der Frau als Klisma verabreicht. Es stellten sich hierbei insofern
Schwierigkeiten heraus, als das Blut doch noch teilweise im Irrigator
gerann und den Schlauch verstopfte. Trotzdem konnte ich den
Frauen nicht unbeträchtliche Mengen ihres Blutes auf diesem Wege
wieder einverleiben. Der klinische Verlauf dieser Fälle brachte
den gewünschten Erfolg. Die Frauen erholten sich auffallend schnell
von den Folgen des schweren Blutverlustes, und Fälle, bei denen
man mit der Kochsalzinfusion kaum noch zum Ziele gekommen wäre,
wurden gerettet
Mir selbst erschien es anfangs auffallend, daß das Blut vom
Mastdarm aus so schnell resorbiert werden sollte, wie der klinische
Verlauf annehmen lassen mußte. Unterstützend wirkt hierbei aber
wohl der Umstand, daß der Mastdarm in diesen Fällen völlig frei
von Kot ist. Einmal trägt hierzu das vor der Geburt verabfolgte
Klistier bei, sodann der Preßakt während der Austreibungsperiode
und schließlich der andrängende, kindliche Kopf. Das Blut kommt
also in sehr ausgiebige Berührung mit der Mastdarmschleimhaut.
Unentschieden war für mich aber immer noch die Frage, ob nur
das Blutserum resorbiert wurde oder auch die Blutkörperchen bzw.
das Hämoglobin. Ich nahm daher die üblichen chemischen und mikro¬
skopischen Untersuchungen des ersten nach der Geburt entleerten
Stuhlganges vor und konnte hierbei in ganz wenigen Fällen im
Stuhl schon makroskopisch Blut feststellen. In wenigen weiteren
Fällen ergab die chemische Untersuchung des Stuhles auf Blut ein
positives, in den meisten Fällen dagegen ein negatives Resultat.
Auch mikroskopische Untersuchung desselben auf Blutkörperchen blieb
in letzteren Fällen negativ. Es muß dies immerhin auffällig erscheinen,
da nach den sonstigen Erfahrungen das Blut im allgemeinen nicht
so schnell aus dem Mastdarm verschwindet, resorbiert wird. In
unseren Fällen hat vielleicht die Leere des Mastdarms und das er¬
höhte Resorptionsbestreben des Körpers einen besonderen Einfluß
a usgeübt.
Nach weiteren Versuchen bildete ich die Technik des Ver¬
fahrens dann zu folgendem Vorgehen aus: Prinzipiell wird
bei jedem größeren Blutverlust sub partu das per
vaginam abgegangene Blut in einer sauberen Schale
aufgefangen und aufbewahrt. Sobald sich im weiteren
Verlaufe bei der Frau schwerere Zeichen akuter An¬
ämie einstellen, werden sofort — schon prophylak¬
tisch — 600 ccm des aufgefangenen Blutes mit 400 ccm
einer 0,9o/oigen physiologischen Kochsalzlösung ver¬
mengt, der noch 1 o/o — 4g Natr. citric. beigefügt wird.
Diese Mischung wird hierauf in einen gewöhnlichen
Irrigator gegossen und der Ausgebluteten als Klisma
einverleibt. Fast stets behielten die Frauen die Flüssigkeit bei
sich, zum mindesten 600—700 ccm davon.
In besonders schweren Fällen ließ ich den Frauen
nach diesem, sozusagen schnellen Klisma noch 600 bis
1000 ccm des Gemisches als Tropfklistier, über 2 bis
4 Stunden verteilt, ein verleibe n.
In weniger schweren Fällen, wo keine direkte Lebensgefahr vor¬
handen war, begnügte ich mich öfter mit dem Tropfklistier allein,
um die Rekonvaleszenz der Frauen zu beschleunigen.
Irgendwelche unangenehmen Begleiterscheinungen dieses Ver¬
fahrens habe ich nie beobachtet.
Wie schon gesagt, der Erfolg dieser Art von Blutreimplantation
war frappant und in seinen Erfolgen weit über die Resultate der
Kochsalzinfusion hinaus gehend. Selbst Frauen mit Zeichen schwersten
Lufthungers, die nach meinen früheren Erfahrungen mit Kochsalz¬
infusionen usw. fast nie mehr zu retten sind, erholten sich auf das
Blutklisma und blieben am Leben.
Was aber speziell für den Praktiker an diesem, meinem Vor¬
schläge das Wichtigste sein dürfte: er läßt sich jederzeit in der
Wohnung der Patientin, unter den primitivsten äußeren Verhältnissen,
mühelos und ohne jede besondere Apparatur durchführen.
Es bedarf dazu nur eines gewöhnlichen, reinen, nicht etwa sterilen
Topfes, in dem das Blutgemisch hergestellt wird, eines gewöhn¬
lichen Irrigators mit Schlauch und Mastdarmrohr, wie ihn die Heb¬
amme jederzeit bei sich hat, etwas Kochsalz, das in jeder Wohnung
vorhanden ist, und 4 g Natr. citric., das der Geburtshelfer bequem
in seiner Instrumententasche bei sich führen kann.
Außerdem fallen bei diesem Verfahren fort: Anwesenheit, Bereit¬
willigkeit und Gesundheit eines Spenders, die Gefahr der Einver*
Ieibung körperfremden Blutes, Sterilität des zu verwendenden Blutes,
steriles Instrumentarium und technische Kenntnis immerhin nicht
ganz einfacher chirurgischer Eingriffe, wie Blutgefäßnaht bzw. Frei¬
legung venöser Gefäße.
Aus der Hautkrankenstation des Städtischen Krankenhauses
in Elberfeld.
Schmierseileneinreibungen als Mittel zur Verbesserung
der Syphilisbehandlung.
Von Prof. Dr. Hübner, Chefarzt.
Wer vorurteilsfrei die Entwicklung der SyphilisbehancUung in
den letzten Jahrzehnten überschaut, wird sagen müssen, daß sie unter
dem Einfluß der großen Ehrl ich sehen Entdeckung zu sehr Chemo¬
therapie geworden ist und daß die natürlichen Immunisierungskräfte
des Körpers, die sich ja bei dem durch Heilmittel unbeeinflußten
Ablauf aer Krankheit so deutlich zeigen, von der jetzt allgemein
üblichen Behandlung zu wenig unterstützt werden.
Bei der endovenösen Behandlung wird das Hautorgan, das im
Sinne der Hoff mann sehen Esophylaxie ja wohl der Hauptort der
Bildung der Schutzstoffe des Körpers ist, zu wenig, ja eigentlich
gar nicht zur Entfaltung dieser Funktion angeregt, ja geradezu mehr
geschont als beim normalen Ablauf der Dinge, weil ja, wie wir
wissen, der Haupteffekt der Salvarsanbehandfung darin liegt, daß
die Hauteffloreszenzen sehr rasch verschwinden bzw. bei der Früh¬
behandlung gar nicht auftreten. In diesem Sinne bedeuten der Ueber-
gang von der früher so verbreiteten Inunktionskur zu den Injek¬
tionen und neuerdings von den intramuskulären Injektionen zu den
einzeitig mit Salvarsan kombinierten intravenösen entschieden zwei
kleine Rückschritte; denn bei den Einreibungen wirkt die Massage
der Haut, bei den intramuskulären Injektionen der auf die Unterhaut
oft noch übergreifende, von den Infiltraten ausgehende Entzündungs¬
reiz zweifellos im Sinne einer Anregung der Immunkörperbildung jn
der Haut. Es mag in diesem Zusammenhänge an die oft zitierte
Erfahrung aus Ländern mit endemischer Syphilis erinnert werden,
daß dort, wo die Syphilis „auf der Haut sich austobt“, d. h. zu
schweren entzündlichen Hautprozessen führt, die hier so häufigen
und leider auch durch die Salvarsantherapie durchaus nicht seltener
gewordenen Spätformen der Nervensyphilis fast völlig fehlen.
Es sind denn auch schon von verschiedenen Seiten Versuche
gemacht worden, die Salvarsantherapie, die wir wegen ihrer
spezifischen Einstellung auf die Spirochäten niemals
mehr werden entbehren können, zu ergänzen durch eine
solche, die die Haut in einen gewissen Reizzustand versetzt. Wie
günstig ein solcher auf den Verlauf der Krankheit einwirkt, haben
mehrere Beobachter, zuerst wohl Buschke, in solchen, zum Glück
seltenen, Fällen gesehen, bei denen eine Ueberempfindlichkeit gegen
Salvarsan bestand und zu einer schweren allgemeinen Dermatitis ge¬
führt hatte. Wenn auch diese Regel gewiß ihre Ausnahmen hat
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
158
Nr. 5
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
— wie jede in der Lehre von der Syphilis —, so sahen wir doch
auch in 4 von 5 solchen Fällen völlige und durch Jahre kontrollierte
Symptomfreiheit und Negativierung der Wa.R., zum Teil schon nach
geringen Salvarsandosen.
Aber es ist zum Glück durchaus nicht nötig, solche hohen und
lebensgefährlichen Grade der Dermatitis hervorzurufen. Hesse hat
durch Licht, Bruck durch Röntgenstrahlen eine zur Erzeugung von
Immunkörpern genügende Hautreizung erzielt. Wir haben im Gegen¬
satz zu dieser physikalischen Reiztherapie versucht, durch chemische
Mittel eine Einwirkung der Immunkörperbildung zu erreichen, die
sich an sogenannten Wassermann-Kurven objektiv demonstrieren läßt.
Wir begannen unsere Versuche mit jenem Mittel, dessen wir
uns bei der Behandlung der Acne dorsalis zur Erregung einer, wie
man früher sagte, „umstimmenden“ Hautentzündung gern bedienen,
der alten Solutio Vlemingkx. Aber dieses Schwefelpräparat wirkte zu
langsam; zu heftig dagegen wirkte ein zweites versuchtes Mittel,
das Krotonöl, mit welcnem ja Hebra seine experimentellen Ekzem¬
studien gemacht hat. Es erzeugt schon nach einmaligem Aufpitiseln
eine akute schmerzhafte Dermatitis. Weiter kamen wir erst, als
wir ein in der Wirkung zwischen den beiden genannten Medikamenten
stehendes Mittel anwandten, die offizinelle Schmierseife, mit der ja
die Chirurgen schon lange bei der chirurgischen Tuberkulose die
besten Erfahrungen machen, die man ja wohl auch kaum anders
erklären kann als durch Anregung der Antikörperbildung.
Wir lassen also unsere Kranken während der üblichen Syphilis¬
behandlung, die zur Zeit in wöchentlich 2 intravenösen Neosilber-
salvarsan-Injektionen, ä 0,2—0,45, einzeitig kombiniert mit 2 ccm
Cyarsal besteht, täglich etwa 10 g Schmierseife auf Brust und Rücken
sich gegenseitig einreiben. Die Inunktionen dauern etwa 15 Minuten,
die Seife bleibt in der Haut und wird erst am nächsten Tage vor der
folgenden Einreibung durch Abwaschen entfernt. Nach einigen Ein¬
reibungen erscheint die Haut leicht gerötet; ein leichtes Spannungs¬
gefühl in der Haut tritt aber erst nach 1—2 Wochen langer Dauer
der Kur ein.
Der Effekt dieser die Salvarsankur unterstützenden Behandlung
kann, wie ich glaube, sehr genau an den folgenden Wassermann-
Kurven abgelesen werden, in welchen 6 mit Seife behandelten Fällen
6 Parallelfälle, die ohne diese Einreibungen genau die gleiche Syphilis¬
behandlung durchmachten, gegenübergestellt sind, indem die mit
Silbersalvarsan und Seifeneinreibungen behandelten Fälle mit durch¬
gehenden Linien, die ohne Seifeneinreibungen mit gestrichelten Linien
gezeichnet sind. Die Höhe der Kurve wira bedingt durch die Stärke
der wöchentlich einmal, stets von demselben Untersucher, Dr. Func-
cius, ausgeführten Reaktion nach den üblicheu Bezeichnungen -f,
-H-, -f-j—K -f--j—j—h, die Breite durch die Anzahl der Wochen.
Man ersieht aus den Kurven, daß bei den „Seifenfällen“, von denen
2 mit -H--K 4 mit -j-f-f--}- ihre Kur begannen, die Stärke der
Reaktion sehr schnell abfällt, sodaß der eine Fall nach 2, 2 weitere
nach 3, die 3 letzten nach 5 Wochen negativ sind. Von den ohne
Seife behandelten Parallelfällen ist der erste ebenso früh negativ
geworden, nach 5 Wochen, wie der späteste Seifenfall; 2 weitere
erst nach 7 Wochen, die 3 anderen waren es noch nicht nach 8,
10 und 11 Wochen. Die Kurven zeigen also ohne weiteres, wieviel
der Wa.R. bei den Seifen- 35^
fällen eingetreten ist. Um
die Kurven nicht zu unüber¬
sichtlich zu machen, wurden
nur 6 Seifenfälle und die
gleiche Anzahl Parallelfälle
in sie eingetragen. Weitere
"Ä
p
■
rrrT
\
vx\
\ '*•
_j
\j\k\
□
— Silbersalvarsan und Seifeneinreibungen.
.... Silbersalvarsan ohne Seileneinreibungen.
Erfahrungen haben gezeij
daß die Verkürzung der K
durch die Seifenreibungen
am deutlichsten in Erschei¬
nung tritt bei den Kuren der ersten Krankheitsjahre. Bei schlecht
vorbehandelten Spätfällen trifft man jedoch manchesmal auf Fälle,
bei denen ein so geringes Vermögen des Körpers zur Bildung von
Gegenstoffen vorliegt, daß auch die Stimulierung der Hautreizung
nichts ausrichtet. Zwei solcher Fälle, die auch nach der fünften
Woche trotz intensiver Silbersalvarsan- und Quecksilberbehandlung
mit Seifeneinreibungen noch unverändert stark positiv reagieren,
sind in der Kurve ebenfalls eingezeichnet. Jedem Therapeuten sind
ja diese Fälle bekannt, bei denen die Negativierung der Wa.R. mit
keinem Mittel zu erzwingen ist. Bei diesen Fällen halte man sich
nicht mit Salvarsaneinspritzungen auf, sie werden, falls sie Symptome-
der Spätsyphilis zeigen, glänzend durch Jodkali beeinflußt. Das auf
die Spirochäten eingestellte Salvarsan spare man für die Früh¬
behandlung der Vorwassermann-Periode auf, wo der große Gewinn
der Abortivierung der Krankheit noch zu erreichen ist. Ist diese
Zeit, wie leider sehr häufig, vorbei, wenn der Patient in die Behand¬
lung cintritt, so gilt es, neben der spezifischen spirillotoxischen Be¬
handlung die Immunisierungskräfte des Körpers anzuregen, was wohl
schon in hohem Maße Aufgabe der altbewährten Quecksilberbehand¬
lung ist, aber, wie ich gezeigt zu haben glaube, durch gleichzeitige
Hautreizung noch erheblich unterstützt werden kann. Daß diese
Anregung der Hauttätigkeit in einfacher und billiger Weise durch
Schmierseifeneinreibungen geschehen kann, dürften die oben mit¬
geteilten Beobachtungen ergeben haben.
Neosilbenalvarsan (NSS.) und seine einzeitige Verwendung
mit Novasurol.
Von Dr. Georg Krebs, Spezialarzt für Hautkrankheiten in Leipzig.
Ende Mai 1920 sandte mir Geh.-Rat Ko Ile 500 Röhrchen Neo-
silbersalvarsan in Stärken von 0,2 bis 0,5 mit der Bitte, dieses neue
Salvarsanpräparat auf seine Wirksamkeit, seine Verträglichkeit und
seine Heilerfolge hin zu studieren. Den gesammelten Erfahrungen
liegt ein Material von 200 Patienten aller Stadien der Syphilis und
eine Zeit von 13 Monaten zugrunde. Behandelt wurden:
a) 95 Fälle im primären, nach Wassermann (und meist auch
Sachs-Georgi) noch negativen Stadium, bei denen die Infektion
höchstens 3 Wochen zurücklag.
b) 52 Fälle mit bereits positivem Wassermann (-j- = 4-4-), bei
denen außer dem Primäraffekt noch keinerlei Haut- oder Schleimhaut¬
erscheinungen nachweisbar waren.
c) 36 Fälle im vorgeschrittenen Sekundärstadium mit
= -j—-f—j—b Wassermann und ausgesprochenen Haut- bzw. Schleimhaut¬
erscheinungen.
d) 17 Fälle von Spätsyphilis mit negativem und positivem Wasser¬
mann.
Die Behandlung wurde — abgesehen von einigen wenigen aus¬
schließlich mit NSS. behandelten Fällen — in cinzeitiger Kombina¬
tion von NSS. mit Novasurol durchgeführt, und zwar nach folgendem
Durchschnittsschema, von dem selbstredend je nach Lage der Dinge
hin und wieder abgewichen wurde und abgewichen werden mußte.
(Stomatitis, die übrigens merkwürdigerweise trotz reichlichster Hg-
Zufuhr nur bei einem verschwindend kleinen Prozentsatz der Pa¬
tienten auftrat, stärkere Reaktionserscheinungen, Dermatitiden usw.)
1. Injektion NSS. 0,2, Toleranzprüfung
2. Injektion NSS. 0,2, Novasurol ifi
3. Injektion NSS. 0,3, Novasurol 1,0
4. Injektion NSS. 0,3, Novasurol 1,5
5. Injektion NSS. 0,3, Novasurol 1,5
6. Injektion NSS. 0,3, Novasurol 2,0
7. Injektion NSS. 0,4, Novasurol 2,0
8. Injektion NSS. 0,4, Novasurol 2,0
9. Injektion NSS. 0,4, Novasurol 2,0
10. bis 14. wie 7.-9.
Es sind demnach im allgemeinen für eine Kur 4,8 g NSS. und
24 ccm Novasurol verwendet worden. Die Injektionen suid im Ver¬
folg des vorstehenden Schemas in der ersten zeit der 13 monatlichen
Behandlungsära mit Zwischenräumen von 3, später von 2 Tagen, in
den letzten Monaten sogar einen Tag um den anderen ausgeführt
worden. Abgesehen von einigen belanglosen Störungen im Allge¬
meinbefinden einiger weniger Patienten, sind diese sehr kurzen Inter¬
valle zwischen den einzelnen Einspritzungen durchweg gut vertragen
worden. Und ich bin der Ansicht, daß besonders bei den abortiv
zu behandelnden, aber auch bei den sekundären Fällen der Syphilis
diese Kumulativwirkung von hervorragender Bedeutung für die rest¬
lose Erfassung der Spirochäten ist. Jedenfalls spricht die Möglichkeit
der Einverleibung derartiger Dosen in so kurzen Zwischenräumen
für die geringe Toxizität des neuen Präparates.
Die Verträglichkeit war ausgezeichnet, auffallenderweise
aber nur bis zu der Dosis 0,4. Bei 25 mit 0,5 behandelten Kranken
beiderlei Geschlechts haben wir in den meisten Fällen entweder in
a enehmer Weise auftretenden angioneurotischen Symptomen-
ex, Brechreiz und Erbrechen kurz nach der Injektion oder
momentan sich einstellende heftige Kopfschmerzen beobachtet. Wir
befinden uns bezüglich dieser Beobachtung in Uebereinstimmung mit
den Erfahrungen, die Hannes Weber und Erna Hibenberg in
der Klinik von Prof. Klieneberger in Zittau (Denn. Wschr. 1921
Nr. 35) gemacht haben. Auch sie haben bald die Verwendung von
0,5 NSS. unterlassen. Oanz leichte Formen von angioneurotischem
Symptomenkomplex haben wir auch bei 0,3 und 0,4 NSS. beobachtet,
doch waren diese Erscheinungen so vorübergehend, daß sie als belang¬
los bezeidinet werden können. Ebenso harmlos waren die hin und
wieder — besonders an den Armen und Händen — auftretenden
Dermatitiden, die bei Aussetzung der Behandlung schnell verschwan¬
den, ohne später wiederzukehren, sodaß die Kur zu Ende geführt
werden konnte. Bemerkenswert sind die sehr unangenehmen Zufälle,
die wir bei zwei weiblichen Patienten mittleren Alters gleich nach
der ersten Injektion zu beobachten Gelegenheit hatten; starker angio-
neurotischer Symptomenkomplex, Schwindelgefühl, Brechreiz und tage¬
lang anhaltende Schwäche, in dem einen Fall verbunden mit uni¬
verseller Dermatitis und tagelang anhaltendem Fieber. Es hat sich
dann aber später herausgestellt, daß beide eine ausgesprochene Arsen¬
idiosynkrasie hatten, selbst auf die kleinsten Dosen anderer Salvarsan-
präparate (0,1 Neo- und 0,15 Silbersalvarsan) reagierten sie mit ähn¬
lichen Symptomen. Bei beiden wurde dann aie Kur mit intravenösen
Novasurolinjektionen zu Ende geführt, die anstandslos vertragen
wurden.
Viele Patienten, besonders solche im bereits vorgeschrittenen
Sekundärstadium, die körperlich recht reduziert waren, rühmten eine
auffällig schnelle Besserung ihres Allgemeinbefindens, Zunahme des
Appetites und eine erhebliche Gewichtszunahme, Angaben, die von
uns durch den objektiven Befund bestätigt werden konnten.
Auch beim NSS. hat sich die schon beim Silbersalvarsan gemachte
Erfahrung wiederholt, daß einzelne, durch Nummern gekennzeich¬
nete Versuchsserien aus dem Speyerhaus verschieden vertragen
wurden. Wenn auch der Unterschied bezüglich der Verträglichkeit
der einzelnen Nummern nicht so in die Augen springend war, wie
beim Silbersalvarsan, so haben sich doch oft Abweichungen auch
Digitized b'
> y GoO^l c
Original from
CORNELL UNIVERSiTY
2. Februar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
159
beim NSS. ergeben. Wir haben feststellen können, daß ein und der¬
selbe Patient das Präparat mit der Kontrollnuramer a besser vertrug
als das mit b bezeichnete. Bei einer Serie war besonders der von
den Patienten stets als ekelerregend geschilderte Salvarsangeschmack
vorhanden.
Zubereitung der Lösung und Technik der Injektion.
In den ersten 8 Monaten haben wir als Lösungsmittel stets O,4o/ 0 ige
NaCl-Lösung, die aus redestilliertem und sterilisiertem Wasser mög¬
lichst täglich frisch im Laboratorium der Engel-Apotheke zu Leipzig
hergestellt wurde, später erst auf Anregung von Geh.-Rat Kolle nur
frisch redestilliertes und sterilisiertes Wasser benutzt, ohne übrigens
den geringsten Unterschied bezüglich der Wirkung der Injektion fest¬
stellen zu können. Der Inhalt der Ampullen wurde in 5 ccm einer der
obengenannten Lösungen aufgelöst Das meist dunkelbraune Pulver
— die Farben der einzelnen Serien variieren oft recht erheblich —,
löst sidi in wenig angewärmter Lösung sehr leicht und schnell, man
muß jedoch sehr genau kontrollieren, ob die Lösung vollständig
ist, da sich hin und wieder an den Glaswänden ungelöste Teile fest¬
setzen, die, in die Blutbahn gebracht, zu sehr üblen Zufällen führen
können. Die zur Injektion fertige NSS.-Lösung haben wir dann in
eine 15 ccm fassende Rekordspritze mit Glasstempel auf gesogen und
in dieser die Mischung mit dem Novasurol vorgenommen.
Die Technik der Injektion wird als bekannt vorausgesetzt,
sie bietet, da die Lösung tief dunkel ist, die für Ungeübte bekannten
Schwierigkeiten. Neben die Vene in das Gewebe gespritzte NSS.-
Lösung gibt sehr unangenehme Infiltrate. Ich empfehle dringend,
sich bei der Injektion der einmal früher von Stern angegebenen
Methode zu bedienen, die da vorschreibt, erst einige Kubikzentimeter
Blut (wir nehmen 5 ccm) in die Spitze aufzusaugen, da mau erstens
die Gewähr hat, wirklich in der Vene zu sein, und da vor allen Dingen
die Mischung von Medikament und Blut schon in der Spritze vor sich
geht, ein Umstand, der in puncto Schonung der Venenwand und nicht
zu unmittelbarer Ueberführung der Lösung in die Blutbahn nicht hoch
genug bewertet werden kann.
Die therapeutischen Erfolge. Die Einwirkung der NSS.-
Novasurolinjektionen auf ulzeröse Geschwüre, Plaques usw. ist
prompt und sicher, wir sind gewöhnt, selbst größere ulzeröse
Defekte nach wenigen Einspritzungen sich schnell reinigen und über¬
häuten zu sehen. Immer wieder zauberhaft ist die Wirkung bei den
hochgradig entzündlichen Phimosen auf schankrös-syphilitischer Basis.
Es ist erstaunlich, in welch kurzer Zeit sich diese oft monströs ent¬
zündlichen Veränderungen zur Norm zurückbilden. Bei diesen Fällen
habe ich immer den stillen Wunsch, daß die Enragiertesten aus dem
Lager der Salvarsangegner Zeugen der therapeutischen Erfolge und
der Dankbarkeit der Patienten sein könnten.
Die abortiv mit 12 bzw. 14 kombinierten NSS.-Novasurolinjek-
tionen behandelten Fälle sind, soweit sie sich nicht der Kontrolle
entzogen haben, von uns weiter beobachtet und zunächst in Zwischen¬
räumen von 4 zu 4 Wochen, später von 3 Monaten serologisch
nachgeprüft worden, und zwar nach Wassermann, zum großen
Teil auch nach Sachs-Georgi. Die Untersuchungen sind ausgeführt
worden vom Prosektor des Krankenhauses St. Georg in Leipzig,
Dr. Reinhardt, der unseren Arbeiten und unserem Material in
dankenswerter Weise das größte Interesse entgegenbrachte. Sämtliche
fortlaufend kontrollierten Fälle sind Wassermann- (Sachs-Georgi-)
n e g a t i v geblieben, ein Befund, der doch mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit den Schluß zuläßt, daß wir von einer Heilung
sprechen dürfen. *
Etwas anders liegen die Dinge bei den bereits schwach positiven
(-f 1 = -f-f) Kranken. Wenn auch von diesen der weitaus größte Teil
bereits nach der ersten Kur Wassermann-negativ war, so ist doch
ein gewisser, wenn auch kleiner Prozentsatz positiv geblieben. Wir
lassen daher diese Art von Kranken grundsätzlich 2 Kuren von je
14 kombinierten Injektionen mit einem Intervall von höchstens
3 Monaten machen und möglichst nach einem weiteren Vierteljahr
noch eine Sicherheitskur von 10 Injektionen. Die Zeit von 13 Monaten
ist naturgemäß zu kurz, um bezüglich der Heilungsfrage bei
dieser Kategorie von Kranken irgendwelche bindenden Schlüsse zu
ziehen, es wird der fortlaufenden Beobachtung dieser Patienten und
der Weiterarbeit bedürfen, um feststellen zu können, ob der von uns
vorgeschlagene Heilplan genügt, um derartige Fälle dauernd zu heilen.
Die im vorgeschrittenen Sekundärstadium befindlichen Kranken
(WaR. ISa.-G.) -HH-H~f+) mit Haut- oder Schleimhaut¬
erscheinungen müßten unbedingt drei Vollkuren von 14 kombinierten
Injektionen in Intervallen von 2—3 Monaten und vielleicht 4 Monate
nach der dritten Kur noch eine Sicherheitskur von 10 Spritzen durch¬
führen. Audi bei Kranken im vorgeschrittenen Sekunaärstadium
konnten wir bei einem Drittel der Fälle bereits nach der ersten Kur
einen völlig negativen Wassermann notieren, ein Zeichen für die ent¬
schieden hochwertige Einwirkung des NSS. in Verbindung mit No¬
vasurol auf die Spirillen. Und es waren auffallenderweise oft die
Fälle mit den schwersten Allgemeinerscheinungen, die bereits nach
14 Injektionen Wassermann-negativ wurden.
Bei den Erkrankungen der Spätsyphilisperiode (Tabes,
Taboparalyse, Erkrankungen des Nerven- und Gefäßsystems! sind die
Erfolge sehr variabel. Recht schönen therapeutischen Resultaten,
speziell im Anfangsstadium der Tabes und Taboparalyse (gastrische
Krisen, lancierende Schmerzen, Gedächtnisschwäche, Neuritiden), stehen
Fälle gegenüber, in denen keine oder nur schwache, nicht nennens¬
werte Erfolge zu verzeichnen waren. Ein älterer, früher aktiver
Offizier mit ausgesprochenen taboparalytischen Erscheinungen war
nach 2 Kuren im Jahre 1920 soweit hergestellt, daß er seine Be¬
schäftigung wieder aufnehmen konnte und sie heute noch ausübt.
Ein anderer Fall, ein Ausländer von 38 Jahren mit einem Gumma an
der Schädelbasis am Ganglion Gasseri (Diagnose: Geh.-Rat Payr),
ist nicht die Spur gebessert worden. Im allgemeinen haben wir den
Eindruck, daß die noch Wassermann-positiven Fälle der Spätsyphilis
eher zu beeinflussen sind als die Wassermann-negativen. Jedoch ist
auch hier die Beobachtungszeit zu kurz, es soll später eingehender
darüber berichtet werden.
Zusammenfassung. Wir scheinen dem Ziele, ein leicht lösliches
Salvarsanpräparat zu schaffen, das bei geringster Toxizität und guter
Verträglichkeit die sichersten und höchstwertigen spirillentötenden
Eigenschaften hat, im Neosilbersalvarsan erheblich nähergerückt zu sein.
Wir haben bei einem ausgesuchten Material von 200 Fällen mit etwa
3000 Injektionen von NSS. mit Novasurol in einzeitiger Kombination
Erfolge bei der Behandlung aller Stadien der Syphilis gesehen, wie
bei keinem der früheren Präparate und bei keiner anderen
Kombination von Salvarsan und Quecksilber. Die recht beacht¬
liche Erfahrung, daß diese günstigen therapeutischen Erfolge erzielt
werden konnten ohne nennenswerte Nachteile und Störungen für
den Organismus, eröffnet eine ermutigende Perspektive tür das
Speyerhaus, auf dem beschrittenen Wege weiterzugehen und weiter-
zuforschen.
Verödung der Tränendrüse durch Röntgenstrahlen.
Von Dr.Leo Brandt, Augenarzt, und Dr. Manfred Praenkel, Röntgenologe
in Charlottenburg.
I.
Auf Grund experimenteller und klinischer Röntgenerfolge zur
Verödung von Körperdrüsen wurde ein Fall von starkem Tränen-
träufeln nach Tränensackexstirpation mit sehr günstigem Erfolg der
Strahlenbehandlung unterzogen.
Ein 17jähriges, seit ihrem 3. Lebensjahre an Tränensackeiterung
des linken Auges leidendes Mädchen wurde mit Sonden ungebessert
behandelt. Im Dezember 1920 wurde es von einem in der endonasalen
Behandlung des Tränensackes anerkannten Rhiuologen endonasal am
linken Tränensack operiert und mehrere Monate nachbehandelt. Nach
vorübergehender Besserung bestand bei Eintritt in meine Behandlung,
Anfang März 1921, angeblich der alte Zustand.
Rechts normale Verhältnisse. Links: Sehschärfe (sph 4- 1,50) »
0,3 der normalen. Zentrale Macula corneae, über deren Entstehung
die Patientin nichts anzugeben weiß. Sonst äußerlich und innerlich
am Augapfel normaler Befund.
Die linke Tränensackgegend ist durch den prall gefüllten und
stark ektatischen Tränensack deutlich hervorgewölbt. Das Auge tränt
beständig, und bei Druck auf den Tränensack entleeren sich reich¬
liche Mengen grüngelben Eiters.
Bei der Aussichtslosigkeit weiterer Sondenbehandlung des stark
vergrößerten Tränensackes und Ablehnung einer nochmaligen endo¬
nasalen Operation exstirpierte ich am 10. IV. 1921 den linken Tränen¬
sack in der typischen Weise von außen. Der Sack konnte in toto
entfernt werden. Weder fand ich an ihm Reste einer vorangegangenen
Operation, noch im Knochen ein Fenster nach der Nase. Auch die
spätere röntgenologische Untersuchung (3 Aufnahmen) durch Dr.
Eugen Jacobsonn (Charlottenburg) und die rhinologische durch
Dr. M. Lubinski (Berlin) haben einen Knochendefekt an der
Nasenseite nicht feststellen können.
Die Operationswunde verheilte glatt unter Bildung einer linearen
Narbe, die mit dem Knochen fest verwachsen ist. Die Eiterung war
nach der Operation völlig beseitigt, es bestand aber noch ein so
heftiges Träuenträufeln, daß Patientin gezwungen war, die beständig
über die Wange rollenden Tränen abzuwischen, was sie besonders bei
ihrer Arbeit störte. Daraufhin wurde Patientin von Dr. Manfred
Fraenkel in der noch zu schildernden Weise mit Röntgenstrahlen
behandelt.
Patientin blieb weiter in meiner Beobachtung. Ich konnte weder
während, noch nach der Röntgenbehandlung irgendwelchen Reiz¬
zustand am linken Auge feststelien. Der Status am linken Augapfel
ist derselbe wie vor der Operation. Dagegen ist der mit der Röntgen¬
bestrahlung beabsichtigte Erfolg in vollem Umfange erzielt worden.
Das linke Auge ist zwar noch elwas feuchter als das rechte, was
weiter nicht verwundern kann, da bei der Bestrahlung nur die orbitale
Tränendrüse getroffen wurde und getroffen werden sollt e, die
akzessorischen Drüsen also weiter funktionieren, während die Tränen¬
abfuhrwege fehlen. Aber weder kommt es zu Tränenansammlung im
Tränensee, noch rollen Tränen über die Wange, auch nicht, wenn
Patientin z. B. gegen den Wind geht. Tränenträufeln tritt auch dann
nicht ein, wenn man durch Berühren der Kornea einen künstlichen
Reiz setzt.
Wenn auch bei den zweifellos guten Erfolgen, die die endonasale
Operation der Tränensackeiterung aufzuweisen hat, dtese Methode in
erster Linie für die Heilung dieses so lästigen und für den benach¬
barten Augapfel gefahrbringenden Leidens in erster Linie in Frage
kommen wird, so werden auch die begeisterten Anhänger dieses
Verfahrens nicht in Abrede stellen können, daß auch sie Mißerfolge
haben, zumindest in der Richtung, daß zwar die Eiterung beseitigt
wird, das Tränenträufeln aber fortbesteht. Für diese Fälle, bei welchen
also von außen der Tränensack entfernt werden muß, oder, wo auch
nach endonasaler Behandlung Epiphora fortbesteht, wird, wenn unsere
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNÜVERSrrV
160
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 5
weiteren Untersuchungen die Erfolge dieses Falles bestätigen, die
Verödung der Tränendrüse durch Röntgenbestrahlung eine wesent¬
liche Bereicherung unserer sonst ohnmächtigen Therapie gegen das
lästige Tränen bedeuten. Aber auch für jene Fälle von Tränen¬
träufeln, bei welchen die Tränenabfuhrwege intakt sind und gut
funktionieren und die wahrscheinlich durch Hypersekretion der Tränen¬
drüsen bedingt sind, verspricht das von uns geübte Verfahren Erfolg *)•
II.
Auf Orund günstiger Erfahrungen an 3 früheren mir von anderer
spezialistisdier beite zum Zwecke der Tränendrüsenverödung über¬
wiesenen Fälle von Tränenträufeln riet ich Kollegen Brandt in
seinem oben geschilderten Fall, es mit der Röntgenbestrahlung zu
versuchen.
Die Technik muß — der direkten Nachbarschaft des Auges ent¬
sprechend — sehr exakt und vorsichtig sein.
Zur Bestrahlung wurde ein an seinem oberen Ende zu diesem
Zweck besonders schräg abgeschnittenes, 2i/* cm im Durchmesser be¬
tragendes Bleiglasrohr, in dessen Innerm zwei Aluminiumfilter von je
2 mm Dicke angebracht waren, so gekantet, gegen den oberen äußeren
Orbitalrand sich anschmiegend, angelegt, daß die Strahlen in der
Richtung von unten innen schräg nach oben außen verliefen, also
den Augapfel nicht mittrafen. Das Auge blieb — sozusagen — rechts
liegen. 6 Sitzungen — an je 2 aufeinander folgenden Tagen — in
Abständen von je 1 Woche mit einer Gesamtmenge von o E.D., in
jedesmaliger Dosis von 1 E.D. unter Aluminium (2 M.A., 25 cm
Funkenstrecke, E.D. in 18 Minuten) erreichten den beschriebenen
Erfolg. Auch hier zeigte sich das von mir aufgestellte Strahlen¬
gesetz bewahrheitet: Drüsen, Organe oder Gewebe — im physiologisch
normalen Zustand gegen Strahlen nicht empfindlich — werden — in
über das physiologisch-normale Maß verändertem Zustand — radio¬
sensibel. — Die Tränendrüse ist mittels der oben geschilderten kleinen
Bleiglasröhrenform gut zu treffen, ohne jede Gefahr für das Auge
selbst, das zum Schutz mit dreifachem Bleigummiheftpflasterverband
abgedeckt wird, der unter die Ecke des Bleiglasrohres greift. Weder
Hautröte des Augenlides, noch geringste Braunverfärbung wurde
konstatiert.
Zur Technik der Quarzlichtbehandlung ’).
Von Dr. Frit* M. Meyer in Berlin.
Bezüglich der Technik der Quarzlichtbehandlung ist es ein
Haupterfordernis, daß man sich prinzipiell darüber klar wird, ob
man bei der einzelnen Erkrankung bzw. bei den einzelnen
Krankheitsgruppen jedesmal gleich lange bestrahlen oder ob man
die Dauer der Bestrahlung von der ersten Sitzung an steigern
soll. Ich glaube, Ihnen im Rahmen dieser Besprechung nachweisen
zu können, daß es sich hier nicht etwa um Pedanterie, um eine
Geschmacksfrage handelt, sondern daß diese Frage prinzipiell
beantwortet werden muß. Anderseits werden Sie erkennen, daß diese
Vorschläge im Widerspruch stehen zu der Technik, wie sie an den
meisten Stellen — sogar von sehr erfahrenen Strahlentherapeuten —
noch heute geübt wird. Wenn die Frage gestellt wird, ob man
jedesmal gleidi lange bestrahlen oder die Bestrahlungsdauer steigern
soll, so ist an Hand der Erfahrungen, die wir mit dem Fürstenau-
schen Aktinometer gemacht haben, diese Fragestellung nicht ganz
richtig, weil es eigentlich nicht auf die Zeitdauer, sondern auf die
Lichtmenge, die in der einzelnen Sitzung appliziert wird, ankommt.
Die individuellen Schwankungen im Verhalten der Haut des einzelnen
Kranken gegenüber dem Quarzlicht sind wesentlich größer als bei
der Röntgenbehandlung, wenn auch diese weitgehende Verschieden¬
heit der Reaktionen sich vielleicht herabmindern lassen wird, falls
wir durch das Aktinometer genauen Einblick in diese ganze Materie
bekommen sollten, eine äußerst schwierige Aufgabe, die unbedingt
erst erfüllt sein muß, wenn das Meßinstrument in der täglichen
Praxis eine Rolle spielen soll, sodaß für den Praktiker zur Zeit seine
Anschaffung noch nicht empfohlen werden kann.
Wenn wir mit Quarzticnt richtig behandeln wollen, müssen wir
uns auch dessen bewußt sein, daß es nicht zwei Lampen gibt, die,
selbst ungebraucht, völlig gleichwertig reagieren oder, was dasselbe
besagen will, die in der Zeiteinheit unter denselben Bedingungen
die gleiche Lichtmenge verabfolgen. Besonders deutlich zeigt sich
diese Tatsache bei der Wechselstromlampe; die Transformatoren sind
außerordentlich ungleichmäßig, was, wie die Firma meint, durch
die schlechte Qualität des Kriegsmaterials bedingt ist. Die Zukunft
wird uns lehren, ob diese Angabe zutrifft. Diese Ungleichheit spielt
praktisch eine große Rolle. Als zweites Moment kommt hinzu, daß
natürlich, je länger wir die Lampe benutzen, um so mehr die Licht¬
ausbeute der einzelnen Lampe nachläßt, sodaß wir, wenn wir nur
die Zeitdauer zugrundelegen, zu völlig verschiedenen Resultaten
gelangen, die also nicht durch die Verschiedenheit der einzelnen
Individuen erklärt werden können.
Wenn wir unsere praktischen Erfahrungen in Einklang bringen
mit den Hypothesen, die über die Wirkung des Quarzlfchts auf¬
gestellt sind, so können wir als die wesentlichen Wirkungen zwei
. *) Bei Drucklegung dieser Zellen Ist die Behandlung eines weiteren ähnlichen
Falles von Tr&nentrftufeln mittels Röntgenbestrahlung zum Abschluß gekommen mit
dem gleichen günstigen Erfolg wie der oben geschilderte. — ») Portbildungsvortrag
(abgekürzt).
Reaktionen bezeichnen, 1. das Erythem, 2. das Pigment Das Erythem
spielt eine große Rolle bei der Behandlung von Hautkrankheiten mit
Quarzlicht, weil es sich dabei um eine rein lokale Wirkung handelt,
die durch die Erzeugung einer reaktiven Hyperämie zu erklären ist.
Sie stellt die Vorbedingung eines Erfolges bei der Behandlung von
Hautkrankheiten dar. Ceteris paribus ist der Erfolg um so schneller,
sicherer und regelmäßiger, ie schneller, sicherer und stärker das
Erythem gezeitigt wird, sodaß wir also bei der Behandlung von
Hautkrankheiten unbedingt ein Erythem hervorrufen müssen. Ara
schnellsten wird es dadurch erzielt, daß wir diejenige Strahlung
einwirken lassen, die am ehesten dazu berufen ist, die Haut erythe-
matös zu reizen, nämlich die äußere, kurzwellige, ultraviolette Kom-
onente des Quarzlichts, die, wie wir wissen, schon in dem obersten
alben Millimeter der Haut zur Absorption gelangt. Ganz gleich,
wie man sich im einzelnen zur Erzeugung der Allgemeinwirkung
durch Quarzlicht stellt, ob man den ultravioletten Strahlen den
Hauptanteil an dem Zustandekommen der biologischen Wirkung
zuschreibt, oder ob man daran sämtliche Lichtkomponenten teilnehmen
lassen will — nie wird man die ganz ultraviolette Komponente
ausschalten dürfen, wenn man einen Heilerfolg haben will; dabei mag
es sich nun um Hautkrankheiten, wo wir direkte Hyperämie er¬
zielen wollen, oder um Erkrankungen handeln, bei denen wir All¬
gemeinwirkungen anstreben. Die Beeinflussung z. B. einer Lungen¬
affektion durch Quarzlicht ist natürlich nicht in der Weise zu er¬
klären, daß die Strahlen, die wir über den Lungen die Haut treffen
lassen, durdi Haut und Rippen hindurchpassieren, was schon daraus
erhellt, daß gerade die wirksamste Komponente des Quarzlichts,
wie gesagt, in dem obersten halben Millimeter der Haut zur Ab¬
sorption gelangt. Die Erzeugung von Allgemeinwirkungen ist über¬
haupt nur so zu erklären, daß wir dem Quarzlicht ein indirektes
Eindringen in <Jen Organismus zuerkennen. Daraus folgt, daß es
falsch ist — ob man nun Allgemeinwirkungen anstrebt oder ein
Organ in der Tiefe des Körpers beeinflussen will —, die Quarzlampe
direkt über diesem Organ einzustellen bzw. nur eine geringe Haut-
artie zu bestrahlen, von vornherein muß, da wir indirekte Wir-
ungen hervorrufen wollen, dem Quarzlicht eine breite Angriffs¬
fläche geboten werden; man muß also möglichst den ganzen Körper
bestrahlen. Ich bin der Meinung, daß auch diese Technik nicht
Geschmackssache des Einzelnen sein kann, sondern ein prinzipielles
Moment ist, von dem der Erfolg abhängt
Weiter müssen wir uns auf Grund der praktischen Erfahrungen
sagen, daß sicherlich die Pigmentbildung ein sehr wesentlicher Faktor
für die Herbeiführung eines Erfolges ist. Von manchen Seiten wird
behauptet — ich stimme dieser Auffassung nicht zu —, daß das Pig¬
ment die Vorbedingung einer rationellen Therapie ist. Immerhin sind
die Fälle, wo die Pigmenterzeugung gelingt, prognostisch im all¬
gemeinen günstiger anzusprechen als diejenigen, bei denen keine
Pigmentierung eintritt; natürlich gibt es auch Ausnahmen.
Wir wissen, daß wir nicht von vornherein große Lichtmengen in
die Haut hineinschicken können, sondern daß allmählich eine Ge¬
wöhnung der Haut an das Quarzlicht eintritt. Gerade da, wo wir
Allgemeinwirkungen erzielen wollen, wo möglichst große Mengen
appliziert werden sollen, müssen wir uns bestreben, die Haut möglichst
weitgehend an das Quarzlicht zu gewöhnen, damit sie schließlich leicht
auch solche Mengen reaktionslos verträgt, auf die bei Verabfolgung
in der ersten Sitzung sie mit Geschwüren oder Blasenbildungen
reagiert hätte. Anderseits wissen wir, daß die ultravioletten Strahlen
dazu berufen sind, ein beabsichtigtes Erythem bei lokalen direkten
Wirkungen zu erzeugen. Jedoch stellt bei der Hervorrufung von
Allgemeinwirkungen bzw. bei Behandlung von Erkrankungen in
der Tiefe des Körpers das Erythem eine Kontraindikation dar, weil
es uns zwingt, die Behandlung abzubrechen. Daraus folgt, daß wir
in dem zweiten Falle unbedingt es uns zur Aufgabe machen müssen,
auf der einen Seite möglichst große Lichtmengen zu applizieren,
anderseits die Technik so zu gestalten, daß kein Erythem gezeitigt
wird. Wir lösen das Problem so, daß wir zunächst eine kleine
Strahlenmenge applizieren und von einer Sitzung zur anderen diese
Lichtmenge vermehren, sei es, daß wir länger bestrahlen oder die
Lampe nähern, wobei wir berücksichtigen müssen, daß das Licht
im Quadrat der Entfernung zu- resp. abnimmt. Allerdings trifft dieses
Gesetz, wie ich mit dem auf meine Anregung geschaffenen
Fürstenauschen Dosimeter nachgewiesen habe, auf Quarzlicht nicht
anz zu. Jedenfalls erreichen wir dadurch, daß wir allmählich die
ichtmenge steigern, erstens, daß wir schließlich große Lichtmengen
dem Körper einverleiben können, zweitens, daß wir auf diese Weise
höchstwahrscheinlich eine Pigmentierung hervorrufen, die zum min¬
desten, ganz abgesehen von Heilwirkungen, das Gute hat, daß sie
gewissermaßen als Filter dient, d. h. die Strahlen, die besonders
reizend wirken und leicht Erytheme hervorrufen, die äußeren ultra¬
violetten Strahlen, zurückhält und absorbiert. Theoretisch könnten wir
also nun die Lichtmenge unbegrenzt ohne imerwünschte Wirkungen
steigern.
Zum Schluß wollen wir uns vorstellen, daß wir umgekehrt vor¬
gingen, also bei der lokalen Behandlung von Krankheiten die Licht¬
menge steigerten. Welches wäre wohl das Resultat? Genau so, wie
bei Allgemeinerkrankungen, würden wir Pigment erzeugen und gerade
den Einfluß der Strahlen, die die reaktive Hyperämie zeitigen, ent¬
weder völlig hintanhalten oder auf ein Mindestmaß reduzieren, d. h.
wir würden falsch behandeln.
Wenn wir nun anderseits zwecks Beseitigung von Krankheiten
in der Tiefe des Körpers die gleichen Mengen anwenden ohne aH-
□ igitized by Google
Original from
CORUELL UNIVERSITY
2. Februar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
161
mähliche Steigerung, so sehen wir sicherlich — vorausgesetzt, daß
die Liditmenge an sich keine zu kleine ist, sondern eine ziemlich
große Intensität besitzt — nach wenigen Bestrahlungen ein schweres
Erythem, wenn nicht Blasenbildungen auftreten. Wir sind dann
gezwungen, die Behandlung abzubrechen, bis eine vollständige Be*
seitigung der unerwünschten Erscheinungen erzielt ist, und haben
nicht die Möglichkeit, uns mit den erforderlich großen Strahlenmengen
in den Organismus einzuschleichen und dem Kranken die größte
denkbare Lichtenergie zuzuführen; also auch dieser Weg ist völlig
falsch.
Durch meine Ausführungen hoffe ich dargestellt zu haben, daß
wir einerseits bei Behandlung von Hautkrankheiten ein Erythem nur
hervorrufen, wenn wir die gleichen Lichtmengen applizieren, und.
anderseits bei Behandlungen von Allgemeinerkrankungen ein Pigment
hervorrufen, wenn wir die Lichtmengen steigern. Andernfalls ist
die Behandlung prinzipiell falsch. Ich möchte Sie überzeugen, daß
es sich hier nicht um eine Eigenart der Technik handelt, sondern
um etwas ganz Prinzipielles, um Richtlinien, von deren Befolgung das
Zustandekommen des therapeutischen Effekts abhängt. Wenn Sie
damit die Technik vergleichen, wie sie vielfach geübt wird, §o
werden Sie finden, daß hier eine große Kluft ist, die unbedingt über¬
brückt werden muß, wenn wir wirklich die Quarzlichtbestrahlung
zu einer systematischen Methode emporheben wollen. Vielleicht tragen
diese Aeußerungen auch dazu bei, die Ueberzeugung zu wecken
und zu festigen, daß die Einschaltung der Lampe wirklich niemanden
befähigt, auch die richtige Therapie zu betreiben, sondern daß ein
Höchstmaß von Erfahrungen, ein eifriges Nachdenken und ein inten¬
sives Studium zum Erfolge gehören.
Zur Behandlung des schwachen Haarwuchses nach Zunfz
und Kapp.
Von Dr. Apel in Charlottenburg.
Obgleich nicht selbst Dermatologe, komme ich doch der Auf¬
forderung von Kapp in D.m.W. 1921, 11 nach und äußere mich
zu der von ihm angegebenen Alopeziebehandlung, weil ich ebenfalls
seit drei Jahren, durch die Zuntzschen Versuche angeregt, mich
mit der Wirkung der Keratinzufuhr auf den menschlichen Haarwuchs
beschäftige.
Während früher in der allgemeinen Praxis ausschließlich che¬
mische, thermische und elektrische Reize der Kopfhaut die Haar¬
papillen zu verstärkter Tätigkeit anregen sollten, hat meines Wissens
zuerst Zuntz in einwandfreier theoretischer Begründung und nach
zahlreichen Versuchen und Aenderungen seines Präparates die Mög¬
lichkeit gegeben, durch Beigabe von wasserlöslicher Hornsubstanz zur
Nahrung eine stärkere Zufuhr der Haarbaustoffe in den Kreislauf und
dadurch eine Verstärkung des Haarwuchses zu erzielen.
Kapp will, noch weitergehend, das Keratin unter Umgehung des
Vcrdauungs- und Blutweges unmittelbar durch Iontophorese an die
Haarpapillen bringen, indem er die Kopfhaut mit Elektroden, die mit
einer ammoniakalischen Keratinlösung getränkt sind, galvanisiert.
Die theoretische Grundlage dieser Behandlungsart
ist nicht einwandfrei. Ammoniak ist auch in starken Verdünnungen ein
kräftiges Reizmittel der Kopfhaut und vielgebrauchter Zusatz zu
Haarwässern, z. B. zu dem Lesserschen. Ebenso ist der elektrische
Strom für die Haaipapillen nicht indifferent, sondern kann für sich
allein angewandt schon eine merkliche Steigerung des Haarwuchses
bewirken. Eine Verbindung des chemischen und elektrischen Reizes
dürfte also eine deutliche und objektiv feststellbare Wirkung bringen.
Zur experimentellen Erprobung wurden zwei Patientinnen im
Alter von 21 und 25 Jahren, die schon seit längerer Zeit ohne erkenn¬
bare Ursache schwachen Haarwuchs zeigten, nach der von Kapp
angegebenen Methode behandelt, d. h. es wurde acht Wochen lang
jeden zweiten Tag ihre Kopfhaut mit ammoniakgetränkten Elektroden
galvanisiert, aber der Keratinzusatz zu dem Ammoniak
wurde fortgelassen. Beide Fälle ergaben einen aus¬
gesprochenen Erfolg. Das Haar, das vorher besonders an den
Schläfen so kurz war, daß es nur unter einem Netz getragen werden
konnte, ließ sich ohne weiteres zur Frisur ordnen und erschien be¬
sonders an den vorher schwächsten Stellen wesentlich stärker und
dichter, vielleicht weil hier der Kontakt der Elektroden mit der Kopf¬
haut am innigsten war.
In dem einen Falle wurde nach Beendigung der elektrischen Be¬
handlung noch das Zuntzsche Humagsolan innerlich angewandt
und damit eine weitere Zunahme des Haarwuchses erzielt, sodaß das
kosmetische Endergebnis sehr erfreulich war.
Aus Zeitmangel wurden keine weiteren Versuche unternommen;
doch können die beiden Fälle immerhin als Stütze der theoretischen
Annahme gelten, daß mindestens der Hauptteil der von Kapp er¬
zielten Erfolge nicht auf die Keratin-Iontophorese, sondern auf die
bei seinem Verfahren angewandten chemischen und elektrischen Reize
zurückzuführen ist. Ob der Keratinzusatz überhaupt einen Zweck hat,
ob die Haarpapillen überhaupt zur unmittelbaren Aufnahme und Ver¬
arbeitung der Hornsubstanz fähig sind, oder ob das Zuntzsche Ver¬
fahren der Spaltung im Darm und des völligen Neuaufbaues in den
Papillen das physiologisch einzig Mögliche bleibt, das kann erst durch
lange und mit großer Kritik betriebene Versuche festgestellt werden.
Verlockend wäre allerdings der Gedanke gewesen, nur an den
Hautstellen, die es kosmetisch wünschen lassen, eine streng lokale
Ernährung des Haarbodens durchzuführen und zu vermeiden, daß sich
durch die Keratinzufuhr vom Darm aus etwa die ganze Körperbehaa¬
rung verstärkt. Aber dieser Nachteil, der dem Zuntzschen Präparat
anhaftet, läßt sich in der Praxis ohne weiteres vermeiden. Frauen
mit stärkerem Bart sollen z. B. kein Humagsolan nehmen, und ebenso
wird man bei Patienten mit ungewöhnlich kräftiger Körperbehaarung
vorsichtshalber davon absehen. Ich selbst habe unter etwa 50 auf
das genaueste kontrollierten Versuchsfällen nur einmal beobachtet, daß
ein 24jähriges Mädchen von ziemlich virilem Typus, deren intensive
Lanugoentwicklung schon vorher aufgefallen war, unter der Humag-
solanbehandlung eine merkliche Verstärkung der ganzen Körper¬
behaarung zeigte. Zufällig bekam ich die Patientin nach einem Jahr
wieder in Krankenhausbehandlung, und nun waren die Lanugohaare
auf die frühere Stärke zurückgegangen, während das Kopfhaar seine
erreichte Dichte behalten hatte. Das war, wie erwähnt, der
einzige und gut vorauszusehende Fall unerwünschte r
Haarentwickelung, während bei' allen übrigen weib¬
lichen Patienten keine Verstärkung der Körperbehaa¬
rung wahrgenommen werden konnte.
Für die Praxis sei aber bemerkt, daß auch bei der Humagsolan-
behandlung sehr gut die elektive Wirkung verstärkt werden kann, auf
die es immer ankommt. Man braucht nur durch kräftige Hyperämisie-
rung der Kopfhaut eine verstärkte Zufuhr der Keratinspaltprodukte zum
Haarboden herbeizuführen, um den Haarpapillen möglichst reichliche
Baustoffmengen zu bieten und sie gleichzeitig zu intensiverer Tätig¬
keit gegenüber den anderen Hautbezirken anzuregen. Jedes Mittel,
das aktive Hyperämie hervorruft, ist hier angebracht. Das beste gegen¬
wärtig dafür zur Verfügung stehende Verfahren scheint mir die
Kapp sehe Methode (unter Fortfall der Keratinanwendung) zu sein,
die den chemischen und elektrischen Reiz verbindet und wahrschein¬
lich nicht nur bessere Durchblutung anregt, sondern auch einen
direkten Anreiz auf die Papillen ausübt. Es steht mir noch kein
weiteres Material zur Verfügung, doch ist anzunehmen, daß bei den
sehr guten Erfolgen von Zuntz und von Kapp eine Verbindung der
beiden Methoden die gegenwärtig überhaupt mögliche Höchstwirkung
bringen würde.
Entscheidend wird in der Praxis meistens die Geldfrage sein,
denn auch hier ist die beste Behandlungsart die teuerste. Die üblichen
Haarwässer kosten nicht viel und bringen wenig oder gar keinen
Nutzen. Stark hyperämisierende Methoden, wie Höhensonne oder Mas¬
sage, wirken schon besser, sind aber auch entsprechend teurer und
heute unter 200 Mark kaum durchzuführen. Eine Humagsolankur von
3—4 Monaten, gewissenhaft angewandt und mit regelmäßigem Bür¬
sten oder Frottieren der Kopfhaut zur besseren Durchblutung ver¬
bunden, zeitigt bei keimfähigen Haarpapillen kräftigen Neuwuchs
und kostet gegenwärtig rund 150 Mark. Eine Verbindung der Humag-
solanbehancflung mit der Kapp sehen Methode wird sich, außer den
Kosten für das Präparat, auch bei bescheidenem Honorar auf das
Vielfache davon stellen, dafür aber bei jedem der Behandlung über¬
haupt noch zugänglichen Haarboden einen Erfolg bringen, der die
Ausgabe lohnend macht.
In jedem Falle wird es aber notwendig bleiben, bei einer ratio¬
nellen Behandlung der Haarwuchsschwäche das Zuntzsche Verfahren
als das z. Zt. einzige spezifische in den Vordergrund zu stellen und
dann erst nach Lage des einzelnen Falles zu entscheiden, welche
lokalen Maßnahmen anzuwenden sind.
Das Erdöl als Heilmittel.
Von Kreisarzt Dr. Möller in Peine.
Das Erdöl (Petroleum) ist seit dem grauen Altertum bekannt.
Herodot erwähnt das Vorkommen von Brunnen in der Nähe von Susa,
aus denen man Harz, Salz und Oel schöpfen kann. Arrian schildert
das Auffinden einer Erdölquelle auf dem Eroberungszuge Alexanders
am Oxus. Seit den ältesten Zeiten ist auch ein natürliches Destilla-
tionsprodukt des Erdöls, der Naturasphalt, bekannt, Mesopotamien
und das Tote Meer waren die Hauptfundorte. Zum Bau der Paläste
und der Mauern von Babylon und Ninive wurde dieser Asphalt ver¬
wendet. Schon im Gilgamesch-Epos geschieht seiner Erwärmung.
Uralt ist auch die Anwendung des Erdöles bzw. des Asphaltes
zu Heilzwecken. Aus dem Papyrus Ebers geht hervor, daß die alten
Aegypter das Erdöl gegen Würmer gebrauchten. Der Asphalt wurde
nach Hovorka (Geist der Medizin 1915) schon bei den Assyrern
als Heilmittel verwendet. Bei Hippokrates finden wir den Asphalt
vielfach zu Heilzwecken angegeben, so bei Gebärmuttererkrankungen
und bei Sterilität, zu Räucherungen der Gebärmutter und in Form
von Stuhlzäpfchen. Soranus von Ephesus wendet Gebärmutter¬
räucherungen mit Asphalt gegen hysterisdien Stickkrampf an. Auch
Plinius und Dioscurides führen den Asphalt als Heilmittel an.
Fast in allen Gegenden, in denen Erdöl natürlich vorkommt, so
bei Baku und selbst bei den Senekaindianem in Pennsylvanien, stand
es als Volksheilmittel im Gebrauch bei Rheumatismus und anderen
Krankheiten. Im 15. Jahrhundert wurden am Tegernsee Erdölquellen
entdeckt. Das Oel wurde von den Mönchen als Wundcrheilmittel
verkauft. Lahme und Gichtbrüchige sollen ihm Heilung verdanken.
Ramazzini (1633—1714), Prof, in Padua, hat eine ausführliche
Digitized by
Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
162
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 5
Arbeit über die Heilkraft des Erdöles geliefert (De petroleo montis
Zibinii). Die Heilerfolge betrafen unter anderem Krätze, Spulwürmer,
Hautgeschwüre, Krebs, Rheumatismus und Gicht
Fast unbekannt scheint es zu sein, daß es im 16. Jahrhundert ein
vielbesuchtes Petroleumbad in Walschbronn bei Bitsch in Lothringen
gegeben hat. Dr. Weyhmann hat es in kleiner Monographie der
Vergessenheit entrissen. Zuerst wurde es von Günther v. Andernach
(Professor in Straßburg) in seinem Commentarius de balneis 1565
beschrieben. In den folgenden Jahrzehnten geschieht seiner mehrfach
von ärztlichen Autoren Erwähnung. Es wurde zu Trink- und Bade¬
kuren verwendet bei allen möglichen Leiden (Kopfschmerzen, Zahn¬
schmerzen, Unterleibsleiden, Sterilität, Verstopfung, Rheuma, Gicht,
Lähmungen, Würmer und selbst bei der Franzosenkrankheit [Syphilis]).
Es wird in den zeitgenössischen Schriften ein eigenes stattliches
Badehaus erwähnt, dessen Erdgeschoß in mehrere Zellen eingeteilt
war, in jeder Zelle stand eine Badewanne zum Baden mit dem aus
der Quelle geholten angewärmten Wasser. In den Kriegswirren des
17. Jahrhunderts ist das Bad zerstört und seitdem vergessen.
Die Erdölquellen von Oelheim (bei Edemissen) im Kreise Peine
wurden im 16.—18. Jahrhundert von den Landleuten gegen mancherlei
Gebrechen (kaltes Fieber, Wunden, rosenartige und rheumatische
Entzündungen) gebraucht, daneben diente das abgeschöpfte Fett als
Wagenschmiere. Im 17. Jahrhundert sollen die angrenzenden Ort¬
schaften nach einem Bericht des Pastors Barkhausen während einer
Pestepidemie das Oel zu Räucherungen in ihren Häusern angewandt
haben und sich so vor der Pest geschützt haben. Von dem Pestarzt
G roh mann wurde während einer Pestepidemie in Bukarest 1813
Erdöl innerlich in Form einer Mixtur verordnet.
Im Jahre 1820 lenkte der Stadtphysikus Biermann in Peine
die Aufmerksamkeit noch einmal auf die Oelheimer Erdölquellen. Er
berichtet über erfolgreiche Kuren bei Gicht, verordnet das Oel zu
Einreibungen und das ölhaltige Wasser zu Trinkkuren. Biermann
berichtet über eigene gute Erfolge bei Gicht und gichtischen Ge¬
schwüren, er empfiehlt uie Quellen auch noch bei einer Reihe anderer
Leiden, wie Magenkrampf, Darmleiden, Hämorrhoiden, Würmern usw.
Die Empfehlungen Biermanns haben jedoch nicht vermocht, der
Erdölquelle dauernde Anerkennung zu verschaffen. Sie geriet in
Vergessenheit. Gegenwärtig wird aas Erdöl zu technischen Zwecken
hier gewonnen. Nur ein primitives Solbad ist jetzt in Oelheim vor¬
handen, dessen heilkräftige Sole einen deutlichen Geruch nach Petro¬
leum hat.
Für unseren heutigen Arzneischatz werden aus dem Petroleum
gewonnen: Vaseline, Paraffin, Benzin, Naphthalan.
Von herumziehenden Händlern wird auch heute noch das „Bergöl“
als Wundermittel für alle möglichen Krankheiten bei Menschen und
Tieren vertrieben.
W. Ebstein, Petroleum in der Medizin, D. m. W. 1907 und in dem Handbuch von
Engler-Höfer, Das Erdöl 1913. — Messmer, Das Erdöl, Sammlung Kösel 1913. —
Biermann, Die Erdölquelle bei Edemissen, Hannoversches Magazin 1820. — Bark¬
bausen, Hannoversches Magazin 1831. - Weyhmann, Das lothringische Petroleum¬
bad Walschbronn lm 16. Jahrhundert, Saarbrücken 1912.
Der gegenwärtige Stand der Pankreaserkrankungen.
Von Prof. Dr. Oustav Singer in Wien.
I.
Die Diagnostik der Pankreaserkrankungen war lange Zeit wegen
der Unzugänglichkeit dieses Organes für die gewohnten Methoden
der physikalischen Untersuchung vernachlässigt. Eine sichtliche För¬
derung verdankt die Klinik der Erweiterung der physiologisch-chemi¬
schen Untersuchungen, den Methoden der Experimentalpathologie
und der Neuordnung, welche bestimmten Drüsen eine prägnante
Stellung im innersekretorischen Betriebe angewiesen hat.
Die Fortschritte der Diagnostik beziehen sich auf die Prüfung
der äußeren Pankreasfunktion, auf die genaue Untersuchung der vom
•Pankreas beherrschten Resorption una der Stoffwechselverhältnisse,
sowie auf die Kenntnis der Korrelationen mit bestimmten anderen
innersekretorischen Funktionen. Nicht in letzter Linie verdanken
wir der operativen Chirurgie wertvolle Aufschlüsse, welche hier ge¬
wissermaßen als Pionier der klinischen Diagnostik manchen Weg
gebahnt hat.
Anamnestisch kommt eine Reihe allgemeiner und lokaler
Symptome in Betracht. Zunächst Dyspepsiq, Ueblichkeiten und
Erbrechen, kolikartige Beschwerden im Leibe ohne das typische Ver¬
halten, welches wir von den Schmerzanfällen der anderen Bauch¬
organe her kennen. Periodische Durchfälle und bestimmte Ver¬
änderungen in den Stuhlentleerungen, Speichelfluß.
Eine Gruppe von Beschwerden prägt sich in bestimmten objek¬
tiven Veränderungen aus. Um gleich mit einem der sinnfälligsten
Symptome zu beginnen, seien hier die Anomalien der Stuhlentleerung
angeführt. Bei geringerer Intensität der Ausfallssymptome findet
sich mehr oder minder starke Obstipation; bei vorgeschritteneren
Erkrankungen (chronische Entzündung und Atrophie) zeigen sich oft
anhaltende Durchfälle, welche in uncharakteristischer Weise so ver¬
laufen können, wie die gastrogenen Diarrhöen bei der Achylia
gastrica, welche nach A. Schmidt oft eine Begleiterscheinung orga¬
nischer Pankreaserkrankungen sind bzw. mit einer gleichsinnigen
Minderleistung der Pankreaßsekretion einhergehen (Achylia pancrea-
tica). Ueber die funktionellen Ausfallserscheinungen im Stuhl wird
noch gesprochen werden. Für die grobe Prüfung sind die Fett¬
diarrhöen von diagnostischer Wichtigkeit, die bei Fehlen von
Gallenerkrankungen auf eine Affektion der Bauchspeicheldrüse zu
beziehen sind. Sie sind schon makroskopisch kenntlich durch ihre
massige Beschaffenheit, ihr gelblichgraubraunes Aussehen, den Fett¬
glanz und den ranzigen Geruch und bestehen zum großen Teil
aus erstarrtem Neutralfett, zum Unterschiede von den Fettstühlen
anderer Provenienz (z. B. bei Acholie), welche faulig riechen, Fett¬
säurenadeln und Seifenschollen enthalten und den Gallenfarbstoff
und seine Derivate vermissen lassen.
Ein zweites wichtiges Symptom sind die kopiösen Stuhl¬
entleerungen ohne diarrhoische Charaktere, verursacht durch die
größere Menge unverdauter Nahrungsrückstände (Kreatorrhoe),
durch den Fettgehalt (Steatorrhoe) und den Reichtum an Bak¬
terien.
Ernährungsstörungen sowie Abmagerung sind ein häu¬
figes Symptom der meisten, oft auch der gutartigen Pankreas¬
affektionen und beruhen auf mangelhafter Ausnützung der Nahrung,
verbunden mit den massenhaften Entleerungen. Doch ist schlechter
Ernährungszustand durchaus nicht regelmäßig, er fehlt oft gerade
bei den Tumoren des Pankreas, während schwere Erkrankungen
der Bauspeicheldrüse, wie die Nekrose, sehr oft von gleichzeitig
vorhandener Fettleibigkeit begünstigt werden.
Man hat auch bei experimentell erzeugten Avitaminosen gröbere
Funktionsstörungen bis zur Atrophie im Pankreas beobachtet (Mac
Carrison), sowie man bei Zurückbleiben im Wachstum und schweren
Ernährungsstörungen von Kindern funktionelle und anatomische
Ausfallserscheinungen am Pankreas gefunden hat (Heubner,
Passini). -
Temperatursteigerung gehört eigentlich nicht zu den regel¬
mäßigen Symptomen und findet sich nur bei bestimmten Formen
(Entzündung, Abszeß); meist ist sie auf den ursächlichen Grund¬
prozeß zu beziehen (Cholelithiasis).
Die Frage, ob das Pankreas der Palpation zugänglich ist,
wird von den verschiedenen Autoren verschieden beantwortet. Sicher
ist auch die normale Bauchspeicheldrüse bei mageren Individuen
mit Tiefstand des Magens unter günstigen Verhältnissen tastbar.
Die entzündlich infiltrierte und vergrößerte Drüse läßt sich häufig
als ein die Wirbelsäule überquerender walziger Strang abgrenzen;
für eine Anzahl von Tumoren, namentlich Zysten und zystische
Tumoren, ist die Abgrenzung durch den Tastbefund möglich. Im
allgemeinen liegen die Pankreastumoren oberhalb des Nabels und
werden mit dem Wachstum der Palpation zugänglich. Sie dehnen
sich häufig gegen die Leber zu, doch nicht allzu selten auch gegen
das linke Hypochondrium aus. Fälle, in welchen solche Geschwülste
Mannskopfgröße erreichen, die Nierengegend ausfüllen und Tumoren
dieses Organes bzw. der Nebenniere Vortäuschen, sind nicht allzu
selten. Der Klopfschall über solchen Geschwülsten ist gedämpft,
wenn Sie nicht, was häufiger der Fall ist, vom lufthaltigen Magen
oder Kolon überlagert sind. Zystische % Tumoren zeigen Fluktuation
oder elastische Konsistenz und haben meist beim Wachstum das
Bestreben, sich zwischen Magen und Querkolon vorzudrängen.
Ein wichtiges allgemeines Symptom der Bauchspeicheldrüsen-
erkrar.kung ist der Ikterus. Er entsteht durch Anschwellung des
Pankreaskopfes, welcher bekanntlich vom Ductus choledochus vor
dem Eintritt in das Duodenum durchbohrt wird. Begleitende oder
ursächlich in Betracht kommende Erkrankungen der Gallenwege
führen ebenso zum deutlichen Ikterus wie zu einer dunklen Tönung
der Haut (Bronzefärbung).
Vereinzelt hat man bei schweren entzündlichen Veränderungen
des Pankreas Anämien vom Typus der perniziösen Anämie ge¬
funden, welche durch ein von der Bauchspeicheldrüse an das Blut
abgegebenes Hämolysin erklärt werden.
Von Veränderungen des Harnes ist die starke Verminderung
oder das Fehlen der Aetherschwefelsäuren vielfach berichtet
worden, doch nicht allseitig anerkannt. Bei der Variabilität der für
den Quotienten A/B in Betracht kommenden Verhältnisse sind die
verschiedenen Befunde erklärlich. Keinesfalls darf die Verminderung
dieser Körper im Ham mit einer Reduktion oder Aufhebung der
Darmfäulnis in Beziehung gebracht werden, da eher das Gegenteil
der Fall ist (Katz, Brugsch, Schmidt). Ein verläßlicheres
Zeichen ist das Fehlen der Indikanurie; Lipurie und Mal-
tosurie haben nur historisches Interesse. Von größter Bedeutung,
sowohl symptomatisch als auch für die Stellung der Bauchspeichel¬
drüse im Körperhaushalt, ist die Glykosurie. Die Assoziation
von Pankreaserkrankungen und Glykosurie ist seit den grund¬
legenden Experimenten von Me ring und Minkowski so wichtig
für das Problem des Diabetes geworden, daß die Beachtung dieses
Zusammenhanges für die Erkenntnis und klinische Beurteilung beider
Krankheitsformen ein unerläßliches Gebot ist. Hier sei auch gleich
auf die wichtige Prüfung der alimentären Glykosurie ver¬
wiesen, deren positiver Ausfall den Verdacht auf Pankreaserkrankung
wesentlich stützen kann.
Lange Zeit galt eine von Cammidge eingeführte und nach ihm
benannte Reaktion im Harne als pathognomonisch für Pankreaserkran-
kung. Sie besteht im Wesen im Nachweis eines Glykosazons
im Harne, welches wahrscheinlich durch einen glyzerinartigen Körper
(Glyzerose) bedingt wird. Dieser wird durch Fettzerstörung aus dem
Pankreas frei. Vielfachen Nachuntersuchungen haben die Befunde
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
2. Februar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
163
von Cammidge nicht standhalten können, sodaß der Reaktion,
welche auch bei Gesunden vorkommt, eine diagnostische Bedeutung
nicht zugesprochen werden kann. (Ich sah sie mehrmals bei Ent¬
fettungskuren, Herz und Wilheim trafen sie nach Verfütterung
von 100 g Dextrose nur bei lebergesunden normalen Individuen,
wahrend der Körper bei Affektion der Leber fehlt. Die Bildung des¬
selben scheint daher in der Leber vor sich zu gehen. Kürzlich hat
Cammidge analoge Befunde auch im Blut nachgewiesen.)
Diese Probe ist in ihrem Ausfall ebenso unverläßlich, wie der
Nachweis der Salolspaltung, welche im Harn bei Pankreas¬
erkrankungen fehlt oder sehr spät auftritt
Bei der Aetiologie der Pankreaserkrankungen kommen die all¬
gemein wirksamen Ursachen zunächst in Betracht. Die Arterio¬
sklerose, welche teils durch Sklerosierung der Gefäße zur Zir¬
rhose und Atrophie des Pankreas führen kann, teils zu akuten oder
chronischen Blutungen (Apoplexie); der Alkoholismus, besonders
aber die Syphilis, die, wie sich noch in neueren Untersuchungen
ergab, immer häufiger am Zustandekommen von Pankreaserkran¬
kungen beteiligt ist. Das Trauma ist wiederholt als Ausgangs¬
punkt von Pankreaserkrankungen sichergestellt worden (Blutungen
und Zysten). Eine der wichtigsten Ursachen für akute und chronische
Erkrankungen geht von den benachbarten Organen, dem Magen-
Darmkanal, besonders aber von der Leber und den Gallen-
wegen aus. Die Cholangitis calculosa, die katarrhalischen sowie
namentlich die eitrigen und putriden Formen der Erkrankung der
Gallenwege führen durch Fortleitung der Infektion bei den be¬
kannten räumlichen Beziehungen der Ausführangsgänge zur Mit¬
affektion der Bauchspeicheldrüse. Von der begleitenden Fett¬
sucht war schon die Rede; die Fettsucht und der Diabetes finden
sich wiederholt mit Entzündung und Nekrose des Pankreas ver¬
einigt. Wichtig ist das durch die chirurgischen Erfahrungen immer
häufiger festgestellte Uebergreifen von Geschwüren des Ma-
ens und Duodenums auf die Bauchspeicheldrüse, welche durch
enetration zum geschwürigen Zerfall oder zur Entzündung, in sel¬
tenen Fällen zum Abszeß oder zur Nekrose führen.
Erkrankungen der Leber (Zirrhose) sind oft mit Pankreas¬
erkrankungen assoziiert; in seltenen Fällen kann der Mumps (Paro¬
titis epidemica) zui' akuten Entzündung des Pankreas führen (manch¬
mal auch Orchitis).
Die wichtigsten Nachweise der Funktionsstörungen bzw. der
anatomischen Erkrankung betreffen die Prüfung der Eiweiß-, Fett-
und Stärkeverdauung. Die Resorptionsstörung toird im Stoff¬
wechselversuch nachgewiesen; am deutlichsten äußert sich in der
Bilanz der Stickstoff- und der Fettverlust. Bei vollkommener De¬
generation der Bauchspeicheldrüse kann der N-Verlust bis zu 60<yo
im Stuhle betragen. Man hat früher von einer Azotorrhoe ge¬
sprochen. Da hauptsächlich das Fleisch mangelhaft abgebaut wird,
empfiehlt sich für den Nachweis der Pankreasinsuffizienz die zweck¬
mäßigere Bezeichnung „Kreatorrhoe“, die oft schon makrosko¬
pisch durch die Ausscheidung großer Mengen unverdauter Muskel¬
fasern kenntlich wird. Ebenso, wie bereits bemerkt, die Steator-
rhoe im „Butterstuhl“. Die Prüfung der proteolytischen Funktion
im Stoffwechselversuch erleidet eine gewisse Einschränkung durch
das vikariierende Eintreten des Erepsins (Cohnheim), welches
den Mangel des Trypsins verdeckt. Auch für die Klinik, besonders
aber für den Praktiker, empfiehlt sich die gröbere Prüfung mit der
Schmidt sehen Probekost. Die Befunde der schlechten Fettaus¬
nützung und Fettspaltung sind hier sehr charakteristisch, namentlich
bei fehlendem Ikterus. Reichliche Muskelfasern mit erhaltener Quer¬
streifung vervollständigen das Bild, welches auch bei geringfügigeren
Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse deutlich wird und regelmäßiger
ist als die nachweisbare Störung der Kohlenhydratverdauung.
Adolf Schmidt fand die Störungen der Fettverdauung häufiger
bei primär durch Gallenblasenerkrankungen hervorgerufener Pankreas¬
affektion, während bei von Magenerxrankungen ausgehenden Lä¬
sionen mehr die Kreatorrhoe überwiegt. Die Richtung der pankrea-
tischen Sekretionsstörung verläuft gleichsinnig der der auslösenden
Ursache.
Als eine spezifische Ausfallserscheinung hat Ad. Schmidt die
Kernprobe empfohlen, die in dem Wiedererscheinen ungelöster
Gewebskeme im Stuhle besteht. In modifizierter Form wirdL sie nach
Schmidt und Kashiwado mittels Thymusgewebe, das mit Lyko-
podiumkörnem versetzt ist, ausgeführt (Kapseln bei Merck, Darm¬
stadt). Die von Schmidt dem Pankreassekret allein zugeschriebene
Fähigkeit, Gewebskeme zu lösen, wird vielfach bestritten, da auch
im Darmsekret eine Nuklease vorkommt. Die erschwerte Fett¬
verdauung prüft Winternitz mit seinem aus Jodbehensäure-Aethyl-
ester bestehenden Pankreasdiagnostikum, nach dem verspäteten Auf¬
treten der Jodreaktion im Urin. Die Sahli sehen Glutoidkapseln (in
Formol gehärtete Gelatine) konnten sich nicht behaupten.
In exakterer Form prüft man jetzt die Fermentabsonderung durch
den direkten Nachweis. Zunächst die tryptische Funktion
nach Müller und Schlecht in den Fäzes. Der durch Kalomel pro¬
duzierte dünnflüssige Stuhl wird mit physiologischer NaCl-Lösung
verrieben und mit der Platinöse auf der Oberfläche einer Senirn-
agarplatte verteilt. Bei 55—60° bilden sich im Brutschrank kleine
Dellen. Mehr geübt wird die Kaseinmethode, die, erst von Vol-
hard angegeben, von Groß verbessert wurde. Sie beruht darauf,
daß Kasein in alkalischer Lösung durch Trypsin verdaut wird und
nach A nsaaem mit verdünnter Essigsäure wieder ausfällt.
Der Kranke erhält Probekost, dann nüchtern 2 Teelöffel Karls¬
bader Salz, der dünne Stuhl wird mit Natrium bicarbonicum alkalisch
gemacht und durch ein Berckefeld-Filter filtriert. Zu Reagenzgläsern
mit je 5 ccm Kaseinlösung (lg Kasein in 1 Liter 0,lo /0 iger Na.
bicaro.-Lösung) werden steigende Mengen des Filtrates zugesetzt
und für eine halbe Stunde bei 55* in den Brutschrank gestellt. Das
letzte Glas wird mit lo/oiger Essigsäure angesäuert; entsteht keine
Trübung, so werden sämtliche Gläschen angesäuert und festgestellt,
bis zu welcher Grenze alles Kasein verdaut ist. Die Berechnung
der Fermentmenge nach einer Groß sehen Formel.
E. Lifschütz empfiehlt statt Kasein die Mettschen Röhrchen,
welche vom Erepsin nicht angegriffen werden.
Das diastatische Ferment wird nach Wohlgemuth be¬
stimmt, wobei steigende Mengen des Stuhlfiltrates mit je 5 ccm
einer l<y 0 igen Stärkelösung (Kahlbaum) beschickt, nach Zusatz von
Toluol mit Wattepfropfen verschlossen, 24 Stunden bei 70° im Brut¬
schrank belassen werden. Nachher Prüfung mit einem Tropfen
einer 0,lo/ 0 igen Normaljodlösung. Wohlgemuth hat seine Probe
auch im Blut und im Urin angestellt, da er fand, daß nach Unter¬
bindung der Pankreasausführungsgänge der Diastasegehalt im Blut
und im Urin in dem Maße steigt, wie er in den Fäzes abnimmt
Diese Probe ist mehrfach bestätigt worden (Wynhausen, Hirsch¬
berg); Albu lobt sie besonders zum Nachweis des Pankreas¬
karzinoms.
Einen wesentlichen Fortschritt hat die funktioneile Pankreas¬
diagnostik dem direkten Nachweis der Fermente im Duodenal¬
saft zu verdanken. Der Ausgangspunkt dieser Versuche ist der von
Boldyreff festgestellte Rüdestrom von Duodenalinhalt nach Auf¬
nahme von Olivenöl. Erst kam das Volhardsche Oelfrühstück,
von Ehrmann durch das Pa 1 minfrühstück verbessert. Die Fer¬
mente wurden anfangs mit der Magensonde gewonnen; die Resultate
begreiflicherweise ungenau, wegen Beimengung von Speicheldiastase
und Erepsin. Eine exakte Prüfung ermöglicht die Gewinnung des
Duodenalsaftes mit der Duodenalsonde, welche seit Hemmeter,
Einhorn und Groß vervollkommnet, namentlich von Grasmann,
Bon di und Salomon für den klinischen Gebrauch erprobt wurde.
In dem durch selbsttätige Drainage gewonnenen Duodenalsaft wer¬
den mit den genannten Methoden das tryptische, diastatische und
lipolytische Ferment nachgewiesen. (Achtung auf alkalische Reaktion
des Saftes!) Am einfachsten gestaltet sich die Prüfung auf Lipase
und gibt auch für die gewöhnlichen Zwecke eine gute Orientierung
über die Funktion.
Man nimmt nach Bon di 10 ccm Olivenöl und 2 ccm Duodenal¬
saft, bereitet durch Schütteln im Erlenmeyer-Kolben eine Emulsion,
stellt die Mischung 6 bis 7 Stunden in den Thermostaten oder in
Zimmertemperatur. Die gespaltene Oelsäure wird dann bestimmt,
indem man 50 ccm Alkohol und einige Tropfen Phenolphthalein hin¬
zufügt und unter Schütteln mit n/10 Lauge filtriert.
In dieser Form der Ausführung hat sich die Funktionsprüfung
des Pankreas sehr bewährt. Die Technik der Duodenalsondie¬
rung läßt sich bald erlernen, und ich zweifle nicht,' daß diese
kompendiöse Form der Fermentprüfung sich nicht bloß in der Klinik,
sondern auch in der Hand des praktischen Arztes einbürgern wird.
Bei einiger Vertrautheit ermöglicht sie eine rasche Orientierung.
Der Nachweis von Störungen der inneren Sekretion des
Pankreas bezieht sich zunächst auf den Zusammenhang zwischen
Diabetes und Pankreaserkrankungen. Den experimentellen
Erfahrungen von v. Mehring und Minkowski schließen sich die
anatomischen Befunde Hansemanns von Granularatrophie des
Pankreas beim Diabetes an. Eine weitere anatomische Determinierung
dieser Zusammenhänge ergab sich aus der elektiven Erkrankung der
Langerhansschen Inseln beim Diabetes (Opie, Weichselbaum
u. a.). Die Stellung der Bauchspeicheldrüse in dem Zusammenwirken
der innersekretorischen Drüsenfunktionen ist durch die ex¬
perimentell und klinisch dargelegte Korrelation mit den von der
Schilddrüse, der Nebenniere und der Hypophyse ausgehenden Hormon¬
wirkungen gekennzeichnet. In besonderem Maße werden der Bauch¬
speicheldrüse fördernde und hemmende Impulse bei der Verankerung
und Mobilisierung des Glykogens in der Leber als letzte Ursache für
das Auftreten der Hyperglykämie und der Glykosurie zugeschrieben
(v. Noorden). Demgemäß wird man bei bestimmten klinischen Sym-
tomen aus dauernder oder zeitweiliger Glykosurie auf Minderwertig-
eit oder Erkrankung der Bauchspeicheldrüse schließen, doch sei
schon hier bemerkt, daß von den meisten Beobachtern (Heiberg
u. a.) ein Parallelismus zwischen Diabetes und Glykosurie einerseits
und Ergriffensein des Pankreas bzw. des Inselapparates nicht zu¬
gegeben wird. In der klinischen Diagnostik verwendet man die
alimentäre Glykosurie zur Orientierung. Die Zuckerausschei¬
dung soll sich bei gewöhnlicher Prüfung mit 100 g Traubenzucker
nach Albu bis zum nächsten Tage verzögern. Eine größere Beweis¬
kraft erlangt die Probe, wenn auch Störungen der äußeren Sekre¬
tion evident sind.
Auf eine innersekretorische Funktion bezieht sich auch die
Adrenalinmydriasis von O. Löwi. Er erklärt diese durch den
Wegfall der Sympathikushemmung infolge ungenügender oder fehlen¬
der Produktion des inneren Pankreassekretes. Die Resultate sind
nicht konstant. (Schluß folgt.)
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
164
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 5
Gynäkologische Ratschläge für den Praktiker.
Von Prof. W. Liepmann in Berlin.
V.
Die entzündlichen Erkrankungen der weiblichen Oenltalien:
111. Teil: (Beckenbindegewebe, Adnexe, Beckenbauchfell.)
4. Die entzündlichen Erkrankungen des Beckenbindegewebes.
Die anatomische Beschaffenheit des Beckenbindegewebes ist uns
durch unsere einleitende Abhandlung über die Lageveränderungen be¬
kannt. Während die eben besprochenen Metropathien ein klassisches
Beispiel für abakterielle Gewebsveränderungen waren, sind die Para¬
metritis, die Parazystitis, die -Parakolpitis und die Paraproktitis in
jedem Falle typisch durch Bakterien hervorgerufene Erkrankungen
und liegen, wie wir aus der Anatomie wissen, extrauterin und extra¬
peritoneal. Ihrer Aetiologie nach gibt es eine Parametritis
puerperalis und eine Parametritis operativa (nach Ope¬
rationen am infizierten Uterus, unsaubere Instrumente, ambulante Kü¬
rettagen, der Weg der Keimverschleppung geht durch die Lymph-
bahnen).
Diagnose: Thermometer und bimanuelie Untersuchung stellen die
Diagnose einer frischen Bindegewebsentzündung leicht fest. Eine
diffuse Resistenz neben dem Uterus, dicht an der Vagina, die die
Grenze des Uterus nicht abzutasten erlaubt, die ihn nach der anderen
Seite herüberschiebt (Dextro- oder Sinistropositio) ist ein guter Weg¬
weiser unserer Erkenntnis. Kommt es zur eitrigen Einschmelzung, so
wird die Vaginalwand buchtig vorgetrieben, Schmerzen können vor¬
handen sein, sind aber diagnostisch nicht zu verwerten, da sie häufig
fehlen.
Differentialdiagnostisch sind Myomknoten,die sich interstitiell,
d. h. ebenfalls im Beckenbindegewebe, seitlich vom Uterus entwickeln,
leicht auszuschalten, weil ihre runde Oberfläche sich wesentlich von
der breiten Basis der parametralen Entzündungen unterscheidet, auch
fehlt zu Beginn das Fieber. Besonders empfehlenswert ist im Zweifels-
falle die rektale Untersuchung, bei der man in den meisten Fällen
einer Beckenbindegewebsentzündung die Beteiligung der sakrouterinen
Falten feststellen kann.
Weit schwieriger ist die Differentialdiagnose zwischen den peri-
metritischen Entzündungen, die das Bauchfell betreffen, und den
parametranen, die das Beckenbindegewebe befallen, zu stellen.
Zu den perimetritischen Entzündungen sind die perityphilitischen Ab¬
szesse und die Pyosalpinx zu rechnen.
Die Pyosalpinx liegt höher zu dem Uterus als die von der
Uteruskante ausgehende Parametrangeschwulst. Peri- und paratyphi*
litische Abszesse sind durch ihren stürmischen Beginn und durch ihre
gute Tastbarkeit vom Abdomen her auszuschalten. Hochsteigende
Parametranexsudate sind durch ihre extraperitoneale Genese ge¬
zwungen, dicht am Hüftbein kammaufwärts zu steigen, während die
perityphilitischen Exsudate mehr diffus in der Flanke zu tasten sind.
Hämatome im Ligamentum rotundum, d. h. im Beckenbinde¬
gewebe, sind meist durch die Anamnese (Verletzungen aller Art) aus¬
zuschließen. Sie sind rundlicher, im Anfang weich und elastisch,
später härter, aber niemals so fest wie die parametranen Exsudate.
Die karzinomatösen Infiltrationen sind leicht durch die
Untersuchung zu erkennen.
Die Douglasabszesse und die Haematocele retrouterina, die
beide ja intraperitoneal gelagert sind, kennzeichnen sich durch die
starke Vorbuchtung der Scheidenwand, durch die charakteristische
Lagerung des Uterus, dicht hinter der Symphyse (Antepositio Uteri)
und schließlich durch die einfache Probepunktion.
Berücksichtigt man, daß der Uterus im ersten Stadium der Schwel¬
lung des Beckenbindegewebes nach der gesunden Seite gedrängt wird
(Parametritis acuta sinistra — Dextropositio uteri, Parametritis acuta
dextra — Sinistropositio uteri), im zweiten Stadium aber, im Stadium
der narbigen Verkürzung, nach der kranken Seite hingezogen wird,
so wird uns in jedem Falle schon die Lage des Uterus zu der
richtigen Diagnose führen.
Ein Wort verlangt noch die Parametritis posterior, die
häufig auch ohne bakterielle Ursache bei chronischer Obstipation,
Masturbation, Coitus interruptus (L. Fränkel) und selten bei he-
terotopen Epithelwucherungen (Meyer) vorkommt. Sie ist leicht,
besonders vom Rektum aus, zu diagnostizieren.
Therapie: Die alte Regel: ubi pus, ibi evacua, gilt auch für die
akute Parametritis, jedoch rate ich dringend, erst dann einen solchen
parametranen Abszeß zu operieren, wenn die eiterhaltige Stelle gut
erreichbar ist und eine vorherige Punktion sicher Eiter ergeben hat.
Das einfache aufs Geratewohl Hineinschneiden in das entzündete Ge¬
webe widerrate ich dringend, Am günstigsten liegen die Verhält¬
nisse, wenn die Eiterung nach der Vagina zu tendiert, weit schwie¬
riger, wenn sich die Abszedierung unter dem Bauchfell bis hoch über
das Poupartsche Band erstreckt. Bricht ein Abszeß spontan ia das
Rektum oder die Blase durch, dann ist dringend davor zu warnen,
nach der Durchbruchsöffnung zu suchen, die sich bei ruhigem Ab¬
warten in den meisten Fällen von selbst schließt. Die operative Be¬
handlung aller dieser Komplikationen erfordert eine gute chirurgische
Technik, eine absolut sichere Beherrschung der Anatomie und patho¬
logischen Anatomie des Beckenraumes.
Hand in Hand mit der operativen Therapie geht im akuten Sta¬
dium die übrige Behandlung. Strikte Bettruhe, leichte Diät und die
Sorge für regelmäßigen Stuhlgang sind selbstverständlich. Prießnltz-
sche Umschläge, Jodpinselungen der Haut und anderes mehr wirken
meist schmerzlindernd. Gegen die oft heftigen Schmerzen sind Pan-
topon, Laudanon, Morphium am besten, wen weniger die Darmtätig¬
keit angreifend, subkutan anzuwenden.
Ist schon in jedem fieberhaften Falle im Privathaus dasAnlegen
einer gut ge führten Temperatur- und Pulskurve erforder¬
lich, so ist dieses im besonderen Maße bei der Behandlung der Para¬
metritis der Fall. Nur die Temperaturkurve zeigt uns den Beginn des
zweiten Stadiums, der resorbierenden Therapie. Erst nach mehrtägigem
Abfallen der Temperatur hat diese einzusetzen. Am besten haben sich
mir auch im Privathaushalt die Lichtbäder bewährt in den Fällen, wo
man die Lichtleitung so anschließen kann, daß die Lichtbehandlung
im Bett vorgenommen werden kann; sonst sind die transportablen
Beckendampfbäder zu benutzen. Gute Erfolge sieht man auch, da
Moorbäder der hohen Transportkosten halber nicht zu haben sind, mit
dickbreiigen Lehmsitzbädern von 36° C, die dreimal wöchentlich
abends vor dem Einschlafen im warmen Raum zu nehmen sind und
die sich auf 15—30 Minuten auszudehnen haben. Nach dem Lehm¬
sitzbad ist ein Reinigungsbad und eine Scheidendusche mit Kamillen¬
tee vorzunehmen. Gute Erfolge sieht man auch von Sitzbädern mit
Staßfurter Salz (1 Pfund auf 10 Liter Wasser). Die Dauer eines
solchen Bades beträgt y* bis a/s Stunde, die Temperatur ebenfalls
36°. Heiße Wärmflaschen, Thermophore, elektrische Wärmekissen
werden ebenfalls mit Erfolg anzuwenden sein. Unter dauernder Kon¬
trolle der Temperaturkurve läßt man versuchsweise für mehrere
Stunden am Tage die Patientin aufstehen und beim geringsten er¬
neuten Ansteigen der Temperatur wieder strikte Bettruhe halten.
Vaginale Kontrolluntersuchungen sollten nur alle 10 Tage vor¬
genommen werden. Die Lagerung des Uterus, auf die schon ein¬
gangs hingewiesen, ist für unsere weitere Therapie entscheidend. So¬
bald die Verkürzung des entzündeten Bindegewebes beginnt, d. h.
sobald der Uterus nach der kranken Seite* hinübergezogen winl, ge¬
langen wir in das dritte Stadium der Erkrankung, das wiederum eine
andere Behandlung erfordert.
War das Ziel der Behandlung im akuten Stadium, das progrediente
Fortschreiten der Entzündung zu hindern, war das Ziel der Behand¬
lung im zweiten Stadium, das Abklingen der schon begrenzten Ent¬
zündung zu befördern, so ist unser Ziel im dritten Stadium, gröbere
Verlagerungen des Uterus, die bei narbigen Schrumpfungen unver¬
meidlich sind, hintanzuhalten. Wer auch hier mit äußerster Vorsicht
vorgeht, unter dauernder Berücksichtigung der Temperaturkurve, wird
mit der Massage, besonders in der Form der Vibrationsmassage, die
allerbesten Resultate haben, nur denke man stets daran, daß eine
innere Massage der weiblichen Genitalien niemals schmerzen soll und
bei Schmerzen sofort abzubrechen ist. Erweist sich aus den geschil¬
derten Kontraindikationen die Massage als noch nicht anwendbar, so
empfiehlt sich jetzt die Anwendung der Tamponbehandlung, die ich
besser durch die beschriebenen Portiobäder ersetze.
5. Die Entzündungen der Adnexe und des Beckenbanchfells.
Ovarium und Tube liegen anatomisch so dicht aneinander, Tube
und Hilus ovarii sind mit Peritoneum überzogen, daß von einer iso¬
lierten Entzündung klinisch nicht zu reden sein wird; man faßt daher
seit alter Zeit praktisch die Entzündungen von Tube, Ovarium und
umliegenden Peritoneum als Adnextumoren zusammen. Den Weg der
in jedem Falle bakteriellen Entzündungserreger haben wir schon in
allen Etappen beim Aufsteigen der gonorrhoischen Infektion be¬
sprochen, es ist der Weg per continuitatem. Aber auch auf dem Wege
üoer die Lymphbahnen, vom Parametrium aus oder durch die Bauch-
fellduplikaturen, die als Ligamentum appendiculo-ovaricum die rechte
Tube mit dem Blinddarm verbinden una als Ligamentum infundibulo-
colicum (Liepmann) von der Flexura sigmoidea zur linken Tube
ziehen, können Keime zu den Adnexen gelangen.
Frei im Peritonealraum befindliche Keime können, durch den
Flimmerstrom der Tubenfimbrien angelockt, in diese hineinkommen
und nun sekundär zum Adnextumor führen, das sehen wir bei der
Tuberkulose des Bauchfells und bei nicht seltenen Fällen der Epi-
typhlitis.
Der seltenste Weg ist der auf der Blutbahn, schwer nachweisbar,
aber sicher vorhanden.
Während der in 80<y 0 vorkommende Gonokokkus, der Strepto¬
kokkus und der Staphylokokkus in erster Linie den aszendierenden
Weg, den Weg per continuitatem, wählen, wählt der Tuberkelbazillus,
wie wir schon besprachen, in der Regel den deszendierenden Weg,
d. h. den Weg durch die freie Bauchhöhle wie auch*~bSi dem sehr
seltenen Vorkommen der Aktinomykose der Tuben. Schließlich ist das
Bacterium coli ein Beispiel für die Verbreitung auf dem Wege der
Lymphbahn. Die seltenen Entzündungen der Adnexe bei Typhus, In¬
fluenza und Pneumonie scheinen den Weg durch die Blutbahn zu
wählen.
Während die einfachen katarrhalischen Entzündungen der Tube,
die Salpingitis catarrhalis acuta und die Hydrosal-
pinx serosa, als Erkrankungen bei schwacher Virulenz der Keime
mehr diagnostisch als therapeutisch Interesse beanspruchen (bei Sal¬
pingitis catarrhalis acuta kommt es zur Restitutio ad integrum, bei
Hydrosalpinx serosa ist jede Therapie überflüssig; Eierstock und Peri¬
toneum bleiben gewöhnlich bei den Erkrankungen frei), ist die Sal¬
pingitis purulenta acuta von allergrößtem praktischen Interesse.
Der hohen Virulenz der Keime entsprechend, sind hier Tube, Eierstock
und Bauchfell schwer eitrig erkrankt, die Keime sind auf dem Wege
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
2. Februar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
165
über das Corpus luteum in das Ovarium gelangt und haben dort
einen Corpus luteum-Abszeß hervorgerufen, das Bauchfell von Tube
und Eierstock ist entzündlich zu dicker Schwarte entartet, mit dem
Bauchfell der umliegenden Därme, mit dem Bauchfell des Beckens
fest verklebt, ein unentwirrbares Konvolut entzündeter Organe, in
deren Mitte sich die Eitersacke der Adnexe befinden: das typische
Bild des ausgebildeten Adnextumors.
Diagnose: Wenn irgendwo bei den Erkrankungen der weiblichen
Genitalien eine sorgfältige bimanuelle Untersuchung zur Entscheidung
führt, so ist es bei den entzündlichen Adnextumoren. Wer gelernt
hat, zart und vorsichtig zu untersuchen, wird selten durch die
Spannung der Bauchdecken gestört werden und zur Narkose greifen
müssen. Sobald man einen runden, dicken Strang, der sich unter dem
Finger hin und her rollen läßt, von der Uterus fundusecke ausgehend
nach dem Tumor zu, fühlen kann, ist dieses ein untrügliches Zeichen
für einen Tubentumor. Die Doppelseitigkeit, die meist besteht, die
charakteristische Anamnese führt zur Diagnose. Kolbige, posthorn-
förmige Entwickelung des Tumors, der unbeweglich an der Um¬
gebung zu kleben scheint, führt dann leicht zur Diagnose Pyosalpinx.
Ist die prallgespannte Tube freibeweglich, so hat man eine Hydro-
salpinx serosa vor sich. In allen Fällen ist aber nach der primären
Ursache zu forschen. Nach Gonorrhoe und Tuberkulose ist stets zu
fahnden. Stets suche man vom Abdomen aus die Blinddarmgegend
abzutasten. Ganz beginnende Epitypblitis kann man, wie ich es oft
beschrieben habe, durch leichte Vrbrationsmassage, die man auf den
Mac Burnaysschen Punkt richtet, diagnostizieren. Nur die Fälle von
tiefem Sitz des Blinddarms im Beckenraum, 41,5 o/o aller Fälle (nach
Testut und Jakob), trotzen oft jeder Differentialdiagnose. Nicht
selten sind beide, Blinddarm und Adnexe, erkrankt, bald ist die Blind¬
darmentzündung das Primäre, bald das Sekundäre.
Des weiteren kommen diagnostisch in Frage die Extrauterin¬
gravidität, die Parametritis und die Geschwülste des
Eierstocks und der Tube.
Die Extrauteringravidität tritt einseitig auf, die Adnex¬
tumoren meist doppelseitig. Die Unregelmäßigkeit der Menstruation,
der Abgang von oraunrötlichem Sekret aus der Zervix, die mehr
weiche, etwas bewegliche Beschaffenheit des Tumors, die Graviditäts¬
schwellung der Gebärmutter weisen in nicht allzu schweren Fällen
auf den richtigen Weg.
Die häufig mit Adnextumoren vergesellschaftete Parametritis
liegt, wie wir schon genauestens besprochen haben, tiefer an der
Uteruskante, näher zur Portio und verdicken diffus das zervikale
Bindegewebe. In Fällen, in denen Parametritis mit Adnexerkrankungen
zusammengeht, kann man den Adnextumor meist erst dann fest-
steilen, wenn die Entzündung des Beckenbindegewebes zurück¬
gegangen ist.
Die Geschwülste der Ovarien und der Tube, die in
einem späteren Aufsatz noch genauer besprochen werden, sind be¬
weglicher, kugeliger, und die entzündliche Genese ist auszuschalten.
Bei alten Frauen macht die doppelseitige Karzinose der Adnexe oft
große Schwierigkeiten. Hier , hat man sich daran zu erinnern, daß bei
alten Frauen Ovarialtumoren häufiger sind als Adnextumoren, und hat
nach dem primären Herd zu forschen.
Therapie: Während ein Teil der Fälle durch starke Schmerz¬
empfindlichkeit das ganze therapeutische Armatorium des Arztes er¬
fordert, sieht man nicht selten in der arbeitenden Klasse Frauen,
die bei schwersten Adnexentzündungen mit ausgesprochener Pelveo-
peritonitis über ganz geringe Beschwerden klagen. Im akuten Stadium
gelten alle die therapeutischen Regeln, die wir bei der Therapie der
Beckenbindegewebsatfektionen besprochen haben. Auch liier ist das
Anlegen einer Temperaturkurve dringend zu fordern. Auch nach
Abklingen der entzündlichen Erkrankungen sind dieselben therapeuti¬
schen Maßnahmen am Platze. Abgesehen von den Prießnitzschen
Packungen, den Alkoholumschlägen, den Licht- und Dampfbädern des
Beckens, den heißen Sitzbädern mit Lehm und in Mutterlauge, den
Portiobädem und der Tamponbehandlung, ist nach Abklingen aller Er¬
scheinungen die früher viel gebrauchte, aber noch heute in manchen
Fällen sehr wirksame Belastungstherapie zu empfehlen. Auf das Ab¬
domen werden mehrere Pfund schwere heiße Sandsäcke gelagert, in
die Vagina ein Gummikolpeurynter eingeführt und dieser allmählich, je
nachdem es vertragen wird, mit 100—900 g Quecksilber gefüllt, hier¬
bei ist die Patientin so bequem zu lagern, daß die Belastung allmählich,
steigend von einer Viertelstunde bis zu einer Stunde, ohne Schmerzen
zu yerursachen, ausgedehnt werden kann. Bei der langen Dauer dieser
Erkrankung, die, mit Sterilität endigend, sich meist über Monate und
Jahre hinzieht, wird man, wo es irgend angeht, nicht ohne eine
Badekur auskommen können. Die Moorbäder in Franzensbad, Marien-
bad, Karlsbad, Elster u. a. m. erfreuen sich immer großer Beliebt¬
heit nicht nur bei den Aerzten, sondern auch bei den Patientinnen.
Diese lange Behandlung aber wirkt so schädigend auf die Psyche
der Patientinnen, daß man nicht selten als schnelleres Mittel die
Operation zu wählen hat Bei dieser ist das Wesentliche, daß man bei
allen Fällen, in denen ein Ovarium nicht erhalten werden kann,
durch Transplantation eines Ovariums die schädigenden Folgen aus¬
schließt.
6. Die Entzündungen des Beckenperitoaemns.
Wir haben in unserem ersten Abschnitt, der von den Lagever¬
änderungen der weiblichen Genitalien handelt, schon von der einen
Form der nicht infektiösen Pelveoperitonitis, gesprochen: der
dauernde Reiz des retroreflektiert liegenden Uterus auf das Douglas-
Peritoneum führt zu Verwachsungen und Fixation, d. h. zur chroni¬
schen Beckenbauchfellentzündung. Aber auch die Achsendrehung eines
Ovarialtumors, Blutergüsse aus der Tube und maligne Tumoren
können zu Adhäsionsbildungen und dadurch zur chronischen Becken¬
bauchfellentzündung führen. Diesen Fällen, in denen der mechanische
Reiz die Ursache der Verwachsungen darstellt, stehen die durch ihren
stürmischen Verlauf hinlänglich bekannten infektiösen Fälle von
Beckenbauchfellentzündung gegenüber. Mag nun die Ursache in einer
Epityphilitis gelegen sein, mag eine Pyosalpinx im virulenten Stadium
die Ursache sein oder die Pelveoperitonitis im Anschluß an ein sep¬
tisches Wochenbett entstehen, immer ist der Beginn der Erkrankung
so dramatisch, so stürmisch und durch seine bekannten Symptome so
beunruhigend, daß die Diagnose nicht verfehlt werden kann. Während
die gonorrhoische Pelveoperitonitis sich ausnahmslos lokalisiert,
während der Tuberkelbazillus von dem Peritoneum der höher ge¬
legenen Teile seinen Ausgangspunkt nimmt, haben die septischen
Keimerreger nicht selten die Tendenz, den gesamten Bauchfellraum
zu infizieren. Zum Glück erfolgt nicht selten durch die verklebenden
Därme ein Abschluß des Beckens und damit eine Lokalisation in den
unterhalb des schützenden Daches gelegenen Partien.
Therapie: Die Therapie der akuten Pelveoperitonitis soll je
ruhiger um so besser sein: strenge Bettruhe, Eisblase, gegen die
starken Schmerzen Morphium ist das erste, was zu tun ist. Die gründ¬
liche Berücksichtigung des Allgemeinbefindens ist, wie bei dem Puer¬
peralfieber, hier dringend notwendig. Ich pflege in allen Fällen
von Bauchfellreizungen mit erhöhtem Puls bald mit der Darreichung
von Digalen und Verodigen zu beginnen und auch mit Koffein nicht
zu sparen. Statt der früher von mir in jedem Falle gebrauchten
Kochsalztropfeinläufe wende ich jetzt nach der vorzüglichen Emp¬
fehlung von E. Vogt Menschenblutklistiere an. Das Blut ist leicht
von jeder Entbindungsanstalt, wenn man über eigenes Material nicht
verfügt, zu beschaffen, nur muß festgestellt sein, daß die Trägerin
frei von Syphilis ist; gewöhnlich stammt das Blut von dem retro-
plazentaren Bluterguß. Die gesamte Blutmasse wird um die Hälfte
mit physiologischer Kochsalzlösung verdünnt, stark umgeschüttelt,
durch ein Mulltuch gegossen und auf 38° erwärmt. Ich kann mir
kein besseres Nährklistier denken. Es wird vorzüglich von der Mast¬
darmschleimhaut vertragen, wenn man gut darauf sieht, daß das
Blutklistier tropfenweise einfließt.
Alle keimtötenden Mittel, mögen sie nun Vuzin, Elektrargol,
Argochrom und sonstwie heißen, alle immünen Sera und Vakzina¬
tionen nützen gar nichts; durch kräftige Ernährung den Körper im
Abwehrkampf stählen, durch gute klinische Beobachtung die Herz¬
kraft erhalten, ist alles und sehr viel, was wir tun können.
Ganz wie Bumm (M. m. W. 1921 Nr. 46 S. 1495) stehe ich auf
dem Standpunkt, grundsätzlich jede aszendierende, das
gesamte Bauen feil ergreifende Pelveoperitonitis
durch einen kleinen im Aetherrausch auszuführenden
Schnitt mit zwei Gegenöffnungen zu drainieren. Schnell
muß der Eingriff ausgeführt werden, Därme dürfen nicht sichtbar
werden, so wird eine Shokwirkung sicher vermieden.
Kommt es in besonders günstigen Fällen zur Sammlung des
Eiters im hinteren Douglas-Raum mit Abschluß ‘des Eiterraumes
nach dem übrigen Bauchfell hin, so haben wir das Bild des schon
erwähnten Douglas-Abszesses vor uns, der durch seinen tiefen Sitz,
durch die Vorbuchtung der Scheidenwand und durch die Antepositio
uteri unverkennbar ist. Unter Leitung des Auges mittels der Spekula
wird nach vorheriger Probepunktion die Scheide im hinteren Douglas-
Raum mit dem Paquelin eröffnet, und der Abszeß breit durch Gummi¬
oder Glasdrain drainiert, das sind Fälle, wo unmittelbar nach der
Operation der Heilerfolg sichtbar in die Erscheinung tritt.
Die Therapie der infektiösen Pelveoperitonitis, wie
die Nachbehandlung einer residuen septischen Pelveoperitonitis unter¬
scheidet sich in nichts von der schon mehrfach erwähnten resorbieren¬
den Therapie bei andern entzündlichen Erkrankungen der Genitalien.
Ueber den Trägerinnen aller dieser Adhäsionen hängt wie ein Da¬
moklesschwert die Gefahr des Ileus, und treten hierzu noch schmer¬
zende Lageveränderungen der Genitalien, so ist die gut gewählte
Operation oft das einzige Mittel zur wirklichen Heilung.
Oeffentliches Gesundheitswesen.
Internationale Seuchenbekämpfung.
Von Oberreg.-Rat Dr. med. Breger in Berlin-Nikolassee.
Durch den Frieden von Versailles ist der Völkerbund mit wich¬
tigen Aufgaben betraut worden, welche die Gesundheit der ganzen
Welt berühren. Der Arbeitsplan ist in den Artikeln 23 f und 25 der
Völkerbundssatzung festgelegt *). Diese Bestimmungen lauten:
„Art. 23f. Unter Vorbehalt der Bestimmungen der schon be¬
stehenden oder künftig abzuschließenden internationalen Ueberein-
kommen und im Einklang mit diesen Bestimmungen übernehmen die
Bundesmitglieder folgendes:
. ...f) sie werden sich bemühen, internationale Maßnahmen zui
Verhütung und Bekämpfung der Krankheiten zu treffen.
*) RGBK 1919 S. 743.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
166
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 5
Art. 25. Die Bundesmitglieder verpflichten sich, die Errichtung
und das Zusammenarbeiten anerkannter freiwilliger nationaler Organi¬
sationen des Roten Kreuzes zur Hebung der Gesundheit, Verhütung
von Krankheiten und Milderung der Leiden in der Welt zu fördern
und zu begünstigen.“
Damit ist die Frage der internationalen Abwehr und Unterdrük-
kung von Krankheiten durch den Völkerbund erneut aufgerollt worden.
Magßebend war dabei der Gedanke, daß viele gesundheitliche
Fragen nicht nur das geographische Gebiet eines Landes berühren,
sondern infolge der engen Wirtschafts- und Verkehrsbeziehungen aller
Kulturstaaten untereinander über die Grenze eines Landes hinaus¬
reifen. Daher ist ein einheitliches und «gleichmäßiges Vorgehen aller
egierungen gegen die gemeinsamen Feinde der Mensdiheit und
eine gegenseitige Hilfeleistung sowohl aus Gründen der Selbsterhal¬
tung als auch nach dem Gebote der Nächstenliebe erforderlich.
Die Anfänge einer internationalen Seuchenbekämpfung sind in
den Quarantänemaßnahmen zu erblicken, die im 14. Jahrhundert zur
Abwehr der Pest von den italienischen Städten angewandt worden
sind (quaranta = 40 Tage). Die übertriebenen Sperrmaßiiahmen haben
aber Handel und Wandel aufs empfindlichste gestört. Um den inter¬
nationalen Verkehr gegen überflüssige und schädliche Vorsichtsma߬
nahmen zu schützen, war man seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts
bemüht, durch Staatsverträge diejenige oberste Grenze festzusetzen,
welche bei den Abwehrmaßnahmen nicht überschritten werden soll,
innerhalb deren aber jeder Staat die Seuchenbekämpfung nach seinem
Ermessen regeln darf. Derartige als Internationale Sanitäts-
Uebereinkünfte bezeichnete Abkommen wurden zwischen dem
Deutschen Reiche und den meisten anderen Kulturstaaten wiederholt
abgeschlossen (so in Venedig im Jahre 1892, in Dresden 1893, in Paris
1903 1 ) und 1912).
Bei den Verhandlungen, die der Sanitäts-Uebereinkunft zu Paris
vom Jahre 1903 vorausgingen und von dem französischen Minister des
Auswärtigen, Delcass£, eröffnet wurden, gab der französische
Botschafter in Rom, Barrfcre, dem Gedanken Ausdruck, ein Inter¬
nationales Gesundheitsamt ins Leben zu rufen. Ein solches
Gesundheitsamt sollte als Sammel- und Auskunftsstelle für alle Nach¬
richten über Seuchenausbrüche in den verschiedenen Ländern dienen
und zugleich als weltumfassende sanitäre Aufsichtsbehörde wirken.
Zu diesem Zwecke müßte es mit der Vollmacht ausgestattet werden,
auf Mängel und Lücken in den seuchenpolizeilichen Anordnungen
und Einrichtungen der einzelnen Länder hinzuweisen und die Wege
zu ihrer Beseitigung zu zeigen. Es solle ein unparteiischer Gerichts¬
hof sein. Ihm obliege die Ueberwachung der getreuen Befolgung
aller Vorschriften der Sanitäts-Uebereinkünfte neben der Feststellung
der nicht selten vorkommenden Vertragsbrüche. Da aber jeder Staat
den berechtigten Wunsch habe, Herr im eigenen Lande zu sein, müsse
der Einfluß dieses Amtes — wenigstens in der ersten Zeit — lediglich
auf seinem wissenschaftlichen und moralischen Uebergewicht sowie
auf seinem internationalen Ansehen beruhen. Schon die Tatsache des
Bestehens einer derartigen internationalen Behörde werde alle Staaten
der Welt dazu anfeuem, ihren Gesundheitsdienst zu vervollkommnen.
Der französische Vorschlag wurde von dem Vertreter Italiens auf
das lebhafteste unterstützt. Italiens Vertreter wollte dem Gesundheits¬
amte sogar das Recht zugestehen, in Ländern, die von einem Einbruch
der Pest bedroht sind, die erforderlichen Abwehrmaßnahmen anzu¬
ordnen und ihre räumliche und zeitliche Ausdehnung zu bestimmen.
Von anderer Seite wurde ferner der Wunsch ausgesprochen, das Amt
sollte eine Art Entscheidung über die Gleichwertigkeit der Prüfungs¬
zeugnisse der Schiffsärzte zu treffen haben und einheitliche Des¬
infektionsvorschriften für Seeschiffe aufstellen. Die deutsche sowie
die österreichisch-ungarische Abordnung konnte sich auf jener Pariser
Konferenz von der Durchführbarkeit und Nützlichkeit dieser Pläne
nicht überzeugen, sodaß schließlich die Aufgaben des Internationalen
Gesundheitsamts auf die nachstehenden Punkte beschränkt wurden:
Das Amt soll den Gang der ansteckenden Krankheiten, nament¬
lich der Cholera, der Pest und des Gelbfiebers, verfolgen und sich
über diejenigen Maßnahmen unterrichten, welcne in den einzelnen
Ländern zur Abwehr und Tilgung der Volksseuchen getroffen worden
sind. Es soll einschlägige Tatsachen und Unterlagen sowie sonstige
wichtige Mitteilungen auf dem Gebiete der öffentlichen Gesundheits¬
pflege sammeln und zur Kenntnis der Vertragsstaaten bringen. Eine
Einmischung in die Verwaltung der einzelnen Staaten steht dem Amte
nicht zu Wohl aber ist es ermächtigt worden, Abänderungsvor¬
schläge zu den Bestimmungen der Internationalen Sanitäts-Ueberein-
künfte zu machen und zukünftige Beratungen vorzubereiten. Diese
Satzungen wurden in einem Sonderabkommen, das am 9. XII.
1907 in Rom*) geschlossen wurde, festgelegt. Da die französische
Regierung bei diesem Werke die Führung übernommen hatte, wurde
— ich zitiere den Wortlaut der Verhandlungen — zum Zeichen des
ehrerbietigen Dankes und als Beweis eines großen internationalen
Vertrauens beschlossen, das Amt nach Paris zu verlegen. Hier sollte
es unabhängig von der Politik desjenigen Landes, welches ihm die
Gastfreundschaft gewährt, als freie und erleuchtete Körperschaft seine
segensreiche Wirkung entfalten. Die Gründungsurkunde Unterzeich¬
neten die folgenden Staaten: Belgien, Brasilien, Spanien, Vereinigte
Staaten, Frankreich, Großbritannien, Italien, Niederlande, Portugal,
Rußland, Schweiz und Aegypten. In den nächsten Jahren traten noch
die meisten übrigen KuTturstaaten dem Abkommen bei, nur das
Deutsche Reich, Oesterreich, Ungarn, Rumänien und Siam haben sich
an der Einrichtung bisher nicht beteiligt.
l ) RQBI. 1907 s. 425. - ») Vöff, Kai«. Oes.-A. 1908 S. 812.
Der Umstand, daß Deutschland es ablehnte, an diesem „großen
Werke eines hohen humanitären und sozialen Idealismus“ raitzuwirken,
hat seinerzeit im Auslande ein gewisses Befremden erregt. Wie
konnte das Deutsche Reich abseits stehen, wo es sich darum handelte,
in einer Liga der Brüderlichkeit und des Friedens den gesundheit¬
lichen Fortschritt zu pflegen und die Bande der moralischen und
sozialen Solidarität der Völker fester zu knüpfen?
Sieht man von diesen Stilblüten gallischer Beredsamkeit ab
und betrachtet man die Angelegenheit rein sachlich, so ist das Inter¬
nationale Gesundheitsamt lediglich ein Nachrichtenbureau. Es emp¬
fängt von den beteiligten Regierungen Mitteilungen über Seuchen¬
ausbrüche, sammelt und sichtet diese und gibt sie in einer Monats¬
schrift, dem Bulletin de l’Office international d’Hygifcne publique *),
bekannt. Ueber einen solchen Nachrichtendienst verfügt aber das
Deutsche Reich bereits seit seiner Entstehung. Sämtliche deutschen
Konsulate im Auslande sind beauftragt, regelmäßig über den Stand
der Pest und der Cholera in ihrem Dienstbezirke zu berichten. Mit¬
teilungen dieser Art wurden seit dem Jahre 1877 in den „Ver¬
öffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamtes“ bekanntgegeben.
Ihr Erscheinen erfolgte wöchentlich, also erheblich rascher, als
es durch eine Monatsschrift möglich ist. Außerdem ist durch die
bereits erwähnte Internationale Sanitätsübereinkunft zu Paris, vom
3. XII. 1903 2 ), der auch Deutschland beigetreten ist, eine unmittelbare'
Benachrichtigung über Seuchenvorkommnisse an die konsularischen
und diplomatischen Vertretungen vorgeschrieben. Allerdings muß
man es auf das lebhafteste bedauern, daß diese Mitteilungspflicht
nicht immer beachtet und das alte System der Verheimlichung mit¬
unter vorgezogen wird. So sind im Juni und Juli des Jahres 1920
in Marseille 58 Pestfälle und in Paris deren 88 vorgekommen a ),
ohne daß die französische Regierung die Vertragsstaaten benachrichtigt
hätte. Auch das Bulletin de POffice internationale d’Hygifcne publique
zu Paris vom Jahre 1920 erwähnte diese Pestausbrüche nient. Erst
im Januar 1921 erschienen diese Pestfälle in einer Zahlenübersicht
des Bulletins.
Einen nennenswerten Nutzen hätte also Deutschland von einer
Beteiligung an dem Internationalen Gesundheitsamt zu Paris nicht
gehabt, wohl aber erhebliche Unkosten. Anderseits wurden unter den
damaligen Verhältnissen politische Gesichtspunkte, die möglicherweise
eine Annäherung der Völker auf dem neutralen Gebiete der Gesund¬
heitspflege und der Humanität erstrebten, nicht in Betracht gezogen.
Man wird das Fernbleiben Deutschlands von dieser internationalen
Einrichtung heute kaum bedauern, wenn man sich daran erinnert,
daß sie während des Krieges im Interesse der 26 Ententestaaten tätig
war. Auf Einladung Frankreichs trat in ihrem Schoße eine Kommis¬
sion von Vertretern der Ministerien des Innern, des Krieges und der
Marine der Feindesstaaten zusammen, um Nachrichten über den Ge¬
sundheitszustand der Militär- und Zivilbevölkerung zu sammeln, um
die in den alliierten Ländern gemachten gesundheitlichen Erfah¬
rungen auszutauschen und die Hilfsmittel der Wissenschaft allen zu¬
gänglich zu machen. (Schluß folgt.)
Standesansrelegrenheiten.
Die Aerzte Deutschlands im Jahre 1921.
Von San.-Rat Dr. F. Prlnzing in Ulm.
Ueber die Zahl der Aerzte in Deutschland wurde in dieser Zeit¬
schrift zum letzten Male für das Jahr 1913 berichtet (D. m. W. 1913
Nr. 51). Während des Kriegs war die Herausgabe eines Aerztever-
zeichnisses nicht möglich. Nach dem Kriege mußte die Weiterfühning
des Reichsmedizinalkalenders, auf dem die früher in dieser Zeit¬
schrift veröffentlichten Zählungen beruhten, wegen der hohen Druck¬
kosten unterbleiben. Dagegen hat der Verband der Aerzte Deutsch¬
lands die ebenfalls durch den Krieg unterbrochene Herausgabe eines
Aerzteverzeichnisses wieder aufgenommen und unter großen Schwie¬
rigkeiten im September vergangenen Jahres ein solches für 1921
veröffentlicht (Aerztliches Handbuch, nebst Verzeichnis der Aerzte
im Deutschen Reiche, als Ergänzung zum „Aerztlichen Tasdien-
kalender“ herausgegeben vom Verband der Aerzte Deutschlands.
Neunter Jahrgang 1921, Leipzig). Die folgenden Ausführungen grün¬
den sich auf dieses Verzeichnis; als Einwohnerzahlen sind die Er¬
gebnisse der Volkszählung vom 8. X. 1919 ohne Weiterführung bis
1921 zugrundegelegt, wie sie in den „Vierteljahrsheften zur Statistik
des Deutschen Reiches“ 1921, 2, S. 134ff. veröffentlicht wurden.
Die bei der Volkszählung gewählte Gebietsabgrenzung wurde bei¬
behalten. Dabei sind die abgerissenen Teile Oberschlesiens und
Schleswig-Holsteins noch zu Deutschland gezählt; von Westpreußen
und Posen sind die bei Deutschland verbliebenen Reste teils als
Verwaltungsbezirke Westpreußen-Posen aufgeführt, teils zu Ost-
E reußen gezogen (Reste des Regierungsbezirks Marienwerder, Elbing
tadt und Land). Das Memelgebiet, Elsaß-Lothringen und Eupen-
Malmedy sind weggefallen. Der preußische Teil des Saargebiets ist
nicht hereingenommen, da hierfür keine neuen Volkszählungsergeb¬
nisse vorliegen. Koburg ist mit Bayern vereinigt.
Bei dieser Umgrenzung ist für eine Einwohnerzahl von 60412084
die Zahl der deutschen Aerzte 36186 = 5,99 auf 10000 Einwohner
*) Verlag: Paris Boulevard Saint Qermain 195. — *)'Diese Ueberelnkunft Ist durch
eine solche vom 17.1.1912, die deutscherseits noch nicht veröffentlicht ist, ersetzt worden»
- ») Vöff. R.-Oes.-A. 1920 S. 639 u. 1921 S. 17.
Digitized by LjCk »öle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
2 Februar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
167
im Jahre 1921. Im Jahre 1913 hat die Zahl der Aerzte 34136 be¬
tragen, sie ist heute in dem erheblich verkleinerten Gebiet größer
als damals. Auf 10000 Einwohner kamen in Deutschland
Aerzte:
1901 4,92 1912 5,06
1905 5,08 1913 5,11
1910 5,03 1921 5,99
Die Erteilung der Approbation hat durch den Krieg eine
große Störung erlitten. Die meisten Medizinstudierenden waren beim
Heere eingezogen, und nur diejenigen, die kurz vor dem Examen
standen, konnten eine Notprüfung und 1915 eine Kriegsprüfung ab-
legen, später wurde es Vielen, besonders in den Semestern vor der
Vorprüfung, durch Beurlaubung ermöglicht, sich auf die Prüfung
vorzubereiten. Das Medizinalpraktikantenjahr wurde den Kriegsteil¬
nehmern erlassen. So sind die folgenden Zahlen zu erklären:
Vor¬
Appro¬
Vor¬
Appro¬
prüfungen
bationen
prüfungen
bationen
1911-1°12
2005
1232
1915-1916
1230
573
1912-1913
2245
1447
1916-1917
1862
1097
1913-1914
2875
3822
1917-1918
2279
611
1914-1915
970
1116
1918-1910
2074
1311
Die Prüfungsergebnisse für 1919—1920 sind noch nicht bekannt
gemacht. Im Jahre 1914 war die Zahl der Notprüfungen 2075, 1915
die der Not- und Kriegsprüfun^en 585. Die Verzögerung in der
Ablegung der Prüfungen hat eine große Stauung der Medizin-
studierenden zur Folge gehabt, die sich jetzt .allmählich wieder
ausgleicht; auch hat der Zudrang zum Studium der Medizin lang¬
sam nachgelassen, wie aus Berichten von den Hochschulen über die
geringere Besetzung der ersten Semester zu schließen ist. Die Zahl
der Medizinstudierenden (einschließlich der zum Heere EinberuFenen)
war:
überhaupt
davon weiblich
Sommer
Winter
Sommer
Winter
1913
14750
14999
773
847
1914
15970
13312
1027
1004
1915
13803
14739
1145 -
1162
1916
14981
15690
1364
1446
1917
16-31
17316
1633
1785
Oberhaupt davon weiblich
Sommer
Winter
Sommer
Winter
1918
18162
18380
1982
1983
1919
20 497
19235
2059
2084
1920
18853
16645
2096
1669
1921
15870
—
1937
—
Die Zahl der weiblichen Medizinstudierenden hat
sich demnach seit 1913 weit mehr als verdoppelt.
Aus der folgenden Tabelle ist zu ersehen, wie sich das Verhält¬
nis der Aerzte zur Einwohnerzahl in den einzelnen
deutschen Landesteilen gegen 1911 gestaltet hat. Für den
Rest des ehemaligen westpreußischen Regierungsbezirks Marien¬
werder finden sich in dem Aerzteverzeichnis keine Angaben, für diesen
wurde die Aerztezahl aus dem Börnerschen Reichsmedizinalkalender
für 1913 mit einem kleinen Zuschlag herübergenommen. Die Ziffern
für die Rheinprovinz beziehen sich wegen des Wegfalls des Saar¬
gebiets 1921 nicht auf das ganz gleiche Gebiet. Auf 10000 Ein¬
wohner kamen Aerzte:
1911
1921 j
1911
1921
Ostpreußen.
*4
4.2 |
Bayern..
. . 53
6,5
Verw.-Bez. Westpreußen-
Sachsen .
. . 4,8
5,1
Posen.
—
2,4
Württemberg . . . .
4,4
5.4
Großberlin.
10,9
12,1
Baden .
. . 6,0
7,0
Uebrfges Brandenburg .
43
5,4
Thüringen.
4,4
4,8
Pommern.
33
4,6
Hessen.
. . 5,9
6,9
Schlesien.
33
4,5 i
Mecklenburg . . . .
. . 4,8
6,2
Sachsen .
4*5
53
Oldenburg.
. . 3,5
4,1
Schleswig-Holstein . . .
53
5,4 !
Braunschweig . . .
. . 5,5
6,6
Hannover .
4,8
53
Anhalt.
. . 4,4
5,4
Westlaien.
3.7
4,4
Waldeck.
, . . 8,8
8,3
Hessen-Nassau.
7,1
7.9
Beide Lippe . . . .
. . 3,7
4,8
Rheinland.
4,9
5*5
Lübeck . . .
. . 7,0
10,4
S>gmaringen.
33
4,4
Bremen.
. . 7,5
»3
Ganz Preußen.
4,9
53
i Hamburg.
. . 7,3
10,5
Die hohen Zahlen von Hessen-Nassau und Waldeck finden ihre
Erklärung in den zahlreichen Aerzten der dortigen Kurorte; in
allen Landesteilen, mit Ausnahme von Waldeck, hat die Aerztezahl
erheblich zugenommen.
Deutschland zahlt heute 44 Großstädte, Saarbrücken ist hier¬
bei eingerechnet, Danzig, Posen und Straßburg gehören leider nicht
mehr zum Deutschen Reich. Das Verhältnis der Aerztezahl in den
Großstädten gegen die übrige Bevölkerung ist folgendes:
Einwohner- Aerzte- auf 10000
zahl zahl 1921 Einwohner
Großstädte. 15189000 15898 103
übriges Deutsches Reich . . . 45223000 20288 4,5
In den Jahren vor dem Krieg kamen im Vergleich mit 1921
auf 10000 Einwohner Aerzte:
1912 1913 1921
Großstädte. 9,5 9,6 10,5
übriges Deutsches Reich . ... 3,7 33 43
In den 29 Gemeinden, aus denen Großberlin besteht, war
die Zahl der Aerzte unter Zugrundelegung einer Einwohnerzahl von
3,8 Millionen für das Jahr 1921:
über¬
auf 10000
über¬
auf 10000
haupt
Einwohner
haupt
Einwohner
3894
11,1
1913
4151
11,1
1*1
4032
11,1
1921
4621
In den anderen Oroßstädten kamen mit Zugrundelegung
der Volkszählung vom 8. X. 1919 und unter Einbeziehungen aller
Eingemeindungen auf 10000 Einwohner Aerzte:
1913
1921
1913
1921
1913
1921
Wiesbaden . .
28,0
25,1 1 Stettin . . .
8,1
10,1
Augsburg . . .
6,4
73
München . . .
163
20,3
Kassel . . .
9,5
10,0
Barmen ....
5,6
7,1
Halle a. S. . .
13,4
15,0
Dresden . .
9,5
100
Bochum . . .
4.9
7.0
Königsberg . .
11,1
14,1
13,3
Bremen . . .
7,4
10,0
Saarbrücken .
113
63
Frankfurt a.M.
11.4
Mainz . . .
83
9,9
Altona ....
5.8
6,7
6.3
Breslau ....
11,7
11,0
13,2
Aachen. . .
83
9,7
Chemnitz . . .
5,7
Münster . . .
12,8
Köln ....
103
93
Crefeld ....
6,1
63
Großberlin . .
11,1
13,9
12.1
Erfurt . . .
6,9
8,8
Dortmund . .
53
53
Kiel.
113
Magdeburg .
8,0
8.7
Gelsenkircben .
3,8
43
Karlsruhe . . .
113
11,4
103
Nürnberg . .
8,0
8,6
Mülheim a. R.
3,8
4,5
Lübeck . . .
7,7
73
Düsseldorf .
8.1
83
Essen .
4,7
43
Hamburg . . .
10,7
10,6
Elberfeld . .
6,7
8,2
7.9
Duisburg . . .
4,6
♦,1
Braunschweig .
8,8
| Plauen . . .
4,9
Oberhausen . .
33
3.5
Stuttgart . . .
93
10,6
10,3
Mannheim .
7,6
7.8
Hamborn . . .
23
33
Hannover ¥ . .
103
Leipzig . . .
8,9
7,7 !
Wie immer
steht
Wiesbaden
an der Spitze, das als
Weltbad
vielen Aerzten Beschäftigung bietet. Die danach folgenden Gro߬
städte sind alle Universitätsstädte, auch Frankfurt a. M., das immer
eine hohe Aerztezahl hatte, ist in die Reihe derselben eingetreten.
Bei dem riesigen Umfang von Großberlin kommt der Einfluß der
Hochschule nicht in dem Maße zur Geltung, wie bei andern Uni¬
versitätsstädten. Außerordentlich groß ist die Zunahme der Aerzte¬
zahl in München. Das Blühen der Hochschule und die Neigung sich
zu Ruhe setzender Aerzte, in München ihren Wohnsitz aufzuschlagen,
erklärt die Zunahme allein nicht, offenbar übt München eine große
Anziehungskraft zur Niederlassung für Aerzte aus.
Die Kleinste Aerztezahl unter den Großstädten haben wie früher
so auch jetzt noch die großen Fabrikstädte Rheinlands und West¬
falens.
Auffallend ist der Rückgang der verhältnismäßigen Aerztezahl
in einer Reihe von Großstädten, wie Kiel, Köln, Leipzig, Saarbrücken.
Vielleicht sind die Aerzteregister dieser Städte mangelhaft. Für
Augsburg ist dies z. B. der Fall, für welche Stadt im Aerztever¬
zeichnis nur 83 Aerzte bei Einschluß aller Eingemeindungen auf¬
geführt sind, während es nach einer brieflichen Mitteilung des Vor¬
stands des Bezirksvereins in Augsburg 113 sind; für Leipzig sind
467 Aerzte genannt; nach dem 3. Jahresbericht des Sächsischen Landes¬
gesundheitsamts war 1919 die Zahl 513 = 8,5 auf 10000 Einwohner,
was aber immer noch einer Abnahme entsprechen würde.
Die Zahl der Fachärzte läßt sich aus dem Aerzteverzeichnis
nicht ermitteln; sie sind wohl kurz bezeichnet, da sie aber nicht, wie
früher im Reichsmedizinalkalender, durch besondere Zeichen bemerk-
lich gemacht sind, so ist eine Auszählung nicht bloß wegen der
Mühseligkeit, sondern auch wegen der Gefahr zahlreicher Fehler
nicht möglich. Das Spezialistentum hat sich bei der Ausübung der
ärztlichen Tätigkeit immer mehr ausgebreitet; nicht nur in den
mittleren und Großstädten, auch in den Klein- und Landstädten
haben sich Fachärzte niedergelassen. Das ärztliche Fachstudium hat
außerordentliche Erfolge erzielt, und die großen Massen der Be¬
völkerung wollen mit Recht von diesen Erfdgen Nutzen ziehen. Die
größeren Krankenkassen, auch auf dem Lande, legen Wert darauf,
daß ihren Mitgliedern Fachärzte an Ort und Stelle, oder wenigstens
nicht zu weit vom Sitze der Krankenkassen entfernt, zur Verfügung
stehen und nicht große Reisen hierzu notwendig werden. Diese Ent¬
wicklung der Spezialfächer der Medizin war eine der Hauptursachen
des Zudrangs zum medizinischen Studium, das sich seit etwa zwölf
Jahren zeigt; die Versorgung mit Fachärzten ist aber jetzt so voll¬
ständig, daß ein weiterer Zugang nur so groß sein sollte, daß der
gegenwärtige Bestand erhalten werden kann.
Mit einem Nachlassen der Aerztevermehrung ist vorerst nicht
zu rechnen, wie die großen Zahlen der Vorprüfungen des Jahres
1918—19 ersehen lassen; es ist aber zu erwarten, daß diese sich in
wenigen Jahren vermindern werden. Für die jetzt mitten im medi¬
zinischen Studium Stehenden ergibt sich von selbst die Notwendig¬
keit einer besonders guten Ausbildung, womöglich in längerer As¬
sistentenzeit, um in dem ihnen bevorstehenden Konkurrenzkampf
gut gewappnet zu sein. Der Tüchtige wird immer sein Auskommen
finden.
Die Erklärung zur Umsatzsteuer.
Von Dr. Heinrich Joachim.
Da durch das Umsatzsteuergesetz vom -24. XII. 1919 auch die
Leistungen der Aerzte der Umsatzsteuer unterworfen sind, hat der
Arzt, wie jeder andere Steuerpflichtige, bis zum 31. I. auf einem
vorgedruckten Formular eine Steuererklärung über seinen „Umsatz“
abzugeben. Hierzu eine zweckentsprechende, kurze Anleitung zu
geben, wollen die folgenden Ausführungen versuchen. Wer sich
genauer unterrichten will, sei auf die Artikel im vorigen Jahrgang
der Berlin. Aerztekorr. und auf den Kommentar des Verfassers zum
Umsatzsteuergesetz verwiesen.
1. Die Einnahmen des Arztes aus seiner beruflichen Tätigkeit
unterliegen der Umsatzsteuer, wenn er diese Tätigkeit selbständig
im Inland gegen Entgelt ausübt; ob er dabei gegenüber den Unkosten
Ueberschüsse erzielt oder nicht, ist für die Steuerpflicht gleichgültig.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
168
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
Nr. 5
a) Leistung innerhalb der beruflichen Tätigkeit des
Arztes liegt nur dann vor, wenn es sich um eine Tätigkeit handelt,
die in den Bereich der ärztlichen Praxis fällt (Beratung, Fürsorgetätig¬
keit, Gutachtertätigkeit).
b) Selbständig muß die Tätigkeit sein, wenn die Einnahmen
daraus umsatzsteuerpflichtig sein sollen. Was für den Arzt als „selb¬
ständig“ zu gelten nat, ist im Oesetz nicht gesagt. Bisher hat der
Begriff der „Selbständigkeit“ nur im gewerblichen Leben eine Rolle
gespielt; die aus dem gewerblichen Lehen entnommene Erklärung:
„für eigene Rechnung und unter eigner Verantwort ung“
paßt nicht für den Arzt. Eine autoritative Auslegung des Begriffes ist
bisher nicht gegeben. Unseres Erachtens ist nur der Arzt selbständig,
der für eigene Rechnung und unter eigener wirtschaftlicher Verant¬
wortung den Beruf ausübt und dabei weder im Einzelfall noch
generell den Weisungen eines Dritten zu folgen ver¬
pflichtet ist. Der Arzt, dem nach dem Einkommensteuergesetz
ein Steuerabzug gemacht wird, ist insoweit nicht selbständig und
insoweit umsatzsteuerfrei.
Unselbständig — und daher von der Umsatzsteuer befreit —
sind danach die beamteten und sonstigen angestellten Aerzte, die
nach den Weisungen eines andern zu handeln verpflichtet sind (Kom¬
munalärzte, Armenärzte, Schulärzte, Krankenhausärzte, Fürsorgeärzte,
Assistenten von Krankenanstalten und praktischen Aerzten, Vertreter
von Aerzten, Vertrauensärzte usw. — unabhängig davon, ob sie
pauschal oder für die einzelne Leistung honoriert werden); sie alle
sind aber nur umsatzsteuerfrei, soweit es sich um Einnahmen aus
den genannten Stellungen handelt.
c) Von der Umsatzsteuer befreit sind die Honorare der Pri¬
vatdozenten für Vorträge und Kurse; dagegen sind ihre sonstigen
Einnahmen aus der Praxis umsatzsteuerpflichtig.
d) Nur im Inland ausgeführte Leistungen des Arztes unter¬
liegen der Umsatzsteuer. Was als Inland zu gelten hat, ist im Kom¬
mentar zum Umsatzsteuergesetz (S. 10) im einzelnen angegeben. Für
die Steuerpflicht kommt es nicnt auf die Staatszugenörigkeit des
Patienten an, sondern darauf, wo die Behandlung stattgefunden hat.
Wird ein deutscher Arzt nach dem Ausland gerufen (abgetretenes
Qebiet) und leistet dort Hilfe, so ist das Honorar für aiese Dienste
umsatzsteuerfrei — gleichgültig, ob der Patient Inländer ist oder
nicht, gleichgültig auch, wo das Honorar gezahlt wird.
e) Nur das vereinnahmte Honorar unterliegt der Steuer,
nicht etwa auch das Honorar, das der Arzt zu fordern hat und das
noch aussteht. Von dem vereinnahmten Honorar dürfen Abzüge für
Unkosten nicht gemacht werden; die Bruttoeinnahme ist in voller
Höhe umsatzsteuerpflichtig. Ein Arzt, der eine Poliklinik oder ein
Ambulatorium unterhält, hat von den eventuellen Einnahmen, die er
dort hat (Honorare von reichsgesetzlichen Krankenkassen sind nach
einer ausdrücklichen Bestimmung des Gesetzes von der Umsatzsteuer
befreit), Umsatzsteuer zu zahlen, auch wenn er einen Ueberschuß
nicht erzielt; er darf dabei die Unkosten, von den Bruttoeinnahmen
nicht in Abzug bringen.
2. Die Honorare, die der Arzt von reichsgesetzlichen Kranken¬
kassen (Ortskrankenkassen, Landkrankenkassen, Betriebskrankenkassen,
Innungskrankenkassen, Ersatzkassen) und knappschaftlichen Kranken¬
kassen erhält, sind von der Umsatzsteuer ausgenommen. Wird ein
Kassenmitglied von einem nicht bei der Kasse angestellten Arzt be¬
handelt, so ist das Honorar für diese Behandlung, soweit es von der
Kasse dem Mitglied zurückerstattet wird, frei von Umsatzsteuer —
der Arzt braucht diesen Teil des Honorars nicht zu versteuern, muß
ihn aber in der Erklärung zur Umsatzsteuer neben eventuellem an¬
deren Honorar, das er von Kassen direkt bezieht, besonders aufführen.
3. Der Steuerberechnung für das Jahr 1922 ist das Gesamt¬
honorar zugrundezulegen, das der Arzt im Jahre 1921 für steuer¬
pflichtige Leistungen (die ärztliche Behandlung gilt als „Leistim'g“
im Sinne des Umsatzsteuergesetzes) eingenommen hat; von dieser
Endsumme ist ohne jeden Abzug die Steuer zu zahlen.
4. Der Arzt haftet dem Reich für die Steuer und ist Schuldner
der Steuer, nicht der Patient.
5. Die Umsatzsteuer, die der Arzt zu zahlen hat, beträgt 1 Vs °/o
des vereinnahmten Honorars. Da der Arzt die Steuer zu entrichten
hat, so bleiben ihm von 100 M. erhaltenem Honorar nur 98,50 M.
(1,50 M. entfallen ja auf die von ihm zu zahlende Steuer).
Das Grundprinzip der Umsatzsteuer ist das der Ueberwäl-
zung der Steuer auf den Verbraucher (Patienten). Der Arzt kann
entweder die Steuer — wie der Gewerbetreibende es zu tun pflegt —
in das Honorar einkalkulieren, d.h. die Honorarsumme nach oben
so abrunden, daß ihm neben der Steuer sein volles Honorar ver¬
bleibt. Wenn das Honorar für seine Behandlung 100 M. beträgt, so
stellt er dem Patienten z. B. 102 oder 105 M. in Rechnung; in diesem
Falle hätte er von 102 oder 105 M. die Steuer zu zahlen, hätte also
nach Abzug der Steuer 100,50 M. oder 103,40 M. erhalten. Dieser
Weg der Abrundung nach oben sei den Aerzten besonders empfohlen.
Der Arzt kann aber — unter gewissen Umständen — auch einen
anderen Weg wählen. Während die direkte Inrechnungstellung der
Umsatzsteuer im allgemeinen nicht statthaft ist, darf der Arzt dem
Patienten, wenn er für seine Leistungen „gesetzlich bemessene Ge¬
bühren“ ansetzt (in Preußen z. B. nach der Gebührenordnung vom
1. IX. 1920 liquidiert), neben dem ihm sonst zustehenden Honorar
die Steuer direkt in Rechnung setzen. Dabei wird der Arzt zu
beachten haben, daß er ja das gesamte Honorar, das er vom Patienten
erhalten, zu versteuern hat, d. h. auch die vom Patienten bereits
erstattete Umsatzsteuer. Da zum Entgelt, das der Arzt vom Patienten
zu verlangen hat, auch die Umsatzsteuer gehört, der Arzt aber die
erhaltene Umsatzsteuer mit versteuern muß, so ist ihm gestattet, dem
Patienten l,523<y 0 in Rechnung zu stellen. Für Gutachten bei Ge¬
richten gelten ebenfalls die hier entwickelten Grundsätze: der Arzt
kann die Steuer neben seinem Honorar direkt in Rechnung setzen.
6 . Der Arzt ist verpflichtet, Aufzeichnungen zu machen,
damit er erforderlichenfalls die Richtigkeit seiner Angaben nach-
weisen kann. Aus den Aufzeichnungen muß bei der Nachprüfung
durch die Steuerbehörde erkennbar sein, welche Beträge im einzelnen
und von welchem Patienten sie vereinnahmt wurden. Bücher und
Aufzeichnungen sind 10 Jahre aufzubewahren.
7. Was nun die Steuererklärung im einzelnen betrifft, so
sind die hierorts verbreiteten Formulare ganz ungeeignet: sie ent¬
halten eine Reihe von Fragen, die den Arzt nichts angehen und ihn
nur verwirren. Zudem enthält die beigefügte Anleitung Vorschriften,
die in einer dem Reichstag vorliegenden Novelle zum Umsatzsteuer¬
gesetz zwar vorgesehen, aber noch nicht beschlossen sind.
Die Steuererklärung ist bis zum 31.1. abzugeben. Sie hat zu
enthalten:
a) die Gesamtsumme der aus der beruflichen Tätigkeit verein¬
nahmten Honorare (Unkosten dürfen nicht abgezögen werden);
b) die Honorare, die der Arzt für umsatzsteuerfrei hält, also
insbesondere Kassenhonorare, Honorare mit Steuerabzug usw.
Der Betrag zu b ist von der Summe zu a in Abzug zu bringen;
der Rest ergibt den Betrag, der umsatzsteuerpflichtig ist.
Die Frage nach rückgezahlten Honoraren hat für den Arzt
keinerlei Bedeutung.
8 . Der Steuerpflichtige erhält nach Prüfung der Erklärung einen
Steuerbesch eia; innerhalb zweier Wochen nach Erhalt aes Be¬
scheides ist der festgesetzte Steuerbetrag zu entrichten.
Der Steuerbescheid hat u. a. eine Belehrung über die Rechts¬
mittel unter Angabe der Rechtsmittelfristen zu enthalten.
Feuilleton.
Erinnerungen 1 ).
Von Joseph Landsberger in Charlottenburg.
Ich bin im 109. Semester und bald nahe dem „goldenen“ Doktor¬
jubiläum, übte jahrzehntelang ärztliche Praxis aus (auch bei Kassen
und in der Armenverwaltung), war in sehr vielen Standes-, Vereins¬
und öffentlichen Aemtem tätig (zum Teil in führender Stellung) und
habe natürlich die Schicksale vieler Einzelner, Familien und Volks¬
teile mitfühlend an mir vorüberziehen sehen. Das gibt gewiß noch
kein Recht, anspruchsvoll „Lebenserinnerungen“ zu schreiben, aber
nach dem Furchtbaren, was wir erlebt haben und was noch jetzt
unser Dasein erschüttert, kann ein rückwärts gewandter Blick in
ruhige Entwicklungszeiten wohltuend wirken, zumal wenn diese Zeiten
besonders groß, reich, rühmlich waren. Olim meminisse juvabit.
Man kann ja in der ganzen Menschengeschichte, mit Ausnahme einiger
steriler Epochen im Mittelalter, ziemlich für jedes Halbjahrhundert
eine eigene Charakterisierung und führende Geister mit neuen Rich¬
tungen nachweisen — die letzte Hälfte des vorigen Jahrhunderts
zeigt es in besonderem Maße und hat eine so vielseitige Förderung
der Erkenntnis gebracht, daß manche Wissenschaften sprungweise
Fortschritte machen und ganz neue Wege einschlagen konnten. Wer
das offenen Sinnes miterlebt hat und wem es vergönnt war, zu den
schaffenden Geistern zeitweise in persönliche Beziehung zu treten,
behielt von den Umwälzungen und der Notwendigkeit des „Um-
Jemens“ noch tiefere und — reinere Eindrücke, als man sie von
den umstürzenden und sich überstürzenden Geschehnissen der letzten
Jahre in so massenhafter und fast verwirrender Menge empfing.
Virchow, Helmholtz, Lister, Robert Koch — von
diesen Sternen erster Größe hätte jeder allein ausgereicht, einer
medizinischen Epoche Bedeutung zu verleihen — der hier be¬
sprochenen gaben sie alle ihren Glanz, und er wurde unver¬
gleichlich, als Röntgens wunderbare Entdeckung dem ärztlichen
Erkennen und Können große, noch unerschöpfte Erweiterung brachte.
Wie hob sich unsere Einsicht, als Virchow durch die Forschungen
über Thrombose und Embolie ganz neue Zusammenhänge aufdecxte!
Wie jubelte die Welt, als Helmholtz sie mit der Erfindung des
Augenspiegels beglückte! Welche Fülle von Menschenleben rettete
uns die moderne, von Listers Ideen eingeleitete Chirurgie, wie
durfte sie sich nun kühn an Körpergebiete wagen, welche in früheren
Zeiten als unbedingtes noli me tangere gelten mußten! Und wie
hat Robert Koch einen ganz neuen Wissenszweig geschaffen, in¬
dem er, von der einfachen Methodik des festen Nährbodens aus¬
gehend, die wie das Ei des Kolumbus anmutet, dem Kolumbus gleich,
eine neue Welt, die große Kleinwelt entdeckte!
Freilich: auch in der Entwicklung der modernsten Medizin ging
es nicht ohne Zickzack ab, aber sie blieb im ganzen stetig. Man
braucht nur die Wandlung der Darwinschen Theorie zum Vergleich
heranzuziehen: kaum eine andere hat je die Geister so in Be¬
wegung gesetzt und aufgerührt, und doch ist von ihren Pfeilern nur
wenig übrig geblieben. Man hat heute keine Vorstellung mehr von
dem Umfang und der Tiefe der Bewegung, welche des großen
*) Infolge freundlicher Anregung des Herrn Schriftleiters verfaßt.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
2. Februar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
169
Briten „Entstehung der Arten“ (the origin of species) 1859 in allen
Kreisen auslöste. Jahrelang tobte ein wahrer Sturm in allen Ge¬
mütern. So ungeheuer das Tatsachenmaterial war, das der uner¬
müdliche Beobachter und Naturforscher auf seiner Weltreise und in
seinem stillen Wohnort gesammelt hatte, so fruchtbar sich für alle
Wissenszweige die Gedanken erwiesen, die der sehr sorgsam und
sehr lange prüfende Philosoph entwickelte — das neue Erklärungs¬
prinzip erlag zwar nicht dem Widerstande der Dunkelmänner, aber
es mußte viele Schritte vor der wissenschaftlichen Kritik zurück¬
weichen. Ich erinnere mich noch des berechtigten Aufsehens, das
ein Ein wand von Emil du Bois-Revmond (dessen ganze Geistes¬
richtung sonst mit der Darwinschen Lehre sehr sympathisierte) her¬
vorrief: der erste Ansatz zu einer wichtigen Artänderung mußte
für die betroffenen Individuen eher hinderlich und störend sein, ge¬
schweige denn nützlich. Und wenn man erwägt, daß die Mutations¬
theorie von de Vries, im Gegensatz zu Darwin, plötzliche,
radikale Artänderungen annimmt, so sind wir eigentlich fast wieder
bei Cuviers Schöpfungsakten angelangt, wenn auch nicht grund¬
sätzlich.
Nicht ganz analog, aber in gewisser Weise ähnlich war der Ent¬
wicklungsgang unserer modernen Chirurgie. Von Pasteurs For¬
schungen ausgehend, hatte Lister in langjähriger, erfindungsreicher
Arbeit den Kampf gegen die schädlichen Wundkeime aufgenommen
und in kunstvoller Methodik das Ziel verfolgt, die Wunden unge¬
stört zu lassen: „to be let alone“. Auch er hatte, wie Darwin,
in Deutschland seine größte Anerkennung und Gefolgschaft ge¬
funden, und insbesondere an Richard Volkmann seinen be-
g eistertsten Förderer. Noch im Kriege 1870/71 wurde Charpie in
tamengen von uns verwendet: jenes in seiner Herstellung so gut¬
gemeinte, in seiner Wirkung so verhängnisvolle Material — obschon
schon vorher Bardeleben in Deutschland die ersten Listerschen
Verbandformen eingeführt hatte. Gleich nach dem Kriege begann
„das Listern“ (das Zeitwort war bald so massenhaft verbreitet, wie
das heutzutage mit den verschiedenen von Röntgens Namen ab¬
geleiteten geschieht) seinen Eroberungszug durch die Welt: Ope¬
rationen, die früher nie gewagt waren, heilten in idealer Weise aus,
die Statistiken der Chirurgischen Krankenhäuser, die früher depri¬
mierende Ergebnisse gezeigt hatten, wurden erhebend günstig, alle
Körperhöhlen wurden den Eingriffen des Messers zugänglich. Ströme
von Karbol wurden gebraucht, die Luftkeime wurden ängstlich durch
den Karbolspray abgehalten, — ich höre es noch, wie Nußbaum,
dessen Kopf in den Spraynebel geraten war und nun vom Assistenten
sanft beiseite gedrängt wurde, der Klinik zurief: etwas Richtigeres
und Wichtigeres hätte der Assistent nicht tun können. Aber der
Rückschlag blieb nicht aus: die Fälle von Karbolvergiftungen mehrten
sich, und als Bergmann im Russisch-Türkischen Feldzuge die
Erfahrungen feststellte, daß die Wunden, gegen welche weniger
aggressiv vorgegangen war, am besten heilten, brach die Periode
der „Asepsis“ an und löste die der Antisepsis und des „Listerns“
vollständig ab, und gegenüber der Polypragmasie begann sich eine
konservativere Richtung durchzusetzen und z. B. die vielen totalen
GeJenkresektionen wesentlich einzuschränken. Man hätte sich längst
ins Gedächtnis zurückrufen können, daß schon einige Jahre vor
Lister in dem Lande hergebrachter Sauberkeit ausgezeichnete Re¬
sultate von den Gynäkologen Lawson Tait und Spencer Wells
ohne einen Tropfen eines Desinfektionsmittels erzielt worden waren.
Ganze Serien von Hunderten von Ovariotomien waren ohne einen
einzigen Sterbefall abgelaufen, obschon außer peinlichster Reinlich¬
keit keine einzige Vorsichtsmaßnahme getroffen wart
Die beste Ergänzung wurde der Asepsis von einer ganz anderen
Seite her geliefert: Kochs Forschungen hatten den überragenden
Wert des strömenden heißen Dampfes für die absolute Desinfektion
aller Verbandstoffe dargetan. Der Entwicklungsgang Robert
Kochs gehört zu den interessantesten Geistesgeschichten. Es ist
allbekannt, wie er als Arzt in dem Kreisstädtchen Wollstein sich
trotz größter beruflicher Inanspruchnahme mit den einfachsten und
bescheidensten Mitteln mikroskopischen Studien widmete und dabei
sofort durch die Entdeckung der Milzbrandsporen und ihrer Biologie,
ferner durch die Arbeiten über Wundinfektion Bedeutendes leistete,
wie er durch die Benutzung von Kartoffel- und Gelatineböden das
bunte Gemisch der Kleinwesen entwirrte und „Reinkulturen“ und
deren Fortzüchtung ermöglichte. Wie er mit seinen Präparaten das
Staunen der Kapazitäten der Breslauer Fakultät hervorrief und als¬
bald dort mit Physikatsgeschäften betraut wurde, jedoch davon nicht
existieren konnte und in seinen Wollsteiner Bezirk zurückflüchteta
Zum Glücke der Welt ruhten die Breslauer nicht, und Koch erhielt
die Berufung ans Reichsgesundheitsamt, dem er dann Weltruf und
Ruhm verschaffte. In gemieteten Räumen in der Luisenstraße in
Berlin, neben der Tierarzneischule, begann er dann mit seinen
Assistenten Gaffky, Löffler, Pfuhl ein unerhörtes Schaffen:
dank der neuen Methodik der Reinkultur gab es fast tagtäglich eine
neue Entdeckung, und in Luft, Wasser und Boden, in Nahrung und
Kleidung und Krankheitsprodukten wurden immer neue Bakterien
festgestellt und genau nach Morphologie, Eigenart, Lebensbedingungen
charakterisiert Es war die Wissenschaft der Bakteriologie
entstanden, und ihr Begründer wurde nicht müde, in aller
Schlichtheit jedem Interessierten die Grundlagen und Verfahrungs-
w-eisen zu erläutern. Er selbst wandte sich in steter Arbeit einem
der höchsten Probleme zu, und bald konnte er — im Mai 1922
werden es vierzig Jahre — der Welt von der Entdeckung des
Tuberkelbazilhis Kunde geben und von der Art, wie er die Tuber¬
kulose, den Lupus, die Perlsucht erzeuge. Der Vortrag wurde in
der Physiologischen Gesellschaft in Berlin gehalten und in der
B. kl. w. abgedruckt, — die Bewunderung der wissenschaftlichen
Kreise war grenzenlos, die logische Aufeinanderfolge der Tierver¬
suche und ihre Deutung war so überzeugend, so lückenlos, daß
niemand sich dem Zwange der Beweisführung zu entziehen ver¬
mochte. Es war eine Minerva, aus dem Kopfe des Zeus entsprungen
Und dennoch! Die medizinischen Blätter waren voll von Be¬
stätigungen, aber Koch selbst mahnte wiederholt, man solle doch
den ganzen Untersuchungsgang nachprüfen. Kein einziger Wider¬
spruch wurde laut, bis er 19 lahre später von Koch selbst kam.
cs war auf dem internationalen Tuberkulosekongreß in London,
Juli 1901, wo Koch die Lehre von der Identität des Tuberkulose-
und Perlsuchtbazillus widerrief. Sein englischer Vortrag war uns Kon¬
greßteilnehmern gedruckt vorher überreicht worden, und so konnten
wir ihm Wort für Wort genau folgen. Der lapidare Satz: „It is not
so“ schlug wie eine Bombe in den überfüllten Saal. Einige wenige
aus der autoritätenreichen Hörerschaft faßten sich zwar so weit,
um gleich mancherlei Einwände vorzubringen, denn Koch hatte,
wie es seinem Grundwesen entsprach, gleich die praktische Folge¬
rung aus seinen neuen Anschauungen gezogen, daß eine^ Infektion
durch Nährstoffe kaum zu erwarten und deshalb die Milchprophylaxe
entbehrlich sei. Aber es hat doch erst jahrelanger breiter Erörte¬
rung bedurft, ehe die Grenzen zwischen dem Typus humanus und
Typus bovinus einigermaßen abgesteckt waren und die immerhin
noch bestehende Infektionsmöglichkeit durch Nahrung festgestellt
wurde, wobei anerkannt wird, daß sie nicht in dem früher ange¬
nommenen Maße besteht.
Was war der Grund des Irrens gewesen? Unerschüttert bestand
die Tatsache, daß der Bazillus der menschlichen Tuberkulose bei dem
für Tuberkulose empfänglichsten Tier, dem Meerschweinchen, eine
Tuberkulose mit typischem Verlaufe erzeugt, unerschüttert auch die
Tatsache, daß der Bazillus der Perlsucht genau das Oleiche bewirke.
Aber das Gleiche bewirken bedeutet noch nicht das Gleiche sein.
Es hatte ursprünglich das experimentum crucis gefehlt: ob der
menschliche Tuberkelbazillus auch beim Rinde die Tuberkulose (Perl¬
sucht) hervorrufe. Und diese Achillesferse hatte niemand die 19 Jahre
herausgefunden, bis Koch selbst sich wieder die entscheidende Frage
stellte und — gemeinsam mit Schütz — die betreffenden‘Versuche
anstellte, deren Ergebnis er eben 1901 bekannt gab, das aber dann
— international wiederholt geprüft — doch so modifiziert werden
mußte, wie oben angegeben ist. In den zwei Jahrzehnten zwischen
1882 und 1901 war aber auch sonst die gesamte medizinische und
hygienische Denkweise von Koch und seiner Schule beherrscht
worden. Nicht bloß wurde für viele Infektionskrankheiten die spezi¬
fische Aetiologie entdeckt und zum Teil auch die Abhilfe gefunden
(es sei an Diphtherie, Cholera, Typhus, Rinderpest, Malaria, Schlaf¬
krankheit erinnert). Die scheinbar abgetan gewesene Bedeutung des
Trinkwassers in dieser Hinsicht kam wieder zur rechten Geltung, und
die der Grundwasserschwankungen wurde zurückgedrängt. Wer weiß
heute noch, welchen unbedingten Wert den letzteren z. B. Petten-
kofer für die Entstehung und Ausbreitung des Unterleibstyphus bei¬
gelegt hatte? Die Wahrscheinlichkeit, daß beide Erscheinungen ur¬
sächlich miteinander Zusammenhängen, hatte ihm sein mathematischer
Universitätskollege Seidel zu ungeheurer Ziffer errechnet! Die
hygienische Fürsorge für die Bevölkerung wurde in ganz andere
Bannen gelenkt und der Kampf gegen die Tuberkulose unter Mit¬
wirkung weitester Kreise und sogar mit großem internationalen
Aufgebot geführt. (Schluß folgt.)
Korrespondenzen.
Von Herrn Prof. Mühle ns, dem Leiter der Russischen Sanitätsexpedition
des Deutschen Roten Kreuzes, geht uns folgender Aufruf zur Veröffentlichung
zu. Wir unterstützen die darin ausgesprochene Bitte auf das wärmste und
hoffen, daß deutsche Verleger und deutsche Ärzte auch diese Gelegenheit gern
ergreifen werden, um ihre Humanität und Sympathien den russischen Ärzten
durch die Tat zu beweisen, soweit es in ihren — leider heutzutage so stark ge¬
schmälerten Kräften — steht. J. S-
Rassische Aerzte ln Not!
Die nach Rußland entsandte Sanitätsexpedition des Deutschen Roten
Kreuzes konnte nicht nur die Nachrichten von der unbeschreiblichen Hungersnot
und einer ungeheuren Ausbreitung der Hunger- und anderer Seuchen in den rus¬
sischen Mißerntegebieten bestätigen, sondern auch daselbst ebenso wie in den
bisher weniger unter Nahrungsmangel und Seuchen leidenden Hauptstädten
einen „Hunger“ der russischen Ärzte nach medizinischer, insbesondere deut¬
scher medizinischer Literatur feststellen. Unsere russischen Kollegen
hungern in diesem Sinne tatsächlich seit 7 Jahren. Überall, wo wir
mit Kollegen zusammenkamen, war die erste Frage: Haben Sie uns auch medi¬
zinische Zeitschriften und Bücher mitgebracht*
Unsere deutschen wissenschaftlichen Institute usw. haben es nicht ver¬
gessen, daß bald nach dem Kriege viele ausländische Institute, selbst aus den
früher feindlichen Ländern, die geistigen Beziehungen zu uns durch Über¬
sendung der während des Krieges erschienenen Zeitschriften und wissenschaft¬
lichen Arbeiten wieder aufnahmen und auch um unsere Publikationen baten.
Auch verdanken wir manche für unsere wissenschaftlichen Institute zurzeit
unerschwinglichen Bücher der Auslandsliteratur den Spenden namentlich des
neutralen Auslandes. Erinnern wir uns dessen voll und ganz und helfen wir nun¬
mehr auch unseren rassischen Kollegen, mit denen uns manche alte Beziehungen
verbinden!
Difitized by Google
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
170
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 5
Die meisten großen deutschen medizinischen Wochenschriften sind be¬
reits unserer diesbezüglichen Bitte gefolgt und senden durch die deutsche Hilfs¬
expedition zahlreiche Exemplare wöchentlich nach Rußland. Möchten die
anderen Zeitschriften bald folgen!
Unsere Bitte geht aber noch weiter: Wir sollten auch mit Bücherspenden
die Not der russischen Ärzte zu lindem versuchen. Wenn jeder Autor uns in
Verbindung mit seinem Verleger 3—5 Exemplare seiner neuesten Werke zur
Verfügung stellen wollte 1 ), dann könnten wir den Wissensdurst der russischen
Ärzte und Wissenschaftler wenigstens in den Hauptstädten sofort einigermaßen
stillen. In ärztlichen Zentralbibliotheken würden wir daselbst die deutschen
Werke jedem Arzte zugängig machen.
Bis dat qui cito dat!
Helfen wir also schnell und intensiv.
Die Sanitätsmission des Deutschen Roten Kreuzes ist bereit, alle Literatur¬
spenden unseren russischen Kollegen zu übermitteln bzw. die für diesen Zweck
beim Deutschen Roten Kreuz (Russisches Hilfswerk), Charlottenburg, eingehen¬
den Geldspenden zu Bücherbeschaffungen in dem genannten Sinne zu verwenden.
Im Namen der Deutschen Sanitätsmission für Rußland
Prof. Dr. Mühlens.
Kleine Mitteilungen.
— Berlin. In der Sitzung des preußischen Landtags vom
20. I. wurde der Entwurf des Hebammengesetzes dem Be¬
völkerungsausschuß überwiesen.
— Die Reichsregierung geht nach einer Mitteilung des
Bayr. Aerztl. Corr. BL mit dem Gedanken um, eine Anzeigepflicht
für Gewerbekrankheiten cinzuführen.
— Der L. V. hat auf Aufforderung des Reichsarbeitsministeriums
als Aerzte Vertreter für das Reichsschied samt als ordent¬
liche Mitglieder H. Hartmann und Kuhns gewählt.
— Geh. San.-Rat Herzau ist an Stelle des leider erkrankten.
Kollegen Hartmann (vgl. Nr. 2 S. 72). in den Reichs wirt¬
schaftsrat berufen worden.
— Der Verband für die berufliche Kranken- und
Wohlfahrtspflege hat sich an das Reichsarbeitsministerium und
Reichsgesundheitsamt gewandt mit der Bitte, der Unterstellung
des Personals der Kranken - und Wohlfahrtspflege unter
die Unfallversicherung innerhalb des Rahmens der Reichsver¬
sicherungsordnung näherzutreten.
— Im Jahre 1917 hatte der Vorstand der Aerztekammer mit dem
Magistrat einen Vertrag abgeschlossen, nach dem alle dazu bereiten
Aerzte zur Behandlung der Kriegerfrauen und deren Angehörigen
zugelassen waren. Nach Beendigung des Krieges blieb der Vertrag
bestehen, der sich jetzt auf die Kriegshinterbliebenen und
die Flüchtlinge erstreckte. Für die monatliche Behandlung war
eine Summe von 10 M. ausgesetzt worden. Da dieses Honorar nicht
mehr für genügend erachtet wurde, hat vor einem Jahre der Vor¬
stand der Aerztekammer beim Magistrat der Stadt Berlin beantragt,
für die Behandlung von Kriegshinterbliebenen mit Wirkung vom
1. I. 1921 das Honorar von 10 M. auf 15 M. zu erhöhen. Die erste
Eingabe erging am 12. II. 1921; weitere Schreiben folgten im April,
Mai, September und Oktober. Da die Antworten entweder ganz
ausblieben oder lediglich bestätigten, daß die Angelegenheit in der
Schwebe sei, hat der Vorstand der Aerztekammer den Ver¬
trag zum 1 . II. gekündigt.
— Die Grippe greift auch im Ausland stark um sich. In Stock¬
holm hat sie die Hälfte der Bevölkerung ergriffen. In der schwedi¬
schen Armee zahlt man 5000 Erkrankungen. In Kopenhagen sind
600 Fälle festgestellt. In Paris werden täglich etwa 90 an Grippe
Erkrankte in die Krankenhäuser eingeliefert. In London ist die Aus¬
breitung der Krankheit in den südlichen und nordöstlichen Vierteln
der Stadt stärker als im Westen. In Edinburg und Leith sind 22000
Erkrankungen unter den Schulkindern gemeldet, das sind 35 o/o der
Gesamtzahl.
— Deutsche Zahnärzte werden in Niederländisch-
Indien zur Ausübung der Praxis zugelassen, wenn sie fol¬
genden Bedingungen entsprechen: 1 . daß sie im Besitze einer ihnen
gemäß der „Bekanntmachung vom 5. VII. 1889, betreffend die Prü¬
fung der Zahnärzte für das Deutsche Reich“ erteilten „Approbation
als Zahnarzt“ sind; und 2. daß sie sich in den Niederlanden oder in
Niederländisch-Jndien mit gutem Erfolg einer theoretischen Prüfung
unterzogen haben. — Näheres über die zu 2 bezeichneten Prüfungen
ist durch Vermittlung der Deutschen Gesandtschaft, Haag (Nieder¬
lande), zu erfahren.
-7 Die Deutsche Gesellschaft für Meeresheilkunde
schreibt eine Preisarbeit aus mit dem Thema: Die Ausnutzung der
deutschen Seeküsten für die Ertüchtigung der Jugend. Der Preis
beträgt 2000 Mark. Die Arbeiten sind bis zum 31. XII. 1922 an Prof.
Franz Müller, Charlottenburg-Westend, Kastanienallee 39, der
auch zu näherer Auskunftserteilung bereit ist, einzureichen. Preis¬
richter sind Geh.-Rat Prof. Dietrich (Berlin), Prof. Brüning
(Rostock). Prof. Kißkalt (Kiel), Prof. Franz Müller (Charlotten¬
burg-Westend) und Geh.-Rat Röchling (Misdroy).
— Dr. J. Petermann, Leitender Arzt des St. rranziskushospitals
in Bielefeld, ist an Stelle von Geheimrat Rotter als Chefarzt der
*) Die Verleger müßten von den Autoren beauftragt werden, die bestimmte Zahl
von Büchern in Leipzig dem Beauftragten des Deutschen Roten Kreuzes abzuliefem.
D. Red.
Chirurgischen Abteilung des St. Hedwig-Krankenhauses berufen
worden.
— Die Berliner Urologische Gesellschaft ernannte Geh.-Rat
Posner zum Ehrenmitglied.
— Obergeneralarzt Stechow beging am 25.1. seinen 70. Ge¬
burtstag. Bei Beginn des Weltkrieges wurde er im August 1914 als
Armeearzt zum Generalgouvernement Brüssel berufen und war zu¬
letzt stellvertretender Subdirektor der Kaiser Wilhelm-Akademie.
— Verlagsbuchhändler Ferdinand Springer wurde von der
Frankfurter Medizinischen Fakultät zum Ehrendoktor ernannt.
— Fleckfiebcr. Deutsches Reich (8.—14. I. mit Nachträgen): 30. — Pest,
Vom 1.1.—30. XI. 1921 starben in Briti 3 ch-Ostindien 125000 Personen.
— Danzig. An der Ostgrenze Polens ist in einer Tiefe von
30 bis 50 Kilometern die Cholera ausgebrochen.
— Dresden. In der Sitzung des Landesgesundheitsamtes
vom 12. XII. 1921 wurde u. a. die Neuregelung der Facharzt¬
frage erörtert und für die Führung der Facharztbezeichnung Richt¬
linien aufgestellt.
— Marienwerder. Das hiesige Waisenhaus wird in ein Säug¬
lingsheim umgewandelt.
— München. Tarif für sämtliche der Arbeitsgemeinschaft
bayerischer Krankenkassen und Aeizte angehörenden Kassen ist
folgender: Grundgebühr nach dem Mantel vertrag: Konsultation =4M.,
Besuch = 6 M., Sonderleistungen = GO. 1901 -f 150<>/o, Geburts¬
hilfe — -J- 400o/ 0 . Doppelkilometer 6 M., bei Nacht 10 M. Für August
und September Teuerungszuschlag von 30°/o auf sämtliche ärztlichen
Leistungen. Für IV. Quartal 1921. Teuerungszuschlag von für jede
Konsultation = 1,50 M. und für jeden Besuch = 5 M.
— Münster. Die Krankenkassen des hiesigen Oberver¬
sicherungsamtsbezirks haben sich zu einer Arbeitsge¬
meinschaft zusammengeschlossen, der bis jetzt 60 Krankenkassen
angehören. Man hofft, daß durch diesen Zusammenschluß die Schieds-
instanzen entlastet und friedlichere Verhältnisse zwischen den Aerzten
und den Krankenkassen geschaffen werden. (Zu wünschen wäre es
ja, zu hoffen wagt man es schon nicht mehr.)
— Wiesbaden. Vom 27 . III. bis 8. IV. soll ein ärztlicher Fortbildungs¬
kurs aus allen Gebieten der Medizin hier stattfinden. Vorträge haben u. a.
übernommen: Aschoff, Straub, Brauer, v. Bergmann, Schmieden,
Moro, Linke, Küpferle, L. F. Meyer, Siemens. Anfragen an Prof.
Herxheimer, Freseniusstr. 17 .
— Antwerpen. In den Bergwerken der Union miniere du Haut
Katanga (Afrika) sind Spuren von Uran und Radium festgestellt
worden. Die ersten Erzlieferungen sind zwecks näherer Unter¬
suchung hier angelangt.
— Paris. Dem Vernehmen nach besteht eine lebhafte Oppo¬
sition gegen die Aufnahme von Frau Curie in die franzö¬
sische Akademie der Medizin, weil es ein Novum ist, daß
eine Frau in diese Körperschaft aufgenommen wird (!).
— Montreal. Lord Atholstan hat einen Preis von 100000 $
ausgesetzt, der demjenigen Mediziner zufallen soll, der innerhalb
fünf Jahren eine medizinische oder chirurgische Behandlung zur voll¬
ständigen Heilung des Krebses entdeckt. Mit der Verteilung
dieses Preises wurde das Royal College of Physicians and Surgeons
in London beauftragt.
— Neuyork. von 1918—1920 sind hier 164 Personen an Mi߬
brauch von Opium und seinen Derivaten gestorben.
— Hochschulnachrichten. Berlin. Prof. Neuberg hat den an
ihn ergangenen Ruf an die Universität Nagoya (Japan) abgelehnt
(vgl. Nr. 2 S. 72). — Göttin gen. Prof. Wagen er, Direktor der
Poliklinik für Ohren-, Nasen- und Halskrankheiten in Marburg, hat
einen Ruf als Nachfolger W. Langes erhalten. — Marburg. Prof.
Berblinger (Kiel) ist mit der stellvertretenden Leitung des Pathologi¬
schen Instituts beauftragt worden. — München. Dr. Nadoleczny
hat sich für Phonetik, Dr.Martini für Innere Medizin und Dr. Lange
für Psychiatrie habilitiert. — Würzburg. Prof. Ranke (München) hat
den erstmals zur Verteilung gelangenden Josepf Schneider-Preis
in Höhe von 5460 M. „für die beste Arbeit auf dem Gebiet der Er¬
forschung und Bekämpfung der Tuberkulose während den letzten
10 Jahren“ erhalten. — Wien. Dr. Hafferl hat sich für Anatomie,
Dr. Stern für Laryngologie, Dr. Oottlieb für Zahnheilkunde habili¬
tiert. — Innsbruck. Die Proff. Steyrer und Bayer wurden zu
ordentlichen Mitgliedern des Tiroler Landessanitätsrates ernannt.
— Gestorben. Sir German Simo Woodhead, Professor der
Pathologie in Cambridge, im Alter von 66 Jahren. — Ferdinand
Pecirka, a. o. Professor für Haut-und Geschlechtskrankheiten an der
Tschechischen Universität, Polizeichefarzt und Vizepräsident des Landes¬
sanitätsrates, im Alter von 63 Jahren am 18. I. in Prag.
— Literarische Neuigkeiten. Im Verlage von Georg Thieme
(Leipzig): Medizinische Psychologie. Ein Leitfaden für Studium und
Praxis von Dr. Emst Kretschmer in Tübingen. Mit 22 Abbildungen.
M. 39.—, gebunden M. 48.—. Diese Preise sind innerhalb Deutschland
zuschlagsfrei._
— Die Therapeutica „Cewega* bringen übersichtlich angeordnet in Form
eines gebundenen Heftes das Wissenswerteste über die von den Chemischen Werken
Orenzach A.-O. hergestellten pharmazeutischen Prüpante. Die TherapeuMca „Ccwega*
werden auch in Form einer Sammelmappe abgegeben, die es ermöglicht, neu erschei¬
nende Literatur jederzeit einzufügen.
— Auf Seite 16 des Inseratenteiles ist ein Verzeichnis der bei der Redaktion
zur Rezension eingegangenen Bücher und Abhandlungen enthalten.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNÜVERSrn 1
literaturbericht
Redigiert von Prof. Dr. R. von den Velden.
Physiologie.
Deppe (Dresdeu), Funktionelle Anpassung des Mnakels im Sport.
M. m. W. Nr. 1. Der Sportsmann muß durch die Uebung dahin ge¬
langen, seine Muskeln so zu beherrschen, daß nur die angespannt
werden, die gerade gebraucht werden sollen. Durch die Ausschaltung
unnötiger Muskeltatigkeit, die „Lockerung", tritt eine Ersparnis an
Nahrungsstoffen und Nervenimpuls ein.
Allgemeine Pathologie.
Nissen (Breslau), Katalaselndex der roten Blutkftrperchen bei
menschlichen und experimentellen B utkrankbeiten. Zschr. f. klin. M.
92 H. 1—3. Das katalatische Ferment im roten Blutkörperchen haftet
zum größeren Teil an den in Lösung gehenden Stoffen einschließlich
dem Hämoglobin, zum geringeren am Stroma. Bei Gesunden und bei
Kranken mit Blutleiden — mit Ausnahme der perniziösen Anämie —
zeigen die Erythrozyten annähernd einen gleich großen Katalaseindex,
bei perniziöser Anämie einen stark erhöhten, ähnlich bei Neugeborenen.
Der Katalaseindex steht in enger Beziehung zum Rauminhalt, dann zum
Hämoglobingehalt. Bei Anämie durch Phenylhydrazin ist er erhöht,
bei Toluylendiaminanämie normal.
Mikroben- und Immunitfltslehre.
Joseph Hohn (Essen), Einfluß des Nährbodens auf die Aggln-
tinabilität des TyphusbaHlus. M. m. W. Nr. 1. Der Typhusbazillus
erwirbt seine Agglutinabilität erst durch den Abbau bestimmter Sub¬
stanzen aus dem Nährboden. Zur Züchtung maximal agglutinierender
Stamme eignet sich am besten l°/ 0 Galaktoseagar.
\V. Loew (Franzensbad), Schwankungen des Komplementgehaltes
bei Meerschweinchen. W. kl. W. Nr. 1. Während mehrjähriger Ge¬
fangenschaft hat Loew in Ufa in Sibirien bei Ausführung der Wa.R.
bemerkt, daß sich im Sommer die Zahl der negativen Reaktionen
erheblich vermehrte. Dieses rührte daher, daß der Komplementgehalt
des Meerschweinchenserums im Sommer erheblich höher war als im
Frühjahr und Winter (1:30 gegen 1:15 bis 1:101). Loew führt das
auf das kontinentale Klima zurück, ob es für europäische Verhältnisse
zutreffe, sei vorläufig nicht zu entscheiden. Nachdem diesen Verhält¬
nissen Rechnung getragen wurde, war der Ausfall der Wa.R. stets
zuverlässig.
Kurt Marcuse (Berlin), Wa.R. und Kokzidiose beim Kaninchen.
Zbl. f. Bakt. Abt. I Orig. 87 H. 5. Ein Zusammenhang zwischen Wa.R.
und Kokzidioseerkrankung beim Kaninchen ließ sich nicht feststellen.
Kokzidiosekranke Tiere können positiv, kokzidiosefreie Tiere negativ
reagieren und umgekehrt. _
Strahlenkuode.
♦♦ H. E. Schmidt (f). Kompendium der Lichtbehandlung.
3. Aufl. von Otto Strauß (Berlin). Leipzig, O.Thieme, 1921. 114Seiten
mit 49 Abbildungen. M. 21.—. Ref.: Levy-Dorn (Berlin).
Dem Verfasser ist es gelungen, das Kompendium den Forderungen
der Gegenwart anzupassen. In den 7 Jahren, welche seit Heraus¬
gabe der 2. Auflage verflossen sind, hat sich so vieles verändert,
daß die kritische Sichtung keine leichte Aufgabe war. Ganz besonders
wurde der Abschnitt „Indikationen und Resultate der Lichtbehand¬
lung“ erweitert und neben der Dermatologie für die „Tuberkulose
und sonstige innere Krankheiten und Chirurgie“ weiter ausgebaut.
Auch im Kapitel der „Dosierung und sonstiger Lichtquellen“ wurden
die neuesten Errungenschaften geschildert. Die Natur der Sache
bringt mit sich, daß noch mancherlei hypothetisch ist. Verfasser hat
in solchen Fällen das „Für und wider“ klar auseinander gesetzt, ohne
seine eigene Meinung zu verhehlen. Druck und Bildschmuck sind vor¬
züglich. Das Kompendium kann den Praktikern wie Theoretikern,
welche eine Uebersicht wünschen, warm empfohlen werden.
Allgemeine Diagnostik.
♦♦ Emil Abderhalden (Halle), Handbuch der biologischen
Arbeitsmethoden. Abt. I. Chemische Methoden. Teil I
H. 3. Wien, Urban & Schwarzenberg, 1921. M. 42.—. Ref.: C. Neu¬
berg (Berlin-Dahlem).
Die vorliegende Lieferung des „Handbuchs der biologischen
Arbeitsmethoden“ enthält eine ausführliche Vorschrift für den Nach¬
weis von Porphyrin und Hämatin aus der Feder von
O. Schümm in Hamburg, der ein besonderer Kenner dieses Ge¬
bietes ist. Der zweite Abschnitt ist von T. B. Osborne in New-
Haven und E. Strauß in Frankfurt a. M. bearbeitet; er betrifft
die Eiweißstoffe der Pflanzenwelt. Auch die Darstellung
dieses Teiles ist mit großer Sorgfalt geschehen und die Literatur
bis in die neueste Zeit hinein in dem für das Sammelwerk vor¬
gesehenen Rahmen berücksichtigt Fr. N. Schulz gibt bewährte
Vorschriften für die Darstellung von kristallisiertem Ei¬
weiß. Die Proteine des Tierkörpers einschließlich der Pro¬
tei noide werden von Strauß in vorzüglicher Weise geschildert;
hierbei hat der heimgegangene Forscher Franz Samuely mit¬
gewirkt. Die Eiweißkörper der Bakterien und Pilze haben allem
Anscheine nach keine eingehende Schilderung erfahren, die wohl
einer späteren Lieferung Vorbehalten ist.
Falkenthal (Berlin-Dahlem), Nene Dnnkelfeldlampe. Zbl. f. Bakt.
Abt. I Orig. 87 H. 5. Der Stromverbrauch dieser neuen Lampe ist sehr
gering, ihre Lebensdauer recht groß. Die Lampe leistet in licht¬
technischer Hinsicht Ausgezeichnetes und stellt zweifellos einen Fort¬
schritt auf diesem Gebiet dar. (Referent benützt die Lampe seit
Monaten mit bestem Erfolge.)
Allgemeine Therapie.
++ Plate und Lorenzen (Hamburg), Zeitgemäße Erwägungen
für die Einrichtung von physikalisch-therapeutischen
Anstalten. Hamburg, Boysen & Maasch, 1921. 32 Seiten mit
32 Abbildungen. M. 5.50. Ref.: A. Laqueur (Berlin).
Der verdienstvolle Leiter des physikalisch-therapeutischen Instituts
am Hamburg-Barmbecker Krankennause gibt hier zusammen mit einem
Ingenieur von Fach beherzigenswerte Winke für den Bau und die
Einrichtung von physikalisch-therapeutischen Anstalten, insbesondere
von solchen, die als Zentrale für größere Krankenhäuser bestimmt
sind. Bei den Ausführungen der Verfasser, die über eine reiche Er¬
fahrung verfügen, ist besonders bemerkenswert, daß sie sich auf das
Notwendigste beschränken und bestrebt sind, die Kosten der Ein-
riditung möglichst niedrig zu halten. Leider wird trotzdem in ab¬
sehbarer Zeit die Errichtung derartiger Anstalten noch vielerorts ein
pium desiderium bleiben müssen.
Rolf Griesbach (Gießen), Künstliche Erzeugung von akuter,
allgemeiner Anidrosia bzw. Oligidrosis durch Formaldehyd. M.m. W.
Nr. 1. 2 Fälle von 1—2 Tage anhaltender allgemeiner Anidrosis mit
Hyperthermie nach Einpinseln von unverdünnter Formalinlösung auf
die Fußsohlen. Auch bei einem Selbstversuch Oligidrosis für 4 Tage.
R. Hoff mann (Wien), Novatrnpin. W. kl. W. Nr. 1. Novatropin
ist das Nitrat des methylierten Homatropins. Es ist dem Atropin,
sulfur. therapeutisch gleichwertig, hat dabei aber die Annehmlichkeit,
30—50mal weniger toxisch zu sein. Man kann mit dem neuen Mittel
gefahrlos intravenöse Injektionen vornehmen und die Dosierung höher
wählen.
Innere Medizin.
♦♦ J. Arneth (Münster), Die qualitative Blutlehre. Bd. 2. Mit
32 Tafeln. Leipzig, Dr. W. Klinkhardt, 1920. 660 S. Ref.: H. Rosin
(Berlin).
In seinem II. Bande findet die qualitative Blutlehre Arneths,
soweit sie die Leukozyten angeht, inren Abschluß. Zunächst wird
das Blutbild der polynukleären Leukozyten zu Ende geführt in zwei
Kapiteln, die von aen Eosinophilen und den Mastzellen handeln.
Dann kommen in einem zweiten, wesentlich kürzeren Hauptteile die
Lymphoidzellen an die Reihe. Hier sind die Lymphozyten in dem
ersten, die großen Monukleären und Uebergangszellen in einem
zweiten, die Zellen mit Azurgranulationen in einem dritten Teil unter-
S ebracht. Eine ausführliche kritische Literaturbesprechung sowie eine
Darstellung der Technik der Blutuntersuchung beschließt das Ganze.
Vor uns liegt ein Werk voll neuer Gesichtspunkte, ein Produkt
bewunderungswerter, zielbewußter Arbeit, das aen Grund gelegt hat
zu einem eigenartigen Gebäude, dessen grobe Umrisse bereits vom
Alttor selbst geschaffen sind, dessen Lücken und Ausbau für alle
diejenigen einen großen Anreiz zur Arbeit bringen muß, die sich in
das Werk selbst vertieft haben. Möge ihm auch ein Hauptzweck
beschieden sein: für die Diagnostik innerer Krankheiten eine wesent¬
liche Hilfe geschaffen zu haben.
Helmut Gaumitz (Jena), Auftreten von Diphtherie in einer
Erziehungsanstalt. Zbl. f. Bakt Abt. I Orig. 87 H. 5. Der Verlauf der
Epidemie war überwiegend abhängig von der Anwesenheit von
Bazillenträgern, denen auch in zahlreichen Fällen die Schuld der
Uebertragung direkt nachgewiesen werden konnte. Die positiven
Bazillenbefunde fanden sich gehäuft bei „Gesunden“ zur Zeit von
echten akuten Erkrankungsfällen, um sich bei der Mehrzahl nicht zu
wiederholen; bei wenigen „chronischen“ Bazillenträgern wiederholten
sie sich bei Neuerkrankungen und in erkrankungsfreien Intervallen.
Als längste Dauer des Bazillentragens konnten bei einer kindlichen
Bazillenträgerin noch 16 Monate nach dem ersten positiven Befunde
Bazillen nachgewiesen werden. Eingehende Besprechung der durch¬
geführten Bekämpfungsmaßnahmen.
P. R. Biemann (Hamburg), Diphthosanbehandlnng bei Diphtherle-
bazlllenträzern. M. m. W. Nr. 1. Diphthosan ist der Akridiniumfarb-
stoff Flavizid, mit Saccharin als Geschmackskorrigens. Es wurde in
der Verdünnung 1:5000 zu Spülungen der Nase und des Nasenrachen¬
raums benutzt. Es zeigte sich starke bakterizide Wirkung bei Diphtherie¬
bazillenträgern. Auffallend gute Resultate auch bei Vaginaldiphtherie.
F. Limper (Göttingen), Kapillarlfthmunren im Darm bei Grippe.
M. m. W. Nr. 1. Die Obduktion ergab häufig bei Kindern und auch
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY"
172
LITERATURBERICHT
Nr. 5
Erwachsenen am Darm stärkste Injektion bis in die feinsten Gefäßchen,
strotzend gefüllte Kapillaren, enge Arterien, mäßig gefüllte Venen,
keine Zeichen von Entzündung. Klinisch war der Tod unter den Er¬
scheinungen des anaphylaktischen Shoks erfolgt. Bei abgeschwächter
Reaktion tritt ein ruhrähnlicher Darmkatarrh auf.
Härle (Tübingen), Hypertonie und Blutzucker. Zschr.f.klin.M.
92 H. 1—3. Bei Nephritis mit Hypertonie findet man öfters hohe
Blutzuckerwerte, vereinzelt auch bei Nephritis ohne Hypertonie. Bei
Hypertonien ohne Nephritis oder andere Komplikationen finden sich
neben hohen Blutzuckerwerten manchmal echte Hyperglykämien. Ein
Parallelismus ist nicht festzustellen.
O. Burkard (Graz), Tuberkulosefürsorge und extrafamiliäre Ex¬
positionsprophylaxe. W. kl. W. Nr. 1. Die Hinweise Wassings und
Hamburgers (W. kl. W. 1921 Nr. 31 u. 39) auf die extrafamiliäre Ex¬
positionsprophylaxe werden in ihrer Bedeutung besonders hervor¬
gehoben. Die externe Fürsorge (Hausbesuche der Fürsorgerin) hat
ihr besonderes Augenmerk darauf zu richten.
Luger und Neuberger (Wien), Spirochftten im Magensaft und
Carcinoma ventriculi. Zschr. f. klin. M. 92 H. 1—3. Spirochäten im
normalen und nichtkarzinomatösen Magensaft kommen selten zur Be¬
obachtung, bei Magenkarzinom häufig. Sie sind daher als reguläre
Saprophyten des Magenkarzinoms verdachterweckend, im Verein mit
Boas-öpplersehen Bazillen und dem bekannten Chemismus eine
wertvolle Stütze der Diagnose.
Biegold (Hamburg), Septischer Ikterus. Zschr. f. klin. M. 92
H. 1—3. Der Ikterus bei der an aeroben Streptokokkensepsis unter¬
scheidet sich nicht von dem bei der Sepsis der Aerobier. Die Haut¬
verfärbung wird durch* Bilirubin bedingt. Das Blutkörperchen wird
nicht in der Blutbahn selbst zum Zerfall gebracht. Der Fraenkel-
sche Gasbazillus erzeugt einen Ikterus mit manchmal enormer Blut¬
dissolution. Selbst schwere Blutschädigungen können wieder aus¬
geglichen werden.
C. Fischer (Wien), Behandlung der Krampfadern mit Sublimat¬
injektionen nach Linser und Behandlung der Belogeschwfire.
W. kl. W. Nr. 1. Gute Erfahrungen mit Injektion l°/ 0 iger wäßriger
Sublimatlösung an einem großen Material. Keine Embolien zu be¬
fürchten. Beeinflußt bestehende variköse Ulzerationen aufs beste.
Daneben lokal 1—2 mal 24 Stunden Terpentinölemulsion 10°/ 0 zur An¬
regung der Granulationen, dann Biersche Kammer.
Oetvös (Budapest), Kriegsenteritis. Zschr. f. klin.M. 92 H. 1—3.
Die Aetiologie der schweren Darmentzündungen ist nicht einheitlich.
Viele schwere diffuse Darmentzündungen ähnelten klinisch der bazil¬
lären Dysenterie oder der Colitis chronica purulenta. Die Therapie
mit systematischen Darmspülungen ist der peroralen überlegen, be¬
sonders wegen ihrer mechanischen Wirkung.
Felix Franke (Braunschweig), Oxyuriasis. M. m. W. Nr 1. Zu
Nordhof in Nr. 49. Verzicht aut innere Mittel. Graue Salbe in die
Afterfalte 2- bis 3 mal täglich. Peinlichste Reinhaltung der Finger und
der Aftergegend. Tag und Nacht Hemdhose. Wichtig ist auch häufiges
Bürsten und Klopfen der Bettwäsche, weil sich die Wurmeier hier
staubförmig verteilen. Dauer der Kur 4 Wochen,
Heiberg (Kopenhagen), Dauer der letal verlaufenden Dlabetes-
fllle. Zschr. f. klin. M. 92 H. 1—3. Verfasser stellte an einem großen
Material fest, wie weit größer die Dauer in den höheren Altersklassen
ist, ferner, daß sie für Männer größer als für Frauen ist, letzteres
vielleicht wegen der häufigeren Erkennung der Krankheit bei Männern
anläßlich einer Lebensversicherung.
Hans Langsch (Chemnitz), Lymphatische Leukämie unter dem
Bilde symmetrischer ParotisschwelluoK* M. m. W. Nr. 1. I 1 /, Jahre
altes Kind erkrankt unter dem Bilde des Mumps, bald danach Haut-
und Schleimhautblutungen. Blutbild der lymphatischen Leukämie.
Obduktion ergibt derbe Parotisschwellung beiderseits, Milzvergrößerung,
blaurotes Knochenmark, lymphozytäre Infiltrate in Milz, Niere, Leber.
Burmeister (Hamburg), Paroxysmale Hämoglobinurie und Syphilis.
Zschr. f. klin. M. 92 H. 1—3. Anamnestische und klinische Merkmale
für Lues fand Verfasser in 30% seiner Fälle, Wa.R. in 95%. Nach
dem Verhalten der Kältehämolysine in vitro gegenüber Lipoiden ist
es wahrscheinlich, daß dieselben bei der Wa.R. auch ohne Anwesen¬
heit normaler Syphilisreagine einen positiven Ausfall hervorrufen. Bei
paroxysmaler Hämoglobinurie wirkt die Kälte durch Schaffung ge¬
eigneter Rezeptoren auf die Erythrozyten. Dieser Kälteeinfluß spielt
vielleicht bei Erkältungskrankheiten eine wesentliche Rolle.
Burmeister (Hamburg), Beeinflussung der Kältehämoglobinurie
durch unspezifisch wirkende Salzlösungen. Zschr. f. klin. M. 92 H. 1—3.
Die von Bondy und Strisower beschriebene Behandlung der
paroxysmalen Hämoglobinurie entspricht der peroralen Kalzium- oder
Kochsalztherapie. Der Donath-Landstein ersehe Kältchämolyse-
versuch fällt negativ aus bei gewisser Aenderung des qualitativen
oder quantitativen Salzgehalts der Lösung. Die durch Infusion hyper¬
tonischer Salzlösungen erzielte Anämie ist nur scheinbar.
H. Kahler (Wien), Veränderungen des Zuckergehaltes in der
Zerebrospinalflüssigkeit bei inneren und Nervenerkrankungen. W.
kl W. Nr. 1. Bisher ist das Hauptgewicht auf eine Verminderung
des Zuckergehalts im Liauor gelegt worden. Kahler fand aber mit
der Bangschen Mikromethode in einer großen Reihe von Fällen (Reiz¬
zustände des Gehirns) auch pathologische Vermehrung desselben.
(Genuine Epilepsie, Encephalitis epidemica, Hirntumor, Apoplexie usw.)
Auch bei Bestehen einer Hyperglykämie wird der Zucker im Liquor
vermehrt
Chirurgie.
♦♦ Franziska Berthold (Berlin), Der chirurgische Operattons-
taal. Ratgeber für die Vorbereitung chirurgischer Operationen und
das Instrumentieren für Schwestern, Aerzte und Studierende. Berlin,
J. Springer, 1921. 167 Seiten mit 314 Abbildungen. M. 27.—. Ref.:
Ol aß (Hamburg).
Das Büchlein enthält die Behandlung des wertvollen Instru¬
mentariums, des Operationssaals und seines Zubehörs, eine sorg¬
fältige Besprechung der vielen einzelnen Operationen, besonders
ihrer Vorbereitung. Aber auch das Instrumentieren und die Narkose
wird, wie der übrige Teil des Buches auch, in außerordentlich
leicht verständlicher weise von der erfahrenen Operationsschwester
beschrieben, und ist durch kleine wertvolle praktische Winke be¬
reichert. In erster Linie Operationsschwestern ist der Leitfaden
bestimmt, aber auch dem angehenden Chirurgen ist er wertvoll,
und besonders bei Einrichtung einer Chirurgischen Abteilung. Weiteste
Verbreitung ist dem gut illustrierten Buche zu wünschen.
L. Heidrich (Breslau), Ursache und Häufigkeit der Nekrose bei
Ligaturen großer Gefäßstämme. Bruns Beitr. 124 H. 3. Bei 1267 Liga¬
turen trat 153mal, das sind 11,9% Gangrän auf. Daher soll man bei
der Carotis comm. bzw. int., der Iliaca comm. bzw. ext., der Art.
femoralis und poplitea nie die Ligatur, sondern stets die Naht ver¬
suchen. Bei Verletzungen der Art. subclavia, axillaris, brachialis und
cubitalis ist die Naht nicht absolut, sondern nur bedingt anzuwenden.
Bei den Arterien des Unterarms, Unterschenkels, der Carotis externa,
sowie sämtlichen Venen ist stets die Unterbindung auszuführen.
B. Neuer (Nürnberg), Wirkungsweise des Optochins bei post-
operativen Lungeokomplikationen. Bruns Beitr. 124 H. 3. Es konnte
in der Mehrzahl-der Fälle eine günstige Beeinflussung der Pneumonie¬
fälle festgestellt werden (Verhütung eines progressiven Weiterschrei-
tens des Prozesses, frühzeitige Resolution und Abkürzung der Fieber¬
dauer). In 11,5% der Fälle traten Intoxikationserscheinungen aut, die
sich aber rechtzeitig erkennen lassen und daher verhütet werden
können. Im allgemeinen wurde 0,2 Optochin. hydrochlor. ia Gelatine¬
kapseln, eventuell Optochin. basic. als Supositorium gegeben. Als
Tagesdosis bildete 1,0 die Grenze. Auch prophylaktisch wurde das
Mittel in 47 Fällen gegeben, wobei es nur in 3 Fällen zu deszendie¬
render Bronchitis mit nachfolgender Unterlappenpneumonie kam.
A. Eiseisberg (Wien), Behandlung der Tetania parathyreoprlva.
W. kl. W. Nr. 1. Nur im Falle des Versagens medikamentöser Therapie
(Parathyreoidintablette, Calcium laetic., Afenil, Chloralhydratclysmen,
mehlfreie Kost) ist die Transplantation vorzunehmen, deren Erfolg
unsicher ist. Eiseisberg verfügt über 8 Transplantationen, von denen
nur 3 Besserungen erzielten. In 1 Falle hielt der Erfolg ein Jahr an,
3 dagegen blieben ganz unbeeinflußt. Im letzten Falle blieb die Ein¬
heilung überhaupt aus.
Walther Schönleber (Stuttgart, Röntgenbestrahlung bei Sar¬
komen. M. Korr. Bl. f. Württemb. Wissensch. Teil Nr. 52. In
einem Fall bestanden leichte Röntgenschädigungen (Teleangiektasie).
Bei der Operation schloß sich die Wunde nicht, es entstand ein Ulkus
wie sonst nach schwerer Verbrennung. Ohne Verstümmlung operable
Sarkome sollen operiert werden. Kommt Amputation in Frage, vorher
energischer Versuch mit Bestrahlung angebracht. Bei inoperablen
Sarkomen können nicht selten wenigstens zeitweise Erfolge erzielt
werden. Die Kasuistik umgreift 3 schwere Erkrankungen.
Fritz v. d. Hütten (Gießen), Dauerbeilunf des operierten Brust¬
krebses mit und ohne prophylaktische Röntgenbestrahlung. M. m. W.
Nr. 1. Unter der Röntgennachbestrahlung haben sich die Resultate
in bezug auf Dauerheilung verschlechtert Vielleicht liegen die Mi߬
erfolge an falscher Dosierung. Vorläufig ist eine Verbesserung nur
von der Frühoperation zu erwarten.
R. Reichte (Breslau), Traumatisch-segmentärer Gefäßkrampf.
Bruns Beitr. 124 H. 3. 2 Fälle zeigen, daß derselbe, nicht nur nach
Schußverletzung, sondern auch nach stumpfen Gewalteinwirkungen
entstehen kann (Wundstupor der früheren Kriegschirurgie). Aber
neben dem Gefäßspasmus kann gleichzeitig eine Gefäßverletzung auf-
treten. Es muß daher, ehe man sich mit dieser Diagnose begnügt,
jede Möglichkeit einer anderweitigen Gefäßverletzung mit Sicherheit
ausgeschlossen werden.
H.Burchhardt (Marburg), Einfacher u n d Spaoauogspnenmothorax.
Bruns Beitr. 124 H. 3. Es Sollte durch Tierversuche festgestelit werden,
unter welchen Umständen es mit Sicherheit gelingt, einen Spannungs¬
pneumothorax zu erzeugen. Eine einfache Lungenverletzung reicht
hierzu nicht aus, es muß eine Verletzung gesetzt werden, die dauernd
offen bleibt. Im allgemeinen verklebt aas über der Bronchusver¬
letzung liegende Gewebe binnen kurzem. Macht man aber die Druck¬
differenz künstlich stärker durch Erzeugung eines höheren Druckes
in der Luftröhre oder dadurch, daß man künstlich eine stärkere
Tätigkeit der Einatmungsmuskulatur hervorruft, so kann die Ver¬
klebung nicht mehr standhalten und es entsteht ein fortschreitender
und schließlich ein Spannungspneumothorax. Ebenso kann man bei
sehr großen Verletzungen der Luftröhre Spannungspneumothorax her-
vorruten. Dementsprechend tritt auch beim Menschen bei Stich*
und Schußverletzungen im Gegensatz zu stumpfen Thoraxverletzungen
mit Ruptur der Lunge verhältnismäßig selten Spannungspneumothorax
auf. Zur Behandlung desselben wird, da die Thorakotomie mit Frei¬
legung des verletzten Bronchus und Vemähung desselben einen sehr
schweren Eingriff darstellt, die subkutane Thorakotomie, zunächst
nur auf Grund theoretischer Folgerungen, empfohlen, wodurch der
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
2. Februar 1922
LITERATURBERICHT
173
Spannungspneumothorax in einen Fall von subkutanem Emphysem
verwandelt werden soll.
R.Ganz 1 Stuttgart), Behandlung der akuten Pleuraempyeme, ins¬
besondere des ürippeempyems. Bruns Beitr. 124 H. 3. Die Schnitt¬
methode mit Rippenresektion ist die Operation der Wahl. Zur Nach¬
behandlung sind beim akuten Empyem die alten Methoden ebenso
brauchbar wie die neuen und infolge der technischen Einfachheit
vielfach vorzuziehen, insbesondere beim Grippeempyem wegen der
häufigen Fibringerinnsel. Bei den para- und metapneumonischen
Empyemen darf auf der Höhe der Krankheit nicht operiert werden,
sondern nur zur Entlastung punktiert (eventuell mehrmals) werden.
Sobald der Zustand des Kranken es erlaubt, muß die Rippenresektion
vorgenommen werden.
O. H. Petersen (Dortmund), AntetborakaleOesopbagusplastik bei
kongenitaler Oesophagusatenose. Bruns Beitr. 124 H. 3. Bei dem 17 jäh¬
rigen Mädchen handelte es sich um eine kongenitale Stenose. Die
Operation wurde in 3 Zeiten vorgenommen. 1. Ausschaltung der
Dünndarm schlinge, 2. Herstellung der Oesophagusfistel, 3. Haut¬
schlauchbildung. Diesen 3 Operationen war die Anlegung einer W i t z e 1 -
sehen Fistel vorausgegangen. Die Gesamtdauer der Eingriffe betrug
etwa 3Va Monate. Der Erfolg war in jeder Hinsicht befriedigend.
D.Kulenkampff (Zwickau i.S.), Aetiologie, Diagnose und
Therapie der sogenannten Pulsionsdivertikel der Speiseröhre.
Bruns Beitr. 124 H. 3. (Vgl. diese Wochenschrift 1920 34, S. 956).
L Drüner (Fischbachtal), Vordere Bauchwandnerven und Bauch-
Schnitte. Bruns Beitr. 124 H. 3. Nach genauer Beschreibung des Verlaufs
der Nerven werden die verschiedenen Schnittführungen kritisch be¬
sprochen und ihre Vor- und Nachteile auseinandergesetzt.
H. Biedermann (Jena), Durch Darmresektion geheilte primäre
Phlegmone des Dickdarms mit Inversion der Zökalwand. Bruns Beitr.
124 H. 3.
J. Kaiser (Halle a. S.), Kontinenter Knnstafter. Bruns Beitr. 124
H. 3. Nach Besprechung der verschiedenen Operationsmethoden und
Apparate wird eine neue Methode, der Anus praeternaturalis
femoralis, beschrieben und empfohlen. Das Prinzip besteht darin,
den Darm durch den transversal geteilten M. sartorius hindurchzuleiten,
der sich besonders dazu eignet, einen Verschluß zu bilden.
A. Saxl (Wien), Die Arbeitsleistung des transplantierten Muskels
Zschr. f. orthop. Chir. 42 H. 3. Muskelmechanischer Nachweis, daß
die Ueberpflanzung von Antagonisten stets einen Kraftausfall bedingt.
H. Krukenberg (Elberfeld), Ersatz des M. opponens poliieis.
Zschr. f. orthop. Chir. 42 H. 3. Die halbe Sehne der oberflächlichen
Flexorsehne III wird halbiert, der abgespaltene Teil am Metakarpale I
befestigt
A. Saxl (Wien), Teuodese des Quadrizeps« Zschr. f. orthop.
Chir. 42 H. 3. Statt der Arthrodese des gelähmten Kniegelenks wird
die Strecksehne unter Spannung am unteren Femurende fixiert.
T. Kalima (Abo, Finnland), Pathologisch-anatomische Untersu¬
chungen über operative Nearthrosen. Bruns Beitr. 124 H. 3. Die
Untersuchungen beziehen sich auf 2 Obduktionspräparate und 10
durch Nachoperation erzielte Präparate der Payrschen Klinik. Ein
Monat nach der Operation war die Nearthrose noch im Werden. In
den mehr vorgeschrittenen Fällen ist die Differenzierung schon durch¬
geführt. Es liegen ein oder mehrere Hohlräume vor, welche von den
makroskopisch w r ohl ausgeprägten verschiedenen Komponenten eines
Gelenks begrenzt sind. Aber auch Produkte wie Osteophytenbildungeu,
Deformitäten der Gelenkenden, neue fibröse Ankylosen, welche die
Nearthrosenbildung hemmen, wurden beobachtet. Aus den mikro¬
skopischen Befunden ist hervorzuheben, daß das transplantierte Fett¬
gewebe einerseits in größere und kleinere Vakuolen aufgelöst wird,
anderseits einer bindegewebigen Umwandlung unterliegt. In den
Fällen, wo Faszienstreifen für die Plastik benutzt wurden, werden
diese zum Teil durch neugebildete Bindegewebe ersetzt. Eine knorp¬
lige Metaplasie der neugebildeten Gelenkenden findet nicht statt. Audi
aus dem zurückgelassenen Knorpel findet keine Knorpelneubildung
statt. In ihm finden immer degenerative Prozesse statt, welche aut
die Nearthrosenbildung störend wirken können. Die verschiedenen
Teile der Nearthrose wiesen außer proliferativen und reparativen
Prozessen auch gewisse jedenfalls nicht hochgradige degenerative
Prozesse auf.
Z. H. O. Re iß (Haag), Das Skollosebecken. Zschr. f. orthop. Chir. 42
H. 2. Anatomische Untersuchungen führen zü dem Ergebnis, daß das
asymmetrische Becken nicht die Folge einer Skoliose, sondern eines
abnormen Wachstumstriebes ist. Man spricht deshalb besser von
einer „Beckenskoliose".
J. v. Finck (Dresden), Pathologische Anatomie und Klinik der
Spina bifida occnlta. Zschr. f. orthop. Chir. 42 H. 2. Bei der ana¬
tomischen Untersuchung von 46 Kinderleichen fand sich 17mal eine
Spina bifida occulta im Bereich des Kreuzbeins. Nachträglicher Ver¬
schluß ist offenbar häufig.
Niedlich (Fischbachtal), Qoerfortsatzfrakturen. Bruns Beitr. 124
H. 3. Auf Grund von 10 unter 50 Wirbelsäulenverletzungen beobach¬
teten Fällen (bisher in der Literatur 44 Fälle) wird das Krankheitsbild,
das nicht abhängig ist von der Schwere der Verletzung, sodaß die
Diagnose meist erst durch das Röntgenbild gesichert wird, geschildert.
K. Bachlechner (Zwickau i.S.), Operative Versteifung der Wir*
belslofe bei tuberkulöser Spondylitis. Bruns Beitr. 124 H. 3. Ein Ob-
duktionspräparat, gewonnen von einem 5jährigen Kinde, das 9 Wochen
nach der Operation an einer Miliartuberkulose starb, zeigt, daß der
Span bei Beuge-, Streck- und seitlichen Bewegungen fest verankert
war, daß dagegen bei Drehbewegungen die Gefahr des Bruches und
des Abgleitens des Spans bestand. Auffallend war, daß an der periost¬
gedeckten Seite keinerlei Vereinigung mit dem Knochen des Mutter¬
bodens eingetreten war, während auf der Markseite allenthalben eine
ausgiebige feste knöcherne Anheilung stattgefunden hatte.
F. Hahn (Heidelberg), Aetiologie des kongenitalen Klumpfußes.
Zschr. f. orthop. Chir. 42 H. 3. Starke Zunahme der Klumpfußfälle
nach dem Krieg in der Vulpiusschen Klinik spricht für eine Disposition
durch körperliche Ueberanstrengung. Anatomische Untersuchungen
an Klumpfußleichen ließen das häufige Vorkommen einer Spina bifida
occulta erkennen.
A. Wächter (Innsbruck), Neue Plattfußoperation. Zschr. f. orthop.
Chir. 42 H. 3. Längsdurchsägung des Fußskeletts vom Metatarsale I
bis zum Navikulare erlaubt eine Verlagerung der medialen Skelett¬
hälfte nach oben und damit Herstellung eines beliebig hohen Fu߬
gewölbes.
B. Heile (Wiesbaden), Nerveooperatiooen mit Nachuntersuchungen.
Bruns Beitr. 124 H. 3. Es handelt sich um Nachuntersuchungen von
Fällen, die in Bruns Beitr. gleich nach der Operation (1917) ver¬
öffentlicht sind. 30 Monate nach der Operation findet man bei einem
Viertel absolute Mißerfolge, drei Viertel sämtlicher Nervenoperationen
ist gebessert, hiervon ein Viertel vollkommen geheilt. Die Konti¬
nuitätsunterbrechungen der Nerven sind nicht gebessert, auch nicht
bei Interposition von sensiblen Nerven oder nach Nervenpfropfungen
nach Hoffmeister. Nur eine 7cm lange Unterbrechung des Ischias¬
stammes ist nach Seidenfadeninteiposition fast restlos geheilt. Aszen-
dierende Neuritis und indirekte Entzündung konnten als Grund für
Mißerfolge festgestellt werden. Eventuelle Wurzelresektion bei sonst
refraktären Schmerzzuständen. Es wurden mikroskopische Bilder ge¬
funden, welche die Bedeutung der Sympathikusfasern auch im peri¬
pherischen Nerven zeigten.
Frauenheilkunde.
Nikolaus Temesvary (Budapest), Sehr junges menschliches Ei
in situ. Arch. f. Gynäk. 115. Beschreibung eines Eies von 12 Tagen.
L Seitz (Frankfurt a. M.), Primat der Eizelle, Corpns luteum,
Menstruationszyklus und Genese der Myome. Arch. f. Gynäk. 115.
Ohne Follikelepithel und Theka kein Eiwachstum, ohne Eizelle keine
Follikelepithel. Dieses Verhältnis von Eizelle und Follikelepithel wird
mit dem Follikelsprung ein anderes. Die Entwicklung des letzteren
ist an diejenige des Eies gebunden. Die Ovulation und der Menstru-
tionszyklus werden im Wesentlichen durch die Corpus luteum-Bildung
bestimmt. Außerdem bedingt das Corpus luteum die prämenstruelle
Schleimhautumwandlung und wirkt damit als Drüse mit innerer Sekretion;
ferner bewirkt es die Anheftung des Eies. Myome entstehen durch
Dysfunktion der Ovarien, durch verändertes Ovarialhormon.
A. Seitz und F.Jeß (Gießen), Bedeutung der renalen Schwanger-
schaftsglykosurie für die Diagnose der Schwangerschaft. M. m. W.
Nr. 1. Nach Zufuhr von 100 g Traubenzucker tritt bei der Hälfte der
Schwangeren, vom 2. bis zum 8. Monat, Glykosurie auf, ohne daß der
Blutzuckerspiegel die obere physiologische Grenze übersteigt. Eine
besondere Häufigkeit der Zuckerausscheidung läßt sich für die frühen
Graviditätsmonate nicht feststellen, die Erscheinung hat höchstens den
Wert eines wahrscheinlichen Schwangerschaftszeichens.
Paul Werner (Wien), Nierenfunktion bei gesunden und kranken
Schwangeren und Entbundenen. Arch.f.Gynäk. 115. Die Untersuchungen
ergaben, daß bei Aluminurie, Nephritis und Eklampsie gleichartige
Funktionsstörungen der Niere bezüglich der Ausscheidung von Koch¬
salz und Wasser, der Konzentrations- und die Verdünnungskraft be¬
stehen. Bei dekompensierten Herzfehlern ist außerdem die Stickstoff¬
ausscheidung gestört. Bei den Glykosurien ist die Ausscheidung in
mäßigem Grade herabgesetzt.
Werner und Stiglbauer, Herzfehler und Schwangerschaft. Arch.
f. Gynäk. 115. Das Zusammentreffen von Herzfehler mit Schwanger¬
schaft ist sehr ernst. Bei Mitralstenose ist die Schwangerschaft bei
den leisesten Zeichen von Dekompensation zu unterbrechen, jeder
Versuch der medikamentösen Behandlung abzulehnen. Bei den Aor¬
tenerkrankungen nimmt die Gefahr mit der Zahl der Schwangerschaften
zu; auch sie stellt für das Herz der schwangeren Frau eine Belastung
von überaus schwerwiegendem Charakter dar.
Eduard Dreyfuß (Erlangen), Osteophytenbildung in der
Schwanger chaft. Arch. f. Gynäk. 115. Verfasser führt die Osteophyten¬
bildung in der Schwangerschaft auf Veränderungen der Hypophysen¬
funktion zurück und glaubt die letztere erweisen zu können durch
Veränderungen der Blutgerinnungszeit. Mittels stereoskopischer Röntgen¬
aufnahmen konnte Verfasser die Veränderungen in der Schädelwandung
der Schwangeren nachweisen. Nach seinen Untersuchungen kommt
er zu dem Schluß, daß die Osteophytenbildung in der Schwangerschaft
nicht so häufig ist, als man gewöhnlich annimmt, nur etwa in 33°/ 0 der
Fälle auftritt. Die ganzen Veränderungen im Knochensystem Schwangerer
stehen offenbar im Zusammenhang mit der Vergrößerung der Hypophyse,
oder beides hängt von einem Faktor ab.
H.E.H.Schönfeld (Scheveningen), Experimentelle Untersuchungen
über die Toxizität von Plazentalipoiden, mit Bezug auf die Aetio-
genese der Puerperaleklampsie. Arch. f. Gynäk. 115. Verfasser nimmt
an, daß im Blut von Schwangeren Stoffe erscheinen, welche aus der
Plazenta stammen: Fermente, Aminokörper, Lipoide. Verfasser unter¬
suchte deshalb die Lipoide der Plazenta in ihrer toxischen und phy¬
siologischen Wirkung. Er fand in dem Plazentarextrakt ein krampf-
erregendes Gift, welches auch als typisches Zellgift anzusprechen ist,
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
174
LITERATURBERICHT
Nr. 5
welches ferner Wehen erregt und Trombosen erzeugt In der Schwanger¬
schaft besteht eine Lipoidämie, besonders bei Eklamptischen. Bei Tieren
erzeugt das Extrakt, besonders wenn gleichzeitig Glyzerin verabfolgt
wird, Krämpfe. In der erhöhten Lipoidämie ist die Ursache für die
Eklampsie zu suchen. Deshalb verspricht sich Verfasser viel von der
regelmäßigen Kontrolle des Blutes von Schwangeren auf Lipoide. Die
Giftmenge des Blutes läßt sich durch Ringersche Lösung herabsetzen
und das Gift aus den Organen wegspülen. Das Gift erzeugt einen
Eklampsismus, der sich besonders durch Blutdruckerhöhungen kennt¬
lich macht.
Schröder und Kuhlmann (Rostock), Ulzerationen der Vagina
(zugleich Mitteilung über je einen Fall von sogenanntem
Ulcus rotundum und Ulcus varicosum vaginae). Arch.f.Gynäk.
115. Zusammenstellung der verschiedenen ätiologischen Faktoren, welche
nach der Kasuistik der Literatur Ulzerationen herbeigeführt haben unter
Mitteilung zweier Fälle.
Robert Meyer (Berlin), Papilloma portloois uteri, insbeson¬
dere des Papilloma verrucosnm. Arch. f. Gynäk. 115. Unter den
papillären Plattenepithelneubildungen der Portio kann man (unter Aus¬
schluß der Sarkome) folgende unterscheiden: 1 . spitze Kondylome,
2. diffuse papilläre Wucherungen, beide auf entzündlicher Grundlage,
3. scharf umschriebene papilläre Wucherungen, von deirspitzen Kon¬
dylomen histologisch nicht zu unterscheiden, infolge entzündlicher
Natur, 4. Papilloma verrucosum, hautwarzenähnlich, 5. Carcinoma
papillomatosum.
Schröder und Neuendorff-Viek (Rostock), Der meosuelle
Zyklus bei akut- und chronisch-entzündlicher Adnexerkrankung (zu¬
gleich ein Bild vom Verlauf der akuten und chronischen
Endoemetritis „interstitialis“). Arch. f. Gynäk. 115. Eingehende
Untersuchungen über die Anatomie der Uterusschleimhaut bei den
genannten Erkrankungen. Corpus-Endometrium entsteht aber nicht
nur als Komplikation einer Adnexerkrankung, sondern kommt auch
isoliert, ohne Mitbeteiligung der Adnexe vor (z. B. p. a.). Für die
Therapie ergibt sich aus den Untersuchungen, daß nach Abklingen
der akuten Symptome alles darauf ankommt, den Zervixkatarrh, meist
gonorrhoischer Art, zur Abheilung zu bringen. Dagegen sind intra¬
uterine Spülungen kontraindiziert.
Robert Meyer, Zur Bildung des Urnierenleistenbandes und
zur Adenomyomlehre. Arch. f. Gynäk. 115. Polemik.
Zweifel (Leipzig), Erste Totalexstirpation des karzinomatösen
Ufers*. M. m. W. Nr. 1. Die erste gänzliche Exstirpation des nicht
vorgefallenen karzinomatösen Uterus wurde 1822 von Santer in
Konstanz ausgeführt, die Frau lebte noch 4 Monate, Tod an einer
interkurrenten Krankheit.
Zahnheilkunde.
Carl Dirska (Dortmund), Sterilisationsfrage komplizierter zahn¬
ärztlicher Instrumente. «Zbl. f. Bakt. Abt. I Orig. 87 H. 5. Mit Glyzerin
4 10o/o Sagrotan kann bei 95° in 10 Minuten eine absolute Sterilisation
erzielt werden. Empfohlen wird die Verwendung des Oelsterilisators
nach H. Schulte.
Haut- und Venerische Krankheiten.
♦♦ Wilhelm Gennerich (Kiel), Die Syphilis des Zentralner¬
vensystems. Ursachen und Behandlung. Berlin, J. Springer,
1921. 265 Seiten mit 4 Abbildungen. M. 56.—. Ref.: Stier (Char¬
lottenburg).
Ein imponierend großes Beobachtungsmaterial bildet die Grund¬
lage der fleißigen Arbeit. Diese gründlich studierten und meist
viele Jahre hindurch unter Kontrolle gehaltenen Fälle lassen be¬
sonders erkennen, daß der Liquor vor dem Ausbruch der Paralyse
oder Lues cerebri viel häufiger und viel früher schon pathologisch
ist, als wir bisher gewußt haben; ja die Fälle von Gennerich
zeigen auch, daß durch die frühzeitige und endolumbale Behandlung
dieser Fälle oft viel Gutes geleistet und in manchen Fällen vielleicht
auch die Paralyse verhindert werden kann. Bei diesen Vorzügen des
Buches ist zu bedauern, daß Verfasser die Grenze zwischen dem,
was man als möglich ansehen, vielleicht mit Recht artsehen kann,
und dem, was erwiesen ist, nicht scharf genug zieht und so auf
das Denken des Anfängers verwirrend einwiret, bei dem Sach¬
kenner aber leicht mehr ablehnende Reaktion auslöst, als nötig und er¬
wünscht ist. Diese Versündigung gegen einen fundamentalen Grund¬
satz naturwissenschaftlichen Denkens und Arbeitens beeinträchtigt
den Wert des Buches erheblich und gefährdet die Auswirkung vieler
an sich wertvoller Ergebnisse der jahrelangen Arbeiten des Verfassers.
G. Scherber, Behandlung der Skables mit Mitigal. M. m. W.
Nr. 52. Um keine Zeit zu verlieren und keine Unterbrechung in der
Berufstätigkeit der Kranken eintreten zu lassen, ließ Verfasser das
Mitigal nur einen Tag anwenden, aber 4—5 gründliche Einreibungen
aufeinander folgen. Am nächsten Morgen erhielten die Patienten ein
Seifenbad, wurden mit Zinkpaste bestrichen und entlassen. In allen
Fällen erfolgte Heilung.
M. Rosenstein (Mähr.-Ostrau), Jodlnjektiooen (Mirion) bei
Keratitis narenchymatosa und Lues hereditarla. W. kl.'W. Nr. 1.
Günstige Beeinflussung der Keratitis in 8 Fällen. Wa. R4 blieb stark
positiv. Auch subkonjunktivale Injektionen (täglich 0,5 ccm) hatten
günstigen Einfluß auf oberflächliche Trübungen.
C. Tollens(Kiel), Kolloidnatur des Quecksilbers bei intravenöser
Injektion von Neosalvarsan-Quecksilbersalzmischungen. M. m. W.
Nr. 1. Die günstige Wirkung des Linserschen Gemisches und seiner
Modifikationen — statt Sublimat Novasurol oder Cyarsal — beruht
auf der Bildung von kolloidalem Quecksilber. Es ist daher vorteilhaft,
dem Neosalvarsan von vornherein das Quecksilber in kolloidaler Form
zuzusetzen. Hersteller des Präparats Klopfer (Dresden). DasSalvarsan
erfährt anscheinend keine Veränderung. Das Hg colloidale scheint
auch bei septischen Prozessen gut zu wirken.
Kinderheilkunde.
♦♦ Martija Ambrozic und Egon Rach (Wien), Grundriß der
Diätverordnungslehre nach dem Pirquetschen System in
der Pädiatrie. Wien, Fr. Deuticke, 1921. 86 Seiten mit 7 Text¬
abbildungen und 6 Tafeln. M. 16.-»-. Ref.: L. F. Meyer (Berlin).
Die Diätverordnungslehre nach dem Pirquet sehen System beim
gesunden und kranken Kind — Bemessung der Tagesnemmenge,
Verteilung auf einzelne Mahlzeiten, Verteilung der Tagesmenge auf
die Rohstoffe, Zubereitungsformen, Regelung der Diätkonzeutration
u. a. — wird systematisch und leicht verständlich dargestellt. Eine
große Reihe von Speisetypen unter Berechnung der in ihnen ent¬
haltenen Nemmengen werden angeführt. Der Grundriß ist für Aerztc
und Studierende bestimmt und wird den Interessenten die Bekannt¬
schaft mit der Pirquet sehen Lehre erleichtern.
E. Stansky und O. Weber (Berlin), Konstitutionspathologische
Betrachtungen zur exsudativen Diathese. Jb. f. Kindhlk. 96 H. 6. Die
Erscheinungen der exsudativen Diathese im Säuglingsalter lassen keine
Prognose stellen auf Aeußerungen der Diathese von seiten der Haut
oder anderer Organe in späteren Jahren. Bei den meisten Patienten
heilten die krankhaften Erscheinungen im Säuglingsalter ab. Hyper¬
plasie der lymphatischen Organe fand sich bei mehr als 4 der nach-
untersuchten Kinder, seltener Asthma bronchiale. Die Erythrodermia
desquamativa ist keine Erscheinung der exsudativen Diathese.
Fr. Schede (München), Zur Frage der Rachitis. M. m.W. Nr. 1.
Zu Müller in M. m. W. Nr. 44. Die Müllerschen Behauptungen über
das Bestehen eines Hypertonus bei der rachitischen Muskulatur und
über Druckempfindlichkeit und Hypofunktion der Schilddrüse sind
völlig unbewiesen und stehen in direktem Gegensatz zu anerkannten
Tatsachen der Körpermechanik und der inneren Sekretion.
V. Glavadanovic, Lobärpneumonie bei einem Kinde mit tuber¬
kulöser Spitzeninfiltration. W. m.W. Nr. 52. Kasuistik.
K. Blühdorn und Loebenstein (Göttingen), Mageninsnf fizienz im
Säuglingsalter als selbständiges Krankheitsbild. Jb.f.Kindhlk.96
H. 6 . Störungen von seiten des Magens, die sich in Nichtgedeihen,
Appetitlosigkeit und Erbrechen äußern, finden sich im Säuglingsalter
im Anschluß an Ernährungsstörungen, besonders häufig nach Ruhr,
und im Anschluß an grippale Infekte. Der Befund von reichlichem
Mageninhalt, Stunden nach der Mahlzeit, sichert die Diagnose. Thera¬
peutisch wird Magenspülung, Eingießen von Emser Wasser usw. und
Ernährung mit rasch steigenden Mengen gezuckerter Buttermilch
^Lunckenbein (Ansbach), Chronische Appendizitis im Kindesalter.
M. m. W. Nr. 1. Knabe von 4 l / a Jahr erkrankt akut mit Appendizitis.
Die sofortige Operation zeigt alte entzündliche Veränderungen, eine
kleine Perforationsöffnung, auffallend war eine Reihe geschwollener
Drüsen im Mesenterium. 18 Stunden danach Blutbrechen, Exitus unter
Erscheinungen einer inneren Blutung. Es fand sich Muskatnußleber
und ein geplatzter Varix im Oesophagus. Verfasser beobachte früher
einen ganz analogen Fall und einen, b,ei dem die Lymphangitis und
Lymphadenitis zu Abszessen in den Drüsen und in der Leber, die
stark gestaut war, geführt hatten.
W. Stoeltzner (Halle a.S.), ZiegenmUchsnämie. M. m.W. Nr. 1.
Bei Säuglingen entsteht durch Ernährung mit Ziegenmilch häufig eine
schwere hämolytische Anämie, vielleicht durch die löslichen Fettsäuren
der Milch. Aussetzen der Ziegenmilch führt zur Heilung. Die Ziegen¬
milchanämie tritt bei nicht rachitischen Kindern als einfache Anämie
auf, bei rachitischen als Anaemia pseudoleukaemica.
Robert Quest (Lemberg), Pathogenese der Polioenzephalitis
epidemica. Jb. f. Kindhlk. 96 H. 6 . Intrakutane Injektion von Lumbal
flüssigkeit eines Poliomyelitiskranken gibt nur bei akut Poliomyelitis-
kranken eine positive Hautreaktion. Starke Reaktionen und rasches
Verschwinden der Reaktion sprechen für einen günstigen Ablauf der
Erkrankung.
Soziale Medizin und Hygiene.
++ Max Quarck (Berlin), Gegen Prostitution und Geschlechts¬
krankheiten. Berlin, Robert Engelmann, 1921. 76 S. Ref.:
Bla sch ko (Berlin).
Das Hauptverdienst der Quarck sehen Broschüre besteht darin,
daß der Autor den im März 1920 nach langen Verhandlungen von
der Reichsregierung dem Reichstag zugestelltcn Entwurf zur Bekämp¬
fung der Geschlechtskrankheiten, der aus unerklärlichen Gründen bis
dahin vollkommen geheim gehalten wurde, abgedruckt und dadurch
einer öffentlichen Kritik zugänglich macht. Im übrigen bespricht
Quarck die ganze Frage der Prostitution und Geschlechtskrankheiten
in sehr verständiger Weise, wenn man von seinem Eintreten für die
allgemeine Anzeigepflicht absieht. Das ist aber bei einem Laien, der
mit dem Betriebe der ärztlichen Praxis nicht vertraut ist, verzeihlich.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNiVERSITV
2. Februar 1922
LITERATURBERICHT
175
Aus der ausländischen Literatur.
(Schweiz, Holland, Norwegen, Spanien, England, Frankreich, Amerika, Brasilien, Japan.)
C. Juarros (Madrid), Delirantes bypothermisches Wechselfieber.
Los Progresos de la Clinica 1921, 9, S.322—323. Ein Fall von Delire
onirique (Dämmerzustand). Die Anfälle beginnen mit intensiveän
Schüttelfrost und enden mit profusem Schweiß. Während des Dämmer¬
zustandes keine Hyperthermie (35—26,5° C). Die Anfälle von Delire
werden als seltene Form von psychischem Aequivalent des Fieber¬
anfalls bei „Sommer-Herbst-Fieber“ betrachtet.
F. Bonilla (Madrid), Postgrippöser Morbus Addisooii. LaMedicina
lbera 1921,15,S.4$7-458. Typischer Fall von Morbus Addisonii (dunkle
Hautpigmentierung, Asthenie, niedriger Blutdruck, Schmerzen in der Len¬
dengegend, Erbrechen, Durchfälle) bei einem 18jähr. Mädchen nach Grippe.
S.Hiraishi und K.Okamdto (Japan Med.World 192115.X.) berich¬
ten über die von ihnen am Kitasato-Institut in Tokyo angestellten Schatz*
Impfungen gegen Masern. Sie fanden, daß die geringste noch krankheits¬
erregende Dosis des infizierten Blutes von Masernkranken 1921 zwi¬
schen 0,01 und 0,02 lag. Eine prophylaktische Injektion von 0,0001
dieses Blutes ist vollkommen harmlos. Diese prophylaktische Injektion
ibt dem Kinde eine gewisse Immunität, sodaß man ungestraft 0,01
is 0,02 des infektiösen Blutes später injizieren kann. Eine absolute
Immunität gegen die natürliche Infektion mit Masern wird durch die
Schutzimpfung nicht erworben, sondern nur eine relative, es wurde
aber bemerkt, daß Kinder, die 4 Wochen nach der Impfung an Masern
erkrankten, viel weniger schwer erkrankten als nicht geimpfte. Die
Verfasser empfehlen bei Kindern unter 5 Jahren eine prophylaktische
Einspritzung von 0,0001 und eine zweite von 0,01 ccm zu machen, bei
älteren Kindern eine erste von 0,001 und eine zweite von 0,02 ccm.
Broca,DasklinischeBiId der Qelenksypbilis. La Presse m£d. 1921
2. XL Der Verfasser berichtet über 20 Fälle, von denen 19 mit unrichtiger
Diagnose ihm während des Krieges zugewiesen worden waren. Alle diese
Patienten waren am Knie krank, die Mehrzahl ausschließlich, einige noch
an anderen Gelenken. Die hauptsächlichste Form ist das Hydrarthron,
häufiger toppeiseitig als einseitig. Wo ein solches monate- oder jahre¬
lang besteht, mit abwechselnder Besserung oft bis zum Verschwinden
der Fluktuation und dann wiedereintretender Verschlimmerung, und dabei
anz oder annähernd schmerzlos ist, sodaß der Patient seiner Berufstätig¬
em beinahe regelmäßig nachkommen kann, wenn keine oder nur geringe
leicht teigige, aber nicht fungöse, Kapselverdickung nachzuweisen ist,
wenn das Knie bis zum rechten Winkel gebeugt und sonst etwa nur
noch etwas Knacken und eine wässrige Schenkelatrophie festgestellt
werden kann, dann ist der Verdacht auf Syphilis klinisch gut begründet,
dann wird wohl auch die Wa.R. positiv ausfallen.
A. Lei 1 is (Brazil Medico 1921 9. VII.) glaubt auf Grund einer sehr
großen Erfahrung die oft behauptete Giftigkeit des Cheaopodiams ver¬
neinen zu können. Die beobachteten üblen Nebenwirkungen sind auf das
häufig als Vehikel benutzte Chloroform oder ähnliche Stoffe zurückzu-
tühren. Erwachsene können unbeschadet bis zu 50 Tropfen nehmen, 30
genügen aber vollständig. Kindern unter 1 Jahr gibt er 10, bis zu 1% Jahr
15 Tropfen, von da bis 4 Jahr 20 und von 4 bis 10 Jahr 25 Tropfen,
älteren Kindern 30 Tropfen. Dabei 15—35 g Rizinusöl. Auch bei An-
kylostomen ist es das beste Mittel, er gibt es in lOtägigen Intervallen.
P. F. Holst, Rheumatische Myokarditis und ihre Bezlehong zu
Rheumatismus acutus. Norsk. Mag. f. Lxgevidensk. 1921 Nr. 12. Mit¬
teilung von 7 Fällen, die klinisch und pathologisch-anatomisch studiert
wurden, ln vier Herzen wurden typische Aschoff-Tawarasche Knoten im
Myokard gefunden, in zwei Narbenbildungen, im 7. eine Myokarditis mit
Leukozyteninfiltration. Bei allen Herzen Hypertrophie und Dilatation ab¬
hängig von der Myokarditis. In allen 7 Fällen war Pankarditis die
korrekte Diagnose. Die klinischen Symptome dieser Pankarditis (Dilata¬
tion, Mitralinsuffizienz, Lebergeschwulst, Tachykardie) werden meistens
von der Myokarditis, nicht von der Endokarditis hervorgerufen. Die
Aschoffschen Knoten werden als spezifisch für den rheumatischen Virus
angesehen. Die Möglichkeit, daß die Knoten Ueberwinterungsstationen
für den Virus und Ausgangspunkte für neue Anfälle sind, wird diskutiert.
Ormhaug, Ursache der He^zklaoneofehler. Norsk. Mag. f. Laege-
vidensk. 1921 Nr. 12. Statistik über 1064 Fälle organischer Herzleiden.
Das Material ist in 3 Gruppen geordnet: ln der ersten — 577 nur
klinisch beobachtete Fälle — liegen akuter Gelenkrheumatismus Sn
48,4%, Syphilis in 8,1 %, Arteriosklerose in 7,5%, Lungenentzündung
in 6,6%, Pleuritis in 2,2o/ 0 , Alkoholismus in 1,9%, Influenza in l,7o/ 0
usw. vor. In der zweiten Gruppe — 487 obduzierte Fälle — liegen
akuter Gelenkrheumatismus in 25,7%, Arteriosklerose in 14,6%, Syphilis
in 12,7o/o, Tuberkulose in 8,2o/ 0 , Lungenentzündung in 7,6o/o, Sepsis in
6%, chronische Nephritis in 5,7o/ 0 , maligne Tumoren in 3,6o/ 0 usw. vor.
Von letzterer ist eine dritte Gruppe — 314 obduzierte Endokardi¬
tiden — ausgeschieden. Hier liegen akuter Gelenkrheumatismus in
37,9<yio, Syphilis in 14,3 0 / 0 , Sepsis in 8,6%, Arteriosklerose in 7,8o/ 0 ,
Lungenentzündung in 6,1 0 / 0 , ausgebreitete Tuberkulose in 3,2o/ 0 , chro¬
nische Nephritis in 2,5, maligne Tumore in 1.6% vor.
Drury und Iliesku (Brit. med. Journ. 1921 IX. 24) und. Lewis
Drury, Iliesku und Wedd (ibid.) berichten über die Wirkung des
Oaiflidiosalpbats bei Vorhofsflimmern bei 13 Fällen. Nachdem
die Kranken frei von Digitalis und Strophantus waren, erhielten sie
zuerst 1—2 Gaben von 0,2 des Mittels per os, um Intoleranz auszu¬
schließen, dann folgte die regelmäßige Behandlung, wobei* das Mittel
in Gelatinekapseln per os gegeben wurde. In 6 Fällen konnte der
normale Rhythmus wiederhergestellt werden, in 7 weiteren gelang dies
nicht, obwohl während der Verabreichung die Zahl der Aurikelkon-
traktionen verlangsamt wurde. Quinidin hat eine lähmende Wirkung
auf die Vagi, ähnlich, aber schwächer als Atropin.
Ellis und Kennedy (Lancet 1921 29. X.) haben in 7 Fällen von
Vorhofsflimmern 5mal durch Qoinidinsulphat einen normalen Herz¬
rhythmus erzielt. In 1 Fall trat kurz nach Aussetzen der Behandlung
ein Rückfall auf, der bei Wiederaufnahme der Kur sich besserte, um mit
Verringerung der Dosis wiederum einzutreten. In 2 Fällen trat bald nach
Auftreten des normalen Rhythmus ein embolischer Infarkt der Milz resp.
der einen Niere und Lunge ein, sonst wurden häufig Leibschmerzen,
Durchfälle und skarlatinöse Hautausschläge beobachtet. Die Verfasser
sind nicht sehr entzückt von dem Mittel, da es gefährlich ist (Embo¬
lien) und außerdem nach Aussetzen desselben meist Rückfälle auftreten.
John Bryant (J. Am. Med. Ass. 1921 Nr. 18) hat gefunden, daß die
Häufigkeit der Enteroptose mit den Jahren nicht zunimmt. Er fand bei
48°/ 0 aller von ihm untersuchten Personen Enteroptose, die ein oder
mehrere Organe betraf; sehr stark ausgeprägt war die Enteroptose bei
10,2% der Männer und bei 19,7% der Frauen. Eine Enteroptose, die
den Pylorus und Magen, die Leber und die Nieren ergreift, ist stets eine
erworbene, während die Ptose des Dickdarms bei beiden Geschlechtern
sehr häufig angeboren bzw. entwicklungsgeschichtlich begründet ist. Ein
Ptose der lleozökalklappengegend findet sich in sehr hohem Grade bei
12,1% aller Männer und bei 39,4% aller Frauen in jedem Lebensalter.
Lanz (Montana), MagensaftaziditMt, ihre Meßmethoden und die
Ausarbeitung einer einfachen kolorimetrischen Reaktionsbestimmung.
Schw. m. W. 1921 Nr. 46. Die kritische Durchsicht der gebräuchlichen
Titrationsmethoden ergibt deren Unzuverlässigkeit. Einwandfreiere
Resultate liefert die kolorimetrische Bestimmung mit 6 verschiedenen
Farblösungen, von denen jede bei einer ganz bestimmten Wasserstoff¬
ionenkonzentration einen deutlichen Farbumschlag aufweist. Mit Hilfe
einer Umschlagtabelle kann auch der praktische Arzt ohne Appara¬
turen in wenigen Minuten die Azidität des Magensaftes feststellen.
Leusden (Tijdschr.voorGeneesk. 1921 [II] S.2890) beschreibt einige
Fälle von sehr schwerer Colitis ulcerosa mit Agglutination von Dysenterie¬
bazillen im Blutserum, aber ohne daß je, auch'bei der genannten bakterio¬
logischen Untersuchung, Dysenteriebazillen im Stuhl gefunden wurden.
Er glaubt also, daß diese Krankheit eine Nachkrankheit der Dysenterie
ist, daß Kolibazillen in die Darmwand eindringen können und dort die
Krankheit verursachen. Wenn es also gelingen wird, den Kolistamm
zu finden, der in der Darmwand eindringt, wird man versuchen können,
was in diesen Fällen ein Autovakzin vermag.
Lotmar (Bern), Wa.R. bei Tumoren des Zentralnervensystems.
Schweiz, m. W. 1921 Nr. 44. Es wird ein Fall von Xatithofibrosarkom
des Kleinhirnbrückenwinkels mitgeteilt, in welchem ein stark positiver
Liquorwassermann (bei negativem Blutwassermann) mit Wahrschein¬
lichkeit als lokale unspezifische Reaktion, ausgelöst durch den Tumor
selbst, aufzufassen ist. Leider wurde bei dem Fall, der ad exitum
kam, eine ganze Sektion von den Angehörigen nicht gestattet. Die
Himsektion ergab keine luetischen Veränderungen.
Brown (J. Am. M. Ass. 1921 Nr. 18) hat bei zahlreichen Fällen
von Migräne festgestellt, daß die Anfälle durch eine falsche Diät her¬
vorgerufen werden und durch Aenderung derselben geheilt oder ge¬
bessert werden können. Meist ist eine zu kohlenhydratreiche Ernährung
anzuschuldigen, oft aber auch eine solche, die zu viel tierisches Eiweiß
enthält. Manchmal ist es Zucker allein, manchmal sind es Eier, ge¬
legentlich auch Purine, die die Anfälle auslösen. Kann man nicht fest¬
stellen, wo der Fehler liegt, so empfiehlt es sich, den Kranken zuerst
auf eine Ernährung zu setzen, die frei von Kohlenhydraten ist, nutzt
dies nichts, so versuche man eine eiweißfreie Kost. Es ist nicht un¬
interessant festzustellen, daß manche Migränekranke während des An¬
falls an einer wieder vorübergehenden Leberanschwellung leiden, mit
der eine leichte Gallenstauung zuweilen verbunden sein kann.
van Raamsdonk, Strahlenbehandlung des Gebärmotterkrebses.
In.-Dissertation, Amsterdam 1921. Im Anfang der Versuche verwen¬
dete Verfasser erst ausschließlich Radium, später Röntgenbestrah¬
lungen, Radium nur da, wo die vaginale Röntgenbestrahlung schwierig
oder nicht möglich war. Blutungen kamen viel schneller zum Stillstand
mit Radium als mit Röntgenstrahlen. Die Resultate sind vorzüglich.
In inoperabelen Fällen soll diese Behandlung immer versucht werden.
Es scheint auch, daß bei operabelen Fällen die Resultate der chirur¬
gischen Therapie nicht besser sind als die Resultate der Strahlen¬
behandlung. Eine Kombination beider Behandlungen wird empfohlen.
W. Gordon (J. Am. Med. Ass. 1921 Nr. 22) hat bei 231 Neu¬
geborenen den Sinns loogitndinalls punktiert und*bis zu 180 ccm einer
Ringerlösung oder Glukoselösung eingespritzt. Er punktiert vom
hinteren Winkel der vorderen Fontanelle ohne Rasieren und Jodpinse¬
lung, nur 3mal mißlang die Punktion. Nebenwirkungen wurden nicht
Ireooachtet, die Säuglinge vertrugen die Punktion sehr gut, 3 Kinder,
eie starben (Lues congenita, Frühgeburt von 6 Monaten, Findling, der
in sterbendem Zustand eingeliefert wurde), zeigten bei der Sektion
keinerlei Schädigungen infolge der Sinuspunktion (vor allem weder
Thrombose noch Hirnschädigungen). Andere Autoren wie Lowen-
burg (Arch. Ped. April 1921) haben erfolgreiche Blattransfasionen in
den Sinns gemacht oder Salvarsan eingespritzt. Verfasser beobachtete
seine Kinder 6 Monate lang nach und san keinerlei Schädigungen.
Digitized by t^Oi »o le
Original fro-m
CORNELL UNiVERSITV
176
LITERATURBERICHT
Nr. 5
Kritische therapeutische Rundschau,
Felix Mendel, Bedeutung der Meerzwiebel als Herzmittel.
B. kl. W. 1921 S. 1378. Es ist sicherlich gut, wenn man sich in der
Praxis daran erinnert, daß wir bei der Behandlung des dekompensierten
Herzmuskels außer den Digitalispräparaten noch andere Mittel zur
Verfügung haben. Mendel lenkt die Aufmerksamkeit der Aerzte er¬
neut auf die Szilla, von denen er gerade in Fällen, bei denen die
Digitalis versagte, gute Erfolge sah. Recht bemerkenswert erscheint
die vom Verfasser angewandte Kombination des Bulb. Szillae (0,3) mit
Codein. phosphor (0,03) und mit Theobromin (0,5). M.
Arnoldi (Berlin), Behandlung der Lungentuberkulose durch An¬
regung des Kreislaufs (mit einer Bemerkung über Eukupin). M. m. W.
Nr. 3. Arnoldi teilt kurz seine besonders bei vorgeschrittenen Fällen
von Lungentuberkulose gemachten günstigen Erfahrungen der Kreislauf¬
therapie mit Er betont an erster Stelle die Bedeutung von Kampfer¬
injektionen. Diese von Alexander stammende Therapie hat bekannt¬
lich sehr verschiedene Beurteilung gefunden. Ueber die Dynamik ist
man sich immer noch im Unklaren, wenn man auch weiß, daß die
Lungendurchblutung gebessert wird (Cloettasche Schule). Ob es sich
dabei um den Heileffekt einer Hyperamisierung oder um eine dadurch
ermöglichte Autotuberkulinisation handelt, wie Arnoldi meint, ob
die Oelinjektionen eine Reiztherapie darstellen (man beobachtet zeit¬
weise Herdreaktionen), oder ob der Kampfer vielleicht antiphlogistische
Effekte neben seinen antipyretischen ausübt — alles das ist möglich und
strittig und die Indikation wie die Bewertung der Therapie gewinnt
damit leider nicht an Sicherheit. Es wäre gut gewesen, wenn sich
Arnoldi etwas breiter über seine klinischen Erfahrungen hiermit aus¬
gelassen hätte; sehr kursorisch findet ein Adonispräparat dabei Er¬
wähnung und Empfehlung. Beachtung verdient die Verwendung von
Eucupin bihydrochloric. oder basic. 3—4mal tägl. 0,25, wenn man
der Ansicht ist, daß das Fieber der Tuberkulösen durch eine Misch¬
infektion hervorgerufen sei. Bacmeister hat s. Z. Aehnliches mit Op-
tochin — soviel mir erinnerlich — mit Erfolg zu erzielen gesucht, v. d. V.
Kayser-Petersen und Stoffel, Erfahrungen mit Elektroferrol.
M. m. W. 1921 S. 1194. Arndt, Verwendung von Elektroferrol bei
Anämien. M. m. W. 1921 S. 1554. Die praktische Erfahrung lehrt, daß
bei der perniziösen Anämie das Eisen keine Erfolge zeitigt, eine Tat¬
sache, die schon deshalb nicht verwunderlich ist, weil ja der Kranke
eine Eisenverarmung im eigentlichen Sinne des Wortes nicht aufweist.
Auch die von den Verfassern mitgeteilten Besserungen der Perniziosa
nach Elektroferrolbehandlung dürften nicht eindeutig genug sein, um
den oben aufgestellten Satz als irrig oder als veraltet erscheinen zu
lassen. Und in der Behandlung von Chlorosen und von Anämien
anderer Art kommt man wohl meist einfacher und billiger zum Ziele. M.
Schiein, Röotgeobestrahluag des Pruritus vulvae. Zbl. f. Gyn.
1921 H.44 bringt die günstigen Ergebnisse, die man beim Pruritus
vulvae, jenem für die befallenen Frauen so überaus qualvollen Leiden,
mit Röntgenstrahlen erzielen kann, erneut in Erinnerung. Mit Recht
betont er, daß die Röntgenbehandlung nicht in allen Fällen wahllos
angewendet werden soll, daß man vielmehr nach einem vorhandenen
Grundleiden fahnden und dieses zunächst beseitigen muß. ln sehr
vielen Fällen bewirken abnorme Sekrete, Fluor vaginalis, zucker- oder
eiweißhaltiger Ham, die die Vulva benetzen, eine chronische Reizung
derselben, die das Jucken bewirkt. Verschlimmert wird das Leiden
dann noch durch das ewige Kratzen. Wir werden also, namentlich
in frischeren Fällen, versuchen, durch energische Behandlung des
Grundleidens unter Zuhilfenahme von Juckreiz stillenden äußeren
Mitteln und Sedativa das Leiden zur Heilung zu bringen. Beim
Versagen dieser Mittel ist zu den Röntgenstrahlen zu greifen, die
erade in veralteten Fällen glänzende Resultate zeitigen. Soweit ist
chlein unbedingt zuzustimmen, und es ist sehr verdienstvoll, daß
er wieder einmal auf diese Behandlungsmethode hingewiesen hat,
die imstande ist, jenen unglücklichen, geplagten, verzweifelnden Men¬
schen wieder Lebensfreude und Gesundheit zurückzugeben. Erwähnt
sei, daß wir dieselben schönen Erfolge auch beim Pruritus ani, beim
Pruritus senilis und beim Juckreiz, der im Verlauf von verschiedenen
Hautkrankheiten auftritt, sehen. Energischer Widerspruch muß jedoch
gegen die von Schiein angegebene Technik erhoben werden. Er
empfiehlt zweimal wöchentlich 1/2 Erythemdosis durch 3 mm Aluminium
zu geben und hintereinander 10—15 derartige Bestrahlungen zu wieder¬
holen, sodaß also im Verlauf von 7 1/2 Wochen 71/2 Erythemdosen
verabfolgt würden. Nach einer Pause von 2—3 Wochen soll dann
eventuell der ganze Turnus wiederholt werden. Wer nach dieser
Vorschrift handelt, wird sich nicht wundern dürfen, wenn er schwere
Verbrennungen erlebt, und kann sich in diesem Teil nicht durch Be¬
rufung auf die vorliegende Arbeit vor zivilrechtlichen und eventuell
auch strafrechtlichen Folgen schützen. Denn es ist ein anerkannter
Grundsatz, daß in einem Zeitraum von 3 Wochen nicht mehr als
eine Erythemdosis auf dieselbe Hautstelle verabfolgt werden darf.
Da Sch lein über eine Reihe von behandelten Fällen berichtet und
nichts von Schädigungen erwähnt, möchte ich allerdings annehmen,
daß er tatsächlich nicht die von ihm angegebenen Dosen verabfolgt
hat, sondern daß eine mißverstandene Ausdrucksweise vorliegt. Viel¬
leicht hat er als Erythemdosis 10 X = 5 H angenommen, was aber
nur für mittelweiche* unfiltrierte Strahlung Gültigkeit hat. Wendet
man filtrierte härtere Strahlung an, so Können mehr X-Einheiten
appliziert werden. Aber auch dann noch ist seine Dosierung bedenk¬
lich. Bei dem durch Hautkrankheiten verursachten Juckreiz und
beim Pruritus senilis und cutaneus sind Ekzemdosen anzuwenden.
Bei leichten Fällen von Pruritus vulvae genügt es meistens, wenn
man 2mal 1/4 H.E.D. durch 1 mm Aluminium filtriert in Abständen
von 3—4 Tagen verabfolgt. Eventuelle Wiederholung nicht vor
14 Tagen. In hartnäckigen, veralteten Fällen wird man V2—V4 H.E.D.
durch 4—5 mm Aluminum filtriert in einer Sitzung geben. Wieder¬
holung nicht vor 3 Wochen. Am hartnäckigsten sind die Fälle von
Kraurosis vulvae. Hier sind Dosen von */ö H.E.D. .erforderlich. (Die
Zeit, die zur Erzielung einer H.E.D. erforderlich ist, hängt natürlich
von der verwendeten Apparatur und von der Filterung ab.) L.
v. Jaschke und Salomon, Fluorbehandlung mit Bazlllosan. Zbl.
f. Gyn. 1922 Nr. 2. Die Arbeit gewinnt dadurch eine besondere Be¬
deutung, daß die Autoren auf Grund von einwandfreien Versuchen zu
der Feststellung kommen, daß das so ' hoffnungsvolle Fluorpräparat
Bazillosan nicht konstant und daher für die Praxis ungeeignet ist.
Bazillosantabletten erhielten weit weniger Milchsäure-Bakterien als daß
pulverförmige Präparat. Aber auch die mit sogenanntem einwandfreien
Bazillosan — d. h. solchem, das sich in den ersten 3 Monaten nach
der Herstellung befand — angestellten Kuturverfahren ergaben, das
sich aus den verschiedensten Packungen überhaupt kein Wachstum
erzielen ließ. L.
Brock, Welche Bedingungen sind maßgebend für eine Röntgen¬
behandlung der Hautkrebse? Strahlenther. 13 Nr. 1 . Die Berichte
über die Erfolge der Röntgenbehandlung der Hautkrebse sind wider¬
sprechend, wenn sie auch im allgemeinen günstig lauten. Die Gründe
hierfür sucht Brock an einem großen, sehr sorgfältig beobachteten
und genau analysierten Material darzulegen. Er kommt dabei zu
einem für die Strahlentherapie der bösartigen Tumoren überhaupt
sehr wichtigen Ergebnis. 1 . Ist es erforderlich, eine stark ge¬
filterte Strahlung (4—5 mm Al oder 0,5 mm Zink) zu verwenden
und 110 0/0 der H.E.D. in einer Sitzung zu verabfolgen. 2 . Die Re¬
sultate sind grundverschieden, je nach dem Sitz des Tumors. Fielen
die Drüsen nicht in den direkten Strahlenkegel, sodaß sie keine
oder nur eine Reizdosis erhielten, so waren die Resultate durch¬
weg sehr gute, auch in Fällen, die wegen immer erneut auftretender
Rezidive schon mehrmals operiert waren. Anders dagegen, wenn
die Drüsen mit in den Strahlenkegel fielen und dadurch eine hohe
Dosis erhielten. In diesen Fällen sah er in ganz kurzer Zeit Meta¬
stasenbildung und Exitus trotz pathologisch-anatomisch nachgewie¬
sener Heilung des Primärtumors. Dementsprechend zeigten die Haut¬
karzinome, die über dem knöchernen Schädel und über dem Auge
lagen, sowie die über Nasennebenhöhlen, Ober- und Unterkiefer,
wenn es gelingt, die Munddrüsenpartien gut abzudecken, durchweg
sehr gute Erfolge. In diesen Fällen ist die Strahlenbehandlung der
operativen überlegen. Dagegen geben die Tumoren vor dem Ohr,
über Karotis und über dem Kieferwinkel ausnahmslos sehr schlechte
Resultate. Diese Tumoren sind daher zu operieren. Die Beobachtung,
daß bei Mitbestrahlung der Drüsen eine Neigung zu allgemeiner
Metastasierung besteht, ist von weitgehender Bedeutung, nicht nur
für die Röntgenbehandlung der Hautkrebse, sondern der bösartigen
Geschwülste überhaupt. Werden die bekanntermaßen sehr radio-
sensiblen Drüsen durch große Röntgendosen geschädigt, so können
sie nicht mehr als Filterorgan wirken und eine vom Pri-märtumor
eingeschleppte Tumorzelle vernichten. Diese wird vielmehr in der
geschädigten Drüse Fuß fassen und wuchern, oder diese passieren
und zu Metastasen in dpn inneren Organen führen. Hierauf sind
auch die erschreckend schlechten Resultate von Perthes bei nach¬
bestrahltem Brustkrebs zurückzuführen, weil hier die Drüsen mit
modernem Instrumentarium eine vernichtende Dosis erhielten, wäh¬
rend andere, die mit älteren Instrumentarien weniger intensiv be¬
strahlten, wie z. B. Anschütz, über bedeutend bessere Resultate
berichteten. Es ergibt sich aus diesen Beobachtungen auch, daß der
Vorschlag Stederings, vor jeder Tumorbestrahlung die dazu ge¬
hörige Lymphdrüsengruppe mit einer Karzinomdosis zu belegen,
durchaus unzweckmäßig ist. .Im zweiten Teil seiner Arbeit bespricht
Brock dann noch die Rolle, die die Drüsen mit endokriner und
exokriner Sekretion im Kampfe gegen die Tumorzelle spielen, Aus¬
führungen, die sehr lesenswert, jedoch zum Teil noch hypothetisch
und für ein kurzes Referat nicht geeignet sind. L.
Engel und Türk, Behandlung der Säuglingssyphilis. Ther. Hmh.
1921 H. 8 . Die Behandlung der Säuglingssyphilis ist nicht entfernt so
gut durchgearbeitet wie die der Erwachsenen. Das Problem ist doppelt.
Es handelt sich darum, die Kinder über die lebensgefährliche erste
Periode hinwegzubringen und sie dann später durch weitere Behandlung
gegen neue Krankheitserscheinungen zu schützen. Für die Anfangs¬
behandlung wird, da intravenöse Injektionen bei ganz jungen Säuglingen
kaum durchführbar sind, die intramuskuläre Anwendung von Novasurol
empfohlen. Die Krankheitserscheinungen werden hierdurch schnell und
stark beeinflußt. Die Dosierung ist 0,5 bis 1,0 der käuflichen Lösung.
Später, wenn die Venen größer sind, kann intravenös mit Neosalvarsan
behandelt werden und zwar mit ziemlich hohen Dosen. Gerade für
die Praxis ist die Verwendung von Novasurol besonders empfehlenswert,
da es nur zweimal wöchentlich ambulant angewendet zu werden
braucht. E.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
VEREINS- UND KONGRESSBERICHTE
Redigiert von Ober-Reg.-Med.-Rat Dr. O. Strauß.
Berlin, Medizinische Gesellschaft, II. 1.1922.
R Rosenstein: Erfahrungen mit der Pneamoradiographie des
Nierenlagers. (Vgl. Berliner Röntgen-Vereinigung Nr. 4 S. 144.)
Besprechung. Ziegler äußert sich als Röntgenologe zu
dem Verfahren. Es ist ein großer Fortschritt, daß regelmäßig der
obere Pol der Niere zu sehen ist. Insbesondere wird die Durchleuch¬
tung der Patienten in verschiedenen Lagen empfohlen. Auf diese
Weise kann man sich die gesamte Nierenfläche zugänglich machen.
Wahrscheinlich wird man fast immer mit der Durchleuchtung aus-
kommen. Sehr häufig kann man mit stereoskopischen Aufnahmen
ain weitesten kommen.
Joseph: Von besonderem Wert ist die Darstellung des oberen
Nierenpols bei Fällen von Hypernephrom. In einem Fall hat Joseph
bei einem Patienten, der von anderer Seite pneumoradiographiert
worden war, die Operation vornehmen müssen, weil eine akute In¬
fektion einer alten Hydronephrose aufgetreten war. Es braucht auch
nicht Urin aus der Nadel auszutreten, wenn man in einem hydro-
nephrotischen Sack sich befindet, weil dieser schlaff sein kann.
J. Hirschberg schlägt vor, den Namen Pneumaktinographie
zu verwenden.
Ben da weist darauf hin, daß man unbedingt das Rosenstein-
sche Verfahren dem Care 11 isehen vorziehen muß, weil bei letzterem
die Nadel den Gefäßen sehr nahekommt.
Kraus: Man kann in der Tat viel Sauerstoff in die Vene ein¬
blasen, ohne Embolien zu fürchten.
Rosenstein (Schlußwort).
Nagelschmidt: Ueber die Praxis der RöotgentiefendoBierung.
Faßt all das zusammen, was bei der Röntgentiefentherapie technisch
zu beachten ist. Es empfiehlt sich die Verwendung von bestimmten
Schemata, die dem gefühlsmäßigen Dosieren überlegen sind. Die
Hauterythemdosis ist kein exaktes Maß. Oft spielt eine Ueber-
dosierung von 100o/ 0 keine Rolle. Ebenso falsch ist die Festsetzung
einer Sarkomdosis, einer Karzinomdosis usw. Hier hilft nur die
persönliche Erfahrung.
Besprechung. Bucky: Bei der Röntgentiefentherapie lohnt
meist der Erfolg nicht die aufgewandte Mühe hinsichtlich der Dosie¬
rung. Dies liegt daran, daß wir zwar große Erfahrung in der
Technik der Dosierung haben, aber über die biologischen Wirkungen
noch zu wenig wissen.
Schumacher: Ueber die Wirkung der Silbersalze auf die Zelle
Die desinfizierende Wirkung der Schwermetallsalze auf die Zelle
beruht auf dem Vorhandensein des freien Metalls. Wo die Sub¬
stitution des Metalls stattfindet, war unbekannt. Es zeigte sich bei
der Behandlung von Zellen mit Silbersalzen und nachträglicher
Schwärzung des Silbers durch Pyrogallol, daß das Silber sich in dem
Zellkern am meisten bindet. Die Verbindung des Silbers mit dem
Kern ist so labil, daß Spuren von Kochsalz im Wasser es heraus¬
treiben können. Bei Behandlung des Silberbildes mit Natriumkarbonat,
-sulfat und -nitrat bleibt es unverändert. Alle Methoden, die zum
Lösen der Nukleoproteide in der Zelle führen, bringen das Silberbild
zum Verschwinden. Alle Substanzen, die nukleinsaures Silber lösen,
desgleichen. Wenn man die Nukleinsäure aus der Zelle entfernt,
indem man die Zellen mit Salpetersäure kocht, so ist die Silber¬
färbung ebenfalls unmöglich. Die Silbermethode ist also spezifisch
für Nukleinsubstanzen. Es läßt sich auf diese Weise auch aer Kern
der Bakterien darstellen. Die desinfizierende Wirkung kommt in
der Weise zustande, daß aus dem Silbemitrat sich das Silber mit
der Nukleinsäure verbindet und freie Salpetersäure auftritt. Ist ge¬
ringe Ionisation vorhanden, wie in der alkoholischen Silbemitrat-
lösung, so ist die desinfizierende Wirkung ebenfalls herabgesetzt.
Die Siiberionen dringen in die lebende Zelle ein. Im Körper kreisen
die Silbersalze als silbemukleinsaures Kochsalz, was histochemisch,
makrochemisch usw. nachzuweisen war. Die einzelnen Spaltprodukte
der Nukleoproteide, die bei der Desinfektion hiernach auftreten
müssen, wurden ebenfalls gefunden.
Besprechung. Benda: Daß bei den abgestorbenen Zellen
sich die Metalle mit den Kernen verbinden, ist den Histologen be¬
kannt. Lebende Zellen reagieren aber ganz anders, wie das Beispiel
der Achsenzylinderfärbung mit Goldsalzen usw. beweist.
Schumacher (Schlußwort). Dresel.
Berlin, Verein für Innere Medizin und Kinderheilkunde,
19. XII. 1921.
Offizielles Protokoll.
Vorsitzender: Fürbringer. Schriftführer: Jürgens.
Besprechung über den Neufeldschen Vortrag: Nene For»
scfaoagsergeboisse aber Paeamoole. (Vgl. Nr. 2 S. 51.)
• Friedemann: Der Serumtherapie der Pneumonie ist von
seiten der deutschen Kliniker bisher nur wenig Interesse entgegen¬
gebracht worden. Als Serumtherapie der Pneumonie kann aber
vielleicht doch die Behandlung der Grippepneumonie mit dem
sogenannten „Grippeserum“ angesehen werden, die ich im Jahre
1918 empfohlen habe. Dieses Grippescrum war ein polyvalentes
Pneumokokkenserum, das ursprünglich für die Behandlung der krup¬
pösen Pneumonie ausersehen war. Das Grippeserum hat nadi den
Arbeiten der amerikanischen Autoren nur in den Fällen Aussicht auf
Erfolg, in denen der Pneumokokkus vom Typus I der dominante Er¬
reger ist. Dem entsprechen meine Erfahrungen. In einem Teil der
Falle hat das Serum völlig versagt, während in andern, ganz in
Uebereinstimmung mit den Angaben der amerikanischen Autoren,
eine überraschende entgiftende Wirkung eintrat. Besonders in der
allerschwersten Zeit der Grippe waren die Erfolge sehr eindrucks¬
voll. Voraussetzung ist allerdings ein hochwertiges Serum und für
eine exakte Beurteilung der Wirkung eine Typendiagnose der Pneumo-
kokkenstämme. Die intravenöse Injektion wird sich vielleicht durch
die intramuskuläre großer Serummengen (100—200 ccm) ersetzen
lassen. Da die Therapie der Pneumonie hier zur Diskussion steht,
möchte ich noch besonders auf die von mir empfohlene Pneumothorax-
therapie der Pneumonie hinweisen. Ich strebe dabei nicht einen
Kollaps, sondern nur eine Ruhigstellung der erkrankten Lunge an,
indem ich die mit der Atmung verbundenen intrathorakalen Druck¬
schwenkungen auf die zwischengeschaltete Luftschicht übertrage.
Durch diese Ruhigstellung wird ähnlich wie bei phlegmonösen Pro¬
zessen eine Verminderung der Entzündung und des Lymphstroms,
dadurch Beschränkung der Resorption von Bakterien und Toxinen
erzielt. Klinisch wurde sofortige Beseitigung des Pleuraschmerzes
und günstige Beeinflussung des Krankheitsverlaufs beobachtet, in
Frühfällcn sogar kritische Entfieberung, deren Zusammenhang mit
der Behandlung allerdings noch nicht erwiesen ist. Gerade wegen
des raschen Ablaufs der Pneumonie sind Todesfälle doppelt bedauer¬
lich, und wir dürfen nicht ruhen, bis ein wirksames Heilmittel ge¬
funden ist.
F. Klemperer hält für das wesentlich Neue in Neufelds
Mitteilungen clessen Angabe, daß der bei Pneumonikern im Krank¬
heitsherd festgestellte Pneumokokkus ein anderer sei als der bei
derselben Person im Mund und Rachen zu gesunden Zeiten vor¬
kommende. Er fragt Neufeld, ob er diese Angabe nur referierend
nach den amerikanischen Publikationen gemacht nabe oder ob er sie
durch eigene Prüfung bestätigen könne. — Hinsichtlich der Pneumo-
thoraxtherapie bei Pneumonie weist Klemperer darauf hin, daß
die Verhältnisse bei der Pneumonie von denen bei Tuberkulose doch
stark abweichen. Bei Tuberkulose liegen der oder die Krankheits¬
herde inmitten gesunden Gewebes, und durch Ruhigstellung und
Kompression soll das Ucbergreifen der Krankheit auf dieses ge¬
sunde Gewebe gehindert werden. Bei der lobären Pneumonie ist
der erkrankte Lappen starr, er wird kaum bewegt, und daher wird
er, wie Klemperer röntgenologisch feststellte, in toto von der
Brustwand abgedrängt, und mit ihm wird schon bei ziemlich ge¬
ringer Pneumothoraxgröße das Herz nach der Seite verlagert. Der
Nutzen des unmittelbaren Nachlasses pleuritischer Schmerzen, den
Klemperer bestätigt, ist durch einen Pneumothorax zu teuer er¬
kauft, er läßt sich gewöhnlich auch mit Prießnitzumschlag oder
nötigenfalls mit etwas Morphium erzielen.
Fritz Meyer: Die Ausführungen Neufelds werden hoffent¬
lich die Aufmerksamkeit der deutschen Kliniker und Praktiker auf
die spezifische Therapie der Pneumokokkeninfektion lenken, welche
leider auf unberechtigten Widerstand gestoßen ist. Die Gründe liegen
in der etwas komplizierten Technik (intravenöse Injektion), in aem
Glauben, daß die Pneumonie meist auf natürlichem Wege heilt, und
beruht schlechtweg auf der mangelnden Kenntnis der Tatsache, daß
jede Pneumonie mit reiner Pneumokokken-Allgemeininfektion ein¬
hergeht. Ich betreibe die Serum- und Optochintherapie, einzeln und
kombiniert, seit 1912. Die Erfolge waren äußerst günstig (s. D. m. W.
1916). Die Besserung betraf stets nur das Allgemeinbefinden,
niemals den Herd, welcher auf diesem Wege nicht zu beein¬
flussen ist. Ich injiziere täglich 50 ccm Serum in die Vene und ver¬
binde damit die innerliche Gabe von Optochinum basicum in Pillen
(6x0,1), bis die Temperatur lytisch zu fallen beginnt. Das ungerech¬
terweise vernachlässigte Optochin ist in der Hand des vorsichtigen
Arztes heilkräftig und harmlos. Vorbedingung ist sorgfältige Ueber-
wachung der Augen und Ohren. Serum und Optochin wirken in
erster Linie auf aie Pneumokokken im Blute. Dadurch, daß dieses
sterilisiert wird, verschwinden die bedrohliche Allgemeinsymptome,
und die Krisis wird durch eine wohltuende Lysis ersetzt. Die sym¬
ptomatische Behandlung wird durch die spezifische nicht überflüssig,
sondern wirksam ergänzt.
Friedemann: Gegenüber Klemperer möchte ich bemerken,
daß auch bei der Pneumonie die Atemdruckschwenkungen auf die
Lunge einwirken. Beweis dafür ist das inspiratorische Einsinken der
Interkostalräume. Durch den negativen Druck im Thorax wird eine
ansaugende Wirkung auf den Lymphstrom ausgeübt, auch treten
wahrscheinlich Zerrungen an den verklebten Alveolen ein. Auch
die Beseitigung der Schmerzen ohne Narkotika ist eine nicht zu
unterschätzende Wirkung der Behandlung.
Neufeld: In den von Friede mann berichteten Fällen von
Pneumonien im Anschluß an Influenza ist eine spezifische Wirkung
von Pneumokokkenantikörpern durchaus wahrscheinlich. Bei früh¬
zeitiger Behandlung ist auch von etwas geringeren Serumdosen ein
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
178
VEREINS- UND KONQRESSBERICHTE
Nr. 5
Erfolg zu erwarten. In den letzten Jahren sind in Preußen an Pneu¬
monie mehr Menschen gestorben als in der Vorkriegszeit an Tuber¬
kulose; ein Bedürfnis nach einem spezifischen Heilverfahren besteht
also zweifellos. Nach Tierversuchen erscheinen Versuche mit kom¬
binierter Anwendung von Serum und Optochin nicht aussichtslos. —
Eigene Untersuchungen über das Vorkommen der verschiedenen
Pneumokokkentypen hei Gesunden habe ich in größerem Umfange
bisher nicht vorgenommen, die mitgeteilten Befunde stützen sich auf
die Berichte aus Amerika und Südafrika.
Zadek: Blut- und Knochenmarkbefunde bei kryptogoetischeo
perniziösen Anämien. An der Hand von 32 Projektionen von Blut-
und Knochenmarkbildern werden die einzelnen Stadien der krypto-
enetischen perniziösen Anämie erläutert. Die Präparate, auch die
es Knochenmarkes, stammen größtenteils vom Lebenden und stellen
durchweg Mikrophotogramme dar in 980facher Vergrößerung, die
genau nach dem Original ausgetuscht wurden. Durch vergleichende
Blut- und Knochenmarkentnahmen am selben Tage werden die
innigen Wechselbeziehungen zwischen dem für das Vollstadium cha¬
rakteristischen megaloblastischen Knochenmark und dem entsprechen¬
den für den Morbus Biermer im Vollstadium charakteristischen
Blutbefund (Megalozytose, Hyperchromie, Anisozytose, Megaloblasten)
bewiesen, ln den relativen Remissionsstadien der perni¬
ziösen Anämie ist an derselben Stelle das vordem megaloblastische
Knochenmark der Röhrenknochen gelb, und das Blutbild zeigt noch
Anklängc an den perniziös-anämischen Symptomenkomplex; etwaige
Megaloblasten und hyperchrome Megalozyten in diesem Stadium
im Blute müssen also aus dem noch pathologischen Knochenmark
der normalerweise die Erythropoese bewerkstelligenden kurzen und
platten Knochen oder aus anderen Biutbildungsherden stammen. In
vollständigen Remissionsstadien, die entschieden selten sind,
fehlt hämatologisch ein pathologischer Befund, weil das megalo¬
blastische Mark sich zu rettmark zurückgebildet hat. Das megalo¬
blastische Mark stellt demnach (entgegen Nägeli) nicht den Sitz
und das Wesen des Morbus Biermer dar; auch werden die Remissionen
nicht erreicht durch die megaloblastische Knochenmarkreaktion; denn
das megaloblastische Mark ist in der Remission rückbildungs¬
fähig und stellt nur eine sekundäre toxisch-degenerative Quote
der perniziösen Anämie dar, die funktionell, bei der hochgradigen
Hämolyse, blutregeneratorischen Zwecken dient.
Besprechung. Hans Hirschfeld: Den Praktiker interessie¬
ren vornehmlich die von Zadek zuletzt erwähnten Fälle von absoluter
Remission mit völlig normalem Blutbefund. Ich habe auch mehrere
deratige Fälle gesehen und beobachte einen davon bereits 5 Jahre.
Die betreffende, Anfang der 50er Jahre stehende Patientin zeigte
damals das typische klinische und hämatologische Bild der perni¬
ziösen Anämie. Nach Arsenkur trat völlige Heilung ein. Seitdem
untersuchte ich jährlich 1— 2mal das Blut und konnte immer mor¬
phologisch völlig normales Verhalten konstatieren. Erst bei der
letzten, vor einigen Wochen ausgeführten Untersuchung fand ich leichte
Zeichen eines beginnenden Rezidivs, leichte Erhöhung des Färbe¬
index, einige Mikrozyten, ganz geringe Anisozytose, bei Verschlechte¬
rung des Allgemeinbefindens. Die schon vor 5 Jahren festgestellte
Achylia gastnca besteht noch immer, die Patientin nimmt dauernd
Salzsäure. Solche Fälle lehren, daß man die Prognose der perniziösen
Anämie nicht so pessimistisch auffassen darf, wie es vielfach geschieht.
Wolff-Eisner: Die Untersuchungen des Vortr. am lebenden
Knochenmark bei der perniziösen Anämie haben interessante Resul¬
tate ergeben. Ich habe an dem Pfeifferschen Institut im Jahre 1903
zum erstenmal die Methode angewandt, dem lebenden Tier Knochen¬
mark zu entnehmen. Die Bedeutung der Methode war mir klar; ich habe
sie zur Prüfung des Glykogengehalts des lebenden Knochenmarks an¬
gewandt und hätte sie gern benutzt, um sie bei der perniziösen Anämie
und bei der von mir beschriebenen Lymphoidzellenleukämie anzu¬
wenden, wo auch heute noch die Methodik berufen sein dürfte, wich¬
tige theoretische Fragen zu klären. Ich möchte nicht verschweigen,
warum ich die Methode beim Menschen nicht anwenden konnte:
In den städtischen Krankenhäusern Berlins war jeder Eingriff an
Kranken, der nicht den Heilzwecken diente, verboten. Es erfolgten
in der Stadtverordnetenversammlung wiederholte Interpellationen von
seiten der Sozialdemokraten über zu wissenschaftlichen Zwecken aus-
eführte Maßnahmen. Ich stelle mit Genugtuung fest, daß heute, wo
iese Partei sich nicht mehr in der Opposition befindet, die Wissen¬
schaft unter so viel günstigeren Verhältnissen arbeiten kann.
Viktor Schilling: Die Untersuchungen Zadeks bestätigen
die von Pappenheim, mir und anderen seit langem gegen die
angebliche Spezifizität des „embryonal-megaloblastischen“ Blutbildes
von Ehrlicn, das Nägeli noch immer in gewisser Form zu halten
versucht, erhobenen Bedenken. Wie sich auch hier zeigt, ist das
„megaloblastische Blutbild“ eine sekundäre, unter dem Einfluß von
Regeneration und starker toxischer Degeneration sich bei
jeder geeigneten Aetiologie entwickelnde Form von Blutbildung, die
nach Fortfall der auslösenden Ursache auch wieder zurückgeht. Die
schönen kolorierten Mikrophotogramme gestatten einen Einwand gegen
die Bezeichnung Myeloblasten für einen Teil der hämoglobinfreien
Zellen aus dem Knochenmark; es dürfte sich um sehr junge, patho¬
logische Erythrogonien handeln, die bei megaloblastischer Entartung
leicht nachzuweisen sind. Diese Deutung liegt durchaus im Sinne
des Vorgetragenen.
Berlin, Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie,
9. XII. 1921.
Schäfer: (Jeher Oauerheilonf bei Ovarialkarxioomeo. Schäfer
berichtet über das Material der Universitäts-Frauenklinik aus den
Jahren 1910/16. Unter 578 operierten Ovarialtumoren befanden sich
99 Karzinome. Aus dem so häufigen Auftreten maligner Degeneration
ergibt sicht die Forderung, jeden Ovarialtumor zu operieren. Dies
gelte auch für scheinbar inoperable Tumoren, weil häufig Fehl¬
diagnosen Vorkommen. Die absolute Heilungsziffer nach mindestens
Sjähriger Beobachtung ergibt für primäre und metastatische Tumoren
13,3o/o. Da in den letzten Jahren die Bestrahlung die Resultate noch
verbesserte, empfiehlt Schäfer intensive prophylaktische Nach¬
bestrahlung nach der Operation.
An der Besprechung beteiligen sich Flaischlen, Stra߬
mann, Bröse, Heinsius, Aschheim.
Bumm: (Jeher paravagioale Radiumbehaadlung. Die nach der
Operation sich an der seitlichen Beckenwand bildenden Rezidive sind
bisher der Therapie kaum zugänglich. Auch bei der Bestrahlung kann
man an diese entfernten Gebiete nicht heran. Um mit dem Radium
nun möglichst nahe an den Tumor zu gelangen, wählt Bumm den
paravaginalen Weg. Einschnitt in der Mitte zwischen Rektum und
Tuber ischii, Durchbohren der Fossa ischiorectalis, des Levator ani
und der Fascia pelvis, sodaß man mit dem Finger direkt an die
Geschwulst herankommt. Hier wird ein mit einem Faden armiertes
Radiumröhrchen (100 mg) deponiert und 60 Stunden liegen gelassen.
Die lokale Reaktion ist gering, die bisherigen Erfolge sprechen für
die Methode, sodaß sie zur Nachahmung empfohlen wira.
Aussprache: Mackenrodt. Heyn.
Königsberg i. Pr., Verein für wissenschaftliche Heilkunde
21. XI. 1921.
Offizielles Protokoll.
Vorsitzender: Winter. Schriftführer: Schütze.
Klinger: (Jeher Kolloldchemie (mit Experimenten).
Selter: Bedeutung der tuberkulösen Allergie für das Entzfindungs-
problem und die Proteiokörpertberapie. (Vgl. Nr. 2 S. 54.)
Besprechung. Borchardt: Meine auf dem Tuberkulose¬
kongreß in Elster gemachten Ausführungen über die Bedeutung der
Reaktionsfähigkeit als konstitutionelles Moment bei der Tuberkulose
sind — wie es scheint — von Selter mißverstanden worden. Als
ich damals darauf hinwies, daß der Begriff der Ueberempfindlichkeit
nicht nur als serologischer, sondern als allgemein biologischer, im
wesentlichen von der Körperbeschaffenheit abhängiger Begriff anzu¬
sehen sei, wurde mir von Rietschel (Würzburg) entgegengehalten,
daß beim Säugling die erhöhte Reaktionsfähigkeit sozusagen physio¬
logisch sei, daß es also einer Konstitutionsänderung als Bedingung
erhöhter Reaktionsfähigkeit für ihn nicht bedürfe. Diese Tatsache
der physiologisch erhöhten Reaktionsfähigkeit im Säuglingsalter kann
ebensowenig geleugnet werden wie die Allergie nath tuberkulöser
Infektion. Man muß sich aber vor Einseitigkeit hüten. Die beson¬
deren Bedingungen veränderter Reaktionsfähigkeit bei Konstitutions¬
störungen sind viel zu kompliziert, als daß sie einem dieser Momente
untergeordnet werden könnten. Wie aber das konstitutionelle Prinzip
erhöhter Reaktionsfähigkeit bei gewissen typischen Konstitutions¬
anomalien besondere Bedingungen für Entstehung und Verlauf der
Tuberkulose zur Folge hat, ebenso führt die tuberkulöse Alleigie
zu Veränderungen der Körperkonstitution.
W. Scholtz: Nach dem, was ich als Kliniker beobachtet habe,
halte ich auch eine erhöhte Entzündungsbereitschaft der Haut bei
Tuberkulösen für sicher und glaube, daß die stärkeren Intrakutan¬
reaktionen auf Peptone und dergleichen bei Tuberkulösen hierauf
zurückzuführen sind. Dagegen halte ich es nicht für angängig, darauf¬
hin dem Tuberkulin jede spezifische Wirkung absprecnen zu wollen
und in der Intrakutanreaktion auf Tuberkulin nichts prinzipiell anderes
sehen zu wollen als in den ähnlichen Reaktionen auf Peptone.
Dafür sind die quantitativen Unterschiede doch zu kraß. Freilich
muß man zu brauchbaren Vergleichen die Schwellenwerte der
Reaktionen auf Pepton und Tuberkulin vergleichen, dann wird man
bei Tuberkulösen Differenzen um das Tausendfache und mehr be¬
kommen, während bei Nichttuberkulösen die Differenzen gering sind;
ebenso muß man die Spuren von Tuberkulin, welche bei Tuberkulösen
noch ausgesprochene Intrakutanreaktionen Hervorrufen (1 Millionstel
Gramm und weniger), mit den recht großen Mengen vergleichen, die
auch bei Nichttuberkulösen Reaktionen auslösen, und dagegen die
verhältnismäßig geringen Unterschiede in den Mengen von Pepton
usw. halten, welche bei Tuberkulösen und Nichttuberkulösen noch
Intrakutanreaktionen hervorrufen. Aehnlich ist es auch bei der Tricho¬
phytie mit den Trichophytinreaktionen. •
Digitized b'
Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
2 . Februar 1922
VEREINS- UND KONORESSBERICHTE
179
Breslau, Schlesische Gesellschaft für vaterländische Kultur,
November 1921.
(11. XI.) Hauke demonstriert zwei Fälle von Milzexstirpation:
1. wegen traumatischer Milzruptur mit typischem Verlauf im Blutbild.
Im roten Blutbild Normoblasten, Megaloblasten und zahlreiche Jolly-
Körper. Dabei Leukozytose von 30000 bedingt a) durch Blutverlust,
b) durch Milzverlust; Rückgang derselben nach 3 Wochen bei rela¬
tiver Lymphozytose. Thrombozyten (bei deren Zählung erwies sich
die Spitzsche Methode der Fonioschen als gleichwertig): unmittelbar
nach der Operation 400000, im weiteren Verlauf für 4—5 Wochen
900000. 2. Atypischer Verlauf bei essentieller Thrombopenie. Bei den
sonst beschriebenen Fällen Stillstand der Blutungen und sofortiges
Hochschnellen der Plättchenzahl. Hier Besserung des Allgemein¬
befindens, Aufhören der vorher sehr sdiweren Spontanblutungen,
aber Bestehenbleiben von traumatischen Hautblutungen und des
Rumpell-Leedeschen Stauungssymptoms, aber kein Hochgehen der
Thrombozytenzahl. Sie blieben auf 8—16000. In der Milz im Gegen¬
satz zu den übrigen Fällen auffallend wenig Thrombozyten.
Besprechung. Minkowski bespricht den Verlauf der Blut¬
wertkurven vor und nach Milzexstirpation bei perniziöser Anämie und
empfiehlt frühzeitige Operation.
Frank bestätigt das Atypische des zweiten Falles. Bei den bis¬
her beschriebenen und von inm beobachteten Fällen sofortiges An¬
steigen der Plättchenzahl gewissermaßen schon auf dem Operations¬
tisch. Nach 8—14 Tagen jedoch wieder Zurückgehen auf unter
30000. Trotzdem Verschwinden der hämorrhagischen Diathese. Effekt
der Operation also nicht nur Erhöhung der Thrombozytenzahl, son¬
dern auch eine Wirkung auf die Blutgefäßschädigung etwa im Sinne
einer Dichtung und Kontraktion der Gefäße, wie bei der Kalktherapie.
Es bleibt die Blutungszeit verlängert, der Rumpell-Leede positiv, und
die traumatischen Hautblutungen bestehen nur in geringerem Maße
als früher. Seine jetzige Anschauung: In Analogie zur perniziösen
Anämie hier nicht primäre Thrombolyse, sondern primäre Myelö-
toxikose und sekundäre Thrombolyse der insuffizienten Thrombo¬
zyten in der Milz. Der Erfolg der „segensreichen“ Milzexstirpation
liegt erstens in Ausschaltung des abfangenden Filters, zweitens in
einer Knochenmarksreizung zu normaler Funktion der Megakaryo-
zyten, damit Bildung suffizienter Thrombozyten.
Tietze warnt wegen oft sich zeigender, technischer Schwierig¬
keiten bei der Operation vor kritikloser Indikationsstellung.
Brieger hält die Franksche „mechanistische Theorie“ für er¬
schüttert und stützt sich dabei teils auf eigene Beobachtungen, teils
auf die Klingerschen Arbeiten.
Frank hält dagegen an seiner Auffassung fest. Bei Zahlen unter
30 000 Thrombozyten wird jede Blutung intensiviert, sind aber die
Gefäße dicht, so fehlt auch bei völligem Plättchenschwund jede
Blutung.
Martenstein stellte systematische Untersuchungen über die
Wirkling von Kochsalzumschlägen auf Inpöses Gewebe an. Von 100
sind 50 allein mit dieser Methode behandelt, die Wirkung ist am
besten bei Lup. vulg. ulceros., weniger bei Lup. vulg. planus, am we¬
nigsten bei Tbc. verruc. cutis. Demonstration von Bildern.
Besprechung. Jadassohn empfiehlt im allgemeinen Kombi¬
nation verschiedener Mittel, von den chemischen sei die beschriebene
jedoch eine der besten Methoden.
Opitz bespricht seine Versuche an Tier und Mensch über die
Wirkung unterneutralisierter, neutralisierter und überneutralisierter
Diphtberieantitoxin-Toxiomlschung und empfiehlt die als unschädlich
erwiesene aktive Immunisierung von gefährdeten Personen in der
Umgebung Diphtheriekranker. Die große Affinität der Toxoide zum
Antitoxin sichert ihre völlige Bindung, für die Toxonbildung hält er
5 fache Ueberneutralisation für ausreichend.
(18. XL) Pulvermacher: Nach kurzer Besprechung der theo¬
retischen Grundlagen der Proteinkörpertherapie als unspezifische
Leistungssteigerung im allgemeinen und der Caseosananwendung im
besonderen wird berichtet über 24 mit Caseosan behandelte Fälle
von akuter, subakuter und chronischer Entzündung des äußeren und
mittleren Obres sowie der Nebenhöhlen. Der Gesamteindruck war
wenig ermutigend. Chronische Eiterungen blieben unbeeinflußt, akute
und subakute reagierten so wechselnd, daß der Verlauf kein ab¬
schließendes Urteil erlaubt.
Besprechung. Goerke bestätigt, daß alle Nachrichten aus
Otologenkreisen ungünstig lauten.
Imm prüfte genauer 40 Syphilitiker ohne sonstige Ohrerkran-*
kugen auf Störungen der No. cochlearis, acosticus und vestibnlaris.
1. 15 Alt-Syphilitiker, fast bei allen Schwerhörigkeit, 2. 25 Jung-
Syphilitiker, davon bei 19 Patienten im Beginn des zweiten Stadiums,
die mit guter Hörfähigkeit frei von subjektiven Geräuschen waren,
eine Verkürzung der Knochenleitung; nur selten Herabsetzung der
oberen Tongrenze.
Besprechung. Goerke: Die obigen Versuche waren veran¬
laßt durch einen Befund verkürzter Knochenleitung bei normalem Ge¬
hör bei einem sero-negativen Frühsyphilitiker (4 Wochen nach der
Infektion). Der Liquor war noch ohne Veränderungen. Er nimmt an,
daß es sich um retrolabyrinthäre Kochlearisstörungen, bedingt durch
endarteriitische Veränderungen der Art. audit. int. handelt, und betont
die Wichtigkeit dieses Symptoms für den Syphilidologen, der solchen
Leuten besondere Aufmerksamkeit widmen müsse.
Hauke bespricht die Fischersche Theorie der Krampikrankbeiten
als Hyperfnnktion der Nebenniere (sowohl des Adrenal- wie des
Interrenalsystems) und die in der Literatur beschriebenen praktischen
Folgerungen der Nebennierenexstirpation bei Epilepsie, des weiteren
aber die Bedeutung des gesamten endokrinen Systems bei solchen
Krankheiten. Demonstration zweier Patienten, bei denen die Neben¬
niere entfernt wurde (Technik: lumbales Vorgehen). Bei dem einen
ein vorübergehender, bei dem anderen kein deutlich nachweisbarer
Erfolg.
Besprechung. Kehrer: Gegen die Fischersche Theorie wen¬
det er ein, daß Fischer seine Versuche nur an Kaninchen, nicht an
höheren Säugetieren gemacht habe. Daher seien sie nachzuholen.
Goerke bespricht im einzelnen die verschiedenen Operations
wege bei malignen Nebenhöhlengeschwülsten und Nebenböhleneite-
rungen und empfiehlt die rhinologischen Wege, weil sie schonender
und ungefährlicher sind, dabei möglicherweise noch gute kosmetische
Resultate versprechen, ohne dabei das Ziel radikaler Entfernung der
Geschwülste zu vernachlässigen.
(25. XI.) Küttner demonstriert a) einen Patienten mit Reckling¬
hausenscher Krankheit mit maligner, sarkomatöser Entartung eines
N. ischiadicus; b) mehrere Patientinnen mit monströsen Hämangiomen;
c) eine Patientin mit schwerstem Caput obstipum musculave.
Minkowski hat in seiner Klinik in letzter Zeit viele sehr schwere
Fälle von Diabetes — namentlich bei Jugendlichen — behandeln können.
Er zeigt mehrere jetzt ganz erheblich gebesserte Patienten, die zum
Teil in schwerer Azidose oder präkomatösem Zustand eingeliefert
wurden, jetzt aber fast zucker- und azetonfrei sind. Bei einem heilte
eine schwerste Balanitis ohne jede Lokalbehandlung am 3. Tag mit
dem Zurückgehen der Azidose. Therapie: „Wechseldiät“, d.h. Wechsel
von Hungerperioden, mit denen begonnen wurde, mit Eiweiß- und
Kohlenhydratperioden (je 3—5 Tage). Nach Unterernährung mit Ei¬
weiß wird es bei erneuter Zufuhr zunächst retiniert zur Auffüllung
des Vorrates, sodaß nur wenig zum Abbau zur Verfügung steht;
durch Kohlenhydratzufuhr wird die Azidose bekämpft und durch
diesen Wechsel die Toleranz erhöht.
Frank zeigt die Möglichkeit, bei jedem Menschen physiologisch
eine Hyperventilationstetanie zu erzeugen, und zwar allein durch
forcierte Ausatmung. Vielleicht wird dadurch dem Blut Kohlensäure
entzogen und eine Neigung zu Alkalosis bewirkt mit Kalziuindefizit
durch Bindung des Ca. Der Urin wird dabei alkalisch. Die Tetanie
äußert sich zuerst in Auftreten des Chvostek I (der auch nach Auf¬
hören der forcierten Atmung noch 2—3 Stunden bestehen bleibt)
und elektrischer Uebererregbarkeit der Muskeln, später auch des
Trousseauschen Phänomens oft spontan, meist aber nach Anlegen
einer Staubinde. Demonstration.
Minkowski: a) Demonstration eines Falles von Hydroa aestivalis
mit kongenitaler, chronischer Hämatoporphyrinurie. Die Hauterschei¬
nungen treten nicht nur im Sonnen-, sondern auch im Tageslicht auf.
(Beruf des Patienten Nachtwächter.) Das Hämatoporphyrin hat, ähn¬
lich wie das ebenfalls der Pyrrolgruppe entstammende Chlorophyll,
photodynamische Wirkung. Das Auftreten einer Hämatoporphyrinurie
ist an eine besondere Disposition geknüpft; ob sie in akuten Fällen
— meist verbunden mit Koliken und sonstigen Störungen des Dige¬
stionstraktes — durch unbekannte Autointoxikation bedingt ist, ist
noch fraglich. Die chronische Form ist gekennzeichnet durch die
Lichtüberempfindlichkeit. Erwähnenswert sind die Selbstversuche von
Meier Beetz (München), b) Demonstration eines 14jährigen Knaben
mit allen Zeichen eines hochgradigen, einseitigen Brusthöhlenergosses;
dabei leidliches Allgemeinbefinden. Punktion mit dicker Nadel bei
negativem Druck befördert einige Gewebsbröckel heraus. Mikro¬
skopisch : Haufen von Endothelzellen — Placards endotheliaux —
diff.-diagn. könnte die positive Wa.R. Schwierigkeiten machen. Min¬
kowski lehnt aber eine Pleurasyphilis ab.
Besprechung. Küttner: Eigene Beobachtung: Nach Ober¬
schenkel-Sarkomoperation traten plötzlich pneumonische Erscheinungen
auf, die als postoperativ aufgefaßt wurden. Die Autopsie zeigte ein
Endotheliom.
Del och berichtet über Geschichte und Technik der Duodenai-
sondierong nach Einhorn und Groß sowie über ihre diagnostische
Bedeutung bei Duodenal-, Leber- und Pankreaserkrankungen. Ge¬
winnung von Duodenalsaft (I. Portion); Gewinnung von Blasengalle
(II. Portion: durch Injektion von 10 ccm Pepton Witte oder 30 ccm
10o/oiger Magn. sulf.-Lösung). Bestimmt wurden I. Portion: Menge,
Säurebindungsvermögen und Fermente (wichtig bei Achylie des
Duodenums). I. und II. Portion: Sediment mikroskopisch und bakterio¬
logisch. Zum Schluß bespricht er die therapeutische Anwendung der
Sonde nach Einhorn und Groß.
Goerke berichtet im einzelnen über die mikroskopischen und
bakteriologischen Befunde. Untersuchung erfolgte unmittelbar nach
der Entnahme zur Vermeidung stärkerer Fermenteinwirkungen.
Im normalen Duodenalsaft mikroskopisch: wenig Leukozyten
und Epithelien, Detritus, Schleim, Oxalate usw. Bei Icterus catar-
rhalis gelegentlich Gallezylinder (Thrombenl; bei Leberzirrhose: große
sechseckige Zellen mit zentralem Kern (Leberzellen?); bei Entzün¬
dungen der abführenden Gallenwege in der I. bei solchen der Blase
in der II. Portion reichlich Leukozyten. Bakteriologisch: nor¬
mal nur selten wenige, harmlose Keime; reichlicher nur bei Achylia
gastrica und Gärungsvorgängen im Magen. Bei Entzündungen sehr
oft Bact. coli, gelegentlich Staphylo- und Streptokokken.
Frank demonstriert eine Patientin mit benigner Leukämie.
Digitized by
Go gle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
180
VEREINS- UND KONGRESSBERICHTE
Nr. 5
Rosenthal zeigt einen 10jährigen Knaben, der auf wiederholte
Infekte von den Tonsillen aus jedesmal mit deutlicher lymphatischer
Reaktion (Türk) ansprach. Milz-, Leber- und allgemeine Drüsen-
schvvellung. Mäßige Anämie, Leukozyten 26 000, darunter 84 o/o Lym¬
phozyten, und zwar großenteils Jugendformen und lymphoblastische
Plasmazellen. Bei einer akuten, lymphatischen Leukämie findet man
meist — jedoch nicht immer — fast nur normale, kleinzellige Lympho¬
zyten. Die Differentialdiagnose ist daher nur aus dem Verlauf zu
stellen.
Seeliger demonstriert eine Patientin mit Polycythaemia hypertonica
und Erythromelalgie und bespricht dabei die Aetiologie dieses seltenen
Krankheitsbildes — gewisse Verwandtschaft mit dem Morbus Ray¬
naud. Gegen die ungemein großen Schmerzen, besonders in den
Extremitäten, wirken lindernd Bettruhe und Eisblase; dagegen bewirkt
Röntgenbestrahlung der Röhrenknochen eine der Heilung fast gleich¬
kommende Besserung sowohl des Blutbildes wie der Schmerzen.
Steinbrink.
Bochum, Medizinische Gesellschaft, 19. X. 1921 *).
Offiziellei Protokoll.
Vorsitzender: v. Brunn. Schriftführer: Tegeler.
Reichmann stellt zwei schwere Halswirbelsäolenverletzongefl ]
vor, von denen die eine eine doppelseitige obere Plexus¬
lähmung, die andere eine doppelseitige partielle Lähmung
der Schultermuskulatur und der drei letzten Finger
beider Hände darstellt, ferner eine typische einseitige obere
Plexuslähmung als Folge einer künstlichen Steißgeburt, zwei
Bauchmuskellähmungen, wovon die eine traumatischer Natur,
die andere im Verlauf einer Poliomyelitis aufgetreten ist; und schlie߬
lich noch eine Fazialislähmung mit Kontraktur der ge¬
lähmten Gesichtshälfte, bei erhaltener elektrischer
Reaktion. Reichmann erwähnt zwei weitere Fälle von trauma¬
tischer Fazialislähmung, bei denen trotz bestehender Lähmung die
elektrische Reaktion normal war. Unter Berücksichtigung der neueren
Forschungen über Nervenregeneration muß man sich eigentlich wun¬
dern, daß nur in so wenigen Fällen eine Regeneration der trauma¬
tischen Fazialislähmung eintritt. Weshalb trotz wiedergekehrter elek¬
trischer Reaktion in den genannten Fällen die Willensimpulse bis zur
gelähmten Gesichtshälfte nicht durdidringen, ist schwer zu erklären,
immerhin läßt sich durch Uebung in diesen Fällen einiges erreichen.
— Ein Fall von tuberkulösem Pyopneumothorax, der mit
Punktionen unter gleichzeitiger Lufteinblasung behandelt wird, was
im Verlauf eines Jahres 3mal nötig wurde, ist dabei voll arbeitsfähig
und verrichtet die schwersten bergmännischen Arbeiten.
Besprechung. Koch weist darauf hin, daß schwere Ver¬
letzungen der Halswirbelsäule wegen ihrer sehr geringen klinischen
Erscheinungen oft zunächst nicht diagnostiziert werden. Vier solcher
Fälle von Luxationen bzw. Subluxationen werden vorgeführt.
Schloeßmann: Nach den Kriegserfahrungen kommt bei Nerven,
die völlig durchrissen wurden, eine Wiederherstellung der Leitfähig¬
keit auch dann nicht zustande, wenn die zerrissenen Nervenenden
ganz nah nebeneinander liegen. Die Bindegewebsnarbe bildet ein
praktisch unüberwindliches Hindernis für die aussprossenden Neuro¬
fibrillen. Wohl sieht man, daß einzelne Nervenfasern über die Narbe
hinweg in den peripherischen Nerventeil einwachsen. Sie genügen aber
nicht, um diesen Teil zur Funktion zu bringen. Nur bei den durch
exakte Nervennaht geschaffenen günstigen Auswachsbedingungen wird
funktionelle Wiederherstellung des peripherischen Nervenabschnitts
erreicht. Bei traumatischen totalen Fazialislähmungen, die nach langer
Zeit doch noch Rückbildung zeigen, ist es deshalb wahrscheinlich,
daß von vornherein keine Zusammenhangstrennung des Nerven vorlag,
sondern nur eine schwere Quetschung mit örtlicher Zerstörung der
Achsenzylinder. In diesem Falle ist fast stets mit vollkommener
Leitungswiederherstellung zu rechnen.
Brüggemann: Bei kompletter Fazialisparese nach Ohropera-
tion^n ist jede Therapie machtlos, nur kosmetische Operationen
führen dann zur Besserung; wohl ist bei inkompletter Lähmung, die
am häufigsten sich ereignet, eine Besserung durch therapeutische
Maßnahmen zu erzielen.
v. Brunn: Vorführungen aus dem Gebiet der Karzinome des Ver-
daunngskanals. Vorgestellt wird ein Fall von Oesophaguskarzinom,
bei welchem durch Einfließen von Kontrastbrei bei der Röntgendurch¬
leuchtung vor 5 Wochen das Bestehen einer Oesophagus-Tracheal-
fistel nachgewiesen war, ohne daß bisher schwerere Lungenerschei¬
nungen sich eingestellt haben. Nach Anlegen einer Gastrostomie
bestehen außer geringer Bronchitis keine Beschwerden. — Von
Magenkarzinomen wird ein geheilter Fall von Magen-Dickdarm-
resektion vorgestellt und 6 andere ähnliche Fälle besprochen, welche
in der Zeit von 1 Tag bis zu 3% Monaten nach der Operation ge¬
storben sind. Ein ausgedehntes Funduskarzinom erlag durch Undicht-
werden der Vereinigung mit dem Oesophagus. Dagegen überlebte
eine Totalextirpätion des Magens, bei welcher auf eine primäre Ver¬
einigung des/Oesophagus mit dem Darm verzichtet wurde, diese
Operation 28 Tage und starb erst, als in einer zweiten Sitzung auf
Drängen des Kranken die Vereinigung mit dem Darm versucht wurde.
1 ) Bei der Redaktion eingegangen am 28. XII. 1921.
Verantwortlicher Redakteur: Geh. San.-Rat Prof. Dr. ]. Sein
— Beim Rektumkarzinom bekennt sich v. Brunn zum grund¬
sätzlichen Beginn der Radikaloperätion mit der Laparotomie, welche
bei gut operablem Primärtumor zweimal bereits ausgedehnte Leber¬
metastasen erkennen ließ. In den operablen Fällen wird das ganze
Rektum exstiroiert und ein Anus mittelst Durchziehung der rlexur
durch den linken Rektus angelegt. Das vorzügliche Funktionieren
derartiger Kunstafter wird an einem Falle vorgeführt.
Besprechung. Schloeßmann: Zur Vermeidung der so ge¬
fährlichen nachträglichen Gangrän an den Querkolonstümpfen Bei
Magenkolonresektion ist Schloeßmann zweimal so vorgegangen,
daß er eine vollkommene Ileozökalresektion vomahm und die unterste
Ileumschlinge in das absteigende Kolon einpflanzte.
Wilke bespricht die pathologische Anatomie der harten Hirnhaut«
ferner verschiedene Formen der Endokarditis und zeigt Folge¬
erscheinungen der Herzklappenfehler am Wandendokard.
Würzburg, Physikalisch-medizinische Gesellschaft,
30. VI. und 14. VII. I92I 1 ).
Offizielles Protokoll.
Vorsitzender: Wessely. Schriftführer: Süß mann.
(30. VI.) Rudolf Weinland: Ueber die Komplexchemie.
(14.VII.) 011 o Wi e m a n n: DasVerhalten des Blutdrucks bei Operationen
in Novokain -Soprarenin-Anästhesie. Ueber das Verhalten des Blut¬
drucks bei Operationen in Novokain-Suprarenin-Anästhesie kann nur
durch regelmäßige Blutdruckmessung im Abstand von 1—2 Minuten
Aufschluß gewonnen werden. Bei Messungen in größeren Zeitab¬
ständen werden erhebliche Schwankungen leicht übersehen. Als Ur¬
sache für Blutdruckschwankungen kommen in Betracht psychische
Einflüsse und der Adrenalingehalt der injizierten Flüssigkeit. Auf
Grund einer sorgfältigen Auswahl von Fällen, bei denen psychische
Momente sich ganz oder zum größten Teil ausschließen lassen, kann
ersehen werden, daß das Verhalten des Blutdruckes und der Kreis¬
lauforgane im allgemeinen den bekannten physiologischen und phar¬
makologischen' Wirkungen des Adrenalins entspricht. Die Blutdruck¬
steigerung beginnt gewöhnlich einige Minuten nach Beginn der
Anästhesierung. Der genauere Verlauf der Blutdruck- und Puls¬
kurven hing in erster Linie von der in der Zeiteinheit injizierten
Novokain-Suprareninmenge ab. Schnell ausgeführte Anästhesien führen
zu intensiven Blutdruckschwankungen, die für das Kreislaufsystem
unter Umständen nicht ungefährlich sind. Außerdem ist die Kon¬
zentration der Lösung und der Ort der Injektion von Einfluß. Die
einzelnen Anästhesierungsverfahren sind bezüglich ihrer Wirkung auf
die Kreislauforgane verschieden zu bewerten. Neben den beobach¬
teten Blutdruck Steigerungen sind von besonderem Interesse die Fälle,
bei denen unter dem Einfluß des Novokain-Suprarenins allein Blut¬
drucksenkung eintritt, im Sinne einer Vagusreizung. In 2 Fällen,
in denen während der Operation Kreislaufschwäche und Kollaps
eintrat, ließ sich auf Grund der genauen Blutdruckkurve feststellen,
daß die Ursache dieses Zustandes nicht allein in der Novokain-
Suprareninwirkung zu suchen war, sondern in dem zufälligen Auf¬
treten einer nicht erheblichen Blutung in dem Zeitpunkte, wo • der
Blutdruck unter dem Einflüsse der vorausgegangenen Novokain-
Suprarenininjektionen einen auffallend niedrigen Wert angenommen
hatte. Beim Vergleich der Lokalanästhesien und Narkose verdienen
die festgestellten Tatsachen Berücksichtigung.
Besprechung. Flury: Fälle von paradoxer Adrenalinwirkung
sind in aer Pharmakologie wohlbekannt; z. B. kann bei Sympathikus¬
lähmung Adrenalin zu Blutdrucksenkung führen, unter Umständen
kommt es auch an Stelle der Zuckerentbindung durch Adrenalin
zur Speicherung von Glykogen. Es scheint die Wirkung des Adrenalins
stark abhängig zu sein von den jeweiligen Gleichgewichtsverhält¬
nissen zwischen Vagus und Sympathikus.
O. B. Meyer hat selbst besonders bei epiduralen und para-
vertebralen Injektionen Kollapse auch bei niedrig prozentuierten
Lösungen gesehen, so z. B. höchst bedrohliche Intoxikationserschei¬
nungen bei 10 ccm einer halbprozentigen Lösung in den Kreuzbein¬
kanal, während Injektionen auf peripherische Nerven stets anstands¬
los vertragen wurden.
v. Frey: Von wesentlichem Einfluß auf die Resorptionsge¬
schwindigkeit und damit auf das Verhalten des Blutdrucks dünte
der Umstand sein, ob das Gewebe der Iniektionsstelle reich an
Venen, locker oder straff ist, und ob die Bedingungen für einen
raschen Lymphstrom gegeben sind oder fehlen.
König: Die Untersuchungen des Vortragenden ermöglichen es,
bis zu einem gewissen Grade, zu erkennen, welchem der Mittel die
Wirkungen zuzuschreiben sind, sie ermöglichen uns, zu erkennen, ob
die Injektionsanästhesie bei gewissen Patienten ohne Gefahr vorge¬
nommen werden darf. Die Höhe des Blutdrucks ist ein Warnungs¬
signal für den Operateur. Die Schwankungen mahnen zu vorsich¬
tigem, schonendem Operieren. Bei irgendwie bedenklichen Fällen
sind Blutdruckmessungen in der von Wie mann vorgenommenen
Weise sicher zu empfehlen; aus ihrer Fortsetzung in geeigneter
Weise ist vielleicht Aufklärung für manche Punkte im Verständnis der
Injektionsanästhesie zu erhoffen. • (Schluß folgt.)
l ) Bei der Redaktion eingegangen am 20. XII. 1921. _
ralbe. — Druck von Oscar Brandstifter in Leipzig.
Digitized by Google
Original from
CORUELL UNIVERSITY
Deutsche Medizinische Wochenschrift
Begründet von Dr. Paul Börner
HERAUSOEBER: VERLAO:
Geh. San.-Rat Prof. Dr. Schwalbe GEORG THIEME / LEIPZIG
Berlin-Charlottenburg, Schlüterstraße 53 Antonstraße 15
Nummer 6 Donnerstag, den 9. Februar 1922 4a Jahrgang
Ueber den angeblichen Zusammenhang zwischen
Infektionen der Zähne und Allgemcinerkrankungen 1 ).
Von Prof. Dr. H. SchottmBlier.
M. D. und H.! Es ist ja nicht zu bezweifeln, daß ein infektiös
entzündlicher Prozeß am zahn nicht ohne Einwirkung auf den
Gesamtorganismus sein kann, wenn auch meist nur in sehr beschränk¬
tem und bescheidenem Maße, wie jede andere lokale Infektion irgend¬
wo ini Köfrper, z. B. ein Furunkel, das Allgemeinbefinden mehr oder
weniger oder auch gar nicht, je nach der individuellen Empfindlich¬
keit und Empfänglichkeit, beeinträchtigt.
Nun wird aber seit mehr als einem Dezennium, namentlich von
amerikanischen Aerzten, infektiösen Zahnerkrankungen nicht nur ein
ganz außerordentlicher Einfluß auf das Allgemeinbetinden im Sinne
einer mehr oder weniger schweren Schädigung des Organismus zu¬
gesprochen, sondern es werden auch ganz spezielle Organerkran¬
kungen auf Zahn- oder Mundinfektion ursächlich zurückgetührt.
Am weitesten geht wohl in dieser Auffassung der Physiologe
Prof. Martin H. Fischer in Cincinnati. Ich muß daher hier aus¬
führlich auf eine Schrift von Fischer 8 ), in der er seinen Stand¬
punkt durch Mitteilung umfangreicher Kasuistik zu begründen sucht,
eingehen.
Trotz der nahen Beziehungen, die zwischen den Zähnen und
dem Trigeminus bestehen, erweckt es schon Zweifel, wenn dieser
Autor überzeugt nach Fletscher berichtet, daß von 13 Fällen von
Trigeminusneuralgie zwölfmal infizierte Zähne die Ursache waren.
Ein von Fischer ausführlich mitgeteilter Fall beleuchtet
meines Erachtens am besten, mit wie wenig gesunder Kritik der
Autor den Einfluß einer Zahnerkrankung beurteilt.
Bei einem Arzt entwickelte sich unter Schmerzempfindung eine
Schwäche im rechten Arm, die durch einen Druck auf den Plexus
brachialis hervorgerufen, und zwar durch eine Verdickung der
knöchernen Partien in den Nackenwirbeln veranlaßt sein
sollte, wie aus der Röntgenuntersuchung geschlossen wurde. Der
Patient hatte schon vor dieser Erkrankung alle seine Zähne bis
auf 5 verloren; letztere wurden regelmäßig Gehandelt. Als die Läh¬
mung drei Jahre bestanden hatte, wurden die letzten 5 Zähne ge¬
zogen; wenige Wochen danach war der Arm wieder völlig ge¬
brauchsfähig. Eins ist sicher, die 5 Zähne können gewiß nicht die
Lähmung verschuldet haben. Es erübrigt sich, auch nur ein Wort
über die mangelhafte Begründung von Fischer zu sagen und
die Diagnose, welche nach seiner Schilderung so nahe liegt.
Ebenso unmöglich ist es, ihm in der Annahme zu folgen, daß
eine Infektion der Zähne in vielen Fällen die Ursache des Morbus
Basedowii sein soll.
Sehen wir uns nach seiner Beweisführung um. Daß Basedow-
oder Kropfkranke seiner Beobachtung schlechte Zähne besaßen,
vielleicht auch — es ist dies aber nicht ausdrücklich gesagt — eine
Besserung in den Krankheitserscheinungen zeitlich nach Behand¬
lung der Zähne eintrat, war für ihn Grund genug, die Ursache des
Hvperthyreoidismus in der Erkrankung der Zähne zu sehen.
Allerdings fügt er als Beweis noch experimentelle Untersuchungen
von E. C. Rosenow bei. „Letzterer isolierte Streptokokken T>ei
mit thyreoider Erkrankung befallenen Menschen, injizierte sie Hun¬
den und rief bei diesen Symptome von Hyperthyreoidismus hervor.“
Diesen Tierversuchen kann unmöglich ohne weiteres, sondern nur
nach einwandfrei erfolgreicher Nachprüfung Beweiskraft zugesprochen
werden. Vorerst müssen wir sie ablehnen.
Ebenso fehlt jeder Beweis der Behauptung Fischers, er habe
einen Fall von Herzarhythmie durch txtraktion zweier infi¬
zierter Zähne und Beseitigung einer schlechten Brücke geheilt, nur
weil der Patient 14 Tage später frei von den Erscheinungen der Herz¬
arhythmie war, die Fiscner auf einen Infektionsherd im Verlauf
des Hisschen Muskelbündels im Herzen, von den Zähnen ausgehend,
zurückführte.
») Vortrag, gehalten In der Wissenschaftlichen Herbsttagung des Zahnärztlichen
Vereins in Hamburg am 29. X. 1921. — •) Prof. Martin H. Fischer, Infektionen der
Mundhöhle und Allgemeinerkrankungen. Autorisierte deutsche Ausgabe, Dresden und
Leipzig
Ganz abgesehen von dem Denkfehler, daß die Beseitigung der
Infektionspforte noch einen Einfluß auf die entfernt liegende Meta¬
stase ausüben könnte, darf das Schwinden der arhytnmischen Er¬
scheinungen durch die Behandlung der Zähne wirklich nicht erklärt
werden.
Wie jeder Arzt weiß, ist nichts inkonstanter und wechselvoller
im Auftreten als Irregularitäten in der Herzschlagfolge.
Ferner Ulcusventriculi, Cholezystitis, Appendizitis,
Gelenkrheumatismus in den verschiedensten Formen,
klimakterische Beschwerden, Alterserscheinungen,
nervös hypochondrische Zustände, Arteriosklerose
und schließlich auch der Morbus Brigh*tii sind Krankheits¬
zustände, die nach Fischers Beweisführung nicht selten auf einen
Zahnabszeß oder Alveolarpyorrhoe zurückzuführen sind.
Er beruft sich dabei auch auf Untersuchungen von Wherry,
von dessen Patienten viele nicht bettlägerig waren und sich im
Krankenhaus wegen kleinerer Leiden auf Hielten. Manche von ihnen
wurden als Simulanten angesehen, einige litten an Autointoxi¬
kation, Migräne, chronischer Gicht oder Anämie. Viele,
wenn nicht alle, waren nach Ansicht der genannten Autoren Opfer
geringgradiger Allgemeininfektion von sehr chronischem Typus.
Wie aus meinem kurzen Referat schon hervorgeht, aber nochmals
betont werden soll, erklären sich Martin H. Fischer und viele
andere Autoren in Amerika den Einfluß der Zahuiufektionen auf
den Allgemeinzustand dadurch, daß sie annehmen, periodisch oder
dauernd gelangen von dem Infektionsherd am Zahn, und mag er
auch noch so Wein sein, Krankheitskeime, insbesondere Streptokokken,
in den Blutstrom und schaffen dadurch entweder Metastasen, d. h.
sekundäre Krankheitsherde, oder wirken durch ihre Toxine schädi¬
gend ‘ auf den Allgemeinzustand ein.
Der eben geschilderte pathologische Vorgang, der nach Fischers
Meinung zwischen Zahninfektiou und Gesamtorganismus bestehen
soll, entspricht nun der Begriffsbestimmung, die ich vor
Jahren der „Sepsis“ gegeben habe. Also mit anderen Worten,
die Zahninfektion soll zu einer septischen Erkrankung, und
zwar, wie aus Fischers Ausführungen weiter hervorgeht, zu einer
chronischen Sepsis führen.
Zweifellos, und solche Fälle sind uns im Laufe der Jahre bekannt
geworden, kann eine Infektion, die vom Zahn ausgeht, zu schweren
tödlichen Fällen von akuter Sepsis führen (Angina Ludovici,
Osteomyelitis). Sicher sind das aber Fälle, die außerordentlich selten
Vorkommen und für die die Beweisführung von Fischer überhaupt
nicht in Frage kommen kann.
Wie steht es nun aber mit der chronischen Sepsis, deren
Herd eine Infektion am Zahn sein soll?
M. D. und H.! Ich 1 ) habe, wie vorhin schon angedeutet, als
Erster darauf hingewiesen, daß der Begriff der Sepsis nicht
etwa in einer Vermehrung der Keime im strömenden Blut zu sehen
ist, sondern vielmehr dann, daß sich irgendwo im Körper ein Herd
bildet, von dem aus kontinuierlich oder in Intervallen Krankheitskeime,
etwa Streptokokken, in den Blutkreislauf gelangen unter Auslösung
von Krankheitserscheinungen. Ein derartiger Sepsisherd, wie icn
solche Krankheitsprozesse genannt habe, muß nun aber ganz beson¬
ders geartet sein. Es muß eine freie Verbindung mit dem Blutstrom
bestehen.
Wir finden Sepsisherde in der Form einer infektiösen Thrombo-
oder Endo-Phlebitis, einer Lymphangitis oder endlich von
bakteriellen Ansiedlungen im arteriellen System. Aber
nur, wenn größere Gefäßstämme von der Infektion befallen
sind, entwickelt'sich eine Sepsis.
Gewöhnliche Abszesse, wie sie u. a. die dentalen oder alveolaren
darstellen, sind im allgemeinen entweder durch ihre anatomische
Lage oder durch lokale Schutzeinrichtungen (Leukozyten- oder Granu¬
lationswall) von dem allgemeinen Saftstrom abgeschlossen, wenn es
sich nicht um große Infektionsherde handelt, und der dort ange¬
sammelte Eiter unter starkem Druck steht (Uterus, Gallenblase).
Es erhebt sich daher die Frage, ob überhaupt Krankheitsprozesse
•an den Zähnen beobachtet werden, welche die erforderlichen Eigen¬
schaften eines Sepsisherdes besitzen.
0 Hamburger Jahrbücher der Hamburger Staatskrankenanstalten 1914, Festschri t;
V erhandlung des 31. Deutschen Kongresses für Innere Medizin 1914.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSITV
182
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 6
Wie wir jetzt wissen, können zwar von jedem einfachen Abszeß
oder Infektionsherd irgendwo im Organismus vorübergehend spärliche
Keime in den Blutkreislauf gelangen. Also werden wir diesen Vor¬
gang ohne weiteres auch für gewisse entzündliche Affektionen an
den Zähnen annehmeu müssen. Wir werden als klinisches Zeichen,
wie ich eingangs schon hervorgehoben habe, Empfindlichkeit und
eventuell Drüsenschwellung in der Nachbarschaft des jeweilig infi¬
zierten Zahnes ansprechen dürfen. Hier handelt es sich aber sicherlich
in der Regel um einen lokalisierten harmlosen Prozeß, gewiß nicht
um den Krankheitsherd einer Sepsis, sei es auch in mildester Form.
Wenn mir auch eine persönliche Kenntnis der pathologisch¬
anatomischen Verhältnisse infektiöser Prozesse am Zahn fehlt, so
darf ich sagen, daß ein Infektionsherd in der Pulpa oder ein periostaler
Zahnabszeü niemalsdie Eigenschaften einesSepsisherdes
besitzen kann. Auch habe ich am Krankenbett nie eine chronische
Sepsis gesehen, bei der irgendein bakterieller Herd an der Zahn¬
wurzel oder in der Nachbarschaft als Sepsisherd anzusprechen ge¬
wesen wäre.
Bei der großen Zahl von Patienten, die ich mit schlechten
Zähnen auf meiner Klinik im Laufe langer Jahre zu beobachten
Gelegenheit hatte, mochte sie irgendwelche Krankheit sonst ins
Krankenhaus geführt haben, würden mir chronische septische Zu¬
stände, die in irgendeinem Zusammenhang mit den Zähnen hätten
gebracht werden können, nicht entgangen sein.
Als geradezu phantastisch muß ich folgende Worte von Fischer
bezeichnen, wenn er sagt: „Ich muß gestehen, daß ich ergriffen bin,
wenn die Blutaussaaten von Patienten, die nach sorgfältiger
klinischer Untersuchung nichts anderes als schlechte Zähne und
wundes Zahnfleisch zeigen, dichte Kolonien von Strepto¬
kokken aufweisen/*
Es würde zu weit führen, alle Gründe gegen Fischer hier
anzuführen. Nur Folgendes sei bemerkt:
Gestützt auf Untersuchungen Rosenows, sieht Fischer den
Streptococcus viridans, den ich vor vielen Jahren zuerst
gefunden habe, als einen der Hauptkrankheitserreger der vielen vorhin
aufgezählten Krankheitszustände an. Nach seiner Meinung findet
diese Streptokokkenart vielfach durch Zahninfektion Eingang in den
Organismus und führt auf metastatischem Wege zum Magen- und
Duodenalgeschwür, Gallenblasen- und Blinddarmentzündung usw. Eine
einwandfreie Begründung für diese universelle pathogenetische
Bedeutung des Streptococcus viridans auf embolischem Wege
im Sinne von Rosenow ist nicht erbracht.
Zugegeben, daß Zahninfektionen durch den Streptococcus viridans
hervorgerufen werden können, so würden sie von solchen Infektions¬
prozessen aus niemals annähernd in der Menge und in so langer
Dauer wie bei einer Sepsis im Blut zirkulieren. Man darf nicht
Infektionseingangspforte mit einem Sepsisherd verwech¬
seln, und eine Bakteriämie ist nicht als Kriterium der Sepsis
aufzufassen.
Es mag sein, daß der Streptococcus viridans, wie ich schon
sagte, gelegentlich einmal, von einer Infektion im Munde ausgehend,
in den Blutstrom gelangt und sich dann im Innern des Körpers
ansiedelt. So kann es vielleicht auf diese Weise zu derjenigen
Lokalisation des Streptococcus viridans kommen, die für Kliniker
die wichtigste ist und in der Tat eine chronische Sepsis darstellt,
nämlich die Endocarditis lenta 1 ).
Glücklicherweise sind die Fälle von Endocarditis lenta im Ver¬
gleich zu der großen Zahl von Krankheiten, die Fischer in Ab¬
hängigkeit bringt von Infektionen der Mundhöhle, außerordentlich
selten. Auch dürfte von diesen, wenn überhaupt, nur ein kleiner
Teil mit einer Zahninfektion in Zusammenhang zu bringen sein.
Die Pathologie aber gerade dieser Krankheit muß ich heranziehen,
um den Irrtum von Fischer und anderen Autoren zu beweisen.
Bei der in Rede stehenden Krankheit, die sich oft über Jahre
hin erstreckt und bei der, wie w i r gezeigt haben, dauernd der
Streptococcus viridans, oft in nachweisbarer Menge, im Blutstrom
sich findet, haben wir nicht ein einziges Mal die von Fischer
angeführten und vorhin aufgezählten Organerkrankungen auf emboli¬
schem Wege entstehen sehen, also selbst dann nicht, wenn er in
größerer Zahl und dauernd das Blutgefäßsystem durchkreist. Unsere
Erfahrungen also bei der chronischen Endocarditis lenta, hervor¬
gerufen durch den Streptococcus viridans, sind ein Hauptargument
gegen die Behauptungen Fischers.
Ferner, auf meiner Klinik sind im Laufe von Jahrzehnten gewiß
10 000 von bakteriologischen Blutuntersuchungen ausgeführt worden.
So oft wir irgendwelche Krankheitskeime aus dem Blut züchten
konnten, haben wir immer die Eingangspforte oder den Sepsisherd
nachweisen können. Niemals bildete ein Zahnabszeß die Quelle der
Bakteriämie.
Es liegen nun bakteriologische Untersuchungen über Zahninfek¬
tionen unter einwandfreier Benutzung aller notwendigen Kulturmetho¬
den überhaupt nicht oder nur in sehr beschränktem und der Erweite¬
rung bedürftigem Maße vor. Wir selbst haben begonnen, uns mit
dieser Frage zu beschäftigen. Auf Grund unserer bisher gewonnenen,
auch noch beschränkten Erfahrung kann ich soviel sagen, daß in allen
Fällen putrider Eiterung in der Zahnpulpa oder an der Zahn¬
wurzel an aerobe Baktenen gefunden werden. So haben wir ein¬
*) SchottmUller, M. ra. W. 1910Nr. 12 u. 13.
mal den Streptococcus putrificus, ein anderes Mal einen anaerob
wachsenden Staphylokokkus gezüchtet.
Aus der allgemeinen Pathologie wissen wir, daß überall da,
wo es im Körper zu einer putriden Infektion gekommen ist, in
der Regel anaerobe Bakterien die Erreger sind. Diese Erfahrung
haben wir also auch schon bei eitrigen Prozessen an den Zähnen
bestätigt gefunden.
Da sich Fischer ganz besonders auf die Untersuchungen von
Rosenow bezieht, sei dazu hier einiges gesagt. Eine Hauptstütze
sieht Rosenow für seine Auffassung der chronischen Infektion in
der Annahme, die er experimentell erwiesen haben will, daß es ver¬
schiedene Arten von Streptokokken nicht gibt, sondern die uns
begegnenden verschiedenen Wuchsformen auf eine Umwandlung ein
und derselben Streptokokkenart zurückzuführen sind.
So soll der Streptococcus viridans nur ein in seiner Virulenz
verminderter, gewöhnlicher Streptokokkus sein. Ich habe wiederholt
dargelegt, daß der sichere Beweis für diese Annahme noch aus¬
steht, und werde anderen Ortes auch weitere Belege dafür erbringen.
Ich sehe hier von der Beleuchtung der Frage vom rein bakteriologi¬
schen Standpunkt ab und weise nur nachdrücklichst auf die Tatsacne
hin, daß uns niemals, trotz der Beobachtung einer Unzahl von
Fällen, eine Umwandlung des Streptococcus pyogenes oder haemo-
lyticus in den Streptococcus viridans oder umgekehrt, in dem Kör¬
per des Kranken begegnet, noch im Tierversuch bei gleicher
Versuchsanordnung, wie sie von anderen Autoren (Institut Robert
Koch) geübt wurde, gelungen ist. So wenig, wie wir bisher eine
Mutation auf irgendwelchen Kulturnährböden erzielen konnten.
Zu welchen Konsequenzen der vorgetragene Standpunkt ameri¬
kanischer Aerzte nun führt, sei noch durch zwei Beispiele eigener
Erfahrung der allerletzten Zeit illustriert.
Eine Patientin, die lange Jahre von mir wegen neurasthenischer
Krankheitszustände behandelt worden war, siedelte nach Amerika
über. Wie mir mitgeteilt wurde, ist sie wegen der gleichen Be¬
schwerden wie hier auch drüben behandelt worden. Jetzt sind ihr
sämtliche Zähne entfernt worden, da sie die Wurzel des Uebels bei
ihr sein sollten, selbstverständlich ohne der Patientin den geringsten
Nutzen zu bringen.
Ein anderer Patient leidet seit 4 Monaten au septischem Fieber.
Die Quelle der dauernden Infektion des Blutes konnte bisher nicht
festgestellt werden. Wie sehr die Lehre Fischers auch in Deutsch¬
land schon Fuß gefaßt hat, geht daraus hervor, daß ein erfahrener
Kliniker nunmehr zur Extraktion mehrerer Zähne geraten hat, ohne
daß von zahnärztlicher Seite die geringste örtliche Erkrankung fest¬
estellt werden konnte. Selbstverständlich ist auch in diesem Falle
ie Extraktion ohne jeden Einfluß auf das Fieber geblieben. Die
gezogenen Zähne waren gesund.
Ich zweifle nicht, daß derartige Fälle außerordentlich oft Vor¬
kommen.
Die, wie ich dargelegt habe, auf falschen Prämissen begründete
Ansicht von Fischer und anderen Autoren hat bedauerlicherweise
zu einer, wie ich glaube, grundsätzlich falschen Behandlung geführt.
Es wird entgegen einer gesunden konservativen Therapie eine radi¬
kale gefordert, bestehend in der Beseitigung irgendwie infizierter
Zähne. Sagt doch Fischer wörtlich: „Der einzige Weg, aus den
jetzigen zahnärztlichen Schwierigkeiten herauszukommen, ist die Ex¬
traktion.“ —
Es sei mir hier noch eine kurze Abschweifung gestattet.
Auch Sie, m. D. und H., mehr noch vielleicht der in der allge¬
meinen Praxis stehende Arzt, der Internist und der. Chirurg werden
in meinen Ausführungen über die Beziehungen zwischen infektiösen
Zahn- und Allgemeinerkrankungen eine unverkennbare Analogie sehen
zu der Bedeutung, die von vielen Aerzten und Klinikern einem Organ
der Mundhöhle, nämlich den Mandeln, für innere Erkrankungen zu-
gemesseu wird. Manche führen fast alle die Krankheiten, die nach
Fischers Ansicht auf Zahninfektionen beruhe«, auch auf chronische
Infektionen der Tonsillen zurück. Daher die vielfach heute geübte
Tonsillektomie, ein nicht ungefährliches Operationsverfahren, dem
schon mancher Patient zum Opfer gefallen ist.
Daß man hier vielfach in denselben Fehler wie Fischer verfällt
und daß alles, was wir gegen Fischer haben Vorbringen müssen,
auch in bezug auf die extremen Mandeloperateure gesagt werden
kann, sei hier nur kurz gestreift. —
Um in meiner Kritik nicht das Gute, was meines Erachtens
Fischer in seinem Aufsatz bringt, unberücksichtigt zu lassen, will
ich hervorheben, worin ich mit ihm durchaus übereinstimme. Fischer
fordert, wie bei jedem Chirurgen, so auch beim Zahnarzt, strengste
Asepsis. Ich glaube, wenn ich recht unterrichtet bin, kann in
dieser Beziehung noch Wandel geschaffen werden. —
Wenn meine Ausführungen dazu beigetragen haben sollten, Ihnen
die Unrichtigkeit der amerikanischen Auffassung "zu beweisen und
Sie darin zu bestärken, weiter wie bisher, wo irgendwie angängig,
die Zähne zu erhalten, so dürfte meine Aufgabe erfüllt sein. Ich
glaube aber auch, daß es für jeden Arzt von großer Wichtigkeit ist,
um seine Patienten vor falschen Behandlungsmethoden zu schützen,
zu erfahren, wie wenig die radikale Behandlungsmethode der ameri¬
kanischen Aerzte Berechtigung hat.
Digitized by
Gck igle
Origiral frem
CORNELL UNIVERSITY
9 . Februar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
183
Aus der Medizinischen Universitäts-Klinik in Würzburg.
Ueber Beziehungen der Gewebe zur Diurese und über die
Bedeutung der Gewebe als Depots 1 ).
Von Prof. Dr. Noonenbrnch.
Die Zusammensetzung des Blutes ist beim Gesunden auf¬
fallend 'konstant. Nahrungs- oder Flüssigkeitszufuhr per os ver¬
mögen nur geringe Aeuderungen hervorzubringen, und nach intra¬
venöser Zufuhr von Wasser und gelösten bluteigenen Substanzen
stellen sich meist sehr rasch wieder die Ausgangswerte der Blut¬
zusammensetzung ein. Diese normale Zusammensetzung des Blutes
wird reguliert durch die Nieren und durch die Gewebe. Die Gewebe
sind dabei momentan viel wirksamer als die Nieren, sie bilden große
Reservoirs, die rasch große Mengen von Wasser und gelösten Sub¬
stanzen aufnehmen können und so das Blut vor einer Ueberladung
damit schützen. Die Nieren scheiden dann allmählich das vorläufig
in den Geweben deponierte Wasser oder die gelösten Substanzen-
aus. Diese Ausscheidung einer in den Geweben abgelagerten und
überschüssigen harnfähigen Substanz durch die Nieren kann so vor
sich gehen, daß der Blutspiegel dieser Substanz steigt. Dann kann
man die Diurese einfach mit dem vermehrten Gefälle zu erklären
versuchen, ln anderen Fällen bleibt aber diese Vermehrung im Blut
aus, ja es kommt sogar zu einem Sinken im Blut. Dann ist es nicht
recht ersichtlich, woher der Reiz zur Diurese kommt. Sicherlich ist
der Zustand der Gewebe für die Diurese von großer Bedeutung, und
das Plus oder Minus einer Substanz im Blut ist in erster Linie von
dem Gewebe abhängig und erst in zweiter Linie von der Niere.
Gibt man 1 Liter Wasser rasch zu trinken, so kommt es, wie vor
allem Veil (1) gezeigt hat, im Blut zu gar keiner oder nur zu einer
sehr geringen Vermehrung des Wassers, ja häufig genug wird das
Blut sogar eingedickt, während gleichzeitig der Liter Wasser durch
die Nieren ausgeschieden wird. Hydrämie und Diurese gehen also
nicht zusammen. Dagegen ist der Ablauf des Wasserversuches in
hohem Grade abhängig von dem Zustande der Gewebe. Ist der
Wassergehalt der Gewebe durch trockene Vortage reduziert, so wird
das Wasser am Wasserversuchstage zurückgehalten im Gewebe. Dar¬
auf hat Siebeck (2) schon Vorjahren aufmerksam gemacht für die
Beurteilung des Wasserversuches beim Menschen, und Oehme (3)
hat jüngst über Versuche am Kaninchen berichtet, bei denen einmal
mit trocken gefütterten und einmal mit naß gefütterten Tieren ein
Wasserversuch angestellt wurde. Oehme fand dabei, daß der ver¬
schiedene Ausfall des Wasserversuches im Blut keine Unterlage
hatte. In beiden Fällen wurde das Serum der Kaninchen hydrämisch,
und die Blutmenge stieg an, aber nur bei den Tieren mit der feuchten
Vorperiode kam es zur Diurese. Oehme hat eingehend versucht
festzustellen, was bei den naß gefütterten Tieren anders ist und wo¬
durch sich die Niere jedesmal so entsprechend in den gesamten
Wasserwechsel einordnet. Weder Unterschiede in der Blutmenge und
Blutzusammensetzung, noch nervöse und hormonale Einflüsse konnten
eine Erklärung für dieses differente Verhalten abgeben, und Oehme
suchte die Ursache schließlich in dem Verhalten der Niere selbst,
in welcher, genau so wie in den übrigen Körpergeweben, je nach
Stoffwechsel der Vorperiode Veränderungen eintreten, von denen
ihre Reaktionsweise abhängt.
Die Divergenz zwischen Hydrämie und Diurese ist auch sonst
vielfach beobachtet worden und findet sich wohl zuerst in Versuchen
von Stariing (4) und von Magnus (5) erwähnt, in denen zwar im
allgemeinen die Diurese der Hydrämie folgte, aber zuweilen auch die
Diurese trotz Fortbestehens der Hydrämie aufhörte oder umgekehrt
noch fortdauerte, wenn das Blut schon wieder konzentrierter ge¬
worden war als in der Norm.
Die Bedeutung der Gewebe für die Regulation der Blutzusammen¬
setzung läßt sich besonders deutlich zeigen, wenn man die Nieren
entfernt. Ich habe je einem normalen und einem kurz vorher ent¬
werten Kaninchen je 40 ccm Ringerlösung in die Vene einlaufen
lassen und fortlaufend das Blut kontrolliert. Dabei zeigte sich, daß
das Wasser und Chlor bei beiden Tieren gleichschnell aus dem Blut
hinauslief. Nach 2 Stunden war in beiden Fällen wieder die Aus¬
gangszahl der roten Blutkörperchen und der Kochsalzwerte erreicht.
Bei dem normalen Kaninchen wurde das Wasser und Kochsalz
durch die Nieren ausgeschieden, nachdem es vorher zum . größten
Teil die Gewebe passiert hatte, bei dem entnierten Kaninchen ging
aber das ganze Wasser und Kochsalz in die Gewebe und wurde zu¬
nächst dort festgehalten, aber nicht, weil die Gewebe eine besondere
Affinität zum Wasser hatten, sondern weil die Niere fehlte, um die
Gewebe zu entwässern. Sehr ähnlich wie beim Wasser und Koch¬
salz können die Verhältnisse auch mit dem Harnstoff und anderen
Substanzen sein.
Das Verhalten des Harnstoffs habe ich von dfesem Gesichts¬
punkte aus einer Untersuchung unterzogen (6). Auch hier zeigte sich,
entsprechend den früheren Angaben von Monakow (7), daß das
Hauptdepot von überschüssigem Harnstoff in den Geweben liegt.
Nach intravenöser Injektion von Harnstoff verschwindet dieser rasch
in den Geweben, und der Harnstoffgehalt des Blutes kann sogar,
wenigstens vorübergehend, wieder normal werden, trotzdem noch viel
Harnstoff im Körper retiniert ist
*) Nach einem Vortrag in der Medizinisch-physikalischen Gesellschaft am 9. VI. 1921.
Bei ungenügender Stickstoffausscheidung durch die Nieren — sei
es infolge von Oligurie oder infolge einer renalen Insuffizienz der
Stickstoffausscheidung — treten in erster Linie die Gewebe als De¬
pots für den retinierten Stickstoff ein, und erst später braucht der
Reststickstoff im Blut anzusteigen.
Von Interesse scheint mir in diesem Zusammenhang auch ein Ver¬
such zu sein, den ich mit einer blut- und gewebefremden Substanz,
nämlich dem Milchzucker, bei einem entnierten Tier anstellte. Der
Milchzucker wird bei seiner parenteralen Einverleibung vom Nor¬
malen bekanntlich quantitativ durch den Urin ausgeschieden, weil
der Körper ihn nicht verwerten kann (F. Voit). Idi injizierte nun
einem entnierten Kaninchen 10 ccm 20o/ 0 ige Milchzuckerlösung intra¬
venös und fand, daß 3 Stunden nach der Injektion wieder der Aus¬
gangswert des Blutzuckers hergestellt war. Es war also anscheinend
der ganze Milchzucker in die Gewebe gegangen. Dort wurde er
festgehalten, aber wieder nicht wegen einer besonderen Affinität der
Gewebe zu Milchzucker, sondern weil die Niere fehlte, um den Ge¬
weben den Milchzucker zu nehmen.
Es kann also zu einer Ablagerung von Wasser, Milchzucker und
Harnstoff in den Geweben kommen, ohne daß die Affinität der Ge¬
webe für diese Substanzen besonders vermehrt zu sein braucht. Wie
lange die Gewebe die deponierten Substanzen zurückhalten, hängt
in diesem Falle von dem Zustande der Niere ab. Die Ausscheidung
erfolgt, ohne daß es zu einem Ansteigen der Substanzen im Blut
kommen muß. Es zeigt sich, welchen Einfluß der Zustand der Ge¬
webe auf die Niere hat, wobei zunächst noch offenbleiben soll, in
welcher Weise die Vermittlung zwischen Gewebe und Niere statt¬
findet.
Daneben gibt es aber auch Zustände, wo namentlich Wasser und
Kochsalz in den Geweben zurückgehalten werden, aber nicht wegen
primär gestörter Nierenfunktion, sondern wegen einer erhöhten Affini¬
tät der Gewebe für diese Substanzen. Diese Frage spielt namentlich
für die Entstehung der Oedeme und für die Genese der Gicht eine
Rolle. Auf die Gichtfrage will ich nicht eingehen. In der Oedem-
frage stehen sich immer noch zwei Anschauungen gegenüber. Die
eine möchte die Ursache in einer Funktionsstörung der Niere sehen,
sodaß diese das Wasser und Kochsalz schlecht ausscheidet. Dadurch
soll primär eine Hydrämie entstehen, die dann sekundär zu einem
Ueberlaufen des Wassers in die Gewebe führt. Die andere, heute
viel geläufigere Anschauung sucht die Ursache der Oedeme in den
Geweben selbst, die mehr Wasser binden als normal. Namentlich
unter dem Einfluß der Untersuchungen Eppingers über die Wir¬
kung der Schilddrüse auf den Wasser- und Kochsalzstoffwechsel in
den Geweben haben diese Anschauungen an Raum gewonnen.
Eppinger (8) wies nach, daß die Schilddrüse von wesentlichem
Einfluß auf den Wassergehalt der Gewebe ist, ein Gleiches wies
Pohle (91 an dem Betheschen Insitut für die Hypophyse nach, und
Erich Meyer und Meyer-Bisch (10) zeigten am Hund mit
Ductus thoracicus-Fistel, daß durch Pituglandol eine Abnahme des
Lymphflusses mit Verminderung des Eiweißgehaltes eintrat, und be¬
wiesen den Einfluß des Hypophysenhinterlappensekretes auf die
Gewebe.
Aus meinen Darlegungen glaube ich schließen zu
dürfen, daß eine gestörte Wasser- und Salzausschei¬
dung durch die Nieren bei intakter Gewebsf unkti o n
zunächst keine hydrämische Plethora macht, da die
Gewebe einen Ueberschuß vön Wasser und Kochsalz
aus dem Blut rasch entfernen. Auch bei. entnierten Tieren
gehen Wasser und Salz, intravenös gegeben, quantitativ in die Gewebe
über. Es könnte also eher umgekehrt eine hydrämische Plethora erst
die Folge der Wasser-Salzretention in den Geweben werden. Diese
ganzen Verhältnisse sind aber wohl nicht so einfach im Rahmen einer
Bilanz zu erklären. Oft mag eine renale Wasser- und Salzretention
bei der Oedembildung mitspielen, aber die Hauptsache ist diese nicht,
wie vor allem die vielen Fälle von Oedemen bei intakter Nieren¬
funktion zeigen.
Die Hauptursache der Oedembildung liegt in dem
Zustand der Gewebe selbst und in dem Zustand der
Gefäße.
Die Gewebe halten Wasser und Kochsalz zurück. Dabei ist viel¬
leicht zum Teil, wie es M. H. Fischer meinte, das eigentliche Zell¬
eiweiß stärker gequollen, vor allem aber wird das Wasser in den
Oewtbsmaschen zurückgehalten, auch hier vielleicht als Quellungs¬
wasser des Eiweißes (Eppinger). Die Gewebe ziehen dabei das
Wasser oft energisch an (Quellungsdruck Ellingers), und das
Blut kann im Stadium dieser starken Oedemtendenz sogar arm an
Wasser und eingedickt werden. Ich habe schon vor Jahren über
solche Fälle von eingedicktem Blut bei bestehendem Oedem be¬
richtet (11) und kürzlich wieder einige neue Fälle hinzugefügt (12).
Die starke Neigung zum Wasserabstrom in die Gewebe zeigt sich
beim Oedematösen oft besonders deutlich beim Wasserversuch, der
zu einer erheblichen Eindickung des Blutes in solchen Fällen führen
kann, und zwar auch wenn der Wasserversuch nicht erledigt wird.
Solche Beobachtungen von konzentriertem Blut bei bestehendem
Oedem sind besonders beweisend für die extra renale Oedemgenese.
Meist findet man das Blut bei bestehendem Oedem verdünnt, hy-
drämisch. Das Blut ist dann auch ödematos und hält ebenso wie
die Gewebe Wasser zurück. In einem Versuch habe ich ein Kaninchen
mit Uran vergiftet und zunächst trocken gefüttert. Das Blut blieb
ziemlich unverändert. Am 3. Tag gab ich dann mit der Schlund¬
sonde 100 g physiologische Kochsalzlösung und verfolgte fortlaufend
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSUM
184
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 6
die Blutkonzentration. Es trat ein starkes Oedem ein, an dem sich
von Anfang an auch das Blut beteiligte. Es war kein Stadium der
Bluteindickung zu beobachten.
Auch bei guter Diurese kann die Hydrämie des Blutes fort-
bestehen, und eine Wasserzulage kann prompt ausgeschieden werden,
ohne daß sich die Hydrämie ändert. Die Hydrämie ist dann also
kein Zeichen, daß die Niere schlecht Wasser ausscheidet. Diese kli¬
nische Beobachtung hatte mich schon vor Jahren (13) zu dem Schluß
eführt, daß die Bindung des Wassers im Blut ausschlaggebend sein
ürfte für die Bereitschaft zur Ausscheidung, eine Annahme, die durch
die Untersuchungen Ellingers (14) über die Förderung der Ultra¬
filtrierbarkeit des Serumwassers durch Zusatz von Koffein sowie seine
Viskosimeteruntersuchungen (15) über den Quellungszustand der
Serumeiweißkörper eine experimentelle Unterlage gefunden hat.
Wir haben die Bedeutung der Gewebe für die Diurese kennen-
elemt. Diese sind, wie Eppinger (16) sagt, das Quellgebiet, aus
em der Fluß der Diurese schöpft. Der unmittelbare Reiz, der die
Niere zu der zweckmäßigen Einordnung in den Gesamthaushalt bringt,
mag, wie Oe hm e meint, in dem Zustand der Niere selbst liegen,
die einen Teil „Gewebe 44 bildet. Quantitative Veränderungen der
Blutzusammensetzung müssen als unwichtig für die Regelung der
Diurese abgelehnt werden, und all die unendlich mühseligen Einzel¬
untersuchungen haben hier im wesentlichen ein negatives Resultat
gehabt. Hormonale und nervöse Beziehungen zwischen Geweben und
Niere wurden durch Oehme ausgeschlossen. Welchen Einfluß even¬
tuell die Bindung der einzelnen Substanzen im Blut auf die Diurese
hat, muß noch weiter untersucht werden. Manches deutet auf solche
Einflüsse hin.
Bei den Diuretika müssen wir neben ihrer Nieren¬
wirkung auch ihre Wirkung auf die Gewebe und auf
das Blut Verfölgen. Für die Diuretika der Purinreihe
und für das Novasurol hat sich ergeben, daß sie in
anz typischer Weise in den Wasser- und Kochsalz¬
estand des Körpers eingreifen, indem sie Wasser
und Kochsalz in den Geweben mobilisieren und zur
Ausscheidung bringen. Im Blut braucht sich dieser Transport
nicht bemerkbar zu machen. Ist der Körper durch vorhergehende
kochsalzarme Kost, durch Schwitzen oder durch eine erste Purin¬
gabe schon wasser- und kochsalzarm gemacht, so bleibt die Purin¬
wirkung aus, das stärker wirkende Novasurol vermag auch dann noch
weiter zu entwässern und entchloren (17). Zusammen mit der
Entwässerung und Entchlorung der Gewebe geht häu¬
fig eine Konzentration des Blutes einher mit abso¬
luter Vermehrung des Bluteiweißes, wie ich es be¬
sonders nach Theophyllin und Euphvllin, aber auch
nach Novasurol nachweisen konnte (18). Hier haben die
Untersuchungen von Mever-Bisch (19) sehr wertvolle Zusammen¬
hänge ergeben. Er fand, daß mit einer vermehrten Wasser- und
Eiweißretention in den Geweben mit Anstieg des Körpergewichtes,
wie er sie nach Injektion sehr kleiner Mengen als Lymphagoga be¬
kannter Substanzen erzielte (z. B. 2,0 ccm 10o/ 0 ige NaCI-Lösung i. v.),
die Ductus thoracicus-Lymphe an Menge nicht zunahm und an Ei¬
weiß abnahm, daß also auch hier Wasser und Eiweiß unabhängig
voneinandei sich änderten. Dabei wurde das Blut gleichzeitig ver¬
dünnt, während in anderen Fällen, wo auf diese Injektionen eine Ent¬
wässerung stattfand, die Blutkonzentration anstieg.
1. D. Arch. f. klin. M. 113 u. 119. - 2. D. Arch. f. klin. M. 128, S. 173. - a Arch. f.
exper. Path. u. Pharm. 89, S . 301. - 4. Journ. of phlsiol. Nr. 24. — 5. Arch. f. exper. Path.
u. Pharm. 44.-6. Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 89, S.200. — 7. D. Arch. f. klin. M. 122. —
8. Zur Pathologie und Therapie des menschlichen Oedems Berlin 1917. — 9. Plüg. Arch.
182. - 10. D. Arch. f. klin M. 137, S. 229.- 11. D. Arch. f. klin. M. 122, S. 402. - 12. D. Arch.
f. klin. M. 136, S. 170. — 13. D. Arch. f. klin. M. 122, S.403. — 14 Verh. Naturforscher u. Aerzte-
tag Nauheim 1920. — 15. Verh. D. pharm. Ges. Freiburg 1921. — 16. Ther. d. Gegenw. 1921
MMrzheft. - 17. M. m. W. 1921 S. 128. - 18. Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 91, S. 332. -
19. Zschr. f. d. ges. exper. M. Nr. 24 S. 388.
Aus der Medizinischen Universitätspoliklinik in Königsberg.
Erfahrungen mit Vitaltuberkulin.
Von Dr. E. Tancrä.
Die im Nachfolgenden mitgeteilten Erfahrungen über das von
Selter 1 ) angegebene Vitaltuberkulin sind das Ergebnis mehrmonatiger
ambulant durchgeführter Behandlung an 50 tuberkulösen Patienten.
Bei der relativ kurzen — lOmonatigen — Behandlungszeit kann ein
therapeutischer Effekt, der auf die Vitaltuberkulinbehandlung zurück¬
zuführen wäre, hier nicht diskutiert werden, doch ist der allgemeine
Eindruck, den ich bis jetzt auf Grund v0u über 900 Einzelinjek-
tionen erhalten habe, günstig. Jedenfalls kann ich sagen, daß der
therapeutische Effekt nicht schlechter ist als derjenige, den man bei
der Verwendung anderer Tuberkuline zu sehen gewohnt ist, meinem
Erachten nach ist er sogar sichtbar besser. Der Zweck der
vorliegenden Arbeit soll vorerst sein, die völlige Unschädlichkeit des
Mittels, seine gute Verträglichkeit, die Dosierung, die Technik der
von mir geübten Behandlung mittels einer immerhin beachtenswerten
Zahl von Patienten darzutun; ferner auf Grund der hierbei gewonnenen
Erfahrungen allgemeine Richtlinien für die Behandlung mit Vitaltuber¬
») Selter, D. m. W. 1921 Nr. 19.
kulin sowie Anregungen zum weiteren Ausbau der Behandlungstechnik
des Präparates zu geben. Ueber die Heilwirkung des Mittels wird
später nach einer genügend langen Behandlungs- und Beobachtungs¬
zeit berichtet werden.
Auf Grund von umfangreichen Immunisierungsversuchen, die sich
zuin Teil auf die Nachprüfung der Ergebnisse früherer Autoren er¬
streckten, war'Selter zu dem Ergebnis gelangt, daß eine Immuni¬
sierung von Meerschweinchen gegen eine tuberkulöse Reinfektion
mittels der bisher gebräuchlichen Präparate aus abgetöteten Tuberkel¬
bazillen oder lebenden säurefesten Bakterien nicht erreichbar ist. Bei
der Vorbehandlung der Tiere mit einigen dieser Präparate (M.Tb.R.,
Friedmann) hatte Selter 1 ) sogar den Eindruck, daß die Vor¬
behandlung mit diesen Mitteln einen schädigenden Einfluß auf die
Tiere ausübte. Diese immunisatorisch negativen Versuchsergebnisse
bei Verwendung abgetöteter Tuberkelbazillen führten Selter in
seinen weiteren Immunisierungsversuchen zu der Verwendung leben¬
dem Materials. Er verwendete in der Folgezeit lebende humane, in
ihrer Virulenz abgesdiwächte Tuberkelbaziilen und stellte aus diesen
zwei Präparate — die Bazillenemulsion und das Vitaltuberkulin — her,
deren Gewinnung und Zusammensetzung weiter unten dargelegt
werden soll.
Diese Präparate entfalteten im Meerschweindienversuch eine mäch¬
tige Wirkung. Mit ihnen konnte Selter in ausgedehnten Versuchs¬
reihen eine Immunisierung erzielen: Die Meerschweinchen blieben
nach Vorbehandlung mit diesen Präparaten gegen eine nachfolgende
Infektion mit tödlichen Dosen virulenter Tuberkelbaziilen geschützt,
wobei in einigen Fällen eine ganz schwache Infektion, eine latente
Tuberkulose der Meerschweinchen nachgewiesen werden konnte Eine
Sterilisierung dieser Präparate durch schwache Karbolsäure hob die
Wirkung im Tierkörper auf.
Auf Grund dieser günstigen Ergebnisse des Tierversuches empfahl
Selter das Vitaltuberkulin zur Therapie beim Menschen.
Die Herstellung des Vitaltuberkulins, dessen Fabrikation von
den Sächsischen Serumwerken übernommen ist, war folgende: Bei
seinen Immunisierungsversuchen mit lebenden humanen Bazillen hatte
Selter durch Ueberimpfung in 7wöchigen Zwischenräumen und die
damit verbundene Abschwächung der Virulenz nach längerer Zeit eine
Kultur erhalten, die sich im Achatmörser im lebenden feuchten Zu¬
stande fast völlig verreiben ließ. Er erhielt so ein Präparat, in wel¬
chem alle Bazillenstoffe mit Ausnahme ihrer vollen Virulenz in vitaler
Form vorhanden sein mußten. Neben dem Bazillenprotoplasma waren
noch einige lebende Bazillen nachweisbar. Die älteren Generationen
der 7 Wochen alten Kulturen zeigten insofern ein anderes Verhalten
wie die jüngeren, als bei längerem Verreiben im Achatmörser die
Bazillenhülle gesprengt und das Protoplasma frei wurde. Beim Ver¬
reiben jüngerer feuchter Kulturen im Achatmörser wurden zwar die
Bakterien voneinander getrennt, die Bazillen selbst aber nicht zer¬
trümmert, sodaß eine reine Emulsion von abgeschwächten lebenden
Bazillen zurückblieb. Bei älteren Kulturen dagegen entstand ein Prä-
arat, das nur noch vereinzelte abgeschwächte lebende Bazillen ent-
ielt — das Vitaltuberkulin. Dieses ist soweit aufgeschlossen, daß
1 mg Kulturmasse im ganzen etwa 250 000 bis 300 000 lebende Bazillen
enthält, während auf 1 mg frischen Kulturrasens mindestens eine Mil¬
liarde Bazillen kommen.
Es enthält also das Vitaltuberkulin aufgeschlossenes Bakterien¬
protoplasma, wenige lebende humane, in ihrer Virulenz abgeschwächte
Tuberkelbaziilen und Tuberkulin.
Die Unschädlichkeit der Bazillenemulsion für den Menschen er¬
wies Selter zunächst durch einen Selbstversuch. Er injizierte sich
selber subkutan eine große Menge (10 mg) der Emulsion. Es entstand
unter mehrtätigem Fieber ein etwa nußgroßer kalter Abszeß, der die
Haut durchbrach und nach einigen Wochen mit einer festen, weißen
Narbe gänzlich verheilte. Irgendwelche Schädigungen traten nicht auf.
Von mir sind beide Präparate therapeutisch verwendet worden,
und zwar die Emulsion nur an einer kleinen Zahl (8 Patienten), das
Vitaltuberkulin, wie eingangs erwähnt, an 50 Patienten.
Bei der therapeutischen Verwendung des Präparates wich ich
bewußt von dem Schema der bisher meistens geübten Tuberkulin-
behandlung ab. Mitbestimmend hierfür war für mich die durch die
neueren Untersuchungen erwiesene Tatsache, daß Tuberkulin nicht
als Antigen, d. h. immunisierend, im Körper zu wirken vermag. Ich
stellte mich auch klinisch auf den Standpunkt Selters und sehe in
der Tuberkulin Wirkung nur eine allgemeine Reizwirkung auf das
allergische Körnergewebe des tuberkulös Erkrankten, wobei unter
Allergie die Umstimmung des Körperzellgewebes, das damit für
Tuberkulin empfindlich wird, zu verstehen ist. Es wirkt das Tuber¬
kulin also auf das gesamte Zellgewebe des Körpers, reizt es, bringt
es zur Entzündung und löst so Reaktionen aus, die auf diesem Wege
eine Heilung zu erzielen vermögen. Von diesen Gesichtspunkten aus
war es das Ziel meiner Behandlung, die Allergie des Körpers durch
seltenere Injektionen des Präparates in kleinen Dosen zu reizen, die
gewissermaßen die Abwehrmaßnahmen des Körpers stärken, nicht
also die Hervorrufung einer Anergie durch häufige Injektionen stei¬
gender größerer Dosen des Präparates. Demzufolge war die von mir
geübte Behandlung streng individualisierend, ich stellte cs mir
zur Aufgabe, durch die Injektion kleiner — beginnend mit 0,0002 mg —,
gering ansteigender Dosen in 8- bis lOtägigen Intervallen das Opti¬
mum der „Reizschwelle 44 bei jedem Patienten herauszufindeu und
diese Dosis dann, später vielleicht etwas ansteigend, mehrfach in den
l ) Selter, Zechr. f. Hyg. 1921.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
9. Februar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
185
gleichen Intervallen zu injizieren. Dieses Reizoptimum wurde fest¬
gestellt aus den Angaben der Patienten über das Auftreten von allge¬
meinem Unbehagen, Schmerzen oder Fiebereaktionen im Verlauf der
ansteigenden Injektionen. Trat eine dieser Erscheinungen auf, so
wurde bei der festgestellten letzten Dosis stehengeblieben und diese
wiederholt, in 8- bis lOtägigen Intervallen, injiziert. Nach einer etwa
8wöchigen injektionslosen Zwischenzeit wurde die Injektionsreihe in
derselben Weise wiederholt. Als geeignete Orenzdosis bei leichten
und mittelschweren Fällen erwies sich mir 0,1 mg, doch bin ich in
einzelnen Fällen wesentlich höher, bis zu 1 mg, gestiegen, in anderen
FaHen wieder genügten 0,07 mg.
Die im Präparat befindlichen lebenden Bazillen lösten Erschei¬
nungen lokaler Natur an der Injektionsstelle nicht aus. Die geringe
Zahl derselben bleibt reaktionslos liegen, sie werden langsam abgebaut
und verstärken die immunisatorischen Vorgänge im Organismus.- In
demselben Sinne wirkt das aufgeschlossene Bakterienprotoplasma des
Vitaltuberkulins, das die gesamten Stoffe der Tuberkelbazillen in
vitaler Form enthält. Durdi diese Aufschließung wird es leicht in
schonender Form für den Körper resorbiert und erspart hierdurch
dem Körper die Arbeit des Aufschließens der lebenden Bazillen.
Die Kranken, denen das neue Mittel zugutekommen sollte, stellten
das gewöhnliche Tuberkulosematerial einer Poliklinik dar. Um zu¬
nächst die allgemeine Wirkung des Präparates auf alle Formen der
Tuberkulose festzustellen, wurden fast ohne Unterschied alle Krank¬
heitsstadien, leichte, mittelschwere und auch schwere Fälle, der Be¬
handlung nach den obigen Gesichtspunkten unterzogen.
Mit der lebenden Bazillenemulsion wurden im ganzen nur acht
Patienten behandelt. Es zeigte sich, daß zwar die Injektion ganz
niedriger Dosen, beginnend mit 0,0002 mg, relativ gut vertragen
wurde; jedoch bei geringem Ansteigen der Dosis wurden ganz un¬
vermittelt starke Reaktionen ausgelöst, die zu heftigen allgemeinen
Reaktionen, Fiebersteigerungen bis 39° von 8- bis 14tägiger Dauer
und Herdreaktionen führten, sodaß man das Präparat auch bei vor¬
sichtiger Dosierung nicht in seiner Macht hatte. An der Injektionsstelle
bildete sich bei 6 ( von 8 Fällen und Dosen über 0,1 mg ein pflaumen¬
großer, weicher Abszeß, der zu Fistelbildung führte und unter Hinter¬
lassung einer weißen, festen Narbe ausheilte. Wegen dieser geschil¬
derten Aktivität des Präparates wurde von einer weiteren Verwendung
desselben Abstand genommen.
Mit dem Vitaltuberkulin wurden im ganzen 50 Patienten
behandelt. Unter diesen befanden sich 46 Lungentuberkulose, 3 Nieren-
Blasentuberkulösen, eine Hodentuberkulose. Die Lungenkranken waren
gleichfalls in allen Stadien der Erkrankung; entsprechend war der
Ernäjirungs- und Kräftezustand. Bei sämtlichen Patienten waren Tu¬
berkelbazillen nachgewiesen. 3 Patienten hatten vor Eintritt in die
Behandlung Hämoptysen, 2 waren mit exsudativer Pleuritis, 6 mit
Kehlkopftuberkulose kompliziert. Die Nieren- und Hodentuberkulosen
waren sichere, doch nicht fortgeschrittene Fälle.
Die Behandlung wurde bei allen Patienten ambulant durchgeführt,
wobei die Mehrzahl der Patienten ihrer gewohnten Beschäftigung
nachging, auch die äußeren Lebensbedingungen der Ernährung und
der Wohnung blieben unverändert. Nach den ersten vorsichtig dosier¬
ten Injektionen mit Vitaltuberkulin zeigte es sich, daß das Präparat,
im Gegensatz zu der Bazillenemulsion, recht gut vertragen wurde.
Lokale Veränderungen an der Injektionsstelle wurden bis auf gelegent¬
liche schnell vorübergehende Infiltrationen der Subkutis nicht be¬
merkt. Unerwartete Fieberreaktionen traten nur in der ersten Zeit
infolge zu hoher Anfangsdosierung auf, die später völlig vermieden
werden konnten. Wir hatten den Eindruck, daß die Machtfülle des
Präparates im Vergleich zu dem Alttuberkulin größer ist und
infolgedessen eine niedrigere Dosierung erheischte. Unter Berück¬
sichtigung dieses wurden in der Folgezeit stärkere Allgemeinreak¬
tionen nicht mehr bemerkt.
Längenbluten trat bei keinem der Patienten während der Behand¬
lung auf, auch nicht bei den Patienten, die vorher Hämoptysen über¬
standen hatten. Verschlechterung des Allgemeinzustandes im An¬
schluß an eine Injektion konnte bei keinem Patienten, auch nicht bei
den Kranken mit Komplikationen (Pleuritis, Kehlkopftuberkulose) beob¬
achtet werden. Die Injektionen an den Nieren- und Hodentuberkulösen
verliefen gleichfalls ohne nachweisbare Schädigungen allgemeiner oder
lokaler Natur.
Die Dosierung des Präparates wurde auf Grund von über
900 Einzelinjektionen wie folgt festgelegt: Das Vitaltuberkulin wird
von den Sächsischen Serumwerken injektionsfertig in Ampullen ge¬
liefert, die in 4 Serien, zu je 4 Injektionen in einem Karton gepackt,
verwendet werden. Serie I enthält 4 Ampullen in Stärke von 0,0002
bis 0,001 mg; Serie 2 von 0,002 bis 0,01 mg; Serie 3 von 0,02 bis
0,1 mg; Serfe 4 von 0,1 bis 1,0 mg. Die Ampullen haben eine be¬
schränkte Verwendungszeit (etwa 6 Monate); der Verfallstermin ist
auf jedem Karton vermerkt. Jede Ampulle ist vor dem Gebrauch
kräftig zu schütteln. Die Injektionsspritze ist vor ihrer Verwendung
nicht mit Alkohol, wegen seiner desinfizierenden Kraft auf die leben¬
den Bazillen, in Verbindung zu bringen. Außer diesen Injektionsreihen
wurden auf meinen Wunsch noch Reserveampullen zu 0,1 mg und
1,0 mg geliefert.
, Der Gang der Behandlung ist folgender: Es werden in auf-
steigender Dosis bei 8- bis lOtägigem Injektionsintervall die Serien 1,
2, 3 usw. eingespritzt. Treten die oben dargelegten allgemeinen
Symptome (Unbehagen, stärkerer Husten, Schmerzen, Fieber) auf, so
winf die letzte Injektionsdosis mehrmals in gleichen Intervallen wieder-^
Mt, evtl, später noch etwas in der Dosis angestiegen. Nach meinen *
Erfahrungen pflegt dies am häufigsten bei 0,1 mg einzutreten; die
Ampullen dieser Stärke werden daher als Reserveampullen mitge¬
liefert. In gleicher Weise verfährt man bei höheren Dosen, wo
Reserveampullen zu 1,0 mg zur Verfügung stehen. Da die Reaktions¬
breite bei den verschiedenen Formen der Tuberkulose unter sich un¬
gleich ist, so hat man selbstverständlich vielfach zu variieren.
Die Anwendung des Präparates durch, die Ampullenform ist recht
bequem; die Sterilität ist immer bewahrt, das Anstellen von zeitrauben¬
den Verdünnungen fällt fort.
Zosammeofassend möchte ich hervorheben, daß nach meinen an
über 900 therapeutischen Einzelinjektionen gemachten Erfahrungen
irgendwelche Widerstände oder Kontraindikationen gegen die Ver¬
wendung abgeschwächter lebender humaner Tuberkelbazillen beim
tuberkulösen Menschen nicht bestehen, daß über 900 ausgeführte
Einzelinjektionen keine Schädigungen ergeben haben. Im Gegenteil
war die Verträglichkeit des Mittels außerordentlich gut, sodaß
das Präparat bei der theoretisch und experimentell guten Begründung
weitgehende Beachtung und Anwendung verdient.
Aus der Universitäts-Hautklinik in Breslau.
(Direktor: Geh.-Rat Jadassohn.)
Experimentelle Untersuchungen über die Kontagiosität
des Lupus vulgaris.
Von Dr. Koorad Barcbardl in Baden-Baden,
ehemaliger Assistent der Klinik.
im Jahre 1913 hat Stern (1) aus der Düsseldorfer Hautklinik
Versuche veröffentlicht, welche er angestellt hat, um über die Konta¬
giosität des Lupus vulgaris ein Urteil zu gewinnen. Stern ging bei
seinen Versuchen so vor, daß nach gründlicher Abreibung der lupösen
Haut mit Aetheralkohol, wodurch etwa vorhandene Krusten entfernt
wurden, das austretende Sekret und möglichst etwas oberflächliches
Gewebe mit einem stumpfen Löffel abgeschabt, dieses, soweit tunlich,
ohne Blutbeimengungen gewonnene Material mit physiologischer
NaCl-Lösung verrieben und von dieser Sekret-Gewebe-Kochsalz-
mischung Meerschweinchen etwa 1—2 ccm subkutan in die Leisten¬
beuge injiziert wurden. — Mit dieser Versuchsanordnung konnte
Stern in 11 von 16 Fällen, also in 68,7<y<>, einwandfrei vollvirulente
Tuberkelbazillen nachweisen. Aus diesem Befund von Tbc. in den
oberen Schichten der lupuserkrankten Haut schließt Stern, daß
Lupuskranke ein beachtenswerter Faktor bei der Ausbreitung der
Tuberkulose sind; er weist besonders auf die große Gefahr hin,
welche Kranke mit ulzeriertem Lupus für ihre Umgebung bilden.
Außerdem aber glaubt er auf Grund seiner Versuche, „daß die
Ausbreitung des Gesichtslupus in der überwiegenden Mehrzahl durch
Autoinokulation erfolgt“. Auf die letzte Frage will ich hier nicht
näher eingehen; ich möchte nur betonen, daß das gewiß vorkommt,
daß doch aber auch solche Fälle von Lupus sich sowohl per con-
tiguitatem als auch diskontinuierlich in der Umgebung ausbreiten,
die immer gut überhäutet gewesen sind, bei denen also an eine
äußere Bazillenverschleppung wohl nicht gedacht werden kann. Auch
histologisch ist die „innere“ Ausbreitung des Lupus gut zu ver¬
folgen.
Jadassohn (2) hat in seinem Referat über „die Ansteckungs¬
gefährlichkeit bei Haut- und Schleimhauttuberkulose und die Unter¬
bringung Lupuskranker außerhalb der Krankenhäuser und Lupus¬
heime“, gehalten auf der VI. Sitzung des Lupusausschusses des
deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose im
Oktober 1919, die Stern sehen Versuche zitiert und betont, daß
„noch ein großer Unterschied sei zwischen der Einimpfung des
Stern sehen Impfmaterials unmittelbar unter die Haut bei dem
empfindlichsten Tier und der Möglichkeit zufälliger Infektion .beim
Menschen“. Bei der allgemeinen Erörterung der Ansteckungsgefähr¬
lichkeit und auf Grund einer Enquete, die er veranstaltet hat, um
über die Häufigkeit von Ansteckungen, die vom Lupus ausgehen,
ein objektives Urteil zu gewinnen, ist Jadassohn zu dem Resultat
gekommen, daß der Lupus, wie es tatsächlich in der Praxis bis¬
her geschehen ist, als eine ansteckungsgefährliche Form
der Tuberkulose nicht anzusehen ist. Ansteckungen sind
nur außerordentlich selten beobachtet worden, abgesehen von dem
familiären Lupus, bei dem es sich aber am häufigsten um in der
Kindheit (also wohl von der gleichen Infektionsquelle, meist einer
Lungentuberkulose) infizierte Patienten handelt. Einstimmig wurde
damals von den anwesenden Mitgliedern der Lupuskommission der
Standpunkt Jadassohns gutgeheißen, daß „die chronischen
tuberkulösen Erkrankungen der Haut und der angren¬
zenden Schleimhäute vom praktischen Standpunkte
aus ohne wesentliche Bedeutung für die Verbreitung
der Tuberkulose in der Bevölkerung sind“.
Die Frage nach der Ansteckungsgefährlichkeit des Lupus hat
jedoch praktisch eine sehr große Bedeutung. Mehr als vor Lungen¬
tuberkulosen fürchtet sich das Publikum vor den Lupuskranken.
Die Unterbringung dieser macht oft große Schwierigkeiten. Auch
in den Kliniken und Krankenhäusern kann man sie nur schwer isoliert
halten. Sie fühlen sich durch die Furcht vor Ansteckung, die sie
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNiVERSlTV
186
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 6
verbreiten, noch mehr geächtet als durch die Scheu vor Ihrer Ent¬
stellung.
Es schien also trotz der praktisch negativen Ergebnisse der er¬
wähnten Enquete doch erwünscht, die Stern sehen Versuche zu
wiederholen und speziell mit Rücksicht auf die Frage zu modifi¬
zieren, ob bei der Stern sehen Versuchsanordnung wirklich das
Sekret oder das mitabgeschabte Gewebe für die Uebertragbarkeit die
Hauptrolle spielte. Denn es ist klar, daß für die Beurteilung der
Ansteckungsgefährlichkeit des Lupus die Ueberimpfbarkeit von
Krusten und Schuppen oder Exsudat, nicht aber die von abgeschabtem
Gewebe, von Bedeutung ist.
Ich habe daher zunächst zwei Versuchsreihen angestellt, indem ich
I. 27 Meerschweinchen nur mit Lupuskrusten, dem
anhaftenden Eiter und blutfreiem Serum,
II. 21 Meerschweinchen mit Granulationsgewebe und
blutigem Exsudat impfte.
Zu meinen Untersuchungen habe ich ausschließlich ulzerokrustösen
Lupus benutzt, welcher mit tieferen Geweben nicht im Zusammen¬
hang stand (also kein sog. Skrofuloderm), und zwar wesentlich vom
Gesicht (nur 3mal vom Unterarm und lmal vom Handrücken). Im
ganzen betrug die Zahl der zur Untersuchung benutzten Lupus¬
falle 33, davon 15 Fälle bei gleicher Lokalisation der Materialent¬
nahme sowohl in der I. als auch in der II. Versuchsreihe.
Ich möchte hier noch bemerken, daß es mir nicht gelungen ist,
bei krustösem Lupus Krusten zu erlangen, ohne daß nachher etwas
Blut ausgetreten wäre. Dieses habe ich aber in der Versuchsreihe I
nicht mit verimpft, ebenso wie Stern möglichst blutfreies Material
benutzt hat. Das Blut kann aber wohl bei diesen Versuchen über¬
haupt keine irgendwie wesentliche Rolle spielen. Denn, daß den
geringen in Frage kommenden Blutmengen zufällig zirkulierende
Bazillen beigemischt sein sollten, ist a priori unwahrscheinlich; und
das aus dem Lupusgewebe bei Läsionen austretende Blut kann sich
bei seinem Durchtritt nicht wohl mit Tuberkelbazillen beladen.
Ich bin noch speziell bemüht gewesen, blutfreies seröses Exsudat
aus lupösem Gewebe zu gewinnen. Bei planem, nicht ulzeriertem
Lupus habe ich aber unter etwa 50 Fällen nur 3mal scheinbar blut¬
freies Sekret erhalten, und zwar auch nur so, daß ich durch Ab¬
schaben künstliche Erosionen erzeugte und von diesen nach 1 bis
2 Tagen den Schorf abhob, worauf Serum austrat; dabei habe ich
den Eindruck gehabt, daß dieser Schorf sich nur dann ohne Eiterung
und so, daß bei Abnahme nicht wieder Blut austrat, bildete, wenn
ich bei Anlegung der oberflächlichen Erosion die eigentlichen Lupus¬
fleckchen umging. — Ich erwähne dies so ausführlich, weil es doch
wissenswert gewesen wäre, ob das reine, weder mit Eiter noch
mit Blut vermischte Serum aus lupöser Haut Tuberkulosebazillen
ausschwemmt. — In den erwähnten 3 Fällen ist sowohl die mikro¬
skopische Untersuchung als auch der Tierversuch negativ ausgefallen.
Deswegen und weil praktisch die Untersuchung des blut- und
eiterfreien Serums keine besondere Rolle spielen kann, lasse ich diese
3 Fälle aus der weiteren Erörterung fort. Außerdem wäre ja anzu¬
nehmen, daß in der frischen Kruste noch Tuberkelbazillen vorhanden
sein müßten, wenn in dem Sekret, das an ihrer Bildung beteiligt
war, solche gewesen wären. Daß der Lupus planus aus intakter
Oberhaut Bazillen nicht ausstreut, ist wohl nicht zweifelhaft.
Materialentnahme zu I: Anscheinend frische Krusten wer¬
den noch auf der Haut mit physiologischer Kochsalzlösung ab¬
gewaschen, dann sehr vorsichtig, um Blutaustritt möglichst zu ver¬
meiden, mit einer Pinzette von der Haut losgelöst, sodaß nur Eiter
und blutfreies Serum anhaften, und dann wird 1 Teil Kruste mit
etwa 2 Teilen physiologischer NaCl-Lösung verrieben, sodaß man
1 —2 ccm verimpfbares Material erhält.
Materialentnahme zu II: Die Krusten oder Schuppen wer¬
den, wenn nicht die Untersuchung zu I vorausging, mit physio¬
logischer Kochsalzlösung von der Haut abgerieben, desgleichen etwa
anhaftendes eitriges Serum. Das alsdann austretende, stets blu¬
tige Serum mit etwas stumpf abgeschabtem oberflächlichen Gewebe
wird genau nach Stern wie unter I verarbeitet.
Verimpfung. 1—2 ccm Impfmaterial wurden dem Versuchs¬
tier meist einige, selten spätestens 24 Stunden nach der Entnahme
subkutan in die Leistenbeuge injiziert
Beobachtung der Tiere. In den ersten 8 Wochen wurden
die Tiere wöchentlich einmal auf Drüsenschwellung untersucht.
4 Wochen nach der Injektion wurde erstmalig (wie bei den Wieder¬
holungen möglichst an pigmentfreier Haut [Müller] [3]) die Intra¬
kutanreaktion mit 0,002 A.T. (1 Teilstrich einer 1 ccm-Spritze von
einer Lösung von 0,02 A.T. rein auf 1 ccm Flüssigkeit nach Rö¬
mer [4]) vorgenommen. Der Beurteilung der Intrakutanreaktion legte
ich die in der Arbeit von Römer und Joseph (5) angegebenen
3 Grade zugrunde, wonach bedeuten: -j—f—j- Quaddelbildung mit,
-f-f- Quaddelbildung ohne zentrales Blutextravasat, -f- Schwellung
und Rötung mit nachfolgender Knötchenbildung.
Fiel die erste Intrakutanreaktion negativ aus, so wiederholte ich
sie 8—12 Wochen nach der Impfung, indem ich die Konzentration
steigerte (Hamburger [ 6 ]), mit Vioccm einer Lösung von 0,2 A.T.
auf 1 ccm Flüssigkeit. Bei negativem Ausfall auch der zweiten
Intrakutanreaktion wiederholte ich sie mit der letzten Konzentration
etwa halbjährlich. — Von 64 Versuchstieren wurden 54 , soweit sie
nicht der Infektion erlagen oder an interkurrenten Krankheiten ein-
gingen, zu anderweitigen Versuchszwecken Va— 1 Va Jahre nach der
Impfung getötet und dabei gleichzeitig der pathologisch-anatomische
Befund mit dem Ergebnis der Intrakutanreaktion verglichen, wobei
sich herausstellte, daß bei positiver Intrakutanreaktion in Ueberein-
stimmung mit H. Müller (2) immer Tuberkulose bei den Tieren zu
finden war, bei negativer nie, daß aber die Stärke der Reaktion
nicht immer mit der Schwere der Infektion parallel ging (Römer [7],
Römer und Joseph [ 8 ]). Bei den tuberkulös werdenden Tieren
war die Intrakutanreaktion meist schon 4 Wochen nach der Impfung
positiv.
Das sämtliche Impfmaterial, mit dem die Versuchstiere zu I
und II infiziert wurden, wurde auch mikroskopisch auf Tuberkel¬
bazillen untersucht, in 16 Fällen unter Anwendung des Antiformin¬
verfahrens, wie es Hundeshagen (9) nach Prüfung der in großer
Zahl vorgeschlagenen Modifikationen der Originalmethode empfiehlt.
Bei der Färbung haben die neuerdings angegebenen Färbemethoaen von
Kon rieh (10), Jötten und Haarmann (11), Schaedel (12) (für
Farbenblinde) keine besseren Dienste geleistet als die Ziehl-Neel-
sensche, weshalb wir dann durchgehends letztere benutzt haben,
auch beim Nachweis der Tuberkelbazillen in den Drüsen oder anderen
Organen der Versuchstiere. — Da, wie die Besprechung der Re¬
sultate zeigen wird, die Tierversuche genügend entscheidende Er¬
gebnisse geliefert haben, habe ich auf die in ihrer Verwertbarkeit
ja noch immer umstrittene Untersuchung auf Muchsche Granula
meist verzichtet.
Ergebnis der Untersuchungen zu I und II. I. Von den
27 Tieren der U.-R. I starben 12 wenige Tage nach der Impfung;
bei den meisten von diesen hatte ich die oben angegebene Ab¬
waschung mit Kochsalzlösung noch nicht vorgenommen. Dies Er¬
gebnis ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, daß auf jede
Desinfektion der Krusten verzichtet wurde, um etwa vorhandene
Tuberkelbazillen nicht zu schädigen. Von den Testierenden 15 Tieren
konnten 3 nur 3 Wochen, 12 mindestens 6 Wochen, meistens
1—2 Jahre beobachtet werden. Bei den erstgenannten drei Tieren
haben sich keinerlei Anhaltspunkte für Tuberkulose gefunden. Es
bleiben also zur Verwertung 12 Tiere, welche mit
Krusten von 12 verschiedenen Lupusfällen geimpft
wurden und alle ein negatives Resultat ergaben. Von
diesen 12 zeigte nur ein Tier 8 Wochen nach der Impfung schwach
positive Intraderinoreaktion, deren Wiederholungen negativ ausfielen;
das Tier ging 14 Monate nach der Impfung an einer Stallseuche
ein; klinisch und pathologisch-anatomisch wurde nichts Tbc.-Ver-
dächtiges gefunden. Bei 2 Tieren fand sich 2 bzw. 21/2 Monate
nach der Impfung geringe Leistendrüsenschwellung, ohne daß nach
mehr als einjähriger Beobachtung eine Verschlimmerung zu kon¬
statieren gewesen wäre. Die Intrakutanreaktion blieb dauernd nega¬
tiv; die Obduktion beider Tiere ergab keine Anhaltspunkte für
Tuberkulose. — In 7 Fällen wurde nach Antiforminbehandlung des
Impfmaterials der Ausstrich vergebens auf Tuberkel untersucht.
II. Von 15 der erwähnten Lupusfälle wurde das Sekret und
das oberflächliche Gewebe zur Verimpfung verwandt, welches
unter der zu I verwendeten Kruste zum Vorschein kam; dabei konnte
nur in einem Falle eine tuberkulöse Infektion des Versuchstieres aus¬
geschlossen werden. In 3 der übrigen 14 Fälle fiel die Intrakutan¬
reaktion erstmalig negativ aus, wurde aber bei erster oder zweiter
Wiederholung positiv, während eine leichte Drüsenschwellung schon
etwa 2—4 Wochen nach der Impfung festzustellen war. Bei zwei
dieser drei Tiere (eins gestorben nach l 3 /^, das andere getötet nach
I Jahr 7 Monaten), von denen das dritte heute ca. 22 Monate nach
der Impfung noch lebt und positive Intrakutanreaktiou zeigt, ergab
die histologische Untersuchung positiven Tuberkelbazillenbefund im
Drüsenschnitt. In den übrigen 11 Fällen trat regelmäßig 4 Wochen
nach der Impfung positive Intradermoreaktion sowie tuberkulöse
Drüsen- bzw. Allgemeinerkrankung ein, die spätestens nach 1 Jahre
zum Tode führte, wenn die Tiere nicht zu anderen Versuchszwecken
vorher getötet worden waren.
Außerdem habe ich weitere 6 Lupusfälle nur nach der II. Me¬
thode untersucht, d. h. Gewebsüberimpfung ohne Kruste. Von diesen
war 1 in 8 monatiger Beobachtung negativ (Sturz aus dem Käfig,
Sektionsbefund negativ). 4 wurden tuberkulös mit positiver Tuber¬
kulinreaktion innerhalb 4 Wochen und starben spätestens nach 1 Jahr
mit positivem Sektionsbefund. In dem letzten ( 6 .) Fall dieser Serie
war 16 Wochen nach der Impfung erst die dritte Intrakutanreaktiou
schwach positiv, während die Schwellung der Leistendrüsen, in denen
später Tuberkelbazillen gefunden wurden, schon etwa 12 Wochen
nach der Impfung beobachtet worden war (Tod durch Verdauungs¬
störung 5 Monate nach der Impfung).
Im antiforminvorbehandelten Gewebsmaterial von 16 der unter
II (7 hiervon auch unter I) untersuchten Lupusfälle wurden nur zwei¬
mal Tuberkelbazillen im Ausstrich gefunden.
Aus der II. Versuchsreihe geht in Uebereinstimmung mit Stern
hervor, daß oberflächliche Gewebspartien mit Exsudat außerordent¬
lich häufig (unter 21 Fällen 19mal = 90,5<>/o) virulente Bazillen ent¬
halten, während in Krusten und Exsudat bzw. Schuppen der ersten
Versuchsreihe niemals solche nachweisbar waren. Uebrigens müßte
Stern, dem 2 Tiere weit vor Ablauf der Mindestbeobachtungs¬
zeit, also natürlich ohne Tbc.-Befund, gestorben sind, seine Pro¬
zentrechnung nicht mit 11:16, sondern mit 11:14 anstellen, dann
würde er statt 68,7o / 0 positive Ergebnisse 78, 60/0 haben. Aus
diesem hohen Prozentsatz positiver Ergebnisse der
U.-R. II und dem negativen Ausfall der U.-R. I geht her-
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
9. Februar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
187
vor, daß nicht das Exsudat die Tierpathogenität be¬
dingt, sondern die Oewebsbestandteile.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit nur darauf hinweisen, daß die
große Zahl positiver Ergebnisse sowohl bei Stern als bei mir in¬
sofern auffallend ist, als in früherer Zeit, da man sich noch viel
mit Lupusübertragung auf Tiere beschäftigte, im allgemeinen die
Regel galt, man müsse, um häufige positive Resultate zu erzielen,
große Stücke (Leloir (13]: halbbohnengroß, Schuchardt und
Krause (14], Cornil und Leloir (151, Doutrelepoiit (16() be¬
nutzen, während in unseren Versuchsreinen recht spärliches Material
genügte.
Auf andere interessante Nebenergebnisse meiner Versuche (zeit¬
liches Auftreten der Tuberkulinreaktion, die sehr verschiedene, manch¬
mal sehr lange Dauer der Erkrankung der Tiere usw.) soll gelegent¬
lich an anderer Stelle eingegangen werden.
Ich möchte ferner hier noch über einige Versuche berichten,
welche ich angestellt habe, um die in der Mischinfektion bei der
Krustenverimpfung liegende Fehlerquelle, die namentlich im Anfang
meiner Versuche sehr gestört hat, nach Möglichkeit auszuschalten.
Ich benutzte dazu die Antiforminmethode, und zwar ließ ich,
um die Virulenz der Tuberkelbazillen möglichst wenig zu beein¬
flussen, Antiformin in nur 15o/ 0 iger Konzentration 1—2 Stunden ein¬
wirken, wie es zu diesem Zwecke meistenteils vorgeschlagen wird.
(Uhlenhuth und Xylander [17], Uhlenhuth und Kersten [18],
jötten [19].) Nach Auswaschen des Antiformins und Zentrifugieren
untersuchte ich das Zentrifugat im Ausstrich auf Tuberkelbazillen,
immer mit negativem Resultat, und vcrimpfte den Rest des Zentri-
fugats in gleicher Weise wie bei I und II. Diese Versuche (5 Fälle)
hatten das gleiche negative Ergebnis wie die Untersuchungen zu I.
Die Tiere vertrugen die Impfungen ohne jede Reaktion. 3 leben
heute, l 3 /* Jahr nach der Impfling, noch ohne irgendwelche Er¬
scheinungen von Tbc.; 2 starben nach 4 bzw. 16 Monaten an
interkurrenten Krankheiten. (Sektion negativ!)
Um dem Ein wand zu begegnen, da^ 15o/oige Antiform in könnte
die Virulenz der Tuberkelbazillen vernichtet haben, machte ich noch
den Versuch, daß ich mit 15<ybigem Antiformin vorbehandelte Sekret-
Gewebemischungen verimpfte wie oben bei II. Ich begnügte mich
dabei mit 3 Versuchen, weil alle 3 Tiere in kürzester Zeit, in
einem Falle schon nach 10 Tagen, sehr starke Drüsenschwellungen
bekamen und schon nach 3—4 Wochen den stärksten Grad der
Intrakutanreaktion zeigten, während es mir nur in einem Falle ge¬
lang, im Ausstrich des Versuchsmaterials Tuberkelbazillen nachzu¬
weisen. In den Drüsen der Tiere fand ich reichlich Tuberkelbazillen,
ebenso wie zuvor in der Versuchsreihe II, womit die Pseudotuber¬
kulose nochmals objektiv ausgeschlossen werden konnte, was nach
der Arbeit von Jaffd (20) und nach'Friedberger-Pfeiffer (21)
notwendig zu sein scheint, wenn man Tuberkulose nachweisen will.
Bei einer etwaigen Nachprüfung der vorliegenden Ergebnisse
empfiehlt es sich also, zum Zwecke der Tierersparnis von vornherein
mit der Antiforminmethode zu arbeiten.
Bei der sehr großen Häufigkeit des Schleimhautlupus
schien es notwendig, auch diesen einmal speziell auf seine An¬
steckungsgefährlichkeit zu untersuchen. Am bedenklichsten in dieser
Beziehung ist a priori der Lupus der Mundschleimhaut und der
oberen Luftwege. Von der Erwägung ausgehend, daß das Sekret
der erkrankten Mundschleimhaut durch den Speichel noch eine Ver¬
dünnung erfährt, das Suchen nach Tuberkelbazillen in ihm also noch
erschwert wird und daß aller Wahrscheinlichkeit nach die Verhält¬
nisse an der Mund- und Kehlkopfschleimhaut nicht anders liegen
als an der Nasenschleimhaut, beschränkte ich die nachfolgenden
Untersuchungen auf die letztere, zumal diese ja bekanntlich besonders
häufig an Lupus beteiligt ist.
Das Material zu diesen Untersuchungen wurde auf meine Bitte
m freundlichster Weise in der Breslauer Universitätsohren¬
klinik entnommen.
Ein Versuch, die Nasensekretion mit getrocknetem Fibrin anzu¬
regen und das Sekret zugleich damit aufzusaugen, mißlang, da das
Fibrin in der Nase zerfloß. Es mußte also das Sekret durch Watte¬
bäusche aufgesogen werden; das hat den Nachteil, daß die nach¬
folgende Auslaugung der Watte wahrscheinlich doch immer nur un¬
vollkommen ist und daß die Wattefasern bei der Antiforminbehand¬
lung und den mikroskopischen Untersuchungen störend sind. Der
Wattebausch verblieb jeweils 24 Stunden in der erkrankten Nase;
es wurden nur Fälle mit Ulzerationen der Schleimhaut, nicht solche
mit intakter Mukosa berücksichtigt. Der vollgesogene Wattebausch
wurde 4—5 Stunden in der 2—3fachen Menge physiologischer Koch¬
salzlösung ausgelaugt, dann ausgepreßt und das so gewonnene Ma¬
terial ohne den Wattebausch dem Antiforminverfahren unterzogen.
Das Zentrifugat wurde zwecks besserer Haftung auf einen Objekt¬
träger ausgestrichen, auf dem vorher schon das frische Nasensekret
von dem Wattebausch ausgestrichen war (9); außerdem wurde auch
ein Ausstrich nur von dem Zentrifugat gemacht. So wurde in
11 Fällen verfahren; Tuberkelbazillen wurden nie gefun¬
den, ebensowenig Muchsche Granula.
Es wurde deshalb der Tierversuch angeschlossen, und zwar so¬
fort mit 15o/oiger Antiforrninbehandlung, entsprechend den obigen
Untersuchungen, d. h. es wurden mit Antiformin' vorbehandelt, aus¬
gewaschen und meistens 6—8, spätestens 24 Stunden nach der Ent¬
nahme verimpft:
III möglichst blutfreies Sekret und Krusten der
Rasens ch leimhaut,
IV. Sekret und oberflächliches Gewebe der ,Nasen-
schleimhaut.
Die Versuche zu III verliefen vollkommen negativ. Von 5 Ver¬
suchstieren leben heute nach 10—14 Monaten noch 3; sie haben
keinerlei Erscheinungen, die Intrakutaureaktion ist negativ. 2 Tiere
starben 2—3 Monate nach der Impfung an einer Stallseuche, ohne
daß bei ihrer Sektion und vorher bei den Intrakutanreaktionen An¬
haltspunkte für Tbc. gefunden worden wären.
Die Versuchsreihe IV beschränkte ich auf 3 Tiere, weil wiederum
wie bei II — das Material stammte von 3 unter III untersuchten
Patienten — in allen 3 Fällen längstens 4 Wochen nach der Impfung
allerstärkste Drüsenschwellung, einmal mit Zerfall, auftrat und die
Intrakutanreaktion den höchsten Grad erreichte. Im Ausstrich des
Sediments des zur Verimpfung gelangten, antiforminbehandelten Ge-
websmaterials konnte ich keine Tuberkelbazillen finden.
Dieser den Ergebnissen am Hautlupus entsprechende Befund,
nämlich die nicht nachweisbare Tierpathogenität der Nasenkrusten
und des Nasensekrets und die große Pathogenität des Granulations-
. gewebes, steht im Widerspruch zu der unter den Rhinologen vor¬
herrschenden Auffassung von der Art der Ausbreitung des Lupus
auf die tieferen Partien der Nase und des Kehlkopfes. Sie nehmen an,
daß der Lupus meist ifn vorderen Abschnitt der Nasenscheidewand
oder an der unteren Muschel entstehe (Walb [22], Gerber [23])
und sich von dort nicht auf dem Lymphwege, äußerst selten durch
unmittelbare Ausbreitung, sondern fast immer durch herabfließendes
Sekret oder durch mit dem Luftstrom nach hinten beförderte Bazillen
ausbreite. Damit wird erklärt, daß sich zwischen den in den vor¬
deren und den hinteren Luftwegen gelegenen Lupusherden fast stets
lupusfreie Partien finden. Diese Hypothese hat nach meinen Be¬
funden keine sehr große Wahrscheinlichkeit für sich, wenngleich zu¬
gegeben werden muß, daß noch ein Unterschied besteht zwischen
jahrelanger Berührung mit einem als tbc.-verdächtig angesprochenen
Sekret und dessen einmaliger Verimpfung nach 24stündiger Be¬
rührung. Hier endgültig beweisendes Material zu schaffen, dazu
bedürfte es wohl noch einer größeren Anzahl von Versuchen.
Zusammenfassung. 1. Die Impfung von Krusten und Eiter von
ulzeriertem Hautlupus auf Meerschweinchen ergab keine Tuberkulose
der Tiere.
2. Oberflächlich abgeschabtes Gewebe von ulzeriertem Lupus
führte in 90o/ 0 der Fälle zu Tiertuberkulose.
3. Die gleichen Differenzen ergaben sich beim ulzerierten Lupus
der Nasenschleimhaut.
4. Durch Einwirkung vom 15°/oigen Antiformin während 1 bis
2 Stunden gelang es, Krusten und Gewebe von ulzeriertem Lupus
der Haut- und Schleimhaut so von den Begleitbakterien zu befreien,
daß Mischinfektionen der Tiere ausblieben. Die Tuberkuloseinfektion
wurde dadurch nicht behindert.
5. Die Resultate Sterns über die Tierinfektiosität des Lupus
sind also auf die bei diesen Versuchen mit verwendeten Gewebs-
bestandteile zurückzuführen. Da diese für die Uebertragung der
Tuberkulose auf andere Menschen vom Lupus aus wohl nicht in
Frage kommen,
6. bestätigen meine Untersuchungen die praktische Erfahrung,
daß der ulzerierte Lupus der Haut und der Nasenschleimhaut nur
eine sehr geringe Ansteckungsgefährlichkeit besitzt.
1. D. m. W. 1913 Nr. 42. - 2. Strahlentheraple 1920,11. - 3. Zh|. f. Bakt. 1920, (Orig) 84,
S. 256. - 4. Beilr. z. Klin. d. Tbc. 1909,12, H. 1. - 5. B. kl. W. 1909 S. 1300. - 6. W. kl. W.
. >919 S. 189. - 7. Beitr. z. Klin. d. Tbc. 1919, 14, S. 1. — a Beilr. z. Klin. d. Tbc. 1910
S. 281-486. - 9. Zbl. f. Bakt. 1918, (Orig.) 82, S. 14. - 10. D. m. W. 1920. Nr. 27 S. 741. —
11. M. m. W. 1920 Nr. 24 S. 692. - 12. M. m. W. 1920 Nr. ?4 S. 693. — 13. Ann. de Herrn, et
de Syph. 1891. — 14. Fortschr. d. M. 1883, 9. — 15. Arch. de phys. norm, et path. 1884. —
16. Arch. f. Derm. 1884 S. 289. - 17. Arb. Kai«. Oes. A. 1909, 32, S. 158 — 18. Z«chr. f. exp.
Path. u. Ther. Juli 1909. - 19. Arb. a. d. Reichs Ges. A. 1920,52, S. 103. - 20. D. in. W. 1921,
26. S. 734. - 21. Lehrbuch der Mikrobiologie. - 22. D. m. W. 1913 Nr. 10. - 2a Arch. f.
Laryng. 1920,29, H. 1.
Aus der Experimentell-biologischen Abteilung des Pathologischen
Instituts der Universität Berlin. (Vorsteher: Prof. A. Bickel.)
Ueber Auslösung von Zellvermehrungen durch
Wundhormone bei höheren Säugetieren und dem Menschen.
Von cand. med. Kazys Naswltis.
In seiner Arbeit „Zur Physiologie der Zellteilung“ 1 ) hat Haber-
landt bei den Pflanzen den experimentellen Nachweis erbracht, daß
die teilungsauslösende Wirkung des Wundreizes auf Abbauprodukte
der mechanisch verletzten oder getöteten Zellen zurückzufünren ist,
die als Wundhormone fungieren. Diese Wundhormone entstehen ’m
etöteten oder verletzten Zellen wahrscheinlich durch autolytische
rozesse. Die Gültigkeit dieser von Haberlandt an pflanzlichem
Material gewonnenen Versuchsergebnisse für den tierischen Körper
nachzuweisen, bereitet erhebliche Schwierigkeiten, da an überleben¬
dem Gewebe ohne Blutversorgung die nekrotischen Vorgänge die
Klarheit des Versuchsergebnisses beeinträchtigen werden. Nur an
einem Gewebe schien mir ein solcher Versuch sicher erfolgverspre-
») Sitzungsbericht der Preußischen Akademie der Wissenschaften, VIII.I1921.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSHT
188
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 6
chend, nämlich an dem Blute selbst. Allerdings können wir hier die
einzelnen Phasen des durch die hypothetischen Wundhormone aus-
elösten Generationsprozesses nicht, wie bei den Pflanzen, unmittel-
ar verfolgen, sondern wir können nur feststellen, ob nach Einfüh¬
rung von aus dem Blute selbst gebildeten Wundhormonen eine
Vermehrung der Blutkörperchen im kreisenden Blute auftritt
Die Versuchsanordnung war folgende: Einem Hunde oder Men¬
schen wurden 20—50 ccm Blut entnommen. Dieses Blut wurde defibri-
niert, gefrieren gelassen, dann wieder aufgetaut, auf Körpertemperatur
erwärmt und 2—4 Stunden später, um die Giftigkeit des frisch
entnommenen Blutes zu paralysieren, demselben Tiere oder Men¬
schen in die Vene oder unter die Haut eingespritzt; durch diese
Prozedur, die unter Beobachtung strengster Sterilität vor sich ging,
war erreicht worden, daß Blutkörperchen zerstört wurden, daß aber
das Tier keinen Blutverlust erlitt und auch kein Plus an Blut bekam.
Eine bei einem so vorbehandelten Tiere auftretende Blutvermehrung
konnte also nur auf der Wirkung von Zerfallsprodukten des eigenen
Blutes auf die blutbildenden Zellen beruhen.
Die Beziehungen von Blutinfusionen zur Blutneubildung sind
vielfach in der Literatur studiert worden; die Veranlassung gab die
Behandlung der Anämien mit Bluttransfusionen, indem man hoffte,
entweder fehlendes Blut direkt ersetzen oder 4ie Blutbildung günstig
durch Zufuhr von Baumaterial beeinflussen zu können. Der
Gedanke, daß ohne Veränderung der Blutmenge, ohne Zufuhr von
neuem Baumaterial, das nicht schon im Körper vorhanden wäre,
oder ohne Zufuhr von Reizstoffen, die nicht vom eigenen Körper¬
bestand gespendet würden, sondern daß nur durch eine Ver¬
mehrung der Zerfallsprodukte des eigenen Blutes die
Blutbildung über das normale Maß hinaus gefördert
werden könnte, ist wohl kaum bisher ausgesprochen worden.
Es darf gewiß diese von mir mitgeteilte Versuchsreihe als ein
indirekter Beweis für die Gültigkeit der Haberlandtsehen Theorie
von den Wundhormonen bei den Säugetieren und dem Menschen
angesehen werden.
Nichts zu tun mit der vorliegenden Frage haben die Von Chirurgen
vorgenommenen sogenannten Autotransfusionen, bei denen lebendes
Blut, das ein Patient bei einer Operation verloren hatte, ihm, meist
verdünnt mit Kochsalzlösung, wieder injiziert wurde zur Herstellung
der mechanischen Kreislaufverhältnisse. Das wesentlich Neue bei
meinen Versuchen ist die Autotransfusion nach voraufgegangener
Zerstörung des Blutes.
Ich teile einige Versuchsprotokolle hier zur Erläuterung mit und
behalte mir vor, das übrige Material in meiner Dissertation zu publi¬
zieren und da auch die Literatur genau zu besprechen, weise aber
hier noch besonders darauf hin, daß bei einer Autotransfusion
ohne voraufgehende Blutzerstörung auch keine Vermehrung der Blut¬
körperchen eintritt.
1. Versuch. Einem etwa 12kg schweren Hunde werden aus
der Venn femoralis 30 ccm Blut steril entnommen. Das Blut wird
defibriniert, in einem Kältegemisch 40 Minuten stehen gelassen, dann
aufgetaut, auf Körpertemperatur erwärmt und nach 2 Stunden intra¬
venös dem Hunde wieder injiziert.
Zahl der roten Blutsellen Zahl der weißen Blutzellen
Vor der Infektion.6100000 11000
am 1. Tage nach der Infektion 6660000 19000
am 2. Tage nach der Injektion 8000000 35000
am 4. Tage nach der Infektion 8600000 22000
2. Versuch. Einem etwa 9kg schweren Hunde werden aus
der Vena jugularis 30 ccm Blut steril entnommen, nachdem das Blut
des Hundes durch eine voraufgehende Peptoninjektion ungerinnbar
gemacht worden war. Das unaefibrinierte Blut wird 5 Minuten in
einem Kohlensäureschnee frieren gelassen, eine Stunde stehen gelassen
und dann aufgetaut und nach Erwärmung auf Körpertemperatur dem
Hunde intravenös injiziert.
Zahl der roten Blutzellen Zahl der weißen Blutzellen
Vor der Infektion.3100000 43000
am 1. Taee nach der Infektion 4100000 54000
am 2. Tage nach der Infektion 4100000 28000
3. Versuch. Einem erwachsenen Manne (Diabetiker) werden
50 ccm Blut aus der Armvene steril entnommen, das Blut wird durch
25 Minuten langes Schütteln mit Glasperlen defibriniert, dann eine
Stunde in einem Kältegemisch frieren gelassen, aufgetaut, noch zwei
Stunden stehen gelassen, auf Körpertemperatur erwärmt und intra-
. muskulär wieder injiziert
Zahl der roten Blutzellen ^ßfutzellen W Hb * nach Sah,i
Vor der Injektion. 5100000 13000 74
am 3. Tage nach der Infektion 6500000 — —
am % Tage nach der Infektion 6900000 — 86
am 9. Tage nach der Injektion 7000500 14500 92
4. Versuch. Einem etwa 11kg schweren Hunde werden aus
der Vena femoralis 30 ccm Blut mit der Pravazspritze entnommen und
sofort wieder in dieselbe Vene reinjiziert.
Zahl der roten Blutzellen
Vor der Infektion ... 5700000
am 1. Tage nach der Infektion. 5500000
Die Arbeit war abgeschlossen am 1. XII. 1921.
Aus dem Institut für Sexualwissenschaft in Berlin.
deschlechtstrieb und innere Sekretion.
Von Dr. Arthur Weil, früher Priv.-Doz. in Halle.
Immer mehr werden wir durch die Forschungen über die innere
Sekretion in der Auffassung bestärkt, daß nicht nur allein die Aus¬
bildung der äußeren Geschlechtsmerkmale abhängig ist von dem
harmonischen Zusammenwirken bestimmter inkretorisener Drüsen, son¬
dern daß auch bestimmte physiologische Vorgänge, wie die Men¬
struation, Laktation usw., und letzten Endes der Geschlechtstrieb
selbst unlöslich vor allem mit der Funktion der Keimdrüsen ver¬
bunden sind. Als Beweis hierfür dienen uns neben den experimen¬
tellen Versuchen an einem großen Tiermaterial besonders die am
Menschen gewonnenen klinischen Erfahrungen, die sich hauptsäch¬
lich auf solche Fälle erstrecken, bei denen die Keimdrüsen fehlten
oder unterentwickelt waren. Solche Eunuchoide sind äußerlich vor
allen Dingen schon durch ihren Hoch wuchs charakterisiert und die
veränderten Körperproportionen. Während beim Durchschnittsmanne
das Verhältnis von Ober- zu Unterlänge etwa 100:100 beträgt, bei
der Durchschnittsfrau 100:96 1 ), finden wir bei ihnen Proportionen von
etwa 100:125 (und zwar bei Männern und Frauen gleich) als Aus¬
druck dafür, daß- die eine Gruppe von Wachstumsdrüsen (Schilddrüse,
Hypophyse, Thymus) nicht durch die Keimdrüsen in ihrer wachstums¬
fördernden Inkretion gehemmt wurde. Die äußeren Geschlechtsunter¬
schiede sind schwach entwickelt. Bei den männlichen Eunuchoiden
fehlt die Körperbehaarung, die Stimme ist hoch bei einem kaum an¬
gedeuteten, äußerlich sichtbaren Kehlkopf, die Testes sind verkümmert,
oft nur haselnußgroß; bei den weiblichen Eunuchoiden sind die Brüste
zurückgeblieben, die Pubes auf kindlicher Entwicklungsstufe stehen¬
geblieben. Beiden gemeinsam ist das fast typische Genu valgum,
das entwicklungsmechanisch wohl durch das übermäßige Wachstum
der Extremitäten erklärbar ist und das im Röntgenbilde seinen Ausdruck
in dem langen OffenbleiberL der Epiphysenfugen findet, bis über das
23. Lebensjahr hinaus; daneoen deutet die vergrößerte Sella turcica
auf eine vergrößerte Hypophyse hin. Bei Frauen fehlen die Menses,
oder sic treten erst sehr spät, unregelmäßig und spärlich auf, bei
Männern ist keine Spermatogenese vorhanden, das Prostatasekret wird
nur in langen Perioden in geringen Mengen sezerniert. — Für unsere
Untersuchungen am wichtigsten aber ist, daß der Geschlechtstrieb
bei männlichen und weiblichen Eunuchoiden wenig entwickelt ist; es
bestehen wohl schwach angedeutete seelische Hinneigungen zu Per¬
sonen des anderen oder eigenen Geschlechts, aber nie der Drang
nach körperlicher Vereinigung. Ihre sonstige Psyche bietet meist
nichts von dem Durchschnitt Abweichendes; es sind arbeitsame, nüch¬
terne Menschen, die ihren Beruf zur vollen Zufriedenheit ihrer Vor¬
gesetzten erfüllen und die auch in leitenden Stellungen sich Achtung
und Anerkennung verschaffen können.
Ebenso wie überall bei biologischen Erscheinungen, gibt es nun
auch zwischen den beiden Extremen — vollentwickelte Männlichkeit
und Weiblichkeit einerseits, Fehlen der Keimdrüsen anderseits — die
mannigfaltigsten Uebergänge, die durch die verschiedenen Formen
von Anandrinismus und Agynäzismus (Unterentwicklung der Keim¬
drüsen) versinnbildlicht werden. In der Literatur finden wir meist
nur Fälle von männlichem Eunuchoidismus veröffentlicht, während
die Fälle von weiblichen Inkretionsstörungen relativ selten beschrieben
wurden. Dem praktisch tätigen Sexualforscher, der auf den Parallelis¬
mus von körperlichen Geschlechtscharakteren und Geschlechtstrieb
sein Augenmerk richtet, werden aber sehr oft solche Uebergangsstufen
zu Gesicht kommen. In der steten Nachprüfung von schon an an¬
deren Stellen veröffentlichten Arbeiten über den Zusammenhang zwi¬
schen Körperform und Sexualität bin ich immer mehr in der Auf¬
fassung bestärkt worden, daß die Körperproportionen, welche ein
Ausdruck für die innere Sekretion der Keimdrüsen sind (Verhältnis
der Ober- zur Unterlänge und der Schulter- zur Hüftbreite), auch
gleichzeitig einen Schluß auf die Stärke und in vielen Fällen auf
die Richtung des Geschlechtstriebes zulassen. Längenproportionen
über 100:105 hinaus sind nach meinen bisherigen Untersuchungen
fast nie verbunden mit dem, was wir in bezug auf die Sexualität als
„männlich“ bezeichnen, den das Weib aktiv begehrenden Mann;
stets waren die untersuchten Personen in ihrem Gefühlsleben ent¬
weder asexuell oder sehr frigide Naturen, oder sie waren in sexueller
Beziehung anormal, metatrop oder homosexuell.
Zur Erläuterung dieses psychoinkretorischen Parallelismus
(Hirschfeld) füge ich die beiden zuletzt von mir beobachteten
Fälle von männlichem und weiblichem Eunuchoidismus bei, die zu¬
sammen abgebildet am besten die zuerst von Tandler und Groß
geäußerte Ansicht illustrieren, daß beim Fehlen oder bei Unter¬
entwicklung der Keimdrüsen der Körper auf einer asexuellen Ent¬
wicklungsstufe stehen bleibt, sodaß die beiden Extreme Mann und
Weib sich auf einer Mittellinie treffen, die aber ebensogut auch als
Beweis für die bisexuelle Anlage der Keimdrüsen dienen können, als
Ausdruck dafür, daß bei der Unterfunktion der einen die andere ihren
sonst unterdrückten Einfluß auf die Körpergestaltung ausüben kann.
1. Agathe P., 1898 als zweites Kind unter 5 Geschwistern von
f esunden Eltern geboren. Sie blieb anfangs in der körperlichen
ntwicklung zurück, lernte erst im dritten Jahre das Genen und
besuchte vom ,5.—14. Jahre die Volksschule als gute Schülerin. Später
beschäftigte sie sich mit landwirtschaftlichen Arbeiten, denen sie bei
ihrer großen Muskelkraft und ihrem derben Körperbau gut gewachsen
>) Vom Scheitel bis zunroberen Rande^der SymphyseJ«= Oberlange.
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSUM
9. Februar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
ISO
war. Die Pubertät trat bei ihr nicht äußerlich erkennbar ein; erst
am 25. VI. 1921 hatte sie die erste Menses, Austreten einiger weniger
Blutstropfen. Auch ihre jüngere, jetzt 18jährige Schwester hat bis
letzt noch keine Menses gehabt.
Die körperliche Untersuchung ergibt eine hochaufgeschossene,
muskulöse Person mit wenig ausgebilaeter geschlechtlicher Differen¬
zierung: schwache Brüste, kaum angedeutete Labia maiora, gut
entwickelte Labia minora, kleine Klitoris; Vaginalkanal blind endend;
Uterus und Ovarien sind nicht zu fühlen, auch nicht vom Rektum aus.
Im Röntgenbilde sind die Epiphysenfugen der Endphalangen noch
nicht geschlossen; die Sella turcica hat bei seitlicher Durchleuchtung
ein Verhältnis von 31 mm Breite zu 13 mm Tiefe. — Die Standlänge
beträgt 175 cm; Oberlänge 79 cm, Unterlänge 90 cm (Proportion
100:121). Schulterbreite 41,5 cm, Hüftbreite 34 cm (Proportion
100:82). — Bei der psychischen Untersuchung fällt das Fehlen jeden
Geschlechtstriebes auf; es bestehen keine sexuellen Wünsche irgend
welcher Art; auch von der Umgebung wird die völlige Gleichgültigkeit
gegenüber männlichen Personen bestätigt; sexuelle Träume werden
negiert. Die Intelligenz ist unter
Berücksichtigung des Milieus und
der Erziehung gut entwickelt.
2. Samuel K., 1887 geboren als
Sohn „nervöser“ Eltern, die dem
schwächlichen Kinde eine sorgsame
Wiege angedeihen ließen. Besuchte
mit gutem Erfolg die Volksschule.
Schon mit dem 12. Lebensjahre fiel es
ihm auf, daß er in seinem Wesen sich
von seinen Mitschülern unterschied; er
hatte wenig Neigung zu den Knaben¬
spielen, war zurückgezogen und beob¬
achtete an sich selbst, daß bei ihm im
Gegensatz zu den Gleichaltrigen jedes
sexuelle Empfinden ausblieb. Eine
Pubertät trat nicht ein, weder Stimm¬
wechsel noch keimender Haarwuchs.
Bis zu seinem 28. Jahre hatte er nie
sexuelle Wünsche, geschweige denn
Geschlechtsverkehr. Erheiratete dann
auf Wunsch seiner Eltern. Zu seiner
Frau fühlte er sich seelisch sehr hin¬
gezogen; im ersten Jahre der Ehe
trat auch eine schwache sexuelle Er¬
regung ein, die einige Male zu einem
körperlichen Verkehr mit Ejaculatio praecox führte. Dann klang bald
das Triebmäßige wieder ab, trotz aller Versuche durch ärztliche Be¬
handlung (physikalische, organotherapeutische), die Funktion der Keim¬
drüsen wieder anzuregen. Aus Mitleid mit seiner Frau, die sehr unter
diesen ehelichen Verhältnissen litt, nicht aus innerem triebmäßigen
Verlangen heraus, suchte er schließlich auch unseren Rat.
Die körperliche Untersuchung ergibt auf den ersten Blick den
typischen eunuchoiden Habitus: die langaufgeschossene Gestalt mit
dem starken Fettansatz an der Brust und den seitlichen Hüften, mit
der samtweichen, haarlosen Haut, die nur an der Regio pubis mit
weichen Schamhaaren bedeckt ist. Der Kehlkopf ist äußerlich kaum
angedeutet, die Stimme ist knabenhaft hoch. Das gut entwickelte
Skrotum macht den Untersucher auf den ersten Anblick hin etwas
stutzig, da es gar nicht mit dem eunuchoiden Gesamtbilde iiberein-
stimint; bei eingehender Untersuchung ergibt sich aber, daß die Testes
nur etwa bohnengroß sind und von derber Konsistenz. — Die Stand¬
länge beträgt 176 cm; die Oberlänge 83 cm, die Unterlänge 93 cm
(Proportion 100:112). Schulterbreite 41,5 cm, Hüftbreite 36 cm (Pro¬
portion 100:87). Genu valgum. — Der psychische Status praesens
ergibt Fehlen jeden geschlechtlichen Triebes; lediglich aus Rücksicht
aul die Frau besteht der Wunsch, die im ersten Jahre der Ehe vor¬
handen gewesene schwache Potenz wiederzuerlangen. Träume sexu¬
ellen Inhalts bestehen nicht; keine irgendwelchen sexuellen Anomalien.
Die Intelligenz ist gut entwickelt; der Patient hat das Geschäft
seiner Schwiegereltern durch eigenen Fleiß zu einem angesehenen
Unternehmen entwickelt.
Ich habe diese beiden Fälle absichtlich zusammengestellt, da sie
sehr gut den Zusammenhang zwischen Entwicklung der Keimdrüsen
und Geschlechtstrieb veranschaulichen: Der weibliche Eunuche
mit den Längenproportionen 100:121, der überhaupt
keine sexuellen Empfindungen besaß, der männliche
Eunuchoid, bei dem wohl nach einer langen Periode der
Asexualität im ersten Jahre der Ehe ein schwaches
Triebleben sich entwickelte, das aber bald wieder ab¬
klang. — Wenn auch die kausale Betrachtungsweise in der modernen
Medizin etwas in Mißkredit zu geraten scheint, so können wir doch
wohl gerade in diesen beiden Fällen den ursächlichen Zusammenhang
zwischen der inneren Sekretion der Keimdrüsen und dem Triebleben
nicht leugnen, müssen also mindestens einen psycho-physischen Paral-
lelismus, meiner Ueberzeugung nach aber auch eine psycho-physische
Wechselwirkung anerkennen.
Bauer, Die konstitutionelle Disposition zu inneren Krankheiten, Berlin 1917. —
Hirschfeld, Sexualpathologie 3,Bonn 1921. -Kretschmer, Körperbau und Charakter,
Berlin 1921. — Tandler und Groß, Die biologischen Grundlagen der sekundären
Geschlechtscharaktere, Berlin 1913. — Weil, innere Sekretion, Berlin 1921; Zschr. f.
Sexualwiss. 1921, 8; Arch. f. Entw. Mech. 1921.
Aus dem Anthropologischen Institut der Universität in München.
(Direktor: Prof. Martin.)
Die respiratorische Exkursionsbreite des Brustumfangs
und ihre Bedeutung.
Von Dr. Scheidt, Assistent am Institut.
Bei der Auswertung von Brustumfangsmaßen hat der Vergleich
der absoluten Umfangswerte untereinander bei Individuen gleichen
Alters und annähernd gleicher Größe sowie die Vergleichung des auf
die Körpergröße bezogenen Brustumfangs ungleich großer Menschen
gegenüber der Verwendung der Brustumfangsdifferenzen bei forcierter
ln- und Exspiration stets eine mehr oder weniger nebensächliche Rolle
gespielt. Zwar sollte z. B. bei den militärischen Aushebungen ein
gewisses Zahlenverhältnis zwischen Brustumfang und Körpergröße
nicht unterschritten werden, doch wurde der respiratorischen Ex¬
pansionsfähigkeit des Thorax unter allen Umständen besonders Rech¬
nung getragen. Die einfach festzustellende Differenz zwischen den
j Brustumfängen bei tiefer Inspiration und maximaler Exspiration wurde
als ein brauchbares Annäherungsmaß für die Beurteilung der vitalen
Kapazität angesehen und hat in der Praxis gewiß auch im großen
und ganzen befriedigt. Dennoch scheint es nicht überflüssig, die
i Frage aufzuwerfen, was für Verhältnisse durch eine solche Um¬
fangsdifferenz zahlenmäßig zum Ausdruck gelangen und welcher Art
die Schlüsse sein dürfen, die daraus gezogen werden.
Von den Vorgängen, welche die respiratorische Zu- und Abnahme
des Brustumfangs verursachen, kann man sich leicht eine Anschauung
verschaffen, wenn man sich vorstellt, daß ein (richtig abgenommener)
Brustumfang die Zirkumferenz eines Frontalschnitts durch den Thorax
i darstellt. Die absolute Größe dieses Umfangs ist im wesentlichen
! abhängig von der Form, Länge und Neigung der Rippen; seine Zu¬
nahme bei der Inspiration bzw. seine Abnahme bei der Exspiration
ist weiterhin abhängig 1. von der Ausgangsgröße (bei ruhiger Atmung),
2. von der Verlängerung bzw. Verkürzung des Abstands eines jeden
Zirkumferenzpunktes von der Drehungsachse der Kostovertebralgelenke
bzw. von der zugehörigen Mediansagittalen, 3. von der durch die
Abflachung der Rippen bedingten Formänderung der Umfangsebene
in ihrer Begrenzung.
1. Die (individuell nach Länge, Form und Neigung der Rippen
i variierende) Ausgangsgröße ist gegeben.
2. Die respiratorische Vergrößerung bzw. Verkürzung des pro-
iektivischen Abstands zwischen einem nahe der vorderen Median¬
linie gelegenen Zirkumferenzpunkt und der zugehörigen Kostovertebral-
gelenTachse kann durch die folgende Figur schematisch dargestellt
I werden.
Es sei A der Drehpunkt eines Kostovertebralgelenks (bzw. der
; zwei funktionell zusammengehörigen Gelenke zwischen Rippe und
| Wirbelsäule), H H die durch diesen Drehpunkt gelegte Horizontal-
I ebene, A S die Verbindung des vorderen Endes der zugehörigen Rippe
i mit A, AE, AR und AJ die Projektionen dieser Verbindungslinie auf
1 die Horizontale bei Exspiration, Ruhestellung und Inspiration. Dann ist:
i. Aj =
AS
sin i ’
AS
A1 sin o . , . _
div. "An = -. “ ; AJ = A R
AR sin i' 1
sin Q
sin i ’
II. A E = AS ;
sin e
AR = AS :
sin e
sin q
sin / ’
div.
AE
AR =
A E = A R —.
sin/
Das heißt: Der projektivische Abstand des vorderen Endpunktes einer
Rippe von ihrem kostovertebralen Drehpunkt ist bei Inspiration uni
so größer, bei Exspiration um so kleiner, je größer der gleiche Abstand
und je größer die Rippenneigung bei Ruhelage des Thorax waren und
je größer der respiratorische Exkursionswinkel der Rippe ist. Kom-
pariert man die oben gegebenen Gleichungen I und II, so ergibt sich
7TE = sfnT ; ^ er Q l,otient aus inspiratorischem und exspiratorischem
Abstand ist somit direkt proportional dem Exkursionswinkel. (Es sei
hier gleich eingeschaltet, daß demnach eine Differenz zwischen den
beiden Abständen nicht die gleichen klaren Verhältnisse bietet, da
sie eben außerdem von den Ausgangsgrößen abhängig ist; es wäre
ai a c A R sin o AR sin t» . d ein i *
A J — A E = .—— — — ; -- = A R sin q (cos I — cos #).
* sin i sin t
Es ist klar, daß diese Ueberlegung, auf die tatsächliche Rippen¬
bewegung angewandt, die Verhältnisse jeweils nur für denjenigen
Zirkumferenzpunkt eine Rippe vollkommen trifft, dessen gerade Ver¬
bindungslinie mit dem zugehörigen Drehpunkt auf der uelenkachsc
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNiVERSITV
190
DEUTSCHE MEDIZINISCHE »WOCHENSCHRIFT
Nr. ö
senkrecht steht. Ein solcher Punkt wird an den oberen Rippen mehr
medial, an den unteren hingegen inehr lateral gelegen sein müssen
(du Bois-Reymond [5], Landois-Rosemann [16], Borut-
tau [1]). Je weiter nach unten, um so mehr werden sich also solche
Punkte bei der respiratorischen Exkursion nicht nur von der Gelenk¬
achse, sondern aucn von der Mediansagittalebene entfernen, und ihre
transversale Abstandsvergrößerung ist (wie die aller anderen Rippen¬
punkte) in analoger Weise direkt proportional einem in der entspre¬
chenden Frontalebene um eine dorsoventrale Achse zu denkenden Ex¬
kursionswinkel, d. h. die respiratorische Abstandsvergrößerung in bezug
auf die Medianebene ist abhängig von diesem Abstand in Ruhelage
des Thorax und dem zugehörigen respiratorischen Exkursionswinkel
nach oben bzw. unten.
3. Schließlich ist zu berücksichtigen, daß die Veränderung der
Abstände verschiedener Zirkumferenzpunkte von den entsprechenden
KostovertCbralgelenken und von der Medianebene nicht allein durch
die Gelenkbewegung verursacht ist, wie es der Fall wäre, wenn
das Sternum aus seinen Verbindungen gelöst würde und die Rippen
frei endigten, sondern daß vornehmlich eine Torsion der Rippen¬
knorpel. und eine damit einhergehende Abflachung des zwischen der
Pars cartilaginea und der Pars ossea gebildeten stumpfen Winkels
der Hebung der vorderen Brustkorbpartien zu Hilfe kommt (Fick [7],
Helmholtz [15], du Bois-Reymond [6], Landois-Rose¬
mann [16], Boruttau [1]). Die oben gegebene Formel
ist im strengen Sinn deshalb nicht anwendbar, da auf das Verhältnis
^ auch die Elastizität der Rippenknorpel von Einfluß ist. Für Punkte
am oberen Teil des Thorax nahe der Medianlinie muß diese Elastizität
den Ausdruck größer machen, als er nach der Winkelexkursion
allein werden könnte, für weiter lateral gelegene Punkte kann hin¬
gegen die Abflachung des Rippenbogens einen Teil der durch die
Winkelexkursion gewonnenen transversalen Abstandsvergrößerung
wieder rückgängig machen, und wird dann etwas kleiner ausfallen,
als es dem Verhältnis entspräche.
Nimmt man im ganzen an (was ohne allzu große Ungenauigkeit
wird geschehen können), daß das Verhältnis eines inspiratorischen
Durchmessers zum exspiratorischen Durchmesser der durch Gelenk¬
bewegung und Elastizität bedingten respiratorischen Exkursibilität des
Thorax in betreffender Höhe proportional sei, so ist die andere Frage,
ob ein gleiches Verhalten von den bezüglichen Brustumfängen er¬
wartet werden kann, mit anderen Worten, ob die Vergrößerung oder
Verringerung allseitiger Abstände der verschiedenen Zirkumferenz¬
punkte in ihrer Gesamtheit mit einer Vergrößerung oder Verringerung
der ganzen Zirkumferenz parallel gehe. Dies wäre sicher dann der
Fall, wenn die Form des Thorax bzw. die Form der durch einen
Brustumfang umgrenzten Ebene bei Inspiration und Exspiration die¬
selbe wäre. Der Hinweis auf die Abflachung des Rippenbogenwinkels
spricht zunächst schon nicht in diesem Sinn. Ueberlegt man sich
weiter, daß zwei mit verschiedener Neigung gegen die Horizontale
durch einen kegelähnlichen Körper gelegte Schnitte weder unter sich
noch in ihren Horizontalprojektionen gleiche Form aufweisen werden,
so scheint eine Uebertragung der von den Durchmessern abgeleiteten
Verhältnisse auf die Umfänge nicht ratsam. Eine für die Praxis wohl
hinreichende Beantwortung dieser Frage könnte schließlich durch einen
Vergleich der bei Inspiration und bei Exspiration gewonnenen Tho¬
rakalindizes gegeben werden, da der Thorakalindex wenigstens im
groben Anhaltspunkte für die Form einer Thoraxschnittebene liefert.
Ein solcher Vergleich, der an genauen Meßresultaten von 14 Männern
angestellt wurde, ergab manches Bemerkenswerte. (Zur Berechnung
der Indizes wurde der frontale Brustdurchmesser nicht, wie sonst üblich,
in der Höhe der größten Breite, sondern in gleicher Höhe mit dem
Sagittaldurchinesser genommen.) Vor allem verändert sich der Index
(also die Thoraxform) bei der Respiration nicht bei allen Individuen
gleichsinnig: Der Index bei Inspiration wurde in 8 (von 14) Fällen
größer, in 6 (von 14) Fällen kleiner gefunden als aer bei ruhiger
Atmung berechnete, während der Index durch die Exspiration gegen¬
über der ruhigen Atmung lOmal kleiner, 2mal größer wurde und
2mal unverändert blieb. Bei Inspiration ist die durchschnittliche Index¬
abweichung (vom Index bei ruhiger Atmung)
nach oben.3,6 (Maximum 5,5, Minimum 1.0)
nach unten. 13 (Maximum 5,5, Minimum 0,4)
bei Exspiration schwankt der Index um den Index bei ruhiger Atmung
durchschnittlich
nach oben.0.7 (Maximum 1,4. Minimum 0,1)
nach unten.3,15 (Maximum 7,7, Minimum 1,0)
und es beträgt demnach die ganze durch die Atmung bedingte Ab¬
weichung des Index vom Index bei Ruhestellung im Durchschnitt 5,4
bei Inspiration und 3,85 bei Exspiration.
Es kann zunächst überraschen, daß die Inspiration nicht stets eine
Abrundung, die Exspiration nicht in allen Fällen eine Abflachung
des Thorax verursacht, wie dies aus den Zahlen deutlich hervorgeht.
Eine Berücksichtigung der oben angedeuteten (und bei den zitierten
Autoren des näheren dargelegten) Exkursions- und Elastizitätsfunktion
einzelner Thoraxpartien läßt es aber wohl denkbar erscheinen, daß
bei der Inspiration unter Umständen die transversale Ausweitung
über die sagittale überwiegen kann und daß die Exspiration in ein¬
zelnen Fällen (vielleicht unter dem Einfluß der Zwerchfellsenkung)
ohne merkliche weitere Abflachung, ja sogar mit einer geringen Run¬
dung des Thoraxquerschnittes in einer bestimmten Ebene einherzu¬
gehen vermag.
Für die mer in Rede stehenden Fragen gilt es nun zu entscheiden,
ob die gefundenen respiratorischen Abweichungen des Thorakalindex
groß genug sind, um auf die Umfänge wesentlich einzuwirken. Ist dies
der Fall, so wäre damit der Verwendung der respiratorischen Umfangs¬
differenz bzw. des Quotienten aus Umiang bei Inspiration und Umfang
bei Exspiration für die Beurteilung der respiratorischen Thoraxexkur^
sion die Berechtigung entzogen. (Maurel [17] hat diese Schlu߬
folgerung schon einmal aus ähnlichen Erwägungen für notwendig
gehalten.) Berechnet man nun aber für die oben verwendeten 14 Fälle
die individuellen Abweichungen der Thorakalindizes, so findet sich
bei einem Durchschnittswert von 73,9 (Maximum 80,7, Minimum 67,7)
eine durchschnittliche Abweichung von 2,65, eine durchschnittliche Ab¬
weichung von 4,16, also ein Geesamtabweichung, die mit 6,84 die
durch die respiratorische Verschiebung bedingte noch um einiges über¬
trifft. Demnach läßt sich wohl sagen: Solange der absolute bzw.
relative Brustumfang verschiedener Individuen bei ruhiger Atmung
zu Vergleichen benützt wird (und nach vielfacher Erfahrung mit
gutem Erfolg benützt werden kann), darf der Quotient g ^jmf* :
analog den für die einzelnen Brustdurchmesser dargestellten Bezie¬
hungen als Approximativwert für die durch Gelenkbewegung und
Elastizität ermöglichte Exkursion des Thorax verwendet werden. Es
wird sich jedoch empfehlen, diesen Quotienten (oder in praxi bequemer
den Quotienten —~ an d ‘ e Stell* der bisher verwendeten
Umfangsdifferenz treten zu lassen, um den Einfluß der individuell
variierenden Ausgangsgröße (Brustumfang bei ruhiger Atmung) aus¬
zuschalten.
Diese letztere Korrektur könnte in ähnlicher, wenn auch nicht
ganz so präziser Weise dadurch bewerkstelligt werden, daß man den
gefundenen absoluten Differenzwert auf den Umfangswert bei ruhiger
Atmung rückbezieht, etwa in Prozent dieses letzteren ausdrückt. Die
solcherweise gefundenen Zahlen sind vergleichbar und werden mit
größtmöglicher Annäherung ein Maß für die resp. Funktion des Thorax
sein können. Zu betonen ist dabei nur, daß sie weder die ad maximum
überhaupt mögliche mechanische Exkursibilität angeben können
(Atmungstypen), noch in einem geraden Verhältnis zur vitalen Kapazi¬
tät zu stehen brauchen. Die letztgenannte Annahme muß schon darum
zurückgewiesen werden, weil die dritte Dimension des Thoraxkavums,
die Höhe, bei der Umfassungsmessung außer Rechnung steht. Vgl.
Roh rer [20]; gerade die Beteiligung des Zwerchfells am Atmungs¬
mechanismus aber ist von großer Bedeutung (Thooris [21], Fitz [8],
Gutzmann [11], delaCamp [2,), ganz abgesehen von den Faktoren,
die außerdem seitens der Luftwege noch mitbestimmend auf das ge¬
wechselte Luftvolumen einwirken.
Aus einem Material von 350 Einzelmessungen 1 ), die ich anläßlich
einer größeren Reihenuntersuchung an 10*- bis 18jährigen Knaben
vorgenommen habe, suchte ich zunächst ohne alle andere Rücksicht
alle diejenigen heraus, bei denen ein Brustumfang von 70,0 cm bei
ruhiger Atmung gefunden worden war. Die Werte für die absolute
resp. Umfangsdiflerenz (D.), die auf den Brustumfang bei ruhiger
Atmung rückbezogene Differenz (R.D.), der Thorakalindex (Th.I.), der
Exkursionsquotient ^Xustumf^Tnsp^ 10 ° W-) sind * ör i ed * n Einzelfal I in
einem horizontalen Stab der Tabeile aufgeführt.
Der Vergleich läßt erkennen, daß bei gleichem absoluten Brust¬
umfang (und dabei natürlich einander parallel gehenden absoluten
und relativen respiratorischen Umfangsdifferenzen) der Exkursions¬
quotient in eben dem Maß sinkt, als die absolute oder relative resp.
Umfangsdifferenz ansteigt, während der Thorakalindex eine erkenn¬
bare Regelmäßigkeit in der einen oder anderen Richtung nicht
aufweist.
Eine Reihe anderer Fälle 1 ) wurde nur in Rücksicht auf gleiche
absolute resp. Umfangsdifferenz aus dem Gesamtmaterial ausgesucht.
Das Bild, das sich jetzt bietet, ist folgendes: Die relative respirato¬
rische Umfangsdifferenz ist indirekt proportional dem absoluten Brust¬
umfang bei ruhiger Atmung, d. h. bei gleicher absoluter Differenz um
so größer, ie geringer der absolute Brustumfang; sie steht in keiner
sichtbaren Parallelität zum Exkursionsquotienten, der sich innerhalb
der Reihe wie der Thorakalindex mehr oder weniger regellos bewegt.
Daß der Exkursionsquotient ceteris paribus auch nicht allein von der
Thoraxform bestimmt wird, zeigen die Fälle 13 und 14, wo bei gleichem
Thorakalindex der Exkursionsquotient doch um 1,4 differiert. Bei
einem Vergleich der äußersten Fälle 1 und 9 ist auch besonders deutlich
zu sehen, wie weit die relativen Umfangsdifferenzen divergieren
können, wenn die einfache absolute Differenz noch gleiche Werte
aufweist. Es handelt sich um 2 Knaben selif verschiedenen Alters,
und in diesem besonderen Fall wäre der Beobachter wohl dadurch
davor bewahrt geblieben, die beiden Individuen nach dem absoluten
Differenzwert zu beurteilen. Der Altersunterschied spricht sich auch
in der Divergenz des Thorakalindex aus, und man wird annehmen
dürfen, daß diese letztere es ist, welche einen nahezu vollständigen
Ausgleich der Exkursionsquotienten verursachte. Um diesem Einfluß
des Thorakalindex nachzugehen, habe ich schließlich in einer dritten
Tabelle 1 ) Fälle zusammengestellt, welche bei nur wenig differierenden
absoluten Umfängen verglichen werden.
Hier zeigt sich nun, daß wieder eine entgegengesetzte Parallelität
von Exkursionsquotient, absoluter und relativer resp. Umfangsdifferenz
*) Die betreffenden Tabellen mußten hier leider wegen Raummangel fortblelben.
Digitized by
Go» igle
Original from
CORNELL UNÜVERSm 1
9. Februar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
191
zustandekommt, wenn gleiche Thoraxformen (auch mit verschiedenen
absoluten Umfängen) verglichen werden.
Weiter habe ich für das gesamte früher untersuchte Material
von 350 Knaben den Exkursionsquotienten ermittelt und für jede
Altersstufe den Mittelwert und die Grenzwerte bestimmt, um zu sehen,
wie sich der Quotient während der Pubeszenz verhält. Die gefundenen
Zahlen sind in der Tabelle IV 1 ) aufgeführt. Es mag zunächst auf¬
fallen, daß ein Ansteigen der Exkursioilität des Thorax (= Absinken
des Quotienten) nicht, wie dies für die absoluten Maße in dieser
Wachstumsperiode gilt, während des ganzen Zeitraums erkennbar
ist, sondern erst etwa vom 15. bis lö. Jahr an merklich in die
Erscheinung tritt. Man wird kaum fehlgehen, wenn man dieses Ver¬
halten mit der Thoraxfunktion in Zusammenhang bringt und als
eine Folge vermehrter Brustatmung anspricht. Studien über den
Atmungstyp an Kindern vom Säuglingsalter bis zum 14. Jahr (Gregor
(101) haben ergeben, daß sich der Uebergang von der vorwiegend
abdominellen Atmung zu einer vorwiegend thorakalen Atmung all¬
mählich zwischen dem 7. und 14. Jahr vollzieht. (Zeltner [22]
glaubte, den Beginn dieser Wandlung allerdings schon vom 3. Lebens¬
jahr an wahrzunehmem) Während und nach dieser Zeit werden die
Atembewegungen des Thorax tiefer und freier, die respiratorische Ex¬
kursion nimmt zu, was sich allmählich zahlenmäßig in einer Abnahme
des Exkursionsquotienten wird ausdrücken müssen.
Um nicht nur die Verhältnisse des Entwicklungsalters zur Dar¬
stellung zu bringen (bei denen die besprochenen Erscheinungen natur¬
gemäß am markantesten hervortreten müssen), sind in der Tabelle V l )
die gleichen Brustmaße von 50 Männern verschiedenen Alters (19 bis
45 Jahre) wiedergegeben. Auch aus diesen Zahlen spricht die unter
Umständen nicht unbeträchtliche Inkongruenz von absoluter Brust¬
umfangsdifferenz und Exkursionsquotient. 'Vergleicht man z. B. die
Fälle 3 und 4 oder 10 und 11 miteinander, so sieht man sofort,
daß nach der absoluten Differenz der Fall 4 zu Unrecht ungünstig,
der Fall 11 zu Unrecht günstig gegen den Nachbarn bewertet würde.
Die relativen Differenzen geben schon sichtlich ein besseres Bild
von den Exkursionsverhältnissen. Dennoch gehen sie nicht voll¬
kommen parallel mit den Werten des Exkursionsquotienten, was sich
wiederum aus der Verschiedenheit der Thoraxformen (Altersunter¬
schiede) erklärt. In Hinblick darauf darf man wohl sagen, daß in
Untersuchungsreihen, bei denen der Thorakalindex nicht berück¬
sichtigt wird, die Berechnung des Exkursionsquotienten,den Vorzug
vor der Bestimmung der relativen Umfangsdifferenz verdienen wird.
Es wäre schließlich eine nicht uninteressante Aufgabe, das Ver¬
halten des Exkursionsquotienten an Individuen zu prüfen, deren
Habitus (soweit die Thoraxkonfiguration in diesen Begriff fällt) als
ein zu Krankheiten der Atmungsorgane, insbesondere zu Tuberculosis
puimonis, prädisponierender ausgesprochen wird. Neben anderen hal
w. A. Freund (9) darzutun versucht, daß der Habitus phthisicus im
wesentlichen darin begründet sei, daß die Verbindungen der Rippen
zu den Thoraxringen der nötigen Nachgiebigkeit entbehren. Ist
dies zutreffend, so müßte für alle solche Individuen der Exkursions¬
quotient eine beträchtliche Erhöhung erfahren. Aehnliche Zusammen¬
hänge könnten unter Umständen für den Emphysemthorax aufgedeckt
werden. Da diese Fragen jedoch außerhalb der Grenzen anthro¬
pologischer Zuständigkeit liegen, möge der Hinweis darauf an dieser
Stelle genügen.
Im ganzen kann aus den Darstellungen als Ergebnis für die
Brustmessungen am Leben jedenfalls Folgendes geschlossen werden:
Die mechanischen Bedingungen für die Atmungsfunktion des
Thorax sind, soweit sie sich dem anthropometrischen Verfahren über¬
haupt zugänglich erweisen, wohl am besten zu bestimmen:
1. durch den auf die Körpergröße rückbezogenen absoluten Brust¬
umfang,
2. durch den Exkursionsquotienten 7nsp ^ oder durch
die auf den Brustumfang bei ruhiger Atmung rückbezogene absolute
Differenz zwischen den Umfängen bei tiefster Inspiration und for¬
cierter Exspiration,
3. durch den Thorakalindex.
Alle drei Maße sind bei Individuen verschiedener absoluter Maße
direkt vergleichbar und gestatten wohl die anthropometrisch best¬
mögliche mit Zahlenwerten wiederzugebende Beurteilung von Dimen¬
sion, Form und respiratorische Beweglichkeit des Thorax. Für die
letztere gibt das angegebene Berechnungsverfahren genauere Resultate
als die einfache Ermittlung der Brustumfangsdifferenz.
H. Boruttau. fn Nagels Handbuch der Physiologie 1909. — dela Camp, Zschr.
*. klin. M. Nr. 49 S.411—455. Drachter, Die Bedeutung der Intercostalmuskelatrophie
bei Raumausgleich im Thorax u"d der Begriff der LungenstUtzfunkMon M. m.W. S.485.—
Drachter,M. m. W. 19I9S.1378. — du Bois-Reymond, Erg.d.Phvsiol 19022. Abt. —
du Bois-Reymond, Speziell» Muskelphysiologie oder Bewegungslehre, Berlin 1903 —
P. Fick, Verb. d. Anat. Oes. 21. Vers. WUrzburg S. 45—50. — G. W. Fitz, Journ. of
Experim. Med. I, No. 4 S. 677. — W. A. Fre u n d, 1 her. d. Qegenw. 43. lahrg. 1, S. 26. —
ft Gregor, Anat. Anz. 22, S. 119. - H. Qutzmann, Verh. D. Kongr. f. inn. M. S.506. -
C. Hasse, Die Formen des menschlichen Körpers und die Formänderungen bei der
Atmung Jena 1890.— C. Hasse, Arch.f. Anat.Phys., Anat. Abt 1901 S.273. - C. Hasse,
Arch / Anat. Phys., Anat. Abt. 1903 S. 25—26. — H. v. Helmholtz, Heber die Bewegung
d^r Rinnen Ges Abh »872, 2. S.484. — Landois-Rosemann, Lehrbuch der Physiologie
dL hen Wien 1919, 1. S. 191. - E. Maurel, Bull. Soc. Anthrop., Paris 1887 Ser. 3,
t in q —P f Mink« Physiologie der oberen Luftwege. Le’pzig 19°0. - A. Mossd,
i‘3 Phvsfol. 1878 S.441. - Fr. Rohre r, Arch. f. d. ges. Physiol. 1916,165. S.445. -
rnmotes re nd. de l'Acad. d.Science, 19CP, 148. S. 1055-1077. - E. Zeltner,
Jb tiSndwi 1913 Erg.-H- S. 150. - E. Zeltner. M. m. W. 1919Nr. 49S. 1407.
») I. c.
Quecksilber als Reizmittel bei Stomatitis ulcerosa.
Von Dr. med, Dr. med. dent« Friedrich Köthe in Leipzig.
Eine spezielle Anwendungsweise des Quecksilbers als Reizmittel
bei der epidemisch auftretenden ulzerösen papillären Gingi¬
vitis (Stomatitis ulcerosa) sei hier dargelegt. Das gehäufte Auftreten
dieser Erkrankung im Weltkrieg und jetzt noch unter der Heimat¬
bevölkerung gibt ihr erhöhte klinische Bedeutung.
Das Kraukheitsbild sei skizzenhaft gezeichnet: Die erkrankte
Mundhöhle zeigt nekrotischen Zerfall der Interdentalpapillen und
bandartige Geschwürsflächen längs des freien Randes der Gingiva.
Die übrige Mundschleimhaut wird mehr oder weniger in Mitleiden¬
schaft gezogen: Abklatschgeschwüre, Angina, ödematöse Schwellun¬
gen, desquamativer Katarrh. Foetor, Speichelfluß, Bluten des Zahn¬
fleisches, Schmerzen beim Kauen sind die subjektiven Erscheinungen.
Differentialdiagnose: Die klinisch gleichartige Stomatitis mercu-
rialis wird durch Anamnese bestimmt. — Stomatitis scorbutica ist
aus den bekannten Allgemeinerscheinungen diagnostizierbar. (Es gibt
aber Grenzfälle, d. h. ulzeröse Stomatititen mit Exanthemen.) —
Alveolarpyorrhoe zeigt Taschenbildung.
Maul- lind Klauenseuche tritt im Mund unter dem Bild der
Stomatitis aphthosa in Erscheinung. Daneben bestehen Panaritien,
Onychien an den Extremitäten. Der Erreger der Maul- und Klauen¬
seuche passiert bakteriendichte Filter.
Die Prognose ist im allgemeinen gut, in schweren* Fällen Kiefer-
nckrose, evtl. Sepsis. Häufige Rezidive.
Davor: ausgehend, daß eine Spirochätenform, wenn auch vielleicht
nicht der alleinige ursächliche Faktor für die Entstehung der Stomatitis-
geschwüre, so doch anscheinend ein wesentliches Moment für
die Ausbreitung der Ulzerationen und ihre Unterhaltung ausmaeht,
suchte ich nach einem Weg, in hartnäckigen Erkrankungsfällen neben
der lokalen Behandlung der Stomatitis ulcerosa eine innerliche mit
Quecksilber, das als spezifisches Protoplasmagift hervorragende des¬
infizierende Eigenschaften aufweist und ja im besonderen ein Spiro¬
chätenspezifikum darstellt, vorzunehmen. Die eigentümliche Affinität
der Mundhöhlenschleimhaut zu im Blute kreisendem Quecksilber
schien einerseits einen Vorteil für die gewünschte Bakterienwirkung
zu bedeuten, anderseits fiel aber offenbar der schwere Nachteil
ins Auge, den eine solche Hg-Verabreichung bedeuten mußte, da ja
das erste Anzeigen einer Hg-Vergiftung eben eine Stomatitis ist und
eine bereits erkrankte Mundhöhle wahrscheinlich mit erhöhter Emp¬
findlichkeit auf eine solche Medikamenfation reagieren müßte.
Ausgehend von der Tatsache der umgekehrten Wirkung
großer und kleiner Arzneigaben, erwog ich die Möglichkeit, durch
eine kleine Dosierung vielleicht die Giftwirkung des Quecksilbers
auf die Mundschleimhaut in eine Reizwirkung im Sinne einer Steige¬
rung der zellularen Lebensprozessc umzuwanueln, d. h. das betreffende
Organ in seinen Abwehrmaßnahmen gegen die Erkrankung zu unter¬
stützen. Inwieweit allgemein eine solche umkehrende Wirkung von
Arzneimitteln bei Aenderung der Dosierung eintritt, sei in einigen
Beispielen angedeutet.
„Sehr kleine Mengen. Hg bewirken Vermehrung der roten Blut¬
körperchen und Hebung des Ernährungszustandes. Ersteres scheint
neben einer Funktionssteigerung des Knochenmarks (Hyperämie des¬
selben) wesentlich durch Erhöhung der Herzleistung veranlaßt zu
sein, wodurch mehr rote Blutkörperchen in Zirkulation gezogen
werden (K u n k e 1).“
Einen konstruktiven Versuch, solche umschlagende Quecksilber-
wirkimgen betreffend, beschreibt Schulz (Vorlesungen über Wir¬
kung und Anwendung der unorganischen Arzneistoffe, Leipzig 1907,
G. Thieme)- Er setzte bei der Gärungsprobe einem Liter Trauben¬
zuckerlösung mit bestimmtem Hefequantum 1 g Sublimat zu, da9
ja ein starkes Hefegift darstellt. Es bildeten sich weder Alkohol
noch Kohlensäure. Wurde aber der Sublimatzusatz so klein gewählt,
daß erst auf 700 bis 800 Liter 1 g kam, so bildete sich viel mehr
Kohlensäure als ohne Sublimatzusatz.
Poulson (Lehrbuch der Pharmakologie, Leipzig 1915, Hirze[)
teilt mit, daß unendlich kleine Mengen Hg (Verdünnungen 1:500 000
und darunter) die Arbeit des isolierten Froschherzens verbessern.
Quecksilber scheint also das Protoplasma zunächst zu erhöhter Lebens¬
tätigkeit anzuregen.
In welcher Art größere Dosen Quecksilber vom Blute her auf die
Mundschleimhaut wirken, hat Almquist (letzte Arbeit A. f. D. u. S.
1921 S. 14) eingehender Untersuchungen gewürdigt: Diese Wirkung
ist eine zweifache: 1. eine gefäßlähmende, 2. eine geschwürsbildende.
Durch letztere entstehen nach ihm die Geschwüre dadurch, daß das
Quecksilber der Kapillaren und der Schwefelwasserstoff, der besonders
in den Gingivaltaschen als Eiweißzerfallsprodukt entsteht, sich zu
Schwefelquecksilber verbinden, welches die Nutrition des Gewebes
schädigt und zu Nekrosen führt, auf denen dann sekundär fusiforme
Bazillen und Spirochäten wuchern.
Daraus resultiert als wichtige Voraussetzung für die Anordnung
solcher Quecksilberversuchsreihen unbedingt die Eiweißzerfallsprodukte
aus ifcr Mundhöhle zu entfernen, also eine exakte Zahnreinigung.
Daß damit die eigentliche Quecksilbergiftwirkung größerer Dosen
aber keineswegs unterbunden sein werde, ergibt sich aus den Er¬
scheinungen, die bei Quecksilbervergiftungen an anderen Organen
ersichtlich sind (Haut, Nervensystem, Nieren), woselbst eine Schwefel¬
wasserstoffeinwirkung nicht stattfinden konnte. Wie ja auch Alm-
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
192
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 6
uist selbst einen zweiten schädigenden Faktor anerkennt. Bei
ieren, wo keine eigentlichen Geschwüre im Verdauungstraktus auf-
treten, waren Gefäßdilatatiouen vorhanden, die zu blutigen Exsuda¬
tionen führten.
Um alle diese Giftwirkungen zu vermeiden, war es geboten, eine
entsprechend kleinere Hg-Dosierung zu wählen. Hierbei wurde
dann auch nicht auf eine Bakterienwirkung als vielmehr auf eine
stimulierende Wirkung in der Mundschleimhaut hingezielt.
Die von mir geübte lokale Behandlung bestand in gründlicher
Zahnreinigung, dreimal täglich Spülen mit FFOg-Lösung (f%ig), alle
zwei Tage Aetzung der Ulzera mit 8%igem Zinc. chlorat. Das
Quecksilber wurde per os gegeben, um es in langsamer Resorption
in die Blutbahn zu bringen. Verwendet wurde das mit Ammoniak
ausgefällte gelöste salpetersaure Quecksilberoxydul in folgender Re¬
zeptur:
Rp. Hydrargyr. oxydulat. nigr. 0,01
Sacchar. lactis ad 10,00
M.S. 3mal tägl.ch 1 Messerspitze einzunehmen.
Diese Quecksilberverbindung enthält ca. 67 o/o metallisches Queck¬
silber.
Zum Vergleich sei erwähnt, daß Sublimat 74o/ 0 Quecksilber,
Kalomel 85% enthalten. Diese 0,01 g Quecksilberoxydul wurden bei
dreimal täglicher Einnahme messerspitzenweise in etwa 6 Tagen
verbraucht. Wiederum zum Vergleich sei angegeben, daß 0,01 g
Kalomel die Dosis darstellt, die bei Kindern einmalig verordnet wird,
höchste Eiuzeldose des Sublimats beträgt 0,02 g.
Es wurden zunächst Patienten mit der weniger intensiven
chronischen Stomatitisform, die bereits einige Wochen mit 8%igem
Chlorzink behandelt worden war, ohne daß endgültige Heilung
eingetreten wäre, mit obiger Hg-Dosierung behandelt. Der Erfolg
war, daß unter augenscheinlicher subjektiver Besserung die Er¬
scheinungen nach 6 bis 8 Tagen schwanden. Dies veranlaßte
mich, auch schwerere chronische Fälle, die vier Wochen bis zwei
Monate bestanden hatten und ausgebreitete Ulzerationen aufwiesen,
ebenso zu behandeln. Ich sah hier nach einigen Tagen den gleichen
Erfolg. Schließlich habe ich frischen Fällen sofort das Hg-Medi«
kament verabreicht und habe dabei nur selten eine Gesamtkrankheits¬
dauer von über acht Tagen beobachtet. Die lokale Behandlung
wurde nie unterbrochen.
In den meisten Fällen gab mir der Patient schon nach 1—2 Tagen
eine subjektive Besserung an. Objektiv sah ich einige Male (nicht
immer deutlich) 2 bis 3 Tage nach Einnahme des Quecksilbers etwas
stärkere Rötung und Schwellung der Papillen. Ich habe dies als
gewünschtes Ziel der Hg-Reizwirkung autgefaßt.
Den Krankheitsprozeß im ganzen betrachtet, ist die Feststellung
einer heilenden (d. h. Krankheitsdauer verkürzende) Hg-Wirkung natür¬
lich in gewissen Grenzen von der Subjektivität des Beobachters und
evtl, auch von unerkennbaren äußeren Zufällen abhängig. Bei aller
Skepsis glaube ich aber trotzdem einen objektiven Quecksilbererfolg
gesehen zu haben. Eine schädliche Wirkung sah ich nie.
Nochmals zur Frage der Röntgenschädigungen.
Von Dr. E. Liek in Danzig.
In Nr. 34 der D. m. W. 1921 habe ich einen kleinen Aufsatz über
Röntgenschädigungen veröffentlicht, nicht in der Absicht, irgend
etwas Neues zu sagen, sondern in der Hoffnung, eine Aussprache
über diese so wichtige und immer dringlicher werdende Frage
herbeizuführen. Die erste Antwort ist eine Arbeit von Kurtzahn
(in Nr. 44 der D. m. W.). Kurtzahn widerspricht meiner Auf¬
fassung und glaubt, zahlreiche Fehler richtigstellen zu müssen. Wenn
es sich nur um eine mißverständliche Auslegung meiner Sätze han¬
delte (wie z. B. bezüglich der Messung von Schwankungen im pri¬
mären Stromkreis) und um Belehrungen, die für den' Anfänger in
der Röntgentherapie bestimmt sind, würde ich den ohnehin knappen
Raum dieses Blattes für eine Erwiderung nicht in Anspruch nehmen.
Da aber unsere Anschauungen gerade in praktisch sehr bedeutsamen
Fragen voneinander abweichen, hebe ich die Hauptpunkte noch
einmal hervor:
1. Wir haben bisher kein Meßverfahren, das uns in
einfacher und für den praktischen Gebrauch geeig¬
neter Form die Menge der verabfolgten Röntgen¬
energie genau angibt. Das gilt auch für die Tiefendosierung.
Die direkte Messung ist, wenn überhaupt möglich, umständlich und
leicht irreführend. Die Uebertragung der am Wasserphantom ge¬
fundenen Werte auf den menschlichen Körper ist nur mit Kritik und
Vorsicht zulässig (Sekundärstrahlung, Streustrahlung-Zusatzdosis). Es
handelt sich im Körper zudem nicht um eine gleichmäßige Schicht,
sondern um Schichten sehr verschiedener Dichte (Haut, Fett, Mus¬
keln, Faszien, Knochen, luftgefüllte Darmschlingen, krankhaft ver¬
änderte Gewebe). Hinzu kommt, daß unsere gebräuchlichen Me߬
vorrichtungen bei weicher Strahlung überdosieren, bei harter unter¬
dosieren. Bisher haben wir es, auch bei den neuesten Apparaten,
immer noch mit Strahlengemischen zu tun. Wieviel man im
Einzelfall von der gefundenen Zahl abziehen bzw. ihr hinzufügen
muß, wie man die mit verschiedenen Verfahren erhaltenen Zahlen
miteinander vergleichen und umrechnen kann, darüber gehen die
Meinungen noch weit auseinander.
Dies vorausgesetzt, geben natürlich alle Meßverfahren dem Rönt¬
gentherapeuten einen sehr wesentlichen und unentbehrlichen Anhalt.
Nur müssen wir uns bewußt bleiben, daß wir immer Annäherungs¬
werte vor uns haben und daß bei allen Meßmethoden die Er¬
fahrung des Röntgenarztes den Ausschlag gibt. Bisher
wenigstens. Eine „Mechanisierung“ der Messung ist aus vielen Grün¬
den wünschenswert, aber noch nicht erreicht.
2. Nach dem Gesagten sind Zahlen über die verabfolgte
Strahlenmenge nur für den jeweiligen Apparattyp gül¬
tig, ja, sireng genommen, nur für den jeweiligen Rönt¬
gentherapeuten. Man denke einmal an die ungeheuerlichen
Zahlen, die Warnekros aus der Klinik Bumm veröffentlichte:
unter Al 3 in einer Sitzung auf ein Feld bis 120 X, in den ersten
acht. Tagen 350 bis 370 X, unter Schwermetallfilterung neuerdings
sogar 500 X auf ein Feld. Wollte ein Röntgenologe diese Werte
ohne weiteres auf sein Instrumentarium übernehmen, so würde er
wahrscheinlich die schwersten Verbrennungen erleben. Schon aus
den ersten Sätzen meiner Arbeit ging hervor, daß sich meine Zahlen
nur auf den Veifa-Reformapparat beziehen, und nur für dies Instru¬
mentarium spreche ich von einer „allgemein erlaubten Dosis von
400 F unter Al 3“. 400 F sind bei mir etwa 27 X gleichzusetzen,
das ist keine ungeheuerliche Ueberdosierung. Seitz und Wintz
z. B. halten 50 X unter Al 3 für die oberste Grenze des Erlaubten.
Beim Symmetrieapparat, den ich, wie Kurtzahn, seit etwa einem
Jahre benutze und der eine härtere Strahlung liefert, werde ich mich
hüten, von einer allgemein erlaubten Dosis von 400 F unter Al 3
zu sprechen. Wir wissen, daß auch die Selenzelle bei harter Strah¬
lung unterdosiert.
3. Die Strahlenempfindlichkeit der menschlichen
Haut ist individuellen Schwankungen unterworfen.
Das Gegenteil würde allen biologischen Gesetzen durchaus wider¬
sprechen. Die wechselnde Strahlenempfindlichkeit verschiedener Haut-
stellen bleibe außer Betracht. Die Haut gleichen Ortes wird bei
zwei gesunden, ungefähr gleichaltrigen Menschen etwa in gleicher
Weise auf eine Röntgenbestrahlung ansprechen, wie wir z. B. voraus¬
setzen, daß ein Knochenbruch unter gleichen Umständen in der selben
Zeit heilt, die Einwirkung von Morphium, Opium, Atropin und
anderen Medikamenten ungefähr gleich ist. Wir wollen auch
zugeben, daß eine besondere Ueberempfindlichkeit (Idiosynkrasie)
gegen Röntgenstrahlen selten ist. Daß aber Schwankungen oft ge¬
nug Vorkommen, ist ebenso sicher. Beim Normalen wird diese
Schwankung im allgemeinen auf 10—15% geschätzt (Krönig, Seit/
und Wintz, Opitz). Daß die Haut rotblonder Frauen (Tiziantypus)
bis zu lOOo/o überempfindlich sein kann, haben schon Gauß und
Lembke betont. Um eine solche handelte es sich auch in meinem
Fall 1. Vor kurzem habe ich deren Schwester, eine 44 jährige, auf¬
fallend große, asthenische, rotblonde Frau, mit zarter, weißer Haut,
ebenfalls wegen Myomblutung bestrahlt. Auf ein Mittelfeld wurden
im Abstand von 8 Tagen unter Al 3 120 und 100 F gegeben, zu¬
sammen also 220 F. Nach 5 Wochen Brandblasen, die in etwa
14 Tagen abheilten; Blutungen sind nicht mehr aufgetreten.
Wenn Kurtzahn sagt, „natürlich bezieht sich das Mitgeteiltc
(gleiche Reaktion der Haut bei verschiedenen Menschen) nur auf
normale Verhältnisse“, so frage ich: bestrahlen wir Gesunde oder
bestrahlen wir Kranke? Wir wissen z. B., daß zwischen anämischer
und hyperämischer Haut Schwankungen der Empfindlichkeit um 100o/o
Vorkommen. Immer wieder ist aufgefallen, daß eine narbig ver¬
änderte Haut, wie im Fall 2 meiner Mitteilung, sehr viel weniger
widerstandsfähig ist. Wenn Kurtzahn weiter in einem Fall von
Röntgenverbrennung annimmt, daß eine Trichinose die Haut emp¬
findlicher gegen Röntgenstrahlen gemacht hat, ja weshalb in aller
Welt sollen dann nicht andere krankhafte Vorgänge im Körper das
Gleiche bewirken? Bestimmt wissen wir dies von der Tuberkulose,
der Syphilis, dem Diabetes. Umgekehrt ist häufig die Haut von
kachektischen Krebskranken auffallend unterempfindlich (bis 100%).
Mit anderen Worten, die biologische Eichung eines bestimmten In¬
strumentariums genügt in vielen Fällen nicht, um Röntgenverbren¬
nungen zu verhüten; wohl aber ist für diese Fälle die individuelle
Eichung zu empfehlen. Nach Warnekros schwankt die Erythem¬
dosis um 30 bis 40<y 0 .
4. Ueber die Art der biologischen Wirkung der
Röntgenstrahlen auf das Gewebe wissen wir zur Zeit
so gut wie nichts. Zugegeben, daß die moderne Tiefentherapie
mit harter Strahlung und Schwermetallfilterung die Messung er¬
leichtert und eine bessere Tiefendosis gibt. Aber zwischen elektro-
metrischer Messung und biologischer Wirkung besteht ein gewal¬
tiger Unterschied. Kein Mensch weiß, wie sich die Röntgenenergic
in der Tiefe ausbreitet, wie die biologische Reaktion vor sich geht.
Wer sagt uns da, ob wir mit der größeren Menge von Röntgen¬
energie auch immer bessere Erfolge erzielen? Für viele Erkran¬
kungen wissen wir schon jetzt das Gegenteil. Wir wissen, daß wir
die Ovarien durchschnittlich zu stark bestrahlt haben und in der
Mehrzahl der Fälle mit weit geringeren Dosen auskommen. Wir
wissen ferner, daß bei der Behandlung der chirurgischen Tuber¬
kulose die Erfolge seit Einführung der modernen Tiefentherapie
nicht besser, sondern wesentlich schlechter geworden sind. Ste¬
phan schätzt die Tuberkulosedosis auf Ve der von Seitz und
Wintz angegebenen Zahl.
Wenn Kurtzahn bei meinem tödlich verlaufenen Fall 3 aus
dem Fehlen von Verwachsungen auf eine mangelnde Tiefenwirkung
schließen will, so ist das abwegig. Der nach jeder Punktion schnell
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNiVERSlTV
9. Februar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
193
wieder auftretende Aszites hinderte hier die Bildung von Ver¬
klebungen.
Aber die Behandlung der Tumoren? Kurt zahn sagt, daß ich
„bei einer Filterung von Al 3 keine eigentliche Tiefentherapie im
Sinne moderner Tumorbestrahlung betreibe“. Seit einem Jahre, also
etwa solange wie Kurtzahn selbst, arbeite ich am Symmetrie¬
apparat mit Zinkfilter; nur scheint mir diese Zeit noch viel zu
kurz, um ein Urteil abzugeben. Aber wenn wir auch diesen Um¬
stand beiseitelassen, ist dann das abfällige Urteil Kurtzahns
berechtigt? Vor mir liegt eine Arbeit von Anschütz (M. m. W.
1921, Nr. 32). An schütz hat bei der Nachbestrahlung operierter
Brustkrebse unter den deutschen Kliniken die weitaus besten Er¬
folge: 60o/o rezidivfrei nach 3 Jahren, 55,5o/o nach 5 Jahren. Und
sein Vorgehen? Sicher doch modern? Nicht ganz. Im Sinne Kurt¬
zahns ungenügender Filterung (Al 3 und 4), viel zu kleine Strahlen¬
mengen und noch dazu keine einzeitige Bestrahlung, sondern ver¬
zettelte Dosen. Anschütz erzielt in 1 cm Tiefe im günstigsten
Falle 60<Vo, in 2—3 cm Tiefe 30 bis 40<yo der Karzinomdosis, mit
anderen Worten, eine ausgesprochene Reizdosis. Demgegenüber haben
Perthes, Tichy u. a. bei intensiv bestrahlten Fällen mehr Re¬
zidive gesehen als bei unbestrahlten. Ich selbst habe bei ähnlichem
Vorgehen wie dem von An schütz, unter 20 in den Jahren 1919
und 1920 operierten Fällen von Brustkrebs bisher (2 3 / 4 bis 1 Jahr
nach der Operation) nur 5 Rezidive beobachtet.
Soll ich nun, um nicht weiter bei Kurtzahn als rückständig zu
gelten, dies Verfahren zugunsten des modernen verlassen? Ist es
nicht besser, zur Zeit noch etwas vorsichtiger mit einem absprechen¬
den Urteil zu sein? Das Krebsproblem steckt doch nach wie vor
voll ungelöster Rätsel. Worte wie Karzinomdosis, Sarkomdosis, Reiz¬
dosis sind keine Tatsachen, sondern bestenfalls brauchbare
Arbeitshypothesen. Daß die Röntgenstrahlen gelegentlich einen
Krebs vernichten, den Krebskranken heilen können, steht außer
Zweifel. Aber wie und wann das geschieht, weiß heute kein Mensch.
Es heilen Krebse unter Strahlenmengen, die weit unter der Karzinom¬
dosis bleiben, in andere Karzinome hat man Röntgenenergien hinein¬
geschickt, die die Karzinomdosis weit übertrafen, und keinen Er¬
folg, es sei denn den eines stärkeren Wachstums, gesehen. — Ich
verweise auf die Arbeiten von Theilhaber, Manfred Fränke 1,
Stephan. Sie sehen das Ziel der Tumorbehandlung nicht so sehr
in der Vernichtung der Geschwulstzellen als in einer Anregung der
natürlichen Schutzkräfte des Organismus, insbesondere der Schutz¬
kräfte, die das Bindegewebe hergibt.
Aber die praktischen Erfolge der Strahlenbehandlung des Krebses?
Nun, bei den Krebsen, die uns Chirurgen zugehen, sind die Ergeb¬
nisse der Strahlenbehandlung bisher geradezu niederdrückend. Wohl¬
gemerkt auch dann, wenn man nur ganz moderne Betriebe berück¬
sichtigt. Die einzigen, die sich mit der Strahlenbehandlung bös¬
artiger Geschwülste sehen lassen können, sind die Gynäkologen.
Aber vergessen wir nicht, daß das Zervixkarzinom infolge seiner
günstigen zentralen Lage eine Ausnahmestellung einnimmt und daß
auch hier von irgendwie befriedigenden Erfolgen noch nicht die
Rede sein kann.
Kurtzahn hat bei seiner modernen Tiefentherapie nie Schä-
digungen gesehen. Ein Arzt, der ein biologisch so überaus wirk¬
sames Mittel wie die Röntgenstrahlen anwendet und nie einen
Nachteil sieht, kommt mir vor wie ein Chirurg, dem niemals eine
Wunde vereitert, der nie einen Kranken an Peritonitis verliert. Es
gibt doch mir ganz wenige, die so glücklich sind. Bei uns anderen
haften dem Röntgenverfahren, wie allem menschlichen und ärzt¬
lichen Tun, leider Unvollkommenheiten an. Wir sehen Schäden
aller Art auftreten, auch nach Schwermetallfilterung, oft erst Mo¬
nate, selbst Jahre nach der Bestrahlung.
Kurtzahn hält es für „selbstverständlich“, daß man in einer
Sitzung niemals über die Volldosis hinausgeht. Ja, liest denn Kurt¬
zahn nicht die Arbeiten unserer führenden Röntgentherapeuten?
Er wird dort häufig genug und gerade bei den erfolgreichsten
Fachgenossen die gegenteilige Ansicht finden. So empfiehlt z. B.
Warnekros die Einfeldbestrahlung mit Ueberdosierung beim Kar¬
zinom der Portio und der Mamma, Jüngling gibt beim Kankroid
der Haut und Lippe 150 bis 180o/o, beim Mammakarzinom 150«/o
der H.E.D. usw.
Der Aufsatz Kurtzahns kann bei Fernstehenden leicht den
Eindruck erwecken, als seien Röntgenschäden nur die Folgen fehler¬
hafter und unwissenschaftlicher Dosierung, kämen aber in „modernen“
Röntgenlaboratoriep nicht vor. In Wirklichkeit liegen die Dinge
doch ganz anders. Gerade die erfahrensten Röntgentherapeuten be¬
tonen, wie ein Blick in das Schrifttum zeigt, immer wieder, daß in
der Geschwiilstbehandlung zwischen heilender und schwerschädigen¬
der Dosis eine ganz schmale Grenze liegt, die auch bei strengster
Einhaltung aller Vorsichtsmaßregeln leicht überschritten werden kann,
und daß ferner weder die neuen Apparate, noch die Schwerfilter
einen sicheren Schutz für die Haut, den Darm usw. bedeuten.
Gewiß ist ein erheblicher Teil der Schäden dem Umstande zu-
zuschreiben daß nicht genügend vorgebildete Aerzte sich, man muß
schon saßen leichtfertig, eines so wirksamen Mittels bedienen, wie
oe dip Röntßenstrahlen nun einmal sind. Davon weiß jeder be-
zrhafticrie Chirurg und Röntgenologe Trübes genug zu erzählen.
z ttr h in geordneten und sachverständig geleiteten Betrieben
7 _ hf der Röntgenschädigungen zur Zeit erschreckend groß.
Jroß der Tumorbehandlung durch intensive und här-
feste Bestrafung- Aus leichtverständlichen Gründen werden derartige
Schäden nur vereinzelt und schüchtern mitgeteilt. Es liegen die Ver¬
hältnisse hier ganz ähnlich wie z. B. in der Frage des Salvarsans.
In der Oeffentlichkeit wird die Fiktion der Unschädlichkeit aufrecht¬
erhalten, in Wirklichkeit aber legen sich sehr ernst zu nehmende
Syphilidologen längst schon die Frage vor, ob man nicht das Sal-
varsan wegen der zahlreichen unmittelbaren und späteren Schädi¬
gungen besser aus dem Heilschatz streichen soll. Was wir in der
Rön,tgentiefentherapie dringend brauchen, ist eine
umfassende Statistik der Schädigungen aller Art. In
Frage kommen nicht nur die mannigfachen Schädigungen der Haut,
sondern auch die Veränderungen der inneren Organe (Blase, Darm),
die Schädigungen des Blutes und der blutbereitenden Organe, der
Drüsen mit innerer Sekretion, weiter septische Infektionen, Nekrosen,
Fisteln, die Röntgenkachexie, die nervösen Ausfallerscheinungen usw.
Nicht zu vergessen ist die gar nicht sehr kleine Röntgenmortalität.
Unbedingt vorzuziehen wäre eine anonyme Sammelstatistik,
d. h. eine Statistik ohne Namensnennung der Einsender, ähnlich da¬
vor Jahresfrist aufgestellten Kölner Salvarsanstatistik (M e i r o w s k y).
Ich bin überzeugt, daß eine solche Statistik ganz anders ausfallen
wird, als es der schöne Optimismus Kurtzahns vermuten läßt.
Die temporäre Ausschaltung des N. pfirenicus.
Von San.-Rat. Dr. C. Wegele in Bad Königshorn (Westf.).
Eklige Tage, nachdem ich die Mitteilung Krohs in dieser Wochen¬
schrift, 1921 Nr. 33 gelesen hatte, erschien ein Patient in meiner
Sprechstunde mit der Angabe, seit 8 Tagen an unaufhörbarem
Singultus zu leiden, der ihm das Essen fast ganz und das Schlafen
völlig unmöglich mache. Der sehr verfallen aussehendc Kranke gibt
an, 41 Jahre alt zu sein (Fabrikarbeiter), habe niemals schwere Krank¬
heiten gehabt, auch habe er noch nie früher an Singultus gelitten.
Körpertemperatur normal, an Herz und Lungen nichts Abnormes fest¬
zustellen, der Magen und die Bauchorgaue zeigen weder Auftreibung
noch Schmerzhaftigkeit, es bestehen weder Kopfschmerzen, noch
Schwindel, noch irgendwelche Erscheinungen von seiten der Hirn¬
nerven, auch ist keine Steigerung der Reflexe nachweisbar. Da eine
Phrenikuskompression wirkungslos blieb und Patient einen schwer¬
kranken Eindruck machte, beschloß ich, bei diesem Fall das Ver¬
fahren Krohs der Novokokainisierung der beiden Nn. phrenici zu
empfehlen, und überwies den Kranken an die Chirurgische Abteilung
des Städtischen Luisenhospitals in Dortmund, wo Prof. He nie die
Freundlichkeit hatte, die Ausführung zu übernehmen. Diese hatte
(erst auf der einen, am andern Tag auch auf der andern Seite vor¬
genommen) vollen Erfolg, indem einige Stunden darnach der Singultus
völlig aufhörte, sodaß Patient nach Hause entlassen werden konnte
mit der Aufforderung, bei etwaigem Rückfall sich gleich wieder
vorzustellen. Nach 8 Tagen erschien er und berichtete, daß der
Singultus nicht wiedergekehrt sei. Man kann also das Verfahren in
solchen Fällen als leicht ausführbar, unschädlich und wirksam emp¬
fehlen und wird die Phrenikotomie (partiell oder total ausgeführt)
erst bei Fruchtlosigkeit der lokalen Anästhesierung des Nerven in
Erwägung ziehen. Für leichte Fälle habe ich Verabreichung von
1 gestrichenen Teelöffel Natron bicarb. bei vollem Magen oft wirk¬
sam gefunden, was normal als Reflexwirkung durch die dabei statt¬
findende Kohlensäureentwicklung aufzufassen ist. Auch wird man die
von Fuldl) erprobte Einführung der Magensonde, welche ja in der
Sprechstunde mit Leichtigkeit ausführbar ist, in Anwendung bringen,
bevor man zu den eingreifenden Methoden übergeht. Da sich die
Beobachtungen von langanhaltendem Singultus in letzter Zeit häufen,
sodaß man schon von einem „epidemischen“ Auftreten gesprochen
und sie sogar mit „Enzephalitis“ und Grippe in Zusammenhang ge¬
bracht hat, so ist es jedenfalls von Vorteil, verschiedene Methoden
je nach Schwere des Falls zur Verfügung zu haben.
Der gegenwärtige Stand der Pankreaserkrankungen.
Von Prof. Dr. Gustav Singer in Wien.
(Schluß aus Nr. 5.)
II.
Die geschilderten, von der Klinik fesfgestellteu funktionellen Zu¬
sammenhänge machen die Beziehung von Funktionsstörungen und
Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse mit anderen Erkran¬
kungen offensichtlich. Ein großes Feld für Experiment und klinische
Beobachtung ergibt sich in der Verbindung mit dem Diabetes, die bis¬
her allerdings mehr theoretische als praktische Aufklärung gebracht
hat. Die oft begleitende Fettsucht muß als gleichwertiges Glied
in der Reihe der konstitutionellen Veränderungen angesehen werden.
Sie führt zur Lipomatose des Pankreas, nicht selten aber zur
Nekrose; hauptsächlich in physiologischen Versuchen ist die Be¬
deutung des Pankreas im Fettstoff Wechsel sichergestellt.
Zwei Prozesse zeigen häufig Beziehungen zu Erkrankungen des
Pankreas: die Affektionen der Gallenwege und das Magen-
1 ) B. kJ. W. 1921 Nr. 36.
Digitized by
Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
194
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 6
bzw. Duodenalgeschwür. — Die von ersteren ausgehenden
Schädigungen der Bauchspeicheldrüse sind in der Klinik längst ge¬
würdigt, dagegen haben erst die Erfahrungen der letzten Jahre ein
häufigeres Zusammentreffen der chronischen Geschwürsprozesse mit
markanten Läsionen des Pankreas festgestellt (Penetration, Entzün¬
dung, Nekrose).
Von Allgemeinerkraukungen müssen als auslösende Ursachen der
Alkoholismus und die Arteriosklerose sehr beachtet werden.
Eine große Bedeutung hat die Syphilis; sie ist, wie ich schon
im Jahre 1910 nach mehrjährigen Erfahrungen zeigen konnte, eine
nicht seltene Ursache leichterer, mitunter aber auch schwerer Er¬
krankungen, welche unter kachektischen Allgemeinerscheinungen und
den Symptomen des Pankreasausfalles einhergehen können. In der
Regel handelt es sich um gummöse Infiltration bzw. chronische
Entzündung, wobei — wie ich jüngst wieder zeigen konnte — neben
Störung der äußeren Sekretion eine beträchtliche Glykosurie und
hochgradige Ernährungsstörung sich zeigen. Leberschwellung und
Ikterus verstärken den Verdacht auf Pankreaserkrankung, welche in
diesen Fällen sowie bei manchen Tumoren mit chronischem Ver¬
laufe zu einer bronzeartigen Verfärbung der Haut führen
können (DiabHe bronc€). Bei vorhandenem Ikterus ist der Aus¬
fall der Wa.R. weniger beweisend als die Ausflockung nach Mei-
nicke, doch wird in vielen Fällen auch trotz Fehlens beweisender
Anhaltspunkte die Annahme einer syphilitischen Aetiologie thera¬
peutische Erfolge bringen. In einer eindeutigen Beobachtung (W. kl. W.
1920 Nr. 22) konnte ich unter Quecksilber-Salvarsan binnen kurzem
eine auffallende Regulierung des Zuckerstoffwechsels, die vorher auf
diätetischem Wege nicht gelang, und rasche, prompte Heilung er¬
zielen.
Auf den Zusammenhang mit innersekretorischen Einwirkungen
ist die häufige Beeinflussung der Bauchspeicheldrüse bei Erkran¬
kungen der Schilddrüse, speziell beim Basedow, zurückzu¬
führen (Störungen der Fettresorption, thyreotoxische Diarrhöen durch
Pankreashypochylie).
Hier erwähne ich auch einen Fall diffuser chronischer Sklero¬
dermie mit Athyreose, welcher lange Zeit merklich durch Schild-
drüsentherapie (siehe G. Singer, B. kl. W. 1895 Nr. 11) ge¬
bessert wurde. Die Sektion ergab ein ausgedehntes Karzinom des
Pankreas.
Die Klinik kennt einige abgegrenzte Krankheitsbilder, welche
neben den vorangeführten, für Ausfall oder Unterfunktion der Bauch¬
speicheldrüse sprechenden Veränderungen noch einzelne individuelle
Symptome zeigen; dabei ist wieder hervorzuheben, daß die früher
beschriebenen Ausfallserscheinungen durchaus nicht vollständig vor¬
handen sein müssen und daß noch weniger ein Parallelismus zwischen
der Schwere der Erkrankung und der Ausbildung der spezifischen
Symptome vorherrscht. Man kann im Gegenteil recht häufig sehen,
daß eine lange Latenz gerade bei wichtigen Erkrankungen des
Pankreas vorliegt. Das macht sich besonders unangenehm in der
Diagnose der Tumoren fühlbar, welche, wenn sie einmal mit
deutlichen, auf Pankreasausfall zu beziehenden Erscheinungen ver¬
laufen, bereits im Stadium der Inoperabilität angelangt sind. Bei
der Arteriosklerose älterer Personen, besonders bei fettleibigen Pota¬
toren, treten unter heftigsten Leibschmerzen und Kollaps plötz¬
liche Todesfälle ein, als deren Ursache die Sektion einen großen
Bluterguß in der Bauchspeicheldrüse und von da ausgehend oft
in der freien Bauchhöhle ergibt (Pankreasapoplexie). Die
Diagnose wird anscheinend hödist selten gemacht: bei explorativen
Eingriffen kann der Zufall zur Aufdeckung des Ereignisses führen
(z. B. ein Fall von A. Exner, W. kl. W. 1917), der zur Heilung
kam. Kleinere Blutungen kommen bei der Nekrose, bei der
Pankreatitis vor und können isoliert bleiben. Traumatische Blu¬
tungen, Hämorrhagien durch Stauung und Embolie können zur Ur¬
sache späterer Erkrankungen (Zysten, Nekrosen) werden.
Von der echten Pankreasapoplexie zu unterscheiden ist die akute
hämorrhagische Nekrose des Pankreas. Sie teilt mit den
Nekrosen im allgemeinen die atypische Einwirkung des Pankreas¬
saftes, sozusagen in heterotoper Form. Man unterscheidet eine
akute hämorrhagische Nekrose, auch akute hämorrhagische Pankrea¬
titis genannt, eine Nekrose ohne Hämorrhagie, eine zur
Gangrän führende Nekrose und Abszeßbildung. Alle diese
Formen können ineinander qbergehen und sind klinisch kaum von¬
einander zu differenzieren. Die entzündlichen infektiösen Formen
gehen oft von infektiösen Erkrankungen der Nachbarschaft (Gallen¬
wege) aus, doch sind vorausgegangene Traumen, Gefäßrup¬
turen nach körperlichen Anstrengungen wiederholt beobachtet wor¬
den. Oft tritt die Erkrankung in einem bereits vorher geschädigten
Organ auf. Nicht bloß in der Drüse selbst, sondern auch- in der
Umgebung, im Fettgewebe, am Peritoneum, tritt Gewebsschädigung
durch Verdauung auf, welche jedoch nicht von dem normalen un-
aktivierten Pankreassekret ausgehen kann. Die aktivierende Wir¬
kung auf das Pankreassekret, welches durch Trauma und durch alle
eine Sekretstauung bedingenden Momente (Kompression oder Ver¬
stopfung der Ausführungsgänge) in die Umgebung diffundiert, kann
von den Drüsenzellen selbst, von den Bakterien, von der Galle und
vom Darmsaft eingeleitet werden. Bei der Nekrose wird durch
Steapsinwirkung das Fettgewebe in Fettsäuren und Glyzerin zerlegt.
Als disponierende Momente kommen neben den genannten allgemeinen
Veränderungen (besonders Fettsucht) Gallen- und Pankreassteine
Litnmsis pancfea^ai häufiges Erbrechen mit Regurgitieren
es Uarminhaltes in die Dfiise (begünstigt durch aberrierende Aus¬
führungsgänge — Ductus Santorini) in Betracht, schließlich nicht
selten Magen- und Duodenalgeschwüre mit Penetration. Das Leiden
ist sehr schwer und zeigt die Symptome -des Ileus mit Schmerz
und Meteorismus im Oberbauch, wobei peritoneale und toxische
Allgemeinerscheinungen der Erkrankung ein schweres Gepräge geben.
Der Zusammenhang mit Gallensteinen ist auch durai voran¬
gegangene cholelitniasisähnliche Attacken gegeben, doch können
diese kleinen vorangegangenen Attacken bereits Anfänge der omi¬
nösen Pankreaserkrankung gewesen sein. Manchmal gelingt es, das
Pankreas zu tasten, ein oder das andere Begleitsymptom (Glykos¬
urie) kann aufklärend wirken, doch ist oft die Diagnose nur ver¬
mutungsweise oder per exdusionem zu stellen. Sich selbst über¬
lassen, führt die Krankheit in der Regel zum Tode. Die Therapie
besteht im operativen Eingriff, der sich zumeist auf die Inspektion
der Drüse, Spaltung der Kapsel und Drainage zu beschränken hat.
Achtung auf Erkrankungen der Gallenwege unerläßlich! Die Pro¬
gnose ist günstiger, je früher die Operation ausgeführt wird, darum
ist auch bei Verdacht auf eine deratige Erkrankung, selbst bei un¬
bestimmten peritonitischen Erscheinungen, die Frühoperation ge¬
rechtfertigt (Körte). Chloroformnarkose (Hildebrandt)
gefährlich!
Eine Folge der Nekrose sowie auch manchmal subkutaner Pan¬
kreasverletzungen können Zystenbildungen sein. Die echten
Pankreaszysten sind entweder Proliferations- oder Retentionszysten.
Die ersteren gehören zu den Neubildungen und sind meistens
reine Zystome oder Zystadenome. Die zweite Form entsteht durch
alle Vorgänge, welche den Abfluß des Pankreassekretes stören oder
unterbrechen, z. B. chronische Pankreatitis, Verstopfung, Verenge¬
rung der Ausführungsgänge, Steinbildung. Einen Fall, wo Re¬
tentionszysten mit diffuser Pankreatitis und Verödung des ganzen
Pankreasgewebes kombiniert waren, hat Lazarus beschrieben. Sie
werden oft vorgetäuscht durch Mesenterialzysten, Flüssigkeitserguß
im kleinen Netzbeutel und können häufig syraptomlos ziemliche
Größe erreichen. Subjektive Symptome (Schmerzen) sind nicht ver¬
läßlich, Verdauungsbeschwerden und Druckphänomene auf die be¬
nachbarten Organe werden erst bei starker Größenzunahme bemerk¬
bar. In der Mehrzahl der Fälle geht die Zyste von der Kauda aus,
höchst selten vom Kopf; darum fehlen zumeist Kompressionserschei¬
nungen im Ductus choledochus. Der Palpationsbefund (Fluktuation
oder Pseudofluktuation und prall-elastische Konsisteifz), die Lagerung
hinter dem Magen oder Kolon (Aufblähung, Palpation vor dem Rönt¬
genschirm bei gefülltem Magen und Kolon) leiten zur Diagnose.
Die Geschwulst kann sehr verschieblich sein, in ihrer Größe mit¬
unter an Ovarialzysten erinnern. Ausfallserscheinungen im Stuhl,
fortschreitende Abmagerung (Albu) sind seltener als wenig gestörtes
Befinden und Ernährung. In einem meiner Fälle, den H. Lorenz
erfolgreich operierte (Dem. Ges. D. Aerzte, 24. VI. 1921), fehlten
subjektive Störungen, Appetit und Ernährungsverhältnisse waren nor¬
mal. Trotzdem zeigte sich Kopf und Körper des Pankreas durch
die überkindsfaustgroße Geschwulst substituiert. In diesem Falle,
dessen Exstirpation große technische Schwierigkeiten bereitete, mußte
ein Stück des Duct. Wirsumgianus in den Magen implantiert werden.
Vollständige Heilung. — Für die Diagnose der Zysten verlangt Albu
den Nachweis der drei Fermente im Inhalte, welche übrigens in
sicheren Zysten auch fehlen. Die Behandlung muß chirurgisch sein
(Gefahr der Ruptur).
Die klinisch wichtigste Form der Tumorbildung ist das Pan¬
kreaskarzinom. Es kann primär, in seltenen Fällen sekundär, als
Metastase von Magenkarzinomen auftreten. Der Kopf ist in */ 3 der
Fälle Sitz der Neubildung, die nach Oser in 61 o/o der Fälle bei
Männern gefunden wird (meistens der Skirrhus). Im klinischen
Verlauf unterscheidet Albu 1. bis zum Tode latent bestehende
Fälle, 2. solche mit frühzeitiger Ernährungsstörung und Kräfte-
verfall, 3. Fälle mit spezifischen Organausfallserscheinungen, 4. solche
mit Kompression des Ductus choledochus und cysticus, 5. mit rasch
zunehmendem Ikterus, 6. Fälle, die zur Kompressionsstenose des
Pylorus und Duodenums führen.
Bard und Pic haben vier typische Symptome beschrieben: den
Ikterus mit allmählich zunehmender dunkler Hauttönung bei klein -
bleibender Leber, die palpable Ausdehnung der Gallen¬
blase, normal bleibende Temperatur und rasches Fortschreiten
der Kachexie. Von einem gesetzmäßigen Verhalten in dem an¬
gegebenen Sinne ist natürlich keine Rede. Die Kompressionsphäno¬
mene können ganz fehlen, wenn der Tumor exzentrisch im Kaput
sitzt. Wichtig ist die häufige isolierte Vergrößerung der Gallen¬
blase (Courvoisiersches Symptom). Aber auch dieses Zeichen
ist unverläßlich (Körte, Heiberg), zumindest tritt es erst bei
fortgeschrittenem Wachstum des Tumors in Erscheinung. In einem
Falle meiner Beobachtung, der lange Zeit unter ganz unbestimmten
Symptomen verlief, zeigte es sich ohne Ikterus erst zu einer Zeit,
afs schon die progrediente Abmagerung mit großer Wahrscheinlich¬
keit auf ein malignes Neoplasma hinwies. Die bald darauf vor¬
genommene Operation ergab ein inoperables Karzinom. Jedenfalls
findet man häufiger lange Zeit ein Fehlen charakteristischer Er¬
scheinungen, unbestimmte dyspeptische Symptome, häufig Anazidität,
ab und zu Blut im Stuhle. Beim Röntgen sahen Ei sie r und Kreuz-
fuchs „duodenale Magenmotilität“. Die Karzinome des Korpus und
der Kauda sind .oft mit deutlichen Ausfallserscheinungen der äußeren
und der inneren Sekretion verbunden. Charakteristisch sind auf¬
fallende, tiefliegende, in den Rücken ausstrahlende Schmerzen, welche
nach Oser durch die innige Beziehung zum Plexus solaris zu er-
Digitized by Gck sie
Original fro-m
CORNELL UNIVERSUM
9. Februar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
195
klären sind. Chauffard unterscheidet ein „Syndröme pancrea-
tico-biliaire“ von dem „Syndrome pancreatico-solaire“.
Beim letzteren fehlt der Ikterus; krisenartige Schmerzen sowie
rasche Abmagerung sind charakteristisch. Bei der Diagnose legt
Heiberg großes Gewicht auf die Fäzes- und Fermentuntersuchungen.
Aehnlich wie bei den bisher genannten Erkrankungen sind die
Kriterien für chronische Formen der Pankreasentzündung.
Sie können aus den früher geschilderten akuten und bedrohlichen
Affektionen hervorgehen. Es können akute Allgemeininfektionen oder
entzündliche Prozesse der Nachbarschaft (Gallenwege, Ulkus) zu
einer Lokalisation der Entzündung im interstitiellen Gewebe
führen, woraus dann bestimmte chronische Entzündungsprozesse mit
den für Pankreasaffektion charakteristischen Erscheinungen hervor¬
gehen. Alkoholismus, Zirrhose, Tuberkulose können mit
der interstitiellen Pankreatitis kombiniert sein. Eine klinische Sonder¬
stellung hat die mit Diabetes kombinierte chronische Pankreatitis.
Zwei Formen müssen noch genannt werden, das ist die Pankrea¬
titis bei Mumps (Neurath) und die Steinbildung im Pankreas.
Die letztere Affektion ist sehr selten, verläuft klinisch mit ähnlichen
Kolikanfällen wie die Gallensteinkrankheit und kann nach Lazarus
• isoliert oder mit Folge- und Ausfallserscheinungen am Pankreas
auftreten. Lazarus verlegt zwar die Schmerzen in das linke
Hypochondrium, doch unterscheiden sich nach den Schilderungen
anderer Beobachter die Symptome wenig von denen der Gallenkolik.
Gläßner fand zwei bohnengroße Steine nach einem Anfall,
deren Mantel aus kohlensaurem und phosphorsaurem Kalk bestand.
•V Ich möchte hier auf die Möglichkeit der Verwechslung mit Lithiasis
intestinalis aufmerksam machen. Nach Robson und de Quer¬
vain, v. Noorden gelingt der Nachweis von Steinen im Rönt¬
genverfahren. Eichhorst sah starken Speichelfluß während
der Anfälle, Gläßner legt Gewicht auf ein länger dauerndes Vor¬
stadium mit Ikterus, Abmagerung und Koliken, welche nach einem
besonders heftigen Anfall dann zur Ausscheidung der Konkremente
im Stuhl führen. Für die Diagnose ist das wechselvolle Verhalten
der Untersuchungen und eine kurz nach dem Anfall vorgenommene
Stuhluntersuchung nötig, da hier sowie bei Gallen- und Nieren¬
steinen nur eine vorübergehende Insuffizienz des Organes vorliegen
kann (Heiberg). Die Lithiasis pancreatica ist ein sehr interessantes,
unter verschiedensten klinischen Formen verlaufendes Leiden. Kar¬
zinom, chronisch indurative Pankreatitis, Kombination mit Gallen¬
steinen sind wiederholt dabei beobachtet worden. Die Operation
ist nicht ungefährlich, im Anfall versagt oft das Morphin. Eich-
horst empfahl das Pilokarpin zur Herausbeförderung der Steine,
Gläßner die Oelkur.
Die Beziehungen des Pankreas zur hypertrophischen Leberzir¬
rhose, die in einem echten Diabetes oder transitorischer Glykosurie
sich äußern können, bringen oft die mit Hämochromatose cha¬
rakterisierte Erkrankung zustande, welche als eine Form des Dia-
bete bronce beschrieben wird. Wir haben gesehen, daß ein Teil
dieser Falle nachweisbar auch auf Syphilis beruht.
Die Beziehung von Pankreaserkrankungen zu den Blutdrüsen
zeigt ihre Auswirkungen in der Klinik des Diabetes, der Fett¬
sucht, des Basedow und der Akromegalie. Klinisch muß auch
an die vom Pankreas beigestellte Komponente im Syndrom der „In-
suffisance pluriglandulaire“ erinnert werden.
Die interne Therapie der verschiedenen Pankreaserkrankungen
ist symptomatisch; leichte Formen heilen sicher oft unerkannt aus.
Im Zusammenhänge mit bestimmten anderen Erkrankungen ist auch
an eine funktionelle Minderwertigkeit der Bauchspeicheldrüsenaktion
zu denken. Hier kann man nach physiologischen Voraussetzungen
die äußere Drüsenfunktion durch verschiedene Mittel anregen, vor
allem durch Salzsäure in konzentrierter Form und in großen
Dosen; die Verordnung löslicher Kalk salze, welche das Pankreas-
sekret aktivieren; schließlich die bekannten Pankreasersatzprä¬
parate (Pankreatin, Pankreon), welche nach v. Noordens Vor¬
schlag in großen Dosen gegeben werden müssen. Die große Zahl
der Cholagoga und salinischen Abführmittel sowie die Trinkkuren
kommen auch hier zur Verwendung. Von dem von Schmieden
empfohlenen Jodkali wird man bei chronisch indurativen Prozessen
um so eher Gebrauch machen, als nicht selten eine Lokalisation der
Syphilis hier vorliegt. Diese Aetiologie spielt sicher neben den ent¬
zündlichen und metastatischen Formen eine große Rolle; kombinierte
antisyphilitische Behandlung empfiehlt sich auch dort, wo Anhalts¬
punkte für Syphilis nicht erwiesen sind.
Die Diätbehandlung bei den chronischen Pankreaserkran¬
kungen wird im Einzelfalle sich der im Stuhlbilde nachgewiesenen
Störung anpassen müssen. Meistens bewährt sich die von Wohl¬
gemut/] empfohlene antidiabetische Eiweiß-Fettkost, welche
auch eine Beschränkung der Saftabscheidung erzielt. Doch wird man
im Einzelfalle auf die durch die Funktionsprüfung erwiesene Tole¬
ranz für Fett achten und für eine feinere Verteilung des Fleisches
Sorge tragen.
Die Indikationen zum chirurgischen Eingriff werden vielfach
durch die Verläßlichkeit der klinischen Beobachtung und der diagno-
sti'Hien Methoden vorgezeichnet. Bei begründetem Verdacht auf eine
der ernsteren Formen der Pankreaserkrankungen ist der explorative
Eiiurriff möglichst rasch vorzunehmen. Im übrigen ist die Mehrzahl
wTr unter der Voraussetzung anderer Erkrankungen aus-
wfiihH^Lorden Der Ileus und die Gallenblasenerkrankungen stehen
erster Stelle. Die Aussichten des Eingriffes, der bei der
Exstirpation von Tumoren an die Technik oft die größten Anforde¬
rungen stellt, werden um so besser werden, je zielbewußter wir
lernen werden, gewisse Formen der Pankreaserkrankungen frühzeitig
chirurgisch anzugehen. Das kann nur durch eine Vertiefung in die
abwechslungsreiche Klinik und durch einen feinen methodischen Aus¬
bau der Funktionsprüfungen im Dienste der Pankreasdiagnostik er¬
reicht werden.
Gynäkologische Ratschläge für den Praktiker.
. Von Prof. W. Llepmann in Berlin.
VI.
Die Extrauteringravidität, die Störungen der Menstruation
und die Sterilität.
Kaum eine Diagnose ist für die Patientin .von so lebensrettender
Bedeutung wie die Diagnose Extrauteringravidität. Ihre Aetiologie
soll an dieser Stelle als bekannt vorausgesetzt werden. Die Lokali¬
sation in diesem oder jenem Tubenabschnitt mag wissenschaftlich
interessant sein, für den Praktiker ist einzig und allein die Diagnose
von Bedeutung.
Diagnose: Gewöhnt sich der Arzt daran, bei jeder inneren Blu¬
tung, die sich durch Shok, Kollaps, schwere Anämie kennzeichnet, an
Extrauteringravidität zu denken, so ist für die Diagnose viel ge¬
wonnen. Gewiß, ein stielgedrehter Ovarialtumor kann ähnliche Er¬
scheinungen hervorrufen. Auch eine stürmisch verlaufende Epityphlitis
oder Perforationsperitonitis kann, soweit der Shok in Frage kommt
und die Temperatur nicht berücksichtigt w'urde, einen ähnlichen Ein¬
druck erwecken. All diese Krankheitsbilder aber erfordern wie die
Extrauteringravidität einen sofortigen Tansport der Patientin in die
Klinik, in der ja dann dieser diagnostische Irrtum ohne Schaden
für die Patientin aufgeklärt würde. Es ist falsch, bei einer geplatzten
Extrauteringravidität durch eine Konsultation Zeit zu verlieren, die
Blutstillung, die nur in der Klinik möglich ist, rettet allein das
Leben der Patientin. Zahlreiche Erfahrungen aller Kliniker zeigen,
daß es selbst bei völlig pulslosen Frauen noch gelingt, diese durch
eine schnell und geschickt ausgeführte Operation zu retten. Schon
bei Verdacht von Tubenruptur bei Bauchhöhlenschwangerschaft ist
klinische Ueberweisung erforderlich, sonst geht es wie in einem
Falle, den ich vor nicht allzu langer Zeit erlebte, in dem gegen
meinen Rat mit der Operation gewartet w r urde und die Frau sich
dann in der Nacht, ehe Hilfe möglich war, verblutete.
Aber zum Glück verlaufen nicht alle Extrauteringraviditäten so
stürmisch, nicht alle Tubargraviditäten rupturieren (äußerer Frucht¬
kapselaufbruch, Tubenruptur), die Zerstörung und Dehnung der Tuben¬
wand durch die wachsenden Zotten können auch zum Tubarabort
führen, d. h. zum inneren Fruchtkapselaufbruch, der weniger stür¬
misch verläuft; hierbei wird das durchblutete Ei entweder ganz in
die Bauchhöhle geschwemmt, und die nachfolgende Blutung ver¬
wandelt die Tube in einen prallgefüllten, tastbaren Bluttumor, oder
das Ei bleibt als inkompletter Abort in der Tube stecken, das dabei
vorbeirieselnde Blut fließt entweder in die freie Bauchhöhle, sich
meist im hinteren Douglas als Hämatocele retrouterina sammelnd
oder bei größerer Gerinnungsfähigkeit sich als Hämatocele peri-
tubaria um den Eileiter schlagend. Bei diesen beiden letztgeschilder-
ten Entwickelungsmodi werden die hierbei vorangehenden Tuben-
wehen von den Frauen meist deutlich empfunden und auch auf der
richtigen Seite lokalisiert. Die seltenen Fälle von ausgetragenen
Tubargraviditäten und von Steinkinderbildung sollen hier übergangen
werden.
Kommen wir nun zur speziellen Diagnose: Es fühlen sich die
Patientinnen meist schu'anger, die Menstruation ist selten keinmal,
oft ein- oder zweimal ausgeblieben, plötzlich treten bei irgendeinem
äußeren Anlaß, bei einer heftigen Bewegung bei der Hausarbeit
Schmerzen auf, und gelegentlich geht bei leichter Temperaturerhöhung
auch eine Blutung nach außen ab. Gerade diese leichtere Blutung,
die durch Abstoßung der bei jeder Extrauteringravidität im Uterus
sich bildenden Dezidua bedingt ist, führt in der Praxis nur allzu leicht
zur Diagnose: Abort.
Und doch ist für die Diagnose der Extrauteringravidität der Ab¬
gang der charakteristischen dreizipfligen, fruchtleeren Decidua extra-
uterina das sicherste und sichtbarste Zeichen einer Bauchhöhlen¬
schwangerschaft. Der von der Patientin selbst zum Abort gerufene
Arzt will die letzten Reste des angeblichen Eies mit der Kürette
entfernen, und das Unglück ist geschehen. Wer sich gewöhnt, bei jeder
Schwangerschaft und bei jedem Abort beide Tuben zart und vor¬
sichtig, eventuell mit Hilfe des ungefährlichen Aetherrausches (cave
brennendes Licht) abzutasten, stets an die Möglichkeit einer Bauch¬
höhlenschwangerschaft zu denken, der winL solche, die ärztliche Re¬
putation schädigenden Nackenschläge vermeiden. Nach Aus¬
stoßung dieser dreizipfligen Dezidua ist der Uterus
einer solchen Frau einNoli me tangere.
Aber nicht immer ist die Diagnose der Bauchhöhlenschwanger¬
schaft so leicht. In den ersten Wochen ist sie bei lebender Frucht
selbst von dem geübtesten Untersucher nicht zu stellen. Der Uterus
zeigt durch die Bildung der eben erwähnten Dezidua eine der in¬
trauterinen Schwangerschaft ähnliche Vergrößerung und Erweichung.
Das sind die Fälle, wo die Ruptur bei der bimanuellen Untersuchung
selbst ohne jegliche Schuld des Arztes geschehen kann. Kommt es
aber in diesen frühen Wochen der Tubargravidität zur Spontanruptur,
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
196
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
so kann selbst das wichtige anamnestische Hilfsmittel versagen: der
Ausfall der Menstruation; sobald aber die Blutung in die Tube er¬
folgt ist, ist die Diagnose bei einiger (jebung nicht schwer. Der ein¬
seitige, wurstförmige Tumor der Tube läßt sofort unsern Verdacht auf
Extrauteringravidität wach werden. Kleinere Zysten des Ovariums, die
differentialdiagnostisch in Frage kommen können, lassen sidi meist
durch ihre kugelige Beschaffenheit und ihre Abgrenzbarkeit vom
Tubenrohr ausschließen. Bei der Gefahr, die der Patientin bei jeder
Bauchhöhlenschwangerschaft drohen kann, stelle man im Zweifels¬
falle immer die Diagnose Graviditas tubaria.
Leichter ist infolge ihres größeren Volumens die Hämatocele
tubaria zu diagnostizieren, ebenso leicht die Hämatocele retrouterina.
deren Diagnose sich eng an die diagnostischen Hilfsmittel beim
Douglas-Abszeß anschließt: auch hier besteht die Vorwölbung des
hinteren Scheidengewölbes, die weiche Resistenz, die Antepositio uteri.
Die differentialdiagnostisch in Frage kommende Retroflexio uteri
gravidi ist durch eine^ Probepunktion vom hinteren Scheidengewölbe
leicht auszuschalten; besteht gleichzeitig eine Blutung aus dem Uterus,
so wird auch seine Sondierung zur Klarheit führen, aber die Son¬
dierung muß unterbleiben, wenn es aus dem Uterus nicht blutet.
In besonders gearteten Fällen kann es zu Verwechselungen mit ent¬
zündlichen Erkrankungen der Adnexe kommen, und selbst die Tem-
peraturmessuug kann uns keinen vollständigen Aufschluß geben, mei¬
stens aber werden Adnexerkrankungen ja doppelseitig sein und da¬
durch sich ausschließen lassen. In solchen schwierigen Fällen emp¬
fiehlt es sich, eine Leukozyteuzählung vorzunehmen, deren Zahl sich
bei Blutergüssen in die Bauchhöhle zwischen 4000 und 9000, d. h. in
den normalen Grenzen hält, während bei entzündlichen Erkrankungen
der Tube und des Beckens überhaupt Werte von zehntausend und dar¬
über festzustellen sind.
Therapie: Die Bauchhöhlenschwangerschaft gehört in die
Klinik. Bei den zuerst von uns beschriebenen Fällen mit stürmischem
Verlauf ist das ja ohne weitere Ausführungen klar, aber auch bei den
zuerst unschuldig verlaufenden Fällen hat jeder Kliniker beobachtet,
daß im weiteren Verlauf plötzlich bedrohliche, sofortiges Eingreifen
erforderlich machende Blutungen auftreten können. Und dieses ist um
so eher verständlich, als man jetzt weiß, daß die zerstörende Tätig¬
keit der Zotten auch nach der Bildung einer Hämatozele fortbestehen
kann. Der Nachweis eines pankreatinähnlichen, eiweißspaltenden Fer¬
ments, wie ihn Berge 11 und ich erbracht haben, erklärt biologisch
dieses interessante Phänomen. Da die Prognose in jedem Falle un¬
sicher ist, sollte, wie schon eingangs gesagt, jede Extrauteringravidität
klinisch behandelt werden. Alle Maßnahmen des Blutersatzes haben
erst einen Zweck, wenn die Blutung gestillt ist. Wer gießt Wasser
in einen durchlöcherten Topf?
Nach der Operation wird der Blutersatz ain besten mit dem
eigenen Blut der Frau nach allen modernen klinischen Prinzipien von-
stattengehen.
Ist es zur völligen Ausbildung und Abkapselung einer retrouterinen
Hämatozele gekommen, so muß von Fall zu Fall entschieden werden,
ob konservativ mit den uns bekannten Mitteln resorbierender Be¬
handlung vorzugehen ist, oder ob auch hier eine Operation am Platze
ist, um die Gefahr einer Verjauchung der Hämatozele zu vermeiden.
Die Störungen der Menstruation und die Metrorrhagien.
Die Störungen der Menstruation, so vielfach ihre Aetiologie,
so sinnfällig ihre Beschwerden sind, bilden einen so häufigen Grund,
den Arzt aufzusuchen, daß ihre Besprechung im Zusammenhang aus
didaktischen Gründen sich empfiehlt. Wir werden die Störungen
der Menstruation und die Metrorrhagien zu teilen haben a) in die
Amenorrhoen, b) in die Menorrhagien, c) in die Dysmenorrhöen und
schließlich d) in die vom Typus der Menstruationen unabhängigen
Metrorrhagien.
Wenn wir an dieserj Stelle von der Amenorrhoe sprechen, so
schalten wir alle diejenigen Fälle aus, bei denen es wohl zu einer
Menstruation kommt, aber durch den Verschluß eines Teiles des
Genitalrohres das Blut nicht nach außen gelangen kann; Hämatokol-
pos, Hämatometra und Hämatosalpinx sind die Folgen dieser Pseudo¬
amenorrhoe, leicht zu diagnostizieren aus der Anamnese, oft schwer
zu behandeln durch die operative Oeffnung des Verschlusses.
Die echte Form der Amenorrhoe, soweit sie nicht physiologisch
bei Kindern, in der Schwangerschaft, bei stillenden Frauen und nach
dem Klimakterium vorkommt, ist ihrer Genese nach in drei Gruppen
zu teilen, je nachdem entweder erstens genitale Ursachen oder
zweitens allgemein körperliche Ursachen und schließlich drittens
Alterationen der Psyche sie bedingen. Das typische Beispiel für eine
genitale Amenorrhoe ist die ovarielle Amenorrhoe, die nach doppel¬
seitiger operativer Entfernung der Eierstöcke oder nach der Röntgen¬
kastration auftritt. Das klassische Beispiel für die genitaluterine
Amenorrhoe sind die Fälle von Totalexstirpation des Uterus, bei
denen ovuliert, aber nicht menstruiert wird. Abgesehen von diesen
Grenzfällen, spielt der Infantilismus eine wichtige Rolle. Führt er auch
nicht immer zur völligen Amenorrhoe, so ist doch fast ausnahmslos
bei ihm eine atypische Oligomenorrhoe zu beachten. Nicht selten
führt die Laktationsamenorrhoc zu langanhaltendem oder auch dauern¬
dem Ausbleiben der Menstruation, indem sich der Uterus in diesen
Fällen bis zur Atrophie zurückbildet. Selten sind die Fälle, in denen
durch frühzeitigen Follikelsprung oder durch doppelseitige Tumorbil¬
dung der Ovarien ein Ausfall der Regel bedingt wird.
Die allgemein körperlichen Ursachen hängen eng mit dem uns
mehr und mehr erschlossenen System der innersekretorischen Drüsen
Nr. 6
zusammen. Die Störungen der innersekretorischen Tätigkeit bedingen
bald bei den jungen Mädchen chlorotische Erscheinungen, bald amenor-
rhoische, bald beide. Alle erschöpfenden Krankheiten, wie Typhus,
Scharlach, Malaria, Tuberkulose, schwere Blutverluste und übermäßig
langes Stillen, Vergiftungen durch Alkohol, Morphium, Blei, Nikotin
und Phosphor, schädigen den Gesamtorganisnuis und üben dadurch be¬
greiflicherweise auch einen Einfluß auf die Ovulation und damit
auf die Menstruation aus. Manche Stoffwechselanomalien, wie Dia¬
betes, Nephritis, perniziöse Anämie, Karzinomkachexie, können bald
zur Amenorrhoe, bald zur Menorrhagie führen. Uebermäßige Fett¬
ansammlung bewirkt in den meisten Fällen Oligomenorrhoe, aber
nicht selten kommt es auch zum Krankheitsbilde der Amenorrhoe.
Wenn irgendwo der Einfluß der Psyche auf körperliche Krank-
heitsformeii sichtbar in die Erscheinung tritt, so ist es bei Störungen
der Menstruation, nur so kann man die Form von Amenorrhoe er¬
klären, die infolge psychischer Affekte, Schrecken, verändertes Milieu
(Dienstmädchen vom Lande in der Stadt, junge Mädchen in Pensio-
naten) entstehen. Auf derselben psychischen Genese beruhen die
überaus interessanten und gar nicht selten auftretenden Fälle von ein-
f ebildeter Schwangerschaft (Grossesse nerveuse), die man auch bei
ieren, z. B. bei Hündinnen beobachten kann und die lediglich bei
solchen Individuen auftreten, bei denen nach der Kohabilitation der
dringende Wunsch besteht, ein Kind zu haben. Ich bin ganz der
Meinung wie v. Jaschke, daß der immer zitierte gegenteilige Fall,
wo aus Furcht vor der Schwangerschaft die Menstruation ausbleibt,
viel seltener ist. Und wenn Koblanck einen Zusammenhang zwi¬
schen Onanie und Amenorrhoe derart konstruiert, daß er glaubt,
„daß durch den Reiz das Gebärinuttersekret, welches zum Zustande¬
kommen der Periode nötig ist, ausgestoßeu wird,“ so mache ich
ebenso dahinter ein Fragezeichen wie v. Jaschke, sowohl aus bio¬
logischer als aus klinischer Ucberlegung.
lieber die in den Jahren des Weltkrieges beobachtete Kriegs-
amenorrhoc ist soviel geschrieben worden, daß wir darauf verzichten
wollen, an dieser Stelle mehr davon zu sagen.
Diagnose und Therapie: Erst nach sicherem Ausschluß der
Schwangerschaft darf die Diagnose Amenorrhoe gestellt werden. Beim
Infantilismus sowohl wie bei den Störungen der inneren Sekretion hat
sich die Behandlung des Gesamtorganismus als vorzüglich bewährt.
Sport in jeder Form, möglichst im Freien, Wandern, Bergsteigen,
Schwimmen, Rudern, Segeln, Schlittschuhlaufen, Skilaufen, Rodeln,
Radeln und Reiten, bei gutem Landaufenthalt mit reichlicher Ernäh¬
rung sind oft besser als Eisen- und Arsenkuren, ja als Brunnenkuren
in Levico und Pvrmont. Alle Mittel, die die innere Sekretion unter¬
stützen, wie Oophorin, Lutein, Yohimbin, sind anzuwenden. In jüngster
Zeit haben sich in hartnäckigen Fällen Injektionen mit dem Hypo¬
physenpräparat Pituglandol bewährt; ich mache solche Injektionen
prinzipiell in den Musculus glutäus nach vorherigem Betupfen der
Stelle mit Jodtinktur. Bei atrophischem Verhalten der Genitalorgane
führen oft alle dieselben therapeutischen Maßnahmen zum Ziel, die
eine stärkere Durchblutung der Genitalien bewirken, wie Dampf-, Sitz-,
Sol-, Moor-, Lichtbäder der unteren Körperhälfte. In ganz hartnäckigen
Fällen habe ich noch mit der intrauterinen Galvanisation und mit der
Vibrationsmassage gute Erfolge gesehen. Die intrauterine Galvani¬
sation wird etwa dreimal wöchentlich drei Wochen dauernd so aus-
geführt, daß man nach sorgfältiger Säuberung der Portio mit Subli¬
mat die ausgekochte intrauterine Sonde in den Uterus legt und die
andere Elektrode möglichst groß wählt und auf die Blasengegend
aufsetzt. Man schickt am besten 15—25 Milliampere durch den Uterus
und wendet bei der Behandlung mehrfach den Strom. Koblanck
empfiehlt auch hier die nasale Behandlung durch Elektrolyse oder
auch Verätzung der Schwellung der unteren Muschel und des Tuberku-
lum septi. Dabei soll vollständige Heilung erzielt werden: der Mastur-
bationszwang wird beseitigt, und die Regel tritt wieder normal auf.
b) Menorrhagien : Man hat das Recht, von Menorrhagie als
Zustand einer pathologischen Menstruation zu sprechen, nur dann,
wenn der Organismus als Ganzes durch den Blutverlust geschwächt
wird. Die berühmten Schilderungen der Patientinnen, daß sie „eimer¬
weise“ Blut verloren haben, bedürfen unter allen Umständen einer kli¬
nischen Nachprüfung. Wie bei der Amenorrhoe, spielen auch bei der
Menorrhagie viel mehr, als wir früher wußten, innersekretorische Mo¬
mente eine Hauptrolle. Nur durch sie lassen sich die profusen, bis zu
schweren Herzstörungen führenden Blutungen der jungen Mädchen
erklären, bei denen früher die prinzipiell vorgenommene Kürettage
weder einen Sinn hatte, noch Erfolg brachte. Neben der inneren Se¬
kretion spielen auch hier allgemeine Erkrankungen, wie Herz- und
Lungenleiden, Tuberkulose, die bei Frauen seltene Leberzirrhoe und die
chronische Obstipation, sowie zahlreiche Infektionskrankheiten eine
Rolle. ■ l c
Wie bei der Amenorrhoe, sind auch hier die genitalen Ursachen
zu berücksichtigen, die wir als Metropathien in einem früheren Ar¬
tikel schon besprochen haben. Es handelt sich bei dieser Form der
menorrhagischen Metropathien des Uterus um eine Form der Asthenie,
bei der die Kontraktilität und Kontraktionsmöglichkeit der Uterusmus¬
kulatur herabgesetzt ist. Das klassische Beispiel einer solchen Asthenie
sehen wir bei dem Uterus der Aermsten cier Armen der Großstadt,
die durch zahlreiche schlecht verbrachte Wochenbetten und durch
schlechte Ernährung an protrahierten Blutungen leiden.
Diesen asthenischen Formen der Menorrhagien stehen die hyner-
ämischen Formen gegenüber. Gewisse Beschäftigungen, wie Ma¬
schinennähen, unzweckmäßige Modetorheiten (tiefsrtzende Korsette),
führen zu solchen hvperämischen Zuständen des Beckens; das klas-
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
9. Februar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
197
sische Beispiel aber für die Entstehung von Menorrhagien durch Bil¬
dung einer hyperämischen Schleimhaut bietet die pathologische Ana¬
tomie der Myome. Frankl hat in seiner Pathologischen Anatomie der
weiblichen Genitalorgane Gefäßnetze von so gewaltigem Umfang be¬
schrieben und abgebildet, daß sich förmliche Sinus wie in kavernösen
Organen bilden.
Schwere Blutungen können auch bei der bakteriellen Form der
Metropathia uteri (Myo-endometritis) auftreten. Und schließlich können
all diese Zustände die Hypertrophie des Uterus bedingen, die ihrer¬
seits wieder zu stärkeren Blutungen prädestiniert.
Diagnose: Jede atypische Blutung aus dem Uterus erfordert eine
sorgfältige bimanuelle Untersuchung. Fälle, die man immer und immer
wieder sieht, in denen wochen- und monatelang innerlich Ergotin-
präparate gegeben wurden und bei denen es sich gar nicht uin eine
Menorrhagie nandelte, sondern um ein beginnendes Karzinom, das nun
inoperabel geworden war, sprechen eine beredte Sprache. Alle
Merkblätter und Warnungen nützen nichts, solange
nicht jede uterine Blutung als kategorischen Impe¬
rativ die vaginale Untersuchung forciert. Bei jeder Blu¬
tung an Abort auf der einen Seite, an Karzinom auf der anderen Seite
denken, heißt manche Kraft sparen, manches Leben retten.
Therapie: Wie bei der Amenorrhoe, steht uns auch bei der
Menorrhagie ein großes therapeutisches Riisfzeug zur Verfügung.
Entsprechend unseren bisherigen Betrachtungen, wird man in erster
Linie an eine innersekretorische Behandlung zu denken haben und
wird neben Ovuglandol und ähnlichen Eierstockspräparaten Pituglan-
dolininjektionen ein- bis zweimal verordnen. Eine einfache und wohl
nachzuprüfende Methode hat Mansfeld empfohlen, der rät, eine mit
Watte umwickelte Sonde (Playfairsche Sonde), die in das Richtersche
Tonogen getaucht ist, ein bis zwei Minuten bis zum inneren Mutter¬
mund vorzuschieben und dort zu belassen; nebenbei wird man sich der
zahlreichen Sekalepräparate bedienen, die ganz anders auf die Asthenie
des Uterus wirken. Mit dem synthetischen, auch für die Kassenpraxis
zugelassenei: Tenosin sieht man häufig sehr prompte Erfolge.
Wir haben schon eingangs darauf hingewiesen, wie oft eine un¬
nötige Kürettage ausgefüprt wird, in manchen Fällen ist sie jedoch
nicht zu umgehen. Offenbar wirkt der Reiz der schabenden Kürette
anregend auf die Uterusinuskulatur. Sind, wie es im Klimakterium
vorkommt, die Menorrhagien außerordentlich stark, so tritt die Rönt¬
gentiefentherapie in ihre Rechte, die ich bei jungen Individuen
wegen der Schädigung der inneren Sekretion nur in Ausnahmefällen
angewandt wissen will. Aber trotz der Röntgentherapie wird es immer
noch Fälle geben, bei denen eine einfache vaginale Totalexstirpation
der Röntgenbehandlung vorzuziehen ist.
Daß bei den Menorrhagien, genau wie bei den Amenorrhoen, zur
Unterstützung unserer Therapie diätetische Vorschriften und alle Ma߬
nahmen, die den Gesamtorganismus kräftigen, am Platze sind, ist
wohl selbstverständlich.
c) Dynmeoorrhoe. So vielgestaltig die Art der Schmerzen
ist, die, vom Kopf beginnend, als Migräne und Neuralgien bis zu
Schmerzen im Beckenraum, im Kreuz und in die Oberschenkel aus¬
strahlen, so vielgestaltig sind die Ursachen der Dysmenorrhoe, so
vielgestaltig müssen auch die Mittel einer kausalen Therapie sein.
Es ist begreiflich, daß der asthenische Uterus, wie er besonders
beim Infantilismus vorkommt, nicht kräftig genug ist, das im Kavum
angesammelte Blut zu exprimieren. Es ist selbstverständlich, daß bei
entzündeter Gebärmutter bei der Menstruation Schmerzen auftreten.
Ebenso müssen mechanische Verengerungen am inneren Muttermund,
mögen sie nun angeboren oder duren Polypen oder Myome oder durch
spitzwinklige Anteflexio oder Retroflexio bedingt sein, Beschwerden
auslösen. Diese Schmerzen erreichen den höchsten Grad bei erwor¬
benem oder angeborenem Verschluß (Atresien) des Genitalschlauches
und bei entzündlich-adhäsiven Prozessen, die die Beweglichkeit des
Uterus hindern, wie wir sie bei der Parametritis posterior und der
chronischen Pelveoperitonitis auftreten sehen.
Die nervös-spastische Form sieht man besonders bei auch sonst
mit nervösen Stigmata behafteten Personen, und bei diesen kommt
es dann zu richtigen uterinen. Krämpfen. Die eben beschriebene
spatische Form der Dysmenorrhoe und die rein nervöse, bei der es
zu Krämpfen nicht kommt, bei der aber der ganze Körper so schwer in
Mitleidenschaft gezogen wird, daß an Arbeitsfähigkeit und Lebens¬
freude nicht zu denken ist, gehören zu den von Fließ gefundenen
nasalen Dysmenorrhöen.
Und schließlich wäre noch die ovarielle Dysmenorrhoe zu er¬
wähnen, die besonders charakteristisch bei dem sogenannten „Mittel-
schmerz^ sich bemerkbar macht. Genau zwischen zwei Menstruationen
treten diese ovariellen Dysmenorrhöen auf, offenbar ein Zeichen
dafür, daß die sonst nicht bemerkte, der Menstruation vorangehende
Ovulation auf irgendwelche uns noch nicht bekannte Hinder¬
nisse stößt.
Therapie : So muß in jedem Falle der Dysmenorrhoe die
Therapie sich der Ursache anpassen. Bei der asthenischen Form und bei
der entzündlichen Form gilt ganz das Gleiche, was wir schon bei der
Behandlung dieser Zustände gesagt haben. Bei der mechanischen
Form ist die Beseitigung des Hindernisses, je nach Lage des Falles
Dilatation Kürettage, Korrektur der Lageveränderung, Wiederher¬
stellung der Beweglichkeit des Organs durch Vibrationsmassage oder
Operation am^.^en nerv ^ sen formen sind soviel Medikamente be¬
trieben und werden täglich beschrieben, daß man sie unmöglich
aS empfehlen kann. Ich wende gern die Kombination von Hydrastinin
und Papaverin, das Hydrastopon au. Aber auch alle andern schmerz¬
stillenden Mittel, wie Salipyrin, Dionin, Pyramidon, Aspirin, Anti-
pyrin, finden gegebenenfalls ihre zweckmäßige Anwendung. Sind
die Schmerzen zu stark, so verschreibe man Suppositorien (Pantopon
0,02, Ext. Belladonnae 0,02). Immer würde ich aber empfehlen, bei
beiden Formen von nervöser Dysmenorrhoe den freien Rand der
unteren Nasenmuschel und des Tuberculum septi mit 2(Koiger Kokain¬
lösung zu behandeln. Man führt ein mit dieser Lösung angefeuchtetes
Wattebäuschchen im Nasenspiegel ein und läßt es 5 bis 10 Minuten
wirken. Tritt die manchmal wirklich überraschende Wirkung völliger
Schmerzlosigkeit ein, so empfiehlt es sich, durch Zerstörung dieser
Stelle mit Elektrolyse eine Dauerwirkung des Heilerfolges herbei¬
zuführen.
Unsre Erfolge bei der ovariellen Dysmenorrhoe und der seltenen
Form von Dysmenorrhoea membranacea, bei der das Stromalager der
prämenstruellen Schleimhaut abgehoben wird und die ein Analogon
in der Enteritis membranacea findet, sind sehr schlecht. Hier können
wir nur symptomatisch eine Besserung erzielen.
d) Metrorrhagien: Obgleich die Metrorrhagien nichts mit den
Anomalien der Menstruation zu tun haben, da sie ganz atypische Blu¬
tungen sind, so sollen sic trotzdem hier aus klinischen Rücksichten
Erwähnung finden. War für die Menorrhagie die Regelmäßigkeit das
Charakteristikum, so ist es bei der Metrorrhagie die Unregelmäßigkeit.
In bei weitem den meisten Fällen sind schlecht verlaufene Aborte und
Fehlgeburten, Subinvolutio uteri nach der Geburt die Ursache, dann
aber sind es Tumoren aller Art, die zu unregelmäßigen Blutungen, d. h.
zu Metrorrhagien führen können. In dem Abschnitt über die Uterus¬
tumoren wird hierüber zu reden sein. Für den Praktiker aber folgt
als dringendes Postulat: jede Metrorrhagie genau bimanuell zu unter¬
suchen, eine Probekurettage oder eine Stückchenexstirpation vorzu¬
nehmen und alsdann eine histologische Diagnose stellen zu lassen.
Die Sterilität.
Die Unfähigkeit, zu konzipieren, ist ein Leiden, das die Frauen
oft zum Arzt treibt, und es ist daher zweckmäßig, die verschiedenen
Gründe der Sterilität und ihre Behandlung im Zusammenhang zu be¬
schreiben. Wenn wir hierbei selbstverständlich die freiwillige, d. h.
die durch antikonzeptionelle Mittel hervorgerufene Sterilität nicht zu
besprechen haben, so wird sie dennoch in den Kreis unsrer Er¬
wägungen treten müssen, weil nicht selten die freiwillige Sterilität
im Laufe der Zeit zur unfreiwilligen wird.
Da die Konzeption durch die Vereinigung des Samenfadens mit
dem Ei erfolgt, so scheiden sich von vornherein diejenigen Fälle der
Sterilität, deren Ursache im Samenfaden liegt, von denen, deren Ur¬
sache im Ei zu suchen ist; da außerdem das befruchtete Ei bei der
Nidation auf einen entsprechenden Nährboden im .Uterus angewiesen
ist, so können auch Gründe der Sterilität in diesem Nährboden zu
suchen sein. Und schließlich kann die Sterilität in der mangelnden
Fähigkeit des einen oder des anderen der Ehegatten zu suchen sein,
den Koitus auszuführen (Impotentia coeundi).
Da in mehr als einem Drittel aller Fälle die Schuld
der Sterilität am Manne liegt, ist vor dem Beginn jeder
Sterilitätsbehandlung das Sperma zu untersuchen. Nach einem
Coitus condomatosus wird der mit Spermatozoen gefüllte Kondom zur
mikroskopischen Untersuchung gebracht.
Neben der Untersuchung auf die Lebensfähigkeit der Sperma-
tozoen ist es zweckmäßig, noch einen zweiten biologischen Versuch
anzustellen, indem man im hängenden Tropfen dem Scheidensekret der
Frau Sperma zusetzt. Man sieht dann nicht selten in Fällen von
Sterilität, daß die Beschaffenheit des Scheidensekrets die Beweglich¬
keit der Spermatozoen hemmt. In diesen Fällen versucht man, falls
die Genitalien der Frau sonst gesund sind, das Scheidensekret,durch
Spülungen ante coitum mit physiologischer Kochsalzlösung umzustim-
men. In Fällen, in denen dieses nicht gelingt, ist, immer die normale
Beschaffenheit der Genitalien vorausgesetzt, bei gegebener aseptischer
Technik eine künstliche Befruchtung wenigstens zu versuchen, denn
nur diese schützt die Spermatozoen vor der schädlichen Berührung mit
dem sie hemmenden Scheidensekret. Aber nicht nur die Unbeweg¬
lichkeit und die eben geschilderten chemischen Gründe können die
Samenfäden hindern, das Ei zu erreichen, auch mechanische Gründe
können in Frage kommen. Abgesehen von den Atresien, die auch
nach ihrer operativen Beseitigung infolge der bestehenbleibenden
Aenderung ihrer histologischen Struktur die Befruchtung hindern,
kommen Verlagerungen der Gebärmutter und, von Bumm besonders
betont, die Abflachung des hinteren Scheidengewölbes in Frage. Hier
wirkt oft eine lageverändenide Operation Wunder, während alle
Methoden der Hochlagerung des Beckens beim Koitus, der Verschluß
der Scheide post coitum mit steriler Watte versagen. Die früher so oft
geübte Diszission der Portio halte ich für wissenschaftlich nicht ganz
gerechtfertigt. Denn wenn man bedenkt, daß der Kopf des mensch¬
lichen Samenfadens 3—5 p breit ist, so kann man sich nicht vor¬
stellen, daß ein Kanal, den wenigstens eine feine Sonde passieren
kann, zu eng sein soll. Gegen die den Weg des Samenfadens hin¬
dernden Verklebungen, Abknickungen und Verschlüsse des Tuben¬
rohres sind wir machtlos. Liegt die Ursache der Sterilität in der Un¬
fähigkeit des Eies, sich nach der Befruchtung zu entwickeln oder
überhaupt die Befruchtung anzunehmen, so sind wir ebenso machtlos
wie bei der Azoospermie, Oligospermie und Nekrospermie.
Lieger, die Gründe in der Unfähigkeit der Gebärmutterschleimhaut
bei der Nidation, so führt eine Dilatation und Kürettage nicht selten
Digitized by Gougle
Original from
CORNELL UNIVERSSTV
198
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 6
zur Umstimmung der Schleimhaut. Submukös gelegene Myome und
Karzinome hindern natürlich jede Nidation.
Eine Besprechung der männlichen Impotenz muß an dieser Stelle
übergangen werden. Der gelegentlich bei der Frau auftretende Vagi¬
nismus kann hierbei eine gewisse Rolle spielen. Walthard hat
diesen Vorgang zuerst als psychischen Reflex gedeutet und auch
gelehrt, wie man ihn durch psychisch suggestive Behandlung heilen
kann: man läßt die Bauchpresse stark anspannen und führt dann ohne
Schwierigkeit Finger oder Dilatationsinstrumente in die Vagina ein.
Gelingt dieses, so wird dadurch die psychische Hemmung der
Patientin überwunden.
In seltenen Fällen von wirklicher Verengerung des Introitus
vulvae, die von nicht immer ganz potenten Männern nicht über¬
wunden werden kann, muß man sich entschließen, eine Episiotomie
mit nachheriger doppelseitiger Erweiterungsnaht auszuführen.
Nachtrag: Mittel gegen Blutungen. In der letzten Zeit,
nach Absendung meiner letzten Arbeit an die Redaktion, Dezember
1921, habt ich gute Erfahrungen mit dem von dem Luitpold-Werk,
München, hergestellten „Tampospuman“ gehabt. -Das Eigenartige
dieses Präparates besteht darin, daß es von den Patientinnen selbst
angewendet werden kann und durch die Entwickelung von Kohlen¬
säure und durch seinen Gehalt an Adrenalin und Styptizin gut wirict.
Ich habe «i meinen Fällen morgens, mittags und abends je eine
Tablette von den Patientinnen selbst einlegen lassen und danach
einstündige Ruhe verordnet. In schwierigen Fällen empfiehlt sich das
Einlegen vop entsprechenden Styli, die in 6 mm, 4 mm und 21/2 mm
Dicke hergestellt werden, in die Zervix. Bei der Schwierigkeit,
mancher Metrorrhagien und Menorrhagien Herr zu werden, ist jedes
neue Mittel, das sich als nützlich erweist, mit Freuden zu begrüßen.
Oeffentliches Gesundheitswesen.
Internationale Seuchenbekämpfung.
Von Oberreg.-Rat Dr. med. Breger in Berlin-Nikolasee.
(Schluß aus Nr. 5.)
Für das eingangs erwähnte großzügige Programm des Völker¬
bundes genügte der Rahmen des Internationalen Gesundheitsamtes
nicht. Man beschloß daher, ein neues Gebäude von Grund auf zu
errichten. Der Plan für eine neue ständige Hygieneorgani¬
sation beim Völkerbund wurde auf einer Internationalen Hy¬
gienekonferenz, die auf Einladung des Völkerbundsrats vom 13. bis
17. IV. 1920 im Gesundheitsministerium in London unter dem Vor¬
sitze des Hygieneministers Dr. Addison und des Staatssekretärs
Lord Aster stattfand, ausgearbeitet. An der Konferenz nahmen teil
Vertreter von England, Frankreich, Japan, Italien und den Vereinigten
Staaten von Nordamerika. Außerdem hatte das Internationale Rote
Kreuz, das Internationale Arbeitsamt und das Internationale Gesund¬
heitsamt zu Paris Vertreter entsandt. Die Vorschläge wurden in der
ersten Versammlung des Völkerbundes am 10. XII. 1920 in Genf ge¬
nehmigt. Die Aufgaben der internationalen gesundheitlichen Organi¬
sation beim Völkerbunde sollen sein:
1. den Völkerbund in allen gesundheitlichen Fragen zu beraten;
2. die Gesundheitsbehörden der verschiedenen Lander in engere
Beziehungen zueinander zu bringen;
3. eine größere Schnelligkeit des Nachrichtenaustausches zu er¬
zielen, um unverzüglich Schutzmaßnahmen gegen Krankheiten und
Epidemien zu ergreifen. Wenn in mehreren Ländern ein Eingreifen
nötig ist, soll aas Verfahren für ein rasches Handeln vereinfacht
werdep;
4. internationale Abkommen über Verwaltungseinrichtungen auf
esundheitlichem Gebiete herbeizuführen oder zu verbessern, ins-
esondere diejenigen Fragen zu prüfen, welche bezüglich der inter¬
nationalen Uebereinkünfte der ständigen Technischen Kommission
und der Generalkommission zu unterbreiten sind und den Schutz gegen
Gewerbekrankheiten und gewerbliche Unfälle bezwecken;
5. mit der internationalen Arbeitskommission zusammenzuarbeiten;
6. mit der Liga der Rote-Kreuz-Gesellschaften und ähnlichen Ver¬
bänden gemäß Artikel 25 der Völkerbundssatzung Hand in Hand zu
gehen;
7. anderen Körperschaften über Fragen der internationalen Ge¬
sundheitspflege Auskunft zu erteilen;
8. aut Verlangen Studienkommissionen zu entsenden.
Die Gesundheitsabteilung beim Völkerbund besteht aus folgenden
Organen:
1. der Generalkommission, 2. der Ständigen Technischen Kommis¬
sion, 3. dem Völkerbundsamt für Gesundheitspflege.
Die Generalkommission, eine Art Weltgesundheitsrat, setzt
sich zusammen aus den jeweiligen Delegierten zu dem leitenden
Komitee des in Paris eingerichteten Internationalen Gesundheitsamtes
(1907), aus weiteren Vertretern der an diesem Amte beteiligten Ver¬
tragsstaaten und aus Delegierten derjenigen Mitglieder des Völker¬
bundes, welche dem zu Rom am 9. XII. 1907 geschlossenen Ab¬
kommen nicht beigetreten sind. Die Generalkommission soll minde¬
stens einmal im Jahre zu Paris in den Räumen des alten inter¬
nationalen Gesundheitsamtes tagen. Außerdem kann der Völkerbunds¬
rat im Bedarfsfälle eine außerordentlich«! Sitzung anberaumen. Die
Generalkommission kann Unterkommissionen für besondere Fragen
bilden. Die Delegierten können besondere technische Sachverständige
in Anspruch nehmen, jedoch sollen diese kein Stimmrecht haben.
Die Ständige Technische Kommission, auch Exekutiv¬
komitee genannt, soll bestehen aus Delegierten derjenigen Staaten,
welche ständig im Völkerbundsrat vertreten sind, und aus fünf Mit¬
gliedern, die von der Generalkommission auf Grund ihrer wissen¬
schaftlicher. Bedeutung nach ihrer Staatsangehörigkeit gewählt werden.
Es sollen ihr ferner angehören der Vorsitzende der Generalkommis¬
sion, ein Vertreter der Liga der Rote-Kreuz-Gesellschaften und ein
solcher der Internationalen Arbeitsorganisation. Die Technische Kom¬
mission soll mindestens viermal im Jahre zusammentreten. Sie kann
Unterkommissionen bilden und auf einzelnen Gebieten den Rat be¬
sonderer Sachverständiger einholen. Ihre Beschlüsse sowie diejenigen
der Unterkommissionen sind durch die Hand des medizinischen Sekre¬
tärs der Generalkommission und dem Generalsekretär des Völker¬
bundes zu überreichen.
Das Völkerbundsamt für Gesundheitspflege (Inter¬
nationales Gesundheitsbureau beim Völkerbund, Weltgesundheitsamt)
soll bestehen aus einem medizinisch-wissenschaftlichen
Sekretär und seinem Hilfspersonal. Der fachmännische Sekretär
wird durch die Ständige Technische Kommission mit Zustimmung des
Generalsekretärs des Völkerbundes ernannt. Er soll das Recht haben,
sich unmittelbar mit dein Generalsekretär des Völkerbundes und mit
den Medizinalverwaltungen aller Regierungen in Verbindung zu setzen.
Er soll befugt sein, an allen Sitzungen der Ständigen Technischen
Kommission, der Generalkommission und aller Unterkommissionen
teilzunehmen. Sein Personal besteht aus Angehörigen der verschie¬
denen Staaten, die mit seiner Zustimmung von der Technischen Kom¬
mission ernannt werden. Der Sitz des Volkerbundamtes für Gesund¬
heitspflege soll derselbe sein wie derjenige des Völkerbundes (Genf).
Der Hygieneorganisation beim Völkerbund sind besondere Richt¬
linien für die Vorbereitung neuer internationaler Ueberein¬
künfte und für die Revision bereits bestehender Abkommen gegeben
worden. Die einschlägigen Entwürfe und Vorschläge unterliegen der
Prüfung durch die Technische Kommission und der Billigung durch
die Generalkommission. Zur Annahme einer Uebereinkunft ist eine
Zweidrittelmehrheit der Generalkommission erforderlich. Falls der
Entwurf eines Uebereinkommens den Welthandel oder den Welt¬
verkehr berührt, muß die Kommission mit der Wirtschaftsorganisation
beim Völkerbund und mit derjenigen für Verkehr und Durchfuhr in
Verbindung treten. Billigt die Generalkommission den Entwurf eines
Abkommens, so wird er von dem Präsidenten und dem medizinisch-
wissenschaftlichen Sekretär unterzeichnet und dem Generalsekretär
des Völkerbundes vorgelegt. Alsdann wird der Völkerbundsrat den
Entwurf den beteiligten Regierungen unterbreiten. Alle Staaten sollen
aufgefordert werden, das Aokommen binnen Jahresfrist zu ratifizieren
oder dem Generalsekretär die Gründe zu bezeichnen, aus denen die
Ratifikation unterblieb. Die Mitglieder der Generalkommission über¬
nehmen es, Jahresberichte oder Referate über die zum Vollzug einer
solchen Uebereinkunft in ihrem Lande angewandten Maßnahmen zu
erstatten. Auch die an dem Vertrage nicht beteiligten Staaten
sollen gebeten werden, Berichte über die das Abkommen betreffenden
Fragen zu liefern. Demnach sollen anscheinend iu Zukunft inter¬
nationale Sanitätskonferenzen durch Tagungen der Generalkommission
ersetzt werden.
Ein Programm für eine neue Internationale Sanitäts-Uebereinkunft
scheint bereits vorzuliegen. Das am 17. I. 1912 in Paris vereinbarte
Abkommen, das in Deutschland noch nicht in Kraft getreten ist, gilt
bereits als veraltet. Es wird beanstandet, daß die vorgeschriebenen
Benachrichtigungen nicht von Gesundheitsbehörde zu Gesundheits¬
behörde, sondern auf dem Umwege über die Gesandtschaften oder
Konsulate und die Auswärtigen Aemter vor sich gehen, wodurch ein
erheblicher Zeitverlust bedingt wird. Die Frage der Abwehrma߬
nahmen gegenüber Seehäfen, in denen lediglich Rattenpest herrscht,
menschliche Erkrankungen aber nicht aufgetreten sind, soll eingehend
geprüft werden. Eine alle 6 Monate zu wiederholende Rattenvertil-
ung wird für alle Schiffe als notwendig bezeichnet. Auch die Frage
er Ermittelung und die quarantäneärztliche Behandlung der Cholera¬
bazillenträger scheint noch nicht zur* allgemeinen Befriedigung gelöst
zu sein. Endlich besteht der Wunsch, auch die Pocken und das
Fleckfieber zum Gegenstand internationaler Abmachungen zu
machen. Dieser Vorschlag wird damit begründet, daß der Verkehr
der Durchwanderer von Osteuropa her die Verschleppung der Seuchen
täglich befürchten läßt und die Errichtung von Sanierungsanstalten
und Auswandererkontrollstationen an den neuen Landgrenzen sowie
in den Einschiffungshäfen notwendig macht.
Anscheinend bereitet das weitere Schicksal des Pariser Inter¬
nationalen Gesundheitsamtes dem Völkerbund gewisse Schwierigkeiten.
Es liegt in der Natur der Sache, daß das Bestehen zweier solcher
Zentralstellen, sowohl in Genf als auch in Paris, zu Reibungen
und Kompetenzstreitigkeiten führen muß. Man hat daher eine ne-
sondere Subkommission eingesetzt, welche die Frage prüfen soll, wie
die Aufgaben des Internationalen Gesundheitsamtes zu Paris von
denjenigen des Völkerbunds-Gesundheitsamtes zu Genf abzu¬
grenzen sind. Dieser Ausschuß besteht aus den Sachverständigen
Dr. Thorwald Madsen, Direktor des Staatlichen Seruminstituts
in Kopenhagen, Dr. Buchanan, Direktor im englischen Gesundheits¬
ministerium, und Dr. Reijchmann, Polen. Auch zum Studium der
Beziehungen zwischen dem Internationalen Arbeitsamt und der Hy¬
gieneorganisation beim Völkerbund wurde eine besondere Subkommis¬
sion berufen.
□ igitized by Gougle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
9. Februar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
199
So durchdacht dieser gewaltige internationale Apparat auch sein
mag, der im Palais des Nations zu Genf in heißem Bemühen den
Geist der Weltgesundheit und der Weltgesinnung zu erfassen bestrebt
ist, so reicht er dennoch nicht aus, um einen Kreuzzug gegen die
Weltseudien mit Erfolg führen zu können. Er gleicht einem Heere,
das lediglich aus Generälen besteht. Die wissenschaftliche Seuchen¬
bekämpfung ist heute auf einer Höhe angelangt, daß unter Fach¬
leuten nicht der geringste Zweifel darüber besteht, mittels welcher
Maßnahmen eine Epidemie mit Erfolg bekämpft werden muß. Die
Schwierigkeiten treten erst in die Erscheinung, >venn es sich darum
handelt, die guten und bewährten Anordnungen in Vollzug zu
setzen. Besonders groß sind aber die Hindernisse, wenn das Opfer
der Seuche eine verarmte oder kulturell niedergedrückte Bevölkerung
ist, die nur notdürftig ihr Dasein fristet oder gar am Hungertuche nagt.
Dreierlei Dinge sind für eine erfolgreiche internationale Seuchen¬
bekämpfung erforderlich: Personal, Material und Aktionsbereitschaft.
Zunächst Kräfte, die beim Vollzug der Bekämpfungsmaßnahmen an
Ort und Stelle in werktätiger, aufopfernder Hilfsbereitschaft mitarbei-
ten: beamtete Aerzte, die über persönliche Erfahrungen auf den be¬
treffenden Gebieten verfügen, Bakteriologen, Kliniker, Pflegepersonal,
Gesundheitsaufseher, Desinfektoren, Laborantinnen. Es müssen ferner
Einrichtungen vorhanden sein, die in jedem Augenblick nach dem
Gebiete des Seuchenherdes befördert und dort in Dienst gestellt wer¬
den können: Lazarettzüge, fliegende Hospitäler, Krankenhausmaterial,
transportable Quarantäneanstalten, fliegende Laboratoriums-, Desinfek¬
tions- und Entlausungseinrichtungen. Auch darf man nicht übersehen,
daß in Hungergebieten zur Seuchenbekämpfung Lebensmittelzüge
erforderlich sind. Da diese Dinge viel Geld kosten, muß die gesund¬
heitliche Organisation beim Völkerbund über ein bedeutendes Betriebs¬
kapital und über sichere Einnahmen verfügen. Mit diesen Hilfs¬
mitteln würden sich erfreuliche Erfolge erzielen lassen. Wäre es bei¬
spielsweise möglich gewesen, bei dem Ausbruch der Cholera in Ham¬
burg im Jahre 1892 oder in Petersburg 1908 oder beim Auftreten der
Pocken in London 1902 der gefährdeten Bevölkerung sofort die
aktionsfähige Hilfe einer internationalen Abwehrorganisation anzu¬
bieten, so würde diese Tat werktätiger Nächstenliebe großen Nutzen
gebracht und einen gewaltigen moralischen Eindruck gemacht haben.
Solche Gelegenheiten für eine internationale Hilfsaktion auf dem
Gebiete der Seuchenbekämpfung werden sich aber häufig wieder¬
holen, ganz abgesehen von den Epidemien in Osteuropa, die auf Jahre
hinaus internationale Maßnahmen erheischen. Bei der Seuchen¬
bekämpfung ist endlich ein rasches Handeln geboten. Eine Feuer¬
wehr, die erst beim Ausbruch eines Brandes in Erwägungen darüber
eintritt, ob und inwieweit sie bereit ist, auszurücken und Hilfe zu
leisten, oder die sogar zunächst eine Geldsammlung zur Anschaffung
einer Spritze veranstaltet, wird wenig Ansehen genießen. Wenn beim
Ausbruch von Epidemien zunächst in Unter- und Oberkommissionen,
in technischen Ausschüssen und auf langen Konferenzen das quis,
quid, ubi, quibus airxiliis, cui, quomodo, quando erörtert werden muß,
so geht kostbare Zeit verloren. Je rascher die Aktion eintritt, um so
wirksamer wird sie sein und um so mehr Vertrauen erweckt sie bei
der gefährdeten Bevölkerung. In ihrer Schlagfertigkeit und Zweck¬
mäßigkeit wird sie einen sichtbaren und überzeugenden Beweis huma¬
nitärer Gesinnung und großzügiger Organisation liefern. Eine so¬
fortige Aktion kann aber nur in die Wege geleitet werden, wenn
vorher schon eine wohldurchdachte Bereitschaft unter Berück¬
sichtigung aller Bedürfnisse persönlicher, sachlicher und finanzieller
Art geschaffen und lebendig erhalten worden ist.
Derartigen Erwägungen hat sich der Völkerbund anscheinend nicht
verschließen können. Er hielt es für notwendig, 2 Millionen Pfund
Sterling für die Fleckfieberbekämpfung in Osteuropa durch eine
Sammlung bei den Kulturstaaten autzubringen, und hat auch Deutsch¬
land eingeladen, sich an dieser Subskription zu beteiligen. Die Geld¬
mittel gingen jedoch ziemlich spärlich ein, und sie reichten bei
weitem nicht aus, um in Polen, in Rußland und in der Ukraine das
Fleckfieber zu bekämpfen. Der Völkerbund begnügte sich zunächst
damit, im November 1920 eine Studienkommission nach Polen zum
Studium des Fleckfiebers und der Cholera zu entsenden. Die Kom¬
mission bestand aus dem bereits erwähnten Professor Thorwald
Madsen (Kopenhagen), Dr. Pottevin, Direktor im Internationalen
Gesundheitsamt zu Paris, und Dr. R. Norman White, Oberkom¬
missar beim Völkerbund für die Bekämpfung von Epidemien. Diese
Sachverständigen kamen zu dem Ergebnis, daß es dringend nötig sei,
Sanitätsmaterial nach Polen zu schicken i). Im übrigen mußte man
sich bei der praktischen Durchführung der ungeheuren Aufgabe
darauf beschränken, der polnischen Medizinalverwaltung nach Mög¬
lichkeit eine Unterstützung angedeihen zu lassen, ihr Zuschüsse zu
gewähren und Wäsche, Kleider, Betten, Krankenbeförderungsmittel,
Seife sowie sonstigen Bedarf zur Verfügung zu stellen. Eine ständige
Epidemiekommission des Völkerbundes unterhält in Warschau ein
besonderes Bure au und hat in Baranowitschi und in Kowno
Quarantäneanstalten eingerichtet, wo heimkehrende Kriegsgefangene,
Flüchtlinge und Zivilgefangene sowie Auswanderer saniert werden.
Es liegt in der Natur der Sache, daß ein durchschlagender Erfolg von
Maßnahmen in wenigen Monaten nicht zu erwarten ist. Immer-
kinist ein gewisser Fortschritt, falls man den amtlichen Zahlen Ver-
fraiipn crhrnken darf, nicht zq verkennen. Es erkrankten im Jahre
1920*1 fl der Republik Polen an Fleckfieber 157612 Personen, in den
Vpfms and Cholera in Poland. The Action of the League of Nations.
1020 S. 115 a
The
ersten 9 Monaten des Jahres 1921 etwa 38000. Damit ist die Fleck¬
fiebergefahr für Westeuropa allerdings noch nicht beseitigt.
Das Deutsche Reich als unmittelbarer Nachbar ist durch die in
Polen auftretenden Volksseuchen am meisten gefährdet. Mit welchem
Erfolge Deutschland bisher die Gefahr vom Osten her abgewehrt hat,
lassen die nachstehenden Zahlen erkennen: Im Deutschen Reich belief
sich die Zahl der Fleckfieberfälle im Jahre 1919 auf 3891, 1920 auf
812 und 1921 auf 473. Unter den Erkrankungen des letzten Berichts¬
jahres befanden sich 106 internierte Russen, 342 kürzlich zugereiste
Personen, und nur 25 Infektionen sind im Inlande entstanden. Die
genannten Zahlen beweisen, daß die von dem Osten kommenden
Fleckfieberfälle in Deutschland ermittelt und unschädlich gemacht
werden. Deutschland ist der Schutzwall, der das westliche Europa
gegen Seuchen schützt. Es ist daher schwer zu verstehen, daß
Deutschland zwar eingeladen wurde, Geld für die Fleckfieberbekämn-
fung in Polen zu spenden, daß seine Mitarbeit aber nicht gewünscht
wurde, obgleich der unverwüstliche Idealist Nansen in der Völker¬
bundsversammlung (8. XII. 1920) darauf hinwies, daß die internatio¬
nalen Fragen der Volksgesundheit sich nur durch eine lückenlose
Zusammenarbeit aller Länder lösen lassen.
Neuerdings scheint sich in dieser Beziehung eine Wandlung zum
Bessern allmählich zu vollziehen. Man versuchte auf einem anderen
Gebiete der internationalen Seuchenbekämpfung die Mitwirkung
Deutschlands zu gewinnen. Der Völkerbund hat die Notwendigkeit
erkannt, den geschlechtskranken Seeleuten und Binnen¬
schiffern ohne Unterschied der Nation in allen See- und Flußhäfen
eine Gelegenheit zur unentgeltlichen und bequemen ärztlichen Behand¬
lung zu gewähren. Zu diesem Zwecke sollen in den wichtigsten Hafen¬
plätzen entsprechend den neuesten Erfahrungen der Wissenschaft
ausgestattete und von bewährten Fachärzten geleitete Behandlungs¬
stellen eingerichtet und Krankenbetten bereitgestellt werden. Damit
auch in ausländischen Hafenplätzen den Kranken die Fortführung der
Behandlung und der ärztlichen Beobachtung ermöglicht wird, ist
ein internationales Abkommen geplant. Ein solches wird voraus¬
sichtlich unter der Beteiligung Deutschlands Zustandekommen.
Auch bei den Vorbereitungen einer internationalen Wertbemes¬
sung der verschiedenen Heilsera sowie bei der Vereinheit¬
lichung der Wa.R. sind erfreulicherweise deutsche Sachverständige
herangezogen worden.
Im übrigen hängen die Beziehungen Deutschlands zu der ständi¬
gen Hygieneorganisation beim Völkerbunde von der Entwicklung der
hohen Politik ab. Wenngleich sich Deutschland dem Völkerbunde
gegenüber nicht völlig ablehnend verhält, so mahnen doch sachkun¬
dige und wohlmeinende Beobachter zu der größten Vorsicht, da unter
Umständen die Nachteile für Deutschland größer sein werden als die
Vorteile. Erst wenn der Geist wahrer internationaler Gerechtigkeit
im Völkerbunde eingezogen sein wird, kann man hoffen, daß die
großen Fragen der internationalen Hygiene nicht nur auf dem Papier,
sondern in Wirklichkeit zum Wohle der Völker ihre Lösung finden
werden.
Feuilleton.
Ueber die Hände von Wilhelm v. Waldeyer-Hartz.
Von Hans Virchow.
In der Anthropologischen Gesellschaft trug ich am 21. I., 2 Tage
bevor der Todestag Waldeyers sich jährte, über Waldeyers
Hände vor, deren Skelette nach Form aufgestellt waren. Waldever
hatte schon vor Jahren diesen Auftrag gegeben, er hatte ihn öfters
wiederholt, besonders in den letzten Monaten vor seinem Ende, als
er fühlte, daß er nicht mehr lange leben werde. Eine darauf bezüg¬
liche schriftliche letztwillige Verfügung vom 29. V. 1919 lautet:
„Zweitens bestimme ich, daß meine beiden Hände mit der unteren
Hälfte der Vorderarme alsbald nach meinem Tode abgetrennt und
Herrn Geheimrat Virchow zur Präparation und nachheriger Auf¬
bewahrung in der Berliner anatomischen Anstalt übergeben werden.
Herr Virchow hat vollständige Verfügung über diese Stücke. Hält
er es für gut, daß auch die Ellbogengelenke mit untersucht werden,
so kann die Abtrennung vom Körper im Oberarm ausgeführt werden.“
Der Grundgedanke Waldeyers läßt sich aus einer mündlichen
Aeußerung entnehmen, die er in der letzten Zeit seines Lebens zu
dem Vortragenden machte: „Ich bjn ein alter Anatom, wir Anatomen
müssen mit gutem Beispiel vorangehen.“ Damit in Uebereinstimmung
schließt die ebenerwähnte letztwillige Verfügung mit den Worten:
„Meine Kinder wollen es ihrem Vater, der mit Leib und Seele
Anatom war und ist, zugute halten, wenn er so verfügt.“ Indem
aber der Auftrag eine ganz bestimmte Form hatte, muß auch mit
demselben etwas ganz Bestimmtes bezweckt gewesen sein. Auch
darüber gibt die letztwillige Verfügung Auskunft: „Zu Nr. 2 bemerke
.ich, daß meine beiden Hände verschieden geworden sind durch die
viele Schreibarbeit der rechten Hand, die ich in ihrer veränderten
Stellung als Schreibhand bezeichnen möchte. Es hat vielleicht
ein anatomisch-physiologisches Interesse, eine solche im Leben genau
gekannte Hand mit der dazu gehörigen anderen nach dem so aus¬
gezeichneten Verfahren H. Virchows aufzustellen.“
Das Ziel, für dessen Gewinnung Wäldeyer seine Hände und
Vorderarme geopfert hatte, ist, nachdem es einen Augenblick in
Frage gestellt zu sein schien, vollständig erreicht worden.
Die Methode der Skelettaufstellung nach Form besteht seit etwa
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
200
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 6
30 Jahren und ist mehrfach beschrieben worden. Der Vortragende
hat diese ursprünglich nicht ausgebildet, um mittels derselben wis¬
senschaftliche Aufgaben zu lösen, sondern in seiner Eigenschaft als
Lehrer der Anatomie an der Hochschule für bildende Künste, um
den Kunststudierenden die Lage der Knochen in einem Körperabschnitt
vor Augen zu führen (dessen Gesamtform man daneben in Gipsabguß
zum Vergleich aufbewahren kann). Die Aufstellung nach Form wurde
also in keiner Weise durch theoretische Erwägungen beeinflußt, hatte
keine theoretischen Ziele. Aber als die Präparate da waren, fingen
sie von selbst an, auf Fragen zu antworten, zum Teil auf solche,
die gar nicht gestellt waren, sie stellten selber Fragen, an die nie¬
mand gedacht hatte. So wurde die Methode ganz von selbst eine
wissenschaftliche Methode. Nun mußte sie auch planmäßiger ge¬
staltet werden. Dies bestand darin, daß man — um sogleich auf
die Hand zu kommen — nicht gleich alle Knochen in der Form
zusammensetzte, sondern daß man erst die isolierten Knochen nach
der Mazeration genau studierte, protokollierte, dann Stücke des
Ganzen vereinigte, als welche sich bei der Hand ergeben proximale
und distale Karpalreihe und die 5 Strahlen, diese wieder studierte,
photographierte, protokollierte, dann erst das Ganze vereinigte und
es nun studierte. ‘Was an den einzelnen Knochen und in den Stücken
steckt, ist ja im Ganzen enthalten, aber man übersieht es zum Teil
über der Fülle der Einzelheiten, auch sind ja diejenigen Flächen,
welche die Knochen sich gegenseitig zuwenden, nach der Zusammen¬
setzung nicht mehr sichtbar.
Die Methode vermag also zweierlei: 1. die Stellung der Knochen
in einem Abschnitt des Skelettes fcstzuhalten, 2. diese Stellung zu
erklären, zu begründen.
Indem Waldever den Auftrag gab, seine Handskelette nach
dieser Methode aufzustellen, hat er es zweifellos im Hinblick auf
diese beiden Eigenschaften der Methode getan.
Aus dem Vorausgehenden ergibt sich der Weg, den wir bei der
Betrachtung zu gehen haben.
1. Isolierte Knochen; Arthritis. — Waldeyer hatte seit
dreißig Jahren an chronischer Arthritis beider Hände gelitten. Es
würde natürlich niemandem einfallen, Waldeyers Hände zu be¬
nutzen, sozusagen zu mißbrauchen, um an ihnen chronische Arthritis
zu studieren; aber man darf die letztere nicht unbeachtet lassen.
Diese Hände würden nicht so vollständig die Eigentümlichkeit er¬
langt haben, die sie hatten, wenn sie nicht arthritisch gewesen wären;
die Arthritis ist der funktionellen Gestaltung zu Hilfe gekommen. --
Der Vortragende hat vor kurzem in einem Vortrage: „Was die
normale Anatomie und die pathologische Anatomie von einem chro-
nisch-arthritischen Handgelenk lernen kann“ (B. kl. W. 1921 S. 1065)
auf zwei Umstände hingewiesen, welche an sich nicht unbekannt
waren, aber in dem betreffenden Falle mit besonderer Anschaulich¬
keit hervortraten: 1. darauf, daß an einem arthritischen Gelenk die¬
jenigen Abschnitte, welche am stärksten funktionell beansprucht sind,
am stärksten verändert werden; 2. darauf, daß die Enden zweier
in einem Gelenk zusammenstoßender Knochen an ihren Gelenkflächen
stets genau den gleichen Zustand zeigen. Man darf daher auch,
wenn man an den verschiedenen Fingergelenken einer Hand ver¬
schieden starke Veränderungen findet, daraus nicht unbedingt
schließen, daß die Erkrankung an diesen Gelenken verschieden stark
war. Natürlich darf man auch ebensowenig schließen, daß die Er¬
krankung in allen Gelenken einer Hand genau gleich stark war und
daß nur die verschiedene funktionelle Beanspruchung die Unter¬
schiede bedingt habe. Man kann nur von Wahrscheinlichkeit sprechen,
die sich erst durch viele Erfahrung, langwierige Krankenbeobachtung
und sorgfältiges Einzelstudium der Sicherheit nähern kann. Jeden¬
falls wird ein milder, langsamer, eminent chronischer Verlauf der
Arthritis, welcher nicht mit heftigeren entzündlichen Vorgängen ver¬
bunden ist, für die Ausbildung eines Zustandes günstig sein, in dem
die funktionell bedingten Veränderungen klar hervortreten, ohne durch
pathologische Zustände, z. B. starke periartikuläre Wucherungen, zu
sehr verunstaltet zu sein.
Von dieser milden Art war Waldeyers Arthritis. Er hatte
gegen diese jahrelang regelmäßig Badekuren angewendet und rühmte
deren Erfolge. Immerhin gibt es eine Fülle von Veränderungen, die
erst alle zusammen ein Bild des Zustandes geben würden, deren
Aufzählung aber hier zu weit führen würde. Die auffälligste ist, daß
am kleinen Finger der linken Hand die 1. und 2. Phalanx durch
Ankylose unbeweglich verbunden sind. Sklerosierung, wie sie sich
einstellt, wenn der Knorpelüberzug weggeschliffen ist, findet sich,
abgesehen von einigen ganz unbedeutenden Stellen, nur an der radialen
Ecke der Basis des Metacarpus pollicis und an der damit zusammen¬
stoßenden Fläche des Multaugum majus.
2. Strahlen. — Die Verschiedenheit, die Waldeyer an seinen
Händen fand, prägt sich auch in den Strahlen aus. Aber diese Ver¬
schiedenheit ist dennoch mehr feiner, nicht grober Art, d. h. beide
Hände haben untereinander etwas Gemeinsames, von gewöhnlichen
Händen, z. B. Arbeiterhänden, Abweichendes. Das Besondere beider
Hände und daher Gemeinsame, aber im Grade Verschiedene liegt
1. in der Abduktion der Finger nach der ulnaren Seite, dann aber
und vor allem in der Art der Flexion.
a) Abduktion. — Während bei der gewöhnlichen, gesunden
Hand in natürlicher Haltung die Finger ziemlich gerade in der
Richtung der Metakarpalien stehen, weichen an den Waldeyer¬
sehen Strahlen die Finger ulnarwärts ab. Das ist jedoch nur an der
rechten Hand erheblich, an der linken unbedeutend.
b) Flexion. — Während bei der gewöhnlichen Hand in natür¬
licher Haltung die ersten Phalangen wenig gegen die Metakarpalien,
die zweiten Phalangen stark gegen die ersten und zuweilen auch
die dritten gegen die zweiten stärker gebeugt sind, sind an der
Waldeyersehen Hand die Finger stärker gegen die Metakarpalien,
aber sehr wenig in sich gekrümmt. Von den Zeigefingern und kleinen
Fingern soll sogleich noch gesprochen werden, die Unterschiede
der übrigen Finger mögen unerörtert bleiben.
c) Abrutschung der Finger nach der volaren Seite. — An
der rechten Hand sind die Finger an den Metakarpalien stärker
volarwärts verschoben, als es dem Grade der Flexion entsprechen
würde. Diese Erscheinung ist gar nicht am 4. Strahl, weniger am
2. und 5., aber sehr stark ausgeprägt am 3. zu sehen. Man könnte
an einen postmortalen Zustand oder doch an einen solchen, der in
den letzten Lebenswochen durch Erschlaffung der Muskulatur ent¬
standen ist, denken. Doch kann man aus bestimmten Schlifflächen
schließen, daß der Zustand schon vorher dauernd war. An dei
linken Hand fehlt diese Verrutschung.
3. Die ganzen Hände. — Durch die Betrachtung des Einzel¬
nen vorbereitet, kann man leicht die Unterschiede der ganzen Hände
auffassen. Sie treten besonders scharf bei der Betrachtung von der
Zeigefingerseite und von der Kleinfingerseite aus hervor.
a) Zeigefingerseite. — Ueber die Ebene des Radius hinaus
liebt sich an der linken Hand der zweite Strahl in Gestalt eines
gleichmäßig gewölbten und daher sanften, anmutigen Bogens. An
der rechten Hand ist das II. Metakarpale stärker gehoben, die 1. Pha¬
lanx gegen das Metakarpale stark gebeugt, die 2. Phalanx gegen die
erste gar nicht gebeugt, wodurch die Hand, von dieser Seite be¬
trachtet, einen lebendigeren, tätigeren Ausdruck bekommt.
b) Kleinfingerseite. — An beiden kleinen Fingern ist die
1. Phalanx gegen das Metakarpale stark gebeugt; dagegen die
2. Phalanx gegen die 1. fast gar nicht (rechts) oder gar nicht (links).
Schon weiter oben wurde gesagt, daß an der linken Hand die 1.
und 2. Phalanx verwachsen sind. Die steife Haltung, welche die
linke Hand beim Halten der Unterlage annimmt, hat also hier zur
Verwachsung geführt. Uebrigens befinden sich auch der linke 4.
und der rechte 5. Finger auf dem Wege zu dieser Verwachsung. —
Der Unterschied beider fünfter Finger macht sich in einem weiteren
sehr feinen, aber sehr sprechenden Zuge bemerkbar: Die 3. Phalanx
des linken 5. Fingers ist leicht dorsalwärts abgebogen, die des
rechten leicht radialwärts. Das letztere ist dadurch erreicht, daß die
2. Phalanx auf der radialen Seite kürzer ist als auf der ulnaren.
Die zugrundeliegenden Unterschiede in der Haltung der beiden End¬
glieder erklären sich daraus, daß der 5. Finger links beim Halten
dcrUnterlage aufgestemmt, rechts beim Schreiben seitlich aufgelegt wurde
Wenn Waldeyer der Methode der Aufstellung des Skelettes
nach Form sein Vertrauen schenkte, so hat die Methode dieses
Vertrauen glänzend gerechtfertigt.
Erinnerungen.
Von Joseph Landsberger in Charlottenburg.
(Schluß aus Nr. 5.)
Und noch einmal war es Robert Koch gewesen, der, von allen
anderen Aufgaben immer wieder am hartnäckigsten zur Bekämpfung
der Tuberkulose zurückkehrend, die gesamte Welt in die größte
Anteilnahme und Erregung versetzte. Er ließ auf dem internationalen
medizinischen Kongresse (Berlin 1890) die Andeutung fallen, daß er
ein Mittel zur Abwehr der Tuberkulose hersteilen zu können glaube,
teilte aber noch nichts Weiteres mit. Da drängte ihn Ende Oktober
desselben Jahres der damalige preußische Kultusminister v. Goßler
eifrig zu einer näheren Aeußerung. Es war nach einem Essen, das
die durch Aerztekammerdelegierte vergrößerte wissenschaftliche De¬
putation für das Medizinalwesen vereinigte; ich sehe deutlich den
Winkel des kleinen Saales im Kaiserhof vor mir, in dem Cioßler
dringend auf Koch einsprach, und wie Koch sich endlich, von einer
lauschenden Korona dicht umstellt, zu längeren Darlegungen be¬
wegen ließ, scharf betonend, daß es sich nicht um eine Abtötung
des Tuberkelbazillus handle, sondern um ein Produkt aus ihm, das
die erkrankte Stelle mit einem Walle zu umgeben scheine. Es war
das Tuberkulin, von dem er hier zum ersten Male sprach, das
aber bald allgemein bekannt wurde und die ganze Welt in einen
Taumel, in einen wahren Rausch von Hoffnungen setzte. Wieder
muß ich sagen: der größte Teil der jetzt Lebenden kann sich von
der Tiefe dieser Bewegung keine rechte Vorstellung machen. Berlin
wurde der Wallfahrtsort der Tuberkulösen aus allen Zonen, die Hotels
waren überfüllt, die Portiers aller Unterkunftsstätten wurden — ähn¬
lich wie heute aus anderen Motiven! — bestochen, Koch selbst
und die wenigen Aerzte, denen er von dem erst in geringer Menge
hergestellten Mittel etwas abgegeben hatte, aufs äußerste bestürmt.
Und — manchmal kann auch die Bureaukratie rasch vorgehen! —
mitten im Winter wurde schleunigst eine ganze Barackenstadt, auf
dem Terrain der Charite nach dem Muster von Pariser Schnell¬
bauten errichtet, um tuberkulöse Kranke aufzunehmen und Koch
diese große Station zur Verfügung zu stellen. (Sie besteht noch
heute, dient aber ganz anderen Zwecken.) Und da man anfangs mit
den Dosen nicht so vorsichtig war, wie es später als notwendig
erkannt wurde und jetzt längst beachtet wird, so gab es überall sehr:
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
9. Februar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE iWOCH ENSCH RIFT
201
starke R&ktionen, welche von den unglücklichen Kranken als Glück
gepriesen wurden, aber vielfach zu ihrem rascheren Ende führten.
Koch ist daran unschuldig gewesen, das Mittel war ihm aus den
Händen gerissen worden, er selbst hatte von vornherein zu sehr
mäßigen Dosen geraten. Aber selbst hervorragende Aerzte waren
von manchen zunächst eingetretenen Beeinflussungen geradezu ge¬
blendet, so v. Bergmann, als er die rasche Wandlung bei einigen
Fällen von Hautlupus sah.'
Man weiß: ein schlimmer Katzenjammer folgte. Und dennoch
hat sich das Mittel, das im ganzen durch die späteren Modifikationen
nur wenig geändert ist, bis heute in den Händen sorgfältiger Be¬
obachter innerhalb gewisser Grenzen durchaus bewährt. Damals
hatten aber gerade die vorgeschrittensten Fälle, also durchaus un¬
geeignete, sich zu der Behandlung gedrängt. —
Kochs geniales Wirken und seine Erfolge lockten natürlich
Scharen von Schülern und Jüngern heran; kaum hat je ein Zweiter
so viele, später selbst zu Berühmtheiten gewordene aufzuzählen 1 ).
Unter ihnen ist Behring (später geadelt) der Hervorragendste ge
wesen, sowohl was neue Funde betrifft, wie durch die Zähigkeit
seiner Forscherarbeit und die eigenen Wege, die er einschlug. Schon
als ganz junger Militärassistenzarzt zeigte Behring mit seinen
Jodoformarbeiten größtes experimentelles Geschick und in seinen
Aufsätzen und historischen Studien ungewöhnlichen Gedankenreich¬
tum. Dabei war er so überbescheiden, daß er seine ersten Arbeiten
vor der Veröffentlichung mir vorlesen zu müssen meinte! Als er
später bei und mit Koch tätig war — in der „Laterne“, dem
alten, fensterreichen Bau an der Ecke Schumann- und Charit£-
straße, just dem richtigen Platz für Mikroskopiezwecke — gelang
seinem scharfen Spürsinn die Auffindung der Antitoxine und als
reife Frucht der Arbeiten die segens- und folgenreiche Herstellung
der Heilsera für Diphtherie und Tetanus. Wiederum war so ein
völlig neuer Wissenszweig geschaffen, der überreiches Neuland er¬
schloß, noch für künftig unüberschätzbare Aussichten eröffnet, eine
ganze Sonderindustrie erstehen ließ.
So war auch der „inneren Medizin“ eine neue Aera ge¬
kommen: sie hatte viel von ihrem eigensten Gebiet der Chirurgie
überweisen können, aber auch zur eigenen Anwendung eine Menge
neuer Maßnahmen gewonnen. Und noch in einer anderen Richtung
hatte ihre Ausübung einen wesentlichen Wandel erfahren: das „Re¬
zept“, das Charakteristikum des alten Arztes, änderte völlig Form
und Inhalt; der Fortschritt der organischen Chemie hatte der Phar¬
makologie ein ganz anderes Gewand gegeben. Wer verschreibt heute
noch die komplizierten, allongelangen Rezente, wie sie noch in der
Mitte des vorigen Jahrhunderts gang und gäbe waren? Es war
auch höchste Zeit, daß mit dem Wust und Schutt, der sich in der
Materia medica aufgehäuft hatte, gründlich aufgeräumt wurde. Noch
in meiner Studienzeit konnte es Mitscherlich, der Berliner Phar¬
makologe, ein Bruder des berühmten Chemikers, sich nicht versagen,
in seinem Kolleg, in dem er stets im Frack erschien, sämtliche je
empfohlen gewesenen pflanzlichen und anorganischen Heilmittel
(auch solche der sog. „Dreckapotheke“) aufzuführen und abzuhandeln,
um dann bei einer sehr großen Zahl mit seiner milden Stimme zu
sagen: „Das Mittel ist kein Heilmittel gegen ...“ Man wird nicht
leugnen können, daß auch die Gegenwart aus ihren mächtig in die
Halme geschossenen pharmazeutischen Fabriken 2 ) viele überflüssige
Präparate produziert': wie viele von den -al, -ol, -in, -on sind rasch
wieder im Orkus verschwunden, wie viele sind mehr aus geschäft¬
lichen Konkurrenzgründen als auf physiologischen Grundlagen ent¬
standen, wie viele „Organ“mittel (man denke nur an „Cerebrin“,
aber kaum ein Organ ist verschont geblieben) bald wieder der wohl¬
verdienten Vergessenheit anheimgefallen! Hat sich doch zu ihrer
Prüfung und Ueberwachung eine eigene ärztliehe Instanz als er¬
forderlich erwiesen. Aber zweifellos ist die fabrikmäßige Herstellung
wirksamer Heilmittel in der modernen Tablettenfopm in vieler Hin¬
sicht als großer Fortschritt anzuerkennen und wird gewiß noch
immer mehr „formulae“ mit dem unexakten Signum: „zweistündlich
1 Eßlöffel“ abzulösen berufen sein.
Sehr wesentlich war für den Allgemeinarzt auch die sehr starke
Umgestaltung der Kinderheilkunde. Welches Kopfschütteln, ja
welches Grauen hätte bei dem Medikus noch vor fünfzig Jahren die
Darreichung von Spinat und Mohrrübenbrei, von Buttermilch und
rohen Fruchtsäften an Säuglinge hervorgerufen! Höchstens die Ein¬
führung des Soxhlet-Apparats lag in der Richtung seines damaligen
Denkens, — aber kaum hatte der Apparat seinen Siegeszug voll¬
endet und war fast in jedem Haushalte vorhanden, so häuften sich die
Fälle von Barlowscher Krankheit, und man erkannte die schwere
Schädigung („Dekomposition“), welche die Milch durch zu langes
Kochen erfuhr. Emsige Forschung wußte bald noch eine große
Zahl anderer „Nährschäden“ des Säuglings zu differenzieren, und
sind auch nicht alle Fragen auf diesem Gebiete schon „restlos“
(wie der neue Ausdruck lautet) geklärt, gibt es auch hinsichtlich
der Therapie der Nährschäden sogar noch manche Polemik zwischen
den Autoritäten, so hat doch unser Handeln hier eine* viel ge¬
sichertere Basis gewonnen, und die Zeit ist vorbei, wo bei fast jeder
Darmstörung des Säuglings ein paar Kalomeldosen zur Anwendung
kamen.
>) Nur Johannes Müller mit seinen Assistenten Ludwig, Brücke, du Bols-
n . j HeJinholtz, Vlrchow und wiederum letzterer selbst können hierin mit
„»rJiirhm werden. — *) Penzoldt zählt In der neuesten Auflage seines
fvj klinischen Arzneibehandlung gegen 500 pharmazeutische Fabriken in
t ÄÄ 20000 Mw *'
Und wie Wissen und Können und Betrieb des Arztes sich ge¬
wandelt haben, so auch seine HBeziehung zur Bevölkerung, ich sage
nicht: zum Kranken. Ich will ja hier keinerlei Kritik an den Ver¬
änderungen üben, sondern nur Tatsachen feststellen. Man mag es
bedauern oder nicht: das „hausärztliche“ Verhältnis hat aufgehört,
seine letzten Reste sind im Hinschwinden. Das beängstigende Hin¬
strömen in die Großstädte, das Fluktuieren der Bevölkerung, die
gewaltige Ausbreitung des Spezialistentums, die „freie Arztwahl“
(die ja auch in derselben Familie verschiedene Aerzte in Anspruch
nehmen läßt) waren die Ursachen. Für die Wiederherstellung der
Erkrankten mag kein nennenswerter Schaden daraus erwachsen sein,
wohl aber ein gewisser für die psychologische Schulung des
Arztes, auf die man neuerdings so viel Gewicht legt und die bei einiger
Klugheit meines Erachtens am besten durch das Leben selber erworben
werden kann. Vom Berufsempfinden des Arztes, von seinem „Mit¬
leiden“, seinem Verantwortungsbewußtsein, dem Hochgefühl bei ge¬
lungener Errettung eines Menschenlebens, aber auch von der Depres¬
sion über seine häufige Insuffizienz und über die Grenzen seiner Kunst
brauche ich hier nichts zu sagen. Wenn ich aber überlege, was mich
am tiefsten ergriff, so war es der Tod einziger Kinder und der rasche
Verlust mehrerer Glieder aus derselben Familie. Und wie oft gab
die Tuberkulose ihre Rätsel auf! Da war sie der Würgengel ganzer
Familien, bei jung und alt, dort erhielt sich der einzelne Fall, ob¬
schon schwerst ergriffen, j?hre- und jahrzehntelang, selbst bei küm¬
merlichster Lebenslage und Ernährung. Wie oft ihm der Verlauf
eines Krankheitsfalles besonders nahegeht, wird jeder Arzt zu be¬
richten wissen. Einer, der mich lange Zeit tief berührt hat, war der
folgende. Eine hochintelligente, gebildete, feinfühlige, mit äußerster
Pflichttreue still, trotz schmaler Einkünfte alle ihre Aufgaben er¬
füllende Familienmutter kommt an einem Festtage (am Werktage
hätte sie sich dazu nicht Zeit genommen) in meine Sprechstunde und
klagt über heftige „rheumatische“ Schmerzen in den Beinen. Merk¬
würdig, daß ich sofort an einen ernsten Zustand dachte, wahrschein¬
lich weil gerade diese selbstlose, gegen sich stets harte Person die
Beschwerden äußerte und in eindringlichster Weise äußerte. In der
Tat ergab die Untersuchung starken Verdacht auf multiple Sklerose,
der sich bald bestätigte. Die Patientin wollte sich keine Schonung
gestatten, war aber bald zur Bewegungslosigkeit genötigt, und der
rasch progredierende Krankheitsverlauf führte zur Erblindung und
zu beginnender Ertaubung. Als letztere zunahm, versuchte ich scho¬
nend der Kranken, ehe sie ganz von der Außenwelt abgeschlossen
sein mußte, durch Anlehren einer elementaren Zeichensprache den
notwendigsten Verkehr mit den Ihrigen anzubahnen und aufrecht¬
zuerhalten. (Ich hatte kurz vorher den Dichter Hieronymus
Lorm [Heinrich LandesmannJ kennen gelernt und mit Be¬
wunderung und Rührung gesehen, wie ausgezeichnet dieser, in früher
Jugend erblindete, in der späteren ertaubte, hervorragend begabte,
energische, geistreiche Mann es durch Einübung einer Finger- und
Handsprache bei Frau und Tochter dahin brachte, vollkommen rasch
einer Unterhaltung zu folgen und sie mit dem größten Interesse
und größter Schlagfertigkeit fortzuführen; Frau oder Tochter gaben
ihm die Antworten des Dritten mit stenographischer Geschwindig¬
keit weiter, indem sie auf seinen Händen wie auf einer Klaviatur
die vereinbarten Zeichen anschlugen.) Meine Patientin wußte, ob¬
wohl sie von dergleichen nie gehört hatte, sofort, worauf ich hinaus
wollte und daß ich die Prognose auf völligen Verlust ihres Gehör¬
restes so schlimm stellte wie sie selbst, und bat mich, nachdem sie
mich gefragt hatte, ob wir ohne Zeugen seien, flehentlich, ich solle
ihr doch helfen, ich hätte es schon so oft getan, ich könne es
sicher, ich wolle bloß nicht das definitive Hilfsmittel anwenden!
Ich konnte der wehklagenden Frau die von ihr gedachte Hilfe nicht
bringen; glücklicherweise erlag sie bald darauf relativ rasch der
fürchterlichen Krankheit, noch ehe sie vollends ertaubt war.
Diese „Erinnerungen“ sollen sich nicht in Kasuistik verlieren, sie
wollten ja nur ein Bild der Geschehnisse in großen Zügen festhalten.
Hatten seit dem Schlüsse des Mittelalters alle Wissenschaften einen
Aufschwung genommen, der in kurzen Zeitspannen größere Fort¬
schritte brachte, als früher eine lange Reihe von Jahrhunderten, so
gilt das besonders für die Naturwissenschaften und ihren medizini¬
schen Zweig. Und vollends im vorigen Jahrhundert konnte der Medi¬
ziner wie Hutten empfinden: „es ist eine Lust zu leben“. Es fehlte
nicht an Rückschlägen, Enttäuschungen, Irrungen, Abwegen, aber
sie sind verschwindend gegen den ungeheuren Gewinn. Wir ver¬
dankten ihn den ungewöhnlich vielen Bahnbrechern, die fast alle in
engsten Räumen, mit beschränktesten Mitteln ihre Großtaten voll¬
brachten. Nachträglich erst schuf man ihnen die Paläste der Institute,
nachträglich erst krönte sie der Nobel-Preis, von dem sein Gründer
gemeint hatte, daß er damit große Geister würde schaffen und
heranbilden können. Aber immerhin: die Preise geben den Forschern
volle Unabhängigkeit und die Institute geben ihnen Stätten, in denen
sie dem Nachwuchs Beispiel und Erziehung bieten können. Welche
Schar tüchtiger Jünger drängt jetzt allerorts diesen Forscherstätten
zu; sie gibt uns die Bürgschaft, daß die tausend Probleme, welche
der Lösung harren, Aufhellung finden und praktische Nutzanwendung
bringen werden. Die Erfolge der Chemotherapie, die Lehre der
spezifischen Reaktionen und Immunitäten, die Forschung über endo¬
krine Wirkungen bieten hoffnungsreiche Aussichten in Fülle. Wenn
wieder ein „Chidher desselbigen Weges gefahren kommen“ wird,
möge er über ebenso glückliche Wandlungen berichten dürfen!
Digitized b"
Google
Original from
CORNELL UNIVERSUM
202
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 6
Korrespondenzen.
Warnung vor dem Besuch englischer Häfen.
Von Prof. Haas Ziemann in Berlin.
Zu Nutz und Frommen aller ins Ausland reisenden Aerzte teile
ich aus einem Briefe meines Freundes Weck, der sich zur Zeit aut
der Ausreise nach Niederländisch-Indieu befindet, Folgendes mit:
„Man bekommt von den Engländern auf ihren Konsulaten immer
gegen schweres Geld das Paßvisum für die Einreise nach England;
leider erhält man aber an Ort und Stelle von der Polizeibehörde nicht
die Erlaubnis zum Betreten des Landes, und diese wird, wie der
englische Beamte gestern einem Oesterreicher gegenüber zynisch
erklärte, niemals erteilt! Da ich die Herren von dieser Seite bereits
kenne, hatte ich Gott sei Dank kein Geld für ein Visum angelegt
und konnte auf die Frage, ob ich an Land gehen wolle, wirklicn aus
ehrlicher Ueberzeugung erklären, daß ich nicht den mindesten Wert
darauf legte. Es wäre vielleicht ganz gut, wenn in den Kreisen der
Auslandsärzte, die Reiseabsichten haben, diese Tatsache genügende
Verbreitung findet.“ Diese Worte sollten uns schon aus Gründen
der Selbstachtung davor bewahren, bis auf weiteres englische Häfen
zu besuchen.
Kleine Mitteilungen.
— Berlin. Der Minister für Volkswohlfahrt hat unter dem 21. XL
1921 an die Kommission zur Bekämpfung des Kurpfuscher¬
tums nach einer stattgehabten Besprechung ein Schreiben gerichtet,
in dem es u. a. heißt: Die Frage ist eingehend geprüft worden, ob
es zur Zeit angängig und zweckmäßig ist, strengere Vorschriften
gegen das Kuipfuschertum zu erlassen. Die Reichsgewerbeordnung
gewährleistet die Kurierfreiheit und verbietet nur, daß sich Personen,
welche die Heilkunde ohne Approbation gewerbsmäßig ausüben, als
Aerzte oder mit einem gleichlautenden T tel bezeichnen. Das Reich
könnte nun ohne weiteres die sich auf d : e Reichsgewerbeordnung
stützende Kurierfreiheit zuungunsten der Kurpfuscher durch ein
Spezialgesetz einschränken. Als sich das Kurpfu^cherwesen in letzter
Zeit wieder stärker bemerkbar machte, bin ich daher im Sommer
1920 mit dem Reichsministerium des Innern wegen des Erlasses
weiterer das Kurpfuschertum einschränkender Reichsvorschriften in
Verbindung getreten, wobei hauptsächlich ein Vorgehen gegen kur¬
pfuscherische Zeitungsanzeigen in Betracht gezogen werden sollte.
Der Herr Reichsminister des Innern hat aber damals erklärt, daß er
wegen des Widerstandes, den bereits der im Jahre 1910 dem Reichs¬
tag vorgelegte Entwurf eines Reichsgesetzes gegen Mißstände des
Heilgewerbes gefunden habe, den gegenwärtigen Zeitpunkt für ein
reichsgesetzliches Vorgehen gegen Kurpfuscherei für wenig geeignet
halte. Da nicht anzunehmen ist, daß der Herr Reichsminister des
Innern jetzt seinen im vorigen Jahre eingenommenen Standpunkt
ändern würde, käme zur Zeit nur ein landesrechtliches Vorgehen
in Frage. Ihm sind durch die vorgenannten Vorschriften der Reichs¬
gewerbeordnung, in denen die Kurierfreiheit festgelegt ist, enge
Grenzen gezogen, weil sich das Landesrecht mit dem Reichsrecht
nicht in Widerspruch setzen kann. Ein preußisches Landesgesetz
würde nach den obigen Ausführungen kein so wirksames Mittel zur
Bekämpfung der Kurpfuscherei sein können, wie ein entsprechendes
Reichsgesetz. Wenn ich auch die Berechtigung des Wunsches an¬
erkenne, daß die in Preußen gegen die Kurpfuscherei erlassenen Be¬
stimmungen gerade hinsichtlich der Zeitungsreklame verschärft wer¬
den, so glaube ich doch unter den gegenwärtigen Verhältnissen von
einer gesetzgeberischen Maßnahme einstweilen Abstand nehmen zu
müssen. Ich habe es aber den Regierungspräsidenten und dem
Polizeipräsidenten in Berlin erneut zur Pflicht gemacht, auf das
Kurpfuscherwesen und insbesondere auf die von ihm betriebene
öffentliche Reklame ihr besonderes Augenmerk zu richten und dafür
zu sorgen, daß Verstöße gegen die zur Bekämpfung der Kur¬
pfuscherei ergangenen Polizeiverordnungen in jedem einzelnen Falle
nachdrücklich verfolgt werden.
— Zwischen dem Medizinalamt der Stadt Berlin und den Vor¬
ständen der Berliner Krankenkassen finden zurzeit Besprechungen
über die Bildung einer Arbeitsgemeinschaft statt.
— Die Berlin-Brandenburger Aerztekammer befaßte
sich in ihrer Sitzung am 28. I. mit dem Ersuchen des Ministers für
Volkswohlfahrt, zur Regelung der neuen Gebührenordnung sach¬
liche Anregungen zu geben. Der Aerztekammerausschuß hält bei der
sprunghaften Steigerung der Geldentwertung den Erlaß einer neuen
staatlichen Gebührenordnung für untunlich und empfiehlt freie Ver¬
einbarungen zwischen Arzt und Kranken. Die gegenwärtig geltende
Gebühr von 20 M. für die Beratung und von 30 M. für den Besuch
soll auf 25 bzw. 40 M. erhöht werden.
— Nachdem jetzt die Hauptfürsorgestelle der Stadt Berlin für
Kriegsbeschädigte und Kriegshinterbliebene den Anträgen des
Vorstandes der Aerztekammer auf Honorarnachzahlung vom
1. I. 1921 ab zugestimmt hat, ersucht der Vorstand der Aerzte¬
kammer die Berliner Aerzte, die Behandlung der Kriegshinterbliebenen
und Kriegsbeschädigten in der bisherigen Weise weiterzuführen. Die
bereits ausgesprochene Kündigung de9 Vertrags (vgl. Nr. 5 S. 170)
wrrd damit aufgehoben.
Der neue Haushalts Vorschlag des Ministeriums für
Volkswohlfahrt für das Jahr 1922/23 versetzt von den 35 Re¬
gierungs- und Medizinalräten 18 in Aufrückungsstellen (Gnjppe XII),
weiterhin sämtliche bei den Regierungen als ständige Hilfsarbeiter
beschäftigten vollbesoldeten Kreisärzte, sämtliche Gewerbemedizinal¬
räte, 50o/o der Direktoren der Medizinaluntersuchungsämter und von
den 223 vollbesoldeten Kreismedizinalräten 174 in Gruppe XI. 35 bis¬
her nicht vollbesoldete Kreisarztstellen sind in vollbesoldete um¬
gewandelt, sodaß fast die Hälfte aller Kreisärzte vollbesoldet sind
(Verhältnis 232:225). Die Beihilfe zur Unterstützung des Bezirks¬
hebammenwesens ist von 120030 auf 10000030 M. erhöht. Vorge¬
sehen sind ferner: 20 Millionen Mark zur Unterstützung des Woh-
nungs- und Siedlungswesens (einmalig), 10 Millionen Mark zur För¬
derung der Pflege der schulentlassenen Jugend sowie zur Ausbildung
und Anleitung für die Jugendpflege geeigneter Personen, 00000 M.
zur Förderung von Erhebungen und wissenschaftlichen Arbeiten auf
dem Gebiete der Wohlfahrtspflege, 1236618 M. zur Förderung der
Bekämpfung der Trunksucht und ihrer Ursachen, 160000 M. (einmalig)
zur Förderung von Einrichtungen der ländlichen Wohlfahrtspflege,
300000 M. (einmalig) zur Unterstützung der öffentlichen und privaten
Wohlfahrtspflege.
— Für die verstärkte Typhus- und Ruhrbekämpfung in
Mitteldeutschland sind 5 bakteriologische Anstalten eingerichtet wor¬
den (Jena, Gotha, Gera, Halle, Erfurt). Es wurden 1273 Typhus¬
erkrankungen mit Hilfe der Anstalten festgestellt. Diese Zahlen
ergeben eine ungewöhnlich hohe Typhusmorbidität, die über die¬
jenige, die im Südwesten des Reichs in den letzten 10 Jahren bestand,
weit hinausgeht. Die Gesamtzahl der in der Berichtszeit bis zum
1. XI. 1921 auf Typhus untersuchten Personen betrug 3298; von den
Untersuchungen hatten 191 Blutkulturen, 746 Widaluntersuchungen,
200 Stuhl- und 59 Urinproben ein positives Ergebnis. — Von 421
in den Anstalten auf Ruhr untersuchten Personen mit 900 Einzel¬
untersuchungen ergaben 56 einen positiven Widal und 84 einen posi¬
tiven Stuhlbefund. — Es wurden im ganzen 20 Typhusbazillen- und
4 Ruhrbazillenträger festgestellt.
Prof. Zettnow, Leiter der Mikrophotographischen Abteilung
im Institut für Infektionskrankheiten,Cein alter Mitarbeiter von Robert
Koch, wurde am 31. I. —^seinem^öO. Geburtstag — zum Ehrenmit-
glied.des Instituts ernannt.
— Fleckfieber. Deutsches Reich (15.—21.1. mit Nachträgen): 12. — Genick¬
starre. Deutsches Reich (1&— 24.XII.l92l): 12. - Ruhr. Deutsches Reich (18.-24.XII.
1921): 73.— Abdominaltyphus. (18.-24.XII. 1921): 249.
— Dresden. Die vom Deutschen Hygienemuseum zusammen-
gestelltc Wanderausstellung zur Bekämpfung der Tuberkulose wurde
am 21. I. eröffnet.
— Rostock. Der vertragslose Zustand zwischen Aerzte-
verein und Ortskrankenkasse (vgl. Nr.3 S. 103) ist wieder
aufgehocen, da die Forderungen derAerzte erfreulicherweise erfüllt wurden
— Stuttgart. In einem Erlaß an die Oberämter und an die
Oberamtsärzte weist das Ministerium des Innern darauf hin, darauf
hin 2 uwirken, daß in jedem Bezirk wenigstens eine Tuberkulosen¬
fürsorgestelle errichtet wird, zu deren Einrichtung ein nennens¬
werter Staatsbeitrag — durchschnittlich für den Bezirk 10000 Mark —
in Aussicht gestellt wird. Grund für diesen Ministerialerlaß gab die
Feststellung einer Zunahme der Tuberkulose-Erk ra nk ung.
— flocb^chuiftajcbricbieii. Berlin. Prof. v. Eicken (Gießen) hat
den Ruf als Nachfolger Killians angenommen. Prof. v. Eicken be¬
absichtigt, außer Laryngo-Rhinologie auch die Otologic zu vertreten,
während andererseits dann in der Klinik für Ohrenkrankheiten auch
Kehlkopfleiden behandelt werden sollen. Ob die bisherigen Bezeich¬
nungen Klinik für Hals- und Nasenkrankheiten einerseits und Klinik
für Ohren- und Nasenkrankheiten anderseits bestehen bleiben wird,
bleibt abzuwarten. (Mit der Wiederbesetzung des Killianschen Lehr¬
stuhls ist eine lange schon unangenehm empfundene Vakanz beseitigt.
Indessen weist die Medizinische Fakultät immer noch Lücken auf, die
endlich einmal geschlossen werden müßten [vgl. d. W. 1921 Nr. 43
S. 1304)). — Marburg. Als Nachfolger von Prof. Bessan, der den
Ruf nach Leipzig angenommen hat, ist in Vorschlag gebracht: 1. Vogt
(Magdeburg), 2. Freudenberg (Heidelberg), 3. Gott (München) und
Thomas (Köln). — München. Prof. Merkel wurde zum Obermedi¬
zinalrat befördert. — Münster.' Prof. Apfelstaedt ist das neuerrich¬
tete Extraordinariat für Zahnheilkunde übertragen worden (vgl. diese
Wochenschrift Nr.3 S. 104). — Rostock. Dr. Triebenstein,
Oberarzt an der Universitäts-Augenklinik, hat sich habilitiert. Priv.-
Doz. Generaloberarzt Krause erhielt die Dienstbezeichnung a. o. Pro¬
fessor. — Innsbruck. Der akademische Senat hat Prof. v. Piquet
(Wien) und den argentinischen Gesandten Dr. v. Perez zu Ehrenmit¬
gliedern der Universität ernannt.
. — Gestorben. Hofrat Klemensiewicz, emer. o. Professor der
Allgemeinen und experimentellen Pathologie in Graz, im Alter von
73 Jahren am 21. I. Wenige Tage vor seinem Tode konnte der greise
Gelehrte noch sein goldenes Doktorjubiläum feiern (vgl. Nr. 4 S. 136).
— Literarische Neuigkeiten. Zwei sehr angesehene Zeitschriften
haben ihr Herausgeberkollegium erweitert. In der Monatsschrift für
Psychiatrie and Neurologie, welche von G. Wernicke und Th. Ziehen
begründet wurde und seit dem Jahre 1913 von C. Bonhoeffer heraus¬
gegeben wird, sind R. Cassirer (Berlin), K. Kleist (Frankfurt a. M.),
E. Redlich (Wien) und P. Schröder (Greifswald) in das Heraus¬
geberkollegium eingetreten. — Die Zeitschrift für Augenheilkunde,
welche im Jahre 1899 von H. Kuh nt und J. v. Michel begründet
wurde, wird jetzt herausgegeben von Birch-FIirschfeld (Königs¬
berg), E. Krückmann (Berlin), H. Kuhnt (Bonn), J. Meller (Wien),
P. Römer (Bonn), F. Schi eck (Halle), A. Vogt (Basel).
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
LITERATURBERICHT
Redigiert von Prof. Dr. R. von den Velden.
Allgemeines.
♦♦ J. Salpeter (Wien), Einführung ln die höhere Mathe-
mathlk für Naturforscher und Aerzte. 2. Aufl. Jena, Oustav
Fischer, 1921. 385 Seiten mit 153 Abbildungen. Ref.: L Michaelis
(Berlin).
Es ist erstaunlich und höchst erfreulich, wenn ein solches Buch
in dieser Zeit verhältnismäßig rasch (seit 1913) eine zweite Auflage
erleben kann. Der Verfasser, ein Mathematiker von Fach, hat zwar
die Vorstellung, daß er unter Verzichtleistung auf die tiefsten Tiefen
der Beweisführung dem Nicht-Mathematiker sein Fach übermitteln
will. Der an praktische Mathematik gewöhnte Nicht-Mathematiker wird
jedoch die Empfindung haben, daß dieses Buch vor allen für Nicht¬
rachleute der reinen Mathematik geschriebenen Lehrbüchern besonders
tief in die Beweisführung eingeht und trotz aller angestrebten und
glänzend erreichten Anschaulichkeit zu einem sehr abstrakten Denken
erzieht. Der ganze Plan des Buches, die Art der Darstellung ist sehr
eigenartig und unterscheidet es wesentlich von allen anderen Büchern,
welche den gleichen Zweck erstreben. Von der Mathematik kann man
noch mehr als von anderen Wissenschaften sagen, daß man sie nicht
nach der Darstellung eines Lehrers allein wirklich voll aufnehmen
und verarbeiten kann, und wer das Bedürfnis nach dem Erlernen der
Mathematik erkannt hat, wird nach verschiedenen Darstellungen der¬
selben suchen. Will man einem Mediziner mehrere verschiedenartige
Lehrbücher empfehlen, so muß man als eine derselben jedenfalls
dieses Buch nennen, weil es kein analoges gibt. Es ist ein erfreu¬
liches Zeichen, daß ein Mathematiker sich dieser didaktischen Aufgabe
unterzogen hat, ein noch erfreulicheres, daß er ein so ausgedehntes
Leserpublikum gefunden hat.
Psychologie,
C. Q. Jung (Zürich), Psychologische Typen, Zürich,
Rascher & Cie, 1921. 703 S. Ref.: Th. Ziehen (Haue a. S.).
Verfasser unterscheidet zwei große psychologische Typen, den
Introversions- und den Extra Versionstypus. Der intro¬
vertierte Standpunkt ist derjenige, der unter allen Umständen das
Ich und den subjektiven psychologischen Vorgang dem Objekt und
dem objektiven Vorgang überzuordnen oder doch wenigstens dem
Objekt gegenüber zu behaupten sucht und daher dem Subjekt einen
höheren Wert als dem Objekt gibt; der extravertierte Standpunkt ver¬
hält sich entgegengesetzt (S. 10). Die genaue Beschreibung der beiden
Typen und ihrer Varianten wird erst S. 473—583 gegeben und bildet
den wichtigsten Teil des Buches. In den vorausgenenden Abschnitten
sucht Verfasser allenthalben die Bedeutung bzw. das Vorkommen
dieser beiden Typen nachzuweisen. Besonders beachtenswert sind die
Abschnitte über aas Typenproblem in der antiken und mittelalterlichen
Geschichte, über Schillers Ideen zum Typenproblem und über das
Typenproblem in der Dichtkunst (im Anschluß an Spittelers Prome¬
theus und Epimetheus). Ein relativ kurzer Abschnitt (S. 381—404)
behandelt das Typenproblem in der Psychiatrie, vor allem unter
Berücksichtigung der Grafischen Lehre von den psychopathischen
Konstitutionen. Es finden sich aber allenthalben auch zerstreut Hin¬
weise auf neuropathologische und psychiatrische Fragen. Mit Aus¬
nahme des letzten Teils (lexikalisch geordnete Definitionen) ist die
Darstellung fast überall klar, gründlich und anregend, auch die zahl¬
reichen historischen Anknüpfungen sind wertvoll; nur spielen das
„Symbol“, die „Libido“ und das „Unbewußte“ an einzelnen Stellen
noch eine zu große und unklare Rolle. Das tatsächliche Vorhandensein
der beiden Typen ist nachgewiesen. Auch für den ärztlichen Prak¬
tiker ist das Werk sehr lesenswert.
Physiologie.
Emil Abderhalden (Halle), Das’-Wesen der Innervation und
ihre Beziehungen zur Inkretbildung.' Kl. W. Nr. t. Es ist in den
letzten Jahren wiederholt der Zweifel aufgetaucht, ob die Nerven
die unter ihrem Einfluß stehenden Organe direkt zur Tätigkeit anregen
oder ob der Erfolg nicht durch ein Produkt vermittelt wird, das unter
dem Einfluß der entsprechenden in Erregung befindlichen Nerven
gebildet wird. Es würde also der Einfluß der Nerven auf die Organe
nur ein indirekter sein. Loewy hat dieses Problem am Problem
der Innervation des Herzens zu beantworten versucht und kommt
zur Annahme eines durch Vagus bzw. Sympathikus gebildeten Para-
sympafh/kus- und Sympathikusstoffes. Mansfeld und v. Pap schlie¬
ßen aus Beobachtungen über den Zuckerumsatz bei Warmblütern bei
verschiedener Temperatur, daß unter dem Einfluß des Erwärmens bzw.
Abkühlens Stoffe gebildet werden, die im Blute kreisen und imstande
sind die Oxydationen in den Zellen zu vermehren bzw. herabzusetzen.
Nach Weenahme der Schilddrüse bleiben diese Erscheinungen beim
Ahlefthipn tmd Erwärmen aus. Einspritzung von Schilddrüsenextrakt
vermiß die Temperatur von Winterschläfem, z. B. Igel, zu steigern
dl Vnn bestimmten Organen, wie Schilddrüse, Thymus usw.,
(Adler). Vo s j nc | yon £| n f| u ß au f die Muskulatur der kleinen
Gefäße 6 " Das Zuckerzentrum wirkt auf dem Wege über den Sym¬
pathikus offenbar auf die Nebennieren ein und veranlaßt diese zur
Abgabe eines Stoffes in die Bhitbahn, der seinerseits die Leberzellen
beeinflußt (Mayer). Aus allen Beobachtungen geht klar hervor,
daß nicht mehr Nerveneinflüsse auf der einen und Wirkung von Inkret-
stoffen auf der anderen Seite scharf geschieden werden dürfen. Beide
stehen in innigstem Zusammenhang.
E. Rothlin (Zürich), Natur und Entstehung diastatischer Per¬
meate. M. m. W. Nr. 3. Zu Biedermann in Nr. 44. Verfasser hat
in allen seinen Versuchen eine amylopektinfreie Amyloselösung ver¬
wandt. Schlußwort Biedermanns.
O. Loewi (Graz), Humorale Uebertragbarkeit der Herzuerven-
Wirkungen. Kl. W. Nr. 1. Die Nervenreizung veranlaßt direkt das
Auftreten von chemischen Stoffen, die ihrerseits erst die Ursache dessen
sind, was man im Anschluß an die Nervenreizung sieht. Sie sind also
gewissermaßen lokal gebildete und wirksame Hormone. Die Stoffe
sind organischer Natur.
O. Embden und H. Lawaczeck (Frankfurt a. M.), Bildung an¬
organischer Phosphorsäure bei der Kontraktion des Froschmnskels.
KL W. Nr. 1. Das Ausbleiben einer erkennbaren Phosphorsäurever¬
mehrung beruht auf dem der Phosphorsäureabspaltung die Wage hal¬
tenden Wiederaufbau des Laktazidogens. Die Abspaltung der Phos¬
phorsäure erfolgt ganz zu Beginn der Kontraktion. Schon während
eines bestehenden Tetanus kann ihre Wiederverwendung zum Lakta-
zidogenaufbau erfolgen. _
Allgemeine Pathologie.
++ J. Bauer (Wien), Vorlesungen über allgemeine KonstItu-
tlons- und Vererbungslehre. Berlin, J. Springer, 1921. 186 S.
M. 36.—. Ref.: von den Velden.
Bauer will in den vorliegenden 12 Vorlesungen eine „Physiologie
und allgemeine Pathologie der Erbmasse“ dem Mediziner geben. Man
muß es dankbar begrüßen, daß hier in kurzer übersichtlicher Form
über Wesen und Ziele der Konstitutionspathologie, die Fragen der
Variabilität, Phänomenologie der Konstitution, Beziehungen zur inneren
Sekretion usw. berichtet wird. In 3 Vorlesungen kommt die Ver¬
erbungslehre zu Wort. Arzt und Student werden das kleine Werk
mit Vorteil studieren.
H. Lange und B. W.^Müller (Frankfurt), Untersuchungen
über Narkose. Kl. W. Nr.l. Mit länger andauernder Narkose des
Muskels fällt stets auch eine Permeabilitätssteigerung zusammen. Dieser
Vorgang ist vollkommen reversibel. Im ersten Beginn der Narkose
ist eine Herabsetzung der Durchlässigkeit vorhanden. Weder der
Zustand verminderter, noch jener vermehrter Permeabilität kommt
als eigentliche Ursache der Narkose in Betracht. Als solche ist
vielmehr eine Verminderung der Alterationsfähigkeit jener Grenz¬
schichten anzusehen, deren plötzliche Permeabilitätssteigerung nach
Embden und Adler zur Erregung führt.
F. Kaufmann und*M. Winkel (Frankfurt a M.), Entzündung und
Nervensystem. Kl. W. Nr. 1. Mitteilung eines Falles von Ischias, bei
dem nach interner Jodmedikation genau im Bereiche einer allgemein
hyperästhetischen Zone am kranken Bein eine schwere Dermatitis
auftrat. Genaue Analyse und experimentelle Beobachtung des Falles.
Die Autoren kommen zu dem Schluß, daß die Erkrankung eines
peripherischen Nerven in dem zugehörigen Innervationsgebiet eine
Zustandsänderung schafft, von welcher die besondere Reaktionsart
dieses Gebietes gegenüber (entzündlichen) Reizen abhängig ist.
Moewes (Berlin), Kochsalzausscheidung von konstitutionellen
Gesichtspunkten aus betrachtet. Zschr. f. klin. M. 92 H. 4—6. Ge¬
sicherte Beziehungen zwischen einzelnen abgrenzbaren Konstitutions-
anomalieen und der Kochsalzausscheidung bestehen nicht. Letztere
ist abhängig vom Allgemein- und Ernährungszustand und somit indirekt
von der Gesamtkonstitution. Die Ausscheidungsart bei künstlicher
Kochsalzzufuhr bildet ein Maß für die augenblickliche Leistungsfähig¬
keit der Person unter Ausschluß renaler oder kardialer Störungen.
Amoldi und Leschke (Berlin), Wirkung der aus endokrinen
Drüsen hergestellten Präparate auf den Gaswechsel. Zschr. f.
klin. M. 92 H. 4—6. Die Präparate wirken bei verschiedenen wie bei
der gleichen Person ungleich. Es kommt auf den Stoffwechsel an.
Bei hoher Dosierung und stürmischem Effekt wird neben Kh auch
Fett und Eiweiß mit umgesetzt. Der Abbau überwiegt dann den Auf¬
bau. Mit der Kh-Mast geht'die Retention von Wasser und Salz einher
und erhöht dadurch das Gewicht. Von besonderer Bedeutung für den
gesamten Stoffwechsel sind die Kohlenhydrate.
Max H. Kuczinsky (Berlin), Leberbefunde bei fleckffeberkraakeu
Meerschweinchen. Kl. W. Nr. 1. Es fand sich ein außerordentlich
starker Reizzustand und Wucherungsvonrang im ganzen endothelialen
Apparat mit intensivem Zerfall und .Phagozytose von roten und
weißen Blutkörperchen in wandständigen und losgelösten Makro¬
phagen. Häufig sah man auch reichlich abgestoßene Endothelien
und unzweifelhafte Leberzellen auch in den Zentralgefäßen. Das
Virus stellte sich je nach Beleuchtung als rot bis blauviolette Kugeln
dar, die in verhältnismäßig riesenhaft vergrößerte Endothelien ein*
gelagert waren. Zum Teil hatten die Zellen das Virus wieder aus¬
gestoßen. Die Mehrheit der endothelialen Viruszellen erliegt nicht
dem Infektionsverhältnis. Das Fleckfiebervirus wächst und vermehrt
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
204 LITERATURBERICI^T Nr. 6
sich in solchen Zellen, die es ihm ermöglichen, in einem physiologi¬
schen Medium geeignete Nährstoffe (die von der Zelle selbst auf¬
genommenen) zu assimi:ieren. Das Endothel ist Wiege und Grab
der Heckfieberinfektion im Körper. Der aus dem Infektionsverhältnis
entspringende Restitutivreiz für das gesamte endotheliale System
führt zu einer ganz unspezifisch leistungssteigernden Beeinflussung
der Zellen und dadurch zum gehäuften Untergang von primär nicht
notwendig zum Untergang bestimmten Blutzellen. Beim Kaninchen
nur zelluläre, beim Menschen und Meerschweinchen vielleicht auch
humorale Immunität.
Schustrow (Moskau), Experimentelle chronische Anämieen.
Zschr f. klin. M. 92 H. 4—6. Die bei experimentellen hämolytischen
Vergiftungen auf tretende Immunität gegenüber dem Gift ist auf die
Entwicklung zahlreicher junger Erythrozyten zurückzuführen. Bei der¬
artigen Vergiftungen treten etwa alle 30 Tage Verschlimmerungen der
Anämie durch Aelterwerden der Erythrozyten auf. Junge Erythrozyten
sind gegen hämolytische Gifte widerstandsfähiger und haben eine
geringe osmotische Resistenz.
Ludwig Kraus (Münster), Die Zellen des Elters bei Konjunkti¬
vitis und Urethritis gonorrhoica auf Grund vergleichender, quali¬
tativer Zellenuntersuchung nach Arneth. M. m. W. Nr. 2. Unter¬
suchung des Eiters nach der ausführlichen Methode Arneths zeigte
weitgehenden Parallelismus in der Art der Blutbilder im Eiter und
im Blut. Es ergaben sich keine Anhaltspunkte für die Entstehung
einzelner Zellformen aus dem Gewebe.
Pathologische Anatomie.
Felix Marchand (Leipzig), Pathologische Anatomie und Nomen¬
klatur der Lungentuberkulose. M. m. W. Nr. 1 u. 2. Als chronisch-
entzündliche Krankheit setzt sich die Tuberkulose zusammen aus den
degeAerativen Veränderungen der' schädigenden Krankheitsursache
und den reparativen Gewebsveränderungen. Eine schematische Ein¬
teilung in Stadien ist zurzeit noch nicht möglich. Die verkäsende
pneumonische Infiltration ist keine Abwehrfunktion, sondern ein dele¬
tärer Vorgang. Die größere Disposition der Lungenspitze ist durch
mechanische Verhältnisse allein nicht zu erklären. Die initialen Lungen¬
herde beruhen meist auf Aspiration.
Strahlenkuade.
E. Petry (Graz), Röotgenempffiadllchkelt pflautlicher Objekte,
maßgebende Bedinrungen. W. kl. W. Nr. 2. Austrocknen macht un¬
empfindlich, Quellen empfindlich. Trotzdem aber große Unterschiede
in der Empfindlichkeit der einzelnen Arten. Auch das Auskeimen
erhöht die Empfindlichkeit im Trockenzustande. Weitere Einzelheiten
nicht zu Referat geeignet.
E.Mühlmann (Stettin), Selbstkosten, Wirtschaftlichkeit und spar¬
same Leitung unserer Röntgenlaboratorlen. Zschr.f. Krankpfl. Nr. 11
u. 12. Die finanziellen Berechnungen für Röntgenlaboratorien liegen
heute viel schwieriger als vor dem Kriege, weil heute jeder Posten
im Voranschlag unberechenbar ist, solange auf dem Metallmarkt so
große Preisschwankungen vorhanden sind und bei gegen früher wesent¬
lich verlängerter Lieferzeit alle Kosten „freibleibend“ sind. Hinzu¬
kommt, daß man bei öffentlichen Anstalten die Preissteigerungen des
Materials in der Honorarforderung nicht mitmachen kann, während
der beschäftigte Privatarzt dies noch eher vermag. Die modernen
Forderungen des Strahlenschutzes, der Röntgenhygiene, der guten
Lüftung, die Vervollkommnungen der therapeutischen Apparate sind
unumgänglich. Kleine Anstalten mit wenigen Kranken tun am besten,
wenn sie diese den größeren Anstalten mit Fachröntgenologen, ge¬
schultem Personal und vollkommenen Laboratorien überweisen. Ver¬
fasser weist darauf hin, daß die jetzt so dringende Sparsamkeit und
Wirtschaftlichkeit im Röntgenlaboratorium am besten durch gutes tech¬
nisches Können bedingt ist, im Einzelnen besonders durch gutgeschulte
ärztliche Leitung, erfahrenes Hilfspersonal, Eigenbau der Zusatzein¬
richtungen, Ausbau der Durchleuchtung, Beschränkung des photogra¬
phischen Verfahrens, Verwendung kleineren Plattenformats, Anpassung
der Einrichtung des Laboratoriums an Zahl und Umfang der Leistungen.
Heinrich Guthmann (Frankfurt a. M.), Zur Ga«vereiftung im
Röntrenzlmmer. M. m. W. Nr. 3. Zu Lönne in Nr. 47. Bei der Be¬
nutzung absolut reiner Reagenzien ist die Erlwein-Weylsche Reaktion
für den Ozonnachweis spezifisch. Es genügt 100 I Luft durch die
Reagenslösung zu leiten.
Allgemeine Diagnostik.
H. Kümmel 1 j. (Hamburg), Gruppenreaktion mit Blutkörperchen
zum Nachweise aktiver Tuberkulose. Zbl. f. Chir. Nr. 50. Die Imp¬
fungen mit Peptonbouillon und-frisch der Armvene entnommenem
Blute, Einzelheiten im Original, wurden in erster Linie an chirurgischen
Tuberkulosen erprobt. Die verhältnismäßig wenigen Versuche an
internem Materiale laufen • den übrigen Resultaten so vollkommen
parallel, daß die Reaktion für das gesamte Gebiet der Tuberkulose
Gültigkeit beanspruchen dürfe.
Allgemeine Therapie.
Th. Gluck (Berlin)., Arteriotomle. M. m. W. Nr. 2. Zu Eckstein
und No eggerath in M. m. W. 1921 vom 18. XL Die Arteriotomie
und zwar der Art. cubitalis, bei Versagen der Venaesectio wurde vom
Verfasser zuerst wieder ausgeführt, nachdem sie lange Zeit in Ver¬
gessenheit geraten war. Siehe B. kl. W. 1898.
Wolffheim (Königsberg), Heilender Einfluß des Erysipels auf
Gewebsneubildungen, insbesondere bösartige Tumoren. Zschr. f.
klin. M. 92 H. 4—6. Unter Berücksichtigung der zahlreichen Fälle von
Heilwirkung des Erysipels auf Neoplasmen möchte Verfasser die prak¬
tisch wichtige Frage, ob wir die Anlegung eines künstlichen Erysipels
bzw. die Behandlung mit Streptokokkentoxinen oder mit abgeschwächten
Kokken gutheißen sollen, im Prinzip bejahen. Die Erysipelbehandlung,
soll aber als ultima ratio gelten.
Thim (Wien), Neues Fläschchen nach Hinz-Thim zur sterilen
Aufbewahrung von Medikamenten. M. Kl. Nr. 1. Vorteile desselben:
Man kann die Lösung direkt aus dem Fläschchen mit der Rekord¬
spritze aufsaugen. Ein Oeffnen des Fläschchens mittels Stöpsels fällt
weg. Die Lösung kann im Fläschchen durch Kochen leicht sterilisiert
werden. Eine Verunreinigung der Flüssigkeiten durch unreine Kontakte
ist ausgeschlossen.
Alexander (Berlin), Der Unfug des Abführmittels. M. Kl. Nr. 49.
Ohne genaue Diagnose der Ursache der Verstopfung sollte kein Arzt
ein Abführmittel verordnen.
Wiechowski (Prag), Digitalispräparate. Ther.Hmh.Nr.22. Diginor-
gin ist aus der Gesamtheit der Froschwirksamkeit der in Arbeit ge¬
nommenen Digitalisblätter gewonnen, und zwar durch ein Aussalzver¬
fahren. Es wird seine Wirksamkeit unter ständiger Kontrolle der
Froschempfindlichkeit nach Houghton-Straub bestimmt und auf 2001)
pro 1 ccm eingestellt.
Schumacher (Berlin), Welche chemischen Prozesse können
das Kalomel bei interner Darreichung zu einem gefährlichen Gift
werden lassen? M. Kl. Nr. 49. Die Kalomeldarreichung als Laxans
ist nur dann ungefährlich, wenn die Möglichkeit einer raschen Darm¬
entleerung gegeben ist. Bei Darmlähmung z. B. infolge Peritonitis wird
es zum gefährlichen Gift, weil die Alkalikarbonate des Darmsaftes
alsdann in kurzer Zeit das gesamte Hg in den Kreislauf befördern.
Hans Kowalzig (Homburg v. d. H.), „Kamillosan** eine neue
Anwendungsart der Kamille. M. m. W. Nr. 2. Kamillosan, her-
gestellt in den chemisch-pharmazeutischen Werken Homburg v. d. H.,
ist ein alkoholischer Extrakt aus Kamillenblüten, der alle wirksamen
Bestandteile enthalten soll, ln Klysmen mit 1 Eßlöffel auf 11 Wasser
bewährte es sich gut bei Darmkatarrhen, besonders gegen Tenesmen,
es wirkte auch bakterizid bei Ruhr. In Salbenform bei Ekzemen und
schlecht heilenden Wunden.
Haggeney (Berlin), Novasurol als Diuretikum. M. Kl. Nr. 2.
NovasuroT hat sich als ein stark wirkendes Diuretikum bewährt, ent¬
weder intramuskulär oder intravenös anzuwenden. Das Hauptanwen¬
dungsgebiet erstreckt sich auf alle Herzaffektionen. Bei Nierenaffek¬
tionen ist das Mittel nur mit Vorsicht anzuwenden.
Clemens Grimmer (Hamburg), Können die beiden fremd¬
ländischen Drogen Senega und Ipekakuanha durch einheimische
Arzneioflanzen ersetz! werden? M. m. W. Nr. 2. Als Expektorans
an Stelle von Senega eignet sich sehr gut ein Dekokt aus Wurzeln
von Primufa vulgaris, an Stelle Ipekakuanha die Veilclienwurzel. Im
Handel ist ein Fluidextrakt aus beiden Drogen, das Primulatum Tosse.
Bonsmann (Köln), Zymarintherapie. M. Kl. Nr. 50. 1. Zymarin
wirkt bei Herzkrankheiten am besten bei erhöhter Inanspruchnahme
des rechten Ventrikels. Bei hochgradiger Dekompensation gebe man
das Mittel nicht intravenös, sondern intramuskulär. 2. Bei Pneumonie
wirken große Dosen günstig, insbesondere bei unruhigen Kranken
auch sedativ. 3. Die bisweilen auftretenden Nebenerscheinungen
schließen eine, ausgedehnte Verwendung des Mittels nicht aus und
zwingen nur selten zum Absetzen.
Krankenpflege.
Drees mann (Köln a. Rh.), Zweijährige Ausbildungszeit in der
Krankenpflege. Zsch. f. Krankpfl. Nr. 12. Verfasser begrüßt zwar die
Verlängerung der Ausbildungszeit in der Krankenpflege von einem auf
zwei Jahre vor der staatlichen Prüfung, die seit dem l.X. 1921 erfolgt
ist, als zweckdienlich, wünscht aber, daß diejenigen Krankenpflegerinnen,
die sich vor diesem Termin zum Examen gemeldet haben, noch mit
den alten Bedingungen angenommen werden, da die erwachsende
höhere Kostenaufwendung und Umstellung der Lebensverhältnisse von
ihnen nicht vorgesehen war, ferner, daß denjenigen Mutterhäusern
welche selbst keine Krankenpflegeschule haben, für die Schwestern
nur ein Jahr in der Krankenpflegeschule zugestanden wird, wenn die
betreffenden Schwestern schon ein Jahr lang im Mutterhause tätig ge¬
wesen sind.
Innere Medizin.
++ A. Moll (Berlin), Behandlung der Homosexualität: bioche¬
misch oder psychisch? Bonn, Marcus & Weber, 1921. 71 S.
M. 14.—. Ref.: Fürbringer (Berlin).
Eine gleich aktuelle wie schwierige Frage. Der das einschlägige
Feld wie wenige beherrschende Autor behandelt sie in diesem 5. Hefte
□ igitized by Gougle
Original from
CORNELL UNiVERSITV
9. Februar 1922
LITERATURßtRlCHT
205
des 3. Bandes der Abhandlungen aus dem Gebiete der Sexualforschung
mit der ihm eigenen Gründlichkeit und Ausführlichkeit, spricht sich
zugunsten der psychotherapeutischen und psycho-hygienischen Behand¬
lung aus, deren Unterschätzung „ganz verfehlt“, und dämmt die über¬
triebenen Hoffnungen auf die operative Behandlung ein. Selbstver¬
ständlich setzt er sich mit Steinach und seinen Mitarbeitern bzw.
Parteigängern kritisch auseinander, auf die mit der Behandlung eng
zusammenhängende Entstehungsart der Homosexualität nachdrücklich
eingehend. Sehr beherzigenswert sind die Mitteilungen einiger beide
Geschlechter betreffenden Fälle. Es gilt vor allem, die Suggestion von
der Unmöglichkeit der Abänderung der Richtung des Geschlechts¬
triebes und die Ableugnung psychischer Entstehungsbedingungen zu
zerstören. Weder muß die homosexuelle Disposition zur Entwicklung
kommen, noch die entwickelte Homosexualität eine dauernde sein.
Die abweichende Beschaffenheit der Hoden mancher Homosexueller
ist nicht ausgeschlossen, aber bislang unbewiesen, desgleichen die
Heilbarkeit durch Hodentransplantation. Die psychische Behandlung
ist unentbehrlich, oft erfolgreich und hemmt nicht selten im Stadium
der Undifferenziertheit die Entwicklung der Störung. Sehr beachtens¬
wert dünkt mir des Autors Stellungnahme zum Strafgesetz („nicht
alle homosexuellen Handlungen straflos“). Ob die Titelfrage ent¬
schieden oder vielleicht doch der Nervenarzt hier und da zu beherr¬
schend zu Wort gekommen, kann selbstverständlich nur eine Fülle
weiterer klinischer Erschließungen lehren.
R. Fleckst der (Wien), Typhus und Schilddrüse. W. kl. W. Nr. 2.
In einigen Fällen hat Flejckseaer beobachtet, daß eine Struma den
Verlauf des Typhus günstig beeinflußte. Versuche mit Schilddrüsen¬
tabletten und Thyreoglandol (Hoffmann-la Roche) intravenös hatten bisher
keinen Erfolg.
Buttenwieser (Frankfurt a. M.), Azetouurie und experimen¬
telle Adrenalinflykämie bei Ruhr M. m. W. Nr. 3. Bei 7 Ruhr¬
patienten mit Azetonurie trat nach Adrenalininjektion in 2 Fällen keine,
in 5 nur geringe Hyperglykämie auf. Nach vorheriger Darreichung
von 100 g Dextrose stieg nach Adrenalininjektion die Hyperglykämie
bedeutend an.
Kling (Wien), Kohlenbebandlnng der Ruhr. M. Kl. Nr. 2. Die
Kohlenbehandlung der Ruhr stellt einen allgemeinen und bedeutenden
Nachteil dar durch Belastung des kranken und daher schonungsbedürf¬
tigen Darmes, Steigerung der Obstipation und Retention, dem keine
irgendwie günstige Einwirkung auf den Krankheitsprozeß gegen¬
übersteht.
Dom er (Leipzig), Auslöscbphänomen bei Scharlach. M.K1. Nr. 51.
Das Schulze-Carltonsche Auslöschphänomen bildet sowohl in der
passiven Anstellung der Probe als auch in der aktiven eine wertvolle
Bereicherung unserer diagnostischer Hilfsmittel beim Scharlach.
E. Meyer (Göttingen), Herzgröße und Blutgefflßfüllung. Kl. W.
Nr. 1. Uebersichtsmitteilung über zum Teil eigene Untersuchungen
über die Beziehungen zwischen Herzgröße und Blutgefäßfüllung. Für
die Praxis folgt aus dem Ergebnis der Untersuchungen die Aufgabe,
den Zustand des Herzens stets unter Berücksichtigung der zirku¬
lierenden Blutmenge zu beurteilen und zu beachten, daß Kleinheit des
Herzens durch Blutleere, Vergrößerung durch Plethora bedingt sein
kann und scharf zwischen den verschiedenen Formen der Herzdila-
lation zu unterscheiden, statt wie bisher nur einseitig den Zustand
der Herzmuskulatur zu berücksichtigen.
Schmidt (Prag), Aortalgien (Angina pectoris) und das Sym¬
ptom des anginösen linkseltigen Plexnsdrnckscbinerf es. M.K1. Nr.1 u.2.
Die Angina pectoris (Aortalgie) ist, weil sie in den meisten Fällen
nicht der Ausdruck einer Koronararterienerkrankung ist, sondern mit
variablen neuralgischen Zuständen des Plexus cardiacus und periaorticus
zusammenhängt, ein durchaus dankbares Objekt therapeutischer Beein¬
flussung und sind durch zielbewußtes Vorgehen ganz wesentliche, oft
jahrelange Remissionen und Sistieren der Anfälle zu erzielen. (Vgl.
Arbeit von A. Hoffmann, D. m. W. 1921 Nr. 50.)
Geßler (Heidelberg), Endocarditis lenta. M. Kl. Nr. 49. Die Dia¬
gnose der Endocarditis lenta ist bei entwickelten Fällen nicht schwierig.
Die Diagnose kann meistens klinisch mit voller Sicherheit gestellt
werden und bedarf der bakteriologischen Bestätigung nicht.
Isaac (Frankfurt a. M.), Beeinflussung der Herztätigkeit und der
Diurese durch intravenöse Traubenzuckerinfusion. Ther. Hmh. Nr. 22.
Wenn auch intravenöse Injektionen hypertonischer Zuckerlösungen
kein wirksames Mittel zur Einleitung einer Entwässerung bei allge¬
meinem kardialen Hydrops sind, so können sie doch bei der Be¬
seitigung lokalisierter Oedeme, z. B. des Lungenödems, nützlich sein.
Bingold (Hamburg), Kreislaufschwäche bei akuten Infektions¬
krankheiten und ihre Therapie. Ther. Hmh. Nr. 20. Empfehlung
einer aktiven Therapie (Koffein-Kampfer-Adrenalin und Strophanthin
eventuell verbunden mit Na CI- oder Riegerlösungsinfusion). Die
Therapie der Kreislaufstörungen hat sich über viele Tage zu erstrecken,
so wurden oft in 24 Stunden neben Strophanthin und Koffein bis 28 ccm
einer 10%igen Kampferlösung und bis zu 12 ccm einer l° ' 0j igen Adrena-
lirr gegeben, mit bestem Erfolge.
Schlesinger (Wien), Klinik und Therapie des intermittierenden
A/flkeus. M. KL Nr. 50. Zur Behandlung hat sich das Natr. nitros.
02: Wo“ als subkutane Injektion, etwa 20—30 Inject, von 0,02 ccm, als
souveräne Methode erwiesen.
Vari Emst Ranke. Zur klinischen Diagnose der Entwicklung«-
formell der menschlichen Tuberkulose. M. m. W. Nr. 3. Ausführ-
iiehe lieber sicht über die verschiedenen klinische^ Manifestationen der
Lungentuberkulose in ihren Beziehungen zu den allergischen Reaktionen
auf Tuberkulinimpfung. Die frühsekundären Tuberkulosen zeigen hohe
Empfindlichkeit bei der Stichreaktion, die vorgeschrittene tertiäre
Phthise schwere Allgemeinreaktion.
Wetzel (Hannover), Bedeutung komplementbildender Antikörper
bei Lungentuberkulose. Zschr. f. klin. M. 92 H. 4—6. Es fanden sich bei
an Lungentuberkulose erkrankten Menschen, die nicht mit Tuberkel¬
bazillenpräparaten gespritzt waren, im Blutserum komplementablenkende
Körper in 45%, in größeren Mengen in 16% aller Fälle. Bei den mit
Bazillenpräparaten vorbehandelten Tuberkulösen fanden sich komple¬
mentablenkende Antikörper in größerer Menge in 42%. Die progno¬
stisch günstigeren Fälle mögen reicher an Antikörpern sein.
W. Am old i (Berlin), Behandlung der Lungentuberkulose durch
Anregung des Kreislaufs. M. m. W. Nr. 3. Bei vorgeschrittenen Fällen
beiderseitiger Lungentuberkulose erwies sich die Behandlung mit Oleum
camphor. mite wirksam, intramuskulär jeden 2. Tag 1 ccin. Bei Fie¬
bernden Vorbehandlung mit einem milderen Kreislaufpräparat, z. B.
Adonigen. Anfangs Reaktionen, die denen bei Tuberkulininjektion
gleichen. Bei fiebernden Tuberkulösen muß man mit der Verordnung
größerer Dosen von Kreislaufmitteln vorsichtig sein. Das Fieber wird
gut beeinflußt durch Eukupin 3—4 mal tägl. 0,25.
v. Friedrich (Frankfurt a. M.), Einige praktische Proben
der Magendiagnostik. M. Kl. Nr. 51. Der Älkoholprobetrunk ist für
die Praxis sehr gut brauchbar, besonders fällt die Unannehmlichkeit
der Verstopfung der Magensonde durch Speisereste weg. Besonders
geeignet ist er zur Orientierung über die Beschaffenheit der Magen¬
schleimhaut bei Gastritiden und zum Nachweis pathologischer Bei¬
mengungen und zur bakteriologischen Untersuchung des Magensafts.
Bei entsprechender Karmingabe am Abend ist es möglich, sich gleich¬
zeitig über die Mortilität zu orientieren.
W. Robitschek (Wien), Seltener mikroskopischer Befand im
aasgehebersten Mageninhalt. W. kl. W. Nr. 2. Es fanden sich Exemplare
von Troctes divinatorius (Staublaus), die mit dem Zwieback des Probe¬
frühstücks in den Magen gelangt sein müssen.
Strauß (Köln), Vergleichende quantitative Fermentuntersuchangen
im Duodenalsaft und den Fäzes, zugleich eine Kritik der Fer¬
mentuntersuchungsmethoden im Stuhl. M. Kl. Nr. 52. Der
Nachweis der Fermente in den Fäzes ergibt unsichere Resultate und
führt damit zu Fehlschlüssen auf eine eventuell bestehende Pankreas¬
erkrankung. Dagegen scheint mir der Nachweis der Fermente im
Duodenalsaft für Trypsin und Lipase sichere Ergebnisse zu liefern.
N. Ortner, Die Differentialdiagnose der Appendizitis. W. rn. W.
Nr. 2. Fortbildungsvortrag.
Meier (Frankfurt a. M.), Akute gelbe Leberatrophie und ihre
Beziehungen zur Phosphorvergiftung und verwandten Parenchym¬
degenerationen der Leber. Zschr. f. klin. M. 92 H. 4 —6. Dje Ursache
der akuten gelben Leberatrophie ist nicht einheitlich. Dem katarrhali¬
schen Ikterus fällt eine Hauptrolle zu. Akute gelbe Leberatrophie aus
Phosphorvergiftung zeigen weitgehende Uebereinstimmungen (fermen¬
tativer Leberparenchymzerfall). Hämatologisch finden sich Vermehrung
der roten Zellen und ein eigenartiges weißes Blutbild. Vielleicht
kommen auch aktivierende Einflüsse seitens der Milz und des Pankreas
auf die pathologische Befreiung der Leberfermente in Betracht.
Gutstein (Berlin), Im Anschluß an Filmaronöl aufgetretene
akute gelbe Leberatrophie. Zschr. f. klin. M. 92 H. 4—6. Rasch töd¬
licher Fall von Leberatrophie nach Einnahme von 20 g Filmaronöl.
Prädisponierend wirkte tertiäre Syphilis. Beschreibung des Nachweises
von Bilirubin im Urin mit Sol. Kal. ferricyanati.
Rosenthal und Braunisch (Breslau), Xanthomatoais und Hyper-
cholesterinämle. Zschr. f. klin. M. 92 H. 4—6. Bei einem einschlägigen
Fall konnte eine Vermehrung des Cholesterins im Blut nicht festgestellt
werden, auch nicht eine Störung der Ausscheidungsfähigkeit der Leber
für Cholesterin. Ursache des Leidens sind vielleicht Dekonstitutions-
prozesse der Zellen. Vielleicht bestehen auch endokrine Störungen
des Nebennierensystems.
Frey und Hagemann (Kiel), Brauchbarkeit der Adrenallnlym-
phozytoae zur Funktlonaprüfung der Milz. Zschr. f. klin. M. 92 H. 4—6.
Der Ausfall der Reaktion stimmte mit dem mikroskopischen Bild der
Milz gut überein. Bei negativer Adrenalinreaktion wurde das Milz¬
gewebe stets erheblich verändert gefunden, bei positiver erschien die
Mehrzahl der Follikel intakt. Fraglich ist immer noch die Genese der
Adrenalinlymphozytose.
Alexander Lorey (Hamburg), Zwischenfall bei Anlegung
eines Pneumoperitoneum«. M. m. W. Nr. 3. Einblasung von 21 Luft
ohne Beschwerden. Aufnahme im Liegen. Als eine Aufnahme im
Stehen gemacht werden sollte, wurde Patient beim Aufrichten unruhig,
Erstickungsgefühl. Hautemphysem am Halse, zunächst besonders in
den Oberschlüsselbeingruben. Am nächsten Tage hatte es sich weiter
ausgebreitet, am Tage darauf war es ganz verschwunden. Durch
rasches Aufrichten ist wohl ein Einriß des Peritoneums durch Zug an
den Haltebändern der Leber oder Milz entstanden und die Luft hat
sich in dem lockeren Gewebe um den Oesophagus herum einen Weg
nach oben gebahnt.
Sorgo und Fritz (Wien), Behandlung der exsudativen Forni von
Peritonealtuberkulose mit Pneumoperitoneum M.K1.Nr.50. Empfehlung
der Behandlung der exsudativen Form der Peritonealtuberkulose mit
Pneumoperitoneum wegen der Leichtigkeit des Eingriffes, dann wegen
der immerhin großen Krankenzahl, die dadurch einer schnellen Heilung
zugeführt werden könnte.
Schustrow und Wlados (Moskau), Fnaktionspröfunf der blut¬
bildenden Organe. Zschr. f. klin. M. 92 H. 4—6. Es ist möglich, das
Blut durch Arsen auch In negativem Sinne zu beeinflussen. Als Methode
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERS1TV
206
LITERATURBERICHT
Nr. 6
für die Gebiete der Indikation und Gegenindikation der Arsenanwendung
erscheint die Bestimmung der osmotischen Resistenz brauchbar, da sie
von den funktionellen Kräften des Knochenmarks abhängig ist.
G. Bucky und H. Guggenheimer (Berlin), Steigerung der
Knochenmarksfunktion durch Köntgenreizdnsen. Kl. W. Nr. 1. Ein
bereits 4 Jahre beobachteter Fall von perniziöser Anämie, bei dem
durch wiederholte Röntgenbestrahlung ausgesprochene Remissionen
erzielt wurden, läßt es beiden Autoren außer Zweifel erscheinen, daß
wir bei noch vorhandener Reaktionsfähigkeit des Knochenmarks und
richtiger' Dosierung in der Anwendung vori Röntgenreizdosen ein gutes
Stimulans für die Regeneration der Erythrozyten besitzen.
Full (Frankfurt a. M.), Purpurafragen. M. Kl. Nr. 2. Die Milz¬
bestrahlung erzielte keine Dauerwirkung, schon nach 3 Tagen trat
wieder eine Blutung ins Ellenbogengelenk auf.
Ragnar Berg (Dresden), Mineralstoffwechsel. Untersuchung bei
Hämophilie. Zschr. f. klin. M. 92 H. 4—6. Durch die Versuche des
Verfassers wird es immer deutlicher, daß der Mineralstoffwechsel
ebenso viel für die Ernährung und Gesundheit des Menschen bedeutet,
wie der Eiweiß-Fett-Kohlenhydratstoffwechsel. Verfasser wünscht von
der Regierung Institute zur Erforschung der menschlichen Ernährung.
Die Untersuchungen müssen gleichzeitig alle Faktoren in ihrem Einfluß
auf die Gesundheit berücksichtigen. Bezüglich der Resultate der be¬
deutsamen Untersuchungen bei Hämophilie muß auf das Original ver¬
wiesen werden. Die Fähigkeit des hämorrhagischen Organismus, die
im Laufe des Stoffwechsels entstehenden Stoffe zu oxydieren, ist an
sich schon beschränkter als beim Gesunden und außerdem durch äußere
oder innere Gründe leicht zu verschlechtern. Ein drohender Anfall
macht sich schon vorher in der Harnanalyse bemerkbar.
Bürger (Kiel), Experimentelle Grundlagen einer Arbeitstherapie
der Diabetes. Ther. Hmh. Nr. 20 u. 21. 1. Sicher hat vermehrte Arbeit
auch beim Diabetiker einen gesteigerten Zuckerverbrauch zur Folge.
2. Andererseits wirkt besonders ungewohnte und jede mit psychischen
Alterationen verbundene Arbeit (aufregender Sport), als Reiz für die
sog. trophischen Reflexe, welche über zentripetale Bahnen Medulla-
Sympathikus-Splanchnikus-Leber zu einer vermehrten Glykogenolyse
und damit zur Hyperglykämie führen. 3. Jedem Heilplan für einen
Diabetiker sollten daher neben diätetischen auch Vorschriften für sein
körperliches Verhalten eingefügt sein.
R. Klinger (Laupen, Bern), Phrophylaxe des endemischen Kropfes.
W. kl. W. Nr. 2. In der Schweiz hat sich die Einführung von jod¬
haltigen Tabletten (2—3 mg Jod pro Dosis als Jodnatrium oder Jo-
dostarin) sehr bewährt. Dieselben werden 1 mal wöchentlich gegeben.
So gelang es z. B. in einer Landschule den Prozentsatz der Kropfigen von
90° 0 auf 28,3°/„ herabzudrücken. Die Frage, ob man nicht lieber ein
jodhaltiges Kochsalz verwenden sollte, wird verneint wegen der Gefahr
für die Personen mit Jodidiosynkrasie, die bei der Tablettenprophylaxe
leicht herausgefunden und dem Arzt zugeführt werden können. Jodostarin
ist für die Prophylaxe den Jodalkalien gerade wegen seiner langsamen
Wirkung vorzuziehen.
Hahn (Berlin) und Wolff (Stockholm), Verhalten des Cholesterins
im Blut von Nierenkranken. Zschr. f. kürt. M. 92 H. 4—6. Die Chole¬
sterinvermehrung im Blut ist kein regelmäßiger Befund bei Nieren¬
krankheiten. Sie geht der N-Retention und Hypertonie nicht parallel,
ist auch kein urämisches Symptom. Sie ist an tubuläre Schädigungen
gebunden. Ob die Lipoidurie bei Nephrosen Zeichen einer Schädigung
des Nierenfilters ist, ist noch nicht entschieden. Vielleicht ist der Grad
der Cholesterinvermehrung für die Beurteilung der Schwere der tubu¬
lären Schädigung mit zu verwerten.
Lahmeyer (Wildbad), Parinstoffwechsel bei nicht gichtischen
chronischen Arthritiden. Zschr. f. klin. M 92 H. 4—6. Unter 13 nicht
gichtischen chronischen Arthritiden hatten 4 eine sichere Störung des
Purinstoffwechsels, 5 normale Ausscheidungsverhältnisse, der Rest z. T.
Purinstoffwechselstörungen. Ob diese das Primäre oder ein Symptom
einer Allgemeinstörung sind, wissen wir nicht. Von praktischer Be¬
deutung sind diese Untersuchungen für die Regelung der Kost.
Fischer (Prag), Unspezifische Therapie und Prophylaxe der pro¬
gressiven Paralyse. M. Kl. Nr. 50. Es ist falsch, die Paralyse als eine
unheilbare Krankheit zu bezeichnen. Die sogenannten Syphilisspezifika
scheinen für die Behandlung der ausgesprochenen Paralyse wertlos zu
sein; auch ihre prophylaktische Bedeutung ist recht problematisch.
Die nach dem Bisherigen einzig reüssierende Therapie wäre die
Leukozytosetherapie, die besten Resultate ergab bisher das Nuklein.
Die Aussichten der Paralysetherapie sind um so besser, je jünger das
Individuum, je kürzer die Krankheit dauert und hängt auch von der
Dauer und der Intensität der Behandlung ab.
Dreyfuß (Frankfurt a.M.), Prognostische Richtlinien bei isolierten
syphilogenen PupWenstftrungen. M. Kl. Nr. 51. Primär liquorpositive
Kranke mit isolierten syphilogenen Pupillenstörungen leiden an aktiver
mehr oder weniger rasen progredienter Hirnsyphilis. Sie können sich
im Sinne einer Lues cerebrospinalis, einer Tabes, am häufigsten offen¬
bar im Sinne einer Paralyse fortentwickeln. Bei primär liquornegativen
Kranken mit isolierten syphilogenen Pupillenstörungen ist mit aller¬
größter Wahrscheinlichkeit die Hirnsyphilis zum Stillstand gekommen.
Sind sie auch seronegativ, so bedürfen sie keiner Behandlung.
Paul Matzdorff (Hamburg), Behandlung der Tumoren mit
Salvarsan, mit Berücksichtigung der Hirngeschwülste. M. m. W.
Nr. 2. Man kann einigen Nutzen stiften bei diffus wachsenden un¬
reifen Geschwülsten des Hirns und bei Karzinomatose der Häute.
Lange Behandlung mit hohen Dosen. Von vornherein auszuschließen
sind natürlich die operablen Tumoren.
Rahnenführer (Magdeburg). Brown-S6qnardsche Halbseiteolflslon
des Halsmarks. Kl. W. Nr. 1. Kasuistik.
H. v. Baeyer (Heidelberg), Orthopädischer Ausgleich der Hypo¬
tonie und Tiefenanästhesie bei Tabikern. M. m. W. Nr. 2. Starre
zirkuläre Bänder um Taille, Oberschenkel und Unterschenkel, zwischen
ihnen elastische Züge, die den Hauptmuskeln entsprechen. Die
Bewegungen der Beingelenke werden dadurch wieder inniger von¬
einander abhängig, die muskuläre Koordination stellt sich wieder her.
Die fehlenden sensiblen Merkmale der Bewegungen lassen sich durch
Uebertragen der Bewegung auf noch empfindliche Hautpartien ersetzen.
J. Wagner-Jam egg, Vakzioetherapie bei Nervenkrankheiten.
W. m. W. Nr. 1. Fortbildungsvortrag.
Chirurgie.
Bayer (Prag), Wnndbehandlung. M. Kl. Nr. 49. Genaue Kenntnis
der Wundheilung und der sie befördernden Bedingungen ist die Grund¬
lage der Wundbehandlung.
L Heidenhain (Worms), Achselhfthlenfurnnkafose. Zbl. f. Chir.
Nr. 50. Verfasser hat in den letzten 6 Jahren jede Achselfurunkulose,
auch schwere, auf Röntgenbestrahlung abheilen sehen; nur darf man
nicht überdosieren.
Aurel R6thi (Pest), Bronchotomie bei tiefen unheilbaren Ver¬
engerungen der Luftröhre. M. m. W. Nr. 3. Anlegen eines Thorax¬
fensters hinten durch Resektion einiger Rippen. Die Pleurablätter
werden durch Umstechungsnähte aneinander fixiert, die Pleura parietalis
im umstochenen Bezirk reseziert. Dann tritt durch Adhäsionen ein
zuverlässiger Abschluß der Pleurahöhle ein. In einer zweiten Sitzung
Eröffnung eines Bronchus, wobei das Lungengewebe mit Thermokauter
durchtrennt wird. Königsche Kanüle in den Bronchus.
F. Franke (Braunschweig), Operation der eingeklemmten Heroin
obtnratoria. Zbl. f. Chir. Nr. 52. Kasuistik.
V. Schmieden (Frankfurt), Gegenwart und Zukunft der
Magengeschwörschirnrgie. Kl. W. Nr. 1. Uebersichtsreferat über die
leitenden Gesichtspunkte und den gegenwärtigen Stand in der chirur¬
gischen Behandlung des Magengeschwürs.
O. Orth (Landau), Technik der Magenoperationen. Zbl. f. Chir.
Nr. 50. Technische Mitteilung.
K. H. Bauer (Göttingen), Bxstirpation der Magenstrafte. Zbl. f. Chir.
Nr. 52. Experimentelle Untersuchungen, die jedenfalls einen Fortschritt
erwarten lassen, wenn wir mitsamt dem Ulkus auch die primäre Ulkus¬
zone, die Magenstraße, exstirpieren.
Theodor Brunner (München), Akute Perforation des Ulcus
ventricnli aut duodenl. M. m. W. Nr. 3. Nach dem Kriege haben die
Perforationen erheblich zugenommen. Hinweise auf die Frühdiagnose.
Langsame Pulszahl spricht nicht gegen Perforation. Bei Operation
innerhalb der ersten 12 Stunden ist die Prognose gut. Ausgeführt
wurde die Uebernähung mit Gastroenterostomie und ausgiebiger
Spülung der Bauchhöhle.
F. Mandl (Wien), Mastdarmkrebs. W. kl. W. Nr. 2. Mandl hat
das Material der Klinik Hochenegg aus den letzteq 14 Jahren bearbeitet.
Es umfaßt 779 Fälle. Die von verschiedenen Seiten (Strauß, Oehler)
angegebenen Systematisierungen ließen an dem großen Material im
Stich. Bei 4,8°/. waren Ileuserscheinungen vorhanden. Bei diesen
wurde in 34 Fällen die Kolostomie ausgeführt. Mortalität 44°/„. Im
ganzen wurde die Kolostomie 184 mal vorgenommen. Mortalität über
10°/ o (Durchwanderungsperitonitis). Im ersten Jahre nach der Operation
starben 72,5°/ 0 . 508 Radikaloperationen, darunter 461 Sakraloperationen
nach Kraske-Hochenegg. Mortalität 11,1 und 33,6°/ n . 234 Opera¬
tionen mit Anlegung eines Anus sacralis, 14,4°/„ Mortalität. 227
Resektionen nur 8,9’/ 0 Mortalität. Dieses waren leichtere Erkrankungen.
Die Sakralmethode hat 30,l°/ o , die Resektion 37,l°/ 0 Dauerresultate
(3jährige Beobachtung). Nach 5 Jahren waren noch 25,3°/ 0 resp. 26,2°/ n
am Leben und rezidivfrei. 50°/ 0 der Todesursachen sind Wund¬
infektionen und Sepsis. 17 Fälle wurden auf kombiniertem Wege ope¬
riert. 52,9 , /„ Mortalität. Daher nur „Operation der Not". Röntgen¬
behandlung hat sich in 28 Fällen nicht bewährt, im Gegenteil, in vielen
Fällen verschlechternd gewirkt. Darmversorgung, wo möglich mit
der Durchzugsmethode von Hochenegg (48 Fälle). Dieselbe hat in
58,3°/ 0 primär gehalten, während die zirkuläre Naht nur in 19,3°/ 0 hielt.
Erwin Baumann (Wattwil), Traumatische Nierenzyste.’ M. m.W.
Nr. 3. öjähriges Mädchen stürzte aus 9 m Höhe auf einen Zementfu߬
boden herab. Es entwickelte sich eine prall elastische Vorwölbung in
der linken Lendengegend, Auftreibung des Leibes, zunehmender Verfall.
4 Wochen nach dem Unfall Operation. Es fand sich eine große I 1 /« 1
fassende Zyste in der Niere mit gelblicher Flüssigkeit, die Wand des
Hohlraumes war mit schokoladefarbenem Detritus, in dem sich Blut¬
farbstoff fand, belegt, keine Epithelauskleidung.
B. Valentin (Frankfurt a. M.), Sarkom des Calcaoens« Kl. W.
Nr. 1. Kasuistik.
A. W. Meyer (Heidelberg), Methode zum Anffinden von Hirn-
tnmorea bei der Trepanation durch efektri«che Widerstandsines»
sang. — Schlüter (Heidelberg), ApnaratTzur Bestimmung des elek¬
trischen Widerstandes im Gehirn. Zbl. f. Chir. Nr. 50. Technische
Mitteilungen, die sich nicht für ein kurzes Referat eignen.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
9. Februar 1922
LITERATURBERICHT
207
Frauenheilkunde.
Hanns Baur (München), Ae öftere und Innere Eifiberwandernng.
M. m. W. Nr. 2. An Kanincnen wurde an der einen Seite das Ovarium
entfernt und die Tube völlig reseziert. Auch bei maximaler Füllung
des Horns der nicht operierten Seite mit mehr als 6 Föten trat eine
innere Ueberwanderung durch die Halskanäle über die Vagina in die
andere Seite des Uterus nicht ein. Es ist dies eine Stütze dafür, daß
bei Kaninchen mit Ovarektomie einerseits und Tubenunwegsammachung
andererseits die Gravidität nur durch äußere Ueberwanderung möglich ist.
K. Hellmuth (Hamburg), Prüfung der Geiäßfunktioo von Mora¬
witz und Denecke in der Geburtshilfe. Kl. W. Nr. 1. Der Methode
ist eine größere diagnostische oder prognostische Bedeutung bei der
klinischen Beurteilung der Nephropathien und Eklampsien nicht zuzu¬
messen.
E. Zweifel (München), Schmerzlose Geburt. M. m. W. Nr. 2.
Schädigungen haben sich bei richtiger Anwendung des Dämmerschlafs
nicht ergeben. Eine einzige Injektion, wie sie Nassauer empfiehlt,
genügt nur in den seltensten Fällen. Chloräthyl sollte nur für ganz
kurzen Rausch verwandt werden.
H. Peham, Nachgeburtsperiode. W. m. W. Nr. 1. Fortbildungs-
’ vortrag.
Bernhard Schweitzer (Leipzig), Nabelschnorvorfall und seine
Behandlung. M. m. W. Nr. 3. Bei Vorliegen Fruchtblase bis zur
Eröffnung des Muttermundes erhalten, dann innere Wendung und
Extraktion. Bei Vorfall ist in der Hauspraxis Reposition mit Metreuryse
anzustreben, wenn dies nicht möglich, kombinierte Wendung, ohne
sofortige Extraktion. Bei allen Mißverhältnissen zwischen Kopf und
Becken oder bei zu erwartenden Weichteilschwierigkeiten abdominale
oder vaginale Schnittentbindung.
Robert Zimmermann (Jena), Zerreißungen desTentoriums und
der Falx cerebri unter der Geburt. M. m. W. Nr. 3. Bei supra-
tentoriellen Blutungen finden sich Spannung und Vorwölbung der Fon¬
tanellen, Unruhe, Blässe der Haut, Reiz- und Lähmungserscheinungen
an den Nerven. Bei infratentoriellem Sitz der Blutung stehen Zyanose,
Nackenstarre und Atemstörungen im Vordergrund. In einigen Fällen
tat das Kind nach dem Abnabeln einen einzigen Atemzug, danach
vollständiges Stillstehen der Atmung, während die Herztätigkeit erlosch.
Körting (Prag), Behandlung der Grippe bei Schwangeren. Ther.
Hmh. Nr. 21. Empfehlung der frühzeitigen und reichlichen Anwendung
von Adrenalin besonders bei Fällen, bei denen das Leben durch die
enorm rasche und massenhafte Exsudation seröser Flüssigkeit in die
Alveolen und Bronchioli akut bedroht erscheint.
Siegfried Samson (Hamburg), Ballbehandlung der Prolapse.
M. m. W. Nr. 3. Empfehlung der Ballbehandlung nach Leopold Lan¬
dau. Gewöhnliche glatte Gummibälle von 5—10 cm Durchmesser
werden als Pessare in die Scheide eingeführt, Wechsel alle 6 Wochen.
W. Weibel, Strahlenbehandlung des Uteruskarziooms und ihre
Abgrenzung gegen operative Verfahren. W. m. W. Nr. 2. Die
Strahlentherapie ist für das lokal inoperable Uteruskarzinom und für
jene operablen Fälle zu reservieren, welche aus Gründen des Allgemein¬
zustandes einem operativen Eingriff nur mit großer Lebensgefahr
unterzogen werden können. In allen diesen Fällen empfiehlt es sich,
stets kombiniert zu bestrahlen und auch das Radium anzuwenden.
Eine Vorbereitung des Kollumkarzinoms durch Excochleation und Ver¬
schorfung mit dem Paquelin ist angezeigt, da dadurch die Bestrahlung
leichter von statten geht. In der Kombination aller zur Verfügung
stehenden Behandlungsarten und in der individualisierenden Therapie
liegt allein der Weg, die Dauerheilung bei dem Uteruskarzinom zu
verbessern. Von der postoperativen prophylaktischen Nachbestrahlung
mit Röntgenlicht ist eine Besserung der Dauerresultate zu erwarten.
Augenheilkunde.
♦ ♦ Friedrich Dimmer (Wien), Der Augenspiegel und die
ophthalmoskopische Diagnostik. 3. Aufl. Wien, Fr/Deuticke,
r 1021. 633 Seiten mit 16 Tafeln und 146 Textabbildungen. M. 170.—.
Ref.: Groenouw (Breslau).
Während die erste und zweite Auflage des vorliegenden Werkes
lediglich für die Bedürfnisse des Anfängers bestimmt waren, ist die
dritte ein vollständig neues Werk geworden, das für den Augenarzt
bestimmt und auf breitester Grundlage aufgebaut ist. Von den Unter¬
suchungsmethoden werden auch die modernen, wie Untersuchung im
rotfreien Licht und mit der Nernstspaltlampe, eingehend besprochen,
ebenso die Mikroskopie und Photographie des Augengrundes am
lebenden. Das Werk ist mit zahlreichen Textabbildungen und 16 Tafeln
ausgestattet, welche die anatomischen Befunde und zahlreiche photo¬
graphische Aufnahmen des Augengrundes nach der Natur in vorzüg¬
licher Ausführung wiedergeben. Da die Erkrankungen des Auges,
soweit sie hier in Betracht kommen, sehr ausführlich, teilweise mit
Literaturangaben , dargestellt sind, so wird das Buch auch dem Er-
hhrenen ein sicherer Führer und Ratgeber sein.
* W Oildeme ister und W. Dieter. Erlernung von Farben-
nrleich an een. Graefes Arch. 107 H. 1. Es ist, wie Versuche ergaben,
HÜILerf Fa rhenanomalen möglich, durch Uebungen am Anomaloskop
richtige Gleichungen einzustellen, so daß dieser Apparat für Fälle, die
S "? h untersucht worden sind, nicht ausreicht.
iiclfacn .j g,ß r || n (Basel), Senile Glaskörpertrübungen. Graefes Arch.
107 H 1 Die Untersuchung von 22 durchaus gesunden Augen mittels
Lupenspiegel und Spaltlampenmikroskop ergab, v ,daß sich jenseits der
50er Jahre bei über 40'7 ft aller Untersuchten Glaskörpertrübungen finden.
Ernst Fuchs (Wien), Chorioretinitis. Graefes Arch. 107 H. 1.
Bei der Chorioretinitis erkrankt meist die Aderhaut zuerst und die Netz¬
haut sekundär, doch kommt auch das umgekehrte Verhalten vor, wie
an einem anatomisch untersuchten Falle gezeigt wird.
Sidler-Hugueni n (Zürich), Stauungspapille bei Tetanie. Graefes
Arch. 107 H. 1. Eine 40 jährige Kranke mit Tetanie nach Kropf Operation
zeigte eine doppelseitige Stauungspapille, in welcher die anatomische
Untersuchung aas Fehlen jeder Entzündungserscheinungen ergab. Als
Ursache ist wahrscheinlich Giftwirkung, nicht der vermehrte Hirndruck
anzusehen.
Zahnheilkunde.
A. Kneucker (Wien), Anästhesie bei Zahnextraktionen. W. kl. W.
Nr. 2. Empfehlung der Pulpa-Anästhesie mit 2 ccm 4 u / n iger Novokain-
Adrenalinlösung, da in diesen Fällen die dünnere Lösung leicht versagt.
Haut- und Venerische Krankheiten.
Robert Lenk (Wien), Röntgenbehandlung der Pernlones. M. m. W.
Nr. 3. Harte Therapieröhre, 0,5 mm Aluminiumfilter, V,— 1 /, Erythem¬
dosis. Anfänglich meist Steigerung des Juckreizes, nach einigen Tagen
schwindet Rötung und Schwellung, selten ist eine Wiederholung der
Bestrahlung nötig.
Kallmann (Berlin), Flavlzld in der Dermatologie. M. Kl. Nr. 40.
Flavizid eignet sich infolge seiner hohen Desinfektionskraft bei völliger
Reizlosigkeit besonders zur Behandlung aller Formen der Pyodermien,
nässenden und rhagadiformen Ekzemen. Es zeichnet sich ferner aus
durch seine Fähigkeit, nässende Hautstellen schnell zu epithelialisieren
und auszutrocknen und durch seine Wirksamkeit auf nässende Granu¬
lationen.
W. Frey und R. Spitzer (Breslau), Koinzidenz von Syphilis und
Tuberkulose. KL W. Nr. 1. 1. ln zwei Fällen von ausgedehnter Hais¬
drüsentuberkulose wurden nach einer syphilitischen Infektion in den
tuberkulösen Drüsen Spirochaeta pallida gefunden. 2. Bei einem
Fleischer wurde unter einer frischen Syphilis eine Bovinusinfektion
der beiderseitigen Kubitaldrüsen manifest, ohne daß an den Händen
Zeichen einer bestehenden oder überstandenen Hauttuberkulose nach-
zuweisen gewesen wären oder sich ein Anhaltspunkt dafür in der
Anamnese ergeben hätte (Fehlen eines Initialaffektes an cjer Eintritts¬
pforte?). 3. In 2 von diesen 3 Fällen wurden Tuberkelbazillen und
Spirochäten nebeneinander in derselben Drüse nachgewiesen. 4. Bei
8 Syphilisfällen mit stark vergrößerten, teils regionären, teils nicht
regionäTen, klinisch nicht tuberkuloseverdächtigen Lymphdrüsen konn¬
ten zwar Spirochäten, aber nicht Tuberkelbazillen (Tierversuch) im
Drüsenpunktat festgestellt werden. 5. In — durch die schwache
Kaninchenpathogenität der verwendeten Bovinuskultur gestörten —
Tierversuchen beeinflußten Syphilis und Tuberkulose sich nicht in
ihrem Verlauf.
E. Finger, Relnfectlo syphilitica. W. m. W. Nr. 1. Nur die Fälle
sind als Reinfektion anzusprechen, in denen die abortive Ausheilung
eines seronegativen und dauernd während und nach der Behandlung
negativ bleibenden Initialaffektes gelang und der neue Primäraffekt
von den üblichen Begleiterscheinungen — multiple, indolente regionäre
Skleradenitis, Roseola — gefolgt ist. Die Zahl der Reinfektionen hat
nach der Erfahrung des Verfassers seit Einführung der Salvarsanbehand-
lung zugenommen.
Richard Weiß (Freiburg), Ausflockungsreaktion zur Diagnose
der Syphilis als Allgemeingut des praktischen Arztes. M. m. W.
Nr. 2. Die Flockungsreaktionen können die Wa.R. nahezu ersetzen.
Angabe und Abbildung eines kompendiösen Bestecks für den Praktiker,
Fiersteller Skalier, Berlin, Johannisstr.
F. Zimmern (Hamburg), Neosilbersalvarsan« M. m. W. Nr. 2.
Die Wirkung ist dem Silbersalvarsan gleich. Man kann aber bessere
Erfolge damit erzielen, da höhere Dosen vertragen werden. Angio¬
neurosen und Dermatitis sind seltener. Es kann mit Quecksilber¬
präparaten in Mischspritze gegeben werden.
Nonne (Hamburg), Ein klinisch und anatomisch unter¬
suchter Fall von Menlagitis cerebrospinalis acutp syphilitica im
Frühstadiom der Syphilis. M. Kl. Nr. 50. Man hat die Pflicht, bei jeder
akuten zerebrospinalen Meningitis auch an die Syphilisätiologie zu
denken.
Gennerich (Kiel), Behandlung der meoingealen Syphilis. Ther.
Hmh. Nr. 22. Trotz der guten Erfolge, die sich in vielen Fällen bei
Metalues durch gleichzeitige intravenöse und endolumbale Salvarsan-
behandlung erzielen lassen, ist doch darauf hinzuweisen, daß das
Hauptanwendungsgebiet der endolumbalen Behandlung bei den latenten
Meningorezidiven zu suchen ist.
Tibor Benedek (Leipzig), Endolumbale Salvarsanbehandlung.
M. m. W. Nr. 2. Behandelt wurden nach Gennerich syphilitische
Meningitis, Lues cerebri, Tabes. Ständige Kontrolle des Liquors nach
zahlreichen^Methoden. Die Erfolge waren teilweise recht günstig.
Rudolf Strempel (Bonn a. Rh.), Flockungsreaktion nach
Sacbs-Georri und Meinicke und die Trühongsreaktion nach Dold.
M. m. W. Nr. 3. * Meinicke in !der 3. Modifikation und Sachs-Georgi
haben sich gut bewährt zur Ergänzung und Verschärfung der Wa. R.
Auch die von Dold angegebene Trübungs-Reaktion, die das Ablesen
des Resultats schon nach 4 Stunden gestattet, zeigte gute Ueberein-
Digitized by Google
Original from
CORUELL UNIVERSITY
208
LITERATURBERICHT
Nr. 6
»•timmiing mit den anderen sero-diagnostischen Methoden, einzelne
Differenzen rnuvtn durch weitere Forschungen geklärt werden.
Ructe (Marburg), Brauch ha rk e i t v on Meinickes D. M. M.m.W.
Nr. i. Die Wa.R. ergibt mehr un->pe/ifischc Resultate und weniger
positive bei sicherer Syphilis als Meinickes Ü. M. In manchen Fallen
ist Wa.R. positiv, D. M. negativ, es ist stets notwendig, beide Methoden
an/uw enden. Für die I ntersuchung der Spinalflüssigkeit ist die Wa.R.
überlegen.
KioderbeOkuode.
Lp stein (Prag), Buttermehfnabrunf. M. Kl. Nr. 49. Die indivi¬
duellen und regionären Eigentümlichkeiten verdienen sicherlich Be¬
rücksichtigung bei der Erprobung andernorts angegebener Nahrungs¬
gemische, besonders ist aie Fettmenge in der Buttcrmehlnahrung zu
berücksichtigen.
Hans Schloßmann (Elberfeld), Btttteraehtaahruag. M. m. W.
Nr. 2. Die Buttcrmehlnahrung nach Czerny-Kleinschmidt eignete
sich sehr gut zur Aufzucht von Frühgeburten, schwachgeborenen und
untergewichtigen Kindern, sie läßt sich auch im Privathause herstellen.
E. Freudenberg (Heidelberg), Die BedincooKen zur Grünfirbnng
von Siafflingsstühleo. Kl. W. Nr. 1. Der grüne Stuhl beim Flaschen¬
kind darf als Zerhcn einer Darmstörung betrachtet werden. Die
Bedingungen zur Orünfärbung des Stuhles beim Brustkind sind da¬
gegen physiologische: saure Reaktion, geringe Phosphatausscheidung,
1 reiwerden einer katalytisch wirksamen Substanz aus zerfallenden
Wanderzellen (vermutlich Ilsen). Die grünen Stühle nach Kalomcl-
medikationen beruhen auf einer Oxydationskatalyse durch Hg-Ionen.
Die geringere Empfindlichkeit gegen alkalische Reaktion und Phos-
ihate im Verhältnis zum Eisen ermöglicht diese Katalyse auch im
)arm des Erwachsenen.
Johanna Kraeuter (München), Verbreitung des Kropfes bei
Schulkindern. M. m. W. Nr. 2. Untersuchungen an Kindern von 10—17
Jahren, es fanden sich in 56°/ 0 Kröpfe. Vorschlag, die Schulkinder
nach dem Vorgänge Klingers phrophylaktisch mit kleinsten Joddosen
zu behandeln, 0,01 g Jod einmal in der Woche.
E. Czapski (Jena), Znckertage in der Behandlung der kindlichen
Nephritis. Kl. W. Nr. 1. Die Zuckertage sind ein wirksames und be¬
quem zu handhabendes". Hilfsmittel in der Diätetik der akuten und
chronischen Nephritiden. In zwei Fällen von diffuser Glomerulo¬
nephritis erwiesen sie sich als von sehr gutem Effekt auf Diurese und
Schwinden der urämischen Erscheinungen.
Hygiene.
++ Glaubitt (Berlin), Ernährungszustand der Bevölkerung: in
Preußen Im Jahre 1920. (Veröffentlichungen’auf dem Gebiete
der Medizinalverwaltung Bd. 13 H. 7). Berlin, ^R. Schoetz, 1921.
28 S. M. 5.—. Rcf.: A. Loewy (Berlin).
Die Arbeit des Verfassers beruht auf statistischen Erhebungen, die
in den Berichten der Regierungspräsidenten enthalten sind. Besonders
eingehend werden das kindliche Alter bis zu 15 Jahren, knapper die
übrigen Altersstufen behandelt. Das verwendete Zahlenmaterial ist in
mehreren Anhängen wiedergegeben. Die Schlüsse, zu denen cs führt,
sind die, daß der Ernährungszustand der Bevölkerung eine deutliche
Besserung gegenüber den Vorjahren erfahren hat, allerdings nicht in
dem Maße, wie sich die Ernährungsverhältnisse gebessert haben. Der
Unterschied zwischen Land und Stadt besteht dabei, wenn auch ab-
geschw'ächt, fort. Bei der ländlichen Bevölkerung ist der Ernährungs¬
zustand befriedigend; bei der städtischen ist das schul- und vorschul-
pfliditigc Alter am meisten geschädigt, indem Blutarmut, Unterernäh¬
rung, Skrofulöse, Tuberkulose häufig sind. Dabei finden sich in den
verschiedenen Regierungsbezirken erhebliche Unterschiede. Im allge¬
meinen ist in größeren Städten und Industrieorten mehr als die Hälfte
der Kinder von den genannten Gesundheitsstörungen befallen. Dabei
spielen die ökonomischen Verhältnisse der Eltern eine Rolle, indem
die Kinder von Witwen mul Festbesoldeten am meisten befallen sind,
weniger, wir mehrfach angegeben wird, Arbeiterkinder. — Die Alters¬
klasse von 15 20 Jahren ist weniger geschädigt, noch weniger die
übrigen Alter. — Deutlich ist die Abnahme der Sterblichkeit, auch
der an Tuberkulose, jedoch ist hier an ein vorzeitiges Wcgsterben in
den voraufgegangcneii Jahren zu denken.
A. Durig, Taylorsystem und die Medizin. W. m. W. Nr. 1 u.2.
Das Taylorsystem besteht in der Rationalisierung der Arbeit in in-
dustricllcn’jBetrieben.’ * Durch wissenschaftliche Analyse des Arbeits¬
vorganges "wird die maximale Arbeit bestimmt, der sich der Arbeiter
anzupassen hat. Unter der Aufsicht besonderer Funktionsmeister ließ
Taylor die Arbeit so regeln, daß der ganze Arbeitsvorgang dem Willen
des Arbeiters nahezu entzogen wird und streng nach ausgearbeiteten
Regeln geschieht. Der Arbeiter wird hierdurch zur Maschine, zum
rhythmischen Automaten. Die Arbeitsleistung ließ sich auf diese Weise
in einigen Betrieben um das sechsfache erhöhen. Die Löhne stiegen,
noch mehr aber der Gewinn des Unternehmers. Das System fand
Anhänger, aber auch erbitterte Gegner. Die Steigerung der Arbeits¬
intensität führt nämlich zu frühzeitigem Verbrauch der Kräfte, nament¬
lich die einförmige Inanspruchnahme bestimmter Muskclgruppen und
die Eintönigkeit der Arbeit rufen schwere Ermüdungserscheinungen
hervor und verkürzen die Arbeitsfähigkeit und das Lebensalter. Vom
ärztlichen Standpunkt ist daher das Taylorsystem nicht zu empfehlen.
Soziale Medizin and Hygiene.
G. Armbruster (Gernsheim a. Rh.), Direkte und Indirekte Krank«
beitsfolgea einer Hftnsiadustrie. Aerztl. Sachverst. Ztg. Nr. 23. Ver¬
fasser behandelt die Korbflechterei als Hausindustrie im Dorfe Hamm,
Kreis Worms. Unmittelbare Krankheitsformen hat er dabei nicht
feststellen können. Er glaubt aber, daß Klagen über rheumatische
Schmerzen, die er auf chronische Influenza zurückführt, eine indirekte
Folge dieser Beschäftigung darstellen. Begrifflich bestimmt er die
chronische Influenza als fieberlose Pneumokokkeninfektion, welche
Lungeninfiltrationen, häufige Pleuritiden und Gehöraffektionen im Ge¬
folge habe. Die Lungeninfiltrationen findet er in der Hauptsache an
der Lungenwurzel, am rechten Schultergelenk mit seinen stärkeren
Arbeitsmuskeln und dicht über dem Herzen. Die Gehöraffektionen
zeigten verminderte Knochenleitung und teilweise, oder vollständig
schwarzes Trommelfell. Die Eigentümlichkeit der chronischen Influenza
sei die, daß häufig an der Stelle der Dämpfung heftige rheumatische
Schmerzen angegeben werden.
Sachverständigen t&tigkeit.
Georg Straßmann (Berlin), Stellung der gericbtllcbei Medizin'
und des Qericlitsarztes in Wien und Oesterreich. Aerztl.Sachverst.Ztg.
Nr. 23. Die gerichtliche Medizin hat seit langem^jin Oesterreich eine
größere Rolle gespielt, als in Deutschland. Seit Jahrzehnten sind die
Lehrer der gerichtlichen Medizin an den österreichischen Hochschulen
ordentliche Professoren und Examinatoren im Staatsexamen. Die Prü¬
fung in diesem Examen entspricht ungefähr derjenigen, die bei yns
für das Kreisarztexamen vorgeschrieben ist. Dje Prüfung für das
Amtsarztexamen wird allein von dem Lehrer der gerichtlichen Medizin
abgehalten. An den frischen Präparaten, die von san. pol. und von
gerichtlichen Obduktionen gewonnen werden, müssen die Studenten
ihre Kenntnisse beweisen. Das Gerichtlich-medizinische Institut hat
außer dem Vorstande drei Assistenten, die Gcrichtsärzte sind. Der
vierte Assistent ist Leiter des Elektro-pathologischen Museums, dis
nirgendwoanders in ähnlicher Art existiert. Dann hat das Wiener
Institut noch eine ganztägig angestelltc Laborantin, und 4 Stundenten als
Schriftführer. Da seit 1857 in Oesterreich die san. pol. Sektionen
gesetzlich eingeführt sind, und außerdem seit langem eine obliga¬
torische, ärztliche Leichenschau besteht, ist das Material ein sehr
großes. — Daneben werden alle nicht aufgeklärten Todesursachen
festgestellt, dadurch die Statistik verbessert und kriminelle Handlungen
aufgedeckt. Außerdem erfahren versicherungsrechtlichc Fragen bei
plötzlichen Todesfällen Entscheidungen, die nicht ohne Bedeutung
sind. Auch unerwartete Infektionskrankheiten werden entdeckt und
ermöglichen so Maßnahmen ihrer Verhütung. Daraus wird geschlossen,
daß zur Weiterentwicklung der gerichtlichen Medizin in Deutschland
die Einführung san. pol. Sektionen notwendig wäre. Die Obduzenten
haben sich an kein Schema zu halten, w'as für zweifellos vorteilhaft
gehalten wird. Ein kriminalärztlicher Dienst, wie er in Berlin mit den
Gerichtsärzten vom Erkennungsdienst vereinbart ist, besteht in Wien
nicht. Das wird neben dem Fehlen der psychiatrischen Begutach¬
tungen für einen Nachteil gehalten. Erstreben aber müßten wir von
den Wiener Verhältnissen die obligatorische ärztliche Leichenschau,
die Einführung der Prüfung in gerichtlicher Medizin im Staatsexamen
und die Schaffung san. pol. Sektionen.
H.Reichel (Hamburg),Unfallhegrifff. Aerztl.Sachverst.Ztg. Nr. 20.
1. Unfreiwilliges Ertrinken ist Unfall, wenn es nicht in einer vorher
bestehenden Krankheit seinen Grund hat. -Ein gesunder Mann nahm
ein Bad und versank plötzlich in den Fluten. Unfall anerkannt. Z. er¬
krankte an deliröser Grippe und stürzte sich ins Wasser, in dem er
ertrank. Ein Wehrpflichtiger sprang aus Furcht vor dem Wehrdienst
ins Wasser und ertrank. In beiden Fällen Unfall verneint. 2. Schreck¬
ereignis ist Unfall, wenn cs ein ungewöhnliches Ereignis ist und
Körperschädigung mehr oder weniger unmittelbar nach sich zieht.
Ein Nachtwächter wird durch plötzlichen Einsturz eines hohen Eisen-
krans erschreckt, läuft auf die Polizeiwache und stirbt dort am Herz¬
schlag. Unfall anerkannt. Straßenbahnschaffner durch Schneeball, der
eine Fensterscheibe zertrümmerte, stark erregt, tut Dienst bis zur Ab¬
lösung. Nach Heimkehr nachts rechtsseitige Lähmung und Tod.
Unfall verneint. *
P. Horn (Bonn), Wann kann ein Unfalfverletxter „SchmerzeiiB-
geld“ verlangen? Aerztl. Sachverst. Ztg. Nr. 20. Die gesetzlichen
Bestimmungen lassen nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen einen
Anspruch auf eine Geldentschädigung für ausgestandene Schmerzen
gerechtfertigt erscheinen. Die RVO. kennt einen Anspruch auf
Schmerzensgeld überhaupt nicht, weil sie die Betriebsunfälle durch
kostenfreies Heilverfahren und Rentenzahlung entschädigt. Dem Reichs¬
haftpflichtgesetz vom 7. VI. 1871, das in erster Linie für Unfälle auf
Voll-, Neben- und Straßenbahnen in Frage kommt, ist der Begriff des
Schmerzensgeldes unbekannt. Dieses käme nur dann in Frage, wenn
der Fiskus oder seine Vertreter (höhere Beamte) den Unfall durch
Vorsatz oder Fahrlässigkeit herbeigeführt hätten. Dann wären uner¬
laubte Handlungen BGB. § 823 anzunehmen, und der Verletzte könnte
nach BGB. § 847 eine billige Entschädigung in Geld verlangen. Dieser
Nachw-cis ist aber auch bei einer Fahrlässigkeit eines niederen Beamten
kaum jemals zu führen. Bei anderen Unfällen des täglichen Lebens
aber (unterlassene Treppenbeleuchtung oder dgl.) kann gleichzeitig
auch Anspruch auf Schmerzensgeld erhoben werden, der aber nur
schätzungsweise zu bestimmen ist.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
VEREINS- UND KONGRESSBERICHTE
Redigiert von Ober-Reg.-Med.-Rat Dr. O. Strauß.
Berlin, Medizinische Gesellschaft, 18.1.1922.
Vor der Tagesordnung stellt C. Hamburger ein 9jfthriges
Kind mit plötzlicher hysterischer Erblindung vor.
Tagesordnung. W. Liepmann: a) Nene Instrumente and ihre
Anwendung in der Geburtshilfe. Bei fest im Becken stehendem Steiß
ist die Anwendung der Schlinge oder des Hakens mit großen Ge¬
fahren verbunden. In manchen Fällen kann man sich mit den beiden
Zeigefingern helfen. Dies geht jedoch nur, wenn das Kind klein
und das weibliche Becken weit ist. Aus diesem Grunde hat Liep¬
mann einen Docht gepolstert, an das eine Ende einen Faden an¬
gebracht, das andere durch einen biegsamen Kupferdraht verstärkt,
mit dem ein Haken gebildet werden kann. Die Einführung dieser
Schlinge kann entweder mit Hilfe des Fadens oder des Kupfer¬
drahthakens geschehen. Der weiche Teil des Dochts wird um die
Hüften gezogen, evtl. 2 Solcher Dochte eingeführt und daran ge¬
zogen. Die Tamiersche Zange, die bei hohem Gradstand angewandt
wird, hat Liepmann durch zwei Hanfstränge ersetzt, die an der
gewöhnlichen Zange angebracht werden. Des weiteren hat Liep¬
mann eine Wochenbettsbinde konstruiert, die aus einem breiten
elastischen Band besteht, das vorne zusammengeschnürt wild, b) Der
hohe Gradst&nd als Indikation zum Kaiserschnitt. In den meisten
Fällen ist das frühzeitige Platzen der Blase die Ursache für den
hohen Gradstand, vielleicht infolge des im Becken entstehenden
Strudels. In einem Falle, zu dem Liepmann gerufen wurde, war
die Blase vor 3 Tagen geplatzt, der Muttermund nur für eine
Fingerkuppe durchgängig und die kindlichen Herztöne ziemlich
schlecht. Nur der zervikale Kaiserschnitt konnte ein lebendes Kind
zutagefördern. Gleichzeitig wird der Aether für Geburten empfohlen,
da er Wehen erregt und die Nachgeburtsperiode ganz erheblich be¬
schleunigt. Ein zweiter Fall von hohem Gradstand konnte mit der
oben beschriebenen modifizierten Zange entbunden werden.
Besprechung. Sachs hält den Zangemeisterschen Bügel als
Ersatz der Tarnierschen Zange für besser. Zu der neuen Schlinge
ist zu bemerken, daß in den meisten Fällea der Steiß in der Narkose
soweit zurückgestoßen werden kann, daß sich ein Bein herabholen
laßt. Die Einführung zweier Schlingen hält Sachs für unmöglich.
Liepmann (Schlußwort).
Poelchau: Lieber die Methoden der Messung der Körpertempe¬
ratur uud ober ein neues Verfahren der Schnellmessung. Es wird
empfohlen, den Hamstrahl bei seiner Entleerung mit dem Thermo¬
meter zu messen. Die Methode ist schon alt, war jedoch vergessen
worden. Die Achselhöhlen-, Mund-, After- und Vaginalmessung wer¬
den besprochen, und es wird zu zeigen versucht, daß die Harn¬
messung die bequemste Methode ist und gute Resultate liefert.
Besprechung. Fürbringer: Die Harnmenge reicht bei vielen
Patienten nicht aus, um das Thermometer zu umspülen. Auch muß
die Temperatur des Zimmers genügend hoch sein. Im allgemeinen
hat Fürbringer aber gute Erfahrungen mit der Methode gemacht.
H. Rosenthal: Ueber die neuesten Bestrebungen der Hodenöber-
pflaazuog. Die Berechtigung des Eingriffs wird für die allermeisten
Fälle abgelehnt. Der Spender wird in ausgesprochener Weise ge¬
schädigt, auch wenn es sich um einen kryptorchischen Hoden handelt.
Es ist jetzt schon soweit gekommen, daß das Publikum den Hoden
für Geld anbietet, ja in einem Falle ist sogar ein Kettenhandel da¬
mit getrieben worden. Die Aerzte sollten vermeiden, das Publikum
zu solchem Verhalten zu erziehen.
Besprechung. Stabei: Bei Spätkastraten wirkt die Hoden¬
überpflanzung ganz sicher. Er hält die Entfernung eines kryptorchi¬
schen Hodens für berechtigt. Bei ausgewachsenen Homosexuellen
scheint nach seinen Erfahrungen eine Umwandlung nicht möglich zu
sein. Verwertbare Erfahrungen über Verjüngung durch Hodenüber¬
pflanzung liegen nicht vor.
Rosenthai (Schlußwort). Dresel.
Hamburg, Aerztlicher Verein, 8. XI. 1921.
Offizielles Protokoll.
Vorsitzender: Simmonds. Schriftführer: Roedelius.
Schmitz-Pciffer stellt ein Aneurysma der Art. axillaris vor bei
Kriegsverletztem aus dem Jahre 1915. Granatsplitterverletzung. Ent¬
fernung. Es blieb totale Lähmung des Armes zurück. Bis heute
70o/o Rente und Verstümmelungszulage. Zur vorgeschlagenen Ner-
venoperation erschien er nicht, da die Lähmung zurückging, sodaß
jetzt der Arm gut und kräftig gebraucht wird. Dagegen ist ein
über hühnereigroßes Aneurysma in der Achselhöhle zu konstatieren,
das seit % Jahr Herzbeschwerden auslöst.
Peem oller: Behandlung von Gelenkerkrankungen mit Yatren-
Kasdn-iix Q anZJ -g, er demonstriert 1. eine 54jährige Frau mit ans-
gedehntem, verrukösem» malignem Nävus an linker Brust, Schulter,
Achselhöhle und Oberarm. 2. lOjähriges Kind mit Defekt des Blasen-
schfieümnskefs and doppelter Klitoris. 3. Ein sogenanntes Osteoma
tririi einer 38jährigen Frau, das, kleinhühnereigroß, aus einem Corpus
fibrosum hervorgegangen ist.
R. Kum mell zeigt mikroskopische Präparate einer doppelseitigen
Aderhautmetastase nach Brustkrebs, der 2 Jahre vorher zuerst operiert
war. Außer einem Rezidiv stellten sich Metastasen in verschiedenen
Organen ein, auch im Schädelinnern. Daher fand sich noch eine
Stauungspapille. Mit dem Augenspiegel sah man die Aderhaut¬
metastase nicht unter dem Bilde der Netzhautablösung, sondern
als grauweißen Herd, der von der einen Seite des Sehnerven bis
zum Aequator reichte. Die Geschwulst bildete eine flache Schale,
die sich ganz auf die Aderhaut beschränkte und kein Uebergreifen
auf die Nachbargewebe zeigte. In den entsprechenden langen hintern
Ziliarnerven war der Krebs eingewuchert, und zwar in seine Scheiden.
Walter Kühl erhärtet die Diagnose des von ihm durch Im-
plantierung von Parathyreoidea aulfällig beeinilußten Falles von
Paralyais agttans durch Vorlegen der von dritter Seite geführten
Krankengeschichte aus dem Vorjahre und demonstriert die Schrift¬
probe des Mannes nach der Behandlung. (Vgl. D. m. W. 1920 S. 1511.)
Schmilinsky: 2 durch Dehnung mit der Geißler-Gottsteinschen
Sonde geheilte Fälle von Kardiospasmus mit Erweiterung der Speise¬
röhre. 1. Fall: Kardiospasmus seit 17 Jahren. Von anderer Seite war
die Durchschneidung der Kardiaringmuskulatur nach Heller vorge¬
schlagen. Durch Sondendehnung Heilung in kurzer Zeit. 2. Fall:
Kardiospasmus seit 1918. Schnelle Verschlimmerung. Von anderer
Seite wegen drohender Inanition zuerst Magenfistel angelegt, dann
antethorakale Oesophagoplastik empfohlen. Heilung durch Dehnung.
Operatives Vorgehen (Hellersches Verfahren), Dehnung der Kardia
mit der in den eröffneten Magen eingeführten Hand nach Schloffer,
Oesophago-Gastroanastomose ist erst dann angezeigt, wenn Sonden¬
dehnung nicht gelingt oder nicht genügt.
Nieden: Ungeteilte Arbeitszeit und Magendarmkrankheiteo. Die
ungeteilte Arbeitszeit wirkt bei Personen von schwächerer Konstitu¬
tion auf das Verdauungssystem vielfach sehr ungünstig ein. Als Folge
der ungleichmäßigen Verteilung der Mahlzeiten auf den Tag (zu
geringe Kalorienzufuhr vor und während der Arbeitszeit^ wird oft
schwere Appetitlosigkeit beobachtet ünd dadurch veranlaßt starke
Unterernährung und Erschöpfungszustände verschiedener Art. Bei
Verdauungsschwachen wird Entstehung und Fortbestehen von Magen-
und Darmkrankheiten außerdem begünstigt durch die einseitige Er¬
nährung mit Brot während der Arbeitszeit. An der Zunahme der
Magen- und Darmneurosen trägt der Wegfall der großen Mittags¬
pause und der dadurch bedingten physischen und psychischen Aus¬
spannung einen wesentlichen Teil der Schuld. Aehnliche Beobach¬
tungen wie in Hamburg sind in Jena gemacht worden, wo von 22
von dem Zeiß-Werk befragten Kassenärzten sich nur 2 für die un¬
geteilte Arbeitszeit aussprachen. Da aber die ungeteilte Arbeitszeit
infolge der Verkehrsverhältnisse in einer Großstadt eine Notwendig¬
keit ist, so müssen ihre Schäden dadurch beseitigt werden, daß den
Arbeitern und Angestellten durch Kantinen die Möglichkeit geboten
wird, in einer Arbeitspause ein warmes Mittagessen zu erhalten.
Schaedel: Struma maligna. Auf der Abteilung Sudeck kamen
auf je 30 Kropfoperationen eine maligne Struma, und zwar ein Sa-Ca,
4 Sa, 14 Ca. Von größter Wichtigkeit frühzeitige Diagnose: rasche
Größen- und Konsistenzzunahme, Herabsetzung der Verschieblichkeit
gegenüber den Muskeln (beim Schlucken) und (wichtiger!) gegen¬
über den Hohlorganen (Prüfung beim Nichtschlucken), aus-
strahlende Schmerzen. Kompression der Trachea nicht beweisend,
ebensowenig das Verschwinden der Trachealaufhellung im Röntgen¬
bild, da dieses lediglich davon abhängt, ob die Kompression von vorn
her erfolgt (Verschwinden) oder von der Seite (Erhaltenbleiben der
Aufhellung). Schluckbeschwerden bei allen Sa und 50<>/o der Ca be¬
obachtet; sie sind Verwachsungs-, nicht Drucksymptome, treten des¬
halb schon früh auf. Häufig Rekurrenslähmungen (33 o/o), seltener
Arm- (3mal) und Sympathikuslähmung (2mal). Den weiteren Verlauf
beherrsdien die Metastasen. Sitz an erster Stelle: die regionären
(llmal), dann die Hilusdriisen (8mal), dann erst Lungen (5mal) und
— besonders platte — Knochen (4mal), 2mal auch Magenmetastasen.
Gelegentlich weiche, lebhaft pulsierende Metastasen, die mit Aneu¬
rysma verwechselt worden sind. Funktion der Schilddrüse bleibt
unbeeinflußt, doch kann Schaedel den 13 von Mori zusammen¬
gestellten Fällen von Hyperthyreoidismus 3 weitere anfügen. Be-
merkemswert erscheint, daß Rekurrenslähmung und Knochenmeta¬
stasen nur bei Ca, Nierenmetastasen nur bei Sa, und zwar in allen
3 Sektionsfällen beobachtet wurden. Solange als Therapie nur Ope¬
ration in Frage kam, Heilungen selten. Seit Einführung der Röntgen¬
strahlen Prognose wesentlich gebessert, da besonders die Ca mit
einer Geschwindigkeit schmelzen, wie sie bei keiner andern Kropf¬
form beobachtet wird, weshalb Schaedel für den Zweifelsfall eine
diagnostische Bestrahlung vorschlägt. Mehrfach waren
gänseei- bis faustgroße Tumoren, selbst Lungenmetastasen, binnen
4 Wochen fast völlig verschwunden. Bei den ersten Bestrahlungen
infolge reaktiver Gewebsschwellung Erstickungsanfälle möglich. Hier¬
bei und bei sonstiger hochgradiger Atemnot wird an Stelle der
Tracheotomie die „Entklammerung“ der Trachea durch Resektion
der komprimierenden Strumateile als Normal verfahren empfohlen mit
primärem Wundschluß und nachfolgender Röntgenbestrahlung. In
jedem Falle die regionären und Hilusdrüsen prophylaktisch unter
Röntgenfeuer nehmen. Von den 15 Ca waren 11 inoperabel; 6 Ca
= 40»/o sind geheilt ( 71 / 2 , 3 3 /*j % 3tya, 2mal l 3 / 4 Jahre). 6 in hoff-
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSITV
210
VEREINS- UND KONORESSBER1CHTE
Nr. 6
nungsloscm Zustande aufkommende Patienten wurden soweit ge¬
bessert, daß sie 3 / 4 —1V 2 Jahre fast beschwerdefrei und voll arbeits¬
fähig waren, die letzte Patientin starb erst nach 31/4 Jahren, nach¬
dem sie sich wegen ihres Wohlbefindens einmal 13 und einmal
9 Monate der Behandlung entzogen hatte. Die Sarkome zeigten nur
vorübergehende Besserung, da zu weit vorgeschritten.
Besprechung. Sudeck: Einige maligne Geschwülste der
Schilddrüse reagieren ganz besonders gut auf therapeutische Röntgen¬
bestrahlung. Sudcck hat vollkommene Heilung gewaltiger Tumor¬
massen gesehen durch viele Jahre. Trotzdem ist es besser, bei
solchen malignen Geschwülsten, die die Kapsel der Schilddrüse noch
nicht durchbrochen haben und noch nicht in die Umgebung hinein¬
gewachsen sind, die Totalexstirpation der Schilddrüse auszuführen
und die Röntgenbestrahlung für solche Fälle zu reservieren, bei
denen der Kapseldurchbruch stattgefunden hat. Sudeck hat einen
solchen Fall durch Jahre als geheilt und bei Schilddrüsenfütterung
vollkommen gesund beobachtet und auch kürzlich die Totalexstirpa¬
tion an Ca der Schilddrüse vorläufig mit gutem Erfolge ausgeführt.
Kümmell: In der Frage der vollständigen Entfernung der Schild¬
drüse zur Beseitigung der Basedowschen Erkrankung stimme ich mit
Sud eck insofern überein, daß dadurch zweifellos eine möglichst
weitgehende Einschränkung der krankhaften Sekretion und relativ
sicherer Schutz vor Rezidiven erzielt wird. Ich möchte jedoch warnen,
sich zu sehr auf die Wirkung der Schilddrüsenpräparate zu ver¬
lassen, da ich vor langen Jahren, von denselben Ideen ausgehend,
einen tödlichen Ausgang erlebt habe. Ich glaube, daß die günstig
verlaufenden Fälle von Totalexstirpation, wie sie in früheren Jahren
aus Unkenntnis der Verhältnisse in einer nicht geringen Zahl ohne
nachteilige Folgen ausgeführt wurden, wohl dadurch zu erklären
sind, daß noch Reste der Schilddrüse zurückblieben und vor allem
auch die Epithelkörperchen nicht alle entfernt wurden, sodaß auch
keine Tetanie eintrat. Bei malignen Erkrankungen der Schilddrüse
haben wir auch die Totalexstirpation vorgenommen und bisher in
2 Fällen keinen Nachteil gesehen, ohne Anwendung von Schilddrüsen¬
präparaten. Hier liegen die Verhältnisse insofern anders, als das
Schilddrüsengewebe allmählich durch die bösartige Neubildung zer¬
stört wird und vermutlich andere Drüsen mit innerer Sekretion
schon vikariierend eingetreten sind.
Sudeck: Behandlung des Paralysis agitans mit Epithelkörper-
Implantation. Sud eck führt aus, daß nach allem, was wir von der
Organtransplantation durch Lexer u. a. wissen, die heteroplastische
Transplantation eines Epithelkörperchens (vom Kalb auf den Menschen)
nicht die geringste Aussicht auf Erfolg haben kann. Bei der Schild¬
drüse liegen die Verhältnisse günstiger, insofern, als das wirk¬
same Hormon (Thyroxin) in den Bläschen der Schilddrüse, in der
Kolloidsubstanz deponiert ist und somit bei Nichteinheilung der
Schilddrüse wenigstens eine gewisse Menge von wirksamem Schild¬
drüsenhormon parenteral zugeführt wird. Auch diese Aussicht fällt
bei der Verpflanzung von Kalbs-E.K. fort, da wir nicht einmal
wissen, ob das E.K.-Hormon in der ausgeschnittenen Drüse überhaupt
deponiert ist. Unsere Erfahrungen mit der Organtherapie der E.k.
sprechen nicht für diese Annahme. Wenn also Kühl einen Erfolg
gehabt hat in der Behandlung der Parkinsonschen Krankheit, so
muß die Ursache des Erfolges anderswo liegen, etwa in der sug¬
gestiven Beeinflussung oder in der Uebungstherapie.
He gl er: Es ist durch nichts bewiesen, daß dieser Kranke tat¬
sächlich an Paralysis agitans litt. Vielmehr entspricht Krankheits¬
bild und Verlauf dem, was man nach Encephalitis lethargica nicht
selten beobachten kann; genau dieselben Symptome und dieselbe
Besserung sah He gl er bei einem solchen Kranken mit rein exspek-
tativer Therapie ohne Epithelkörperchenbehandlungl
Lichtwitz: Der von Kühl vorgestellte Kranke ist mir genau
bekannt. Es handelt sich nicht um eine Paralysis agitans, sondern
um eine Linsenkernstarre. Diese meine‘Auffassung des Falles habe
ich Kühl unmittelbar mitgeteilt. Ich habe den Kranken auch nach
der Operation wieder untersucht. Der Zustand hat sich im wesent¬
lichen, wie zu erwarten war, nicht verändert. Wenn irgendeine
Minderung der Symptome gelegentlich feststellbar sein sollte, so
kann es sich nur um eine suggestive Beeinflussung handeln, der
auch solche Kranke bis zu einem gewissen Grade zugänglich sind.
Kafka (in Vertretung von Jakob): Die Demonstration Jakobs
über Paralysis agitans in der der ersten Kühl sehen Demonstration
folgenden Sitzung verfolgte den Zweck, den heutigen Stand der
P. ag.-Frage zu präzisieren gegenüber den Kühl sehen Anschauungen,
daß dieselbe mit dem Gehirn nicht das geringste zu tun habe und
lediglich eine Folge der Epithelkörperchenerkrankung sei. Kühl hat
seine Ansicht inzwischen in einigen Punkten geändert, ohne die ent¬
sprechenden Schlüsse zu ziehen. Auf der Tagung der nordwest¬
deutschen Nervenärzte in Bremen am 5. XL, auf der Kühl iin gleichen
Sinne sprach, wurden von Jakob und anderen sämtliche Punkte,
die heute gegen die Kühl sehen Auffassungen vorgebracht wurden,
betont. Die diagnostischen Zweifel sind ja heute von Licht witz
selbst als begründet festgestellt worden, daß es sich nicht um eine
P. ag., sondern um einen postenzephalitischen Parkinson handelt.
Somit ist die ganze Frage gegenstandslos geworden. Im übrigen
muß gegenüber einigen Vorrednern betont werden, daß wir bei ge¬
nügenden theoretischen Voraussetzungen nach wie vor organothera-
peutische Versuche immer wieder aufnehmen müssen.
Trömner: Die sich erhebenden Zweifel richten sich gegen
Diagnose und den Erfolg der Therapie. Vor Jahrzehnten würde natür¬
lich niemand eine andere Diagnose als Paralysis agitans sine agitatione
gestellt haben. Seit wir aber die Enzephalitis in ihren mannigfachen
Gewändern kennen, liegt immerhin die Möglichkeit vor, daß es sich
hier um einen Post-Enzephalitis-Rigor handelt, der an sich einer
Remission fähig ist. Therapeutisch liegen zwei Möglichkeiten vor:
1. daß es sich um suggestive Erfolge handelt und 2. daß keine
spezifische, sondern unspezifische Eiweißw'irkungen vorliegen. Nur
zur ersten Möglichkeit will ich bemerken, daß die Erfolge rein sug¬
gestiver Therapie im ganzen bescheidene sind, wohl aber lassen sich
durch Uebungen Erfolge erreichen, und da der Erfolg der Kühl-
schen Therapie an sich kein sehr erheblicher ist, so ist sehr wohl
möglich, daß auch ohne Epithelkörperchen Suggestion und Uebung
in Verbindung mit einer Neigung zur Remission den hier vorge¬
zeigten Erfolg bewirkt haben.
Kühl (Altona) (Schlußwort): Die Richtigkeit der Diagnose Para¬
lysis agitans ergibt sich aus der Krankengeschichte des Altonaer
Krankenhauses, die ihm zur Verfügung gestellt wurde. Ein An¬
zweifeln der Diagnose hinterher ist die beste Anerkennung. Mit
♦iSuggestivwirkung“ vermag man jeden wissenschaftlichen Fortschritt
in der Medizin totzuschlagen. Da in vielen Jahren vorher nie ein
Erfolg durch Suggestion erzielt worden ist, kann die auffällige Be¬
einflussung. doch nur durch die Implantierung erklärt werden.
Kiel, Medizinische Gesellschaft, I. XII. 1921.
Offizielles Protokoll.
Vorsitzender: Klingmüller. Schriftführer: Hoppe-Seyler.
Siemerling: Hypnotismus and Geistesstörung. Siemerling
weist auf die in letzter Zeit außerordentlich gehäuft vorkommenden
Gesundheitsschädigungen durch Hypnose und Wachsuggestion hin.
In den letzten drei Janren sind in der Kieler Nervenklinik 8 derartige
Fälle zur Beobachtung gekommen, von denen 2 noch vorgestern
werden. In 3 Fällen handelt es sich um hypnotische Versuche durch
sogenannte Hypnotiseure und Magnetiseure zu Heilungszwecken bei
ausgesprochenen Geisteskranken. In 2 Fällen wurde gerichtliche
Klage erhoben gegen den Hypnotiseur. Im Gutachten wurde eine
erhebliche Verschlimmerung infolge der Hypnose angenommen. Die
Hypnose ist nicht imstande, bei ausgesprochenen Geisteskranken
heilende Wirkung auszuüben. In drei Fällen spielt die aktive Beschäf¬
tigung mit Hypnotismus und Spiritismus eine große Rolle beim
Zustandekommen der psychischen Störungen. Der eine Fall ist da¬
durch ausgezeichnet, daß bei dem 22jährigen, bis dahin gesunden
Menschen im Anschluß an die Beschäftigung mit Hypnose — er trat
als aktiver Hypnotiseur auf — eine schwere Geistesstörung mit Hallu¬
zinationen, Erregung auftrat. Völlige Wiederherstellung. In einem
weiteren Falle entwickelte sich im. Gefolge hypnotischer Experimente
bei der hysterisch veranlagten Frau ein hysterischer Dämmerzustand,
im 5. Falle kam durch hypnotische Beeinflussung eine starke sug¬
gestive Wirkung in Form einer Hörigkeit zustande. In allen Fällen
Kam keine Hypnose in Form der Einschläferung, zur Erzielung des
normalen Zustandes in Anwendung, sondern nur Suggestion, unter¬
stützt durch hydrotherapeutische und elektrische Beeinflussung. Sie¬
merling spricht sich über die Anwendung der Hypnose als Heil¬
mittel vorsichtig aus. Hypnotismus bietet in seiner Methodik und in
seiner Art keine Gewähr, daß er den unbedingten Vorzug vor anderen
Heilmethoden verdient. Die Erfahrung findet noch nicht genug
Berücksichtigung, daß wir uns mit der Hypnose auf ein Gebiet
begeben, in dem Uebertreibung, Vortäuschung und Selbsttäuschung
breiten Raum haben. Das sollte bei der Einschätzung hypnotischer
Heilerfolge niemals außerachtbleiben. Es gibt bei der Hypnose
kein Symptom, welches nicht der Vortäuschung zugänglich ist. Bei
allen Fällen von sogenannter Hörigkeit, namentlich, wenn das sexuelle
Moment eine Rolle spielt, erhebt sich immer wieder der berechtigte
Zweifel, ob die Hypnose überhaupt nötig war, um das erstrebte Ziel
zu erreichen. Bei suggestiven Menschen ist der Umweg über die
Hypnose nicht unbedingtes Erfordernis. Ganz verfehlt ist es, im
Hinblick auf die starke Beeinflussung, die durch die Hypnose gesetzt
werden kann, die Hypnose als Erkundigungsmittel auf prozessualem
Gebiet anzuwenden. Solche Verwendung ist wegen moralischer, ärzt¬
licher und technischer Bedenken abzulehnen.
Runge: Beiträge zum dystonischen Symptomenkomplex. Runge
demonstriert 4 Fälle von akinetisch-hypertonischem Sym¬
ptomenkomplex bei Encephalitis epidemica. In allen
4 Fällen handelt es sich um eine Encephalitis epidemica, die sich
hauptsächlich im Corpus Striatum, vorübergehend auch im zentralen
Höhlengrau lokalisiert hatte. Der Liquorbefund war in allen 4 Fällen
negativ. Bemerkenswert ist die Belastung im Fall 4, die offenbar auf
eine gelegentliche konstitutionelle Disposition des Linsenkems für
derartige Erkrankungen hinweist. Die Symptomatologie des akinetisch¬
hypertonischen Syndroms wird auf Grund von 23 bisher von Runge
beobachteten, auf dem Boden der Encephalitis epidemica entstandenen
Fällen erörtert. Runge hebt besonders die verschiedene Verteilung
der Hypertonie, ihr gelegentliches Fehlen und das trotzdem regel¬
mäßige Vorhandensein der Bewegungsarmut hervor. Er verweist
auf die Abweichungen des Tremors in diesen Fällen von dem der
echten Paralysis agitans, hebt das nicht seltene scheinbare Fehlen des
Tremors, aber das fast regelmäßige Vorhandensein einer Tremor¬
bereitschaft hervor, die sich in dem starken Lidtremor, dem
Hervortreten eines allgemeinen starken Schütteltremors bei geringer
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
9. Februar 1922
VEREINS. UND KONORESSBERICHTE
211
Abkühlung, nach subkutaner Injektion* von i/a—1 mg Adrenalin oder
0,02—0,05 g Cocain, hydrochloric. kundgibt Die erleichterte Aus¬
losung des Tremors bei Abkühlung kann z.T. mit einer Uebererreg-
barkeit zentraler Apparate, evtl, aber auch mit einer Störung der
Wärmeregulation in Zusammenhang stehen, auf die vielleicht das
häufige Hitzegefühl, die zuweilen vorhandene Steigerung der Haut¬
temperatur hinweisen. Dies sowohl wie die häufigen vegetativen
Störungen, Blutdruckerniedrigung, vasomotorische Symptome, Steige¬
rung der Speichel-, Schweiß-, Talgdrüsensekretion, Pilokarpinüber-
empfindlichkeit sind auf die Miterkrankung der vegetativen Zentren
im Hypothalamus zurückzuführen. Ausführliche Veröffentlichung an
anderer Stelle.
Besprechung. Oennerich fragt nach dem Liquorbefund.
Runge: Es sind keine wesentlichen Veränderungen an aen Menin-
? en, hauptsächlich solche im striären System nachzuweisen. Creutz-
eld bestätigt dies auf Grund eigener anatomischer Untersuchungen.
Creutzfeldt: Alzheimersche Krankheit, äöjähriger Patient, seit
einem Jahre erschwerte Wortfindung, zuerst nach Schwindel (Er¬
stickungsanfällen). Vor 25 Jahren Schmierkur. Später keine Erschei¬
nungen. Zur Zeit amnestische Aphasie, kein Merkdefekt, keine
Dysartrie. Amnestische Aphasie als Herdsymptom der parietalen
Umgebung der Wemickeschen Stelle aufzufassen, sie zeigt Bezie¬
hungen zur transkortikalen sensorischen Aphasie (Stertz). Diffe¬
rentialdiagnose im vorliegenden Falle zwischen Lissauerscher Para¬
lyse und Alzheimerschef Krankheit. Negativer Sachs-Georgi, Fehlen
aller syphilitischen und paralytischen Symptome, Dauer des Intervalls
(25 Jahre!) sprechen wohl mehr für Alzheimersche Krankheit. Liquor
allerdings noch nicht untersucht. Demonstration von Präparaten eines
typischen Falles von Alzheimerscher Krankheit, der auch Syphilis
in der Anamnese hatte (positive Wa.R. in Blut und Liquor (0,751),
Nonne 0, Zellen nicht vermehrt, und bei dem syphilitische Verände¬
rungen weder an den Körperorganen noch am Zentralnervensystem
nachweisbar waren. Bemerkenswert ist die Schwere der Verände¬
rungen im Gebiet der Aeste lila—IV der Art. cerebri media und im
Ammonshom. Hinweis auf Perusinis Fall IV, bei dem auch
Syphilis in der Anamnese war.
Köln, Wissenschaftlich-medizinische Gesellschaft,
2. XII. 1921
Thomas demonstriert 2 Säuglinge mit Angiomen, welche er
mit Knbpockenlymphe behandelt hat. Thomas skarifiziert dabei
den Rand dieser Geschwulst; sodann wird der Naevus selbst durch
Längs- und Querschnitte oberflächlich geritzt. Auf die blutende
Stelle legt er ganz kurz einen Tupfer und trägt darauf die Lymphe
auf, welche sofort gerinnt. Fieber evtl, bis 40°, aber das Allgemein¬
befinden ist nicht gestört. Ein tiefliegendes Geschwür entwickelt sich.
Da Thomas in 2 Fällen Rezidive mit dieser Therapie beobachtete,
so verschorft er noch den Geschwürsgrund. Die «ufgenommeuen
Säuglinge zeigen in neuester Zeit auffallend häufig als Nebenbefund
A ngiome.
Hey: Ueber posttranmatische Degeneration im Rückenmark. Im
Anschluß an zwei Fälle von Commotio spinalis mit 2 bzw. 6 Monate
langer Latenzzeit, von denen der erstere histologisch im wesentlichen
nur außerordentlich reichliche Fettkörnchenzellen, der letztere Spalt¬
bildungen und Markscheidenschwund ergab. Kritische Besprechung
der Pathogenese der Commotio spinalis. Bei Ausschluß von Ver¬
letzungen der knöchernen oder Häutigen Rückenmarkshüllen, von
Blutungen, von entzündlichen Prozessen, kann nur ein Faktor in
Betracht Kommen, der ganz allmählich eine steigernde schädigende
Wirkufag auf die nervösen Elemente ausübt. Da eine primäre Läsion
der Ganglienzellen („direkte traumatische Nekrose“) das lange Inter¬
vallstadium nur unvollkommen zu erklären imstande ist, wird fol-
f ende Entstehung für die Wahrscheinlichste gehalten: Infolge .des
raumas kommt es in einigen Kapillaren zur Stase mit Lymphstauung;
dadurch wird eine zunächst nur leichte Schädigung der nervösen
Substanz hervorgerufen. Die dabei frei werdenden Abbauprodukte
Erschweren sowohl mechanisch wie auch vielleicht toxisch die Blut¬
versorgung weiter. Dieser Circulus vitiosus führt dann nach kürzerer
oder längerer Latenzzeit — ie nach der Menge der.zunächst betrof¬
fenen Gefäße und der Qualität der dadurch untergehenden nervösen
Elemente — bis zu den durch Resorption des nekrotischen Gewebes
entstandenen Spaltbildungen des zweiten Falles.
Besprechung. Tilmann kommt auf seine ausgedehnten Ver¬
suche zu sprechen. Der Zusammenhang im Zentralnervensystem wird
bei einem Trauma dadurch gelockert, daß verschiedene Spezifizität des
Gewichtes der grauen und weißen Substanz sowie des Blutes besteht.
Gleichwie am Gehirn muß eine Schädigung des Rückenmarkes sich
nicht sofort bemerkbar machen. Reaktive und reparatorische Pro¬
zesse sollen streng von der Entzündung geschieden werden. —
Dietrich weist auf die Schwere der Erkrankung ohne große
anatomische Veränderung hin. Die oft anfangs geringfügigen Stö¬
rungen nehmen oft später zu. — Beltz lenkt die Aufmerksamkeit
auf die Rolle des Gefäßapparates, welche dieser bei derartigen
Traumen spielt‘ — Hering schreibt dem Achsenzylinder eine be¬
sonders große Rolle zu. ... ... . «
Arnold: Ueber intrakutane Reaktion mit anspezifischen Stoffen.
Intrakutane Reaktion mit osmotisdi wirksamen Stoffen (Aqua destil«
lat™3—5<>/oige Kochsalzlösung) wie mit l-2o/ 0 iger Karbolsäure zeigt
im Vergleich mit der spezifischen Intrakutanreaktion, besonders mit
der Intensität der Tuberkulinreaktion, daß bei letzterer außer ihrem
spezifischen immunbiologischen Vorgang auch die Hautbeschaffenheit
in Rechnung zu stellen ist. Währena normal diese unspezifischen
Stoffe mäßige Infiltration und Röte von 5—7 mm ergaben, zeigten
solche Kinder (7 Fälle) mit stark positivem Pirquet und ein neuro-
pathisches Kina eine über diese Norm gehende Reaktion. Ebenso
wie bei der Tuberkulinimpfung ergab sich auch bei den unspezifi¬
schen Stoffen eine Abschwächung bis Aufhebung der Reaktion bei
Fieber schlechter, stark wasserverarmter Haut, natürlicher wie künst¬
licher Pigmentation, leichten Oedemen bzw. Präödemen und bei
Hyperämie durch Bestrahlung wie durch Rubefizientia. Um diesen
lokalen veränderten Hautbezirk herum liegt eine Zone von 2—4 cm,
die die Abschwächung der Reaktion ebenfalls zeigt. Bei Oberflächen-
Röntgenbestrahlung unter einer Erythemdosis ist die unspezifische
Reaktion abgeschwächt, wenn leichte bis leichteste Hyperämie ein-
tritt, verstärkt, wenn die Haut, keine Aenderung aufweist. Hypo¬
tonische Lösung, Aqua destillata, reagiert immer stärker als hyper¬
tonische Lösung, 3—5°/oige Kochsalzlösung.
Besprechung. Haberland erwähnt eigene Versuche: Die
Stärke der Pirquetschen Reaktion gibt keinen Anhaltspunkt für die
Schwere der Erkrankung. Daß bei negativem Pirquet die Reaktions¬
fähigkeit des Körpers nach H.s Ansicht meist erschöpft ist, lehnt
Thomas ab.
Beltz berichtet über systematische Blutplättcbeaantersachnngen
bei Nephritisanämie. Am bemerkenswertesten war ein hochgradiger
Plättchenmangel bei urämischen Zuständen, der weit unter den der
jeweiligen Anämie entsprechenden Werten lag. Die von französischen
Physiologen nachgewiesene gesetzmäßige Abhängigkeit der Plättchen¬
zahl vom Blutdruck konnte nicht bestätigt werden. Dagegen machen
es die bisherigen Erfahrungen und gewisse Analogien mit experi¬
mentellen Beobachtungen (Plättcheuschwund nach Peptoninjektionen)
wahrscheinlich, daß Eiweißretention einen plättchenvermindemden Ein¬
fluß ausübt.
Besprechung. Heß betont, daß bei Dyspnoe die Plättchen¬
zahl stets erhöht sei. Die bisherigen Methoden für die Bestimmung
der Blutplättchenzahl sind nicht einwandfrei. Das gilt auch von der
Harnstoff Verdünnung des Blutes. Die immunisatorische Wirkung der
Plättchen ist bei Tetanus und anderen Infektionskrankheiten bewiesen.
Es scheint ein Parallelismus zwischen Erythrozyten und Blutplättchen
zu bestehen, nicht aber zu den weißen Blutkörperchen. — Külbs legt
bei all diesen Bestimmungen großen Wert darauf, wie und an welcher
Stelle das Blut zu derartigen Untersuchungen entnommen wird. Dabei
ergeben sich oft sehr differente Resultate. — Dietrich kommt auf
die Schillingschen Präparate zu sprechen, die nach seiner Ansicht
viele Kunstprodukte zeigen. Viele Dinge sind plättchenähnlich, die
im Blute kreisen. Niemals kann man mit absoluter Sicherheit sagen:
das ist ein Plättchen. Die Knochenmarksentstehung der Plättchen
scheint das Richtige zu sein. — Hering erinnert daran, daß Ex¬
trakte vieler anderer Organe ebenfalls eine Blutdrucksenkung geben.
Die Thrombopenie und Gefäßzerreißlichkeit stehen offenbar im Zu¬
sammenhang. H. F. O. Haberland (Köln).
München, Aerztlicher Verein, 14. XII. 1921.
Diskussion zur Demonstration. Friedrich v. Müller:
Kyphoskoliose. (Vgl. Nr. 1 S. 48)
Frey gibt eine Darstellung der Entstehung der Kyphoskoliose
durch Muskelzug an Rippen und Wirbelkörper. Die operative Be¬
handlung (Resektion der Rippenteile) genügt nicht, es muß ortho¬
pädische Nachbehandlung durchgeführt werden.
Lange: Der Hauptentstehungsgrund für die Kyphoskoliose ist
und bleibt die Rachitis. Lange unterscheidet 4 Hauptgruppen:
1. Gruppe: Erkrankungen der Wirbelsäule und des Schädels (erstere
bedingt durch das zu verbietende Tragen der Kinder auf dem Arme
der Erwachsenen) im 1. Lebensjahre; 2. Gruppe: Crura vara — 2. bis
3. Jahr; 3. Gruppe: Genua valga — 4.—5.—6. Jahr; 4. Gruppe:
Mischungen. Jansens (Dänemark) Theorie, daß die Knochenzellen,
die gerade am meisten beansprucht werden, am leichtesten erkranken,
dürfte richtig sein.
v. Romberg nimmt Veränderungen im Muskeltonus und Situs
der. Organe (Demonstration der topographischen Querschnittsbilder
von Braun und R. May) als ein Hauptmotiv für Entstehung der
Kyphoskoliose an.
Borst demonstriert eine Serie von Skeletteilen und Skeletten
von Kyphoskoliose, Osteomalazie, Bechterewscher Krankheit und
senilen Verkrümmungen der Wirbelsäule. Er glaubt Kuochenverände-
rungen der befallenen Personen die Schuld an der Kyphoskoliose bei¬
messen zu müssen.
Pfaundler spricht über die Differentialdiagnose des vorgestell-
ten Falles: Kyphoskoliose oder progressive Muskelatrophie.
Seitz teilt mit, daß die statistischen Erhebungen seiner Poli¬
klinik Rachitis als Hauptursache für die Kyphoskoliose ergeben haben.
H oh mann ist der Ansicht, daß Knochen Veränderungen im Puber¬
tätsalter neben der jugendlichen Rachitis und dann unzweckmäßige
statische Belastung, mangelhafte Muskelübung usw. die Kyphoskoliose
verschulden.
Trachter berichtet über experimentelle Versuche mit dem Haus¬
huhn. Er konnte weder falsche statische Belastung noch Muskelzug
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
212
VEREINS- UND KONGRESSBERICHTE
Nr. 6
als Ursache der Kyphoskoliose nachweisen. Verschmelzungen in den
Ossifikationszentren der Wirbel müssen die noch unbekannte Ur¬
sache sein. 1 : ; i
v. Müller: Die Aussprache hat keine Lösung der gestellten
Frage ergeben. Man muß aber doch annehmen, daß die Kyphoskoliose
der Pubertätszeit nicht durch eine Rachitis tarda, sondern durch eine
eigene Erkrankung (endokrine?) der Knochen verursacht wird.
Hoeflm ay r.
Wiirzburg, Physikalisch-medizinische Gesellschaft,
14. VII., 10. XI. und 24. XI. 1921.
Offizielle* Protokoll.
(Schluß aus Nr. 5.)
(14. VH.) R.Hagemann: Tierexperimentelle Untersuchungen mit dem
Priedmannschen Tuberkulosemittel. Hagemann hat im Meer¬
schweinchenexperiment versucht, durch meist intraperitoneale Injek¬
tion der ihm vom „Institut für Herstellung und Vertrieb des Fried-
inann-Mittels“ (Leipzig-Gohlis) zu Behandlungszwecken gelieferten
Emulsionen spezifische Reaktionen im Meerschweinchen hervorzu¬
rufen. Es wurden 16 kräftige Meerschweinchen teilweise mit sehr
hohen Dosen (3mal starke Dosis) behandelt. Keines dieser Tiere,
welche alle, soweit sie nicht für die Zwecke der Untersuchung ge¬
schlachtet wurden, am Leben blieben, reagierte innerhalb von 5 Mo¬
naten positiv auf die wiederholt vorgenommene intrakutane Impfung
mit Alttuberkulin nach Römer, keins starb auf Injektion von 0,5 rem
Alttuberkulin intraperitoneal oder zeigte dabei sonstige anaphylak¬
tische Symptome, auch diejenigen Tiere nicht, welche ausgedehntere
Knötchenbildung im Netz aufwiesen. Das Friedmannsche Präparat
war somit nicht fähig, spezifische, mit der Immunität in engem
Zusammenhang stehende Reaktionen hervorzurufen. Weiterhin hat
Hagemann eine fortschreitende allgemeine Erkrankung des Meer¬
schweinchens durch Injektion des Priedmannschen Präparats bei
gleichzeitiger Milchsäurevergiftung des Tieres zu erzielen versucht
(nach einem Vorgehen von Much mit SaprophytenL Die so be¬
handelten Tiere starben innerhalb 5—14 Tagen, während die ent¬
sprechenden Kontrollen am Leben blieben. Die gestorbenen Tiere
zeigten auffallend ausgedehnte Knötchenbildung im Netz, in denen
zahlreiche Bazillen nachgewiesen werden konnten. Es fanden sich
auch vereinzelte Knötchen in der Lunge, aber ohne Bazillen. Diese für
die Frage der Pathogenität wichtigen Beobachtungen werfen vielleicht
ein besonderes Licht auf die Tuberkulosedisposition und die Organ¬
disposition.
Besprechung. Gerhardt (f) hält für die klinische Mani¬
festation der Tuberkulose die Organdisposition für ebenso wichtig
wie die Virulenzschwankungen der Tuberkelbazillen.
Leupold: Die besondere Organdisposition der Tuberkulose geht
schon daraus hervor, daß bestimmte Formen der Krankheit häufig
miteinander kombiniert sind, z. B. die Urogenitaltuberkulose mit
Knochentuberkulose.
(10. XI.) Festsitzung zum Gedächtnis der 100. Wiederkehr
des Geburtstages von Rudolf Virchow.
M. B. Schmidt: Festrede.
(24. XI.) O. B. M e y e r: Ueber leichtere Formen von sensibler Polyneurltis.
Meyer berichtet über Erkrankungen mit folgender Symptomato¬
logie: Klagen über Parästhesien in Händen und Füßen, objektiv
leichte Sensibilitätsabstumpfung für Berührung und Schmerz daselbst,
Fehlen der Knie- und Achillesreflexe. Die Koordination der Be¬
wegungen sowie die Motilität völlig intakt, ebenso die Muskulatur
und die elektrische Reaktion. Meyer hat bisher 8 Fälle (5 Männer,
3 Frauen) im Alter von 25—54 Jahren beobachtet. Zum Teil fehlten
nicht sämtliche genannten Reflexe, sondern z. B. nur ein Kniereflex
der einen, ein Achillesreflex der anderen Seite, oder nur beide
Achillesreflexe. Für Syphilis ergaben sich keine anamnestischen oder
objektiven Anhaltspunkte, die Wa.R. war stets negativ. Die Fälle
waren nicht anders als als rein sensible Polyneuritis aufzufassen.
Die Besonderheit der Beobachtungen liegt darin, daß hier nur relativ
leichte Störungen Vorlagen (keine Ataxie!) und daß die gebräuch¬
lichen Lehr- und Handbücher auf diese leichten Erkrankungen keinen
Hinweis enthalten, vielmehr nur die schwere Form der sensiblen
Polyneuritis, nämlich die „Neurotabes peripherica“, deren hervor¬
stechendes Symptom die Ataxie ist, besprechen. Unter der Be¬
zeichnung „s. P.“ könnten die leichten und die schweren Formen
zusammengefaßt werden, sodaß die unglücklich gewählte Bezeichnung
Neurotabes peripherica in Wegfall kommen könnte. Die Kenntnis
dieser leichteren, prognostisch relativ günstigen Formen ist wichtig
wegen der Abgrenzung gegen Tabes. Auch mancher Fall von Akro-
parästhesie dürfte hierher gehören; die pseudotabische Form der
multiplen Sklerose kann anfangs ein gleiches Bild bieten. Gegen
Einwände von Hans Curschmann, die dahin gehen, daß bei
alkoholischer oder nikotinischer Polyneuritis solche Befunde sehr
häufig seien, macht Meyer geltend, daß bei seinen Fällen alle
bekannten ätiologischen Momente (auch Ruhr, Diabetes usw.) fehlten
und daß es sich deshalb um ein besonders zu würdigendes Krank¬
heitsbild handelt. Auch Nonne und Oppenheim, die auf die
Veröffentlichungen von Mann über „Polyneuritis neurasthenica“
und von Alexander über „P. ambu latoria“ Bezug nehmen — Er-
Verantwortllcher Redakteur: I. V. Ober-Reg.-Med.-Raf D^o'
krankungen, die offenbar in dieselbe Gruppe gehören — haben
diese Krankheit als etwas Besonderes und nicht, wie Curschmann
behauptet, als etwas Wohlbekanntes aufgefaßt. (Eine ausführliche
Publikation erscheint demnächst in der D. Zschr. f. Nervhlk.)
Besprechung. Magnus-Alsleben: Der Name „sensible
Neuritis“ ist sicher angebracht bei einer neuritischen Affektion eines
rein sensiblen Nerven (Bernhardtsche Neuritis). In den Fällen des
Vortragenden ist das starke Hervortreten von sensiblen Erscheinungen
sicher bemerkenswert; aber es können doch immerhin Zweifel auf¬
tauchen, ob man von „reiner sensibler Neuritis“ reden darf und
ob sich eine Mitbeteiligung des zentrifugalen Schenkels des Reflex¬
bogens wirklich sicher ausschließen läßt.
Paul Hoffmann fragt, ob Fehlen der Sehnenreflexe und Ataxie
stets zusammenfallen oder unabhängig voneinander auftreten können.
Meyer (Schlußwort) hält es für berechtigt, von einer sensiblen
Form der Polyneuritis zu sprechen, wenn, wie auseinandergesetzt,
klinische Symptome einer Beteiligung der motorischen Nerven völlig
fehlen. Wie seine Fälle zeigten, können Sehnenreflexe und Ataxie
unabhängig voneinander auftreten; auch bei der Tabes dorsalis kann
die Sehnenareflexie der Ataxie ja lange Zeit vorangehen.
M. v. Frey: Die Sensibilität der Hornhaut and Bindehant
des menschlichen Auges. Die Versuche, die v. Frey in Gemeinschaft
mit Dr. Web eis und unterstützt von einer Anzahl Versuchspersonen
ausgeführt hat, gliedern sich in 5 Gruppen: 1. Mechanische Reizung
mit verschiedenartigen Reizkörpern. 2. Reizung mit Pinselstrichen.
3. Mechanische Reizung des kokainisierten Auges. 4. Prüfung mit
vibrierenden Reizen. 5. Thermische Reizung. Alle Reize kamen
abwechselnd auf dem Lide und auf den freien Flächen des Auges
zur Anwendung; die Versuchspersonen hatten auszusagen, ob die
Erfolge in beiden Fällen übereinstimmten, oder ob und in welcher
Richtung sie sich unterschieden. In Gruppe 3 waren die Versuche
unwissentlich insofern, als die Versuchsperson über Art und Stärke
des einwirkenden Reizes nicht unterrichtet war und sich durch den
Gesichtssinn nicht darüber unterrichten konnte. Bei allen Reizungen
des Auges hatten die Versuchspersonen unmittelbar vor jeder Reiz-
gebung mit beiden Händen die Lider so weit auseinander zu ziehen,
daß die zu prüfenden Flächen bequem zugänglich und Berührung
der Lider mit den Reizkörpern ausgeschlossen war. In Versuchs-
gruppc 1 konnten die verschiedenen thermisch unwirksamen Reiz¬
körper, deren maximale Kraft zwischen V 7 und 5 g schwankte,
nach Reizstärke, Reizfläche, Ruhe oder Bewegtheit sehr wohl unter¬
schieden werden, wenn sie auf die Haut des Lides wirkten, nicht
dagegen, wenn sie auf die Bindehaut wirkten. Im letzteren Falle
traten nur die Empfindungen von Brennen, Stechen, Kratzen oder
Jucken auf, die einen sicheren Schluß auf die Art des Reizes um
so weniger gestatteten, als sie in keiner festen Beziehung zur
Stärke und Dauer desselben standen. Um dem Einwand zu begegnen,
die unangenehmen Reizwirkungen verhinderten die Wahrnehmung
der Berührung und des Druckes, verwandten die Untersucher in
Versuchsgruppe 2 als schonendste Reizform das Ueberstreichen des
Auges mit einem feinen befeuchteten Haarpinsel. Wird derselbe
in warme Ringerlösung getaucht, so sind die schmerzhaften Ein¬
drücke ganz geringfügig, und dennoch sind Breite, Kraft und Ge¬
schwindigkeit der Pinselführung, im Gegensatz zum Lide, nicht er¬
kennbar. Ist die Ringerlösung Kühl, so wird dies auf dem Auge sehr
wohl erkannt. Die Wahrnehmung der thermischen Eigenschaft des
Reizes ist also durchaus nicht behindert, ln Versuchsgruppe 3 wurde
die Hornhaut nach Betäubung durch 1 Tropfen einer 5%igen Kokain¬
lösung deformiert durch Belastung mit Gewichten bis zu 7 c, bei
konstanter Reizfläche von V 7 qcm (höchster angewendeter Druck
V 20 Atmosphäre). Diese Belastungen wurden nicht wahrgenommen,
auch nicht zur Zeit des Abklingens der Betäubung, wo sie schmerz¬
haft empfunden wurden. Versuche an der nicht kokainisierten Binde*
haut gaben das gleiche Ergebnis. Auf dem Lide wurden dagegen,
wie zu erwarten, Gewichtsunterschiede von 1 g fehlerlos erkannt.
In Versuchsgruppe 4 wurden intermittierende Reize angewendet (100
in der Sekunde), teils in Form des faradischen Stroms, teils als
Stöße eines feinen Pinsels, der an der Zinke einer schwingenden
Stimmgabel befestigt war. Im einen wie im anderen Falle fehlte
auf dem Auge die für die Organe des Drucksinns charakteristische
Empfindung des Schwirrens, die mit den gleichen Reizen auf dem
Lide äußerst deutlich hervorgerufen werden konnte. In Versuchs¬
gruppe 5 wurde die thermische Empfindlichkeit des Auges geprüft
nach zwei Richtungen. Es wurde untersucht, ob die bisher ver¬
mißte Warmempfindung des Auges vielleicht durch einen Reiz von
konstanter Temperatur (elektrisch geheizter Platindraht) nachweisbar
wäre. Das Ergebnis war negativ. Weiter wurde die Beobachtung
von Donaldson nachgeprüft, daß das kokainisierte Auge trotz
Analgesie noch kaltempfindlich sein könne. Diese Angabe wurde
unter gewissen Bedingungen bestätigt. Der Vortragende kommt
zu dem Schlüsse, daß die von ihm seinerzeit (1895) ausgesprochene
Meinung, Hornhaut und Bindehaut seien schmerz- und kaltempfind¬
lich, entbehrten aber der Druck- und Warmempfindung, auch jetzt
noch zu Recht bestehe. Er vermutet, daß die Angaben von Nagel
(1895) sowie von Goldscheider und Brückner (1919) über die
Druckempfindlichkeit des Auges auf unbemerkten Berührungen der
Lidränder und Wimperhaare beruhen. Diese Gefahr besteht nament¬
lich bei Benutzung von Reizhaaren, die auf der Hornhaut außer¬
ordentlich leicht abgleiten und dabei gegen die Lidränder abgelenkt
werden. Die ausführliche Mitteilung der Versuche erfolgt im 74. Bande
der Zschr. f. Biol. *
Strauß. — Druck von Oscar Brandstetter in Leipzig.
Digitized by
Google
Original fro-m
CORNELL UNIVERSITY
PRAEMEDICUS
Offiziell« Mitteilungen d«r „Vereinigung DeutscherMadlzinalpraktikanton" und des M VerbandesDeutsot)arM«dlzln*r»oh«ft«fl”
VERLAG VON QEORO THIEME / LEIPZIG/ ANTON STR. IS
Nummtr 3
Donnerstag« den 0. Februar 1022
2. Jahrgang
Bekanntmachungen
des Verbandes Deutscher Medizinerschaften.
Uni die durch dauernde Preis- und Portospesensteigerung sich
immer mehr verteuernde Geschäftsführung billiger zti gestalten, sieht
sich die Kassenvenvaltung des V.D.M. gezwungen, in Zukunft mehr
als bisher den „Praemedicus“ zur Nachrichtenvermittlung zu benutzen.
Ihre Beiträge für das Sommersemester 1921 haben noch
nicht bezahlt:
Die Vorklinikerschaften: Erlangen, Frankfurt, Göttingen, Oreifs-
wald, Jena Münster, Tübingen, und die Klinikerschaften: Jena, Ham¬
burg, Köln und Frankfurt. Mit anderen Zahlungen des Sommer¬
semesters (Strafgeld, Restschulden u. dgl.) im Rückstand sind: V.-K.
Halle , V.-K. München, V.-K. Breslau, K. Heidelberg.
Mitgliederzahlen für das Sommersemester 1921 fehlen von: Kli¬
nikerschaft Marburg, V.-K- Bonn, V.-K. Hamburg, Köln, V.-K. Königsberg.
Wir bitten, diese Außenstände zu begleichen und die Summe auf
unser Postscheckkonto Leipzig 66533 einzuzahlen. Säumige
Kliniker- bzw. Vorklinikerschaften können zum Verbandstag ihre Ver¬
tretergelder nicht erhalten.
Es scheint schließlich notwendig, auf folgendes nochmals hinzu¬
weisen :
1. Gemäß § 6 der Satzungen sind die Beiträge des Nichtzwangs¬
organisierten im Sommersemester bis 1. Juli und im Wintersemester
bis 1. Januar einzusenden. Zwangsorganisierte müssen ihre Beiträge
bis spätestens 4 Wochen nach Schluß des Semesters bezahlen.
2. Auch in diesem Semester wird vom Verband wieder 1 M.
ordentlicher und 0,50 M. außerordentlicher Beitrag erhoben. (Siehe
letztes Tagungsprotokoll Seite 10.)
3. Auf den Zahlkartenabschnitten ist genau anzugeben, wofür
die Geldsendung sein soll (z. B. Büchersendung vom 5. I.). Bei Mit¬
gliedsbeiträgen genügt die Angabe „Beiträge“ nicht, sondern es
muß noch die Mitgliederzahl sowie das Semester (z. B. 500 Mitglieder
im Sommersemester 1921) hinzugefügt werden.
4. Eine Bestätigung der ordnungsgemäßen Zahlungen erfolgt nicht.
Für'Doktorarbelten vermitteln wir Maschinenschrift zu erheblich
verbilligtem Preise.
Es kostet die Seite 1.— M. mit 1 Durchschlag gratis.
Jeder weitere Durchschlag bedingt einen Zuschlag von —.10 M.
pro Seite.
Papier wird zum Einkaufspreis berechnet und kann auch vom
Besteller geliefert werden.
Die Anfertigung erfolgt auf Diktat sowie auch auf Grund der
uns zugestellten handschriftlichen Ausarbeitung. Im letzteren Falle
— also bei Zusendung des Manuskripts — erhält der Besteller zu¬
nächst eine Probeschrift ohne Durchschlag zur Korrektur, wodurch
ein Mehrpreis von —.50 M. für 1 Seite entsteht.
Die Rücksendung erfolgt gegen Nachnahme.
Vorklinikerschaft Freiburg i. B.
Der Ferienvertreter der hiesigen Vorklinikerschaft für die Zeit
vom 1. III. 1922 bis 25. IV. 1922 ist Herr stud. med. Holzmann.
Seine Adresse lautet: Freiburg i. Br., Rheinstr. 64. Er ist gern bereit,
in allen Angelegenheiten der Fachschrift Auskunft zu geben. (Bitte,
Rückporto beilegen.) Der Vorstand der Vorklinikerschaft hält dann
m der Woche vor dem Beginn der Vorlesungen des Sommersemesters
1922 eine Sprechstunde, die in allen Studienfragen und technischen
Angelegenheiten, wie Belegen der Vorlesungen, der Praktika usw.
Auskunft erteilt. Näheres darüber ist aus den Anschlägen, die am
Brett der Vorklinikerschaft befestigt sind, zu ersehen.
Fürsorgeärzte 1 ).
Von Dr. L. Teleky in Düsseldorf.
Während im allgemeinen im ärztlichen Beruf eine furchtbare
UcberfüIIung herrscht, in der allgemeinen Privatpraxis sich nur schwer
noch ein Plätzchen mit Existenzmöglichkeiten für einen jüngeren
Arzt findet, während die ärztlichen Organisationen wohl mit Recht
O Diesen Artikel haben wir von dem Leiter der westdeutschen sozlalhygienlschen
Akademie in Düsseidorf. Dr. U Teleky. erhallen Wir. gop W« <b" # Beachtung
nserer Kommilitonen.
Medizinische Wochenschrift Nr. 0
Digitized by Go*. >gle
eine 3—6jährige Spezialausbildung verlangen, ehe sich jemand als
Spezialarzt niederlassen darf — was aber anderseits es gerade vielen
Unbemittelten schwer macht, sich zu Snezialärzten auszubilden —,
besteht nach einer Richtung hin Mangel an spezialistisch ausgebil¬
deten Aerzten, obwohl diese spezialistische Ausbildung nicht so viel
Zeit in Anspruch nimmt, wie anders geartete. In der Gesundheits¬
fürsorge ausgebildete Aerzte sind weniger vorhanden als dem Be¬
dürfnis entspricht, Städte und Kreise geraten öfter in Verlegenheit,
wenn sie einen so ausgebildeten Arzt als Stadtarzt, Stadtassistenzarzt,
Kreiskommunalarzt, Säuglings- oder Tuberkulosefürsorgearzt anstellen,
wollen, und immer mehr legen Städte und Kreise Gewicht darauf, mit
in der Fürsorge voll ausgebildeten Aerzten die von ihnen zu ver¬
gebenden Stellen zu besetzen. Es wäre deshalb dringend zu wün¬
schen, daß sich eine größere Anzahl jüngerer Aerzte Kenntnisse
in der Gesundheitsfürsorge beschafft, sich dem Berufe des Für¬
sorgearztes zuwendet und gleich nach Beendigung des Studiums
sich bemüht, die für diesen Beruf notwendigen Kenntnisse zu er¬
werben. Allerdings sind für diesen Beruf — und dies muß von vorn¬
herein betont werden — nur solche geeignet, die soziales Empfinden
und Liebe zu ihrem Volk haben und die auf die unbegrenzten
Möglichkeiten finanziellen Einkommens, wie sie die ärztliche Praxis
einzelnen Glücklichen bietet, von vornherein verzichten, sich mH
einem Einkommen der XL—XII. Gehaltsgruppe begnügen.
Zur Ausbildung zum Fürsorgearzt ist mindestens notwendig: Un¬
gefähr einjähriges Studium in einer gutgeleitcten modernen Säug¬
lings- und Kleinkinderklinik oder einer solchen Abteilung eines
großen Spitals, ungefähr s / 4 jähriges Studium der Tuberkulose an
der Tuberkuloseabteilung eines großen Spitals oder noch besser in
einer gut geleiteten Tuberkuloseheilstätte, ferner Besuch eines un¬
gefähr 4monatigen Kurses an einer der drei sozialhygienischen Aka¬
demien (Berlin-Charlottenburg, Breslau, Düsseldorf) 1 ).
Eine also ungefähr 2jährige Ausbildung gibt die Anwartschaft
auf eine Stelle als Fürsorgearzt, wobei darauf hingewiesen sei, daß
die Tätigkeit in einer Lungenheilstätte meist mit Gehalt, stets mit
freier Station verbunden ist. —,Daß häufig solche Fürsorgearztstellen
zur Besetzung gelangen, zeigt der Anzeigenteil der Fachpresse sowie
der Umstand, daß von den Hörern des letzten Kurses der Düssel¬
dorfer Akademie bereits alle in Stellung sind, einzelne von ihnen
die Wahl zwischen mehreren ihnen angebotenen Stellen hatten.
Dadurch, daß sich junge Aerzte dem Beruf des Fürsorgearztes
widmen, wird einerseits einem in der Bevölkerung bestehenden Be¬
dürfnis entgegengekommen, anderseits schaffen sich viele junge
Aerzte eine Existenzmöglichkeit und ein schönes Tätigkeitsgebiet
auch wenn ihnen nicht die Mittel zu langjähriger spezialistischer
Ausbildung und langem Warten zur Verfügung stehen.
Bemerkungen zu vorstehendem Aufsatz „Fürsorgeärzte“.
Von Prof. Kruse in Leipzig*).
Die Zuschrift des Herrn Kollegen Teleky wird für manche
Kommilitonen ein erwünschter Fingerzeig sein. Zur Vervollständi¬
gung möchte ich aber auf folgende Punkte hlnweisen.. Die Zahl der
vollbesoldeten Stadt- und Kommunalarztstellen ist eine beschränkte,
die. große Masse der sog. Fürsorgeärzte (ganz abgesehen von den
noch zahlreicheren Schulärzten) ist nebenamtlich angestellt und re¬
krutierte sich bisher meist aus mehr oder weniger gründlich vorge¬
bildeten Fachärzten für Kinderheilkunde und Tuberkulose. Das wird
sich auch künftig wohl nicht ändern und ist nicht zu bedauern, da
die Fürsorge für Kinder und Tuberkulöse am besten in den Händen
von Fachärzten aufgehoben ist Hauptamtlich werden solche natür¬
lich nur ausnahmsweise für die Fürsorgetätigkeit zu gewinnen sein.
Ihre besondere Schulung für den Fürsorgedienst wird am zweck¬
mäßigsten nicht auf einer der neuen sozialhygienischen Akademien,
sondern an den schon an vielen Orten bestehenden größeren Für¬
sorgestellen erfolgen und nicht allzuviel Zeit erfordern. Eine gründ¬
liche Ausbildung in einem Fach wird also für die meisten Fürsorge -
ärzte die wesentliche Voraussetzung sein. Sie hat bekanntlich auch
andere Vorzüge, wenn sie auch mehr als 2 Jahre Vorbereitung er-
>) Die neueTrüfungsordnung für Kreisärzte vom"9. II. 1921 macht für Kreisarzt-
an Wärter denJBesuch eines solchen'JCurses obligatorisch. Der Schriftführer des V.D.M.
*) Wir haben uns bemüht', diesem Aufsatz gleichzei’ig ein maßgebendes Urteil
unseres Fachdozenten herbeizuführen. Herr Geh.-Rat Prof. DrtKr.use, Direktor des
Hygienischen lnstitus,\Lelpzig, hatte die Liebenswürdigkeit, uns auf meine Bitte die
nachstehenden Ausführungen zur Verfügung zu stellen. Der Schriftleiter des V. D. M
Ordinal from
CORNELL UNIVERSUM
214
PRAEMEDICUS
Nr. 3
fordert. Auf der anderen Seite werden diejenigen jungen Aerzte,
denen als Hauptziel eine amtliche Tätigkeit (mit fester Besoldung)
vorschwebt, sich sagen müssen, daß sie die besten Aussichten dazu
haben, wenn sie die amtsärztliche Prüfung ablegen, denn dann steht
ihnen nicht nur die Laufbahn als Kreisarzt, Kreisassistenzarzt usw.
offen, sondern auch die als Fürsorgearzt im Hauptamt (Stadtarzt
u. dgl.). In der Tat haben ja die meisten bisherigen Stadtärzte
diese Entwicklung genommen, was durchaus wünschenswert ist, da
eine volle hygienische Schulung für solche Stellen nur nützlich sein
kann. Außerdem hat sich schon bisher ein sehr großer, ja sicher
der größte Teil der Kreis- (Bezirks-) Aerzte nebenamtlich in der
sozialen Fürsorge betätigt und, was eigentümlicherweise msnchmal
übersehen wird, große Verdienste darin erworben. Allerdings er¬
fordert diese Laufbahn wieder nicht bloß 2, sondern 3—4 Jahre
Vorbereitung. Wenn diese Jahre neben der Hygiene wesentlich
der Kinderheilkunde und dem Tuberkulosestudium gewidmet werden,
ergibt sich daraus eine Ausbildung, die den Ansprüchen des Medi¬
zinal- und Fürsorgedienstes zugleich entspricht. Neuerdings ist in
Presßen als Krönung dieser Ausbildung ein 4monatiger Kurs an
einer der sozialhygienischen Akademien vorgeschrieben worden. Wenn
sich das finanziell durchführen läßt, so ist dagegen sicher nichts ein¬
zuwenden. Außerhalb Preußens glaubt man das gleiche Ziel durch
^kürzere sozialhygienische Kurse erreichen zu können. Auch die medi¬
zinischen Fakultäten haben sich, wie u. a. das Beispiel Leipzigs
beweist, schon vor der Gründung der 3 preußischen Sozialakademien
diesem Teil des Fortbildungsunterrichts keineswegs versagt und
werden es künftig erst recht nicht tun.
Aus dem Gesagten folgt, wie bedeutend die Vorteile sind, die
dem jungen Arzt aus einer Verlängerung seiner Vorbereitungszeit
um 1—2 Jahre gegenüber dem Vorschläge Telekys erwachsen.
Unsere praktische Ausbildung in der Geburtshilfe.
Von cand. med. A. Selifmaon in Leipzig, Schriftleiter des V. D. M.
Daß die Möglichkeiten der praktischen Ausbildung in der Ge¬
burtshilfe für Medizinstudierende so gering sind, liegt zum Teil
in unumgängl chen Gesetzesbestimmungen begündet. Unsere Fach¬
dozenten sind daher bemüht, Lerngelegenheiten zu schaffen, auch
praktischer Art, soweit es nur irgend durchführbar ist. Leider werden
sie auch in diesem Bestreben noch eingeengt durch äußere Umstände,
die nicht auf gesetzlicher Notwendigkeit beruhen. Eine solche Hem¬
mung ist an einigen Universitäts-Frauenkliniken dadurch gegeben,
daß dieselben gleichzeitig Hebammenlehranstalten sind mit* Bestim¬
mungen. die zum Teil anordnen, daß für Geburtshilfeleisturigen im
Kreissaal die Hebammenschülerinnen vor den Medizinalstudierenden
herangezogen werden müssen. Das bewirkt, daß eine größere
Zahl von Medizinern bis zu ihrem Staatsexamen Abnabelungen. Damm¬
schutz usw. niemals selbst vorgenommen haben, obgleich die Dozenten
im HörsaaJ verkünden, daß sie von jedem Praktikanten erwarten, er
möge dttfsc Hilfeleistungen während seines Studiums mehrfach atis-
üben. Diese Schwierigkeiten haben uns zu nachstehender Eingabe
an die berufenen Stellen veranlaßt:
„Schon lange wird seitens der Medizinstudierenden Klage geführt
über mangelhafte Ausbildung in der Geburtshilfe. Sie steht im ge¬
fährlichsten Mißverhältnis zu den großen und bedeutungsvollen An¬
forderungen der Praxis. Der Verband Deutscher Medizinerschaften
und der Verband der Medizinalprnktikanten Deutschlands haben wie¬
derholt wertvolle Anregungen zur Beseitigung dieses unhaltbaren
Zustandes gegeben. Besonders schlecht liegen die Verhältnisse für
uns in den Universitäts-Frauenkliniken, die zugleich Hebammenlehr¬
anstalten sind. Hier müssen die Mediziner zugunsten der Hebammen
auf jede praktische Tätigkeit verzichten. Auch die Herren Direk¬
toren dieser Kliniken bedauern selbst aufs lebhafteste die Zwei¬
teilung des Lehrbetriebes, die es ihnen schlechthin unmöglich macht,
den Medizinern die praktische Ausbildung zu verschaffen, die sie
ihnen zu schulden glauben. Anderseits werden die Leiter von Uni¬
versitäts-Frauenkliniken, die nur für Mediziner bestimmt sind, gern
bestätigen, daß die Studierenden nach Universitätswechsel oft Ge¬
nugtuung bekunden über die bessere Ausbildung im Vergleich zu
derjenigen an Krankenhäusern, die zugleich Hebammenlehranstalten
sind. Als Oegengrund kann nicht eingewendet werden, daß die Heb¬
ammenausbildung durch Trennung von der Universität leiden könne,
denn bereits heute sind reichlich drei Fünftel der deutschen Heb¬
ammenlehranstalten in Städten gelegen, die keine Universität besitzen,
ohne daß dieser Umstand irgendwelche Nachteile erzeugt hätte.
Wir gehen daher in unserer Beschwerde mit der Fachdozenten¬
schaft einig.
Wichtiger als dies erscheint uns aber, daß das gesamte Volks¬
wohl dringend an unserem Gesuch interessiert ist. Aus diesem Grund
muß unbedingt sofort dafür Sorge getragen werden, daß nicht allein
die Hebammen, sondern vor allem auch die Mediziner mit der not¬
wendigen praktischen Vorbildung in ihren Beruf gehen. Zur Be¬
seitigung der wechselseitigen Benachteiligung in der Ausbildung von
Aerzten und Hebammen und des daraus entstehenden Volksschadens
beantragen wir die Trennung der Lehranstalten für Aerzte und Heb¬
ammen nebst Verlegung in getrennte Städte, damit der Zustrom von
Kranken nicht geteilt zu werden braucht.
Als Vertreter der Deutschen Medizinischen Studentenschaft ge¬
stattet sich der V.D.M. die Bitte, den vorstehenden Erwägungen
Rechnung zu tragen und den Antrag unabhängig von der bevor¬
stehenden Studienreform zu behandeln.“
Die Medizinischen Fakultäten sind von uns zuvor von dieser
Eingabe in Kenntnis gesetzt worden.
Gedanken über die Freiburger Vorklinikerschaft.
Von stud. med. Erich Holzmaon in Freiburg i. B.
Viel ist in der Studentenschaft seit dem Jahre 1918 über Fach-
schaften und ihre Organisation gesprochen und geschrieben worden.
Diesmal möchten wir das Thema aber von einer anderen Seite an-
sehen, ein Beispiel herausgreifen, und zwar unsere Freiburger Vor¬
klinikerschaft, und an ihrer Entwicklung zeigen, wie sie sich heraus¬
gebildet hat und wie wir sie weiter ausbauen können. .
Für das wichtigste Moment halten wir es, daß möglichst alle
Kommilitonen in der Fachschaft vereinigt sind. Es ist Aufgabe des
Vorstandes, durch geschickte Propaganda und Bekanntmachungen
am schwarzen Brett am Anfänge eines jeden Semesters eine mög¬
lichst große Mitgliederzahl zu erreichen. Natürlich gibt es stets
einen gewissen Prozentsatz Gleichgültiger, die man nicht gewinnen
wird. Auf allerenergischste Weise muß aber dagegen Front gemacht
werden, daß manche Verbindungsstudenten es nicht der Mühe für
wert erachten, Mitglieder zu werden. Unsere Vorklinikerschaft hat
die Aufgabe, alle, aber auch alle Mediziner der ersten fünf Semester
zu umfassen, seien es nun Freistudenten oder Verbindungsstudenten.
Die hiesige Klinikerschaft hat es in diesem Punkt leichter. Die
älteren Semester haben es bereits erkannt, daß eine Berufsorganisation
wichtig und wertvoll ist. Sie tragen sich am Anfang des Semesters
in die Mitgliederliste ein, ohne daß große Werbereden nötig sind.
Sicherlich muß daher die Vorklinikerschaft die jüngeren Semester,
hauptsächlich die ersten Semester, gleich von Anfang an dahin
bringen, daß sie sich als Glieder eines Ganzen, als Teile einer Be¬
rufsgruppe und als Angehörige der gleichen Fakultät betrachten.
Dieses Bewußtsein, dieser Gedankengang muß dann äußerlich in
einer vollzähligen Vorklinikerschaft zum Ausdruck kommen.
Vielleicht wird jemand einwenden, er finde den Gedanken der
Vorklinikerschaft und überhaupt den der Fachschaft gar nicht so
wichtig, um darüber so viele Worte zu verlieren.
Nach unserer Ansicht ist der Gedanke der Vereinigung zu einer
Fakultätsgemeinschaft der gesündeste, der den Weg zu einem geistigen
Wiederaufbau zeigt. Wir kommen auf ihn aus der Parteipolitik des
täglichen Lebens heraus, wir können so einen A.St.A. später zu¬
sammensetzen, der als ein Wirtschaftsparlament wirkt und fernab
von jeder Parteipolitik steht.
Wir brauchen während der Zeit unseres Studienganges die Vor¬
klinikerschaft. um mit unseren Professoren in >iäherem Konnex zu
bleiben. Und das können wir auf Festen der Fakultätsgemeinschaft
erreichen. Welchen Wert eine persönlichere Fühlungnahme mit den
Herren Professoren hat. die man sonst nur im Kolleg sieht, werden
alle diejenigen zu beurteilen wissen, die Freiburger Kliniker- oder
Vorklinikerschaftsfeste mitgemacht haben.
Hoffentlich stimmt man mir nach dem Gesagten zu, daß die
Vorklinikerschaft als Fachschaft ein wichtiger Faktor im Universitäts¬
leben ist. Es bleibt dann nur übrig, die Frage zu beantworten, wie
wir sie weiter auszub'lden gedenken.
Uns scheint, als klaffte zwischen Schule und Universität ein Spalt,
über den keine Brücke geht. Schon oft hörten wir Klagen und Be¬
schwerden jüngerer Kommilitonen, die uns erzählten, wie wenig
Ahnung und Kenntnis sie vom Universitätsleben gehabt hätten, als
sie ihr Abiturium hinter sich hatten. Wie viele schwere Fehler sind
nicht beim Beginn des Studiums gemacht worden.
Wir in Freiburg wollen diesmal zum Schulschluß zu Ostern
einen Versuch unternehmen, der sich selbst nach dem Widerhall,
den er in der Lehrer- und Abitirientenschaft findet, sein Urteil
sprechen wird. Kurz nach dem Abiturium gedenken wir den Abi¬
turienten der höheren Lehranstalten Freibu-gs. -die Medizin studieren
wollen, einen kurzen Vortrag über das Medizinstudium, seine Ein¬
teilung und seine Aussichten, an den sich eine Fragenbeantwortung
schließen wird, zu halten. Vielleicht ließe sich dieser Gedanke snäter
für die anderen Fakultäten und an möglichst vielen höheren Lehr¬
anstalten durchführen.
. Schon beim Beginn dieses Wintersemesters 1921/22 hatten wir
eine Woche vor dem Beginn der Vorlesungen eine Sorechstunde
eingerichtet. In ihr gaben wir in allen Fragen Auskunft und ver¬
suchten besonders häufig bei der Einteilung des Studiums mit Rat¬
schlägen zu helfen. Auch einige der Herren Dozenten hatten uns
ihrerseits Wünsche mitgeteilt, die wir direkt so an unsere Kom¬
militonen weitergeben konnten.
Es ist nicht unsere Absicht, hier erschöpfend unsere Bestrebungen
abzuhandeln; einiges wollten wir unterstreichen, anderes anregen
und erklären.
Unsere Vorklinikerschaft wird stets bestrebt sein, dem jungen
Mediziner in Studienfragen zu raten und ihm in wirtschaftlicher Be¬
ziehung zu helfen. Darum hoffen wir, daß immer mehr die Einsicht
Platz greift, daß alle Mediziner, seien es Verbindungsstudenten oder
Freistudenten, vor allem den Ring schließen müssen.
Für die Schriftleitung verantwortlich: Dr. Hans Hirschberg, Leipzig, SidonlenstraBe 66,1V. - Druck von Oscar Brandstetter In Leipzig.
Digitized fr
Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
Deutsche Medizinische Wochenschrift
Begründet von Dr. Paul Börner
HERAUSOEBER: VERLAO:
Geh. San.-Rat Prof. Dr. Schwalbe GEORG THIEME/ LEIPZIG
Berlin-Charlottenburg, Schlüterstraße 53 Antonstraße 15
Nummer 7
Donnerstag/ den 16. Februar 1922
48. Jahrgang
lieber Degeneration und Regeneration.
Von Prof. Paal Ernst in Heidelberg.
1. Die Degeneration.
Von Degeneration im Sinne der Entartung, Ausartung, aus der
Art schlagen, einer rückschreitenden Umwandlung (regressiven Meta¬
morphose), eines Zerfalls, der Ertötung, Umstaltung (Rokitansky),
Rückbildung, allmählich mit der Nebenbedeutung einer regressiven
Ernährungsstörung, einer Abnahme der Leistungsfähigkeit, Minder¬
wertigkeit, dann in der Verknüpfung mit Schwund (degenerative
Atrophie), im Gegensatz zur reinen Atrophie, ist schon sehr lange
die Rede. Jedenfalls hat den Begriff Virchow schon übernommen.
Morgagni nannte die Herzschwiele vitium carnis cordis in ten-
dineam naturam degenerantem, und diese Anwendung wird nicht
die einzige sein. Von regelwidriger Fetterzeugung kennt J. Fr.
Meckel (1818) die örtliche als Fettgeschwulst, die allgemeine als
übermäßige Fettheit und als die regelwidrigste Art der ungewöhn¬
lichen Fettbildung, die Umwandlung der Substanz der Organe in
Fett, wohin vor allem Muskeln, Leber und Nieren, seltener die
Brust- und die Bauchspeicheldrüsen gehören. Das Wort Degeneration
braucht er nicht, wie er sich überhaupt nach Kräften des deutschen
Ausdrucks befleißigt, sodaß eine medizinische Sprachreinigung bei ihm
viel holen kann. Rieh. Bright (1827) spricht von der krankhaften
Beschaffenheit, dem krankhaften Zustand, auch von der Entartung
der Nieren. Bereits Andral ‘widmet der fettigen Degeneration
der Leber einen Abschnitt und sieht den krankhaften Zustand in
einer übermäßigen Absonderung fettiger Stoffe (Fett und Chole¬
sterin). Er beruft sich auf Vauquelin, der einmal in 100 Teilen
45 Oel, 19 Parenchym und 36 Wasser gefunden habe, und vergleicht
die Farbe der fettig entarteten Leber mit abgestorbenem Laub. Er
neigt dazu, die Schuld weniger in einer Irritation der Leber als
vielmehr in einer unzulänglichen Ernährung zu suchen, ähnlich der
Fettabiagerung um und an atrophischen Organen. Natürlich arbeitet
auch Cruveilhier mit dem Begriff der Degeneration. Virchow
greift auf Paget zurück, der für die eigentlichen elementaren Stö¬
rungen die alte Vorstellung der Degenerationen festgehalten
habe, während der Begriff der Metamorphose für sie insoweit an¬
zuwenden sei, als es sich um sichtbare gestaltliche, formelle oder
eigentlich anatomische Störungen handle. Als solche Elementtffpro-
zesse führt Virchow' auf:
1. Fettige Metamorphose (mit Atherom).
2. Erdige Metamorphose, Verirdung, Verkalkung, Verknöcherung.
3. Farbige Metamorphose, Pigmentdegeneration.
4. Erweichung, Schmelzung, Kolliquation, Verflüssigung.
5. Verdichtung, Verhärtung, Induration, Obsoleszenz, hornige
Metamorphose.
6. Speckige und wachsartige Degeneration.
Dort finden wir Ausdrücke, wie regressive Vorgänge, parenchy¬
matöse Veränderungen, Elementarstörungen, degenerierenden Charak¬
ter der parenchymatösen Entzündungen, granuläre Entartung der
Nieren, Brightsche Nierendegeneration. Virchow faßt die Ent¬
zündung wieder als Ernährungsstörung, die sich von der einfachen
Degeneration nur durch die Gewalt, durch die Schnelligkeit, durch
die Masse der Degeneration unterscheidet, beansprucht also vor
allem für die Entzündung degenerativen Charakter. Doch genug der
Stichproben für die Verwendung des Begriffes Degeneration.
Wie stehen wir denn heute zur Degeneration? —
„Das Leben wird immer etwas Besonderes bleiben, wenn man auch
bis ins kleinste Detail erkannt haben sollte, daß es mechanisch er¬
regt und mechanisch fortgeführt sei.“ — „Mögen die Erscheinungen
des menschlichen Lebens so mechanisch vor sich gehen, wie nur
immer denkbar, so wird dadurch niemals die Tatsache des lebenden
menschlichen Individuums verloren gehen können.“ — „Was das
Individuum im Großen, das ist die Zelle im Kleinen, sie ist der
Herd an den die Aktion der mechanischen Substanz gebunden ist.
Aber'innerhalb dieses Herdes ist es die mechanische Substanz, welche
wirkt, und zwar nach chemischen und physikalischen Gesetzen wirkt.
Um dabei die Erscheinungen des an sich zellularen Lebens zu be¬
greifen müssen wir die Zusammensetzung der Zellensubstanz, ihre
mechanischen Eigenschaften, ihre Veränderungen bei der Funktion
feststellen, und was den Gang der Forschung betrifft, so kann ja
darüber gar kein Streit sein, daß die chemische und physikalische
Forschung die höhere, die anatomische oder morphologische die
niedere ist.“ (Virchow.)
Darin liegt das Bekenntnis zu Vitalismus und Mechanismus in
einer Person, die in .diesen Betrachtungsweisen nicht Gegensätze,
sondern Ergänzungen sieht, darin liegt auch das Programm unserer
Forschung und Aufgabe. Wir werden die Beteiligung der Zellen
und die physikalischen-chemischen Vorgänge an den De¬
generationen zu untersuchen haben. Besonders bietet die Kol¬
loidchemie ihre Hilfe an und kommt uns mit biologischen Vorstel¬
lungen halbwegs entgegen, wenn sie von der Struktur der Kolloide,
von Keimung, Wachstum, Schutz, Vergiftung, Koagulation, Gerinnung,
Erstarrung, Lähmung, Erholung, Gewöhnung, Anpassung, Verwandt¬
schaft, Kopulation, Regeneration, Selbstteilung, Kreuzung, vom Altern
der Kolloide, vom Tode des Hydrosols spricht. Man kann jetzt
mit kleinen Anleihen bei der Kolloidchemie große Schulden in der
Biologie decken, aber bei einem so verdächtigen Handel ist Vor¬
sicht geboten. Trotzdem zweifeln wir nicht, daß die Kolloidchemie
für die Biologie die größte Zukunft hat.
Bei Degenerationen denkt zunächst jeder an passive Vorgänge
mit verminderter Funktionsfähigkeit, wobei die Elemente entarten,
zugrundegehen und einen Substanzverlust hinterlassen. Wenn Zellen
verminderter Lebensfähigkeit nur eine Schwächung erlitten haben,
so können sie eine Wiederherstellung (Reparation) erfahren; nach
totaler Zerstörung ist dagegen eine Regeneration, d. h. Ersatz durch
neue Elemente aus der unversehrten Nachbarschaft, die einzige Ret¬
tung. Untergang der Elemente, Absterben unter Erweichung ist
Nekrobiose. Mikronekrose ist Beschränkung des örtlichen Todes auf
einzelne Zellen oder Zellgruppen. Nun setzt sich aber die Leidens¬
geschichte des kranken Gewebes aus aktiven und passiven
Vorgängen zusammen. Aber diese sind schwer auseinanderzuhalten,
und daher kommt es, daß wir im Sprachgebrauch nicht immer folge¬
richtig verfahren und oft auch aktive Vorgänge mit dem Namen
Degeneration belegen. Um ein Werturteil zu vermeiden, sprach
Virchow von fettiger Metamorphose.
Im Bereich der Degeneration herrscht die Dissimilation, der
Abbau zu unspezifischen Produkten unter qualitativer Aenderung der
Substanzen, die Umwandlung der Stoffe in einen unbrauchbaren, ja
schädlichen, sogar giftigen Zustand. Darin liegt die Quelle weiterer
Reaktionen, wie z. B. der Entzündung. Und darin unterscheidet sich
diese degenerative Dissimilation von der physiologischen, welche
chemische Energie in mechanische Arbeit und Wärme verwandelt,
also zwischen Nahrungszufuhr und Leistungsfähigkeit vermittelt.
Von jeher galt die Verfettung als Typus der degenerativen
Stoffwechselstörung. Durch den Ausbau zahlreicher Methoden (Re¬
duktion des Osmium-tetroxyd, Färbung mit Sudan, Scharlachrot,
Chlorophyll, Nilblausulfat, Indophenol, Bildung von Chrom-, Eisen-
und Kupferhämatoxylinlack, Verwendung der Polarisation, Bestim¬
mung der Löslichkeit und des Schmelzpunktes) sind wir in der
Unterscheidung und genauen Umschreibung der Fette und fett-
artigen Stoffe einen Schritt weiter gekommen. So haben wir
f elernt, von den Neutralfetten (Triglyzeriden der Olein-, Palmitin-,
tearinsäure), die meist als Lagerfett auftreten, die freien Fettsäuren
und ihre Seifen (Ca-, Na-, K-Verbindungen), die freien Cholesterine
und die Cholesterinfettsäureester, die P-naltigen, aber N-freien Zere¬
broside (Protagone) und die P- und N-haltigen Phosphatide (Lezi-
thine), die den größten Teil des Myelins ausmachen und die giftige
Ammoniumbase Cholin enthalten, zu unterscheiden. An die physio¬
logische Fettspeicherung von Glyzerin- und Cholesterinfetten
in den Lagerstätten schließt sich ohne scharfe Grenze die patho¬
logische Speicherung an. Und zwar wird der Zelle von außen zu¬
viel Fett angeboten (extrazellulär bedingte Verfettung), und die Zelle
E aßt sich dem erhöhten Angebot an. So wird durch Mästung vom
farm aus durch die Pfortader oder auf dem Umweg des Chylus
und des Blutes Fett der Leber zugeführt, und es ist erwiesen, daß
bei dieser Fettmast das Fett nichts anderes ist als thesaurierte 9
Nahrungsfett, d. h. dessen Eigenschaften (Schmelzpunkt, Jodzahl) lange
bewahrt. Wenn einerseits aas Körperfett das gestapelte Nahrungs¬
fett, anderseits' doch wieder artspezifisch ist, wie und wann wird es
denn aus dem Nahrungsfett artspezifisch? Das ist die Frage. Eine
Vveitere Herkunft des Fettes sind die Kohlenhydrate, aus denen sie
Digitized by LiOi )Q le
Original from
CORNELL UNIVERSUM
216
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
Nr. 7
durch kräftige Reduktion entstehen (O-Entbindung), wie der Fett¬
ansatz nach reiner Reisfütterung beweist. Endlich ist man wieder^
geneigt, die Entstehung des Fettes aus Eiweiß in die Rechnung ein-
zustellen, indem nicht nur der Kohlenhydratrest der Olykoproteide
zu Fett reduziert werden kann, sondern die Aminosäuren zu Stoffen
desamidiert werden (Brenztraubensäure, Milchsäure), die sich leicht
zu Kohlenhydraten und weiter zu Fett verwandeln. Im Hunger und
bei Phosphorvergiftung w'andert das Fett aus dem Lager nach der
Leber (Fettransport), vielleicht durch eine Steigerung der Lipase
des Blutes. Dann kann an Ort und Stelle das Fett durch Zellen phago¬
zytär aufgenommen werden (Fettresorption), was wir oft am
Rande von Infarkten und anderen Nekrosen, um die Pfröpfe der
Fettembolie, in Erweichungsherden des Gehirns als Fettkörnchen¬
kugeln antreffen. Die Speicherung kann weiterhin auf Fett Ver¬
haltung beruhen, wenn das Fett nicht weiter verbrannt wird aus
Mangel an O, wie die überraschende Verfettung in der Leber des
Phthisikers oder des Alkoholikers, oder die Muskatnußleber. Neben
der hydrolytischen Spaltung des Fettes in Fettsäuren und Glyzerin
durch Lipasen kennen wir den <oxydativen Zerfall des Fettes in die
Azetonkörper und weiter zu CO* und HO*.
ln die Zelle selbst aber müssen wir die Ursache der Verfettung
verlegen bei lokaler und allgemeiner Fettsucht, wo die Zelle
eine erhöhte Avidiftät gegenüber dem Fett oder seinen Komponenten
betätigt. Das regressive Gegenstück dazu bilden zahlreiche und
alltägliche, dem Pathologen besonders geläufige Fälle, wo die Zell¬
tätigkeit durch Schädigung herabgesetzt ist und deshalb die Zelle
das ihr zugeführte Fett unberührt, unverbrannt liegen läßt; aber
dieses Fett stammt aus der Nahrung und ist nicht aus Protoplasma¬
eiweiß umgewandelt, also ist es auch keine Degeneration oder Meta¬
morphose im alten Sinne, sondern Speicherung, aber aus einer de-
generativen Veranlassung (degenerative Infiltration, die frü¬
here Fettdegeneration). Hierher gehören die Verfettungen des
Nieren-, Drüsenepithels, des Gefäßendothels, der Muskelfasern bei
allen Anämien, den meisten Vergiftungen, vielen Entzündungen, bei
Hyperthermie und Fieber, in Geschwülsten, die Verfettung ausge-
wanderter Leukozyten (gelbe Hepatisation). Man hat auch wohl
von endogener Fettbildung gesprochen, wenn unsichtbares Fett in
die Erscheinung tritt (Phanerosis), infolge tropttger Entmischung,
und hat durch künstliche Einwirkung auf Eiweiß in mikroskopisch
fettfreiem Gewebe Fettropfen erzeugen können. Endlich kennt man
eine fettige Dekomposition in toten Zellen durch Autolyse inner¬
halb und außerhalb des Körpers. So hat sich der alte Begriff der
Degeneration in viele neue äüfgelöst, der Unterschied zwischen
Degeneration und Infiltration ist verwischt, darum sprechen wir
weniger jetzt von fettiger Degeneration als von Verfettung, degene-
rativer Verfettung, pathologischem Fettgehalt.
ln die Störungen des Kohlenhydratstoffwechsels haben
wir nur spärlichen Einblick, da wir weder Milch- noch Traubenzucker
nachweisen können. Um so wertvoller ist uns der Nachweis des
olymerisierten Saccharids, Glykogen, mittels Karmin mit Kalzium-
arbonat und Chlorkalitim, das offenbar durch seinen kolloidalen
Zustand wirkt Dieses rein empirische Verfahren kann durch chemische
Reaktionen (Lösung in Diastase, Jodfärbung) geprüft werden. Diese
tierische Stärke, ein Reservestoff und ein Spargut für Zeiten des
Bedarfs, unsere vornehmste Kraft- und Wärmequelle, ist uns wegen
ihres verbreiteten Vorkommens in allen fötalen Organen, in der
Plazenta, in Leber, Muskeln, Uterusepithel, Leukozyten, dann auf
pathologischem Gebiet in vielen Geschwülsten (Knorpel-, Muskel¬
geschwülsten, Chorionepitheliom und Hypernephrom) wichtig. Aber
überall, selbst in den Nieren als Begleiterscheinung des Diabetes,
wird Glykogen gespeichert, sodaß man höchstens von einer Infil¬
tration, kaum von einer Degeneration sprechen kann. Das zeigt
sich auch darin, daß man nach Analogie mit der Verfettung auch
hier von allgemeiner und lokaler Glykogenspeicherung, Gly¬
kogentransport (im Diabetes), Olykogenretention aus
extrazellulären Ursachen spricht Man mag auch labiles Glykogen
in Leber und Muskeln als Depotglykogen, stabiles in KnorpelzeUen
und geschichtetem Epithel als runktionsglykogen unterscheiden. Der
Glykogenhaushalt hat vielfache Berührungen mit dem Fetthaushalt.
Man denke nur an die Beziehungen zwischen Fettsucht, Diabetes
und Lipämie.
Mit größter Spannung verfolgen wir J&den Schritt, der uns in
der Erkenntnis der Störungen des Eiweißstoffwechsels vor¬
wärts führt. Hier sind wir leider noch weit zurück. Wenn wir Me¬
thoden kennten, die uns erlaubten, zirkulierendes Nahrungseiweiß
vom organisierten „lebenden“ Körpereiweiß zu unterscheiden, oder
in der Zelle die Albumine, Globuline, Olykoproteide und Nukleo-
proteide zu erkennen, so könnten wir in den wichtigsten Fragen
des Stoffwechsels mitreden; oder gar, wenn es uns vergönnt wäre,
den Abbau des Eiweißmoleküls durch Albumosen und Peptone zu
den Aminosäuren, namentlich im intermediären Stoffwechsel mikro¬
chemisch zu begleiten, da würde sich ein unermeßliches Gebiet vor
uns auftun. Vor dieser Zukunftshoffnung sind allerdings unsere
Kenntnisse bescheiden. So ist die Deutung der trüben Schwellung
oder albuminöseri Degeneration noch nicht einheitlich gelungen. Ent¬
steht sie durch tropfige Entmischung, d. h. Trennung des Kolloids
von seinem Lösungsmittel, durch Gerinnung und Ausfällung eines
flüssigen Eiweißkörpers, Ueberführung des Hydrosols ins Hydrogel,
oder entsprechen die Körnchen granulären Strukturen wie den Alt-
mannschen Granula oder zerfallenen Mitochondrien ? Alle diese An¬
sichten werden durch Beobachtungen und Versuche gestützt und es
wäre denkbar, daß die feinen Tröpfchen keine einheitliche Herkunft
hätten. Daß sie regressiver Natur seien, wird fast allgemein ange¬
nommen und ihre Entstehung mehr auf das Qift als auf die Wärme
(Fieber) zurückgeführt. Manchmal sind sie durch Farben oder vitale
Färbung darstellbar, ein Weg;, der uns vielleicht weiterführt. Daß
die postmortale Autolyse ähnliche Zustände schafft mahnt zur Vor¬
sicht.
Bei schleimig-gallertiger Degeneration haben wir zur Er¬
kennung des Muzins, eines Glykoprotelds, mit einer Kohlenhydrat-
komponente gute Methoden, die Lösung in Alkalien, die Fällung in
Essigsäure, die Färbung mit Thionin und Muzikarmin, letzteres nach
unserer Ueberzeugung eine kolloidale Reaktion. Die Siegelringzellen
des Gallertkrebses sind für uns die desorientierte, apolare und äqui-
dimensionale, pathologische Abart der Becherzellen, und die Hyper¬
sekretion von Schleim und Desquamation der Zelle beim Katarrh
stellen wir uns so vor, daß im Reizzustand alle Reservezellen zur
Schleimbildung herangezogen werden, sodaß in jeder, einzelnen Zelle
die sämtlichen Mitochondrien zur Funktion genötigt werden und
damit auch der Vorrat der regenerativen Mitochondrien verbraucht
wird, womit die Erholung abgeschnitten, die Erschöpfung der Zelle
besiegelt ist. So wird die Zelle als unbrauchbares Glied, als wie, ein
Caput mortuum oder ein Sequester abgestoßen. Der Schleimbildung
sind wahrscheinlich nicht nur die dafür bestimmten besonderen Drüsen¬
zellen fähig, sondern unter Umständen alle möglichen Zellen. Je
nach der Phase dieser Sekretion hat man das Auftreten einer muzi-
genen Vorstufe, dann des Muzins in den Mitochondrien, den feinsten
Strukturelementen in der Zelle, die der Speicherung (Adsorption),
Metathese und Synthese der zu verarbeitenden Stoffe zu dienen
scheinen, beobachtet. Die übermäßig gesteigerte Sekretion verbraucht
den Mitochondrienapparat (das Cnondriom) bis zur Erschöpfung
der Zelle und läßt ihr keine Reserven mehr übrig, aus denen sie sien
regenerieren könnte. Sie geht als Opfer ihrer Ueberanstrengung
zugrunde. Direkter kann das Muzin im Bindegewebe entstehen (z. B.
im Schleimgerüstkrebs), aber auch hier werden Zellen sich mit
seiner Bildung abgeben, was auf eine sekretorische Tätigkeit auch
der Bindegewebszellen hinweist. Wenn die Sekretgranula des Schlei¬
mes quellen, entsteht das umgekehrte Bild des sekundären Waben¬
systems, gleichsam wie ein Negativ, und je nach Anwendung basi¬
scher oder saurer Farben kann man das granuläre Strukturbild oder
das intergranuläre wabige Netzwerk zur Darstellung bringen. So
ewinnt man Einblicke in den feinsten Bau der Zelle (Pathologie der
eile, Zytopathologie).
„Ist die Pathologie nur die Physiologie mit Hindernissen, das
kranke Leben nichts, als das durch allerlei äußere und innere Ein¬
wirkungen gehemmte gesunde Leben“ (Virchow), eine vita laesa
nach Boernaave oder vita praeter naturam nach Oaub, so gab
die amyloide Degeneration besondere Rätsel auf, denn hier war
ein Stoff, der seinesgleichen im physiologischen Bereich nicht hatte.
Alle anderen Degenerationsprodukte, wie Fett, Schleim, Glykogen,
Albumin, Horn, Kalk, Harnsäure, Pigmente, fanden sich nur in un-
ebührlicher Menge oder am ungehörigen Ort, oder zu unrichtiger
eit, aber nach ihrer chemischen Natur waren sie dem Physiologen
wohlbekannt. Man begreift also die Spannung, mit der wir die Ent¬
wicklung der Amyloidforschung verfolgen. Wegen äußerer Aehn-
lichkeit der Zellulose und Stärke angegliedert (Virchow), wurde
Amyloid auf Grund des N-Nachweises bald als Eiweißkörper er¬
kannt, dann lange Zeit als Verbindung eines durch Fermente aus-
gefällten Eiweißkörpers mit Chondroitin-Schwefelsäure aufgefaßt, bis
letztere in neuerer Zeit mehrfach vermißt wurde, also nicht mehr als
unentbehrliche Komponente gelten kann. Nach neuerer Ansicht wären
zum Amyloid erforderlich: ein präformierter Eiweißkörper aus dem
Blut, der chemisch dem Thymushiston nahestehen soll, Aobaufermente
und gepaarte Schwefelsäuren, die dem Unvermögen des Qewebes,
Schwefelsäure zu entfernen, zur Last gelegt werden. Aber auch diese
Störung des Eiweißstoffwechsels läuft aut verschiedene Phasen einer
Metamorphose hinaus, die sich nicht im alten Sinne der Degenera¬
tion aus dem Material und auf Kosten des Zellprotoplasmas ent¬
wickelt, nicht aus Transformation der Gewebe und Organe entsteht,
sondern nach Art einer Ablagerung, Abscheidung in den Saftbahnen
geschieht, sodaß man besser von amyloider Infiltration spräche.
Die Zellen gehen meist nur passiv, durch Druck und Verdrängung
zugrunde. Daß man Amyloid künstlich im Tierversuch nachahmen
kann, gibt der Hoffnung Raum, allmählich hinter die Entstehungs¬
bedingungen zu kommen.
Sehr bescheiden sind unsere Kenntnisse über Hyalin und
Kolloid. Milions Reagens beweist ihre Eiweißnatur. Sie sind
quellbar, aber schwer löslich und haben eine Neigung zu sauren
Farbstoffen. Man kann nach dem Vorkommen, Standort und der
Neigung zu Farben ein fibrinoides oder exsudatives, ein sekretori¬
sches oder epitheliales (Kolloid) und ein infiltratives oder binde¬
gewebiges Hyalin unterscheiden, aber keine der 3 Formen entspricht
der ursprünglichen Auffassung einer Degeneration. Noch nie ist
es in Mengen erschienen, die dem Chemiker zur Analyse genügt
hätten.
Auf Grund von Milions Reagens, der Xanthoproteinreaktion
und seinen Spaltungsprodukten, welche Aminosäuren sind, erweist
sich auch das Keratin, das Produkt der Verhornung, als
Eiweißkörper, und zwar gehört es zu jenen schwerlöslichert und
schwer zu reinigenden Albuminoiden, die man unter Gerüstsub¬
stanzen (Skleroproteinen) zusammenfaßt und zu denen man auch
Kollagen, Elastin, Fibroin, Spongin und Konchiolin rechnet. Aber
Digitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
16. Februar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
217
das pathologische Vorkommen liegt eben darin, daß das Horn nicht
auf Epidermis, Nägel, Klauen, Hufe, Federn, Haare und Schildpatt,
also Produkte des Hornblattes, beschränkt, bleibt, sondern auch als
Erzeugnis des mittleren und inneren Keimblattes auftritt. Im Ueber-
maß und auf ungewöhnliche Art gebildetes Keratin ist das Kenn¬
zeichen der Keratoscn, Parakeratosen und Keratome der Haut, der
Schwielen, Hornwarzen, Ichthyosis und Psoriasis. Es begleitet oft
überraschende Metaplasien der Naseuschleimhaut bei Ozäna* in der
Urethra, im Nierenbecken, im Uterus und in der Gallenblase, im
Bronchus, wo dann auch ganz gegen die Regel Hornkrebse ent¬
stehen. ln einem noch unklaren, mehr indirekten Zusammenhang
steht die Verhornung zum Keratohyalin, und nach der Gramschen
Methode löst sich das Keratin bei gewissen Keratosen in aller¬
feinste Granula auf. Die Verhornung ist eine nach Menge, Ort und
Zeit abweichende Hornbildung, aber der degenerative Einschlag tritt
sehr stark zurück.
Von den Störungen des Mineralstoffwechsels ist die
Verkalkung hervorzuheben. Mit Vorliebe schlägt sich kohlen¬
saurer und phosphorsaurer Kalk an schlecht ernährten und absterben¬
den Teilen nieder (dystrophische Verkalkung), und zwar von ein¬
zelnen Zellen an, wie Gehirnzellen nach Erschütterung, Nierenzellen
bei Sublimatvergiftung, Alveolarepithel, von elastischen Fasern der
Lunge und der Gefäße bis zu ganzen Gewebsabschnitten, wie Leber-
zellenbalken, Herzmuskelfasem, serösen Häuten in entzündlichen
Schwielen, endokarditischen Auflagerungen, Thromben, endlich bis
zu ganzen Organismen, wie beim Lithopädion oder abgestorbenen
Parasiten. Die Verkalkung ist außerordentlich verbreitet, aber auch
hier liegt die Sache ähnlich wie bei manchen Verfettungen. Nicht
weil die Dinge verkalken, degenerieren sie, sondern durch Degene¬
ration werden sie kalkgierig und meist auch zu gleicher Zeit eisen¬
gierig. Diese Eigenschaft der Kalkfänger beruht wohl mehr auf
physikalischer Adsorption als auf der Bildung von Kalkalbuminaten.
Sind in diesen Fällen die Dinge selbst zur Kalkaufnahme besonders
vorbereitet, so wird ihnen in anderen Fällen mehr Kalk angeboten,
der durch Abbau des Knochens in die Zirkulation geschüttet wird
-(Kalkmetastase oder -transport) und sich nun besondern gern
in Organen (Niere, Lunge, Magen) ablagert, die wegen Abgabe von
Säuren den Kalk nicht mehr in Lösung behalten. Verkalkung ist oft
die Einleitung wirklicher Verknöcherung in Gefäßen, Lymphdrüsen,
Myomen, Strumen, Tonsillen. Teils chemische Methoden (Behand¬
lung mit Säuren unter Entbindung der Kohlensäure und Bildung
von Gips, Nachweis des Phospors mit Silbernitrat), teils Farben¬
nachweise mit Hämatoxylin in seinen Abarten, teils Untersuchungen
im polarisierten Licht erlauben uns einen genauen Nachweis der
Kalksalze. Eine Aenderung der kolloidalen Mischung und Suspension
des Kalkes in Blut und Gewebe hat man als Kalkgicht, Ver¬
mehrung des Kalkgehaltes durch Nahrung als Kalkmast bezeichnet.
»Wirkliche chemische Verbindungen in Form von Kalkseifen kommen
im Atherom, in der Fettgewebsnekrose des Pankreas und in Lipomen
vor. So ist die Verkalkung keine eigentliche Entartung, sie kann
manchmal (dystrophische Verkalkung) die Begleiterscheinung einer <
Entartung sein..
Dürfen wir von Pigmentdegeneration reden? Doch wohl
am ehesten von jenen Lipofuszinen, die nach ihren Fundorten ge¬
radezu als Abnutzungspigmente bezeichnet worden sind, von der
Doppelnatur der Lipoidpigmente. Sie kennzeichnen das Alter und
marastische Zustände und kommen in Herz- und Darmmuskeln,
Samenblasen, Hoden, Niere, Nebenniere, Leber, Nervenzellen vor.
Sie haben die Frage veranlaßt, ob es einen physiologischen Alters¬
tod wegen Ueberhäufung der Hirnzellen mit solchen Schlacken
gäbe. Aber auch das autogene Pigment (Melanin} hat insofern
einen Stich ins Degenerative, als es offenbar durch Einwirkung von
Oxydasen auf Eiweißabbauprodukte (Tyrosin, Adrenalin, Homogen¬
tisinsäure, Dioxyphenylalanin) entsteht und mit dem Brenzkatechin
in Beziehung steht und durch Autolyse nachgeahmt werden kann.
Diese Auffassung liefert einen Schlüssel zum Verständnis des Morbus
Addisonii, der Ochronose und Alkaptonurie.
Die hämoglobinogenen Pigmente (Hämosiderin und Hämatoidin)
mit Einschluß des Malariapigmentes sind mit der Degeneration ver¬
wandt, weil sie den Untergang der Erythrozyten und damit die Ent¬
bindung des Hämoglobins voraussetzen, also überall den Blutzerfall
anzeigen. Wiederum eine ganz andere Beziehung zum Degene¬
ration sbegriff als beim Fett, Glykogen, Kalk, Eiweiß, Schleim.
Unter dieser Betrachtung blaßt der Begriff der Degeneration
zu höchstens ganz allgemeiner Bedeutung ab, er kann gleichsam nur
noch im Obertitel geführt werden. Sobald man die Einzelfälle be¬
trachtet, ist keiner vom Gesichtspunkt der Degeneration dem an¬
deren gleich. Der Kalk ist gleichsam der zufällige Exponent, der
Anzeiger eines Unterganges. Zum Meran in werden Zerfallspro¬
dukte, Eiweißtrümmer unmittelbar durch Fermente oxydiert. Alou-
minöse Trübung ist vielleicht nur Aenderung im Dispersitätsgrad
der kolloidalen Eiweißlösung, Ueberführung eines Sol- in einen Gel¬
zustand oder Quellung präexistenter Gebilde. Die zahllosen Mög¬
lichkeiten, die die Verfettung bedingen, haben wir genauer be¬
sprochen, weil sie am besten untersucht sind. Amylojde und
hyaline „Degeneration“ beruhen auf fermentativer Ausfällüng eines
vorher in Lösung gehaltenen Eiweißkörpers, der sich nach Art einer
Infiltration ablagert. Dabei haben wir Eisen, Harnsäure und manche
seltenen Pigmente noch gar nicht einmal berücksichtigen können.
Und trotz aller Schwierigkeiten, den Begriff Degeneration im ein¬
zelnen zu handhaben, können wir ihn doch nicht missen. Er ist uns
der Ausdruck für alles, was den absteigenden Teil der Lebenskurve,
das Wellental der zyklischen Periodizität des Lebens bezeichnet,
er ist der Anzeiger des „pathos“, der „passio“, der Störung, die
mit ihrer Ausgleichung zusammen die Krankheit ausmacht, das Merk¬
mal des Katabiotischen, welches schon jeder Funktion auf dem Fuße
wie ihr Schatten folgt, der Inbegriff der „Entartung“, d. h. des
Abweichens von Art und Regel. Sie bezeichnet den Weg von der
Reizung und Erregung, Ermüdung und Erschöpfung zu Lähmung
und Tod. Dem funktionellen Versagen entsprechen morphologische
Veränderungen im Sinne der Degeneration, und wo wir ihren Nach¬
weis noch schuldig sind, da hoffen wir auf die Beihilfe neuer
Methoden. Wenn Erschöpfung die Folge des O-Mangels, also Er¬
stickung ist, so hängt die Ermüdung unmittelbar mit ihr zusammen
als eine Wirkung der Ermüdungsstoffe, Erzeugnisse des anoxydativen
Zerfalles. Auf die Dauer führen sie aber zu Lähmung und Tod,
und ihr sichtbarer Ausdruck sind die . verschiedenen Abstufungen
der Degeneration bis zur Nekrobios^.vund Nekrose.
Ueber Organotherapie bei Diabetes mellitus.
Von Prof. Dr. Karl Loeolog und Prof. Dr. Ernst Vablen in Halle a.S.
Auf dem Kongreß für Innere Medizin im Jahre 1921 hat der eine
von uns 1 ) darauf hingewiesen, daß in der Behandlung des Diabetes
mellitus neben der außerordentlich wertvollen diätetischen Therapie
.doch immer unser Ziel sein müsse, die auf einer Insuffizienz der
inneren Sekretion des Pankreas beruhenden Störungen zu beseitigen.
Mit der vom Altmeister der Diabetestheräpie betonten Steigerung
der Toleranz durch Diät erreicht man in den allerwenigsten Fällen
dauernden Erfolg, wenn nicht eben immer von neuem durch ent¬
sprechende Diät diese Steigerung der Toleranz hervorgerufen wird.
Die großen Erfolge der experimentellen Pathologie in der Lehre
vom Zuckerstoffwechsel, welche in den Untersuchungen von v. M e -
ring und Minkowski ihren Ausgang nahmen, haben bewiesen, daß
das Pankreas Stoffe produziert und in den Kreislauf bringt, die die
intermediäre Zuckerzersetzung steigern.
Vahlen 2 ) hat sich nun seit vielen Jahren mit dieser Frage be¬
schäftigt, und es ist ihm gelungen, aus dem Rinderpankreas einen
Stoff zu isolieren, der die Zuckerzersetzung im Organismus zu steigern
imstande ist, wie in Versuchen an Tieren mit experimentellen Dia¬
betes bewiesen worden ist. Dieser als Metabolin bezeichnete Pan¬
kreasbestandteil konnte therapeutische Anwendung nicht finden, weil
er unter den Bedingungen, aie im Darm vorhanden sind, verändert
wird. ■
Es war daher notwendig, ein Derivat des Metabolins darzustellen,
welches diese Veränderung nicht mehr erfährt. Es fand sich nun,
daß in der Hefe ein dem Pankreasmetabolin sehr nahestehender und
dieselben Wirkungen enthaltender Stoff enthalten ist. Von diesem
Hefemetabolin konnte nun ein Derivat hergestellt werden, das nicht
mehr jenen obenerwähnten Umwandlungen im Darm unterliegt.
Dieses irreversible Metabolinderivat erwies sich zu therapeuti¬
schen Versuchen geeignet.
Es darf dies aber nicht verwechselt werden mit sonst bei Diabe¬
tikern angewendeten Hefepräparaten, sondern es handelt sich um
eine Substanz, die mit einem im Pankreas normalerweise vorhandenen
Stoff zwar nicht identisch, aber in seinen chemischen und physiologi¬
schen Eigenschaften sehr nahe verwandt ist. Es stellt also einen Er¬
satzstoff des durch innere Sekretion vom Pankreas produzierten Be¬
standteiles dar. Deshalb muß man die Anwendung dieses irre¬
versiblen Metabolinderivats gleichsetzen der des normalerweise im
Pankreas vorkommenden Metabolins. Es handelt sich also um eine
Ersatztherapie, die als Organotherapie bei Erkrankungen des Pan¬
kreas anzusehen ist.
Um die Wirkungsweise des Präparats genau festzustellen,
haben wir die Zuckerkranken zunächst durch Diät völlig entzückert,
was ja, wenn man die von Naunyn gemachten Vorschriften inne¬
hält, mit einiger Sorgfalt fast stets gelingt. Wir haben dann die
Toleranz für eine ganz bestimmte Menge Kohlenhydrate festgestellt
und dann weiter untersucht, wieviel Zucker bei der doppelten Menge
Kohlenhydrate in der Nahrung ausgeschieden wird. Dann haben wir
beobachtet, wie bei Darreichung des Vahlenschen Präparates auch
dieser Zucker verschwand.
Werden nur kleine Mengen des Präparats gegeben, so tritt ie nach
der Schwere des Falles in kürzerer odßr längerer Zeit nach dem
Aussetzen des Präparats der Zucker wieder auf. Bei größeren Mengen
des Präparates, bei längerer Darreichung konnte aber eine lange
Nachwirkung beobachtet werden.
Es gelang uns bei mehreren Patienten die Wirkung des Präparates
oft in mehreren Versuchen sicherzusteUen.
Frl. E. B., 36 Jahre alt, wurde vom 29. X. 1920 bis 9. III. 1921
behandelt. Sie litt seit etwa Jahr an den Symptomen eines schweren
Diabetes. Die Patientin schied bei freier Diät drei Liter Urin und
326 Gramm Zucker aus. Die Kranke wurde zunächst im November
*) K. Loening, Ueber Organotherapie de« Diabetes mellitus. Verb.D.Kongr,f.
Inn. M., Wiesbaden 1981. — •) E. Vahlen, Ueber den Einfluß bisher unbekannter Be¬
standteile des Pankreas auf den Zuckerabbau. 1. Mitteilung. Zscbr. f. physioL Cbem. 50,
S. 194; 2. Mitteilung, ebenda 90; S. 158. L. Mohr und E. Vablen-, Versuche mit Meta-
botin an diabetischen HttQden, ebenda 9Q, S. 198; E. Vahlen, Ueber Metabolin und
Antiboltn aus Hefe, ebenda 106; S. 133.
□ igitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSITV
218
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 7
und Dezember rein diätetisch behandelt, ohne daß eine dauernde
Hebung der Toleranz zu erzielen war. In einigen Vorversuchen wurde
dann die Erträglichkeit des Präparats erprobt. Es ergab sich, daß
selbst in größeren Dosen sich keinerlei unangenehme Nebenwirkungen
zeigten. Die Kranke schied schließlich Mitte Januar mit und ohne
Präparat bei völlig kohlenhydratfreier Nahrung keinen Zucker aus
(vgl. Tabelle I), nachdem sie in der Vorperiode 48, 42, 58 g Zucker
ausgeschieden hatte bei Aufnahme von 48 g Kohlenhydrate in der
Nahrung.
Es wurden ihr nun 112 g in der Nahrung gereicht, und sie er¬
hielt in den Tagen vom 21.—24. I. täglich 4mal 2 g des Präparates.
Sic schied an diesen Tagen im Durchschnitt 20 g, nach Aus¬
setzen des Präparats dagegen vom 25.-26. im Durchschnitt täglich
40 g Zucker aus.
Bei einem zweiten Versuch schied Frl. B., nachdem sie ebenfalls
ohne Kohlenhydrate vorher zuckerfrei war, vom 16.—19. II. bei eben¬
falls wieder 112 g Kohlenhydraten 42, 24 und 38 g Zucker aus. Dann
verschwand nach Darreichung des Präparats der Zucker vollständig,
nachdem sie allerdings den ersten Tag noch 30 g ausgeschieden
hatte. Auch nach dem Aussetzen des Präparats blieb die Kranke
bei der gleichen Menge von 112 g Kohlenhydraten noch die 14 Tage,
in denen sie bei uns war, zuckerfrei.
Wie aus der Tabelle I ersichtlich ist, gingen wir bei unseren
Versuchen von einem Zustand der Zuckerkranken aus, in welchem
mit und ohne Präparat dieselbe zuckerfrei war, in welchem also
die Bedingungen zur Hebung der Toleranz genau studiert werden
konnten. Es zeigte sich in dem ersten Versuch, daß in den Tagen
der Darreichung die Toleranz doppelt so groß war als in den Tagen,,
in denen kein Präparat dargereicht wurde. Noch deutlicher kommt
aber dieser Einfluß in dem zweiten Versuch zum Ausdruck, in dem
es gelang, nicht nur während der Darreichung des Präparats Zucker-
freiheit zu erzielen, sondern auch darüber hinaus die Toleranz er¬
heblich zu steigern.
Herr Q., schwerer Diabetiker, 23 Jahre alt. Er schied bei
340 g Kohlenhydraten in der • Nahrung bei der Aufnahme bis zu
10 Liter Urin mit 550 g Zucker aus. Er zeigte alle Erscheinungen
eines schweren Diabetes. Nach 33tägiger langsamer Entzuckerung
war er ohne Kohlenhydrate zuckerfrei und sdiied täglich 2—3 Liter
Urin aus. Während dieser Entzuckerung (die Tabelle II zeigt nur
einen Auszug davon) mußte erst eine gewisse Schulung des Kranken
stattfinden und Schwierigkeiten etwaiger Diätfehler überwunden wer-
Tabelle I.
Herr GL, schwerer Diabetiker, 23 Jahre alt.
Datum
Kohlen¬
hydrate in
d. Nahrung
Urinmenge
Zucker •/«
Oesamt¬
zucker
Therapie
26.-27 IV. 1920
340
10000
5-5
550
5.- 6. V. 1920
111
3750
49
184
9.-10. V. 1920
KM
3100
2-7
84
18.-19. V. 1920
—
2700
—
—
27.-28. V. 1920
45
3350
2-2
74
2&-29. V. 1920
45
3700
0-3
9
2 x 2 g des Prlparats
29.-30. V. 1920
45
4300
0-3
14
2 x 2 g des Prfiparats
a- 4. VI. 1920
106
3400
15
51
4.- 5. VI. 1920
106
4250
i n
72
5 - 6. VI. 1920
106
2250
14
32
6.- 7. VI 1920
106
3250
1 • 5
49
7.- 8. VI. 1920
106
3000
0-5
15
2 x 4 g des Präparats
8.- 9. VI. 1920
106
3750
—
—
2 x 4 g des Präparats
9.-10. VI. 1920
106
3000
2*2
71
10.-11. VI. 1920
106
3900
1*7
66
11.—12. VI. 1920
106
2760
—
—
2 x 4 g des Prlparats
12.-13. VI. 1920
106
3050
0-3
10,4
2x g des Prlparats
ia-14. VI. 1920
106
2800
0* 4
10
2 x 4 g des Prlparats
den, wie das ja bei schweren Diabetikern häufig ist. Der Kranke
schied dann am 27728. VI. bei 45 g Kohlenhydraten 74 g Zucker
aus; dagegen nach Darreichung des Präparats an den beiden folgen¬
den Tagen 9 bzw. 14 g, gewiß eine erhebliche Steigerung der
Toleranz. Dieselbe Wirkung trat deutlich zutage bei dem nächsten
Versuch, da der Kranke bei Einnahme des Präparats bei 106 g Kohlen¬
hydraten 15 und 0 g Zucker ausschied, hingegen ohne dasselbe an
den Vortagen 51, 72, 32 und 49 g. Das Resultat in einem dritten
Versuch vom 9.—14. VI. war das gleiche, d. h. unvergleichlich höhere
Toleranz unter der Wirkung des Präparats.
' Frl. O. K., 20 Jahre alt, wurde bei 56 g Kohlenhydraten nicht
zuckerfrei, sie schied noch etwa 10 g aus. Es wäre natürlich leicht
gewesen, sie durch völlige Entziehung der Kohlenhydrate zu ent¬
zückern. Wir gaben ihr aber zu diesem Zweck 2mal 3 g des Prä¬
parats,^ mit dem Resultat, daß sie schon den ersten Tag 0 g, den
zweiten 6, den dritten Tag wieder 0 g Zucker ausschied. Nach
Fortlassen des Präparats fanden sich 29, dann 48 g Zucker im Urin.
Eine Nachwirkung fand also bei dieser Dosis nicht statt. Am 5./6.1.
wurden 3mal 4 g des Präparats gegeben, Zuckerausscheidung: 15 g,
und dann wurde die Kohlenhydratmenge vorsichtig unter fortgesetzter
Darreichung des Präparats (3mal 4 g) auf 154 g gesteigert. Auch
hierbei blieo die Kranke zuckerfrei und schied erst bei 210 g Kohlen¬
hydraten (nun aber unter Fortlassen des Präparats) 36 und bis zum
26. /27. I. im Durchschnitt 25—30 g täglich aus. Hier scheint also
eine gewisse Nachwirkung vorzuliegen. Wir gaben dann jedoch vom
27. 28. I. wieder das Präparat, und der Zucker schwand bald. Bei der
Patientin, welche bis heute in ambulanter Behandlung steht, haben
wir stets von neuem die günstige Wirkung des Präparats beobachten
können.
Tabelle 11.
Jugendlicher Diabetiker, 20 Jahre alt.
Datum
Kohlen¬
hydrate in
d. Nahrung
Urinmenge
Zucker 0 /«
Oesamt¬
zucker
Therapie
27.-28. XII. 1920
56
1400
0*8
11 - 2
28.-29 XII. 1920
56
1300
0-9
11-7
29.-30 XII. 1920
56
1800
0-5
9*6
30.-31.XII. 1920
56
1500 0
—
—
2 x 3 g d. Prlpar.
I.-2. 1.1921
56
1600
0-4
6,4
2 x 3 « d. Prlpar.
2.- 3. 1.1921
56
1700
—
—
2 x 3 g d. Prlpar.
3.- 4. 1.1921
56
1600
1 8
29
4.- 5. 1.1921
56
1600
30
48
5.- 6. 1.1921
56
1400
1 • 1
15
3 x 4 g d. Prlpar.
bis 10-11. II. tlgl.
b.z.20.—21. 1.1921
bis. z. 154 g
1500-1700
—
2 x 3 g d. Prlpar.
21.-22. 1.1921
210
1400
2-6
36
b.z 26.-27. 1.1921
210
1600-2300
1 • 3—2 • 2
25-30
27.-28. 1.1921
210
1400
0-9
12
2 x 3 g d. Prlpar.
28.-29. 1.1921
210
1300
0-2
2-6
2 x 3 g d. Prlpar.
30.-31. I 1921
154
1800
—
—
2 x 3 g d. Prlpar.
b.z. 3.II. «länger
154
-
-
kein Präparat
Frau R., 64 Jahre alt, Zuckerkranke leichter Form, die bei 150 g
Kohlenhydraten 50 g Zucker ausschied, bei 66 g in der Nahrung
etwa 30 g, und die schon bei 38 g Kohlenhydraten zuckerfrei wurde,
also auch ohne völlige Entziehung der Kohlenhydrate in der Nahrung
eine erhebliche Toleranz besaß. Da die Frau infolge ihres Wohl¬
befindens und der schnellen Besserung das Krankenhaus bald ver¬
lassen wollte, um ihrem Beruf nachzugehen, wurden ihr, nachdem
sie zuckerfrei war, 4mal 2 g des Präparats gegeben mit dem Erfolg,
daß sie bei 112 g zuckerfrei war, dagegen schied sie an einem Ver¬
suchstag ohne Präparat 17 g Zucker aus, am folgenden Tag mit
Präparat war sie jedoch wieder zuckerfrei. Sie vertrug mithin bei
ihrer Entlassung mit Präparat 112 g Kohlenhydrate, während sie
vorher erst bei 38 g zuckerfrei wurde. Sie verließ daher schon nach
wenigen Tagen mit einer infolge der Darreichung des Präparats
erheblich gesteigerten Toleranz aas Krankenhaus.
Herr R., Mühlenbesitzer aus O., 52 Jahre alt. Seit mehreren
1ähren Diabetiker, will aber nie zuckerfrei gewesen sein. Er schied
bei 112 g Kohlenhydraten etwa 60 g Zucker aus. Es wurde nun,
ohne daß die Kohlenhydratmenge iri der Nahrung herabgesetzt wurde,
unter Darreichung von 3mal 2 g des Präparats bei ihm die Zucker¬
menge zunächst auf 20 g herabgedrückt. Nachdem er aber eine etwas
höhere Dose (3mal 4 g des Präparats) erhalten hatte, konnte innerhalb
zwei Tagen bei 112 g Kohlenhydraten völliges Fehlen der Trommer-
schen und Nylanderschen Reaktion erreicht werden. Auch die an*
fangs positive Azetonreaktion verschwand.
ln diesem Fall ist selbstverständlich der Einwand gestattet, daß
die Steigerung der Toleranz lediglich eine Folge der geregelten
Diät ist. Doch dürfte im allgemeinen auch bei leichteren Formen
des Diabetes in so kurzer Frist und ohne weitere Herabsetzung der
Kohlenhydratmengen in der Nahrung Zuckerfreiheit kaum zu erzielen
sein. Außerdem sei nochmals darauf hingewiesen, daß der Kranke,
welcher sich genau beobachtete und von einem Apotheker sich regel¬
mäßig Zuckerbestimmungen machen ließ, trotz Einhaltung einer be¬
stimmten Diät (aber wonl nie völliger Kohlenhydratenthaltung) nie¬
mals zuckerfrei gewesen war. Im späteren Verlauf ambulanter Be¬
handlung wurde R. auch bei 200 g Kohlenhydraten und Präparat
zuckerfrei.
E. J., 39 Jahre alt, Werkzeugmacher aus Halle. Vom 1.—27. IX.
1921 im Krankenhaus; seit 3 Wochen starker Durst, abgemagert,
völliges Schwinden der Libido. Familie gesund.
Bei der Aufnahme bei freier Diät 5000 ccm Urin mit 5,6o/o Zucker,
im ganzen 280 g Zucker. Bef Einschränkung der Kohlenhydrate
auf 108 g sank der Zucker auf 164 g. Der Kranke schied in den
3 Vortagen 157, 84, 164 g aus, also pro Tag 135 g, am ersten Tag,
an welchem das Präparat gegeben wurde, schied er noch 131 g
aus, an den drei weiteren Tagen dagegen 76, 57, 78 g, im Durch¬
schnitt mithin 70, dagegen an den drei folgenden Tagen, an welchen
das Präparat nicht mehr gegeben wurde, war die Zuckermenge 73,
110 und 145, daher pro Tag 109, obgleich an diesen Tagen 35 g
Kohlenhydrate weniger in der Nahrung gereicht wurden. Leider
eignete sich der Kranke nicht zu weiteren Untersuchungen, da er
nur schwer dazu zu bringen war, die vorgeschriebene Diät streng
innezuhalten. Immerhin geht aus diesem Versuch hervor, daß die
Zuckerausscheidung unter .der Wirkung des Präparats um etwa 50o/ 0
zurückging, und eine Nachwirkung mußte in dem Umstand erblickt
werden, daß bei Aussetzen der Darreichung die ausgeschiedene
Zuckermenge nur allmählich wieder anstieg.
Dem Umstand, daß der Untersuchte durch die Emährungs-
therapie, d. h.' durch völlige Entziehung der Kohlenhydrate, noch
keine erhebliche Toleranzsteigerung erworben hatte, ist es wohl
zuzuschreiben, daß J. unter Darreichung des Präparats nicht völlig
zuckerfrei wurde, wir möchten aber darauf hinweisen, daß er an
diesen Tagen eine deutliche Toleranz zeigte, da er 38 g Kohlen¬
hydrate weniger ausschied, als er in der Nahrung erhielt, während
er vorher eine Untertoleranz von etwa derselben Oröße gezeigt hatte.
In anderen Fällen konnte eine sichere Wirkung nicht, in dem
Maße festgestellt werden, da nicht genau entschieden werden konnte,
Digitized b'
Google
Original fro-m
CORNELL UNfVERSITV
16. Februar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
219
ob die schnelle Entzuckerung und die Steigerung der Toleranz auf
das Präparat oder die Entziehung der Kohlenhydrate zurückgeführt
werden mußte. Immerhin hatten wir auch in diesen Fällen den Ein¬
druck, daß infolge gleichzeitiger Darreichung des Präparats die Ent¬
zuckerung bedeutend schneller vonstatten geht, als ohne das Mittel.
Als Beispiel eines solchen Falles führen wir den folgenden an, der
bei der Aufnahme den Eindruck eines schweren Diabetes machte,
bei dem wir aber bei dem außerordentlich raschen Heruntergehen
der ausgeschiedenen Zuckermenge gar nicht dazu kamen, die Wir¬
kungsweise des* Präparats in der bisherigen exakten Weise zu prüfen.
H., 32 Jahre alt, Bergarbeiter, vom 4.-24. IV. 1921 im Kranken¬
haus. Seit Frühjahr 1920 starker Durst und Hunger bei zunehmender
Abmagerung. Der Patient bekam von Anfang an 4mal 3 g des Prä¬
parats, zu gleicher Zeit wurden innerhalb 3 Tagen die Kohlenhydrate
entzogen. Oie Urinmenge sank innerhalb dieser Tage von 7000 auf
1500 ccm, die Zuckermenge pro Tag von 546 g auf 7,5 g unter fast
völligem Schwinden der Azetonurie. Die Veröffentlichung weiterer
Fälle behalten wir uns vor.
Um die Erwartungen, die man an die Anwendung des Präparats
bei Diabetes mellitus knüpfen darf, einigermaßen überblicken zu
können, was durchaus notwendig ist, damit man nicht mit falschen
Voraussetzungen an die Kritik der klinischen Beobachtungen heran-
tritt, sind folgende Ueberlegungen notwendig. Das Präparat ersetzt
einen normalerweise in den Säften zirkulierenden Stoff, an dem
durch Erkrankung des Pankreas ein Mangel eintritt; dieses Defizit
muß dann gedeckt werden durch Zufuhr von außen.
Es handelt sich also bei der Darreichung des Präparats um eine
Substitutionstherapie, als deren Prototyp die Schilddrüsentherapie
gelten kann. Eine jede solche Ersatztherapie hat zur Voraussetzung,
daß die Krankheit, die man behandelt, eine Folge von Ausfalls¬
erscheinungen von seiten desjenigen Organs ist, durch dessen Dar¬
reichung als Ganzes oder als Bestandteil man einen Heilerfolg er¬
zielen will. Es kann also auch unsere Pankreassubstitutionstherapie
nur dort in Betracht kommen, wo die Störung im Zuckerhaushalt
zurückgeht auf eine Beeinträchtigung der endokrinen Pankreasfunk¬
tion, die eine Einwirkung auf die intermediäre Zuckerzersetzung hat.
Nicht alle Glykosurien sind auf Störungen jener Pankreasfunktion
begründet, daran zweifelt niemand; wie weit aber alle echten For¬
men von Diabetes mellitus einen solchen Ursprung haben, läßt sich
bisher nicht entscheiden. Indessen ist es nicht unwahrscheinlich,
daß unter dem Bilde des Diabetes mellitus Krankheiten von ver¬
schiedener Pathogenese in die Erscheinung treten.
Wertvolle Fingerzeige dürfen wir für unsere Substitutionstherapie
des Diabetes von der Schilddrüsenersatztherapie erwarten. Nach
Angabe der meisten Autoren müssen für eine erfolgreiche Therapie
des Myxödems Schilddrüsenpräparate während des ganzen Lebens
zugeführt werden. Es finden sich in der Literatur aber auch An¬
gaben von Dauerheilungen des Myxödems nach einmaliger, natürlich
über Monate sich erstreckender Behandlung mit den Ersatzpräparaten.
Doch wird die Glaubwürdigkeit dieser Mitteilungen angezweifelt.
Eine weitere wichtige Erfahrung der Schnddrüsentherapie ist
diese: Sind nach längerer Zeit erfolgter Darreichung von Schild¬
drüsenpräparaten die Myxödemsymptome verschwunden, so kann man
mit der Dosis erheblich, bis auf den zehnten Teil der ursprünglichen
herabgehen, um den gewonnenen Status aufrechtzuerhalten. Dann
aber folgt ein drittes Stadium, wo die Therapie auf längere Zeit
ganz unterbrochen werden darf, ehe die ersten Erscheinungen des
Myxödems wieder auftreten.
Dauerheilung durch Substitutionstherapie sind nach den Er¬
fahrungen der Schilddrüsentherapie sehr unwahrscheinlich. Sie sind
schließlich doch nur unter Voraussetzung einer funktionellen Re¬
stitutio in integrum des erkrankten Organe* denkbar, die etwa in
folgender Weise Zustandekommen könnte. Durch den Ausfall einer
endokrinen Funktion wird eine Reihe von Störungen geschaffen,
die auf das Ursprungsorgan wieder zurückwirken; dadurch kommt
ein Circulus vitiosus zur Ausbildung, in dem der primäre Ort der
Störung stets von neuem getroffen und sein geschwächter Zustand
nicht nur festgehalten, sondern dauernd verschlimmert wird. Die
Hyperglykämie infolge von Pankreaserkrankung schädigt alle Organ¬
zellen, also auch die des Pankreas, wodurch die primäre Ursache
der Hyperglykämie, die erlahmte endokrine Funktion des Pankreas,
noch weiter beeinträchtigt wird und fortlaufend um so mehr, je
langer die Hyperglykämie andauert und eine stete Steigerung erfährt.
Umgekehrt muß durch Herabdrücken oder Beseitigung der Hyper¬
glykämie dieser ineinander verflochtene Kreislauf von Schädigungen
aufgehoben und der endokrinen Funktion des Pankreas eine Mög¬
lichkeit zur Erholung gegeben werden. So dürfte auch die bekannte
Steigerung der Toleranz für Kohlenhydrate bei Diabetikern durch
geregelte Diät oder Hungertage zu erklären sein. Die endokrine
Funktion des Pankreas liegt darnieder, sie ist geschwächt, sie wird
sich aber erholen können, wie jede geschwächte Funktion, wenn die
an sic gestellten Ansprüche verringert werden; denn ganz allgemein
hat ein erkranktes Organ Ruhe nötig. Eine solche Gelegenheit des
Ausruhens wird der Tätigkeit der inneren Sekretion dadurch ge¬
boten, daß man einen Ersatzstoff in den Kreislauf bringt, der das
Pankreas von der Verpflichtung der Produktion entlastet. So wäre
das Zustandekommen von Dauerheilungen bei Diabetes mellitus durch
Substitutionstherapie wohl zu verstehen, speziell für solche Fälle,
wo es sich nicht um schwere anatomische Schädigungen handelt.
Aber natürlich würde es vollkommen verkehrt sein, mit derartigen
Erwartungen an unsere Diabetestherapie heranzutreten.
Wenn man auch bei dieser die Hoffnung auf Dauerheilungen
nicht grundsätzlich abweisen darf, so ist es doch keineswegs ge¬
stattet, das Urteil über den Wert unserer Diabetestherapie von aem
Vorkommen solcher Dauerheilungen abhängig zu machen, sie werden,
wenn sie überhaupt Vorkommen, immer nur Ausnahmen darstellen.
Das Wesentliche und Entscheidende jeder Substitutionstherapie ist
die direkte, unmittelbar zu beobachtende Wirkung des benutzten
Präparats, während der Dauer der Darreichung und kurze Zeit
danach. Eine solche festzustellen, ist die nächste Aufgabe und
entscheidet über prinzipielle Bedeutung und Brauchbarkeit. Auch
für die Schilddrüsentherapie des Myxödems ist eine dauernde Unter¬
brechung der Substitution nicht gestattet; es treten dann schließlich
doch die Symptome der Erkrankung wieder auf.
Die Wirkung des Präparats auf die Zuckeraus¬
scheidung kann negativ, unvollkommen oder voll¬
kommen sein. Negativ, d. h. ohne Einfluß auf die Glykosurie
muß die Wirkung des Präparats sein in allen Fällen von Diabetes
mellitus, wo die intermediäre Zuckerspaltung nicht gestört ist, ein
Mangel an Metabolin nicht besteht und demnach eine Substitutions¬
therapie nicht in Betracht kommt. Es folgt daraus, daß einzelne
negative Ergebnisse die prinzipielle Bedeutung unserer Diabetesthera¬
pie nicht in Frage stellen können.
Unvollkommen muß die Wirkung des Präparats sein, d. h.
zwar eine Verringerung, aber kein vollkommenes Versiegen der
Glykosurie erfolgen, wenn der Diabetes nicht ausschließlich auf
der Störung der intermediären Zuckerspaltung beruht, sondern noch
andere Ursachen vorhanden sind, auf die das Metabolin und also
auch sein Derivat nicht einwirken können.
Vollkommen kann die Wirkung sein, d. h. eine vollständige
Unterdrückung der Glykosurie nach Darreichung des Präparats ein-
treten, wenn die Störung im Zuckerhaushalt ausschließlich auf einen
Mangel an Metabolin beruht.
Was nun die Beweiskraft der mitgeteilten therapeutischen Ver¬
suche für die Wirksamkeit des Präparats betrifft, so ist der einzige
mögliche Zweifel der, es könnten die beobachteten Reduktionen des
Harnzuckers lediglich durch die geregelte Diät veranlaßt sein. Dem¬
gegenüber muß ausdrücklich darauf hingewiesen werden, wie es
gelungen ist, die Versuche derart anzuordnen, daß bei einem be¬
stimmten Niveau der Kohlenhydrattoleranz durch Eingeben oder
Weglassen des Präparats ein deutliches Schwanken der Zuckeraus¬
scheidung nach unten (sogar bis auf Null und über die Dauer der
Darreichung hinaus) oder nach oben erreicht werden konnte.
Aus den mitgeteilten Beobachtungen geht hervor, daß das Prä¬
parat in geeigneten Fällen und mit Berücksichtigung der Diät die
Toleranz für Kohlenhydrate zu steigern vermag. Ja, es ist zu er¬
warten, daß bei länger, etwa Monate dauernder Anwendung mit dem
Präparat noch bedeutend günstigere Erfolge zu erzielen sein werden,
als wir sie gefunden haben.
Aus der Heilstätte Ambrock bei Hagen i. W.
Ueber Flockungs- und Trübungsreaktionen bei Syphilis.
Von Dr. Ernst Meinicke.
Die Brutschrankmethode von Sachs und Georgi (M. m. W. 1919
Nr. 16) und meine D.M. (M.m.W. 1919 Nr.33) haben sich in
der Praxi» bewährt und werden in zahlreichen Laboratorien angewandt.
Als Nachteil dieser Reaktionen gegenüber der Wa.R. wurde es
empfunden, daß die Ablesung im allgemeinen erst nach etwa 24 Stun¬
den erfolgen kann und daß das Aolesen selbst, sei es mit bloßem
Auge, mit der Lupe oder dem Agglutinoskop, etwas umständlich
ist. Dold (M. KI. 1921 Nr. 31) wurde durch diese Schönheitsfehler
zu dem Versuch veranlaßt, an die Stelle von Flockungsreaktionen
eine Trübungsreaktion zu setzen. Er ging von dem Gedanken aus,
daß der sichtbaren Flockung im positiven Versuch immer eine
Trübung zeitlich vorangeht. Wenn es gelingt, diese Trübung dem
Auge sichtbar zu machen, so kann Zeit gespart werden, und es
ist auch technisch vielleicht einfacher, eine Trübung zu erkennen
als eine Flockung. Dold arbeitete eine entsprechende Methodik
unter Benutzung der Sachs sehen cholesterinierten Rinderherzextrakte
aus. Ich hatte vor kurzem durch das gütige Entgegenkommen von
Geh.-Rat Prof. Dr. W. Kolle Gelegenheit, in seinem Institut diese
Methode kennenzulernen und mich davon zu überzeugen, daß sie
mandie Vorzüge hat. Ich habe daher versucht, auch für meine
Pferdeherzextrakte eine Trübungsreaktion auszuarbeiten, und berichte
hier über diese Versuche. Zugleich möchte ich mit einigen Worten
auf die Geschichte der Flockungsreaktionen eingehen, da die neueren
Veröffentlichungen der Sachsschen Schule meiner Meinung nach
geeignet sind, die Kernfrage etwas zu verwischen. (Jkurs. f. ärztl.
Fortbild. 1921 H. 10, Arch. f.Derm. <u. Syph. 132.)
Als ich im Jahre 1917 (B. kl. W. 1917 S. 613) meine zweizeitige
Flockungsreaktion, die M.R., bekannt gab, lagen die Verhält¬
nisse folgendermaßen: Alle früheren Versuche, praktisch brauch¬
bare Flockungsreaktionen für Lues zu finden, waren gescheitert. Keine
der von den verschiedensten Autoren angegebenen Methoden hatte
der Kritik standgehalten. Es schien daher vielen Forschem höchst
zweifelhaft, ob es überhaupt jemals gelingen würde, eine Flockungs¬
reaktion zu finden, die ebenso charakteristisch für Lues wäre wie
die Wa.R. Mit meiner zweizeitigen Methode konnte ich
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
22U
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 7
zum erstenmal den einwandfreien Nachweis führen,
daß man die für Lues charakteristische Blutverände¬
rung tatsächlich durch eine Flockungsmethode zur
Darstellung bringen kann. Dieser Nachweis gelang mit den
leichen Organextrakten, die zur Wa.R. benutzt wer-
en. Diese beiden prinzipiell neuen experimentellen Tatsachen bilden
die Grundlage aller weiteren Arbeiten auf diesem Gebiet. Sie sind
auch der Anlaß zu den Untersuchungen von Sachs und Oeorgi
geworden.
Meine zweizeitige M.R. hat sich in der Praxis der Lues¬
diagnostik gegenüber der Konkurrenz der einzeitigen Methoden
nicht zu halten vermocht. Zwar ist sie, wenn sauber gearbeitet wird,
genau ebenso spezifisch wie die Wa.R. Aber sie verlangt eben ein
sehr exaktes Arbeiten und . ist etwas umständlich, während die ein¬
zeitigen Methoden robuster und einfacher sind. Deshalb erwies
sich die M.R. vielen ^ Laboratorien als unbequem. Bis zu
einem gewissen Grade ist es ein wenig beschämend, feststellen
zu müssen, daß die zweizeilige Methodik in der Human Bakteriologie
keinen festen Fuß zu fassen vermochte, während sie in der Veteri¬
närmedizin als Immunitätsreaktion bei der Serodiagnostik des Rotzes,
der Beschälseuche, des seuchenhaften Verfohlens und seuchenhaften
Verkalbens gute Dienste leistet. Die Schwierigkeiten der Methodik
scheinen daher doch, nicht unüberwindlich zu sein. Ich selbst ver¬
wende nach wie vor die zweizeitige M.R. zu wissenschaftlichen
Untersuchungen, zpr Prüfung und Einstellung neu hergestellter Ex¬
trakte und zur Kontrolle der übrigen Reagentien usw. Gerade die
Empfindlichkeit ^der zweizeitigen Versuchsanordnung ist für diese
Zwecke ein Vorteil.
Die erste Flockungsreaktion von Sachs und Georgi
(M. Kl. 1918 Nr. 33) brachte gegenüber der M.R. einen Rück¬
schritt. Einen Rückschritt insofern, als die erste Methodik
von Sachs und Georgi im Oegensatz zur M.R. nicht
streng für Lues spezifisch war und somit das Schick¬
sal aller vor der M.R. angegebenen Flockungsreaktionen teilte.
Sachs nud Georgi wählten nach meinem Vorgang zu ihren
Versuchen Organextrakte, die % zur Wa.R. geeignet waren. Sie
wählten tm Gegensatz zu mir und in Anlehnung an frühere
Versuche anderer Autoren die einzeitige Versuchsanordnung im
kochsalzhaltigen Medium. Ihre Methodik schließt sich eng der¬
jenigen von Porges und Meier an (B.kl. W. 1908 Nr. 15). Diese
Autoren ließen ihre Versuche, genau wie Sachs und Georgi, zuerst
einige Stunden im Brutschrank , bei 37° und dann über Nacht bei
Zimmertemperatur stehen und arbeiteten mit einer Versuchsflüssig¬
keit von annähernd physiologischem Salzgehalt. Der einzige Unter¬
schied gegenüber Sachs unaGeorgi ist, daß Porges und Meier
nicht Organextrakte, sondern eine Lezithinemulsion verwandten. Da
somit die Versuchsanordnung von Sachs und Georgi technisch
nichts prinzipiell Neues brachte, war es nicht zu verwundern, daß
sic, wie alle ihre Vorgängerinnen mit Ausnahme der M.R., mit dem
Nachteil der Unspezifizität belastet war.
Meine ausgedehnten experimentellen Untersuchungen über Flok-
rungsreaktionen hatten mich die optimalen Bedingungen für alle diese
Reaktionen kennen gelehrt. Diese Bedingungen, von deren Einhaltung
die Brauchbarkeit der Flockungsreaktionen unter allen Umständen
abhängt, sind für die einzeitigen Methoden folgende: Dauernder
Aufenthalt des Versuchs bei 37° und grundsätzliches
Vermeiden der Zimmertemperatur, Verwendung einer hoher-
prozentigen Kochsalzlösung, als es die physiologische ist, und Arbeiten
mit 0,3 ccm bzw. 0,2 ccm Serum anstatt nur mit 0,1 ccm, wie es
Sachs und Georgi taten. Meine entsprechenden systematischen
Versuche habe ich ausführlich in der Zschr. f. Immun. Forsch. 28
H. 3/5 (der Redaktion cingesandt am 25. X. 1918) veröffentlicht und
in der M. m. W. 1918 Nr. 49 ausdrücklich auf sie verwiesen. In
einer weiteren kritischen Arbeit (D. m. W. 1919 Nr. 7) habe ich auf
Grund dieser zum Teil schon weit vor die Veröffentlichung der
ersten Sachs-Georgi-Reaktion zurückreichenden experimentellen Er¬
fahrungen sofort vor Unspezifizitäten bei der ersten Sachs-Georgi-
Reaktion gewarnt — und der weitere Verlauf der Dinge hat mir
Recht gegeben. Ich habe ferner schon damals angegeben, wie mit
Erhöhung der Kochsalzkonzentration und vor allem mit konsequenter
Einhaltung der Brutschranktemperatur den Unspezifizitäten von Flok-
kungsreaktionen bei Wahrung genügender Schärfe abgeholfen wer¬
den kann. Diese kritische Arbeit in der D. m. W. ist anscheinend
anz in Vergessenheit geraten; ich habe sie wenigstens bei Gelegen¬
eren, wo sie wohl hätte zitiert werden können und auch hätte
zitiert werden müssen, nie t erwähnt gefunden. Tatsächlich hat
sich die Sachs-Oeorglsche Versuchsanordnung nach¬
träglich unter Berücksichtigung dieser zuerst von mir
und nicht von Sachs u.n4 : Georgi angegebenen» Grund¬
sätze zu einer spezifischen, praktisch brauchbaren
Reaktion umarbeiten lassen. Diese zweite Sachs-Georgische
Reaktion, die sog. Brutschrankmethode, die erst längere Zeit
nach meinen Veröffentlichungen zum ersten Male in einer Fußnote
in der M.m.W. 1919 Nr. 16 erwähnt wird, ist etwas prinzipiell
von der ersten Sachs-Georgi-Reaktion Verschiedenes.
Das grundsätzlich Neue an ihr ist die Verwendung
der Brutschranktemperatur während der gesamtenVer-
suchsdauer, also die Beachtung des von mir aufgestellten Postulats.
Wenn die Sachs sehe Schule'es jetzt so darzustellen sucht, als
ob die Brutsch^ankinethode nur eine ganz geringe Modifikation der
ersten Sachs-Georgi sehen Methode sei, so muß ich dagegen
Stellung nehmen. Die erste Sächs-Qeorgi-Reaktion ist
methodisch dasselbe wie die Reaktion von Porges und
Meier, mit der Einschränkung, daß Sachs und Georgi nach meinem
Vorgang als Lipoidsystem Organextrakte benutzen. Die erste
Sachs-Georgi-Reaktion verfolgte außerdem ein theo¬
retisches Prinzip, das sich in der Folge nicht hat hal¬
ten lassen. Es war die ausgesprochene Absicht von Sachs und
Georgi, ihre Versuchsanordnung der Wa.R. möglichst genau an¬
zupassen, da sie sich davon besondere Vorteile versprachen. Dieses
ihr Prinzip, das in Anbetracht der verschiedenen Indikatoren der
beiden Vergleichsmethoden von Anfang an efwas schief gedacht
war, haben die Autoren bei ihrer zweiten Reaktion nach und nach
restlos fallen lassen. Sie haben sich in prinzipiellem Gegensatz zu
ihrer früheren Auffassung allmählich meinen grundsätzlichen An¬
schauungen angepaßt und ihre neue Versuchsanordnung auf die vonf
mir gefundenen optimalen Bedingungen der Flockungsreaktionen (Blut-
schranktemperatur, größere Serummenge, höhere Kochsalzkonzentra¬
tion) eingestellt (Arch. f. Derm. u. Syph. Bd. 132). Das ist ein durch¬
aus neues und nunmehr auch richtiges Prinzip. Die zweite Sachs-
Georgi-Reaktion, die Brutschrankmethode, ist daher
nicht nur eine unwesentliche, harmlose Modifikation
der ersten, als die sie jetzt, nachdem alles gut gegangen ist, gern
hingestellt wird. Sie ruht vielmehr, wie auch Sachs und Georgi
in einer früheren Arbeit (M. m. W. 1920 Nr. 3) selbst zugegeben haben,
auf den von mir bekanntgegebenen experimentellen Befinden. Damals
waren Sachs und Georgi in rechter Sorge wegen der Unspezifi¬
zitäten ihrer ersten Methodik und hatten mich als Kronzeugen dafür
nötig, daß ihre zweite Versuchsanordnung, die Brutschrankmethode,
nun besser begründet sei. Die Zeiten sind jetzt längst vergessen.
Erst diese zweite Sachs-Georgi-Reaktion erwies sich,
wie meine zweizeitige M.R., als spezifisch für Syphi¬
lis und somit als brauchbar für die Praxis.
Meine einzeitige dritte Modifikation (M.m.W. 1918
Nr. 49, D. m. W. 1919 Nr. 7, Zschr. f. Immun.Forsch. 28 H. 3/5)
war von Anfang an, ebenso wie die M.R., spezifisch
für Lues; aber sie war zunächst noch nicht scharf genug.
Diesem technischen Mangel konnte ich durch die Bereitung besserer
Extrakte abhelfen und berichtete darüber in der M. m. W. 1919
Nr. 33. Die seitdem als D. M. in der Literatur bekannte Reaktion
bildet somit lediglich den praktischen Niederschlag meiner schon
lange vorher in theoretischen Arbeiten mitgeteilten experimen¬
tellen Erfahrungen, wie jederzeit eine Lektüre dieser Arbeiten be¬
stätigen wird. Die Veröffentlichungen von Sachs und Georgi sind
nur insofern ein Stimulans für die prompte Ausarbeitung dieser prak¬
tischen Zwecken dienenden Reaktion gewesen, als die Erfahrung
bald lehrte, daß Nachuntersucher sich lieber mit der einzeitigen
als mit der zweizeitigen Methodik beschäftigten. Ich muß daher
dagegen protestieren, wenn neuerdings der findruck erweckt wird,
als sei die D. M. nicht viel mehr als eine kleine Modifikation der
Sachs-Georgi-Reaktion und als sei mein originaler Anteil au der
Serodiagnostik der Lues mit der Ausarbeitung einer zwei zeitigen
Methode erschöpft (Sachs, Arch. f. Derm. u. Syph. 132). Demgegen¬
über muß festgesteüt werden: Die erste Sachs-Georgi-Reaktion
war von einem falschen Prinzip ausgegangen; daher die Benutzung der
fehlerhaften Zimmertemperatur für den größten Teil der Versuchsdauer.
Die erste Sachs-Georgi-Reaktion war wegen Unspezifizität für die
Praxis nicht geeignet. Die zweite, umgearbeitete Sachs-Georgi-
Reaktion, die sog. Brutschrankmethode, ist entstanden aus
der Anwendung der von mir gefundenen und von Sachs
und Georgi bestätigten experimentellen Grundsätze auf
das besondere System der Sachsschen cholesterinier-
ten Rinderherzextrakte. Auf den gleichen Grund¬
sätzen ruht meine D. M. Beide Reaktionen sind somit
Gewächse des gleichen von mir beackerten Bodens.
Es liegt mir bei diesen Feststellungen durchaus fern, die Ver¬
dienste von Sachs und Georgi irgendwie schmälern zu wollen.
Die letzten Veröffentlichungen von Sachs zwingen mich aber zu
den vorstehenden geschichtlichen Feststellungen. Es ist doch wohl
so, daß jeder vom andern gelernt hat und daß die Sachs-Georgi-
Reaktion und die D. M. eben durch die gegenseitige Förderung, die
unsere Arbeiten uns brachten, zu dem geworden sind, was sie sind,
nämlich zu brauchbaren Methoden der Luesdiagnostik.
Im Orunde unterscheiden sich jetzt, nachdem Sachs zu größeren
Serummengen, zur Empfehlung einer höheren Kochsalzkonzentration
und vor allem zum dauernden Brutschrankaufenthalt übergegangen ist,
Sachs-Georgi-Reaktion und D. M. nur noch durch die Verschie¬
denheit der benutzten Extrakte, wie Sachs selbst mit
Recht hervorhebt. Sachs und Georgi haben die von Sachs für
die Wa.R. angegebenen cholesterinierten Rinderherz-
extrakte für ihre Reaktion verwandt. Ich habe aus Pferdeher¬
zen besondere Extrakte für meine Flockungsreaktionen her-
gestellt. Dabei leiteten mich meine Erfahrungen mit den von mir
angegebenen sog. Extraktvorproben, die auf Trübung bzw.
Fällung der reinen Extrakte (ohne Serum) durch abgestufte Mengen
Wasser und Kochsalz beruhen (M.m.W. 1919 Nr.33). Die Vorproben
hatten mich gelehrt, daß Extrakte, die mit größeren Dosen physio¬
logischer Kochsalzlösung stark getrübt und ausgeflockt werden, sich
schlecht zu Flockungsreaktionen eignen. Durch vorhergehende Aether-
extraktion war es mir gelungen, die störenden trübenden und fäll¬
baren Stoffe aus dem Pferdeherzpulver zu entfernen und Extrakte zu
gewinnen, die bei Zusatz der doppelten Menge physiologischer Koch-
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
16. Februar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
221
Salzlösung fast klar bleiben. Diese Extrakte erwiesen sich als außer¬
ordentlich brauchbar für alle meine Reaktionen, sowohl für Menschen-
wte für Tiersera. Ich lege Wert darauf, daß sich diese Extrakte rein,
ohne jeden Zusatz, verwenden lassen, während die von Sachs
benutzten Rinderherzextrakte an und für sich nicht brauchbar sind,
sondern ihre Brauchbarkeit erst durch den Zusatz von Cholesterin
erlangen. Die Einführung des Cholesterins in die Luesdiagnostik
wird Sachs immer als sein ganz besonderes Verdienst betrachten
dürfen.
Dold hat nun in seiner Arbeit über die Trübungsreaktion
angegeben, daß sich meine Pferdeherzextrakte nicht für diese Methode
eigneten. Ich habe die Pferdeherzextrakte in den verschiedensten
Versuchsanordnungen ausprobiert und bin zu dem gleichen negativen
Ergebnis wie Dold gelangt. Für eine Trübungsreaktion muß die
Extraktverdünnung aus naheliegenden Gründen verhältnismäßig klar
sein, darf jec^nfalls nur schwach opaleszieren. Verdünnt man meine
gebrauchsfertigen Pferdeherzextrakte so, daß sie nur opaleszieren,
dann sind sie regelmäßig zu schwach, sei es, daß eine stärkere
Trübung der Verdünnung durdi schnelles Verdünnen oder Herab¬
setzung der Konzentration vermieden werden sollte.
Bei meinen weiteren Versuchen leitete mich nun
folgender Gedanke: Wenn die alkoholischen Rinder¬
herzextrakte, die ohne Zusatz von Cholesterin für
alle Luesreaktionen zu schwach sind, durch Zugabe
von Cholesterin zu brauchbaren Extrakten gemacht
werden können, so ist zu erwarten, daß meine an und
für sich schon zu Flockungsreaktionen geeigneten
Pferdeherzextrakte durch Cholesterin in ihrer Wirk¬
samkeit noch weiter gesteigert werden können. Es
war zu hoffen, daß sie sich nach Cholesterinzusatz besser zu Trü¬
bungsreaktionen eignen würden als die Rinderherzextrakte. Meine
Versuche haben diese Vermutung durchaus bestätigt. Zur Kontrolle
standen mir zwei diolesterinierte Rinderherzextrakte zur Verfügung,
die ich der Liebenswürdigkeit von Prof. Dold (Marburg) und Dr.
Niederhoff (Frankfurt) verdanke. Beide Extrakte sollten sich nach
brieflicher Mitteilung gut für die Trübungsreaktion eignen.
In der Versuchsanordnung schließe ich mich eng dem Vorgehen
von Dold an. Die gebrauchsfertigen Pferdeherzextrakte, wie sie
von der Adlerapotheke in Hagen i. W. ausgegeben werden, ver¬
dünne ich im Verhältnis von 2 Teilen Extrakts auf 3 Teile 96°/oigen
Alkohols und füge zu 10 ccm dieser Verdünnung 1 ccm einer 1 %igen
alkoholischen Cholesterinlösung. Von diesen cholesterinierten Extrak¬
ten gebe ich eine bestimmte Menge in ein Kölbchen und lasse aus einer
Pipette schnell die lOfache Menge einer 2o/ 0 igen Kochsalzlösung
zufließen. Die fertige Extraktverdünnung ist dann leicht opaleszierend.
Als Kontrolleflüssigkeit verwende ich nicht verdünnten
Alkohol wie Dold, sondern einen stark verdünnten Extrakt,
dessen Opaleszenzgrad genau auf denjenigen des
Versuchsextrakts eingestellt wird. Für diesen Zweck be¬
währte sich ein sog. Aetherauszug aus Pferdeherzen. Ich lasse den
Aether, mit dem ich das Pferdeherzpulver bei Herstellung meiner
Flockungsextrakte primär ausgezogen habe, verdunsten und nehme
dann das ausfallende Sediment mit der gleichen Menge 96°A>igen
Alkohols auf. Diesen sog. Aetherauszug (Zschr. f. Imm. Forsch. Bd. 29
H. 3/4) verdünne idi mit Alkohol etwa aut 1:15 und setze dann einem
beliebigen Quantum die lOfache Menge 2<>/oiger Kochsalzlösung zu,
sodaß die Kontrolleflüssigkeit den gleichen Alkohol- und Salzgehalt
hat wie der Versuchsextrakt. Durch rlinzufügen von Kochsalzalkohol’
lö6ung bzw. durch weniger starkes Verdünnen als 1:15 kann man
Mcht für jeden beliebigen Pferdeherzextrakt eine Kontrollflüssigkeit
von ganz genau der gleichen Opaleszenz erzielen. Diese Vergleichs-
föiung trübt die Sera nicht, sondern läßt sie vollkommen klar. Die
Sichenieit der Ablesung gewinnt aber außerordentlich dadurch, daß
mm Hauptversuch und Vergleichsröhrchen genau den gleichen Opa¬
leszenzgrad aufweisen.
Den Versuch selbst setze ich fast ebenso an, wie Dold angegeben
hat. Ich füge zu je 0,4 ccm Serum (Vi Stunde bei 55° inaktiviert!
2 ccm des Versuchsextrakts bzw. des Kontrollextrakts und lese nacn
2—3stündigem Brutschrankaufenthalt den Trübungsgrad ab. Als Ver-
gfeichsversuche ließ ich die cholesterinierten Rinderherzextrakte in
der Doldsdien Versuchsanordnung mitlaufen. Derartige Ver-
gl ei chs versuche haben übe re in stimmend jedesmal
eine Ueberlegenheit meiner cholesterinierten Pferde¬
herzextrakte über die Rinderherzextrakte gezeigt. Die
Trübung der positiven Sera trat im allgemeinen früher und stärker
ein als bei den Rinderherzextrakten. Bei einem Teil der positiven
Sera gaben nur meine Extrakte Trübung, nicht aber die Rinder¬
herzextrakte. ;
Die Unterlegenheit der Rinderherzextrakte in der Trübungs¬
reaktion, die etwas im Oegensatz zu der guten Wirksamkeit steht,
die idi in Frankfurt selbst an ihnen beobachten konnte, findet wohl
in meinem Serummaterial ihre Erklärung. Ich kann zu meinen wissen¬
schaftlichen Versuchen immer nur mit denjenigen Seren arbeiten,
die schon im Hagener bakteriologischen Laboratorium geprüft sind.
Da dieses Laboratorium die Wa. R. und meine D. M. nur einmal
wöchentlich anstellt, sind die Sera, wenn ich sie bekomme, also zum
Teil schon mindestens 8 Tage, sicher aber immer mehrere Taqe alt.
Ganz frische Sera stehen mir nur von meinen Heilstättenpatienten
zur Verfügung. Es hatte sich nun schon bei der Sachs-Georgisehen
Flockungsreaktion gezeigt , daß ältere positive Sera durch die
Rinderiierzextrakte oft nicht mehr angezeigt werden, während sie
mit meinen Pferdeherzextrakten noch glatt ausflocken. Genau das
Gleiche habe Ich jetzt bei der Trübungsreaktion beobachtet.
Ich sehe den Grund für die Ueberlegenheit der
Pferdeherzextrakte in ihrer besseren qualitativen Zu¬
sammensetzung. Sie stammen aus entfettetem Material (primäre
Aetherextraktion, sekundäre Alkoholextraktion) und sind daher frei
von denjenigen störenden ätherlöslichen Substanzen,
die in den Sachsschen Rinderherzextrakten noch ent¬
halten sind. Tn meinen Vorproben drückt sich die qualitative Unter¬
legenheit der Rinderiierzextrakte darin aus, daß sie sich noch beim
Zusatz der doppelten Menge physiologischer Kochsalzlösung stark
trüben und nach einiger Zeit ausflocken, während meine Pferaeherz-
extrakte im Vergleichsröhrchen nur eine ganz schwache Opaleszenz
aufweisen.
Laßt man den Trübungsversuch über Nacht im Brutschrank stehen,
so tritt im allgemeinen in allen Röhrchen eine schöne Ausflockung
ein. Ein Teil der positiven Sera flockt äber nicht aus, sondern bleibt
nur mehr oder weniger stark getrübt. Zu einer Flockungsreaktion
eignen sich die stark verdünnten cholesterinierten Pferdeherzextrakte
demnach weniger gut als die konzentrierten cholesterinfreien, wie sie
von der Adlerapotheke in Hagen abgegeben werden.
Ich habe auch versucht, einer vorschriftsmäßig für die D.M. mit
2o/oiger Kochsalzlösung hergestellten Extraktverdünnung nachträglich
Cholesterin zuzufügen. Wenn man schnell arbeitet, geht das technisch
ganz gut. Derartige Extraktverdünnungen flocken nach kurzer Zeit
spontan aus. Im Serumversuch zeigen sie gegenüber den cholesterin¬
freien Originalextrakten keine Vorzüge, lm Gegenteil: es wird den
Extrakten mit dem Cholesterin eine unspezifische Komponente zu-
« . Das Cholesterin eignet sich somit bei Verwendung meiner
herzextrakte nicht für Flockungs-, sondern lediglich für Trü¬
bungsversuche. Es ermöglicht das Arbeiten mit dünnen, nur schwach
opaleszierenden Extrakten, wie sie für Trübungsreaktionen allein in
Frage kommen können.
Meine Versuche über eine Trübungsreaktion nach Dold sind
nach dem oben Dargelegten unter Verwendung cholesterinterter Pferde¬
herzextrakte sehr ermutigend verlaufen. Ich verkenne natürlich nicht,
daß einer nach kurzer Zeit abzulesenden Trübungsreaktion gewisse
Bedenken entgegenstehen. Ein Teil der positiven Sera hat dann
vielleicht noch nicht genügend reagiert und wird daher nicht erkannt.
Auch ist die sichere Beurteilung ganz schwacher Reaktionen nicht
leicht. Ein Teil der negativen Sera hat vielleicht eine flüchtige
Trübung gezeigt, die nach längerem Brutschrankaufenthalt wieder
verschwinden würde, und kann daher fälschlicherweise als positiv
gebucht werden (derartige Fälle sind mir in praxi allerdings noch
nicht vorgekommen). Das sind unzweifelhaft Möglichkeiten, mit denen
gerechnet werden muß.
Ich sehe aber trotzdem in der Ablesung der Trübung
einen so wesentlichen Fortschritt an Zeitersparnis
und Bequemlichkeit, daß ich die weitere Nachprüfung
empfehlen möchte. Es darf doch auch nicht vergessen werden,
daß die Sachsschen Extrakte und meine eigenen ursprünglich für
Flockungsreaktionen bereitet sind und nicht für Trübungs¬
reaktionen. Man muß sich einmal grundsätzlich von dem Gedanken
freimachen, daß eine Luesreaktion unbedingt eine Flockungsreaktion
sein müßte. Wenn man dann sein System ausdrücklich auf eine
Trübungsreaktion einstellt, dann wird es voraussichtlich im Laufe
der Zeit gelingen, die Trübung durch Aenderung der Methodik zu
verstärken und die Reaktion damit zu verbessern. Es wäre dabei im
Prinzip gleichgültig, wenn darunter die Flockung litte. Als Extrakt¬
grundlage für solche Versuche möchte ich nach meinen
bisherigen Erfahrungen an erster Stelle die entfet¬
teten Pferdeherzextrakte mit Cholesterinzusalz emp¬
fehlen. Sie scheinen mir den cholesterinierten Rinder¬
herzextrakten an Schärfe weit überlegen zu sein.
Aus dem Hamburgischen Nordseehospital „Nordheimstiftung"
Sahlenburg-Kuxhaven. (Leitender Arzt: Prof. J. Wieting.)
Ueber die Häufigkeit der Wassermannschen bzw. der
Ausflockungs-Reaktion bei Kindertuberkulose.
VonJDr. E.Räscber.
Daß Lues und Tuberkulose bei ein und demselben Kranken
gleichzeitig Vorkommen können, ist eine allgemein bekannte Tat¬
sache. Ueber die Häufigkeit dieser Erscheinung liegen jedoch, so¬
weit ich die neuere Literatur überblicken kann, wenige Veröffent¬
lichungen vor. TT"*
Camons (Frankreich) erklärt das gleichzeitige Vorkommen von
Syphilis und Tuberkulose als eine häufige Erscheinung und er¬
hebt daher die Forderung der Anstellung der Wa.R. in jedem Falle
von Tuberkulose. Wesentlich anders lautet das Ergebnis von Elliot
(Michigan-Universitäts-Hospital); er berechnet nur 3—5<>A>, wenn es
sich um Tuberkulose und Lues I und II handelt; bei älterer Syphilis
jedoch gibt auch er ein häufigeres Zusammentreffen dieser beiden
Erkrankungen zu. Corydon Snow und Alexander Cooper
berichten über ein seltsames Untersuchungsergebnis: sie fanden näm¬
lich bei 290 tuberkulösen Kranken nur äußerst selten — jeden-
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
222
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
falls nicht häufiger als bei tuberkulosefreien Menschen — eine
positive Wä.R. bei Verwendung von nichtcholesterinierten Meer¬
schweinchen- oder Menschenherzextrakten; jedoch gaben dieselben
290 tuberkulösen Patienten in 31 o/o eine schwache bis starke Re¬
aktion, wenn sie 0,4% Cholesterin enthaltendes Mensdien-Meer*
schweinchenherzextrakt verwandten. Die Deutung dieser Erscheinung
dürfte Sache der Serologen sein.
Wir unterzogen nun 120 tuberkulöse Patienten un¬
serer Anstalt, Kinder im Alter von 2—14 Jahren, mit nichtviszeraler
und viszeraler (fast nur Hilusdrüsen-) Tuberkulose, einer Blutunter¬
suchung auf Wa.R. und Ausflockung. Ausgeführt wurde diese
in dankenswerter Weise vom Hygienischen Institut zu Hamburg.
Bei positiver Wa.R. wird es sich in Anbetracht des Alters der
Untersuchten in der Hauptsache um gleichzeitige Lues congenita
handeln.
Aus der folgenden Tabelle ist das Ergebnis ersichtlich; sämt¬
liche positiven Fälle wurden einer doppelten Untersuchung unter¬
zogen^__
Falle
Ausflockung u.
Wa.R.
+
Nur
Ausflockung
+
Tuberkulose der Knochen und Qelenke.
02
3
5
Weichteil- bzw. Drllsen-Tuberkulose . .
28
3
2
Innere (viszerale) fast nur Hilusdrüsen*
Tuberkulose.
30
1
4
Zusammen.
120
7
11
Falle die zunächst positiv, bei nochmaliger Untersuchung negativ waren,
sind nicht berücksichtigt.
Unter den 7 Fällen mit positiver Wa.R. waren 3 Fälle, bei
denen trotz teilweise starker Tuberkulinempfindlichkeit die Dia¬
gnose auf gleichzeitige Lues klinisch bereits vorher
gestellt werden konnte, also der positive Ausfall der Wa.R. nichts
weiter als ^ine serologische Bestätigung der klinischen Diagnose
bedeutete. Auf nähere Erläuterung der klinischen Symptome soll
hier wegen Platzmangel nicht eingegangen werden.
I Fall als Tuberkulose überwiesen — multiple Zerfallsherde am
rechten Unterarm, Iridozyklitis, vermehrte Hiluszeichnung — war
bei stark positivem Pirquet klinisch nicht einwandfrei zu diagnosti¬
zieren; hier gab der stark positive Ausfall der Wa.R. den Anlaß zu
einer antiluischen Behandlung, unter der die klinischen Symptome
schnell abheilten.
Bei den 3 letzten Fällen mit positiver Wa.R. lag jedoch klinisch
keinerlei Anlaß für den Verdacht einer gleichzeitigen
luischen Affektion vor, sodaß hier der Blutbefund eine
gleichzeitige latente Lues — das heißt, wenn wir positive Wa.R.
= Lues setzen — erst aufdeckte, da die Krankheitserscheinungen
als tuberkulös angesehen werden mußten.
II Fälle zeigten keine positive Wa.R., wohl aber 2mal positive
Ausflockung. Da nach v. Wassermann — v. Outfeld (Zschr.
f. ärztl. Fortbild. 1921 Nr. 12) Ausflockung und Wa.R. das Vor¬
handensein bzw. die Abwesenheit desselben Luesantikörpers zur Dar¬
stellung bringen, so müßten auch diese 11 Fälle als luisch infiziert
angesehen werden. Erwähnen muß ich noch, daß unter diesen
Fällen nicht einer war, bei dem klinisch der Verdacht auf gleich¬
zeitige luische Affejction irgendwie gerechtfertigt gewesen wäre.
Die praktische Nutzanwendung obiger Untersuchungsergebnisse
dürfte die Frage unseres therapeutischen Verhaltens
gegenüber den einzelnen Gruppen sein. Bevor wir hierfür Richtlinien
angeben, müssen wir uns darüber klar werden, ob der positive
Ausfall der Wa.R. bzw. der Ausflockung auch bei Fehlen jeglicher
klinischer Symptome einer latenten Lues gleichzusetzen ist, oder ob
wir in diesen Tällen eine unspezifische Reaktion annehmen
wollen.
Von großer Bedeutung dürfte zunächst die von v. Wassermann
neuerdings angegebene Bestätigungsreaktion sein, durch die
es möglich ist nachzuweisen, „ob die im Serum gefundene positive
Wa.R. tatsächlich auf dem Vorhandensein des Reaktionskörpers oder
auf anderen Ursachen (Versuchsfehler) beruht“ (v. Gutfeld).
Von Interesse für die vorliegende Erörterung ist der Standpunkt
Gennerichs (M. m. W. 1921, Nr. 20), der behauptet, „daß es sich
bei der Wa.R. um einen Teil einer Gruppenreaktion des spe¬
zifisch fermentativen Abftehrvorganges handelt, der in
den Lymphozyten präformiert ist und beim Zerfall derselben
frei wird. Auch Extrakte von Lymphdrüsen, die durch irgendeinen
infektiösen, hauptsächlich aber tuberkulösen Prozeß heterologi-
siert und erweicht sind, geben positive Wa.R.“ Und weiter sagt er
in dieser Arbeit: „Die in der Blutbahn auftretenden Lymphdrüsen-
fermente können sogar bei diesen nichtsyphilitischen Prozessen eine
positive Wa.R. im Blut herbeiführen, dieses aber nur dann, wenn
eine eingetretene Anaphylaxie auf eine Ueberschüttung des Organis¬
mus mit dem entarteten Eiweiß hinweist.“ Ein außerordentlich
großer Abstand im Gehalt an Wassermannschen Reaktionsstoffen
zwischen syphilitischen und tuberkulösen Drüsen ist allerdings nach
Gennerich vorhanden. Auftreten einer positiven Wa.R. bei Schar¬
lach, Lepra. Rückfallfieber, Fleckfieber, Karzinomen und anderem
mehr sind bekannte Tatsachen. Daß ferner oft Unstimmigkeiten
zwischen Wa.R. und dem klinischen Befund bestehen, *st eine nicht
so seltene Erscheinung. Ratschläge, wie der Arzt sich bei solchen
Nr, 7
Unstimmigkeiten verhalten soll, gibt Heller in der Zschr. f. ärztl.
Fortbild. 1921, Nr. 11. Einiges aus dieser Arbeit, was für die vor¬
liegende Frage von Bedeutung ist, sei noch mitgeteilt: „Am schwie¬
rigsten“, so schreibt er, „ist die Sachlage, wenn klinisch kein.
Anhaltspunkt für Syphilis vorliegt, die Wa.R. aber positiv ausfällt.
Auf ganz schwache Reaktionen ist kein Wert zu legen; bei starker
oder stark positiver Reaktion verlasse man sich niemals auf eine
Untersuchung. Ein vorsichtig abwartendes Verhalten bringt keinen
Schaden. Der Serologe kann und soll den Diagnostiker nicht er¬
setzen. Ich persönlich stehe auf dem Standpunkte, daß gelegentlich
auch unspezifische Reaktionen Vorkommen können. Ich Betone, daß
die Wa.R. für mich kein Symptom ist, das um jeden Preis zu be¬
seitigen ist.“
Vor einer „Ueberschätzung der Wa.R.“ warnt auch Buschke
(M. Kl. 1921, Nr. 271. Diese Reaktion ist nach Buschke „als ein
schwankendes, unsicheres Symptom der Lues aufzufassen, was im
besten Falle zur Unterstützung und Bekräftigung der klinischen
Ueberlegung dienen kann, das aber wenigstens im wesentlichen nicht.
für sich allein die Direktive für Diagnose, Therapie und Prognose
geben darf“. Er bezeichnet die positive Reaktion mit
Umber als nichts weiter als einen „biologischen
Schönheitsfehler“.
Ich nahm vorstehende Erörterungen den therapeutischen Richt¬
linien, wie diese wohl für die einzelnen Oruppen zweckmäßig auf¬
zustellen wären, vorweg, da diese sich in den Gedankengängen-
obiger Erläuterungen bewegen.
Gruppe I, tuberkulin-positive Kranke, bei denen die
Diagnose auf gleichzeitige Lues auf Grund klinischer
luetischer Symptome gestellt werden konnte, ist einer
spezifisch antiluischen Behandlung zu unterziehen,
um die klinischen Symptome einer Heilung zuzuführen. Ist letzteres
gelungen, so ist, wenn nötig, die Tuberkulose therapeutisch anzu¬
gehen mit den uns gegen diese zu Gebote stehenden Heilmitteln.
Wir werden hier also zweckmäßig zunächst die Lues und erst in
zweiter Linie die Tuberkulose behandeln. Dies gilt auch für solche
Fälle, wo beide Krankheiten klinisch in Erscheinung treten. Unsere
Therapie muß hier, wie Schröder (Schömberg) sagt, „den -für das
Gedeihen des Tuberkelbazillus so günstigen luischen Boden im
antituberkulösen Sinne zu bessern suchen, d. h. die Lues so energisch
angreifen, daß sie latent wird und heilt“; vorausgesetzt, daß die
Syphilis wirklich einen so günstigen Boden für die Tuberkulose abgibt.
Bei Gruppe II, wo die klinischen Symptome bei starker
Tuberkulinempfindlichkeit nicht einwandfrei ihrerAetio-
logie nach sichergestellt werden können und wo die Wa.R. ein
deutlich positives Resultat zeigt, ist eine vorsichtige
antiluische Kur einzuleiten, die in diesem Falle gleich¬
sam ex juvantibus die Diagnose bestätigen wird. Zeigt sich der
Erfolg der antiluischen Kur, so ist diese energisch fortzusetzen.
Andernfalls ist die antiluische Therapie auszusetzen und unsere
Kampffront gegen die Tuberkulose zu richten. Es ist aber in Be¬
tracht zu ziehen, daß die tuberkulösen Veränderungen auf
odkali recht oft stark zurückgehen, ohne gleichzeitige
ues, wie das ja lange bekannt ist.
Gruppe III, wo klinisch nur eine Tuberkulös e nachweis¬
bar ist und eine gleichzeitige latente Lues nur durch die mehr
oder weniger zufällige Anstellung der Wa.R. aufge¬
deckt wurde — latente Lues hier = positive Wa.R. gesetzt —
werden wir zweckmäßig so behandeln, als ob wir es nur
mit einer Tuberkulose zu tun haben, und die latente
Lues sich selbst überlassen, falls wir uns nicht infolge
Mißerfolges der eingeschlagenen Therapie vor die Frage gestellt
sehen, einen vorsichtigen Versuch mit antiluischer Therapie zu
wagen, um so gleichsam ex juvantibus die Heilungsaussichten zu
verbessern. i I
Was für Gruppe III gilt, besteht noch mehr für Gruppe IV zu
Recht, wo klinisch nur eine Tuberkulose nachweisbar ist
und eine latente Lues nur auf Orund der positiven Aus¬
flockungsreaktion angenommen werden könnte. Die Aus¬
flockungsreaktion hat eben, wie Buschke sagt, „den Nachteil, daß
sie mehr positive Resultate gibt, was im Interesse *des Kranken un¬
zweckmäßig erscheint“.
Wollen wir gleichsam unser ärztliches Empfinden beruhigen, so
haben wir ja im*Jodkali oder -natrium ein Präparat, das sowohl für
die Tuberkulose wie für die Syphilis als Heilmittel, wirksam ist;
wir würden also hierbei nicht ganz achtlos an der positiven
Wa.R. oder Ausflockung vorübergehen.
Wir hätten uns nun noch mit der Frage des bei Kindern zu
wählenden antiluischen Mittels kurz zu beschäftigen. Es
besteht hierüber in der neueren Literatur keine Einigkeit.
Ti £che (Schweiz) verwirft die Hg-Behandlung als schädlich;
er macht das Quecksilber verantwortlich für die Ausbreitung der
Tuberkulose, was die Syphilis allein nicht tue. Er sah Schädigungen
bei Verwendung von Salvarsan und Quecksilber, selten jedoch bei
Verwendung von Salvarsan allein.
Denselben Standpunkt vertritt auch Elliot, der ebenfalls dem
Hg eine schädliche Wirkung bei Tuberkulöse -f- Lues zuschreibt, wor
bei die Schädigungen sich erst nach einigen Monaten zu zeigen
brauchten. Er erklärt Salvarsan als das Mittel der Wahl. 'Auch
Jeanselme (Frankreich) tritt für Salvarsanbehandlung ein. '
Nicht ablehnend dagegen verhält sich Schröder (Schömberg)
dem Hg gegenüber. Er betrachtet auch — im Gegensatz zu Tifcche
□ igitized by Gougle
Original from
CORNELL UNIVERSSTV
16. Februar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE «WOCHENSCHRIFT
223
— den luetischen Boden als außerordentlich günstig für das Ge¬
deihen der Tuberkelbazillen. Aktive Lungentuberkulose ist keine
Kontraindikation für Hg und Jod. In schweren Fällen empfiehlt er
eine vorsichtige Inunktionskur, in leichteren Hg. salicyl., bei kräf¬
tigen Patienten Salvarsan.
Potter (Amerika) gibt als Kontraindikation für antiluische
Behandlung aktive und miliare Tuberkulose an. Größte Vorsicht sei bei
Tuberkulinbehandlung erforderlich mit genauer Ueberwachung von
Allgemein- und Herdreaktion. Er empfiehlt besonders antiluische
Behandlung, wenn Behandlung der Tuberkulose allein nicht zur
Besserung führe.
Kombinierte Quecksilber-AIttuberkulinbehandlung nach Wagner
und Pilcz, die bei Tabes und zerebrospinaler Lues zur Anwendung
kommt, soll nach Schacherl bei diesen Krankheiten ein schnelleres
Umschlagen der Wa.R. bewirken als einfache Hg-Kuren. Ob diese
Therapie bei gleichzeitigem Vorkommen von Lues und Tuberkulose
anwendbar ist, müßte ein vorsichtiger Versuch entscheiden; sollte
diese Therapie sich bewähren, so würden wir gleichzeitig beide Er¬
krankungen spezifisch hiermit angreifen können. Wir selber be¬
vorzugen kombinierte Sal varsan-Hg-salicyl.-B e h a n d -
lung und haben bislang bei unseren allerdings wenigen Fällen
keinerlei Schädigung hierbei gesehen.
Zasammeafasseod können wir also sagen, daß das gleich¬
zeitige Vorkommen von Lues bei tuberkulösen Kin¬
dern keine häufige Erscheinung ist, 4 unter 120 = 3,3°/o,
wenn wir eben nur die Fälle als gleichzeitig luisch in¬
fiziert betrachten, wo Lues auch klinisch nachweis¬
bar ist. Wesentlich anders jedoch wird das Resultat,
wenn wir, ganz abgesehen von klinisch nachweisbaren Symptomen,
sämtliche Fälle mit positiver Wa.R. oder Ausflockung als
mit latenter Lues behaftet auffassen wollen, wofür meines Er¬
achtens nach dem, was wir heute über die Wa.R. wissen, keine
Berechtigung vorliegt; in diesem Falle hätten wir 18 unter 120
= 15ty>.
Die Forderung Camons, in jedem Falle von Tuberkulose die
Wa.R. anzustellen, erscheint für deutsche Verhältnisse bei Kindern
jedenfalls nicht anwendbar, ja ich möchte sagen, daß die An¬
stellung der Wa.R. in jedem Falle von Tuberkulose zu
verwerfen ist, wenn klinisch nichts dazu auffordert, wie auch
Buschke vor Anstellung überflüssiger Reaktionen warnt mit dem
Hinweis: „daß für den neutigen stark neurasthenischen Menschen
ein eventuell positiver Ausfall einen Zusammenbruch seines ganzen
Lebensglückes und seiner Hoffnungen bedeutet, ohne daß durch die
Untersuchung wirklich objektiv eiu Nutzen gestiftet wird.“ Anti-
luisch zu behandeln sind nur solche Falle, die kli¬
nisch eine solche Behandlung fordern, oder wo Hart¬
näckigkeit klinischer als tuberkulös angesehener Symptome, bei wie¬
derholt positiver Wa.R. einen Versuch mit antiluischer Behandlung
zweckmäßig erscheinen läßt.
Eine modifizierte Salvarsantherapie der Lues der inneren
Organe (Herz- und Gefäßsystem) und des Nervensystems
(Tabes).
Von Dr. Erwin Pnlny in Wien.
Die Salvarsantherapie erfordert besondere Sorgfalt und Vorsicht
hinsichtlich der Dosierung, denn nicht zu den Seltenheiten zählt es,
daß man sowohl durch eine unterdosierte, als auch durch eine über-
dosierte forcierte Salvarsanbehandiung gerade einen anderen Erfolg,
als man erstrebt, erreicht
Bei der Behandlung der Tabes zählen die heftigen Reaktions¬
erscheinungen, die man auf Salvarsaninjektionen eintreten sieht,
gewiß nicht zu den Seltenheiten. Wir beobachten neben leichteren
Temperaturerhöhungen das Einsetzen vorwiegend gastrischer Krisen
und lanzinierender Schmerzen im heftigsten Maße, und so kommt es,
daß man sich mitunter veranlaßt sehen muß, eine Salvarsantherapie
abzubrechen, weil man die Patienten zu neuerlichen Injektionen aus
Furcht vor den Reaktionserscheinungen nur schwer bewegen kann.
Eine zweite Gruppe von Luikern wäre herauszuheben, bei
denen die Salvarsantherapie starke Ermüdungserscheinun¬
gen und Gewichtsabnahme setzt. Es sind dies die Fälle von
latenter Lues, in denen wir bis auf leicht gesteigerte Reflexe, Kopf¬
schmerzen, Müdigkeit, Blässe und fortgesetzte Körperabnahme nichts
feststellen können. /
Ausgehend von einem Fall schwerer Tabes, in dem eine jede
Salvarsaninjektion mit heftigsten gastrischen Krisen und lanzinierenden
Schmerzen beantwortet wurde, kam ich auf den Einfall, das Sal¬
varsan mit Kalk zu kombinieren, um vielleicht durch die
Kalziumkomponente die Uebererregbarkeit des Patienten abzudämpfen.
Zu diesem Zwecke wählte ich Afenil, in welchem sich das Sal¬
varsan glatt löste, sodaß ich das Afenil statt Wasser als Lösungs¬
mittel für das Neosalvarsan verwendete. Nachdem ich mich zuvor
im Tierversuch von der Unschädlichkeit eines in Afenil gelösten
Salvarsans überzeuge n konnte, injizierte ich dem Patienten nach Rück¬
sprache mit dessen Hausarzt die gleiche Salvarsandosis in 5 ccm Afenil
(später in 10 ccm Afenil) gelöst Der Erfolg war prompt. Die
Erscheinungen von lanzinierenden Schmerzen und
gastrischen Krisen, die nach den früheren Injektionen
in ganz außergewöhnlich er Stärke eingetreten waren,
blieben von diesem Zeitpunkt ab vollständig aus. Dieser
Versuch ermutigte mich, in allen weiteren Fällen von interner Salvarsan-
therapie das Salvarsan, statt wie bisher im Wasser, in Afenil zu lösen.
F.s wurden drei Fälle von Tabes, vier, Fälle von Aortenlues und fünf
Fälle von latenter Lues, tn denen bei positiver Wa.R. Kopfschmer¬
zen, Gewichtsabnahme, Müdigkeit bestanden, dieser kombinierten
Salvarsankalktherapie zugeführt, ln all diesen Fällen hat sich
diese Kombination von Kalk und Salvarsan sehr be¬
währt. Die Tabiker reagierten auf das Salvarsan nicht mehr mit
Schmerzen, und in den Fällen von latenter Lues, die alle zufällig
Frauen betroffen haben, konnte man in relativ kurzer Zeit ein all¬
gemeines Wohlbefinden, eine Gewichtszunahme, eine, ich möchte
sagen, Tonisierung im Allgemeinbefinden feststellen.
Bei einiger Ueberlegung wird ja der günstige Erfolg einer der¬
artigen Kombinationstherapie verständlich sein. Die Zuführung von
Kalk bei übererregbarem Nervensystem, namentlich bei gesteigerter
Reaktionsfähigkeit im vegetativen System, ist heute eine geläufige Tat¬
sache. Zu wenig Beachtung wird in der Klinik meinem Ermessen nach
der Lues des vegetativen Systems geschenkt. Bei näherem
Eingehen in die Fälle von Lues der inneren Organe und des Nerven¬
systems lassen sich aber Erscheinungen zu einem Krankheitsbild grup¬
pieren, welches direkt als vegetativ stigmatisierter Sym-
ptomenkomplex imponiert, ln diesen Fällen gerade ist die Zu¬
führung von Kalk an sich indiziert. Sehen wir die Ursache der krank¬
haft gesteigerten Erscheinungen durch die Lues bedingt, so ist die
kausal gerichtete Therapie in der Kombination von Salvarsan und Queck¬
silber vorgezeichnet. ln diesen Fällen möchte ich nun meinen, daß wir
der Salvarsantherapie die Kalktherapie beifügen. Das Salvarsan wird,
statt wie bisher im Wasser, in der im Handel in sterilen Ampullen
verpackten Afenillösung zur klaren Lösung gebracht und in der
üblichen Weise intravenös verabreicht. Auf diese Weise sind
wir in der Lage, durch eine Injektion gleichzeitig Sal¬
varsan und Kalk zu verabreichen, also, wenn man so sagen
darf, gleichzeitig kausal und symptomatisch gerichtete Therapeutika
dem Organismus einzuvcrleiben. Im Hinblick auf die äußerst geringe
Zahl von Fällen, die mir zur Verfügung gestanden haben und aus
denen ich daher keinerlei weitere Schlüsse zu ziehen midi für berech¬
tigt halte, anderseits aber durch die geradezu überraschenden Erfolge
in diesen wenigen Fällen und angesichts der einfachen Modifikation
der bisher üblichen Salvarsantherapie möchte ich diese Applikations¬
weise zu ausgedehnter, weiterer Nachprüfung empfehlen. Diese Kalk¬
therapie bewahrte sich mir dann auch weiter als Kombiuationstherapie
mit Jod, und zwar in jenen Fällen, in denen das Jod wegen des so'
bald auf tretenden Jodschnupfens -aus der Behandlung ausgeschaltet
werden müßte. Gleichzeitig oral verabreichte Mengen von Kalk lassen
das Jod gut vertragen.
Die Goldbehandlung der Tuberkulose.
Von Dr. Emst Levy in Essen.
Die Bestrebungen, auf immunbiologischem Wege eine Heilung
der Tuberkulose herbeizuführen, haben versagt. Da auch Naturheilung
keine Dauerimmunität verleiht, können wir mit keiner Art von Tuber¬
kulin und keinem Kaltblüterbazilius immunisieren (Wassermann,
Neufeldt). Fortschritte in der Behandlung sind daher nur von
chemischen Mitteln zu erwarten.
Das erste derartige Mittel in dem Krysolgan, dem Natron¬
salz einer Aminoaurophenolkarbonsäure, gefunden zu haben, ist das
Verdienst Adolf Feldts 1 ) in Frankfurt
Ich habe seit 1918, zuerst während meiner vorübergehenden,
durch den Krieg bedingten Tätigkeit an den Stadt. Krankenanstalten in
Essen, bis 1. VII. 1921 49 Fälle mit Krysolgan behandelt und mit
kleinen Variationen dieselben Erfahrungen gemacht, die alle Autoren
berichten, welche bis jetzt über das Mittel veröffentlicht haben.
Es hat eine deutliche Einwirkung auf tuberkulöses Gewebe, die
der Herdreaktion nach Tuberkulin gleicht Sie tritt in zwei anscheinend
paradoxen, von Schnaudigel 2 ) zuerst am Auge beobachteten For¬
men auf, nämlich einer anfänglichen Steigerung der Ent¬
zündung mit folgendem Nachlassen oder einem sofortigen Zu¬
rückgehen der Entzündung.
Bei der ersten Form treten Schwellung, Rötung, Hyperämie
ein, die bei äußerer Tuberkulose sehr deutlich sichtbar werden, manch¬
mal auch Temperaturerhöhung und Allgemeinerscheinungen. Diese
reaktive Entzündung, wie man die ganze Erscheinung zusammenfassen
kann, ist nun eine typische „Heilentzündung“ im Sinne Bie rs. Sie bildet
sich bald zurück, und dabei geht die einmal eingeleitete Rückbildung
weiter, sodaß eine Besserung eintritt, die sich eine ganze Reihe
von Tagen in immer schwächer Werdendem Maße fortsetzt. Die
Grenze, innerhalb derer man die Wirkung des Krysolgans nachweis¬
bar verfolgen kann, ist wohl mit 7—20 Tagen zu setzen. Nach dieser
Frist ist sie meist erloschen. Ist der Heil Vorgang noch nicht weit
genug, so muß er dann durch eine neue Einspritzung wieder angeregt
werden.
Ein Schema hierfür gibt es nicht; man muß genau'beobachten und
die Wirkung voll ausklingen lassen, hat man keinen sicheren Anhalt
B.M.W. 1917 u. 1918 jTher.Monh. 1918; latem.ZbU. Tbc. Forsch. 1919; M.ra. W. 19»
») Kl. MbL f. AttghHc. 191t.
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERS1TV
224
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 7
dafür, dann mindestens 10 Tage warten, ehe man die Einspritzung
wiederholt.
Die Besserung tritt deutlich zutage bei äußerer Tuberkulose.
Schwellung und Rötung gehen alsbald zurück, Absonderungen lassen
nach, Geschwüre reinigen und überhäuten sich mit einer an Lues
gemahnenden Schnelligkeit, Abszesse resorbieren sich, manchmal be¬
schleunigt durch Spontanperforation, Fisteln schließen sich.
Die Wirkung bei Lungentuberkulose ist in vielen Fällen nicht so
eindeutig, weil man hier nicht so starke Reaktionen erzielen darf,
die Herde auch häufig unserer Beobachtung nicht zugänglich sind.
Trotzdem kann man sie in einer großen Reihe von Fällen subjektiv
und auch objektiv einwandfrei feststellen. Sie äußert sich im Rück¬
gang der Brust- und Rückenschmerzen, des Hustens und Auswurfs vom
2. oder 3. Tage ab. Die Wärmesteigerung überdauert selten einen
Tag. Gleichzeitig bilden sich die objektiven Zeichen wieder zurück,
Dämpfung hellt sich auf, Rasseln* wird weniger oder verschwindet ganz.
Die Veränderung des 9putums schildere ich am besten mit den
Worten einer Kranken — offene Lungentuberkulose UI. Stadium und
Kehlkopftuberkulose — folgendermaßen: „Vor der Einspritzung war
der Auswurf schmutzig, gelbbräunlich, übelschmeckend wie faule ölige
Nüsse; nach der Einspritzung (0,01) Menge vermehrt, blutiggelb, so,
als wenn man ein Geschwür aufsticht; nach 3 Tagen ließ Menge
nach und wurde geschmacklos, Farbe weißlich gelb. Verringerung
der Bazillen im Sputum bekräftigte objektiv diese Schilderung. .
Bei dem anderen Reaktionstyp tritt sofort ein Nachlassen
von Husten und Auswurf ein, bei fiebernden Kranken Entfieberung.
Die Kranken geben schon am anderen Tage an, daß der Husten besser
oder gar verschwunden sei, das Rasseln und Kochen auf der Brust
aufgehört habe. Ich habe bei einem Fall von Lungen- und Hals-
drüsentuberkulose, den ich seit 3 Jahren kenne, der stets hustete und
auswarf, selbst während der Heilstättenkur, und der trotz dieser
arbeitsunfähig zu werden drohte, erlebt, daß schon nach der ersten
Einspritzung (0,05) Husten und Auswurf wie mit einem Zauberschlag
verschwanden und bei stetig fortschreitender Besserung nicht wieder-
kehrteu. Bei diesen Kranken besteht die erhebliche Gefahr, daß sie
das Maß ihrer Besserung im Anfang überschätzen.
Im einzelnen stellen sich meine Erfahrungen folgendermaßen dar:
In den Städtischen Krankenanstalten 1918 behandelt 10 Fälle von
Lungentuberkulose, 1 Fall von Lupus. Von den Lungentuberkulosen
gehörten eine zum Stadium I, 7 zum Stadium II und 2 zum Stadium UL
An Komplikationen bestanden noch eine Kehlkopftuberkulose, 1 pleu-
ritisches Exsudat und eine Knochentuberkulose (Ellbogen).
Der Erfolg war folgender:
Alle Kranke wurden gebessert, teilweise in einem Umfange, wie er
1 mit keinem anderen Mittel bis dahin von mir während 3 Jahren aut
der Station hatte erzielt werden können. Als sichtbarsten Ausdruck
dieser Besserung kann ich anführen, daß von den 6 offenen Tuber¬
kulosen, die unter ihnen waren, 3 ihre Bazillen verloren, 2 Kranke
des II., 1 des 111. Stadiums. Mehr über die Krankenhausfälle zu
sagen, ist nicht angängig, da Behandlungsdauer und Beobachtungszeit
zu kurz waren und der weitere Verlauf nach der Entlassung mir
nicht bekannt geworden ist. 4
Nur der Lupusfall verdient noch einige Worte, da er es haupt¬
sächlich war, der mich zu weiteren Versuchen veranlaßte. Es war
ein 18jähriger junger Mann, von Größe und Aussehen eines 12jährigen
Knaben, mit einem Lupus totius corporis, vor allem aber der Finger
und Zehen, die stark kolbig verdickt, mit Rhagaden und Ulzerationen
bedeckt waren, sodaß der Kranke schon wochenlang bettlägerig war.
Sofort nach den Krysolganeinspritzungen setzte eine derartige Bes¬
serung ein, wie man es bisher nur bei spezifischer Behandlung lueti¬
scher Affektionen gewohnt war. Die Schmerzen verschwanden sofort,
und die Abschwellung (nach vorhergehender starker Rötung und
damit verbundener leichter Schwellung) und Ueberhäutung der Finger
und Zthe i ging so schnell vor sich, daß Patient schon einige Tage
nach der zweiten Injektion aufstehen und herumgehen konnte. Auch
der Lupus des Gesichts und des Körpers besserte sich dementspre¬
chend, war aber von Heilung natürlich noch sehr weit entfernt, als
ich den Patienten aus den Augen verlor. Die spezifische Einwirkung
aut tuberkulöse Gewebsveränderungen war aber so zwingend, daß
ich in der Folgezeit Krysolgan auch bei jedem geeigneten Fall meiner
Privatpraxis anwandte. Es waren bis 1. VII. 1921 im ganzen 38 (also
mit den Krankenhausfällen 49), die sich folgendermaßen verteilen:
6 Fälle von Lymphdrüsentuberkulose; davon 3 ohne
Lungenbefund, 1 mit Knochentuberkulose, ganz geheilt, obwohl 2
von ihnen ausgedehnte, schon seit Jahren bestehende,
fistulös-ulzerierendc Formen waren, die anderweitig
schon mit allen üblichen Methoden, mehrfach opera¬
tiv mit Höhensonne, Röntgenbestrahlungen usw. an¬
gegangen worden waren.
Ein vierter, auch ohne Lungenbefund, aber ungenügend behandelt,
wurde nur wenig gebessert. Geheilt wurde aber auch bei ihm der
primäre Herd und Ausgangspunkt für die Drüsenerkrankung, ein
langjähriger, nach dem Erfolg der Behandlung als tuberkulös anzu¬
sprechender chronischer Nasen- und Rachenkatarrh, der während der
Krysolganbehandlung verschwand und bis jetzt, 2 Jahre nach Abschluß
der Behandlung, nicht wiederkehrte.
Von 2 Drüsenfällen, die eigentlich nur Nebenbefund einer Lungen¬
tuberkulose waren, wurde einer gebessert, die Behandlung aber aus
äußeren Gründen (Patient war von auswärts) zu früh abgebrochen,
der andere trotz ausreichender Behandlung und weitgehender Bes¬
serung der Lunge zunächst gar nicht beeinflußt. 4 Monate nach Schluß
der Behandlung, wahrscheinlich als Folge angeschlossener Tuberkulin¬
injektionen, waren die Drüsen erweicht und hatte sich am unteren
Pol des Drüsen Stranges ein etwa haselnußgroßer kalter Abszeß ge¬
bildet. Es ist infolgedessen eine neue Krysolgankur eingeleitet worden.
Von den 6 Fällen sind also 3 geheilt, 2 ungenügend behandelte
gebessert und 1 gar nicht beeinflußt worden.
Von den 4 Fällen von Knochentuberkulose (einer als
Nebenbefund bei ausgedehnten Lymphomen) wurden 3 in Kombination
mit Tuberkulin geheilt, 1 wesentlich gebessert bei Abbruch der Kur
aus äußeren Gründen (56jährige Patientin von auswärts mit Myo¬
karditis, Oedemen nach Grippe).
Ein Fall muß hier kurz geschildert werden, da er beweist, daß
gerade veraltete, progressive Formen von Krysolgan günstig beein¬
flußt werden.
Nr. 14. St., 66jährige Witwe.
1917 Laparotomie wegen Peritonealtuberkulose. 1919 Amputation
des linken Unterschenkels wegen Fußgelenktuberkulose. Magere,
äußerst elende Frau, rechter Vorderarm mehrfache Knochentuberkulose,
7 zum Teil borkige, zum Teil reichlich sezemierende Fisteln vom
Ellenbogen bis oberhalb Handgelenk. Ueber walnußgroßes tuber¬
kulöses Hygrom am äußeren Epikondylus. Ellbogen in Kontraktur¬
stellung, Arm auch im Schultergelenk wegen Schmerzhaftigkeit kaum
beweglich.
Beginn der Behandlung 2. VI. 1920, ab 30. IX. 1920 kombiniert mit
Tuberkulin, im ganzen 17 Injektionen mit insgesamt 4,2 Krysolgan.
Einmal im Anfang Stichinzision eines kleinapfelgroßen kalten Abszesses
am volaren Unterarm. Nach dritter Injektion freie Gebrauchsfähigkeit
des ganzen Armes. Am 11.111.1921 restlos geheilt mit völliger
Gebrauchsfähigkeit (das Hygrom, das im Anfang jeden Tag mit
Spontanperforation drohte, restlos resorbiert).
2 Fälle von Lupus wurden gebessert, ein ulzerierender Nasen¬
lupus anscheinend geheilt, nach Abbruch der Behandlung wieder
Rezidiv. Ein Kind mit Lupus faciei ist noch in kombinierter (Tuber¬
kulin-) Behandlung.
1 Fall von unerkannter Darmtuberkulose bei Lungentuberkulose 11
verschlimmerte sich nach einer einzigen Injektion von 0,05 Krysolgan
und ging im Laufe einiger Monate allmählich zugrunde.
Von 28 Lungentuberkulosen waren
I. Stadium: 11 davon
nicht gebessert.1
wenig gebessert.3
gut gebessert.3
klinisch geheilt.4
Komplikation: 1 Keratitis wenig gebessert
II. Stadium: 9 davon
nicht gebessert.2
wenig gebessert.1
gut gebessert.4
klinisch grheilt.2
Komplikationen: 1 Darmtuberkulose
2 Lymphome, I gebessert 1 ungebessert
1 Pleuritis geheilt
Ift. Stadium: 8 davon
nicht gebessert.1
wenig gebessert.1
{ (t 1. nach wiederhergestellter Arbeits¬
fähigkeit Verschlimmerung durch
interkurrente Pneumonie)
Komplikationen: 2 Kehlkopftuberkulose, 1 gebessert, 1 nicht gebessert,
bei auch sonst infaustem Pall
I Nephritis, ganz unbeeinflußt.
Wenn ich die Erfolge bei diesen 38 Kranken der Privatpraxis
übersehe, so sind sie sehr gut bei den Formen der Drüsen- und
Knochentuberkulose, nur gut dagegen bei Lupus und Lungentuber¬
kulose. Bei letzterer ist es auffällig, daß in jedem Stadium es Kranke
gab, die gar nicht auf Krysolgan reagierten, also refraktär waren,
und daß es im Gegensatz zu den im Krankenhause behandelten in
keinem einzigen der Fälle von offener Tuberkulose (11 im ganzen)
glückte, die Bazillen im Auswurf zum Verschwinden zu bringen.
Die Refraktarfälle sind von Fel dt in der ersten Veröffent¬
lichung schon angeführt und kehren bei allen Autoren wieder. Es
sind verschiedene Erklärungsversuche gemacht worden. Ich persön¬
lich halte dafür, daß es die fibrösen Formen sind, die infolge ihres
Mangels an Blutgefäßen das auf dem Blutwege herankommende
Kiysolgen nicht in Berührung mit dem kranken Gewebe gelangen
lassen.
Eine starke Stütze für diese Annahme ist die schon erwähnte
Erscheinung, daß im Laufe der Behandlung in der gut fortschreiten¬
den Besserung ein Stillstand eintritt und das Krysolgan nicht mehr
wirkt, wenn nämlich die die Heilung begleitende oder vielmehr sie
befestigende Bindegewebsneubildung so stark geworden ist, daß die
oben erwähnten Verhältnisse eintreten. Durch Tuberkulininjektion
und die dadurch hervorgerufene Herdreaktion kann man dann eine
Hyperämie erzielen, die dem Krysolgan den Zugang wieder frei
macht und es erneut wirksam werden läßt.
Daß keiner der Kranken seine Bazillen verlor, liegt teils an
der kurzen Behandlungsdauer einiger Patienten, teils daran, daß, ab¬
gesehen von 2 schon sehr weit vorgeschrittenen Fällen, alle ambu¬
lant behandelt werden mußten und ihrer Tätigkeit nachgingen. Es
sind doch ganz erhebliche Reaktionen, die durch Krysolgan hervor¬
gerufen werden. Es werden vor allen Dingen, da das Mittel nicht
□ igitized by Google
Original from
CORUELL UNIVERSITY
16. Februar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
225
bakterizid wirkt, große Anforderungen an die heilschöpferische Mit*
arbeit des Körpers gestellt, die er um so besser erfüllen kann, je
mehr er von anderen Aufgaben befreit wird. Es wäre daher wün¬
schenswert, wenn die Kranken wie bei Anstaltsbehandlung nach
jeder Einspritzung immer 4 Tage im Bett zubringen könnten, aber
diese Forderung scheitert besonders in der jetzigen Zeit an den
Anforderungen des täglichen Lebens. Dann war 1918, in der Zeit, als
Ich am Krankenhause tätig war, das Material dort ein ganz anderes,
vor allem infolge Unterernährung in seiner Widerstandskraft sehr
geschwächt, sodaß durch Krankenhauspflege im Verein mit Krysolgan
bessere Erfolge zu erzielen waren als später bei den besser ernährten
Privatpatienten sozusagen mit Krysolgan allein. Diese Unterschiede
findet man ja auch häufig in Heilstätten zwischen Kassen- und Privat¬
patienten.
Aber trotzdem waren die Erfolge deutlich, größer und schneller
erreicht, als es mir bisher mit irgendeinem der dem Praktiker zu¬
gänglichen Heilmittel, auch Höhensonne und Tuberkulin, möglich
gewesen war. Ich verweise nur als Beispiel auf die prompte Ent¬
fieberung einiger Fälle, die sonst in wochenlangen Liegekuren abge¬
wartet werden mußte.
Gewiß sind es vielfach nur Teilerfolge, die man erzielt. Aber
man muß eben genau wie bei der Lues, mit der ja in letzter Zeit
so viel Parallelen gezogen werden, Primäräffekt, Sekundär-, Tertiär¬
stadium, Etappen kuren machen. Auch muß man sich vor Augen
halten, daß die Tuberkulose so viel chronischer verläuft, daß der
Uebergang eines Stadiums in das andere oft bei ihr so viele Jahre
braucht wie bei der Syphilis Wochen, und ebenso langsam auch die
Rückbildung bei ihr geht. Daß ferner das Krysolgan, trotz mancher
Aehnlichkeit der Wirkung bei äußerer Tuberkulose, schwächer wirkt
als das parasitizide Salvarsan und sich schneller erschöpft. Die
Gefahr der Ueberdosierung und damit unerwünschter Nebenerschei¬
nungen tritt rascher ein, und man muß eine Behandlungspause ein-
treteu lassen, ehe man wie beim Salvarsan die nachweisbaren Krank-
heitserscheinungen ganz zum Schwinden gebracht hat.
Hier ist das Tuberkulin berufen, eine Lücke auszufüllen. Es tritt
ein, wenn man mit Krysolgan nicht weiterkommt, bei Knochentuber¬
kulose z. B. habe ich es in keinem einzigen Falle entbehren können.
Man kann auf verschiedene Weise vorgehen. Einmal, indem man von
vornherein, besonders bei den fibrösen Formen, zwischen die Kry-
solganeinspritzungen einzelne Tuberkulininjektionen einschiebt, um
durch die immer wieder aufs neue hervorgerufene Herdreaktion das
Krysolgan wirksam zu erhalten und so an der zuzusetzenden Menge
zu sparen. Oder man läßt einer Reihe Krysolganinjektionen nach
Erschöpfung ihrer Wirkung eine Tuberkulinreihe folgen, dann wieder
Krysolgan usw. Welcher Weg schneller zum Ziele führt, wird sich
erst nach Jahren auf Grund größerer Erfahrungen sagen lassen;
jedenfalls kommt man mit der kombinierten Behandlung öfters in
einer einzigen ununterbrochenen Linie zum Ziel als mit Krysolgan
allem, bei dem man Pausen einschieben muß. Dabei können wir
Feldts Angaben bestätigen, daß nach Krysolgan größere Mengen
Tuberkulin vertragen werden und daß zu starke Tuberkulinreaktionen
jederzeit durch Krysolgan kupiert werden können.
Daß auf diesem Wege die Heilung langsamer vor sich geht, als
wenn mit einem Male oder wenigen Schlägen fast alle Krankheits¬
erreger abgetötet werden, wie bei Malaria und Syphilis, ist hiernach
wohl verständlich, obwohl auch bei Malaria und Syphilis, wie wir
jetzt wissen, eine einzige Kur nur selten endgültigen Erfolg hat.
Wenn man sich aber erinnert, welch großes Aufsehen die Arbeiten
von Bernhard und Rolli er über die Sonnenbehandlung der chirur-
f Ischen Tuberkulose machten und wie rasch sich die Behandlung
ingang verschaffte, so muß man froh sein, in dem Krysolgan ein
Mittel an Hand zu haben, das dasselbe in kürzerer Zeit erreicht.
Ein Schema der Behandlung läßt sich nach dem eben Gesagten
reicht aufstellen. Man muß etwas mit immun-biologischer Denkweise
vertraut sein und die Reaktionen nach jeder Einspritzung, Krysolgan
sowie Tuberkulin, genau beobachten. In vielen Fällen wird man mit
Krysolgan allein auskommen, in vielen aber nur im Verein mit Tuber¬
kulin. Daß außerdem jede der bisher bewährten Behandlungsmetho¬
den weiter zur Unterstützung herangezogen werden muß, ist selbst¬
verständlich. Sie werden alle an Wirkung von dem Krysolgan über¬
troffen, aber nicht überflüssig gemacht. Im allgemeinen tut man gut
daran, mit kleinen Dosen anzufangen, weil man über das Ausmaß
der Reaktion im voraus nichts Sicheres sagen kann. Die kleinste von
der Fabrik hergestellte Menge ist 0,025 und kann bei äußerer Tuber¬
kulose sowie den zirrhotischen Formen der Lungentuberkulose als
Anfang genommen werden. Ich habe mich aber, einem Rate Feldts
folgend, davon überzeugt, daß auch mit 0,01 noch deutliche und gute
Wirkungen zu erzielen sind, und werde bei Lungentuberkulose immer
mit dieser Dosis beginnen, da man in sehr vielen Fällen klinisch
nicht feststellen kann, ob im Innern der Lunge die produktiv-fibrösen
oder exsudativ-käsigen Prozesse vorwiegen.
Aus der Art der Krysolganreaktion kann man eine gewisse
Sicherheit hierüber erlangen und bei der ersten Form dreister steigern,
bei geringer oder mangelnder Wirkung mit Tuberkulin nachhelfen.
Bei der exsudativen Form soll man vorsichtig steigern und nicht
eher, als bis die vorige Dosis keine Reaktion mehr erkennen läßt.
Auch soll man bis zur Höchstgrenze 0,2 zu kommen suchen, ehe
man Tuberkulin zu Hilfe nimmt. Dann hat das Lungengewebe schon
einen derartigen Durchseuchungswiderstand, daß das Tuberkulin, wel¬
ches sonst bei diesen Formen gar nicht ungefährlich Ist, gut ver¬
tragen wird.
Gerade in Anbetracht der katalytischen Wirkungsart des Krysol-
gans, die von Fetdt wohl sichergestellt ist, ist es wichtig, mit
möglichst kleinen Dosen anzufangen, um möglichst oft durch In¬
jektion einen Reizstoß führen zu können, ohne an die toxische Ge¬
samtmenge heranzukommen. Da abgesehen vom Schwinden des reak¬
tionsfähigen Gewebes Gewöhnung eintritt, so muß man bald steigern
und kann dann, besonders wenn man die Pausen nicht groß genug
gemacht hat, unangenehme Nebenerscheinungen bekommen, über die
fast alle Autoren berichten und die ich auch mehrfach sah.
Die Einspritzungen selbst, die intravenös streng nach Vorschrift
der Gebrauchsanweisung gemacht wurden, wurden ohne Beschwerden
ertragen. Abgesehen von den Erscheinungen der Herdreaktion, die
sich einige Stunden bis Tage später .einstellten, kam als direkte
Folge der Einspritzung bei nur wenigen meiner Kranken leichtes
Ohnmachtsgefühi vor, das nach Hiniegtn alsbald verschwand. Die
Menge des Krysolgans spielte dabei keine Rolle, es waren auch immer
dieselben Kranken, bei denen es vorkam, sodaß ich Suggestion als
auslösendes Moment annehme.
Die Behandlung mit Krysolgan läßt sich daher — und das ist
sehr wesentlich für den Praktiker, besonders in der Kassentätigkeit —
sehr gut ambulant durchführen. Ich betrachte es gerade als den
wesentlichsten Teil meiner Erfolge, der midi veranlaßt, sie trotz der
geringen Anzahl der Fälle schon jetzt zu veröffentlichen, daß sie
ambulant erzielt wurden. Die Behandlung wurde teilweise unter den
schwierigsten Verhältnissen durchgeführt. Nur wenige Kranke konnten
sich das Maß guter Ernährung gönnen, das nun einmal zur Behand¬
lung der Tuberkulose notwendig ist. Viele, Frauen sowohl wie
Männer, aus dem Arbeiter- und Mittelstand, konnten sich nicht einmal
sdionen, mußten während der Behandlung ihrer Arbeit unverändert
nachgehen. Einige wenige von auswärts, zum Teil mit beschwerlicher
Reise, sah ich in der Zwischenzeit zwischen den einzelnen Einspritzun¬
gen nicht einmal.
Bei keinem erlitt die Arbeitszeit eine längere Unterbrechung als
von einem Tage gelegentlich der selten vorgekommenen stärkeren
Reaktio^ n, im Gegenteil, die Arbeitsfähigkeit wurde bei vielen ganz
wiederheigestellt, die schon am Versagen war.
Das Krysolgan ist aber auch berufen, dem Hausarzte bzw. dem
praktischen Arzte die Behandlung vieler Fälle von äußerer Tuber¬
kulose wieder zu ermöglichen, und zwar zur Befriedigung beider
Teile. Denn was nützt es den Kranken« ich denke an den oben
geschilderten Fall von Knochentuberkulose und die beiden ausge¬
breiteten Lymphome, die alle mehrfach operiert worden waren, daß
ihnen durch Behandlung in Spezialinstituten oder in Krankenhäusern
mit zum Teil verstümmelnden Operationen aas zur Zeit kranke
Organ gebessert oder geheilt wird und die Krankheit bald von neuem
an der alten oder einer anderen Stelle ausbricht? * Zu einer jahre¬
lang durchgeführten konservativen Behandlung, welche gleichzeitig
die ganze Krankheit beseitigt und heute die Methode der Wahl sein
sollte,, fehlten meinen Kranken die Zeit und vor allem die Mittel.
Diese werden auch unter den jetzigen- Verhältnissen für die ungeheure
Mehrzahl aller Kranken trotz aller Werbetätigkeit, und selbst wenn
die Opferwilligkeit für diese Zwecke gewaltig steigen würde, nicht
zu beschaffen sein. Wir müßten also trotz unserer besseren Einsicht
der Not gehorchend die Kranken mit schlechteren Methoden be¬
handeln. Dieser Not abzuhelfen, ist das Krysolgan berufen und
gleichzeitig auch, die Behandlung der weit verbreitetsten Volks-
krankheit mit ihren vielen Erscheinungsformen, die schon teilweise
nur der Fachbehandlung zugänglich waren, wieder in die Hände der
ärztlichen Allgemeinheit zurückzubringen. Das wird auch für die
Lungentuberkulose von Vorteil sein, denn bei der zunehmenden
Verelendung unseres Volkes werden alle Erfolge der Heilstätten,
Seehospize, Waldschulen usw. nur einem verschwindend geringen
Teile der Kranken zugutekommen und auch dort nicht einmal von
Bestand sein. Einer Krankheit, von der 70—80% aller Menschen
befallen werden und an der l / 7 von ihnen zugrundegeht, kann man
nur wirksam begegnen, wenn alle Aerzte an dem Kampfe gegen sie
wirksam teilnehmen können.
Zusammenfassung. Das Goldpräparat Krysolgan ist das erste
chemische Spezifikum gegen Tuberkulose.
Es bewirkt bei vielen Fällen Heilung, bei den meisten Besserung
der subjektiven und objektiven Krankneitserscheinungen in einer
Schnelligkeit, wie wir sie bisher von keinem anderen Mittel gesehen
haben.
In Fällen, bei denen es von vornherein versagt oder seine Wir¬
kung sich im Laufe der Besserung erschöpft, wird es aufs wirksamste
ergänzt durch Tuberkulin. i
Tuberkulin wird nach vorausgegahgener Krysolganbehandlung
in größerer Menge vertragen. Unerwünscht heftige Tuberkulinreak¬
tionen können durch Krysolgan jederzeit kupiert werden.
Krysolgan übt in viel geringeren* Gaben, als bisher üblich, seine
Wirkung aus. Als Anfangsgabe sollte 0,01, als Höchstmenge 0,2
die Regel sein bei Wahrung mindestens lOtagiger Zwischenräume.
Die Einspritzung ist technisch einfach, die Behandlung ambulant
gut durchzuführen. Krysolgan ist daher das geeignetste Mittel zur
Bekämpfung der Tuberkulose in der Allgemetnpraxis.
Digitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSUM
226
DEUTSCHE MEDIZINISCHE »WOCHENSCHRIFT
Aus der II. Medizinischen und der Infektions-Abteilung
des Allgemeinen Krankenhauses Barmbeck in Hamburg.
(Oberarzt: Prof. Reiche.)
lieber das Verhalten des Reststickstoffs im Blote bei
kruppöser Pneumonie, Scharlach, Masern und Diphtherie.
Von Dr. E. Cohn, Assistent der Abteilung.
Neuerdings hat sich Wagner (1) näher mit dem Verhalten des
Reststickstoffs im Blute bei verschiedenen Infektionskrankheiten be¬
faßt. Da ich (2) die betreffenden Verhältnisse für Grippe eingehend
bearbeitet habe, lag es nahe, das Augenmerk der kruppösen Pneumonie
zuzuwenden, um so mehr, als für diese Erkrankung Beobachtungen
in der Literatur Vorlagen, die'sich durchaus widersprachen. Während
nämlich Rzentkowsky (3 und 4) sowie Tileston und Com¬
fort (5) regelmäßig Vermehrung des R.N. feststellten, fand Stepp (6)
normale, Mich and (7) normale oder erhöhte Werte, und auch
Wagner (1. c.) sah unter seinen 10 Fällen 6mal erhöhte Werte
von U (den er im Vollblut bestimmte) sowie 4mal normale oder
unbedeutend erhöhte. Sein Maximum betrug 103,1 mg U in 100 ccm.
Wegen der Divergenz der Ansichten über die Ursache der bei
den Infektionskrankheiten zuweilen gefundenen R.N.-Erhöhung, und
weil für einen Teil der Infektionskrankheiten noch wenig oder ge¬
ringes Material vorlag, haben wir außer bei 55 Fällen von Pneumonie
auch bei 50 von Scharlach, 36 von Masern sowie 40 von Diphtherie
R.N.-Bestimmungen im Vollblut nach der von Feigl(8) beschrie¬
benen Methode vorgenommen.
Für diese letzten 3 Erkrankungen war das in der Literatur vor¬
handene Material nur gering. Tileston und Comfort (1. c.)
fanden bei Scharlach nur normale, Wagner (1. c.) bei seinen 5 unter¬
suchten Masernfällen 3mal erhöhte Werte von U (Höchstwert 04 mg
bei einem schweren Fall, bei dem der U-Wert nach 3 Tagen zur
Norm absank). Für Diphtherie habe ich Angaben bisher nicht ge¬
funden.
Ueber die von uns festgestellten Verhältnisse will ich in Kürze
berichten. Zu bemerken ist, daß alle Entnahmen morgens nüchtern
gemacht wurden. Eine Ausnahme bilden die Diphtheriekranken, hier
wurde bei intravenöser Seruminjektion bei der Aufnahme das Blut
entnommen. •
Pneumonie. Untersucht wurden 55 Patienten, bei denen insgesamt
63 Bestimmungen gemacht wurden.
Die bei den einzelnen Kranken gefundenen Höchstwerte betrugen;
unter 35 mg. 7 mal
36-45 mg (geringe Erhöhung).14 mal
Uber 45 mg (sicher erhöht).34 mal
Von diesen letzteren waren:
•wischen 46 und 50 mg.8 Werte
5I-6nmg. 7 Werte
61—70 mg.11 Weite
71-80 mg.6 Werte
81 mg. 1 Wert
«mg. 1 Wert.
Rzentkowsky (3) hat angenommen, daß die von ihm beob¬
achtete R.N.-Erhöhung bei Pneumonie auf einem Leukozytenzerfall
Im Exsudat beruht; es müßte demnach vermutet werden, daß eine
je größere Lungenpartie ergriffen sei, um so höhere R.N.-Werte
gefunden würden. Dem ist aber nicht so, denn gerade unter den
normalen Werten findet sich über die Hälfte der Fälle (5) mit Er¬
griffensein mehrerer Lungenlappen, und umgekehrt war bei den Höchst¬
werten von 81 und 02 mg nur je ein Lappen befallen. In einem Fall
von Wanderpneumonie, bei dem am 2. Tage nur ein Lappen befallen
war, betrug an diesem Tage der R.N. 72 mg, während am 8. Tage,
an dem bereits 3 Lappen ergriffen waren, nur 63 mg gefunden
wurden. Daß die Erhöhung ebenfalls nicht von der Temperatur
abhängig sein kann, lehrte eine diesbezügliche Zusammenstellung,
bei der sich normale Werte bei hoher und umgekehrt hohe Werte
bei mittlerer Temperatur fanden. Ja, es überwiegen nicht einmal
unter den Fällen, die über 40® fieberten, die erhalten R.N.-Werte,
Dem Verhalten der Nieren wurde besondere Aufmerksamkeit ge¬
schenkt. Dabei stellte sich heraus, daß febrile Albuminurie gleich¬
mäßig häufig bei hohem und niedrigem R.N. auftrat, ebenso aber
auch Zylindrurie und Hämaturie. Damit kann natürlich nicht be¬
hauptet werden, daß die Nieren für die Entstehung der Azotämie
ohne jede Bedeutung seien, toben doch Frank und Behrenrod (0)
bei Pneumonie und Scharlach 1 Störungen der Nierentätigkeit in bezug
auf die Milchzuckerausscheidung nachweisen können.
Auch von der Dauer dtiä 1 Krankheitsprozesses ist der Stickstoff-
Bpiegel des Blutes nach unseren Erfahrungen nicht abhängig.
Was nun die Frage anlangt, ob hohe Werte von ungünstiger
prognostischer Bedeutung ‘Seien, wie dies Merck len und Ku-
oefski(lO) für alle Infektionskrankheiten, Libert(U) für Grippe
annehmen, Rzentkowsky (4) für Pneumonie ablehnt, so habe ich
fl. c.) für die Grippe nachweisen können, daß nur plötzliches starkes
Ansteigen als ungünstiges Symptom zu verwerten ist, dagegen keines¬
falls ein einmaliger hoher Wert. Für die Pneumonie fehlen mir Beob¬
achtungen über plötzlichen Anstieg und seine etwaige Bedeutung, es
bestätigte sich jedoch, daß die Mortalität bei hohen und niedrigen
R.N.-Menger. ungefähr die gleiche war; selbst Patienten mit 81 und
92 mg überstanden die Krankheit glatt
Wagner (I. c.) gibt nun an, daß U nach der Krise, falls er
erhöht war, abzusinken pflegt, ein Verhalten, das Laroche und
Brodin (12) für die Genesung nach allen Infektionskrankheiten be¬
tonen. Mir liegt eine Beobachtung vor, wo der R.N. 3 Tage vor
der Krise 73 mg, 2 Tage nach ihr 36 mg betrug, eine weitere, wo
er von 47 mg 2 Tage vor der Krise auf 26 mg 4 Tage nach ihr absank.
In einem dritten Fall wurden 2 Tage vor der Krise 63 mg, am Morgen
des Tages, an dem abends die Krise eintrat, 53 mg und 3 Tage
später 24 mg gefunden. Im Gegensatz hierzu steht ein Patient, bei
dem 2 Tage vor der Krise 50 mg, 2 Tage nach ihr 53 mg fest¬
gestellt wurden und bei dem erst mehrere Tage später die Werte
zur Norm zurückkehrten. Eine Ursache für dieses eigentümliche
Verhalten war klinisch nicht ersichtlich.
Im ganzen ist demnach zu sagen, daß bei kruppöser Pneumonie
in der Mehrzahl der Fälle eine Erhöhung des R.N. auftritt, die nach
der Krise rasch zu schwinden pflegt. Auf die Ursachen dieser Er¬
höhung werde ich am Schluß dieser Arbeit im Zusammenhang mit
den anderen Erkrankungen eingehen.
Scharlach. Untersucht wurden 50 Fälle, bei denen 52 Bestim¬
mungen gemacht wurden. Gefunden wurden Werte:
bis 35 mg.30 mm!
36—45 mg.14 mal
Uber 45 mg. 6 mal.
Von diesen letzteren waren:
«wischen 46 und 50 mg.3 Werte
51-60 mg.2 Werte
82 mg.1 Wert.
Zu bemerken ist dabei, daß alle Blutproben bei voll entwickeltem
Exanthem entnommen wurden.
Was nun die Schwere der Fälle anlangt, so ist zu sagen, daß unter
den Patienten mit erhöhtem R.N. sich nur ein einziger befand, dessen
Erkrankung nicht völlig leicht verlief.
Die 14jährige, sonst gesunde Patientin wurde am 3. Krankheits¬
tage abends eingeliefert. Exanthem mittelstark. Temperatur 38,5 °,
ruhe. Am 5. Tage Beruhigung. Am 6. Tage Exanthem geschwunden,
Fieber abgefallcn; 2 Tage darauf R.N. 32 mg.
Die übrigen 5 Fälle verliefen als leichter Scharlach ohne spätere
Komplikation. Dagegen fanden sich unter den leicht erhöhten Werten
von 36—45 mg 4 Fälle, die mit hohem Fieber und erheblicher Störung
des Allgemeinbefindens einhergingen, sodaß eine Behandlung mit
Rekonvaleszentenserum erfolgen mußte. Zweimal schloß sidi im
späteren Verlauf eine Nephritis an, außerdem war ie ein Faß
späterhin mit Otitis media und Arthritis kompliziert. Auen unter den
normalen Werten waren 2 Fälle zu verzeichnen, die zur Behandlung
mit Serum führten. Hier schloß sich einmal Nephritis an.
Auch bei den Scharlachfällen war eindeutig zu beobachten, daß
die Höhe des R.N. nicht mit der des Fiebers paiallel ging. Außer
leichter febriler Albuminurie lagen Erscheinungen von seiten der Nieren
in keinem Falle zur Zeit der Bestimmung vor.
Es ist demnach zu sagen, daß in einem Fall von Scharlach mit
toxischen Allgemeinerscheinungen ein R.N.-Wert von 82 mg gefunden
wurde, der 2 Tage nach der Entfieberung auf 32 mg abgesunxen war.
Bei einem weiteren Fall, der leicht verlief, sank der R.N. 2 Tage nach
der Entfieberung von 59 mg auf 41 mg ab. Im übrigen waren die
Fälle mit erhöhtem R.N. keineswegs in der Schwere des Verlaufs
und der Zahl der Komplikationen denen mit normalem Werten über¬
legen.
Masern. Untersucht wurden 36 Fälle je einmal. Gefunden wur¬
den Werte:
bis 35 mg.16 mal
36—45 mg . . ... 14 mal
über «mg. . 6mal.
Von diesen letzteren waren:
zwischen 46 und 50 mg.4 Wert«
sowie je einmal 52 und 67 mg.
Audi hier wurden die Blutproben bei voll entwickeltem Exanthem
entnommen.
Der Höchstwert von 67 mg verlief (in dt.' sonst ziemlich kompli-
kationsreichen Epidemie) völlig komplikationslos und sehr leicht. Eine
Nachuntersuchung konnte aus äußeren Gründen nicht ausgeführt
werden. Ebenso ein Fall mit 50 mg, während der mit 52 mg 3 Tage
später eine Otitis media duplex, einer mit 49 mg 3 Tage nach der
Entnahme eine Pneumonie aufwies. Erscheinungen von seiten der
Nieren lagen bei allen 3 Größengruppen mit prozentual gleicher
Häufigkeit vor. Es handelt sich stets nur um leichte, rasch vorüber¬
gehende Albuminurie und gelegentlidien Befund von hyalinen Zylindern.
Auch hier spielte die Fieberhöhe keine RoUe für den Ausfall der
R.N.-Bestimmung. Ebenso war die Häufigkeit späterer Komplikationen
in allen Gruppen gleich groß.
Diphtherie. Untersucht wurden 40 Fälle, bei denen 42 Bestimmun¬
gen gemacht wurden. Gefunden wurden Werte:
bis 35 mg.23 mal
36 - 45 mg. Oma]
über 45 mg. Soul.
Von diesen letzteren waren:
zwischen 46 und 50 mg ..5 Wette
sowie je einmal St, 06 und 151 mg.
Digitized fr,
Google
Original from
CORNELL UNfVERSITY
! 6. Februar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
227
Von diesen bot nur die Patientin mit dem Höchstwert von 151 mg
ein um ein ganz weniges schwereres Bild.
Die 33jährige Frau wurde am 3. Krankheitstage mit mittelstarken
speckigen Belägen, die sich auch auf die Uvula erstreckten, auf¬
genommen (in unserer Klassifizierung Di. II). Temperatur 38,2°.
Puls etwas weich, regelmäßig. Blutdruck: 95/56. Erhält Serum je
4000 intravenös und intramuskulär. Am 5. Krankheitstage, da Beläge
fast unverändert, Temperatur 38,9°, erneut 3000 intravenös, vorher
Entnahme für R.N.: 151mg (morgens nüchtern). Am nächsten Tage
fieberfrei, am 8. Tage Beläge geschwunden. Am 10. Tage R.N. 41 mg.
Weiterer Verlauf komplikationslos.
Im übrigen verteilt sich die Schwere der Fälle folgendermaßen:
Werte DL I H
bis 35 mg 16 4
36-45 01 7 1
aber 45 mc 7 1
Folgeerscheinungen der Di. wurden nur bei den Fällen mit nor¬
malem K.N. beobachtet, und zwar 6mal Myokarditis, einmal postdi-
phtherische Lähmungen. Die Fieberhöhe war auch hier ohne Einfluß
auf die Höhe des R.N.
Bei dem 2. nachuntersuchten Fall (Di. I) sank der R.N. von 66 mg
am 2. Krankheitstage auf 37 mg einige Tage nach der Entfieberung.
Es fand sich demnach auch in unserer Untersuchungsreihe bei
kruppöser Pneumonie, Scharlach, Masern und Diphtherie eine gewisse
Zahl von Fällen, die einen erhöhten Reststickstoff aufwiesen, der
meist bald nach dem Abklingen der Erkrankung zur Norm zurück¬
kehrte. Und zwar waren es durchaus nicht die klinisch am schwer¬
sten verlaufenden Fälle, die diese Erscheinung boten.
Ueber ihre Ursache gehen die Ansichten zur Zeit noch insofern
auseinander, als die einen die R.N.-Erhöhung aus einem toxischen
Eiweißzerfall ohne Nierenschädigung erklären, die andern eine Nieren-
Schädigung als notwendig bezeichnen. (Die Ansicht Rzentkowskys
über die Ursache der R.N.-Erhöhung bei Pneumonie habe ich oben
bereits erwähnt.) Für die erste Ansicht tritt vor allem Wagner
(Lc.) ein, der auch reichliches Material aus der Literatur zu dieser
Frage beibringt. Er glaubt eine Insuffizienz der Nieren für Stick-
stoffschlacken dadurch ausschließen zu können, daß die Harnstoffaus-
scheidung im Infektionsfieber erheblich gesteigert ist. Demgegenüber
betont Falta (13) in einer kurzen Entgegnung, daß bei Oesunden
niemals eine Retention selbst großer zugeführter Hamstoffmengen
eintritt, daß hierzu vielmehr stets eine gewisse Niereninsuffizienz
gehört. Eine solche relative Insuffizienz gegenüber den reichlichen
N.-Schlacken, die aus toxogenem Eiweißzerfall herrühren, nimmt er
auch für die Infektionskrankheiten an.
M. E. bedarf es zunächst noch der Aufklärung, warum einerseits
bei klinisch schwer toxischen Fällen eine R.N.-Erhöhung so häufig
ausbleibt, anderseits sie bei durchaus atoxischen Fällen in so erheb¬
lichem Umfange auftritt. Solange diese Frage nicht völlig geklärt
Ist, und sie kann dies wohl nur durch eine möglichst große Reihe
von Erfahrungstatsachen, bleibt selbst die Annahme des toxogenen
Eiweißzerfalls, der ja an sich feststeht, als Ursache der R.N.-Erhöhung
Hypothese, soviel auch für sie spricht. Ein zweites Moment muß
mitwirkend hinzutreten. Und wenn ich persönlich mich in meinen
Betrachtungen über den R.N. bei Grippe ebenfalls für diese Hypothese
entschieden habe, so möchte ich mien daneben doch auch der Falta-
sehen Ansicht anschließen, daß in allen Fällen von R.N.-Erhöhung eine
Nierenschädigung vorliegen muß. Für sie die anatomische Unter¬
lage zu finden, muß das Ziel weiterer Forschungen sein. Es ist sehr
wohl möglich, daß zwar der toxische Eiweißzerfali in allen Fällen
eintritt, nicht aber die Nierenschädigung, die zur Retention der
Schlacken erforderlich ist. Ergibt die weitere Forschung die Be¬
dingungen, unter denen eine solche Schädigung sich ausbildet, und
stimmen die klinischen und pathologisch-anatomischen Beobachtungen
überein, so wird damit die Frage der R.N.-Erhöhung bei Infektions¬
krankheiten gelöst sein. Erst dann aber läßt sich aus der Bestimmung
des R.N. eine Bereicherung der Klinik erwarten.
1. W Arch. 1920.1, S. 575. - 2. Erscheint in der Ztschr. Pklln. M.-3. Virch. Arch.
1905,179,ft 405b— 4. Oazeta Lekarska 1912Nr.l6ref.; Zbl.f.Biol 1912/13,14.S.413. - 5. The
Arch. of Int. medL, 14, S. 620, ref. Jber ges. M. 1914 S. 173. — 6. D. Arch. f. klin. M. 1916,120,
S. 394. - 7. Korr. BL f. Schweiz. Aerzte 1913 S. 1474. - 8. Blochern. Zschr. 1916,77, S 189. —
ft Verh. D. Koagr. (. Inn. M. 1913. — 10. Presse m4d. 1919 S. 367. — 11. Presse m<d. 1917
ft 301. — 12. Presse @44,1914 S. 37. — 13. Wien. Arch. 1921,2, H. I.
Aus der Landes-Heil- und Pflegeanstalt Philippshospital
bei Goddelau (Direktor: Med.-Rat Schneider).
Die Verwendung von Akridinfarbstofflympben zur
Sdnrtzpockenimpfung am Menschen.
Von Dr. Erast liiert, Assistenzarzt der Anstalt.
H. A. Gi n s veröffentlicht in der D. m. W. 1921 Nr. 45 ein Verfahren
zur Gewinnung bakterienarmen Kuhpockenimpfstoffs, wobei er in
der Aufzählung praktisch aussichtsreicher Methoden lediglich das
Chinosoiverfahren von S e i f f e r t und Hüne sowie die Methode
Kirsteins (Zusatz von Eukupinotoxin 1:5000 zur fertigen Olyzerin-
iymphe) erwähnt Er übergeht dabei ein Verfahren 1 ), das, aus dem
*) VgLE liiert, ZbL t Bakt. I. Abt 1921,84 H. 1.
M darunter aus¬
schließlich Larynx
3 2
1 —
Hygienischen Institut der Universität Frankfurt a. M. auf Veranlassung
von Prof. H. Braun veröffentlicht, den Nachweis erbrachte, dal
es mit Hilfe einer l»/oigen Lösung des von L. Benda dargestellten
Akridinfarbstoffs Trypaflavin, mit dem Käiberrohstoff an Stelle des
80Voigen Glyzerinwassers im Verhältnis 1:4 —1:5 verrieben, gelingt
diesen in 24—48 Stunden praktisch keimfrei zu machen. Die so er¬
haltene Farbstofflymphe wird unmittelbar zur Impfung verwendet
Zur weiteren Prüfung dieser für die Impfpraxis wichtigen Frage
wurden an der hiesigen Anstalt außer Trypaflavin (Handelsware)
noch drei andere, von der Firma Leopold Casella 8i Co. bereitwilligst
zur Verfügung gestellte Akridinderivate geprüft, nämlich 1. konzen¬
triertes Trypaflavin (das saure Chlorid des 3,6-Diamin-10-methyl-
akridiniums), 2. Neutraltrypaflavin (Handelsware), das neutrale
Chlorid des gleichen Farbstoffs, 3. konzentriertes Neutraltrypaflavin.
Die Bezeichnung „Handelsware" charakterisiert die durch Kochsalz¬
zusatz abgeschwächten Verbindungen! der gleichnamigen konzentrier¬
ten Farbstoffe. i
Zur Herstellung der Lymphen wurden l<>/oige Lösungen der vier
Farbstoffe verwendet, die mit dem Rohstoff im Porzellanmörser zu
einer feinen Emulsion verrieben und dann im Eisschrank aufbewahrt
wurden. Die Virulenzprüfungen solcher Lymphen, die im Frankfurter
Hygienischen Institut an der Kaninchenhornhaut vorgenommen wurden
una ein befriedigendes Ergebnis hatten, konnte ich hier am Menschen
ausführen. Hierfür dienten als ausgesuchtes Material die idiotischen
und imbezillen Kinder unserer Anstalt, die revhkziniert werden mu߬
ten, wofür bei 22 Kindern Farbstofflymphen verwendet wurden.
Gerade die Kinderstation einer Irrenanstalt ist wie kein anderes
Material von Impflingen zur Entscheidung der Frage passend, ob die
Akridinfarbstofflymphen geeignet sind, bei genügender Erhaltung der
vakzinalen Virulenz und rascher Entkeimung des Rohstoffs die pri¬
mären und sekundären Infektionen der Impfschnitte zu verhindern,
da die schwachsinnigen Kinder denkbar unreinlich sind, mit Stuhl
und Urin schmieren, keinen Verband an sich dulden, also Infektionen
der Impfschnitte sicher jedesmal in beträchtlichem Maße bewerk¬
stelligen.
Als Ausgangsmaterial zur Lympheherstellung dienten vier Kälber¬
rohstoffe verschiedener Herkunft (aus der Hessischen Impfanstalt,
Ober-Med.-Rat Groos, von Prof. Paschen in Hamburg, von Dr.
Gins, Berlin, schließlich, um größere Mengen zu erhalten, sdbst-
hergestellter Rohstoff). Die mit den vier Farbstoffen hergestellten Roh¬
stoffverdünnungen betrugen 1:4 bzw. 1:5, sodaß die Glyzerinkon¬
trollen den zur Zeit üblichen Lymphverdünnungen entsprachen. Das
Resultat der bakteriologischen Untersuchung von 12 Farbstoff- und
Glyzerinlymphproben ergab hinsichtlich der Abtötung der Rohstoff¬
keime in der Mehrzahl der Fälle eine Ueberlegenheit der desinfizieren¬
den Wirkung der Farbstoffe über das 80°/oige Glyzerinwasser. Beson¬
ders erwies sich das konzentrierte Neutraltrypaflavin dem
80°/oigen Glyzerin, ebenso dem konzentrierten Trypaflavin und Trypa*
flavin-Handelsware, sowie dem Neutraltrypaflavin-Handelsware über¬
legen. Bei konzentriertem Neutraltrypaflavin war z. B. die Keimzahl
der Lymphproben bei einer Rohstoffkeimzahl von 30000000 Keimen
in lg Rohstoff nach 48 Stunden in der Glyzerinlymphe auf 40000,
in der Trypaflavinlymphe auf 6000, in der konzentrierten Neutral*
trypaflaviniymphe auf 800 zurückgegangen. Die gleichen Proben
enthielten nacn 7 Tagen 35000, bzw. 8000, bzw. 180 Keime in 1 ccm
Lymphe. Als besonders beweisend führen wir das Protokoll über
die Desinfektion unseres keimreichsten Rohstoffes an, der in 1 g
etwa 3 Milliarden Keime enthielt. Die Verdünnungen dieses Roh¬
stoffes wurden folgendermaßen ausgeführt:
Probe I «= 0.75 g Rohstoff + 3 ccm 80*/* Glyzerin
Probe II = 0,75 g Rohstoff -f 3 ccm 1konzentriertes Neutraltrypaflavin
Probe Hl«0,7^g Rohstoff+3 ccm 1% Neutraltrypaflavin (Handelawara)
Probe IV ■= 0,75 g Rohstoff + 3 ccm 1% konzentriertes Trypaflavin
Die*Keimzahlen betrugen in diesen Lymphproben
bei
nach
48 Std.
nach
8 Tagen
nach
14 Taten
nach
3 Wochen
Probe I
Probe II
Probe AI
Probe IV
225000000
4000000
6500000
20000000
48000000
2500
180000
150b 000
27000000
1200
15000
600000
15000003 '
800
20000
25000
1 Keime In
r 1 ccm Lymphe.
Daneben konnten wir bei der regelmäßig ausgeführten bakterio¬
logischen Kontrolle frühere Beobachtungen gleicher Art bestätigen,
daß Keimschwankungen in der gleichen Lymphprobe auch bei sorg¬
fältigster Aufbewahrung und Kühlhaltuag der Lymphen Vorkommen,
die nach anfänglicher Keimverminderung nachträgliche Keimvermeh¬
rungen eventuell beträchtlicher Art zeigen. Diese Keimschwankungen
waren bei den konzentrierten NeutralHypaflavinlymphen im Gegen¬
satz zum Glyzerin und den drei anderen Farbstoffen so gering,
daß sie praktisch keine Rolle spielest Neben dieser günstigen Wir¬
kung des konzentrierten Neutraltrypafbvins auf die Rohstoffkeime
beobachteten wir bei dem gleichen Farbstoff eine Erhaltung der
vakzinalen Virulenz der Lymphe, die in gleichem Maße bei den
anderen Farbstoffen nicht nachzuweisen war. Bei den Impfungen
der 12—14jährigen Kinder zeigte es sich, daß bezüglich der Entwick¬
lung der Impfpusteln und dem Auftreten der spezifisch entzündlichen
Reätionen die konzentrierte Neutraltrypaflaviulymphe in keinem
Fall hinter den Glyzerinkontrollen zurückstand, was wir vereinzelt
hei den drei anderen Farbstoffen, namentlich bei Trypaflavinhandels-
’^are, beobachteten. Das Alter der Farbstofflymphen, mit denen ge-
Digitizes'by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
228
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
impft wurde, schwankte von 2 Tagen bis zu 4 Wochen. Die Impf¬
reaktionen, die mit den 48 Stunden alten Lymphen erhalten wurden,
unterschieden sich in nichts von dem üblichen Bild, vor allem traten,
abgesehen von vollentwickelter Area, keine übermäßig starken Reak¬
tionen auf, und in keinem Fall erfolgten Infektionen der Impfschnitte.
Da es sich ausschließlich um Wiederimpflinge handelte, müßte an
Erstimpflingen noch nachgeprüft werden, ob derartige junge Lymphen
unbedenklich verwendbar sind. Bezüglich ihres Keimgehaltes bestehen
keinerlei Bedenken, da sie bei mittlerer Rohstoffkeimzahl nach
48 Stunden praktisch keimfrei sind.
Auch die quantitative Virulenzprüfung intrakutan am
Kaninchen nach Groth 1 ) zeitigte das gleiche Ergebnis wie die
Impfungen am Menschen.
Als wesentliche Unterschiede unserer Methode gegenüber der
von Gins angegebenen Karbolsäurebehandlung des unzerkleinerten
Rohstoffs möchten wir zunächst.die Einfachheit der Lympheherstellung
hervorheben, da der Rohstpff nur an Stelle des 80<Yoigen Glyzerin¬
wassers mit der lo/ 0 igen Farbstofflösung vermahlen wira. Hierdurch
wird der Rohstoffveriust der Q i n s sehen Methode ausgeschaltet, der
beim Waschen des mit Karbolsäure behandelten Rohstoffs entsteht
und für kleinere Impfanstalten nicht unbeträchtlich ist. Ganz beson¬
ders aber möchten wir betonen, daß bei der Farbstofflymphe gleich¬
zeitig mit der Impfung eine prophylaktische Wunddesinfek¬
tion ausgeübt wird, die, wie experimentelle Erfahrungen im Tier¬
versuch zeigen*), das Zustandekommen virulenter Infektionen ver¬
hindern kann, ein Gesichtspunkt für die Bekämpfung der primären
Infektionen der Impfschnitte.
Zusammenfassung. 1. Farbstofflymphen, die mit konzentriertem
Neutraltrypaflavin hergestellt sind, werden in wesentlich kürzerer
Zeit keimfrei als entsprechende Glyzerinproben. Bei mittlerer Roh¬
stoffkeimzahl ist die Lymphe in 24—48 Stunden gebrauchsfertig.
Nachträgliche bedeutendere Keimvermehrungen finden in solchen
Lymphen nicht statt.
2. Bei Impfungen am Menschen ist die vakzinale Virulenz der
mit konzentriertem Neutraltrypaflavin hergestellten Lymphe entspre¬
chender Glyzerinlymphe ebenbürtig.
3. Bei der kutanen Anwendung der Farbstofflymphe wird zu¬
sammen mit der Vakzination eine prophylaktische Wunddesinfektion
ausgeübt.
Die Behandlung der Reizblase mit Eukupinöl..
Von San.-Rat Dr. C. Schneider in Bad Brückenau und München.
Im Jahre 1017 wurde von mir die Anästhesierung der Blase
mit Eukupinöl empfohlen (1). Bald nach der Veröffentlichung
konnte Hofmann (2) in einer Arbeit aus der Chirurgischen Uni¬
versitätsklinik in Berlin über gleich gute Erfahrungen mit diesem
Mittel berichten, auch Picard (3) hat die vorzügliche Wirkung des
Eukupinöls an Patienten der Chirurgischen Universitätsklinik in Frank¬
furt a. M. erprobt und empfiehlt es, besonders da er unter fortlaufen¬
der zystoskopischer Kontrolle in zwei Fällen von Blasen-Nierentuber-
kulose eine zunehmende Besserung, ja Heilung des Blasenbefundes
beobachtet hat.
Um festzustellen, ob es nicht das Einbringen von Oel allein ist,
das eine Besserung der Beschwerden herbeiführt, wurde eine Anzahl
von Patienten zuerst mit Instillationen von reinem, sterilem Oel be¬
handelt, ohne daß dadurch mehr als eine leichte Minderung des
Schmerzes am Ende der Miktion erzielt wurde, die Zahl der Mik¬
tionen blieb bestehen; erst als dann die Behandlung mit l°/oigem
Eukupinöl einsetzte, ging die Zahl der Miktionen herunter, und die
Schmerzen bei der Miktion nahmen erheblich ab oder verschwanden
vollständig. Besonders war dies bei tuberkulösen Blasen zu beob¬
achten, wobei aber nicht eine direkte Beeinflussung des tuberkulösen
Prozesses die Ursache der Besserung zu sein scheint, sondern viel¬
mehr die relative Ruhigstellung der Blase. Wissen wir doch aus der
Anwendung des Verweilkatheters, wie überraschend oft Entzündungen
der Blasenschleimhaut ausheilen, wenn die Blasenwand ruhiggestellt
wird. Ob auch die parasitrope Komponente des Eukupins im Sinne
derTransgression Morgen roths, wie Picard (3) meint, auf die oft
gleichzeitig mit der tuberkulösen Infektion bestehende Mischinfektion
in Wirkung tritt, ist nicht sicher zu entscheiden, ist aber wohl nicht
ausschlaggebend. Die desinfizierende Wirkung des Eukupins spielt
aber insofern eine Rolle, als nie das Auftreten einer Mischinfektion
bei zahlreichen Instillationen ,-niit Eukupinöl beobachtet wurde, obwohl
das Oel oft tagelang in der Blase bleibt, wobei es selbstverständlich
war, daß bei der Ausführung, der Instillationen die entsprechende
Asepsis beobachtet wurde. -
Seit der ersten Veröffentlichung wurde eine Reihe weiterer
Blasentuberkulosen mit Eukupinöl erfolgreich behandelt,^ aber auch
bei Reizblasen auf nicht tuberkulöser Basis wurde dieses mit gutem
Erfolge angewendet. Schon Picard hat die wohltuende Wirkung
bei schmerzhaften, inoperablen Anilintumoren erwähnt, dem gesellen
sich andere Fälle hinzu, die ich in den letzten Jahren zu beooachten
Gelegenheit hatte.. So ließen bei 3 Patienten mit hochgradiger Phos-
haturie die Schmerzen in der Blasengegend, die beständig vor*
anden waren, sich aber bei und nach der Miktion bis zur Unerträg-
*) Vtf. Groth; Hyg. Rdsch.:i919 S. 342. - •) VgJ. M, Feiler, Zscbr. (.Immun.
Fonch. 1620, (Orig.) 30, H. I.
Nr. 7
lichkeit steigerten, nach 2—3 Eukupinölinstillationen erheblich nach,
verschwanden nach einigen Tagen vollkommen und traten auch nach
Aussetzen des Mittels nicht wieder auf, obwohl mäßige Phosphat¬
ausscheidung weiter bestand. Zystoskopisch war bei diesen Fallen
eine landkartenartige Zeichnung und Rötung der Blasenschleimhaut
besonders am Grund der Blase zu sehen, die nach Anwendung des
Eukupinöls verschwunden war.
6 Fälle von Reizblasen infolge von Ulcus Simplex der Blase
konnten ebenfalls erheblich gebessert werden. Besonders in einem
Falle hatte das Ulkus jahrelang bestanden und war durch keinerlei
Therapie der Harndrang, der Tag und Nacht bestand, zu beeinflussen
gewesen, erst die Behandlung mit lo/oigem Eukupinöl brachte es
zustande, daß die Miktionszanl von 30—40mal in 24 Stunden auf
10—12mal in der gleichen Zeit herunterging. Charakteristisch war
die Aeußerung dieses Patienten nach den ersten Instillationen, er
habe zum ersten Male, seitdem er behandelt werde — und er ist
sehr häufig und mit allen möglichen Mitteln behandelt worden —,
ein wohltuendes Gefühl in der Blase gehabt, es sei zwar zuerst ein
leichtes Brennen aufgetreten, dieses habe sich aber bald verloren.
Die Art des Ulkus war nicht festzustellen, selbst die Untersuchung
eines probeweise aus dem Rande entnommenen Stückchens ergab
keinen Anhaltspunkt. Wurde die Anwendung des Eukupinöls längere
Zeit aiisgesetzt, so trat allmählich wieder eine Vermehrung der
Miktionszahl ein.
Während der letzten Grippeepidemie wurden einzelne Fälle von
Harnblutungen beobachtet, dabei bestand heftiger Blasendrang. Zysto¬
skopisch sah man die Blasenschleimhaut übersät mit kleinsten, stern¬
förmigen Blutungen, die Berührung der Blasenschleimhaut mit dem
Zystoskop war erheblich schmerzhafter, als man es sonst beobachtet.
Auch in diesen Fällen ließ der Blasenreiz durch Eukupinöl vollkommen
nach, das Blut im Urin verschwand bald, und nach 8 Tagen zeigte
die Blasenschleimhaut bei der Zystoskopie wieder vollkommen nor¬
males Aussehen.
Die reizherabsetzende Wirkung des Eukupinöls konnte man auch
feststellen bei aufsteigender gonorrhoischer Infektion, wenn ein starker
Blasenreiz bestehen Bleibt, nachdem die akute Infektion abgelaufen
ist und der Ham in der zweiten Portion sich vollkommen geklärt hat.
Zystoskopisch sieht man dabei keine Schleimhautdefekte, sondern ab-
gegrenzte Rötung der Schleimhaut im hinteren Teil des Blasenbodens,
dort, wo die Samenblasen der Blasenwand benachbart sind. Die Ent¬
zündung an dieser Stelle dürfte von einer Spermatozystitis ausgehen
und auf die Blasenwand fortgepflanzt sein. Man kann nämlich auch
nur einseitige Rötung der Blasenschleimhaut beobachten und dann
nach Einführung des Urethroskopes für die hintere Harnröhre sehen,
wie auf Druck auf die Samenblase der geröteten Seite dicker Eiter
kommt, während sich bei Expression der anderen Seite nur wenig
schleimiges Sekret entleert, wenn man zuerst die Samenblase der
nichtgeröteten Seite auspreßt, so erhält man zuerst Schleim, dann
dicken Eiter von der anderen Samenblase. Auch bei diesen Reizblasen
beseitigen einige Instillationen von Eukupinöl und gleichzeitiger Samen-
blasenbehandlung den Blasenreiz.
Kein Erfolg der Eukupinölinstillationen wurde bei Reizblasen
auf rein nervöser Basis gesehen, was ja nicht zu verwundern ist,
da der Reiz in diesen Fällen nicht von der Schleimhaut ausgeht,
sondern andere Ursachen hat
Was die Technik der Instillationen anbelangt, so ist
diese ja einfach, aber ich möchte mich ausdrücklich gegen die Aus¬
führung der Instillationen durch das Pflegepersonal wenden, wenig¬
stens im Anfang der Behandlung, später kann man den Pflegepersonen
die Ausführung überlassen, evtl, auch dem geschickten Patienten
selbst. Es kommt nämlich im Anfänge alles darauf an, eine Ueber-
dehnung der Blasenwand, die durch Schmerzempfindung von seiten
des Patienten angezeigt wird, möglichst zu vermeiden. Es ist deshalb
auch nicht zweckmäßig, eine bestimmte Menge von Eukupinöl anzu¬
geben, die zu Anfang der Behandlung in die Blase gebracht werden
soll. Es genügt, die ersten Male nur wenige Kubikzentimeter Eu¬
kupinöl einzubringen, dabei ist es auch zweckmäßig, die Blase nicht
vollständig zu entleeren, damit die Blasenwand nicht an die Spitze
des eingeführten Katheters stößt. Man läßt nur so viel Urin ab,
als man Oel einführen will, meistens etwa 5 ccm. Hat man so sorg¬
fältig die Behandlung durchgeführt, so wird man bald erkennen, daß
die Blase viel toleranter geworden ist, man spritzt dann bis zu 10 ccm
Oel ein oder läßt solches einspritzen.
Zur Einbringung in die Blase nimmt man einen dünnen Nelaton-
katheter, den man gleich mit Eukupinöl einfettet. Die Haltbarkeit
des Gummikatheters leidet zwar dadurch etwas, aber man kann die
Wahrnehmung machen, daß Katheterpurin oder ähnliche Gleitmittel
bei tuberkulösen Blasen selbst in kleinen Mengen reizen.
Wie schon in der ersten Arbeit über Eukupinöl erwähnt, entsteht
nach den ersten Einführungen, selbst wenn man sehr schonend vor¬
gegangen ist, ein leichtes Brennen in der Blasengegend, das sich
bis in die Harnröhre fortsetzt, sich aber bald verliert und bei späteren
Instillationen nicht mehr auftritt. Das Brennen ist bei 2o/oigem Eu¬
kupinöl stärker als bei lo/oigem, auch länger anhaltend, und wurde
deshalb, wie dies auch von Picard angegeben wird, nur das l<Voige
Oel venvendet. Die Instillationen werden zuerst alle Tage einmal
femacht, später werden 24—48stündige Pausen eingelegt, je nach
er von Fall zu Fall verschiedenen Dauer der Eukupinwirkung. In
allen Fällen ist aber die Behandlung nicht zu bald abzubrechen,
zumal anscheinend keine Gewöhnung an das Mittel eintritt. Bei
Blasen mit Restham soll man das Oel von Zeit zq Zeit durch
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
16. Februar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
229
Spülung mit sterilem Wasser vollkommen entleeren, es ist dies wohl
zweckmäßig, obwohl nie eine Veränderung des Oeles beobachtet
wurde, selbst wenn es sehr lange Zeit in der Blase geblieben war.
Die Herstellungder Eukupinlösung geschieht so, daß
man das entsprechende Quantum Oel zuerst auf etwa 40—50 0 erwärmt,
dann unter Umschütteln langsam die der Oelmenge entsprechende
Dosis Eukupin (Vereinigte Chininfabriken Zimmer 8e Co., Frank¬
furt a. M.) zugibt und dann das Oel auf offener Flamme so erhitzt,
daß es kurze Zeit kocht. Die Temperatur soll etwas über 100° be¬
tragen, damit die Luftbläschen und evtl, anhaftenden Wasserteilchen
von dem Eukupin vertrieben werden. Länger als 5 Minuten soll das
Oel nicht kochen, auch nicht so stark soll es erhitzt werden, daß
eine starke Bräunung eintritt. Man nimmt am besten Olivenöl, doch
war man während des Krieges gezwungen, auch anderes Oel zu
verwenden, man mußte dann aber darauf sehen, daß dieses keine
reizenden Bestandteile enthielt, sonst war in der Wirkung kein
Unterschied zu bemerken. Nach Erkalten ist das Oel verwendbar
und braucht nicht jedesmal neu sterilisiert zu werden, das Oel hält
sich, gut verschlossen, nach meinen Erfahrungen steril. Die Eukupin¬
lösung kann nach dieser Vorschrift in jeder Apatheke hergestellt
werden, doch hält auch die obengenannte Fabrik Ityoige Lösungen
steril in Mengen von 50 und 100 ccm vorrätig, die direkt oder durch
eine Apotheke bezogen werden können. Das Oel soll auch nicht au»
der Vorratsflasche mit der Spritze entnommen werden, sondern das
entsprechende Quantum ist in ein steriles Schälchen abzugießen.
Auf Zusätze von Jodoform, Guajakol und ähnlichen Mitteln
wurde nach anfänglichen Versuchen verzichtet, da nicht festgestellt
werden konnte, daß dadurch eine besondere Heilwirkung zu er¬
zielen war.
Zum Schlüsse sei auch noch auf die Anwendung des l°/oigen
Eukupinöles bei schwer zu sondierenden Urethralstenosen hinge¬
wiesen und zosammenfasseod festgestellt, daß wir in dem lo/oigen
Eukupinöl ein Mittel besitzen, das geeignet ist, bei
Reizblasen verschiedener Aetiologie den Reiz erheb¬
lich herabzusetzen, ja völlige Heilung herb eizuführen.
Eine Ausnahme bilden nur die Reizblasen auf rein nervöser Basis.
1. B. kl W. 1917 Nr. 21. - 2. & ItL W. 1917 Nr. 38. - & M. m. W. 1900 Nr. 28.
Aus der IV. Medizinischen Abteilung des Eppendorfer Kranken*
hauses. (Oberarzt: Dr. Rege.)
Zur Kasuistik der traumatischen Herzklappenzerreißungen.
Von Dr. Günther Brandts.
Es handelt sich um einen 50 Jahre alten Mann, der von Beruf
Waldbornbläser ist. Bis zu seinem 30. Lebensjahr (1901) war er kern¬
gesund, hatte nie über Herzbeschwerden geklagt, keinen Gelenk*
rheumatismus durchgemacht. Damals wurde er zu einer 14tägigen
militärischen Uebung eingezogen und bei der vorausgehenden ärzt-
lidien Untersuchung für gesund befunden. 3 Tage vor Schluß der
Uebung spürte er bei einem 100-m-Vorlauf mit vollem Gepäck plötz¬
lich einen starken Ruck in der Herzgegend, „als wenn man einen
Stock durchbräche“. Er wurde kurz darauf bewußtlos und erwachte
erst wieder in der Kaserne, wohin ihn Kameraden gebracht hatten.
2 Tage später wurde er ins Lazarett aufgenommen, wo eine starke
Verbreiterung des Herzens nach rechts und links mit hebendem
Spitzenstoß im 6.1.-R. festgestellt wurde. Klappengeräusche wurden
nicht gehört. Einen Monat später ergab die Untersuchung, daß die
Verbreiterung nach rechts zurückgegangen war, im übrigen war der
Befund unverändert. Das abschließende militärärztliche Urteil lautete
folgendermaßen: „C. leidet an einer akuten Herzerweiterung, be-
zienentlid^ Herzmuskelerkrankung (idiopathische Herzmuslcelentartung),
die sidi in Herzklopfen, Kurzatmigkeit und Unregelmäßigkeit des
Pulses und in zeitweise auftretenden stechenden Schmerzen am Her¬
zen äußert. Die Behorchung läßt durch den Nachweis des Fehlens
deutlicher Herzgeräusche die Anwesenheit eines Herzklappenfehlers
aussdiließen.“ Seitdem bezieht C. eine militärische Rente. Die
häufigen militärärztlichen Nachuntersuchungen ergaben stets den
gleichen Herzbefund, vor allem wurden nie Geräusche gehört. Nur
einmal im Jahre 1903 wird in einem Privatattest ein leichtes Blasen
an der Spitze angegeben. Audi die Beschwerden blieben die gleichen.
C. mußte häufig seine Stellung wechseln, weil er den Anforderungen
seines Berufes als Bläser durch plötzlich einsetzende Atemnot oder
Herzklopfen nicht gewachsen war. Im August 1921 wurde er dem
Eppendorfer Krankenhaus zur Begutachtung überwiesen.
Hier wurde folgender Befund erhoben: Kräftig gebauter Mann
in gutem Ernährungszustände. Brustkorb symmetrisch. In der linken
Mamillariinie sieht man im 5. und 6. l.-R. die Herzpulsation an¬
gedeutet. Relative Herzdämpfung: Rechter Sternalrand, unterer Rand
der 3. Rippe, 13 cm von Stemalmitte. Absolute Herzdämpfung: Lin¬
ker Sternalrand, unterer Rand der 4. Rippe, 13 cm von Stemahnitte.
Der Spitzenstoß ist im 6.1.-R. fühlbar, 4cm breit, etwas hebend:
Auskultatorisch hört man an der Spitze ein kurzes, kaum wahrnehm¬
bares diastolisches Geräusch, das sich aber beim Aufrichten und
besonders nach Muskelanstrengung verstärkt. Nur in diesem Zustand
ist auch über der Aorta ein feines diastolisches Geräusch hörbar,
in Ruhelage ist hier der 2. Ton rein, deutlich klappend. Der Pufo
ist groß und schnellend, an der linken Radialis sichtbar. An Stirn
und Nagelbett ausgesprochener Kapiüarpufs. Blutdruck R.R. 135/7^
Röntgenbefund: Das Herz zeigt Aortenkonfiguration. Die
Aorta ist Icooperscherenförmig gebogen, im Hilus sind beiderseits
dichte Schatten vorhanden, die sich in das Lungengewebe auffasem.
Pulsation kräftig, auch in den Hilusschatten ist Pulsation wahrzu¬
nehmen, es handelt sich um Aorteniiisuffizienz mit aneurysmatischer
Vorbuchtung. Die ausgeprägten Schatten in den Hilusgegenden sind
wahrscheinlich durch Stauungen im kleinen Kreislauf bedingt.
Alle übrigen Organe zeigen normalen Befund. Die Wa.R. ist
negativ. Der klinische Befund ergab hier in Uebereinstimmung mit
dem Röntgenbericht das Bild einer reinen Aorteninsuffizienz. Die
starke Verbreiterung des Herzens nach links und unten, die fort¬
gepflanzte Arterienpulsation, der Pulsus celer et altus, der Kapillar-
puls sind charakteristisch. Auffallend ist nur das in Ruhelage ganz
fehlende diastolische Geräusch über der Aorta. Solche Fälle sind
aber in der Literatur mehrfach beschrieben (Romberg, Henschel).
Das Stärkerwerden des Geräusches in aufrechter Stellung wird geraae
bei Aorteninsuffizienz betont (Mackenzie).
Wenn man nach Maßgabe dieses Befundes auf die Anamnese
zurückblickt, so gewinnt die Annahme an großer Wahrscheinlichkeit,
daß es sich bei dem 1901 stattgehabten „Herzshok“ nicht um eine
idiopathische Herzmuskelerkrankung, sondern um eine regelrechte
Zerreißung der Aortenklappen gehandelt hat. Dafür spricht vor
allem „der merkbare Ruck“, den C. in der Brust verspürte und von
dem an sein Herzleiden datiert. Bei allen Angaben über Klappen¬
zerreißungen wird dieser plötzliche Ruck betont (Thiem, Luce).
Der gleich nach dem Unfall erhobene klinische Befund hätte das
typische Bild einer Aorteninsuffizienz ergeben, wenn ein diastolisches
Geräusch gehört worden wäre. Bei Fehlen eines jeglichen Oeräusches
wurde so eine Klappenzerreißung von dem Begutachter anscheinend
nie in den Bereich der Möglichkeit gezogen. Auch jetzt ist das
diastolische Geräusch so leise und nur unter gewissen Bedingungen
hörbar, daß man sehr wohl den Schluß wagen darf, es sei auth
damals schon vorhanden gewesen und den Beobachtern vielleicht
entgangen. Die Annahme, es habe sich auf Grund der damaligen
idiopathischen Herzmuskelerkrankung irgendwann im Laufe der Jahre
eine Aorteninsuffizienz herausgebildet, erscheint dagegen recht ge¬
sucht. Leider fehlen in den militärärztlichen Befunden meist die
Angaben über die Art des Pulses und den Blutdruck, nur 1903 wird
erwähnt, daß der Puls „stark gefüllt und sehr gespannt“ gewesen
sei. Dies entspricht ganz unserm jetzigen Befunde.
Alle andern Ursadien, die für eine Aorteninsuffizienz in Betracht
kommen, wie Gelenkrheumatismus, Lues oder Arteriosklerose, können
so gut wie sicher ausgeschlossen werden. C. hat nie über Gelenk¬
schmerzen geklagt, für Lues ist gar kein Anhaltspunkt, die Wa.R. war
1919 und jetzt wieder negativ, auch spricht das in einem Zeitraum von
20 Jahren relativ stationäre Verhalten des Herzleidens ganz gegen
luische Aetiologie. Ebenso hätte eine Arteriosklerose in dieser Zeit
sicherlich eine Reihe andrer Symptome gezeigt.
Besteht demnach die Annahme einer Klappenzerreißung tatsächlich
zu Recht, so würde es sich hier um den sehr seltenen Fall handeln,
wo durch reine Ueberanstrengung, nicht durch Stoß oder Erschütte¬
rung, eine Zerreißung der gesunden Aortenklappen erfolgt ist.
Mitten im sehr anstrengenden Laufen, nicht beim Hinwerfen oder
irgendeiner abrupten Bewegung, spürte C. den „Ruck“. Daß diese
Anstrengung über das Maß des Normalen hinausgegangen sein muß,
erhellt auch daraus, daß der Hauptmann für diese Uebung einen
Verweis von oben bekam, daß ferner ein andrer Soldat unter ähn¬
lichen Erscheinungen erkrankte. Daß die Klappen vorher gesund
waren, geht 1. aus der vorangegangenen ärztlichen Untersuchung,
2. aus der Tatsache hervor, daß C. niemals über irgendwelche Herz¬
beschwerden geklagt hatte.
Henschen, Herzklappenfehler. Berlin 1916. — KOlbs im Mohr-Staehelinschen
Handbuch 2, S. 1271. — Rosenbach', Artif. Klappenfehler. Arch. f.exper. Path. u. Pharm.
1878,9. — Stern, Ueber traumatische Entstehung innerer Krankheiten. Jena 1907 (aus¬
führliches Literaturverzeichnis). — Thiem, Handbuch der Unfallerkrankurfgen 1910,2. —
Mackenzie, Lehrbuch der Herzkrankheiten. Berlin 1910. — Romberg, Lehrbuch
der Herzkrankheiten. Berlin 1906. — Luce, D. m. W. 1920, 3.
Aus dem Medizinisch-diagnostischen Institut Dr. Sachs in Berlin.
(Aerzte: Prof. Franz Müller, Dr. Fritz Sachs.)
Ueber Irrttinter der chemischen Blut- und Harn¬
untersuchung: und ihre Bedeutung für den Praktiker.
Von Franz Stiller«
Der freundlichen Aufforderung der Redaktion dieser Wochenschrift
folgend, teile ich im Folgenden einige Erfahrungen mit, die zeigen
sollen, daß die medizinisch-diagnostische Arbeit den praktischen Arzt,
zumal in der Großstadt, vielfach in-seiner Tätigkeit zu unterstützen
und ihm die Mühen seines Berufes zu erleichtern vermag.
Voraussetzung für ein ersprießliches Zusammenarbeiten von
Diagnostischem Institut und Praktiker ist, daß der Kranke oder
seine Umgebung in zweckentsprechender Weise ange¬
wiesen wird, das Untersuchungsmaterial zu sammeln
und zu konservieren. So ist für einevUntersuchung des
Harnes auf Zucker jedes Konservierungsmittel zu ver¬
meiden, da dadurch die Vergärung mittels Hefe späterhin gehindert
wird. Es soll möglichst ein Mischham von 24 Stunden efngesandt
' "-Dlgltlzed fry
Go gle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
230
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 7
werden. Handelt es sich aber um Feststellung von Eiwei߬
ausscheidung oder um Untersuchung der Formbestand¬
teile, so ist, besonders zur Sommerzeit, das Konser¬
vieren mit einigen Kriställchen Thymol oder Borsäure
wünschenswert. Die Eiweißausscheidung erfolgt oft intermit¬
tierend; sie ist bekanntlich vermehrt nach körperlicher Anstrengung,
geringer des Morgens nach der Nachtruhe. Anderseits zerfallen Form¬
elemente, wie Zylinder, auch im konservierten Ham nach 24 Stunden,
sodaß für die Sedimentuntersuchung eine frisch entleerte Probe ge¬
eigneter ist.
Findet sich Eiweiß im Ham, so gestattet die Menge
noch keinen Schluß auf die Schwere der Erkrankung
der Niere. Eine sog. exakte Bestimmung bis auf Zehntausendstd
ist überhaupt ziemlich wertlos. Die bequeme Sulfosalizylsäure-
probe zeigt durch Trübung nicht nur das Vorhandensein von Eiwei߬
spuren, sondern auch von Muzin und ähnlichen Beimengungen an,
die aus dem Ham beigemischtem Sekret (Vaginalsekret, Fluor,
Sperma u. ä.) stammen können, sodaß eine stärkere Trübung durch
Sulfosalizylsäure den Arzt oft unnötigerweise beunruhigt. Die mikro¬
skopische Untersuchung gibt über die Herkunft Aufklärung.
Bei Anstellung der Hellerschen Ringprobe läßt sich das
Vorhandensein von Eiweiß leicht vom Muzin unterscheiden, dagegen
ist bekanntlich eine Verwechslung des Eiweißringes mit
einem durch Harnsäure oder Harzsäuren bedingten
Ring für den Unerfahrenen leicht möglich. Bei der Kochprobe um-
eht man diese Schwierigkeiten, muß dafür aber in Kauf nehmen,
aß für den Nachweis des Eiweißes durch Kochen ein
bestimmter Aziditätsgrad des Harnes erforderlich ist
und daß bei alkalischer oder zu schwacher saurer Re¬
aktion nicht unbedeutende Eiweißmengen selbst bei
nachträglichem Zusatz von verdünnter Essigsäure dem
Nachweis entgehen können. Der Praktiker muß daher oft,
um eine sichere Entscheidung treffen zu können, alle
drei Proben anstellen, wie es in einem Diagnostischen Institut
regelmäßig geschehen dürfte.
Das Fehlen von Eiweiß gestattet nicht den Schluß auf das Fehlen
einer Nierenerkrankung. Wiederholt ist auf „analbuminurische Ne¬
phritis“ nach Scharlach hingewiesen worden, bei der nur die mikro¬
skopische Untersuchung auf Formelemente, das Vorhandensein von
Blutschatten oder Zylindern, die Erkrankung des Organs erkennen
läßt. Der gewissenhafte Arzt läßt daher auch bei fehlendem
Eiweißgenalt nach Scharlach und anderen Infektions¬
krankheiten den Harn wiederholt mikroskopisch unter¬
suchen, da der Sedimentoetund oft wechselt. Bekannt ist
ferner, daß die Kriegsnephritis und ähnliche Glomerulonephritiden,
z. B. nach Grippe, lange Zeit positiven Sedimentbefund, oft ohne
Vorhandensein von Eiweiß, allerdings auch umgekehrt, postinfektiöse
Nierenreizungen normalen Sedimentbefund bei Anwesenheit von
Eiweißspuren aufweisen. Bei der Arteriolosklerose der Niere
kann das Eiweiß fast ganz oder längere Zeit vollkom¬
men fehlen. Bisweilen gestattet der mikroskopische Befund (ver¬
einzelte Blutschatten oder hyaline Zylinder) neben dauernd erhöhtem
Blutdruck einen Anhalt. Die Diagnose kann gelegentlich gestützt
werden durch Steigerung des Reststickstoffes im Blut. Die neueren
Forschungen haben gezeigt, daß die einzelnen Funktionen der Niere
oft unabhängig voneinander krankhaft verändert sind. Eines der
wichtigsten Merkmale für die Leistungsfähigkeit ist die schnelle An¬
passungsfähigkeit der Niere an stark veränderte Wasseraufnahme:
Gleichbleiben des spezifischen Gewichts (Isosthen-
urie) bei verschieden großer Wasseraufnahme, be¬
sonders im eigentlichen Konzentrations- und Wasser¬
versuch, spricht für Niereninsuffizienz, während starke
Schwankungen des spezifischen Gewichts eine Insuffizienz auszu¬
schließen gestatten. Auf das spezifische Gewicht des Harns ist daher
besonderes Augenmerk zu richten.
Bei der mikroskopischen Harnuntersuchung soll das
Vorhandensein von Eiterzellen beim Manne zunächst auf die
Möglichkeit des Bestehens einer Urethritis hin weisen; bei der Frau
sind sie regelmäßig durch Beimengung von Vaginal-
sekret vorhanden. Ihre Anwesenheit erweist also durchaus nicht
immer das Vorliegen einer Zystitis oder Pyelitis. Man ist nur
selten imstande, aus dem mikroskopischen Befund
allein die oft gewünschte Entscheidung zu treffen, ob
es sich um eine Zystitis oder Pyelitis handelt, da die
früher als spezifisch für das Nierenbecken angesehenen geschwänzten
Zellen auch aus den distalen Harn wegen stammen können. Geschich¬
tetes Pflasterepithel kleidet dierWandungen der Harnleiter von Nieren¬
becken bis zum Ureter und ziir Blase aus. In beiden Fällen können
auch einzelne Blutschatten vorhanden sein, ebenso kann der bei
Zystitis häufig alkalische, bei Pyelitis meist saure Ham sich reaktiv
umgekehrt verhalten. Finden sich dagegen neben der Eiterung mikro¬
skopisch deutliche Zeichen eineirfcNierenreizung, so ist die Diagnose
Pyelitis oder Pyelonephritis (afczendierende Form der Nephritis) natür¬
lich leicht zu stellen.
Besonders ist mit H. Strauß zu betonen, daß vereinzelte
und gelegentliche Befunde von renalen Formelementen
nichts bedeuten. .Erst ihr wiederholtes Auftreten gestattet eine
sichere Diagnose. Uebrigens bietet der Nachweis vereinzelter Blut¬
schatten im Mikroskop und ihre Unterscheidung von Hefezellen
oder ihnen ähnlichen Kristallformen oft selbst dem Geübten Sch wie- ,
rigkeiten und kann häufig nur durch Auflösung der Blutschatten in i
verdünnter Essigsäure mit Sicherheit geführt werden. Bei Nieren¬
koliken findet man im Zentrifugat anfangs gelegentlich gar keine
oder höchst vereinzelte Blutschatten, während sie nach Abklingen
der Symptome vielfach noch lange Zeit nachweisbar sind. Die Dif¬
ferentialdiagnose zwischen Nierenkolik und Leber-
bzw. Gallenblasenerkrankung wird aber durch den
Nachweis von Urobilinogen im Harn sehr erleichtert
Man findet es fast regelmäßig bei krankhafter Veränderung der
Zirkulation im Pfortadergebiet und regelmäßig bei Erkrankungen
der Gallenwege. Das regelmäßige Vorkommen von hyalinen, auch
granulierten Zylindern im gallenfarbstoffhaltigen Harn bei oder kurz
nach Gallensteinkolik ist bekannt. Die Zylinder verschwinden mit
dem Schwinden des Gallenfarbstoffs und dürfen nicht zur Annahme
einer irgendwie bedenklichen Nierenerkrankung verleiten. Auch Blut¬
schatten finden sich oft im Sediment der Harne von Gallenkolik-
kranken.
Schließlich gibt auch die Farbe des Harnes oft zu diagno¬
stischen 1 rrtümern Anlaß. Die rote Färbung alkalischer Harne
nach Einnahme von Rhabarber, Istizin u. ä. wird vom Unerfahrenen
leicht als Blutfarbe gedeutet. Die Abwesenheit kleiner Blutmengen
und der Sedimentbefund bringen sofort Klarheit, die positiv durch
den Nachweis der die Färbung bedingenden Chrysophansäure er¬
bracht wird. Diese nach Einnahme von Rhabarber u. ä. im Harne
enthaltene Chrysophansäure gibt immer schwach positive Re¬
duktionsprobe und täuscht daher oft eine nicht vorhandene
Glukosurie vor. Häufig treten ferner alimentär oder medikamentös
bedingte Glukuronsäuren auf, die wie die Zucker reduzieren. Die
für den Praktiker lästige oder oft kaum durchführbare Entscheidung
wird durch den Ausfall der Gärung oder die Beobachtung der
optischen Drehung erbracht. Wir haben schon oft die in der
Apotheke festgestellte Diagnose „Zuckerausschei¬
dung“ auf diese Weise richtigstellen und unnötige Be¬
unruhigung abwenden können. Bei schwangeren oder stillen¬
den Frauen kommt häufig Milchzucker vor, der ja auch reduziert
und wie Traubenzucker rechts dreht, aber nicht gärt. Seltener ist
das Vorkommen von Fruchtzucker und von Pentose. Sie können
allein im Laboratorium mit Sicherheit identifiziert werden und sind
begreiflicherweise bedeutungsvoll für die klinische Auffassung des
Anderseits wird der Harn bei schon länger bestehendem Diabetes
viel häufiger, als man glaubt, zuckerfrei, ohne daß die Zuckerver¬
mehrung im Blut, auf die es ja allein ankommt, abnimmt. So haben
wir häufig Fälle von chronischem Ekzem, Pruritus oder von Diabetes
kombiniert mit Nierensklerose, sog. „aglykosurischem Diabetes“, unter¬
sucht, bei denen erst die Feststellung des Blutzuckergehalts die Ent¬
scheidung brachte. Wenn diese Blutzuckerbestimmung nur ein Mal
angestellt werden kann, so dürfte eine Untersuchung in nüchternem
Zustande am empfehlenswertesten sein. Besser ist es, zweimal, ein¬
mal an einem Karenztage, das zweite Mal an einem Belastungstage,
das Blut zu untersuchen. Daß eine Entscheidung über die Form
des Diabetes nur bei wiederholter Analyse des 24stündigen Sammel¬
harns bei verschiedenartiger Ernährung möglich ist, kann wohl als
bekannt vorausgesetzt werden. Es wäre aber wünschenswert, wenn
durch Untersuchung von stundenweise entleerten Harnportionen
außerdem das Abklingen der Zuckerausscheidung im Harn nach
einer Belastung festgestellt würde, da wir heute wissen, daß der Blut¬
zuckerspiegel nach Kohlenhydrataufnahme beim Diabetiker langer
erhöht bleibt als beim Gesunden. Uebrigens schwankt der normale
Blutzuckergehalt zwischen 80—140 mg auf 100 Blut. Wie überall lit
der Natur, so gibt es auch hier keine sprunghaften, sondern nur
fließende Uebergänge vom Normalen zum Krankhaften.
Es hat lange gedauert, bis dem Praktiker die Erkenntnis in
Fleisch und Blut übergegangen ist, daß eine Harnsäurebestim¬
mung im Harn ohne genaue Kenntnis desPuring^haltes
der Kost wertlos ist und überhaupt nichts üoer da'9
Vorhandensein von Gicht aussagt. Die Diagnose einer
Arthritis urica läßt sich nur durch Feststellung des
erhöhten Harnsäuregehalts im Blut stellen. Allerdings
muß die Kost mehrere Tage lang purinarm gewesen
sein, und man darf nicht allzuviel auf geringe Erhöhungen über
den Normalwert geben. Leichte Erhöhungen des Harnsäurespiegels
finden sich auch bei anderen Erkrankungen. Sehr starke Erhöhung
legt den Verdacht nahe, daß eine Stickstoffretention nebenhergeht
(chronische Urämie o. ä.).
Vor kurzem hat Prof. Axel Win ekler (Fortschr. d. M. 1921
Nr. 28/30: „Vereinfachte Harnuntersuchung für die Praxis“) behauptet,
Harnuntersuchungen seien kinderleicht. Seine Ausführungen beweisen
das Gegenteil. So sagt er zum Beispiel: „Eine dauernde Verminde¬
rung der Harnausscheidung disponiert zu Harngrieß, Gicht, Oedemen
und Zahnkaries“ — „Falls frisch gelassener Harn schon fade oder
aromatisch riecht, ohne daß man eine Ursache dafür in der Kost
finden kann, so ist die Gesundheit gefährdet.“ — „Habituelle
Phosnhaturie (gemeint ist die Alkaliurie und Phosphatausfall) steht
an der Grenze des Krankhaften.“ — „Jeder Harn, der Zylinder
enthält, ist auch eiweißhaltig.“ — „Selten wird der Harn bei
Blasenkatarrh alkalisch“, usw. Derartige Aeußerungen eines in balneo-
logischen Fachkreisen bekannten Mannes zeigen vielmehr, daß die
von ihm als „chemische Kunststückchen und Finessen“ bezeichneten
feineren Untersuchungsmethoden nur den Unerfahrenen irreführen
können, für den kenntnisreichen Arzt aber von hohem Werte sind.
Digitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
16. Februar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
231
Die endokrinen Drüsen in ihrer Beziehung zu Zahn* und
Kieferanomalien.
Von Zahnarzt Dr. Waldenar Petzei in Berlin.
Auf dem Oebiete der modernen Zahnheilkunde ist wohl mit das
Interessanteste die zahnärztliche Orthopädie. Oerade die letzten Jahr¬
zehnte haben in der Gesichtsorthopädie ganz hervorragende tnera-
peutische Erfolge gezeitigt. Leider liegt über die letzten Ursachen
in* der Aetiologie der Zarin- und Kieferanomalien noch viel Dünkel,
hauptsächlich deswegen, weil die Auffassung, die man sich von der
therapeutischen Beeinflussung der Veränderungen an den Kiefern,
Zähnen und der Malokklusion bildet, kaum von der ätiologischen
Erkenntnis abhängig ist, schon deswegen nicht, weil die zugrunde¬
liegende Störung schon verebbt scheint, wenn die Wirkung am
Skelett offenbar wird oder einen pathologischen Grad erreicht hat.
Zwar glaubte von jeher der Zahnarzt an eine ernährungstherapeu-
tische Beeinflussung der Zahn- und Gebißbeschaffenheit, aber er
war sich über das ätiologische Moment dieser Anomalien nicht klar.
Erst Männer wie Erdheim, Fleischmann, Gottlieb, Kranz,
Loos und andere haben durch ihre exakten experimentellen Ver¬
suche einwandfrei nachgewiesen, daß es die Bilanzstörungen im
Stoffwechsel, hervorgerufen durch die Dysfunktion der endokrinen
Drüsen sind, die diese Zahn- und Kieferanomalien hervorrufen.
Die Tätigkeit der endokrinen Drüsen, die innere Sekretion, ist
in verschiedener Richtung für die Entwicklung und den Aufbau
der Zähne und Kiefer sowie für den Ablauf physiologischer Vor¬
gänge in der Mundhöhle von größter Wichtigkeit. Die in Frage
kommenden Drusen, deren Produkte, die „Hormone“, im Blute
kreisen, ohne nach außen abgegeben zu werden, sind: Schilddrüse,
Glandula parathyreoidea, Thymus, Pankreas, Nebennieren, Hypophyse,
Epiphyse, Eierstock und Hoden.
Erd heim, Fleisch mann und besonders Kranz haben fest¬
gestellt, daß auch die sogenannten „luetischen Zahnanomalien“
(Hutchinson, Zinßer) letzten Endes endokrinen Ursprunges sind.
Ebenso konnte Kranz wie Gottlieb, entgegen den Behauptungen
Fleischmanns, feststellen, daß auch diie Rachitistheorie in der
Frage der isochronen Schmelzhypoplasien ihre Berechtigung hat.
Auch hier ist es natürlich eine Bilanzstörung im Kalkstoffwechsel,
die auf Funktionsstörungen im inneren Drüsenapparat zurückzu¬
führen ist. So ist es unter anderem gelungen, durch Thyreoid-
ektomie kretinistische Symptome hervorzurufen, wie sie bereits
Virchow 1858 und Scholz in neuerer Zeit an ihrem Kretinen-
material studiert und spezifiziert haben. Bei den von Scholz unter¬
suchten Kretinen ergaben sich 32o/ 0 Prognathiefälle. Audi Btrcher
kommt zu ähnlichen Resultaten und hebt außerdem den im Ver¬
hältnis zu der sehr kräftigen Entwicklung der übrigen Schädel¬
knochen als schwach befundenen Unterkiefer und das konstant un¬
regelmäßige Bild der Zähne hervor. Schlechte Zahnbildung, Stellungs¬
anomalien, irreguläre Zahnung bzw. übermäßiges Persistieren von
Milchzähnen sehen wir bei J. Saint Larger, Robert v. Wyss
und J. G. Turner als den nicht behandelten Kretinen eigen be¬
schrieben. Defekte Zahnbildung, sehr verspätete erste unef zweite
Dentition erwähnen W. Weygandt bzw. Siegert. „Zahnliche
Mißgestalten, die auch durchaus unregelmäßig sitzen“, sind Bayon
bei seinen Kretinenuntersuchungen aufgefallen. Kranz hat in einer
klinischen und pathologisch-anatomischen Studie den Zusammenhang
der Schilddrüse mit den Zahn- und Kieferanomalien erneut festge¬
stellt. Klinisch fand er bei Kretinen sehr häufig Kiefer- und Zann-
stellungsanomalien, ausgesprochene Prognathien und Hypoplasien.
Auch an Kretinenschädeln (an 14 von 20) zeigten sich ausgesprochene
Prognathien, Zahnstellungsanomalien jeder Art und Hypoplasien in
allen Formen. Zur Sicherstellung des ursächlichen Zusammenhanges
dieser klinischen und anatomischen Befunde mit dem Kretinismus
hat er diese Studien durch experimentelle Daten erhellt. Kranz
hat an Kaninchen, Schweinen und Ratten Schilddrüsen exstirpiert
und fand auch hier bedeutend verkleinerte Kiefer, Stellungs- und
Strukturanomalien der Zähne jeder Art. Auch die in engem funk¬
tionellen Zusammenhang mit der Schilddrüse stehenden Epithel¬
körperchen haben nach Erdheim, Toyofuku, Pfeifer, Mayer,
Preiswerk, Iselin, Kranz, Hohlbaum und anderen einen
bedeutenden Einfluß auf die Entwicklung des Gesamtorganismus und
speziell der Zähne. Klose und Kranz" beschreiben makroskopische,
mikroskopische und chemische Knochenbefunde, speziell von ano¬
malen Schädelknochen nach Thymektomie, die nach Münster auf
einen gewissen Zusammenhang mit seiner untersuchten Anomalie-
form des offenen Bisses schließen lassen. Kranz betont besonders
die verzögerte Dentition und den Mikrodontismus, Anomalien, die
mit der Entstehung des offenen Bisses in engsten Zusammenhang
gebracht werden können. Ebenso weisen die Befunde nach Hypo¬
physenexstirpation speziell des Vorderlappens (Fischer) gewisse
Uebereinstimmungen auf mit den Beobachtungen, die Münster bei
der Anomalieform des offenen Bisses gemacht hat. B. Fischer,
Hohenegg, v. Eiseisberg, Kocher, Achner, Askoli,
Legnani und Kranz beobachteten bereits 2 Monate nach Hypo¬
physenexstirpation ein bedeutendes Zurückbleiben des Wachstums
des Gesamtskeletts bei Hunden, vornehmlich der Schädel und Kiefer.
Askoli macht besonders aufmerksam auf die fast verdreifachte
der Persistenz des Milchgebisses, ferner auf die verringerte j
und Form der verkümmerten Zähne gegenüber dem Kontrolltiere.
Beim Menschen stellten Weyandt, Sprenzel und Falta ganz
analoge Erscheinungen fest. Auch das wirksame Prinzip in dem
Sekret der Keimdrüse hat nach Tandler und Groß, Neurath,
White und Breschat, Peakock, Scheuer und Hedman einen
Einfluß auf die Kieferentwicklung und Dentition. Kranz hat experi¬
mentell an kastrierten Schweinen eine geringere Entwicklung des
Gesamtgebisses konstatiert, die sich hauptsächlich an den sogenannten
Hauern bemerkbar macht. Aehnliche Erscheinungen beobachtete er
bei kastrierten Kaninchen und Ratten. Neuerdings hat auch Sicher
bei Kastratenschädeln die im Verhältnis zum Gesamtschädel mächtige
Entwicklung des Unterkieferapparates betont.
Ebenso wie bei der Rachitis finden sich auch bei der Tetanie
Kieferanomalien und mangelhafte Struktur bei Dentin und Schmelz
der Zähne vor. Zweifellos ist die zeitliche und die genetische Ana¬
logie zwischen der spasmophilen Diathese und den Schmelzhypo-
f ilasien enger als die mit der Rachitis. Der Zusammenfall der
etzteren mit der ersteren wird aber nicht nur von den Pädiatern,
sondern auch von zahnärztlicher Seite festgestellt. So fand Fleisch-
mann, der die Schmelzhypoplasie der Spasmophilen streng von der
Dentinoidbildung bei den Rachitischen zu trennen lehrte, bei Vio
der nach der Anamnese Tetaniekranken Rachitis. Auch Loos hat
hierüber eine interessante Statistik aufgestellt. Am meisten erweckt
hierbei unser Interesse der Zusammenfall von Kieferdifformitäten
und Hypoplasien. Die Häufigkeit, mit welcher Loos schon unter
seinem poliklinischen Material mit dem Vorhandensein von Hypo¬
plasien an Schneidezähnen und ersten Molaren die Ditformität des
mehr oder weniger ausgebildeten offenen Bisses zusammen feststellen
konnte, wies ebenfalls auf gemeinsames Vorkommen nicht nur, son¬
dern auf eine gemeinsame Genese der beiden Störungen hin. Der
steile Gaumen ist von Marfan als eine rachitische Veränderung
des Gesichtsschädels, der in dfcr Eckzahngegend eckig abgeknickte,
in der Frontzahngegend geradlinige Unterkiefer von Perthes als
rachitischer Unterkiefer bezeichnet worden. Beliebig lassen sich die
Beispiele rachitischer Kieferverbiegungen vermehren, sobald man nur
anzunehmen wagt, daß die mechanischen, statischen und dynami¬
schen Faktoren, wie beim übrigen Skelett, sekundärer Natur sind.
Wenn auch die Verschiedenheiten des Ausganges der Verkalkungs¬
störung am Schmelz einerseits, am Dentin und Knochen anderseits
bei gleicher Grundlage ihre Erklärung fanden, so forderte die eigen¬
artige, mit mehrfachen Intervallen auftretende Schmelzstörung, welche
sich in den Grübchen reihen in verschiedener Höhe derselben Zahn¬
krone und in dem entsprechenden Niveau gleicher Bildungszeit an
anderen Zähnen ausspricht, zu besonderen Erklärungen und Schlüs¬
sen heraus. Man ging so weit in der Analogie zwischen ihrer
Genese und der der tetanischen Krämpfe, daß man jede Hypoplasien¬
reihe bei einem Krampfanfall entstehen lassen wollte. Davon ist
das durch weitere Untersuchungen festgestellt und bestätigt worden,
was Erd heim erkannt hatte, daß die Störungen des Kalkstoffwechsels
durch Dysfunktion der inneren Drüsen, hier vornehmlich durch die
der Epithelkörperchen, bedingt sind.
„Jedenfalls muß es scheinen, daß all die Wachstumsstörungen
in der Entwicklungsperiode, zu denen auch die Zahn- und Kiefer¬
veränderungen gehören, für welche von den verschiedensten Autoren
die verschiedensten Ursachen, von den einfachsten äußeren bis zu
den kompliziertesten inneren verantwortlich gemacht werden, letzten
Endes eine gemeinsame Ursache haben, für die keineswegs lokale
mechanische Einflüsse, auch nicht Spirochäten in loco oder irgend¬
welche Bakterien, auch nicht Ernährungsstörungen allein, wohl aber
Bilanzstörungen im Kalkstoffwechsel, die ihre Ursache in inneren
Drüsenstörungen haben, verantwortlich sind.“ (Kranz, Kongenitale
Lues, 1920.) Trotz eifriger Versuche hat es sich aber gezeigt, daß
es bei dem derzeitigen Stand des Wissens und der Erkenntnis von
dem Zusammenwirken, von dem Vikariieren und anderseits dem
Antagonismus der inneren Drüsen, dann aber auch bei der physio¬
logischen Evolution und Involution der Drüsen noch nicht angängig
ist, bestimmte Drüsen einzeln ätiologisch verantwortlich zu machen.
Zur Frage des Mongolenflecks.
Zu der Arbeit von Jacobi In Nr. 27, 1921.
Von San.-Rat Dr. Leven in Elberfeld.
Meirowsky und ich haben in einer im Arch. f. Dcrm. u. Syph.
134 veröffentlichten Arbeit die Bedeutung des Mongolenflecks aus¬
führlich erörtert und gezeigt, daß der blaue Nävus eine keimplas¬
matisch bedingte Anomalie ist, die in klarster Weise den
Zusammenhang zwischen der Zeichnung der Tiere und
dem Muttermal des Menschen bekundet. Die Frage nun,
ob der Sakralfleck nur bei Mongolen und Malayen vorkommt, dem¬
nach als sicheres Rassenmerkmal zu betrachten und jedes Auftreten bei
anderen Rassen auf eine Vermischung mit mongolischem oder malay-
isqhem Blute zurückzuführen sei, wird von Ad ach i dahin beant¬
wortet, daß der Mongolenfleck histologisch identisch ist mit dem
tiefliegenden Koriumpigment beim Affen. Das tiefe Koriumgewebe
des Menschen ist nach dem genannten Autor anfangs pigmentfrei,
wird dann pigmenthaltig und später wieder frei. Das Vorkommen
jenes Pigments ist eine normale Erscheinung bei der mensch-
□ igitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
232
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 7
liehen Entwicklung, und es stellt nach dem genannten Autor
einen in Rückbildung begriffenen Charakter dar, der in quantitativ-
verschiedener Weise auftritt, und zwar bei mongoloiden Kindern viel
ausgeprägter als bei weißen. Auch K. Toi dt jun. spricht sich dahin
aus, daß es sich bei dem Mongolenfleck des Menschen um eine
rudimentäre Koriumzeichnung handelt, für deren Lage in erster Linie
die spezifische Zeichnung der Vorfahren in Betracht kommt. Auf
Gruna der Koriumpigmentierung der menschlichen Vorfahren ist
aber die Möglichkeit des Vorkommens blauer Nävi bei
jeder Menschenrasse gegeben.
Neuerdings hat Br. Bloch (Zürich) im Arch. f. Derm. u. Syph. 135
Untersuchungen „Ueber die Entwicklung des Haut- und Haarpig¬
mentes beim menschlichen Embryo und über das Erlöschen der Pig¬
mentbildung im ergrauenden Haar (Ursache der Kanities)“ veröffent¬
licht. Er fand beim menschlichen Embryo in der Tiefe der Kutis
gehäufte Gruppen von pigmenthaltigen Zellen, die mit der normalen
Pigmentation der Epidermis und der Haare des erwachsenen Menschen
nichts zu tun haben. Sie stehen nach Bloch im Zusammenhang mit
der Bildung von Mongolenflecken und werden von ihm geradezu
als „Mongolcnzellen“ bezeichnet.
Auch Blochs Befund spricht für das Auftreten der Mongolen¬
flecke bei jeder Menschenrasse, man müßte denn annehmen, daß bei
dem Träger der von Bloch untersuchten Haut eine Vermischung
mit mongolischem Blute Vorgelegen hätte.
Der Auffassung, daß es sich beim blauen Nävus um eine rudi¬
mentäre Koriumzeichnung handelt und er bei jeder Menschenrasse
Vorkommen kann, schließe ich mich an, wobei es dahingestellt sein
mag, ob es sich um einen erst in Rückbildung begriffenen oder um
einen Rückschlag in einen für die Art sonst schon völlig rückge¬
bildeten Charakter handelt. Zu dieser Beurteilung paßt sehr gut ein
von mir in jüngster Zeit beobachteter Fall eines schön ausgeprägten
blauen Nävus der Kreuzbeingegend bei einem alten Herrn. Der
Patient entstammt, soweit es sich verfolgen läßt, einer
rein germanischen Familie; natürlich muß man bedenken,
daß sich die Aszendenz nicht bis in die fernsten Zeiten zurück ver¬
folgen läßt und daß deshalb eine Blutmischung mit absoluter
Sicherheit nicht auszuschließen ist.
Der jetzige Stand der Pathogenese und Therapie der Rachitis.
Von Prof. Dr. Rudolf Piochl.
Vorstand der Deutschen Universitätskinderklinik in der böhmischen
Landesfindelanstalt in Prag.
I.
Es ist eigentlich recht betrübend, daß unsere Kenntnisse über
die Pathogenese der Rachitis, eines so lange gekannten und so ver¬
breiteten Leidens, noch so ungenügend sind. Denn wenn man sie,
wie dies Noeggerath tut, als eine in ihrem Wesen unbekannte
Abartung des Gesamtkörpers definiert, so ist dies wohl nur eine zarte
Umschreibung der Tatsache, daß wir über die Natur der Vorgänge,
welche zur Störung des Kalkstoffwechsels und allen ihren Konse¬
quenzen führen, noch ganz ununterrichtet sind.
Selbst die anscheinend so leicht zu treffende Entscheidung, ob es
sich um einen angeborenen oder erworbenen Zustand handle, womil
schon ein wesentlicher Fortschritt der Erkenntnis verbunden wäre und
eine Reihe pathogenetischer Theorien abgetan erschiene, steht noch
aus. Ich vertrete gemeinsam mit Kassowitz, Epstein, Mar¬
fan und vielen anderen den Standpunkt, daß eine große Zahl von
Kindern bereits mit rachitischen Symptomen geboren wird, und die
tägliche Erfahrung lehrt, daß bestimmte Typen der englischen Krank¬
heit sich in gewissen Familien mit geradezu photographischer Treue
wiederholen.
Daß der Kalkstoffwechsel solcher Individuen eine tiefgreifende
Störung erfahren hat, läßt sich klinisch nicht nur aus dem Ausbleiben
der Verknöcherung weiter Skelettgebiete und dem Wiederweichwerden
bereits fester Knochenpartien erschließen, sondern auch aus dem oft
bestellenden Kalkhunger folgern. Die objektive Feststellung dieser
Dinge scheitert zum Teil an der mangelhaften Methodik der Kalk¬
stoffwechseluntersuchung, welche es uns bislang nur ermöglicht, die
rohe Kalkbilanz aufzustellen, aber nicht darüber aufklärt, welcher
Anteil des zugeführten Kalkes nach vorheriger Resorption im Dick¬
darm wieder ausgeschieden wird (Raudnitz). Hat sich doch ein
so gründlicher Kenner der Rachitis wie Stoeltzner erst kürzlich
dahin geäußert, es sei unzulässig, aus einer negativen Kalkbilanz aut
Rachitis zu schließen. .
Man hat die Rachitis als Rassenkrankheit bezeichnet, was ja eben¬
falls hereditäre Momente in den Vordergrund stellt, und wenn sich
auch gegen diese Annahme, wie ich früher gezeigt habe, manches ein¬
wenden läßt, so spricht doch die neuere Angabe von Heß und
Unger, daß in den amerikanischen Großstädten die mit der weißen
Bevölkerung unter ganz analogen Verhältnissen lebenden Negerkinder
viel häufiger und stärker rachitisch sind, in diesem Sinne.
Seit jeher vertrete ich den Standpunkt, daß die Ernährungsweise
vielleicht auf den Grad der Rachitis einen Einfluß übt, aber nicht
die Tatsache des Rachitischwerdens entscheidet, und aus kürzlich
erschienenen Mitteilungen von Levinson geht hervor, daß unter
162 von ihm beobachteten Fällen von Kraniotabes bei Säuglingen
124 reine Brustkinder, 15 gemischt Ernährte und nur 24 künstlich
Genährte betrafen, welche Zahlen in dem oben angedeuteten Sinne
eine recht beredte Sprache sprechen.
Die seinerzeit durch v. Hansemann aufgestellte Domestikations¬
theorie hat in den Beobachtungen von Findlay eine starke Stütze
erhalten, welcher Autor seine Versuchstiere nur dann rachitisch wer¬
den sah, wenn er sie in geschlossenen Räumen hielt, und berichtet,
daß, entgegen den Erfahrungen aus anderen zoologischen Gärten, die
in Stellingen bei Hamburg nach dem Hagenbecksehen Prinzip in
fast völliger Freiheit und unter möglichst natürlichen Bedingungen
lebenden Tiere keine rachitischen Symptome aufweisen.
Betreffend den Einfluß des Klimas habe ich mich seinerzeit dahin
ausgesprochen, daß die bezüglichen Angaben, welche südliche Gegen¬
den, höhere Gebirgslagen und die Tropen als rachitisfrei bezeichnen,
cum grano salis aufgenommen werden müssen. So konnte, um nur
einige maikante Beispiele zu erwähnen, Fe de in Neapel, das im
Gegensatz zu den oheritalienischen Städten als rachitisimmun galt,
mehr als 60% Rachitiker unter den Proletarierkindern uachwetsen,
und Kassowitz fand solche auch in hohen Gebirgslagen. Dem
steht wohl die neuere Angabe von Neumann entgegen, daß in den
sonnenreichen Tälern von Graubünden trotz ungenügender Ernäh¬
rungsweise der Kinder diese keine rachitischen Symptome auf¬
weisen, und Eckert, der längere Zeit in chinesischen Großstädten
lebte, gibt an, die Zahl der Rachitiker sei dort sehr gering. Man
muß es nur bedauern, daß von seiten Forschungsreisender, welche
bisher unbekannte, von wilden Stämmen bewohnte Gebiete aufsuchen,
verläßliche Angaben in dieser Richtung nicht vorliegen, denn Täu¬
schungen sind leicht möglich, da man in vielen Fällen nach den
Symptomen der Rachitis erst fahnden muß, sodaß flüchtige Eindrücke,
die ja doch nur die schweren, augenfälligen Formen vermitteln,
nicht verläßlich erscheinen.
Inwieweit der Gehalt der genossenen Nahrung an Mineralsub¬
stanzen und der Härtegrad des Trinkwassers auf die Häufigkeit und
Schwere der Rachitis Einfluß nehmen, darüber läßt sich nicht viel
Sicheres sagen. Aus Versuchen von Dubois und Stolte geht
hervor, daß Darreichung von Alkalien Kalkschonung bewirke, Hei¬
denhain ist der Ansicht, daß eine gewisse Menge von Kalksalzen
für die Hormonbildung wertvoll sei, was schon leise an die später
zu erörternde endokrine Aetiologie der englischen Krankheit rührt,
und Röse-Opitz haben die Beobachtung gemacht, daß in Gegenden
mit kalkarmem Wasser die Kinder öfter rachitische Symptome auf¬
weisen als in solchen mit hartem Trinkwasser. Meinem Empfinden
nach wird da, wie dies in der Pathogenese der Rachitis so oft geschieht,
ein einzelner Faktor willkürlich in den Vordergrund gestellt, während
es sich doch in der Regel um das Ineinandergreifen einer ganzen
Anzahl von Momenten handelt.
Bis in seine letzte Lebenszeit hat der um die Rachitisforschung so
verdiente Max Kassowitz in der ihm eigenen überaus temperament¬
vollen Weise die entzündliche Natur dieser Krankheit und ihre Aus¬
lösung durch irrespirable Gase, die Riech- und Ekelstoffe der Prole¬
tarierwohnungen, verfochten. Diese Ansicht hat sich keine allgemeine
Geltung erwerben können, wenn sich auch in letzter Zeit die Stimmen
mehren, welche dem reichlich zugemessenen Luftraum und dem
langen Aufenthalt im Freien prophylaktische und kurative Wirkungen
zuweiseu (Findlay, Heß-unger u.a.).
Meiner Ansicht nach handelt es sich auch da um keinen aus¬
schlaggebenden, sondern nur um einen begünstigenden Faktor, denn
derselbe Findlay, welcher so warm für dieses Moment eintritt,
berichtet, daß die Rachitis in Island, Grönland und Alaska sehr selten
sei, trotzdem die Einwohner dort unter sehr schlechten Verhältnissen
leben und ein starker Mangel an Sonnenlicht herrsche. (Diesen
Meldungen aus „interessanten“ Ländern stehe ich seit jeher recht
skeptisch gegenüber.) Heß und Unger hielten ihre Fälle im
Glasboxen und sorgten für reichliche Luft- und Lichtzufuhr, ohne
dadurch das Rachitischwerden derselben verhüten zu können, und so
ließe sich das alte; pour un corsaire un corsaire et demi noch mehr¬
fach nachweisen.
Daß es sich nicht um eine Entzündung des wachsenden Knochens
handelt, geht aus den eingehenden histologischen Studien von Pom¬
mer, Schmorl, Recklinghausen und anderen hervor, und die
gewiß vorhandene reichliche Gefäßneubildung und -dilatation deckt
sich eben noch lange nicht mit dem Begriff der Entzündung, deren
andere Merkmale vollständig fehlen. Ich möchte mich aber audi nicht
der kürzlich von Maas ausgesprochenen Ansicht anschließen, welcher
die starke Vaskularisation der rachitischen Knochen für nur schein¬
bar und lediglich durch die Kompression des nachgiebigen Gewebes
bedingt ansieht, denn sie findet sich auch unter Verhältnissen, wo
von einer Druckwirkung noch gar keine Rede sein kann.
Die seinerzeit von Wachsmuth aufgestellte und auf den ersten
Blick recht bestechende Kohlensäuretheorie, welche in einer durch
ungünstige Lebensbedingungen verursachten Ueberladung des Blutes
mit diesem Gas den Grund der vermehrten Ausschwemmung des Kalkes
aus den Knochen erblickte, findet eine gewisse Stütze in den Studien
v. Recklinghausens, welcher für die von ihm beschriebenen
Einschmelzungsprozesse neben dem Einfluß der allgemeinen Dyskrasie
auch eine lokale Anhäufung von Säuren (speziell Kohlensäure) ver¬
antwortlich macht, die in den gestauten Gefäßen den Kalk auffangen
sollen.
Stellt man alldem aber die alltäglich zu beobachtende Tatsache
entgegen, daß die Rachitis, und zwar recht häufig, auch unter Ver¬
hältnissen vorkommt, in denen von einer Kohlensaureüberladung des
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
16. Februar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
233
Blutes nicht die geringste Rede sein kann, so entzieht man dieser
Hypothese damit vollständig den Boden.
Früheren Versuchen, die Rachitis als ein infektiöses Leiden zu
bezeichnen, welche wohl mit der Parrotsehen Ansicht von ihrer
Identität mit der Lues congenita sowie der Oppenheim ersehen
Behauptung, es handle sich um eine besondere Form der Febris
intermittens, einsetzen und in dem Nachweis verschiedener Bakterien
im Knochenmark (pyogene Kokken, Bacterium coli, Pneumokokken
und Pneumobazillen) durch Mircoli und Smaniotto ihre Fort¬
setzung finden, stehen solche aus neuester Zeit zur Seite, indem
Malpurgo und Koch durch ihrer Ansicht nach spezifische Er¬
reger bei Hunden und Ratten Rachitis erzeugen konnten. Es wird
einem klinisch denkenden Arzte wohl schwer fallen, sich einer solchen
Argumentation anzuschlieBen, und kaum der Mühe lohnen, sie zu
widerlegen.
Die beherrschende Stellung, welche die Lehre von den endokrinen
Drüsen in der menschlichen Pathologie einnimmt, macht es begreiflich,
daß auch Störungen der inneren Sekretion als ursächliche oder wenig¬
stens auslösende Momente der Rachitis beschuldigt wurden. Die
einzelnen in Betracht kommenden Organe sind alle der Reihe
nach aufgerückt, von der Thyreoidea (Mendel), den Nebennieren
(Stoeltzner) und dem Thymus (Basch, Klose-Vogt, Matti)
angefangen, bis zur Hypophyse (Klotz) und den EpithelKÖrperchen,
an denen Ritter Substitution der normalen hellen Hauptzellen durch
dunkle Elemente und Wucherung des interstitiellen Gewebes nach-
weisen konnte, was oft mit Vergrößerung der Drüsen einherging,
welche Noeggerath im Sinne einer kompensatorischen Hyper¬
trophie deutet.
Man kann sich von vornherein nicht gut vorstellen, daß eine in
der Regel in restlose Heilung ausgehende Krankheit, wie die Rachitis,
durch den Funktionsausfall endokriner Drüsen bedingt sei, denn die
Pathologie dieser Ausfallskrankheiten ist denn doch eine ganz andere.
Auch der an zahlreichen Orten (u. a. von mir in München) festgestellte
Frühjahrsgipfel der Rachitis stimmt nicht mit einer solchen Annahme,
und wenn Moro sagt, das Frühjahr sei die Zeit der inneren Sekretion,
so ist auch damit nicht das Geringste erklärt oder bewiesen.
Weder die Versuche Romingers mit der Abderhaldenschen
Abbaureaktion, die bei Rachitischen sowohl mit Thymus und Thyreoidea
als auch mit Ovarial- und Hodensubstanz ein negatives Ergebnis
lieferte, noch auch die diversen opotherapeutischen Bestrebungen,
von denen ich bei dem Kapitel der Rachitisbehandlung noch ein
paar Worte sagen will, sprechen in diesem Sinne.
Die Annahme einer Abartung des dem Kalkabbau dienenden Ge¬
webes fand in den Experimenten von Hartmann, welcher Knorpel¬
stückchen von normalen und von rachitischen Individuen in die
Bauchhöhle von Kaninchen brachte und ihrem Kalk gegenüber voll¬
kommen analoges Verhalten beobachtete, keine Stütze; inwieweit
die Versuche von L e h n e r t, der mittels Strontiumfütterung eine
Abartung des Osteoids erzeugen konnte, sowie das gegensätzliche
Verhalten des Kalk- und Magnesiastoffwechsels bei Rachitischen in
diesem Sinne sprechen, muß noch dunji weitere Versuche erhärtet
werden. Aber selbst wenn dieser Beweis gelänge, wüßten wir immer
noch nicht, durch welche Faktoren diese Zellveränderung zustande¬
kommt.
Auch die zahlreichen älteren und neueren Versuche, auf experi¬
mentellem Wege Rachitis zu erzeugen, können nicht als überzeugend
bezeichnet werden. Meist kommt es bei kalkloser oder kalkarmer
Fütterung, also unter Verhältnissen, wie sie bei der Genese der
menschlichen Rachitis keine Rolle spielen, denn das Kalkangebot ist
in der Regel zum mindesten ausreichend, zu Osteoporose und
nicht zu rachitischen Veränderungen. Die in dieser Richtung an-
gestellten neueren Experimente von Mac Collum, Simmonds,
Parson, Stipley und Park zeigen, daß sich durch 30 ver¬
schiedene Diätformen bei Ratten ein rachitisartiger Zustand erzeugen
läßt, lassen aber die Frage unentschieden, ob es sich dabei um
Kalkmangel, Vitaminmangel oder um Störungen im Kalk- oder
Vitamin Stoffwechsel handelt. Kürzlich veröffentlichte Versuche von
Wauschkuhn. welcher junge Hunde und Ratten monatelang in
engen Räumen hielt und eine mit Staub und Bakterien beladene Xuft
einatmen ließ, führten zu dem Ergebnis, daß sich bei den Ratten
überhaupt keine Veränderungen an den Knochen hervorrufen ließen,
während bei den Hunden keine an Rachitis mahnenden Befunde zu
erheben waren. Die Experimente dieses Autors sprechen auch gegen
die Domestikationstheorie, andere von ihm angestellte Versuche, in
denen er, ebenfalls ergebnislos, Heubazillen und Streptokokken in
die Venen injizierte, gegen den infektiösen Charakter der englischen
Krankheit. Es ist schwer, sich aus solchen und den in der älteren
Literatur vorliegenden Resultaten ein Bild über die Pathogenese der
Rachitis zu machen.
Neue Untersuchungen von Howland und Mariot, die sich
mit der Bestimmung des Kalkgehaltes im Blute Rachitischer befassen,
konnten einen Kalkmangel daselbst nicht nachweisen, und No egge-
rath hält selbst den positiven Ausfall solcher Proben nicht für
beweisend, da die einzelnen Portionen des Blutkalkes, auf deren
gegenseitige Relation es ja hauptsächlich ankommt, sich nicht trennen
lassen.
Gegenwärtig stehen wir wieder einmal in einer neuen Phase
der ätiologisdien Auffassung chronischer Stoffwechselkrankheiten, in
deren Genese vielfach Vitaminmangel eine Rolle spielen soll. Be¬
treffend die Rachitis, hat bereits einer der ersten Forscher a yf
diesem Gebiete, Funk, diese Ansicht ausgesprochen, und seiner
ist eine ganze Anzahl, namentlich amerikanischer, Arbeiten erschienen,
in denen dieser Faktor in den Vordergrund gestellt wird. Von vorn¬
herein erscheint mir eine solche Annahme wenig plausibel, denn
bei den zweifellosen Avitaminosen handelt es sich um regressive
Veränderungen, bei der Rachitis um einen ausgesprochen prolifera¬
tiven Prozeß. Die betreffenden Arbeiten lassen sich in zwei Gruppen,
die positiven und die negativen oder zweifelhaften, einteilen. Zu
ersteren gehören die Mitteilungen von Mac Collum, welcher
unter den Vitaminen oder Ergäuzungsstoffen den fettlöslichen Fak¬
tor A als antirachitisches Prinzip bezeichnet. Da seine diesbezüg¬
liche Wirkung bereits in sehr geringen Mengen sich äußert, faßt er
sie als katalytische auf. Dieser fettlösliche Faktor A findet sich, in
absteigender Menge, in Butterfett, Lebertran, Eigelb, Rindsfett (welch
letzteres von anderen Seiten bestritten wird) und fehlt im Schweine¬
fett, Handelstalg, Olivenöl und Mandelöl. Längeres oder stärkeres
Erhitzen zerstört ihn. Mellanby gelang es, Hunde durch eine
Kost, welcher dieser Stoff fehlte, rachitisch zu machen, wobei es
gleichgültig war, ob sie in Freiheit oder in Gefangenschaft gehalten
wurden. Hopkins und Chick haben diese Befunde bestätigt. Von
deutscher. Autoren haben sich F reise und Ru pp recht mit der
Vitaminfrage bei Entstehung der Rachitis beschäftigt und sind zu
dem Schlüsse gelangt, daß ein wasserlösliches Vitamin, das sich in
den Karotten findet, in Betracht komme. Dasselbe soll in den Keim¬
lingen oder dem Blattgrün der Pflanzen entstehen und durch das
Futter in die Milch gelangen. Die von verschiedenen Seiten auf¬
gestellte Behauptung, daß diese Vitamine nicht im menschlichen oder
tierischen Körper gebildet werden, läßt sich mit der Tatsache, daß
sich speziell der fettlösliche Faktor A besonders reichlich im Lebertran,
also in der Leber des Dorschfisches, findet, schwer in Einklang bringen.
Gegen diese Auffassung des Wesens der Rachitis sind nun von
verschiedenen Seiten begründete Einwände erhöben worden. Beson¬
ders Heß und Unger, gleichfalls Amerikaner, haben eingehende
Untersuchungen angestellt, in denen sie Hunde mit einer Nahrung
fütterten, die vollständig frei von dem fettlöslichen Faktor A war,
ohne daß diese Tiere die geringsten rachitischen Erscheinungen auf¬
wiesen; die von Mellanby beschriebenen Fütterungsfolgen halten
sie für Skorbut. Gerade die mit Kuhmilch überfütterten Säuglinge,
die also eher zu viel als zu wenig von dem Faktor A erhalten, zeigen
oft schwere Rachitis.
Der schon erwähnte Findlay war gleichfalls nicht in der Lage,
durch fettarme Nahrung Rachitis hervorzurufen, und konnte in ge¬
meinsam mit Pa ton und Watson durchgeführten Versuchen zeigen,
daß in Gefangenschaft gehaltene Hunde trotz fettreichster Nahrung
rachitisch wurden, in Freiheit lebende niemals.
Geradezu heiter mutet es an, wenn Pereda und Elardi die Ent¬
stehung der Rachitis durch fettreiche Nahrung auf dem Wege über
eine Ernährungsstörung behaupten und direkt eine fettfreie Kost
neben Kalk- und Phosphorzufuhr empfehlen.
Selbst ein warmer Anhänger der Vitaminlehre, Noeggerath,
warnt davor, nunmehr die Lehre von der Rachitis auf eine Melodie
zu stimmen, und Klotz hat sich gleichfalls energisch gegen die
neue Theorie gewendet, die denn doch auf zu schwachen Füßen
steht, um als endliche Lösung dieses schwierigen Problems gelten
zu können.
Daß Rachitis und Spasmophilie genetisch zusammenhängende
Zustände sind, dürfte wohl keinem Zweifel unterliegen; auch der
Grund dieser Erscheinung ist in der durch den Kalkmangel bedingten
Steigerung der Erregbaikeit des Nervensystems zu suchen, und die
therapeutischen Erfolge mit Kalkzufuhr einerseits, mit dem den Kalk¬
stoffwechsel günstig beeinflussenden Phosphorlebertran anderseits
sprechen gleichfalls in diesem Sinne.
Obwohl die beiden folgenden Punkte nicht streng genommen in
den Rahmen meiner diesmaligen Ausführungen gehören, möchte ich
doch einige Worte zur Frage der sogenannten zerebralen Rachitis
(Karger) und der rachitischen Myopathie (Hagenbach-Burck-
hardt, Bing, Banu) sagen. Karger unterscheidet zwei Gruppen
von Rachitikem, von denen die eine durch Schwerbeweglichkeit und
geistige Stumpfheit, die andere durch trotz vorhandener intensiver
rachitischer Symptome, selbst Frakturen, bestehende flotte Motilität
und frisches geistiges Verhalten charakterisiert ist. Bei den ersteren
nimmt er eine spezifische, durch die Rachitis bedingte Erkrankung
der Hirnsubstanz an, die sich in Hypertrophie derselben manifestiert.
Ich kann ihm auf diesem Wege nicht folgen, wenn ich auch die ge¬
wonnenen klinischen Eindrücke zugebe. Die geistig stumpfen Rachiti-
ker sind fett und daher schwer beweglich, und man kann überhaupt
die Beobachtung machen, daß körperlich rasch zunehmende Säuglinge
ein langsameres Tempo der geistigen Entwicklung zeigen. Die bei
ihnen gefundene Massenzunahme des Zerebrums ist wohl als eine
Quellungserscheinung zu deuten, wie man ihr beim vollsaftigen
Rachitiker ja auch im Bereiche des Knorpelgewebes begegnet. Die
beweglichen Rachitiker sind es wegen ihrer geringeren Köroermasse,
und ihre geistige Frische hängt mit ihrer langsameren Gewichts¬
zunahme zusammen.
Auch eine rachitische Myopathie im Sinne der genannten Autoren
kann ich nicht gelten lassen, denn die Störungen in der Motilität,
wie sie viele Rachitiker auf der Höhe des Prozesses aufweisen, ver¬
lieren sich nach Abheilung desselben vollständig, können somit, wenn
wir den Verlauf echter Myopathien zum Vergleich heranziehen, nicht
durch tiefergreifende anatomische Veränderungen bedingt sein, son¬
dern sind wohl nur als Inaktivitätsatrophie zu deuten.
_ (Schluß folgt.)
— "&tgftized by Google
Original fram
CORNELL UNIVERSITY
234
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 7
Gynäkologische Ratschläge für den Praktiker.
Von Prof. W. Llepmau in Berlin.
VII.
Die Tumoren der weiblichen Geschlechtsorgane;
1. Teil: Vulva-» Vagina- und Uteruspolypen.
Wenn man bedenkt, daß nach der Statistik von Ourlt Tumoren
der Geschlechtsorgane 11 mal so häufig bei Frauen als bei Männern
verkommen, so beweist allein diese Tatsache die eminente Bedeutung
für den Praktiker, diese Tumoren zu kennen.
Ueberblicken wir die gesamten Geschwülste der weiblichen Geni¬
talien, so kommen in allererster Linie für den Praktiker, wenn wir
von den gutartigen Zervixpolypen absehen, die Uterusmyome, die
Vulva-, Scheiden- und Uteruskarzinome und die benignen und malignen
Geschwülste des Eierstockes in Frage.
s. Die Geschwülste der Vulva.
Wenn wir zuerst die Pseudogeschwülste der Vulva vor den echten
Tumoren besprechen, so geschieht das, weil unter ihnen die spitzen
Kondylome (Condylomata acmninata) dem Praktiker am häufigsten
begegnen. Pathologisch-anatomisch handelt es sich um entzündliche
Wucherungen des Papillarkörpers mit zahlreichen lymphozytären und
plasmazelligen Infiltrationen im Beckenbindegewebe. Sie können sich
zu faustgroßen Geschwülsten entwickeln, den ganzen Scheidenein¬
gang umgeben und mit ihrem blumenkohlartigen Aussehen, be¬
sonders wenn Teile von ihnen zerfallen und verjauchen, den Ein¬
druck eines malignen Tumors erwecken. Ganz abgesehen davon, daß
die Karzinome an der Vulva in der Regel den ulzerierenden Charak¬
ter der Hautkankroide tragen, führt die mikroskopische Untersuchung
eines Tumorstückchens sofort zum Ziel: der rein papiläre Charakter
bei den Kondylomen einerseits und die infiltrative, die Schranken
des Bindegewebes durchbrechende Tendenz des Karzinoms anderseits.
Macht so die Diagnose dieser spitzen Kondylome keine Schwierig¬
keiten, so muß anderseits auf einen Irrtum hingewiesen werden,
der immer von neuem wieder auftaucht. Dieser Irrtum bezieht sich
auf die Entstehung der spitzen Kondylome: die häufige Assoziation
spitze Kondylome Gonorrhoe ist falsch, erst der Nachweis von Gono¬
kokken führt zur Diagnose Gonorrhoe. Die spitzen Kondylome ent¬
stehen auch ohne Gonorrhoe durch Ausflüsse aller Art, besonders
in der Schwangerschaft.
Therapie. Bei vereinzelten Kondylomen ist das Abtragen mit¬
tels eines kleinen elektrischen Thermokauters das Zweckmäßigste.
Bei größeren Geschwülsten wird sich eine Narkose nicht vermeiden
lassen. In der Praxis kann man zu Beginn noch durch Aetzung mit
Add. nitric. fumans, das mit Holzsfäbchen aufgetragen wird, oder mit
Bestreuen der Kondylome mit einem Pulver: Pulvis Sabinae und
Alaun ana zum Ziel gelangen.
Für den weniger Geübten kann die Differentialdiagnose zwischen
Condylomata acuminata und den breiten Kondylomen (Condylomata
lata) auf Schwierigkeiten stoßen, und doch sind für den, aer ein¬
mal ihren Unterschied sich eingeprägt hat, Verwechselungen schwer
möglich: sie sind breiter, nässend und von braunroter Farbe. Ein
Griff auf die schmerzlos infiltrierten Inguinaldrüsen zeigt ihre Genese:
Syphilis (Artikel 3, Nr. 3), am besten aber können wir ihren Unter¬
schied dadurch demonstrieren, daß wir das mit der Platinöse ge¬
wonnene Reizserum im Dunkelfeld oder nach Burry untersuchen
und die Spirochäten darstellen.
Ebenfalls zu den Pseudotumoren zu rechnen ist die besonders
inTOrient vorkommende Elephantiasis vulvae. Wenn auch gelegent¬
lich Tumoren von einem Gewicht von 14 kg (Nicolas) beobachtet
worden sind, so ist ihr Auftreten bei uns so selten, daß wir es an
dieser Stelle mit einer kurzen Erwähnung genug sein lassen können.
Von den echten Tumoren kommen in erster Linie die von der
Bartholinisdien Drüse ausgehenden Retentionszysten in Frage, die
ebenfalls, selbst wenn sie vereitern, nicht immer eine gonorrhoische
Genese zu haben brauchen. Ihre Diagnose ist so leicht und ihre
Therapie, Ausschälung der Zyste, so selbstverständlich, daß dieser
kurze Hinweis genügt, nur ist dringend eine solche Auslösung in
der Sprechstunde zu widerraten. Ich besinne mich auf einen Fall,
in dem hierbei durch Verletzung des Bulbus vestibuli eine lebens¬
gefährliche Blutung bei der Patientin auftrat
Die Angiome, Fibrome, Lipome, Enchondrome und
Neurome bedürfen ihrer Seltenheit wegen keiner Besprechung.
Und jetzt kommen wir zu derjenigen Erkrankung der Vulva, die
immer und bei jeder Diagnose erwogen werden muß, zu den Karzi¬
nomen. Wie jeder Arzt bei der Vergrößerung der Gebärmutter an
eine Schwangerschaft zu denken hat, so ist es seine Pflicht, bei
jeder Tumorbildung und Erosion zunächst an ein beginnendes Karzi¬
nom zu denken und erst nach Ausschluß der Malignität eine andere
Diagnose zu suchen. Nach Frankl, Schottländer und Schwarz
hat man mit einer Frequenz von etwa 2—2Vs% von Vulvakarzinom
zu rechnen. Werden in der Mehrzahl Frauen von 55—70 Jahren
hiervon befallen, so sind doch auch Fälle im frühesten Alter, ja
sogar bei einem 14jährigeii Mädchen (Kinoshita) beobachtet worden.
Diagnose. Pruritus und Kraurosis (Nr. 4) sind oft die Vor¬
läufer der Erkrankung. In jedem Falle ist auch nur bei dem ge¬
ringsten Verdacht die Exstirpation eines genügend großen Oe-
websstückchens vorzunehmen. Die mikroskopische Untersuchung führt
sicher zum Ziel. Nur so sind Verwechselungen mit syphilitischen
und tuberkulösen Oeschwüren zu vermeiden, denn gerade beim Be-
inn, und das ist ja das Unglück aller Karzinomträgerinnen, fehlen
chmerzen und Beschwerden der Frau gänzlich. Erst später treten
ausstrahlende Schmerzen, Juckgefühl, Brennen und, beim Sitz des
Karzinoms in der Oegend der Harnröhre, Beschwerden beim Urin¬
lassen auf.
Therapie. Die Behandlung ist klar gegeben. Gleich von
laschke bin ich der Meinung, in jedem Falle, wenn es noch mög¬
lich ist, die Operation auszuführen und nach der Operation mit
der Strahlenbehandlung eine Rezidivbildung möglichst hmtanzuhalten.
Die noch bösartigeren, aber sehr seltenen Sarkome sind in
gleicher Weise nur histologisch zu diagnostizieren, und bei schlech¬
terer Prognose deckt sich die Therapie mit der beim Vulvakarzinom
angegebenen.
b. Die Geschwülste der Vagina.
Wenngleich nicht selten Zysten der Scheide zu der falschen
Diagnose Descensus vaginae führen und gelegentlich Fibrome der
Vagina beobachtet sind, so wird die Geschwulstpathologie auch
dieses Oenitalabschnittes allein beherrscht von dem Karzinom.
So häufig die Karzinome der Gebärmutter auf die Scheide über¬
greifen, so selten ist der primäre Scheidenkrebs. Unter 24446 gynäko¬
logisch kranken Frauen fanden sich nach Schottländer nur
6 Fälle von Carcinoma vaginae. Auch hier, wie beim Vulvakarzinom,
sind zahlreiche Fälle beobachtet,* in denen diese Erkrankung schon
im jugendlichen Alter, beispielsweise bei einer 19jährigen Frau,
(Falk) auftrat
Diagnose. Der Lieblingssitz des primären Scheidenkarzinoms
ist das hintere Scheidengewölbe. Bald ist der Tumor flach, bald
stark zerklüftet oder blumenkohlartig entwickelt, nicht selten wird
die ganze Scheide in ein derbes, starr infiltriertes Rohr verwandelt.
Wenn man kurz hintereinander wie ich beginnende Scheidenkarzinome
sich entwickeln sah auf einer Ulzeration, die durch ein oft gerügtes
Riesenpessar entstanden war, so kann man nicht' umhin, hierin etn
ätiologisches Moment zu sehen. Für den, der pflichtgemäß über¬
haupt vaginal untersucht, ist die Diagnose von Carcinoma vaginae
leicht zu stellen.
Therapie. Die Behandlung besteht bei schlechtester Prognose
in radikaler Entfernung des ganzen Genitalschlauches und nachheriger
Bestrahlung.
Die Sarkome der Scheide gleichen makroskopisch oft den Fi<
bromen und sind nur durch die mikroskopische Untersuchung zu
diagnostizieren. Nach Frankl sind im ganzen 50 Fälle von trau-
bigem Sarkom im Kindesalter beobachtet worden.
c. Die Geschwülste der Gebärmutter.
Einen Hauptanteil an der Geschwulstentwicklung der weiblichen
Oenitalien hat neben den Ovarien der Uterus. Das vielgestaltige
pathologisch-anatomische Bild löst sich für den Praktiker ln fünf
gut übersehbare und gut diagnostizierbare Gruppen auf: a) die
Schleimhautpolypen, b) die Uterusmyome und Adenomyome, c) die
Uteruskarzinome, d) die Chorionepitheliome und e) die Uterusr
sarkome.
a) Schleimhantpolypen. Die Polypen, die von der Schleimhaut
der Zervix oder des Korpus ihren Ausgang nehmen, zeigen vorzüg¬
lich, wie Frankl mit Recht betont, „den allmählichen Uebergang
von hyperplastischen Prozessen zu den Tumoren**.
Diagnose. So leicht die Diagnose bei der digitalen Unter¬
suchung, besonders im Spekulumbild, zu stellen ist, immer wieder
kommen Fälle vor, wo diese Diagnose in der Praxis übersehen wird
Wenn eine Frau wochenlang schwer blutet und die gegebenen
Sekalepräparate nicht zum Ziele führen, statt dessen eine einfache
Spekulumuntersuchung einen blutenden Zervixpolypen nachweist, wenn
in einem anderen Falle ein junges Mädchen jahrelang an schwersten
Dysmenorrhöen leidet, die sie fast zum Selbstmord treiben, und
die Entfernung eines übersehenen Zervixpolypen sie mit einem
Schlage gesund macht, so sind das Unterlassungssünden, die in der
Praxis nicht Vorkommen dürften. Nur aus unsern Fehlern lernen wir.
Differentialdiagnostisch kämen noth die gestielten und nach
außen gebogenen submukösen Myome in Frage, die viel größer als die
Schleimhautpolypen sind und, ihrer fibrösen Beschaffenheit gemäfi,
viel härter sich anfühlen. Wenn sie beim Heraustreten aus der
Portio an der Zirkumferenz ulzerieren, können sie zu merkwürdigen
diagnostischen Fehlern führen; so wurde in einem solchen Fall die
Diagnose Abort gestellt. Eine sorgfältige Abtastung und Beobachtung
dürfte diesen diagnostischen Fehler vermeiden lassen. Da bei allen
Polypen maligne Degenerationen nicht selten sind, so ist es Pflicht^
in jedem Falle nach Exstirpation des Polypen mikroskopisch zu
untersuchen.
Therapie. Die Abtragung mit Messer und Schere nach vor¬
herigem Abbinden des Stieles und Exkochleation der hypertrophischen
Schleimhaut des Uterus ist die gegebene Behandlungsmethode, aber
auch sie erfordert klinische Assistenz und klinischen Apparat, wenn
anders man nicht sich plötzlich schwer zu bewältigenden Blutungen
gegenüber sehen will.
Digitized by Go sie
Original from
CORNELL UNIVERSUM
16. Februar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
245
Feuilleton.
Allerlei aus dem Auslande.
Frankreich.
In meinem letzten Berichte aus Frankreich hatte ich über den
medizinischen Kongreß in Straßburg berichtet. Ein würdiges Gegen¬
stück zu ihm, hinsichtlich des Mißbrauchs medizinischer Kongresse
zu politischen Zwecken, bildet der in Warschau abgehaltene fran-
iftsisch-polnische medizinische Kongreß, der „ein Erfolg ohnegleichen* 1
gewesen sein soll. Mehr als 100 französische Teilnehmer waren dabei
erschienen. Für den nüchternen Beobachter ist dies keine über¬
wältigende Zahl, ganz besonders, wenn man erfährt, daß fast alle
französischen Universitäten, mehrere gelehrte Gesellschaften, einige
Stadtverwaltungen, das Kriegsministerium und sonst noch ein paar
staatliche Behörden raehrköpfige Missionen dazu abgeordnet hatten.
Es blieben also kaum mehr nichtoffizielle französische Kongre߬
besucher übrig. Sie wurden alle zusammen mit Extrazug an der
deutschen Grenze abgeholt und zunächst nach Posen verbracht. Hier
wurden sie unter den Klängen der Marseillaise, die eine polnische
Militärkapelle spielte, empfangen, durch einen Triumphbogen in mili¬
tärischen Autos in die Stadt geführt, zu einem Feste im ehemaligen
kaiserlichen Schloß geladen, von den Behörden verherrlicht und von
den Professoren der dortigen neuen polnischen Universität beweih¬
raucht. Es ist bemerkenswert festzustellen, wie sehr die Polen bei
ihrem Kongresse nach französischem Rezepte arbeiteten^ Beim schon
erwähnten Straßburger medizinischen Kongreß hatte das militärische
Oberkommando mitgewirkt, es hatte die damit verbundene Sanitäts¬
geräteausstellung in die Hand genommen und die Militärärzte von
Elsaß-Lothringen zum Besuch derselben kommandiert. Die Polen
stellten für den ärztlichen Kongreß Militärmusik und Militärautos zur
Verfügung. Welcher Teilnehmer konnte da noch für die Abrüstung
eingenommen sein, über die man gerade in Washington verhandelte?
Nach dieser Vorfeier in Posen kamen die Franzosen nach War¬
schau, wo sie von Fest zu Fest gejagt wurden. Von den eigent¬
lichen Verhandlungen des Kongresses weiß der Sonderberichterstatter
der „Presse Medicale** von Paris, der das hier Wiedergegebene er¬
zählt, nichts Näheres mitzuteilen, außer daß bei der Eröffnungs¬
sitzung das polnische Staatsoberhaupt Pilsudski persönlich anwesend
war und daß der berühmte Nervenarzt aus Paris Dr. Babinski,
der Entdecker des nach ihm benannten Zehenphänomens, der, wenn¬
gleich Franzose, polnischer Abstammung ist, aufs lebhafteste bejubelt
wurde. Ein besonders geartetes Fest wurde den Franzosen in den
Minen des Salzbergwerks von Wieliczka, 300 m unter der Erdober¬
fläche, gegeben. Sie wurden hier beim Empfang mit der Marseillaise
anposaunt, sodann wurde getäfelt und getanzt. Ein Sonderzug hatte
die Kongreßteilnehmer mit ihren Damen dorthin geführt.
Es war also ein Festen ohnegleichen. Auf der Heimreise scheint
es dem ärztlichen Sonderberichterstatter der Presse MSdicale, wie
es sich in solchen Fällen geziemt, doch etwas katzenjämmerlidi zu¬
mute geworden zu sein. Als Vertreter der medizinischen Fachpresse
schien ihm doch der Hauptzweck des Kongresses zu sein, die pol¬
nische Medizin zu einer Schülerin der französischen zu machen, um
den polnischen Büchermarkt mit den Erzeugnissen der französischen
medizinischen Verleger überschwemmen zu können. Dies ist aber
zur Zeit ganz aussichtslos. Die polnische Valuta steht ja weit unter
der deutschen und abgrundtief unter der französischen. 100 polnische
Mark waren damals gerade 35 französische Centimes wert. Wie
soll man da in Polen französische Bücher kaufen oder sich Zeit¬
schriften aus Paris halten? Lag da nicht Deutschland für Polen
finanziell wie geographisch bedeutend näher? War da nicht
eine große Gefahr, die Früchte der rauschenden Sympathiekund¬
gebungen des Kongresses wieder zu verlieren? Von diesem Alb¬
drücken geplagt, hielt sich der Sonderberichterstatter auf der Heim¬
reise zwei Tage lang in Berlin auf, um dem kranken Deutschland
den Puls zu fühlen und eine Prognose zu stellen. Er hat sie aber
nicht ausgesprochen, sondern sich damit begnügt, einen Status prae¬
sens über den Patienten zu geben, der von richtiger Beobachtung
zeugt; denn er sagt: Berlin ist nicht traurig, sondern so lebhaft wie
früher. Abgesehen von der Abnahme der Stadtbeleuchtung und der
Uniformen, ist äußerlich nichts Verändertes wahrzunehmen. Die Wirt¬
schaften sind alle gesteckt voll, sodaß man, des Sonntags wenigstens,
kaum einen Platz bekommt, da werden Rhein- und Moselweine ge¬
trunken, ein recht gutes Orchester spielt dazu die Modestücke, es
wird bis tief in die Nacht hinein getanzt, und der Franzose, der
zu verdienen gibt, ist freundlichst aufgenommen.
Die französische Universität Straßburg wird mehr' und * mehr
nach dem Muster der andern Landesuniversitäten mmgeformt. Es
ist eine Eigenart der französischen medizinischen Fakultäten, daß
sie viel mehr Ordinariate haben als die entsprechend großen deut¬
schen und daß die naturwissenschaftlichen Fächer, die der Mediziner
hören muß, in einer für sie besonders zugeschnittenen Form von
ordentlichen Professoren der medizinischen Fakultät gelehrt werden.
Vor dem Kriege hatte Straßburg 12 Ordinariate, jetzt hat es 18. Die
Zahl der Studierenden an der Fakultät bewegte sich aber im um¬
gekehrten Verhältnis zu der der Ordinarii. Sie ist von 626 im Jahre
1914 auf 463 im Jahre 1920 zurückgegangen.
Durch den früheren Präsidenten Poincarg, der als Kriegsanstifter
und als Lothringer einen besonderen Anteil am Ergehen von Str a ß.
huig nimmt, Ist soeben der Universität eine Stipendienstiftung ^ 0
300000 Fr. von der Marquise Arconati Visconti zugeflossen. Von
derselben Spenderin hatte im vorhergehenden Jahre das Institut
für erdphysikalische Beobachtungen an der Universität Straßburg ein
Geschenk von 150000 Fr. erhalten.
Trotz aller Verherrlichung, die man sich in Frankreich vorzu¬
spiegeln pflegt, fällt doch manchmal ein Blick hinter die Szene und
zeigt dunkle Schatten. Der schlimmste ist die stetige Abaahme der
Geburtenziffer. Eine Anzahl von Departements entvölkert sich lang¬
sam, so Gers, bei den Pyrenäen, und Calvados und Manche, in der
Normandie. Die beiden letzteren haben in weniger als einem Jahr¬
hundert um weit über 100000 Seelen verloren, in einigen andern,
in der Bretagne und Savoyen, gibt es noch kinderreiche Familien.
Immerhin ist der Ausgleich sehr kümmerlich. Im Jahre 1913 hatte
Frankreich schon die geringste Geburtenziffer unter allen zivilisierten
Nationen. Während der jährliche Geburtenüberschuß über die Todes¬
fälle auf 1000 Einwohner in Deutschland damals 12—15 betrug, be¬
lief er sich in Frankreich nur auf 1. Die höchste Geburtenzahl war
in Frankreich im Jahre 1859 mit 1010000 erreicht worden, 1913 war
sie auf 745000 gesunken, und während des Krieges, im Jahre 1918,
sind die Geburten auf 450000 heruntergegangen, während die Sterbe¬
ziffer in diesem Jahre mehr als doppelt so viel betrug. Nun sind
freilich im Jahre 1919—1920 die Geburten in Frankreich wieder
an Zahl in die Höhe gegangen, sie nähern sich dem bescheidenen
Stand von 1913. Aber die Zahl der Eheschließungen war in der
entsprechenden Zeit doppelt so groß als vor dem Kriege, sodaß
also dieser Wiederanstieg der Natalitat doch nur scheinbar ist und
noch zu keinen Hoffnungen für Frankreichs Zukunft in der Bevöl¬
kerungsfrage berechtigt Schober (Wildbad, früher Paris).
Kleine Mitteilungen.
— Berlin. Die ethisch, wirtschaftlich, sozial und politisch ver¬
werflichen Streiks der Eisenbahner und der Berliner
städtischen Arbeiter haben selbstverständlich auch höchst be¬
dauerliche Nachteile für das öffentliche Gesundheits¬
wesen und die Kranken Versorgung verursacht Ein Aufruf
der Vorstände der Berlin-Brandenburgischen Aerztekammer und des
Großberliner Aerztebundes lautete u. a.: „Die ärztliche Versorgung
ist in großer Gefahr! Der Streik in den städtischen lebenswichtigen
Betrieben, die Stillegung der Elektrizitäts-, Gas- und Wasserwerke
und des Verkehrsnetzes hat eine ärztliche Versorgung der Privat-
kranken sowie der Kranken in den Krankenhäusern fast unmöglich
gemacht Operationen können wegen mangelnder Licht- und Wasser¬
zufuhr kaum durchgeführt werden, was für die Kranken die schwer¬
wiegendsten Schädigungen zur Folge haben muß. Die Kranken
liegen in kalten Sälen und Zimmern, weil wegen des fehlenden Wassers
und der Kohlenuot die Dampfheizung nicht in Betrieb gehalten
werden kann; ebenso ist eine vorschriftsmäßige Bereitung des Essens,
vor allem des regelmäßigen Anwärmens der Milch für Säuglinge
und Kleinkinder unmöglich.** Um nur ein Beispiel zu erwähnen, so
waren im Kaiser und Kaiserin Friedrich-Krankenhaus
die Krankensäle, in denen neben Hunderten von Kindern auch
160 Säuglinge untergebracht waren, nicht mehr geheizt, die Küchen¬
einrichtung lahmgelegt, sodaß auch das Kochen unmöglich gemacht
wurde, die Milch für die Säuglinge konnte nicht angewärmt, die
Windeln nicht gewaschen werden. Die Ausführung operativer Ein¬
griffe, auch der leichteren Art, war infolge Lichtmangels unmöglich
gemacht. Mit der Petroleumlampe in der Hand mußten die Kranken¬
schwestern von Bett zu Bett gehen. Aehnliche unerhörte Zustande
herrschten in den meisten anderen Krankenhäusern. Wir bitten
nunmehr alle Kollegen, uns die von ihnen festgestell¬
ten schweren Schäden der Gesundheits- und Kranken¬
fürsorge mitteilen zu wollen, damit die Oeffentiich-
keit auch über diese unheilvollen Folgen der gewissen¬
losen Streiks aufgeklärt wird. Das geeignete Material
soll in zweckentsprechender Bearbeitung der Regie¬
rung und dem Reichstag übergeben werden. J. S.
— Der Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Ge¬
schlechtskrankheiten (vgl. d. W. 1921 S. 841) wurde vom
Reichsrat angenommen.
— Im Preußischen Ministerium für Volks Wohlfahrt
fand am 21. I. d. Js. eine Besprechung zwischen Vertretern des
Ministers und dem erweiterten Vorstand des preußischen Medizi¬
nalbeamtenvereins statt, in der die wichtigsten Fragen der
Stellung, der BesoldungsVerhältnisse und der Amtstätigkeit der preu¬
ßischen Medizinalbeamten erörtert wurden. Der Minister für Volks-
wohifahrt beabsichtigt, derartige Besprechungen nach Bedarf zu
wiederholen.
— Der in Nr. 6 S. 202 mitgeteilte Bescheid des preußi¬
schen Ministers für Volkswohlfahrt über die staat¬
liche Bekämpfung der Kurpfuscherei bedeutet leider kurz
und schlecht, daß bei der Lösung dieser wichtigen Aufgabe des
öffentlichen Gesundheitswesens im Reich und in Preußen fortge-
wurstelt werden soll. Wie wenig die Behörden bisher die ihnen
zur Verfügung stehenden Maßnahmen angewandt haben, beweist
auch ein Blick in die illustrierten Zeitungen, wie die „Fliegenden
Blätter*', das „Familienblatt Daheim**, „Die Woche“ u. a., die sich
nicht entblöden, Nummer für Nummer die offensichtlichsten Schwindd-
anzeigen von Geheimmittelfabrikanten und Kurpfuschern aufzunehmen.
Der Reichsgesundheitsrat oder der preußische Landesgesundheitsrat
Digiti re:: by
Goc 'gle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
236
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 7
sollte pflichtmäßig die den „bezüglichen“ Ministem nicht zur Ver¬
fügung stehende Initiative ergreifen, um Mittel und Wege anzu¬
geben, mit denen man auch ohne aussichtslose gesetzgeberische Ver¬
ordnungen der Kurpfuscherei und dem Geheimmittelschwindel ün
Interesse der Volksgesundheit besser als bisher entgegenwirken
könnte. J* S.
— Als eine berechtigte Satire zu der obigen Erklärung des Volks¬
wohlfahrtsministers erscheint die Anzeige, mit der die Kinder des
bekannten „Naturheilkundigen“ Bi 1 z seinen Tod anzeigen.
Danach war Bilz „Begründer des Sanatoriums Bilz in Dresden-Rade-
beul und des öffentlichen Familienluftbades im Lößnitzgrunde, Ver¬
fasser des Volksgesundheitsbuches ,Das neue Naturheilverfahren',
im 80. Jahre seines arbeits- und segensreichen Lebens“. „Sein Wirken
im Dienste der Volksgesundheitspflege und des Menschheitsglückes,
dessen Voraussetzung er im einfachen natürlichen Leben erblickte,
und dem er 50 Jahre lang bis zuletzt seine Kräfte widmete, war ein
einzigartiges, vorbildliches, das in die Zukunft des deutschen Volkes
weit hinausleuchten und dem Verblichenen ein ehrenvolles und dank¬
bares Andenken sichern wird!“ Bekanntlich ist einmal das „segens¬
reiche Sanatorium“ wegen der in ihm herrschenden Mißstände be¬
hördlich geschlossen worden.
— Im Hauptausschuß des Preußischen Landtages
äußerte sich Staatssekretär Becker über die Grundlinien der
neuen Universitätsverfassung, die demnächst als Ministerial-
Verfügung herauskommen werden. In die engere Fakultät und in den
Senat seien Vertreter der Extraordinarien und Privatdozenten auf¬
genommen. Zum Dekan könne nur ein ordentlicher Professor gewählt
werden. Zwischen den Fakultäten würden Arbeitsgemeinschaften ge¬
schaffen. Eine Vertretung der Studenten im Senat sei von Studenten
und Fakultäten abgelehnt worden.
— In der letzten Stadtverordnetensitzung wurden von den
bürgerlichen Fraktionen die Leistungen der Krankenkassen
scharf kritisiert. Es läge keine Veranlassung vor, bei der Behandlung
von Krankenkassenmitgliedem in den städtischen Krankenhäusern
noch große Summen der Steuerzahler zuzugeben. Die Krankenkassen
hätten zumeist sehr große Einnahmen. Wenn sie nicht ein so großes
Beamtenheer beschäftigten, könnten sie viel mehr für ihre Mitglieder
leisten und die Selbstkosten für die Krankenkassenmitglieder in den
Anstalten zahlen.
— Nach einer früheren Verfügung des Preußischen Ministeriums
der öffentlichen Arbeiten hatten einzelne Eisenbahndirektionen, ins¬
besondere Altona und Münster, das Recht bekommen, an Orten, wo
mehrere Bahnärzte bestellt sind, die freie Wahl unter diesen Bahn¬
ärzten einzuführen, sofern dadurch nicht wesentlich höhere Auf¬
wendungen entständen. Von dieser Möglichkeit wurde an verschie¬
denen Orten Gebrauch gemacht. Die weitere Durchführung be¬
gegnete aber erheblichen Schwierigkeiten, und zwar von seiten bis¬
heriger Bahnärzte, soweit sie eine namhafte Einnahmeeinbuße zu
befürchten hatten, und der Aerzteorganisationen, die an mehreren
Orten unbeschränkt freie Arztwahl verlangten. Infolge dieser Um¬
stände w'urde die Durchführung der beschränkt freien Bahnarztwahl
an den noch in Frage kommenden Orten aufgehalten und auf
Weisung des Reichsverkehrsministeriums einstweilen, bis zur Be¬
endigung der Verhandlungen mit den Aerzteorganisationen der ein¬
zelnen Länder über eine einheitliche Regelung des Bahnarztwesens
im Bereiche der Reichsbahn, ausgesetzt.
— Ostpreußische Landkrankenkassen (Insterburg, Oletzko
usw.) bemühen sich fremde Aerzte heranzuziehen, um mit inrer Hilfe
die ansässigen Kollegen vor die Wahl zu stellen, entweder die ihnen
gebotenen Bedingungen für die ärztliche Versorgung der Kassen an¬
zunehmen oder ihre Existenz zu verlieren. Die von den Kassen den
fremden Aerzten angebotenen Bedingungen sind mit Rücksicht auf die
sehr hohen in Abzug zu bringenden Unkosten (40—80°/ 0 ) als völlig
unzulänglich zu bezeichnen.
— Die Fraktion der USPD. im Reichstag hat den Entwurf
eines Gesetzes eingebracht, das die Errichtung von Beratungs¬
stellen und Heimen für werdende Mütter und Unterwei¬
sungsstellen für Säuglingspflege fordert. Die erwerbstätigen Mädchen
und Frauen sollen mindestens acht Wochen vor und acht Wochen
nach der Entbindung von jeglicher Arbeit befreit werden.
— Der Vorstand des Ostseebäder-Verbandes hat be¬
schlossen, den Bade Verwaltungen zu empfehlen, von Aus¬
ländern einen 100o/oigen Aufschlag auf Kurtaxe und Bäder¬
preise zu nehmen.
— Der neueste Marktbericht über den Handel mit Drogen und
Chemikalien zeigt dieses Mal entgegen früheren Berichten, die fast
nur Erhöhungen meldeten, eine Verbilligung einer Anzahl wichtiger
Heilmittel. Im Preise zurückgegangen sind Bismut- (150 M. pro
Kilo), Blei- und Borpräparate, Camphor (200 M. pro Kilo),
Chinin, Kokain, Codein und Morphium (letztere je ca. 2000 M.
pro Kilo), Glyzerin, Jodpräparate, Opium, Vaseline sowie
Zink und dessen Präparate. Im Preise gestiegen sind: Acid.
acetylosalicylicum um 50 M. pro Kilo; Acid. carbolicum pur.
crist. fast um das Doppelte; Acidum tannicum um 10 M. pro Kilo;
Aether sulfuric. um 80°/ 0 ; Amidopyrin um 300 M. pro Kilo;
Phenazon um 185 M., Antipyrin. salicylic. um 45 M., Analgesin
Coffein, citric. um 235 M. pro Kilo; Aspirin um 120 M. pro Kilo;
Pyrogallol um 125 M. pro Kilo; Salizylpräparate um 15 M. pro
Kilo, Salol um 50 M. pro Kilo; Spiritus um 23 M. das Liter; Theo¬
bromin puriss. um 530 M. pro Kilo, Theobromin natr. salicylic.
130 M. pro Kilo.
— Geh. San.-Rat Konrad Küster vollendete am 1. II. sein
achtzigstes Lebensjahr. Achtzehn Jahre lang gab er die „All¬
gemeine Deutsche Universitätszeitung“ heraus.
— Der 34. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Innere Medi¬
zin findet vom 24.-27. IV. 1922 in Wiesbaden unter dem Vorsitze von
Prof. L. Brauer (Hamburg-Eppendorf) statt. Die Hauptverhandlungsgegen¬
stände sind aus dem Gebiete der Leberkrankheiten sowie aus den Fragen der
inneren Sekretion gewählt. Die Verhandlungen über die Leberkrankheiten
werden eingeleitet durch ein Referat von Prof. Eppinger (Wien) über Ikterus,
jene des zweiten Hauptthemas durch ein Referat von Prof. Biedl (Prag) über
Hypophyse. Zu beiden Referaten werden ergänzende Vorträge gruppiert, wie
denn überhaupt auf die Gewinnung gewichtiger Einzelvorträge ganz besonders
Wert gelegt werden soll. Projektionsapparat und Epidiaskop stehen den Vor¬
tragenden zur Verfügung. Vortragsanmeldungen, denen eine kurze Inhaltsangabe
beizufügen ist, sind bis zum 18. III. an Prof. L. Brauer, Hamburg-Eppendorf,
Martinistr. 56, zu richten. Vorträge, deren wesentlicher Inhalt bereits veröffent¬
licht ist, dürfen nicht zugelassen werden. Die Wiesbadener Hotels und Pensionen
gewähren den Kongreßteilnehmern und deren Frauen Vergünstigungen. Außerdem
ist ein Ortskomitee bemüht, für die jüngeren Herren kostenlos Unterkunft bei
Wiesbadener Familien und im Städt. Krankenhause zu beschaffen. Bestellungen
von Wohnungen bis zum i. IV. 1922 spätestens bei dem Städt. Veikehrsbüio, Ab¬
teilung Aerztl. Kongresse, das Wünsche bezügl. bestimmter Hotels nach Möglich¬
keit berücksichtigen wird. Mit der Tagung ist eine Ausstellung verbunden. An¬
meldungen für diese an Oberarzt Dr. G6rönne, Wiesbaden, Städtisches Kranken¬
haus bis spätestens 18. UI.
— Die Dozentenvereinigung für ärztliche Ferienkursein Berlin
veranstaltet vom 2 .- 29 . III. neben den üblichen Kursen aus allen Gebieten
je einen Gruppenkurs über Tuberkulose (vom 13 .— 19 - III.)* Strahlen¬
kunde (vom 19 .—25. III.) und Herzkrankheiten (vom 27- III.—1. IV.).
Näheres durch die Geschäftsstelle, Berlin NW 6, Luisenplatz 2—4 (Kaiserin
Friedrich-Haus).
— Vom 6.— 11 . III. d. J. findet in der I. Medizinischen Universitätsklinik
der Charitg in Berlin ein Kursus der Krankenernährung mit praktischen
Uebungen in der Diätküche statt, wobei am Vormittag von Geh.-Rat
His und Prof. Gudzent theoretische Vorträge gehalten werden und nachmittags
praktische Kochübungen in der Diätküche stattfinden. Auskunft erteilt Prof.
Gudzent.
— Der IV. Karlsbader internationale ärztliche Fortbildungs-
kursus mit besonderer Berücksichtigung der Balneologie und
Balneotherapie findet in der Zeit vom 24.— 30 . IX., also unmittelbar nach
der Naturforscherversammlung, in Karlsbad statt. — Auskünfte erteilt
Dr. Ganz (Karlsbad).
—■ Fleckfieber. Deutsches Reich (20.—28.1. mit Nachträgen): 34. — Genick¬
starre. Deutsches Reich (1.-7.1.): 15. - Ruhr. Deutsches Reich (1.—7. L): 47. —
Abdominaltyphus. Deutsches Reich (1.-7.1.): 144.
— Hamburg. Der Senat hat unter dem 28. XII. 1921 Vor¬
schriften über die staatliche Prüfung von Kranken¬
pflegerpersonal bekannt gegeben.
— Hocbschulnachrichteo. Bonn. Priv.-Doz. Prof. Pütt er hat den
Ruf als Abteilungsvorsteher an das Physiologische Institut nach Kiel
(vgl. auch Nr. 3 S. 104) als Nachfolger von Prof. Friedr. Klein an¬
genommen. — Breslau. Das durch den Weggang des Geh.-Rat
Kallius (vgl. diese Wochenschrift 1921 S. 786) nach Heidelberg er¬
ledigte Ordinariat für Anatomie ist dem a. o. Prof. v. Eggeling, Pro¬
sektor am Anatomischen Institut in Jena, angeboten worden. — Greifs¬
wald. Priv.-Doz. Stephan, Oberarzt der Frauenklinik, hat die Dienst¬
bezeichnung a. o. Professor erhalten. — Gießen. Für Gynäkologie
habilitierte sich Dr. Adolf Seitz, Assistenzarzt an der Frauenklinik.
— Leipzig. Dr. Bostroem, Oberassistent an der Psychiatrischen
und Nervenklinik, hat sich habilitiert. — Marburg. Prof. Freuden¬
berg, Oberarzt der Kinderklinik (Luisenheilanstalt) in Heidelberg, hat
einen Ruf als Nachfolger Bessans erhalten (vgl. Nr. 6 S. 202).
— Gestorben. Prof. Goette, früher Ordinarius der Zoologie
und vergleichenden Anatomie an der Straßburger Universität, im
82, Lebensjahre in Heidelberg. — San.-Rat Paul Starke, der hoch¬
verdiente Generalsekretär des Aerzteverbandes, am 1. II. an einem
schweren Herzleiden in Leipzig. Nachdem wir erst vor kurzer Zeit
das Ableben Wiebels zu beklagen hatten, ist wieder einer der Wort¬
führer der ärztlichen Bewegung nach kampfreichem Wirken dahin¬
gegangen. Ueber 10 Jahre hat Starke ira Dienste des LV. gestanden
und seine Kräfte im Interesse der ärztlichen Allgemeinheit verbraucht.
Ehre seinem Angedenken.
— Literarische Neuigkeiten. Im Verlag Georg Thieme (Leipzig):
Säuglings- und Kleinkinderpflege in Präge und Antwort. Eine Vor¬
bereitung zur Prüfung als staatlich anerkannte Säuglings- und Klein¬
kinderpflegerin von Dr. med. Erich Krasemann (Rostock). Mit
einem Geleitwort von Prof. Dr. med. H. Brüning (Rostock). 2. ver¬
besserte Auflage. Preis M. 15.—. — Die Geschlechtskrankheiten. Ihr
Wesen, ihre Erkennung und Behandlung. Ein Grundriß für Studierende
und Aerzte von Prof. Dr. Karl Zieler (Würzburg). Mit 17 Abbil¬
dungen im Text und auf 1 Tafel. 2. vermehrte Auflage. Preis M. 30.—.
Vorstehende Preise sind innerhalb Deutschland zuscnlagsfrei.
— Von den durch den Eisenbahnerstreik und den Streik der Berliner städtischen
Arbeiter hervorgerufenen allgemeinen schweren Storungen ist naturgemäß auch unsere
Wochenschrift betroffen worden. Mit Nr. 8 wird die ordnungsmäßige Ausgabe wieder
bergestellt werden. Redaktion und Verlag der Deutschen medizinischen Wochenschrift.
— Ich bin von einer Ißtägigen, durch den Eisenbahnerstreik verlängerten Erholungs¬
reise zurückgekehrt. J. Schwalbe.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
LITERATURBERICHT
Redigiert von Prof. Dr. R. von den Velden.
Allgemeines.
++ Attgust Ludowici» Die Pflugschar. Philosophie des Gegen¬
satzes. München F. Bruckmann A.-G. 1921. 279 S. Geb. M. 36.—.
Ref.: Th. Ziehen (Halle a. S.).
Der Verfasser versucht allenthalben im Denken und in der Sprache
eine Polarität (Gegensätzlichkeit) nachzuweisen, deren Paare in je
einem dritten Begriff zusammengefaßt werden (z. B. Geburt—Tod;
Zeugung). Neben anregenden Bemerkungen finden sich viele speku¬
lative Vergewaltigungen des Tatbestandes. Die hirnphysiologischen
Bemerkungen S. 265 wären besser weggeblieben.
Biologie.
++ Erwin Baur (Berlin), Bugen Fischer (Freiburg) und Fritz
Lenz (München), Urundrifi der menschlichen Erblichkeit«-
lehre und Kassennygiene. Bd. 1. Menschliche Erblich¬
keitslehre. München, J. H. Lehmann, 1921. 305 S. M. 50.—
Bd. II. Menschliche Auslese und Rassenbygiene. 251 S.
M. 38.—. Ref.: Ag. Blühm.
Der in erster Linie für die studierende Jugend bestimmte Grundriß
wird dem klinischen Lehrer und dem seinen Beruf richtig erfassenden
praktischen Arzt gleich willkommen sein. Dem sich unwillkürlich
aufdrängenden Vergleich mit Schallmayers klassischem Werk hält
er durchaus stand. Knapper in der Darstellung, bringt er inhaltlich
eher mehr als weniger. Die allgemeine Variations- und Erblichkeits¬
lehre hat in Bd. 1 1. Abschnitt durch Baur eine relativ eingehende,
äußerst klare Darstellung gefunden. Fischer behandelt in Bd. 1 2. Ab¬
schnitt die Rassenunterschiede des Menschen. Da diese erste Würdi¬
gung der Bedeutung der anthropologischen Rasse (im Gegensaiz zur
biologischen) im Rahmen einer Rassenhygiene, auch in den diesbezüg¬
lichen von Lenz verfaßten Kapiteln, durchaus objektiv gehalten ist,
so erscheint sie dankenswert; denn für die Rassenhygiene sind alle
erblichen Eigenschaften von größter Bedeutung. Dem Mediziner wird
auch die von Lenz in Bd. I 3. Abschnitt gegebene erste kritische
Uebersicht der krankhaften Erbanlagen willkommen sein; dem psycho¬
logisch interessierten die Erörterung der Erblichkeit der geistigen
Begabung in Bd. 1 4. Abschnitt. Bd. II, von Lenz verfaßt, behandelt
im 1. Abschnitt die Auslese beim Menschen (die biologische und die
soziale und deren beiderseitige Zusammenhänge). Abschnitt 2 ist der
praktischen Rassenhygiene gewidmet, wobei Verfasser sich mit seinen
Vorschlägen stets innerhalb der Grenzen des Möglichen bewegt.
O. O. Fellner (Wien), Plazenta- und Hodenlipoid. Pflüg. Arch. 189
H. 4/6. Injektion von Plazentar- und Ovariallipoid (Fellner) bei
männlichen Tieren führt zur Verkleinerung der Hoden, Schrumpfung
der Kanäle, Aufhören der Spermatogenese. Diese Degenerations¬
wirkung ist nicht spezifisch, sie ähnelt dem Zustand der Hoden bei
der Geburt. Injiziertes Lipoid aus Hoden erwachsener Tiere erzeugte
umgekehrt bei weiblichen Tieren dieselben wachstumsfördernden Wir¬
kungen auf die inneren Genitalorgane, wie injiziertes Plazentar- und
Ovariallipoid. Diese Wirkung ist spezifisch und kommt anderen
Lipoiden nicht zu. Im Hoden wird außer männlichem auch weibliches
Lipoid erzeugt; wo, ist unentschieden. Seine Existenz im Sperma ist
vielleicht für die Wirkung auch nicht befruchtender Kohabitation auf
den Stoffwechsel verantwortlich.
Anatomie.
♦♦ Franz Weidenreich (Mannheim), Der Menschenfuß. Stutt¬
gart, E. Schweizerbart, 1921. 230 Seiten mit 65 Abbildungen. Ref.:
Eisler (Halle).
Auf breitester Grundlage behandelt der Verfasser sein Thema,
indem er nicht nur die bisher in der Literatur niedergelegten Tat¬
sachen und Hypothesen in vorsichtiger Kritik verwertet und vom
anatomischen, vergleichend-anatomischen, physiologischen, anthropo¬
logischen Und phylogenetischen Standpunkte beleuchtet, sondern auch
in scharfsinniger und überzeugender Weise hauptsächlich von der
funktionellen Seite an die Frage der Umbildung des Tierfußes in den
Menschenfuß herantritt und die wesentlichen ursächlichen Momente
herausarbeitet. Den morphologischen Kernpunkt des Fußproblems
bildet das Fersenbein. Seine Bedeutung für den architektonischen
Aufbau neben derjenigen der übrigen Skelettelemente wird eingehend
dargelegt und der Einfluß der Muskulatur geschildert. Die Ableitung
des Menschenfußes aus dem Kletterfuß der Primaten in Anpassung
an die Verwertung als Stand- und Lauffuß wird über die rein hypo¬
thetische Betrachtungsweise von Klaatsch hinausgehoben. Für die
Stammesgeschichte des Menschenfußes, liefern weder die bisher be¬
kannten fossilen Reste noch die Rassenforschung brauchbare Unter¬
lagen, und bei umsichtiger Erörterung des Deszendenzproblems kommt
der Verfasser nur zu dem Ergebnis, daß der Hominidenahn schon
von vornherein lange untere Extremitäten besaß, als er die ter¬
restrische Lebensweise aufnahm. — Das vorliegende Werk erscheint
mir bedeutungsvoll nicht nur für Anatomen und Entwicklungsmecha¬
niker, Prähistoriker und Anthropologen, sondern auch für Chirurg e n
und Orthopäden.
H. Berger, Zellgehalt der menschlichen Großhirnrinde. Zschr. f.
d. ges. Neurol. 69 S. 46. Die Rindenmasse nimmt vom 10. Jahr bis
zum Erwachsenenalter um 90 ccm, das Hirngewicht um 141 g zu. Die
in einem Fall berechnete Zahl von 5Vs Milliarden Ganglienzellen
dürfte eher etwas zu niedrig sein.
Holzer, Gliafaser-Färbung. Zschr. f. d. ges. Neurol. 69 S. 354.
Durch gute Abbildungen belegte, für Formol- und Alkoholmaterial
geeignete Methode.
Lacristän, Feinere Histologie der Epiphyse. Zschr. f. d. ges.
Neurol. 69 S. 142. Die Zirbeldrüse ist vom 7. Jahr an in Rückbildung
begriffen, die von anderen Autoren als Erscheinungen einer Sekretion
autgefaßten Einschließungen sind Rückbildungserscheinungen. Sie hat
spezifische Zellen nervöser Natur.
E. Vogt (Tübingen), Nabeischnnrkreislanf im Röntgenbilde, zu¬
gleich ein Beitrag zur Lehre vom Verschluß des Ductus arteriosus
Boialli. Fortschr. d. Röntgenstr. 28 H. 5. Als Injektionsmasse wird
empfohlen: 60 g Mennige mit 100 g Wasser verrührt, 20 g präzipitierte
Kreide und ebensoviel Gelatine zugesetzt. Von der Nabelvene aus
wurden unter anderem das Herz und Art. pulmonalis gefüllt. Das
Herz der Neugeborenen steht fast rein horizontal, die Herzspitze be¬
findet sich im 4. lnterkostalraum weit außerhalb der Papillarlinie. Die
Herzform ist kugelig. Nach Einsetzen der Atmung rückt das Herz in
eine spitze Winkelstellung zur Körperachse. Der Ductus Botalli wird
infolge der Entfaltung der Lungen durch „Drehknickung“ ausgeschaltet.
Physiologie.
E. Gellhorn (Hallea.S.), Uebung und Ermüdung. I, u. II. Mitteilung.
Pflüg. Arch. 189 H. 1/3. Ueber die Gesetze der Uebung, Ermüdung
und Uebungsfestigkeit bei geistiger Arbeit wurden nach der Krae-
pel in sehen und Bourdon sehen Methode, sowie in Anlehnung an
Peders Selbstversuche Beobachtungen an einem großen Menschen-
material aller Altersstufen gesammelt, die zeigten, daß man u. a. die
Versuchspersonen in drei Gruppen teilen kann: solche, die Fortschritte
nur während der Uebungspausen, solche, die sie nur während der
Arbeit, und solche, die sie kontinuierlich machen. Auf höheren
Uebungsstufen erfährt die Ermüdung scheinbare Zunahme. Mädchen
stehen den Knaben nach. Jenseits des 45. Lebensjahres ist die Ermüd¬
barkeit gesteigert. Die Uebungsfestigkeit zeigt keine sexuellen und
Alters- aber starke individuelle Unterschiede. Zur Prüfung pharmako¬
logischer Einflüsse sollen nur Personen verwendet werden, die das
Uebungsmaximum erreicht haben, und der einzelne Versuch darf nicht
länger als 20 bis 30 Minuten dauern. Intensive körperliche oder
geistige Arbeit führt einen Ermüdungszustand herbei, in dem Körper¬
temperatur und Pulsfrequenz stark herabgesetzt sind. Letztere ist
schon bei geringerer geistiger Arbeit nachweisbar. Die Verände¬
rungen bilden sich nach einer Zeitspanne zurück, die der geleisteten
Arbeit entspricht. Koffein natriosalicyl. vermag das Ermüdungsgefühl
nach geistiger Arbeit günstig zu beeinflussen, ohne aber die Puls¬
frequenz zu ändern; die Temperaturkurve wird etwas erhöht. Die in
geistiger Ermüdung auftretende Pulsverlangsamung wird durch Atropin
ganz aufgehoben, ist also durch Erhöhung des Vagustonus bedingt
O. Rieß er (Frankfurt a. M.), Rote und weiße Muskeln. Pflüg. Arch.
190 H. 1/3. Mit einfacher Anordnung lassen sich Kaninchenmuskeln
einige Stunden ausgeschnitten überlebend erhalten. Der rote Muskel
zeigt zum Unterschied vom weißen stets eine zweite Erhebung in der
Zuckungskurve, ändert dagegen deren Form wenig bei der veratrin-
vergiftung, auf die der weiße in der bekannten Weise mit zweitem
kontrakturartigen Gipfel anspricht. Umgekehrt wirken Physostigmin
und (reversible starke Kontraktur beim roten Muskel) Ammoniak.
Nachtrag: Azetylcholinlösung in großer Verdünnung bewirkt an Frosch-
und Krötenmuskeln Dauerkontraktur, aber nur bei Eintauchen der
Nerveneintrittsstelle, Atropin und Novokain verhindern diese Azetyl¬
cholinkontraktur. Kurarisierung nicht. Diese Befunde sind für die
Frage der parasvmpathischen Muskelinnervation, sowie die pharmako¬
logische Kontraktur überhaupt, von großer Bedeutung.
F. Schanz (Dresden), Optische Sensibilisation. Pflüg. Arch. 190
H.4/6. Sie ist nach dem Verfasser so zu erklären, daß die aus dem
Sensibilisator herausgeschleuderten Elektronen von den benachbarten
Eiweißmolekülen aufgefangen werden und deren Gefüge verändern.
Kolm und E. P. Pick (Wien), Erregbarkeit der sympat hi scheu
Herznervenendeo. Pflüg. Arch. 189 H. 1/3. Mangel an freien Kalzium¬
ionen in der Nährlösung des Froschherzens vermindert die aktions¬
verstärkende Wirkung des Adrenins oder kehrt sie um, bis zum diasto¬
lischen, durch Atropin aufhebbaren, also durch die Vagusendigungen
bewirkten Stillstand. Vorbehandlung des Herzens mit Chlorkalzium
steigert dagegen die typische Adreninwirkung bis zur Ventrikelkon¬
traktur, während die Vorhöfe kräftig weiterschlagen. Ergotamin hemmt
die Kalzium-Adrenin-, aber nicht die Kalk-Kaliumkontraktur. Die iso¬
lierte Kammer wird auch nach Kalziumbehandlung durch Adrenin nicht
beeinflußt; die Wirkung ist an das „Oberherz“ bzw. die hier mün¬
denden sympathischen Nervenenden gebunden.
O. Loewi (Graz), Humorale Uebertragbarkeit der Herzoerveo-
wirkoflg. Pflüg. Arch. 189 H. 4/6. Der Verfasser fand am Froschherzen,
daß unter dem Einfluß der Reizung der herzhemmenden und -fördern¬
den Nerven Stoffe vom gleichen Wirkungscharakter, wie er derNerven-
reizung eignet, in der Flüssigkeit nachweisbar werden. Was ihre
chemische Natur betrifft, so konnte bis jetzt ausgeschlossen werden,
’Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
238
LITERATURBERICHT
Nr. 7
daß cs sich beim Vagusreizprodukt um Kalium handelt, da Atropin
die Wirkung aufhob, was bei Kalium nicht der Fall ist.
Adolf Basler (Tübingen), Blutbewegung in den Kapillaren. II. Mit¬
teilung. Pflüg. Arch. 190 H. 4/6. Es werden Vorrichtungen zur Mes¬
sung der Geschwindigkeit des Blutstroms in den Kapillaren und des
Kapillarblutdrucks im Finger des lebenden Menschen beschrieben, die
leicht auch für klinische Zwecke brauchbare Ergebnisse liefern.
W. Senner (Freiburg i. B.), Atmung in bewegter Luft. Pflüg. Arch*
190 Fi. 1/3. Nach den Tierversuchen und Berechnungen des Verfassers
ist es ausgeschlossen, daß Winddruck die Inspirations- oder Exspira¬
tionsmuskelarbeit effektiv behindert. Ferner ist es unwahrscheinlich,
daß der Thorax immer auf die normale Mittellage eingestellt und die
dazu nötige Muskeltätigkeit als Atmungshinderung empfunden wird.
Die MitteUagc des Thorax als eines elastischen Gebildes ist vielmehr
durch den Unterschied zwischen Außen- und Inneudruck bestimmt.
Der Grund der Atembehinderung in Sturmböen und im Flugzeug
dürfte vielmehr hauptsächlich in den schnellen und unregelmäßigen
Druckwechseln zu suchen sein.
Le Heux (Utrecht), Cholin als Hormon der Darmbewegung. III.
und IV. Pflüg. Arch. 190 H. 4/6. Verschiedene organische Säuren
wirken nach Rona und Neukirch verschieden stark erregend auf
die Bewegungen des überlebenden Darms. Der Verfasser fand, daß
die Cholinester derjenigen Säuren, die stark erregen, die schon durch
Hunt usw. als besonders wirksam erkannten sind: Essigsäure, Pro¬
pionsäure, Brenztraubensäure u. a.; die Ester der schwach wirksamen
Bemsteinsäure und Benzoesäure wirken nicht stärker als Cholin
selbst. Atropin, das die Wirkung der Ester antagonistisch aufhebt,
wirkt ebenso auch auf die Wirkung der Salze der Säuren. Das
normal im Darm vorhandene Cholin dürfte also der Angriffspunkt
der Wirkung der organischen Säuren sein, und der Verfasser regt
an, zu untersuchen, ob audi die Zuckerwirkung ähnlich zu deuten sei,
evtl, auch bei anderen Organen, wie dem Herzen. Cholineinspritzung
bei Katzen verstärkt, wie Röntgenbeobachtung zeigte, die Magen-
und Dünndarmbewegung unter Wahrung ihres normalen Charakters.
Psychologie.
++ Alfred Stehr (Wiesbaden), Grundlegung zur sozialen Hy¬
giene und Politik. Bd. 1: Entwicklung der (jefühle und das Glück.
Leipzig, J. A. Barth, 1921. 131 S. M. 24.-. Ref.: Mamlock.
Das Werk geht von dem Gedanken aus, daß in der Sphäre des
Menschen jede Hygiene der sozialen Gebilde eine Hygiene der Ge¬
fühle zur unerläßlichen Stütze haben muß. Der Verfasser hat in
diesem Sinne, als Nervenarzt, Philosoph und Nationalökonom, seine
Ansichten über die Gefühlsformen, die Empfindungen, die Entwick¬
lung der Gefühle, die Tendenzen in ihrer Entwicklung, die Leistung
als ihres Wertmaßstabes, über Freude und Leid, sowie die Ver¬
ankerung der Gefühle im Objektiven, entwickelt. Es zeigt sich in
den zum Nachdenken anregenden Ausführungen, selbst wo man ihnen
nicht folgen kann, wieder, wie förderlich die Beherrschung der Philo¬
sophie seitens des Arztes ist. Allerdings muß auch der Leser ein
nicht geringes Maß erkenntnis-theoretischen Wissens, zum mindesten
aber Verständnisses für die vorliegenden Fragen haben. Mit flüch¬
tiger Lektüre ist das Buch nicht zu erschöpfen, sondern man muß
sich sorgfältig hinein vertiefen; der Arzt wird dann auch manches
finden, worüber er mit dem Autor disputieren könnte.
Allgemeine Pathologie.
R. Hey er (München), Stickstoffhanshalt im Qrelseoalter. D.'Arch.
f. klin. M. 138 Fl. 1/2. Bilanzuntersuchungen bei Leuten zwischen 64 und
72 Jahren: Die gefundenen Werte für die Abnutzungsquote liefen
innerhalb des Durchschnittes an dessen oberer Grenze. Auch die Stick¬
stoffmengen, mit denen die Versuchspersonen auf das minimale Gleich¬
gewicht gebracht wurden, weichen von den beim Erwachsenen neuer¬
lich gefundenen Werten nicht ab. Durch die mitgeteilten Versuche
wird kein Eiweißabbau für das Senium erwiesen.
Kolm und E. P. Pick (Wien), laverse Herz Wirkungen parasym-
pathiscber Gifte. Plüg. Arch. 190 H. 1/3. Bei Sommerfröschen machen
sogenannte Vagusgifte — Azetylcholin, Muskarin, Hypophysenstoff —
keinen diastolischen Stillstand, wenn die Nährlösung kalkreich ist.
Nach besonderer Kalziumchioridvorbehandlung machen sie eine Herz¬
kontraktur, die durch Atropin nicht aufzuheben ist. Nach Lähmung
der sympathischen Herznerven durch Ergotamin tritt die Azetyl¬
cholinkontraktur nicht auf; sie ist also Folge der Erregung des durch
Kalk überempfindlich gewordenen Herzsympathikus durch einen Stoff,
der sonst „parasympathisch“ wirkt.
Otto Strauß (Berlin), Verhalten des Blutdrucks nach Röntgen¬
bestrahlung. Fortschr. d. Röntgenstr. 28 H. 5. Die klinischen Betrach¬
tungen haben bis jetzt keine Unterlage dafür gegeben, daß eine Neben¬
nierenbestrahlung einen krankhaft erhöhten "Blutdruck herabsetzt. Die
hierüber angestellten Tierversuche sind teilweise unrichtig gedeutet,
teilweise direkt zu Schlußfolgerungen nicht ausreichend.
G. Amantea (Rom), Experimentelle Epilepsie. Pflüg. Arch. 189
H. 4/6. Durch lokale Strychninisierung der sensomotorischen Rinden¬
felder gelang dem Verfasser beim Hunde die Auslösung epileptischer
Anfälle durch sensible Reizung der korrespondierenden Hautgebiete.
Nach kaustischer Zerstörung des betreffenden Feldteiles blieb die
Auslösbarkeit des Anfalls von dem betreffenden Oebiet aus, aber von
anderen ließ sie sich erzielen, wenn das betreffende Rindenfeld lokal
strychninisiert wurde. Zur sicheren Beantwortung der von den Neuro¬
logen aufgestellten Einzelfragen über die Möglichkeit reflektorisch
bedingter Epilepsie sind nach des Verfassers Ansicht weitere Ver¬
suche nötig. _
Pathologische Anatomie.
♦♦ Felix v. Werdt (Innsbruck), Pathologisch-anatomische and
histologische Beiträge zur Kenntnis der sogenannten
».Spanischen Grippe“. Bern, Ernst Bircher, 192J. 1105. Fr.4.80.
Ref.: W. Groß (Greifswald).
v. Werdt bespricht nach einer epidemiologischen Einleitung zu¬
nächst die Frage aes Erregers, die noch ungeklärt ist. Er neigt zur
Annahme eines unsichtbaren Virus und zur Ablehnung des Pfeiffer¬
schen Bazillus. Eingehender ist die Schilderung des makroskopischen
Sektionsbefundes, der sich mit den Erfahrungen von anderer Seite im
wesentlichen deckt und die Beschreibung des histologischen Befun¬
des der Lungen, bei denen besonders starke Wucherungen des Al¬
veolarepithels entsprechend der sog. Riesenzellenpneumonie nach
Masern betont werden. __
Mikroben- and ImmunitUdehre.
Bruno Lange (Berlin), Superinfektion. Zschr. f. Hyg. 94 H. 2/3.
Bei der Hühnercholerainfektion der Meerschweinchen und der Mäuse¬
typhusinfektion der Mäuse ist der Organismus in der Regel nicht
imstande, genügend Antikörper zu bilden und eine genügend hoch¬
gradige Immunität zu entwickeln, um die Erreger völlig unschädlich
zu machen. Daher sind hier die Bedingungen zur Entstehung einer
chronischen, latenten oder rezidivierenden Infektion gegeben, die wir
als den Ausdruck einer unvollkommenen, labilen und in ihrer Höhe
schwankenden Immunität ansehen.
P.Schmidt und H.Happe (Halle), Die Anaphylaxiefrage. Zschr.
f. Hyg. 94 H. 2/3. Mit einem völlig eiweißfrei gemachten Agar läßt
sich fast regelmäßig ein tödlicher anaphylaktischer Shok auslösen.
Bei Anwendung inaktiver Sera bleibt jede Wirkung aus, ebenso, wenn
6tatt Serum Kochsalzlösung verwendet wird. Berkefeldfiltration macht
das Agaranaphylatoxin wirkungslos; es ist also wahrscheinlich korpus-
kulärer Art, nicht völlig gelöst. Als primäre Noxe beim Shok ist
am wahrscheinlichsten ein Gefäßspasma infolge der von den Endo :
thelien adsorbierten Agaranaphylaxinteilchen anzusehen. Der Tod
beim anaphylaktischen Shok der Meerschwemchen ist ein ausgespro¬
chener Erstickungstod, kein Herztod.
H. Munter (Berlin), Abspaltung b akt er lo lytischer und hämo¬
lytischer Ambozeptoren. Zschr. f. Hyg. 94 H. 2/3. Die Abspaltung
schützender Antikörper (Bakteriolysine) von den Bakterien war sowohl
im Tierversuch (Pfeifferscher Versuch) als auch in vitro (bakterizider
Plattenversuch) nachweisbar. Ebenso konnte die Abspaltung hämo-
fytischer Ambozeptoren festgestellt werden. Die Anwesenheit frischer,
unbeladener Blutkörperchen ist dabei nicht unbedingt erforderlich.
J. Morgenroth und L. Abraham (Berlin), Depressioosimmnoitit
bei lotravenöser Superinfektion mit Streptokokken. Zschr. f. Hyg. 94
H. 2/3. Nach subkutaner, intraperitonealer und intravenöser, chronisch
verlaufener Vorinfektion mit Streptokokken tritt bei Mäusen innerhalb
1—3 Tagen eine Immunität gegen die akut verlaufende intravenöse
Nachinfektion mit Streptokokken ein. Diese Immunität („Depressions¬
immunität“) führt zu einer mehr oder weniger ausgeprägten Verzöge¬
rung oder auch zum Ausbleiben des Todes.
Selma Meyer (Düsseldorf), Pathogenität virulenter und avi-
rnlenter Diphtheriebazillen. Zschr. f. Flyg. 94 H. 2/3. Diphtherie¬
bazillen, die beim Menschen eine maligne Diphtherie hervorgerufen
hatten, zeigten auch im Tierversuch akut tötende Wirkung. Aus
klinisch leiditen Fällen wurden nicht immer Bazillen gleich geringer
Virulenz gezüchtet, vielmehr waren die Erreger in der Hälfte der Falle
so pathogen, daß Tierversuch und klinischer Verlauf der menschlichen
Erkrankung im Gegensatz standen. Die Versuche mit Bazillen von
Bazillenträgern, Rekonvaleszenten und Dauerausscheidern deckten fast
durchweg stark krankmachende Eigenschaften der Bazillen auf.
2 Monate nach Krankheitsbeginn war noch volle, 3 und 5 Monate
nach Krankheitsbeginn abgeschwächte Pathogenität im Tierversuch
festzustellen.
A. Luger und E. Lauda (Wien), Uebertragbarkelt des Herpes
zoster auf das Kaninchen. Zschr. f. Hyg. 94 H. 2/3. Die Verimpfung
des Herpes-zoster-Bläscheninhaltes auf die Kaninchenkornea zeitigt im
Gegensatz zuin Herpes febrilis und Herpes corneae keine charakte¬
ristische makroskopische Reaktion. Auch eine 41lgemeininfektion des
Kaninchens läßt sich durch korneale und intravenöse Verimpfung des
Bläscheninhaltes, der Lumbalflüssigkeit und des Serums der Kranken
nicht erreichen. Die Kernveränderungen der Hauteffloreszenz werden
entsprecehnd analogen Befunden bei der Herpes-febrilis-Keratitis usw.
als aegenerative aufgefaßt.
L Bogendörfer (Würzburg), Typbusbazifleti und BakterizMIe.
D. Arch. f. klin. M. 138 H. 1/2. Defibriniertes Blut Typhöser wurde in
der Einwirkung auf frisch aus dem Blut gezüchtete Typhusstämme, auf
Stuhl-, Harn- (1 Fall), sowie auf Laboratoriumsstämme untersucht
Unterschiede in der Bakterizidiegröße scheinen im Verlauf des Thyphus
nicht vorzukommen. Im übrigen wurden Resistenzunterschiede gegen¬
über den bakteriziden Kräften festgestellt Am meisten resistent er¬
wiesen sich die aus dem Blut isolierten Stämme.
Eduard Reichenow (Hamburg), Verhalten von_Ifypaoose«a
gamhiense im menschlichen Körper. Zschr. f. Hyg. 94 H. 2/3. Ein-
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
16. Februar 1922
LITERATURBERICHT
239
ehende Untersuchungen über das periodische Auftreten der Schlaf¬
rankheitstrypanosomen im Blut, die Ursachen ihrer Abnahme und die
Bedeutung der Formverschiedenheiten im Blute. Weiterhin werden
die Ausbreitung der Trypanosomen außerhalb der Blutbahn und ihr
Eindringen in die Zerebrospinalflüssigkeit, ihre Anzahl und Morpho¬
logie im Liquor und die Zellvermehrung und der Infektionsverlauf in
der Zerebrospinalflüssigkeit besprochen, sodann der Zusammenhang
zwischen Trypanosomenbefund und Krankheitserscheinungen (Wir¬
kungen der Blut-, Lymph- und Liquorinfektion) und die Ueberein-
stimmungen in den Beziehungen von Trypanosoma gambiense und
Spirochaete pallida zum Zentralnervensystem.
Masaaki Koike (Berlin), Verhalten der' Schüdkrftten- und
TrompetenbazUlen bei Tierpassagen. Zschr. f. Hyg.94 H. 2/3. Eine
Virulenzsteigerung der säurefesten Schildkröten- und Trompetenbazillen
ließ sich bei den Passage versuchen nicht feststellen.
Strahlenkunde.
++ R. Fürstenau, M. Immelmann und J. {Schütze (Berlin),
Leitfaden des R5nt een Verfahrens für das röntgeno¬
logische Hilfspersonal. 4. Aufl. Stuttgart, F. Enke, 1921.
47o Seiten mit 313 Abbildungen. M. 102.—. Ref.: Otto Strauß
(Berlin).
Das vorliegende Buch hat sich bis jetzt in hervorragendem
Maße als Leitfaden für die Ausbildung von Röntgenassistentinnen
bewährt. Von seinen früheren Auflagen unterscheidet sich das Werk
dieses Mal durch eine weitere Ausgestaltung des therapeuti¬
schen Teils. Der Symmetrieapparat, der Lilienfeld-Zusetzapparat,
der (in der Besprechung etwas aphoristisch gehaltene) Radio-Silex,
der Wintzsche Regenerierautomat, die Fernfeld-Bestrahlung sind
neuzeitlich geschildert und führen den Leser in einer leicht ver¬
ständlichen Darstellungsform, welche an diesem Buch so außer¬
ordentlich zu rühmen ist, schnell ein. Für die nächste Neuauflage,
die ja bei dem vortrefflichen Unterrichtsbuch sehr bald nötig werden
wird, möchte ich die Einfügung eines für das Hilfspersonal leicht
verständlichen Schaltschemas für den Hochspannungsgleichrichter
(als Ersatz für die bisherige Fig. 72) als zweckmäßig erachten.
A. March, K. Staunig und O. Fritz (Innsbruck), Für die prak¬
tische Röctrenolofie konstruiertes Spektrometer. Fortschr. d. Röntgenstr.
28 H. 5. Das neue Spektrometer, welches zur Zeit noch nicht im Handel
zu haben ist, arbeitet an Stelle der photographischen Platte mit einem
Fluoreszenzschirm. Die kürzeste Wellenlänge läßt sich leicht ablesen.
Da die Spannung der Apparatur wie die Verteilung der übrigen Wellen¬
längen nach ihrer relativen Intensität gesetzmäßig mit der erreichten
kürzesten Wellenlänge Zusammenhängen, kann das Spektrometer als
absolutes Meßinstrument für die Strahlenqualität und die Spannung
verwendet werden. Die Arbeit damit erfordert keine Uebung. Die
Röntgenröhre läßt sich leicht und zuverlässig für alle radiographischen
und therapeutischen Zwecke mit dem Spektrometer eichen.
K. Staunig (Innsbruck), Darstellung der Hand in der Zltherspieler-
jfefhmg. Fortschr. d. Röntgenstr. 28 H. 5. Statt der detailarmen radio¬
ulnaren Projektion wird die in Zitherspielstellung empfohlen: Mittel¬
stellung zwischen Sagittal- und Frontalstellung. Diese Schrägaufnahme
gibt zahlreiche Einzelheiten und genügt für die grobe Lokalisation.
Allsremdne Therapie.
♦♦ Sigmund Fränkel (Wien), Die Arzneimittel-Synthese auf
Grundlage der Beziehungen zwischen chemischem Auf¬
bau und Wirkung. 5. Aufl. Berlin, J. Springer, 1921. 906 S.
M. 276.—. Ref.: E. Rost (Berlin).
Deutschlands chemische und pharmazeutisch-chemische Gro߬
industrie war führend in der W^lt tmd ist es wohl noch heute. Als
vor 20 Jahren Verfassers „Arzneimittel-Synthese“ zum erstenmal er¬
schien, war es ein in bescheidenem Umfang angelegtes, der Literatur¬
angaben entbehrendes Buch. Trotz Weltkrieg^ drückender Nach¬
kriegszeit und Teuerung ist dieses Werk weiter erschienen, ausgebaut
und vervollkommnet worden. Die besondere Berücksichtigung der
chemischen Veränderungen, die die Arzneistoffe im Organismus er¬
leiden, die. Verwertung der in- und ausländischen Literatur und die
Zusammenstellung der einschlägigen Patente geben dem Buch seine
Eigenart. Noch immer steht es in der Weltliteratur allein da. Das
Erscheinen der 5. Auflage, die die Literatur bis Mai 1921 verarbeitet
und manche Kapitel erweitert und umgearbeitet darbietet, wird für
die zahlreichen Institute, Forscher und Aerzte hochwillkommen sein,
die trotz der naturgemäß sich findenden Mängel mit Vorteil dieses
Werk als Nachschlagebuch benutzen, sich schnell über den Stand ein¬
schlägiger Fragen auf Grund der Literatur unterrichten wollen und
nicht selten dankbar für die Fundgrube dieses Sonderwissensgebiets
sein werden. _
Innere Medizin.
♦♦ Fritz Munk (Berlin), Grundrlfi der gesamten Röntgen¬
diagnostik innerer Krankheiten. 2. AufI. Leipzig, Georg
Thieme, 1921. 297 Seiten mit 193 Abbildungen. Oeb. M. 60.—..
Ref.: Otto Strauß (Berlin).
Neben den großen, der Röntgendiagnostik gewidmeten Werken
von Groedel und Aßmann besteht auch ein Bedürfnis nach kleiner^
kürzer gefaßten Orientierungsbüchern. Ais solches hat sich Munks
Grundriß bei seinem ersten Erscheinen (1914) allgemeine Anerkennung
erworben. Es enthält das Ergebnis der röntgenologischen Arbeiten der
Krausschen Klinik, deren Verdienste um die radiologische Diagnostik
heute nicht genug gewürdigt werden. In vielen Teilen der Röntgen¬
diagnostik (Oesophagus, Kolonbewegungen, Mesaortitis luetica usw.)
sind die Arbeiten der Krausschen Klinik führend geworden, hier liegt
auch die Stärke des Munkschen Buches. Seine eigenen Forschungen
über krankhafte Veränderungen am Skelett hat Munk in der Neuauflage
in ausgezeichneter Weise mit verwertet. In der Darstellung der Lungen¬
tuberkulose hat Munk die modernen Auffassungen von Asch off,
Gräff und Küpferle sehr stark berücksichtigt. Nicht ganz zu folgen
vermag ich ihm in der Betrachtung der Staubprozesse in der Lunge.
Bemerkenswerterweise äußert sich Munk — wie auch andere — senr
zurückhaltend über den Wert des Pneumoperitoneum.
Willführ und Wendtland (Berlin), Massenerkraokuogen durch
Ratinkoltoren. Zschr. f. Hyg. 94 H. 2/3. In einer Schul- und Für¬
sorgeerziehungsanstalt erkrankten 95 Personen plötzlich mit hohem
Fieber, Erbrechen und Durchfällen. Die Infektion war auf das Essen
zurückzuführen. Auf dem Küchentisch, auf dem dieses bereitet wurde,
waren kurz vorher Köder zur Rattenvertilgung mit Ratinkulturen her-
gestellt worden. Die Erkrankungen verliefen zum Teil recht schwer
(Kollapse, bedrohliche Herzerseneinungen), Todesfälle kamen nicht
vor. Das Serum der Kranken wies gegenüber einer in der Anstalts¬
apotheke beschlagnahmten Ratinkultur zum Teil hohe Agglutinations¬
werte auf.
W. Hergt (Heidelberg), Diagnostische Verwertbarkeit fl er Groher-
Wldalreaktion. D. Arch. f. klin. M. 138 H. 1/2. Unter dem Einfluß
irgend einer neuen Infektion kann neuerdings eine auf frühere Typhus¬
schutzimpfung zurückzuführende Agglutination (nicht über 1: 200 +)
auftreten. Auch nicht geimpfte, fieberhaft erkrankende Personen können
eine unspezifische Typhusagglutination (bis 200 +) zeigen. Das be¬
schriebene Verhalten vermag nicht die Bedeutung der Gruber-Widal-
reaktion für die Typhusdiagnose zu beeinflußen, wenn nur austitriert
und öfters untersucht wird.
H. Aßmann (Leipzig), Remerkoogea zur Arbeit W. Neumann
in 137 H. 3/4. D. Arch. f. klin. M. 138 H.l/2. Die Deutung der Zwei¬
teilung des rechten Herzrandes — oberhalb des rechten Vorhofs vor¬
springender linker Vorhof — ist nicht mehr strittig.
Stephan Hediger (Zürich), Volnrabotometrie. D. Arch. f. klin. M.
138 H. 1/2. Der Schwerpunkt der volumbolometrischen Methode liegt
nicht im Erfassen einer absoluten Größe, sondern in der Möglichkeit,
mit großer Empfindlichkeit Aenderungen an der Zirkulation zum Aus¬
druck zu bringen, die sonst nicht erkannt werden können. Die Methode
mißt die Volumschwankung des untersuchten Arterienabschnittes. Das
gemessene Volumen ist das direkte Maß für die Querschnittsamplitude.
Untersucht werden die Einflüße des Schlagvolumens, des peripheren
und kollateralen Widerstands und der Einfluß der Pulsform auf die
Querschnittsamplitude.
Stephan Hediger (Zürich), Volumbolograoh. D. Arch. f. klin.
M. 138 H. 1/2. Bei dem Hedigerschen Volumbolographen wirken die
Volumschwankungen auf eine als Schwimmer — Petroleum — ver¬
wandte Korkscheibe, in der der Registrierhebel verankert ruht.
Otto Klein (Prag), Reststickstoffgehalt bei arteriosklerotischen
Hypertonieen. D. Arch. f. kiin. M. 138 H. 1/2. Bei benignen Sklerosen
— Untersuchungen an 50 Fällen — wurden periodische Störungen der
Nierenfunktion, insbesondere vorübergehende mäßige Erhöhungen des
Reststickstoffgehalts gefunden. Diese werden auf periodisch auftretendc
Zirkulationsstörungen zurückgeführt. Die Grenze zwischen benigner
und maligner Form der Nierensklerose vom klinischen Standpunkt
wenigstens ist nicht scharf.
Siegmund Singer (Wien), DlfferentialdlarDose des ioterlobflreo
Empyem«*. Fortschr. d. Röntgenstr. 28 H. 5. Große Höhle im Ober¬
lappen bis zum Interlobulärspalt reichend mit Flüssigkeitsansammlung.
Die Differentialdiagnose gegenüber interlobärem Empyem kann un¬
möglich sein (1 Fall).
Hans Lorenz (Hamburg), Lymohofene Lnngenkarzinose. Fortschr.
d. Röntgenstr. 28 H. 5. Charakteristisch ist das Röntgenbild: Feines
Netzwerk mit zahlreichen kleinsten Flecken (quergetroffenen Lymph-
efäßen). Nach dem Hilus zu verdichtet sich das Netzwerk und die
ungenzeichnung wird breiter. Hilus scharf begrenzt. Im Gegensatz
zu Miliartuberkulose oder Peribronchitis die oberen Lungenfelder relativ
frei. 3 Fälle bei primärem Magenkarzinom.
H. R. Schinz (Zürich), Begutachtung der Lnnrentaberkalose auf
Grund der Rftntrenafi«ergachnng. Fortschr. d. Röntgenstr. 28 H. 5.
Die Fehlerquellen und differentialdiagnostischen Gesichtspunkte werden
übersichtlich kurz besprochen.
Marie Clauß (Heidelberg), Ulcos ventrtculi. D. Arch. f. klin. M.
138 H. 1/2. Eingehende seelische und körperliche Untersuchungen
bei 100 Personen mit sicher festgestelltem chronischen Magengeschwür:
Die Annahme einheitlicher Ulkusgenese ist nicht möglich. Nur bei
einem Teile der Kranken ist neurogene Ulkusentstehung im Sinne Berg¬
manns möglich. Bei einer größeren Zahl — späteres Alter — dürften
Gefäßveränderungen ursächlich in Frage kommen. Vielleicht kann
manchmal im Sinne von RÖßle — 5 unter 7 Polyarthritisfällen —
das Ulkus'als 2. Krankheit angesehen werden.
Max Zehbe (Kattowitz O.'S.), Duodeno-Jeiwialdivertlkel. (Fort¬
setzung.) Fortschr. d. Röntgenstr. 28 H. 5. Divertikel in der Pars
media duodeni, in Nähe der Vaterschen Papille erscheinen unterhalb
des Bulbus duodeni. Divertikel der Pars ascendens duodeni liegen
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
240
LITERATURBERICHT
Nr. 7
medial von der kleinen Kurvatur, etwa zwischen Bulbus duodeni und
Angulus ventriculi. Divertikel unterhalb der Flexura duodenojejunalis
liegen lateral von Curvatura minor im Korpus-Schatten. 2 neue Be¬
obachtungen.
Paul Kanzelson (Prag), Kiltehlmoglobionrie und Kfllteikterus.
D. Arch. f. klin. M. 138 H. 1/2. Kasuistik von 2 Fällen: Austitrierung
des Kältehämolysins ergab große Konzentrationsverschiedenkeiten bei
Kälteikterus und typischer paroxysmaler Hämoglobinurie. Bei einem
Fall von Kälteikterus — abortive Anfälle — äußern sich diese in Kälte-
Hyperbilirubinämie.
Lehmann (Rostock), Irrtom i n d e r Nierensteindiasnostik. Fortschr.
d. Röntgenstr. 28 H. 5. Die falsch gedeuteten Schatten wurden durch
tuberkulöse, zum Teil verkalkte Drusen hervorgerufen. Eine Pyelo¬
graphie hätte Aufschluß geben müssen, da die Konkremente unterhalb
des Nierenbeckens lagen.
Vidor R6 v 6s z (Budapest), Für Echinokokkus gehaltene Nieren¬
steine. Fortschr. d. Röntgenstr. 28 H. 5. Oer Irrtum wurde durch
die ungewöhnliche Größe und die regelmäßige Rundung der Steine
hervorgerufen. Sie bestanden aus Phosphatkarbonat
Alfred Levy (Hamburg-Eppendorf), Infektionswege bei Pyelitis.
D. Arch. f. klin. M. 138 H. 1/2. Bei 40 Fällen fieberhaften Aborts mit
Bakt. coli-Septikämie traten die Keime auch in die Harnwege über,
ohne Pyelitis hervorzurufen. Der hämatogene deszendierende Infektions¬
weg der Pyelitis wird für die Bakt. coli-Pyelitis abgelehnt Die aszen-
dierende urogene Infektion des Nierenbeckens muß auch für die
„primäre Pyelitis" als vorherrschender, wenn nicht gar einziger Infek¬
tionsmodus* angesehen werden.
d e Z o n g, Hanptf esetze wichtiger körperlicher Erscheinungen beim
psychischen Geschehen von Normalen und Geisteskranken. Zschr.
d. ges. Neurol. 69 S. 60. Durch besondere Anordnung gelang es dem
Verfasser, das essentielle Element der mechanischen Trübungen der
plethysmographischen Reaktion auf psychische Reize nachzuweisen.
Verfasser unterscheidet eine Normal-, eine hypospastische oder In¬
differenz, eine semispastische, spastische und hyperspastische Kurve,
die abhängig vom Grad der Gefäßspannung sind. Das Plethysmogramm
ist also ein Reagens auf den Tonus des autonomen Systems. Eine um¬
gekehrte oder psychasthenische Reaktion (Birkel) lehnt Verfasser ab.
Differentialdiagnostisch kommt in Frage hypospastische Kurve bei
Hebephrenic und Dem. paranoides, wenn psychische Leere besteht,
relative Volumstarre bis zu Hyperspasmus bei Katatonie. Das steif¬
gespannte Gefäßsystem, die erstarrte Irismuskulatur, die Spannungen
des quergestreiften Muskels (Katalepsia) sind Aeußerungen einer
pathologischen autonomen Innervation infolge dysglandulärer Intoxi¬
kation.
Schrottenbach, Einfluß der Großbirntltigkelt auf die Magen-
saftsekretioa des Menschen. Zschr. f. d. ges. Neurol. 69 S. 254. Ver¬
suche an 2 Kranken mit Magenfisteln ergaben geringere Latenzzeiten
nach optischen und akustischen als nach Kaureizen, der Mensch ist
eine optisch-akustisch orientierte Tierart. Hunger und Lust wirken
Sekretion steigernd, Unlust und Schlaf hemmend. Assoziative Vor¬
stellung von Nahrungsmitteln genügt zur Steigerung. Jede reaktive
Sekretionsveränderung ist ein Produkt von Reizen verschiedener Art.
Für die Funktion der Magendrüsen ist ein nervöser Einfluß von
Bedingung, der ihre vasomotorische Aktivierung reguliert. Auch für
die qualitative Zusammensetzung der Sekrete kommt ein nervöser
Einfluß in Frage.
Riese, Riechhirnmangel. Zschr. f. d. ges. Neurol. 69 S. 303. Ge¬
naue anatomische Beschreibung eines Falles, in dem gänzlicher Riech¬
hirnmangel Ausbleiben der Paarigkeit des Vorderhirns bewirkte.
Beringer und Düser, Schizophrenie und Körperbau. Zschr. f.
d. ges. Neurol. 69 S. 12. Es fanden sich häufig infantile, eunuchoide
una feminine Merkmale, auffallend viel Ledige (geminderte Libido).
Kontrolluntersuchungen an Gesunden sind nötig.
Mayer-Groß, Spiel, Scherz, Irooie und Humor in der Schizo¬
phrenie. Zschr. f. d. ges. Neurol. 69 S. 332. Bei Schizophrenen ließen
sich entsprechend den formalen Aehnlichkeiten ihrer Produkte mit
normalem Spiel und Komik Gesamthaltungen spielender und scherzen¬
der Art nachweisen, und zwar labiles Spielen mit den Erlebnissen
der akuten Psychose und beruhigtes Spielen des Endzustandes. Ab¬
weichungen der Komik sind aus der inneren Freiheit und Gefühl¬
losigkeit verständlich. Ironie dient der verschlossenen Innerlichkeit.
Großer Humor kann das verrückte Weltbild eines Endzustandes zu
einer Einheit zusammenfassen.
Kleist, Autochtbone Degenerationspsychosen. Zschr. f. d. ges.
Neurol. 69 S. 1. Die Krankheitseinheit manisch-depressives Irresein
existiert nicht; periodische Manie, Melancholie, zirkuläres Irresein,
gewisse paranoische Erkrankungen usw. bilden die Gruppe der
autochthonen konstitutionellen Psychosen im Gegensatz zu den reak¬
tiven (hysterischen usw.) konstitutionellen Psychosen. Bestimmend
für erstere ist die Erblichkeit, die klinischen Bilder sind Phänotypen,
die sich aus den konstitutionellen Elementen, den Genotypen und
konstellativen Elementen zusammensetzen. Es gibt primitive Phäno¬
typen mit primitivem Genotypus und komplexe Phänotypen, in denen
mehrere primitive Genotypen verkuppelt sind. Der Wechsel zwischen
Krankheit und Gesundheit könnte durch Störung des labilen Gleich¬
gewichts durch Umwälzungen im endokrinen System erklärt werden.
Gaupp, Dramatische Dichtung eines * Paranoikers über den
Wahn. Zschr. f. d. ges. Neurol. 69 [S. 182. Aus einem Ludwig II.
schildernden Drama „Wahn“ des von Gaupp früher eingehend be¬
schriebenen paranoischen Massenmörders Wagner geht hervor, daß
der Kranke über das Wesen paranoischer Zustände eingehend wissen¬
schaftlich orientiert ist, daß der Kranke selbst seine primäre Störung
auf affektivem Gebiet sieht und daß er den Größenwahn psycho¬
logisch aus Verbitterung und Haß gegen die Verfolger hervoige-
gangen ansieht. Damit ist für das genetische Verständnis der para¬
noischen Wahnbildung überhaupt viel gewonnen. Die Erkrankung
Wagners ist nicht progressiv, es besteht sogar eine partielle Kor¬
rektur früherer Wahnbildungen, aber wegen des Bestehens des all¬
gemeinen Verfolgungsgefühls, der Unmöglichkeit im freien Leben
von neuer Wahnbildung freizubleiben, doch Unheilbarkeit.
R. H.E. Hoff mann, Psychotherapie bei Psychopatheil. Zschr. f.
d. ges. Neurol. 69 S. 199. Idealmethode ist die Suggestivmethode, die
die Analyse nur zu Hilfe nimmt. Die Psychotherapie muß Lebens¬
wege und Ziele geben.
v. Steinau-Stein rück, Verwertung psychotherapeutischer Kriegs-
erfahrungen (Hypnose). Zschr. f. d. ges. Neurol. 69 S. 209. Im thera¬
peutischen Handeln ist bei der Psychotherapie der Neurose strengeres
Individualisieren; größere Aktivität nötig, dann eine gewisse Unbefangen¬
heit gegenüber diagnostischen und prognostischen Zweifeln.
Scharnke, Notwendigkeit der ätiologischen Gestaltung der Para»
lysetberaple. Zschr. f. d. ges. Neurol. 69 S. 220. Agglutination mensch¬
licher Spirochäten findet durch menschliches Serum und Liquor nicht
statt. Dagegen immobilisieren Serum und Liquor die Spirochäten, und
zwar wahrscheinlich syphilitische und insbesondere paralytische Seren
und Liquoren mit besonderer Schnelligkeit und nach besonderen Ge¬
setzen. Auch das spricht für eine mangelhafte Unterstützung des
Gehirns durch den Körper bei der Antikörperbildung bei der Paralyse.
Aus unbekannten Gründen durchdringen bei manchen Syphilitikern
(Paralytikern) die Spirochäten die gliöse Grenzmembran und gelangen
so ins ektodermale Gewebe. Da dies die bisherigen Syphilisheilmittel
nicht vermögen, so haben die bisherigen Methoden keine Aussicht
auf Erfolg. Die Fiebermethoden wirken nur durch Erwärmung auf
die Spirodiäten. Die gliöse Membran werden nur Stoffe aus aktiver
oder passiver Immunisierung durchdringen können. In Analogie mit
der Lyssi hat also Verfasser eine Immunisierung von Paralytikern
versucht, teils durch Impfung mit dem eigenen Liquor, teils durch
Impfung mit anderen Paralytikern operativ entnommener, getrockneter
Himsubstanz. — Schäden wurden nicht beobachtet, die Versuche
werden fortgesetzt.
Rüdiger Tscherning, Muskeldystrophie und Demeotia praecox.
(Beitrag zur Erblichkeitsforschung.) Zschr. f. d. ges. Neurol. 69 S. 169.
Bauemfamilie mit zirkulärer und schizoider Anlage, außerdem typische
progressive Muskelatrophie. Da viele Stammoäqme der gleichen
Dystrophie andere Hereditätsverhältnisse aufweisen,-kann es sich nidit
um gleichartige biologische Einheiten handeln, auch wenn die klinischen
Erscheinungsformen gleich sind.
Harry Schäfer und Heinrich Brieger (Breslau), Mnskelaktioae*
ströme bei Myasthenia fravis. D. Arch. f. klin. M. 138 H. 1/2. Bei
einem Kranken mit Myasthenia (33 Jahre, keine Heredität) zeigte die
Prüfung der Aktionsströme mittels des Saitengalvanometers den eigen¬
artigen Ermüdungstyp der myasthenischen Muskeln. Mit fortschreiten¬
der Ermüdung nimmt die Größe der Amplituden immer mehr ab (cf.
Fr. Herzog). Eine Mitbeteiligung des Zentralnervensystems beim Zu¬
standekommen der myasthenischen Ermüdung darf nicht ausgeschlossen
werden.
J. Krön, Meningitis serosa traumatica. Zschr. f. d. ges. Neurol. 69
S. 34. Die Erkrankung ist nicht besonders selten, tritt zirkumskript
oder diffus, akut und chronisch auf. Diagnostisch: erhöhter Liquor¬
druck bei normalem Liquorbefund.
Chirurgie.
I. Sanlader (Troppau), Divertikel an der Plexnra dnodenp)e}matln.
Fortschr. d. Röntgenstr. 28 H. 5: Röntgenologisch diagnostizierter Fall.
Operation ergab Abschnürung durch Adhäsion und Ausstülpung. Heilung.
Hermann Meyer (Göttingen), Spaltbildungcfn am Schenkelhals
und Knorpetfuge. Fortschr. d. Röntgenstr. 28 H. 5. Bei Cox vara
congenita werden 'Spaltbildungen durch Ossifikationsstörungen und
Projektionsfehler vorgetäuscht.
A. W. Fischer (Frankfurt a.M.), Die von A.Köhler beschriebene
Erkrankung des 2. Metatarsusköpfchens: eine traumatische Defor¬
mität. Fortschr. d. Röntgenstr. 28 H. 5. Verfasser hält Trauma wie
bei Fußgeschwulst für das Primäre. Die histologische Untersuchung
(1 Fall) ergab das Markgewebe durch Bindegewebe ersetzt. Zugleich
war die Kortikalis verdickt.
Frauenheilkunde.
H. Lorenzen (Jena), Körpergewicht Schwangerer. (Einfluß der
bevorstehenden Geburt.) Zscnr. f. Geburtsh. 84 H. 2. Das Gewicht
Schwangerer nimmt bis zur Geburt ununterbrochen zu, ein terminaler
Gewichtssturz tritt nicht ein. Die Gewichtszunahme ist durch
Schwererwerden des Organismus der Schwangeren bedingt und wird
durch jugendliches Alter, wiederholte Schwangerschaft und größere
Körpermasse gesteigert. Der Gewichtsverlauf kann bei den großen
Tagesschwankungen nur aus dem Durchschnittsgewicht aufeinander¬
folgender Zeitabschnitte, etwa einer Woche, ermittelt werden.
E. Clauß (Marburg a. d. Lahn), Uebertraguog pathogener Keime
zwischen der Kreißenden und Wöchnerin und dem Neugeborenen.
Zschr. f. Geburtsh. 84 H. Z Verfasser schließt aus seinen bakterio-
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
16. Februar 1922
LITERATURBERICHT
241
logischen Untersuchungen, daß hinsichtlich der Aetiologie der Masti¬
tiden die Infektion vom kindlichen Munde aus nur äußerst selten
vorkommt, das Gleiche gilt vom kindlichen Rektum und von den
Lochien. Dagegen ist anzunehmen, daß ein Teil der stets an den
Brustwarzen vorhandenen, zunächst nicht hämolytischen Staphylo¬
kokken die hämolytische Eigenschaft an den Brustwarzen selbst ge¬
winnt. Die Schrunden und Ragaden dienen als Eingangspforten.
AvStühmer und K. Dreyer (Freiburg i. B.), Unznverlissigkeit
der Sernmniitersfichungeii auf Syphilis bei Schwangeren und Ge*
Mrenden. Zschr. f. Geburtsh. 84 H. 2. Serumuntersuchungen während
Schwangerschaft und Geburt sind unzuverlässig, wahrscheinlich infolge
von Stoffwechselstörungen im Bereich der Leber und Plazenta. In
etwa 10der Fälle muß mit unspezifischen Hemmungen gerechnet
werden. Es ist daher nicht zweckmäßig, den Betrieb größerer Gebär¬
anstalten mit der Einrichtung serologischer Untersuchungsanstalten zu
belasten.
H. Naujoks (Königsberg), Haben anatomische Verflnderoogen
der kindlichen Eihänte Einfluß auf die Zeit des Blasensprnages?
Zschr. t. Geburtsh. 84 H. 2. In etwa 40 Fällen wurden kurz nach Aus¬
stoßung der Nachgeburt Stucke des Eisacks mikroskopisch untersucht.
Es ließen sich erstens für den vorzeitigen Blasensprung Gründe im
anatomischen Bau der Eihäute finden, welche in Degenerationen oder
in Entzündungen oder in geringer Ausbildung einzelner Schichten be¬
standen. Zweitens waren auch bei verspätetem Blasensprung ana¬
tomische Veränderungen vorhanden, die sich als Verdichtung und Ver¬
mehrung der Bindegewebsschichten oder als Vermehrung der glatten
Muskelzellen in Amnion- und Chorionbindegewebe zeigten.
E. Löhnberg (Köln), Klinik der Tubargraviditlt, Schicksal der
operierten Pille, Relnfasion bei Rupturen. Zschr. f. Geburtsh. 84
H. 2. Beobachtungen an 152 operierten Tubargraviditäten. In der
Differentialdiagnose zwischen Tubargravidität und entzündlicher
Adnexerkrankung irrt man sich etwa in 10 Fällen einmal. Neben den
anderen anamnestischen Symptomen sind die wehenartigen Schmerzen
von großer Wichtigkeit. Die Chance des Wiedereintritts einer nor¬
malen intrauterinen Gravidität überwiegt die Gefahr der wiederholten
tubaren Eieinbettung um das Sechsfache. Bei der Laparotomie soll
der freie Bluterguß in die Bauchhöhle möglichst vollständig entfernt
werden, wegen der Gefahr der Infektion des zurückgelassenen Blutes
und seiner toxischen Eigenschaften. Die intravenöse Eigenblutreinfu-
sion ist dagegen sehr zu empfehlen.
R. Zimmermann (Jena), Indikationsstelhmg zur Retrausfusloo
in die Bauchhöhle ergossenen Blutes. Zschr. f. Geburtsh. 84 H. 2.
Klinische Erfahrungen und Tierversuche lehren, daß die Bauchhöhle
f roße Blütmengen zu resorbieren vermag. Das rationellste Verfahren
en nicht infizierten, intraperitonealen Blutergüssen bei Tubargravidität
gegenüber ist daher: nach definitiver Stillung der Blutung Ausräumung
der Koagula, aber Zurücklassung des flüssigen Blutes. Dieses ist de-
fibriniert und daher nicht mehr gerinnbar. Es wird rasch resorbiert.
Die Retransfusion kommt nur für die selteneren Fälle in Betracht, in
denen während der Operation der Zustand schlechter wird und der
Puls nicht wiederkehrt
A. Sternberg (Gießen), Wesen der Soprophyten des weiblichen
Genitalkaoals. Zschr. f. Geburtsh. 84 H. 2. Die im Genitaltraktus
lebenden Keime sind nur solange als Saprophyten harmlos, als die
Abwehrstoffe des Köipers sie parallelisieren. Sie können innerhalb
kurzer Zeit zu Parasiten weraen, wenn sich die Schutzkräfte im
Körper selbst ändern. Praktisch folgt daraus, daß die Gründe für
die Erkrankung in der durch geschwächte Disposition des Körpers
verminderten Resistenz oder in einer besonders hohen Virulenz der
Keime zu suchen sind, der die Abwehrkräfte des Organismus nicht
gewachsen sind.
E.R.v. Weinzierl (Prag), Vakitaediarnostik und -therapie der
aszeodlerteii Gonorrhöe des Weibes. Zschr. f. Geburtsh. 84 H. 2
Die Vakzination wurde in 96 Fällen von Adnextumoren vorgenommen.
Es wurde das von Bruck angegebene Arthigon verwandt, eine poly¬
valente Vakzine, die aus 20 verschiedenen Gonokokkenstämmen besteht
Und in 1 ccm 20 Millionen abgetöteter Keime enthält. Das Arthigon
wurde nur intravenös einverleibt, wobei niemals Schädigungen beob¬
achtet wurden. Das Arthigon besitzt die Fähigkeit, oei latenter
Gonorrhoe den Nachweis des Erregers zu ermöglichen. Die Diagnose
stützt sich auf Lokal-, Herd-, Allgemeinreaktion, Fieber mit Doppel¬
zacken, anderseits auf den therapeutischen Erfolg. Bei Ausbleiben
jeder Reaktion und jedes Heilerfolges ist Gonorrhoe meist nicht die
Ursache der Adnexerkrankung. Was die Therapie betrifft, die etwa
4—5 Wochen dauert, so kommen ausschließlich Fälle im subakuten
oder chronischen Stadium in Betracht, und zwar zeigen abgekapselte
Herde, besonders Pyosalpinx, die beste Heilungstendenz. Es gelang,
in 52,4 o/o der gonorrhoischen Fälle durch Arthigon allein eine Heilung
zu erzielen, 23,8 tyo verließen wesentlich gebessert die Klinik. Bei
Urethralgonorrhoe blieb jede Heilwirkung durch Arthigon aus. Vor
einer Arthigonbehandfung im akuten Stadium ist zu warnen. In der
Prophvlaxe der gonorrhoischen Komplikationen spielt das Arthigon
keine Rolle.
W. Offermann (Königsberg i. Pr.), Bebafldftfn* des Geberhaften
Abortes (kriminelle Aborte). Zschr. f. Geburtsh. 84 H. 2. Die so¬
fortige aktive Therapie des fieberhaften Abortes ist gefährlicher als
die abwartende. Bei der aktiven sind Komplikationen häufiger und
schwerer. Erst nach Verschwinden von Streptokokken und Fieber
kann aktiv vorgegangen werden. Die aktive Behandlung ist ganz be-
besonders bei kriminellen Aborten zu vermeiden. Bei der abwartend*4
Behandlung dauert das Fieber nicht länger und verschwindet promp^
nach Erledigung des Abortes, was in etwa der Hälfte der beobachteten
Fälle der Fall war. Gehäufte Schüttelfröste sind kein Indikator für
die Art der Behandlung. — Von 285 Fehlgeburten waren 36«=12,6°/o
kriminell. Von diesen verliefen 23 fiebernd. Von allen febrilen Aborten
waren 31^0 kriminell. — Als Krankheitserreger fanden Bich in 41,7 <yo
Streptokokken. _
Augenheilkunde.
, E. Ammann (Winterthur), Funktionspröfaiig in der Sprechstnnde.
Klin. Mbl. f. Aughlk. 67 November-Dezemberheft. Ein für Glaukom
diagnostisch wichtiges Zeichen ist es, daß durch Vorsetzen eines stark
verdunkelnden grauen Glases die Sehschärfe verhältnismäßig erheb¬
licher herabgesetzt wird, als beim normalen Auge. Diese Herabsetzung
ist bei kongenital amblyopischen Augen zuweilen relativ geringer als
beim normalen Auge. Durch Verbinden des amblyopischen Auges
wurde in V« aller Falle eine wesentliche Hebung der Sehschärfe erzielt.
H.Sievert und R. Gumperz (Mannheim), Perorale Dakryozysto-
rhiaostomie nach Kutvirt. Klin. Mbl. f. Aughlk. 67 November-De-
zemberheft. Die Operation wird unter Lokalanästhesie vom Munde
aus vorgenommen, um durch eine ausgedehnte Resektion des Tränen¬
sackes und Fensterbildung in der Nasenschleimhaut eine freie Oeffnung
für den Abfluß der Tränen in die Nase zu schaffen.
A. Feigenbaum (Jerusalem), Tareektomie bei Trachom. Klin.
Mbl. f. Aughlk. 67 November-Dezemberheft. In Fällen von schwerem
Trachom wird die Ausschneidung des Lidknorpels nach Kuhnt emp¬
fohlen, wodurch meist eine rasche und gründliche Ausheilung des
Trachoms, Verschwinden des Pannus und Korrektion von Stellungs-
anomalien der Lider, insbesondere von Trichiasis, erreicht wurde.
Rudolf Birkhäuser (Basel), lontophoretlsche Behandlung von
Hornhanttröbnngen. Klin. Mbl. f. Aughlk. 67 November-Dezemberheft.
Durch längere iontophoretische Behandlung können auch alte Horn¬
hauttrübungen wieder aufgehellt werden. Verfasser hat zu diesem
Zweck eine Röhrenelektrode angegeben, welche gegenüber der bisher
gebräuchlichen Kissenelektrode den Vorteil hat, keine Verletzungen
des Hornhautepithels zu erzeugen.
E. Schall (Düsseldorf), Tuberkulose des vorderen Bulbnsabschoit-
tes mit Beteiligung der Linse. Klin. Mbl. f. Aughlk. 67 November-
Dezemberheft. Die Linse zeigte sich bei der mikroskopischen Unter¬
suchung in sagittaler Richtung vollständig von tuberkulösen Massen
.durchwachsen.
F. Jendralski (Breslau), Radiotherapie bei Tuberkulose des Auges.
Klin. Mbl. f. Aughlk. 67 November-Dezemberheft. Bestrahlung mit
Mesothorium brachte in einem Falle von Bindehauttuberkulose völlige
Heilung. In 6 Fällen von tuberkulöser Iritis hatte Röntgenbestrahlung
5 mal Erfolg, der allerdings einmal durch einen Rückfall vernichtet wurde.
Ingolf Schiötz (Kristiania), Retinitis gravidarum et Amanrosis
eclamptlca. Beilageheft zu den Klin. Mbl. f. Aughlk. 67. Die sehr
eingehende und sorgfältige Arbeit stützt sich auf ein Material von
8400 Wöchnerinnen und Schwangere und auf 40 Fälle von Schwanger¬
schaftsretinitis und 20 Fälle von eklamptischer und urämischer Amaurose.
Bei dem erstgenannten Leiden ist die Unterbrechung der Schwanger¬
schaft angezeigt. Bei der Eklampsie fanden sich in f / 8 der Fälle Augen¬
symptome. Bei der eklamptischen Amaurose kehrt das Sehvermögen
stets wieder. Einmal hatte die Lumbalpunktion guten Erfolg.
W. Ascher (Prag), Beweglicher Qnarzansa'z an die Kromayer-
lampe. Klin. Mbl. f. Aughlk. 67 November-Dezemberheft. Der auf das
Auge aufzusetzende Quarzstab ist mit der Uviollampe durch eine Spirale
verbunden, welche bei Bewegungen des Auges nachgibt, so daß ein
stärkerer Druck auf dieses vermieden wird.
Kinderheilkunde.
Hans Reiter und Hermann Osthoff (Rostock), Bedeutung
endogeaer und exogener Faktoren bei Kindern der Hilfsschule.
Zschr. f. Hyg. 94 H. 2/3. Für die Entstehung des jugendlichen
Schwachsinns muß der Vererbung der größte Einfluß eingeräumt
werden. Viel geringere Bedeutung kommt den Geburtstraumen, kon¬
stitutionellen und anderen Erkrankungen zu. Ein größerer Einfluß der
Tuberkulose und der Syphilis konnte nicht festgestellt werden. Dem
Milieu ist eine geringe Wirkung auf die Intelligenz vielleicht nicht
abzusprechen, nachgewiesen werden konnte sie nicht.
Kretschmer (Berlin), RÖntrendiagnose der kindlichen Bronchial-
drfisentnberlcnlose. Fortschr. d. Röntgenstr. 28 H. 5. Nicht allein die
rechtsseitige, sondern auch die links gelegenen Bronchialdrüsen lassen
sich in vielen Fällen'mit Hilfe der Röntgenstrahlen nachweisen. Der
Ersatz der Behandlung wurde oft mit Hilfe der Radiographie festgestellt.
Autoptische Kontrolle fehlt.
Hygiene (einscbl. ftffentliches Gesundheitswesen).
Ascher (Frankfurt a. M.), Bekämpfung der Geschlechtskrank¬
heiten. Zschr. f. soz. Hyg. 3 H. 6. Verfasser wendet sich gegen die
von dem Abgeordneten Quarck auf dem Kölner bevölkerungs¬
politischen Kongreß befürwortete Abschaffung der Reglementierung,
die er iin Gegenteil für eine der wenigen gesundheitlichen Einrich¬
tungen hält, deren Nutzen sicher nachweisbar ist. Aus den dreijährigen
Erfahrungen der Frankfurter Geschäftsstelle für öffentliche Gesund-
--Digitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSUM
242
LITERATURBERICHT
Nr. 7
heitsfürsorge geht hervor, daß eingeschriebene Prostituierte fast nie¬
mals als Ansteckungsquelle gedient haben. Bei der Reglementierung
ist nicht der Untersuchung als solcher der Erfolg zuzuschreiben, dieser
ist vielmehr begründet auf der Furcht der Prostituierten, als krank
befunden und dadurch ihrem Erwerb entzogen zu werden. Diese
Furcht bedingt strenge Selbstkontrolle und fuhrt zudem zur Unter¬
suchung jedes Besuchers und zur Zurückweisung Krankheitsverdäch¬
tiger. Die übrigen Ausführungen Quarcks finden, mit Ausnahme
der Meldepflicht, die Zustimmung des Verfassers. Er empfiehlt die
Gewährung ärztlicher Behandlung, wie sie von der Frankfurter Ge¬
schäftsstelle geübt wird, die jedem, auch den dortigen und auswär¬
tigen Kassenpatienten, freie Behandlung bei einem freigewählten
Arzte oder Krankenhause gewährt, für ein Reichsgesetz anzunehmen.
Da die Landesversicherungsanstalten nicht auf die Dauer die Lasten
der Kosten tragen können, müssen die Krankenkassen zu größeren
Einheiten verbunden hier eintreten, und es muß eine Ausdehnung
der Versicherungspflicht bis zu einem Mindesteinkommen von 50 000 M.
durchgeführt werden.
Martha Wygodzinski (Berlin), Kritik der Anträge betreffs
Aufhebung resp. Aeoderong des Abtreibungsparagraphen. Zschr. f.
soz. Hyg. 3 H. 7. Die Vernachlässigung jedes ärztlichen Sachverstän¬
digenurteils, die sich erst kürzlich wieder bei dem Entwurf eines
Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes gerächt hat, ermöglichte es der sozia¬
listischen Reichstagsfraktion im Juli 1920, im Reichstag eine Novelle
zum StrGB. §§ 218/19 zu beantragen. Demgegenüber lehnten die
sozialistischen Aerzte in ihrer Sitzung vom 28. IX. 1920 auf das Referat
der Verfasserin hin fast einstimmig den Antrag ab. Einer der schärf¬
sten Gegner des Antrags ist Grotjahn, der in einer im Juli 1921
erschienenen Broschüre ausführlich und klar alle Schwächen und
Widersprüche des Antrages aufdeckt und alle für die Aufrechterhal¬
tung des Abtreibungsparagraphen sprechenden Gründe darlegt, wäh¬
rend keine der im gleichen Hefte sich findenden Begründungen der
Straflosigkeit der Abtreibung von Radbruch (eines der beiden
geistigen Urheber des Antrages! wirklich bis in die letzten Konse¬
quenzen durchdacht ist und alle an ihren eignen inneren Wider¬
sprüchen scheitern. Radbruch gegenüber herrsche unter den Aerz-
ten volle Einigkeit darüber, daß eine Aufhebung oder Einschränkung
des Paragraphen im Sinne des mehrheitssozialistischen Antrages nicht
wünschenswert ist, und desgleichen darüber, daß der Auslegung, die
den Versuch mit untauglichen Mitteln am untauglichen Objekt be¬
straft, ein Riegel vorgeschoben werden müßte. Strafbar darf aus¬
schließlich der instrumenteile Eingriff sein. Ueber die zulässige Indi¬
kationsstellung gehen aber die Ansichten der ärztlichen Sachver¬
ständigen noch auseinander. Gegenüber den meisten Aerzten, die
möglichste Einschränkung der Indikation erstreben, steht Verfasserin
zusammen mit Max Hirsch auf dem Standpunkt möglichster Er¬
weiterung, besonders in eugenischer und rassehygienischer Beziehung.
H. Birnbaum, Psychopatheofürsorge. Zschr. f. d. ges. Neurol. 69.
S. 23. Gemeingefährliche Psychopathen sind durch Unterbringung in
geschlossenen Anstalten aus dem öffentlichen Leben auszuschalten.
Martin Vogel (Dresden), Gesundheitliche Wirkungen der Ein¬
schränkung der Herstellung und des Verkaufs von Alkohol im Deut¬
schen Reiche während des Krieges. Zschr. f. soz. Hyg. 3 H. 6. Der
drückende Mangel an Nahrungsmitteln, nicht aber ein klarer Plan
zur Entalkoholisierung des Vollces, führte im Kriege zur Einschrän¬
kung der Herstellung und des Verkaufs von Alkohol. Besonders ver¬
ringert war der Verbrauch an Schnaps, weniger an Bier; der Wein¬
genuß nahm im Laufe des Krieges sogar zu. Die günstigen Folgen
des geringeren Alkoholverbrauchs sind zahlenmäßig an der Abnahme
der alkoholischen Geistesstörungen feststellbar. Das Studium eines
Einflusses auf Häufigkeit und Verlauf sonstiger, nicht psychiatrischer
Krankheiten ist durch die Kriegsschäden ohne wesentliches Ergebnis
geblieben*. Dagegen sind wirtschaftliche Wirkungen nachweisbar,
trug doch die Invalidenversicherung 1917 nur 4 Heilverfahren bei
Alkoholikern gegen 507 im Jahre 1914. Die Entwicklung seit Ende
des Krieges ist durdi die Rührigkeit des immer noch mächtigen
Alkoholkapitals, trotz des Branntweinmonopols (seit 1918) sehr un¬
günstig geworden; erfreulich ist indessen, daß die Forderung nach
entschiedener Bekämpfung des Alkoholismus in der Oeffentlichkeit
steigendes Verständnis findet.
Soziale Medizin and Hygiene.
++ Ernst Brezina (Wien), Internationale Uebersicht über
Gewerbekrankheiten nach den Berichten der Gewerbe¬
inspektionen der Kulturländer 1914—18. Berlin, J. Springer,
1921. 270 S. M. 66.—. Ref.: A. Gottstein (Charlottenburg).
Der durch seine Sachkenntnis und Kritik ausgezeichnete Bericht
erhält in der vorliegenden Zusammenstellung besonderen Wert durch
die in den deutschen und englischen Berichten enthaltenen Beob¬
achtungen über die Wirkungen der Kriegsindustrie, insbesondere
der Munitionserzeugung. Nicht nur die Fülle neuer Formen von
Vergiftungen ist hier von Interesse, sondern mehr noch der Ab¬
schnitt über „Folgen des Krieges, der verschlechterten Ernährung
und der Ueberarbeit auf den allgemeinen Gesundheitszustand der
Arbeiter und besonders der Arbeiterinnen“. Die statistischen Mit¬
teilungen aus der Krankenkassenpraxis und die zahlreichen kenn¬
zeichnenden Einzelangaben verdienen in mehreren Richtungen die
Beachtung der Fachärzte und Hygieniker. Bemerkenswert ist der
Hinweis des Verfassers auf die Tatsache, daß der deutsche Bericht
gegenüber dem englischen deshalb rückständig ist, weil bei uns im
Gegensatz zu England die ärztliche Mitwirkung fehlt und dadurch
bei der Deutung ursächlicher Beziehungen erhebliche Irrtümer Vor¬
kommen; diesem Mangel gegenüber steht das englische Verfahren,
wo die Gewerksärzte die Lücken durch eingehende Studien und
Untersuchungsreisen zur Aetiologie und Bekämpfung ausfüllen. Wie
im vorjährigen Bericht waren auch diesmal die Unterlagen für
Frankreich und Belgien nicht zu erhalten, sodaß außer Deutsch¬
land, England und Oesterreich nur die Schweiz und die Nieder¬
lande behandelt sind.
SacbverstSndigentfltigkeit.
Kroner, Verschlimmeren? innerer Krankheiten, besonders der
Herz- und Lungenkrankheiten. Zschr. f. ärztl.-soz. Versorgungsw.
1 H. 10. Vorsicht und Skepsis sind besonders angebracht, wenn Ver¬
schlimmerungsklagen gerade in ursächliche Beziehung zum Kriegsdienst
gebracht und als Grundlage von Ansprüchen verwertet werden. Man
vergißt oft, und zwar nicht blos in Laienkreisen, daß die Verschlim¬
merungen nicht durch den Kriegsdienst, sondern durch die Kriegs¬
zeit mit ihren Neben- und Nachwirkungen (Hungerblockade, seelische
Erschütterungen usw.) veranlaßt sein können, — Wirkungen, die in
gleichem Maße auch die Nicht-Kriegsteilnehmer betroffen und ihre
Leistungsfähigkeit verringert haben.
Botho Schultz, Dienstbeschädigonfsfrage bei Ozaena vera. Zschr.
f. ärztl.-soz. Versorgungsw. 1 H. 10. Das Reichsversorgungsgesetz von
1920 sieht für Ozaena eine „Versehrtheitsrente" vor, weil es annimmt,
daß diese Krankheit durch Kriegseinflüsse entstehen bzw. verschlimmert
werden könne. Dieser Auffassung widerspricht Verfasser in Ueber-
einstimmung mit Kilian, der eine Dienstbeschädigung nur auf Grund
von Folgezuständen, die sich aus der Krankheit durch Kriegseinflüsse
herausbilden können, anzuerkennen geneigt ist. In solchen Fällen
könnte eine Erwerbsminderungsrente in Frage kommen.
v. Renesse, Der amputierte Mensch und seine Reute. Zschr. f«
ärztl.-soz. Versorgungsw. 1 H. 10. Eine kurze, aber sehr gedanken¬
reiche und zum Nachdenken anregende Abhandlung. Dieselbe Ver¬
letzung ist von verschiedener Bedeutung, je nachdem sie ein Hand¬
oder ein Kopfarbeiter erlitten hat. Es muß nicht blos das berufliche,
sondern auch das außerberufliche Leben des Verletzten berücksichtigl
werden, — das außerberufliche hat beim Kopfarbeiter eine größere
Ausdehnung und Stärke als beim Handarbeiter, während der letztere
durch einen Gliedverlust beim Erwerb seines Lebensunterhalts in der
Regel weit schwerer betroffen ist. Auch bei der Wirkung der Prothesen
sind seelische Einflüsse nicht außer Acht zu lassen; man darf nicht
vergessen, daß wohl nirgends im Körper ein Muskel allein tätig ist,
daß im Gehirn fast stets mehrere Impulsbahnen miteinander gekuppelt
sind. Fehlt nun ein Gliedteil, so müß der Verletzte erst neu lernen,
seine Impulse einzeln oder in neuer Verbindung ablaufen zu lassen.
Der Ausfall der sonst aus dem verlorenen Gliede eingetroffenen Reize
ist für das Seelenleben des Amputierten so wenig gleichgültig wie die
außernatürlichen Reize durch das geschaffene Ersatzstück. Deshalb
wird das letztere so oft nicht getragen; der Nutzen des Kunstarihs
z. B. ist bisweilen nicht so groß, daß er die durch ihn verursachte
Belästigung aufwöge. — Aus allen diesen Erwägungen heraus scheint
es zweckmäßig, nicht allzufeine Unterschiede bei der Schadenschätzung
für die einzelnen Berufe zu machen, sondern die Renten schematisch
festzusetzen und dafür dem Einzelnen die für ihn erforderliche soziale
Fürsorge zu teil werden zu lassen.
G ö c k e, Traumatische Wlrbelsflalen-Erkraakoogen. Zschr. f. ärztl.-
soz. Versorgungsw. 1 H. 10. An der Hand von 65 Fällen und in
Uebereinstimmung mit Payr, Kirsch u. a. erklärt Verfasser die;
von Schanz als neue Erkrankung bezeichnete „insufficientia vertebrae"
für nicht berechtigt. In fast allen Fällen konnte eine Verletzung der
Wirbelsäule glaubhaft gemacht werden, wenn auch Zeichen schwerer
Zerstörung des Knochens oder Rückenmarks nicht vorhanden waren.
Wo lediglich eine funktionelle Neurose angenommen werden mußte,
hat glücklicherweise die Wiederaufnahme des bürgerlichen Berufs nach
Beendigung des Krieges so günstig gewirkt, daß ärztliche Hilfe ent¬
behrlich wurde und volle Arbeitsfähigkeit eintrat. Daß die von Schanz
eingeleitete Therapie durch Ruhigsteilung in Gipsbett, Stützkorsett usw.
nützlich war, wird nicht geleugnet werden können, aber bei rein
funktionellen Neurosen wird man mit dem Verfasser das Eingipsen
grundsätzlich ablehnen müssen.
Wette, Plattfuß und Dienstbeschädigung. Zschr.f. ärztl.-soz. Ver¬
sorgungsw. 1 H. 10. Der Plattfuß ist eine ausgesprochene Kulturkrank¬
heit, die bei den Völkerstämmen fehlt oder selten vorkommt, welche
barfuß oder in Sandalen laufen und die Rachitis und die eintönige und
schwere Arbeit des Europäers nicht kennen. Da er bei uns eine sehr häufige
Erscheinung ist, so kann seine Verursachung durch dienstliche Schädi¬
gungen nur mit großer Vorsicht behauptet werden und ist in der
Regel abzulehnen; höchstens kann eine Verschlimmerung bereits früher
bestandener Beschwerden in Betracht gezogen werden. Verfasser weist
eine Reihe von typischen Druckpunkten nach, welche einen objektiven
Anhalt für das Vorhandensein von Schmerzen liefern können und macht
im übrigen darauf aufmerksam, daß Plattfußbeschwerden gerade nach
dem Kriege öfter aufgetreten sind, weil infolge der besseren Ernährung
bei manchen Menschen das Körpergewicht unverhältnismäßig schnell
gestiegen ist. _
Digitized b'
Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
VEREINS- UND KONQRESSBERICHTE
Redigiert von Ober-Reg.-Med.-Rat Dr. O. Strauß.
Berlin, Medizinische Gesellschaft, 25.1.1922.
Referate über Silvareiafrageii. Heffter: Es handelt sich beim
Salvarsan um ein Mittel, das Arsen enthält Es hat sich aber ge¬
zeigt, daß die tödliche Dosis für Kaninchen 6—7mal größer ist als
die des Kal. arsenicos. Das Präparat wird jedoch durch den Sauer¬
stoff bedeutend giftiger, insbesondere, wenn es gelöst ist. Deswegen
ist den Apothekern durch Ministerialerlaß das Herstellen von Sal-
varsanlösungen verboten worden. Es wäre sehr erwünscht, ein
Salvarsanpräparat zu haben, das diese Eigenschaft nicht besitzt.
Dies scheint beim Sulfoxylat der Fall zu sein. Es ist behauptet
worden, daß das Publikum durch die Festsetzung einer Maximaldosis
beruhigt werden würde. Dies ist anzuzweifeln. Auch haben sich
namhafte Kliniker dagegen gewandt. Heffter geht dann auf das
Wesen der Maximaldosis ein. Sie. sollte dem therapeutischen Handeln
des Arztes keine Grenzen setzen, sondern nur Irrtümer des Arztes
beim Rezeptieren verhindern. Es braucht durchaus nicht beim Ueber-
schreiten der Maximaldosis eine Vergiftung einzutreten, was immer
dem Gericht gegenüber zu betonen ist. Dem entspricht auch, daß
die Maximaldosen in den verschiedenen Ländern ganz verschieden
sind. Heffter stellt sich auf den Standpunkt, daß gerade beim
Salvarsan keine Maximaldosis erforderlich ist. Da der Apotheker
keine Dosierung vornimmt, so hat der Arzt selbst diese vollkommen
in der Hand.
Arndt hatte zunächst Bedenken, das Referat zu übernehmen, da
es unmöglich ist, das Thema an einem Abend zu erschöpfen, und
die Gefahr besteht, daß der Vortrag entstellt in die Tagespresse
kommt. Für den Praktiker ist die Frage der Salvarsantodesfälle die
wichtigste. Diese in der politischen Tagespresse zu erörtern, wie
es vielfach geschieht, wird abgelehnt. Daß das Salvarsan eine große
Entdeckung war, wird in aller Welt anerkannt. Aber die Tatsache,
daß es Unglücksfälle hervorrufen kann, läßt sich nicht leugnen.
Man hat nun leider die Erfahrung gemacht, daß sich zu manchen
Zeiten die Salvarsantodesfälle häufen, trotzdem die Injektionen unter
allen Kautelen geschehen. 1914 bis 1918 wurden von Arndt nur
4 Todesfälle beobachtet. 1919 kam es zu keinem Todesfall. 1920
wurden über 24000 Injektionen gemacht mit keinem Todesfall. 1921
bei 14000 Injektionen 8 Todesfälle. Außerdem starben noch einige
Patienten, die außerhalb der Klinik von anderen Aerzten mit Sal¬
varsan behandelt worden waren. Die Art der Salvarsananwendung
sowie die klinischen und pathologisch-anatomischen Befunde bei den
einzelnen Fällen werden beschrieben. Es handelte sich um Patienten,
bei denen eine Enzephalitis, eine Myelitis, eine Dermatitis oder eine
akute bzw. subakute gelbe Leberatrophie aufgetreten waren. Letztere
Erkrankung war besonders häufig. In der Hauptsache erkrank¬
ten Patienten, die das 40. Lebensjahr überschritten hatten. Der
Ikterus trat unmittelbar im Anschluß an die Kur, die nie die Dosis
von 4,0 g Salvarsan überschritt, oder bis iy* Monate nach Be¬
endigung der Kur auf. Ein Zusammenhang von Salvarsan und Ikterus
scheint sicher zu sein. Es wurden 280 Ikteruskranke bei Salvarsan-
behandelten beobachtet, während in der gleichen Zeit bei anderen
Kranken nur in ganz vereinzelten Fällen Ikterus auftrat. Beachtens¬
wert ist die Häufigkeit bei tertiärer Syphilis. Seit die Salvarsan-
behandlung unter dem Eindruck der Todesfälle auf die primäre
und sekundäre Syphilis eingeschränkt und die Dosis herabgesetzt
wurde, wurde kein Ikterus mehr beobachtet. Eine solche Einschrän¬
kung ist unbedingt zu fordern, insbesondere, da dem Salvarsan andere
Mittel gegenüberstehen, mit denen man oft ebensoviel erreichen kann.
Man darf von dem Salvarsan nicht zuviel verlangen und kritiklos
injizieren. Unentbehrlich ist es beim Primäraffekt und bei Sekundär¬
erscheinungen. Bei den frühlatenten Fällen hat Arndt auf das
Salvarsan vorläufig verzichtet. In Tertiärfällen mit syphilitischen Er¬
scheinungen wird nur dann Salvarsan gegeben, wenn schwere Er¬
krankungen vorliegen. In allen anderen Tertiärfällen kommt man mit
Jod und Quecksilber völlig aus. Die Schmierkur wird jetzt viel zu
selten angewendet, manchmal wirkt sie besser als jede andere Be¬
handlung. Arndt kommt dann auf die Kontraiudikationen für die
Salvarsanbehandlung zu sprechen. Er unterscheidet zwischen abso¬
luter und relativer Kontrkindikation. Alle anderweitigen Erkran¬
kungen mahnen zur Vorsicht. Die Dosis hat Arndt in letzter Zeit
erheblich herabgesetzt. Bei Männern ist die höchste Einzeldosis 0,45,
bei Frauen 0,3. Die Gesamtdosis ist bei Männern 4,0 g, bei Frauen
3.6 g. Eine Verzettelung der Salvarsanbehandlung durch zu kleine
Einzeldosen gibt es nicht. Man muß auf alle Störungen des Be¬
findens während der Behandlung achten. Oft ist eine Fieberzacke das
einzige Zeichen für eine beginnende Salvarsanschädigung. Dann
muß mit den Injektionen sofort eingehalten werden. Auch die pein¬
lichste Berücksichtigung aller Intoleranzerscheinungen kann nicht vor
Schäden bewahren, wenn das Präparat verdorben ist, was in letzter
Zeit sicher häufiger vorgekommen ist. Ganze Serien scheinen manch¬
mal nicht einwandfrei zu sein. Es ist notwendig, festzustellen, ob
Todesfälle auch durch ganz einwandfreie Präparate Zustandekommen.
Hierzu wäre es angezeigt, für eine bestimmte Zeit den freien Handel
auszuschalten und das Präparat der staatlichen Kontrolle zu unter-
werfen. ! i 1
Kolle (Frankfurt) a. G., geht zunächst auf die Prüfung der
Salvarsanpräparate ein. Die Kontrolle ist dauernd verschärft worden.
Er hält es für ausgeschlossen, daß die Fabrikation an der Häufung
von Salvarsanschäden schuld ist. Es werden viele Proben jetzt auch
biologisch geprüft. Gewisse neurotrope Salvarsannummem lassen
sich am besten»an Ratten erkennen, weshalb man auch diese Tiere
trotz der hohen Kosten herangezogen hat. Die deutschen Präparate
werden überall im Ausland am meisten gesucht. — Die angioneuroti-
schen Nebenwirkungen der Salvarsanpräparate werden in der Haupt¬
sache durch die Metallsalze verursacht. Sie lassen sich im Tier¬
versuch häufig nicht erkennen. Man prüft daher die Serien jetzt
auch klinisch, indem man kleine Dosen verabfolgt und, sobald der¬
artige Erscheinungen auftreten, werden die Serien aus dem Handel
gezogen. — Durch Zusatz hochprozentiger (40<yo) Traubenzucker¬
lösungen als Lösungsmittel werden die Präparate weitgehendst ent¬
giftet. Es scheint eine Verbindung mit der Aldehydgruppe einzu¬
treten, da auch der chemotherapeutische Index günstig verändert
wird. — Bei der Mischung von Quecksilberpräparaten mit Salvarsan-
präparaten (Linsersehe Methode) injizieren wir in Zersetzung be¬
griffenes Salvarsan. Man erzielt damit keine eigentliche Verbesserung
des chemotherapeutischen Erfolges, und es treten häufig Neben¬
wirkungen auf, die nach Ansicht K oll es die Mischspritze diskredi¬
tieren. Er mahnt daher zu größter Vorsicht. Dagegen scheint das
Neosilbersalvarsan, das jetzt hergestellt wird, sehr stabil zu sein,
und es bietet sonst alle Vorteile, die man bei anderen Präparaten
beobachtet hat. Auch klinisch hat sich das neue Präparat bewährt.
Tierversuche mit Salvarsan und Salvarsan und Quetksilber, in ver¬
schiedenen Abständen nach der Infektion verabfolgt, ergaben, daß
in der Frühperiode (30 Tage) die Sterilisatio magna in 100°/o der
Fälle gelingt und ein neuer Primäraffekt zu erzielen ist. Später
werden die Resultate unsicherer. Nach 90 Tagen läßt sich kein
Tier mehr heilen. — Von dem Reichsgesundheitsrate sollen Richt¬
linien für die Salvarsanbehandlung ausgegeben werden. Dies wird
gute Erfolge zeitigen. Die Tierversuche scheinen aber zu beweisen,
daß die Salvarsantherapie in den späteren Perioden nicht zu über¬
spannen ist. Hier müssen die anderen Präparate mit herangezogen
werden. Die heute verwendeten Quecksilberpräparate sind aber durch¬
aus nicht ideal. Kolle ist jedoch auf dem Wege, bessere zu finden,
die einen ausgesprochenen chemotherapeutischen Index haben.
Dresel.
Greifswald, Medizinischer Verein, 25. XI. 1921.
Offizielles Protokoll.
Vorsitzender: Peiper. Schriftführer: I. V. Sommer.
Egon Hoffmann: Demonstration: a) Schldelsteckschuß.
b) Homernslnxation mit Plextisschfldigung.
Stephan: Ulcus duodeni bei Eklampsie. Nach der Theorie
Hofbauers über das Zustandekommen des Symptomenkomplexes
der Eklampsie werden deren gesamte Krankheitserscheinungen durch
eine übermäßige Speicherung von Adrenalin im Blute erklärt, das
infolge der Graviditätstoxikose nicht, wie bei gesunden Schwangeren,
abgeoaut wird. Obwohl der Nachweis des erhöhten Adrenalingehaltes
im Blute Eklamptischer noch nicht einwandfrei gelungen ist, bieten
immerhin Beobachtungen von gesteigerter Adrenalinämie bei der
Eklampsie insofern ein Interesse, als sie zur Stütze der Hofbauer-
schen Theorie herangezogen zu werden verdienen. Bei einer Primi¬
gravida, die sich mit Zwilhngsschwangerschaft und Hydramnion wegen
Schwangerschaftsnephrose in der Klinik in genauer Beobachtung
befand, trat sub partu eine besonders schwere Eklampsie auf, die sich
im Laufe der vier ersten Wochenbettstage trotz intensiver symptomati¬
scher Behandlung in 40, z. T. rasch aufeinanderfolgenden Anfällen
manifestierte. Unter plötzlicher subnormaler Senkung des vorher
stark erhöhten Blutdruckes und unter überraschendem Auftreten
schwerer peritonitischer Erscheinungen kam die Patientin ad exitum.
Die Sektion ergab eine diffuse eitrige Peritonitis mit frisch gallig
gefärbtem Exsudat, herrührend von einem perforierten Ulkus des
Duodenums. Hier fanden sich zwei ganz frische Geschwüre, deren
eines nur zu einem Schleimhautdefekt geführt hatte, während das
zweite eben in die freie Bauchhöhle durchgehrochen war. Die Tat¬
sache, daß nach dem Gutachten des Greifswalder Pathologischen
Anatomen Prof. W. Groß über die Serienschnitte beider Ulzerations-
stellen diese Veränderungen erst während der gehäuften eklamptischen
Anfälle entstanden sein konnten und daß es zufolge des Fehlens
jeglicher thrombotischer oder embolischer Erscheinungen in den be¬
treffenden Kapillargebieten sich um spasmogene Ulzera handeln
mußte, legte den Gedanken eines unmittelbaren Zusammenhanges
zwischen der obengenannten hypothetischen Adrenalinämie und der
Entstehung der beiden Geschwüre nahe» Dementsprechend fühlt
sich Stephan berechtigt, hier nicht ein zufälliges Zusammentreffen,
sondern einen Kausalnexus zwischen Ulcus duodeni und Eklampsie
anzunehmen, wodurch der Fall geeignet erscheint, für die Hof-
b au ersehe Theorie in positivem Sinne gewertet zu werden.
Besprechung. Rieß er macht darauf aufmerksam, daß der
Begriff des Tonus auch heute noch ein recht unklarer ist, daß
insbesondere Kliniker und Physiologen die Bezeichnung nicht ein-
Digitized by- Google
Original from
C0RNELL UNIVERSITY
244
VEREINS. UND KONORESSBERICHTE
Nr. 7
heitlich brauchen. Eine schärfere Präzision des Begriffes ist auf
Grund neuerer experimenteller Befunde anzustreben.
Bleib treu: Die vorgetragene Hofbauersche Theorie der
Eklampsie nimmt an, daß eine Verschiebung in der Reaktion des
Blutes ein wesentliches Glied in der Kette aer Ekiampsiesymptome
sei; Frage an Stephan: ob durch diese Verschiebung der Reaktion
eine wesentliche Vermehrung der H-Ionenkonzentrationen zuverlässig
nachgewiesen sei?
Hoch ne: Schon vor 14 Jahren hat Hoehne, in der Annahme,
daß der Eklampsie ein gestörtes Gleichgewicht der Drusen mit innerer
Sekretion zugrundeliegen könne, bei gestorbenen Eklamptischen ver¬
gleichende Wägungen der Nebennieren und der Thyreoidea aus¬
geführt und dabei wiederholt ein auffallend großes Gewicht der
Nebennieren bei relativer Kleinheit der Thyreoidea festgestellt. Zu
einem bindenden Schluß hinsichtlich der Bedeutung dieser Feststellung
konnte Hoehne aber nicht kommen, weil anatomische und funktio¬
nelle Veränderungen der Schilddrüse viel zu häufig Vorkommen.
Immerhin war das Uebergewicht der Nebennieren in mehreren Fällen
von tödlich verlaufener Eklampsie sehr deutlich. Diese Feststellung
ist geeignet, die Hofbauersche Theorie zu stützen.
Pop ha 1: Zar Reflextbeorfe der Sehneophlnoaieiie. In Ueber-
einstimmung mit Westphal hat in neuerer Zeit Frank das Sehnen¬
phänomen für eine idiomuskuläre Zuckung erklärt. Während aller¬
dings Westphal den erforderlichen Musxeltonus für einen reflek¬
torischen hielt, glaubt Frank, daß der Tonus automatisch vom
Mittelhirn unterhalten würde. Die Frank sehe Theorie besagt, daß
das Sehenphänomen eine idiomuskuläre Einzelzuckung ist, ausgelöst
vom Sarkoplasma und gebunden an den tonischen Zustand des Sarko-
plasmas, welch letzterer durch paräsympathisdi-motorische Dauer-
tmpulse längs afferenter Bahnen der hinteren Wurzeln unterhalten
und gesteigert wird. Hiernach spielt die vordere Wurzel für das
Zustandekommen des Sehnenphänomens an sich keine Rolle; sie ist
schließlich nur deshalb unentbehrlich, weil die Muskelfibrille tro-
E hisch von der Vorderhirnzelle abhängig ist und 10—14 Tage nach
lurchtrennung der vorderen Wurzeln auf Reize nicht mehr anspricht,
mögen diese vom motorischen Nerv oder vom Sarkoplasma ausgehen.
Es gibt eine größere Anzahl von Tatsachen, die mit der Frank-
sehen Auffassung vereinbar sind. Hier sei nur erinnert an die doppel¬
seitigen (gekreuzten Reflexe), an die sog. echten Knochenreflexe,
an den Fall von Immermann (Poliomyelitis anterior im ersten
Stadium mit fehlenden Patellarreflexen) und an die gar nicht so
seltenen Ausnahmen von der Bastianscnen Regel (Fall von Kausch;
der Guillotinierte von Barbe). Ein weiterer Einwatid ergibt sWr
aus einem Vergleich der therapeutischen Wirkung des Atropins mit
der des Skopolamins bei der Paralysis agitans und verwandten Zu¬
ständen. Nur das Skopolamin beseitigt die Rigidität mit der Sicher¬
heit des Experiments, das Atropin, das gleichfalls parasympathisdi
lähmend wirkt, versagt gänzlich. Der Angriffspunkt des Skopolamins
ist also nicht in den hypothetischen parasympathischen Tonusfasern
zu suchen, sondern in aer Hirnrinde. Auch die Latenzzeit spricht
nach den neuesten Untersuchungen von P. Hoffmann und Schäffer
nicht gegen, sondern für die Reflexnatur. Wichtiger noch erscheint,
daß nach experimenteller Unterbrechung des zweiten motorischen
Neurons (isolierte Durchschneidung der vorderen Wurzeln; Kurare-
sierung) die Sehenreflexe sofort prompt verschwinden. Schließlich
ist cs sehr fraglich, ob es angängig ist, Fibrillen- und Sarkoplasma-
aktion zu trennen. Funktioniert der Muskel nicht immer als einheit¬
liches Ganzes, ja, ist das Sarkoplasma überhaupt in ausreichender
Menge vorhanden, um solche Wirkungen hervorzubringen, wie sie
ihm neuerdings zugeschrieben werden? (Erscheint ausführlich in der
D. Zschr. f. Nervhlk..)
Bochum, Medizinische Gesellschaft, 30. XI. 1921.
Offizielle« Protokoll.
Vorsitzender: v. Brunn. Schriftführer: Tegeler.
Böhme: Llnsenkernerkranknngen. Böhme stellt eine Reihe ver¬
schiedenartiger Krankheitsbilder vor, die auf Erkrankungen des Stria¬
tums und der zu diesem gehörigen Bahneu, also des extrapyramidalen
motorischen Systems, beruhen. — 1. Athetosis duplex: Mann
mittleren Alters. Bei völliger psychischer und körperlicher Ruhe
annähernd normale Haltung. Bei jeder willkürlichen Bewegung stärkste
Mitbewegungen von athetotischem Charakter fast im ganzen Körper,
die diesem die abnormsten Stellungen geben und die Ausführung der
bezweckten Bewegung sehr erschweren. Auch die Sprache durch
athetotischc Mitbewegungen der Gesichts- und Zungenmuskulatur
sehr erschwert. Intelligenz, Reflexe, Sensibilität normal. Starke Rigi¬
dität der gesamten Muskulatur. Der Kranke sitzt dauernd im R<3l-
stuhl. Leiden besteht seit Geburt — 2 Paralysis agitans sine
agitatione: 68jährige Frau. Liegt seit Monaten fast ganz be¬
wegungslos mit starrem Gesichtsausdruck im Bett Sehr starke Rigi¬
dität in allen Muskelgebi$ten. Nacken, Rumpf, Beine fast ganz un¬
beweglich. Arme können mit Mühe ein wenig gebeugt und gestreckt
werden. Gesichtsmuskulatur kann willkürlich bewegt werden, wenn
auch langsam. Achillesreflexe fehlen, sonst Reflexe normal. Zeit¬
weise leichter feinschlägiger Tremor der Lippen. — Neben der
Rigidität fällt hier die Bewegungsarmut der noch gebrauchsfähigen
Muskeln und die Langsamkeit der Bewegungen auf. — 3. Pseudo¬
sklerose: 35jährige Frau. Ebenfalls seit Monaten regungslos mit
starrem Gesicht im Bett. Auf Aufforderung vermag sie die meisten
gröberen Bewegungen richtig und mit guter Kraft, aber langsam, aus¬
zuführen. Ausgesprochene Rigidität aller Muskeln. Adiadochokinese.
Zeitweise grobes Zittern der Arme, mitunter des ganzen Körpers,
Speichelfluß, Zwangsweinen. Intelligenz normal. — Hier steht neben
der Rigidität die Bewegungsarmut im Vordergrund. — 4._Pseudo-
bulbärparalyse: 45jähriger Mann. Zunehmende Erschwerung des
Kauens, Schluckens, Sprechens bei guter Kraft der entsprechenden
Muskeln. Speichelfluß, Zwangsweinen. Starres Gesicht, steife "Hal¬
tung, Rigidität des Nackens und der Arme. Zeitweise Intentions-
tremor und Zuckungen der Gesichtsmuskulatur. Sehnenreflexe ge¬
steigert. Babinski negativ. — Auch hier neben der Rigidität deutlidie
Bewegungsarmut. — Alle 4 Fälle, so verschieden sie sind, haben als
Kennzeichen ihrer Zugehörigkeit zum striären Symptomenkomplex
eine ausgesprochene Rigidität der Muskeln gemeinsam, bei der —
im Gegensatz zur Pyramidenbahnstörung — Agonisten und Antago¬
nisten in gleicher weise befallen sind, und eine starke Verlang¬
samung der Bewegungen bei im wesentlichen normalem Verhalten
der Reflexe. 2—4 zeichnen sich durch ihre Bewegungsarmut aus,
1 ist eine ausgesprochen hyperkinetische Form der striären Erkrankung.
Besprechung. Wefnberg stellt einen Fall von striärem
Symptomenkomplex vor, der den als Wilsonsche Krankheit be¬
schriebenen Fällen sehr ähnelt. 15jähriger Knabe, früher gesund, vor
iy* Jahren Encephalitis lethargica. Kopf in Zwangshaltung nach links
gedreht, blöder Gesichtsausdruck, Grinsen, Zuckungen im Fazialis-
gebiet. Psychisch keine Ausfallserscheinungen. Geringe Rigidität der
Muskulatur. Reflexe und Sensibilität normal. Mit den Händen können
alle Bewegungen richtig ausgeführt werden; fortgesetzte Bewegungen
werden aber bald unterbrochen und erst nach einem neuen Impuls
wieder ausgeführt. Da die Krankheit wohl nicht die beiden Corpora
striata gleichmäßig befallen hat, ist vielleicht von einer Uebungs-
behandlung, wie bei Himverietzten, ein gewisser Erfolg zu erwarten.
Reichmann betont, daß das Corpus Striatum entwicklungs¬
geschichtlich kein einheitliches Gebilde darstellt. Der striäre Sym¬
ptomenkomplex ist nur gebunden an Veränderungen des Nucleus cau-
datus und des Putamens. Der Globus pallidus unterscheidet sich
makroskopisch und erst recht mikroskopisch sehr wesentlich von
diesen Teilen des Corpus Striatum.
Schloeßmann: Zar Behandlung der Basedowschen Krankheit«
Befürwortet wird eine grundsätzliche Scheidung der Fälle mit der
klassischen Symptomentrias von allen denen, die man als sog.
Formes frustes und Hyperthyreoidismen zu bezeichnen pflegt, weil
die letzteren nur zum Teil Vorstufen und Uebergänge zum echten
Basedow darstellen, zum Teil auf dem Boden primärer Neurosen
erwachsen sind. Die Basedowbehandlung kann mit internen und
chirurgischer. Methoden durchgeführt werden. Unerläßliche Grundlage
für beide sind allgemeine Ruhekuren mit diätetisch-klimatischen Ma߬
nahmen. Hauptangriffspunkt ist daneben die Schilddrüse. Mit Anti-
thyreoidin sind Besserungen sichergestellt, Heilungen nicht, auch
Besserungen scheinbar nur so lauge, als die Medikation durchgeführt
wurde. Auch die Röntgenbehandlung hat enttäuscht Neben
Besserungen und unsicheren Heilungen akute Verschlimmerungen.
Zudem sind die der Bestrahlung nachfolgenden Kropfverwachsungen
die schlechteste Vorbereitung für die später doch notwendig werdende
Operation. Vorbehalten für innere Behandlung bleiben alle Formes
frustes mit nervöser oder gar neurasthenischer Beimischung, sodann
die seltenen Fälle von ganz akut und mit schwersten Erscheinungen
losbrechendem Basedow. Sie müssen mit allen internen Hilfsmitteln
gestützt werden, bis das schwere, meist kürzere Anfangsstadium über¬
wunden ist und sie operationsfähig geworden sind. Die chirur-
ische Behandlung strebt eine möglichst weitgehende Entfernung
er Schilddrüse an. Besserung nach Operation setzt meist schon
nach 2—3 Tagen ein. Bester Wertmesser ist das Absinken der
Pulszahl. Auffallend ist die oft rasche Umstimmung des köiper-
lichen und psychischen Allgemeinzustandes. Sorgfältige Statistiken
haben gezeigt, daß in etwa 80 o/o Heilungen erzielt werden. Dauer-
heihingen sind bis zu 29 Jahren (Rehn) beschrieben. Rückfälle nach
unzureichender Schilddrüsenverkleinerung konnten häufig durch Nach-
Operation behoben werden. Belastend sind die Fälle von akutem,
postoperativem Basedowtod (5%). Ursache noch ungeklärt, wahr¬
scheinlich Zusammenwirkung von physischem und psychischem Opera-
tionsshok. Vorkommen ausschließlich bei schweren, weit fortgeschrit¬
tenen Krankheitsfällen. Thymusentfernung ist in letzter Zeit
in zunehmendem Maße wieder verlassen worden. Schloeßmann
vertritt den Standpunkt der unbedingten F?ühoperation bei richtig
gestellter Diagnose innerhalb der ersten 6 Monate. Die Frühoperation
allein bewahrt den Kranken vor langer Krankheitsdauer und den
schweren, nicht mehr gutzumachenden Herzschädigungen, macht außer¬
dem den Eingriff gefahrlos und erfolgsicher.
Besprechung, v. Brunn warnt davor, die Formes frustes
grundsätzlich von der Operation auszuschließen, weil es sich dabei
nicht selten um Anfangsstadien von echtem Basedow handelt und
die Gefahr besteht, daß der günstigste Zeitpunkt für die Operation
verpaßt wird.
Bayer weist auf Grund von Erfahrungen, die er als Assistent
der Oarr-isehen Klinik gemacht hat, auf die nicht zu unterschätzende
Bedeutung des Thymus hin. Viele Basedowfälle sind als einfache
Hyperthyreosis nicht zu erklären. Primäre Entfernung eines ver¬
größerten Thymus hat in manchen Fällen zu schlagartiger Besserung,
wenn nicht Heilung geführt. Demgegenüber haben verkleinernde
Eingriffe an der Schilddrüse zuweilen Verschlimmerung erzeugt. E 9
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
16. Februar 1922
VEREINS- UND KONORESSBERICHTE
24S
muß also beim Basedow noch ein anderes, mit der Schilddrüse in enger
Beziehung stehendes Organ beteiligt sein. Da durch Eingriffe an
der Schilddrüse verschlimmerte Fälle nachträglich durch Thymus-
entfemung gebessert wurden, so ist wahrscheinlich der Thymus
dieses Organ. Auch die charakteristische Aenderung des Blutbildes
führt Bayer auf den Thymus zurück.
Barden heu er hat während des Krieges kaum einen Fall von
Basedow beobachtet und schiebt dies auf die eiweißarme Nahrung,
ln der Behandlung müssen zuerst die internen Maßnahmen erschöpft
sein. Tritt keine Besserung ein, so gehört der Fall dem Chirurgen.
Namentlich bei jüngeren Patienten sind die Erfolge der Operation
gute.
Schloeßmann: Bei der Behandlung unvollkommener und un¬
sicherer Basedowfälle ist stets zuerst ein Versuch mit internen Ma߬
nahmen zu empfehlen. Führen diese nicht nach einigen Wochen
zu deutlicher Besserung, kommt die Operation immer noch zurecht.
Sympathikusoperationen bei Basedow dürften kaum noch größere Zu¬
kunft haben, nachdem sie von den meisten und bedeutendsten Kropf¬
operateuren versucht und als gefährlich und erfolgunsicher wieder
verworfen worden sind. #
München, Aerztlicher Verein, II. 1.1922.
Jansen: Koocbeoerkrankungen bei Tabes dorsalis, mit Kranken¬
vorstellungen. 4 Fälle von Osteo-Arthropathie schwerster Art; bei
zweien davon waren die Knochenerkrankungen das erste objektive
Symptom der Tabes. Aetiologisch: Störung im Zellchemismus der
Osteoblasten und primäre zentrale Innervationsstörungen, sekundär
durch Hyp- und Analgesie mangelnder Gelenkschutz und falsche
Statik.
v. Hattingberg: Bericht ober die Tätigkeit des Ausschusses
zum Stadium sogenannter okkulter Phänomene. Die Materialisation
Phänomene von Sehrenk-Notzing wurden negativ begutachtet,
die Versuche Tischners mit dem Medium Hattingbergs, be¬
sonders auf Grund von 26 Versuchen Prof. Grubers (vom Poly¬
technikum) — dieser He^r hatte seinerzeit hauptsächlich den spre¬
chenden Hund Rolf begutachtet —, ergaben nach Grubers
Bericht über die Hälfte positive Resultate. Ein abschließen¬
des Gutachten wurde über diesen Fall von der Kommission nicht
fcrtiggestellt; das Medium Hattingbergs ist seit längerem schwer
erkrankt. Auf Veranlassung der Vorstandschaft des Vereins wurde
der Ausschuß als ein solcher des Aerztlicheu Vereins nicht mehr
weiter approbiert, da die Vorstandschaft und der Verein nicht in der
Lage sei, ohne ständige Mitarbeit eines Vorstandsmitgliedes die Ar¬
beit des Ausschusses gegenzuzeichnen. Dabei waren innerhalb des
Ausschusses Verstimmungen und Austritte erfolgt.
Besprechung zum Vortrage von Crämer und Krecke über
Ulcos vcntricoli. (Vgl. Nr. 1 S. 48.)
Oberndorffer: Weder Hyperazidität, noch Trauma oder thermi¬
sche Einflüsse sind ursächlich von Bedeutung. Hauptursache wohl Zir¬
kulationsstörungen im Pfortaderkreislauf, venöse Stasen, hämorrhagische
Infarkte, Nekroseulkus. Die Ulzera sind nicht wie mit dem Loch¬
eisen gestanzt, sondern sie und die Tiefenausdehnmig bilden sich
im Sinne eines gegen die Kardia mit der Spitze gerichteten gespitzten
Zylinders, wobei der der Kardia zunächst gelegene Rand allmählich
durch den von der Kardia zum Pylorus ziehenden Speisestrom über¬
hängend wird. In der darunter gebildeten Bucht werden Bakterien
(Bact. coli?) festgehalten, welche zum größten Teil die Heilung des
Geschwüres verhindern. Gleichzeitig wirkt (wie die pathologisch¬
histologischen Untersuchungen Oberndorffers ergaben) der vom
Grund der Muskularis zum Geschwürsgrund schräg nach innen oben
tätige Muskelfaserzug bei Kontraktionen der Muskularis distrahierend
auf den Geschwürsgrund und zerreißt dadurch stets das Granulations-
gewebe im Geschwürsgrund. — Ulzera und Karzinome haben ver¬
schiedene Genese. Ein Ulkus disponiert nicht zu Karzinom.
PIöger spricht über Gastroenterostomie und Resektion und über
die verschiedenen Operationsmethoden der letzteren (Billroth,
Schmieden). Er faßt zusammen: Bei Ulcus simplex Gastroenter¬
ostomie, bei Ulcus callosum oder penetrans Resektion.
Perutz: Vagusreiz spielt als ätiologisches Moment sicher eine
Rolle: daher die gute Wirkung des Atropins. Auch vom Oel hat er
gute therapeutische Erfolge gesehen. Er teilt die Operationserfolge
Bei seinen Patienten mit, die nicht alle sehr günstig sind.
Gilmer: Unter 167 operierten Fällen 5 Todesfälle = 3<>/o. Er
ist dazu gekommen, die Geschwüre zu exzidieren und die Ränder
dann mit Deckung lege artis zu schlicrßen. Gute Heil- und Funktions-
erfolge.
Neubauer empfiehlt als bestes diagnostisches und Beobach¬
tungsmittel die Gastroskopie, die von seinen Patienten in 100 Fällen
gut und gerne ertragen wurde und höchst befriedigende Resultate
ergab.
A. Schmitt glaubt auf Grund merkwürdiger Erfahrungen mit
11 Patientinnen aus einem Dorf der starken Mageuektasie auch einen
(traumatisch) stark wirkenden Einfluß auf das Entstehen des Ulkus
zoschreiben zu müssen. v Hoeflmayr.
Wien, Medizinische Gesellschaften* fernher 1921.
Gesellschaft der Aerzte. (3. XII.) S- £f* rT nann demonstriert
einen Kranken aus Ismailia in Bessarabien ni'f Lepra tubernsa, an
welchem er!die Deykesche Kur angewendet hat. Sie besteht aus
Injektionen des aus einer Streptotricheenart gewonnenen kristallisier¬
baren Fettes^in verschiedenen Konzentrationen, in Benzoylchlorid gelöst.
A. Thieme zeigt Uvachrombilder verschiedener Dermatosen in
Farbendruck "welche sich durch eine außerordentliche Farben- und
Formentreuc auszeichnen.
M. Hayek führt ein Mädchen mit Dekanulement nach Tracheo¬
tomie vor, bei welchem es nach 9 Jahren durch Kontraktion der
Mm. sternocleidomastoidei und der Mm. sternohyoidei spontan zum Ven¬
tilverschluß kam.
A. Frisch und A. Schüller berichten über tnberkulftsen Kopf¬
schmerz, welcher unter dem Bilde einer Meningitis tuberculosa discreta
verläuft und dessen wichtigsten Symptome die Kopfschmerzen und
die intrakranielle Drucksteigerung darstellen. Eine Pflegerin, welche
bei den Tuberkulinkuren w assistierte, hatte an den Nachmittagen der
Tage, an deren Vormittagen Injektionskuren vorgenommen worden
waren, Temperaturen bis 39°, sonst kein Fieber. Therapeutisch werden
Lumbalpunktion und Tuberkulin in großen Dosen angewendet.
W. Stekel spricht über Irrtümer, Gefahren und Grenzen der
Psychoanalyse. Indem er seine Bedenken gegen die lange Dauer
psychoanalytischer Kuren äußert, hält er es nicht für notwendig, bis
zum infantilen Trauma vorzudringen, und weist auf die Gefahren der
wilden Psychoanalyse hin.
(9. XII.) K. Fleisch mann demonstriert eine 35 jährige Frau, an
welcher er wegen vasomotorischer Störungen, Amenorrhoe und Kinder¬
losigkeit eine Ovarientransplaotatlon vornahm. Die Ovarien, weiche¬
in den M. obliquus ext. eingepflanzt wurden, stammten von einer-
gleichzeitig wegen Myom operierten anderen Frau.
Bei der Aussprache hält W. Weibel die Autoplastik für besser
als die Homoioplastik; W. Latzko gibt dem Einpflanzen der Ovarien
in die Muskeln den Vorzug vor dem einfachen Versenken in die
Bauchhöhle.
F. Demmer bespricht einen Fall von Atresia ilei bei einem* neu¬
geborenen Knaben 15 cm oberhalb des Zökums; das ovale Ende war
bimförmig mächtig ausgedehnt, das anale Ende federkieldünn, kontra¬
hiert und hing wie ein Appendix mit einem kleinen Mesenterioluni
in das kleine Becken. Laparotomie, Heilung.
(16. XII.) F. Hutter demonstriert eine Frau mit Arthritis der
Arliculatlo cricoarytaenoldea, welche zuerst unter Fiebererscheinungen
und Erschwerung der Bewegungen der oberen Gliedmaßen und des
Kniegelenkes erkrankte und 24 Tage später Heiserkeit und Schling¬
beschwerden bekam. Außer Atemnot bestand noch Oedem und
Rötung der rechten Aryknorpelgegend. Auf Aspirin gingen die Be¬
schwerden zurück.
R. Lederer spricht über Hypogalaktie und unterscheidet eine
primäre und sekundäre, quantitative und Qualitative, konstitutionelle
und konditionelle. Die qualitative Hypogalaktie wurde bisher ange¬
nommen, doch nie mit Sicherheit nachgewiesen. Lederer hat durch
Milchanalysen festgestellt, daß im Vergleich zur normalen Frauenmilch
der Gehalt an Fett, Eiweiß und Zucker vermindert ist; die Differenz
betrug etwas mehr als 100 Kalorien; Butterzusatz zur Frauenmilch
erhöht den Nährwert.
A. Kneucker spricht über Anästhesie bei Zahoextraktiooen und
empfiehlt 4°/ 0 ige Lösungen von Novokain-Adrenalin.
Gesellschaft für Innere Medizin und Kinderheilkunde.
B. Aschner demonstriert einen 63jährigen Mann mit einem Kleiohirn-
svndrom bei arteriellem Hochdruck, welcher 5 Wochen nach einer
Neuroretinitis albuminurica plötzlich mit Svmptomen einer Läsion des
Kleinhirnwurms erkrankte, wie Fallen nach hinten und links beim Gehen,
Adiadochokinese des linken Arms, Nystagmus beim Blick zur S^ite.
Atonie beider Hände, hochgradige Uebcrerregbarkeit auf kalorische
und Drehreize des Vestibularapparates. Diese Symptome begannen
schon im Laufe der nächsten Tage sich zurückzubilden, am längsten
blieb die zerebellare Ataxie; als Grund dafür nimmt Aschner einen
spastischen Gefäßverschluß im Bereiche des Kleinhirnwurms an.
O. Teuschert zeigt einen Zwerg mit Naaosomie und einem Drei-
ostienvitium.
O. Weltmann und O. Teuschert besprechen das Ergebnis ihrer
Untersuchungen über die Taresschwaokungen im Urobilingehalt des
Harnes bei Gesunden und Kranken.
H. Moro zeigt zwei Geschwister mit familiärer Splenomegalie,
Lebervergrößerung und mächtigem Milztumor.
E. Helm reich demonstriert qjn neugeborenes Kind mit Hemi-
mikrosomle.
H. Leonhartsberger demonstriert eine 22jährige Patientin mit
einem Dermoid des vorderen Mediastinums, bei welcher die Herz¬
dämpfung etwa drei Querfinger die Norm überragt und bogenförmig
den Herzleberwinkel ausfüllt; sie war auch druckempfindlich. Röntgen¬
ologisch erschien sie als ein rundliches, gänseeigroßes Gebilde, welches
den Phrenikokardialwinkel ausfüllte. Vor drei Jahren wurde sie wegen
eines^Dermoids der Steißbeingegend operiert.
Digitized by Gck sie
• Original from
CORNELL UNIVERSITY
246
VEREINS- UND KONQRESSBERICHTE
R. Neurath zeigt ein 6\ 2 jähriges Kind mit Arthritis heredosyphili-
tici beider Kniegelenke, welche vor 4 Wochen mit Schwellungen akut
begannen.
Leiner und Kundratitz berichten über ihre Versuche der intra¬
kutanen Knhpockenimpfonjr, welche sie besonders für Hautkranke und
bei Impflingen empfehlen, deren Geschwister an Hautkrankheiten leiden.
Die Impfung führen sie mit der Spritze aus, indem sie die Nadel recht
weit in die Haut, mindestens 1 cm, einstechen und die sehr wasser¬
verdünnte Lymphe einspritzen.
O. Loewy demonstriert einen Knaben mit Elephantiasis des
rechten Beines, welche sich nach einer lang dauernden Furunkulose in
der dritten Lebenswoche entwickelte.
Wiener Unlogische Gesellschaft. Th. Schwarzwald spricht
über Projektile der Blase, welche eine ziemlich seltene Kriegsverletzung
darstellen, indem sie */* # /o ausmachen. Er selbst beobachtete unter
13 Blasenschüssen 4 Steckschüsse.
L Kraul demonstriert einen Fall von kompletter Ureterkrenzung
bei einer 23jährigen Patientin, die seit einem Jahre an Schmerzen im
linken Hypochondrium leidet, welche in die Schulter und in das Bein
ausstrahlen; in der linken Mittelbandgegend besteht ein mannsfaust¬
großer Tumor, zystoskopisch fand sich eine Aplasie der rechten Ureter¬
mündung. Nach Nephrektomie wird aus dem Tumor ein Liter Flüssig¬
keit entleert und er selbst nach Ablösung des Zökums entfernt.
Durch die normale Funktion der linken Uretermündung nach Entfernung
der rechten Niere ist die Kreuzung der Ureteren bewiesen.
Freie Vereinigung für Orthopädie. Spitzy hält einen Vor¬
trag über die Qrenzffllle der Toberkulosediagaostik, vvDbei er auf die
Schwierigkeiten der Diagnosenstellung aufmerksam macht und als
Belege 13 Fälle seiner Praxis anführt; oft können wesensverschiedene*
Einflüsse bakteriologischer, konstitutioneller und traumatischer Art
klinisch gleichartige Krankheitsbilder erzeugen, deren Trennung erst
nach Anwendung biologischer Methoden unter Zuhilfenahme alles
klinischen Rüstzeuges möglich ist. In einem Falle wurde juvenile
Arthritis mit tuberkulöser Koxitis verwechselt; in einem andern handelte
es sich um einen pyämischen Prozeß, in einem dritten um eine Spondyl¬
arthritis ankylopoetica mit deutlicher Spangenbildung. In 2 Fällen,
welche als tuberkulöse Gonitis eingeliefert wurden, handelte es
sich teils um einen rheumatischen, teils um einen gonorrhoischen
Prozeß.
Oesterreichiache Gesellschaft für experimentelle Phon¬
etik. A. Kr ei dl hält einen Vortrag über Tos- und Qerlsschloksli-
satlon.
Wiener Laryngo-rhlnologlsche Gesellschaft. Menzel
demonstriert einen 52jährigen Mann mit abnormen, durch eine retro¬
sternale Strangs hervorgerufenen Stauungserscheinungen, welche vor¬
züglich durch eine Kompression der Vena cava inf. hervorgerufen wurden.
' Hovorka.
Prag, Verein deutscher Aerzte, 2., 9. und 16. XII. 1921.
(2. XII.) Elschnig: Typische angeborene Mißbildung der Lidspalte
(eigenartiger Epikanthus mit vollständiger Ptosis, Schrägstellung der Lid¬
spalte usw.) durch Kanthoplastik und Motaischer Operation korrigiert,
r. Win ternitz: Grawitz-Tumoren. a) 63jähriger Mann mit manns¬
faustgroßem, lipoidreichem, stark durchblutetem Grawitz-Tumor der
rechten Niere. Einerseits in das Nierenbecken eingebrochen, anderseits
die ganze Vena renalis, und die Vena cava inf. von der Eintrittsstelle
der Vena renalis bis in den rechten Vorhof mit mächtigen Granula-
tionsmassen durchsetzend, gleichzeitig auch die Vena renalis sin.
und einige Venae hepaticae. Oedem der oberen, aber auch der
unteren Körperhälfte, was dadurch bedingt war, daß die Geschwulst¬
massen, über die Mündung der Vena cava sup. in den Vorhof hinein¬
ragend, auch die Einflußbahn der Vena cava inf. beeinflußten,
b) Zystischer Grawitz-Tumor bei 69jähriger Frau mit dem Befund einer
E emiziösen Anämie. Ohne Einbruch in die Venen Metastasen in die
ungen usw. Bestehen beider Prozesse nebeneinander.
Weiser: Mechanismus der Herzerweiterung. Das Herz verfügt
im Augenblicke des Bedarfes nicht über das gesamte Ausmaß seiner
(akkomodativen) Erweiterungsfähigkeit. In manchen Fällen ist sie
im Augenblicke des Bedarfes klinisch überhaupt nicht nachweisbar, in
anderen ermöglichen erst besondere Umstande eine ausgiebige Er¬
weiterung. Von diesem zur Verfügung stehenden Ausmaße an Er¬
weiterungsfähigkeit hängt die Möglichkeit der Kompensation einer
absoluten und relativen Herzschwäche ab. Nur der jeweilig vor¬
handenen Muskelkraft und nicht der Herzgröße kommt ein bestimmter
Einfluß auf die Art der Blutverteilung zu. Neben der absoluten, durch
die individuelle Eigentümlichkeit ^les Herzmuskels bedingten Dehn¬
barkeit muß zwecks Verständnis der Erscheinungen am Krankenbette
noch eine relative Dehnbarkeit angenommen werden. Je langsamer
die Herzkraft sinkt, desto leichter Kommt es zu einer kompensieren¬
den maximalen Dilatation ohne Stauungserscheinungen, während bei
rascher Abnahme bald früher, bald später, manchmal noch im Bereiche
des Normalen die Orenze der Dehnungsfähigkeit erreicht wird, wo¬
Nr. 7
durch das Auftreten von Stauungen begünstigt wird. Bei Besprechung
des Tonus des Herzmuskels im Zusammenhänge mit den erwähnten
Erscheinungen wird auf die Schwierigkeiten für den Kliniker hin¬
gewiesen, zwischen Tonus, einem vermehrten Kontraktionsrückstand
und physikalisch-chemisch bedingten Herzmuskelveränderungen zu
unterscheiden.
(9.XII.) Jaksch-Wartenhorst: Chorea hereditariaHuntington and
Chorea postgripposa. (Demonstration.) Der erste Fall betrifft eine 39jährige
Frau, die bereits 4 Jahre an den typischen motorischen Störungen
leidet und deren Stammbaum zeigt, daß derartige Erkrankungen be¬
reits in der 3. Generation aufgetreten sind und daß sich diese auch
schon in der 4. bei der Tochter der Patientin zeigen. In der Familie
der Kranken, die psychisch alteriert erscheint, sind psychische Er¬
krankungen nicht zu konstatieren. Er will in diesem Falle den Ver¬
such einer Applikation mit artfremdem Serum machen, sei es in Form
von subkutanen oder intravenösen Injektionen. Die Berechtigung
hierzu findet er in dem günstigen Verlaufe eines Falles von Chorea
postgripposa, bei dem nach vergeblicher Anwendung aller möglichen
Behandlungsmethoden anscheinend nach subkutaner Injektion von
100 Gramm Grippeserum Heilung auftrat. Möglicherweise war es das
artfremde und nicht das Grippeserum selbst, das dieses Resultat
brachte.
H. H. Schmidt: Retroperltonealgeschwülste. Im Anschluß an
den Beridit über 2 von ihm operierte Fälle bespricht Schmidt die
oft wenig deutlichen Symptome dieser Erkrankung, die meist schwie¬
rige Diagnose, die Differentialdiagnose gegen andere Tumoren des
weiblichen Genitales. Bei bloßem Verdachte eines retroperitonealen
Tumors ist unbedingt die Probelaparotomie angezeigt. Die Operation
selbst ist mitunter sehr schwierig und gefährlich. Unter 46 Opera¬
tionen aus den letzten Jahren 6 Todesfälle. Nur durch frühzeitige
Operation läßt sich die Prognose bessern.
Schubert: Echte leukämische Tumoren der Haut. (Demonstration.)
Tumoren der Gesichtshaut und der Haut der Ohren, alle Lymph-
drüsen des Körpers stark indolent vergrößert, gegen die Haut und
gegeneinander leicht verschieblich. 4 500 000 rote und 12 000 weiße
Blutkörperchen, darunter 78,8o/o Lymphozyten und 18,8°/o Leukozyten,
also ein subleukämischer Befund. Röntgenbehandlung.
Chon: Altersbestimmung der Kindertuberkulose. Kind mit kon¬
genitaler Syphilis, von der Mutter mit Tuberkulose infiziert, starb
am Ende der 17. Lebenswoche an allgemeiner Miliartuberkulose. Neben
dem Befunde dieser fand sich bei der Sektion ein primärer käsiger
Herd im rechten Lungenunterlappen mit käsiger Lymphadenitis der
regionären bronchopulmonalen, unteren und oberen tracheobronchi-
alen, sowie paratrachealen Lymphknoten links. Bei dem Kinde, das
in der 10. Leoenswoche zu husten begonnen hat, war in der 13. Woche
die intradermale Tuberkulinreaktion noch negativ und wurde erst in
der 15. positiv. Der tuberkulöse Prozeß war demnach ein aerogeh
erworbener und hatte ein Alter von 4—5 Wochen, höchstens von
7 Wochen.
Starkenstein: Pharmakologische Beeinflussung der Plfissigkeits-
abgabe. ln früheren Untersuchungen konnte gezeigt werden, daß
Atophan gewisse Formen der Diurese steigert, ohne selbst auf die
normale Harnsekretion Einfluß zu nehmen. Nach Besprechung der
normalen Verhältnisse der Wasseraufnahme und Wasserausscheidung
bei Rücksichtnahme auf die Wechselbeziehungen zwischen renaler
und extrarenalor Wasserabgabe und ihre Beeinflußbarkeit, stellt er fest,
daß sich als Grundlage für eine klinische Verwendbarkeit seiner Ver¬
suche ergab, daß Atophan nicht an und für sich im Körper deponiertes
Wasser zur vermehrten Ausscheidung bringt, sondern nur solches, das
der Niere zur Disposition gestellt wird. Diese Vorbedingung ist bei
jeder Hydrämie gegeben (intravenöse Flüssigkeitszufuhr), aber auch
dann, wenn durch ein Diuretikum (Xanthinderivate) mehr Wasser
als in der Norm der Niere zugeführt wird. In diesem Falle steigert
das Atophan die Wirkung des Diuretikums, dessen Wahl vom jewei¬
ligen pathologischen Zustande abhängig ist. Der Angriffspunkt des
Atophans, der in der Niere liegt, durfte durch die Lähmung einer
Hemmung (Sympathikus?) bedingt sein, während die eigentlichen
Diuretika extrarenal angreifen.
Pfibram: Klinische Beobachtungen über die Einwirkung des
Atophans auf die durch die Diuretika bedingte Harnausscheidung. £s
werden Kurven demonstriert, welche zeigen, daß die durch ent¬
sprechende Diuretika (Digitalis mit Koffein bei inkompensierten Vitien,
Theobromin und Kalium aceticum bei Nephropathien) bedingte Diu¬
rese nach Atophanverab&ichung unter Umständen einer wesentlichen
Steigerung fähig ist.
(16. XII.) Benda berichtet über einen Fall von Dermoldsyate.
Wodak und M. H. Fi sch fr: Eine neue bei Vestibularfsreizung
auftretende Reaktion. Sie bezeichnen sie als Armtonusreaktion. Sie
besteht in einer Aenderung der subjektiven Schwerempfindung, bei
der die eine Körperhälfte schwerer empfunden wird als die andere.
Wenn in dieser Phase beide Arme vor sich hingehalten werden, so
tritt eine Differenz in der Höhe auf, indem die subjektiv schwerere
tiefer sinkt als die andere. Dieses Phänomen dauert Vi bis V% Stunde
und zeigt, je nach der Reizung, rascheren oder langsameren Umschlag.
Lucksch demonstriert Zelleinschlüsse bei Encephalitis epidemica,
die den von loest bei der Bemaschen Krankheit der Pferde gefun¬
denen sehr ähnlich sehen. , O. Wi eh e r.
Verantwortlicher Redakteur: I. V. Ober-Reg.-Med.-Rat Dr. O. Strauß. — Druck von Oscar Brandstetter in Leipzig.
Digitized by
Go gle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
Deutsche Medizinische WochenscA/vÄ
HERAUSQEBER:
Geh. San.-Rat Prof. Dr. Schwalbe
Berlin-Charlottenburg, Schlüterstraße 53
Begründet von Dr. Paul Börner
VERLAO;
GEORG THIEME/ LEIPZIG
Antonstraße 15
Nummer 8
Donnerstag f den 23. Februar 1922
48. Jahrgang
Aus der Serodiagnostischen Abteilung (Prof. H. Dold) des Instituts
für experimentelle Therapie „Emil v. Behring" in Marburg a. L.
(Direktor: Geh.-Rat Uhlenhuth.)
Eine weitere Vereinfachung meiner Trübungs-
Flockungsreaktion (Trübungs-Flockungsreaktion
mit Formolkontrolle).
Von H. Dold.
ln einer früheren Arbeit (Med. Kl. 1921 Nr. 31) habe ich eine
vereinfachte Syphilisreaktion beschrieben, welche eine makrosko¬
pische Frühablesung als Trübung (die von mir sogenannte
„Trübungsreaktion) und ohne weiteres auch noch eine Spät¬
ablesung als Flockung (im Agglutinoskop oder Seroskop) ge¬
stattet. Das Verfahren ist kurz folgemies:
Extrakte: Als Extrakte kommen zur Verwendung alkoholische
Org^nextrakte 1 ), die nach dem Voigang von H. Sachs in geeigneter
Weise, und zwar speziell auch Tür die Trübungsreaktion
cholesteriniert und eingestellt sind.
Extraktverdünnung: Zu 1 Teil Extrakt läßt man in einem
geeigneten Kölbchen 10 Teile neutraler physiologischer Kochsalz¬
lösung aus einer Pipette unter Hin- und Herschwenken des Kölbchens
rasch zufließen, und zwar möglichst in einer Portion. — Fehlen
geeignete Pipetten, so messe man die nötige Menge Kochsalzlösung
m irgendein Gefäß, sauge die Kochsalzlösung in irgendeine genügend
große Vollpipette auf, führe die Spitze der Pipette iri den Hals des
Kölbchens ein und lasse, indem man Kölbchen und Pipette mit einer
(der Unken) Hand hält und schüttelt, den Inhalt der Pipette spontan
auslaufen. Den etwa verbliebenen Rest Kochsalzlösung kann man
direkt nachgießen. — Die fertige Extraktverdünnung soll opales¬
zent, aber nicht stärker getrübt sein.
Versuch: Zu 0,4 ccm *)■ des Va Stunde auf 55 0 C erhitzten
Patientenserums werden genau 2,0 ccm des — wie oben beschrieben —
Vti verdünnten Extraktes direkt zugemischt, worauf das Röhrchen
etwas durchgeschüttelt wird.
Kontrollen: a) Extraktkontrolle (0,4ccm physiologische Koch¬
salzlösung -j- 2 ccm der Extraktverdünnung), b) Serumkontrolle (0,4 ccm
des inaktivierten Patientenserums -4- 2,0 ccm -einer l f n mit physio¬
logischer Kochsalzlösung hergestellten Verdünnung von 96<>/oigem
Alkohol).
Ausführung der Reaktion: Die klaren, mögUchst gleichkalibri-
gen Röhrchen werden einreihig, nebeneinander, wie in der
Zeichnung (Fig. 1) angegeben, aufgestellt.
Fig. l.
Trübungs-Flockungsreaktion mit Extrakt- und Serumkontrolle.
Pos. Ser. Kontr.
Ser.
ZU untersuchende Proben
7
10
(ß) usw.
Extr.
Kontr.
Ser.
Kontr.
Vers.
, ocr.
I Kontr.
Vers.
Vers.
Ser.
Kontr.
. Ser. Ser.
| Kontr. Kontr.
Vers. Vers.
In Röhrchen 1 kommt 0,4 ccm physiol. Kochsalzlösung
Io Röhrchen 2 u. 3 kommen je 0,4 ccm einer positiven Serumkontrolle
ln Röhrchen 5 u. 6 kommen Je 0^4 ccm einer negativen Serumkontrolle
In Röhrchen 8 u. 9; 11 u. 12 usw. kommen je 0,4 ccm der zu untersuchenden Serumproben.
Hierauf fügt man zu Röhrchen 1 (Extraktkontrolle) und zu den
Versuchsröhrchen 2, 5, 8, 11, 14 usw. je 2 ccm der Extraktverdünnung;
*) DieHerkunft der Extrakte (obRinderherz-, Menschenherz-, Luesleberextrakt usw.)
ist vön geringerer Bedeutung als die geeignete Cholesterinierung. Man kann,
wie das ja schon Sachs und seine Mitarbeiter für die Flockungsreaktion gezeigt
haben, durch Steigerung des Cholester inzusatzes auch dieTrQbungsreaktion beliebig
beschleunigen und verstärken, wobei aber zugleich die Gefahr unspezifischer Reaktionen
wichst — ’) Falls nicht genügend Serum vorhanden, llßt sich die Reaktion auch mit 03
b*w. 02 ccm Serum ausführen.
zu den Serumkontrollen 3, 5, 9, 12, 15 usw. je 2 ccm der Alkohol¬
verdünnung und mischt jedesmal gut durch. Die Proben kommen
dann in den Brutschrank, wo sie 4 Stunden bleiben 1 ).
I. Frühablesung als Trübung (Trübungsreaktion) erfolgt
nach 4 Stunden (37 0 C). Zur Ablesung hält man das Gestell mit
den umgeschüttelten Proben etwas über Augenhöhe gegen das Fen¬
ster (in 1— 2 m Entfernung) und stellt fest, ob das Versuchs¬
röhrchen trüber ist als die Extraktkontrolle und als
die zugehörige Serumkontrolle oder nicht. Die nur ein¬
fach vomandene Extraktkontrolle wird, wo das nötig erscheint, zum
Zwecke des Vergleichs von Gruppe zu Gruppe, also von 1 nach 4,
dann nach 7, nach 10 usw. gebracht.
Ergebnis positiv: Wenn Versuchsröhrchen trüber als
Extraktkontrolle und als Serumkontrolle.
Ergebnis negativ: Wenn Versuchsprobe nicht trüber
als Extraktkontrolle und als Serumkontrolle.
Oder anders ausgedrückt: Das Ergebnis ist nur dann
positiv, wenn von den 3 Röhrchen (Versuch, Extrakt-
und Serumkontrolle) das Versuchsröhrchen die
stärkste Trübung zeigt; in allen anderen Fällen negativ.
II. Spätablesung als Flockung erfolgt nach 20—24 Stunden
im Agglutinoskop oder im Seroskop in der üblichen Weise (Ergebnis
positiv, wenn deutliche Flockenbildung im Versuchsröhrchen vor¬
handen, bei Abwesenheit einer solchen in den Kontrollen).
Ueber meine bisherigen Ergebnisse habe ich an anderer Stelle
berichtet*). Ein Vergleich mit der gleichzeitig angestellten Wa.R. und
Sachs-Georgischen Reaktion ergab in 93,7o/ 0 der Fälle Ueber-
einstimmungen bei allen drei Reaktionen. Die Früh¬
ablesung meiner Reaktion (die „Trübungsreaktion“) stimmte
schon in etwa 95<>/o der Falle mit den Ergebnissen der Wa.R.
überein, sodaß die Spätablesung Tn der Regel über¬
flüssig ist.
Bei der Beurteilung der Ergebnisse der Frühablesung handelt
es sich, wie aus dem oben Gesagten hervoigeht, immer um die Frage,
ob das Versuchsröhrchen trüber ist als die Extrakt¬
kontrolle und die zugehörige Serumkontrolle oder
nicht. Da es einigen Untersuchen! Schwierigkeiten zu bereiten
scheint, das Versuchsröhrchen mit 2 Kontrollen hinsichtlich des Trü-
bungs- bzw. Helligkeitsgrades zu vergleichen, erschien es mir wün¬
schenswert, diese beiden Kontrollen in eine zu vereinigen. Es kam
darauf an, den optischen Zustand der Proben, wie er
im Augenblick des Zusammenmischens von Serum und
Extrakt jeweils resultiert, festzuhalten, also den Ein¬
tritt der nach der Mischung etwa einsetzenden Präzipitation zu ver¬
hindern. Dieses Ziel kann bis zu einem gewissen Grade erreicht
werden durch Zusatz von Alkali zu der Extraktserummischung, da
bekanntlich erhöhte Alkalität ganz- allgemein die Präzipitation (sowohl
die Eiweiß-Antieiweißpräzipitation als auch die Syphilisserum-Lipoid-
extraktpräzipitation) hemmt. Noch besser kann jedoch dieses Ziel
erreicht werden, wenn man schon vor der Mischung von Extrakt
und Serum zu einem der beiden Agentien, etwa zum Serum, einen
Zusatz von Formaldehyd macht.
Wie ich in einer früheren Arbeit (D. m. W. 1921 Nr. 49) mitteilte,
läßt sich die Reaktionsfähigkeit syphilitischer Sera
durch Formaldehyd aufheben. Ich hatte auch dort schon
darauf hingewiesen, daß aus dieser Beobachtung die Möglichkeit
einer weiteren Vereinfachung meiner Trübung s - F1 o k-
kungsreaktion sich ergibt, indem Zusatz von Formaldehyd den
im Augenblick des Zusammenmischens von Serum und Extrakt jeweils
resultierenden optischen Zustand der Proben fixiert, wodurch in ein¬
facher Weise eine kombinierte Extrakt-Serumkontrolle für die im
Versuchsröhrchen etwa auftretende Präzipitation geschaffen ist.
Ich habe darum das bisherige Verfahren in der Weise abgeändert,
daß ich an Stelle der zwei Kontrollen (Extraktkontrolle und Serum¬
kontrolle) nur eine Formolkontrolle setze, welche sich von der Ver¬
suchsprobe inhaltlich nur durch Zusatz von Formaldehyd unter¬
scheidet.
l ) 4 Stunden Aufenthalt im Brutschrank scheint — namentlich mit Rücksicht auf
die kältere Jahreszeit — vor dem ursprünglich angegebenen Verfahren (2 Stunden 37° C
und 2 Stunden Zimmertemperatur) den Vorzug zu verdienen. — •) H. Dold, Zur Kenntnis
meiner Trübungs-Flockungsreaktion. M. Kl. 1922.
Digitized b'
Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
248
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 8
TrfibnagS'FlQcknogsreaktioo mit Formolkoatrolle.
Die Trübungs-Flockungsreaktion mit Forraolkon-
trolle 1 ) gestaltet sich folgendermaßen:
Extrakt: wie oben.
Extraktverdünnung: Herstellung wie oben.
Patientenserum durch Vsstündiges Erwärmen auf 55° C in¬
aktivieren (wie oben).
Ausführung: Die sauber gereinigten, möglichst gleichkalibe-
rigen, klaren Reagenzröhrchen werden, wie in der Zeichnung ange¬
geben, einreihig nebeneinander aufgestellt, und zwar in Grup¬
pen von je 2 (vgl. Fig. 2).
Fig. 2.
Trübungs-Flockungsreaktion mit Formolkontrolle.
Zu untersuchende Proben
Cij (8 j 9 (10) (\\) 12 (13) (14) usw.
Form. I Form. Form,
j Kontr. I Kontr. ] Kontr.
Vers. Vers. Vers.
Nun werden von jeder Serumprobe, zunächst von einer posi¬
tiven Serumkontrolle, dann von einer negativen Serumkontrolle,
hierauf der Reihe nach von den zu untersuchenden Proben in
jedes der beiden zusammengehörigen Röhrchen genau je 0,4 ccm
gebracht (Pipette tief bis nahe an aen Grund des Röhrchens führen,
damit von dem Serum nichts am Rande verloren geht!). Hieraut
läßt man zu dem Inhalt der jeweils rechts stehenden Röhrchen
(Kontrollen) je 2 Tropfen des J/a 0 + 2) mit physiologischer Kochsalz¬
lösung verdünnten offizineilen (35<>/oigen) Formalins direkt zutropfen
und schüttelt leicht durch. (Es empfiehlt sich, für den Zusatz des Form¬
aldehyds nicht die gewöhnlichen, dem allgemeinen Gebrauch dienen¬
den Pipetten, sondern ein besonderes Tropffläschchen zu be¬
nutzen und überhaupt mit der Formalinlösung vorsichtig umzugehen.)
Zu dem Inhalt der jeweils links stehenden Versuchsröhrchen werden
je 2 Tropfen physiologischer Kochsalzlösung hinzugefügt, um beider¬
seits das Volumen gleichzumachen. (Dieser Zusatz ist jedoch nicht
unbedingt nötig.) Schließlich gibt man zu jedem Röhrchen je 2 ccm
von der nach den obigen Angaben hergestellten Extraktverdünnung.
Ich pflege die einzelnen Röhrchen sowohl beim Zumessen des
Serums als auch beim Zutropfen des Formalins und beim Zumessen
der Extraktverdünnung im Interesse möglichster Genauigkeit aus
dem Gestell herauszunehmen und nach erfolgtem Zusatz vor dem
Zurückstellen leicht durchzuschütteln.
Das Gestell mit den Röhrchen kommt (wie oben) in den Brut¬
schrank und bleibt dort 4 Stunden.
I. Frühablesung als Trübung (Trübungsreaktion) er¬
folgt {wie oben) nach 4 Stunden (37 ° C).
Ablesung wie oben. Jedoch ist die Beurteilung wesent¬
lich einfacher, indem nur darauf zu achten ist, ob der Inhalt
des links stehenden Versuchsröhrchens trüber ist als
der des rechts stehenden Kontrollröhrchens oder nicht.
Ergebnis: Sind beide Röhrchen gleich trüb oder gleich klar,
so ist aas Resultat negativ. ,
Ist dagegen das linke Röhrchen (Versuchsröhrchen! trüber als
das rechts stehende Kontrollröhrchen, so ist das Resultat positiv,
und zwar je nach dem Unterschiedsgrad: positiv (++), schwach
positiv (+) und zweifelhaft (+) .
II. Nach der Frühablesung (Ablesung der „Trübungsreak¬
tion“) können die Proben wieder in den Brutschrank zurückgestellt
und ohne weiteres nach 20—24 Stunden als Flockung
(Spätablesung) im Agglutinoskop oder Seroskop nochmals ab¬
gelesen werden. Die Spätablesung ist in der Regel über¬
flüssig. !
Meine bisherigen Erfahrungen mit dieser noch weiter verein¬
fachten „Trübungs-Flockungsreaktion mit Formolkontrolle“, welche
sich auf über 200 Fälle erstrecken, sind durchaus gut und scheinen mir
die Veröffentlichung des Verfahrens zu rechtfertigen.
Ich möchte beide Verfahren, die Trübungs-Flockungsreaktion
mit Extrakt- und Serumkontrolle (D 1) einerseits und die Trübungs-
Flockungsreaktion mit Formolkontrolle (D II) anderseits als gl eien-
wertig bezeichnen. Die erstere hat vor der letzteren den Vorzug
des kleineren Extraktverbrauchs, die letztere vor der ersteren
den Vorzug einer noch einfacheren Technik und einer ver¬
einfachten und erleichterten Ablesung.
Wie ich schon oben ausführte, gibt in der Regel schon die
Frühablesung (Trübungsreaktion) genügend klare
Resultate. Die Frühablesung ist der Spätablesung über¬
legen in jenen selteneren Fällen, wo der Präzipitationspro¬
zeß nur bis zur makroskopischen Trübung, aber nicht
bis zur grob dispersen Flockenbildung vorschreitet,
während anderseits die Spätablesung der rrühablesung in
den (ebenfalls seltenen) Fällen von verzögertem Präzipitations-
*) Ueber dieses Verfahren habe ich im Aerztlichen Verein zu Marburg, Sitzung
vom 14. XII. 1921, kurz berichtet — Will man mit 2 Extrakten arbeiten, so ist es rat¬
sam. mit dem 2. Extrakt eine neue Versuchsreihe anzusetzen, da jede neue Extraktver-
dQnnung ein etwas anderes optisches Verhalten zeigt
Ser.
, N U
@ 3 0 d» 6
: Form,
l Kontr.
Vers.
Vers.
Form.
Kontr.
beginn überlegen ist. Eine Kombination beider Ab¬
lesungen wird demnach zweifellos in manchen Fällen von
Vorteil sein.
Der Wert meines Verfahrens scheint mir nicht bloß
auf praktischem, sondern auch auf wissenschaf tlichem
Gebiete zu liegen, insofern, als diese Untersuchungs¬
methode uns einen unmittelbaren Einblick in den gan¬
zen Ablauf der zwischen Serum und Lipoidextrakt
sich abspielenden Präzipitation gewährt, während die
Wa.R. nur über den Anfang und die Flockungsreaktio¬
nen von Sachs-Oeorgi bzw. von Meinicke nur über das
Ende dieses Prozesses Aufschluß geben.
Aus dem Institut für Infektionskrankheiten „Robert Koch“ in Berlin
(Direktor: Geh.-Rat Neufeld) und dem Tuberkulosekrankenhaus
Waldhaus Charlottenburg in Sommerfeld (Direktor: Dr. Ulrici).
Die Reaktion des tuberkulösen Organismus auf intra¬
kutane Verimpfung säurefester Saprophyten und deren
Tuberkuline 1 ).
Von Dr. Bruno Lange, Assistent am Institut „Robert Koch", und
Dr. Erich Lange, Assistent am Waldhaus Charlottenburg.
Für die Unterscheidung der säurefesten, den Tuberkelbazillen ähn¬
lichen Saprophyten von den echten Tuberkelbazillen ist die Tatsache
sehr wesentlich, daß es weder gelingt, durch Vorbehandlung mit
säurefesten Saprophyten Tiere gegen die Infektion mit Tuberkelbazillen
zu schützen, noch durch eine solche Vorbehandlung gegen Beibringung
lebender oder abgetöteter Tuberkelbazillen oder Kochs Alttuberkulin
überempfindlich zu machen. Es ist daher äußerst fraglich, ob die Mög¬
lichkeit besteht, Menschen durch Impfung mit derartigen säurefesten
Saprophyten, seien sie nun aus dem Leitungswasser, aus Kaltblütern
oder aus Gräsern gezüchtet, in spezifischer Weise gegen die Tuber¬
kulose zu schützen.
Aus den erwähnten grundsätzlichen Unterschieden zwischen säure¬
festen Saprophyten und Tuberkelbazillen ist nun noch nicht zu folgern,
daß die säurefesten Saprophyten und ihre Produkte auch nicht im¬
stande seien, am tuberkulösen Organismus Ueberempfindlichkeits-
reaktionen auszulösen. Wie die Untersuchungen von Moefler 2 ),
Selter 3 ), Ludwig Lange 4 ), Dietrich 5 ), Sons und v. Mikulicz-
Ra de cki 6 ) gezeigt haben, können in der Tat durch Tuberkuline
säurefester Saprophyten Reaktionen nach Art der echten Tuberloilin-
reaktion erzeugt werden.
Angesichts der allgemeinen erhöhten Reizbarkeit des tuberkulösen
Organismus, wie sie z. B. in der Reaktion auf beliebige Eiweißstoffe
(Aibumosen, Caseosan usw.) zum Ausdruck kommt, erhebt sich die
Frage, ob die Wirkung der Produkte aus säurefesten Saprophyten mit
derjenigen der Aibumosen usw. in Parallele zu setzen ist, oder ob diese
Wirkung auf Bestandteilen der Bakterien beruht, welche der ganzen
Gruppe der Säurefesten gemeinsam sind. Eine weitere Frage ist, ob
unter den säurefesten Saprophyten etwa nur ein bestimmter Typus
imstande ist, der echten Tuberkulinreaktion ähnliche Reaktionen aus¬
zulösen. So ist Dietrich der Meinung, die Eigenschaft, Tuberkulin-
reaktionen zu erzeugen, käme wohl den sog. Kaltblütertuberkelbazillen
zu, anderen Säurefesten aber offenbar nicht. Dies ist von vornherein
unwahrscheinlich, da die zufällig aus Kaltblütern gezüchteten Stämme
(Schildkröten-, Blindschleichen-, Froschbazillen), wie Untersuchungen
des einen von uns (B. Lange) dargetan haben, von gewissen in
Wasser und Erde überall verbreiteten säurefesten Stämmen in keiner
Weise zu unterscheiden und wie diese als echte Saprophyten anzu¬
sehen sind 7 ).
Bei vergleichenden Untersuchungen über die Wirkung verschie¬
dener Säurefester und deren Tuberkuline unter den angeführten
Gesichtspunkten muß natürlich auf die quantitativen Verhält¬
nisse der Reaktionen das größte Gewicht gelegt werden.
Unsere Untersuchungen mit lebenden saprophytischen säurefesten
Bazillen und den aus einigen Säurefesten hergestellten Tuberkulinen
beschränken sich fast durchweg auf die Beobachtung der Intra¬
kutanreaktion. weil diese als die empfindlichste Reaktion gelten
kann, beim Menschen u. a. noch den großen Vorteil hat, daß sie viel
seltener mit unerwünschten Herd- und AÜgemein-Reaktionen ver¬
knüpft ist.
I. Versuche an tuberkulösen Meerschweinchen. Von
säurefesten saprophytischen Stämmen wurden für die Intrakutan¬
prüfung mit lebenden Bazillen herangezogen: Säurefeste Wasser-,
Schildkröten-, Froschbazillen, Trompetenbazillen als Repräsentanten
des Typus der säurefesten sog. Kaltblüterbazillen, daneben Timothee-
Smegmabazillen und Säurefeste aus Milch gezüchtet Zum Ver¬
gleich diente ein Stamm Tuberkelbazillen des Typ. hum. (Betge).
l > Die Tierversuche sind mit Mitteln der Robert Koch-Stiftung zur Bekämpfung der
Tuberkulose angestellt worden. — •) Zschr. f. Tbc. 1904,5, S. 206. - •) D. m. W. 1920
Nr. 24 S. 650. — *) Zschr. f. Immun.Forsch. 1921,32, H. 3/4. - *) D. m. W. 1921 Nr. 15 S. 406.
- •) D. m. W. 1921 Nr. 26 S. 735. — *) Vöff. KochStif tg. 1921 2, H. 3 u. Zschr. f. Hyg. 1921,
93, H. 1.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
23. Februar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Im Interesse der Tierersparnis wurde davon abgesehen, zum vor¬
liegenden Zweck und auch für die vergleichende Tuberkulinprüfung
eine größere Reihe von Meerschweinchen in gleicher Weise zu in¬
fizieren, vielmehr wurden, da es ja doch in erster Linie auf den Ver¬
gleich mit der an demselben Tier angestellten Reaktion mit echten
Tuberkelbazillen bzw. Alttuberkulin Koch ankam, tuberkulös infizierte
Tiere aus anderen Versuchen benutzt, welche deutliche Erscheinungen
tuberkulöser Erkrankung darboten.
Zur intrakutanen Prüfung mit lebenden Bazillen wurden von den
säurefesten Saprophyten nur 0,01 und 0,001 mg in 0,1 ccm verwandt.
0,1 mg von diesen Säurefesten, besonders von den Vertretern des
Kaitblüterbazillentypus, macht auch an gesunden Tieren bisweilen
noch entzündliche Infiltrate an der Impfstelle.
Die Versuche ergaben, daß an tuberkulösen Meerschweinchen
durch Saprophyten nur in Menge von 0,01 mg und auch hiermit nur
atypische positive Reaktionen (Roemer), diese allerdings mit einer
gewissen Regelmäßigkeit, erzielt wurden. Die Reaktionen waren noch
nach 48 Stunden deutlich. Von den gleichzeitig infizierten Tuberkel-
baziilen (hum.) rief die Menge von 0,01 mg eine typische Kokard-
reaktion, die von 0,001 mg eine typische -f-f-Reaktion (Roemer)
hervor.
Ein Unterschied in der Wirkung zwischen den einzelnen
geprüften Saprophyten-Stämmen war nicht nachweisbar.
Die Tuberkuline von säurefesten Saprophyten, und zwar von
säurefesten Wasserbazillen, Schildkrötenbazillen und Timotheebazillen,
wurden aus neunwöchigen, bei 37° gehaltenen Glyzerinhefewasser¬
kulturen (Dietrich) durch Einengung des Nährbodenvolumens auf
l /,o des ursprünglich vorhandenen am gleichen Tage hergestellt. Die
Ausbeute von Bazillen war nicht ganz gleichmäßig, was bei der Be¬
urteilung der Tuberkuline zu berücksichtigen ist, sie betrug im Durch¬
schnitt der drei zur Verwendung gelangenden Kulturkölbchen jedes
Stammes auf 10 ccm fertigen Tuberkulins für Wasserbazillen 0,506 g,
für Schildkrötenbazillen 0,485 g, für Timotheebazillen, die wesentlich
schneller gewachsen waren, 0,825 g, also fast das Doppelte des Ge¬
wichts jeder der beiden anderen säurefesten Stämme. Der gleichzeitig
angesetzte Stamm menschlicher Tuberkelbazillen (Betge) wuchs so
schlecht auf Glyzerinhefewasser, daß von der Herstellung eines
Tuberkulins aus diesem Stamm Abstand genommen wurde.
Durch Kontrollversuche an gesunden Tieren wurde festgestellt,
daß die Tuberkuline für sich in der doppelten der zu den Meer¬
schweinchenversuchen benutzten Höchstkonzentration Reizwirkungen
nicht ausübten. Ebenso wurde die völlige Unschädlichkeit des auf 1 / 10
Volumen eingeengten Glyzerinhefewassers in der doppelten der an¬
gewandten höchsten Tuberkulinkonzentration bei intrakutaner Injektion
an tuberkulösen Tieren nachgewiesen.
Das in sämtlichen Versuchen an tuberkulösen Meerschweinchen
jedesmal in Menge von 0,01 und 0,005 g mitgeprüfte Alttuberkulin
Koch gab nach intrakutaner Injektion von 0,01 g in der Regel deutliche
Kokardreaktion, nach 0,005 g stets noch typische positive Reaktion
nach Roemer), oft auch noch Kokardreaktion.
Mit den Tuberkulinen der Saprophyten (Wasserbazillen, Schild¬
kröten- und Timotheebazillen) konnten typische Tuberkulinreaktionen
(- } -■} ■ H- oder -f~f-) nur mit Mengen von 0,04 g erzielt werden. 0,02 g
von allen drei Tuberkulinen gab fast regelmäßig sog. atypische posi¬
tive Reaktionen. Mit einer Menge von 0,01 g waren auch diese atypi¬
schen Reaktionen selten zu erreichen. Die positiven typischen Reak¬
tionen aut Tuberkuline aus Saprophyten klingen rascher ab als die
echte Tuberkulinreaktion, sind aber noch 48 Stunden nach der Injektion
deutlich ausgeprägt.
Zwischen den Tuberkulinen der drei genannten saprophytischen
säurefesten Stämme ist weder ein qualitativer, noch auch ein
deutlicher quantitativer unterschied hervorgetreten. Timothee¬
bazillen tuberkulin wirkte in der Regel etwas schwächer als die anderen.
Ein Parallelismus der Reaktion auf Saprophytentuberkuline mit
derjenigen auf Alttuberkulin war nicht regelmäßig nachweisbar, wenn
auch im allgemeinen nicht zu verkennen.
II. Beobachtungen am Menschen. An tuberkulösen Men¬
schen geprüft wurden intrakutan teils für sich, teils im Vergleich mit
Kochs Alttuberkulin die Tuberkuline von Schildkrötenbazillen (T.S.),
säurefesten Wasserbakterien (T.W.), Timotheebazillen (T.T.). Herstel¬
lung siehe oben. Ferner wurden ebenfalls intrakutan im Vergleich mit
den obengenannten Tuberkulinen der zur Tuberkulinherstellung be¬
nutzte Nährboden und normales Pferdeserum als Beispiel unspezifischer
Stoffe injiziert. Im ganzen wurden bisher 61 Kranke gespritzt, die bis
auf 5 sämtlich einwandfrei klinische Tuberkulose, vorwiegend der
Lungen, haben. Es wurden intrakutane Quaddeln gesetzt mit
0,1 ccm von Verdünnungen der Tuberkuline usw. in Abstufungen
im Verhältnis 1:10. Als Reizschwellen wert wurde jedesmal die ge¬
ringste Menge in g bzw. mg notiert, bei der die schwächste, gerade
noch als positiv erkennbare Reaktion erzielt wurde. Abgelesen wurden
die Reaktionen mindestens 3 Tage hintereinander.
Bei der Prüfung der Saprophytentuberkuline ohne gleichzeitige.
, Alttuberkulininjektion — in dieser Form wurden bisher nur T.W. und
T.T. untersucht — ergaben sich folgende Reizschwellenwerte: Für
T.W. (8 Fälle): 0,1 mg (1 x), 0,01 mg (3x), 0,001 mg (2x), 0,0001 mg
(2x). Für T.T. (8 Fälle): 0,1mg fix), 0,01mg (3x), 0,001mg
(3x), 0,0001 mg (1 x). Bei der Prüfung der Saprophytentuberkuline
mit gleichzeitiger Alttuberkulininjektion (A.T.) ergaben
sich Werte, wie sie in der nachfolgenden Tabelle angeführt sind.
Die ermittelten Reizschwellen w g
mit Angabe der Zahl der Fälle, an denen die W ert& . °*chtet wurden.
{ T.S.
A.T.
, ( T.W.
\ A.T.
r / T.T.
\ A.T.
1,0 (8 x)
O.t (7 X)
0,01 (» X>
1 (6 x )
0,001 }|C <
0,0001 (4 xi
/ 0,0001 (1 x)
1 0,00001 (1 xj
0,1
0 X)
0,01 (2 x )
0,001 (2 x)
0,01 (1 x )
0,001 (1 x )
0,001 (5 x )
0,000! (6x)
0,00001 (1 X)
1,0 (0 x )
0,1 (7 X)
0,01 (2 X)
0,001 (5 x)
0,01 (8 x )
0,001 (3 x )
0,001 (2 x )
0.000 1 (2 x)
0,0001 (0 x)
1.0
(3 X)
0,1 (2 X)
0,01 (2 x)
0,001 (2 x )
0,0001 (0 x )
0.1
0,01
(1 X)
12 x )
0,001 (2 X)
0,001 (2 x)
0,0001 (2 x )
-
Für T.S. sind im Gegensätze zu den von Sons und v. Mikulicz-
Radecki angegebenen hohen Reizschwellenwerten von 0,001 bis
0,1 g erheblicn niedrigere Werte gefunden, nämlich 0,0001 mg
bis 1 mg. Ebenfalls auffallend niedrig waren die Werte für T.W. =
0,001 mg — 0,1 mg und T.T. = 0,001 mg — 1 mg 1 ). Das Schildkröten-
tuberkunn erwies sich als etwas wirksamer als das aus Wasserbakterien,
letzteres war wiederum ein wenig stärker als Timotheetuberkulin. An¬
gesichts der noch zu geringen Zahl der Versuche darf nach unserer
Ansicht diesen kleinen Difterenzen kein Wert beigemessen werden.
Bis auf einen Fall, wo der Reizschwellenwert des T.S. dem des
Alttuberkulins gleich war, lagen in sämtlichen Fällen die Schwellenwerte
der Saprophytentuberkuline 10—100 mal, sehr selten 1000 mal höher als
diejenigen des Alttuberkulins. Ihrem Aussehen nach unterschieden sich
die Reaktionen der Saprophytentuberkuline kaum von denen des Alt¬
tuberkulins. Auch eine bestimmte gesetzmäßige Abstufung der Intensi¬
tät der positiven Reaktionen wurde fast ebenso regelmäßig bei den
Saprophytentuberkulinen beobachtet wie beim A.T. Die Dauer der
Reaktionen ist beim A.T. für gewöhnlich länger, aber auch bei den
Saprophytentuberkulinen ist die Dauer einer positiven Reaktion bis zu
8 Tagen keine Seltenheit. In der Tatsache, daß bei der Injektion, so¬
wohl schwächerer wie stärkerer Verdünnungen sich der Unterschied
der Reizschwellenwerte der Saprophytentuberkuline gegenüber dem
A.T. auf das 10—100 fache, selten 1000 fache beschränkte und an¬
nähernd gleich blieb, trotz der erheblichen Verschiedenheiten der Kon¬
zentrationen, oder mit anderen Worten darin, daß sehr allergische
Tuberkulöse in der Regel stark und anergische in der Regel schwach
auf beide Tuberkulinarten reagierten, tritt ein Parallelismus
zwischen der Reaktionswirkung des A.T. und derSapro-
phytentuberkuline deutlich hervor.
Nach der Injektion von unspezifischen Stoffen, wie Glyzerin¬
hefewasser und Pferdeserum, sind äußerst selten und auch dann nur
nach Einspritzung von 0,1 ccm konzentrierter Substanz oder höchstens
von 0,01 g positive Reaktionen beobachtet worden. Ueber die Ver¬
suche hierüber, die an Zahl noch zu gering sind, um ein klares Bild
zu geben, wird später berichtet werden.
Schließlich wurde noch die Pirquet-Probe mit SchildkrötentubeTkuIin
im Vergleich mit Alttuberkulin bei 7 Kindern angestellt, von denen
6 chirurgische Tuberkulose hatten, das eine eine tuberkulöse Pleu¬
ritis. Auf Alttuberkulin reagierten 6 positiv, eins negativ; letzteres
war stark unterernährt. Auf Schildkrötentuberkulin reagierten 6 über¬
haupt nicht, ein Kind schwach positiv bei gleichzeitig positiver
Alttuberkulinreaktion. Dieses eine Kind hatte einen aüsgeheilten
Spitzenherd. Es hat sich demnach bei der Pirquet-Probe dasselbe
Mißverhältnis zwischen dem Ausfall der Probe mit A.T. und
der mit T.S. ergeben, wie von Schuster und von Sons und v. Mi-
kulicz-Radecki 2 ) festgestellt worden ist.
Zusammenfassang: 1. Bei tuberkulösen Meerschweinchen
bedarf es zur Auslösung typischer positiver Intrakutanreaktionen relativ
großer Dosen sowohl der lebenden säurefesten saprophytischen Voll¬
bakterien wie der aus diesen hergestellten Tuberkuline. Beim tuber¬
kulösen Menschen dagegen wirken die Tuberkuline aus säure¬
festen Saprophyten zum Teil in recht schwachen, manchmal sogar
in annähernd den gleichen Konzentrationen wie das Alttuberkulin.
Wahrscheinlich kommt die Fähigkeit, beim tuberkulösen Menschen
noch in geringen Konzentrationen positive Intrakutanreaktionen zu
erzeugen, mehr oder weniger den Tuberkulinen von Bakterien der
ganzen Gruppe der Säurefesten zu. Kontrollversuche mit
Pferdeserum und eingeengtem Glyzerinhefewasser sprechen dafür,
daß es sich hier um eine elektiv e Reizwirkung handelt
2. Im Gegensatz zur Intrakutanprüfung ergab die Pirquet-Probe
ein deutliches Mißverhältnis zwischen Alttuberkulin
und einem zum Vergleich benutzten Saprophytentuberkulin
(T.S.).
3. Wesentliche Unterschiede zwischen der Wirkungsweise
von Wasserbazillen-, Schildkröten-, Timothee-Tuberkulin ergaben
sich nicht.
Da noch eine Fortsetzung der Versuche im besonderen unter
Hinzuziehung neu hergestellter Tuberkuline von Saprophyten ge¬
plant ist, behalten wir uns einen ausführlichen Bericht über
das Ergebnis der Versuche für eine spätere Veröffentlichung vor.
*) ln neueren inzwischen begonnenen Versuchen erwiesen sich andere Tuber¬
kuline aus säurefesten Saprophyten am Menschen nach intrakutaner Injektion weniger
wirksam, auch traten die Unterschiede zwischen diesen Tuberkulinen und dem Alt¬
tuberkulin stärker hervor. — *) 1. c.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
250
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
Nr. $
Aus der II. Medizinischen Universitätsklinik der Charite in Berlin.
(Direktor: Qeh.-Rat F. Kraus.)
Die Wirkung des Karlsbader Wassers und Salzes auf Zucker¬
kranke, beurteilt nach einer neuen Auffassung über den
Diabetes.
Von W. Arnoldi, Assistent der Klinik, und R. Roubitschek in Karlsbad.
In einer demnächst erscheinenden Abhandlung über den Stoff¬
wechsel bei der Fettsucht hat der eine von uns (Arnoldi) unter
anderem die Blutzuckerfrage erörtert. Eine Reihe von experi¬
mentell-klinischen Beobachtungen, die an dieser Stelle nicht einzeln
angeführt werden sollen, machte für die Entstehung der Hyper¬
glykämie folgende Annahme wahrscheinlich. Der normale Zucker¬
transport geht nach der Resorption vom Blut in die Depots und
dann von hier wiederum über das Blut an die Stätten des Ver¬
brauchs, also namentlich die Muskeln. Der Verbrauch, d. h. die
Zuckerverbrennung, ist natürlich im wesentlichen davon abhängig,
wieviel Material an die Orte der Verbrennung gelangt. Ist die Menge
gering, so kann auch die Kohlenhydratverbrennung nicht erheblich
sein. Der Zucker „staut“ sich im Blute, und es kommt zur Hyper¬
glykämie. Mit anderen Worten, die Zuckertransport Verhält¬
nisse, d. h. Zuckerzufluß und Zuckerabfluß, sind einmal für die
Höhe des Blutzuckers maßgeblich, anderseits aber auch für die Größe
der Zuckerverbrennung, neben anderen Faktoren, höchst wichtig. Die
Stoffwechselstörung bei Diabetes mellitus wird nach
dieser Theorie als Folge eiper Störung im Zuckertrans-
port angesehen. Die Gewebe selbst sind für den Zucker schwerer
durchlässig, und die anderen Erscheinungen entwickeln sich als Folge
dieser Störung. Aus welchem Grund tritt nun eine derartige Trans¬
portstörung auf? Arnoldi glaubt sie nicht wie Schmiedeberg
in einer Veränderung des Zuckermoleküls suchen zu müssen, sondern
in einer Aenderung der Grenzflächen des Protoplasmas
der Zellen. Dadurch wird dem Zuckermolekül der Eintritt in die
Gewebe erschwert. Die abweichende Permeabilität wird auf ein
geändertes Verhalten des gegenseitigen Verhältnisses der Salze — K:
Na, Ca usw. — bezogen, wodurch die kolloidchemische Struktur der
Zellengrenzflächen beeinflußt wird. Einen ähnlichen Effekt nahm
bereits Embden für die Wirkung des Suprarenins auf die Muskel¬
fasern an.
Es dürfte schwierig sein, durch einen direkten Versuch die
Durchlässigkeit der Grenzflächen des Zellprotoplasmas beim Menschen
auf Zucker zu prüfen. Dagegen ließe sich mir Hilfe einer indirekten
Methode die Tneorie der Storung des Elektrolytgleichgewichts beim
Diabetes stützen, wie Kraus die neuen, von Arnoldi entwickelten
Anschauungen bezeichnet. Eine solche indirekte Beweisführung soll
hier versucht werden.
Zunächst sei besprochen, weshalb wir gerade die Wirkung des
Karlsbader Wassers für unsere Zwecke benutzen. Die Karlsbader
Quellen haben — eine alte Erfahrung kann stets von neuem bestätigt
werden — einen ausgezeichneten Einfluß auf viele Kranke mit Dia¬
betes. Der Eine von uns (Roubitschek) kennt aus eigenster An¬
schauung die ausgezeichnete Heilwirkung des Bades seit vielen
Jahren sehr genau. Am Schlüsse der Arbeit soll ein Beobachtungs¬
beispiel aus seiner dortigen ärztlichen Praxis angeführt werden. Wie
jedoch die Wirkung dieses Badeortes (und anderer) zu erklären ist,
war bis zur Zeit in ein gewisses mystisches Dunkel gehüllt. Auch
hierfür dürften die nachfolgenden Ausführungen einen Aufschluß
f eben. Nach obiger Theorie lag es nahe, den Einfluß des Karlsbader
alzes bzw. Wassers auf den Kohlenhydratstoffwechsel bei Gesunden
und Zuckerkranken zu prüfen, um darzutun, daß bestimmte Elektro¬
lytkombinationen die Zuckerverbrennung steigern. Die Kh Bilanz
wird (Arnoldi) durch Karlsbader Salz beim Diabetes mitunter
erhöht. Wir prüften nun das Verhalten des Blutzuckers. Daß sich
dessen Höhe namentlich bei intravenöser Zufuhr von Salzlösungen
ändert, ist bekannt, ebenso auch die verschiedene Wirkung von Na-,
K- und Ca-Saizen. Das Neue dieser Ausführungen liegt insbesondere
in der Anlehnung der Ergebnisse an die besprochene Anschauung.
Alle Blutzuckeruntersuchungen wurden von Roubitschek mit Hilfe
der Mikromethode von Bang ausgeführt 1 ). Die Höhe des Blut¬
zuckerspiegels an sich läßt nicht ohne weiteres einen Schluß auf die
Größe der Zuckerverbrennung zu (Freund und March and), da¬
gegen ist es für die Blutzuckerreaktionen, d. h. für die Aenderung
der Werte nach gewissen Einflüssen, maßgeblich, in welches Ver¬
hältnis der Zuckerzufluß ins Blut zu seinem Abfluß in die Gewebe
tritt, demnach eine Transportfrage (Arnoldi). In der Blutzucker¬
kurve drückt sich die Art, der Eintritt, die Höhe und die Dauer
sowie die Richtung aus, nach welcher die Resultante aus Zucker¬
zufluß und Abfluß geändert wird.
Um der klinischen Erfahrung der Karlsbader Aerzte gerecht zu
werden, wurde morgens nüchtern der Blutzucker untersucht, dann
das Karlsbader Salz bzw. Wasser heiß verabreicht und nach 10,
30 und 60 Minuten die Aenderung des Blutzuckerspiegels bestimmt.
Bei einigen Untersuchungen wurden zweimal 200 ccm Karlsbader
Wasser mit einer Zwischenpause von einer halben Stunde verabfolgt.
*) Wir ließen unsere Resultate von anderen Untersuchern außerdem nachprüfen,
zB. durch Herrn Kollegen Floros
Dies entspricht den Gepflogenheiten der Karlsbader Aerzte. Von
den Untersuchungsergebnissen werden im Nachfolgenden Beispiele
angeführt.
Stoffwechselgesunde Person. Blutzucker nüchtern
0,06% nach 200 ccm heißem Wasser, 10 Minuten später 0,059%;
30 Minuten nachher 0,048; 60 Minuten nachher 0,054; nüchtern
0,09o/o nach 200 ccm Karlsbader Wasser, 30 Minuten später
0,072o/ 0 ; 60 Minuten später 0,082%.
Zuckerkranke. Blutzucker nüchtern 0,200°/o nach 200 ccm
heißem Wasser, 10 Minuten später 0,208 ; 30 Minuten später
0,194o/o; 60 Minuten später 0,193 0 / 0 ; nüchtern 0,230o/o nach 200 ccm
heißem Wasser mit einem Teelöffel Karlsbader Salz, 10 Minuten
später 0,200%; 30 Minuten später 0,178o/ 0 ; 60 Minuten später 0,132o/ 0 ;
nüchtern 0,146o/ 0 nach 200 ccm Karlsbader Wasser und Wie¬
derholung der Zufuhr nach einer halben Stunde; 10 Minuten später
0,128o/o; 30 Minuten später 0,110o/o; 60 Minuten später 0,09%;
anderer Versuch, genau ebenso durchgeführt: nüchtern 0,161 0/0
nach Karlsbader Wasser (2mal 200 ccm), nach 10 Minuten
0,140 0 / 0 ; nach 30 Minuten 0,09o/ 0 ; nach 60 Minuten 0,079o/ 0 .
Besprechung der Ergebnisse. Bei der Untersuchung be¬
stimmter Einflüsse auf den Blutzucker in den nächsten Minuten und
Stunden ist niemals bei allen Personen eine gleiche Aenderung zu
erwarten. Das hat sich bei dem Studium der Wirkung von Suprarenin,
von Traubenzucker und anderen Stoffen ergeben (Literatur bei Bang).
Für die Art der Reaktionen, ihre Richtung, die Zeit des Eintritts und
die Dauer sind, wie bei allen Stoffwechselreaktionen, die besonderen
Verhältnisse des Organismus, vor allem seine Stoffwechsellage (vgl.
Arnoldi und Kratter) entscheidend. Die Ergebnisse der hier
besprochenen Untersuchungen entsprechen insofern durchaus den Er¬
wartungen. Mit der Blutzuckerbewegung geht stets auch eine Flüssig¬
keitsbewegung im Organismus einher (Arnoldi). Die Trennung
des einen Vorganges von dem anderen ist nach der hier vertretenen
Anschauung (vgl. das später über den Durst Gesagte) schwer
durchführbar.
Bei Stoffwechselgesunden ließ die Zufuhr von gewöhn¬
lichem Wasser in drei Untersuchungsreihen den Blutzucker unver¬
ändert. Ein Absinken nach 10, 30 bzw. 60 Minuten wird zweimal
beobachtet.
Karlsbader Salz bzw. Wasser senkt zweimal deutlich den Blut¬
zuckerspiegel, zweimal ist die Wirkung geringer, und einmal kommt
es nach einer halben Stunde — nach 10 Minuten war nicht unter¬
sucht worden — zu einem vorübergehenden Anstieg 1 ).
Bei Zuckerkranken führte ein Versuch mit heißem Wasser
keine Aenderung herbei. Karlsbader Wasser bzw. Salz (von letzterem
ein Teelöffel in 200 ccm heißem Wasser gelöst) wird in 13 Unter¬
suchungsreihen bei acht Kranken geprüft. Ein Anstieg wird nicht
verzeichnet. Das Absinken des Blutzuckers ist dreimal nur unbe¬
deutend, zehnmal recht deutlich, und zwar dreimal für kurze Zeit,
siebenmal über eine Stunde dauernd.
Von den drei Fällen mit geringem Effekt fand die Untersuchung
einer Kranken nach dem Frühstück statt. Möglicherweise ist diese
Beobachtung mit der alten Erfahrung zusammen zu bringen, das
Wasser stets morgens nüchtern trinken und das Frühstück erst nach
einer Stunde einnehmen zu lassen. Nur so ist die Wirkung der Kur
sicher. Bei einer zweiten Kranken bestand neben der Zuckerkrank¬
heit eine schwere Entzündung der Adnexe, die dritte Kranke hatte
kurz zuvor eine Blutung aus einem Ulcus ventriculi durchgemacht.
Durch'die vorliegenden Untersuchungen ist der Be¬
weis erbracht, daß das Karlsbader Wasser den Blut¬
zuckerspiegel bei Zuckerkranken meist erheblich zum
Absinken bringt. Wir nehmen an, daß diese Tatsache in dem
Sinne zu deuten ist, daß die Resultante zwischen Zuckerzufluß zum
Blute und Abfluß in die Gewebe beeinflußt wird. Weitere Unter¬
suchungen, die .einer späteren Mitteilung Vorbehalten bleiben, müssen
dartun, ob durch die Zufuhr von Karlsbader Salz tatsächlich der
Weitertransport von Zucker aus dem Blute in die Gewebe gefördert
und die Zuckerverbrennung vermehrt wird. Für die Richtigkeit der
besprochenen Theorie der diabetischen Stoffwechselstörung sprechen
jedoch noch weitere wichtige Momente. Das geht aus der klinischen
Beobachtung hervor, auf die noch kurz eingegangen werden soll.
Nach Veil*) ist es wahrscheinlich, daß die Zuckerkrankheit mit einer
Störung des Mineralstoffwechsels einhergeht.
Nach der Erfahrung von F. Kraus sowie anderer Autoritäten
verlieren Zuckerkranke in Karlsbad nicht selten ihre Zuckeraus-
scheidung völlig. Diese kehrt jedoch nach ihrer Rückkehr in die
Heimat häufig bald wieder zurück. Kraus ist deshalb auf Grund
unserer Beobachtungen der Ansicht, man solle der Karlsbader Kur
dadurch eine längere Wirkung verschaffen, daß man auch nachher
noch längere Zeit das Wasser trinken läßt. Die Darreichung der in
ihm gelösten Salze hat zweifellos eine bessere Zuckerverbrennung
und eine Verminderung des Zuckerverlustes durch den Ham zur
Folge. Es ist ferner sicher, daß auch die Azidosis in Karlsbad mit-
durch eine vermehrte Zuckerverbrennung gedeutet werden. Einen
durch eine vermehrte Zuckerverbrennung gedeutet werden 1 ). Einen
einschlägigen Fall beobachtete Roubitschek. Es handelt sich um
einen Zuckerkranken, der bis dahin, trotz sorgfältiger klinischer Be¬
handlung, nicht wesentlich gebessert werden konnte. Unter dem Ein-
*) In späteren Untersuchungen sahen wir bei Stoffwechselgesunden mehrfach
einen Anstieg des Blutzuckers, nie Jedoch bei Zuckerkranken. — *) Veil nimmt eben¬
falls einen Zusammenhang zwischen Kohlenhydrat- und Mineralstoffwechsel an.
Digitized by
Go gle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
23. Februar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
251
fluß der Kur in Karlsbad verringerte sich die Azidosis in einem
Grade, wie sie Roubitschek früher bei dem gleichen Kranken
und unter Leitung des erfahrensten Kenners der Stoffwechselkrank¬
heiten niemals beobachten konnte. '
Eine weitere wichtige klinische Feststellung betrifft den Durst
der Zuckerkranken. Er wird durch Zufuhr von Karlsbader Mühlbrunn
erheblich vermindert. Arnoldi hat in der erwähnten Arbeit her¬
vorgehoben, daß die Bewegung des Zuckers im Organismus eng mit
der seines Lösungsmittels, des Wassers, zusammengeht. Ebenso wie
der Zucker, dringt auch das Wasser nicht in genügender Menge in
die Gewebe ein, „es fließt an diesen vorbei“, verläßt den Organis¬
mus, ohne seine Stoffwechselaufgabe erfüllt zu haben, und ruft den
Durst der Zuckerkranken hervor. Die Verminderung des Durstes
durch das Salz spricht ebenfalls für die Richtigkeit der Annahme,
die zu den hier mitgeteilten Untersuchungen die Veranlassung ge¬
geben hat.
Der weiteren Erforschung des Diabetes und anderer Stoffwechsel¬
störungen wird durch unsere Untersuchungen ein neuer, aussichts¬
voller Weg gewiesen. Das Gleiche gilt für die Aufklärung der seit
Jahrhunderten unzählige Male festgestellten Heilwirkung vieler Bade¬
orte, die zur Zeit noch aussteht. Viel zu lange hat man die Be¬
deutung der Elektrolyte unterschätzt. Für den Transport der
Nahrungsstoffe sind sie (Arnoldi) von entscheidender Wichtigkeit.
Aus der I. Medizinischen Universitäts-Klinik München.
(Direktor: Prof. v. Romberg.)
Lieber eia wenig beachtetes optisches Prinzip.
Von Erwin Schlagintweit, Assistent.
Auf dem Vergleich von Farbe und Helligkeit zweier Flüssig¬
keiten beruht eine in der Physiologie viel geübte quantitative Me¬
thode. Das bekannteste Beispiel ist das Sahlische Hämometer, bei
dem der Inhalt des Vergleicnsröhrchens, das ist die entsprechend
vorbehandelte Blutprobe, einem Teströhrchen gleichgemacht wird.
Die Schwierigkeit, trübe Flüssigkeiten mit einer klaren Farblösung
vergleichen zu können, beseitigt Wal pole in seinem Komparator.
Bei dem Sahlischen Hämometer 1 ) werden „die beiden Gläschen
in einem durchbrochenen schwarzen Gestell aus Hartgummi unter¬
gebracht, welches als kolorimetrischer Schirm dient, indem es bei
Betrachtung der Gläschen im durchfallenden Lichte die durch die
Randteile der Gläschen fallenden Lichtstrahlen und seitliches Licht
abblendet und die Farblösungen auf schwarzem Grund erscheinen
läßt“. Es wird dadurch „in der Durchsicht ein optischer Eindruck
erzielt, als ob sich die Flüssigkeiten in planparallelen Glaskästchen
befänden“. Dieses Hartgummigestell umrahmt die beiden Röhrchen
und schiebt zwischen sie einen 6 mm breiten, trennenden, schwarzen
Pfeiler ein. Bei dem Walpoleschen Komparator werden die Reagenz¬
gläser in einem massiven, außen geschwärzten Holzblock gesteckt,
in den zylindrische Löcher eingebohrt sind, derart, daß je zwei
hintereinander befindliche, vertikale, zur Aufnahme der Gläser be¬
stimmte, von einem dritten, horizontalen, dem Schauloch getroffen
werden. „Der Zwischenraum zwischen der ersten und zweiten Reihe
soll so eng sein, wie es noch möglich ist, ohne daß das Holz beim
Bohren bncht.“ 2 ) Die Breite dieses Zwischenraumes beträgt etwa
1 cm.
Beiden Apparaten haftet also der Fehler an, daß die zu ver¬
gleichenden Farbfelder nicht unmittelbar aneinander grenzen, sondern
durch das schw r arze Zwischenfeld getrennt sind. Dadurch wird die
Vergleichung sehr erschwert, ein geringer Färb- und Helligkeits¬
unterschied, auf den es ja gerade ankommt, oft vollständig unmerklich.
Die physiologischen Gründe, welche gegen das Zwischenschalten jenes
trennenden Streifens sprechen, wurden von Ewald Hering bereits
1S87 3 ) entwickelt: „Wenn zwei Teile einer Fläche für das Auge durch
nichts anderes voneinander verschieden sind, als durch ihre Farbe
und Helligkeit, und wenn diese Teile unmittelbar aneinander grenzen,
ist unser Wahrnehmungsvermögen für kleine Helligkeits- und Farb-
unterschiede bekanntlicn das größte. Es wird sogleich geringer,
wenn beide Flächenteile durch irgend etwas drittes, Unterscheidbares,
z. B. durch einen schwarzen Strich, getrennt sind.“ (S. 3.) „Daß
dadurch ein an und für sich sehr schwacher Farbunterschied zwischen
dem induzierenden und dem reagierenden Felde ,sehr viel zweifel¬
hafter' werden kann, ist richtig und leicht erklärlich. Erstens grenzen
die beiden zu vergleichenden Farben nicht mehr unmittelbar anein¬
ander, sondern es ist eine dritte, nämlich die schwarze Farbe des
Striches, zwischen sic eingeschoben, welche die Vergleichung um so
mehr stören muß, je breiter der Strich ist. Zweitens verstärkt das
Schwarz nach bekannten Kontrastgesetzen in seiner Nachbarschaft
die Weiblichkeit der beiden angrenzenden Farben, sodaß, da die sub¬
jektive Farbe des reagierenden Feldes an und für sich schon eine
äußerst wenig gesättigte und also ,sehr weißliche' ist“ — und dies
gilt besonders für die Michaelisschen Indikatoren — „dieselbe fortan
>) Sahli. Lehrbuch der klinischeu Untersuchungsmethoden 1914, II, 1, S. 295. —
Das hier für das Sahlische Hämometer Gesagte gilt natürlich in gleicher Weise für die
ihm nachgebauten Apparate z. B. den Bilirubinometer von Haselhorst, M. m. W. 1921,
S 174, oder den Bilirubinkolorimeter von Meutengracht, D. Arch. f. klin. M. 1921, 137, S. 38.
*)Michaelis, Praktikum der physikalischen Chemie, 1921 S. 39. •) Pflüg. Arch. 41
„l’eber die Theorie des simultanen Contrastes von Hc.l'mholtz".
noch weniger hervortreten kann. Endlich wirkt der simultane Kon¬
trast, wie insbesondere Mach ausführlich gezeigt hat, weitaus am
stärksten in unmittelbarer Nähe der Grenzlinie der beiden Farben.. .
Die für die simultane Kontrastwirkung der induzierenden Farbe wich¬
tigste Stelle, d. h. die unmittelbare Nachbarschaft der Grenze des
induzierenden Feldes, geht also durch den dunklen Strich ver¬
loren.“ (S. 11.) •
Danach ergibt sich für unsere Apparate also nahes Aneinander¬
grenzen der beiden zu vergleichenden Farben, um falsche, störende
Kontrastwirkung, d. h. das Weiß, zu vermeiden, das durch den Kon¬
trast mit dem umgebenden Schwarz hervorgerufen wird und dadurch
kleine Farbunterschiede unmerklich macht, ferner um die richtige
und für die Vergleichung wesentliche Kontrastwirkung in maximaler
Stärke zu erhalten. Dem gerecht zu werden, ist sehr einfach: man
hat nur die durch die bisherigen Gestelle bedingten Zwischenstützen
wegzulassen.
Für das Sahlische Hämometer ergibt sich daraus ein Apparat,
den Figur 1 besser als Worte veranschaulicht und den jeder
Spengler für wenig Geld hersteilen kann. Die in der Abbildung
nicht sichtbare Rückwand wird durch eine
Hg. 1. in zwei flachen, seitlichen Rinnen befestigte
Milchglasscheibe gebildet. Eine „unmittel¬
bare Nachbarschaft“ gewährt freilich er
auch nicht, aber das störende Mittelfeld
ist auf das Minimum eines feinen Stri¬
ches- reduziert, wenn man nur durch
Fig. 2.
Abfeilen des umgebogenen oberen Randes am graduierten Blut¬
röhrchen dafür sorgt, daß die beiden Gläschen unmittelbar aneinander
anliegen. Der Eindruck der „planparallelen Glaskästchen“ ist dabei
der gleiche wie bei der Sahlischen Anordnung. Betrachtet man nur
mit einem Auge, so hat man den Eindruck planparalleler Gefäße,
betrachtet man binokular, so kann man in beiden Gestellen erkennen,
daß man eben doch Röhrchen vor sich hat, sofern auch von vorn
genügend Licht auf die Röhrchen fällt. Im allgemeinen wird man
den Apparat gegen das Helle halten, wobei die für die Sichtbar¬
machung der Wölbung erforderliche Beleuchtung von vorn, wie auch
Sahli andeutet, kaum zur Geltung kommt. Das Anwachsen der
Farbintensität nach der dicksten Schicht der Mitte haftet beiden
Anordnungen nach wie vor an. Tatsächlich stört das wenig oder
gar nicht. Der kleine Nachteil, daß die dünnste Randschicht noch
zur Geltung kommt, wird weit überwogen durch das Wegfallen des
breiten schwarzen Mittelpfeilers.
Etwas schwieriger war es, einen brauchbaren Ersatz für den
Walpoleschen Komparator zu finden. Es müssen hier zwei Reagenz¬
gläserpaare miteinander verglichen werden. (Die Notwendigkeit,
gleichzeitig drei Paare zu betrachten, läßt sich wohl immer vermeiden.)
Figur 2 zeigt das Modell, das sich mir am besten bewährt hat und
den geforderten optischen Bedingungen am besten gerecht wird.
Es besteht aus einem Rahmen von 4 cm Kantenlänge mit Boden,
den man zweckmäßig mit Mull oder ähnlichem belegt, einer horizon¬
talen, mit Ausschnitt versehenen, etwa 8 cm hohen Vorderwand
und einem dem ersteren entsprechenden oberen Rahmen, der die
Reagenzgläser zusammenhält. Wesentlich ist daran, daß der Quer¬
schnitt des Apparates die Form eines liegenden „U“ hat, d. h. daß
die durch die Mattscheibe gebildete Hinterwand keine senkrechten
Stützen erhält. Bringt man solche doch an, so erhält man stets
außerordentlich störende Reflexe nahe den Berührungsstellen der
vier Gläser. Das seitlich etwas vorspringende Milchglas läuft oben
und unten in einer Rinne. Es ist hier ebenso wichtig wie vorher, daß
die vier Reagenzgläser unmittelbar aneinanderliegen; man muß das
Gestell seinen Gläsern richtig „anmessen“ lassen. Die Hand, die
diesen Komparator in Augenhöhe hebt, soll sie noch einmal tunlichst
zusammenpressen, muß sich aber dabei hüten, in Höhe der Matt¬
scheibe zu kommen. Versuche mit Beobachtung unter Wasser o. ä.,
um die mittleren Partien reflexlos zu bekommen und auf diese Weise
die Streifen, die bei dem Aneinanderliegen der Gläser noch etwas
stören können, zu vermeiden, führten zu keinem besseren Ergebnis.
Für die Betrachtung empfiehlt Michaelis „ferner außerdem
eine Bl au scheibe vorzuhalten. Dadurch verwandelt man die Quaii-
Digitized by
■V Google
Original from
CORNEIL UNfVERSITT
252
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 8
titätsunterschiede in Qualitätsunterschiede (Nuancen zwischen
Blau und Gelbgrün), welche das Auge mit geringerer Mühe unter¬
scheidet.“ 1 ) Durch das Vorsetzen einer Blauscheibe wird aber ledig¬
lich ein anderer, günstigerer Adaptionszustand geschaffen; im einen
wie im anderen Falle handelt es sich um Qualitätsverschiedenheiten.
Eine Vergleichung verschiedener Farben (heterochrome Photometrie)
wird um so leichter, je mehr es gelingt, Farben unterschiede durch
bloße H e 11 i g k e i t s unterschiede zu ersetzen. Bei Vorhalten einer
Blauscheibe wird solches nur ausnahmsweise, keineswegs aber all¬
gemein der Fall sein. In praktischen Versuchen habe ich es noch
günstiger gefunden, mittels eines breiten Graukeiles, den ich hinter
der Mattscheibe verschob, die jeweils günstigsten Beleuchtungs¬
bedingungen zu finden, bin aber schließlich aucn davon wieder ab¬
gekommen und halte in der beschriebenen Anordnung die einfache
Betrachtung für ausreichend 2 ).
Die feine, schwarze Grenzlinie, die auch bei unserer Anordnung
noch zwischen beiden Feldern .vorhanden ist, bedingt eine, wenn auch
nur unbedeutende, Erschwerung in der Vergleichung der beiden
Flächen. Dies läßt sich in einer für diese Zwecke durchaus geeigneten
Weise dadurch beseitigen, daß man sich nach bekanntem Prinzip
z. B. mit einem schwachen Konvexglas versieht und das Objekt ein
wenig über den Fernpunkt hinaushält, sodaß die Grenzlinie nicht
maximal scharf, sondern ganz leicht verwaschen erscheint. Zweck¬
mäßig befestigt man die Linse am okularen Ende eines entsprechend
langen, schwarzen Tubus, sodaß störende Reflex- und Kontrast¬
wirkungen ausgeschaltet werden. Auf diese Weise ist erreicht, daß
die Flächen ohne jede Trennungslinie aneinanderstoßen. Will man
bei künstlichem Licht arbeiten, so muß man darauf achten, daß die
Strahlen der Lichtquelle durch einen Seidenschirm oder Aehnliches
gleichmäßig verteilt werden.
In zahlreichen Versuchen 3 ) konnte ich mich immer wieder davon
überzeugen, wie viel rascher und sicherer mit den neuen Apparaten
feine Farbunterschiede zu erkennen sind und wie viel leichter bei
der Hämoglobinbestimmung die notwendige Farbgleichheit in beiden
Röhrchen erzielt werden kann.
Au$ dem Biologischen Laboratorium des Städtischen Kranken¬
hauses Am Urban in Berlin.
Die Anwendung der Indikatorenmethode auf den Magen-
und Darinsaft.
Von Leonor Michaelis und Fritz Müller.
Die in der D. m. W. 1921 Nr. 17 und 24 beschriebene vereinfachte
Indikatorenmethode kann auch für den Magen- und Darmsaft ange¬
wendet werden. Dies ist für klinische Zwecke deshalb von Interesse,
weil alle bisher für den Magensaft angegebenen kolorimetrischen
pH-Bestimmungen 4 ) nur Schätzungen des p H gestatten. Die Ursache
für diese bisher bestehende Mangelhaftigkeit ist erstens die Trübung
und Eigenfärbung des Magensaftes, zweitens der verhältnismäßig
große Eiweißfehler, den viele Indikatoren geben. Die erste Schwierig¬
keit ist durch die Einführung des Komparators überwunden, die
zweite durch die Anwendung der neuen Indikatoren der Nitrophenol-
reihe, die nur einen kleinen Eiweißfehler geben, ebenfalls beseitigt.
Ihr Eiweißfehler ist so klein, daß er durdi eine für jede Art von
Magensaft in gleicher Weise gültige, auch andere Fehlerquellen
berücksichtigende Korrektur berichtigt werden kann. Auf welche
Weise wir diese Korrektur eichten, wird an andrer Stelle genauer
beschrieben werden. Innerhalb desjenigen p H -Bereiches, den die vier
früher beschriebenen Indikatoren umspannen (3—8,5), wendet man
also genau die daselbst angegebene Methode an und korrigiert den
Fehler dadurch, daß man von dem ermittelten p H abzieht
fUr a = Dinitrophenol.0,2
für y = Dinitrophenol.0,1
für p = Dinitrophenol. 0,2
Für m-Nitrophenol haben wir die Korrektur nicht bestimmt, weil
sie hier ohne praktisches Interesse ist.
Für das p H -Bereich von 2,4—3,2'fügen wir hinzu den Indikator
ß-Dinitrophenol (Stammlösung 0,1/300,0 Aqu. dest.).
Herstellung der Dauerreihe für ß-Dinitrophenol:
Röhrchen
1
2
3
4
5
lOfacheUndikatorverdünnung 1
in etwa 0,1 n-Sodalösung /
0,49
0,76
1,15
1,68
2,44 ccm
0,1 n-Sodalösung . .^ . . .
6,51
6,24
5,85
5,32
4,56 ccm
pu-Etikette . . *• *.
2,4
2,6
2,8
3,0
3,2 ccm
Anwendung genau wie bei den anderen Indikatoren. Korrektur
für Magensaft besteht in Subtraktion von 0,2.
Das mit all diesen Indikatoren umspannte p H -Bereich genügt für
die Untersuchung der meisten Magensäfte von Säuglingen und aller
Darmsäfte, umfaßt aber noch nicht die Aziditäten des Magensaftes
beim Erwachsenen (auch beim Säugling kommen ja vereinzelt höhere
*) D. m. W. 1921 S. 465. — •) Vgl. C. !v. H>'ß ltn Handbuch der biologischen
Arbeitsmethoden 1921 , Abt V, Teil 6 , S. 196-197. — •) Ueber eine Arbeit mit Ver¬
wendung der Michaelischen Indikatoren wird Herr Endres demnächst berichten. —
4 )Mich'aelis und Davidsohn, Zschr.f. exper. Path. u.Tber. 1910; J.Chrisiansen,
Blochern. Zschr. 1912,46, S. 24; Michaelis, Blochern. Zschr. 1917,79, S. 1; Uns Arch. f.
Verdauungskr. 27, H. 4/5.S. 382.
Aziditäten des Magensaftes vor). Hierfür haben wir folgende Methode
ausgearbeitet. Wir beschreiben hier nur ifore Ausführung und werden
ihre Begründung an anderer Stelle ausführlich geben.
Der angewendete Indikator ist Kristall violett. Haltbare Dauer¬
lösungen lassen sich nicht herstellen, sondern die Vergleichslösungen
müssen jedesmal frisch zubereitet werden. Dies ist hier aber be¬
sonders einfach und schnell ausführbar. Man füllt in eine Reihe von
7 Reagenzgläsern:
3 4 5 6 7
oe | c | n am ni rrm sämtlich auf 10 ccm mit
Z>5 h 6 _ °’ 4 ccm Aqu. dest. aufgefüllt
1,5 1,7 1,9 2,1 2,3 ccm
Glas Nr. 1
0,1 n-HCl
6,35
pB-Etikette 1,1
4,0
1.T
In ein 8. (9., 10. usw.) Glas füllt man 10 ccm Magensaft (bzw.
der verschiedenen zu untersuchenden Magensäfte). Nun gibt man
schnell hintereinander, d. h. innerhalb 1—2 Minuten,
in jedes der 8 (bzw. 9, 10 usw.) Röhrchen 0,5 ccm einer wäßrigen
Lösung von Kristall violett 0,03/150,0 (diese Stammlösung ist dauernd
haltbar) und beobachtet im Komparator wie gewöhnlich mit Matt¬
scheibe, hierbei aber ohne Blauscheibe. Das p H liest man unmittelbar
vom Etikett ab, die Werte sind schon für die Verhältnisse des Magen¬
saftes korrigiert. Ist das Material knapp, so kann man ohne Schaden
in den Röhrchen mit Magensaft alle Dosen halbieren, verdünnt
darf Magensaft in diesem Aziditätsbereich aber nicht
werden. • i ! ;
Der Gang der Untersuchung gestaltet sich folgendermaßen: Man
prüft zunächst den filtrierten Magensaft mit Kongopapier. Ist die
Reaktion deutlich positiv, so wendet man zur genaueren Unter¬
suchung Kristallviolett wie oben an. Ist die Reaktion negativ, so
gibt man etwa 0,5—1 ccm Magensaft in ein Reagenzglas und füllt
in dieses eine Röhrchen hintereinander je 2 Tropfen der früher be¬
schriebenen Stammlösungen der Indikatoren genau in folgender
Reihenfolge: m-Nitrophenol, p-Nitrophenol, Y-Dinitrophenol, a-Dinitro¬
phenol, evtl, dann auch noch ß-Dinitrophenol. Der erste der Indika¬
toren, der eben eine Gelbfärbung hervorruft, muß für die genauere
Untersuchung verwendet werden, und zwar in der früher beschrie¬
benen Weise.
Uebrigens gelingt es schon nach dieser Vorprüfung, den p H -Wert
roh zu schätzen, wenn man das optimale Wirkungsbereich der ein¬
zelnen Nitrophenole (m-Nitrophenol 8,4—7, p-Nitrophenol 7—5,4,
Y-Dinitrophenol 5,4—4,2, a-Dinitrophenol 4,2—3,0, ß-Dinitrophenol 3,4
bis 2,4) berücksichtigt. Tritt z. B. bei Y-Dinitrophenol die erste Gelb¬
färbung ein, so liegt je nach der Intensität der Färbung, die man
rasch beurteilen lernt, aer p H -Wert näher an 4,2 oder 5,4.
Magensäfte im Bereich von a-Dinitrophenol, Y-Dinitrophenol, p-
Nitrophenol, m-Nitrophenol können ohne Schaden 3—4fach verdünnt
untersucht werden, sodaß man besonders bei dem oft sehr spärlichen
Material bei Säuglingen mit 1,5 ccm Magensaft auskommt. Die stärker
saueren Magensäfte dürfen nicht verdünnt werden.
Eine nach diesen Vorschriften angeführte p H -Bestimmung erfordert
kaum mehr als 5 Minuten und erfüllt an Genauigkeit alle Ansprüche,
die an klinische, ja meist sogar an exakte physiologische Unter¬
suchungen gestellt werden dürfen.
Aus der Experimentell-biologischen Abteilung des Pathologischen
Institus der Universität in Berlin. (Vorstand: Prof. Dr. A. Bickel.)
Experimentelle Untersuchung über den Einfluß des Radio¬
thoriums auf den Stoffwechsel.
Von Dr. K. Miyadera in Tokio.
Unter den radioaktiven Elementen haben bisher nur das Radium-
bromid .und die Radiumemanation, ferner das Mesothorium, das
Thorium X und die von ihm gebildete Thoriumemanation thera¬
peutische Verwendung gefunden und sind in ihren Wirkungen auf
den tierischen und menschlichen Organismus genauer studiert worden.
Das Thorium X und mit ihm die Thoriumemanation ist vor allem
bei inneren Krankheiten gegeben worden. Indessen besteht eine
Schwierigkeit bei der Medikation des Thorium X darin, daß es
außerordentlich kurzlebig ist (Halbwertsperiode 3,6 Tage), also immer
möglichst unmittelbar nach seiner fabrikatorischen Herstellung Ver¬
wendung finden muß. Das war natürlich einer ausgedehnten An¬
wendung der Thorium X-Therapie hinderlich. Beim Radiothorium,
der Muttersubstanz des Thorium X, liegen die Verhältnisse günstiger.
Seine Halbwertsperiode beträgt 2 Jahre. Es produziert dauernd, also
auch nach seiner Einführung in den Körper in diesem selbst das
Thor X, und dieses läßt die Thoriumemanation hervorgehen. Eine
therapeutische Verwendung des Radiothoriums hat zur Voraussetzung
das Studium dieser Substanz in ihrem Einflüsse auf die verschiedenen
Funktionen des tierischen und menschlichen Körpers. Bei Abschluß
dieser Arbeit liegen nur ganz vereinzelte Beobachtungen in dieser
Richtung in der medizinischen Literatur vor. Prado Tagle 1 ) hat
im Jahre 1912 im hiesigen Laboratorium die erste hierauf bezüg¬
liche Beobachtung gemacht und gefunden, daß Depots einer schwer
löslichen Radiothorverbindung in dem Gewebe zunächst eine_ wirk¬
liche Entzündung: kapillare Erweiterung, Exsudation, leukozytäre In¬
filtration und später Karyolyse, Nekrose und Fibroblastenvermehning
’) Prado Tagle B. kl. W. 1912 Nr.88.
Digitized b
Google
Original from
CORNELL UNÜVERSITY
23. Februar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
253
hervorrufen. P. Lazarus 1 ) hat dann später das Radiothorium in
Kompressenform gebracht und so therapeutisch äußerlich verwandt.
Voraussetzung der internen Anwendung des Radiothoriums war
die Herstellung einer wasserlöslichen Verbindung und die fabrika¬
torische Darstellung genügender Mengen der Substanz. Dieses Pro¬
blem ist jetzt von den chemischen Werken, vormals Auergesellschaft,
gelöst worden, denen ich die zu meinem Versuche erforderliche
Radiothoriummenge verdanke.
Man darf annehmen, daß nach der Einführung einer Radiothorium¬
lösung in die Blutbahn am Stoffwechsel ähnliche Wirkungen sicht¬
bar werden, wie man sie nach der Einführung des Thor X beobachtet
hat. Ich weise hier auf die Untersuchungen von Plesch, Karczag,
Keetmann, Maß, Pappenheim 2 ) hin, die nach intravenösen
Injektionen von Thorium X beim Menschen in der Regel ein An¬
steigen des respiratorischen Quotienten, eine Vermehrung des Sauer¬
stoffverbrauches feststellen konnten.
Meine Versuchsanordnung war folgende:
Ein 10 kg schwerer Hund erhielt täglich
60 g getrocknetes Pferdefleischpulver — 7,1500 g N
45 g Reis - 0,4784 gN
80 g Margarine
2,5 g Kochsalz
1200 ccm Leiturigswasser _
Summa: 7,6364 g N
Bei diesem Futter blieb der Hund in der lOtägigen Vorperiode
ungefähr bei konstantem Körpergewicht und war annähernd in N-
Oleichgewicht.
Harn-N. 59,0045 g
Kot-N. 8 ,3190 g
Summa: 67,3235 g
Nahrungs-N. 763640 g
Harn + Kot-N. . . . 67,3235 g
Differenz: 9,0405 g
N-Retention pro Tag.+ 0,9040 g
Die Hamsäureausscheidung betrug im Durchschnitt pro Tag:
0.0473Q g. Der Sauerstoffverbrauch im nüchternen Zustande und bei
Ruhe betrug am 6. Tage der Vorperiode 8,3 ccm 0 2 pro Kilogramm
Körpergewicht. — Für die Durchführung der Respirationsversuche
bin ich Herrn Prof. A. Loewy dankbar verpflichtet.
Am 11. Versuchstage erhielt der Hund eine einmalige intravenöse
Injektion einer 200000 Mache-Einheiten starken Radiothoriumlösung.
Das Tier wurde weiterhin 11 Tage untersucht. Das Körpergewicht
blieb ungefähr konstant. Am 12. Tage dieser Radiothoiperiode trat
Erbrechen auf, das Tier verweigerte die Nahrung vollständig, nach¬
dem es schon am 8. und 9. Tage der Radiothorperiode vorüber¬
gehend die Nahrung nicht quantitativ gefressen hatte. (Die Nahrungs¬
reste wurden an diesen Tagen analysiert und von dem Normal-
nahrungswerte in Abzug gebracht.)
Harn-N. 60,4339 g
Kot-N. 11,6766 g
Summa: 72,1105 g
Nahrungs-N .. 82,7269 g
Harn + Kot-N.. . 72,1105 g
Differenz: 106164 g
N-Retention pro Tag ..+ 0,9651 g
Die Hamsäureausscheidung betrug im Durchschnitt pro Tag
0,0652 g. Der Sauerstoffverbrauch in nüditernem Zustande und bei
Ruhe betrug am 2. Tage der Radiothorperiode 8,4 ccm 0 2 pro
Kilogramm Körpergewicht. Am 9. Tage aieser Periode betrug er
9,4 ccm 0 2 pro Kilogramm Körpergewicht.
Aus dieser Zusammenstellung ergibt sich, daß, wenn man die
Durchschnittsresultate der beiden Perioden untereinander vergleicht,
Körpergewicht und Stickstoffbilanz dieselben sind, daß aber die Harn-
saureausscheidung in der Radiothorperiode eine leichte Steigerung
erfuhr, und daß der Sauerstoffverbrauch deutlich vermehrt war.
Nun legt man aber durch die einmalige Radiothorinjektion im
Körper gewissermaßen Depots von Radiothor an; denn ich habe
mich überzeugt, daß 16 Tage nach der Radiothorinjektion im Körper
des Tieres noch beträchtliche Mengen radioaktiver Substanz waren.
Ueber das genaue Ergebnis dieser Messungen wird Herr Dr. Hara-
maki an anderer Stelle berichten. Man muß darum mit der Mög¬
lichkeit rechnen, daß mit der Dauer der Einwirkung — auch wenn
fortwährend gewisse Radiothormengen mit Kot und Harn ausge¬
schieden werden — dennoch der Stoffwechsel eine allmählich fort¬
schreitende Aenderung erfährt. Ich habe darum in dieser Radiothor¬
periode den Kot alle zwei Tage untersucht, den Ham täglich, um
die Möglichkeit zu haben, genau den Stoffwechsel verfolgen zu
können. Wenn man so die Radiothoiperiode in zwei Teile, A = 1.
bis 6. Tag, B = 7. bis 11. Tag, einteilt, findet man Folgendes:
Unterperiode A.
Unterperiode B.
Hara-N. 34,1475 g
Kot-N. 5.0679g
Summa: 39,2154 g
Nahrungs-N. 453184 g
Harn + Kot-N. 39,2154 g
Differenz; + 6,6030 g
N-Retention pro Tag . . . . + 1,1005 g
Haraslureausscheidung tigl. • 03521 g
Harn-N . 263864 g
Kot-N. 6,6 087 g
Summa: 32,8951 g
Nahrungs-N. 36,9065 g
Ham + Kot-N . . . . 32 . 89M g
Differenz: + 4,0134 g
N-Retention pro Tag . . . . + 03026 g
Hamsäureausscheidung tägl. 0,08031 g
*) Paul Lazarus, Handbuch der Radiumbiologie und Therapie 1913 S.248. —
*) Plesch, Karczag Keetmann, Mäaö, Pappen heim, Zschr. f. exper. Path.
u. Ther. 1912, 12, H. 1 . '
Es geht daraus hervor, daß in späterer Zeit der
Radiothorperiode, also in der Unterperiode B, die N-
Bilanz weniger stark positiv, die Harnsäureausschei¬
dung nennenswert größer, als in der früheren Zeit,
nämlich in der Unterperiode A, ist. Auch der Ölverbrauch
wird ja, wie wir oben sahen, gerade in dieser späteren Zeit der
Radiothorperiode, nämlich in der Unterperiode B, erst gesteigert.
So kann man aus meinem Versuche den Schluß zie¬
hen, daß die einmalige Injektion einer großen Radio¬
thormenge in die Blutbahn (200000 Mache-Einheiten auf
10 Kilogramm Körpergewicht = 20000 Mache-Einheiten
auf 1 Kilogramm) eine allmählich sich ausbildende
Stoffwechselstörung hervorruft, die dadurch charak¬
terisiert ist, daß die gesamte N-Ausscheidung in Harn
-j- Kot, wie insbesondere auch die Harnsäureausschei¬
dung, langsam vergrößert wird, was auf einen ver¬
stärkten Eiweißzerfall bzw. in dem vorliegenden Falle
auf einen geringeren N-Ansatz hinweist. Hand in
Hand damit geht eine Steigerung der Oxydation.
Alle diese Erscheinungen sind im Stoffwechselversuch schon in
ihren ersten Anfängen nachweisbar, noch bevor es zu einer Ver¬
minderung des Körpergewichtes gekommen ist.
Im weiteren Verlauf stellen sich dann noch andere schwere
Krankheitserscheinungen seitens des Verdauungstraktus ein: Herab¬
gesetzte Freßlust, Erbrechen und allgemeine Apathie. Dann sinkt
natürlich das Körpergewicht rapide, allein schon wegen der mangel¬
haften Nahrungsaufnahme.
V er Suchsprotokolle.
Vorperiode.
Versuchstag ||
(jq Körpergewicht
w N im Harn
o
*
S
z
g
_ Harnsäure in» I
” Harn
N in der
Nahrung
_ N durchschnitt-
w liehe Bilanz
N durchschnitt-
w liehe Bilanz
_ Harnsäure
" "Mittelwert
_ Harnsäure
w Mittelwert
Qaswechsel O*
Verbrauch pro kg
Körpergewicht ccm
Bemerkungen 3 |
1.
10,000
9,6988
0,02739
7,6364
+ 0,9040
2.
9,900
53469
0,04440
7,6364
+ 0,9040
3.
10,000
8,2723
0,05598
7,6364
+ 0,9040
4.
9,850
5,9136
0,02587
7,6364
+ 0,9040
©
5.
9,850
4,6926
i
0,02475
7,6364
4 0,9040
6.
9,750
5,6212
I
0,04350
7,6364
+ 0,9040
83
7.
9370
5,8726
0,04434
7,6364
+ 0,9040
&
9,700
4 6757
0,05172
7,6364
+0,9040
9.
9,750
5,6448
0,05100
7,6364
+0,9040
10.
9,900
3,0660
0,10500
7,6364
+ 0,9040
11 .
10,000
5,4779
11,7832
0,07950
12 .
10350
3,2806
/
0,02844
13.
10.050
5,8930
} 2,2300
0,03224
14.
10,000
7,4281
0,02710
15
10,100
7,1075
} 1,0547
0,08220
16.
10300
4,9604
0,06621
17.
10300
5,9598
} 3,6246
0,07434
18.
10,250
5,0520
0,08580
19.
10,100
3,0214
\
0,04980
20 .
10,100
7,0627
>2,9841
0,09247
21 .
10,100
5,1905
1
0,09915
22 .
9,600
Hauptperiode.
7,6364
+ 0,9651
+ 1,1005
0,05210
7.6364
+ 0,9651
+ 1,1005
0,05210
7,6364
+0,9651
+ 1,1005
0,05210
7,6364
+0,9651
+0,9651
H 1,1005
005210
7,6364
+ 1,1005
0,05210
0,05210
7,6364
+0,9651
+ 1,1005
§
7,6364
+0,9651
+0,9651
+ 0,8026
©
0,08031
6,8547
+0,8026
0,06031
7,1446
+0,9651
+0,8026
0,08031
7,6364
+03651
+ 0,8026
0,08031
7,6364
+0,9651
+0,8026
0,0803T
Injek¬
tion
Er¬
brechen
Bei der Sektion des Tieres fanden sich submuköse Blutungen im
Dickdarm und in der Harnblase. Das Mark der langen Röhrenknochen
war in der Mitte gelblich, an den* Epiphysen rot. — Die Zahl der
roten Blutzellen betrug am 12. Tage der Radiothorperiode 5 592000,
die der weißen 3600.
Wenn ich diese Beobachtungen mit den Untersuchungen des
Einflusses der Radiumemanation auf den Stoffwechsel vergleiche, wie
sie von v. Noorden und Falta in dem Lazarusscnen Hand¬
buche (1. c. S. 321 ff.) zusammengestellt sind, so finde ich, daß in
beiden der Qaswechsel gesteigert ist, daß in beiden Fällen der Einfluß
auf den Eiweißumsatz nicht sehr markant ist, wenn auch die Neigung
zu einer Steigerung besteht, und daß in beiden Fällen eine Tendenz
zu vermehrter Harnsäureausscheidung vorliegt.
Die Radiumemanationsbehandlung wie die Radiothorinjektion be¬
deuten beide in erster Linie eine Therapie mit a-Strahlen. So wird
die weitgehende Gleichartigkeit der Wirkungen des Radiothors und
der Radiumemanation auf den Stoffwechsel verständlich.
Abgeschlossen am 15. I. 1922.
Digitized b'
Google
Original from
CORNELL UNIVERS1TY
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
254
Nr. 8
Aus der Frauenklinik der Universität in Bonn.
(Direktor: Geh.-Rat Otto v. Frauqu6.)
Ein eigenartiges Zirkulationsphänomen
bei einer Schwangeren und einer Eklamptischen 1 ).
Ern Beilrag zur Kenntnis der kapillaren Blutungen.
Von Prof. Hans Hinselmann, Oberarzt der Klinik.
M. H.! Ich möchte mir erlauben, Ihnen ein eigenartiges Phänomen
der peripherischen 'Zirkulation zu zeigen, das ich in den letzten
Wochen zum erstenmal gesehen habe, obwohl schon Zehntausende
von Kapillaren an meinem Auge vorbeigegangen sind. Ist es so
einmal die Seltenheit der Erscheinung, die mich veranlaßt, sie zu demon¬
strieren, so noch mehr die anfängliche Schwierigkeit der Erklärung
und die theoretische Bedeutung. Bei einer I gr. mens. X mit einer
sehr sinnfälligen Graviditätsverschlcchterung der peripherischen Zirku¬
lation (langsame Strömung, dicker, venöser Schenkel und zahlreiche
Stasen) sah ich bei der ersten kapillarmikroskopischen Untersuchung
vor der Blutdruckmessung folgendes Bild, das sofort meine Auf¬
merksamkeit fesselte: Ich sah oberhalb der Kuppe einer dicken
Kapillare, etwa so, wie die Skizze es zeigt, einen Ballen von Blut¬
körperchen außerhalb der Umrisse der Kapillare. Strömte das Blut
in der Kapillare, so wurde die Bewegung auch dem Ballen mitgeteilt.
Der Ballen geriet in eine drehende und gleichzeitig in eine wippende
Bewegung, d. h. er entfernte sich etwas von der Kapillarkuppc und
sank dann wieder zurück. Es war eine deutliche freie Zone meist
zwischen Ballen und Kapillare nachweisbar. Außer dem Ballen lagen
nur noch einzelne rote Blutkörperchen an der mit +4* versehenen
Stelle des Raumes, in dem der große Blutballen kreiste, der nicht
immer bei seinen Bewegungen den parangialen Raum ganz ausfüllte.
Verlangsamte sich die Strömung in der Kapillare, so drehte sich der
Ballen langsamer. Stand die Strömung still, so kam auch der Ballen
zur Ruhe. Es zeigte sich sehr bald, daß der parangiale Raum mit
dem Kapillarlumen kommunizierte. Denn zweimal ist unter meinen
Augen, ja zum Teil durch mein Zutun (Stauung), der Ballen ver¬
schwunden. Er verschwand in toto in der Strömung des abführenden
venösen Schenkels. Nach seinem Verschwinden sah man besonders
deutlich, daß einzelne rote Blutkörperchen an der Peripherie des
parangialen Raumes lagen. Aber ebenso, wie der Ballen unter meinen
Augen verschwand, bildete er sich auch wieder neu, indem rote
Blutkörperchen einzeln oder zu mehreren verbacken aus der Kapillare
in diesen Raum flogen und nun darin herumwirbelten. Sehr bald
bildete sich aus den kleinen neuen Ballen ein größerer Gesamtballen,
und das alte Bild war wieder da. An einem anderen Tage war die
Strömung in der Kapillare zeitweise sehr schnell, nicht körnig und
heller. Dann drehte sich auch der Ballen mit größerer Geschwindig¬
keit, und dabei flogen nun einzelne rote Blutkörperchen oder mehrere
verbacken von dem Hauptballen durch die Zentrifugalkraft weg und
kreisten in einer gewissen Entfernung um den Hauptballen. Der
Ballen wurde gleichsam durch die wegstrebenden Teilchen dicker
und in seiner äußeren Schale lockerer gebaut. Einige der weg¬
strebenden Teilchen flogen auch an die Umgrenzung des parangialen
Raumes. In seiner Tönung war der Ballen meist dunkler als das
Blut der Kapillare. Kam nach Abklemmen der Brachialis plötzlich
wieder das Blut in die Kapillare, so war hier der Farbenumschlag
des Blutes von Blau in Rot sofort da. Beim Ballen dauerte es länger,
und es war bemerkenswert, daß die dem strömenden Blut zugekehrte
Seite sich schneller dem Rot näherte als die abgekehrte, die auch nur
durch die einsetzende Drehbewegung bessere Durchlüftungsmöglich¬
keit bekam. Bis zur Geburt (4. Tag) änderte sich der Zustand nicht.
Es war immer der gleiche Befund. Nach der Geburt änderte sich in
gewohnter Weise die Kapillarströmung. Das Blut war heller, das
Kaliber des venösen Schenkels dünner, die Strömung sehr viel schneller.
Seit der Geburt ist eine Aenderung eingetreten. Es ist ein außer¬
ordentlich lebhafter Wechsel zwischen dem Inhalt der Kapillare und
des parangialen Raumes. Bei etwas stärkerer Vergrößerung sieht es
aus wie ein Schneeflockentreiben, wie ein stetes Gehen und Kommen.
Soweit der Befund bei der Schwangeren und Wöchnerin. Ich
habe daraufhin ihre sämtlichen Finger durchgesehen. Am Mittel¬
finger derselben Hand fanden sich noch ähnliche Bilder, wenn auch
nicht so in die Augen fallend wie am Kleinfinger.
Kurz darauf kam eine Eklampsie zur Beobachtung, wo ich an
drei Kapillaren des rechten Kleinfingers den gleichen Vorgang sah.
Die übrigen Finger boten die Veränderung nicht. Die Eklampsie war
leicht. Die Erhöhung des Gefäßtonus mit seinem Einfluß auf die
Gewebsdurchblutung war in der Weise nachzuweisen, wie sie unserm
Typ II entspricht (siehe Mschr. f. Geburtsh. 1922: Vortrag in Kreuznach,
und Arch. f. Gynäk. 1922: Die Kapillarströmung bei der Eklampsie).
Ich gebe diese Befunde erst in ihrem Verlauf, weil wir uns dann
eher ein Bild von dem Ganzen machen können.
Drei Kapillaren ein und desselben Fingers haben am venösen
Schenkel kleine Ballen neben dem Gefäß liegen (siehe Fig. 2). Diese
Ballen sind in Bewegung in ähnlicher Weise wie bei der Schwangeren.
Einmal wurde sie erst' bei Hochlagerung des Armes sichtbar. Ein
Ballen lag etwas weiter ab vom Gefäß. Er bewegte sich nicht.
Drei Tage später sind an Stelle der Ballen kleine Ausbuchtungen
*) Nach einem Vortrag'auf der Niederrheinischen Oesellschaffftir Natur- und Heil¬
kunde am 14. XI. 1921-
am Gefäß (siehe Fig. 3). Eine der Ausbuchtungen trägt wie einen
Auswuchs einen Ballen. Weiterhin sind die Ballen nicht mehr nach¬
zuweisen gewesen. Es sind an ihrer Stelle nur noch die buckel-
artigen Auftreibungen kleinsten Ausmaßes nachzuweisen.
Kein Zweifel war ja von Anfang an daran möglich, daß der par¬
angiale Raum mit dem Gefäßlumen in Verbindung stände. Es war
nur die Frage, ob der parangiale Raum präformiert war oder aber
eine große pathologische Gewebslücke ohne Endothelauskleidung.
Daß einzelne rote Blutkörperchen an der Wand hafteten und lange
an derselben Stelle liegen blieben bei der Schwangeren, sprach für
Wandrauhigkeit, also Fehlen einer Endothelauskleidung. In dieser
Ueberzeugung wurde ich bestärkt durch den einen Befund bei der
Eklamptischen. Dort lag ein Ballen weiter ab von der Kapillare im
Gewebe. Ueber jeden Zweifel wurde nun die Frage dahin entschieden,
daß es sich nicht um einen präformierten Raum handelt, sondern um
eine pathologische Gewebslücke durch die weiteren Veränderungen,
die bei der Schwangeren beobachtet wurden. Bei der Eklamptischen
wurden offensichtlich die parangialen Räume sehr bald in das Gefä߬
lumen einbezogen, sodaß man schon nach vier Tagen nichts mehr
bemerkt hätte, wenn man die Stelle nicht gekannt hätte. Bei der
Schwangeren vollzog sich folgende Veränderung. Am 11. Tag post
partum war der Ballen nicht mehr da, wohl aber flogen noch ein¬
zelne rote Blutkörperchen in den parangialen Raum, aber nur von
einer Stelle des Gefäßes aus. Entlang dem Boden des parangialen
Raumes hatte sich ein ganz schmales Gefäßrohr gebildet, das die
beiden weiteren ursprünglichen Gefäßrohre miteinander verband. Bei
mäßiger Stauung flogen viele rote Blutkörperchen in den parangialen
Raum und bildeten dort einen größeren Ballen.
Der Befund am 11. Tag post partum war etwa so, wie die Fig. 1
ihn zeigt.
Aus alledem geht hervor, daß der parangiale Raum eine vor¬
übergehende pathologische Erscheinung war und daß unter Neu¬
bildung des einseitig verletzten Kapillarrohres die Rückbildung er¬
folgt unter allmählich zunehmendem Verschluß der Oeffnung. Vom
19. Tag post partum an habe ich keine roten Blutkörperchen mehr
außerhalb des Gefäßes gesehen. Sehr deutlich blieb aber während
der ganzen weiteren Beobachtung bis zum 28. Tag der Kaliberunter¬
schied zwischen dem geheilten und dem alten Kapillarrohr (s. Fig. 5).
Fig. 4 .
Fig. 5.
Fig. 6.
Vorix
a
Es ist also eine nur mikroskopisch sichtbare Blutung, die von um so
größerer Bedeutung ist, als in diesem Fall der Blutdruck erst nach
der Beobachtung gemessen ist, sodaß die Blutung nicht auf die
Blutdrudemessung mit ihrer Rückwirkung auf die Kapillarströmung
zurückgeführt werden kann.
Dieser intravitale Nachweis von kapillaren Blu¬
tungen bei einer Schwangeren und einer Eklampti¬
schen ist deshalb von so großer Bedeutung, weil Blutungen im
Sektionsbefund der Eklampsie eine so große Rolle spielen (siehe auch
Zöllner, Ueber das Auftreten von Stauungsblutungen bei Schwanger¬
schaftsniere und Eklampsie, Zblf. Gyn. 1921 Nr. 31) von den größten
bis zu den kleinsten. Daß bei einer gesunden Schwangeren etwas
zu finden ist, was wir in höchster Steigerung bei der Eklampsie finden,
ist um so mehr zu bemerken, als wir vor kurzem schon eine gleich¬
sinnige Abweichung bei normalen und kranken Schwangeren gefunden
haben. Bei beiden ist eine Störung der Kapillarströmung festgestellt,
die nur graduellen Unterschied in upn beiden Gruppen aufweist.
Wenn wir jetzt also wieder eine Uebereinstimmung feststellen, so
bestärkt uns das in der Ueberzeugung, daß schon in der normalen
Schwangerschaft Vorgänge nachzuweisen sind, die wesensgleich sind
mit den Vorgängen bei der pathologischen Schwangerschaft und nur
durch den Grad von ihnen verschieden.
Ich habe in der M. m. W. auf einem Vortrag in Kreuznach über
die Eklampsie (siehe Mschr. f. Geburtsh. 1921) und in einer Arbeit
über „die Kapillarströmung bei der Eklampsie“ (Arcli. f. Gynäk. 1922)
gesagt, daß ich noch nie rote Blutkörperchen außerhalb des Gefäßes
gesehen habe bei Schwangeren, Wöchnerinnen, Nierenkranken und
Eklamptischen, und damit sagen wollen, daß von dieser Seite her
Digitized b'
Google
Original from
CORNELL UNIVERSSTY
23. Februar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
kein Anhaltspunkt gewonnen sei für die Annahme einer Kapillar¬
undichtigkeit. Dieser Schluß besteht trotz der obigen Ausführung
zu Recht. Hier handelt es sich nicht um Kapillarundichtigkeit, son¬
dern Kapillarzerreißung. Das Zustandekommen derartiger Zerreißungen
wird begünstigt durch die Weitung des venösen Schenkels, die Herab¬
minderung des kapillaren Strömungsgefälles, wodurch bedingt ist, daß
auch schon geringe Erhöhungen des venösen Drucks die Kapillare
belasten, und möglicherweise durch Veränderungen der Kapillarwand
(s. die Befunde Siolis an den Hirngefäßen und Fahrs an den Nieren¬
gefäßen, Zbl. f. Gyn. 1920). Fahr hat an den Olomeruluskapillaren
ausgesprochen degenerative Veränderungen der Kapillarwand nach¬
gewiesen. Bemerkenswert ist, daß Zerreißungen, die nicht das ganze
Kapillarrohr durchsetzen, die Kontraktionsfähigkeit der unverletzten
Teile des betreffenden Kapillarrohres nicht auflieben. Angiospasmen
dieser Kapillare waren genau so vorhanden wie bei den Nachbar-
kapillaren. Beim Weiß sehen Suffizienzversuch hielt das junge Kapil¬
larstück dem Druck des regurgitierenden Blutes genau so gut stand
wie z. B. der zuführende arterielle Schenkel.
Daß es am venösen Schenkel variköse Aussackungen gibt, ist in
der kapillarmikroskopischen Literatur bekannt. Ich habe cfiese kapil¬
laren Varizen auch ab und zu gesehen (s. Skizze 6 a). Sie sind mit
den oben beschriebenen Vorgängen nicht zu verwechseln. Außerdem
sieht man zuweilen einen kaum sichtbaren Nebenarm von den Kapil¬
laren abgehen und nach kurzer Strecke wieder in die Kapillare,
Skizze 6 b, einmünden.
Ich möchte noch auf eine Erscheinung aufmerksam machen, die
hier gebracht werden muß, weil sonst Verwechslungen Vorkommen
könnten. Es ist mir mehrfach aufgefallen, daß neben der Blutsäule
der Kapillaren, durch eine feine freie Zone von ihr getrennt, rote
Blutkörperchen lagen, die man für extravaskulär hätte halten können.
Plötzlich setzten sie sich aber in Bewegung, liefen vielleicht etwas
verlangsamt parallel dem Blutstrom, um dann mit einemmal in ihm
zu verschwinden. Eine Wiederholung dieses Strömungsphänomens
trat während der weiteren Beobachtung dann an dieser Stelle bisher
nicht auf.
Aus der Universitäts-Ohrenklinik in Frankfurt a. M.
(Direktor: Prof. Dr. O. Voß.)
Lieber den Nachweis der peripherischen Strychninwirkung
auf den N. acusticus und über die allgemeine Wirkung des
Strychnins auf die Sinnesfunktion des Hörens.
Von Dr. Hans Lion, Volontärassistent der Klinik.
Die pharmakologische Wirkung des Strychnins ist bekanntlich
in erster Linie gegen die reflexübertragenden Apparate im zentralen
Nervensystem gerichtet, und zwar zeigt sie sich beim Menschen
nach der Verabreichung von toxischen Gaben in der Weise, daß auf
einen geringsten Reiz ein maximaler Reflex auftritt und daß des
weiteren eine hemmungslose Ausbreitung dieses Reizes über das
ganze Rückenmark eintritt, sodaß die gesamte Muskulatur in Kon¬
traktion gerät (Tetanus). Daß der Angriffspunkt des Strychnins
zentral gelegen ist, geht daraus hervor, daß ein beim Frosch aus
dem Kreislauf ausgeschaltetes Bein an den Krämpfen teilnimmt,
daß aber diese nach Durchschneidung des Nerven ausbleiben. Joh.
Mueller (1), Koelliker (2), Amantea (3), Dusser de
Barenne (4) und Kl esse ns (5) konnten durch Applikation des
Strychnins auf Hirnrinde (Amantea), auf Rückenmark (Barenne)
und spinale Wurzeln (Kl esse ns) den Nachweis der direkten zen¬
tralen Strychninwirkung bringen, und zwar sowohl auf motorische
wie sensible Elemente.
Sie fanden die Wirkung streng lokalisiert auf die von den ver¬
gifteten Partien abhängigen Gebiete (Gehirn, motorische Rinden¬
partien: Krämpfe in den entsprechenden Muskelgruppen; dorsale
Rückenmarksabschnitte: subjektive Sensibilitätsstörungen, Hyperre-
Hexie, spontane Muskelzuckungen reflektorischer Natur, segmentär
genau lokalisiert; spinale Wurzeln: Hyperreflexie des durch die strych-
uisierten Wurzeln versorgten Hautbezirks). Des weiteren findet man,
lange bevor toxische Erscheinungen eintreten, also etwa bei Gaben
von 1 bis 2 mg Strychn. nitric., eine feinere Empfindlichkeit der Sinne,
eine leichtere Anspruchsfähigkeit. Dieser Zustand wird als ein Aus¬
druck erhöhter Reizbarkeit des Gehirns aufgefaßt, entsprechend der
gesteigerten Reflexerregbarkeit des Rückenmarks.
So bestehen Untersuchungen von R. Froehlich (6) über die
Verfeinerung des Geruchsinnes. Die Wirkung nach Aufnahme von
1 cg Strychnin trat etwa nach einer Vi Stunde ein und dauerte etwa
S Tage. Versuche von Lichtenfels (7) betreffs der Tastempfin¬
dung ergaben nur eine geringe Besserung. Bezüglich des Gesicht¬
sinnes fand A. v. Hippels, daß Stiychnin die Grenze für exzen¬
trisches Farbensehen für Blau hinausrücke. 1894 stellte Dreser (8)
fest, daß das Strychnin die Unterschiedsempfindlichkeit in mehr oder
weniger erheblichem Grade besonders für die schwachen Lichtreize
verschärfe. Filehne (9) beobachtete, daß die Erregbarkeit der Netz¬
haut auch für sonst wirksame Aetherschwingungen durch Strychnin
gesteigert weide, daß aber keine Verbreiterung des normalerweise
sichtbaren Spektrums stattfinde.
Wir stellten uns die Aufgabe, die Wirkungen des Strychnins
auf das Gehör zu studieren.
Das Strychnin ist bereits durch Schwartze als gehörverbessern¬
des Mittel bei Otosklerose in die Otologie eingeführt. Ferner finden
wir in Schwartzes Lehrbuch der Ohrenheilkunde das Strychnin
als therapeutisches Mittel bei traumatischen Läsionen des Labyrinths
angegeben.
Um unter möglichst gleichen äußeren Bedingungen arbeiten zu
können, führten wir alle unsere Untersuchungen in dem von Herrn
Prof. Voß konstruierten Hörprüfungszimmer unserer Klinik aus, das
nach dem Prinzip der ineinandergeschachtelten Dosen gebaut ist, die
durch Lufthohlräume voneinander getrennt sind (Voß (10]). Bei
unseren Versuchen injizierten wir stets 0,0025 Strychn. nitric. in den
Unterarm und prüften eine Stunde post injectionem.
Zunächst versuchten wir, ob wir eine Verbreiterung der oberen
Tongrenze nach oben hin beim Normalen feststellen könnten, was
uns aber weder mit dem Monochord noch mit der Edelmannscheti
Pfeife nachzuweisen gelang, entsprechend den oben beschriebenen
Mißerfolgen von Filehne am Auge. Dieses negative Resultat ist
wohl so zu erklären, daß in der Schnecke Empfangsapparate für
Schwingungszahlen, die die normale „obere Tongrenze“ überschreiten,
fehlen und daß das Strychnin nur die Fähigkeit hat, schwache Reize
zu verstärken. Prüfungen über Verhalten der „unteren Tongrenze“
mußten unterbleiben, weil uns keine Instrumente mit weniger als
16 Schwingungen zur Verfügung standen. Weitere Versuche am
Normalen über die Verfeinerung der Hörschärfe mit Hilfe der quali¬
tativen Hörprüfung mußten wir aufgeben, da die schon normaler¬
weise hierbei zu prüfenden schwächsten Reize so sehr übergeord¬
neten psychischen Einwirkungen unterlegen sind, daß die Ergebnisse
zu schwankend sind, um für unsere Versuche in Betracht zu kommen.
Wir gingen nun dazu über, die Wirkungen des Strychnins auf
das durch Erkrankung in seiner Leistung herabgesetzte Ohr zu
prüfen. Wir behandelten 14 Fälle mit Strychnininjektionen, deren
Ergebnisse hier kurz angeführt seien:
1. Erkrankungen des Schalleitungsapparates.
1. Eva L., 25 Jahre.
Diagnose: Otitis media chron. duplex.
Rechts Flüstersprache ante injectionem ad concham, post injec¬
tionem 5 cm. Uhr ante injectionem wird nur bei Berührung der
Ohrmuschel (a. c.) gehört, post injectionem in 5 cm Entfernung.
L. keine Besserung.
2. Else K., 27 Jahre.
Diagnose: Adhäsivprozesse im rechten Mittelohr nach Otitis
media gripposa..
L. normale Hörfählgkeit, r. FI. a. i. 15 cm, Fl. p. i. 30-50 cm;
Weber: a. i. auf beiden Ohren, p. 1. nach r.; Schwabach:
a. i. 30-45, p. 1. 38 -45.
3. Berta Sch., 19 Jahre.
Diagnose: Tubetikatarrh links.
R. normale Hörffthigkeit, I. Fl. a. I 1,5—2,0 m, p. I. 4,5—5 m;
Rinne: 1. a. i. + verkürzt, p. i. ± 0, r. a. L + aus gehört
p. i. ± 0; untere Tongrenze: L a. L Q— f , p. i. D—,.
4. Margarethe Sch., 44 Jahre.
Diagnose: rechts Periostitis (tuberculosa?) des Hammergriffs,
links zentral Schleimhauteiterung.
Fl. a.L r. 2^—3,0 m, L 35 cm, p. i. r. 4,0, L 1,0 m; Uhr: a. L r.
2 cm, 1-a.c., p. 1. r. 10 cm, 1.3 cm; untere Tongrenze:
a. i. H-fc p. 1. E.
5. Magdalene M., 48 Jahre.
Diagnose: Links alte Radikaloperationshöhle; rechts hinten kleine
Narbe im Trommelfell.
Fl. keine Aenderung; Weber: a.i. nach beiden Seiten, p. i. nach 1.
6. Lizzi H., 25 Jahre.
Diagnose: Rechts chronische Schleimhauteiterung; links Trommel¬
fell retrahiert, trockener Defekt der Schrapn. Membran.
Fl. a.i. 1. a.c., p. i. 1. 5—10 cm; untere Tongrenze: 1. a. i. D—i, p. i. D— a .
7. Lina W., 18 Jahre.
Diagnose: Rechts chronische Ktittheneiterung; links o. B.
Fl. 0; Konversationssprache: a.L 1,5 m, p. 14,5— 5,0 m; Konversaltons-
sprache mit LSrmtrommel: a. i. 10 cm, p. i. 30—40 cm.
8. Maria M., 44 Jahre. •
Diagnose: Beiderseitige chronische Knocheneiterung. Keine Bes¬
serung.
9. Anna Sch., 47 Jahre.
Diagnose: Beiderseits chronische Schleimhauteiterung.
Fl. r. a. L a. c., p. 1.5 cm; Uhr: 1. a. i. 10 cm, p. L 15 cm.
II. Erkrankungen des schallperzipierenden Apparates.
10. Maria M., 47 Jahre.
Diagnose: Otosklerose beiderseits (wahrscheinlich).
Fl. a. i. r. 0, I. a. c., p. i. r. kaum a. c., L 10 cm; untere Ton¬
grenze : a. L r. D— lt p. i. r. H—*.
11. Theodor J.. 35 Jahre.
Diagnose: Rechts Otosklerose (wahrscheinlich); links normal.
Fl. a. i. r. a. c., p. i. 5 cm; untere Tongrenze: a. I. C— „ p. i. C— *.
□ igitized by Go*, gle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
256
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
12. Frieda W., 14 Jahre.
Diagnose: Schwerhörigkeit auf hereditär-luetischer Grundlage
beiderseits. Otitis media chron. sinistra. Links keine Aenderung.
r. FL a.L 10-15 cm, p. i. 20 -30cm; untere Tongrenze: a. L a. p. L Q— w
Die Angaben der Patientin sind im Vergleich zu denen der
anderen Patienten an verschiedenen Tagen sehr schwankend.
13. Emil N., 32 Jahre.
Diagnose: Luetische Schwerhörigkeit beiderseits,
r. untere Tongrenze: a.1. C- lt p.i. Q— * 1. keine Aenderung.
14. Rossette U., 64 Jahre.
Diagnose: Altersschwerhörigkeit.
1. Konversationssprache mit Lärmtrommel: a.i. 1,0m,p.i.2,5m.
Aus diesen 14 Fällen geht hervor, daß durch eine subkutane
Strychnininjektion eine Verfeinerung der Hörschärfe eintritt. Diese
ist aus dem Umstande zu erkennen, daß Flüstern oder Uhr nach
der Injektion aus einer größeren Entfernung vernommen werden
als vorher. Ferner finden wir bei verschiedenen Fällen eine Ver¬
schiebung der unteren Tongrenze nach unten. Verschiebungen von
einigen ganzen Tönen (3—4) an der unteren oder oberen Tongrenze
verzeichneten wir nicht, da sie wohl in den meisten Fällen als in¬
dividuelle Beobachtungsfehler zu werten sind. In einem Fall (2)
hatten wir eine deutliche Verlängerung der Knochenleitung von
8 sc. Die Prüfung mit der Uhr führten wir so aus, daß wir die
Uhr aus der Ferne dem Ohre näherten.
Wir versuchten nun bei den nächsten Fällen, eine Verfeinerung
der Hörschärfe durch direkte Einwirkung von Strychnin auf die
schallperzipierenden Apparate der Schnecke hervorzubringen, um fest-
zustellen, ob etwa eine peripherische Wirkung des Strychnins mög¬
lich sei. Zu diesem Zwecke brachten wir dieselbe Menge Strychnin,
die wir sonst injizierten, Patienten mit Perforationen des Trommel¬
fells ins Mittelohr. Nachdem wir festgestellt hatten, daß auch so
eine gehörverfeinernde Wirkung möglich sei, mußten wir, um zu
beweisen, daß es sich hier um peripherische Wirkungen handle,
die Möglichkeit einer zentralen Beeinflussung des Strychnins da¬
durch ausschließen, daß wir solche Patienten zur Untersuchung
nahmen, die beiderseits eine Herabsetzung des Gehörvermögens
zeigten. Wenn wir dann bei einseitiger Strychninbehandlung nur auf
der behandelten Seite eine Gehörverfeinerung bekamen, so konnten
wir wohl eine zentrale Wirkung ausschließen, zumal, wenn wir vor¬
her durch eine subkutane Injektion gefunden hatten, daß auch die
später nicht lokal mit Strychnin behandelte Seite auf Strychnin
reagierte. Vor der ersten Hörprüfung reinigten wir das Mittelohr
mit sterilem Wasser, nach der ersten Hörprüfung brachten wir dann
die Strychninlösung ins Ohr, um nach 15—20 Minuten, nachdem wir
durch Austupfen der Lösung möglichst denselben Feuchtigkeitsgehalt
wie früher hergestellt hatten, die zweite Hörprüfung vorzunehmen.
Um zu prüfen, ob die Gehörverbesserung etwa schon durch eine ins
Mittelohr gebrachte Flüssigkeit ausgelöst werde, prüften wir auch
eine größere Anzahl unserer Patienten, indem wir ihnen eine gleich-
prozentige NaCl-Lösung ins Mittelohr einträufelten, was jedoch auf
das Gehör ohne Eiufluß blieb.
Im Folgenden seien die Resultate dieser Untersuchungsreihe
festgelegt:
15. Walter D., 15 Jahre.
Diagnose: Rechts Otitis media chron. Niereuförmige Perforation
des Trommelfells, Hammergriff an der medialen Paukenhöhlen wand
angewachsen. Links retrahiertes Trommelfell; rechts lokal“ mit Strych¬
nin behandelt.
Fl. a. 2- 2,5 m, p. 5,0 m, 1. keine Beeinflussung.
16. Eva L.
(S. Fall 1. Subkutan links keine Besserung; rechts Besserung.)
Links lokal mit Strychnin behandelt.
Fl. a. 10—15 cm, Uhr 10 cm; Fl. p.' , m, Uhr 30 cm, r. keine Besserung.
17. Wilhelm W., 18 Jahre.
Diagnose: Otitis media chron. dextra. Fast vollständiger Total¬
defekt. Links Trommelfell retrahiert; rechts lokal mit Strychnin be¬
handelt.
Fl. a. a. c. bis 5 cm, Uhr 0, Fl. p. a. c. bis 10 cm, Uhr a. c.,
1. keine Besserung.
18. Margarete Sch.
(Siehe Fall 4. Subkutan beiderseits erregbar.) Links lokal mit
Strychnin behandelt. •
Fl.a. 30cm, Uhr a.c., Fl.p. 50cm, Uhr5cm, r.keine Besserung.
19. Lizzi H.
(Siehe Fall 6. Subkutan nur links erregbar.) Rechts lokal mit
Strychnin behandelt. .
Fl. a. a. c, FL p. 10 cm, 1. keine Besserung.
Nach etwa 10 Minuten gibt Patientin an, ohne über den Zweck
der Untersuchung orientiert zu sein, daß die Sprache des Unter¬
suchers lauter geworden sei; dieselben Angaben bei 17 und 21.
20. Marta M.
(Siehe Fall 8. Auf zweimalige subkutane Strychnininjektion
beiderseits unerregbar.) Rechts lokal mit Strychnin behandelt.
FL a. a. c, Uhr 0, Fl. p. 30cm, Uhr 10 cm, 1. keine Beeinflussung.
Nach 4 Tagen nochmalige rechtseitige Strychninbehandlung mit
dem gleichen Resultat.
Nr. 8
21. Margarete Sehr., 15 Jahre.
Diagnose: Links Labyrinthoperation, rechts- chronische Knochen¬
eiterung; rechts lokal mit Strychnin behandelt.
Fl. a. a. c., Uhr 12 cm, FL p. für hohe Zahlen unverändert,
tiefe Zahlen etwas besser, Uhr 3-4 cm.
22. Heinrich Sch.
Diagnose: Links Otitis media chron., fast vollständiger Total¬
defekt; rechts Residuen einer chronischen Otitis media, Narbe in
der Schrapnellschen Membran. Links lokal mit Strychnin behandelt.
Fl. a. 50 cm, Uhr 35 cm, Fl. p. 1—1,5 m, Uhr 60 cm, r. keine Beeinflussung,
jedoch durch subkutane J., Uhr 50 cm, p. 95 cm *).
Wir glauben durch unsere Untersuchungen bewiesen zu haben,
daß das Strychnin, abgesehen von seiner zentralen Wirkung, auch
eine peripherische Wirkung auf den N. acusticus ausübt. Es sei hier
bemerkt, daß Meyer-Gottlieb (11) bei der Strychnin Wirkung
auf den N. opticus von einer Erregbarkeitssteigerung an der Netz¬
haut sprechen, weil diese ein vorgeschobener Gehirnteil sei. Wir
wollen nun versuchen zu erläutern, wie diese peripherische Optikus-
und Akustikuswirkung, die doch im scheinbaren Widerspruch zu den
bisherigen Erfahrungen des zentralen Strychninangriffspunktes steht,
zu erklären sei.
Die Sinnesnerven des Menschen zeigen bezüglich ihres grob-
anatomischen Baues zwei große Verschiedenheiten. Während bei
den Nerven der Oberflächen- und Tiefensensibilität, bei dem Nervus
olfactorius, beim Nervus lingualis und glosso-pharyngeus die Ganglien¬
zellen des peripherischen Neurons verhältnismäßig weit von dem
sensiblen Endapparat entfernt liegen, schließen sich beim Nervus
opticus und octavus die Ganglienzellen fast unmittelbar an die Emp¬
fangsstation an. Es erscheint eigenartig, daß gerade bei den beiden
letzten Nerven diese enge nachbarliche Beziehung besteht. Vielleicht
ist der Grund darin zu suchen, daß im Gegensatz zu den Nerven
der erstgenannten Gruppe, deren adäquate taktile und chemische
Reize verhältnismäßig grob sind, die adäquaten Reize der letzten
Gruppe relativ fein sind: die elektromagnetischen Schwingungen,
oder wie man sie sonst nennen will, die den Reiz für den Sehnerv
darstellen (wo wir peripherisch sogar mehrere Neuronensysteme
eingeschaltet finden), die Schallwellen als Reiz für den Nervus
acusticus und die sehr feinen Endolymphbewegungen als Reiz für
den Nervus vestibularis. (Näheres über die nieroei entstehenden
Kräfteverhältnisse, Maier und Lion [12).)
Diese ganz peripherisch gelegenen Ganglienzellen dienen viel¬
leicht dazu, als Transformatoren diese sehr feinen Sinnesreize so um¬
zuwandeln, daß sie für eine längere Nervenleitung geeignet werden.
Es ist nun sehr wahrscheinlich, daß das von uns lokal ange¬
wandte Strychnin, nachdem es vom Mittelohr durch die beiden
Fenstermembranen ins Labyrinth diffundiert ist, auf die im Canalis
spiralis modioli s. Rosenthalii angeordneten Ganglienzellenlager
eingewirkt hat, analog den oben angeführten Untersuchungen KIes¬
sen s. Denn daß das Strychnin nicht auf Zellfortsätze oder deren
wechselseitige Verbindungen, sondern auf die Ganglienzellenkörper
selbst wirkt, hierfür spricht auch die Anschauung Barennes (13).
Das Strychnin übt nun seinen vergiftenden Einfluß so auf die
Oanglienzelle aus, daß deren SensibiTitätsgrad erhöht wird und
ihre Reizschwelle herabgesetzt wird, sodaß sic leichter anspricht.
Hemmungen, die normalerweise die Bahnen der Nervenleitungen
beherrschen, fallen weg; so kommen die Fehlleitungen zustande, von
denen oben beim Tetanus die Rede war.
Für eine länger anhaltende therapeutische Wirkung ist das Strych¬
nin in seiner bisherigen Form nicht geeignet, da nach 2—4 Tagen
der Effekt wieder abklingt. Es käme nur in solchen Fällen in Be¬
tracht, bei denen es gilt, dem vorübergehenden Lähmungszustand
eines Nerven, etwa wie bei der Lanaryscheu Paralyse, zu be¬
gegnen. Vielleicht aber wird das Strychnin bei näherer Untersuchung
dieser Frage in der Differentialdiagnose peripherisch oder zentral
gelegener Schädigungen des Nervus acusticus eine Rolle spielen.
Zusammenfassung. 1. Wir glauben durch unsere Untersuchungen
nachgewiesen zu haben, daß das Strychnin nicht nur auf den zentralen
Verlauf des Nervus acusticus, sondern auch auf dessen peripherischen
Teil seine pharmakologische Wirkung ausüben kann.
2. Wie auf die übrigen Sinnesorgane, wirkt das Strychnin auch
auf das Gehör im Sinne einer leichteren Anspruchsfähigkeit. Eine
Verschiebung der Tonskala über die normalen Grenzen hinaus scheint
nicht stattzufinden.
1. Hdb. d. Physiol. d. Menschen 1644. — 2. Virch. Arch. 1856, 10. — 3. Archivio di
Farmacologla sperimentale e Science affin! 1912,14, H. 2. — 4. Folia-Neurobiologica 1912,
5, Nr. 4. — 5. Folia-Neurobiologica 1913. — 6. Sitzungsber. d. mathem.-naturw. Klasse d.
Kaiser!. Akademie d Wissenschaften 1851,6, H. 1—5,Wien. — 7. Literatur wie 6.-8 Arch.
f. exper. Path. u. Pharm. 1894. — 9. Pflüg. Arch. 1901.83. — 10. Die Stadt. Ohren-Kllnik
Frankfurt a. M., Würzburg 1913. — 11. Arch. f. exper. Path. u. Pharm., Berlin 1914 —
12. Pflüg. Arch. 187, H. 1-3. — 13. Archivio di Farmacologia sperimentale e science
affin! 1912, 14!
*) Es kamen aus dem Qrunde hauptsächlich Frauen für unsere Untersuchungen
in Betracht, well wir wahrend der Zeit dieser Arbeit sowohl klinisch wie poliklinisch
an unserer Klinik die Frauen ärztlich zu behandeln hatten.
Digitized b"
Google
Original from
CORNELL UNfVERSITV
23. Februar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
257
Aus der Chirurgischen Abteilung (Chefarzt: Dr. Endre Makai)
des königl. ungarischen Staatskinderasyls in Budapest.
(Direktor: Doz. Dr. F. v. Torday.)
Ueber Anaphylaxieerscheinungen nach Serieninjektionen
artfremden Serums.
Zugleich ein Beitrag zur Frage der Saisonkrankheiten.
Von Chefarzt Dr. Endre Makai.
lu der Mschr. f. Kindhlk. 1920, 18, Nr. 1. April, berichteten Czerny
und E 1 i a s b e r g über nennenswerte Erfolge der Proteinkörper¬
therapie bei abgemagerten, kachektischen, tuberkulösen Kindern. Sie
injizierten den betreffenden Kranken subkutan Normalpferdeserum,
und zwar anfangs zweimal wöchentlich je 10 cm 3 , später — als bei
dieser Methode unliebsame Serumwirkungen eintraten — täglich V 2
bis 2 cm 3 , bis lOOmal, wobei sie die Behandlung in keinem Falle zu
unterbrechen oder aufzugeben sich genötigt fanden.
Die angegebene Methode nachzuprüfen, entschloß ich mich also
desto leichter, da doch die unangenehmen, ja vielleicht gefährlichen
anaphylaktischen Erscheinungen laut diesen Angaben nicht zu be¬
fürchten waren. Und doch bewogen mich zur Mitteilung meiner
Erfahrungen nur in zweiter Reihe die direkten Ergebnisse dieser
Behandlungsmethode: viel wichtiger erschienen mir die Beobachtun¬
gen, zu weichen mir die anaphylaktischen Serumwirkungen Anlaß
gaben.
Idi will zunächst über die direkten Ergebnisse dieser Serien-
Injektionen nur summarisch berichten. Ich habe die Methode ins¬
gesamt bei 26 Kindern (13 Knaben, 13 Mädchen) angewendet, welche
an verschiedenen Formen chirurgischer Tuberkulose litten; 21 waren
7-14-, 2 waren 5-, 2 waren 3- und einer iy 2 jährig. Die Methodik
paßte sich der verbesserten Czerny-Eliasberg sehen an. Die
Kinder bekamen ohne Unterschied die erste Woche je V 2 cm 3 , die
zweite je 1cm 3 , die dritte Woche je 1 1/2 cm 3 Normalpferdeserum
täglich unter die Haut einer immer wechselnden Extremität. Vom
22. Tage an bekamen sie die volle Dosis, täglich 2 cm 3 .
Die Injektionen sollten programmgemäß nach den Angaben von
Czerny-Eliasberg bis zur lOOsten fortgesetzt werden. Bei
3 Kindern mußten wir die Injektionen aus äußeren Ursachen aus¬
setzen — 3 starben, 2 verließen die Abteilung. Bei den meisten
übrigen Kindern veranlaßten uns die unliebsamen Serum Wir¬
kungen zur Unterbrechung der Behandlung. Sie bekamen aber
bereits über 80 Injektionen, ja einige, bei welchen die Behandlung
am 42. Tage unterbrochen und nach 100 Tagen wieder aufgenommen
wurden, über 140 Injektionen.
Wir begannen die Injektionen am 12. V. 1920 bei 17 Kindern,
und bei diesen konnte eine nennenswerte Gewichtszunahme im all¬
gemeinen oder gar eine auffallende in Einzelfällen nicht konstatiert
werden. Wir dürfen allerdings nicht außerachtlassen, daß Schlesin¬
ger u. a. eine regelmäßige Gewichtsabnahme an Kindern in den
Sommermonaten feststellten (vgl. Resultate der sogenannten Quäker¬
speisung deutscher Kinder), was den Einfluß der Serieninjektionen
auf das Allgemeinbefinden, auf die tuberkulöse Kachexie betrifft,
möchte ich betonen, daß wir bei 2 Kindern — bei ganz oder fast
unveränderten Gewichtsverhältnissen — tatsächlich eine Besserung
des Aussehens, des Allgemeinbefindens und der Apathie beobachten
konnten.
Wir sind weit entfernt, irgendeine günstige Beeinflussung des
Organismus durch artfremdes Eiweiß in Abrede zu stellen. Es scheint
uns, was die Proteinkörpertherapie anbelangt, Biers Auffassung
die richtigste zu sein, laut welcher diese eigentlich eine Reiz¬
therapie ist. Anderweitige Erfahrungen bewiesen aber uns und so
manchem, daß gute oder gar auffallende Erfolge namentlich dort
zu verzeichnen waren, wo — um die alte ärztliche Sprache zu
gebrauchen — durch einen Iktus eine jähe Umstimmung des
Organismus erreicht wurde. Wenn auch bei größeren, nicht oder
nur seltener wiederholten Dosen die Proteinkörpertherapie zu un¬
angenehmen Nebenwirkungen Anlaß gibt, so muß dies scheinbar um
des Erfolges willen wohl in Kauf genommen werden.
Nun fragt es sich aber, ob man durch die „vorsichtige“,
gleichmäßig gering dosierte Proteinkörpertherapie die anaphylakti¬
schen Erscheinungen im allgemeinen und besonders ihre befürchtete
Form, den Shok, sicher vermeiden kann. Auf Grund meiner Be¬
obachtungen muß ich dies entschieden verneinen.
Wie bereits erwähnt, begannen wir die Injektionen gleichzeitig
an 17 Kindern am 12. V. 1920. Bei 13 von diesen entstand am
8. Tage rings um den Injektionsstich eine taler- bis überhandteller¬
große, rote, geschwollene, recht schmerzhafte Stelle. Bei einem
6jährigen Mädchen entstand bereits am 4. Tage ein talergroßes
Erythem mit Drüsenschwellung: bei 3 Kindern erschien die erste
Hautreaktion am 15., 16., 25. Tage. Die Hautreaktionen (Erythem,
Schwellung, urtikarielle Effloreszenzen, hier und da blaßlivide Ovale
mit 3—5 mm breiten roten Streifen konturiert) haben sich zumeist in
2—12 Stunden voll entwickelt; Abschwellung, Verblassung und Ver¬
schwinden des Schmerzes erfolgten in weiteren 8—24 Stunden. Sie
wiederholten sich bei den weiteren Injektionen ohne jedes System,
bei einzelnen Kindern erst täglich, dann 2—3tägig; später kamen
tage-, ja wochenlange Pausen. , , .
Um der Entstehung und Natur dieser lokalen anaphylaktischen
Phänomene näher treten zu können, entschloß ich mich, dem Ge¬
dankengang von Nägeli (Pirquetreaktion) und Wehner (Erysipe-
las) folgend, den Einfluß der Lokalanästhesie auf diese zu studieren.
Ich wählte dazu 2 Mädchen aus, bei weichen die lokalen Erschei¬
nungen besonders stark und regelmäßig auftraten. Vom 30. Injek¬
tionstag ab spritzte ich unter die Haut der beiden Oberschenkel je
1 cm 3 Serum, infiltrierte dann die Umgebung der einen Injektions¬
stelle reichlich mit V 2 0 0 Novokain-Adrenalinlösung. Die um spritzte
Injektionsstelle zeigte dann eine kaum wahrnehmbare Schwellung,
keine Rötung; nach einigen Stunden, als die Novokainwirkung längst
vorüber sein sollte, entstand nur an dem anderen Oberschenkel die
typische Rötung und Schwellung; Schmerz war aber an beiden
Seiten vorhanden, wenn auch bei dem einen Mädchen in etwas
geringerem Grade. Nach weiteren 24 Stunden verschwand dieser
gleichzeitig an beiden Seiten.
Von den 17 Kindern, bei welchen wir die Injektionen am
12. V. 1920 begannen, schieden 4 von der Behandlung am 43. Tag
einstweilen aus, da sie in die Sommerfrische transferiert wur¬
den, sodaß vorderhand nur 13 Fälle in Beobachtung blieben.
Am 46. Injektionstag, am 28. VI. 1920, trat bei dem stärksten und
bestentwickelten Patienten (14jähriger Knabe, Skrophuloderma, Lymph-
angoitis tbc., Spina ventosa) 2 Minuten nach der Injektion eine
heftige Shokwirkung ein. Zuerst hatte er im rechten Oberarm, an der
Stelle der Einspritzung, ein eingeschlafenes, erstarrendes Gefühl,
dann dasselbe im linken Oberarm, weiterhin Beklemmung, dem Rip¬
penbogen entsprechend. Er ächzte und erklärte, eine furchtbare
Todesangst zu haben. Das Gesicht wurde erst flammenrot, später
blaß und gedunsen, die Lippen livid. Puls 130, doch kräftig. Nach
etwa 1/2 Stunde ziemliches Wohlbefinden; in der Nacht starkes
Schwitzen, früh noch Kopfschmerzen, die Augenlider geschwollen.
Urin normal.
4 Tage später trat bei einem andern 14jährigen Knaben nach
der Injektion ein hochgradiges Oedem des ganzen injizierten Ober¬
armes und des Skrotums auf. Schwere Diarrhoe. Obzwar diese
Symptome im Laufe des Tages zurückgingen, setzten wir bei ihm
die Injektion um so weniger fort, da er der einzige unserer Fälle
war, wo im Urin Eiweiß und Zylinder nachzuweisen waren.
Am 73. Tage wiederholte sich das oben beschriebene schwere
Shokbild bei 2, am 75., 76., 77., 90., 92. Tage bei je einem Kinde.
Am 112. Tage leichterer Shok bei einer 4jährigen Spondylitikerin.
Unterdes wurde meine Aufmerksamkeit auf eine Arbeit Can-
ciolescos gelenkt (Comptes rendus de la soc. de biol. 83. 14. 1920,
ref. Zentralorg. f. ges. Chir. 1920, 7, 14), welcher bei einem 42jährigen
Manne anläßlich der ersten Pferdeseruminjektion einen schweren
Shok beobachtete. Bei dem Manne war auffallend, daß er den Stall¬
geruch nicht vertrug (vgl. Fall de Besehe), außerdem soll aber bei
ihm durch den Genuß, ja sogar durch den Anblick von Honig
heftiges Jucken im äußeren Gehörgang und Speichelfluß erzeugt
worden sein (vgl. die Fälle von Berg, Langer usw. betreffs
Anaphylaxieerscheinungen infolge von Bienengift). Es interessierte
mich die Frage, wie die mit Pferdeserum vorbehandelten Kinder sich
gegen Honig verhielten. Mitte September, also ungefähr 120 Tage
nach begonnener Seruminjektion, wurden 14 Kinder — die doch sonst
dem Honig gewiß nicht abhold sind — in der Reihe aufgestellt,
ihnen gegenüber zur Kontrolle ebenso viele unbehandelte, und es
wurde einem jeden ie ein Eßlöffel tadellosen Bienenhonigs dar¬
gereicht. Die Kontrollkinder nahmen es alle ohne Ausnahme mit
sichtlichem Genuß, von den 14 vorbehandelten aber zeigten 9 eine
mehr oder weniger ausgesprochene Reaktion und wiesen den Honig
teils schon beim ersten, alle aber bei der nach einigen Tagen
wiederholten Gabe ganz entschieden zurück. Die Reaktion bestand
in einem sofort oder nach 1/4 Stunde eintretenden Brechreiz,
Jucken im Rachen, Speichelfluß, Würgen, ja bei einzelnen Erstickungs¬
anfall, dazu gesellten sich Appetitlosigkeit, Diarrhoe, welche etwa
anderthalb Tage dauerten. Die wiederholte Honiggabe nach einigen
Tagen hatte ungefähr den gleichen Erfolg. Von den 9 reagierenden
Fällen waren 5 solche, in welchen ausgesprochener allgemeiner Shok
bereits beobachtet wurde, bei einem war am 50. Tag starkes Oedem.
Von den 5 „negativen“ Fällen hatten zwar 3 einen allgemeinen
Shok, doch waren bei allen dreien die lokalen Hautsymptome
auffallend gering.
Wenn von 17 Kindern alle ausgesprochene Hautreaktionen,
von 13 aber (solche mit über 42 Injektionen) 8 einen typischen
anaphylaktischen Shok mit überaus stürmischen Symptomen zeigten,
so widersprach dieser Befund diametral den Czerny-Eliasberg-
schen beruhigenden Beobachtungen bzw. Feststellungen. Immerhin
fiel es mir auf, daß ein 9jähriger Knabe (Tbc. peritonei), bei welchem
ich am 26. VII. 1920 die täglichen Injektionen begann, erst am
14. Tage eine ziemlich schwache Hautreaktion zeigte, welche sich
bis znm 21. VIII. — als er meine Abteilung auf Wunsch seiner Eltern
wesentlich gebessert verließ — kein einziges Mal wiederholte.
Da ich das Problem dieser widersprechenden Beobachtungen vor¬
derhand nicht lösen konnte, nahm ich Anfang September die — in
ihrem Endzweck eigentlich erfolglosen — systematischen Serien¬
injektionen an 6 Kindern wieder auf. Zu meiner nicht geringen Ueber-
raschung zeigte es sich, daß bei'keinem jene höchst auffallenden
Hauterscheinungen festzustellen waren, welche bei den Frühsommer-
liijektionen regelmäßig auftraten. Bei 3 Kindern waren überhaupt
keine, bei 3 anderen aber nur so rudimentäre Reaktionen, daß diese
bei nicht ganz genauer, speziell darauf gerichteter Beobachtung sich
dieser ganz gewiß entzogen hätten. Die Injektionsstelle war kaum
schmerzhafter als nach einer indifferenten Injektion Eines dieser
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
238
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
Nr. 8
Kinder (11 jährig, Peritonitis tbc., Körpergewicht 23,2 kg), nebenbei
der einzige sämtlicher Fälle, bei welchem die systematische Blutunter¬
suchung (Dr. Berger) ein vom normalen abweichendes Bild ( 8 0 ,o
Eosinophile) ergab, zeigte um die Injektionsstelle zwar keine Rötung,
doch ötters urtikarielle Effloreszenzen. Am 42. Injektionstag (26. Xl.
1920) trat bei ihm eine etwas schwächere allgemeine ShokWirkung
auf, das Körpergewicht stieg aber zu dieser Zeit auf 26,5 kg. Bei
einer 11jährigen Koxitikenn ohne lokale Hautsymptome Shok
am 83. Tag. Gewichtszunahme 0. Bei den übrigen 4 Kindern wur¬
den 44—65 Injektionen vorgertommen; bei einem 7jährigen Mädchen
(Kinderlähmung mit kolossalem Dekubitus, höchst abgemagert, Pir¬
quet H—H") stieg das Gewicht in 44 Tagen von 12,7 auf 18 kg.
ln dieser Serie zeigten also 2 Kinder von 6 4 eine in der Tat zu¬
friedenstellende Gewichtszunahme.
Ich möchte noch die Beobachtungen über die 4 Kinder streifen,
die nach 42 Injektionen meine Abteilung verließen und nach rund
lOOtägiger Pause wieder behandelt wurden. Das Hauterythem ent¬
stand zwar am ersten Tag (l.X. 1920), doch blaß und kaum pfennig-
groß, und wiederholte sich nur hier und da, obzwar die Kinder
im Frühjahr alle sehr stark reagierten. Kein Shok, bei 3 Kin¬
dern geringe Gewichtszunahme fl—1,6 kg).
Die Diskrepanz zwischen der 1. (vom 12. V.) und II. (vom
1. IX. 1920) lnjektio.nsserie bei absolut gleicher Methode war zu auf¬
fallend, die Zahl der Fälle zu groß, als daß eine bloße Zufälligkeit
angenommen werden konnte. Sollten vielleicht die im April 1920
publizierten Ergebnisse von Czerny-EIiasberg ebenfalls im
Herbst—Winter 1919-1920 beobachtet worden sein? Das Problem
war zu interessant, um die Frage unbeantwortet zu lassen. Am
12. V. 1921 begann ich wieder die serienweisen Injektionen mit glei¬
cher Methodik an 10 Kindern. Um kurz zu sein: Am 8. Tage
erschienen die typischen Hautanaphylaxieerschei-
nungen und wiederholten sich, wie’sie im Frühjahre
1920 zu beobachten und wie sie im Herbst 1920 zu ver¬
missen waren.
Mit der größten Vorsicht läßt sich also zusammenfassend fest¬
stellen, daß an gleichem Krankenmaterial mit gleicher Methodik vor-
genommenc tägliche artfremde Seruminjektionen — be¬
gonnen im Monat Mai — zu regelmäßigen, sehr aus¬
gesprochenen anaphylaktischen Hauterscheinungen
führen; diese sind bei den im Herbst und Winter aus¬
geführten Injektionen gar nicht oder aber nur in ganz
auffallend geschwächter Form zu beobachten.
Alte und älteste Beobachtungen — teils ohne, teils mit mystisch-
phantastischen Deutungen — wiesen schon von jeher darauf, daß ein¬
zelne Krankheitsformen gewisse Jahreszeiten bevorzugen bzw. in die¬
sen mit Prädilektion gehäufter auftreten. In der neuesten Zeit war
namentlich Moro derjenige, der auf Grund eines einwandfreien
Materials im Jahre 1919 darauf hinwies, daß die Tetaniefälle betreffs
ihrer Häufigkeit den Gipfelpunkt im Frühjahr zeigen. Im folgenden
Jahre veröffentlichte Hamburger seine Beobachtungen, laut welchen
die Tuberkulinempfindlichkeit der Kinder im Frünjalir wesentlich
höher zu sein scheint als im Herbst. Im selben Jahre ergänzte Moro
seine Mitteilung durch Beobachtungen über Uebererregbarkeit des
vegetativen Nervensystems und Ekzemtod im Frühjahre, wobei er
das ganze moderne Tatsachenmaterial (Häufung der Ekzemfälle bei
jungen Kindern im Frühjahr — Stöltzner, Benjamin; Fehlen
des experimentellen Kocnsalzfiebers bei Kaninchen in den Früh-
sommermonaten — Freund, Moro, Benjamin 1 )) gewissermaßen
sichtete. Gleichzeitig mit Moros zweiter Veröffentlichung wies auch
Bettmann darauf hin, daß der Frühling eine kritische Zeit für
Psoriasis, Ekzem, urtikariell-pruriginöse Erkrankungen bedeutet, und
erweiterte seine eigenen Beobachtungen mit höchst merkwürdigen
Angaben anderer betreffs Exazerbation einzelner Hautkrankheiten im
Frunjahr (so u. a. auch Rezidive der Pellagradermatitis usw.). Dieses
höchst interessante klinische Tatsachenmaterial wird durch meine
Beobachtungen im Sinne eines experimentellen Beweises ergänzt.
Als gemeinsamer Faktor in den angeführten Erkrankungen (ana¬
phylaktischer Phänomene) ist das vasomotorische bzw. vegetative
Nervensystem zu betrachten. Es sei nur gestreift, daß bereits Gui-
nard und Arloing das Wesen‘der Tuberkulinreaktion (vgl. Ham¬
burgers Beobachtungen) als Folge einer Vasodilatatorenreizung
auffaßten, in unseren Experimenten aber die anaphylaktische Haut¬
rötung ausblieb, nachdem die Injektionsstelle mit Novokain umspritzt,
das umgebende Nervengeflecht also blockiert wurde. Fraglich ist es
nun, ob eine unmittelbare Uebererregbarkeit des vegetativen
Nervensystems besteht oder aber der Komplex von Ursache—Wir¬
kung noch von einer anderen Seite aufgeschlossen werden kann.
Aus den ungemein interessanten Arbeiten von Mansfeld
(Pflügers Archiv 1920, 184) ergibt sich, daß, während die. iso¬
lierten Herzen normaler Kaninchen in den Monaten Januar—Mai
nahezu gleiche Zuckermengen verbrauchten, im Monat Juni der Zucker-
verbraudi plötzlich auf die Hälfte, ja bis zu einem Drittel herab¬
sank. Aus den weiteren Untersucnungsergebnissen von Mans¬
feld (und von Papp) scheint aber hervorzugehen, daß in kalter
und in warmer Umgebung unter der Herrschaft zentraler Appa¬
rate wahrscheinlich in der Schilddrüse Hormone gebildet weraen,
welche den Stoffverbrauch der Organe zu regulieren haben.
*) Als Beitrag hierzu soll folgende Beobachtung dienen: Bei einem 56jährigen
Ischiaskranken erhöhte sich die Temperatur nach Kochsalzlösunginjektion in denHflftnerv
im August 1920 au! 41,2° C. Deferveszenz ln 6 Stunden. Temperaturerhöhung nach den
im März—Mai 192! wiederholten Injektionen hier und da nur bis 37,5° C.
Schon im Jahre 1916 fand Adler, daß die Schilddrüse unter
dem Einfluß der Temperatur spezifische morphologische Ver¬
änderungen zeigt. Injizierte er winterschlafenden Igeln Schilddrüsen¬
extrakte, so erwachte das Tier unter schnellem Ansteigen der Atem¬
frequenz und der Temperatur.
Parallel mit diesen experimentellen Beweisen geht der empirische
Befund, daß man nach Rapp die größte Ausbeute an Thyroxin
(wirksames Prinzip der Schilddrüse nach Kendall) aus den Schild¬
drüsen in den Sommermonaten erhält. Der enge Zusammenhang der
Schilddrüsenfunktion mit dem vegetativen Nervensystem kann wohl
auf die Richtung weisen, in welcher die in verschiedenen Jahreszeiten
verschiedenen Reaktionen des Organismus erklärt werden können.
Aus den angeführten experimentellen Arbeiten scheint hervorzu¬
gehen, daß die morphologischen und funktionellen Veränderungen
der Schilddrüse und so auch die damit zusammenhängende Beein¬
flussung des Gesamtorganismus in den verschiedenen Jahreszeiten
der Hauptsache nach durch die Außentemperatur bedingt sind
(vgl. auch Moros Kurven betreffs Tetaniehäufigkeit). Nun, so ein¬
fach scheint die Sache doch nicht zu sein. Periodische Drüsenfunk¬
tionen können wohl durch Temperaturveränderungen stark beein¬
flußt werden (Kämmerer), doch ist die Temperatur, wenn auch
ein hochwichtiger, doch bei weitem nicht der einzige und nicht einmal
der ausschlaggebende Faktor. Vielmehr scheinen unsere Erwägungen
— deren Auseinandersetzung aber hier zu weit führen würde — uns
zur Annahme zu berechtigen, daß die jahreszeitlich verschiedenen Reak¬
tionen des Organismus auf periodisch auf- und abschwellende Funk¬
tionen des endokrinen Drüsensystems zurückzuführen sind.
Aus der II. Medizinischen Universitätsklinik der Charite in Berlin
(Direktor: Geh.-Rat Kraus.)
Einige Verbesserungen an meinem einfachen transportablen
Pneumothoraxapparat.
Von Prof. Dr. Erich Leschke.
Der von mir in D. m. W. 1920 Nr. 22 beschriebene einfache
transportable Pneumothoraxapparat 1 ) hat sich mir und
anderen Kollegen weiterhin gut bewahrt und ist bisher von über
300 Aerzten bei vielen Tausenden von Einfüllungen angewandt worden.
Einige kleine Verbesserungen, die ich im Laute der Zeit als zweck¬
mäßig befunden habe und die seit einem halben fahre bereits an
den seitdem abgegebenen Apparaten angebracht sind, möchte ich im
Folgenden mitteilen:
1. Die Stabilität des Apparates wird jetzt dadurch völlig ge¬
sichert, daß er in einem transportablen Holzkasten von 40cm
Länge geliefert wird, in dessen Boden das Stativ fest eingelassen ist,
sodaß ein Umfallen selbst bei erheblichem Zug an den Schlauchen nicht
mehr möglich ist.
2. Der freie Schenkel des Manometers läuft bei dem neuen Modell
nicht in eine flache Birne, sondern in einen Trichter aus, in welchen
sich die Manometerflüssigkeit (abgekochtes Wasser) leicht einfüllen
(und ebenso ausgießen) läßt.
3. Der Zweiwegehahn hat eine Sperrung erhalten, die nur
zwei Bewegungen zulaßt: von der Spritze entweder zum Manometer
oder zur Außenluft, sodaß eine etwaige Verwechslung nicht mehr
möglich ist.
4. Als Spritze für den Apparat empfehle ich eine ISO ccm fassende
Rekord spritze in Form der von Jan et angegebenen Spritze.
Der Metallstempel hat vor dem (nur unbeträchtlich billigeren) Gummi¬
stempel den Vorzug leichteren Oleitens und besseren Abschließens.
Beides ist zum Zwecke einer gleichmäßigen Einfüllung unerläßlich.
Die gleiche Spritze kann auch zum Absaugen von Exsudaten benutzt
werden, wenn man nicht das schonendere Verfahren der offenen
Pleurapunktion nach Adolf Schmidt bevorzugt.
Das Einfüllen der durch Gaze filtrierten Luft mit
der großen Rekordspritze muß, um das nochmals zu betonen, zum
mindesten im Anfang ganz langsam, d.h. Kubikzentimeter für
Kubikzentimeter, erfolgen*). Das läßt sich besonders leicht
dadurch erreichen, daß man den Spritzenstempel allein mit der rechten
Hand bedient und ihn zwischen Daumen und Zeigefinger der linken
Hand hindurchgleiten läßt, wodurch man eine außerordentlich feine
Abstufung und Gleichmäßigkeit erzielen und jede irgendwie brüskere
Druckschwankung sicher vermeiden kann. Bei den mit meinem
Apparat bisher vorgenommenen Einfüllungen ist mir bisher noch kein
einziger Zwischen- oder gar Unglücksfall bekannt geworden, obwohl
dieselben von vielen Kollegen ebenso wie von mir ohne Assistenz
ausgeführt werden 8 ).
*) Der Apparat wird von der Firma Berkholz, Berlin SO., Köpenikerstr. 70, zum
derzeitigen Preis von 175 M. für den Apparat allein (ohne Spritze und Nadel) geliefert.
Zur kompletten Ausrüstung gehört außerdem eine 150 ccm Rekordspritze, eine Pneumo¬
thoraxnadel und ein Zwischenkonus zum Ansetzen von Rekordnadeln. Alle diese Teile
können in dem Holzkasten eingeschlossen transportiert werden. Außerdem ist a»ch
Raum für ein Fläschchen mit Novokain und eine 2- 5 ccm Rekordspritze zur Lokal¬
anästhesie. — *) Wegen der zur Vermeidung von Pleurachok und Luftembolie
erforderlichen Vorsichtsmaßregeln verweise ich auf meine Arbeit „Die Technik der
Pneumothoraxbehandlung“. M. m. W. 1920 Nr. 40. — •) Ein Kollege, der an einseitiger
exsudativer offener Lungentuberkulose erkrankt war, hat sich sogar mit bestem Erfolge
die NachfQUungen mit dem Apparat ohne Assistenz selbst gemacht.
Digitized b"
Google
Original from
CORNELL UNiVERSITV
23. Februar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
259
Peuchte Verbände mit abgekochtem Wasser.
Von Dr. Qlaß, Chirurg in Hamburg.
Von den Uebertreibungen der Antisepsis gelangten wir zur
Asepsis, als deren Vorkämpfer Neuber nicht zu vergessen ist. „Er
ersetzte die antiseptische Lösung durch gekochtes Wasser, nachher
durch 0,6°/oige Kochsalzlösung. Das war im Jahre 1883 eine kühne
Tat!“*) Warum sind wir nicht ganz konsequent geblieben und haben
besonders bei feuchten Verbänden noch immer Antiseptika, wie Bor¬
wasser, essigsaure Tonerde usw., beibehalten? Es sind Konzessionen,
die wir unsern Patienten machen, die, in teilweise alten Anschauungen
großgezogen, diesen Antiseptika gewiß eine größere Heilkraft bei¬
messen, als ihnen tatsächlich innewohnt. In erster Linie, war es
mein Wunsch, die jetzt oft ins Unermeßliche steigenden Arzneimittel¬
kosten zu verringern, dann aber wollte ich die Antisepsis durch die
zweckmäßigere Asepsis ersetzen, daher ich in allen Fällen von eitrigen
Wunden, wo ich sonst feuchte Verbände (übrigens stets ohne wasser¬
dichten Stoff mit steriler Gaze und Zellstoff — also eigentlich
„halbfeuchte“ Verbände —) mit Borwasser oder Liq. Alum. acet. zu
machen gewohnt war, abgekochtes bzw. sogar Leitungswasser aus
sauberer Trinkwasserleitung zu Verbänden verwende. Icn habe diese
ganz gewöhnliche und gewiß auch von anderer Seite geübte Behand¬
lung an etwa 300 Fällen konsequent durchgeführt. Ich kann be¬
berichten, daß ich keinerlei Nachteil und keinerlei Ver¬
zögerung in der Wundheilung gesehen habe. Ein Fall war
durch ein Erysipel kompliziert, hätte dasselbe aber auch gewiß bei
anderer Behandlung erhalten. Pyozyaneus sah ich auffallend selten.
Bei der „blauen Eiterung“ würde ich wohl auch empfehlen, bei der
antiseptischen Behandlung mit Liq. Alum. acet., Borsäure oder Wasser¬
stoffsuperoxyd zu verbleiben. Ich möchte an dieser Stelle nicht dar¬
über streiten, ob feuchte oder trockene Verbände in den einzelnen
Fällen anzuwenden sind. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß, wie so
oft, viele Wege nach Rom führen. Wer aber wie ich bei frischen
eiternden Panaritien, Furunkeln, Phlegmonen, allen nicht zum Still¬
stand gelangten Eiterungen im Unterhautzellgewebe feuchte Verbände
verwendet oder verwenden läßt, wird bei Verwendung von abge¬
kochtem Wasser oder sauberem Leitungswasser den gleichen Heiluugs-
verlauf wie mit den heute teuren 3<>/oigen Borwasser- und essigsaure
Tonerdeverbänden sehen und im klinischen, poliklinischen und
Kassenarztbetriebe sparsamer wirtschaften.
Daß die obengenannten antiseptischen Lösungen in den ange¬
wandten üblichen Verdünnungen weder eine beachtenswerte bakterizide
Wirkung noch irgendwelche Einwirkung auf tiefere Gewebe haben,
ist zur Genüge bekannt.
Bemerken möchte ich, daß, wenn ich die Patienten zu Hause
Verbände machen lasse, ich immer betone, daß sie „abgekochtes“
Wasser verwenden sollen. Es eignen sich für diese Fälle auch sterili¬
sierte, also keimfreie Verbandstoffe in Läppchenform, 4mal zusammen¬
gelegt 20 x 20 cm, sodaß die Patienten die Verbandstoffe nicht über¬
flüssig berühren müssen. In dem altbewährten Hausmittel, Kamillentee,
ist die Heilwirkung doch auch nur dem „abgekochten Wasser“ zuzu¬
schreiben. Läßt man es anwenden, besonders in der Kassenpraxis,
so ist man sicher, daß das Wasser abgekocht wird.
Am Schlüsse möchte ich nur kurz bemerken, daß ich bei ober¬
flächlichen, kutanen Eiterungen, Pyodermien jede feuchte Verband-
behandlung vermeide und mit lo/oiger alkalischer Trypaflavinlösung
meist Gutes gesehen habe, indem ich sie möglichst mit offener
Wundbehandlung verbinde.
Bei der Ueberhäutung reiner, granulierender Wunde hat mir die
2o/oige Pellidolsalbe stets oeste Dienste geleistet.
Ich bin mir bewußt, daß ich mit dieser kurzen Mitteilung dem
Chirurgen nicht viel Neues sage, aber die Literatur gibt meines Er¬
achtens dem praktischen Arzte, der viel mehr in die Lage: kommt, die
kleine Chirurgie zu treiben, recht wenig darüber, und die heutige
Zeit gebietet mehr denn je, Sparsamkeit zu üben, dort, wo es mög¬
lich ist.
Aus dem Hauptgesundheitsamt der Stadtgemeinde Berlin:
Hygienisch-bakteriologisches Institut.
Ein einfaches Verfahren znr Desinfektion des tuberkulösen
Auswurfes 1 ).
Von Dr. Friedrich Simon, Fürsorgearzt an der Landes-Versicherungs¬
anstalt in Berlin, und Dr. Georg Wolff, Ständiger Bakteriologe am Institut.
Das Problem der Desinfektion des tuberkulösen Auswurfes ist
auch heute noch nidit einwandfrei gelöst. Wenn auch in Kranken¬
häusern, Heilstätten und anderen großen Instituten die Unschädlich¬
machung des tuberkulösen Sputums durch Anwendung thermischer
Verfahren im allgemeinen erfolgt oder doch erfolgen soll, so trifft
dies keineswegs für die Sputumdesinfektion im Hause des Kranken
zu. Jeder Kenner der Verhältnisse weiß, daß hier von einer eigent¬
lichen Desinfektion durch den Kranken oder seine Angehörigen nicht
’) Conrad Brunner, Handb.d. Wundbehandl. 1916. N.d. Chir.20, S.72.
*) Vortrag, gehaltenen der Berliner mikrobiologischen Gesellschaft am 14. XI. 1921.
die Rede sein kann; denn die in den Anstalten bewährten Dampf-
bzw. Kochdesinfektionsverfahren haben sich im Privathaushalt wegen
ihrer Unbequemlichkeit und Unappetitlichkeit nicht einbürgern können,
obwohl auch handliche und für den Kleinbetrieb geeignete Apparate
verfügbar sind, z. B. der von D i 11 h o r n *) angegebene transportable
Sputumkocher. Als Methode der Wahl bleibt daher nur die che¬
mische Desinfektion des Auswurfes.
Eine zuverlässige, allgemein anerkannte Desinfektion, die den
Anforderungen der Praxis genügt, gab es aber bisher nicht. So
sicher die Abtötung der meisten pathogenen Keime mit den be¬
kannten chemischen Desinfektionsmitteln gelingt, so schwierig ist
die Abtötung der Tuberkelbazillen im Sputum. Das liegt einmal an
der Resistenz der Tuberkelbazillen, die auch in der Säure- und
Alkalifestigkeit ihren Ausdruck findet, ferner aber daran, daß die
Eiweiß- und Schleimmassen des Sputums die meisten Desinfektions¬
mittel hindern, in den Leib der Tuberkelbazillen einzudringen. Das
trifft für Sublimat wie für Phenol zu, die sämtlich Eiweißfällungs¬
mittel sind. Man hat sich daher, um eine Wirkung zu erzielen, sehr
hoher Konzentrationen dieser Desinfektionsmittel bedient; das ver¬
teuert wiederum die tägliche Desinfektion ganz erheblich, zumal man
hier mit einem im großen Umfange und vorwiegend von der arbeiten¬
den Bevölkerung gebrauchten Desinfektionsmittel zu rechnen hat.
Neuerdings haben Uhlenhuth und seine Mitarbeiter Joetten
und Hai ler-) in mehreren Publikationen ein Verfahren angegeben,
mittels Alkali-Lysol und anderen alkalischen Kresolpräparaten eine
sichere Desinfektion des tuberkulösen Sputums zu erreichen, und
darüber auf dem Tuberkulosekongreß in Bad Elster berichtet, wo
auch von uns die vorläufigen Ergebnisse des hier näher zu schildern¬
den Verfahrens in einer Diskussionsbemerkung mitgeteilt wurden 3 ).
Ferner hat Schuster 4 ) nach Untersuchungen im Hygienischen In¬
stitut der Berliner Universität ein schon vor längerer Zeit vor¬
geschlagenes Verfahren neu ausgearbeitet, um mittels der beim
Löschen des Kalkes freiwerdenden Hitze die Tuberkelbazillen im
Sputum zu vernichten.
Die Eigenschaften, welche ein in der Praxis brauchbares Des¬
infektionsverfahren besitzen muß, sind: 1. Sichere Wirksamkeit inner¬
halb verhältnismäßig kurzer Zeit. 2. Einfache Handhabung. 3. Gefahr¬
losigkeit für die Umgebung. 4. Möglichst geringe Geruchsbelästigung.
5. Billigkeit und leichte Beschaffbarkeit der erforderlichen Materialien.
Als ein allen diesen Ansprüchen genügendes Verfahren glaubt der
eine von uns (Simon) die Desinfektion des tuberkulösen Auswurfes
durch eine jedesmal frisch zu bereitende Mischung von Chlorkalk
und Staßfurter Salz angeben zu können; auf seine Wirksamkeit wurde
das Verfahren vom anderen von uns (Wolff) im Tierversuch geprüft.
Ausführung des Verfahrens: An Chemikalien sind Chlor¬
kalk und Staßfurter Salz, wie sie im freien Handel zu haben sind, erfor¬
derlich, die, getrennt und vor Feuchtigkeit und Licht geschützt, in pas¬
senden Gefäßen mit gut schließenden Deckeln vorrätig gehalten werden
müssen. Der Chlorkalk muß trocken sein und einen deutlichen Chlor¬
geruch aufweisen. Der Auswurf wird ohne Wasser aufgefangen; die
Desinfektion ist durchschnittlich alle 24 Stunden (am zweckmäßigsten
wohl abends vor dem Schlafengehen) vorzunehmen und kann unmittel¬
bar in den Sammelgefäßen (Speiflaschen oder Speigläsern) ausgeführt
werden. Voraussetzung hierfür ist, daß die Sputummenge nicht mehr
als etwa die Hälfte des Rauminhalts der Gefäße ausmacht, damit bei
dem später erforderlichen Umrühren ein Verspritzen vermieden wer¬
den kann; eventuell ist die Desinfektion mehrmals am Tage vorzu¬
nehmen. Die Ausführung geschieht in der Weise, daß zu dem Sputum
tee- bzw. eßlöffelweise Chlorkalk und in zweifacher Menge Staßfurter
Salz zugegeben wird, und zwar so oft, bis das Gemisch durch Um¬
rühren mit einem Stabe zu einem gleichmäßigen, salbenförmigen
Brei geworden ist, wenn nötig, unter Zusatz geringer Wassermengen.
Für geringe Sputummengen (20—30 g) reichen */* Eßlöffel Chlorkalk
und f—2 Eßlöffel Staßfurter Salz aus, für größere Sputummengen sind
entsprechend stärkere Zusätze zu wählen. Hauptgewicht ist jedesmal
darauf zu legen, daß die völlige Umwandlung der zähen Schleim¬
massen in einen salbenförmigen Brei von gleichmäßiger Konsistenz
erfolgt. Man läßt den Brei dann noch 3 Stunden stehen; nunmehr ist
die Desinfektion als beendet anzusehen. Der Inhalt der Gefäße kann
dann unbedenklich in den Aborttrichter oder Küchenausguß entleert
werden. Für die praktische Anwendung wird es sich empfehlen, neben
gedruckten Gebrauchsanweisungen das Verfahren durch den Arzt, die
Fürsorgeschwester oder den Desinfektor in jedem Falle vormachen zu
lassen.
Die chemischen Vorgänge, welche der Desinfektion zu¬
grundeliegen, lassen mehrere Möglichkeiten der Erklärung zu. Die
Lösung des Schleims und die Zerstörung der Formelemente, welche
die unerläßliche Vorbedingung jeder ausreichenden Desinfektions¬
wirkung sind, werden durch das im gewöhnlichen Chlorkalk enthal¬
tene Kalziumhydroxyd herbeigeführt. Die Abtötung der Tuberkel¬
bazillen, die eigentliche Desinfektion kommt indessen teils durch
freies Chlor, teils durch unterchlorige Säure, vielleicht auch durch
Sauerstoff in statu nascendi zustande. Daß Chlor und Unterchlorig-
') Fritz Dl tthorn: Ein transportabler Sputumkocher. Der praktische Desinfektor,
1920 H. 7 — *1 M. KI. 1921 Nr 10; Zschr. f. Tbc. (Festschrift zum Tuberkulosekongreß
1921 In Bad Elster); Zschr. f. Tbc. 1921, 34, H. 7. — •) Es scheint ungewöhnlich, daß
Uhlenhuth in einer Anmerkung des Kongreßberichtes bereits mitteilen kann, daß das
von uns erprobte Verfahren unwirksam sei. Nachprüfungen Ober ein Verfahren zu
veröffentlichen, das in seinen Einzelheiten und in extenso noch nicht öffentlich bekannt
gegeben ist,'war bisher'nicht üblich. — ♦) Zschr. f. Hyg. 1921,92.
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
260
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Säureanhydrid beim Vermischen von Staßfurter Salz und Chlorkalk
unmittelbar entstehen, läßt sich außer durch die (freilich nicht ein¬
deutige) Reaktion mit Jodkaliumstärkekleister-Papier durch den sehr
charakteristischen stechenden Geruch der Gase nachweisen. Im wesent¬
lichen findet wohl eine Umsetzung der den Hauptbestandteil des
Staßfurter Salzes ausmachenden Cnloralkalien und der ihnen bei¬
gemengten Eisenverbindungen mit dem Kalziumhypochlorit des Chlor¬
kalks statt. Freies Chlor kann nach Foerster 1 ) unter Oxydation des
Chlorids zu Chlorat entstehen, in unserem Falle also etwa nach der
Formel: 3 Ca (C10) 2 -{- NaCl = NaC10 3 4-3 CaO-|-3 Cl ? . Eine kata¬
lytische Beeinflussung der Reaktion durch die Eisenverbmdungen des
Staßfurter Salzes ist sehr wahrscheinlich. Eine wichtige Rolle können
diese Eisensalze nach Balard 2 ) bei der Entstehung freier unter-
chloriger Säure spielen: 3 Ca (CIO)« 4 - Fe 2 (S0 4 ) 3 = 3 CaS0 4 4 Fe 2 0 3
4 - 3 Cl 2 0. Schließlich käme auch die Entwicklung freien Sauerstoffs aus
Chlorkalk unter katalytischer Mitwirkung der Eisenverbindungen in
Betracht, wie sie schon Boettger 3 ) beobachtet hatte. Ueber Wir¬
kung und Chlorgehalt des Chlorkalkes vgl. auch die Untersuchungen
von Klut 4 ) über Chlorkalkdesinfektion von Trinkwasser.
Um die Wirksamkeit des Verfahrens zu prüfen, wurde im Haupt¬
gesundheitsamt der Stadtgemeinde Berlin eine Reihe von Tier¬
versuchen in mehreren Serien ausgeführt. Die Versuchsanordnung
sollte nach Möglichkeit den Bedingungen Rechnung tragen, unter
denen das Verfahren in der Praxis zur Anwendung gelangt. Die Ver¬
suche gestalteten sich im einzelnen folgendermaßen: 25 ccm tuber¬
kulösen Sputums werden in einem Becnerglas mit 15g = l Eßlöffel
Chlorkalk und 50 g = 2 Eßlöffel Staßfurter Salz versetzt. Nach Hinzu¬
gabe von wenig Wasser (je nach der Konsistenz des Sputums 5 bis
10 ccm) wird das Gemenge mehrmals mit einem Glasstab umgerührt,
bis ein gleichmäßiger, salbenförmiger Brei entstanden ist. Sobald
dies erreicht ist, was meist irach längstens Vs Stunde bei mehr¬
maligem Umrühren geschieht, ist die Aufschließung des Sputums, die
Auflösung der geformten Bestandteile, insbesondere der zelligen Ele¬
mente, eingetreten. Im Ausstrichpräparat ist dann nur noch ein form¬
loser Detritus erkennbar: Tuberkelbazillen sind entweder nach Ziehl-
Neclsen färberisch überhaupt nicht mehr nachweisbar oder zer¬
fallen und in der Form nicht scharf Umrissen. Der Brei bleibt noch
3 Stunden stehen und wird danach zur Abstumpfung des Chlors mit
so viel 10o/oiger Natriumsulfitlösung versetzt, bis keine Bläuung von
Jodkaliumstärke-Papier mehr eintritt. Von der so behandelten Sputum¬
menge erhielten mehrere Meerschweinchen je 1 ccm, mehrere je 2 ccm,
mehrere je 3 ccm subkutan oberhalb der linken Leistenbeuge ein¬
gespritzt; bei jedem Versuch erhielt mindestens je ein Kontrollier
eine Injektion von 0,3 ccm des unbehandelten Sputums.
Im ganzen wurden 5 Versuchsreihen angelegt mit zusammen
24 Tieren, von denen 6 als Kontrollen dienten. 18 Meerschweinchen
wurden mit dem nach unserem Verfahren behandelten Sputum geimpft,
6 von diesen Tieren sind zu schnell nach der Einspritzung an inter¬
kurrenten Krankheiten gestorben, als daß sie zur Beurteilung noch
herangezogen werden können. Die übrigen Tiere zeigten bei der
Sektion nach durchschnittlich 2—3 Monaten keinerlei tuberkulöse Ver¬
änderungen, im Gegensatz zu den gleichzeitig getöteten Kontrollen,
die sämtlich generalisierte Tuberkulose aufwiesen.
Sämtliche Tiere, die mit dem nach unserem Verfahren behandelten
Sputum geimpft waren, bekamen im Anschluß an die Injektion eine
Schwellung, öfter eine Nekrose, die wohl durch Reste ätzender
Chlorkalkbestandteile hervorgerufen ist. Die oberflächliche Nekrose
verheilte stets im Verlauf weniger Tage. Um aber doch den Einwand
zu entkräften, daß es etwa deshalb bei diesen Tieren nicht zu einer
Infektion gekommen ist, weil mit dem nekrotischen Gewebe auch die
verimpften Sputumteile wieder abgestoßen sind, wurde bei der letzten
Versuchsreihe ein weiteres Kontrolltier in folgender Weise geimpft:
Es erhielt zunächst 0,3 ccm des unbehandelten Sputums (ebenso wie
noch ein anderes Kontrolltier), unmittelbar danach aber 2 ccm der
Chlorkalk-Staßfurter-Salz-Mischung. Es trat auch hier eine Nekrose
an der Impfstelle ein, die wieder verheilte; nach 3 3 / 4 Monaten wurde
das Tier getötet (zusammen mit den anderen Tieren der Versuchs¬
reihe). Die Sektion ergab eine verkäste Drüse in der rechten Leisten¬
beuge, tuberkulöse Veränderungen in Milz, Lunge, Leber; Tuberkel¬
bazillen in allen drei Organen. Das Tier hat also trotz der Nekrose,
ebenso wie die anderen Kontrollen, eine generalisierte Tuberkulose
bekommen, ein Zeichen dafür, daß die Infektion bei dem so überaus
empfänglichen Meerschweinchen haftet, wenn nur die Tuberkelbazillen
am Leben sind.
Weitere Tierversuche wurden in Anbetracht der großen Tier¬
knappheit aus wirtschaftlichen Gründen, die uns ein ähnlich aus¬
giebiges Vorgehen wie Uhlenhuth und seinen Mitarbeitern nicht
gestatteten, nicht vorgenommen. An sich wohl erwünscht bei der
großen praktischen Wichtigkeit des Problems, schienen sie uns nicht
mehr erforderlich, nachdem alle Versuchsreihen entsprechend dem
nachstehenden Auszug aus unseren Protokollen, von deren ausführ¬
licher Wiedergabe wir aus Raumgründen absehen, gleichlautend aus¬
gefallen waren. Wir schließen daraus, daß das von uns geschilderte
und geprüfte Verfahren bei richtiger Einhaltung der Versuchs¬
bedingungen, die den Vorschriften zu seiner Anwendung in der Praxis
entsprechen, imstande ist, Tuberkelbazillen im Sputum abzutöten.
*) Journal für praktische Chemie 190/, 171, S. 162. - *) Ann. dechim. et de phys.
834, 57. S. 296. — ») Journal für praktische Chemie 1865,95, S. 310. - *) MUt. Land.Anst.
Wasscrhvg. 1913. 17, S 94
Nr. 8
Versuch I am 14. Xn. 1920.
Meerschw. 1 (1 ccm behänd. Sputum sbk.) Oestorben 16. XII1920, interkurrent
„ 2 (2 ccm behänd. Sputum sbk.) Getötet 14. II. 1921, frei von Tuberkulose
„ 3 (Kontrolltier 0,2 ccm unbeh. Sp.) Gestorben 30.1.1921, generalis. Tuberkulose
Versuch II am 20. XII. 1920.
Meerschw. 4 (1 ccm behänd. Sputum sbk.) Getötet 7. II. 1921, frei von Tuberkulose
„ 5(2 ccm behänd. Sputum sbk.) Gestorben 8 Stunden nach der Injektion
B 6 (Kontrolltier 0,4 ccm unbeh. Sp.) Getötet 15.1. 1921, generalis. Tuberkulose
Versuch III am 27. XII. 1920.
Meerschw. 7 (1 ccm behänd. Sputum sbk.) Getötet 28. II. 1921, frei von Tuberkulose
„ 8(1,5 ccm behänd. Sputum sbk.) Getötet 28. II. 1921, frei von Tuberkulose
„ 9 (Kontrolltier 0,2 ccm unbeh. Sp.) Getötet 26. II. 1921, generalis. Tuberkulose
Versuch IV am 13. V.I 1921.
Meerschw. 10 (1 ccm behänd. Sputum sbk.) Gestorben 4. VII. 1921, frei von Tuberkulose
„ 11 (1 ccm behänd. Sputum sbk.) Getötet 6. X. 1921, frei von Tuberkulose
„ 12(1 ccm behänd. Sputum sbk.) Gestorben 3. VII. 1921, frei von Tuberkulose
„ 13 (2 ccm behänd. Sputum sbk.) Getötet 6. X. 1921, frei von Tuberkulose
„ 14 (2 ccm bebanp. Sputum sbk.) Gestorben 3. VII. 1921, frei von Tuberkulose
15 (2 ccm behänd. Sputum sbk.) Getötet 6. X. 1921, frei von Tuberkulose
„ 16 (Kontrolltier 0,4 ccm unbeh. Sp.) Getötet 5. X. 1921, generalis. Tuberkulose
Versuch V am 20. VI. 1921.
Meerschw. 17 (2 ccm behänd. Sputum sbk.) Getötet 10. X. 1921, frei von Tuberkulose
18 (2 ccm behänd. Sputum sbk.) Gestorben 2. VII. 1921, frei von Tuberkulose
19 (2 ccm behänd. Sputum sbk.) Gestorben 6. XII. 1921, frei von Tuberkulose
20 (3 ccm behänd. Sputum sbk.) Gestorben 2 Tage nach der Injektion
21 (3 Ccm behänd. Sputum sbk.) Getötet 10. X. 1921, frei von Tuberkulose
22 (3 ccm behänd. Sputum sbk.) Gestorben 3. VII. 1921, frei von Tuberkulose
23 (Kontrolltier 0,3ccm unbeh. Sp.) Getötet 10. X. 1921, generalis. 1 uberkulose
24(Kontrolltier 0,3 ccm unbeh. Sp. \-. ... v ’ . .
+2ccmChlork.-Staßf.-SaIzmischg.) / 0etötet 13.X. 1921, generalis. Tuberkulose
Hinsichtlich der übrigen Forderungen, die man in Uebereinstim-
mung mit Uhlenhuths und Schusters Ausführungen an ein in
der Praxis brauchbares chemisches Sputumdesinfektionsverfahren stellen
muß, können wir uns kurz fassen. Außer daß ein solches im Hause
des Patienten angewendetes Desinfektionsverfahren zuverlässig in dei
Wirkung ist, muß es einfach und schnell ausführbar sein. Das Mittel
selbst muß ferner ungefährlich für die Umgebung sein, nach Möglich¬
keit keine Geruchsbelästigung veranlassen und schließlich leicht be¬
schaffbar und billig sein.
Wir glauben, daß das geschilderte Verfahren diesen Anforde¬
rungen gerecht wird. Es ist einfach und macht keine besonderen
Apparaturen erforderlich; es schafft keine neuen Gefahrenquellen, da
der Bevölkerung der Gebrauch des Chlorkalks durch dessen vielfache
Verwendung im Hause und bei der Wäsche als Bleichmittel bereits
genügend bekannt ist. Auch mit einer eigentlichen Geruchsbelästigung
ist nicht zu rechnen, da der Chlorkalkgeruch bekannt und vielen Men¬
schen nicht unangenehm ist. Im Gegensatz dazu ist die Verwendung
von Sublimat una Kresolpräparaten in der Hand des Laien als weit
bedenklicher zu erachten. Die ganze Manipulation hat auch nichts
Unappetitliches an sich, zumal der entstehende Brei in keiner Weise
mehr an seine ominöse Herkunft erinnert. Sehr wichtig ist sodann,
außer der zuverlässigen Beschaffenheit des Chlorkalks, die Wirtschaft¬
lichkeit des Verfahrens.
Die erforderlichen Chemikalien, Chlorkalk und Staßfurter Salz,
sind jederzeit leicht zu beschaffen. Bei zweckmäßiger Lagerung
(trocken, kühl, dunkel) kann auch ein größerer Vorrat davon gehalten
werden. Der Preis der Mittel ändert sich bei der heutigen Marktlage
schnell; das Verfahren wird aber immer im Verhältnis zu anderen
Methoden billig sein, da die erforderlichen Chemikalien im freien
Handel vorrätig und nicht monopolisiert sind. Chlorkalk kostet zur
Zeit im Kleinhandel etwa 6 M. p. kg, Staßfurter Salz etwa 75 Pf. p. kg.
Zur Desinfektion einer 24 ständigen Auswurfmenge von 30-40 ccm
würde man im Monat etwa 2 kg Staßfurter Salz und 0,6 kg Chlor¬
kalk gebrauchen. Der Kleinhandelspreis dafür beträgt etwa 5,10 M =
17 Pf. für die tägliche Desinfektion. Der Preis stellt sich natürlich
noch erheblich billiger, wenn man die Chemikalien im großen be¬
zieht, und wird jedenfalls die Ausgaben des täglichen Haushalts nicht
in nennenswerter Weise belasten.
Zusammenfassung. 1. Durch Chlorkalk und Staßfurter Salz in be¬
stimmten Mengenverhältnissen wird eine völlige Aufschließung des
Sputums und Homogenisierung zu einem gleichförmigen, salben¬
artigen Brei erzielt.
2. Nach dem Ausfall der Tierversuche werden Tuberkelbazillen
durch diese Behandlung des Sputums abgetötet.
3. Das Verfahren erfüllt die Bedingungen, die an ein Sputum-
desinfektionsverfahren zu stellen sind: Es wirkt sicher, ist einfach an¬
zustellen, ohne Gefahr und Geruchsbelästigung für die Umgebung
und ist so billig, daß es die täglichen Ausgaben des Haushalts nicht
beschwert.
Aus dem Bakteriologischen Laboratorium des Versorgungs¬
krankenhauses I in Hannover.
Die Desinfektion des tuberkulösen Auswurfs.
Von Priv.-Doz. Dr. Th. Messerschmidt, Vorstand des Laboratoriums.
Der Kampf gegen die Tuberkulose gipfelt in einem Angriffs¬
punkte: der Beseitigung der Tuberkelbazillen, sei es im Kranken oder
außerhalb von ihm. Ob ersteres regelmäßig gelingen wird, muß die
Zukunft ergeben. Für den praktischen Arzt in ambulanter Praxis mag
hin und wieder ein in guten sozialen Verhältnissen lebender Kranker
Digitized by Gck igle
Original frem
CORNELL UNIVERSITV
23. Februar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
261
mit offener Lungentuberkulose genesen; unter ungünstigen äußeren
Lebensbedingungen habe ich gelernt, die Worte der Werbeschriften
„Die Tuberkulose ist heilbar“ recht vorsichtig zu beurteilen. Ebenso
unsicher wie die Sterilisation in vivo stand es bislang um die chemische
Desinfektion der Tuberkelbazillen im Auswurf der Kranken. Viel¬
jährige Untersuchungen mit allen bekannten Desinfektionsmitteln
und allen erdenklichen Kombinationen hatten uns früher ergeben, daß
ihre Anwendung einer symbolischen Handlung glich: geeignet, ängst¬
liche Gemüter zu beruhigen, ohne den beabsichtigten Zweck zu er¬
reichen. Quecksilberverbindungen, Karbol-Kresolseifenpräparate, Farb¬
stoffe, Laugen, Säuren, Chinosol, Kaliumpermanganat, Chlor usw.
sowie alle ihre Abkömmlinge töteten die Tuberkelbazillen im typischen
geballten Auswurf mit einiger Sicherheit erst nach weit mehr als
eintägiger Einwirkungszeit 1 ). Wir haben kein einziges aller be¬
kannten chemischen Desinfektionsmittel ungeprüft gelassen und in
hundertfältigen Untersuchungen immer wieder gesehen, daß sie völlig
unwirksam waren. Wenn sie trotzdem in der Praxis angewandt werden
mußten, so war das nutzlos weggeworfenes Geld, nicht zürn Vorteil
der Tuberkulosebekämpfung.
Die Sputumdesinfektion wurde neuerdings durch Uhlenhuth,
Jötten und Hailer 2 ) in erfolgreiche Bahnen gelenkt mit der
Empfehlung des Alkalilysols (Schülke und Mayr). Ich hatte
Gelegenheit, dieses Präparat in einigen Versuchen nachzuprüfen, und
kann seine Brauchbarkeit bestätigen.
Zur Verwendung kamen fünf frisch entleerte Kavernensputa von
schwerkranken Lungenschwindsüchtigen. Jedes entsprach den stren¬
gen Anforderungen, die wir von jeher an solches Versuchsmaterial
stellten (dickballig-fest, massenhaft tuberkelhaltig, durch Autolyse usw.
nicht erweicht). 50 ccm derartiger Ballen wurden, ohne die Glaswand
des Versuchsgefäßes zu infizieren, in 100 ccm der 5°/oigen kalten
Lösung des Desinfiziens gebracht, untergetaucht und für 4 Stunden
unberührt darin gelassen. Nach dieser Zeit wurden die nunmehr
sichtlich erweichten Ballen abfiltriert, mit Wasser gewaschen und zu
je 2 ccm auf je 2 Meerschweinchen subkutan verimpft. Ein Tröpfchen
aus der Impfspritze enthielt bei mikroskopischer Prüfung zahllose
Tuberkelbazillen. Die Kontrolliere bekamen von der Sputumprobe
gleichen Ursprungs den in 10°/oigem Antiformin gelösten Bodensatz.
Nach etwa 8wöChiger Beobachtungszeit waren die Konfron¬
tiere an schwerer Impftuberkulose gestorben, die Alkalilysoltiere wur¬
den getötet und erwiesen sich bei der Sektion als völlig gesund.
Nach diesem Ausfall der Versuche, der mich im Gedanken an die
früheren dauernden Mißerfolge mit allen anderen chemischen Des¬
infektionsmitteln freudig überraschte, komme ich zu dem Ergebnis,
daß das Alkalilysol in seiner Anwendung einfach und
sicherwirkend zur Abtötung der Tuberkelbazillen im
Auswurf ist.
Der jetzigeStand der Pathogenese und Therapie der Rachitis.
Von Prof. Dr. Rudolf Piocbl,
Vorstand der Deutschen Universitätskinderklinik in der böhmischen
Landesfindelanstalt in Prag.
(Schluß aus Nr. 7.)
II.
Bevor wir uns der Rachitistberapie zu wenden, müssen wir uns
die Frage vorlegen, ob wir Mittel und Wege besitzen, die Rachitis
zu verhüten. Ich als Anhänger der Lehre von dem Angeborensein der
Rachitis stehe von vornherein auf einem sehr skeptischen Standpunkte
und konnte mich von der prophylaktischen Wirkung des Lebertrans
niemals recht überzeugen. Heß und Unger behaupten auf Grund
von Erfahrungen an 80 Negersäuglingen im Alter von 4—12 Monaten,
daß es ihnen durch mindestens viermonatige Darreichung von
Lebertran gelungen sei, den Ausbruch der Rachitis bei ihnen zu ver¬
hindern, und auch Findlay meint, die prophylaktische Wirkung
des Oleum jeeoris Aselli sei in 85°/o seiner Fälle zum Ausdruck
gekommen. Es wird notwendig sein, diese Versuche an einem
größeren Material objektiv zu prüfen.
Den älteren Versuchen von Kassowitz, welcher die Befunde
Wegners, betreffend die Phosphorwirkung auf den wachsenden
Knochen an Kaninchen, nachprüfte, stehen solche von Mac Collum
und seinen Mitarbeitern zur Seite, welche Ratten mit künstlich er¬
zeugter Rachitis Lebertran verabfolgten und in den Knochenschnitten
Ablagerung von Kalksalzen feststellen 'konnten, welche die unbehan¬
delten Konfrontiere vermissen ließen; der Vorgang soll große Aehn-
Iichkeit mit dem der Heilung bei menschlicher Rachitis aufweisen.
Man hat in letzter Zeit wiederholt den Versuch gemacht, die
Heilung der Rachitis durch Zufuhr pflanzlicher oder tierischer Vita¬
mine anzubahnen. Schon früher sind ja zu diesem Zwecke grüne
Gemüse und Eigelb (Hagenbach-Burckhardt) empfohlen wor¬
den, ohne daß die gewonnenen Eindrücke überzeugend gewesen
wären, und auch jetzt stehen sich positive und negative Ergebnisse
schroff gegenüber. So berichtet Erich Müller über gute Resultate
der Zufuhr grüner Gemüse und roher Früchte sowie der für solche
Zwecke fabrikmäßig hergestellten Präparate Rubio (Aron) und Suc-
carot (E. Müller). Dem entsprechen die Erfahrungen von Levin-
■) D m. W. 1914 Nr. 50; 1915 Nr. 16. - *) M. KI. 1921 Nr. 10.
son nicht, welcher mit Orangensaft keinerlei Effekt erzielen konnte.
Auch das große Experiment, welches der Weltkrieg bot, spricht nicht
in diesem Sinne, denn auch bei uns zu Lande, wo an frischen Ge¬
müsen niemals Mangel herrschte und diese in der Säuglingsemährung
reichlich herangezogen wurden, ließ sich ein Anstieg der Rachitis¬
frequenz und das häufigere Auftreten der schweren Formen fest¬
stellen.
Der Lebertran erfreut sich in der Rachitisbehandlung seit jeher
großen Ansehens, und seine zielbewußte Anwendung geht schon auf
Trousseau zurück. Auch Kassowitz, welcher für die Phosphor¬
therapie der Rachitis eintrat, mußte sich überzeugen, daß die wirk¬
samste Darreichung dieses Metalls in Kombination mit Lebertran
erfolge. Wenn auch die von ihm behauptete spezifische Wirkung
des Phosphors, welche er der des Quecksilbers bei Syphilis gleich¬
setzte, durchaus nicht von allen Seiten bestätigt wurde, so hat sich
doch die von ihm empfohlene Phosphorlebertranmischung jetzt schon
durch fast vier Dezennien gut bewährt und auch mir in zahlreichen Fäl¬
len wertvolle Dienste geleistet, die jedenfalls augenfälliger waren als
die bei bloßer Lebertrandarreichung und namentlich bei spasmophilen
Zuständen ganz besonders hervortraten. Um einen überaus eklatanten
Fall kurz zu erwähnen, will ich eines U/sjährigen Knaben gedenken,
welcher von einer seit Monaten bestehenden latenten Tetanie mit
überaus gehäuften Anfällen von Spasmus glottidis, die bisher homöo¬
pathisch behandelt worden waren und das Kind täglich in die größte
Lebensgefahr brachten, durch den ersten Kaffeelöffel der
genannten Mischung befreit wurde. Ich habe in der Kassowitz
ewidmeten Festschrift eine Zusammenstellung über 101 so behan-
elte Fälle gemacht, deren weitaus größte Mehrzahl prompt auf
diese Therapie reagierte, was besonders der nervösen Komponente
gegenüber der Fall war.
In der letzten Zeit hat man sich nun mit der theoretischen Seite
der Lebertranwirkung eingehender beschäftigt und durch Stoffwechsel¬
versuche näher in das Wesen derselben einzudringen gesucht. Birk,
Schloß, Schabad und To wies fanden bei Künstlich genährten
Säuglingen eine Besserung des Kalkansatzes, während bei Brustkindern
die Ergebnisse nicht eindeutig waren (Schloß). Aus den Versuchen
von Schabad -und von Freund geht hervor, daß auch andere
Fette in ähnlicher Weise wirksam sind, so jl. B. Lipanin. Interessant
in dieser Hinsicht ist die Angabe von Orgler, daß dem Milchfett,
welches ja, wie ich oben erwähnte, gegenwärtig unter den anti-
rachitisch wirkenden Faktoren in erster Reihe, noch vor dem Leber¬
tran, steht, diese Eigenschaft nicht zukommt, sondern dasselbe eher
verschlechternd auf *den Stoffwechsel der Kalksalze wirkt, wieder
ein Beweis, wie vorsichtig man in der Deutung und Nutzanwendung
solcher Untersuchungsergebnisse sein muß. Stoeltzner sieht das.
Wesen der Lebertranwirkung in seinem Gehalt an Oxysäuren, neben
denen er auch viel ungesättigte Fettsäuren enthält, die durch Oxy¬
dation in Oxysäuren übergehen. Die von ihm anerkannte Verstärkung
des Effektes durch Zusatz von Phosphor legt er sich in der Weise
zurecht, daß diesem ein gewisser Einfluß auf die Oxydation der
unwirksamen ungesättigten Säuren zu wirksamen Oxysäuren zukomme.
Nach Noeggerath hemmt der Lebertran die übermäßige Aus¬
scheidung von Kalk und Phosphorsäure und wandelt sie in eine
Mehrausscheidung von Alkalien um; wahrscheinlich fördert er auch die
zweite Resorption des Kalkes im Dickdarm, und daneben scheinen auch
gewisse Kalkfänger in ihm enthalten zu sein, die vielleicht auf Blut
und Knochen selbst wirken. Darüber jedoch steht die Wirkung auf
den ganzen Zellstaat. Daß in neuester Zeit das Wesen der Leber-
franwirkung in seinem hohen Gehalt an fettlöslichem Vitamin A,
einem exquisit antirachitischen Faktor, beruhen soll, habe ich ja
bereits früher erwähnt.
Schon Schloß, welcher die Wirkung der Kombination von Leber¬
tran mit Phosphor bezweifelte, hat die Anreicherung desselben mit
Kalk empfohlen und zu diesem Zwecke zu 100 ccm Oleum jeeoris
Aselli 10 g Calcaria phosphorica tribasica gefügt, wovon 3—4 Tee¬
löffel täglich genommen werden sollen. Ich kann nicht behaupten,
daß die Verwendung dieses scheußlich schmeckenden Gemisches,
welches ich jahrelang in zahlreichen Fällen gegeben habe, mehr
geleistet hätte als die frühere Phosphorlebertranmedizin.
Hingegen haben wir an meiner Klinik im letzten Jahre bei auf
rachitischer Grundlage entwickelten spasmophilen Erscheinungen mit
der Darreichung größerer Kalkmengen, die, nebenbei bemerkt, auf
den rachitischen Prozeß selbst keinen Effekt übten, rasche Wirkung
erzielt, die mitunter recht überzeugend ausfiel. Außer der erwähnten
Schloß sehen Kalklebertranmischung verwendeten wir folgende Ver¬
schreibungsweise, die aus der Klinik von Czerny stammt: Calcii
chlorati crystallisati purissimi 30,0:250,0, Liquoris ammonii anisati
2,0, Gummi arabici 3,0, Syr. simplic. ad 300,0, und ließen davon
alle 2 Stunden, später alle 3—4 Stunden einen Kaffee- bis Kinder¬
löffel nehmen. Ersetzt man das Calcium chloraticum crystallisatum
durch Calcium chloratum siccum, so läßt sich der Effekt auf das
Doppelte steigern. In einzelnen Fällen gaben wir auch Calcium
lacticum in der Menge von 20—25 g täglich in Milch oder Calcan-
tabletten, 8—10 Stüde pro die, doch war der Erfolg bei der erst¬
erwähnten Medikation am sichersten zu erreichen. Daß daneben alle
anderen gegen die Rachitis gerichteten Maßnahmen angewendet wur-
deji, ist ja selbstverständlich.
Von den früheren ergebnislosen Versuchen mit Organtherapie
habe ich schon gesprochen und will nunmehr die neueren Erfahrungen
hierüber mitteilen. Bieling gibt an, es sei ihm gelungen, durch
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNiVERSSTV
262
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 8
njcktion von Parathyreoideaextrakten bei rachitischen Kindern die |
negative Kalkbilanz in eine positive umzuwandeln. !
Die Anhänger der Vitamintheorie der Rachitis sind der Meinung,
durch entsprechende Vitaminzufuhr lasse sich eine Beeinflussung der
endokrinen Drüsen und auf diesem Umwege ein Effekt gegenüber
der Rachitis erzielen. Watson hat durch vitaminfreie Kost bei j
Ratten eine Degeneration der Thyreoidea (und wohl auch des ganzen
Tieres!) erzeugt. Bickel bereitete aus frischem Spinat einen Extrakt,
welcher bei intravenöser Applikation stark anregend auf die Pankreas¬
sekretion wirkte. Auch die gleich zu besprechenden Erfolge der
Höhensonnenbehandlung sucht Noeggerath durch anregende Wir¬
kung auf die innersekretorischen Funktionen der Haut zu erklären,
von wo aus vielleicht eine Femwirkung auf das übrige endokrine
System erfolge. Also im Ganzen viel Behauptungen und wenig
Beweise.
Eine neue Etappe der Rachitistherapie und einen gewissen Fort- j
schritt bedeutet die durch Huldschinsky angeregte, seither von |
verschiedenen Seiten bestätigte gute Wirkung der Bestrahlung mit l
künstlicher Höhensonne. Die mächtigen Effekte, die wir bei Rachiti- j
kern durch reiche Zufuhr von Licht und Luft zu erreichen vermögen 1
und für die als langjähriges Zeugnis die vielen Rachitikerheime an
der Küste und im Gebirge angeführt werden können, ließen von
vornherein eine solche Therapie aussichtsreich erscheinen, doch möchte
ich mich auf Grund unserer Erfahrungen etwas weniger enthusiastisch
aussprechen als die meisten Autoren und namentlich jenem Sanguinis-
mus, wie er sich in den Fabriksanzeigen findet, nacn denen wir auf
diesem Wege in die Lage kommen werden, die Rachitis mit Stumpf !
und Stiel auszurotten, energisch entgegenzutreten. Daß ich mich mit I
meiner Zurückhaltung nicht allein befinde, geht unter anderem aus
den Mitteilungen von Heß und Unger nervor, welche mit der
Quarzlampe weder lokale noch allgemeine Wirkungen erzielten, sowie
aus der Angabe Erich Müllers, der die Wirkung des Lichtes nur
in Kombination mit mineralstoffreicher und vitaminhaltiger Nahrung
eintreten sah. Die von Sachs beobachtete rasche Heilung mani¬
fester Tetanie unter dem Gebrauch der künstlichen Höhensonne kann |
ich nicht bestätigen und habe wiederholt durch die Bestrahlung j
laryngospastischc Attacken oder solche von exspiratorischer Apnoe
ausgelöst gesehen. Inwieweit sich diese Behandlung auch zur Pro¬
phylaxe der Rachitis eignet (Bahrdt), darüber fehlt es mir noch an
der nötigen Erfahrung. Aus Stoffwechselversuchen von Lasch und
Wertheimer geht hervor, daß bestrahlte Rachitiker eine starke
Steigerung der Kalk- und Phosphorsäureretention zeigen, die schon
frühzeitig einsetzt und die klinische Heilung ndth einige Zeit über¬
dauert.
* Wir haben im Institut des Kollegen Rudolf Kuh, der uns seine |
Bachsche Höhensonne freundlichst zur Verfügung stellte, unter >
steter Kontrolle meines Assistenten Dr. Berthold Epstein etwa
40 Fälle bestrahlt,« wobei wir in der Weise vorgingen, daß wir in j
der ersten Hälfte der Zeit die Brust, in der zweiten die Rückenseite
bestrahlten und die Augen der Kinder entweder durch eine dunkle !
Brille oder ein vorgebundenes Tuch schützten. Wir begannen mit
zweimal drei Minuten und einer Distanz von 90—100 cm und nahmen j
die Bestrahlung dreimal wöchentlich vor. Jeden zweiten Tag wurde
die Dauer um zwei Minuten verlängert, bis wir auf je eine Viertel¬
stunde kamen, bei welcher Zeit wir blieben; die Distanz wurde all- I
mählich von 90—100 auf 75 cm erniedrigt. Allgemeine Effekte, die !
sich iii Besserung der Anämie und schneller Erlangung des Geh- j
Vermögens hätten äußern müssen, haben wir nicht erzielt; auch einen |
schnelleren Verschluß der Fontanelle, als wir ihn sonst bei der
gewöhnlichen Rachitisbehandlung mit Phosphorlebertran beobachten, !
sowie rascheres Tempo der Dentition, konnten wir nicht konstatieren.
Hingegen war ein deutlicher und schnell eintretender Effekt bei !
Kraniotabes festzustellen, die sich bei dieser Therapie in 3—4 Wochen I
verlor, während hierzu bei unserer sonstigen Behandlung viel längere
Zeit erforderlich war. An Röntgenplatten ließ sich auch die relativ
schnell eintretende Verkalkung an der Knorpelknochengrenze fest¬
stellen. Ueber diese Resultate hinaus sind wir aber nicht gekommen
und daher der Meinung, daß neben der Lichttherapie auch die
anderen Maßnahmen nicht vernachlässigt werden dürfen.
Von unangenehmen Erscheinungen sahen wir, allerdings selten,
Erytheme mit nachfolgender Schuppung, Erbrechen und leichte Tem¬
peratursteigerung, sowie bei Erwachsenen, welche assistierten, leichte,
an Röntgenkater erinnernde Symptome.
Ich bin im Vorstehenden bemüht gewesen, in völlig objektiver
Weise die neueren Forschungen und Erfahrungen auf dem Gebiete
der Pathogenese und Therapie der Rachitis zu schildern. Als bereits
mehr als 3i/a Dezennien wissenschaftlich und praktisch tätiger Pädiater
habe ich mir mit den Jahren eine gewisse Zurückhaltung gegenüber
dem Sturm- und Drangtemjjo angeeignet, wie es die neuere medi¬
zinische Forschung zeigt, und kann auch auf diesem Gebiete nur zu
ruhiger Skepsis raten.
Von der Lösung des Rätsels der Rachitis sind wir immer noch
weit entfernt, und ihre moderne Behandlung hat zwar gewisse Fort¬
schritte gezeitigt, uns aber immer noch nicht zu Herren dieser
Krankheit gemacht.
Gynäkologische Ratschläge für den Praktiker.
Von Prof. W. Liepmaoo in Berlin.
VIII.
Die Tumoren der weiblichen Qeschlechtsorgane.
II.Teil: (Uterus-Myome und -Karzinome usw.)
b) Die Uterasmyome and Adenomyome.
Wir wissen über die Genese der Myome außerordentlich wenig.
Es war im Jahre 1876 ein genialer Gedanke Hegars, durch die
Kastration ein Schrumpfen der Myome hervorzurufen; so wurde
He gar ein Vorgänger unserer heutigen Strahlentherapie beim Myom.
Symptomatologie. Der Symptomenkomplex beim Myom ist
so wechselnd, daß wir ihn unbedingt vor Aufstellung der nicht
immer leichten diagnostischen Regeln zu erwähnen haben. Die Größe
der Geschwülste sagt bezüglich der Beschwerden der Patientinnen
gar nichts. Kindskopfgroße Tumoren werden ohne Klagen, ohne
Empfindungen getragen, kirschgroße Geschwülstchen an der vor¬
deren Zervixwand machen durch den Druck auf die Blase nicht
selten empfindliche Schmerzen.
. Das Hauptsymptom, das die Frauen mit Myomen zum Arzte
treibt, sind Blutungen, die zuerst im Typus der Menstruation
auftreten (Menorrhagien), dann allmählich regellos werden (Metror¬
rhagien). Diese Blutungen stammen, wie Frankl mit Recht aus¬
führt, nicht immer von einer Hyperplasie der Schleimhaut her, sondern
von einer veränderten und verstärkten Vaskularisation, die zur förm¬
lichen Sinusbildung der Gefäße in der Schleimhaut führen kann.
Diese Blutverluste ihrerseits aber bedingen, je länger sie dauern,
schwere Anämien, Mattigkeit, Schwindel, Herzklopfen, Rückenschmer-
zen und Blutleere im Kopf. Hierzu kommt noch die fraglos un¬
günstige Wirkung der Myome auf das Herz, die in den schwersten
Fällen zur fettigen Degeneration und braunen Atrophie des Herz¬
muskels führt. Bei diesen Patientinnen besteht eine dauernde Puls¬
beschleunigung, und hierbei ist der Puls häufig klein und unregel¬
mäßig. Ob man nun mit Straßmann und Lehmann annimmt,
daß das Myom als solches die Herzveränderungen macht, oder mit
Winter, daß die Blutungen es sind und nicht spezifische Zusammen¬
hänge zu dem Myomherz bestehen, die diese Erscheinung bedingen,
halte ich für gleichgültig, trotzdem muß ich betonen, daß ich, ebenso
wie viele andere, schwere Fälle von Myomherz gesehen habe, ohne
daß nennenswerte Blutungen vorangegangen sind.
Neben Blutungen können Schmerzen aller Art auftreten, mögen
sie durch das wachsende Myom bedingt sein, mögen sie durch
die stürmische Stieldrehung eines subserösen Knotens oder des ganzen
rayomatösen Uterus hervorgerufen werden. Hatten wir schon ein¬
gangs den Fall erwähnt, in dem ein kirschgroßes Myom der vorderen
Zcrvixw'and schwere Blasenbeschwerden auslöste, so ist bei der viel¬
fachen Lagerung der Myome ohne weiteres begreiflich, daß Raum-
beschränkungen aller Art im Uteruskavum nicht weniger als im
Peritonealraum die verschiedensten Symptome bewirken können. Der
im hinteren Douglas entwickelte Myomknoten wird die Defäkation
hindern, das intraligamentär den Ureter komprimierende Myom zur
Hydronephrose führen. Druck auf den Plexus sacralis wird wehen¬
artige Schmerzen bedingen müssen, plötzliche Verjauchung des Myoms
(ich sah in einem Fall das Myom mit Streptokokkenreinkulturen ge¬
füllt) mit Fiebererscheinungen einhergehen. Nekrotisierende Stellen
im Myom können zu schweren Autointoxikationserscheinungen führen.
Und schließlich können alle diese Symptome einzeln oder im Zu¬
sammenhang die Psyche der Frauen so schwer erschüttern, daß wir
dem klinischen Bilde der Hysteroneurosthenie bis zu völligem psychi¬
schen Zusammenbruch gegenüberstehen.
Daß besonders die submukösen Myome Ursache der Sterili¬
tät sind, ist bekannt. Daß sie in der Schwangerschaft neben der
Neigung zu exzessivem Wachstum eine ausgesprochene Neigung
zur Degeneration zeigen, daß sie bei der Geburt selbst durch Ver¬
legen der Geburtswege schwere Komplikationen bedingen, soll hier
nur kurz erwähnt werden.
Diagnose. Die Diagnose der Uterusmyome, die häufig lei.ht zu
stellen ist, kann unter Umständen Schwierigkeiten bieten, die selbst
den Geübten zu Fehldiagnosen führen können. In jedem Falle
von Geschwulstbildung des Uterus an Gravidität zu
denken, ist auch hier das Beste. Erst wenn man sicher durch
die Anamnese Amenorrhoe ausgeschaltet (ach, wie unsicher sind oft
die Angaben der Frauen!), erst wenn man deutlich die Härte der
Geschwulstbildung gegenüber dem w eichen, schwangeren Uterus durch
die bimanuelle Untersuchung festgestellt hat, stelle man die Diagnose
Myom. Aber selbst dann noch prüfe man das Hegarsche Schwanger¬
schaftszeichen, berücksichtige man alle übrigen Symptome einer
Gravidität.
Klassisch und überaus bezeichnend ist der von Opitz ver¬
öffentlichte Fall, in dem ein Uterusmyom diagnostiziert wurde. Dar¬
aufhin Laparotomie. Hierbei, bei geöffneter Bauchhöhle also, wird
eine I Schädellage festgestellt. Das Abdomen wird natürlich wieder
geschlossen. Die Frau stirbt an Embolie, und bei der Sektion stellt
sich heraus, daß es doch ein Myom w r ar und die Knoten täuschend
den Kindesteilen ähnlich sahen.
Solche oder wenigstens ähnliche Fälle hat jeder Kliniker mit
einiger Erfahrung selbst beobachten können.
Sie zeigen besser als viele Worte die häufig vorhandene Schwie¬
rigkeit, eine richtige Diagnose zu stellen.
Digitized by Gck igle
Original from
CORNELL UNiVERSITV
23. Februar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
263
Wenn es sich im gegebenen Falle um eine Gravida handelt, die
trotz der Schwangerschaft menstruiert, anderseits um Myome ohne
erhebliche Menorrhagien, um Fälle mit abgestorbener .Frucht oder
schließlich um degenerativ erweichte Myome, dann lassen uns alle
zur Differentialdiagnose zwischen Myom und Schwangerschaft auf¬
gestellten Maxime im Stich.
Diesen schwer diagnostizierbaren Fällen stehen andere gegen¬
über, die einfach und leicht sind. Man fühlt deutlich bimanuell den
Uterus und an seiner Vorder- oder Hinterfläche einen derben, rund¬
lichen Vorsprung: die Diagnose Myomknoten ist gestellt. Sitzen
kleinere Knoten interstitiell, dann wird man nur einen harten, in
toto vergrößerten Uterus tasten und dementsprechend zu der Doppel¬
diagnose kommen: Metropathia uteri oder Uterus myomatosus. Denn
in diesem Stadium gleichen sich beide Erkrankungen sowohl diagno¬
stisch wie klinisch zu sehr, als daß man sie auseinanderhalten könnte.
Alte chronische Adnextumoren können so hart werden
und dem Uterus, der bei diesen Entzündungsvorgängen ebenfalls
metritisch hart verdickt ist, so dicht und kugelig oder höckerig an-
liegen, daß die Fehldiagnose Uterusmyom gestellt wird.
Bei großen, gestielten, subserösen Myomen, besonders wenn sie
zystisch erweicht sind, ist die Differentialdiagnose zwischen diesen
und Ovarialgeschwülsten nicht selten aussichtslos. Denn die für
das Staatsexamen vorzüglich bewährte Regel, daß man bei Eierstocks¬
geschwülsten die entsprechende Adnexe nicht taaten kann, bei
gestielten Myomen aber deutlich den mandelförmigen Körper des
Ovariums nachzuweisen imstande ist, versagt nicht selten in der
Praxis. Aber schließlich ist das ia kein Unglück, da so große ge¬
stielte Tumoren, ob Myome oder Ovarialgeschwülste, doch ent¬
fernt werden müssen. Wer in diesen schwierigen Fällen wirklich
sein diagnostisches Können fortbilden möchte, dem ist zu raten, in
einem jeden Fall, der zur Operation kommt, dabei zu sein. Exempla
docent!
Ganz kurz müssen wir noch bei den submukösen Myomen
verweilen. Werden sie geboren oder gucken sie bei eröffnetem
Muttermund aus der Zervix hervor, dann ist ihre Diagnose kein
Kunststück. Aber wenn sie im Fundus sitzen, zu Blutungen Veran¬
lassung gegeben haben, durch das leider noch immer herumspukende
Allheilmittel der Kürette angekratzt sind, dann fangen sie an zu
zerfallen und führen zu einem übelriechenden, dem Fluor beim
Korpuskarzinom täuschend ähnlichen Ausfluß.
Bei starken Menorrhagien, die einen ausgesprochen wehenartigen
Charakter annehmen, hat man immer an tief im Fundus sitzende,
unserer bimanuellen Tastung entgehende submuköse Myome zu
denken. Bei solchem Verdacht dilatiert man am besten mit steril
eingelegtem Laminariastift die Zervix und tastet nach der Erweite¬
rung den Uterusfundus aus.
Ist ein submuköser Myomknoten in die Scheide geboren, so
denke man stets an eine Uterusinversion, die entweder den Tumor
überhaupt vortäuscht oder durch die Myomknotengeburt bedingt
sein kann. Man untersucht bimanuell; findet man statt des gut zu
tastenden Uterusfundus nichts oder nur den Inversionstrichter, dann
wird eine vorsichtige Sondierung uns zur völligen Klarheit führen.
Zum erstenmal erwähne ich hier die Sonde; mit Absicht, sie
erscheint mir in der Praxis als ein gefährliches Instrument, das
zwar die Diagnose fördert, oft aber mehr schadet als nützt. Bei
der Differentialdiagnose zwischen Gravidität und Myom ist sie aus
naheliegenden Gründen eo ipso zu verwerfen. Aber auch sonst sah
ich nicht selten Infektionen nach ihrer Benutzung auftreten oder auch
falsche Wege in dem beim Uterusmyom so viel gestaltigen Uterus*
kavum. .
So haben wir gesehen, daß die Diagnose Uterusmyom ganz ein¬
fach sein, aber auch die hohe Schule gynäkologisch diagnostischen
Könnens bedeuten kann.
Therapie. So vielgestaltig wie die Diagnose, so vielgestaltig
muß den in jedem Fall andersartigen Verhältnissen des Falles an¬
gepaßt die Behandlung sein.
Von den einfachen, symptomlosen Fällen begonnen, die mehr
einer Kontrolle (Wachstum, maligne Entartung) als einer Behandlung
bedürfen, angefangen, bis zu den mit stürmischen Allgemeinsym¬
ptomen verlaufenden stielgedrehten, subserösen Myomen, die eine
sofortige Operation erfordern, ein weiter Weg.
Während die medikamentösen Ergotinkuren (etwa 60 Seca-
comininjektionen intramuskulär in den Glutaeus maximus jeden zweiten
Tag) und die innersekretorischen Mittel, wie Mammin usw., sehr un¬
modern geworden sind und mit Recht wegen ihrer zweifelhaften
Wirkung in den Hintergrund traten, wird die Therapie des Myoms
heute beherrscht von der Strahlentherapie und der Total-
exstirpation der Tumören auf operativem Wege.
Bei der Bedeutung gerade dieser Frage für den Praktiker wollen
wir an dieser Stelle uns genaue* über das Für und Wider der
Strahlenbehandlung einerseits und der operativen Therapie ander¬
seits Rechenschaft geben.
Zunächst müssen wir uns über die Wirkungsweise der Röntgen-
tiefenbehandlun g überhaupt klar werden. Wenn auch in jüngster
Zeit einige Autoren (u. a. Albers-Schönberg) einen direkten
Einfluß der Röntgenstrahlen auf die Geschwulst annehmen, so ist
doch mit Sicherheit festzustellen, daß die Röntgenkastration (Menge
u. a.), wie auch die seinerzeit von He gar geübte operative Kastra¬
tion der Hauptgrund ist, der die Myome zum Schrumpfen bringt
Dabei müssen wir uns aber auch gleichzeitig vor Augen halten,
daß diese Schrumpfung in erster Linie nur den kleinen Myomen
zugutekommt, während bei den Myomen bis über Nabelhjjhe meisten¬
teils trotz erzielter Amenorrtioe eine Schrumpfung nicht eintritt.
Handelt es sich nun in solchen Fällen um Frauen, die nicht nur der
Blutungen wegen, sondern auch aus Gründen der Verdrängungs¬
erscheinungen im Abdomen zum Arzte kamen, dann wird man in
solchen Fällen noch nachträglich genötigt sein zu operieren.
Stellen wir in Kürze diejenigen Fälle zusammen, in denen
meines Erachtens eine Operation der Strahlenbehand¬
lung vor zu ziehen ist.
Zunächst würde ich zunächst bei allen den Mädchen und Frauen
von einer Strahlenbehandlung absehen, bei denen die Funktion der
Ovarien noch von Bedeutung für ihr ferneres Leben ist. Das sind
junge Mädchen und junge Frauen, bei denen noch auf Nachkommen¬
schaft zu rechnen ist. Fernerhin muß auf die Labilität der Psyche
der Frauen ernsteste Rücksicht genommen werden. Wie Krause
konnte ich an einzelnen Fällen schwere Schädigungen der Psyche
nach Strahlenbehandlung feststellen.
Bei Komplikationen der Myome mit anderen Erkrankungen, die
ohnedies eine operative Behandlung erfordern, kommt schon an
sich die Strahlentherapie in Fortfall. Ist ein Myom mit einer Hernie
kombiniert oder mit einem Prolaps vergesellschaftet, bestehen neben
dem Myom Vergrößerungen und Verdickungen der Adnexe, die auf
eine Neubildung schließen lassen, so wird man lieber operieren
als bestrahlen. Auch bei bestehender Salpingitis wird das Messer
besser sein als die Röntgenröhre. Ebenso steht es mit den sub¬
mukösen, besonders aber den gestielten submukösen Myomen, die
leicht auf vaginalem Wege zu beseitigen sind.
Bei den über den Nabel reichenden Tumoren wird schon wegen
der Verdrängungserscheinungeil die Entscheidung eher zugunsten
des operativen Vorgehens fallen; das Gleiche ist bei ausgesprochenen
Einklemmungserscheinungen der Fall.
Treten degenerative Veränderungen, zystische Erweichungen, Ver¬
eiterungen überhaupt, Nekrosebildungen auf, so widerrate ich dringend
die Strahlenbehandlung. Aber nicht immer wird man in der Lage
sein, diese regressive Metamorphose richtig und rechtzeitig fest¬
zustellen.
Daß schließlich alle die Fälle für die Strahlenbehandlung aus¬
zufallen haben, in denen das Myom mit einem Korpuskarzinom ver¬
gesellschaftet ist, ferner die, in denen das Myom sarkomatös de¬
generiert, halte ich für selbstverständlich.
Wer nicht in den alten, immer wiederkehrenden Fehler ver¬
fallen will, ein neues Heilverfahren kritiklos zum Universalverfahren
zu erheben, der wird, wenn er wählt und sichtet, mit beiden Verfahren
je nach dem Falle vorzüglich fahren.
Franz, der 1917 von 1390 untersuchten Myomen 25,7o/o be¬
strahlen ließ, hat Recht, wenn er auf dem Kongreß 1920 in Berlin
die Anekdote erzählte von dem Herrn, der auf einer Gesellschaft
gefragt wird, ob er lieber Kaffee oder Tee haben wollte. Indem
er in eine volle Tasse schaute, sagte er: „Wenn das Tee ist, will
ich Kaffee, und wenn das Kaffee ist, will ich Tee.“
Bei der für den Praktiker so schwierigen Entscheidung, ob im
gegebenen Falle zu bestrahlen oder zu operieren ist, wird er ohne
spezialistischen Rat nicht auskommeu können.
Badekuren in Marienbad, Franzensbad, Tölz, Gastein, Pyrmont.
Kreuznach und Elster können natürlich für das Myom an sich gar
nichts erreichen, höchstens die störenden Nebensymptome mildern.
c) Die Uteruskarziome.
Die allseitig anerkannte, immer und immer wieder betonte Be¬
deutung der Erkenntnis des Gebärmutterkrebses in den Reihen der
Praktiker wird uns eine ganz besonders exakte Schilderung gerade
dieses Kapitels zur Pflicht machen.
Ohne im einzelnen allzusehr auf die pathologische Ana¬
tomie einzugehen, kurz zur Orientierung: Man teilt die Gebärmutter¬
krebse am besten ein in die klinisch viel gefährlicheren und viel
häufigeren (etwa 86 — 880/0 aller Uteruskarzinome) Kollumkarzinome
und in die klinisch weniger gefährlichen Korpuskarzinome. Am
häufigsten ist das bekannte papilläre Blumenkohlgewächs an der
Portio, das, bald zerfallend und jauchend, auf die Scheide über¬
greift; nicht selten aber nimmt das Karzinom, dem Spekulum ver¬
borgen, seinen Ursprung im Zervixepithel, dort einen ersten Beginn
vortäuschend, während die Krebsmassen tief in das Parenchym der
Muskelschicht eingebrochen sind.
Bei ganz intakter Portio können sich hinter ihr, dem Auge un¬
sichtbar, weitgehende Zerstörungen entwickeln und Krebskeime schon
in das parametrane Bindegewebe gelangt sein.
Wenn Frankl an dem großen Material der Wiener Klinik bei
1007 mikroskopischen Untersuchungen nur in 34 (!!) Fällen Früh¬
stadien nachweisen konnte, so ist das ein so trauriges Ergebnis des
diagnostisch Erreichten, daß man mit allen Mitteln der Aufklärung
danach trachten muß, das Uteruskarzinom früher zu diagnostizieren,
etwa so wie es Winter bei seinem Feldzug gegen den Gebär¬
mutterkrebs in Ostpreußen gelungen ist.
Diagnose. Solange nicht jede, aber auch jede aty¬
pische Blutungaus den weiblichen Genitalien so ernst
genommen wird, wie eine initiale Hämoptoe, solange
wird die leberisrettende Frühdiagnose des Carcinoma
uteri ein frommer Wunsch bleiben.
Man vergegenwärtige sich doch noch einmal kurz die Sym¬
ptomatologie eines Uteniskarzitioms. Keine, nicht die geringsten
Difitized by Google
Original from
CORNELL UNfVERSITV
264
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
Schmerzen bestehen bei Beginn der zelligen Wucherung. Das muß
man den grauen immer und immer wieder predigen, daran muß
man bei jeder gynäkologischen Untersuchung denken. Erst später
pflegt geringer Ausfluß, als äußerst charakteristisch post coitum
ein Blutfleck aufzutreten. Sobald der ganze Symptomenkomplex von
stinkendem, fleisch wasserähnlichem Fluor, von Schmer¬
zen und stärkeren Blutungen in Erscheinung tritt, sind fast
regelmäßig schon die Parametrien befallen.
Jede Frühdiagnose des Gebärmutterkrebses ist
eine Lebensrettung, jede Unterlassung einer exakten Unter¬
suchung digital und mit dem Spekulum bei dem geringsten Verdacht
einer solchen Erkrankung einer fahrlässigen Tötung gleichzusetzen!
Man bedenke, daß allein in Deutschland alljährlich an die 15000
Frauen an Uteruskarzinom erkranken und von diesen 75o/o unrettbar
verloren sind!
Bestehen bei verstärkter Blutung bei der Menstruation, bei
Blutungen nach dem Koitus, bei Erosionen und Ausflüssen die ge¬
ringsten Bedenken, so ist eine Probekurettage oder eine Probe¬
exzision zu fordern. Das Ergebnis wird in 10o/ 0 iger Formalinlösung
irgendeinem Forschungsinstitut übersandt, und die Diagnose ist
gestellt.
Bei diesem Sachverhalt ist es in einer Großstadt wie Berlin,
wo überall solche Institute zur Verfügung stehen, tragisch und un¬
begreiflich zugleich, wenn man immer und immer wieder Fälle zu
sehen bekommt, die monatelang mit einem Ergotinpräparat behandelt
wurden, ohne nur einmal untersucht zu werden. Wahrhaftig difficile
est, satyram non scribere.
Therapie. Wer das Messer zu führen versteht, der wird
heute wie früher mit dem Messer das Uteruskarzinom angreifen
und alsdann, nach der Operation also, die Strahlentherapie zur Be¬
seitigung der Rezidive anwenden.
Franz hat auf dem letzten Gynäkologenkongreß so überzeugend
nachgewiesen, daß dieser Weg auch bei schwerst zu operierenden
Karzinomen des Uterus der beste ist, daß man — technisch bestes
Operieren vorausgesetzt — völlig seiner Meinung sein mußte.
Die Wirkung der Bestrahlung auf Karzinomkranke ist schlech¬
ter, so führte Franz damals aus, als die Wirkung der Operation.
Das erklärt auch, warum so viele Frauen nach der ersten Bestrahlung
nicht wiederkommen, kann doch der Körper bei größeren Röntgen¬
strahlenmengen mit einem nicht mehr zu adressierenden Zerfall
der Eiweißstoffe im Blute reagieren, der in auffallender Abmagerung,
in Herzkrämpfen, Reizbarkeit und Mattigkeitsgefühl besteht und der
als sog. Röntgenkachexie sogar 2 um Tode (Franz) führen kann.
Diese schwere Beeinflussung des Körpers mit „Röntgenkater“ zu
bezeichnen, scheint mir, ebenso wie Albers-Schönberg, zu
mindesten etwas euphemistisch zu sein. Auch hier mögen nochmals
die beiden Fälle von Krause erwähnt werden, in denen im An¬
schluß an diese Röntgenreaktion eine Psychos.e und eine schwere
Depression sich entwickelte, und diese 2 Fälle konnte ich noch um
3 weitere ähnliche vermehren.
Unter Berücksichtigung aller dieser geschilderten Momente müssen
wir also wie Franz die Forderung aufstellen: erst das Messer,
dann die Röntgenröhre!
Anhang: Das Korpuskarzinom. Das Korpuskarzinom, das viel
seltener, etwa in 10—12o/ 0 aller Uteruskarzinome auftritt, bedarf nur
noch eines kurzen diagnostischen Hinweises.
Ausfluß und Blutungen sind ja die gleichen Anfangssymptome,
nur bei der digitalen Untersuchung fühlt man nur selten eine un- 1
bedeutende Vergrößerung des Uterus. Im Spekulumbilde sieht man i
nichts. Hier tritt die vorsichtige Sondierung notwendig in ihr Recht. ]
Fühlt man die Sonde über höckerige oder weiche Massen im Uterus¬
fundus gleiten, dann muß man zur Sichtung der Diagnose eine ganz
vorsichtige (cave Perforation) Probekurettage machen, die Brockel
untersuchen lassen, und die Diagnose ist gestellt. Die Prognose ist
viel günstiger, da der Einbruch in die Lymphbahnen des Parametriums
viel später erfolgt. Operation mit nachfolgender Strahlenbehandlung
ist auch hier das Gegebene.
d) Das Chorlonepitheliom.
Diagnose: Blutet eine Frau nach einer Blasenmole, nach einem
Abort oder nach reifer Geburt länger als in der Norm, so hat man
an die geschilderte Neubildung, die, wie Marchand und Frankel
nachgewiesen haben, chorialen Ursprungs ist, zu denken. Dilatation.
Austastung des Uterus und mikroskopische Stückchen-Diagnose führen
zum Ziel.
Therapie: Wird die Diagnose nicht ganz frühzeitig gestellt, so
führen, trotz der Totalexstirpation, Rezidive, Metastasen und Kachexie
zum Tode der Patientin. Bei frühzeitigem Operieren sind auch
andauernde Heilungen beobachtet worden (10 Jahre in einem Falle
von mir). Also auch hier liegt das Zünglein der Lebenswage allein
bei dem Praktiker, dessen rettende Diagnose das gefährdete Leben i
zu erhalten vermag.
e) Das Uterussarkom.
Die Sarkomentwicklung befällt an der Gebärmutter entweder die j
Mukosa oder die muskuläre Wandung des Uterus. Auch hier ist die |
exakte Diagnose nur mittels des Mikroskopes möglich. Da wir aber j
wissen, daß die sarkornatöse Degeneration der Uterusmyome von Be- :
dcutung für die Strahlentherapie der Muskelgeschwülste ist, so inter- ■
essicrt uns besonders die Frage, wie häufig nach der Statistik diese !
egcr.cration beobachtet worden ist. Während die Bum m sehe Kli- !
Nr. 8
nik unter 78 Myomen in 10o/ 0 Sarkombildung nachweisen konnte, fand
Frankl unter 514 Myomen das Sarkom nur in 12 Fällen, d. h. in
2,3 o/o.
Ueber die Behandlung ist nichts Besonderes zu sagen, sie fällt
mit der Behandlung maligner Tumoren des Uterus überhaupt
zusammen.
Blicken wir zurück auf die kurzen Ratschläge, die man dem Prak¬
tiker für die Behandlung der Tumoren geben konnte, so wurzeln sie
in dem einen segensreichen und lebenspendenden Satze: qui bene
diagnoscit, bene gerit.
Feuilleton.
Allerlei aus dem Auslande.
England.
. Die „internationale Tuberkulose-Konferenz“, die in London vom
26.-28. VII. 1921 abgehalten wurde, zeigte ihre Intemationalität auch
dadurch an, daß die Landsleute Virchows und Robert Kochs
ausgeschlossen waren, während sie von dem Sohne deutscher Eltern,
dem jetzigen englischen Gesundheitsminister Alfred Mond eröffnet
wurde. Er führte unter anderem aus, daß in England die Bekämpfung
der Tuberkulose durch den amtlich angesteflten Tuberkulosearzt,
durch die Fürsorgestelle und durch das Sanatorium geschehe. Es
stehen zur Zeit zur Verfügung 341 Tuberkuloseärzte, 412 Fürsorge*
stellen und 18 050 Sanatoriumsbetten; im Laufe der nächsten zwei
Jahre werden noch 4000 Betten hinzukommen. Die Anzeigepflicht
für jeden 'Erkrankungsfall an Tuberkulose besteht seit 1911; 1914
wurden 99 000 Fälle (50 000 Todesfälle) gemeldet, 1920 aber 73 000
Fälle (50 000 Todesfälle). In einer Nachmittagssitzung des Rates
wurde beschlossen, die nächste Konferenz 1922 in Brüssel, die über¬
nächste 1924 in Washington stattfinden zu lassen; später sollen alle
3 Jahre Konferenzen abgehalten werden. Da das internationale Rote
Kreuz das Generalsekretariat übernommen hat, konnten die Jahres¬
beiträge der einzelnen Nationen sehr mäßig angesetzt werden, für
jedes Mitglied des Rates werden 25 Goldfranken gezahlt. Es referierte
dann noch Delille (Paris) über die Verhütung der Tuberkulose im
Kindesalter, wobei er besonders das System Grancher berück¬
sichtigte. Da die Schwere der Infektion von der Zahl und Virulenz
der Tuberkelbazillen abhängig ist, so will Grancher alle Kinder
aus tuberkulösem Milieu in gesunden Familien und gesunder Um¬
gebung unterbringen. Der französische Staat hat diesen Plan, der
zuerst eine rein private Wohlfahrtseinrichtung war, übernommen und
20 Filialen eingerichtet, die mit den staatlichen Fürsorgestellen Zu¬
sammenarbeiten; die Erfolge sind gering, denn es ist nur gelungen,
einige Tausend Kinder zu verpflanzen, bedroht sind aber mindestens
100 000.
Es sprach dann Calmette über die Verbreitung der Tuberkulose
bei den verschiedenen Völkern. Fast alle Rassen sind durch die Aus¬
breitung der Zivilisation und durch die zunehmenden Verkehrserleich¬
terungen mit Tuberkulose angesteckt, nur Nomaden und einzelne afri¬
kanische Volksstämme sind noch ziemlich frei davon; in den großen
Städten Europas, Amerikas und Australiens ist dagegen kaum ein Er¬
wachsener zu finden, der nicht infiziert ist. Diese allgemeine Durch¬
seuchung bewirkt aber auch eine Immunisierung der Großstädter, sie
überstehen die Krankheit, während Menschengruppen, die früher nie
oder selten mit der Erkrankung in Berührung kamen* ihr schnell er¬
liegen. Es ist unmöglich, alle Tuberkulöse zu isolieren, das Gesetz
soll aber dafür sorgen, daß sie sich überwacht \rissen und sich
hygienisch benehmen (Spucken in der Oeffentlichkeif usw.); Sims
Woodhead (Cambridge) findet, daß die bovine Infektion in
verschiedenen Ländern eine sehr verschiedene Wichtigkeit besitzt.
In Edinburg sind 30°/o der Bauernkühe nerisüchtig, 16<yo der in der
Stadt verkauften Milch enthält Tuberkelbazillen; in Japan dagegen
ist die bovine Infektion selten. Es ist jetzt leicht, beide Typen kulturell
zu trennen. Bei menschlicher Drüsen- und Knochentuberkulose fand
er bis zu 90 o/o Bazillen des bovinen Typus, und auch bei 10 °/o aller
tödlich verlaufenden Fälle ließen sie sich nachweisen.
In der Diskussion wies Hutchinson darauf hin, daß in Indien
89 von 100 000 an Tuberkulose sterben, in einigen Städten steigt die
Sterblichkeit auf 700 für 100 000.
Harbitz (Norwegen) wies auf die besondere Empfänglichkeit
der Lappen hin.
MacCrae (Schottland) wies darauf hin, daß sein Landsmann
Philip die erste Fürsorgestelle der Welt und schon 1817 eine
Ferienkolonie für Tuberkulöse gegründet habe, jetzt komme in
Schottland auf 1500 Köpfe der Bevölkerung ein Sanatoriumsbett.
Landis (Amerika) betont, daß die Ansteckung doch auch häufig
beim Erwachsenen erfolge; die Neger Amerikas zeigen eine zweimal
so große Sterblichkeit als die Weißen, die Indianer stecken sich
hauptsächlich durch das Rauchen aus einer gemeinsamen Pfeife an.
Sutherland (vom englischen Pensionsministerium) teilt mit,
daß Personen, die früher der Armee angehört haben und eine Pension
beziehen, vom Staate versorgt werden, wenn sich bei ihnen später
eine Tuberkulose herausstellt, da diese stets als durch den Kriegs¬
dienst verursacht betrachtet wird. Chalmers (Glasgow) zeigt,
wie die Zunahme der großen Massenindustrien auch eine Zunahme
der Tuberkulose im Gefolge hat, Fabriken und Arbeitsräume müssen
besser eingerichtet werden. Thompson hat bei 50°o aller Geistes¬
kranken, die er sezierte, Tuberkulose gefunden.
Digitized b"
Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
23. Februar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
265
Am letzten Sitzungstage hielt Roll es ton (London) einen groß-
angelegten Vortrag über „die Rolle des ärztlichen Berufes in der
Bekämpfung der Tuberkulose“. Eine Ausrottung der Tuberkelbazillen
ist völlig unmöglich; wollte man in England nur die perlsüchtigen
Rinder beseitigen, so müßten 1 Million Tiere getötet werden. Streng
zu verbieten ist der Verkauf von Milch, die von Kühen mit Euter¬
tuberkulose herstammt. Hoffentlich kommt der Tag, wo jeder Neu¬
geborene zwangsweise gegen Tuberkulose schutzgeimpft werden kann.
Pflicht der Aerzte ist es, immer von neuem alle Schichten der Be¬
völkerung hygienisch aufzuklären und zu erziehen und durch die Forde¬
rung besserer Wohnungen, reichlicherer und zweckmäßigerer Ernäh¬
rung und besserer Arbeitsverhältnisse die Widerstandskraft der Be¬
völkerung zu heben.
N e w m a n ( London) zeigt, daß die durch Gesetze erzwungenen
Fortschritte in der Hygiene nicht ohne gute Folgen geblieben sind.
Während 1847 von 1 Milliön Engländer 3189 an Tuberkulose (ohne
Berücksichtigung der akuten Miliartuberkulose) starben und 1872
noch 2384, starben 1913 nur noch 961. Die 1911 eingeführte Anzeige¬
pflicht aller Tuberkulosefälle hat sehr segensreich gewirkt; Gemein¬
den, die die Tuberkulosebekämpfung energisch durchführen, ersetzt
die Regierung 50% ihrer Kosten.
Camadia (Athen) verlangt, daß die Hygieneminister stets aus
den Reihen der Aerzte und nicht aus Politikern genommen und daß
auf allen Universitäten besondere Lehrstühle für Tuberkulose errichtet
werden. Rist (Paris) verlangt zum mindesten spezielle Lehrkurse
der Tuberkulose im Kurrikulum des Studenten und Fortbildungskurse
für praktische Aerzte.
In seiner Schlußsitzung kam der Rat (Conseil) zu folgenden
Beschlüssen: 1. Die von 40 Nationen beschickte Versammlung
fordert alle Regierungen auf, für die Tuberkulosebekämpfung möglichst
große Summen zur Verfügung zu stellen. 2. An allen Universitäten
und medizinischen Schulen ist ein besonderer Unterricht (Diagnose,
Prophylaxe, Bekämpfung) der Tuberkulose einzurichten.
Die Sitzungen des General Medical Council of Edncation nnd <
Registration, die im November in London stattfanden, hatten sich mit
den Verfehlungen einer Anzahl von Aerzten zu befassen. In der
Mehrzahl handelte es sich um leichtfertig gegebene ärztliche Zeug¬
nisse; so hatte ein Arzt z. B. .einem Soldaten bescheinigt, daß er am
5.11. an Influenza erkrankt und reiseunfähig sei, während er nach¬
weislich den Mann erst vom 7. II. an behandelt hatte; andere Aerzte
werden beschuldigt, durch allerlei Machenschaften und Reklamen
Kassenpatienten angelockt zu haben. Ich möchte hier bemerken, daß
in England Zeitungsanzeigen sowie sonstige Reklamen aller Art durch¬
aus als standesunwürdig angesehen und deshalb strafbar sind, der Arzt
darf weder seine Niederlassung noch eine Reise anzeigen. Das Council
hat sehr große Machtbefugnisse und kann dadurch, daß es die Regi¬
strierung aufhebt, dem Arzte das Praktizieren unmöglich machen. Die
Strafen wurden diesmal meist für ein Jahr ausgesetzt unter der Be¬
dingung, daß eine Anzahl der örtlichen Kollegen dem Angeschuldigten
nach Jahresfrist bestätigten, daß er während der Probezeit sich
standesgemäß gehalten habe. Es wurde dann noch beschlossen, die
ärztlichen Diplome der Universitäten von Südafrika, von Kapstadt und
von Johannisburg sowie der Universität von Lucknow anzuerkennen.
Wie schon früher erwähnt wurde, haben sich die Finanzverhält¬
nisse der englischen Krankenhäuser, die bekanntlich alle reine Wohl¬
tätigkeitsanstalten sinef und bisher völlig freie Behandlung und Ver¬
pflegung usw. gewährten, durch den gesunkenen Wert des Geldes
sehr verschlechtert. Der „King Edward’s Hospital Fund“ stellt in
seinem Bericht für das Jahr 1920 fest, daß die Zahl der verfügbaren
Betten gegen 1913 um 1000 zugenommen hat, 20 000 Fälle wurden
in die Krankenhäuser mehr aufgenommen und 50000 poliklinische
Kranke mehr behandelt als 1913. Die Kosten sind um 135% gestiegen.
Ein Bett kostet in den mit Aerzteschulen versehenen Hospitälern
199 Pfund, in den übrigen 163 Pfund im Jahr. Man nimmt an, daß
diese gesteigerten Kosten noch für viele Jahre, wenn nicht für immer, j
bestehen bleiben werden, und man fängt überall an, das System der
strikten Wohltätigkeit zu durchbrechen und von den Kranken Beiträge
zu ihrer Erhaltung zu fordern. (Das Krankenkassengesetz gewährt |
bekanntlich keine Krankenhausbehandlung.) Die Aerzte aber sind,
noch immer unbezahlt.
Im Oberhause beklagte sich der Marquis of Crewe darüber, daß
das neue englische Schutzzollgesetz (zum Schutze der neugegründeten
sogenannten Schlüsselindustrien), welches die Einfuhr deutscher Chemi¬
kalien, Glaswaren und sonstiger Dinge erschwere und verzögere, das
Arbeiten der wissenschaftlichen Institute und die Forschung verhindere,
auch sei es schwierig, deutsche Bücher zu bekommen. Lord Haldane
sprach sich ähnlich aus. Der Transportminister Lord Peel rechtfertigte
die Maßnahmen der Regierung und gab wenig Hoffnung, daß diese
Einfuhrerschwerungen bei wissenschaftlichen Instituten gemildert wer¬
den könnten, nur durch strenge Durchführung derselben sei es möglich,
die entsprechenden englischen Fabriken aufzubauen und zu kräftigen
und England im Falle eines neuen Krieges vom Ausland unabhängig
zu machen.
Das Royal College of Surgeons of England, das ja auch Examen
abhält und Diplome verleiht, hat ein neues Diplom geschaffen. Inhaber
des F. R. C. S., des höchsten chirurgischen Diploms (das nur durch ein
sehr schwieriges Examen zu erlangen ist), können, nachdem sie eine
2jährige Assistentenzeit an einer Augenklinik nachgewiesen haben,
zu dieser Prüfung zugelassen werden. Es gab bisher schon zwei
Diplome für Spezialaugenärzte in England, und es ist anzunehmen, daß
bei der großen Neigung der Engländer für Prüfungen und Diplome
sich nach und nach Spezialprüfungen für alle Spezialitäten heraus¬
bilden werden. Wenn, wie es bei dieser Augenarztprüfung geschieht,
eine wenigstens 2jährige Fachbildung als Vorbedingung gefordert
wird, so ist ja nicht viel dagegen zu sagen; wenn aber, wie das z. B.
beim F.R C.S. der Fall ist, das Examen ohne vorherige Assistenten¬
zeit gemacht wird, so handelt es sich nur um öde Büffelei, und ein
solches Diplom scheint uns wenigstens ziemlich wertlos.
Der Jahresreport der Londoner Wasserbehörde bringt aus der Hand
des Direktors Sir Alexander Houston einen wichtigen Beitrag zur
Frage der Reinigung des Flußwassers und seiner Trinkbarmachung.
In London kommen drei Methoden zur Verwendung, das Aufbewahren
im Reservoir, die Filtration und der Zusatz von Chlor. 1902 fand
Houston, daß das einfache Aufbewahren des Wassers dazu führt,
die Zahl der Exkrementbakterien außerordentlich herabzusetzen und
die Virulenz von Typhus, Cholera und anderen Krankheiten, die durch
Trinkwasser verbreitet werden, sehr zu vermindern, ebenso werden
die festen Substanzen, die Farbe und der Ammoniakstickstoff ver¬
mindert. Das einfache Aufbewahren genügt also zur Gewinnung ein¬
wandfreien Trinkwassers, es ist aber teuer, da das Wasser gepumpt
werden muß. Seit 5 Jahren hat man Versuche angestellt, das Themse¬
wasser durch Zusatz von Chlor trinkbar zu machen. Dies gelang
so gut, daß jetzt 2000000 Menschen in London damit versorgt wer¬
den. Dabei ist keine einzige Klage über schlechten Geschmack des
Wassers laut geworden, und man hat jährlich 400000 Goldmark er¬
spart, da man das Wasser nicht mehr zu pumpen braucht; auch ist
das Chlorwasser im Winter ebenso gut wie im Sommer, während das
Reservoirwasser im Winter viel schlechter ist. Das Chlorwasser ist
frei von Geruch und Gesdimack und enthält überhaupt keine Koli-
bazillen mehr, sodaß man sicher annehmen kann, daß auch Typhus-
und Cholerabazillen durch das Chlorverfahren abgetötet werden.
In „Nature“ vom 17. XI. 1921 gibt Wood ward eine Beschreibung
des von Barren im vorigen Jahre in einer Höhle Rhodesiens gefun¬
denen urwelt lieben Schädels. Er gleicht sehr dem Neandertalschädel,
das breite und schwere Gesicht ist vielleicht noch affenähnlicher; die
großen flachen Oberkiefer gleichen denen des Schädels von La
Chapeile; die Nasenöffnungen sind ähnlich denen eines Gorilla,
während die vordere Nasenspina durchaus menschlich ist. Die Stellung
des Foramen magnum beweist den aufrechten Gang, und die auch
gefundene Tibia sieht aus wie die eines muskelstarken modernen
Mannes. Die Zähne zeigen Spuren von Karies. Die Royal Society
schickt eine Expedition nach Peru, der außer anderen Prof. Meakins
aus Edinburg angehört. Man will die Kreislauf- und Atmungsorgane
der in einer Höne von 16 000 Fuß in den Anden lebenden Minen¬
bevölkerung studieren, von der erzählt wird, daß sie viel schwerere
Arbeit leisten kann und dauernd leistet als andere Menschen, die in •
diese Höhen versetzt werden.
In der Versammlung der Schulärzte sprach die Aerztin A. E. C1 o w
über die Körperspiele der Mädchen. Sie fordert für Mädchen un¬
gefähr dieselben Spiele wie für Knaben (außer Fußball), und zwar
außer Schwimmen besonders Kricket, Hockey und Lacrosse. Mädchen,
die regelmäßig Sport und Bewegungsspiele treiben,'leiden viel weniger
an Menstruationsstörungen als solche, die keinen oder wenig Sport
treiben; am wenigsten leiden die Mädchen, die auch während der
Periode Sport treiben. Man soll deshalb weder die warmen Bäder
noch die Spiele während der Periode aussetzen. Frau Dr. Schar-
lieb wies darauf hin, daß in Indien die verzärtelten Brahmanentöchter,
die sich körperlich gar nicht betätigen, sehr häufige Geburtsstörungen
zeigen, während die hart arbeitenden Frauen der niederen Kasten,
die z. B. vielfach im Straßenbau tätig sind, sehr leicht gebären und
schon am nächsten Tage wieder arbeiten. In Belgien hat der Kultus¬
minister ein Gesetz eingebracht, das in allen staatlichen oder vom
Staate unterstützten Erziehungsanstalten die zwangsweise körperliche
Ausbildung verlangt. Alle Kommunen von mehr als 5000 Einwohnern
sollen gezwungen sein, mindestens einen Spielplatz und eine Turn¬
halle zu errichten, womöglich auch ein Schwimmbad.
Eine große Anzahl der bekanntesten Syphilidologen Englands
wendet sich in einem in der Lancet (3. XII. 1921) veröffentlichten
offenen Briefe gegen die Selbstdesinfektion als Prophylaktiknm zur
Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten. Ihrer Auffassung nach nutzt
diese Art der Propaganda fast nichts, in den Besatzungstruppen von
Konstantinopel und vom Rheinland erkranken, trotzdem jeder Mann
sein Schutzpäckchen hat und dauernd belehrt wird, immer noch 239
von 1000 Mann (in 6 Monaten) resp. 149 von 1000. Ihrer Meinung
nach erkranken mehr Jugendliche als früher, seit man diese Aufklärung
betreibt (sie stützen sich besonders auf Statistiken aus Dresden);
Frauen können sich überhaupt nur sehr ungenügend selbst des¬
infizieren, schädlich wirkt auch, daß trotz aller Belehrung viele
Personen die Desinfektionspäckchen zur Selbstbehandlung bereits aus-
gebrochener Erkrankungen verwenden. Die Unterzeichner des Briefes
verlangen die Einstellung der Propaganda, wonach durch Selbst-
desinfektion ein bedeutender Schutz gegen Geschlechtskrankheiten zu
erreichen sei, als irreführend, und sie behaupten, daß durch diese
Propaganda wahrscheinlich die Zahl der Infektionen überhaupt ver¬
mehrt werde, da sich viele, namentlich Jugendliche, in falsche Sicher¬
heit wiegen lassen.
Das J. Am. Med. Ass. befaßt sich in einem Leitartikel (19. XI. 1921)
mit der in England sowohl in der Laien- wie in der Fachpresse bemerk¬
baren Bewegung zur Wiederabschaffung des Krankenversicherungs¬
gesetzes, das ja bekanntlich erst einige Zeit vor dem Kriege durch
Lloyd George eingeführt war. Obwohl eine Anzahl von Aerzten sich
ganz gut dabei steht, ist nach der Ansicht des Artikelschreibers, die
Digitized b"
Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
266 DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT Nr. 8
sich auf eine genaue Kenntnis der einschlägigen Literatur stützt, die
Krankenversicherung in England bisher über das Stadium des Experi¬
mentes, und zwar eines recht kostspieligen und große Massen der
Bevölkerung nicht befriedigenden Experimentes, nicht hinausgekom¬
men. Der allgemeine Gesundheitszustand hat sich nicht gehoben,
ebensowenig cfie Gesundheit des Individuums. Für Amerika besteht
daher keinerlei Grund, dies fehlgeschlagene Experiment nachzumachen.
(Glückliches LandB In Amerika haben sich die professionellen Blut¬
spender in eine Gewerkschaft zusammengeschlossen, um möglichst
hohe Bezahlung für ihr zu Transfusionen zur Verfügung gestelltes Blut
zu erlangen. In London warnt die Guys Hospital Gazette vor der
Unsitte, junge Studenten in den Krankenhäusern mehr und mehr zu
dieser philantropischen Betätigung heranzuziehen. Auch die Bartholo-
inews Hospital Gazette schließt sich dieser Warnung an und betont,
daß das Publikum, das schon so viel von den Aerzten verlangt, nicht
jetzt auch noch verlangen könne, daß Aerzte, Studenten und Schwe¬
stern ihr Blut für die Kranken hergeben.
J. P. zum Busch (Kreuznach, früher London).
Geschichte der Medizin.
Zum hundertsten Geburtstag von Adolf Kußmaul 1 ).
Von Erich Ebstein in Leipzig.
„Geboren am 22. Februar 1822, ist es mir vergönnt, am Ende
des Jahrhunderts die Erinnerungen meiner Jugend niederzuschreiben.
Ich preise mich glücklich, als ein Kind dieses Jahrhunderts durch das
Leben gegangen zu sein, denn kaum einem von den unzähligen, in der
Zeiten Schoß versunkenen ist die Menschheit zu größerem Danke
verpflichtet.“
In diesen „Jugenderinnerungen eines alten Arztes“ (10. Auflage,
1919) hat Kußmaul den Weg geschildert, den er vom Landarzt
zum klinischen Lehrer zurücklegte, der „vielfach Neugierde erregt,
weil nur selten, wenn je begangen worden ist“. Zugleich liefern
Kußmauls Memoiren „Beiträge zur Geschichte des medizinischen
Unterrichts und der Medizin selbst in der ersten Hälfte des neun¬
zehnten Jahrhunderts, die den jüngeren Aerzten wenig bekannt ist,
sowie zur Geschichte unseres deutschen Universitätswesens, unserer
Kultur und politischen Entwicklung“.
Die Fortsetzung seiner Jugenderinnerungen ist in dem nach
seinem Tode — 28. V. 1902 — erschienenen, von Czerny heraus-
gegebenen Buche: „Aus meiner Dozentenzeit in Heidelberg“, enthalten.
Am Schlüsse dieses Bändchens finden wir ein von Kußmaul selbst
angefertigtes Verzeichnis seiner Arbeiten. Es ist dazu angetan; -einem
zukünftigen Historiker, der Kußmauls Stellung in der Entwicklung
der medizinischen Wissenschaft feststellen will, die Arbeit wesentlich
zu erleichtern. Bereits 1902 hat Kußmauls Schüler, Wilhelm
Fl einer, zur Vollendung von dessen 80. Lebensjahr einen trefflichen
Rückblick auf die literarischen Arbeiten seines Lehrers gegeben
(D. Arch. f. klin. Med. 73).
Im Jahre 1919 waren 50 Jahre vergangen, daß Kußmaul in dem
Freiburger Profektoratsprogramm von 1869 seine berühmt gewordene
Arbeit veröffentlichte: „Ueber die Behandlung der Magenerweiterung
durch eine neue Methode vermittels der Magenpumpe.“ (Neu heraus¬
gegeben und eingeleitet von Wilhelm Ebstein in den Klassikern
der Medizin. Leipzig 1912.)
Wenn die Geschichte der Entwicklung von der instrumentellen
Magenuntersuchung auch ergeben hat, daß die Methode nicht neu 1
war — denn z. B. erwähnt einer seiner Vorgänger auf dem klinischen
Lehrstuhl in Erlangen, Canstatt, die Magenpumpe und ihre An¬
wendung als etwas ganz Bekanntes — so müssen wir Kuß maul dank¬
bar sein, daß er dieses Instrument der Vergessenheit entrissen, auf
diese Art Magenerweiterungen zur Heilung gebracht und ihr in der
ärztlichen Praxis Eingang zu verschaffen gewußt hat. (Das Original
befindet sich im Germanischen Museum in Nürnberg, Saal 91.)
Otto Körner hat uns in seinen „Erinnerungen“ (1920, S.39f.)
überliefert, daß Kußmaul schonungslos jede Ueberhebung theoreti¬
scher Fächer über die klinische Erfahrung und jeden Versuch, das
selbständige Urteil der Klinik in therapeutischen Fragen anzutasten,
verurteilte. Ungemein bezeichnend ist in dieser Hinsicht seine lapidare
Aeußerung über die Wirkung des Rizinusöls, zu der er sich einmal vor
versammelter Klinik hinreißen ließ: „Was, sch. vielleicht dem
(Schrr.iedeberg) sein* Frösch’ nit drauf? Mein’ Kranke sch.
drauf, und so lang se das könne, kriege se’s.“
Es entspricht vielleicht den Tatsachen, wenn man sich erzählt,
daß Kußmaul nur mit sehr wenigen Rezepten kuriert habe. Ein
neues Arzneimittel soll er erst nach drei Janren angewandt haben.
„Dadurch sei er nicht häufig in die Verlegenheit gekommen, es an¬
wenden zu müssen.“ Kußmaul hat seine eigne Krankengeschichte,
die aus seinen Jugenderinnerungen hinlänglich bekannt ist, auch treff¬
lich am 1. IX. 1857 in der „Deklaration“ geschildert, in der er um
Aufnahme in die Lebensversicherung bittet (abgedruckt im Jahrgang
1920 der Blätter für Vertrauensärzte der Lebensversicherung S. 74—80).
Zum Schluß kann ich hier — dank der Liebenswürdigkeit von
Exzellenz Frau Geheimrat Czerny, einer Tochter Kußmauls — einen
Brief von ihrem Vater veröffentlichen. Der allgemein interessante
*) Geboren am 22. II. 1822, gestorben am 28. V.|iy02.
Brief ist von Kußmauls ägyptischer Reise im Jahre 1890 an die
Familie geschrieben, aber an die Adresse der damaligen Hausdame
erichtet, da seine Frau schon krank war und von seinen Kindern
eines mehr zu Hause war.
Cairo, 3. II. (18)90.
I Verehrtestes Fräulein! Hoffentlich sind meine zahlreichen Briefe
glüklich in Heid.(elberg) eingetroffen. Von Heid, erhielt ich nur den
Brief vom 22., worin die Anträge von Prof. Virchow enthalten ist, die
ich zunächst nicht beantworten werde. Gestern schrieb ich, daß ich
zum kranken Kriegsminister Mustapha-Pascha mußte. Er hat Influenza
mit Lungenentzündung glüklich durchgemacht. „Votre potion d'hier
a fait merveille,“ sagte er mir heute bei einem zweiten kurzen Besuch,
den ich ihm machte. Heute auch führte mich auf den Wunsch des
Vicekönigs Tewfik 1 ) unser Generalkonsul (oder Gesandter, wenn
man will, denn er hat auch diplomatische Funktionen bei der egyp-
tischen Regierung), der badische Landsmann H. v. Brauer, Geh. Leg.-
Rath, zur Audienz bei ihm vor. Derselbe empfing mich sehr artig,
dankte mir für meine Bemühungen um seinen Minister und bat mich,
nun audi seine Gemahlin zu berathen. Ihr Leibarzt, Isam Pascha,
führte mich in den Palast der hohen Dame, welcher neben dem ihres
Gemahls sich befindet. Zu ebner Erde fand ich in e.(inem) Saale
e.(inel große Gesellschaft vornehmer ägyptischer Muselmänner, denn
sie waren gekommen/der Verlobung einer HofDame der Vicekönigjn
mit einem der Herrn, der auch anwesend war, beizuwohnen. Da
ich nun zufällig auch Zeuge der Verlobung war, so erhielt ich wie
alle anderen auch ein Geschenk zur Erinnerung: 2 seidene gestikte
[ Tücher in einer blauseidenen Hülle, die ich meiner Frau neimzu-
bringen habe.
Dann erst kam der Obereunudie und führte mich über eine mit
prächtigen Teppichen belegte Treppe hinauf in e.(ine) luxuriös und
geschmackvoll ausgestattete Vorhalle und durch einen gleichfalls mit
kostbaren Teppichen behängten Gang in das Gemach der Khedive,
die mich so auf einem Divan sitzend mit befangener Miene unver-
schleiert empfing. Im Gemach war noch eine Prinzessin, gleichfalls
unverschleiert, welche französisch sprach, was die Kedive nicht kann.
Außerdem war nur noch e.(ine) kleine kostbar drapierte Negerin vom
Alter von Gretchen Czerny gegenwärtig. Der Leibarzt forderte sie
nun auf, sich den Puls fühlen zu lass'en, den ich in Ordnung fand.
Ungern entblößte sie auch einen kleinen Theil der Brust, um sich das
Herz untersuchen zu lassen. Ich erleichterte ihr dies, indem ich es
fertig brachte, das Herz durch die innerste Hülle des Leibes zu aus-
cultiren, ohne die Brust ganz zu entblößen. So untersuchte ich sie
ziemlich genau und erlebte nicht, was dem Dr. Wintemitz*) aus
Wien passierte, welcher ihr vor zwei Jahren den Oberarm entblößte,
woraul sie vor Scham ohnmächtig umsank. Er soll — sie war damals
sehr korpulent, während sie jetzt das richtige Maas einhält, — den
Arm betastet und verwundert ausgerufen haben: „Tout c'est vous?“
Verabschiedet, führte mich der Doktor in den Saal, wo die Familie
Tewficks sich zusammenfindet, (wenn er das Harem besucht,) um
allda zu conferiren. Wir wurden aber nicht lange geduldet, die
Eunuchen liefen ganz entsezt herbei, auch die kleine Negerin, und
trieben uns aus dem Saal und bekomplimentirten uns aus dem Hause.
Erst im Palast des Tewfik redigierte ich dann unseren Befund und
meinen ärztlichen Rath. _
Ich denke, dieser ausführliche Bericht wird Sie und die andern
Damen befriedigen. Fast hätte ich vergessen zu bemerken, daß die
Vizekönigin noch jezt, obschon sie zwei Söhne hat, die fast erwachsen
in Wien erzogen werden, die schönste Frau in Egypten und eine der
schönsten der Welt ist. Dies ist allgemeiner Glaube und ich theile ihn.
Morgen früh 10 beginnt die Nilfahrt.
Falls ich, wie wahrscheinlich, über Neapel heimreise, werde ich
lieber noch im Hotel Hauser, als Louvre absteigen.
Herzl. Grüße an Alle!
K.(ußmaul)
Adressieren Sie: Cairo Egypten (nicht Africa) latein. Schrift.
Zum Tode von Max Löhlein.
Am 27. XII. 1921 starb Max Löhlein, 44 Jahre alt, ein Opfer
seines Berufes. Infektion einer winzigen Fingerwunde mit Strepto¬
kokken — von den Achseldrüsen ausgehend septisches Ordern der
entsprechenden Thoraxhälfte — weitreichende Inzisionen, Strepto¬
kokkenserum, alles wirkungslos! Ein schwerer Schlag für die, die
ihm näher standen; denn ihnen hat sich das wahrhaft Vornehme und
Ritterliche seines Charakters geoffenbart, das sich bei oberfläch¬
lichem Kennen leicht hinter kühler Förmlichkeit barg. Ein echter
Wahrheitssucher, der Löh lein war, führte er mitunter eine scharfe
Feder, stets im Dienst der Sache, nie gegen die Person gerichtet.
Sein intensiver Forscherdrang trieb immer wieder zum Quellen¬
studium, vor allem auf ätiologischem Gebiete, und in Marchands
Schule, der er seit 1901 angehörte, nahm er häufig Ferien, diesem
Bedürfnis nachzugehen. Bei Fränken in Halle, bei Metschnikow
in Paris, bei Gaffky in Berlin bildete er sich weiter; in Kamerun
sammelte er als Regierungsarzt wertvolles Material, das unsere Kennt-
OIQeboren 1852. seit 1879 Kedive 2 ) Geboren~1834, gest. 1915.
□ igitized by Gougle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
23. Februar 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
267
nisse in der Tropenpathologie willkommen erweiterte. Stets brachte
er reiches Wissen und interessante Erfahrungen mit, an denen er
in fruchtbringenden Diskussionen seine Mitarbeiter freigebig teil¬
nehmen ließ. Seine spekulativ-philosophische Denkungsart, die ihn
mehr zur Erforschung der Zusammenhänge als zur anatomischen
Kleinarbeit drängte, machte
diese Gespräche besonders
anziehend. Sie ließ ihn auch
an der seiner Ansicht nach
zu komplizierten Auslegung
des Ursachenbegriffs An¬
stoß nehmen lind in scharf
pointierter Polemik diese
Fragen erneut auf der gan¬
zen Linie aufrollen. Trotz
dieser Neigung ging er bei
seinen wissenschaftlichen
Untersuchungen in kriti¬
scher Weise bis ans Ende
der mikroskopischen Auf¬
lösbarkeit, was namentlich
seine Arbeiten über die
Nierenpathologie bewei¬
sen, die neben eingehen¬
den Untersuchungen über
die Ruhrerkrankungen im
Felde die Hauptthemata
seiner wissenschaftlichen
Studien stellte. In Mar¬
burg, wo er seit 1918 den
Lehrstuhl für Pathologie
innehatte, erwarb er sich
bald die größte Wert¬
schätzung aller, nicht nur
als Wissenschaftler, sondern auch als echter vaterlandsliebender
Deutscher und Mensch, der sich freimütig zu seinem Ideal bekannte.
Mit der Kunde von seiner Erkrankung verbreitete sich die Nach¬
richt, daß er an die Universität Tübingen berufen sei. Eine be¬
deutende Laufbahn schien ihm gesichert; alledem kam der Tod
zuvor und zerstörte jäh Keime, die auf so vielseitig vorbereitetem
Boden zu wirkungsvollster Entfaltung drängten.
Max Verse (Berlin-Charlottenburg).
Kleine Mitteilungen.
— Berlin. Der Minister für Volkswohlfahrt hat in einem Erlaß
vom 9.1.1922 Maßnahmen zur Bekämpfung des Alkohol -
mißbrauchs angeordnet.
— Für die Ausstellung von Leichenpässen zum Trans¬
port im In lande sind in Zukunft nicht mehr amtsärztliche Beschei¬
nigungen über die Todesursache erforderlich, sondern es genügen
allgemeine einfache ärztliche Zeugnisse, sofern der Tod nicht an
Pocken, Cholera oder Pest erfolgt ist. In diesem Falle sind die nicht¬
beamteten Aerzte zur Ausstellung dieser Zeugnisse nicht berechtigt.
— Der Vorstand des L. V. hat dem Reichsarbeitsministerium auf
eine Anfrage geantwortet, daß der Verband zur Fortsetzung der
Verhandlungen über den Reichstarif bereit sei unter der
Voraussetzung, daß der gegen den L. V. erhobene Vorwurf des Ver¬
tragsbruches seitens der Kassenhauptverbände nicht aufrecht erhalten
werde. — Zu Verhandlungen über das Wochenhilfegesetz er¬
klärt sich der Vorstand auf Aufforderung des Reichsarbeitsministeriums
grundsätzlich bereit und erwartet weitere Vorschläge. — Der Reichs¬
minister des Innern hat den Geschäftsausschuß des Aerztevereins-
bundes ersucht, den Entwurf einer Reichsgebührenordnung
einzureichen.
— In einer Zuschrift an die D. A. Z. macht ein auf dem Lande
ansässiger Kollege die Mitteilung, daß 50 o/o der Landärzte nach
statistischer Feststellung ihre Kraftwagen mangels an Rentabilität
abschaffen mußten. Und dabei unterliegt das Halten dieses Ver¬
kehrsmittels auch noch der Luxussteuer!
— Die Hauptergebnisse der Krankenversicherung
für das Deutsche Reich 1914 und 1915 liegen jetzt vor. Die Mitglieder¬
zahl der reichsgesetzlichen Kassen belief sich im Berichtsjahre 1914
auf 15609586 (1913: 13566573) und 1915 auf 13840848 Personen.
Die Reineinnahmen sämtlicher Kassen betrugen in den beiden
Berichtsjahren 595360246 M. (1914) und 508020357 M. (1915),
die Reinausgaben 502492926 M. und 422 491 361 M., das sind
32,19 M. und 30,52 M. auf je 1 Mitglied berechnet. Fast 9 /io aller
Ausgaben w'aren dem Bericht nach Krankheitskosten, nämlich
444 773071 (372014 260) M. oder 28,49 (26,88) M. auf 1 Mitglied.
Von den Krankheitskosten sind in den Jahren 1914 (1915) hervor¬
zuheben die Ausgaben für: Krankenbehandlung mit 26,2 (28,1) v. H.,
für Arznei und Heilmittel mit 13,2 (13,3), für Krankenhauspflege
mit 14,1 (14,0), für Krankengeld mit 39,7 (35,5), für Wochen-,
Schwangeren- und Stillgeld mit 2,8 (4,9), für Hausgeld mit 1,6 (1,2)
und für Sterbegeld mit 2,2 (2,8) v. H. An Verwaltungskosten wurden
47460 238 M. (41 288 446 M.) verausgabt.
— Im Jahre 1920 waren 221512 Versicherte mit einem
Kostenaufwand von 145 439 922 M. in Heilbehandlung genommen
werden. Davon waren 41875 Lungen- und Kehlkopftuberkulöse, 284
Lupuskranke, 387 Knochen- und Gelenktuberkulöse, 30676 Geschlechts¬
kranke (20850 Syphilis, 9601 Tripper), 148 290 betraf die große Gruppe
der „anderen“ Krankheiten. Meistens handelte es sich dabei Um
Zahnkrankheiten (110240). Krebskrankheit ist 84-, Trunksucht 42mal
zur Behandlung gekommen.
— Nach amtlicher Darstellung sind die Rücklagen vieler
Krankenkassen so gewachsen, daß sie 20—25 <Vü gefahrlos für Kre¬
dit verwenden können. Es wird daher angestrebt, diese Geldmittel für
Finanzierung des Wohnungsbaus zu gewinnen. Ob die dahingehenden
Bestrebungen des Ministers für Volkswohlfahrt Erfolg haben werden,
bleibt abzuwarten. Bezeichnend ist, daß die Krankenkassen
in so hohem Maße finanzkräftig sind, aber immer und
immer wieder ihre Notlage betonen, wenn es sich darum
handelt, die ärztlichen Ansprüche neuzeitlich zu be¬
rücksichtigen.
— Die Satzungen der Betriebskrankenkassen des Reichs
sind jetzt allgemein dahin erweitert worden, daß sich ihr Bezirk auf
alle ehemaligen Betriebe und Dienststellen der Heeres¬
verwaltung erstreckt, die zur Reichswehr und den Zivilverwal-
tungen des Reichs übergetreten sind. Diese Betriebe können daher
von den Ortskrankenkassen nicht mehr beansprucht werden. Das
Reichsversicherungsamt jiat diese Auffassung bestätigt. Im Interesse
der Wirtschaftlichkeit der Betriebskrankenkassen wird Wert darauf ge¬
legt, daß alle ihnen zukommenden Betriebe und Dienststellen bei
ihnen zur Krankenversicherung angemeldet werden. Es kommen je¬
doch nur solche Betriebe und Dienststellen in Frage, die sich in Orten
der Betriebskrankenkassen des Reichs und deren Umgebung befinden,
und zwar in Berlin, Altona, Hannover, Königsberg, Pillau, Ulm,
Leipzig und Wilhelmshaven und den laut Satzungen etwa dazu ge¬
hörenden Nebenorten. Soweit in diesen Orten die der Kranken¬
versicherungspflicht unterliegenden Personen der Versorgungsbehör¬
den und -krankenhäuser bei den Ortskrankenkassen angemeldet sind,
I ist die Ueberleitung auf die Betriebskrankenkassen des Reichs nach
näherer Vereinbarung mit den beteiligten Krankenkassen alsbald zu
veranlassen.
— Im Jahre 1921 kamen 685 Pockenfälle im Deutschen
Reich zur Kenntnis der Behörde, gegen 2095 im Jahre 1920 und
240 im Durchschnitt der letzten 5 Friedensjahre. Die Mehrzahl der
Pockenfälle (527) betraf den Reg.-Bez. Oppeln. Auf die Reg.-Bezz.
Liegnitz und Breslau entfielen 55 bzw. 19 Fälle. Innerhalb der
Krankenhäuser und Pflegeanstalten kam es in 54 Fällen zur Ver¬
schleppung des Ansteckungsstoffes. Befallen wurden dabei 1 Arzt
und 24 Krankenpflegepersonen, davon 13 Schwestern eines Klosters
im Kreise Wohlau. Auf die Kalendermonate verteilt sich die Er¬
krankung folgendermaßen: Januar 113, Februar 142, März 158, April
! 122, Mai 72, Juni 36, Juli 24, August 6, September 5, Oktober 2,
«November 2, Dezember 3.
— Das Seminar für soziale Medizin des Verbandes der
Aerzte Deutschlands (Wirtschaftliche Abteilung des Deutschen Aerzte-
vereinsbundes, Gau Groß-Berlin) veranstaltet vom 27. II. bis 20. III.
1 1922 einen Vortragszyklus über das Thema: Arzt und Berufs¬
beratung. Vorträge halten u. a. Dr. Pry 11, Prof. Chajes, Prof.
| Schlesinger, Prof. Moede, San.-Rat Poe Ich au, Dr. O. Lip-
mann, Prof. Rupp, Dr. Piorkowski, Oberingenieur Tramm,
Geh. San.-Rat Moll, Dr. Bobertag, Prof. Mosse, Dr. J. Peiser,
Prof. Abelsdorff, San.-Rat Alfred Peyser, Reg.-Med.-Rat
Böhm. Die Teilnahme an den Vorträgen ist unentgeltlich. An¬
meldungen, unter Beifügung von 3 M. in Briefmarken, an San.-Rat
Dr. A. Peyser, Charlottenburg 2, Grolmanstr. 42/43.
— An der Sozialhygienischen Akademie Charlottenburg wird
im Sommer vom 24. IV. bis 29 . VII. ein sozialhygienischer Vollkursus
zur Vorbildung von Kreis-, Kommunal-, Schul- und Fürsorgeärzten stattfinden.
Der Lehrgang entspricht den Prüfungsbestimmungen für Kreisärzte. Anfragen
an das Sekretariat im Krankenhaus Charlottenburg-Westend, Spandauerberg
15/16, das auch mit Hilfe des Wohnungsamts geeignete Wohnungen vermittelt.
— Mit Rücksicht auf die Verlegung des Röntgenkongresses auf
! die Zeit vom 23. bis 25. IV. ist der von der Deutschen ärztlichen
Gesellschaft für Strahlentherapie veranstaltete Vortragszyklus
1 der Röntgentherapie in Tübingen (vgl. Nr. 4 S. 136) an der
Chirurgischen Klinik (Prof. Perthes) und der Frauenklinik (Prof
A. Mayer) auf den Oktober verlegt worden. Der vom 6. III. bis
1. IV. in Frankfurt a. M. zu veranstaltende Fortbildungskursus für
Röntgentiefentherapie findet im Institut für die physikalischen Grund¬
lagen der Medizin (Prof. Dessauer), in der Chirurgischen Klinik
(Prof. Schmieden) und in der Frauenklinik (Geh.-Rat Seitz) statt.
— Bei der Tagung der Nordostdeutschen Gesellschaft
für Gynäkologie am 25.11. in Königsberg i. Pr. werden u. a
folgende Vorträge gehalten: Fuchs (Danzig): Erfolge der pro¬
phylaktischen Röntgenbestrahlung operierter Brustkrebse, v. KI e in
(Graudenzl: Tuberkulöses Ulkus der Scheide, Riediger (Königs¬
berg i. Pr.): Heilung eines Chorionepithelioms durch Röntgenstrahlen,
Winter (Königsberg i. Pr.): Zur Aetiologie und Behandlung der
Hyperemesis gravidarum, Unterberger (Königsberg i. Pr.): Ex¬
perimentelle Röntgenschädigung der Ovarien und ihr Einfluß auf die
Nachkommenschaft.
— In Moskau ist vom Deutschen Roten Kreuz eine zentrale
bakteriolog ‘ ’ “
Dgische Station eröffnet worden mit einer Bibliothek und
einer Lesehalle für Aerzte und Studierende.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
268
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
— Für verdiente Hebammen nach 40jähriger Dienst¬
zeit ist ein von dem Oberpräsidenten auszufertigendes Anerken¬
nungsschreiben in Form eines künstlerisch ausgeführten Gedenk¬
blatts in Aussicht genommen.
— Nach einer Mitteilung des „Vorwärts“ hat am 10. II. ein all¬
russischer Kongreß zur Bekämpfung der Tuberkulose
in Petersburg begonnen. Auch der Generalsekretär der internationalen
Liga zum Kampf gegen die Tuberkulose, Prof. Pannwitz (Berlin),
wird daran teilnehmen. Dieser Vorwärts-Meldung gegenüber ist zu
betonen, daß eine Internationale Vereinigung zur Bekämpfung der
Tuberkulose nicht mehr existiert (vgl. D. m. W. 1921 S. 52). Prof.
Pannwitz kann an dem „allrussischen“ Kongreß nur als Privat¬
mann teilnehmen. Nach allem, was vorangegangen ist, hätte Prof.
Pannwitz allen Grund, sich dagegen zu verwahren, daß man ihn
noch als Generalsekretär mit der genannten Vereinigung in Ver¬
bindung bringt.
- Fleckfieber. Deutsches Reich (29.1.—4. II ): 3; Polen (9. X.-5. XI.): 968. -
Genickstarre. Deutsches Reich (8. 1.—14.1-): 18. — Ruhr. Deutsches Reich (a I.—
14.1.): 78. — Abdominaltyphus. Deutsches Reich (a I.—14.1.): 163.
— Barmen-Elberfeld. Hier hatten sich Aerzte und Kran¬
kenkassen bei ihren Verhandlungen dahin geeinigt, das Düssel¬
dorfer Schiedsamt anzurufen und dessen Spruch als endgültige
Entscheidung anzuerkennen. Der Schiedsspruch kam. Da er nicht
ganz so ausfiel, wie man ihn bei den Kassen erhofft hatte, behaup¬
teten die letzteren plötzlich, die Sache müßte auch noch vor das
Reichsschiedsamt. Wiederum zeigt sich also, was man von
solchen „Verhandlungen“ zu halten hat!
— Bielefeld. Vom 19.11. bis 8. III. wird hier die große
Wanderausstellung des deutschen Hygiene-Museums
in Dresden zur Bekämpfung der Tuberkulose der Oeffentlichkeit
zugänglich gemacht.
— Breslau. Die 5.Sitzung der Südostdeutschen Chirur¬
genvereinigung findet hier am 25.11. vormittags 10—1 und nach¬
mittags 4—7 im Hörsaal der Chirurgischen Universitätsklinik statt.
Es sind 32 Vorträge angemeldet.
— Dresden. Aus dem Ertrag der Sammlung von peruani¬
schen Kindern zugunsten darbender und kranker Kinder in Deutsch¬
land und Oesterreich sind dem Oberbürgermeister Blüh er durch die
Deutschen in Lima für die notleidende Jugend in Sachsen 100 000 M.
übermittelt worden.
— Greifswald. Im Hygienischen Institut findet in derZeit vom
19.—30. IV. ein Lehrgang der Immunitätslehre mit praktischen
Uebungen statt. Besonders berücksichtigt werden die Serodiagnostik
(Wa.R., Flockungsreaktionen (Sachs-Georgi,Meinicke], forensischer
Blutnachweis, Agglutination usw.) und die kolloidchemischen Methoden.
Anmeldungen an Prof. E. Friedberger.
— Mainz. Geh. San.-Rat Müller beging am 7. II. sein 50-
jähriges Doktorjubiläum: Geh.-Rat Müller ist im kommunalen und
politischen Leben seiner Vaterstadt vielfach hervorgetreten.
— Memel. Zwischen dem Vertreter der alliierten Mächte im%
Memelgebiet und dem deutschen Staatskommissar fand am 9. XII.
1921 eine Vereinbarung über die gegenseitige Anerkennung
der Ausbildung bzw. Prüfung der Aerzte, Apotheker
und des Krankenpflegepersonals statt.
— München. Das Staatsministerium hat unter dem 7. I. eine
Verordnung über Teuerungszuschläge bei ärztlichen
Dienstleistungen bei Behörden herausgegeben.
— Schwerin. Die Frauen - und Kinderheilanstalt des
Mecklenburgischen Landes Vereines zur Bekämpfung
der Tuberkulose ist unter dem Namen Genesungsheim „Am¬
see“ b. Falkenhagen i. M., Post Waren, in Betrieh genommen. Auf¬
genommen werden neben den von Versicherungsanstalten, Kassen usw.
verschickten Kranken auch Selbstzahler, und zwar auch solche, die
nicht Mecklenburger sind. Zum Chefarzt ist Dr. Keutzer, früher
Oberarzt in Belzig, ernannt worden.
— Speyer. In der Pfalz ist eine erschreckende Zunahme der
Geschlechtskrankheiten seit der Verwendung der far¬
bigen Truppen feststellbar. Während die Zahl der männlichen in
öffentlichen und privaten Krankenhäusern behandelten Geschlechts¬
kranken in den Jahren 1918 und 1919 mit 248 und 250 ungefähr die
Ziffer der Vorkriegsjahre behauptet und sich im Jahre 1920 auf 323
erhoben hat, ist die Zahl der weiblichen Geschlechtskranken von 289
im Jahre 1918 auf 825 im Jahre 1919 und 758 im Jahre 1920 ge¬
stiegen.
— Stuttgart. Zwischen dem Württembergischen Aerzte-
Verein und den Gewerblichen Berufsgenossenschaften
ist folgende Vereinbarung über Gutachtengebühren abge¬
schlossen worden: Die Gewerblichen Berufsgenossenschaften bezahlen
1. für eine kurze Aeußerung über die Notwendigkeit einer Behand¬
lungsart oder klinischen Behandlung 10 M., 2. für eine ausführliche
Aeußerung 15 M., 3. für ein erstmaliges eingehendes Rentengutachten
45 M., 4. für ein wiederholtes Gutachten a) zur Nachprüfung der Er¬
werbsfähigkeit durch den gleichen Begutachter 30 M., b) eines an¬
deren wie des erstmaligen Begutachters 45 M., 5. für ein eingehendes,
wissenschaftlich begründetes Gutachten (Ob'ergutachten) 60 M., 6. für
eine Rückäußerung und Ergänzung eines Gutachtens 10 M., 7. für ein
Gutachten über Todesursache 20 M.
— Weimar. Nach einer Ministerialbekanntmachung wer¬
den die bakteriologischen und serologischen Unter¬
suchungen für Thüringen in den bakteriologischen Untersuchungs¬
anstalten in Jena, Gotha und Gera sowie in Erfurt (soweit in der
Nr. 8
letzteren Anstalt Untersuchungen aus Thüringischen Gebieten kom¬
men) kostenlos ausgeführt. Nur für die Ausführung der sog. Wa.R.
sind bei Kassenkranken und Wenigbemittelten 12 M., bei den übrigen
Kranken je nach der wirtschaftlichen Lage 20—40 M. zu entrichten.
— Wien. Nach sechswöchigem Bestehen ist ein Streik
der Kassenärzte beigelegt. Er endigte mit einem Erfolg der
Kassenärzte. Das Fixum der jüngsten Kassenärzte wurde auf 600 000
Kronen festgesetzt, eine anscheinend zwar hohe Summe, die jedoch
sehr niedrig ist, wenn man die Entwertung der Krone berücksichtigt.
Allein das vierteljährliche Abonnement einer Wiener ärztlichen Zeit¬
schrift kostet zur Zeit 1000 Kronen — 35 Mark. — Die Tuberku-
losesterblichkeit betrug 1920 29,1 auf 10000 Lebende, gegen 31,6
1919. In Berlin betrug sie 1919 23,39, 1920 15,7.
— Brüssel. In Belgisch-Kongo wurde auf der Hochebene von
Katangaro Tadiumhaltiges Mineral entdeckt.
— Bologna. Der Humbert I.-Preis (vgl. d. W. 1920 S.528)
wurde Dr. M u r k Jansen in Leyden für seine Arbeiten über Chon¬
drodystrophie, Rachitis und Wachstumsschwäche zuerkannt. — Der
IV. italienische radiologische Kongreß wird in den Räu¬
men des orthopädischen Instituts Rizzoli, unter dem Vorsitz von Prof.
Aristide Busi, am 9., 10., 11. V. stattfinden. Dem Kongreß
schließt sich gleichzeitig eine Ausstellung von radiologischen Appa¬
raten an, an der sowohl italienische als auch ausländische Firmen
teilnehmen können. Anfragen an Dr. Alberto Possati, Villa
Verde, Bologna.
— Upsala. Ein unter Leitung von Prof. Lundberg stehen¬
des neugegründetes Rassenbiologisches Institut wird eine
rassenbiologische Gesamtuntersuchung Schwedens, Bezirk nach Be¬
zirk, vornehmen, um den rassenbiologischen Wert der Bevölkerung,
Auftreten der großen Volkskrankheiten, ihre Ursachen und vor¬
beugende Maßnahmen zu erforschen. Im ganzen Norden, auch unter
den Ostschweden und den Finnen, sollen anthropologische Unter¬
suchungen angestellt werden.
— Neuyork. John D. Rockefeiler hat zur Förderung der
Ausbildung von Aerzten 45 Millionen Dollar gestiftet. Die Verteilung
auf die einzelnen Universitäten und wissenschaftlichen Institute ist
dem Erziehungsamt des Rockefeller-lnstituts übertragen worden.
— Rio de Janeiro. In den größeren Städten Brasiliens ist der
Bedarf au Hebammen voll gedeckt. Deutsche Hebammen haben
keine großen Aussichten. — Mangel an Aerzten im Staate
Rio Grande do Sul besteht nicht, aas Gegenteil ist der Fall, da
in den letzten Jahren viele deutsche Aerzte eingewandert sind.
— Hocbschulnachrichteo. Göttingen. Priv.-Doz. Stern, Ober¬
arzt an der Psychiatrischen Klinik, hat die Dienstbezeichnung a. o. Pro¬
fessor erhalten. — Hamburg. Priv.-Doz. Brodersen, 1. Prosektor am
Anatomischen Institut, und Priv.-Doz. Kotzenberg, Leiter des Chirur¬
gischen Ambulatoriums Eppendorf, sind zu a. o. Professoren ernannt.
— Jena. Prof. Zange, Extraordinarius für Otologie, hat einen Ruf
nach Graz erhalten. — Kiel. Prof. Schade hat einen Lehrauftrag für
Angewandte physikalische Chemie erhalten. — Tübingen. Dr. Hoff-
mann, Assistenzarzt an der Klinik für Nervenkranke, hat sich habilitiert.
— Wien. Prof. Bucura ist zum Vorstande der Gynäkologischen Ab¬
teilung der Allgemeinen Poliklinik ernannt worden. Prof. Piskacek,
Vorstand der 111. Geburtshilflichen Klinik, und Prof. Moll, Leiter der
Reichsanstalt für Mutter- und Säuglingsfürsorge, haben den Titel
Regierungsrat erhalten. Hofrat Prof. v.Ebner-Rofenstein, der frühere
Ordinarius für Histologie, beging am 4. d. M. seinen 80. Geburtstag.
— Prag. Prof. Singer wurde zum Ordinarius der Pathologie,
Prof. Pötzl zum Ordinarius der Psychiatrie, die Priv-Dozz. Springer
(Orthopädie) und Pribram (Innere Medizin) zu a. o. Professoren er¬
nannt. — Paris. t Georges]Dieulafoy hat der Medizinischen Fakul¬
tät eine laufende Rente von 26000 Fr. vermacht.
— Gestorben. Der hervorragende Neurologe Prof. Ernst Jen-
drassik im 63. Lebensjahre am 20. XII. 1921 in Budapest. Jendrassik
ist durch seinen bekannten Kunstgriff allgemein bekannt geworden.
Jendrassik gehörte noch zu jenen Neurologen, welche wie Wilhelm
Erb die gesamte innere Medizin in den Kreis ihrer Betrachtung
zogen. — Prof. Hendrik Reerink, Extraordinarius für Chirurgie,
ein früherer Assistent von Kraske, im 57. Lebensjahr in Freiburg i. B.
— Prof. Busse, Ordinarius der Pathologischen Anatomie, in Zürich,
am 3. II. im Alter von 55 Jahren, Busse ist besonders durch sein
„Obduktionsprotokoll" in weiten Kreisen bekannt geworden.
— Literarische Neuigkeiten. Die von E. v. Leyden und H. Gold¬
scheider begründete „Zeitschrift für physikalische and diätetische
Therapie einschließlich Balneologie und Klimatologie** (Verlag von
Georg Thieme, Leipzig), jetzt herausgegeben von Goldscheider,
Strasser und Dietrich, konnte in diesen Tagen auf ihr 25jähriges
Bestehen zurückblicken. — Die im Jahre 1852 von Johann Ludwig
Casper gegründete Vierteljahresschrift für Gerichtliche Medizin und
öffentliches Sanitätswesen wird nach 70jährigem Bestehen ihre Er¬
scheinungsform ändern. Sie wird monatlich unter dem Titel Deutsche
Zeitschrift für die gesamte gerichtliche Medizin erscheinen.
Herausgeber sind Prof. Fraenckel (Berlin), Geh.-Rat Puppe (Breslau),
Geh.-Rat Schultze (Göttingen) und Geh.-Rat Straßmann (Berlin).
— Aul Seite 14 des Inseratenteiles ist ein Verzeichnis der bei der Redaktion
zur Rezension eingegangenen Bücher und Abhandlungen enthalten.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
LITERATURBERICHT
Redigiert von Prof. Dr. R. von den Velden.
Allgemeines.
F. Maruus (Rostock), Grundlagen des ärztlichen Denkens von
heute. Kl. W. Nr. 2. An Hand wichtiger Probleme der Medizin, vor
allem des Konstitutionsproblems, wird eine Charakteristik des heutigen
ärztlichen Denkens gegeben. Philosophie brauchen wir in der Medizin,
abe^ nicht im Sinne von intuitiver Spekulation, sondern im Sinne von
Erkenntniskritik. Nicht auf das schaffende, sondern auf das ordnende
Denken kommt es uns jetzt an.
Anatomie.
♦♦ O. Oertel (Köln), Leitfaden der topographischen Anatomie
und Ihrer Anwendung. Berlin, S. Karger, 1921. 226 Seiten mit
40 Abbildungen. M. 33.—. Ref.: Eisler (Halle).
Der Verfasser hat in Inhalt und Ausdruck den Charakter eines
Leitfadens gut getroffen, und niemand wird von einem solchen Voll¬
ständigkeit verlangen. Aber die Ausführung der Abbildungen läßt
erkennen, daß deren Bedeutung offenbar unterschätzt ist. Gerade für
eine derartig kurze Topographie sollte m. E. das Schwergewicht auf
zahlreiche, gute und klare Bilder gelegt werden, die dabei ganz wehl
schematisch gehalten sein dürfen. Unsere jungen Mediziner sind jetzt
in Abbildungen verwöhnt. Der Hinweis des Verfassers, der Studie¬
rende möge zu dem Leitfaden einen guten Atlas benützen, zieht nicht,
weil die Mehrzahl der anatomischen Atlanten systematische, aber nicht
topographische Bilder gibt. Noch eine weitere Bemerkung sei ge¬
stattet. Warum schreibt der Verfasser Kavum uteri neben Corpus
uteri, Konjunktiva und Kornea neben Cornealrand, N. abduzens neben
N. abducens, Hydrozephalus neben Cephalhämatom, Varicocelen neben
Meningozele usw.? Bei der ohnehin oft recht fadenscheinigen „klassi¬
schen“ Vorbildung unseres medizinischen Nachwuchses, der dem
Fremdwort nur noch mit dem Fachlexikon beikommt, wenn er es
nicht einfach verständnislos auswendig lernt, muß solche Unempfind¬
lichkeit in der Schreibung der Fachausdrücke ganz verwirrend wirken.
Das sollten wir Lehrbuchschreiber doch nicht vergessen. Etwaige
Willkür des Setzers läßt sich bekämpfen. — Die Ausstattung des
Buches ist sonst gut und typographisch geschickt, der Preis an¬
gemessen.
G. Miescher (Zürich), Die Chromatophoren in der Haut des
Menschen; Wesen und Herkunft ihres Pigments. Kl. W. Nr. 3.
Die kutanen Pigmentzellen (Chromatophoren) sind banale Bindegewebs¬
zellen, die durch Phagozytose freies Melanin aufgenommen haben. Ihr
Pigment stammt aus der Epidermis. Die Chromatophoren sind kein
notwendiger Bestandteil im normalen Pigmentstoffwechsel, sondern
bloß eine akzidentelle Begleiterscheinung bei einer Pigmentinsuffizienz
der Epidermiszellen infolge einer Zellschädigung oder Degeneration.
Physiologie.
++ Paul Jenaen (Güttingen), Reiz, Bedingung und Ursache
In der Biologie. Berlin, Gebr. Bornträger, 1921. 70 Seiten. Ref.:
Boruttau (Benin).
Seit der Aufstellung der Irritabilitätslehre durch Haller bis auf
die modernsten Autoren der allgemeinen Physiologie ist die Begriffs¬
bestimmung des „Reizes“ äußerst schwankend geblieben. Der Ver¬
fasser kritisiert die verschiedenen herrschenden Definitionen und weist
den Weg, auf dem man zu - einer Sicherung des Reizbegriffes ge¬
langen kann: Reize sind Bedingungen für das Zustandekommen von
Lebenserscheinungen, die im Sinne des Kausalitätsbegriffes als „ur¬
sächlich“, veranlassend, auslösend hervortreten. Es müssen also diese
„Reizerscheinungen“ zunächst festgestellt und unterschieden werden,
was der Verfasser mit der Unterscheidung der „typischen“ und der
„atypischen“ tut; die ersteren sind den „reizbaren Gebilden“ eigene
„plasmatische“ Vorgänge. Die „Reize“ sind die „komplementären Be¬
dingungen“ zu den Keizerscheinungen und werden entsprechend
unterschieden. Wo Automatie ist, kann nicht von Reiz die Rede sein.
Direkte und indirekte, primäre, sekundäre und tertiäre Reizwirkungen,
spezifische oder adäquate und allgemeine und inadäquate Reize wer¬
den definiert usw. Das Schriftchen, ein Ergebnis eingehender Kritik
und von tiefem Nachdenken zeugend, ist für Biologen und Aerzte von
grundlegender Bedeutung.
Fr. Laquer (Frankfurt a. M.) Wirkungen des Hochgebirges auf
Blut und Flussigkeltsaustausch zwischen Blut und Geweben.
Kl. W. Nr. 4. Auf Grund früherer und eigener Untersuchungen kann
die Tatsache, daß bei Menschen, die aus der Ebene in die Höhe steigen,
etwa von 1500 m ab eine langsam einsetzende aber deutliche Zunahme
der roten Blutkörperchen und des Blutfarbstoffs in der Volumeinheit
eintritt, als gesichert angesehen werden. Das Hochgebirge führt auch
zu einer Beschleunigung der Blutregeneration. Der Flüssigkeitsaustausch
zwischen Blut und Gewebe wird im Hochgebirge vor allem durch
den mit längeren Hochgebirgsmärschen bedingten Schweißausbruch
beeinflußt. Da bei Hochgebirgsmärschen verschiedene Faktoren oft
durchaus nicht gleichsinnig, und an den einzelnen Organsystemen in
wechselnder Richtung auf den Flüssigkeitsaustausch einwirken, ent¬
stehen recht verwickelte, teilweise noch nicht klar übersehbare Ver¬
hältnisse. — Welcher von den verschiedenen Faktoren, die den Begriff
Höhenklima ausmachen, für die Blutveränderungen verantwortlich zu
machen ist, ist schwierig zu beantworten. Ob verminderter O Gehalt,
ist fraglich. Vielleicht spielt der verminderte Luftdruck als wirksamer
Reiz für eine gesteigerte Blutneubildung eine nicht unwesentliche Rolle.
Peters (Davos), Serumeiweiß-Untersuchungeu im Hochgebirge.
Zschr. f. physik. diät. Ther. H. 12. In der therapeutischen Hochgebirgs¬
lage von zirka 1600 m tritt eine Veränderung, sowohl des Gesamt¬
eiweißgehaltes als auch des prozentualen Globulingehaltes des Serums
bei Gesunden nicht ein. Auch die bei Lungentuberkulosen gefundenen
Verminderungen dürften nicht durch den Aufenthalt im Hochgebirge
an sich, sondern durch den Verlauf der Erkrankung bedingt sein.
A. Ascher (Bern), Innere Sekretion. KI. W. Nr. 3. Ueberall,
wo die lebendige Substanz der Zellen einen Stoff liefert, der irgend¬
wie regelnd in die Funktion des Körpers eingreift, handele es sich
um innere Sekretion. Hierbei müssen Nährstoff und Regulierstoft
streng voneinander geschieden werden. Die Kohlensäure ist in diesem
Sinne ein Hormon. Als regulierender Faktor für das Atemzentrum,
das Cholin als Erreger der nervösen Gebilde des Darms. Es gibt
individuell wirkende, am Orte ihrer Wirksamkeit entstehende, nur
generell wirkende, in besondern eigens hierzu bestimmten Organen
entstehende Hormone. Manches in der Erscheinungsreihe der Wechsel¬
wirkung der Drüsen mit innerer Sekretion ist in den biologischen All¬
gemeinbegriff der Stimmung und Umstimmung der Organe einzu¬
reihen. Von der Umstimmung der Organe durch innere Sekrete
führt eine kontinuierliche Reihe zu den Erfahrungen der Patho¬
logie in der Allergie und Anaphylaxie. Die Lebenswichtigkeit eines
Organs mit innerer Sekretion wird deshalb oft übersehen, weil man
die des Organs beraubten Tiere nicht vor große Aufgaben stellte, die
das Maß des Physiologischen nicht überschreiten. Jede Drüse mit
innerer Sekretion hat auch ihren ganz charakteristischen Anteil an den
Phasen und Formen des Wachstums. Auch dort, wo im Ablauf der
Stoffwechselvorgänge selbst nicht eine planmäßige Regelung vorliegt,
bedarf es des Hinzutretens besonderer regulatorischer Momente. So
ist der Kohlenhydratstoffwechsel einer mehrfachen derartigen Regulation
unterworfen, und wir haben in der Pankreasdrüse ein auf den Kohlen¬
hydratstoffwechsel geradezu spezialisiertes innersekretorisches Organ.
Die Drüsen mit innerer Sekretion unterstehen einerseits der Herrschaft
des Nervensystems und umgekehrt ist das Zentralnervensystem ein
peripheres Erfolgsorgan für die inneren Sekrete. Vielleicht beruht die
nervöse Erregung selbst in letzter Linie auf einer Freimachung von
Hormonen am Wirkungsort. Die funktionelle Umstimmung der Organe
durch die Produkte ihrer Aktivität gehört in diesen Vorstellungskreis.
E. Abderhalden (Halle), Wesen und Bedeutung der Nutra-
mine. Kl. W. Nr. 4. Es gibt Stoffe, die in geringster Menge wirksam
sind, und die vorhanden sein müssen, um bestimmte Zellfunktionen
durchführen zu können. Es sind besondere Stoffe notwendig, um das
Wachstum zu regeln, und ferner Stoffe unbekannter Natur erforderlich,
um die Oxydationsvorgänge in den Zellen in den richtigen Bahnen zu halten.
A. Bickel (Berlin), Einfluß der Vitamine auf Verdauung und
Stoffwechsel und die Theorie der Vitamlnwirkung. Kl. W. Nr. 3.
Bei der avitaminösen Ernährung ist das Sekretionsvermögen der Magen¬
drüsen nicht gestört, nur übt sie keine Sekretionsreize aus. Auch die
endliche Zerlegung der Nahrung im Darm und die Resorption ist un¬
beeinträchtigt. Doch hat das Protoplasma durch den Vitaminmangel
des Körpers sein Bindungsvermögen gegenüber der Nahrung weit¬
gehend eingebüßt, und darum hat die Nahrung zum großen Teil ihren
physiologischen Nutzwert verloren. Bezüglich des Mineralstoffwechsels
befähigt das Vitamin der Nahrung erst die Körperzellen, den Kalk der
Nahrung zum Ansatz zu bringen. Gegenüber dem Mineral- wie auch
dem Stoffwechsel der organischen Substanzen büßt also bei vitamin¬
freier Ernährung das Protoplasma sein Bindungsvermögen der wich¬
tigsten Bestandteile der Nahrung ein.
P. György (Heidelberg), Phosphate und Zellatmung. Kl. W.Nr. 4.
Das Phosphat-Ion erhöht die Zellatmung selbst in einer sehr geringen
Konzentration (von ll / 1000 )- *
Jarisch (Graz), Seife und Serum. Kl. W. Nr. 2. Die Versuche
des Autors zeigen die Lipoide als die (unter Umständen quantitativ-
variablen) Regulatoren des physikalischen Zustandes der Eiweißkörper
und scheinen einen Weg zu weisen zum Verständnis der vielfachen
Zusammenhänge zwischen den Lipoiden und physiologischen und
pathologischen Vorgängen.
H. Lange und M. Simon (Frankfurt a. M.), Phosphorsäureaus¬
scheidung der Netzhaut bei Belichtung. Kl. W. Nr. 2. Entsprechend
dem Verhalten der Permeabilität von Muskelfasergrenzschichten —
Phosphorsäureaustritt im Kontraktionsaugenblick — reagiert die Netz¬
haut des Frosches mit einer Ausscheidung von Phosphorsäure. Der
Vorgang wird bei durchaus physiologischen Reizen beobachtet und
ist völlig reversibel. Vielleicht hat man in einer durch starke Lichtreize
hervorgerufenen lange Zeit anhaltenden Phosphorsäureausscheidung
eine der Ursachen der Netzhautblendung zu suchen.
H. Lange (Frankfurt a. M.) f Einwirkung des Adrenalins
auf die Penneabilltät von Muskelfasergrenzschichten. Kl. W. Nr. 2.
Es besteht die Annahme, daß die Hormone, die durch besonders starke
und rasche Zellwirkung ausgezeichnet sind, vielleicht in den Grenz¬
schichten der Zellen einen Hauptangriffspunkt haben. Das Adrenalin
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
270
LITERATURBERiCH I Nr. 8
besitzt in hohem Maße die Fähigkeit, die Durchlässigkeit der Muskel¬
fasergrenzschichten für gewisse ein- und austretende Stoffe herabzu¬
setzen. Vielleicht kann dadurch seine ausgesprochene Wirkung beim
Asthma bronchiale und bei der Urtikaria erklärt werden.
Allgemeine Pathologie.
♦ ♦ Meirowsky (Köln), und L. Leven (Elberfeld), Tlerzelcbnung,
Menschenscheckung und System atlsation der Mutter-
mäler. Berlin, 1. Springer, 1921. 79 Seiten mit 283 Abbildungen.
M. 40.—. Ref.: ßlaschko (Berlin).
Daß die Muttermäler keine „Krankheiten“, sondern erbliche
Keimesanomalien sind, ist schon früher von einzelnen Autoren richtig
erkannt worden; aber erst Meirowsky ist durch Beibringung eines
großen scharfsinnig interpretierten Materials der überzeugende Nach¬
weis gelungen, daß es sich bei den Genodermatosen — so nennt
er sowohl die zirkumskripten als auch die ausgedehnten Hautanoma¬
lien — um keimplasmatisch bedingte Varianten der verschiedenen Bau¬
steine der Haut handle. Nach Meirowsky ist die Haut der Wirbel¬
tiere ein regelmäßig angeordnetes Mosaik zahlreicher Einzelgebiete,
und man kann, was man beim Menschen als Nävus sieht, weit hinauf
in der Ahnenreihe in demselben Areal als Tierzeichnung wieder¬
finden. In der neuen, gemeinsam mit Leven publizierten Arbeit
bringen die Autoren eine erdrückende Fülle neuen Beweismaterials,
des weiteren führen sie den neuen Begriff der Genotaraktose
(Keimverwirrung) ein. Diese Keimverwirrung — in der Natur bisher
nur als Folge der Inzucht bekannt, freilich auch experimentell erzeug¬
bar — hat allerhand Störungen des Gewebsaufbaus zur Folge. Da¬
durch ist nun auch die Brücke von den — pathologischen — Nävis
zur — normalen — Tierzeichnung geschlagen. Gegen die Lehre
Meirowskys ist eingewandt worden, daß, da im ganzen Tierreich
die Haut die verschiedensten Zeichnungen aufweise, auch einmal eine
zufällige Uebereinstimmung zwischen der Zeichnung zweier weit¬
auseinanderliegender Tierreihen Vorkommen könne. Für jeden Fall
sei der lückenlose Zusammenhang nachzuweisen. Dieser Einwand ist
nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen; auch sonst muß in
Einzelheiten die Meirowskysche Lehre modifikationsfähig sein, im
ganzen handelt es sich um einen großen Wurf, eine großzügige
Arbeit mit einer neuartigen befruchtenden Idee, die eine ganze
Forschergeneration zu neuen Arbeiten anregen wird.
Ernst Kretschmer (Tübingen!, Anthropologie und ihre An¬
wendung auf irztllche Praxis. M. m. W. Nr. 4. (Zu Scheidt in
M. m. W. 1921 S. 1653.) Der psychiatrische Praktiker Kann noch nicht
mit den exakten anthropologischen Meßmethoden arbeiten, er muß sich
zunächst auf anschauliche Beschreibungen der einzelnen Typen be¬
schränken.
P. Math es (Innsbruck), Konstitution und Vererbung erworbener
Eigenschaften. M. m. W. Nr. 4. Das Wesen der Konstitution besteht
in der Keimanlage. Diese Anlage ist von innen heraus, durch Teilung
und Paarung nur wenig, von außen gar nicht veränderlich. Die Ver¬
erbung erworbener Eigenschaften findet nicht statt.
Florschütz (Gotha), Konstitutionslehre und Lebensversichernngs-
medlzin. Kl. W. Nr. 3. Die Lebensversicherungsmedizin, die sich im
Laufe des Jahrhunderts auf den Grundanschauungen der Konstitutions¬
lehre jener Tage aufgebaut hat, verfolgt in ihren Forschungen nur rein
praktische Ziele, die vor allem der Prognosenstellung der Lebensdauer
der Menschen dienen. Sie bedient sich dabei der bis zur Vollkommen¬
heit ausgebauten Statistik, die natürlich auch ihre Fehler hat. Der
Konstitutionsbegriff ist für die Lebensversicherungsmedizin ein rein
quantitativer. Mögen dabei die Begriffe der Konstitution und Erblich¬
keit auch roh gefaßt erscheinen, so enthalten sie doch den wahren Kern,
den herauszuschälen stets die Aufgabe der klinischen Medizin sein wird.
N. A. Boltund P. A. Heeres (Groningen, Holland), Bildung von
Oallensteinen. Kl. W. Nr. 3. Versuch experimenteller Erzeugung von
Gallensteinen auf physikalisch-chemischer Grundlage an überlebender
mit modifizierter Ringerlösung durchströmter Froschleber ergab reich¬
lich Sekretbildung mit sofort auftretenden ziemlich steinartig struk¬
turierten Massen. Die Konkrementbildung ist wahrscheinlich aufMangel
an Kolloiden zurückzuführen. * Die Untersuchung von Lezithinbeigabe
zur äquilibrierten Salzlösung zeigte eine unverkennbare Tendenz der
Steine, in Lösung zu bleiben.
H. Opitz (Breslau), Blutzuckerspiegel nach intravenösen In¬
fusionen hochprozentiger Traubenzuckerlösnngen beim Kinde.
KI. W. Nr. 3. fcs wurden 50 gr Dextrose in 50°/ n Lösung injiziert,
d. h. 1,786 pro kg. Konzentrationsgrad der verwendeten Zuckerlösung
und Dauer der Infusion spielen offenbar für den Ablauf der Zucker¬
kurve keine große Rolle. Dagegen ist die absolute Menge von Bedeutung.
Erst nach einer Stunde war in den Versuchen der Zuckerspiegel wieder
auf das Ausgangsniveau gesunken, während bei Verwendung kleiner
Zuckermengen die Blutzuckerwerte nach Angabe aller Autoren schon
nach 15 Minuten den Nüchternwert wieder erreichen. Ein diuretischer
Effekt war in 4 von 5 Fällen zu bemerken. Eine therapeutische Wir¬
kung in einem Falle von Herzinsuffizienz war nicht nachweisbar.
H. Koenigsfeld (Freiburg i. Br), Antitrypsin bei’Bestrahlungen
mit künstlichet Höhensonne. Kl. W. Nr. 2. Aus in 21 Fällen ange-
stellten Untersuchungen ergibt sich, daß bei Bestrahlungen mit künst¬
licher Höhensonne Veränderungen im Antitrypsingehalt des Blutes
nachzuweisen sind, die aber sekundär von Veränderungen in der Zahl
der polymorphkernigen Leukozyten abhängig sind.
L. Pincussen (Berlin), Beeinflussung des Kohlehydratstoft-
Wechsels durch Strahlung. Kl. W. Nr. 4. Der Blutzucker entsprechend
sensibilisierter und belichteter Tiere nimmt deutlich ab. Verwandte
Energien, so die elektrische in Form des galvanischen Stromes oder
des Diathermiestromes, führen zu ganz analogen Resultaten. Auch ein
zweiter Prozeß, Mobilisierung von Zucker aus den Depots wurde be¬
obachtet.
Pathologische Anatomie.
Ugo Par di (Pisa), Leukozytflre Einschlüsse bei Encephalitis
lethargica* Zbl. f. Bakt. Abt. I Orig. 87 H. 6. Den von Hilgermann,
Lauxen und Shaw bei Encephalitis lethargica beschriebenen Zell¬
einschlüssen kommt keine ätiologische Bedeutung zu. Derartige Ein¬
schlüsse kommen nicht nur bei verschiedenen Krankheiten vor, sondern
lassen sich auch experimentell durch toxische Reize erzeugen.
Mikroben- und Immunititslehre.
G. Henning (Breslau), Tierexperimentelle Untersuchungen
an Reknrrenssplrochlten. Kl. W. Nr. 3. Untersuchungen an einer größeren
Anzahl mit afrikanischer Rekurrens geimpfter weißer Mäuse lassen
morphologisch 2 Untergangsformen der Spirochäten erkennen, die der
„geradachsigen" und der „Einrollungsformen". Die geradachsigen
Formen werden überall in den Venen und Kapillaren angetroffen, die
anderen nur in einigen inneren Organen (Leber und Milz), und zwar
nur in den feinsten Gefäßräumen, nicht in den Venen. Ein aktives
Austreten von Spirochäten aus der Blutbahn ins Gewebe und Ein¬
dringen in Zellen findet nie statt. Die Abräumung der Spirochäten¬
trümmer geschieht durch Phagozytose. Bei Salvarsanbehandlung finden
sich in der Leber Kapillaren zu einem Zeitpunkt, wo die Venen schon
spirochätenfrei sind, noch reichlich Spirochäten bzw\ Spirochäten¬
trümmer.
Tai Watanabe (Prag), Natur des bakteriophagen Virus. W.kl. W.
Nr. 3. Bringt man auf eine gleichmäßig mit Koli ’o. ä. beimpfte Agar¬
platte die auf Bakteriophagen zu untersuchende Flüssigkeit tropfenweise
auf, so entstehen entsprechend den Tropfen scharf geschnittene Löcher.
Peritonealflüssigkeit von mit Koli geimpften Meerschweinchen ruft,
w r enn sie auf Koliplatten ausgegossen wird, sodaß es die ganze Platte
bedeckt, nicht allgemeine Wachstumshemmung hervor, sondern nur an
bestimmten Stellen. Das spricht dafür, daß der Bakteriophage nicht
gleichmäßig im Exsudat verteilt ist und daß es sich nicht um ein ge¬
löstes Substrat handeln kann, sondern daß die Bakteriophagie an körper¬
liche Elemente gebunden ist.
A. Buschke und E. Langer (Berlin), Wirkungsweise und Altern
der Vakzine (speziell bei Gonorrhoe). Kl. W. Nr. 3. Von frisch her-
gestellter Vakzine heterogener und polyvalenter Art hahen Buschke
und Langer günstige Eindrücke erhalten. Wenn auch in keinem Falle
Heilungen, so sahen sie doch günstige Beeinflussung des ganzen Krank-
heitsbildes, und zwar bei Nebenhodenentzündungen und in einzelnen
Gelenkerkrankungsfällen, während die therapeutische Wirkung auf
Samenblasen, Prostata und Harnröhre doch recht zweifelhaft erscheint.
Durch Vergleichsuntersuchungen haben die Autoren die Ueberzeugung
gewonnen, daß frische heterogene und polyvalente Vakzine viel ener¬
gischer und kräftiger wirkt als alte Vakzine^ ebenso aber auch als die
parenterale Proteinkörpertherapie. Es scheint sicher, daß die Vakzine
durch Lagern altert und daß eine Autolyse der Vakzine eintritt. Die
Schnelligkeit der Autolyse hängt ab: 1. von der Konservierungsform
und 2. von der Empfindlichkeit der Bakterienleiber, sodaß die leicht
empfindlichen Gonokokken in den meisten Präparaten viel schneller
zerfallen als die widerstandsfähigen Typhusbazillen. Durch die fort¬
schreitende Autolyse dürften auch die spezifisch wirkenden Substanzen
bald verschwinden, Verfasser empfehlen Kontroll- und Prüfungsma߬
nahmen der fabrikmäßig hergestellten Vakzine.
Johann Hammerschmidt (Graz), KomplemeatkonserviMof.
M. m. W. Nr. 4. (Zu Klein in M. m. w. Nr. 45). Das Komplement¬
serum wird steril entnommen und aufbewahrt. Das mit Natr. acetic.
konservierte Komplement wird noch innerhalb einer Woche verwendet,
ein Komplementschw'und tritt dann nicht ein.
Strahlenkunde.
Lehmann (Rostock), Zur Tiefendosimetrie. M. m. W. Nr. 4. (Zu
M. m. W. Nr. 41 und 48). Dieselbe Schablone hat Verfasser schon 1920
in Nr.'14 beschrieben, zur gleichen Zeit machte Hol fei der seinen
Felderwähler bekannt, der jetzt auch die Abnahme der Tiefendosis
nach dem Rande des Strahlenkegels zu berücksichtigt. Letzten Endes
ist die Dosimetrie ein biologisches Problem, der menschliche Körper
ist eben nicht homogen und von gleichen Flächen begrenzt.
Allgemeine Diagnostik.
Brnuo Engelmann (Berlin), Ist die Qlyzerinreaktlon nach Qabbe
ein Indikator des Lipoidffehaltes im Blute nach Injektion körper¬
fremder Stoffe? M. m. W. Nr. 4. (Zu M. m. W. Nr. 43.) Nach
Fettmahlzeit zeigt das Serum bei Ueberschichtung mit Glyzerin einen
Digitized b
Google
Original from
CORNELL UNfVERSITY
23. Februar 1922
LITERATURBERICHT
271
deutlichen Ring. Nach Injektion körperfremder Stoffe, wie Kollargol,
Argochrom, Pferdeserum usw. tritt bei fettfreier Kost fast niemals die
Reaktion auf, ein Indikator für den Lipoidgehalt des Serums ist sie
nicht. Als Dosierungsmethode für die Reizkörpertherapie nicht geeignet.
Georg Straßmann (Berlin), Darstellung der Hämochromogen-
kristalle nach Takayama. M m. W. Nr. 4. Reagenz aus Trauben-
zucker, Natronlauge und Pyridin. Die Methode ist für forensische
Zwecke gut brauchbar. Japanische Zschr. f. Staatsarzneikunde 1912.
P. Holzer und H. Mehner (Chemnitz), Quantitative Bilirubin-
bestimmnngsmethoden im Blote. Kl. W. Nr. 2. Vergleich der Ver¬
suchsergebnisse nach den Methoden von H. von den Bergh, Hasel¬
horst und Meulengracht.
G. Steiner (Heidelberg), Spirochätendarstellnng im Gefrierscbnitt*
M. m. W. Nr. 4. 24 Std. in 0,i°/ o iger Silbernitratlösung, 4-6 Std. in
5%iger Hydrochinonlösung. Ausführliche Beschreibung der Methode.
Allgemeine Therapie.
♦♦ A-B-C-Ratgeber für Badereisende. Die deutschen Kurorte,
ihre Heilmittel und Einrichtungen. Oeynhausen, Bäderverlag, 1921.
264 S. Ref.: Win ekler (Nenndorf).
Dieses handliche Büchlein enthält von Balueologen verfaßte all-
g emeinverständliche Aufsätze, die vom Badearzt Dr. Scheibner in
>eynhausen zu einem abgerundeten Ganzen vereinigt worden sind.
Der Zweck dieser nach alphabetischer Reihenfolge der Themata an-
f eordneten Aufsätze, Kurgästen Belehrung über die Heilmittel und die
inrichtungen deutscher Kurorte nebst Ratschlägen für deren zweck¬
mäßige Benutzung zu geben, ohne badeärztlichen Rat überflüssig zu
machen, wird erreicht, und es ist anzunehmen, daß dieser A-B-C-Rat-
geber beim Publikum ebenso freundliche Aufnahme finden wird wie
der im gleichen Verlage (Spiro) früher erschienene A-B-C-Führer für
Bad Oeynhausen, der mehrere Auflagen erlebt hat. Der vorliegende
neue A-B-C-Ratgeber wird auch Aercte interessieren, weil darin die
brauchbarsten balneologischen Kurmethoden nach neuestem Stand¬
punkt eingehend beschrieben sind: z. B. sind die Winke, die San.-Rat
Meuser (Ems) über Inhalationen, Nasenspülungen und Gurgelungen
gibt, überaus wertvoll. Auch was Dr. Cornet (Reichenhall) über
pneumatische Kammern, was Dr. van Oordt (Bühlerhöhe) über
Freiluftkuren, was Dr. Lichtwitz (Thalkirchen) über Sandbäder
schreibt, beruht auf Erfahrung, ist nützlich und lehrreich. Der Anhang
„Bäder-Beschreibung“, ein Verzeichnis deutscher Kurorte nebst kurzer
Charakteristik, ist der schwächste Teil des Buchs, weil infolge der
Knappheit des Raumes lückenhaft; dieser baineographische Abschnitt
müßte bei künftigen Auflagen vervollständigt werden oder w'egfallen.
Wolfgang Weichardt (Erlangen), Proteinkörpertherapie. M.
m. W. Nr. 4. Die Proteinkörpertherapie muß im Sinne einer Lüftungs¬
steigerung betrachtet werden. Es handelt sich um eine Sensibilisierung
von Zellen oder Organen, sodaß diese sich anders verhalten als normale.
L. Heß und R. Reitler (Wien), Innere Desinfektion. W. kl N W.
Nr. 3. In den letzten Jahren ist von mehreren Seiten den oligo¬
dynamischen Metallwirkungen besondere Beachtung geschenkt
worden, die darin bestehen, daß starre oder flüssige Medien bei Be¬
rührung mit Metallen (Cu, Ag u. ä.) die Fähigkeit annehmen, Bakterien
abzutöten. Heß und Reitler versuchen, diese Ergebnisse für die
innere Desinfektion des Köroers dienstbar zu machen. Zunächst konnten
sie feststellen, daß große Mengen Na CI-Lösung, die mit Metallen in
Berührung — also oligodynamisch geworden — waren, von Ratten
ohne Schaden vertragen wurden. Es ergab sich nun aber die Schwierig¬
keit, daß die oligodynamischen Wirkungen in kolloidalen Lösungen,
wie es die Körperflüssigkeiten sind, fast vollständig aufgehoben werden
(wahrscheinlich durch Anlagerung der feinsten, in Lösung gegangenen
Metallteilchen an die Kolloidteilchen). Die Verfasser machten nun den
Versuch, ob Ambozeptoren oder Komplement oligodyname Wirkungen
annehmen. Tatsächlich zeigt das Komplement spezifische Affinität zu
oligodynamischen Metallösungen (NaCl-Lösung, die mit Kupfer in Be¬
rührung war). Es gelang z. B. in vitro, die Wirkung von Antistrepto¬
kokkenserum durch Zusatz von „Cu-Wasser" zum Komplement zu
erhöhen. Dies scheint ein aussichtsreicher Weg zu sein, um die
oligodynamischen Metallwirkungen therapeutisch dienstbar zu machen.
K. Schlaepfer (Zürich), Vereinfachte Methode der indirekten
Bluttransfusion (Brown-Percy). Arch. f. klin. Chir. 117 H. 3. Vor¬
gängig jeder Bluttransfusion wird in Amerika stets die Agglutinations¬
probe vorgenommen. Das Prinzip der Brown-Percyschen Bluttrans¬
fusionsmethode besteht darin, daß das Blut des Spenders in einem am
unteren Ende spitz in eine Kauüle auslaufenden Glaszylinder aufgezogen
wird. Kapazität 6— 700 ccm. Dieses Blut wird dem bereitliegenden
Empfänger unverändert sofort in die Armvene hineingepreßt. Vorsicht
ist geboten beim Einfließenlassen des Blutes: zu rasches Einfließenlassen
kann zu akuter Dilatation des rechten Herzens führen, zumal der All¬
gemeinzustand des Empfängers (langes Krankenlager, Kachexie) sehr
in Berücksichtigung, gezogen werden muß. Zum Schluß teilt Verfasser
aus der Züricher chirurgischen Klinik drei Todesfälle nach Bluttrans¬
fusion nach der Zitratmethode mit, die der oben beschriebenen Methode
unterlegen ist.
Philipp und Carthaus (Berlin), Wirkung oszillierender Ströme
auf Bakterien und Protozoen, insbesondere in Lösungen von
Jodsalzen. Zschr. f. physik. diät. Ther. H. 12. Experimentelle, sehr
eingehende Untersuchungen über kombinierte Wirkung von JNa und
oszillierender Ströme auf Kokken, Bakterien, Bazillen; sie lassen sich
dadurch abtöten. Da die Elektrolyte der Ströme nicht wie beim gal¬
vanischen Strom zu den Polen wandern, sondern in der durchströmten
Strecke frei werden und Mikroorganismen und Protozoen schädigen,
ist ein Weg gezeigt, im Innern des menschlichen Körpers eingefünrte
Arzneimittel zu zerlegen und so stärker wirken zu lassen.
Boruttau (Berlin), Ernlllirang der Nervensubs tanz. Zschr.f.physik.
diät. Ther. H. 12. Experimentelle Untersuchungen über Ernährung mit
Gehirn und Rückenmark der Schlachttiere, wobei es darauf ankommt,
nicht nur die Lipoide und Phosphatide, sondern auch etwaige noch
unbekannte höchst wichtige Stoffe zu erfassen. Die mit einem derartigen
Präparat „Promonta" angestellten Tierversuche werden mitgeteilt.
G. Joachimoglu (Berlin), Dosis letalis des Arseniks. KI. W.
Nr. 4. Eine Arsenikvergiftung nach gleichzeitiger Einnahme von 1,4 g
Morph, hydrochlor. und 12 g A^O,, bei der weder Erbrechen noch
Durchfall eingetreten war und eine Magenausspülung erst nach 24 Stun¬
den vorgenommen werden konnte, lehrt, daß auch eine große Menge
Arsenik, auch wenn kein Erbrechen eintritt, nicht unbedingt zum Tode
führen muß. Als Dosis letalis des Arseniks nimmt man sonst im all¬
gemeinen für einen erwachsenen Menschen 0,1—0,2 g an.
J. Schneyer (Badgastein), Biologische Wirkungen des Bad¬
gasteiner Thermalwassers. Zschr. f. physik. diät. Ther. H. 12. Die
Prüfung der Wirkung auf die Leukozyten und die Salzsäuresekretion
des Magens soll ergeben, daß die Hauptwirkung der Badgasteiner
Therme nicht ihrem Gehalt an Radiumemanation zuzuschreiben ist.
Paul Trendelenburg (Rostock), Gehalt der Hypophysenhinter-
lappen*Extrakte an uteruserregenden Substanzen. M. m. W. Nr. 1.
Die gebräuchlichsten Handelspräparate von Hypophysenhinterlappen-
Extrakten wurd’n am Uterus des Meerschweinchens auf ihre wehen-
anregende Wirksamkeit geprüft und mit einer selbstbereiteten Standard¬
lösung und mit Histamin verglichen. Die Handelsextrakte erwiesen
sich als außerordentlich minderwertig.
Fritz Kalberlah (Hohenmark i. Taunus), Mittel und Wege,
die Wirksamkeit des Salvarsaos auf das erkrankte Nervensystem
z u verstärken. M. m. W. Nr. 4. Bei Kombination des Salvarsans mit
neurotropen Farbstoffen, wie Methylenblau u. a., die auf das Spezi¬
fikum bahnend wirken sollen, findet sich Salvarsan in größerer Menge
und länger als sonst im Zentralnervensystem der Versuchstiere. Zu
erforschen sind noch Wege, auf denen es gelingt, die Permeabilität
der Zellen für das Salvarsan zu erhöhen, z. B. Entzündungen und
Fieber.
A. Neustadt und E. Stadelmann (Berlin), Wirkungsunterscbiede
von Tuberkulinen verschiedener Herkunft und Tuberkulinschäden
nach diagnostischen Tuberkulininjektionen. Kl. W. Nr. 4. Ein
Tuberkulin von absoluter Zuverlässigkeit gibt es nicht. Dem A. T. H.
scheint die relativ höchste Zuverlässigkeit d. h. Giftigkeit zuzukommen.
Die probatorischen Tuberkulinreaktionen erwiesen sich, abgesehen von
ihrer Gefährlichkeit bei wirklich vorhandenen tuberkulösen Lungen¬
herden, in ihrem Ausfall als durchaus launenhaft, unberechenbar und
unzuverlässig. Die Vermutung liegt nahe, daß es sich auch bei der
Tuberkulinreaktion letzten Endes nur um eine unspezifische Reizwirkung
parenteral eingeführter körperfremder Polypeptide handelt, was schon
von Schmidt vermutet wurde. — Der Wert der diagnostischen Tuber¬
kulinreaktion erscheint viel zu gering im Verhältnis zu den durch
sie möglicherweise angerichteten Schäden. Neustadt und Stadel-
mann kommen zu einer vollständigen Ablehnung der diagnostischen
Tuberkulinreaktionen.
Innere Medizin.
♦4 Sigm. Freud (Wien), Sammlung kleiner Schriften zur
Neurosenlehre» 2. Folge. 3. Aufl. Wien, Fr. Deuticke, 1921.
206 S. M. 35.-. Ref.: Voß (Düsseldorf).
In der zweiten Folge der Schriften zur Neurosenlehre, die soeben
in der 3. Auflage vorliegt, finden sich Arbeiten des Wiener Forschers
aus den Jahren 1906—1909, neben dem bekannten „Bruchstück einer
Hysterie-Analyse“. Die meisten Aufsätze beschäftigen sich mit dem
sexuellen Gebiet. Immer wieder versucht Freud den Nachweis
zu führen, wie eng der Zusammenhang zwischen dem Geschlechts¬
leben und den Neurosen sei. Besonders beachtenswert erscheinen
mir die Ausführungen über die sexuelle Aufklärung der Kinder,
ebensQ auch die über die „kulturelle Sexual-Moral und die moderne
Nervosität“. Wohl mehr populär als medizinisch geschrieben ist
der Aufsatz „über den Dichter und das Phantasieren“, in dem Freud
die Phantasie des Dichters mit dem Tagtraum auf eine Stufe stellt.
R. Huß (Stockholm), Leukozyteozahl bei Encephalitis epidemica.
W. kl. W. Nr. 3. Im Gegensatz zu anderen~Angaben'nur~normale oder
subnormale Werte. Ein einziges Mal 15000 Leukozvten. Lymphozyten
wechselnd 30-70%. F y
M. Mayer (Hamburg), Behandlung der Bilharzinkrankheit mit
Emetin. W.kl. W. Nr.3. Tsykalas, Erwiderung. Ebenda. Priori¬
tätsansprüche Mayers werden zurückgewiesen. Die von Mayer ge¬
rühmte Behandlung mit Brechweinstein wird nach Erfahrungen an einem
größeren Material von Tsykalas zurückgewiesen.
E. Meyer (Oöttingen), Rektale Dlgitalisthernpie. Kl. W. Nr. >
Gute Erfolge werden mit rektaler Zuführung von reizlosen Digitalis
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
272
LITERATURBERICHT
Nr. 8
Präparaten (Digipuratum pro dosi 1 ccm in 10 ccm Wasser 2 bis 3mal
täglich und Digifolin) beobachtet, in Fällen, in denen die perorale
Zufuhr entweder nicht vertragen wurde oder infolge schlechter Re¬
sorption ohne Erfolg blieb. Der intravenösen Verabfolgung zieht
Verfasser die rektale vor: 1. bei ungünstiger Lage der Hautvenen und
hochgradigsten Oedemen, 2. bei Thrombose- und Emboliegefahr,
3. bei sehr langdauernder hepatischer Stauung, in Fällen, in denen
man nicht dauernd aus äußeren Gründen intravenös injizieren kann.
Adolf Kimmerle (Hamburg), Einfluß gewisser Lfcbtarteo auf
den gesteigerten Blutdruck. M. m. W. Nr. 4. Gleichstrombogenlamp’ten
von 40—50 Amp. Der Patient sitzt 50 cm vor der Bogenlampe. Es
kommt auf das Einatmen der bei den brennenden Lampen entstehenden
Gase an. Gute Erfolge bei Hypertonien, namentlich bei Nephro¬
sklerosen.
Prinzing (Ulm), Tuberkulose nach dem Kriege. Kl. W. Nr. 2.
Statistisch belegte Arbeit über Tuberkulose und Tuberkulosesterblich¬
keit nach dem Kriege.
G. Deusch (Rostock), Friedmano-Tuberkulosemittel und Lungen¬
tuberkulose. Kl. w. Nr. 3. In einer Reihe von Fällen, in welchen von
einer spezifischen Behandlung eine dauernde günstige Beeinflussung
erwartet werden durfte, vermochte das Friedmannsche Mittel keine
anhaltende Umstimmung hervorzurufen, sondern die Tuberkulose ver¬
lief vielfach nach vorübergehender Besserung unbeeinflußt von dem
Mittel. Andererseits wurde in einigen wenigen Fällen eine dauernde
günstige Beeinflussung des Allgemeinbefindens wie des Lungenbefundes
gesehen, die Verfasser nicht als spontane Remission, sondern als Wirkung
der Vakzine betrachtet.
W. Smith (Dresden), Beteiligung der Bauchdecken bei der Lum¬
bago. Zschr. f. physik. diät. Ther. H. 12. Sorgfältige klinische Be¬
obachtungen haben dazu geführt, daß der Sitz der Erkrankung in den
Bauchdecken sein kann. Deshalb sind diese durch Abtasten mit kräf¬
tigem Drucke im Stehen zu ermitteln. Diagnostische und therapeutische
Einzelheiten.
H. Smidt (Jena), Röntgenologische Untersuchungen über das Ver¬
halten des Magens während des Qallensteinanfalls. Arch.f.klin.Chir.
117 H. 3. Der hochgradige Erregungszustand, in dem sich im Anfall
die Gallenblase befindet, teilt sich dem Magendarmtraktus auf reflek¬
torischem Wege mit und führt dann zu gleichgearteten hypertonischen,
hyperperistaltischen und spastischen Irritationen, die unserer Beobach¬
tung oei der Röntgenuntersuchung am Magen besonders leicht zugäng¬
lich sind. Mit Nachlassen oder Aufhören des Anfalls sehen wir am
Magen einen Erschöpfungszustand eintreten. Der Symptomenkomplex,
den wir als Folge des Kolikanfalls bei unseren Untersuchungen am
Magen feststellen, ist als akute Reflexneurose zu deuten.
E. Wolf (Berlin), Röntgendiagnose des snbkardialen Ulkus an der
kleinen Kurvatur durch linke Seitenlage. Kl. W. Nr. 3.
G. Katsch und L. v. Friedrich (Frankfurt a. M.), Bauchspeichel¬
fluß auf Aetherreiz. Kl. W. Nr. 3. 1. Spritzt man zirka 2—4 ccm
Aether durch die Einhornsche Sonde ins Duodenum, so erhält man
schnell und reichlich Pankreassaft. Er ist fast rein, enthält daneben
nur geringe Mengen Lebergalle. 2. Auch bei funktionellen Hypochylien
des Pankreas erhält man auf Aetherreiz reichlich Bauchspeichel. 3. Bei
Achylia gastrica ist das Verhalten der Pankreassekretion wechselnd.
Neben Verminderung der Saft- und Fermentproduktion kommen an¬
scheinend auch Vermehrungen vor. Für die Diarrhoen mancher Achy-
liker ist nicht die Unterfunktion des Pankreas bestimmend. 4 . Unter
fünf Diabetikern zeigte sich nur bei einem im Duodenalinhalt eine
wesentliche Minderung des Gehaltes an Trypsin und Steapsin.
Max Bürger (Kiel), Cbolämlsche Llpämie. M. m. W. Nr. 4. Bei
mechanischem Ikterus findet sich eine Vermehrung der Gesamtserum¬
fette einschließlich der Lipoide ohne Trübung des Serums, bei hämo¬
lytischem Ikterus fehlt diese Vermehrung. Mit zunehmender Dauer
des Choledochusverschlusses wird die Veresterung des Blutcholesterins
schlechter.
E. Reiß (Frankfurt a. M.), Pathologische Physiologie der chro¬
nischen Obstipation. Kl. W. Nr. 3/4. Uebersichtsmitteilung.
W. Loli (Wien), Diagnose der Darmtuberkulose. W. kl. W. Nr. 3.
300 Fäzesuntersuchungen bei Phthisikern ergaben, daß die Blutunter¬
suchung (Guajak- und Benzidinprobe) ermöglicht, ulzeröse Prozesse
von atrophischen Darmkatarrhen zu unterscheiden. Die Untersuchung
auf Tuberkulosebazillen hat keinen diagnostischen Wert, da die
Menge der gefundenen Bazillen sich nach der Menge des verschluckten
Sputums richtet.
F. Schöning (Jena), Behandlung der Erytbrämie mittels
Röotgenstrahlen Kl. W. Nr. 4. Mit der in der medizinischen Poli¬
klinik in Jena geübten Bestrahlungstechnik wurden in 3 Fällen von
Erythrämie gute Erfolge gesehen. Eine genaue Kenntnis der Leistungs¬
fähigkeit der Apparate und eine stete Kontrolle derselben ist unbe¬
dingt notwendig. In therapeutischer Hinsicht ist die Bestrahlung der
Röhrenknochen und des Sternums zu berücksichtigen. Während und
nach der Behandlung Kontrolle des Blutbildes.
E. Grafe (Rostock), Maligne Lymphdrüsenerkranknngen. Kl. W.
Nr. 2. Auf Grund sorgfältiger Untersuchungen an einer Reihe afebriler
Kranken kommt Verfasser zu dem Ergebnis, daß „sowohl Lympho¬
granulomatose wie Kundratsches Lymphosarkom und echtes Lymph-
drüsensarkom in der Regel zu einer ausgesprochenen Stoffwechsel¬
steigerung führen.« Diese Stoffwechselsteigerung ist vorläufig am
zweckmäßigsten als eine toxische aufzufassen. Für die Praxis ergibt
sich, daß auf ausreichende Ernährung solcher Kranken weit mehr als
bisher zu achten ist (45—50 Bruttokalorien pro kg Körpergewicht).
B. Uedinghoff (Freiburg i. B.), Fall von renalem Diabetes.
Kl. W. Nr. 3. Kasuistik.
Schede (München), Rheumatismus und Körperhaltung. Jkurs. f.
ärztl. Fortb. 1921 Dez. Schede definiert Rheumatismus als eine Er¬
krankung, die sich besonders in den Bindegewebssubstanzen des Körpers
bemerkbar macht, verschwindet und wiederkehrt, dabei Körperstellen
bevorzugt, die bereits eine Schädigung erfahren haben. Muskelrheuma¬
tismus ist eine der häufigsten Ursachen der Haltungsanomalien und
Skoliosen. Schlechte Haltung schafft in allen Muskeln und Gelenken,
die für die aufrechte Haltung von Bedeutung sind, eine Disposition
für rheumatische Erkrankung. Rheumatismus ist die Rachitis des
Erwachsenen.
J. Brennsohn (Riga), Chronische ankylosierende Wirbelver-
stelfnng. M. m. W. Nr. 4. 1 Fall mit Kombination des Bechterew¬
schen und des Pierre Marie-Strümpellschen Typus, Aetiologie ganz
unklar. 1 Fall der ziemlich reinen Strümp eil sehen Form, als Ursache
wahrscheinlich Gonorrhoe. Das Röntgenbild zeigt deutlich die hoch¬
gradige Verknöcherung des Bandapparates an der Wirbelsäule. Thera¬
peutische Beeinflussung beider Fälle unmöglich. Siehe Abbildungen.
H. Böge (Magdeburg), Echinokokkus der Wirbelsäule und des
Rückenmarks. Kl. W. Nr. 4. Kasuistik.
F. Göppert (Göttingen), Beteiligunng der Hirnhäute bei den
fieberhaften Erkrankungen der oberen Luftwege. Kl. W. Nr. 2. Durch
regelmäßige Prüfung des Kernigschen Symptoms wurde bei einer
großen Zahl von Kindern, die an den üblichen akuten fieberhaften
Erkrankungen der oberen Luftwege litten, eine Beteiligung der Hirn¬
häute festgestellt. Häufig verschwand das Zeichen mit der Entfieberung,
recht oft blieb es jedoch nach Verschwinden sämtlicher anderer Krank¬
heitserscheinungen noch wochenlang bestehen. In letzteren Fällen sah
man bei vorzeitigem Aufstehen Mattigkeit, Verdrießlichkeit und Kopf¬
schmerzen. Es besteht der Eindruck, daß es sich in der Mehrzahl um
konstitutionell reizbarere Kinder handelt als gewöhnlich.
Klieneberger (Königsberg), Pathogenese der epileptischen
Krampfanfälle. Allg. Zschr. f. Psych. 77 H. 6. In Anlehnung an die
Befunde Fischers, der auf Grund von Tierexperimenten nach Re¬
duktion der Nebennierensubstanz eine Abnahme der Krampffähigkeit
des Organismus fand, tritt Verfasser auch beim Menschen für eine
zentrale im Gehirn liegende und eine peripherische Komponente des
Krampfanfalls ein, die durch Störungen der inneren Sekretion und
Nebennierenfunktion bedingt wird. Auch die häufigen Stoffwechsel¬
schwankungen und Stoffwechselstörungen bei Krampfkrankheiten
sprechen für eine Beteiligung der Drüsen mit innerer Sekretion. Von
Brüning wurden entsprechend dieser Theorie nach operativer Redu¬
zierung der Nebennierensubstanz beim Menschen Besserungen der
Krampferscheinungen erzielt.
Curschmann (Rostock), RlndenepilÖpale bei multipler Sklerose.
Kl. W. Nr. 2. Kasuistik.
R. Cassierer (Berlin), Halsmoskelkrampf und Torsionsspasuuis.
Kl. W. Nr. 2. Auf Grund von zwei Beobachtungen, bei denen echter
Halsmuskelkrampf mit motorischen Störungen, abnormem Spannungs¬
zustand der Muskulatur, Haltungs- und Bewegungsanomalien, Verlang¬
samung der Bewegungen, ferner mit motorischen Reizsymptomen, je¬
doch ohne jedes Zeichen einer Läsion der Pyramidenbahn, verbunden
waren, glaubt der Verfasser, daß der Halsmuskelkrampf in Beziehung
zum sogenannten striären Symptomenkomplex gebracht werden, daß
er eine Erscheinungsform der Dystonie sein'kann. Die mikroskopische
Untersuchung des Gehirns in dem einen Falle ergibt mit Sicherheit ein
anatomisches Substrat mit einer gewissen Bevorzugung des Corpus
Striatum.
H.Biberstein (Breslau), Mammasekretion und »krlsen*b ei Tabes.
KL W. Nr. 2. Mitteilung eines Falles von Mammasekretion und -krisen
bei ausgesprochener Tabes. Aus der Literatur wurden 4 weitere bisher
beobachtete Fälle erwähnt. Sämtliche Fälle sind in Bezug auf Sekretion,
Schmerzen und krisenhaftes Auftreten mehr oder weniger verschieden.
Nick (Berlin), Erfolgreiche Behandlung einer schweren akuten
Benzolvergiftnng durch Lezithinemulsion. Kl. W. Nr. 2. In einem
Falle einer durch 80 g getrunkenes Benzol hervorgerufenen schweren
Vergiftung wurde auffallende Besserung nach intravenöser Injektion
von 5 ccm 10°/ o steriler Lezithinölemulsion (Merck) beobachtet. Die
eingenommene Menge von 80 g übersteigt wahrscheinlich weit die
gewöhnliche toxische und letale Dosis. 24 Stunden nach der Einnahme
des Giftes bestand nur noch eine leichte Albuminurie und Gesichts¬
rötung. Die Benzolvergiftung gleicht einer tiefen Narkose, sie ist zu¬
rückzuführen auf die große Affinität des Benzols zu den Lipoidsub¬
stanzen. Ob das Lezithin das noch im Blute kreisende Benzol bindet,
oder ob es imstande ist, bereits in den Zellen verankertes wieder an
sich zu reißen und so direkt entgiftend zu wirken, läßt Verfasser noch
dahingestellt.
Chirurgie.
++ Carl Garrä (Bonn) und A. Borchard (Berlin), Lehrbuch der
Chirurgie. 3. Aufl. Leipzig, F. D. W. Vogel, 1921. 752 Seiten mit
564 Abbildungen. M. 120.—. Ref.: Schmieden (Frankfurt a. M.).
Als vor D/z Jahren das Lehrbuch Garrfe und Borchard erschien,
da konnte man ihm von vornherein eine ausgezeichnete Prognose
Digitized b'
Google
Original from
CORNELL UNfVERSITY
23. Februar 1922
LITERATURBERICHT
273
stellen. In seltener Meisterschaft war es_ gelungen, auf das Schärfste
das Wesentliche vom Unwesentlichen zu trennen und auf diese Weise
aus dem großen Gebiete unserer Chirurgie inkl. Gliederchirurgie
und Operationsieh re das auszu wählen, was für den Studenten wissens¬
wert und zugleich das notwendige Kenntnisgebiet des praktischen
Arztes ist. Es überrascht daher den Sachkundigen nicht, daß das
Buch eine Auflage nach der andern erlebt und besonders in heutiger
Zeit glänzend reüssiert, in welcher es nicht jedem Arzt oder Stu¬
denten möglich ist, sich eine mehrbändige Chirurgie zu kaufen.
Neben der ausgezeichneten Themataauswan! hat es aie große, lang¬
jährige Lebenserfahrung der beiden Autoren ermöglicht, in jedem
einzelnen Kapitel das Wichtigste in der denkbar knappsten Form und
doch inhaltreich darzustellen, sodaß auch der Fachchirurg über alles
Wichtige seine Belehrung in den einzelnen Kapiteln empfängt. Wir
akademischen Lehrer empfehlen daher mit gutem Gewissen das
vortreffliche Buch für alle unsere Hörer und Fortbildungsschüler und
wünschen ihm mit zunehmender Auflagenzahl, wenn möglich ohne
Vermehrung seines Gesamtumfanges, eine weitere segensreiche Fort¬
entwicklung.
J. F. S. Esser (Berlin). Schosterspanverbände bei Gesichtsplastiken.
Arch. f. klin. Chir. 117 H. 3. Technische Mitteilung.
Alfred Staub (München), Fixationsschiene bei Verletzungen
der Fiagerstrecksebne. M. m. W. Nr. 4. Da eine völlige Auffaserung
der Sehnenenden an der Rißstelle angenommen wurde, Verzicht auf
Sehnennaht. Dorsale Schiene aus Duranabronze, die der Finger in
Hyperextension fixiert Siehe Abbild. Gutes funktionelles Resultat.
J. F. S. Esser (Berlin), Oben gestielter Arteriaangnlarislappen ohne
Hantstiel. Arch. f. klin. Chir. 117 H. 3. Technische Mitteilung mit
ausgezeichneten Abbildungen.
W. Boß (Breslau), Embollsche Aneurysmen. Arch. f. klin. Chir.
117 H. 3. Mitteilung je eines Falles von Arrosionsaneurysma und
embolischem Aneurysma. Die sogenannten Arrosionsaneurysmen stellen
eine seltene Form der Aneurysmen dar, bei denen die Bildung des
Aneurysma durch arrodierende, pathologische Veränderungen zustande
kommt, die von außen her auf umschriebene Stellen der Arterienwand
einwirken. Gleichfalls selten, namentlich an den Extremitätenarterien,
gelangen Aneurysmen zur Beobachtung, die ihre Entstehung Bakterien
enthaltenden Emboli verdanken, die von endokarditischen Klappenauf¬
lagerungen losgerissen werden und eine von der äußeren Schicht der
Gefäßwand nach dem Innern fortschreitende Periarteriitis setzen. Der
klinische Verlauf solcher Aneurysmen ist mitunter recht stürmisch.
Treten bei Kranken mit akuter oder chronischer Endokarditis an der
Teilungsstelle eines Gefäßes Zeichen einer Embolie auf, und entwickelt
sich hier eine pulsierende Anschwellung, über der man noch Gefä߬
geräusche feststellt, so. muß man an das Vorliegen eines embolischen
Aneurysmas denken. Die operative Behandlung embolischer Aneurys¬
men kommt nur bei Aneurysmen der Extremitäten in Frage, ein Erfolg
bleibt im Allgemeinen aus.
Am re ich (Wien), Direkte Herzmassage. W. kl. W. Nr. 3. 1 Fall.
Herztod bei Sakralanästhesie, bei der die Injektionsflüssigkeit versehent¬
lich in den abnorm ausgedehnten Duralsack gelangt war* Erste Herz¬
massage brachte das Herz zur Aktion. Nach % Stunde wieder Aus¬
setzen. Erneute Herzmassage blieb erfolglos. Dabei Abriß eines
Päpillarmuskels (Obduktionsbefund).
Jehn (München), ChirurrIsche Behandlung der Entzündungen des
Thorax und seiner Organe. Jkurs. f. ärztl. Fortb. 1921 Dez. Nach einer
Besprechung der Entzündungen der Brustwand und der Pleura schildert
Jehn ausführlich die Erfolge der chirurgischen Behandlung bei ent¬
zündlichen Prozessen der Lunge. Ausgezeichnet sind die Erfolge der
Sauerbruchsehen paravertebralen Rippenresektion (Operationsmor¬
talität 2%). Die paravertebrale Thorakoplastik über dem Oberlappen
einer erkrankten Lunge stellt in Kombination mit dem Pneumothorax
im Unterlappen ein Ideal verfahren in solchen Fällen dar, in welchen
der Pneumothorax über dem Unterlappen gelingt, über dem Ober¬
lappen aber infolge Adhäsionsbildung unmöglich ist. Chirurgische
Oeffnung der Kavernen verwirft Jehn, auch Bronchiektasien eignen
sich nicht zur operativen Therapie, desgleichen tritt Jehn nicht für
die Jakobaeusschen Vorschläge, strangförmige Adhäsionen endo-
thorakal und galvanokaustisch zu lösen, ein. Mit einer richtig aus¬
geführten chirurgischen Behandlung gelingt es, 35 °/ 0 der Schwertuber¬
kulösen zur Heilung zu bringen.
Wildegans (Berlin), Thoraxresektionen wegen veralteter Pleora-
empyeme. Arch. f. klin. Chir. 117 H. 3. Ist ein richtig behandeltes
Empyem bei von Zeit zu Zeit ausgeübter Kontrolle über die Kapazität
der Höhle nach 3 Monaten nicht zur Heilung gekommen, und zeigt
die Fistel keine Schließungstendenz, dann ist der Zeitpunkt gekommen,
um die sezemierende Höhle durch einen radikalen Eingriff zu beseitigen.
Die ausgedehnte Rippenresektion ist eine erfolgreiche Operation, die
in der Regel in einer Sitzung durchgeführt werden kann. In der
Körteschen Abteilung wurden von 26 chronischen Empyemen nicht
tuberkulöser Natur 19 geheilt, 4 mit Zurückbleiben einer kleinen wenig
sezemierenden Fistel. 3 Kranke starben (11 °/ 0 Mortalität). Die Erfolge
bei den tuberkulösen Empyemen sind weniger befriedigend (50% Mor¬
talität).
H. Loebell (Kiel), Herala diaohragmatlca spnria nach Schoß-
verfefxsaf. Arch. f. klin. Chir. 117 H. 3. Verfasser teilt zunächst aus
der Praxis von Oöbell einen autoptisch erhärteten sehr seltenen Fall
einer eingeklemmten Hernia diaphragmatica spuria mit, bei der der
anze Magen, Colon transversum und descendens mit dem Netz in der
rusthöhle lagen. Plötzlicher Tod. Dieser Fall stammt aus den ersten
Monaten des letzten Krieges, wo noch keine größeren Erfahrungen auf
diesem immerhin seltenen Gebiete gesammelt waren. Besonders be
merkenswert ist ein anderer Fall, wo Spätprolaps und Inkarzeration
bestand. Der Kranke, bei dem außerdem seit 5 Tagen Ileus bestand,
wurde von Goebell in mehreren Sitzungen mit vollem Erfolge operiert.
Verfasser hat aus der Literatur 97 Fälle von H. diaphragmatica spuria
infolge von Schuß Verletzung zusammengestellt: 68 Kranke wurden
operiert, 29 nicht operiert, 36 genasen, 61 starben.
R. Friedmann (Riga), Divertikulitis des Dickdarms. Arch. f.
klin. Chir. 117 H. 3. Kasuistik.
H. Peiper (Frankfurt a. M.), Grundsätzliche Fragen in der
Chirurgie der Nebennieren. Kl. W. Nr. 4. Im Gegensatz zu der durch
Tierexperimente und Beobachtungen beim Morbus Addisonii begrün¬
deten, z. Zt. allgemein herrschenden Ansicht von der kompensatorischen
Hypertrophie der Nebennieren wurde vom Verfasser ein Fall am
Menschen beobachtet, in dem nach der operativen Entfernung der einen
Nebenniere keine Hypertrophie der andern eintrat. Wird man im Hin¬
blick auf die Verhältnisse beim Morbus Addisonii annehmen dürfen,
daß die menschlichen Nebennieren Organe sind, die unter gewissen
noch nicht sicher bestimmbaren Bedingungen kompensatorisch für
einander eintreten können, aber durchaus nicht einzutreten brauchen.“
S. Fedorow (Petersburg), Nephropexie bei anormalen und patho¬
logischen Nieren. Zschr. f. Urol. 15 H. 12. Das Verfahren erwies sich
erfolgreich in 2 Fällen von Hufeisenniere, wo es mit der Brücken¬
spaltung konkurrieren kann, in 3 Fällen dystopierter Niere und in
4 Fällen zystöser Nierenentartung. Mitteilung der Krankengeschichten.
G. Praetorius (Hannover), Pyelographie. Zschr. f. Urol. 15 H. 12.
Eingehende und scharfe Abwehr der Barreauschen Angriffe (vgl. diese
Wochenschrift 1921 S. 663). Eine „Pyelonvergiftung" ist beim Menschen
bisher nicht beobachtet worden. Die Tierversuche kommen für ihn,
zumal auf intravenösem Wege, nicht in Frage. Dem Pyelon fehlt die
typische zellschädigende Wirkung des Kollargols.
E. Barreau (Berlin), Pyelon. Zschr. f. Urol. 15 H. 12. Erwiderung
auf die Abwehr seitens Praetor ius. Die Giftwirkung des Pyelons
erklärt sich aus der schnellen Zersetzung im Körper. Der tödliche
Ausfall der Tierversuche muß zur Vorsicht mahnen.
Engelberg (Dresden), Transvertikales Entfernen eines großeti
von der hinteren Wand ausgehenden Blasendivertikels. Zschr.
f. Urol. 15 H. 12. Es gelang die Einstülpung des 12 cm im Durch¬
messer haltenden Divertikels in das Blaseninnere nach einem senk¬
rechten Schnitt durch die ganze Dicke der Blasenwand. Abtragung.
Drainage. Glatter Verlauf. Heilung.
B. Valentin und H. Müller (Frankfurt a. M.), latrapelviae Pfannen-
vorwölbuog. Arch. f. klin. Chir. 117 H. 3. Die Verfasser teilen aus
der Ludloffschen orthopädischen Klinik 3 Fälle dieses seltenen Leidens
mit (Pelvis Otto-Chrobak). Im 1. Falle war die Protrusion die Folge
eines malignen Tumors; im 2. Fall einer tuberkulösen Koxitis; im
3. Falle wahrscheinlich die Folge einer metastatischen Gonokokken¬
sepsis. Aus der Literatur haben die Verfasser 31 Fälle von Pfannen¬
protrusion auf pathologischer Basis zusammengestellt.
Frauenheilkunde.
Johannes Schoedel (Chemnitz), Beeinflussung der Laktation.
M. m. W. Nr. 4. Sehr wesentlich ist der feste Wille der Mutter. Die
mechanische Beeinflussung durch den Saugreiz ist der wichtigste Grund
zu erhöhter Laktation, eventuell öfteres Anlegen als 5—6 mal. Aktive
und passive Hyperämisierung der Brust mit Föhn oder Bierscher
Saugglocke.
E. Vey (Gießen), Ovarialtumoren als Komplikation von
Schwangerschaft und Geburt. Kl. W. Nr.3. Bei in der Schwanger¬
schaft festgestelltem Ovarialtumor wird zunächst abgewartet bi% An¬
zeige zum Handeln; unter der Geburt gilt das Gleiche. Bei eintreten¬
der Indikation (Stieldrehung, starke Verdrängungserscheinungen, wach¬
sender Aszites, Vereiterung) wird sofort operiert ohne Rücksicht auf
den Schwangerschaftsmonat. Im Falle der Operation stets Laparotomie.
Eine Ausnahme bilden die doppelseitigen Ovarialtumoren, die sofort
operiert werden sollen, wenn sie diagnostiziert sind, da hier meist
Verdacht auf Malignität.
G. Wolff (Breslau), Mammakarzinom während Graviditlt und
Laktation. Arch. f. klin. Chir. 117 H. 3. Mitteilung aus der Gottstein-
schen Abteilung über 13 Beobachtungen von Brustkrebs bei 5 Graviden
und 8 Laktierenden; unter 214 Fällen machen diese über 6% aus.
Verfasser kann die Ansichten anderer Autoren bestätigen, daß Gravidi¬
tät und Laktation einen ungemein bösartigen Einfluß auf Wachstum
und Ausbreitung eines Mammakarzinoms ausüben; ihre Malignität ist
noch erheblich größer, als wir sonst bei noch geschlechtsreifen Frauen
zu sehen gewohnt sind. Bei keiner der 10 Operierten, bei denen das
weitere Schicksal bekannt ist, ist eine Metastase ausgeblieben.
R.Th.v. Jaschke (Gießen), Lumbalanästhesie in der Gynäkologie.
Kl. W. Nr. 2. Die Erfahrungen des Verfassers bei der Lumbalanästhesie
mit Tropakokain sind bei großem Material so gute, daß er keine Ver-
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
274
LITERATURBERICHT
anlassung hat zu einem anderen Anästhesierungsverfahren überzugehen. I
Voraussetzung ist jedoch eine einwandfreie Technik und die Vermei¬
dung jedes Antiseptikums (Instrumente in sterilem Wasser, nicht in
Sodalösung kochen; die desinfizierte Haut mit sterilem Wasser vor 1
der Punktion abwaschen). 1
Hans Nevermann (Hamburg), Provokation latenter Gonorrhoe i
bei der Frau. M. m. W. Nr. 4. Als intrakutane Injektion zur Provo- I
kation eignet sich am besten Aolan, Arthigon ist weniger wirksam.
Aus den Reaktionen an der Injektionsstelle selbst können Schlüsse auf
das Bestehen einer Gonorrhoe nicht gezogen werden.
W. Pust (Jena), Nachtrag zur Behandlung der Zervixerkran-
kungen mit Zelluloidkapseln. M. m. W. Nr. 4. Anwendung3—4 Wochen
hintereinander. Pause von 1—2 Tagen. Statt Höllensteinlösungen kann
zur Aetzung der Erosionen auch der Stift benutzt werden.
Augenheilkunde. i
U. Miescher (Zürich), Pigmeotgeoese im Auge und Natur des
Pigmentkorn«. Kl. W. Nr. 4. Pigment in Oberhaut und Haaren wird
durch die Tätigkeit der Dopaoxydase gebildet. Die Pigmentbildung
im retinalen Pigmentblatt des Auges geschieht in gleicher Weise, doch
verschwindet hier die Dopaoxydase nach der Entwicklung des Auges j
für immer. Die Pigmentzellen der Chorioidea enthalten im Gegensatz
zu den Pigmentzellen der Kutis, den sogenannten Chromatophoren,
die als gewöhnliche Bindegewebszellen Pigment phagozitiert haben,
ebenfalls die Oxydase. Sie sind also selbständige Pigmentbildner,
Melanoblasten. Das Pigmentkorn besteht aus dem Pigmenträger, ver¬
mutlich ein Eiweißkörper, und dem Pigment, das vom Pigmentträger
chemisch gebunden oder absorbiert ist.
Haut- und Venerische Krankheiten.
♦ ♦ J. Kyrie (Wien), Ueber den jetzigen Stand der Lehre von
der Pathologie und Therapie der Syphilis. 2. Aufl. Wien,
Fr. Deuticke, 1921. 103 S. M. 17.—. Ref.: Max Joseph (Berlin).
In der neuen Auflage hat Verfasser sich besonders bemüht, den
Praktiker mit den Hauptpunkten der Liquorlehre vertraut zu machen.
In der konsequenten Liquoruntersuchung während des Sekundär¬
stadiums der Syphilis steht uns ein vorzügliches Hilfsmittel im
Kampfe gegen das Auftreten nervöser Späterscheinungen, insbesondere
gegen Tabes und Paralyse, zur Verfügung.
Br. Bloch (Zürich), Beziehungen der Haut zum GesamtorganIs¬
mus. Kl. W. Nr. 4. Die neuere Richtung in der Dermatologie geht
darauf hinaus, das Bewußtsein von der notwendigen und gesetzmäßigen
Korrelation zwischen Haut und inneren Organen wieder herzustellen.
Viele Dermatosen sind nichts anderes als die äußere, sichtbare Projek¬
tion inneren Geschehens. Die Haut wird sicher durch Stoffwechsel¬
vorgänge und. Anomalien endokriner Drüsen direkt oder indirekt be¬
einflußt, andernfalls wirkt aber auch die Haut als Schutzorgan für den
Gesamtorganismus durch Eliminierung und Abbau von pathogenen
Parasiten und ihren Toxinen (Hoffmann). Vielleicht gibt es auch
eine derartige normale in physiologischem Rahmen sich abspielende
Hautfunktion, eine wahre innere Sekretion der Haut samt ihren An¬
hangsgebilden (Kreidl, Hoffmann).
M. Straßberg (Wien), Nene Injektionsmethode des Tuberkulins
bei ausgebreiteter Hauttuberkulose. W. kl. W. Nr. 3. Intrakutane
Impfungen nach Maritoux. Vorher Feststellung derjenigen Tuber¬
kulinkonzentration, bei welcher die Pirquetsche Kutanreaktion noch
positiv ausfällt. Je geringer diese ist, desto schwächere Lösungen
werden im Anfang gewonnen. Es werden gleichzeitig an den ver¬
schiedensten Körperstellen 50 Teilinjektionen zu 0,2 ccm gemacht, die
am besten in der unmittelbaren Umgebung des Krankheitsherdes be¬
sonders zahlreich sind, um dort eine starke Lokalreaktion hervorzurufen.
4—7tägige Intervalle, zuerst rascher, später langsamer ansteigende Kon¬
zen'; ition. Ohne Lokaltherapie keine befriedigende Erfolge. Daher
Kor;' Nation mit Aetz- und Röntgentherapie.
Kinderheilkunde.
R. Kißkalt (Kiel), Scharlachprobleme. Kl. W. Nr. 4. Statistisches
Mate.! i läßt erkennen, daß das erste Lebensjahr auffallend wenig be¬
fallen wird. Verlauf der Erkrankung in diesem Alter aber schwerer
wie bei älteren Kindern. Hauptalter der Erkrankung ist das dritte bis
fünfte Lebensjahr. Disposition zu Scharlach ist viel geringer als wie
zu Masern und Pocken. Epidemien beginnen meist im Herbst. Die
Letalität war in früheren Jahrzehnten höher.
G. Haselhorst (Hamburg), Das Auslftschphflnomen bei der
Diffcrentialdiagnose des Scharlachs. M. m. W. Nr. 4. In etwa
20°/ o der Fälle tritt auch bei sicherem Scharlach keine Aussparung ein,
Rekonvaleszentenserum löscht besser aus als Normalserum. Die Reaktion
hat nur einer bedingten Wert.
Er. Schiff und E. Stransky (Berlin), Chemische Zusammensetzung
des Sluglingsgehirns. Jb. f. Kindhlk. 96 H. 5. Der Wassergehalt des
Nr. 8
Gehirns nimmt im Laufe der Kindheit ab, der Lipoidgehalt dagegen
zu. Von den Lipoiden ist Cholestearin reichlich, die gesättigten und
ungesättigten Phosphatide spärlich in der Hirnsubstanz der Säuglinge
vertreten. Der relative Eiweißreichtum des Gehirns im Verein mit
dem Fehlen quellungshemmender Phosphatide begünstigt die Wasser¬
quellung des Gehirns, die vielleicht für die erhöhte Krampfbereitschaft
des Säuglings bedeutungsvoll ist.
Karl Benjamin (Berlin). Wassergehalt des Blutes bei ftydro-
pischer Konstitution. Jb. f. Kindhlk. 96 H. 3/4. Pastöse und magere
Kinder mit hydropischer Konstitution zeigen im allgemeinen einen
erhöhten Blutwassergehalt, ohne daß sich hierfür eine Ueberfütterung
oder eine besonders wasserreiche Ernährung verantwortlich machen
ließe. Der Blutwassergehalt schwankt beim jungen Kinde synchron
mit der Gewichtskurve und ist im späteren Alter konstant, unabhängig
vom Gewichtsablauf.
A. E. Adler (St. Gallen), Die Bigenharoreaktion nach Wildboli
im Säuglingsalter. Kl. W. Nr. 4. Aus dem Ergebnis von Unter¬
suchungen bei 32 Säuglingen, 8 Kindern bis zu 2 Jahren und einem
10 jährigen Kind schloß Adler, daß die Wildbolzsche Eigenharn-
Reaktion im Säuglingsalter in ihrer ursprünglichen Methodik als un¬
brauchbar abzulennen ist.
Hygiene (einschl. öffentliches Gesundheitswesen).
♦ ♦ Emanuel Czuber (Wien), Die statistischen Forschunirs-
methoden. Wien, Seidel & Sohn, 1921. 238 S. M. 60.-. Ref.:
Prinzing (Ulm).
Die Mathematik hat in den Naturwissenschaften und in der Ver¬
erbungslehre einen breiten Boden gewonnen. Die hierbei notwendigen
mathematischen Methoden, die sich hauptsächlich an die Namen
Galfon und Pearson knüpfen, hat Czuber einheitlich zusammen¬
gefaßt und hierdurch sicher einem allgemeinen Bedürfnis entsprochen.
Der Stoff ist in drei Abschnitte gegliedert; der erste befaßt sich mit
der „Theorie der festen Merkmale**, wobei auf den Wert einer rich¬
tigen Klassifikation und auf die Abhängigkeit verschiedener Merkmale
voneinander eingegangen wird, der zweite und wichtigste mit der
„Theorie der veränderlichen Merkmale**; dem arithmetischen Mittel
wird ein überragender Wert unter den Durchschnittswerten zuerkannt,
besonders ausführlich wird die Korrelation und deren Berechnung
behandelt. Der dritte Abschnitt ist der Wahrscheinlichkeitsrechnung
gewidmet, die Wahrscheinlichkeit a posteriori wjjd dabei nicht be¬
rücksichtigt. An alle Abschnitte schließen sich mehrere praktische
Beispiele an, die dem Nichtmathematiker das Verständnis und die An¬
wendung der Methoden erleichtern.
Schultze (Göttingen) und Kahl (Berlin), Schaffung eines neuen
Irrengesetzes. Allg. Zschr. f. Psych. 77 H. 6. Referat und juristisches
Korreferat erstattet auf der Jahresversammlung des Deutschen Vereins
für Psychiatrie im April 1921 zu Dresden. Beide Referenten verlangen
die Schaffung eines neuen Reichsirrenfürsorgegesetzes für Unterbrin¬
gung, Zurückhaltung und Entlassung von Geisteskranken, Psychopathen
und Süchtigen (Alkohol, Morphium usw.) Die Ausführung der Vor¬
schriften soll dann-den einzelnen Ländern und Provinzen überlassen
bleiben.
Lode (Innsbruck), Theorie der Dampfdesinfektion. W. kl. W. Nr. 3.
Die Uebererwärmung trockener Stoffe (Wolle usw.) erfolgt nur im Be¬
ginn der Dampfdesinfektion. Ihr folgt ein steiler Temperatursturz.
Daraus folgt, daß man die Temperatur aus Wäschebündeln, mit Maxi¬
malthermometer gemessen, nicht als maßgebend für die in der Dämpf¬
kammer herrschende Temperatur ansehen darf.
B. Schick (Wien), Darmlänge und Sitzfa&he. W. kl. W. Nr. 3.
Die Einwände, welche Jellinegg (W. kl. W. 1921 Nr. 50) gegen das
Pirquetsche System macht, sind hinfällig. Das von Pirquet ange¬
nommene Verhältnis von Darmfläche (besser Ernährungsfläche) = l /i„
Sitzhöhe* ist eine Mittelzahl, die aus didaktischen Gründen gewählt
ist. Selbst bei Berücksichtigung der Jellineggschen Angaben dürfte
das Verhältnis ungefähr das Richtige treffen.
Soziale Medizin und Hygiene.
A. Eckstein (Freiburg i. Br.), Mutterschutzproblem. KL W. Nr. 3 .
Beobachtungen an einem Heim für ledige Mütter und Säuglinge er¬
geben, daß die Geburtsgewichte der Kinder derjenigen Frauen, die
vor ihrer Entbindung einen durchschnittlichen Aufenthalt von annähernd
2 Monaten in dem Heim genossen, durchschnittlich höher waren als
diejenigen von Frauen, die bis zu ihrer Entbindung außerhalb des
Heims gearbeitet hatten. Das in jeder Hinsicht einheitliche Material
(Alter, Beruf) gestattet den Schluß, daß schwere körperliche Arbeit
bis gegen Ende der Schwangerschaft bzw. psychische Traumen das
Geburtsgewicht im ungünstigen Sinne beeinflussen. In Beziehung auf
die Stilltüchtigkeit der Frauen in dem Heime wurden keine günstigen
Resultate erzielt. Die Schwierigkeiten liegen in der psychischen Ein¬
stellung der ledigen Mütter.
□ igitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNSVERSiTY
VEREINS- UND KONGRESSBERICHTE
Redigiert von Ober-Reg.-Med.-Rat Dr. O. Strauß.
Berlin, Gesellschaft für Chirurgie, 12. XII. 1921.
Offizielles Protokoll.
Vorsitzender: Körte. Schriftführer: Hildebrand.
Vor der Tagesordnung zeigt Sultan, im Anschluß an die
Demonstration von Siedamgrotzky in der vorigen Sitzung, farbige
Abbildungen eines ähnlichen Falles von disseminierten Nävi,
den er im Felde zu sehen Gelegenheit hatte. Es handelt sich um
einen 30jährigen Mann, bei dem sich das Leiden seit 7 Jahren lang¬
sam entwickelt hatte. Der Fall ist dadurch bemerkenswert, daß er
alle Uebergänge von nicht erhabener, blasser Hautpigmentierung zu
kleinen, bräunlichen, Papeln ähnlichen Gebilden und schließlich zu
tiefschwarzen, blumenkohlartigen Warzen zeigt; ferner dadurch, daß
die Nävusbildung auf die linke Körperhälfte beschränkt ist, genau
in der Mittellinie aufhört und in der Art der Ausbreitung, ähnlich
wie der Herpes zoster, dem Nervenverlauf zu folgen scheint
Tagesordnung. Sultan: Ueber Nebennieren-Exstirpation bei
sie. (Vgl. Nr. 5 S. 123.)
esprechung. Heymann: Trotz der Mißerfolge sollte das
physiologisch und experimentell gut begründete Verfahren nicht auf¬
gegeben werden. Wesentlich für den Erfolg ist die Indikations-
steuung. Die Entfernung der Nebenniere hat nur als Mittel gegen
Krämpfe Berechtigung, dient also zur Bekämpfung eines Symptoms
und nicht der Epilepsie selbst, für die die zerebralen Eingriffe zu
Recht bestehen bleiben. Um die Nebenniere sicher im Ganzen ent¬
fernen zu können, sollte man transperitoneal, vom Bauche aus Vor¬
gehen. Am besten ist die Uebersicnt, wenn man oberhalb der Milz
nach entsprechender Lagerung des Kranken eingeht.
Lübke: Ein seltener Fall von Ileus.
Ehlers (a. O.): Demonstration zur Oxyuren-Appendizitis.
Selberg: Die operative Prakturbebandlung nach Lane. Sel¬
be rg berichtet über seine Erfahrungen mit der operativen Fraktur¬
behandlung nach Lane. Er hat in einer größeren Anzahl von Fällen
einfache und komplizierte Frakturen mit der Laneschen Knochen¬
verschraubung behandelt und empfiehlt an Hand seiner Erfahrungen
unter Vorzeigung von Röntgenbildem das Verfahren für geeignete
Fälle warm. Ausgeführt wurde das Verfahren an folgenden Knochen:
Femur, Tibia, Fibula, Humerus, Ulna.
Besprechung. Nordmann: Mit dem Verfahren Lanes habe
ich keine Versuche gemacht. Idi erinnere mich nicht, überhaupt eine
frische Diaphysenfraktur operativ behandelt zu haben, obwohl das
einschlägige Material auf meiner Abteilung nicht unbeträchtlich ist.
Ich schematisiere nicht, sondern benutze den Gipsverband, die Ex¬
tensionsbehandlung oder die Nagelextension, je nach der Art der
Fraktur. Mit einer dieser Methoden bin ich immer zum Ziel ge¬
kommen. Operativ gehe ich nur bei den Frakturen in der Nähe
der Gelenke, besonders am Ellenbogengelenk, und bei den Knie¬
scheibenbrüchen vor. Bei der Beurteilung genähter oder gebolzter
Knochenbrüche darf man sich nicht nur nach den Röntgenbildem
richten, sondern in erster Linie fragen: wie lange dauerte die Be¬
handlung und wie war der funktioneile Erfolg? Ich habe eine ganze
Reihe von anderweitig operierten Diaphysenfrakturen gesehen und
auch zu begutachten gehabt. Es war erschreckend zu hören, wie
lange die Patienten im Krankenhause gelegen hatten, und es war
häufig das funktionelle Ergebnis sehr schlecht, obwohl die Stellung
der Fragmente sehr gut war. Nach diesen Erfahrungen kann ich
mich nidit zu einer Aenderung meines Standpunkts entschließen.
Kausch hat früher häufig blutig operiert. Seit Jahren gibt ihm
die Steinmann sehe Extension solch gute Erfolge, daß er grund¬
sätzlich nur die Fractura antebrachii mit Dislokation, patellae und
oiecrani operiert
Körte wendet die blutige Reposition und Fixierung bei Knpchen-
brüchen nur ausnahmsweise an, wo andere Methoden nicht zum Ziele
fuhren. Man sieht auch in Fällen, wo das Röntgenbild keine ideale
Stellung der Knochenenden zeigt, doch gute Funktion eintreten.
Selberg (Schlußwort). Gegenüber den Ein wänden betont Sel¬
berg noch einmal, daß doch in einer Anzahl von Fällen die operative
Freilegung der Bruchenden, die im Ausland sehr viel Anklang gefun¬
den hat, nicht zu umgehen sei, daß im Gegensatz zu der Behauptung,
die Kallusbildung sei verzögert, an einem alle 4 Tage durch Röntgen¬
aufnahme kontrollierten Fall eine gute Entwickelung des Kallus nach¬
gewiesen worden sei und daß man mit den alten konservativen Ver¬
fahren nicht alle Fälle in Ordnung bringen kann.
Denks: Demonstration zur Radlam-Therapie.
Appelt: Zar Technik der prflpylorlscben Abschnürung des Marens.
Berichtet über Erfahrungen mit der Seidenfadenabbindung des Pylorus
nach Gastroenterostomie bei Duodenalulkus und pylorusnahem Ulkus
des Magens. Von 22 vor dem Röntgenschirm nachkontrollierten
Fällen, deren Operation mindestens 6 Monate zurücklag, wurde 19-
mal der Pylorus für Speisebrei praktisch verschlossen (Projektions¬
bilder!) gefunden, also 86,4<>/o gute Erfolge; geringe Spuren des
Kontrastbreies im Anfangsteil des Duodenums zeigten, daß der Ver¬
schluß des Pylorus nicht völlig war, sodaß die* Möglichkeit der Passage
für den Saftstrom vom Magen nach dem Duodenum und zurück noch
fortbestand. Diesem hin und her fluktuierenden Saftstrom, ins¬
besondere dem Regurgitieren des Duodenalinhalts unter gewissen
Umständen (Bedeutung für die Regulierung der Säurekonzentration
im Magen, Boldyreff, Tarno und Vänderfy usw.) legt Appelt
in Uebereinstimmung mit Nieny großen Wert bei. Der völligen
Unterbrechung dieses Zusammenspiels zwischen Magen, Pylorus und
Duodenum kommt für das gehäufte Auftreten des Ulcus pepticum
jejuni bei der sog. unilateralen Pylorusausschaltung nach v. Eisels-
berg eine ernste Bedeutung bei. Die andern Methoden des Pylorus-
verschlusses (Raffung, Faltung, Abbindung mit autoplastischem Ma¬
terial usw.) sind teils unzuverlässig, teils zu kompliziert. Will man
daher überhaupt eine Ausschaltungsmethode anwenden, zugleich aber
die Nachteile der v. Eiselsbergschen Ausschaltung vermeiden, so ist
unbedingt die Abschnürung mit einem dicken Seidenfaden (nicht
zu straff anziehen, Uebernähung des Abschnürungsfadens an der
Vorderseite mit 3—4 Serosanähten) als die bei weitem einfachste
und doch sicherste Methode vorzuziehen.
Besprechung. Rotter: Wenige Tage, nachdem ich am 14.111.
1921 hier über die Ausschaltungsfrage bei Ulcus ventriculi gesprochen
hatte, erschien die Arbeit von Albert Kocher im Arch. f. klin.
Chir. 115 H. 1, in welcher er über ein großes Material — 150 Fälle
von Magenschwüren — berichtet, welche ausschließlich mit G.E.
behandelt, worden waren. Diese Statistik hat den einzig dastehen¬
den Vorzug, daß die Dauerresultate über ungewöhnlich lange Zeit
beobachtet worden sind, nämlich von 3 bis zu 19 Jahren. Die Er¬
folge sind als ausgezeichnet zu bezeichnen, nämlich 90% vollkommene
und nur 10o; 0 als wenig oder nicht befriedigend. Meine eigenen Re¬
sultate mittels der Ausschaltungsmethode sind ungefähr die gleichen.
Bei diesem Vergleich bin ich zu der Ueberzeugung gekommen, daß
die Gastroenterostomie das wirksame Prinzip ist und daß die Aus¬
schaltung keine Rolle für die guten Erfolge spielt. Deshalb habe
ich seitdem die Ausschaltung verlassen und wende, wie Kocher und
Hochenegg und andere nur noch die G.E. an.
Bötticher: a) Zar Diagnose der traumatischen Milzraptur.
b) Nervöse Störungen nach Bassini-Operation.
Breslau, Schlesische Gesellschaft für Vaterländische Kultur.
(Medizinische Sektion), Dezember 1921.
(2.12.) La den bürg: Ueber die physikalischen Grundlagen der
Röntgenstrahlen.
(9. 12.) Mathias: Ueber anatomischen Befund bei vikariierender
Menstruation. Die 27jährige ^Patientin mit progressiver Tuberculosis
pulmonum et laryngis wurde ein Jahr vor dem Tode nach Schwanger¬
schaftsunterbrechung kürettiert. Dabei Perforation und anschließend
daran supravaginale Uterusexstirpation und Entfernung eines Ova-
riums. Exitus an der Tuberkulose. Autopsie: Makroskopisch: Am
Zervixstumpf sanguinolenter Schleim. In dem übriggebliebenen Ova-
rium ein Corpus luteum. Das linke Nierenbecken gefüllt mit throm¬
botischen geronnenen Blutmassen (frische Blutung). Mikroskopisch
ist deutlich zu erkennen, wie rote Blutkörperchen durch die Epithelien
der Drüsen hindurchdringen; außerdem .Abstoßung von Drüsenepithel.
An den Nieren keine besondere nachweisbare Ursache für die schwere
Blutung. Die Niere ist bis auf kleine, entzündliche Veränderungen
ohne Besonderheiten. Die Kapillaren im Gebiet der geraden Kanäl¬
chen stark gefüllt; in den Harnkanälchen Blutkörperchenzylinder,
die wohl infolge Verlusts der Gefäßdichtung durch das Epithel haben
durchwandern können. Trotz zahlreicher Berichte in der Literatur
fehlte bisher ein anatomischer Befund. Hier versagt leider die Vor¬
geschichte in der Auskunft über frühere, renale Blutungen. Dieser
Befund scheint zu beweisen, daß dem weiblichen Organismus die
Tendenz innewohnt, in der Menstruationszeit eine gewisse Blutmenge
abzuscheiden. Hier haben vielleicht die entzündlichen Veränderungen
in der Niere einen Locus minoris resistantiae geboten für das Auf¬
treten einer vikariierenden Menstruation, die in renaler Blutung zum
Ausdruck kam.
Besprechung. Frank: Es ist bekannt, daß im Prämenstruum
eine vasodilatatorische Neigung besteht (Stephan: Positiver Aus¬
fall der Rumpel-Leedeschen Stauung Kurz vor den Menses).
Ebenso entlädt sich oft die hämorrhagische Diathese bei der essen¬
tiellen Thrombopenie in verschiedenen Butungen, besonders in pro¬
fusen Menses. Es scheint also ein innersekretorisches Agens vorzu¬
liegen, das irgendwie zur Entladung führt, und zwar besonders an
einem Locus minoris resistentiae.
Tietze: Bei sogenannten essentiellen Nierenbutungen sind bisher
nur drei Fälle bekannt, wo keinerei Befund an den Nieren erhoben
werden konnte. Bei den übrigen waren immer mehr oder weniger
schwere, entzündliche Veränderungen nachzuweisen (Bericht über
eigenen Fall). Bisher fehlt dafür eine Erklärung.
Mathias (Schlußwort): Die Annahme einer Labilität der Vaso¬
motoren und des Epithels im Prämenstruum läßt sich wohl vereinigen
mit der Tendenz des Organismus zur Blutausscheidung.
Schneller: Ueber die Physiologie der Darmbewegungen.
Schneller stellte mit der Trendelenburgschen Anordnung am
überlebenden Meerschweinchendarm unter verschiedensten Bedingun¬
gen eine große Reihe Versuche an. Die Methode gestattet es, den
einheitlichen Vorgang der peristaltischen Bewegungen in seine Kompo¬
nenten, die Bewegung der Ring- und der Längsmuskulatur, getrennt
□ igitized hy Google
Original from
CORNELL UNIVERSUM
276
VEREINS- UND KONORESSBERICHTE
Nr. 8
kurvenmäßig aufzuzeichnen. Es ergaben sich folgende, gesetzmäßige
Tatsachen: Die Ludwigschen Pendelbewegungen sind nicht stehende,
sondern abwärts wandernde Kontraktionswellen von pendelförmigem,
rhythmischem Charakter, die sich sonst wegen des schnellen Verlaufs
der Beobachtung entziehen. Sie ist wesensgleich mit der normalen
peristaltischen Bewegung und von dieser nur graduell verschieden,
ebenso wie auch die Braam-Huckgeestsche Rollbewegung, die
stärkste Bewegung des Darms. Es gibt also am Darm nur eine
einzige Bewegungstype, die peristaltische Bewegung. Je nach den
Tonusverhältnissen und dem Füllungszustand tritt diese in dreierlei
verschiedenem Rhythmus in die Erscheinung; als normale, als „große
Peristaltik“ oder Rollbewegung, als „kleine Peristaltik“ oder Pendel¬
bewegung. Der Uebergang von der einen in die andere ist fließend,
die Zahl der möglichen Bewegungsformen daher unendlich. Der
Darm vermag daher je nach der Konsistenz des ihn füllenden Kör¬
pers bald mehr die Längs-, bald mehr die Ringmuskulatur in den
Vordergrund seiner Bewegungen zu setzen. Gasförmige und flüssige
Körper überwindet der Darm rasch durch Ueberwiegen der Längs-
muslculatur; feste Körper dagegen langsam und allmählich durch
Ueberwiegen der Ringmuskulatur. Der Uebergang ist auch hier
fließend, und es ergibt sich eine unüberblickbare Variationsbreite der
peristaltischen Bewegungsformen und eine fast vollkommene An¬
passungsfähigkeit des Darmes an alle nur denkbaren Möglichkeiten
und Bedingungen.
(16. XII.) Wollenberg demonstriert einen Kranken mit recht-
seitlfer Hemichorea. Die schleudernden Bewegungen — namentlich
der oberen Extremität — (Hemiballismus) sind Tag und Nacht zu
beobachten und werden bei Hinlenkung der Aufmerksamkeit noch
lebhafter. Dabei Hypotonie und meßbare Atrophie der Gliedmaßen
rechts. Die Gesichtsmuskulatur ist nicht beteiligt; dagegen ist eine
Anhydrosis der rechten Kopfseite, sowie eine Erweiterung der rechten
Pupille und Lidspalte vorhanden und die Sensibilität der rechten
Körperhälfte abgestumpft. Der Fall hat gutachtliches Interesse: Seit
1908 wiederholt in klinischer Beobachtung. Kurz nach einem ganz leich¬
ten, rechtseitigen Kopftrauma im Betriebe, dem einige Zeit vorher eine
leichte Grippe vorangegangen war, sollen sich die ersten Beschwerden
eingestellt haben, die von dem Patienten auf das Trauma zurückgeführt
wurden. Die leichten Beschwerden wurden damals von autoritativer
Seite als psychogen gedeutet. Die weitere, von Jahr zu Jahr zu¬
nehmende Verschlechterung und der jetzige Befund sprechen dagegen
für postgrippale, enzephautische Herde im Zwischenhirn. — Eine
Hemiplegie nach einem so leichten Trauma derselben Kopfseite ist
wohl auszuschließen. — Auch die Beteiligung des kranio-autonomen
Systems ist auf organische Zwischenhirnschadigung zurückzuführen.
Als psychogen kann höchstens die Abstumpfung der Sensibilität auf-
gefaßt werden.
Kl e stadt: Demonstration eines Patienten mit chronischer, polypöser
Mittelohreiteroog und zirkumskripter Labyrinthitis bei gleichzeitig
vorhandenem amblyopischen Nystagmus. Dieser verhinderte den
sicheren Nachweis der kalorischen und rotatorischen Erregbarkeit
des kranken Labyrinths; doch konnte das lebhafte Fistelsymptom durch
die typische Aenderung der Fallrichtung bei Kopfbewegungen und
durch Erzeugung in Narkose identifiziert werden. Im Beginn der
Narkosetoleranz trat Stillstand des amblyopischen Nystagmus und des
pressorischen Nystagmus, dieser bald nach rechts, bald nach links, auf.
Von der gesunden Seite aus konnte nicht mit voller Sicherheit die
kalorische und rotatorische Erregbarkeit nachgewiesen werden. Die
Fall- und Zeigereaktion fehlte beiderseits bei diesen Reizformen. Bei
einem zweiten Patienten mit amblyopischem Nystagmus war beider¬
seits die kalorische und rotatorische Reaktion des Vestibularapparates
zu erhalten, sowie die typische Fall- und Zeigereaktion (Eigenbericht).
Hins berg berichtet über seine Erfahrungen mit halbseitiger
Kehlkopfexstirpation.
Besprechung. Tietze erwähnt seine eigene, früher ver¬
öffentlichte Zusammenstellung.
Fränkel bespricht ausführlich seine Erfahrungen mit der Kollaps¬
therapie bei Lungentuberkulose (Pneumothorax) an 84 eigenen Fällen
im Vergleich zu den Statistiken von Saugmann und Harms. Indi¬
kation verschieden: bei begüterten Patienten, die sich langdauernde
Kuren gestatten können, strengste Indikationsstellung; bei den ärmeren
Kreisen weitere Grenzen (soziale Indikation). Bei beiden aber ist
neben dem Lungenbefund der Allgemeinzustand von größter Wichtig¬
keit. Dauer: Bei Vorhandensein größerer Einschmelzungen: über
2 Jahre; bei weniger fortgeschrittenen oder zahlreichen kleinen Her¬
den: 1—U/s Jahr. Komplikationen: Fortbestehen des Fiebers;
Fortschreiten auf der Gegenseite; Auftreten eines Ergusses (eigene
Fälle 26 0 / 0 , und zwar meist bei schweren Fällen oder bei Anwendung
zu hohen Druckes). Ausführliche Besprechung der Therapie. Tech¬
nik: „Stichmethode“ in Lokalanästhesie bei liegendem Patienten.
Zwischenfälle wurden „infolgedessen“ nicht beobachtet.
Besprechung. Bossert führte bei 50 Säuglingen und kleinen
Kindern die Pneumothoraxbehandlung durch. Davon wurden 30 4 Jahre
beobachtet. Von den älteren Kindern wurden 30 0/0 schulfähig; bei
Säuglingen sind die Resultate wenig günstig. Bei Entstehung des Er¬
gusses spielt der Druck keine Rolle (eigene Fälle: bei durchschnitt¬
lich höherem Druck als bei gleichzeitig von anderer Seite behan¬
deltem gleichartigen Krankenmaterial nur 10 0 / 0 ). Ueble Zufälle
kommen bei Kindern wohl eher vor als bei Erwachsenen. Er beob¬
achtete lmal vorübergehende Erblindung, 2mal vorübergehende, epi-
leptiforme Anfälle, wohl durch Luftembolien.
Frank: Sogenannter „Pleurashok“ und die andern Zufälle sind
wohl sämtlich arterielle Luftembolien. Es genügen dazu selbst kleinste
Luftmengen, wie sie z. B. durch die Nadel angesaugt werden können.
Trotz größerer Gefahren ist die „Stichmethode“ vorzuziehen; denn
ganz kann man ihrer nicht Herr werden.
Fränkel (Schlußwort): Zwischenfälle sind nicht notwendig bei
ausreichenden Vorsichtsmaßregeln. Als solche sind anzusehen: Lie¬
gende Haltung des Patienten, gleicher Wasserstand in den Gefäßen,
Ansaugenlassen, nicht Einblasen der ersten Luftportion. Steinbrink.
Bonn, Niederrheinische Gesellschaft für Natur- und
Heilkunde, 14. XI. 1921.
Offizielles Protokoll.
Vorsitzender: P. Krause. Schriftführer: Hinselmann.
O. Prym zeigt einen aus französischer Gefangenschaft zurück¬
gekehrten Mann, bei dem durch Granatsplitterverletznng September
1914 der Nervus tibialis an der Grenze des unteren und mittleren
Drittels des Unterschenkels durchtrennt ist. Der Gang zeigt im
Stiefel keine groben auffälligen Störungen. Beim Stehen und Gehen
berühren aber entweder die im Grundgelenk dorsalflektierten, in
den Interphalangealgelenken nur wenig gebeugten Zehen den Boden
überhaupt nicht, oder bei noch stärker aorsaltlektiertem Grundgelenk
und stark gebeugten Interphalangealgelenken (Krallenstellung) nur
mit geringer Kraft und näher dem Ballen. Beim „Zehenstand“
tritt letzteres Verhalten besonders deutlich in Erscheinung. Beim
Abrollen des Fußes fehlt die kraftvolle Unterstützung durch die Zehen.
Das Stehen auf dem verletzten Bein ist unsicherer; es fehlt auch
hier die Vergrößerung der Aufsatzfläche durch zugreifendes An¬
drücken der nur leicht, aber kraftvoll gebeugten Zehen auf den
Boden. Fußabdrücke geben eine gute Uebersicht der Störungen,
die in der Tat so eingetreten sind, wie man sie nach der Gelenk- und
Muskelmechanik (R. Fick) erwarten durfte. Durch Schwund der
gesamten Fußmuskulatur mit Ausnahme des Extensor digitorum brevis
scheint der Fuß stärker gewölbt zu sein. Die Ausmessung aber
ergibt, daß der Kahnbeinhöcker des verletzten Beines etwa 2 mm
tiefer steht und sich durch Belastung durch Stehen auf einem Bein
hoch etwas weiter (etwa 1 mm) senkt, während am gesunden Fuß
bei dieser Belastung die Wölbung des Fußes noch etwas zunimmt
(Muskelwirkung). Die Beschwielung des Zehenballens ist am verletzten
Beine stärker, besonders an der Kleinzehenseite (Kompensation des
Ausfalls der Zehentätigkeit). Die Beschwerden sind leichtere Ermüd¬
barkeit des verletzten Beines und Druckschmerz am Kleinzehenballen
durch die stärkeren Schwielen. Die der Ausbreitung des Nerven ent¬
sprechende Sensibilitätsstörung ist nachweisbar, macht aber keine
Beschwerden. Bei der langen Dauer der Lähmung ist die Aussicht
auf einen Erfolg der Nervennaht nur gering. Bei der Beschuhung
ist auch auf die Unterstützung des Fußgewölbes zu achten.
Hinselmann: Demonstration eines eigenartigen Zirkulation^
Phänomens bei einer Schwangeren and Eklamptischea. (Ein Beitrag
zur Kenntnis der Kapillarblutungen). (Vgl. S. 254.)
A. Pütt er: Zar Physiologie des Temperatarsianen. Seit den
Untersuchungen von Weber, Fechner und Nothnagel geht
durch alle Lehrbücher die Angabe; daß Temperaturunterschiede von
l /io ja von V 20 0 C unter günstigen Bedingungen noch sicher unter¬
schieden werden können und daß diese äußerste Feinheit der Unter¬
scheidung nur bei Temperaturen möglich sei, die etwa bei der Haut¬
temperatur liegen. Es zeigte sich, daß diese Angaben die Feinheit
der Unterscheidungsfähigkeit weit überschätzen. Bei 28 0 C, bei der
die Schwelle am kleinsten ist, und nicht bei der Hauttemperatur von
etwa 31,5°, beträgt sie für den Daumenballen doch 0,5 bis 0,6 0 C.
Bei 38° und anderseits bei 19° können erst Unterschiede von 1°C
mit einiger Sicherheit erkannt werden, d. h. bei solchen Unter¬
schieden -sind etwa 3 / 4 der Urteile richtig, und es kommt nicht mehr
vor, daß die Richtung des Temperaturunterschiedes falsch beurteilt
wird. Die systematische Bearbeitung der Frage, ob die Feinheit
der Unterscheidungsfähigkeit von der Darbietungszeit abhängt,
führte zu dem Ergebnis, daß schon bei 0,8 bis 1,3 Sekunden Dar¬
bietung die gleiche Feinheit der Unterscheidung zweier Reize erreicht
wird, wie bei Darbietungszeiten von 2—10 Sekunden, Unterschiede,
die nicht in etwa 1 Sekunde erkannt werden, werden auch bei längerer
Darbietung nicht merklich. Werden die Darbietungszeiten auf weniger
als 0,8 Sekunden verkürzt, so steigen die Schwellen rasch an. Eine
theoretische Verarbeitung der so gewonnenen Schwellenwerte für
kurze Darbietungszeiten bis 0,16 Sekunden hinab ergab die beiden
folgenden Sätze, die für die Theorie der Temperaturreizung wichtig
sind: 1. Für Darbietuugszeiten, die nicht länger als 0,5 Sekunden
sind, wird die Schwelle erreicht, wenn an dem Sinnesorgan eine be¬
stimmte Temperaturerhöhung eintritt. 2. Bei Darbietungszeiten, die
länger als 0,5 Sekunden sind, tritt die Erregung weder bei einer kon¬
stanten Temperaturerhöhung ein, noch dann, wenn die Temperatur
mit einer bestimmten Geschwindigkeit steigt, es ergibt sich aber,
daß eine Temperaturerhöhung bestimmter Größe ihre stärkste Wir¬
kung entfaltet, wenn sie mit möglichst großer Geschwindigkeit her-
gestellt wird. Hieraus folgt der Satz: wenn eine bestimmte Tem¬
peraturerhöhung überhaupt imstande ist, eine eben merkliche Erregung
hervorzurufen, so tut sie es zu der Zeit, zu der die Geschwindigkeit
des Temperaturanstieges, den sie bewirkt, ihr Maximum erreicht.
Da eine bestimmte Temperaturerhöhung entweder nach 0,8 bis 1,3
Sekunden Dauer oder überhaupt nicht zur Erregung der Temperatur¬
sinnesorgane führt, so müssen diese in solcher Tiefe unter der Ober-
□ ifitized by Google
Original frem -
CORNELLUN VERSITY
23. Februar 1922
VEREINS- UND KONGRESSBERICHTE
277
fläche der Epidermis liegen, daß dort die größte Geschwindigkeit des
Temperaturanstieges nach 0,8 bis 1,3 Sekunden erreicht ist. Das
ist in Tiefen von 100 bis 156 p der Fall. In dieser Tiefe, die gerade
die untere Grenze des Stratum corneum bedeutet, sind bisher Sinnes¬
organe oder Nervenendigungen beim Menschen nicht bekannt, wohl
aber zeigt die Rongalitweißfärbung bei Tieren Nervenfasern, die bis
in unmittelbare Nähe des Stratum corneum reichen. Hier wird also
weitere anatomische Arbeit einzusetzen haben. Die ausführliche Ar¬
beit über den Gegenstand erscheint in der Zschr. f. Biol.
Raether: Ein Beitrag zur aktiven Behandlung yon Unfallneuro¬
tikern. Raether steht auf dem Standpunkt, daß mit zielbewußter
Energie jeder Unfallneurotiker zum wenigsten von seinen grobsinn¬
lichen körperlich funktionellen Störungen befreit werden kann.
Oehme: Die Entstehung der Durstempfindung und die Regulation
der Wasserzufuhr. Der Durstempfindung, einem mit Bewußtsein
verknüpften Großhirnvorgange, steht eine vegetative, unbewußte Regu¬
lation der Flüssigkeitszufuhr je nach dem Bedürfnis des Organismus
gegenüber, die, beim Säugling und bei großhirnlosen Tieren nach¬
weisbar, offenbar in tieferen Hirnteilen zentralisiert ist. Die krank¬
hafte Durstempfindung bei Fällen von Diabetes insipidus mit Ver¬
änderungen an der Hirnbasis (Zwischenhirn, Hypophyse) ist nicht
immer lediglich Folge einer primären Zwangspolyurie, sondern zeigt
eine der Nierenstörung koordinierte Alteration eines Zentral¬
apparates für die Flüssigkeitseinfuhr an, dessen Erregung gewöhnlich
mit der ans Großhirn gebundenen Durstempfindung parallel geht.
Die Differentialdiagnose zwischen primärer Polydipsie (soweit sie
nicht psychogen ist) und primärer Polyurie läßt sich nicht in allen
Fällen sicher entscheiden, auch nicht mittels des Durstversuches
(Eigenbeobachtung). Der Rückgang des Durstes und der Polyurie, trotz
starken Wasserverlustes mit Schweiß, bei manchen Insipiduskranken
im Dampfbad oder Fieber ist zu verstehen durch die Annahme einer
Erregbarkeitsänderung von Zentren (Wasserhaushalt — Thermoregu¬
lation), deren Reaktionen auch physiologischerweise oft gekoppelt
erscheinen. Die Erregung des vegetativen Zentrums für die Wasser¬
einfuhr, dessen Lage wohl in Nähe der anderen Zentren für den
Sympathikus im Zwischenhirn anzunehmen ist, erfolgt auf chemischem
Wege durch die Blutelektrolyte, unter denen die Chloride führend
sind. Oehme belegt dies mit eigenen Versuchen. Am Menschen fand
sich z. B. folgende Blutzusammensetzung: 1. Vortag: 8,24o/o Serum¬
eiweiß, 545 mg o/o NaCl, 81,5o/o Hämoglobin; 2. nach 36 Stunden
Flüssigkeitsentzug bei leichtem Durst und 0,2 kg Gewichtsabnahme:
8,13o/o Serumeiweiß, 585 mgo/ 0 NaCl, 78o/ 0 Hämoglobin; 3. nach
72 Stunden Trockendiät und 1,2 kg Gewichtsverlust bei heftigem
Durst: 8,24 °o Serumeiweiß (also wie am Vortag), 640 mg o/o NaCl,
77o/b Hämoglobin. In einem Fall von Sprue bei heftigem Durst und
objektiver Körperaustrocknung: 5,07 °/o Serumeiweiß, 730 mg o/o NaCl.
ln einem Falle von Polydipsie (oder Diabetes insipidus?) fiel der
Serum-NaCl-Wert von 560 mg °' 0 unter Pituglandol auf 458 mg o/ 0 ,
wobei der Durst ganz zurückging. Pituglandol wirkt aber keineswegs
immer so auf die Blutzusammensetzung. Auch Tiere zeigen im Durst
einen Anstieg der Blutchloride, der im Anfang ebensowenig wie die
obigen Beobachtungen am Menschen als renale Retention (infolge
Wassermangels) gedeutet werden kann. Nur unter diesen allge¬
meineren chemischen Bedingungen wird Trockenheit des Rachens
als lokale Komponente des Gemeingefühls. Durst empfunden. Die
Verbindung des hypothetischen Zentralapparates im Stammhirn mit
den Rindenfeldern geht nicht über die Peripherie, nicht den Umweg
über ein Kontraktionsgefiihl im Schlund und Speiseröhre. An Per¬
sonen, welche an das Verweilen eines kleinen druckregistrierenden
Ballons im Oesophagus (25 cm Tiefe! gewöhnt sind, läßt sich zeigen,
daß auch bei heftigem Durst die Kurven ebenso ruhig, ohne zahl¬
reichere Spontankontraktionen, der Atmung folgen können wie vor
dem Flüssigkeitsentzug und nach Stillung des Durstes (Demonstration
von Kurven). Es muß also wohl eine nervöse Verbindung im Zentral¬
organ zwischen Rinde, Zwischenhirn und sensiblem Vaguskern in der
Medulla oblongata als Grundlage des Zusammenhanges der lokalen
und allgemeinen Durstempfindung mit der Tätigkeit eines vegetativen
Zentralapparates angenommen werden, wofür erst teilweise unadürftige
anatomische Daten vorliegen.
Stursberg: Leberabszeß nach Amöben rohr. 23jähriger Polizei¬
wachtmeister. 1917 in Galizien sehr schwere Ruhr. Seitdem nicht
wieder ganz gesund, Magenbeschwerden. Trotzdem wieder ins Feld.
1918 in französische Gefangenschaft, dort sehr schlechte Verpflegung,
worauf er heftige Magenbeschwerden (Druck ohne Erbrechen usw.)
zurückführte. Danach Kräfteverfall. Bei erster Untersuchung im Mai
dieses Jahres Erscheinungen eines Abszesses in der Lebergegend,
fraglich, ob subphrenisch oder in der Leber. Auffallend war dauernd
starker Blutgehalt des Stuhles. Operation (Dr. Rühl) ergab sehr
großen Leberabszeß, der eröffnet wurde. Im Eiter weder mikroskopisch
noch bakteriologisch Erreger nachweisbar. Trotz freien Eiterabflusses
Kräfteverfall und Tod Anfang September.
W. Fischer berichtet über den Befund bei der Sektion. Es fand
sich ein maonsfanstrroßer solitärer Abszeß ia der Kappe des rechten
Leberlappens; im Colon ascendeßs 3 feine, strahlige Narben. Die mikro¬
skopische Untersuchung der Wand des Leberabszesses deckte eine
Menge von Amöben teils in dein nekrotisch zerfallenen Herde, teils
auch in der Wand des Abszesses auf. Es handelt sich also um einen
typischen Fall von Amöbenabszeß nach vorausgegangenerAmöben-
ruhr. Fischer weist darauf hin, wie wichtig aie Kenntnis solcher
Fälle ist. Wir haben in Europa und auch in Deutschland bisweileu
autochthone Fälle von Amöbenruhr, die allerdings selten einmal auch
zur Bildung von Leberabszessen führen. Die Untersuchungen der
neuesten Zeit haben gelehrt, daß der Befund von Zysten der Ruhr¬
amöbe auch bei uns gar nichts so Seltenes ist; und vor allem hat
man jüngst in Amerika bei Truppen, die aus dem Feld zurückgekehrt
waren, sogar bei 67o/o Zysten der Ruhramöbe gefunden. Es besteht
also mindestens die Möglichkeit, daß solche Menschen einmal an
mehr oder weniger typischer Amöbenruhr erkranken, vielleicht auch
einen Leberabszeß bekommen. Auf die Abgrenzung der Entamoeba coli
von der Ruhramöbe und die Frage, ob der ersteren vielleicht doch
eine pathogene Bedeutung zukommt, wird kurz eingegangen. Die
Erkennung der Amöben ist von Bedeutung, weil bei positivem Be¬
fund eine spezifische Therapie mit Emetin angezeigt ist. Selbst
große Amöbenabszesse der Leber können lediglich durch Emetin¬
therapie, eventuell in Verbindung mit chirurgischem Eingriff, zur
völligen Heilung gebracht werden.
Köln, Allgemeiner ärztlicher Verein, 28. XI. 1921.
Preysing: Ueber Otosklerose. Früher faßte man die
Otosklerose als Erkrankung der Paukenhöhle und Schleimhaut auf,
heute als Anomalie des Labyrinths, und zwar speziell des knöchernen
Anteils. Preysing geht auf die verschiedenen Theorien der Aetio-
Iogie ein. Sie ist nicht geklärt, jedoch ist anzunehmen, daß die Affek¬
tion erblich sei. Die Therapie ist meist machtlos, Psychotherapie
sei oft angebracht. Früh genug sollten die Patienten einen Ablese¬
kurs mitmachen, damit sie später nicht hilflos seien. Doch solle man
den Kranken nicht sagen, welchem Schicksale sie entgegengehen,
aufmuntern, aber nicht deprimieren. I. V.: Döderlern (Köln).
Freiburg, Medizinische Gesellschaft, 13. XII. 1921.
Offizielles Protokoll.
Vorsitzender: Ziegler. Schriftführer: Rominger.
Asch off: Statistisches zam Staatsexamen. Asch off gibt aus
seinem statistischen Material, welches er als Vorsitzender der Prü¬
fungskommission sammeln konnte, Einzelheiten bekannt. Es handelt
sich im ganzen um 405 Kandidaten, bei denen, soweit aus den Akten
ersichtlich, die gymnasiale Vorbildung, die soziale Herkunft, die Prü¬
fungsergebnisse in Deutsch, Latein, Französisch, Geschichte und
Turnen, ferner die Konfession und das Geschlecht für die Schlußnote
im Staatsexamen berücksichtigt worden waren. Von den 405 Kandi¬
daten hatten 34o/o die Note 1, 60<>/o die Note 2 und 6°/o die Note 3
erhalten. Als Wichtigstes sei mitgeteilt, daß die Schüler der Oberreal¬
schule am besten, die des Gymnasiums am zweitbesten, die des Real¬
gymnasiums am drittbesten abschnitten, wobei allerdings die Diffe¬
renzen in den Höchstleistungen sehr geringe waren. Nach der
sozialen Herkunft beurteilt, überwogen die Söhne der praktischen Aerzte
alle übrigen Kandidaten bei weitem. Diejenigen Kandidaten, welche
im Abiturientenexamen die Fleißnote 1* erhalten hatten, wiesen
auch im Staatsexamen die besten Leistungen auf. Anderseits erzielten
die Kandidaten mit der Fleißnote 3 im Staatsexamen etwas bessere
Noten als die Kandidaten mit der Fleißnote 2. Diejenigen Kandi¬
daten, welche im Abiturientenexamen die Leistungsnote 1 oder 2
erhalten hatten, zeigten auch im Staatsexamen erheblich über dem
Durchschnitt stehende Leistungen. Was die einzelnen Fächer anbe¬
trifft, so schnitten diejenigen Kandidaten, welche in Mathematik und
neueren Sprachen Besonderes leisteten, auch im Staatsexamen be¬
sonders gut ab. Dann folgt das Deutsch und dann das Latein, während
besonders gute Leistungen in der Geschichte noch keine guten Lei¬
stungen im Staatsexamen versprechen. Hervorragende Leistungen im
Turnen erzielten im Staatsexamen nur einen Durchschnittserfolg.
Besprechung. Hahn: Das gesamte Material erscheint mir
noch zu klein, um daraus weitergehende Schlüsse zu ziehen. Ins¬
besondere dürfte es nicht zulässig sein, bei Gruppen, die nur fünf
oder zehn Fälle umfassen, noch die Unterabteilungen prozentisch zu
berechnen. Nicht das Schlußprädikat sollte in Betracht gezogen wer¬
den, sondern die berechnete Punktzahl, die einen besseren Anhalts¬
unkt für die Gesamtleistungen ergibt. Ob es sich bei den besseren
eistungen der Aerztesöhne wirklich um eine vererbte Veranlagung
handelt, muß doch noch sehr zweifelhaft erscheinen. Näherliegena
ist es, daran zu denken, daß sie durch ihre engeren medizinischen
Beziehungen Gelegenheit zu besserer Vorbereitung, namentlich in den
Ferien als Famulus usw. hatten. Bezüglich der Gymnasial- und Real¬
gymnasialvorbildung kann man aus solchen Statistiken gar nichts
schließen; sie würden bezüglich der besseren oder schlechteren Vor¬
bereitung nur beweisend sein, wenn es in der freien Wahl jedes
einzelnen (oder seiner Eltern) stünde, das Gymnasium oder Real¬
gymnasium aufzusuchen. Das ist aber nicht der Fall, da nicht
überall beide Schularten vorhanden sind. Ist aber die freie Wahl
ausgeschlossen, so kann der Zufall und die Begabung eine Rolle
spiden.
Asch off (Schlußwort): Wie ich einleitend bemerkte und wie
aus meinen Randbemerkungen zu den statistischen Zahlen hervorging,
halte ich selbst diese Zahlen für viel zu gering, um daraus irgend¬
welche Schlüsse zu ziehen. Ich habe nur die Richtungen aufzeichnen
wollen, nach denen sich eine solche Statistik bewegen müßte. Ich
stimme Kollegen Hahn durchaus darin bei, daß — wenn möglich
von einer Zentrale aus — eine umfassende Statistik angefertigt werden
sollte, bei welcher auch die Punktzahl der einzelnen Kandidaten be¬
rücksichtigt wird. Das stellt freilich eine bedeutende Belastung dar,
•
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
278
VEREINS- UND KONORESSBER1CHTE
Nr. 8
die der Vorsitzende einer Prüfungskommission kaum auf sich nehmen
wird.
Asch off: Ueber gewisse Gesetzmäßigkeiten bei den Pleura¬
verwachsungen. (Ein Beitrag zur Pathologie der Sinus phrenico-
costales.) Asch off bespricht die schwankenden Angaben über die
Größe der Sinus phrenicocostales sowie deren funktionelle Inanspruch¬
nahme durch die Lungen bei den verschiedenen Formen der Respi¬
rationen. Gewöhnlich wird die Höhe der Sinus viel zu gering ein¬
geschätzt. Die Angaben von Luschka: „2 cm in der rechten Sternal¬
linie, 2 cm in der rechten Mamillarlinie, 6 cm in der rechten Axillar¬
linie“ können höchstens für die Breite der funktionellen Inanspruch¬
nahme der Sinus bei der durchschnittlichen Respirationsstärke gelten.
Der eigentliche Sinus hat zweifellos viel größere Ausdehnung. Um¬
gekehrt werden die respiratorischen Verschiebungen der Lunge bei
ruhiger Atmung vielfach überschätzt. Erst die Beobachtung am
Röntgenbild hat größere Einsicht gewährt. Asch off hat den Ver¬
such gemacht, an vollständig durch Formolinjektion konservierten
Thorazes durch Ausschneiden der Interkostalräume die Durchschnitts¬
maße der Sinus festzustellen. Er kommt dabei für die Leichen¬
respirationsstellung der Lunge etwa zu folgenden Werten: Rechts:
p. st. 6 cm; m. 10 cm;, ax. 11,5 cm; sc. 8 cm; po. 4 cm. Links: p. st.
f)cm; m. 9 cm; ax. 11cm; sc. 7,5 cm; po. 3,5 cm. Asch off be¬
schäftigt sich dann mit den Pleuraverwachsungen. Er teilt den ganzen
Plauraraum in das Kavum und in den Sinus und zählt die verschie¬
denen Formen'der Verwachsungen auf, die sich in solche der Lunge
mit der Brustwand, der Lungenlappen untereinander und der Sinus¬
wandungen untereinander trennen lassen. Auch die übliche Ein¬
teilung ui flächenhafte und strangförmige Verwachsungen mit ihren
verschiedenen Abarten wird betont. Unter den strangförmigen
Verwachsungen interessierten Aschoff vor allem die basalen, ring¬
förmigen Verwachsungen am Unterrand des Unterlappens mit dem
Zwerchfell einerseits und mit der Brustwand anderseits. Dadurch
kommt es zur vollständigen Abdeckung der Sinus (Okklusionsverwach¬
sungen). Die Bedeutung derselben als trennende Wand von Ergüssen,
als Fixationsmittel der Lunge, als Ausgangspunkt sogenannter Sinus¬
hernien bei bullösem Emphysem der unteren Lungenränder, wird
hervorgehoben. Ferner weist Aschoff auf die Tatsache hin, daß
bei völliger Verödung des Kavums der Sinus freibleiben kann und
umgekehrt. Die Wichtigkeit der Wiedereröffnung isoliert verwach¬
sener Sinus für die Respiration wird hervorgehoben. Sodann be¬
spricht Aschoff die Pathogenese der Verwachsungen, die natürlich
von Exsudaten ihren Ausgang nehmen. Er weist die irrtümliche Vor¬
stellung zurück, als ob die Exsudate sich immer am tiefsten Punkt
der Pleuraspalten sammelten. Sie bleiben, falls nicht besondere Be¬
dingungen eintreten, am Eingang zum Sinus stehen, weswegen es
hier, besonders bei der durch die Schmerzen bedingten Ruhigstellung
der Lunge, zu den charakteristischen, ringförmigen Verwachsungen
kommt. Aschoff glaubt, daß auch für die übrigen Pleuraverwach¬
sungen, ähnlich wie für die der Bauchhöhle, bestimmte, aus Kräften
der Aspiration, der Retention und Deszension abzuleitende Gesetze
aufgestellt werden können, und versucht, Beispiele dafür zu geben.
Besprechung. De la Camp weist unter Bezugnahme auf die
Darstellung der Verklebungsverhältnisse am unteren Lungenrande auf
zwei klinische Beobachtungen hin: 1. den hin und wieder zu erheben¬
den Befund, daß der untere Lungenrand nicht verschieblich ist, wohl
aber infolge der Erweiterung des phrenikokostalen Winkels der Schall
bei der Einatmung voller wird. Dies wird dann häufig irrtümlich für
eine mäßige Verschieblichkeit gehalten. 2. Hinweis auf die mit kon¬
vexer Begrenzung nach dem Lungenfeld sich häufiger seitenwand¬
ständig entwickelnden Exsudate mit mangelnder Verschieblichkeit
ihres unteren Pols, wohl zweifellos infolge Verwachsung im Zwerch¬
fellrippenwinkel.
E. Fischer: Die Verwachsungen gerade am Lungenrand sind
uns auf dem Präpariersaal eine häutige Erscheinung. Rechts häufiger
als links. Sehr oft strangförmig, sodaß man eine hemienförmige
Vorwölbung des Lungenrandes sich leicht vorstellen kann. Wie ist es
wohl zu entscheiden, ob eine erst geschlossene Verwachsung nach¬
träglich ein hernienförmiges Durchtreten an einzelnen Stellen gestattet,
oder ob von Anfang an nur Verwachsungsstränge mit Lücken da¬
zwischen vorliegen?
R o m i n g e r fragt, ob solche basale Pleuraverwachsungen bei
Säuglingen häufig gefunden werden. Flächenhafte, seitenständige
Pleuraschwarten wie beim Erwachsenen sieht man im Röntgenbnd
beim Säugling sehr selten. Der Grund hierfür dürfte darin liegen,
daß der Saugung als Zwerchfellatmer auch bei Ergüssen sein Zwerch¬
fell nicht runigstellen kann. Dieser Bewegungsfaktor spielt bei der
Lokalisation der Schwarten offenbar eine große Rolle.
Ed. Rehn: Da für den Fall der Okklusionsverwachsung des
Sinus und totaler Ruhigstellung des Zwerchfells die Möglichkeit einer
Sinuslösung erwähnt wurde, glaubt Rehn einige klinische Befunde
aus kriegschirurgischen Erfahrungen mitteilen zu sollen. Bei den
schwerer. Schußverletzungen der unteren Thoraxabschnitte, welche
eine Bresche in die Brustwand legten, das Zwerchfell aufrissen und
so eine breite Verbindung zwischen Brust- und Bauchhöhle und beider
Körperhöhlen mit der Außenwelt setzten, gelangte Rehn so zum
Ziel, daß er vom Bauch aus operierte, das Zwerchfell zentral von
seiner Verletzungsstelle mit perkutanen, durch die Rippenzwischen¬
räume gelegten Nähten an die Thoraxwand fixierte. Diese fort¬
laufende Fixationsnaht faßte in einem Fall um nahezu die ganze rechte
Thoraxseite herum und versetzte das Zwerchfell infolge des ausge-
dehnten Defektes in extremste Spannung. Abgesehen von ganz vor-
Ver antwortlich er Redakteur: Oeh.San.-Rat Prof. Dr.J. Sch
übergehender, durch * Phrenikusreizung zu erklärender Atmungs¬
störung, wurde der Eingriff gut vertragen; der Verwundete ist jetzt
ein gesunder Mann. Diese Beobachtungen, welche auch in anderen,
ähnlich liegenden Fällen gemacht wurden, geben selbstverständlich
ein verzerrtes klinisches Bild wieder, da sie sich auf einen künstlich
esetzten Sinusverschluß stützen. — Vom chirurgisch-technischen
tandpunkt aus betrachtet, dürfte eine Sinuslösung nicht zu den ein¬
fachen Operationen zu rechnen sein.
Bäumler macht darauf aufmerksam, daß bei Rippenfell¬
entzündung die meist heftigen Schmerzen den Kranken zwingen,
die Atmung auf der erkrankten Seite möglichst einzuschränken;
der untere Lungenrand bleibt dann oberhalb des Pleurasinus zurück.
Entwickele sich ein pleuritischer Erguß, wie das zuweilen vorkommt,
sehr langsam und ohne oder nur mit geringen Schmerzen, sodaß
der Kranxe dabei herumzugehen vermag, so kann der ganze Sinus
von der Flüssigkeit erfüllt werden.
Aschoff (Schlußwort): Die Verhältnisse bei Säuglingen habe
ich wegen Mangel an Material nicht prüfen können. Ich weiß nur,
daß der Sinus auffallend niedrig, etwa \% cm tief ist. Die chirurgische
Lösung der Sinusverwachsungen habe ich nur gestreift, bin aber
selbst der Meinung, daß die orthopädisch-gymnastischen Uebungen
hier das richtige Mittel sind. Das Emporsteigen der Ergüsse mit
parabolischer Begrenzung kommt meinem Erachten nach auch ohne
Verwachsung des Sinus und ohne Füllung desselben zustande.
Puhl: Ueber Primär- and Reinfekte der Longenphthise. Puhl
gibt auf Grundlage eines Beobachtungsmaterials von 131 Fällen für
ausgeheiltc Primärinfekte in den Lungen folgende Kriterien an:
1. Der Primärinfekt findet sich vorzugsweise in den unteren und
bestbeatmeten Abschnitten der Lunge. Er bevorzugt weiter die
subpleuralen Schichten. 2. Zeigt er eine geringe Größe und
meist eine kugelige Form. 3. Weitgehende Verkalkung. 4. Scharfe
Abgrenzung gegen ein völlig gesund aussehendes Lungengewebe.
5. An Gesamtausdehnung meist größere, gleichfalls scharf abgesetzte
Herde in den regionären Lymphknoten. Die mikroskopischen Merk¬
male sind folgende: 1. Die scharfe bindegewebige Abkapselung durch
eine spezifische und unspezifische Kapsel gegen ein meist unver¬
ändertes Lungengewebe. 2. Die völlige Verkalkung und die äußerst
häufig vorgeschrittene oder fast völlige Umwandlung in Knochen-
und Knochenmarksgewebe. Reinfektion wurde im ganzen in
78 Fällen festgestellt. In 35 Fällen handelte es sich um fortschreitende
Phthisen. 43mal um stationär gebliebene oder obsoleszierende Rein-
fekte. Die charakteristischen Merkmale des Reinfektes schildert Puhl
folgendermaßen: 1. Vorwiegender Sitz im Spitzengeschoß. 2. Die
relative Größe (erbsen- bis kirschgroß). 3. Die unregelmäßige Ge¬
stalt. 4. Die unscharfe Begrenzung gegen ein meist verdichtetes
antrakotisches Lungengewebe. 5. Die relativ seltene Verkalkung.
6 . Das Fehlen gleichartiger und gleich alter Veränderungen in den
regionären Lymphknoten. 7. Vorwiegend multiples Auftreten der
Reinfekte. Die mikroskopischen Merkmale sind: 1. Das fast völlige
Fehlen von Knochenbildung, welche sich nur selten in Form der sog.
verästigten Knochenspangen zeigt. 2 . Die unregelmäßige, aber sehr
breite schwielige Abkapselung. 3. Die antrakotische Kollapsinduration
bzw. kollateral entzündliche Reaktion des umgebenden Lungengewebes.
4. Die Beteiligung kleinerer und größerer Bronchien an der Herd¬
bildung. Eine scharfe Trennung der Reinfekte von den Primär¬
infekten ist deswegen nötig, weil wir nur auf Grund einer zahlen¬
mäßigen Statistik den Grad der durch die primäre Infektion erworbenen
Immunität bei Menschen feststellen können. Aus dem Zahlenmaterial
ergibt sich, daß 1/3 der Fälle freigeblieben, 43 re’infiziert sind mit
Beschränkung auf den lokalen Infekt und 35 reinfiziert sind mit
einer anschließenden progressiven Phthise. Bei der Ubiquität des
Phthisebazillus muß also eine Immunisierung des Menschen durch
die Erstinfektion angenommen werden. Puhl bespricht dann die
Frage, wie die Reinfektion zustandekommt, endogen oder exogen.
Für die überwiegende Mehrzahl aller Fälle muß eine endogene Rein¬
fektion abgelehnt werden. Eine solche kann eigentlich nur in der
sog. Generalisationsperiode Zustandekommen, d. h. wenn der Primär-
komplex noch relativ frisch ist. Es müßten dann die in der Lunge
entstehenden Reinfekte dem Alter nach nicht weit verschieden sein
von dem Alter des Primärinfektes. Auch müßten wenigstens bei
mikroskopischer Untersuchung metastatische Herde in andern Or¬
ganen gefunden werden, wie es für die Periode der Generalisation
charakteristisch ist. Nur ausnahmsweise wird in späterem Lebensalter
von einem alten, abgeheilten primären Herd aus durch besondere
begünstigende Umstände eine endogene Reinfektion möglich sein.
Dagegen spricht die charakteristische Lokalisation der Reinfekte in
den Bronchien, ihr von dem Primärinfekt ganz verschiedener Sitz
und meist verschiedenes Alter, das Fehlen aller sonst beschrittenen
Infektionswege für eine fast völlige Unabhängigkeit der Reinfekte
von dem Primärkomplex. Puhl kommt daher zu dem Schluß, daß
die überwiegende Zahl aller chronischen Lungenphthisen sich an
Reinfekte anschließt, die exogen entstanden sind, also im Gegen¬
satz zur Syphilis eine zweite Infektionsperiode darstellen.
Die chronische Lungenphthise darf daher nicht ohne weiteres mit
dem tertiären Stadium aer Syphilis verglichen werden. Die Ranke¬
sche Einteilung ist nur für einen kleinen Teil der Lungenphthisen
zutreffend, wohl aber ist hervorzuheben, daß eine Reinfektion und
chronische Phthise nur in einem primär affizierten Organ denkbar ist,
denn fast stets können in diesem Falle bei genügend langem, freilich
oft mühevollem Suchen Residuen des Primärkomplexes nachgewiesen
werden.
albe. — Druck von Oscar Brandstetter In Leipzig.
Difitized by
Google
Original ffom
CORUELL UNIVERSITY
Deutsche Medizinische Wochenschrift
Begründet von Dr. Paul Börner
HERAUSGEBER: VERLAO:
Geh. San.-Rat Prof. Dr. Schwalbe GEORG THIEME/ LEIPZIG
Berlin-Charlottenburg, Schlüterstraße 53 Antonstraße 15
Nummer 9
Freitag, den 3. Mürz 1922
48. Jahrgang
Aus der Inneren Klinik der Städtischen Krankenanstalten
in Dortmund.
(Jeber die Bedeutung der Hirnpunktion und der Lumbal*
punktion für die Diagnose und Prognose des Hirnabszesses.
Von Prof. W. Rindfleisch.
Die vielen schweren Schädelverletzungen, die der Krieg uns ge¬
bracht hat, verleihen auch der Frage des traumatischen Hirnabszesses
eine erhöhte Bedeutung, ganz besonders für die Aerzte, die mit der
Untersuchung und Begutachtung von Kriegsverletzten zu tun haben;
das trifft bei der langen Lätenzperiode der traumatischen Hirnabszesse
auch für die Jetztzeit noch zu; ist doch von Nauwerck ein Intervall
von 34 Jahren beobachtet worden.
Der nachstehend beschriebene Fall stellt eine derartige Spätfolge
eines Kopfschusses dar und illustriert in sehr instruktiver Form den
Verlauf und die diagnostischen Schwierigkeiten, die sich bei der Be¬
urteilung solcher Fälle ergeben können.
W. H., 26 Jahre, Marmorschleifer. Am 9. IV. 1915 durch Kopfschuß
mittels Gewehrgeschoß verwundet (Durchschuß durch die rechte Vorder¬
kopfseite, ganz nahe der vorderen Stirnwand); 5stündige Bewußtlosig¬
keit; kein operativer Eingriff; mehrmonatige Lazarettbehandlung; nie
irgendwelche Lähmungserscheinungen. Von Januar 1916 bis Ende 1918
tat Patient Garnisondienst, nahm dann seine alte Friedensarbeit als
Marmorschleifer wieder auf, feierte fast nie, war jedoch selten ganz
besch werde frei, hatte bisweilen auch starke Kopfschmerzen.
Seit Ende Dezember 1920 allmähliche Verschlimmerung; besonders
beim Bücken sehr heftige Schmerzen im ganzen Kopf; in der Gegend
der Verletzung dauernd stechende, zuckende Schmerzen; auch nachts
heftige Schmerzen, kein Erbrechen. Patient arbeitete bis zum 15. I.
1921 und kam am 20. I. ins Krankenhaus.
Befund und Verlauf: Temperatur 35,7—37,5°, Puls meist um 60
herum; Leukozyten 17600. Patient ist apathisch und somnolent, dabei
gut orientiert, gibt etwas langsam korrekte Antworten, liegt meist
ziemlich regungslos auf der linken Seite, sehr widerstrebend gegen
alle Lageänderungen und sonstige Pflegemaßnahmen, *die die Kopf¬
schmerzen vermehren, spricht wenig, geht aber auf Scherze der
Kameraden gern ein, ohne selbst Witze zu machen. An der linken
Stirnseite, 1—2 Querfinger über dem Supraorbitalrand linsengroße,
reizlose Einschußnarbe, an der rechten Stirnseite, in der gleichen Höhe,
horizontal verlaufende, rinnenförmige, 5 cm lange Ausschußnarbe; keine
Pulsation, fester, knöcherner Grund; erheblicher Klopfschmerz, mehr¬
faches Erbrechen. Fragliche Parese des rechten Mundfazialis; geringe
Hyperästhesie der rechten Gesichtshälfte; im übrigen Motilität, Sen¬
sibilität, sensorische Funktionen und Reflexe o. B.; geringfügiges
Schwanken beim Gehen mit geschlossenen Augen und bei raschen
Kehrtwendungen; geringe, aber deutliche Nackensteifigkeit, kein aus¬
gesprochener Dehnungsschmerz. Augenhintergrund (fortlaufend durch
Prof. Bartels nachkontrolliert): anfangs rechts leichte nasale Ver¬
schwommenheit, links leichte Prominenz, wenige Tage später aus¬
gesprochene Stauungspapille, beiderseits bis zu 6 D. anwachsend.
wa.R. im Blut negativ. Nasen- und Ohrenbefund (Geh. Hansberg)
normal. L. P.: Druck stark erhöht, Liquor fließt über das 60 cm
hohe Steigrohr hinaus, ganz leicht getrübt. Nonne-j-; Sublimat¬
probe —; Eiweißgehalt etwas erhöht (3 Teilstriche im Nissl-Röhrchen);
im Kubikmillimeter 530 Zellen, davon 86<>/o kleine Lymphozyten, 6°/o
etwas größere einkernige Zellen, 8% Leukozyten; keine Keime.
Wa.R. im Lumbalpunktat negativ. Danach subjektive Besserung; zwei¬
mal Erbrechen.
Daß nach der gesamten Sachlage der Verdacht eines Hirnabszesses
sehr naheiag und daß der Abszeß in erster Linie im rechten Stirn¬
lappen gesucht werden mußte, bedarf keiner weiteren Erörterung.
Um für den ins Auge gefaßten Eingriff den Herd möglichst scharf zu
lokalisieren, wurde die Hirnpunktion nach E. Nein er ausgeführt,
und zwar zunächst im unteren Stimpunkt (4 cm über der Mitte
des oberen Supraorbitalrandes) ergebnislos, insofern, als nur kleine
Zylinder normaler Hirnsubstanz ohne stärkere Ieukozytäre Infiltration
herausbefördert wurden; eine zweite Punktion am oberen Stimpunkt
(4 cm über dem unteren) ergab 3 1 /* cm unter der Galea nicht besonders
dicken, gelben Eiter; es wurden 10 ccm entleert; auf einen als Absze߬
membran zu deutenden Widerstand stieß die Kanüle nicht. Mikro¬
skopische Untersuchung: Leukozyten zum Teil in Zerfall begriffen,
keine Hirnbestandteile, Gram-positive, reihenförmig angeordnete
Kokken. Kultur: Nach 2 Tagen Reinkultur von hämolytischen Strepto¬
kokken.
An die Hirnpunktion wurde die Operation (Dr. Remmets) un¬
mittelbar angeschlossen; Schnitt parallel der Pfeilnaht durch den
Trepanationspunkt; Eröffnung des Schädels im Umfange eines Zwei¬
markstückes; Dura stark gespannt, pulsiert nicht; nach inrer Schlitzung
Punktion, die Eiter ergibt; Erweiterung durch Kornzange; Drainage.
Der Abszeß liegt 1 cm unter der Oberfläche des Gehirns, erstreckt
sich besonders nach hinten und innen. Durch das Drain entleeren sich
noch etwa 40 ccm; der Gesamtinhalt des Abszesses ist mithin auf
etwa 60 ccm zu schätzen; nach Abfluß des Eiters kräftige Hirn¬
pulsation. Ein Stückchen der Umgebung wird exzidiert und durch
Prof. Schridde untersucht; geringe zellige Infiltration; keine aus¬
gesprochene Abszeßmembran.
Zunächst rasche Besserung; völliges Wohlbefinden; Rückgang der
Stauungspapille; Wundheilung noch nicht beendet; kleiner Prmaps;
bisweilen auch geringe Kopfbeschwerden.
Der Fall bestätigt die alte Tatsache von der langen Dauer des
Latenzstadiums der traumatischen Hirnabszesse und mahnt von neuem
zur Vorsicht bei der Beurteilung von Kopfbeschwerden Schädelver¬
letzter; es ist wahrscheinlich, daß unter unseren Kriegsbeschädigten
noch eine ganze Anzahl mit latenten Himabszessen herumläuft.
Eine kurze Bemerkung noch zur neurologischen Seite des Falles
im engeren Sinne des Wortes.
Der rechte Stirnlappen wurde früher zu den stummen Hirn¬
provinzen gerechnet; in neuerer Zeit hat es sich aber herausgestellt,
daß doch bisweilen auch gewisse Herdsymptome von ihm ausgehen
können. Hier fehlten sie im wesentlichen; die leichten Störungen im
rechten Trigeminusgebiet und Fazialisgebiet sind wohl mehr auf
allgemeine Druckwirkung zurückzuführen; Ataxie fehlte; Witzelsucht
war vielleicht angedeutet; Apathie und Somnolenz waren sehr aus¬
gesprochen, konnten aber in Anbetracht des hohen Hirndruckes nicht
als Stirnhirnsymptome angesprochen werden. Endlich fehlte völlig die
Beeinträchtigung der seitlichen Kopf- und Blickwender, worauf fort-
laufend geachtet wurde, da ja bekanntlich von verschiedenen Seiten
ein Zentrum für diese Bewegungen im Fuß der mittleren Stirnwindung
angenommen wird. Daß dieses Gebiet hier schwer betroffen war, ist
nicht zu bezweifeln; ich habe mich an Punktionen an Leichen davon
überzeugt, daß der obere Neissersche Stirnpunkt diese Stelle trifft.
Die Hirnpunktion hat sich hier als diagnostisches Hilfsmittel
durchaus bewährt. Wenn in meinem Falle ja freilich durch den Sitz
der Verletzung der Weg für den Chirurgen gewiesen war, so ist es
doch für den Erfolg der Operation, für die Nachbehandlung ins¬
besondere bezüglich der Frage der Verhütung eines großen Hirn¬
prolapses von großer Wichtigkeit, die Lokalisation möglichst zu prä¬
zisieren, weil man dann mit einer kleinen Trepanationsöffnung aus¬
kommt. Durch den Nachweis von normalem Hirngewebe, 4 cm unter¬
halb der erfolgreichen Punktionsstelle, erhielt man auch eine gewisse
Vorstellung von der Ausdehnung des Eiterherdes.
Besondere Bedenken gegen den Eingriff scheinen mir nicht zu
bestehen; natürlich muß dafür gesorgt sein, daß sich an eine positive
Punktion die breite Eröffnung des Schädels sofort anschließen kann.
In einem weiteren Falle habe ich mich autoptisch davon über¬
zeugen können, daß die Punktion von Himabszessen nicht übermäßig
gefährlich ist. Es handelte sich um eine Pyämie, bei der die Anwesen¬
heit mindestens eines Abszesses in jeder Hemisphäre durch unverkenn¬
bare Herdsymptome gesichert war, bei der weiterhin multiple, große
Leberabszesse vorhanden waren. Therapeutisch war der Fan un¬
angreifbar; es wurden 1—2 Tage ante mortem exercitii causa beide
Abszesse punktiert; bei der Autopsie fand sich keine ausgesprochene
Meningitis im praktischen Sinne des Wortes.
Von besonderem Interesse scheint mir das Verhalten des Lumbal-
punktates zu sein. Die relativ hohe Zahl der Zellen und ihr fast rein
Ivmphozitärer Charakter schien in einem auffallenden Gegensatz zu
aer eitrigen Herderkrankung zu stehen. Doch war mir dieses eigen¬
tümliche Verhalten von früheren Beobachtungen her nicht ganz un¬
bekannt; auch enthält die Literatur vereinzelte kurze Angaben hier¬
über. Plaut, Rehm und Schottmüller erwähnen in ihrer Mono¬
graphie über die Lumbalpunktion an verschiedenen Stellen das Ver¬
halten des Liquors bei Hirnabszessen; sowohl bei der lymphozytären
Digitized by Gck igle
Original from
CORNELL UNiVERSITV
280
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 9
als auch bei der leukozytären Pleozytose wird der Hirnabszeß ange¬
führt. Daß in der Tat beides vorkommt, habe auch ich feststellen
können; in mehreren weiteren Fällen von Hirnabszessen fand ich
Ausgesprochene Liquorlymphozytose, noch im Mai dieses Jahres bei
einem 22jährigen Mädchen: Seit 5 Wochen ohrenkrank, in der letzten
Woche Fieber, Kopfschmerzen; 12 Stunden vor der Aufnahme plötzlich
Bewußtlosigkeit, tief soporös eingeliefert. Temperatur 37,6°, Puls
sehr frequent. Nackensteifigkeit, Stauungspapille beiderseits (rechts
mehr als links). Sehnenreflexe gesteigert, Babinski und Oppenheim
beiderseits -f-. Athetoide Bewegungen der rechten Hand.
Lumbalpunktion: Druck 470mm Wasser, Liquor leicht trübe;
Nonne -f-, Sublimatprobe -f-. Nissl 8 Teilstriche. Pleozytose -}~b
(500imcbmm). Wa.R. und Goldsol-Reaktion —; mikroskopisch fast nur
kleine Lymphozyten. Keine Keime, Kultur steril, Wa.R. im Blut —.
Tod 6 Stunden nach der Aufnahme.
Autopsie: Großer, abgekapselter Abszeß des linken Schläfen¬
lappens, kommunizierend mit epiduralem Abszeß; Schläfenbein von
Fisteln durchsetzt
Ausgesprochene Polynukleose des Liquors habe ich bei einem
unkomplizierten Hirnabszeß nur einmal gesehen.
50jährige Frau, bei der sich im Anschluß an eine eitrige Lungen-
affektion unter unseren Augen ein Hirnabszeß entwickelte, der durch
eine typische sensorische Aphasie exakt zu lokalisieren war. Hier
ergab die Punktion einen trüben, unter erhöhtem Druck stehenden
Liquor; das Sediment sah makroskopisch deutlich gelblich aus und
bestand fast nur aus Leukozyten; Bakterien wurden weder mikro¬
skopisch noch kulturell nachgewiesen. Die Frage der Operation wurde
lange erwogen; schließlich wurde sie abgelehnt, da der reichliche
Leulcozytengehalt des Liquors auf eine Meningitis hinzudeuten schien
und außerdem für wahrscheinlich gehalten wurde, daß außer dem
lokalisierbaren noch weitere Abszesse vorhanden seien. Beide An¬
nahmen erwiesen sich als falsch; es fand sich bei der Sektion keine
Meningitis, und der Abszeß war solitär; er saß im linken Schläfen¬
lappen und war nicht in der Perforation begriffen.
Daß die von eitrigen Brustaffektionen herrührenden metastati-
scheu Hirnabszesse im Gegensatz zu den meist multiplen pyämischen
häufig solitär sind, ist jetzt statistisch nachgewiesen.
Bei praktisch als unkompliziert anzusprechenden Hirnabszessen
ergibt die Lumbalpunktion mithin folgende Veränderungen: Erhöhung
des Druckes bis zu sehr hohen Graden; mäßige Vermehrung des
Albumin- und Globulingehaltes: erhebliche Pleozytose, meist von
lymphozytärem, seltener von leukozytärem Charakter; keine spontane
Gerinnung; keine Bakterien. Auf das zytologische Verhalten soll
etwas genauer eingegangen werden.
Der Fall, der ein polynukleäres Exsudat zeigte, entwickelte sich
unter unseren Augen und wurde also ganz frisch punktiert; von den
beiden genauer beschriebenen Fällen mit lymphozytärem Lumbal¬
punktat war der eine ein ganz alter traumatischer Abszeß, der einige
Wochen vorher in sein drittes Stadium getreten war; der andere
schien 5—6 Wochen alt zu sein; vielleicht war er aber auch älter.
Die Anamnese, der hier moribund aus sehr ungeordneten Verhältnissen
eingelieferten und offenbar mangelhaft beobachteten Person war wohl
nicht vollständig; die Durchlöcherungen des Schläfenbeines sahen
älter aus. Daraus scheint hervorzugehen, daß bei der Entwicklung
eines Hirnabszesses der Liquor eine polynukleäre, in späteren Stadien
eine lymphozytäre Pleozytose aufweist. Vielleicht wird bei alten
Abszessen wieder ein Umschlag in dem leukozytären Zellcharakter
eintreten, wenn sie beim Wiederaufflackern die Oberfläche des Ge¬
hirns erreichen. Einen derartigen Fall habe ich bisher nicht Gelegen¬
heit gehabt zu punktieren. Auffällig ist jedoch folgende Beobachtung:
Im Mai 1913 habe ich bei einem 16jährigen Mädchen, bei dem sich
von einer alten Otitis aus, im Laufe von 3 Monaten, unter dauernden
Beschwerden ein linkseitiger Schläfenlappenabszeß entwickelte, eine
Lumbalpunktion ausgeführt: Druck 230 mm Wasser; Liquor klar,
Nonne ganz schwach -f-; Nissl 1 Vs; im Kubikmillimeter 120 Zellen
von fast rein lymphozytärem Charakter. Die 2 Tage später durch
Geh. Hansberg ausgeführte Operation ergab, daß der sehr große
Abszeß (6—8 Eßlöffel Eiter) die Ventrikelwand kurz vor oder während
der Operation perforiert hatte; nach dem Abfluß des Eiters entleerte
sich sehr reichlicher, klarer Liquor. Das Mädchen wurde völlig
gesund, arbeitete bis vor kurzem im Krankenhaus und hat dann
geheiratet.
Daß die Meningen auch auf andere intrazerebrale Affektionen
mit einer derartigen blanden Entzündung reagieren, habe ich vor kurzem
bei einer 44jährigen Frau gesehen, die mit einer frischen, apoplektisch
entstandenen Hemiplegie eingeliefert wurde, als deren Quelle sich eine
seit einigen Jahren bestehende Mitralinsuffizienz ergab. Fieber und
Anämie ließen eine subakute rekurrierende Endokarditis vermuten; hef¬
tiger Kopfschmerz und Nackensteifigkeit veranlaßten eine Lumbalpunk¬
tion, die erhöhten Druck (240 mm Wasser) und erhebliche Pleozytose
ergab (von 600 Zellen 2 / s Leukozyten, Vs Lymphozyten); keine Keime.
Das Fieber verschwand langsam, ebenso Kopfschmerz und Nacken¬
steifigkeit. Die Hemiplegie bildete sich allmählich, jedoch unvoll¬
kommen zurück. Auf eine Hirnpunktion glaubte ich verzichten zu
sollen, da ich keinen Abszeß, sondern einen embolischen Herd an¬
nahm, der ja bei den blanden Formen der Endokarditis nicht zu Ver¬
eiterung zu führen pflegt. Geht die Embolie von einem einfachen
Klappenfehler aus, so bleibt nach meinen Erfahrungen der Liquor
ganz normal.
Das Veratändnis für diese Vorgänge wird erleichtert durch einen
Vergleich mit dem Verhalten der Liquors bei anderen Erkrankungen
des Gehirns und seiner Häute. Wenn man eine zur Ausheilung ge-
langende epidemische Meningitis regelmäßig punktiert, so sieht man,
daß mit Abnahme der Pleozytose die Lymphozyten immer mehr in den
Vordergrund treten, sodaß schließlich aas zytologische Bild dem einer
tuberkulösen Meningitis gleichen kann (Zeitzahl um 500, davon
mehr als die Hälfte Lymphozyten).
In einer vor kurzem aus dem Wegelischen Institut 1 ) erschienenen
Arbeit über die Histologie der akuten Poliomyelitis und der epide¬
mischen Enzephalitis wird auch festgestellt, daß im Anfangsstadium
die Leukozyten, später die Lymphozyten überwiegen. Der Autor ist
der Meinung, aaß die Lymphozyten aus den Lymphgefäßen einwan¬
dern, hält aber auch ihre Bildung aus Adventitiazellen für möglich,
Man muß nun wohl annehmen, daß im Bereiche der Meningen diese
zur Lymphozytose führenden Prozesse lange anhalten können, nach¬
dem die frischen, mit Polynukleose einhergehenden Entzündungs¬
erscheinungen abgeklungen sind.
Es wäre demnach der Zellcharakter mehr eine Frage der Dauer
als der Art des Prozesses, wenigstens bei den hier erwähnten Krank¬
heitszuständen; Tuberkulose und Lues nehmen vielleicht doch eine
Sonderstellung ein, obschon Ausnahmen von dem starken Ueberwiegen
der Lymphozyten auch hier, wenn auch sehr selten, Vorkommen.
Bei einem 20iährigen Mädchen mit frischer luischer Meningitis
(ca. 4 Monate nach der Infektion) enthielt der Liquor 890 Zellen, von
denen die größere Hälfte polynukleär war.
Stemmler*) berichtet aus dem Nauwerckschen Institut übereine
akute luische Meningitis mit polynukleärem Exsudat; auch bei
tuberkulöser Meningitis habe ich ausnahmsweise bis gegen 80%
Leukozyten gefunden.
Die Kenntnis der hier erörterten Fragen hat ein erhebliches prak¬
tisches Interesse; wer mit diesen Verhältnissen nicht vertraut ist,
kann bei einschlägigen Fällen leicht in folgenschwere Irrtümer verfallen,
und zwar sowohl in diagnostischer wie auch in prognostischer Hinsicht
Der lymphozytäre Liquor, der häufig bei unkomplizierten Hirn¬
abszessen gefunden wird, kann von der Annahme einer eitrigen
intrazerebralen Hirnerkrankung ablenken und die Diagnose einer
tuberkulösen oder luischen Affektion aufkommen lassen oder auch
die einer nicht eitrigen Enzephalitis. Zahl und Beschaffenheit der
Zellen können bei allen diesen Erkrankungen übereinstimmen; spontane
Gerinnung und der fast stets zu erbringende Bazillennachweis charak¬
terisieren die tuberkulöse Meningitis, positiver Ausfall der Wasser-
mannschen und der, wie es scheint, noch schärferen Goldchloridreaktion
die syphilitischen Erkrankungen des Zentralnervensystems. Bei der
Häufigkeit der letzteren muß man freilich auf Kombinationen ge¬
faßt sein.
Eine Schwierigkeit, die Liquoruntersuchung für die Differential¬
diagnose frischer Hirnabszesse und Kopfbeschwerden nach Trauma
ohne gröbere Grundlage zu verwerten, liegt darin, daß auch bei
diesen einfachen posttraumatischen Zuständen eine geringe Lympho¬
zytose gefunden wird; sie ist jedoch nach meiner Erfahrung viel
geringer, bewegt sich zwischen 20 und 40 Zellen im Kubikmillimeter.
Praktisch noch wichtiger ist die richtige Beurteilung der leuko-
zytären Pleozytose bei Hirnabszessen.
Man soll mit der Diagnose der komplizierenden Meningitis im
Sinne eines unbedingt letalen Endstadiums sehr zurückhaltend sein;
eine recht reichliche Leukozytenzahl beweist noch nicht eine schwere
eitrige Meningitis, lolange Bakterien fehlen, und darf nicht als
Kontraindikation gegen einen im übrigen erfolgversprechenden Eingriff
angesehen werden; es handelt sich in solchen Fällen um eine leichte
toxische Meningitis, die nach Eröffnung des intrazerebralen Abszesses
wieder vollkommen abheilen kann.
Während der Drucklegung wurde ein otogener Schläfenlappen¬
abszeß und eine Himembohe bei Viridanssepsis mit Endocarditis lenta
punktiert; in beiden Fällen fand sich ausgesprochene Liquorlympho¬
zytose (150—200 Zellen im Kubikmillimeter); der Himabszeß war
5 Wochen, die Embolie nur wenige Tage alt. Die Lymphoawtose
scheint demnach beim Himabszeß die Regel zu sein und auch bei
den Embolien bei subakuter Endokarditis zu überwiegen.
Diabetes insipidus nach Trauma, erfolgreich mit Pituglaodoi
behandelt.
Von Dr. Walter Thöroer, Priv.-Doz. für Physiologie in Bonn.
Im August des letzten Kriegsjahres hatte ich Gelegenheit, einen
Fall von Diabetes insipidus zu beobachten, der aus zwei Gründen
besonderes Interesse verdient: Erstens schloß sich die Polyurie un¬
mittelbar an ein schweres Trauma des Kopfes an, und zweitens war
sie durch Hypophysenhinterlappenextrakt erfolgreich und nachhaltig
zu beeinflussen. Da die Möglichkeit zu sorgfältiger Untersuchung
gegeben war, werden die Beobachtungen an diesem, wenn auch
noch unklar bleibenden Fall doch brauchbare Beiträge zur Frage des
Diabetes insipidus enthalten.
Der 22jährige Flugzeugführer R. war Anfang Juli 1918 aus
500 m Höhe mit seinem Flugzeug abgestürzt, war bewußtlos unter
dessen Trümmern hervorgezogen und nach wenigen Stunden in
noch unklarem Zustande in das nächste Kriegslazarett eingeliefert,
wo neben geringen äußeren Verletzungen — Hautabschürfungen und
») Hluptn, D. Zchsr. f. Nervhlk. 71. — ■) D. Arch. f. klln. M. 136.
Digitized b'
Google
Original from
CORNELL UNIVERSUM
3. März 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
281
Blutergüssen an Stirn und rechtem Fuß — eine Gehirnerschütterung
(Benommenheit, Erbrechen) festgestellt wurde. Schädelbruch lag nicht
vor. Alle inneren Organe waren in Ordnung, ebenso der Harn, bis
nach einigen Tagen die Polyurie auffiel. Zur Behandlung wurde R.
nach 3 Wochen auf meine Innere Station verlegt. Hier machte er fol¬
gende Angaben: Er sei auf den Kopf gestürzt, der Sturzhelm habe
mn vor schwereren Kopfverletzungen geschützt. Vom zweiten Tage
nach dem Sturz habe er zunehmenden Durst gespürt und von Tag
zu Tag mehr Wasser trinken und mehr Ham lassen müssen und
habe gleichzeitig an Kraft und Gewicht verloren. Zur Zeit klage er
über schnelle Ermüdbarkeit, etwas Kopfschmerz und Schwindelgefühl
und Appetitlosigkeit, vor allem aber über Durst und Trockenheit im
Mund, sodaß ihm das Sprechen schwer falle.
Im Folgenden fasse ich das Beobachtungsergebnis der ersten acht
Tage aus wiederholten Einzeluntersuchungen zusammen. Der Zustand
des R. war in dieser Zeit stationär: Bei mittlerer Körpergröße ein
Körpergewicht von nur 54 kg, sehr geringes Fettpolster, mäßige
Muskulatur. Wangen eingefallen, Rippen hervortretend. Haut faltig,
graugeib und trocken; Schleimhäute, soweit sichtbar, normal gerötet,
wenig durchfeuchtet. Lippen sehr trocken, aufgesprungen;
Zunge graugelb belegt, rissig, sehr trocken. Gebiß gut.
Rachenorgane o. B. Keine deutlichen Drüsenverdickungen. Die er¬
wähnten Weichteilverletzungen abgeheilt. — Am Herzen nichts Auf¬
fallendes, Puls etwa 68 im Liegen, etwas klein; Blutdruck 140 maxim.,
80 minim. Lungen und Bauchorgane o. B. — Bei Prüfung des
Nervensystems fiel eine lebhafte Steigerung aller Sehnen¬
reflexe, ebenso der Bauchdeckenreflexe auf, jwloch war kein Klo-
nus, kein Babinski, kein Oppenheim auszulösen. Pupillenreaktionen
normal, keine Augenmuskelstörung. Keine Ausfallserscheinungen auf
psychischem Gebiet. — Auffallend war der Blutbefund jm Sinne
einer Eindickung und Hyperlymphozytose: Spezifisches Gewicht 1064.
Erythrozyten 6600000 im cmm, Hämoglobin 130 (Sahli), Leukozyten
13400 im cmm. Blutbild: Polymorphkern. Leukozyten 34, Eosino¬
phile 4, Lymphozyten 57, Monozyten 5. Im Serum Reststickstoff
40 mg in 100 ccm, Indikan Der Stuhl, etwa in 3 Tagen nur
2 mal erfolgend, war äußerst hart, dunkel, kleinkuglig geformt und
trocken, oft mit Schleim überzogen. Blutnachweis negativ. Die
Hammenge betrug durchschnittlich 0400 ccm in 24 Stunden, und
zwar tags etwa doppelt so viel als nachts. Das spezifische Ge¬
wicht war sehr gering, schwankte um 1001 und war im Tagesharn
höher, bis 1002, als im Nachtharn. Der Harn war nur schwach ge¬
färbt, klar, frei von Eiweiß und Zucker, im Zentrifugat fanden sich
ganz vereinzelt einige Blutkörperchen und Plattenepithelien.
Es bot sich demnach das Bild einer starken, andauernden pri¬
mären Polyurie mit ihren sekundären Folgeerscheinungen, die
sich im Anschluß an das Trauma schnell entwickelt hatte und nun
ungefähr 4 Wochen bestand. Es lag nahe, an einen zerebralen oder
hypophysären Ursprung der Erkrankung zu denken im Sinne einer
Störung der nervösen Sekretionsregulation, durch das Trauma herbei¬
geführt. Eine Schädelbasisfraktur lag nicht vor. Spezialärztliche Unter¬
suchungen an Nase, Augen und Obren blieben ohne pathologischen
Befund. Röntgenaufnahmen in zwei Anstalten ließen keinerlei auf
Hypophyse oder Hirnbasis zu beziehende Veränderungen erkennen.
Trotz dieses negativen Befundes konnte aber eine Störung hier durch
die erlittene Commotio cerebri bedingt sein. Man mußte versuchen,
sich auf weitere klinische Zeichen zu stützen. — Die Beziehungen der
Zwischenhirnbasis zum Kohlenhydratstoffwechsel legten eine Prüfung
der Zuckertoleranz nahe. Weder nach einmaliger kontrollierter Auf¬
nahme per os von 50 g Milchzucker noch von 220 g Traubenzucker,
morgens nüchtern gegeben, erfolgte auch nur die geringste Zucker¬
ausscheidung mit dem Harn. Es bestand demnach eine auffallend
hohe Zuckertoleranz. Auch durch Adrenalin ließ sich keine
Glykosurie hervorrufen. R. erhielt 2mal im Abstand von 2 Stunden
je 1 ccm Adrenalin (1:1000,0) subkutan. Der Harn blieb zuckerfrei,
aber auch das Gefäßsystem reagierte nicht darauf. Der Blutdruck blieb
f änzlich unverändert, während Veigleichspersonen eine bald ab¬
lingende Blutdrucksteigerung von 20—30 mm Hg zeigten.
Aber einen andern Einfluß schienen diese an 4 Folgetagen ge¬
machten Adrenalineinspritzungen zu haben. Es sank nämlich
vom Tage nach Beginn der Einspritzungen die tägliche Harnmenge,
die bis dahin zwischen 9000 una 10000 ccm geschwankt hatte, Bis
auf etwa 8000 ccm ab, ohne jedoch durch die letzten beiden Adrenalin¬
tage weiter herabgedrückt zu werden. Vgl. die Kurve. Ob hier tat¬
sächlich eine organische, ob eine psychische Wirkung oder gar ein
zufälliges Zusammentreffen vorliegt, wage ich nicht zu entscheiden,
auch war der Einfluß ja nur gering. Anderseits schien aber die
Zuckertoleranz an den Adrenalintagen etwas herabgesetzt, indem auf
180 g Traubenzucker, nüchtern per os genommen, vorübergehend ge¬
ringe Reduktion im Harn auftrat.
Inzwischen war es gelungen, Hypophysenhinterlappenextrakt in
Form von PituglandoT zu beschaffen. Vom zweiten Tage nach Ab¬
schluß der Adrenalinbehandlung au, während sich die Harnflut um
8000 ccm bewegte, erhielt der Kranke 7 Tage hindurch täglich 1 ccm
= 0,3 g Substanz Pituglandol subkutan. Da es vor Personal und Pa¬
tienten als „Schlafmittel* gegeben wurde, war diesmal ein sugge¬
stiver Einfluß auf die Wasserausscheidung vermieden. Schon auf die
erste Pituglandolgabe sank die nächste Harntagesmenge auf
5200 ccm und wurde durch die zweite und dritte auf 2500 ccm herab¬
gedrückt, wo sie dann aber nicht weiter zu beeinflussen war. Durst
und Trockenheitsgefühl im Munde waren fast ganz geschwunden.
Parallel mit der Abnahme der Menge stieg das spezifische
Gewicht des Harns, aber relativ wenig. Es hob sich bis tags 1005,
nachts 1004. Der Harn war-also noch auffallend arm an
gelösten Stoffen. Auch nach Aussetzen der Einsprit¬
zungen blieb die Hammenge ziemlich konstant zwi¬
schen 2500 und 3000 ccm und das spezifische Gewicht um 1004
bis 1005. Eine nach 18 Tagen erneut einsetzende 4 tägige Pituglandol-
behandlung vermochte wohl die Harnflut um 500 ccm zu vermindern,
jedoch nur vorübergehend. Hinterher stieg die Harntagesmenge wie¬
der auf 2500 bis 3000 ccm und hielt sich hier noch während der
übrigen 40 Tage dauernden Beobachtung.
Mit dem Rückgang der Harnflut hatte sich auch das Blut in
Richtung auf die Norm geändert. Im letzten der sieben
Pituglandoltage bot es folgenden Befund: Spezifisches Gewicht 1059,
Erythrozyten 5600000, Leukozyten 10000 im mm 3 , Hämoglobin 110.
Das Leukozytenbild war gegen früher nicht versdioben. Der Blut¬
druck betrug 125 maxim. und 65 minim. — Waren demnach auch die
Polyurie und ihre nächsten Folgen, Bluteindickung, Durst, Trocken¬
heitsgefühl, Sprödigkeit der Lippen, die Sprechbeschwerden, auch
Kopfschmerz und Schwindel, nach der Pituglandolbehandlung ganz er¬
heblich gebessert und damit ein Zusammenhang zwischen Hypo¬
physe und unserem Krankheitsbild wahrscheinlich gemacht, so blieb
doch der Allgemeinzustand des R. in wesentlichen Punkten un¬
verändert una eine Reihe von Erscheinungen bestehen,
die auf eine noch nicht behobene Störung des Stoff¬
umsatzes und Wasserhaushaltes hinwiesen.
Es wurde immer noch zu viel Wasser durch die Nieren ab¬
gegeben, wobei nach Angabe des niedrigen spezifischen Oewichtes der
Ham auffallend arm und auch in Beziehung zur vermehrten Wasser¬
menge relativ zu arm an gelösten Stoffen war. Eine Funktions¬
prüfung der Niere durch den Wasser- und anschließenden
Durstversuch ergab eine überschießende Wasseraus¬
scheidung und ein völlig ungenügendes Konzentrations-
vermögen bei geringer Variationsbreite. Zwischen 7 und 8 Uhr
früh wurden nüchtern 1500 ccm Wasser genommen. Um 11 Uhr,
also nach 4 Stunden, waren schon 1640 ccm Harn gelassen vom spe¬
zifischen Gewicht 1002. Während der bis zum andern Morgen dauern¬
den Durstperiode, in der Patient nur trockene Speisen erhielt,
wurden noch 1160 ccm Ham produziert, wobei das spezifische Ge¬
wicht in den einzelnen Portionen allmählich stieg, um mit der Nacht¬
portion den Höchstwert von 1012 zu erreichen. Die Kochsalzaus¬
scheidung betrug in den 24 Versuchsstunden nur 5,5 g. In den ersten
Harnportionen sank der Kochsalzwert, berechnet auf 100 ccin Ham,
von 120 auf 60 mg, um in der Trockenzeit langsam zuzunehmen bis
auf 390 mg in IC© ccm der Nachtportion. — Der Stuhl blieb hart,
wasserarm und selten. Das Körpergewicht nahm trotz nahrhafter
Kost nicht zu, stieg nicht über 54 kg. Appetitlosigkeit und Er¬
müdungsgefühl blieben, sodaß R. meist Bettlägerig war. Die Zucker¬
toleranz Dlieb in der ursprünglichen auffallenden Höhe. Um einen
Einblick in den Stoffwechsel zu gewinnen, wurde ein acht Tage
dauernder Versuch angestetlt, in dem der Stickstoffgehalt der Aus¬
scheidungen im Harn und Stuhl verglichen wurde mit dem errech-
neten Stickstoffgehalt der genau zugeteilten Nahrung. Es fand sich,
daß R. bei Zufuhr von durchschnittlich 96 g Eiweiß so ziemlich im
Stickstoffgleichgewicht war; daß er scheinbar etwas mehr
Stickstoff ausschied, als aufnahm, kann durch die ungenügende Ge¬
nauigkeit der Tabellenwerte der Nahrungsmittel erklärt werden, da
sich dieselbe Erscheinung bei den drei Vergleichspersonen zeigte.
Auffallend aber war, daß im Gegensatz zu den Kontrollversuchen
an drei gleichernährten Stoffwechselgesunden in unserem Falle durch
den Stuhl eine größere Stickstoffmenge abging als durch den Harn,
derart, daß fast */a des Stickstoffs der Nahrung im Stuhl
und nur wenig über Vs Harn erschien. Auf diese Armut an
Stickstoffverbindungen könnte vielleicht auch das geringe spezifische
Gewicht des Harnes bezogen werden. Leider fehlte für Hamstoff-
und Ammoniakstickstoffbestimmung und für Gefrierpunktsfeststellung
die technische Möglichkeit. Wodurch das beschriebene abnorme Ver¬
halten bedingt sein mochte, ob zu wenig oder zu schwach wirksame
Verdauungssäfte ins Darmlumen abgegeben wurden, ob die Resorp¬
tion daniederlag, konnte nicht entschieden werden. Die Stuhlunter¬
suchung auf unverdaute Nahrungsreste schien allerdings für ung^.
nügenae Aufspaltung zu sprechen. Leider mußte R., bevor weitste
Versuche Klärung schaffen konnten, aus militärischen Gründen in
Heimat abtransportiert werden. Ich habe über sein weiteres SchieV*^ \
nichts erfahren. Bemerkt sei hier, daß auch Leschke bei
durch Stich in die Zwischenhirnbasis erzeugten Polyurien eine
fallend geringe molekulare Konzentration der Harne fand. Nur
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
282
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
es da noch eine zentrale Differenzierung geben, da in unserem Falle
nach Eindämmung der Harnflut die Armut an gelösten Stoffen be¬
stehen blieb.
Schloß. Ueberblicken wir das geschilderte Krankheitsbild, so ist
seine klarere Deutung völlig unmöglich. Nach unserer Vermutung
liegt ihm eine zentrale Störung des vegetativen Regulationssystems
zugrunde, die durch das Trauma bedingt war. Wie weit daran Ver¬
änderungen auf inkretorischem, wie weit auf nervösem Gebiet be¬
teiligt sind, ist nicht zu entscheiden. Psychogene Momente scheinen
in unserem Falle von untergeordneter Bedeutung, die Beobachtung
ergab keinerlei Anhalt für solche. Am nächsten liegt wohl die An¬
nahme, daß durch die Gehirnerschütterung eine bleibende Störung
im Betriebe gewisser vegetativer Zentren gesetzt wurde, vielleicht
im Zwischenhirn und seiner Basis, wohin wir solche Regulations¬
zentren für Wasserhaushalt und Stoffwechsel zu lokalisieren gelernt
haben. Das Wasserhaushaltszentrum hier, für das nach einigen Au¬
toren das Hypophysenmittellappensekret einen physiologischen Reiz
bedeutet, könnte in unserem Falle durch die reichliche Pituglandol-
zufuhr den Anstoß zu mehr geordneter Tätigkeit erhalten haben, so-
daß die Diurese sich der Norm näherte, während die übrigen be¬
troffenen Zentra davon unbeeinflußt und die entsprechenden Krank¬
heitserscheinungen vor allem des Stoffwechsels bestehen blieben. Eine
primäre Störung in den Sekretionsverhältnissen der Hypophyse an¬
zunehmen, liegt weniger Grund vor, auch wäre dann der Dauer¬
erfolg der Pituglandolbehandlung nicht verständlich. In obiger Weise
betrachtet aber würde unser Fall einen Hinweis bedeuten auf die
engen Beziehungen zwischen den inkretorischen und nervösen Me¬
chanismen zur Regulation der vegetativen Körperfunktionen, und
unsere Auffassung würde vermittelnd eintreten zwischen die rein
hypophysäre und die rein zentral nervöse Ableitung des Krankheits¬
bildes des Diabetes insipidus.
Aus der Medizinischen Klinik des St. Marienkrankenhauses
in Frankfurt a. M.
• lieber das Wesen des Gerinnungsfermentes.
Von Richard Stephan.
Das biologische Geschehen beim Ablauf der Blutgerinnung hat
seit langem das Interesse der Physiologen wie Kliniker in gleichem
Maße erregt und wachgehalten; wer sich historisch mit diesen Dingen
beschäftigt, der weiß, wie wechselvoll sich die Erforschung dieses
Gebietes gestaltete und wie Perioden intensivster Betätigung mit
solchen einer gewissen resignierenden Untätigkeit wechselten. In
der Zwischenzeit blieb dann jeweils die jüngst erbaute Theorie in
Geltung, um bei neuer experimenteller Inangriffnahme dieses Zweiges
physiologischer Forschung rasch neugewonnenen Anschauungen Platz
zu machen. Die Hauptetappen dieses keineswegs in gerader Linie
durchwanderten Weges sind durch die Namen AlexanderSchmidt,
Morawitz und Klinger gekennzeichnet. Neuerdings haben die
Gerinnungshypothesen von Nolf und Bordet sich eine gewisse,
allerdings geringe Anhängerschaft unter den Klinikern erworben;
durch Hekma ist schließlich die ganze Frage auf das reine Gebiet
der Kolloidchemie verschoben worden. Die, wie uns dünkt, bedeu¬
tungsvollsten Arbeiten sind aber zweifellos diejenigen Klingers
und seiner Züricher Mitarbeiter, denen der eindeutige Nachweis
gelang, daß die Blutgerinnung im bisherigen Sinne ein fermen¬
tativer Prozeß ist, dessen Einzelphasen sich durch kolloidchemische
Betrachtungen verstehen und auflösen lassen.
Für den Fernerstehenden kranken alle Theorien der Gerinnungs¬
lehre einmal an einer Ueberfülle der Begriffe und Nomenklaturen,
dfe ein Eindringen in die Gedankengänge der einzelnen Autoren oft
fast unmöglich machen und auch dem Spezialforscher die logische
Verbindung der experimentell sichergestellten Tatsachen der Gerin¬
nungsphysiologie ungemein erschweren. Sie kranken aber außerdem
zweitens an der experimentellen Einstellung der Basis fast aller Unter¬
suchungen, insofern sie größtenteils an dem durch einen willkürlichen
chemischen Eingriff gewonnenen Blutplasma unternommen wurden
und sich die am Plasma abspielenden Prozesse keineswegs ohne wei¬
teres auf die Blutflüssigkeit selbst übertragen lassen. Ueber diese
für die spezielle Gerinnungslehre wichtigen Fragen an anderer
Stelle mehr.
Fast allen Gerinnungstheorien gemeinsam ist die
Annahme einer spezifischen Kinase, des sog. Gerin¬
nungsfermentes, unter dessen beherrschendem Ein¬
fluß die extravasale Blutgerinnung abläuft, dessen
Fehlen die Ungerinnbarkeit des Blutes bedingt und
von dessen Konzentration in der Blutflüssigkeit die
Schnelligkeit der Umwandlung des Fibrinogens vom
Sol zum Gel, d. h. die Erstarrung des Blutes abhängig
ist. Alle anderen Faktoren — Kalziumion, Aktivatoren usw. — werden
an Bedeutung für den Gerinnungsvorgang vom Gerinnungsferment
bei weitem übertroffen. Die Gerinnungsforschung der allerletzten Zeit
ist nun weiterhin durch zwei wichtige Feststellungen in dieser Richtung
gekennzeichnet: Kl in ge r hat mit seinen Mitarbeitern gezeigt, daß
die Gerinnung biologisch als Autoproteolyse der Blutflüssigkeit aüfzu-
fassen ist, daß demgemäß das Oerinnungsferment zur Gruppe der
proteolytischen rechnet; und wir selbst haben die Abstammung dieses
Nr. 9
Fermentes aus den Zellen des retikulären Zellsystems nachgewiesen
und es zur Gewißheit gemacht, daß die Abgabe des Fermentes in
die Blutbahn durch eine spezifische Funktion der Hetikulumzellfi
bedingt ist. Unter normalen Verhältnissen kreist also in der Blutbahn
ein proteolytisches Ferment, für dessen Inwirksamkeittreten der Aus¬
tritt des Blutes aus der Gefäßbahn unerläßliche Vorbedingung ist-
andere für die „Aktivierung“ des Fermentes wichtige Voraussetzungen
sind noch nicht hinreichend geklärt, um hier zur Erörterung zu stellen
Im Laufe sehr ausgedehnter experimenteller Untersuchungen übet
Gerinnungsfragen bei pathologischen Zuständen des Organismus, ins¬
besondere bei hämorrhagischer Diathese und bei der Hämophilie, sowie
bei den durch Milzreizbestrahlung ausgelösten Reaktionen im mensch¬
lichen Blut, stießen wir immer wieder auf Beobachtungen, die an der
Spezifizität des Gerinnungsfermentes zweifeln ließen. Mit anderen
Worten: Es wurde durch die Resultate dieser Versuche sehr unwahr¬
scheinlich gemacht, daß das Ferment, das der Gerinnung vorsteht
ausschließlich diesem biologischen Prozeß dient, daß ihm vielmehr
als unspezifischem proteolytischen Ferment der Blutflüssigkeit die
Beherrschung der Gerinnung lediglich als Partialfunktion rieben
anderer proteolytischer Wirksamkeit zukommt. Und es schälte sich
aus diesen experimentellen Ergebnissen immer mehr die klare Frage¬
stellung heraus: Läßt sich auf der Baske unserer derzeiti¬
gen Kenntnisse und Methoden die Identität des Ge-
rinnungsfermentes mit einem unspezifischen proteo¬
lytischen Serumferment erweisen? ,,
Alle in dieser Richtung zielenden Versuche hatten
zunächst die Lösung einer nicht unwichtigen Vorfrage
Zl jr Voraussetzung, die schon durch die Abwehrfermentlehre
Abderhaldens in Fluß gekommen, aber nicht eindeutig beantwortet
worden war. Der Grundpfeiler dieser Lehre ruht in der Annahme,
daß die Blutflüssigkeit unter normalen Bedingungen biologisch inaktiv
ist und daß das Auftreten von Fermentkörpern im Blutserum mit
Regelmäßigkeit pathologische Vorgänge im intermediären Zellstoff¬
wechsel beweist. Bestünde diese Theorie Abderhaldens zu Recht,
so würde sich die Fragestellung nach dem Wesen des Gerinnungs¬
fermentes im obigen Sinne erübrigen; denn dieses kreist in jedem
Blut, jenes aber sollte nur unter ganz besonderen Voraussetzungen
der pathologischen Biologie in die Gefäßbahn übertreten. Freilich
ist die Hypothese Abderhaldens von der Fermentfreiheit der
normalen Blutflüssigkeit von Beginn an starkem Zweifel begegnet.
In erster Linie haben Oe Iler und Stephan *) experimentell gezeigt,
daß in jedem Serum ein proteolytisches Ferment Kreist, dessen opti¬
males Wirkungsmilieu aber besondere methodologische Voraussetzungen
erheischt und das daher unter den bislang üblichen Versuchsbedin¬
gungen fast gewöhnlich dem Nachweis entgeht; insbesoijyjere erwies
sich der Aufbau des Abderhalden sehen Dialysierverfahrens als
ungeeignet für die Inangriffnahme derartiger systematischer Unter¬
suchungen. Ueber den Charakter des proteolytischen Seruinfermentes
vermögen auch die Resultate der Arbeiten von Oe Iler und Stephan
keinen Aufschluß zu geben, weil auch sie die Fermenttätigkeit aus
den Endprodukten der Fermentwirkung erschließen und cfie Frage
durchaus offen bleibt, ob diese niedrigmolekularen Eiweißabbau¬
produkte dem zugesetzten Substrat oder fermentativ gespaltenen hoch¬
molekularen Serumeiweißkörpern entstammen, wie dies beispielsweise
Flatow aus seinen Untersuchungen ableitete.
Die Frage vom Fermentgehalt des Normalserums ist neuerdings
wieder experimentell von unserer Seite in Angriff genommen worden.
Ueber das Ergebnis dieser Versuche haben wir a. a. O. ausführlich
im Verein mit Erna Wohl berichtet 2 ). Wir konnten dabei nach-
weisen, daß das aktive Serum im nativen Zustand bei der Mischung
mit koaguliertem Eiweiß — wir bedienten uns hierbei besoriders prä¬
parierten Fibrins — in vitro keine trvptische Wirkung entfaltet, eine
Tatsache, die an und für sich schon durch die lange Zeit diagnostisch
verwertete antitryptische Kraft des aktiven Serums wahrscheinlich
war. Auf Grund besonderer Versuchsanordnung, die anderwärts
eingesehen werden muß, Heß sich aber zeigen, daß diese bio¬
logische Inaktivität des Serums nur scheinbar, durch eine bestimmte
Serumkonfiguration bedingt ist und daß diese als Schutzwirkung
gegenüber einer Autoserumproteolyse zu deutende Hemmung der
Serumtrypsie durch physikalische Eingriffe am Serum leicht auf¬
gehoben werden kann. Am brauchbarsten für diesen Zweck erwies
sich ne ^ en anderen, weniger sicher arbeitenden Vorbehandlungen —
die Chloroformausschüttelung des aktiven Serums mit anschließender
Evakuierung des Chloroforms mittels der Wasserstrahlpumpe.
fm allgemeinen kann gesagt werden, daß alle jene Eingriffe am
Serum zum Ziele führen, die eine gleichmäßige, feinste Trübung des
Serums im Gefolge haben, ohne gleichzeitig durch chemische, Ad-
sorptions- oder Hitze Wirkung das Ferment zu schädigen; bei der
üblichen Inaktivierung im Thermostaten bei 56° und halbstündiger
Einwirkung wird diese physikalische Umstellung der Serumkonfigu¬
ration zwar auch erreicht, die Protease aber fast regelmäßig ver¬
nichtet. Es zeigte sich bei diesen Versuchen außerdem, daß jede
Vorbehandlung des Serums, die die trvptische Komponente in Wirk¬
samkeit treten läßt, immer zur Inaktivierung des Komplementes Ver¬
anlassung wird. Die Erörterung der für cfie Serologie bedeutsamen
Ausblicke dieser Feststellung liegt außerhalb des Rahmens unseres
Themas.
ln einer großen Serie von Einzel versuchen wurde nun weiterhin
mittels dieser „Karminfibrinmethode“ die tryptische Kraft der Seren
P) Oeller und Stephan, Kritik der Abwehrfermentlehre. D. m. W. 1014.
*) Stephan und Wohl, Zschr. f. d. ges. exper. M. 1901,
Digitized b"
*
Google
Original from
CORNELL UNfVERSITY
3. März 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
283
unter normalen und pathologischen Verhältnissen durchgeprüft und
dabei festgestellt, daß in einem hohen Prozentsatz aller
untersuchten Seren diese Serumprotease nachweisbar
ist und daß in den negativen Ausschlägen der Einzel-
versuche mit Wahrscheinlichkeit die Unzulänglich¬
keit der Vorbehandlung schul? an der ausblcibend c n
Fibrinolyse ist. Das will sagen, daß in jedem beliebigen
Serum ein proteolytisches Ferment von tryptischem
Charakter kreist, dessen Wirkungsmöglichkeit aber
unter normalen Umständen intravasal und im Reagenz¬
glas durch einen in seinem Wes4n noch nicht völlig
aufgeklärten kolloidalen Aufbau des Serums gesperrt
ist. Ueber die quantitative Konzentration des Fermentes vermag die
Methode nur schätzungsweise groben Aufschluß zu liefern. In Be¬
stätigung und Erweiterung der Mitteilungen von Oe 11 er und Ste¬
phan ist durch diese Untersuchungen auf einem anderen Wege
erneut in eindeutiger Weise der Nachweis vom Proteasengehalt jedes
normalen Serums erbracht und damit die Lehre von der „biologischen
Inaktivität“ der Blutflüssigkeit widerlegt. Gegenüber früheren Er¬
gebnissen ist der Fortschritt dieser Untersuchungen darin zu sehen,
daß sie den tryptischen Charakter des Fermentes erweisen und in
makroskopisch erkennbarer Form die fermentative
Aufspaltung eines dem Serum zugesetzten koagulier¬
ten Proteines kenntlich machen.
Auf der Basis dieser Ergebnisse konnte nunmehr an die Be¬
arbeitung unserer eigentlichen Fragestellung — die Natur des Ge¬
rinnungsfermentes — herangegangen werden. Ziel der Versuche war,
die Identität des unspezifischen tryptischen Serumfermentes mit der
Gerinnungsprotease zu erweisen. Es ist selbstverständlich, daß die
Beweisführung nur eine solche per exclusionem sein konnte, solange
wir nicht in der Läge sind, ein Ferment als solches darzustellen oder
von seinem physiologisch-chemischen Bau uns eine Vorstellung zu
machen. Die gesamten experimentellen Versuche wurden nach fol¬
genden Gesichtspunkten gegliedert:
1. Welche quantitativen Beziehungen bestehen zwischen Gerin¬
nungsferment und fibrinolytischem Ferment in jedem einzelnen Serum?
2. In welcher Weise beeinflußt die Chloroformausschüttelung des
aktiven Serums den Gerinnungsbeschleunigungsfaktor in der Gerin*
nungsanalyse?
3. Beeinflußt der Röntgenfunktionsreiz des Milzsystems die Kon¬
zentration des tryptischen Fermentes in der Blutflüssigkeit?
und schließlich
4. Gibt es Krankheitsbilder, bei denen regelmäßig ein Parallel¬
gehen von Gerinnungsprotease und fibrinolytischem Ferment im Sinne
der Vermehrung und Verminderung zur Beobachtung kommt?
Als Methode der Untersuchung bedienten wir uns der oben
erwähnten „Karminfibrinmethode“ zurti Nachweis des tryptischen, der
„Gerinnungsanalyse“ 1 ) zu dem des Gerinnungsfermentes. Sie haben
sich für diese Zwecke als hinreichend scharf und zuverlässig erwiesen.
Voraussetzung ihrer Anwendbarkeit ist dabei ein streng quantitatives
Arbeiten nach den von uns ausgearbeiteten Richtlinien. Jede Abände¬
rung, insbesondere in der Quantität der Zusätze, schafft neue Be¬
dingungen und ist daher unbedingt zu vermeiden.
Die Versuchsergebnisse aller vier Gruppen waren einheitlich
und lassen eine gemeinsame Interpretation zwanglos zu: Aus allen
Einzelversuchen konnte mit Sicherheit erschlossen
werden, daß die a priori wahrscheinliche Identität
der beiden Fermentkörper angenommen werden darf.
Ihre Konzentrationskurven verlaufen vollkommen gleichmäßig. Eine
Steigerung des einen hat stets auch eine solche des anderen hn Gefolge,
und eine Verminderung betrifft in jedem Serum beide gleichmäßig.
Da es sich dabei nicht um absolute Zahlenwerte handelt, können die
Schwankungen nach oben und unten nur in relativen Schätzungen an¬
gegeben werden; sie sind aber stets groß genug, um ein sicheres
Urteil zu erlauben. Alle Prozeduren, die das Gerinnungsferment un¬
wirksam machen, heben gleichzeitig regelmäßig auch die Wirksam¬
keit des fibrinolytischen auf. Am eindeutigsten erhellt die Identität
aus den Beobachtungen bei der Miizreizbestrahlung: wie nach dieser
die Konzentrationssteigerung des Gerinnungsfermentes jeweils nach
6 Stunden ihren HöheDunkt in allmählicher Steigerung erreicht, so
ist nach der gleichen Zeit auch die fibrinolytische Wirksamkeit des
Serums am stärksten entwickelt. Wo aus besonderen Gründen die
Gerinnungsfermentvermehrung ausbleibt, ist auch keine Konzentrations¬
steigerung im Fibrinversuch nachweisbar. Und schließlich ist die
Parallelität auch vorhanden bei Krankheitszuständen, für die eine
dauernde Vermehrung oder Verminderung, des Gerinnungsfermentes
in der Gerinnungsanalyse charakteristisch ist. (Hämolytischer Ikterus,
perniziöse Anämie, Endocarditis lenta — 'Kachexie, Erschöpfungs¬
zustände nach Infektionskrankheiten, Status typhosus.) Wir dürfen
aus allen Versuchen mit Sicherheit den Schluß ziehen, daß Gerin¬
nungsferment und Serumprotease der gleichen Mut¬
terzelle entstammen und daß ihre Konzentrations-
kurve in der Blutflüssigkeit vollkommen gleichsin¬
nig ist womit ihre absolute Identität im hohen
Grad wahrscheinlich gemacht, wenn auch zunächst
nicht unwiderlegbar erwiesen ist 8 ). Es liegt auf der Hand,
daß die Bedeutung dieser Untersuchungsresultate in gleicher Weise
*) Vgl. D. m. W. 1914 Nr. 25.
*) Vgl. Richard Stephan, Zschr. f. d. ges. exper. M. 1921
Fragen theoretischer Natur wie solche der praktischen
Medizin betreffen. In ersterer Hinsicht sei vor allem auf die
Physiologie der Blutgerinnung hingewiesen; die Arbeiten Kl in ge rs
erfahren durch sie eine wesentliche Ergänzung und Erweiterung. Die
Beziehung der Ungerinnbarkeit des Blutes zum anaphylaktischen
Shok werden durch diese neuen Anschauungen über die Natur des
Gerinnungsfermentes in eine neue Beleuchtung gerückt. Sie leiten
über zu den noch ausstehenden Untersuchungen über das Verhältnis
des Komplementes zur Serumprotease, ohne daß an dieser Stelle alle
sich aus inm ergebenden Fragestellungen der Immunitätswissenschaften
mehr als gestreift werden sollen. Wir werden auf sie an anderer Stelle
zurückkommeii.
Für die praktische Medizin wollen die Entwicklungsmög-
lichkeiten unserer Untersuchungen in zwei Teilgebiete aufgelöst wer¬
den, in solche diagnostischer und therapeutischer Art.
Für die Diagnostik hat man sich vor Augen zu halten, daß die
Konzentrationstitrierung des Gerinnungsfermentes im Serum stets auch
Aufschluß über den quantitativen Gehalt an proteolytischem Ferment
liefert. Mittels der Gerinnungsanalyse sind wir demgemäß jederzeit
in der Lage, einen Einblick in die fermentative Kraft der Blutflüssig¬
keit zu gewinnen und die Bedingungen ihrer Schwankungen zu er¬
forschen. Wir hatten schon früher festgestellt, daß die Gerinnungs¬
fähigkeit des Blutes auf der Höhe der Verdauung erheblich größer
ist als im nüchternen Zustand, eine Beobachtung, die durch den ge¬
steigerten Gehalt an proteolytischem Ferment nunmehr eine zwang¬
lose Erklärung findet. In die gleiche Richtung weist der Befund einer
dauernden Vermehrung des Gerinnungsfermentes in den Tagen vor
der Krise der kruppösen Pneumonie auf der einen und die hochgradige
Steigerung des fibrinolytischen Fermentes nach starken Blutungen
auf der anderen Seite. Sie sind beide Ausdruck einer erhöhten Funktion
des retikulären Zellsystemes und als Zweckmäßigkeitsreaktion des
Organismus anzusprechen. Das Ausbleiben dieser Reaktion ist unter
allen Umständen ein Signum mali ominis, wie wir uns in mehreren
Einzelanalysen überzeugen konnten. Die Beispiele ließen sich in
beliebiger Menge vermehren. Es sei nur noch erwähnt, daß eine
Fuuktionserhöhung des Milzsystemes nach unseren bisherigen Be¬
obachtungen regelmäßig alle Partialfunktionen der Retikulumzelle
in gleicher Weise trifft und daß daher hämolytische Funktion des
Milzsystems und Fermentproduktion in der Einzelbeobachtung gleich¬
sinnig verlaufen, sei es im Sinne der Vermehrung oder Verminderung
beider Komponenten. Die experimentelle Bestimmung der
Fermentkonzentration gibt damit gleichzeitig Auf¬
schluß über die Breite der intravitalen Hämolyse, die
selbstverständlich nicht mit der experimentellen Reagenzglashämolyse
idcutiliziert werden darf. Die dauernde Steigerung des proteolyti¬
schen Fermenttiters im Serum haben wir bisher charakteristisch ge¬
funden für den hämolytischen Ikterus, für bestimmte Formen der
perniziösen Anämie und für die Endocarditis lenta; für die Abgren¬
zung einzelner Anämieformen und die Erforschung ihrer Patho¬
genese versprechen weitere Untersuchungen wertvolle Ergebnisse.
Für die Therapie bedeutet die Möglichkeit, den
proteolytischen Fermentgehalt des Blutes willkürlich
durch einen relativ einfachen und unschädlichen Ein¬
griff außerordentlich zu steigern, einen großen, zu¬
nächst freilich nur theoretisch fundierten Fortschritt.
In praxi werden dafür vorläufig die Versuche unter den gleichen
Bedingungen, durchgeführt werden müssen wie bei der Gerinnungs¬
steigerung durch Miizreizbestrahlung; es kommt dabei nur ein ver¬
hältnismäßig kleiner Teil des retikulären Zellsystems für den Rönt-
geufunktionsreiz in Betracht. Der Ausbau der Therapie für die Aus¬
übung am Krankenbett wird an die Möglichkeit der Funktionssteige¬
rung des gesamten retikulo-endothelialen Gewebes durch chemothera¬
peutische Einwirkung auf dem Blutweg gebunden sein. Wir haben
über die Grundlage eines solchen Vorgehens schon anderwärts ein¬
gehend berichtet 1 ). Da darüber hinaus vorläufig nodi keine prak¬
tischen Resultate vorliegen, mögen diese theoretischen Richtlinien
zunächst genügen.
Schließlich spi noch kurz auf ein Gebiet eingegan¬
gen, dem die Ergebnisse unserer Untersuchungen ein
neues Gepräge verleihen: die Abwehrfermentlehre Ab¬
derhaldens. Es ist bekannt, wie widerspruchsvoll die Meinungen
über die diagnostische Brauchbarkeit des Dialysierverfahrens sich
entwickelten und wie schroff sich die Resultate der einzelnen For¬
scher schließlich gegenüberstanden. Eine Klärung über die Grundlagen
der Lehre Abderhaldens ist auch heute nicht im entferntesten er¬
reicht. Der endgültige Nachweis eines unspezifischen, tryptischen
Fermentes in jedem Blut zwingt nunmehr selbstverständlich zu einer
Revision des ganzen Gebietes, dessen Bedeutung für die Diagnostik
auch von den Gegnern niemals vollkommen bestritten wurde.
In welcher Richtung sich die Neuinarfgriffnahme der experimentellen
Untersuchungen zu bewegen hat, wurde schon vor Jahren an Hand
eindeutiger Versuche gezeigt. Das Dialysierverfahren ist ebenso wie
die optische Methode in ihrer bislang gebräuchlichen Gestaltung
vollkommen ungeeignet, weil das unspezifische proteolytische Serum¬
ferment nicht ausgeschaltet ist und zu großen Versuchsfehlern führen
muß und führt, zwei Möglichkeiten sind von vornherein gegeben:
Einmal das Vorhandensein eines spezifischen Fermentes neben der
unspezifischen Protease; und zweitens der Abbau des Eiweißsubstrates
durch ein unspezifisches Ferment unter Vermittlung eines Antikörpers
») M. Kl. 1921.
□ igitized by Go gle
Original from
CORUELL UNIVERSITY
284
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 9
im Sinne der Serologie; nach unseren friiheren Untersuchungen ist die
letztere Annahme die gegebene. Es ist nunmehr an der Zeit, die
Versuche unter Ausschaltung des dem zu untersuchenden Serum9
eigenen Blutfermentes und dem gleichmäßigen Zusatz eines unspefi-
fischeu proteolytischen Fermentes — etwa durch Meerschweinchen¬
serum — erneut wieder aufzunehmen, um die bedeutungsvollen Aus¬
blicke der Abderhalden sehen Lehre der Klinik nutzbar zu machen.
Aus dem Sanatorium für Lungenkranke in St. Blasien.
(Leitender Arzt: Prof. Bacmeister.) •
Zur Entstehung der Lungenblutungen.
Von Oberarzt Dr. L. Rickmano.
Ueber die Ursache und Entstehung der Lungenblutungen sind
bereits unzählige und eingehende Untersuchungen angestellt worden,
ohne daß diese zu einem einheitlichen Ergebnis geführt hätten. Das
Auftreten von Lungenblutungen ist oft von bestimmten Faktoren
abhängig, die zum Teil im Organismus selbst, zum Teil aber außerhalb
desselben liegen. Durch die veränderten Lebensbedingungen als Folge
des Krieges sowie durch die im letzten Jahrzehnt in die Phthisio-
therapie eingeführten neuen Heilmethoden haben sich neue Gesichts¬
punkte ergeben, die für die Beurteilung der Entstehung von Lungen¬
blutungen Interesse haben. Es erscheint daher gerechtfertigt, an
der Fland eines Materials von 1926 Patienten, die in den Jahren
1916—1920 das Sanatorium für Lungenkranke in St. Blasien verlassen
haben, die Entstehung der Lungenblutungen kurz kritisch zu be¬
leuchten. „ .
Von den 1926 Patienten hatten 683 = 35,5% vor der Aufnahme
eine durch Tuberkulose verursachte Hämoptoe« -Während der Heil¬
stättenbehandlung wurde bei 151 Patienten = 8% eine Lungenblutung
beobachtet. Diese Zahlen stimmen im wesentlichen überein mit den
Beobachtungen von Sorgo, der bei 38% seiner Patienten anamne¬
stisch eine Hämoptoe feststellte und sie bei 11% der Fälle während
der Behandlung sah.
Die Tatsache, daß auf die Häufigkeit der Lungenblutungen das
Geschlecht einen gewissen Einfluß hat, fanden auch wir bestätigt.
Bei den Gesamtbildern waren 38% weiblich und 62o/ 0 männlich,
während unter den Patienten mit initialer Hämoptoe, bei denen die
Blutung das erste Symptom einer bestehenden Lungenerkrankung war,
84% männlich und nur 16% weiblich waren. Diese auffällige Er¬
scheinung findet eine genügende Erklärung darin, daß ganz be¬
sonders während des Krieges die Schädigung durch körperliche
Ueberanstrengung bei Männern schwerer ins Oewicht fällt als bei
Frauen.
Auch das Alter spielt bei der Entstehung der Hämoptoe eine
wesentliche Rolle. Vor dem 15. Lebensjahr ist eine Lungenblutung
ein seltenes, vor dem 7. Lebensjahr ein sehr seltenes Ereignis. Die
meisten Blutungen treten bei jungen Leuten zwischen 15 und 25
Jahren auf, während sie nach dem 50. Lebensjahr nur vereinzelt
beobachtet werden. Die im jugendlichen Alter auftretende initiale
Hämoptoe erscheint nach übereinstimmendem Urteil prognostisch
besonders günstig. Eindringlicher als alle anderen Symptome macht
die Blutung den Patienten auf die bestehende Lungentuberkulose,
die sich meistens noch in den allerersten Stadien befindet, aufmerk¬
sam und veranlaßt ihn, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen und
ein Heilverfahren einzuleiten. Wenngleich sich im Verlaufe der Er¬
krankung diese initialen Blutungen mehrfach wiederholen können,
so ist aas Entlassungsresultat doch auffallend günstig gegenüber
anderen Blutern. Von den Gesamtblutern wurden in den 5 Berichts¬
jahren entlassen
als völlig latent.310 = 45,4%
wesentlich gebessert.160 = 23,5 # /o
gebessert.115 == 16*8*/«
unverändert oder verschlechtert. 65 = 9,5%
gestorben. . . . 33= 4,8*/o
während der Heilungserfolg der initialen Bluter sich wesentlich gün¬
stiger gestaltete. Von diesen 260 Patienten verließen die Anstalt
als völlig latent. 156 = 60 •/•
wesentlich gebessert. 52 = 20 °/o
unverändert oder verschlechtert. 35 = 13£ # /o
es starben. 2 — 0,8*/#
Die Ursache der Lungenblutung ist der tuberkulöse Prozeß, der
durch seinen zerstörenden Charakter in der Lunge Veränderungen
in der Wand kleinerer oder größerer Gefäße herbeiführt und da¬
durch einen Blutaustritt bewirkt. Forschen wir nach weiteren Fak¬
toren, die diesen Blutaustritt begünstigen können, so ist in erster
Linie die Frage berechtigt, inwieweit durch die in die Phthisio-
therapie immer mehr eingeführte Strahlentherapie Lungenblirtungen
veranlaßt werden können.
Wiederholt haben wir bei unsern Patienten feststellen können,
daß sie Lungenblutungen hatten, die lediglich durch eine kritiklose
Sonnenbestrahlung verursacht waren. Zum Teil waren diesen Pa¬
tienten die Sonnenbäder anderweitig ärztlich verordnet, zum größten
Teil hatten sie sich selbst mehr oder weniger bewußt einer inten¬
siven Insolation ausgesetzt. Wir sind der Ueberzeugung, daß bei
der Lungentuberkulose der Erwachsenen die undpsiertp Sonnenbe¬
strahlung eine Gefahr bedeutet, und vermeiden daher nach Mög¬
lichkeit jede direkte Sonnenbestrahlung. Dennoch sahen wir zwei¬
mal heftige Blutungen nach Sonnenbestrahlung auf treten. Die Pa¬
tienten hatten sich gegen ärztlichen Rat in die pralle Mittagssonne
gelegt, waren dabei eingeschlafen und erwachten nach 2 Stunden
mit starken Kopfschmerzen, allgemeinem Unbehagen und Temperatur¬
steigerung bis 39°. Im Laufe des Nachmittags traten dann Blutungen
auf, die sich bei dem einen der Patienten mehrfach wiederholten.
So hervorragend die Erfolge der Heliotherapie bei der chirurgi¬
schen Tuberkulose sind, so ungünstig können die Sonnenstrahlen
bei falscher Dosierung und falscher Indikationsstellung die Lungen¬
tuberkulose der Erwachsenen beeinflussen. Die Erfahrungen der
chirurgischen Tuberkulose lassen sich nicht ohne weiteres auf die
Behandlung der Lungentuberkulose übertragen. Die Sonnenwirkung
bei Lungentuberkulose ist weniger leicht zu übersehen, der Erfolg
schwerer zu beurteilen als bei äußerer Tuberkulose. Selbst bei
strenger Auswahl der Fälle und bei exakter Dosierung lassen sich
Schädigungen, die auch durch Lungenblutungen zum Ausdruck kom¬
men können, nicht immer vermeiden. Alle fiebernden und zum
Fieber neigenden, d. h. alle progredient, exsudativ und destnüerend
verlaufenden Formen der Tuberkulose sind von vornherein von der
direkten Sonnenbestrahlung auszuschließen. Für diese Fälle ist nach
Bacmeister die mildeste Form der Luft- und Lichtbehandlung,
d. h. der möglichst ausgedehnte Aufenthalt im Freien und in
uter Luft bei völliger Ruhe, die indirekte Sonnenbestrahlung bei
chutz von Kopf und Brust vor direkter Sonnenbestrahlung der ge¬
eignete Weg, um vorwärts zu kommen.
Die zur Vermeidung von Schädigungen unbedingt notwendige
exakte Dosierung der Sonnenstrahlen stößt bei unsern klimatischen
Verhältnissen in Deutschland auf größte Schwierigkeiten. Lange
Perioden sonniger Tage stehen uns nicht immer zur Verfügung, und
die Unterbrechung der Kur durch einige trübe Tage bringt uns in
der Dosierung immer wieder zurück. Diese Schwierigkeiten hat man
durch den künstlichen Ersatz des Sonnenlichtes in Form des Queck*
silber-Quarzlichtes zu überwinden versucht. Und das zum Teil mit
gutem Erfolg. Immerhin ist auch die Bestrahlung mit der künst¬
lichen Höhensonne kein indifferentes Heilverfahren. Von den Pa¬
tienten, bei denen wir anamnestisch eine Lungenblutung feststellten,
glaubten 16 die Hämoptoe auf die Quarzlichtbestrahlung zurück¬
führen zu können. Wir selbst sahen zwei Fälle, bei denen ein
ursächlicher Zusammenhang mit den Höhensonnenbestrahlungen nicht
mit Sicherheit auszuschließen war, trotzdem wir in der Dosierung
äußerst vorsichtig sind und nur die nicht progredienten oder nicm
zur Progredienz neigenden Fälle zur Bestrahlung zulassen.
Daß die Höhensonnenbestrahlung Blutungen veranlassen kann, ist
auch von anderer Seite bestätigt. Harms faßt sein Urteil dahin
zusammen, daß die traurigen Erfahrungen nach kritikloser Anwen¬
dung von Sonnenbädern, die zu schweren Schädigungen, wie Blu¬
tungen, frischen Aussaaten usw. geführt haben, es in hohem Grade
wahrscheinlich machen, daß auch einfache Bestrahlungen mit künst¬
licher Höhensonne bei der Lungentuberkulose nicht den Ruf der
Harmlosigkeit verdienen, deren sie sich heute noch vielfach erfreuen.
Daß bei gleichzeitiger Anwendung von Tuberkulin oder Partial¬
antigenen nach Deyckc-Much und Sonnen- bzw. Quarzbestrah¬
lungen besonders leicht Blutungen auftreten können, liegt auf der
Hand, Komplikationen, die nach Harms auf eine kumulierende
Wirkung in der Steigerung der Herdreaktion durch die beiden Fak¬
toren Licht und Tuberkulin zurückzuführen sind.
Bei vorsichtiger Dosierung und richtiger Auswahl der Fälle,
welche stärkere Reaktionen zu vermeiden sucht, lassen sich bei der
Tuberkulinbehaiidlung allein Blutungen mit einiger Sicherheit ver¬
meiden. Geringe Blutbeimengungen „waren uns keine Gegenindika¬
tion gegen das Tuberkulin, wenngleich wir in solchen Fällen noch
mehr bestrebt waren, jede stärkere Reaktion zu vermeiden.
Seit der Einführung der Röntgenbestrahlungen in die Phthisio-
therapie durch Bacmeister und Küpferle ist wiederholt die
Möglichkeit erwogen worden, daß durch die Röntgenstrahlen Lungen¬
gewebe zerstört und dadurch Blutungen veranlaßt werden können.
An der Hand eines sehr reichen Materials haben wir festgestellt.
daß sich bei richtiger Indikationsstellung und exakter Dosierung
Lungenblutungen durch die Röntgentiefentherapie mit absoluter Sicher¬
heit vermeiden lassen. Wir sahen unter den vielen Fällen, die wir
bestrahlt haben, niemals eine Blutung auftreten, die in einen ur¬
sächlichen Zusammenhang mit den Bestrahlungen hätte gebracht
werden können. Bei falscher Technik und bei falscher Auswahl der
Fälle ist naturgemäß die Oefahr, das tuberkulöse Gewebe einzu¬
schmelzen und dadurch Blutungen hervorzurufen, sehr groß. Nach
Bacmeister ist es die Aufgabe der Röntgentherapie, eine Be¬
schleunigung der Naturheilung, also eine möglichst schonende Ver¬
narbung ohne Zerstörung und Zerfall von Lungenherden zu erreichen.
Bei einem solchen Verfahren kommt nicht die elektiv zerstörende
Wirkung der Röntgenstrahlen auf das tuberkulöse Gewebe, sondern
die Retzdosis in Frage, die zu einer intensiven Bindegewebsentwick-
hmg und Abkapselung des Krankheitsherdes führt. Diese direkte
Reizdosi» auf die Bindegewebsentvvicklung wird unterstützt durch
die dadurch hervorgerufene stärkere Durchblutung des tuberkulösen
Herdes, welche diesen und den Tuberkelbazillus in ausgiebigere
Berührung mit den im Blute vorhandenen normalen und spezifischen
Schutzstoffen bringt. Das Erstrebenswerte für die Röntgenbehand¬
lung der Lungentuberkulose ist also die Reizwirkung für die Binde*
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
3. März 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE iWOCH ENSCH RIFT
285
ge websentwicklung und nicht die sdmeUe Schädigung der tuber¬
kulösen Zelle. Bei richtiger Indikationsstellung und richtiger, dem
anatomischen Charakter der Krankheit angepaßter Dosierung läßt
sich eine Zerstörung und ein Zerfall von Lungenherden mit Sicher¬
heit vermeiden. Alle pneumonischen und exsudativen Prozesse schei¬
den von vornherein von der Bestrahlung aus. Nur die zur Latenz
neigenden, stationären und langsam progredienten Formen der pro¬
duktiven Tuberkulose kommen für die Röntgenbestrahlung in Be¬
tracht. Bei den Formen der zirrhotischen und nodösen Tuberkulose,
bei denen exsudative Herde nicht mit Sicherheit auszuschließen sind,
versuchen wir, mit größter Vorsicht vorzugehen, indem wir wöchent¬
lich nur eine Bestrahlung von 4 X geben, um dadurch möglichst
schonend die Vernarbung anzuregen.
Während der letzten Jahre hat das Auftreten von Blutungen
bei uns wesentlich nachgelassen, eine Erscheinung, die wir lediglich
auf die Verwendung der Röntgenstrahlen und die dadurch erreichte
schnellere Vernarbung zurückführen und die um so mehr von
Bedeutung ist, als infolge des Krieges durch Unterernährung, psy¬
chische Belastung, Trauer und Sorgen die Widerstandskraft des
einzelnen erheblich nachgelassen hat und der Charakter der Er¬
krankung zweifellos vielfach bösartiger geworden ist.
Die Patienten, bei denen wir Lungenblutungen beobachteten,
verteilen sich auf die fünf Beobachtungsjahre folgendermaßen. Es
hatten:
1916 von 229 Patienten 24 Hämoptoe = 10,5°/ 0
1917 von 369 Patienten 32 Hämoptoe = 8,5V*
1918 von 380 Patienten 30 Hämoptoe = 8,0V«
1919 von 491 Patienten 35 Hämoptoe = 7.0%,
1920 von 457 Patienten 30 Hämoptoe — 6,5 %
Insgesamt 1926 Patienten 151Hämoptoe =~6,5 0 /o
Somit ist also die Zahl der beobachteten Blutungen von 10,5 o/ 0
auf 6,5 o/o gefallen.
Eingehend haben wir uns mit der Frage beschäftigt, inwieweit
Witterungseinflüsse Lungenblutungen veranlassen können. Wir sind
dabei zu keinem einheitlichen Resultat gelangt, sondern neigen wie
Schröder zu der Ansicht, daß eine Wechselwirkung mehrerer
Faktoren der Witterung für das Zustandekommen von Lungenblu-
tungeti in Frage kommt. Daß die klimatischen Einflüsse vor allem
bei Leuten mit leicht erregbarem vasomotorischen System von Be¬
deutung ist, haben wir mehrfach bestätigt gefunden.
Die Blutungen, die wir als sogenannte vikariierende oder supple¬
mentäre Hämoptoe während der Menstruation auftreten sahen, waren
im allgemeinen leicht und verliefen ohne besondere Beeinflussung
des Lungenbefundes. Die Frage, ob bei diesen Blutungen das aus¬
losende Moment in der Tuberkulose selbst oder aber in der Wir¬
kung des Ovarialsekretes zu erblicken ist, ist klinisch schwer zu
entscheiden, zumal bei sicher nicht tuberkulösen Frauen derartige
die Menstruation begleitende Blutungen auch aus Mund-, Nasen-
und Dannschleimhäuten beobachtet werden.
Bei vielen Blutungen haben wir ein direkt veranlassendes Moment
nicht feststellen können, während wir bei einer großen Anzahl Ent¬
stehungsursachen sahen, die allgemein bekannt sind und uns wesent¬
lich neue Gesichtspunkte für ihre Beurteilung nicht ergeben haben.
Zusammenfassung. Blutungen bei Lungentuberkulose werden beim
männlichen Geschlecht häufiger beobachtet als beim weiblichen und
treten bei weitem am häufigsten zwischen dem 15. und 25. Lebens-
{ ‘ahr auf. Durch kritiklose Sonnenbestrahlungen, weniger leicht durch
künstliche Höhensonne, werden vielfach Lungenblutungen hervor-
erufen. Vermeidet man bei Tuberkulin- und Partigenkuren zu starke
eaktionen, so lassen sich Blutungen verhüten. Durch die Röntgen¬
tiefentherapie, sofern sie richtig angewandt wird, werden keine
Blutungen veranlaßt, es wird vielmehr durch die beschleunigte Nar¬
benbildung die Blutungsgefahr herabgesetzt. Die Wechselwirkung
mehrerer Faktoren der Witterung sind für das Zustandekommen von
Blutungen häufig verantwortlich. Sogenannte vikariierende oder
supplementäre Lungenblutungen haben keine praktische Bedeutung.
B. Müller, Bettr. z. KHn. d. Tbc. 13,H.l. — F. StäheHn, Beltr. z. KHn. d. Tbc.
43, H. 1. — E. Kock', Ueber Schädigungen nach Sonnenbestrahlung. Strahlen-
ftberapie 13. — A. Bacmeiater, Strahlenther. 12; Erg. d. ges. M. 2. — Brauer-
Schröder, Hdb. d.Tbc.2.
Aus der 11. Inneren Abteilung des Städtischen Krankenhauses
in Neukölln.
Sektionsbefand einer kryptogenetischen perniziösen Anämie
im Stadium vollständiger Remission.
Von J. Zadek, Dirigierender Arzt.
Seit Bieriner ist man in der pathologisch-anatomischen Dia¬
gnostik der kryptogenetischen perniziösen Anämie nur insofern weiter
gekommen, als die Obduktionsbefunde eine Reihe von mehr oder
weniger konstanten Zügen aufweisen, die zwar an sich nichts Patho-
gnomon/sches bieten, aber doch dem Pathologen in Verbindung mit
dem Fehlen einer die Anämie ursächlich klärenden Organerkrankung
ein ausreichendes Syndrom für die Diagnose der Krankheit in der
weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle abgeben. Dazu gehören im
wesentlichen neben der Oligämie Zeichen von hämorrhagischer Dia-
Biese, fettige Degenerationen der Muskeln und parenchymatösen
Organe, vor allem des Herzens und der Leber, Zahnfleisch- und
Zungennekrosen, 'Atrophie der Magen-, seltener der Darmdrüsen,
geringer Milztumor, Hämosiderosis der lehmf&rbenen, leicht ver¬
größerten Leber, öfters Nierenverfettungen und Degenerationen im
Rückenmark, seltener kleine Darmgeschwüre, zuweilen Blutbildungs-
herde in Leber, Milz und Drüsen.
Das größte Interesse konzentrierte sich von jeher auf das Kno¬
chenmark. Von den Fällen aplastischer Anämie abgesehen, erweist
sich das Mark der Röhrenknochen als dunkelrote, gelatinöse, him¬
beerfarbene Masse, die zytologisch bezüglich der roten Komponente in
der Hauptsache aus Erythrozyten und Erythroblasten, und zwar massen¬
haften Megalozyten und wechselnden Mengen von Megaloblasten
besteht, oft bei völliger Resorption der Spongiosabälkchen. Von
den Anhängern der Anschauung, die perniziöse Anämie sei eine
rirnärc, durch spezifische Giftwirkung entstehende Knochenmarks¬
rankheit, wird in dem erythropoetischen Mark ein Rückschlag der
Blutbildung in embryonale Bahnen angesehen, als dessen notwendige
Folgeerscheinung in vivo ein spezifisches und konstantes Blutbad
besteht. Diese „ganz charakteristische, einheitliche und scharf aus¬
geprägte Funktionsstörung des Knochenmarks“ (Nägeli 1 )) wird
als regenerative, aber unzulängliche Heilungstendenz und Antwort
auf die unbekannte Noxe der Perniziosa betrachtet, die während des
ganzen Verlaufs der Krankheit bestünde, also auch in den Remissions¬
stadien. Brösamlen 2 ), aus der Schule Nägeli, glaubt demzufolge
dem Fortbestehen der für perniziöse Anämie, nach seiner Angabe
auch während der Remissionsstadien, charakteristischen Blutverände¬
rung diese pathologische Reaktion des Knochenmarkes zugrundelegen
zu sollen, deren Irreparabilität eine echte Heilung des Morbus Bier- .
mer verhindere.
Am anderen Orte habe ich 8 ) im Gegensatz zu diesen Anschau¬
ungen gezeigt, daß in zahlreichen Fällen kryptogenetischer perniziöser
Anämien wahrend bestimmter Remissionsstadien, offenbar infolge des
Aufhörens einer spezifischen Noxe, sämtliche klinischen Symptome
(bis auf die auf irreparablen, durch primäre Giftwirkungen hervor¬
gerufenen Organschädigungen beruhenden, wie Herzveränderungen,
Oedeme, Achylia gastrica, Zungennekrosen) ebenso wie die hämato-
logischen Kriterien des Morbus Biermer eine zwar nur zeitweilige,
aber völlige Rückbildung erfahren. Es blieb indessen die mit Rück¬
sicht auf die umstrittene Pathogenese sehr wichtige Frage offen,
wie sich das Knochenmark in solchen weitgehenden Erholungs¬
stadien der Krankheit verhält. Die zu dieser Klärung notwendigen
Sektionsbefunde könnten dann auch über die Richtigkeit der oben
aus klinischen Beobachtungen gezogenen Schlüsse bezüglich des Ver¬
haltens der Organe im Zeitpunkt der Besserung und des Zustande¬
kommens und Wesens jener Remissionen bei perniziöser Anämie
beweisenden Aufschluß geben.
Da in der Literatur über derartige Obduktionsbefunde, abgesehen
von einigen Bemerkungen von Lubarsch*), nichts niedergelegt zu
sein scheint, begrüßte ich sehr die Gelegenheit, unter meinem Material
von ca. 80 perniziösen Anämien über einen Fall berichten zu können,
der in voller Remission eines klassischen Morbus Biermer an einer
interkurrenten akuten Erkrankung zum Exitus kam.
Krankengeschichte und Sektionsbefund sind im kurzen Auszug
folgende:
52jähriger Fleischermeister, früher stets gesund und außerordent¬
lich kräftig, hat seit 5 Jahren Zungenbeschwerden mit Bläschen.
Vor 3 /, Jahren Müdigkeit, Appetitlosigkeit, Blässe, Durchfälle, Ohn¬
mächten usw. Befund Mai 1919: Subikterische Haut, Adipositas,
stemale Klopfempfindlichkeit, Augenhintergrundsblutungen, Leberver¬
größerung, kein Milztumor, atrophische Zungenschleimnaut mit Bläs¬
chen der Zungenspitze, schwer auslösbare Patellarreflexe, mäßige
Herzdilatation, geringe Oedeme, Achylic, Urobilinurie, subfebrile Tem¬
peratur, Wa.R. —. Rote 2,1 Millionen, Weiße 3800. Hämoglobin 50 o/o,
Färbeindex 1,2. Polynukleäre neutrophile 43o/ 0 , eosinophile 3°/o, baso¬
phile 0, Lymphozyten 51 o/o, Mononukleäre 3o/ 0 . Resistenz gegen hypo¬
tonische Kochsalzlösungen erhöht. Ausgesprochene Anisozytose, vor¬
wiegend Megalozyten, wenige Mikrozyten, relativ zahlreiche Megalo¬
blasten, vereinzelte Normoblasten, keine Myelozyten. Mäßige Poi¬
kilozytose, keine Polychromasie, ausgesprochene Thrombopenie.
Therapie: Bettruhe, eiweißarme Diät, Magendarmspülungen, Injek¬
tionen von Sol. natr. arsenic. und Neosalvarsan, Tierkohle per os.
Nach 3 Monaten erhebliche Besserung, 13 Pfund Gewichtszunahme,
Zungenveränderungen seltener, kein Fieber, keine Urobilinurie. Rote
3,4 Mill. Hb. 78o/o. W. 5500. F. 1.1,1. Mäßige Thrombopenie. Pol.
neutr. 56°/o. eos. 3,5<>/o, bas. 0, Lymph. 34,5 o/ 0t Monon. und Ueberg.
6%. Deutliche Anisozytose mit Megalozyten und wenigen Mikrozyten,
spärliche Megaloblasten, ganz vereinzelte Normoblasten. Keine Poi¬
kilozytose, seltene Polychromasie. Keine erhöhte Resistenz der R.
gegen hypotonische Kochsalzlösungen.
Nach 3 Monaten leidlichen Befindens ziemlich plötzlich Wieder¬
einsetzen der subjektiven Beschwerden mit Zungenbiäschen. Wieder¬
aufnahme im Krankenhaus zeigt deutlich verschlechtertes klinisches
Bild. Urobilin positiv, subfebrile Temperaturen, Oedeme, Aehyiie
Hb. 74o/o, R. 3,2 Mill., W. 4200, F. 1. 1,2. Thrombozyten 17000
Lymph. 79°/e, Polynukl. neutr. 18o/ 0 , eos. l,7o/ 0 , Monon. l,3o/o. Begi n ^
der Hämolyse bei 0,44o/o NaCI. Therapie wie oben. Nach 6 Woch^ n
0 Blutkrankheiten und Blutdiagnostik. Berlin und Leipzig 1919, 3. Auf). S. 3<v>
, •) D. Arch. f. klin. M. I9»3, 112, S. 83ff. - *) M. m. W. 1921. - *) Referat über lkt^' "
i Berlin, m. Oes. 22. VI. 1921.
Digitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
286
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 9
glänzende Erholung: Spur Oedeme, freie Salzsäure negativ, Urobilin
negativ. R. 4,2 Mill. Hb. 84%, W. 6200. F. 1.1,0. Thrombozyten
121000. Polyn. neutr. 60%, eos. 6,5%, bas. 0, Lymph. 31%, Monon.
2,5%. Spur Anisozytose, keine ausgesprochene Megalozytose, keine
Mikrozyten, keine Erythroblasten, geringe Poikilozytose, keine Poly¬
chromasie.
Entlassen. Wohlbefinden mit Arbeitsfähigkeit, bis nach Vt Jahr»
während welcher Zeit häufige Blutkoutrollen keinerlei Anzeichen
für perniziöse Anämie zeigten, plötzlich eine Kolipyelitis mit Nieren¬
abszessen auftritt, der der Kranke nach 14tägiger Krankenhausbehand¬
lung erliegt. Blutstatus ante exitum: Hb. 56<>/o, R. 3,8 Mill., F. I. 0,7.
W. 8200. Thrombozyten 210000. Polyn. neutr. 68%, eos. 3,6Va,
bas. 0. Lymph. 24 o/o, Monon. 2,2o/ 0 , Ueberg. l,8o/ 0 . Spur Anisozytose
ohne Megalozyten, Mikrozyten, Erythroblasten; geringe Poikilozytose,
keine Polychromasie. Geringe Oedeme. Achylie. Urobilin negativ.
Mittlere intermittierende Temperaturen.
Sektionsbefund: Fettige Degeneration des Herzens mit Dilatation
und Hypertrophie. Atrophie der Zunge mit Nekrosen. Geringe sep¬
tische Milzschwellung. Mäßig vergrößerte Fettleber. Doppelseitige
eitrige Pyelitis mit Nierenabszessen. Eitrig-hämorrhagische Zystitis.
Anasarka. Gelbes Knochenmark der Diaphysen des rech¬
ten Ober- und linken Unterschenkels. Rotes Stemalmark.
Keine Augenhintergrundsblutungen. Petechien der Pleura.
Mikroskopischer Befund: Mäßige Hämosiderosis der Leber,
diffus, nicht nur in den Kunfferschen Stemzellen. Fettdegeneration
der Leber und des Herzens. Knochenmark des rechten Oberschenkels:
Fettzellen und Normozyten überwiegen, sehr wenige Normoblasten,
. keine Megaloblasten; unter den Weißen: 41% Lymphozyten, 10%
Myelozyten und 49% Polynukleäre; Myeloblasten fehlen, einzelne
Plasmazellen. Sternum: Vorwiegend normale Erythrozyten, wenige
Normoblasten, ganz vereinzelte Megaloblasten, einige wenige mit
basophiler Granulation, unter den Erythroblasten eine Minderzahl in
Mitose und Karyokinese, einzelne mit pvknotischem Kern. Riesenzellen
sehr spärlich. Myelozyten reichlich, ebenso Myeloblasten.
Die faulige Milz konnte leider nicht histologisch untersucht werden,
ebenso fehlt ein zuverlässiges Urteil über die Magen- und Darm-
Schleimhaut, da kadaveröse Prozesse stark nachweisbar sind.
Eine kurze kritische Analyse des Falles ergibt also Folgendes:
Ein Vollstadium einer kryptogenetischen perniziösen Anämie geht
nach dreimonatiger, von mir 1 ) bevorzugter Behandlung in unvoll¬
kommene Remission über; die nicht vollständige Reparation zeigt sich
sehr deutlich trotz Sistieren der hämolytischen Erscheinungen und
der klinischen Besserung in dem Zurücktreten der Erythrozytensteige¬
rung hinter der Hämoglobinzunahme (Färbeindex größer als 1), ent¬
sprechender Anisozytose mit Megalozvten und Megaloblasten, Thrombo-
penie und Leukopenie, während die Lymphozvten relativ zugunsten
der Polynukleären zurückgegangen sind und die Resistenz der Roten
gegen hypotonische Kochsalzlösungen weniger als früher erhöht ist.
Nach drei Monaten setzt ein charakteristisches Rezidiv mit typischem
perniziös-anämischem Blutbild und Urobilimirie ein, das nach sechs-
wöchiger Krankenhausbehandlung einer glänzenden Remission Platz
macht, und .zwar einer so vollständigen und V? Jahr anhaltenden, daß
weder klinisch noch hämatologisch irgendwelche Svmntome
des Morbus Biermer aufzufinden sind. Bis aus völligem Wohlbefinden
heraus an einer schweren akuten Erkrankung in kurzer Zeit der
tödliche Ausgang erfolgt, mit dem Blutbefnnd einer hypochromen
Anämie, der mit seiner Leukozytose und Thrombozvtose vermutlich
von der sentischen Infektion beeinflußt ist, aber jedenfalls —■ ebenso
wie das klinische Verhalten — keinerlei Anklänge an perniziöse
Anämie aufweist.
Die Sektion hat das entsprechende Ergebnis. . Es findet sich
— abgesehen von den durch die septische Nieren-, Nierenbecken-,
Blasenerkrankung bedingten organischen Veränderungen — so wenig
für Morbus Biermer Pathognomonisches, daß der Pathologe
(Dr. Ehlers) die Diagnose einer perniziösen Anämie
ablehnt, da der Obduktionsbefund ungezwungen durch
die vorliegende Sepsis seine Erklärung finde und vor
allem das Knochenmark der Röhrenknochen die für
Perniziosa typische Umwandlung in rotes Mark ver¬
missen lasse.
Dieser Standounkt konnte in der Tat von dem Pathologischen
Anatomen, der in der Regel nur die Endstadien der perniziösen
Anämie mit einem fast stets charakteristischen Symptomenkomplex
zu sehen gewohnt ist, eingenommen werden; er mußte auf der
anderen Seite von dem Kliniker ebenso rundweg abgelehnt werden.
Das einige Monate ante exitum vorhandene klinische und hämato-
logische Vollbild einer perniziösen Anämie, der intermittierende Ver¬
lauf mit Schöbet* von Besserungen und Verschlechterungen schließen
jeden Zweifel aus. Der früher bis in alle Einzelheiten einwandfreie
perniziös-anämische Blutstatus läßt — es sei nur an die zahlreichen
Megaloblasten erinnert den sicheren Rückschluß zu, daß damals
das Mark der Röhrenknochen, zum mindesten in einem
sehr erheblichen Teil, in arbeitendes, erythropoeti¬
sches, und zwar megaloblastisches, umgewandelt ge¬
wesen sein muß. Eine apiastische Anämie ist ausgeschlossen.
Ebensowenig darf etwa an eine Heilung der perniziösen ‘Anämie
im vorliegenden Falle gedacht werden: denn echte Heilungen kommen
l ) D.nuW. 1919 Nr. 41.
beim kryptogenetischen Morbus Biermer nicht vor, und eine der
bekannten, perniziöse Anämie auslösenden Noxen (Botriozephalus
Lues, Puerperium) war nicht vorhanden.
Zudem hat die Sektion einige Anhaltspunkte für das Vorliegen
einer perniziösen Anämie im Remissionsstadium demjenigen ergeben
der die Krankengeschichte kennt. Zwar war eine Milzuntersuchung
ebensowenig möglich wie die Feststellung der aus der klinisch
bestehenden Achylie abzuleitenden Magen-Darmdrüsenatrophie; aber
die Zungenatrophie mit Nekrosen, die fettige Herzdegeneration, die
dadurch bedingten Oedeme, die Hämosiderosis der Leber müssen
auf das Konto der durch die Noxe der Perniziosa ursächlich ge¬
setzten Veränderungen geschrieben werden. Die Petechien der Pleura
erklären sich ungezwungener, wie auch die sonstigen bei der Autopsie
gefundenen Organveränderungen, durch die bestehende Sepsis.
Die erstgenannten Obduktionsbefunde stellen demnach lediglich
organische krankhafte Prozesse und ihre Folgezustände dar, die ihr
Bestehen den früheren Einwirkungen des unbekannten Giftes der
perniziösen Anämie verdanken und als irreparable Residuen auch
in der Remission persistieren und in vivo entsprechende Symptome
dauernd zur Folge hatten. An der Leiche wie (seit sechs Monaten)
am Lebenden fehlten dagegen absolut Erscheinungen, die wir sonst
bei dem aktiven Krankheitsprozeß des Morbus Biermer zu sehen
ewohnt sind, vor allem fand sich das Knochenmark der Röhren¬
nochen als Fettmark, während es früher — zur Zeit der floriden
Krankheitserscheinungen mit typischen hämatologischen Zeichen der
Knochenmarkinsuffizienz (Megaloblasten) — lymphoid gewesen sein
muß. Daraus folgt mit zwingender Notwendigkeit, daß die unter
der Einwirkung der perniziös-anämischen Erkrankung
vor sich gehende Umwandlung des Fettmarks in me-
galoblastisches während der hier vorliegenden voll¬
ständigen Remission reversibel ist. Wir sind allzu sehr
gewohnt, als pathologisch-anatomisches Substrat der an perniziöser
Anämie Verstorbenen das rote Knochenmark wie einen unabänder¬
lichen Befund hinzunehmen und als conditio sine qua non zu fordern,
etwa wie die Atrophie der Magendrüsen. Obwohl Morawitz 1 ) die
Rückbildung des erythroblastischen Knochenmarkes in Fettmark bei
Nachlassen der Anforderungen an die regeneratorische Tätigkeit der
vermehrten Blutbildung allgemein anerkennt, ist von einer praktischen
Beziehung auf die verschiedenen Stadien der perniziösen Anämie,
soweit ich sehe, nicht die Rede gewesen. Wir haben uns überhaupt
ganz allgemein die Frage vorzulegen, welche pathologisch-anatomischen
Veränderungen in der Remission der Perniziosa als einmal gesetzte
Organschädigungen der Rückbildung zur Norm nicht fähig und welche
mehr oder weniger, bei Fortfall der ursächlichen Noxe, reparabel
sind. Es wäre in diesem Zusammenhänge noch zu untersuchen, ob
und in welchem Grade die fettige Hcrzmuskeldegeneration oder die
Hämosiderosis, bekanntlich bei der Perniziosa weitaus am stärksten
in der Leber vorhanden, pathologisch-anatomisch und physiologisch
restitutionsfähig, d. h. klinisch heilbar ist. Daß aber jedenfalls zu
den rückbildungsfähigen Veränderungen in der Remission der perni¬
ziösen Anämiie das Knochenmark gehört, zeigt obige Beobachtung.
Welche Schlüsse lassen sich daraus ziehen? Das
Problem der Genese der perniziösen Anämie ist heute noch so um¬
stritten, die Ansichten über die vielen damit zusammenhängenden
Fragen sind so divergent, daß es gut ist, sich auf die sich allge¬
meiner Anerkennung erfreuenden Tatsachen zu besinnen. Leider gipfelt
diese Uebereinstimmung bisher nur in dem einen Satz, daß auch der
kryptogenetische Morbus Biermer strenggenommen eine toxische
sekundäre Anämie ist, d. h. die unbekannte Noxe, irgendwo im
Körper entstehend, erzeugt eine charakteristische Schädigung des
Blutes und der blutbildenden Organe. So sehr man auch über die
Genese und Art des Giftes, dessen Angriffspunkt und Spezifizität usw.
streitet, in obiger Grundauffassung sind sich wohl alle Hämatologen,
einschließlich Nägeli, einig.
Die vorliegende Beobachtung zeigt nun, daß in dem weitgehenden
Remissionsstadium einer kryptogenetischen perniziösen Anämie das
vorher megaloblastische Knochenmark sich in gelbes Fettmark zurück¬
bildet, daß also die das Hauptcharakteristikum des perniziös-anämi¬
schen Blutsyndroms darstellenden Megaloblasten sowohl aus der Blut¬
bahn als auch aus den blutbildenden Organen verschwinden. Ebenso
also wie nach zustandegekommener Remission das peripherische
Blut die der perniziösen Anämie eigentümlichen Veränderungen völlig,
wenn auch nur vorübergehend, verlieren kann, ebenso gibt bei der¬
artigen Besserungen das Knochenmark die lymphoide Umwandlung
wieder zugunsten des Fettmarkes auf. Das kann ja auch gar nicht
anders sein. Denn da das strömende Blut in seiner Zusammensetzung
im wesentlichen vom Zustand der blutbildenden Stätte abhängig ist,
ist die Rückbildung des roten Knochenmarkes in gelbes Fettmark
offenbar der primäre Vorgang, der am Lebenden seinen sekundären
Ausdruck in aem gegenüber dem Vollstadium der perniziösen Anämie
völlig abgeänderten Blutstatus findet. Peripherisches Blut und Knochen¬
mark verhalten sich in weitgehenden Reparationsstadien beim krypto¬
genetischen Morbus Biermer vorübergehend ebenso wie bei der
nach Entfernung der ursächlichen Noxe zustandekoni men den Dauer-
heiluug ätiologisch bekannter perniziöser Anämien.
Aus vorliegendem Fall ergibt sich die Folgerung, daß eine
zeitliche und vermutlich auch ursächliche Koinzidenz zwischen kli-
*) Morawitz, Blut und Blutkrankheiten'jm Handbuch von Mohr-Stähelin 1912,
4, S. 143.
Digitized fr
Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
3. März 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
287
nisch-hämatologischer, zur Norm hinneigender Rückbildung und der
Umwandlung des erythropoetischen in gelbes Fettmark im Remis¬
sionsstadium ebenso besteht wie auf der Höhe der Erkrankung im
umgekehrten Sinne. Ebenso wie am Lebenden in besonderen Fällen
weitgehendei Reparationsstadien aus dem noch so genau untersuch¬
ten Blute kein Anhaltspunkt für das Bestehen einer perniziösen
Anämie gewonnen wird 1 ), ebensowenig ist in diesem Stadium an der
Leiche die Diagnose der Krankheit aus dem Knochenmark ermöglicht.
Was liegt nun angesichts obiger Befunde und dieser Ueber-
legungen näher — bei dem völligen Rückgang der klinisch-hämato-
logiscneu und, wie hier zum ersten Male gezeigt wurde, myelo-
pathischen Kriterien der perniziösen Anämie in der Remission, sodaß
m vivo wie in mortuo lediglich die durch das Vollstadium der Krank¬
heit erzeugten, irreparablen Organveränderungen und deren Funk¬
tionsausfälle bestehen — als die Annahme, daß die von allen Hämato¬
logen postulierte, die perniziöse Anämie erzeugende unbekannte Noxe
während des Remissionsstadiums nicht aktiv am Werke
ist? Es mag vorderhand völlig dahingestellt bleiben, welcher Art
die Giftbildung und Wirkung ist, welche Ursachen für das Sistieren
im Remissionsstadium in Betracht kommen., aber es wäre schon
viel für die Pathogenese des Morbus Biermer gewonnen, wenn die
hämatologische Auffassung sich zu dem Standpunkt durchringen
könnte, daß die bei positiv wirkender Noxe im Vollstadium der per¬
niziösen Anämie vorhandenen charakteristischen klinischen Blut- und
Knochenmarkbefunde in besonders vollendeten Remissionsstadien des¬
wegen fehlen bzw. zur Norm hinneigen, weil das Gift zur Zeit
nicht tätig ist. Ich meine, diese Anschauung, die schon aus der
rein klinischen Beobachtung des zwischen Remissionen und Rezi¬
diven hin und her schwankenden Verlaufes der Perniziosa sich auf¬
drängt, ist angesichts des Nachweises der in der Remission klinisch,
im Blutstatus und Knochenmark fehlenden Giftwirkungen die natür¬
lichste und wahrscheinlichste.
Von dieser Feststellung wird die an sich sehr wichtige und so
vielumstrittene Frage zunächst nicht berührt, geschweige denn ent¬
schieden, ob der für perniziöse Anämie so charakteristischen und in
der Remission rückbildungsfähigen Blut- und Knochenmarksverände¬
rung primär ein rein degenerativer oder regenerativer Prozeß zu¬
grundeliegt, mit anderen Worten, ob ein vermehrter Blutunter¬
gang oder eine verminderte, krankhafte Blutbildung
das Wesen der perniziösen Anämie ausmacht. Soviel
allerdings scheint mir aus der klinischen und anatomischen Analyse
obigen Falles hervorzugehen, daß die einseitige pathologisdi-ana-
tomisch-histologische — ich möchte sagen, nur stabile Endstadien be¬
rücksichtigende — Betrachtungsweise, so grundlegend sie ist, für
das Studium der perniziösen Anämie verhängnisvoll und verfehlt
erscheint, wenn aus den gefundenen oder vermißten Organverände¬
rungen nicht das für das Verständnis der Remissionen und Rezidive,
also labiler Vorgänge, unbedingt notwendige pathologisch-physio-
logische Denken und Geschehen abgeleitet und nutzbar gemacht wird.
Ich möchte freilich in der praktischen Verwertung obiger Be¬
obachtung für die Pathogenese der perniziösen Anämie noch einen
Schritt weitergehen. Wenn, wie wir gesehen haben, die Umwandlung
des Fettmarkes in megaloblastisches während der Akme des perni¬
ziös-anämischen Krankheitsbildes, und umgekehrt die Rückbildung
des roten Knochenmarkes in gelbes während vollendeter Remissions-
stadieu der Krankheit, steht und fällt mit der Einwirkung und Nicht¬
wirksamkeit der unbekannten Noxe des Morbus Biermer, dann ist
die von Nägeli verfochtene These von der der Perniziosa zu¬
grundeliegenden, spezifischen und irreparablen Knochenmarkerkran¬
kung unhaltbar, so überragend auch die Pathologie der perniziösen
Anämie von dieser charakteristischen, sekundären Knochenmarksläsion
im Gegensatz zu anderen Anämien beherrscht wird. Und ebenso, d. h.
aus denselben Gründen, besteht die von demselben Forscher ver¬
tretene Anschauung nicht zu recht, daß die Remissionen durch —
unvollkommene — Regenerationsbestrebungen des Knochenmarkes Zu¬
standekommen; denn obiger Fall beweist gerade die völlige Rück¬
bildung des erythropoetischen Markes in Fettmark in einem auch
klinisch und hämatologisch einwandfreien vollständigen Remissions¬
stadium, bei dem die Giftwirkung sistiert.
Es wäre zweifellos erwünscht, durch mehrfache Beobachtungen
vorliegender Art die hier gezogenen Schlüsse und Anschauungen über
die Pathogenese der kryptogenetischen perniziösen Anämie auf eine
breitere Grundlage zu stellen. Es liegt aber in der Natur der Sache,
daß Obduktionsbefunde von Perniziösen, die nicht am Morbus Bier¬
mer, sondern an einer interkurrenten Krankheit sterben, an sich
selten sind, vollends aber bei solchen in den ausgeprägten Remissions¬
stadien der Krankheit. Ich hätte daher auch nicht gewagt, aus dieser
^inen Beobachtung so weitgehende Schlüsse zu ziehen, wenn sich
nicht gerade hierdurch angeregte Untersuchungen des Blutes (M. m. W.)
und vor allem solche des Knochenmarkes am Lebenden wäh¬
rend der Remission bei zahlreichen perniziösen Anämien völlig
mit diesem zufällig durch Autopsie gewonnenen Befunde deckten.
Letztere, meines Wissens zum ersten Male bei dieser Krankheit auf
solche Weise erhobenen Befunde werden gleichzeitig in der Schweiz.
mcd. W. veröffentlicht.
9 M m. W. 1921.
Zwei Krankheitsfälle mit maiariaäbnlichem Fieber.
Von Dr. W. Brauns in Pattensen a. Leine.
ln Nr. 25 1921 der M. m. W. berichtet Fendel über zwei Fälle mit
einem der Quotidiana entsprechenden Fiebertypus ohne Malariapara¬
siten. Das gibt mir Veranlassung, zwei von mir in meiner Praxis
beobachtete Fälle mitzuteilen, die mit denen Fendels eine gewisse
Aehnlichkeir aufweisen und auch sonst einiges Interessante bieten.
1. Karl R., 10 fahre, kam am 5. III. 1920 in Behandlung: seit
8 Tagen Kopf- und Rückenschmerzen, in der Nacht auf heute Nasen¬
bluten und Erbrechen. Organe ohne besonderen Befund. Tempe¬
ratur 38°. Da gerade eine Grippeepidemie in hiesiger Gegend
herrschte und der Befund dem auch entsprach, wurde demgemäß
behandelt: Patient erhielt 3mal täglich 0,15 Pyramidon, 2stündlich
1 Teelöffel Sir. Kal. sulfoguajacolic.
Am 7. III. sah ich den Knaben wieder. Er hatte nach dem
Pyramidon und auch nach Milch erbrochen. Der Appetit fehlte völlig,
lieber beiden Lungen waren einzelne feine Rasselgeräusche hörbar.
Temperatur 40,1 °. Ich ließ das Kind nun regelmäßig messen und
war sehr erstaunt, als ich bei meinem nächsten Besuch am 9. UI.
erfuhr, daß auf den verhältnismäßig schlechten Tag, an dem ich
den Patienten zuletzt gesehen hatte, gestern ein fieberfreier Tag
mit gutem Appetit und völligem Wohlbefinden gefolgt war, während
nun wieder Fieber und Appetitlosigkeit bestanden. Außerdem wurde
über Schmerzen in der Milzgegena geklagt, zu fühlen war die Milz
nicht. Obgleich der Knabe nie sein Dorf verlassen hatte (auch der
Vater war als Soldat in keiner Malariagegend gewesen), schickte ich
das Blut (Ausstrich und dicken Tropfen) dem Medizinal-Unter-
suchungsamt Hannover. Die Untersuchung ergab keine Malaria¬
parasiten. Inzwischen hatte ich Chin. mur. 0,3 3mal täglich gegeben,
wonach schon der nächste zu erwartende Fieberanstieg ausblieb.
Der Appetit stellte sich wieder ein, es traten keine weiteren Be¬
schwerden auf.
Fall 2. Am 14. II. 1921 kam der 7jährige Heinr. R., der Bruder
des vorigen, in Behandlung mit Halsscnmerzen und Schluckbeschwer¬
den. Temperatur 38,3°. Auf der linken Tonsille kleiner, grauer Belag,
Drüsen beiderseits am Kieferwinkel, leicht druckempfindlich. Ab¬
strich : Di -f. 3000 J. E. Im weiteren Verlauf der Di, die im übrigen
ohne Komplikation ausheilte, zeigte sich, daß das Fieber ungefähr
einer Quartana entsprach. Am fl. II. sandte ich Blut ein, Malaria¬
parasiten wurden nicht gefunden. Ich gab 3mal 0,2 Chin., das prompt
zur Entfieberung führte. Am 26. II. waren im Rachenabstrich keine
Diphtheriebazillen mehr nachzuweisen, die Drüsen am Kieferwinkel
im Zurückgehen und nicht mehr druckempfindlich.
Es handelt sich also um zwei ganz verschiedene, zeitlich etwa
1 Jahr auseinanderliegende Krankheitsfälle bei Geschwistern: einmal
aller Wahrscheinlichkeit nach (Epidemie) um eine Orippe, dabei
Fieber mit Tertianatyn; das andre Mal um eine klinisch und bakterio¬
logisch einwandfreie Diphtherie (gleichfalls im Rahmen einer Epide¬
mie) mit annäherndem Quartanatyp.
Beide Male wurden Parasiten nicht nachgewiesen und trat auf
Chinin prompte Entfieberung ein. Nur in einem Fall bestanden
Schmerzen in der Milzgegend (ohne fühlbare Milzvergrößerung),
eine auch sonst bei Grippe vorkommende Erscheinung.
Fendel nimmt für seine Fälle trotz des negativen Parasiten¬
befundes Malaria an. Für meine Fälle kann ich das nach dem Obigen
nicht tun. Vielleicht machen sie Fendel auch in seiner Annahme
etwas stutzig.
Bemerken möchte ich noch, daß Fall 1 und ein 3. Bruder gleich¬
zeitig mit Fall 2 eine Diphtherie durchgemacht haben, deren Fieber¬
verlauf keine Besonderheiten zeigte.
Aus dem Pathologischen Institut des Städtischen Krankenhauses
in Karlsruhe i. B. (Vorstand: Prof. v. Qierke.)
Doppelseitiges, nicht traumatisch entstandenes Aneurysma
arteriovenosum zwischen der Art. carotis interna und dem
Sinus cavernosus mit Exophthalmus pulsans.
Von Dr. Hermann Riehm, früher Assistent am Krankenhaus.
Unter den bisher zur Sektion gekommenen Fällen von Exophthal¬
mus pulsans infolge eines Aneurysma arteriovenosum der Carotis
interna mit dem Sinus cavernosus nehmen die infolge eines Traumas
entstandenen einen weitaus größeren Raum ein als die spontan auf-
etretenen, und unter letzteren finden wir nur eine verschwindend
leine Anzahl, bei denen durch die Obduktion ein Aneurysma arterio¬
venosum der Carotis interna mit dem Sinus cavernosus nachgewiesen
wurde.
Ganz außergewöhnlich selten nun sind doppelseitig spontan auf¬
getretene Aneurysmen der Carotis interna mit dem Sinus cavernosus.
Ein solcher Fall sei kurz geschildert.
Die 43jährige Patientin A. B. ist V.-para. Sie hat drei Fehlgeburten
gehabt, die erste und zweite nach dem vierten, die dritte nach
fünften Kind. Die Geburten verliefen normal, die Kinder sind gesu*u\
Früher will die Frau hie schwer krank gewesen sein. FanviU*«
anamnese o. B. Der Mann starb im September 1919 im 58. Lebert^\u T
an einem Leberleiden. Alkohol und Lues wird negiert.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
288
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
Oktober 1918 erkrankte Patientin während der Qrippeepidemie an
der „Spanischen“ und war 3—4 Wochen bettlägerig. Damalige Klagen:
Kopfschmerzen, anfangs auch Erbrechen. Bald traten auch Schmerzen
im linken äußeren Augenwinkel auf und Ohrensausen beiderseits.
Etwa Vs Jahr später traten im rechten Auge Schmerzen auf, das
Auge war hervorgetreten und gerötet. Bald darauf ließ auch das
Sehvermögen am rechten Auge erheblich nach. Einige Monate später
bemerkte Patientin eine Rötung und Gefäßentwicklung auf der Stirn.
Sie suchte am 3. X. 1919 spezialärztliche Behandlung auf.
Der damalige Befund lautete:
Kongestioniertes Aussehen. Auf der Mitte der Stirn eine etwa
keilförmige, mit der Basis über den Augenhöhlen mit der Spitze nach
oben zu verlaufende, gerötete, ödematöse Stelle. Die Rötung ist durch
Entwicklung kleiner und kleinster Blutgefäße (Venen) bedingt. Die¬
selbe Rötung findet sich besonders auf dem rechten oberen und linken
unteren Augenlid und deren nächster Umgebung. Die Blutgefäße
sind hier stärker als auf der Stirn entwickelt und zeigen, trotzdem sie
deutlich pulsieren, Venencharakter. Es besteht Exophthalmus beider¬
seits, rechts stärker als links, der rechte Bulbus pulsiert deutlich
synchron dem Pulse. Rechtseitig besteht Abduzenslähmung. Die
Pupillen reagieren auf Licht und Akkomodation normal. Vis. rechts
6/30, links 6/12. Augenhintergrund: rechts sehr starke Stauungspapille
mit Hämorrhagien. Links geringere Stauungspapille. Venen beider¬
seits stark erweitert.
Keine Störung der Berührungsempfindlichkeit im Gebiet der Nn.
trigemini, faciales und hypoglossi. Alle funktionieren gut. Die Sprache
ist normal, der Puls beider Karotiden ist gleich nach Rhythmus und
Stärke. Diese fühlen sich normal an. ueber dem Schädel hört
man — am lautesten über der Stirn — ein systolisches Sausen, das
von da über den Scheitel nach dem Hinterkopf zu an Stärke abnimmt.
Bei Kompression beider Karotiden hört das Sausen auf, bei Kom¬
pression auf einer Seite wird es schwächer. Knöcherner Schädel
und Galea sind nirgends druckempfindlich. Kein Romberg, Sehnen-,
Periost- und Bauchreflexe normal. Nirgends Zeichen von Ataxie.
Gang normal. Das Herz ist etwas nach links verbreitert, auskultato¬
risch o. B. Lungen ohne Besonderheiten. Leber, besonders der 1. Lap¬
pen, etwas vergrößert. Es besteht eine linkseitige Leistenhernie.
Urin ist frei von Eiweiß und Zucker. Blut — Wa.R. und Sachs-Georgi
negativ. An beiden Beinen Varizenbildungen.
Im Röntgenbild zeigt sich das Gebiet beiderseits der Sella
turcica verwaschen.
Im Lauf der nächsten Woche verstärkte sich der Exophthalmus
auf der linken Seite, und Hand in Hand damit wurde auch die anfangs
nur gering ausgeprägte Stauungspapille auf dem linken Auge deut¬
licher sichtbar; auch bildete sich eine linkseitige Abduzenslähmung
aus. Ohne daß nun in der Zwischenzeit nochmals erheblichere Stö¬
rungen irgendwelcher Art aufgetreten wären — Patientin ging fast
ununterbrochen ihrer häuslichen Beschäftigung nach —, trat am
14. II. 1920 unter erheblichen Schmerzen der linkseitige Leistenbruch
wieder hervor, und Patientin fand Aufnahme im Krankenhause. Bei
der sofort in Lokalanästhesie ausgeführten Radikaloperation fand
sich reichlich Aszites im Bruchsack, der innen mit tuberkulösen Knöt¬
chen übersät war. 12 Tage später Exitus letalis.
Die Sektion (Professor v. Gierke) ergab folgenden Befund:
Geringer Ernährungszustand. Leib wenig aufgetrieben, wenig
gespannt. In der Unken Inguinalgegend Operationsnarbe mit Fisteln.
Gesicht ohne Gefäßerweiterungen, Augen nicht vorgetrieben, Pupillen
mittelweit, beiderseits gleich. An der Innenseite des mitteldicken
Schädeldaches starke Pacchionische Gruben. Dura beiderseits ziemlich
gespannt mit glatter Innenfläche. Sinus longitudinalis superior nicht
besonders weit, enthält flüssiges Blut. Konvexität beiderseits ohne
Abplattung mit zarten Hirnhäuten und erweiterten, teilweise, be¬
sonders über dem linken Stirnlappen, geschlängelten Venen. Ueber
dem rechten Stirnlappen einige punktförmige meningeale Blutungen.
An der Basis ziemlich reichlich klarer Liquor. Zarte Meningen mit
zarten Gefäßen. Auch beide Karotiden vom Durchtritt durch die
Dura an ohne Erweiterung, ohne Wandveränderungen. Gehirnsub¬
stanz mittelfest, mittelblutreich. Ventrikel nicht erweitert. Ueberall
deutliche Zeichnung, o. B. In der weißen Substanz des rechten
Hinterhauptlappens über dem vordersten Teile des Hinterhorns ein
erbsengroßer Herd mit grauem Granulationssaum und gelblich-käsi¬
gem Zentrum. An der Schädelbasis ist die Dura beiderseits der Sella
turcica, rechts etwas stärker, vorgewölbt. Diese Vorwölbung ist
weich; bei Druck auf einer Seite wird die andere vorgetrieben. Die
Sinus petrosi superiores et inferiores beiderseits ohne besondere Er¬
weiterungen, ebenso der Sinus transversus. Alle enthalten flüssiges
Blut. Beim Aufschneiden der linken Vorwölbung gelangt man in
einen mit dickflüssigem Blut gefüllten, vielbuchtigen Sack, von dem
an mehreren Stellen feinere, für eine dünne Sonde passierbare Oeff-
nungen abgehen. Eine derselben führt medial vor und unter der
Hypophyse in die rechtseitige Vorwölbung. Die hinteren Oeffnungen
scheinen in die Sinus petrosi zu gehen, während eine vordere mit der
etwas weiten und starren Carotis interna kommuniziert. Die recht¬
seitige Vorwölbung ist etwas größer, stellt sich im ganzen ähnlich dar.
In dern buchtigen Sack verläuft die etwas starrwandige Carotis interna,
die auf der Kuppe ihres Bogens wie aufgeplatzt aussieht. Die Processus
clinoidei posteriores sind atrophisch, weich und beweglich. Die Hypo¬
physe wird von den sackförmigen Erweiterungen'umgeben, sie erscheint
etwas weich, bräunlich-gelblich, im ganzen von entsprechender Größe.
An den übrigen Organen fand sich außer einer ausgesprochenen
Peritonitis tuberculosä mit 1 It. Aszites eine beiderseitige alte Spitzen¬
Nr. 9
induration, beiderseitige tuberkulöse Salpingitis, Tuberkelknoten in
der MHz, eine deutliche Granularatrophie der Nieren, Gallensteine
und eine relative geringe Herzhypertrophie. In der Leber fanden sich
mikroskopisch vereinzelte Tuberkelknötchen.
Karonarien, Aorta, Karotiden sowie sonstige Körperarterien zart
und elastisch ohne sklerotische Veränderungen.
Gefäßschnitte der Carotis interna im Bereich des Sinus cavernosus
zeigen Intimaverdickungen derselben sowie eine geringgradige Wand¬
verdickung der Sinuswand. Außerhalb des Sinus ist die Intima und
Elastica interna der Carotis interna unverändert.
Bei der Betrachtung der Aetiologie dieses Falles wird man einer¬
seits die durchgemachte Grippe in Erwägung ziehen, anderseits die
Tuberkulose, insbesondere die Bauchfelltubereulose, oder aber sonst
einen ferner liegenden Prozeß für die Entstehung der Erkrankung ver¬
antwortlich zu machen suchen.
Bereits vor 10 Jahren, als die Grippe bei uns noch nicht in dem
Maße florierte wie in den vergangenen Epidemien, beschreibt Schäfer
einen ähnlichen Fall:
Bei einer 74jährigen Frau entwickelte sich im Anschluß an eine
Influenza der Symptomenkomplex des Exophthalmus pulsans am rech¬
ten Auge: Suffusionen um das rechte Oberlid, Pulsieren des Bulbus
und ein Blasegeräusch und Sausen über*der rechten Schläfe.
Ohne Sektionsbefunde beschreiben u. a. auch Lasarew und
Ryan je einen Fall von spontan entstandenem Exophthalmus, bei
denen eine eigentliche ätiologische Ursache vielleicht in „Erkältun¬
gen“ zu suchen ist. Durch den Obduktionsbefund nachgewiesene,
spontan entstandene Fälle finden wir vor allem in der grundlegenden
Arbeit Sattlers über den Exophthalmus pulsans. Dort wird je ein
Fall von Gendrin, Wecker, Morton und von Oettingen
erwähnt, wobei jedesmal als Ursache der spontanen Entstehung eine
„Erkältung“ anzflnehmen ist.
Doppelseitiger Exophthalmus pulsans wird weit seltener beobach¬
tet. Weinkauff berichtet über einen solchen spontan aufgetretenen
bei einer 64 jährigen Frau, der ebenso spontan wieder zurückging
unter Hinterlassung einer allerdings erheblichen Sehstörung. Daß
es sich hier um ein doppelseitiges arteriovenöses Aneurysma der
Carotis interna mit dem Sinus cavernosus handelte, wird dadurch zu
beweisen gesucht, daß einseitige Kompression der Carotis communis
die Blasegeräusche und pulsatorischen Erscheinungen nicht zu beein¬
flussen vermochte. Eine Sektion wurde nach dem 10 Jahre später
erfolgten Tode nicht vorgenommen.
Mariani beschreibt einen Fall von einseitiger spontaner Ruptur,
Zeller und Augstein je einen Fall von Schußverletzung der
Carotis interna, bei denen jeweils die Symptome des Exophthalmus
pulsans auf beiden Seiten in Erscheinung traten. Die Uebertragung
erfolgt durch Ausdehnung des die Verbindung zwischen den beiden
Sinus cavemosi vermittelnden Sinus circularis. Durch die Sektion be¬
stätigt wurde diese Annahme in einem von Grut und Tscherning
mitgeteilten Falle traumatischen Ursprungs. Beiderseitige traumatische
Verletzung der Carotis interna im Sinus cavernosus ist bisher nicht
beobachtet worden. Den einzigen in der Literatur erwähnten Fall
von doppelseitiger spontaner Entstehung des Krankheitsbildes teilt
Reelus mit. Als Ursache wurde bei der Patientin Syphilis ange-
j nommen. Im Abstand von 2 Jahren waren an beiden Augen die
Symptome des Exophthalmus pulsans aufgetreten. Die Patientin ging
42 Tage nach einem operativen Eingriff unter den Zeichen einer
Hirnblutung mit Blutung in die Ventrikel zugrunde.
Hier zeigt der Sektionsbericht einen dem unsrigen ganz ähn¬
lichen Befund: Beiderseits hochgradige Ausdehnung der Sinus caver-
nosi, die mit Klumpen geronnenen Blutes Icaillots) ausgefüllt sind.
Eine Perforationsstelle der Carotis interna findet sich nur auf der einen
Seite. Irgendwelche syphilitischen Veränderungen wurden nirgends
gefunden.
In unserm Falle darf man wohl mit einer gewissen Wahrschein¬
lichkeit die Grippe für die Entstehung der Erkrankung verantwortlich
machen, und zwar auf dem Weg einer Thrombose des Sinus cavernosus,
die — sei es mechanisch oder auf sonst eine Weise — zur Ruptur
der Carotis interna auf beiden Seiten führte. Aus der Intimaverdickung
der Carotis interna, die nur im Bereiche des Sinus cavernosus gefunden
w erden konnte, läßt sich durchaus kein eindeutiger Schluß ziehen, da
diese Verdickung sowohl Ursache als auch Folge der Erkrankung
sein konnte. Die Möglichkeit allerdings, daß ein arteriosklerotischer
Prozeß beiderseits gerade auf die rupturierten Stetlen beschränkt
Vorgelegen haben könnte, läßt sich ebensowenig unbedingt von der
Hand weisen wie die Annahme einer ebendaselbst lokalisierten tuber¬
kulösen Gefäßwanderkrankung oder einer entwicklungsgeschichtlich
vernachlässigten Wandstelle.
H. Augstein, Doppelseitiger pulsierender Exophthalmus als Kriegsverletzung,
Kiin. Mbl. f. Aughlk. 1916, 5(5, S. 484. — Qruth und Tscherning, Slomann, Beitrag
zur Lehre von dem pulsierenden Exophthalmus, Doktordissertation ."Kopenhagen. —
E.0. Lasarew, Zur Kasuistik des pulsierenden Exophthalmus, Zbl. f. Chir. 1898S.884. —
Mariani, Dl um rarisimo caso di esoftalmo pulsante bilaterale di natura spontanes,
Policlinico 1901. — P. Reclus, Sur une Observation d’exophthalnnis pulsatile 1908,
Oazette des höpitaux No. 85 S. 1011. — Ryan, Pulsierender Exophthalmus, Zbl. f. Chir.
1909 S. 776. — H. Sattler, Pulsierender Exophthalmus, Graefe-Saemisch, Handb. d
gesamten AugenhJk. 1880,6. — R. J. Schäfer, Ein Fall von pulsierendem Exophthalmus,
D. m. W. 1910 S. 124. — Seyfarth, Arteriovenöse Aneurysmen der Carotis interna mit
dem Sinus cavernosus und Exophthalmus pulsans, M. in. W. 1920 Nr. 38 S. 1092. —
K. Weinkauff. Doppelseitiger idiopathischer Exophthalmus pulsans mit spontaner
Rückbildung, v. Graefes Arch. f. Ophthalmologie 1910,74, S. 352. — Zeller.chlrur
giscb© Behandlung des pulsierenden Exophthalmus, D. Zschr. f. Chir. 1911, 3.
Digitized b 1
Google
Original from
CORNELL UNfVERSITY
3. März 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
289
Aus dem Städtischen Katharinenhospital in Stuttgart.
(Innere Abteilung, Vorstand: Geh.-Rat Sick.)
Zur physikalischen Emphysembehandlung.
Von Dr. R. Fetscher.
Von der Tatsache ausgehend, daß es sich bei Emphysem in
letzter Linie stets um Insuffizienz der Ausatmungsmuskulatur gegen¬
über der von mächtigen Hilfsmuskeln unterstützten Einatmungsmusku¬
latur handelt, schien der Gedanke aussichtsreich, die zu schwache
Ausatmungsmuskulatur durch reifenförmig den Thorax umgreifende
Gummizüge zu unterstützen. Ich glaubte einen Erfolg durch solche
mechanische Maßnahmen um so eher erzielen zu können, als die
Leichtigkeit eines nach so einfachem Prinzip gebauten Apparates
dauerndes Tragen gestatten mußte, während die bisher üblichen
physikalischen Behandlungsmethoden (Saugmaske, Atemstuhl) nur kür¬
zere Einwirkungszeit gestatten, zudem die benötigten Apparate in
ihrer Anschaffung recht kostspielig sind.
Den Gedanken habe ich gemeinsam mit Hübener in unserem
„Exspirator“ (D. R. P. angem.) zu verwirklichen gesucht (vgl. Fig.).
Exspirator (D.R.P. angem.).
11 j 111 «= Gummiringe, = Metallschnallen
weis «= nicht elastische Hosentrflgergurte u. Leder
Die Segmentierung des Apparates, verbunden, mit großer Verstell¬
barkeit der einzelnen Teile, soll die Anpassung an jede Thoraxform
ermöglichen. Ein hosenträgerähnliches Gestell dient als Träger der
Gurte.
Wenn ich nun in Nachstehendem nur über einen FaU berichte,
so veranlaßt mich dazu der überraschend gute Erfolg, obgleich ich
mich darüber keinem Zweifel hingebe, daß keineswegs alle Fälle
in gleicher Weise reagieren werden, und der Umstand, daß es mir
aus äußeren Gründen vorerst nicht möglich sein wird, weiteres
Material persönlich zu sammeln. Vielleicht geben diese Zeilen zur
Nachprüfung meiner Resultate in erweitertem Umfange Anlaß, womit
ihr Zweck vollauf erfüllt wäre.
Herr B., 63 Jahre alt Seit einiger Zeit Magenbeschwerden.
28. VII. 1921 auf der Straße plötzlich heftiges Blutbrechen. Er wurde
«n ziemlich schlechtem Allgemeinzustand eingeliefert. Systematische
Ulkusbehandlung bis 25. VIII. Von seiten des Magens keine Be¬
schwerden mehr, doch klagt Patient noch erheblich über Asthma-
anlalle, welche die ganze Zeit über bestanden haben. Asthmolysin-
injektionen bringen vorübergehende Besserung.
Lungenbefund: Rachitischer Thorax (Hutkrempenform, Rosen¬
kranz). Beträchtliche Kyphoskoliose. Lungen-Lebergrenze 7. Rippe. HU
beiderseits reicht Lunge bis 12. Brust- bis 1. Lendenwirbel. Grenzen
mäßig verschieblich. Sehr reichliche bronchitische Geräusche über
der ganzen Lunge. Rechts kleines, nur röntgenologisch nachweisbares
Exsudat (vor 9 Jahren Rippenfellentzündung). Maximales Atemvolumen
nach spirometrischer Messung 1400»ccm (Vorratsluft -f* Ateraluft -f
Ergänzungsluft).
Diagnose: Emphysem, chronische Bronchitis. Behandlung: Die
bestehenden Verhältnisse schienen mir für die physikalische Behandlung
nicht besonders aussichtsreich, da die Starre und rachitische Ver¬
bildung des Thorax erhebliche Schwierigkeiten bereiten mußte.- Ver¬
suchsweise entschloß ich mich zur Anwendung des „Exspirators“.
26. VIII. Anlegung des Apparates. Maximales Atemvolumen stieg
sofort auf 2800 ccm, doch klagte Patient über den Druck des „Ex¬
spirators“, den er direkt auf der Haut trägt
27. VIII. Patient wird arbeitsunfähig entlassen. Der Apparat wird
ihm mitgegeben mit der Weisung, ihn dauernd zu tragen und sich
in 8 Tagen wieder vorzustellen.
3 IX Erneute Spirometermessung ergibt 3500 Vitalkapazitat
Patient hat sich an den Druck nun gut gewöhnt und gibt an. er spüre
wesentliche Erleichterung beim Atmen. Der Auswurf werde leichter
herausbefördert, doch blstehe der Husten noch weiter. Asthma¬
tische Anfälle sind trotz Aussetzen der Asthmolysininjektionen
nicht mehr eingetreten.
10. IX. Atemvolumen 4000 ccm. Patient fühlt sich ausgesprochen
wohl. Der Husten habe sich wesentlich gebessert, Treppensteigen
und selbst weitere Spaziergänge machen keine Schwierigkeiten. Patient
will bald wieder an die Arbeit. Objektiv sind über der Lunge noch
vereinzelte bronchitische Geräusche zu hören. Nach Abnahme des
Apparates beträgt das Atemvolumen 2400 ccm, also ebenfalls mehr
als vor Beginn der Behandlung.
Hersteller des Exspirators: Brillinger, Sanitätsgeschäft und Kor¬
settfabrik, Tübingen.
Ueber die Häufigkeit nervöser Unfallfolgen und ihrer
praktischen Bedeutung.
Von Dr. Paul Horn, Priv.-Doz. für Versicherungsmedizin in Bonn.
Ueber die Häufigkeit nervöser Unfallfolgen und ihre Bedeutung in
sozialer, wirtschaftlicher Beziehung kann man m. E. nur dann ein
richtiges Bild gewinnen, wenn man versucht, das Gebiet der Unfall¬
neurosen nach verschiedener Richtung hin zu sichten. Zunächst liegt
es nahe, daß die ätiologisch verschiedenen Sondergruppen der
Unfallneurosen (Schreck-, Kommotionsneurosen usw.) gewisse Unter¬
schiede bedingen, wobei nicht nur Konstitution und Krankheitsbereit¬
schaft, sondern auch Art und Schwere der Unfalleinwirkung sowie
das Hinzutreten indirekter Unfallschädigungen (Rentenkämpfe, Pro¬
zesse usw.) in Frage kommen. Aber auch der Personenkreis, aus
dem sich aie Unfallneurotiker zusammensetzen (Angehörige der sozia¬
len Versicherung einerseits, Haftpflichtfälle und Privatversicherte
anderseits), ist, wie eingehende Untersuchungen mir zeigten, für die
Häufigkeit nervöser Unfallfolgen von erheblichem Einfluß, bedingt
sogar ganz beträchtliche Unterschiede.
Die älteren Angaben von Biß, Merzbacher und Stursberg
beziehen sich ausschließlich auf berufsgenossenschaftliches Material.
Sie beziffern die Zahl der Unfallneurosen auf 0,26—1,9% aller ent¬
schädigungspflichtigen Betriebsunfälle, Angaben, die ich nach meinen
Erfahrungen im großen und ganzen nur bestätigen kann. Ich persön¬
lich schätze die Zahl der Unfallneurosen bei Angehörigen der
sozialen Versicherung im Durchschnitt auf 1 % aller zur Entschädigung
kommenden Betriebsunfälle, wobei es selbstverständlich ist, daß die
Zahlenverhältnisse bei den verschiedenen Berufsgenossenschaften je
nach Art des Menschenmaterials, der Gefahrenklasse und der Ver¬
letzungen Abweichungen nach dieser oder jener Richtung zeigen
können. So kommen z. B. bei Knappschaftsberufsgenossenschaftfn
nervöse Störungen nach Kopfverletzungen, die gerade im Bergbau¬
betriebe durch nerabfallendes Gestein u. dgl. verhältnismäßig oft sich
ereignen, viel häufiger zur Beobachtung als bei Textil-, Kleineisen-,
oder Hütten- und Walzwerksberufsgenossenschaften, wo die Extremi¬
tätenverletzungen erheblich stärker überwiegen.
Im Verhältnis zur Gesamtzahl aller Arbeiter und aller gemel¬
deten Unfälle ist der angegebene Prozentsatz natürlich gering, sodaß
es zunächst übertrieben erscheint, von einer schweren Gefahr, die
von den Unfallneurosen als einer „Volksseuche“ drohen soll, zu
sprechen. Wenn man aber bedenkt, daß bei den gewerblichen Betriebs¬
unfällen der Rentenbezug der Unfallneurotiker im Durchschnitt etwa
10 Jahre dauert, so würde sich, da z. B. nach den statistischen An¬
gaben des Reichsversicherungsamtes vor dem Kriege die Zahl der
erstmalig entschädigten Unfälle auf 130000—140000 pro Jahr war,
bei Zugrundelegung eines Prozentsatzes von 1% die Gesamtzahl der
von deutschen Berufsgenossenschaften rentebeziehenden Neurotiker
auf etwa 13000—14000 belaufen, wobei die jährlichen Abgänge
durch entsprechende Zugänge als ausgeglichen betrachtet werden.
Ich glaube, daß diese Zahl, obwohl sie rucht überwältigend ist und
übertriebene Vorstellungen auf ein richtiges Maß zurückführen dürfte,
doch eine ern9te Mahnung darstellt, weil es sich hier um Erkran¬
kungsformen handelt, deren langwieriger Verlauf durch entsprechende
Maßnahmen, z. B. zwangsweise Abfindung aller nichtkomplizierten
Fälle mit einer Erwerbsbeschränkung unter 50%, wesentlich abgekürzt
bzw. vermieden werden könnte. Aenderungen der Gesetzgebung
wären hier dringend am Platz.
Wesentlich schwerwiegender und bedeutungsvoller noch gestaltet
sich das Auftreten von Unfallneurosen bei den Eisenbannver¬
letzten und Privatversicherten. Bei beiden Gruppen, die
vorwiegend aus Angehörigen gehobenerer Stände sich zusammen¬
setzen, ist die Zahl der vorkommenden Unfallneurosen geradezu
erschreckend hoch, was zweifellos teilweise darauf zurückzuführen
ist, daß die Entschädigungssummen, die hier winken, unvergleichlich
höher und vielleicht auch leichter zu erringen sind als bei den An¬
gehörigen der sozialen Versicherung, bei denen die Zwangsbehand¬
lung und dauernde ärztliche Kontrolle ein ebenso wichtiges Moment
zur Heilung bilden als der Zwang zur Arbeit, den die verhältnis¬
mäßig niedrigen Renten naturgemäß nach sich ziehen.
Nach Angaben, die ich in dankenswerter Weise von der Eisen¬
bahndirektion zu Elberfeld erhielt, belief sich die Zahl der UnfaU-
ueurosen in den letzten Jahren durchschnittlich auf etwa 50% särri\.
lieber gemeldeten Unfälle von Eisenbahnpassagieren (bei ^ *
Eisenbahnbeamten und -arbeitem lagen die Zahlenverhältnisse weseS
lieh günstiger, da hier andere wirtschaftliche und rechtliche
in Frage kommen).
Digitized by Google
Original from
CORUELL UNIVERSITY
290
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
Nr. 9
In gleicher Weise erhielt ich von der Versicherungsgesellschaft
„Viktoria“ folgende Angaben: Es kamen a) bei der gewöhnlichen
privaten Unfallversicherung durchschnittlich auf 100 Schadensfälle
2,1 Invaliditätsfälle, auf 100 Invaliditätsfälle 10 Nervenfälle; b) bei
der lebenslänglichen Eisenbahnunfallversicherung durchschnittlich auf
100 Schadensfälle 21 Invaliditätsfälle, auf 100 Invaliditätsfälle 80 Nerven¬
fälle. Im ganzen kamen im Jahre 1914 38%, 1915 52% Unfallneurosen
bei solchen Privatversicherten der „Viktoria“ vor, die einen Eisen¬
bahnunfall erlitten und daher auch an Eisenbahnverwaltungen Ersatz¬
ansprüche stellen konnten.
Bedenkt man weiterhin, daß vor dem Kriege, in den Jahren
1908—1913, sich bei den preußisch-hessischen Staatsbahnen die Aus¬
gabe für Haftpflichtfälle — also zur Hälfte Unfallneurotiker — auf
annähernd 50 Goldmillioneu belief, so ist es klar, daß die praktische
Tragweite der Eisenbahnunfallneurosen für Staat und Volkswirtschaft
nicht völlig nebensächlich ist. Selbstredend sind, entsprechend der
Geldentwertung, die Entschädigungssummen nach dem Kriege ge¬
waltig gestiegen. Dabei ist gleichzeitig die Zahl der Unfallneurotiker
bei den Eisenbahnen von Jahr zu Jahr größer geworden, sodaß jetzt
mehr als die Hälfte aller Eisenbahnunfallverletzten
aus Neurotikern besteht!
Es unterliegt ja keinem Zweifel, daß für diese im Vergleich zu
dem berufsgenossenschaftlichen Material ganz außerordentlich hohe
Zahl zum großen Teil die Art der Unfälle in Wirkung verant¬
wortlich zu machen ist, die vielfach in einer durch Schreck bedingten
Alteration des Nervensystems (Schreckneurose) besteht im Gegensatz
zu den vorwiegend rein körperlichen Verletzungen bei gewerblichen
Arbeitern; aber es ist nach allen Erfahrungen nicht zu leugnen, daß
auch der Wunsch nach möglichst reichlicher Geldentschädigung, die
willkürliche Uebertreibung nervöser Beschwerden sowie verhängnis¬
volle Einwirkungen langwieriger Entschädigungsverhandlungen und
Prozesse in ausschlaggebender Weise bei diesem enormen Pro¬
zentsatz gerade von Eisenbahnunfallneurotikem beteiligt sind. Daß
zur Bekämpfung der schlimmsten Auswüchse nicht ohne einschnei¬
dende Aenderung des Eisenbahnhaftpflichtgesetzes im Sinne 1. einer
Begrenzung der Rentenzahlung, 2. einer obligatorischen Abfindung
bei nichtkomplizierten Fällen, auszukommen ist, wird jeder zugeben
müssen, der die Verhältnisse durch näheren Einblick kennen gelernt.
Zusammenfassung. 1. Häufigkeit und praktische Bedeutung
der Unfallneurosen sind verschieden je nachdem, ob Sozialversicherte
oder Haftpflichtfälle in Frage kommen.
2. Bei Sozialversicherten beträgt der Prozentsatz der Unfall¬
neurosen durchschnittlich nur 1% aller entschädigungspflichtigen Be¬
triebsunfälle, die Gesamtzahl der Unfallneurotiker ln Deutschland wird
auf 13000—14 000 berechnet.
3. Bei Haftpflichtfällen, insbesondere Eisenbahnunfallverletzten,
sowie bei Privatversicherten sind Häufigkeit und praktische Trag¬
weite unvergleichlich größer. Die Eisenbahnunfallneurosen, die die
Hälfte aller von Eisenbahnpassagieren gemeldeten Unfälle ausmachen,
erfordern zu ihrer Bekämpfung dringend gesetzlicher Abhilfe durch
Aenderung des Reichshaftpflichtgesetzes.
4. Auch bei den Sozialversicherten sind gesetzliche Maßnahmen
zur Neurosenbekämpfung notwendig.
5. Empfohlen wird bei Sozialversicherten Zwangsabfindung, sofern
unter 50% Erwerbsbeschränkung, bei Haftpflichtfällen Begrenzung
der Rentenzahlung und obligatorische Abfindung nichtkomplizierter
Fälle.
Aus dem Stadtkrankenhaus im Küchwald in Chemnitz.
(Direktor: Hof rat Prof. Clemens.)
Ein Pall von eitriger Peritonitis nach Mandelentzündung.
Von Dr. Erich ScMIlinf.
Am häufigsten gelangen die Bakterien vom Magen-Darmkanal
her nach einer Perforation desselben zum Peritoneum. Seltener wan¬
dern sie durch die verdünnte Darmwand hindurch. Als zweite Ein¬
ganspforte dient bei den Frauen der Genitalapparat. Ferner kann bei
Perforation von Abszessen, die sich in der Nähe der Peritoneal¬
gegend angesammelt haben, der Eiter das Peritoneum überschwem¬
men. Bei eitriger Pleuritis kann es auch durch Fortleitung durch
die Lymphgefäße zu einer sekundären Peritonitis kommen. End¬
lich kann durch Wunden in den Bauchdecken den Bakterien der
Weg zum Peritoneum gebahnt werden.
Bei allen diesen Fällen dringen die Keime direkt ins Bauchfell
ein, und der Weg, den sie genommen haben, ist ohne weiteres er¬
kennbar. In seltenen Fällen können die Bakterien auch auf dem
Blutwege zum Peritoneum gelangen. In der Literatur sind solche
kryptogenetische oder sekundäre Peritonitiden bei allen möglichen
Infektionskrankheiten beschrieben worden, doch werden die Berichte
nicht allgemein anerkannt. No th na ge Fund Strümpell erkennen
als sicher festgestellt die metastatische Peritonitis nur bei Polyarthritis
und Septikämie an. Nach Matthes sind die Pneumokokken häufig
als Erreger einer Peritonitis anzusprechen. Brunzel demonstriert
in der D. Zschr. f. Chir. 133 an der Hand von 11 Krankengeschichten
die Entstehung der kryptogenetischen Peritonitis und findet auch
den I neumococcus lanceolatus als den häufigsten Erreger. Doch
werden durch die Pneumokokken gewöhnlich nur peritoneale Reizun¬
gen hervorgerufen. Vielleicht sind die Leibschmerzen beim Beginn
einer Pneumonie, die oft genug zur Verwechslung mit Appendizitis
und selbst perforiertem Magengeschwür führen, manchmal so zu
erklären.
Ein interessanter FaH von scheinbar kryptogenetischer Peritonitis
wurde unlängst im hiesigen Krankenhaus beobachtet.
Die 23jährige Patientin erkrankte in der Nacht vom 17. VIII. 1921
mit Halsschmerzen und Fieber, später mit Leibschmerzen. Am 19. VIII.
trat die Regel 2 Tage verzögert ein. Seitdem bestand heftiger Leib¬
schmerz und Durchfall. Seit 21. war das Fieber hoch, zeitweise
traten Zustände von Verwirrtheit auf. Am 24. VIII. wurde sie im
hiesigen Krankenhaus auf der Infektionsstation aufgenommen. Sie
war vom behandelnden Arzt wegen „Durchfall, Milzschwcllung und
positiver Diazoreaktion“ als typhusverdächtig eingeliefert worden.
Bei der Aufnahme bot Patientin folgenden Befund: Es besteht
ausgesprochene Facies abdominalis, dabei quälender Singultus, kein
Erbrechen. Augen und Ohren sind ohne krankhaften Befund. Die
Zunge ist trocken, bräunlich belegt. Die Zungenränder sind frei.
Die Rachenorgane sind leicht gerötet. Die Tonsillen sind etwas
geschwollen, ohne Belag. Lungen und Herz normal.
Das Abdomen ist stark aufgetrieben. Die Bauchdecken sind
straff gespannt und beteiligen sich nicht an der Atmung. Jeder
Druck löst starken Schmerz aus. Die Milz ist perkutorisch etwas
vergrößert, die Palpation ist wegen Bauchdeckenspannung und der
Schmerzen nicht möglich. Der Urin ist frei von Eiweiß und Zucker,
die Diazoreaktion ist schwach positiv, das Sediment ohne Besonder¬
heiten. Der Stuhl ist durchfällig und wird ins Bett entleert, er ist
braun, nicht blutig. Temperatur 37,9°, Puls 132, sehr klein. Die
Leukozytenzahl im Kubikmillimeter 32000. Die Diagnose lautet:
Peritonitis.
Am nächsten Tag war Patientin völlig bewußtlos. Der Puls
war nicht mehr zu fühlen, und am folgenden Tage trat Exitus letalis
ein. Die unterdes angestellte Probe auf Typhus und Paratyphus war
negativ.
Bei der Sektion (Prof. Nauwerck) fanden sich Gehirn- und
Sinnesorgane ohne krankhaften Befund. Die beiden Ventrikel des
Herzens waren hypertrophisch. Es bestanden pleuritische Verwach¬
sungen. An den Lungen war kein krankhafter Befund zu erheben.
In der Bauchhöhle fand sich etwa 1 Liter Eiter, der zahlreiche
Streptokokken enthielt. Die Milz zeigte das typische Bild einer
Infektionsmilz. Im Magen fanden sich kleine Schleimhautblutungen.
Im Darm waren keine Geschwüre, keine Schwellung der Peyerschen
Plaaues nachzuweisen. Es bestand keine Perforation. Leber und
Pankreas waren ohne krankhaften Befund. Es bestand eine Peri¬
tonitis visceralis et parietalis. Die Harnorgane waren ohne Be¬
sonderheiten, ebenso die Genitalorgane. Auch die mikroskopische
Untersuchung des Uterus ergab keinen Anhaltspunkt für eine statt¬
gehabte Schwangerschaft und ließ die Genitalorgane als Ausgangs- I
punkt der Peritonitis ausschließen. Es fand sich ferner eine leichte
Tracheitis und ausgesprochene Rötung und Schwellung der Schleim¬
haut des Gaumens und Rachens. Die Tonsillen waren geschwollen,
weich, gerötet, die Schnittfläche entleerte bei leichtem Seitendruck '
trüben Saft, der gleichfalls Streptokokken enthielt.
Die eitrige Peritonitis ist sicher als eine Metastase der Ton- i
sillitis aufzufassen. Die Streptokokken können nur auf dem Blut¬
wege ins Peritoneum gelangt sein. Besonders bemerkenswert ist,
daß sich auch pathologisch-anatomisch keine andere Metastase der
Tonsillitis finden ließ als nur die Peritonitis purulenta.
Die Prognose ist in solchen Fällen wohl stets als sehr dubiös
. zu bezeichnen, da vom Blute ja immer von neuem Streptokokken
i dem Peritoneum zugeführt werden. Diese würden sich dort um so
leichter ansammeln können, da durch die vorhandene Peritonitis
ein Locus minoris resistentiae geschaffen ist.
Auch die Laparatomie könnte wohl nur wenig Aussicht auf Er¬
folg bieten.
Selbst bei rechtzeitiger Erkennung hätte im vorliegenden Fall
eine Tonsillektomie keine Rettung mehr bringen können, da der
Zustand der Patientin bei der Einlieferung für einen solchen Eingriff
zu schwer war.
Aus der Augenstation des Rudolf-Virchow-Krankenhauses in
Berlin. (Dirigierender Arzt: Prof. Fehr.)
Ueber die Aussichten der antisyphilitischen Behandlung
bei Keratitis parenchymatosa.
Von Dr. Franz J. Laogendorff.
Wenn auch der Schleier, der über dem Wesen der Keratitis
parenchymatosa liegt, heute noch sehr dicht ist, so haben uns ge¬
rade in den letzten Jahren die Fortschritte in der Syphilisforsdiung
und namentlich die Experimente am Auge der Lösung des Rätsels
näher gebracht. An erster Stelle steht hier Igersheimer, der mit
seiner Theorie von der Entstehung der Keratitis parenchymatosa dazu
beigetragen hat, die drei schwerwiegendsten Fragen zu beantworten,
die sich dem Praktiker bei Beobachtung eines jeden Falles auf
drängen:
erstens: Warum beobachten wir eine Keratitis parenchymatosa
fast nie im ersten Lustrum und auch nur selten im zweiten?
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNÜVERSITV
3. März 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
291
Zweitens: Wie ist der überaus seltene Spirochätenbefund in
der parenchymatös getrübten Hornhaut in späteren Lebensjahren zu
erklären, während bei kongenital-luischen Föten oder Säuglingen
in der klaren Hornhaut die Syphiliserreger öfter nachgewiesen wur¬
den? Und endlich
Drittens: Worauf beruht die mangelhafte, häufig fast fehlende
Beeinflussung des Krankheitsverlaufes durch Antiluika?
Die Annahme von Igersheimer gibt leider keine befriedigende
Beantwortung dieser drei Fragen, bringt uns aber dem Ziele nicht
unerheblich näher, indem Igersheimer in seinem Buche „Syphilis
und Auge“ ausführt: „Die Spirochäten dringen in der Fötalzeit in
die Hornhaut einer gewissen Zahl von kongenital-luischen Früchten
ein. Zerfallen diese Spirochäten sehr zahlreich, so lösen die dabei
frei werdenden Stoffwechselprodukte die spezifische Hornhautent¬
zündung aus. Ein solcher massenhafter, plötzlicher Untergang dürfte
selten sein, deshalb auch die Seltenheit der Keratitis parenchymatosa
in den ersten Lebensjahren.“ In den meisten Fällen vegetieren aber
die Spirochäten in der Hornhaut weiter und gehen erst im Laufe
der nächsten Jahre zugrunde. Die Keratitis parenchymatosa beim
Fötus und Neugeborenen ist also eine reine Spirochätenwirkung.
Allmählich tritt eine „Umstimmung (Neißer) des Hornhautgewebes
ein, und zwar dergestalt, daß im frühen Kindesalter die Spirochäten
selbst in ihrer Wirkung noch mehr dominieren, während später die
Umstimmung des Hornhautgewebes immer mehr in den Vorder¬
grund tritt“. Als entzündungauslösendes drittes Moment denkt sich
Igersheimer Spirochätenprodukte aus luischen Herden an anderen
Körperstellen, während Schi eck bei seinem Erklärungsversuch als
Gelegenheitsursache Traumen der Hornhaut und andere Schädlich¬
keiten, u. a. skrofulöse Augenentzündungen, annimmt.
Es ist nicht Aufgabe dieser Arbeit, diese Theorien näher aus¬
zuführen oder zu werten. Den Praktiker interessiert vielmehr vor¬
nehmlich die dritte Frage, warum die antiluische Kur bei Keratitis
parenchymatosa nur in so geringem Grade nützt, ob es sich über¬
haupt empfiehlt, antiluisch zu behandeln, und welche Behandlung
mehr Aussicht auf Erfolg hat, eine reine Quecksilber-, eine reine
Salvarsan- oder die kombinierte Kur. — Nur auf Grund größeren
Materials ist es möglich, zur Lösung der Frage beizutragen.
Der Aufsatz von C. A. Uhthoff aus der Breslauer Universitäts-
Augenklinik in Nr. 18 gab mir Veranlassung, die Krankengeschichten
der Augenabteilung des Rudolf Virchow-Krankenhauses der stationär
behandelten Kranken mit Keratitis parenchymatosa aus der Zeit
von der Eröffnung der Augenstation (April 1907) bis April 1921
durchzuarbeiten. — In dem Aufsatz von Uhthoff, der an 200
Fällen fast alle theoretischen und praktischen Fragen berührt, ver¬
mißt man Mitteilungen über genügende Beobachtung des zweit¬
erkrankten Auges, im besonderen über die Wertung des Ein¬
flusses der antiluischen Kur. Bei der Bearbeitung der 165 Fälle von
Keratitis parenchymatosa des Rudolf Virchow-Krankenhauses war da¬
her besonders zu prüfen, ob die Erkrankung des zweiten
Auges nach Einwirkung einer gründlichen antiluischen
Kur milder verläuft oder, ob der Entzündungsprozeß
hier gleich stark ist. Igersheimer kommt I. c. „zu der festen
Ueberzeugung, daß die Erkrankung der Kornea am zweiten Auge
genau die gleichen Grade erreichen kann und meist auch erreicht,
wie am ersten, gleichgültig, ob vor Ausbruch der Entzündung am
zweiten Auge eine spezifische Allgemeinbehandlung stattgefunden hat
oder nicht“. — Im Gegensatz hierzu hat Hirschberg und nach ilun
Elschnig die mildere Verlaufsform des zweiterkrankten Auges be¬
tont und diese auf die energische antiluische Therapie bei Erkrankung
des ersten Auges zurückführt. — Als „bemerkenswert“ erwähnt aller¬
dings auch Igersheimer die Tatsache, daß die Dauer der Er¬
krankung am zweiten Auge sehr oft kürzer ist als am ersten. In
einer Arbeit vom Jahre 1913 (Vossius* zwanglose Abhandlungen) „Das
Schicksal von Patienten mit Keratitis parenchymatosa auf hereditär-
luischer Grundlage“ fügt er noch hinzu: „was den Endvisus an¬
betrifft, so schneidet das ersterkrankte Auge öfters schlechter ab
als das zweite; meistens aber sind die schließlichen Sehschärfen
beider Augen gleich oder wenig verschieden.“ Diese Einschränkung
bezüglich des Endvisus läßt Igersheimer 1. c. unberücksichtigt
mit dem ausdrücklichen Bemerken, daß „die Erkrankung am zweiten
Auge sogar meistens eine auffallende Aehnlichkeit in ihrer Ver-
laufsform mit der am ersten Auge hat“.
Demgegenüber zeigt die Statistik unserer 165 Fälle, daß fast
regelmäßig die Krankheit am zweiten Auge milder ver¬
lauf t als am ersten, vorausgesetzt, daß zwischen der Erkrankung
beider Augen eine einwandfrei gründliche antiluische Kur liegt. Es
war daher nur auf solche Fälle zu achten, bei denen die Kur bei uns
gemacht worden war, d. h. bei denen wir auch die Erkrankung des
ersten Auges genau beobachten konnten. Diese Prüfung ergab die
Bestätigung unseres bisherigen, mit dem von Igersheimer über¬
einstimmenden Eindrucks: kürzere Dauer der Erkrankung ant
zweiten Auge. — Das schärfste Kriterium für die Schwere einer
Augenentzündung bleibt der Endvisus; Heftigkeit der Entzündung,
Dauer derselben oder subjektive Störungen während des Verlaufes
sind nur temporär; der Gradmesser bleibt die schließliche Leistungs¬
fähigkeit. Unter Beachtung des Umstandes, daß der die Durch¬
sichtigkeit der Kornea schädigende Entzündungsprozeß kürzere Zeit
wirkt, haben wir festgestellt, daß in keinem der beobachteten
Fälle auf dem zweiterkrankten Auge ein schlechterer
Endvisus resultierte als auf dem ersterkrankten, wobei dahin¬
gestellt bleiben mag, ob dieser Unterschied im Einzelfalle immer I
sehr groß war; stets aber ergab sich eine Differenz zugunsten des
zweiterkrankten Auges. Ob für die gründliche Kur das propter hoc
oder nur das post noc gilt, ist nicht sicher zu entscheiden, da wir
in unserer Beobachtungsreihe keine Fälle haben, in denen wir kein
Antiluikum angewendet haben.
In nahezu der Hälfte unserer Fälle (44o/ 0 ) war das andere Auge
bei der Aufnahme völlig gesund; y 5 davon erkrankte während der
Kur auch auf dem bisher gesunden Auge. Bei dem Vs war Be-
handlung mit Salvarsan allein vorherrschend. Bei den übrigen 4 /ö
blieb während oder kurz nach der Kur das andere Auge frei. An
diesem Ergebnis haben die Kuren mit Hg oder Salvarsan allein
sowie die kombinierte Kur, die im Zweifelsfalle vielleicht den Haupt¬
erfolg hatte, den gleichen Anteil.
Sofern von seiten des Internisten keine Gegenindikation gestellt
wurde, behandelten wir unsere luischen Fälle von Keratitis par¬
enchymatosa seit Einführung des Salvarsans fast ausschließlich mit
kombinierter Kur, una zwar dergestalt, daß wir einer Serie
von 12 intravenösen Salvarsannatrium-Injektionen (bei Kindern ins¬
gesamt ca. 3 g Salvarsannatrium, bei Erwachsenen ca. 5 g) nach
etwa 8—lOtägiger Pause eine öwöchige Schmierkur mit Tagesdosen
von 2 g bei Kindern, 4 g bei Erwachsenen nachschickten. — Die
Parenchymtrübungen vom Charakter der Tuberkulosa wurden mit
Neutuberkulininjektionen behandelt. Auch mit der Proteinkörper¬
therapie machten wir mehrmalige Versuche, jedoch ohne nennens¬
werte Erfolge. Lokal wandten wir die üblichen Mittel Atropin,
Kokain und protrahierte Hitze an, später zur Aufhellung Dionin und
gelbe Salbe.
Die fast in allen Fällen angestellte Wa.R. zeigte bis auf ver¬
schwindend wenige Ausnahmen einen gleich stark positiven Ausfall
vor der Kur, wie nach derselben. Keinesfalls darf man durch diesen
konstanten Wa.R.-Befund mutlos werden und die antiluische Behand¬
lung des an Keratitis parenchymatosa erkrankten Körpers vernach¬
lässigen. Wenn auch die spezifische Wirkung sich an der gegen¬
wärtigen Augenerkrankung nicht manifestiert, so steht doch zu er¬
warten, daß öfters wiederholte Kuren allmählich die erstrebte Ent¬
giftung oder doch wenigstens Giftabschwächung dem Körper brin¬
gen könnten. Aber auch abgesehen von der fraglos vorhandenen
spezifischen „Beeinflussung der Gewebszelle in ihrem pathologischen
lipoiden Stoffwechsel“ (v. Wassermann, Vortrag am 15. XII. 1920,
B. kl. W. 1921 Nr. 9) durch die Antiluika, sind gerade Hg und
Salvarsan besonders geeignete Resorbentia und Roborantia
bei Augenleiden. Es ist eine alte Erfahrung, und wir haben es bei
fast jedem unserer Fälle beobachten können, wie die an sich schwäch¬
lichen Kinder mit kongenitaler Lues unter den Arsengaben geradezu
aufblühen und somit späteren Attacken gegenüber gestärkt sind.
Es ist nicht angängig, das allein den besseren hygienischen und
diätetischen Verhältnissen im Krankenhause zuzuschreiben.
Ist auch der momentane serologische Erfolg gering, so muß man
doch in vielen, auch sehr schweren Fällen mit dem Endvisus
zufrieden sein, wenn man von den deletär verlaufenden Erkrankungen
absieht. Wir haben bei der Zusammenstellung der Sehschärfen die
auch von C. A. Uhthoff angewandte Einteilung (I. 5 / 5 -V.O,
II. V 20 —Vöo» Hl- weniger als 5 / ö0 ) zugrundegelegt; hierbei‘sei be¬
merkt, daß bei Patienten, die auf beiden Augen eine frische Er¬
krankung zeigten, der Endvisus des besseren, d. h. zweiterkrankten
Auges maßgebend war. Für die erste Kategorie haben wir einen
etwas günstigeren Prozentsatz festgestellt, als Igersheimer auf
Grund von 152 Augen mit seit Jahren abgelaufener parenchymatöser
Hornhautentzündung nennt. Er fand Augen mit Sehschärfen von
Va—Vas in 59,2o/o der Fälle, während wir für die Sehschärfe 6 / 5 — 1 V 2 o
69,6o/o hatten. Uhthoff dagegen fand einen noch schlechteren Wert
als Igersheimer, nämlich 43 0 / 0 ; er sagt aber nicht, ob die End¬
prüfungen kürzere oder längere Zeit nach Ablauf der Entzündungen
gemacht worden sind. Wir haben unter unseren Endvisen in der
Mehrzahl solche Fälle, bei denen der Entzündungszustand nur kurze
Zeit zurückliegt. Untersuchungen nach Jahren gehören zu den Selten¬
heiten, sodaß unser Prozentsatz von 69,6 für Augen mit „guter oder
praktisch ausreichender Sehschärfe“ noch höher zu veranschlagen ist.
— Die zweite und dritte Kategorie sind zusammenzufassen als Fälle
mit „schlechter Sehschärfe“ ( 5 / 2 o— Vso und weniger als 5 /:»o)- Die
entsprechenden Zahlen sind: Uhthoff 36,5 und 19,5o/o, Igers¬
heimer 22,4 und 18,4 °/ 0 , wir 15,5 und 14,9°/ 0 » sodaß auch hier
unsere Statistik als die günstigste erscheint.
Die übrigen Gesichtspunkte boten bei unseren 165 Fällen nicht
wesentlich Neues. In der Aetiologie dominierte, wie stets, die
Lues congenita mit 78,1 o/ 0 . Lues acquisita buchten wir in
8,5o/o der Fälle (14mal), von denen sicherlich nach Igersheimer
die Mehrzahl an die Lues congenita abgegeben werden muß, zumal
Blutbefunde von Familienmitgliedern nicht gemacht wurden. Igers¬
heimer genügt der Mangel an kongenital-luischen Symptomen so¬
wie die negative Anamnese nicht, 11 m angeborene Syphilis ■ auszu¬
schließen, sondern er hält es, wenn man einen Fall wissenschaftlich
klären will, für nötig, auch eine eingehende, besonders serologische
Familienuntersuchung, vor allem der Mutter und Geschwister, vor¬
zunehmen. Zu der Keratitis parenchymatosa bei Lues acquisita patho¬
genetisch Stellung zu nehmen, dürfte daher erst künftigen Zusammen¬
fassungen vorzubehalten sein.
Tuberkulose nahmen wir in 7,9«>/ 0 der Fälle (13mal) als Ur¬
sache für die Erkrankung der Hornhaut an. Zur Diagnose „Keratitis
parenchymatosa tuberculosa“ wurde nicht nur der positive Ausfall
geringer Alttuberkulingaben herangezogen, sondern namentlich das
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTy
292
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
für Tuberkulose 90 charakteristische Bild in der Form und im Verlauf
der Erkrankung. Fast stets ging der Hornhautaffektion eine Er¬
krankung der Sklera oder des Ziliarkörpers voraus, oder sie be¬
gleitete die Hornhauttrübungen. Diese zeigten mehr den Charakter
alleinstehender Knötchen und lokalisierten sich vornehmlich in einem
Quadranten bzw. Sektor der Hornhaut. Die Diagnose „auf den
ersten Blick“ wurde noch gestützt durch den besonders schleppen¬
den und jeder Behandlung (sowohl der örtlichen wie der allge¬
meinen) trotzenden Verlauf. — Die nicht seltene Kombination
von Lues und Tuberkulose dokumentierte sich bei uns besonders
in einem Falle, in dem es sich um den Ausbruch einer Keratitis
parenchymatosa handelte, bei Lungentuberkulose und Lues congenita.
Hier kam es auch zu der so überaus seltenen Perforation der
Hornhaut — es ist dieses der einzige, hier beobachtete Fall von
Einschmelzung der Hornhaut — auf dem ersterkrankten Auge. Gründ¬
liche kombinierte Kur konnte den Untergang des Auges nicht auf¬
halten; es schrumpfte, das Sehvermögen erlosch. Auf dem zweit¬
erkrankten Auge gelang es immerhin, noch einen Endvisus von
Fingerzählen in 1—2 Metern zu erzielen. — In 9 Fällen konnten wir
uns zu einer bestimmten Aetiologie nicht entschließen.
Bezüglich der Geschlechter haben auch wir festgestellt, daß
das weibliche Geschlecht überwiegend befallen wird, nämlich mit
59,4o/o, und zwar entsprechend den bisherigen Erfahrungen in den
bei weitem meisten Fällen im zweiten Dezennium. Außer Betracht
geblieben ist, inwiefern das Geschlecht in den verschiedenen Lebens¬
altern beim Ansteigen der Häufigkeit der Erkrankung beteiligt ist.
Traumen glaubten wir in 4 von den 165 Fällen, d. h. in
l,8o/o als auslösendes Moment beobachtet zu haben, von denen einer
allerdings sehr zweifelhaft war. Unter Verzicht auf theoretische
Erörterungen wollen wir nur bemerken, daß wir dem Trauma als
auslösendem Moment der Keratitis parenchymatosa nicht mit der¬
selben Skepsis gegenüberstehen wie Igersheimer, C. A. Uht-
hoff u. a.
Glaukom beobachteten wir in 6 Fällen (3, 60 / 0 ), wodurch der
sonst übliche Krankheitsverlauf nicht wesentlich kompliziert wurde.
— Hutchinsonsche Zähne, Schwerhörigkeit, Gelenkaffektionen und
andere Zeichen kongenitaler Lues fehlten ebenso selten, wie die in
der Mehrzahl der Fälle vorhandene Chorioiditis anterior s. peripherica..
Um zum Schlüsse noch einmal kurz auf die antiluische Kur
zurückzukommen, so scheint uns, wenn auch kein Fall vorlag, in
dem nicht sofort nach Feststellung der Diagnose spezifisch behandelt
wurde, doch die Ansicht zutreffend, daß die Kur den Krankheits¬
verlauf kaum beeinflußt. Günstiger aber gestaltet sich ihr Erfolg
für das zweiterkrankte Auge, d. h. für eine Keratitis parenchy¬
matosa eines bereits mit Antiluika durchspülten Körpers. Dieser
von uns fast stets beobachtete mildere Verlauf des zweiterkrankten
Auges ließe sich bereits als erstes Zeichen der beginnenden Ent¬
giftung des Körpers, gepaart mit allgemeiner Kräftigung
des Organismus, ansehen; kann man doch immerhin hoffen, daß
durch mehrfache Wiederholung gründlicher Kuren die von Lues
congenita befallenen Kinder eine bereits manifeste Krankheit leichter
überstehen oder vor späteren Erkrankungen geschützt sind. — Nach
mehrmaligen Versuchen mit alleinigen Kuren von Hg oder Salvarsan
haben wir in den letzten Jahren ausschließlich kombiniert behandelt.
Wenn das Salvarsan allein auch, wie jetzt wohl allgemein angenommen
wird, den Gesamtorganismus und somit evtl, andere luische Herde
wirkungsvoll angreift, so bedarf es doch bei der parenchymatös er¬
krankten Hornhaut der Ergänzung durch das Quecksilber. Ist doch
das eigentliche Betätigungsfeld des Salvarsans der Kampf mit der
Spirochäte und erst - in zweiter Linie die Beeinflussung des Zell¬
stoffwechsels, während „das Quecksilber eine spezifische Wirkung
über die Zelle ausüben kann, und zwar ohne die Spirochäten selbst
berühren zu müssen“ (v. Wassermann 1. c.). Handelt es sich
auch bei diesen Aufklärungsversuchen von v. Wassermann für
die Wirkungsweise der beiden wichtigsten Spezifika für Lues —
wie auch mit anderen Autoren G. E m a n u e 1 nervorhebt — vorder¬
hand nur um Hypothesen, so bleibt doch für den Praktiker aus der
Erfahrung, die er bei größerem Material gewinnt, der Schluß be¬
stehen, daß die kombinierte Kur am meisten zu empfehlen ist
Aus der Kinderheilstätte „Fellingersche Stiftung Waldesheim"
in Düsseldorf-Grafenberg.
Ein Pall von Lipodystrophia progressiva.
Von Dr. Johanna Schwenke.
Simons, der 1911 zum ersten Male in der deutschen Literatur
das Krankheitsbild beschrieb, das durch symmetrischen Fettschwund
im Gesicht und am Oberkörper ausgezeichnet ist, nahm an, daß es
sich um eine Trophoneurose handele, die ausschließlich das weib¬
liche Geschlecht befällt, bis Husler 1914 dieselbe Erscheinung an
zwei Knaben beschrieb. Weitere Veröffentlichungen haben aber ge¬
zeigt, daß das Krankheitsbild viel häufiger als beim weiblichen beim
männlichen Geschlecht zur Beobachtung kommt. Es liegen außer
den genannten nur noch zwei Veröffentlichungen vor, die das eine
Mal einen 29jährigen Arbeiter (Gerhartz, M. m. W. 1916), das
andere Mal einen 32jährigen Soldaten (Gerstmann, W.kl. W. 1916)
betreffen. Diesen 4 Fällen kann ich nun einen weiteren hinzufügen.
Nr. 9
Es handelt sich um einen Knaben, der wegen Verdacht auf Lungen¬
tuberkulose in die Kinderheilstätte zur Kur geschickt wurde. Der
Knabe wurde von mir im Juni dem Düsseldorfer Aerzteverein vor¬
gestellt. i \;\\ **
Der 11jährige Junge stammt aus einer gesunden Familie. Weder
Tuberkulose noch Stoffwechsel- noch Nervenkrankheiten sind in der
Familie vorgekommen, auch ein gleiches Krankheitsbild wurde nicht
beobachtet. Er ist das dritte Kind und hat vier gesunde Geschwister.
Er hat sich ganz normal entwickelt. Als Kleinkind hat er Masern
gehabt, sonst hat er keine erheblichen Krankheiten durchgemacht.
Unter der Kriegsnot hat die Familie nicht mehr als der Durchschnitt
gelitten. Die Abmagerung ist auch erst zutagegetreten, als wieder
reichlicher Fett in der Nahrung zugeführt werden konnte. Nicht un¬
erwähnt soll bleiben, daß der Junge Januar 1919 ins Eis eingebrochen
ist, eine stärkere Erkältungskrankheit ist darauf nicht gefolgt. Zeit¬
lich scheint dies Ereignis und der Beginn der Abmagerung zusamraen-
zufallen. Die immer zunehmende Abmagerung beunruhigte naturgemäß
die Eltern und führte sie zum Arzt. Dieser soll vor 2 Jahren
Lungenerkrankung festgestellt haben, sandte 1920 den Knaben zur
Kur nach Kreuznach und dieses Jahr in unsere Heilstätte. Der Knabe
hat zu Hause öfter über Müdigkeit und Stiche in der Brust geklagt.
Status: Der 11jährige Knabe hat eine Körperlänge von 133cm
(— 4 cm) und Gewicht von 30 kg (— 1,5 kg nach v. Pirquet). Die
außerordentliche Abmagerung des Gesichts fällt sofort auf. Infolge
der hohlen Wangen treten die Jochbeine und Kieferknochen stärker
hervor. Beim Lachen tritt deutliche Faltenbildung auf. Die Ge¬
sichtshaut ist elastisch und gut gespannt, sie weist zahlreiche Sommer¬
sprossen auf. Der Körperbau ist ziemlich kräftig. Das Fettpolster
ist an Hals, Brust, Rücken und Oberarm gering, während es am
Unterkörper, namentlich Ober- und Unterschenkel, reichlich vorhanden
ist. Die Dicke der aufgehobenen Hautfalte wurde mit dem Zirkel
gemessen und zum Vergleich an mehreren gleichgroßen und gleich¬
altrigen Jungen auf gleiche Weise festgestellt.
Patient
Wange 5 mm
Brust 5 mm
Oberarm 5 mm
Oberschenkel 16 mm
Unterschenkel 15 mm
gleichaltriger Junge
15 mm
6 mm
6 mm
8—10 mm
8 mm
PjBhrige Norm n. Feer
16.5 mm
9.5 mm
8,0 mm
17,0 mm
10,0 mm
Bei längerem Stehen fällt zuweilen livide Verfärbung der distalen
Teile der Extremitäten auf. Die Muskulatur ist ziemlich gut ent¬
wickelt und hat normalen Tonus. Die Sehnenreflexe sind lebhaft,
Hautreflexc normal. Sensibilitätsstörung ist nicht vorhanden. Die
Hirnnerven sind intakt. Die Untersuchung der inneren Organe ergibt
keinen pathologischen Befund, auch die Lungen werden frei ge¬
funden. Der klinische Befund wird durch ein normales Röntgenbild
bestätigt. Die Blutuntersuchung ergibt: 70o/ 0 Hämoglobin (Sahli),
4 Millionen rote Blutkörperchen, 10300 weiße Blutkörperchen, davon
sind 48o/o polynukleäre, 2,5% eosinophile, 6,5% große mononukleäre
und Uebergangszellen, 43% Lymphozyten (2. Zählung 52% Lympho¬
zyten bei 8800 weißen Blutkörperchen). Der Urin ist frei von
Eiweiß und Zucker. Die intrakutane Tuberkulinprobe mit 0,1 ccm
einer 1 %o igen Lösung fiel wiederholt negativ aus. Die Körper¬
temperatur ist normal. Patient gerät ziemlich leicht in Schweiß. Er
ist leicht aufgeregt, sonst ist sein psychisches Verhalten und seine
Intelligenz normal
Die genaue Untersuchung und Beobachtung des Knaben ergibt
also, abgesehen von dem symmetrischen Schwund des Unterhaut¬
fettgewebes im Gesicht und geringen Grades am Oberkörper und
mäßiger Fettanhäufung am Unterkörper, keinen wesentlichen Krank¬
heitsbefund. Der Schwund betrifft allein das Fettgewebe, während
Knochen, Muskeln und Haut intakt sind. Der Fall dürfte deshalb mit
Recht als Lipodystrophia progressiva aufgefaßt werden.
Ueber Ursache und Entstehungder Erkrankung wissen
wir bisher nichts. Simons faßt das Krankheitsbild als Tropho¬
neurose auf, und es ist wohl von allen Autoren angenommen worden,
daß nervöse Störungen eine Rolle spielen müssen, wenn auch am
Nervensystem selbst in keinem Falle ein pathologischer Befund fest¬
gestellt werden konnte. An Störungen der inneren Sekretion zu
denken, lag ebenfalls nahe, da ja bei Erkrankung der Geschlechts¬
drüsen, der Hypophyse und der Thyreoidea Störung im Fettansatz
beobachtet ftt. Es haben sich aber in keinem Falle sichere Hin¬
weise darauf finden lassen. Feer neigt zur Annahme einer Dis¬
funktion der Schilddrüse. Auch Gerstmann nahm gewisse Sym-
P tome von Hyperthyreoidismus an seinen Patienten wahr. In unserem
alle könnte vielleicht die leichte nervöse Erregbarkeit, die relative
Lymphozytose im Sinne einer Hyperfunktion der Schilddrüse ge¬
deutet werden. Eine Vergrößerung des Organs war nicht nachweis¬
bar. Die pharmakologische Prüfung des vegetativen Nervensystems
ergab eine leicht erhöhte Erregbarkeit gegenüber Pilokarpin und
Adrenalin. Bei Verabfolgung von 0,6 ccm der offiziellen l°/noig en
Lösung von Suprarenin traten Tremor und Glykosurie auf, während
eine alimentäre Glykosurie durch Verabfolgung von 100 g Trauben¬
zucker nicht ausgelöst werden konnte. Das Röntgenbild des Schädels
ergab nichts Besonderes.
Nach den bisherigen Erfahrungen ist der Prozeß zunächst pro¬
gredient und später stationär. Die Erkrankung scheint für den Pa¬
tienten keinen anderen Nachteil als den eines Schönheitsfehlers zu
haben. Therapeutische Beeinflussung ist bisher nicht gelungen. Audi
die Heilstättenkur, Freiluftbehandlung, Liegekur und reidüiche Er-
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNSVERSiTY
3. März 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE »WOCHENSCHRIFT
293
nähruug vermögen das Uebei nicht zu beheben. Unser Patient hat
zwar in acht Wochen 2 kg an Gewicht zugenommen, es ist aber
kein sichtlicher Ansatz im Gesicht und am Oberkörper erfolgt. Die
Kenntnis des Krankheitsbildes ist vom sozialen Standpunkt aus von
nicht geringer Bedeutung. Patienten dieser Art geraten eben sehr
leicht in den Verdacht, tuberkulosekrank zu sein, und werden einem
immerhin kostspieligen Heilverfahren ohne eigentlichen Grund und
ohne sichtbaren Erfolg unterzogen.
Aas der Dermatologischen Abteilung des Städtischen Kranken¬
hauses in Danzig. (Oberarzt: Dr. Otto Nast.)
Terpentinöl und Terpichin bei der Behandlung von Schweiß-
driisenabszessen in der Achselhöhle.
Von Joachim Kahle.
Nachdem das Terpentinöl von Klingmülier in die Therapie
einer großen Reihe von Hauterkrankungen, insbesondere der ober¬
flächlichen und tiefen Hauteiterungen eingeführt wurde, ist seine
Wirksamkeit von zahlreichen Autoren nunmehr bei allen möglichen
Hauterkrankungen nachgeprüft worden.
Bei der Durchsicht der Literatur fällt es jedoch auf, daß die
Terpentinölinjektionen fast ausschließlich ausführlich bei der Behand¬
lung von tiefen Trichophytien besprochen wurden. Es finden sich
nur wenige Mitteilungen über Erfolge oder Mißerfolge bei der Be¬
handlung von Schweißdrüsenabszessen.
Nach Klingmüller, der zuerst über gute Erfolge des Terpentin¬
öls bei Schweißdrüsenabszessen Mitteilung macht, berichten nur noch
H. E. Schmidt, Appel und Becker über ihre Erfahrungen und
äußern sich dahin, daß sie gute, ja ausgezeichnete Erfolge, «um
wenigsten eine günstige Beeinflussung durch Terpentinöl zu ver¬
zeichnen haben.
Zu gleicher Zeit glaubte Rohrbach in der Röntgenbestrah¬
lung ein „souveränes“ Mittel bei der Behandlung von Schwei߬
drüsenentzündungen gefunden zu haben. Seine Erfahrungen werden
jedoch in dem Maße nicht bestätigt.
Peyser empfiehlt, die Röntgentherapie zu versuchen, die bei
frühzeitig in Behandlung kommenden Fällen nützlich sein kann, aber
keineswegs das gesuchte souveräne Mittel darstellt.
In allerletzter Zeit fordert Basch für alle Entwickelungsstadien
der Schweißdrüsenentzündung der Achselhöhle die Bestrahlung und
betont besonders dabei das sofortige Schwinden der Beschwerden.
Daß er aber auch nicht in allen Fällen mit seiner Behandlung aus¬
kommt, erwähnt er ebenfalls.
Erfahrungsgemäß klingen ja die Entzündungen der Follikel in
der Achselhöhle in der Mehrzahl der Fälle unter konservativer
Behandlung ohne sonderliche Beschwerden für den Kranken ab.
Anderseits aber entwickeln sich aus diesen harmlos zu nennenden
Entzündungen auch jene außerordentlich schmerzhaften abszedieren-
den Fälle, die wochen-, ja monatelang, jeder Therapie trotzend, rezi-
divieren, dem Kranken für eine lange Zeit Schmerzen verursachen
und vom Arzt ein hohes Maß von Geduld erfordern. Dazwischen
gibt es naturgemäß mannigfache Uebergänge.
Durch die von Klingmüller mitgetcilten Erfolge mit den
Terpentinölinjektionen, die von Schmidt, Appel und Becker in
vollstem Maße bestätigt wurden, veranlaßt, wurden auf der hiesigen
Dermatologischen Abteilung 6 zur Behandlung kommende Fälle von
Schweißdrüsenabszessen mit Terpentinöl behandelt, und zwar wurde
ein nach Angabe Karos hergestelltes gereinigtes Terpentinöl mit
Zusatz von Chinin und Anästhesin verabreicht, das sich unter dem
Namen „Terpichin“ im Handel befindet, nur drei Fälle, von
denen zwei noch aus der Hamburger Zeit meines Chefs stammen, mit
30fy>igem Terpentinöl nach Klingmüllerscher Vorschrift sub¬
periostal aut die Beckenschaufel.
Wir gingen in der Behandlung mit Terpichin so vor, daß zunächst
an vier aufeinanderfolgenden Tagen oder ein um den andern Tag je
eine Ampulle intraglutäal gegeben wurde. Die Achselhaare wurden nient
rasiert und nicht geschnitten. In vier Fällen erzielten wir ausgezeich¬
nete Erfolge. Die Abszesse bildeten sich schnell zurück und waren in
kurzer Zeit völlig verschwunden. Es kam bei Fall 5 in Kürze zu
einem Spontandurchbruch, die Abszeßhöhlen reinigten sich sehr rasch
nach Abfluß des Eiters und wurden schnell durch kräftige Granu¬
lationen ausgefüßt.
Die Injektionen wurden in allen Fällen ohne Beschwerden er¬
tragen, irgendwelche Nebenerscheinungen, insbesondere von seiten
der Nieren, wurden nicht festgestellt. Uebereinstimmend sagten alle
Patienten aus, daß sehr bald nach den ersten Injektionen, manchmal
schon nach der ersten Injektion, das Spannungsgefühl und die Schmer¬
zen verschwanden. Lokal wurde nur für eine ausgiebige Desinfektion
der Oberhaut durch 10%ige Formalinlösung gesorgt und eventuell
ein poröser Puderverband mit Xeroform oder Noviform angelegt.
Bei nur einem Abszeß in der Achselhöhle wurde häufig von der
Arningschen Anthrarobintinktur Gebrauch gemacht.
Müssen Abszesse, um die Ausheilung zu beschleunigen, eröffnet
werden, so geschieht dies mit dem Paquelinwinkelbrenner, um Meta¬
stasen auf dem Blut- und Lymphwege zu vermeiden.
Die nachstehend aufgeführten kurzen Auszüge aus den Kranken¬
geschichten mögen das Gesagte erläutern.
1. M. B., 22 Jahre alt, wegen Gonorrhoe seit 26. IV. 1921 hier in
Behandlung. 7. V. In der rechten Achselhöhle findet sich ein hasel¬
nußgroßes, sehr schmerzhaftes fnfiltrat; Patient erhält an vier auf¬
einanderfolgenden Tagen Terpichin intraglutäal. Lokale Abwaschung
mit KJo/oiger Fonnalmlösung. Nach 4 Tagen fast völlige Zurück¬
bildung des Abszesses. Am 18. V. sind auch die letzten Reste ver¬
schwunden. i ; 4
2. W. F., 24 Jahre alt, seit 4. IV. 1921 wegen Gonorrhoe und Lues
in Behandlung. 19. IV. In der linken Axilla findet sich ein etwa
haselnußgroßes, zentral erweichtes Infiltrat. Patient erhält einen um
den andern Tag, im ganzen 4 Terpichininjektionen. Lokal Desinfek¬
tion mit 10o/oiger Formalinlösung. Nach 3 Tagen hat sich der Abszeß
wesentlich zurückgebildet, keine Schmerzen mehr. Nach weiteren
5 Tagen findet sich nur noch ein linsengroßer Knoten. Am 1. V. ist
auch dieser völlig verschwunden, kein Rezidiv beobachtet.
3. J. H., 26 Jahre alt, seit 26. IV. 1921 wegen Lues hier in Behand¬
lung. 8. V. In aer linken Axilla ein kirschgroßes, zentralerweichtes,
sehr schmerzhaftes Infiltrat. Drei Terpichin intraglutäal. Lokal 10<>/oige
Formalinwaschung. Nach der 3. Injektion bildet sich das Infiltrat in
wenigen Tagen zurück und ist nach 10 Tagen völlig verschwunden.
Nach 2 Tagen keine Schmerzhaftigkeit mehr.
4. F. L. Wegen Sycosis coccogenes hier in Behandlung. In der
rechten Axilla bildeten sich mehrere kirschkern- bis haselnußgroße,
derbe Knoten, die sehr schmerzhaft waren. Nach 3 Terpichininjek¬
tionen Rückbildung der Knoten; die Schmerzen hören auf. Rezidiv
nach 14 Tagen in der linken Achselhöhle. Auf eine Terpichininjektion
Rückbildung.
5. A. H. Aufgenommen wegen akuten Ekzems. Ekzem beinahe
abgeheilt. 23. VII. Achselhöhle rechts Schweißdrüsenabszesse. Ter¬
pichininjektion, 10<Vbige FormaHnwaschung, Abszesse brechen teilweise
durch. Poröser Puderverband. Im ganzen 3 Injektionen. Abheilung.
Am 30. VII. linke Achselhöhle zwei neue Abszesse. Terpichininjektion,
10<>'oige FormaHnwaschung. Durchbruch des einen Abszesses. Poröser
Verband. 2 Injektionen im ganzen. Heilung am 9. VIII. 1921.
In den vorstehenden Fällen finden wir also jedesmal eine prompte
Reaktion auf die Terpichininjektionen. Entweder brechen die Abszesse
spontan nach außen durch, wie in Fall 5, oder sie bilden sich all¬
mählich zurück und werden in kürzester Zeit resorbiert. Zu Rezi¬
diven ist es bei Fall 4 und 5 gekommen. Eine Immunität tritt also
nicht ein. Bei allen Patienten verlor sich gleich nach den ersten
Injektionen das quälende Spannungsgefühl.
Gleich gute Erfolge wurden mit 30<>/oigen Terpentinölinjek¬
tionen erzielt. Nur hatten sich bei den unten angeführten beiden
ersten Fällen starke Schmerzen an den Injektionsstellen, die in die
Beine ausstrahlten und das Gehen stark behinderten, sowie leichte
Temperatursteigerungen eingestellt. Der Grund für diese Neben¬
erscheinungen liegt zweifellos darin, daß nicht bloß zur Verdünnung
des Terpentins wegen Mangels an Oleum olivarum — die Fälle
stammen noch aus dem Jahre 1919 — Mandelöl verwandt werden
mußte, sondern auch große Dosen — 1 ccm — gegeben wurden.
Bei dem 3. Fall, einem 3 / 4 jährigen Kind, traten Keinerlei Neben¬
erscheinungen auf.
1. H. Th., 27 Jahre alt, Aufnahme auf der Hautstation am
10. III. 1919. Patient wird seit einigen Wochen ambulant wegen
Schweißdrüsenabszessen in beiden Achselhöhlen anderenorts behan¬
delt. Patient erhält 1 ccm 30<>/oiges Terpentinöl subperiostal. Nach
2 Tagen sind die Abszesse fast ganz zurückgebildet. Wiederholung
der Terpentininjektion % ccm. Am folgenden Tage Schmerzen im rech¬
ten Bein und geringe Temperaturerhöhung, die nach 2 Tagen ver¬
schwunden sind. Am 15. III. finden sich nur noch kleine Knötchen in
der linken Achselhöhle, am 22. III. sind auch diese vollständig ver¬
schwunden. Ein Rezidiv trat nach zirka 4 Wochen wieder auf. l fi ccm
Terpentin brachte wieder Heilung.
2. J. H., 22 Jahre alt, 1918 Furunkulose in den Achselhöhlen. Seit
8 Tagen wieder neue Furunkel an Armen und Beinen. In beiden
Axillen Schweißdrüsenabszesse. Selbst behandelt mit essigsaurer Ton¬
erde. Z. Zt. mehrere Infiltrate von verschiedener Größe. An beiden
Armen und Oberschenkeln mehrere Furunkel. Patient erhält 1 ccm
30%iges Terpentinöl subperiostal. Nach der Injektion geringe
Schmerzen im linken Bein. Temperatursteigerungen. Nach 2 Tagen
erneute Terpentininjektion 1/2 ccm. Am 7. Tag sind die Schwei߬
drüsenabszesse bis auf kleine Reste zurückgegangen. Patient wurde
auf Wunsch entlassen.
3. T. S., 3 /i Jahre alt, wegen Vulvovaginitis und Diphtheriebazilten
— Trägerin — hier in Behandlung. In beiden Achselhöhlen hatten
sich mehrere gut linsengroße Abszesse gebildet. Nach 5 Terpentinöl¬
injektionen zu 0,2 ccm bildeten sich die Abszesse allmählich zurück,
um nach 12 Tagen völlig zu verschwinden. Die Diphtheriebazillen
wurden nicht beeinflußt.
Zum Schluß muß ich noch einen Fall erwähnen, der sich sowohl
gegen Terpichin wie gegen Terpentinöl völlig refraktär verhielt,
wobei erst nach Eröffnung mehrerer Abszesse mit dem Paquelin
Heilung erzielt wurde.
Es handelte sich um eine 20jährige Patientin A. L., Gravida
im 8. Monat mit einer hochgradigen Adipositas, die wegen Gonorrhoe
hier zur Behandlung kam. Am 25. IV. fand sich in der rechten Axilla
ein kirschgroßer, zentralerweichter, äußerst schmerzhafter Drüsen¬
abszeß. Es wurde Terpichin intraglutäal an vier aufeinanderfolgenden
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNÜVERSm 1
294
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
Nr. 9
Tagen gegeben. Lokal 10°/oige Formalinwaschungen. Nach 5 Tagen
fast völlige Rückbildung des Prozesses. Nach weiteren 2 Tagen
Rezidiv. Mehrere kleinere Abszesse in der rechten Achselhöhle. Nach
weiteren zwei Terpichingaben sind die Abszesse am 5. V. 1921 ver¬
schwunden. Am 18. V. neues Rezidiv. Fünf weitere Terpichininjek-
tionen sind ohne Erfolg. Die Infiltrate sind zum Teil erweicht und
nach außen durchgebrochen, daneben bilden sich aber immer wieder
neue, derbe, sehr schmerzhafte Infiltrate. Nachdem auch 4 Terpentin¬
injektionen nach der Methode von Klingmüller keinen Erfolg brin¬
gen, werden 4 Abszesse im Chloräthylrausch mit dem Paquelin er¬
öffnet. Erst jetzt tritt langsame Heilung unter den Puderverbänden ein.
So ausgezeichnete Resultate wir also mit den Terpichin- und
Terpentinölinjektionen nach Klingmüller erzielt haben, so zeigt
uns der zuletzt angeführte Fall, daß es doch immer Fälle
gibt, die sich gegen diese Therapie refraktär verhalten. Wie weit
in diesem Falle die Ursache für den Mißerfolg in der hochgradigen
Adipositas der Patientin zu suchen ist, ist schwer zu entscheiden. Wir
glauben aber, daß sie doch von großem Einfluß auf das immer neue
Auftreten von Rezidiven sein konnte, besonders da die Patientin an
einer sehr starken Schweißsekretion der Achselhöhlen litt. Die Gravi¬
dität glaube ich nicht in ursächlichem Zusammenhang mit den Rezi¬
diven bringen zu können. Man hätte eher annehmen können, daß
eiweißtoxische Stoffe hätten mobilisiert werden können — Herpes
gestationis —, die ihrerseits nach den Theorien Weichardts und
Biers in protoplasmaaktivierender Weise oder als Proteinkörper
hätten heilend wirken müssen.
Ueber die schwebenden Streitfragen der Protoplasmaaktivierung,
Proteinkörpertherapie, Schwellenreiztherapie, Heilfieber und Heilent¬
zündung ist hier nicht der Platz zu diskutieren. Dafür ist das Material
zu klein und meine Untersuchungen nicht genügend ausgebaut.
Zusammenfassung. An dem aufgeführten Material soll eine ein¬
fache, überall durchführbare Behandlungsmethode der Schweißdrüsen¬
abszesse der Achselhöhlen auch für den praktischen Arzt gegeben
werden. Vorzüglich eignet sich für die Behandlung Terpichin in
Ampullen, täglich eine oder jeden zweiten Tag eine Ampulle, im
ganzen 2—4 Injektionen intraglutäal. Bei Durchbruch Noviform- oder
Xeroform-Puderverband. Behandlung der Achselhöhle für alle Stadien
mit 10%iger Formalinlösung evtl. Anthrarobintinktur. Die Haare
dürfen nioit rasiert werden. Für zu eröffnende Abszesse darf nur
der Paquelin-Winkelbrenner verwandt werden.
Aus dem Säuglingsheim in Barmen. (Leitender Arzt: Dr. Hoffa,
städtischer Kinderarzt)
Zur Klinik der Säuglingsskabies.
Von Dr. Joseph Heitmann, Assistenzarzt.
Die allgemeine Verschlechterung der hygienischen Verhältnisse
hat es mit sich gebracht, daß neben anderen parasitären Erkran¬
kungen auch die Krätze in weiten Volksschichten in höchst unerfreu¬
licher Weise um sich gegriffen hat. Nicht allein die Erwachsenen,
Klein- und Schulkinder werden in verstärktem Maße von dieser
lästigen Hautkrankheit befallen, sondern ganz besonders auch die
Säuglinge.
Da die Säuglingskrätze sich in mancher Hinsicht von der Krätze
der Erwachsenen unterscheidet und ihr außerdem auch, wie nicht
allgemein bekannt, ein wesentlicher Anteil an der Verbreitung der
Krätze überhaupt zukommt, halten wir es für angezeigt, unsere dies¬
bezüglichen Beobachtungen und Erfahrungen hier niederzulegen, zu¬
mal die Literatur in dieser Hinsicht teilweise im Stiche läßt. So wird
z. B. eine unseres Erachtens sehr wichtige, in weiten Aerztekreisen
aber nicht bekannte klinische Erscheinungsform, der Säuglingsskabies
gerade in deii gebräuchlichsten Lehrbüchern der Kinder- und
Säuglingsheilkunde und der Hautkrankheiten völlig unerwähnt ge¬
lassen, trotzdem ihrer in der nicht allgemein zugänglichen dermato¬
logischen und pädiatrischen Literatur bereits ausdrücklich gedacht
wird; es handelt sich um die Tatsache, daß die Krätzemiloe sich
beim Säugling sowohl im Gesicht als auch auf dem behaarten Kopf
ansiedelt.
Nach unseren Erfahrungen bietet die klinische Diagnose der
Säuglingsskabies keine besonderen Schwierigkeiten, und doch konnten
wir recht häufig sehen, daß die Krätze nicht als solche erkannt und
infolgedessen zum Schaden des Kindes mit irgendwelchen indifferenten
Salben behandelt wurde. Entscheidend für manche Fehldiagnose
mögen sicher in nicht wenigen Fällen die anamnestischen Angaben
gewesen sein, wonach keins der übrigen Familienmitglieder mit ähn¬
lichem Ausschlag behaftet sei. Von dieser zu Fehlschlüssen führenden
Argumentation darf man sich jedoch nach unseren Erfahrungen nicht
leiten lassen, denn recht häufig konnte festgestellt werden, daß der
Säugling als einziges Familienmitglied nicht allein Träger einer aus-
gesprodienen Krätze war, sondern sogar auch zur Infektionsquelle
nir die übrigen Familienmitglieder wurde. Das darf aber nicht wunder¬
nehmen. wenn man bedenkt, daß der Säugling infolge der ihm
von allen möglichen Personen zuteil werdenden Liebkosungen ganz
besonders der Ansteckungsgefahr ausgesetzt ist. Da die Zielpunkte
der Liebkosungen hauptsächlich die Hände, die Füße und auch der
Kopf und das Gesicht sind, ist es natürlich, in ihnen auch die Prädi¬
lektionsstellen der Säuglingsskabies zu finden. Der 'fast ständige
Aufenthalt im Bett mit der den Säugling infolgedessen gleichmäßig
umgebenden Wärme, die Zartheit der Haut und das häufig nur ein¬
malige Waschen sind hierbei wahrscheinlich als disponierendes Moment
zu betrachten.
Die Skabiosen Hautveränderungen sind so außerordentlich mannig¬
faltig, daß es durchaus angezeigt ist, bei jedem klinisch nicht ein¬
deutigen Hautausschlag der Säuglinge an den Prädilektionsstellen
nach Milbengängen zu suchen. Wir begnügten uns natürlich nicht
damit, die Milbengänge zu erkennen, sondern bemühten uns auch,
in jedem verdächtigen Fall die Anwesenheit von Milben mikroskopisch
nachzuweisen. Wir versuchten meistens den ganzen Gang unter das
Mikroskop zu bekommen und schnitten zu diesem Ende mit einem
scharfen Skalpell zu beiden Seiten des Ganges keilförmig ein, wobei
es leicht gelang, den ganzen Gang mit seiner Milbe, seinen Eiern
und Kotballen ohne Blutaustritt herauszuheben. Diese so gewonnenen
Fragmente wurden entweder in Wasser, Glyzerin oder Kalilauge ein¬
gebettet. Daß man auch beim Säugling das Symptom des Kratzens
und Scheuern» zur Diagnosestellung mitverwerten muß, ist selbst¬
verständlich.
Hierher gehört die bereits eingangs erwähnte Tatsache, daß die
Krätzemilbe sich bei Säuglingen im Gegensatz zum Erwachsenen
auch im Gesicht und auf dem behaarten Kopf ansiedelt. Uns ist cs
in mehreren Fällen gelungen, die Anwesenheit von Milben auf dem
Kopf und im Gesicht einwandfrei mikroskopisch festzustellen. Zur
leichteren Erkennung der Kopf- und Gesichtsmilbengänge ist es
notwendig, einer besonderen Eigenart derselben Erwähnung zu tun.
Es fiel uns auf, daß die Milbengänge hier eigentlich von vornherein
ein atypisches Verhalten zeigten und im allerersten Stadium bereits
borkig entartet waren, und zwar so, daß man aus der eigenartigen,
dem Gang entsprechenden Form der meist gelblichen Borken doch
noch ihren Ursprung erkennen konnte. An dem einen Gangende, dem
Kopfende (Eintrittsstelle der Milbe), war häufig ein Abfallen der
Borken zu bemerken, während das andere Ende, das Schwanzende,
meistens frische Borken und eine entzündliche Reaktion in seiner
Umgebung zeigte. Diese borkige Veränderung der Kopf- und Gesichts¬
milbengänge muß man wohl darauf zu rück führen, daß sie den kratzen¬
den Nägeln des Säuglings ganz besonders ausgesetzt sind. Die häufig¬
sten Prädilektionsstellen sind aber, worauf wir schon hinwiesen, die
Hände und Füße, und zwar die Handteller und Fußsohlen. An diesen
Stellen gelingt es eigentlich immer — auch bei stark impetiginösen
und pruriginösen Veränderungen —, mit bloßem Auge die Milben¬
gänge zu erkennen. Auch an anderen Körperstellen, am Nabel, am
Penis, in den Ellenbeugen, in den Kniekehlen, an den Kleiderdruck¬
stellen werden zu Beginn einer Skabies vor dem Auftreten des sekun¬
dären Ekzems gelegentlich deutliche Gänge gefunden, ohne daß
jedoch diese für den Erwachsenen typischen Stellen beim Säugling
als besondere Prädilektionsstellen anzusehen wären. Die Milbengänge
selbst unterscheiden sich von denen der Erwachsenen wohl nur da¬
durch, daß sie infolge des dünneren Stratum corneum der Säuglings¬
haut das Hautniveau meistens leicht überragen und so besser zu
differenzieren sind. Die Gänge, häufig fein geschlängelt, verlaufen
g eradlinig. S-förmig oder unregelmäßig gekrümmt und haben eine
lurchschnittslänge von 1 cm. Der Gang selbst sieht weißlich grau
aus, zeigt bisweilen in seiner ganzen Verlaufsrichtung einen feinen,
schwärzlichen Strich (Eier- und Kotballen; nach Lesser in die Epi¬
dermis eingedrungene Schmutzpartikelchen) und an einem Ende fast
immer einen mit bloßem Auge erkennbaren, winzigen, schwärzlichen
Punkt, die Milbe. Der Gang weitet sich hier für gewöhnlich etwas
buchteilförmig aus und zeigt, wie es bei den Kopfmilbengängen schon
erwähnt wurde, eine entzündliche Reaktion, wodurch uns die An¬
wesenheit einer lebenden Milbe angezeigt wird.
Eine genaue Beschreibung der vielgestaltigen sekundären Haut-
veränderung erübrigt sich wegen der guten Darstellung, die sie in
den entsprechenen Lehrbüchern gefunden haben.
In der Behandlung der Säuglingsskabies verwenden wir seit längerer
Zeit mit gutem Erfolg die von Prof. Dr. M. Oppenheim (Wien)
angegebene Schwefelsalbe von folgender Zusammensetzung:
Sulf. praec., Cretae alb., Zinc. oxydat. ää 15,0; Vaselin puriss. 45,0.
Die gleichzeitige günstige Beeinflussung des sekundären Haut¬
ekzems durch die Schwefelsalbe war nicht zu verkennen; eine Nach¬
behandlung mit anderen spezifischen Salben war nur bei besonders
schweren Hautveränderungen erforderlich. Wir gingen bei der Behand¬
lung so vor, daß wir die Kinder an zwei Tagen morgens und abends
am ganzen Körper gehörig einreiben ließen, wobei die Hände immer,
die Füße nur bei schweren impetiginösen Entartungen eingewickelt
wurden. Irgenwelche Nierenschädigungen oder sonstige Komplika¬
tionen, wie bei dem Gebrauch der Wilkinsonschen Salbe, wurden bei
dieser Behandlungsart nicht beobachtet. Die viermalige Einreibung
mit Reinigungsbad und Wäschewechsel zwei Tage nach der letzten
Einreibung scheint uns in den meisten Fällen zu genügen, doch ist
es ratsam, dieselbe Kur nach vierzehn Tagen zu widerholen. — Da
es wohl keinem Zweifel unterliegt, daß vom krätzebefallenen, unbe¬
handelten Kopfe aus eine Reinfelction des übrigen Körpers erfolgen
kann, so haben wir es uns zur Regel gemacht, auch bei anscheinen¬
dem Freisein, den Kopf mit einzureiben, wozu man sich ohne Be¬
denken der Schwefelsalbe bedienen kann.
Digitized by
Google
Original from
CORNELL UNSVERSITY
S.NVärz 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
295
Aus dem Bakteriologischen und Antirabischen Institut
in Nisch (Serbien).
Die Schutzimpfung gegen Lyssa durch das mit Aether
behandelte Virus fixe.
Von Dr. (L P. Allvisatos.
Daß die Tollwut eine der seltensten Infektionskrankheiten ge¬
worden ist, ist, wie bekannt, nicht nur auf die Schutzimpfung zu¬
rückzuführen, sondern auch auf die prophylaktischen Maßnahmen,
die gegen die Hunde und das kranke Tier gerichtet sind. Wie
wahr das ist, hatte ich oft und so auch vor zwei Jahren zu
konstatieren Gelegenheit, als ich bei Gebissenen wiederholt wäh¬
rend oder kurze Zeit (bis 15 Tage) nach beendeter Schutz¬
impfung durch eine verstärkte Högyessche Methode Mißerfolge
der Behandlung auftreten sah. Das Studium dieser Fälle, der lokalen
Verhältnisse in Serbien und das Experimentieren mit dem Straßen¬
virus (Mark der wiitkranken Tiere) überzeugte mich, daß eine
schwere Epizootie von Wut bei den Hunden, aber auch den übrigen
Haustieren, sich im Lande ausgebreitet hatte, daß das Straßen¬
virus bei dieser Epizootie hochvirulent war und daß der ge¬
bissene Mensch unter ganz anderen Verhältnissen als gewöhnlich in¬
fiziert wurde. Das Vorhandensein einer Epizootie konnte auf Grund
folgender Erwägungen als erwiesen betrachtet werden: 1. Dispro-'
portion zwischen der Einwohnerzahl und der Zahl der Gebissenen
(1500—2000 Gebissene jährlich auf zirka 4 Millionen Einwohner).
2. Das häufige Auftreten der Wut bei den Haustieren. 3. Der nicht
gerade seltene Ausbruch der Wut bei Leuten, die sich zwar der
Schutzimpfung nicht unterzogen, welche aber sehr leicht gebissen
waren (11 Selbstbeobachtungen). 4. Das Resultat unserer Experimente,
die bewiesen haben, daß das besonders von den nördlichen Pro¬
vinzen stammende Straßenvirus, mit dem Kaninchen gleichen Ge¬
wichts unter denselben Bedingungen infiziert wurden, die Wut in
sehr kurzer Zeit (hochvirulentes Straßenvirus) überträgt (z. B. von
35 im Jahre 1920 untersuchten Marksubstanzen gaben 33 ein positives
Resultat und davon 14 nach nur 9—14 Tagen Inkubation). Es seien
nebenbei die ungemein schweren Bisse, besonders am Gesicht,
angeführt, die bei uns sehr oft (bis 40<Vo) Vorkommen und sich
durch die Tatsache erklären, daß der Hund in seinem Wutparoxysmus
den Menschen überfällt.
Es war nun sehr erklärlich, daß die gewöhnliche Schutzimpfung
unter solchen Verhältnissen nicht ausreichend war, um den Organis¬
mus in kurzer Zeit gegen die Krankheit immun zu machen.
Obwohl nun alle diese Mißerfolge in die Zeit fielen, wo man
sie als „scheinbare“ zu nennen pflegt, war ich der Meinung, daß
der Fatalismus, der alle diese Wutfälle als fast natürlich hinstellen
möchte, gar nicht gerechtfertigt wäre, daß hingegen mit allem
Eifer nach einer Methode gesucht werden sollte, die den Organis¬
mus rascher zu immunisieren imstande wäre. Es wurde nach dieser
Methode gesucht, weil prophylaktische Maßnahmen gegen Hunde
der lokalen Verhältnisse wegen (verstreute Dörfer mit sehr weit
voneinander gelegenen Häusern, große Liebe der Bauern für den
Hund, von denen er mehrere ernährt, Mangel an Sanitätspolizei usw.)
schwer durchführbar waren „und man auf ihren Erfolg nicht hätte
warten können.
Leider schien weder die von A. Marie ausgearbeitete, theore¬
tisch sehr interessante — nach dem Vorbild der Toxin-Antitoxin-
mischung ausgedachte — Methode die richtige zu sein, da die
nach Einführung dieser Methode publizierten Statistiken des In¬
stitutes. wo sie ausgeführt wurde, keine geoße Besserung der
Resultate aufwiesen, noch die Babessche Methode, welche sehr
kompliziert ist und bei hoher Zahl von Gebissenen schwer durch¬
führbar würde. Dagegen schien es mir, nach Studieren der meisten
Methoden und Statistiken, daß die besten Resultate jene Methoden
auf zu weisen pflegen, welche mit hohen Dosen Impfstoffes arbeiten.
Nun wollte ich irgendeine chemische Substanz versuchen, welche
womöglich die Virulenz des „Virus fixe“ abzuschwächen im¬
stande wäre, ohne seine immunisatorische Kraft zu schädigen; so
hatte man hohe Dosen solchen Impfstoffes von Beginn an einver¬
leiben können. Fermi hat dieses Ziel durch Ac. carbolic. erreichen
wollen, doch war das Bedenken, mit wiederholtem Einspritzen des
Impfstoffes ein hohes Quantum dieser nicht gerade harmlosen Sub¬
stanz einzuführen, groß genug und gerechtfertigt.
Ich dachte nach den Arbeiten von Vincent und Fornet an
Aether, welcher bei der Verarbeitung der Aufschwemmung voll¬
ständig entfernt werden könnte. Ich habe mich nun durch reich¬
liche Experimente von folgenden Punkten überzeugt: 1. Daß das
Virus fixe enthaltende Hirn des Kaninchens in ziemlich hohen Ver¬
dünnungen fast denselben Gehalt an Virus besitzt, wie das Mark
(wegen der Dünnheit des Markes nämlich hätte bei dieser Methode
dieses nicht angewandt werden können, da das Virus durch Aether
im Mark in wenigen Stunden ganz abgetötet würde). 2. Daß der
Aether je nach der Zeit seiner Einwirkung das Virus fixe gar nicht
schädigt, oder nur abschwächt, oder ganz abtötet. So blieb ein
24—36stündiges Eintauchen des Hirnes in Aether fast wirkungslos,
ein 48—96stündiges verlängerte die Inkubation bei Kaninchen auf
10—18 Tage. Nach 120stündiger Einwirkung des Aethers war das
Hirn nicht immer virulent, und endlich war das Virus nach 140-
stündigem Eintauchen sicher vernichtet. 3. Daß hohe Dosen solchen
mit Aether behandelten Virus fixe, aber auch Straßenvirus, Schafen
subkutan injiziert, ganz unschädlich waren (1 Vs Jahr langes
Beobachten). Es bekamen Schafe in 21—25 Tagen 14 g Hirnsubstanz
Virus fixe, das 96—48 Stunden in Aether getaucht war, schadlos.
Andere Schafe bekamen subkutan in die Bauchgegend in 66 Tagen
44 g oder etwas mehr Straßenvirus (von Hunden oder Katzen
usw. herstammend, nach einer oder zwei Passagen durch Kaninchen),
welches 126—48 Stunden in Aether verblieben ist, und sind nicht
nur ganz gesund geblieben, sondern haben sogar an Gewicht zu¬
genommen. (Es sei hier bemerkt, daß während der ganzen Högyes-
Behandlung höchstens bis 0,75 g Rückenmarksubstanz einverleibt
wurde.)
Die während der Abwertung der Resultate dieser Experimente
veröffentlichte Arbeit von Remlinger bewies, daß das mit Aether
behandelte „Virus fixe“ Ziegen vor schwerer Infektion zu schützen
vermochte. Bevor ich aber diese Methode auf den Menschen zu
übertragen wagte, wollte ich Experimente unter denselben Bedin¬
gungen ausführen, unter welchen die bei uns vorkommenden Bisse
stattgefunden haben, d. h. schwere Infektion durch Straßenvirus,
später Beginn der Behandlung, hochvirulentes Straßenvirus usw.
Außerdem wollte ich die Einverleibung des Impfstoffes nicht auf
einmal bewirken, wie es Remlinger bei Ziegen tat, was beim
Menschen schädlich und sehr schmerzhaft sein könnte, sondern frak¬
tioniert.
Ich habe durch starkes Straßenvirus (bevorzugt wegen seiner
besonderen Affinität zum peripherischen Nervensystem), welches die
Wut an Kaninchen nach 12—16 Tagen Inkubation ausbrechen ließ.
Schafe durch Injektion von je 20 ccm einer Emulsion 1:25 subkutan
in die Lippengegend und intraglandulär in die Parotisgegend infiziert
und dann erst den 3., 4. bzw. 6. Tag nach Infektion die Immuni¬
sierung begonnen. Die folgende Tabelle zeigt nun klar, daß,
sobald die Immunisierung mit hohen Dosen in 10—18 Tagen be¬
endet war, die Tiere fest wurden gegen die Infektion, sobald aber
der Immunisierungsakt mit derselben Dosis des Impfstoffes sich über
30 Tage ausdehnte, die Krankheit so aftsbrach, wie bei den Kontroll¬
ieren.
Tabelle I.
Dosis des
Infektion durch Injektion
Beginn der
Dauer des
Impfstoffes
20 ccm einer Emulsion
Schutzimp-
Schutz-
(durch
Resultat
1 : 25 starken Straßen-
fung nach
impfungs-
Aether be-
in Aether
virus
Infektion
aktes
handeltes
Hirn v. f.)
1. Gruppe' 3 Schafe
den 3. Tag
7 Tage
im ganzen
am längsten
gesund
Schutzimpfung vom Be-
8.50 g, in
77 Std., am
(1V, jähri-
ginn an mit hohen
Dosen von
kürzesten
ges Beob-
Dosen
0,50-1,75 g
72 Std.
achten)
1 Konfrontier infiziert
wutkrank
wie oben
den 22.Tag
(Passage
positiv)
2. Gruppe 3 Schafe
den 4. Tag
9 Tage
im ganzen
wie
gesund wie
Schutzimpfung wie bei
8,25 g, in
(.Gruppe
Gruppe 1
1. Gruppe
Dosen von
0,75-1,50 g
1 Kontroiltier infiziert
wie oben
wutkrank
nach 43 Ta¬
gen (Pas¬
sage posit.)
3. Gruppe 2 Schafe
den 6. Tag
12 Tage
im ganzen
am längsten
gesund wie
Schutzimpfung zuerst
8,50 g, in
76 Std.. am
Gruppe 1
mit kleineren Dosen,
Dosen von
kürzesten
die größeren folgen un¬
mittelbar danach
0,50-1,50 g
72 Std.
1 Schaf infiziert wie
den 6. Tag
24 Tage
im ganzen
72 Std.
wutkrank
oben. Schutzimpfung
8,50 g, in
den 31. Tag
vorerst mit kleineren
mehreren
(Passage
Dosen, die größeren
folgen sehr langsam
Dosen von
0J50, dann
positiv)
1 g, zuletzt
2g
1 Kontroiltier infiziert
wutkrank
wie oben
den 36. Tag
(Passage
positiv)
Ich habe mich nun entschlossen, die Methode auf den Menschen
zu übertragen, aber vorerst sehr vorsichtig und nur mit der Högyes-
schen Methode vereint. Das Verfahren bestand in der Einverleibung
in die Bauchgegend von — je nach dem Sitze, Schwere des Bisses
und anderen Faktoren — bis 4 g in Aether 108—72 Stunden ver¬
bliebenen Virus fixe (Hirn), welches 1:20 in Kochsalzlösung auf¬
geschwemmt war. Die größeren Dosen wurden gegen Ende der
Behandlung eingespritzt. Nun, wie die Tabellen 2 und 3 zeigen,
besserten sich die Resultate, es gab aber immerhin Mißerfdge,
und nur dann waren die Erfolge trotz gleicher oder sogar un¬
günstiger Verhältnisse unübertroffen, als neben der Högy es sehen
Methode noch sehr hohe Dosen (bis zu 10 g Hirnsubstanz Virus
fixe) 82—72 Stunden in Aether eingetauchten Hirns (Virus fixe)
in den ersten 13—15 Tagen der Behandlung den schwer Gebissenen
einverleibt wurden. Myelitiden oder andere schädigende Effekte
waren niemals beobachtet, und die hier angeführten 509 Fälle sind
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNiVERSlTV
290
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 9
ein Jahr nach Abschluß der Behandlung von Bezirksärzten unter¬
sucht und in jeder Hinsicht gesund befunden worden.
Die Resultate weiterer 600 Fälle schwer Gebissener sind ebenso
günstig, nur werden sie vorläufig noch nicht veröffentlicht, da die
erforderliche Beobachtungszeit noch nicht vorüber ist.
Tabelle II.
Behandlungsart
Zahl
der
Gebissenen
Davon
schwer Oe-
bissene
Die Wut brach
während oder
bis 15 Tagen
nach Beendi¬
gung der Be¬
handlung aus
Die Krank¬
heit brach
später aus
A. Högyessche Methode ver*
stärkt.
B. Högyessche Methode plus
fßr die schwer Gebissenen je
nach dem Sitz des Bisses usw.
bis zu 4 g Virus fixe, welches
in Aether 108 - 72 Stunden
verblieben ist. Die höheren
Dosen werden gegen Ende
424
89
7
l
der Behandlung einverleibt .
C. wie oben mit dem Unter¬
schiede, daß man den schwer
Gebissenen in den ersten Be¬
handlungstagen 8—10 g Hirn¬
substanz Virus fixe, welches
nicht länger als 84 Stunden
und nicht kürzer als 72 Stun¬
den in Aether verblieben war,
621
198, davon 3
von Wölfen
4, davon 1
vom Wolf
einverleibte.
909
315, davon 8
von Wölfen
'Tabelle III.
Zahl der schwer
Gebissenen
f
Davon multiple
schwere Bisse an
Gesicht und Kopt
Erkrankten an j
Wut
Multiple schwere
Bisse an den oberen
Extremitäten
Erkrankten an Wut ||
Multiple schwere
Bisse an den unte¬
ren Extremitäten |
Erkrankten an Wut |]
Multiple schwere j
Bisse an mehreren >
Körperteilen j
1
e
«
s
s
2
w
Methode A der
vorigenTabelle
89
8
—
50
5
24
-
7
2
Methode B der
vorigenTabelle
198
22, dav. 1
2, dav. 1
87
1
63
—
26, dav. 2
; 1
v. Wolf
v. Wolf
v.Wölfen
1
Methode C der
1
vorigenTabelle
315, dav.8
33. dav. 3
—
154, dav. 1
—
105
—
23, dav. 4
!
1 ~~
v.Wölfen
v.Wölfen
v. Wolf
▼.Wölfen
1
Die Wut ist am Tier, bei einer großen Zahl dieser Fälle, von
Veterinären oder im Institut konstatiert.
Nun möchte ich noch einiges über die bei uns vorkommenden
Bisse und die Art der Bereitung des Impfstoffes hinzusetzen. Von
den 315 Fällen der Kategorie C waren 56 am Gesicht, Kopf oder
Kopf und anderen Körperteilen gebissen. 11 davon hatten schwere
Bisse an den Lippen (bei 6 waren die Lippen in Fetzen), sodaß
der Wutausbruch als unvermeidlich erschien. Zweimal haben wir
neben anderen Bissen Luxation je zweier Zähne beobachtet. 9mal
konstatierten wir schwere Bisse an der Augen- und Lidgegend,
4ma! Bisse in die Speicheldrüsengegend, 13mal schwere Bisse, die
die Wangen- und Nasengegend betrafen. Mehrere von diesen Ge¬
bissenen wurden von demselben Tiere überfallen und gebissen und
kamen in Gruppen im Institut an.
Die Art der Bereitung des Impfstoffes ist einfach. Man befreit
das Hirn (Virus fixe) von seinen Häuten, man wiegt es genau ab
und taucht es in sterilisierten (Histologie-) Gläschen in Aether ein.
Darin verbleibt es, je nach der gewünschten Wirkung, 84 bis zu
72 Stunden, dann wird es herausgenommen, auf sterilisierten Platten
zerkleinert und zur Verdünstung des Aethers eine Stunde lang unter
Glocke gelassen. Nun wird es in Porzellanschalen mit Mörser gut
verarbeitet, wobei der Aether ganz entfernt wird, und in Kochsalz¬
lösung bis zur Verdünnung 1:20 des ursprünglichen Gewichtes auf¬
geschwemmt. Die Gebissenen werden unter die Bauchhaut gespritzt
und können ohne weiteres, außer gelinden Schmerzen, 1 g bis 1,5 g
Hirnsubstanz vertragen. Abszesse kommen bei ganz aseptischer Ver¬
arbeitung des Hirnes niemals vor. Ein Schema der Behandlung möchte
ich hier nicht angeben, denn es wird jedesmal streng individuell, je
nach den oben erwähnten Faktoren gehandelt. Es sei nur hier ein
Beispiel bei einer in die Lippengegend Gebissenen angegeben. (Be¬
ginn der Behandlung den 6. Tag nach dem Bisse.)
1. Tag des Ankommens 1,50 g 84 St. in Aether
2. „ *
. 1,50 g 84
5. ,
L50 g 72
7. „
1g 72
9. .
1 - g 72
1Z „
1,- g 72
14. p
0,50g 72
15. „
0,50g 72
Zusammenfassung. Die gewöhnlichen, für normale Verhältnisse
ausreichenden Schutzimpfungsmethoden gegen Lyssa, sind oftmals
unfähig, die unter schweren Bedingungen erfolgte Infektion hint-
anzuhalten und den Organismus fest und rasch gegen die Krankheit
zu immunisieren. Hingegen ist das durch Aether behandelte Virus
fixe (Hirn) in hohen Dosen für den Menschen in jeder Hinsicht un¬
schädlich 1 ) und immunisiert fest gegen die Krankheit, wenn die Ein¬
wirkung des Aethers nicht länger als 72—84 Stunden dauert und
von Beginn der Behandlung in hohen Dosen einverleibt wird.
Krauß und Kreißl, Zbl. f. Bakt.32 1902. — Marx, Zur Theorie der Pasteurschen
Schutzimpfungen gegen Tollwut» D. m.W. 1900 S. 1161.— Fornet, Die Reinkultur des
Pockenerregers, B. kl. W. 1913 Nr. 40. — Remlinger, Annales de 1* Institut Pasteur,
September 1919. — Babds, Traitd de la Rage 1912. — Remlinger, Traitement antl-
rabique (in Medicam. mikrob. 1912).
Gynäkologische Ratschläge für den Praktiker.
Von Prof. W. Liepmaon in Berlin.
IX.
Die Beziehungen zu den Nachbarorganen:
A. Harnröhre, Harnblase, Niere*).
Abgesehen von den engen anatomischen Beziehungen zwischen
dem uropoetischen System einerseits und dem Intestinaltraktur ander¬
seits, zwingen uns, auch die bekannte einheitliche Entwicklung dieser
Organe und das Hin und Her bei ihren Erkrankungen dazu, auch
dieses Gebiet kurz zu besprechen.
1. Urethra. Die bei der liegenden Frau fast horizontal ver¬
laufende Harnröhre ist im Durchsdinitt 3,5 cm lang. An ihrer Aus¬
mündungsstelle befindet sich gewöhnlich ein Wulst, der Urethral¬
wulst, dessen besondere Empfindlichkeit bekannt ist und den man
daher bei allen Untersuchungen zu vermeiden oder durch 2%ige Novo¬
kainlösung, die man etwa 5 Minuten mittels eines Wattebäuschchens
auf ihn wirken läßt, unempfindlich zu machen hat.
Diagnose: Wenngleich zur endgültigen Sicherstellung einer
Harnröhrenerkrankung, besonders einer chronischen, das Uretnroskop
unentbehrlich ist, so genügt bei den landläufigen Vorkommnissen in
der Praxis eine exakte Inspektion, Palpation und Sekretuntersuchung.
Bei der Inspektion sieht man die seltenen Doppelmißbildungen,
die Hypospadie, die Epispadie, die angeborene Ver¬
engerung der Urethra, man erkennt an der starken Injektion
des Urethralwulstes die Urethritis acuta, sieht die Harnrönren-
karunkel, sieht die periurethralen Abszesse und das sich
am Orificium externum lokalisierende Karzinom.
Bei der Palpation fühlt man deutlich die untere Harn röhren wand,
wenn man die Urethra zwischen Symphyse und vorderer Scheidenwand
über den untersuchenden Finger gleiten läßt. Man hat dann ein
ähnliches Gefühl wie beim Untersuchen des normalen Eileiters.
Ganz anders die chronisch verdickte und infiltrierte Harnröhre, die
sofort als starrwandiges, vergrößertes Rohr zu fühlen und deren
außerordentlich erhöhte Druckempfindlichkeit sofort nachweisbar ist.
Die wichtige Untersuchung des Harnröhrensekrets,
die uns schon bei der Diagnose der Gonorrhoe beschäftigt hat, ge¬
schieht entweder mittels der bekannten Zweigläserprobe oder besser
mittels Ausdrückeus mit dem untersuchenden ringer von der Scheide
her. Das austretende Sekret wird mit der ausgeglühten Platinöse auf
den Objektträger ausgestrichen und dann nach Färbung mikroskopisch
untersucht. « • 1 ; i 1 1 i
Auf die seltenen Mißbildungen kann nicht eingegangen werden.
Wichtig aber ist für den Praktiker die Kenntnis der Entzündung
der Harnröhre. Nicht jede Harnröhre, deren Oeffnung rot inji¬
ziert erscheint und aus der sich Schleim oder Eiter ausdrücken läßt,
ist, wie noch immer viele Praktiker glauben, gonorrhoisch infiziert •).
Erstens kann gar nicht oft genug betont werden, daß auch die gesunde
Harnröhre Sekret absondert, zweitens gibt es keine bakterienfreie
Harnröhre. In der Mehrzahl Saprophyten, finden sich doch in über
50% aller gynäkologischen Fälle Staphylokokken, Streptokokken und
Kolibakterien. Alle diese an sich harmlosen Keime können, sobald
einmal die Mucosa urethrae lädiert wird, wie das besonders beim
Katheterismus, bei Operationen oder auch beim Koitus und bei der
Geburt möglich ist, virulent werden, und wir haben das Bild einer
Urethritis acuta non gonorrhoica.
Der stark gerötete Urethralwulst, die oft deutlich wie zwei rote
Punkte sichtbaren Skeneschen Drüsen, die äußerst empfindliche untere
l ) Was die vonjoannovics (W.m. W .1920 Nr.30) ausgesprochene Meinung
anbetrifft, daß die während und nach der Behandlung gegen Tollwut vor¬
kommenden Myelitiden auf gegen die Nervensubstanz gerichtete Fermente
zurückzuführen seien, möchte ich vorläufig, bevor meine in dieser Richtung
geführten Experimente r nicht abgeschlossen sind 1 , nur erklären, daß wir
keine solche Myelitiden bis jetzt bei unseren Behandelten konstatierten, daß
unsere Experimenttiere gesund blieben, ja sogar Kaninchen, welche für andere
Zwecke mit Virus fixe (artgleiche Substanz) in hohen Dosen infiziert wurden,
manchmal die Wut (weiter durch Passage übertragbar) bekamen, niemals aber
die Erscheinungen, von denen Joanno vics spricht, zeigten. Allerdings fehlten
die prädisponierenden Momente.
*) lieber die allgemeinen urologischen Verhältnisse siehe die „Speziallrztfichen
Ratschläge* von Geheiinrat Casper in Nr. 42ff. des Jahrgangs 1920. D. Red.
*) Erst der Gonokokkenhefund erlaubt uns von Gonorrhoe zu sprechen.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
3. März 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
297
Haroröhrenwand, der leicht ausdröckbare gelbe Eiter, dazu das
Brennen beim Wasserlassen, das ja die Patienten zum Arzte führte,
lassen die Diagnose leicht stellen. Und doch werden viele dieser
Harnröhrenentzündungen, mögen sie nun gonorrhoischer oder nicht
gonorrhoischer Natur sein, in den großen Topf der Zystitiden ge¬
worfen, kritiklos Blasenspülungen verordnet und damit das Leiden
mehr verschlimmert als gebessert, da die in der Urethra deponierten
Keime nun durch die Spülungen in die Blase gebracht werden. Und
doch zeigt die einfache Zweigläserprobe, daß die zweite Portion,
der Blasenhara, klar und nur die Urethra erkrankt ist.
Da bei der Frau die Urethritis, mag sie nun gonorrhoischer oder
nicht gonorrhoischer Natur sein, in 20—30 Tagen auch ohne gute
Behandlung ausheilen kann, vorausgesetzt, daß die Lebensweise
vernünftig ist und wenig herumgewirtschaftet und herumgelaufen
wird, so ist unser therapeutisches Handeln gegeben; wir haben mit
allen Mitteln diese Naturheilung zu unterstützen, um die Entwicke¬
lung einer chronischen Urethritis zu verhüten.
Ruhig exspektative Behandlung mit Oonosan, Salol, Oleum Santali,
Baisamum Copaivae, Folia uvae ursi, Fachinger, Apollinaris und
Bettruhe.
Sind die stürmischen Erscheinungen abgeklungen, so bewährt
sich bei beiden Formen der Urethritis die in meinem dritten Artikel
(Gonorrhoe) mit meiner Glaskanüle 1 ) geschilderte Instillation mit
Argent. nitric.-Lösung, 1—3o/o, die senr gut vertragen wird. Intra-
urethrale Aetzungcn unter Leitung des Urethroskopes sind in der
Praxis nicht anwendbar.
Ebenso häufig wie die Entzündungen der Harnröhre begegnen
uns in der Praxis die Fälle von Incontinentia nrlnne. Und unter diesen
sind es vor allen Dingen, wenn wir von der Enuresis nocturna und
der hysterischen Inkontinenz absehen, zwei Formen, deren Besprechung
wichtig ist: Die Incontinentia puerperalis und die Incontinentia nasalis.
wie immer wir uns die Parese des Schließmuskels nach Geburten
erklären wollen, ob durch die traumatische Pression intra partum
bewirkt (Klischer, Stoeckel) oder durch Herabsinken der hin¬
teren Harnröhre der vorderen Scheidenwand folgend (Fritsch), es
ist stets ein sehr unangenehmes und die Frauen auch seelisch depri¬
mierendes Leiden.
Die nasale Inkontinenz, die ihr Analogon in der nasalen Dysmenor¬
rhoe hat hängt nach Fischer und Etierant mit adenoiden Wuche¬
rungen der Nase, Polypen und Hypertrophien der Muschel zusammen
und kann dementsprechend durch eine nasale Therapie geheilt werden.
Bei der Behandlung der puerperalen Inkontinenz \yird
man zunächst, nach dem Vorschlag von Fritsch, ein Schatzsches
Tellerpessar einlegen, das die Harnröhre an die Symphyse preßt und
dadurch oft sofort nach dem Einlegen den unwillkürlichen Harn¬
abgang verhindert. Nach 14 Tagen wird der Ring entfernt. Führt
diese Behandlung nicht zum Ziel, so empfiehlt sich die Einführung
der elektrischen Uterussonde in die Harnröhre. Häufiger Strom¬
wechsel und gemischte galvanische und faradische Ströme sind emp¬
fehlenswert.
Statt der manuellen Massage empfehle ich mehr die Vibrations¬
massage mit dem von Stoeckel ad hoc konstruierten plattenförmigen
Ansatz.
Aber es wird immer Fälle geben, die allen diesen Behandlungs¬
methoden trotzen und die allein operativ zu beseitigen sind.
Der seltene, meist bei elenden Kindern oder alten Frauen vor¬
kommende Vorfall der Urethralmukosa soll nur kurz erwähnt
werden. Die erbsen- bis kirschgroße, hochrote Schleimhautvorwölbung,
in deren Mitte das Orificium externum urethrae gelegen ist, bietet
der Diagnose keine Schwierigkeit. Durch radiäre Kauterisation auf
elektrischem Wege oder durch Abtragen der prolabierten Mukosa mit
dem Messer ist das Leiden zu beseitigen.
Die Urethralkarunkeln (Urethralpolypen) sind, wenn sie
nicht zur Hamröhrenöffnung herausragen, nur mittels des Urethro-
skops zu finden und können dann leicht mit der Olühschlinge abge¬
tragen werden.
Die Karzinome bedürfen einer sofortigen operativen und Strahlen¬
behandlung.
2. Die Veslca nrinaria. Bei der Besprechung der Erkrankungen
der Harnblase erinnern wir uns der im ersten Abschnitt unserer Rat¬
schläge ergebenen anatomischen Einteilung. Hat doch die Blase der
Frau nicht nur die Funktion, den Urin zu sammeln, sondern auch die
wichtige Aufgabe, als druckparaiysierendes Wasserkissen für den
anteflektiert liegenden Uterus zu wirken. Alle Erkrankungsformen
der Genitalien, die diese normale Statik zu stören imstande sind,
werden begreiflicherweise nicht ohne Rückwirkung auf die Harnblase
bestehen können.
Die Lageverladernegen der Blase also werden wir zunächst kurz
zu erwähnen haben. Wir erinnern uns der Bildung einer Zystozele
beim Prolaps der vorderen Scheidenwand. Leicht ist die Diagnose
zu stellen, wie wir gesehen haben. Aber die Unmöglichkeit der
Zystozelenblase, den Urin vollständig zu entleeren, schafft ein Krank¬
heitsbild, wie man es immer bei bestehendem Residualharn auftreten
sieht. Ständiger Urindrang quält die Patientinnen. Die immer wieder¬
kehrenden Anstrengungen, den Ham zu entleeren, führen zu einer
Hypertrophie der Muskulatur, zur Trabekelbildung, zur Balkenblase,
die man mittels des Zystoskopes fast in jedem Falle von länger be¬
stehender Zystozele nachzuweisen imstande ist. Aber auch der Che¬
mismus der Blase wird gestört es kommt zur ammoniakalischen
i) Hergestellt vomJMedfatüiischen.. Warenhaus A.-Q.,'Karlstr 31.
Gärung und Zersetzung des Urins, gelegentlich auch zur Steinbildung.
Der stinkende Ham wird weiterhin entzündend auf die Scheide und
die Vulva wirken. Kurz, es entsteht ein die Frauen außerordentlich
quälender Symptomenkomplex.
Therapie: Läßt sich die Zystozele nicht mit einem Ringe
(siehe Vorfälle, Nr. II) zurückhalten, so ist, um größerem Schaden
zu wehren, einzig die Operation am Platze, die mit Blasenspülungen,
die wir bei der Zystitis näher besprechen werden, Hand in Hand zu
gehen hat.
Auch die Verlagerung der Blase nach oben wird nicht
selten beobachtet. Wir wissen durch die schönen Untersuchungen
von Mettenheimer, daß die Blase des Neugeborenen nur zu einem
Viertel im kleinen Becken steht, während drei Viertel den oberen
Schoßfugenrand überragen. Bei der durch mangelnden Deszensus
bedingten kongenitalen Retroflexio finden wir nun nicht allzu selten
ausgesprochen oder nur angedeutet diesen Hochstand der Blase persi¬
stierend. Dann aber sind es die Myome, die Verlagerungen der
Blase nach oben bewirken können. Audi bei diesen Verlagerungen
sind Beschwerden der Frauen so häufig, daß Zangemeister sie
bei seinem Material in 2 /a aller Myomfälle nachweisen konnte. Auch
hier kommt es zu einem chronischen Reizkatarrh der Blase, der durch
die Zirkulationsstörungen bedingt ist und der, falls nicht unnützes
Katheterisieren Urethrakeime einschleppt, abakteriell zu verlaufen
pflegt.
Therapie: In diesen Fällen kann selbstverständlich nur die
Operation, aie die Verlagerung beseitigt, Abhilfe schaffen.
Bevor wir uns aber dem Hauptkapitel der Blasenentzündungen
zuwenden, ist eine kurze Rekapitulation der dem Praktiker zur Ver¬
fügung stehenden Untersuchungsmethoden am Platze.
Allgemeine Untersuchimgsmethoden 1 ). Die Unter¬
suchung des Urins soll sich nur auf frisch in der Sprechstunde ent¬
leerten Urin erstrecken. Frauen, die an Fluor leiden, werden unter
allen Kautelen der Aseptik katheterisiert, ebenfalls nach der spon¬
tanen Miktion solche Frauen mit Zystozele, bei denen es uns darauf
ankommt, die Menge des Residualhams festzustelien.
Die metrischen, visuellen, chemischen und physikalischen (spezifi¬
sches Gewicht) Methoden der Harnuntersuchung werden als bekannt
vorausgesetzt. Als Unikum möge hier ein Fall von der überaus
seltenen Lipurie erwähnt werden, zu dem ich hinzugezogen wurde
und in dem Ich durch einfachen Katheterismus nachweisen konnte,
daß das Fett von Kakaobutter aus den verordneten Suppositorien
stammte.
In allen verdächtigen Fällen ist auch das Sediment mikroskopisch
zu untersuchen, nicht nur auf zelluläre Elemente (Leukozyten, Tumor¬
zellen usw.), sondern auch auf Bakterien (Tuberkelbazillen) und Para¬
siten (Echinokokkus, Distomaen).
Die Palpation der Blase hat oft genug, besonders bei extra-
medianer Lagerung, zu Fehldiagnosen von Ovarialzysten geführt. Wer
vor jeder gynäkologischen Untersuchung den Harn entleeren läßt, im
Zweifelsfalle selbst den Katheter anwendet, wird vor solchen mi߬
lichen Zufällen geschützt sein. Von der Perkussion wird nur selten
Gebrauch gemacht, und doch klärt sie uns am besten über den patho¬
logischen Hochstand der Blase auf. Die Sondenuntersuchung spielt
nur bei der Feststellung von Fisteln eine Rolle.
Das Instrument par excellence für alle Diagnosen der erkrankten
Bla9e, das von Nitze geschaffene Kystoskop, erfordert so eingehen¬
des technisches Studium, daß es dem beschäftigten Praktiker nicht
zugemutet werden kann.
Die Entzündung der Harnblase. Gegenüber der infektiösen, durch
Invasion von Keimen also bedingten Blasenentzündung spielen die
chemischen (zu frisches Bier, Most, Spargel, Kanthariden usw.) eine
untergeordnete Rolle. Der Eintritt der Bakterien allein ruft bei Un¬
geschädigter Blase eine Bakteriurie, bei geschädigter Blase eine Zystitis
hervor. So ist denn die durch Operationen geschädigte, die durch
den normalen oder anormalen Geburtsverlauf komprimierte Blase,
die hyperämische Blase bei Menstruation, Schwangerschaft, Onanie
und übermäßigem Geschlechtsverkehr besonders bei Eindringen von
Keimen zur Zystitis prädisponiert. Die Möglichkeit auch des spon¬
tanen Keimübertrittes ist ja durch die keimbesiedelte Harnröhre bei
der Frau dann gegeben, wenn der Schließmuskel der Blase aus den
eben geschilderten Momenten insuffizient geworden ist.
wie aber bei der beginnenden Gonorrhoe der tuschierende Finger
oder der Penis die Keime in die Zervix überträgt, so ist es hier in der
Regel der Katheter, auch der aseptische, wenn er ungeschickt ge-
handhabt wird. Jeder Katheterismus sei eine Staatsak¬
ten, und man wird weniger Zystitiden zu sehen be¬
kommen.
Dem aszendierenden Infektiousmodus steht der deszendierende
gegenüber. Das ist der Infektionsweg der Nierentuberkulose und der
eitrigen Pyelitis. Aber bei beiden kann lange Zeit eine Bakteriurie
ohne Zystitis bestehen.
Die' seltenen Infektionswege auf der Blut- und Lymphbahn bei
Kotstauungen, Adnexerkrankungen und Iiifektionskranldi eiten sollen
nur erwähnt werden.
Diagnose: Die Trias der Erscheinungen der akuten
Blasenentzündung: Schmerz, vermehrter Harndrang,
eitriger Urin ist bekannt. Die Erkenntnis solcher akuten Fälle
bietet demnach keine Schwierigkeit. Ganz anders bei chronischen
und subakuten Fällen. Hier sollte nur frisch entleerter Urin nnter-
*) Die Technik der UrinuntersuchungTwird spater von anderen Seiten eingehend
behandelt werden. D. Red.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
298
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
sucht werden. Erst der Leukozytenbefund im Sediment entscheidet
den eitrigen Charakter der Entzündung, nicht die Lokalisation, die
hierbei in der Harnröhre, in der Blase und der Niere gelegen sein
kann. Die Zwei-Gläserprobe erlaubt es, die Urethritis auszuschalten.
Für die Entscheidung, ob Niere oder Blase Produzent des Eiters sei,
ist einzig und allein das Kystoskop das Instrument, das Klarheit
schafft. Aber auch die Blasenspülung (2°/oige Borsäurelösung) kann
dem Praktiker helfen: Kommt der Eiter nicht von der Niere, so ist
das abfließende, in einer Mensur aufzufangende (am besten doppel¬
läufige Katheter oder Zweiweghahn) Spülwasser um so klarer, je
länger die Irrigation dauert.
Therapie: „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht“ sollte es auch
bei der Behandlung der akuten Zystitis heißen. Dann empfiehlt sich
die Verwendung feuchterWärme in Form von heißen Kamillentee¬
umschlägen auf Vulva und Mons veneris. Die Eisblase ist dringend
zu widerraten.
Zur Schmerzlinderung empfehle ich in erster Linie Sup-
positorien (Pffntopon 0,02, Codein 0,03, Extr. Belladonnae 0,02, je
allein oder in Kombination), bei schweren Anfällen wird man um die
Morphiumspritze nicht herumkommen. Stoeckels Empfehlung einer
Injektion mit der Klistierspritze von 25 ccm einer 2—4<>oigen Anti-
pyrinlösung in den Mastdarm kann ich warm empfehlen.
Selbstverständlich ist blande, nicht reizende Diät und reich¬
liche Flüssigkeitsaufnahme. Ich lasse 4mal 1 g Urotropin
nehmen und im Anschluß daran je zwei Glas Fachiuger, Wildunger,
Vichy-Wasser oder Karlsbader Mühlbrunnen, Baden-Badener Thermal¬
quelle trinken.
Die Blasenspülungen — und das kann nicht energisch genug
betont werden — haben im akuten Stadium zu unterbleiben, sie sind
direkt schädlich.
Erst wenn die stürmischen Symptome vorüber sind und die
Heilung auf dem geschilderten Wege nicht eintritt, ist die Blase zu
spülen. Jede Spülung muß aseptisch, schmerzlos sein und darf unter
keinen Umständen die Blase übermäßig dehnen.
Das erreicht man mit einem einfachen, aber zweckmäßigen In¬
strumentarium. Der gut zu reinigende und auskochbare Glaskatheter
ist dem Metallkatheter vorzuziehen, er gleitet leichter in die Harn¬
röhre und kann besonders, wenn er eng gewählt wird, viel schmerz¬
loser eingeführt werden. Und dann: Glas bricht und wird darum
ganz unbewußt zarter angefaßt als das unzerbrechliche Metall. Der
Glasirrigator, den ich der Spritze vorziehe, habe eine deutlich sicht¬
bare Skala und werde etwa U/s ni hoch aufgehängt. Der Katheter
wird durch einen ebenfalls ausgekochten Gummiscnlauch mit einem
Zweiweghahn verbunden, um das lästige Herausziehen des Katheters
zu vermeiden.
Man beginne die Spülung stets mit kleinen Mengen, 40—50 ccm,
erst allmählich steigend, wenn es ohne Beschwerden für die Patientin
geht, bis zu 150 ccm.
Das beste Heilmittel für die Entzündungen der Blase ist und
bleibt das Argentum nitricum, ja Stoeckel geht so weit, zu
sagen, daß da, wo es versagt, Steinbildung, Blasentumoren oder
Pyelitis vorliegen müsse. — Die ersten Spülungen aber macht man
mit 2<>/oiger Borsäurelösung, dann gehe man zu Höllensteinlösungen,
steigend 1:10000 bis schließlich zu 1:1000, über, ganz allmählich,
der Sensibilität der Patientin angepaßt. Da das Silber in Leitungs¬
wasser ausfällt, darf nur sterilisiertes Wasser genommen werden, und
Schlauch, Hahn und Katheter müssen vorher damit ausgespült werden.
Man lasse niemals die ganze Menge der Spülflüssigkeit ablaufen,
da sonst die Katheterspitze schmerzend mit der Blasenwand in Be¬
rührung tritt und nehme die Spülflüssigkeit lauwarm, ungefähr 27,
28 0 C wird gut vertragen. Vor Entfernen des Katheters am Schluß
der Spülung läßt man etwa 80—100 ccm in der Blase, die dann erst
1/2 Stunde später von der Patientin spontan entleert werden.
Diese Spültherapie füftrt bald nach einer Sitzung, bald nach
Wochen erst, zum Ziel und wird gut unterstützt durch lauwarme
Kamillenteesitzbäder von ^ständiger Dauer vor dem Schlafengehen. —
Jede Erkältung ist zu vermeiden, der Stuhlgang sorgfältig zu regeln.
Die nach der trefflichen Arbeit von Knorr außerordentlich
häufige Cystitis colli findet sich nach ihm bei jeder achten
gynäkologischen Patientin.
Die Behandlung ohne Kystoskop und spezialistische Schulung ist
in der Praxis unmöglich.
Bezüglich der gonorrhoischen Zystitis bin ich ganz der
Ansicht Stoeckels, daß sie ganz außerordentlich selten ist.
Die schwere Form der Blasengangrän, wie wir sie besonders bei
Retroflexio uteri gravidi incarcerata beobachten, ist ebenfalls äußerst
selten.
Wenig Worte noch über die Nieren-Blaseotaberkalose. Die Niere
ist das primär, die Blase das sekundär erkrankte Organ. Wenn auch
die akute Form durch ihre ganz außerordentliche Empfindlichkeit der
Blasenwand bei auch geringer Füllung unsern Verdacht rege werden
läßt und die Schmerzen der Patientinnen auch oft nach der Miktion
ganz gewaltig sind, so gibt es doch Formen, die ganz latent, kaum
merklich für die Frauen selbst, geschweige denn für den Arzt ver¬
laufen.
Geht aus Allgemeinstatus und Anamnese der Verdacht auf Tuber¬
kulose der Hamorgane hervor, so soll man mit allen Mitteln, Kysto¬
skop, Mikroskop und Tierversuch (Meerschweinchen, vordere Augen¬
kammer des Kaninchens), versuchen, zu einer Diagnose zu kommen.
Hier reichen die Möglichkeiten in der Praxis meistens nicht aus, und
spezialistische Hilfe ist notwendig.
Nr. 9
D i e Tumoren der Blase, das Papilloma vesicae und das
Carcinoma vesicae, sind ebenso wie Fremdkörper und Steine leicht
mittels des Kystoskops, schwer ohne dieses, zu diagnostizieren.
Jede Blutung aus der Blase, die leider von den Frauen nur allzu¬
oft übersehen wird, erfordert eine kystoskopische Untersuchung,
jeder palpable Tumor natürlich ebenfalls.
Ebensowenig kann auf die verschiedenen Fisteln der Harnwege,
die ja sowieso in jedem Fall eine operative Behandlung erfordern,
cingegangen werden.
Die Pyelitis und Pyelonephritis. Erst seitdem wir uns daran
gewöhnt haben, in zweifelhaften Fällen vom Kystoskop und dem
Ureterenkatheterismus Gebrauch zu machen, hat sich unsere Kenntnis
über die eitrigen Erkrankungen des Nierenbeckens (Pyelitis) und des
Nierenparenchyms (Pyelonephritis) erweitert. Wer sich bei Eiterungen
aus der Blase nur auf die Untersuchung des zentrifugierten Sedimentes
verläßt, der wird manchen Fall von Pyelitis und Pyelonephritis über¬
sehen und statt der Diagnose Bakteriurie die fälsche Diagnose
Zystitis stellen. Denn nur selten gelingt der Nadiweis von Nieren-
epithelien, und erst Kystoskop und Ureterenkatheterismus bringen
Klarheit.
Diagnose: So sehen wir, daß die Krankheiten, die besonders in
der Schwangerschaft und im Wochenbett auftreten, sofort eines dia¬
gnostischen Apparates bedürfen, wie er dem Praktiker nicht zur
Verfügung steht.
Therapie: Diejenigen Fälle, bei denen kein Fieber besteht,
bedürfen keiner lokalen Therapie, das, was -wir bei Besprechung der
Zystitis an Ruhe, blander Diät und Medikation kennengelernt haben,
wird bei reichlicher Milchzufuhr genügen. Wichtig ist die sofortige
Lagerung der Frauen auf die gesunde Seite. Nicht selten führt
ein vorsichtig ausgeführter Ureterenkatheterismus, der zu diagnosti¬
schen Zwecken unternommen wurde, auch zur Heilung. Stoeckel,
dem wir die Einführung dieser Methode in die Schwangerschafts¬
pyelitis verdanken, drückt sich prägnant so aus: „Wer eine Pyelitis
genau, d. h. durch den Ureterenkatneterismus diagnostiziert, der hat
sie unter Umständen schon geheilt.“
Versagt der Ureterenkatheterismus, so ist die Nierenbecken¬
spülung, eventuell der Dauerkatheterismus am Platze.
Erst wenn dieses Vorgehen — und das ist äußerst selten — nicht
zum Ziele führt, sind schwerwiegende Entschlüsse, wie die Unter¬
brechung der Schwangerschaft oder die Nierenexstirpation, erlaubt.
Die übrigen Erkrankungen der Niere und des Ureters können in
diesen kurzen gynäkologischen Ratschlägen nicht berücksichtigt
werden.
Münchner Brief.
Vor einem Jahre konnte ich berichten, daß die „Münchner
Neuesten Nachrichten“ einen Aufsatz Kraepelins nicht aufge¬
nommen haben, weil sie fürchteten, das Bierkapital vor den
Kopf zu stoßen. Kraepelin wollte in letzter Stunde davor warnen,
das Kriegsbier zugunsten höher eingebrauten Bieres zu opfern. Neu¬
lich hat dieselbe Zeitung nun eine Zuschrift der Deutschen For¬
schungsanstalt für Psychiatrie, anscheinend nur im Auszug, gebracht,
in der die Zunahme der alkoholischen Geisteskrankheiten seit Ein¬
führung des stärkeren Bieres überzeugend dargetan wird. Um nun
beim Bierkapital nicht übel aufzufallen, wird an diese Mitteilung der
ganze populäre Unsinn von bodenständigen Sitten und flüssigem Brot
aufgetischt und die in den Zahlen der Forschungsanstalt liegende
Mahnung dahin verwässert, daß man natürlich trotzdem trinken kann,
aber nur nicht zuviel. In demselben klaren Sinne des „einerseits
zwar — anderseits aber“ wird auch der Fasching besprochen: natür¬
lich sei unser Schicksal nicht dazu angetan, Feste zu feiern, aber
man könne nicht immer traurig sein. Mich erinnern diese Ergüsse
an den bekannten Manöverwitz von dem Geschützführer, der sagte:
„Schießen Sie ab, aber leise.“ Nämlich, es wird überall verschwiegen,
daß die großzügigen Hilfsaktionen der Amerikaner für unseren ver¬
elendenden Mittelstand aufgehört haben, und zwar, wie ich ausdrücklich
versichern kann, weil die München besuchenden Amerikaner vom
Freß- und Saufwettkampf des letzten Oktoberfestes derart erschüttert
waren, daß sie ihre Landsleute schleunigst davon in Kenntnis setzten
zum gefälligen Danachhandeln. All das war vorauszusagen; alles
Predigen aber ist umsonst. Das und Aehnliches gehört auch zu den
„Entgleisungen“, von denen der Briefsteller aus St. Louis vor kurzem
in dieser Wochenschrift schrieb. Sie schaden uns ungeheuer, be¬
sonders auch wegen des dabei zur Schau getragenen „Pfeifens“ auf
das Ausland.
Der Verein zur Bekämpfung der Tuberkulose hatte
1907 eine Fürsorgestelle eingerichtet, die bisher segensreich gearbeitet
hat. Nun fehlt es an Geld. Staat, Stadt, Landesversicherung müssen
ihre Zuschüsse um ein Mehrfaches erhöhen, wenn der Verein weiter¬
hin seine Tätigkeit aufrechterhalten soll. Vor dem Krieg hat der
Verein aus eignen Mitteln die Fürsorgestelle geschaffen. Ehe nun
die zur Unterstützung moralisch verpflichteten Körperschaften sich
zur Kostendeckung bereit erklärt haben, muß der Verein zur Auf¬
bringung der erforderlichen Mittel eine Sammlung einleiten. Von
dem städtischen Gesundheitsamt, in dessen Tätigkeitsbereich diese
Angelegenheit gehören würde, hört man nichts mehr. Es scheint
fast, als ob die heute besonders bei uns zeitgemäßen laudatores
temporis acti jeden Ansatz zu Neuem abdrosseln.
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSUM
März 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
299
Mit den einzelnen Krankenkassen wurden für die beiden letzten
Vierteljahre des vergangenen Jahres Teuerungszulagen ver¬
einbart. Für die Ortskrankenkasse belaufen sie sich für August und
September auf 35<>/o auf Einzelleitungen und Sonderleistungen, für
das 4. Vierteljahr 60o/ 0 . Der Sanitätsverband hat für jedes Viertel¬
jahr einen Zuschlag von 50<>4> auf das Pauschalhonorar und auf die
Sonderleistungen zugestanden; allerdings werden erst 25o/o dieser
Summen für das 3. Vierteljahr gezahlt; der Rest später, sobald es die
finanziellen Verhältnisse gestatten. Für das 1. Vierteljahr 1922 laufen
zunächst die Verträge weiter; eine Neuregelung des gesamten
Honorars, insbesondere die Aufstellung einer neuen Kraukenkassen-
gebührenOrdnung, steht bevor. Weiter wurde hinsichtlich der Karenz
Folgendes vereinbart: Ab 1.1. 1922 kommt die Karenzzeit für die¬
jenigen Aerzte in Wegfall, welche zur Zeit der Meldung mindestens
eine zehnjährige Dauer des Unterstützungswohnsitzes in München
nachweisen können.
Wie überall, beschäftigt auch uns lebhaft die Facharztfrage,
nachdem die Gründung des Verbandes der Fachärzte Deutschlands
erfolgt ist und dieser Verband seine bekannten Sätze aufgestellt hat.
Auf dem letzten bayrischen Aerztetag war Stauder gegen diese
Gründung aufgetreten und hatte besonders die Forderung nach einer
besonderen Vertretung der Fachärzte in der Leitung der deutschen
Aerzteorganisation bekämpft nach dem Gesichtspunkte, daß die Aerzte
nicht nur nicht sich weiter in Gruppen spalten, sondern das Gemein¬
same betonen sollten, gleichgültig, ob sie Landärzte, Fachärzte, Stadt¬
ärzte oder Amtsärzte sind. Im Bayer, ärztl. Korrespondenzblatt kommt
Dörfler (Weißenburg) vom Standpunkt des Landarztes auf dieses
Thema zu sprechen und lehnt die geforderte strenge Abgliederung
der Fachärzte nachdrücklich ab. Fiir den Landarzt und den Arzt
in kleinen Städten hält er den Arzt für den besten, der die Tätig¬
keit des Allgemeinpraktikers mit der des Facharztes verbindet. Die
schädliche scharfe Trennung zwischen Fachärzten und praktischen
Aerzten müsse verschwinden. Besonders wendet er sich gegen die
Forderung der Fachärztevereinigungen, wonach die Bezeichnung
Spezialarzt die Ausübung anderer Praxis ausschließt. Die Allgemein¬
praktiker schaden sich mit der Aufrechterhaltung dieser Bestim¬
mung, die eine große Begünstigung der Spezialärzte bedeute, ge¬
waltig. Er fordert, sie aus allen Standesordnungen wieder als nicht
mehr zeitgemäß auszumerzen. Im selben Sinne habe sich auch kürz¬
lich das mittelfränkische Kammerehrengericht ausgesprochen. Tat¬
sächlich gäbe es auch in Großstädten noch zahlreiche Arztschilder
mit der Bezeichnung „prakt. Arzt und Facharzt“, trotzdem seit
1909 durch die Standesordnung die Führung beider Bezeichnungen
verboten sei. Ferner wendet sich Dörfler dagegen, daß der Nach¬
weis einer entsprechenden Vorbildung, um sich Facharzt nennen zu
dürfen, einseitig durch eine mehrjährige Assistentenzeit nur erbracht
werden könne. Er meint, es sei oft genug bewiesen worden, daß
man auch auf anderem Wege diese Vorbildung erwerben könne,
z. B. durch energisches Selbststudium aus der allgemeinen Praxis
heraus. Er schlägt vor, daß das Recht, sich Facharzt zu nennen,
an die Entscheidung einer von der Standesvertretung für jeden
Regierungsbezirk aufgestellten Spruchinstanz gebunden sein solle.
Wenn, wie es tatsächlich vorkommt, ein Facharzt von der entsprechen¬
den Fachvereinigung nicht die Billigung findet, weil er nicht die
geforderte Anzahl Assistentenjahre aufweisen kann, obwohl er bereits
Jahre hindurch erfolgreich in seinem Teilfach tätig war, so muß das
einiges Kopfschütteln verursachen. Die warmherzigen Ausführungen
Dörflers werden in Bayern sicher nicht ungehört verhallen, und
bald dürften die Aerzte allerorts über die Facharztfrage verhandeln.
Wir Aerzte leiden unter demselben Uebel, wie zur Zeit alle Deutschen:
statt über noch so große Klüfte der Anschauung und Gruppen¬
doktrin hinweg das große Gemeinsame zu betonen, das uns schlie߬
lich alle verbindet, zersplittern wir uns in „Gruppenreaktionen“;
andersherum würde uns bald wohler werden. Taschenberg.
S. Alexander zum 70. Geburtstag.
Am 4. III. feiert der in den weitesten ärztlichen Kreisen, nicht
nur Berlins, hochgeschätzte und verehrte Kollege S. Alexander
seinen 70. Geburtstag. Viele Ehrungen, darunter die Ehrenmitglied¬
schaft der Berliner Medizinischen Gesellschaft, werden ihm darge¬
bracht, denen sich zum Schluß ein von dem Berliner ärztlichen
Orchester eingeleiteter Bierabend anreihen wird. Und wahrlich, wenn
einer, so hat Alexander solche Zeichen der Anerkennung in
höchstem Maße verdient. Welches Gebiet auch immer ärztliche
Interessen streift — in jedem ist Alexander nicht nur als Teil¬
nehmer tätig, sondern er steht überall an hervorragender Stelle, und
dank seinem scharfen Verstand, seiner ruhigen, überzeugenden Be¬
redsamkeit, seiner klugen Rücksichtnahme auf die von anderer Seite
vorgebrachten Gedankengänge, weiß er auch in Schwierigen Ver¬
handlungen Wege anzugeben, auf denen man an einem befriedigen¬
den Endziele anlangt. Von den vielen Gebieten seiner Tätigkeit will
ich nur folgende kurz anführen: Nachdem er lange Zeit Schriftführer
des Geschäftsausschusses der Berliner ärztlichen Standesvereine ge¬
wesen war, steht er seit Jahren in vorbildlicher Weise an seiner
Spitze. In der Aerztekammer ist er der Kassenführer, und die Bilanzen
und Voranschläge der Kammer sind früher nie so durchsichtig und
klar aufgestellt gewesen wie seit seiner Amtsführung, und das will
bei einem Voranschläge von mehr als 631400 M. etwas besagen.
Auf seine Veranlassung ist die Darlehnskasse der Kammer und das
Kuratorium für Kriegsentschädigung der Groß-Berliner Aerzteschaft
gegründet worden; in dem Vorstande der Unterstützungskasse kann
seine Mitarbeit kaum entbehrt werden. Bei der Kollektivsterbever¬
sicherung, die von der Versicherungskasse für die Aerzte Deutschlands
für die Groß-Berliner Kassenärzte gegründet worden ist, war seine
Meinung von ausschlaggebender Bedeutung. Für das Rettungswesen
hat er in der Berliner Rettungsgesellschaft und in deren Aerzteverein
erfolgreich gearbeitet, für das ärztliche Fortbildungswesen ist er
noch jetzt gern tätig. In der Kommission, die von Staats wegen für
die Vorbereitung des Strafgesetzbuches eingesetzt worden ist, hat
er die auf die ärztliche Tätigkeit bezüglichen Bestimmungen be¬
arbeitet, und jedem Besucher des letzten Karlsruher Aerztetages
ist gewiß noch der musterhafte Bericht im Gedächtnis, den er über
diesen Verhandlungsstoff geliefert hat. Das Feld seiner Betätigungen
ist damit noch lange nicht erschöpft. Leider ist seit kurzem seine
körperliche Gesundheit nicht mehr ganz fest, aber seine geistige
Arbeitsfrische und seine Arbeitsfreude hat darunter nicht im mindesten
gelitten. Und so wollen wir mit dem Wunsche schließen, daß er
seinen Freunden und der gesamten Aerzteschaft noch lange in
seiner Schaffenskraft erhalten bleiben möge. L. Henius (Berlin).
Schädigung von Kranken an Leib und Leben durch Ver¬
weigerung der Notstandshille während des Berliner Streiks.
Auf unseren in Nr. 7 S. 235 veröffentlichten Aufruf übersendet uns
Herr Prof. Schlayer, Dirigierender Arzt der Inneren Abteilung
des Augusta-Hospitals in Berlin, dankenswerterweise das folgende
Verzeichnis derjenigen Kranken seiner Abteilung, die durch den
Streik mehr oder weniger schwer geschädigt worden sind.
Wir hoffen, daß auch andere Aerzte, die über ähnliche Erfah¬
rungen verfügen, uns bald ihre Mitteilungen zugehen lassen
trotz der erfahrungsgemäß bedauerlichen Abneigung vieler gegen
Schreibarbeit. Hier handelt es sich um eine wichtige Auf¬
gabe im Interesse des öffentlichen Gesundheits¬
wesens und sonstigen Gemeinwohls. J.S.
1. Frau Tied..., Nierenentzündung: Erkältung infolge Ausfalls
der Heizung und schwerer Rückfall, Anstieg des Eiweißgehaltes im
Urin von 9%o auf 20 % 0 .
2. Frau Wil..., Darmtuberkulose: Erkältung infolge Ausfalls der
Heizung, Auftreten schwerer, das Leben direkt bedrohender Durch¬
fälle, während vorher nur ein Stuhlgang im Tag bestand.
3. Frau Cör..., eitrige Gallenblasenentzündung, Lungenentzün¬
dung: Auftreten hohen Fiebers und heftiger Gallenblasenkoliken in¬
folge Erkältung wegen Ausfalls der Heizung und der Unmöglichkeit,
heiße Umschläge zu machen. (Vorher war die Kranke beschwerde-
und fieberfrei.)
4. Frau Pli..., Gelenkrheumatismus: Infolge des Ausfalls der
Heizung hoher Fieberanstieg, während vorher die Kranke fieberfrei war.
5. Herr Ar..., Maschinist: schwerer Rückfall einer Periarthritis
destruens unter dem Einfluß ungeheizter Räume.
6. Herr Ka..., kaufmännischer Gehilfe: erneute polyarthritische
Beschwerden und Steigerung der Erscheinungen einer doppelseitigen
Lungenspitzenaffektion.
7. Herr W.., Bäcker: schwerer Rückfall einer Athetosis duplex
im 6° warmen Saal unter dem Einfluß der Kälte und der Unmög¬
lichkeit den Patienten zu baden.
8. Herr Wö..., Werkmeister: erneute schwere Fieberattacke einer
schon beruhigten Nierenbeckenentzündung im selben Saal.
9. Herr Wi..., Angestellter: Tod an Anämie infolge der Un¬
möglichkeit, rechtzeitig die notwendige Blutüberführung auszuführen.
(Keine Sterilisiermöglichkeit der Instrumente.)
10. Aus dem gleichen Grunde mußte bei etwa 10 Patienten von
intravenösen Einspritzungen abgesehen werden, wodurch sich der
Heilverlauf um mindestens 8 Tage verzögerte.
Es sind nur Patienten aufgeführt, die unzweifelhaft erheblich ge¬
schädigt wurden und der dritten Verpflegungskasse angehörten.
Kleine Mitteilungen.
— Berlin. In der Reichstagssitzung vom 24. v. Mts.
ist der Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Geschlechts¬
krankheiten dem Bevölkerungsausschuß überwiesen
worden. Ueber diesen Entwurf veröffentlichen wir in der nächsten
Nummer einen Aufsatz aus berufener Feder.
— Nachdem die Verhandlungen im Reichsarbeitsmini¬
sterium zwischen dem Hauptverband der Aerzte und
Krankenkassen zu einem Ergebnis nicht geführt hatten, traf der
Aerzteverband der Provinz Brandenburg ein Finigungsabkommen mit
der „Freien Vereinigung der Brandenburgischen Krankenkassen“. Die
Forderungen der Aerzte, welche sich im wesentlichen auf das lOfachc
der Friedenssätze beschränkten, obgleich die Berufsunkosten auf das
40fache gestiegen sind, wurden von den Kassenvertretern e i n -
stimmig abgelehnt.
— Am 18. II. fand in einer von etwa 700 Aerzten besuchten Ver¬
sammlung eine Verhandlung des Groß-Berliner Aerztebun-
des über die Familien Versicherung in Berlin statt. Nach einer
fast einjährigen Verhandlung mit den Kassenvor 9 tänden war es gelun¬
gen, über die Hauptpunkte ein Einverständnis zu erzielen und einen
Vertragsentwurf festzulegen, welcher die Unterlage für die Debatte
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
300
DEUTSCHE MEDIZINISCHE (WOCHENSCHRIFT
Nr. 9
der Versammlung bildete. Von grundsätzlicher Bedeutung in dem
Vertrage ist die bei der Pauschalbezahlung wichtige Bestimmung,
daß bei einer allgemeinen Epidemie, die zu einer vermehrten Inan¬
spruchnahme der Aerzte und dadurch zu einer Senkung des Wertes
des Monatsgutscheins führt, nach dem das ärztliche Honorar be¬
rechnet wird, der Wert auf die Höhe des normalen durchschnitt¬
lichen Behandlungswertes der vergangenen vier Vierteljahre erhöht
werden muß. Von weiterer grundsätzlicher Bedeutung ist die Be¬
stimmung, daß für die Behandlung von Familienangehörigen frei¬
williger Mitglieder, deren Oberhaupt erwiesenermaßen die Ein¬
kommensgrenze von 40000 Mark überschreitet, von den Kassen
das doppelte Honorar bezahlt werden muß. Durch diese Bestimmung
ist von den Kassen prinzipiell zugestanden worden, das eine ver¬
schiedene Bezahlung der verschiedenen Mitgliederkategorien mög¬
lich ist. Großer Widerspruch erhob sich gegen die im Vertrage ver¬
einbarte Festlegung des Honorars für die Behandlung der Familien¬
angehörigen, das das l,75fache des jeweiligen Versichertenpauschales
betragen soll; denn es wurde bezweifelt, daß eine solche Bezahlung
einen ausreichenden Ersatz für die Einbuße an Privatpraxis bieten
wird. Der Vertrag, der zunächst nur auf ein Jahr Geltung haben
soll, wurde angenommen, aber erklärt, daß eine dauernde Durch¬
führung der Familienversicherung nur möglich ist, vvenn die Be¬
zahlung eine sorgfältige Behandlung ermöglicht. Die Einführung der
Familienversicherung ist danach in Berlin zum 1. IV. zu erwarten.
— Zur Desinfektionsordnung vom 8 . II. 1921 hat der Mini¬
ster für Volkswohlfahrt unterm 7.1.1922 einen weiteren Erlaß heraus¬
gegeben. — Das Ministerium für Volkswohlfahrt hat unter dem 20 . I.
eine genaue Berichterstattung über Gang und Ausbrei¬
tung der Grippeepidemie angeordnet.
— Im Jahre 1921 wurden im Deutschen Reiche 533 Fleck¬
fieberfälle festgestellt gegen 1103 i. J. 1920. Die Mehrzahl der Er¬
krankungen (474) traten im Internierungs- und Durchgangslager auf.
Einheimische Zivilpersonen waren 23 fleckfieberkrank, 326 waren
Flüchtlinge, 106 internierte Russen, 71 ehemalige Soldaten und Heim¬
kehrer, 3 polnische Arbeiter.
— Die Erkrankungs - und SterblichkeitsVerhältnisse
der Arbeiter der Steinkohlenbergwerke in Preußen
i. J. 1919 ergeben nach dem Verwaltungsbericht des Allgemeinen
Knappschaftsvereins zu Bochum, dem Jahresbericht des Saarbrücker
Knappschaftsvereins und des Oberschlesischen Knappschaftsvereins
zu Tarnowitz eine Erkrankungszahl der oberschlesischen Bergarbeiter
von 46,2o/o, gegen 58,5<>/o der Bochumer und 64,1 o/o der Saarbrücker
Arbeiter. Jedoch darf daraus nicht der Schluß gezogen werden, daß auch
der Gesundheitszustand der erstgenannten ein dementsprechend besserer
gewesen sei. Im Jahre 1919 bestand beim Oberschlesischen Kuapp-
schaftsverein noch der Lazarettzwang — er ist inzwischen Ende 1919
zugunsten der freien Arztwahl aufgehoben worden —, während ein
solcher Zwang in den westlichen Knappschaftsvereineil nicht eingeführt
war. Es liegt aber die Annahme nahe, daß dieser Lazarettzwang auf
die Zahl der Krankmeldungen in Obersch’esien herabmindernd gewirkt
hat. Die Sterbezahlen errechnen sich für die oberschlesischen Berg¬
arbeiter auf 9,9 %o, für die dem Bochumer Verein angehörenden
auf 9,0°/oo und die im Saarbrücker Verein auf 4,3 %o (gegenüber
7,6 % 0 für die versicherungspflichtigen männlichen Mitglieder der
Leipziger Ortskrankenkasse). Unter den einzelnen Erkrankungen
kamen in erster Linie die Erkältungsleiden in Frage. Tuberkulose
schwankte zwischen 2,7 % 0 und 8,4 %ot Tod an Tuberkulose wurde
bei 1,8 °/ 00 bzw. 2°/oo festgestellt, die Anchylostomiasis kam in 0,04
bis 0,2°/o 0 zur Beobachtung.
— Das neue Staatskrankenhaus der Schutzpolizei in
der Schanihorststraße verfügt über 450 Betten. 50 Betten sind für die
Reichswehr vorgesehen. Innerhalb der Berliner Polizei stehen für den
Gesundheits- und Krankendienst 29 Aerzte, 2 Zahnärzte, 2 Apotheker
und 150 Sanitätspolizeibeamte zur Verfügung. Für den Sanitätsaußen¬
dienst sind vier Bezirke mit 18 Polizeisanitätsstellen und 10 Polizei¬
ärzten vorgesehen.
— Ueber die Bewertung deutscher Universitätsstu-
dien, akademischer Grade und Zeugnisse bei Einwoh¬
nern der Kreise Eupen und Malmedy erließ der belgische
Kommissar eine Verordnung, in der es u. a. heißt: Die Medizinal¬
personen, welchen ich die Ermächtigung erteile, weiterhin ihren
Beruf in den Distrikten Eupen und Malmedy auszuüben, können, wie
bisher, in einem Umkreis von fünf Kilometern von der Grenze prakti¬
zieren, ohne jedoch Atteste ausstellen zu dürfen. (!)
-— In der Reichstagssitzung vom 21. II. 1922 wurde auf eine An¬
frage hin mitgeteilt, daß der Beginn des Schuljahrs nach
einer Vereinbarung der Länder einheitlich auf das Frühjahr
festgesetzt worden ist. Dieser Beschluß hat zur Folge, daß die
Abiturienten jetzt nur noch zu einem Zeitpunkt die Universität
aufsuchen werden. Damit entfällt für das Medizinstudium so manche
Schwierigkeit in der Aufstellung des Lehrplans.
— Wie das Völkerbundssekretariat mitteilt, hat die französische
Regierung den Präsidenten des Völkerbundes ersucht, in Warschau
eine europäische Konferenz zur Bekämpfung der sani¬
tären Gefahren in Osteuropa einzuberufen, an der alle
Staaten, die sich für diese Frage interessieren, durch Fachleute ihres
Gesundheitsamtes vertreten sein sollen.
— Nach den Veröffentlichungen der Hygienischen Sektion
des Völkerbundes hat in Rußland im Sommer 1921 eine sehr
heftige Choleraepidemie geherrscht. Rückfallfieber ist sehr
verbreitet. Die Zahl der amtlich angegebenen Fleckfiebererkran¬
kungen beträgt viele Millionen. In einzelnen Distrikten ist diese
Seuche augenblicklich noch im Zunehmen begriffen. Die an sich
hohen Pockenzahlen verschwinden dem Fleckfieber gegenüber.
Außerdem herrscht noch der Skorbut epidemisch, namentlich in
der Roten Armee, und über die eigentlichen Hungererkrankungen
und Hungertodesfälle liegen zahlenmäßige Mitteilungen überhaupt
nicht vor. Cholera und Fleckfieber wüteten am stärksten in den
eigentlichen Hungerdistrikten, dann aber auch gerade in den west¬
lichen, an Polen grenzenden russischen Provinzen.
-- ln der Generalversammlung der Berliner medi¬
zinischen Gesellschaft am 22.11. wurde Geh.-Rat Kraus als
Nachfolger von J. Orth mit überwältigender Mehrheit zum 1. Vor¬
sitzenden gewählt. (Die Wahl der anderen Vorstandsmitglieder wurde
wegen der vorgerückten Zeit vertagt.)
— Unserem sehr geschätzten Mitarbeiter Geh.-Rat S. Alexan¬
der sprechen wir auch an dieser Stelle zu seinem 70. Geburtstag
(am 4. III.) unsere w'ärmsten Glückwünsche aus.
— Die 46. Tagung der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie findet
vom 19 .— 22 . IV. in Berlin (Langenbeck-Virchow-Haus) statt. Ankündigung
von Vorträgen ist bis 1 . III. an den Vorsitzenden Geh.-Rat Hildebrand
(Berlin-Grunewald, Herbertstr. 1) einzusenden. Als Hauptthemata sind zur Be¬
sprechung aufgestellt: Die experimentellen Grundlagen der Wunddesinfektion
(Ref.: Prof. Neufeld [Berlin]), Die chirurgische Alüemeininfektion (Ref.: Prof.
Lexer [Freiburg]), Die Bedeutung der histologischen Blutuntersuchung (Ref.:
Dr. Stahl [Berlin]), Die Muskelverpflanzung (Ref.: Prof. Wullstein [Essen]).
Von auswärts kommende Kranke können nach vorheriger Anmeldung in der
Chirurgischen Universitätsklinik (Berlin N. 24, Ziegelstr. 5—9t oder in der
Chirurgischen Universitätsklinik der Charite, Schumannstr. 20 — 21 ) Aufnahmefinden.
— Die dreizehnte Tagung der Deutschen Röntgen-Gesellschaft
wird vom 23-—25- IV. in Berlin (Langenbeck-Virchow-Hause) stattfinden. Vor¬
tragsanmeldungen werden spätestens bis 1 . 111. an den Vorsitzenden Priv.-Doz.
Franz Groedel, Frankfurt a. M., Hospital Zum Heiligen Geist, erbeten.
Mit dem Kongreß wird eine Ausstellung verbunden sein (Anmeldungen dazu
an Direktor Hirschmann, Berlin N. 24, Ziegelstr. 30).
— Die diesjährigen Jahresversammlungen des Deutschen
Zentral-Komitees zur Bekämpfung der Tuberkulose finden vom
17 .— 19 . V. in Bad Kosen statt. Am 1 . Tag wird die Tuberkulose-Aerzte-
Versammlung (nur für Aerzte) abgehalten werden, am 2 . Tage die General¬
versammlung und die Ausschußsitzung jind am 3- Tage je eine Sitzung der
Mittelstands-, Lupus- und Fürsorgestellenkommission.
— Die Vereinigung der Deutschen medizinischen Fachpresse
beabsichtigt zur Ersparung von Arbeitskraft und Kosten auch in diesem Jahr
gemeinsame Kongreß-Berichte herauszugeben und bittet die Redaktionen,
die sich an dem Bezug dieser Berichte beteiligen wollen, dem Schriftführer
Prof. F in der, Berlin W 50 , Augsburgerstr. 38 , ihre Wünsche mitteilen zu wollen.
— Für die Bibliothek der Berliner Medizinischen Gesellschaft
sind zum Zwecke des Ankaufs ausländischer Literatur von einer An¬
zahl von Kollegen etwa 27000 Mark gestiftet worden.
— Wir werden gebeten bekannt zu geben, daß Generaloberarzt Dr. Cor¬
nelius am 3- III. abends 8 Uhr im physikalischen Hörsal der Kaiser Wilhelms-
Akademie einen Vortrag über: die Bedeutung der Nervenpunktmas-
sage halten wird.
— Pocken. Deutsches Reich (22.—28.1.): 1.— Fleckfieber. Deutsches Reich
(22.—28.1. mit Nachträgen): 51 (sämtlich bei Ausländern oder Heimkehrern). — Ge¬
nickstarre, Deutsches Reich (15.—21.1.): 24. — Ruhr. Deutsches Reich (15.-121.L) :
48. — Abdominaltyphus. Deutsches Reich (15.—21.1.): 121.
— Chemnitz. Vom 6 .—11. UI. 1922 wird hier ein Lehrgang
für Aerzte über Schulgesundheitspflege abgehahen.
— Hochschulnachrichten. Bonn. Prof. Wilhelm Trendelen¬
burg (Tübingen) ist zum Nachfolger Verworns auf dem Lehrstuhl
der Physiologie ausersehen. Prof. Paul Trendelenburg, Ordinarius
für Pharmakologie in Rostock, hat einen Ruf als Nachfolger von
Geh.-Rat Leo erhalten. — Breslau. Dr. Lingelsheim, Assistent
am Botanischen Garten, hat einen Lehrauftrag für Arzrieidrogenkunde
erhalten. — Frankfurt a. M. Dr. Sch er r hat sich für Kinderheil¬
kunde habilitiert — Göttingen. a. o. Prof.'Euler, Direktor des Zahn¬
ärztlichen Instituts, wurde zum o. Professor ernannt. — Heidelberg.
Der alle drei Jahre zu vergebende Kuß maul-Pr eis für Verdienste
um die Heilkunde wurde Prof. Sauerbruch zuerkannt — Kiel.
Priv.-Doz. Schütz, Assistent am Hygienischen Institut, hat einen Lehr¬
auftrag für Soziale Hygiene erhalten. Prof. Pütter (Bonn) (vgl. Nr. 3
S. 104) wurde zum Abteilungsvorsteher am Physiologischen Institut und
zum Ordinarius ernannt — München. Dr. Georg Schmidt, Ober¬
arzt der Chirurgischen Klinik, hat sich habilitiert Priv.-Doz. Al brecht
wurde zum Leiter des Krankenhauses des Roten Kreuzes ernannt —
Rostock. Dr. Schwarz und Dr. Eggers, Assistenzärzte an der
Chirurgischen Klinik, haben sich habilitiert — Würz bürg. Priv.-Doz.
Baerthlein wurde zum a. o. Professor ernannt. —Wien. Dr. Lugerhat
sich für Interne Medizin, Dr. Gottlieb für Zahnheilkunde, Dr. Stern
für Laryngo-Rhinologie mit besonderer Berücksichtigung der Phoniatrie,
Dr. Freund für Interne Medizin und Dr. Gerstmann für Psychiatrie
und Neurologie habilitiert. — Basel. Dr. Schüttler hat sich für Hals-,
Nasen- und Ohrenkrankheiten habilitiert
—Gestorben. Geh.-RatProf Lin dner, früher langjäh rigerDirektor
der Chirurgischen Abteilung des Berliner Augusta-Hospitals, bis Herbst
1921 Dirigierender Arzt der Chirurgischen Abteilung des Dresdener
Stadtkrankenhauses Friedrichstadt, im Alter von 70 Jahren am 17. II.
in Dresden. — Dr. Julius Heitzmann, der gemeinsam mit seinem
Bruder Carl Heitzmann den bekannten Anatomischen Atlas heraus¬
gegeben hatte, im 72. Lebensjahre in Wien.
Digitized b'
Google
Original from
CORNELL UN6VERSSTY
LITERATURBERICHT
Redigiert von Prof. Dr. R. von den Velden.
Allgemeines.
♦♦ Rudolf Tischnor (Mönchen), Monismus und Okkultismus.
Leipzig, Oswald Mutze, 1921. 103S. Ref.: Prof. Dr. phil/Max Dessoir
(Berlin).
Der Verfasser glaubt, daß der Okkultismus zu seinem Schaden
stark vom materialistischen Monismus beeinflußt sei und will ihn in
nähere Verbindung mit der idealistischen Philosophie bringen. Er
meint damit nicht den ^transzendentalen Idealismus, den er übrigens
fälschlich psychologisiert, sondern eine ziemlich unbestimmt bleibende,
jedenfalls dem Mechanismus und Materialismus entgegenstehende Welt¬
anschauung. Ihr Hauptmerkmal ist, daß sie die Parallelität des Seelischen
mit dem Körperlichen verwirft und neben wenigen physischen „Urding-
arten" viele seelische „Letztheiten" annimmt. Es gibt ein „überindivi¬
duelles Seelisches" (wie im Anschluß an den Münchner Philosophen
Becher behauptet wird), mit dessen Anerkennung sich allerdings die
okkulten Erscheinungen besser erklären lassen als mit irgend einer
physikalischen Theorie. '_
Physiologie.
♦♦ J. v. Uexküll, Umwelt und Innenwelt der Tiere. 2 . Aull.
Berlin, J. Springer, 1921. 224 Seiten mit 16 Abbildungen. M. 48.— #
Ref.: Schaxel (Jena).
Uexküll hat die Ueberzeugung, daß Planmäßigkeit die Grund¬
eigenschaft der Organismen ist. Neocn Driesch ist er der gründ¬
lichste Vertreter des kategorischen Vitalismus, der die Eigengesetz-
lidikeit des Lebens als Denknotwendigkeit lehrt. In dem vorliegenden
Buche wird an sorgfältig gewählten, aus eigener Forschung ge¬
wonnenen Beispielen die Bedeutung des Bauplanes gezeigt. „Ueber
der Innenwelt und der Umwelt steht der Bauplan, alles beherrschend.
Die Erforschung des Bauplanes kann Uexkülls Ueberzeugung nach
allein die gesunde und gesicherte Grundlage der Biologie abgeben.
Sie führt auch Anatomie und Physiologie wieder zusammen zu er¬
sprießlicher Wechselwirkung.“ Ein jedes Tier bildet den Mittelpunkt
seiner Umwelt, der es als selbständiges Subjekt gegenübertritt. Der
Beobachter schneidet aus seiner Erscneinungswelt durch Erforschung
der Funktionskreise des Tieres dessen Umwelt aus. Dem ineinander-
greifenden Gefüge von Merkwelt und Wirkungswelt des Tieres einer¬
seits und der Gegenwelt anderseits liegt eine allumfassende Plan¬
mäßigkeit zugrunde. Durch die vollkommene Einpassung in seine
Umwelt ist das Tier sein Lebtag wie in ein undurchdringliches
Gehäuse eingeschlossen. Dem Beobachter geht es nicht anders: „Die
Erscheinungswelt eines jeden Menschen gleicht ebenfalls einem festen
Gehäuse, das ihn von seiner Geburt bis zum Tode umschließt.“ —
Daß Uexkülls theoretische Biologie unter den umlaufenden und
möglichen Auffassungen nicht die gewiß richtige ist, mag aus des
Referenten Grundzügen der Theorienbildung in der Biologie (2. Auf¬
lage, Jena 1922) ersehen werden.
Abderhalden und E. Wertheimer, Nahnrogsstoffe mit spezi¬
fischer WirkMg. Vll.u.VIII. Mitt. Pflüg.Arch. 191 IX.u.X.Mitt., ebenda
192 H. 4/6. 1 . Es wurde der Einfluß von Aminosäuren, Fetten, Fett¬
säuren, Oxysäuren, Ketosäuren, Aldehyden, ungesättigten Säuren,
fruktose-dipnosphorsaurem Natrium, von Phosphatiden, Koffein und
Arseniat und einer Reihe als antiskorbutisch bekannten Pflanzenstoffen
auf die Gewebeatumng bzw. Zellatmung von roten Blutkörpern,
Leber-, Nieren-, Lungen- und Muskelzellen untersucht; die Ergebnisse
werden übersichtlich mitgeteilt. Zitronensaft und Sauerampferextrakt
wirkten deutlich. Groß ist die Wirkung der Hefeextrakte auch auf
die Zellatmung der Hefezellen selbst. Diffuses Licht steigert den
Sauerstoffumsatz der roten Blutzellen, wenn Eosin gegenwärtig ist.
Starkes Sonnenlicht hemmt ihn. 2. Trockne Hafernahrung macht bei
Meerschweinchen neben Skorbutveränderungen Krämpfe. Diese, ebenso
wie der Gaswechsel, werden durch Antiskorbutika nicht beeinflußt,
wohl aber durch Hefeautolysate. Versuche mit Zystinester, Federn¬
pepton und Haarextrakt ergaben keinen Anhalt dafür, daß es (im
Sinne von Zuntz) gelingt, aas Wachstum der einzelnen Haare durch
Zufuhr aus ihnen oder der Haut stammender Produkte zu befördern.
3. Bei den mit geschliffenem Reis gefütterten und an den Folgen
davon (die nicht einfach als „Polyneuritis“ zu bezeichnen sind)
leidenden Tauben ist die Zahl der roten Blutkörper bis auf die
Hälfte, der Hämoglobingehalt ebenso oder etwas weniger stark ver¬
mindert. 4. Bei solchen Tieren, ebenso an Meerschweinchen mit
Skorbut- und Krampferscheinungen, ist neben der Gewebeatmung der
gesamte Stoffwechsel und die Körpertemperatur herabgesetzt.
O. Meyerhof (Kiel), Eoergienmwandliingen im Muskel. V. Mitt.
Pflüg- Arch. 191. Aus der maximalen Milchsäureproduktion bei der
isotonischen und isometrischen Arbeitsleistung bis zur Ermüdung und
der gemessenen effektiven Arbeitsleistung läßt sich der Wirkungs¬
rad des Muskels, soweit nicht oxydative Prozesse in Frage kommen,
erechnen. Theoretisch zu erwarten sind 47o/o. Gefunden wird meist
etwas weniger. Der oxydative Wirkungsgrad ist halb so groß, also
bestenfalls 20—24. Aehnliche Ergebnisse wie am Frosch lieferten
auch einige orientierende Versuche am Meerschweingastroknemius.
Hans H. Weber (Rostock), Lösuog der Muskelstarre. Pflüg.
Arch. 191. Osmometerversuche mit für Eiweiß fast völlig undurch-
gängigen, für Wasser und Salze durchgängigen Kollodiummembranen
ergaben, daß für die Starrelösung Entquellung nicht in Frage kommt,
da bei Ausschaltung des Eiweißverlustes die Quellung des Muskels
dauernd zunimmt. Etwa auftretende Eiweißgerinnung führt keine Ent¬
quellung herbei, sie vollzieht sich nur an den Neutralpartikeln, die an
der Wasserbindung des Muskels nicht meßbar beteiligt sind. Die
Lösung der Starre beruht auf einer durch Milchsäurehäufung bedingten
Zerquellung der kontraktilen Substanz.
H. Winterstein (Rostock), Totenstarre. Pflüg. Arch. 191. Durch
Herausdiffundierenlassen der jMilchsäurc wird das Totenstarrwerden
des Muskels auch bei Sauerstoffabschluß verhindert. Es beruht also
auf Ansammlung der Milchsäure.
R. H. Kahn (Prag), Scbilddrusenfüttennig an Wirbellosen« Pflüg.
Arch. 192 H. 1/3. Das Wachstum und die Differenzierung von In¬
sektenlarven wird durch Beibringung von Schilddrüsensubstanz nicht
beegjflußt, wie es bei Wirbeltieren bekannt ist.
M. v. Kühle wein (Utrecht), Cholio als Hormon der Darmbewegung.
V. Mitt. Pflüg. Arch. 191. Intravenöse Injektion von 5 bis 15 mg
Cholinhydrochlorid pro Kilogramm Körpergewicht wirkt bei der
Katze heilend auf die nach zweistündiger Chloroformnarkose ein-
tretendc Magendarmlähmung und hat auch sonst nur günstigen,
keinerlei schädlichen Einfluß. Die Dickdarmbewegung ist manchmal
etwas verstärkt. Der Cholingehalt des Katzendarms selbst wurde
durch Chloroformnarkose nicht geschädigt gefunden.
F. Bilski (München), Suprarenin und Wachstum der Kaulquappen.
Pflüg. Arch. 191. Suprarenin, im umgebenden Medium gelöst, hat eine
wachstumsfördernde Wirkung auf Kaulquappen, auch dann noch, wenn
es in gewissem Grade durch Oxydation verändert ist. Im übrigen
ist die Konzentration für die Stärke dieser Wirkung maßgebend.
Th. Barsony (Budapest), Pylorusrhythmns. W. kl. W. Nr. 4.
Die rhythmische Erweiterung und Verengerung des Pylorus wird von
der rhythmischen Druckveränderung im Antrum und nicht vom Duo¬
denalreflex unmittelbar reguliert.
P. Junkersdorf (Bonn), Physiologie der Leber. IV. Mitt. Pflüg.
Arch. 192 H. 4/6. Durch unphysiologische Eiweißzufuhr kann der
Glykogenbestand der Leber und Muskeln erheblich vermindert werden.
Offenbar handelt es sich um eine spezifische Wirkung von Eiw r eiß-
produkten. Dabei findet Zunahme des Fettgehaltes der Leber statt;
das Fett entsteht wahrscheinlich in den Leberzellen selbst aus Kohlen¬
hydrat. Die Giftwirkung unphysiologischer Abbauprodukte spricht
dafür, daß normalenveise der Eiweißabbau bei der Verdauung und
Resorption bis zu den Aminosäuren geht.
W. Parrisius (Tübingen), Kontraktilität der Kapillaren. — E.
Lennartz (Hückelhoven), Reaktion der Kapillaren auf mechanische
Reize. Pflüg. Arch. 191. Parrisius beobachtete an sich selbst die
Hautkapillaren des NagelfaJzes mit dem Binokularmikroskop nach
O. Müller und .gelangte zur Sicherstellung ihrer Kontraktion, für
die er zahlreiche höchst lehrreiche Abbildungen gibt. Lennartz
untersuchte in gleicher Weise Nichtschwangere, schwangere Frauen
und Wöchnerinnen und fand, daß in allen Fällen auf sensible Haut-
bzw r . Schmerzreize Erweiterung der Kapillaren zu beobachten ist.
Allgemeine Pathologie und Pathologische Anatomie.
44 E. Nauwerck (Chemnitz), Sektionstechnik für Studierende
und Aerzte. 6 . Aufl. Jena, G. Fischer, 1921. 319 Seiten mit
124 Abbildungen. M. 53.—. Ref.: Groß (Greifswald).
Die sehr gute, mit anschaulichen Abbildungen ausgestattete Sek¬
tionstechnik von Nauwerck bringt auch in der 6. Auflage mehrere
sehr erwünschte Zusätze und Neuerungen, besonders eine Darstellung
von Pick über die Herstellung und Aufstellung von Sammlungs¬
präparaten. Das Buch ist nicht nur eine sehr empfehlenswerte An¬
leitung für den Anfänger, auch der Geübte, der rasch über Einzel¬
heiten seltener geübter Verfahren nachsehen will, findet zuverlässige
Auskunft.
E. Szaß, Allergie oder Allergie? Zschr. f. Tbc. 35 H. 5. Verfasser
tritt dafür ein, nur die primären Zeichen der veränderten Reaktivität
als Allergie zu bezeichnen, die Folgen dieser Zustandsänderung aber,
wie das Fieber streng davon zu trennen. Die Differenzen zwischen den
Allergisten und Anergisten erklären sich aus der Verschiedenheit der
verwandten Präparate. Mit dem Tuberkulin und dem Partigen L muß
Anergie erstrebt werden, mit den andern Partigenen Allergie.
B. Hirschowitz,Beziehungder Tuberkulose zu Karzinom, Ulcus
ventriculi-Kyphoskoliose. Zschr. f. Tbc. 35 H. 6. Die unter Gohnan-
gefertigte Arbeit verwertet 4730 Sektionsberichte. Karzinom und Tuber¬
kulose iin gleichen Organ wurden in keinem Falle gefunden. Karzinom
ist neben aktiver Tuberkulose sehr selten, bei inaktiver Tuberkulose
häufig. Zwischen Tuberkulose- und Krebssterblichkeit eines Landes
besteht ein gegensetzliches Verhalten. Magengeschwüre fanden sich
bei Erwachsenen neben Tuberkulose in 4,9V 0 . Die Ursache wird in
gleichsinniger Körperanlage gesehen. Kyphoskoliose kommt selten
neben Tuberkulose vor. Die Sterblichkeit ist bei Verwachsenen für
Tuberkulose kaum halb so groß als bei anderen.
A. Lemmel, Bedeutung der Dopa-Reaktion für die Beurtei¬
lung der Melanome. Zbl. f. Path. 32 Nr. 4. Untersuchungen an Haut-
und Augenmelanomen und einigen Nävi bestätigen die Ansicht Heu-
dorfers, daß der positive Ausfall der Dopa-Reaktion mit einem fer¬
mentativen Vorgang nichts zu tun hat und daß sie nicht spezifisch für die
Pigmentbildung in den Epidermiszellen ist. Die Dopa-Reaktion läßt sich
daher nicht für die epitheliale Abstammung der Hautmelanome verwerten
Digitized by Google
Original from
CORUELL UNIVERSITY
302
LITERATURBERICHT
W. A. Brams, Spontananastomose zwischen Wannfortsatz und
Ileum. Zbl. f. Path. 32 Nr. 2. Seit- zu Seit-Anastomose zwischen Ileum
und Wurmfortsatz bei einem 44 jährigen Manne, spontan entstanden.
Zufälliger Befund bei der Sektion. Oute Abbildung.
Rheindorf, Bemerkungen zu Staemmlers Mitteilung: „Zur
Frage der Bedeutung der Helminthen für die Entstehung der Appen¬
dizitis 4 '. (Zbl. f. Path. 31 Nr. 15.) Zbl. f. Path. 32 Nr. 4. Rheindorf
sieht in den Ausführungen Staemmlers-.eine Bestästigung seiner An¬
sichten über die Rolle der Helminthen bei der Appendizitis.
H. Boehm. Multiple Divertikel des Colon sigmoideum mit me¬
tastatischen Leberabszessen. Zbl. f. Path. 32 Nr. 2. Sogenannte falsche
Divertikel des S-Romanum hatten zu einer phlegmonösen Entzündung
der ganzen Wand und metastatischen Leberabszessen Anlaß gegeben.
Ph. Schwarz, Geburtsschädlgungeu des Gehirns und die Vir-
chowsche Encephalitis interstitialls neonatorum. Zbl. f. Path. 32 Nr. 3.
Systematische Untersuchung von 65 Gehirnen Neugeborener und etwas
älterer Kinder zeigen in jedem Falle regressive Gehirnveranderupgen.
Diese werden zurückgeführt auf Druckdifferenzen, denen die Frucht
während der Austreibungsperiode ausgesetzt ist. Die von Virchow
als „Encephalitis interstitiahs" bezeichneten Bilder werden danach nicht
als die Folgen eines bakteriell-toxisch-entzündlichen Prozesses, sondern
als Resultat der Geburtsschädigung aufgefaßt.
Allgemeine Therapie.
++ Heinrich Kraft und Helene Kraft, Qesunde Küche. Lehr¬
buch richtiger Ernährung und Speisenbereitung. Stuttgart,
Union, Deutsche Verlagsgesellschaft, 1921. 352 S. geh. M. 38.—.
Ref.: H. Strauß (Berlin).
Das vorliegende Buch, das sich als Geschenk auch für Aerzte
eignet, zerfällt in einen theoretischen und einen praktischen Teil. Der
theoretische Teil beschäftigt sich mit Küchenphysik und Küchen¬
chemie, Nahrungsphysiologie und allgemeiner Küchentechnik. Der
praktische Teil enthält eine große Reihe erprobter Kochrezepte. Das
durch die gemeinsame Arbeit des früheren Leiters des Lahmannschen
Sanatoriums und seiner bereits durch ein Kochbuch für Diabetiker
auch in ärztlichen Kreisen bekannt gewordenen Gemahlin entstandene
Buch bringt die küchentechnische Seite des Gebietes dem ärztlichen
Publikum und die wissenschaftliche Seite der Kochkunst und der Er¬
nährung dem Laienpublikum in gehobener Form näher und darf in¬
folgedessen in keiner Weise mit gewöhnlichen Kochbüchern ver¬
glichen werden. Infolge der Eigenart seines Inhaltes ist dem Buche
eine weite Verbreitung zu wünschen.
Stöcker und Mahlo (Hamburg), Esalcopat. Ther. d. Gegenw.
H. 12. Extract. salviae compos. (Esalcopat) ist eine dunkelbraune,
klare, aromatisch riechende und schmeckende Flüssigkeit, die sich in
Zuckerwasser angenehm nehmen läßt. Es kann mit Heroin, Codein,
Morphium, mit Sirup. Kal. sulfoguajacol. oder Infus. Ipecac. genommen
werden; ebenso eignet es sich als Teeaufguß oder Tinktur, namentlich
bei phthisischen Nachtschweißen.
S. Lissau (Reichenberg), Jod-Ichthyolanstrich. Ther. d. Gegenw.
H. 12. Astaphylol (Jodtinktur mit Ichthyol, flüssiger Teer, Kampher
und Perubalsam) eignet sich bei Pyodermien und Furunkulose. Fabri¬
kant Johann Verfürth, Pharmazeutische Fabrik, München.
K. Wohlgemuth (Berlin), Intravenöse Kampherölinjektion. Ther.
d. Gegenw. H. 12. Da die subkutanen Oeldepots nur sehr langsam
sich resorbieren und oft schmerzhafte Kampherabszcsse entstehen, ist in
dringenden Fällen die intravenöse Einspritzung zu empfehlen; dabei
wird mit weit geringerer Dosis eine viel intensivere Wirkung erzielt.
C. Winkler (Nauheim), Nitroglyzerin-Darreichung. Ther. d.
Gegenw. H. 12. Empfehlung der Darreichung von Nitroglyzerin in
Gelatinekapseln. Sie werden von Pohl (Danzig-Langfuhr) hergestellt
und enthalten 0,008 Nitroglyzerin in ätherischer Lösung. Sie sollen
noch durch Zusatz von Pfefferminzöl schmackhaft gemacht und in
verschiedenen Stärken hergestellt werden.
Innere Medizin.
♦♦ Herrn, v. Hayek (Innsbruck), Das Tuberkuloseproblem.
2 . Aufl. Berlin, J. Springer, 1921. 391 Seiten mit 46 Abbildungen.
M. 78.—. Ref.: Grau (Honnef).
Das Buch v. Hayeks hat sich rasch verbreitet und erscheint nun
in zweiter Auflage. Verschiedene Kapitel sind neu bearbeitet und er¬
weitert. So ist das Problem der Disposition neu geschrieben und
bringt den Standpunkt des Verfassers, daß unter den landläufigen
Begriff der Disposition vielfach die Frühstadien des Tuberkulose¬
ablaufs fallen, und daß der Begriff der Disposition einer strengen
Begrenzung bedarf, zu überzeugender Darstellung. Die Lehre von
der Phthiseogenese ist den neuzeitlichen Anschauungen entsprechend
ausführlich abgehandelt. Neu hinzugekommen ist die Uebersicht über
die Strahlenbehandlung, ferner eine Würdigung der jetzt auch von
dem Verfasser in ihrem Werte erkannten Röntgendiagnostik. Die Be¬
handlung nach dem Petruschkischen Perkutanverfahren wurde berich¬
tigt. In der Kritik der Heilstättenbehandlung, die ja seit einigen Jahren
eine beliebte Modesache ist, bleibt neben manchem gewiß Berechtigten
die tendenziöse Schärfe des Verfassers bedauerlich, die ihn an einigen
Stellen offensichtlich gegen die Logik verstoßen läßt. Vielleicht ent¬
schließt sich der Verfasser bald zu sachlicherem Verfahren. Wissen¬
Nr.9
schaftliche Kritik soll vor allem objektiv bleiben. Bedauerlich ist auch
die Erfindung der neuen Zeichensprache, obgleich in Deutschland
eine allgemein angenommene besteht. Im übrigen hat die zweite
Auflage des Buches durch die Umarbeitung an weiterer Auffassung
des Gegenstandes, Klarheit der Darstellung und Ueberzeugungskraft
wesentlich gewonnen. Dem in der spezifischen Behandlung Er¬
fahrenen ist das Lesen des Buches eine Freude, dem Lernenden wird
es unentbehrlicher Ratgeber werden, der ihm über die Grundfragen
der spezifischen Behandlung, ihre Richtlinien und vor allem die
Differenzierung des immunbiologischen Vorgehens klare Anweisungen
gibt. Das Buch bedeutet einen wirklichen Fortschritt.
L. Dünner (Berlin), Perikarditis. Ther. d. Gegenw. H. 12. Schil¬
derung der feineren Diagnostik und besonders wichtiger und charak¬
teristischer Symptome und der verschiedenen therapeutischen Methoden,
je nachdem es sich um akute oder chronische Zustände handelt; auch
geburtshilfliche und berufliche Fragen, die Rücksichtnahme verdienen,
werden erörtert.
W. Nyiri (Wien), Klinische Verwendbarkeit und Hand¬
habung des Ureometers von Ambard-Hallion. W. kl. W. Nr. 4. Der
handliche Apparat ist sehr brauchbar.
Erna Herrmann (Berlin), Sanarthrltbehandlnng chronischer
Gelenkaffektionen. Ther. d. Gegenw. H. 12. Auf Grund klinischer
Beobachtungen wird neben der Sanarthritbehandlung, namentlich in
den Pausen zwischen den Injektionen, Bewegung, Massage, Thermo-
therapie empfohlen.
Bor berg, Histologische Untersachnngen der endokrinen Drüsen
bei Psychose. Arch. f. Psych. 63 H. 2/3. Bor berg hat umfangreiche
anatomische Untersuchungen der endokrinen Drüsen bei Psychoseu
gemacht, wobei er keine klaren Ergebnisse erzielen konnte. Trotzdem
glaubt er, daß die endokrinen Veränderungen zweifellos für einen Teil
der Psychosen eine ursächliche Bedeutung haben. Ferner zeigten die
Untersuchungen, daß mit Abderhaldens Methode keine weitgehen¬
den Schlüsse gezogen werden können, da er häufig tiefgehende Ver¬
änderungen in den Drüsen beim heilbaren manisch-depressiven Irresein
und normale Organe bei Verblödungspsychosen gefunden hat.
Karl Landauer, Psychiatrische Beobachtungen beim Grippe¬
schab im Spätwinter 1920. Arch. f. Psych. 63 H. 2/3. Landauer
ergänzt die ziemlich reiche Literatur auf diesem Gebiet noch durch
einige eigene Beobachtungen, aus denen hervorgehoben sei, daß er
3mal epileptische Krämpfe im Anschluß an eine Enzephalitis gesehen
hat. Ziemlich häufig waren choreatische und myoklonische Zustände.
Die Schlafzustände betrachtet Landauer als Allgemeinsymptome. Unter
den psychischen Fällen sind manische und akut deliriöse Zustände
hervorzuheben.
Joseph M. Kill, Verlanfsart beim maoisch-depresslven Irreseia.
Arch. f. Psych. 63 H. 2/3. Kill bestätigt auf Grund von 24 Fällen, die
in der Hertz sehen Anstalt in Bonn beobachtet wurden, daß das weib¬
liche Geschlecht mehr zu manisch-depressivem Irresein neigt und auch
die Rasse eine gewisse Rolle zu spielen scheint (Juden). Einen Zusammen¬
hang mit Ursachen irgendwelcher Art und dem Anstaltseintritt konnte
Kill kaum nachweisen. 80°/ 0 der Kranken war erblich belastet. Eine
heilende Wirkung von Organpräparaten oder anderen Maßnahmen
konnte Kill nicht nachweisen. Vom Verlauf der Fälle läßt sich
Bestimmtes nicht sagen: nur in wenigen Fällen endet das manisch-
depressive Irresein in Verblödung, öfter werden die Anfälle im Laufe
der Jahre kürzer und leichter; bei einzelnen Kranken wird die eine
oder andere Phase zum Schluß chronisch.
Kurt Boas, Progressive Paralyse bei Heeres- und Marine¬
angehörigen in Krieg und Frieden. Arch. f. Psych. 63 H. 2/3. Boas
verfolgt in seiner senr ausführlichen, mit reichen Literaturnachweisen
versehenen Arbeit das Auftreten der Paralyse vom Dänischen Feldzuge
an bis nach dem Weltkrieg. Er nimmt Stellung zu dem von Weygandt
als abweichend geschilderten Bilde der Kriegsparalyse und weist nach,
daß die Abgrenzung dieser Sonderform sich nicht mit seinen Erfahrungen
in Einklang bringen läßt.
Max Chaskel, Paralysefälle mit klinischen und anatomischen
Besonderheiten und Spirochätenbefunden. Arch. f. Psych. 63
H. 2/3. Chaskel beobachtete und untersuchte 2 Fälle anatomisch,
die ein vom typischen Bilde der Paralyse abweichendes Verhalten
darboten. Trotzdem fanden sich die gleichen Spirochätenbefunde, wie
bei der klassischen Paralyse. Es lassen sich also aus dem Verhalten
der Spirochäten allein keine Schlüsse auf die Eigenheiten des Krank¬
heitsbildes ziehen.
W. Jacobi (Jena), Therapentiache Versuche mit dem Benköscheo
Jodpräparat bei Paralysis progressiva. W. kl. W. Nr. 4. Die Intra¬
muskulären Injektionen von 5—10 ccm Mirion wurden reaktionslos
vertragen, außerdem konnte „eine günstige Einwirkung auf den Allge¬
meinzustand" festgestellt werden. Von 10 behandelten Fällen zeigten
2 fortschreitenden psychischen Verfall, 4 blieben psychisch unverändert,
2 zeigten gute, 2 leichte Remissionen. Serum und Liquor wurden
nicht wesentlich beeinflußt. 1 Fall macht eine Ausnahme, indem er
völlig geordnet wurde und Serum- und Liquorbefund zur Norm zurück¬
kehrten. Bei ihm handelt es sich vermutlich nicht um Paralyse.
R. Grünbaum (Wien), Technik der perineuralen Injektionen bei
Ischias. W. kl. W. Nr. 4. An der Stelle, an welcher der untere Rand
des M. glutaeus maximus vom langen Bizepskopfe gekreuzt wird, liegt
der N. ischiadicus eine kurze Strecke ganz oberflächlich unter der Haut.
Sticht man hier ein, so vermeidet man mit Sicherheit jede Verletzung
anderer Organe. _
Digitized b"
Google
Original from
CORNELL UNiVERSITV
3. März 1922
LITERATURBERICHT
303
Chirurgie.
E. Payr ( Leipzig), Keimfreie kolloidale Pepsinlüsnng zur Narben-
erwelchnur. Verbü nnf und Lüsung von Verklebungen. Zbl. f. Chir.
Nr. 1. Mitteilung der experimentellen und klinischen Versuche, die
Verfasser mit einer Lösung von Pepsin, purissim. in Preglscher iso¬
tonischer Jodlösung angestellt hat. Die vom Verfasser zunächst ins
Auge gefaßten Anwendungsgebiete für das Pepsinverfahren sind: 1. Die
Lösungen von nach Verletzungen oder Erkrankungen (Tripper) fibrös
versteifenden Gelenken. 2. Nachbehandlung blutig mobilisierter Gelenke.
3. Wiedergewinnung der durch Verwachsungen bedrohten oder schon
verlorenen Gleitfähigkeit von Sehnen in Sehnenscheiden, Muskeln und
Bändern usw. 4. Erweichung und Lösung von funktionell oder kos¬
metisch störenden, mit Unterlage oder Nachbarschaft verklebten Narben,
Behandlung von Keloiden, Röntgenulzera. 5. Auflösung fibrinöser Ex¬
sudate. 6. Verhütung der Wiederkehr gelöster Adhäsionen in der
Bauchhöhle durch Bestreichung der Ligaturstümpfe mit der Pepsin-
Pregl-Lösung. 7. Behandlung von Neuralgien, Neuromen in Form von
Einspritzung in die schmerzenden Nervenstämme zur Neurolyse durch
Injektion in die den Nerven umklammernden Narbenmassen. 8. Be¬
handlung von narbigen Strikturen und Stenosen der verschiedenen
mit Schleimhaut ausgekleideten Hohlorgane: Harnröhre, Speiseröhre,
Mastdarm. 9. Bekämpfung von Lymphstauungen mit reichlicher Binde¬
gewebsbildung: Elephantiasis. 10. Lösung von Verklebung an den
Hirnhäuten usw. Die bisherigen Erfolge sind vielversprechende.
Gefahren der Methode hat Verfasser bisher nicht kennen gelernt.
E. Melchior (Breslau), Schnittführung bei der Branerschen
Kardiolyse. Zbl. f. Chir. Nr. 1. Technische Mitteilung.
A. H. Hof mann (Offenburg), Regenerationsfähigkeit des Colon
asceudens und transversum. Zbl. f. Chir. Nr. 1. Mitteilung von
4 Operationsfällen, aus denen das gemeinsame Bestreben des Kolons
hervorgeht, nicht bloß Lücken auszufüllen, sondern die verloren ge¬
gangenen Teile direkt zu ersetzen. Die Röntgenaufuahmen ergeben,
daß die Darmwand passiv wächst durch Druck der Darmgase und Zug,
und daß schon durch diese Komponenten allein in Verlust geratene
Teile nachgeahmt werden können.
Pankow (Eberswalde), Selbstheilung eines perivesikslen Steck-
schlisse« durch Austreten aus der Harnröhre. Ther. d. Gegenw.
H. 12. 1917 Steckschuß im Gesäß; Röntgenaufnahme ergibt zwei Spreng-
stücke dicht vor Blase. Februar 20 Schmerzen in Blase, teilweise
Urinverhaltung. 16. Oktober dicht hinter Harnröhrenmündung erbsen¬
große harte Geschwulst mit eitriger Absonderung. 30. Oktober wird
Beim Harnlassen ein 9 mm großes, scharfkantiges Eisenstück mit Salzen
bedeckt herausgeschleudert.
W. Levy (Berlin), Trommlerläkmung. Zbl. f. Chir. Nr. 1. Verfasser
hat 2 Fälle von typischem Radiusbruch beobachtet, bei denen die
Funktion des Extensor pollic. long. ausgefallen war, ebenso wie bei
den früher öfters beschriebenen Trommlerlähmungen. Nur war hier
die Sehne nach vorangegangenen entzündlichen Veränderungen zerrissen.
Weitere Klarheit über die Komplikation des typischen Radiusbruches
durch das Bild der Trommlerlähmung wird gefunden werden, wenn
sich diese Komplikation häufiger ergibt, und die Ursache für das Aus¬
fallen der Funktion des langen Daumenstreckers durch die operative
Freilegung der Sehne auf dem karpalen Ende des Radius festgestellt
wird.
F. Seiler (Berlin!, Behandlung der Ulcera ernris mit Pyoktanln.
Ther. d. Gegenw. H. 12. Pinselungen mit 10V 0 igcr Lösung (werden
empfohlen; Angabe der technischen Einzelheiten.
Frauenheilkunde.
♦♦Ernst Runge (Berlin), Praktikum der gynäkologischen
Strahlentheraple. Leipzig, Otto Nemnich, 1921. 568 Seiten mit
Abbildungen. M. 80.— geb. Ref.: Otto Strauß (Berlin).
Der außerordentlich umfangreiche Stoff der gynäkologischen
Strahlentherapie ist von Runge, dem wir schon eine größere An¬
zahl schätzenswerter Arbeiten verdanken, in einer sehr anerken¬
nenswerten Weise bewältigt worden. Er hat einleitend mit einer
seltenen Gründlichkeit den physikalisch-technischen Teil erledigt, wo¬
bei er fast alle modernen Apparaturen mit großer Sorgfalt besprach.
Im klinischen Teil »vertritt Runge die Ansicht, daß die günstige
Wirkung der Strahlentherapie beim Myom nicht nur auf eine
Beeinflussung der Ovarien zurückzuführen ist, sondern daß
auch eine Einwirkung auf das Myom selbst stattfindet. Runge
glaubt auch bei Myom junger Frauen die Bestrahlung empfehlen
zu können. In der Bewertung der Strahlentherapie beim operablen
Uteruskarzinom vertritt Runge den optimistischen Standpunkt und
hofft, daß mit dem Fortschreiten der Technik diese Benandlungs-
form einen vollwertigen Ersatz der Operation bilden werde. Außer¬
ordentlichen Fleiß hat Runge auf die Wiedergabe eines großen
und sehr wertvollen tabellarischen Materials verwendet, desgleichen
findet sich in dem Buch eine umfangreiche Literaturangabe.
St."EngeI (Dortmund), Laktation und Menstruation. Mschr. f.
Kindhlk. 22IH. 4. Nur bei Frauen mit Hypogalaktie (tägliche Milchmenge
nicht über’600 ccm) tritt regelmäßig die Menstruation in den ersten Mo¬
naten der?Laktation wieder ein. Als ungefähre'Regel »gilt: Zahl der im
Maximum sezernierten De2iliter-2 = MonaLdes Wiedereintrittes der Men¬
struation. Die Wiederkehr der Menstruation ist die Folge des Nach¬
lassens der Tätigkeit der Brustdrüse. Für die Milchabsonderung als
solche ist die Menstruation ohne Bedeutung.
Kamnitzer und Joseph (Berlin), Phloridzindtagoostik der Früh-
gravidität. Ther. d. Gegenw. H. 12. Die Probe mit 2 mg Phloridzin
angestellt läßt, falls negativ, Gravidität ausschließen, falls positiv, ist
solche mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Die Fehlerquellen,
eventuell Verbesserungen sowie die Technik werden dargestellt.
A. Cal mann (Hamburg), Webeoaoregung durch Hypophyseo-
extrakte und über das neue Mttel Physormon. Zbl. f. Gyn. Nr. 51.
Physormon steht unter den deutschen Präparaten mit an erster Stelle.
Verfasser hatte gute Resultate mit dem Mittel bei Harnverhaltung der
Wöchnerinnen und Operierten, bei Darmlähmung; ferner wirkt das
Mittel günstig als Styptikum und auch bei Amenorrhoe.
Rud. Th. v. Jaschke (Gießen), Herzfehler und Schwaigerscbaft.
(Bemerkungen zu der gleichnamigen Arbeit von Paul Werner und
Rud. Stiglbaue’r im Arch. f. Oynäk. 115 H. 1.) Zbl. f. Gyn. 1921 Nr. 51.
Die Mortalität der Herzfehler in der Schwangerschaft wird von Werner
und Stiglbauer falsch berechnet. Sie beträgt nach den Zahlen dieser
Autoren nur l,6°/ 0 -
Ed. v. A. Björkenheiim (Helsingfors), Gebart, kompliziert durch
einen Ovarialtumor. Zbl. f. Gyn. Nr. 51. 26jährige Erstgebärende.
Der Tumor war irreponibel und wurde durch den vorangehenden
Kopf durch den Mastdarm hcrausgedrückt, ohne daß die Mastdarm¬
wand verletzt wurde. Entbindung durch die Zange.
St. Westmann (Berlin), Puerperalfieber. Ther. d. Gegenw. H. 12.
Die verschiedenen Formen der Krankheit werden im Hinblick auf die
einzelnen therapeutischen Eingriffe besprochen. Die medikamentösen,
operativen, serologischen und physikalischen Methoden werden kritisch
geprüft.
Wiegels (Schwerin i. M.), Soziale, eugenetlsche und Notzucht«-,
Indikation zurEinleitungdes künstlichen Abortus Ther. d. Gegenw.
H. 12. Würdigung der ärztlichen, juristischen und moralischen An¬
sichten, die neuerdings von den verschiedensten Fachleuten geäußert
sind. Die soziale Indikation wird abgelehnt, ebenso die eugenetische
abgesehen von ganz seltenen Fällen, wo mit Sicherheit epileptische
oder idiotische Deszendenz zu erwarten ist. Die Notzuchtsindikation
kann nur von einem Kollegium von Fachärzten entschieden werden.
O. Bertolini (Alessandria), Anatomisch-pathologische Bei¬
träge zur weiblichen Genitaltuberkulose- Zbl. f. Oyn. Nr. 51. 55 Fälle
von Genitaltuberkulose. Die Ovarien waren 8mal beteiligt, soweit es
sich verfolgen läßt, ging die Erkrankung von peritonealen Adhäsionen
aus. 19mal war die Tubenschleimhaut erkrankt, die Tubenwand be¬
teiligte sich dagegen nur selten am tuberkulösen Prozeß. 7mal fand
sich eine Tuberkulose im Corpus uteri, davon Imal in der Dezidua bei
Tubargravidität; die Uterustuberkulose wurde 2mal durch Abrasio
gefunden. 3 dieser Patientinnen standen im 7. Jahrzehnt ihres Lebens.
Eine tuberkulöse Erkrankung der Zervixschleimhaut fand sich nur 4mal,
meist bei jugendlichen Individuen. Die Vulva war nur ein einziges
Mal erkrankt, eine Vaginaltuberkulose wurde überhaupt nicht diagnosti¬
ziert. Der Infektionsweg der Genitalien erfolgte in den meisten Fällen
vom Peritoneum aus. Die hämatogene Infektion trat dagegen erheb¬
lich zurück. Ein Fall vnn primärer Infektion mit Aufsteigen des Pro¬
zesses wurde überhaupt nicht beobachtet. Die Peritonealtuberkulose
entstammt meist dem Kindesalter. Die sich gleichzeitig öfters findende
Hypoplasie der Genitalien ist in manchen Fallen die Folge der tuber¬
kulösen Infektion.
HugoHellendall, Behandlung euf «Südlicher Adnexerkraukungeo
mit Terpentineinspritzmifea. Zbl. f. Gyn. Nr. 52. Bei akuten Adnex¬
erkrankungen versagt die Terpentineinspritzung öfters, ebenso bei akuten
Nachschüben chronischer Prozesse.
Martha Trancu-Rainer (Bukarest), Netzlymphaogiektasieo als
Begleiterscheinung eines erweichten Uterusfibroms. Zbl. f. Gyn.
Nr. 52. Nekrotisches Myom mit erweiterten Blut- und Lymphgefäßen;
als Begleiterscheinung eine chronische Reizung des Netzes mit Lymphan-
giektasien. Durch Exstirpation des Tumors und Resektion des Netzes
wurden zirkulatorische Störungen bedingt, welche an verschiedenen
Körperteilen zu Oedemen führten.
TRaoul Graf (Wien), Coflifix*tio uteri. Zbl. f. Gyn. Nr. 51. Ver¬
fasser hat bereits vor einem Jahr die von Hai ban geschilderte Operation
ausgeführt. Die Faszienzügel haben aber bedeutend nachgegeben. Dauer
resultate sind nur dann zu erwarten, wenn man den Uterus zugleich
antefixiert, was nur mit Preisgabe der Gebärfähigkeit möglich ist.
Haut- und Venerische Krankheiten.
N. Frank (Budapest), Methodik der Sechs-Georgischen Reaktion.
W. kl. W. Nr. 4. Erfahrungen an 1200 Fällen bestätigen die Brauch¬
barkeit der Methode. In den ersten */ 8 derselben war in 80,2°/ 0 Ueber-
einstimmung mit der Wa.R., in dem letzten Drittel bei peinlich genauem
Arbeiten (stets frisch bereitete NaCl-Lösung, frische, erst vor V* Stunde
inaktivierte Seren, sorgfältig zubereiteter Extrakt) wurden 88,8°/ 0 über¬
einstimmende Resultate erzielt.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNiVERSiTV
304
LITERATURBERICHT
Nr. 9
Kinderheilkunde.
W. Klein, Erich Müller und M. Steuber (Berlin-Rummelsburg),
BnergletiscberÜnindnnisatK bei Kindern. Arch. f. kindhlk. 70 H. 2. Der
Umsatz bei Ruhe und Nüchternheit beträgt, ermittelt im Respirations¬
versuch an 2 achtjährigen Knaben, 44,52 Kalorien pro kg Körpergewicht
Albert Meyerstein (Dortmund), Heiße Bilder als Test der
Konstitution. Arch. f. Kindhlk. 70 H. 2. Die fiebererregende Wirkung
heißer Bäder ist abhängig von dem Verhalten der Hautkapillaren.
Hautröte (= Kapillarerweiterung) führt bei der Mehrzahl der Kinder zu
einer rasch vorübergehenden Temperaturerhöhung. Einzelne, klinisch
nicht charakterisierbare Kinder reagieren mit Erblassen (== Kapillarver¬
engerung) auf das heiße Bad.
Martha Bardach (Düsseldorf), Die SnspensioissfnbiUtlt der
Blutkörperchen im Kindesalter. Arch. f. Kindhlk. 70 H. 2. Im
ganzen Kindesalter ist die Senkungsgeschwindigkeit der roten Blut¬
körperchen größer als beim Erwachsenen. Bei kongenitaler Syphilis
una bei fieberhaften Erkrankungen ist sie besonders hoch.
E. Stransky und E. Schiller (Wien), Sepsis im Säuglingsalter.
Mschr. f. Kindhlk. 22 H. 4. Septische Erkrankungen unter dem Bilde
einer Meläna finden sich auch im späteren Säuglingsalter. Eine starke
Verschiebung des Blutbildes nach links — im Sinne von Arneth —,
die sich bis zum Bilde der myeloischen Leukämie steigern kann, ist
ein differentialdiagnostisch brauchbares Zeichen septischer Erkrankungen
junger Säuglinge.
O. Lade (Düsseldorf), Bilirubin im Blote Scbarlachkranker. Arch.
t. Kindhlk. 70 H. 3. Das indirekte Bilirubin ist in der ersten Woche
der Scharlacherkrankung im Blutserum stets vermehrt. Der ikterische
Grundton des Exanthems hängt vielleicht mit dieser Vermehrung des
Gallenfarbstoffes zusammen.
Paul Widowitz (Graz), Leistungsfähigkeit der konservativen Be-
tandlung der Larynxdiphtherie. Arch. f. Kindhlk. 70 H. 1. Psychische
Erregungen wirken ungünstig auf den Ablauf der Larynxstenose beim
Kinde. Ausschaltung aller Affekte erspart manchem kruppkranken
Kinde die Operation. Anhaltende schwere Stenoseerscheinungen und
progressive toxische Schädigung des Atmungszentrums und des Her¬
zens sind die einzigen Indikationen zur Intubation, die am besten
15—20 Stunden nach der Seruminjektion ausgeführt wird.
Thomas Köffler (Graz), Tuberkulöse Reinfektion. Arch. f. Kindhlk.
70 H. 2. Dauernde Reinfektionen führen zu einer erhöhten Tuberkulin¬
empfindlichkeit Jenseits des 2. Lebensjahres bedingen ständige Rein¬
fektionen keine erhöhte Morbidität.
Ernst Stein er t (Prag), „In observatioae de lue 44 . Arch. f. Kindhlk.
70 H. 1. Beobachtungen über die Zusammenhänge von mütterlicher
und kindlicher Syphilis, die das wechselvolle Spiel zwischen Art und
Zeitpunkt der Manifestation der Krankheit und die wechselnden Mög¬
lichkeiten im Auftreten der serologischen Reaktionen, die jede Gesetz¬
mäßigkeit vermissen lassen, dartun.
E. Nobel (Wien), Asthenische Pneumonie der Säuglinge. W. kl.W*
Nr. 4. Bei lebensschwachen, frühgeborenen, neugeborenen, mitunter
auch bei älteren Säuglingen verlaufen die Pneumonien atypisch. Klini¬
scher Befund und Röntgenbild geben ganz abweichende Resultate, bei
der Obduktion findet man mitunter schwerere Veränderungen, als zu
erwarten waren. Häufig führen meningeale Reizerscheinungen zu Fehl-?
diagnosen. —- Verfasser hält es für zweckmäßig, zur Vermeidung von
Infektionsübertragungen ganz allgemein als Wochenzimmer keine großen
Säle, sondern Einzelzimmer einzurichten.
St. Engel und Grete Katzenstein (Dortmund), Morbiditätsstati¬
stik der Rachitis. Arch. f. Kindhlk. 70 H.T. Umfassende statistische
Erhebungen an Kindern von 2—6 Jahren ergaben klinisch nachweis¬
bare rachitische Veränderungen bei etwa der Hälfte der Kinder. Für
das Alter von 2—4 Jahren ist das Verhältnis der rachitiskranken zu
den rachitisfreien Kindern wie 2:1. 10 o/o aller untersuchten Kinder
zeigten schwere und schwerste rachitische Veränderungen. Im 6. bis
8. Lebensjahr sind die schwersten Veränderungen am häufigsten.
A. Jap ha (Berlin), Herzmassage beim Wegbleiben der Kinder.
Mschr. f. Kindhlk. 22 H. 4. Durch rhythmische Stöße auf den Brust¬
korb in der Herzgegend gelingt es spasmophile, im laryngospastischen
Anfall weggebliebene Kinder rasch wieder zum Atmen zu bringen.
A. Eckstein und E. Rominger (Freiburg), Schlafmittel im Säug-
lingsalter und ihre Wirkung auf die Atmung. Arch. f. Kindhlk. 70
H. 1—2. Charakterisierung einiger Schlafmittel: Chloralhydrat.
Schnell und sicher wirksam in Dosen von 0,5—1,0 g per Klysma in
20 g Schleim. Unangenehme Wirkungen sind vor allem bei Säuglingen
nach überstandenen Dyspepsien (erhöhte Darmdurchlässigkeit) zu
befürchten. Urethan bringt nicht so selten Versager oder eine
ungünstige Beeinflussung des Allgemeinzustandes. Dosis 1,0—3,0 g.
Hedonal: Einzelgabe 0,5—1,0g per os oder per Klysma; zuver¬
lässiges Schlafmittel. Seine atmungsfördernden Eigenschaften emp¬
fehlen es besonders bei den Erkrankungen, die mit Respirations-
störungen einhergehen. Luminalnatrium in Gaben von 0,05 bis
0,15 g ist in seiner Wirkung dem Chloralhydrat verwandt, aber
weniger zuverlässig und führt in einzelnen Fällen bei den üblichen
Dosen zu Atmungskollapsen; seine Anwendung als krampfstillendes
Mittel ist dagegen zu empfehlen.
Soziale Medizin und Hygiene.
++ Siegfried Roserdeid (Wien), Die Aenderungen der Tuber¬
kulosehäufigkeit Oesterreichs durch den Krieg. Wien,
Fr. Deuticke, 1921. 112 Seiten mit 10 Tafeln. M, äff—. R*f, ;
Prinzing (Ulm).
Die Arbeit bringt ein großes Material von Grundzahlen, ohne
daß auch nur der Versuch gemacht ist, mit Hilfe der Volkszählung
vom 1. XII. 1920 wenigstens für das weibliche Geschlecht ungefähre
Verhältniszahlen zu berechnen. Die Zunahme der Tuberkulosesterb¬
lichkeit in Wien und Niederösterreich ist sehr groß, dagegen in
Oberösterreich, Salzburg und den deutsch-österreichischen Alpen¬
ländern klein. Städte und industrielle Bezirke sind viel mehr heirn-
esudit, das weibliche Geschlecht mehr als das männliche. Trotz
er großen Abnahme der Bevölkerung in Wien besteht dort eine
Wohnungsnot. Die Hauptursache der Tuberkulosezunahme sieht
Rosenfeld in den Entbehrungen, welche die Widerstandskraft her¬
absetzen, während er eine erhöhte Zahl von Infektionen ablehnt.
Die Nachkommenschaft der herabgekommenen Frauen sei minder¬
wertig, was rassenhygienisch von Bedeutung sei (?). Eine Anzeige¬
pflicht könne nur Erfolg bei Verstaatlichung der Ausübung der
Heilkunde haben. Es ist bedauerlich, daß das große, hier zusammen¬
gebrachte Material nicht durch eine bessere Durcharbeitung eine
übersichtlichere Darstellung gefunden hat.
Heinrich-Poll "(Berlin), Zeugegebote. Zschr. f. soz. Hyg. 3 H. 5.
An zwei eingangs entwickelten Formeln, die-die allgemeinste denkbare
Form jedes Zeugegebotes darstellen, wird Grotjahns Zeugegebot und
dann das Prinzip der Ehedrittelung behandelt. Das Zeugegebot der
Ehedrittelung lautet: 1. Jedes Ehepaar hat die Pflicht, eine Mindest¬
zahl von 4 Kindern bis zum 3. Lebensjahr aufzuziehen. 2. 10 von 100
der Elternpaare, die sich durch die beste Erb- und Aufzuchttüchtigkeit
auszeichnen, haben das Recht und die Pflicht eine Mindestzahl von
6 Kindern zu erzeugen. 3. 10 von 100 der Elternpaare, die die schlech¬
testen Erb- und Aufzuchteigenschaften besitzen, sollen gar keine oder
möglichst wenige Nachkommen hervorbringen.
Ludwig Teleky (Düsseldorf), Stellung des dewerbearztes. Zschr.
f. soz. Hyg. 3 H. 7. Verfasser hebt die großen Leistungen der deutschen,
besonders der preußischen Gewerbeaufsicht für den gesundheitlichen
Arbeiterschutz hervor. Wo die deutsche Gewerbehygiene hinter der
englischen zurücksteht, trägt weniger die Gewerbeauisicht als fehlende
ärztliche Mitarbeit schuld. Deren Notwendigkeit kann nur ein das
ganze Problem beherrschender Arzt beurteilen, was Verfasser an Blei¬
vergiftung, Respirator bzw. Staubgefahr erläutert. Der Arzt muß Berater
des Gewerbeaufsichtsbeamten, aber auch selbständig in der Betriebs¬
besichtigung sein. Jede Abhängigkeit muß die Arbeitsleistung des
Gewerbearztes hemmen. Gewerbearzt und Gewerbeaufsichtsbeamter
müssen häufig gemeinsame Besichtigungen der Betriebe vornehmen,
wobei der Techniker im reiii Technischen, der Arzt im Aerztlichen die
Führung haben muß. Die Arbeit des Gewerbearztes muß in ärztlicher
Untersuchung der Arbeiter, in Erforschung der Quellen der Gesund¬
heitsschädigung (was oft nur in Gemeinschaft mit dem Techniker
geschehen kann) bestehen, auch sollte er über den Gewerberat ein
mittelbares Anordnungsrecht, mit Rekursrecht (letzteinstanz der Minister
für Volkswohlfahrt) haben. Ueberwachung und Regelung der durch
Sonderverordnungen für eine Reihe von Betrieben vorgeschriebenen
ärztlichen Untersuchungen sind ihm zu übertragen, hierbei sich er¬
gebende Verfügungen dem Gewerberat mitzuteilen.
Paetsch (Bielefeld), Wie wird durch die öffentlichen Versiehe-
rungsträger am zweckmäßigsten die Tuberkulose bekämpft? Zschr.
f. soz. Hyg. 3 H. 7. Bei der Tuberkulosebekämpfung ist der Schwer¬
punkt mehr auf die Prophylaxe als auf die Behandlung der Erkrankten
zu verlegen. Die Fürsorgestellen müssen prophylaktisch eingreifen,
wozu sich indessen häufig Kassen und Landesversicherungsanstalten
nicht verstehen wollen. So muß die Fürsorgestelle, um zweckmäßige
Ratschläge geben zu können, bei Abschluß einer Heilstättenkur über
den gesamten Kurverlauf richtig orientiert werden, was in den eignen
Heilstätten der Landesversicherungsanstalten und in den von ihnen
unterstützten leicht durchzuführen sein müßte. Außerdem müßten die
Fürsorgestellen und nicht der Kreisarzt mit der vertrauensärztlichen
Untersuchung der Heilstättenanwärter betraut werden. Weiter sollten
die Landesversicherungsanstalten auf Empfehlung der Fürsorgestellen
Gelder zum Zwecke der häuslichen Familiensanierung bewilligen. Eine
Arbeitsgemeinschaft dex Versicherungsträger mit Gemeinden, Arbeit¬
geber- und Arbeitnehmerorganisationen würde -für die Prophylaxe
äußerst zweckmäßig sein. Verfasser weist noch auf die mustergültige
prophylaktische Arbeit der LVA Pommern hin.
A. Hinterberger (Wien), Wolkenkratzer. W. kl. W. Nr. 4. Für
die zu erwartenden Hochhäuser stellt Hinterberger folgende hygieni¬
schen Forderungen auf: Häuser über 30 m Höhe müssen von allen
Seiten von Straßen begrenzt werden. Sie müssen so weit von der
Mittellinie der Straße zurückstehen, daß die Nachbarhäuser genügend
Licht und Luft bekommen. Sie dürfen keine Höfe, Lichthöfe und
Schachte haben. Jeder Raum muß mindestens 1 Fenster nach der
Straße zu haben. Als Minimum der lichten Höhe der Geschosse seien
2,60 m erlaubt Längs- und Querlüftbarkeit beiderseits geschlossener
innerer Gänge über 10 m muß gewahrt bleiben. Kein Raum darf eine
größere Tiefe als 9 m haben. Es sollen nur flache Dächer gestattet
sein. Die einzelnen Geschosse müssen durch selbstschließende Türen
getrennt sein u. a. m.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
3. März 1922
LITERATURBERICHT
305
Aus der ausländischen Literatur.
(Schweiz, Norwegen, England,
++ Henry R. Harrower, Neurasthenie: Eine endokrine Er¬
krankung. (The Harrowers Laboratory.) 1921. 92 S. 1,25 Dollar.
Ref.: A. Weil (Berlin).
Alle die mannigfaltigen Formen der Neurasthenie will Verfasser
einheitlich als „Dysfunktion" der Nebennieren auf gefaßt wissen, die in
einzelnen Fällen mit Störungen der Thyreoidea und Ovarien verbunden
sein können. Er empfiehlt dementsprechend auch eine Organotherapie
mit Extrakten aus den verschiedenen Drüsen. — Man kann nicht oft
genug eine solche „pseudoendocrinology", wie sie R. G. Hoskins
einmal bezeichnete, zurückweisen, da sie nur geeignet ist, die tatsäch¬
lichen Forschungsergebnisse über die Innere Sekretion verallgemeinernd
in Mißkredit zu bringen. Gerade bei dem komplizierten Krankheits-
bilde der Neurasthenie sollte man sich vor solchen Verallgemeine¬
rungen hüten und sich immer dessen bewußt sein, daß Gehirn und
autonomes Nervensystem mindestens denselben Anteil daran haben
wie die Innere Sekretion.
Weaver (J. Am. Med. Ass. 1921 Nr. 18) berichtet über die Behand¬
lung des Scharlachfiebers mit menschlichem Serum. Er hat von
1200 Kranken die 54 schwersten ausgewählt und mit Serum behandelt:
2 starben, 1 an Toxämie, 1 an Sepsis, beide kamen sehr krank und
spät zur Behandlung, die keinerlei Nutzen brachte. Meist wurden
60—90 ccm Serum intramuskulär eingespritzt, manchmal wurde
24 Stunden später eine zweite Dosis gegeben; die intravenöse An¬
wendungsweise ergab keine Vorteile gegenüber der intramuskulären.
Die Erfolge der Serumeinspritzung zeigten sich besonders in der so¬
fortigen Besserung des Allgemeinbefindens, die in keinem Verhältnis
zum Absinken der Temperatur stand. Je früher das Serum angewendet
wird, um so sicherer wirkt es. Das Blut wurde während der 4. und
5. Krankheitswoche von Rekonvaleszenten entnommen, die natürlich
genau auf das Fehlen von Tuberkulose und Syphilis untersucht waren
und die nicht an septischen Komplikationen litten. Nach Abpipettieren
des Serums werden die Seren von 3 oder 4 Kranken gemischt und
0,3o/o Trikresol zugesetzt. Nachdem Kulturen von dem Gemisch steril
geblieben sind, wird das Gemisch in Fläschchen von 30 ccm Inhalt
gefüllt und es werden nochmals Kulturen angelegt. Bleiben sie
wieder steril, so werden die Seren im Eisschrank aufbewahrt, sie können
mehrere Wochen lang benutzt werden, später verlieren sie an Wirksam¬
keit Bei 1 Kranken bat an der Spritzstelle ein Abszeß auf (es handelte
• sich um einen bereits septischen Kranken), der nach Inzision ausheilte.
Sanguinetti, Cinchonin und Malaria. II Pol.sez. prat 28 S. 1652.
Chinin-resistente und Chinin-überempfindliche Fälle machten es not¬
wendig, sich nach Ersatzpräparaten umzusehen. Im ganzen wurden
10 Malariafälle mit Cinchonin behandelt (salzsaure Cinchonin-Kom¬
pretten von 0,2 g). Die Kur wurde ohne Störungen vertragen. Bei
sieben nachgefragten Kranken guter Erfolg. Ob es das^Chinin ersetzen
kann, mag dahingestellt bleiben; jedenfalls ist es ein gutes Mittel in
Fällen von Chinin-Ueberempfindlichkeit
Angelo Sanguinetti, Veränderungen des arteriellen Druckes
infolge subkutaner Adreoalinmjektion. Malatt. del cuore 1921 S.93—99.
Die individuellen Unterschiede in der Adrenalinwirkung sind auf die
Langsamkeit der Resorption dieses Körpers zurückzuführen, wofür
u. a. der verschiedene Effekt, je nachdem man Adrenalin subkutan oder
intravenös verabfolgt, spricht. Es ist nicht eine verschiedene Wirkungs¬
weise des Adrenalins je nach Zustand des vegetativen Nervensystems
anzunehmen. Gelegentlich zeigen Vagotoniker nach Adrenalin eine
Tachykardie vor der Pulsverlangsamung.
Hedinger (Basel), Spontane Auflösung von Gallensteinen. Schweiz,
m. W. 1921 Nr. 45. Bei der Sektion einer an Pneumonie gestorbenen
Frau fanden sich in der Gallenblase 5 Steine, deren eigentümliche
Form nicht durch physikalisch-mechanische Einflüsse erklärt werden
kann. Vier der Steine (deren photographische Abbildung beiliegt)
zeigen ausgesprochene Ringform, die nur durch einen chemischen
Auflösungsprozeß zustande gekommen sein kann.
Elsie Dalyell und Ha'rriette Chick (Lancet 1921 22. X.) und
Margarete Hume und Edmund Nierenstein berichten über die
Huugerosteonialazie in Wien und ihre Behandlung. Nachdem
festgestellt wurde, daß es sich um Ernährungsstörung handelt, wur¬
den Versuche mit der vermehrten Zufuhr von Zucker und Zerealien
(ohne vermehrte Fettzufuhr) gemacht, die aber keine Besserung
herbeiführten. Besserung trat erst ein nach Zusatz von Lebertran,
Butter, Margarine (80°/o animalisches Fett; und Olivenöl, und zwar
trat die Besserung am schnellsten und deutlichsten beim Lebertran
lind am wenigsten ausgesprochen beim Olivenöl ein. Lebertran ent¬
halt am meisten, Olivenöl am wenigsten fettlösliches Vitamin A.
Hand in Hand mit dem Auftreten der Hungerosteomalazie traten in
Wien bei Kindern vermehrte Rachitis und bei jungen Erwachsenen
vermehrte Spätrachitis auf. Versuche, die Hungermalazie mit Raps¬
öl und Phosphor zu heilen, führten zwar zu Besserungen, aber Hei¬
lungen wurden meist erst durch große Dosen von Lebertran erzielt.
Die größten Dosen von Lebertran gaben die besten Erfolge, die
kleinsten Dosen von Lebertran wirkten immer noch besser als die
größten Dosen von Phosphor und Rapsöl. Die Hungerosteomalazie
steht wahrscheinlich in keinerlei Beziehung zur Schwangerschafts-
osteomalazie. Die guten Erfolge werden weniger auf den Fettzusatz
zur Nahrung geschoben als auf den Gehalt des Fettes an Vitamin A.
Sinding-Larsen, Unbekannte Krankheit der Patella. Norsk. Mag.
f. Lsgevidensk. 1921 Nr. 12. Zwei gesunde Kinder, bzw. 10 und 11 Jahre
Frankreich, Italien, Amerika.)
alt, bekamen nach Ueberanstrengung beim Tanzen’Schmerzen in ihren
Knien. Bei beiden war die Affektion unilateral* und zu der einen
Patella, die bei Perkussion schmerzhaft war, lokalisiert. Bei dem
einen Kinde waren die Weichteile über und unter der Patella etwas
geschwollen. Röntgenogramme zeigten unreine Konturen der Spitze
der Patella nebst — in einem der Fälle — Kalzium- oder Knochen¬
schatten in Lig. patellae, welche als eine Folge von Periostitis durch
Ueberanstrengung gedeutet werden.
J. A. Fordyce und J. Rosen (J. Am. Med. Ass. 1921 Nr. 22) be¬
richten über LaboratorinmsontersuchnDgen bei 1064 Syphilitikern.
Die Verfasser glauben, daß etwa 25—30 0/0 aller sekundär Syphiliti¬
schen Infektion des Zentralnervensystems zeigen, und zwar sind
Männer in viel höherem Maße betroffen als Frauen. Die vielfach
behauptete Zunahme der zentralnervösen Erkrankungen seit An¬
wendung der Arsenpräparate ist nur eine scheinbare und auf genauere
Beobachtung und Serumuntersuchungen zurückzuführen. Salvarsan hat
keine ungünstige Wirkung auf die Hirnnerven; es wird im Gegen¬
teil eine beginnende Optikusatrophie durch Salvarsan oft zum Still¬
stand gebracht. Kein Kranker darf als gesund entlassen werden, ehe
nicht sein Liquor untersucht und negativ gefunden wurde, ebenso
müssen stets die Augen und der Augenhintergrund genau untersucht
werden, da z. B. eine sichere Tabes bestehen kann bei negativem
Wassermann des Blutes und des Liquors. Die Gold-Kolloid-Reaktion
ist von großer Bedeutung für die Diagnose und Prognose. Eine
syphilitische Kurve schließt Paralyse fast sicher aus.
E. Leredde, Syphilitische Ursache der Epilepsie. La Presse m£d.
1921 Nr. 96. Es wird die bekannte Tatsache erörtert, daß unklare
Krankheitssymptome von Syphilis herrühren können, auch wenn dabei
die Wa.R. ausfällt. Unter den Nervenerkrankungen, die in diese
Kategorie fallen, bespricht er besonders die Epilepsie, die zwar auch
andern, z. B. traumatischen Ursprungs sein könne, aber häufiger, als
bisher angenommen wurde, der Syphilis zur Last zu legen sei. Unter
14 Epileptikern fanden sich 6 sicher syphilitische, und bei den übrigen
waren zum Teil hereditär-syphilitische Prozesse zu vermuten. Verfasser
schließt, daß die Epilepsie nicht eine autonome Krankheit unbekannten
Ursprungs, sondern ein Syndrom sei, dessen Grundursache oft in ak-
auirierter, häufiger noch in ererbter Syphilis zu suchen sei. Diese
Auffassung wurde bestätigt durch die vorzüglichen Heilerfolge anti-
syphilitiscner, besonders Neosalvarsankuren bei frischer Epilepsie mit
negativer Wa.R. Veraltete Fälle sind natürlich schwerer zu beeinflussen.
R. Coope (Quart. J. Med. Oxf. Oktober 1921) findet, daß ein hoher
Zackergehalt der Zerebrospinalflüssigkeit kein positives diagnostisches
Zeichen für Encephalitis lethargica ist; daß aber ein niedriger Zucker¬
gehalt bei frischgewonnenem Liquor sehr zugunsten einer akuten oder
einer tuberkulösen Meningitis spricht Verfasser benutzte in 95 Fällen
die von Folin und Wu angegebene Methode zur Bestimmung des
Blutzuckers.
Tylor Fox (Lancet 1921 10. IX) hat als Direktor der Epileptiker¬
kolonie Lingfield Versuche mit Lamiaalnatrinm angestellt, das er
abends in Mengen von 0,07 bis 0,14 gibt (also in viel kleineren Dosen
als in Deutschland). Er hat in allen Fällen Verringerung der Anfalls¬
zahl gesehen, und zwar besonders bei schwerer Epilepsie, das so¬
genannte petit mal bietet kein so günstiges Material zur Behandlung,
Nebenwirkungen traten nie auf.
H. Scott (Ann. Trop. Med. and Parasitol. Liverpool 1921 30. IX.)
hat 225 Fälle von Tuberkulose bei Kindern unter 10 Jahren genau
untersucht und gefunden, daß bei 153 (65,7°| 0 ) die Eingangspforte die
Atemwege waren. Nur bei 31 (13,7°/ 0 ) konnte der Verdauungskanal
als sichere Eingangspforte angesprocken werden. In Hongkong, wo
die Untersuchungen stattfanden, ist isolierte primäre Tuberkulose des
Darmes äußerst selten. Von 300 Fällen bei Erwachsenen waren bei
209 die Atemwege als Eingangspforte anzusehen und nur bei 32 der
Magendarmkanal.
L D. Veronesi, Wert des Fazialis-Phäoomens bei Kindern des
späteren Lebensalters. II Pol. sez. prat. 28 S. 1465. Das Symptom wurde
bei 413 Kindern von 5—9 Jahren in 21°/ 0 der Fälle positiv gefunden.
Bei sicher Tuberkulösen war es nur in 21,8°j 0 der Fälle positiv, bei
Verdacht in 18,5°/ ? . Umgehehrt zeigten 23,7°| 0 aller Kinder mit posi¬
tivem Chvostek keinerlei rachitische Antezedenz oder Verdachtsmomente
bezüglich Tetanie und Tuberkulose. Es scheint daher neben der
Tetanie das Chvosteksche Phänomen in einer Reihe von Formen der
Uebererregbarkeit desFazialis neuropathischenUrsprungs vorzukommen.
Eine bestimmte Noxe (Tuberkulose) kann nicht verantwortlich gemacht
werden, wie Pollitzer meint.
Steiger (Bern), Schwangerschaft und Gebart nach Röntgen¬
bestrahlung des myomatösen Uterus. Schw. m. W. 1921 Nr. 47. Die
Röntgenbestrahlung hat bei der 39jährigen Frau zur Folge, daß der
kindskopfgroße Tumor in relativ rascher Zeit bedeutend kleiner wird
und daß eine vorrübergehende Amenorrhoe auftritt. Fast 3 Jahre nach
Beginn der Behandlung spontane Geburt eines vollständig normalen
Kindes von 4 l / g kg Gewicht. Das Kind, das mehr als ein Jahr kontrolliert
wird, entwickelt sich gut. Der Uterustumor ist 1 Jahr p. p. noch zirka
faustgroß. Die Frau litt außerdem zu Beginn der Myombehandlung
an einer Basedowstruma mit typischen Störungen. Es wurde deshalb
auch die Struma mit gutem Erfolg bestrahlt. Die Besserung war eine
dauernde.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
206
LITERATURBERICHT
Nr. 9
Kritisches Sammelreferat über neuere Ergebnisse der Chemie und Pharmakologie der Digitalis.
Von Dr. rned. et phil. P. Wolf! (Berlin).
Die Digitalisfrage steht wieder im Mittelpunkt der pharma¬
kologischen und klinischen Diskussion. Das hat zur Evidenz die letzte
Pharmakologentagung (D. m. W. 1921 Nr. 48) erwiesen. Die umfang¬
reichen Forschungen auf diesem zu den schwierigsten Kapiteln der
Chemie gehörenden Gebiete haben im allgemeinen noch nicht zu
abgeschlossenen Ergebnissen geführt, trotzdem Forscher wie Kiliani,
Schmiedeberg, Kraft, Cloetta einen großen Teil ihrer Lebens¬
arbeit ihm gewidmet haben. Die wirksamen Bestandteile der allein
offizineilen Blätter der Digitalis purpurea kennen wir jedoch; sie alle,
das Digitoxin, Digitalem und Gitalin, haben Glykosidnatur, also neben
ihrem spezifischen „Genin“ (Digitoxigenin usw.) einen der Zucker¬
reihe angehörenden Paarling. Träger aer typisch toxischen und damit
auch der therapeutischen Wirkung ist nach Straub jene charakte¬
ristische Spaltungskomponente, während die ebenfalls spezifischen
Zucker wirkungslos sind. Durch die Paarung mit dem Zucker wird
die Giftigkeit aber bedeutend erhöht, sie beträgt z. B. beim Digitoxin,
also dem ungespaltenen Glykosid, etwa das Doppelte derjenigen des
Digitoxigenins. Die prinzipielle Herzwirksamkeit liegt zwar im
betreffenden Genin, aber die Herzspezifizität zeigt sich erst bei
Kuppelung mit dem Zucker (das Genin allein zeigt nämlich außerdem
zentrale Lähmungserscheinungen, die der Gesamtkomplex nicht auf¬
weist). Das sind pharmakologisch sehr wichtige Befunde, besonders
insofern, als sie zur Klärung der Frage „chemische Konstitution und
Wirksamkeit“ wesentlich beitragen; denn früher wurde angenommen,
daß die Digitaliskörper wirksame Additionsprodukte zweier an sich
unwirksamer Komponenten seien. Dieses Problem Konstitution-
Wirkung bietet bei den Digitalisstoffen überhaupt unendliche Schwie¬
rigkeiten, da die chemische Struktur der einzelnen Aktivglykosidc noch
nicht im entferntesetn bekannt ist. Einen Beitrag hierzu hat auch
Cloetta in kürzlich mitgetcilten neuen Arbeiten über Digitoxin
eliefert (das 3. Glykosid dieses Namens! — Ich erinnere an die alte
treitfragc der Entdecker der beiden voraufgegangenen: Cloetta
[amorph, wasserlöslich, als Digalen im Handel] und Kiliani [kristal¬
linisch, wasserunlöslich; Kiliani hält das erstere amorphe für ver¬
unreinigtes Digitalein]). Cloetta berichtet, daß die im übrigen
typischen Herzwirkungeil des neuen, wasserunlöslichen Digitoxins (die
früher als solches beschriebenen Körper erklärt er für unrein, be¬
stätigt also jetzt selbst Kilianis oben genanntes Urteil über sein
älteres Digitoxinum solubile Cloetta) durch die Anwesenheit meh¬
rerer — mindestens 5 — freier Hydroxyle im Molekül bedingt ist.
Wie mühselig gerade Fortschritte atif dem Gebiet der Digitoxinchemie
erzielt werden können, zeigt die Tatsache, daß selbst kristallinische
Substanzen von identischer kristallographischer Struktur sich nicht als
einheitlich erwiesen. Bei diesem mäßigen Stande unserer chemi¬
schen Kenntnisse leidet naturgemäß die pharmakologische
Forschung und Klinik. Denn das ideale Ziel, die Droge durch
chemisch reine EinzelglykoSfde zu ersetzen (was hier der nicht iden¬
tischen Wirksamkeit der einzelnen wegen wohl in bestimmtem, opti¬
malem Mischungsverhältnisse erfolgen müßte), wie es beim Opium
z. B. ermöglicht wurde, kann erst nach völliger chemischer Aufklärung
erreicht werden. Davon sind wir noch weit entfernt. Nur ein Gly¬
kosidkomplex, der wasserlösliche Blätteranteil Gitalin — der che¬
misch und pharmakologisch eine selbständige, konstant zusammen¬
gesetzte Fraktion darstellt —, hat schon pharmakologisch und klinisch
seine vorzügliche Wirksamkeit erwiesen. Nach Straub zeigen sich
hier alle den Digitalisstoffen überhaupt zukommenden Eigenschaften,
weiter gute Resorbierbarkeit und optimale Ausscheidung (als Vero-
digen im Handel). Krehls und anderer Autoren klinische Erfah¬
rungen stimmen mit den pharmakologischen Befunden überein.
Bei den geschilderten chemischen Schwierigkeiten behauptet die
Droge selbst, ihre Zubereitungen und Präparate noch das
Feld. Hier, bei den Folia, traten zwei Hauptziele in den Vorder¬
grund: Blätter mit konstanter Wirksamkeit zur Verfügung
zu stellen, um so eine sicherere Medikation zu ermöglichen und die
höchst unangenehmen Nebenwirkungen (Erbrechen usw.) zu
beseitigen oder auf ein Mindestmaß herabzudrücken. Die Inkonstanz der
Blätter war eine Crux medicorum, verursachte ein Schwanken zwischen
unwirksamen Gaben und Vergiftung; Rasse, Standort, Züchtung, Jahr¬
gang, Düngungseinfluß, Tageszeit ues Pfliickens, Methode der Konser¬
vierung usw. waren die Ursachen. Die Einführung „titrierter“ Blätter
hat diese Schwierigkeit wohl behoben. Die Auswertung, für die verschie¬
dene Methoden nach dem gleichen Prinzip (H oughton) ausgearbeitet
sind, vollzieht sich nach H c f f t e r und J o a c h i m o g 1 u derart, daß
der Tiach erschöpfender Alkoholextraktion im Soxhletapparat erhaltene
Auszug konzentriert, der Sirup in 25 f '/oigem Alkohol aufgenommen und
in bestimmten, auf Gramm Körpergewicht berechneten Dosen männ¬
lichen Landfröschen in den Brustlymphsack gespritzt wird; man be¬
stimmt so die Dosis letalis minima innerhalb 20 Stunden, die gerade
noch zum systolischen Herzstillstand führt. Diese Dosis letalis pro
Gramm Frosch ist die sog. Froschdosis (FD.); die offiziellen
Blätter sollen einen Wert von 1600—2000 FD. pro Gramm haben,
die aus ihnen bereitete Tinktur 100—150 FD. pro Gramm. Es
muß ausdrücklich hervorgehoben werden, daß die FD. für die ein¬
zelnen Kardiaka individuell sind und z. B. nicht Digitalis-FD. und
Strophanthus-FD. gleichgesetzt werden dürfen. Die häufig unverdien-
termaßen vernachlässigte Tinktur (natürlich ausdrücklich „titrata“,
da leider so noch nicht offizineil; auch als Digititrat im Handel) ent¬
hält erhebliche Mengen, etwa 75<>/o, der Aktivglykoside (Joachi-
moglu), und zwar aller (Gitalin allerdings teilweise zersetzt), ist
also recht rationell; bei der Anwendung muß nur berücksichtigt wer¬
den, daß 30 Tropfen auf 1 g Tinktur = 0,1 g Folia gehen. Besonders
bei kühler Aufbewahrung im Dunkeln hält sie sich 1 Jahr ohne wesent¬
liche Abschwächung.
Quoad Infusum: Die titrierten Blätter enthalten nach Straub
rund 1 o/o Aktivglykoside, davon entfallen etwa 5 /i auf die wasserlös¬
lichen (Digitalein und in der Hauptsache Gitalin), nur etwa l U auf
Digitoxin. Da beim Erhitzen etwa die Hälfte der gegen Erwärmen
hochempfindlichen wasserlöslichen Anteile zersetzt (unlöslich) wird
(„Titersturz“), Digitoxin im Infus überhaupt nur in geringer Menge
vorhanden sein kann (1mg in 14000 Teilen Wasser löslich!), das
Infus also praktisdi digitoxinfrei ist, so muß es bedeutend weniger
an wirksamen Stoffen'als die Folia enthalten, was Straub experi¬
mentell nachgewiesen hat. Die Wirkung des Infuses scheint also so
gut wie völlig auf dem nicht zerstörten Anteil der wasserlöslichen
Aktivglykoside zu beruhen. Kurz: ein unvollständiger, zersetzter
Auszug! Ein kalt bereiterer Auszug enthält einen größeren Anteil
wirksamer Stoffe. Vielleicht wäre deshalb das Infus durch ein Mazerat
zu ersetzen. Dem geringen Wertgehalt des Infuses hat wohl auch
das Blätterpulver die Vorliebe vieler Aerzte zu verdanken. Seine
Darmresorption ist aber höchst mangelhaft, sonst müßten 0,1 g Folia
titrata pro die genügen. Denn die darin enthaltenen 200 FD. stellen
etwa die heute angenommene menschentherapeutische Tagesdosis dar.
Bei geschädigtem Darm dürfte die Tinktur dem Blatter-
ulver unter allen Umständen vorzuziehen sein, da die alkoholische
ösung schon im Magen rasch aufgenommen wird.
Alle diese Medikationen haben unter den bekannten Neben¬
wirkungen zu leiden, die, soweit sie nicht zentral bedingt sind,
den „Ballaststoffen“ (besonders Saponine wie Digitonm) zur
Last fallen. Bei den Galenicis und dem Blätterpulver sind sie natur¬
gemäß nicht zu vermeiden. Die Industrie bietet Präparate, die nach
ihren Angaben von den Ballaststoffen befreit sein und daher an Reiz¬
wirkungen zum mindesten beträchtlich eingebüßt haben sollen. Das
ist nicht bei allen optimal erreicht. Nach »eueren, ältere Angaben
Holstes im allgemeinen bestätigenden Befunden von Loeb und
Loewe zeigen (an der Haut junger Ferkel) das kaum noch verwandte
Digitoxin puriss. und das Digalen eine überaus starke Reiz¬
wirkung (Entzündung, Infiltrate), Digifolin eine praktisch nicht
nennenswerte und flüchtige, Diahysat Golaz, Digitalysat Bür-
er und Digipurat eine mäßige, geringere als die eines Infuses.
ie geringe peripherische Reizwirkung von Digifolin und Digipurat
hat kürzlich E. Meyer wieder bestätigt. Das sind praktisch be¬
achtenswerte Tatsachen. Noch zwei wichtige Gesichtspunkte sind
bei den Fabrikpräparaten zu betonen: Dem Vorzüge vor der Tinktur,
parenteral zugeführt werden zu können, steht der Nachteil gegenüber,
daß viele Präparate nicht die gesamten Aktivglykoside enthalten
(Straub, Meyer), besonders fehlt Digitoxin, was nach dem oben
Gesagten bei den meist wässerigen Lösungen erklärlich ist. Ange¬
sichts unserer noch nicht gesicherten Kenntnisse über die einzelnen
Glykoside ist aber der Gesamtkomplex im allgemeinen therapeutisch
noch vorzuziehen. Nur das Verodigen macht eine Ausnahme. —
Zweitens die nicht gleiche Wirkungsstärke einer Reihe viel ver¬
wandter Präparate (Lehnert und Loeb, Wiechowski), auf FD.
berechnet, trotzdem sie meist die Angabe „1 ccm = 0 r l g Folia“
führen. Sie sind also nicht miteinander vergleichbar und erfordern
daher jedes für sich eine gesonderte klinische Erfahrung. Hier muß
dringend Abhilfe geschaffen werden, und zwar am zweckmäßigsten,
wie auch in der Diskussion der Pharmakologentagung und jetzt
wieder von Wiechowski verlangt wird, durch Deklarierung der
Titrationsergebnisse der Fabriken in FD. In der Digitalis-Froschdose
liegt ein absoluter Maßstab der physiologischen Bewertung vor; ist
er auch natürlich nicht ohne weiteres auf den Menschen übertragbar,
so werden doch klinische Beobachtungen schnell die therapeutisch not¬
wendigen FD. bei den einzelnen Präparaten festzustellen wissen.
Damit wäre dann dem Arzt eine exaktere Wirksamkeitsdefinition für
sein Handeln gegeben als durch die derzeitigen unzuverlässigeren,
auf Gramm FoHa bezogenen Angaben.
Außer diesen, nur die Digitalis selbst berührenden Ausführungen
sind weiterhin die neueren Ergebnisse bei den anderen zur „Digitalis¬
gruppe“ gehörigen Pflanzenstoffen in den Kreis der Erörterung zu
ziehen, wie die chemisch und pharmakologisch-klinisch weitgehenden
Unterschiede zwischen k-Strophanthin (Boehringer) und g-Stro-
phanthiu Thoms (Purostrophan), die nach neueren klinischen Er¬
fahrungen (Mendel) mehr als diastolisches Mittel zu betrachtende
Scilla, die Untersuchungen über Adonis, Konvallaria usw. Hierüber
soH später berichtet werden.
Cloetta, Aepp 88. - Erich Meyer, Kl. W. 1922 Nr. 2. — Ernst Meyer,
Aepp81.~ Heffter, B. kl. W. 1017, Ber. d.Pharm. Oes. 31 Nr. 7. — Holste, Aepp 73.-
Joachlmoglu, Aepp86,91, Ber. d. Phann. Oes.29. — Lehnert-Loeb, Ther.Mh. 1914.
— Loeb-Loewe, Ther.Mh. 1916. — Straub, Blochern.Zschr. 75, Aepp88, Arch.d.
Pharmazie 255, 256; Straub und Krehl, D.m.W. 1919Nr. 11. — Wi echo wskf, Ther
Mh. 19?I Nr. 22.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSiTY
VEREINS- UND K0NQRESSBER1CHTE
Redigiert von Ober-Reg.-Med.-Rat Dr. O. Strauß.
Berlin, Medizinische Gesellschaft, I. II. 1922.
Vor der Tagesordnung bespricht ßenda einen Fall von
MlltspoaUaroptnr eines 20jährigen Mannes mit Malaria tropica.
Besprechung. Ziemann hat schon früher einen Fall von
Malaria tropica in Deutschland beobachtet, der sich in Deutschland
selbst infiziert hatte. Milzruptur ist bei der Malaria tropica nicht
selten.
Tagesordnung. Besprechung der Referate über Salvarsanfrafen.
(Vgl. Nr. 7 S. 248.) Bonhoeffer: An dem Material der Psychia¬
trischen Klinik (194 Fälle), das mit Salvarsan behandelt worden ist,
konnte Folgendes festgestellt werden: Gummöse Prozesse reagierten
am besten, entarteritische am wenigsten. Schädigungen traten nur
in ganz geringem Prozentsatz auf. Direkte Salvarsantodesfälle wurden
nicht beobachtet. Bonhoeffer glaubt, daß bei vorsichtiger Behand¬
lung größere Schädigungen nicht zu fürchten sind. — Was die Frage
anbetrifft, ob die mit Salvarsan behandelten Fälle schneller an Paralyse
erkranken, so ist dazu zu sagen, daß in 3 Fällen eine besonders kurze
Inkubationszeit beobachtet wurde. An dem nur mit Hg behandelten
Material zeigt sich jedoch die Paralyse in ähnlichem Prozentsatz
sehr früh. Dagegen ist bemerkenswert, daß, wie an vielen anderen
Stellen, so auch in der Berliner Klinik die Aufnahme an Paralysen
von 13 o/ö auf 8<ft zurückgegangen ist.
Lubarsch: Wenn auch der Salvarsantaumel vielleicht nicht be¬
rechtigt war, so sollen wir doch jetzt nicht jede Schädigung dem
Salvarsan in die Schuhe schieben. Sicher kann im Verlaufe einer
Salvarsanbehandlung eine Dermatitis, ein Ikterus usw. auftreten. Es
ist ebenfalls zuzugeben, daß es im Anschluß an eine Salvarsanbehand-
lung zu einer Purpura cerebri und zum Exitus kommen kann. Dies
kommt aber nur sehr selten vor, und wir können nur sagen, daß diese
zahlreichen Hirnblutungen die einzigen Zeichen sind, die sich auf¬
decken lassen. Insbesondere scheinen die Fälle von Paralyse hierzu
zu neigen. Das Auftreten einer Leberatrophie im Anschluß an eine
Salvarsanbehandlung ist noch nicht geklärt. Die Leberatrophie hat in
den Jahren 1919 bis 1921 erheblich zugenommen. In den Jahren 1914
bis 1918 wurden nur 8 Fälle beobachtet. In dem folgenden Zeit¬
raum 22 Fälle, von denen nur 9 Syphilis hatten und nur 5 mit
Salvarsan behandelt wurden. Auch die Schweizer und Holländer
Pathologen haben über Aehnliches berichtet.
J. Ci fron: Das Salvarsanproblem ist mit dem Syphilisproblem
verknüpft. Für den Internisten ist die Syphilis eine chronische Infek¬
tionskrankheit mit Erkrankung der inneren Organe. So kommt es,
daß die Dermatologen unter Frühlatenz etwas ganz anderes verstehen
als die Internisten. Wenn man das Verschwinden der äußeren Er¬
scheinungen darunter versteht, so kann man sich nicht damit ein¬
verstanden erklären, dies Stadium nicht mehr mit Salvarsan zu be¬
handeln. Die aktive asymptomatische Syphilis, die durch den positiven
Wassermann charakterisiert ist, muß behandelt werden, die inaktive
asymptomatische nicht. Auch die Spätsyphilis ist behandlungsbedürftig,
wenn sie aktiv ist, und zwar muß man mit allen Mitteln, auch dem
Salvarsan, dagegen Vorgehen. Es ist falsch, zu glauben, daß die
Spätsyphilis der inneren Organe mit Salvarsan nicht zu bessern ist.
Viele Kontraindikationen, wie Herzinsuffizienz usw., die Ehrlich
aufgestellt hat, müssen demnach fallen. Wenn man alle Patienten, die
einen positiven Wassermann haben, mit Salvarsan behandelt, so wird
man aas Entstehen vieler Aneurysmen usw. verhindern. Natürlich
wird dies nicht in allen Fällen gelingen, und wenn man keinen Er¬
folg sieht, so wird man nicht ad infinitum fort behandeln. — Es
kommt nicht allein auf die Höhe der Gesamtdosis, sondern auch auf
die Einzeldosis an. Zu kleine Salvarsandosen haben mindestens eben¬
soviel Schädigungen zur Folge wie zu große. Die eigentlichen Sal-
varsanschädigungen wurden zuerst des öfteren gesehen, weil die Tech¬
nik schlecht war. Seitdem das Neosalvarsan verwendet wird, wurden
mit diesem Präparat keine schweren Erscheinungen beobachtet. Das
Sulfoxylat hatte mehrere Unfälle zur Folge und ist daher zurück¬
gezogen worden. Das Silbersalvnrsan macht häufiger den angio-
neurotischen Symptomenkomplex. Das Oros der Fälle mit Schädi¬
gung nach Salvarsanbehandlung glaubt Citron nicht auf das Sal¬
varsan zurückführen zu müssen. Sekundäre Einflüsse scheinen eine
große Rolle zu spielen. Darauf deutet hin, daß die . Fälle in der
Hauptsache in Deutschland beobachtet wurden, daß sie regionär
und periodisch auftraten. Citron schlägt vor, die Syphilis an
einer Stelle in der Klinik zu vereinen und nicht mehr zwischen der¬
matologischer, innerer und Nervensyphilis zu unterscheiden.
Buschke: Lebererkrankungen wurden in der Hauptsache auf
der Syphilidologischen Abteilung beobachtet, bei den Fällen, die mit
Salvarsan behandelt worden waren. Die Nervensyphilis hat in letzter
Zeit unbedingt zugenommen. Sie tritt in der Hauptsache bei Unter¬
dosierung auf. Die Syphilis hat an sich zugenommen, was zum Teil
auf den Leichtsinn zurückzuführen ist, der durch das Salvarsan
entstanden ist. Auch die Virulenzsteigerung der Spirochäten durch
kleine Salvarsandosen mag zum Teil daran schuld sein. Der Praktiker
kann nicht so ausgiebig behandeln, wie es notwendig ist, und das
wirict dektär. Das Salvarsan ist ein ausgezeichnetes Symptomatikum,
es leistet bei der Abortivkur vielleicht etwas mehr als das Hg,
schon im Sekundärstadium ist dies aber fraglich. Mit dem Salvarsan
darf nur nach bestimmten Indikationen behandelt werden.
Bruhns: Das Silbersalvarsan wirkt sehr gut, doch treten oft
Ekzeme auf, weshalb es aufgegeben wurde. Das Neosilbersalvarsan
scheint in dieser Beziehung besser zu sein. Desgleichen die Kom¬
bination von Neosalvarsan mit Novasurol bzw. Cyarsal. Man kann
aber nicht unbedingt einem Präparat den Vorzug geben. Auch das
Neosilbersalvarsan kann Ekzeme machen, auch eine Enzephalitis ist
in einem Falle aufgetreten. Es wurden 81 Fälle von Ikterus be¬
obachtet, von denen 65 mit Salvarsan behandelt waren. Hieran sind
die alten Methoden mit 1,2o/o aller Fälle, die Misch-Spritzen mit
4,52 bzw. 5,2o/ 0 beteiligt. Eine gewisse Vorsicht ist also bei letzteren
am Platze. Der Ausgang der Ikterusfälle war bis auf einen Fall
günstig. Bruhns plädiert auf Grund seiner Erfahrung dafür, daß
nicht mit dem Salvarsan allein, sondern mit Hg und Salvarsan be¬
handelt wird. Kleine Dosen, die in genügender Zahl gegeben werden,
hält er nicht für gefährlich. Man soll mit kleinen Dosen beginnen,
weil man dann nur leichtere Zufälle erlebt, die als Warnungssignal
dienen können. Die Indikationen, die Arndt aufgestellt hat, hält
er für zu eng gezogen. Man soll bei positivem Wassermann auch in
der Spätlatenz Salvarsan geben. Dresel.
Berlin, Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie,
13. und 27.1.1922.
(13.1.) Hammerschlag: a) Ein Pall von döstnilerendcr Blase am ole
Die Patientin wurde wegen Blasenmole ausgeräumt und kurettiert.
Die Operation verlief komplikationslos, und die Patientin konnte sich
bald erholen. 7 Monate später erkrankte sie wiederum an Blutungen,
und es wurde eine Extrauteringravidität diagnostiziert. Bei der
Laparotomie zeigte sich, daß es sich um eine destruierende
Blasenmole handelte, die sich in der linken Tubenecke des Uterus
lokalisiert hatte. Das Präparat wird demonstriert.
Besprechung. Sachs beschreibt einen ähnlichen Fall mit
Demonstration des Präparates. — Robert Meyer ist der Meinung,
daß es sich nach der Beschreibung des histologischen Bildes nicht
um eine destruierende Blasenmole, sondern um ein Chorionepitheliom
handelt, b) Bericht über einen Pall von Extrauteringravidität, die
bei einem Abtreibungsversuch durch Perforation des Uterus unter¬
brochen wurde.
Bumm: Zur Rehabilltiernng der Alexander-Adamaschea Operation.
Die Operation wird empfohlen 1. zur Lagekorrektur einer mobilen
Retroflexio uteri, 2. zur Bekämpfung der Sterilität. Bumm berichtet
im ersteren Frille, daß von 100 Fällen in der Universitäts-Frauen¬
klinik 90 endgültig geheilt sind. Zur Bekämpfung der Sterilität
empfiehlt er sie dringend und berichtet, daß an der Universitäts-
Frauenklinik in 35o/o der Fälle die Sterilität durch die Operation be¬
hoben worden ist. Vorbedingung für ein gutes Gelingen der Opera¬
tion ist: 1. Untersuchung der Patientin in Narkose. (Die Operation
kommt nur in Frage bei mobiler R. u.) 2. gute Technik: a) Spaltung
der Faszie und des Peritonealkegels, b) Anlegen der ersten Nähte
intraperitoneal. Bumm erwähnt zum Schluß, daß auch bei dieser
verhältnismäßig einfachen Operation Mißerfolge eintreten können.
Bei 3000 Fällen der Universitäts-Frauenklinik sind 3 Fälle ad
exitum gekommen, und zwar 1 Fall infolge Peritonitis, 1 Fall in¬
folge Grippe, 1 Fall infolge Embolie.
(27.1.) Knorr gibt eine kurze Beschreibung der vor genau 100 Jahren
zum ersten Male von Nepomuk Sauter ausgeführten vaginalen
Totalexstirpation des Uterus wegen Portiokarzinom.
Mackenrodt: Ueber die Alexander - Adamssche Operation. Die
Alexander-Adamssche Operation hat sich in den 90er Jahren des
vorigen Jahrhunderts allmählich eingebürgert und für die mobile
Retroflexio die Vagini- und Ventrofixationen verdrängt Bis 1913
hat Mackenrodt die Operation meist einseitig, von 1913 bis
1918 doppelseitig und seitdem mit Auswahl ein- oder doppelseitig
ausgeführt. Nach der Raffung verläuft das Band fast horizontal
und zieht den Blasenzipfel stark in die Höhe, sodaß bei dop¬
pelseitiger Ausführung häufig eine Falte der Blase vor dem
Uterus entsteht, worauf die von Mackenrodt nicht selten ge¬
sehenen Blasenstörungen zurückgeführt werden. Der Uterus befindet
sich in Elevationsstellung. Bei richtig ausgeführter Operation kommen
keine Rezidive vor. Die beobachteten Rezidive treten sofort nach
der Operation auf und sind durch Fehler bei dieser zu erklären.
Bei reiner Retroflexio mobilis sind die Resultate bei ein- und doppel¬
seitiger Operation ungefähr gleich. Als Indikationen für die doppel¬
seitige Ausführung müssen chronische Schrumpfungen des Lig. trans-
versum, Entzündungen und chronische Appenaizitis gelten. Prinzipiell
wird bei der Operation der Peritonealkegel geöffnet. Die Resultate
sollen zusammengestellt veröffentlicht werden. Von 116 einseitig
ausgeführten Operationen boten 110 ein tadelloses Resultat. Bei
6 Fällen trat das Rezidiv sofort nach der Operation auf.
Besprechung. Palm hat 1902 zum ersten Male die Operation
ausgeführt, angeregt durch Rumpf, der bereits 1893 zum‘ersten
Male die Operation in Berlin gemacht hat. Bei über 300 Fällen
er nie schwere Eiterungen, keine Hernien und stets gute Resultat—
gesehen. Bei der Operation per laparotomiam macht und empfieV*\X
er seinen 1909 angegebenen Ankerschnitt und evtl, die Fixati*^?^
des Lig. rotundum am Tubercuhun pubicum.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
308
VEREINS- UND KONORESSBERICHTE
Flaischien hat ebenfalls stets gute Resultate nach der Ope¬
ration gesehen. Vor der Operation legt er häufig ein Pessar ein,
das bis 14 Tage nach der Operation liegen bleibt, um den Uterus
sicher in Anteflexionsstellung zu fixieren, bis die Bänder fast ein¬
geheilt sind.
H e i n s i u s bevorzugt die zweiseitige Operation und macht einen
Faszienquerschnitt, wenn nicht einwandfrei teststeht, daß der Uterus
mobil ist. Nach Abriß eines Bandes hat er einmal eine erhebliche
Blutung gesehen, weshalb er dieses Ereignis durchaus nicht für
bedeutungslos hält. Heyn.
Berlin, Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten,
12. XII. I92I 1 ).
Förster: Ueber Encephalitis lethargica. Demonstration bereits
früher (vgl. diese Wochenschrift Nr. 47 S. 1311) gezeigter Kranker,
bei deren einem im weiteren Verlauf eine Verschlimmerung mit
Gelenkversteifung aufgetreten ist. Ein Fall mit den Erscheinungen
des Torsionsspasmus ist dagegen weitgehend gebessert. Förster
nimmt als Grundlage später zuriickgegangene Oefäßinfiltrationen an.
In einem weiteren Fall waren die Erscheinungen einer Encephalitis
Icthargica durch ein diffuses Gliom bedingt.
Besprechung. T. Cohn weist auf das von ihm zuerst be¬
schriebene Symptom des Salbenglanzes der Oesichtshaut bei Encepha¬
litis lethargica hin. Schuster hat diese Erscheinung auch bei
pseudobulbären Sklerosen gesehen.
Kramer: Peripherische und zentrale Neurofibromatose. 21 jähriger
Patient, bei dem sich seit 1913 multiple Neurofibrome entwickelt
haben, die eine Enukleation des linken Auges mit Entfernung eines
Neurofibroms der Orbita erforderlich machten. Infolge jetzt auf¬
getretener Geschwulsterscheinuugeii der rechten hinteren Schädel¬
grube Trepanation, danach subjektive Besserung und Besserung des
Sehens, sodaß Patient die zweite Operation ablehnt. An welchem
Nerven die zentralen Neurofibrome sich entwickelt haben, läßt sich
nicht entscheiden.
Henneberg: Aszendierende infiltrative Myelitis nach Erysipel.
Nach Erysipel plötzliche Lähmung des linken Beins und der Blase.
Sensibilitätsstörung links bis zum Darmbeinkamm, Areflexie. Nach
einem Tag Lähmung des rechten Beins, in den nächsten Tagen Höher¬
schreiten der Sensibilitätsstörung, Parese der Arme. Nach 17 Tagen
Respirationslähmung, Exitus. — Autopsie: Erweichung des ganzen
Rückenmarks, außer dem obersten Zervikalmark. Hochgradiger Mark¬
zerfall, Aufhellung der grauen Substanz. Im oberen Zervikalmark
Quellungsherde im Markmantel. Keine aufsteigende Degeneration.
Vom oberen Sakral- zum unteren Dorsalmark eitriges Exsudat in der
Arachnoidea. Im Rückenmarksgewebe Körnchenzellen, Gliawucherung,
Veränderung der Ganglienzellen. Stellenweise große zellige Infiltrate
f olynukleärer Natur, zahlreiche Blutungen. Im Zervikalmark keine
nfiltrate, nur Aussaat von Leukozyten. Henneberg betont die
Seltenheit der Myelitis nach Erysipel, die ungewöhnliche Ausdeh¬
nung des Prozesses, die leukozytäre Infiltration und das Fehlen von
Abszeßbildung. Die Veränderungen sind Folge von örtlichen Kreis¬
laufstörungen auf Grund von bakteriellen Reizen mit der seltenen
Erythro- und Leukodiapedese. Daneben besteht das Bild der degene-
rativen Myelitis. Letztere von der Myelitis selbst zu trennen^ ist un¬
zweckmäßig. Wie sich der myelitische Prozeß ausbreitet, ist noch
unklar. Oft dürfte das Aszendieren nur scheinbar sein und von vorn¬
herein ausgedehntere, zunächst aber nur an zirkumskripten Stellen
intensivere Veränderungen vorliegen. Auch eine Fortleitung des
Reiz- und Lähmungszustandes der Kapillaren auf nervösem Wege
kommt in Frage.
Besprechung. Jacobsohn-Lask: Sowohl bei der ex¬
sudativen wie der degenerativen Form der Myelitis bestehen, wenn
auch verschieden lokalisiert, Entzündungserscheinungen, die sich von
der einfachen Erweichung unterscheiden.
Ben da faßt die Befunde als zur toxischen Myelitis gehörig auf, zu
der die degenerativen Veränderungei^des Rückenmarks zuzurechnen sind.
Henneberg (Schlußwort):" Die myelitischen Nekrosen und
auf Stase beruhenden akuten Degenerationen sind von den ischämi¬
schen Nekrosen getrennt. Dagegen gehören die degenerativ und
infiltrativ myelitischen Prozesse zusammen.
Hörmann: Polynenritis nach Arsenvergiftang. Nach Oenuß von
4 g 88,4<>/oiger arseniger Säure Erbrechen, nach mehreren Tagen
Parästhesien, Halluzinationen, Hautspannung und Verfärbung, Geh¬
störung. Nach 4 Wochen Paresen an den Armen mit Entartungs¬
reaktion, Sensibilitäts- und stereognosiischen Störungen, Paresen und
Entartungsreaktion in den Beinen, Areflexie, Sensibilitätsstörung,
Druckschmerzhaftigkeit der Muskeln und Nerven. Im Liquor Opa¬
leszenz und Lymphozytose. Arsen wurde in Haaren und Urin nach-
gewiesen.
Besprechung. Schuster erwähnt einen entsprechenden Fall,
aber ohne Sensibilitätsstörungen.
Joachiraoglu betont aas Fehlen von sonst immer erwähnten
Durchfällen. In 5—6 g Haaren läßt sich Arsen immer 8—9 Monate
lang, nachweisen.
Frenkel-Heiden: Untersuchungen über die Arsenausschei¬
dungen in derartigen Fällen würden auch Aufschluß über die Aus-
scheidung de s Salvarsans versprechen. Kurt Löwenstein.
*) Bei der Redaktion eingegangen am 30.1.1922.
Nr. 9
Königsberg i. Pr., Verein für wissenschaftliche Heilkunde,
5. XII. 1921.
Offizielles ProtolcolL
Vorsitzender: Winter. Schriftführer i. V.: Schellong.
Kurtzahn: a) Blasentumoren im Röntgenbild. Kurze Besprechung
der zur röntgenologischen Darstellung der Blase benutzten Kontrast¬
mittel. Empfehlung des Bromnatrium in 15<>/oiger Lösung. Demon¬
stration dreier typischer Röntgenbilder von Blasenkarzinomen ver¬
schiedener Lokalisation. Bei Prostatakarzinomen gewinnt man be¬
sonders guten Aufschluß über die Größe des Tumors durch gleich¬
zeitige Darstellung der Harnröhre mittels Kontrastfüllung. Die
Aufnahme geschieht im schrägen Durchmesser. Demonstration eines
entsprechenden Diapositivs, d) Veränderungen der männlichen Harn¬
röhre im Röntgenbild. Kurtzahn beschreibt kurz die Aufnahme¬
technik der Harnröhre nach Kontrastfüllung, wie sie in der Chirurgi¬
schen Klinik in Königsberg geübt wird. (Näheres Fortschr. d. Rönt-
genstr. 1921 Bd. 28 S. 294 ff.) Demonstration von Röntgenbildem
typischer pathologischer Zustände der Harnröhre mittels Diaposi¬
tiven, von Unfailstrikturen, gonorrhoischen Strikturen, „falschen
Wegen“, Prostatahypertrophien und mit der Harnröhre kommuni¬
zierenden Fisteln. Der praktische Wert solcher Aufnahmen wird
hervorgehoben.
Besprechung. Th. Cohn zeigt ein Röntgenbild von der
Harnblase eines 59jährigen Mannes mit einem Tumor an der Spitze
des nach oben spitz zulaufenden, mit 10o/oigem Bromnatrium gefüllten
Organs. Die Ableuchtung hatte ein krebsiges Geschwür am Unken
Rande der Urachusmündung ergeben. Er betont gleichfalls den Wert
des Röntgenbildes der Hamröhrenlichtung für die Erkennung und
Behandlung von Verengerungen, hat Kollargol, Jodnatrium oder Brom¬
natrium verwandt uncf dabei von oben her beleuchtet; der Kranke
liegt auf der Seite mit möglichst stark gebeugten Oberschenkeln, den
oberen dabei möglichst stark abduziert. Cohn verweist auf die
Arbeiten über Aktinographie der Harnröhre der letzten Jahre.
Carl demonstriert einen 62jährigen Patienten mit Sarcoma cstii
baemorrhagicuni vom Typus Kaposi. Die ersten Anfänge der Krank¬
heit gehen 9 Jahre zurück. Auftreten von harten Knoten in der
Kutis, in beiden Fossae supraclaviculares, teils in Tumorform vom
Aussehen gefüllter Hämorrhoidalknoten das Hautniveau überragend.
Auf zweimalige Behandlung 1913 und 1914 mit Arsen und Radium-
Strahlen völliger Rückgang der Krankheit. Jetzt wieder Neuauftreten
der alten Erscheinungen um die rechte Schultergegend, nach vorn
bis zur Mamilla, nach hinten bis zur halben Skapula die Kutis infil¬
trierend mit mehreren Knötchen in der Mitte. Derbe Drüsen zu
beiden Halsseiten und in der rechten Axilla. Fast keine Alteration
des Allgemeinbefindens. Keine Veränderungen des Blutbbildes. Völ¬
lige Rückbildung der derben Infiltrationen auf subkutane Arsengaben
und Röntgenstrahlen. Vom Originaltumor und zwei Drüsenpaketen
entnommene Proben ergeben einen aus retikulärem Gewebe mit
Rund- und Spindelzellen und sehr zahlreichen Kapillaren aufgebauten
Tumor. An einigen Stellen Pigmentablagerung ln aen Zellen, gelegent¬
lich Zellanhäufung in der Art von Keimzentren. Zwischengewebe
in allen Präparaten kollagen.
König: Volvnlus durch Mesenterialzyste io der Gravidität. Eine
23jährige Frau erkrankt im 6. Monat der ersten Schwangerschaft
plötzlich mit heftigem Erbrechen, Leibschmerzen und Verstopfung.
Das Erbrechen wird als Schwangerschaftserbrechen gedeutet und
daher die Frau erst nach 14 Tagen der Klinik überwiesen. Bei der
Aufnahme äußerst schweres Krankheitsbild mit ausgesprochenen
Ileussymptomen. Die Operation deckt einen Volvulus des gesamten
Dünndarmes um 360° im Sinne des Uhrzeigers auf, außerdem eine
faustgroße Chyluszyste im Mesenterium. Rückdrehung des Volvulus,
Entlee ng des Darmes, Exstirpation der Zyste. 20 Stunden post
Operationen! Exitus. Es wird angenommen, daß der gravide Uterus
die Chyluszyste aus ihrer Gleichgewichtslage gebracht hat, sodaß
sie leicht umkippen und hierbei das Mesenterium -mit dem Darm
torquieren konnte.
Blohmke: Kehlkopfnekrose als Röntgenschädigung. Eine45jährige
Frau wird wegen eines polymoiphen Sarkoms im Nasenrachenraum
mit Halsdrüsenmetastasen im Juni 1921 mit Röntgenstrahlen behandelt
(Bestrahlung mit Symmetrieinduktorium, selbsthärtender MüUer-
Siederöhre, 0,5 mm Zinkfilter. HED. Primärtumor durch Mund
mittels Glastubus, Metastasen auf beiden Halsseiten mit je einem
Feld bei Bleigummiabdeckung). Danach Erythem der Haut auf
beiden Seiten des Halses, Trockenheit im Rachen, Heiserkeit, Schluck¬
störung. Allmähliches Zunehmen der Beschwerden. Es entwickelt
sich 5 Monate nach der Bestrahlung unter dem Bilde eines Kehlkopf¬
abszesses eine Kehlkopfnekrose, die zur völligen Einschmelzung fast
der ganzen Vorderwand des Kehlkopfes vom Ringknorpel bis über
den oberen Rand des Schildknorpels führt. Es ist nur noch die
Hinterwand mit Aryknorpeln erhalten. Es handelt sich also um eine
seltene Röntgenschädigung des Kehlkopfes, wie sie ähnlich bisher
nur einmal in der Literatur mitgeteilt worden ist. Der Primärtumor
und die Halsdrüsenmetastasen sind restlos beseitigt.
Besprechung. Kurtzahn macht auf den Unterschied zwischen
Röntgen Verbrennung und den sogenannten Spätschädigungen auf¬
merksam. Die letzteren beruhen im wesentlichen auf GefäBdegene*
rationen. Die besondere Radiosensibilität des Kehlkopfes sei bekannt
Im vorliegenden Falle sei, soweit die Lokalisation der Metastasen
Digitized by Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
3. März 1922
VEREINS- UND KONORESSBERICHTE
309
dieses zugelassen habe, der Kehlkopf dem direkten Strahlenbereich
entzogen worden. Dies konnte durch die Lokalisation der beiden
schwach pigmentierten Hautfelder bewiesen werden. Kurtzahn
stellt einen Patienten mit Karzinom des Nasenrachenraums vor, der
in gleicher Weise behandelt, seit Monaten wieder arbeitsfähig ist
und 8 Pfund an Gewicht zugenommen hat.
Carl konnte als eigenartige Röntgentiefenschädigung eine voll»
ständige Nekrose der Glandula submaxillaris mit eingestreuten Karzi¬
nomdrusen 4 Monate nach Abbrechen der Bestrahlungstherapie be¬
obachten. Primärtumor Kankroid des rechten Gaumens. Die Haut
über der Nekrose war völlig intakt. Auf den Nachweis der Fluk¬
tuation hin wurde eine kleine Hautinzision gemacht, und ein großer
vollständig isolierter Weichteilsequester konnte mit der Pinzette her¬
ausgehoben werden. Keine Eiterung. Die mikroskopische Unter¬
suchung des Sequesters ließ ein völliges Fehlen der Kernfärbung
des Diüsen- unci Zwischengewebes erkennen. Nur die Kerne der
Zellen der Kankroidperlen waren färberisch darstellbar.
E. Meyer: Encephalitis Iethargica. Meyer gibt eine zusammen¬
fassende Darstellung der Encephalitis Iethargica unter Berücksichti¬
gung der Literatur und der eigenen Beobachtungen, die inzwischen
auf einige 30 Fälle angestiegen sind, jedoch sind dieselben weder
ihrer örtlichen noch zeitlichen Entstellung nach epidemisch auf¬
getreten. Sie boten die bekannten Krankheitstypen, auch schwerere
psychische Störungen’ waren häufig. Rezidive wurden mehrfach be¬
obachtet. Für die Diagnose ist, abgesehen von epidemischem Auf¬
treten, wichtig der Beginn in Form einer akuten Allgemeinerkrankung
mit Fieber, Kopfschmerzen, Schwindel, Erbrechen usw., mit an¬
schließender Schlafsucht und Augenmuskellähmungen, dann nach einem
ähnlichen Beginn das Bestehen sehr widersprechender Symptome von
seiten des Nervensystems, wie z. B. Augenmuskellähmungen neben
dem Bild der Paralysis agitans. Die Prognose ist sehr ernst, auch
bei einfach lethargischer Form, vor allem anscheinend bei der Para-
lysis-agitans-Form, die in letzter Zeit am häufigsten war. Behandlungs¬
versuche mit Elektrokollargol, Salvarsan u. a. blieben erfolglos, Hy¬
oszin wirkte günstig bei den Paralysis-agitans-Formen, aber an¬
scheinend nur vorübergehend. (Ausführliche Wiedergabe in den
„Fortschr. d. M “.)
Besprechung. Lempp: Bezüglich der von Meyer erwähn¬
ten Augensymptome bei Encephalitis Iethargica ist Folgendes zu be¬
merken: Von verschiedenen, besonders auch französischen Autoren,
wie Ge net u. a., ist darauf hingewiesen worden, daß gerade das
Symptom der isolierten Akkomodationslähmung für die Diagnose
Encephalitis Iethargica von großer Bedeutung sein kann. Es ist
dabei besonders noch dadurch charakterisiert, daß die Lähmung plötz¬
lich und beiderseits gleichzeitig auftritt. Dasselbe trifft für die
Diphtherie und den Botulismus zu. Andere Augenmuskellähmungs¬
erscheinungen können daneben in den mannigfachsten Formen auf-
treten. Man muß also immer versuchen, in zweifelhaften Fällen die
obengenannten Charaktere aufzufinden. Nicht selten gelingt es dann,
einerseits die Differentialdiagnose gegenüber Typhus, Meningitis tuber-
culosa und Syphilis zu sichern, anderseits kann es vermieden werden,
leichte Fälle von Encephalitis Iethargica gegenüber Grippe und anderen
Erkältungskrankheiten zu diagnostizieren. Pathologisch - anatomisch
nimmt man eine Schädigung des selbständigen, m der Nähe der Kerne
der Pupillenbahnen zwischen Pedunkuluskemen und Hirnrinde ver¬
muteten nervösen Akkommodationszentrums durch ein durch die
Blutgefäß * herangeführtes Toxin an.
Steinberg: lieber die Erhöhung der spirilloziden Wirkung des
Salvarsans durch intravenöse Traubenzockerin]ektionen. Durch intra¬
venöse Traubenzuckerinjektionen wird ein starker Flüssigkeitsstrom
vom Gewebe nach der Blutbahn ausgelöst (Hydrämie). Gleichzeitig
findet ein Rückstrom nach dem Gewebe statt, also starker wechsel¬
seitiger osmotischer Flüssigkeitsaustausch zwischen Blut und Gewebe.
Daneben wirkt der Traubenzucker zugleich protoplasmaaktivierend,
das heißt leistungssteigemd auf das erkrankte Gewebe, wodurch dieses
zu energischeren Abwehrmaßnahmen gegen das infektiöse Virus an-
eperegt wird. Dabei wird sicher die Avidität des Gewebes dem
Salvarsan gegenüber erhöht, und es kommt zu vermehrter Speicherung
des Salvarsans bzw. dessen Abbauprodukten im Gewebe. Auch auf
die Spirochäten wirfst Traubenzucker reizend, indem es zur stärkeren
Vermehrung kommt, ähnlich der Wirkung kleiner Salvarsandosen
(Ehrlich, Frey [Breslau]), und mit den jungen Spirochäten wird
das Salvarsan leichter fertig; dasselbe wurde an der hiesigen Klinik
bei Gonorrhoe bei Kombination von Traubenzucker mit Antigonor-
rhoizis beobachtet. An Hand von Kurven wird gezeigt, daß Trauben-
zuckersalvarsan reichlich doppelt so spirillozid wirkt als gleiche
Dosen Salvarsan allein. Besonders energisch war die Wirkung bei
Verwendung von 50% Traubenzucker und Salvarsan, dabei wirkt das
Gemisch nicht toxischer als Salvarsan allein, wie im Tierversuch
festgestellt wurde. Wie der Einfluß auf den Gesamtverlauf der
Syphilis und die Wa.R .ist, muß erst noch durch genaue klinische
und serologische Beobachtungen festgestellt werden.
Besprechung. Wolffheim: Da es wahrscheinlich ist, daß
es sich bei der Erhöhung der spirilloziden Wirkung des Salvarsans
durch Traubenzucker um eine den Proteinkörpern analoge Reiz-
wiikung handelt, so ist von vornherein kaum anzunehmen, daß dem
Traubenzucker in dieser Hinsicht ganz besondere Eigenschaften zu-
koromen, und es wäre interessant, solche Kombinationen des Salvar¬
sans auch mit anderen Stoffen, besonders mit Proteinkörpem, zu
versuchen . _
Hamburg, Aerztlicher Verein, 22. XI. 1921.
Offizielle* Protokoll.
Vorsitzender: Simmonds. Schriftführer: Roedelius.
Kaiser: Operativ geheilter, mit Meningitis verknüpfter Fall von
otogenem Gebirnabszeß.
Deseniß berichtet über einen Fall von Stieltorsion eines sub-
serösen Myoms in der Gravidität. Bei einer 38jährigen Primigravida
waren 4 Tage vor der Operation ganz akute starke Schmerzen in der
linken Bauchseite aufgetreten, Stuhl und Blähungen sistierten völlig;
Leib aufgetrieben; kein'Fieber. Laparotomie unter Annahme einer Tor¬
sion eines Ov.-Tumors, ergab apfelgroßes, blauschwarzes, subseröses,
gestieltes Myom in der linken Uteruskante, durch fibrinöse Auflage¬
rungen und Flexur lose verklebt; der dünne Stiel um 180° gedreht.
Primäre Heilung mit Erhaltung der Graviditas mens. 5. Bedeutung
des Faszienquerschnittes bei Operation in der Oravidität In Hinsicht
auf die Belastung durch die Wehenarbeit sub partu.
Groß: a) Dünndarmdivertikel bei einer 83jährigen Patientin.
Präparat von einem Duodenum mit 4 Divertikeln und Jejunum (40 cm
lang) mit 10 falschen Divertikeln, Hinweis auf seltenes Vorkommen
un<a klinische Diagnose wegen meistens vorhandener Symptomlosig-
keit b) Lebensgefährliche Corpus luteum-ßlutnngen. Operativer Fall,
imponierte als Appendizitis bei linkseitiger Corpus lut.-Blutung 14 Tage
nach Menstruation ohne äußere Blutung. Exstirpation des Ovars von
rechter Flanke; Patientin gesundet. Trotz Seltenheit sollten derartige
Fälle in allen umfassenden chirurgischen Büchern Erwähnung finden
wegen Lebensgefahr. Eine tödliche Blutung bei von anderer Seite
operiertem Fall warnendes Beispiel.
Hegler berichtet unter Vorzeigung von Kurven über Typhnsfille,
bei welchen die bakteriologische bzw. serologische
Diagnose Schwierigkeiten bot. Die Züchtung der Typhus¬
bazillen aus dem Blut, früher in rund 90% der Fälle ohne Schwierig¬
keit gelingend, ist jetzt trotz gleicher Technik (Verwendung nicht
zu kleine' Mengen Blutes, genügend lange Anreicherung mit Rinder¬
galle) oftmals nicht möglich bzw. nur bei häufig' wiederholter Blut¬
kultur. Weiterhin zeigte sich, daß der Agglutinationstiter des Blut¬
serums häufig ein auffallend niedriger ist, ja, daß die Gruber-Widal-
sche Reaktion selbst in späteren Wochen aes Typhus negativ bleibt.
Bei schweren Typhusfällen ist dieser „negative Spät-Widal“ lange
bekannt und neuerdings wieder von Kleinsorgen (Zschr.f. Hyg.92)
als Signum mali ominis beschrieben worden. Bei diesen Fällen aber,
von welchen Hegler in den letzten drei Monaten über ein Dutzend
beobachtete, handelte es sich um leichte oder mittelschwere Fälle, von
denen ein Teil sogar früher gegen Typhus schutzgeimpft war, also
die Voraussetzung für leicht und hocn einsetzenden Agglutinations¬
titer bot. In solchen Fällen, wo der klinisch sichere Befund durch
das Ergebnis der bakteriologisch-serologischen Untersuchung zunächst
nicht gestützt wird, empfiehlt sich, neben oft wiederholter Kultur aus
Blut, Stuhl und Urin den niedrigen Agglutinationstiter, wie das vor
kurzem auch Löhr beschrieb, durch unspezifische Reizmittel (Aolan,
Caseosan, Adrenalin, Pferdeserum) vorübergehend zu steigern und
damit die Diagnose auch serologisch zu sichern. Selbstverständlich
darf eine solche künstliche Steigerung des Agglutinationstiters bei
früher Typhusgeimpften nur mit Vorsicht verwertet werden!
Meggendorfer berichtet über 5 Fälle von chronischem, pro¬
gressivem, postenzephalitischem Parkinson. ^ An Hand dieser und ähn¬
licher Fälle der Literatur kann man zwei Oruppen unterscheiden:
Fälle mit mehr oder weniger schwerer initialer Enzephalitis, die in
Heilung auszugehen scheinen, aber wieder rezidivieren, in Schüben,
mit gelegentlicnen Temperatursteigerungen und Wechsel des Krank-
heitsbildes verlaufen, und Fälle mit ganz mildem Beginn und schwan¬
kungslosem, schleichendem Verlauf, von Anfang an unter dem Bilde
der Paralysis agitans. Erstere Fälle zeigen anatomisch Entzündungs¬
herde verschiedenen Alters an den für die Encephalitis epidemica
epischen Stellen, letztere ebendort eine fortschreitende Parenchym¬
degeneration; jene sind auf eine wiederaufflackemde Infektion, diese
mehr auf eine toxische Schädigung zu beziehen. Der Umstand, daß
sonst hilflose Kranke dieser Art unter besonderer Willensanspannung
offenbar von der Hirnrinde aus komplizierte Handlungen ausführen
können, legt die Möglichkeit einer Uebungstherapie bei geeigneten
Fällen nahe.
A. Jakob demonstriert und bespricht die histologischen Gehirn¬
veränderungen des von Meggendorfer besprochenen Falles von
postenzephalitischem Parkinson. In der Ponshaube und in der Sub-
stantia nigra fanden sich noch ganz zarte entzündliche Gefäßinfiltrate
und Narben alter entzündlicher Herde. Sonst ließen sich nur Paren-
chymdegenerationen feststellen, und zwar am hochgradigsten in der
Substantia nigra und im Pallidum, etwas zurücktretend un Striatum;
hier vornehmlich Ausfall der größeren Ganglienzellen. Die kortikale
motorische Willensbahn ist intakt.
Deutschländer: Die Behandlung der veralteten angeborenen
Hüftverrenkungen. Im Oegensatz zu der Therapie der angeborenen
Luxationen im ersten Kindesalter besitzen wir für die veralteten Hüft,
Verrenkungen, die nach Ansicht Deut sch {anders infolge der Krie&^
jahre zugenommen haben, noch keine Behandlungsmethode, die
einer allgemeinen Anerkennung erfreut. Die bisher üblichen Behaiv«^
hingsmethoden: symptomatische (Massage, Gymnastik, Heißluf*^
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNÜVERSm 1
310
VEREINS- UND KONGRESSBERICHTE
mechanische (Schienenhülsenapparate, Korsetts, Beckengürtel), un¬
blutige (gewaltsame Streckung, Lorenzsche Inversionsbehandlung)
und blutige Verfahren (Pfannenneubildung nach König, Lexer,
Witzei, blutige Transposition, Hoffasche Pseudathrosenoperation,
schräge subtrochantere Osteotomie und Gabelosteotomie) vermögen
zwar zum Teil recht dankbare Erfolge zu erzielen, aber ihrem Wesen
nach sind sie sämtlich Palliativmaßnahmen. Auf Orund eines Materials
von 30 radikal operierten Fällen, deren Beobachtung sich über ein
Jahrzehnt hinaus erstreckt, vertritt Deutschländer die Ansicht,
daß für die Fälle von veralteten Luxationen, bei denen das Wachstum
noch nicht abgeschlossen ist, durch die blutige Reposition sicher noch
eine vollkommene Heilung möglich, ist (Dauerergebnisse bis zu fünf¬
zehn Jahren); bei den Fällen mit abgeschlossenem Wachstum, bei
denen es bisher gelungen ist, nur exzentrische Pfanneneinstellungen
zu erreichen, wird auf jeden Fall eine wesentliche Besserung der
Funktion und ein Stillstand des Leidens auch im Fernresultat erzielt.
Die schweren Deformierungen des Luxationsgelenks bieten für die
blutige Reposition keine Gegenanzeige, da nach Wiederherstellung
der ursprünglichen Lagebezeichnungen des Gelenks sich unter dem
formativen Reiz der Funktion das koxale Gelenkende zweckmäßig
transformiert und an der rudimentären Pfanne eine kräftige Post¬
regeneration eintritt (Röntgenbilder). Größere Schwierigkeiten bilden
die Weichteilhindernisse und besonders die Muskulatur, deren patho¬
logisch-physiologisches Verhalten noch einer weiteren Klärung bedarf;
besonders spielt der Knopflochmechanismus des Ileopsoas eine wichtige
Rolle. Nach Schilderung der Technik, wie sie jetzt von Deut sch¬
iänder angeführt wird (extra- und intrakapsulärer Operationsakt,
schonende Reposition durch Hebel Wirkung), demonstriert Deutsch¬
länder die funktionellen und anatomischen Dauerergebnisse an
Patienten und Röntgenbildern. Die Radikaloperation ist zwar ein
keineswegs leichter Eingriff, aber hinsichtlich seines Gefahrenwertes
nicht schwerer zu beurteilen als jede andere größere aseptische
Gelenkoperation und disponiert bei der geschilderten Technik nicht
mehr zur Infektion als diese. Nach einem kurzen Bericht über die
Komplikationen, wobei besonders das Fehlen von Nervenschädigungen
hervorgehoben wird, schließt Deutschländer mit dem Hinweis,
daß ein therapeutischer Pessimismus gegenüber den veralteten Luxa¬
tionen nicht berechtigt und begründet ist.
Heidelberg, Naturhistorisch-medizinischer Verein,
6. XII. 1921.
Freudenbetg: Ueher die Ursache der Orfiofärbtrax von SJnf-
linzsstuhleii. Die Grünfärbung entsteht, wenn durch eine Oxydase
Bilirubin in Biliverdin verwandelt wird. Der Stuhl der Brustkinder ist
weit häufiger grün als der des Flaschenkindes; hierauf ist die Wasser¬
stoffionenkonzentration von wesentlichem Einfluß. Versuche mit Aze-
tatreihen zeigten, daß durch sie die Katalyse und damit die Grünfär¬
bung begünstigt wird. Phosphatreihen hemmen die Katalyse. Die
Rolle, die bei den Versuchen der Eisenkatalyse zufiel, übernimmt im
Organismus die Oxydase, die in den weißen Blutzellen, den Wander¬
zellen, entsteht, die eisenhaltig sind. Der Darminhalt des Säuglings
ist besonders phosphatarm; im Darmkanal des Brustkindes ist die
Reaktion stark sauer im Gegensatz zu dem des Flaschenkindes, in
dem ausgesprochene Fäulnisvorgänge herrschen. — Somit deutet der
grüne Stuhl des Säuglings auf normale Bedingungen: Säuregehalt,
Phosphatarmut. Beim Fernen der sauren Reaktion, wie beim Ruhr¬
stuhl, fehlt auch die Grünfärbung. Der grüne Stuhl der Flaschenkinder
dagegen zeigt pathologische Verhältnisse, Gärung mit Säuerung, an.
Heller: Oie Rolle der Galle bei der tryptfechen Verdeanag.'
Untersuchung der aktuellen Azidität im Darmkanal von Säuglingen
und saugenden Hunden ergibt durchweg saure Reaktion im Dünn¬
darm, ungefähr neutrale Reaktion an der Ileozökalklappe und Säuerung
im Dickdarm durch Gärung. Anschließend wird die Möglichkeit von
Trypsinverdauung im säuern Düimdarmmilieu erörtert. Versuche tryp-
tischer Verdauung von koaguliertem Hühnereiweiß im Mettscnen
Röhrchen zeigen, daß Galleanwesenheit die tryptteche Verdauung bei
saurer Reaktion fördert. Weitere Untersuchungen sind im Gange.
ln der Besprechung gibt v. Redwitz an, daß er ähnliche
Beobachtungen über die Eiweißverdauung mit Verdauungssaft, der
aus Fisteln gewonnen wurde, gemacht hat.
Groß macht auf Versuche von Biedermann aufmerksam, der
festgestellt hat, daß die Speichelverdauung bei schwach saurer Reaktion
stattfindet.
György: Neuere Untersuchungen über den Einfluß der Molke auf
die Darmzellen. Die Atmung der isolierten Darmzellen wird außer
durch Rahmstoffe der Milch auch durch Phosphatsalze stark gefördert
Die Wirkung der Phosphate ist schon bei der geringen Konzentration
von Viooo Normalität deutlich und erreicht bei einer Normalität 7*oo
bis Vaoo ihr Optimum. Es wird auf die Zusammenhänge mit den
Forschungsergebnissen der Embdenschen Schule hingewiesen.
Gottlieb: Umstimmung dorch unspezifische Reize. (Nach Ver¬
suchen mit Dr. Freund.) Als unspezifischer Reiz wird jede Art
parenteraler Eiweißzuführung bezeichnet. Hierzu gehört die Injek¬
Nr. 9
tion von Rekonvaleszentenserum, von Normalserum, von Milch; zu¬
sammenfassend sprach mau von Proteinkörpertherapie. Da fest¬
gestellt wurde, daß auch die Injektion anderer Körper analog wirkte
(Kieselsäure usw.L wurde von Kolloidtherapie gesprochen: die Auf-
nähme der Kolloide bewirkte Zustandsänderung de J r Blutkolloide selbst
durch die unspezifische Reaktion wird ein abnormer Zellverfaü her-
vorgerufen. Auch bei manchen physikalischen Heilmethoden wird
Steigerung des Zellstoffwechsels beobachtet, bei dem die in das Blut
gelangenden Abbaustoffe das eigentlich Wirksame sind. Diese wur¬
den im strömenden Blut nachgewiesen (Freund). Die Analyse dieses
Vorgangs als allgemeine Leistungssteigerung der Zellen, allgemeine
Aktivierung, erscheint nicht ausreichend, da diese Vorstellungen
zu unbestimmt sind. Mit dieser Ausdrucksweise würde auf den Ver¬
such, in das Wesen dieser Vorgänge tiefer einzudringen, verzichtet
werden. — Eindeutige experimentelle Unterlagen, die für die „Um¬
stimmung“ durch unspezitische Reize vorliegen, sind nur sehr spär¬
lich. Es liegen Untersuchungen über die Entzündungsbereitschaft der
Haut beim Kaninchen, geprüft durch Krotonöleinreibungen, vor, ähn¬
liche Versuche beim Menschen mit Chrvsarobin. — Gottlieb prüfte
die Reaktionsfähigkeit des autonomen Nervensystems auf verschiedene
Gifte vor und nach Anwendung eines unspezifischen Reizes. Als
Sympathikusgift wurde die Adrenalinwirkung bei der Katze geprüft
und festgestellt, daß nach Zuführung eines unspezifischen Reizes
(Aderlaß, Caseosaninjektion) die Adrenalinempfindlichkeit bedeutend
stieg (Blutdrucksteigerung). Als Gift, das am parasympathischen
System angreift, wurde das Pilokarpin gewählt und gezeigt, daß Hunde
mit Dauerfisteln unter der Einwirkung unspezifischer Reize erhebliche
Erhöhung des Speichelflusses aufweisen. Die Dauer der Wirkung
dieser unspezifisenen Reize war auffallend lange, sie erstreckte sich
etwa über 20 Tage. Dies deutet darauf hin, daß die Zerfallsprodukte
der Zellen lange im Körper zirkulieren; in ähnlichem Sinne sprechen
klinische Erfahrungen (Aderlaß). Es eröffnet sich die Aussicht, die
Wirkungsweise von Heilmitteln durch Hinzufügung unspezifischer
Reize zu verstärken; dem steht bis jetzt die Unsicherheit in der
Dosierung der Reiztherapie entgegen.
In der Besprechung weist Moro darauf hin, daß er vor Jahren
eine Theorie der Tuberkulin Wirkung aufgestellt habe (nervöse Aller¬
gie), die durch diese Versuche gestützt werde.
Sieb eck macht darauf aufmerksam, daß österreichisdie Autoren
kürzlich gezeigt haben, daß Digitalis- und Chloroformwirkung durch
Infusion hypertonischer Kochsalzlösungen erhöht werden könne.
Grünbau m.
München, Aerztlicher Verein, 25.1.1922.
R. Schindler: Bericht Aber 120 Gastroskopien mit über 60
farbigen Projektionen von Magenspiegelbildern. Schindler be¬
richtet über die seit Mikulicz Anregungen erfolgten Arbeiten
von Elsner und Stieda-Löning. Er zeigte das Elsnersche Gastro-
skop und ein von ihm verbessertes. In seinem ist durch die
Verlegung des Beleuchtungskörpers in einen Mandrin die Tiefer-
legung der Lichtquelle und dadurch eine Verkleinerung des
nicht ganz zu vermeidenden Schattenkegels erreicht worden. So
ist die Ableuchtung der Pylorusgegend bedeutend erleichtert. Nach
der üblichen Morphiumgabe und Kokainisierung des Rachens, nach
notwendiger vollkommener Entleerung des Magens führt Schindler
sein Gastroskop bei hochgelagertem Becken in linker Seitenlage ein.
Das Gastroskop liegt im rechten Mundwinkel. Bei der Einführung
darf keine Gewalt angewendet werden, besonders darf ein eventueller
Widerstand am Hiatus oesophagi niemals forciert werden. Die
Einführung des Gastroskops gelingt sehr leicht und macht dein
Patienten weder Schmerzen nodi sonstige Beschwerden. Die Patien¬
ten von Schindler ließen sich lieber gastroskopieren als aushebem.
Gegenindikationen für die Oastroskopie sind starke Kyphosen, schwere
Arteriosklerosen, Aneurysma, Dyspnoen, peritoneale Reizerscheinun-
§ en, Fieber und Kachexie. Nach Einführung des Gastroskops wird
er Magen durch ein im Instrument liegendes Luftrohr mit Luft nach
Bedarf aufgebläht. Schindler zeigte an seinen wunderschönen
Aquarellen, die von einer Kunstmalerin und Laborantin der Pathologi¬
schen Abteilung des Schwabinger Krankenhauses nach dem gastro-
skopischen Bild gemalt sind, überraschende, ganz neuartige Bilder der
Gastritis chronica (drei Formen: die schleimige, die hypertrophicans
und die atrophische), von Polyposis ventriculi, Ulcera peptica und
callosa, Karzinome, Spasmen und Stenosen des Pylorus; ferner Bilder
von Gastroenterostomien, wobei der neue Magenausgang einen neuen
Pförtner mit rhythmischen Kontraktionen (wie der alte Pylorus, der
in einem Falle erhalten war und ebenfalls noch funktionierte!) deut¬
lich zeigte. Die Bilder konnten z. T. durch später erfolgte Autopsien
kontrolliert werden. Von einzelnen Fällen demonstrierte Schindler
Bilder und anatomische Präparate, sodaß Vergleiche möglich waren,
die die Wahrheit und Schönheit der Bilder zeigten. Sowohl von
Schindler, als auch von den Diskussionsrednern wurde der hohe
Wert der Gastroskopie anerkannt, gleichzeitig aber auch vor Stüm¬
pereien gewarnt. Das Schwerste ist bei der Gastroskopie die richtige
Deutung des Bildes; dazu gehören vor allem gute pathologisch-
anatomische Kenntnisse und reiche Erfahrungen in der Endoskopie
überhaupt._ Haeflmayr
Verantwortlicher Redakteur: Qeh. San.-Rat Prof. Dr.J. Schwalbe. — Druck von OscAr Brandstetter In Leipzig.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSITV
Deutsche Medizinische Wochenschrift
Begründet von Dr. Paul Börner
HERAUSQEBER: VERLAQ:
Geh. San.-Rat Prof. Dr. Schwalbe GEORG THIEME/ LEIPZIG
Bcrlin-Charlottenburg, Schlüterstraße 53 Antonstraßc 15
Nummer 10 Freitag! den 10. März 1922 48. Jahrgang
Ueber parenterale Behandlung mit unspezifischen
Eiweißkörpern 1 ).
Von R. Stintzlng in Jena.
Sieht man ab von der seit Jahrhunderten geübten Bluttransfusion,
so hat man schon seit Beginn der bakteriologisch-serologischen For¬
schung mit den zur aktiven und passiven Immunisierung dienenden
Stoffen (Vakzinen und Sera) Proteinkörper parenteral in Anwendung
gezogen. Hierbei ging man aber in der Regel von der Vorstellung
aus, daß die Eiweiökörper nur als Träger oder Begleiter der spezi¬
fisch wirkenden Antigene bzvv. Antitoxine dienten. Erst in neuester
Zeit (R. Schmidt, Bier, Weichardt, Schittenhelm, Döll-
kens, Rolly, Lindig u. a.) hat man erkannt, daß den Eiwei߬
körpern als solchen besondere, zum Teile heilende Wirkungen am
kranken Menschen eigen sind. Diese Erkenntnis begründete die
„Proteinkörpertherapie“.
Inwieweit von den zahlreichen eiweißhaltigen Mitteln spezifische
oder unspezifische Wirkungen ausgeübt werden, läßt sich nach un¬
seren heutigen Kenntnissen nicht immer mit Sicherheit entscheiden.
Vielfach sind beide Arten von Wirkungen einander gleich oder ähn¬
lich, oder sic gehen nebeneinander her. Wir müssen aber, wenigstens
für einen Teil, an der mühsam errungenen Erkenntnis einer sicher
vorhandener. Spezifizität einzelner Heilmittel, wie des Tetanus- und
des Diphtherieserums, in gewissem Sinne auch des Tuberkulins, nach
unseren heutigen Kenntnissen festhalten. Je strenger man aber den
Begriff der spezifischen Wirkung faßt, desto größer ist die Zahl
der unspezifischen Mittel.
Es würde zu weit führen, wollten wir in der folgenden kurzen
Uebersichi alle eiweißhaltigen Heilmittel berücksichtigen, wie Bak¬
terienprodukte, defibriuiertes Blut, Vakzine usw. Derartige Mittel
können doch, wenn ihre spezifische Wirkung auch nicht verbrieft ist,
nach ihrer Herkunft ans spezifischem Ausgangsmaterial und nach der
wenigstens angestrebteii spezifischen Wirkung nicht mit Sicherheit
zu den unspezifischen gerechnet werden. Das gilt beispielsweise von
dem Vakzineurin, einem Baktericnautolysat (Prodigiosus), das bei
Neuritis oft ähnliche unmittelbare und Nachwirkungen haben soll
(Döllken) wie die gleich zu besprechenden Wirkungen reiner Pro¬
teinkörper.
Das gilt auch von dem menschlichen und tierischen Nornialserum,
in dem wohl die Eiweißkörper das wesentlich Wirksame sein mögen,
aber spezifische (arteigene oder individuelle) Eigenschaften nicht aus¬
geschlossen sind. Nornialserum (Pferdescrum u. a.) hat man daher
auch als spezifisches Mittel z. B. gegen Diphtherie (Bingel) anzu¬
wenden versucht. Wir würden diese theoretisch interessanten Ver¬
suche, wenn sic in die Praxis eiugeführt werden sollten, für einen
bedenklicher* Rückschritt halten. Die ärztliche Praxis soll/sich an die
tausendfach erprobten spezifisch wirkenden Vakzine und Sera halten.
Im Gegensatz zu den erwähnten Mitteln mit fraglichen spezi¬
fischen Eigenschaften ist die parenterale Proteinkörperbehandlung be¬
strebt, ausschließlidi Eiweißkorper als solche anzuwenden. Ihr Vor¬
zug besteht darin, daß die verwendeten Mittel nach ihrer Herkunft
und chemischen Zusammensetzung bekannt und, mit Ausnahme der
Milch, konstant und genau dosierbar sind. Nur von diesen und einigen
Mischpräparaten, bei denen das Eiweiß eine wesentliche Rolle spielt,
soll hier die Rede sein. Wir sehen hier auch ab von den vor¬
wiegend experimentell angewandten Abbaustoffen der Eiweißkörper
(Albumosen, Nukleinsäuren usw.).
Als nichtspezifische Eiweißkörper sind heute in Gebrauch:
1. Milch (R. Schmidt) als reine sterilisierte Kuhmilch oder in
Ampullen als Ophthalmosan (Sachs. Serumwerk) intramuskulär
injiziert. Die Milch bildet das Ausgangsmaterial für die folgenden
Produkte:
2 Kasein (nach Lindig) unter der Bezeichnung „Caseosan“
(Heyden, Radebeul) als sterile 5<>/oige Kaseinlösung in Ampullen zu
je 1 oder 5 ccm, subkutan, intramuskulär oder intravenös anwendbar
(1 ccm = 0,05 Kasein).
n Verfaßt im Auftrag der Arzneünittelkommisslon der Deutschen Gesellschaft für
innere Medizin, unterstützt vom Deutschen Aerztevereinsbund.
Um die Gefahr der Fettembolic zu vermeiden, wird die Milch
entfettet und kommt in Handel unter der Bezeichnung:
3. Aolan (Beiersdorf & Co., Hamburg). Es soll eine keim- und
toxinfreie Milcheiweißlösung sein, die intramuskulär und intravenös
angewendet werden kann. (Ampullen zu 10 ccin.)
4. Xifalmilch (Serumwerke Dresden). Sie soll aus steriler
Milch von tuberkulosefreien Tieren, der ein aus Saprophyten herge¬
stelltes (Bakterien-) Eiweiß zugesetzt ist, bestehen. Sie gehört nicht
eigentlich in den Rahmen unserer Erörterung und soll nur der Voll¬
ständigkeit halber als Milchprodukt erwähnt werden. Sie kommt in
den Handel in Ampullen zu 2 ccm.
Von den angeführten Präparaten sind nach der Literatur und
eigener Erfahrung besonders die beiden ersten erprobt. Auf sie be¬
ziehen sich daher vorzugsweise unsere Ausführungen.
Vorausgeschickt sei, daß die Wirkungen parenteral eingeführ¬
ter Eiweißkorper in ihren Einzelheiten diesen nicht ausschließlich
zukommen. Ihre Eigenart beruht vielfach nur in der Gruppierung der
Einzelerscheinungen sowie in der Intensität und Promptheit ihres
Eintritts schon bei kleinen Gaben.
Die Wirkungen zerfallen in 1. vorübergehende allgemeine, 2. vor¬
übergehende örtliche, 3. bleibende. Im allgemeinen haben sie große
Aehnlichkeit mit den Reaktionen des Körpers auf Alttuberkulin-
impfungen.
1. Die allgemeinen Symptome entsprechen demgemäß den¬
jenigen eines akuten Infektes und bestehen (bei fieberfreien Patienten)
in einer Teniperatursteigerung verschiedenen Grades gewöhnlich nach
einigen Stunden, Pulsbeschleunigung und den bekannten Begleit¬
erscheinungen des Fiebers, zu denen bisweilen Frösteln (selten Schüt¬
telfrost, Schwindelgefühl, Mattigkeit und Schläfrigkeit gehören. Diese
Allgemeinreaktion Klingt in der Regel, wie die gleich zu erwähnende
örtliche Reaktion („negative Phase“ nach R. Schmidt), in 1/2 bis
höchstens 2 Tagen ab und hiuterläßt in einem — nicht vorauszube¬
stimmenden — Teil der Fälle die unter 3 anzutührenden günstigen
Nachwirkungen („positive Phase“).
2. In einem Teil der Fälle tritt, in der Regel gleichzeitig mit den
Allgemeinerscheinungen, auch eine örtliche Reaktion (Herd¬
reaktion) entzündlicher Natur in den erkrankten Organen auf, ins¬
besondere in akut oder chronisch entzündeten Gelenken in Gestalt
von Schmerzen, selten verbunden mit Rötung und Schwellung. Diese
Herdreaktion ist erwünscht als Zeichen, daß zwischen dem Protein¬
körper und dem entzündeten Organ eine Affinität besteht, die in
geeigneten Fällen die Heilung bzw. Besserung einlcitet. Voraussetzung
für den Heilungsvorgang ist baldiges Abklingen der akuten Erschei¬
nungen, insbesondere der Schmerzen.
Bei Wiederholung der Injektion können sich dieselben allgemeinen
und örtlichen Erscheinungen in geringerer oder größerer Stärke —
bei gleichbleibender oder gesteigerter Dosis — erneut einstellen, um
dann nach 3- bis 4- oder mehrfacher Wiederholung abzuklingen. Die
erste Reaktion ist keineswegs immer die stärkste. Erhöhung der Dosis
hat oft keine steigernde Wirkung.
3. Günstige Nachwirkungen stellen sich, wo sie überhaupt
eintieteii, in der Regel schon nach der ersten Injektion ein und
können sich nach den folgendem Einspritzungen noch vervollkommnen.
Sie bestehen in Linderung oder Beseitigung der Schmerzen, Besse¬
rung der Beweglichkeit und allgemeinen Leistungsfähigkeit, des Ap¬
petits, der Ernährung und des Schlafes. Selten stellt sich diese eupho¬
rische Nachwirkung ohne voraufgehende „negative Phase“ ein.
In ungeeigneten Fällen bleibt als Zeichen eines torpiden oder ab¬
geschlossenen Krankheitsprozesses, vielleicht auch einer individuellen
(konstitutionellen) Immunität, auch bei steigender und wiederholter
Dosierung, jegliche Reaktion und damit auch die erwünschte Nach¬
wirkung aus. Auch mit Verschlimmerungen des Krankheitszustandes
(Herzschwäche) bei älteren Leuten muß gerechnet werden. . In ein¬
zelnen Fällen verzeichnet die Literatur auch anaphylaktische Erschei¬
nungen (Gildemeister und Seibert).
vorsichtige Dosierung ist daher unter allen Umständen
geboten und wird in der großen Mehrzahl Schädigungen vermeiden
lassen. Sie muß sich auf Grund genauer klinischer Beobachtung vor
und nach den Injektionen der Eigenart des Falles anpassen. Es
kommt darauf au» besonders im Beginn der Kur, eine Dosis zu. finden,
die groß genug ist, um eine eben erkennbare Reizwirkung zu er¬
zielen, und klein genug, um Schädigungen zu vermeiden. Ein binden-
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSSTV
312
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 10
des Schema läßt sich nicht geben. Die Bemessung der Einzelgabe,
ihre Steigerung oder Herabminderung und die Dauer des Intervalles
müssen sich ähnlich wie bei Tuberkulinkuren nach der Stärke und
der Dauer der Reaktionen richten. Vorhandenes Fieber bildet in der
Regel eine Oegenanzeige. Hält nach einer Injektion das Fieber länger
als 1—2 Tage an, so ist die Behandlung abzubrechen. Als ma߬
gebend für das Behandlungsintervall wird von einigen Autoren
(kolly, Weick sei) das Verhalten der Leukozyten angesehen. Die
als Reaktion nicht unerwünschte Vermehrung der neutrophilen Leuko¬
zyten soll vor einer Erneuerung der Injektion erst ausgeglichen sein.
Auch Eosinophilie soll eine Anzeige sein, die Behandlung zu unter¬
brechen (Kleeblatt). So wertvoll wie diese Beobachtungen auch
sind, in der ärztlichen Praxis kann man sich auch ohne sie behelfen.
Man beginnt die Behandlung bei Verwendung steriler Milch
(Ophthalmosan) nach R. Schmidt mit V» ccm und steigt auf 1—5,
höchstens 10 ccm (intramuskulär). Aehnliches gilt von Aolan, das
auch intravenös gegeben werden kann. Vom Caseosan gibt man
subkutan, intramuskulär oder intravenös — wir bevorzugen letztere
Methode — Vi—V*—1 ccm, steigend bis 5 ccm. Die Einspritzungen
werden jeweils nach Abklingen der Reaktionen, gewöhnlich 2mal
wöchentlich, selten noch häufiger, manchmal auch in größeren Zeit¬
abständen (1 Woche und mehr) wiederholt.
Die geschilderten Wirkungen sind, soweit unsere bisherigen Kennt¬
nisse reichen, in ihrem Wesen gleich für verschiedene Arten von Ei¬
weißkörpern, nur quantitativ verschieden. So scheint Milch stärker
zu wirken als Caseosan in entsprechender Menge.
. Es lassen sich aber ähnliche Wirkungen auch mit Mitteln, die
gar kein oder wenig Eiweiß enthalten, erzielen, wie mit Sanarthrit,
das nach Heilner eiweißfrei sein soll, Kollargol, Organpräparaten
usw., sowie mit Strahlen- und anderen physikalischen Behandlungen.
Ja, vielfach sind diese den Proteinen in ihrer Heilwirkung sogar
überlegen. Es ist daher heute noch nicht möglich, die Gebiete für
das eine oder andere Mittel voneinander scharf abzugrenzen.
Kurz erwähnt seien hier noch einige wertvolle Eiweiß-Misch¬
präparate: das Kollargol und verwandte Präparate (Elektrokollargol
unef Dispargen) und das Yatrenkasein.
Das Kollargol (Heyden) besteht aus 70% Silber und 30o/a.
Eiweiß als Schutzkolloid. Es wird seit vielen Jahren bei manchen
Gelenkentzündungen mit guten Erfolgen angewandt. Man bezog
diese und andere Erfolge bisher lediglich auf den Oehalt des Mittels
an kolloidalem Silber. Neuerdings hat aber A. Böttner gezeigt
— und deshalb durften wir hier das Mittel nicht unerwähnt lassen —,
daß bei Kollargolinjektionen die Wirkung des Eiweißbestandteiles
überwiegt, wenn auch dem Silber als solchem seine Bedeutung als
Gewebsreiz nicht aberkannt werden kann.
Yatren, ein organisches Jodpräparat mit 30<>/o Jod, das sich in
der Wundbehandlung bewährt hat, wird neuerdings auf der Bi er¬
sehen Klinik in Verbindung mit Kasein als „Schwellenreizmittel“
angewandt (Zimmer). Diese Kombination hat auch nach unseren
Erfahrungen die gleichen, vielleicht noch günstigere Wirkungen als
die obenerwähnten reinen Proteinkörper. Das Yatrenkasein
kommt in schwacher Lösung zu 2»/a% Yatren mit 2Va% Kasein und
in starker Lösung mit 5% Kasein in Ampullen zu 1, 5, 10 und
20 ccm subkutan, intramuskulär und intravenös zur Anwendung. Inter¬
essant ist die Beobachtung von Prinz, daß man durch orale Gaben
von Yatren typische Herd- und Allgemeinreaktionen auslcsen kann,
die denjenigen nach parenteraler Zufuhr von Proteinköipern prin¬
zipiell gleich sein sollen. Diese Beobachtung deckt sich mit der
schon bekannten Tatsache, daß Jod, per os eingeführt, bei Tuber¬
kulose eine Herdreaktion (Hämoptoe) bewirken kann.
In bezug auf die Deutung der Proteinwirkungen bewegen wir
uns noch auf unsicherem Boden. Von den derzeitigen Theorien
seien nur kurz erwähnt: die von Weichardt verfochtene Hypo¬
these der „Protoplasmaaktivierung“ und die Bi ersehe Reiztheorie.
Weichardt erblickt die Ursache der „Leistungssteigerung“ in einer
allgemeinen Anregung der Tätigkeit des Zellprotoplasmas. Solange
jedoch noch nicht feststeht, ob die Abbauprodukte der Proteinkörper
als solche, oder ob Abbauprodukte, die durch sie in den Geweben
erzeugt werden, das Wirksame sind, erscheint es verfrüht, ihre An¬
griffspunkte im Organismus bestimmen zu wollen. Einleuchtender
ist die Reiztheorie, mit der Bier auf seine bekannten Anschau¬
ungen von der „Heilentzündung“ und dem „Heilfieber“ zurückgreift,
die durch Reize verschiedener (chemischer und physikalischer) Art
erzeugt werden. Zu den chemischen Reizen gehören u. a. auch die
Proteinkörper.
Die Krankheiten, gegen welche die Proteinkörpertherapie
versucht wurde, sind sehr zahlreich und wesensverschieden. Zu
nennen sind: akute und chronische Infektionskrankheiten, wie Typhus,
Cholera, akuter und chronischer Gelenkrheumatismus, Ruhr, Diphtherie,
Grippepneumonie, Erysipel, Gonorrhoe, Tuberkulose der Lungen, der
Gelenke und Lymphdrüsen, ferner sekundäre und perniziöse Anämie,
Asthma, Ekzeme, Trichophytie, Ischias und andere Neuralgien, ent¬
zündliche Augen- und Ohrenerkrankungen, Krebs usw. Die Buntheit
dieser Liste ist wenig geeignet, zur Klärung und Empfehlung des
Verfahrens zu dienen.
Nur einige Gruppen von Erkrankungen verdienen aus den übrigen
herausgehoben zu werden, weil bei ihnen schon reichlichere Erfah¬
rungen gesammelt und Heilerfolge erzielt wurden: in erster Linie
die chronischen Arthritiden verschiedener Form vom ein¬
fachen subakuten und chronischen Gelenkrheumatismus bis zur Ar¬
thritis deformans. Ihre Behandlung mit unspezifischen Eiweißkörpern
hat eine Anzahl Fürsprecher gefunden, denen wir uns für einen kleinen
Teil der Fälle anschließen können. Bei der ungünstigen Prognose
vieler chronischer Gelenkentzündungen ist es durchaus berechtigt,
neben anderen bewährten Arzneimitteln (Sanarthrit, Kollargol usw.)
und physikalischen Heilmitteln, insbesondere wenn diese versagen,
die Behandlung mit Eiweißkörpern zu versuchen.
Gute Erfolge werden mit der Proteinbehandlung auch erzielt bei
Komplikationen der Gonorrhoe (Blennorrhoe, Epididymitis,
Arthritis) sowie bei Ulcus molle und Bubonen. Schwer verständlich
erscheint die von Döllken behauptete günstige Wirkung der Milch
(Xifalmilch) bei Epilepsie (3mal wöchentlich 2—5 ccm intramuskulär
monatelang). Das gleichzeitig verabreichte Luminal (täglich 0,15 bis
0,2) ist allein wohl ebenso wirksam.
Auffallend ist nach vielen Berichten die Affinität der Milch zu
entzündeten Geweben des Auges. Günstige, z. T. glänzende Wir¬
kungen werden berichtet von Milchiniektionen bei Blennorrhoe,
Keratitis parenchymatosa sowie tuberkulösen Prozessen.
Von zweifelhaftem Werte ist die Behandlung der Tuberkulose mit
Milchinjektionen. Keinesfalls können Eiweißkörper das Tuberkulin
ersetzen.
Zusammenfassung. Die bisherigen Erfahrungen berechtigen noch
keineswegs zu einem abschließenden Urteil. Wir wissen einstweilen
nur, daß parenteral gegebene Proteinkörper auf gewisse entzündliche
Erkrankungen einen die Entzündung neu anfachenden Reiz und
häufig einen allgemeinen Reiz auf den Gesamtorganismus ausüben
und daß diese Reizwirkung bisweilen heilsam sein kann. Aber
ob, in welchen Fällen und durch welche Eiweißkörper
diese Heilwirkung zu erreichen ist, das genauer fest¬
zustellen, muß die Aufgabe weiterer Versuche sein.
Diese sind nur unter der Voraussetzung 1. einer vorherigen und nach¬
folgenden genauen Beobachtung (Temperaturmessung usw.), 2. der
Anw er düng kleiner Dosen im Beginn, die je nach Lage des Falles
stufenweise gesteigert oder herabgemindert werden, 3. rechtzeitiger
Unterbrechung der Behandlung Dei länger anhaltender Reaktion
(s. oben) zulässig. Die unspezifische Proteinkörpertherapie bildet
neben anderen physikalischen und chemischen Heilmitteln (Sanarthrit,
Kollargcl usw.) eine willkommene und jedenfalls noch ausbaufähige
Bereicherung unseres Heilschatzes.
Aus der Psychiatrischen Klinik der Universität in Würzburg.
(Direktor: Prof. Rieger.)
Eine neue Theorie über die materielle Grundlage der
funktionellen Superioritat der linken Hemisphäre.
Von Dr. Hermann Fftrtig, ehemaliger Assistent der Klinik.
Die Untersuchung von 217 Gehirnen von Geisteskranken an
Frontalschnitten nach einer ganz einheitlichen Methode stellte be¬
züglich der Ausbildung des linken und rechten Seitenventrikels fest,
daß nur in 16,1 o/o der Fälle Größengleichheit bestand; in 83,9% fand
sich Asymmetrie in der Größenausbildung: hierunter war der linke
Seitenventrikel in 66,4% größer als der rechte, der rechte
dagegen nur in 17,5o/o stärker als der linke. Aehnliche Prozentzahlen
fanden sich auch bezüglich der Endigungen der Hinterhörner, indem
die beiden Hinterhörner in 18,6% der Fälle gleich weit nach hinten
reichten, in 81,4% aber verschieden weit nach hinten. Hierunter
erstreckte sich das linke Hinterhorn weiter nach hinten als das rechte
in 60,9%, das rechte Hinterhom weiter als das linke in 20,5%.
Die Untersuchung des einesteils nach äußeren (Gewichtsverhältnis
in Prozenten des Hirns zur Größe des Schädelinnenraums), anderseits
nach klinischen Gesichtspunkten in Gruppen gesondertem Materials
ergab im einzelnen etwas differierende, im Prinzip aber durchaus
gleiche Prozentzahlen bezüglich der Größe und Endigung des linken
und rechten Seitenventrikels. Die Gruppe des normalen Verhältnissen
am nächsten kommenden Materials (27 Fälle) ergab die höchsten
bzw. die niedrigsten Prozentzahlen: für die Häufigkeit des Ueber-
wiegens des linken Seitenventrikels über den rechten 77,8o/o, für die
des rechten über den linken 7,4o/ 0 .
Diese zuerst untersuchten 217 Gehirne sind Gehirne von Geistes¬
kranken, darunter 143 Gehirne, die durch organische Prozesse mehr
oder weniger verändert sind. Wenn nun auch zwischen dieser oreani-
sehen Gruppe und dem Rest der Gehirne, der als „Gruppe der funk¬
tionellen Erkrankungen“ der „organischen“ Gruppe gegenübergesteüt
wurde, sich kein Unterschied ergab in dem Sinne, daß die oben
angeführte Asymmetrie in der Größenausbildung des linken und
rechten Seitenventrikels allein oder auch nur vorzugsweise bei den
durch organische Prozesse veränderten Gehirnen bestand — wodurch
sich zweifellos diese Asymmetrie als eine rein sekundäre und patho¬
logische erwiesen hätte —, sondern die „funktionelle“ Gruppe (haupt¬
sächlich Katatonien und Epilepsien) die gleichen Prozentzahlen auf¬
wies, so konnte doch ein Einwand gegen das gesamte Material, als
durchweg von Geisteskranken stammend, eihoben werden. Auf meine
Bitte überließ mir nun Geh.-Rat M. B. Schmidt in freundlichster
Weise aus seinem Institut eine Anzahl möglichst normaler, patho¬
logisch sicher nicht veränderter Gehirne, im ganzen 28. Diese 28 Ge¬
hirne ergaben nun fast die gleichen Prozentzahlen wie die oben
erwähnte Gruppe des „normalen Verhältnissen am nächsten kommen¬
den Materials“ unter meinen 217 Gehirnen von Geisteskranken, 27 Ge¬
hirne umfassend, sodaß in beiden Gruppen auch fast dieselben abso¬
luten Fallzahlen bestehen. Unter den 23 Gehirnen aus dem Patho
Digitized by
Gck igle
Original from
CORUELL UNIVERSITY
10. März 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
313
logi&dien Institut fanden sich 22, bei denen der linke Seitenventrikel
staikeT ausgebildet war, also 78,5o/o, 3 Gehirne, bei denen der
redite Seitenventrikel stärker ausgebildet war, also 10,7o/o, und weitere
3 Qehime, gleich 10,7% bei denen kein Größenunterschied zwischen
linkein und rechtem Seitenventrikel ausgeprägt war.
Diese Erscheinung des Ueberwiegens des linken Seitenventrikels
in der Orößenentwidclung über den rechten scheint nach den bis¬
herigen Untersuchungen den Eindruck des Gesetzmäßigen zu machen,
sodaß es naheliegend ist, sie mit der funktionellen Superiorität eben
derselben linken Hemisphäre in Zusammenhang zu bringen — nach
folgender Ueberiegungsreihe: 1. In einer großen Reihe höherer, im
wesentlichen nur dem Menschen eigener Funktionen, wie der (Ein-)
Rechtshändigkeit, der Sprache in ihren verschiedenen Komponenten,
gnostischen und praktischen Funktionen, hat die linke Hemisphäre
gegenüber der rechten die Führung. Diese Funktionen be¬
dingen und setzen eine Mehrleistung der linken Hemisphäre
voraus. 2. Es ist ein Postulat des psycho-physischen Parallelismus,
daß, wie allen psychischen Vorgängen physische entsprechen, so
auch erhöhten psychischen Prozessen erhöhte physische parallel gehen..
3. Wie Untersuchungen (Ehrlich [1]) ergeben haben, ist das zentral¬
nervöse Gewebe zweifellos der Sitz intensivster Lebensvorgänge.
4. Ebenso sicher und von allen vertreten ist die Annahme, daß der
Liquor cerebrospinalis sowohl im ganzen als auch soweit er die
Seitenventrikel erfüllt, mit Lympheigenschaften im Dienste von Stoff¬
wechselvorgängen steht, wenn auch bezüglich der Natur und Her¬
kunft des Liquors immer noch keine Einigung erzielt ist.
Ich vermute nun, daß in dem größeren Volumen des
Unken Seiten Ventrikels sowohl das anatomische Sub¬
strat fürdie funktionelle Superioritätderlinken Hemi-
sph äre zu sehen ist als auch das physiologische, indem
die größere Liquormenge des linken Seitenventrikels der Ausdruck
erhöhter Stoffwechselprozesse sein könnte. Ist es doch einer der
physiologischen Vorgänge der Lymphbildung, daß der mit der Tätig¬
keit der Organe einhergehende erhöhte Stoffwechsel mit einer ver¬
mehrten Lymphbildung verknüpft ist (Asher und Barbera [2]).
Der Kern dieser Theorie liegt also nicht so sehr in der anatomischen
Tatsache des stärker ausgebildeten linken Seitenventrikels, sofern
dies wirklich eine Tatsache ist, als in dem daraus gezogenen Schlüsse
einer erhöhten Stoff Wechseltätigkeit in der linken Hemisphäre, die mit
vermehrter Lymph-(Liquor-)Bildung, oder doch wenigstens Liquor¬
strömung, verknüpft ist.
Sehr interessant und wichtig, weil geeignet, eine Stütze für die
Theorie zu bilden, ist das gegensätzliche Verhalten der Vorderhörner
and Hinterhömer. Die Vorderhörner beginnen bei allen Gehirnen
praktisch auf dem gleichen Schnitt, differieren also in ihrem Be¬
ginn nicht zwischen links und rechts; die Hinterhömer aber sind
zwischen links und rechts in ihrer Weite nicht nur durchweg sehr
deutlich differenziert — bei vielen Gehirnen zeigt sich der Unter¬
schied zwischen links und rechts nur an ihnen allein —, sondern
es erstreckt sich auch das linke Hinterhom bei allen Gruppen in
einem viel höheren Prozentsatz der Fälle weiter nach hinten als
das rechte. Dieses gegensätzliche Verhalten könnte darauf hinweisen,
daß die phylogenetisch zweifellos älteren hinteren Himteile weiter
in der anatomischen Differenzierung fortgeschritten sind als die
jüngeren vorderen, könnte aber auch oder zugleich der Ausdruck
dafür sein, daß das linke Parietookzipitalhim mehr lateralisierte Funk¬
tionen enthält (Lesen, Schreiben, praktische und gnostische Funk¬
tionen) als das Stimhira.
Um die Gültigkeit der Theorie zu sichern, sind vor allem Unter¬
suchungen an Gehirnen einwandfreier, nach S t i e r (3) geprüfter Links¬
händer nötig: hier müßte der rechte Seitenventrikel sich stärker ent¬
wickelt zeigen, wodurch gewissermaßen das Experimentum crucis
für die Richtigkeit der Theorie geliefert wäre.
Zweck dieser vorläufigen Mitteilung ist, die Aufmerksamkeit auf
diese Unterschiede in der Seitenventrikelausbildung hinzuweisen und
zu einschlägigen Untersuchungen, besonders an Hirnen von Links¬
händern, aufzufordem.
1. Di« Chemie des Qehirns. Sammelreferat, Zachr. f. d. ges. Neurol. 1913, R. 7,1. —
2. Vorlesungen Aber Physiologie, 3. Aufl. 1920. — 3. Untersuchungen Ober Linkshändig¬
keit und die funktionellen Differenzen der Hirnhälften, Jena 1911.
Aus der Experimentell-biologischen Abteilung des Pathologischen
Instituts der Universität in Berlin. (Vorsteher: Prof. Dr. A. Bickel.)
Heber die entgiftende Wirkung der Spinatsekretinlösung
aui Strophanthin.
Von Dr. K. Mfyadara in Tokio.
Unlängst hat Bürgi (1) Untersuchungen mitgeteilt, aus denen
hervorgeht, daß das Vitaminpräparat Örypan, das, soviel bekannt ist,
hn wesentlichen aus Reiskleie dargestellt wird, nach seiner intra¬
gastralen, subkutanen oder intravenösen Einverleibung in den Orga¬
nismus eine Schutzwirkung auf das Atmungszentrum der Moiphium-
lähmung gegenüber ausübt. Ferner hat er an dem Beispiel des
Opiums festgestellt, daß die Droge und ihre einfachen Extraktformen
gegenüber den reinen Substanzen für den Patienten ungefährlicher
sind, und er hat Belege für die Auffassung beigebracht, daß auch
die Wirkung eines Digitalisblätterinfuses anders ist als die Wirkung
der bekannten reinen Digitaliskörper. Aus alledem zieht Bürgi den
Schluß daß in den Ballaststoffen, die man bei der Gabe von Arznei-
drogeis neben der wesentlichen, wirksamen Substanz dem Körper
zuführt, pharmakodynamisch nicht indifferente Stoffe einverleibt wer¬
den und daß ’ durch sie mit die definitive physiologische Wirkung
der Oesamtdroge bestimmt wird. In den Vitaminen glaubt er einen
KÖroer abgefaot zu haben, der zu den Ballaststoffen der Drogen
in Beziehung gesetzt werden darf, der gewissermaßen ein Beispiel
darstellt, an dem diese ganze Auffassung erläutert werden kann.
Von diesem Gedanken ausgehend, nabe ich mir die Frage vor¬
gelegt, ob durch Sekretinlösungen, und zwar die Spinatsekretinlösung
(Bickel (2]), eine entgiftende Wirkung auf Strophanthin ausgeübt
werden könnte. Ich habe dabei eine andere Versuchsanordnung als
Bürgi gewählt: ich mischte vor der Injektion in den Tierkörper die
wäßrige Strophanthinlösung mit der Spinntsekretinlösung, ließ das
Gemisch bei Zimmertemperatur eine Stunde vor der Applikation
stehen und verglich diese Sekretin-Strophanthinlösung mit einer glei¬
chen Menge einer reinen Strophanthinlösung, bei der die Verdünnung
anstatt mit Sekretinlösung mit destilliertem Wasser vorgenommen war,
aber unter Beobachtung eines gleichen Gesamtstrophanthingehaltes der
zur Injektion gelangenden, unter sich gleichen Flüssigkeitsmengen.
Ich habe das Spinatsekretin deshalb gewählt, weil van Eweyk und
Tennenbäum (3) im hiesigen Laboratorium nachgewiesen hatten,
daß gereinigte Spinatsekretinlösungen keinen erkennbaren Einfluß
auf die Blutdruck-Pulskurve beim Kaninchen nach der intra¬
venösen Einverleibung haben. Ich habe mich, wie die nachstehenden
Protokolle lehren, auch davon überzeugt, daß beim freischlagenden
Froschherzen nach der subkutanen Injektion von Spinatsekretinlösung
in der Regel keine erheblicheren Veränderungen zu beobachten sind.
Nach der Injektion von 0,5 ccm meiner Lösung schlugen noch nach
zwei Stunden die Herzen, nach der Injektion von 1 ccm war bei zwei
Fröschen das Gleiche der Fall, während bei zwei anderen nach 100
bzw. 105 Minuten das Herz im diastolischen Zustand stehengeblieben
war. Ich wollte sehen, ob auch eine entgiftende Wirkung auf einen
hinsichtlich einer bestimmten Funktion physiologisch genau definierten
Körper möglich ist, ohne daß Ballaststoffe selbst diese Funktion
beeinflussen, ob durch die Mischung der reinen Substanz mit einer
solchen Lösung durch chemische Bindung oder anderswie schon vor
der Einverleibung in den Tierkörper eine Veränderung in der toxi¬
schen Dosis eintritt.
Die Versuchsanordnung war folgende: Ich hydrolisierte 50 g luft¬
trockenen Spinat mit 400 g chemisch reiner Salzsäure 8 Stunden bei
100° C unter dem Rückflußkühler auf dem Wasserbade. Alsdann ver¬
setzte idi die ganze Masse mit Tierkohle und digerierte sie 10 Mi¬
nuten auf dem Wasserbade. Nach dem Abkühlen filtrierte ich und
engte das Filtrat in einer Porzellanschale auf dem Wasserbade ein
bis zum Beginn der Auskristallisation von Salzen. Dann wurde aber¬
mals filtriert und die Lösung mit Natronlauge neutralisiert und auf
ein bestimmtes Volumen wieder aufgefüllt. Es entsprach 1 ccm der
so erhaltenen Sekretinlösung 2,5 g Trockenspinat. Die Lösung wurde
auf ihren Sekretingehalt am Pawlowschen Hunde geprüft. Durch den
Herstellungsprozeß hatte sie infolge der Neutralisation der spär¬
lichen, nach dem Abdampfen noch zurückgebliebenen Salzsäure nur
einen Kochsalzzuwachs von etwa 0,36 o/o erhalten, der also bei den
kleinen, zu den Versuchen verwandten Mengen der Sekretinlösung
außer Betracht bleiben kann. Die Ausgangsstrophanthinlösung enthielt
in 100 ccm destilliertem Wasser 0,01 g reines Strophanthin. Als Test¬
objekt dienten weibliche Ranae temporariae von ungefähr glei¬
chem Körpergewicht von 25—30 g.
Bei jedem Versuche wurden zweimal vier Frösche benutzt. Das
Herz wurde durch Eröffnung des Thorax freigelegt, und dann wurde
der einen Serie von vier Tieren die reine, mit Wasser verdünnte
Strophanthinlösung, der andecen Serie die mit Sekretinlösung ent¬
sprechend verdünnte Strophanthinlösung subkutan am Oberschenkel
injiziert. Es wurde nun die Zeit bestimmt, die vom Augenblicke der
Injektion bis zum erfolgten systolischen Herzstillstände verstrich.
Das Ergebnis meiner Versuche war folgendes: Durch
die vorherige Vermischung der Sekretinlösung mit
dem Strophanthin wird der Eintritt des systolischen
Herzstillstandes deutlich hinausgezogen. Das be¬
sagt also, daß die Sekretinlösung entgiftend auf die
Strophanthinlösung gewirkt hat.
Versuchsprotokolle.
Losungen:
a) 0£ ccm Spinatsekretin + Qß ccm Aq. dest.
b) 1,0 ccm Spinatsekretin + 1,0 ccm Aq. dest.
c) 0,5 ccm wäfirige StrophanthinlOsung + 0,5 ccm Aq. dest = 0,00005 g Strophanthin
d) ccm wäßrige StrophanthinlOsung + 0,5 ccm Sekretinlösung = 0,00005 g Strophanthin
e) 1,0 ccm wäßrige StrophanthinlOsung + 1,0 ccm Aq. dest. = 0,0001 g Strophanthin
f) 1,0 ccm wäßrige StrophanthinlOsung +;i,0 ccm Sekretinlösung = 0^0001 g Strophanthin
Versuch
I
HA
IIB
H1A
HIB
Lebensdauer der Herzen nach der
Injektion der Lösung.
a
Alle
Tiere lebten
Aber 120 Minuten.
b
95'
110'
m
120'
c
20'
20'
20*
25'
d
30'
40'
55'
70*
c
35'
35'
35'
m
d
85'
85'
100*
120'
e
10'
10'
15'
20'
f
25'
35'
50»
00'
e
25'
25'
30'
30'
f
35'
45'
00'
80*
1. D. m. W. 1921 Nr. 22. - 2. B. kl. W. 1917 Nr. 3. - 3. Blochern. Zschr. 1921,125, H. 5 u. G.
Digitized by
Google
Original from
CORNELL UNfVERSITY
314
DEUTSCHE MEDIZINISCHE ^WOCHENSCHRIFT
Aus dem Universitäts-Laboratorium für Warenkunde in Hamburg.
Moderne Strophanthintherapie mit besonderer Berück¬
sichtigung von Strophaien „Tosse“.
Von Dr. Clemens Grimme.
Das Gebiet der Therapie der Herzkrankheiten wurde lange
Zeit fast vollständig von der Digitalis beherrscht, obwohl ihr allerlei
Nachteile anhängen, bestehend in unangenehmen Nebenwirkungen
auf Magen und Darin, schlechter Dosierbarkeit und relativ langsamer
Wirkung.
Von den genannten Mängeln werden sich auch wohl die beiden
ersteren niemals beheben lassen, die beiden anderen sind einiger¬
maßen wettgemacht durch Einführung von sog. titrierter Ware, d. h.
der Droge mit eingestellter, garantierter Wirksamkeit und durch
Reindarstellung der als Träger der Wirksamkeit erkannten Glykoside
Digitalin, Digitalein und Digitoxin, ln neuerer Zeit wurde letzteres
von Cloetta in reinster, auch zu Injektionszwecken brauchbarer
Form gewonnen. Leider treten bei der subkutanen Injektion öfters
schmerzhafte Infiltrationen auf, bei der intramuskulären Einverlei¬
bung sind schmerzhafte Nebenerscheinungen nicht selten. Letztere
bleiben auch bei der intravenösen Darreichung nicht ganz aus.
Dazu kommt noch, daß trotz der relativen Reinheit des Präparats
immer noch größere Mengen nötig sind, um eine ausgesprochene
Digitaliswirkung zu erzielen.
Einen großen Fortschritt in der ganzen Therapie der Herz¬
krankheiten bedeutete die Einführung der Strophanthusdrogen und
ihrer Zubereitungen in den Arzneischatz. Der Träger ihrer Wirk¬
samkeit ist das Glykosid Strophanthin, welches hinsichtlich der
Schnelligkeit und Stärke der Wirkung alle anderen Herztonika bei
weitem in den Schatten stellt. Zunächst waren es die Drogen
Strophanthus hispidus P. D. C. und Strophanthus c o m b d
Oliv., welche sich allgemeiner Wertschätzung erfreuten, wenn ihnen
auch der Nachteil anhaftete, daß das aus ihnen isolierte Strophanthin
amorph war, sodaß die Zusammensetzung stets etwas schwankte,
wodurch die Sicherheit der Dosierung und Wirkung immerhin
etwas litt.
Dieser Uebelstand wurde auf einmal dadurch behoben, daß es
G i 1 g (1) gelang, eine in pharmakognostisch-botanischer Beziehung
scharf definierte Strophanthusdroge ausfindig zu machen, die Stro¬
phanthus gratus (Wall, et Hook.) Franch. aus Westafrika, welche
ein einheitliches kristallisiertes Strophanthin enthält.
Thoms (2) hat die Eigenschaften dieses Gratusstrophanthins so
eingehend studiert, daß auf seinen meisterhaften Arbeiten noch heute
die Herstellung des Arzneimittels basiert. Die Samen liefern etwa
3,6°/o Reinglykosid, welches seiner Zusammensetzung nach der chemi¬
schen Formel C 30 H lc O 12 -j- 9 H 2 0 entspricht. Es gelang ihm auch
der Nachweis, daß die Verbindung vollkommen identisch ist mit
dem Uaba’in, welches Arnaud (3) aus dem Uabaiaholze isoliert hatte.
Thoms teilt auch genaue Reinheits- und Identitätsreaktionen mit
und empfiehlt die Aufnahme des Mittels in das deutsche Arzneibuch.
In der Folgezeit war das Glykosid aus Strophanthus gratus im
Gegensatz zu dem h-Strophanthin aus Strophanthus hispidus und dem
k-Strophanthin aus Strophanthus combe, g-Strophanthin genannt, der
Gegenstand zahlreicher chemischer, physiologischer und klinischer
Untersuchungen.
Heffter (4), Johannessohn (5), Holste (6) sowie Levy
und Cullen (7) stellten fest, daß es im Gegensätze zu allen anderen
Strophanthinen auch in sehr verdünnter Losung als praktisch unbe¬
grenzt haltbar zu bezeichnen ist, sodaß auch ältere Zubereitungen
unter vollständigem Verlaß auf ihre Wirksamkeit verwendet werden
können.
Straub (8), Werschinin (9), Kasztan (10),. Krails-
heimer (11), Weizsäcker (12 u. 13), Gottlieb (14),* v. Isse*
kutz (15), Sch edel (16) und in der Hauptsache Thoms <17) stu¬
dierten seine Wirksamkeit am Kalt- und Warmblüter. Aus allen
Versuchen ergibt sich mit absoluter Sicherheit, daß das g-Strophanthin
eine ausgesprochene Herzwirkung ausübt, die derjenigen der an¬
deren Strophanthine nicht nur gleichwertig, sondern ihr in bezug
auf stets gleichmäßige Wirkungsweise sogar bedeutend überlegen
ist. Der ganze Verlauf entspricht vollständig dem bei der Anwen¬
dung von Digitalis gewohnten Bilde.
Von den zahlreichen klinischen Versuchen sei nur auf die von
Brieger (18), Hochheim (19), Linzenmeier (20), Fleisch¬
mann und Wjasmensky (21), Liebermeister (22), Vaquez
und Leconte (23), Johannessohn und Schaechtel (24), Uf-
fenheimer (25), Richaud (26) und Cohn und Levy (27) hin¬
gewiesen. Sie zeigen in voller Uebereinstimmung mit den Tierver¬
suchen eindeutig, daß das g-Strophanthin ein allen Anforderungen
gerecht werdendes Herzmittel darstellt, welches der Digitalis nicht
nur gleichwertig ist, sondern diese sogar in vielen Fällen, vor allem
was die rasche und prompte Wirkung unter Ausschaltung von
Kumulationserscheinungen anbelangt, noch übertrifft. Es ist indiziert
bei allen Fällen von Herzinsuffizienz, in denen man den Kranken
rasche Hilfe zu bringen wünscht, insbesondere bei frischer Myo¬
karditis, Myodegeneratio, chronischer Nephritis, Urämie, Perikarditis,
nicht kompensierten Vitien, paroxysmaler Tachykardie und vor allem
bei schweren Grippepneumonien. Vor allen anderen arzneilich ver¬
Nr. 10
wandten Strophanthinen hat es den Vorzug der stets gleichen Zu¬
sammensetzung bei bedeutend geringerer Toxizität.
Die zur Erzielung der gewollten Wirkung nötigen sehr geringen
Dosen erschweren einigermaßen seine Anwendung. Um dieser Schwie¬
rigkeit Herr zu werden, ist die Firma E. Tosse & Co. in.Hamburg
dazu übergegangen, unter der geschützten Bezeichnung „Strophaien“
verschiedene Zubereitungen in den Handel zu bringen, welche den
Träger der Wirksamkeit der Samen von Strophanthus gratus nach
Entfernung aller unwirksamen Ballaststoffe in genauester Dosierung,
unbegrenzter Haltbarkeit un<J bequem zu verwendender Form ent¬
halten. Es sind dies für die interne Darreichung das reine Strophaien
und Strophalendragetten (das sind überzuckerte Tabletten) und für
die Injektionsanwendung Strophalenampullen verschiedener Stärke.
Alle vorgenannten Präparate haben mir zwecks Bestimmung ihres
Gehaltes bzw. ihrer Keimfreiheit Vorgelegen. In allen Fällen gelang
es leicht, das g-Strophanthin in reinster Form und in den dem
garantierten Genalt entsprechenden Mengen zu isolieren. Es ent¬
hielten das reine Strophaien 0,1 o/ 0 , die Strophalendragetten 0,0005 g
je Dragette, die Strophalenampullen 0,00025 g bzw. 0,0005 g je Am¬
pulle. Bei der bakteriologischen Prüfung zeigte der Inhalt der Am¬
pullen in Nährbouillon bzw. auf Nährgelatine auch bei längerer Be¬
obachtung (bis zu 7 Tagen!) in jedem Falle vollständige Keim¬
freiheit.
Das Strophaien „Tosse“ zeigte somit in seinen sämtlichen
Modifikationen stets genaueste Dosierung, verbunden mit absoluter
Keimfreiheit der Injektionsform. Ich halte das Präparat für eine
äußerst wertvolle Bereicherung der Kardiatonika, zumal es den ver¬
schiedensten Applikationsarten Rechnung trägt.
I. Berichte der Deutsch. Pharm. Gesellsch. 1912, 12, S. 189; 1904, 14, S. 100.
2. Berichte der Deutsch. Pharm. Gesellsch. 1904, 14, S. 104. — 3. Compt. rendus 101
S. 1011. — 4. Berichte der Deutsch.Pharm.Gesellsch. 1919, 29. S. 146. — 5. Arch.f.exper.
Path. u. Pharm. 78, S. 83. - 6. Zschr. f. exper. Path. u. Ther. 1917, 19, S. 153. — 7. Journ.
of experim. Med. 31 S. 267. — 8. Biochem. Zschr. 1910, 28, S. 392. — 9. Arch. f. exper.
Path. u. Pharm. 1910, 63, S. 386. — 10. Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 1910, 63, S. 405. —
11. Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 1910, 62, S. 304. — 12. Arch. f. exper. Path. u. Pharm.
72 S. 282. — 13. Arch. f. exper. Path. u.Pharm. 1918, 81, S.247. — 14. Arch.f.exper.Path.
u. Pharm. 1918, 82, S. 1. — 15. Zschr. f. exper. Path. u. Ther. 20 S. 445. -- 16. Berichte der
Deutsch. Pharm. Gesellsch. 1904, 14, S. 120. — 17. Berichte der Deutsch. Pharm. Gesellsch-
1913,23, S. 462. - 18. Berichte der Deutsch. Pharm. Gesellsch. 1904, 14, S.182. - 19. Zbl.
f. inn. M. 1906,65. — 20. Dissertation, Heidelberg 1909. - 21. D. m. W. 1909, 35, S.918. -
22 M. Kl. 1909, Beih. 12, S. 265. — 23. W.kl. W. 1909 Nr. 22. - 24. D. ülW. 1914. 40,
Nr. 28. - 25. M. m. W. 1920, 67, S. 597. — 26. Compt. rendus 169 S. 1114. - 27. Ptoc. of
the Soc. of. exper. Biolog. and Med. New York 17 S. 81.
Aus der Chirurgischen Universitätsklinik der Charite in Berlin.
(Direktor: Geh.-Rat Hildebrand.)
Ueber die Leukozytenverteilung in der Blutbahn.
Von Dr. Otto Stahl, Assistent der Klinik.
Ueber die Verteilung der Ery th rozy ten in der Blutbahn herrscht
jetzt wohl Uebereinstimmung, seit Bürker (1) mit Hilfe der Spektro-
photometrie nachgewiesen hat, daß die Zahl der Erythrozyten im
strömenden Blut bei relativer Ruhe des Körpers in den verschiedenen
Gefäßprovinzen die gleiche ist (wobei von 'den zuführentlen und
abführenden Gefäßen der blutbereitenden und blutzerstörenden Or¬
gane abgesehen wird). Auch Traugott (2) fand mit der Zählung
in der Thoina-Zeißschen Kammer in Venen und Kapillaren die gleichen
Erythrozytenzahlen.
Anders liegt die Frage hinsichtlich der Leukozyten. Hier stim¬
men die Beobachtungen nicht überein. Pohl (3) fand im Arterien- und
Venenblut des nüchternen Tieres gleich große Leukozytenzahlen.
Während der Verdauung enthielt das Blut der Darmvenen sehr viel
mehr Leukozyten als das Blut der Darmarterien. Schulz (4) fand
bei seinen Untersuchungen an verschiedenen Stellen der Blutbahn
verschiedene Leukozytenzahlen. Nach ihm beruht die Leukozytose
nicht auf einer Vermehrung der weißen Blutkörperchen, sondern auf
einer Aenderung der Verteilung. Goldscheider und Jacob (5)
kamen zu dem Schlüsse, daß die Verteilung der Leukozyten ver¬
schieden, aber nach einem konstanten Verhältnisse geregelt ist. In
den peripherischen Gefäßen ist stets eine größere Leukozytenzahl
vorhanden als in den zentralen. Sie machten ihre Untersuchungen
an Tieren, die mit Aether narkotisiert waren. Schwenkenbecher
und Siegel (6) konnten zeigen, daß diese Verteilung auf einer
Wirkling der Aethernarkose beruht. Durch die Aethemarkose steigt
beim normalen Tier (Kaninchen) die Leukozytenzahl in der Ohrvene
an, um nach etwa einer Stunde den Wert vor Beginn der Narkose
wieder zu erreichen. Im Anfang der Narkose fanden sie in der
Ohrvene mehr Leukozyten als im Blut der tiefen Venen, Nach Ab¬
klingen der Aetherwirkung waren trotz Fortdauer der Narkose die
Leukozytenzahlen gleich. „Die Verteilung der weißen Blutkörper¬
chen in den verschiedenen Gefäßprovinzen ist nicht verschieden,
sondern trotz aller Veränderlichkeit im einzelnen recht gleichmäßig.**
Im Milz- und Leberblut fanden sie eine Vermehrung der Leukozyten
im Vergleich zu dem Blut in den anderen Gefäßen. Nach Becker(7)
enthält das Blut der Venen (V. mediana cubiti) und der Kapillaren
(Fingerbeere) „ziemlich die gleiche Zahl“ von Leukozyten. Kjer-
Petersen (8) fand bei Frauen, nicht bei Männern, zuweilen in¬
homogenes Blut; d. h. bei Entnahme von Kapillarblut in kurzen
Digitized b'
Google
Original from
CORNELL UNfVERSITY
10. März 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
3)5
Zeitabstanden fand er bei solchen Fällen verschiedene Leukozyten¬
zahlen. Elle rin ann und Erlandsen (9) konnten diese Beobach¬
tung nicht bestätigen. Naegeli sagt in der 3. Auflage seines Lehr¬
buches der Blutkrankheiten und Blutdiagnostik: „Die Zusammen¬
setzung des Blutes ist also in arterialisierten Kapillaren und in
Venen in bezug auf die Leukozytenzahl ... genau gleich. Trau-
gott (2), der die Wirkung der ultravioletten Strahlen auf das Blut
untersuchte, gibt an, daß sich bei den vor der Bestrahlung aus¬
geführten Zählungen keine Differenzen im Kapillar- und Venenblut
unter normalen Verhältnissen zeigten.“ Becher (10) fand im
Kapillarblut größere Leukozytenzahlen als im Venenblut. Bei 16 Fällen
zeigten 12 eine außerhalb der Fehlergrenze der Methode liegende
Verminderung der Leukozyten im Venenblut gegenüber dem Kapillar¬
blut. Diese Differenz bestand nicht nur bei normalen Leukozyten¬
zahlen, sondern auch bei Leukozytose und bei Leukopenie. Im all¬
gemeinen war der prozentuale Unterschied um so größer (bis zu
280 / 0 ), je mehr die ursprüngliche Leukozytenzahl von der Norm
abwich. Peters (11) fand gleichfalls im Venenblut weniger Leuko¬
zyten als im Hautblut.
In einem stimmen die Untersucher alle überein, daß nämlich
schon geringfügige Eingriffe irgendwelcher Art die Zahl der Leuko¬
zyten wesentlich beeinflussen können. Pohl (3) fand eine Ver¬
mehrung der Leukozyten nach Einatmung intensiver Riechstoffe.
Hasselbach und Heyerdahls (12) und Ellermann und
Erlandsen (13) fanden bei plötzlichem Uebergang aus der stehen¬
den zur liegenden Haltung eine Zunahme der Leukozyten im peri¬
pherischen Blut bis zu 25°/o, beim umgekehrten Stellungswechsel
trat eine Abnahme ein. Die Vermehrung bzw. Verminderung trat
nach 30—45 Sekunden ein und war nach etwa 1 Minute wieder
ausgeglichen. Nach Jörgensen (14) ist das Maßgebende nicht
die Stellungsveränderung, sondern die Stellung selbst. Im Liegen
ist die Zahl der weißen Blutkörperchen niedriger als iin Stehen.
Der Unterschied kann mehr als IOO 0/0 betragen. Hier sei auch an
die sog. myogene Leukozytose (siehe bei Becher [10]) und die
noch ungeklärte Frage der Verdauungsleukozytose erinnert. Auch
psychische Einwirkungen können Veränderungen der Leukozyten¬
zahlen hervorrufen (Ellermann und Erlandsen [13]). Ich selbst
habe gar nicht selten beobachtet, besonders bei etwas ängstlichen
Kranken, daß in der ersten Probe die Leukozytenzahl höher war als
in einer zweiten, wenige Minuten später an einer anderen Stelle
entnommenen. Die Aufregung war nach der ersten Entnahme vor¬
über; die Kranken hatten gemerkt, daß die Untersuchung nicht
schmerzhaft war. Spätere Untersuchungen an dem gleichen Patienten
ergaben dann bei Entnahme an verschiedenen Stellen untereinander
übereinstimmende Werte. Die verschiedenen Autoren erklären diese
vorübergehenden Leukozytosen durch eine Veränderung in den
Zirkulationsverhältnissen, durch Ausschwemmung von Leukozyten*
depots in der Blutbahn oder in den Blutbildungsstätten.
Ich habe am Menschen, zum Teil bei Gelegenheit von Operationen,
Untersuchungen angestellt über die Verteilung der Leukozyten in
der Blutbahn. Bevor ich auf die Ergebnisse (siehe Tabelle) eingehe,
sei noch kurz etwas über die'dabei angewandte Technik gesagt.
Bei dem Hautblut handelt es sich um Blut aus dem Ohrläppchen
nach Abreiben der Haut durch Aether. Eine Ausnahme bildet der
Fall 9 (Strumektomie); bei diesem wurde das Hautblut aus nahe¬
liegenden Gründen der Fingerbeere entnommen. Frühere Unter¬
suchungen haben ergeben, daß die Leukozytenzahl im Hautblut
überall gleich ist, wenn man nur dafür sorgt, daß der Stich
oder Schnitt zur Entnahme so tief ist, daß das Blut in lebhafter
Tropfenfolge herausquillt. Das Blut aus den größeren Gefäßen wurde
mit einer Rekordspritze entnommen und nach Abnahme der Nadel
vorsichtig in ein paraffiniertes Blockschälchen oder ,auf einen ge¬
glätteten Paraffinblock entleert. Von hier wurde die Mischpipette
beschickt und dann noch 2 Ausstrichpräparate angefertigt. Es sind
nur solche Fälle verwandt worden, bei denen in den Ausstrich¬
präparaten die Leukozyten gut erhalten waren. War dies nicht der
Fall, so wurde die Probe verworfen. Es war dann durch beginnende
Gerinnung bereits eine Entmischung eingetreten. Zwischen .den ein¬
zelnen Entnahmen eines Falles lag nie mehr Zeit als eine* Minute.
Vorversuehe hatten ergeben, daß die Entnahme von dem unmittelbar
aus der Injektionsnadel strömenden Blut (Vena mediana cubiti) und
die Entnahme mit der Spritze gleiche Zahlen ergab (größte Dif¬
ferenzen + 2 0 / 0 ). Gezählt wurde in einer Thoma-Zeißschen Zähl¬
kammer mit Zählnetz nach Zappert. Ausgezählt wurden fünf große
Quadrate, also die fünffache Fläche der Thomaschen Kammer. Die
in der Tabelle angegebenen Leukozytenzahlen sind das Mittel von
2—3 Kammerfüllungen. Für das Differentialbild wurden am gefärbten
Präparat (Giemsa) mindestens 200 Leukozyten ausgezählt.
Die Ergebnisse der Untersuchung sind in der nachstehenden
Tabelle 1 ) atifgezeichnet. Bei den Fällen 5—8, 10 und 12 wurde das
Blut während einer Operation in Aethernarkose entnommen. Die
hohen Leukozytenzahlen in diesen Fällen sind zum Teil eine Folge
der Aetherwirkung (v. Lerber fl5]). Die hohen Lymphozytenwerte
in Fall 6, 8 und 11 fasse ich gleichfalls als eine Narkosenwirkung
auf. Ueber die Gründe hierfür werde ich mich an anderer Stelle
äußern. Fall 9 war eine Strumektomie in Lokalanästhesie. Das Blut
wurde unmittelbar vor dem Schluß der Operationswunde entnommen.
Die Hyperleukozytose mit Neutrophilie in diesem Falle ist schon
*) Wege * 1 Raummangel wird von der tabellarischen Wiedergabe der Falle 1-9
abgesehen.
eine sog. postoperative Hyperleukozytose. Im Fall 11 wurde das
Blut während eines kurzdauernden, sehr gleichmäßigen Aether-
rausches entnommen.
Lfd.
Nr.
Entnahmestelle
L.-
Zahl
B.
E.
M.
fautr
J.
>phil«
St.
S.
L.
br.M.
Krankheit
Art. cubitalis .
13460
1
8
66,5
19,5
5
) Panaritium
l tendinosum et
J ossale
,°{
Ven.cubitalis
13540
1
0,5
7
66
19,5
6
Hautblut . . .
13940
1
0,5
7
66
19
5,5
Art. radialis .
Ven. radialis .
5380
5400
1,5
2
1,5
10
10,5
37
36
43
42
6,5
8
\ Phlegmone am
1 Daumenballen
l
Hautblut . . .
5640
0,5
1,5
1
9
37
43,5
7,5
f
Art. brachialis
16840
1,5
0,5
6
62,5
23,5
6
\ Phlegmone am
j Unterarm
12 <
Ven. brachialis
16800
1,5
0,5
6,5
62
24
5,5
l
Hautblut . . .
18400
1,5
1
6,5
61,5
23
6,5
B. - Basophile, E. = Eosinophile, M. = Myelozyten, J. = Jugendliche, St. = Stabkernige,
S. = Segmentkernige, L. = Lymphozyten, GrJVl. = Große Mononukleäre.
In 9 von 12 Fällen fand sich im Hautblut eine größere Menge
von Leukozyten als im Blut der Venen und Arterien. Hiervon be¬
trug die Differenz 8 mal zwischen 0,5 und 9,5 v. H., im Durchschnitt
3 v. H. Eine Ausnahmestellung nimmt der Fall 7 ein; bei ihm
betrug die Vermehrung im Hautblut 41,3 v. H. In dem Unter¬
suchungsprotokoll ist bei ihm vermerkt: Auffallend starke Durch¬
blutung der Haut in Narkose, hochrotes Gesicht. Keine Narkose¬
störung oder Atembehinderung. Wir haben es also hierbei mit einer
Anomalie der Zirkulationsverhältnisse zu tun, wie man sie bei der
Aethernarkose nicht ganz selten sieht. Nur dreimal war die Leuko¬
zytenmenge im Hautblut geringer als im Venenblut, und zwar um
0,3 bis 1,5 v. H., im Durchschnitt um 0,9<yb. In allen Fällen ergab
die Differentialzählung der Leukozyten im gefärbten Präparat die
gleichen Blutbilder in den verschiedenen Proben.
Ich ziehe aus den Ergebnissen den Schluß: Im Hautblut ist
die Zahl der Leukozyten etwas größer als in dem der
größeren Gefäße. Die Differenz ist in meinen Fällen kleiner,
als sie Becher (10) in seinen gefunden hat. Er gibt Unterschiede
von 10—20 v. H. an.
Es bleibt noch Folgendes zu bemerken. Die Methode der Leuko¬
zytenzählung in der Zählkammer am verdünnten Blut ist keine
absolut genaue Methode. Mit ihren Fehlerquellen und dem exponen¬
tiellen Fehlergesetz hat sich besonders Kjer-Petersen ( 8 ) be¬
schäftigt. Die Angaben über die Fehlerzahl der Methode schwanken
zwischen 3,6 und 8 v. H. Danach läge also die von mir gefundene
Differenz von 3 v. H. innerhalb der Fehlergrenzen der Methode.
Dem ist aber gegenüberzuhalten, daß in % aller Fälle eine, wenn
auch geringe Differenz vorhanden war in dem Sinne, daß das Hatit-
blut mehr Leukozyten enthielt als das Blut der größeren Gefäße.
Aus diesem Grunde halte ich meine Schlußfolgerung für berechtigt.
Eine Erklärung dieses Unterschiedes ist meines Erachtens nur
möglich durch die physikalischen Gesetze, die für die Strömung
von Flüssigkeiten in engen Röhren gelten, und durch Beobachtungen
von Gefäßen am lebenden Tier.
Ich habe bei meinen Untersuchungen absichtlich den Ausdruck
Kapillarblut vermieden und den Ausdruck Hautblut gewählt. Bei
keiner der üblichen Arten der Blutentnahme durch Stich oder Schnitt
gewinnen wir reines Kapillarblut. Stets werden dabei auch Gefäße
einer höheren Größenordnung mit eröffnet. Daß in den Kapillaren
nicht dauernd gleichmäßig zusammengesetztes Blut fließt, ist selbst¬
verständlich, da bei einem Teil der Kapillaren, unabhängig vom
Blutdruck durch aktive Kontraktion ihrer Wand, die Lichtung so
sehr verengt ist, daß Blutkörperchen nicht mehr hindurchtreten kön¬
nen (Krogh, Dale, zit. nach Policard [16]). Ricker (17) hebt
hervor, daß „die Kapillaren nur eine Reihe Blutkörperchen enthalten,
daß sie bei weitem nicht alle durchströmt sind, vielmehr ein Wechsel
der einzelnen Teile der Strombahn zwischen Leere und Füllung
statthat“ (Beobachtungen an der Konjunktiva des Kaninchens). Stets
handelt es sich bei der Untersuchung um Mischblut aus Kapillaren
und Gefäßen einer höheren Größenordnung.
Beobachtet man ein Gefäß unter dem Mikroskop, so sieht man,
daß der Inhalt in einem Querschnitt nicht gleichmäßig ist. In den
kleinsten Venen und in den präkapillaren Gefäßen fließt in der
Mitte, etwa 3 / 5 der Breite einnehmend, ein roter Strom. Zu beiden
Seiten findet sich eine helle Zone von Plasma. In dieser Randzone
sieht man deutlich, wie ab und au Leukozyten, weit langsamer als
die Elemente des Achsenstromes, dahinfließen. Sie rollen an der
Gefäßwand entlang, zuweilen an ihr haften bleibend.
Für die Bewegung von Flüssigkeit in Röhren gilt das Poi-
seuille-Helmholtzsche Gesetz. Danach bewegt sich die Flüssig¬
keit nicht in allen Teilen gleichmäßig. Die Bewegung der die Wand
benetzenden Flüssigkeit ist gleich Null, nach der Achse der Röhre
hin nimmt die .Geschwindigkeit zu und ist in der Achse selbst am
größten. Man kann sich einen solchen Strom etwa als eine Reihe
konzentrisch ineinander gesteckter Flüssigkeitszylinder vorstellen, von
denen die mittleren sich schneller bewegen als die äußeren. Handelt
es Sich bei einer solchen Flüssigkeit um eine Suspension, die Köiper
verschiedenen spezifischen Gewichtes enthält, so werden die spezifisch
schwersten im Achsenstrom mit fortgerissen, die leichteren bewegen
sich mehr der Peripherie zu, während am weitesten nach der Peri-
E herie hin die klare Suspensionsflüssigkeit fließt (Poiseuillescher
!aum), wenn sie spezifisch leichter ist als die in ihr suspendierte rv
Körper. Das spezifische Gewicht des Plasmas beträgt 1027, das
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
316
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
roten Blutkörperchen 1080—1087 (Vierordt). Für die Leukozyten
habe ich eine bestimmte Zahlenangabe nicht finden können. Sie
sind spezifisch leichter als die roten. Wenn man ein langsam ge¬
rinnendes Blut, z. B. Pferdeblut, sedimentieren läßt, dann enthalten
die oberen Schichten der sich absetzenden Blutkörperchen ganz über¬
wiegend Leukozyten. Den experimentellen Nachweis für diese Strö¬
mungsverhältnisse hat Schklarewski (18) erbracht, der in dünnen
Glaskanillaren defibriniertes Blut und Farbstoffsuspensionen durch
das Milcroskop beobachtete. Im strömenden Blut ist die Geschwindig¬
keit der Randzone, in der sich die Leukozyten bewegen, nach
Eberth und Schimmelbusch (19) 10—20mal geringer als die
des Achsenstromes.
Eine besondere Erklärung für das Verhalten der Leukozyten in
der Strombahn gibt du Bois-Reymond (20). Er sagt nach der
Beschreibung des blutkörperchenhaltigen Achsenstroms und der plas¬
matischen Randzone: „Die weißen Blutköiperchen machen hiervon
eine auffallende Ausnahme, indem sie vermöge ihrer Eigenbewegung
an der Gefäßwand hier und da haften oder langsam hinkriechen und
nur selten mitten im Strom schwimmen/* Mir erscheinen die oben
ausgeführten physikalischen Grundlagen, die auch Landois-Rose-
mann (21) anfiihren, als Ursache der Etscheinung einleuchtender.
Diese Sonderung des axialen Blutkörperchenstromes von der
plasmatischen Randzone ist in den kleinsten Arterien deutlicher zu
sehen als in den feinsten Venen, und während man in der plasmati¬
schen Randzone der Arterien nur ab und an ein weißes Blutkörper¬
chen sieht, so sind sie in den kleinen Venen zahlreicher. Die Ur¬
sache dafür ist die geringere Strömungsgeschwindigkeit in letzteren.
Zudem kommt es in diesen kleinsten Gefäßen, infolge ihrer netz¬
förmigen Anordnung sehr leicht zu Stauungen. „Es ist mehr oder
weniger zufällig, in welcher Richtung der Blutstrom in einer dieser
Querverbindungen fließt. Wenn der Druck in einem der beiden Ge¬
fäße auch nur um ein weniges überwiegt, wird das Blut in dem
Verbindungsgange von ihm fortströmen; ist der Druck in beiden
Gefäßen gleich hoch, so wird sich das Blut gar nicht bewegen“
(Nicolai (221). Bei einer Verlangsamung des Blutstromes nimmt
aber die Zahl der in den plasmatischen Randstrom übertretenden
Leukozyten zu. Darauf haben Eberth und Schimmelbusch (19)
bei ihren experimentellen Untersuchungen über.die Thrombose hin¬
gewiesen. ' I r | :
In diesen physikalischen Verhältnissen der Strom¬
bahn sehe ich die Ursache für den höheren Gehalt des
Hautbtutes an Leukozyten gegenüber dem Blut der
größeren Gefäße. In einer ähnlichen Gedankenrichtung bewegen
sich auch die Ueberlegungen von Becher (23), wenn er sagt, daß
das Verhältnis der inneren Gefäßwandfläche zu dem Inhalt des Ge¬
fäßes für den Leukozytengehalt von Bedeutung sein muß.
Unger und Wisotzlci (24) haben in 3 Fällen bei entzündlichen
Prozessen das Blut der zu dem Entzündungsherd führenden Arterie
und das der abführenden Vene untersucht. Zweimal handelte es sich
um Arteria und Vena tibialis postica, einmal um die Arteria und Vena
femoralis. In allen 3 Fällen war die Zahl der Leukozyten um 15
bis 24 v. H., im Mittel um 20o/ 0 höher als im Blut der entsprechen¬
den Venen. Sie ziehen daraus den Schluß, daß Leukozyten an der
Entzündungsstelle festgehalten werden. (Auf die von ihnen für das
gleichfalls untersuchte Hautblut [Ohr, Fingerbeere] angegebenen
Zahlen gehe ich nicht ein, da ein Vergleich mit den anderen Zahlen
nicht zulässig ist. Nach mündlicher Mitteilung von Unger sind
die Hautblutproben vor Beginn der Aethernarkose entnommen.) Sie
sagen weiter, daß die moiphologische Untersuchung des Blutbildes
in jedem Fall untereinander übereinstimmende Werte ergab. In
ihrem Fall 2 /Phlegmone am Fußrücken), der den geringsten ab¬
soluten und relativen Unterschied in dem Leukozytengehalt aufwies,
fanden sie in der Arteria tibialis postica 19500 Leukozyten, in der
Vena tibialis postica 16900. Danach wären also von 1 ccm Blut
2600 Leukozyten, gleich 15o/o in dem Entzündungsherd festgehalten.
Wenn wir nun annehmen, daß durch einen Querschnitt der Arteria
tibialis postica in der Sekunde nur 1 ccm Blut fließt, so würde das
bedeuten, daß in jeder Sekunde 2,6 Millionen weiße Blutkörperchen
im Entzündungsherd festgehalten werden!
Von den Leukozyten des Blutes sind es bei akut entzündlichen
Prozessen ganz überwiegend die neutrophilen Zellen, welche am
Entzündungsherd aus der Oefäßbahn auswandern, um im Gewebe
dann zugrundezugehen oder in den leukozytären Infiltraten weiter
zu bestehen oder als Eiterkörperchen im Wundsekret zu erscheinen.
Die Differenz zwischen dem Leukozytengehalt des Arterien- und
Venenblutes — in diesem Falle 15o/ 0 — muß also aus dieser Ueber-
legung heraus eine Differenz im Gehalt des Blutes vorwiegend an
neutrophilen Zellen sein. Unger und Wisotzki geben aber aus¬
drücklich an, daß die morphologische Untersuchung des Blutbildes
keinen von der Norm atweichenaen Befund ergab. Es hat sich also
bei beiden Blutproben das gleiche Differentialbild für die Leukozyten
ergeben. Diese beiden Angaben — gleiches Blutbild in Arterie und
Vene und 15 o/o weniger Leukozyten im Venenblut als in dem der
Arterien — enthalten einen Widerspruch.
In meinen Fällen 10—12 ist in gleicher Weise wie von Unger
und Wisotzki bei akut entzündlichen Prozessen aus dem zum
Entzündungsherd führenden Gefäß und dem abführenden Blut ent¬
nommen worden, außerdem herdfernes Hautblut. In allen 3 Fäl¬
len hat sich ergeben, daß das Hautblut mehr Leuko¬
zyten enthält als das der größeren Gefäße. Die Leuko¬
zytenzahlen in - Arterie und Vene aber sind gleich groß. Das Blut¬
Nr .10
bild ist in den Blutproben jedes Falles in sich gleich. Nun ver¬
schwinden ganz sicher in einem akut entzündlichen Herd Leukozyten
aus der BTutbahn, und zwar, wie oben ausgeführt, überwiegend
Neutrophile. Bei den „Momentbildern“ aber, die wir bei der Unter¬
suchung gewinnen, läßt sich der objektive Beweis dafür nicht führen
dazu ist die bei der Untersuchung verarbeitete Blutmenge viel zu
klein. Der Leukozytenverlust entgeht dem Nachweis infolge unserer
groben Untersuchungsmethoden.
Znsammenfassnnjr. 1. Die Zahl der Leukozyten im Hautblut ist
größer als die im Blut der größeren Gefäße.
2. Die Ursache für diesen Unterschied ist in den physikalischen
Verhältnissen der Strombahn zu suchen.
3.. Bei entzündlichen Prozessen enthält das zuführende Gefäß
nicht mehr Leukozyten als das abführende. Auch in diesen Fällen
enthält das herdferne Hautblut mehr Leukozyten als das Blut der
größeren Gefäße.
1. Pflüg. Arch. 167. — 2. M. m. W. 1920 Nr. 12. — 3. Arch. t exper. Path. u. Pharm. 25
- 4. Arch. f. klin. M, 51. — 5. Zschr. f. klin. M. 25. — 6. Arch. f. klin. M. 92. - 7. Arch. f.’
ldln. M. 70. — 8. Beitr. z. Klin. d. Tbc. 1. Supplementband. — 9. Arch. f. klin. M. 100. -
10. Mltt Grenzgeb. 31. — 11. Bruns Beitr. 117. — 12. Skand. Arch. f. Physiologie 1908. -
13. Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 64. — 14. Zschr. f. klin M. 90. — 15. Diss. Basel 1896.—
16. Lyon chirurgical 18. — 17. Virch. Arch. 231. — 18. Pflüg. Arch. 1. — 19. Die Thrombose,
Stuttgart 1888. — 2a Lehrbuch der Physiologie des Menschen und der Saugetiere, 1920,’
4. Aufl. — 21. Lehrbuch der Physiologie des Menschen, 1919, 15. AufL — 22. Nagel’
Handbuch der Physiologie 1. — 23. M. Kl. 1920 Nr. 42. — 24. D. m. W. 1921 Nr. 22.
Aus der Chirurgischen Abteilung des Städtischen Krankenhauses
St. Qeorg in Leipzig. (Leitender Arzt: Prof. Heller.)
Erfahrungen mit Bluttransfusionen nach Oehlecker
am chirurgischen Material.
Von Dr. Erich Hempel, Assistent an der Abteilung.
I.
Die Frage der Bluttransfusion ist in ein neues Stadium getreten
Es ist ein Verdienst Oehleckers, uns ein Verfahren angegeben
zu haben, mittels dessen jeder chirurgisch und nicht chirurgisch
Geschulte zuverlässig die gewünschte Blutmenge von einem Spender
direkt zum Empfänger überleiten kann. Damit ist die technische
Frage, die allen, die sich damit beschäftigt haben, bisher immer
wieder Schwierigkeiten bereitet hat, nun endgültig gelöst. Sache
der Erörterung kann heute nur noch sein: Können wir von Bluttrans¬
fusionen überhaupt Nutzen erwarten, ohne den Empfänger irgend¬
einer Gefahr auszusetzen, und in welchen Fällen sind Bluttrans¬
fusionen auszuführen?
An der Hand unseres Materials von Bluttransfusionen soll diese
Frage kurz erörtert werden. Wir haben seit Frühjahr 1920 mit dem
Oehleckerschen Apparat 31 Bluttransfusionen bei 26 Patienten aus¬
geführt. Gewiß eine kleine Menge, im Vergleich zu den 150 Trans-
fusionsfällen, die Oehlecker auf dem letzten Chirurgenkongreß
besprechen konnte. Wenn wir trotzdem unsere Erfahrungen damit,
besonders nach Mißerfolgen in früheren Jahren mit anderen, unzu¬
länglichen Methoden, hier veröffentlichen, so tun wir dies deshalb,
weil wir den Eindruck gewonnen haben, daß das Oehleckersche
Verfahren noch immer nicht hinlänglich genug bekannt ist, und weil
die Mitteilung guter Resultate auch von anderer Seite dem Ver¬
fahren und der Allgemeinheit nur zugutekommen kann. Anschließend
wollen wir zu den oben gestellten Fragen über Wertigkeit der
Bluttransfusion und Indikationen Stellung nehmen.
Die Transfusion nach Oehlecker ist eine direkte, von Vene
zu Vene, mittels eines dazwischen geschalteten Zweiwegehahnes.
Sie hat damit den Vorteil, daß biologisch unverändertes Blut, un¬
beschädigte Blutkörperchen, unverändertes Blutplasma mit den ver¬
schiedensten Stoffen der Drüsen der inneren Sekretion übertragen
werden. Daß die venöse Transfusion keine geringere Wirkung als die
arterielle hat, geben alle Berichterstatter der Literatur zu. Es wäre audi
nicht einzusehen, weshalb nicht, da sich die roten Blutkörperchen ja
sehr bald in der Lunge mit Sauerstoff beladen. Durch eine Glasspritze. 1 ),
die an den Zweiwegehahn angeschlossen ist, wird aus der Vene des
Spenders Blut angesaugt, der Zweiwegehahn zum Empfänger ura-
gestellt und die Blutmenge in den venösen Kreislauf des Empfängers
eingespritzt. Stand eine gut gefüllte Vena cubitalis mediana am
gut gestauten Spenderarm nicht zur Verfügung, so nahmen wir in
einigen Fällen, ohne Schaden damit anzurichten, die tief liegende
Hauptvene der Eilenbeuge. Durch eine neu angesetzte, mit Natr.
citr. gefüllte gleiche Glasspritze wird das System kurz mit der
gerinnungshemmenden Flüssigkeit 2 ) gefüllt und erneut Blut angezogen
und transfundiert.
Die Vorzüge des Oehleckerschen Verfahrens, die wir beobachtet
haben, waren:
1. Einfachheit: * Die Transfusion war unter allen äußeren Um¬
ständen ausführbar (auch außerhalb unseres Krankenhauses). Jede
>) Die Spritzen müssen warm sein, damit keine Abkühlung des überzuleltenden
Blutes eintrltt Will man sie nicht in einem mit warmer Kochsalzlösung gefüllten flachen
Becken bei der Transfusion liegen haben, so soll man sie doch stets nach dem einzelnen
Gebrauch mit warmer Kochsalzlösung ausspritzen, erstens, um sie warm zu erhalten,
zweitens, um die Blutreste daraus zu entfernen und ihre Gleitffihigkeit zu erhalten. -
») Im weiteren Verlauf der Transfusion benutzen wir Jetzt dazu nur noch NaCl-Lflwng
Digitized b"
Google
Original from
CORNELL UNfVERSITY
10. März 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
317
mit Asepsis und Umgang mit Instrumenten vertraute Kraft wird sie
vornehmen können.
2. Zuverlässigkeit: Die Ueberleitung des Blutes glückte in allen
Fällen. Jedesmal wurde die Transfusion nach freiem Willen be¬
endet, niemals waren wir durch Blutgerinnung oder andere technische
Zwischenfälle dazu gezwungen.
3. Dosierbarkeit: Man ist in der Lage, die Blutmenge wie ein
Medikament zu dosieren, auch dem Spender vorauszusagen, wieviel
Blut man ihm entnehmen will, sodaß er vor unerwünschten Ver¬
lusten geschützt ist. Diese Methode ermöglicht es außerdem, bei
größeren Transfusionen dem Spender das verlorene Blutvolumen
sofort im Anschluß an die Transfusion durch Ringeräche Lösung zu
ersetzen, sodaß also auch das Interesse des Spenders nach Mög¬
lichkeit gewahrt ist.
4. Das Tempo der Transfusion kann nach den besonderen Um¬
ständen bemessen werden. Im Anfang sahen wir die Raschheit der
Ausführung als einen Vorteil dieser neuen Methode an. Sie ließ
sich in 15—20 Minuten mit Leichtigkeit ausführen. Jetzt erblicken
wir darin keinen Vorteil mehr, halten sogar zu Anfang schnell aus¬
geführte Transfusionen unter Umständen für schädlich für den Emp¬
fänger. Ich meine damit nicht die Ueberlastung des geschwächten
rechten Herzens, von der manche Autoren (Zeller) behauptet haben,
daß sie bei der venösen Transfusion einträte und leicht zum Herz¬
stillstand führen könne. Wir haben eine solche stärkere, schaden¬
stiftende Beanspruchung des venösen Kreislaufes (Blutstauung im
rechten Herzen und in den Hohlvenen, Verhinderung des Abflusses des
stark kohlensäurehaltigen Blutes aus den nervösen Zentralorganen,
Asphyxie und plötzlicher Tod als Folge [Zeller]) auch nicht in
Andeutungen wahrnehmen können. Aus anderen Gründen erscheint
uns eine langsame, dosierbare Ueberleitung, die in Etappen aus¬
geführt wird, nötig. Da, wie. wir noch sehen werden, die Vor¬
untersuchungen auf Hämolyse und Agglutination uns keinen absolut
sicheren Anhaltspunkt geben können, ob beide Blutarten sich auch
in vivo vertragen, wenden wir gewisse Vorsichtsmaßregeln an. Das
ist erstens die prophylaktische Bluteinspritzung von 5—10 ccm. Diese
biologische Probe ist schon von Abelmann angeraten worden,
läßt sich aber nur mit dem Oehleckerschen Apparat einfach und
sicher durchführen. Zweitens die klinische Beobachtung während
der Transfusion selbst. Wir transfundieren zuerst 5—10 ccm, füllen
das System mit Natr. citr. auf und warten ruhig ab, bis zu 5 Minuten,
ob sich irgendwelche anaphylaktischen Erscheinungen, Beklemmung,
Pulsbeschleunigung, Zyanose usw. einstellen. Wir haben mit anderen
die Erfahrung gemacht, daß die ersten Anzeichen der drohenden
Hämolyse in wenigen Minuten nach Ueberleitung einer geringen
Menge von Blut sich schon zeigen. Diese Probeüberleitung von Blut
wiederholen wir ein zweites und drittes Mal, und dann erst gehen
wir zu größeren Dosen allmählich steigend über. Gerade dieser
Umstand, daß wir nach kleineren Probeinfusionen warten und dann
langsam dem Körper das neue Blut zuführen können, spricht für
die Güte und Sicherheit dieser Methode. Niemals sahen wir die
bei anderen Verfahren so leicht eintretende Gerinnung, obwohl wir
bis zu 10 Minuten die Transfusion unterbrochen haben. Thrombose
und Emboliegefahr sind so gut wie ausgeschaltet.
Wir haben sogleich einige der wichtigsten Vorsichtsmaßregeln,
die vor und bei einer Transfusion anzuwenden sind, erwähnt. Daß
der Spender frei-von Syphilis (Wa.R.) und Tuberkulose sowie sonstigen
Allgemeinkrankheiten sein muß, ist selbstverständlich. Oehlecker
hat neuerdings auf einen Umstand noch hingewiesen, der sicherlich
jetzt nach dem Krieg volle Beachtung verdient. Er erlebte bei einer
Bluttransfusion eine Uebertragung von Malariaplasmodien, von einem
Kriegsteilnehmer, der selbst nie malariakrank gewesen war und bei
dem auch zur Zeit keine Plasmodien mehr festzustellen waren. Er
erhebt daraus die berechtigte Forderung, daß jeder, der in einer
Malariagegend war, gleich, ob er malariakrank gewesen oder nicht, vor
Ablauf mehrerer Jahre nicht als Blutspender in Betracht kommen darf.
Es ist nicht nötig, sämtliche Krankengeschichten unserer Fälle
hier zu veröffentlichen. Ich will nur einige wenige aus dem inter¬
essanten Material herausgreifen und hier in extenso besprechen.
Die Bluttransfusion kam zur Anwendung:
1. Bei akutem Blutverlust: 2mal bei 2 Patienten. Bei septischen
Blutungen aus der Art. obturatoria sin. bei Beckenosteomyelitis und
Sepsis lmal. Bei Arrosionsblutung aus der Art. femoris profunda bei
chronischer Oberschenkelosteomyelitis nach Amputation lmal.
2. Bei sekundären Anämien: 29mal bei 24 Patienten. Bei bluten¬
den Ufcera ventriculi als Vorbereitung zur Operation 3mal bei 3 Pa¬
tienten ; bei Ulcera pept. jejuni 3mal bei 2 Patienten, als Vorbereitung
zur Resektion 2mal bei 1 Patienten; nach der Rad.-Operation lmal;
bei Ulcera ventriculi-Operationen zur Hebung des Allgemeinzustandes
nach der Operation 3mal bei 3 Patienten; bei chronischen Verdauungs¬
störungen durch Darmadhäsionen nach Adhäsions-Laparotomie 2mal
bei 1 Patienten ; bei malignem Abdominaltumor als Vorbereitung zur
Operation lmal bei 1 Patienten; bei entzündlichem Adnextumor posf
partum als Vorbereitung zur Operation 2mal bei 1 Patienten; bei
Lungenabszeß zur Hebung des Augemeinzustandes nach der Operation
2maf bei 2 Patienten ; bei Gallenblasenkarzinom und Cholämie als Vor¬
bereitung zur Operation und zur Erhöhung der Blutgerinnbarkeit
2mal bei 1 Patienten ; bei Nieren- und Darmblutungen bei hämorrhagi¬
scher Diatbese lmal bei 1 Patienten; bei paranephritischem Abszeß,
nost operativen Blutungen, zur Hebung des Allgemeinzustandes post
operationem lmal bei 1 Patienten; bei unklaren Darmblutungen lmal
bei 1 Patienten; bei Pankreatitis und Fettgewebsnekrose zur Hebung
des Allgemeinzustandes nach der Operation lmal bei 1 Patienten; bei
Carzinoma uteri et ventriculi zur Hebung des Allgemeinzustandes lmal
bei 1 Patienten; bei Blasenmole zur Vorbereitung für die Uterusexstir¬
pation lmal bei 1 Patienten; bei Hämorrhoiden mit stärkeren chroni¬
schen Blutungen vor Withead lmal bei 1 Patienten; bei Aortitis luica,
Endokarditis, Aneurysma der Art. poplitea zur Hebung des Allgemeiit-
zustandes nach der Operation 2mal bei 1 Patienten; bei Knochen- und
Gelenktuberkulose zur Hebung des Allgemeinzustandes lmal bei
1 Patienten: bei Sepsis mit Leukopenie nach Angina lmal bei
1 Patienten.
Man ersieht hieraus, daß. wider Erwarten bei einem chirurgischen
Material’ die Transfusion bei akutem Blutverlust seltener zur An¬
wendung gekommen ist, nur 2mal *), häufiger bei sekundären Anämien,
entweder als Vorbereitung zur Operation HOmal bei 8 Patienten) oder
als Unterstützung der Rekonvaleszenz nach der Operation (12mal bei
10 Patienten) oder zur Hebung des Allgemeinzustandes bei nicht
operierten Fällen (7mal bei 6 Patienten).
I. Bei den Transfusionen bei akuten Blutungen ist eine inter¬
essante Beobachtung zu verzeichnen, sodaß hier eine Krankenge¬
schichte kurz angeführt werden soll 2 ).
Fall 1: Fr. B., 12jähriger Knabe, Sepsis, Osteomyelitis des
Beckenknochens mit Arrosion der Art. obturatoria sinistra.
Nahezu moribund eingeliefert: Bewußtlos, weite, nicht reagierende
Pupillen, schnappende Atmung, kaum fühlbarer Puls, kalte Extremi¬
täten. Spender: Vater, der erst von einer Blutüberleitung nichts
wissen wollte, „da der Junge ja doch im Sterben sei“.
Voruntersuchung des Blutes in vitro und Blutbefund vor der
Transfusion fehlt, da der Knabe sofort von der Aufnahme in das
Operationshaus gebracht wurde, wo sogleich die Transfusion an¬
gestellt wurde.
Nach 500 ccm Blutübertragung war noch keine Aenderung zu
verzeichnen. Nach 750 ccm wurde die Atmung regelmäßiger und
tief, der Puls besserte sich, der Junge wurde unruhig. Nach 1000,0
kehrte das Bewußtsein zurück, der Puls wurde voll, die Atmung
ruhig, der Knabe war klar und nahm mit Interesse an den Vor¬
gängen teil. Es trat keine Hämolyse auf. Die Besserung hielt eine
Woche an, im Verlauf der 2. Woche steigerten sich die Erschei¬
nungen der Sepsis durch die Beckenosteomyelitis, der der Knabe
2 Wochen nach der schweren Blutung und der Transfusion schlie߬
lich erlag.
Trotz des tödlichen Ausganges ist dieser Fall für die Rettung
nach schwerstem Blutverlust ein außerordentlich eindrucksvoller Er¬
folg, ein Erfolg, der auch bei schärfster Kritik nur der Bluttransfusion
zugeschrieben werden kann. Dieser lehrreiche Fall zeigt uns, wie
groß die Blutmenge ungefähr sein müßte, die wir einem stark aus¬
gebluteten Patienten überleiten möchten, um sein Leben zu er¬
halten. 1000 ccm waren bei einem 12jährigen Knaben notwendig,
wir brauchen also für einen Erwachsenen noch größere Mengen.
Diese werden wir kaum einem Spender zumuten können, wenn wii
auch einmal in der Lage waren, einer kräftigen Person 1650 ccm
Blut zu entnehmen. Es stände an sich nichts im Wege, nach Be¬
endigung der einen Transfusion den Spender aus dem Oehlecker¬
schen System auszuschalten und einen neuen Spender einzuschalten.
Technisch ließe sich das mit Leichtigkeit durchführen. Voraus¬
setzung wäre klinisch nur, daß gesunde Spender zur Verfügung
stehen. Nur wird natürlich mit Heranziehung eines neuen Blut¬
gebers die Gefahr der Hämolyse sich steigern und eine eventuelle
durch den 2. Oeber erzeugte Hämolyse das gute Resultat der ersten
Transfusion völlig zunichtemachen. Man wird dieses Risiko nicht
gern auf sich nehmen wollen, und ein solches bleibt es doch immer
mit und ohne Voruntersuchung der beiden Blutarten, wie wir später
noch sehen werden. Zugegeben, daß diese Voruntersuchung uns
auch bis zu einem gewissen Grade davor schützen kann, so sind
wir doch in so eiligen Fällen kaum je in der Lage, sie anzu¬
stellen. Wir sind aber trotzdem berechtigt, in so dringenden Fällen,
ohne diese eine Blutüberleitung zu wagen, besonders, wenn die
oben angeführten Vorsichtsmaßregeln beobachtet werden. Es wird
aber auch gar nicht unbedingt notwendig sein, bei akutem Blut¬
verlust die ganze verlorengegangene Blutmenge durch Blut zu er¬
setzen, wenn nur ungefähr wenigstens der normale Füllungszustand
des Gefäßsystems mit möglichst normalem Blutdruck wieder her¬
gestellt wird. Natürlich so viel als möglich mit Blut. Denn dieses
enthält nun einmal „die funktionstüchtigen Sauerstoffträger und
lebenswichtigen Komplemente“ (Zeller). Außerdem ist der Druck
in den Blutgefäßen nach Bluttransfusionen längere Zeit erhöht als
bei reinen Kochsalzinfusionen infolge geringerer Durchlässigkeit der
Gefäßwandungen für das Blut (Hanerland). Das Defizit ergänzen
wir mit Ringerscher Lösung, die sich ja mit Leichtigkeit mittels
des Oehleckerschen Apparates infundieren läßt. Es resultiert hier¬
aus die Forderung, bei akuten Blutungen möglichst große Blut¬
transfusionen zu machen.
Daß bei akuten Blutungen die übertragene Blutmenge wenigstens
einige Zeit funktionell eintreten kann, um den Körper über den
gefährlichen Kollaps hinwegzubringen, beweisen experimentelle und
klinische Beobachtungen auch anderer. Spenglers Versuche am
ausgebluteten Hund und die Tierversuche Kellers sind eine Stütze
dafür. Wie lange die übertragene Blutmenge, Blutkörperchen und
*) Bei Extrauterin-OraviditÄt wurde ausschließlich die Autotransfusion nach Thieß
angewendet. — •) Von Prof. Heller auf dem Chirurgenkongreß 1921 bereits erwlhnt.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
318
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
Nr. 10
Plasma, lebend im Empfänger bleiben, wann sie verschwinden, ist
eine schwierige, noch nicht geklärte Frage. Wissen wir doch über
die Dauer des Lebens der roten Blutkörperchen in unserer eigenen
Blutbahn selbst noch nicht genügend Bescheid. Manche Autoren
geben 1—2 Monate dafür an. Nach Coenen zerfallen die trans-
fundierten roten Blutkörperchen am Ende der ersten Woche schon.
Ochlecker hält 3—4 Wochen für die wahrscheinliche Lebens¬
dauer. Er konnte keine Bilirubinzunahme im Blutserum beobachten,
noch Veränderungen an den Erythrozyten, v. Ziemssen und Sei¬
fert konnten einige Tage nach ihren Bluttransfusionen ein allmäh¬
liches Sinken der Erythrozytenzahl, dann vom 4. Tage ein Ansteigen
beobachten. Nach ihnen findet ein langsames, teilweises Zugrunde-
gehen der roten Blutkörperchen statt, ohne* Freiwerden größerer
Mengen von Blutfarbstoff. Wir haben in der Reihe der Bluttrans¬
fusionen bei sekundären Anämien, die reaktionslos vertragen wurden,'
einige Fälle längere Zeit durchgezählt und eine dauernde Gleich¬
mäßigkeit des Blutbefundes, sowohl zahlenmäßig als auch den Formen
nach, feststellen können. Niemals beobachteten wir Erythrozjten-
schatten. Wir haben auch im Harn weder chemisch noch spektro¬
skopisch Bilirubin oder Urobilin finden können welches doch bei
einem reichlichen Zugrundegehen von Erythrozyten hätte auftreten
müssen. Selbst im Blutserum konnte in diesen Fällen bei regel¬
mäßiger Untersuchung keine Vermehrung des Bilirubingehaltes fest¬
gestellt werden. Unsere Zählungen erstreckten sich bis 3 Wochen
nach der Transfusion. Wir wollen damit nicht behaupten, daß die
übertragene Blutmenge in jedem Falle so lange Zeit die lebensunter¬
haltende Kraft darstellt. Ausgiebige Blutkörperchenzährungen, die
das Weiterleben des transfundierten Blutes für eine gewisse Zeit
beweisen, liegen von Hotz, von Vierodt, Wederhake und
Siegel vor. Aber ein so langes Ueberleben wäre bei akuten
Blutungen gar nicht einmal nötig. Wir wissen, daß sich bei akuten
schwersten Blutverlusten die Blutmenge viel schneller ersetzt als
bei chronischen geringfügigen Verlusten. Selbst wenn die über¬
tragenen roten Blutkörperchen als Sauerstoffträger nur wenige Tage
überleben würden, würde dies für den rettenden Erfolg nach Blut¬
transfusionen bei akutem, schwerem Blutverlust genügen.
Ungezwungen ergibt sich bei den. theoretischen Betrachtungen
über den Wert der Bluttransfusion ein Vergleich mit den auto¬
plastischen und homoioplastischen Organtransplantationen. Wir wis¬
sen ja jetzt zur Genüge, daß nur autoplastische Transplantationen
unter günstigsten Umständen Dauerbestand haben, daß homoio-
plastiscne Transplantationen mit wenigen, noch nicht sicher be¬
wiesenen Ausnahmen zugrundegehen, aber wenigstens einige Zeit
am Leben bleiben können. Es wäre merkwürdig, wenn es bei der
Bluttransfusion anders wäre, bei der ja alle günstigen Bedingungen
des Zellebens in einer Weise verwirklicht sind, wie sie bei keiner
anderen Transplantationsform auch nur annähernd sich erreichen läßt.
II. Bei den sekundären Anämien würde schon von einem Erfolg
zu sprechen sein, wenn das übertragene Blut als Anreiz für die
Blutneubildung wirkt, und dies scheint mit einer gewissen Regel¬
mäßigkeit der Fall zu sein. Aus der größeren Zahl der Bluttrans¬
fusionen bei sekundären Anämien soll dafür eine weitere Kranken¬
geschichte herangezogen werden.
Fall 2. Fr. V., 27jähriger Mann. Ulcus ventriculi, Per¬
forationsperitonitis. Naht -f- G. E. r. p., Spülung, Drainage.
Bluttransfusion 3 Monate später wegen schlechten Allgemein¬
zustandes, Ulkusblutung trotz Lenhartz-Kur, Gewichtsabnahme. Spen¬
der: Bruder (Wa.R. negativ). Voruntersuchung der beiden Blut-
arten o. B. Blutbefund vor der Transfusion: Hämoglobin 30<»/o,
Erythrozyten 1900000, Leukozyten 3 500. Menge des transfundierten
Blutes: 250ccm. Nach der Transfusion, die gut vertragen wurde,
wesentlich frischeres, gesünderes Aussehen, subjektiv besseres Befin¬
den. Blutbefund 24 Stunden nach der Transfusion: Hämoglobin 35<>/o,
Erythrozyten 4 200 000 . Blutbefund U /2 Monat nach der Transfusion:
Hämoglobin 6 O 0 / 0 , Erythrozyten 3700000. Okkulte Blutungen stehen,
anhaltende Gewichtszunahme, in 8 Wochen 27 Pfund.
Es trat bei diesem Patienten ein völliger Umschlag des Krank¬
heitsbildes ein, und zwar unmittelbar nach der Transfusion, sodaß
sie nur durch diese zu erklären ist und nicht durch die allmähliche
Erholung des Patienten infolge der weiter durchgeführten Lenhartz-Kur
oder andere Zufälligkeiten. Die einmalige Transfusion von 250,0 ccm
war als Reizdosis gedacht, und als solche hat sie auch prompt ge¬
wirkt. Da wir in der Lage sind, bei dem Oehleckerschen Apparat
genau die Menge anzugeben, die wir überleiten, können wir bei der
Kenntnis der Erythrozytenzahl in 1 emm des Spenderblutes genau be¬
rechnen, wieviel Erythrozyten wir überleiten, um wieviel also die
Zahl der Erythrozyten beim Empfänger in 1 emm nach der Transfusion
vermehrt sein müßte, wenn wir durch die Transfusion nur die Ver¬
mehrung des Blutes beim Empfänger um eine gewisse Menge erzielen
wollten und nichts weiter. Uns ist aber bei allen Bluttransfusionen
aufgefallen, daß diese Rechnung nicht stimmt, daß die Zahl der
Erythrozyten nach der Transfusion bei genauester wiederholter Be¬
rechnung um vieles höher war, als sie nach der Menge des über¬
geleiteten Blutes zu erwarten war. Die Steigerung der Erythro¬
zytenzahl von 1900000 auf 4 200 000 ist durch die übergeleitete Blut¬
menge von 250,0 ccm allein nicht zu erklären. Wir dürfen diese
Tatsachen so erklären, daß durch das übertragene Blut selbst oder
die durch seinen Abbau entstandenen Produkte in den Blutkörperchen-
Bildungsstätten des Empfängers alle halbreifen Formen, die des Ueber-
gangs in die Blutbahn harren, auf einmal ins Blut ausgeschwemmt
werden, sodaß diese auffallende Erhöhung der Erythrozytenzahl plötz¬
lich Eintritt. Es ist hierdurch also mathematisch der Beweis erbracht,
daß eine Bluttransfusion als Reizdosis wirkt. Klinisch wußten wir
das ja schon längst aus der Steigerung der Erythrozytenzahl nach
einmaliger Injektion kleinerer Blutmengen.
Während wir bei' der Bluttransfusion nach akutem Blutverlust
nicht in der Lage sind, eine serologische Voruntersuchung auf Ver¬
träglichkeit beider Blutarten miteinander * vorzunehmen, wegen der
Dringlichkeit der Fälle, wird eine solche bei Bluttransfusionen bei
allen anderen Fällen von den meisten (Schulz, Hanssen, Ka¬
li ski) gefordert, wobei sich allerdings eine große Zahl von Beob¬
achtern über die Unsicherheit der Reaktion im klaren ist (Crile,
Plehn, Umber usw.). Es ist vielfach beobachtet worden, daß in
vitro diese Probe negativ ausfiel, und doch trat in vivo Hämolyse
auf. Einzelne legen deshalb keinen Wert mehr auf diese Vorunter¬
suchung. Für aie Frage der Hämolyse und Agglutination liefern
einige Krankengeschichten interessante Belege.
Fall 3. E. H., 32jährige Frau. Postoperative Adhäsions¬
beschwerden. Sekundäre Anämie bei chronischen Verdauungs¬
störungen.
1. Spender der Bruder. Voruntersuchung und Blutbefund vor der
Transfusion fehlt 1 ). Menge: 550,0ccm. Gleich nach der Transfusion,
bei der Patientin über Kopfschmerzen klagte und sehr unruhig war,
traten schwere Störungen im Allgemeinbefinden auf, Kopfschmerzen
Pulsbeschleunigung, Hämoglobinurie, Hämaturie, hämolytischer Ik¬
terus. Nur langsam gingen diese Erscheinungen zurück. 8 Tage lang
waren Erythrozyten im Harn nachweisbar, der Ikterus hielt 14 Tage
an. Blutbefund 14 Tage nach der Transfusion: Hämoglobin 47o; 0 , Ery¬
throzyten 4 780 000, Leukozyten 5700. Die nachträglich, 3 Wochen
nach der Transfusion, vorgenommene serologische Blutuntersuchung
ergab: Hämolyse des Empfängcrblutes durch das des Spenders nicht
eingetreten, dagegen starke Agglutination des Enipfärmerblutes durch
das des Spenders (-f— ]— j— mit 0,02 Serum). Außerdem wurde das
Blut der Patientin mit artfremdem Blut, das im Laboratorium zur
Wa.R. vorhanden war, zusammengebracht, dabei trat keine Hämo¬
lyse auf. Blutbefund 1 Monat nach der Transfusion: Hämoglobin 73o/o,
Erythrozyten 5 000 000, Leukozyten 7200. Allgemeinbefinden etwas ge¬
bessert. 2 Monate später war eine 2 . Bluttransfusion auf Wunsch der
Patientin vom Schwager geplant, unterblieb jedoch, da das Serum des
Spenders gegenüber den gewaschenen Blutkörperchen des Empfängers
geringe Autohämolysine bis zur Verdünnung 1:4 hatte, desgleichen
umgekehrt sehr geringe Autohämolysine bis zur Verdünnung 1:2.
1 Monat später, also 3 Monate nach der ersten Transfusion, brachte
die Patientin eine andere Patientin, eine Rekonvaleszentin auf der
gleichen Station, die sich zu einer Bluttransfusion bereit erklärt hatte,
und bat dringend um eine neue Bluttransfusion.
2. Spender: 17jährige Patientin (Wa.R. negativ). Vorunter¬
suchung: Empfänger: Autohämolysine gegen Blut der Spenderin in
Spuren bis zur Serumverdünnung V 2 nachweisbar. Spender: Auto¬
hämolysine gegen Blut in Spur bis zur Serumverdünnung V2 nach¬
weisbar. Trotzdem leichte Autohämolyse stattgefunden hatte, wird
auf ausdrücklichen Wunsch der Patientin, die auf die Gefahren auf¬
merksam gemacht worden war, die Bluttransfusion vorgenommen.
Blutbefund vor der Transfusion: Hämoglobin 80<y 0 , Erythrozyten
4 400000, Leukozyten 4800. Bei der Transfusion keine anaphylakti¬
schen Symptome. Deshalb wurde die Blutmenge von 300 ccm langsam
übertragen. Blutbefund 1 Stunde nach der Transfusion: Hämoglobin
85o/o, Erythrozyten 4 600 000, Leukozyten 6700. Blutbefund 24 Stunden
nach der Transfusion: Hämoglobin 87 0 / 0 , Erythrozyten 7 200000,
Leukozyten 5000.
Fall 4. E. Oe., 44 jähriger Mann, sekundäre Anämie nach Lungen¬
abszeß operiert, der hier nur auszugsweise angeführt werden kann,
verlief ähnlich.
Die Voruntersuchung hatte ergeben: Empfängerblirtkörperchen
gegen Serum der Spenderin Hämolyse -f. Die Transfusion, die ver¬
sehentlich angestellt worden war (510,0 ccm), verlief ohne Besonder¬
heiten, im Ham weder Bilirubin noch Urobilin nachweisbar. Keine
Erythrozytenschatten, noch Erythrozyten, auch im Blutserum keine
Bilirubinvermehrung, spektroskopisch: o. B.
(Ein zweiter [Schluß-] Artikel folgt.)
Aus der Chirurgischen Universitätsklinik in Halle a. S.
(Direktor: Prof. Voelcker.)
Ueber die Aetiologie der Köhlerschen Krankheit.
Veränderung am 2. Metafarsophalangealgelenk.
Von Dr. W. Baensch. Leitender Arzt der Röntgenabteilung,
jetzt Chirurgische Universitätsklinik in Leipzig.
Es mehren sich in letzter Zeit die Berichte über ein bisher
unbekanntes Krankheitsbild, das zuerst von A. Köhler auf dem
Chirurgenkongreß 1920 demonstriert und später in der M. m.W. 1920
näher beschrieben wurde. Es handelt sich um eine typische Ver¬
änderung des II. Metatarsaphalangealgelenkes. Das Röntgenogramm
*) Dieser Fall war einer der ersten unserer Transfusionslalle, die noch nicht syste¬
matisch in einer Hand bearbeitet wurden. Die anaphylaktischen Erscheinungen lernten
wir erst durch diesen Fall besser bewerten und beachten. Nachträglich müssen wir
es als einen Fehler bezeichnen, daß diese Transfusion nach den einmal auftretenden
Erscheinungen noch weiter fortgesetzt wurde.
Digitized b"
Google
Original from
CORNELL UNÜVERSITY
L März 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
319
zeigt nach den Angaben Köhlers 1. eine ausgesprochene Verdickung
des distalen II. Metatarsusendes, sodaß der sonst zierliche Hals des
Knochens verstrichen ist; 2. eine Verkürzung des Metatarsalköpf-
chens; 3. eine Veränderung der distalen Gelenkfläche, in dem Sinne,
daß die Kopfkappe eingedrückt erscheint, abgeflacht ist oder ander¬
weitige Unebenheiten aufvveist; 4. eine Erweiterung und Unregel¬
mäßigkeit des Gelenkspaltes; 5. Verkalkungen in der Gelenkkapsel
und 6. endlich Veränderungen an der zentralen Gelenkfläche der
gegenüberliegenden II. Grundphalange. Ehe ich auf die Aetiologie
dieses sehr interessanten Krankheitsbildes eingehe, möchte ich in
aller Kürze einige Daten aus der Krankengeschichte eines derartigen
Falles wiedergeben, der in unserer Klinik beobachtet wurde. Es
handelt sich um ein 17jähriges Mädchen E. K., von Beruf landwirt¬
schaftliche Arbeiterin. Familienanamnese: o. B. Patientin selbst niemals
ernstlich krank gewesen. Sie gibt an, daß sich seit 1 Jahr zeitweilig
Schmerzen im II. Zehengrundgeleuk einstellten und diese Partie
vorübergehend anschwoll. Ein Trauma wird als Ursache dieser Er¬
scheinungen strikte abgelehnt. Dagegen erzählt sie, daß sie fast
ausschließlich barfuß ginge, nur im Winter trüge sie Strümpfe und
Holzpantoffel.
Befund: Kräftiges Mädchen in ausgezeichnetem Allgemeinzustand.
Innere Organe: o.B. Keine Anzeichen von überstandener Rachitis.
Ueber dem II. linken Metatarsophalangealgelenk findet sich eine
geringe Schwellung, die eine nennenswerte Druckempfindlichkeit nicht
aufweist. Das Röntgenbild zeigt alle für das Köhlersche Krank¬
heitsbild typischen Erscheinungen: Verdickung des II. Metatarsus¬
schaftes; Verkürzung und Abflachung des Köpfchens und Verände¬
rungen im Bereich des Geienkspaltes.
Da die Beschwerden so außerordentlich gering waren, hielt ich
es vorläufig nicht für angezeigt, das Gelenk zu entfernen.
Es ergibt sich von selbst die Frage nach der Aetiologie dieser
eigenartigen Erkrankung. Die Schaftverdickung des Metatarsus er¬
innert zweifelsohne an die Bilder der luetischen Knochenveränderungen.
Da jedoch die große Mehrzahl der bisher beschriebenen Fälle keinerlei
Anhaltspunkte für eine luetische Affektion boten, dürfte die Lues
als ätiologisches Moment ausscheiden.
Ebensowenig kann die Tuberkulose als Krankheitsursache an¬
gesprochen werden. Der oben beschriebene Röntgenbefund stimmt
in keiner Weise überein mit den Bildern, wie sie uns die Gelenk¬
tuberkulose liefert. Wir finden hier weder eine Atrophie noch eine
Verwaschung der Gelenkkonturen. Der Ansicht Frommes, daß
es sich um eine Form von Spätrachitis handele, möchte ich mich,
ebenso wie Köhler, nicht anschließen. Auch bei dem von uns
beobachteten Fall konnten wir keine Anzeichen, die auf eine Spät¬
rachitis hinwiesen, feststellen. Ebensowenig dürfte als ätiologisches
Moment die heut so aktuelle Skelettveränderung nach Unterernährung
in Frage kommen. Die besagte Patientin befindet sich in einem
S anz ausgezeichneten Ernährungszustand und hat auch sicher während
es Krieges bei ihrem Beruf als Magd auf dem Lande nicht an
Unterernährung zu leiden gehabt. Endlich ist noch ein Trauma als
Ursache des Leidens verantwortlich gemacht. Köhler selbst neigt
in seiner Arbeit in der M. m. W. 1920 zu dieser Auffassung. Er glaubt,
daß die li. Zehe durch eine Verlängerung und Verdickung des II.
Metatarsus nach vom geschoben wird und so in ihrer Prominenz
äußeren Insulten leichter ausgesetzt ist. Ich möchte mich dieser
Erklärungsform nicht anschließcn, denn einmal fand ich bei Durch¬
sicht der Fälle, daß es durchaus nicht immer zu einer Prominenz der
II. Zehe zu kommen braucht, ja bei einigen Patienten erscheint sogar
die II. Zehe zurückgesunken, und außerdem möchte ich die Schaft¬
verdickung des II. Metatarsus nicht einer Längsausdehnung gleich¬
setzen, sondern sie vielmehr als eine Sekundärerscheinung, eine funk¬
tioneile Anpassung auffassen.
Nach sorgfältiger Beobachtung des oben beschriebenen Falles
komme ich zu der Ueberzeugung, daß es sich bei diesem Symptomen-
komplex um eine statische Encrankung handelt, für die sie auch
Engelmann in seiner kürzlich erschienenen Arbeit ansieht. Wie
Seitz gezeigt hat, bilden die Köpfchen der Metatarsi in transver¬
saler Richtung ein Gewölbe, bei dem die Metatarsi I und V die seit¬
lichen Grundpfeiler darstellen, zwischen denen die übrigen Metatarsal-
knodien in einem nach oben konvexen Bogen angeordnet sind. Bleibt
das Gewölbe durch die Straffheit des Bandapparates, unterstützt
durch einen geeigneten Schuh, der die Masse des Fußes in transver¬
saler Richtung zusammenhält, bestehen, so findet beim Gehen eine
normale Abwicklung des Fußes in Richtung der Meyerschen Linie
(Verbindung des Tuber calcanei und Großzehe) statt. Fällt jedoch
die zusammenfassende Wirkung eines entsprechenden Schuhwerkes
fort und gesellt sich hierzu noch die bekannte Disposition der Binde¬
gewebsschwäche, so wird das vorerwähnte transversale Gewölbe
atmhgetreten werden, die beiden seitlichen Pfeiler (Metatarsus I
und V) weichen auseinander, etwa wie die Zehen eines Spalthufers,
und die Köpfchen der Metatarsi II bis IV steigen aus der Höhe des
Gewölbes auf die Unterstützungsfläche hernieder. Es resultiert der
Spreizfuß oder Pes transversoplanus. In diesen Fällen entzieht sich
die Großzehe bei der Abwicklung des Fußes ihrer Aufgabe des
vorderen Unterstützungspunktes, indem sie medianwärts ausweicht,
und überträgt einen großen Teil der Last auf den II. Metatarsus.
Dieser kann bei einer hohen körperlichen Belastung bisweilen frak-
hirierrn da er naturgemäß einer derartigen Ueberbeanspruchung
rüdtt gewachsen ist. wir haben das oft beschriebene Bild der Marsch-
fü£7.ir des Militärs vor uns. Handelt es sich dagegen nicht um
'e akute hochgradige, sondern mehr um eine chronische geringere
Belastungsverschiebung, so wird der an sich grazile II. Metatarsus
nach unten durchgebogen, d. h. sein Köpfchen wird allmählich dorsal-
wärts aufgekantet. Diese Erscheinung geht aus dem von Weil
f ewonnenen Präparat deutlich hervor. Die Folge ist, daß die Arti-
ulation mit der II. Grundphalange nicht mehr die normale bleibt,
sondern die II. Zehe gleitet allmählich volarwärts herunter auf den
Kapselansatz. Aus diesem Zustand des chronischen Reizes bildet
sich eine Arthritis deformans, die sich in fortgeschrittenen Fällen
in dem von Köhler beschriebenen Röntgenbefund manifestiert. Die
Verdickung des II. Metatarsalschaftes ist meiner Ansicht nach der
Ausdruck einer funktionellen Anpassung (evtl, eines chronischen
Periostreizes); es ist gewissermaßen eine zweite Großzehe entstanden.
Dieses Empfinden hatte Köhler wohl ebenfalls, wenn er in seiner
Arbeit schreibt: „Die Gestalt des so veränderten II. Metatarsus er¬
innert an den normalen I. Metatarsus usw.“
Die Auffassung einer statischen Ursache der Köhlerschen Krank¬
heit glaube ich in gleicher Weise wie durch die von Engelmann
beobachteten Fälle auch durch den oben wiedergegebenen Fall be¬
stätigt zu finden. Für eine mykotische Aetiologie fehlte jeder Anhalts¬
punkt. Ein Trauma wird absolut abgelehnt. Dagegen betonte die
Patientin, den weitaus größten Teil ihres Lebens barfuß zu gehen. Die
zusammenfassende Wirkung des Schuhwerkes fehlte, der Fuß hatte
also die Möglichkeit, sich seitlich unbegrenzt auszudehnen. Dies
konnte ich sehr gut beobachten, indem ich die Patientin auf dem
Trochoskop herumlaufen ließ. Hierbei ließ sich die Spreizung der
Metatarsi beim Abwickeln des Fußes auf dem Schirm gut zu Gesicht
bringen.
Die Behandlung dieses Leidens dürfte zunächst eine orthopädische
sein, d. h. man sorge für einen zweckentsprechenden Stiefel, der
das weitere Durchtreten des transversalen Fußgewölbes verhindert.
Ist die Gelenkveränderung so stark, daß sie wirklich ernstliche
Beschwerden verursacht, so wird das Gelenk mit Erfolg exstirpiert,
wie Weil es in seiner Arbeit empfiehlt.
Es wäre interessant, die bereits gesammelten Fälle von Köhler¬
scher Krankheit von diesen Gesichtspunkten aus nachzuuntersuchen,
damit wir auf dem heut noch reichlich dunklen Gebiet der Gelenk¬
affektionen einen Schritt weiterkommen.
Endlich wäre es zu begrüßen, wenn Köhler, der als Erster
auf diesen Röntgenbefund hinwies, diesem Krankheitsbild einen ge¬
eigneten Namen gäbe. Der Begriff der „Köhlerschen Krankheit“ ist
ja heut schon durchaus nicht mehr eindeutig (Anomalie des Navikulare),
und es ist nicht ausgeschlossen, daß sich in Zukunft noch mehrere
„Köhlersche Krankheiten“ zu den bisherigen hinzugesellen.
Aus der Medizinischen Universitäts-Poliklinik in Bonn.
Vergiftungsfälle mit Baryumpräparaten
bei Röntgenuntersuchungen?
Von Prof. Dr. Paul Krause.
Unter dem Titel „Die Vergiftungsgefahr bei Verwendung des
Baryums als Kontrastmittel für Röntgendurchleuchtungen“ haben die
Herren Med.-Rat Dr. Aust und Chefarzt Dr. Krön in Nauen in Nr. 12
der „Aerztlichen Sachverständigen-Zeitung“ vor dem weiteren Ge¬
brauch des Baryums als Kontrastmittel für Röntgenzwecke gewarnt
und als Ersatz Magneteisensteinpulver empfohlen. Da in meinem
Institut das Baryum sülfuricum purissimum als empfehlenswertes, gut
brauchbares Kontrastmittel ausprobiert worden ist, halte ich mich für
verpflichtet, zu den Ausführungen der obengenannten Herren Stellung
zu nehmen.
Ich bemerke dazu, daß ich bei vieltausendfältiger Anwendung
in meinem Institut, in den Kriegslazaretten während des Feldzuges
ebensowenig wie vielleicht Hunderte von Röntgenologen, welche auf
unsere Empfehlung hin das Baryum sulfuricum als Kontrastmittel für
Röntgenzwecke angewandt haben, nicht ein einziges Mal eine Ver¬
giftung erlebt habe. Es ist aber unbedingt erforderlich, daß man
endlich auf meinen wiederholt gegebenen Kat hört, das Mittel nicht
aus einer beliebigen Drogerie oder Apotheke zu beziehen, welches,
wie Untersuchungen in Bonner und Frankfurter Apotheken ergeben
haben, stets wasserlösliche Baryumsalzc enthielt. Ich verweise aut
die Arbeit meines Jenenser Schülers, des Herrn Apotheker Dr.
Preyer, welcher sich der Aufgabe unterzog, eine Anzahl der im
Handel in den Apotheken erhältlichen Präparate von Baryum sulfuri¬
cum zu untersuchen. Er bezog aus fast allen Gegenden von Deutsch¬
land unter der Forderung von „reinstem Baryumsulfat zur innerlichen
Darreichung bei Röntgenuntersuchungen“ Proben. Der Preis schwankte
damals in weiten Grenzen von 0,45—2,45 Mark pro Kilogramm, woraus
ohne weiteres gefolgert werden darf, daß die Reinheit der Fabrikate
sehr verschieden gewesen ist. Preyer untersuchte die eingeforderten
Präparate auf lösliche Baryumsalze, und zwar auf Baryumchlorid,
Baryumnitrat, Baryumhydroxyd, Baryumkarbonat. Die Präparate wur¬
den mit heißem Wasser aufgeschüttelt, nach 10 Minuten filtriert, und
mit dem Filtrat die Reaktion angestellt. Ferner wurden viele Proben
mit einer 0,3<>/oigen Salzsäure bei Körpertemperatur behandelt. Bei zwei
Präparaten wurde durch Zusatz des Filtrates zu verdünnter Schwefel¬
säure Baryumsulfat gewonnen, d. h. es waren lösliche Baryumverbin-
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
320
DEUTSCHE MEDIZINISCHE lWOCHENSCHRIFT
Nr. io
düngen vorhanden. Die Tabelle kann leider aus Raummangel nicht
abgedruckt werden. Es findet sich in ihr auch eine Rubrik „Kontrolle“,
welche so angestellt wurde, daß trotz der Empfindlichkeit der an-
geführten Methoden der wäßrige Auszug noch einmal erhitzt und
mit heißer Schwefelsäure versetzt wurde, um zu verhüten, daß lös¬
liche Verbindungen der Auffindung entgehen konnten. In 3 Fällen
wurde auch Quantitative Bestimmung gemacht. Es fanden sich 1-, 2-,
2,45-, 4%ige lösliche Verbindungen.
Aus der Tabelle ist zu ersehen, daß unter 26 Proben 13 für
Röntgenzwecke, da sie lösliche Baryumverbindungen enthielten, un¬
brauchbar waren, ln 2 Fällen wurde Baryum sulfuratum, einmal
unglaublicherweise sogar unter der Bezeichnung Baryum sulfuricum
abgegeben. Aus diesen dankenswerten, mit großer Sorgfalt von
. Preyer ausgeführten Untersuchungen ergibt sich, daß es nicht an¬
gängig ist, ohne weiteres Baryumsulfat aus der Apo¬
theke zwecks innerlicher Verabreichung zu beziehen.
Man soll das Präparat aus großen, zuverlässigen Fabriken sich be¬
sorgen lassen. Merck in Darmstadt, von dem wir das unsrige er¬
halten, liefert unter dem Namen „chemisch reines Baryumsulfat zum
innerlichen Gebrauch für Röntgenzwecke“ ein Präparat, welches,
wie uns viele Nachprüfungen ergaben, frei ist von löslichen Baryum¬
verbindungen. Untersuchungen, welche wir mit Baryumsulfat aus
Bonner Apotheken anstellten, ergaben in 40% lösliche Verbindungen.
Es ist daher dringend zu wünschen, wie ich bereits an anderer Stelle
ausführte, daß fortan von den Apotheken unter der Bezeichnung
„chemisch reines Baryumsulfat für innerlichen Ge¬
brauch“ nur solches aus zuverlässigen Fabriken abgegeben wird.
Am besten wäre es, wenn das chemisch reine Baryumsulfat Aufnahme
in das deutsche Arzneibuch fände. Nach dem erneuten Vergiftungs¬
fall von Aust habe ich einen hierauf bezüglichen Antrag an aas
Reichsamt des Innern gestellt.
Nachdem von Dr. Bachem im Pharmakologischen Institut auf
meine Bitte chemisch reines Baryumsulfat auf seine pharmakologischen
und toxikologischen Eigenschaften nochmals untersucht worden war,
ist das chemisch reine Baryumsulfat auf meine Veranlassung
von meinem damaligen Assistenten H. Günther an der Bonner
Medizinischen Poliklinik auf seine praktische Brauchbarkeit zu rönt¬
genologischen Zwecken ausprobiert worden. Die Versuche an Men¬
schen wurden mit größter Sorgfalt begonnen. Es wurden kleine
Dosen von 1— 2 g an Gesunde und Kranke verabreicht. Als sie ohne
Schaden vertragen wurden, gaben wir größere Dosen von 5, 10, 15,
20, 50, 100, schließlich 150 g. Zu Magen- und Darmuntersuchungen
haben wir nach dem Vorschlag von Günther in vielen Tausenden von
Einzeluntersuchungen eine Kontrastmahlzeit, bestehend aus Baryum
sulfuricum 150, Mondamin 15, Zucker 15, Kakao 20, Wasser 2—300,
10 Minuten aufkochen lassen. Sehr häufig habe ich auch das Barvum¬
sulfat mit Kartoffelbrei, Milchreis, mit Milch, mit Semmel, auch als
gewöhnliche Aufschwemmung, im Felde auch mehrfach zusammen
mit Marmelade gegeben. Auf Grund von eigenen und fremden Erfah¬
rungen kann ich auch heute behaupten, daß Vergiftungen mit dem
reinen Baryumsulfat nicht ein einziges Mal zur Beobachtung kamen.
Ich wies bereits 1914 auf Grund einer Sammelstatistik darauf hin,
daß es in mehr als 20 000 Fällen ohne jede Störung genommen wurde.
Heute bei den teuren Wismutpreisen ist es zweifellos das am häufig¬
sten gebrauchte Kontrastmittel. Die Zahl der Einzeluntersuchungen
ist schätzungsweise sicher mehrere 100 000. Es ist aber zu fordern,
daß wirklich nur ein chemisch reines Präparat gebraucht wird, wie
es uns seit Jahren zu unserer Zufriedenheit die Firma Merck liefert.
Den Fällen von Vergiftungen, welche bei der Anwendung eines
Baryumpräparates zu Kontrastzwecken bei röntgenologischen Unter¬
suchungen mitgeteilt worden sind, bin ich einzeln nachgegangen. Ich
habe in der obenerwähnten Arbeit bereits darauf hingewiesen, daß
es sich in diesen unglückseligen Fällen um unliebsame Verwechslungen
des Baryumsulfates mit anderen Baryumpräparaten handelte, so hei
der in Prag vorgekommenen Vergiftung, in welcher das eingegebene
Präparat aus 3 / Ä Baryumkarbonat und 2 /ß in Salzsäure unlöslicher Baiyt-
lösung bestand. In einem Vergiftungsfalle in Frei bürg i. B. wurde
durch Versehen der Apothekenschwester und des Assistenten an Stelle
von Baryum sulfuricum Baryum sulfuratum bestellt. Als dann nach
Wochen Baryumsulfat im Röntgenlaboratorium verlangt wurde, nahm
die Schwester das Baryum sulfuratum, welches nach einigen Stunden
den Tod herbeiführte. Auch bei der neuen Mitteilung von Dr. Aust
und Dr. Krön in Nauen ergab die gerichtlich-chemische Untersuchung
in Magen, Speiseröhre und Darminhalt 10% des vorhandenen Baryums
als Baryumkarbonat. Die Reste der beschlagnahmten Pulver ent¬
hielten ebenfalls Baryumkarbonat, und zwar das im Krankenhaus übrig-
ebliebene Pulver: 88,04% Baryumsulfat und 10,07% Baryumkarbonat,
as im Standgefäß der Apotheke noch vorhandene als Baryum sulfuri¬
cum praecipitatum purum signierte Pulver87,03o/ 0 Baryumsulfat, 10,39%
Baryumkarbonat. Das gerichtsärztliche Gutachten sprach sich dahin aus,
daß der Tod durch Vergiftung durch Baryumkarbonat eingetreten
sei. — Es ist vollständig unberechtigt, deshalb das Baryum¬
sulfat als Kontrastmittel zu Röntgenzwecken zu ver¬
werfen. Der einzige richtige Schluß, der aus dieser unglückseligen
Vergiftung gezogen werden Kann, ist der, daß dafür Sorge getragen
wird, daß nur chemisch reines Baryumsulfat zur Verwendung kommen
darf, daß vor allem auch in den Apotheken für innere Zwecke aus¬
schließlich bestes reines Baryumsulfat gehalten werden darf. Die von
den Herren Aust und Krön aufgestellte Behauptung, daß auch
reines Mercksches Baryumsulfat Giftwirkungen hervorrufen kann, ist
nadi meiner Erfahrung unrichtig. Das von den Autoren empfohlene
Magneteisensteinpulver ist für praktische Zwecke unbrauchbar, wie
leider auch andere Eisenpräparate. Daß es unlöslich ist, stimmt’nach
den Versuchen von Kästle nicht. Die Erfahrungen über Eisen¬
präparate für die Kontrastmahlzeiten zu Röntgenzwecken habe ich in
der obenerwähnten Arbeit ausführlich geschildert. Neuere Erfahrungen
liegen keine darüber vor. Es sei daher auf die Arbeit verwiesen.
Zusammenfassung. Das „chemisch reine Baryumsulfat für
Röntgen zwecke“ ist nach wie vor ein sehr brauchbares,
ungiftiges Kontrastmittel. Es ist wegen seiner Billigkeit
mit Recht zur Zeit das am häufigsten angewandte. (Bismutum car-
bonicum kostet das Kilogramm gegen 700 Mark,. Baryumsulfat [che¬
misch rein, von Merck bezogen] 11 Mark.)
Dringend zu warnen ist vor unreinem Baryumsulfat,
welches meist größere Mengen von löslichen Baryumsalzen enthalt!
besonders das schwer giftige Baryumkarbonat.
Die Verordnung sollte .erfolgen unter dem Namen „chemisch reines
Baryumsulfat für Röntgenzwecke“ Merck.
P. Krause und Schilling, Die r&ntgenologischen Untersuchungsmethoden zur
Darstellung des Magendarmkanales, mit besonderer Berücksichtigung der Kontrastmittel.
Fortschr. & Röntgenstr. 20, S. 456. — (Daselbst ausführliche Literaturnachweise.)
Aus dem Physiologischen Institut der Universität
in Dorpat (Estland).
Ueber Eunuchoidismus beim Kaninchen in Gegenwart
von Spermatozoen in den Hodenkanälchen und unter¬
entwickelten Zwischenzeiten.
Von Alexander Lipschütz, Felix Bormann und Karl Wagner.
Die von Bouin und Ancel, Tandler, Steinach, Sand,
Lipschütz u. a. vertretene Auffassung, daß die Leydigschen Zellen
des Testikels das innersekretorische Organ desselben sind, hat in
den letzten Jahren heftigen Widerspruch erfahren. Namentlich Alfred
Kohn, Stieve und Tiedje wollen, im Anschluß an Kyrie, den
Zwischenzeiten allein eine trophische Funktion zuschreiben. Den
Zwischenzellen soll nur die Aufgabe zukommen, für die Ernährung
und damit für die Reifung des spermatogenen Gewebes zu sorgen.
Dieses letztere wieder bilde allein für sich den innersekretorischen
Apparat des Testikels. Um diese Auffassung zu stützen, weisen die
Autoren erstens auf die Tatsache hin, daß häufig männliche Ge¬
schlechtsmerkmale fehlen, obwohl ein Testikel mit Zwischenzelien
vorhanden ist (Schmincke und Romeis, Benda); Berblinger
hat neuerdings berichtet, daß sogar trotz reichlichen Mengen von
Zwischenzellen im Testikel Eunuchoidismus bestehen kann. Zweitens
wird immer wieder betont, daß die „Degeneration“ des spermatogenen
Gewebes, wie sie nach verschiedenen experimentellen Eingriffen
zustandekommt, keine vollkommene ist; in den veränderten Hoden
seien noch Spermatogonien vorhanden, und es kommt in solchen
Testikeln zu einer Regeneration des Keimgewebes, das auf diese
Weise seine postulierte innersekretorische Wirkung auszuüben vermag.
Wir werden nun im Folgenden über eine Beobachtung berichten,
nach der die beiden zuletzt genannten Tatsacnengrup-
pen als Beweismittel für die Auffassung, daß allein
das spermatogene Gewebe die innersekretorische
Funktion des Testikels besorgt, vollkommen hinfällig
sind.
Sand hat in Transplantationsversuchen an Ratten gezeigt, daß
die Oegenwart von Spermatogonien und Sertolischen Zellen vor den
Kastrationsfolgen nicht schützt. In Versuchen am Kaninchen haben
Lipschütz und Wagner diesen Befund bestätigen können. (Vgl
unsere Arbeit „Ueber Eunuchoidismus beim Kaninchen, bedingt durch
Unterentwicklung des Hodens“; erscheint im Arch. f. Entw. Mech.)
Gelegentlich unserer am Kaninchen ausgeführten Untersuchungen übet
die Hypertrophie des Testikels nach einseitiger Kastration, haben wir
jetzt einen Fall beobachtet, wo ein deutlich zurückgebliebe¬
ner, infantiler Penis oder ausgesprochener Eunuchoidis¬
mus vorhanden war, ob wohl das Sperma togeneGe webe voll¬
ständig normal und Spermatozoen in großer Menge im
Nebenhoden und in den Hodenkanälchen nachzuweisen
waren. Wenn nun die Autoren den Schluß ziehen, daß die Zwischen-
zellen nicht das innersekretorische Organ des Testikels sind, weil
bei Gegenwart von Zwischenzellen Eunuchoidismus beobachtet werden
kann, so ist auf Grund unserer Beobachtung und auf Grund der¬
selben Logik der Schluß berechtigt, daß das spermatogene Gewebe
nicht das innersekretorische Organ des Testikels ist, well bei Gegen¬
wart von vollständig ausgereiftem spermatogenen Gewebe Eunuchoi-
dismus vorhanden war. Mit anderen Worten: nicht die Zwischen¬
zellen und nicht die Keimzellen wären innersekretorisch wirksam. Da
wir nun aber tatsächlich wissen, daß der Testikel innersekretorisch
wirkt, so müssen die erwähnten Schlußfolgerungen falsch sein. Wir
besitzen somit keinen Beweis gegen die Auffassung, daß die
Zwischenzellen ein innersekretorisches Organ im Testikel sind.
Aber noch mehr. Die mikroskopische Untersuchung (Wagner)
hat ergeben, daß der Testikel des eunuchoiden Tiefes sich von
demjenigen der normalen Brüder durch unterentwickelte Z wi*
Digitized by Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
10. März 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
321
schenzellen unterschied 1 ). Und es konnte ferner nachgewiesen
werden, daß bei einem zweiten Bruder, bei dem die Umwandlung
des infantilen Penis iin die postpuberale Form verspätet ein¬
getreten war (verzögerte Maskulierung), die Zwischenzellen weniger
entwickelt, d. h. nicht so protoplasmareich waren, wie bei dem früher
maskulierten Tier. Wir besitzen somit einen sicheren Beweis
dafür, daß das spermatogene Gewebe allein für sich die inner¬
sekretorische Funktion des Testikels bei den Säugetieren nicht be¬
sorgen kann. Die hier mitgeteilten Befunde sind in ihren Einzelheiten
am besten in der folgenden Zusammenstellung zu übersehen:
Wie aus der Zusammenstellung hervorgeht, ist das normal be¬
lassene Tier 96 hinter dem einseitig kastrierten Tier 94 in der Aus¬
bildung des Penis insofern zurückgeblieben, als im Alter von
4 V 2 Monaten der Penis vön 96 noch immer die infantile Form beibehal¬
ten hatte. Normalerweise hätte der Penis um diese Zeit schon die
postpuberale Form erreicht haben sollen. Zwei Monate später, als
die Tiere 6 V 2 Monate alt waren, wies der Penis bei 94 und 96 in
gleicher Weise züe postpuberale Form auf; bei 95 verharrte der Penis
noch immer auf dem Jugendstadium, wenn vielleicht auch die „Zipfel¬
bildung“ angedeutet war, mit der die Umwandlung des infantilen
Penis in die postpuberale Form beginnt. Aus den Untersuchungen
früherer Autoren wissen wir, daß die Gestaltung des Penis in weit¬
gehendem Maße von der inneren Sekretion des Testikels abhängig
3 f aus demselben Wurf, geboren.am 15.1.1921.
Nr. 94. V, f
- Nr. 95. V, ^
Nr. 96. d"
26. n. 1921
Rechter Testikei ent¬
fernt. Gewicht des ent¬
fernten Testikei: 19 mg.
Gewicht des Tieres:
270 g.
Rechter Testikei ent¬
fernt. Gewicht des ent¬
fernten Testikels: 18 mg.
Gewicht des Tieres:
290 g.
Normales Kontrollier
Gewicht des Tieres:
280 g.
24. V. 1921
Gewicht: 1000 g.
Penis: Postpuberale
Form ausgebildet.
Gewicht: 1100 er.
Penis: Infantil.
Gewicht: 1080 g.
Penis: infantil,
Zipfelbildung nur
angedeutet.
25. VII. 1921
Penis: Post-
pubelare Form.
Penis: infantil,
Zipfelbildung viel¬
leicht angedeutet.
Penis: Post-1
puberale Form.
29. VII. 1921
Gewicht: 1285 g.
t
Hodengewicht: 1,8 g.
Gewicht: 1310 g.
t
Hodengewicht: 1,43 g.
Gewicht: 1285 g.
+
Hodengewicht: 1.0,76 g
r. 0,75 g
total: I .61 g.
Mikros¬
kopische
Unter-
uchung:
Große Menge von Spermatozoon Im Nebenhoden.
Hodenkanälchen:
Durchmesser 160 ju. Voll¬
kommene Spermato-
genese.
Hodenkanälchen:
Durchmesser 160/4. Voll- |Durchmesser 120/*. Voll¬
kommene Spermato¬
gen ese.
Hodenkanälchen:
kommene Spermato-
genese.
Zwischenzellen:
Protoplasraareicher als
bei 96 l Kerne größer.
Zwisch enzellen:
Sehr protoplasmaarm,'"
die kleinen Kerne liegen
dicht beieinander. An
vielen Stellen treten
Zellen mit länglichem
Kern in den Vorder«rund.
An manchen Stellen
besser entwickelte
Zwischenzellen.
Zwischenzeiten:
(Vielleicht protoplasma-
llrmer als bei normalen
gleichaltrigen Tieren.
ist; Lipschütz und Bormann haben diese Untersuchungen fort¬
gesetzt und gefunden, daß bei Wegfall der inneren Sekretion des
Hodens der Kanincheupenis nicht nur seine infantile Form beibehält,
sondern daß bei Spätkastraten sogar eiu Rückbildung des Penis in
der Richtung auf die Jugendform stattfindet. Man wird darum ver¬
muten wollen, daß die verspätete Maskulierung des Penis bei Tier 96
und die eunuchoide Form desselben bei 95 auf eine Dysfunktion des
innersekretorischen Apparates des Hodens zurückzuführen ist. Gegen
diese Vermutung könnte eingewendet werden, daß auch eine Dys¬
funktion einer anderen Drüse mit innerer Sekretion am Anfang der
hier mitgeteilten Störungen der Maskulierung stehen könnte 2 ). Dieser
Gesichtspunkt ist vollauf berechtigt. Aber in unserem Falle schei¬
nen die Verhältnisse doch komplizierter zu liegen. Die Störungeif
In der inneren Sekretion der Schilddrüse oder der Hypophyse, die
zu einem Hypogenitalismus führen, gehen in der Regel, wenn nicht
») Unsere im Folgenden mitgeteilten Erfahrungen beruhen auf Heiden baln-Präpa-
raten; auch andere Methoden wie Behandlung mit OsmumsSure und Sudan sind für die
Zwischenzeiten in unserem Institut angewendet worden (Wagner). Aber man kann
bei der Maus, dem Meerschweinchen, dem Kaninchen und beim Menschen auch schon
mit Hämatoxylin-Ensln ein klares Bild von dem Zustand dei Zwischenzellen im Testikei
gewinnen. Die Behauptung von Stieve, daß man die Zwischenzellen ohne spezifische
FSbt>emethoden nicht nachweisen kann, ist nicht richtig.
*) Biedl hat neuerdings darauf hingewiesen (in seinem Vortrag auf der inter¬
nationalen Tagung für Sexualreform), daß andere Drüsen mit innerer Sekretion sogar
geschlechtsspezifisch wirken können, wie der Virilisraus bei Nebennierenge-
sefa Wülsten im weiblichen Körper zeige. Krabbe dagegen hat die Vermutung aus¬
gesprochen (Neuyork M. Kl. 1921 6. VII ), daß die betreffenden Geschwülste aus ver¬
sprengtem embryonalen Test!kelgewebe entstehen könnten und daß auf diese Weise
der Virilismus bei Nebennierengeschwülsten n’cht im Sinne einer geschlechtsspezifischen
Wirkung der Nebennieren gedeutet werden darf. Die Frage kann nur durch eingehende
Untersuchung entschieden werden, und es ist nicht berechtigt, aus den klinischen
Beobachtungen bei Nebennierengeschwülsten schon Jetzt den Schluß zu ziehen, daß
die normale Nebenniere in derselben geschlechtsspezifischen Weise wirke wie das
Hyptratpbrota.
stets, einher mit einer Unterentwicklung auch des spermatogegen
Apparates der Testikei. Das war bei unseren Tieren nicht der Fall.
Das Hodengewicht, in welchem der Zustand des spermatogenen
Gewebes zum Ausdruck kommt, entsprach bei 96 den normalen Ver¬
hältnissen; beim einseitig kastrierten eunuchoiden Tier 93 hatte der
zurückgelassene Hoden das doppelte Gewicht. Aber lassen wir
gelten, daß eine Dysfunktion irgendeiner Drüse mit innerer Sekretion
an den Störungen der Maskulierung bei 95 und 96 die Schuld trägt.
Daß jedoch in eine solche Dysfunktion bei unseren zwei Tieren auf
jeden Fall auch die Geschlechtsdrüse mit hineingezogen war, hat
die mikroskopische Untersuchung, wie bereits angedeutet, mit aller
Sicherheit gezeigt. In einer Arbeit, die in Vorbereitung ist, wird
Wagner dieses durch Abbildungen illustrieren. Hier beschränken
wir uns darauf, nochmals zu betonen, daß beim eunuchoiden Tier 95
die Zwischenzeiten deutlich unterentwickelt waren; beim verspätet
maskulierten Tier 96 waren die Zwischenzellen auch nach vollzogener
Maskulierung schwächer entwickelt als bei 94.
Ohne jeden Zwang einer vorgefaßten Meinung, die Stieve
mir (A. Lipschütz) und verschiedenen anderen vorwirft, dürfen
wir aus unseren Befunden die folgenden Schlüsse ziehen:
1. Es kann Eunuchoidismus bestehen, auch wenn die Spermato-
genese bis zur Ausreifung von Spermatozoen gediehen ist.
Z Das spermatogene Gewebe allein für sich kann die inner¬
sekretorische Funktion des Testikels nicht besorgen.
3. Die Rolle der Zwischenzeiten ist mit seiner postulierten
trophischen Funktion nicht erschöpft. Auch wenn die trophische
Funktion (Tier 95) erledigt ist, kann bei Unterentwicklung der
Zwischenzellen Eunuchoidismus vorhanden sein.
4. Die Zwischenzellen bilden bei den Säugetieren einen integrie¬
renden Bestandteil des innersekretorischen Apparates des Testikels.
Gegen den 1. Satz können Ein wände nicht geltend gemacht wer¬
den; es handelt sich hier um die bloße Feststellung unsrer tatsäch¬
lichen Beobachtung. Gegen den Z Satz ist der Einwand möglich, daß
der Testikei wohl das spezifische Sexualhormon in den Kreislauf ab¬
gegeben hatte, daß jedoch aus irgendwelchen Momenten heraus, die
mit der Erbanlage gegeben waren, die postembryonale Maskulierung
des Somas nicht vor sich gehen konnte; irgendwelche tatsächlichen
Unterlagen für eine solche Annahme besitzen wir nicht. Ferner könnte
der Einwand gemacht werden, daß die spezifischen Fernwirkungen des
männlichen Sexualhormons auf irgendeine Weise durch eine Dysfunk¬
tion einer anderen innersekretorischen Drüse paralysiert worden waren.
Wir haben schon darauf hingewiesen, daß der mikroskopische Befund
unterentwickelter Zwischenzellen ein Beweis dafür ist, daß in diese
Dysfunktion auch die Keimdrüse hineingezogen sein muß; wenn
also der hier genannte Einwand sich auch nicht von der Hand
weisen läßt, so darf man doch nicht vergessen, daß wir uns hier
ganz auf dem unsicheren Boden von Vermutungen befinden. Sehen
wir von diesen wohl denkbaren, aber nicht bewiesenen Beziehungen
ab, so ist damit zu rechnen, daß in unserem Falle spezifische Sexual¬
hormone in den Kreislauf überhaupt nicht gelangten, weil die Zwischen¬
zellen unterentwickelt waren. In diesem Falle wäre aber noch zu
fragen, ob infolge einer Unterentwicklung der Zwischenzellen die
Produktion der Sexualhormone in unserem Falle qualitativ oder
quantitativ ungenügend war, oder ob ihre „Resorption“, ihr Ueber-
tritt in den Kreislauf behindert war (Berblinger), oder ob die
Zwischenzellen außerstande waren, irgendein „Prohormon“ in das
spezifische Hormon zu verwandeln oder es zu aktivieren.
Gegenüber Satz 3 und 4 könnte man auf die Möglichkeit hin-
weisen, daß der Eunuchoidismus bei Tier 95 nur vorübergehender
Natur war und daß die normale Maskulierung nach der nun voll¬
kommenen Ausreifung von Spermatozoen bald eingetreten wäre,
obwohl die Zwischenzellen unterentwickelt waren. Diesem Ein¬
wand können wir mit einem Befund begegnen, den wir in einer
anderen Versuchsreihe erhoben haben und über den wir später
ausführlicher berichten werden. Wir haben gefunden, daß die Um¬
wandlung des infantilen Kaninchenpenis in die postpuberale Form
sich unter experimentellen Bedingungen verspätet in einer be¬
schleunigten Weise vollziehen kann, ohne daß die Sper-
matogenese bis zur Ausreifung von Spermatozoen zu
gedeihen braucht. Bei unserem eunuchoiden Tier 95 muß also
eine längere Zeit verstrichen sein, wo trotz Gegenwart von
spermatogenem Gewebe die Maskulierung nicht zu Ende kommen konnte.
Man wird sich nach alledem nicht der Tatsache verschließen
können, daß die Zwischenzeiten bei den Säugetieren einen
integrierenden Bestandteil des innerselcreto rischen
Apparates im Testikei bilden und daß der Testikei,
auch wenn das spermatogene Gewebe bis zur Ausrei¬
fung von Spermatozoen gediehen ist, ohne wohl aus¬
gebildete Zwischenzellen seine innersekretorische
Funktion nicht besorgen kann. Die Behauptung von Stieve,
daß die mit resorbierten Samenfäden in den Kreislauf gelangenden
Stoffe eine erotisierende Wirkung ausüben oder nach Unterbindung
des Vas deferens eine erneute Ausbildung der sekundären Ge¬
schlechtsmerkmale bewirken können, entbehrt jeder experimentellen
Begründung 1 ). Einen Beweis dafür, daß das spermatogene Gewebe
») ln der Diskussion nach meinem Vortrag auf der Internationalen Tagung für
Sexualreform hat Kollege Stieve ganz entschieden bestritten, daß er eine solche
Behauptung aufgestellt hat. Ich verweise ihn auf folgende Arbeiten: Stieve, Natur¬
wissenschaften 19^0 H. 33 S. 645 1. Spalte, 25. Zeile von oben; ferner Stieve, Natur¬
wissenschaften 1920 H. 46 S. 900 1 . Spalte, die 2 letzten Zeilen, und die 2 ersten Zeilen
der nächsten Spalte. - Auch Alfred Kohn, (M. KL 1921 tf.27 S.806, letzter Absatz
von QI) hat Stieve in demselben Sinne aufgefaßt wie ich. A. L.
Digitized by
Gch igle
Original from
CORNELL UNÜVERS1TY
322
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 10
schlechtweg bei den Säugetieren die Sexualhormone produziere und
daß den Zwischenzellen nur die Aufgabe zukomme, die Resorption
der Hormone zu vermitteln (Berblinger) oder sie zu verarbeiten,
besitzen wir nicht. Die Angabe von Tiedje, daß bei Rückbildung
des spermatogenen Gewebes nach Unterbindung der Vasa deferentia
die Libido vorübergehend abnimmt, bis dann mit eintretender Regene¬
ration die Libido wieder normal wird, ist ebenfalls unbegründet.
Sogar nach vollkommener Kastration dauert es noch eine geraume
Zeit, bis man am psychosexueilen Verhalten der Tiere eine Abwei¬
chung vom Normalen wahrnehmen kann, von der Erektionsfähigkeit
des Penis abgesehen. Wir sprechen hier auf Grund eigener Be¬
obachtungen. Es ist unzulässig, so schwerwiegende Schlüsse, wie
Tiedje sie zieht, aufzubauen auf einer Prüfung der quantitativen
Schwankungen im psychosexueilen Verhalten der Tiere. Damit sind
die Beweise, die Tiedje für die innersekretorische Funktion des
spermatogenen' Gewebes vorgebracht hat, als hinfällig erwiesen.
Wir haben hier die Beziehungen zwischen den Geschlechtsdrüsen
und den Geschlechtsmerkmalen diskutiert, Beziehungen, wie sie sich
ergeben, wenn man die Geschlechtsdrüse aus dem großen Zusammen¬
hang des ganzen innersekretorischen Systems im Organismus gedank¬
lich isoliert. Mit diesen Beziehungen ist zu rechnen, wenn dann die
Geschlechtsdrüsen wieder in dem großen Zusammenhang des inner¬
sekretorischen Systems betrachtet werden sollen. Wohl werden unsere
Befunde in einem neuen Lichte erscheinen, wenn wir die Fäden, die
von den anderen Drüsen mit innerer Sekretion zu den Geschlechts¬
drüsen führen, in der Hand haben werden. Einstweilen ist das noch
nicht der Fall.
Aus der Universitätshautklinik in Bonn.
(Direktor: Prof. E. Hoffmänn.)
Persönliche Prophylaxe beider Geschlechter als Hilfsmittel
zur Sanierung der Prostitution.
Von Priv. Doz. Dr. R. Habennaon in Köln.
Die bedrohliche Zunahme der Geschlechtskrankheiten hat in den
letzten Jahren das Interesse für die Verbesserung der Methoden zur
persönlichen Prophylaxe wieder neu belebt, und es ist auch ver¬
schiedentlich über neue bakteriologische, kulturelle und tierexperi¬
mentelle Untersuchungen berichtet worden, die dahin zielten, Klarheit
zu schaffen über den immer noch strittigen Wert der meist gebräuch¬
lichen chemischen Vorbeugungsmittel, Silberpräparate gegen Gonor¬
rhoe, Chininsalbe gegen Lues und QuecKsilbersalzlösungen und
'Salben gegen beide Krankheiten (Papamarku fl], Manteufel
und Zschucke [21, Schereschewsky-und Worms [3]). Die
Lösung dieses Problems im Tierexperiment ist bekanntlich dadurch
besonders kompliziert, daß sowohl der Tripper- als auch der
Syphiliserreger sich in ihrer Pathogenität und dementsprechend
auch ihrer Haftungsfähigkeit bei der Uebertragung ganz anders
im Tierkörper verhalten als beim Menschen, wenn man von den
höheren Affen absieht; ein Umstand, der ja auch die Bewertung
der Ergebnisse therapeutischer Versuche, wie sie neuerdings in um¬
fangreichen Serien an Kaninchen mit Salvarsanpräparaten vorgenom¬
men werden, sehr erschwert. Die mikroskopische Kontrolle der Ein¬
wirkung von Desinfizientien auf die Beweglichkeit der Spirochäten
unter dem Deckgläschen kann nur zur oberflächlichsten Orientierung
genügen, da sie weit von den Verhältnissen beim natürlichen Infek¬
tionsmodus abweicht, und ebensowenig dürfte der Kontrolle des
Spirochätengehaltes nach Aufträgen des betreffenden Schutzmittels
auf nässende Papeln usw. eine praktische Bedeutung zukommen,
wenn man die Erfahrung machen muß, daß gelegentlich schon nach
einem einfachen Bade die Spirochäten zeitweilig aus den Sekreten
ganz verschwinden können, was sich besonders bei Vorbereitungen
zu Vorlesungsdemonstrationen mitunter sehr störend bemerkbar macht.
Ob der Ausweg, zu dem Manteufel und Zschucke gegriffen
haben, indem sie bei künstlichen kutanen Rekurrensimpfungen an
Mäusen Syphilisprophylaktika angewandt haben, bindende Rück¬
schlüsse auf die natürlichen Vorgänge bei der menschlichen Syphilis¬
infektion zuläßt, muß bei den weitgehenden biologischen Differenzen
der beiden Spirochätenarten wohl dahingestellt bleiben. Auch um
die von Schereschewsky aus seinen Versuchen mit Chinin¬
salbenprophylaxe bei der Uebertragung der originären syphilis-
artigen Kaninchenspirochätose gezogenen Schlüsse als beweiskräftig
in der genannten Hinsicht anzuerkennen, bedarf es wohl noch wei¬
terer Studien über das eigentliche Wesen dieser Krankheit. Auf¬
fallend ist jedenfalls, daß Fettsalben dabei besser wirken sollen
als wäßrige Lösungen! Das vuzinhaltige Präparat „Spirogon“ soll
wirkungslos sein (Worms). Gerade bei Fettsalben als Konstituentien
ist es kaum möglich zu beurteilen, ob der Endeffekt mehr der
chemischen Desinfektion oder der mechanisch schützenden Wir¬
kung des Fettes zuzuschreiben is$ welche anderseits auf die
erstere wieder hemmend einwirkt. Unter diesen Umständen
kann es nicht wundernehmen, daß verschiedene Forscher bei
Anwendung der gleichen Substanzen zu den differentesten, ja
diametral entgegengesetzten Ergebnissen gekommen sind (Siebert
[4], Papamarku (1], Manteufel [2J, WormsJ6J), und wir sind
letzten Endes doch vorwiegend auf praktische Erfahrungen ange¬
wiesen geblieben, obwohl natürlich auch dabei große Fehlerquellen
nicht geleugnet werden können. In einer kritischen Studie negiert
Schumacher (5) letzthin den Wert der Metschnikoffschen Kalomel-
salbe gänzlich, weil sie keine freien Hg-Ionen enthalte, und läßt die
Siebertsche Sublimatkreme nur dann als wirksam gelten, wenn sie
nicht in Metalltuben verpackt ist, die das Hg durch Ausfällung un¬
wirksam machen. Er kommt schließlich zu dem Ergebnis, daß wäßrige
l°/oige Sublimatlösung als wirksames Prophylaktikum gleichzeitig
gegen Syphilis und Tripper völlig genüge und eine überaus wert¬
volle Vereinfachung darstelle, zumal Siibersalze so wenig haltbar
und zudem dunkelfarbig seien. Schumacher bemängelt nur mit
Recht die gefährliche Giftigkeit des Sublimats, welche seiner all¬
gemeinen Verwendbarkeit gerade in den Händen der Prostituierten
schwere Bedenken entgegenstelle, und ist aus diesem Grunde doch
geneigt, eine 5—10u ö ige, jeweils frisch zu bereitende Albarginlösung
auch zur Luesprophylaxe zu empfehlen.
Er berücksichtigt aber dabei nicht, daß wir noch andere, neuere
Desinfizientien besitzen, die bei dem Vorzug der Farblosigkeit und
Ungiftigkeit doch dem Sublimat an bakterizider Wirkung sehr nahe
kommen, ja dieses praktisch in einem Punkte noch übertreffen, in¬
dem sie durch Eiweiß nicht ausgefällt werden und Metalle nicht
angreifen, das G rot an (Chlorkresol) und das Sagrotan (Chlor-
Xylenol-Sapokresol), Präparate, denen ihre hohe Desinfektionskraft
bei sonstigen indifferenten Eigenschaften auf die Empfehlung von
Schottelius (7), Süpfle (8), Friedenthal ((9) u. a. hin zum
Teil schon lange Eingang in die ärztliche Praxis verschafft hat, die
aus den genannten Gründen unbedenklich auch Laien in die Hand
gegeben werden können und daher besonders auch für die Ver¬
wendung in Barbiergeschäften usw. geeignet erscheinen.
Systematische Versuche, die ich seit 4 Jahren als Polizeiarzt
in Bonn mit der Einführung einer persönlichen Prophylaxe bei
Prostituierten gemacht habe (Habermann [10]), führten mich dazu,
insbesondere das Sagrotan für diese Zwecke zu verwenden, wozu es
sich in Anbetracht seiner Färb-, Geruchlosigkeit usw. hervorragend
eignet. Eine V 2 0 /oige Sagrotanlösung genügt bei zwei Minuten langer
Einwirkung zur Abtötung der meisten Bakterien. Ich selbst konnte
an 2 Personen experimentell feststellen, daß eine Normalöse reich¬
lich gonokokkenhaltigen Eiters 3 mm tief in die Fossa navicularis
verimpft, nicht imstande war, zu einer Ansiedlung der Gonokokken
auf der Schleimhaut zu führen, wenn V* bzw. 1 Stunde später eine
Wattestäbchenauswischung (Streichholzmethode E. Hoff¬
man n [11]) mit 5<>/oiger Sagrotanlosung vorgenommen wurde. Aller¬
dings hat ein Kontrollversuch (Impfung ohne Dcsinfiziens) dabei
nicht stattgefunden. Seitdem habe ich von mehreren Patienten, bei
denen ich das nötige Verständnis und entsprechende manuelle Ge¬
schicklichkeit voraussetzen konnte (hauptsächlich Studenten), diese
prophylaktische Auswischung vornehmen und auch die äußeren Geni¬
talien mit lo/oiger Lösung post coitum abwaschen lassen, ohne daß
mir bisher ein Mißerfolg zur Kenntnis gelangt wäre. Diese Technik
der 1 cm tiefen minutenlangen Auswischung verdient auch ent¬
schieden den Vorzug vor den verschiedenen Tropfmethoden (Sama¬
riter usw.), die nach Fingers (121 Erfahrungen gelegentlich ver¬
sagen. Am besten werden 2 verschiedene Wattestäbchen nachein¬
ander benutzt (E. Hoffmänn). Ein bloßes Auswaschen des Ori-
fiziums mit dem kleinen Finger, wie Schumacher es empfiehlt,
halte ich nicht für ausreichend, abgesehen von den seltenen Fällen
von weitklaffendem Orifizium, die ein tiefes Einführen des Fingers
ermöglichen. Anderseits aber erscheint mir auch eine Einspritzung
mit der Tripperspritze, wie sie Finger neuestens mit lo/oiger
Protargollösung empfiehlt, nachteilig, wegen der überflüssig weit-
ehenden Schleimhautreizung, zumal wenn die Maßnahme bald nach
em Beischlaf erfolgt. Dagegen hat sich die Injektionstechnik
bei der persönlichen Prophylaxe der Prostituierten als zweckmäßiger
bewährt, von der ich, wie gesagt, bei der Verwendung des Sagrotans
ausgegangen war.
Die starke Zunahme der Frequenz der Prostitution in Bonn und
die hohe Erkrankungsziffer hatten mich schon vor mehreren Jahren
veranlaßt, die prophylaktischen Verhaltungsvorschriften der Polizei,
die in Bonn, ebenso wie meist auch anderwärts, im wesentlichen
in Spülungen mit Kali permang. bestanden, zu erweitern und, ähn¬
lich wie das später Lesser (17) aus seinem Kriegswirkungskreise
Warschau publiziert hat, allmählich systematisch so auszubauen, daß
^die Erfolge bald in einer deutlichen Verbesserung des durchschnitt¬
lichen Gesundheitszustandes der Frauen zum Ausdruck kamen. Auf¬
fallenderweise sind derartige Bestrebungen bisher nur wenig her¬
vorgetreten, obgleich es doch sehr naheliegt, auch die Mädchen
vor ihren Kunden zu schützen. Es ist erstaunlich, daß Max Mül¬
ler (13), der ebenso wie Weidanz (14) den Erlaß polizeilicher
Vorschriften durchgesetzt hat, die die Prostituierten zur regelmäßigen
Abgabe von Kondoms und chemischen Schutzmitteln an ihre Besucher
verpflichten, die Frage des Selbstschutzes der Mädchen auch nicht
mit einem Wort streift. Neißer (15) erwähnt die Möglichkeit, durch
Einlage von fettgetränkten Vaginaltampons den Muttermund vor
Gonorrhoeinfektion zu schützen. Auch Blaschko (16) führt der¬
artige Maßnahmen als prinzipiell wichtig an, spricht sich allerdings
andernorts wieder skeptisch aus über die Möglichkeit, die zahlreichen
Falten der weiblichen Genitalien durch Desinfektionsmaßnahmen ge¬
nügend gegen Ansteckungsgefahr zu schützen. Für die Praxis nutz¬
bar gemacht worden ist dieses Prinzip in größerem Umfange jeden¬
falls erst von Lesser und mir. Neuerdings soll es auch in Danzig
eingeführt worden sein (Blaschko).
Da es erfahrungsgemäß, zumal bei der ambulanten Behandlung
der weiblichen Urethralgonorrhoe, zweckmäßig ist, die Patientinnen
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNiVERSITY
10. März 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
323
die Injektionen zu Hause selber vornehmen zu lassen, wie das von
jeher in unserer Klinik geschieht (E. Hoffmann [18]), so lag es
nahe, diese Einspritzungen auch nach der Heilung prophylaktisch
fortsetzen zu lassen mit ya°/oiger Albarginlösung. Das habe ich
schon lange den Prostituierten geraten und, soweit nötig, diese
Manipulation von einer erfahrenen Krankenschwester einüben lassen.
Wie ich erfuhr, sind derartige Einspritzungen an anderen Orten
unter Strafe gestellt worden, als Manipulationen, die geeignet seien,
eine bestehende Krankheit zu verbergen! Mir scheint der Nachteil,
daß gelegentlich eine chronische Gonorrhoe dadurch zeitweise ver¬
deckt werden könnte, gegenüber den großen Vorteilen dieser Ma߬
nahmen nicht in Betracht zu kommen. Daneben wurden früher nur
Spülungen mit Kal. permang. vorgenommen, wie sie auch Lesser
für ausreichend hält, die aber, wie es sich mir mehrfach erwies,
zur Verhütung direkter Portioinfektionen sich als absolut
ungeeignet zeigten. Das erscheint auch ohne weiteres verständ¬
lich, wenn man berücksichtigt, daß das männliche Orifizium, zumal
bei Deszensus des Uterus, oft direkt mit dem äußeren Muttermund
in Berührung kommt. Auch Primäraffekte der Portio selbst, oft
in Form unscheinbarer Erosionen, haben wir in den letzten Jahren
gerade bei Prostituierten häufiger als früher gesehen. Um diesen
Uebelstand zu beseitigen, bestand nur die Möglichkeit, durch Ein¬
führung eines Okklusivpessars jede Berührung des Membrums
mit der Portio zu verhindern und womöglich ein Desinfektionsmittel
vor dem Koitus in geeigneter Form tief in die Vagina zu deponieren,
wodurch auch eine evtl, vorübergehende Gonokokkenausscheidung bei
chronischer Zervikalgonorrhoe unschädlich gemacht werden konnte.
Da die Vaginalschleimhaut bei Prostituierten infolge der häufigen
Spülungen meist an sich trocken ist und zumal auch die Schleim-
produktion ex libidine hier meist fehlt, so erwiesen sich mir Schmelz¬
ovale von Gelatine ebensowenig geeignet, wie trockene, sauerstoff-
bildende Tabletten, die ich zuerst anzuwenden versuchte. Ich ge¬
langte vielmehr dazu, eine Traganth-Glyzerinkreme nach Art des
Casperschen Katheterpurins zu benutzen, der ich anfangs 1 o/o Karbol
zusetzte, da mir Hg-Salze wegen der Ausfällbarkeit in den eiwei߬
haltigen Sekreten ungeeignet erschienen und auch fetthaltige Grund¬
lagen zur Anwendung auf einer Schleimhautfläche nicht in Betracht
kamen. Wegen des zu hohen Preises des Traganths stellte ich schlie߬
lich durch Abkochen von Caragheenmoos einen Pflanzenschleim her,
der mit 2o/o Sagrotanzusatz allen zu stellenden Anforderungen ent¬
sprach und sich auch in unserer Klinik als wasserlösliches Gleitmittel
für Instrumente, Spekula usw. seit Jahren vortrefflich bewährt hat.
Die Konsistenz mußte so sein, daß noch gerade ein Aufsaugen mit
der Spritze möglich war 1 )- Diese Schutzkreme erwies sich nun auch
zur Desinfektion der Harnröhrenmündung als völlig ausreichend,
sodaß ich den ganzen Vorgang erheblich vereinfachen konnte, in¬
dem eine und dieselbe Spritze (eine einfache billige Tripperspritze)
für beide Injektionen in Urethra und Vagina benutzt werden kann.
Die Anwendung eines Weichgummi-Okklusivpessars halte ich trotz¬
dem für nötig aus den angeführten Gründen und habe bei Pro¬
stituierten niemals Störungen dadurch gesehen. Nur bei Vernach¬
lässigung der nötigsten Sauberkeit bei ganz indolenten Personen
kann es durch Stagnation der Sekrete zu Zersetzungen und selbst
Endometritiden Veranlassung geben, wenn es länger als 10 Stunden
liegen bleibt, ohne daß Spülungen vorgenommen werden. Ich halte
daher den Vorschlag Saudecks (19), das Pessar dauernd tragen
zu lassen, für unzweckmäßig, ebenso wie die von ihm empfohlene
Verwendung harter Pessare von Silberblech, die mechanische Rei¬
zungen verursachen. Daß auch die Konzeption dadurch verhütet
wird, kann ich bei Prostituierten nur als einen Vorteil ansehen,
da fast jede Gravidität in diesen Kreisen möglichst frühzeitig be¬
seitigt wird, was oft zu schweren Infektionen führt; anderseits
können die auf diese Weise erzeugten Kinder wohl kaum als eine
Bereicherung des Volkes an wertvollem Menschenmaterial angesehen
werden.
Ich lasse also vor dem Koitus zunächst ein passendes Okklusiv-
pessar (Spiralfeder-Weichgummipessar), mit Schutzkreme befeuchtet,
bis an die Portio einführen, dann etwa 3—5 ccm „Schutzkreme“ bei
tiefer Einführung der Spritze in die Scheide injizieren. Nach dem
Koitus lasse ich mit warmer lo/oiger Sagrotanlösung spülen, während
der Spülung das Pessar entfernen und schließlich nach Urinentleerung
mit derselben gut gereinigten Spritze etwa 3 ccm in die Harnröhren¬
mündung injizieren. Abgesehen von der großen Sicherheit der Wir¬
kung, hegen die Hauptvorzü^e in der Farblosigkeit und Geruch¬
losigkeit des Mittels, gegenüber den Silberpräparaten und Kali
permang., die so störende Wäscheflecke verursachen, und schon
zum Teil deswegen nur ungern angewandt werden, ganz abgesehen
von den viel höheren Kosten der ersteren. Auch wird die Schleim-
hautoberflächc nicht so stark abgestumpft und ausgetrocknet, wie
das bei dem Kali permang. der Fall ist. Da während des Koitus
auch eine Verteilung auf die Vulva und das ganze männliche Genitale
stattfindet, so besteht hierin auch ein wirksamer Schutz gegen die
beiderseitige Uebertragungsgefahr von Lues und Ulcus molle. Von
allergrößter Bedeutung ist freilich die sorgfältige Belehrung
der Frauen über Sinn und Wert der Maßnahmen, die ich in Form
regelmäßiger Vorträge in bestimmten Abständen bei den Kon-
troHunfersuchungen selbst vorgenommen habe und durch prak-
l ) Das Präparat wird von der Firma SchQlke und Mayr, Ä.-O, Lysolfabrik in Hamburg
bergestelit und unter dem Namen „Lysaldln" in den Handel gebracht, wodurch ein
bOffgerer Preis und gleictamlßige Beschaffenheit gesichert sind.
tische Erläuterungen seitens des Hilfspersonals habe ergänzen
lassen, wobei immer der Hinweis auf den eigenen materiellen Vor¬
teil der Frauen im Vordergrund stehen muß. Auf die Bedeutung
des Präservativs als mechanisches Schutzmittel gehe ich hier nicht
ein; E. Hoffmann nennt dies an erster Stelle (18) und empfiehlt
es auch neben chemischen Schutzmitteln.
Außer lokalen Schutzmitteln verabfolgte Lesser den Prostitu¬
ierten ferner noch „prophylaktische“ Salvarsaninjektionen ohne
Rücksicht darauf, ob eine Infektion überhaupt stattgefuuden hat.
Wenn dieses Vorgehen damals unter den besonderen Kriegsverhält¬
nissen für eine Zeitlang angebracht gewesen sein mag, so scheint
uns doch eine Berechtigung, es zur allgemeinen Einführung zu
empfehlen, kaum vorzuliegen, weder hinsichtlich der Gefahrenquote
des Salvarsans noch in Anbetracht der erheblichen Kosten, zumal
ja eine genaue klinische und serologische Untersuchung in gewissen
Abständen doch fortgesetzt stattfinden muß.
Auf die übrigen, zum Teil sehr wertvollen Neuerungen für die
Methodik der Prostituiertenüberwachung, die Lesser in seinem
„Disziplinierungssystem“ eiprobt hat (Einteilung der Frauen in ver¬
schiedene Klassen, je nach Sauberkeit und erfolgreicher Selbstge¬
sunderhaltung usw.), näher einzugehen, würde hier zu weit führen.
Jedenfalls muß betont werden, daß die systematische Anleitung der
gewerbsmäßigen Prostituierten zu zweckmäßigen Selbstschutzma߬
nahmen, die bisher so arg vernachlässigt wurde, keineswegs an das
jetzige so reformbedürftige Reglementierungssystem gebunden ist,
auch nicht nur, wie Lesser meint, einen Uebergang zum Abolitionis¬
mus darstellen kann, sondern auch nach Aufhebung der Inskriptionen
und Polizeikontrolle weiterhin von den untersuchenden Aerzten er¬
folgreich wird fortgesetzt werden können. Abgesehen davon würde
aber auch eine systematische Einführung allgemeiner Erziehung
zu regelmäßigen Waschungen der Genitalien von frühester
Jugend auf auch beim männlichen Geschlecht, wie E. Hoffmann
sie vorschlägt, ähnlich den rituellen Waschungen mancher Völker,
sehr erstrebenswert und erfolgversprechend sein, zumal der allge¬
meinen Einführung der Beschneidung (bzw. wenigstens Durchtren¬
nung des Frenulums und Dehnung des Präputiums), über deren
hohen hygienischen Wert wohl kein Zweifel besteht, doch zu große
Hindernisse entgegentreten würden.
I. D. m. W. 1920 Nr. 31. - 2. D. m. W. 1921 Nr.2. - 3. B. kl. W. 1920 Nr.48. - 4. Nei ßer,
Beitr. z. Path. d. Syph. — 5. D. m. W. 1921 Nr. 22. - 6. B. kl. W. 1921 S. 103. - 7. Arch.
f. Hyg. 1914,82, H. 2. - 8. Arch. f. Hyg. 85, H. 4. - 9. B. kl. W. 1915 Nr. 39. - 10. Denn.
Zschr. 32, S. 249. — 11. 10. Kongr. d. D. Derm. Ges. 1908, Berlin, S. 162. - 12. W
m. W. 1921 H. 1. S. 67. — 13. Zschr. f. Bekämpf, d. Geschlechtskrkh. 14, S. 251 - 14. Zschr.
f. Bekämpf, d. Geschlechtskrkh. 14, S. 88. - 15. D. m. W. 1915 S. 1385. - 16. Zachr. f.
Bekämpf, d. Geschlechtskrkh. 14, S. 84 und Hyg. d. Geschlechtskrkh. in Weil, Handb. d
Hyg. 1920. — 17. B. kl. W. 1920 Nr. 3 u. 4. — 11 Behandlung der Haut- und Geschlechts¬
krankheiten, 3. Aufl. Bonn 1920. — 19. M. Kl. 1921 Nr. 29.
Eine schnelle, saubere und zuverlässige Prüfung des Stuhls
auf okkultes Blut.
Von Dr. Richard Weiß in Freiburg i. Br.
Die Scheu, welche vielfach noch vor koprologischen Unter¬
suchungen herrscht, ist wohl hauptsächlich darauf zurückzuführen, daß
bisher eine Methode nicht bekannt war, welche ohne umständliche
Manipulationen und Apparatur den Nachweis von okkultem Blut im
Stuhl schnell und klar gestattet, und daß auch ein Besteck zur ein¬
fachen und sauberen Ausführung der Untersuchung gefehlt hat.
Durch die Ausstrichprobe mit Vao/oiger Benzidinlösung, welche von
Gregersen und auch von Boas als für die tägliche Praxis geeig¬
netste empfohlen wird, ist die Aufgabe völlig gelöst; auch die notige
Apparatur hierzu ist in einem praktischen und einfachen Besteck, dem
Hamokkult, erhältlich, sodaß nunmehr der praktische Arzt, der kein
Laboratorium hat — und viele
Aerzte müssen bei den heutigen
Verhältnissen auf ein solches ver¬
zichten —diese Untersuchung ohne
weiteres selbst ausführen kann. Das
zur Ausführung der Methode kon¬
struierte Besteck enthält in hand¬
licher Form sämtliche für das
Verfahren notwendigen Utensilien;
durch Benutzung der stets gleichen
Meßglaser usw. wird die Gewähr
für zuverlässig saubere Arbeit ge¬
geben, was bei der sehr empfindlichen Benzidinprobe von Wichtig¬
keit ist. Die Untersuchung wird folgendermaßen ausgeführt:
1. Mittels eines reinen Glasstabes wird ein etwa reiskomgroßes
Fäzesstückchen in dünner Schicht (wie zur mikroskopischen Unter¬
suchung) auf drei Vertiefungen eines der Emailleplättchen ausgestrichen.
2. Es werden je 10 Tropfen des Benzidinreagens (Lösung I
-|- Lösung II) im Meßzylinder zu gleichen Teilen gemischt und die
Mischung mit der Pipette auf den Fäzesausstrich geträufelt. Des¬
gleichen einige Tropfen auf die freigebliebene vierte Vertiefung
(= blinde Kontrollprobe!).
Danach tritt je nach Stärke des Blutgehaltes mehr oder weniger
intensive Blaufärbung auf. Bei negativem Ausfall behält die Lösung
ihre Farbe, um später sich bräunlich zu färben. Die für jede Probe
Digitized by
Gck igle
Qrigin-al from
CORUELL UNIVERSITY
324
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 10
gemachten drei Ausstriche auf den Vertiefungen der Emailleplätt¬
chen geben eine dreifache Kontrolle der Probe, was besonders bei
schwach positivem Ausfall der Reaktion wichtig ist. Die vierte
Vertiefung dient zur Einstellung einer blinden Probe.
Die Emailleplättchen lassen sich nach Anstellen der Unter¬
suchungen unter dem Wasserhahn evtl, mit einer Bürste schnell
reinigen.
Mit dem Besteck kann man auch im Hause des Patienten am
Krankenbett einen Ausstrich machen und dann nach Aufsetzen des
Schutzdeckels über das Emailleplättchen den Ausstrich zur Unter¬
suchung mit nach Hause nehmen.
Das Besteck wird von der Firma Oskar Skalier, A.-O., Berlin N 24,
Johannisstr. 20/21, hergestellt.
Aus der Dermatologischen Poliklinik des Städtischen Kranken¬
hauses im Friedrichshain zu Berlin. (Leitender Arzt: Dr.Mattissohn.)
Eine neue Salbengrundlage „Novitan“.
Von Dr. Christian Stocher, Assistenzarzt
Eine Salbengrundlage, die allen Ansprüchen genügen soll, hat
eine Reihe von Forderungen zu erfüllen: 1. Sie darf nicht schaden,
d. h. nicht hautreizend wirken oder resorbiert zu einer Intoxikation
führen. 2. Sie muß die beigemengten Arzneimittel in beliebiger
Konzentration in sich aufuehmen. 3. Sie muß chemisch resistent gegen
alle Einflüsse sein, wie Licht Luft Temperaturschwankungen, zu¬
gesetzte Medikamente. 4. Sie soll möglichst schnell und vollkommen
resorbiert werden. 5. Sie soll Wasser aufnehmen können. 6. Sie darf
die Wäsche nicht verderben. 7. Sie muß billig sein.
Keine unserer gebräuchlichen Salbengrundlagen erfüllt all diese
Forderungen in idealer Weise.
Tierische und pflanzliche Fette, und zwar die Glyzerinäther der
Fettsäuren und der Gholesterinäther Lanolin, werden dem Punkte 4,
der die Hauptforderung enthält, am meisten gerecht. Infolge ihrer
chemischen und biologischen Verwandtschaft zum Körpergewebe wer¬
den sie von der Haut leicht aufgenommen. Vor allem gilt dies auch
von dem Lanolin, dessen Vorkommen nicht nur in dem Wollhaare
der Schafe, sondern in allen Keratingeweben, menschlicher Haut,
Haaren, Vernix caseosa, Fischbein usw. Liebreich nachgewie¬
sen hat. Die leichte Zersetzlichkeit der Fette, die übrigens beim
Lanolin geringer ist als bei den übrigen Fetten, und der hohe Preis
ließen die Auswahl einer anderen Grundlage als notwendig erscheinen.
Die Vaseline, ein Destillatioqsrückstand des Petroleuins, erwies
sich für den Zweck als geeignet. Aeußerst resistent allen Oxydations¬
mitteln gegenüber, aufnahmefähig für alle Arzneistoffe, leicht ein-
reibbar in die Haut, trat sie als erwünschtes Ersatzmittel an die
Stelle des Schweineschmalzes und Hammeltalges. Doch bald zeigte
sich eine große Fehlerquelle. Während bei tierischen Fetten Punkt 4
geradezu überkompensiert war, d. h. das Fett schon häufig allein als
Heilfaktor wirkte, machte sich bei der Vaseline gerade aas Gegen¬
teil bemerkbar. Die Hauptforderung, die an eine Grundlage zu stellen
ist, das Nil nocere, konnte häufig, zumal im Kriege bei Verschlechte¬
rung der Rohmaterialien nicht mehr eingehalten werden. So konnte
ich öfter beobachten, wie eine durch Vaseline gesetzte Hautreizung
durch Wahl tierischen Fettes beseitigt wurde.
Es ist deshalb sehr zu begrüßen, wenn der Medizin eine Salben¬
grundlage in die Hand gegeben wird, die möglichst allen aufgestell¬
ten Gesichtspunkten gerecht zu werden versucht
Die von der Präparatengesellschaft G. m. b. H. Berlin-Schöneberg
hergestellte vollkommen neutrale Salbengrundlage „Novitan“ hat diese
Aufgabe in bisher bestmöglicher Weise gelöst. Durch geschickte
Kombination von höher siedenden Kohlenwasserstoffen mit dem
wasseraufnahmefähigen tierischen Fett Lanolin ist es gelungen, die
Zersetzung des letzteren zu verhindern und so dem Fett wieder
seinen Platz als beste Salbengrundlage zu sichern. Das Wollfett
hat vor den übrigen Fetten den Vorzug, daß die Grundlage allein
schon wegen ihrer hohen Wasseraufnahmefähigkeit als Kühlsalbe
wirkt, was vor allem von Kranken mit großen exsudierenden Haut¬
flächen als sehr wohltuend empfunden wird. Ich bemühte nych vor
allem, auch Punkt 1 genau auszuprobieren, und wendete deshalb das
Präparat bei ekzemkranken Kindern und Säuglingen an, bei denen
oft das Korium infolge des Kratzens auf weite Strecken freilag.
Die kleinen Patienten beruhigten sich unter der kühlenden Wirkung
der dick aufgetragenen Salbe schnell, das Ekzem wurde auch ohne
Zusatz von Medikamenten günstig beeinflußt. Eine Intoxikation konnte
ich nie beobachten. Da sich die Grundlage sehr gut in die Haut
einreiben läßt und keine Stoffe enthält, die zu Baumwolle eine che¬
mische Affinität haben, so ist auch eine Schädigung der Leibwäsche
nicht zu befürchten. Beigemengte Arzneimittel werden von Novitan
in jeder beliebigen Konzentration aufgenommen, wie ich mich bei¬
spielsweise bei dem von der Firma hergestellten Antiskabiosum
„Nosapan“ überzeugen konnte, das die Milbenerkrankung nach zwei-
bis dreimaliger Einreibung beseitigte. Da die Grundlage sehr wider¬
standsfähig ist, ergeben sich für ihre Aufbewahrung keine besonderen
Vorschriften, obwohl es zweckmäßig ist, wegen der'Verdunstung des
darin enthaltenen Wassers einen kühlen Ort zu wählen.
Aus der Praxis.
Euresol gegen Schnaken.
Von San.-Rat Klein in Idstein.
Nach Benutzung des Euresolhaarwassers der Firma Knoll (Lud¬
wigshalen) bemerkte ich, daß die in dem gerade von mir bewohnten
Hotelschlafzimmer massenhaft vorhandenen Rheinschnaken, unter
denen ich immer recht zu leiden hatte, meinen Kopf und meine linke
Hand, mit der ich das Haarwasser auf dem Kopfe verrieben hatte,
mieden und sich nur auf die rechte Hand stürzten. Nach Einreiben
auch der bereits recht verstochenen rechten Hand blieb diese von
weiteren Angriffen verschont. Außerdem beobachtete ich ferner, daß
das sonst lange anhaltende heftige Jucken einige Minuten nach der
Einreibung der rechten Hand spurlos verschwand.
Da die durch mehrere Familienmitglieder vorgenommene Nach¬
prüfung meine Beobachtung bestätigte, möchte ich nicht verfehlen,
sie zu weiterer Nachprüfung mitzuteilen.
Gynäkologische Ratschläge für den Praktiker 1 ).
Von Prof. W. Liepmann in Berlin:
X.
Die Beziehungen zn den Nachbarofganen:
B. Intestinaltraktns.
Unter allen Erkrankungsformen der Nachbarorgane der weib¬
lichen Genitalien stehen die Entzündungen des Wurmfortsatzes, die
Epityphlitis und Perityphlitis, für den Praktiker an erster Stelle. Wir
werden sehen, wie wichtig gerade hierbei die sichere Diagnosen¬
stellung ist, wie lebensrettena und richtunggebend, denn gerade die
Unterscheidung zwischen Adnexentzünduog und Blinddarmreizung ist
oft schwer, und während in . dem einen Falle die Devise „Ruhe“
heißt, ist im anderen „Aktivität und Operation“ das beste Heil¬
verfahren.
Nachdem Pankow exakt nach der Methode von Aschoff
in 66,6o/o von 12 Frauen, die wegen gynäkologischer Erkrankungen,
nicht aber des Blinddarms wegen operiert wurden, abgelaufene
Appendizitiden feststellen konnte, ist auch dem skeptischen Beob¬
achter die ungeheure Häufigkeit dieser Erkrankung bei gynäkologi¬
schen Leiden klar geworden.
Noch klarer werden die Verhältnisse, wenn man sich die normale
Lokalisation des Zökums und des Processus vermiformis bei den
Frauen klar macht. Die Statistik ergibt, daß in 30o/ o der Fälle bei
Frauen eine Positio distalis, d.h. ein Hereinreichen des Zökums in
das kleine Becken, beobachtet wurde, während diese Anomalie bei
Männern nur in 16o/o gefunden wird. In diesen 30o/ o der Fälle aber
ist eine direkte Berührung der in Frage kommenden Organe mit den
inneren Genitalien, in erster Linie also mit den rechten Adnexen,
nachzuweisen. Hierzu kommt noch, daß nach meinen Untersuchungen
in etwa 22o/ 0 der Fälle Wurmfortsatz und rechte Adnexe durch eine
Lymphgefäße führende Bauchfellduplikatur miteinander verbunden sind,
das Ligamentum apendiculo-ovaricum, sodaß dadurch des weiteren
entzündliche Prozesse hinüber- und herübergreifen können.
Diagnose: Aus den geschilderten Rücksichten ist
es Pflicht jeden Praktikers, bei Schmerzen im Leib
zunächst an eine Blinddarmentzündung zu denken und
erst nach Ausschluß dieser Erkrankung in seinem weiteren diagnosti¬
schen Vorgehen fortzufahren.
Schon die Anamnese bietet uns häufig ganz gewichtige Anhalts¬
punkte. Wenn eine Frau, besonders eine Virgo, mit plötzlichen, recht¬
seitigen Schmerzen erkrankt, so spricht das von vornherein mehr für
Epityphlitis, anderseits, wenn den gleichen Schmerzen Genitalerkran¬
kungen, Ausfluß, vielleicht eine festgestellte oder noch festzustel¬
lende Gonorrhoe vorangeht, so spricht dieses mehr für eine aszen-
dierende Adnexerkrankung als für eine Blinddarmentzündung. Im
ersteren Falle wird man per rectum bimanuell untersuchen und die
Adnexe in normaler Beschaffenheit finden, im zweiten Falle wird
man es nicht unterlassen, die rechte Flankengegend nach der bi-
manuellen Untersuchung genau abzutasten. Als ein ganz vorzüg¬
liches, mich niemals im Stiche lassendes, souveränes diagnostisches
Mittel hat sich mir die Vibrationsmassage erwiesen. Der Vibrator
wird auf die zu untersuchende Stelle gesetzt und ganz allmählich
der Strom verstärkt. Bei auch nur beginnender Blinddarmreizung
werden starke Schmerzen geäußert. Treten keine Schmerzen auf,
so kann man ruhig von der Diagnose Epityphlitis Abstand nehmen.
Die Prüfung mit dem Vibrator geschieht nur von den Bauchdecken
her, am besten in der Gegend des Mac Burneyschen Punktes, also
auf der Verbindungslinie von Spina anterior superior mit dem Nabel,
etwa 6 cm von der Spina entfernt.
Ist so im Einzelfalle die Blinddarmentzündung ausgeschlossen,
so ist es meist leicht, bimanuell die Adnextumoren festzustellen.
Meist ist auch bei der Epityphlitis die peritoneale Reizung, kenntlich
an dem erhöhten Pulse, die Temperatur sagt oft gar nichts, auch ira
ganzen Krankheitsbilde ausgesprochen. Und schließlich spricht die
l ) Schluß dieser Vortragsreihe.
□ igitized by Gougle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
10. März 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
325
Einseitigkeit der Erkrankung immer mehr für Blinddarmentzündung
als für die meist doppelseitige Adnexerkrankung.
Aber alle diese diagnostischen Winke können bei komplizierten
Fallen im Stiche lassen. Nicht allzu selten sind die Fälle, in denen
die primäre Entzündung des Blinddarmes sekundär auf die Adnexe
derselben Seite übergegriffen hat, oder Fälle, in denen umgekehrt
die Entzündung der Tube und des Eierstockes progredient auf den
Wurmfortsatz übergreift. Kommt nun noch ein tiefer Deszensus
des Processus vermiformis hinzu, so kann der verdickte Blinddarm,
der unterhalb der Linea terminalis im kleinen Becken, also an der
Articulatio sacro-iliaca gelegen ist, direkt als Adnextumor angesprochen
werden. Seltener zu beobachten ist der beim Infantilismus vorkom¬
mende Hochstand der Adnexe. Hierbei kann der Tumor bei Ent¬
zündungen oberhalb des Poupartschen Bandes palpiert werden, der
Mac Bumeysche Punkt empfindlich sein und doch keine Epityphlitis
vorliegen. Aber in diesem letzteren Falle kann man durch eine
exakte bimanuelle Untersuchung, die über den Hochstand der Adnexe
orientiert, doch noch zur richtigen Diagnose gelangen. Wie wichtig
die Kenntnis all dieser Verhältnisse gerade für den Praktiker ist,
erhellt aus den einzuschlagenden therapeutischen Maßnahmen, die
bei richtiger Diagnose den Weg zur Heilung, bei unrichtiger Dia¬
gnose gefährliche Folgen für die Patientin haben können. Im Zwei-
velsfallc entscheide man sich stets für die Diagnose: Epityphlitis (?)
mit Adnexentzündung.
Tritt im Anschluß an eine virulente Epi- und Perityphlitis eine
eitrige Peritonitis auf, so kommt es, wenn die foudroyante Bauchfell¬
entzündung nicht ad exitum führt, sehr häufig zur Bildung eines
Douglasabszesses. Neben der vereiterten Hämatozele, neben den
eitrig erkrankten Tuben, neben Perforationen des Uterus und der
Vagina, wie wir sie beim Abortus criminalis so häufig sehen, ist
die Blinddarmentzündung die häufigste Ursache des Douglasabszesses.
Seine eklatanten klinisdien Erscheinungen muß man kennen. Die
meteoristischen Symptome und die übrigen peritonitischen Erschei¬
nungen können geringfügig sein. Aber es besteht immer Fieber und
erhöhte Pulsfrequenz. Deutliche Schmerzen im Unterleib sind nach¬
zuweisen; vom Abdomen her ist kein Exsudat zu palpieren oder zu
perkutieren, statt dessen klagen die Patientinnen über Blasenschmer¬
zen, die durch den nach vorn und oben gedrängten Uterus (Ante-
positio et Elevatio uteri) bedingt sind.
Die bimanuelle Untersuchung schafft Klarheit, sie fühlt das
hintere Scheidengewölbe vorgetrieben. Man stellt mit dem Spiegel
die vorgewölbte Partie der Scheide ein und punktiert nach Betupfen
der Stelle mit Jodtinktur am besten mit der Flatauschen Spritze (aber
eine Pravazspntze mit langer Kanüle tut es auch). Eiter im Spritzen¬
raum stellt die Diagnose sicher.
Therapie: Alle diese vielfachen Erscheinungsformen, von der
einfachen Blinddarmreizung angefangen bis zur eitrigen Bauchfell^
entzündung, die zum abgekapselten Douglasabszeß führt, können
mit perimetritisehen Adhäsionen und parametranen Narben zum Aus¬
klingen kommen. Dann werden aber Beschwerden aller Art, wie
wir sie bei der Perimetritis, der Parametritis und den entzündlichen
Lageveränderungen gesehen haben, unausbleiblich sein. Im besten
Falle aber werden die Patientinnen jahrelanger Behandlung bedürfen.
In den foudroyant verlaufenden Fällen aber kann nur eine sofortige
Operation und Exstirpation des Wurmfortsatzes zur Heilung führen.
Hier liegt die Entscheidung, Leben oder Tod, ganz allein in der
Kenntnis und Entschlußfähigkeit des Praktikers. Da wir keinem
Falle von beginnender Entzündung des Wurmfortsatzes ansehen kön¬
nen, ob wir es mit einer einfachen Entzündung oder mit einem phleg¬
monösen, ulzerösen Prozeß zu tun haben, so ist m. E., wenn nicht
eine sofortige Operation, so doch die Aufnahme in eine Klinik bei
den meisten Fällen erforderlich. In der Klinik, wo alles ohne Trans¬
port zur Laparotomie bereit steht, kann man konservativer sein als
im Hause, wo man gerade bei beginnender Peritonitis immer noch mit
dem nicht gleichgültigen Transport zu rechnen hat. Die Blinddarm¬
entzündung der Frau, deren enge Beziehung zu den Genitalien wir
kennengelernt haben, gehört in die Hand eines Operateurs, der die
gynäkologischen Operationsmethoden ebenso beherrscht wie die Darm¬
chirurgie. Ob im gegebenen Falle abzuwarten ist oder zu operieren,
ist Sache des die Verantwortung tragenden Operateurs. Ein Fall bei
einem jungen Mädchen ist recht lehrreich: Geringste Symptome einer
Blinddarmreizung. Schmerzempfindlichkeit des Mac Burneyschen Punk¬
tes. Keine Adnexerkrankung. Temperatur 37,2 mittags. Puls 96.
Abwarten. Abends Temperatur 37,5, Puls 100, sonst wie oben. Der
Wunsch des Vaters (,Jcn will sichergehen“) bestimmt die Operation.
Laparotomie: Pathologisch-anatomischer Befund: Phlegmonöse, ulze¬
röse Entzündung des Prozessus, kleiner Kotstein perforiert
im Moment der Exstirpation.
Wenn in einem jeden solchen Falle der Praktiker der Operation
beiwohnen würde, würde, glaube ich, die Aversion gegen die Früh¬
operation gegenüber der Macht der Tatsachen verschwinden. Die
absolute Frühoperation ist nahezu gefahrlos, wartet man 24—48 Stun¬
den nach der ersten Attacke ab, so steigt die Mortalitätsziffer auf
1—2®/o, wartet man noch länger, 6—7 Tage etwa, so beträgt sie schon
12—170/0. Mir scheint die Statistik der Frühoperation bei der Appen¬
dizitis der Schnellentbindung bei Eklampsie ganz ähnlich zu sein.
Außerdem können wir unbedenklich die Frühoperierten schon 48 Stun¬
den nach der Operation aufstehen lassen, wenn wir uns des Sprengel-
sdien Wechselschnittes bedienen, während bei den Spätoperierten
häufig die notwendige Drainage ein langes Krankenlager, Bauchbrüche
und Nachoperationen bedingt.
Hieß bei den entzündlichen Erkrankungen der Adnexe die Devise:
„Ruhe ist die erste Bürgerpflicht“, hier sollte unser Wahlspruch
lauten: „Die beste Verteidigung ist der Angriff“.
Der Mastdarm steht in den engsten Beziehungen zum Oenital-
traktus. Schon der totale Dammriß zwingt uns, seine Kontinuität
wieder zu vereinigen. Die häufigen Mastdarmscheidenfisteln, die
die Frauen selbst und die Sonde des Arztes leicht diagnostizieren
können, bedürfen alle operativer Behandlung, um geheilt zu werden.
Aber auch andere Erkrankungen des Mastdarms, wie die Fis¬
suren und die Hämorrhoiden, hängen eng mit den Stauungsvorgängen
zusammen, die sich fast physiologisch während der Schwangerschaft,
besonders bei schnell aufeinander folgenden Geburten, im Plexus
haemorrhoidalis abspielen. Zu all dem kommt bei der Frau eine
durch falsche Gewöhnung außerordentlich verbreitete Obstipation,
die wir bei dem Manne, in dem Umfang wenigstens, nicht kennen.
Die Verdünnung der Haut durch Hämorrhoidalknoten läßt durch
harte Kotmassen leicht Ulzerationen entstehen, wir haben die Fis*
sura ani vor uns. Die Diagnose ist leicht, wenn man die Be¬
schwerden der Patientinnen berücksichtigt: Bald nach der Defäkation
setzen sehr unangenehme, die Patientin an jeder Beschäftigung hin¬
dernde Schmerzen ein, die erst ganz allmählich abklingen. Betrachtet
man den sehr empfindlichen Analring genauer, so findet man oft nur
eine kleine, radiär gestellte Rhagade mit oberflächlidiem Geschwür¬
zerfall.
Therapie: Die Behandlung auf operativem Wege führt so
schnell zum Ziele, daß sie der exspektativen, fraglichen mit Abführ¬
mitteln und Oelklistieren vor der Defäkation vorzuziehen ist. Man
dehnt im Aetherrausch mit zwei eingeführten Zeigefingern den Sphink¬
ter kräftig und führt alsdann mit dem Thermokauter einen Strich
in der Richtung der Rhagade aus. Da man bei jeder solchen Rhagade
an Tuberkulose zu denken hat, empfiehlt sich auch aus diesem
Grunde die Verschorfungstherapie. Etwas Morphium, blande Diät
und Abführmittel stellen die einfache Nachbehandlung dar.
Die Hämorrhoiden hat man je nach der Lokalisation in
externe und interne Knoten zu scheiden. Die ersteren sind mit Haut
überkleidet und stammen als Varixknoten vom Plexus haemorrhoi¬
dalis inferior; die internen sind unter der Schleimhaut gelegen und
in Verbindung mit dem Plexus haemorrhoidalis superior. Die Be¬
schwerden sind wechselnd, oft gar nicht empfunden, oft als lästiges
Leiden, besonders, wenn Entzündungen und Blutungen auftreten, so
stark, daß sie den Frauen jede Lebensfreude nehmen.
Diagnose: Man läßt durch starkes Pressen die Hämorrhoiden
gut hervortreten. Man vergesse aber niemals, in jedem Falle rektal
zu untersuchen, da sich hinter den Hämorrhoiden ein Mastdarm¬
karzinom verbergen kann.
Therapie: In den leichten Fällen werden eine Kissinger- oder
Karlsbaderkur, Sitzbäder, Adrenalin-Pantopon, Anusolsuppositorien zum
Ziele führen. In den übrigen Fällen ist die operative Therapie am
Platze. f
Bei allen entzündlichen Erkrankungen des Geuitalrohres kann es
im weiteren Verlauf zu einer Entzündung des den Mastdarm umgeben¬
den Gewebes kommen, wir haben das Bild der Periproktitis vor
uns. Die Diagnose ist sowohl bei der tiefsitzenden, wie bei der
im Becken raum oberhalb des Diaphragma pelvis lokalisierten Peri-
roktitis leicht, wenn man die Anamnese berücksichtigt und rektal
ntersucht. Man fühlt dann im ersten Stadium eine derbe Infiltration,
in der das Mastdannrohr wie eingemauert zu sitzen scheint, später
kurz vor dem Durchbruch des Eiters deutliche Fluktuation.
Die Behandlung kann nur die Operation sein.
Das Mastdarmkarzinom ist so häufig vertreten (4ofo aller Karzi¬
nome), daß der Praktiker in jedem auch nur verdächtigen Falle an
dasselbe denken sollte, um so mehr, als es, besonders bei hohem Sitz,
ebensowenig wie das Uteruskarzinom, zu Beginn Schmerzen verursacht.
Bei jedem, auch dem geringsten, Blutabgang, oft wird er bei
Frauen (Menstruation) übersehen, ist kategorisch eine Rektalunter¬
suchung zu fordern. Dann fühlt man leicht die Geschwulst oder
tastet ein kleines, kraterförmiges Geschwür. Wenn bei hochsitzen¬
dem, gerade für die Fingerspitze noch erreichbarem Tumor die
Wände der Ampulla recti auseinanderklaffen, statt wie in der Norm
aufeinanderzuliegen, so ist dieses für uns eine wichtige Forderung,
die weitere Untersuchung mit dem Rektoskop vorzunehmen.
Therapie: Da gerade beim Mastdarmkarzinom die Röntgen¬
therapie versagt hat, so ist die Radikaloperation, die noch nach
10 Jahren eine Heilungsziffer von 12,8o/o, nach 3 Jahren eine solche
von 32,5 o/o (Kuttne^ auf weist, dringend notwendig.
In neuester Zeit hat die Beziehung der Flexora slgmoidalis zu
den weiblichen Sexualorganen an Bedeutung gewonnen; auch diese
Beziehungen zu kennen, ist gerade für den Praktiker von Interesse.
Die bei Kindern besonders lange Flexur pflegt auch bei der Frau
länger zu sein als beim Manne, d. n. dem kindlichen Zustand ähnlich
zu bleiben. Bei allen Formen der Obstipation, deren Häufigkeit bei
der Frau wir schon erwähnten, kann die hierbei auftretende venöse
Stase schwere Dysmenorrhöen, Menorrhagien und Fluor bedingen.
An den Ovarien kann diese vom Intestinaltraktus ausgehende venöse
Hyperämie schmerzhafte Schwellungen hervorrufen.
Aber nicht nur venöse Schwellungen können auf diesem Wege
die Adnexe befallen, sondern auch schwer entzündliche Veränderungen.
Ausgedehnte Exsudatbildungen, von der Flexur ausgehend, in das kleine
Becken sich herabsenkend, die auch die Adnexe in Mitleidenschaft
ziehen, sind beschrieben worden, aber immerhin selten. Aber Adnex-
ericrankungen, die von einer Sigmoiditis ihren Ausgangspunkt
Digitized by LjOi »öle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
326
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 10
nehmen, sind nicht allzu selten zu beobachten. Dazu muß man die
Symptome einer akuten Sigmoiditis kennen, die bei chronischer
Obstipation in plötzlich auftretenden heftigen Schmerzen in der linken
Unterbauchgegend, dem Situs der Flexur entsprechend, sich bemerk¬
bar machen. Außerdem tritt eine Temperatursteigerung bis zu 39°,
gelegentlich Erbrechen und starke Abgeschlagenneit auf. Objektiv
findet man nur eine ausgesprochene, umschriebene Druckempfindlich¬
keit an der bezeichneten Stelle links, nicht selten läßt sich die
Flexur als wurstförmiger Tumor palpieren. Abgesehen von allen
übrigen Tatsachen der bimanueüen Tastung, läßt sich eine Fehldia¬
gnose von Adnextumor, Pelveoperitonitis, ja Appendizitis dadurch
vermeiden, daß nach gründlicher Entleerung (Rizinus und Klistier) die
Symptome ebenso schnell zu vergehen pflegen, wie sie gekommen
sind. Schwierig werden die Verhältnisse, wenn die Flexur, wie im
Falle der Sigmoiditis exsudativa von Nassauer, auf der rechten
Seite gelegen ist.
Ich selbst habe in der Inauguraldissertation von Erdmann 1919
13 Fälle von linkseitigen Adnextumoren zusammenstellen lassen, deren
Ausgangspunkt eine chronische Sigmoiditis war. Für diese, wenn man
darauf aaltet, durchaus nicht seltenen Fälle habe ich den Namen
Salpingo-oophoritis sigmoidalis vorgeschlagen. Bei ein¬
seitig, links gelegenen Adnexentzündungeil hat man nach Ausschluß
aller anderen Infektionsmöglichkeiten stets an diese Erkrankuug zu
denken, deren Therapie und Heilung, wie leicht ersichtlich, in der
richtigen Diagnose gelegen ist.
Im allgemeinen wird bei der Behandlung der Frauenleiden auf das
Funktionieren des Darmes zu wenig Wert gelegt, und doch lassen sich
manche Krankheiten, wie wir sahen, aus diesem einen Punkte durch
eine Kissinger- oder Karlsbaderkur vorzüglich heilen.
Schließlich müssen wir der Enteroptose der Frau noch wenige
kurze Worte widmen,» besonders soweit sie den Magen und die
Niere betrifft. Wir wissen, daß gerade durch häufige Geburten bei
schlechter Bauchpflege diese Erschlaffungszustände der inneren Organe
entstehen. Außerdem erinnere man sich daran, daß bei Frauen auch
der nicht gesenkte Magen 1—2 Querfinger breit unter der Nabelhöhe
steht. Sobald man einen Verdacht auf Gastroptose hat, soll man
sie durch ein Röntgenbild feststellen. Als Unikum sei ein Fall er¬
wähnt, der kürzlich mit Genitalbeschwerden zu mir kam und bei dem
ich bei der Palpation ein plätscherndes und gurrendes Geräusch an
dem Uterusfundus, der zweifingerbreit oberhalb der Symphyse ventro-
fixiert war, feststellen konnte. Röntgenaufnahme. Es zeigte sich, daß
die große Kurvatur des Magens am Uterusfundus adhärent war. Die
Ausfährung der Gastropexie machte die Frau beschwerdefrei.
Ebenso macht die Wanderniere erhebliche, oft von den
Frauen auf das Genitale gedeutete Beschwerden. Man denke daran,
daß man die Niere bei normalem Sitz nicht palpieren kann, die Wander¬
niere hingegen ist palpabel, druckempfindlich und leicht verschiebbar.
Am besten spricht man von nur deszendierter Niere, wenn man nur
den unteren Pol und die untere Hälfte fühlen kann, von Wanderniere,
wenn das ganze Organ zu tasten ist.
Bei allen diesen Fällen von Enteroptose werden wir zunächst
versuchen, durch Mastkuren und Bandagen, die oft hochgradigen,
auch nervösen Beschwerden zu beseitigen, nur im Notfälle uns zur
Operation entschließen. Sie legen uns aber die Pflicht auf, nach den
Entbindungen der Frauen nicht nur aus kosmetischen Rücksichten,
sondern auch aus den eben geschilderten Gründen, für eine gute
Rückbildung der Bauchdecken zu sorgen. Da die meisten Wickel¬
binden diesen Zweck nicht erfüllen, habe ich von dem Medizinischen
Warenhause, A.-G., Karlstr. 31, in Anlehnung an die indische Gurita
eine spezielle Wochenbinde herstellen lassen, die sich auch für die
Behandlung der enteroptotischen Zustände eignet.
Oeffentliches Gesundheitswesen.
Der neue Gesetzentwurf zur Bekämpfung der
Geschlechtskrankheiten.
Von Prof. E. Galewsky in Dresden.
In dem neuen Entwurf interessiert uns Aerzte insbesondere das
Behandlungsrecht und die Behandlungspflicht sowie die
damit zusammenhängende Aufklärungspflicht der Aerzte, das Kur¬
pfuschereiverbot, die Anzeigepflicht und die Aenderung
der Reglementierung bzw. die Abschaffung der Reglementierung
im alten Sinne.
Ira neuen Gesetz tritt vor allen Dingen der Wunsch zutage,
jedem Kranken ein Behandlungs recht zu schaffen, ihm aber dabei
gleichzeitig die Behandlungs pflicht aufzuerlegen. Zu diesem Zwecke
sollen die öffentlichen Beratungsstellen der Landesversiche-
rungsanstalten weiter ausgebaut und durch Ausführungsbestimmungen
ihr Aufgabenkreis geregelt werden, um damit allen Nicht- und Wenig-
bemittelten, aber auch den in Deutschland sich aufhaltenden unbemittel¬
ten Ausländern die Möglichkeit und das Recht zur Heilung zu geben.
Diesem Behandlungs recht steht die Behandlungspflicht gegenüber.
Wer geschlechtskrank ist, hat nach dem Gesetz die Pflicht, sich von
einem für das Deutsche Reich approbierten Arzt be¬
handeln zu lassen. Für minderjährige Pflegebefohlene haben die
Angehörigen usw. zu sorgen. Es soll damit federn Kranken die
Möglichkeit gegeben werden, sich bis zum Ende seiner Erkrankung
behandeln und beobachten zu lassen. Er hat dadurch aber auch die
Pflicht, sich heilen zu lassen. Infolgedessen kann die zuständige
Gesundheitsbehörde verlangen, daß Personen, die dringend verdäch¬
tig sind, geschlechtskrank zu sein und die Geschlechtskrankheit weiter
zu verbreiten, entweder ein Zeugnis über ihren Gesundheitszustand
vorlegen oder sich der Untersuchung durch einen beamteten Arzt
unterziehen. Diese Zeugnisse können auf Antrag des untersuchen¬
den Arztes öfters verlangt werden, falls der Gesundheitszustand der
Erkrankten es notwendig erscheinen läßt. Ansteckende Kranke, die
verdächtig sind, die Geschlechtskrankheiten weiter zu verbreiten,
können zwangsweise in ein Krankenhaus verbracht und einem Heil¬
verfahren unterworfen werden, wenn der Verdacht besteht, daß sie
aus der Behandlung wegbleiben und andere infizieren. Gleichzeitig
wird der Infizierende, wenn er an einer Geschlechtskrankheit leidet
und dies weiß oder den Umständen nach annehmen muß, mit Ge¬
fängnis bis zu drei Jahren bestraft. Unter Umständen kann auch
eine härtere Strafe eintreten. Bei Ehegatten tritt die Verfolgung
nur auf Antrag ein.
Damit jeder Erkrankte weiß, daß er an einer ansteckenden
Krankheit leidet, werden wir Aerzte verpflichtet werden, jedem Pa¬
tienten beim Beginn der Behandlung ein Belehrungsmerkblatt zu
geben, und bei der Entlassung ein ebensolches Entlassungsmerkblatt.
Minderjährigen Kranken soll die Aufklärung und Belehrung durch
die dazu verpflichteten Angehörigen (Vormünder usw.) zuteil werden.
Dadurch hofft man, die Erkenntnis über die Geschlechtskrankheiten
im Volke weiter zu verbreiten, das Gewissen der Kranken zu schärfen
und sie auf die Gefahren der Uebertragung und ihre Strafbarkeit
derselben hinzuweisen.
Wünschenswert wäre es nach meiner Ueberzeugung, daß der
Arzt den Kranken bei der Entlassung aus der Behandlung auch
noch ein Merkblatt mitgeben könnte, aus welchem ersichtlich ist, wie
der Geheilte sich vor weiterer Ansteckung zu schützen hat. Die
Belehrungspflicht ist ja bereits in Schweden eingeführt und hat
sich dort anscheinend gut bewährt. Man hofft, daß auch bei uns
dieser neue Weg, der ja für die Aerzte eine neue Belastung an Schreib¬
arbeit mit sich bringt, von Erfolg sein wird. Die Belenrungsmerk-
Wätter sind so eingerichtet, daß sie gleichzeitig für Statistik mit
verwendet werden können.
Dagegen gebührt besonderes Interesse dem § 5, der die Be¬
handlung von Geschlechtskrankheiten und Krankheiten oder Leiden
der Geschlechtsorgane nur den für das Deutsche Reich approbierten
Aerzten gestattet. Auch die Fernbehandlung ist verboten; die Strafe
trifft nicht nur den Kurpfuscher, sondern auch den Arzt, der sich
zur Behandlung dieser Krankheiten in unlauterer Weise anbietet.
Als ein weiterer Fortschritt ist mit Dank zu begrüßen, daß die
Ankündigung oder Anpreisung von Mitteln zur Heilung oder Linde¬
rung von Geschlechtskrankheiten an Aerzte oder Apotheker oder' an
Personen, die mit diesen Mitteln erlaubterweise Handel treiben,
straflos bleibt, daß dagegen nur die öffentliche Anpreisung und
jede Art und Weise, die imstande ist, öffentliches Aergernis zu er¬
regen, bestraft wird. Damit ist den Reklameanpreisungen von Mitteln
zur schnellen Heilung von Geschlechtskrankheiten, wie sie ja heute
den Hauptbestandteil der Annoncen vieler Zeitschriften bildet, der
Boden entzogen. Alle diese Mittel und Gegenstände dürfen nur in
ärztlichen oder Fachschriften angeboten werden.
Der Vollständigkeit halber muß ich auch noch die Strafen er¬
wähnen, die denjenigen treffen, der wissentlich ein geschlechtskrankes
Kind in Pflege gibt, ohne die Pflegeeltern von der Krankheit des
Kindes in Kenntnis zu setzen, wer ferner syphilitische Kinder zum
Stillen an gesunde Frauen weitergibt usw. usw. Straflos bleibt selbst¬
verständlich das Stillen oder Stillenlassen eines syphilitischen Kindes
durch eine selbst an Syphilis leidende Person. Auch der Amme wird
auferlegt, sich ein Gesundheitszeugnis ausstellen zu lassen, und dem
Dienstherrn, der eine Amme in sein Haus nimmt, sich davon zu
überzeugen, daß die Amme im Besitze eines solchen Zeugnisses ist.
Ganz besondere Bedeutung für uns Aerzte haben, wie ich bereits
im Anfang mitteilte, die Anzeigepflicht der Geschlechtskrank¬
heiten und die Aenderung der Reglementierung. Um mit dem
letzteren Punkte anzufangen, so wird, wie im preußischen Entwurf,
so auch im Reichsgesetzentwurf die alte Reglementierung verlassen.
Ich kann als Referent diesen Standpunkt nur auf das Wärmste als
den richtigen empfehlen. Die polizeiliche Ueberwachung der Pro¬
stituierten ist seit fahren in Holland, Norwegen, in der Schweiz
und in England abgeschafft, in Dänemark wurde sie 1906, in
Schweden 1919 aufgehoben. Auch in diesen Ländern hat die Auf¬
hebung der Reglementierung Bedenken hervorgerufen und im An¬
fang viele Gegner gehabt. Man kann aber jetzt sagen, daß die
Abschaffung der Reglementierung diesen Ländern absolut keine Ver¬
schlechterung der hygienischen Verhältnisse gebracht hat, und um
diese allein handelt es sich ja für uns als Aerzte. Interessant ist
hier besonders, daß die Schwedische Aerztekommission, die aus den
hervorragendsten Fachärzten des Landes bestand und die den Ge¬
setzentwurf vorbereitete, zu Beginn ihrer Tätigkeit aus Anhängern
der Reglementierung bestand, daß sie aber alle, je länger sie sich
mit der Frage beschäftigten, sich zur gegenteiligen Meinung be-
kehrten und dann, als sie ihr Votum abgaben, mit einer einzigen
Ausnahme die Abschaffung der Reglementierung verlangten. Dies
würde wahrscheinlich auch bei uns der Fall sein, wenn sich jeder
einmal sehr eingehend mit dieser Frage beschäftigen würde. Mit der
bisherigen Reglementierung sind wir ja eigentlich — wie Blaschke
Digitized b'
Google
Original from
CORNELL UNSVERSSTY
tO. März 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
327
sagt — alle nicht zufrieden gewesen. Uns alten Reglementaristen
— auch ich gehörte in meiner lugend dazu — leistete sie zu wenig,
da sie zu viele Fehlerquellen aufwies. Die Abolitionisten, insbesondere
die Frauen, waren aus ethischen und moralischen Gründen und als
Vertreterinnen ihres Geschlechtes dagegen. Es ist ja auch ganz klar,
daß die überwachte und reglementierte Prostitution den unter Kon¬
trolle stehenden Mädchen durch die Untersuchung den Anschein
verlieh, als ob sie gesund seien, und ihnen so gewissermaßen den
Gesundheitsstempel der Behörde dem Volke gegenüber aufdrückte,
während die Kontrolle dies in Wirklichkeit nicht leisten konnte. Dazu
kam, daß allmählich die reglementierte Prostitution durch die Ent¬
wicklung der Industrie, durch den Ueberschuß an Frauen, die Ar¬
beitslosigkeit usw. immer mehr an Zahl zurücktrat gegenüber der
geheimen Prostitution. Wenn wir in Dresden nur 250 reglementierte
Prostituierte haben, wenn die Zahl der eingeschriebenen Mädchen
in Stuttgart (zirka 22) und in Frankfurt sehr gering ist gegenüber
den vielen Hunderten und Tausenden von geheimen Prostituierten,
so kann die Aufhebung der Reglementierung sicherlich nicht von
Nachteil in gesundheitlicher Bedeutung sein. Man denke an Berlin
und Paris: Eine wie geringe Rolle spielt in diesen Städten die regle¬
mentierte Prostitution gegenüber aer unendlichen Zahl geheimer
Prostituierter.
Das neue Gesetz will nun im Prinzip erstmalig den Versuch
machen, alle Kranken aufzugreifen und der Behandlung zuzu¬
führen, die sich der Prostitution ergeben und dadurch gemeingefähr¬
lich sind.
Dieser verminderten polizeilichen Ueberwachung soll eine ver¬
stärkte sanitäre gegenüberstehen. Personen, die sich der Prostitution
gewerbsmäßig hingeben, sollen keine Einschränkung ihrer persön¬
lichen Freiheit mehr erleiden, wie sie bisher in allen größeren
Städten die polizeiliche Kontrolle vorschrieb. Sie sollen einer ärzt¬
lichen Ueberwachung unterzogen werden, wenn sie krank sind, nicht
mehr einer polizeilichen. Die Polizei soll nur dann in ihre Rechte
treten, wenn die Mädchen sich der sanitären Ueberwachung ent¬
ziehen und als Ansteckungsquellen weiter infektiös wirken.
Um beide Geschlechter gleichzustellen, sollen auch ebenso Män¬
ner, wenn sie ansteckend und gemeingefährlich sind, genau wie die
Frauen der ärztlichen Ueberwachung anheimfallen.
Es ist ganz zweifellos, daß wir damit die Prostitution nicht auf-
heben werden. Aber das neue Gesetz will — und damit muß jeder
Menschenfreund übereinstimmen — die Klasse der gewerbsmäßigen
Prostituierten, die unglückseligsten Geschöpfe, die es gibt, aus der Welt
schaffen und diese Mädchen in eine höhere Menschenklasse empor¬
heben. Ich verkenne dabei nicht, daß die Schwierigkeiten namentlich
in der Uebergangszeit sehr groß sein werden. Denn aus den alten
Prostituierten wird man wenig brauchbare Menschen machen können.
Ebenso verkenne ich nicht, daß ein großer Teil der unter Kontrolle
stehenden Prostituierten geistig minder begabte Geschöpfe sind und
stets völlig in der Hand entweder von Zuhältern oder von sie aus¬
nutzenden Männern und Frauen bleiben werden. Vom gesund¬
heitlichen Standpunkt aus aber, der sich um das Zuhältertum und
ähnliche Fragen nicht zu kümmern hat, muß man sagen, daß die
Aufhebung der Reglementierung bei uns genau so wenig wie in den
anderen Staaten einen irgendwie bemerklichen Einfluß ausüben wird..
Schon jetzt ist in den Städten, die Bordelle hatten, und in denen,
die keine hatten, ein Unterschied nicht zu konstatieren. Ebensowenig
wird dies auch nach Durchführung des neuen Gesetzes der Fall
sein (wie in Christiania, Stockholm usw.). Dagegen wird selbstver¬
ständlich die Polizei als Reserve nicht zu entbehren sein. Sie muß
zur Hand sein, um Schamlosigkeiten zu verhüten, um gegen Per¬
sonen, die öffentlich in einer Sitte und Anstand verletzenden Weise
zur Unzucht auffordern oder sich anbieten, vorzugehen. Sie muß
ferner zur Hand sein, um der sanitären Kontrolle zur Durchführung
zu verhelfen.
Zur Aenderung der bisherigen Gesetze, zur Aufhebung der Re¬
glementierung gehört selbstverständlich, daß der berüchtigte § 180
des Strafgesetzbuches, der Kuppeleiparagraph, fällt. Dieser Paragraph
enthält infolgedessen im neuen StGB, folgenden 2. Absatz:
„Das Gewähren von Wohnung an Personen, die das 18. Lebens¬
jahr vollendet haben, wird auf Grund des Absatz 1 nur dann bestraft,
wenn damit ein Ausbeuten der Person, der die Wohnung gewährt ist,
oder ein Anwerben oder Anhalten dieser Person zur Unzucht ver¬
bunden ist“
Durch diesen neuen Paragraphen, der schon lange von den
Richtern gewünscht wird, ist eine Klage wegen Kuppelei nur dann
möglich, wenn der Mieter ausgenutzt wird oder die Vermietung an
Minderjährige erfolgt usw. usw.
Die Aenderung dieses Gesetzes kann natürlich nur von Segen sein,
wenn damit verbunden ist die Fürsorge fürdie Jugendlichen,
insbesondere für die Frauen, die der Prostitution bereits halb und
halb verfallen sind und aus den Armen der Prostitution gerettet
werden sollen. Wir brauchen also dann Pflegeheime und Fürsorge¬
ämter, welche die seit längerer Zeit bestehenden christlichen An¬
stalten ergänzen und ersetzen sollen. Insbesondere brauchen wir
Pflegeämter zur Ueberwachung der jugendlichen, sich auf abschüs¬
siger Bahn befindenden Mädchen, Pflegeheime für die aus dem
Krankenhaus Entlassenen, damit sie nicht der Prostitution sofert
wieder anheim fallen, und Heime zum Aufenthalt für die Jugend¬
lichen bis man sie in geeignete Stellen unterbringen kann. Solche
DfiraJheime und Pflegeämter sind z. B. in Dresden bereits in die
Wege geleitet und London hat Pflegeheime (Hostels) in vorbild¬
licher Weise eingerichtet, in denen Mädchen für 40 Schillinge die
Woche solange Wohnung und Verpflegung finden, bis sie in Stel¬
lungen Unterkommen. Zu dieser Fürsorge gehört weiterhin, daß
die geschlechtskranken Mädchen im Krankenhaus zu einer Tätigkeit
angehalten werden, die ihnen etwas Geld einbringt, sodaß sie beim
Verlassen des Krankenhauses eine kleine Summe in der Hand haben,
um sich für die erste Zeit in einem derartigen Pflegeheim aufhalten
zu können.
Die Schwierigkeit liegt selbstverständlich in unserem verschul¬
deten Lande darin, die Mittel für alle diese Projekte aufzubringen.
Inwieweit es möglich sein wird, hier Neues zu schaffen, müssen wir
dahingestellt sein lassen.
Der neue Gesetzentwurf, wie er in dem Quarcksehen Buche 1 )
geschildert ist, die Umänderung der Reglementierung scheint in
der letzten Zeit verschiedenen Umarbeitungen wieder unterzogen
worden zu sein. Wenn auch noch nichts Genaueres darüber ver¬
lautet, so steht doch zu befürchten, daß die Reglementaristen wieder
Einfluß gewinnen und in diesen Entwurf Möglichkeiten hineinbringen,
welche die alte Reglementierung in irgendeiner Form wieder ein¬
führen. Es wäre sehr zu wünschen, daß die zuständigen Instanzen hart
bleiben gegenüber diesen Versuchen, den Entwurf vom Jahre 1920,
der einen ausgezeichneten Kompromiß darstellt, abzuändem.
Der zweite, für uns Aerzte ganz besonders wichtige Punkt be¬
trifft die vielumstrittene Anzeigepflicht. Der §7 des neuen
Gesetzentwurfes lautet:
„Wer eine Person, die an einer mit Ansteckungsgefahr ver¬
bundenen Geschlechtskrankheit leidet, ärztlich behandelt, hat der in
§ 13 bezeichneten Beratungsstelle Anzeige zu erstatten, wenn der
Kranke sich der ärztlichen Behandlung entzieht oder wenn er andere
infolge seines Berufes oder seiner persönlichen Verhältnisse be¬
sonders gefährdet.
Kommt der Kranke den Anweisungen der Beratungsstelle nicht
nach, so hat diese der in § 13 bezeichneten Gesundheitsbehörde
Anzeige zu machen/'
Es ist klar, daß sich über die Anzeigepflicht wahrscheinlich
ein heftiger Kampf erheben wird. Auf der einen Seite stehen die
Erfahrungen aller Länder, die neue Gesetze auf diesem Gebiete ge¬
macht haben, die Erfahrungen der deutschen Hautspezialisten und
der Aerzteschaft überhaupt, auf der anderen Seite eine kleine Gruppe
von Theoretikern, Rassenhygienikern und Fanatikern, die die offi¬
zielle namentliche Meldepflicht verlangen. Wir alle, die wir in der
Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten groß geworden sind, genau
wie die Kollegen der nordischen Staaten, sind davon überzeugt, daß
ein himmelweiter Unterschied besteht zwischen den anderen Infek¬
tionskrankheiten und den Geschlechtskrankheiten. Bei den anderen
Infektionskrankheiten kommt es darauf an, entweder den betreffenden
Kranken im infektiösen Sinne unschädlich zu machen, d. h. zum Bei¬
spiel einen Cholerakranken zu isolieren oder dafür zu sorgen, daß der
Diphtheriekranke als Bazillenträger nicht weiter infizierend wirkt, d. h.
die Umgebung vor der Infektion durch diesen Kranken zu schützen,
weil diese Kranken wollend oder nichtwollend infizieren. Der Ge¬
schlechtskranke infiziert aber bis zur Heilung nur, wenn er will,
niemals wider seinen Willen.
Nun gibt cs drei Arten der Meldung. Gegen cfie erste, namen¬
lose Meldung, die nur statistische Zwecke verfolgt, haben wir
Aerzte nichts einzuwenden. Sie wird schon durch das dazugehörige
Merkblatt, wenn es jeder ausfüllt, gewährleistet. Sie hat keine Hei¬
lungszwecke, dient nur der Statistik und bringt höchstens dem Arzt
eine ziemliche Schreibarbeit, macht dem Reiche Kosten und liefert
ihm dafür eine Statistik.
Die namentliche Meldung aber wünscht eine Namens¬
meldung an ein Gesundheitsamt, um jeden Kranken zu erfassen, ganz
einerlei ob es nötig ist oder nicht nötig ist, ihn zu melden.
Wie denkt man sich die Namensmeldung in Berlin, wenn man
nicht von jedem Kranken verlangt, daß er seinen Einwohnermelde-
scheiu in die Sprechstunde des Arztes mitbringt, und noch die
Garantie, daß dieser Schein der richtige ist? Würde dieses Gesetz
eingeführt, so würden wir erstens in Deutschland bei diesen Mel¬
dungen 10 000 mehr Müllers, Meyers, Lehmanns und Kohns haben
als die wirklichen Einwohnerlisten sie aufweisen, denn jeder Ge¬
schlechtskranke würde sich einen beliebigen Namen für diese Mel¬
dung beilegen, wir würden zweitens eine große Reihe unehrlicher
Aerzte bekommen, die gegen erhöhtes Honorar den Namen ver¬
schweigen, und drittens würden wir die Kranken in die Apotheken
und zu den Kurpfuschern treiben (oder sie sich mit alten Rezepten
von Freunden behandeln lassen). Der Effekt der namentlichen Mel¬
dung wäre also eine falsche Statistik, enorme Kosten für das Reich,
eine Abwanderung der Kranken von den Aerzten und eine schlechte
Heilung; also Ergebnisse, die wir doch ins Gegenteil wenden wollen.
Wie denkt man sich ferner das Aufhören der Meldung bzw. die
Heilungsmeldung? Wann ist der Gonorrhoiker geheilt, wann ist der
Syphilitiker geheilt, bzw. wann ist er nicht mehr ansteckend? So¬
lange die Geschlechtskrankheiten noch mit einem gewissen Odium
verbunden sind, solange jeder Geschlechtskranke seinen Namen mög¬
lichst zu verschweigen sich bemüht, solange es junge Mädchen
geben wird, die ihren Fehltritt möglichst diskret behandelt haben
wollen, solange 30o/ 0 unserer Geschlechtskranken Verheirate sind,
solange ist die namentliche Meldung ein Unfug und eine Grau-
>) Siehe die Besprechung in Nr. 5 S. 174
Digitized b'
Google
Original from
CORNELL UNfVERSITY
328
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
Nr. 10
samkeit, da sie zur Heilung des Kranken nichts beiträgt, sondern
nur diese Heilung erschwert.
Dagegen ist drittens die Meldepflicht an das Gesundheitsamt
oder an die Beratungsstelle aller derjenigen Kranken, die
aus der Behandlung wegbleiben, ein berechtigtes Verlangen,
obgleich auch diese Meldung schon große Schwierigkeiten mit sich
bringt. Ich denke hier an die Geschäftsreisenden, an das große Heer
der Artisten, der Gelegenheitsarbeiter, die bald hier, bald dort beschäf¬
tigt werden usw. usw., ich denke an diejenigen, die z. B. krank werden
und in ihrer Krankheit nicht an den Arzt schreiben können, daß sie
am Kommen verhindert sind, und die dann infolgedessen plötzlich
eine Vorladung bekommen werden. Ich denke dabei an die über¬
lasteten Aerzte, die von früh bis abends arbeiten und dann noch
die Meldungen schreiben sollen. Kurz, die Meldepflicht auf dem
Gebiete der Geschlechtskrankheiten ist eine der schwierigsten Fragen,
die es gibt. '
Was tauschen wir bei der namentlichen Meldepflicht
nun wirklich ein? Wir bekommen eine neue Gesundheitsbehörde
mit Tausenden von Angestellten, mit Millionen von Unkosten, ohne
daß die Heilung der Kranken dadurch eine Förderung erfährt, denn
diese Maßnahmen treffen ja alle Kranken, gleichgültig, ob sie sich
heilen lassen, oder ob sie ungeheilt weiter infizieren, was wir selbst
bei der Meldung in keinem Falle verhindern können.
Aus allem, was ich heute geschildert habe, geht wohl zur Ge¬
nüge hervor, daß das neue Gesetz eine wesentliche Ver¬
besserung unseres bisherigen darstellt, daß es ein
Kompromißvorschlag im besten Sinne des Wortes ist.
Hoffen wir, daß es so durchgeht, wie der Entwurf aus dem Jahre
1920 in dem Quarcksehen Buche veröffentlicht ist. Insbesondere
wäre zu wünschen, daß nicht wieder reglementaristische Bestrebungen
in den Entwurf hineinkommen, denn die Zeit der Reglementierung
ist nun einmal für immer vorbei. Sie hatte vielleicht eine Berechti¬
gung, als man noch alle Prostituierten einsperren konnte. Heute
spielt die Zahl der Reglementierten eine so minimale Rolle gegen¬
über der Gesamtprostitution, daß die Polizei tatsächlich andere Auf¬
gaben hat, als sich um diese verschwindend kleine Zahl zu kümmern.
Inwieweit es bei unserer Finanzlage möglich sein wird, die
neuen Wege auszubauen, will ich dahingestellt sein lassen, aber
sie müssen beschritten werden, wie es ja in den anderen Ländern
bereits der Fall war.
Neue Arzneimittel, Spezialitäten und Geheimmittel.
52.
Santoveronifl der Chemischen Fabrik Kayser & Co., Braunschweig,
ist laut Prospekt ein „hochkompliziertes Benzolderivat, Azoverbindung,
wasserunlöslich; einzige chemische Verbindung, die gegen Würmer
aller Art zuverlässig wirkt; frei von Nebenwirkungen“. Dosis 0,05 g
3mal täglich. —■ Bodinus untersuchte eine Probe des Präparats
und fand dabei zunächst, daß es sich in Wasser teilweise löste.
Durch ziemlich einfache Maßnahmen ließ sich Santoveronin in eine
braungelbe organische Substanz und einen blaugrünen Bestandteil
trennen, der seinerseits Kupfer (als CuO berechnet rund 44 o/o) und
15o/o gebundene Schwefelsäure enthielt. Dieser für die Wirkung
natürlich sehr wesentliche Gehalt an Kupfer ist in der chemisch
wie auch sonst sehr anfechtbaren Deklaration einfach verschwiegen. —
Kupferverbindungen als Wurmmittel sind längst bekannt, und in Form
des Cuprum oxydatum nigrum ist Kupfer früher auch gegen Band¬
würmer verordnet worden. Die Nebenwirkungen des Kupfers, Er¬
brechen und dergleichen, haben aber dazu geführt, diese Medikation
wieder zu verlassen. Auch Santoveronin ist nicht frei von solchen
Nebenwirkungen; wenigstens berichtet Bodinus, daß von 7 Per¬
sonen verschiedenen Aiters, denen er Santoveronin verabreichte, bei
5 starker Brechreiz auftrat. Nach allem dürfte ärztlicherseits gegen¬
über dem Santoveronin, das übrigens trotz seines Namens weder mit
Santonin noch mit Veronal das geringste zu tun hat, größte Zurück¬
haltung und Vorsicht geboten sein.
Die nachfolgenden Präparate wurden auf Veranlassung des Deut¬
schen Apothekervereins im Pharmazeutischen Laboratorium der Uni¬
versität Frankfurt a. M. untersucht.
PanlBreitkreaz-Asthmapnlver (P. Breitkreuz, Berlin SO), als gänz¬
lich unschädlich gegen Asthma, Bronchialkatarrh und starke Erkäl¬
tungen empfohlen, erwiesen sich nach Bauroth lediglich als Ge¬
misch aus rund 82 Teilen Azetylsalizylsäure mit 18 Teilen Rohrzucker;
das Gewicht der einzelnen Pulver schwankte zwischen 0,55 und 0,74 g!
Das'! Gallensteinmittel des Heilkundigen Off ermann zu
Köln besteht nach Rojahn in 300 g eines emodinhaltigen Pflanzen¬
auszuges (in Frage kommen also z. B. Senna, Rhabarber, Cascara
sagraaa u. dgl.), zweitens in 72 g einer Art dünnen Pfefferminztees,
drittens in einem Gemisch von 46 g Rizinusöl mit 31 g einer rot¬
gefärbten wäßrigen Flüssigkeit. Das Mittel entspricht demnach
durchaus dem Typ aller derartigen Präparate: Kombination eines
Abiührmittels mit mehr oder weniger Oel; letzteres wird zum Teil
unverdaut in Gestalt weicher, kugeliger, gallig gefärbter Massen
ausgeschieden, und diese. Kugeln weiten von den Darstellern der
betreffenden Mittel als „erweichte Gallensteine“ ausgegeben.
Jodokaliotabletteojder Barbarossa-Apotheke in Kelbra
am Kvffhäuser sollen nach Angabe des Darstellers je 0,25 g Jodkalium
enthalten. Heilner fand indes nur je 0,2 g Jodkalium darin, neben
0,47 g Natriumbikarbonat und einem indifferenten Bindemittel.
Omefean der Omei jan-G. m. b. H., Bremen, als blut- und
schmerzstillendes Wund- und Desinfektionsmittel empfohlen, soll als
wesentlichen Bestandteil Natriumboroformiat von der Formel CB0 7 H 8 Na
enthalten und durch Abspaltung von naszierender Ameisensäure wirken.
Heilner stellte demgegenüber fest, daß das Präparat neben 8 O 0 /Ö
Bolus und etwas Feuchtigkeit allerdings Natriumrormiat und auch
Borsäure enthielt, aber nicht im äquivalenten, jener Formel ent¬
sprechenden Verhältnis; nach ihm wäre der im Omeisan enthaltene
wirksame Bestandteil chemisch richtiger mit H 3 B 0 3 -f HCOONa
2 H 2 0 zu formulieren.
Ufa-Bohnen von Dr. Kramer & Co., Frankfurt a. M., als
Mittel gegen Blutarmut empfohlen, sollen künstliches Roncegno-Quell-
salz enthalten und mit Zucker überzogen sein. Die Untersuchung
ergab, daß die eiförmigen Pillen aus einer gleichmäßigen Masse
angefertigt und nachher rot gefärbt waren; ihr Einzelgewicht schwankte
zwischen 0,6 und 0,75 g. Sie enthielten als Grundmasse Zucker;
nachweisbar waren ferner Zitronensäure und in jeder Pille etwa
1,4 mg Eisen in wasserlöslicher Form, vermutlich als Ferrum sulfuricum,
und 0,02 mg Arsen, entsprechend etwas über 3 mg As*0 5 .
Roncegno-Wasser enthält nun mindestens 0,067 g As 2 0 5 im Liter;
eine Uga-Bohne würde also knapp 10 Tropfen des Wassers, und der
Inhalt einer Schachtel von 65—70 Pillen zu 11 Mark etwa 2 Eßlöffeln
des Wassers entsprechen. Als zweckmäßiger Ersatz des Roncegno-
Wassers sind also die Uga-Bohnen keineswegs zu bezeichnen.
Zernik (Wilmersdorf).
Stan desan?ele?enheiteh.
Verhandlungen der Berlin-Brandenburgischen
Aerztekammer.
Von S. Alexander in Berlin.
Am 28.1. hielt die Aerztekammer für die Provinz Bran¬
denburg und den Stadtkreis Berlin ihre Jahrestagung ab.
Eine Fülle für den Stand im allgemeinen und für die Kollegen des
Kammerbezirkes wichtigen Fragen stand zur Erörterung und fand
eine würdige, großzügige Bearbeitung. Stellt doch die Berliner
Kammer mit ihren 99 Mitgliedern und ebensoviel Stellvertretern, die
fast vollzählig erschienen waren, ein ärztliches Parlament dar, das
nicht nur an Zahl, sondern auch hinsichtlich der Bewertung der Mit¬
glieder — abgesehen von den Praktikern ist die medizinische Wissen¬
schaft gut vertreten — Bedeutung verdient. Die gedruckt vorliegen¬
den Berichte über die Tätigkeit des Vorstandes und der Kammer¬
einrichtungen sind an sich schon geeignet, das Interesse der Standes¬
genossen wachzurufen. Wie ausgiebig die Tätigkeit des Vorstan¬
des sich gestaltete, geht daraus hervor, daß 2006 Ein- und Aus¬
gänge im Berichtsjahre zu bearbeiten waren. Von wichtigen Ange¬
legenheiten seien erwähnt: die Auskunft stelle. Sie dient dazu,
den Kollegen Auskünfte in ärztlich-wirtschaftlichen und Standesfragen
zu erteilen, sie wurde von etwa 500 Kollegen benutzt. Für Kohlen-
zusatzkarten und Beschaffung von Arzt Wohnungen wurde
der Vorstand vielfach in Anspruch genommen.
In der Frage der preußischen Gebührenordnung hatte
der Minister für Volkswohlfahrt das Ersuchen an den Aerztekamraer-
ausschuß gerichtet, Anregungen über eine neue Fassung ihm zu über¬
mitteln. Hierauf ist vom Kammerausschuß folgende, vom Vorstande der
Berliner Kammer verfaßte Eingabe erfolgt:
Auf den Erlaß vom 28. X. I. M. I. 2823 beehrt sich der Aus*
schuß der Preußischen Aerztekammern Folgendes zu erwidern:
Der Ausschuß der Preußischen Aerztekammern hat zunächst die
Frage erörtert, ob unter den gegenwärtigen Verhältnissen überhaupt
der Erlaß einer neuen staatlichen Gebührenordnung nach Ablauf der
jetzigen erforderlich oder zu empfehlen sei. Die sprunghafte Steige¬
rung der Geldentwertung hat innerhalb kurzer Fristen auf allen
Gebieten immer wieder zu neuen Festsetzungen der Löhne und Oe-
hälter geführt. Die gleiche Notwendigkeit hat sich in der Praxis
für die ärztlichen Forderungen zwangsläufig ergeben, obwohl deren
Steigerung in keiner Weise der allgemeinen Teuerung gefolgt ist.
Eine staatliche Gebührenordnung, die naturgemäß immer für eine
ewisse Dauer Geltung haben muß, würde daher bei weiterem
inken des Geldwertes durch die Entwicklung unter Umständen
schon in kurzer Zeit überholt werden, wie es z. B. bei der jetzigen
bereits bei ihrem Erscheinen tatsächlich der Fall gewesen ist. Auf
der anderen Seite bildet für die freie Praxis die Vereinbarung zwischen
Arzt und Kranken die Grundlage für die ärztlichen Forderungen. Im
Streitfälle könnte bei Fehlen einer staatlichen Gebührenordnung ein
Gutachten berufener Stellen dem Richter die notwendigen Unter¬
lagen für die Urteilsfindung geben. Für die Honorare der Aerzte
aus ihren Beziehungen zu den Krankenkassen und anderen Ver¬
sicherungsträgern ist die vertragliche Vereinbarung das Maßgebende.
Die Erfahrung zeigt, daß auf allen Gebieten am besten und leichtesten
auf dem Wege des Tarifvertrages die Anpassung des Entgeltes an
die jeweiligen Verhältnisse geregelt werden kann. Das Ministerium
erkennt dies selbst dadurch an, daß es vor Erlaß einer neuen Ge¬
bührenordnung eine Verständigung zwischen Aerzten und Versiche¬
rungsträgern für wünschenswert hält. Unter diesen Umständen konnte
auf eine staatliche Gebührenordnung ohne wesentliche Nachteile
überhaupt verzichtet und alles übrige der Vereinbarung zwischen den
Beteiligten überlassen werden.
Digitized by Google
Original fro-m
CORNELL UNiVERSITY
10. März 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
329
Will man jedoch an dem Grundsatz einer staatlichen Gebühren¬
ordnung auch unter den gegenwärtigen Verhältnissen festhalten, so
muß die Möglichkeit der leichten Anpassung an den jeweiligen Geld¬
wert geschaffen werden, indem von Zeit zu Zeit entsprechende Zu¬
schläge zu den Grundbeträgen festgesetzt werden, und zwar auf sämt¬
liche Positionen und sowohl auf die Mindest- wie auf die Höchstsätze.
Da die gegenwärtige Gebührenordnung bereits seit ihrem Er¬
scheinen überholt ist, bitten wir das Ministerium zunächst für den
Rest ihrer Geltungsdauer einen Zuschlag von 200% durch Verordnung
festsetzen zu wollen. Dies erscheint uns um so notwendiger, als
schon in der jetzigen Gebührenordnung die Sätze für die Sonder-
leistungen, die durch den Schiedsspruch Tür die Krankenkassen bereits
im Sommer 1920 auf 150% Zuschlag zu den Mindestsätzen der
früheren Gebührenordnung festgesetzt worden waren, großenteils
weit hinter diesen Erhöhungen zurückgeblieben sind. Die gegen¬
wärtigen Mindestsätze decken großenteils nicht oder kaum die Un¬
kosten des Arztes. Der Ausschuß der Preußischen Aerztekammern
gestattet sich darauf hinzuweisen, daß auch während des Krieges
Erhöhungen von Sätzen der Gebührenordnung im Verordriungswege
erfolgt sind.
Bezüglich des Termins für die Einreichung von Vorschlägen be¬
merkt der Ausschuß, daß innerhalb der gestellten Frist die Ein¬
reichung von Vorschlägen, insbesondere im Einvernehmen mit den
Versicherungsträgern, unmöglich ist. Bei der Bedeutung der Frage
für die Aerzte erscheint es auch notwendig, daß nicht nur der
Aerztekammerausschuß und evtl, die Vorstände der einzelnen Aerzte-
kammem, sondern diese selbst Zeit und Gelegenheit zur Stellung¬
nahme erhalten. Die gesamte Gebührenordnung bedarf auch einer
gründlichen formellen und materiellen Neubearbeitung, die inner¬
halb so kurzer Zeit nicht geleistet werden kann.
Falls nach dem eingangs Dargelegten an dem Grundsatz einer
staatlichen Gebührenordnung nach Ablauf der gegenwärtigen fest¬
gehalten werden sollte, so würde es der Ausschuß für das zweck¬
mäßigste halten, die gegenwärtige Gebührenordnung unter Abände¬
rung einzelner besonders unterbewerteter Positionen für eine weitere
zu bestimmende Frist, etwa bis 1. X. 1922, mit entsprechenden zeit¬
gemäßen Gesamtzuschlägen in Kraft zu belassen und in der Zwischen¬
zeit die Vorarbeiten für eine neue Gebührenordnung vornehmen
zu lassen.
Der Ausschuß gestattet sich jedoch schon jetzt darauf hinzu¬
weisen, daß die Aerzteschaft unter allen Umständen auf der Be¬
seitigung der Bestimmungen des § 2 .bestehen muß, welche von der
Aerzteschaft allgemein nicht anerkannt und, ohne infolgedessen
praktischen Wert zu besitzen, nur geeignet sind, eine ständige Ver¬
ärgerung zu schaffen.
Der Ausschuß der Preußischen Aerztekammern.
Der Vorsitzende: Dr. Stöter, Geh. San.-Rat.
Durch gemeinsamen Beschluß des Kammervorstandes und des
Vorstandes des Groß-Berliner Aerztebundes wurden die Privat-
honorare für Berlin erhöht, und zwar für die Beratung in der
Sprechstunde auf nicht unter 20 Mark, für den Besuch im Hause
des Kranken auf nicht unter 30 Mark, dementsprechend höhere Sätze
für die übrigen Leistungen. (Ueber eine weitere Erhöhung s. u.)
Die Landesversicherungsanstalt Berlin hat das Honorar für
ein Gutachten auf 25 Mark ehöht.
Die Frage der Erweiterung der jetzigen Vermittlungsstelle
des Geschäftsausschusses der Berliner ärztlichen Standesvereine zu
einem ärztlichen Arbeitsnachweis hat den Vorstand wiederholt be¬
schäftigt und zu Verhandlungen mit der Gemeinde Berlin geführt,
die noch nicht abgeschlossen sind. Die Behandlung der Kriegs¬
hinterbliebenen und Flüchtlinge, für die die Stadt Berlin mit
der Kammer einen Vertrag geschlossen hatte, mußte gekündigt
werden, weil die Gemeinde die Erhöhung der Honorare nicht zu¬
billigte. (Unterdessen ist eine neue Vereinbarung erfolgt.) Die
Reichs- und Staatsbesteuerung der Aerzte war Gegenstand wieder¬
holter Verhandlungen mit den zuständigen Finanzstellen und von
Eingaben an den Reichstag.
Recht lehrreich, besonders in Hinblick auf die Anträge der
Radikalen an den preußischen Landtag behufs Abschaffung des Ge¬
setzes über die Ehrengerichte, ist der Bericht über die Tätigkeit
des Ehrengerichts im Kammerbezirke. Sowohl die Anträge auf
Bestrafungen wie diese selbst haben zugenommen. Als Ursachen
der Bestrafung seien hier nur genannt: Anpreisen der ärztlichen
Tätigkeit in der Tagespresse, Abhaltung von Sprechstunden an ver¬
schiedenen Orten, Ausstellung ärztlicher Zeugnisse unter grober Ver¬
letzung der Sorgfaltspflicht, Ausstellung unrichtiger Rechnungen
gegenüber einer Krankenkasse, geschäftliche Reklame, sittliche Ver¬
gehen, Beleidigung von Kollegen, Verkauf der Praxis. Man ersieht
hieraus, daß, abgesehen von Vergehen gegen die Standesgepflogen¬
heiten, doch auch eine Reihe gemeinschädlicher Vergehen zur Be¬
handlung gelangte, daß also auch die Bedeutung des Ehrengerichts
für die Allgemeinheit nicht zu unterschätzen ist.
Die Tätigkeit der Berliner Vertragskommission hat sich,
nachdem die Regelung der kassenärztlichen Verhältnisse auf den
Groß-Berliner Aerztebund und seine wirtschaftliche Abteilung über¬
gegangen ist, auf die Neuordnung der vertraglichen Beziehungen
mit Behörden und sozialen Organisationen erstreckt. Gewicht ge¬
legt wurde in allen diesen Fällen, außer der Erfüllung der wirt¬
schaftlichen Bedürfnisse, auf die Gewährung der ideellen Erforder¬
nisse des Standes: Einsetzung paritätischer Schiedsinstanzen, Rege¬
lung der Dienstordnungen im Sinne der Gleichberechtigung u. dgl. m.
So wurden vermittelt Vereinbarungen der Gefängnisärzte, der Aerzte
der Sittenpolizei, der Sozialärzte, der Aerzte an Krankenhäusern
und Kliniken, insbesondere der Assistenten und Volontäre.
Von besonderer Wichtigkeit ist die Kassenverwaltung der
Kammer, einschließlich ihrer besonderen Einrichtungen, der Unter¬
stützungskasse, der Darlehnskasse und des im losen Zusammenhang
stehenden Kuratoriums für Kriegsentschädigung Groß-Berliner Aerzte.
Die großen Aufgaben, die der Kammer obliegen, kosten Geld, und
die Aufbringung der Mittel ist, trotz möglichster Sparsamkeit, mit
bedeutenden Schwierigkeiten verknüpft. Einnahme und Ausgabe ba-
lanzierten im Geschäftsjahre, abgesehen von durchlaufenden Posten,
mit 366520 Mark, und diese sind zum größten Teil durch Beiträge
von 5225 Aerzten vereinnahmt worden. Abweichend von der Ver¬
anlagung der meisten Aerztekammern, erfolgt seit dem Jahre 1904
die Veranlagung der Aerzte des Kammerbezirkes unter Zugrunde¬
legung der staatlichen preußischen Einkommensteuer. Der Modus
war gerecht, denn er belastete einen jeden nach Maßgabe seines
Einkommens, und er war durchführbar, da der Kammer die Einsicht
in die Steuerlisten gestattet war. Als aber die Einkommensteuer¬
veranlagung auf das Reich überging und bis vor kurzem ins Stocken
geriet, war der Weg versperrt, und man mußte sich, unter Zu¬
stimmung der Aufsichtsbehörde, mit dem Steuersatz des Jahres 1919
mittels eines angemessenen Zuschlages behelfen. Unter den Aus-
aben nimmt, abgesehen von den beträchtlichen Verwaltungskosten,
er Beitrag an die Unterstützungskasse mit 110000 Mark die
erste Stelle ein. Die Unterstützungskasse ist das Schoßkind nicht
nur der Aerztekammer, sondern aller ärztlichen Vereine und Kol¬
legen des Kammerbezirkes. Sie ist nicht allein von der Kammer
reich dotiert, sondern erfreut sich eines reichlichen freiwilligen Zu¬
schusses, der im Geschäftsjahre rund etwa 100000 Mark beträgt
Dazu kommt noch ein der Aerztekammer übermittelter, für Unter¬
stützungszwecke bestimmter Nachlaß von 120000 Mark, dessen Zinsen
vorläufig noch nicht verfügbar sind. Die Unterstützungskasse besitzt
nicht weniger als 10 Sonderstiftungen für verschiedene Wohlfahrts¬
zwecke. Aber trotz der Einnahmen von 291200 Mark, von denen
allerdings ein Teil thesauriert werden mußte, war die Kasse nur
in der Lage, unzeitgemäße Unterstützungen zu gewähren. Unter¬
stützt wurden 32 Aerzte, 134 Arztwitwen, 32 andere Hinterbliebene.
Verausgabt wurden 143757 Mark, die höchste Unterstützungssumme
betrug für einen Arzt 4050 Mark, für eine Witwe 1650 Mark, für
andere Hinterbliebene je 1050 Mark. Dieses Ergebnis ist nicht glän¬
zend, verdient aber die höchste Anerkennung in Anbetracht der Frei¬
willigkeit der Oaben. Die Kasse ist sich völlig klar darüber, daß das
Unterstützungswesen nur einen Notbehelf darstellt und daß das er¬
strebenswerte Ziel eine Zwangsversicherung ist, die mit Aussicht
auf Erfolg vor kurzem von dem Groß-Berliner Aerztebunde für die
Kassenärzte eingeleitet worden ist.
Einer besonderen Erwähnung bedarf eine Sammlung von Geld¬
mitteln, die unter der Aegide der Aerztekammer im Kriegsjahr 1915
in Angriff genommen worden ist, um Aerzten Groß-Berlins, die durch
den Krieg finanziell geschädigt worden sind, den Wiederaufbau
ihrer Praxis zu ermöglichen. An der Sammlung beteiligten sich die
Aerztekammer, die Kassenärzte Groß-Berlins, die sich einen Abzug
von ihrem Kassenhonorar gefallen ließen, und eine große Zahl
Privatärzte. Die .Gesamteinnahmen in den Jahren 1915—1921 be¬
trugen 1463517, die Gesamtausgaben 473138 Mark; das noch vor¬
handene Vermögen beziffert sich, unter Einrechnung des Kursver¬
lustes, auf noch 775301 Mark. Da eine Verwendung des Vermögens
zu dem ursprünglichen Zwecke nicht mehr in Aussicht steht, hat
das an der Spitze stehende Kuratorium der Kammer vorgeschlagen,
die weitere Verwaltung zu übernehmen und die Zinsen des Ver¬
mögens dauernd für Wohlfahrtszwecke zugunsten der Berliner
Aerzte zu verwenden. Die Kammer hat hierzu ihre Zustimmung
erteilt.
Der Voranschlag für das laufende Geschäftsjahr weist eine
gewaltige Steigerung aller Ausgaben auf, die mit 631439 Mark die
des Jahres 1921 um 100o/ 0 übertrifft. Die Beamtengehälter, die nach
dem staatlichen Besoldungsplan geregelt sind, die sachlichen Ver¬
waltungskosten und die Erhöhung des Beitrages an die Unter¬
stützungskasse auf 150000 Mark sind die Hauptquellen der Steigerung.
Um die Deckung zu erzielen, mußten die Beiträge der Aerzte des
Kammerbezirks um nahezu 100o/o erhöht werden, wobei auch dies¬
mal wieder der Steuersatz des Jahres 1919 zur Grundlage diente.
Zur Veranlagung werden voraussichtlich 5300 Aerzte herangezogen
werden.
Ueber die sonstigen Verhandlungen der Sitzung kann nur
in einigen wenigen Strichen berichtet werden. Um die Privat¬
honorare mit dem rapide sinkenden Geldwerte einigermaßen in
Einklang zu bringen, beschloß die Kammer die Herabsetzung der
Mindestgebühr für die Beratung auf 25 Mark, für den Besuch auf
40 Mark. Die übrigen Gebührensätze erfuhren eine dementsprechende
Steigerung. Allgemeine Entrüstung erfuhr die Mitteilung der Kün¬
digung von 13 Schulärzten in einem Bezirke Berlins, die neben¬
amtlich tätig waren und im Hauptamt anzustellenden fristlos Platz
machen sollen. Die Kammer geißelte dieses unsoziale Verfahren in
einer geharnischten Resolution. Ueber Steuerfragen, insbeson¬
dere die Gewerbe- und Umsatzsteuer, berichtete der anerkannte Sach¬
verständige Kollege Joachim. In einem großangelegten Vortrage be-
Difitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
330
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
leuchtete sodann Herr Ministerialdirektor a. D. Kirchner die durch
den Krieg herbeigef üh rten gesundheitlichen Schäden
und gab Fingerzeige für die Beseitigung einiger Mißstände. Besonders
beherzigenswert erschien seine Mahnung, die alte, bewährte Ein¬
richtung der Hausärzte neu aufzubauen und damit vorbeugend
für die individuelle Gesundheitspflege zu wirken. Zum Schluß er¬
stattete Herr Moll einen eingehenden Bericht über Berufsbe¬
ratung und Berufseignung. Er betonte die Notwendigkeit der
Mitwirkung der Aerzte bei der Ausführung dieses sozialen Ge¬
dankens und warnte davor, die Ausführung auf die technische Seite
zu beschränken und sie Laien zu überlassen. Allerdings müßten die
Aerzte für die einschlägigen Aufgaben vorgebildet sein. Zu diesem
Berufe wird das Seminar für soziale Medizin in Berlin im
März d. J. einen Lehrzyklus über Arzt und Berufsberatung veran¬
stalten.
In toto eine Fülle von Aussprachen und Anregungen, nutzbringend
nicht nur für die Interessen des Standes, sondern auch für die öffent¬
liche Wohlfahrt.
Arznelmlttelkommissloii der Deutschen Gesellschaft
für Innere Medizin, unterstützt vom Deutschen
Aerzteverelnsbund.
Bericht über die Sitzung vom 3.1. 1922 in Würzburg.
(Anwesend: Gottlieb, Heffter, Holste, Penzoldt, v. Romberg,
Spatz, Stintzing.)
Der Vorsitzende (Penzoldt) gab eine Uebersicht über die
frühere Tätigkeit der A.-K. Zur Bekämpfung der überhandnehmen¬
den Schäden des Arzneimittelwesens wurde die A.-K. 1911 vom Kon¬
greß für Innere Medizin gegründet. Als Ideal schwebte ihr der
Council on Pharmacy and Chimistry of the American Medical Asso¬
ciation vor. Für deutsche Verhältnisse fehlten ihr jedoch Vorbilder
und vor allem größere Geldmittel. Mit dem Mangel eines Vorbildes
sind wohl auch manche Fehler, die unleugbar im Anfang gemacht
wurden, zu entschuldigen. Mit dem Fehlen genügender Mittel hängt
es zusammen, daß sich die A.-K. zunächst auf die Bekämpfung der
reklamehaften und irreführenden Anpreisungen u. ä. beschränkte. Diese
mit viel Arbeit in zahlreichen schriftlichen und mündlichen Beratungen
durchgeführten Bestrebungen, die in Gestalt der Arzneimittellisten
in die Oeffentlichkeit traten, stießen in den beteiligten Kreisen viel¬
fach auf Gleichgültigkeit, noch mehr aber auf ausgesprochene Feind¬
seligkeit, welch letztere sich zu heftigen Angriffen in der Presse
una sogar zu gerichtlichen Klageandrohungen steigerten. Es fehlte
aber auch nicht an Zustimmung, insbesondere seitens der ärztlichen
Verbände. Es gelang der A.-K. hervorragende konsultierende Mit¬
glieder zu gewinnen. Vor allem wurde eine Verständigung mit den
besonders interessierten Vereinigungen (dem Verband der chemischen
Großindustrie, den pharmazeutischen Fabriken, den Verlegern der
medizinischen Fachpresse) teils erreicht, teils angebahnt. Der Erfolg
war eine wesentliche Verbesserung des Anzeige¬
wesens.
Nur die Regierungen verhielten sich gegen den Gedanken einer
Prüfungsstelle für Arzneimittel vollständig ablehnend.
Während des Krieges haben verschiedene Generalkommandos
erfreulicherweise Verfügungen nach den Grundsätzen der A.-K. zum
Schutze der Kranken getroffen. Die Tätigkeit der A.-K. ruhte während
des Krieges. Herbst 1919 nahm infolge der erneut und erhöht her¬
vortretenden Schäden des Arzeinmittelwesens die A.-K. ihre Arbeit
wieder auf. Damals wurde beschlossen, im Aufträge der A.-K. ver¬
faßte aufklärende Veröffentlichungen über neuere Arznei¬
mittel der Fachpresse zur Verfügung zu stellen. Um eine Aus-
kun.f tsstelle und womöglich eine Prüfungsstelle für Arznei¬
mittel einzurichten, wandte sich die A.-K. an die deutschen Aerzte
um Beiträge. Die Sammlung ergab leider nur eine Summe, mit der
die Einrichtung und der Betrieb der Auskunftsstelle nicht länger als
ein Jahr möglich ist.
Deshalb wurde am 3. I. 1922, entsprechend dem Anträge des
Geschäftsführers (Holste, Jena) der Beschluß gefaßt: Die A.-K.,
deren Benennung in dem oben stehenden Sinne ergänzt wird, soll
sich an die deutsche Aerzteschaft mit der Bitte wenden, 60000 M.
im Jahre ihr zur Verfügung zu stellen. Nur so sei es möglich,
die Attskuuf tsstelle im Betrieb zu erhalten. Wenn jeder Arzt
jährlich den geringen Beitrag von 2 M. geben würde, so wäre die
Auskunftsstellc gesichert. Bei dieser kann sich jeder Arzt Belehrung
über die ihm unbekannten Arzneimittel u. ä. kostenlos holen. Diese
Auskunftsstellc, wie die Arbeiten der A.-K. überhaupt, sind von
großem Werte für den ärztlichen Stand, den auf der wissenschaft¬
lichen Höhe auch in der Arzneimittelbehandluug zu erhalten eine
hohe Aufgabe ist, sowie auch für das Wohl der Kranken, die vor
schädlichen und wertlosen Mitteln zu schützen jedem Arzte am
Herzen liegen muß. Eine größere Zahl von aufklärenden Veröffent¬
lichungen in den medizinischen Zeitschriften ist für die nächste Zeit
in Aussicht genommen worden. Die Gründung einer chemischen,
pharmakologischen und therapeutischen Prüfungsstelle soll, wenn
auch dafür die Mittel zu bekommen sein sollten, im Auge behalten
werden.
Nr. 10
Die Kaiser Wilhelms-Akademie für das ärztlich-soziale
Versicherungswesen.
Von Dr. Qrabowsld in Berlin.
Die alte Kaiser Wilhelms-Akademie für das militärärztliche Bil¬
dungswesen hatte sich nach ihrer Entmilitarisierung auf einen völlig
neuen Wirkungskreis einzustellen. Sie veränderte zunächst ihren
Namen und wurde eine wissenschaftliche Zentrale für das ärztlich¬
soziale Versorgungswesen. Hatte sie bis dahin in erster Linie unter¬
richtenden Zwecken gedient, so fiel ihr nun eine ganz andere Aufgabe
zu. Die Studierenden schieden aus, die soziale Versorgung der Kriegs¬
beschädigten mit ihren zahllosen Einzelheiten erforderte eine wissen¬
schaftliche Betrachtung unter einheitlichen Gesichtspunkten. In diesem
neuen Rahmen wurde vieles hinfällig, was bisher eine besondere Auf¬
gabe der Akademie gewesen war. Die altehrwürdigen Sammlungen
mit ihren großen historischen Werten wurden in der veränderten Zeit
gegenstandslos.
Die ruhmreiche Geschichte des Sanitätskorps ist für die Gegen¬
wart vorläufig ohne Interesse. Der unglückliche Ausgang des Krieges
hat es mit sich gebracht, daß man möglichst alles beseitigt, was noch
an ihn erinnert. Die kriegschirurgische Sammlung, die
Sammlung der Modelle alter Einrichtungen, welche dem
Verwundeten- und Krankentransport gedient haben, die
wertvollen Moulagen, die Sammlung chirurgischer Instru¬
mente von den Anfängen einer feldärztlichen Tätig-
keit bis zur Gegenwart, die ein großes Stück Geschichte der
Medizin in sich birgt, sie alle fanden in dem nunmehr veränderten
Wirkungskreis der neuen Kaiser Wilhelms-Akademie keinen Platz mehr
Zweifellos wird eine Zeit kommen, in welcher man staunend fragt: Hat
denn für diese außerordentlichen Werte niemand ein Verständnis
gehabt? Doch diese Zeit ist noch nicht da. Alle Einrichtungen haben
nur Bestand, solange sie von den Erfordernissen der Zeit getragen
werden. Gegenwärtig sind jene Sammlungssäle, welche nur der
Historie dienen, für die veränderten Aufgaben der Akademie nicht
mehr von Bedeutung. Um für andre Dinge Raum zu gewinnen, gleich¬
zeitig aber auch zu erhalten, was erhaltbar ist, wurden große Stücke
der Sammlungen einer anderen Bestimmung entgegengeführt. Die
wertvollen chirurgischen Instrumente wurden dem Germanischen
Museum in Nürnberg überwiesen, die prachtvollen Modelle über¬
nimmt das Reichswehrministerium. So verschwinden große Teile der
Sammlungen aus jenem Bau, d$r einst zu ihrer Aufnahme geschaffen
wurde, die herrlichen Räume werden frei für andere Zwecke. Die
für das Versorgungswesen so außerordentlich wichtige Frage der Be¬
schaffung künstlicher Glieder verlangt eine besondere Beachtung
Dieser wird entsprochen durch .eine orthopädische Sammlung,
die einerseits der geschichtlichen Entwicklung Rechnung trägt und
alles enthalten wird, was auf diesem Gebiet in vergangenen Zeiten
geleistet wurde, anderseits soll uns diese Sammlung zu einem Ueber-
blick gereichen über das, was jetzt auf dem Gebiet der Orthopädie
überhaupt leistbar ist. Nicht nur der Arzt soll hier sehen, wie hoch-
entwickelt die moderne Prothesenherstellung gediehen ist, auch der
Kriegsbeschädigte selbst soll Kenntnis nehmen, wie ihm geholfen
werden kann. Weitere Sammlungen werden der Betrachtung der
Tuberkulose sowie der Geschlechtskrankheiten dienen.
Die große, wertvolle Bibliothek, die 90 000 Bände enthält und an
welcher 250 Zeitschriften gehalten werden, ist die größte medi¬
zinische Bibliothek Europas. Sie unterscheidet sich vor allen
andern Einrichtungen ähnlicher Art in vielfacher Hinsicht. In erster
Linie ist sie nicht wie andere Bibliotheken rein örtlich, sondern
dient der Gesamtheit der deutschen Aerzte und
Medizinstudierenden. Für Bücherversand ist Sorge getragen;
sie füllt daher eine vom außendstehenden Praktiker oft bitter empfun¬
dene Lücke aus. Die Bibliothek ist ferner geleitet von Wissenschaft-
hchen Gesichtspunkten. Hierauf ist die ganze Organisation aufgebaut.
Leider muß zur Zeit der Neudruck des schon früher geplanten Kata¬
logs aus Geldmangel unterbleiben. Im Lesezimmer der Bibliothek
liegen die neuesten Nummern sämtlicher medizinischen Zeit-
Schriften aus, auch stehen hier die neu erschienenen Werke zur
allgemeinen Ansicht. Eine größere Handbibliothek, in welcher neben
den bekanntesten großen werken von allen Disziplinen vor allein
die Zentralblätter mit ihren letzten 10 Jahrgängen zu finden sind,
erleichtert dem Besucher die schnelle Orientierung. Eine besondere
Bereicherung erfährt die Bibliothek im Augenblick durch eine Schen¬
kung der Verlagsbuchhandlung Springer. Bekanntlich ist durch unsern
Valutastand der Ankauf ausländischer Literatur fast unmöglich. Es
j besteht 6omit für die deutsche Wissenschaft die Gefahr, die notwendige
; Orientiertheit über die ausländischen Forschungen zu verlieren. Der
Springersche Verlag überweist nun laufend der Kaiser Wilhelms-
Akademie eine große Anzahl ausländischer Zeitschriften, sodaß jetzt
eine Möglichkeit gegeben ist, sich wieder über die Auslandmcdizin
auf dem Laufenden zu erhalten.
.. Laboratorien der Kaiser Wilhelms-Akademie fiel durch
die veränderte Zeit ein anderes Arbeitsgebiet zu. Die vier Abteilungen
(Hygienisch-bakteriologische, Chemische, Pathologisch-anatomische und
Physikalische und Röntgen-Abteilung) erledigen noch eine große
Anzahl laufender Aufgaben für die Kriegsbeschädigtenfiirsorge. In¬
dessen stellt diese Beschäftigung nur einen Teil des Wirkungskreises
dieser Laboratorien dar. Das Deutsche Reich besitzt im Gegensatz
wanderen Staaten noch keine eigentliche Akademie für Arbeitswissen¬
schaft. Was zerstreut an einzelnen Hygienischen Instituten bearbeitet
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNSVERSITV
10. März 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
331
wurde, das geschieht in der Kaiser Wilhelms-Akademie. Hier findet
eine planmäßige Untersuchung des Einflusses der Arbeit auf den
menschlichen Organismus statt. Hier liegt ein unendliches Arbeitsfeld
vor. Wie die D. m. W. 1921 Nr. 36 S. 1071 mitteilte, ist man augenblick¬
lich gerade damit beschäftigt, die Einwirkungen, welche das Porzellan¬
gewerbe auf die Gesundheit der Arbeiter ausübt, in großzügiger Weise
Festzustellen Es ist selbstverständlich, daß derartige Untersuchungen
nur einen Wert besitzen, wenn sie in großem Stil betrieben werden
Wenn man sich bei jedem Versuchstier, bei jeder Röntgenplatte, bei
jeder Petrischale, bei jeder kostspieligen Analyse erst besinnen muß,
ob man mit den vorhandenen Geldmitteln ausreicht, kann etwas
Bedeutendes für die Gesamtheit nicht erzielt werden. Erfreulicher¬
weise zeigt man für dieses neue Arbeitsfeld der Kaiser Wilhelms-
Akademie im Reichsarbeitsministerium das nötige Verständnis, und
besonders dem Staatssekretär Geib rühmt man nach, daß er in weit¬
gehendem Maße das wissenschaftliche Leben und die Forschungs¬
tätigkeit der Akademie zu fördern gewillt ist
Nachdem nun für die Akademie die Zeit des Ueberganges vor¬
über ist, ihre Tätigkeit nicht mehr einseitig dem ärztlich-sozialen
Versorgungswesen gilt, sondern das große Gebiet der Arbeitswissen¬
schaft in Angriff genommen ist, wäre es wünschenswert, daß man
dieser Veränderung auch äußerlich Rechnung trägt. Der Name be¬
dürfte einer Aenderung, die richtige Benennung wäre Kaiser
Wilhelms-Akademie für Arbeitswissenschaft. Auch wäre
jetzt der Zeitpunkt gekommen für eine festere und nützlichere Organi¬
sation der Akademie. Das erweiterte Arbeitsgebiet wird
auf die Dauer nicht von den vier Abteilungsvorständen
allein bewältigt werden können. Hier müßten neue
etatsmäßige Stellen* geschaffen und dadurch dem
schwebenden Zustand ein Ende bereitet werden.
Feuilleton.
Allerlei aus dem Ausland.
Mexiko.
Mexiko, ein Land mit vierfach größerer Fläche, dagegen ebenso¬
vielmal schwächerer Bevölkerung als Deutschland, eine Republik von
27 Staaten, beansprucht unser Interesse schon allein deshalb, weil es,
wie nur so wenige andere Länder, im Weltkrieg dem schweren Druck
unserer Feinde widerstand und uns nicht den Krieg erklärt hat.
Unsere Handelsbeziehungen dorthin sind lebhaft, die Ansiedelungs-
möglichkeiten nicht aussichtsloser als in anderen Tropenländern.
Es ist deshalb wertvoll, von berufener Seite in die gesundheitlichen
Verhältnisse des Landes und in die Organisation der dortigen Gesund¬
heitsbehörden eingeführt zu werden, w'ie es J. J. Izquierao (Mexiko)
in seiner Abhandlung „Public Health Problems in Mexico and their
solution during the last 50years“ (Mexiko 1921, 34 S. mit Abbildungen)
in ungeschminkter, klarer und sachlicher Weise tut.
Die Tätigkeit des Obersten Gesundheitsrates war schon vor 1872
eine allgemeine und weitverzweigte, wurde aber erst damals fester
begrenzt. Von den 10 Mitgliedern w r aren 6 Aerzte, 2 Pharmazeuten
und 2 Veterinäre. Meldepflicht für Geburten und Sterbefälle, Krank¬
heitsstatistik, Nahrungsmittel-, insbesondere Schlachthofaufsicht, auch
einzelne Friedhofsordnungen w'urden eingeführt, nach 1877 folgten
Krankenhaus-, Giftverkehr- und Gewerbeaufsicht. Nach 1885 wurde
die Sanierung der Städte, besonders der Hafenstädte, in die Hand
g enommen, man gründete ein Institut zur Wutbekämpfung und ein
akteriologisches Institut. Der Gesundheitsrat wurde durch einen
Militärarzt und einen Juristen ergänzt. 1894 verbesserte man die
Gesundheitsgesetzgebung durch Aufnahme der internationalen Quaran¬
täne Vorschriften. Endlidi ist 1917 durch eine neue Verfassung der
Gesundheitsrat zu einer Mirtisterialabteilung für öffentliche Gesund¬
heitspflege erhoben werden, die dem Präsidenten direkt untersteht.
Das alte Kollegium erhielt die Rolle eines sachverständigen Beirats.
Die Unterlagen für die statistischen Arbeiten sind anfänglich recht
unsicher gewesen. Die erste Volkszählung in der Stadt Mexiko
fand 1793 statt und ermittelte 112 296 Einwohner. Erst 1890 wurden
326 594 und zuletzt 1910 471066 Einwohner gezählt. Die Sterblich¬
keit dort ist sehr hoch, seit 1902 im Durchschnitt 45,8 °/oo* An erster
Stelle steht dabei die Pneumonie mit 23,15% aller Todesfälle, wohl
begünstigt durch die Lage auf über 2000 m hoher Hochebene mit
plötzlichen Witterungsumschlägen. Niedriger ist die Tuberkulose-
Sterblichkeit, sie nahm in den letzten Jahren zusehends ab.
Fleckfieber herrscht dort endemisch, noch 1915 brach in der
Stadt eine verheerende Epidemie aus, jetzt bekämpft man sehr
energisch und erfolgreich die Verlausung in den verseuchten Stadt¬
teilen. Seit 1520 leidet Mexiko schwer unter den Pocken. Schutz¬
impfung ist nicht obligatorisch, aber die Impfungen, jetzt ausschlie߬
lich mit animaler Lymphe, vermehrten sich. Eine traurige Folge ist
auch hier die Blindheit, deren Stand selbst im Vergleich zu der
durch Ophthalmia neonatorum verursachten noch jetzt bemerkens¬
wert hoch ist; diese ist in 52,58%, jene in 16,21% der Fälle als
Ursache festgestellt (Durchschnitt der Jahreszahlen von 1870—1918).
Die Säuglingssterblichkeit, vorwiegend durch Magendarm¬
katarrhe, ist gleichmäßig recht hoch, etw’a 25% der Gesamtsterblichkeit.
Man unternimmt bisher nichts Besonderes dagegen, hat höchstens
nach französischem Muster eine Babywoche veranstaltet mit Aus¬
stellung, Vorträgen, Flugschriften und anderen Veranstaltungen. Hier
wäre ein dankbares Feld für deutschen Einfluß! — Das Gelbe
Fieber wütete in den Küstenstrichen Mexikos verheerend, besonders
in den Häfen der Ostküste, Veracruz, Progreso und Merida, bis 1903
die methodische Bekämpfung‘der Mücken usw\ einsetzte. Veracruz
ist jetzt gelbfieberfrei, in den beiden anderen Häfen kamen 1907 nur
je zwei Fälle vor! Eine 5monatige kleine Epidemie in Veracruz
wurde 1920 rasch völlig unterdrückt. Die Pest trat 1920, wahr¬
scheinlich aus New-Orleans eingeschleppt, in Veracruz auf (61 Fälle),
später in Tampico. Gegen Rabies wurden in dem 1904 gegrün¬
deten Institut seither mehrere tausend Menschen behandelt. Der all¬
gemeinen Gesundheit der Hauptstadt kam es zugute, daß nach jahr¬
hundertelangen Arbeiten 1900 endlich der Wasserabfluß aus dem
tief eingeschnittenen Tal, in dem sie liegt, durch große Kanal- und
Tunnelbauten geregelt werden konnte. Dieser Wasscrlauf nimmt die
Abwässer der ganzen Stadt mit sich. Schul- und Woh¬
nungshygiene und die Bekämpfung der Geschlechtskrank¬
heiten wie der übertragbaren Krankheiten werden jetzt
nach europäischem und nordamerikanischem Muster auch dort be
trieben. „Es sind bestimmte Verordjiungen erlassen,
um die Registration fremdländischer Aerzte, Zahn¬
ärzte und Apotheker, die von anerkannten U n i v e r s i -
täten approbiert sind, zu erleichtern.“ — Die deutsche
medizinische Wissenschaft sollte es sich angelegen sein lassen, die
Verbindung mit dem aufstrebenden Sanitätsdepartement in Mexiko zu
fördern. Wechselseitige — einstweilen allerdings leider w'ohl nur
einseitig mögliche — persönliche Beziehungen wären zu pflegen.
Mexiko entsendet seine Aerzte an europäische Institute besonders zum
Studium der Tropenkrankheiten. Ein Hygienisches Institut drüben ist
als Mittelpunkt ähnlicher Ausbildung, nebenher aber auch zur Aus¬
bildung in allen Zw-eigen wissenschaftlicher Hygiene, errichtet, vor
allem tür beamtete Aerzte und ihre Hilfskräfte. Der Präsident verfolgt
die Weiterentwicklung der öffentlichen Gesundheitspflege mit grö߬
tem Interesse und fördert sie nach Kräften. Sieveking (Hamburg).
Brief aus Holland.
Die allgemeine wirtschaftliche Mißlage, die jetzt in der ganzen
Welt herrscht, hat natürlich auch uns holländische Aerzte getroffen,
und bis vor kurzer Zeit sah man viele Kollegen, die früher keine
Stunde für sich selbst hatten, ganz gemütlich nach der Sprechstunde
mit Frau und Kindern Spazierengehen. In allerletzter Z.eit hat die
(ziehilich gutartige) Grippeepidemie wieder etwas Beschäftigung ge¬
bracht. In solchen stillen Zeiten ist es ganz angenehm, w r enn es etwas
gibt, eine kleine Skandalgeschichtc oder etwas Aehnliches, welches
Stoff zur Unterhaltung bietet. Ich meine die Typbusepidemie in Zwolle.
Zwolle ist eine Provinzstadt im Osten Hollands. Die Geschichte nun,
die sich in 1921 und nicht etwa im Mittelalter abspielt, ist folgende:
Zwolle hat ein Krankenhaus mit einem Chirurgen und einem Inter¬
nisten, beide bekannte tüchtige Aerzte. Diese behandeln die Kranken,
die keinen Arzt haben. Für die andern Kranken besteht freie Arzt
wähl. Die Direktion des Krankenhauses ist in den Händen nicht
eines Arztes, sondern einer Pflegerin, die sich ganz einfach nicht um
die Aerzte kümmert und tut, was ihr gut dünkt. Im Juli 1921 begann
in Zwolle eine Typhusepidemie; die Ursache war ziemlich rasch
entdeckt, da die Erkrankung nur beobachtet wurde bei Leuten, die
ihre Milch von einem bestimmten Verkäufer bezogen. Die Epidemie
war schon während einiger Zeit erloschen, nur iin Krankenhaus
mehrten sich die Fälle. Es stellte sich nun heraus, daß im Kran¬
kenhaus die elementarsten Regeln der Hygiene außerachtgelassen
wurden. Nur ein Beispiel: Die Frau, die den Boden des Zimmers,
w-o die Nachttöpfe der Typhuskranken aufbewahrt wurden, reinigte,
schöpfte auch Milch aus einem Gefäß, wobei einer der Aerzte
sah, daß sie ihren Daumen in die Milch tauchte. Die Aerzte
beschlossen, die Direktrice zu kontrollieren. Nun w r ar diese Dame
damit natürlich nicht einverstanden. Es war nicht möglich, die
Wünsche der Aerzte ganz und gar zu ignorieren, aber die Direktrice
fing jetzt an zu sabotieren. So wurde von ihr eine Pflegerin an¬
gestellt, die für die Behandlung der Milch verantwortlich war. Sie
nahm aber dazu eine ganz unzuverlässige Pflegerin, die, obschon es
ihr verboten war, immer wieder Besuche in der Typhusabteilung
abstattete.
Die Direktrice nun steht nicht unter den Aerzten. Ueber ihr
steht eine Kommission, bestehend aus einem Theologen (Vorsitzender),
einem Arzt, einem Eisenbahnarbeiter und einer Arbeiterfrau (!!).
Wie man sieht, nicht nur in Deutschland und Oesterreich ist man
demokratisch oder verrückt. Endlich haben alle Aerzte in Zwolle
beschlossen zu protestieren, man hat eine Kommission ernannt, die
nicht zu einer Uebereinstimniung gekommen ist, und das Ende vom
Lied ist bis jetzt, daß sowohl die Direktrice als die Aerzte bleiben ...
bis wieder eine Epidemie ausbricht.
Eine ganz andere Frage ist vor einiger Zeit wieder einmal aktuell
geworden. Die Honorierung der 'Spezialisten in den Krankenkassen
ist im allgemeinen ungenügend. Am schlimmsten ist es aber im Haag,
der dritten Großstadt Hollands. Die Spezialisten haben dort einige
Polikliniken. Die größte Poliklinik, die über ein prächtiges Gebäude
und alle modernen Hilfsmittel verfügt, honoriert die Spezialisten
mit ... nichts. An anderen Polikliniken ist es etwas besser, aber das
Maximum ist doch 2 Gulden pro Kranken und Monat (also, w'enn
man den Wert der Mark als 60 Cent betrachtet, was nur vor dem
Kriege galt, 3,30 Mark pro Monat), aber ich wiederhole . .. das ist
Digitized by
Original from
CORNELL UN1VERSITY
332
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 10
ein Maximum. Endlich haben die Spezialisten beschlossen zu prote¬
stieren. Die Krankenkassen können ganz gut mehr bezahlen, aber sie
stecken das Geld lieber selbst ein. Man wird nun im Haag versuchen,
das ganze Polikliniksystem zu reorganisieren. Es gibt aber eine große
Schwierigkeit. Die zwei größten Kassen haben eine eigene Poli¬
klinik, wo Aerzte für eine fixierte Summe arbeiten. Man fürchtet
also, daß, wenn man den Kranken der anderen Kassen nicht mehr
für nichts oder fast nichts helfen will, sie einfach nach den zwei
anderen Kassen überlaufen werden. Man wird nun versuchen, mit
den anderen Aerzten der zwei obengenannten Polikliniken sich zu
verständigen, um zu einer Uebereinstimmung zu gelangen. Den Erfolg
werden wir abwarten müssen. Sollte es heutzutage noch einen
anderen Beruf geben, dessen Arbeit mit einem „Danke schön!“ (oder
oft auch sogar nicht mit Dank) bezahlt wird? Ich wage es, dies zu
bezweifeln. Wir werden also hoffen, daß, wenn ich meinen folgenden
Brief schreibe, die Haager Spezialisten alle Millionäre geworden sind,
aber ich fürchte, sie sind noch weit vom Ziele, sogar von einer
einigermaßen anständigen Honorierung entfernt.
Kleine Mitteilungen.
-- Berlin. Nachdem die zentralen Tarifverhandlungen
überdie HonorarefürdasJahrl922 zwischen den Kassenhaupt¬
verbänden und den ärztlichen Organisationen zunächst gescheitert sind,
trat am 25. und 26. II. der Beirat des Leipziger Verbandes zu
einer Sitzung in Leipzig zusammen und nahm zu der dadurch ge¬
schaffenen Situation Stellung. Es wurde folgende Entschließung ge¬
faßt: „Der Beirat des Leipziger Verbandes erklärt in seiner Sitzung
vom 25. Februar 1922, daß er grundsätzlich nach wie vor tarifliche
Vereinbarungen zwischen den Hauptverbänden der Kassen und Aerzte
für das geeignetste Mittel zur Herbeiführung geordneter und be¬
friedigender Zustände auf dem Gebiete der reichsgesetzlichen Kranken¬
versicherung hält. Er billigt aber dessenungeachtet ausdrücklich die
Haltung seines Vorstandes, der sich weigert, an Verhandlungen mit
den Vertretern der Kassenhauptverbände über solche Vereinbarungen
teilzunehmen, solange diese den im Zusammenhang mit der Ab¬
lehnung des völlig unannehmbaren Schiedsspruches vom 1. Dezember
1921 gegen den Leipziger Verband öffentlich erhobenen Vorwurf eines
glatten Vertragsbruches aufrecht erhalten (vgl. d. W. Nr. 8, S. 267).
Er erklärt weiter, daß jdie ärztlichen Organisationen bei Mangel zen¬
traler Abmachungen nunmehr auf der unabänderlichen Grundlage^der
zentralen Weisungen bis zum 15. März 1922 in Verhandlungen über
die Bedingungen der kassenärztlichen Tätigkeit im ersten Vierteljahr
1922 eintreten müssen und betont, daß — wenn diese von den Kassen
abgelehnt, oder von amtlichen Stellen verhindert werden, oder zu
keinem befriedigenden Ergebnis im Sinne der heute aufgestellten
Richtlinien führen — die Aerzte gezwungen sind, gemäß § 626 BGB.
nach Ablauf einer Frist von vierzehn Tagen allenthalben in den ver¬
tragslosen Zustand einzutreten, zu dessen Durchführung der
Leipziger Verband alle Mittel seiner Organisation zur Verfügung
stellen wird.“
— Zu Mitgliedern des Reichsschiedsamts (vgl. auch Nr. 3
S. 170) wurden von den Aerzteverbänden gewählt: zu Mitgliedern
Hartmann (Leipzig), Kuhns (Leipzig). Dippe (Leipzig), zu
stellvertretenden Mitgliedern bterfen (Leipzig), Lautsch
(Leipzig-Gohlis), Buchbinder (Leipzig), Schiller (Breslau), Hül-
zer (Köln), Eichelberg (Hedemünden), Franck (Briesen), Nol-
tenius (Bremen), Herzau (Berlin), Mugdan (Berlin), Richter
(Zeitz), Stoeter (Berlin).
— Die Berliner Mikrobiologische Gesellschaft und das Kuratorium
der Hans-Aronson-Stiftung haben in ihrer Festsitzung vom 8. März
den diesjährigen Stiftungspreis an Geh.-Rat J. Morgenroth ver¬
liehen.
— Geh.-Rat Prof. P. Straßmann (Berlin) hat für die not-
leidenden russischen Aerzte infolge des Aufrufs von Prof.
Müh lens in Nr. 5, S. 169, 1000 M. gespendet. Seiner Hoffnung,
daß sich Kollegen, die wie er in Petersburg und Moskau bei russi¬
schen Aerzten Gastfreundschaft genossen, an den Gaben beteiligen
werden, schließen wir uns gern an.
— Geh.-Rat S. Alexander ist anläßlich seines 70. Geburtstages
von der Berliner Medizinischen Gesellschaft am 1. III. zum Ehren¬
mitglied ernannt. In derselben Sitzung wurden zu stellvertretenden
Vorsitzenden die Herren FedorKrause, E.Bumm und L.Henius,
zum geschäftsführenden Schriftführer C. Benda, zu stellvertretenden
Schriftführern Morgenroth, Umber und M. Borchardt, zum
Bibliothekar H. Kohn, zum Schatzmeister Ernst Unger gewählt.
— Am 30 . IV. 10 Uhr vormittags findet in der Universitäts-Augen-
klinik in Breslau eine Zusammenkunft der Augenärzte Schlesiens
und Posens statt.
Am 23. IV. findet eine Versammlung mitteldeut¬
scher Pathologen in Dresden im Hörsaal des Pathologischen
Institutes des Friedrichstädter Krankenhauses statt. Vortragsmel¬
dungen bis 1. IV. an Geh.-Rat Schmorl, Dresden-N. 8.
— An den akademischen Heilanstalten in Kiel werden vom 20. V.— 29 . VII.
d. J. an den Sonnabenden unentgeltlich Fortbildungskurse für Aerzte
in allen klinischen und theoretischen Fächern gehalten. Anfragen an Prof.
Klingmüller, Hautklinik.
— Am 21 . und 22 . IV. wird in Mannheim eine Versammlung der
Südwestdeutschen Pathologen abgehalten, bei der auch Teilnahme von
Klinikern erwünscht ist. Hauptthema: 1 . Lungenemphysem. Referenten-
Loeschcke (Minnheim), Staehelin (Basel). 2. Akute gelbe Atrophie der
Leber. Referenten: Herxheimer (Wiesbaden), Umber (Charlottenburg).
Anfragen usw. an Prosektor Loeschcke, Mannheim, Städtische Kranken¬
anstalten.
— Die diesjährige Jahresversammlung der Gesellschaft Deutscher
Hals-, Nasen- und Ohrenärzte findet am 1 ., 2. und 3 . VI. in Wies¬
baden statt. Anmeldungen von Vorträgen an Prof. Kahler, Freiburg i. B.
Karlstr. 75.
— Die Vereinigung der leitenden Verwaltungsbeamten von
Krankenanstalten Deutschlands hält vom 2. bis 4. VII. d.J. in Wiesbaden
ihren Kongreß ab. Der Tagung geht vom 29 . VI. bis 1 . VII. ein Fortbil¬
dungskursus im städtischen Krankenhause für schon im Amte befindliche
leitende Verwaltungsbeamte voraus.
— Der IV. Karlsbader internationale ärztliche Fortbildungs¬
kursus mit besonderer Berücksichigung der Balneologie und
Balneotherapie findet vom 24.—30. IX. d. J. statt. Auskünfte erteilt der
Geschäftsführer Dr. Edgar Ganz in Karlsbad.
— Pocken. Deutsches Reich (12—18 II.): 1. — Fleckfieber. Deutsches Reich
(12.—18. II. mit Nachträgen): 5ö(l4t). — Genickstarre Deutsches Reich (22-28.1.): 19 .
— Ruhr. Deutsches Reich (22—28. L): 37. — Abdominaltyphus 155.
— Halle. Die Medizinische Fakultät hat Prof. Henker, Ab¬
teilungsleiter der Carl Zeiß-Werke in Jena, zum Ehrendoktor ernannt
— München. Ein Entwurf einer einheitlichen bay¬
rischen Standesgerichtsordnung ist fertiggestellt. — Bei
den Gerichtsgefängnissen in Nürnberg wurde eine psy¬
chiatrische Abteilung eingerichtet; sie wird am 1. IV. 1922 in
Betrieb genommen. Eine weitere psychiatrische Abteilung wird bei
den Strafvollstreckungsgefängnissen München (StadeTheim) im
April eröffnet. Die psychiatrischen Abteilungen sind vorerst nur für
männliche Gefangene bestimmt. Mit der Einrichtung dieser beiden
Abteilungen ist eine von der Gefängniswissenschaft schon längst er¬
hobene, von den Psychiatern lebhaft unterstützte Forderung erfüllt
worden.
— Tilsit. Die Krankenkassen der Kreise Tilsit und Pogegen
erlassen Kassenarztgesuche mit folgender Begründung: „Infolge Un¬
erfüllbarkeit der Forderungen der bisher für die Unterzeich¬
neten Kassen tätigen Aerzte ‘(Bezahlung nach Einzelleistungen, Kon¬
sultation 8 Mark, Besuch 12 Mark, sämtliche Verrichtungen nach
den Mindestsätzen der Gebührenordnung vom 1. IX. 1920 und 50 v.H.
Aufschlag ohne jede Begrenzung!) sehen sich dieselben genötigt,
nunmehr zur Festanstellung von Kassenärzten überzu¬
gehen ..Nach der Reichsindexziffer betragen die Kosten für
den Lebensunterhalt das 22 fache der Friedenssätze, und das 8fache
wagen Kassen Vorstände beim Arzte für eine unerfüllbare For¬
derung zu erklären.
— hochscbulnachrlcbten. Breslau. Priv.-Doz. Kuznitzky,
Primärarzt an der Dermatologischen Abteilung des Städtischen Kran¬
kenhospitals zu Allerheiligen, erhielt die Dienstbezeichnung a. 0 . Pro¬
fessor. — Frankfurt. Dr. Henning, Priv.-Doz. für Psychologie,
erhielt die Dienstbezeichnung a. o. Professor. (Henning ist ein
Enkel Rudolf Virchows.) — Oöttingen. Dr. Robert Meyer-
Bise h, Assistent an der Medizinischen Klinik, hat sich für Innere
Medizin habilitiert. — Hamburg. Dr. Le Blanc hat sich für Innere
Medizin, Dr. Hans Schmidt für Immunitätswissenschaft habilitiert-
Heidelberg. Priv.-Doz. Wetzel, Oberarzt an der Psychiatrischen
Klinik, erhielt die Dienstbezeichnung a. o. Professor. Dr. Klein¬
schmidt, Assistenzarzt an der Chirurgischen Klinik, hat sich habi¬
litiert. — Kiel. Dr. Grütz, Assistenzarzt an der Dermatologischen
Klinik, hat sich habilitiert. — München. Prof. Max Stumpf, früher
Honorarprofessor für Gynäkologie, feiert am 7. III. seinen 70. Geburts¬
tag. Stumpf, ein ehemaliger Assistent von Win ekel, war früher
sehr viel literarisch tätig und hatte sich durch seine Veröffentlichungen
einen angesehenen Namen in Fachkreisen erworben. — Wien. Priv.-
Doz. Haß wurde für die Dauer der Abwesenheit von Hofrat A. Lorenz
mit der Leitung der Orthopädischen Universitätsklinik betraut
Dr. Fuchs und Dr. Bachstez haben sich für Augenheilkunde,
Dr. Walzel für Chirurgie habilitiert.
— Gestorben. Prof. Walter Rüdin, Extraordinarius für Gynäko¬
logie und Oberarzt am Allgemeinen Krankenhause Barmbeck in Ham¬
burg, am 23. II. im 61. Lebensjahr in Hamburg.— Dr. JohannSaphier,
Oberarzt der Universitätsklinik für Haut- und Geschlechtskrankheiten
in München im 37. Lebensjahr.
— I iterarische Neuigkeiten. Eine russische medizinische Zeitschrift
ist unter dem Titel Wratschebnoje Djelo erschienen. Als Herausgeber
zeichnen die Proff. Georgiewskij, Trinklcr und Danilewskij,
Namen von gutem Ruf. Man kann sich nur wundern, daß trotz aller
Not und allem Elend, das in Rußland herrscht, sich Aerzte finden, die
den Mut und die Tatkraft besitzen, wissenschaftlich zu arbeiten und
eine wissenschaftliche Zeitschrift herauszugeben. Die Nummer ist ge¬
schickt zusammengestellt und enthält gute Arbeiten. An der Spitze
steht ein Aufruf „An die Aerzte", in welchem darauf hingewiesen wird,
daß gegenwärtig in Rußland 37 Millionen Menschen hungern.
— Berichtigung. In dem Aufsatz von Glaß Nr. 8 S. 259 f
heißen: Zeile 13: „weshalb“ statt „daher“, — drittletzter Absatz drittletzte |
Zeile: „1 %iger alkoholischer Trypaflavinlösung“ anstatt alkalischer Tr>-
paflavinlösung.
Digitized by Gck igle
Original from
CORUELL UNIVERSITY
LITERATURBERICHT
Redigiert von Prof. Dr. R. von den Velden.
Wir vereinfachen von heute ab die Einteilung des Literaturberichts, und zwar in demselben Sinne wie sie auch in dem Hauptteil
unserer Wochenschrift seit langem durchgeführt ist. Eine zu sehr ins Einzelne gehende Differenzierung entspricht doch nur den Wünschen
des Forschers, steht aber dem Bedürfnis des praktischen Arztes, dem unsere Wochenschrift in erster Linie dienen will, entgegen.
So werden wir verschiedene Gebiete Zusammenlegen, wie z. B. Anatomie und Physiologie, Allgemeine Pathologie und Pathologische Anatomie,
die Krankheiten des Ohres und der oberen Luftwege, unter Hygiene Arbeiten der öffentlichen Gesundheitspflege, der kommunalen und sozialen
Hygiene und unter Sachverständigentätigkeit auch Soziale Medizin, Medizinalstatistik, Versicherungsmedizin usf. bringen, deren Arbeiten häufig nur durch
einen gewissen Zwang getrennt werden können. Der Arzt wird dadurch eine bessere und schnellere Uebersicht erhalten als durch eine ausgeklügelte, auf eine
große Anzahl von Abteilungen und Unterabteilungen ausgehende Scheidung.
Zeitschriften: Klinische Wochenschrift Nr. 5-6. — Münchener medizinische Wochenschrift Nr. 5-6. — Wiener klinische Wochenschrift Nr. 5 . — Wiener medi¬
zinische Wochenschrift Nr. 3-5. —- Therapie der Gegenwart Nr. 1 . — Zentralblatt für Herz- und Gefäßkrankheiten Nr. 21-24. — Zeitschrift für klinische Medizin
Bd. 93 H. 1-3- — Zentralblatt für Chirurgie Nr. 2-3- — Monatsschrift für Kinderheilkunde Bd. 22 H. 3 . — Aerztliche Sachverstandigen-Zeitung Nr. 1-2.
Allgemeines.
♦♦ Rudolf Tischner (München), Einführung in den Okkultis¬
mus und Spiritismus. München, J.F. Bergmann, 1921. 142 S. M.22.
— Rudolf Tischner (München), Ueber Telepathie und Mell¬
sehen. 2. Aufl. München, J. r. Bergmann, 1921. 122 Seiten mit
19 Abbildungen. M. 22.—. Ref.: Prof. Max Dessoir (Berlin).
Das erste Werk behandelt die „Grenzgebiete" (Suggestion, Unter¬
bewußtsein, Hypnose, Wünschelrute usw.) und alsdann innerhalb
des eigentlichen „Okkultismus" auf der einen Seite Telepathie und
Hellsehen, auf der andern Seite Telekinese und Teleplastik; der
Spiritismus — eine bestimmte Deutung der geschilderten Erschei¬
nungen — wird verhältnismäßig kurz abgetan. Tischner ist der
Meinung, daß Vorstellungsübertragung und Hellsehen endgültig fest¬
gestellt seien, und zwar sowohl durch das Experiment als auch durch
eine Reihe von spontanen Vorkommnissen; die sogenannten physika¬
lischen Erscheinungen (Bewegungen nicht berührter Gegenstände, Ma¬
terialisationen usw.) sieht er zum Teil für bewiesen, zum Teil für
wahrscheinlich, zum Teil für zweifelhaft an. Das Urteil der Sachkundigen
ist aber noch so verschieden, daß der Leser die sehr wohlwollende
Auffassung Tischners nur als eine der möglichen Anschauungen be¬
trachten sollte; ich selber z. B. denke über manche Punkte ganz anders
und habe allen Grund dazu. Der Inhalt des zweiten Buches ist wohl noch
so weit bekannt, daß die an diesen Dingen Anteil nehmenden Aerzte
wissen: ihr Kollege Tischner behauptet auf Grund zahlreicher Ver¬
suche, die er mit verschiedenen Personen angestellt hat, es gebe Vor¬
stellungsübertragung, Hellsehen und eine merkwürdige Fähigkeit, im
Anschluß an beliebige, nicht einmal gesehene, sondern nur in der Nähe
befindliche Gegenstände, die Vergangenheit dieser Gegenstände und
die Schicksale der mit ihnen verbundenen Personen zu „schauen".
Verhält es sich wirklich so oder erklären sich die Erfolge aus mangel¬
hafter Beobachtung, aus dem Spiel des Zufalls, aus der Vieldeutigkeit
der Beschreibungen und der ihnen scheinbar entsprechenden Lebens¬
vorgänge? Auf jeden Fall kann gesagt (und dürfte vom Verfasser
kaum bestritten) werden, daß die Methode noch nicht bis zur letzten
Schärfe entwickelt ist und der vollgültige Beweis noch fehlt. Es wäre
durchaus zu begrüßen, wenn Tischner mit immer genaueren Be¬
obachtungen und unter zwingenden Bedingungen weiter forschen wollte.
Allgemeine Pathologie.
J. Kaup (München), Ueber die Norm. M. m. W. Nr. 6. Kritische
Besprechung der zwei bedeutendsten Studien über die Norm in den
letzten Jahren: Brugsch, „Allgemeine Prognostik als Lehre von der
ärztlichen Beurteilung der gesunden und kranken Menschen“, und
Rautmann, „Untersuchungen über die Norm“. Die beiden Mono¬
graphien zugrundeliegende Absicht, feste Anhaltspunkte in Maß, Zahl
und Gewicht für den Begriff des Normaltypus zu finden, deutet die
Hauptaufgabe moderner Konstitutionsforscnung an.
B. Aschner (Wien), Praktische Bedeutung der Lehre vom
Bsbitns und die Renaissance der Hnmoraloattiologle als therapeu¬
tische Konsequenz der Konstitutionslehre. W. kl. W. Nr. 4 u. 5. Der
überaus reichhaltige und anregende Aufsatz bezieht sich lediglich auf
die Konstitution der Frau. Zu Referat ungeeignet.
L. Aschoff, Nomenklatur der Phthise. M. m. W. Nr. 5. Be¬
merkungen zu Marchand, M.m. W. Nr. 1 u. 2. Verfasser tritt für
seinen Vorschlag, die Benennung Tuberkulose durch Phthise zu er¬
setzen, ein, und zwar zur Benennung der Allgemeinkrankheit, nicht
lediglich der Zerstörung der Lungen.
Staub (Basel), Zuckerstoffwechsel des Menschen. Zschr. f. klin. M.
93 H. 1—3. Die wichtigsten Ergebnisse der vorliegenden Arbeit, so¬
wohl die optimale Assimilationsfähigkeit für Traubenzucker, 10 bis
15 Stunden nach einer Kohlenhydratmahlzeit als auch die herabgesetzte
Kohlenhydrattoleranz während der absoluten Inanition, sind einheitlich
durch Wechsel in der spezifischen fermentativen Tätigkeit des Organis¬
mus erklärt und damit der „Hungerdiabetes" verständlicher gemacht.
Vielleicht bilden die gewöhnlichen Nährstoffe Fermente und fördern
so selbst ihre Assimilation. Weiter werden die Ergebnisse von Ver¬
suchen raitgeteilt, in welchen mit Hilfe der Blutzuckerkurven nach
peroraler Zufuhr von 20 g Glukose der Einfluß der Arbeit, längerer
einseitig zusammengesetzter Diätformen und einmaliger bestimmter
Mahlzeit auf den intermediären Stoffwechsel untersucht wird. Diese
Methode der Funktionsprüfung- des Zuckerstoffwechsels erwies sich
auch in diesen Untersuchungen als recht brauchbar.
E. Billigheimer (Frankfurt a. M.), Kalziumspiegel im Blut und
seine Beeinflussung durch verschiedene Gifte. Kl. W. Nr. 6.
Der konstante Blutkalkgehalt (im Mittel 9,4 mg °/ 0 ) und die Herab¬
drückung des Kalkwertes nach Adrenalin sind als gesicherte Tatsachen
zu betrachten. Der verschiedene Grad des Sinkens des Kalkspiegels
nach Adrenalin ist ein Ausdruck für den Grad der Sympathikuserregung
durch Adrenalin. Durch den Sympathikusreiz werden die Ca-Ionen
nach den Arten der Erregungsvorgänge im Nerven geleitet und dadurch
dem Blut entzogen. Bezüglich der Pilokarpinwirkung hegt Verfasser
die Vermutung, daß die Schwankungen im Blutkalkgehalt nach Pilo¬
karpin nicht unbedingt abhängig sind von der beobachteten vorüber-
ehenden Bluteindickung. Nach Atropin blieb der Kalkspiegel am
onstantesten.
Schade (Kiel), Physikochemische Gesetzmäßigkeiten des Harn¬
säurekolloids und der übersättigten Harnsäurelösangen. Zschr. f.
klin. M. 93 H. 1—3. Die Arbeit bringt eine erhebliche Klärung der
Verhältnisse des U-Kolloids sowie der Vorgänge in den U-Uebersätti-
gungen. Die gefundenen Gesetzmäßigkeiten sind geeignet, die Grund¬
lage zu geben, um nunmehr auch den Problemen der Hamsäurelöslich-
keit und -ausfällung im menschlichen Körper näher zu treten. Die
experimentellen Ergebnisse lassen erkennen, wie sehr die Erscheinungen
der Löslichhaltung und der Ausfällung mit dem intermediären Durch¬
laufen der Kolloidstufe in Zusammenhang stehen.
Rohongy und Lax (Budapest), Nitrogen-Retention und Rest-N-
Verteilune in den Geweben bei Niereninsufiizienz. Zschr. f. klin. M.93
H. 1/3. Der Körper kann bei relativer Niereninsuffizienz die N-Aus-
scheidung im Urin bedeutend erhöhen, wenn ihm vorher längerer Zeit
durch N-reiche Kost die Möglichkeit der Anpassung gewährt wurde.
Der RN-Gehalt des Blutes gibt nur den wahren Wert der N-Aus-
scheidung überhaupt an. Der während einer N-Ueberbelastung reti-
nierte N ist auf Blut und Gewebe ganz unregelmäßig verteilt. Normale
Gewebe enthalten etwa lOmal soviel diffusibles N als das Blut. Der
Tod an Urämie kann ohne unmittelbar vorangegangene N-Retention
erfolgen. Die Abnahme der N-Affinität der Zellen scheint das Aus¬
schlaggebende an der Urämie zu sein.
Kimmerle (Hamburg), Vorkommen des Bence-Jonesseben Eiwei߬
körpers. Zschr. f. klin. M. 93 H. 1—3. Daß beim Entstehen des Bence-
Jonesschen Eiweißkörpers eine Systemerkrankung wie die Myelome
indirekt eine Rolle spielt, ist Tatsache. Da die Leukämie ein den
Myelomen nahestehender Prozeß ist, ist das Auftreten dieses Eiwei߬
körpers dabei zu verstehen. Wie und wo er entsteht, ist unsicher.
Sein Auftreten zeigt eine Veränderung im Knochenmark an; in erster
Linie ist an Myelome zu denken. Die Bence-Jonessche Albuminurie
kann bestehen, ohne daß eine Knochenmarkerkrankung nachweisbar
ist, wie ein mitgeteilter Fall zeigt.
Mikroben- und Immunitfltslehre.
K. Kojima (Berlin), Beziehungen des SaprophvUsmus zum Para¬
sitismus bei Bakterien. Kl. W. Nr. 5. Der Welch-Fränkelsche Bazillas
hat zwei verschiedene Lebensläufe, der eine ist saprophytisch, der
andere ist charakterisiert als parasitisch durch Abspaltung eines
spezifischen Antigens (Toxins), gegen welches man immunisieren kann.
Die Entscheidung darüber, welchen Lebenswandel, ob den sapro-
phytischen oder parasitären, dieser Keim einschlägt hängt nur von
dem Nährsubstrat ab, das ihm zur Verfügung steht. Wenn zur Deckung
seiner gesamten Lebensvorgänge genügend Kohlenhydrate vorhanden
sind, ist er Saprophyt, wenn er auch stickstoffhaltiger Produkte zum
Leben und zur Vermehrung bedarf, ist er Parasit.
M. Kochmann und P. Schmidt (Halle), Anaphylaxie bei den
Isolierten Organen des Frosches. Kl. W. Nr. 5. 1. Sessile Rezeptoren
sind am Frosch nicht nachweisbar; 2. im anaphylatoxischen Serum
sind keinerlei gelöste Substanzen vorhanden, die eine Giftwirkung auf
die isolierten rroschorgane entfalten können.
M. Klimmefund H. Haupt (Dresden), Ist das Korynebakterlum
Abortus infectlosi Bang für Menschen pathogen? M. m. W. Nr. 5.
Der Bazillus Bang ist beim Rinde die häufigste Ursache für Fehl¬
geburten, er verursacht eine nekrotisierende Entzündung der Uterus¬
schleimhaut. Der Bazillus erwies sich bei allen untersuchten Tier¬
arten als pathogen. Die Kuhmilch enthält häufig den Bangschen
Bazillus. Vollständig gesunde Landfrauen hatten Fehlgeburten, wenn
der Rinderbestand an ansteckendem Verkalben litt. Es sind Unter¬
suchungen, namentlich auch serologische, notwendig, ob die Keime
auch für den Menschen pathogen sind.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
334
LITERATURBERICHT
Nr. 10
Allgemeine Diagnostik.
F. Karewski (Berlin), Bauchschmerz und seine differentialdiag-
nostische Bewertung bei akuten abdominellen Erkrankungen.
Kl. W. Nr. 6. Wenn ein von den Organen ausgehender Reiz die Reiz¬
schwelle zur Sensibilisierung des Sympathikus erreicht, entsteht eine auf
den Fasern des Sympathikus dem Bewußtsein zugeführte Schmerz¬
empfindung. (Mesenterialschmerz). Jede Irritation des parietalen
Bauchfells, also der spinalen Nervenfasern muß alsbald schmerzhafte
Beschwerden zur Folge haben (Peritonealschmerz). Die Kolik ist reiner
Organschmerz; die Angaben über ihren Sitz korrespondieren oft nicht
mit den eigentlichen Ursprungsstätten (Ganglion coeliacum „Schmerz-
zentrale“ für die Perzeption von Reizzuständen der Organe durch den
Sympathikus). Aetiologisch verwandt mit der Kolik ist der Blähungs¬
schmerz. Der fixe Bauchschmerz ist Ausdruck einer Beteiligung des
parietalen Peritoneums (Rückwirkung auf die Bauchmuskulatur: De¬
fense musculaire). Die Oertlichkeit kann aus den Klagen des Kranken
im besten Falle nur regionär, nicht aber distinkt bezüglich eines be¬
stimmten Organs erkannt werden. Schmerzen im Ueberschneidungs-
ebiet Kulenkampffs können zu Irrtümern über den Ursprung des
eidens Anlaß geben. Zusammenfassend kann man sagen, daß vor¬
sichtige und kritische Analyse der Art des Bauchschmerzes, skeptische
Beurteilung der Angaben des Patienten (über Druckpunkte nur durch Be¬
obachtung des Gesichtsausdrucks, nicht durch Befragen sich verge¬
wissern), vorurteilslose Erwägung über alle Möglichkeiten seiner Her¬
kunft und objektive sorgfältige Kontrolle der Begleiterscheinungen
imstande sind, wichtige Aufschlüsse über die Natur akuter abdomi¬
neller Erkrankungen zu verschaffen.
E. Laganke (Königsberg), Morphologische Bestandteile des Duo-
denalinbaltes und ihre different! aldiagnostische Bedeutung* Kl. W.
Nr. 6. Die von Roth mann-Mannheim angegebene Methode der
morphologischen Untersuchung des Duodenalinhaltes vor und nach
Injektion von Witte-Pepton hat so viele Fehlerquellen, daß ihr ein
wesentlicher differential-diagnostischer Wert nicht zukommt.
Allgemeine Therapie.
A. Ellinger (Frankfurt a. M.), Angriffspunkte der Dioretlka.
Kl. W. Nr. 6. Uebersicht über die Angriffspunkte der Diuretika unter
Zugrundelegung der modernen Theorie Cushnys. Betont wird vor
allem der für die Diurese maßgebende Einfluß der Herabsetzung des
Quellungsdrucks der Serums- und Gewebskolloide durch die ver¬
schiedenen Diuretika.
Döllken und Rudolf Herzger (Leipzig), Proteinkörper und
Reizkörper. M. m. W. Nr. 6. Erste Mitteilung über Giftbindung und
Ueberempfindlichkeit.
R. Hilgermann und Walther Krantz (Saarbrücken), Vakzine¬
therapie. M. m. W. Nr. 6. Neben Beobachtung des Allgemeinbefindens
und der Herdreaktion muß die Vakzinetherapie bei offenen chroni¬
schen Krankheiten durch ständige Ueberwachung des mikroskopischen
Uebersichtsbildes unter dauernder bakteriologischer Kontrolle bleiben.
Das Prinzip der Vakzinetherapie müssen kleinste Dosen sein. Haupt¬
bedingung für erfolgreiche Vakzinetherapie ist die Behandlung mit
Autovakzine, durch die allein die Bildung spezifischer Antikörper er¬
reicht werden kann. Um bei der Vakzinebereitung die Gesamtheit der
möglichst wenig geschädigten Bakterienleiber zu gewinnen, ist die
Abtötung durch Hitze zu verwerfen und zu versuchen, die Bakterien
durch mildeste Mittel zur Auflösung bzw. Auslaugung zu bringen.
Die Anwendung von Mischvakzinen wird empfohlen. Durch An¬
wendung der systematischen Intrakutanreaktion hoffen Verf. sichere
und intensivere Wirkung zu erzielen.
R. Kraus (Butantan, Sao Paulo), Verhütung der Serumkrank-
heit durch Diphtherie- und Tetanusserum von immunisierten Rindern.
M. m. W. Nr. 6. Zu Bieling in M. m. W. 1921 Nr. 43. Behring hat
das Diphtherie-Rinderserum nur zu prophylaktischen Zwecken emp¬
fohlen, nicht zu kurativen.
Müller-Cuntz (Wiesbaden), Adonigen als Herzmittel. Ther.
d. Gegenw. H. 1. Bei akuter und chronischer Herzmuskelschwäche
wurden pro injectione 2 ccm subkutan erfolgreich angewandt. Das
Mittel (Chem.-Pharmak. Werke Bad Homburg A.-G.) wird aus Herba
Adonis vernalis gewonnen; 1 ccm entspricht 0,04 g der Droge, jede
Ampulle also 0,08.
1. Markwalder (Baden), Wirkungswert von Bulbus scillae. Kl. W.
Nr. 5. Die Wirkung war in allen beobachteten Fällen eine reine Herz¬
ventrikelwirkung. Aus den Messungen ergaben sich keine wirklich
großen Wirkungsunterschiede zwischen der roten und weißen'Varietät.
Schon der Gehalt an Wirksamem der lebenden Droge scheint recht
verschieden zu sein. Die gemessenen Extrakte des Handels verdienen
hinsichtlich ihres Inhaltes an herzwirksamerSubstanz nicht den Namen
Extrakt, denn sie sind weniger wirksam als das Ausgangsmaterial.
Die Tinctura scillae kalina muß als sinnlos bezeichnet werden. Die
herzwirksame Substanz des Bulbus scillae scheint hinsichtlich der
Froschwertigkeit den Digitalisstoffen überlegen zu sein und es ist deshalb
der Schluß berechtigt, daß der allergrößte Teil der herzwirksamen
Substanz eine Substanz von allerhöchstem Titerwert ist Der absolute
Gehalt der Bulbus scillae an Aktivglykosid steht vermutlich beträcht¬
lich hinter dem der Folia digitalis zurück.
O. Muck (Essen), Jodismusproblem. M. m. W. Nr. 6. Zu Bons¬
mann in M. m. W. 1921 Nr. 52. Kranke und Versuchspersonen, die
im Speichel und im Nasen- und Konjunktivalsekret Rhodankalium auf¬
weisen, reagieren auf Jodzufuhr mit Erscheinungen von Jodismus.
Das Rhodan wirkt jodabspaltend. Raucher sondern mehr Rhodan¬
kalium ab als Nichtraucher. Daß sich bei Potatoren leichter Jodis¬
mus auslösen läßt als bei anderen, erklärt sich daraus, dan die
meisten Trinker auch Raucher sind.
Kurt Sauerbrey (Bremen), Zur Naftalantherapie- M. m. W.
Nr. 6. Gute Erfolge mit Naftalan bei der Behandlung von Ekzemen.
Brandwunden I. und II. Grades, Epidydimitis und gonorrhoischen Qt.
lenkerkrankungen.
O. Burwinkel (Nauheim), Novasnrol. M. m. W. Nr. 6. Das
Novasurol stellt eine glückliche Bereicherung in der Therapie der
Oedeme dar, doch soll man seine Zuflucht zu ihm erst nehmen, wenn
andere Mittel versagen, da es oft schon..nach einer einzigen Injektion
von 0,075 Novasurol zu Hg-Intoxikation und anderen unangenehmen
Nebenerscheinungen kommen kann.
Kienzl und Griesinger, Nuforal alsTaberknlosemlttel. W.m.W.
Nr. 3. Nuforal ist ein in New York hergestelltes Mittel, das aus Nu¬
kleinsäure, Ameisensäure und Allylsulfat besteht und in 2 Stärkegraden
in Ampullen in den Handel kommt. Die Injektionen verursachen ört¬
liches Brennen. Nach der 5. Injektion beobachteten die Verfasser
Abnahme des Hustens, des Auswurfs und der Rasselgeräusche. Die
Zahl der Bazillen im Sputum nahm ab, das Fieber fiel oder schwand
ganz. Nachtschweiße besserten sich, das Körpergewicht stieg an. —
Diese Mitteilung klingt ja sehr schön, es bleibt aber abzuwarten, was
weitere Beobachtungen zeigen werden. Die 11 von den Verfassern
beobachteten Fälle genügen nicht.
Göronne (Potsdam), Optarsan. Ther. d. Gegenw. H. 1. Empfeh¬
lung zur Einspritzung in die Adduktoren-Muskulatur bei den ver¬
schiedensten Schwächezuständen, Rekonvaleszenz, Blutarmut, Nervosität.
Zeller (Stuttgart), Silistren. Ther. d. Gegenw. H. 1. Ein organi¬
sches Siliziumpräparat (Bayer, Elberfeld), das eine fast klare, gelbliche
viskose, süß schmeckende Flüssigkeit von angenehmem Geruch dar¬
stellt. Es enthält 18°/ 0 Kieselsäure, ist mit Wasser klar mischbar. Bei
tuberkulösen Kindern sah Zeller gute Erfolge. Man gibt 3mal täglich
15 Tropfen.
A. Hellwig (Frankfurt a. M.), Narkoseversnche mit Solaesthii.
Kl. W. Nr. 5. Solaesthin (ein Methylenchlorid) erwies sich als geeignet
und ganz gefahrlos für folgende Indikationen: 1. Kurzdauernde Ein¬
griffe. 2. Einleitung zur VoTlnarkose. 3. Halbnarkose in Kombination
mit örtlicher Betäubung. Zu beachten ist, um vor unangenehmen
Zwischenfällen zu bewahren: 1. Braune Tropfflasche, Schimmelbusch-
Maske. 2. Reste werden aufgebraucht, das Präparat ist stabil. 3. In
rascher Tropfenfolge auf tropfen; wenn Erstickungsgefühl eintritt, Maske
für einige Sekunden weg. 4. Wenn Patient unkoordinierte oder keine
Antworten mehr gibt, Narkotikum weglassen. 5. Cave Exzitations¬
stadium.
Innere Medizin.
♦ *P. Orlowski (Berlin), Die Impotenz den Mannen. 3. Aufl.
Leipzig, C. Kabitzsch, 1922. 150 Seiten mit 22 Abbildungen und
3 Tafeln. M. 30.—. Ref.: P. Fürbringer (Berlin).
Der Autor ist dem neuzeitlichen, vielbeklagten Verhängnis der
Raumbeschränkung nicht entgangen. Er mußte allein „schweren
Herzens“ etwa 60 in der 2. Auflage (1909) enthaltene Kranken¬
geschichten streichen. Ich verweise auf meine Besprechung der
1.,Auflage in dieser Wochenschrift (1907 S. 1794). Inzwischen hat
sich die Zahl der größtenteils überraschend erfolgreich behandelten
Fälle von Colliculus-Hypertrophie auf die ansehnliche Höhe von
1400 erhoben. Des Autors Anschauungen über die Bedeutung der
in 25 farbigen Bildern vorgeführten Befunde für die Potenz naben
sich nicht geändert. Ob die Beanspruchungen überall Zustimmung
finden werden, bleibe unerörtert. Im übrigen fehlt es nicht an
dankenswerten Belehrungen für den Praktiker. Das Autorenverzeich¬
nis weist 411 Nummern auf.
G. Stiefler und M. Kurz-Goldenstein, Encephalitis lethar^lca
epidemica. W. m. W. Nr. 5. Beschreibung einer Epidemie in unz,
die der Grippeepidemie vorausging. Von 52 Kranken genasen 32.
Vormann (Angermünde), Serologisch festgestellter Fall
von Influenza-Myositis. M. m. W. Nr. 5. Nach einer Grippeerkran¬
kung Myositis in einer Wade. Rückgang der Schwellung und der
Schmerzen nach 3 Wochen. Influenza-Widal 1:400 + +.
A. Mayer (Berlin), Spirochäten und Blutbild beim Ruckfallfieber.
Zschr. f. klin. M. 93 H. 1—3. Nach dem Blutbilde unterscheidet Ver¬
fasser Fälle mit regenerativem Blutbild (häufigste und typisch verlaufende
Erkrankungen), Fälle mit regenerativ-degenerativem Blutbild (anämische
Form), seltene Fälle mit aregenerativ-pseudonormalem Blutbilde. Das
Blutbild zeigt eine starke Abhängigkeit von dem Spirochätenbefunde.
R. Schelcher (Dresden), Behandlung der Diphtheriebazllleotrlger
mit Diphthosan. Kl. W. Nr. 6. Geringer Erfolg; doch ist das Material
zu klein und die Beobachtungsdauer zum Teil zu kurz, um zu einem
auch nur annähernd abschließenden Urteil zu gelangen.
H. Dietlen (Oberstdorf), Unterscheidung der Hypertrophie u nd
Dilatation im Röntgenbild. Zbl. f. Herzkrkh. 1921 Nr. 21. Man kann
röntgenologisch den sogenannten Tonus des kranken Herzens feststellen:
Hypertonie = Straffheit, Hypotonie = Schlaffheit; erstere bei kompen¬
sierten hypertrophischen, letztere bei erweiterten, insuffizienten Herzen.
Prüfungsmethode durch Valsalva-Versuch oder Untersuchung im Stehen
und Liegen. Das hypertrophische Herz zeigt stärkere Wölbung seiner
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UN1VERSITY
10. März 1922
LITERATURBERICHT
335
Umrisse, besonders am linken Kammerbogen; dieses „Rundherz" zeigt
ausgiebige rasche Kontraktionen und eine Formbeständigkeit gegen
Druck- und Lageeinflüsse. Das dilatierte Herz ist mehr breit, plump,
von nachgiebiger Formbeständigkeit mit schleppenden, verringerten
Kontraktionen.
H. Müller jun. (Zürich), Specbtschlagrhvthmus bei schwer Grippe¬
kranken. Zschr. f. klin. M. 93 H. 1—3. Der Speehtschlagrhythmus
besteht darin, daß nur laute erste Töne über dem Herzen gehört
werden. Er hat bei Grippe eine fast absolut ominöse Bedeutung und
tritt meist kurz vor dem Tode auf. Bei der paroxysmalen Tachy¬
kardie ist er eine unschuldige Erscheinung. Seihe Ursachen sind viel¬
leicht hochgradige Erregung des Herzens und Lähmung der Gefäße.
Er hat mit Embryokardie und Pendelrhythmus nichts zu tun.
S. de Boer (Amsterdam), Paroxysmale Tachykardie. Kl. W. Nr. 6.
Die ventrikuläre Form der paroxysmalen Tachykardie ist dasselbe wie
gehäufte Extrasystolieder Kammern; die aurikuläre Form von paroxys¬
maler Tachykardie ist dasselbe wie Flattern. Bei der aurikulo-ventri-
kulären Form kreist die Erregung vom Hisschen Bündel durch die
Kammern nach r. 1. Verbindung (rechte laterale Verbindung nach
Stanley Kent) durch die Vorhöfe nach dem Hisschen Bündel oder
in entgegengesetzter Richtung. Dieser Versuch einer Erklärung gibt
die Möglichkeit einer Deutung des typischen und atypischen Verlaufs
des E. K. G. Die rundkreisende Erregung kann durch eine in ent-
gegengesetzter Richtung kreisende aufgehoben werden.
S. de Boer (Amsterdam), Prädispositioo der Vorhöfe zum
FHmmeni. Kl. W. Nr. 6. Vorhofflimmern entsteht dadurch, daß ein
normaler vom Keith-Flackschen Knoten ausgehender Reiz die Vor¬
höfe direkt nach Ablauf des Refraktärstadiums erreicht. Das Vorhof¬
flimmern tritt nur dann auf, wenn schon vorher der metabole Zustand
der Vorhöfe verschlechtert ist. Während des Flimmerns zirkuliert die
Erregung ruckweise in einer Richtung. Dieser Bedingung kann von
den Vorhöfen eher entsprochen werden, als von seiten der Kammern.
Deshalb viel häufiger Vorhof- als Kammerflimmern. Wahrscheinlich
bietet die Verdoppelung des P-Ausschlages einen objektiven Anhalts¬
punkt, aus dem man die Prädisposition der Vorhöfe zum Flimmern
folgern kann. Der verdoppelte P-Ausschlag ist das elektrische Aequi-
valent einer deformierten, fraktionierten Systole. Während einer solchen
Systole läuft die Erregung in zwei Etappen durch die Vorhöfe.
L. Busch (Mainz), Traumatisches Aortenaneurysma. Zbl. f.
Herzkrkh. 1921 Nr. 23. Schweres Brusttrauma bei gesundem Mann.
Entwicklung eines Aneurysma des aufsteigenden Astes und Links-
hvpertrophie des Herzens. Annahme eines Gefäßwandeinrisses durch
den Anprall, Blutdrücksteigerung usw. Ob ein ganz gesundes Aorten¬
rohr Vorgelegen hat, wird man mit Sicherheit nie entscheiden können.
Stadler (Plauen), Istbmus'tenose der Aorten bei syphilitischer
Aorten er knmkviig. Zbl. f. Herzkrkh. 1921 Nr. 24. An 2 Fällen werden
die Bedingungen der Stenose erörtert und dabei in den Vordergrund
gestellt die Erweiterung des aufsteigenden Schenkels und des Bogens,
wodurch der Blutstrom eine veränderte Richtung zum absteigenden
Schenkel hin erfährt. Also zunächst erscheint die Stenose durch
mechanische Verdrängung entstanden und kann durch schrumpfende
Prozesse und ähnliches verstärkt werden.
A. Serko (Ljubljana), Claudicatio iotermittens tmiversalis in¬
folge von Hypoplasie des Herzens. W. kl. W. Nr. 5. 1 Fall.
Erich Thomas (Leipzig), Röntgenologischer Beitrag zur Lungen-
tnberkfllose. M. m. W. Nr. 5. Zu Kaestle in M. m. W. 1921 Nr. 50.
Das Zurückbleiben des medialen Abschnittes der rechten Zwerchfell¬
hälfte ist nicht charakteristisch für Tuberkulose. Es ist bedingt durch
den architektonischen Aufbau der Zwerchfellwölbung und findet sich
oft bei solchen Krankheiten, die eine erschwerte Respiration be¬
dingen.
Fürst, Kropfhlnfigkeit bei Münchner Fortbildungsschulen!.
M. m. W. Nr. 5. Zu Kraeuter in Nr. 2. Es bestätigt sich, daß die
Häufigkeit des Kropfes zunimmb Oft findet sich bei Jugendlichen
die Kombination Kropf, Unterernährung, Hypogenitalismus.
Kobes (Jonsdorf), Jodtherapie der Thvreotoxikosen. Ther. d.
Gegenw. H. 1. Hinweis auf das häufige Versagen der Jodtherapie
auf Grund eigener Beobachtungen. Es wird daher eingehende klinische
Prüfung angeraten und vor Joddarreichung bei Basedow gewarnt.
Th. Bärsony (Budapest), Kardiaverftnderongen bei Speiseröhren-
R rozessen. W. kl. W. Nr. 5. Polemik gegen Stricker (W. kl. W. 1921
Ir. 47).
A. Kirch (Wien), Darmtnberkolose. W. kl. W. Nr. 5. In bezug
auf die Arbeit Lolis (W. kl. W. Nr. 3) weist Kirch daraufhin, daß er
bereits vorher auf den Wert der Benzidinreaktion für die Diagnose
der ulzerösen Darmtuberkulose hingewiesen hat.
Fülleborn. Infektionsweg bei Askaris. Kl. W. Nr. 6. Die Haupt¬
rolle bei der Wanderung der Askarislarven beim Menschen spielt
offenbar das Blutgefäßsystem.
Heinrich Zeller (Schaulen, Litauen), Blutplättchen Besonder und
Kranker. M. m. W. Nr. 6. In vitro zeigen die Blutplättchen von
Gesunden und Kranken Unterschiede in der Agglutination und im
Zerfall bei Zusatz von Urinen oder jirotoplasmaaktivierenden Sub¬
stanzen. In vivo tritt Zerfall von Plättchen kurz vor der Krisis auf.
Kollargol. Gonargin, Milch wirken wahrscheinlich durch Plättchen-
zerfalf. Ebenso wirkt Neosalvarsan bei Rückfallfiebcr; die Dauer der
Krisis hängt bei dieser Krankheit von der Plättchenzahl ab.
Hirsch (Bonn), r Behandlung der Nierenkrankheiten. Ther. d.
Gegenw. H. 1. Eine 'nach allen Richtungen hin sehr sorgfältige Er¬
örterung der wichtigsten therapeutischen Maßnahmen bei den ver¬
schiedensten Nierenleiden. Im wesentlichen werden nur allgemeine
Richtlinien gegeben und empfohlen, jeden einzelnen Fall für sich zu
analysieren.
C. Posner (Berlin), Neue Form der Azoospermie.'? Kl.W. Nr. 6.
Auf Grund einiger eigener Beobachtungen glaubt Posner außer den
bisher bekannten zwei Formen der Azoospermie (angeborene oder er¬
worbene Inaktivität der Hoden, erworbene Obliterationsazoospcrmie)
noch eine dritte Form, die er als angeborene Obliterationsazoospermie
bezeichnet, annehmen zu müssen. Diagnose nur durch Hodenpunktion
möglich.
O. Bumke (Leipzig), Psychologie und Psychiatrie. Kl.W. Nr. 5.
Die experimentelle Psychologie und mit ihr die Assoziationspsychologic
haben die Grenzen ihrer klinischen Brauchbarkeit erreicht. Nicht eine
Psychologie der Elemente, sondern nur eine Psychologie, die das kom¬
plexe seelische Erlebnis berücksichtigt und das Seelische als Ganzes zu
erfassen versucht (Psychologie des täglichen Lebens), vermag uns alle
die Fragen zu beantworten, über die wir, wenn von der Seele die Rede
ist, beim gesunden und kranken Menschen Auskunft verlangen. Die
Psychiatrie bekennt sich zu einer psychologischen Arbeitsrichtung, die
die pathologischen Bewußtseinserscheinungen nicht mehr zu zerpflücken,
sondern als Ganzes zu verstehen sucht. Freuds Tiefenpsychologie
geht in dein auf, was man als Gefühlspsychologie bezeichnet. Bei aller
Berücksichtigung der innigen Beziehungen zwischen Psychiatrie und
Psychologie zu den Geisteswissenschaften steht Bumke den neueren
Bestrebungen einer Einreihung der Psychiatric als „reine Psychiatrie"
in das System der Geisteswissenschaften ablehnend gegenüber. Die
Psychiatrie ist „dem methodischen Sinn ihrer Fragestellung, der Struk¬
tur ihrer Begriffsbildung und Begriffsgliederling nach Naturwissenschaft"
(Königswald).
Erich Ebstein (Leipzig), Familiäres Vorkommen von Mi¬
gräne. M. m. W. Nr. 6. Mitteilungen aus der Literatur über das
familiäre Vorkommen von Migräne.
LudwigFuchs (Frankfurt a. M.), Syringomyelie und peripherisches
Trauma. M. m. W. Nr. 5. 27jähriger gesunder Mann erkrankt nach
einer kleinen Verletzung an Phlegmone der Hand, anschließend daran
Neuritis im Arm. Zunehmende Schwäche, Schmerzen und Gclenk-
veränderungen, nach 2 Jahren wurde auch der andere Arm ergriffen.
2‘/ a Jahre nach dem Unfall das ausgesprochene Bild der Syringomyelie.
Folke Lindstedt (Stockholm), Aetiologie und Pathogenese der
Ischias und Lumbago nebst einer neuen Anschauungsweise
dieser Neuralgicen. Zschr. f. klin. M. 93 H. 1—3. Verfasser führt
eine Reihe von Veränderungen und Krankheitszuständen auf, welche
bei etwa 100 Ischiaskranken ätiologisch von Bedeutung waren. In
vielen Fällen fanden sich Anzeichen konstitutioneller Neurose. Weiter
werden Untersuchungen über Lumbago und sogenannte Aequivalent-
symptome bei Wehrpflichtigen mitgeteilt, welche dafür sprechen, daß
wenigstens in vielen Lumbagofällen die gefundenen Veränderungen
ätiologische Bedeutung gehabt haben. Verfasser betrachtet Ischias und
Lumbago in pathogenetischer Beziehung als Krankheitszustände, welche
nicht nur mit den Berufsneuralgieen, sondern auch mit gewissen neu¬
ralgieformen und kontrakten Zuständen bei statischen Anomalieen, Ge¬
lenkaffektionen u. dgl. analog sind. Er betrachtet das Las egue sehe
Phänomen bei Ischias als Kontrakturphänomen.
Franz Hamburger (Graz), Willkürliche Betätigung der glatten
Muskeln. M. m. W. Nr. 5. Die Blasenmuskulatur ist dem Willen unter¬
worfen. Viele Menschen können bei sich eine Gänsehaut willkürlich
hervorrufen. Auch die Magenmuskulatur kann manchmal durch Willens¬
impulse zum Erschlaffen und zur Anspannung gebracht werden.
Karl Baerthlein, Wurstvergiftungen durch Bacillus proteus
vulgaris. M. m. W. Nr. 5. Etwa 2000 Mann eines Truppenverbandes
vor Verdun erkrankten 1918 plötzlich mit schweren gastrointestinalen
Erscheinungen. Die Ursache war Vergiftung mit Wurst, die reichlich
den Bacillus proteus vulgaris enthielt. Dieser wurde auch stets im
Stuhl nachgewiesen. Die Wurst war zu kurze Zeit gekocht und zu
lange aufbewahrt.
Chirurgie.
♦♦ Oscar Hug (Zürich), Thorakoplastik und Skoliose. Stuttgart,
F. Enke, 1921. 245 Seiten mit 64 Abbildungen. M. 50.—. Ref.:
Axhauscn (Berlin).
Nachdem Verfasser im einleitenden Abschnitt einen Ueberblick
über die Entwicklung der operativen Thoraxchirurgie gegeben hat,
werden im Hauptabschnitt die gesetzmäßigen Folgeerscheinungen der
verschiedenen thorakalen Operationsmethoden an der Hand des vor¬
liegenden Tatsachenmaterials und auf dem Wege der theoretischen
Deduktion eingehend besprochen und gründlichst analysiert. Für
die Folgeerscheinungen der Sauerbruchschen Operation einseitiger
Lungentuberkulose hat Verfasser 22 eigene Beobachtungen heran¬
gezogen. Verfasser versäumt nicht, wiederholt auf die Notwendig¬
keit der Berücksichtigung orthopädischer Gesichtspunkte während
und insbesondere nach aer operativen Behandlung hinzuweisen; er
glaubt auch aus seinen Feststellungen gewisse Forderungen für die
Art des operativen Vorgehens selbst ableiten zu können. Die durch
das Studium der postoperativen Skoliose gewonnenen Anschauungen
geben die Grundlage ab für eine Reihe allgemeiner Betrachtungen,
die Verfasser im Schlußteil über die Entstehung der Skoliose über-
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
336
LITERATURBERICHT
T'
Nr. 10
haupt, insbesondere der habituellen Skoliose, anstellt, und in denen
er das phylogenetische Moment ganz besonders in den Vorder¬
grund rückt.
Artur Heinrich Hofmann (Offenburg), Todesfall im Cblor-
äthylransch. M. m. W. Nr. 5. 24jähriger Mann erhält zu der Aus¬
kratzung einer Fistel etwa 40 Tropfen Chloräthyl. Während des
deliriösen Stadiums, das dem Erwachen vorausgeht l plötzlich un¬
regelmäßiger Puls, große Blässe. Nach 20—30 künstlichen Atem¬
bewegungen ein schwacher spontaner Atemzug. Nach 10 Minuten
war die Herztätigkeit völlig erloschen. Intrakardiale Injektionen und
direkte Herzmassage erfolglos. Obduktion ergab Thymus persistens
mäßigen Grades.
Franz Honigmann (Breslau), Behandlung der von den
Händen ausgehenden Wundinfektionen der Aerzte. M. m. W. Nr. 5.
Zu Bier in M. m. W. 1921 Nr. 39. Bei sulziger Durchtränkung des
Zellgewebes ohne Eiterung ist der frühzeitige Entspannungschnitt von
Nutzen^ ebenso bei Furunkeln an der Streckseite, die Neigung zur
Ausbreitung auf das Zellgewebe und die Lymphbahnen haben.
E. Eitner, Korrektur kleiner Narben im Gesichte. W. m. W. Nr. 4.
Kleine Narben im Gesicht werden am besten durch Transplantationen
behandelt, wozu besonders feines Instrumentarium in etwa l L der
normalen Größe, als Nahtmaterial Frauenhaar verwendet wird. Ferner
eignet sich hierzu der zahnärztliche Bohrer. Ungefähr 10—12 kleine
Narben (Pocken-, Aknenarben) werden unter aseptischen Kautelen mit
dem Rotationsbohrer so ausgebohrt, daß die gesamte Narbenfläche bis
an den Rand angefrischt ist. Blutung wird durch Kompression gestillt.
Dann wird ein größerer Hautbezirk am Oberschenkel rasiert, gereinigt
und mit steriler Kochsalzlösung befeuchtet. Dieses Hautstück wird
nun mit einem großen Rotationsbohrer so bearbeitet, daß dabei keine
blutenden Verletzungen entstehen. Mit einem Skalpell werden die auf
diese Weise erzeugten Epithelschuppen gesammelt und auf die ange¬
frischten Narben gebracht, wo sie mit Meißel und Knopfsonde einge¬
strichen werden. Es bildet sich eine Borke, die nach 5—6 Tagen ab¬
fällt und die ausgefüllte Narbe zum Vorschein kommen läßt.
R. M i 1 ner (Leipzig), Operation von Hasenscharten und Kiefer¬
spalten. Zbl. f. Chir. Nr. 3. Technische Mitteilung.
H. Meyer (Göttingen), Chronische Dnodenalstenose. Kl. W. Nr. 6.
Mitteilung zweier Fälle, in denen weder eine Atonie des Magens noch
des Duodenums anzunehmen war. Solange nicht angeborene Anomalien
des Mesenteriums, besonders peritoneale Falten, stärkere Ausbildung
des Treizschen Bandes oder hochgradige Lageveränderungen des
Magens und Duodenums als auslösende Ursachen dieser Stenosen¬
bildung zu betrachten sind, sind wir in zahlreichen Fällen tiefsitzender
chronischer Duodenalstenose gezwungen, an der mechanischen Er¬
klärung, wie sie für den arteriomesenterialen Duodenalverschluß ge¬
geben wurde, festzuhalten. Sicherlich ist jedoch das Hindernis an der
Flexura duodeno-jejunalis nicht die alleinige Ursache des akuten Ver¬
schlusses. Es muß durch toxische Wirkung auch eine Atonie der
Magen- und Darmmuskulatur hinzutreten.
E. Bircher (Aarau), Resektion des perforierten Duodenal- oder
Magengeschwürs. Zbl. f. Chir. Nr. 2. Verfasser hebt hervor, daß er
schon 1918 den Standpunkt vertreten hat, daß bei vorsichtiger Auswahl
der Fälle genau wie bei der Appendizitis und Cholezystitis die Re¬
sektion des perforierenden Ulkus die Methode der Wahl vorstellen dürfte.
E. Frommer (Budapest), Chronische Invaglnation kompliziert
durch eitrige Wurmfortsatzentzündung. W. kl. W. Nr. 5.- 1 Fall.
V. Gussew (Riga), Therapie des Volvnlns der Flexura sirmoidea.
Zbl. f. Chir. Nr. 3. Unter den Methoden zur Beseitigung der Möglich¬
keit einer Wiederholung des Volvulus der Flexur empfiehlt Verfasser
ganz besonders die Ausschaltung der Flexur durch Invagination nach
dem Verfahren von Grekow.
Schmieden und A. W. Fischer (Frankfurt a. M.), Moderne
Behandlung des Mastdarmkrebses. Ther. d. Gegenw. H. 1. Die reine
Strahlenbehandlung hat versagt, ebenso lassen die Dauerresultate der
alleinigen operativen Behandlung zu wünschen übrig. Die Behandlung
muß kombiniert operativ-radiologisch sein. Prinzipiell ist zuerst ein
Anus praeternaturalis anzulegen, zu spülen und vorzubestrahlen, dann
erst folgt weitere Indikation. Ideale Operation ist die zweizeitige
abdomino-sakrale Rektumexstirpation. Jeder Operierte ist nachzube¬
strahlen.
A. Candea (Timisvara, Rumänien), Cbylnszyste des Mesenteriums.
Zbl. f. Chir. Nr. 3. Kasuistik.
V. E. Mertens (München), Breitfnrchende Darmqnetscbe. Zbl.f.
Chir. Nr. 3. Technische Mitteilung.
J. J. Stutz in (Berlin), Behandlung der Nierentnberknlose. Zbl. f. Chir.
Nr. 2. Der operativen Therapie fällt der verstümmelnde Eingriff zur
Last. Aber^ihre*Heilung ist unbestreitbar. Sie entfernt die Tuber¬
kulose der einen*Seite, schützt die andere Niere vor einer weiteren
Infektion "von dieser Seite her und macht den Kranken in der Regel
in relativ kurzer Zeit arbeitsfähig. Man muß an der Nierenexstirpation
festhalten, bis wir ein anderes logisches, klares Verfahren gefunden
haben.
F. Franke (Braunschweig), Operation der Varikozele. Zbl. f. Chir.
Nr. 2. Technische Mitteilung.
August Blencke (Magdeburg), Zur Sanerbrocboperation und
-Prothese. M. m. W. Nr. 6. Siehe Referat über die Sitzung der Magde¬
burger Med. Gesellschaft in M. m. W. Nr. 50 vorigen Jahres. Verfasser
schätzt den Sauerbrucharm hoch ein, nur sind viele Kanäle und Pro¬
thesen fehlerhaft.
H. Wimberger (Wien), Spondylitis tnberculosa. W. kl. W, Nr. 5.
Röntgenbefund: Verkalkenderspondylitischer Senkungsabszeß, ferner
schwere destruktive Prozesse in Brust- und Lendenwirbelsäule, die ohne
besondere Störungen ausgeheilt sind.
E. Schultze (Marienburg), Oberschenkel - Osteomyelitis nach
Zahnbehandlung. Kl. W. Nr. 6. Kasuistik.
Georg Müller (Berlin), Therapie des statischen Senk-Knickfnfiet.
Ther. d. Gegenw. H. 1. Angabe einer Fußstütze (nebst Bild), die neben
der sonstigen, jeweils gebotenen Behandlung gebraucht werden kann
Es werden die physiologischen und mechanischen Bedingungen des
Leidens und die Grundsätze für die Behandlung entwickelt.
E. v. Salis (Basel), Behandlung des kontrakten Plattfnfies im
Schlafe. Zbl. f. Chir. Nr. 2. Technische Mitteilung.
A. Salomon (Berlin), Prognose und Heilung der Sehaeanlhte.
Zbl. f. Chir. Nr. 3. Verfasser weist auf die noch heutigentags sehr
schlechte Prognose der Beugesehnennähte hin und empfiehlt auf Grund
experimenteller Untersuchungen im Bereiche der Nahtstelle ein größeres
Stück der Sehnenscheide zu entfernen und so das umgebende Gewebe
zu festerer Vereinigung der Stumpfenden mit heranzuziehen. Bei früh-
zeitiger Aufnahme der Bewegungen werden wir die Verwachsungen
nicht zu fürchten haben, zumal die Sehne an der Stelle der Scheicfen-
exzision ringsum von Fettgewebe umgeben ist Daß die Regeneration
innerhalb der Sehnenscheiden ausbleibt, beruht nach der Annahme
von Bier auf der Gegenwart von hemmenden Hormonen, die wir in
diesem Falle in der Synovia zu erblicken haben.
O. Fleischmann (Frankfurt a. M.), Sero- und Chemotherapie
der otogenen und rhinogenen Meojngit ia. Kl. W. Nr. 5. Der Einfluß
intralumbaler Injektionen dürfte bei der eitrigen Hirnhautentzündung
im allgemeinen kaum über den Bereich des Rückenmarks hinaus zu
erwarten sein, wenigstens in den Grenzen anwendbarer Dosierung,
wenn man einerseits die stets nach oben zunehmende Konzentrations¬
verminderung und anderseits die doch nur beschränkte Verteilung inner¬
halb der Schädel-Rückgratshöhle berücksichtigt. Die Grundbedingungen
für eine erfolgversprechende Chemotherapie der Meningen sind nach
den Darlegungen Fleischmanns von der Blutbahn aus gegeben.
Während auch bei tödlichen Dosen Trypaflavin der Uebertritt, solange
das Zentralnervensystem intakt ist, nur ausnahmsweise und in geringen
Mengen in den Liquor erfolgt, vermag nach den Untersuchungen Fleisch¬
manns Trypaflavin bei bestehender Meningitis in beachtenswerter
Menge in den Liquor überzugehen. Es gilt so für chemische Präpa¬
rate im allgemeinen das gleiche Verhalten, das für Immunstoffe von
Weil und Rafka als gesetzmäßig erkannt wurde. Vorbedingung ist
eine ausreichende Ueberschwemmung der Blutbahn mit dem betreffen¬
den Stoff. Präparate, die sich in genügend hohen Dosen einverleiben
lassen, treten also bei bestehender Meningitis zweifellos in den Liquor
über. _
Frauenheilkunde.
R. Roubitschek (Karlsbad), Renale SchwanrerscbaftsglvkosBrie
als Frfihsympfom der Gravidität. Kl. W. Nr. 5. Die Adrenalinprobe
(morgens nüchtern 10 g Traubenzucker in 200 ccm Tee und 20 Minuten
später V* ccm Suprarenin 1:1000) bildet eine wertvolle Unterstützung
zur Früherkennung einer Gravidität.
Friedländer (Freiburg i. Br.), Schmerzlose Entbindung. M.m.W.
Nr. 5. Das von Floel in M. m. W. 1921 Nr. 50 beschriebene Sug¬
gestionsverfahren kann auch als Hypnose bezeichnet werden. Emp¬
fehlung der Hypnonarkose.
B. Aschner, Therapie der Ameoorrhöe, Dysmenorrhöe und Steri¬
lität. W. m. W. Nr. 4. Die mechanischen Hindernisse (Stenose des
inneren Muttermundes, spitzwinklige Knickung des Uterus u. a.) werden
operativ behandelt, die Dehnung durch Laminariastifte. Für die Be¬
handlung der innersekretorischen Störung empfiehlt Verfasser das
Merck sehe Novarial und Ferroovarial.
Rudolf Salomon (Gießen), Behandlung der Zenrixgonorriioe
durch Cbolevaltamponaoe des Uterus. M. m. W. Nr. 6. Bei 3Fällen
traten nach Cholevaltamponade schwere Adnextumoren und Parame-
tritiden auf. Verfasser hält deshalb die Cholevaltamponade für ge¬
fährlich bei zweifelhaftem Heilungserfolge und deshalb für die Praxis
unbrauchbar.
Hans Saenger (München), Aktive Abortbehafidlaog. M.m.W.
Nr. 6. Verfasser empfiehlt auf Grund seiner Erfahrung unbedingt die
aktive Abortbehandlung. Nur bei Verdacht auf perforierende Ver¬
letzungen und bei Peritonitis müssen Ausräumungsmaßnahmen unter¬
bleiben, hier kommen die Laparatomie und die Kolpotomia posterior
in Betracht.
O. Siefart (Charlottenburg), Abortbebandlong. Kl. W. Nr. 5.
Polemik gegen Hammerschlag (B. kl. W. 1921 Nr. 51).
Otto Risse (Freiburg i. Br.), Sifikatpesssre. M. m. W. Nr. 5.
Pessare aus Hohlglas mit einer besonders haltbaren Silikatmischung,
die freihändig über der Glaslampe in die gewünschte Form gebogen
werden. Völlige Reizlosigkeit, leichtes Gewicht.
Krankheiten des Ohres und der oberen Luftwege«
♦♦ Alfred Denker (Halle) und Wilhelm Brünings (Greifswald),
Lehrbuch der Krankheiten des Ohres und der oberen
Luftwege einschließlich der Mundkrankheiten. 6.u.7. Aufl.
Jena, Oustav Fischer, 1921. 662 Seiten mit 313 Abbildungen. M. 85.—.
Ref.: H. Haike (Berlin).
Wie 1 1 / 8 Jahr nach dem ersten Erscheinen des Buches die 2. und
3. Auflage, so ist jetzt in dem gleichen Zeitraum die 6. und 7. Auflage
nach den vorhergehenden notwendig geworden. Die bei Besprechung
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSITY
10. März 1922
LITERATURBERICHT
337
der früheren Auflagen schon hervorgehobenen Vorzüge der erschöpfen¬
den und dabei nicht allzu breiten Darstellung, wie das Herausheben
des praktisch Wichtigen durch die Verfasser, macht den Gebrauch für
den Praktiker besonders bequem und gibt durch ein reiches Bilder¬
material, das zweckentsprechend ausgewählt ist, auch dem weniger
Geübten die Möglichkeit, sich mit der Materie für die Praxis vertraut
zu machen. Neu hinzugekommen sind Kapitel über die Erkrankungen
der Tränenwege und Hypophysentumoren. Erfreulich wirkt die friedens¬
mäßige Vollkommenheit der Ausstattung, des Druckes und der Repro¬
duktionen der Abbildungen, die wir heute leider bei vielen Büchern
vermissen.
Ernst Wodak und Max Heinrich Fischer (Prag), Neue
Vestlbnlarisreaktioa. M. m. W. Nr. 6. Vorläufige Mitteilung einer
neuen Vestibularisreaktion. Bei Beeinflussung des Vestibularapparates
eines normalen Individuums, z. B. durch Wasserspülung des Ohrs,
tritt während oder nach der Spülung eine differente Aenderung
des subjektiven Schwereempfindens der beiden Körperhälften auf.
Die eine Körperhälfte scheint subjektiv schwerer zu werden und in
den Boden zu versinken, die andere subjektiv leichter zu werden und
nach oben zu streben. Der horizontal bei geschlossenen. Augen aus-
estreckte Arm der subjektiv schwereren Seite sinkt nach unten, der
er subjektiv leichteren steigt nach oben. Während dieser Zeit ent¬
steht ein Wechsel öfter dadurch, daß der subjektiv leichtere Arm
scheinbar schwerer wird und sinkt, der subjektiv schwerere 'leichter
wird und steigt. Bei Kaltspülung zunächst Sinken des gleichseitigen
Arms und Steigen des gegenseitigen, bei Warmspülung umgekehrt.
Auch bei Rotation und Galvanisation des Kopfes tritt das Phänomen
auf, das als Arm-Tonus-Reaktion bezeichnet wird..
M. Großmann, Protargol bei rhinolaryngofogischen Krankheits¬
fällen. W. m. W. Nr. 3. Verfasser erzielte wesentliche Besserung und
sogar Heilung der Ozäna durch Spülungen mit einer 0,5—l°/ 0 igen
wäßrigen Protargollösung, nachdem vorher die Borken in üblicher
Weise mechanisch entfernt worden waren. Nach der Spülung werden
in 10—15%ige wäßrige Protargollösung getauchte und gut ausgedrückte
Wattebäusche für 1—2 Stunden in die Nasenhöhlen gelegt. Ferner
empfiehlt Verfasser das Einlegen solcher Wattebäusche in die Nase
bei Asthma nasale — nach Entfernung des mechanischen Hindernisses
(Polypen, Hypertrophien). Auch bei Angina phlegmonosa leistet es
gute Dienste, wenn mit Wattebäuschen, cfie in eine konzentrierte Pro¬
targollösung getaucht sind, die zerklüftete Mandel wiederholt energisch
ausgewischt wird.
Haut* und Venerische Krankheiten.
E. Thomas und W. Arnold (Köln), |. Blaseniabaltsstoffe über
speiiflachen Reaktionen. 2. Hantblasenffillnng. M. m. W, Nr. 6. 1. In
dem Inhalt einer mittels Kantharidin über einer Tubenculinreaktion
erzeugten Hautblase können Stoffe vorhanden sein, die reaktions-
befördemd wirken. Eine reaktionsbefördemde Wirkung vom Inhalt
von Blasen, welche über einer unspezifischen, mit Krotonöl erzeugten
Entzündung durch Kantharidin entstanden waren, ließ sich nicht
nachmachen. 2. Angabe eines Verfahrens zur Anfüllung der Blase
mit einer beliebigen Flüssigkeit.
FriedrichSchultze(Bonn), Juckender Winteraasschlar. M.m.W.
Nr. 5. Selbstbeobachtung. Jeden Winter, namentlich in der Bettwärme,
juckender Hautausschlag an den Beinen. Als Grund wird Trockenheit
der Zimmerluft angenommen bei Bestehen einer mäßigen exsudativen
Diathese. Besserung durch Feuchthalten der befallenen Teile.
Waldemar Th. Sack (Baden-Baden), Psychogene Komponente
des Prnrltns und der pruriginösen Dermatosen. M. m. W.
Nr. 5. Anführung einer Reihe von Fällen von Pruritus ohne und mit
Hautveränderungen und von pruriginösen Dermatosen mit psychogen
gesteigerter Reizbarkeit. Weitgehende Besserungen und Heilungen
durch Hypnose nach gründlicher Psychoanalyse.
Heinrich Embden (Hamburg), Behandlung der Pernioneo
und der chronischen Erfrierungen mit Sclrilddrüsenprlparateo.
M. m. W. Nr. 6. Bei gewöhnlichen Frostbeulen in neuer Anzahl von
Fallen trotz anhaltender Kälte und fortdauernder Schädigung der Finger
durch Arbeit mit nassem Material überraschend schnelle Heilung,
ebenso bei mehreren Fällen schwerer, chronischer Frostschädigung.
V. Pranter, Mitigal bei Dermatosen. W. m. W. Nr. 5. Außer
bei Skabies wurde Mitigal bei Hauterkrankungen angewandt, bei denen
auch sonst Schwefel angezeigt ist, wie Pityriasis rosea, Psoriasis,
Ekzema soborrhoicum und impetiginosum, Impetigo contagiosa, Akne
vulgaris und rosacea, und zwar anfangs nur das Oel als solches, später
in Kombination mit Zink und mit der Wilkinsonschen Salbe. Der
Erfolg war gut.
E. Gold und F. Reiß (Wien), Lencoderma syphiliticum und
Bfocfascbe Dopareaktion. W. kl. W. Nr. 5. Anfänglich geringe Beein¬
flussung der epithelialen Pigmentbildung, frühzeitig einsetzender Ab¬
transport des vorhandenen und neu sich bildenden Epidermispigmentes
nach der Cutis. Diesem Stadien folgt eine Abschwäcnung der Pigment¬
reaktion bis zu völligem Pigmentschwund. In den pigmentierten Rand¬
partien ist häufig eine starke Pigmentvermehrung festzustellen.
S. Bergei (Berlin), Abwebrmittel des Körpers gegen die svphl-
ffffscbe Infektion und ihre Beeinflussung durch Quecksilber. KI. W.
Nr. 5. Die entzündlich lymphozytäre Infiltration repräsentiert die natür¬
liche Abwehrreaktion des Organismus, die chemisch auf einem Abbau
der lipoiden Spirochäten durch die spezifisch eingestellten lipolytischen
Lymphozyten beruht und ihren serologischen Ausdruck in positiver Wa.R.
findet. Die Wirkung des Quecksilbers beruht auf seinen Beziehungen
zu dem für syphilitische Krankheitsprodukte so charakteristischen Iym-
phoiden Gewebe (unter Hg zerfallen Lymphozyten, die frei werdende
Lipase tötet einen Teil der lipoiden Spirochäten ab). Quecksilber unter¬
drückt aber auch die Dauerwirkung der sonst ständig Antistoffe pro¬
duzierenden Zellen dadurch, daß es sie einerseits zum Zerfall bringt,
andererseits aber ihren Neuersatz verhindert. Deshalb ist die Hg-
Wirkung nur so lange angebracht, als lymphozytäre Herde im Körper
vorhanden sind (Wa.R.-b). Bei negativer Wa. R. und fehlenden Krank¬
heitserscheinungen ist Hg-Behandlung nicht indiziert, dagegen Salvar-
san, da dieses primär auf die Spirochäten wirkt (negative Wa.R. und
fehlende Erscheinungen schließen wohl das Vorhandensein von ent¬
zündlich lymphozytären Infiltrationen, nicht aber das Vorhandensein
von Spirochäten aus). Salvarsan und Jod wirken, auch Lymphozytose,
anregend. Möglichkeit einer zweiten Komponente der Hg-Wirkung
durch Bindung als Sublimat an lezithinähnliches syphilitisches Lipoid.
Erich Hoffmann (Bonn), Fröhbeilung frischer Syphilis. Ther.
d. Gegenw. H. 1. Je frühzeitiger Erkennung und Behandlung, um so
eher rrühheilung. Salvarsan wichtigstes und allein abortiv wirkendes
Heilmittel, aber kombinierte Behandlung mit Hg bis auf ganz wenige
Ausnahmen vorzuziehen, da sie manchen Gefahren des Salvarsans
(Neurorezidiven) vorbeugt und bessere Dauerwirkung gewährleistet.
Im einzelnen werden dann für die verschiedenen Stadien und Er¬
scheinungsformen genaue therapeutische Anweisungen mit sehr ein¬
gehender Begründung gegeben.
v. Petzold (Karlsruhe), Ein Jahr Liflserverfahreo. M. m. W.
Nr. 5.3700 Spritzen. Für den Kranken ist die Behandlung angenehm
und billig, störende Nebenerscheinungen sind nicht zu befürchten.
Syphilitische Erscheinungen schwinden rapid. Die Wa.R. zeigt, daß
die Dauerwirkung keine starke ist, vielleicht wäre eine Verstärkung
der Quecksilberdosis anzustreben.
Paul v.Szily und Tibor Haller (Pest), Einzeitige Behandlung
der Syphilis mittels Solnesin und Neosalvarsan. M. m. W. Nr. 5.
Hydrarg. bichlorat. corrosivi 0,3, Natr. jodat, 14,0 Aqua. dest. 20,0
(Soluesin) davon 1—2 ccm in einer Spritze gemischt mit 3—6 ccm
einer lOtyoigen Neosalvarsanlösung. Es entstellt eine bräunlichgelbe
Flüssigkeit, intravenöse Injektion. Durch die Kombination gleich¬
gerichteter antiparasitärer Heilstoffe läßt sich eine Steigerung des
therapeutischen Effekts erwarten.
F. W. Oelze (Leipzig), Cyarsal-Mischsprltze, M. m. W. Nr. 5.
Bei 8000 Einspritzungen keine ernsten Nebenerscheinungen. Ein
großer Vorteil der Mischung ist die Durchsichtigkeit, sodaß man das
Eintreten des Blutes in die Spritze sehen kann. Gegeben werden
zweimal wöchentlich je 0,6 Neosalvarsan und 7,0—1,65 ccm Cyarsal,
pro Kur und Mann 6,0 g NS. r
J. Klipstein (Mannheim), Einzeitige Salvarsan-Embarin- und
Salvarsan-Zyanolbebandlung. Kl. W. Nr. 6. Die einzeitige Salvarsan-
Embarin- und Salvarsan-Zyarsalbehandlung vermag die syphilitischen
Symptome rasch zu beseitigen; die Wa.R. wird günstig beeinflußt und
ernstere Zwischenfälle nicht verursacht. Ein Hauptvorteil ist die abso¬
lute Schmerzlosigkeit. Einen Unterschied in der therapeutischen Wirk¬
samkeit zwischen Salvarsan-Zyarsal- und Salvarsan-Embarinbehandlung
konnte Klipstein nicht feststellen.
R. Henneberg (Berlin),' Salvarsan-Hirntod. Kl. W. Nr. 5. Aus¬
führliche Mitteilung von 3 Fällen mit anschließender kritischer Be¬
sprechung der Literatur. Die von Verfasser beobachteten Fälle stützen
nicht die Annahme, daß gröbere organische^Hirnveränderungen eine
Disposition für den Salvarsantod schaffen.
Kinderheilkunde.
Geza Peteryi (Budapest), Antikörper der Muttermilch. Mschr.
f. Kindhlk. 22 H. 3. Durch subkutane Injektion von zirka 10 ccm
Muttermilch gelang es, der Maserninfektion ausgesetzte, künstlich ge¬
nährte Säuglinge vor der Masernerkrankung zu schützen.
H. Langer und E. Mengert (Charlottenburg), Heilprinzlpien der
akuten Ernährungsstörungen i m Slnglingsalter undMöglichkeiteiner
Koliserumtherapie. Kl.W. Nr.ö.Während es bei der künstlichen Heilnahrung
erst zu feiner Regulation der Darmvorgänge kommend dann —* häufig
recht langsam — zur Reparation, führt die Frauenmilch zuerst zur
Reparation und dann zur Regulation. KoÜserum beschleunigt in vielen
Fällen die Reparation; es ist besonders dann indiziert, wenn die Kon-
sumption im Verlauf der Ernährungsstörung vermieden werden soll.
Empfohlen wird die 1—3 malige (an aufeinanderfolgenden Tagen) sub¬
kutane oder intramuskuläre Injektion von 5—10 ccm Koliserum.
Eugen Schlesinger (Frankfurt a. M.),*Wach8tnmshemmung der
Kinder Tn den Nachkriegsjahren. M. m. w. Nr. 5. Untersuchungen
an Schulkindern in Frankfurt a. M. Die im 2 und 3. Kriegsjahr ein¬
setzende und weiterhin fortschreitende Hemmung im Längen- und
Massenwachstum ist zum Stillstand gekommen, hinsichtlich des Längen¬
wachstums macht sich schon ein Einholen des Rückstandes bemerkbar.
Von einer Hebung des Ernährungszustandes kann noch nicht ge¬
sprochen werden. In den Mittelschulen liegen die Verhältnisse un¬
günstiger als in den Volksschulen.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
333
LITERATURBERICHT
Nr. 10
Georg Kuntze (Leipzig), Fettpolster und Ernihnuiggiiistaiid bei
Kindern. Mschr. f. KindhTk. 22 H. 3. Das Bauchfettpolster ist bei
deutschen Volksschülern zur Zeit um die Hälfte geringer, als die Durch¬
schnittszahlen der Messungen in Vorkriegszeiten ergaben. Messungen
des Bauchfettpolsters geben im Verein mit den Zahlen für Körperlänge
und -gewicht einen brauchbaren Ausdruck für den Ernährungszustand
des Körpers. Fettansatz nach kohlenhydratreicher Kost schwindet sehr
rasch nach beendigter Mastkur.
A. Schulze (Göttingen), Faziallsphänomen im schulpflichtigen
Alter. Mschr. f. Kindhlk. 22 H. 3. Das positive Fazialisphänomen ist
auch im späteren Alter der Ausdruck für das Bestehen einer latenten
Spasmophilie. Der Beweis besteht in dem Nachweis einer erhöhten
elektrischen Erregbarkeit und in dem häufig in der Anamnese dieser
Kinder zu erhebenden Befund von Krämpfen.
A. Müller (München-Gladbach), Rachitische Muskelerkrankuog.
M. m. W. Nr. 6. Polemik gegen Schede in Nr. 1. Verfasser besteht
auf dem Vorhandensein des Hypertonus der rachitischen und rheu¬
matischen Muskelerkrankung, die mit seiner Untersuchungstechnik stets
nachweisbar sei.
Thomas Köffler (Graz), Zur Säuglings- und Kleinkiodertuher-
kulose. M. m. W. Nr. 6. Säuglinge im ersten Halbjahre infizieren
sich nicht so leicht wie Kleinkinder im höheren Alter. Auch bei
Kleinkindern kommt latente Tuberkulose ohne Krankheitserscheinungen
gar nicht selten vor, und zwar hauptsächlich dann, wenn die Infektion
durch Huster erfolgte, welche nur wenig und selten Tuberkelbazillen
im Auswurf hatten.
E. Freudenberg und P. György (Heidelberg), Pathogenese der
infantilen Tetanie. Kl. W. Nr. 5. Die Autoren vertreten in vollem
Gegensatz zu bisher geäußerten Ansichten anderer Autoren die These,
daß bei Tetanie (der Säuglinge und Kleinkinder) im Gegensatz zur
Rachitis eine alkalotische Richtung des Stoffwechsels besteht, bei dem
Phosphat zurückgehalten und NH ;1 in verminderter Menge ausgeschieden
wird. Ein stark azidotisch wirkendes Mittel, das Ammoniumchlorid,
bewährte sich als äußerst wirksames Mittel bei manifester Tetanie
(Dosierung beim Säugling 0,5—0,6 pro kg pro die).
Th. Gött (München), Psychische Anomalien im Kleinkindesalter.
Kl. W. Nr. 6. Manches, was auf den ersten Blick wi* schwere psychische
Abnormität aussieht, ist beim Säugling und kleinen Kinde oft nichts als
eine durch ungünstige äußere Einflüsse mißleitete geistige Entwicklung.
Xaver Mayer (Seligenstadt, Hessen), Intraperitoneale Infusion.
M. m. W. Nr. 6. Mitteilung eines Falles von lebensrettender Wirkung
der intraperitonealen Injektion bei einem schwer ernährungsgestörten
Säugling.
Hygiene.
♦♦ Rud. Eberstadt (Berlin), Handbuch des Wohnungswesens
und der Wohnungsfrage. 4. Aufl. Jena, Gustav Fischer, 1920.
* 735 Seiten mit 164 Abbildungen. M. 45.—. Ref.: C. Flügge (Berlin).
Die neue Auflage des ausgezeichneten Handbuchs ist bei dem
lebhaften Interesse, das auch von medizinischer Seite der Wohnungs¬
frage jetzt entgegengebracht wird, uns Aerzten hoch willkommen.
Wer immer sich mit Wohnungsfragen beschäftigen will, dem wird
die zusammenhängende Darstellung des Wohnungswesens und des
Städtebaus und die historische Darstellung der Systeme des Städte¬
baus in Deutschland und in den anderen Kulturländern unentbehrlich
sein. Alle statistischen und volkswirtschaftlichen Angaben des Hand¬
buchs können auf Vollständigkeit, Zuverlässigkeit und kritische Sich¬
tung Anspruch machen. Zu wünschen wären nur einige Aenderungen,
wo rein medizinische Gesichtspunkte in Betracht kommen. Im 6. Teil
des 3. Abschnitts müßte manche Angabe entsprechend den bedeut¬
samen neueren Forschungen kritischer behandelt werden, z. B. S. 208 ff.
die Aetiologic der Rachitis und der Tuberkulose (die Wohndichtig-
keit wird wiederum anderen bleibenden Wohnungseigenschaften gleich
gesetzt!!. Bei der Schilderung der wohnungstechnischen Schädigungen
durch die Mietskaserne wird betont, daß die Zahl der Räume hier
zu gering ist, und daß sie keine Querlüftung hat; während doch die
ländliche Wohnung in dieser Beziehung oft nichts Besseres bietet.
Im Sperrdruck wird S. 304 hervorgehoben: „Verdorbene Luft ist
ebenso schädlich wie verdorbene Nahrung“, obwohl eine Aehnlich-
keit der schädlichen Wirkung gar nicht besteht. — Für eine fol¬
gende Auflage wäre eine fachmännische Durcharbeitung der medi¬
zinischen Kapitel gerade mit Rücksicht auf die vielen Aerzte, die
in dem Buche Rat und Belehrung suchen, wünschenswert. — Ein
Anhang bringt Genaueres über das Preußische Wohnungsgesetz von
1918 und einige Notizen über die Uebergangswirtschaft und die
Baupolitik bis Oktober 1919. Das Problem der Wohnungsnot ist leider
nur flüchtig gestreift, namentlich, soweit dessen Ursachen in Frage
kommen. Es ist auch wohl zweckmäßig, die nächste Wohnutigs-
statistik abzuwarten, die vermutlich zeigen wird, daß nicht allein das
Fehlen der Bautätigkeit, der Zuzug von Flüchtlingen und die hohe
Zahl der Eheschließungen die jetzige Wohnungsnot verursacht haben,
sondern daß die starke soziale Verschiebung und der größere Bedarf
an Wohnraum in den früher wenig begüterten Kreisen wesentlich
beteiligt ist. Hoffentlich erscheint recht bald eine neue Auflage des
grundlegenden Werkest die uns auch darüber zuverlässigen Auf¬
schluß gibt.
L. Moll, Regelung des Ammen wesens. W. m. W. Nr. 3. Es ist
ein Unrecht und ein Akt menschlicher Roheit, daß das Ammenkind
auf die natürliche Ernährung durch seine Mutter ganz oder zum Teil
verzichten muß und zur künstlichen Ernährung in die Kostpflege ge¬
geben wird. Deshalb macht Verfasser den Vorschlag, ein Ammen-
gesetz zu erlassen, wonach eine stillende Frau nur dann sich zur Stillung
eines fremden Kindes hergeben darf, wenn ihr die Möglichkeit geboten
wird, ihr auf die Ernährung durch die Mutterbrust angewiesenes Kind
im Hause des Dienstgebers zu halten und zum Teil an der Brust aufzu¬
ziehen. Der Dienstgeber muß sich verpflichten, den Vorschriften des
Ziehkindergesetzes zu unterwerfen.
H.Thausing (Wien), Krankenkasse un dVolkswirtschaft. W.kl.W-
Nr. 5. Uebt scharfe Kritik an der heutigen Organisation der Kranken¬
kasse, die in Wirklichkeit keine soziale Einrichtung sei.
Sachverstftndigentfltigkeit.
Paul Horn (Bonn), Reform des Reichshaftpfllchtgesetzes für
Eisenbahnen. Aerztl. Sachverst. Ztg. Nr. 1. Das Reichshaftpflichtgesetz
vom 7. VI. 1871 bedarf dringend einer Umgestaltung. Das Reichs¬
justizministerium hat deshalb neue Grundsätze entworfen, gegen die die
kleinen Straßenbahngesellschaften schwere Bedenken erheben. Von medi¬
zinischer Seite wird § 1 dieses Entwurfes als eine Verbesserung angesehen,
weil er, gegenüber dem alten Gesetz, das nur von Tötung und Verletzung
des Körpers sprach, auch die Störung der Gesundheit, z. B. seelischer Art,
in sich schließt. §3 handelt von der Pflicht des Verletzten, sich zur Hei¬
lung oder Besserung einer bestimmten Kur zu unterwerfen und zur Fest¬
stellung seines Gesundheitszustandes die Untersuchung durch einen
Sachverständigen zu dulden. Als Zusatz wird empfohlen, dem Ver¬
letzten die Berechtigung einzuräumen, sich von einer dreigliedrigen
Aerztekommission begutachten zu lassen. Der Schadenersatz des $ 4
durch Geldrente bzw. Abfindung sollte auch durch eine dreigliedrige
Aerztekommission bestimmt werden. Es darf aber nicht allein in dem
Belieben des Verletzten stehen, sich abfinden zu lassen. Die Abfindung
soll 50000 Mark und die Rente 3000 Mark pro Jahr nicht überschreiten
Nach § 6 verjähren die Ansprüche auf Schadenersatz in 2 Jahren.
Besser: wer seinen Schadenersatzanspruch nicht binnen 2 Monaten nach
dem Unfälle glaubhaft geltend macht, soll der Unfallentschädigung ver¬
lustig gehen, weil man sonst annehmen muß, daß die Unfalleinwirkung
eine zu geringe war. Ferner wird noch der Vorschlag gemacht, zur
Vermeidung langwieriger Haftpflichtprozesse einen obligatorischen
Sühneversuch vor demselben zu verlangen.
H. Hübner (Bonn), Nenrosenfrage. Aerzt). Sachverst, Ztg. Nr. 1.
Nach Aufzählung symptomatologischer Punkte wird die prinzipielle Heil¬
barkeit aller neurotischen Komplexe festgestellt. Der Kranke sei rechtlich
verpflichtet, sich psychotherapeutischen Maßregeln zu unterwerfen, wenn
sie schmerzlos sind. Nach der ständigen Rechtssprechung des Reichs¬
gerichtes ist einem Kranken eine bestimmte Heilbehandlung dann zuzu¬
muten, wenn sich jeder verständige Mensch bei gleicher Sachlage des
Heilmittels bedienen würde. Das sei der Fall, wenn die Heilmethode un¬
gefährlich ist und mit Wahrscheinlichheit die Beseitigung oder Minderung
des Schadens erwarten läßt. Wenn der Kranke der Behandlung nicht direkt
widerstrebt, kann man Pseudodemente, Dämmerzustände und Kranke mit
vielen hysterischen Anfällen der Suggestionsbehandlung unterziehen.
Der Gesundheitswille hat sich verringert und die Neigung zu Rezidiven
ist größer geworden. Immerhin kann man bei vorsichtiger Auswahl
der Fälle bei Militärrentenempfängern und Unfallverletzten auf un¬
gefähr 50% Heilungen rechnen. Bei Zivilneurotikern ohne Renten¬
ansprüche beträgt die Zahl der Heilungen 90%. Die Abfindung, die
möglichst früh anzustreben ist, zeitigt sehr günstige Erfolge. Bei
ganz frischen Neurosen, die wenige Tage nach dem Unfälle abge¬
funden wurden, blieb von 15 derartigen Fällen keiner länger als
acht Wochen krank; von ungefähr 150 später Abgefundenen wurden
bis jetzt nur 2 nicht gesund. Pekuniäre Sorgen naben einen ungün¬
stigen Einfluß auf den Heilungsverlauf von Neurosen.
Reis (Bonn), Bedeutung der Blutdruckmessung in der aogen-
flrztlicheu Unfallbegiftachtung. Aerztl. Sachverst. Zt#. Nr. 1. Eine
Thrombose der Zentralvene der Netzhaut ^durch ein Trauma, daß
die Augengegend betroffen hatte, wird häufiger durch dieses als
verursacht angesehen, weil, trotz sorgfältiger Untersuchung, an dem
Herzen, Gefäßen und Nieren nichts Krankhaftes gefunden wird.
Bei der Thrombose der Zentralvene spielen örtliche Zirkulations¬
störungen eine wichtige Rolle. Eine klare Vorstellung von dem
Werdegang dieser Gefäßerkrankungen kann man nur durch exakte
Bestimmung des Blutdruckes gewinnen (?). Erst dann ist man in
der Lage, sich über den ursächlichen Zusammenhang einer Netzhaut¬
venenthrombose mit einem Unfälle gutachtlich zu äußern. Entspre¬
chende kasuistische Belege.
H. Menschel (Dresden), Aneurysma der Arterla vertebralis dextrs
nach einem Traöma. Aerztl. Sachverst. Ztg. Nr. 2. Die Aneurysmen
der Hirnarterien sind relativ häufig (Syphilis, Arteriosklerose). Die
durch ein Trauma verursachten gehören zu den größten Seltenheiten.
Mitteilung eines traumatischen Falles, der zur Sektion kam (2 jähriges
Kind das vom Wagen geschleift wurde), bei dem der ursächliche
Zusammenhang bewiesen wird. Grundsätzliche Bedeutung für die Un¬
fallkunde, daß unter gewissen Umständen eine gesunde Hirnarterie infolge
indirekter Gewalteinwirkung zum Bersten gebracht werden kann.
Digitized by Gougle
Original from
CORNELL UNiVERSITY
VEREINS- UND KONQRESSBERICHTE
Redigiert von Ober-Reg.-Med.-Rat Dr. O. Strauß._
Berlin, Medizinische Gesellschaft, 15. II. 1922.
Fortsetzung der Besprechung „Ueber Salvarsanfragen“. (Vgl.
Nr. 7 S. 243 und Nr. 8 S. 275.)
O. Rosenthal spricht sich energisch für eine kombinierte Be¬
handlung auch im ersten seronegativen Stadium aus. Auch bei der
Abortivbehandlung glaubt er zwei bis drei Kuren machen zu müssen.
Als Quecksilberpräparat hält er die schwerlöslichen Salze für besser.
Durch Beschränkung der Dosen und Beachtung der Kontraindikationen
sowie einwandfreie Verabfolgung des Salvarsans glaubt er die Sal-
varsar:Schäden mindern zu können. Vor allem spricht er sich für
kleine Dosen und individualisierende Behandlung aus.
v. Wassermann: Die Syphilis ist so von biologischen Gesetzen
beherrscht, daß man warnen muß, sich zu sehr von Einzelfällen
gefangen nehmen zu lassen. Das Eigenartige der Syphilis ist ihr
zyklischer Verlauf. Das Primärstadium darf nur bis zum Auftreten
der positiven Wa.R. gerechnet werden, in diesem Stadium sind
die Spirochäten noch nicht in den Geweben, und nur das Salvarsan
kann die Krankheit kupieren, weil es direkt spirillozoid wirkt.
Das seropositive Stadium, das nun folgt, ist nicht einheitlich. Zu¬
erst ist noch nicht eine Allergie des Gewebes eingetreten. Das
allergische Stadium ist verwandt mit dem allergischen Stadium der
Tuberkulose, wie der Vergleich mit dem Kochschen Tuberkulose¬
experiment zeigt. Worauf das beruht, ist bisher noch nicht ganz
erforscht. Zwischen die Stadien sind Pausen eingeschaltet, die als
Latenz bezeichnet werden. Die Latenz im präallergischen Stadium
ist ganz anders zu bewerten als die Latenz im allergischen Stadium,
welrfi letzteres wohl kaum durch irgendein Mittel wird fortgeschafft
werden können: Im präallergischen Stadium soll man nie auf die
spirillozoide Kraft des Salvarsans verzichten. Je mehr man sich dem
allergischen Stadium nähert, desto mehr tritt die Spirochäte gegen¬
über der Gewebsschädigung zurück, und die Mittel, die auf das
Gewebe wirken, kommen hier zu ihrem Recht. Auch das Salvarsan
hat aber eine direkte Wirkung auf die Gewebsschädigung. In der
Syphilisfrage kann man jetzt nur durch das Experiment weiterkommen,
und zwar durch die Reinkultur der Spirochaete pallida im flüssigen Me¬
dium. Diese Kultur ist v. Wassermann gelungen. Wenn zu dieser
Kultur normales Serum zugefügt wird, so ändert sich die Kultur nicht,
desgleichen, wenn Serum eines Kranken mit Wa.R. -J--}—|—hinzugetan
wird. Dagegen agglutinierte das Serum eines Syphilitikers mit negativer
Wa.R. Dies zeigt, wie wenig erforscht noch das Geschehen der Syphilis
ist. Noch lange wird das Salvarsan das beste Mittel gegen die Syphilis sein.
U. Friedemann macht einige kasuistische Mitteilungen von
Fällen, bei denen die Ursache für die Salvarsanschädigung erkannt
werden konnte. Dreimal handelte es sich um eine scnwere Leber¬
erkrankung, bei’ der durch das Salvarsan eine Tropika verschlimmert
worden war. Weitere Fälle sind in der Literatur berichtet, und
wahrscheinlich sind die Fälle noch viel häufiger, da die meisten
Aerzte die komatöse biliäre Leberatrophie aus eigner Anschauung
nicht kennen. Friedemann glaubt daher, daß bei der Häufung
der sog. gelben Leberatrophie die Malaria tropica eine große Rolle
spielt. Man sollte vor jeder Salvarsaninjektion nach einer voraus¬
gegangenen Malaria forschen, evtl, das Blut darauf untersuchen.
F. Pinkus: Das Salvarsan ist unbedingt das beste Mittel gegen
die Syphilis, wie sich am leichtesten bei den seronegativen Primär¬
affekten, bei schweren tertiären Erkrankungen und bei der malignen
Syphilis erkennen läßt. Im Auslande hat man dies auch festgestellt
und schätzt das gute Salvarsan, das nur aus Deutschland kommt,
so sehr, daß man es im Kriege rationieren mußte. Auch das
deutsche Salvarsan ist aber ein sehr differentes Mittel. Am un¬
angenehmsten sind die Blutungsreaktionen nach den Salvarsaninjek-
tionen. Diese lassen sich durch Einschleichen mit häufigen kleinen
Dosen vermeiden. Trotz bester Technik können aber Schädigungen
auftreten, und diese müssen dem Salvarsan in die Schuhe geschoben
werden. Die klinische Beobachtung spricht dafür, daß einzelne Nummern
schlecht sind, und es ist notwendig, eine bessere Kontrolle einzuführen.
Morgen roth: Wie sich aus den ausländischen Zeitschriften
erkennen läßt, gibt es auch dort sehr verschieden giftige Salvarsane.
Der Schädling im Salvarsan schien die erste Oxydationsstufe des
Salvarsans zu sein. Dies ist nicht der Fall, da sich durch Reduktion
die Giftigkeit nicht zum Verschwinden bringen läßt. Es hat sich
herausgestellt, daß beim Stehenlassen der alkalischen Altsaivarsan-
lösung sogar eine Entgiftung eintritt. Irgendwelche chemische Grund¬
lagen konnten hierfür bisher nicht gefunden werden. Sicher spielt
jedenfalls die Art der Lösung eine große Rolle.
F. Lesser: Man darf sich nicht über prinzipiell wichtige Forde¬
rungen hinwegsetzen. So wirkt das Einschleichen mit kleinen Dosen
insofern schädlich, als diese Behandlung eine Arsenfestigkeit her-
vorrult. Nur bei großen Dosen kann man beim seronegativen Primär¬
affekt die Heilung in etwa lOOo.'o der Fälle erreichen. Lesser tritt
für die sog. Minimalkur ein. Er fordert, daß man nur so viel Salvarsan
geben soll, als für die Kur ausreicht. Drei Injektionen von Neo-
salvarsan Dos. IV innerhalb 8 Tagen genügen, um den seronegativen
Primäraffekt dauernd zu heilen. Bei den Sicherheitskuren soll die
Beschränkung der Salvarsanzufuhr einsetzen. Die tertiäre positive
Wa R soll man mit Salvarsan zu beeinflussen suchen. Die kom-
binierie Behandlung lehnt er völlig ab. Dresel.
Berlin, Verein für Innere Medizin und Kinderheilkunde,
(Pädiatrische Sektion), 12. XII. 1921.
Offizielles Protokoll.
Vorsitzender: Cassel. Schriftführer: L. F. Meyer.
L. Michaelis und F. Müller: Anwendung der Indikator eomethode
auf Magen- und Darmsaft (Vgl. Nr. 8 S. 252.)
Schiff: Ueber den Icterus neonatorum. (Untersuchungen mit
E. Faerber.) Die grundlegenden Untersuchungen von Hirsch und
Ylppö ergaben, daß im Blutserum des Neugeborenen in den ersten
Lebenstagen eine Bilirubinämie besteht, unabhängig davon, ob das
Kind ikterisch wird oder nicht. Ylppö führt dies darauf zurück,
daß die Leber einige Zeit nach der Geburt funktionell noch minder¬
wertig ist und einen nicht geringen Teil des gebildeten Gallen-
farbstoffes, anstatt in die Gallenwege zu leiten, in das Blut über¬
treten läßt. Durch die Untersuchungsmethoden von H. van den
Bergh schien nun die Möglichkeit gegeben zu sein, die Herkunft
dieses Bilirubins näher zu charakterisieren. Die Untersuchungen,
die in etwa 40 Fällen ausgeführt wurden, ergaben im wesentliciren:
1. Daß alle Sera nur die indirekte Reaktion zeigten, die direkte fiel
stets negativ aus. 2. Daß zwischen dem Grade der Bilirubinämie
und der Intensität bzw. dem Auftreten des Ikterus kein Parallelismus
besteht. Für den indirekten Ausfall der Diazoreaktion wird eine gestei¬
gerte Blutmauserung verantwortlich gemacht, vielleicht besteht ein er¬
höhter Untergang mütterlichen Blutes. Die Verschiedenheit zwischen
Haut- und Gewebsikterus beruht wahrscheinlich auf einer verschieden¬
artigen Durchlässigkeit der Gefäße dem Gallenfarbstoffe gegenüber.
Wenn nun entsprechend der Bilirubinämie auch der Gewebsikterus bei
jedem Kinde sich einstellen würde, oder wenn sein Auftreten nur
von dem Grade der Bilirubinämie abhängig wäre, so müßte auch der
Icterus neon. als eine physiologische Erscheinung aufgefaßt werden.
Weder das eine noch das andere ist aber zutreffend. * Damit also die
Gewebe die Gelbfärbung aufnehmen, muß zur Bilirubinämie noch
etwas hinzukommen. Einrichtungen, die normalerweise und vielleicht
bis zu einer bestimmten Grenze den Austritt des Gallenfarbstoffes
aus der Blutbahn verhindern, müssen eine Störung erleiden. Innere
Faktoren wie auch äußere Schädlichkeiten können dies verursachen.
Physiologisch ist also die Bilirubinämie, pathologisch aber der Ik¬
terus auch dann, wenn er, wie das meist der Fall ist, binnen einigen
Tagen und ganz harmlos verläuft.
H. Davidsohn: Zur künstlichen Ernährung Neugeborener. Das
Problem der künstlichen Ernährung Neugeborener ist bis heute nicht
gelöst. Der vorliegende Beitrag stellt keine neue Methode dar, sondern
nur eine Verbesserung der Tedinik innerhalb des Rahmens der gegen¬
wärtig vorhandenen Ernährungsmethoden. Die Frage, wie weit Ver¬
besserungen möglich sind, kann nur durch eine Analyse der Mi߬
erfolge beantwortet werden. Eine statistische Uebersicht der eigenen
Erfahrungen ergibt, daß bisher auf 20 Erfolge 80 Fälle mit stärkeren
Entwicklungsstönmgen kommen, teils durch längeren Gewichtsstill¬
stand, teils durch starken Durchfall mit Gewichtsabnahme, und daß
im ganzen 20 Fälle tödlich enden. Als Erklärung der Mißerfolge bei
den Säuglingen des Hospitals werden teils psychische Inanition, teils
Infektionsschäden und unzureichende Technik der Ernährung an¬
genommen. Von der zweiten Anschauung ausgehend, wurde die
Hauptklippe der Erfolge im gesetzmäßig eintretenden Durchfall des
Neugeborenen erblickt und eine Aenderung in der Behandlung des
Durchfalles als aussichtsreich erachtet. Die bisher übliche Behand¬
lung heilt zwar den Durchfall, läßt aber zu dem durch den Durch¬
fall entstandenen Stoffverlust noch den Schaden der Inanition hinzu¬
kommen. Sic führt bei einem Teil der Jüngsten und Schwächsten zur
Dekomposition. Nach den klinischen Beobachtungen läßt sich* ein
nicht kleiner Teil der an Durchfall erkrankten Säuglinge schon auf
weniger eingreifende Weise heilen, nämlich durch Nahrungsvermeh¬
rung. Diese Durchfallserkrankungen sind zunächst immer gutartig,
können aber bei unzweckmäßigem Vorgehen in eine ausgesprochene
Ernährungsstörung, besonders in die Dyspepsie, übergehen. Für
diesen Durchfall wird die Bezeichnung „initiale Diarrhoe“ vor¬
geschlagen. Die initiale Diarrhoe hat ein Symptomenbild, das sich
wesentlich von dem der Dyspepsie unterscheidet. Sie dürfte als ein
durch Infektion oder äußeren Reiz entstandener Katarrh des funk¬
tionell noch unvollkommenen Neugeborenendarmes anzusehen sein.
Als Lokalisation der Störung ist wohl der Dickdarm zu betrachten.
Durch Behandlung der initialen Diarrhoe mit Nahrungsvermehrung
konnten im letzten Jahre 74o/ 0 Erfolge bei nur 3% Mortalität erzielt
werden. Nahrungsvermehrung kann durch einfache Vermehrung der
Mengen der bisher gereichten Nahrung erzielt werden sowie durch
Anreicherung des Volumens. Behandlung der Diarrhoe mit kalorischer
Steigerung erscheint indiziert beim Zusammentreffen der folgenden
zwei Bedingungen: 1. der Energiequotient ist sicher zu klein oder
deckt nur gerade den Bedarf, 2. eine erhebliche Störung des Allge¬
meinbefindens fehlt. Kontraindikation ist das Bestehen einer ernsteren
Ernährungsstörung.
Besprechung. Japha: Was uns Davidsohn als initiale
Durchfälle bezeichnet hat, hat doch große Aehnlichkeit mit Zuständen,
wie sie durch in irgendeiner Weise ungenügende Ernährung verau-
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSITV
340
VEREINS- UND KONORESSBERICHTE
Nr.
laßt werden. Solange ich als junger Arzt mich streng an die da¬
mals vorgeschriebenen Mengen- und Mischungsverhältnisse hielt,
waren auch in meiner Privatpraxis derartige Störungen an der Tages¬
ordnung. Erst als ich mit wachsender Erfahrung dreister wurde und
darüber hinausging, sah ich sie kaum jemals mehr. Solche Tat¬
sachen, wie sie heute vorgetragen sind, und solche Erfahrungen
zeigen doch, daß das Dogma der Minimalernährung, in dem
wir alle aufgewachsen sind, sich nicht aufrechterhalten läßt,
das gilt für Säuglinge ebenso wie für Erwachsene, bei denen ja die
Kriegserfahrungen im größten Maßstabe gelehrt haben, daß es mit
der Minimalernährung nichts ist. Dabei braucht nicht unbedingt an¬
genommen zu werden, daß manche Säuglinge einen höheren Oe¬
samtkalorienbedarf haben, vielmehr halte ich den Gedanken David¬
sohns für glücklich, daß vielleicht manchmal gewisse notwendige
Stoffe bei einer geringen Nahrungsmenge dem Kinde fehlen können.
Das ist ähnlich wie bei den eigentlichen Ernährungsstörungen, wo
wir ja auch erst dann Erfolge erzielten, als Nahrungsmischungen
gefunden wurden, die wir den Kindern unbedenklich in schnell
steigender Menge zuführen konnten. Uebrigens kennen wir Gleiches
a auch von der natürlichen Ernährung, auch hier werden Durch-
älle, Erbrechen, Ekzeme oft, wie wir alle wissen, sehr schnell be¬
seitigt, wenn man zufüttert, manchmal auch in Fällen, wo die Flüs¬
sigkeitsmenge gar nicht so übermäßig niedrig schien.
Finkeistein: Nach einer Zusammenstellung von J. Levy ist
der Prozentsatz der „initialen“ Diarrhöen, die wohl auf Darmreizung
infolge Aenderung der Darmflora in der neuen Umgebung zurück¬
zuführen sind, um so größer, je größer der Unterschied zwischen
früherer und neuer Ernährung, am größten also bei unmittelbar von
der Brust kommenden, danach bei Zweimilchkindern, am kleinsten
bei schon vorher künstlich ernährten. Daß man junge Säuglinge von
Anfang au sorgsam vor Unterernährung schützen muß und daß viele
unter unzulänglicher Ernährung einsetzende Durchfälle bei Nahrungs¬
vermehrung wieder verschwinden, ist in der letzten Zeit von ver¬
schiedenen Seiten betont worden. Das Neue an den Mitteilungen
David soll ns ist die Empfehlung, diese Initialdiarrhöen, auch wenn
sie bei genügend hoher Kostbemessung entstanden sind, durch noch
weitere Kosterhöhung, also durch eine Art Uebermaß zu bekämpfen.
Die ausgezeichneten Erfolge, die vorgeführt wurden, bewegen die
Berechtigung dieser Empfehlung. Bei der großen Neigung, alle
Säuglingsdiarrhöen auf Gärungen zurückzuführen, die namentlich
auch bei den Praktikern besteht, dürfte das Vorgehen vielen zunächst
freilich befremdlich erscheinen; die Initialdiarrhöen sind aber eben
keine Gärungsdiarrhöen. Da aber Gärungsdiarrhöen immerhin eben¬
falls gelegentlich Vorkommen könnten, ist die Wichtigkeit, aber ^uch
Schwierigkeit der Differentialdiagnose klar.
L. F. Meyer: In der Hauptsache handelt es sich um die Dif¬
ferentialdiagnose: Echte Dyspepsie oder initiale Diarrhoe. Für das
Vorliegen einer initialen Diarrhoe, also für eine harmlose Dickdarm¬
reizung, spricht die Abwesenheit irgendwelcher toxischer Symptome
und das Fehlen stärkerer Gewichtsabnahmen. Die Mehrzahl der Fälle
läßt sich nach dem Gewichtsverhalten einreihen; es wird nur eine
kleine Zahl diarrhoischer Zustände übrigbleiben, bei denen diese
Entscheidung schwierig ist, und in solchen unklaren Fällen wird man
bei der alten Schonungsbehandlung bleiben müssen.
Berlin, Augenärztliche Gesellschaft, 24. Xl.u. 15. XII. 1921.
Offizielles Protokoll«
Vorsitzender: Krückmann. Schriftführer: Wertheim.
(24. XI.) Paderstein zeigt Fälle von frischer einseitiger Schwimmbad-
konjunktivitis, betont das Ueberwiegen der Einseitigkeit (unter den
letzten 17 Fällen nur 2 doppelseitig) und hebt hervor, daß er seit
1912 beständig, bald gehäuft, bald vereinzelt, zweifellose Fälle von
Schwimmbadkonjunktivitis behandelt' hat. Es handelt sich also nicht
um zeitlich begrenzte Endemien, sondern um beständig .wirksame
Infektionsquellen. Falls sich daher die im städtischen Schwimmbad
Neukölln eingeführte Chlorierung des Bassininhalts bewährt, was
der Fall zu sein scheint, muß ihre Einrichtung auch für die anderen
Anstalten gefordert werden. Auch in anderen Städten sind gehäufte
Fälle von Schwimmbadkonjunktivitis beobachtet worden. Neubuer
in Köln hat über Komplikation mit Tubenkatarrhen berichtet. In
dem trachomfreien Freiburg i. B. denkt man an die Möglichkeit eines
ätiologischen Zusammenhanges mit Genitalblennorrhoe. Es würden
dadurch neue interessante Beziehungen zwischen den 3 Erkrankungen
geknüpft, bei denen hauptsächlich „Einschlußkörperchen“ gefunden
werden: Trachom, Einschlußblennorrhoe, Schwimmbadkonjunktivitis.
Lindner hält die beiden ersteren Erkrankungsfonren für identisch.
Es wäre sehr erwünscht, 'daß alle frischen Fälle von Schwimmbad-,
konjunktivitis auf Einschlüsse untersucht werden. Doch sind diese
Untersuchungen mühsam und zeitraubend und bedürfen der Uebung.
Löwen stein hat bei Trachom in annähernd 100% Einschlüsse
gefunden, andere Untersucher viel seltener. Die von Huntemüller
erfolgreich begonnenen Uebertragungsversuche auf Affen werden
leider aus bekannten Gründen in absehbarer Zeit keine Fortsetzung
finden.
Meesmann: a) Cataracta coernlea. Die Cataracta coronaria ist
seit Einführung der Spaltlampe ein häufiger Befund. Nach Vogt
findet sie sich in 25% der Untersuchten jenseits der Pubertätszeit,
während sie vor diesem Lebensalter zur Seltenheit gehört. Die in
manchen Fällen hierbei beobachtete Blaufärbung einzelner Trübungen
die den Namen Cataracta coerulea oder viridis veranlaßten, ist ein
rein optisches Phänomen und konnte an einem besonders ausge¬
sprochenen Fall dieser Art von Meesmann demonstriert werden.
An der Spaltlampe erschienen die jeweils jüngsten, meist scheiben¬
förmigen Trübungen bei direkter Beleuchtung stark blau-grün gefärbt,
während sie im durchfallenden Licht wegen ihrer Dünnheit fast
verschwunden waren und nicht mehr blau, sondern leicht grau¬
braun erschienen. An einzelnen dieser Scheibchen waren auch bei
direkter Beleuchtung grau-weiß gefärbte Partien neben bläulichen
zu sehen, die in durchfallendem Lichte deutlicher hervortraten, als
Beweis dafür, daß es sich hierbei um eine Dickenzunahme der
Trübungsschicht handelt, die aiv anderen Trübungsscheibchen schon
zu einer vollständigen Graufärbung geführt hatte. Im übrigen deckte
sich der Befund mit den auch von anderen (Heß-Vogt) gegebenen
Schilderungen dieser Kataraktform. Als weitere nicht zur Koronaria
ehörende Veränderungen fanden sich in der Rinde lamellare Zer-
lüftung, Wasserspaltenbildung, faserige und punktförmige Trübun-
f en und ein ausgesprochener Kernstar. Die Linse des rechten Auges
onnte vor 10 Tagen entfernt werden, während links noch eine
Sehschärfe von */ 1B bestand. — b) Waiserspalten in Kera eiaer jagend-
liehen Linse bei Cataracta complicata. Bei einem 21jährigen Manne
entstand nach leichter vorübergehender Iridozyklitis rechts, für die
eine Ursache noch nicht gefunden werden konnte, Wa.R. negativ,
Tuberkulosereaktion negativ, innere Untersuchung negativ, eine
Cataracta corticalis posterior complicata und nach viermonatigem
Bestehen eine in wenigen Tagen sich vollziehende starke Quellung
der Linse durch Wasseraufnahme. An der Spaltlampe bei verengtem
Lichtbüschel fanden sich zahlreiche ausgedehnte Wasserspalten im
Embryonal- und Alterskern, konzentrisch zu den Kernoberflächen an¬
geordnet, während die Rinde nur ganz vereinzelte schmale Spalten
aufwies. Ein prinzipieller Unterschied gegenüber den Rindenspalten
ließ sich r.icht erkennen, vielmehr glichen sie in ihrem Aussehen bis
ins einzelne den von Vogt beschriebenen Bildern der Rindenwasser¬
spalten; das Gleiche gilt auch von den weiteren Veränderungen ihres
anfangs wasserklaren Inhaltes, bemerkenswert erschien nur ihre
abnorme sagittale Ausdehnung. Einzelne auseinander^ezerrte Linsen¬
fasern* zogen quer durch die Spalten, deren Inhalt sich schon nach
wenigen Tagen grau-weiß trübte. Bis jetzt ließen sich die Spalten,
ohne daß eine Verkleinerung ihres sagittalen Durchmessers und der
Linse selbst sich feststellen ließ, 5 Wochen beobachten. In der Rinde
traten schon bald zahlreiche punktförmige Trübungen auf, deren
Vakuolennatur im durchfallenden Licht deutlich zu erkennen war.
Der vordere Linsenchagrin ist unverändert. Die Entstehung der
Spalten ist auf vitale Veränderungen der Linsensubstanz und dadurch
veränderte osmotische Bedingungen einerseits und auf die weiche
Konsistenz des jugendlichen Linsenkerns anderseits zurückzuführen.
Beide Fälle wurden nach der Sitzung an der Spaltlampe demonstriert.
(15. XII.) Levinsohn: Zur Pathogenese des Glaukoms. Die Ursachen,
welche auf das Zustandekommen des primären Glaukoms einwirken,
werden in 4 Gruppen zerlegt: die pathogenetischen, die prädispo¬
nierenden, die auslösenden und die unterstützenden Momente. Als
das eigentliche pathogenetische Moment hat Leviusohn auf Grund
pathologisch-anatomischer Untersuchungen die Infiltration der vor¬
deren Abflußwege des Auges mit den zertrümmerten Bestandteilen
des hintern PigmentepitheTs festgestellt. Diese Auffassung ist ira
wesentlichen durch die Untersuchungen Köppes mit Nernstspalt¬
lampe und Hornhautmikroskop am lebenden Menschen bestätigt
worden. An der Hand einiger neuer Beobachtungen wird gezeigt,
daß in vereinzelten Fällen auch die Zertrümmerung der stromalen
Pigmentzellen sehr wahrscheinlich die Ursache eines primären Glau¬
koms ist. Das wesentliche disponierende Moment erblickt Levin-
sohn in der von ihm an ganz frischem Glaukom nachgewiesenen
Vergrößerung des Ziliarkörpers, die einerseits den Kammerwinkel
stark verengt, anderseits aut mechanischem Wege (Anlagerung des
1. Ziliarfortsatzes an die Hinterfläche der Iris) und durch tropnische
Beeinflussung die ziliaren Partien des hinteren Pigmentepithels stark
schädigt. Außer der Ziliarkörpervergrößerung kommen für die Schä¬
digung des hintern Pigmentepithels noch Traumen, senile Verände¬
rungen und andere, bisher unbekannte Ursachen In Frage. Das am
stärksten für die Auslösung des Glaukomanfalls in Frage kommende
Moment bildet der psychische Affekt bzw. die sensible Erregung,
die höchstwahrscheinlich auf die damit verbundene Pupillenerweite¬
rung zurückgeführt werden muß. Zu den das Auftreten des Glaukoms
begünstigenden Momenten sind vor allem Störungen der Blutzirkulation
zu rechnen, wobei weniger der Blutdruck als die lokale Blutver¬
teilung und vor allem die Blutbeschaffenheit eine besonders wichtige
Rolle spielen. Schließlich zeigt Levinsohn, daß durch die von
ihm aufgestellte Pigmenttheorie die Behandlung des Glaukoms, und
zwar sowohl die medikamentöse, als auch die operative (Zyklodialyse,
Iridektomie), eine besonders plausible Deutung erfährt.
Besprechung. Cornberg: Bei vielen Untersuchungen von
Olaukomfällen an der Spaltlampe, auch unter Anwendung der stärk¬
sten Vergrößerungen, konnte die Pigmentzerstreuung oft nicht
B efunden werden. Es handelt sich dabei um akute und chronische
älle. Daß jedoch in einem andern Teil der Fälle Pigmentzerstreuung,
meist in Verbindung mit Irisatrophie, vorhanden ist, soll nicht be¬
stritten werden. Das beweist aber noch nichts für die ätiologische
Bedeutung der Piginentverstopfung. Das Pigment ist so labil fixiert,
daß es durch rein mechanische Schädigungen schon zur Auswanderung
Digitized by Gougle
Original fro-m
CORNELL UNiVERSITY
10. März 1922
VEREINS- UND KONORESSBERICHTE
341
«bracht werden kann. Deshalb wird man die Pigmentzerstreuung
bei Glaukomfällen, bis nicht strikte Beweise für das Oegenteil vor¬
liegen, besser als eine Folge der starken biochemischen Gewebs-
alteration auffassen. Diese gewinnt besonders dann an Bedeutung,
wenn unter entzündlichen Veränderungen eine stärkere Drucksteige¬
rung oder sonstwie eine schwere Ernährungsschädigung der Gewebe
eingetreten ist. Die Beobachtungen mit Hilfe des Seidelschen Fistel¬
versuchs sprechen dafür, daß öfter nicht die Verstopfung der
Abflußwege, sondern eine Überproduktion von Kammer¬
wasser die Ursache des Druckanstieges ist. .
Kuffler: Die Fälle von Vossius habe ich seinerzeit alle
gesehen. Meiner Erinnerung nach fand sich Pigmentverstreuung bei
frischem primären Glaukom, wenn überhaupt, nur ganz ausnahms¬
weise, meistens an operierten Fällen und nach Iritis.
Paderstein: Auf Grund einer außerordentlich reichen Erfah¬
rung kam Laqueur, der auch selbst doppelseitig an Glaukom
iridektomiert war, zu dem Ergebnis, daß die primäre Ursache extra¬
okular zu suchen sei und die anatomischen Befunde als sekundäre
zu betrachten. Seine Anschauung, daß dem entzündlichen Glaukom
eine durch nervöse Einflüsse hervorgerufene Uebersekretion des
Ziliarkörpers zugrundeliege (Sekretionsneurose), hat durch den Nach¬
weis von Nerven sowie durch die von Levinsohn hervorgehobene
Schwellung des Ziliarkörpers neue Stützen bekommen. Es ist leicht,
zu verstehen, daß mit der vermehrten Flüssigkeit auch Pigment
abgeschwemmt wird und sich dann als Folge, nicht als Ursache des
Vorgangs, in den Abflußwegen findet.
Königsberg i. Pr., Verein für wissenschaftliche Heilkunde,
19. Xli. 1921.
Offizielles Protokoll.
Vorsitzender: Winter. Schriftführer: Schütze.
Festsitcnog zur Feier des 70]lbrigen Bestehens des Vereins.
E. Meyer: a) Neuralgie des Plexus brachiaüs bei Polyzythämie.
44jahriger Mann. 1906 Syphilis, sonst gesund. Seit mehr als 5 Jahren
Schmerz in der rechten Schulter bis zum Ellenbogen und nach der
Achselhöhle ausstrahlend. Die Schmerzen sind stechend, brennend,
wie ein Druck, wechseln in der Stärke, bestehen aber dauernd.
Gleichzeitig Kribbeln in den Fingern der rechten Hand. Vorüber¬
gehend Schwellung in der rechten Brust. Wegen vermuteter Ge¬
lenkentzündung 1919 und 1921 operiert, zuletzt mit Resektion des
Gelenkkopfes, ohne wesentliche Besserung. Auch eine Salvarsankur
hatte keinen Erfolg. Bei der Aufnahme tiefrote Farbe des Gesichts
und der sichtbaren Schleimhäute; Gesicht etwas wulstig. Patient will
seit Jahren dieses Aussehen haben. Blutuntersuchung: Erythrozyten
6120000, Hämoglobin 85, Blutdruck 150. Keine Milz- oder Leber¬
vergrößerung. Wassermann im Blut und Liquor negativ. Keine
Zeichen eines organischen Nervenleidens. Endpnalangen der rechten
rfand auffallend gerötet, trommelschlegelartig verdickt. Meyer weist
darauf hin, daß Nervenstörungen verschiedener Art bei Polyzythämie
beobachtet sind, neben zerebralen auch peripherische, u. a. Arthral¬
gien. Vielleicht kann man solche neuralgische Erkrankung wie die
vorliegende mit den schmerzhaften Störungen bei vasomotorischen
Neurosen in Beziehung bringen. Behandlung mit Tiefenbestrahlung
war bisher ohne Erfolg 1 ), b) Doppelseitige Halsrippe. 24jähriges
Mädchen. Schwächlich, viel Kopfschmerzen und Schwindel, noch
nicht menstruiert. Herbst 1920 Gefühl von Kälte und Eingeschlafen¬
sein im rechten Arm, der blau und steif wurde, die Finger wurden
steif und krumm. Sommer 1921 wurden auch der rechte Ellenbogen
und die Schulter schwer beweglich und steif. Seit vier Monaten
die gleichen Beschwerden. Im linken Unterarm Parästhesien, die
linke Hand ungeschickter. Bei der Aufnahme Schwäche und Steifig¬
keit im rechten Arm, weniger im linken. Keine sicheren Sensibilitäts-
Störungen. keine Veränderungen der elektrischen Erregbarkeit. Auf¬
fallend steife Kopfhaltung. Kyphoskoliose im Brustmark, etwas
Struma, sehr defekte Zähne. Liquor und Blut ohne pathologischen
Befund. Bei Röntgenuntersuchung beiderseitige Halsrippe, 10 cm
lang, frei endigend. Meyer weist noch darauf hin, daß das Vor¬
handensein der Halsrippe im Einklang mit den sonstigen Degenera¬
tionszeichen steht, c) Encephalitis letnargica mit besonderem Verlauf.
45jährige Frau. Oktober 1918 Grippe und doppelseitige Pneumonie.
Aalt Tage Fieber, keine Delirien, danach drei Tage wie besinnungs¬
los. Noch zwei Monate sehr elend. Nach im ganzen drei Monaten
anscheinend völlig gesund. Februar 1920 anscheinend Erkältung,
etwas Fieber, Gefühl des Absterbens der Füße, dann 14 Tage lang
arbeitet. Sommer 1921 Zittern der rechten Hand. Steife, vornüber¬
gebeugte Haltung des Körners, Gang langsam, steif, allgemeine Ver¬
langsamung. Schwangerschaft verlief normal. 9. XI. 1921 Geburt
ohne Störung, danach sechs Tage wie gesund. Dann wieder der
gleiche Zustand wie vor der Geburt, mit zunehmender Verschlech¬
terung. Sprache schlecht, auch Schlucken. Bei der Aufnahme das
ausgesprochene Bild der Paralysis agitans mit lethargischem Ein¬
schlag. Beiderseits Ptosis, Einstellungsnystagmus. Unterkiefer hängt
ii prir.-Doz. Dt. B Otto er, Medizinische Klinik, hier, bestätigte die Diagnose
und nahm eine regressive Form von Polyzythämie an. ,
herab, dabei Kontraktur der Masseteren. Schluck- und Sprachstörung,
beiderseits Patellar- und Fußklonus.
Matthes: a) Fall von Zystenleber. Es hat sich im Laufe der
Jahre ein riesiger Lebertumor entwickelt. Die Leber ist durch die
fluktuierenden Zysten höckrig. Außerdem besteht etwas Aszites.
Die Levuloseprobe ergab normale Toleranz. Duodenalsondierung
liefert reichliche Mengen dunkelgefärbter Galle. Im Röntgenbild
kann man die hell durchscheinenden Zysten von dem übrigen Leber-
g ewebe nach Anlegung eines Pneumoperitoneums gut abgrenzen.
»ie Punktion der Zysten ergab klare Flüssigkeit mit nur 3% 0 Eiweiß
gegen 15 % 0 der Aszitesflüssigkeit. Zysten und Aszitesflüssigkeit
enthalten einige Siegelringzellen, dagegen nichts für Echinokokkus
Sprechendes. Weder Bernsteinsäure, noch Echinokokken, noch Mem¬
branen. Auch der Kochsalzg^halt der Zysten ist 0,59o/o. Die Komple¬
mentreaktion war negativ. Keine Eosinophilie im Blut. Danach ist
wohl ein multilokulärer Echinokokkus ausgeschlossen. Von anderen
Zysten kommt nur das multiple Zystadenom in Betracht. Dieses ist
häufig mit Zystennieren verbunden. Die Kranke hat zwar keinen
pathologischen Urinbefund, dagegen kann sie schlecht den Urin
konzentrieren und auch schlecht verdünnen, sodaß mindestens Ver¬
dacht auf gleichzeitiges Vorhandensein einer Zystenniere besteht,
b) 57jährige Frau, nach dem Einsetzen des Klimakteriums heftige
Schmerzen in den Fingern, an denen sich Fisteln bildeten, die
bröckelige Massen entleerten. Diese bestanden aus phosphor¬
saurem bzw. kohlensaurem Kalk. Außerdem hat sich all¬
mählich ein ausgesprochenes Skleroderm der Hände entwickelt, auch
haben an den Füßen Fisteln sich gebildet, die Kalkmassen entleerten.
Demonstration der Röntgenplatte, die Verkalkung zeigt. Der Fall ist
als sogenannte Kalkgicht aufzufassen. Es ist bekanntlich dabei be
kalkreicher Kost der Blutkalkspiegel höher als bei Gesunden.
Kaiserling: a) Eia seltener Askaridenbefaod. Ein mittelgroßer
Spulwurm hat sich mit der vorderen Leibeshälfte durch eine Quer¬
falte des Dünndarms hindurchgebohrt, ist dann aber durch einen
dünnen Gewebsstreifen, anscheinend Schleimhautmuskulatur, um¬
schnürt. Das hintere Ende war ganz blaß und leicht geschrumpft,
b) Ein elementares Blntmodell. Vom Blute wissen die meisten nur,
daß es eine rote Flüssigkeit ist. Alles andere ist in der Regel totes
Gedächtniswissen. Auf die Frage: Wieviel Blutkörper hat ein er¬
wachsener Mensch? antworten fast alle: 5 Millionen im Kubikmilli¬
meter. Die Antwort ist falsch, denn der Mensch hat 5 1 Blut und
darin 25 Billionen Rote. Zahlen sind blind, wenn sie nicht im Raume
gesehen werden. Legt man die roten Blutkörperchen (7,5 p : 2,5 p)
wie Geld nebeneinander, ergibt sich eine Strecke von 187000 km,
4,7mal den Umfang des Aequators. Zählt man 10 in jeder Sekunde
auf, so sind rund 80000 Jahre ununterbrochener Arbeit dazu nötig.
Die roten Blutkörperchen zweier Menschen genügen, um eine Bracke
auf den Mond zu bauen. Alle diese Größen sind kaum vorstellbar.
Ein D-Zug mit 70 km Geschwindigkeit braucht 111,6 Tage, um die
Blutkörperchenlänge abzurasen. Aufeinandergelegt, umschlingt die
Blutkörperchensäule von 62000 km l,5mal den Erdäquator, in eine
Fläche nebeneinander gelegt, decken die roten Blutkörperchen 1400 qm,
die ganze Oberfläche als Zylinder gedacht, rund 3680 qm. Das ist
die Atemfläche. Man vergleiche mit bekannten Flächen. Noch er¬
staunter sind die Hörer, wenn sie erfahren, daß die 35 Milliarden
Weißen, durchschnittlich zu 10 u gerechnet, 350 km, von Königs¬
berg bis Posen, bei 10 qm Oberfläche ausmachen. Das Volumen des
Blutes läßt sich leicht m 5 Würfeln von je 10 cm Seite darstellen.
Davon sind 2 cdm Hämoglobin, 3 Plasma, die Leukozyten nehmen
(ohne Zwischenräume) einen Würfel von nur 2,63 cm, gleich 18,33 ccm
ein. Das Fibrin füllt einen Würfel von 2,2 ccm, wenn das Blut
0,2o/o enthält. Die Oberfläche der als Würfel gedachten Hämoglobin¬
moleküle (2,5 pp) beträgt rund 2 qkm! Man kann nun die Körper
allenfalls noch zu Flächen reduziert aufzeichnen und so sehr an¬
schauliche Tafeln von den verschiedenen Bluterkrankungen erhalten,
die dann sofort eine Reihe von noch nicht genügend gelösten
Fragen aufdrängen, z. B. über die Gesamtmenge des Blutes dabei.
Eine Polyzythämie mit 10 Millionen im Quadratmillimeter und nicht
vermehrter Blutmenge würde 4 1 Blutkörperchen und 1 1 Plasma er¬
geben, eine wohl kaum genügend flüssige Masse. In ähnlicher Weise
kann man das Modell für die übrigen Substanzen ausbauen und so
unmittelbar etwas Bestimmtes zeigen. Wenn jeder Einzelne durch
eigene Arbeit sich selber so zwingt, nichts zu denken, was er nicht
darstellbar sieht, und bei allem Sehen sich etwas Begriffliches klar
denkt, dann können wir vielleicht aus unseren metaphysischen Träu¬
men, unserem toten Gedächtniswust und dem gläubigen Lauschen
auf hohlen Wortklang herauskommen und eine Nation von Wirk¬
lichkeitsmenschen werden, die den metaphysischen Spekulationen den
einzig richtigen Platz im Gemüte anweist. Das ist der tiefernste
Sinn des anscheinend kindlichen Spieles.
Birch-Hirschfeld: a) Aniridia ocnli ntrinsque. Der 13jährige
Knabe ist seit Geburt schwachsichtig. Keine Heredität. Das linke
Auge wurde in Berlin zweimal, offenbar wegen Cataract. luxat., ohne
Erfolg operiert. Es zeigt jetzt dichte, pannusartige Hornhauttrübung,
Keratektasie und Hypertonie. Das Gesichtsfeld ist nasal eingeengt,
der Visus auf Erkennen von Handbewegungen vermindert. Beim
Durchleuchten mit der Langeschen Lampe erkennt man das Fehlen
der Iris. Das rechte Auge, das eine zarte Trübung der Hornhaut-
penpherie und des Hornhautzentrums bietet, hat normalen Druck.
Die Iris fehlt vollständig — soweit die Durchleuchtung nachweisen
■aßt. Die nach oben verlagerte Linse ist in der vorderen Rinden¬
schicht getrübt. An der Nernstspaltlampe lassen sich die Zonula-
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNiVERSITV
342
VEREINS- UND KONGRESSBERICHTE
Nr. 10
fasern, mit ultraviolettem Licht die Verschiebung der Linse sehr
schön beobachten. Die Papille ist atrophisch und exkaviert, die Seh¬
schärfe mit -{- 8.0, Fiugerzählen 2 m. Das Gesichtsfeld läßt sich
wegen des Nystagmus nicht genau feststeileu. Hirse Ilfeld bespricht
die Entstehung des angeborenen Irismaugels und hebt hervor, daß
sein Fall die Annahme Seefelders, nach welcher die Aniridie
mit weitgehenden Störungen der ektodermalcn Augenanlage (Netz¬
haut, Linse) verknüpft ist, bestätigt, b) Sarkom der Aderhaut.
2 Jahre mit Röntgenstrahlen und Radium behandelt.
Der 29iährige Patient, der sein linkes Auge in früher Kindheit durch
eine Verletzung verlor, erkrankte Ende 1919 an Sehstörung des
rechten Auges. Am 5. I. 1920 wurde ein pigmentierer Tumor im
vorderen Teile der Aderhaut mit Augenspiegel und Durchleuchtung
festgestdlt. Die benachbarte Netzhaut war abgelöst, der Visus auf
V l0 vermindert. Durch intensive Bestrahlung mit hartgefilterten Rönt¬
genstrahlen (5 Serien von je 10 Sitzungen, je 300 Fürstenau-Ein¬
heiten), 3 mm Aluminium und einmalige Anwendung von Radium
(120 mg 41/2 Stunden), gelang es, das Wachstum der Geschwulst
aufzuhalten und diese zu leichter Schrumpfung zu bringen. Visus
jetzt c /j 5 , Netzhaut neben der Geschwulst jetzt anliegend, Tension
normal, Linse bisher nicht getrübt. Als Folge der Bestrahlung ent¬
wickelten sich vorübergehend Hornhauttrübungen der Substanz und
Oberfläche und ein kleines Hornhautgeschwür, besonders aber wur¬
den an den episkleralen Gefäßen deutliche Veränderungen sichtbar,
bestehend in umschriebenen Einschnürungen, sackförmigen Erweite¬
rungen und starker Schlängelung der Gefäße, offenbar die Folge
einer vakuolisierenden Degeneration der Gefäßintima, wie sie
Hirschfeld auch an anderen Stellen des Auges (Iris, Netzhaut)
experimentell-anatomisch nachweisen konnte. Hirschfeld weist
darauf hin, daß es zweckmäßig sei, auch an anderen Körperstellen
auf analoge Strahlenwirkungen zu achten, da diese für den Effekt
der Bestrahlung nicht gleichgültig sein dürften. (Schluß folgt)
Hamburg, Aerztlicher Verein, 6. XII. 1921.
Offizielles Protokoll.
Vorsitzender: Simmonds. Schriftführer: Roedelius.
Klett: Kiefergelenkankylose bei einem 15jährigen Mädchen nach
Mittelohreiterung und Parotisabszeß. Ausgesprochenes Vogelgesicht.
Operation: Gelenk vollkommen knöchern ankylosiert. Resektion
in etwa 2 cm Breite. Transplantation eines freien Fettfaszienlappens
vom Oberschenkel. 10 Wochen nach Operation kann Muncl fast
normal geöffnet werden. Vogelgesicht nur noch angedeutet.
Kleinschmidt: Bestrahlungen mit künstlicher Höhensonne bei
Osteopsatbyrosis. Die guten Erfolge mit der Bestrahlung, welche von
der Rachitis bekannt sind, konnte Kleinschmidt auch bei Osteo-
psathyrosis erzielen. Bei dieser Erkrankung, die von einzelnen
Autoren zur Rachitis gerechnet, von andern aber abgegrenzt wird
und die charakterisiert ist durch das Auftreten zahlreicher Spontan¬
frakturen unter Erhaltenbleiben des Periosts, ist die übliche anti-
rachitische Therapie unzureichend oder zum mindesten erst nach
sehr langer Zeit erfolgreich, bei Kombination mit der Bestrahlung
läßt sich dagegen schnell und eklatant Heilung erreichen. (Demon¬
stration von Röntgenbildern vor und nach 10 wöchentlicher Bestrahlung.)
Kümmell bespricht die konservative Behandlung der Merentuber-
kulose, welche in letzter Zeit besonders von Wossidlo, wenn auch
mit vorsichtiger Indikatiousstellung, empfohlen ist. An der Hand von
sehr guten, farbigen Bildern, welche von exstirpierten Nieren einiger
mit Tuberkulin längere Zeit behandelter Patienten gewonnen sind,
wird die Erfolglosigkeit dieser Behandlung veranschaulicht.
In 4 Fällen waren die Patienten sachgemäß 1/2 bis 1V 2 Jahr mit
Tuberkulin behandelt; stets war eine anfängliche auffallende Besse¬
rung der ^subjektiven Beschwerden und des objektiven Krankheits¬
bildes, Gewichtszunahme u. a. festzustellen. Alle Nieren zeigten
schwere tuberkulöse Störungen, keine Zeichen einer Heilung. Be¬
sonders die Pyonephrosis tuberculosa occlusa, bei welcher infolge
Obliteration des Ureters keine Blasentuberkulose vorhanden ist, gibt
zu Täuschungen Veranlassung und muß entfernt werden. Die Nieren¬
tuberkulose ist anfangs stets einseitig. Die frühzeitige Operation
gibt die besten Resultate und schützt fast ausnahmslos die zweite
Niere vor Erkrankung. Die operativen und Dauerresultate sind gut;
wenn nach versuchsweise angewandter Tuberkulinkur unter Berück¬
sichtigung der anfangs stets vorhandenen täuschenden Besserung
nicht sehr bald eine positive Heilung eintritt, sollte mit der erfolg¬
reichen Entfernung der kranken Niere in möglichst frühem Stadium
nicht zu lange gezögert werden. Spontanheilungen der Nieren¬
tuberkulose sind bisher nicht beobachtet oder nur, wie in einigen
Fällen, mit vollständiger funktioneller Zerstörung des Organs.
Nonne zeigt die Präparate eines Falles von Meoingoencephalo»
myelitis syphilitica acuta mit* Spirochätenbefund. Die Erkrankung
setzte 5 Monate nach dem Primäraffekt und hach zwei lege artis
durchgeführten kombinierten Quecksilber-Salvarsankuren ein. Be¬
sprechung der Differentialdiagnose gegenüber akuten infektiösen und
tuberkulösen Meningitiden.
Reese berichtet über einen Fall von Meningoenzephalomyelitis
und bespricht an Hand von Diapositiven die Differentialdiagnose zwi¬
schen Enceph. epid. und Lues cerebrospinalis.
Verantwortlicher Redakteur: Oeh San.-Rat Prof. Dr. J. Scb
Schottmüller: Zur Aetiologie der Cholangitis. (Erscheint ais
Originalartikel in dieser Wochenschrift.)
Besprechung zum Vortrag Deutschländer: Zur Behandluor
veralteter Hüftverrenkung. Kümmell: Die Reposition der angeborenen
Hüftverrenkung, welcher Kümmell seit der 1. von Paci auf dein
internationalen Kongreß in Rom gezeigten Präparate und seit der
weiteren Entwicklung durch Lorenz und Hoffa großes Interesse
entgegengebracht hat, findet im anatomischen Sinne relativ selten
statt. Die von Lorenz und uns in zahlreichen Fällen vorgenommene
Reposition, d. h. das Zurückbringen des Kopfes in die verödete
Pfanne oder an deren Stelle, erwies sich unter der Kontrolle der
Röntgenstrahlen als irrig. Die Zahl der wirklich reponierten Fällt
war gering. In fast allen Fällen, die uns Deutschländer in Bild
und an den Patienten gezeigt hat, handelte es sich niemals um eine
Reposition in der Gegend der Pfanne, was uns überhaupt bei älteren
Individuen bei jeder Operationsmethode unmöglich erscheint, da¬
gegen hat Deutschländer durch sein Operationsverfahren eine
Feststellung des Kopfes und damit eine gute Funktion erzielt, und
das ist die Hauptsache. Im späteren Lebensalter auftretende Schmer¬
zen in dem luxierten oder erfolglos reponierten Hüftgelenk nötigen
zuweilen zu einem operativen Eingriff; durch welche Operation
methode man das Verschieben des Kopfes und damit die Beseitigung
der Schmerzen und der sekundären arthritischen Veränderungen be¬
seitigt, wird von. den Erfahrungen des einzelnen Operateurs ab-
hängen.
Ringel: Bericht nicht eingegangen.
Ewald: Das Verfahren der vorderen Freilegung der Pfanne und
des Kapselschlauchs unter Durchschneidung der Spiaamuskeln bc
deutet einen Fortschritt vor den bisherigen blutigen Operationen,
die keine guten Resultate lieferten. Die vorgestellten Röntgenbilder
zeigten allerdings nie einen normalen Kopf oder eine normale Pfanne,
die ist aber auch nach frühzeitiger unblutiger Einrenkung in späteren
Jahren selten zu finden. Eine ideale anatomische Heilung ist eben
nicht möglich, weil Kopf und Pfanne nie normal sind und mit den
Jahren — ob eingerenkt oder nicht — immer mehr verändert werden,
wozu außerdem noch die subjektiven und objektiven Erscheinungen
der Arthritis deformans treten; von einer „Postregeneration“, wie
Deutschländer will, kann keine Rede sein. Trotzdem soll man,
wcnn’s unblutig nicht geht, immer blutig den Kopf an die Pfanne
zu stellen suchen, weil es auf jeden Fall besser ist, das Femur findet
in der Pfannengegend einen festen Gegenhalt, als daß es beim
Gehen an der Beckenschaufel hin- und herrutscht.
Lack mann hält die starken Wucherungen und Deformierungen
für a r t h r i t i s c h e, nicht reparatorische Veränderungen. Späteres
Schicksal der operierten Fälle ist noch nicht genügend geklärt. Dari
man doppelseitige Luxationen blutig radikal operieren? Für manche
einseitigen Fälle, bei denen andere Verfahren (Inversion!) nicht zum
Ziele führen, dürfte das Verfahren einen Fortschritt bedeuten.
Deutschländer (Schlußwort).
Prag, Verein deutscher Aerzte, 23. XII. 1921.
Kleiner: Alveolarpyorrfaoe. Ausführliche Besprechung der Aetio-
logie und der Behandlung. Es wird vor allein die chirurgische Be¬
handlung (Schleimhautaufklappungl in Verbindung mit der medikamen¬
tösen (60 0/0 Ac. lacticum) empfonlen. Unter den Befestigungsappa¬
raten wird die Rheinsche Schiene gelobt und deren Verwendung be¬
fürwortet.
Wotsilka (Außig): Nasen- und Mundatmuog. Der Atemstrom
begegnet in der Nase einem größeren Widerstande als im Munde
Um diesen zu überwinden, sind die Atembewegungen des Thorax und
des Zwerchfelles größer. Die Weite der Nasenöffnung wird durch
das Spiel der Nasenflügel, die des Nasenlumens durch den Füllungs¬
grad der Corpora cavernosa der Nasenmuscheln beeinflußt. Pneumo-
graphische Kurven zeigen, 1. daß normalerweise durch die Nase tiefer
geatmet wird als durch den Mund, 2. daß mit zunehmender patho¬
logischer Verengerung der Nase die Thoraxbewegungen kleiner, die
Zwerchfellbewegungen größer werden, 3. daß bei zu weiter Nase die
Nasenatmung flacher sein kann als die Mundatmung. Kurven der
intrapleuralen Druckschwankungen zeigen, daß diese in kaudaler Rich¬
tung zunehmen, daß sie der Größe der Atembewegungen, besonders
des Zwerchfelles, parallel gehen und daß sie bei der Nasenatmung
rößer sind als bei der Mundatmung. Beobachtungen der Zwerchfell-
ewegung am Röntgenschirm bei einseitiger Nasenverengerung
scheinen zu bestätigen, daß der Atemstrom jeder f'Iasenseite in die
gleichseitige Lunge führt. Durch die Tiefe der Atmung wird das
Wachstum des Thorax, die Blutzirkulation und Lymphzirkulation der
Lunge beeinflußt, durch die Nasenatmung im günstigen, durch die
Mundatmung im ungünstigen Sinne. Dies wird als Hauptschädlichkeit
der Mundatmung angesehen. O. Wiener.
— Berichtigung* Prof. Götze (Frankfurt) bittet uns mitzuteilen, daß
er auf der 5 . Tagung der Deutschen Gesellschaft für Urologie (vgl. diese Wochen
schrift 1921 S. 1380) eine große Anzahl urologischer Pneumoperitoneum
Röntgenbilder demonstriert habe. Ueber Pneumoradiogramme des Nie¬
renlagers nach Rosenstein hat er nicht gesprochen. Hierüber berichtete
Caspar.
walbe. — Druck von Oscar Brandstetter In Leipzig.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNSVERSITY
PRAEMEDICUS
Offizielle Mitteilungen der „Vereinigung Deutscher Medizinalpraktikanten“ und des „Verbandes Deutscher Medlzinersohaffe n «
VERLAG VON GEORG THIEME / LEIPZIG/ ANTONSTR.15
Nummtr 4 Freitag, den 10. März 1922 2. Jahrgang
Bekanntmachung.
Verband Deutscher Medizinat-Praktikanten Leipzig.
Zur einheitlichen Regelung der Bezöge für Medizinalpraktikanteo.
Der Verband Deutscher Medizinalpraktikanten hat an den Deutschen
Siäd.etag z. H. des Herrn Oberbürgermeister Mitzlaff, Berlin C II,
Poststr. 17, folgendes Gesuch gerichtet:
Der Verband Deutscher Medizinalpraktikanten, Sitz Leipzig, bittet
um einheitliche Regelung für die an städtischen Krankenhäusern an-
gestellten Medizinalpraktikanten. Damit diese Regelung für das Rech¬
nungsjahr 1922/23 bereits in Kraft treten kann, bittet der Verband um
beschleunigte Erledigung. Eine Eingabe des Verbandes an die Stadt
Leipzig vvurdd abgelehnt mit dem Bemerken, daß eine Erhöhung der
Bezüge nur im Einvernehmen mit dem „Deutschen Städtetag“ möglich
wäre. Wir überreichen deshalb die seinerzeit an die Stadt Leipzig
gerichtete Eingabe dem Deutschen Städtetag und bitten um Berück¬
sichtigung der akademischen Notlage. Dazu erlaubt sich der Verband
folgenden Vorschlag:
1. Freie Verpflegung und Taschengeld in Höhe von 100 M. monat¬
lich, wie bisher in Leipzig.
2. An Stelle der nichtgewährten aber laut § 62 der Prüfungsordnung
für Aerzte für wünschenswert erachteten freien Wohnung eine
Entschädigung von 150 M. pro Monat.
3. Für Nichtgewährung von Heizung, Beleuchtung und freier Wäsche
eine Entschädigung von 150 M. pro Monat.
4. Auszahlung von Verpflegungsgeldern gemäß den Sätzen des
betreffenden Krankenhauses während des Urlaubes.
Der Verband fordert sämtliche Ortsgruppen auf, sofort an den
Deutschen Städtetag mit dem gleichen Gesuche heranzutreten, bezug¬
nehmend auf das Schreiben des Verbandes vom 16. II. 1922.
Mit kollegialem Gruße
gez. Gunschera,
I. Vorsitzender des Verb. D.M.P. Leipzig, Liebigstr. 20.
Bericht über die Mitgliederversammlung
des Verbandes Deutscher Medizinal-Praktikanten
vom 22. II. 1922
im Med.-Prakt.-Kasino, Krankenhaus St. Jakob.
1. Referat des 1. Vorsitzenden Gunschera: Die Herren Gun¬
schera und Krebs haben mit dem Rat der Stadt Leipzig (Stadtrat
Dt. Dix) verhandelt betreffs der von den Stadtverordneten am 30. XI. 1921
genehmigten, vom Rat dagegen abgelehnten Gehaltsaufbesserung der
Medizinal-Praktikanten der Leipziger städtischen Krankenhäuser. Herr
Dr. Dix erklärte, eine Aufbesserung der Bezahlung der Medizinal-
Praktikanten wäre nur im Einvernehmen mit den übrigen deutschen
Städten möglich, da der Stadt Leipzig bei alleinigem Vorgehen eine
Konventionalstrafe auferlegt werden würde.
Aus diesem Grunde richtete der Vorstand des Verbandes das obige
Gesuch an den Deutschen Städtetag.
2. Beschluß der Versammlung, eine erneute Eingabe an das Reichs¬
ministerium zu richten zwecks einheitlicher, reichsgesetzlicher Regelung
der Entschädigung des Medizinal-Praktikanten.
3. Neuwahl des Vorstandes. Einstimmig gewählt werden folgende
Herren: 1. Vorsitzender: Krebs (St. Jakob),
2. „ Jäger (St. Georg),
Schriftführer: Neumann (St. Jakob),
Kassierer: Martin (St Jakob),
stellv. Kassierer: Reichelt (St. Jakob).
Der Wortlaut der bereits in den nächsten Tagen abgehenden Ein¬
gabe an das Reichsministerium gelangt in der nächsten Nummer des
..Praemedicus" zur Veröffentlichung. I.A.: Neumann,
Schriftführer.
Bekanntmachungen
des Verbandes Deutscher Medizinerschaften.
Um der am 1. V. drohenden 100o/oigen Fahrpreiserhöhung im
Interesse der schwer belasteten Verbandskasse zu entgehen, schlägt
der Verbandsvorstand im Gegensatz zu dem am letzten Vertreter¬
tag gefaßten Beschluß vor, den diesjährigen Vertretertag auf die
letzten Apriltage (26.-29. IV.) vorzuverlegen. Wir bitten, dem Vor¬
schläge zuzustimmen, wenn nicht besonders wichtige Gegengründe
vorliegen. Antwort erbitten wir bis spätestens zum 10. III. 1922
(s. auch Rundschreiben vom 25. II.).
Deutschs Medizinische Woohensohrift Nr. 10'
Grüße aus Argentinien.
Von cand. med. Arth. Seligmann in Leipzig, Schriftleiter des V. D. M.
In der ersten Februarwoche weilte hier Herr Prof. Dr. Dinnti i
aus Buenos Aires zur Besichtigung der Leipziger Kliniken. Er ist
Ueberbringer offizieller Aufträge der Medizinischen Fakultäten seines
Landes sowie der argentinischen Regierung selbst. Ueber den Inhalt
dieser Aufträge werden noch Besprechungen folgen, sobald gewisse
Verhandlungen zum Abschluß gediehen sind. Vorläufig möchten wir
unsere Kommilitonen von nachstehendem Schriftstück in Kenntnis
setzen, das uns Herr Prof. Dimitri persönlich überreicht hat:
„Circulo M£dico Argentino y Centro Estudiantes de Medicina“.
MENSAJE
A los Estudiantes Universitarios de Alemania.
Por intermedio del Doctor Vicente Dimitri, Profesor de Neu-
rologia de esta Instituciön y Socio Corresponsal de la misma, enviamos
un carinoso saludo de confraternidad a los estudiantes universitarios
de Alemania, afianzando asi definitivamente en el presente v en el
futuro nuestro solidaridad.
Buenos Aires, Septiembre de 1921.
In freier Uebersetzung möchte ich die deutsche Wiedergabe fol¬
gendermaßen fassen:
Argentinischer Aerzteverein und Verband argentinischer
Medizin Studierender.
Botschaft an die Deutsche Studentenschaft.
Durch Herrn Prof. Dr. Vincenz Dimitri, Direktor der Nerven-
klinik an der hiesigen Fakultät und zugleich Vertreter des Verbandes
argentinischer Medizin Studierender, senden wir der Deutschen Stu¬
dentenschaft Grüße der Freundschaft und Brüderlichkeit, womit wir
gleichzeitig endgültig unsere Solidarität mit der Deutschen Studenten¬
schaft bekunden.
Buenos Aires, September 1921.
Als Erwiderung haben wir folgendes Schreiben nach Buenos Aires
gesandt:
An den
Argentinischen Aerzteverein und Verband argentinischer
Medizin Studierender!
Ihre herzlichen Grüße sowie Ihre Solidaritätserklärung mit uns,
die uns durch Herrn Prof. Dr. Dimitri in liebenswürdiger Weise
vermittelt wurden, haben uns mit lebhafter Freude und Genugtuung
erfüllt. Eingedenk Ihrer unwandelbaren Freundschaft — auch in den
Zeiten unserer bittersten Not — ergreifen wir gern die Gelegenheit,
Ihre Grüße zu erwidern mit dem Ausdruck unserer wärmsten Dank¬
barkeit. Möge es uns beschieden sein, den von Ihnen angeregten
Kulturaustausch im beiderseitigen Interesse recht bald in ausge¬
dehntem Maße zu beleben. V. D. M.
Der Deutschen Studentenschaft Göttingen gaben wir sofort
Kenntnis von dem erwähnten Schriftwechsel.
Ferner haben wir Herrn Prof. Dimitri persönlich unseren Dank aus¬
gedrückt mit einem Schreiben, dem ich folgende Fassung gegeben habe:
Sr. Dr. 8 de febrero 1922
Don Vicente Dimitri,
Profesor de Neurologfa, Leipzig.
Estimado sefior profesor:
El Mensaje de Septiembre 1921 del Circulo Medico Argentino y
Centro Estudiantes de Medicina que recibimos por su amabTe media-
ciön, acrecienta nuestro sentimientos de gratitud para con sus compa-
triotas que tantas veces nos dieron pruebas de carifio y de hidalga
hospitalidad. Publicaremos los votos de simpatia que nos deparan,
y queremos que lleve Vd. a su patria la firme convicciön que los
saludos de nuestros colegas argentinos han encontrado entre nosotros
un fuerte eco de aprecio. Tenga Vd. la bondad de manifestarles a su
vuelta, con cuän viva alegria estrechamos la mano de amigo y hermano
que nos ofrecen.
De Vd. affmos. ss. ss. q. e. s. m.
Asociaciön de Estudiantes de Medicina de Alemania
Digitized by
Gck igle
Original from
C0RNELL UNfVERSIPf
344
PRAEMED1CUS
Die Deutsche Uebersetzung lautet:
Sehr geehrter Herr Prof. Dimitri!
Die Botschaft vom September 1921 des argentinischen Aerztevereins
und des Verbandes argentinischer Medizin Studierender, die wir durch
Ihre liebenswürdige Vermittlung empfingen, werden die Empfindungen
unserer Dankbarkeit für Ihre Landsleute steigern, die uns so oft Be¬
weise von Zuneigung und ritterlicher Gastfreundschaft gegeben haben.
Wir werden die Sympathiekundgebungen, die uns zuteil wurden ver¬
öffentlichen und wünschen, daß Sie in Ihre Heimat die feste Lieber*
zeugung mitnehmen, daß die Grüße unserer argentinischen Kollegen
lebhafte Erwiderung und Hochachtung bei uns wachrufen. Haben
Sie die Güte bei Ihrer Rückkehr zu erklären, mit welcher Freude wir
die Freundes- und Bruderhand ergreifen, die uns dargeboten wird.
Ergebenst
V. D. M.
Bericht über die Sitzung der Fachgruppenvertreter mit dem
Vorstand der Deutschen Studentenschaft.
Von cand. med. Rudolf Herzger in Leipzig.
Auf Grund des Stück SI der - soweit die Notverfassuug vom
18. I. 1922 nichts Gegenteiliges bestimmt noch in Kraft ver¬
bliebenen Göttinger Geschäftsordnung hatte der Vorstand der Deut¬
schen Studentenschaft die Fachgruppenvertreter für Sonnabend, den
28. I. 1922 zu der alljährlich einmal vorgesehenen Aussprache und
gemeinsamen Sitzung mit dem Vorstande eingeladen. Die Tagung,
an der außer dem Vorstande der Deutschen Studentenschaft die Ver¬
treter fast aller 13 Fachgruppen teilnahmen. behandelte neben rein
«geschäftlichen Fragen vor allem die Stellung der Fachgruppen im
Rahmen der Notverfassung. Die Notverfassung, die bekanntlich die
Aufgaben der Deutschen Studentenschaft beträchtlich einschränkt,
weist den Fachgruppen dafür ausgiebige Freiheit und Erweiterung
ihres Aufgabenkreiscs zu. Als besonders wichtiger Punkt der Not¬
verfassung dürfte hervorzuheben sein, daß die Fachschaften aller
Universitäten sich zu Fachgruppen zusammenschließen sollen, die
zwar Hand in Hand mit der Deutschen Studentenschaft aibeiten, im
einzelnen aber in allen einschlägigen Fragen -- z. B. Studienfragen —
selbständig sind. In Anbetracht der Bedeutung, die den Fachgruppen
im Rahmen der Deutschen Studentenschaft zukommt, gehören dem
Hauptausschuß der Deutschen Studentenschaft künftig neben den
Kreisleitern und sog. Aeltesten 3 Fachgruppenvertretcr an. Be¬
dauerlicherweise sind im Haushaltplan der Deutschen Studentenschaft
die Ausgaben für die Fachgruppe nur als außerordentliche Ausgaben
vorgesehen. Da wohl kaum außerordentliche Einnahmen zu er¬
warten sind, können deshalb kleine Fachgruppen, wie die Veterinär¬
mediziner, schwerlich damit rechnen, einen wesentlichen Zuschuß zur
Bestreitung ihrer unverhältnismäßig hohen Ausgaben zu erhalten.
Allerdings hat sich dafür der Vorsitzende der Deutschen Studenten¬
schaft, Herr Holz wart, bereit erklärt, dennoch irgendwie ver¬
fügbare Posten zur Unterstützung der Fachgruppen bcreitzustellen.
Was die Tagungen des laufenden Jahres anbelangt, so ist zur
Zeit noch fraglich, ob überhaupt ein allgemeiner Studententag. ab¬
gehalten werden kann, da es fast unmöglich erscheint, die dafür
erforderlichen außerordentlich hohen Unkosten zu decken. Aus
gleichem Grunde werden voraussichtlich auch einige Fachgruppen
nicht in der Lage sein, ihren diesjährigen Vertretertng stattfinden
zu lassen. Jedenfalls aber wird — wahrscheinlich am 11. und 12. VI. —
wiederum ein sog. Studientag veranstaltet werden, an dem außer
dem Vorstand und Hauptausschuß der Deutschen Studentenschaft
Vertreter sämtlicher Fachgruppen und eine bestimmte Anzahl vom
Vorstand der Deutschen Studentenschaft geladener Gäste teilnchmen
werden. Der Studientag wird sich vor allem mit der Frage der
politischen Bildung an der Universität beschäftigen. Das Haupt¬
referat über dieses so außerordentlich wichtige Problem wird Herr
Dr. Raab übernehmen, der bereits am 28. I. auf der Göttinger
Tagung der Fachgruppenvertreter in klarer und geistvoller Form
seine Auffassung hierüber darlegte, wobei er gleichzeitig seine Pläne
entwickelte, die eine praktische Durchführung des Gedankens er¬
möglichen würden. —
Eingehend behandelt wurde auch die Frage der Berufs- und
Studienberatung. Es zeigte sich, daß uns vor allem eine nach jeder
Richtung hin durchgearbeitete und zuverlässige Statistik nötig ist.
Berufsberatung ohne zahlenmäßige Unterlagen ist eben ein Unding.
Hier ist unbedingt ein energisches Eingreifen des Reiches zu fordern.
Die bisherigen Hochschulstatistiken sind äußerst mangelhaft und un¬
zuverlässig — dabei teilweise noch auf ganz altertümliche Art an¬
gefertigt (z. B. fassen amtliche Statistiken noch immer Landwirte und
Volkswirte unter einer Rubrik zusammen!). Ebenso müssen natürlich
Statistiken, die zur Berufsberatung brauchbar sein sollen, auch An¬
gaben über die Semesterzahl der gegenwärtig Studierenden enthalten
—• etwa Trennung in Vorkliniker und Kliniker bei uns Medizinern,
möglichst auch die späteren Berufsabsichten berücksichtigen. Während
für die nichtakademischen Berufe alle diesbezüglichen Erhebungen
von Ministerien und Berufsverbänden großzügig angestellt worden
sind, fehlen uns Akademikern noch immer alle notdürftigsten Grund¬
lagen einer wirklich erfolgreichen Berufsberatung. Von seiten der
Deutschen Studentenschaft wird zur Zeit eine psychologisch-analy¬
Nr. 4
tische Methode ausgearbeitet, die es ermöglichen soll, wissenschaft¬
lich einwandfrei durch sog. Tests die spezielle Berufseignung fest¬
zustellen, um vor allem denen, die ihr Studium erst beginnen, un¬
nötiges und in heutiger Zeit unwirtschaftliches Herumtasten von einem
Studium zum anderen /u ersparen — lediglich weil der Betreffende
nach gewisser Zeit glaubt, er „eigne“ sich nicht für das begonnene
Studium. Es liegt durchaus nicht im Interesse der Deutschen Stu¬
dentenschaft, durch alle möglichen großzügig angelegten Hilfswerkt
und zuverlässige Angaben über die materiellen Aussichten gewisser
Berufe, der Universität eine Unmenge Studierende um jeden Preis
zuzuführen. Im Gegenteil: wir schulden es dem Rufe, in dem die
deutsche Wissenschaft in der Welt steht, einmal möglichst nur die
Tüchtigsten zum Studieren zu veranlassen und dann auch dafür zu
sorgen, daß die Geeignetsten an den richtigen Platz kommen. Dies
scheint die von berufener Seite begründete und von den Herren
Dr. med. Römer und Priv.-Doz. ür. Hans Henning (Psycho¬
logisches Institut der Universität Frankfurt a. M.) im Rahmen der
Deutschen Studentenschaft ausgebaute psychologisch-analytische Me¬
thode zu gewährleisten. Nur unter einheitlichen Grundsätzen psycho¬
logisch ausgearbeitete Studienführer können dann solch sonderbare
Unstimmigkeiten vermeiden, wie sie sich in den von Prof. Dunk-
ni a n n herausgegebenen „Merkblättern“ finden, die beispielsweise
Verantwortungsgefühl vom Zahnarzt verlangen, nicht aber vom Arzt
und Tierarzt.
Von gleichem Interesse war das Referat des Vorsitzenden der
Deutschen Studentenschaft, Herrn Holz wart, über die Wirt¬
schaftshilfe e. V. der Deutschen Studentenschaft. Man war von
dem Gedanken ausgegangen, alle aus der Zeit vor dem Kriege
und während der Kriegsjahre entstandenen Hilfsorganisationen
zur wirtschaftlichen Erleichterung der Notlage vieler Studierender
unter einer Leitung zu vereinen, um so durch geordneten Geschäfts¬
betrieb alle verfügbaren Quellen rationell nutzbar machen zu können.
Uns Fachgruppen interessiert hierbei ja nur, inwieweit wir etwa be¬
stehende Einrichtungen zu wirtschaftlichen Vergünstigungen unserer
Fachgruppenangehörigen in die Organisationen der Deutschen Stu¬
dentenschaft überleiten müßten. Es zeigte sich, daß außer uns
Medizinern, die wir neben der Vermittlung zum Einkauf billigerer
Instrumente gerade im vergangenen Jahre z. B. in großem Maße
antiquarische Bücher abgeben konnten, auch andere Fachgruppen
selbständig Verbindungen unterhielten, die es ihnen ermöglichten,
wirtschaftliche Erleichterungen zu schaffen. So vermittelt z. B. der
Verband Deutscher Chemikerschaftcn den Einkauf preiswerter Glas¬
waren. Dem Vorstande der Deutschen Studentenschaft gegenüber
betonten die anwesenden Fachgruppenvertreter zwar, daß es ihnen
fern läge mit den großen allgemeinen wirtschaftlichen Organisationen
der Deutschen Studentenschaft zu konkurrieren, wiesen aber darauf
hin, daß sie auf die selbständige wirtschaftliche Unterstützung ihrer
Fachgruppenangehörigen nicht verzichten würden, da hier rein ört¬
liche und fachliche Verschiedenheiten eine bedeutende Rolle spielen
und die Fachgruppen zum Teil gewisser Unterstützungen sogar ver¬
lustig gehen würden, falls sie persönliche Beziehungen zu industriellen
und anderen Kreisen zugunsten einer zentralisierten Wirtschaftshilfe
auf geben w'ürden.
Es würde zu weit führen, in gleicher Ausführlichkeit über alle
anderen Punkte der Tagesordnung zu referieren. Eine Gewißheit
aber haben die Fachgruppenvertreter mit von Göttingen heim ge¬
tragen. daß eine solche Tagung, bei der alle Fragen mit seltener
Sachlichkeit und Ruhe behandelt wurden, uns in unserer studentischen
Arbeit weiter bringt, als aller Streit und Hader um Verfassungsfragen
Anmerkung. Von Herrn Dr. Raab wird demnächst eine Denk¬
schrift über die Frage der politischen Bildung an den Hochschulen
erscheinen, die zum Subskriptionspreis von rund 6,— M. bezogen
werden kann. w«enn bis 26. II. 1922 beim Verband Deutscher Mediziner-
schäften, Leipzig, Medizinische Klinik, bestellt.
Kurze Mitteilungen.
— An der Westdeutschen Sozialhygienischen Akademie in Düssel¬
dorf beginnt ein 3 l /2inonatiger Kurs für Kreisarzt-, Kreiskommunalarzt-
und Fürsorgearztanw'ärter am 24. IV. 1922. Ferner ein sechswöchiger
Kurs zur Weiterbildung bereits in amtlicher Stellung befindlicher
Aerztc am 19. VI. 1922. Ein Kurs zur Ausbildung von Schulzahnärzten
am 19. VI. 1922. Die Teilnehmerzahl aller Kurse ist beschränkt.
Baldigste Anmeldung notwendig. Westdeutsche Sozialhygienische
Akademie, Düsseldorf, Fürstenvvallstraße 1, Eingang Stromstr.
— Spenden für die Göttinger Studentenschaft. Pr°*-
M. Be wer von der Kolumbia-Universität Neuyork hat den Ertrag ein«
von ihm veranstalteten Sammlung von 160000 M. der Studentenschaft j
zur Verfügung gestellt. Der Betrag wird folgendermaßen verteilt: j
70000 M. zur Verbilligung des Essens im Studentenheim (25 000 M. für das
laufende, 45000 M. für das Sommer-Semester), 60000 M. zum Betriebs- j
fonds des neuen Studentenhauses, 20000 M. für den Ankauf von Kohlen
und Holz für bedürftige Studierende und 10000 M. zur Unterstützung j
der in ihrem Bestände bedrohten Akademischen Lesehalle. — H al j
E. Witthun, eine Deutsch-Amerikanerin, hat der Studentenschaft Mittel
zur Verfügung gestellt zu Studienbeihilfen für bedürftige und begabte
Studierende.
FUr die Schriftleitung verantwortlich: Dr. Hans Hirschberg, Leipzig, Sidonienstrafie 66,1V. — Druck von Oscar Brandstetter In Leipzig.
Digitized b'
Google
Original from
CORNELL UNfVERSITY
Deutsche Medizinische Wochenschrift
HERAUSOEBER:
Geh. San.-Rat Prof. Dr. Schwalbe
Berlin-Charlottenburg, Schlüterstraße 53
Begründet von Dr. Paul Börner
VERLAO:
GEORG THIEME/ LEIPZIG
Antonstraße 15
Nummer 11
Freitag, den 17. März 1922
48. Jahrgang
Aus den Universitätsfrauenkliniken in Frankfurt a. M.
und Erlangen.
Erfahrungen mit der Röntgenbehandlung genitaler und
extragenitaler Sarkome.
Von L. Seite und H. Wlntz, Direktoren der Kliniken.
Von den Gegnern der Röntgenbestrahlung der Uterusmyome ist
wiederholt behauptet worden, daß man es einem Uterustumor vorher
nicht mit Sicherheit ansehen könne, ob es sich um ein harmloses
Myom oder um ein sarkomatös entartetes Myom handelt und daß es
ferner nicht auszuschließen sei, daß nach der Röntgenbestrahlung in
den späteren Jahren aus den Myomzellen noch ein Sarkom sich ent¬
wickle. Es ist nicht zu bestreiten, daß diese Argumente eine gewisse
Berechtigung so lange haben, als nicht einwandfrei nachgewiesen ist,
daß wir imstande sind, ein gutartiges Myom von einem bös¬
artig entarteten zu unterscheiden, und bis nicht der Be¬
weis erbracht ist, daß es gelingt, auch ein primäres Uterus¬
sarkom oder ein sekundäres maligne entartetes Myom
durch Röntgenstrahlen zur Heilung zu bringen. Fast
5jährige Beobachtungen an einer großen Anzahl von Fällen haben uns
in die Lage versetzt, zu diesen zwei Fragen eine bestimmte Stellung
zu nehmen.
Es ist eine merkwürdige Erscheinung, daß die Angaben über die
Häufigkeit der primären Uterussarkome und ebenso die Bericht* über
die Häufigkeit der sekundären sarkomatösen Entartung des Uterus-
myoms innerhalb sehr weiter Grenzen schwanken. So findet z. B.
v. Franqu^ 1 ) an dem Material der Würzburger Klinik, daß das
Utexussarkom noch einmal so häufig sich findet, wie das von Veit 9 )
von der Hallenser Klinik berichtet wurde. Dieselbe Unstimmigkeit
besteht auch für die sarkomatöse Entartung der Myome im höheren
Alter. Es wurde in der Freiburger Klinik unter Krönig nur in 1,8%
eine sarkomatöse Entartung der Myome festgestellt, während
Warnekros von der Bu mm sehen Klinik berichtet, daß in 10%
eine maligne Entartung aufgefunden werden konnte. Die auffallend
großen Unterschiede erklären sich daraus, daß es nicht selten vor¬
kommt, daß innerhalb eines größeren Myoms nur eine einzige kleinere
Stelle, wie namentlich Warnekros nadiweisen konnte, sarkomatös
entartet ist, während das übrige Myom seinen gutartigen Charakter
beibehalten hat. Ferner ist hervorzuheben, daß es manchmal außer¬
ordentlich schwer ist, bindegeweblichen Zellen oder Myomzellen mit
Sicherheit nach ihrer Struktur anzusehen, ob es sich um eine gut¬
artige oder bösartige Neubildung handelt Bei typisch ausgebildeten
Faßen ist eine Unterscheidung sicher sehr leicht. Bei manchen
Geschwülsten dagegen vermag auch der geübteste Histologe keine
sichere Entscheidung zu treffen, ln sehr lebhafter Erinnerung ist uns
noch ein Fall von einem 32jährigen Mädchen mit einem Myom, dessen
Bruder vor einem halben Jahre an einem Sarkom zugrundegegarigen
war. Das Mädchen wurde von uns totalexstirpiert. Die mikroskopische
Untersuchung, die in dem Falle besonders sorgfältig durchgeführt
und durch den Pathologischen Anatomen Prof. Hauser (Erlangen)
kontrolliert wurde, ergab nach dem mikroskopischen Bild einwandfrei
ein Myom. Es wurde deshalb, trotzdem gewisse Bedenken vom
klinischen Gesichtspunkte aus nicht unterdrückt werden konnten, von
einer prophylaktischen Nachbestrahlung abgesehen. Die Patientin
erkrankte 1/3 Jahr später an peritonitischen Reizerscheinungen und
ging einige Wochen später an einer allgemeinen Sarkomatöse des
Bauchfells zugrunde. Die Schwierigkeit einer exakten Diagnose auf
Sarkom geht schon daraus hervor, daß die Pathologischen Anatomen
den Ausdruck „Myoraa malignum“ eingeführt haben. Er besagt tat¬
sächlich nichts anderes, als daß es Myome gibt, die histologisch gut¬
artig erscheinen, die aber klinisch sich genau so wie Sarkome verhalten.
Bei der Schwierigkeit einer exakten Differentialdiagnose zwischen
Myom und Myosarkom ist es von großer Bedeutung, daß wir in den
Röntgenstrahlen ein Hilfsmittel haben, mit dem es in den meisten
Fällen gelingt, eine sehr feine Differentialdiagnose zu stellen. Be¬
strahlen wir ein gewöhnliches Myom, so ist die Bestrahlung wirksam
durch die Ausschaltung der ovariellen Tätigkeit Sind die Ovarien
durch die Röntgenstranlen abgestorben und ist damit die Periode
uaefa Ablauf von 2—3 Monaten ausgeblieben, dann erfolgt auch die
i) Zwchr. f. Oetrartsfc. 40. — ’) Handbuch der Gynäkologie.
Rückwirkung auf das Myom, und der Tumor fängt langsam im Ver¬
lauf von weiteren Monaten zu schrumpfen an. Nach Ablauf von
1—JVs Jahren bildet er sich langsam mehr oder minder vollständig
zurück. Bestrahlen wir dagegen ein Sarkom oder ein Myosarkom und
f eben zu dem Zwecke 60—70% der Hauteinheitsdosis, so wirkt diese
trahlenmenge direkt auf die Sarkomzelle, und es wird die Sarkomzelle
als solche zerstört. Wir können daher als Effekt der Bestrahlung
beobachten, daß bereits nach Ablauf von 2—3 Wochen, manchmal
schon unmittelbar nach der Bestrahlung eine starke Schrumpfung und
rapide Verkleinerung des Tumors eintritt. Wir sind durch dieses ver¬
schiedene Verhalten, ob die Schrumpfung rasch oder ob sie
langsam erfolgt, imstande, bei einigermaßen typischen
Fällen die Differentialdiagnose zwischen Myom und
Sarkom zu stellen. Die Voraussetzung dazu ist nur, daß mau
einen durch seine Weichheit, sein rasches Wachstum und durch andere
klinische Zeichen auf Malignität verdächtigen Uterustumor von vorn¬
herein nicht mit der Kastrationsdosis von 34% der Hauteinheitsdosis,
sondern gleich mit der vollen Sarkomdosis von 60—70% belegt 1 ).
Die Erfahrungen der letzten 4—5 Jahre haben uns aber auch
bewiesen, daß es möglich ist, primäre Uterussarkome oder sekundär
sarkomatös gewordene Geschwülste der Gebärmutter durch Rönt¬
genstrahlen zur Heilung zu bringen. Wir wollen im Fol¬
genden über unsere Erfahrungen weiter berichten, nachdem seit der
ersten Veröffentlichung 9 ) weitere 2*/s Jahre verflossen sind.
Unsere ältesten Erfahrungen an durch Probelaparotomie und
histologische Untersuchung sicnergestellten Uterussarkomen
liegen nunmehr fast 5 Jahre zurück, entsprechen also allen Anfor¬
derungen, die man an Dauerheilungen von Karzinom und Sarkom zu
stellen pflegt. Von den 4 Fällen, die fast 5 Jahre in Beobachtung
sind, starb einer, der völlig aussichtslos war, bereits wenige Wochen
nach der Bestrahlung. Der zweite blieb noch 3 1/3 Jahre am Leben und
| w'ar völlig gesund und arbeitsfähig und starb an einer Metastase in
der Magengegend. Die zwei anderen sind jetzt noch nach fast 5 Jahren
völlig reziaivfrei und arbeitsfähig. Bei allen Kranken handelte es
sich um jugendliche Patientinnen von 14—21 Jahren. Bei allen gingen
die Geschwülste nach der Bestrahlung rasch zurück und schrumpften
im Verlaufe von wenigen Wochen so stark, daß von den 1 Va— 2-manns-
kopfgroßen Resistenzen nur noch ein ungefähr normalgroßer Uterus,
der in leichte Schwarten eingebettet ist, nachzuweisen war. Bei den
zwei überlebenden Fällen ist die Diagnose durch Probelaparotomie
und mikroskopische Untersuchung sichergestellt, die Geschwülste selbst
waren inoperabel. Zusammengefaßt: Es lebten von 4 sichergestellten
Uterussarkomen nach 3 1 /* Jahren noch 3 = 75%, nach fast 5 Jahren
noch 2 = 50o/o.
Es liegen bisher nur wenig brauchbare statistische Angaben über
Dauerheilungen von Uterussarfcom vor. Im günstigsten Falle (Stati¬
stik Veit) gelang es bisher, 20% der Fälle 3—5 Jahre nach der
Operation am Leben zu erhalten. Unsere Dauerheilungen von Uterus¬
sarkom durch Bestrahlung übertreffen daher die operativen Resultate
um ein Mehrfaches. Es hat unser Satz, den wir vor mehr als 2 Jahren
auf Grund unserer günstigen Erfahrungen aufgestellt haben: daß ein
Uterussarkom besser zu bestrahlen als zu operieren sei, durch unsere
5jährigen Beobachtungen in jeder Beziehung eine Bestätigung erfahren.
Noch weit günstiger sind die Erfahrungen mit den 3jährigen
(3 Fälle) und 2jährigen (7 Fälle) Beobachtungen. Von diesen 10 Sar¬
komen sind bis heute noch sämtliche gesund. Die Tumoren sind bis
auf kleine Reste zurückgegangen.
Wenn man sämtliche, sicher als Uterussarkom diagnostizierte
Tumoren zusammenfaßt, so sind es 18 Fälle, die nunmehr 2—5 Jahre
in Beobachtung stehen. Von diesen leben heute noch 12, sodaß also
66<Vö am Leben erhalten werden konnten.
Aehnlich sind die Erfahrungen mit den Myosarkomen, bei
denen die sarkomatöse Entartung des Myoms durch den Erfolg
der Bestrahlung in der oben geschilderten Weise mit großer
Wahrscheinlichkeit festgestellt werden konnte. Von den 15
auf diese Weise bestrahlten sarkomatös entarteten Myomen sind bei
einer 2 —4jährigen Beobachtungszeit heute noch 13 *= 860/0 am Leben.
Faßt man sämtliche Uterussarkome zusammen, so sind von den
35 Fällen, die in 2—5jähriger Beobachtung stehen, heute noch 26 =
74% rezidivfrei und gesund. Als dauernd geheilt, d. h. als 5 Jahre
rezidivfrei befunden, sind 50 0/0 anzusehen. Die Zahl der genügend
») M. m. W. 1920 Nr. 23 S. 653 *) M. m. W. 1918 Nr. 20 S. 527.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNÜVERSm 1
346
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr.U
langen 5jährigen Beobachtungen ist zwar noch gering, ist aber hin¬
reichend, um den Satz auszusprechen, daß es möglich ist, * durch
Röntgenbestrahlung ein sicheres Uterussarkom dauernd zu heilen.
Auch die prognostisch so außerordentlich ungünstigen Ovarial¬
und Abdominalsarkome sind für die Röntgenbestrahlung noch
ein dankbares Gebiet. Da es bei der großen Ausdehnung derartiger
Geschwülste schwer ist, die Sarkomdosis auf alle Tumorteile zu
bringen, haben wir in fast allen Fällen zuerst Laparotomie gemacht
und was zu entfernen war, operativ entfernt. In 6 Fällen war die
Operation unvollständig, und es blieben mehr oder minder große
Stücke des Sarkoms zurück. Von diesen Fällen waren 2 völlig aus¬
sichtslos’, sie starben alsbald nach der Bestrahlung. Drei weitere Fälle
lebten noch 3 Jahre lang, gingen aber schließlich doch noch an einem
Rezidiv zugrunde. Darunter befindet sich ein Melanosarkom, das
bereits bei der Laparotomie auf den Darm übergegriffen hatte und
das nur zum geringen Teil bei der Operation entfernt werden konnte.
Der große Tumor bildete sich zurück, die Frau war völlig arbeitsfähig
und ging eine neue Ehe ein. Ein weiterer Fall, 4 Jahre in Beobachtung,
ist bisher'rezidivfrei. Bei ihm wurde zuerst von anderer Seite und
sodann auch noch von uns die Probelaparotomie gemacht, in der
Hoffnung, den zweimannskopfgroßen Tumor entfernen zu können;
ohne Erfolg, darauf Bestrahlung. Das mikroskopisch festgestellte
Sarkom bildete sich überraschend zurück, und die längst von ihrem
Arzt als verloren angesehene Patientin befindet sich heute noch
völlig wohl.
* wir haben während der Kriegszeit in dem in der Erlanger
Frauenklinik errichteten Reservelazarett reichlich Gelegenheit gehabt,
auch Sarkome anderen Sitzes zu bestrahlen. Es ist daher von
Interesse, hier auch kurz die Erfahrungen mit diesen Fällen mitzuteilen,
da sie geeignet sind, die Leistungsfähigkeit des von uns geübten
Verfahrens noch besser zu veranschaulichen.
1. Günstig gelegene Fälle, 17 an der Zahl. Das Sarkom
saß an den verschiedensten Stellen des Köipers, namentlich an den
Extremitäten. Die Fälle sind 2—3 Jahre in Beobachtung. Davon
leben heute noch 15 = 88o/o. Darunter ist ein spindelförmiges Sar¬
kom des Oberarmes und ein offenes Sarkom auf dem Schienbein.
2. Weit fortgeschrittene Sarkome. Von den 21 Fällen,
die 2—4 Jahre in Beobachtung stehen, sind heute nach der Bestrah¬
lung noch 10 = 48 o/o am Leben. Sieben starben, drei davon, nachdem
sie fast noch drei Jahre gelebt hatten. Drei Fälle sind nicht mehr
aufzufinden. Ein Fall wurde später noch nach der Bestrahlung von
chirurgischer Seite operiert.
3. Aussichtslose Fälle mit Metastasen. Bei solchen Fällen
läßt sich von vornherein sagen, daß auch die Röntgenbestrahlung kaum
mehr einen Dauererfolg zu erzielen vermag. Fast sämtliche 26 Fälle
reagierten auf die Bestrahlung mit Verkleinerung des primären Tumors
und der Metastasen und fühlten sich vorübergehend wesentlich er¬
leichtert. Allein die Mehrzahl ist doch kurze Zeit darauf gestorben.
Nur 3 konnten noch 2 Jahre und 1 sogar noch 3 Jahre am Leben
erhalten werden. Man wird also bei Fällen, in denen es bereits zu
einer Verallgemeinerung des Sarkoms und zur Metastasenbildung in
entfernten Körperteilen gekommen ist, nur mit einer vorübergehenden
Besserung zu rechnen haben. Bei besonders ungünstig gelegenen
Fällen hat man sogar den Eindruck, daß es nach der Bestrahlung
zu einer rascheren Ausbreitung des Sarkoms und zu einem schnelleren
Exitus kommt. Es sind eben Fälle, bei denen es bei der weiten Aus¬
dehnung unmöglich ist, auf alle erkrankten Partien die volle Sarkom¬
dosis zu bringen.
4. Unvollständig operierte und sodann bestrahlte
Sarkome. Von den 18 Fällen, die eine 2—4jährige Beobachtungs¬
zeit hinter sich haben, ist 1 verschollen, 12 sind gestorben, 5 Fälle
sind heute noch am Leben. Man hat manchmal den Eindruck, daß
der operative Eingriff ungünstig auf den Erfolg der Bestrahlung
gewirkt habe. Es ist daher im allgemeinen zu empfehlen, die Fälle,
die doch nicht radikal operiert werden können, lieber gar nicht mit
dem Messer erst anzugreifen, sondern sie primär der Röntgenbestrah¬
lung zuzuführen. Eine kleine Probeexzision bildet von dieser Regel
eine Ausnahme. Hier konnten wir eine Verschlechterung des Erfolges
der Bestrahlung nicht beobachten.
5. Rezidive. Rezidive sind in ihrer Prognose bekanntlich an
sich sehr ungünstig. Dieser Satz scheint auch für die Strahlenbehand¬
lung Geltung zu naben. Von unseren 9 bestrahlten Rezidiven sind
7 bald nach der Bestrahlung gestorben. Einer lebte wenigstens noch
2 Jahre. Zwei von den bestrahlten Fällen sind nunmehr fast 3 Jahre
beschwerdefrei. Eine Dauerheilung haben wir bisher nicht gesehen.
Ob es möglich ist, eine solche durch Bestrahlung zu erzielen, müssen
erst weitere Beobachtungen lehren.
Zasammeafassuag. Es ist gelungen, von 4 Uterussarkomen 2 für
5 Jahre zu heilen und damit den Beweis zu erbringen, daß es möglich
ist, mit der Röntgenbestrahlung Uterussarkome dauernd zu heilen.
Von den gesamten 35 Genitalsarkomen, die nunmehr 2—5 Jahre zurück¬
liegen, konnten 74 o/o bisher gesund erhalten werden. Von den
97 extragenitalen Sarkomen verschiedensten Sitzes gelang es, 32 Sar¬
kome = 33o/o am Leben (2—3 Jahre) zu erhalten.
Faßt man sämtliche genitale und extragenitale Sarkome zusammen,
so macht das 132 Beobachtungen aus, von denen nach 2—5 Jahren
noch 59 = 45o/o am Leben sind 1 ). |
*) Die 132 Ffille mit Einzelheiten und Krankengeschichten finden sich In der Neu¬
auflage unseres Buches: Unsere Methode der Röntgentiefenbestrahlung und ihre Erfolge.
Berlin und Wien, Urban und Schwarzenberg, 5. Sonderband der Strahlentherapie, an¬
geführt
Diese Zahlen und Erfahrungen beweisen wohl auch dem Skep¬
tiker, daß mit richtig angewandtem und dosiertem Röntgenlicht bei
Sarkomen manche schönen Erfolge zu erzielen sind. Für das Uterus-
sarkora sind von uns bereits einwandfreie Beweise erbracht, daß es
möglich ist, Dauerheilungen (5 Jahre) zu erzielen.
Aus der Universitäts-Hautklinik in Freiburg i. Br.
(Direktor: Prof. Q. A. Rost.)
Ueber praktische und biologische Höhensonnendosierong;
Höhensonneneinheit.
Von Dr. Philipp Keller, 2. Assistent
Die Notwendigkeit, das wirksame Licht der Höhensonne zu
dosieren, besteht für jeden, der mit ihr arbeitet: der Biologe,
der irgendeine ihrer Wirkungen studiert, bedarf ihrer, sofern er
nicht annimmt, daß die Höhe der Dosis keine Rolle spielt; der
Praktiker braucht einen Maßstab für die Wirksamkeit seiner Lampe.
Zwar konnte man immerhin es bisher leichter wagen, eine Höhen¬
sonnenbestrahlung „gefühlsmäßig“ zu verordnen als eine Röntgen¬
bestrahlung; die eventuellen Schädigungen bei Ueberdosierung sind
weniger schwerwiegend und jedenfalls vorübergehend; fragt sich nur,
ob nicht manche Höhensonnenbehandlung wegen Unterdosierung
nutzlos geblieben ist. Denn gering sind die intensitätsunterschiede
verschiedener Brenner durchaus nicht; um es vorwegzunehmen,
wir fanden an verschiedenen Höhensonnen unseres Instituts bio¬
logisch nachgeprüfte Differenzen von über 1:12, d. h.
gegenüber einer neuen bedurfte eine gebrauchte, aber sicher nicht
überbrauchte Lampe, die zweifellos noch manchem Brenner in der
Praxis ebenbürtig war, 12mal so langer Zeit, um denselben Haut¬
effekt zu erreichen. Bei solchen Unterschieden ist es klar, daß das
feinste gefühlsmäßige Dosieren zur Illusion wird. Und vielleicht
ist die Unmöglichkeit, über den Wert oder Unwert der Höhen¬
sonnenbehandlung zu einer Einigung zu kommen, ebenfalls darauf
begründet, daß man — unbeabsichtigt und unbewußt — mit den
verschiedensten Dosen behandelt.
Um Mißverständnisse zu vermeiden, müssen wir hier einschalten,
daß wir uns des irreführenden Namens der „künstlichen Höhensonne“
bewußt sind. Wir wissen über die Art des Spektrums und seine
Ausdehnung Bescheid. Infolgedessen nehmen wir auch nicht von
vornherein an, daß die Wirkungen der natürlichen und
künstlichen Höhensonne dieselbensind; nichtsdestoweniger
können beide gut sein. Etwas Irrtum liegt auch im Bestreben, nun
absolut die natürliche Sonne nachahmen zu wollen, wie aus den
zahlreichen Neukonstruktionen von künstlichen Lichtquellen „mit
Sonnenspektrum“ hervorgeht. Wir stehen an der Klinik nach wie
vor auf dem von Rost seit langem vertretenen Standpunkt, daß
diejenige künstliche Lichtquelle die brauchbarste ist,
welche in der Zeiteinheit ein genügend starkes Hauterythem
erzeugt. Die Erzeugung dieses Erythems, nicht die Pigmen¬
tierung, hängt vorwiegend ab von dem Gehalt an U.-V.-
Strahlen der betreffenden Lichtquelle, und hierin steht die künst¬
liche Höhensonne bis jetzt an erster Stelle.
Aus dieser Abschweifung geht sofort eine Notwendigkeit und
eine Begrenzung einer Höhensonnendosimetrie hervor; ein Höhen¬
sonnendosimeter muß einerseits auf das wirksame Agens der Höhen¬
sonne eingestellt sein, gleichzeitig ist es aber unmöglich, daß es
auch andere, selbst therapeutische, Lichtquellen zu messen imstande
ist, wofern sie eine andere spektrale Zusammensetzung haben eben
als die Höhensonne. Darüber hinaus, als daß es die ultravioletten
Strahlen sind, die die spezielle therapeutische Wirksamkeit der Höhen¬
sonnen ausmachen, wissen wir schon nichts Genaues mehr; daß das
sichtbare Licht, das durch eine Glasscheibe geht, in der kurzen
Zeit, in der die ultravioletten Strahlen bereits eine Wirkung erzielt
haben, eine Rolle zu spielen vermag, ist recht utfwahrschein¬
lich. Es ist auch unsere Meinung, daß, wer auf sichtbares Lidit
Wert legt, gut tut, sich nicht einer Höhensonne zu bedienen. Welche
Wellenlängenbezirke aber in Frage kommen und ob die einzelnen
biologischen Reaktionen besondere selektive Absorptionsgebiete haben,
ist schon unbekannt. Darüber müssen neuere Arbeiten, die von
anderer Seite unternommen sind, Aufschluß geben. Vorläufig wissen
wir genau so wenig hierüber wie von den Röntgenstrahlen.
Immerhin dürfen wir doch, gleichgültig, worin das wirksame
Agens besteht, eine seiner Wirkungen, die biologisch gut fixierbar
ist, als Grundmaß seiner Wirkungen ansehen. Fühlen wir uns be¬
rechtigt, für die ganz anders mit Tiefenwirkung versehenen Röntgen¬
strahlen das Erythem der Haut als biologische Einheit
zu wählen, so ist uns das um so mehr erlaubt für die so ober-
flächlich absorbierten Ultraviolettstrahlen. Auch glauben wir, wie
oben erwähnt, daß der therapeutische Erfolg einer Bestrah¬
lung mit einer Erythembildung der Haut parallel geht.
Damit ist noch nichts zur „Esophylaxie“, zur Schutzkörperbildung
seitens der Haut gesagt, sondern nur, daß von den verschiedenen
Wirkungen einer Lichtbestrahlung, von denen irgendwelche thera¬
peutisch wirken mögen, die Dermatitis als ein Maß für die
Reaktionsfähigkeit des Organismus angesehen werden
kann. Gleichzeitig ist sie aber audi ein Maß für die Höchst-
Digitized b"
Google
Original from
CORNELL UNfVERSITY
17. März 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
347
dosis, die Dosis tolerata, die ohne Gefahr für den Organis¬
mus, insbesondere der Haut, nicht überschritten werden soll (Rost).
Infolgedessen bestrahlen wir unsere Patienten also bis zur Er¬
zielung eines Erythems, das einmal so kräftig ist,, daß es mit bloßem
Auge wahrnehmbar ist, anderseits dem Patienten kein subjektives
Unbehagen bereitet.
Unsere Klinik hat sich dauernd bemüht, die Dosierung der Queck¬
silberquarzlampen zu vervollkommnen. Ich verweise auf die zahl¬
reichen Arbeiten von Rost und Hackradt. Wir haben ebenfalls
neu aufkommende Meßmethoden hoffnungsvoll übernommen, aber
wir sind nicht immer in unseren Erwartungen befriedigt worden.
Eine Arbeit von mir (D. m. W. 1921 Nr. 17) zeigte mir bei der
Prüfung der Brauchbarkeit des Aktinimeters für die Höhensonne
den Weg, eine neue biologische Dosierung zu finden.
Ausgehend von der Meyer-Beringschen Jodmethode, die
von den Genannten für die Ausdosierung der Kromayer-Lampe ge¬
schaffen und dann von Rost erstmals zur Ausdosierung der künst¬
lichen Höhensonne herangezogen worden war, versuchte ich gewisse
Nachteile derselben, die in der praktischen Anwendung liegen, zu
beseitigen, dabei aber ihre prinzipiellen Vorteile beizubehalten.
Meyer-Bering bestrahlen ein Gemisch von Schwefelsäure-Jodkali-
lösung; im wesentlichen unter Ultraviolettwirkung bildet sich freies
Jod, das nach vollendeter Bestrahlung durch Stärke nachgewiesen
und mit Natriumthiosulfatlösung zurücktitriert wird. Aus der Menge
des verbrauchten Natriumthiosulfats wird dann auf die Menge deS
ausgeschiedenen Jods geschlossen und daraus wieder auf die Licht¬
dosis; 10 ccm 1 / 4 oo" n *^ a f r i um thiosulfatlösung entsprechen der Ein¬
heit der Lichtdosis, genannt ein Finsen. Die Reaktion besteht also
aus zwei Phasen: Jodabscheidung während der Bestrahlung, Jod¬
titrierung nach der Bestrahlung. Zunächst habe ich nun versucht,
diese Reaktion ein zeitig zu machen: der Schwefelsäure-Jodkali-
lösung wird sofort Stärkelösung und eine bestimmte Menge
Natriumthiosulfatlösung zugesetzt. Unter der Bestrahlung
bildet sich alsdann freies Jod, das aber sogleich von dem Natrium¬
thiosulfat gebunden wird; erst wenn das freie Jod im Ueberschuß
auftritt, gibt es mit de{ Stärke den blauen Farbenumschlag.
Die Ausführung entsprach den Erwartungen; nach einer gewissen
Zeit der Bestrahlung wird die bisher durchsichtige und farblose
Flüssigkeit blau.
Ohne mich nun an dieser Stelle weiter mit den Veränderungen
einzulassen, die durch die neu zugesetzten Faktoren als Strahlen¬
wirkung eintreten, daß z. B. die Natriumthiosulfatlösung durch die
Bestrahlung für Jod aktiver wird, daß die Jodausscheidung in der
Modifikation im Ultraviolett schneller, im ultraviolettfreien Licht lang¬
samer verläuft als in der originalen Mischung, also scheinbar eine
Verschiebung des Lichtreaktionsraaximums nach der Seite der kürzeren
Wellenlängen hin 1 ), habe ich mich mehr um den rein praktischen
Anteil der Frage bemüht. Wenn diese neue Modifikation der bio¬
logischen Wirkung, an der Hautreaktion geprüft, entsprach, war mir
damit zunächst mehr gedient als mit der Kenntnis der genauen
chemischen und photochemischen Umsetzungen im bestrahlten Ge¬
misch. Eine Sabouraud-Tablette leitet ihre Brauchbarkeit für die
Röntgendosierungen auch aus ihrer praktischen Uebereinstimmung
mit den biologischen Reaktionen ab und weniger aus unseren Kennt¬
nissen ihrer physikochemischen Umsetzung bei Röntgenbestrahlung.
Versuche an der Höhensonne: Zwei nebeneinanderstehende
Höhensonnen, deren verschiedene biologische Wirksamkeit mir be¬
kannt war, wurden an der Reaktion der Haut relativ zueinander ge¬
eicht. Zu diesem Zweck wurde an hautgesunden, bisher unbestraf¬
ten Personen unter gleichen Bedingungen mit jeder Lampe je eine
Reihe von kleinen Hautfeldern verschieden lange exponiert; es ließ
sich dann aus den entstehenden Erythemen beider Reihen durch
Vergleich, und zwar der Schwellenwerte, der Intensitäts¬
grade, des Verlaufs feststellen, daß die Lampe B etwa 5—6mal
soviel Zeit gebraucht hatte, um dieselbe Wirkung zu erzielen an der
Haut eines Individuums wie die Lampe A in demselben Ab¬
stand. Daraus ergab sich für A die 5—6fache Intensität der
Lampe B; A war also etwa gleich 5—6 B biologisch.
Verschiedene Gemische von 50 ccm Schwefelsäure-Jodkali-Stärke-
lösung mit verschiedenen Mengen Natriumthiosulfat schlugen unter
den Lampen A und B um mit Reaktionszeiten, aus denen sich die
Intensitätsverhältnisse zwischen beiden Lampen ergaben wie 1:3,3;
1:3,6; 1:5. Die letzte Mischung enthielt nür 1 ccm Natriumthio¬
sulfat und wurde zu weiteren Versuchen gewählt, weil sie der Eichung
beider Höhensonnen nach biologischen Wirkungen am nächsten kam.
Unser Aktinimeter zeigte übrigens ein Verhältnis von 1:1,2 statt 5,
also 75o/o zu wenig; das Eder-Hechtsche Graukeilphoto¬
meter nur 1:1,1, also 8O0/0 zu wenig. Das ist auch nicht ver¬
wunderlich, weil beide Instrumente vorzüglich auf das sichtbare
Licht der Höhensonne reagieren und für das ultraviolette Licht relativ
unempfindlich sind.
Zur Nachprüfung unserer Reaktion wurde der schwächere Brenner
durch einen neuen ersetzt Die Reaktion ergab jetzt, daß dieser
neue Brenner C 2,5mal so stark sein mußte wie A. Ein biologischer
Versuch bestätigte das 'Verhältnis 1:2,5. Darays geht also einmal
die Uebereinstimmung hervor mit der biologischen Reaktion; weiter
aber auch, daß biologische Differenzen zwischen an-
») Solche Verschiebungen des Absorptionsmaximums sind als Folge einer Aende-
rang des Dispersitätsgrades bekannt (siehe Pincussen, Erg. d. Physiol. 1921, 19,
S. 106—10% ln unserem Palle spielt der Zusatz der Stfirkelösung diese Rolle.
scheinend gleichen Höhensonnen vorhanden sein kön¬
nen von 1:12,5; nämlich von C zu B.
Um nun nicht nur bei der Möglichkeit stehen zu bleiben, das
Intensitätsverhältnis verschiedener Höhensonnen zueinander bestim¬
men zu können, also bei einer relativen Eichung, wurden weitere
Versuche unternommen, die zu einer absoluten Eichung und
Einheit führen sollten. Da die Reaktionsgeschwindigkeit
abhängig ist von dem Verhältnis der bestrahlten Oberfläche
zum Gesamtvolumen, insofern mit der Oberfläche audi die
Schnelligkeit der Reaktion zunimmt, wurde als Einheitsgefäß ein
Bechergias gewählt von 5 cm Durchmesser und etwa 10U ccm In¬
halt. Dieses Becherglas wird gefüllt mit je 25 ccm einer l°/oigen
Jodkaliiösung und einer 5,3<Voigen Schwefelsäure, mit 6—8 Tropien
ein^r etwa lo/ 0 igen Stärkeiösung, 1 ccm V^o-n-Natriumthiosuifat-
lösung. Die Lösungen sind dieselben, die bei der Meyer-Bering-
schen Methode gebraucht werden; die Jodkalilösung ist stets
frisch zu bereiten, am besten hat man abgewogene Pulver von
l k S Jodkali, die man vor Feuchtigkeit gesenützt aufbewahrt und
kurz vor der Verwendung in 25 ccm Leitungswasser löst. Setzt man
in der oben erwähnten Reihenfolge die Flüssigkeiten zueinander, so
darf sich bei Stärkezusatz die Mischung noch nicht bläuen, andern¬
falls hatte sich bereits in der Jodkaliiösung freies Jod gebildet
Die übrigen Reagenzien lassen sich ebenfalls einige .Wochen auf¬
bewahren, werden also als solche in der Apothexe besteht. Die
zusammengesetzte Reaktionsflüssigkeit ist nicht länger haltbar; wenn
sie auch im Tageslicht mehrere Stunden stehen kann, ohne sich zu
bläuen, so treten doch bereits in ihr Umsetzungen ein, die nachher
die Reaktion unter der Höhensonne verändern, und zwar beschleu¬
nigen.
Die frisch bereitete Lösung wird in dem Becherglas vorgeschrie¬
benen Durchmessers in einem frei gewählten Abstand unter die Höhen¬
sonne zweckmäßig auf ein Stück weißes Papier gesetzt; nach einiger
Zeit treten an der Oberfläche blaue Schlieren auf, die mit einem
Glasstab beim Umrühren zerstört werden müssen. Die Flüssigkeit
selbst bleibt, was in der grellen Beleuchtung der Lampe leicht zu
sehen ist, farblos, bis mit einem Schlag eine Bläuung eintritt,
die sich in wenigen Sekunden rasch vertieft; der Beginn der
Bläuung gibt die Reaktionszeit an.
Verschiedene Versuche ergaben, daß die Reaktion stets gleich¬
mäßig verläuft. Man achte darauf, daß die Oberfläche der Flüssig¬
keit völlig von den Strahlen getroffen wird. Unter einem Glasfilter
von 0,25 mm Dicke wird die Reaktion um mehr als das Zwanzigfache
verzögert; der Schatten des Glasrandes darf also nicht auf die Flüssig¬
keit fallen, was man mit Leichtigkeit durch genaue wagerechte Ein¬
stellung unter die Mitte des Leuchtrohres vermeidet. Eine Erwär¬
mung der Flüssigkeit tritt auch bei einer die Reaktionszeit über¬
steigenden Bestrahlung nicht ein. ln den ersten Minuten brennt eine
Höhensonne nur mit etwa der halben Intensität, nach 5 Minuten ist
sie eingebrannt und ergibt beim Messen konstante Werte. Mes¬
sungen an verschiedenen Tagen zeigen ziemlich übereinstimmendes
Resultat, sodaß es vorläufig scheint, als ob eine Messung alle 2 bis
3 Wochen genügt.
Welche Beziehungen bestehen nun zwischen dem Umschlag
dieser Reaktion und eiuer biologischen Reaktion? Zu¬
nächst haben wir gesehen, daß die Reaktion dieselben Differenzen
unter Höhensonne aufdeckt, wie sie auch an, der Haut zur Wirkung
kommen. Weiter zeigte sich aber auch, daß bereits ein Viertel der
Zeit, in der die Reaktion an irgendeiner Höhensonne positiv wurde,
genügte, um ein kräftiges, einige Tage dauerndes Erythem bei
einem bisher unbestraften Individuum zu erzeugen. Natürlich ist
das Höhensonnenerythem noch von individuellen Fak¬
toren bestimmt, aber wir haben uns selbst gewundert, wie ver¬
hältnismäßig gleichmäßig wir bei verschiedenen Personen
verschiedenen Alters unter unseren geeichten Höhensonnen mit einer
bestimmten Dosis ein therapeutisch brauchbares Erythem erzeugen
konnten. Genauere Untersuchungen über die individuelle Empfind¬
lichkeit der Haut für ultraviolettes Licht, deren Möglichkeit jetzt mit
dem Vorhandensein einer Dosierung naheliegt, behalten wir uns vor.
Wir sagten, daß die Zeit unserer Reaktion etwa 4mal so groß
war, um ein brauchbares Anfangserythem zu erzielen. Indem wir
nun, analog dem Arbeiten mit der Sabouraud-Pastille, unsere Reaktion
in der Hälfte des von uns verwendeten Brennerhautabstandes an¬
stellten, erhielten wir jetzt mit dem Umschlagen der Flüssigkeit
die Zeit für das Erstlingserythem; diese Dosis nannten wir die
Höhensonneneinheit, sie ist gleichzeitig die mittlere Ery¬
themdosis. Die H.S.E. ist also die Dosis biologisch wirk¬
sames Licht, die in einer bestimmten Entfernung von einer un¬
gefilterten Höhensonne verabfolgf worden ist, wenn die Meßreaktion
in der halben Entfernung positiv wird.
Da wir in unserem Institut aus 50 cm Entfernung zu bestrahlen
pflegen, so werden die Lampen in 25 cm Entfernung geeicht. Die
Höhensonneneinheit liegt für diese Entfernung (für 50 cm, gemessen
in 25 cm) bei einer neuen Lampe in 1,5, für ältere Lampen etwa in
8,5 Minuten. Ist die H.S.E. einer Lampe für eine Entfernung be¬
stimmt, so wird weiterhin in dieser Entfernung nach Zeit dosiert;
meist wird eine Höhensonnenbestrahlungsserie mit einer H.S.E.
begonnen, sehr selten aus Vorsicht mit Va H.S.E., und nach Ab¬
klingen des Erythems um je 1 oder auch nur Va H.S.E. gesteigert.
Zum Schluß mögen noch einige Worte über die Vorteile der
geschilderten Modifikation der Mey er-Bering sehen Methode er¬
laubt sein. Gegenüber dem Aktinimeter und dem Oraukeilphotometer
□ igitized by Gougle
Original from
CORNELL UNIVERSSTV
348
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
hat sic die Ueberlegenheit, mit der biologischen Reaktion überein¬
zustimmen. Gegenüber dem Originalverfähren und seinem kolöri-
metrischen Ausbau durch Hackradt zunächst den Fortfall der
Apparatur; sie erfordert lediglich ein Becherglas von 5 cm Durch¬
messer und 60 bis 100 ccm Inhalt, «inen Glasstab, 2 Pipetten oder
Meßglaser für 25 ccm, eine Pipette zu 1 ccm. Die Reagenzien sind
dieselben wie für die Originalmcthode, sie sind in der Apotheke
herstellbar; lediglich das Jod wird in abgewogenen Pulvern auf¬
bewahrt und erst vor der Messung gelöst. Weitere Vorteile aber
liegen im Wesen der Reaktion selbst; bei der Originalmethode
scheidet sich freies Jod während der Bestrahlung aus, das auf die
weitere Einwirkung der Lichtstrahlen wie ein Filter wirkt. Die Jod¬
ausscheidung erfolgt dementsprechend auch nicht gleichmäßig mit
der Zeit, sondern im Anfang beschleunigter als später. Infolgedessen
darf man aus den Zeiten, in denen eine bestimmte Jodmenge aus¬
geschieden ist, ‘nicht auf andere Zeiten schließen, in denen eine
andere Jodmenge ausgeschieden wird. Meyer-Bering haben selbst
daraüf hingewiesen, daß die Reaktion als maßgebend für die Dosis
nur gilt, wenn die Bestrahlung gerade so lange stattgefunden hat,
daß die Jodmenge annähernd den Finsenwert erreicht hat, d. h.
10 ccm Natriumthiosulfat zur Rücktitrierung bedarf. Da dieser Zeit¬
punkt aber vorher nicht bekannt ist, muß er meist durch einen
Vorversuch ermittelt werden; führt man die Reaktion dann nochmals
in dieser Zeit aus, so ergibt sich meist noch eine Korrektur des
Finsenwertes. Die Modifikation hat einmal den Vorteil, sich nicht zu
verfärben, bis der Umschlag eintritt, und zweitens eben durch den
Umschlag anzuzeigen, daß ein bestimmter gesuchter Jodwert er¬
reicht ist. Ebenfalls wegen der ungleichmäßigen Jodausscheidung
ist eine kolorimetrische Methode auch nur zu verwerten, wenn Jod-
werte um einen Finsen in Frage kommen; denn nur in diesem
Bereich verläuft die Jodausscheidung mit der Dauer der Belichtung
— und wir dosieren doch nach Zeit — parallel. Berücksichtigt man
nun noch, daß der Finsenwert für die Höhensonne viel zu hoch ist
— einerseits braucht er zu seiner Erzielung etwa y* bis 3 Stunden
in 25 cm Abstand, gegenüber den 1 bis 8 Minuten der Modifikation,
anderseits stellt er ungefähr den öOfachen Wert der Erstlings-
eiythemdosis dar —, so mag der Versuch, von der Originalreaktion
und der Originaleinheit abzugehen, etwas weniger gewagt erscheinen.
Ueber die Nutzanwendungen der Modifikation bei Kromayer-Lampen
sind Versuche noch im Gange.
Auswertung des Höhensonnenlichts in spektralanalytischer
und mikroskopischer Hinsicht
Von Dr. Ed. Richter in Hamburg.
In den folgenden Zeilen ist es meine Absicht, die Aufmerksamkeit
auf jene Befunde zu lenken, welche ein Vergleich des gewöhnlichen
Sonnenspektrums mit dem des Quecksilber-Höhensonnenlichts er¬
geben. Das Gebiet ist weit, und ich möchte es hier nur mit engen
Linien umgrenzen. Während das gewöhnliche Tageslicht das wohl-
bekannte Spektrum mit dem schönen Farbenband von Rot-Orange-
Gelb-Grün-Blau-Violett ergibt, wobei die Farben des Spektrums kon¬
tinuierlich ineinander übergehen, sieht man im Höhensonnenlicht,
d. h. also im Licht des glühenden gasförmigen Quecksilbers, ein ganz
anderes Farbenbatid. Es ist wie aus Platten mosaikähnlicher, farbiger
Felder zusammengesetzt, welche scharf sich gegeneinander abgrenzen
und dem Wesen nach vollständig mit dem gewöhnlichen Spektrum
differieren. Von den einzelnen leuchtenden Spektrallinien des Hg
sehe ich hier ab und bemerke nur, daß man sie durch seitliche Ver¬
schiebung fort von der Quelle des Hg-Lichts erhalten kann.
Schildere ich die einzelnen Felder des Hg-Lichts nach der fort¬
laufenden Größe ihrer Lichtwellen, so ergeben sich folgende scharf
umrissene Felder: 800—700 Wellenlänge schwarzbraun, 700—600
bräunlich ins Rote übergehend, 600—560 ein hellgelbes Feld, 560 bis
532 ein saatgrünes Feld, 532—505 ein dunkelgrünes Feld, 505—485
ein grünblaues, 485—442 ein dunkelblau-violettes, 442—430 ein ultra¬
marinblaues, 430—410 ein schwarzblaues, 410—400 ein violettes Feld.
Untersucht man in diesem Hg-Spektrum Oxyhämoglobinblut in der
bekannten Anordnung, so sieht man eine Einrahmung des hell-saat-
rünen Feldes von 566—530 mit je einem schwärzlich verwaschenen
treifen. Die Blutverdünnung soll dabei das 70fache und weniger
betragen. Die schwarzen Absorptionsstreifen des Oxyhämoglobins
im normalen Sonnenspektrum liegen von 590—578 und von 557 bis
536. Die beiden eben geschilderten Felder des Oxyhämoglobins im
ewöhnlichen Licht sind Absorptionsspektren, weil an den Stellen
er Absorption durch die Oxyhämoglobinlösung eine Intensitätsver-
ringerung der Lichtstrahlen eintritt;, hierbei ist die Intensitätseinbuße
von der Konzentration bzw. dem Extinktionskoeffizienten abhängig.
Im Hg-Licht ist die Einrahmung des grünen Feldes bei Oxyhämo¬
globinblut durch die genannten schwärzlichen Streifen charakteristisch.
Das saatgrüne Feld selbst ist schwach beschattet. Untersucht man
Kohlenoxydblut in der gleichen Verdünnung, so verfinstert sich der
ganze grüne Streifen ohne die prägnante schwärzliche Einrahmung.
Das Hauptcharakteristikum des Kohlenoxydblutes im Hg-Spektrum
ist die Auslöschung des grünen Feldes, während beim Oxyhämoglobin
das saatgrüne Feld sichtbarlich von schwarzen Streifen eingerahmt
wird und nur wenig selbst beschattet ist. Durch Kohlenoxydblut wird
das Hg-Farbenband von 578—400 in seiner ganzen Länge verdunkelt.
Nr. 11
Beim Oxyhämoglobin schimmert es ganz schwach um 500 noch
durch. Im Sonnenspektrum liegt die Absorption durch Kohlenoxvdblut
zwischen 575 und 525.
Die einrahmenden schwarzen Streifen des Oxyhämoglobins im
Hg-Licht liegen links -und rechts des saatgrünen Feldes genau da, wo
man sonst im Hg-Spektrum helleuchtende Spektrallinien sieht. Beiden
Blutarten gemeinsam ist, daß sie das rote Feld nach links um etwa
50 Teilstriche von 700—750 verbreitern.
Oxyhämoglobinblut, mit Essigsäure behandelt, ergibt die be¬
kannte mahagonifarbene saure Hämatinlösung. Diese zeigt auch
im Hg-Spektrum mahagoniähnliche Verfärbung des roten Spektrum¬
teils von 750—600, grauliche Beschattung des gelben und grünen
Feldes von 600—532 und Auslöschen des übrigen Spektrums nach liuks.
Das Hg-Spektrum ist zur Differenzierung verschiedenartigster
Stoffe geeignet. Hierüber gebe ich nur kurz einige Beispiele. Jod¬
tinktur mit Spiritus verdünnt zeigt bei gewöhnlichem Licht Ver¬
dunkelung des Spektrums von 550 an; nach rechts löscht es das
ganze Feld aus. Im Hg-Licht kommt Rot schwach zur Geltung, Gelb
und Grün stark zum Vorschein, während von da aus das ganze Feld
nach rechts total schwarz ausgelöscht wird. Der Farbstoff Erythrosin,
ein Halogenderivat des Fluoreszeins, hat bei Tageslicht ein ähnliches
Spektrum wie Jod, im Hg-Licht dagegen schwach rotes Feld, hellgelbes
Feld und Fehlen des saatgrünen Feldes. Von 560—444 ist sein
Spektrum schwarz gedeckt, dann erscheint das ültramarinblaue Feld
und weiterhin Verdunkelung nach rechts.
Eine lO^/oige Eisenchloridlösung zeigt rotes Feld, hellgelbes, hell¬
grünes, dunkelgrünes Feld, ins Blaue übergehendes Feld, dann nach
rechts völlig verdunkeltes Feld. Das ganze Spektrum spielt sich ab
im Hg-Licht von 800—480. Das gewöhnliche Sonnenspektrum wird
durch 10°/oige Eisenchloridlösung nicht verändert.
Eine violette Kali-hyp.-Lösung zeigt das blaue Feld des Hg-Lichtes
zwischen 445 und 430, dagegen eine vollständige Auslöschung des
saatgrünen Feldes, fernerhin ein besonderes Hervortreten des gelben
und roten Feldes, dazwischen eine leuchtende Linie. Auch dies
Spektrum ist äußerst charakteristisch. Eosinlösung zeigt ein ähn¬
liches Spektrum, jedoch mit Auslöschen des blauen Feldes.
Chromsäurelösung zeigt ein leicht violettes rotes Linksfeld, ein
darauffolgendes fleischfarbenes Gelb und das saatgrüne Feld. Das
fleischfarbene Feld ist von zwei leuchtenden Linien eingerahmt.
Chlorophyllösung in Chloroform zeigt einen schwarzen Streifen
um 680—700 und Abdeckung des Spektrums nach links von 490 ab.
Da obige Angaben nur kurz orientierende Skizzen sein sollen, so
gebe ich weitere Befunde über Fehlingsche Lösung, rotes Blutlaugen¬
salz, Berliner Blau. Nachtblau usw. hier nicht an. Eines ist
gewiß, daß durch Vergleich des Hg-Spektrums verschiedener Stoffe
spektralanalytische große Unterschiede festgestellt werden können
und das wesen verschiedener gelöster Stoffe anorganischer oder
organischer Natur aufzudecken ist. Die Beobachtungen wurden mit
dem kleinen Handspektroskop (Firma Franz Schmidt & Haensch,
Berlin S. 42) gemacht.
Daß sich das helleuchtende Hg-Licht mit und ohne blaue Abblen¬
dung zu mikroskopischen Beobachtungen und Beobachtungen im
Dunkelfeld heranzienen läßt, will ich hier ebenfalls nur skizzenhaft
erwähnen; ich glaube, daß es zweckmäßig wäre, wenn in Frage
kommende Herstellungsfirmen elektrischer Apparate zu mikroskopi¬
schen Untersuchungszwecken kleinere Höhensonnenkonstruktionen an¬
fertigten.
Auch kolloidale Metallösungen habe ich untersucht.
Interessant scheinen sich Untersuchungen chemischer Körper im
polarisierten Hg-Licht zu gestalten und zur Klärung der Konstitution
der Kohlenstoff chemiekörper und anderer chemischer Körper beizu-
tragen.
Welche Anforderungen müssen an unsere Röntgentherapie¬
apparate vom medizinischen Gesichtspunkt aus gestellt
werden? 1 )
Von Prof. Max Leyy-Dorn in Berlin.
Ein jeder von uns kennt die Ratlosigkeit, welche uns befällt,
wenn wir uns einen Röntgenapparat beschaffen wollen oder die
Frage vorlegen, ob die in unserem Besitze befindlichen Instrumen¬
tarien noch imstande sind, den Ansprüchen der Therapie zu genügen.
Es sind durchaus nicht allein die großen Ausgaben, welche unser
Herz dann schlagen lassen, sondern auch die — wegen der hoben
Kosten allerdings dringende — Frage nach der besten Apparatur
und nach der Wahrscheinlichkeit, ob grundlegende Fortschritte in
unserer Kunst bald wieder zu neuen Erwerbungen treiben werden.
Sollen wir den „Radio-Silex“, den „Intensivreformapparat“, „Multi-
Volt“, „Symmetrie-Apparat“ oder andere Induktoren, „Hartstrahl
— uin nur die bekanntesten Typen zu nennen — beschaffen? Nach
welchen Gesichtspunkten treffen wir die. Wahl?
Für alle unsere ärztlichen Maßnahmen entscheidet ohne Zweifel
der voraussichtliche Erfolg am Kranken. Auch die Wahl für eine
Röntgenapparatur muß in erster Linie von diesem Gesichtspunkte
getroffen werden.
Man muß sich allerdings hüten, Erfolge, welche mit einer ge¬
wissen Methodik erzielt wurden, ohne weiteres dem Apparat zu-
*) Nach einem Referat in der Röntgen-Vereinigung in Berlin, vorgetragen am 3. XI-1921.
Difitized by
Go s 1 ^
Original fro-m
CORNELL UNSVERSITY
17. März 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
349
zuschreiben, den der Autor — vielleicht zufällig — benutzte. Gar
mancher Arzt erzielt mit schlechten Apparaten größere Erfolge als
andere mit guten. Wir müssen daher prüfen, welcher Apparat sich
am besten für die bewährtesten ärztlichen Methoden eignet.
Welches sind aber die besten ärztlichen Methoden? Die Schwierig¬
keiten, hierüber ein Urteil zu fallen, werden nicht allein von Nicht¬
ärzten, sondern auch von vielen Aerzten bei weitem unterschätzt.
Für die Röntgenstrahlen gilt dasselbe, wie für zahlreiche andere
therapeutische Mittel, über deren Wert der Streit trotz großer Er¬
fahrungen noch nicht ausgefochten ist. Ich erinnere an die Ope¬
ration bösartiger Geschwülste, an die Behandlung der Tuberkulose
mit Serum, an die Einspritzung des Salvarsans bei Lues. Die ver¬
wickelten Verhältnisse in der weit der Lebenden tragen die Schuld
daran. Wir buchen gern gebesserte Symptome als Enolg und über¬
sehen vielleicht, daß der gesamte Organismus keinen Vorteil, oft
sogar Nachteil davon hatte. Erinnert sei diesbezüglich an die Be¬
handlung des Fiebers. Das Suggestive, der gemeine Zufall wird,
um einige andere Ursachen zu nennen, oft nicht erkannt. Wir dürfen
uns daher nicht wundem, daß für die widersprechendsten Ansichten
von verschiedenen Aerzten im guten Glauben statistische Unter¬
lagen geliefert werden und daß viele ernste Forscher ihre eigenen
Erfahrungen in den Vordergrund stellen, um das Material, auf das
sie ihr Urteil stützen, persönlich sichten zu können.
Wenn wir angesichts der skizzierten Sachlage unsere Frage,
welche Anforderungen wir an die Röntgentherapieapparate stellen
müssen, beantworten, so müssen wir sagen: Es empfiehlt sich, für
keine einzelne Methode Partei zu ergreifen und zu fordern, daß
unsere Apparate uns in den Stand setzen, alle Methoden, die eine
größere Anhängerschaft erworben haben, nicht allein die Methode,
welche wir selbst am meisten billigen, auszuführen. Nur so sind
wir in der Lage, was die anderen anraten, nachzuprüfen und ein
eigenes Urteil zu bilden.
In erster Linie müssen die Apparate imstande sein, Röntgen¬
strahlen in jeder gewünschten Qualität und in ausreichender Menge
hervorzurufen.
In bezug auf die Strahlenqualität stehen heute wohl die meisten
auf dem Standpunkt, daß keine wesentlichen Unterschiede im Ein¬
fluß verschieden harter Strahlen auf die menschlichen Gewebe be¬
stehen, d. h. wo eine gleiche Menge Strahlen absorbiert wird, immer
dieselbe Wirkung vorhanden ist, mögen die Strahlen hart oder weich
sein. Die sorgfältigsten Untersuchungen — ich erinnere nur an die
Experimente von Krönig und Friedrich — konnten wenigstens
keine Unterschiede aufdecken. Auch auf den ersten Blick dieser
These widersprechende Beobachtungen lassen sich bei näherem Zu¬
sehen in Einklang damit bringen. So z. B. sehen wir nach dem Ge¬
brauch harter Strahlen einige andere Hautreaktionen eintreten als
nach Anwendung weicher. Wir wissen aber anderseits, daß das
Verhalten tiefer gelegener Gewebe nicht ohne Einfluß auf die Haut
ist Die Tiefe wird natürlich von den harten Strahlen weit stärker
etroffen als von den weichen. Die Reaktion der Haut kann daher
ei harten Strahlen als~— mindestens teilweises — Tiefenphänomen
erklärt werden. Wir geben aber gern zu, daß weitere direkte Beweise
für die angeführte These erwünscht wären, wie sehr sie auch durch
ihre Einfachheit verblüffen möge und mancherlei andere Tatsachen
dafür sprechen, daß sogar alle Strahlen überhaupt, einschließlich
des Lichtes, biologisch gleich wirken. Drängen sich doch unwillkürlich
immer wieder Zweifel auf: „Soll die Durchschlagskraft der Strahlen
ohne besonderen Einfluß sein, und soll lediglidi die Größe der abge-
g ebenen Energie, nicht ihre Form, bei den Strahlen die Wirkung
edingen?“
Folgen wir dem jetzigen Stand der Wissenschaft und nehmen an,
daß keine spezifische Wirkung den verschiedenen Strahlenarten zu¬
kommt, so werden wir die Qualität der Strahlen lediglich von dem
Gesichtspunkt wählen, ob sie am leichtesten in dem zu behandelnden
Organ zur Absorption zu bringen sind.
Die meisten Schwierigkeiten bestehen hierfür bei den tiefliegen¬
den Körperteilen. Hier müssen die Strahlen, ehe sie die kranke
Stelle treffen, mehr oder weniger gesundes Gewebe durchsetzen,
das nicht geschädigt werden darf. Wir begünstigen daher die
Bestrahlungsmethoden, welche die gesunden Gewebe, die den Krank¬
heitsherd umschließen, am geringsten belasten.
Leider sind aber, wenigstens nach den zur Zeit herrschenden
Anschauungen, die zum Erfolg in der Tiefe nötigen Strahlenmengen
vielfach so groß, daß wir gezwungen sind, bis an die Gefahrengrenze
zu gehen und immer weiter nach Mitteln zu suchen, die Gefahren
herabzusetzen.
Um möglichst große Strahlenmengen in die Tiefe zu bringen,
stehen uns 4 Wege zur Verfügung: 1. Geeignetes Härten der Strahlen,
2. Vergrößern aes Fokushautabstandes, 3. Vergrößern des Einfall¬
feldes, 4. Konzentration der Strahlen von verschiedenen Seiten durch
radiäre Einstellung..
Das Härten der Strahlen geschieht entweder dadurch, daß wiir
die an die Röntgenröhre gelegte Spannung erhöhen oder indem wir
Filter zwischen Röhre und Patienten schalten. Aus den Röntgen¬
röhren kommt nämlich ein Gemisch von Strahlen, deren härtere und
weichere Anteile je nach den Betriebsverhältnissen sehr verschieden
ausfallen.
Die Filter verändern das Gemisch, indem sie die weicheren
Strahlen stärker ausschalten als die härteren, also die Beschaffen¬
heit des Strahlengemisches nach „hart“ verschieben, die Strahlung
wird homogener. Die Intensität wird erheblich geschwächt
Im übrigen hängt die Härte der Strahlung lediglich von der
an der Röhre liegenden Spannung ab. Die Grenzen werden mit
Zunahme der Spannung nicht nur weiter nach oben hinaufgesetzt,
sondern auch nach unten beschränkt. Die Intensität der Strahlung
wird natürlich nicht, wie durch die Filter, geschwächt. Im Gegen¬
teil, da die Röntgenstrahlen eine Funktion der Arbeitsleistung des
elektrischen Stromes sind, diese von dem Produkt aus Stromstärke
und Spannung abhängt, muß, wenigstens innerhalb gewisser Breiten,
die Strahlungsstärke durch die vermehrte Spannung vergrößert werden.
Das Vergrößern des Fokushautabstandes verbessert die räumliche
Verteilung der Strahlen in der Tiefe, hat natürlich keinen wesent¬
lichen Einfluß auf das Strahlenspektrum, denn die durchdrungene
Luftsäule stellt zwar ein Filter dar, fällt aber praktisch nicht ins
Gewicht. Die Strahlenintensität wird jedoch entsprechend dem Quadrat
der Entfernung oder — wie sich die Röntgenologen merkwürdiger¬
weise oft fälschlich ausdrücken — durch Dispersion (!) vermindert.
Die genannten tiefentherapeutischen Notwendigkeiten fordern
daher von unseren Röntgenapparaten, daß sie eine besonders hohe
Spannung und zugleich (wegen der Schwächung der Strahlung durch
Filter und Röhrenabstand) große Intensitäten zu entwickeln vermögen,
damit die therapeutischen Sitzungen nicht ungebührlich lange aus¬
gedehnt werden müssen.
Die Maßnahmen, welche wir sonst anwenden, die Tiefendose
zu verbessern, nämlich das Vergrößern der Einfallfelder und die
Konzentration der Strahlen, können ohne Rücksicht auf die Eigenschaf¬
ten unserer Instrumentarien uneingeschränkt angewandt werden. Aller¬
dings verlangen große Einfallfelder entsprechend große Fokusdistan¬
zen, damit die Strahlenintensität nicht zu stark nach den Seiten zu
abnimmt.
Man hört oft behaupten: „Je härter das Strahlengemisch, desto
günstiger ist die Wirkung in der Tiefe.“ Diese Formulierung er¬
weckt leicht falsche Begriffe und kann nur cum grano salis für
richtig erklärt werden, wir wünschen eine möglichst starke Absorption
von Strahlen am Krankheitsherd. Dies geschieht bei einer be¬
stimmten optimalen Härte, härtere Strahlen würden also zu stark
die Schicht durchdringen, weichere zu abgeschwächt in die kranke
Schicht gelangen. Im physikalischen Referat werden wir Genaueres
darüber erfahren.
Man operiert mit dem Begriff Dosenquotient so, als ob das Ver¬
halten der Tiefendosis mit ihm parallel geht. Der Dosenquotient
stellt bekanntlich das Verhältnis zwischen Oberflächen- und Tiefen¬
dosis dar, bezieht sich also auf die ganze durchstrahlte Schicht,
während den Therapeuten vornehmlich ein Teil der Schicht, der Sitz
der Affektion (eines Tumors oder dergl.) interessiert. Ich darf heute
auf die Dosierung nicht näher eingehen. Wir halten nur fest, daß
die Möglichkeit einer genauen und bequemen Dosierung ein ungemein
wichtiges Erfordernis der Therapie ist. Die Möglichkeit, zu nützen
oder zu schaden, hängt wesentlich davon ab. Es sei nochmals
besonders hervorgehoben, daß die Dosierung bequem sein muß,
weil sie sonst in der Praxis nur mit Widerstreben angewandt und
leicht vernachlässigt wird.
Wir werden daher die Apparate begünstigen, welche uns ceteris
paribus die Dosierung erleichtern. Vom Ideal, in jedem einzelnen
Moment Härte und Menge der Röntgenstrahlen direkt und bequem
messen zu können, sind wir allerdings noch weit entfernt. Dagegen
können wir indirekt den Forderungen der Praxis Genüge tun, indem
wir die sekundäre, an die Röhre gelegte Spannung wie die durch
die Röhre gehenden Milliampere bestimmen.
Geht die Apparatur gleichmäßig, können wir immer leicht dieselben
gewünschten Betriebsverhältnisse hersteilen, so stößt die indirekte
Dosierung auf keine Schwierigkeiten. Wir müssen daher von unserer
Apparatur verlangen, daß sie die Spannung und Stärke des durch
die Röhre gehenden Stroms innerhalb gewisser Grenzen leicht regu¬
lieren und bestimmen läßt, daß sie Gewähr bietet, längere Zeit
hindurch ihren Gang nicht von selbst zu ändern. Nur dann läßt
sich die Röntgenröhre leicht an der Hand irgendeines zuverlässigen
Dosimeters und auch biologisch eichen. Es lassen sich dann immer
ohne Mühe die gleichen Betriebsbedingungen wiederholen, welche
eine bestimmte, beobachtete Wirkung hervorriefen — und dies
ist ja der ärztlich in Betracht kommende Zweck des Dosierens, der
aucn ohne Kenntnis der absoluten Dosis erreicht werden kann.
Die Haltbarkeit des Instrumentariums, wie dit günstige Oekonomie
des Betriebs, sollen nur der Vollständigkeit halber erwähnt werden.
Die Rolle, welche sie für die Praxis spielen, ist jedem ohne weiteres
verständlich.
Die Apparatur muß so aufgestellt werden können, daß kein
Schaden für das Bedienungspersonal und die Kranken durch abirrende
Strahlen, durch Verschlechterung der Luft oder dergl. entsteht. Auch
sollen störende Geräusche während des Betriebs nach Möglichkeit
vermieden werden.
Fassen wir die ärztlichen Wünsche kurz zusammen: Die Röntgen¬
apparatur soll uns in den Stand setzen, mit allen gangbaren Methoden
zu arbeiten. Sie soll daher die erforderlichen weichen und harten
Strahlen liefern, soll auch genügend große Strahlenmengen geben,
damit die Sitzungen nicht ungebührlich lange ausgedehnt werden
müssen. Die Apparatur muß den Betrieb gut und Tange vertragen,
ihr Gang muß gleichmäßig bleiben und sich leicht regulieren lassen.
Für den Schutz von Personal und Patienten muß in weitgehender
Weise gesorgt sowie den Forderungen der Oekonomie Rechnung
getragen werden.
Digitized by
Gck igle
Original ffom
CORNELL UNfVERSITV
350
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 11
Aus dem Institut für Infektionskrankheiten „RobertKoch« in Berlin.
(Direktor: Geh.-Rat Neufeld.)
Zur Frage der Vinilen7sfeigening säurefester Saprophyten
durch Tierpassage 1 )«
Von Dr. Bruno Lange, Assistent am Institut.
Die Untersuchungen von Kölle, Schloßberger und Pfan¬
nenstiel 2 ) über Virulenzsteigerung säurefester Saprophyten durch
Tierpassage haben ein sehr überraschendes Ergebnis gehabt. Die
Autoren geben an, daß ihnen gelungen sei, von 7 geprüften säure¬
festen saprophytischen Stämmen 6 Stämme durch Tierpassage so
virulent zu machen, daß die Passagekulturen schließlich generali¬
sierte Tuberkulose erzeugten. „Die pathologischen Verände¬
rungen, die bei den mit den Passagestämmen infizierten Tieren zu
beobachten sind, zeigen durchaus das Bild einer echten disseminierten
Tuberkulose mit Knötchenbildung und zentralen Verkäsungsherden.«
Nach den Ergebnissen meiner eigenen Untersuchungen mit säure¬
festen Schildkröten-, Blindschleichen- und Trompetenbazillen 3 ), die
inzwischen unter Leitung von B. Heymann von Koike 4 ) be¬
stätigt und ergänzt worden sind, verändern sich die genannten säure¬
festen Saprophyten selbst nicht durch monatelanges Vef-
weilen im Warmblüterorganismus. Eine Virulenzstei¬
gerung durch Tierpassage konnte in keinem Falle er¬
zielt werden.
Angesichts des auffallenden Oegensatzes, in dem diese Befunde
zu den vön Kolle und seinen Mitarbeitern erhobenen Befunden
stehen, schien mir eine Untersuchung der Passagekulturen des Frank¬
furter Instituts von größtem Interesse. Ich habe daher drei mir von
Geh.-Rat Kolle überlassene Saprophytenstämme und die zugehörigen
Passagestämme kulturell und im Tierversuch geprüft und möchte
über das Ergebnis, soweit die Versuche abgeschlossen sind, kurz be¬
richten.
Geprüft wurden folgende Stämme: 1. Kultur S, Rabinowitsch
aus Butter; 2. Kultur S, e (5. Meerschweinchenpassage von S t );
3. Kultur Tb, 0 Schildkrötentuberkelbazillus; 4. Kultur Tb 10 i (5. Meer¬
schweinchenpassage von Tb in ); 5. Kultur Tb,« Froschtuberkelbazillus;
6. Kultur Tb lsÄ (1. Meerschweinchenpassage von Tb 1g ).
Was die Morphologie der Bazillen der einzelnen
Kulturen angeht, so waren hier besonders zwischen den Stämmen
S t und S, e und zwischen Tb,* und Tb, s a deutliche Formunterschiede
insofern vorhanden, als die Stäbchen der Passagekulturen echten
Tuberkelbazillen vollkommen glichen, die Bazillen der Ausgangs¬
kulturen gar nicht tuberkelbazillenähnlich waren. Wie ich in früheren
Arbeiten dargetan habe, ist jedoch hierauf bei dem großen Pleo¬
morphismus der Saprophyten kein besonderes Gewicht zu legen.
Auch das sehr tuberkelbazillenartige Wachstum derPassage-
kulturen, das in den drei Kulturen S, e , Tb I0 i und Tb,*# auffällig
hervortritt, berechtigt an sich noch nicht zu dem Schluß, daß die
Ausgangskulturen eine biologische Umwandlung im Sinne eines Ueber-
gangs zu den echten Tuberkelbazillen erfahren haben. Man erhält,
wie ich wiederholt zeigen konnte, solche recht tuberkelbazillenähn¬
lich wachsende Kulturen von Saprophyten durch bestimmte Züch-
tungsmethoden auch ohne Tierpassage 5 ).
Ein wesentlicher Unterschied zwischen den Kolle sehen Passage¬
kulturen und den letztgenannten, lediglich durch die künstliche Züch¬
tung modifizierten Kulturen besteht aber darin, daß die Passage¬
kulturen Kolles im völligen Gegensatz zu den Ausgangskulturen
nur in den Temperaturgrenzen fortkommen, innerhalb deren die
echten Tuberkelbazillen wachsen. Durch besondere Züchtungs¬
verfahren kann man wohl Stämme, die sidi ursprünglich nur bei
Zimmertemperatur vermehrten, an eine Temperatur von 37° ge¬
wöhnen. aber diese Stämme verlieren damit nicht etwa die Fähig¬
keit, mehr oder weniger üppig noch bei Zimmertemperatur bzw.
wenigen Graden über 0° zu wachsen.
Auch nach monatelangem Aufenthalt der, Kaltblüterbazillenkul¬
turen im Warmblüter konnte von mir niemals beobachtet werden,
daß in bezug auf die Wachstumstemperatur die aus dem Tierkörper
gezüchteten Stämme sich so wesentlich gegenüber den Ausgangs¬
stämmen unterschieden, wie dies z. B. bei der Kultur] Tb 18 a gegenüber
der Kultur Tb 18 der Fall ist.
Es war ohne weiteres klar, daß über die Beschaffenheit der
Passagekulturen Tierversuche am schnellsten Aufschluß geben mußten.
Ich habe daher am 23. VIII. 1921 mit den Ausgangsstämmen und
den zugehörigen Passagestämmen (6 Wochen alten Glyzerinagar¬
kulturen) eine Reihe von Meerschweinchen geimpft. Das Versuchs¬
ergebnis ist in folgender Tabelle zusammengestellt.
Der Versuch ergibt kurz Folgendes: Die mit den Ausgangs¬
kulturen geimpften Meerschweinchen bieten bei der Sektion nur
geringe Milz- und Lymphdrüsenschwellungen, ein Befund, wie er
oftmals nach Verimpfung großer Dosen säurefester Saprophyten
erhoben werden kann. Ganz anders verhalten sich die mit Passage¬
kulturen geimpften Tiere. Von je 2 mit S ie und Tb„» geimpften
Meerschweinchen stirbt je 1 Tier an allgemeiner Tuberkulose, die
** Versuche *lnd mit Mitteln der Robert'Koch-Stiftung zur~Bekämpfung der
Tuberkulose ausgeführt worden. - ») Arb. Inst exper. Ther. Frankf. 1921 H. 12. Vgl. auch
1 ? 2 v P ? r ‘ ,6 ; ” Zschr. f.’Hyg. 1921,93, H. 1 S.43. - *) Zschr/f. Hyg. 1921/94,
» 444. - >-Vgl.jneine Bemerkungen Jn der Zschr. f. Hyg. 93, H. 1 Nachtrag S. 72.
anderen beiden Tiere zeigen gleichfalls bei der nach 3 Monaten
erfolgten Tötung und Sektion eine hochgradige generalisierte Tuber¬
kulose der Drüsen und inneren Organe. Die mit dem Passagestamm
Tb 10 i geimpften zwei Tiere bieten bei der 3 Monate nach der Imp¬
fung vorgenommenen Sektion Erscheinungen dar, die in hohem Grade
tuberkirioseverdächtig sind. Das Ergebnis der Weiterimpfung er¬
krankter Organteile der Tiere des unten wiedergegebenen Versuchs
steht noch aus.
Lfd.
Nr.
Nr. der
Tiere
Verlmpfter
Stamm
Dosis
Appli¬
kation
Wann ge¬
storben (+)
getötet (X)
Sektionsbefund
1
201
S, (A.K.)
50 mg
lp
X07
(Geringe MHz- und Bronchlal-
’drflsenschweiiung. Sonst keine
1 krankhafte Veränderung.
2
202
S, (A.K.)
50 mg
sk
X 65
(Geringe Milzschwellung. Sonst
l ohne Veränderung.
3
üü
S,* (P.K.)
25 mg
lp
X 97
(Schwere generalisierte Tuber-
\ kulose.
4
S,. (P.K.)
25 rag
sk
t 65:
(Bronchopneumonie (Pneumo-
5
205
Tb I0 (A.K.)
50'mg
lp
t 41
Ikokken). Subhepatikaler Abszeß
»mit Säuref. Sonst ohne Ver
{ änderung.
(Geringe Schwellung der Milz
6
206
Tb,« (A K.)
80 mg
sk
X 97
<und Lymphdrüsen. Sonst ohne
1 Veränderung.
(Starke allgemeine Lymphdrüsen-
7
207
Tb,«. (P.K.)
25 mg
lp
X 97
1 Schwellung. Milz Uber doppelt so
»groß als normal. OraueKnötchen
8
208
Tb, «i (P.K.)
25 mg
sk
X 97
1 in den Lungen.
209
(Abgesehen von geringer Lymph-
9
Tb„ (A.K.)
50 mg
%
X 97
| drUsenschwellung (Tracbeo-
Ibronchialdrüsen) kein krank-
10
210
Tb,« (A.K.)
50 mg
X 97
l hafter Befund.
11
12
211
212
or-cr
XX
25 mg
25 mg
is
?8
jHochgradige ^allgemeine Tuber-
A.K. = Ausgangskultur. P.K. = Passagekultur. Die Ziffer neben dem t oder X =Tage
nach der Impfung.
Wenn der Sektionsbefund bei den mit den Passagekulturen S, e
und Tb„» geimpften Tieren bereits mit größter Wahrscheinlichkeit '
dafür spricht, daß die Stämme S, e und Tb ls » echte Tuberkel¬
bazillen sind, so wird diese Annahme durch die im Folgenden
wiedergegebene Virulenzprüfung der fraglichen Kulturen zur Ge¬
wißheit.
Vier mit abgestuften Mengen (1 mg bis 1 / 100 000 mg) einer vier¬
wöchigen Eierkmtur S, e am 12. XI. 1921 subkutan geimpfte Meer¬
schweinchen erkrankten .3 Wochen nach der Impfung mit Schwellung
der Kubitaldrüsen und reagierten auf intrakutane Verabfolgung von
0,02 ccm Alttuberkulin mit typischer Kokardreaktion. Die Tötung
und Sektion des mit der kleinsten Dosis infizierten Tieres am IQ. I.
1922 ergab folgenden Befund: Verkäste Kubitaldrüse links. Starke
Schwellung sämtlicher Körperlymphdrüsen. Milz vergrößert, wiegt
1,4 g (360 g Körpergewicht). In beiden Lungen zahlreiche sub-
miliare, graue, glasig durchscheinende Herde. Einzelne graue Knöt¬
chen in der Leber. In den Herden der Lungen, in denen der Leber
und in der verkästen Kubitaldrüse werden säurefeste Bazillen nach¬
gewiesen. Nach dem Befund handelt es sich bei diesem
Tier also um echte Tuberkulose.
Am 28. XI. 1921 wurde ein ähnlicher Versudi mit der Kultur
Tb 18 t vorgenommen. Das mit Vioo ooo m g einer vierwöchigen Eier¬
kultur subkutan infizierte Meerschweinchen dieser Versuchsreihe er¬
krankte nach etwa 3 Wochen mit Schwellung der Kubitaldrüse der
geimpften Körperseite und reagierte zu gleicher Zeit auf intrakutan
eingespritztes Alttuberkulin positiv (++ nach Roemer). Das Meer¬
schweinchen erlag am 19.1.1922 einer am 18.1.1922 vorgenom¬
menen subkutanen Injektion von 0,15 ccm Alttuberkulin. Die Sektion
ergab: Linkseitige, über bohnengroße, verkäste Kubitaldrüse. Rechte
Kubitaldrüse erbsengroß, entzündlich gerötet. Sämtliche Körper¬
lymphdrüsen stark geschwollen. Milz vergrößert, dunkelrot, wiegt
1,8 g (400 g Körpergewicht). In beiden Lungen submiliare bis miliare,
graue, glasig durchscheinende Herde, die mikroskopisch säurefeste
Bazillen enthalten. Also auch der Befund dieses Tieres
ist der einer typischen Tuberkulose.
Ein am 22. XII. 1921 mit Vioooooo der Kultur Tb, a a subkutan
infiziertes Meerschweinchen reagierte drei Wochen nach der Impfung
auf intrakutan injiziertes Alttuberkulin deutlich positiv. Es bot zu
dieser Zeit aber noch keine einwandfreien Zeichen der Lymph-
drüseninfektion.
Die Virulenzprüfung mit dem Stamm Tb, 0 i ist zur Zeit noch nicht
abgeschlossen.
Die Passagekulturen S, e und Tb, ft a sind nach ihrem ganzen Ver¬
halten, wie die obigen Versuche genügend erweisen, nicht etwa
Uebergangstypen von Saprophyten zu Tuberkelbazillen, sondern
es sind unzweifelhaft echte TuberkelbaziIlen guter Virulenz.
Wir hätten es demnach bei den Passageversuchen von Kolle.
Schloßberger und Pfannenstiel, mindestens soweit sie sich
auf den Butterbazillus Rabinowitsch und den Froschbazillus beziehen,
mit einer Umwandlung von säurefesten Saprophyten in
echte Tuberkelbazillen zu tun. Ob diese dem Typus humanus
oder bovinus zuzurechnen sind, darüber sollen noch weitere Tier¬
versuche eine Aufklärung bringen.
Nun wissen wir, daß es trotz sehr zahlreicher, nach dieser Rich¬
tung hin unternommener Versuche bisher niemandem gelungen
ist, eine Umwandlung der einander so nahe stehenden
Tuberkelbazillen des Typus humanus und bovinus in-
Digitized b"
Google
Original from
CORNELL UNiVERSITV
n.März 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
351
einander einwandfrei nachzuweisen. Auch die Behaup¬
tungen von Eber, der mit menschlichem Tuberkulosematerial in
jungen Kalbern die Umwandlung menschlicher in bovine Bazillen
erzielt haben wollte, sind durch die Untersuchungen von Neufeld,
Dold und Lindemann im. Reichsgesundheitsamt 1 ) und durch die
Ausführungen von Neufeld 3 ) widerlegt worden. Die nach Ebers
Mitteilung (vgl. dazu auch die Bemerkung von Weber, Zbl. f. Bakt.
Or. 70 S. 230, Anmerkung u. d. Text) im Jahre 1913 im Reichsgesund¬
heitsamt wieder aufgenommenen Versuche haben offenbar ebenso¬
wenig wie diejenigen von Neufeld und seinen Mitarbeitern zu einer
Umwandlung des Typus geführt, sonst wäre das Ergebnis wohl in¬
zwischen veröffentlicht worden.
Ebenso haben die vielfachen Behauptungen einer gelungenen
Umwandlung der Tuberkelbazillen in sog. Kaltblüter¬
tuberkelbazillen einer ernsten Kritik nicht stand¬
halten können.
Das Ergebnis der Versuche von Kolle und seinen
Mitarbeitern steht also in Gegensatz zu allen Erfah¬
rungen auf dem Gebfet der Typenumwandlung. Ganz be¬
sonders auffallend ist die angebliche Umwandlung des säurefesten
Froschbazillus Tb„ a in einen echten Tuberkelbazillus nach einer
einzigen Tierpassage! Aus den Versuchsprotokollen von Kolle
und seinen Mitarbeitern, deren Deutung leider durch das sehr früh¬
zeitige Eingehen zahlreicher Tiere an interkurrenten Krankheiten
sehr erschwert wird, geht hervor, daß auch der Butterbazillus
Kom II und der Schildkrötentuberkelbazillus Tb 10 bereits in der
zweiten Tierpassage bei einzelnen Tieren eine generalisierte Tuber¬
kulose hervorgerufen haben! (Arb. a. d. Staatsinstitut I. c. S. 38 und 39.)
Die in höchstem Grade überraschenden Ergebnisse der Kolle -
schen Versuche sind nach meiner Ansicht in gleicher Weise wie die
Befunde von Kaufmann und Schröder 3 ) nur aus einer kom-
lizierenden Infektion der Versuchstiere mit echten
uberkelbazillen zu erklären. In welcher Weise diese Infektion
in den vorliegenden Fällen zustandegekommen ist, kann ich natür¬
lich nicht entscheiden. Nur eine Bemerkung zur Frage der Spontan-
Infektion des Meerschweinchens. Kolle und seine Mitarbeiter
weisen den Einwand der Möglichkeit einer Mischinfektion ihrer Ver¬
suchstiere mit echten Tuberkelbazillen ausdrücklich zurück, indem
sie sich u. a. auf die Seltenheit spontaner Tuberkuloseinfektion
der Meerschweinchen berufen. Wenn diese Annahme auch im all¬
gemeinen zutrifft, so ist doch zu bedenken, daß sich Meerschwein¬
chen, wenn sie nur Gelegenheit zur Infektion haben, sogar recht
leicht mit Tuberkulose infizieren.
Nach meinen eigenen im Jahre 1920 ad hoc angestellten Ver¬
suchen (die gelegentlich an anderer Stelle mitgeteilt werden sollen)
genügt gar nicht selten bereits ein kurzdauerndes Zusammensitzen
gesunder Meerschweinchen mit einem Tuberkelbazillen in käsigem
Eiter ausscheidenden kranken Meerschweinchen, um eine große Zahl
der gesunden Tiere mit Tuberkulose zu infizieren. Freilich erkranken
solche Tiere meist leicht, die Weiterverimpfung ihrer veränderten
Lymphdrüsen führt aber regelmäßig zu tödlicher fortschreitender
T uberkulose.
Ueber die Fortsetzung meiner Versuche mit den Passagekulturen
des Frankfurter Instituts hoffe ich bald ausführlich berichten zu
können. Die bisherigen Befunde genügen aber schon
für sich, um gegenüber den Ergebnissen von Kolle
und seinen Mitarbeitern betr. das „Verhalten säure¬
fester setgenannter saprophytischer Bakterien nach
längerem Verweilen im Warmblüterorganismus“ die
größte Skepsis zu rechtfertigen.
Aus der Chirurgischen Universitätsklinik der Charitl in Berlin.
(Direktor: Geh.-Rat Hildebrand.)
Erfolge und Wirkung der Weber-Rammstedtscfien
Operation.
Von Dr. Erwin Gohrbandt, Assistent der Klinik.
Die ursprünglichen Operationsmethoden beim Pylorospasmus der
Kinder: die Pylorusresektion, die Jejunostomie, die Loreta-Nicollsche
Divulsion, die Gastroenterostomie und Pyloroplastik sind heutzutage
verlassen; an ihre Stelle ist die Weber-Rammstedtsche Operation ge¬
treten; ein einfacher Längsschnitt durch Serosa und Muskularis des
Pylorusringes ohne jegliche Naht,
Die Resultate bei den früheren Operationsmethoden waren auch
wirklich entmutigend. Nach einer Statistik von Ibrahim aus dem
Jahre 1908 betrug die Mortalität der operierten Pylorospasmusfälle
54,3o/o gegenüber den intern behandelten mit 46,1 o/ 0 , nach einer zweiten
Zusammenstellung desselben Autors von 1913 bei Divulsion 54o/ 0 , bei
Gastroenterostomie 49o/o, bei Pyloroplastik 57%, wobei Ibrahim
allerdings selbst die hohe Mortalität darauf zurückführt, daß viele
Kinder infolge des mangelnden Vertrauens zur operativen Behandlung
bis zuletzt intern behandelt wurden und somit zu spät unter den un?
günstigsten Bedingungen zur Operation kamen.
Die Berichte über die Erfolge bei der Weber-Rammstedtschen
Operation dagegen verlauten äußerst günstig. Ich habe die bisher in
>) ZW. f. Bakt. 1912, I (Orig.) 65, H. 6/7 S. 467. — *) Zbl f. Bakt. I (Orig.) 72, H. 3
S. 120.— •) Vgl. B. Lange, Zschr. f. Hyg. 1921,93, H._l S.64.
der Literatur veröffentlichten, nach Weber-Rammstedt operierten
Pylorospasmusfälle zusammengestellt, wobei mir allerdings ein Teil
der während des Krieges erschienenen Auslandsliteratur unzugäng¬
lich blieb, und folgende Resultate gefunden: Aschenheim 3 (0) 1 ),
Bokay 4 ( 0 ), Downes 175 (29), Drachter 4 (1), Fuchs 2 ( 0 ),
Gulecke 2 ( 0 ), Heile 9 (1), Heß 2 ( 0 ), Hill 11 (1), Kerley
26 (4), Lilienthal 1 (0), Macdonal 2 ( 0 ), Magnus 3 (0), Mor-
let 1 (0), Moro 1 (0), Mournier 3 (0), Nixon 2 (0), Ramm-
stedt 2 ( 0 ), Ramsay 10 (5), Rietschel 19 (3), v. Rossem 19 (5),
Strauß 103 (3), Thomson 5 (1), Vulliet 1 (0), Wilms 3 ( 0 ).
Dieser Zusammenstellung füge ich die in den beiden letzten Jahren
in der Hildebrandschen Klinik operierten 12 (1) Fälle zu, sodaß von
425 operierten Fällen 54 starben — 12,7% Mortalität, die besten Re¬
sultate der bisher veröffentlichten Sammelstatistiken einschließlich der
internen, noch günstiger als die von Fuchs 1920 aufgestellte Zu¬
sammenfassung der 67 nach Weber-Rammstedt operierten Fälle
mit 13,23% Mortalität.
Die 12 in der Hildebrandschen Klinik operierten Pylorospasmus-
kinder wurden uns sämtlich von der Czernyschen Kinderklinik über¬
wiesen, Kinder in elendem Zustande, bei denen entweder die innere
Therapie versagt hatte, oder Kinder, die bereits so spät in die Kinder¬
klinik gebracht und so schwach geworden waren, daß der Versuch
einer inneren Behandlung nicht mehr angebracht zu sein schien.
Das einzige Kind, das bei uns zum Exitus kam, war 7 Wochen
alt, normal geboren, nicht erblich belastet, in den ersten 4 Wochen
von der Mutter, dann richtig mit Milch und Haferschleim ernährt
worden. Schon in der dritten Lebenswoche erbrach das Kind häufig
nach der Nahrungsaufnahme und verlor an Gewicht. Als es ln die
Czernysche Klinik kam, zeigte es die ausgesprochenen Symptome des
Pylorospasmus. Das Kind wurde sofort zur Operation gebracht,
die nacn Weber-Rammstedt ausgeführt wurde. Nach der Ope¬
ration trank das Kind gut und erbrach nicht mehr. Am 4. Tage post
Operationen! verfiel das Kind plötzlich, nahm 100 g an Gewicht ab,
erbrach (nicht das Erbrechen beim Pylorospasmus), bekam Durch¬
fälle und starb am 5. Tage. Mit dem Exitus des Kindes war von
vqrnherein zu rechnen gewesen, denn es befand sich bereits vor der
Operation jenseits der Questschen Zahl, die besagt, daß ein Kind mit
mehr als 7* Verlust seines Körpergewichtes nicht mehr lebensfähig ist.
Höchst interessant war nun der Sektionsbefund bei dem Kinde,
der ergab, daß bereits in den 5 Tagen nach der Operation eine völlige
fibrinöse Verklebung der Schnittflächen an der durchtrennten Pylorus-
muskulatur eingetreten war. Obwohl die Operation richtig ausgeführt
worden war, der Schnitt bei der Operation weit klaffte und die
Mukosa von der Muskularis stumpf abgelöst worden war, konnte doch
bei der Sektion, worauf Prof. Ce eien mich besonders aufmerksam
machte, kaum noch etwas von der Inzision wahrgenommen werden.
Ich hatte bisher an die Auffassung Rammstedts geglaubt,
welcher sagt: „Wenn die Ringmuskulatur bis auf die Schleimhaut
durchschnitten ist, klafft sie derartig, daß eine Wiedervereinigung der
getrennten Muskelfasern außer durch Bindegewebe in längerer Zeit
unmöglich erscheint,“ und hatte mir die Wirkung der Weber-Ramm-
stedtscher. Operation bisher so vorgestellt, daß durch die Spaltung
des Muskels nun nicht mehr eine ringförmige Kontraktur und eine
dadurch bedingte Verengung des Pyloruslumens eintreten könnte, daß
vielmehr nach der Inzision eine Aenderung in der Kontraktionsrichtung
einträte, die den Spalt lange offen hält und an einer frühzeitigen Ver¬
klebung hindert. Daß diese Verklebungen der Schnittflächen nun
doch schon in ganz kurzer Zeit nach der Operation eintreten, scheint
mir der eben geschilderte Fall zur Genüge zu beweisen. Da ich in
der Literatur über das Verhalten der Schnittflächen nach der Ope¬
ration nichts fand (nur Downes, Ransahoff und Wolley be¬
schreiben Fälle, die 7 Monate und U /3 Jahr post Operationen! an Pneu¬
monie gestorben zur Sektion kamen, wo der Pylorus mit Ausnahme
leichter Netzverwachsungen ein völlig normales Aussehen zeigte),
so habe ich bei Hunden Versuche angestellt, bei denen ich mir durch
Bestreichen des Pyloru 9 mit 10<y 0 iger Chlorbaryumlösung einen künst¬
lichen Pylorospasmus erzeugte, dann die Weber-Rammstedtsche Ope¬
ration ausführte und nun in verschiedenen Zeitspannen untersuchte,
wie weit die Verklebungen vor sich gegangen waren. Bereits nach
5 Tagen waren im allgemeinen die Verklebungen der Schnittflächen
so fest, daß von einem Auseinanderweichen und Nachgeben selbst
bei äußerst starker Peristaltik nichts mehr bemerkt werden konnte.
Wenn man bei der Rammstedtschen Operation bei dem vor die
Bauchhöhle luxierten Pylorus den weit klaffenden Schnitt sieht, ist
man wohl leicht geneigt, den Eindruck zu gewinnen, daß dieser Spalt
so leicht nicht verkleben könne. Ich häbe dies Klaffen der Schnitt¬
flächen bei den letzten Operationen besonders beobachtet und habe
wahrgenommen, daß der Spalt beim vor die Bauchhöhle gelagerten
Pylorus, wo durch das Hervorziehen und das Halten eine Spannung
und Dehnung besonders der Pylorusvorderfläche statthat, weit klafft,
daß der Abstand der Schnittflächen dagegen bedeutend (einmal sogar
um die Hälfte) verringert wurde, läßt man den Pylorus wieder in
die Bauchhöhle zurücksinken, wobei ein breites und straffes Ligamen¬
tum hepatoduodenale und ein kurzes Mesenterium an der Rückwand
des Pylorus fixierend wirken und so durch den Zug an der Rückwand
zur Annäherung der vor der Bauchhöhle weit Klaffenden Schnitt¬
flächen beitragen können.
Ich bin auf Grund dieses einen Falles und auf Grund der Tier¬
experimente von der ursprünglichen Ansicht, daß die Wirkung der
>) Die in Klammern angegebenen Zahlen bedeuten die Todesfälle.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
352
DEUTSCHE MEDIZINISCHE iWOCHENSCHRIFT
Weber-Rammstedtschen Operation auf einer durch einen zunächst
nicht verklebenden Muskelspalt bedingten Aenderung in der Kontrak¬
tionsrichtung beruht, abgegangen und habe mir die Tatsache, daß ein
Kind, das nach Weber-Rammstedt wegen eines Pylorospas-
mus operiert wurde, bei dem es zu einem sehr frühzeitigen Ver¬
kleben der Schnittflächen gekommen war, nicht wieder einen Pyloro-
spasmus bekommt, obwohl der Muskel durch die Verklebungen wieder
zum Ringe geschlossen war und so wieder eine ringförmige Kontrak¬
tur und die dadurch bedingte Passagebehinderung hätte eintreten
können, anders zu erklären versucht.
Bei meinen Versuchshunden, bei denen ich die Weber-Ramm-
stedtsche Operation ausgeführt hatte und bei denen ich die Be¬
lastungsprobe für die Haltbarkeit der verklebten Schnittflächen derart
anstellte, daß ich den Magen fern vom Pylorus mit Chlorbaryum be¬
strich und so eine äußerst starke Peristaltik verursachte, machte ich
die eigentümliche Beobachtung, daß die direkt oberhalb lind unterhalb
der Inzision gelegenen Muskelpartien an der über den Pyolrus zum
Duodenum hinlaufenden Peristaltik und Kontraktur aktiv selbst nicht
beteiligt waren, vielleicht von der übrigen kontrahierten Muskulatur
nur etwas verzogen wurden, sonst aber als schmale, nicht kontrahierte
Rinne unter den Kontraktionswellen bestehen blieben. Diesen Vor-
f ang kann ich mir nur so erklären, daß die in der Umgebung des
chnittes gelegenen Muskelfasern sich nicht mehr kontrahieren kön¬
nen, weil durch die Inzision die sie versorgenden nervösen Elemente
zugrundegerichtet sind, worin ich die Hauptwirkung der Weber-
Rammstedtschen Operation erblicke.
Der präpyloriscne Teil, der Canalis pylori und der Sphincter pylori,
sind besonders gut mit nervösen Elementen versehen. Der rechte
sowie der linke Vagus geben je einen ihrer drei Hauptäste, den Ramus
descendens, zum präpylorischen Teile ab, der linke zur Vorder-, der
rechte zur Hinternäcne. Wie mit Nervenfasern, so ist der Pylorusteil
auch mit Ganglienzellen besonders reichlich versehen. Nach Brand
liegen die kräftigsten Zellen des ganzen Magens im Canalis pylori
una im Sphincter pylori, die er als besondere Gruppe, als die „kräf¬
tigen pyramidenförmigen Zellen“ im Gegensätze zu den winzigen
submukösen und den mittelgroßen Zellen aer Muskulatur des Gesamt¬
magens bezeichnet. Ein großer Teil dieser nervösen Elemente wird
bei der Weber-Rammstedtschen Operation zugrundegerichtet, sodaß
die von ihnen versorgten Muskelfasern an Spasmen und Kontrakturen
nicht mehr teilnehmen können und daß so die Passage durch den
Pylorus ermöglicht wird.
Gerade bei den Säuglingen werden wir durch die Inzision beson¬
ders viele Nervenfasern durchtrennen. Während nämlich, wie wir
aus Brands Untersuchungen wissen, beim Erwachsenen die Rami
descendentes etwas oberhalb der kleinen Kurvatur im Ligamentum
hepatogastricum verlaufen und von dort ihre Aeste zur Hinter- und
Vorderfläche des Pylorusteiles abgeben, ist der Verlauf beim Neu¬
geborenen ein anderer. Hier zieht der linke Ramus descendens, auf
den es hauptsächlich ankommt, als direkte Verlängerung des Vagus¬
hauptstammes auf der Magenfläche selber zum Pylorus, und auch
der rechte biegt erst auf der Magenfläche nach unten um, nachdem
er in rechtwinkliger Abknickung von seinem Hauptstamme ent¬
sprungen ist.
Für meine Ansicht über die Wirkung der Weber-Rammstedtschen
Operation scheint es mir auch zu sprechen, daß bei einem Pyloro-
spasmus mit nachweisbarem Tumor die Hypertrophie nicht immer
die zirkulären Muskelfasern betrifft, sondern auch trichterförmig auf
die Längsfasern beschränkt sein kann. So beschreibt z. B. Finkei¬
stein einen Fall von Pylorospasmus mit nachweisbarem Tumor,
wo die Hypertrophie vorwiegend die Längsmuskulatur betrifft, die
Ringfasern nur andeutungsweise entwickelt sind. Bei einem solchen
Falle, wo die Inzision parallel zu den Muskelfasern verläuft und so
verhältnismäßig wenig Fasern durchtrennt, außerdem nicht die ge¬
ringste Aenderung in der Kontraktionsrichtung hervorruft, würde die
ehemalige Auffassung für die Wirkung der Weber-Rammstedtschen
Operation keine Erklärung geben können.
Schließlich möchte ich zur Erhärtung meiner Ansicht auch noch
einen Fall von Heile anführen, wo ein Tumor nicht vorhanden war.
Trotzdem wurde der Pförtnermuskel durchtrennt, mit ebenfalls rest¬
losem Erfolge. Hier kann der Erfolg der Operation doch nur auf einer
Schädigung nervöser Elemente benihen.
Geh.-Rat Hildebrand traf nun im Anschluß an die Unter¬
suchungen bei dem einen tödlich verlaufenen Pylorospasmusfalle die
Abänderung bei der Weber-Rammstedtschen Operation, daß er nicht
mehr eine einfache Inzision machte, sondern eine keilförmige Exzision
anlegte, die Spitze des Keiles zur Mukosa gerichtet. Durch diese Ab¬
änderung gestaltet sich die Operation nicht komplizierter. Mit Zeit¬
verlust ist sie nicht verbunden, zu "Blutungen kommt es durch die
etwas größeren Wundflächen kaum, wenn man zur Exzision die rich¬
tige Stelle wählt, die makroskopisch keine größeren Blutgefäße er¬
kennen läßt. Sie hat dagegen den großen Vorteil, daß sie das Kräfte¬
verhältnis zwischen Pylorus- und Kardiaring mehr als bisher zu¬
ungunsten des Pylorusringes verschiebt, indem sie 1. ein zu frühzeitiges
Verkleben verhindert, 2. einen Muskelteil völlig entfernt (direkte
Schädigung der Muskulatur), 3. mehr nervöse Elemente zugrunde¬
richtet (indirekte Schädigung der Muskulatur). Sechs Fälle wurden
bei uns nach der von Geh.-Rat Hildebrand angegebenen Modifi¬
kation der Weber-Rammstedtschen Operation operiert und ohne die
geringste Komplikation geheilt.
Nr. 11
Aus der Chirurgischen Abteilung des Städtischen Krankenhauses
St. Qeorg in Leipzig. (Leitender Arzt: Prof. Heller.)
Erfahrungen mH Bluttransfusionen nach Oehlecker
am chirurgischen Material.
Von Dr. Erich Heapel, Assistent an der Abteilung.
(Schluß aus Nr. 10.)
II.
Lassen wir vorläufig die erste bei dem Fall 3 vorgenommene
Bluttransfusion außer acht, da sie später mit zwei anderen Fällen be¬
sprochen werdfen soll, und beschäftigen wir uns zuerst mit der zweiten
und dem Fall 4, so müssen wir feststellen, daß bei zwei angestellten
Bluttransfusionen, für welche die Voruntersuchung der beiden Blut¬
arten auf Hämolyse in vitro positiv ausfiel, trotzdem keine Hämolyse
in vivo auftrat, sondern daß die Ueberleitung auffallend gut ver¬
tragen wurde. Die Menge von 300,0 ccm veranlaßte im ersten Falle
ein Emporschnellen der Erythrozytenzahl von 4 400 000 auf 7 200 000
mit guter Erholung des Allgemeinbefindens." Diese Tatsache ist inter¬
essant für die Beurteilung des Wertes der Voruntersuchungen. Sie
zeigt erneut, daß Reagenzglasvecsuche nicht absolut zuverlässig sind.
Einen gleichen Fall hat Crile veröffentlicht. Uns können allerdings
diese einzelnen Fälle nicht veranlassen, bei dem positiven Ausfall
der Hämolysenprobe trotzdem immer eine Bluttransfusion vorzu¬
nehmen. Dazu schätzen wir die Gefahr der Hämolyse viel zu hoch.
Eine positive Hämolysenprobe ist für uns immer noch eine Gegen¬
indikation für eine Bluttransfusion. Anderseits zeigt uns die erste
bei dem Fall 3 vorgenommene Transfusion die ja auch anderweit
beobachtete Tatsache, daß trotz negativer Hämolysenprobe doch in
vivo gelegentlich Hämolyse auftreten kann. Wenn auch leider die
Verträglichkeit beider Blutarten erst hinterher festgestellt worden
ist, so ist die Gültigkeit dieser Probe auch für die Zeit vor der
Transfusion nicht anzuzweifeln. Sie wäre vorher auch nicht anders
ausgefallen. Nach unseren jetzigen Erfahrungen hätten wir bei einer
positiven Agglutinatiousprobe die Bluttransfusion auch nicht so leicht¬
hin unternommen. Wir müssen auch zugeben, daß die größere Schä¬
digung klinisch auch ohne Vorprobe hätte vermieden werden können,
wenn wir die geringen anaphylaktischen Erscheinungen, die gleich
im Anfang auftraten, sofort richtig bewertet hätten.
Was die Art der serologischen Voruntersuchung anlangt, so stellen
wir jetzt immer die gegenseitige an, d. h., ob die Blutkörperchen
des Empfängers vom Serum des Spenders hämolysiert werden, oder
umgekehrt, die des Spenders vom Serum des Empfängers, obgleich
wir die letztere Probe, einfach wegen der rasch eintretenden Ver¬
dünnung des schädlichen Serums im ersteren Falle, als wichtige
ansehen.
So viel Wert im allgemeinen der Hämolysenprobe beigele^t wird,
so wenig wird die Voruntersuchung auf Agglutination in der Literatur
berücksichtigt. Nur Rous und Turner treten für sie ein. Zeller
und andere verneinen ihren Wert. Wir können dem nach unseren Er¬
fahrungen nicht beistimmen. Schon der Fall 3 der vorliegenden
Kasuistik zeigt uns bei der 1. Bluttransfusion, die bei der Patientin
vorgenommen wurde, eine schwere Hämolyse und anaphylaktische Er¬
scheinungen — bei einer Bluttransfusion, für die allerdings die beiden
Blutarten vor der Transfusion auf gegenseitige Verträglichkeit leider
nicht untersucht worden sind, wo aber die gleiche Untersuchung
3 Wochen nach der Transfusion einen negativen Ausfall der Hämo¬
lysenreaktion, dagegen eine starke Agglutination des Empfänger¬
blutes durch das des Spenders ergab. Wir können noch zwei wei¬
tere Belege aus unseren Fällen dafür anführen.
Fall 5. L. T., 42jährige Frau. Ulcus pept. jej. nach G. E. r. p.
wegen Ulcus ventriculi. Sekundäre Anämie.
Bluttransfusion zur Vorbereitung auf die Resektion. Spender:
Mann. (Wa.R.: —.) Voruntersuchung: Serum des Spenders gegen
Blutkörperchen des Empfängers Hämagglutiiiation +. — Serum des
Empfängers gegen Blutkörperchen des Spenders Hämagglutination. —
Blutbefund vor der Transfusion: Hämoglobin 30o/ 0 , Erythrozyten
2000 000, Leukozyten 10 000, Blutdruck 85. Menge: 20,0. Während
der Transfusion ist der Puls 90 regelmäßig, ruhig, mittelvoll. Eine
Minute später tritt starke Zyanose auf, mäßige Unruhe, beschleunigte,
angestrengte Atmung. Die Patientin klagt über Oppressionsgefuhl,
Kreuzschmerzen, der Puls ist 120, regelmäßig, Blutdruck auf 115 ge¬
stiegen. Nach 3 Minuten ist dieser anaphylaktische Anfall verschwun¬
den, Puls 90. Während der nächsten 10 Minuten Beobachtung sind
keine besonderen Wahrnehmungen zu machen. Es wird deshalb noch¬
mals 10,0 Blut übergeleitet. Sofort, 1 Minute nach der Ueberleitung,
treten die gleichen Reaktionserscheinungen auf: Zyanose, Pulsbeschleu*
nigung, Blutdrucksteigerung, Atemnot. Die Transfusion wird nun¬
mehr abgebrochen. 20 Minuten nach Schluß der Transfusion Schüttel¬
frost, der fast eine halbe Stunde anhielt. Nachmittags steigt die
Temperatur, der Puls ist etwas beschleunigt. Blutbefund 6 Stunden
nach der Transfusion: Hämoglobin 40<>/o, Erythrozyten 1 880000,
Leukozyten 6300, Blutdruck 87. Patientin fühlt sich sehr matt, schläft
jedoch die Nacht sehr gut. Blutbefund 32 Stunden nach der Trans¬
fusion: Hämoglobin 35o/o, Erythrozyten 2 248000, Leukozyten 4100,
Blutdruck 102. Der Ham, der in Einzelportionen mikroskopisch unter¬
sucht worden war, enthielt in der 4. bis 6. Portion (in der Nacht
und am Morgen nach der Transfusion) mäßige Menge Erythrozyten.
Digitized by Got igle
Original from
CORNELL UN1VERSITY
17. März 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
353
Makroskopisch keine Hämolyse. Blutbefund 44 Stunden nach der
Transfusion: Hämoglobin 38o/o, Erythrozyten 2 752000, Leukozyten
6000, Blutdruck 98. Die Patientin erholte sich in den nächsten Tagen
allmählich, sie war bald ganz beschwerdefrei.
Fall 6. In ungefähr gleicher Weise verlief die Transfusion bei
Fall 6: C. Sch., 27jähriger Mann. Ulc. pept. jej. n. O. E. r. p. wegen
Ulcus ventriculi, sekundäre Anämie, Transfusion als Vorbereitung auf
die Resektion.
Die Voruntersuchung hatte ergeben: Empfänger: Hämolyse —, Ag¬
glutination «4-. Bei der 1. Transfusion traten so deutliche anaphylak¬
tische Erscheinungen auf (irregulärer, frequenter Puls, Schwindel,
Kopf-, Kreuzschmerzen), daß nach langsamer Ueberleitung von 80,0
Blut die Transfusion abgebrochen wurde, ebenso zeigte die zweite,
5 Tage später vorgenommene Transfusion die gleichen Erscheinungen,
sodaß auch hier nach 80,0 ccm von einer weiteren Ueberleitung ab¬
gesehen werden mußte.
Diese 3 Fälle, bei denen die Voruntersuchung auf Agglutination
positiv ausfiel und dann bei der Ueberleitung deutliche anaphylak¬
tische Erscheinungen auftraten, die nicht als rein nervöse, zufällige
oder durch andere klinische Momente bedingte anzusehen waren,
haben uns doch zu denken gegeben. Viermal war in unserem Material
die Agglutinationsprobe positiv, und dreimal mußten wir bei diesen
Transfusionen anaphylaktische Reaktionen wahrnehmen. Wir haben
vergeblich nach einer Begründung gesucht, warum nach unserer kli-
nischen Beobachtung die Agglutinatronsprobe doch wesentliche Resul¬
tate liefert, sodaß wir uns in einen gewissen Gegensatz zu anderen
stellen müssen. Schließlich fanden wir keine sichere Ursache dafür
und müssen die Vermutung aussprechen, ob nicht vielleicht die ge¬
wonnenen verschiedenen Resultate doch verursacht sind durch die
verschiedenartigen Methoden der serologischen Untersuchungen, die
an den einzelnen Kliniken angewandt worden sind. Eine Wertung
dieser soll hier nicht vorgenommen werden.
Wir fassen unsere Erfahrungen über die Voruntersuchung auf
Hämolyse und Agglutination dahin fnsamnien, daß diese serologi-
gische Reaktion in möglichst allen Fällen anzuraten ist. Wir würden
nur dann darauf verzichten können, wenn ein eiliger Fall uns sofort
zu einer Bluttransfusion zwingt, um entfliehendes Leben zu erhalten.
Fällt bei der Untersuchung die Hämolysenprobe positiv aus, so raten
wir ab, eine Bluttransfusion vorzunehmen. Daß trotzdem nicht immer
anaphylaktische Erscheinungen aufzutreten brauchen, lehren zwei un¬
serer Fälle. Wir wären also auch hier im Notfall berechtigt, wenn
kein anderer Spender zur Verfügung stände und es drängt, mit
allen angegebenen Vorsichtsmaßregeln eine Bluttransfusion zu ver¬
suchen. Fällt die Agglutinationsprobe positiv aus, so warnen wir
auch hier, eine Bluttransfusion leichthin vorzunehmen. Auch hier ist
nur unter allen Vorsichtsmaßregeln eine Ueberleitung des Blutes er¬
laubt. Wir erblicken den Wert der Voruntersuchung hauptsächlich
darin, daß sie uns schon vorher Fingerzeige gibt, wo eventuell Stö¬
rungen zu erwarten sind und wo wir mit besonderer Vorsicht, also
langsam, etappenweise, eine Ueberleitung von Blut vornehmen
sollen.
Des Interesses halber soll hier erwähnt werden, daß wir sogar
einmal 1 ) schwere Hämolyse bei einem Fall von Autotransfusion bei
frisch operierter Tubargravidität gesehen haben, wo wir das der
Bauchhöhle entnommene Blut zweimal durchgeseiht, mit Vio Natr.
citr.-Lösung und NaCl-Lösung vermischt wieder in die Vene infun¬
diert haben.
Mit der Frage der Hämolyse eng verknüpft ist die nach der
Blutsverwandtschaft des Spenders. Nach den in der Lite¬
ratur niedergelegten Erfahrungen, meinen Zeller und Penol, neigt
Blutsverwandtenolut seltener und schwächer zur Hämolyse. Wir
haben anfänglich auch direkte Verwandte als Spender bevorzugt,
fanden bald aber, daß die Rolle der Blutsverwandtschaft nicht aus¬
schlaggebend ist, eine Erscheinung, die sich ja im wesentlichen
mit den experimentell ermittelten Tatsachen über homoioplastische
Transplantationen überhaupt deckt. Bei den 31 Transfusionen haben
19mal Blutsverwandte (Vater, Geschwister, Kinder) zur Verfügung ge¬
standen, wobei wir einmal starke Hämolyse sahen, das war der Fall,
wo die Hämolysenprobe negativ war. Anderseits haben wir 12
nicht Blutsverwandte genommen (Mann, Frau, Freunde) und gerade
hierbei keine Hämolyse gesehen, nur 3 Fälle, wo bei Ueberleitung
von Blut vom Mann zur Frau und umgekehrt anaphylaktische Er¬
scheinungen auftraten,’ Fälle, bei denen uns die vorher angestellte
und positiv ausgefallene Agglutinationsprobe schon zur Vorsicht ge¬
mahnt hatte. Im allgemeinen wird man schon aus dem einfachen
Qrundc häufiger zur Verwendung Blutsverwandter kommen, weil diese
sich am ehesten zur Blutspendung bereit finden werden.
3 Fälle wären noch aus unserem Material zu erwähnen, wo wir
jedesmal denselben Spender zu einer 2. Blutüberleitung benutzt haben.
Irgendwelche Störungen haben wir dabei nicht gesehen, denn im
Fall 6 waren schon bei der ersten Transfusion anaphylaktische Er¬
scheinungen aufgetreten. Die beiden Blutarten vertrugen sich also
von Anfing an nicht. Wederhake hatte davon abgeraten, den
gleichen Spender für die 2. Transfusion bei dem gleichen Empfänger
zu benutzen, da fast nach j[eder Transfusion am 4. und 5. Tage das
Blut des Empfängers dasjenige des Spenders agglutiniert. Aber
jj ifater 50 Fällen frisch operierter Tubaraborte der letzten 7 Jahre wurde 20 mal
die Relnfudon des aufgefangenen Blutes vorgenommen, wobei wir 1 mal = 5% HBmo-
lyse beobachteten.
auch Oehlecker nimmt zum zweiten Male , r
und hatte nie nachteilige Folgen beobachten e/1 - P
Eine interessante Beobachtung verdient weiter hervorgehoben
zu werden.
Bei einer stark anämischen Patientin, welche seit langem an
beiderseitigen Pyosalpingitiden litt, Tumoren, welche durch ihre be¬
deutende Größe imponierten, wurde eine Bluttransfusion als Vor¬
bereitung für eine Radikaloperation vorgenommen. Die Transfusion
verlief ohne Besonderheiten. Der Erlolg war insofern eklatant,
als sich die Patientin nicht nur sehr erholte, sondern die Adnex¬
tumoren auch im Verlauf der nächsten Wochen allmählich kleiner
und kleiner wurden, schließlich verschwanden, sodaß eine Operation
überhaupt nicht mehr in Frage kam. Wir registrieren vorläufig
diesen einzigen Fall, ohne weitere Schlußfolgerungen daraus zu
ziehen. Die Proteinkörpertherapie ist ja ein noch viel umstrittenes
Gebiet.
Daß der Versuch, eine bei Gallenblasenkarzinom bestehende
Cholämie im Sinne der Erhöhung der Blutgerinnung zu beeinflussen,
mißlang, wurde schon erwähnt. Crile hält die Transfusion hier für
indiziert.
Ein Ueberblick über unsere 31 Fälle ergibt: 1 glatten Mißerfolg
durch Hämolyse (bei negativer Hämolysenprobe und positiver Ag¬
glutinationsprobe), 3mal anaphylaktische Erscheinungen ohne Hämo¬
lyse (3mal bei positiver Agglutinationsprobe), 1 erfolgloser Versuch,
die Blutgerinnung bei einer Cholämie zu beeinflussen, 2 erfolglose
Versuche, den Verlauf einer Asepsis zu beeinflussen.
Eine dauernde Schädigung ist durch keine der Reaktionen her¬
vorgerufen worden. Wir naben demnach 13<>/o anaphylaktische Re¬
aktionen gehabt 1 ). Ottenberg und Kaliski geben 10o/ 0 an, Brem
25 o/o. Bei allen übrigen Fällen sahen wir teils einen überraschenden
Umschwung des Allgemeinzustandes, teils ein gutes Ueberstehen
schwerer Operationen und günstige Besserung des Allgemeinbefin¬
dens. Bei den sekundären Anämien beobachteten wir eine Steige¬
rung des Hämoglobingehaltes um 12o/ 0 , - eine Vermehrung der Ery¬
throzyten um 800000 pro Kubikmillimeter in den ersten 24 Stunden.
Seifert fand eine ungefähr gleiche Erhöhung des Hämoglobin¬
gehaltes von 10—15 o/o. Schon unmittelbar bei der Transfusion trat
der Umschlag ein. Die meisten verspürten dabei wohlige Wärme.
Kopfschmerzen, Ohrensausen schwanden bei den stark anämischen
Patienten#
An anaphylaktischen Erscheinungen beobachteten wir: Motorische
Unruhe, Kopfschmerzen, Schwindel, Oppressionsgefühl, beschleunigte,
angestrengte Atmung, Zyanose, Ohrensausen, Pulsbeschleunigung, evtl,
mit Irregularität und Steigerung des Blutdruckes, in einzelnen Fällen
auch eine meßbare Senkung, Kreuzschmerzen, Urtikaria, Schüttel¬
frost bei Temperatursteigerung. Schmerzen im Rücken wurden recht
oft angegeben, ein eigenartiges Symptom, welches vielleicht durch
eine Reizung der Nieren erklärt werden könnte. Bei seiner ziem¬
lichen Regelmäßigkeit verdient es sicher Beachtung. Diese Erschei¬
nungen waren nicht immer bei allen Patienten vorhanden, einzelne
fehlten hier und da. Schüttelfrost sahen wir 3mal, 2mal ohne Hämo¬
lyseneintritt. Die Temperatursteigerung wäre an sich nicht als un¬
günstiges Symptom anzusehen, man könnte sie auch als Reaktion
im Sinne der Proteinkörpertherapie deuten. Wenn wir auf die Schei¬
dung Plehns in „primäre Störungen“, die das Einströmen des
Blutes begleiten, und*in „sekundäre“, die erst 1—2 Tage später
eintreten, eingehen wollen, so müssen wir das Vorherrschen der
ersteren behaupten. Natürlich zeigt sich die Hämoglobinurie erst
nach Stunden, evtl, nach einem Tag, wenn es eben zum erstenmal
zum Wasserlassen kommt. Wir haben immer nur primäre Störungen
gehabt. Selbst eine Urtikaria, die Seifert zu den sekundären Er-
scheimwgen zählt, beobachteten wir 2maJ während der Ueber¬
leitung.
Aus diesen beiden Gruppen der Bluttransfusionen bei akuten Blut¬
verlusten und sekundären Anämien ergeben sich die Indikationen
für die Anwendung der Transfusionen bei chirurgischem Material.
Bei akutem Blutverlust soll man nicht zu lange warten, denn die
Schädigung des Herzens durch den Blutverlust wird schnell durch
degenerative Vorgänge nicht mehr überwindbar. Zeller gibt als
Anzeichen der Notwendigkeit einer Transfusion an: hohe Pulsbeschleu¬
nigung bei Sinken der Beschaffenheit, Zyanose, schnappende, un¬
regelmäßige Atmung. Sonst kommen für den Chirurgen die sekun¬
dären Anämien mit einem Hämoglobingehalt von 30—50o/o in Be¬
tracht, mit niedrigen Erythrozytenwerten, Patienten, die man wegen
ihres schlechten Allgemeinzustandes nicht operativ angreifen kann
und die doch baldigst einer rettenden Operation sich unterziehen
müssen. Berg, Esch, Göbell und Hartwell haben hier gleich
gute Erfahrungen gemacht. Oder Patienten, deren Anämien infolge
von überstandenen Krankheiten und Operationen günstig beeinflußt
werden sollen. Ob wir, wie Haberland meint, Sepsisfälle mit
Bluttransfusionen retten können, darüber fehlt uns größere Er¬
fahrung. In dem einen Fall der Sepsis nach Angina und dem der
allgemeinen Sepsis nach Beckenosteomyelitis konnte auch die vor¬
genommene Transfusion nicht mehr helfen. Selten wird auch ein
Rekonvaleszent von der gleichen Sepsisform uns zur Verfügung
stehen. Haberland hatte bei der Gasbazillensepsis Erfolge ge¬
sehen. Diese Serotherapie überhaupt hat ja etwas Bestechendes.
Es greift dies in das Gebiet der inneren Medizin über, und über
Bluttransfusionen hier, also bei Hämophilie, perniziöser Anämie, Ver-
») Die Transfusionen des Falles 6 sind hier nicht einzeln berechnet
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
354
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 11
giftungen, hämorrhagischer Diathese. akuten Infektionskrankheiten
(Rekonvaleszentenblut; fehlt uns auf der Chirurgischen Abteilung die
Erfahrung, da die Innere Abteilung des Krankenhauses selbst Blut¬
transfusionen mit dem Oehleckerschen Apparat vornimmt. Vielleicht
lohnt es sich, noch nach den Tierversuchen Zellers Transfusionen
beim Chloroformtod vorzunehmen.
Als Gegenindikation für eine Bluttransfusion wird in der Literatur
hin und wieder ein Herzfehler angegeben, dem man eine plötzliche
Ueberlastung mit einer größeren Menge Blut nicht zumuten dürfe.
Wir haben schon gesehen, daß von einir Ueberlastung bei dieser
Methode keine Rede sein kann. Kuczynski rät noch aus theoreti¬
schen Erwägungen und nach einem beobachteten Fall von einer
Bluttransfusion nach langdauernden Narkosen ab, da durch die Bin¬
dung des Chloroforms an rote Blutkörperchen zahlreiche Erythrozyten
schon an sich zugrundegehen und Ikterus entstehen könne. Es
soll daher leicht zu üblen Folgen nach Blutüberleitung kommen
können.
Bei beiden Gruppen ist auch, wie schon erwähnt, ein Unter¬
schied in der Menge des überzuleitenden Blutes zu machen. Bei
akuten Blutungen wird möglichst viel von dem verlorenen Blut er¬
setzt, daher sind große Transfusionen zu machen, bei den sekundären
Anämien genügen anscheinend kleinere Mengen, die als Reizdosis
wirken und eine Umstimmung bewirken. Wir haben uns hier mit
250—500 ccm begnügt, die Transfusion öfters wiederholt und damit
befriedigende Wirkung erzielt.
ln unserem Material überwiegt die Behandlung der sekundären
Anämien mit Bluttransfusionen. Damit will ich nicht der Behandlung
der sekundären Anämien der verschiedensten Oenese mit der aus¬
schließlichen Bluttransfusion das Wort reden. Man kann ja gewiß
mit diätetischen und medikamentösen Maßnahmen oft genau so
viel erreichen, einfacher natürlich und vielleicht auch bis zu einem
gewissen Grade ungefährlicher. Aber in der Chirurgie liegen die
Verhältnisse oft so, daß man nicht lange auf eine Operation warten
kann. Oft drängt die Zeit zum Eingriff, und dann ist es eine große
Hilfe, wenn man unmittelbar vor einer eingreifenden Operation
den Patienten durch eine Bluttransfusion kräftigen kann. In den
anderen Fällen, wo es sich nicht um eine OperationsVorbereitung
handelt, würde ich nur dann für die Transfusion bei chronischen
Fällen eintreten, wenn andere Behandlungsinittel längere Zeit ohne
Erfolg geblieben waren. Und es scheint, wie auch Morawitz und
Weber beobachtet haben, Fälle zu geben, wo ein an sich noch
reaktionsfähiges Knochenmark auf Arsen usw. nicht mehr reagiert,
es aber durch Zufuhr fremden Blutes einen mächtigen Anreiz zur
Neuproduktion von roten Blutkörperchen erhält.
Was der weiteren Anwendung der Bluttransfusionen bisher im
Wege gestanden hatte, war die unzulängliche Technik, die Furcht
vor komplizierteren Manipulationen und technischen Mißerfolgen.
Diese Hemmung , ist jetzt mit der Oehleckerschen Methode beseitigt.
Nachdem wir gesehen haben, daß durch .Bluttransfusionen in ge¬
wissen Fällen Erfolge zu erzielen sind und wir den Empfänger bei
Einhaltung gewisser Vorsichtsmaßregeln vor Schaden fast immer
bewahren können, sollte man, glaube ich, der Bluttransfusion mehr
Raum als bisher in der chirurgischen Therapie einräumen.
Nachtrag bei der Korrektur: Der Aufsatz wurde im September 1921
zur Drucklegung eingeschickt, noch ehe uns das Augustheft der D. Zschr. f.
Chir. Nr. 165 H. 5 u. 6 mit der neuesten Arbeit Oehleckers: „Technische
Einzelheiten meiner Methode usw.“ in die Hände gekommen war. Auf einen
Punkt muß jetzt bei der Korrektur noch kurz eingegangen werden. Oehlecker
schreibt in seiner letzten Arbeit, daß als Zeichen der eventuell eintretenden
Hämolyse plötzlich auftretende Röte des Gesichtes mit folgender livider Ver¬
färbung, Unruhe, Stöhnen des Patienten, Brechneigung, Aussetzen des Pulses usw.
auch von ihm beobaditet worden sind, daß aber diese Symptome ohne Hämo¬
lyse, „also als eine etwaige Folge einer einfachen Serumwirkung“ nie aufgetreten
seien und daß diese Erscheinungen allein nicht als „anaphylaktische“ Erschei¬
nungen bezeichnet werden dürften. Dem können wir nicht beistimmen. Wir
haben, wie auch in dem Aufsatz erwähnt, solche Fälle gesehen, die bei und
kurz nach der Transfusion diese oben beschriebenen Erscheinungen zeigten,
welche nicht anders als durch die Einverleibung des körperfremden Serums zu
erklären sind, Fälle, bei denen bei genauer Beobachtung keine Hämolyse in
Erscheinung trat. Wir halten uns daher auch für berechtigt, hier von
anaphylaktischen Erscheinungen zu sprechen.
Aus der Universitäts-Frauenklinik in Hamburg
(Direktor: Prof. Dr. Heynemann), Eppendorfer Krankenhaus.
Ueber Folgezustände der puerperalen Mastitis,
ihre Diagnose und ihre Behandlung.
Von Priv.-Doz. Dr. Ludwig Nürnberger, Sekundärarzt der Klinik.
Bei der prognostischen Wertung der puerperalen eitrigen Mastitis
spielen Zweifel quoad sanationem eine ganz untergeordnete Rolle.
Wohl sind in aer Literatur einige Todesfälle berichtet worden
(Kaufmann, Bensinger, Chassot, Trillat und Latarjet,
H. Ehrlich, Plauchu und Rendu, v. Angerer). Im Vergleich
zu den zahlreichen günstig verlaufenden Fallen erscheinen diese
aber so spärlich, daß man bei der Behandlung einer Mastitis die
völlige Genesung geradezu als eine statistische Notwendigkeit emp¬
findet Die puerperale eitrige Mastitis wird nun in der überwiegen¬
den Mehrzahl der Fälle durch den Staphylococcus pyogenes aureus
hervorgerufen (Bumm, Döderlein). Auch bei Stapnylomykosen
sind wiederholt schon generalisierte Infektionen mit tödlichem Aus¬
gang beschrieben worden (Lenhartz, Bertelsmann, Joch-
mann, Bier, Nürnberger u. a.). ihre klinische Bedeutung wird
aber, in Anbetracht der zahllosen lokalisierten Staphylokokkeneite¬
rungen, die dem Praktiker tagtäglich unter die Augen kommen, ge¬
ring eingeschätzt.
In einem etwas anderen Lichte erscheint das Mastitisproblem,
wenn man sich vergegenwärtigt, daß die Erkrankung gar nicht so
selten mit einem Scnuttelfroste beginnt. Jeder Schüttelfrost be¬
weist aber, daß ein bis zwei Stunden vorher eine erhebliche Zahl
von Keimen in die Blutbahn eingedrungen ist (Schottmüller).
Da npn trotzdem die puerperale eitrige Mastitis in der Regel einen
gutartigen Verlauf nimmt, so ist man — im Vertrauen auf die Abwehr¬
kräfte der unabgestimmten Blut- und Zellimmunität — geneigt, dem
initialen Schütteltroste nur eine episodische Bedeutung zuzuerkenneo.
Leider mußten wir uns unlängst davon überzeugen, daß diese
Anschauung nicht immer richtig ist. Da unsere Beobachtung nicht
nur von tneoretischem, sondern auch von praktischem Interesse ist,
so möge sie im Folgenden kurz mitgeteilt werden.
Eine 21 Jahre alte Kaufmannsgattin (Igravida) kam am 26. VI.
1921 spontan nieder. 12 Tage nach der Geburt traten an der linken
Mamma im oberen äußeren QuIÜranten der Areola und in den an¬
grenzenden Partien Rötung, Schwellung und Schmerzhaftigkeit auf.
Die Temperatur stieg unter heftigem Frieren auf 39% um schon am
nächsten Tage wieder auf 37,6° abzufalten.
In der Folge bildete sich an der angegebenen Stelle ein kleiner
Abszeß aus. Dieser wurde am IS. VH. 1921 inzidiert; dabei ent¬
leerte sich etwa ein Kaffeelöffel voll gelben Eiters. Die entzündlichen
Erscheinungen gingen daraufhin rasch zurück, die Wunde zeigte fort¬
schreitende reaktionslose Heilung. — Am 27. VII. klagte die Patientin,
die sich bis dahin durchaus wohl befunden hatte und vollkommen
fieberfrei gewesen war, plötzlich über eine leichte Schwellung an
der Außenseite des rechten Oberarms oberhalb des äußeren Epikon-
dylus des Humerus, also im Sulcus bicipitalis lateralis. Irgendwelche
Veränderungen an der Haut waren hier nicht zu sehen, bei Bewegun¬
gen des Arms und bei Druck wurde über etwas Schmerz in der Tiefe
eklagt. Das Ganze wurde von der Patientin darauf zurückgeführt,
aß sic nachts bei offenem Fenster geschlafen und sich dabei erkältet
habe. Wenn nun auch die Lokalisation dieser „rheumatischen“ Schwel¬
lung auffallend war, so wurden doch in Ermanglung einer anderen
Erklärungsmöglichkeit Salipyrin und Einreibungen mit Chlorofonnöl
verordnet. Am nächsten Tage hatte die Schwellung nur wenig zuge¬
nommen, es war aber eine ausgesprochene diffuse Rötung an der
Außenseite des rechten Oberarms aufgetreten. Diese wurde auf den
Reiz des Chloroformöls zurückgeführt, das deshalb abgesetzt wurde;
Salipyrin wurde weiter gegeben. Am gleichen Tage klagte die
Patientin auch über Schmerzen im unteren Drittel des rechten Ober¬
schenkels an der medialen Seite, also da, wo sich oberflächlich die
Vena saphena und in der Tiefe die Vena femoralis befindet Eine
Infiltration war nicht nachzuweisen, dagegen bestand ausgesprochener
Druckschmerz. Die Schmerzen strahlten auch nach dem Kniegelenk
und nach dem Unterschenkel zu aus, doch ließ das Kniegelenk weder
anatomische noch funktionelle Störungen erkennen. So blieb als
Wahrscheinlichkeitsdiagnose nur die Annahme einer Thrombose der
oberflächlichen oder tiefen Venen übrig, wenn sich auch keine direkten
Anhaltspunkte dafür auffinden ließen. Am folgenden Tage hatte die
schmerzhafte Schwellung am rechten Arm bedeutend zugenommen,
die Haut war über dieser Stelle lebhaft gerötet, das ganze Gebiet
fühlte sich derb und hart an, Fluktuation war nicht vorhanden. Es
konnte aber kein Zweifel mehr bestehen, daß ein tiefliegender Abszeß
vorhanden war. Auch am rechten Oberschenkel hatte die Schmerz¬
haftigkeit zugenommen, und es war eine deutliche Infiltration im
Bereiche des Vastus medialis aufgetreten. Am übernächsten Tage
wurde der Abszeß am rechten Oberarm inzidiert. Dabei entleerten
sich etwa zwei Kaffeelöffel voll Eiter. Aus diesem wurden nicht¬
hämolytische Staphylokokken gezüchtet. Die Infiltration am rechten
Oberschenkel ging in den nächsten Tagen langsam spontan zurück.
Die kleine Inzisionsstelle an der linken Mamma war inzwischen voll¬
kommen reaktionslos verheilt.
Es kann wohl kein Zweifel darüber bestehen, daß es hier im
Anschluß an eine leichte und klinische vollkomrhen reaktionslos ab¬
laufende eitrige Entzündung der linken Mamma, ohne äußeren Anlaß,
zu einer eitrigen Metastase am rechten Oberarm und zu einer nicht
abszedierenden Infiltration am rechten Oberschenkel kam.
Diese Beobachtung zeigt zunächst die pathogenetische Bedeu¬
tung des bei so vielen lokalisierten Infektionen (Pyelitis, Chole¬
zystitis, Pneumonie u. a.) vorkommenden initialen Schüttelfrostes.
Dieser dokumentiert, wie schon erwähnt wurde, daß ein Eintritt
von Keimen in das Blut stattgefunden hat. Wenn nun auch die Er¬
reger im allgemeinen den Abwehrkräften der unabgestimmten Blut-
und Zellimmunität zum Opfer fallen, so gibt es doch, wie unser Fall
zeigt, Ausnahmen von dieser Regel. Es besteht also zwischen dieser
initialen, passageren, episodischen Bakteriämie und der periodischen
oder konstanten Einschwemmung von Keimen in das Blut bei der
echten Sepsis nur ein gradueller, aber durchaus kein prinzipieller
Unterschied.
Die Tatsache, daß die verschiedensten pathogenen Bakterien
— Streptokokken (Reinhardt), Typhusbazillen (Sultan,Buschkc),
Digitized by Google
Original frt>m
CORNELL UNIVERSITY
H. März 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Gasbazillen fKüttner, Simon, Marwedel, Schellenberg),
Tuberkelbazillen u. a. — jahrelang im Körper am Leben bleiben
können, ohne die geringsten Erscheinungen zu machen, ist schon
lange bekannt und durch die Kriegserfahrungen aufs neue bestätigt
worden. Am allerwiderstandsfähigsten scheinen in dieser Hinsicht
aber die Staphylokokken zu sein. So wurden in alten osteomyeliti¬
schen Herden noch nach 23, 29, 30 und 35 Jahren lebende Staphylo¬
kokken nachgewiesen (Garrfc, Krause, Schnitzler). Garrfe
glaubt allerdings nicht an eine Ablagerung von der ersten Entzündung
her, sondern an eine Neuinfektion. Nauwerck, der in einem durch
Revolverschuß entstandenen Gehirnabszeß hoch nach 38 Jahren viru¬
lente Staphylokokken fand, hat aber überzeugend nachgewiesen, daß
die Staphylokokken jahrzehntelang am Leben bleiben können.
Mit der Möglichkeit des latenten Mikrobismus muß man also
bei allen Staphylokokkeninfektionen rechnen, selbst wenn klinisch
nur die lokalen Erscheinungen im Vordergründe stehen. Diese Forde¬
rung scheint übertrieben, wenn man bedenkt, wie häufig die Staphylo-
kokkeninfektioneu sind. Man darf aber nicht vergessen, daß bei
einer Reihe anderer Infektionen — Typhus, Tuberkulose, Lues, Ma¬
laria — derartige Vorstellungen heute dem ärztlichen Denken ganz
geläufige Begriffe sind.
Die Erkennung der metastatischen Staphylokokkenerkrankungen
kann dadurch sehr erschwert werden, daß die einzelnen Krankheits¬
bilder sehr symptomenarm und infolgedessen einer Deutung schwer
zugänglich sind. Ferner liegt der Primärinfekt häufig schon längere
Zeit zurück, sodaß er überhaupt nicht zur Kenntnis des Arztes ge¬
langt, oder, wenn dies der Fall ist, als ursächliches Moment auszu-
scheiden scheint. Es dürfte deshalb ein kurzer Ueberblick über die
verschiedenen Lokalisationsmöglichkeiten nicht ohne Interesse sein,
schon weil er zeigt, wie vielgestaltig das Krankheitsbild in Erschei¬
nung treten kann.
Brechen an irgendeinem Infektionsherd Keime in die venöse
Blutbahn ein, dann gelangen sie zunächst in das Herz. Gerade von
den Staphylokokken ist nun bekannt, daß sie sich mit ganz außer¬
ordentlicher Vorliebe an den Herzklappen festsetzen. Die Endo¬
karditis ist bei der Staphylokokkensepsis noch viel häufiger als bei
der Streptokokkensepsis (Jochmann). Die Klappenvegetationen
lassen sich nicht allzu schwer feststellen, wenn bei beständiger Kon¬
trolle des Herzens plötzlich systolische oder diastolische Geräusche
auftrcten. Oft sind sie aber nur durch unreine Töne angedeutet.
In manchen Fällen können aber auch die Erscheinungen von seiten
des Myokards in den Vordergrund treten, und endlich kann sich die
metastatische Staphylokokkeninfektion nur als eitrige Perikarditis
manifestieren (Jochmann, Nürnberger).
Diejenigen Infektionserreger, die sich nicht im Herzen fest¬
gesetzt haben, gelangen in die Lunge. Hier wird wohl immer ein
großer Teil von ihnen vernichtet (Kuczynski und Wolff, Gold¬
scheider und Jacob, Snell, Selter). Trotzdem siedeln sich
die Staphylokokken durchaus nicht selten in der Lunge an. Sie können
hier zu größeren und kleineren Abszessen, zur Pleuritis, vielleicht
auch nur zu Bronchitis und Bronchiolitis führen. Wenigstens können
katarrhalische Erscheinungen der tieferen Luftwege (Husten, Stechen
auf der Brust, Rasselgeräusche) lange vorhanden sein, ehe Erschei¬
nungen von eitriger Einschmelzung des Lungengewebes sich bemerk¬
bar machen.
Die Keime, denen es gelingt, Herz und Lunge zu passieren, können
sich in den verschiedensten Organen ansiedeln, doch ist auch hier
eine gewisse elektive Lokalisation unverkennbar.
Recht häufig kommt es zu einer metastatischen Infektion der
Nieren. Nach Koch sind diese geradezu ein Ausscheidungsorgan
für diejenigen Staphylokokken, mit denen der Körper nicht fertig wird.
Auf diese Weise können große Kokkenmengen mit dem Urin aus dem
Körper eliminiert werden, ohne daß es zu lokalen Entzündungsherden
oder Eiterungen kommt. Klinisch manifestieren sich die embolischen
Nierenherde häufig nur durch Spuren von Eiweiß im Urin. Bei syste¬
matischer Untersuchung gelingt es aber gar nicht so selten, einen
positiven Staphylokokkenbefund im Urin zu erheben (Jochmann).
Die Ausscheidung der Kokken in der Niere erfolgt nicht nur in den
Glomeruli, sondern höchstwahrscheinlich. auch in den gewundenen
Harnkanälchen. An diesen lassen sich auch stets die stärksten Ver¬
änderungen nachweisen (Karyorhexis und Karyolyse der Kerne, Quel¬
lung des Protoplasmaleibes, verwaschene Zellgrenzen, abnorme Azido-
phiüe des Protoplasmas (Bittrolff).
Erscheinungen von seiten der Leber treten im klinischen Bilde
der generalisierten Staphylokokkeninfektion im allgemeinen zurück.
Immerhin sah Otten einen metastatischen Abszeß, der fünf Wochen
nach Eröffnung eines Nackenfurunkels auftrat. Die Probepunktion
der vergrößerten und schmerzhaften Leber ergab staphylokokken¬
haltigen Eiter; nach Entleerung des Abszesses erfolgte Genesung.
Aber auch ohne daß es zur Abszeßbildung kommt, kann die Leber
durch die Staphylokokkentoxine schwer geschädigt werden. So sah
Bittrolff, ebenso wie an der Niere, die Zeichen der Karyorhexis
und Kanrolyse, Quellung und abnorme Tingibilität des Protoplasmas
sowie Verwaschensein der Zellgrenzen.
ln vielen Fällen von generalisierter Staphylokokkeninfektion wird
— wie auch bei unserer Beobachtung — das klinische Bild beherrscht
von embolischen Infiltraten der verschiedensten Muskeln. Klinisch
treten dabei rheumatische und neuralgische Beschwerden in den
Vordergrund. Die Differentiakiiagnose kann in derartigen Fällen da¬
durch sehr erschwert werden, daß es auch echte rheumatische Muskel¬
härten (Myogelosen, Schade) gibt. Es ersehtM ^
ausgeschlossen, daB die Oelbbildung ihrerseits °^ MusKekiweiß
für das peptomsierende Ferment der StaphylokoKK 4 ^ 1 zugänglich macht.
Kommt es in derartigen Fällen zur Abszedierung^ y*nn ist die Sicher¬
stellung der Diagnose auf bakteriologischem Wege nicht schwer.
In anderen Fällen kann aber die Abgrenzung der embolischen Staphylo¬
kokkenfiltrate von traumatischen, luischen u. a. Muskelhärten, wie
sie von Lange und Eversbusch beschrieben wurden, recht schwer
sein. Ein weiterer beliebter Lokalisationsmodus hämatogen ver¬
schleppter Staphylokokken ist die Ansiedlung in der Haut. Neben
pustulösen Ausschlägen und Abszessen sind hier auch masernähnliche
Erytheme und direkte Pupuraexantheme (Margarethe Levy) beob¬
achtet worden. Auf eine besondere Form der Hautmetastase bei
Staphylokokkeninfektionen hat Jochmann aufmerksam gemacht.
Diese dokumentiert sich in zirkumskripten, erbsen- bis mandelkern-
großen, blaurot schimmernden, knotenförmigen Schwellungen. Histo¬
logisch handelt es sich dabei um hämorrhagische embolische Infiltrate
in der Subkutis.
Eugen Fränkel hat als Erster den Nachweis erbracht, daß es
nicht nur beim Typhus, den Streptokokken- und Pneumokokkeninfek¬
tionen, sondern ganz besonders häufig auch bei den Staphylomykosen
zu einer sekundären Ansiedlung der Erreger im Knochenmark kom¬
men kann. In der Tat ist auch die sekundäre metastatische Osteo¬
myelitis durchaus kein sehr seltenes Ereignis im Verlaufe einer
allgemeinen Staphylokokkeninfektion. Dagegen ist — soweit wir
sehen — in der Literatur noch kein Fall beschrieben worden, in
dem eine Osteomyelitis die einzige Metastase einer lokalisierten
Staphylokokkeneiterung bildete. Aus diesem Grunde möge kurz
die nachfolgende Krankengeschichte mitgeteilt werden. Die 22 Jahre
alte Gattin eines Arztes erkrankte im Anschluß an die Geburt
ihres ersten Kindes an einer rechtseitigen eitrigen Mastitis, die mehr¬
fache Inzisionen nötig machte. Nachdem die Erkrankung schon bei¬
nahe abgeheilt war, traten heftige Schmerzen in den vollkommen
intakten Zähnen der rechten Unterkieferhälfte auf. In der Folge
entwickelte sich dann eine diffuse, zunächst nicht schmerzhafte Auf¬
treibung des rechten Unterkiefers. Fieber war nicht vorhanden. Die
Diagnose wurde von autoritativer chirurgischer Seite auf Sarkom
gestellt. Bei der Operation zeigte sich das Periost in ein sulziges,
mißfarbenes Granulationsgewebe umgewandelt, in dem zahlreiche
Staphylokokken nachgewiesen wurden. Nach Entfernung der ent¬
zündlichen Gewebswucherung erfolgte rasche Heilung.
Von selteneren Lokalisationsmöglichkeiten der hämatogen ver¬
schleppten Staphylokokken verdient die metastatische Parotitis Er¬
wähnung. Diese Möglichkeit einer sekundären Ansiedlung der Sta¬
phylokokken erscheint nicht unwichtig im Hinblick auf die bekannten
postoperativen Parotitiden. Ohne Zweifel sind diese in vielen Fällen
auf eine Kontinuitätsinfektion von der Mundhöhle aus infolge der
Narkose zurückzuführen. Trotzdem darf man gerade bei Staphylo¬
kokkeneiterungen, die ja meist in Allgemeinanästhesie eröffnet werden
müssen, nie den Gedanken an eine hämatogene metastatische Par¬
otitis aus dem Auge verlieren.
Endlich haben Kocher und Tavel darauf hingewiesen, daß
auch die Schilddrüse bei Staphylokokkeninfektionen metastatisch
erkranken kann.
Die Diagnose aller dieser verschiedenen Affektionen wird wesent¬
lich erleichtert, wenn man die primäre Infektion erlebt oder aus der
Anamnese erfahren hat und nur daran denkt, daß ein kausaler
Zusammenhang bestehen kann. Gewiß wird sich in vielen Fällen,
besonders dann, wenn es nicht zur Abszedierung kommt, ein sicherer
Entscheid nicht treffen lassen, allein schon die Wahrscheinlichkeits¬
diagnose ist in therapeutischer Hinsicht von großer Bedeutung.
Die Therapie ist nicht ganz so machtlos, wie es auf den
ersten Blick aussieht.
Das chirurgische Vorgehen beim Auftreten von Abszessen
braucht hier nicht weiter erörtert zu werden. Neben ihm spielen
aber auch interne Maßnahmen eine nicht zu unterschätzende Rolle.
Diese müssen einen doppelten Zweck verfolgen, nämlich die Er¬
höhung der unabgestimmten und der abgestimmten Im¬
munität.
Zur Steigerung der unabgestimmten Immunität dient die
unspezifische Reiztherapie (durch Dispargen, Aolan, Caseosan, Yatren-
Kasein) im Sinne von Bier.
Zur Erhöhung der abgestimmten Immunität besitzen wir
gerade bei den Staphylokokxeninfektionen ein ganz ausgezeichnetes
Mittel in der Vakzination. Am besten verwendet man dabei
frische Vakzinen. Eine Autovakzine ist nicht absolut nötig, nach
Much sogar nicht zweckmäßig, da der Körper häufig gegen die
betreffenden Bakterienstämme immunisiert ist.
Reiztherapie und Vakzination kommen aber nicht nur als thera-
C eutische Hilfsmittel, sondern auch als Prophylaktika in Betradit.
Inter Variierung eines bekannten Wortes kann man die Therapie der
Mastitis als eine Fortsetzung der Prophylaxe mit anderen Mitteln
bezeichnen: die Pflege der Brustwarzen sucht das Eindringen der
Keime hintanzuhalten; die Biersche Stauung, Eisumschläge usw. dienen
dazu, um die eingedrungenen Keime am weiteren Vordringen zu ver¬
hindern; die Inzision im Falle der Abszedierung endlich führt zur
Eliminierung der Erreger. Bei diesen Bestrebungen bedeutet die
Erhöhung der spezifischen und unspezifischen Immunität eine weitere
wirksame Untefttützung des Körpers. Während wir nun aber mit
der Bierschen Stauung die lokale Abwehr unterstützen, wirken Reiz¬
therapie und Vakzination nicht nur auf den Infektionsherd selbst,
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
356
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 11
sondern auch auf den ganzen Organismus. Sie können so die in
den Körper eingedrungenen Erreger. im Sinne einer biologischen
Therapia magna sterilisans vernichten. Die vorstehenden Ausführun¬
gen dürften gezeigt haben, daß dies kein unnötiges und überflüssiges
Beginnen ist. UeDerhaupt sollte man in jedem Falle von Staphylo¬
kokkeninfektion, mag er auch noch so leicht erscheinen, an die Worte
denken, die Döderlein schon im lahre 1892 ausgesprochen hat,
daß man „im allgemeinen den Staphylococcus pyogenes aureus nicht
als absolut harmloser darstellen darf alk den Streptokokkus“.
Aus dem Diakonenkrankenhaus in Duisburg.
Zur Technik der intravenösen Oeltherapie.
Von Prof. Lenzmann.
Trotz der Vorteile, die die intravenöse Applikation von wirk¬
samen Arzneistoffen bietet, hatte man bisher ölige Substanzen nicht
direkt dem Blutstrom einverleibt, weil die berechtigte Furcht vor
Fettembolie bestand. Die parenterale Applikation von Oelen war
über die intramuskuläre Injektion bzw. Injektion von Oleum Tere-
binthinac in Mischung mit Olivenöl auf das Periost des Darmbeins
nach Klingmüller nicht hinausgekommen. Die großen Vorteile,
die die intravenöse Applikation in jedem Falle bietet, die hier aber
weiter nicht berührt werden sollen, haben aber die Autoren nicht
ruhen lassen, bis sie auch zur intravenösen Applikation von Oelen
übergingen. So berichtet die neueste Literatur von verschiedenen
Seiten über Versuche, ölige Substanzen intravenös zu injizieren, und
es wird versichert, daß die Gefahren der Fettembolie überschätzt
worden seien, daß die Injektion von Oel in den Kreislauf wohl an¬
gängig sei. So schreibt Fischer 1 ), daß er Kaninchen ohne Schaden
0,2 ccm Olivenöl pro Kilogramm Körpergewicht injizieren konnte,
und führt einen Fall an, in dem aus Versehen einem Menschen 50 ccm
Oel intravenös gegeben wurden, ohne daß er zu Tode kam. Er
empfiehlt deshalb, Kampferöl intravenös zu injizieren. Dieselbe An¬
schauung vertritt Schmidt*). Endlich berichtet Wohlgemuth 8 ),
daß er in einer großen Anzahl von Fällen Kampferölinjektionen
intravenös gemacht habe. Er hat bis zu 2 ccm injiziert. Fußend
auf die Veröffentlichungen von Fischer und Schmidt, hat Karo 4 )
Terpichininjektionen intravenös gemacht. Terpichin ist eine 15o/oige
Mischung von Oleum Terebintninae rectif. mit Oleum Olivarum,
dem 0,5o/o Chinin und 0,5o/o Anästhesin zugesetzt sind. Der Autor
ist ebenfalls bis zu 2 ccm gegangen. — Icn habe schon vor zwei
ähren Versuche angestellt, ölige Substanzen intravenös zu injizieren,
abe diese Versuche aber wieder aufgegeben, weil ich nicht wagte,
das Oel als solches zu geben, und weil eine Emulgierung keine be¬
friedigenden Resultate gab. Ich habe damals versucht, das Oel in
steriler Milch zu verteilen oder mit Gummi arabicum anzureiben.
Die Oeltropfen waren aber im mikroskopischen Bilde immer noch
so groß, daß mir die Anwendung des so vorbereiteten Oels zu
gewagt erschien. Außerdem wurden bei Verwendung des Gummis
durch Schütteln der erreichten Emulsion mit frischem Blut die Ery¬
throzyten nachteilig beeinflußt. Sie nahmen sofort Stechapfelform
an. Angeregt durch die obengenannten Veröffentlichungen, habe ich
meine Versuche wieder aufgenommen, die jetzt zu einem befriedigen¬
den Resultat geführt haben. Ich habe allerdings auch jetzt noch
nicht gewagt, das Oel in unverändertem Zustand zu injizieren, wie
es die Autoren empfehlen. Diese Art der Anwendung mag ja mög¬
lich sein, sie kann aber doch vielleicht auch einmal zu Unannehm¬
lichkeiten führen, denn ich kann mir nicht vorstellen, daß bei der
Injektion doch relativ großer Mengen unpräparierten Oels es immer
glatt abgehen sollte. Wenn man die hier ln Betracht kommenden
Oele (Ol. Terebinthinae rectificatissimum, Olivenöl oder eine Mischung
beider) mit Blut mischt, indem man einen Tropfen in 5 ccm frisch
der Vene entnommenen Blutes träufelt und dann schüttelt, dann sieht
man bei mikroskopischer Betrachtung dieses Oemisdies das Oel in
Lachen, ähnlich einem See, dessen Ufer sich in ihrer Form fort¬
dauernd ändern, durch das Gesichtsfeld fließen. Eine Verteilung in
Tropfen findet nicht statt. Ich habe mir nun vorgestellt, daß bei
der Injektion der öligen Masse die Oefahr der Embolie um so
sicherer vermieden wird, je feiner verteilt man das Oel von vorn¬
herein dem Blutstrom übergibt. Ich habe meine Versuche in erster
Linie mit Ol. Terebinth. angestellt. Es ist ganz selbstverständlich,
daß es unser Bestreben sein muß, die wirksame Dosis als möglichst
geringe Menge zu geben. Karo hat Terpichin injiziert. Da es eine
15<Voige Mischung von Ol. Terebinth. rect. mit Olivenöl darstellt, $o
mußte er — behufs Einverleibung von 0,15 Ol. Terebinth. — schon
1 ccm Oel geben. Eine Mischung des wirksamen Ol. Terebinth. mit
Olivenöl halte ich — zum Zwecke der intravenösen Injektion — für
unnötig und unrationell, da doch das zu injizierende Oel mit zu¬
nehmender Menge eine immer größer werdende Gefahr der Embolie
birgt. Ich habe deshalb das Terpentinöl unvermischt verwandt. Es
verändert in reinem Zustande — wie man sich sehr leicht im mikro¬
skopischen Bilde überzeugen kann — die roten Blutkörperchen nicht,
es bildet aber —- wie. iedes andere Oel — in der Blutmischung große
Lachen. Will man diese Lachenbildung, die doch ein berechtigtes
») B. Id. W. 1921 Nr. 31. - •) B. kl. W. 1921 Nr. 41. - •) Ther. d. Qcgenw. 1921,12, H. 4.
- *) M. Kl. 1921 Nr. 46. *
Bedenken mit Rücksicht auf die Embolie einflößen muß, vermeiden,
dann muß man das Oel emulgieren, und zwar mit einer Substanz
die für das Blut indifferent ist. Als eine solche, die sich zur
Emulgierung gut eignet, habe ich das Caseosan (Heyden) benutzt.
Mischt man rektifiziertes Terpentinöl mit der gleichen Menge Caseo-
san, also 1 ccm Oel mit dem Inhalt einer Ampulle von 1 ccm, und
schüttelt mehrere Minuten kräftig um, dann entsteht eine milchähn¬
liche Masse, die sich im Mikroskop als scharf voneinander geschiedene
kreisrunde Tropfen darstellt — kleinste, größere und große. Setzt
man — um in etwa das Verhalten dieser Emulsion im Blutstrom zu
demonstrieren — einen Tropfen derselben zu etwa 5 ccm frisch
entnommenen Blutes und schüttelt kräftig, dann liegen zwischen den
unveränderten Erythrozyten zahlreiche runde Fettropfen, die zum
Teil dieselbe Größe haben, wie die roten Blutkörperchen, zum Teil
kleiner, zum Teil allerdings bedeutend größer sind. Es ist klar, daß
es sich hierbei nur um eine grobe, unmaßgebliche Nachahmung des
Vorgangs bei der intravenösen Injektion handelt. Ein injizierter
Tropfen kommt natürlich mit einer bedeutend größeren Menge Blut
in Berührung, als die im Versuch verwandte ist. Dagegen findet bei
der Einverleibung in den Blutstrom nicht eine so intensive mecha¬
nische Verarbeitung statt, wie bei dem Schütteln. Immerhin muß man
annehmen, daß bei dem Transport des verteilten Oels durch die
Blutgefäße durch Reibung an den Wänden, durch Anprallen an den
vorspringenden Leisten der Einmündungsstellen der Venen in größeren
Sammelröhren, daß weiterhin bei der Blutbewegung in dem rechten
Atrium und in dem rechten Ventrikel eine noch feinere Emulgierung
stattfindet. Von diesem — mit Caseosan zu gleichen Teilen
emulgierten — Oel braucht man nur 0,2 ccm zu injizieren, um dem
Patienten die Heildosis von 0,1 ccm Ol. Terebinth. beizubringen. Ich
halte diese Dosis — zumal bei intravenöser Injektion — für ge¬
nügend zur Entfaltung eines Heileffektes, ohne sagen zu wollen,
daß nicht auch größere Dosen verwandt werden können, z. B.
0,15—0,2. Jedenfalls bin ich bis jetzt nicht über die Dosis 0,1
— also 0,2 der Emulsion — hinausgegangen.
Die Technik gestaltet sich sehr einfach und ist für den in
intravenösen Injektionen Geübten sehr leicht. Zu 1 ccm zuverlässig
rektifizierten Terpentinöls wird 1 ccm Caseosan (Heyden) hinzu¬
gefügt, das ich mit einer sterilen Spritze der Ampulle ent¬
nehme. Die Mischung wird einige Minuten kräftig geschüttelt, sie
bekommt ein milchiges Aussehen. Von dieser Mischung (kurze Be¬
nennung: Terposan) ziehe ich mit steriler, nicht zu feiner Nadel
in eine sterile Glasspritze (ich verwende, nur Liebergsche Spritzen)
2 Teilstriche auf und entferne in bekannter Weise eine etwa vor¬
handene Luftblase. Nach Einstich in die gestaute Vene wird etwa
1—1,5 ccm Blut angesaugt und dann die Terposan-Blutmischung
langsam, Tropfen um Tropfen, injiziert 1 ). Die Injektion ist schmerzlos.
Schon nach etwa einer Minute empfindet der Patient einen deut¬
lichen Terpentingeschmack im Munde, auch ein Reizgefühl in der
Trachea, in die verflüchtigtes Terpentin aus der Lunge aufsteigt.
Dieser Reiz gibt bei dem Patienten in manchen Fällen Anlaß zum
Husten. Man muß den Patienten vorher auf diesen Terpentin¬
geschmack und den entstehenden Reiz aufmerksam machen und ihm
raten, den Hustenreiz möglichst zu unterdrücken, dann geht es mit
einigen kurzen Hustenstößen ab. Bei schon bestehendem Erkältungs¬
katarrh kann der Husten heftiger sein und sich bis zum Krampf-
husten steigern. Zur Vermeidung dieser Unannehmlichkeit injiziert
man bei Erkältungskatarrhen besser nicht. Ich war im Zweifel, ob
der Hustenreiz durch aufsteigendes flüchtiges Terpentin entstünde
oder ob er doch etwa durch — zwar ungefährliche — Embolien
zustandekäme. Ein junger, mir bei meinen Versuchen assistierender
Kollege, dem ich 0,2 ccm Terposan injizierte, gab an, daß er deut¬
lich das Gefühl habe, daß der Hustenreiz vom aufsteigenden Terpentin
herrühre, von Atembeschwerden verspüre er nichts. Der sichere
Beweis, daß der Hustenreiz auf die genannte Weise zustandekommt,
kann auf folgende Weise geführt werden. Injiziert man einem
Patienten 0,2 Olivenölemulsion, die genau bereitet ist, wie oben an¬
gegeben wurde, dann tritt Hustenreiz nicht ein. Es wird aber ein
öliger Oeschmack empfunden — ein Beweis, daß die Emulsion bereits
die Lungenkapillaren passiert hat und in den großen Kreislauf ein¬
getreten ist. So wird auch der Terpentingeschmack ^nicht durch
flüchtiges, in dem Atmungsrohr aufsteigendes Terpentin Zustande¬
kommen, sondern durch die bereits im großen Kreislauf kreisende
Substanz. — Nach etwa einer Viertelstunde zeigt der Harn den
charakteristischen Veilchengeruch. Ich habe bei mehreren hundert
Injektionen ein vereinzeltes Mal eine Spur Eiweiß gefunden, das
aber nach 24 Stunden wieder schwand, Die nach der angegebenen
Technik ausgeführten Injektionen sind einfach und sicher unge¬
fährlich.
Da ich hier nur die Technik der intravenösen Terpentininjektionen
beschreiben will, so unterlasse ich es, auf die Indikationen und
Kontraindikationen einzugehen. Sie sind selbstverständlich in allen
Fällen gültig, in denen auch die auf das Periost ausgeführten In¬
jektionen in Frage kommen. Auch die Darlegung* der Wirkung der
intravenösen Injektionen muß ich mir wegen Raummangels versagen.
Ich will nur sagen, daß sie deutlicher und prägnanter ist als bei der
bis jetzt geübten Applikation.
>) In der letzten Zeit habe ich — nach Aufsaugen des Blutes — den Spritzen¬
konus aus der Nadel entfernt und - nach Verschluß desselben mit der Fingerkuppe -
den Spritzeninhalt gründlich geschüttelt und ihn dann in die noch steckende Nadel
langsam injiziert.
Digitized b'
Google
Original from
CORNELL UNfVERSITY
17. März 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
357
Genau in derselben Weise habe ich das Kampferöl für die intra¬
venöse Injektion präpariert. Verwendet man Oleum camphoratum
fortius, also 20°/oiges Kampferöl, dann braucht mau — benufs Ein¬
verleibung der intravenös sicher genügend wirksamen Dosis von
0,05 Kampfer — nur 0,25 des Oels, also 0,5 ccm der Emulsion (kurz
benannt: Camphosan), zu injizieren. Auch diese Injektionen wer¬
den ohne Störung vertragen. Es mag möglich und statthaft sein,
größere Kampferdosen intravenös auf einmal zu geben, ich halte
aber die Dosis von 0,05 für durchaus genügend zur Entfaltung einer
vollen Wirkung, größere Dosen für nicht ungefährlich. Besser ist
es, die angegebene Dosis häufiger zu wiederholen, als durch größere
Dosen einen schädigenden Erregungszustand zu bewirken.
Ekzema seborrhoicum und Psoriasis.
Von Dr. Hubert Sieben in Bürstadt (Hessen).
Das seborrhoische Ekzem wurde im Jahr 1887 von Unna zuerst
beschrieben. Ueber den Zusammenhang desselben mit der Psoriasis
ist schon mehrfach berichtet worden. Man hat auf eine gleiche
Aetiologie geschlossen, weil auf den typischen Stellen von Ekzema
seborrhoicum manchmal charakteristische psoriatische Effloreszenzen
entstehen. Unna ist der Ansicht, daß die Psoriasis und das sebor¬
rhoische Ekzem gewissermaßen zwei verschiedene Zweige einer Er¬
krankungsart seien, während Ri ecke annimmt, daß die Seborrhoe
oder das seborrhoische Ekzem den lokalen Ausbruch der Psoriasis
bei Psoriatikem ebenso provoziere, wie es Syphilide bei Syphilitikern
provoziert, die ja auch an seborrhoischen Stellen gehäuft auftreten.
Auch zwischen anderen Hautkrankheiten und der Psoriasis sind
schon wiederholt Uebergänge beobachtet worden, so z. B. zwischen
Lichen ruber und Psoriasis, ferner wurden Fälle gesehen, bei denen
Ausbrüche von Psoriasis und solche von Pusteln abwechselten und
ineinander übergingen. Die letztere Tatsache führte dazu, daß
Hammer 1 ) neuerdings wieder es als naheliegend betrachtet, die
Psoriasis überhaupt als Pyodermie anzusehen. Die Psoriasis wurde
von jeher von den Histologen als eine Parakeratose aus unbekannten
Ursachen und die entzündlichen Veränderungen im Korium als
Folgeerscheinungen betrachtet. In den letzten zwei Jahrzehnten hat
sich die Aufmerksamkeit nach und nach mehr .den entzündlichen
Erscheinungen zugewendet. Hammer gibt dann weiter an, daß
diese 1913 von Haslund als Hauptbefund und Ausgangspunkt der
Erkrankung bezeichnet worden seien und daß es sich dabei geradezu
um Mikroabszesse im Epithel handle, die infolge der früh ein¬
tretenden Parakeratose nicht zur Entwicklung kämen, sondern rasch
eintrockneten. Einen weiteren Beweis hierfür erblickt Hammer in
der Tatsache, daß man fast bei jeder Psoriasis den gelegentlichen
Uebergang kleiner abortiver epithelialer Eiterherde in höhere Ent-
wicklungslormen beobachten kann. Samberger glaubt nun an
eine besondere Anomalie des Epithels der Psoriatiker, mit Para¬
keratose zu antworten, es fehle der normale Widerstand und Gegen¬
druck des Epithels, der zur Pustelbildung vorausgesetzt werden
muß; es handele sich hier wohl um eine angeborene Anomalie.
Ob diese Anomalie auch erworben werden kann, wäre noch zu ent¬
scheiden. Hammer sieht also die Psoriasis wegen der Beziehung
zu andern entzündlichen Prozessen der Haut ms eine besondere
Form der Gewebsreaktion auf pyogene Infektion an, trotzdem der*
Beweis dafür noch nicht unbedingt erbracht ist.
Der bekannte Einfluß von Traumen auf die Verteilung der.
Psoriasis wurde von Small*) während des Kriegs in verstärktem
Grad bei den Truppen in Frankreich beobachtet, und zwar in Form
von zunächst an Schuß- und andere Wunden sich anschließenden,
dann von allgemeinen Eruptionen gefolgten Effloreszenzen, oder als
Aufpfropfung auf andere Hautkrankheiten (Skabies, Impetigo, Se¬
borrhoe). Die Aehnlichkeit der Verteilung der Läsionen in ge¬
wissen Fällen von Seborrhoe und Psoriasis, die zu der Ansicht
führte, daß beide Erkrankungen nur verschiedene Erscheinungs¬
formen derselben pathologischen Einheit wären, wird nach Small
ungezwungen durch die Beeinflussung der Verteilung der Psoriasis-
effloreszenzen durch eine schon vorher bestehende Seborrhoe erklärt.
Ich möchte nun glauben, daß diese letztere Ansicht, die sich
mit der Anschauung Rieckes ungefähr deckt, doch nicht die rich¬
tige ist, sondern daß die Auffassung Unnas, daß nämlich Psoriasis
und Ekzema seborrhoicum gewissermaßen zwei verschiedene Zweige
einer Erkrankungsart sind, zutrifft. Besonders klar wird diese Deu¬
tung durch den nachstehend beschriebenen Fall illustriert, der von
diesem Gesichtspunkt aus interessant ist, weshalb seine Schilderung
hier als gerechtfertigt erscheinen dürfte.
E. K., 30 Jahre alt, Kaufmamisehefrau, kam im März 1921 in
meine Behandlung. Ein großer Teil der behaarten linken Kopfhälfte
war diffus gerötet und größtenteils mit zahllosen, winzigen, weißen
Schüppchen bedeckt. Abgelöste Schuppenpartikelchen saßen vielfach
locker an den Haarschäften. Es handelte sich also um eine trockene,
kleienförmige und kleinlamellöse Abschuppung. Nirgends fanden sich
festhaftende Schuppenauflagerungen, die an eine Psoriasis hätten
denken lassen. Die Affektion hatte in einer Ausdehnung von etwa
15 cm um 3 —4 cm die Stirnhaargrenze überschritten und war von
erheblichem Jucken begleitet. Am übrigen Körper zeigten sich sonst
M p Hamm er, 86. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte, Nauheim 1920.
*) Small, Edinburg 1921,26, Nr. 1. (Literarischer Bericht der Derm. W. 1921 Nr.26.)
keinerlei Hautaffektionen. Behandlung zunächst mit indifferenter
Salbe. Nach mehreren Tagen zeigte sich auf der seither gesunden
Haut der Stirn eine Anzahl runder Effloreszenzen von gelbrosa Farbe
von Linsen- bis Pfennigstückgröße, ziemlich scharf begrenzt, der
Rand fein gezackt. Auf den meisten dieser Stellen waren deutliche
kleinlamellöse Schüppchen zu sehen, jedoch in so geringer Anzahl
und Dichte, daß sie den Farbenton nicht störten; auf anderen Stellen*
schien die Schuppung erst im Entstehen zu sein. An der Diagnose
seborrhoisches Ekzem konnte demnach jetzt kein Zweifel mehr be¬
stehen. Auch jetzt war die Haut des übrigen Körpers noch voll¬
kommen frei - von irgendeiner Hautaffektion. Es wurde nun eine
Behandlung mit Schwefelvaseline eingeleitet, und nach kurzer Zeit
war die Krankheit gebessert. Außerdem hatte die Patientin aber
jetzt an der Streckseite des linken Ellbogengelenks eine etwa pfennig¬
stückgroße Stelle, die mit festen, großen, asbestglänzenden, wei߬
lichen Schuppen bedeckt war, umgeben von einer schmalen, hyper-
ämischen, schuppenfreien Zone. Nach Entfernung der Schuppen zeigte
sich die für Psoriasis charakteristische Kapillarblutung. Genau die
gleiche Effloreszenz zeigte sich auch an der Streckseite des rechten
tllbogengelenks, außerdem noch zwei kleinere von derselben Be¬
schaffenheit, von etwa Linsengröße. Die übrige Haut war normal
und blieb es auch im weiteren Verlauf. Anamnestisch wäre noch
zu erwähnen, daß Patientin vorher niemals eine derartige Haut¬
krankheit hatte. Die psoriatischen Stellen wurden mit Teer, das
seborrhoische Ekzem weiter mit Schwefelvaseline behandelt, As.
innerlich. Nach einiger Zeit war alles abgeheilt. Bis jetzt rezidivfrei.
Wir haben es also hier mit einer Psoriasis der Arme zu tun
bei gleichzeitigem Bestehen eines seborrhoischen Ekzems des Kopfes.
Es kann keine Rede davon sein, daß etwa die Streckseiten der Ell¬
bogengelenke vor Ausbruch der Psoriasis seborrhoisch erkrankt ge¬
wesen wären. — Es ist nun nicht zu bestreiten, daß ein Psoriatiker
auch an einer zweiten, davon ganz verschiedenen Hautkrankheit er¬
kranken kann; immerhin ist es aber näherliegend, diese beiden
Erkrankungsformen als ätiologisch gemeinsam aufzufassen, da ihr
gleichzeitiges Vorkommen nicht zu den Seltenheiten gehört. Was
aber diesen Fall, wie ich glaube, besonders interessant macht, ist
eben die Tatsache, daß die Psoriasis nicht etwa auf einer vorher
schon bestehenden entzündlichen Hautaffektion als Aufpfropfung
manifest wurde, sondern auf Stellen, die sicher vorher vollkommen
gesund waren.
Die oben erwähnte Ansicht Unnas über den Zusammenhang
der Psoriasis mit dem seborrhoischen Ekzem dürfte daher durch
solche Fälle, wie der beschriebene, neue Stützpunkte gewinnen.
Zur Frage der Kupferung von Pneumokokkeninfektionen
durch Optochin.
Von Prof. Dr. Kaminer in Berlin.
Die interessanten Ergebnisse von Heinr. Walter, Bacmei-
ster, Rosin, Minekowski u. a. bezüglich der Kupierung von
Pneumokokkeninfektionen durch das Morgenrothsche Optochin ver¬
anlassen mich, die Kurve eines Falles von Blinddarmempyem zu
veröffentlichen, bei
welchem am 3. Tage * L
nach der Operation eine UQ39
Bronchopneumonie mit
Pneumokokken im Spu- 110 39
tum entstand.
Durch einen glück- gg 37
liehen Zufall konnte das
Optochin (3xtgl. 0,25) 7n
sofort nach dem Ein! 70 36
setzen des ersten Schüt¬
telfrostes verabreicht 50 35
werden. Ohne aus dem
Verlauf dieses einen Falles irgendwelche Schlüsse ziehen zu wollen,
halte ich ihn doch für so eigenartig, daß ich in ähnlichen Fällen das
Optochin sofort verabreichen werde, und rate auch die Anwendung
durch andere an.
Harnretentionea ohne nachweisbare Ursachen.
Von J. J. Stutzln in Berlin.
Guvon hat das Wort geprägt: „Prostatisme sans Prostate.“ Er
wollte damit einen Krankheitszustand charakterisieren, der die Haupt¬
merkmale des Prostatismus aufweist, ohne aber dessen pathologisch¬
anatomische Ursachen — die Prostataveränderungen — zu besitzen.
Der Ausdruck ist geistreich, klingt gut und ist falsch. Alle
männlichen Individuen naben eine Prostata und Prostatiker sind
Leute, die an und durch ihre Prostata krank sind, haben also
eine Prostata, und zwar eine kranke.
Das ausschlaggebende Moment für den Prostatismus ist die Harn¬
retention, das heißt, der in der Blase sich ansammelnde Restharn
als Folge der Unfähigkeit des Kranken, den Inhalt der Harnblase
vollständig zu entleeren. Sie ist* der Ausgangspunkt des ganzen, ohne
Abhilfe zu schlechtem Ende führenden Prozesses — der Zystopyelitis
Difitized b 1
Google
Original from
CORNELL UNfVERSITY
358
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
und Pyelonephritis, der urinoffenen Infektion und Intoxikation. Die
Hamretention als solche ist aber nicht das Symptom der Prostata«
hypeitrophie, sondern das des Miktionshindernisses im allgemeinen.
Trifft man daher bei Leuten im „prostatischen Alter“ eine Harn¬
retention und deren Folgewirkungen an, ohne an der Prostata selbst
Veränderungen nachweisen zu können, so ist man wohl berechtigt,
von einer Hamreteution ohne nachweisbare Ursache zu sprechen,
nicht aber von prostatalosen Prostatikern. — Von dieser Gruppe
der Harnretention müssen wir zunächst die nervösen abzweigen,
sowohl die nervös-organische als auch die nervös-funktionelle. Be¬
ginnende myelitische oder zerebrale Veränderungen (Tabes incipiens,
Wirbelsäulentuberkulose, Paralyse) können sich vorzugsweise in Mik¬
tionsstörungen kundtun, ohne zunächst andere Merkmale ihres wahren
Ursprungs zu zeigen. Eine gründliche, namentlich neurologisch-fadi-
ärztliche Untersuchung wird in der Regel weitere Anhaltspunkte und
damit die richtige Spur finden. Ich möchte dabei hervorheben, daß
gröbere Veränderungen, wie etwa Störungen des Patellar- und des
Achillessehnenreflexes, die Phänomene von Oppenheim, Goldon
und Babinski häufig fehlen. Wichtiger ist für beginnende Prozesse
die Beachtung der Sensibilitätsstörungen (Reithosenanästhesien). Man
darf ferner die disseminierten Herde der syphilitischen Erkrankung
jeden Stadiums nicht vergessen, die ebensogut das Gehirn, wie das
Rückenmark, wie die Gegend der terminalen Zentren der Blasen¬
innervation treffen können, ohne sichtbare Haut- und Schleimhaut¬
veränderungen aufzuweisen.
Die funktionelle Neurose kann sich ebenfalls zunächst nur in
Veränderungen der Miktionsfunktion darstellen (Pollakis-, Poly-Dys-
urie, sowie Harnretention bis zur vollständigen Verhaltung). Audi
hier werden sich in der Regel anderweitige neurotische Symptome
auffinden lassen, die den Zusammenhang mit der Blasenerkrankung
herstellen.
Daß man, ehe man sich zur Behelfsdiagnose Hamretention ohne
nachweisbare Ursache entschließt, auch das ganze Arsenal der un¬
logischen Hilfsmittel heranziehen wird, ist selbstverständlich. Hier¬
bei sei neben der bekannten Zysto- und Endoskopie vor allem der,
besonders von Zuckerkandl ausgearbeiteten Zystographie gedacht.
Die Füllung der Blase mit einem Kontrastmittel, am besten und
billigsten mit einer 25<>/oigen Bromnatriumlösung, ergibt durch Ver¬
änderungen des Blasenschattens häufig noch positive Prostatabefunde
in den Fällen, in denen uns der Blasenspiegel im Stich läßt. Es
bleiben aber trotz sorgfältigster Untersuchung noch Fälle von Harn¬
retentionen zurück, für die eine Ursache nicht nachzuweisen ist.
Auch hier möchte ich nun betonen, daß die Harnretention als
solche nicht immer konstant zu sein braucht, sie kann in beginnen¬
den Fällen nur periodenweise vorhanden sein, so beispielsweise
häufiger nadits als bei Tage. Ferner kann die durch die Ham-
stauung verursachte Entzündung der Schleimhaut zur echten Kon¬
traktion der Blasenwand führen und damit zu einer vorübergehenden
Ausstoßung des zurückgebliebenen Blaseninhalts. In diesem Sinne
wirkt die Zystitis als Selbstheilung, allerdings nur vorübergehend.
Es sind verschiedene Erklärungen für die Retention ohne nachweis¬
bare Ursachen gegeben worden. (Die Prostataatrophie, Verände¬
rungen narbiger Art am Sphincter internus und beginnende Krebs-
bildung in der Prostata; letztere Auffassung wird vertreten von
i . M. Bartrina, Revista Espaßola de Mediana y Cirugia, Oktober¬
eft 1921.)
Die Annahme der Prostataatrophie wird jetzt vielfach bekämpft,
weil sich keine sicheren pathologisch-anatomischen Unterlagen für
diese Diagnose gefunden haben. Tatsächlich haben auch die auf der
Annahme einer Prostataatrophie aufgebauten therapeutischen Indi¬
kationen — die Entfernung der angeblich atrophierten Drüse —
keine eindeutigen Erfolge ergeben. Ich selbst habe bei zwei der¬
artigen Prostataexstirpationen nach einer anfänglichen Besserung
(offenbar herrührend von der Erweiterung des Orificium intemum
vesicae) dieselben Zustände wie vorher eintreten sehen.
Veränderungen am Blasenhals, die zu Miktionshindernissen sich
ausgestalten können, gibt es mehrere. Solche aber von vornherein als
Verlegenheitsdiagnose anzunehmen und daraufhin operative Anzeigen
aufzustellen (Sprengung des Blasenhalses mit dem Finger, keilförmige
Exzision am unteren Teil der Blasenöffnung), halte ich nicht für be¬
rechtigt. — Die von Bartrina (Barcelona) aufgestellte Hypothese
der Krebsnester erscheint mir ebensowenig genügend begründet.
Bartrina behauptet, daß es sich in den meisten Fällen um so
minimale Herde handelt, daß sie sogar bei der histologischen Serien¬
untersuchung nicht entdeckt werden. Selbst wenn man das Bestehen
von Herden wirklich zugibt, ist es nicht recht verständlich, warum
sie zu Miktionsstörungen und zu neuralgiformen Schmerzen führen
sollen. Solche Erscheinungen pflegen ja doch nur aufzutreten, wenn
der Krebsherd in das umgebende Bindegewebe eingebrochen ist
und die nervösen Teile ergriffen hat, kurzum, wenn der Krebs
seinen infiltrierenden Charakter bereits kundgetan hat.
Ich neige zu der Ansicht, daß den Harnretentionen ohne nach¬
weisbare Ursache neurogene Momente zugrundeliegen, und zwar in
dem Sinne, daß die Störung in der Funktion der Blasenmuskulatur
das erste und lange Zeit das einzige Symptom der sich vorbereiten¬
den medullären oder zerebralen Erkrankung sein kann. Ich stütze
mich hierbei auf verschiedene Fälle von Harnretentionen ohne nach¬
weisbare Ursache, bei denen das nervöse Agens erst viel später
diagnostiziert werden konnte. Ich möchte hier einen besonders
augenfälligen Fall kurz erwähnen: H. Sch., 58 Jahre alt, erkrankt an
Hamretention, die mit der Zeit zu einer vollständigen wird. Prostata
Nr. 11
rektal-zystoskopisch stark vergrößert. Neurologisdierseits werden
keine Anzeichen für eine neurogene Erkrankung Testgestellt. Prostat¬
ektomie. Unkomplizierte Wundheilung. Erfolg vollständig negativ.
Der Kranke muß weiterhin genau so katheterisiert werden wie vor
der Operation. 6 Monate nachher treten Par- und Anästhesien, ins¬
besondere Reithosenanästhesien auf. Der Fall entpuppt sich als eine
beginnende Tabes.
Ich möchte keinesfalls in dieser nur auf klinischer Erfahrung
fußenden Erklärung die Ursache für alle bisher nicht geklärten
Hamretentionen gefunden haben. Ich möchte meine Ansidit nur für
eine Reihe von Fällen gelten lassen und insbesondere dagegen Stel¬
lung nehmen, daß alle Harnretentionen ohne nachweisbare Ursache
als prostatalose Prostatiker diagnostiziert werden, eine Diagnose, die
meines Erachtens unberechtigterweise zu polypragmatischen Ein¬
griffen führt
Experimenteller Beweis für die Hypnotisierbarkeit
gegen den Willen.
Von Dr. Costa in Hamburg.
Die Hypnose mit dem Einverständnis des Patienten gelingt fast
immer und ist eine Voraussetzung jeder therapeutischen Hypnose.
Man kann auch ohne den Willen des Patienten, aber sehr seiten
wider den Willen hypnotisieren. Heydenheim konnte eine Reihe
von Soldaten hypnotisieren, denen von ihren Vorgesetzten das Ein¬
schlafen verboten war.
Mir ist es gelungen, meinen Bruder S. C., 27 Jahre alt, in den
tiefen hypnotischen Schlaf mit Amnesie wider seinen Willen zu
versetzen. Er ließ sich hypnotisieren, jedoch mit der Absicht, sich nur
scheinbar einschläfern zu lassen, um mich im gegebenen Momente
zu desavouieren. Von dieser Absicht, die er anderen Familienmit¬
gliedern mitteilte, wußte ich gar nichts. Ich begann mit einer Unter¬
suchung in stehender, dann in liegender Lage, in Anwesenheit
meines Schwagers und überging bald zur Verbalsuggestion. Auf
seine Frage: „Hypnotisierst du mich schon?“ antwortete ich: „Ich
werde dir den Moment bekanntgeben.“ Dadurch verschaffte ich mir
zur äußeren Ruhe auch die innere, eine Vorbedingung jeder Hypnose.
Als ich die Symptome der tiefen Hypnose bemerkte, ließ ich die
Damen, seine Frau und unsere Schwester, aus dem Eßzimmer holen
und zeigte ihnen die vorhandene Starre. In dem Moment begann
meine Schwester herzlich zu lachen. Das Signal war gegeben —
aber der Patient lachte nicht. Die Damen merkten, daß der Patient
schläft. Die List ist nicht gelungen. Ich wußte noch immer nicht,
was das Lachen bedeuten sollte, habe sofort die Ruhe im Zimmer
hergestellt, und da der Hypnotisierte ein Nägelkauer war, überging
ich zu therapeutischen Maßnahmen: ich habe ihm die entsprechende
Suggestion gegeben und von dieser üblen Gewohnheit (psycbopatho-
logischer Natur) befreit. Der posthypnotische Befehl, an den Nägeln
nicht mehr zu kauen, wurde für diesen und die nächsten Tage
verwirklicht. Als die Hypnose zu Ende und er wach gerufen
wurde, zeigte sich bei ihm eine innerliche Unruhe, er wurde auf¬
geregt und weinerlich und sagte in fragendem Tone: „Ich habe
also wirklich geschlafen?“ Von den Experimenten und therapeuti¬
schen Maßnahmen wußte er gar nichts. Er erzählte mir jetzt von
seiner Absicht, mich auszulachen, die er mit meiner Schwester vor¬
her verabredet hatte.
Das Gelingen der Hypnose wider den Willen führe ich zu¬
rück auf mein U n w i s s e n von den Absichten des Patienten und daher
auf meine starke Konzentration, den Hypnoseversuch durchzusetzen.
Propylalkohol als Desinfektionsmittel.
Von Priv.-Doz. Johanne Christiansen in Kopenhagen.
Im Zusammenhang mit der Mitteilung von Dr.G. Bernhardt in
Nr. 2 kann es vielleicht interessieren, daß n - Propylalkohol schon
4 Jahre auf meine Initiative in Dänemark gebraucht wird, nicht nur
zur Händedesinfektion, sondern auch als Mittel gegen verschiedene
Hautkrankheiten.
Aus meiner Abhandlung vom Jahre 1918: „Zur Theorie und Praxis
der Alkoholdesinfektion“ (Zschr. f. phys. Chemie Bd. 102 S. 275) geht
hervor, daß die bekannten eigentümlichen Alkoholdesinfektionskurven
durch Oberflächenspannung und Hydratbildung der Alkohole bedingt
sind. (Propylalkohol bildet mit 8 Mol. Wasser ein Hydrat, Aethylalkohol
mit 4 Mol.) Bei Hautversuchen wurde gefunden, daß Propylalkohol
allen anderen untersuchten Desinfektionsmitteln für die Haut vor¬
zuziehen war, weil er hohes Desinfektionsvermögen mit völliger
Unschädlichkeit selbst bei jahrelangem Verwenden verband.
Die Resultate der praktischen Versuche, namentlich auf der hie¬
sigen Universitätsklinik für Hautkrankheiten (Prof. C. Rasch) wur¬
den in Ugeskrift for Lseger, Oktober 1921 publiziert:
Pinselungen mit 35—50%igem Propylalkohol haben namentlich
bei Acne fariei und bei verschiedenen Haarkrankheiten gute Wirkung.
Umschläge mit 10—20<>/oigem Propylalkohol sind bei bakteriellen
Ekzemen öfters von guter Wirkung.
Propylalkohöl verdient in jeder Beziehung als Desinfektions¬
mittel Aethylalkohol zu ersetzen, was schon theoretisch ganz ein¬
leuchtend ist.
Digitized b'
Google
Original from
CORNELL UNiVERSSTV
H.M&rz 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
359
Psychiatrische Ratschläge für den Praktiken
Von Prof. R. Henneberf in Berlin.
I. *
Progressive Paralyse.
Die Dementia paralytica ist wenigstens in gewissen Schichten der
Großstadtbevölkerung eine so häufige Erkrankung, daß der praktische
Arzt jederzeit damit rechnen muß, ihr zu begegnen. Heller hat kürz¬
lich, allerdings auf Grund einer nicht ganz einwandfreien Methode,
ermittelt, daß 6,5o/ 0 der Todesfälle nach dem 40. Lebensjahr bei wohl¬
situierten jüdischen Männern auf Rechnung der Paralyse zu setzen
ist. Nach Bla sch ko sterben 4,2<yo Männer an Paralyse (10% der
Syphilitiker). Derartig hohe Ziffern kommen allerdings wohl ledig-
licn für die großstädtische Bevölkerung In Betracht.
Die vollentwickelte, typische Paralyse bietet trotz Mannigfaltig¬
keit der psychischen und somatischen Syndrome ein so wohl diarak-
terisiertes Krankheitsbild, daß die Diagnose keinerlei Schwierig¬
keiten bietet. Der Kundige erkennt den Paralytiker oft bereits beim
Eintreten in das Sprechzimmer am Gesichtsausdruck, Haltung, Be¬
nehmen und Klang der Sprache. Die Diagnose der initialen, atypischen
und komplizierten Fälle kann dagegen sehr schwierig sein und ist
Sache des Facharztes. . Wichtig ist jedoch, daß der praktische Arzt
überhaupt die Möglichkeit, daß eine initiale Paralyse vorliegt, in
Rechnung zieht und demgemäß handelt. In jedem Falle von psychi¬
scher und zerebraler Störung bei einem Manne im mittleren Lebens¬
alter muß die Frage, ob nicht eine Paralyse zugrundeliegt, auf¬
geworfen und entschieden werden.
Die Paralyse beginnt meist zwischen dem 35. und 50. Lebensjahr.
Der Beginn ist meist schleichend, selten scheinbar plötzlich. Im
Vordergrund stehen die Anzeichen geistigen Verfalles: Urteils¬
schwäche, Gedächtnisschwäche und ethischer Defekt. Dazu kom¬
men Affektschwankungen: (häufig hypochondrisch gefärbte) Depres¬
sionszustände oder manische Erregung mit den typischen schwach¬
sinnigen Größenideen, seltener paranoide, halluzinatorische und deli-
riöse Zustandsbilder. Epileptiforme und apoplektiforme Anfälle sind
ziemlich häufig; nicht selten beginnt scheinbar die Erkrankung mit
solchen. Bieten diese Syndrome bereits für den Fachneurologen viel
Charakteristisches, so ist doch für die Sicherstellung der Diagnose
der somatische Befund ausschlaggebend. Am wichtigsten und
häufigsten sind folgende Symptome: mangelhafte oder aufgehobene
Lichtreaktion der Pupillen (nur in einem kleinen Teil der Fälle
bleibt die Lichtreaktion der Pupillen bis an das Lebensende er¬
halten), Pupillendifferenz, Miosis, Mydriasis, Entrundung der Pu-
illen, Sehnervenatrophie, die charakteristische Sprachstörung: das
ilbenstolpern, Steigerung der Mundreflexe, grobe Zungenunruhe,
Fazialisparese, Steigerung der Sehnen- und Periostreflexe, Symptome
einer mehr oder weniger weit entwickelten Tabes. Das am meisten
auffällige und charakteristische Symptom bildet das Silbenstolpern,
es kommt bei anderen Hirnerkrankungen kaum vor, am ehesten noch
bei weitgehend zurückgebildeter motorischer Aphasie und chronischer
Veronalvergiftung. Eine weitere wesentliche Stütze erhält die Dia¬
gnose durch den anamnestischen und serologischen Nachweis, daß
eine syphilitische Infektion stattgefunden hat. Auffallend oft wird
allerdings die Syphilis von dem Kranken in Abrede gestellt. Teils ist
dies darauf zurückzuführen, daß die anfänglichen Erscheinungen der
Syphilis sehr geringe waren und übersehen wurden, teils darauf, daß
der Paralytiker infolge bereits vorhandener Gedächtnisschwäche sich
nicht mehr an die weit zurückliegende Ansteckung erinnert. Die Blut¬
untersuchung nach Wassermann gibt in der Regel (etwa in 80%)
ein positives Resultat, das Gleiche gilt von dem Liquor. Es findet
sich ferner N o n n e s Phase I positiv, Lymphozytose und positive Qold-
solkurve. Mit absoluter Sicherheit beweist der positive Ausfall der
„vier Reaktionen“ das Vorliegen einer Paralyse nicht, der negative
Ausfall spricht aber mit fast an Sicherheit grenzender Wahrscheinlich¬
keit gegen Paralyse. Der Liquor reagiert in etwa 4o/ 0 der Fälle
(P laut) negativ, positiver Liquor bei negativer Blutreaktion wird
gelegentlich beobachtet. Spricht der psychische, somatische und sero¬
logische Befund für Paralyse, so ist kaum ein Zweifel an der Dia¬
gnose mehr möglich.
Durch die Einführung der Serodiagnostik ist die Erkennung
der initialen Paralyse wesentlich erleichtert worden, dennoch sind
Fehldiagnosen sehr wohl möglich und kommen nicht so selten vor.
Am häufigsten ist die Fehldiagnose: nervöse Erschöpfung bzw. Neur¬
asthenie. Daß Paralyse im neurasthenischen Stadium vorliegt, er¬
kennt man meist auf Grund des Allgemeineindruckes. Die Stellung¬
nahme des Paralytikers zu den Krankheitserscheinungen ist anders
f eartet als die des Neurasthenikers. Die Selbstbeobachtung und
elbstkritik ist schlecht, die Herabsetzung der Merkfähigkeit ist wirk¬
lich; eigentliche erschöpfende Momente sind in der Regel gar nicht
vorausgegangen, eine nervöse Konstitution lag früher oft nicht vor,
Ruhe führt zu keiner Besserung des Zustandes, Schriftstücke zeigen
oft bereits charakteristische Mängel.
Alle Psychosen, die im mittleren Lebensalter, besonders beim
Manne, zum erstenmal in Erscheinung treten (manische, melancho¬
lische, stuporöse, paranoide Zustandsbilder) müssen den Verdacht aut
Para/yse wachrufen. In der Regel kann man auf Grund von soma¬
tischen Symptomen und nachweisbarer Urteils- und Gedächtnis¬
schwäche die Diagnose auf Paralyse stellen. Die Ausschreitungen
hypomanischer Paralytiker sind meist wesentlich gröberer Art als
die bei einem rein manischen. Ein früher einwandfreier Herr bringt
zum Beispiel nachts eine Prostituierte in seine Wohnung und verlangt
von seiner Frau, daß sie für dieselbe Kaffee koche. Die hypochon¬
drischen Ideen depressiver Paralytiker sind oft auffallend absurd.
Bei paranoiden Paralytikern vermißt man eine den Wahnideen adä¬
quate Affektlage. Kranke mit katatonen Syndromen sind in der Regel
weniger unbeeinflußbar als echte Katatoniker. Erst im mittleren
Lebensalter ohne besonderen Anlaß auftretende Epilepsie muß den
Verdacht, daß es sich um beginnende Paralyse handelt, wachrufen,
das Gleiche gilt von Schlaganfällen mit flüchtigen hemiplegischen und
aphasischen Erscheinungen, wenn Quellen einer Embolie, Arterio¬
sklerose, Nephritis nicht nachweisbar sind. Sehr schwierig kann auch
unter Umständen die Abgrenzung der Paralyse gegenüber anderen Him¬
erkrankungen, wie multiple Sklerose, Pachymeningitis haemorrhagica,
Tumor, Enzephalomalazie, diffuse Gehirnärteriosklerose usw. sein, wenn
gleichzeitig Syphilis vorliegt. Die Beurteilung muß in solchen Fällen
dem Facharzt überlassen werden. Bei schwerem chronischen Alkoho¬
lismus wird, wenn auch selten, Pupillenstarre beobachtet. Besteht
gleichzeitig ein starker intellektueller und ethischer Defekt, so kann
das Krankheitsbild sehr an Paralyse erinnern. Besondere Schwierig¬
keit macht auch zur Zeit noch nicht so selten die Unterscheidung der
Himsyphilis, besonders der als syphilitische Pseudoparalyse bezeich-
neteu Form derselben, von der Paralyse. Andauernde Herdsymptome,
wie z. B. Augenmuskellähmung, Fehlen der typischen Sprachstörung,
weniger tiefgreifende Veränderung der Persönlichkeit, Erhaltenbleiben
der Krankheitseinsicht, sprechen für Hirnsyphilis und gegen Paralyse.
Die vier Reaktionen können die Diagnose nicht immer entscheiden,
wenn auch in der Regel die Wa.R. im Liquor bei Himsyphilis negativ
ausfällt, was bei Paralyse sehr selten ist. Hingewiesen sei noch
darauf, daß eine psychische Störung bei Tabes keineswegs immer ein
Hinzutreten einer Paralyse (Taboparalyse) bedeutet. Bei juveniler
Paralyse wird das Anfangsstadium oft übersehen, besonders dann,
wenn es sich um von Geburt an psychisch-minderwertige Kinder han¬
delt. Völliges Versagen in der Schule, Verschlechterung der Hand¬
schrift, Zittern, epileptoide Zufälle werden selten vermißt. Bei einer
so häufigen Erkrankung wie die Paralyse kommen naturgemäß allerlei
Kombinationen mit anderen organischen und funktionellen Nerven¬
erkrankungen (z. B. Schizophrenie und Paralyse, Tumor und Para¬
lyse) vor. Die Aufklärung solcher Fälle liegt manchmal außerhalb
der Möglichkeit. In allen diesen Fällen bleibt die Beurteilung dem
Facharzt Vorbehalten, wichtig ist jedoch, daß der zu Rate gezogene
praktische Arzt an die in Frage kommenden Möglichkeiten recht¬
zeitig denkt und das Weitere zur Sicherstellung der Diagnose ver¬
anlaßt.
Der Stand der Therapie der Paralyse ist auch zur Zeit noch
durchaus unbefriedigend. Theoretisch ist die Paralyse eine unheil¬
bare Krankheit. Wenn wir das Leiden erkennen, ist zweifellos bereits
viel nervöses Gewebe der Gehirnrinde zugrundegegangen, das durch
keine Behandlung wiederhergestellt werden kann, wer die umfang¬
reiche Literatur der letzten Jahre durchmustert, gewinnt jedoch einen
weniger ungünstigen Eindruck. Berichte über durch neue Behandlungs¬
methoden erzielte weitgehende Erfolge finden sich recht zahlreich.
Aber schon allein die Tatsache, daß immer wieder nach neuen Mitteln
und Methoden der Behandlung gegriffen wird, weist darauf hin, daß
ein sicherer und voll befriedigender Erfolg bisher nicht zu erzielen
war. Der Praktiker, der die empfohlenen Methoden im einzelnen
Falle in Anwendung bringt, ist über das Endergebnis meist recht
enttäuscht. Erzielt man bei kleinem Beobachtungsmaterial Erfolge, so
sind diese nicht mit Sicherheit auf die in Anwendung gebrachte The¬
rapie zu beziehen. Die Paralyse ist eine Krankheit, bei der auch
ohne Behandlung Stillstand und Remissionen nicht so selten Vor¬
kommen. Schon allein die Verbringung in eine Heilanstalt kann aurch
Ausschaltung allerlei Schädlichkeiten und Erzwingung von Ruhe eine
scheinbare Besserung der Erkrankung bedingen, die von dem opti¬
mistischen Therapeuten leicht auf Rechnung der Behandlung gesetzt
wird. Ein Schwinden der Erregung (durch Bettruhe, Isolierung, Se¬
dativa) führt oft auch zu einer Besserung des gesamten psychischen
Verhaltens, die eine günstige Wendung des Krankheitsverlaufes vor¬
täuscht. Alle Paralysetherapeuten betonen ferner, daß die von ihnen
angewandte Methode bei vorgeschrittener Erkrankung wirkungslos
sei. Diese Tatsache wirft kein günstiges Licht aut die Wirksamkeit
der Behandlungsmethode, denn wenn durch diese eine Abtötung der
Spirochäten im Gehirn zu erzielen ist, was alle Autoren, die für ihre
Therapie eintreten, annehmen, so müßte es gelingen, jede pro¬
gressive Paralyse in eine stationäre umzuwandeln, davon ist aber
nicht die Rede. Im ganzen wird man somit auch von den neuen
Behandlungsmethoden nicht allzu viel erwarten dürfen. Ich persön¬
lich habe niemals eine dauernde wesentliche Besserung gesehen, die
ich auf Rechnung der Behandlung setzen konnte. Erkundigt man sich
bei Kollegen nach ihren Erfahrungen, so können diese meist auch
nicht über überzeugende Erfolge berichten. Dennoch wird man in
jedem einzelnen frischen Falle an die kausale Behandlung heran¬
treten müssen. Von den Angehörigen wird nicht selten verlangt, daß
alles, was in therapeutischer Hinsicht überhaupt möglich ist und in
Frage kommt, versucht wird. (Ich habe übrigens auch erlebt, daß
die Angehörigen eine Behandlung nicht wünschten, da durch eine
solche das Leiden lediglich verlängert würde.) Dieser Forderung kann
man sich nicht entziehen. Es muß auch eingeräumt werden, daß
immerhin Fehldiagnosen gegenüber der Hirnsyphilis möglich sind,
und ferner, daß neben dem paralytischen Prozeß ein gummöser be¬
stehen kann, der durch eine antisyphilitische Kur zu beeinflussen ist.
□ igitized by Gck gle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
360
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
Nr.
In der Tat kennt jeder vereinzelte Fälle, in denen bei Paralyse¬
verdacht ex juvantibus die Diagnose Lues cerebri gestellt wurde.
Am nächsten liegt es, die Behandlung mit einer gewöhnlichen
Schmierkur und Verabreichung von Jodkalium zu beginnen. Aber ge¬
rade diese bequeme und ungefährliche Behandlungsmethode ist un¬
endlich oft ohne jeden Erfolg versucht worden. Ihre Unwirksamkeit
bildete eine wesentliche Stütze für die Lehre von der Metasyphilis.
Dennoch wird man sie in Fällen, in denen der Patient überhaupt noch
nicht, antisyphilitisch behandelt wurde, weiteren therapeutischen Ma߬
nahmen vorausschicken. Naturgemäß wird man die Quecksilberkur
unterbrechen, falls, wa9 gelegentlich vorkommt, eine unverkennbare
Verschlechterung des Zustandes des Behandelten eintritt. Als weiteres
Mittel kommt das Salvarsan in Frage. Die Hoffnungen, die man nach
Einführung des Salvarsans io die Syphilistherapie auch hinsichtlich
seiner Wirksamkeit bei Paralyse hatte, die durch voreilige Veröffent¬
lichungen (Alt) gestärkt wurden, haben sich als trügerisch erwiesen.
Die Autoren stimmen zur Zeit darin überein, daß mit einzelnen großen
Dosen Altsalvarsan nichts zu erreichen ist, die Erfolge sind nicht
größer und häufiger als bei der Quecksilber-Jod-Therapie, die
Gefahren wesentlidi größere. Man ist daher dazu übergegangen,
häufige kleine Dosen in Anwendung zu bringen. Ra ecke empfiehlt
kleine Dosen bis zur Gesamtmenge von 5—10 g. Von 65 so be¬
handelten Fällen zeigten 36 eine Besserung, 6 Kranke wurden wieder
dauernd berufsfähig. Andere Autoren bevorzugen kleine Dosen von
Neosalvarsan bzw. Silbersalvarsan in Kombination mit Schmierkur
oder Quecksilbereinspritzungen (Hg. salic.), manche lehnen Salvarsan
in jeder Form ab. Erwähnt sei hier auch die endolumbale Salvarsan-
anwendung (Gennerich, Marinescu). Für den praktischen Arzt
kommt das eingreifende und umständliche Verfahren, das viel Uebung
und Erfahrung voraussetzt, nicht in Betracht; das Gleiche gilt von
Einspritzungen in die Karotis, unter die Dura des Hirnes und in
die Ventrikel. Alle diese Methoden der Salvarsananwendung haben
bei Paralyse zu einem sicheren, über alle Zweifel erhabenen Erfolg
nicht geführt, man hat daher andere Wege und Mittel gesucht. Im
Hinblick auf die alte Erfahrung, daß Geisteskrankheiten durch fieber¬
hafte Erkrankungen, wie Typhus, Erysipel, Malaria usw., nicht so
selten zum mindesten vorübergehend günstig beeinflußt wurden, ver¬
suchte man die Paralyse durch künstlich erzeugte Temperatursteige¬
rung zu bekämpfen. Wagner v. Jauregg verwandte als fieber¬
erzeugendes Mittel das Alttuberkulin (Koch). Dosen von 0,01 an¬
steigend bis 0,1 wurden in Intervallen von zwei Tagen injiziert. Die
von dem genannten Autor und anderen erzielten Erfolge ermutigten
zu weiteren Versuchen auf dem betretenen Wege. Donath und
Fischer empfahlen als Fieber und Hyperleukozytose hervorrutendes
Mittel das Natrium nucleinicum. Die Art der Anwendung ist einfach,
die Kur kann auch außerhalb des Sanatoriums von dem behandelnden
Arzt leicht durchgeführt werden. Man beginnt mit 0,25 in 10<>/oiger
Lösung, diese Dosis wiederholt man einige Male in Intervallen von
3—5 Tagen, steigt dann auf 0,5—2,0, letztere Dosis gibt man weiter
fort, bis im ganzen 20 Injektionen gemacht worden sind. Die Tem¬
peraturen steigen bis 39° und darüber. Bettbehandlung ist erforder¬
lich. Bei kräftigen Personen kann man die Kur mit Quecksilber- oder
Salvarsaneinspritzungen kombinieren. In neuester Zeit hat man Ver¬
suche mit Einimpfung von Malaria (Wagner v. Jauregg, Wey¬
gand t u. a.) gemacht. Die Erfolge sollen günstige sein, Wagner
erzielte in 39 von 120 Fällen volle Remissionen. Für die Praxis
kommt diese Behandlung noch nicht in Frage.
Keine Paralysetherapie wird jemals eine Restitutio ad integrum
erzielen können. Macht die Paralyse erst klinische Symptome, die
Anlaß zur Behandlung geben, so ist sie streng genommen keine ini¬
tiale mehr. Es handelt sich bereits um irreparable Veränderungen in
der Hirnrinde. Sehr wichtig wäre es daher, Kriterien zu besitzen,
die uns die für die Paralyse (durch frühzeitige meningeale Infektion?)
disponierten Syphilitiker ausfindig machen läßt. Anscheinend sind
wir auf Grund von Liquorbefunden diesem Ziele bereits nahe. Eine
wirksame prophylaktische Behandlung steht im Bereich der Möglich¬
keit. Daß es einmal gelingen wird, die Paralyse zum Verschwinden
zu bringen, ist mit einiger Sicherheit vorauszusehen. Dieses Ziel dürfte
aber nicht durch Behandlung der Paralyse, sondern durch eine zu
wirklicher Ausheilung führende Behandlung der Syphilis im frühen
Stadium und durch Ausschaltung der Seuche überhaupt zu erzielen sein.
Bevor der Arzt an die Behandlung herantritt, muß
die Frage entschieden werden, ob der Fall sich über¬
haupt für die Behandlung außerhalb einer Heilanstalt
eignet. Die Paralyse wird, wenigstens was- die besser situierten
Schichten der Bevölkerung anbelangt, zur Zeit meist ziemlich früh¬
zeitig erkannt (namentlicn Proletarierfrauen werden oft erst im
Zustande weitgehender Verblödung dem Arzt zugeführt). Bestehen
noch keine tiefergreifenden psychischen Störungen, so ist die Be¬
handlung innerhalb der Familie möglich, wenn auch wenig ratsam.
Erregbare, exaltierte und manisch-erregte Kranke gehören durchaus in
eine Heilanstalt, denn Unzuträglichkeiten, Konflikte und Exzesse stehen
mit Sicherheit sehr bald zu erwarten. In der Wahl der Anstalt hat
der Arzt, wenn es sich nicht um wohlhabende Kranke handelt, die
Pflicht, dahin zu wirken, daß nicht durch Wahl eines lukuriösen Sana¬
toriums unnötige Kosten verursacht werden. Er hat die Angehörigen
darauf hinzuweisen, daß gerade der Paralytiker Mangel an Komfort
wenig oder gar nicht empfindet, daß auch das Zusammensein mit
Kranken aus niederen Volksschichten ihn nicht belästigt und daß
Chancen einer Besserung in einer öffentlichen Anstalt keine
schlechteren als in einem Privatsanatorium sind.
Findet eine Ueberweisung in eine Anstalt nicht statt, so hat,
abgesehen von dem Versuch einer kausalen Therapie, der behandelnde
Arzt noch manche Aufgabe zu erfüllen und vielfache Gelegenheit zur
Betätigung. Bereits im Initialstadium ist namentlich bei verant¬
wortungsvoller Stellung berufliche Tätigkeit zu untersagen. Es ist
allerdings manchmal überraschend, wie Tange noch von einem Para¬
lytiker die gewohnte Berufsarbeit ohne grobe Verstöße geleistet
werden kann. Ein mir bekannter paralytischer Arzt, der bereits
schwere Sprachstörung zeigte, betrieb noch seine Praxis und schrieb
korrekte Rezepte. Anderseits kommen gelegentlich die schwersten
beruflichen Verfehlungen vor. Vor nicht langer Zeit wurde in einer
kleinen Stadt ein Chirurg paralytisch. Er übte seine Tätigkeit weiter
aus, bis er durch eine völlig sinnlose Operation einen Menschen tötete.
Zur Rede gestellt, erklärte er, die Kosten der Beerdigung tragen zu
wollen. Das Entmündigungsverfahren ist so bald als möglich einzu¬
leiten, um Verschwendung, Ausnutzung, Exzesse, (ungültige) Ehe¬
schließungen usw. zu verhindern. Neurasthenische Beschwerden, Un¬
ruhe, Erregungszustände, tabische Neuralgien usw. werden sympto¬
matisch wie bei anderen Grundleiden behandelt. Irgendwelche bei
Paralyse besonders wirksamen Mittel stehen uns nicht zur Verfügung.
Man verordnet die gewöhnlichen Sedativa (Bromsalze, Adalin, Brom¬
ural usw.) und Narkotika (Medinal, Veronal, Luminal, Amylenhydrat
usw.) zunächst in den üblichen Dosen, ferner Packungen, prolongierte
Bäder usw. Bei stärkeren Erregungszuständen, die fast immer zur
Ueberführung in eine Anstalt führen, ist Hyoszin kaum entbehrlich.
Man beginnt mit einer Dosis von 0,0003, die man evtl, dreimal am
Tage injizieren kann. Bei paralytischen Anfällen verordnet man Eis¬
beutel oder Kühlschlange auf den Kopf, Chloralhydrat oder Amylen¬
hydrat in Klismen (3,0 g bzw. 6,0 auf Stärke oder Dextrinlösung).
Auch kann man einen Versuch mit Ergotininjektion (0,01:10,0, täglich
2—3 Spritzen) machen. v
Ehelicher Verkehr ist unter der Angabe, daß &r sehr schädlich
wirke, dem Kranken zu verbieten. Die Ehefrau ist darauf hinzuweisen,
daß die Nachkommenschaft eines Paralytikers sehr oft minderwertig
ist (nach neuern Untersuchungen in 55 bis 73o/o). Tritt eine Schwänge¬
rung ein, so ist der Arzt nach den zur Zeit geltenden Grundsätzen
nicht zur Einleitung des künstlichen Abortus berechtigt.
Im terminalen Stadium können, falls die häuslichen Verhältnisse
einigermaßen günstige sind, die Kranken, namentlich Frauen, in der
Familie verpflegt werden. Dazu raten wird der Arzt allerdings nicht,
wenn auch in nicht so seltenen Fällen die völlig stupiden Kranken nur
wenig Schwierigkeiten machen. Ich sah kürzlich einen verblödeten
Paralytiker, den die Ehefrau tagsüber einschloß, wenn sie aut Arbeit
ging. Sind die Kranken schließlich völlig hilflos geworden und
dauernd auf das Bett angewiesen, so hat der Arzt namentlich hin¬
sichtlich der Ueberwachung der Blase (bei Retentio urinae ist das
Katheterisieren möglichst zu vermeiden, Ausdrücken der Blase, Kli¬
stierei, des Mastdarmes, der Mundpflege und der Verhütung des
Dekubitus die nötigen Anordnungen zu treffen. Wird alles, was im
Bereich der Möglichkeit liegt, durchgeführt, so kann der Exitus oft
weit hinausgeschoben werden, ein trauriges Ergebnis, für das die
Angehörigen dem Arzt nicht so selten wenig dankbar sind. Jedenfalls
sollte es der Arzt unterlassen, bei bedrohlichen Schwächezuständen im
Terminalstadium durch Exzitantien, Kochsalzinfusionen, künstliche Er¬
nährung (von einem bekannten Kliniker wurde alles dieses aus prin¬
zipiellen Gründen von seinen Assistenten verlangt) das völlig wert¬
lose Leben zu verlängern.
Nicht allzu selten kommt der Arzt in die Lage, sich gutachtlich
über die Frage zu äußern, ob in einem Falle von Paralyse ein dem
Ausbruch des Leidens voraufgegangenes Trauma die Erkrankung aus-
elöst, ihre Entstehung begünstigt, die Krankheit verschlimmert bzw.
en Verlauf derselben oeschleunigt hat. Zur Zeit werden diese Fragen
wohl fast in jedem Falle von Paralyse bei einem Kriegsteilnehmer auf¬
geworfen, und der Kampf um die Anerkennung der Dienstbeschädi¬
gung durch alle Instanzen verfochten. Vorsicht und Zurückhaltung ist
in solchen Fällen jedem Begutachter dringend anzuempfehlen. In der
ersten Zeit des Krieges hatte man den Eindruck, daß der Syphilitiker
durch Kriegsschädlichkeiten stark gefährdet sei, und es wurde in fast
allen Fällen von Paralyse, zerebrospinaler Syphilis und Tabes, in
denen die betreffenden Kranken Kriegsschädigungen von Belang aus¬
gesetzt waren, Dienstbeschädigung im Sinne einer Verschlimmerung
angenommen. Allmählich trat hierin eine Wandlung ein, und zur Zeit
stehen fast alle Autoren auf dem Standpunkt, daß, wenigstens was die
Paralyse anbelangt, Traumen keine Rolle spielen. Natürlich ist zuzu¬
geben, daß durch ein Schädeltrauma der Zustand eines Paralytikers
verschlimmert werden kann. Diese Verschlimmerung beruht aber nicht
auf einer ungünstigen Beeinflussung des paralytischen Prozesses, son¬
dern auf dem Hinzutreten traumatischer Hirnveränderungen.
Die Tatsachen und Erwägungen, die zu der Auffassung, dafa die
Paralyse durch exogene Schädlichkeiten fast riiemals ausgelöst oder
beeinflußt wird, führten, sind folgende: Wenn exogene Schädlich¬
keiten bei der Entstehung der Paralyse eine Rolle spielten, müßte
in den Kriegsjahren bzw. in der Zeit nach dem Kriege eine Zunahme
der Paralysefälle eingetreten sein. Was an Zahlen bisner veröffentlicht
wurde, läßt eine Zunahme der Paralyse in den Kriegsjahren nicht er¬
kennen. Einige Autoren (Bonhoeffer, Hahn u. a.) fanden sogar,
daß die Zahl der Paralysen im Kriege wesentlich hinter der der
Friedenszeit zurückblieb. Es hat sich des weiteren nicht ergeben, daß
bei den Kriegsteilnehmern die Paralyse durchschnittlich vorzeitig zum
Ausbruch gekommen ist. Wäre dies der Fall, so müßte die Paralyse
wenigstens scheinbar häufiger geworden sein, was, wie gesagt, aber
Difitized by Gousle
Original fro-m
CORUELL LJNIVERSITY
n.März 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
361
nicht der Fall ist. Es müßte ferner das Durchschnittsalter der Er¬
krankung geringer geworden sein. Auch dies läßt sich aus den bisher
vorliegenden Veröffentlichungen nicht entnehmen. Schließlich hat sich
auch nicht nachweisen lassen, daß bei der Paralyse der Kriegsteil¬
nehmer die Zeit zwischen Ansteckung und Beginn der Paralyse kürzer
ist, als der Friedenserfahrung entspricht Auch die Frage, ob sich
die Paralyse bei Kriegsteilnehmern hinsichtlich der Symptomatologie
und des Verlaufes von der Friedensparalyse unterscheidet, ist vielfach
erörtert worden. Der Verlauf der Kriegsparalyse sollte nach Wey-
gandt u.a. rascher und ungünstiger sein. Einer strengeren Kritik
haben diese Annahmen nicht standgehalten. Nach alledem kann
man von „Kriegsparalyse“ nicht in dem Sinne reden, daß die Erkran¬
kung bei Kriegsteilnehmern in ätiologischer und klinischer Hinsicht
irgendwelche Besonderheiten böte. Der Ausdruck besagt nicht mehr
als: Paralyse bei Kriegsteilnehmern und wird am besten vermieden.
Die Feststellung, daß der Prozentsatz der Paralysefälle' bei den
Kriegsteilnehmern die im Frieden ermittelte Zahl nicht überschreitet,
entzieht jeder Annahme, daß diese oder jene Kriegsnoxe (Strapazen
aller Art, Kopftraumen, Infektionskrankheiten) den Ausbruch der Para¬
lyse begünstigen, den Boden. Aber auch die Durchmusterung der
schädelverletzten Syphilitiker hat nicht den geringsten Anhalt für die
Annahme, daß Kopftraumen eine Paralyse oder Hirnsyphilis auslösen
können, ergeben. Diesen Erfahrungen hat der Arzt bei Begutachtung
von Paralysefällen bei Kriegern und nach Unfällen Rechnung zu
tragen. Damit soll nicht gesagt sein, daß prinzipiell in jedem Falle
Paralyse als Dienstbeschäcfigung und Unfallsfolge abzulehnen ist. In
der Praxis wird man, wenn auch nur in sehr seltenen Fällen, die
Möglichkeit bzw. Wahrscheinlichkeit einer Auslösung bzw. Ver¬
schlimmerung der Krankheit zugeben, wenn auch nicht aut Orund
wissenschaftlicher Ueberzeugung, sondern im Hinblick aut die Tat¬
sache, daß unsere Kenntnis von den Bedingungen, die aus einem
Syphilitiker einen Paralytiker machen, noch ganz unzureichend sind.
Dieser Tatsache tragen die vom Senat der Kaiser-Wilhelm-Akademie
seinerzeit herausgegebenen Richtlinien für die Beurteilung der Dienst¬
beschädigung, die zur Zeit noch Geltung haben, von den Begutachtern
aber oft nicht berücksichtigt werden, weitgehend Rechnung. Sie geben
die Möglichkeit, in Fällen, in denen der Kranke besonders schweren
Schädigungen ausgesetzt war, Dienstbeschädigung anzuerkennen und
damit Härten, die dem Laien gänzlich unverständlich erscheinen
müssen, zu vermeiden. Keineswegs ist es aber statthaft, bei durch¬
schnittlichen Kriegsstrapazen Dienstbeschädigung hinsichtlich einer
Paralyse anzunehmen; das Gleiche gilt gegenüber nicht schweren Un¬
fällen usw., selbst wenn eine Kopferschütterung oder Kopfverletzung
stattgefunden hatte.
Kursus der dermatologischen Technik 1 ).
Von Prof. Dr. Max Joseph in Berlin.
1 .
Die Behandlung der Hautkrankheiten hat durch die Einführung
physikalischer Heilmethoden eine ungeahnte Bereicherung erfahren.
Allerdings gehört dazu eine volle Beherrschung der Technik. Dies
gilt vor allem für die Röntgentherapie. Ich habe in letzter Zei
wieder mehr Röntgenverbrennungen gesehen als in früheren Jahren
und möchte daher dem praktischen Arzte raten, äußerst vorsichtig
zu handeln. Das Verhängnisvolle bei dieser Therapie ist, daß sich
erst längere Zeit nach der Bestrahlung die unerwünschten Schädi¬
gungen einstellen können. So habe ich augenblicklich eine Frau in
Behandlung, bei welcher sich erst iy* Jahre nach der letzten Be¬
strahlung ein tiefes Röntgenulkus gebildet* hat. Bei einiger Vorsicht
darf aber ein derartiger Fehler nicht Vorkommen. Wir kommen bei
den meisten Dermatosen mit der Oberflächentherapie aus, und die
mittelweiche Strahlung ist hier am geeignetsten. Wir nehmen die
Dosierung nach der Sabouraud-Noi raschen Meßmethode vor.
Das Verfahren beruht auf der Verfärbung des an sich hellgrünen
Baryumplatinzyanürs unter der Einwirkung der Röntgenstrahlen in
eine gelbe, rote und später braune Farbe. Je größer die absorbierte
Röntgenlichtmenge, um so schneller erfolgt die Färbung. Die hell¬
grüne Farbe A entspricht der Farbe des Reagenspapiers, die dunkel-
gelbe Farbe B tritt nach Absorption derjenigen Lichtmenge ein,
welche die Haut verträgt, um ohne eine starke Dermatitis Epilation
zu erzeugen. Dies gilt als Volldosis, und wir verwenden nur soviel
von der Strahlenmenge, als zum Heilerfolg unbedingt erforderlich
ist, damit die Schäden nicht größer sind als die Vorteile für den
Kranken. Hierfür bewährt sich bei den meisten Dermatosen (z. B.
Ekzem, Psoriasis, Lupus erythematosus) die von Frank Schultz
eingeführte fraktionierte Therapie. Wir verwenden bei einer Strahlen¬
härte von 7,0—7,5 Wehnelt ein Drittel der Volldosis. Das zweite
Drittel wird 8 Tage nach der ersten Bestrahlung, das letzte Drittel
erst 14 Tage nach der zweiten gegeben. Ist kein voller Erfolg ein¬
getreten, so darf ein neuer Zyklus erst 21 Tage nach Beendigung
des ersten begonnen werden. Tritt kein Röntgenerythem auf, so
muß nach dreimaliger Verabreichung des ganzen Volldosenzyklus
eine Paiise von 2 Monaten gemacht werden. Bei der Hauttuber¬
kulose werden 2 halbe Volldosen in 14tagigem Abstand bei 5,0 bis
<) Mit diesem Aufsatz beginnen wir die in Nr. 51 Anzeigenteil S. 3 angezeigte
Reihe von Artikeln tlber spezialflrztliche diagnostische und therapeu-
t Hebe Technik- D '- R * d '
7,5 Wehnelt verabreicht. Indes hier sowie bei den malignen und
leukämischen Hautgeschwülsten gibt die hochfiltrierte Bestrahlung
im allgemeinen bessere Erfolge.
Wesentlich einfacher ist die Radiumbestrahlnog, sie stellt ge¬
wissermaßen die Taschenausgabe einer weichen Röntgenröhre, dar.
Das Radium wird in einer mit einer Glimmerplatte versehenen Hart¬
gummikapsel auf die erkrankte Stelle einige Minuten bis eine Stunde
lang aufgelegt. Die vorsichtige Anwendung bewährt sich bei An¬
giomen und besonders den im Anschlüsse an eine Leukoplakie sich
erstellenden Karzinomen der Wangen- und Zungenschleimhaut.
Das Verdienst, das Licht als wertvolles Mittel zur Heilung von
Hautkrankheiten wissenschaftlich begründet zu haben, gebührt Fin-
sen. Zweifellos werden mit der Finsen-Therapie beim Lupus vul¬
garis die besten kosmetischen Resultate erzielt. Indes ist die An¬
schaffung und Benutzung des Finsen-Apparates so kostspielig, daß
statt dessen Kromayers Quecksilber-Quarzlampe größere Ver¬
breitung gefunden hat. Sie verwertet die Entdeckung von Arons,
daß Quecksilbergase in einem luftleeren Raum beim Hindurchgehen
eines elektrischen Stromes ein intensives Licht ausstrahlen, das an
ultravioletten Strahlen reicher ist als das von Finsen benutzte
elektrische Kohlenbogenlicht. Die Lampe enthält in einem Gehäuse
ein U-förmiges, teilweise mit Quecksilber gefülltes Quarzrohr, welches
durch zirkulierendes Wasser gekühlt wird. Man kann bei Ober¬
flächenstrahlung von 10—15 Minuten in 10—15 cm Entfernung-ein
ziemlich heftiges Erythem erzeugen und es zur Heilwirkung bei
Alopecia areata, Akne, Ekzem verwerten. Stärker ist die Tiefen¬
wirkung bei Lupus vulgaris und Angiomen, indem man zur Kom¬
pressionsbehandlung das Quarzfenster direkt etwa 30 Minuten auf
die Haut aufsetzt. Alsdann stellt sich nach etwa 3 Tagen eine
kräftige Schwellung und Blasenbildung ein.
Die sogenannte künstliche Höhensonne hält nach keiner Richtung
einem Vergleiche mit dem natürlichen Sonnenlichte stand. Das letz¬
tere ist in erheblicher Höhe über dem Meeresspiegel und in Ver¬
bindung mit den bekannten klimatischen Faktoren des Hochgebirges
der Träger intensiver Heilwirkung in erster Reihe für Wundbehand¬
lung und Hauttuberkulose.
Ueberraschende Heilerfolge erzielen wir zuweilen mit dem Koblen-
slnreschnee, und diese Technik kann jeder praktische Arzt leicht
erlernen. Eine leihweise aus einer Kohlensäurefabrik bezogene Stahl¬
flasche (Bombe) legt man horizontal auf einen Stuhl und erhöht das
hintere Ende, damit die flüssige Kohlensäure mit einer Temperatur
von —90° nach dem Hahn der Flasche fließt. Mit einem passenden
Schlüssel öffnet man alsdann die Flasche und läßt die Kohlensäure
in einen Tuchbeutel fließen, welcher nach Art eines Tabakbeutels
fest um den Hahn der Stahlflasche angelegt wird. Nach mehr¬
maligem Oeffnen und Schließen des Hannes füllt sich der Beutel
mit einer plastischen Schneemasse, welche man in eine zum Auf¬
drücken auf den Krankheitsherd passende Form zu bringen hat.
Zu diesem Zwecke sägt man ein hölzernes Versandröhrdien für
Reagenzgläser am unteren Ende ab. In dieses auf den Tisch ge¬
stellte Holzrohr stopft man mit einem Holzstab, welcher annähernd
dem Durchmesser des Röhrchens entspricht, die feste Kohlensäure
hinein und drückt sie möglichst kräftig zusammen. Sobald das
Holzrohr von etwa 15 cm Länge bis zur Hälfte vollgestopft ist,
dreht man es um und drückt mit Hilfe des Stabes den Kohlensäure¬
stift aus dem Röhrchen heraus, sodaß er etwa 1 cm über das Holz
herausragt. Sind die Zu behandelnden Krankheitsherde kleiner als
der Durchmesser des Kohlensäurestiftes, so schneidet man ihn mit
einem Messer auf die gewünschte Größe zurecht. Sollte der Arzt
nicht oft Gelegenheit haben, den Kohlensäureschnee zu verwenden,
so lohnt sich natürlich nicht der Bezug einer ganzen Kohlensäure¬
bombe. Dann ist es praktischer, sich gegen mäßiges Entgelt von
einer benachbarten Wirtschaft, in welcher ein Bierdruckapparat ver¬
wandt wird, eine geringe Menge flüssiger Kohlensäure in einen
Tuchbeutel füllen zu lassen. Den in dieser Weise hergestellten
Kohlensäurestift drückt man alsdann, je nach der Art der Erkran¬
kung, mehr oder weniger kräftig 5—30 Sekunden auf die zu be¬
handelnde Stelle, welche hart gefroren und eingesunken erscheint,
um nach kurzer Zeit wieder in das frühere Niveau zurückzukehren.
Während der Vereisung bestehen keine Schmerzen, erst beim Auf¬
tauen stellen sich solche ein. Nach einer Vereisung von 10 Sekunden
erfolgt ein Erythem, welches in einigen Tagen unter indifferenter
Salbenbehandlung abheilt. Bei einer Einwirkung von 20 Sekunden
bilden sich Quaddeln, und nach etwa 10 Tagen stößt sich die dar¬
über gelegene Kruste ab. Bei einer längeren Einwirkung entsteht
im Verlaufe von 4—8 Stunden eine Blase, welche in 14 Tagen mit
einer dicken Kruste abtrocknet und mit einer feinen Narbe abheilt.
Es ist empfehlenswert, z. B. bei Angiomen, zunächst einen kleinen
Teil zu behandeln, um die Wirkung zu erproben und dann die fol¬
gende Zeitdauer der Einwirkung zu bestimmen. Zuweilen scheint
auch nach Sommers Erfahrungen die Kohlensäureschnee-Sensibili¬
sierung dazu geeignet, die nachfolgende Röntgen- oder Radium¬
behandlung in ihrer Wirkung zu verstärken und zugleich in der Dauer
ihrer Anwendung zu verkürzen.
Schließlich ist auch die Elektrolyse für den Praktiker ohne jede
technische Schwierigkeit leicht zu handhaben. Es gehört dazu nur
eine konstante Batterie. Der negative (differente) Pol wird mit einem
einfachen Nadelhalter verbunden, in welchem eine gewöhnliche Näh-
nadet steckt. Der positive (indifferente) Pol steht mit einer kleinen
Plattenelektrode in Verbindung, welche angefeuchtet dem Patienten
in die Hand gegeben wird. Alsdann sticht man die Nadel unter die
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSITV
362
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 11
Basis der zu entfernenden Neubildung, schließt den Strom, läßt ihn
5—10 Minuten einwirken und sieht als Zeichen der Zersetzung des
Gewebes kleine Wasserstoffperlen austreten. Nach 10—14 Tagen
fällt der Schorf ab.
Bilder sind uns oft unentbehrlich. Bei Pemphigus neonatorum,
Urtikaria und Pruritus verwenden wir Eichenrindenbäder, in¬
dem wir 1 kg Eichenrinde in 4 Liter Wasser auf 3 Liter einkochen
lassen und die Abkochung dem Badewasser zusetzen. In gleicher
Weise werden Kleienbäder, aromatische Kräuterbäder aus
Kamillen, Flieder, Pfefferminz, Salbei, Thymian, Baldrian oder Fichten¬
nadeln hergestellt. Der Kranke verweilt bei einer Temperatur von
27—30° R 1 / 4 —Va Stunde in dem Bade. Bei Furunkulose ver¬
wenden wir Kreolinbäder (20,0—25,0) oder Bäder mit Zusatz von
15,0—30,0 Zincum sulfuricum. Kreuznache'r Mutterlauge ist bei
Prurigo wertvoll, und heiße Momentbäder beseitigen beim Ekzem
oft das lästige Jucken. Moorbäder bewähren sich zuweilen bei
Psoriasis, heiße Sandbäder bei Perniones. Zu Solbädern nimmt
man beim Erwachsenen 2—5 kg Staßfurter Badesalz und 2 kg Kreuz-
nacher Mutterlauge, bei Kindern die Hälfte. Schwefelbäder werden
hergestellt, indem man 100,0—200,0 Kalium sulfuratum ad balneum
dem Bade zusetzt. Bei der Dermatitis exfoliativa neonatorum be¬
nutzen wir Tanninbäder, indem wir 20,0 Tannin zu 20 Liter
Wasser setzen. Als Teerbäder empfehlen sich die Empyrolbäder
„Wolo“ (Wacholderteer, organisches Kalisulfat ana 50°/o), von denen
man 50—150 ccm einem Bade zusetzt.
Für die Wirkung der verschiedenen Heilmittel ist die Art der
Anwendung entscheidend, und nach dieser Richtung bewähren sich
in der Dermatologie hauptsächlich die Salben. Es kommt meist
weniger auf die Salbengrundlage als auf die Technik
des Salbenverbandes an. Man streicht die verordnete Salbe
mit einem Holz- oder Glasspatel oder mangels eines solchen mit
der flachen Seite eines* Löffels messerrückendick auf die erkrankten
Stellen auf. Darauf wird alsdann hydrophiler Stoff, Billrot-Batist,
Gummi- oder Guttaperchapapier gelegt und das Ganze mit einer
Mull- oder Kambrikbinde befestigt. Je nach der erkrankten Körper-
steile sind einige Besonderheiten zu beachten. Beginnen wir mit
dem behaarten Kopfe, so wird man statt der Binde das Auf¬
setzen einer Badekappe oder einer Reisemütze bevorzugen. Für das
Gesicht verwenden wir eine Maske, welche leicht in folgender
Weise herzustellen ist. Man bedeckt das ganze Gesicht mit Papier
und schneidet sich hiernach den Umfang der Maske aus, indem man
für die Augen, den Mund und die Nasenlöcher Oeffnungen freiläßt.
Nach dieser Vorlage wird die Leinwandmaske zurechtgeschnitten, am
oberen und unteren Teile wird je ein Band angenäht, mit welchem
der Verband an der Stirn und am Kinn befestigt wird. Der Verbands¬
wechsel ist leicht zu bewerkstelligen, indem man die Bänder auf¬
knüpft und eine neue Salbenmenge auf das noch nicht geheilte Ge¬
sicht aufstreicht. Meist wird es sich empfehlen, vorher die alten
Salbenreste zu entfernen. Es wird dies durch Abwischen mit
Watte möglich sein, andere Male muß man Leinöl, Rüböl oder
Olivenöl auf Gaze gießen, und nur selten wird man hierzu Benzin be¬
nutzen, da dies leicht eine Reizung der erkrankten Stellen bewirkt.
An den Ohren benutzen wir zur Befestigung der Salben Ohren¬
klappen, am Hals und am Rumpfe werden einfache Bindentouren
genügen. Für Skrotalekzeme bewähren sich die üblichen Suspensorien,
und für Analekzeme kann man sich einer T-Binde bedienen. Für
Hand- und Fingerekzeme kann ,man die leicht auszuwaschenden
Dienerhandschuhe benutzen, während an den Füßen ein weiter
Strumpf oder Füßlinge empfehlenswert sind.
Der Poder wirkt subjektiv kühlend, objektiv anämisierend, ent¬
zündungswidrig, er saugt die auf die äußere Oberfläche ausgeschie¬
denen flüssigen entzündlichen Produkte verhältnismäßig schnell auf.
Zu diesem Zwecke muß man aus einer Puderbüchse mit durch¬
löchertem Deckel sehr reichlich aufstreuen. In der gleichen Weise
kann man dies mit einem Wattebausch oder einer Puderquaste
tun, oder man bindet auf die erkrankten Teile direkt einen Puder¬
beutel auf und läßt ihn daselbst liegen. Das Lykopodium zeichnet
sich besonders durch die geringe Reibung der einzelnen Körner an¬
einander (Gleitfähigkeit) aus, und daher gibt Unna für einen haut¬
farbenen Gleitpuder folgende Verordnung:
Rp. 1. Zinci oxyd. 5,0
' Lycopod. ad 100,0
adde SoL Eosini (1%) 10,0
oder man gibt folgenden Pulvis cuticolor:
Rp. 2. Bolus'rubr. 0,5
Bolus alb. 2,5
Magnes. carbon. 4,0
Zinci oxyd. 5,0
Amyl. oryzae 8,0
Eine Kombination von Salben und Pudern stellen die von
Lassar eingeführten Pasten dar. Sie enthalten die gleiche Menge
Puder wie Fett, z. B.
Rp. 3. Zinci oxyd.
Amyli ana 25,0
Vaselin. 50,0
Sie werden messerrückendick aufgestrichen und sind mit Binden
zu befestigen. Wo sie zu stark irritierend wirken, kann man als weiche
Paste nach Unna verordnen:
Rp. 4. Calcar. carbonlc.
Zinci oxyd,
Ol. Lini
Aqu. Calcis ana .25,0
und wünscht man eine besonders starke Aufsaugungsfähigkeit, so
verwendet man nach Unna eine Kieselgurpaste:
Rp. 5. Zinci oxyd. 10,0
TeiYae siliceae 2,0
Adipis benzoat. 28,0
Will man aber eine Schälung der Haut bewirken, so verordnet
man nach Lassar:
Rp. 6. Naphthol 10,0
Sulfur, praec. 50,0
Vaselin.
Sapon. virid. ana 20,0
Zur Beseitigung der Pasten darf mau weder Wasser noch Seife
verwenden, sondern gieße Oel auf Watte und entferne die Paste
oder benutze Benzin. Niemals sind aber Pasten für behaarte Körper¬
stellen zu gebrauchen.
Eine besondere Annehmlichkeit für den Kranken sind die Trockea-
pinselnngen in Form von Schüttelmixturen. Sie dürfen ebenfalls auf
behaarten Stellen nicht angewandt werden, haben aber den großen
Vorzug vor den Salben und Pasten, daß sie keines Verbandes be¬
dürfen, sondern nach kräftigem Schütteln auf die erkrankten Stellen
aufgepinselt schnell eintrocknen. Eine solche indifferente Lotio
Zinci hat folgende Zusammensetzung:
Rp. 7. Zinci oxyd.
Amyli
Glycerin.
Aqu. dest ana 25,0
Zwei- bis dreimal täglich wird die Pinselung erneuert. Natür¬
lich wird im Laufe des Tages oder der Nacht ein Teil der kalk-
artigen Masse abfallen, aber durch die zweimaf tägliche Erneuerung
bleibt noch genug wirksame Substanz auf dem Körper haften. Für
die Behandlung des Ekzems sowohl bei Kindern als bei Erwachsenen
ist uns diese von Jadassohn eingeführte Methode unentbehrlich
eworden. Man kann zu der Grundmischung 1—IO 0/0 Liquor carbonis
etergens, Tumenol-Ammonium, Sulfur praecip., Bromokoll und
andere Medikamente zusetzen. Trocknet die Schüttelmixtur zu stark
ein, so setzt man ein wenig warmes Wasser zu. Zum schnelleren
Eintrocknen bevorzugte N e i ß e r den Zusatz von Spiritus:
Rp. a Ichthyol. 10,0
Liquor carbon. deterg. ‘ 20,0
Zinci oxyd.
Amyl. ana 25,0
Glvcerin.
Spiritus ana ad 100.0
Auch bei Pyodermien ist ihre Verwendung sehr bequem, wenn
man nach J. Schaffer eine Zinnoberschwefelpinselung verwendet:
Rp. 9. Hvdrarg. sulfurat. rubr. 1,0
Sulfur, praec. 10,0-20,0
Zinci oxyd.
Amyli ana 15,0
Glycerin.
Spiritus ana ad 100/)
Die Entfernung aller dieser Pinselungen erfolgt leicht mit warmem
Wasser oder Benzin.
Als Firnis verwenden wir Kollodium, Traumatizin (eine Auflösung
von Kautschuk in Chloroform) oder Benzoetinktur. Sie werden mit
einem Pinsel aufgetragen, und nach dem Verdunsten bildet sich eine
zarte Schutzdecke, wodurch jeder Verband überflüssig wird. So ver¬
wenden wir 10o/oiges Salizyl-Kollodium bei Verrucae planae juveniles,
1—2<yoiges Chrysarobin-Traumatizin bei Alopecia areata und Psoria¬
sis, während sich bei intertriginösen Ekzemen zwischen den Zehen,
in der Anal- und Genitalgegend die Arningsche Pinselung bewährt:
Rp. 10. Anihrarobin. 2,0
Tumenol-Ammon. 8,0
Aether. sulf. 20,0
Tlnct benzoSs 30,0
Einen wasserlöslichen Firnis stellt das von Unna aus Tragant
und Gelatine hergestellte Qelanthom dar. Es läßt sich kalt auftragen,
bedarf keiner Watten- oder Bindenbedeckung, läßt sich sogar an
den mit kurzen Haaren versehenen Körperstellen verwenden und
verträgt sich auch mit Medikamenten, z. B. Salizylsäure, in hohen
Dosen. Es empfiehlt sich, bei oberflächlichen Erythemen und Ek¬
zemen, bei universeller Psoriasis und bei Kranken, welche Fette
schlecht vertragen:
Rp. 11. Gelatin. liquid.
Tragacant. ana * 2/5
Glycerin. 5,0!
Aqu. dest. 90,0
Acid. benzoic. 0,3
Das Oanze trocknet zu einer tadellosen, glatten und nicht einmal
spurweise klebrigen Decke ein. Ebenso empfiehlt sich ein Gelanth-
krem:
Rp. 12. Zinci oxyd. 5 fi
Vaselin. 10,0
Gelanth. 85,0
m. f. emulsio adde Extract. Jasmin. 1,0
Seifen haben in der Dermatologie mehr prophylaktischen als
heilenden Wert. Es leuchtet dies ein, wenn man sich überlegt, daß
Seifen Verbindungen von Fettsäuren mit Alkalien sind. Die letzteren
schädigen die Oberhaut, und daher ist es technisch ein Fehler, bei
entzündlichen Hautkrankheiten, z. B. einem Ekzem, eine alkalische
Seife zu verwenden. Nur eine milde Seife,-z. B. Heines zentrifugierte
Digitized b 1
Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
17. März 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
363
Kinderseife, ist nach überstandenem Ekzem zu verwenden, damit
kein Rezidiv eintritt. Medizinische Seifen verwenden wir nur bei
chronischen, hartnäckigen Dermatosen und beabsichtigen hierbei,
eine keratolytische mit einer ätzenden Wirkung zu kombinieren. Zu
diesem Zwecke lassen wir den Seifenschaum eine oder mehrere
Stunden auf die erkrankten Stellen einwirken. Man sei aber sehr
vorsichtig, damit die Aetzwirkung nicht zu intensiv wird.
Größere Bedeutung haben die Pflaster. Bei ihnen ist jeder Ver¬
band überflüssig, da sie genügend Klebkraft besitzen, um sich dem
ericrankten Körperteil anzuschmiegen. Da man denselben die Medika¬
mente in hoher Konzentration beifügen kann, so erreichen wir da¬
durch eine erhebliche Tiefenwirkung. Man braucht sie gewöhnlich
erst nach einigen Tagen zu wechseln und reinigt die Oberfläche mit
Benzin. Noch besser sind Unnas Paraplaste, deren Name von der
verwendeten Sorte Paragummi herrührt. Sie hinterlassen beim Ab¬
ziehen von der Haut keinen Rückstand von Pflastermasse. Weniger
bewährt haben sich die Salbenmulle. Einfacher, ungestärkter
Mull, in Form von Binden geschnitten, wird durch die betreffende
Zink-, Bor- oder Ichthyolsalbenmasse gezogen. Diese beliebig zer¬
schneid- und haltbare Salbendecke kann man bei umschriebenen Der¬
matosen, besonders an komplizierten Oberflächen, wie z. B. den Ohr¬
muscheln, anwenden. Sie haben nur den Nachteil, daß sie einer
Binde zum Fixieren bedürfen, in der Kälte zu spröde und in der
Hitze zu flüssig werden.
Oeffentliches Gesundheitswesen.
Aus dem Kampf gegen den Geheimmittelmifibraucb.
Von J. Schwalbe.
Im „Entwurf eines Gesetzes gegen Mißstände im Heilgewerbe“,
der vom Bundesrat am 18. XI. 1910 dem Reichstag vorgelegt wurde,
beginnt die Begründung der gegen das Geheimmittelunwesen ge¬
richteten Bestimmungen mit den Worten:
„Wie die Kurpfuscherei, so hat auch das Geheimmittelunwesen
im besonderen schwere wirtschaftliche und gesundheitliche Nachteile
im Gefolge. Große Mengen Geldes werden alljährlich für meist
wertlose Zubereitungen, denen fälschlicherweise geheimnisvolle Heil¬
wirkungen beigelegt werden, vergeudet. Der Umsatz von Geheim¬
mitteln und Spezialitäten soll in Deutschland allein i. J. 1898/99
30 Millionen M. betragen haben. Zu den finanziellen Verlusten
kommen schwere gesundheitliche Benachteiligungen. Beispielsweise
sind nach den Bekanntmachungen des Karlsruher Ortsgesundheitsrats
von 75 durch Reklame angepriesenen sog. Allheilmitteln nicht weniger
als 48 direkt lebensgefährlich, 11 für gefährlich in der Hand von
Laien befunden worden.“
Bekanntlich ist der Entw. 1 ) infolge der aus verschiedenen Kreisen,
nicht zum wenigsten aus der chemisch-pharmazeutischen'Großindustrie,
geltend gemachten Bedenken, vor allem aber durch die von der Sozial¬
demokratie gegen die Bestimmungen über die Kurpfuscherei gerich¬
teten Angriffe zu Fall gebracht worden. Seitdem ist ein Versuch
zur reichsgesetzlichen Bekämpfung des Geheimmittelunwesens nicht
wiederholt worden. Indes wird niemand leugnen können, daß die
beklagenswerten Verhältnisse, die zu dem Entw. i. J. 1910 geführt
hatten, sich seitdem noch weiter verschlechtert, zum mindesten nicht
gebessert haben. Die geltenden Reichs- und Landesgesetzesbestim¬
mungen und die landespolizeilichen Vorschriften geben wohl in ge¬
wissen Grenzen eine Handhabe, dem gröbsten Geheimmittelunwesen
zu steuern, aber sie reichen nicht entfernt aus, um die durch den
Geheimmittelvertrieb dem Publikum zugefügten wirtschaftlichen oder
gar gesundheitlichen Nachteile auch nur zum größeren Teil zu
verhüten.
Diese Folgerung wird — besser als zahlenreiche Statistiken und
schlagender als theoretische Erörterungen — beweisen der Werde¬
gang des weitverbreiteten Geheimmittels Rad-Jo, soweit es die deut¬
schen Gesundheitsbehörden und Gerichte beansprucht hat.
Das Mittel ist vor etwa 15 Jahren aufgetaucht. Angeblich hat
ein Dr. med. Hey, der (nicht approbiert!) in Afrika als Missionsarzt
tätig war, denjenigen Bestandteil, der dem Geheimmittel den Namen
f egeben hat, nämlich die Radix Jovis („Gotteswurzel“), von den
ingeboreneu mitgebracht; diese sollen die Wurzel für Entbindungs-
Zwecke gebrauchen. Der Fabrikant hat zu der „Radix Jovis“ aus
einem pharmakologischen Lehrbuch zahlreiche Substanzen heraus¬
gesucht, von denen nach experimentellen Untersuchungen angegeben
ist, daß sie wehenerzeugend wirken können. Die Zusammensetzung
des Rad-Jo hat nach den eigenen Angaben des Fabrikanten vielfach
gewechselt. Bei den Nachprüfungen waren niemals alle angegebenen
Bestandteile aufzufinden. Näheres s. u. a. die Darlegung der Redak¬
tion der Ther. Hmh. 1920 H. 18. Die dortigen Auseinandersetzungen
schließen mit den Worten: „Rad-Jo ist nicht nur Geheimmittel; es
ist nach seiner objektiven Erscheinung rundweg als ein Schwindel¬
mittel zu bezeichnen.“ Nach den Veröffentlicnungen des Reichs-
esundheitsamts 1908 S. 1410 wird als wesentlicher Bestandteil der
mchtbrei der Tamarinde angegeben und das Präparat infolgedessen
hauptsächlich als ein Abführmittel gewertet. Zu ähnlichem Ergebnis
Abkürzungen der Juristischen Literatur: Entw. «. Entwurf, Haus. OLG. =■ Han- !
»catiscbes Oberlandeagericht, AG. ** Amtsgericht, LO. = Landgericht.
kommen die damaligen Untersuchungen des Karlsruher Ortsgesund¬
heitsrats. Damit vergleiche man die Angaben, die in den Prospekten
und Anzeigen des Rad-Jo-Fabrikanten über das Präparat, sei es vom
Fabrikanten selbst oder in den abgedruckten Anerkennungsschreiben
von Laien, durch Fettdruck hervorgehoben, gemacht worden sind.
Rad-Jo soll danach wirken a) auf die Frauen:
Es erleichtert die normalen Geburten ganz erheblich, ver¬
hütet Schmerzen, Schwangerschaftsbeschwerden, wie Erbrechen usw.,
kürzt die Geburtszeit bis auf Minuten ab, verbessert das Aussehen,
erhöht den Kräftezustand, das Körpergewicht, verhütet Krampf¬
adern, Appetit- und Schlaflosigkeit, hebt die Gemütsstimmung und
Zuversicht bis zum Frohsinn und Sichglücklichfühlen, befördert
die Milchbildung oft so stark, daß die Milch fast nicht bezwungen
werden kann, beseitigt die Furcht vor den Qualen, die die Mutter¬
schaft oft mit sich bringt.
Es bewirkt außerordentliche Leistungsfähigkeit im Gehen. Er¬
leichterung der Geburt, selbst bei Beckenenge, Quer¬
lage und Rückwärtslage. Vorhandene Krampfadern schwanden
bereits 14 Tage nach dem Genuß des Präparats vollständig. Ohn¬
mächten haben ganz nachgelassen, ebenso geschwollene Beine. Rad-Jo
erhält die mütterliche Schönheit, verhütet „Kopfschmerzen bis zum
Wahnsinnigwerden“, Krampfanfälle, Schwindelanfälle, das Aussehen
wird besser und blühender als je zuvor. Es dient zur Verjüngung,
Kräftigung und Auffrischung des ganzen Organismus. Die inneren
Organe werden gut zurückgebildet und Haarsausfall wird vermieden.
Rad-Jo soll wirken b)aufdieKinderder„Rad-Jo-Mütter“:
Die Frucht im Mutterleibe kann ungestört von deprimierenden
Einflüssen ihrer Erzeugerin ihr Wachstum vollenden und wird lebens¬
kräftiger und lebensfähiger. Rad-Jo-Kinder sind weit gesünder, kräf-
t tiger entwickelt, hübscher und heiterer als ihre älteren Kinder, die
ohne Rad-Jo geboren wurden. Rad-Jo-Kinder sind widerstandsfähiger
gegen Kinderkrankheiten als Nicht-Rad-Jo-Kinder.
Wenn alle diese Wirkungen erzielt würden, dann hätte der Fabri¬
kant wohl recht mit der Behauptung, daß das Rad-Jo ein Wun¬
dermittel sei und reichsgesetzlich verordnet werden
müßte!
Aber diese Art yon Reklame hat begreiflicherweise bald die Ge¬
sundheitsbehörden und Aerzte zu öffentlichen Einsprüchen veranlaßt.
Der Ortsgesundheitsrat in Karlsruhe hat kurz nach seinem Er¬
scheinen davor gewarnt.
Im Jahre 1910 strengte Prof. Kouwer, der Leibarzt der Königin
von Holland, gegen den Fabrikanten einen Prozeß wegen Beleidigung
an, weil dieser in Prospekten behauptet hatte, daß das Mittel von
Kouwer bei der Entbindung der Königin angewandt worden sei und
eine schnelle und glückliche Entbindung bei ihr erzielt habe. Der
Fabrikant wurde wegen einfacher und verleumderischer Beleidigung
zunächst zu Geldstrafe, und da er trotz seiner Verurteilung die
Behauptung in seinen Prospekten weiter wiederholte, zu einer Haft¬
strafe von 3 Wochen und schließlich zu Gefängnis von 14 Tagen
verurteilt. Seine Berufungen bei den Landgerichten Hamburg und
Berlin und seine Revision beim Hans. OLG. 1 ) und Kammergericht
wurden zurückgewiesen. Auch sein Antrag auf Wiederaufnahmever¬
fahren wurde i. J. 1919 vom Haus. OLG. abgelehnt.
Im Jahre 1910 wurde die Staatsanwaltschaft in Hamburg auf
Antrag des Vors, der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung des
Kurpfuschertums mit dem Präparat befaßt, und zwar wegen der
Beschuldigung des Betrugs, wegen unlauteren Wettbewerbs und
wissentlich unwahrer Reklame. Leider hat der Staatsanwalt damals
die Eröffnung eines Verfahrens aus — wie der weitere Verlauf ge¬
lehrt hat — unzureichenden Gründen abgelehnt.
Zahlreich sind die Anklagen, die der Fabrikant teils persönlich,
teils als „Inhaber sämtlicher Anteile des Rad-Jo-Vertrieb, G.m.b. H.“
wegen der Bezeichnung des Präparats als „Schwindel“ erhoben hat.
Im Jahre 1909 wurde der damalige Leiter der Bayerischen Heb¬
ammenzeitung, Dr. H., weil er das Präparat als „glatten Schwindel“
bezeichnet harte, von dem Fabrikanten verklagt, aber vom AG. 1 ) und
LG. 1 ) München freigesprodien.
1910 wurde die Redaktion des Münsterischen Anzeigers wegen
Beleidigung verklagt; die Verhandlung endete damit, daß der Kläger
seine Privatklage zurückzog.
1910 hat aer Fabrikant gegen den Leiter der Zentralstelle zur
Bekämpfung der Schwindelfirmen in Lübeck eine Klage wegen Be¬
leidigung angestrengt; er hat aber die Klage vor der Verhandlung
zurückgezogen.
1920 wurde der leitende Arzt des Krankenhauses zu Frankenstein,
Dr. D., verklagt, weil er den Fabrikanten der Ausbeutung des Publi¬
kums beschuldigt hatte; die Eröffnung des Hauptverfahrens wurde
abgelehnt.
Gegen mich selbst hat der Fabrikant und sein Geschäftsführer
1919 eine Klage angestrengt wegen einer juristisch konstruierten
Beleidigung. Dieser Prozeß hat sämtliche Instanzen durchlaufen;
ist, nachdem das Hans. OLG. das Urteil aufgehoben hatte, an die
Strafkammer Hamburg zurückverwiesen worden; gegen deren Urteil
hat der Fabrikant wieder Revision beim OLG. eingelegt, eine Entsch.
ist noch nicht getroffen. Eine weitere Klage hat er i. J. 1920 wegen
meiner Bezeichnung „berüchtigtstes Geheimmittel“ gegen mich unter¬
nommen. Das Hamburger Schöffengericht hat die Eröffnung des
Hauptverfahrens abgelehnt, und die dagegen eingelegte Beschwerde
*) Siehe Fußnote auf vorhergehender Spalte.
364
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. ll
ist vom LG. zurückgewiesen worden. Von einer weiteren Anklage
wegen der Behauptung, daß der Fabrikant die deutschen Frauen
ausoeute und sich die oreiten Taschen fülle, bin ich vom Schöffen¬
gericht freigesprochen worden; das LG. hat aber dieses Urteil auf¬
gehoben, weil ich den Wahrheitsbeweis nicht erbracht hätte und
193 mir nicht voll zugebilligt werden könnte! Revision gegen dieses
rteil ist von mir eingelegt. Ich komme auf alle diese Urteile nach
Abschluß der Prozesse an anderer Stelle zurück.
Der Leiter der Apotheker-Zeitung hat gegen den Fabrikanten
Klage wegen Beleidigung angestrengt.
Der Oberarzt der Entbindungsanstalt in Berlin-Lichtenberg J. ist
von dem Fabrikanten wegen der Behauptung, daß das Präparat nur
dazu diene, den armen Frauen das Geld aus der Tasche zu locken,
w'egen Beleidigung verklagt worden. Das AG. Berlin-Lichtenberg
hat aber die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt. Eine Gegen¬
klage des Oberarztes gegen den Fabrikanten wegen Beleidigung
schwebt noch.
In einer von dem Fabrikanten 1921 gegen den praktischen Arzt
Dr. Th. in B. wegen der Bezeichnung „Schwindelmittel“ angestrengten
Beleidigungsklage ist der Angeklagte vom Hamburger AG. und LG.
freigesprocnen worden. Die Revision schwebt noch.
Der Fabrikant hat einige Sachverständige wegen Meineids bei
der Staatsanwaltschaft denunziert, doch ist es zu einer Verhandlung
nicht gekommen.
Eine Beschuldigung des Fabrikanten gegen den Direktor der
Berliner Universitäts-Frauenklinik Geheimrat B., wegen Abgabe eines
angeblich falschen Gutachtens hat zu einer Beleidigungsklage geführt.
Diese sowie die von dem Fabrikanten gegen die Direktoren sämt¬
licher deutschen Universitäts-Frauenkliniken (wegen ihrer i. J. 1920
veröffentlichten Warnung vor dem Präparat) gerichteten Beleidi¬
gungen haben den Antrag bei der Hamburger Staatsanwaltschaft
veranlaßt, gegen den Fabrikanten die öffentliche Anklage zu erheben.
Diesem Anträge soll demnächst stattgegeben werden. Ich selbst bin
bei diesem Verfahren als Nebenkläger wegen Beleidigung zugelassen.
Ein Münchener Staatsanwaltschaftssekretär ist i. J. 1920 von dem
Fabrikanten wegen des Wortes „Schwindelmittel“ verklagt worden.
Der Frauenarzt Dr. W. in Schw. ist 1922 aus demselben Grunde
von Wasmuth verklagt.
1918 hat das LO. Frankfurt a. M. einen Stuttgarter Buchhändler
und seine Ehefrau rechtskräftig verurteilt, weil sie durch die Ver¬
öffentlichung einer Annonce über Rad-Jo dem § 4 einer PolizeiVO.
des Regierungspräsidenten zu Wiesbaden zuwidergehandelt haben.
Auf Antrag von Prof. F. ist dem Fabrikanten durch Gerichts¬
urteil untersagt worden, seinen Namen für die Reklame zu gebrauchen.
Das Hamburger AO. und LO. haben 1921 auf Antrag des Direktors
der Marburger Universitäts-Frauenklinik Prof. Z. den Fabrikanten ver¬
urteilt, die Nennung seines Namens oder die Bezugnahme auf seine
Klinik zu unterlassen. Eine Beleidigungsklage desselben Direktors
gegen den Fabrikanten schwebt noch.
Der Verein gegen Unwesen in Handel und Gewerbe hat 1921
gegen den Fabrikanten eine Klage angestrengt, um ihn zu verhindern,
seine unwahren Behauptungen in den Prospekten weiterzuverbreiten.
Daß von den Gesundheitsbehörden der Karlsruher Ortsgesund¬
heitsrat und das Reichsgesundheitsamt bereits 1908 vor dem Mittel
gewarnt haben, ist schon erwähnt. Weitere Warnungen haben er¬
lassen: das Medizinalamt zu Hamburg (1907), das Polizeiamt Darm¬
stadt (1908), der Regierungspräsident zu Wiesbaden (19091, der preuß.
Kriegsminister (1918), die Regierung in Sachsen-Altenourg (1920),
zu Anhalt (1920), das Bayerische Staatsministerium (1921), der preuo.
Wohlfahrtsminister (1921), der Medizinalminister in Schwerin (1921)
usf. In Hamburg ist nicht nur die Ankündigung, sondern auch das
Feilhalten durch VO. des Senats verboten, desgl. im Kanton Zürich.
Der Rat der Stadt Chemnitz und der Rat der Stadt Leipzig
haben i. J. 1920 das Anpreisen, Auslegen und Feilhalten des Rad-Jo
widerraten und ersterer sogar bei Strafe verboten.
Rad-Jo ist auch vom Reichfinanzministerium im Verzeichnis der
luxussteuerpflichtigen Geheimmittel aufgenommen und trotz wieder¬
holten Protestes darin verblieben.
In letzter Zeit sind wiederholt Drogisten wegen Uebertretung
des § 1 der VO. v. 22. X. 1901 angeklagt, aber einstweilen freige¬
sprochen worden 1 ).
Aus dieser Zusammenstellung, die auf Vollständigkeit keinen
Anspruch erhebt, weil mir vermutlich manche Prozesse und öffent¬
liche Warnungen von Gesundheitsbehörden nicht bekannt geworden
sind, geht deutlich hervor, in welchem Maße das Rad-Jo-Präparat,
das nach dem Urteil des Hamburger LG. vom Jahre 1921 zu den
„übelsten Geheimmitteln“ gerechnet werden muß und für das nach
demselben Urteil „eine unlautere und an Schwindel grenzende“
Reklame getrieben wird, die Gerichte und die Gesundheitsbehörden
beschäftigt hat.
l ) Nicht unerwähnt möchte ich lassen, daß der Preußische Hebammenver¬
band auf seiner Tagung in Köln am 16. XII. 1921 folgenden Beschluß gefaßt hat: »Die
10. Hauptversammlung erblickt ln der Werbearbeit der Firma Vollrath Wasmuth ln
Hamburg für das Präparat Rad-Jo ein marktschreierisches Vorgehen für ein Oehelm-
mjttel, das erfahrungsgemäß in keiner Weise den in den Drucksachen angepriesenen
Wirkungen hinsichtlich der Erleichterung der Geburt entspricht. Die preußische Heb¬
ammenschaft lehnt deshalb jegliche Verwendung des Rad-Jo ab “
Und der Erfolg? In einem Schriftsatz, in dem der Fabrikant
1921 eine seiner Beleidigungsklagen begründet, behauptet er, daß er
einen Jahresumsatz von 5 Millionen Flaschen habe. Selbst wenn diese
Angabe unter die oben angeführte Kennzeichnung der Reklame fallen
sollte, so dürfte sie nicht allzusehr hinter den tatsächlichen Verhält¬
nissen Zurückbleiben: ein Beweis* wie sehr die deutschen Frauen
durch die Reklame, deren Unkosten im Jahre 1920 von einem Sach¬
kenner auf mindestens 1 Million M. geschätzt worden sind, irre-
geführt werden. Und wenn man bedenkt, daß die große Flasche des
Präparats, die vor dem Kriege an Apotheker und Drogisten etwa zu
9 M. (Verkaufspreis 12 M.), im November 1921 zu einem Preise
von etwa 55 M. (Verkaufspreis 75 M.L im Februar d. J. zu 69,35
(Verkaufspreis 95 M.) abgegeben worden ist, so kann man folgern,
welche Unsummen der Fabrikant an seinem Mittel verdient hat —’
trotz aller Gerichtsentscheidungen und aller Warnungen.
Eine wirksamere Bekämpfung des Geheimmittelunwesens tut
schon allein nach diesen Erfahrungen dringend not.
Die Wege hierzu an dieser Stelle ausführlicher zu erörtern, ver¬
bietet die Rücksicht auf den Raum. Einige Andeutungen sollen einst¬
weilen genügen.
Auf den Erlaß eines Gesetzes werden wir einstweilen ver¬
zichten müssen. Mit Recht sagt Geh. JR. Dr. Kronecker, einer
der besten Kenner der Materie, in der Deutsche Juristen-Ztg. 1899
S. 299: „Wirksam kann der Geheim mittelschwindel nur gleichzeitig
mit dem Kurpfuschertum bekämpft werden.“ Ein Gesetz gegen die
Kurpfuscher ist unter den heutigen politischen Umständen leider
gar nicht zu erwarten.
Sehr viel gewonnen würde mit einer (gesetzlichen?) Verord¬
nung, nach der — ähnlich wie im § 6 des Entwurfs i. J. 1910 — vom
Reichsrat der Verkehr mit Arzneien, die zur Verhütung,
Linderung oder Heilung von Krankheiten, Leiden oder
Körperschäden bei Menschen oder Tieren dienen sol¬
len, ferner von Kräftigungsmitteln für Menschen oder
Tiere, ferner von Säuglingsnährmitteln beschränkt
oder untersagt werden kann, wenn von deren Anwen¬
dung eine Schädigung der Gesundheit zu befürchten
ist, oder wenn sie in einer auf Täuschung oder Aus¬
beutung der Abnehmer abzielenden Weise angepriesen
oder vertrieben werden. Die darauf bezüglichen Urteile wür¬
den getroffen von einer Behörde, die ähnlich zusammengesetzt ist
wie die beim Reichsfinanzministerium bestehende Kommission für
die luxussteuerpflichtigen Geheimmittel.
Schon jetzt aber können die Gerichte schärfer gegen
Geheimmittelschwindel vorgehen; dazu ist vor allem nötig,
daß Staatsanwälte und Richter noch mehr, als es erfreulicherweise
in den letzten Jahren schon geschehen ist, den „guten Glauben“ an
den „guten Glauben“ der Kurpfuscher und Oeheimmittelschwindler
verlieren.
Eine Unsumme von Arbeit würde den Gerichten erspart werden,
wenn sie bei Beleidigungsklagen der Geheimmittelfabrikanten, die nur
dazu dienen sollen, die unbequemen Kritiker mundtot zu machen, die
Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnen würden. Bei
Verurteilung der Geheimmittelfabrikanten müßtendie
Gerichte gemäß § 200 StGB, die öffentliche Bekannt¬
machung des Urteils (und zwar des verfügenden Teils
und der Gründe) in zahlreichen Tageszeitungen auf
Kosten der Angeklagten anordnen. § 202 der StPO, müßte
de lege ferenda dahin erweitert werden, daß bei Ablehnung
der Eröffnung des Hauptverfahrens das Gericht die
Veröffentlichung des Beschlusses und seiner Gründe
auf Kosten des Privatklägers in mehreren Tageszei¬
tungen angeordnet werden kann. Wenn das geschähe, dann
würden die Geheimmittelfabrikanten wohl allmählich — namentlich
bei der Höhe der heutigen Anzeigengebühren — die Lust verlieren,
Beleidigungsklagen anzustrengen, die (um mit Oberreichsanwalt
Dr. Ebermayer zu reden) scheinbar dazu diencfn sollen, ihre
„leichtverletzliche Ehre zu reparieren“, in Wirklichkeit aber ihre
Kritiker von weiteren Kritiken abzuschredcen.
Mit solchen und weiteren Mitteln muß der Kampf gegen di£
Schädlinge der Volksgesundheit und Volkswirtschaft verstärkt werden.
Dieser Aufsatz ist — mit wenigen Aenderungen — auch in der
Deutschen Strafrechts-Zeitung Nr. 1 erschienen. In einem Nachwort,
das der Herausgeber Dr. jur. h. c. O. Liebmann dankenswerter¬
weise veranlaßt hat, schließt sich Reichsgeriditsrat Dr. v. Feilitsch,
Mitglied der Strafsenate am Reichsgericht und Mitglied der großen
Stralrechtskommission, meinen Forderungen im wesentlichen an. Er
bestätigt, daß der Kampf gegen den Geheimmittelschwindel bis¬
her nur einen geringen Erfolg gehabt hat und daß der Geheim¬
mittelschwindel wirksam nur gleichzeitig mit • dem Kurpfuscher¬
tum bekämpft werden könne. „Wird nicht diesem der Boden abge¬
graben, so müssen, da beide auf das innigste Zusammenhängen, alle
Mühen, jenen zu unterdrücken, umsonst bleiben. Zudem erscheint
es fast unmöglich, anders als von dem Erfordernisse der staatlichen
Anerkennung (Approbation) als Arzt für die Ausübung der höheren
Heilkunde aus zu einer sicheren und klaren Abgrenzung der be¬
treffenden strafrechtlichen Tatbestände zu kommen. Will man sich
auf den wenig dankbaren Boden gesetzgeberischer Ent¬
würfe begeben, so ließe sich vielleicht folgender Vorschlag zur
Prüfung stellen.
Digitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERS1TY
17. März 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
365
§29 A b s. 5 GewO, wäre dahin abzuändern:
,Zur Ausübung der Heilkunde als Arzt ist nur befugt, wer als
solcher auf Grund des Nachweises der Befähigung staatlich aner¬
kannt ist/
Im StrOB. würden Vorschriften etwa des Inhaltes einzuschal¬
ten sein:
(Abs. 1.) 1. Wer, ohne als Arzt staatlich anerkannt zu sein, ge¬
werbsmäßig Kranke ärztlich behandelt, wird mit Oefängnls bis zu
6 Monaten und Geldstrafe bis zu 10000 M. oder mit einer dieser
Strafen bestraft.
2. Ist durch die Behandlung die Krankheit verschlimmert worden,
so ist, soweit nicht in anderen Qesetzen schwerere Strafe angedroht
ist, die Strafe Gefängnis bis zu 2 Jahren und Geldstrafe bis zu
100000 M. oder eine dieser Strafen.
(Abs. 2.) Auch kann die öffentliche Bekanntmachung der Ver¬
urteilung auf Kosten des Schuldigen angeordnet werden/
Unter ärztlicher Behandlung wäre nur eine solche, wie sie im
Rahmen des Berufs als Arzt liegt, also nicht die eines bloßen Heil¬
gehilfen, Baders, Masseurs u. dgl. * zu verstehen, anderseits aber
auch jede ärztliche Behandlung irgendwelcher Art, mündliche, schrift¬
liche durch Rat oder Tat usw. Nr. 2 stellt ein sog. Erfolgsdelikt
dar; es genügt schon die Verursachung, Schuld des Täters ist nicht
erforderlich. Anders wenn § 17 des Entw. z. StrGB. v. 1919 Gesetz
würde, der die Verantwortlichkeit des Täters für die straferhöhende
Folge daran knüpft, daß er sie wenigstens als möglich voraussehen
konnte. Nr. 2 hat ferner im Verhältnis zu schwerer zu bestrafenden
Verfehlungen nur aushilfliche Bedeutung.
Endlich wäre wider den Geheimmittelschwindel eine Be¬
stimmung wie die in § 6 des Gesetzentwurfs v. J. 1910 mit Androhung
von Geldstrafe bis 100000 M. und Veröffentlichungsbefugnis an¬
gezeigt.
Leider ist auf eine Erreichung des Kampfzieles kaum zu hoffen.
Immerhin wäre schon etwas gewonnen, falls sich, wie der Schwalbe¬
sche Aufsatz wünscht, wenigstens Staatsanwälte und Straf¬
richter zu einem strafferen Vorgehen gegen Kur¬
pfuscher und Oeheimmittelschwindler entschlössen,
sobald die bestehenden Gesetze hierzu eine Hand¬
habe bieten/*
Standesangelegenheiten.
Bund Deutscher Assistenzärzte.
1. Als neue provinzielle Untergruppe des V. D. A. hat sich der Bund
Ostpreußischer Assistenzärzte gebildet. Vorsitzender ist Dr. Willimzik,
Königsberg i. Pr., Wilhelmstraße 8.
Die Gründung einer Ortsgruppe Bonn ist in die Wege geleitet.
2. Auf das Schreiben des Vorstandes an den Verband der Fachärzte
Deutschlands ist eine Antwort eingelaufen, die sich in der Facharztfrage in
wesentlichen Punkten der Auffassung des V. D. A. nähert.
Mit der Stellungnahme zu dem neuen Entwürfe des V. d. F. D. von
Richtlinien zur Anerkennung von Fachärzten und ihrer Zulassung zur kassen¬
ärztlichen Tätigkeit ist der Vorstand des V. D. A. zur Zeit beschäftigt.
Zwecks Gründung eines Kartells mit dem V. d. F. D. wurde der Vor¬
sitzende des V. D. A. zu der nächsten Vorstandssitzung des V. d. F. D.
(vorausssichtlich im März in Cassel) eingeladen.
Der V. d. F. D. hat sich bereit erklärt, in der nächsten Nummer der
Fachärztlichen Mitteilungen einen erneuten Hinweis auf zeitgemäße Besoldung
der Assistenten und Vertreter »bei Privatfachärzten zu bringen.
Wünsche und Anregungen der Ortsgruppen betr. der Facharztfrage sind
dem Vorstande willkommen.
3. Die Anstellung eines besoldeten Geschäftsführers durch den L. V.
wurde gemäß dem Beschlüsse des diesjährigen Vertretertages mit aller Energie
betrieben, scheiterte aber bisher an der Geldfrage. Nunmehr hat sich der
L- V. bereit erklärt, die Kosten zu übernehmen.
4. Die von mehreren Ortsgruppen neuerdings erhobene Forderung, daß
Stellenangebote, die unter den Forderungen des B. D. A. bleiben, vom L. V.
nicht mehr in die Stellentafel aufgenommen werden sollen, läßt sich in der
Form nicht durchführen, weil die Stellenangebote sonst in die Tageszeitungen
abwandem würden, wo jede Kontrolle fehlt und sich leider immer noch
genug Kollegen finden, die um jeden Lohn arbeiten. Die Stellenvermittlung
des L. V. hat sich bereit erklärt, die Einsender von Stellenangeboten auf die
Forderungen des V. D. A. aufmerksam zu machen.
5. Die Anfang Januar ausgesandten Fragebogen sind bei weitem noch
nicht alle an die Geschäftsstelle zurückgelangt. Die säumigen Ortsgruppen
werden dringend gebeten, die Fragebogen baldigst zurückzuschicken.
Sämtliche Zuschriften sind unter Beifügung von 2 Mark Rückporto zu
richten an die Geschäftsstelle des V. D. A., Leipzig, Dufourstraße 18 n.
Dr. Kortzeborn, i. Vorsitzender.
Feuilleton.
Allerlei aas dem Auslände.
Die allgemeine Niederländische Frauenorganisation hat bei dem
Gemeinderat der Stadt Rotterdam eine Eingabe eingereicht, daß bei
der Besetzung der Schnlarztstellen die weiblichen Aerzte in gerechtem
Verhältnis berücksichtigt würden. Der Magistrat hat sich darauf
bereit erklärt, da Frauen zur Besetzung dieser Stellen durchaus ge¬
eignet sind, bei Anstellungen keinen Unterschied zwischen männlichen
und weiblichen Bewerbern zu machen.
Die Zahl der Eheschließungen hat in den Niederlanden seit
Beginn des Jahres 1919 eine bemerkenswerte Steigerung erfahren,
und dementsprechend ist die Geburtenziffer auch seit September 1919
erheblich in die Höhe gegangen. Sie stieg in diesem Monat um
50o/ 0 und hielt sich seitdem hoch. Man muß diese Tatsache mit
der Ende 1918 erfolgten Demobilmachung erklären. Es kehrten viele
Männer in die Heimatorte zurück, die wegen des Weltkrieges und
der nachher drohenden Revolution unter Waffen gehalten worden
waren. Eisenhardt
Der am 5.-7. VII. 1921 in London abgehaltene II. englische
Kongreß für Klnderl&rsorge hat neben Besichtigungen aller Art auch
die wichtigsten aktuellen Fragen behandelt. Dem Rückgang der
Kindersterblichkeit in den letzten 20 Jahren entspricht auch
in England und Wales keinesfalls ein solcher der Müttersterb¬
lichkeit. Die Zahlen betragen für 1900: 154 bzw. 4,8, für 1920:
80 bzw. 4,2. Ja, die Sterblichkeit an Wochenbettfieber stieg
sogar von 0,76 auf 1,87. Die Schuld hieran lediglich der schlechten
Ausbildung der Hebammen zuzuschreiben, wie der Bericht¬
erstatter Dr. James Campbell es tat, ist wohl kaum richtig. In
England und Wales sind etwa 70 Mütterheime mit rund 700 Betten
bekannt, 20 neue werden geplant, ihr weiterer Ausbau mit je 10 bis
20 Betten wird amtlich gefördert. Unter diese Größe herunterzu¬
gehen, verbietet sich der Rentabilität wegen. Man rechnet drüben auf •
2 Säuglinge eine Pflegerin. Die Kosten des Pfleglings werden mit
1 £ 14 sh 7 d wöchentlich normiert. Die Zunahme der unehelichen
Geburten infolge des Nachlassens von Zucht und Sitte im Kriege
wird auch drüben beklagt, ebenso das Anwachsen der Geschlechts¬
krankheiten und ihrer verheerenden Folgen. Audi die Frage der
Milch Versorgung und der Milclfküchen wurde eingehend
erörtert. Es ist auch in England höchst unwahrscheinlich, daß der
jetzige hohe Milchpreis je zur Tiefe der Vorkriegszeit zurück¬
kehren wird. Der Streik der Abnehmer, um den Preis zu verringern,
ist dazu ein untaugliches Mittel. Auch in England herrscht Milch¬
knappheit, die zu reichlichem Gebrauche von Trockenmilch zwingt.
Dr. Hope (Liverpool) berichtete über seine bekannten und erfolg¬
reichen Bemühungen zur Hebung der dortigen Milchversorgung für
Mütter und Säuglinge durch Errichtung von Milchküchen. Im
Jahr 1920 erhielten dort Milch 1000 Schwangere, 9000 Stillende,
6000 Säuglinge, 4000 Kleinkinder. Die Säuglingssterblichkeit sank von
202 in 1895 auf 113 in 1920. Demgegenüber unterstrich Dr. Waller
den Wert der Muttermilch. Endlich erörterten verschiedene
Berichterstatter Vererbungsprobleme (Syphilis und Tuber¬
kulose) und den Einfluß der Umgebung, einschließlich des
Klimas auf die Säuglinge. Auffallend ist die Zahl der weiblichen
Berichterstatter, besonders auch der Nichtärzte unter ihnen. Be¬
merkenswert ist das enge Zusammenarbeiten der freien Liebestätig¬
keit mit den amtlichen Stellen und die liberale Unterstützung, die
letztere ersteren angedeihen lassen. (Publ. Health Reports Oct. 7,1921.)
Sieveking (Hamburg).
Die englische Schwestergesellschaft der Deutschen Gesellschaft
zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, der National Conncil
of Comhating Venereal Diseases, gibt seit dem November unter dem
Titel „Health and Empire** eine den „Mitteilungen** der DGBG.
nachgebildete Vereinszeitschrift heraus. Die uns vorliegende erste
Nummer bringt kurze Aufsätze belehrenden Inhalts und Mitteilungen
aus den Ortsgruppen und dem Ausland. N.C.C.V.D. ist im Gegen¬
satz zu der Society for Prevention of Venereal Diseases, mit der er
deswegen in ständiger Fehde lebt, Oegner des persönlichen Selbst¬
schutzes. In der vorliegenden Nummer werden deutsche Zahlen
für die Wirkungslosigkeit des Selbstschutzes angeführt, die aber
jeder Beweiskraft nach dieser Richtung entbehren.
Blaschko (Berlin).
Nach der Statistik des englischen Volksgesundheitsministeriums
stehen in England und Wales 412 Fürsorffestellen und 18056 Heil-
8titleobetteo für Pbthislker zur Verfügung, 312 Aerzte befassen sich
mit der Tuberkulosebekämpfung. Noch vor 2 Jahren betrug die
Zahl der zur Verfügung stehenden Betten nur 14000, in 2 Jahren
hofft man auf 22000 Betten zu kommen; 1914 betrug die Zahl der
Tuberkulosen 99000, davon starben 56000. 1920 waren es 73000
und 42000 Todesfälle. E.
Die englischen Krankenpflegerinnen fallen unter das neue Arbeits¬
losenversicherungsgesetz, sind davon aber wenig erbaut. Praktisch
besteht in diesem Beruf keine Arbeitslosigkeit, und die Schwestern
wünschen auch nicht, als „Arbeiter** behandelt zu werden. E.
Nach dem Bericht der Pariser Schulärzte waren 7°/ 0 der Kinder
krank oder kränklich; wenn man die mäßig gesunden Kinder hin¬
zurechnet, betrug die Zahl 25o/o, die unter ärztlicher Aufsicht waren.
Mundkrankheiten hatten 56 Jungen und 119 Mädchen; an Karies
litten 7489 — 33o/ 0 , 17o/o der Schüler litt an Oehörstörungen. Von
den Knaben hatten 61 o/o, von den Mädchen 55o/ 0 normales Sehver¬
mögen. 50 o/o der Mädchen und 45 o/o der Knaben litten an Körper¬
deformitäten, für deren Entstehung die Aerzte unzweckmäßige Schul¬
bänke verantwortlich machen. E.
In Paris sind auf Anordnung des Polizeipräfekten bei den Polizei¬
stationen Listen der Apotheken ausgelegt, die nachts oder an Sonn-
und Festtagen geöffnet sind, sodaß jeder die Listen im Bedarfsfälle
einsehen kann. Auch telephonisch wird auf Anfrage Auskunft erteilt.
Von abends 10 Uhr bis früh Vt6 Uhr können Leute, die nicht in
□ igitized by Gougle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
366
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
der Lage sind, selbst nach ferner gelegenen Apotheken zu gehen,
vom Arzte al 9 „sehr dringend“ bezeichnete Rezepte auf dem nächsten
Polizeibureau abgeben, wo ein Polizist die Besorgung der Medizin
übernimmt. E-
Die Public Health Reports vom 14. und 28. X. 1921 bringen einige
interessante statistische Mitteilungen über die QesuodheiUverhältnisse
in Nordamerika. Sie betreften 24, also die Hälfte, der Staaten der
Nordamerikanischen Union. Denn nur aus diesen sind statistische
Aufstellungen bisher erhältlich. Ihre Bevölkerung (63659441 Ein¬
wohner) entspricht ungefähr derjenigen des heutigen Deutschen
Reiches. Die Zahl der Geburten betrug 1508874 (gegen 1919 eine
Zunahme von 7,6o/o) =* 23,7o/o. Diejenige der Todesfälle 836 154
= 13,l%o- Es wurden 16311 Pockenfälle gemeldet, von denen
nur einer starb. Von diesen waren im Lauf der letzten 7 Jahre
geimpft 416, mehr als 7 Jahre vorher 677, nie erfolgreich geimp,ft
11630, mit unsicheren oder gar keinen Angaben 3588 Fälle. Die ent¬
sprechenden Zahlen für das erste Halbjahr 1921 betragen 18374 Mel¬
dungen ohne Todesfall, ferner 299, 863, 11076 und 6136 Fälle.
S i e v e k i n g.
In Neuyork wurde ein Arzt zu 500 Dollars Strafe verurteilt, weil
er ein selbstverfertigtes Mittel als „spezifisches Tuberknlosemittel“
angepriesen hatte. Die Untersuchung einer unter größten Schwierig¬
keiten erlangten Probe dieses Mittels, das der Arzt selbst verab¬
reichte, ergab, daß es sich um eine Mischung gewöhnlichster Heil¬
mittel handelte. Man ist in der Bekämpfung solcher Kurpfuscher in
*• Amerika strenger als anderswo. Im Anschluß an den amerikanischen
Bericht meldet die Nederl. Tijdschr. von einem Tuberkuloseheil¬
mittel „Granuline“, das von einem Arzte J. H. Grafhorst her¬
gestellt wird und für das ein Schulleiter in Arnheim und dessen Ver¬
wandtschaft lebhafte Reklame machen. E.
In China hat sich Dr. Hoashoo als erster weiblicher Arzt
niedergelassen. Sie hat ihr'Studium in Edinburg absolviert. E.
Kleine Mitteilungen.
— Berlin. Der Vorstand des L.V. beschäftigte sich in seiner Vor¬
standssitzung am 31.1. mit der Haftpflichtversicherung der
Aerzte. Der Allgemeine Deutsche Versicherungsverein in Stutt¬
gart wünscht weitere Erhöhung der Prämienzuschläge zu den
laufenden Haftpflichtversicherungsverträgen. Auf ein dazu eingeholtes
Gutachten des Versicherungsschutzverbandes wurde beschlossen, nur
unter der Bedingung den Aerzten eine Annahme weiterer Zuschläge
zu empfehlen, daß die erhöhten Prämien nicht mehr als 75<y<> der
Neupramie betragen, daß ferner den Aerzten mit Röntgenapparaten
Fortführung ihrer Haftpflichtversicherungsverträge möglich sein soll,
auch wenn sie in Zukunft ihren Röntgenapparat aus der Versicherung
fortzulassen wünschen.
— Im Preußischen Ministerium für Volkswohlfahrt fand eine ein¬
gehende Besprechung zwischen den Vertretern der Großverbände der
Aerzte, der Zahnärzte und der Reichsversicherungsträger über die
Neufassung der preußischen Gebührenordnung für Aerzte und
Zahnärzte statt. Die neue Gebührenordnung soll am 1. IV. d. J. in
Kraft treten.
-- Der Zentralverband der Angestellten stellt die For¬
derung auf, die Versicherungsgrenze bei der Angestell¬
ten Versicherung, die zur Zeit 30000 M. beträgt, auf 100000 M.
zu erhöhen. Damit würden alle Angestellten unter die Versicherung
fallen. Hiergegen wendet sich die Vereinigung der leitenden An¬
gestellten, da es nicht in ihrem Interesse liege, in die heutige An¬
gestelltenversicherung einbezogen zu werden.
— Die Teuerung hat im Monat Februar stark zu¬
genommen. Die Reichsindexziffer für Lebenshaltungskosten, die
vom Statistischen Reichsamt auf Grund der Erhebungen über die
Kosten für Ernährung, Heizung, Beleuchtung und Wohnung berechnet
wird, ist vom Januar zum Februar von 1640 auf 1989, also um 349
Punkte oder 21,3 v. H. gestiegen. Verglichen mit dem Stand vor
einem Jahre (Februar 1921) bedeutet dies eine Verteuerung der
erwähnten vier Lebensbedürfnisse um 120,8 v. H. Die Kosten der
Lebenshaltung haben sich also seitdem weit mehr als verdoppelt. Zu
der Verteuerung im Monat Februar trugen vor allem die Ernährungs¬
ausgaben bei, deren Indexziffer von 2219 im Januar um 23 v. H.
auf 2727 gestiegen ist. Die Mitte des Monats eingetretene Brot¬
preiserhöhung kommt in den Indexziffern für Februar erst zur Hälfte
zum Ausdruck. Auch die Ausgaben für Heizung, Beleuchtung und
die Wohnungsmiete haben sich weiter gesteigert. Und damit ver¬
gleiche man die kassenärztlichen Honorarei
— Im Verein für innere Medizin und Kinderheil¬
kunde sprach am 6. d. M. Lubarsch über Tuberkulose und Leuk¬
ämie (Besprechung V. Schilling und Lubarsch). Zu dem Vor¬
trag von V. Schilling über Beispiele von praktischer Blutbildver-
wertung äußerte sich O. Stahl. lieber die Strahlenbehandlung des
Krebses auf Grund einer von der Redaktion der D. m. W. bei den
Direktoren sämtlicher deutscher Universitäts-Frauenkliniken und
Chirurgischer Kliniken veranstalteten Umfrage berichtete O. Strauß.
— Unter den weiteren Ehrungen (Nr. 10 S. 332), die Qeh.-Rat
S. Alexander zu seinem 70. Geburtstag erwiesen worden sind, ver¬
dient die Errichtung einer S. Alexander-Stiftung in Höhe von
200000 M. durch die Wohlfahrtskasse der Berlin-Brandenburgischen
Aerztekammer hervorgehoben zu werden. Der Betrag ist dem Fonds
Digitized by
Google
Nr. li
entnommen, der auf Initiative von S. Alexander zur Unterstützung
der kriegsbeschädigten Aerzte während des Krieges seitens der
Kassenärzte von Groß-Berlin zustandegekommen ist (Nr. 10 S. 329).
— Die Aerztliche Gesellschaft für Sexualwissenschaft und
Eugenetik in Berlin veranstaltet am 25. III. (abends 7 Uhr) und am 26. III,
(vormittags 10 Uhr) eine 2 tägige Sitzung im großen Hörsaal des Zentralinstituts
für Erziehung und Unterricht Potsdamer Straße 120 . Tagesordnung: Die
Mitarbeit des Arztes an der Bekämpfung des Geburtenrückganges.
Referenten sind Regie:ungsrat Roesle, Dr.G.Tugendreich, Prof.Grotjahn,
Prof. Poll, Geh.-Rat Posner und Df. Max Hirsch. Auskunft erteilt
Dr. Czellitzer, Berlin W 9» Potsdamerstr. 5.
— Die diesjährige Generalversammlung des Deutschen Zentral-
kommitees zur Erforschung und Bekämpfung der Krebskrankheit
wird mit einer wissenschaftlichen Tagung verbunden sein, welche unter
Leitung von Geh.-Rat Kolle am 23 . IV. (Beginn 10 Uhr vormittag) im ln-
stitut für Experimentelle Therapie, st ittfinden wird. Vorträge: Prof. Caspari:
Betrachtungen über das Krebsproblem, besonders vom Standpunkt der
Immunität, Dr. Schwarz: Tumorzellen und Tumoren, Prof. Dessauer:
Physikalische Ged nken zur Röntgentherapie der Karzinome, Geh.-Rat Seitz:
Erfahrungen in der Strahlenbehandlung von Karzinomen und Sarkomen.
Anfragen an Prof.Caspari, Institut für EexperimentelleTherapie, Frankfurta.M.
— Die 3- Tagung für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten
findet am 28 . und 29 . IV. in Bad Homburg statt. Themen: Gallenstein-
Krankheiten. Referenten: Proff. Lichtwitz (Altona), Singer (Wien), F.W.
Strauch (Halle a. S.), Voelcker (Hallea. S.); Beziehungen zwischen
Störungen der Kreislaufs- und der Verdauungsorgane. Referenten:
Proff. Hoffmann (Düsseldorf) uni von den Velden (Berlin). Vorsitzender
Geh.-Rat. v. Noorden (Frankfurt a. M.). Anfragen an Prof. Fuld, Berlin,
Uhlandstr. 157. 1
— Pocken. Deutsches Reich (12.— 18. II.) 1. — Fleckfieber. Deutsches Reich
(19—25. n.) 3. — Qenickstarre. Deutsches Reich (29.1.—4. n.) 26. — Ruhr. Deut¬
sches Reich (?9.1.—4. II.) 62. — Abdominaltyphus. Deutsches Reich (29.1.—4. IL) 141.
— Hochschulnachrichten. Breslau. Dr. Renner, Oberarzt der
Urologischen Poliklinik, hat sich für Chirurgie habilitiert. — Erlangen.
Dr. Hauenstein hat sich für Zahnheilkunde habilitiert — Frank¬
furt a. M. Priv.-Doz. Propping, Oberarzt an der Chirurgischen
Klinik, hat die Dienstbezeichnung a. o. Professor erhalten. Dr. Scheer
hat sich für Kinderheilkunde habilitiert — Freiburg. Dr. Wagenseil
hat sich für Anatomie habilitiert — Göttin gen. Priv.-Doz. Blüh*
dorn, erster Assistent an der Kinderklinik, erhielt die Dienstbezeich¬
nung a. o. Professor. Dr. Schermer, Direktor des Tierseucheninstituts
der Landwirtschaftskammer in Hannover, erhielt einen Ruf als Professor
der Tierheilkunde zum Nachfolger von Geh.-Rat Esser. — Königs¬
berg. Prof. Bruns (Göttingen) hat den Ruf als Direktor der Medi¬
zinischen Poliklinik als Nachfolger des Geh. Med.-Rats J. Schreiber
angenommen. — Wien. Prof. K. Sternberg wurde an erster Stelle
für den Pathologisch-anatomischen Lehrstuhl in Zürich vorgeschlagen.
— Graz. Dem Priv.-Doz. für Soziale Medizin Burkard ist der Titel
a. o. Professor verliehen worden.
— Gestorben. Geh. San.-Rat Prof. K. L Schleich, der bekannte
Erfinder der nach ihm benannten Lokalanästhesie und in weiten Laien¬
kreisen beliebter Schriftsteller, 62 Jahre alt, an einem chronischen
Nierenleiden und Lungenentzündung, am 7. d. M. im Sanatorium zu
Saarow bei Berlin. (Nachruf folgt.) — Ministerialrat Garlipp am 10.III.
an einem Oesophagus-Karzinom in Groß-Lichterfelde. Ursprünglich
Militärarzt und sehr geschätzter Pädiater erhielt Garlipp bei der Grün¬
dung des Reichsarbeitsministeriums das verantwortungsvolle Personal-
referat. In dieser Stellung hat er organisatorisch Hervorragendes ge¬
leistet, gleichzeitig aber. auch durch seine menschenfreundliche Art sich
den Dank sämtlicher Aerzte des Versorgungswesens erworben. Die
mannhafte Aufrichtigkeit seines Wesens und seine Seelengüte sichern
ihm ein bleibendes Andenken bei allen, die mit ihm zusammen gearbeitet
haben. —- Prof.Friedrich Klein, Extraordinarius für Physiologie, im
70. Lebensjahr am 4. III. in Kiel.
— Literarische Neuigkeiten. Geh.-Rat Prof. Rapmund hat am
1. III. die Schriftleitung der Zeitschrift für Medizinal beamte nieder¬
gelegt, nachdem er diese Zeitschrift 1888 mitbegründet und 30 Jahre
(von 1892—1922) redigiert hatte. In seiner sehr verdienstvollen Tätig¬
keit als Schriftleiter hatte sich Rapmund auch ganz besonders mit
den Standesfragen befaßt und diese mit einer außerordentlichen Sach¬
kenntnis und Ueberzeugungstreue verfochten. Seinem energischen,
zielbewußten Handeln verdanken die Medizinalbeamten sehr viel und
beim Rücktritt von der Leitung der Zeitschrift kann Rapmund die
Ueberzeugung mitnehmen, daß er sich nicht nur die Liebe und Achtung
seiner Kollegen in weitgehendstem Maße gesichert hat, sondern daß
seine reiche Tätigkeit auch von großem Ertolg begleitet war. — Geh.
Med.-Rat Solbrig (Breslau) wird an Rapmunds Stelle die Schrift¬
leitung der Zeitschrift für Medizinalbeamte übernehmen.
— Zu unserer (durch unser Postamt verschuldeten) in Nr. 3 S. IW
veröffentlichten Mahnung betreffend die Freimachung von Korrektur
sendu ngen haben wir auf Grund der Auskünfte anderer Postämter aus unserem
Leserkreise einige Berichtigungen erhalten, die uns veranlaßt haben, einen nu߬
geblichen Bescheid bei der Oberpostdirektion einzuholen. Danach kann als
festgestellt angesehen werden, daß Korrekturbogen, wenn sie keine
schriftlichen Mitteilungen außer den Korrekturen enthalten, auch
ohne Manuskript als Drucksache versandt werden dürfen. Dagegen
müssen Manuskripte allein nur als Geschäftspapiere freigenucht
werden (bis 250 g 2.— M.).
Origiral frem
CORNELL UNSVERS1TY
LITERATURBERICHT
Redigiert von Prof. Dr. R. von den Velden.
Zeitschriften: Klinische Wochenschrift Nr. 7-8. — Münchener medizinische Wochenschrift Nr. 7 - 8 . — Wiener klinische Wochenschrift Nr. 6. — Virchows
Archiv Bd. 234 H. t. — Archiv für Psychiatrie Bd. 64 H. t-2. — Zeitschrift für die gesamte Neurologie Bd. 70 . — Archiv für klinische Chirurgie Bd. 117 H. 4. -
Zeitschrift für Kinderheilkunde Bd. 30 H. 5-6. — Mitteilungen der Tierseuchenstelle der Thüringischen Landesanstalt für Viehversicherung.
Philosophie.
Hermann v. Helmholtz, Schriften zur Erkenntnistheorie.
Herausgegeben und erläutert von Paul Hertz (Qöttingen) und
Moritz Schlick (Rostock). Berlin, J. Springer, 1921. 175 S. M. 45.—.
Ref.: Th. Ziehen (Halle a. S.)
Es ist in hohem Maß willkommen zu heißen, daß hier die vier
bedeutendsten erkenntnistheoretischen Schriften von Helmholtz (Ur¬
sprung und Bedeutung der geometrischen Axiome; Tatsachen, die der
Geometrie zugrunde liegen; Zählen und Messen; Tatsachen in der
Wahrnehmung) in einer Ausgabe zusammengefaßt werden. Auch die
zahlreichen Erläuterungen sind fast ausnahmslos sehr dankenswert.
Für das Verständnis der philosophischen Anschauungen von Helm¬
holtz ist damit ein breiter Zugang eröffnet.
Geschichte der Medizin.
♦♦ Philipp Jakob Veit, Das erste Auftreten des morbus
Gallorum oder mal um Franclae io Mainz im Jahre 1496.
Heidelberger Inaugural-Dissertation. Karlsruhe 1921. Ref.: F. Dör-
beck (Berlin).
Die Unrichtigkeit der Angabe F. J. Bodmanns, daß die Syphilis
schon 1472 in Mainz aufgetreten sei, war bereits durch die Arbeiten
J. Blochs und A. v. Notthaffts nachgewiesen worden. Veit ist
durch einen glücklichen Fund in der Lage, Blochs Beweisführung
bezüglich Bodmanns Unzuverlässigkeit nicht nur zu stützen, sondern
sogar aus anderen zeitgenössischen im Original vorliegenden Mainzer
Quellen die Unmöglichkeit der Bodmannschen Zeitangabe für Mainz
klar zu erweisen. Es geht nämlich aus den fast lückenlosen Protokollen
des Mainzer Domstiftes hervor, daß die Syphilis in Mainz nicht vor
1496 oder 1497 aufgetreten, ist. Die Krankheit wird in den Protokollen
als morbus contagiosus bezeichnet, die Isolierung der Kranken befür¬
wortet. Die kleine Schrift bildet einen wertvollen Beitrag zur Fest¬
stellung der Zeit des ersten Auftretens der Syphilis in Deutschland und
zur Widerlegung der Lehre von dem asiatischen Ursprung der Krankheit.
Biologie.
++ W. A. Collier, Einführung In die Variationsstatistik, mit
besonderer Berücksichtigung der Biologie. Berlin, J. Springer,
1921. 72 Seiten mit 8 Abbildungen. M. 33.—. Ref.: V. Haecker
(Halle a. S.).
Die kleine Schrift bringt in Anlehnung an die ausführlichen Dar-'
Stellungen von Johannsen und Lang eine knappe, aber klare Ueber-
sicht über die Methoden und Formeln der Variationsstatistik. Sie ist
für Biologen und Mediziner bestimmt und verfolgt, worauf schon die
gewählten Beispiele hinweisen, nebenbei den Zweck, den variations-
statistischen Methoden speziell in der Immunitätslehre Boden zu
verschaffen. Die Zusammenstellung wird besonders auch dann gute
Dienste leisten, wenn gewisse allgemeine Kenntnisse auf diesem Ge¬
biete bereits vorliegen und während einer bestimmten Untersuchung
die einzelnen Formeln und ihre Bedeutung rasch ins Gedächtnis
zurückgerufen werden sollen. Aber auch der Anfänger, der der
mathematischen Gedankenwelt nicht gänzlich ferne steht, wird sich
Aber die Methodik an der Hand dieses kurzen Leitfadens ohne zu
große Schwierigkeit orientieren können. Das Kapitel „Korrelation"
dürfte in einer zweiten Auflage etwas ausführlicher zu behandeln sein.
Allgemeine Pathologie und Pathologische Anatomie.
Hermann Werner Siemens (München), Fachausdrücke der
modernen Vererbungslehre. M. m. W. Nr. 8. Alphabetische Zu¬
sammenstellung der wichtigsten vererbungsbiologischen Termini.
H. Kästner (Leipzig), Bewegliche 10. Rippe als Stigma entero-
ptotlcnm. Arch. f. klitf. Cnir. 117 H. 4. In der Payrschen Klinik fanden
sich unter 28 aus einem gemischten Material wahllos herausgegriffenen
Fällen von doppelseitiger beweglicher 10. Rippe, 3 hochgradige,
4 mittlere, 3 geringfügige Gastroptosen, 4 Kranke mit geringem Tief¬
stand der großen Kurvatur ohne jedes Zeichen einer Magensenkung.
Bei 14 Kranken fehlte jedes Zeichen einer Magensenkung. Diese Be¬
funde sprechen nicht für einen engen Zusammenhang von Oastroptose
und beweglicher 10. Rippe, insbesondere nicht für die praktische
Brauchbarkeit des Stigma.
M. Askanazy und W. Brack, Sexuelle Frühreife bei einer
Idiotin mit Hypoplasie der Zirbel. Virch. Arch. 234 H. 1. Bei einer
10jährigen Idiotin wurde eine vorzeitige Entwicklung der sekundären
Geschlechtscharaktere festgestellt; die Kranke konnte bis zu ihrem Tode
im 23. Jahre weiter beobachtet werden (Weber). Die Sektion ergab
außer einer Mikrozephalie mit partieller Mikrogyrie und Porenzephalie
vor allem eine Hypoplasie der Zirbel, Persistenz des Thymus und
einen Basedowstruma-ähnlichen Kropf. Der Fall zeigt, daß bei Er¬
haltenbleiben des Lebens die sexuelle Frühreife sich keineswegs pro-
ressiv zum Hypergenitalismus adultorum zu entwickeln braucht, denn
ei der Sektion konnte eine somatische oder sexuelle stärkere Ent¬
wicklung nach keiner Richtung hin festgestellt werden. Der Befund
einer hypoplastischen geschwulstfreien Zirbel spricht dafür, daß nicht
nur die Geschwülste der Zirbel, sondern die Zirbel als solche Be¬
ziehungen zur Entwicklung des Genitalapparates unterhält. Es ist der
erste Fall von pinealer Präkozität bei einem weiblichen Wesen; die
Zirbelfunktion scheint danach beim männlichen und weiblichen Ge¬
schlecht dieselbe zu sein.
H. Bettinger, Oedemkraokhelt auf Grund der Kriegserfah¬
rungen des Pathologischen Institutes Halle. Virch. Arch. 234
H. 1. Bericht über 136 von Beneke sezierte Fälle. Die bisher be¬
kannten Befunde werden vor allem durch die Beobachtung von
gallertiger bzw. leimiger Umwandlung des Knochenmarks und stärke¬
ren Hämosiderinablagerungen in den Organen ergänzt
A. Fraenkel (Wien), Krebskrankheit. W. kl. W. Nr. 5 u. 6. All¬
gemeine Gesichtspunkte über die Ergebnisse einer von der Österreich.
Gesellschaft zur Bekämpfung der Krebskrankheit veranstalteten Sammel¬
forschung. Man gewinnt aus den sehr ausführlichen, mit vielen
Einzelheiten ausgestatteten Darlegungen immer wieder den Eindruck,
daß die Kenntnisse von der Krebsätiologie trotz aller auf ihre Erfor¬
schung verwandten Mühe noch sehr dürftig sind.
W. H. Hoffmann (Habana, Kuba), zur Krebsütiologle auf
Grund der Krebsstatistik in Kuba. M. m. W. Nr. 8. In Kuba wird
rohes" Gemüse nicht gegessen, der Krebs ist dort nicht seltener als
anderswo. Die Annahme, daß durch den Genuß ungekochten Gemüses
das Krebsgift in den Körper gelange, ist unbegründet.
R. Bieling und S. Isaac (Frankfurt a. M.), Intravitale Hlmolyse.
Kl. W. Nr. 8. Die Versuche erwiesen die Bedeutung der Milz für die
Ausscheidung irgendwie geschädigter Erythrozyten ohne Rücksicht
auf den weiteren Verlauf des Ausscheidungsmechanismus. Des weiteren
ergaben die Versuche aber auch, daß nicht der Milz allein die Be¬
deutung für die intravitale Hämolyse zukommt, sondern vielmehr
einer Gewebsart, welche in der Milz zwar besonders reichlich, jedoch
auch sonst im Körper verteilt und in funktionell genügender Menge
vorhanden sein muß. Auch für die Ausbildung des Ikterus ist die
Milz nicht notwendig.
St. Weiß und E. Stern (Budapest), HümolysiiMldnag nach Milz-
extirpatioo. W. kl. W. Nr. 6. Versuche am Kaninchen zeigen, daß
nach Milzexstirpation die Hämolysinbildung erheblich herabgesetzt wird.
W. Jehn, Cysticercus cellulosae. Virch. Arch. 234 H. 1. Bei
einem 34jährigen Manne wurden 2 Jahre nach Entfernung eines Band¬
wurms die ersten klinischen Erscheinungen einer Zystizerkenaussaat
im subkutanen und intramuskulären Gewebe festgestellt. Allmählich
entwickelten sich 50—60 Zystizerken, ohne besondere Beschwerden.
Die histologische Untersuchung einer Probeexzision durch Obern¬
dorfer ergab Finne mit Hakenkranz. Im 2. Falle handelte es sich
um einen 33iährigen Landwirt, bei dem multiple Zystizerken der
Hirnhäute offenbar epileptische Anfälle ausgelöst hatten; der Tod
erfolgte durch Schädeibruch nach Sturz während eines Anfalles.
P. Zauseh, Oesophagus-Atresie und Oesophago-Trachealfistel.
Virch. Arch. 234 H. 1. Außer der im Titel erwähnten Mißbildung
wurden bei dem neugeborenen Knaben noch zahlreiche andere Ent¬
wicklungsstörungen beobachtet, die sämtlich auf einen in frühester
Periode einwirkenden einseitigen Druck gegen die linke Brustwand,
etwa durch Fruchtwassermangel, zurückgefünrt werden. Obduktion
von Beneke.
M. Askanazy mit Sedat, Gloor und Kotzareff, Bau und
Entstehung des chronischen Magengeschwürs, sowie Soorpllz-
befunde in ihm. Virch. Arch. 234 H. 1. In der groß angelegten
Arbeit vi^ird auf Grund reicher Erfahrungen der Bau und die Entstehung
des chronischen Magengeschwürs genau geschildert. Beim chronischen
Magenulkus zeigt sich fast immer, daß alle Magen wandschichten zer¬
stört sind, dabei wird aber dauernd von einer Granulationsschicht neues
Narben^ewebe geliefert. Diese Heilungsbestrebungen können sich
Jahre uid jahrzehntelang hinziehen, aber immer wieder tritt an der
inneren Oberfläche des Ulkus periodenweise eine frische akute Entzün¬
dung auf. Dabei kommt es zur Bildung einer fibrinoiden Nekrose mit
freiem Exsudat. Das sind die Hauptmomente, welche die Chronizität
bzw. Periodizität des Ulkus bedingen. Die ätiologischen Faktoren
müssen daher in letzter Linie Agenden entzündlicher Natur sein Auf
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
368
LITERATURBERICHT
Nr. 11
.Grund von 26 Sektions- und Operationsbefunden wird weiter das Vor¬
kommen des Soorpilzes und die Soorpilzinfektion auf dem Boden des
Magengesschwürs eingehend erörtert. Danach ist der Pilz;k eines Wegs
ein harmloser Saprophyt, sondern er ist auf dem des Boden Ulkus teils
infektionsbereit, teils in pathogener Wirkung. Zahlreiche gute Abbil¬
dungen ergänzen die interessanten und wichtigen Befunde Askanazys^
4 A. W. Fischer, Ulcus limptex des Dünn* und Dickdarms. (Zu¬
gleich über Ulzera auf dem Boden restlos zerfallender Darmwand¬
metastasen hypernephroider Nierengewächse.) Virch. Arch. 234 H. 1.
Das scheinbare Ulcus Simplex des Dünndarms im ersten Falle stellte
sich — wie in einem Nachtrag hervorgehoben wird — bei der Obduktion
etwas verwickelter heraus, da in der Nähe der multiplen Geschwüre
im Mesenterium hypernephroide Knoten gefunden wurden. Die Arbeit
ist unübersichtlich, da sie vor der klärenden Obduktion fertiggestellt
war und nachher nicht entsprechend umgearbeitet wurde. Ein per¬
foriertes Zökumgeschwür ist nur klinisch mit Operationsbefund be¬
schrieben.
D. Ohmori, Membrana propria der Glomeralasschliofen in der
Nierenpathologie. Virch. Arch. 234 H. 1. Verfasser kommt auf
Grund histologisdier Untersuchung von 10 Fällen (1 Argyrie, 4 Amy¬
loidnieren, 5 Glomerulonephritiden) unter Anwendung einer von
Askanazy angegebenen Färbemethoae mit Reinblau zu dem Resultat,
daß die Membrana propria der Glomerulusschlingen wirklich vorhan¬
den ist; sie zeigt eine efektive Attraktion für Silberniederschläge; Amy¬
loid lagert sich zunächst nach innen von der Membrana propria.
Hoff mann, Histomechaiilk des normalen Elerstnckbanes und
der chroni«cben Oophoritis. Virch. Arch. 234 H. 1. Untersuchungen
an normalen und chronisch veränderten Eierstöcken sprechen nach
Verfassers Ansicht dafür, daß stets mechanisch bestimmte Trajektorien-
systeme den Aufbau der Ovarien beherrschen.
P. Zausch, Multiple maligne Teratome der männlichen Keim-
drfi«ensphäre. Virch. Arch. 234 H. 1. Bei einem 21jährigen Mann
wurde neben einem Teratom des Hodens ein gleiches kleinkind¬
kopfgroßes Teratom im retroperitonealen Gewebe der rechten hinteren
Baucnseite beobachtet, in beiden karzinomatöse und sarkouiähnliche
Teile. Dazu kamen ausgedehnte Lebermetastasen von adenokarzino-
matösem Bau. Die Textabbildungen lassen die histologischen Einzel¬
heiten kaum erkennen.
E. Jacobsthal, Phagozytoseversache mit Myeloblasten, Myelo¬
zyten und eosinophilen Leukozyten (mit Bemerkungen über den
feineren Bau der eosinophilen Leukozyten). Virch.Arch. 234
H. 1. Blutuntersuchung bei einer akuten Myeloblastenleukämie, einer
myeloischen Leukämie, einer Hodgkinschen Krankheit mit hochgradiger
Eosinophilie. Ergebnisse: Myeloblasten und Myelozyten phagozytieren
in vitro Zinnober und Bakterien; der eosinophile Leukozyt besitzt
ebenfalls die Fähigkeit der Phagozytose; säurefeste Stäbchen frißt er
besonders lebhaft. Die eosinophile Zelle hat eine basophile plas¬
matische Grundsubstanz, in die eosinophile Granula und Naegelis
stark lichtbrechende Granula („Glasgranula") eingeschlossen sind.
Charcot-Leydensche Kristalle entstehen direkt aus Eosinophilen.
Allgemeine Diagnostik.
J. Pok (Wien), fCbrperseltentemperatar, ein differentialdia¬
gnostisches Hilfsmittel. W. kl.W. Nr. 6. Es wird an einigen Bei¬
spielen aus der gynäkologischen Praxis gezeigt, wie wertvoll für die
Differentialdiagose oft die Temperaturdifferenz zwischen beiden Achsel¬
höhlen sein kann.
Paul Widowitz (Qraz), Modifizierte perkutane Tuberkulinprobe*
M. m. W. Nr. 7. Die Haut über dem oberen Ende des Sternums wird
mit Schwefeläther abgerieben, um das Fett zu entfernen und die Haut
zu hyperämisieren. Hier wird ein Tropfen von eingedicktem Alttuber¬
kulin mit der Fingerbeere solange verrieben, bis die Haut trocken ist.
P. Saxl und D. Scharf (Wien), Ansscheidung von Fsrbstoffeo
durch den Magensaft und durch die Galle. W. kl. W. Nr. 6.
Untersuchungen an gesunden und magenkranken Menschen zeigten,
daß intramuskulär injiziertes Methylenblau innerhalb 3 ~30' im Magen¬
inhalte wiedererscheint. Beim Kaninchen ließ sich feststellen, daß diese
Ausscheidung im Magen vermutlich schon vor dem Uebertritt des
Farbstoffes in die Galle vor sich geht. Der Methylenblaunachweis
mittels Duodenalsonde läßt sich aus diesem Grunde nicht so eindeutig
zur Leberprüfung verwenden, wie Rosenthal und Falkenhausen
angeben.
H. Kahn und Paul Potthoff (Altona), Hemmnag der Natriara-
oleathlmolyie durch das Serum bei verschiedenenKrankheiten,
besonders bei malignen Tumoren. Kl. W. Nr. 8. Unter Berück¬
sichtigung des gesamten klinischen Bildes läßt sich durch die Titration
der Hemmung der Natriumoleathämolyse durch Serum in zweifelhaften
Fällen ein Symptom zur Differentialdiagnose der malignen Tumoren
gewinnen.
Allgemeine Therapie.
I. Morgenroth (Berlin), Ziele und Wege der chemotherapea-
tischen Antisepsis. Kl. W. Nr. 8. Aus dem Gesamtprobtem der chemo¬
therapeutischen Antisepsis wird das Gebiet der lokalen Tiefenantisepsis
behandelt und eine Methodik der Standardisierung jetziger und kom¬
mender chemotherapeutischer Antiseptika an Hand einiger Beispiele
dargestellt. Es ließ sich feststellen, daß, abweichend von den Erfah¬
rungen in der Reihe der Chininalkaloide, der Reagenzglasversuch beim
Studium der 9-Amidoakridine keinen Anhaltspunkt mehr für den Er¬
folg des Tierversuchs bietet und daß Verbindungen von annähernd
gleicher Wirkung im Reagenzglasversuch sich im Subkutangewebe der
Haut ganz verschieden verhalten. Rivanol und Vuzin ergaben sich
an über 40 Streptokokkenstämnien als pantherapeutisch wirkende Ver¬
bindungen. Heilversuche an Mäusen erwiesen, daß weder die Gegen¬
wart von reichlichen Eiterungen noch das Bestehen einer völlig aus¬
gebildeten, fortschreitenden Streptokokkeninfektion der Tätigkeit re¬
lativ geringer Konzentrationen eines wirksamen Antiseptikums ein
Ziel setzt.
H. Koenigsfeld (Freiburg i. Br.), Beeinflussung des mensch¬
lichen Stoffwechsels durch Chlorophyllpräparate. Kl. W. Nr. 7. Es
gelingt durch Zufuhr von Chlorophyllpräparaten einen Einfluß auf
den menschlichen Stoffwechsel im Sinne einer Steigerung auszuüben.
Urtel (Prasniki), Intravenöse Kampf eröliajektioa. Kl. W. Nr. 8.
Verfasser hat bei intravenöser Kampferölinjektion (bis zu 5 g Ol. camphor.
forte) nie unangenehme Zwischenfälle gesehen.
L. Michaelis (Berlin), Abhängigkeit der Wirkung der Chiaia-
alkaloide auf Bakterien von der Alkalität. Kl. W. Nr. 7. Aus den
Versuchen ergab sich durchweg, daß bei allen Chininderivaten, das
Desinfektionsvermögen einer gegebenen Menge des Alkaloids vom
pH abhängt, und zwar um so stärker wird, je alkalischer die Lösung
ist. Maximum der Wirkung bei pH = 8. Nur die freie undissoziierte
Alkaloidbase hat eine desinfizierende Wirkung. Die bisher bekannten
Chininalkaloide erreichen ihr Wirkungsoptimum erst bei pH—8, was
niemals im lebenden Organismus vorkommt. Bei der Blutreaktion
pH = 7,4 ist die Aktivität zwar noch nicht viel kleiner, aber gerade
in den gesäuerten entzündlichen Flüssigkeiten sind die Bedingungen
schon bedeutend verschlechtert. Wir müssen also Alkaloide von
gleich hoher absoluter Wirksamkeit wie die Chininalkaloide zu finden
streben, deren Aktivitätsoptimum aber schon bei geringerer Aktivität
etwa PH = 7 erreicht wira. Es müßten dies noch schwächere Basen
wie die bisher bekannten Chininalkaloide sein.
W. Pfeiler (Jena), Behandlung der Beschälseuche mit „Bayer245“.
Mitt. d. Tierseuchenstelle d. Thüring. Landesanstalt f. Viehversicherung
1921 Nr. 5. Das Präparat „Bayer 205" hat sich nach den bisher vor¬
liegenden Verfahren bei der Behandlung der auf Trypanosomeninfektion
beruhenden Beschälseuche der Pferde, die seit längerer Zeit in Preußen
herrscht, bewährt.
Innere Medizin.
Max Gänßlein (Tübingen), Durchlässigkeit der HaargefäBwand
beim Menschen. M. m. W. Nr. 8. Zu Thomas und Arnold in Nr. 6.
Verfasser ist zu ähnlichen Gedankengängen gekommen. Auflegen von
Kantharidenpflaster, um Blasenflüssigkeit zu bekommen, der Blasen¬
inhalt wird chemisch und refraktrometrisch untersucht. Man kann
daraus Schlüsse auf die Durchlässigkeit der Kapillaren ziehen.
E. Fränkel (Breslau), Erfahrungen und Danerergebnisse in der
Pnenmothoraxbehandlnng der Lungentuberkulose. 10. W.-Nr. 7.
Veranlaßt durch die wenig zahlreichen Berichte über Dauererfolge
bei der Pneumothoraxbehandlung geht Fränkel den Ursachen für
die Mißerfolge nach. Ein großer Teil der Mißerfolge ist der man*
S elnden Ausdauer und Einsicht der Kranken zuzuschreiben. Äußer¬
em ist aber der vorzeitige Abbruch auch oft durch tatsächliche
Fehlschläge und Komplikationen bedingt, wie Fortbestehen des Fie¬
bers infolge ungenügender Beeinflussung der Krankheitsherde, Ak¬
tivierung der anderen Seite, Erguß. Bezüglich der Zeitdauer der
Unterhaltung des Pneumothorax, sind bei Vorhandensein größerer
Einschmelzungen vor 2 Jahren keine Dauererfolge zu erwarten; bei
weniger fortgeschrittenen Fällen eventuell nach einem Jahr. Der
Stichmethode gebührt der Vorrang.
H. Hoffmann (Wien), Loorenabazefi nach snbkotaaer Thorax*
Verletzung. W. kl. W. Nr. 6. 1 Fall.
O. Muck (Essen), Vermeidung störender Reflexbewegungen bei
Eingriffen im Schlund. M. m. W. Nr. 7. Vor der Untersuchung
wird der Kranke aufgefordert, auf eine kurze Inspiration hin möglichst
tief auszuatmen und dann unter Stimmritzenschluß den Atem anzuhalten.
Das Husten und Würgen bleibt dann aus. auch ist die Blutung wegen
Ausbleibens der venösen Stauung geringer.
E. Oetvös (Budapest), Diagnostischer Wert der Atropin-
probe des Py onts. Kl. W. Nr. 8. 1. Das Atropinum sulfur. ist kein
geeignetes Mittel zur Lösung des Pyloruskrampfes. bei Erwachsenen.
Tn gewissen Fällen verursacht es selbst Pyloruslcrampf. 2. Wahrschein¬
lich ist die positive Atropinprobe das Resultat der Reizwiikung des
Atropins auf die Auerbachsdien GangUenzeUen. 3. Die Atropinprobe
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
17. März 1922
LITERATURBERICHT
369
ist in der innern Medizin diagnostisch brauchbar, von der chemischen
Reaktion des Magensaftes unabhängig. Die positive Probe ist im
allgemeinen auf organische Erkrankung, hauptsächlich für kallöses
Duodenal- bzw. Magengeschwür charakteristisch. 4. Durch die Re¬
aktion ist die Ursaäe der peripylorischen Verwachsungen oft fest¬
stellbar.
M. Einhorn (New York), Mittels Kolonirrigation per os erfolg¬
reich behandelter Fall von Colitis nlceratlva. Kl. W. Nr. 8.
Emste ulzerierende Läsion des Kolons, die auf keine der üblichen Be¬
handlungsmethoden reagierte und durch Waschungen unter Ver¬
wendung des gegliederten Darmschlauches geheilt werden konnte
(60 ccm einer 1 %igen Chromquecksilberlösung eingespritzt, sobald
der Schlauch das Zökum erreicht hatte, eine Lösung von Kalzium¬
karbonat [0,5:1000,0] in Mengen von je 1 —1 Va Liter zweimal täg¬
lich verabreicht, sobald der Schlauch den Dünndarm erreicht hatte).
Entfernung das Schlauches kann rektal oder per os erfolgen. Wenn
man im letzteren Falle beim Hervorziehen aut Widerstand stößt,
Entfernung am besten in zwei Sitzungen.
M. Rosenberg (Berlin), Praktische Bedeutung der alimeiitireii
Hjpcrglyklmiekurve. Kl. W. Nr. 8. Mit der alimentären Hyper-
glykämiekurve kann man pathologische Abänderungen des Kohlen-
nydratstoffvvechsels feststellen, die mit andern Methoden nicht nach¬
weisbar sind. So steigt beim Diabetiker die Blutzuckerkurve höher
(über 0,16o/o), wenn auch nicht immer steiler, als in der Norm an,
der Anstieg dauert länger, der Höhepunkt ist frühestens nach
1V»—2 Stunden erreicht (gegen normal % Stunde). Bei renaleim
Diabetes normale Blutzuckerkurve, bei Basedowkranken mannigfache
Uebergänge zwischen normalem und diabetischem Kurvenverlaut. Die
Methdoe wird empfohlen zur Feststellung eines noch oder schon
latenten Diabetes, zur Differentialdiagnose zwischen echtem und
renalem Diabetes zur Aufdeckung von Störungen des Kohlenhydrat¬
stoffwechsels bei innersekretorischen Erkrankungen.
O. Rosenow und Jaguttis (Königsberg), Blutzucker bei Addfson-
scher Krankheit und seine Beeinflussung durch Adrenalin. Kl. W.
Nr. 8. Die Hypoglykämie ist beim M. addisonii kein konstantes Sym¬
ptom. Die Blutzuckerwerte schwanken wie beim Normalen auch bei
Addisonkranken an verschiedenen Tagen nicht unerheblich. Die intra¬
muskuläre Injektion von Suprarenin bewirkt beim Addisonkranken eine
Hyperglykämie, deren Maximum, wie Reihenversuche mit der Bang-
suien Mikromethode zeigten, ebenso wie beim Normalen etwa eine
Stunde p. i. liegt. Nach Injektion von 2 mg Suprarenin schied die
normale Vergleichsperson Zucker aus; beim Addisonkranken erfolgte
keine Glykosurie.
A. Adler (Leipzig), Blermersche Anlmie. M. m. W. Nr. 7. Zu
Stöltzner in M. m. W. 1921 Nr. 48. Nicht die Fette, sondern das
tierische Nahrungseiweiß führen zu vermehrtem Blutzerfall, wie Uro¬
bilinbestimmungen in den Fäzes zeigen. Die Ziegenmilch ist absolut
und relativ die eiweißreichste Milchart. (Siehe M. m. W. Nr. 1).
C. v. Economo (Wien), Wert der genealogischen Forschung für
die Einteilung der Psychosen, speziell der.Paranoia. M. m. W.
Nr. 7. Das Vorkommen von Dementia praecox neben Paraphrenien
echter Paranoia, Querulantenwahn und paranoiden Charakteren bei
den Geschwistern und Nachkommen der Querulanten spricht dafür,
daß hier Unterformen eines großen Vererbungskreises der Schizophre¬
nien vorliegen.
Kräpelin, Arbeitspsychologische Untersuchungen. Zschr. f. d.
ges. Neurol. 70 S. 230. Eingeschobene Alkoholgaben, körperliche
Anstrengungen vermindern die experimentelle Leistung der Arbeits¬
kurve. Nach Anspannung beim Rechnen erzielter Vorteil nimmt schnell
ab. Untersuchungen über die lohnendste Pause führten zu praktisch
bedeutsamen Ergebnissen, eine Pause von 1 Minute nach 40 Minuten
Arbeit bedeutet schon einen Gewinn. Gemütliche Einflüsse auf die
Arbeitsfreudigkeit ließen sich auch feststellen. Eine Erforschung der
Arbeitspsychologie auf dem Wege des messenden Versuchs verspricht
große Bedeutung für die wirtschaftliche Verwendung der Arbeitskraft.
Reiß, Formale Persönlichkeitswandlung als Folge verluderter
MIHeubedluguuffen Zschr. f. d. ges. Neurol. 70 S. 55. Die Analyse
eines vom skrupellosen Geschäfts- und Weltmann zum Bußprediger
Gewordenen zeigt die rein äußere formale Wandlung unter geeigneten
Milieubedingungen bei unverändertem inneren Wesen eines hypo-
manischen Temperaments. Es besteht die Möglichkeit ähnlicher Zu¬
sammenhänge auch bei komplizierteren Charakterstrukturen.
W. Jacobi, Beziehung des dichterischen Schaffens zu hysterischen
Dftmmerzustlnden. Arch. f. Psych. 64 H. 1/2. Es gibt Berührungspunkte
zwischen dem unbewußten, zwangsmäßigen Schaffen Goethes und
gewissen somnambulen Anfällen. Beide Bewußtseinszustände entwickeln
sich anfallsartig und haben ihre Wurzeln in den Erlebnissen der Ver¬
gangenheit. Trotzdem ist ein tiefer Unterschied vorhanden: der Dichter
ist nicht krank, nur anders als der Durchschnittsmensch, feiner organisiert
und gemütvoller.
Arthur Sonnenberg, Die Inneren und lulleren Ursachen des
Jnfendirreselns unter besonderer Berücksichtigung der
Kfieggscbldigungen. Arch. f. Psych. 64 H. 1/2. Außere Momente bilden
nie die Ursache des Jugendirreseins, sie dürfen höchstens als auslösend
angesehen werden, d. n. ohne die zahlreichen exogenen Schädigungen
wäre die Psychose vielleicht nicht so schnell und in so ausgeprägter
Form manifest geworden. Als alleinige Ursache der Schizophrenie
bleibt daher die Endogenitat bestehen. Wir müssen also eine schizo¬
phrene Anlage auch in allen denjenigen Fällen von Jugendirresein
annehmen, in denen keine anamnestischen Anhaltspunkte für eine solche
vorliegen.
Max Kastan, Asoziales Verhalten jugendlicher geistig abnormer
Individuen in und nach dem Kriege. Arch. f. Psych. 64 H. 1/2. Kastan
zieht aus seinen Beobachtungen den Schluß, daß das Milieu für die
Entwicklung der asozialen Individuen keine ausschlaggebende Rolle
spielt, vielmehr sei es die durch die Belastung bedingte Schädigung
des Keimplasmas, welche ihr Schicksal entscheidet
Schick, Respiratorische Untersuchungen bei katatonischer Schizo¬
phrenie. Zschr. f. d. ges. Neurol. 70 S. 202. Die katatonischen Stel¬
lungen stellen geradeso eine statische Arbeit dar, wie die Arbeit
normaler. Gleiches Verhalten von O-Verbrauch, Puls, Atmung, Blut¬
druck. Die Fähigkeit Katatoner, Stellungen lange zu behalten, beruht
nicht auf dem Fehlen von Ermüdung, sondern dem Fehlen des Er¬
müdungsgefühls, ev. der Willenslähmung.
F. Frankel, Psychiatrische Bedeutung der Erkrankungen der sub¬
kortikalen Qanglien und ihre Beziehungen zur Katatonie. Zschr.
f. d. ges. Neur. 70 S. 312. Die psychischen Störungen bei Erkrankungen
der subkortikalen Ganglien gehen in die Richtung katatoner* Zustands¬
bilder. Die körperlichen Symptome der Katatonie weisen darauf hin, daß
die Hirnganglien der Angriffspunkt jener zahlreichen. Noxen sind, die zu
ihrer Entstehung führen können. Hiermit steht die Annahme einer
Schwächung der psychischen Aktivität als Grundsymptom der Dem.
praecox in Einklang.
E. Rehn (Freiburg i. Br.), Myoelektrlsche Untersuchungen bei
hypnotischer Katalepsie. Kl. W. Nr. 7. Im hypnotischen Zustande
bestehen oszillatorische'Entladungen, die dem Typus der normalen
Innervation entsprechen. Der Muskelzustand in der Hypnose unter¬
scheidet sich in nichts von dem normalen. Die kataleptische Muskel-
starre ist einfach als Tetanus infolge gehäufter, gewöhnlicher Inner¬
vationen anzusprechen.
Hauptmann, Klinik und Pathogenese der Paralyse im
Lichte der Spirochitenforschung. Zschr. f. d. ges. Neurol. 70 S. 254.
Eine Lues nervosa (im Sinne einer besonderen Spirochätenform) gibt
es nicht. Durch mangelhafte Hautreaktionsfähigkeit kommt eine Immun¬
schwäche zustande, die eine häufigere Erkrankung des Nervensystems
hervorruft. Bei der Metasyphilis bestehen zwei zusammenhängende,
aber in Wesen und Lokalisation unabhängige Prozesse, ein eiweiß-
toxischer, unspezifisch gegen die Spirochäten als körperfremdes Eiweiß
abbauend wirkender, und ein lokaler Spirochätenprozeß. Klinisch be¬
wirkt ersterer die reflektorische Pupillenstarre, Opticus-Atrophie, die An¬
fälle, die paralytischen wie die parasyphilitisch-epileptischen, die Tabes¬
psychosen, die Plautschen Halluzinosen, im ganzen die einfach dementen
und depressiven Formen, letzterer dagegen die Euphorie und die Größen¬
ideen, überhaupt die expansiven Formen. Therapeutisch erfordert das
die Behandlung mit einem von den Spirochäten des Kranken selbst
herrührenden, durch Tierimpfung erzeugten Immunserum. — Im übrigen
wird durch ungenügende Behandlung die Tendenz zur Metasyphilis
unterstützt.
Snell, Belastungsverhflltnisse bei der genuinen Epilepsie. (Nach
der Diem-Kollerschen Belastungsberechnung.) Zschr. f. d. ges. Neurol.
70 S. 1. Belastung mit Epilepsie in 11 3 / 4 °/ 0 , mit Trunksucht 25,89°/ 0 ,
doch muß hier noch ein anderer Erblichkeitsfaktor hinzukommen. Erb¬
lich unbelastet sind nur 18,74°/ 0 Epileptiker. Belastung durch Nerven¬
krankheiten ist bei Epileptikern viel höher als bei Gesunden, Para¬
lytikern und Geisteskranken, doch sind letztere nicht mit Epilepsie
belastet. Es gibt eine erbliche familiäre Anlage zur Epilepsie.
H. Plette, Symptomatologie und Differentlaldiagnose der Kleln-
birnbrückenwinkeltumoren. Arch. f. Psych. 64 H. 1/2. Eigene Beobach¬
tungen und die Durchsicht der Literatur lehrten, daß selbst bei ver¬
meintlich klaren Fällen eine Fehldiagnose möglich ist: Es bleiben stets
vom Kleinhirnbriickenwinkeltumor die Pons-, d. h. die intrapontinen,
ferner die extra- und intrazerebellaren Tumoren zu trennen. Eindeutige,
sichere Symptome, die die Differentialdiagnose ermöglichen, gibt es nicht.
Borries, Otogene Enzephalitis. Zschr. f. d. ges. Neurol. 70 S. 93.
Es gibt eine nicht eitrige Enzephalitis otogenen Ursprungs. Differential¬
diagnose gegenüber Hirnabszeß sehr schwierig, anfangs meist unmög¬
lich, die Prognose natürlich viel besser. Eventuell gibt der gutartige
Liquorbefund Hinweis.
Bruno Grießmann (Nürnberg), Psychogenes Fehlen der Zeige¬
reaktion. M. m. W. Nr. 7. Bericht über einen Fall von Hysterie des
Vestibularis. Nach der Drehung fehlt die Zeigereaktion. Kalorische
Prüfung ergab normale Erregbarkeit des Labyrinths. Die funktionelle
Taubheit verschwand sofort nach Behandlung mit Hochfrequenzströmen,
die Lähmung der vestibulären Reaktionsbewegungen war hartnäckig.
Brunner und Spiegel, OhrmigrÖne (Hemicrania otica). Zschr.
f. d. ges. Neurol. 70 S» 18. Bei Migräne kommen Labyrinth-, Akustikus-
und Kleinhirnsymptome vor. Es können raumbeschränkende Prozesse
der hinteren Schädelgrube vorgetäuscht werden. Diagnostisch sind der
Verlauf und gleichzeitig Halssympathikussymptome wichtig.
Jul. Büsch er, Störungen der Funktionen von Hypophyse und
Zwischenhlrn b e i Lues cerebri. Arch. f. Psych. 64 H. 1/2. Beschreibung
eines Falles von manisch-depressivem Irresein, bei dem neben der
Psychose das Krankheitsbild der Dystrophia adiposo-genitalis sich fand,
welches auf einen Iuischen Prozeß an der Hirnbasis in der Oegend
der Hypophyse und des Mittelhirns zurückgeführt werden konnte.
□ igitized by Gougle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
370
LITERATURBERICHT
Nr. 11
Gerstmann und Schilder, Extrapyramidale Spannungen und
extrapyramidale Pseudobulbärparalyse. Zschr. f. d. ges. Neurol. 70
S. 35. Verfasser unterscheiden 4 Typen extrapyramidaler Spannungen:
1. Typus plasticus, 2. Typus proprioreactivus, 3. Typus reactivus und
4. Typus reflectoricus, die sich nach ihrem verschiedenen Verhalten
bezüglich Ruheformtonus, aktiven und passiven Bewegungen, Rückstoß,
eventuell Fixation passiv gegebener Stellungen differenzieren. — Ver¬
fasser stellen dann ein Krankheitsbild extrapyramidaler Pseudobulbär¬
paralyse (akinetisch-hypertonisches Bulbärsyndrom) auf, das sich durch
das Nebeneinander von echten pseudobulbären und extrapyramidalen
Bewegungsstörungen kennzeichnet (starre Mimik, Salivation, Dysphagie,
Störungen der Respiration, Phonation und des Sprachbeginns).
G. Ewald (Erlangen), Dystonisches Syndrom. M. m. W. Nr. 8.
32 jähriger Kranker ohne Zeichen von Hysterie, seit dem 9. Lebensjahre
schubweise zunehmende mobile Spasmen in Armen und am Kopf.
Das Zustandsbild erinnert an Athetosis duplex und Chorea. Der Fall
wird als autochthone Degenerationserkrankung aufgefaßt, der dem
Torsionsspasmus zuzuzählen ist.
Cassirer, Klinik der traumatischen Schädigungen des Rücken¬
marks. Zschr. f. d. ges. Neurol. 70 S. 110. Ausführliche Dar¬
stellung, sowohl der eigenen, sehr zahlreichen, wie der in der
Literatur niedergelegten Kriegserfahrungen über die Rückenmarks¬
schädigungen durch Trauma. Einzelheiten können nicnt referiert
werden, doch sei darauf hingewiesen, daß alle einschlägige Fragen
eingehend besprochen und kritisch diskutiert werden: der Mechanis¬
mus der Geschoßwirkung, die Frage der Rückenmarkserschütterung,
deren Vorkommen sichergestellt scheint, die Frage der Aufhebung
der Sehnenphänomene (seltene Ausnahmen vom Bruns-Bastianschen
Gesetz kommen vor) bei hoher Rückenmarksdurchtrennung, das öfter
beobachte Vorhandensein von Hautreflexen bei totaler Durchtrennung,
das Verhalten der elektrischen Erregbarkeit, Atrophie, die verschie¬
denen Formen der unvollständigen Querschnittsläsion, nämlich Para¬
plegien, Brown-S6quardsche Halbseitenläsion, spinale Hemiplegien
und zentrale Hämatomyelien und Nekrosen, die Störungen der ver¬
schiedenen Sensibilitätsqualitäten und die trophischen Störungen, die
Störungen der Sexualfunktion und der Blase, die Schwierigkeit der
Unterscheidung zwischen Conus- und Caudaerkrankung, die Verände¬
rungen der Meningen, insbesondere die Meningitis serosa-fibrosa trau¬
matica. Sehr eingehend wird die Operationsfrage erörtert, hier nimmt
Verfasser einen wesentlich zurückhaltenderen Standpunkt ein als viele
Autoren. Bei Fällen ohne positiven makroskopischen Befund spricht Ver¬
fasser gegen frühzeitige Operation. Die Gefahren der Operation werden
oft unterschätzt. Einen wesentlichen Einfluß des Traumas auf Tabes und
multiple Sklerose lehnt Verfasser ab, ebenso bei Syringomyelie, er¬
wiesen ist aber die traumatische Entstehung einer chronischen Polio¬
myelitis und der Kümmellschen Krankheit.
E. Frank (Breslau), Tetanlesyndrom und seine Pathogenese. Kl.W.
Nr. 7. Die Tetanieattacke ist die Aeußerung einer zwischen den An¬
fällen fortwaltenden und auch in der Latenz erkennbaren Krampf¬
bereitschaft. Mit der elektrischen und mechanischen Uebererregbar-
keit der peripherischen Nerven bilden Zahnschmelzdefekte und Linsen¬
trübungen aas Ensemble der latenten Diathese. Von „latenter Te¬
tanie“ muß dann gesprochen werden, wenn durch Hinzutreten neuer,
meist nur temporär wirksamer Bedingungen, die der Diathese zu¬
grundeliegende biochemische Gleichgewichtsstörung im Bereich ge¬
wisser nervöser Zentralorgane so weit gesteigert ist, daß es ge¬
lingt, durch „Reize“ die Entladung dieser Zentren nach Belieben her¬
vorzurufen. Das charakteristische Phänomen der Tetanie ist die bei
vollem Bewußtsein, wider Willen, häufig unbemerkt sich ausbildende
und stunden- und tagelang persistierende abnorme Stellung der Ex¬
tremität. Wahrscheinlich handelt es sich bei der Tetanie nach den
Untersuchungen des Autors um eine Autointoxikation des Organis¬
mus mit Dimethylguanidin, das durch CO s -AbspaItung aus dem Kreati¬
nin hervorgeht und dessen Auswirkung” als „biogenes Amin“ nahe
verwandt ist mit den Folgen einer Aenderung der Mengenverhält¬
nisse von Kalium und Kalzium in der Gewebsflüssigkeit. Die intra¬
venöse Kalziumtherapie mit anschließender großer Kalziumgabe per
os (15 g Calc. lactis pro die) ist eine mächtige symptomatische Waffe
gegen die lästigen schmerzhaften und gefährlichen Zufälle dieses
Leidens.
Spiegel, Tetaniekrämpfe. Zschr. f. d. ges. Neurol. 70 S. 13. Der
tonische Krampf bei Tetanie geht höchstens mit minimalem Aktions¬
strom einher. Angriffspunkt des Tetaniegifts liegt im Zentralnerven¬
system, Reizleitung geschieht durch das peripherische motorische
Neuron.
Kersten, Blutzuckerspiegel beim elementaren Krampf. Zschr. f.
d. ges. Neurol. 70 S. 241. Schwankungen des Blutzuckergehalts fanden
sich wie bei Adrenalininjektionen aucn beim elementaren Anfall. Ob
die Verschiedenheit der Kurven individuell bedingt ist, ist noch un¬
sicher. Wie nach Adrenalin fand auch beim Krampf eine Verlang¬
samung des Blutaustrittes statt. Das Adrenalin kommt bei der Genese
des Krampfs in Frage.
J. Rülf, Dystrophia myotonica. Arch. f. Psych. 64 H. 1/2. Rülf
vertritt auf Grund eines selbst beobachteten Falles die Ansicht, daß
die myotonischc Dystrophie als nosologische Einheit aus anderen
Erkrankungen herauszuheben und auch von der sogenannten Thom-
sen sehen Krankheit abzusondern sei.
Hermann Ooldbladt (Jekaterinoslaw-Ukraine), Prüfung des
Rombertschea Symptom«. M. M. W. Nr. 7. Nachdem die Augen ge¬
schlossen und die Füße fest aneinander gestellt sind, werden beide Arme
nach vorn gestreckt. Gleichgewichtsstörungen treten dann besonders
deutlich in die Erscheinung.
H. Schäfer (Breslau), Sebnenreflexe. KL W. Nr. 8. Das Sehnen-
P hänomen ist ein echter Reflex. Die die Sehnenreflexe von den
lautreflexen unterscheidende Kürze der Ueberleitungszeit erklärt sich
offenbar durch eine besondere Einfachheit des zentralen Mechanismus.
Während der Weg von der sensiblen zur motorischen Bahn bei den
Hautreflexen mindestens ein Schaltneuron erfordert, besteht bei den
Sehnenreflexen, entsprechend der älteren Anschauung, wahrscheinlich
eine direkte Verbindung durch Reflexkollateralen. Diese Annahme
macht auch die Tatsache der relativen Unermüdbarkeit der Sehnen¬
reflexe (P. H o f f m a n n) verständlich, denn die Ermüdung der Haut¬
reflexe ist gerade in die Schaltneurone zu lokalisieren.
Chirurgie.
♦♦ C. Garrfc (Bonn), H. Köttner (Breslau) und E. Lexer (Frei-
bürg), Handbuch der praktischen Chirurgie. Lief. 5-8.
Stuttgart, F. Enke, 1921. M. 93.—. Ref.: Dr. Bruno Moses
(Charlottenburg).
Mit diesen Lieferungen liegt der erste Band vollständig vor. Auch
in dem neuerschienenen Teil macht sich die bessernde Hand überall
geltend. Hinzugekommen ist die Darstellung der Operation der kom¬
pletten Fazialislähmung; ausführlich bearbeitet und umgestaltet die
Operation der Nasenplastik, dargcstellt von Lexer, der pistolen¬
förmige Stirnkopflappen zur Wangenplastik, der plastische Ersatz be¬
haarter Kopf teile, die Otoplastik. In der von Fedor Krause be¬
arbeiteten Abhandlung über Kopfneuralgien ist die Darstellung der
Lokalanästhesie mit Einschluß der Härtelschen Ganglionanästhesie sehr
erweitert. Die Chirurgie der Speicheldrüsen ist ebenfalls durch eine
große Zahl neuer Abbildungen vermehrt; Küttner hat sie wieder
bearbeitet. Völlig neu ist dagegen die Darstellung der Kieferchirurgie
durch Perthes, ausgezeichnet, ausführlich und unter Berücksichtigung
der großen Kriegserfahrungen in Kieferlazaretten. Die Bearbeitung
der Chirurgie der Mundhöhle hat nach dem alten Bergmannschen
Text Küttner übernommen, der außer zahlreichen instruktiven Bildern
die neuen Erfahrungen eingehend berücksichtigt hat, z. B. bei der Be¬
handlung der Aktinomykose mit Röntgenstrahlen und hohen Jodkali¬
dosen. Zum Schluß hat Coenen die Chirurgie des Pharynx aus¬
führlich und gänzlich neu beschrieben, wobei er die Glucksche
Pharynxexstirpation u. a. genau schildert und das Material anders
gruppiert. So erscheint das alte Handbuch in neuem, anschaulicherem
Gewände. Die weiteren Lieferungen sollen beschleunigt und band¬
weise erscheinen.
L. Frankenthal (Leipzig), Wonddiphtberie. Arch. f. klin.Chir. 117
H. 4. Arbeit aus der Payrschen Klinik. Bei der Wunddiphtherie
spielt die Mischinfektion eine weit größere Rolle, als bisher betont
wurde. Vor allem ist der Streptococcus haemolyt. Iongus s. erysipelatos
in allen schweren Fällen der Symbiont des Diphtheriebazillus, der zum
mindesten dessen gleichzeitige oder spätere Ansiedlung bedingt und
auch erheblich zu seiner Virulenzsteigerung beiträgt. Vermutlich
spielen die Staphylokokken die entsprechende Rolle bei den leichteren
O. Kleinschmidt (Leipzig), Bauchschuß und Shok. Arch. f. klin.
Chir. 117 H. 4. Mitteilung aus der Payrschen Klinik. Was die be-
sonderen Verhältnisse des Shoks bei Bauchschußverletzungen betrifft,
so lehrt die Betrachtung des Payrschen Materials (zirka 100 Fälle),
daß, obwohl die Vorbedingungen durch oft schwere körperliche und
psychische Eindrücke gegeben waren, wirklicher Shok nur recht selten
beobachtet wurde. Es handelte sich bei sonst gesunden Menschen,
wenn ähnliche Zustände Vorlagen, vielmehr fast immer um Kollaps
infolge von Blutung oder Peritonitis. Es wurden im ganzen 26 Kranke
mit Bauchschuß aufgenommen; 4 waren bereits moribund, sodaß ein
Eingriff nicht mehr in Frage kam. Von den übrigen 22 Operierten
starben 14=63,6%. Die Gesamtzahl der operierten Bauchschüsse ab¬
gesehen von den Brustbauchschüssen und Gefäßschüssen beträgt 16
mit 9 Todesfällen=56,2% Mortalität.
E. Rubensohn (Köln), Erweiterte Indikation der Talmaschen
Operation. M. m. W. Nr. 8. Bei einem Patienten mit Erscheinungen
der Leberzirrhose findet sich bei der Operation ein inoperabler
Pankreastumor. Es werden Ductus choledochus und Vena portae aus
der Umklammerung durch den Tumor herausgelöst und das große
Netz an das Peritoneum parietale genäht Völlige Heilung, die jetzt
% Jahr nach der Operation noch anhält.
J.Boysen (Leipzig), Partieller Magenvolvulus bei einem Zwerch*
felldefekt, kompliziert durch ein blutendes Magengeschwür.
Arch. f. klin. Chir. 117 H. 4. Genauer klinischer und pathologisch¬
anatomischer Befund dieser seltenen Komplikation. Der 27 jährige
Kranke starb im Anschluß an die Operation.
G. Hromada (Leipzig), Insuffizienz der Valvulä Banhloi.
Arch. f. klin. Chir. 117 H. 4. Die Valvula Bauhini ist normaler¬
weise schlußfähig. Die Klappe schließt aktiv durch Kontraktion des
M. sphincter ileo-colicus sowohl nach dem Ileum wie nach dem
Zökum und passiv als Rückschlagventil gegen den Dickdarm. Die
Schlußfähigkeit der Klappe ist physiologisch bedingt und spielt beim
Digitized fr,
Google
Original from
CORNELL UNSVERSITY
V7. März 1022
LITERATURBERICHT
371
Hermetismus des Dickdarms eine wichtige Rolle. Die Korrektur¬
operation nach Kellogg-Payr stellt einen technisch leichten Eingriff
zur sicheren . Behebung der Insuffizienz der Valvula Bauhini dar.
In der Leipziger chir. Klinik wurde der Eingriff bisher 16 mal aus¬
geführt, und zwar waren lmal Mesenterialdrüsen, 6mal Adhäsionen
nach vorausgegangener Operation, 9mal solche nach Appendizitis die
Ursache der Insuffizienz.
H. Naumann (Leipzig). Blutzyste des Mesocolon transversum.
Arch. f. klin. Chir. 117 H. 4. Kasuistik und Differentialdiagnose. Im
Gegensatz tu früheren Anschauungen muß nach dem heutigen Stande
unserer diagnostischen Hilfsmittel die Diagnose der Mesenterialzysten
als möglich angesehen werden. Jede einmal erkannte Mesenterialzyste
muß operativ behandelt werden. Punktion, selbst zu diagnostischen
Zwecken, ist absolut zu vermeiden.
E. Geh reis (Leipzig), Operativer Verschluß des kSnstlichen
Afters ohne Spornquetschung. Arch. f. kl. Chir. 117 H. 4. Mitteilung
aus der Payrschen Klinik über eine Methode, die er als „sparsames
Resektionsverfähren“ mit größtenteils extraperitonealem Vorgehen be¬
zeichnen möchte. Das Verfahren steht gewissermaßen in der Mitte
zwischen dem rein intraperitonealen und prinzipiell extraperitouealen
Vorgehen. Der Darm bleibt dabei an der vorderen Bauchwand adhärent.
Die Zahl von 26 Operationen mit nur 1 Todesfall genügt immerhin,
um die relative Ungefährlichkeit der Methode zu erweisen.
Sonntag (Leipzig), luduratio penis plastica. Arch. f.klin.Chir. 117
H. 4. Mitteilung von 2 Fällen aus der Payrschen Klinik. Der eine
Kranke wurde zunächst mit vorzüglichem Resultate operiert, mit der
Zeit trat aber wieder eine gewisse Krümmung ein. Das Vorkommen
ist ein seltenes. In der Literatur finden sich nur rund 200 echte
Fälle von Induratio penis plastica, die hauptsächlich das 5. und 6.
Dezennium betreffen. Der Verlauf des Leidens ist ein ausgesprochen
chronischer. Das histologische Bild der Induration ähnelt dem des
Keloids. Die Pathogenese ist noch heute nicht geklärt. Die Prognose
quoad sanationem ist im allgemeinen ungünstig. Die Therapie ist
wenig erfolgreich. Fibrolysininjektionen sind anscheinend wenig aus¬
sichtsreich; mehr verspricht die Strahlentherapie mittels Radium —
oder Röntgenbestrahlung. In geeigneten Fällen ist die Radikalent¬
fernung der Verhärtung angezeigt.
A. Hedri (Leipzig), Einfaches Verfahren zur Verhütung der Tren-
aaugsnenrome. Arch. f. klin. Chir. 117 H. 4. Mitteilung aus der Payr¬
schen Klinik. Verfasser ist vor mehreren Jahren auf den Gedanken
gekommen, die Nervenstümpfe bei den Amputationen mit dem Thermo¬
kauter zu verschorfen. Seit Anfang 1921 sind auch in der Payrschen
Klinik die Nervenenden bei allen Amputationen — bisher 19 primären
Gliedabsetzungen und 3 Reamputationen — mittels der Verschorfung
versorgt worden. In allen Fällen wurde das prompte Ausbleiben der
Amputationssensationen beobachtet.
C. ten Horn (München), Spätergebnisse bei Sanerbrnch-Ampn-
tierten. M. m. W. Nr. 7. Nachforschungen am Münchener und Singener
Material. Etwa */ 4 der Amputierten trägt noch nach Jahren die Prothese
ständig. Die Mehrzahl ist mit ihr zufrieden. Mißerfolge erklären
sich oft dadurch, daß von Unberufenen Operation und Prothesenbau
schlecht ausgeführt sind.
J. Hohlbaum (Leipzig), Mobilisierung versteifter, statisch be¬
lasteter Gelenke. Arch. f. klin. Chir. 117, H. 4. Mitteilung aus der
Payrschen Klinik über 85 Knie-, 20 Hüft- und 5 Fußgelenksankylosen.
Wenn man die Erfolge bei den Kniegelenken nach der Artiologie
der Ankylosen betrachtet, so waren die besten Resultate bei den
onorrhoisch versteiften Kniegelenken zu verzeichnen ; die ungünstigsten
esultate weisen die nach vorausgegangener septischer Erkrankung
pyämisch-metastatisch vereiterten und ankylosierten Gelenke auf.
Bei der Tuberkulose liegt die Hauptgefahr des Mißlingens in dem
neuerlichen Aufflackern eines latenten tuberkulösen Herdes. Bleibt
dies aus, so können die Resultate sehr günstig sein. Auch die Friedens¬
verletzungen ergaben günstige Resultate. Auch die Kriegsschußver¬
letzungen — mit wenigen Ausnahmen handelte es sich um Granat¬
splitterverletzungen — gaben schließlich bessere Resultate als es zuerst
scheinen wollte. Von 36 Operierten zeigten 9 ein „sehr gutes“, 8 ein
„gutes“ Ergebnis. Die Arbeit enthält so viele bemerkenswerte Tat¬
sachen, daß ein eingehendes Studium dringend anzuraten ist.
F. Selb erg (Berlin), Operative Fraktorbehandlnog nach La ne.
KL W. Nr. 7. Empfehlung des bisher in Deutschland wenig benuzten
Verfahrens nebst Besprechung der Indikation und Technik der Methode.
A. Kortzeborn (Leipzig), Operative Behandlung hartnäckiger
Spitzfaßstellungen der Fußstümpfe. Arch. f. klin. Chir. 117 H. 4.
Technische Mitteilungen.
F. Lotsch (Berlin), Traumatische Läsionen des Tains. Kl. W.
Nr. 7. Besprechung der verschiedenen Formen der Frakturen und
Luxationen des Talus auf der Grundlage unserer neueren Kenntnisse
über die Mechanik der Talusgelenke.
A.Kortzeborn (Leipzig), Pathologische Luxation im 1. Metatar-
fopfia/angealgclenke. Arch. f. klin. Chir. 117 H. 4. Kasuistik. •
G. Halter (Leipzig), Lnxatlonsfraktnr des Os metacarpale I mit
Fraktur des Multangulum maius. Arch. f. klin. Chir. 117 H. 4.
Kasuistik .
Frauenheilkunde.
H. Küstner (Breslau), Schwangerschafts- und Menstruations-
glykosurie Kl. W. Nr. 7. Es konnte die bemerkenswerte Tatsache
festgestellt werden, daß auch nicht schwangere Frauen zu gewissen
Zeiten gegen Kohlenhydrate empfindlich sind, d. h. daß sie einen renalen
Diabetes haben. Der renale Diabetes scheint durch die veränderte
Funktion der Ovarien bedingt zu sein. Wahrscheinlich ist das Corpus
luteum das auslösende Moment.
Bernhard Schweitzer (Leipzig), Schwaogerschaftsunterbrechung
und Sterilisierung wegen Lungen- und Kehlkopftuberknlose. M. m.W.
Nr. 7. Die Schwangerschaftsunterbrechung verliert um so mehr an
Wert, je weiter die Schwangerschaft und je weiter die Tuberkulose
vorgeschritten ist. Ein Nutzen ist nur in den ersten 3 Monaten zu
erwarten. Die Grenzen müssen immer noch enger gezogen werden.
Wenn man die Sterilisierung vornehmen will, so soll sie meistens tem¬
porär sein, durch Vernähung der Ovarien in einer Peritonealtasche.
Erich Opitz (Freiburg i. Br.), Angebliche Gefahren des Dämmer¬
schlafes bei der Geburt. M. m. W. Nr. 8. 1 ccm 2°/ 0 Narkophin-
lösung, l 1 /* ccm 0,03 prom. Skopolaminlösung, nach 3 / 4 Std. l l / 2 ccm.
der Skopolaminlösung, von da an stündlich 0,7 ccm 0,03 prom. Skopo¬
laminlösung. Hiervon wird je nach der Reaktion der Kreißenden nach
oben und unten abgewichen. Wesentlich ist die Herabsetzung der
Morphiumdosis, die Nassauersche Methode (M. m. W. 1921 Nr. 42) ist
für das Kind gefährlich. In der Freiburger Klinik haben sich bei über
2000 Geburten für Mutter und Kind keine Schädigungen gezeigt.
Karl Böwing (Würzburg), Gynergen, zur Bekämpfung der
Atonia uterl. M. m. W. Nr. 8. Chemisch rein dargestelltes Präparat
aus dem Mutterkorn, Ergotamintartrat, unter dem Namen Gynergen im
Handel durch Augsberger, Nürnberg. Indikationen wie bei Secale.
Sehr kräftige wehenanregende Wirkung.
M. Friedemann (Langendreer), Uterusausräumuug in der All¬
gemeinpraxis. M. m. W. Nr. 7. Die scharfe Kürette ist ein unentbehr¬
liches Instrument, sehr oft kann sie durch die Abortzange ersetzt
werden. Digitale Ausräumung ist für die Allgemeinpraxis nicht zu
empfehlen wegen Gefahr der Infektion durch den Finger. Bericht über
2 Fälle von Uterusperforation, die bei frühzeitiger Operation in Heilung
ausgingen.
A. Döderlein, Strahlenbehandlung des Kollomkarzinoms des
Uterus. M. m. W. Nr. 7. Material der Münchener Universitätsfrauen¬
klinik. Bestrahlt wurde mit Radium und Mesothorium. Die Resultate
waren etwas günstiger als die durch Operation erreichten, insbesondere
wurden auch viele inoperable und Grenzfälle geheilt. Je früher die
Karzinome zur Bestrahlung kamen, um so besser die Erfolge. In
einigen geheilten Fällen trat Konzeption ein.
Zahnheilkunde.
♦♦ Albert Albu (f), Zahn- und Mundkrankheiten in ihren
Beziehungen zu Organ- und Allgemelnerkrankungen.
2. Auflage. Bearbeitet von H. Strauß (Berlin) und E. Becker
(Greifswald). Leipzig, Q. Thieme, 1921. 271 Seiten mit 2 Tafeln und
29 Textabbildungen. Geb. M. 39.—. — Julius Pareldt (Leipzig),
Zahnheitkunde. Kurzes Lehrbuch. 4. Aufl. Leipzig, }. A. Barth,
1921. 346 S. Geb. M. 45.—. Ref.: Pro eil (Königsberg i. Pr.).
Der Büchermarkt wurde letzthin mit diesen beiden Neuauflagen
beschickt, von denen jede für sich in hervorragender Weise berufen
/scheint, den Konnex zwischen Allgemeinmedizin und Zahnheilkunde
enger zu gestalten und das gegenseitige Verständnis zu fördern. In
dem Grundriß von Albu ist nach dem Tode des Verfassers der medi¬
zinische Teil von Strauß (Berlin) durchgesehen, während Becker
(Greifswald) die zahnärztlichen Kapitel bearbeitet und um einige Ab¬
sätze vermehrt hat. Auf die Notwendigkeit einer solchen Arbeitsteilung
ist vom Referenten bei Besprechung der Erstauflage hingewiesen; sie
ist daher mit Freuden zu begrüßen. Das kurze Lehrbuch von Pa rr ei dt
war ursprünglich nur für den praktischen Arzt bestimmt. Da es auch
bei Zahnärzten und Studierenden der Zahlheilkunde beste Aufnahme
fand, so ist die vorliegende 4. Auflage in diesem Sinne umgearbeitet
und erweitert. Von dem Inhalt beider Bücher sei soviel gesagt, daß
alles Wichtige in durchaus sachlicher und doch leicht verständlicher
Form dargestellt ist, sodaß auch der Nichtfachmann sich von den ihm
ferner liegenden Dingen ein klares Bild machen kann. Die Neuauflagen
werden eoenso wie ihre Vorgänger die beste Aufnahme finden.
Haut- und Venerische Krankheiten.
R. Schelcher (Dresden), Das Krätzemittel „Catamin“. M.m.W.
Nr. 8. Salbe mit 10°/„ Zink und 5°/„ Schwefel in feinster Verteilung,
Hersteller Riedel, Berlin. Rasche Beseitigung des Juckreizes, Geruch¬
losigkeit. Die Wäsche wird nicht angegriffen.
Karl Stern (Fürth i. B.L Behandlung des Ekzems mit Vakzine
unter besonderer Berücksichtigung der Maststapbylokokken-
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
372
UTERATURBERICHT
vakzine Staphar. M. m. W. Nr. 7. Sehr gute Erfolge bei hartnäckigen
Ekzemen mit Stapharinjektionen, einige Versager.
B. Spiethoff (Jena), Verlauf zeitweise unbehandelter Syphilis
und Verhalten der ausgewertetea Wa.R. während dieser Zeit.
Kl. W. Nr. 8. Im allgemeinen lassen sich im Verlauf der unbehandelten
Syphilis zwei Grunatypen aufstellen: die eine Gruppe, die monate¬
lang den Zustand höchster Aktivität darstellt, kontinuierliche oder
mäßig remittierende Wassermannsche Stärke, mit oder ohne klinisch
erkennbare Neuerscheinungen; die andere mit geringerer Aktivität
mit Neigung zu mittleren oder zu gleichmäßig fallenden Wasser-
mannschen Stärken, bei über längere Zeit ausbleibenden Neuerschei¬
nungen. Die Beobachtungen an unbehandelten Syphilisfällen werden
den Verlauf eines Falles unter der Behandlung und manche be-
sondern Erscheinungen, die sich während einer Kur zeigen können,
ins rechte Licht setzen. Die positiven Schwankungen in der Wasser-
mannschen Stärke, das Auftauchen manifester klinischer Symptome
können als Provokationssymptome der Behandlung, als Ausdruck
fehlender oder ungenügender therapeutischer Beeinflussung der In¬
fektion, als Folge eines quantitativ oder qualitativ nicht richtig ein¬
gesetzten Heilmittels oder als Aeußerung eines Rezidivstammes an¬
gesehen werden, der sich bis dahin in einem unangreifbaren Ent-
wicklungsstadium befand. Der Zeitpunkt, in dem sie während der
Kur auftreten, ist bei der Bewertung dieser Erscheinungen zu be¬
rücksichtigen. Die genaue Verfolgung ausgewerteter Wa.R. neben
Beobachtung aller sonstigen Vorgänge kann den Therapeuten über
die angeführten Ereignisse und den Grundtypus des Falles unter¬
richten und ihm Wege für die weitere Behandlung weisen.
L. Dreyfus (Frankfurt’a. M.), Neosilbersalvarsan bei Nenro-
syphilis. M. m. w. Nr. 8. Ueber 5000 Injektionen, meist fambulant.
Keine erheblichen Nebenwirkungen. Wichtig ist einschleichende Be¬
handlung.
Ludwig Fuchs (Frankfurt a. M.), Zur endolambaleiTSalvarsan-
behandlnng. M. m. W. Nr. 8. Zu Benedek in Nr. 2. Es wird vom
neurologischen Standpunkt vor den endolumbalen Injektionen gewarnt.
Es sind viel Schädigungen beobachtet, die Gefahr der Ueberdosierung
ist sehr groß.
Ladislaus Lichtenstein (Bad Pistyan), Kontariositlt des !Con-
dyloma aevmisatsm. M. m. W. Nr. 8. Bei einem Manne besteht seit
Jahren ein Condyloma acuminatum penis, seine bis dahin gesunde Frau
bekommt nach zweimonatiger Ehe ausgedehnte spitze Kondylpme
an den Genitalien.
A. Weill (Hamburg), Gonorrhoische Hautmetastasen. Kl.W. Nr.8.
Kasuistik.
Lekisch (Wien), Modifikation der Neißerscben Spritze. W. kl. W.
Nr. 6. Kombination eines doppelläufigen Janetspüfrohres mit einer
20—50 ccm fassenden Spritze, um eine möglichst sorgfältige Ausspülung
der Harnröhre durch den Patienten selbst zu garantieren, und dabei
jeden Ueberdruck zu vermeiden.
Kinderheilkunde.
Rott (Berlin), Sterblichkeit und Todesursachen im Slnglingsalter
während der Kriegsjahre. Kl. W. Nr. 8. Statistische Arbeit.
Während der Kriegsjahre ist ein Rückgang der Säuglingssterblichkeit
zu verzeichnen. Bezüglich der Todesursachen ist ein Rückgang des
Prozentanteils von Magendarmkatarrh und Brechdurchfall bemerkens¬
wert (Erfolg der im Kriege eingetretenen §tillhäufigkeit?)
P. Grosser (Frankfurt a. M.), Grober-Widalsche Reaktion im
Sloglingsalter. Kl. W. Nr. 8. Die Untersuchungen Grossers an
48 Säuglingen und Kleinkindern bis zu 2 fahren ergaben, daß von 1
gesunden Säuglingen und Kleinkindern ohne Typhusvorgeschichte
ein bedeutender Prozentsatz Paratyphus B bis zu beträchtlichen Ver¬
dünnungen agglutiniert, einige auch Typhus bis zu Verdünnung 1:40.
Es ist deshalb eine positive Gruber-Widalsche Reaktion im Säug¬
lingsalter für Paratyphus gänzlich unbeweisend, für Typhus bis zur
Verdünnung 1:40 nur mit größter Vorsicht und genauester Berück¬
sichtigung des klinischen Verlaufes zu verwerten. Bei dem Fehlen
von charakteristischen klinischen Symptomen wird der Säuglings¬
typhus und -paratyphus sich häufig erst dann diagnostizieren Tassen,
wenn die typische Kurve vorhanden ist; eine Unterscheidung der
beiden Typnusarten wird nicht immer gelingen. Bei typhöser Er¬
krankung eines Familienmitgliedes ist jeder Darmkatarrh eines Säug¬
lings auf Typhus verdächtig.
R. Salomon (Gießen), Entzündliche Aageoerkraiikuogeo der
Neugeborenen in aer Nachkriegszeit Kl. W. Nr. 7. Die Gonorrhoe
des Weibes ist seit Kriegsende gewaltig gewachsen. Die Zahl der
Gonoblenorrhoen hat jedoch dank der Sopholprophylaxe nicht in
gleichem Maße zugenommen. Die bei mit Sophol prophylaktisch
behandelten Kindern beobachteten Blenorrhoen verlaufen verhältnis¬
mäßig günstig und sind von kürzerer Dauer. Die Sopholreizkatarrhe
werden bis jetzt stark überschätzt. Für die übrigen entzündlichen
Augenaffektionen spielen der pathologische Fluor der Mutter in der
Schwangerschaft, die Sopholreizung. die Rhinitis, Diphtheriebazillen
eine Rolle. Die Prophylaxe muß bereits in der Schwangerschaft
beginnen. Die amtliche Anzeigepflicht upd die obligatorische Go-
norrtioeprophylaxe sollte für das ganze Reich eingefünrt werden.
Nr. 11
F. Edelstein (Berlin), Prüfung der Fraaeomilcbverfllschiuif.
Zschr. f. Kindhlk. 30 H. 5/6. Kalorimetrische Methode zum Nachweis
von Verfälschungen der Frauenmilch.
Egon Helmreich und Böla Schick (Wien), Erolbrangsstadien
beim Neugeborenen. Zschr. f. Kindhlk. 30 H. 5/6. Gute Erfolge durch
Zufütterung unveränderter Vollmilch und 1 l /*fach konzentrierter, ge-
zuckerter Vollmilch bei Brustkindern.
E. Nobel und R. Wagner, Trockenmilch in der Kinderernlh»
roog. Zschr. f. Kindhlk. 30 H. 5/6. Einwandfreie Trockenmilch eignet
sich zur Zwiemilchernährung' und als erste Nahrung beim Neuge¬
borenen. Die antiskorbutische Wirkung der Milch bleibt bei geeig¬
netem Trocknungsprozeß erhalten.
St. Engel (Dortmund), Akute Ernährungsstörungen im Säuglings-
alter. — Erna Fürstenau (Dortmund), Okkulte Darmblatongea beim
Säuglinge. Zschr. f. Kindhlk. 30 H. 5/6. Das Hämatinerbrechen der
Säuglinge hat zwei Voraussetzungen für sein Auftreten: das Vor¬
handensein einer Ernährungsstörung und die reichliche Sekretion von
Magensaft. Begleiter der Blutungen sind anatomisch nachweisbare
Verletzungen der Magenschleimhaut und eine reichliche Schleim¬
sekretion. Hypersekretion, Defekte der Schleimhaut und Schleimbil¬
dung sind Erscheinungen der Vagusreizung. Diese Vagusreizung ist
vielleicht im Ablauf der Ernährungsstörung selbst bedeutungsvoll
Es spricht in diesem Sinne der häufig nachweisbare Befund einer
okkulten Darmblutung in der Fäzes ernährungsgestörter Säuglinge
und das Auftreten von Blut in den Stühlen gesunder Säuglinge bei
pharmakologischer Vagusreizung (Pilokarpininjektionen).
J Karl Kassowitz (Wien), Beeinflussung der Körpertinge und
Körperfülle durch die Ernährung. Zschr. f. Kindhlk.30 H.5/6. Die
„Untermaßigkeit“ der Proletarierkinder ist nichts Gesetzmäßiges. Durch
jahrelange quantitativ und qualitativ ausreichende Ernährung läßt sich
ein staturales und ponderales vorzügliches Wachstum erzielen.
Hygiene.
++ Siegfried Rosenfeld (Wien), Die Wirkung des Krieges aul
die Sterblichkeit in Wien. Wien, Fr. Deuticke, 1921. 35 S.
M. 3^—. Ref.: Prinz in g (Ulm).
Die Schrift ist nicht für Fachleute bestimmt, sondern soll Ferner-
stehenden ein Bild der großen Not in Wien geben, die sich in der
grauenhaften Zunahme der Sterblichkeit äußerte. Die Kindersterb¬
lichkeit hat bei den ehelichen Kindern nicht zugenommen, dagegen
hat sich die Sterblichkeit in allen andern Altersklassen stark erhöht,
besonders war das Alter nach dem 60. Lebensjahre schwer betroffen.
Auch 1919 hat sich nur eine mäßige Abnahme der Sterblichkeit ge¬
zeigt. Die Infektionskrankheiten haben, abgesehen von Ruhr und
Grippe, nicht viel mehr Opfer gefordert als in den letzten Friedens¬
jahren, dagegen haben die Sterbefälle an chronischer Bronchitis,
Herzkrankheiten, Nierenentzündung, Gehirnschlag, Verunglückung und
Altersschwäche zugenommen, auch die an Lungenentzündung, und
zwar schon vor dem Grippejahr. In den wohlhabenden Stadtbezirken
war die Zunahme ebenso hoch oder gar höher, als in den ärmeren.
Es sind stets nur Grundzahlen, nach dem Geschlecht getrennt, mit¬
geteilt, Rosenfeld hält sich bei der Beurteilung der Zahlen vor¬
zugsweise an die des weiblichen Geschlechts.
Sachverständigent&tigkeit.
♦♦ Julius Kratter (Graz), Lehrbuch der Gerichtlichen Medizin-
2. Aufl. Bd. I. Stuttgart, F. Enke, 1921. 724 S. M. 132.-. Ref.:
P. Fraenckel (Berlin).
Die erste Auflage von 1912 war rasch vergriffen. Die neue
Auflage tritt nun als erster, theoretischer Teil eines stattlichen Werkes
auf, dessen zweiten die 1919 erschienene „Gerichtsärztlkhe Praxis“
bildet. Während diese das ganze Gebiet kasuistisch mit reichem
Bilderschmuck auf Grund der Lebenserfahrungen des bewährten
Grazer Forschers behandelt, gibt das neue Lehrbuch die systematische
Darstellung der gerichtlichen Medizin mit vielen neuen Bearbeitungen.
Die Vorzüge der ersten Auflage sind unverloren: klarste, nie er¬
müdende Darstellung, ständige Berücksichtigung des praktischen
Zweckes, reiche Materialverwendung mit Literaturnachweisen bei aller
Knappheit und Vermeidung langatmiger „Fallbeschreibung“. Nur
Weniges wird man bedauernd vermissen: Die immer häufiger nötige
Beurteilung von Schädigung aus Strahlenbehandlung ist mit einem
Satze abgetan. Auch daß gerade der Verfasser auf die Differential¬
diagnose der Arsenophagie, die Heffterschen Untersuchungen über
die Ausscheidung des Arsens ins Haar nicht näher eingeht, nimmt
wunder. Aber ungeachtet solcher und ähnlicher kleiner Lücken be¬
sitzen wir in Kratters Werk einen vorzüglichen Ratgeber und
Lehrer, dessen Beliebtheit nur wachsen wird.
VEREINS- UND KONGRESSBERICHTE
Redigiert von Ober-Reg.-Med.-Rat Dr. O. Strauß.
Berlin, Medizinische Gesellschaft, I. III. 1922.
Fortsetzung der Besprechung Ober Salvarsanfragen. (Vgl. Nr. 7
S. 243, Nr. 8 S. 275, Nr. 9 S. 307 und Nr. 10 S. 339.)
R. Len n ho ff berichtet über 2 Fälle, darunter ein selbstbeob¬
achteter, in denen nach wiederholt gut vertragenen Salvarsaninjektionen
nach einer erneuten Einspritzung innerhalb 24 Stunden der Tod ein¬
trat Anfangs wurden die Fälle als Salvarsantod hingestellt; die
Sektion ergab als Todesursache ausgedehnte Grippe-Bronchopneu¬
monie.
Umber berichtet über ausgezeichnete Erfolge des Salvarsans bei
viszeraler Syphilis: ein Fall von Diabetes insipidus und ein junges
Mädchen mit akuter gelber Leberatrophie wurden geheilt, ein Fall
von Pankreasdiabetes zum Stillstand gebracht. Bezüglich der Zunahme
der Lebererkrankungen in den letzten Jahren macht er das Salvarsan
nur als auslösende Ursache verantwortlich, die Bereitschaft der Leber
ist als Folge der Schädigung durch die dauernde Unterernährung im
Sinne einer Erschöpfung (Qlykogenschwund usw.) aufzufassen. Bei
fehlenden klinischen Erscheinungen muß der positive Ausfall der Wa.R.
die Veranlassung zu schärferer Beobachtung, aber nicht zur Einleitung
eingreifender Kuren geben.
Ben da weist auf die mächtige Zunahme der Fälle von akuter
gelber Leberatrophie in den letzten Jahren hin, wobei ein erheblicher
Teil gar keine Beziehungen zur Syphilis hatte oder Syphilis ohne
Safvarsanbehandlung vorausging. Beziehungen zwischen Malaria und
akuter gelber Leberatrophie haben sich auf dem Sektionstisch nicht
ergeben, in den Fällen, wo sich die innigen Beziehungen der Malaria
zur Leber zeigten, ist besonders darauf hingewiesen worden.
U. Friedemann berichtet über 3 Fälle von Salvarsanikterus,
bei denen er im Blut Malaria-Plasmodien gefunden hat. Die Häufung
von Malaria und akuter gelber Leberatrophie hat in letzter Zeit außer¬
ordentlich zugenommen.
Joachimoglu: Einige Salvarsanschäden sind zweifellos durch
minderwertige Präparate nervorgerufen worden. Der Salvarsangehalt
ist bisweilen schwankend. Um möglichst einwandfreies Salvarsan dem
Körper einzuverleiben, empfiehlt Cs sich nicht die Mischspritze mit
Quecksilberpräparaten zu verwenden, wo das Salvarsan durch Oxydation
in erheblicher Weise verändert wird, ohne daß man berechtigt ist an¬
zunehmen, daß die Veränderungen jedesmal auf der gleichen Stufe halt
machen. Bei der Mischung von Salvarsan mit Cyarsal kann freie
Blausäure nachgewiesen werden.
A. H. Isaak weist auf den guten Ruf hin, dessen sich das Sal¬
varsan bei den Patienten erfreut Die Vorteile bestehen in der Ab¬
kürzung der Behandlungszeit und in der Vermeidung von unangeneh¬
men Störungen, wie z. B. Stomatitis mercurialis usw. durch langan¬
dauernden Gebrauch von Quecksilber. Ein negativer Wassermann
kann noch während der Behandlung positiv werden. Trotz des Ver¬
schwindens der Initialsklerose ist noch Ansteckung möglich. Die
kombinierte Behandlung unter Kontrolle der Wa.R. wird empfohlen.
Schwere Schädigungen sind nicht beobachtet worden. 1919 mußten
einige Ikterusfälle auf ein schlechtes Präparat zurückgeführt werden.
In einem Fall, bei dem 2 Stunden nach der Salvarsaninjektion Fieber
und Bewußtlosigkeit auftraten, lag eine Malaria vor, die auf Chinin gut
reagierte.
Saalfeld empfiehlt eine genaue Prüfung der Technik der Salvar-
saneinspritzung vorzunehmen.
Schumacher weist auf die spirillozide Wirkung des Salvarsans
hin, warnt vor verzettelter Dosierung des Salvarsans.
Plehn führt die Häufung der Lebererkrankungen auf die all¬
gemeine Neigung zu solchen in den Jahren 1920/21 bei infektiösen und
toxischen Schädigungen zurück. So waren damals fast alle Pneumonien
biliär, Gelenkrheumatismen, Magengeschwüre gingen mit Ikterus einher.
Die stärkere Belastung nach den Hungerjahren macht er hierfür ver¬
antwortlich und führt das augenblickliche Zurückgehen der Leber¬
erkrankungen auf die Teuerung der Lebensmittel zurück. Er berichtet
über gute Erfolge mit Salvarsan wegen der schnelleren Wirkung bei
Hirn und Herzerkrankungen, geht bis zu 0,6 und 0,9 g in der Einzel¬
dosis und nicht unter 4—6 g im ganzen. Biliöse Malariafälle sind
ähnlich wie biliöse Pneumonien aufzufassen.
Schlesinger führt die Salvarsanschäden auf nicht einwandfreie
Zusammensetzung des Salvarsans zurück, die sich schon in der ver¬
schiedenen Löslichkeit in Wasser kundgibt. Er warnt vor über¬
triebenem Oebrauch von Salvarsan wie in einem Fall, wo innerhalb
4 Jahren nach stattgehabter Infektion 11 Salvarsankuren verabfolgt
wurden. Dresel.
Berlin, Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten,
9.1. 1922.
Fränkel: Dystrophia adiposo- genitalis mit Muskelschwund.
Demonstration eines Kranken, der seit dem 8. Jahr nicht^ laufen kann
und immer fett war. Gewicht 200 Pfund bei 150 cm Länge. Starke
Fettentwicklung, Pseudomammae, spärlicher Haarwuchs, gering ent-
cntwickelte Genitalien. Ausgedehnte Paresen an den Extremitäten,
teilweise völlige Lähmung. Pseudohypertrophie der Waden, Atrophie
der Glutaci. Keine Entartungsreaktion. Röntgenologisch Atrophie
der Röhrenknochen. Verminderung der Toleranz für Kohlenhydrate.
Fränkel nimmt Kombination einer Hypophysenhypoplasie mit einer
Muskeldystrophie an. Diese öfter beobachtete Kombination spricht
auch für einen Einfluß der Blutdrüsen bei den Myopathien.
Besprechung. T. Cohn wie Peritz bezweifeln das Vor¬
liegen einer Dystrophie. Peritz lehnt überhaupt den Zusammen¬
hang der Dystrophie mit der Hypophyse ab. Bei mangelnder Hypo¬
physentätigkeit wird der nicht nutzbar gemachte Zucker in Fett
verwandelt, wobei das Primäre die mangelhafte Verwendung des
Zuckers im Muskel ist.
O. Maas erachtet doch die von Fränkel gemachte Kombination
für vorliegend.
Fränkel (Schlußwort).
Schuster: Mikroskopische Befunde bei Stirnhirntumoren. Bei
zwei Fällen von Stirnhirntumor, die keine Symptome des Tumors,
dagegen solche der Paralysis agitans dargeboten hatten, ergab die
mikroskopische Untersuchung keinen Anhalt für einen Zusammen¬
hang zwischen den Tumoren (Stirnhirnendotheliome) und dem Krank¬
heitsbild, dagegen Veränderungen im Striatum und Pallidum, die zur
Erklärung der Erscheinungen herangezogen werden müssen.
Besprechung. Liepmann. — Schuster (Schlußwort).
C. B e n d a: Angioma racemosum des Rückenmarks. Demonstration
eines Rückenmarks mit ausgedehnten Auflagerungen erweiterter Venen
am Lumbalmark und Konus. Im Mark selbst weitgehende Verminde¬
rung und Auseinanderdrängung der weißen Substanz, teilweise völlige
Zerstörung der grauen, an Stelle letzterer stellenweise in sklerotisches,
zum Teil hyalines Bindegewebe eingebettetes Gefäßkonvolut. Nach
oben Hinterstrangsdegeneration. Geringfügiges Vorkommen von Körn¬
chenzellen beweist eine gewisse Stabilisierung des Prozesses. An
den größeren Gefäßen selbst Erweiterungen und Hypertrophien der
Wand, Verfettung und Sklerose der Intima. An den kleineren Gefäßen
schwerste Entartung mit völligem Verschluß des Lumens, zum Teil
Umwandlung in kernlose hyaline Gebilde. Wesentlich stärkere Be¬
teiligung der Venen, sehr geringe der Arterien. Es handelt sich also
mehr um ein venöses Angiom, doch läßt sich die Grenze zwischen
venösem und arteriellem Angiom nicht scharf ziehen.
Besprechung. W. Alexander hat zwei entsprechende Fälle
klinisch beobachtet, deren einer Kompressionserscheinungen der ersten
Sakralwurzel machte, und bei dem sich bei der Operation ein Varix
einer Duralvene fand. In einem zweiten Fall stellt er mit Rücksicht
auf Kopfnaevi und schwankende Symptome die Diagnose: Varizen
des Lumbo-Sakralmarks, die sich auch bei der Operation bestätigte.
Beide Kranke sind zum Exitus gekommen.
K. Löwenstein fand auch in einem die Erscheinungen eines
Dorsalmarktumors bietenden Falle bei der Operation Varizen auf der
Rückfläche des Rückenmarks, die sich auch in dasselbe erstreckten,
und auf deren Unterbindung die zum Tode führende Rückenmarks¬
erweichung wohl mit zurückzuführen war. Kurt Löwenstein.
Berlin, Gesellschaft fGr Geburtshilfe und Gynäkologie,
10. II. 1922.
Hake: Demonstration eines chronisch entzündeten Appendix, der
bei einer 22jährigen Opara entfernt worden war, die seit 10 Tagen an
Blutungen und Kopfschmerzen litt und bei der die klinische Diagnose
nur eine mobile Retroflexio uteri ergab. Im Anschluß an die Demon¬
stration wird unter Angabe eines größeren Materials aus der Macken-
rodtschen Klinik darauf hingewiesen, den Appendix bei der Operation
der mobilen Retroflexio zu revidieren.
Besprechung zu den Vorträgen Bum ms: Zar Rehabilitation der
Alexander-Adamsschen Operation und Schäfers: Die Resultate der
Alexander-Adamsschen Operation and der Ventrofixation.
Hey mann macht bei der mobilen Retroflexio die Alexander-
Adamssche Operation, bei der Retroflexio uteri fixata nicht die Ventro-
fixation, sondern seine von ihm 1917 in der Monatsschrift für Geburts¬
hilfe und Gynäkologie veröffentlichte Modifikation der Spaeth sehen
Operation.
Straß ma nn hat die Alexander-Adamssche Operation fast vollständig
aufgegeben, da er Rezidive und einmal Tubargravidität beöbachtet
hat. Er macht bei mobiler Retroflexio uteri die Vesico- oder Vagini-
fixation und bei fixierter Retroflexio die Ventrosuspension.
Schäffer hat unter 235 Alexander-Adamsschen Operationen der
letzten 20 Jahre zweimal eine schlechte Lage bei der Entlassung und
dreimal in späteren Zeiten gesehen. Die subjektiven Resultate bei den
Patientinnen waren nicht so gut.
Nagel operiert nach der Kochcr-Rumpfschen Methode^ indem er
das Ligamentum rotundum mit 4 Silkwormnähten an der Faszie fixiert
und manchmal noch eine Drainage macht. Unter 225 Fällen mit gutem
Resultate hat er 17mal Gravidität beobachtet, einen Fall aber am
11. Krankheitstage, durch Embolie verloren. Bei fixierter Retroflexio
macht er die Ventrofixation.
Hammerschlag hat bei einer Nachuntersuchung vor 2 Jahren
unter 141 Fällen von Alexander-Adams in 85°/ 0 anatomisch und 52°/ 0
subjektiv gute Resultate gehabt. Bei der fixierten Retroflexio macht
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
374
VEREINS- UND KONORESSBERICHTE
Nr.
er die Ventrofixation nach Dolöris, mit 97°/ 0 anatomisch und 50°/ 0
subjektiv gutem Resultat. Auch er hat einen Fall an Embolie nach
Alexander-Adamsscher Operation verloren.
‘ Broese: Da das subjektive Resultat bei anatomisch guter Lage
nach Alexander-Adamsscher Operation durchaus nicht immer gut ist,
ist ein großes Gewicht au! das Nervensystem der Patientin zu legen.
Die Alexander-Adamssche Operation ist den Vagini- und Vesikofixationen
vorzuziehen. 3mal wurde die Alexander-Adamssche Operation bei
Retroflexio uteri gravidi gemacht; einmal trat Abort ein.
Franz: Unter 869 Fällen von Alexander-Adamsscher Operation
waren nur 50 Fälle von reiner Retroflexio. Die unkomplizierte Retro-
flexio uteri mobilis gibt nur selten eine Indikation, den Uterus zu
antefixieren. Unter 3ü9 nachuntersuchten Fällen wurden 2,8 °/ 0 Rezidive
bei reiner Alexander-Adamsscher Operation beobachtet, die auf eine
falsche Indikationsstellung zurückgeführt werden.
Hai au er hält die Alexander-Adamssche Operation bei mobiler
Retroflexio uteri nicht für notwendig, außer bei Sterilität, Blutungen usw.
Er ist geneigt, eine Disposition zu Embolien bei der Operation an¬
zunehmen, und bevorzugt die Ventrofixation.
Schlußwort. Bumm warnt davor, bei der Operation wegen
Sterilität die Bauchhöhle zu öffnen. Eine Emboliegefahr erkennt er
nicht an. Der Nervus pudendus soll nicht durchschnitten werden. Ob
er mit in die Faszie eingenä ht oder freipräpariert wird, ist gleich. Heyn.
Königsberg i. Pr., Verein für wissenschaftliche Heilkunde,
19. XII. 1921.
Offizielles Protokoll.
Vorsitzender: Winter. Schriftführer: Schütze.
(Schluß aus Nr. 10.)
Kirschner: a) Fremdkörper im Oesophagus und Magen. Fehl¬
diagnose. 30jährige Kranke, die an Dementia praecox leidet, hat
anamnestisch vor 6 Wochen in einer Irrenanstalt Essigsäure ge¬
trunken. Sofortige Ausheberung des Magens. Allmählich zunehmen¬
des Unvermögen der Nahrungsaufnahme. Für Stenose typisches
Röntgenbild. Sonde stößt 28 cm von der Zahnreihe auf unüber¬
windlichen Widerstand. Mit feinster Sonde ist die angebliche Striktur
passierbar. Diagnose: Narbenstriktur des Oesophagus nach Ver¬
ätzung. Therapie: Gastrostomie. Durchführen eines Fadens ohne
Ende. Bougierung des Oesophagus mit am Faden befestigten Metall¬
oliven zunenmender Stärke. Allmählich geht selbst die dickste Olive
durch die Speiseröhre. Trotzdem Widerwillen gegen Nahrungsauf¬
nahme und zunehmende Abmagerung, was auf die Dementia praecox
bezogen wird. Nach Verlegung in die Psychiatrische Klinik Tod an
Entkräftung. Sektion: Es findet sich im Magen eine in der
Gegend des Pylorus in die Magenwand eingebohrte Zahnbürste, die,
wie Druckmarxen erkennen lassen, zunächst im Oesophagus lag, ihn
stenosierte und durch die Bougierung in den Magen hinein gezerrt
wurde. Epikrise: Die Fehldiagnose wäre lediglich bei Anwendung
der Oesophagoskopie vermeidbar gewesen, die, wie der Fall lehrt,
bei geistig unzurechnungsfähigen Kranken selbst dann in Anwendung
gebracht werden sollte, wenn Anamnese, Röntgenbild, Bougierung
und Verlauf eindeutig für eine Narbenstriktur sprechen, b) Perfora¬
tion des Magens durch eine Sonde. Eine 58jährige Kranke hat vor
3 Wochen Seifensteinlösung getrunken. Allmählich zunehmende,
schließlich bis zur Unmöglichkeit gesteigerte Schwierigkeit der
Nahrungsaufnahme. 29 cm hinter der Zahnreihe für gewöhnliche
Sonde impermeable Striktur; typisches Röntgenbild. Der Versuch
des Fadenschluckens mißlingt. Vor dem Röntgenschirm wird unter
Leitung des Auges der durch Kontrastbrei sichtbar gemachte Oeso¬
phagus mit einer dünnen, mit Knopf versehenen Metallsonde sondiert.
Sie verhakt sich stets an gleicher Stelle. Nach zahlreichen Versuchen
wird diese enge Stelle ohne Kraftaufwand überwunden, und die
Sonde gleitet innerhalb des Kontrastbreischattens in den Magen.
Keine Schmerzen. Sofortige Laparotomie zur Anlegung einer Gastro¬
stomie. Die Sonde befindet sich in der freien Bauchhöhle, wo auch
WismutJjrei gefunden wird. Sie hat den Magen unmittelbar unterhalb
der Kardia an einer narbig veränderten Stelle perforiert. Zurück¬
ziehen der Sonde. Uebernähung des Loches. Gastrostomie. Nach
4 Wochen Tod der Kranken unter allgemein peritonitischen Sym¬
ptomen. Obduktion: Ein in der Umgebung der Magenperforations¬
stelle Befindlicher faustgroßer Abszeß ist in die freie Bauchhöhle
r jerforiert. Epikrise: Der Fall zeigt aufs neue die von mir zu-
etzt auf dem letzten Chirurgenkongreß unterstrichenen Gefahren
selbst der schonendsten Bougierung einer verengten Speiseröhre,
und zwar selbst bei Zuhilfenahme der Röntgendurchleuchtungskon¬
trolle. Es ist unmöglich, beim Vorschieben der Sonde zu sagen,
ob der gefühlte Widerstand durch Dehnung einer Stenose oder durch
Einbohren t der Sonde in eine morsche Wand bewirkt wird. Bei
dieser Sachlage erweitert sich die Indikationsstellung der ösophago-
plastischen Operationen, c) „Kardiospasmus“ infolge Strangbildong.
Ein 60jähriger Mann hat seit 12 Jahren zunehmende Schlingbeschwer¬
den. Das Röntgenbild zeigt den typischen Befund eines Kardio¬
spasmus mit mächtiger Dilatation des Oesophagus (Oberarmdicke).
Laparotomie und Eröffnung des Magens zwecks unblutiger Dehnung
de u J5 an * ia * Dabei fühlt der die Kardia passierende Finger einen
scharfen, harten, über die Vorderseite des Oesophagus gespannten
Strang, der sich bei der Freilegung als kleiubleistiftdickes, spul¬
rundes, weißes, quer über den Hiatus oesophageus gespanntes Sehnen¬
gewebe erweist. Durchtrennung des Stranges mit dem Messer, wor¬
auf der in die Kardia eingeführte Finger freien Spielraum hat. Ver¬
schluß der Magenwunde und der Laparotomiewunde. Der Kranke
war sofort und ist heute, 4 Monate seit der Operation, von seinen
Beschwerden geheilt. Die Speiseröhre ist in ihrer Weite fast zur
Norm zurückgekehrt. Die Nahrung geht mit kurzer Verzögerung
durch die Kardia. — Es handelt sich hier also um einen Fall von
klinischem „Kardiospasmus“, der nicht durch einen Krampfzustand
der Ringmuskulatur, sondern durch eine organische Strangbildung
bedingt ist. Die Ursache der Strangbildung ist unklar, d) Fremd¬
körper im Oesophagus. 1 1 / 2 jähriges Kind hat vor dreimal 24 Stunden
einen Matrosenuniformknopf mit scharfem Rande verschluckt. Der
Knopf sitzt hinter dem Kehlkopf im Oesophagus. Mit dem Oesophago-
skop gelingt die Hinabführung in den Magen. Warme Empfehlung
prinzipieller Anwendung der Oesophagoskopie auch bei veralteten
Fällen und bei scharfrandigen Fremdkörpern, solange Zeichen
schwerer lokaler Infektion fehlen. In den letzten 30 Fällen von
Fremdkörpern im Oesophagus gelang dem Vortragenden die Ent¬
fernung in 28 Fällen anstandslos ohne Schädigung des Kranken, nur
in zwei Fällen war Oesophagotomie mit günstigem Ausgange not¬
wendig.
Benthin: Uterusperforation bei intaktem EL 30jährige Patientin,
die sich mit einer Aluminiummutterspritze zu Abtreibungszwecken
eine Seifenlösung in die Gebärmutter gespritzt hatte. Im Anschluß
daran wehenartige Schmerzen, und in den nächsten Tagen Fieber
und Schüttelfröste. Erst am 7. Tage wurde ein Arzt zugezogen;
dieser versuchte die Plazenta durch den engen Zervikalkanal, mit
der Abortzange zu entfernen. Er zog ein Gebilde heraus, das er
sofort als Darm erkannte, und überwies die Patientin der Klinik.
An der linken Seitenkante des Uterus fühlte man in einem für den
Finger zugängigen Loch sichere Darmschlingen in das Uteruskavum
hineinragen. Sofortige Operation. Dabei zeigt sich, daß offenbar
infolge der Beckenhochlagerung der Darm aus der Perforations¬
öffnung zurückgewichen war. Verletzungen an ihm waren nicht zu
sehen. Im Douglas wenige Kubikzentimeter flüssigen Blutes. Die
bakteriologische Untersuchung der Bauchhöhle ergab: Staphylo¬
kokken. Der Uterus wurde supravaginal amputiert, die Bauchhöhle
nach Aethereingießung drainiert. Vom 7. Tage an war die Patientin
fieberfrei. Ueberraschenderweise zeigte sich, daß das Ei nahezu
völlig intakt in der Uterushöhle lag. Lediglich der untere Eipol war
von der Unterlage gelöst und mit Blutgerinnseln bedeckt. Die
Hauptmasse der Bakterien fand sich in dem Blutgerinnsel am unteren
Eipol, die Keime (Staphylokokken) waren jedoch -noch höher hinauf
bis über die Perforationsstelle hinaus auf der Uterusinnenfläche und
in den intervillösen Räumen zu finden. Selbst in den Venen der
Uteruswand fanden sich, wie die Abbildung zeigt, deutliche Staphylo¬
kokken. Hingegen waren die Lymphbahnen frei. Auch in den
nichtgelösten Plazentarteilen wurden Keime vermißt. Dieser Befund
ist deshalb besonders interessant, einmal, weil er Aufschluß über die
Keiminfektion und Lokalisation gibt, zum* andern, weil damit der
Beweis erbracht ist, daß hier, wie bei den meisten fieberhaften
Aborten, es sich nicht um eine aktive Keimeinwanderung, sondern
pm eine passive Einschwemmung der Bakterien in die Venen handelt,
die dann zustandekommt, wenn Eiteile gelöst werden und Blutbahnen
eröffnet werden. — Die vielen Fälle von reaktionsloser Heilung nach
Durchbohrung des Uterus, z. B. mit der Sonde oder der Kürette,
und anderseits die hohe Mortalität von etwa 25 0/0 bei den in der
Literatur niedergelegten Uterusperforationen zeigen, daß eine für alle
Fälle gültige therapeutische Richtlinie nicht zu geben ist. Die Prognose
ist verschieden, je nach den Umständen, ob die Durchbohrung bei
Gravidität oder an einem sonst normalen Uterus gemacht wurde,
ob eine Infektion vorlag oder nicht, von wem, mit weichem Instru¬
ment und an welcher Stelle des Uterus die Perforation erfolgte. Bei
allen Fällen, bei denen es zu ausgiebigen Zerreißungen im Korpus
gekommen ist, bei denen Zweifel an der Wahrung der Asepsis
vorhanden sind und größere Blutungen sich vorfinden, wird man
um Exstirpation des Uterus nicht herumkommen. Nur in solchen
Fällen, wo man nach Lage der Dinge erwarten darf, daß keine
größere Verletzung geschaffen ist, keine Infektion vorliegt, wird man
bei leerer Uterushöhle eventuell konservativ Vorgehen und die Riß-
steile vernähen können. In den Fällen, wo es sich nur um eine
Zervixperforation handelt, stärkere arterielle Blutungen fehlen, keine
direkten Kommunikationen mit der Bauchhöhle vorhanden sind, wird
man bei reinen Fällen, wenn die Perforation sofort bemerkt ist,
sich abwartend verhalten eventuell die Rißstelle vernähen können.
Sonst bleibt auch hier nichts anderes übrig, als den Uterus zu ex-
stirpieren.
Bonn, Niederrheinische Gesellschaft für Natur- und Heil¬
kunde. Medizinische Abteilung, 12. XII. 1921.
Offizielles Protokoll.
Vorsitzender: Krause. Schriftführer: Hinselmann.
Fründ: Zar Behandlung der spastischen LAbmnngen nach Stoffel
mit Krankenvorstellung. Fründ demonstriert einen Patienten, der
infolge eines Rückenmarkschusses in Höhe des dritten Brustwirbels
zwei Jahre lang mit hochgradigen spastischen Kontrakturen in beiden
Hüft- und Kniegelenken gelegen hatte. . Durch peripherische Nerven-
Digitized by Google
Original fr am
CORNELL UNIVERSUM
7. März 1922
VEREINS- UND KONORESSBERICHTE
375
resektionen (zum Teil nach Stoffel), kombiniert mit Tenotomien, ge¬
lang es, Spasmen und Kontrakturen völlig zu beseitigen: Patient ist
jetzt wieder imstande, auf Krücken umherzugehen. Fründ hat die
Nerven für die Beugemuskeln nicht nach Stoffel reseziert, sondern
am Eintritt in den Muskel durchtrennt und dann die abgetrennten
zentralen Nervenenden nach oben umgeschlagen und hoch oben
außerhalb des Bereiches der Beugemuskeln am Ischiadikus aufgehängt.
Fründ glaubt, daß die nach Stoffelscher Operation nicht selten be¬
obachteten Rezidive dadurch Zustandekommen, daß die nach Stoffel
resezierten Nervenstümpfe beim Auswachsen nur einen kurzen Weg
bis zu dem Muskel zurückzulegen haben, den sie vorher innervierten.
Beim Aufhängen der Enden oberhalb der Muskelsubstanz der Beuge¬
muskeln ist dies kaum zu befürchten. Der N. obturatorius wurde auf
der einen Seite im Scarpaschen Dreieck in seinen Aesten durchtrennt
und diese in den Vastus medialis implantiert, auf der anderen Seite
wurde der Stamm am Foramen obturat. im kleinen Becken durch¬
schnitten und dann auf den N. femoralis nach v. Hofmeister auf¬
gepfropft. Auf beiden Seiten trat eine wesentliche Kräftigung des
Quadrizeps ein.
W. Fischer: Ueber Sprue. Nach einer [kurzen Schilderung des
klinischen Krankheitsbildes der Sprue berichtet Fischer über die
Befunde, die er bei der Sektion eines' typischen Falles von Sprue,
der im Sommer in der Medizinischen Klinik in Bonn in Behandlung
stand, erheben konnte. Die Sektion konnte drei viertel Stunden
nach dem Tode vorgenommen werden. Es fand sich hochgradige
allgemeine Atrophie (Körpergewicht 37 kg), hochgradige Hämoside-
rose (Leber, Milz, Mesenteriallymphknoten, Knochenmark), völlig
glatte Zunge (Schwund der Papillae filiformes, nur Spuren chronischer
Entzündung). Speiseröhre und Magen wiesen nur höchst unbedeutende
Veränderungen auf; im Dünndarm wurden einige ganz seichte, histo¬
logisch durchaus unspezifische Ulzera gefunden, keine Spur von
Atrophie; im Dickdarm unbedeutende narbige Prozesse in der Wand
(alte Amöbenruhr). Die makroskopisch fast unveränderten Nieren
zeigten mikroskopisch das typische Bild der vakuolären Degeneration
der Epithelien der Hauptstücke. Im Digestionstrakt fand sich, außer
mäßiger Hämosiderose, noch eine im Dünn- und Dickdarm sehr aus¬
gesprochene Pigmentierung durch Lipofuszin. Das Knochenmark wies
fast ganz genau die gleichen Veränderungen auf, wie bei perniziöser
Anämie. Es fand sich eine erhebliche Anämie, hoher Färbeindex, im
Blut keine kernhaltigen roten Blutkörperchen. Die histologische Unter¬
suchung ließ in den Geweben, insbesondere im Digestionstrakt, nir¬
gends Blastomyzeten oder Oidien nachweisen. Es wird die Frage
erörtert, ob wir in solchen Keimen die Erreger der Sprue zu suchen
haben, und auf die Befunde von Bahr, Ashford, die Untersuchun¬
gen Dolds und die von Fischer gemeinsam mit Dold ange-
stellten experimentellen Untersuchungen hingewiesen, bei denen durch
Verfütterung von Blastomyzeten ein der Sprue durchaus ähnliches
Krankheitsbild erzeugt wurde. Auf die Aehnlichkeit der im vor¬
liegenden Falle erhobenen Befunde mit den von Lubarsch bei Er¬
schöpfungskrankheiten gefundenen wird hingewiesen, ferner auf die
in so vielen Punkten ganz ähnlichen Befunde, die bei perniziöser
Anämie erhoben werden, und die Frage erörtert, welche Rolle primäre
Veränderungen des Darmtrakts, welche Rolle sekundäre Ansiedelung
von Keimen in dem geschädigten Darmkanal spielen.
Besprechung. Bach: Die Befunde Dolds, amerikanischer,
und anderer Untersucher (s. Arch. f. Schiffs- u. Trop. Hyg. 1917, 21,
u. 1919, 23) vom Vorkommen großer Mengen von Blastomyzeten
bzw. Oidien in den Stühlen Spruekranker verlangten auch im vor¬
liegenden Falle, auf das Vorhandensein derartiger Organismen zu
achten. Der Stuhl wurde bei Lebzeiten des Patienten 7mal an ver¬
schiedenen Tagen untersucht, mikroskopisch und kulturell, daneben
auch zweimal Abstriche von der Zunge sowie von der Leiche Dick¬
darm- und Dünndarminhalt. Zur Kultur kamen Endoagar, leicht
alkalischer sowie saurer Traubenzuckeragar, Traubenzuckeraszites¬
agar, Malzzucker- und Bierwürzeagar. Direkt aus den Stühlen an¬
gefertigte, nach Gram gefärbte Ausstrichpräparate zeigten keines¬
wegs ein Ueberwiegen Gram-positiver Keime (nach Le Dantec u. a.
charakteristisch für echten Spruestuhl), Gram-positive und Gram-
-negative Keime hielten sich die Wage. Ebensowenig fanden sich
hefe- oder oidienähnliche Zellen, auch nicht die von Justi, Beneke,
Dold, Aßmy beobachteten diphtherieähnlichen Keime (auch dann
nicht, wenn nach dem Vorgänge von Ungermann die Stuhlproben
mehrere Monate bebrütet wurden; in diesen kam es zu einer außer¬
ordentlichen Vermehrung von Sporenträgern). Hefen und Oidien
dagegen wurden sowohl in Zungenabstrichen wie aus Stuhlproben
und Leichenmaterial kulturell erhalten, aber im Gegensatz zu Dold
nicht sehr reichlich und auf den gewöhnlichen, schwach alkalischen
Nährböden leichter als auf den angesäuerten. Diese Organismen
entwickelten sich auch nicht sofort nach 24 Stunden Bebrütung bei
37° C, sondern am 2. Tage bei Zimmertemperatur oder noch später.
Im ganzen wurden 4 Oidium- und 5 Hefestämme isoliert. — Außer¬
dem fanden sich in fast allen Stuhlkulturen (neben Bact. coli) Bact.
vulgare (Proteus) und Bakterien aus der Gruppe des Bact. pneum.
Friedl. (auf letztere hat Distaso nach Dolds Angabe großen
Wert gelegt und in ihnen den Erreger vermutet, auch Dold fand sie
ziemlich häufig). Koli wie Proteus wurden vom Serum des Patienten
nicht agglutiniert. Die weitere Prüfung der Hefen- und Oidienstämme
ergab, daß es sich bei den von mir gezüchteten Organismen in
keinem F alle um die von Dold beobachteten Keime handeln konnte.
Dagegen sprach 1., daß meine Stämme auf schwach alkalischem
Agar sehr gut fortkamen, während die Dold sehen auf diesen küm¬
merlich gediehen und nur gut auf sauren Nährböden wuchsen,
2. fehlte meinen Stämmen die den Dold sehen Organismen zukom¬
mende „gewaltige chemische Aktivität“. Während Dold hervor¬
hebt, daß besonders seine Oidiumart sich durch Milchkoagulation
und starke Vergärung der verschiedensten Zuckerarten auszeichnete,
war bei meinen Stämmen von derartigen auffallenden chemischen
Leistungen keine Rede. Geprüft wurde das Verhalten der Stämme
zu Milch und Lackmusmolke, in Schüttelkulturen zu Traubenzucker
und in Plattenkulturen zu Dextrose, Laktose, Maltose, Saccharose,
Laevulose, Galaktose sowie Manuit, Dulcit, Sorbit (1% Zucker
-j- Lackmustinktur). Nur auf der Traubenzuckerplatte zeigten alle
Stämme Rötung, aber nur 1 Hefestamm in der Traubenzucker¬
schüttelkultur Gasbildung. Milch wurde von keinem Oidium, sondern
nur von 1 Hefe koaguliert. Lackmusmolke wurde von den Oidien
gebläut, von 2 Hefen schwach gerötet, analog war das Verhalten
auf der Milchzuckerplatte. Die Maltoseplatte röteten schwach 2 Oidien¬
stämme, deutlicher dagegen 3 Hefen, gegenüber den anderen Zucker¬
arten zeigten die Hefe- und Oidienstämme entweder keine (Oidien)
oder kaum nennenswerte chemische Aktivität (Hefen). — Ferner
fehlte 3 meiner Stämme die von Dold bei den seinen beobachtete
Polymorphie. Unter den von mir gezüchteten Stämmen wuchsen
nur 2 Hefen bei 37° C, die Oidien aber nicht, sondern nur bei
Zimmertemperatur. Es ist daher nicht sehr wahrscheinlich, daß es
sich um besonders dem Körper angepaßte Organismen gehandelt
hat (allerdings wuchsen auch echte pathogene Sproßpilze oft besser
bei Zimmertemperatur als bei 37° C). Tierversuche konnten aus
Mangel an Tieren nicht ausgeführt werden. Es erscheint mir daher
ziemlich sicher, daß es sich in unserem (alten und lange behandelten!)
Falle um aus der Nahrung stammende harmlose Hefen und Oidien
(Oidium lactis) gehandelt hat, die ia bei der Milch- und Obst¬
emährung des Kranken im heißen Sommer 1921 reichlich in den
Nahrungsmitteln vorhanden gewesen sind und den Darmkanal mecha¬
nisch passiert haben. Experimentell konnte ich z. B. bei Gesunden
nach Verzehren Oidium lactis enthaltender saurer Milch ohne Schwie¬
rigkeit dieses Oidium aus dem Stuhl isolieren.
Martius: Strahlenbehandlung der Inoperablen Portiokarzinome.
(Erscheint als Originalartikel in dieser Wochenschrift^
Leo: Ueber intravenöse Kampferölinjektionen. (Erscheint als Ori¬
ginalartikel in dieser Wochenschrift.)
Bach und Kiefer: a) Ueber Trichomonas der menschlichen Mund¬
höhle. Im Zahnbelag einer wegen starker Karies in Behandlung befind¬
lichen Frau fanden sich neben massenhaft vorhandenen Spirochäten
Flagellaten, die sich als typische Trichomonaden erwiesen (Material
erhalten durch Frl. cand. med. dent. Stolze). Mundpflege der
Patientin war mangelhaft, Reaktion des Speichels sauer. Im Dunkel¬
feld war äußerst deutlich der spitz, meist etwas seitlich gerichtete,
aus dem Hinterende hervorragende Achsenstab zu beobachten, den
v. Prowazek z. B. bei,seinen Mundtrichomonaden nicht abbildet
(Arch. f. Protistenk. 1902, 1), und bei nicht mehr sehr stark beweg¬
lichen Exemplaren die undulierende Membran. Die Zahl der Vorder¬
geißeln ließ sich zuerst bei deu sehr lebhaft beweglichen Tieren
nicht feststellen, bei späterer Beobachtung (8 Stunden im mit Vase¬
line umrandeten Präparat) hatten sich die meisten Individuen in die
Bakterien- und Leptothrixmassen verkrochen, sodaß auch hier eine
Beobachtung nicht mehr möglich war. Bei einem sehr günstig ge¬
legenen, sich mit dem Vorderteil klar gegen den dunklen Unter¬
grund abhebenden und nur schwach beweglichen Exemplare konnten
deutlich 4 rhythmisch schlagende Vordergeißeln beobachtet werden
(Beobachtung bestätigt durch Geh.-Rat Prof. R. O. Neumann).
Leider konnte am gleichen Tage von der in ambulanter Behandlung
stehenden, nicht in Bonn lebenden Patientin kein Material für Fär¬
bungen usw. entnommen werden. 8 Tage später waren Tricho¬
monaden wie auch Spirochätenmassen verschwunden, der Speichel
reagierte jetzt aber auch alkalisch (Mundpflege inzwischen). Der
frühere Befund von Trichomonaden bei sauref Reaktion des Speichels
ist beachtenswert, weil Lynch die Identität der Mundtrichomonaden
mit Trichomonas vaginalis behauptet hat. Vaginaluntersuchung war im
vorliegenden Falle nicht auszuführen. Die Beobachtung von 4 freien
Vordergeißeln würde sich mit den Angaben amerikanischer Autoren
decken, im Gegensatz zu der Angabe v. Prowazeks, der bei seinen
Mundtrichomonaden nur 3 Vordergeißeln feststellte. Vielleicht kom¬
men tatsächlich 2 verschiedene Varietäten bzw. Arten im Munde
vor. Ueber die Frage der Nomenklatur und Systematik s. Roden-
waldt (Handb. d. pathogen. Protozoen 1921 Lief. 8) und Kofoid
(Zbl. f. Bakt. Abt. I, Ref. 72 1921 S. 265). b) Trichomonas vaginalis.
Demonstration nach Heidenhain gefärbter Präparate von Trichom.
vaginalis mit 4 freien Vordergeißeln zur Bestätigung der Angaben
Rodenwaldt-Reulings, Hoehnes und amerikanischer Autoren,
c) Trichomonas mnrls im Oesophagus der Ratte. Bei einer halb¬
erwachsenen Mus rattus fanden sich massenhaft 3geißelige Tricho¬
monaden in der unteren Hälfte des Oesophagus, während sie im
Maul, Magen und Dünndarm fehlten. Andere Ratten des gleichen
Fanges beherbergten an dieser Stelle keine Trichomonaden. d) Octo-
mitus intestinalis. Massenhafte Infektion des Darmkanales eines ver¬
endeten Molches mit Octomitus. Demonstration von Heidenhain-
Präparaten und Negativfärbungen nach Benian, an denen sich die
8 Geißeln des Flagellaten sehr schön sichtbar machen lassen, e) Trypa¬
nosoma lewisi. Bei einer am 16. XI. 1921 gefangenen Mus decumanus
starke Infektion. Erstbeobachtung für Bonn. F) Kokzidien der Ratte.
Bei 3 von 8 im November gefangenen Ratten (Mus decumanus
und rattus) wurden im Blinddarminnalt unreife Kokzidienzysten ge-
Digitized by Google
Original fro-m
CORUELL LJNIVERSITY
376
VEREINS- UND KONGRESSBERICHTE
▼
Hr.li
funden. Die Zysten ließen sich vortrefflich mit der von Nöller
(Berlin, tierärztl. Wschr. 1921 Nr. 41) angegebenen Methode durch
konzentrierte Kochsalzlösung nachweisen. Die Tiere waren anschei¬
nend ganz gesund gewesen, makroskopisch sichtbare pathologische
Veränderungen waren im gesamten Darmtraktus nicht zu beobachten.
Weitere Untersuchungen über die Rattenkokzidiose sind im Gange.
Nach Reichenows Bearbeitung der Kokzidien ist über die Kok¬
zidiose der Ratten so gut wie noch nichts bekannt (s. Handb. d.
pathog. Protozoen 1921, Lief. 9).
Besprechung. Haupt bestätigt das Vorkommen von vier
freien Vordergeißeln bei Trichomones vaginalis. Demonstration eines
mikroskopischen Präparats (Heidenhain), in dem bei ungefähr
15o/o der Trichomonaden vier Geißeln nachzuweisen waren.
GieBen, Medizinische Gesellschaft, II. XI., 30. XI.
und 14. XII. 1921 *).
Offizielles Protokoll.
Vorsitzender: Olt. Schriftführer: Gundermann.
Festsitzung für Bostroem.
(11. XI.) Jesionek: lieber die Entstehung spezifischer Antistoffe
anf pathologisch-anatomischer Grundlage.
(30. XI.) A. Weber bespricht zunächst die theoretischen Grund¬
lagen, dann die Ergebnisse des Eintbovenscheu Dreieckschemas in der
Elektrokardiographie. 1. Das Dreieckschema gibt uns eine klare Er¬
kenntnis dafür, was wir unter dem Elektrokardiogramm zu verstehen
haben. 2. Das Schema ermöglicht es, Abweichungen vom normalen
Erregungsablauf festzustellen. 3. Das Schema ermöglicht eine recht
enaue topische Diagnose der ventrikulären Extrasystolen. 4. Das
chema ermöglicht die Diagnose einseitiger Herzkammerdilatation.
5. Das Schema bestätigt die röntgenologisch festgestellte Tatsache,
daß bei der Gravidität keine Dilatation, sondern eine Verlagerung des
Herzens zustandekommt.
(14. XII.) Fritz v.d. Hütten hat auf die sich widersprechenden, in der
übergroßen Mehrzahl jedoch ablehnenden Veröffentlichungen über
den Wert der prophylaktischen Röntgenbestrahlung beim operierten
Brustkrebs hin das Material der Gießener Chirurgischen Klinik nach¬
untersucht. Ueber 174 von 197 Patienten, die von 1910—1920 operiert
wurden, war genaue Auskunft zu erhalten. Die Fälle sind eingeteilt
nach der Schwere des klinischen Befundes in drei Hauptgrupppen
(Steinthal-Anschütz); ferner wird unterschieden in a) nicht
bestrahlte, b) unzulänglich bestrahlte, c) intensiv'bestrahlte Patienten.
In Gruppe I (Frühstadiuml, 32 Fälle, sind nach 3, 5 und 10 Jahren
100o/o Heilungen erzielt worden, bis aut ein Rezidiv noch nach 9 Jahren
(nicht bestrahlt); zwischen bestrahlten und nicht bestrahlten Fällen
besteht kein Unterschied. Gruppe UI (Spätstadium), 45 Fälle, zeigt
sowohl bei nicht bestrahlten wie bestrahlten Patienten ein schlechtes
Resultat, doch ist von den bestrahlten keiner rezidivfrei; eine kausale
Verschlechterung durch die Röntgenstrahlen ist bei der Kleinheit des
Materials nicht sicher. Dagegen wird das Heilergebnis in Gruppe II
— Karzinom mit Haut oder Unterlage verwachsen, Drüsen in Achsel¬
höhle, aber nicht sehr ausgedehnt — unter Einwirkung der Röntgen¬
bestrahlung auffallend verschlechtert. Von nicht bestrahlten 63 Pa¬
tienten leben nach 3 Jahren rezidivfrei 49,2o/o, nach 5 Jahren von
46 39,1 °/o; dagegen von 7 unzulänglich bestrahlten lebt nach 3 Jahren
noch 1; von 3 intensiv bestrahlten Patienten, erst vor 2 Jahren operiert
und bestrahlt, sind 2 bereits an Rezidiv gestorben, 1 ist gesund. Die
Bestrahlung von Rezidiven hat in keinem Fall Heilung herbeigeführt.
Zusammengefaßt kann also gesagt werden, daß die prophylaktische
Röntgenbestrahlung 1. bei den Frühfällen überflüssig ist, da-hier
auch durch Operation allein gute Resultate erzielt werden, 2. daß
sie die Resultate der Gruppe UI nicht gebessert und 3. die der
Gruppe II verschlechtert hat. Entsprechend den guten Ergebnissen in
der Gruppe 1 (Frühfälle) werden Frühdiagnose und Frühoperation in
den Vordergrund gestellt, dagegen wird die Röntgenbestrahlung vor¬
läufig abgelehnt.
Düttmann unterscheidet bei der Nierenlosiiffizenz des Prosta¬
tikers streng zwei Abteilungen: I. Abteilung: Bei dieser handelt es
sich um eine ausgesprochene Stauungspolyurie mit völliger Unfähig¬
keit der Niere, einen konzentrierten Urin zu liefern. Die Wasseraus¬
fuhr übersteigt wesentlich die Einfuhr. Infolgedessen stetes Ab¬
nehmen des Körpergewichtes, Eindickung des Blutes, Austrocknungs¬
gefahr. NaCl-Ausscheidung ist immer gestört, dagegen nicht die
N-Ausscheidung, die, wenn genügend Wasser vorhanden, immer eine
restlose war. Es kommt nur zur ganz geringen Erhöhung des
R.N.-Spiegels im Blute, die auf dessen Eindickung zurückzuführen ist.
Es handelt sich bei diesen Insuffizienzen mehr um eine funktionelle
Störung, da alle Erscheinungen verhältnismäßig schnell nach der
Entlastung, die regelrecht nur durch die Sectio alta erfolgt, schwinden
und einer normalen Nierenfunktion Platz machen. Düttmann stellt
die Forderung, alle Fälle von Prostatahypertrophie, die an Polyurie
mit ihren Folgeerscheinungen leiden und keine wesentliche Erhöhung
des R.N.-Serums im Serum aufweisen, unbedingt zweizeitig zu ope¬
rieren. II. Abteilung: Hier handelt es sich um eine organische Nieren-
*) Bel der Redaktion eingegangen am 11. n. 1022.
I " g=3== . =erac=—:s=^= == ■■ t — : 3 . ■
Verantwortlicher Redakteur: Geh. San.-Rat Prof. Dr. |. Sch
Insuffizienz, sei es rein vorkommend oder mit der Stauungspolyurie
vermischt. Die Höhe des Rest-N im Blutserum, die ein vielfaches
des Normalwertes beträgt, macht auf die Gefahr aufmerksam, oft
im Verein mit abnorm hohem Blutdruck. Eine Prostatektomie ist bei
diesen Leuten entschieden abzulehnen und das Anlegen einer ein¬
fachen Blasenfistel allen andern Eingriffen vorzuziehen.
Im Schlußwort weist Düttmann noch auf die Haassche
Indikanprobe hin, die es jedem Kliniker ermöglicht, sich in kurzer
Zeit ein Bild über den Zustand der Nieren zu machen und dement¬
sprechend seine Operationsindikation zu stellen.
Prag, Verein deutscher Aerzte, 13. und 23.1.1922.
(13.1.) Wagner demonstriert a) Xeroderma pigmentosum mit Kant-
nombildung. b) Urtikaria an den unbedeckten Körperstellen unter Ein¬
wirkung von Frost und Wind entstanden; wird als Angioneurose
gedeutet.
Elschnig demonstriert ein Kind mit angeborenen Anomalien der
Lider (scheinbares Entropinm).
Springer: Segmentierung schwerer rachitischer Knochenver-
krümmuogen. Hochgradige rachitische Verkrümmungen werden am
eburnisierten Knochen älterer Kinder durch einfache Osteotomie nur
mangelhaft korrigiert, die Keilexzision opfert die Länge. Die Osteoto¬
mie muß multipel vorgenommen werden, ist aber in der bisherigen
Technik in den nötigen Distanzen von etwa 1 cm ohne Weichteils¬
schädigung nicht möglich. Springer reseziert die verkrümmte Partie
temporär subperiostal, zersägt sie in 1 cm hohe Scheiben, die dann
in den bei Rachitischen festen Periostschlauch eingebracht werden.
Darüber Naht des Periostes und der Haut. Der Knochen wird in
seiner ganzen Länge gestreckt, wobei die Verlängerung bis 6cra
beträgt. Die Scheiben heilen ohne Kallus ein, anscheinend auch, ohne
abgebaut zu werden. Von 9 auf diese Weise operierten Tibien heil¬
ten 8 per primam, einmal Abstoßung eines Sequesters infolge Jod¬
tinkturnekrose. Das Vorgehen Löfflers der Zerbröckelung der
resezierten Knochen ist keine Verbesserung der Methode, da die
Brockel nicht alle untergebracht werden können. Die künstliche
Atrophierung in Gipsverbänden nach Anzolleti ist bei harten Knochen
älterer Kinder nur unvollkommen möglich, auf jeden Fall ein schwerer
Eingriff in den Ernährungszustand, außerdem disponiert die erzielte
Atrophie jahrelang zu Frakturen. Die Korrektur in dieser Form ist
nur erlaubt mit sofort anschließender Belichtung nach Biesalski.
Springer empfiehlt die Deformitäten in 1—2 Sitzungen unblutig
gerade zu richten und zu besonnen, während die Segmentierung nur
für die schwersten Verkrümmungen älterer Kinder bestimmt ist, bei
diesen aber ideale Resultate liefert.
Ghon: Genuine Atrophie der Leber. 33jährige Frau.~ Beginn der
Erkrankung angeblich nach Diätfehler im September 1921. Wa.R.
stark positiv. Tod unter den Zeichen der Cholämie. Klinische Dia¬
gnose: Hepatitis luetica. Leber 1380 g schwer, zeigt Atrophie und
Regeneration Milztumor, adhäsive Perihepatitis, Perisplenitis und
Pelveoperitonitis. Histologisch in den atrophischen Stelle Binde¬
gewebe und neugebildete Gallengänge, in den meist nekrotischen
tkterischen Regeneraten reichlich Gallenthromben. Unklare Aetiologie.
Besprechung. Jaksch: Die klinische Diagnose auf syphili¬
tische Lebererkrankung wurde auf Grund des positiven Ausfalles
der Wa.R. gemacht. Die Frage, ob die Schmierkur und die Salvarsan-
kur auf den unglücklichen Ausgang des Falles von Einfluß waren,
wird negiert. Der positive Ausfall einer Syphilisprobe bei Ikterischen
kann, wie der Fall lehrt, nicht für die syphilitische Aetiologie der
Lebererkrankung angewendet werden. Die zweimal ausgeführte Unter¬
suchung auf Aminosäuren war negativ.
(23.1.) R. Kuh: Kongenitale Amputationen. (Demonstration.)
A1 1 s c h u 1 : Röntgendiagnostik der Niereoerkranknogen.
Hecht: a) Zur Kasuistik der extragenitalen Primüraffekte. Hecht
beobachtete seit Anfang 1919 6 extragenitale Primäraffekte: 1. Schan¬
ker an der Tonsille in Form eines Ulcus phagadaenicum, Infektions¬
modus unbekannt. 2. Frau mit Papeln am Mundwinkel und anderen
sekundären Erscheinungen; 3 Monate später Erosion am Mundwinkel
mit Spirochäten. 3. Junger Mann, November Papeln an den Lippen
und andere sekundäre Erscheinungen, Dezember 2 Erosionen an der
Unterlippe mit reichlichen Spirochäten. 4. Primiiraffekt an der Ober¬
lippe durch Kuß entstanden. 5. Primäraffekt an der Mamma und
makulöses Exanthem bei Virgo; Bräutigam syphilitisch. 6. PHmär-
affekt am kleinen Finger bei einem Arzte, der sich bei einer Ent¬
bindung infizierte. Diagnose wurde erst nach Auftreten des Ex¬
anthems gestellt. Es ist wichtig, jeden einzelnen Fall von frischer
Syphilis nicht nur einmal zu untersuchen, sondern mindestens zwei
Monate genau zu kontrollieren. Wenn nach Ablauf dieser Frist,
bei Abbruch der Beziehungen zu dem infizierten Teile, weder kli¬
nische noch serologische Anzeichen der Syphilis gefunden werden,
kann man von einer Genesung sprechen, b) Zur Beurteilung
Wa.R. Für alle Fälle, bei denen klinisch oder anamnestisch Syphilis
sichergestellt wurde, kommt ausschließlich die Aktivraethode (H.R-,
d. i. Hechtsche Reaktion) in Betracht. Für die differentialdiagnosti¬
schen Untersuchungen soll vorwiegend die Originalmethode in An¬
wendung kommen. Es empfiehlt sich aber auch hier, zur Erhöhung
der Sicherheit bei der Beurteilung schwach positiver Reaktion die
Aktivmethode gleichzeitig anzustellen. Q. Wiener.
wralbe. — Druck von Oscar Brandstetter ln Leipzig.
Digitized by
Google
Original from
CORNELL UNIVERSUM
Deutsche Medizinische Wochenschrift
Begründet von Or. Paul Börner
HERAUSOEBER: VERLAO«
Geh. San.-Rat Prof. Dr. Schwalbe GEORG THIEME/ LEIPZIG
Berlin-Charlottenburg, Schlüterstraße 53 Antonstraße 15
Nummer 12
Freitag v den 24. März 1922 48. Jahrgang
Aus dem Pharmakologischen Institut der Universität in Bonn.
(Jeber Kampfersol, p-Diketokamphan und p-Oxykampfer l ).
Von H. Leo.
Das der Oeffentlichkeit noch nicht übergebene Kampfersol Merck
ist eine 3%ige kolloide Kampferlösung mit 10% des als Dispersions-
raittel dienenden Lezithins. Der Kampfergehalt des Präparates ist
also sehr erheblich höher als der des gesättigten Kampferwassers,
welches nur rund 0,16% Kampfer enthält.
Gegen die Verwendung des Lezjthins als Dispersionsmittel sind
a priori Bedenken zu erheben. Denn'ich habe mit Dr. Breuer fest¬
gestellt (1), dab der Kampfer bei gleichzeitiger Injektion mit größeren
Mengen einer Lezithinemulsion zum größten Teil durch einen physi¬
kalisch-chemischen Prozeß, offenbar durch Adsorption, im Blut und
in den Gewebssäften festgehalten und an dem Eintritt in die Gewebs¬
zellen verhindert wird, sodaß die Kampferwirkung dadurch, wenn
nicht ganz verhindert, so doch beträchtlich herabgedrückt wird.
Bei unseren früheren Versuchen handelte es sich allerdings um
2—I0%ige Lezithinemulsion mit nur 0,145% Kampfer, während das
Kampfersol neben 10%igem Lezithin 3% Kampfer enthält. Es war
also sehr wohl denkbar, daß, trotzdem auch hier das Lezithin beträcht¬
lich überwiegt, doch noch ein Teil des Kampfers der haptophoren
Wirkung des Lezithins entzogen werden und zur Wirkung kom¬
men kann.
Die Versuche, die ich zur Prüfung des Präparates gemeinsam
mit cand. med. vom Hofe angestellt habe, ergaben die Richtigkeit
dieser Annahme.
Ich beschränke mich, wie auch bei den folgenden Präparaten, auf
eine kurze Zusammenfassung unserer Resultate, die von meinen
Mitarbeitern anderwärts ausführlicher mitgeteilt werden.
Die dem Kampfer eigene Steigerung der Atemgröße trat auch
nach der intravenösen Injektion von Kampfersol in Gaben von
durchschnittlich 0,5 ccm = 0,015 g Kampfer pro Kilogramm Tier aus¬
nahmslos und in starkem Maße um mehr als das Doppelte des
Anfangswertes ein, und zwar sowohl bei nicht vorbehandelten Tieren
wie auch bei solchen, deren Atemgröße vorher durch intravenöse
Injektion von Morphin erheblich herabgesetzt war.
Diese Steigerung ist aber zweifellos keine reine Kampferwirkung,
sondern jedenfalls z. T. durch das Lezithin bedingt. Breuer und ich
haben nämlich in unseren erwähnten Versuchen nadigewiesen, daß
auch Lezithinemulsion allein, und zwar schon bei einem Gehalt von
2®/o Lezithin, nach intravenöser Injektion beträchtliche Steigerung
der Atemgröße bewirkt. Analoge Wirkungen sind schon früher von
Friedberger (2) nach der intravenösen Injektion anderer, schein¬
bar ganz indifferenter Suspensionskolloide beobachtet und ähnlich wie
die Anaphylaxie auf die Adsorption noch unbekannter Bestandteile
des Serums bezogen worden.
Wenn demnach dem Lezithin allein zweifellos ein wesentlicher
Anteil au dem Ansteigen der Atemgröße nach Kampfersol zukommt,
so mußten wir doch aus den weiteren Versuchen entnehmen, daß
auch der Kampferbestandteil dabei eine Rolle spielt.
Die dem Kampfer charakteristische Krampiwirkung war aller¬
dings nur wenig ausgeprägt, und auch die Erregung der Großhirn¬
rinde bei Tieren, die sich im Medinalschlaf befanden, war nur an¬
gedeutet und viel geringer als bei reinen Kampferlösungen. Dagegen
konnte eine ausgesprochene Beeinflussung der geschwächten Herz¬
tätigkeit beim Frosch festgestellt werden, indem die Zahl der Kon¬
traktionen des durch Chloralhydrat geschwächten Herzens nach Auf¬
träufeln des Kampfersols deutlich zunahm, während das Aufträufeln
von Lezithin allein sich als unwirksam erwies. Auch gelang es, durch
den Williamsschen Apparat eine Steigerung der durch Phosphor¬
wasser, nicht durch Chloralhydrat, geschädigten Arbeitsleistung des
Herzens, wenn auch nur in geringem Maße, nachzuweisen.
Das Kampfersol zeigt also zweifellos Kampferwirkungen. In
den Tierversuchen steht es aber entschieden hinter dem Ol. camphor.
und dem Kampferwasser zurück. Auch hat es gegenüber dem Kampfer¬
öl den Nachteil, daß es bei subkutaner Injektion anscheinend wirkungs¬
los ist. Freilich hat es gegenüber dem Kampferwasser den Vorteil,
i) Vortrag In der Medizinischen Abteilung der Niederrheinischen Gesellschaft für
Natur» und Heilkunde an 16.1. 1922.
daß man von ihm nur eine erheblich geringere Flüssigkeitsmenge zu
injizieren braucht, und gegenüber dem Kampferöl, daß seine intra¬
venöse Injektion frei von Gefahren ist.
Ob diese Vorzüge ausreichen, um das neue Mittel mit mehr
Nutzeu als die genannten Kampferpräparate beim Menschen anzu¬
wenden, muß durch die klinische Erprobung festgestellt werden.
Während es sich bei dem Kampfersol nur um eine neue kolloide
Aufmachung des Kampfers selbst handelt, sind die beiden nun zu
besprechenden Präparate bisher pharmakologisch nicht untersuchte
Kampferderivate, von denen das eine von J. B re dt (3) neu dargestellt
und das andere von ihm gereinigt und bezüglich seines chemischen
Charakters genau identifiziert ist, also chemisch wohl charakterisierte
Substanzen, die vermöge ihrer Konstitution dem Kampfer sehr nahe
verwandt sind.
J. Bredt, dem die Wissenschaft die Aufdeckung der Konstitution
des Kampfermoleküls verdankt, hat bei seinen unermüdlich fortgesetz¬
ten Forschungen neuerdings durch Oxydation des Sch rotte rschen
Oxykampfers eine neue Verbindung, das p-Diketokamphan, gewonnen.
Es unterscheidet sich, wie die folgende Zusammenstellung dartut,
von dem Kampfer, der ein Monoketon ist, durch den Eintritt eines
doppelt gebundenen O-Atoms in den Kohlenstoffring des Kampfers an
Stelle von zwei H-Atomen. Aus seiner optischen Aktivität — (a) D
= -j- 103,42o/o — folgt, daß die beiden CO-Gruppen die unsym¬
metrische p-Stellung einnehmen.
Kampfer
CH
/i\
■v
<!:h #
CO
Para-Oxykampfer
(Schrötter-Bredt)
CH
sr
HOHCf
H,Cl
JH.C-C-CH
V
CH,
jCH,
fco
Para-Diketokamphan
(Bredt)
CH
■-Tn
oc
H,d
/
H,C-C-CH, |
Y
<!h.
,Vh.
’co
Das p-Diketokamphan bildet weiße, geruchlose Kristalle, die in
Wasser leicht löslich sind.
Die leichte Löslichkeit und die nahe chemische Verwandtschaft
der neuen Verbindung mit dem Kampfer legten es nahe, sie auf ihre
pharmakologische Wirkung zu untersuchen. Ich leistete der Anregung
von Bredt, diese Untersuchung vorzunehmen, gerne Folge und
vereinigte mich zu dem Zweck mit cand. med. Heupke.
Die Wirkung auf *as Atemzentrum war deutlich ausgesprochen.
Die nach der intravenösen Injektion des Diketokamphans beobachtete
Steigerung der Atemgröße entspricht fast genau der durch die intra¬
venöse Injektion der gleichen Menge Kampfer in Form von Kampfer¬
wasser hervorgerufenen Steigerung. Ein Unterschied besteht aber
hierbei insofern, als die Zahl der Atemzüge, die durch Kampfer
gleichzeitig mit der Atemgröße, d. h. mit der in der Zeiteinheit ein-
ozw. ausgeatmeten Luftmenge, erhöht wird, nach dem Diketokamphan,
wenn überhaupt, nur ganz geringfügig ansteigt. Daraus folgt, daß
die Diketon Wirkung im wesentlichen eine Vertiefung der einzelnen
Atemzüge darstellt, was natürlich für eine therapeutische Verwen¬
dung von Vorteil sein würde.
Auch die erregende Wirkung auf die Großhirnrinde narkotisierter,
im Medinalschlaf befindlicher Tiere tritt nach der intravenösen Injek¬
tion der Diketonlösung in starkem Maße, stärker als bei der gleichen
Menge des im Kampferwasser eingeführten Kampfers ein.
Deutlich macht sich auch die Krampfwirkung bemerkbar durch
das Auftreten allgemeiner klonisch-tonischer Krämpfe.
In einem Versuch trat der toxische Charakter dieser Krämpfe in
besonders starkem Maße zutage. Es handelte sich um ein Kaninchen
von 2050 g, dem 0,03 Diketon in die Ohrvene eingespritzt wurde.
Sofort stellten sich heftige allgemeine Krämpfe ein, die Atmung
stockte, und schon nach 1 Minute erfolgte Exitus. Offenbar lag die
Ursache für diesen Ausgang, zumal auch die Sektion keine anatomi¬
schen Veränderungen ergab, in einem Zwerchfellkrampf. Als Dosis
letalis würde sich aus diesem Versuch 0,015 g pro Kilogramm Tier
ergeben.
Die Herzwirkung war beim normalen Herz, ebenso wie es für
den Kampfer bekannt ist, nicht nachweisbar. Ausgesprochen aber
war sic beim vorher geschwächten Herzen. Die durch Chtoralhydrat
Digitized by
Google
Original from
CORNELL UNIVERSUM
378
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
stark herabgesetzte Frequenz der Pulsationen wurde durch Auf¬
träufeln einer Diketonlösung auf das gefensterte Froschherz deutlich
beschleunigt. Und mittels des Wilfiamsschen Apparates konnte,
wenn auch nicht bei dem durch Chloralhydrat, so doch bei einem
autochton geschwächten Froschherzen durch Bestimmung der vom
Herzen herausgeförderten Flüssigkeitsmenge eine ausgesprochene
Steigerung der Herzarbeit durch Diketon festgestellt werden.
Es ergab sich übrigens auch hier eine toxische Wirkung, indem
beim Aufträufeln einer konzentrierten Diketonlösung (1:200) aut
das gefensterte Herz dies in einen mehrere Minuten andauernden Still¬
stand versetzt wurde. Derartige üiftwirkung wird bekanntlich auch
bei konzentrierteren Kampferlösungen beobachtet. Für die Therapie
.haben diese Wirkungen keine Bedeutung, weil die nach der inneren
Einverleibung an das Herz gelangenden Lösungen niemals eine ähn¬
lich starke Konzentration haben.
Das p-Diketokamphan zeigt also *in ausgesprochener Weise die
Wirkungen des Kampfers, die es bezüglich der erregenden Wirkung
auf die Großhirnrinde und der krampferregenden Wirkung noch über¬
trifft. Seine leichtere Löslichkeit bietet dgn Vorteil, daß man zur Er¬
zielung des gleichen Effektes, wenigstens bei der intravenösen Injek¬
tion, mit erheblich geringeren Flüssigkeitsmengen auskommt. Auch
die Vertiefung der Atemzüge ist als ein Vorzug gegenüber dem
Kampfer zu betrachten. Allerdings ist im Hinblick auf die erwähnten
Giftwirkungen Vorsicht bei seiner Anwendung am Menschen er¬
forderlich.
Ich wende mich schließlich zu dem p-Oxykampfer. Es han¬
delt sich hierbei um eine schon ältere Verbindung, da sie bereits im
Jahre 1881 von Schrötter(4) dargestellt worden ist. Ihr chemischer
Charakter ist aber erst vor einem Jahr durch die Forschungen von
Bredt (3), besonders durch die oben erwähnte Umwandlung des
Oxykampfers in das soeben besprochene p-Diketokamphan völlig
klargestellt worden. Sic stellt danach ein Gemisch zweier stereoi¬
somerer Körper dar, in denen sich die Keton- und die Hydroxylgruppe
in Parastellung befinden.
Der p-Oxykampfer besteht, ebenso wie das Diketokamphan, aus
weißen, geruchlosen und in Wasser leicht löslichen Kristallen.
Es sind außerdem schon seit langer Zeit noch zwei andere iso¬
mere Ortho-Oxykampfer bekannt, nämlich der Campherol genannte
Schm iedeb erg sehe (5) (1879) und der Oxaphor genannte Ma-
nassesche (6) (1897).
Pellacani ( 7) stellte für ersteren fest, daß er deutliche, und
zwar verstärkte Kampferwirkung zeigt.
Durch Heinz (8) wurde dagegen die auffallende Tatsache nach¬
gewiesen, daß der Ma nasse sehe Oxykampfer trotz seiner außer¬
ordentlich nahen Verwandtschaft mit dem Kampfer nicht nur keine
Kampferwirkung ausübt, sondern sich geradezu antagonistisch zum
Kampfer verhält. Denn er wirkt nicht erregend, sondern beruhigend
auf die Großhirnrinde und erregt nicht das Atemzentrum, sondern
setzt seine Erregbarkeit herab. Unter dem Namen Oxaphor ist dieser
Oxykampfer infolgedessen im Laufe der Jahre von zahlreichen nam¬
haften Autoren zu therapeutischen Zwecken empfohlen und bis heute
vielfadi als Beruhigungsmittel bei den verschiedensten mit Dyspnoe
einhergehenden Krankheiten (Tuberkulose, Bronchitis, Astnma,
Bronchopneumonie, Keuchhusten usw.) mit Erfolg angewandt worden.
Umsomehr erschien es, schon in theoretischer Beziehung, von
Interesse, auch den Bredt sehen p-Oxykampfer pharmakologisch zu
untersuchen und festzustellen, oo er in seinen Wirkungen dem
Kampfer oder etwa dem Oxaphor sich ähnlich verhalte.
Mir erschien das erstere wahrscheinlicher wegen der von uns
nachgewiesenen kampferartigen Wirkung des Diketokamphans, das
t 'a, wie erwähnt, sich von dem p-Oxykampfer ableitet und auch eine
^raverbindung ist. *
Die von mir zusammen mit Frl. cand. med. Kam Iah ausgeführten
Versuche bestätigten diese Annahme. Der p-Oxykampfer erweist
sich danach entschieden als Erregungsmittel im Sinne des Kampfers.
Die Erregung der Großhirnrinde beim narkotisierten Tier tritt
sehr stark zutage.
Ein Hund von 4 kg, der vor 5 Stunden 1 g Medinal subkutan er¬
halten hat und sich in tiefem Schlaf befindet, wird durch die intra¬
venöse Injektion von 0,1 g Oxykampfer (5 ccm der 2o/ 0 igen Lösung)
im Laufe 1 Minute erweckt, sodaß er sich spontan aufrichtet und im
Zimmer, wenn auch etwas taumelnd, umherläuft.
Audi die Erregung des Atemzentrums ist deutlich ausgesprochen
und beim nicht vorbehandelten Tier besonders hochgradig. Nach
vorheriger Atemlähmung durch Morphin bewirkt die intravenöse
Injektion weniger Kubikzentimeter der lo/oigen p-Oxykampferlösung
eine Steigerung der Atemgröße, die ungefähr die gleichen Werte wie
nach derselben Menge Kampfer bzw. Diketokamphan erreicht.
Dagegen fehlt die allgemeine Krampfwirkung meistens. Sie kommt
nur bei großen Dosen in verhältnismäßig schwachem Maße zustande
und dauert nicht länger als 1 Minute. Hier besteht also ein be¬
merkenswerter Unterschied gegenüber dem Kampfer, dem p-Diketo¬
kamphan und dem Campherol.
Sehr ausgesprochen ist die Wirkung auf das geschwächte Herz.
Mittels des Williamsschen Apparates läßt sich nachweisen, daß
die Arbeitsleistung des durch Chloralhydrat vergifteten Herzens durch
die Zuführung der Oxykampferlösung bis auf das Doppelte und
darüber hinaus gesteigert wird.
Aus dem Mitgeteilten geht hervor, daß der p-Oxy¬
kampfer tatsächlich volle Kampferwirkung hervorruft.
So sehen wir denn wieder einmal an einem prägnanten Beispiel vor
Augen geführt, welch tiefgreifenden Einfluß die Stellungsisomerien
einzelner Atomgruppen auf die pharmakologische Wirkung ausüben
können. Für die aromatischen Substanzen ist cs bekannt, dab die
Paraverbindungen meist eine stärkere Giftwirkung entfalten als die
Orthoverbindungen (9). Daß sich aber in der Beziehung keine all-
gemeingültigen Regeln aufstellen lassen, ergibt sich schon daraus, daß 1
die Krampfwirkung des Schmiedebergschen o-Oxykampfers die
des p-Oxykampfers in hohem Maße übertrifft und daß die beiden
o-Oxykampfer direkt entgegengesetzt wirken.
Schluß. Wenn wir einen Rückblick auf die gewonnenen Resultate
werfen und insbesondere die Wirksamkeit der drei besprochenen Prä¬
parate hinsichtlich ihrer therapeutischen Verwertbarkeit miteinander
vergleichen, so kommen wir zu dem Ergebnis, daß das Diketokamphan
und der p-Oxykampfer das Kampfersol bei weitem übertreffen und
auch den anderen Kampferpräparaten in gewisser Beziehung voran¬
zustellen sind. Den p-Oxykampfer möchte ich au die erste Stelle setzen.
Nicht nur deshalb, weil er alle therapeutisch wichtigen Kampfer¬
wirkungen, soweit sie untersucht worden sind, in ausgesprochener
Weise hervorruft, sondern weil er außerdem noch in zwei wichtigen
Punkten etwas Besonderes darbietet. Erstens durch die außerordent¬
lich starke Wirkung auf das geschwächte Herz, die in entschieden
stärkerem Maße als bei den bekannten Kampferlösungen und auch
als beim Diketokamphan zutagetritt. Und zweitens dadurch, daß
die toxische Krampfwirkung, wenn überhaupt, so nur in sehr geringem
Maße von ihm ausgelöst wird.
Leider war es mir bisher aus äußeren Gründen nicht möglich,
die beiden neuen Kampferderivate auch auf eine etwaige pneumo¬
kokkenwidrige Wirkung zu untersuchen, wie ich sie 1913 gleichzeitig
mit Bochneke für den Kampfer nachgewiesen habe (10). Hoffentlich
werde ich dies Versäumnis bald nachholen können. Schon jetzt aber
erscheint die Erprobung besonders des p-Oxykampfers beim erkrank¬
ten Menschen aussichtsvoll.
1. D. m. W. 1920 Nr. 3a—2. Zschr. f. Immun. Forsch. 1914 Nr. 208.405.—3.J. f. praktChem.
1921,101, S. 273. — 4. W. Mh. 1881,2, S. 224. — 5. Zschr. f. physloL Chem. 1879,3, S.422.—
6. Ber. D. chem. Oes. 1897. — 7. Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 1883,17, S. 372. — 8. D. m. W.
1897; Ther. Bell. S. 41. — 9. Siehe S. Pränkel, Die Arxneimittelsynthese, Berlin 1912.
3. Auf]. S. 121 ff. — 10. D. m. W. 1913 Nr. 13 u. 15.
Aus dem Pharmakologischen Institut und der Medizinischen Klinik
der Universität in Erlangen.
Ueber galletreibende Mittel, insbesondere Cholaktol.
Von Dr. med. J. W. Schoager in Erlangen.
Im hiesigen Pharmakologischen Institut wurden in den letzten
Jahren unter Leitung von ProL Heinz zahlreiche Untersuchungen über
ätherische Oele durchgeführt. Bei verschiedenen dieser Substanzen
entdeckte man bei den Tierversuchen eine galletreibende Wirkung,
am auffälligsten beim Pfefferminzöi l ). Da die Innere Medizin Inter¬
esse daran hat, zuverlässige galletreibende Mittel zu gewinnen, schloß
ich mich diesen Untersuchungen an. Im Laufe meiner Arbeit sah
ich mich dann veranlaßt, auch die übrigen als Cholagoga empfohlenen
und verwendeten Mittel nachzuprüfen, um so ein einigermaßen voll¬
ständiges Bild auf diesem Gebiete zu gewinnen 8 ).
Die Cholagoga sind einzuteilen in indirekt und direkt galle¬
treibende Mittel. Die ersteren sollen den Abfluß der Galle vom
Magen-Darmkanal aus durch Anregung der Peristaltik befördern;
die letzteren wirken auf die Leberzellen selbst ein im Sinne einer
Erhöhung der sekretorischen Tätigkeit derselben.
Indirekte Cholagoga. Emetika. Angewendet werden bzw.
wurden Rad. Ipec., Tart stm., Zinc. o. Cupr. sulf., Apomorphin usw.
Sie sind nur noch wenig (z. B. in England) in Gebrauch; ihre Wir¬
kung auf die Galle ist so unerheblich, daß man die Belästigung der
Kranken durch die Art ihrer Hauptwirkung den Patienten Kaum
zumuten kann.
Laxantia. Angewendet werden Aloe, Senna, Koloquinten, Podo-
phyllin, Evonymin, Kalomel usw. Durch die exakten Versuche von
Stadelmann und Paschkis an Gallenfistelhunden ist erwiesen,
daß diese Mittel keine diolagoge Wirkung besitzen. Auch durch
Kombination dieser Mittel (z. B. Chologen = Podophyllin -f- Kalomel)
wird die Wirkung nicht erhöht.
Die abführenden Mineralwässer, an ihrer Spitze das Karlsbader
Wasser bzw. Salz, wirken ebenfalls nicht galletreibend; es wird im
Gegenteil die Gallensekretion vermindert. Die günstige Wirkung,
welche der Karlsbader Kur in manchen Fällen von Leber- und Gallen¬
leiden zukommt, ist wahrscheinlich auf die Rückbildung der Ent¬
zündung in den Gallen wegen zurückzuführen, welche durch die Kur
begünstigt wird. (Vielleidit wirken alle Abführmittel nach dieser
Riditung und erleichtern dadurch den Abfluß der Galle.) Im g‘ e,( *f n
Sinne wirken die warmen Dauerauflagen auf die Gallengegend, welche
mit der Kur zweckmäßig verbunden werden. Die Behauptung, dau
Karlsbader Salz Gallensteine auflöst, ist endgültig ins Reich der
Fabel zu verweisen. . .
Der Rettichsaft, der auch als Cholagogum verwendet wird,
wirkt in erster Linie wohl auch als Laxans; galletreibende Wirkung
kommt ihm vielleicht zu wegen des Gehaltes an ätherischem Oei
*) He in z, Ther. Mh. 1920 Nr. 13; M. m. W. 1921 Nr. 21; DI e pold, Erlanger Do¬
tation 1919; Renner, Erlanger Dissertation 1919. — •) Schonger, Erlanger uw
tat Ion 1921.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNiVERSITV
24. März 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
379
Die Oe 1 Jeur ist ebenfalls als „Laxans“ zu bewerten. Die auch
von dieser Kur behauptete steinlösende Wirkung ist nicht vorhanden;
die abgehenden steinähnlichen Gebilde sind nichts anderes als Kon¬
kremente der Oelseifen. Die Oelkur wird in verschiedenen Modifi¬
kationen durchgeführt: mit Oelsäure, dem als wirksam angenommenen
Bestandteil des Olivenöls; mit Natr. olein., „Eunatrol“; „Lipanin“
usw. Rosenberg empfiehlt: Oel 200; Menthol 0,5; Kognak 20;
2 Eidotter; sollte diese Kur wirksamer sein als die andern Uelkuren,
so wäre dieser Erfolg auf Rechnung des Menthols zu setzen, obwohl
es in diesem Falle wohl nur als Oeschmackskorrigens gedacht ist.
Ich habe das Natr. olein. nachgeprüft; bei Tier- und Selbst¬
versuchen 1 ) habe ich bei großen Dosen eine geringe cholagoge Wir¬
kung gefunden, welche für die Praxis ohne Belang ist
Zu den Mitteln, deren Wirkung z. Zt. am meisten umstritten ist,
gehört die Salizylsäure (Natr. salic., Salol. Ol. Gaulth. usw.). Obwohl
nur wenige Autoren von einer direkten Cholagogen Wirkung der
Salizylpräparate berichten, die neuesten Urteile der Kliniker sogar
ablehnend lauten, werden diese Mittel immer wieder angewendet. Beim
Salol will man die Wirkung durch die im Organismus stattfindende
Abspaltung der Karbolsäure erklären. Salizylsäure enthält übrigens
ja selbst eine Pheuolgruppe. Nun wirkt das Phenol aber ausgesprochen
antitermentativ, wird also kaum die vitale Energie der Leberzellen
anregen.
• Direkte Cholagoga. Diese erreichen ihre Wirkung auf phy¬
sikalischem und chemischem Wege, ersteres durch Erhöhung
des Sekretionsdruckes, letzteres durch die chemische Affinität der
angewandten Mittel zu den Leberzellen. Die Affinität ist zweifellos
gegeben bei Verwendung des Sekretionsproduktes der Leberzellen
selbst, also bei Verwendung von Galle als Cholagogum. Bei den
Versuchen von Stadelmann an Gallenfistelhunden wurde eine rasch
einsetzende Steigerung der Gallensekretion bis zu 100o/o beobachtet. Ich
machte Tier- und Selbstversuche mit dem gleichen Erfolg. Bei den
Tierversuchen zeigte sich die Leber und besonders die Gallenblase
vergrößert, der Darminhalt intensiv oliv- oder dunkelgrün gefärbt.
Bei den Selbstversuchen wurde nach Einnahme von Natr. cholein.
(2mal 0,5) Stuhl und Urin sofort wesentlich (bis zu 13 Teilstrichen
des Kolorimeters) dunkler. Die Gmehiinsche Probe zeigte zwar nicht
den charakteristischen grünen Ring, aber einen deutlichen braunen
Ring, der sich alsbald in das Farbenspiel von gelb-grün-rot-violett
differenzierte. Da der normale Urin immer nur eine schwache An¬
deutung dieses Ringes aufwies und auch an sich viel heller war,
ferner Keine Ursache für Entstehung von Skatol oder Indol gegeben
war, kann der regelmäßig erscheinende braune Ring nur von ver¬
mehrtem Gallenfarbstoff nerrühren.
Das Natr. cholein. hat die unangenehme Nebenwirkung einmal
des schlechten Geschmackes und dann einer leichten Darmreizung,
wie ich sie nach größeren Gaben au mir selbst konstatieren konnte.
Gleich stark galletreibend wie das Natr. cholein. und von dessen
Nebenwirkung frei ist das Pfefferminzöl bzw. das von Prof. Heinz
in die Praxis eingeführte Cholaktol (haltbar gemachte Dragees
mit 0,025 Ol. Menth, pip. pro Pastille). Cholaktol ist ein echtes,
direkt galletreibendes Mittel (vgl. die oben aufgeführte Literatur).
Die kräftige Wirkung des Cholaktols auf die Leber erklärt sich aus
den chemischen bzw. physikalisch-chemischen Eigenschaften des Pfeffer¬
minzöls. Ol. Menthae dringt als ätherisches Oel (wegen seiner Flüch¬
tigkeit = hoher Dampfspannung) leicht in die Zellen ein; wegen seiner
Affinität zu Lipoiden (ätherische Oele sind eminent iipoidlösend wie
lipoidlöslich) besonders leicht in Zeilen, die reich an Lipoiden sind,
wie es die Leberzellen sind. Bei den Tierversuchen findet man
mikroskopisch eine massenhafte Anhäufung von Gallenfarbstoff in
den Leberzellen und in den Gallenkapillaren. Makroskopisch fand
ich die gleiche Wirkung wie bei Natr. cholein.: stark vergrößerte
Gallenblase (evtl, auch vergrößerte Leber), dunkelgrünen Darminhalt
mit massenhafter Galle: eine richtige „Cholorrhoe“. Urinbefund
wie bei Natr. cholein., was ich in 4 Versuchsreihen feststellen konnte.
Die Stuhluntersuchung ergab ein merkwürdiges Resultat. Am 1; und
2. Tag der Medikation mit Pfefferminzöl in Form der Cholaktol-
tabletten (0,45 Ol. menth. pip. pro die) wurde der Stuhl heller, um
dann in einer ziemlich regelmäßigen arithmetischen Progression sich
dunkler zu färben (bei selbstverständlich gleichbleibender Diät). Zu¬
gleich zeigte das Filtrat eine täglich abnehmende Trübung und war
vom 4. Tag der Medikation ab vollkommen klar. Da die Hellersche
Eiweißprobe in den ersten Tagen stark positiv war, zuletzt aber
negativ wurde, nehme ich an, daß durch das Cholaktol eine wesentlich
vollkommenere Eiweißverdauung erzielt wurde. Nachdem ich auf diese
Erscheinung einmal aufmerksam geworden war, machte ich die gleiche
Beobachtung bei einer Nachprüfung des andern direkten Cholago¬
gums, des Natr. cholein., sodaß also das Verschwinden der Trübung
unzweifelhaft auf vermehrte Gallenbildung zurückzuführen ist.
Schließlich versuchte ich durch Kombination die Wirkung der
beiden angeführten direkten Cholagoga zu verstärken; die Ergebnisse
waren negativ. — Das Cholaktol hat ferner vor dem gallensauren
Natrium den Vorteil des besseren Geschmacks voraus, reizt auch
den Darmkanal in den in Betracht kommenden Dosen nicht, sodaß
es für weitgehende Anwendung in der Praxis empfohlen werden kann.
*) Bel den Tierversuchen wurden die Mittel in wäßriger Lösung oder In Emulsion
subkutan Injiziert. Bel den Selbstversuchen benützte ich das Kolorimeter von Auten-
rieth-Kftnigsberger zur Bestimmung der Farbe der Fäzes (mit 90 Tellen Wasser
verrohrt und durch barte Filter filtriert) und des Urins; ferner zur Urinuntersuchung
die Qmehllnsche und andere Proben.
Es liegen bereits 2 Veröffentlichungen von praktischer Seite
über die außerordentlich günstige Wirkung des Cholaktols bei Chole-
lithiasis vor. So hat San.-Rat Dr. Schirmer in Bad Salzschlirf in
M. m. W. 1921, Nr. 17 („Ein Beitrag zur Therapie des Galletreibens
mit Cholaktol“) Beobachtungen über eklatante Heilerfolge bei Chole-
lithiasis mitgeteilt. Ueber einen ähnlichen frappierenden Heilerfolg
berichtet Kuhn in Fortschr. d. M. 1921 Nr.8 („Cholaktol, ein galle¬
treibendes Mittel“).
Ich selbst habe auf der Medizinischen Klinik der Universität
Erlangen ähnliche Erfolge in einer Reihe von Fällen gesehen, über
die nachstehend kurz berichtet sei.
Frau Chr. W. aus N., 43 Jahre alt, wurde vor 5 Monaten von
diffusen Schmerzen im Unterleib befallen. Verdacht auf Appendizitis;
bei der Laparatomie Appendix intakt. Nach einiger Zeit die glei¬
chen Schmerzen, aber menr in der Gallenblasengegend lind unter den
Rippenbögen lokalisiert; in unregelmäßigen Zwischenräumen Kolik¬
anfälle. Vorschlag einer Gallenblasenexstirpation. Bei der Aufnahme
in unsere Klinik zeigt sich die Gallenblasengegend sehr druckempfind¬
lich. — Therapie: Diät; warme Dauerauflage; Cholaktol 3mal täglich
4 Tabletten, 6 Tage lang. Die Beschwerden waren fast ganz ver¬
schwunden. Ich setzte die Medikation mit Cholaktol aus; die Schmer¬
zen traten wieder auf. Es wurde wieder Cholaktol gegeben; die
Schmerzen verschwanden sofort wieder; nach weiteren 12 Tagen
konnte die Patientin beschwerdefrei entlassen werden. Sie stellte
sich mir später wieder vor; sie hatte keinen Rückfall erlitten; sie
hatte nur noch leichte Beschwerden, welche wohl auf die bestehende
Enteroptose zurückzuführen waren. — Die Farbe des Urins schwankte
innerhalb physiologischer Grenzen; das Stuhlfiltrat zeigte auch zuerst
Verminderung, dann stetige Zunahme an Gallenfarbstoff.
Frau Lina R. aus O., 47 Jahre alt. Vom behandelnden Arzt
eingewiesen wegen andauernder Schmerzen unter Schwertfortsatz und
rechtem Rippenbogen; seit 1 Jahr wiederholte Kolikanfälle; stark
vergrößerte Gallenblase. Bei der Aufnahme kann die Gallenblase
wegen hoher Druckempfindlichkeit nicht palpiert werden. Therapie
wie im vorigen Fall; Cholaktol 2 Tage 3mal 3 Tabletten; vom 3. bis
10. Tag 3mal 4 Tabletten; dann wieder 3mal 3 Tabletten. Vom 2. Tag
der Behandlung an zunehmende Besserung; am 16. Tag wird Patientin
auf eigenen Wunsch beschwerdefrei entlassen. Es wird ihr empfohlen,
die Therapie zu Hause noch fortzusetzen.
Frl. Elise Sch. aus E., 26 Jahre alt, hat seit 1 Jahr ein
schmerzhaftes Druckgefühl in der Gallenblasengegend; seit 4 Wochen
dauernd starke Schmerzen und ziemlich starken Ikterus. Bei der Auf¬
nahme wird deutliche Resistenz und starke Druckempfindlichkeit in
der Gallenblasengegend gefunden; es ist der Patientin unmöglich, tief
zu atmen; der Ikterus besteht noch. Therapie wie oben; Cholaktol
3mal 4 Tabletten, 18 Tage lang. Die Beschwerden und der Ikterus
waren vollständig verschwunden; Patientin wird geheilt entlassen.
Aus dem Bakteriologischen Laboratorium des Städtischen
Krankenhauses Moabit in Berlin.
Zur Serodiagnostik der Tuberkulose mit dem Extrakt
Besredka 1 ).
Von Lydia Rabinowitsch-Kempaer.
Für die Diagnose der Tuberkulose hat die bakteriologische
Forschung von jeher der Klinik große Dienste geleistet. War es
doch die Entdeckung des Tuberkelbazillus durch R. Koch, die über¬
haupt den infektiösen Charakter der Erkrankung sichergestellt und
neue Möglichkeiten zur Erforschung dieser Krankheit eröffnet hat.
Die verfeinerten bakteriologischen Üntersuchungsmethoden haben in
den letzten Jahren viel dazu beigetragen, den Nachweis des spezi¬
fischen Erregers zu erleichtern, wenn auch immer wieder betont
werden muß, daß die wenn auch zeitraubendere, aber doch sehr
wichtige genaue mikroskopische Untersuchung manche ver¬
feinerte Färbungs- und Anreicherungsmethode zu ersetzen imstande ist.
Wenrr es also in allen Fällen offener Tuberkulose durch sorg¬
fältige wiederholte Untersuchung auch gelingt, den spezifischen Er¬
reger nachzuweisen und somit die klinische Diagnose zu befestigen,
so gibt es doch immer noch eine große Anzahl verdächtiger Fälle,
in denen dieser Nachweis nicht zu erbringen ist. Es ist z. B. den
meisten von Ihnen bekannt, wie viele Nicht tuberkulöse in den ersten
Jahren der Heilstättenära in diese mit der Diagnose Tuberkulose
eschickt wurden und in welchem Sinne diese Auswahl des Materials
ie Statistik der Heilstätten beeinflußt hat, wie viele ferner auf
den Verdacht von Tuberkulose hin für ihr Lebtag als Invaliden ge¬
stempelt waren. Deshalb waren die Forscher seit vielen Jahren be¬
müht, diese dunklen Fälle zu erschließen und eine Reaktion zu
finden, die nur für Tuberkulose spezifisch sei.
Wenn auch das Tuberkulin ein wichtiges diagnostisches Mittel
war und ist, so dürfen wir doch nicht vergessen, daß nach Meinung
maßgebender Autoren die subkutane Einverleibung von Tuberkulin
für diagnostische Zwecke durchaus nicht immer harmlos ist und daß
die v. Pirquetsche Reaktion häufig nur auf eine bereits stattgefundene
>) Vortrig, gehalten am 16. Hl. 1922 am Wissenschaftlichen Abend des Kranken¬
hauses Moabit
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNÜVERSrn 1
380
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 12
Infektion mit Tuberkelbazillen hin weist, ohne daß eine tuberkulöse
Erkrankung zur Zeit im Organismus zu bestehen braucht.
Im Jahre 1898 haben Arloing und Courmont 1 ) eine Methode
mitgeteiit, um mittels des Blutes von Tuberkulösen flüssige, gleich¬
mäßig getrübte Tuberkulosekulturen zur Agglutination zu bringen.
Oemeinschaftlich mit Max Beck habe ich seinerzeit den Wert und
die Bedeutung dieser Reaktion für die Frühdiagnose sowohl der
menschlichen wie der Rindertuberkulose nachgeprüft. Unsere Unter¬
suchungen führten uns zu dem Schluß, daß die Arloing-Courmontsche
Agglutinationsreaktion für Tuberkulose keine .spezifische Bedeutung
hat, sondern auch bei notorisch nicht tuberkulösen Menschen und
Tieren beobachtet wird, anderseits aber in vielen Fällen bei be¬
ginnender Tuberkulose im Stich läßt 8 ).
1907 hat e9 Wassermann in Gemeinschaft mit Bruck unter¬
nommen, der von Gengou und Bordet begründeten Methode der
Komplementablenkung weitere Gebiete — und zwar auch der Tuber¬
kulose — zu erschließen und sie theoretischen und praktischen For¬
schungszwecken nutzbar zu machen. Das Wesen dieser Methode be¬
stand nach den Anschauungen Wassermanns im Nachweis von
Antikörpern. Sera, die antikörperhaltig waren, zeigten die Eigen¬
schaft, mit ihren Antigenen in bestimmten Verhältnissen gemischt,
Komplement unwirksam zu machen. Als Reaktion auf die Gegen¬
wart von JKomplement wurde dessen hämolytische Wirkung bei
Anwesenheit entsprechender Ambozeptoren benutzt. Die Komplement¬
ablenkung trat durch Ausbleiben der Hämolyse in Erscheinung.
Morgenroth und ich haben 1907 die Versuche von Wasser¬
mann und Bruck und ihre theoretischen Erwägungen auf Grund
der von uns angestellten Untersuchungen einer eingehenden Kritik
unterworfen. Es ließen die von uns untersuchten Sera Tuberkulöser
selbst mit großen Mengen Bazillenemulsion, die angewandt wurden,
keine Ablenkung, also auch keinen Antikörpergehalt erkennen. Wir
haben damals hervorgehoben, daß „unsere negativen Ergebnisse der
experimentellen Nachprüfung nicht etwa so zu deuten sind, daß der
Nachweis der gesuchten Substanzen ein für allemal mißglückt sei,
sondern daß die Methode noch nicht ausgebildet genug ist und so
vieje Fehlerquellen enthält, daß das Verfahren auch in der Hand
geübter Experimentatoren versagt“.
1913 und 1914 hat Besredka aus dem Pasteurschen Institut
allein und gemeinschaftlich mit Manukhin Arbeiten veröffentlicht
über die Fixationsreaktion bei Tuberkulose der Meerschweinchen,
Kaninchen und Menschen. Als Antigen für die Komplementbindung
benutzte Besredka einen Extrakt von Tuberkelbazillen, die auf
Eiemährböden gezüchtet waren. Neben interessanten Tierversuchen
fand Besredka bei Untersuchungen des Serums tuberkulöser Men¬
schen im ersten Stadium stets eine positive Reaktion, im zweiten in
der Mehrzahl der Fälle und im dritten oft einen negativen oder
zeitweilig positiven Ausfall der Prüfung auf komplementbindende
Antikörper.
Unabhängig von Besredka haben Calmette und Massol
die Komplementbindungsmethode empfohlen mittels eines von ihnen
hergestellten Antigens. Dieser stellt einen wäßrigen, peptonhaltigen
Auszug aus den Tuberkelbazillenleibern dar und ist benannt unter
dem Namen B-2. Da die Herstellung dieses Extraktes wegen des
Fehlens von Pepton Witte Schwierigkeiten bereitet, wird von
Calmette der alkoholische Auszug aus getrockneten Tuberkel¬
bazillen und eine Emulsion von Bazillen auf einem mit Oalle ver¬
setzten Nährboden als Ersatz für das Antigen B-2 dargestellt.
Boquet und N&gre, Bezancon, Cohendy und Moreau so¬
wie Bergeron und Letulle haben über günstige Ergebnisse mit
dem Calmetteschen Antigen berichtet.
Die amerikanischen Autoren, besonders Petroff, Petroff und
Braun, Corper, Stimson, Craig, Miller, Warner Wat-
kins Clarence und Boyntonu. a. haben mit den verschiedensten
Antigenen den Wert der Komplementbindungsreaktion zu ergründen
esucht und zum größten Teil über günstige Resultate berichtet,
ahlreich sind die Arbeiten, die besonders in der letzten Zeit in
Frankreich mit dem Antigen von Besredka, zum Teil unter Leitung
von Besredka, im Pasteurschen Institut ausgeführt wurden. Um
Sie nicht lange aufzuhalten, unterlasse ich es hier, auf die einzelnen
Veröffentlichungen einzugehen, erwähne nur einen Teil der Arbeiten,
und zwar die von Fried, Ichok, Mozer und Fried, Rieux
und Zoeller, Lanzenberg und Jacquot, Rist und Amenille,
Pissavy, Orumbach und Giberton, Rieux und Bass,
Grumbach, die über günstige Resultate mit dem Besredkaschen
Antigen berichtet haben.
Nur auf eine Arbeit sei es mir gestattet näher einzugehen, weil
sie als ein Experiment angesehen werden muß. Hruska und Pfen-
ninger haben zu ihren Komplementbindungsversuchen das Blut aus
dem Herzen frisch geschlachteter Rinder benutzt und ihre Unter¬
suchungsergebnisse mit dem Sektionsbefund der Tiere verglichen.
Sie untersuchten 90 Sera von gesunden und 304 Sera von tuber¬
kulösen Rindern. Von diesen gaben 84,5<>/o eine positive Reaktion.
Von den Sera der Tiere, die keinerlei tuberkulöse Veränderungen
aufwiesen, reagierten nur 2,2o/o positiv. Von den Rindern, die nur
geringe tuberkulöse Veränderungen an den Drüsen hatten, ergaben
6 O 0 / 0 , von denen mit vorgeschrittener Tuberkulose 84-—95o/o eine
*) Auf Wunsch der Redaktion wird die Lfteraturangabe weggeiassen.
*) Auf die neuerdings von Fornet angegebene Methode, Tuberkelbazfllen durch
Aetherdampf aufzuschüeßen und sie dann durch das homologe Immunserum zu agglu-
tl nieten, wm Ich nicht elngehen, da Ich über keine eigenen Erfahrungen verfüge.
positive Reaktion. Alle 56 Tiere mit generalisierter Tuberkulose
reagierten positiv, obwohl sie sich in einem guten Allgemeinzustand
befanden. Unter den 257 Rindern mit positiver Reaktion befanden
sich 143 gleich 56,4<>/o, bei denen die Tuberkulose klinisch nicht er¬
kannt wurde. Der Wert des Komplementbindungsverfahrens zur
Diagnose der Rindertuberkulose wäre somit bewiesen.
Durch die Liebenswürdigkeit von Besredka, der mich durch
Ueberlassung größerer Mengen seines Antigens zu größtem Dank
verpflichtet hat, war ich in der Lage, seit mehr als einem Jahre
am Material unseres Krankenhauses sowie an einer Anzahl Blutproben
der Heilstätte Beelitz und Sommerfeld den praktischen Wert des
Komplementbindungsverfahrens für die Tuberkulose zu prüfen.
Das Antigen von Besredka stellt einen hellen, etwas trüben
Extrakt dar, der, wie bereits erwähnt, aus auf Eierbouillon gezüch¬
teten Tubcrkelbazillcn besteht, die bei 100° abgetötet sina. Der
Extrakt hält sich sehr lange. Die Reaktion wird ähnlich der Wa.R.
bei Syphilis ausgeführt, nur daß nach der auch von Calmette
und Massol empfohlenen Methode beim Versuch gleiche Mengen
Extrakt neben abgestuften Mengen von Komplement gebraucht
werden.
Das zu untersuchende Serum wird bei 55° eine halbe Stunde lang
inaktiviert. Zu jedem Versuch werden 7 Röhrchen und 7 Kontroll-
röhrcheti benutzt.
In jedes Röhrchen kommen
a) 0,3 unverdünnter, stark geschüttelter Extrakt
b) 0,2 inaktiviertes Patientenserum
ferner setztgman,'nachdem beides ordentlich geschüttelt ist, progressiv steigende Dosen
Meerschweinchenkomplcment (1:15) zu, und zwar
c) 0,1 Ins 1. Röhrchen 0,3 ins 5. Röhrchen
0,15 ins 2. Röhrchen 0.35 Ins 6. Röhrchen
0,2 ins 3. Röhrchen 0,4 ins 7. Röhrchen
0,25 ins 4. Röhrchen
Außerdem werden noch in 7 Kontrollröhrchen die gleichen
Mengen der Bestandteile ohne Extrakt gefüllt. Die einzeln ge¬
schüttelten Röhrchen werden für eine Stunde in den Brutschrank
bei 37° und dann eine Stunde bei Zimmertemperatur stehen gelassen.
Während dieser Zeit wird der Vorversuch angesetzt und dann zu
sämtlichen Röhrchen, wie üblich, Ambozeptor nebst Hammelblut zu¬
gesetzt und für weitere 30 Minuten in dem Brutschrank belassen.
Nach dieser Zeit sowie nach weiteren 30 Minuten bei Zimmer¬
temperatur geschieht das Ablescn.
Ich habe, um Material zu sparen, in der letzten Zeit stets mit
halben Dosen gearbeitet, ferner mußte ich mit den angewandten
Komplementdosen heraufgehen, da unser Meerschweinchenkomple¬
ment sich meist schwächer als das Pariser erwies. Das Ablesen der
Resultate geschah nicht nur an demselben Tage, sondern auch noch
nach etwa weiteren 18 Stunden.
Es verging jedoch einige Zeit, bis die Technik der Versuche
tadellos funktionierte, und deshalb will ich hier nur über das Re¬
sultat von 275 Fällen berichten, obwohl Sera von ca. 350 Patienten
zur Prüfung gelangten 1 ).
Die untersuchten Sera verteilten sich wie folgt:
Gesamtzahl -ff-bls-fj-H- -f-bis —
Tuberkulose der Lungen. ... 131 . 106 23 (82 •/*: 18 •/«)
Chirurgische Tuberkulose ... 22 13 9 (59 °/*:41 */»)
Verdacht auf Tuberkulose... 26 II 15
Erkrankung der Atmungsorgane 20 2 18
I Oesunde oder Tuberkulose un¬
verdächtig . 57 2 55 ( 3^*/«:9W # /.)
Syphilis. 19 3 16 (!« */ 0 :84 •/«)
Außerdem gelangte von einer größeren Anzahl der Fälle das
Blut wiederholentlich zur Untersuchung, ergab aber stets dasselbe
Resultat oder nur geringe Abweichungen. Die nur ganz schwach
positiven Reaktionen (-f) habe ich zu den negativen gerechnet, um
vorläufig nur mit ganz ausgesprochenen Reaktionen zu arbeiten. So
waren z. B. unter den 9 negativen Resultaten bei den Fällen chirur¬
gischer Tuberkulose 7, die das Ergebnis -f- zeitigten. Die Re¬
aktionen bei den Fällen chirurgischer Tuberkulose waren auch durch¬
schnittlich nicht so stark, wie bei den Fällen von Lungentuberkulose.
Dieses deckt sich vielleicht mit den Ergebnissen meiner Unter¬
suchungen bei Tuberkulose-Meerschweinchen. Während das Blut von
Tieren mit fortgeschrittener Tuberkulose eine stark positive (++++)
Reaktion zeigte, fielen die meisten Blutuntersuchungen von Tieren
mit nur geringen lokalen Veränderungen (Tuberkulose der Impfstelle
und der benachbarten Inguinaldrüsen) häufig negativ oder nur ganz
schwach positiv aus.
Unter den 131 Fällen von, Lungentuberkulose befanden sich
eigentlich alle Stadien der Erkrankung. Das Blut der Patienten im
Endstadium ergab häufig eine negative Reaktion, eine bereits von
anderen Autoren gemachte Beobachtung. Das Blut von Personen
mit latenter oder zur klinischen Heilung gelangten Tuberkulose
zeigte eine negative oder nur ganz schwach positive Reaktion.
Während bei Syphilitischen die Blutuntersuchung zuweilen (16°,'o)
positiv ausfiel (es wäre also in verdächtigen Fällen ratsam, stets
auch die Wä.R. auszuführen, um Syphilis auszuschließen), fiel bei
sonstigen Nichttuberkulösen die Reaktion nur selten (3,5<>/o) posi¬
tiv aus.
*) lieber die Herstellung von Extrakten habe ich keine abscbliefiende Erfahrung,
da ich ja, wie oben gesagt, nicht darauf angewiesen war, sondern durch die Oüte des
Herrn Besredka reichlich mit Material versehen wurde.
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
24. März 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
381
Die von mir angestellten Untersuchungen haben
also ergeben, daß die Komnlementfixation mit dem
Besredka-Antigen bei Tuberkulösen eine sichere und
spezifische Methode darstellt. Eine positive Reak¬
tion gestattet mit ganz geringen Ausnahmen den
Schluß auf einen aktiven tuberkulösen Herd. Eine
negative Reaktion schließt einen ausgeheilten oder
latenten Herd nicht aus.
Es sei mir an dieser Stelle noch gestattet, kurz auf eine weitere
Beobachtung zur Serodiagnostik der Tuberkulose hinzuweisen. Bei
der Ausführung der Sachs-Oeorgi-Reaktion, die mir bei der Syphilis¬
diagnose ausgezeichnete Dienste geleistet hat, war bei den Sera von
aktiv Tuberkulösen nach zwei Stunden Aufenthalt der Röhrchen
im Brutschrank in einer Anzahl der Fälle eine stark positive Aus¬
flockung zu verzeichnen, auch wenn keine Syphilis vorlag. Eine
Beobachtung, auf die bereits Blumenthal seinerzeit hingewiesen hat.
Während die Svphilissera aber beim weiteren Verbleiben der
Röhrchen im Brutschrank nach 13 Stunden die Ausflockung in noch
stärkerem Maße zeigen, bieten die Sera von Tuberkulösen nach
dieser Zeit fast immer ein negatives Ergebnis.
Sachs-Georgi-Reaktion also nach 2 Stunden bei 37 c stark positiv,
nach weiteren 18 Stunden bei 37° negativ, läßt fast stets auf Tuber¬
kulose schließen. Sachs-Georgi, nach zwei Stunden negativ oder
positiv, nach 18 Stunden positiv bei gleicher Temperatur auf Syphilis.
Ob bei sicher bestehender Syphilis daneben noch Tuberkulose vor¬
liegt, läßt sich natürlich nacn dieser Reaktion nicht entscheiden.
Ich habe versucht, diese Eigenschaft der Sera Tuberkulöser
gleichfalls für diagnostische Zwecke zu verwerten, und behalte mir
vor, später eingehender darüber zu berichten.
Heute möchte ich nur auf Grund der Untersuchungen anderer
Autoren sowie meiner eigenen die Komplementbindungsreaktion mit
dazu geeigneten Extrakten, wie es der von Besredka ist, als ein
neues spezifisches Hilfsmittel bei der Diagnostik der Tuberkulose
erklärt naben und weiterer Prüfung und Anwendung empfehlen.
Aus dem Kaiser Wilhelm-Institut für experimentelle Therapie
in Berlin-Dahlem (Direktor: Geh.-Rat A. v. Wassermann).
Vergleichende Prüfung von Bazillenemulsionen
verschiedener Tuberkulosestamme.
Von Dr. W. Dietrich, Oberstabsarzt.
ln D. m. W. 1921 Nr. 15 konnte ich über Versuche berichten,
welche die Wirkung von Tuberkulinen verschiedener Herkunft aut
das tuberkulöse Meerschweinchen zum Gegenstand hatten. Es ergab
sich damals unter anderen Beobachtungen, daß im großen ganzen
3 Gruppen zu unterscheiden waren: 1. starkwirkende Tuberkuline von
Warmolüterstämmen, 2. mittelkräftige Tuberkuline aus der Gruppe
der Kaltblütertuberkelbazillen, zu denen hinsichtlich der Tuberkulin¬
wirkung auch der Friedmannsche und der Piorkowskische Schild¬
krötenstamm gezählt werden mußten, und 3. ungiftige, aus rein sapro-
phytischen säurefesten Stämmen.
In Verfolg der damaligen Untersuchungen wurden nun auch
Prüfungen mit Bazillenemulsionen der seinerzeit benutzten Stämme
angestellt. Die 9 Wochen auf 3<yb Glyzerin enthaltendem Hetewasser
gezüchteten Bazillen wurden durch einstündiges Erhitzen im Dampf¬
topf abgetötet, dann abfiltriert, der Rückstand mit je 11 physiologischer
NaCI-Lösung auf dem Filter gewaschen und danach im Exsikkator
über Chlorkalzium getrocknet. Die völlig trockenen Bazillen wurden
dann in Mengen von höchstens 200 mg 2 Stunden lang in der Reibe¬
schale zermahlen und in abgewogenen Mengen im Achatmörser mit
50<Voiger Glyzerinlösung so fein als möglich verrieben.
Unter Berücksichtigung der bei den eingangs erwähnten Ver¬
suchen mit den zugehörigen Tuberkulinen ermittelten Verhältnis-
werte wurden die Emulsionen so gewählt, daß in 1 ccm enthalten
waren:
bcfBazilfenemuIsionTb. hum. Eber.4 mg Bazillen-Trockensubstanz
„ „ Tb. bov. 18 Marburg.4 „
Tb. Schildkröte Friedmann .... 40 n
„ „ Tb. Schildkröte Piorkowski .... 40 .,
.. Tb. Frosch Stamm K.40 ..
Tb. Blindschleiche Möller.40 „
„ „ Säurefester SaprophytPellegrlno XII 40 „ „ „
Zum Vergleich wurde ferner eine Kochsche Bazillenemulsion
der Höchster Farbwerke herangezogen, von der 1 ccm 2 mg Bazillen¬
substanz enthielt.
Die Prüfung erfolgte wieder an hochtuberkulösen Meerschwein¬
chen, welche mit 0,5 mg des sehr virulenten Stammes Tb. hum. Eber
subkutan infiziert waren. Die Tierserien wurden erst dann zum Ver¬
such herangezogen, wenn 0,1 Stand. Tuberkulin subkutan die Kon¬
frontiere in 24 Stunden tötete.
Die Auswertung erfolgte durch intravenöse Injektion im Volumen
von jedesmal 0,5 ccm.
Das Ergebnis der Untersuchungen ist aus nachstehender Tabelle
ersichtlich.
1. Kochs Bazlllenemulsion.1 mgt 0,2mg t 0,1 mg lebt
2. BaziUenemnlsion Tb. hum. Eb. . 0,4mgt 0,2mgt oilmglebt
3. „ Tb. bov. 18 M. 0,4 mgt 0,2mg t 0,1 mg lebt
4. „ Tb. Friedmann 8 mgt 4 mgt 2 mg lebt
5. Tb. Piorkowski 8 mgt 4 mgt verzögert 2 mg lebt
6. „ Tb. Frosch K. 4 mgt 2 mgt 1 mg lebt
7. „ ^.Blindschlei¬
che M.4 mg t 2 mg t 1 rag t 0,5mg lebt
8. Baziilenemulsion Säurefest Pelle-
grlno XI!.20 ragt 16 mg lebt 12 mg lebt
Kontrollen 1. 50% Glyzerinwasser . . (X5 ccm lebt
2. Getrocknete Kolibazillen 20 mg t
3. Kasein.20 rag t
Es ergaben sich also auch bei Verwendung von Bazillensub¬
stanzen, ganz ähnlich wie bei der Prüfung der Tuberkuline, 3 große
Gruppen hinsichtlich der Giftwirkung auf tuberkulöse Meerschweinchen:
I. die Gruppe der echten, der Warmblütertuberkelbazilleir, von denen
0,2mg tuberkulöse Meerschweinchen töten; II. die Gruppe der Kalt¬
blütertuberkelbazillen, von denen erst 1—4 mg tödlich wirken, also
die 5—20fachen Mengen wie bei I., bei denen aber immer noch eine
deutliche spezifische Giftwirkung erkennbar ist; III. die rein sapro-
phytischen, säurefesten Bacillen, welche deutliche spezifische Gift¬
wirkung nicht mehr entfalten, denn der Tod nach 20 mg Bazilleu-
substanz Pellegrino darf wohl als unspezifische Proteinkörperwirkung
angesehen werden, zumal auch von getrockneten Kolibazillen und
Kasein 20 mg bei den hochtuberkulösen Konfrontieren tödlich wirkten.
Die Schildkrötentuberkelbazillen von Friedmann
und Piorkowski erweisen sich demnach auch bei Aus¬
wertung der Bazillensubstanz, ähnlich wie bei Prü¬
fung der aus ihnen hergestellten Tuberkuline, als zur
Gruppe der K a 11 bl ü t e r t u b e r k e 1 ba zi llen gehörig,
stehen aber innerhalb dieser Gruppe den reinen Sapro-
hyten bedeutend näher als die Blindschleichen- und
rösch tuberkelba zillen.
Aus der Bakteriologischen Untersuchungsabteilung (Leiter: Prof.
C. Prausnitz) des Hygienischen Instituts der Universität in Breslau
(Direktor: Geh.-Rat R. Pfeiffer).
Zur Tuberkelbazillenfärbung, insbesondere zur Unter¬
scheidung der tuberkelbazillenähnlichen Stäbchen 1 ).
Von Dr. Willy Bender, ehemaliger Assistent (z. Zt. in Bern).
Die rein morphologisch-bakteriologische Diagnosestellung der
menschlichen Tuberkulose kann in gewissen Fällen zur Fehldiagnose
führen. Der mikroskopische Nachweis der Tuberkelbazillen beruht
auf der Säure- und Alkoholfestigkeit der mit Karbolfuchsin gefärbten
Bazillen, Eigenschaften, die als Grundlage der Färbung nach Ziehl-
Neelscn zu gelten haben. Früher (1) wurden bereits die Mängel
dieser Färbung hinsichtlich der quantitativen Ausbeute des Materials
ezeigt, die folgenden Zeilen sollen die differentialdiagnostischen
chwierigkeiten erweisen.
Bald nach Entdeckung der Tuberkelbazillen durch Koch fand
man ihnen ähnliche Bazillen, die sich in gleicher Weise durch Säure-
und Alkoholfestigkeit auszeichnen. Abgesehen von den verschiedenen
Arten der echte Tuberkulose erzeugenden Bazillen bei Rindern,
Hühnern und Kaltblütern, kommen vor allem Mikroorganismen in
Betracht, die als Saprophyten bekannt sind. In Butter und Milch
(Petri [21, Rabinowitsch (3J), in tierischen Fäzes (Severin [4J,
F er ran [y, Olt [6j u. a.), auf Timotengras (Möller [7J,. in wenig
benutzten Wasserhähnen und in neuerer Zeit in Blasinstrumenten als
sogenannte Trompetenbazillen sind .sie bekannt geworden.
Wichtiger erscheint es nun, daß ähnliche Bazillen auch im mensch¬
lichen Körper Vorkommen und hier zu Fehldiagnosen führen. Im
Sputum wurden sie bei putrider Bronchitis mit Gangrän wiederholt
von Fränkel (8), je einmal von Hansemann (9), Pappenheim
(10) und Rabinowitsch (11) gefunden. Lubarsch (12) und Mar¬
zin owski (13) sahen sie bei einfacher Bronchitis, Möller (14) in
mit Sputum vermengten Klümpchen, die von seiner Meinung nach
entzündlich veränderten Gaumenmandeln stammten. In Mandelpfröpfen,
Nasenschleim, Zungen- und Zahnbelag sind sie von Laabs (15), Mar-
zinowski (13), Möller (16), Karlinski (17) und Lichteu-
stein (18) häufig nachgewiesen worden. Dietrich (19) teilte einen
Fall mit, bei dem auf Grund des Nachweises säure- und alkoholfester
Stäbchen in einer Ovarialzyste die Fehldiagnose Peritonealtuberkulose
gestellt wurde. Im Stuhl wurden sie häufig von Straßburger (20)
und Minorescu (21) gefunden, ferner sind sie allgemein bekannt
als Smegmabazillen, die die Diagnose der Urogenitaltuberkulose so
außerordentlich gefährden. Und schließlich wird wohl manchem Kli¬
niker jene unangenehme Situation im Gedächtnis geblieben sein, wenn
der Pathologe die klinisch gestellte Diagnose der offenen Lungen¬
tuberkulose nicht bestätigen Kann. Eine Verwechslung der Präparate
im Laboratorium galt dann immer als des Rätsels Lösung. Ich habe
selbst zwei derartige Fälle aus meiner klinischen Tätigkeit im Ge¬
dächtnis.
>) Vortrag mit Demonstration der Präparate, gehalten in der Schlesischen Gesell¬
schaft fQr vaterländische Kultur in Breslau im Oktober 1921.
□ igitized by Gougle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
382
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 12
Kurz möchte ich nun die Krankengeschichten von weitern Fällen
mitteilen, bei denen Tuberkelbazillen ähnliche Stäbchen gefunden
wurden, um dann auf die Differentialdiagnose überzugehen.
Fall I (Stadt. Allerheiligen-Hospital, Primärarzt Prof. Dr. Forsch -
bach, Stationsarzt Dr. Alker): Es handelte sich um eine 80 fahre
alte Frau, aus deren Familienanamnese bemerkenswert ist, daß ihr
Vater an Lungentuberkulose gestorben ist. Im Winter 1919 zog sie
sich eine Erkältung zu, nach der Husten und Atemnot zurückblieb.
Im Juni 1920 wurde sie wegen Bronchialkatarrh und Diarrhoe ins
Krankenhaus aufgenommen und nach 4wöchiger Behandlung entlassen,
klagte aber weiterhin über Husten und Stechen in der Brust. Im
Januar 1921 verschlechterte sich ihr Zustand plötzlich so, daß sie am
6.1.1921 wiederum aufgenommen wurde. Die kleine, in sehr schlech¬
tem Ernährungszustände befindliche Frau hatte folgenden Lungen¬
befund: An beiden Lungenspitzen Dämpfung, rechts bis zum dritten
Brustwirbel,- links bis zur Spina scapulae. An der linken Spitze
stärkere Schallverkürzung als rechts. Ebenso findet sich im Bereich
des linken Unterlappens ein handbreiter Bezirk mit abgeschwächtem
Lungenschall. Links vom unterhalb der Klavikula bis zur zweiten
und dritten Rippe Aufhellung, daselbst ist bronchiales Atmen und
klingendes Rasseln hörbar. — 8. I. Sputum: mißfarben, blutig, sehr
übelriechend. Mikroskopisch finden sich säurefeste Stäbchen (Ziehl-
Neelsen-Färbung), die als Tuberkelbazillen angesprochen wurden.
Elastische Fasern und Fettsäurekristalle sind nicht nachweisbar. —
Im Röntgenbild zeigen beide Lungenfelder streifige Verdichtungen,
Schleier über der rechten Spitze und Abdunkelung der linken Unter¬
lappenpartie. In der Höhe der zweiten und dritten Rippe findet sich
eine etwa kleinapfelgroße, scharfrandig begrenzte Aufhellung, in der
anscheinend Flüssigkeit vorhanden ist. — 10. I. und 12. 1. Je ein
Blutsturz. — 13. I. Exitus. — Die Temperatur betrug am 10. I. 38,4
bis 38,0, sonst immer unter 38.
Die dem Pathologen übermittelte Diagnose lautete bazilläre
Lungentuberkulose.
Der Sektionsbefund (Prof. Dr. Hanser) ergab: Nach Ent¬
fernung des Brustbeines sinken die Lungen nicht zurück, sie sind
vielmehr durch feste Verwachsungen in ihrem ganzen Umfange an der
vorderen Brustwand festgehalten. Nach der manuellen Lösung der
Verwachsungen kommt in der linken Pleurahöhle ein etwa 300 ccm
trübe, gelbliche Flüssigkeit umfassender Erguß zutage. Die Lungen
enthalten reichlich seröse Flüssigkeit, die sich beim Einschneiden
entleert. Die linke Lunge zeigt über dem ganzen Unterlappen und
teilweise über die unteren Teile des Oberlappens verstreut kleinere
und größere, grauweißliche Herde von zundriger Konsistenz. Etwa
in der Mitte des linken Oberlappens sieht man eine kleinapfelgroße,
mit Flüssigkeit ausgefüllte Höhle, die von einer glatten Wand um¬
geben ist. Die linke Lunge verbreitet einen üblen Geruch.
Diagnose: Anthracosis lymphogland. bronch., Bronchopneumonia
lob. sup. pulm. sin., Bronchitis haemorrhagica, Gangraena pulm. sin.,
Caverna lob. sup. pulm. sin., Adhaesiones invet. utr. lat.
Sichere Zeichen einer Tuberkulose konnten weder makroskopisch
noch mikroskopisch festgestellt werden.
Fall II (Universitätspoliklinik für Kinderkrankheiten, Leiter Prof.
Dr. Aron, Assistent Dr. Gralka): Es handelte sich um einen fünf
Jahre alten Knaben, dessen Vorgeschichte ohne Belang ist. Im Jahre
1918 erkrankte er an Grippe. Er behielt seitdem leichten Husten und
Auswurf zurück. Eine Verschlimmerung im August 1921 gab Anlaß
zur Untersuchung in der Poliklinik. Neben Foetor ex ore, leicht ver¬
größerten, harten Drüsen am Halse zeigte sich eine Schallabschwä¬
chung über der rechten Lunge und Rasseln rechts vorn und links
hinten unten, röntgenologisch eine totale Verschattung der rechten
Lunge. In dem außerordentlich fötide riechende Sputum wurden im
Hygienischen Institut nach Färbung mit Ziehl-Neelsen säure-alkohol¬
feste Stäbchen gefunden, die aber sofort in dem gleichzeitig her-
gestellten Kontrollpräparat (Gegenfärbung mit gesättigter wäßriger
Pikrinsäure (1 ]) als Saprophyten erkannt wurden. Die klinische Dia¬
gnose lautete: Lungenabszeß. Der Knabe wurde dann wenige Wochen
S päter anderen Ortes operiert und starb bald nach der Operation,
ie Sektion konnte nicht ausgeführt werden.
Fall III (Israelitisches Krankenhaus, Primärarzt Prof. Dr. Gott¬
stein, Assistent Dr. Markiewitsch): Es handelte sich um eine
60 Jahre alte Frau, deren Familienanamnese belanglos ist. Sie war
vor 16 Jahren wegen Tubargravidität operiert worden und wurde 1919
wegen eines großen Tumors der linken Oberbauchgegend auf¬
genommen. Es wurde eine Chyluszyste im Mesenterium des Colon
descendens festgestellt. Nach teilweiser Exstirpation wurde der übrige
Teil in die Bauchwand vernäht. Es blieb eine sezernierende Fistel
übrig. Eine bakteriologische Untersuchung wurde damals nicht aus-
gefuhrt. Im Juni 1920 mußte wegen Retention im eingenähten Zysten¬
sack eine Inzision gemacht werden, bei der sich eine gelbbraune
Flüssigkeit entleerte, in der sich gleichfalls säure-alkoholfeste Stäb¬
chen fanden.
Fall IV und V (Prof. Dr. Tietze, Privatklinik): Einmal wurden
tuberkelbazillenähnlicne Stäbchen im Inhalt eines exstirpierten Wurm¬
fortsatzes gefunden, in dessen Gewebe sie in Schnitten nicht nach¬
gewiesen werden konnten; das zweite Mal im Eiter einer Rücken¬
phlegmone, die sich an ein Dekubitalgeschwür angeschlossen hatte.
Hinzuzufügen wäre noch, daß zweimal im Eiter, dessen tuber¬
kulöse Natur durch Tierversuche festgestellt wurde. Tuberkel¬
bazillen ähnliche Gebilde sich fanden, die aber bei genauer Betrach¬
tung morphologisch und tinktoriell nicht als Tuberkelbazillen an¬
erkannt werden konnten, sondern wahrscheinlich als Fettsäure-
kristafle angesprochen werden müssen.
Die Betrachtung der in der üblichen Weise nach Ziehl-Neelsen
gefärbten Präparate obiger Fälle zeigt eine erstaunliche Aehnlichkeit
der in ihnen enthaltenen Stäbchen mit echten Kochschen Tuberkel-
bazilleu. Dem sehr geübten und mit seiner Technik vertrauten Unter-
sucher wird allerdings auffallen, daß diesen Bazillen doch nicht der
satte Ton der tief dunkelrot leuchtenden Tuberkelbazillen eigen ist
Morphologisch sind vereinzelt liegende gar nicht zu unterscheiden.
Neben leicht gekrümmten finden sich allerdings oft Stäbchen, die
auffallend klein, gerade und schlank sind, eine Form, die ja be¬
sonders bei Smegmabazillen vorkommt. Auch unterbrochene Färbung
der Stäbchen im Sinne der Granulierung ist vorhanden. Anderseits ist
zu bemerken, daß die besonders in Fall II, weniger in Fall I und III,
vorhandene Fadenbildung der Stäbchen doch bei echten Tuberkel¬
bazillen in so ausgesprochener Weise nicht vorkommt.
Wie kann man nun der Fehldiagnose entgehen? Es soll gleich
hier bemerkt werden, daß es sich immerhin um seltene Fälle handelt,
da die hier beschriebenen einem Material von etwa 4000 selbst unter¬
suchten Fällen entstammen.
Der Tierversuch, der in den beiden ersten Fällen ausgeführt
wurde und negativ verlief, wird immerhin eine sichere Gewähr bieten.
Doch ist zu erwähnen, daß auch andere säurefeste Bazillen nach Unter¬
suchungen von Lubarsch (22), Rabinowitsch (23), Jaffe (24)
u. a. makroskopisch und mikroskopisch tuberkuloseähnliche Verände¬
rungen in der Bauchhöhle des Meerschweinchens erzeugen können.
In dem zweiten Falle wurden in dem Peritoneum eines Meer¬
schweinchens, das in der dritten Woche getötet wurde, makroskopisch
als Knötchen imponierende Gebilde gefunden, die aber histologisch
nach der liebenswürdigen Untersuchung von Dr. Rösner (Patho¬
logisches Institut) unverdächtig auf Tuberkulose waren.
Bekannt sind differentialdiagnostisch färbetechnische Methoden.
Unter ihnen erscheint nach Literaturangaben am besten das gleich¬
zeitige Entfärben und Gegenfärben mit Korallin-Methylenblau (Pap-
penn ei m [10]), womit auch in den hier beschriebenen Fällen eine
völlige Entfärbung der Bazillen erreicht wurde. Doch liegen die Nach¬
teile dieser Methode in der außerordentlich starken Gegenfärbung
der Präparate, wobei spärlich vorhandene echte Tuberkelbazillen,
wie bereits früher (1) ausgeführt wurde, der Diagnose entgehen. Um
bei Verdacht auf Urogenitaltuberkulose die Verwechslung mit Smegma¬
bazillen zu vermeiden, ist nach der Angabe von Cor net und
Kos sei (25) die Behandlung der Präparate durch zehn Minuten
dauerndes Entfärben in 3<>/oigem Salzsäure-Alkohol nach Honseil
zur Zeit die empfehlenswerteste. Doch scheint ein großer Nachteil
dieser Methode darin zu liegen, daß bei einer so stancen Entfärbung
auch natürlich ein Teil der echten Tuberkelbazillen entfärbt wird, so-
daß, falls diese nur spärlich vorhanden sind, die Diagnose nicht ge¬
stellt wird.
Bei vergleichenden Untersuchungen (1) über die großen Vorteile
der Gegenfärbung mit gesättigter wäßriger Pikrinsäure gegenüber
der Färbung mit Methylenblau nach vorhergehendem Differenzieren
in 3o/oigem Salzsäure-Alkohol (bis zum Schwinden der Rotfärbung),
wurde die auffallende Tatsache gefunden, daß in allen oben be¬
schriebenen Fällen bei Einwirkung alkoholischer Pikrinsäure (Jötten
und Haarmann [26]) in einer Minute sämtliche Bazillen entfärbt
wurden. Nur bei Kombination von Alkohol und Pikrinsäure trat die
Entfärbung ein. Nur in dem Fall II nahmen die Bazillen durch Ein¬
wirkung von gesättigter wäßriger Pikrinsäure allein einen eigenartig
bräunlich violetten Ton an, der ihre Zugehörigkeit zu den echten
Tuberkelbazillen sofort in Frage stellte.
Zu erwähnen wäre noch, daß durch die neuere Differenzierungs¬
methode von Kon rieh (27) (10°/oiges Natriumsulfit) die tuberkel¬
bazillenähnlichen Bazillen in ihrem Farbton sich nicht von den echten
Tuberkelbazillen unterschieden, sondern auffällig tief dunkelrot leuch¬
tend erschienen.
In zwanzig Smegmapräparaten, in denen, wie die Kontrollfärbung
nach Ziehl-Neelsen zeigte, sicher Smegmabazillen vorhanden waren,
konnten nach Gegenfärbung mit alkoholischer Pikrinsäure keine roten
Bazillen gefunden werden.
Besondere Beachtung verdienen noch die Sputa von Säuglingen
und Kleinkindern, die durch Ausheberung des nüchternen Magen¬
inhaltes gewonnen werden. Hier ist an die Gefahr zu denken, daß
tuberkelbazillenähnliche Bazillen aus dem Belag der Mundschleimhaut
und der Mandelpfröpfe mit der Sonde in den Magen gestoßen und so
dem Sputum beigemengt werden. Da erfahrungsgemäß ausgehebertes
Sputum, Urin und angereicherter Eiter sich mit Pikrinsäure schlecht
färben, wird bei solchem Material nach der Pikrinsäurebehandlung
Nachfärbung mit wäßrigem Methylenblau (1:20) nötig erscheinen.
Znsammeafassang. Die Diagnosestellung der Tuberkulose auf
Grund des Nachweises säure- und alkoholfester Stäbchen mit Hilfe
der Ziehl-Neelsen-Färbung kann bei Vorhandensein von tuberkel¬
bazillenähnlichen Stäbchen zur Fehldiagnose führen. In 5 Fällen wurde
diese vermieden durch Gegenfärbung mit alkoholischer Pikrinsäure.
Färbung folgendermaßen: Karbolfuchsin und übliche Entfärbung
mit 3o/oigem Salzsäure-Alkohol, eine Minute Färben mit alkoholischer
Pikrinsäure (gesättigte wäßrige Pikrinsäure und Alcohol absol. ana).
Material, das mit Antiformin angereichert wurde, sowie Harnsediitient
und ausgehebertes Sputum von Kindern nimmt die Gelbfärbung mit
Pikrinsäure schlecht an; daher ist für solches Material nach der
Pikrinsäurebehandlung Nachfärbung mit wäßrigem Methylenblau
(1:20) empfehlenswert.
Digitized b'
Google
Original from
CORNELL UNSVERSITY
24. März 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
383
Bei Fällen von putrider Bronchitis, bei Verdacht auf Urogenital-
und Darm tuberkulöse, bei Zysten- und erweichtem Drüseninhalt, bei
ausgehebertem Sputum von kleinen Kindern wird die alkoholische
Pikrinsäure als differentialdiagnostisches Mittel empfohlen.
I. Zbl. f. Bakt. Abf. I (Orig.) 86, H. 6. — ?. Arb. Kais. Oes. A. 14, H. I. — 3. D. ra. W*
1900 Nr.26. - 4. Zbl. f. Bakt. Abt II (Orig.) 1, S. 97. - 5. Zbl. f Bakt. Abt. I (Rcf.) 22. - & Zbl.
f. Bakt. Abt. II, 25, S. 85. — 7. Verh d. Oes. d. Naturf. u. Aerzte, 65. Vers. Leipzig, 3.157. -
8. B. kl. W. 1898 Nr. 40. - 9. B. kl. W. 1898 Nr. 11. — 10. B. kl. W. 1898 Nr. 37. — 11. D. tn. W
1900 Nr. 16. - 12. D. Aerzteztg.1901 H. 20. - 13. Zbl. f. Bakt. Abt. I (Orig.) 28, Nr. 2. —
14. Ebenda 25, Nr. 11. - 15. Ing. Diss. 1894 Freiburg. - 16. Zbl. f. Bakt. Aot I (Orig.) 30,
Nr. 14. - 17. Ebenda 29, Nr. 12. — 18. Zschr. f. Tbc. 3, H. 3. — 19. B. kl. W. 1899 Nr. 9. -
2Ü M. ra. W..1900 Nr. 16. - 21. Zschr. f. Hyg. 37, S 497. - 22. Zschr. f. Hyg. 31, S. 187. —
23. Zschr. f. Hyg. 26, S. 9. — 24. D. ra. W. 1921 Nr. 26. — 25. Koli* und Wassermann, Hand¬
buch der pathogen. Mikroorganismen, 2. Auf!., 5. Cornet und Kossel, Tuberkulose. —
26. M. m. W. 1920 S. 692. — 27. D. m. W. 1920 S. 741.
Aus dem Institut für Infektionskrankheiten „Robert Koch".
Serologische Abteilung (Leiter: Geh.-Rat Otto).
Über die Natur des d’Hirelle’schen Bakteriophagen.
Von R. Otto und W. P. Winkler.
In ihrer Arbeit über das d'H^rellesche Phänomen haben Otto
und Munter (1) die Ursache der bei ihm in Erscheinung tretenden
Bakterienauflösung auf die fermentative Wirkung allerkleinster Bak¬
terienteilchen, die bei dem Zerfall der lebenden Bakterien entstehen,
zurückgeführt. Für diese Anschauung sprach besonders die Beobach¬
tung, daß es gelang, aus lebenden Kulturen allein das bakterio¬
phage Virus zu gewinnen. Auch schon Bail (2) hatte mitgeteilt, daß
er m einzelnen Fällen das Virus aus Kulturen gewonnen habe, und
Gilde me ist er (3), der das lytische Agens in den in Stuhlausstrichen
sich findenden „rlatterformen“ nachgewiesen hatte, konnte es eben¬
falls mit besonderer (nicht näher beschriebener Technik) im Reagenz¬
glas erzeugen.
Otto und Munter hatten weiter darauf hingewiesen, daß der¬
artige von den Bakterien gelieferte Fermente seit längerer Zeit be¬
kannt sind (Eijkmann, Conradi und Kurpjuvveit), aber die
Frage, ob die d' H grelle sehen Lysine mit den Autotoxinen“ der
letzteren Autoren identifiziert werden dürfen, offen gelassen. Auch
hier soll diese Frage nicht näher erörtert werden, sondern nur noch
auf die älteren Befunde über Bakterizidie von Bakterienfiltraten von
Rahn, Faltin, Krencker usw. kurz hingewiesen werden (Literatur
siehe bei Kruse [4]).
Bekanntlich hatte auch bereits Twort (5) vor d'H Grelle bei
Mikrokokken, Kolibazillen usw. in „sekundären“ Kolonien ein bak¬
terienschädigendes, filtrierbares, autolytisches Prinzip festgestellt, das
bei 60 °C zerstört wurde. Da eine Inaktivierung des Bakteriophagen
erst bei 65° eintritt 1 ), so hielt d* Herelle (6) dieses für verschieden
von dem Twort sehen Agens. In Gemeinscnaft mit Pozerski (9)
hat er eine Reihe von Versuchen mitgeteilt, aus denen sich ergab,
daß die Bakteriophagen bei den einzelnen Bakterienarten verschieden
hitzebeständig sind. Bei Temperaturen über 60° beginnen sie sich
abzuschwächen, erst die Erhitzung auf 75° inaktiviert sie vollständig.
Versuche, welche wir selbst über die Hitzebeständigkeit unserer ver¬
schiedenen Bakteriophagen angestellt haben, ergaben sogar bei Bak¬
teriophagen gegen dieselbe Bakterienart große Schwankungen hin¬
sichtlich der Abtötungstemperatur. Wir glauben daher, allein auf
Unterschiede in der fiiaktivierungstemperatur hin die Nichtidentität
der d'H Grelle sehen und Twort sehen Lysine noch nicht als ge¬
sichert ansehen zu können, sondern erst noch weitere Versuche ab-
warten zu sollen.
Ohne indessen hier näher auf diesen Punkt cinzugehen, wollen
wir im Folgenden kurz über einige Versuchsergebnisse berichten,
welche über die Natur des Bakteriophagen weitere Aufklärung
bringen dürften.
Zunächst haben wir die Bedingungen näher geprüft, unter denen
das Virus sich aus Kulturen gewinnen läßt. Wir haben dabei den
Eindruck gewonnen, daß gewisse Schädigungen der Bakterien hierzu
förderlich sind. Diese können nach unseren Erfahrungen durch sehr
verschiedenartige Momente bedingt werden. So wirkt z. B. der Zu¬
satz von Filtraten alter Kulturen günstig auf die Lysinbildung, ferner
die Behandlung der Bakterien mit Immunserum 2 ), sowie schließlich
bestimmte physikalische und chemische Eingriffe (Schütteln in Aqua
dest, Zusatz kleiner Dosen Sublimat). Gerade diese Versuche scheinen
uns von Wichtigkeit. Wenn z. B. von d* He re Ile und Pozerski
über eine Aktivierung des durch Hitze abgeschwächten Bakteriophagen
berichtet wird, so scheint uns stets die Möglichkeit gegeben, daß die
Untersucher insofern einer Täuschung zum Opfer gefallen sind, als
der Bakteriophage nicht aktiviert wird, sondern daß sich nur aus der
zur Fortzüchtung benötigten Kultur neues Lysin gebildet hat. Der
Zusatz des inaktivierten Bakteriophagen dürfte in. der Tat nur die
Bildung des neuen Lysins begünstigen (eigene Versuche).
Von besonderem Einfluß ist nach unseren Erfahrungen das Fil¬
trieren durch Bakterienfilter, wie folgende Beispiele zeigen:
*) Kablshima (7) gibt 65—70*, Gratia und Jaumaln (8) für Staphylokokken-Lysin
81—62®, für Koll-Lysin 65* an. — •) Vergl. weiter unten die Bemerkung au der Arbeit von
Wollmann und Goldenberg.
Mit Kultur Flexner 23 erhielten wir ein wirksames Lysin beim
Filtrieren schon nach der 2. Passage*), beim Zentrifugieren erst nach
der 7. Passage;
mit der Kultur Flexner 27: beim Filtrieren nach der 2.Passage,
beim Zentrifugieren nach der 3. Passage;
mit der Kultur Flexner B: beim Filtrieren nach der 4. Passage,
beim Zentrifugieren nach der 12. Passage;
mit der Kultur Coli mut.: beim Filtrieren nach der 6. Passage,
beim Zentrifugieren nach der 12. Passage;
mit der Kultur Typhus B: beim Filtrieren nach der 4. Pas¬
sage. beim Zentrifugieren überhaupt nicht (versucht bis zur 20. Pas¬
sage). Regelmäßig war also beim Filtrieren schneller
ein wirksames Lysin zu erhalten als beim Zentri¬
fugieren.
Aehnlich wirkten — wie gesagt — andere Eingriffe. Der Zusatz
von Immunserum oder von Spuren von Sublimat begünstigte die
Lysinbildung meist so, daß sich eine deutliche bakteriophage Wirkung
im Plattenversuch schon in der 1. bis 3. Passage nachweisen ließ,
während ohne diese Behandlung dies erst in späteren Züchtungen
gelang.
Im ganzen konnten wir bisher ein wirksames Lysin aus Kulturen
allein 13mal gewinnen, und zwar gaben:
von 5 Flexner-Stämmen 5 ein Lysin
von 6 Y.-Stämmen 3
von 5 Shiga-Kruse-Stämraen 1
von 5 Kolistlmmen 3; außerdem bildete auch
1 Typhusstamm Lysin
Hierzu möchten wir noch besonders bemerken, daß die Ge¬
winnung des KoliJysins uns erst gelang, als wir eine Bouillon von
ganz bestimmter H-Ionenkonzentration (p H 6,5) verwandten. Die 3 Koli-
Iysine waren im übrigen sehr schwer fortzüchtbar; eins zeigte merk¬
würdigerweise nur auf Ruhr- und Typhuskeime, aber nicht gegen den
eigenen Stamm Wirksamkeit (gegen andere Kolistämme nicht geprüft;
Virus eingegangen).
Die Bedeutung des Filtrierens als eines die Lysinbildung
fördernden Momentes heben wir besonders hervor und weisen dabei
auf die interessanten Mitteilungen von R. Ehrenberg (11) über die
fermentative Wirkung filtrierter Kasein-Phosphatlösungen hin. Wir
nehmen an, daß durch das Filtrieren eine besonders wirksame kol¬
loidale Lösung der kleinsten Bakterienteilchen erzielt wird und daß
dadurch zugleich störende größere Massenteilchen zurückgehalten
werden. Adsorptionsversuche mit Virus, auf die wir an anderer
Stelle zurückkommen werden, haben uns nämlich gezeigt, daß die
Wirksamkeit der Lysine sehr leicht durch Adsorption an vorhandene
oder der Bouillon zugesetzte gröbere Partikel abgeschwächt oder auf¬
gehoben wird.
Wenn die Anschauung zutrifft, daß der Bakteriophage weiter
nichts ist als eine kolloidale Lösung kleinster, bei der Auflösung oder
„Selbstverdauung“ der lebenden Bakterien entstehender Bakterien¬
teilchen, so war zu erwarten, daß ein mit einem „Virus“ (als einem
Autolysat vor. bestimmter Beschaffenheit) hergestelltes Antiserum
(Antilysin) auch Bordetsche Antikörper gegenüber diesen aus
kleinsten Bakterienteilchen bestehenden Lysin enthielte. Es war ferner
wahrscheinlich, daß sich zwischen diesem Serum und einem mit (ab¬
getöteten) Vollbakterien derselben Bakterienart gewonnenen Anti¬
serum (antibakterielles Serum) nachweisbare Differenzen ergeben
würden.
Bereits Wollmann und Goldenberg (12) haben die Komple¬
mentbindung 2 ) zum Stadium der Natur des „Bakteriophagen“ heran-
ezogen. Auf Grund ihrer Versuche diskutierten sie die Möglichkeit,
aß der Bakteriophage spezifisch antigene Eigenschaften habe. Dies
scheint uns allerdings aus ihren Versuchen, zumal der Text ihrer
1 ) Als »Passage" bezeichnen wir die jedesmalige Bebrütung (24 Stunden bei 37*)
von Teilen (einige Tropfen) der auf 58* C erhitzten (zentrifugierten oder filtrierten)
Bouillonkultur mit frischen, lebenden Keimen In neuer Bouillon. Die Prüfung der
Bouillon auf bakteriophage Wirkung geschah in der Regel nur im Plattenversuch, indem
auf eben ausgestrichenen Drygalski-Platten (mit Typhus-, Y.-, Flexner-, Shiga- bzw.
Koli-Bazillen) je ein Tropfen BnuiNonfiltrat (bezw. Zentrifugenklar) aufgetropft wurde.
War Virus in der Bouillon gebildet, so zeigte sich dort, wo der Tropfen bingefallen
war, kein Wachstum. Mit abnehmender Stärke des Virus traten Im Tropfenbereich
mehr oder weniger zahlreiche Kolonien auf; bei schwach wirksamen Filtraten sieht man
nur noch mehr oder weniger zahlreiche Löcher (täches viferges) in dem Bakterienrasen.
Bei ganz unwirksamer Bouillon findet sich ein gleichmäßiger Rasen auf der Platte. Die
Abstufung in der Behinderung des Wachstums kann man auch bei dem Austropfen gra-
datim verdünnter Lysine verfolgen. Auf die Vorteile der Piattenkultur zum Nachweis des
Bakteriophagen haben kürzlich auch Watanabe (10) sowie d ’ H 4 r e 11 e und Pozerski
hingewiesen.
*) In einer Fußnote zu ihrer Arbeit teilen Wollmann und Goldenberg mit, daß
auch d’Hlreile selbst mündlich über die Frage der Komplementbißdung durch den
Bakteriophagen berichtet habe. Die Resultate, welche er (13) in seiner uns nachträglich
bekanntgewordenen Monographie »Le Bactlriophage, son röie dans F Iinmunitd“ mitteilt,
sind nach unserer Ansicht wenig beweisend.
Auch Bordet und Ciuca(14) haben Versuche in dieser Richtung gelegentlich
Ihrer Untersuchung Uber das autolytische Serum in Aussicht gestellt
Wir möchten hier kurz die Resultate anfuhren, die sie bezüglich Lysin-Neutrali¬
sation, Präzipitation und Agglutination erhalten haben. Bordet und Ciuca unter¬
suchten 3 verschiedene Sera, und zwar: 1. ein Serum gegen einen normalen KoÜstamm,
2. ein Serum gegen eine resistent gewordene Kultur des Kollstammes, 3. ein Serum
gegen das Lysio. Dabei erhielten sie folgende Resultate:
Neutralisation Präzipi- Agglutinat gegen
des Lysins tation Koli normal Koli resistent
1. Serum gegen d. norm. Kolist. — + -f —
2. Serum gegen d. reslst. Kolist —
3. Antilysin 4- 4- 4- -
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSUM
384
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
NrÜ2
Arbeit störende Druckfehler enthält, nicht so ohne weiteres hervorzu-
gehen; vor allem fehlen wichtige Kontrollen, z. B. über die Eigen¬
hemmung der abgesättigten Sera. Diese sind aber dringend nötig,
nachdem wir oben gesehen haben, daß durch das Digerieren mit
Bazillenextrakten das Auftreten von Lysin (und damit von Antigen)
begünstigt wird.
Wir sind im übrigen in ähnlicher Weise vorgegangen wie Wo II-
mann und Goldenberg, benutzten indessen zu unseren Versuchen
nicht Shiga-, sondern Flexner-Stämme und mit ihnen erzeugte Extrakte
und Lysine (Bakteriophagen).
Zunächst prüften wir die Eigenhemmung der bei unseren Ver¬
suchen benutzten Antigene und Antikörper. Dabei zeigte sich, daß
dem hochwirksamen Bakteriophagen im allgemeinen eine geringe,
den Extrakten (Autolysäten) eine stärkere Eigenhemmung zukommt.
Wir haben sodann die beiden obenerwähnten Antisera in ihrer
Bindungskraft gegenüber folgenden vier Antigenen geprüft:
1. gegenüber einen Flexner-Lysin
2. gegenüber einer Emulsion von Flexner-Bazillen
3. gegenüber einem Schüttelextrakt aus lebenden Flexner-Bazillen
4. gegenüber einem Sch Uttelextrakt aus abgetüteten Flexner-Bazillen.
Als Bakteriophage (Lysin) benutzten wir unser Virus V2. Das
Virus ist aus dem Stuhle eines Ruhrkranken gewonnen und mit
Flexner-Bazillen seit längerer Zeit fortgezüchtet.
Die Bakterienemulsion war in der Weise hergestellt, daß eine
Kolle-Schale einer 24stündigen Flexner-Kultur mit 5,0 ccm physio¬
logischer Kochsalzlösung abgeschwemmt und durch gehärtete Papier¬
filter filtriert wurde. Die Bakterien wurden sodann 1 Stunde auf 60°
erhitzt. (In einigen Versuchsreihen sind auch lebende Bakterien, die
in gleicher Weise zu einer Emulsion verarbeitet waren, zu den Bin¬
dungsversuchen benutzt worden.)
Das Autolysat aus lebenden Bakterien wurde gewonnen,
indem der Bakterienrasen einer Kolle-Schale nach 24stündiger Bebrü¬
tung mit 5,0 ccm Aqua dest. abgeschwemmt und 48 Stunden ge¬
schüttelt wurde. Dann wurde die Flüssigkeit scharf zentrifugiert und
das Zentrifugenklar im Verhältnis 1:10 mit 5°/oiger Phenollösung
versetzt.
Das Autolysat aus abgetöteten Bakterien wurde durch
Abschwemmen mit Kochsalzlösung hergestellt. Nachdem die in dieser
Lösung abgeschwemmten Bakterien durch einstündiges Erhitzen auf
60° abgetötet worden waren, wurde die Emulsion zentrifugiert, das
Zentrifugat mit 5,0 ccm Aqua dest. aufgenommen, 48 Stunden ge¬
schüttelt, von neuem zentrifugiert und wie oben phenolisiert.
Bei den Komplementbindungsversuchen mit diesen 4 Antigenen
zeigte sich nun, daß das antilytische Serum (unter Berücksichtigung
der Eigenhemmung)
gut mit dem Lysin,
weniger stark mit der Bakterienemulsion und
verschieden stark mit den Autolysaten Komplement band (und
zwar war die Reaktion bei den letzteren stärker bei Verwendung
des Autolysates aus lebenden Keimen).
Auch das antibakterielle Serum gab mit dem Lysin Komple¬
mentbildung, und zwar kaum schwächer als mit der Bazillenemulsion
und den Autolysaten. Im Gegensatz zu dem antilytischen Serum war
aber die Komplementbindung mit dem Autolysat aus lebenden Bak¬
terien meist nicht stärker, eher schwächer.
Es bestand also ein markanter Unterschied in der Komplement¬
bindungsfähigkeit beider Sera, der sich besonders darin zeigte, daß das
antilytische Serum (im Gegensatz zu dem antibakterielleu) 1. den Bak¬
teriophagen stärker als aie Bazillenemulsion, und 2. das Autolysat
aus lebenden besser als das aus abgetöteten Keimen band. Hier¬
aus darf man wohl auf eine gewisse Rezeptorengemeinschaft
des „Bakteriophagen“ und des „Autolysates aus leben¬
den Keimen“ schließen.
In einer zweiten Versuchsreihe haben wir^sodann die komplement¬
bindende Kraft beider Sera geprüft, nachdem wir sie dreimal mit
Flexner-Bazillen abgesättigt natten. (Bei jeder Absättigung wur¬
den 5,0 ccm Serumverdünnung 1:10 mit einer Oese frischer Kultur
2 Stunden bei 37° digeriert.)
Nachdem die fast regelmäßig verstärkte Eigenhemmung der abge-
sättigten Sera genau festgestellt war, zeigte sich, daß durch die Ab¬
sättigung die Bindungskraft des Antilysins nur gegen¬
über den Bakterien deutlich herabgesetzt wurde. Da¬
gegen verlor das antibakterielle Serum in der Regel
gegen alle Antigene gleich stark an Bindungskraft.
Aus diesen Versuchen ergibt sich also, daß in dem
antilytischen Serum zwar eine gewisse, mit den anti¬
bakteriellen Sera gemeinsame Antikörperquote vor¬
handen ist, daß es aber außerdem eine spezifische
Quote besitzt, die in erster Linie mit dem Lysin re¬
agiert und von den Bakterien wenig gebunden wird.
Weitere Versuche bezweckten die Feststellung, inwieweit das mit
Bakterien abgesättigte Antilysin in seiner neutralisierenden Wirkung
beeinflußt wird. Dabei zeigte sich, daß die Absättigung
die Neutralisationskraft des Antilysins nicht aufhebt.
Zusammenfassung: Man kann das Auftreten des bakteriophagen
Lysins durch verschiedene Eingriffe begünstigen. Dem Filtrieren
durch Bakterienfilter kommt bei der Erzeugung des Virus eine be¬
sondere Bedeutung zu.
Das Lysin ist an kleinste Bakterienteilchen gebunden und stellt
ein spezifisches, mit dem antigenwirkenden Bakterieneiweiß der abge-
töteten Vollbakterien nicht kongruentes Antigen dar. Es steht in
seinem Bau dem des Autolysates aus lebenden Keimen
nahe. Dementsprechend enthält das Antilysin neben antilytisch wir¬
kenden Körpern u. a. auch eine bestimmte spezifische Quote von
Bord et sehen Antikörpern gegenüber dem Lysin.
Die Resultate zwingen hinsichtlich der Natur des „Bakteriophagen“
nicht zur Annahme eines besonderen ultravisiblen Mikroben, sondern
sind durchaus mit der Anschauung vereinbar, daß das wirksame
Agens beim d’H^relleschen Phänomen in kleinsten,
mit fermentativen Eigenschaften ausgestatteten Bak¬
terieneiweißteilchen besteht, die sich beim Zerfall der leben¬
den Bakterien bilden.
1. D. m. W. 1921 Nr.' 52. - 2. W. kl. W. 1921 Nr. 20 u. 37. — 3. B. kl. W. 1921 Nr. 46. -
4. Allgemeine Mikrobiologie, Leipzig 1910 S. 160. — 5. Lancet 1915. — 6. Zbl. f. Biol 1921
84, S. 863. - 7. Zbl.!. Biol. 1920,83, S. 219. - ft Zbl. f. Biol. 1921,85. S. 882. - 9. Zbl {'
Biol. 1921,85, S. 1011. — 10. W. kl. W. 1922 S. 53. - II. Die Naturwissenschalten 1922
5. 20. — 12. Zbl. f. Biol. 1921,85, S. 772. — 13. Le Bactdriophage, son röle dans rimmunit*
Paris 1921 (Masson <& Cie.). - 14. Zbl. f. Biol. 1921,84, S. 280.
Aus der Heilstätte Ambrock bei Hagen i. W.
Eine neue Triibungsreaktion für Syphilis 1 ).
Von Dr. Brost Melolcke.
In einer kürzlich erschienenen Arbeit (D. m. W. 1922 S. 219 wies
ich nach, daß sich meine entfetteten Pferdeherzextrakte besser zu
Trübungsreaktionen im Sinne Dolds eignen als die Sachs sehen
Rinderherzextrakte. Inzwischen war ich bemüht, die Trübungsreaktion
noch eleganter zu gestalten. Zu diesem Zwecke bat ich Herrn
Dr. Bieling von den Höchster Farbwerken, mir Mastix oder ähn¬
liche klebrige Substanzen zu übersenden, um sie dem Trübungs¬
system einzufügen. Ich bin Herrn Dr. Bieling zu größtem Dank
verpflichtet, daß er meiner Bitte entsprach und mir 16 verschiedene
Balsame und Harze überließ, die sich zum größten Teil für meine
Versuche gut eigneten. Baisamum tolutanum schien mir an Wirk¬
samkeit den übrigen überlegen zu sein. Zusatz dieses Balsams ver¬
stärkt die Reaktion außerordentlich, ohne sie unspezifisch zu machen.
Ich habe im Gegenteil den Eindruck, daß der Balsam der bekannten
Neigung des Cholesterins zu unspezifischen Reaktionen in beachtens¬
werter Weise entgegenwirkt.
Technik der M.T.R. (Meinickes Trübungsreaktion):
Man gibt eine beliebige Menge des mit Cholesterin und Balsamum
tolutanum versetzten Extrakts 2 ) in ein weithalsiges Gefäß, fügt
schnell die zehnfache Menge 2o/oiger Kochsalzlösung zu und mischt
durch Hin- und Hergießen gut um. Es empfiehlt sich, Gefäße und
Reagentien vor dem Verdünnen im Brutschrank vorzuwärmen. Je
1 ccm dieser Extraktverdünnung wird in möglichst gleichweiten Röhr¬
chen zu je 0,4 ccm Serum (aktiv oder inaktiv) gefügt. Die Röhrchen
sind dann gut zu schütteln. Der Versuch kommt zunächst für eine
Stunde in den Brutschrank und wird dann mit bloßem Auge gegen
ein helles Fenster abgelesen. Die negativen Proben sind durchsichtig
geblieben, die positiven zum größten Teil so stark getrübt, daß die
FJüssigkeit vollkommen undurchsichtig geworden ist. Um auch die
schwachen Reaktionen mit Sicherheit zu erfassen, wird nach weiterem
zweistündigen Brutschrankaufenthalt noch einmal in der gleichen Weise
abgelesen. Die stark positiven Sera haben sich dann vielfach infolge
inzwischen eingetretener Ausflockung wieder etwas aufgehellt, wah¬
rend die leichten Trübungen der sdiwach positiven Sera dicht und
undurchsichtig geworden sind.
Die Dichte des Extrakts ist so gewählt, daß auch die negativen
Versuchsröhrchen eine verhältnismäßig dunkle gelbe Färbung auf¬
weisen. Sie sind aber trotz ihrer Dichte vollkommen durchsichtig.
Während bei der D old sehen Reaktion die negativen Röhrchen leicht
opaleszierend und die positiven mehr oder weniger getrübt, aber
fast immer noch durchsichtig sind, ist bei der M.T.R. der Unter¬
schied zwischen — positiv — und — negativ — in — undurchsichtig
— oder — durchsichtig — zu suchen. Dieser Gegensatz von durch¬
sichtig und undurchsichtig läßt sich mit viel größerer Sicherheit ab¬
lesen als der zwischen Opaleszenz und leichter Trübung.
Läßt man den Versuch über Nacht im Brutschrank, so zeigen am
nächsten Morgen gelegentlich noch einige Sera geringe Ausflockung,
die zunächst gar nicht getrübt waren. Sie stammten bisher aus¬
nahmslos von Syphilitikern. Unspezifische Reaktionen habe ich bei
24stündiger Bebrütung bisher nicht beobachtet, möchte aber doch
zunächst zur Vorsicht in der Bewertung der nach so langer Zeit er¬
mittelten Ergebnisse warnen. Denn das System ist, um schon nach
wenigen Stunden das sichere Ablesen aller Reaktionen zu
gestatten, absichtlich stark eingestellt und ist daher vielleicht für
eine längere Bebrütung zu stark.
Der Geübte kann auf eine sog. Serumkontrolle verzichten. Denn
die Unterschiede zwischen positiven und negativen Versuchen sind
augenfällig. Sie werden auch nicht durch den verschiedenen Opa*
leszenzgrad oder Hämoglobingehalt der Sera beeinträchtigt, weil die
geringen Differenzen im Aussehen der Sera durch den verhältnis¬
mäßig dichten Extrakt verdeckt werden. Will inan der Sicherheit
wegen eine Serumkontrolle ansetzen, so ist in der Weise zu ver¬
fahren, wie ich es D. m. W. 1922 S. 219 angegeben habe.
*) Nach einem am 11. II. 1922 Im Ärztevercin zti Hagen L W. gehaltenen Vortrag.
*) Genau eingestellte Extrakte für die M.T.R. können von der Adler-Apotheke
in Hagen i. W. bezogen werden.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNiVERSITV
24. März 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
385
Extraktbereitung: Die für meine D.M. gebrauchsfertig ein¬
gestellten Extrakte, wie sie die Adlerapotheke in Hagen i. W. aus¬
gibt, werden im Verhältnis von 2 Teilen Extrakt zu 3 Teilen
96%igen Alkohols verdünnt. Dem verdünnten Extrakt fügt man
fallende Mengen einer l%igen alkoholischen Cholesterinlösung zu
und bestimmt an einer großen Zahl negativer Sera den Cholesterin¬
titer, bei dem mit Sicherheit keine Trübung bzw. nach 24 Stunden
keine Ausflockung' der negativen Sera zu sehen ist. Im allgemeinen
ist der Zusatz von 1,0 bis 1,5 ccm Cholesterinlösung zu je 10 ccm
Extrakt der richtige.
Zu dem genau eingestellten Cholesterinextrakt gibt man fallende
Mengen einer 5<>/oigen alkoholischen Lösung von Baisamum tolutanum
und bestimmt rein empirisch an einer größeren Zahl bekannter
positiver und negativer Sera den geeignetsten Balsamgehalt. Meist
wird die brauchbare Dosis bei ungefähr 1 ccm Balsamlösung auf je
10 ccm Cholesterinextrakt liegen.
Zusammenfassung. Es wird eine neue Trübungsreaktion beschrie¬
ben, deren charakteristisches Merkmal der Zusatz von Balsamen
bzw. Harzen zum Lipoidextrakt ist.
Die Strahlenbehandlung des Krebses 1 ).
(Auf Grund einer von der Redaktion der D. m. W. bei den Direktoren
der deutschen Chirurgischen und Gynäkologischen Universitätskliniken
veranstalteten Umfrage.)
Von Otto Strauß.
I.
Es ist eine Frage, ob man heute schon berechtigt ist, über den
Wert der .Strahlentherapie bei der Bekämpfung des Karzinoms ein
abschließendes Urteil abzugeben. Sowohl von chirurgischer'Seite
(Graser 2 ), Schmieden), wie von gynäkologischer (W i n t z,
Heynemann) wird 4er Zeitpunkt dazu im Augenblick für ver-
frünt gehalten. Im Gegensatz dazu betont Sauerbruch, daß für
die ganze Frage der Beurteilung des Wertes der Strahlentherapie
nichts so wichtig sei als eine Zusammenfassung der bis-;
herigen Beobachtungen. Dem Sauerbruch sehen Standpunkt
dürfte aus verschiedenen Gründen beizutreten sein. Erstens sind
wir im Augenblick in der zur Verfügung stehenden Technik zu
einem gewissen Abschluß gekommen. Zweitens steht uns jetzt
eine hinreichend lange Zeit der Beobachtung der Strahlen¬
wirkung zur Verfügung. Bei der vorliegenden Betrachtung soll nun
nicht der Fehler gemacht werden, über eine so unendlich kompliziert
liegende Materie etwa im Wege der Abstimmung zu entscheiden
— ein Einwurf, der gemacht wurde —, es soll vielmehr, so weit
es möglich ist, die Gesamtbeöbachtung der deutschen Universitäts¬
kliniken hier wiedergegeben werden. Um ein abschließendes
Urteil handelt es sich dabei gar nicht.
Unsere bisherige Krebstherapie war keine ideale. Insbesondere
waren die Ergebnisse der chirurgischen Behandlung beim Magen¬
krebs nicht günstige. Wenn man die W int er sehe Forderung einer
5jährigen Reziaivfreiheit der Betrachtung zugrundelegt, so Konnte
man nur bei einem kleinen Teil der behandelten Fälle Dauerheilung
feststellen. Alt sch ul berechnet die Dauerheilung auf 5o/ 0 , Salz¬
mann auf 12o/o, Schoemakerauf 15o/ 0 , Kausch auf 18o/ 0 , ebenso
Küttner auf 18%, T£moin auf 19o/o, Anschütz auf 18—20o/o,
Schloffer berichtet sogar über 20—30%. An sich wäre das ja
noch gar nicht so ungünstig. Es erfahren nur diese hier mitgeteilten
Ziffern insofern eine wesentliche Einschränkung, als es sich hierbei
nur um operable Magenkrebsfälle handelt. Nun gelangt aber das
Magenkarzinom gur in einem Fünftel der Fälle in operablem
Zustand in die Hand des Chirurgen, und es beantwortet sich dann
damit von alleine, daß die Zahl der chirurgisch geheilten Magen¬
karzinome nur ganz klein sein kann. Sie beträgt nur wenige
Prozente (2—4o/ 0 ) des Gesamtmaterials an Magenkrebs. Es war aa-
her selbstverständlich, daß man angesichts dieses doch sehr unbe¬
friedigenden Resultats Ausschau nach andern Mitteln hielt. Als man
die therapeutische Wirkung der Röntgenstrahlen kennen lernte, da
war es einer der ersten Versuche, das Magenkarzinom durch Be¬
strahlung zu beeinflussen (Despeignes). Man kann nicht sagen,
daß diese Versuche von Erfolg begleitet gewesen wären. Von ein¬
zelnen Ausnahmefällen abgesehen (Hahn. v. Jaksch, Doumer
und Lemoine, Wetterer, Gottschalk, Grunmach, Wer¬
ner und Caan, H.E.Schmidt, Finsterer, Tugendreich),
hat die Strahlentherapie hier nichts geleistet. Als man kurzfristig
die ganze Strahlenbehandlung des Karzinoms nur für eine
Dosierungsfrage hielt, da konnte man annehmen, daß der Mi߬
erfolg sich durch unzulängliche Verabreichung von Röntgen-
Strahlen erklären lasse. Inzwischen sind aber hinreichende Beobachtun¬
gen bei ausreichend bestrahlten Magenkarzinomen gesammelt worden
(ich erinnere u. a. nur an die Mitteilungen von Schlaaf aus der Er¬
langer Chirurgischen Klinik), aus denen hervorgeht, daß die Bestrah¬
lung beim Magenkarzinom eine zuverlässige Wirkung nicht ausübt.
Die Bestrahlung von Magenkrebsfällen wird daher auch von keiner
*) Nach einem Vortrag im Verein fQr Innere Medizin nnd Kinderheilkunde zu
Berlin am 6L IH. 1922 — *) Die Chirurgische Universitätsklinik in Erlangen hat aus
diesem Grund die Beantwortung des Fragebogens abgelehnt
Chirurgischen Klinik vorgenommen und scheidet unter allen
Umständen für den operabel gelegenen Fall aus unseren therapeuti¬
schen Betrachtungen aus. Hierüber ist nach den vorliegenden Berich¬
ten von 24 Chirurgischen Universitätskliniken nicht mehr zu dis¬
kutieren.
Ueber die übrigen Versuche, Krebse der Verdauungs¬
organe zu bestrahlen, läßt sich nicht viel Erfolgreiches mit-
teilen. In Leipzig, Breslau, Halle, München, Heidelberg und Frank¬
furt befaßte man sich eingehender mit der Bestrahlung des Rektum¬
karzinoms, das sich nach Payrs Ansicht noch am meisten unter
allen Krebsen der Verdauungsorgane zur Bestrahlung eignet. Ueber
einen dauernd geheilten Fall von Mastdarmkrebs liegt eine Mit¬
teilung nicht vor. Ob man die mit der Bestrahlung erzielten Besse¬
rungen wirklich als reine Strahlenwirkung aufzufassen berechtigt ist,
läßt sich bei der Eigenart des Mastdarmkrebses schwer sagen. Diese
Krebsform kann gelegentlich einen relativ benignen Verlauf nehmen.
Nach einer Breslauer Statistik lebten von 170 Mastdarmkrebskranken,
die nicht operiert wurden, 39 o/o länger als 1 Jahr, 15o/ 0 länger als 2,
10 o/o länger als 3, 4 o/o länger als 4 Jahre. Ein Patient lebte noch nach
5 Jahren, nach Anlegung eines Anus praeternaturalis konnte ein
Kranker sogar 7 Jahre am Leben erhalten werden. Aehnliche Beob¬
achtungen macht jeder, der über ein großes Beobachtungsmaterial ver¬
fügt. Man kann also bei der Bewertung eines Heilverfahrens beim
Rektumkarzinom sehr leicht Opfer einer Selbsttäuschung werden.- Nach
den Erfahrungen der Münchener Chirurgischen Klinik ergab die
Strahlenbehandlung des Rektumlcrebses einen vollen
Mißerfolg.
Günstiger lautet hierüber das Urteil von Schmieden. Die reine
Strahlentherapie ergab zwar ein schlechtes Resultat, jedoch konnte
durch Anlegung eines Anus praeternaturalis und nachfolgende Be¬
strahlung der Tumor gewissermaßen inaktiviert und dann in ein
operables Stadium übergeführt werden. Da das Mastdarmkarzinom
erst verhältnismäßig spät Fernmetastasen verursacht, so läßt sich im
Wege der kombinierten operativ-radiologischen. Therapie noch außer¬
ordentlich viel leisten. Notwendig ist nur eine möglichst frühzeitige
Diagnosenstellung. Augenblicklich gelangt das Mastdarmkarzinom noch
in 60— 70o/o der Fälle in inoperablem Zustand in chirurgische Hände.
Ueberraschend wenig Versuche wurden mit der Strahlentherapie
beim Oesophaguskrebs gemacht. Bei den ungünstigen Aussichten
der chirurgischen Behandlung hätte man eigentlich erwarten
sollen, daß von einer kombinierten Radium- und Röntgenbehandlung
viel umfangreicher Gebrauch gemacht werden würde. Perthes hat
damit wiederholt weitgehende und langanhaltende Besse¬
rungen erzielt. Schluc&beschwerden schwanden, und es konnte ein
halbes Jahr nach der Bestrahlung das Vorhandensein eines Karzinoms
ösophagoskopisch nicht mehr nachgewiesen werden. Bei dem Sitz des
Oesophaguskrebses in der Gegend der Bifurkation käme noch eine
Einlagerung radioaktiver Stoffe nach vorangegangener Gastrostomie
in Frage. Die überwiegende Mehrzahl der Chirurgischen Kliniken hat
sich aber über dahingehende Erfolge in der Behandlung des Oeso¬
phaguskarzinoms nicht geäußert. Außer Perthes scheinen nur An¬
schütz, Küttner und Kirschner die Strahlenbehandlung des
Oesophaguskarzinoms auszuüben. In Königsberg hat sich eine kom¬
binierte chirurgisch-radiologische Behandlung des Oesophaguskarzi¬
noms bewährt. Nach angelegter Gastrostomie ließ man einen mit
einem Schrotkügelchen armierten Seidenfaden schlucken. Dieser wurde
aus der Gastrostomiestelle herausgezogen und mit einem Radiumträger
verbunden. Dadurch war die Möglichkeit gegeben, das Radiumröhr¬
chen in die Stenose hineinzuziehen. Man läßt das Radium (50 mg
Radiumelement) 5—6 Stunden liegen. Nach 10—14 Tagen beginnt
meist eine bedeutende Verbesserung der Schluckfähigkeit einzutreten.
Wesentlich günstiger als beim Karzinom der Verdauungsorgane
liegen die Aussichten für die Dauerheilung beim Uteruskrebs. An
Gebärmutterkarzinom erkranken bei uns zur Zeit jährlich 12—15000
Frauen. Von diesen kommen 60—70o/ 0 in operablem Zustand in ärzt¬
liche Behandlung (gegenüber von 20% beim Magenkarzinom). Etwa
Vä der Kranken wird gerettet (v. Jaschke). Die Ergebnisse der
chirurgischen Behandlung waren bisher nicht ungünstig. Als
Dauerheflungen gaben Döder 1 ein 20, Schauta 21,9, v. Jasch k e 23,
Zweifel 23,4, Stöckel 24,6, Fehling 25, Veith 25, Franz
27,97, v. Franque 28, Mayer (Tübingen) 31, Seitz43, Bumm 48,27
und Wertheim 50o/ 0 an. Thaler hat sogar beim chirurgisch be¬
handelten Kollumkarzinom nach lOjähriger Beobachtung noch eine
Rezidivfreiheit von 87,5o/ 0 festgestellt. Diese Angaben enthalten große
Unterschiede. Doch sind diese nur scheinbar, ja man kann sogar
sagen, daß die Erfolge der operativen Behandlung im allgemeinen
überall dieselben sind. Verschieden ist nur die Art der Betrachtung.
Es hat sich bei den Gynäkologen der Betrachtungsmodus heraus¬
gebildet, die Zahl der Dauererfolge auf die gesamte Krebs¬
ziffer zu berechnen, während man sonst im allgemeinen beim
Dauererfolg der Chirurgen nur die Zahl der operablen
Fälle berücksichtigt. Je nachdem nun eine Klinik die allgemeine Krebs¬
ziffer oder die Zahl der operablen Karzinome ihrer Berechnung zu¬
grundelegt, ist natürlich ihr Endergebnis verschieden. So benchtet
z. B. die v. Franqulsche Klinik in Bonn über das vorstehend
mitgeteilte Dauerresultat von 28o/ 0 . Es handelt sich um 53 Krebs¬
fälle, von denen 14 durch Operation geheilt wurden. 17 Fälle waren
inoperabel, 4 verstarben im Anschluß an die Operation, 3 Sind ver¬
schollen. Es bleiben also 29 operable Fälle übrig, von denen 14 geheilt
wurden. Das Gesamtergebnis beträgt somit 48% Heilungen. Aehnlich
geht es mit den von Franz und Zweifel mitgeteilten Ziffern.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
386
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 12
Franz hat bei seinem gesamten Krebsmaterial 27,97 % absolute
Heilungen. Bei den operablen Fällen berechnet sich der Dauererfolg
auf 49~53o/o. Zweifel hat 23,4o/o Heilungen insgesamt, 52,8%
Dauererfolge bei den operablen Fällen. Wie man also hieraus ersehen
kann, besteht in dem operativen Erfolg der verschiedenen Kliniken
eine weitgehende Uebereinstimmung, und man kann wohl
sagen, daß die Hälfte der operabel liegenden Fälle durch
die Encheirese gerettet werden kann. Diesem doch gewiß sehr
günstigen Ergebnis gegenüber stehen aber auch sehr ablehnende Mit¬
teilungen. So betont Krönig, daß das Leben operierter
Frauen im Mittel 75 Wochen, das der nichtoperierten
aber 90 Wochen dauere, daß also die chirurgische Therapie nur eine
Lebensverkürzung von 15 Wochen bedeute. Diese Angaben
wurden von anderer Seite nicht bestätigt. Siegel (Gießen) fand,
daß die Lebensdauer operierter Frauen 141 Wochen, der nichtoperier¬
ten 117 Wochen betrage, daß mithin die Operation doch eine, aller¬
dings nur kurze Lebensverlängerung mit sich bringt. Zweifel¬
los ist das Uteruskarzinom an sich nicht so maligner Natur wie der
Krebs der Verdauungsorgane. Das Gebärmutterkarzinom neigt nicht
in dem Maße zur Metastase wie der Magenkrebs (vgl. meine Aus¬
führungen D. m. W. 1921 S. 598). In einem Drittel der Fälle erliegen
die Frauen dem örtlichen Leiden ohne Ausbreitung des
Karzinoms auf die Umgebung und ohne metastasierende
Prozesse.
Ueber die Erfolge der Strahlentherapie beim Uteruskarzinom liegen
nur einzelne, außerordentlich günstige Angaben vor. Opitz hat beim
operablen Zervixkrebs 85—90% Dauerheilungen erzielt, beim
Ivorpuskarzinom hat er sogar 100o/ o Erfolge. Döderlein hat
40,5% Dauerresultate bei der Strahlentherapie zu verzeichnen,
Seitz und Wintz 52%. Die Döderlein sehen Angaben erfordern
eine genauere Betrachtung. Döderlein hat 500 Krebsfälle bestrahlt.
Es gelang ihm, damit 69 Fälle zur Heilung zu bringen = 13,8%. Rein
statistisch betrachtet, wäre das kein gutes Ergebnis. Das ändert sich
jedoch bei näherer Betrachtung. Von diesen 500 Fällen waren 119 ab¬
solut hoffnungslos, 214 inoperabel. Es bleiben somit nur 167 Fälle für
die Betrachtung übrig, von diesen wurden 55 = 33,3o/o durch Bestrah¬
lung geheilt. Erfreulicherweise gelang es Döderlein, auch 13 seiner
214 inoperablen Fälle (= 6,07 o/ 0 ) zu retten und selbst 1 der 119
absolut Verlorenen die Gesundheit wieder zu verschaffen. Zählt man
alle durch Bestrahlung geheilten Fälle Döderleins zusammen und
berechnet sie auf die Zahl der operablen Fälle, so errechne ich
daraus 41,3% Heilungen. (Döderlein selbst gibt nur 40,5o/o an.)
Dieses an sich ja recht günstige Bestrahlungsergebnis übertrifft aber
keineswegs die Operationsresultate. Unleugbar hat Wertheim mit
seiner Operation noch bessere Resultate als Döderlein mit der
Bestrahlung. Indessen geben hier die nackten Zahlen nicht ganz den
richtigen Sachverhalt wieder. Ein größerer Teil der Bestrahlten konnte
aus eigener Indolenz nicht so behandelt werden, wie es erforderlich
war. Wirklich ausreichend bestrahlt wurden von operablen Fällen
nur 43. Von diesen wurden 35 = 81 °/o geheilt. Das ist nun ein glän¬
zendes Ergebnis, das sich den Opitzschen Ziffern (85—90o/ 0 ) in
hohem Maße nähert.
Das sind nun unleugbar sehr bedeutsame Mitteilungen. Leider
sind diese glänzenden Resultate aber nicht von allen Beobachtern
bestätigt. Henkel (Jena) hat IV 4 Jahr lang die operablen Krebse
bestrahlt. Sein Ergebnis ist niederdrückena gewesen, er
hat sich deshalb wieder der operativen Therapie zugewandt.
Stoeckel hat zwar unter 34 bestrahlten Fällen 20 Heilungen ge¬
sehen (Giesecke), tritt aber trotzdem dafür ein, das operable
Karzinom zu operieren. Denselben Standpunkt vertreten die Uni¬
versitätsfrauenkliniken der Charite (Berlin), Königsberg, Rostock,
Greifswald, Breslau, Göttingen, Marburg, Hamburg, Tübingen, Bonn,
Gießen, Leipzig, Halle und Köln. Man kann nach diesem Ergebnis
somit nicht sagen, daß die moderne Gynäkologie auf dem Standpunkt
steht, das operable Uteruskarzinom zu bestrahlen, sondern man ersieht
hieraus, dali der überwiegende Teil der Frauenkliniken nach wie
vor den operablen Fall chirurgisch behandelt. Unter 23 Uni¬
versitätsfrauenkliniken 1 ) sind 16 unbedingte Anhänger der Ope¬
ration. Es sind eigentlich nur Döderlein, Seitz, Opitz, Menge
und Wintz, die mit der Strahlentherapie große und glänzende Erfolge
zu verzeichnen haben. Man muß sich angesichts dieses Widerspruchs
fragen: Wie ist es nur denkbar, daß dasselbe Mittel in der einen Hand
Bedeutendes leistet, bei anderen aber versagt? Sollte die Verschie¬
denheit in der Wirkung sich durch die angewandte Technik
erklären lassen? Ich möchte das bestreiten. Es ist allerdings nicht
zu verkennen, daß die Tiefenbestrahlungstechnik kompli¬
ziert liegt und die Dosierung Schwierigkeiten bereitet.
Es ist auch nicht zu übersehen, daß gerade jene Kliniken, die sich
in der Bestrahlungstherapie einen besonderen Ruf erworben haben,
mit wissenschaftlichen und technischen Hilfen arbeiten, die anderen
Anstalten nicht zur Verfügung stehen. Trotzdem möchte ich in
Abrede stellen, daß diejenigen Kliniken, welche mit der Strahlen¬
behandlung nicht befriedigende Resultate zu verzeichnen haben, mit
einer unzulänglichen Technik arbeiten. Die Mehrzahl der Kliniken
benutzt dasselbe Instrumentarium. Dosierung und Filterung ist die¬
selbe. Die Einstellungen erfolgen von gynäkologisch geschulter Seite.
Ich wüßte nicht, welche Schwierigkeiten hier noch bestehen sollten.
Ich glaube daher nicht, daß heute noch an irgendeiner Stelle unzu-
x ) Die Universitätsfrauenklinik ln Wtlrzburg hat eine Beantwortung des Frage¬
bogens abgelehat
länglich bestrahlt wird. Wenn die Ergebnisse so verschiedenartig
ausfallen, so liegt das an örtlichen Verschiedenheiten. Die Unter¬
schiede im Verlauf des Krebses sind — ich werde darauf noch näher
einzugehen haben — nicht unbeträchtlich. Bekanntlich ist der Korpus¬
krebs prognostisch wesentlich günstiger als das Kollumkarzinom. Es
ist daher selbstverständlich, daß überall, wo das Korpuskarzinom
häufig ist, die Heilungsergebnisse wesentlich besser sind als da, wo
fast nur der Köllumkrebs behandelt wird. Hier besteht aber eine
große Verschiedenheit im Material der einzelnen Kliniken. Während
man z. B. ganz allgemein annimmt, daß von 100 Uteruskarzinomen
89—90 die Zervix, 10—11 das Korpus befallen, ist im Westen der
Korpuskrebs sehr häufig (bis zu einem Drittel der Uteruskrebse). An
manchen Stellen Mitteldeutschlands beträgt er nur wenige Prozent
(Jena), in Tübingen 18,8%.
Einen besonderen Standpunkt in der Krebstherapie vertritt Bumm.
Bumm ist auf Grund einer an 1400 Fällen gemachten Beobachtung
zu der Auffassung gelangt, daß man sich zu der Frage, ob man das
operable Uteruskarzinom chirurgisch behandeln oder bestrahlen soll,
gar nicht allgemein äußern kann. Bumm ist der Ansicht, daß
in einer Reihe operabler Fälle die Strahlentherapie, bei
anderen die chirurgische Behandlung indiziert ist. So eignet
sich besonders das Korpuskarzinom älterer Frauen zur Be¬
strahlung. Das Kollumkarzinom gibt in seinen ersten An¬
fängen für die Bestrahlung sehr günstige Resultate. Sind
stärkere Wachstumswucherungen vorhanden, dann ist die Ope¬
ration vorzuziehen. Ist jedoch die Jauchung sehr groß, ist eine
sichere Desinfektion nicht ausführbar und die Kranke sehr herunter¬
gekommen, so erscheint das Risiko der Operation größer. Man
bestrahlt daher in solchen Fällen am besten. Die therapeutische
Absicht, bei stark jauchenden Karzinomen zunächst die jeden chirur¬
gischen Eingriff erschwerende Sekretion zu verringern, vertritt auch
Seil heim (Halle). Sellheim, sonst ein absoluter Anhänger der
chirurgischen Behandlung, unterwirft stark jauchende operable
Gebärmutterkrebsc einer Vorbehandlung mit Radium und operiert
erst nach eingetretener Verringerung der Sekretion. Bei den äußeren
Genitalkarzinomen hat sich Bestrahlung nicht bewährt, während bei
den Vaginalkrebsen Operatious- und Bestrahlungsresultat gleich sind.
Infolgedessen gibt beim Vaginalkrebs Bumm der Bestrahlung den
Vorzug.
Ganz und gar ungeklärt ist bis jetzt die Häufigkeit der Rezidiv¬
bildung im Anschluß an .Bestrahlungen. Von vielen Seiten
betonte man die rasche und günstige Wirkung auf den Tumor und
das schnelle Verschwinden, aber diesem guten Ergebnis standen
häufige und sehr infaust verlaufende Rezidive gegenüber. Bumm
fand nach 5jähriger Beobachtungszeit das Bestrahlungsergebnis
15% ungünstiger als das Resultat der operativen Behandlung.
Unter 118 bestrahlten operablen Kollumkrebsen Hatte Bumm 39 Dauer¬
erfolge (33%), während die operative Therapie 48% aufwies. Baisch
fand nach Bestrahlung 93 0/0 Heilungen im ersten Jahr. Dann aber
setzten die Rezidive ein, und die Zahl der Heilungen sank auf 37,5%
im zweiten, 15,6% im dritten und 16,6% im vierten Jahr. Seitz
beobachtete nach 2 Jahren 52% Heilungen, nach 5 Jahren 20,9%.
Die Mitteilungen über Rezidive blieben nicht unwidersprochen. In der
Döderleinschen Klinik hat man bei einer Gegenüberstellung der
operierten und bestrahlten Fälle ein wesentlich besseres Dauerresultat
für die Strahlenbehandlung errechnet. Die Zahl der Rezidive be¬
trug nach der Bestrahlung im 1. Jahr 30,55%, im 2. Jahr 16%, im 3 . Jahr
4,76%, während die operativ behandelten Krebse im 1. Jahr zu 36,87%,
im 2. Jahr zu 29,70%, im 3. Jahr zu 12,67°/o rezidivierten, also in einem
ungleich größeren Maße. Nach Ablauf von 3 Jahren kam bei der
Strahlenbehandlung (bei 8 jähriger Beobachtungsdauer) überhaupt kein
Rezidiv mehr vor, während nach der Operation noch nach 10 Jahren
Rezidive eintraten. Es wäre also danach der Wert der Strahlen¬
behandlung sehr viel höher als der der operativen Thera¬
pie. Indessen stehen diese letzteren Mitteilungen* bis dahin ver¬
einzelt da.
Nach der Erörterung der Karzinome des Tractus intesti¬
nalis und des Uterus bleibt für die vorliegende Betrachtung nicht
mehr viel übrig.
Das Hautkarzinom scheide ich bei dieser Betrachtung zu¬
nächst ganz aus, da es sich in biologischer Hinsicht ganz anders
verhält als die anderen Krebsformen. Ueber die günstige Wir¬
kung der Bestrahlung beim Hautkarziuom bestehen verschie¬
dene Meinungen nicht. Das Epitheliom wird in 70—90% durch
Bestrahlung geheilt. Weniger günstig ist der Erfolg beim tiefgreifen*
den papillomatösen Hautkrebs. Das Lippenkarzinom gibt in 80%
günstige Resultate bei der Strahlenbehandlung, indessen beobachtet
man nach 3—5 Jahren Rückfälle (Sauerbruch, Perthes). Krebse
des Naseninnern sind für die kombinierte Röntgen-Radiumbehandlung
geeignet. Beim. Zungen krebs sind Röntgenstrahlen im allgemeinen
wirkungslos, Radium wirkt besser. An schütz hat 2 Zungenkarzinome
erfolgreich behandelt und 6 —9jährige Rezidivfreiheit erzielt. Bier be¬
fürwortet beim Zungenkrebs Bluteinspritzungen und Röntgenlicht.
Einen Fall von talergroßem Krebsgeschwür der Zunge konnte Jüng¬
ling (Tübingen) durch Bestrahlung zum Verschwinden bringen, doch
sind das alles nur vereinzelte Heilungsfälle. Pharynx-
und Larynxkarzinome können mit Röntgen- und Radiumbehand¬
lung gelegentlich günstig beeinflußt werden, namentlich in den ober¬
halb der Stimmbänder sitzenden Karzinomen gelingt es zuweilen,
die Neubildung zum Verschwinden zu bringen. Beim Oberkiefer¬
karzinom hatte Kurfzahn (Königsberg) durch Radiumbestrahlung
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNSVERSITV
24. März 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT •
38>
^ einen definitiven Erfolg in 2' Fällen, beim Unterkieferkrebs eine
3jährige Rezidivfreiheit in 3 Fällen, desgleichen einmal einen günstigen
Verlauf beim Wangenkarzinom zu erreichen vermocht.
Ueber eine erfolgreiche Behandlung des operablen Mamma¬
karzinoms mit Röntgenstrahlen wurden Angaben nicht gemacht.
Ueber die WahlderzuverwendendenStrahlen (ob Rönt¬
ge nlicht oder radioaktive Substanzen) hat man viel dis¬
kutiert. Es haben beide Verwendungsarten ihre überzeugten Anhänger
gefunden. Mit derselben Entschiedenheit wurde auf der einen Seite
die Auffassung einer Höherwertigkeit der radioaktiven Substanzen
vertreten, wie man auf der anderen eine überlegene Wirksamkeit der
Röntgenstrahlen nachzuweisen versucht. Mit dem Fortschreiten der
Röntgentechnik schien es zeitweise, als ob die radioaktiven Substanzen
in ihrer Wirksamkeit überholt seien. Ihre Bedeutung ist jetzt in den
Hintergrund getreten. Sicher aber wird den radioaktiven Sub¬
stanzen immer noch eine erhöhte Bedeutung bei gewissen
Karzinomen zukommen. Von Wert sind hier die Feststellungen von
Bumm. Nach Bumms Beobachtungen verträgt die Schleim¬
haut der Vagina und des Uterus die zehnfache Hautei n-
heitsdosis. Strahlenmengen, die an der Schleimhaut des Mundes, der
Harnblase und des Mastdarms schon schwere Verbrennungen ver¬
ursachen, sind auf der Schleimhaut der Vagina und des Uterus noch
gefahrlos anwendbar. Es ist daher ohne weiteres zu verstehen, daß man
Karzinome mit diesem Sitz infolgedessen ganz anderen Strahlenmengen
aussetzen kann, als es sonst möglich ist. Begrenzt wird die Wirkung
der radioaktiven Strahlung durch ihre Reichweite. Diese hat bei
3 cm ihre Grenze, und es ist daher gut zu verstehen, daß man beim
beginnenden Karzinom, das also noch nicht mehr als 3 cm in die
Tiefe reicht, mit der radioaktiven Strahlung ausgezeichnete Erfolge
erzielt. Hier wird auch die Mitwirkung der Röntgenstrahlen das
Heilergebnis nicht zu bessern vermögen, während bei einer Karzinom¬
entwicklung. die mehr als 3 cm in die Tiefe reicht, das Radium
allein nicht mehr genügend wirkt und die Kombination mit Röntgen¬
strahlen die Zahl der Heilungen verdoppelt (Bumm). Es hat daher
die Mehrzahl der Gynäkologen ein aus Röntgenstrahlen und
radioaktiven Substanzen kombiniertes Heilverfahren angewandt.
Vorwiegend radioaktive Strahlung verwenden Dolde r lein und
Menge. Bei geringer Ausdehnung des Karzinoms befürwortet F r a n z,
bei auf den Uterus beschränkten Krebsfällen, in denen es zu Trichter¬
bildungen kam, bevorzugt Seilheim die radioaktiven Präparate. Aus
dieser Eigenart der Raaiostasibilität der Vaginal- und Uterusschleim¬
haut erklärt es sich auch, daß die radioaktiven Substanzen mit Aus¬
nahme der Frauenkrebse nur wenig Anwendung gefunden haben. Man
zieht sic noch hefan zur Behandlung der Zungenkarzinome sowie der
Krebse des Pharynx und Larynx, auch des Mastdarms und Oeso¬
phagus, sonst werden in der Chirurgie nur die Röntgenstrahlen ver¬
wandt. Gute Erfolge erzielt man noch mit der Radiumbehandlung bei
flachen Hautkankroiden. (Schluß folgt.)
Aus der Hals-, Nasen- und Ohrenabteilung des St. Georg-
Krankenhauses in Breslau.
Zur Behandlung des Hirnabszesses 1 ).
Von Prof. Dr. Boenninghaas.
Die Behandlung des Hirnabszesses, insbesondere des otitischen,
hat im Laufe der Jahre nur wenige grundsätzliche Wandlungen er¬
fahren: Ist die Diagnose durch Punktion gestellt, so spaltet man die
Dura, inzidiert das Gehirn in der Richtung der Nadel mit dem Messer,
erweitert den Schnitt mit der gespreizten Kornzange, schiebt einen
Drain blind in den Abszeß ein und wechselt ihn ebenso bei der Nach¬
behandlung. So war es, und so ist es noch im allgemeinen. — Diese
Therapie erzielte beim otitischen Abszeß nur in etwa 25o/o Heilung.
Eine Verbesserung des Resultates war also sehr erwünscht und konnte
nur durch Verbesserung der Methode erfolgen. Eine solche Ver¬
besserung war es, in den geöffneten Abszeß ein Spekulum einzuführen,
durch dasselbe bei reflektiertem Licht den Abszeß zu inspizieren und
fodoformgaze locker in ihn einzuführen. Denker und Henke ver¬
fuhren so, ich ebenfalls, und Linck trat auf unserem letzten Kongreß
in Nürnberg warm dafür ein. Ich aller glaube, daß man noch weiter
gehen kann, und möchte Ihnen das an der Hand zweier jüngst von
mir operierter otitischer Hirnabszesse auseinandersetzen. Diese Fälle
stellen zugleich die beiden Typen der Hirnabszesse überhaupt dar.
Fall 1. Schläfenabszeß rechts nach akuter Otitis media, von
etwa 7monatigem Bestand, bei einem 10jährigen Mädchen, mit der
großen Merkwürdigkeit, daß die Schädelnähte nachgegeben hatten
und der ganze Schädel vergrößert war nach Art eines Hydrozephalus,
sodaß die Diagnose der Nervenabteilung anfangs schwankte zwischen
Hydrozephalus und Abszeß. Die Punktion ergab in etwa 1 cm Tiefe
Eiter. Es floß nach Entfernung der Spritze fortwährend aus der Nadel
Eiter nach, und es handelte sich offenbar um einen sehr großen
Abszeß. Der Versuch, den Abszeß nach kreuzweiser Spaltung der Dura
mit dem Messer zu öffnen, versagte aber vollkommen. Bei dieser
Lage blieb nichts anderes übrig, als ihn präparatorisch freizulegen.
Ich benutzte dazu ein großes, rundes Konchotom. Mit ihm wurde das
Gehirn in der Richtung der liegenden Nadel und im Umfang der
*) Vortrag mit Demonstration, gehalten In der Chirurgischen Gesellschaft ln Breslau
atu 0. D. 1622.
Trepanationsöffnung allmählich abgetragen. Das ging sehr gut, und
nach Abklemmung einiger Piavenen konnte man genau der Arbeit
des Konchotoms folgen. Gleich unter der Hirnrinde legte das Kon¬
chotom eine graue, sehr derbe Abszeßmembran frei. Setzte man nun
das Messer auf die Membran, so wurde sie, da schon eine Menge
Eiter aus dem Abszeß abgeflossen war, in den Abszeß hineingedrückt
und blieb unversehrt. Der dicke Balg wurde deshalb mit zwei Pin¬
zetten fixiert, und jetzt gelang die Inzision. Dann wurde er im
Umfange der Trepanationsöffnung mit dem Konchotom exzidiert,
und der eingeführte Finger konstatierte jetzt einen so großen Abszeß,
daß er die innere und hintere Wand gar nicht erreichen konnte und
daß das Austupfen des Eiters geraume Zeit in Anspruch nahm, denn
die Menge des Eiters betrug, gering geschätzt, ein großes Wasserglas
voll. Daß der Abszeß sich überhaupt zu dieser Größe entwickeln
konnte und nicht schon früher tödlich endete, war offenbar nur der
starken Erweiterung des Schädels zu danken. -Das eingeführte ge¬
wöhnliche Duplaysche Nasenspekulum machte den ganzen, großen,
glatten Raum des Abszesses bei reflektiertem Licht ohne weiteres
siditbar. Der Zugang zum Abszeß wurde jetzt, entsprechend seiner
Größe, auf mehr als Fünfmarkstückgröße erweitert und der ganze
Abszeß mit seinem klaffenden Zugang locker mit Jodoformgaze aus¬
gefüllt. Verband Wechsel jeden dritten Tag im Spekulum, niemals
eine Spur von Eiterretention, kein Prolaps, immer glatte Einsicht in
den Abszeß. Als er röhrenförmig geworden war, wurde statt der
Gaze ein dickes und sodann ein dünnes Drainrohr eingelegt und
schließlich ganz weggelassen. — Der Erfolg war, was das Leben
anbelangt, leider negativ. Das Kind konnte allerdings wieder lesen
und schreiben, aber es blieb müde, schläfrig und traurig. Auch
blieb die Parese der gegenüberliegenden Körperhälfte, die schon
monatelang bestanden hatte, so gut wie unverändert, ebenfalls das
kontinuierliche Fieber zwischen 37° und 38°, alles Zeichen einer zwar
langsam, aber sicher trotz intralumbal gegebenen Vuzins fortschreiten¬
den Enzephalitis, der das Kind 5 Wochen nach der Operation erlag,
ohne daß leider eine Sektion gemacht werden konnte. Der Mißerfolg
ändert aber nichts an der Tatsache, daß der Abszeß bis zum Schluß
in chirurgisch einwandfreier Weise versorgt werden konnte.
Fall 2. Schläfenabszeß links nach akuter Otitis media, von etwa
Utägigem Bestand, bei einem 32jährigen Mann. Reichlich talergroße
Trepanationsöffnung. Punktion in etwa 3—4 cm Eiter. Kreuzweise
Spaltung der Dura. Röhrenförmige Resektion des Gehirns vom
Durchmesser der Knochenöffnung entlang der liegenden Nadel bis
zum Abszeß. Das ist schwerer als im ersten Fall wegen der stär¬
keren Blutung. Doch nach Abklemmung der Piagefäße und unter
Adrenalintupfern geht es allmählich unter Leitung des Auges vor¬
wärts. Rinde und Mark sind hart. Schließlidi aber wird das Mark
weicher und feuchter, und plötzlich sinkt das Konchotom in den
Abszeß. Der Finger kann ihn leicht abtasten. Der Abszeß ist hühner¬
eigroß, von weicher, aber ziemlich glatter Wand umgeben. Das
gewöhnliche Duplaysche Nasenspekulum reicht nicht bis in den
Abszeß hinein, aber ein U/s cm längeres, welches ich mir schon vor
fahren für tiefe Abszesse anfertigen ließ und dem Killianschen Speku¬
lum in der Sicherheit des Einführens und Haltens, in Uebereinstimmung
mit Linck, bei weitem vorzuziehen ist, schafft nach Austupfen mit
mit Watte umwickelten Nasentupfern vollkommene Uebersicnt. Aus¬
füllen des Abszesses und des röhrenförmigen Zugangschachtes mit
lockerer Jodoformgaze im Spekulum. — Prompter Nachlaß aller Er¬
scheinungen. Alle 2 Tage Verbandwechsel im Spekulum. Der Abszeß
wird schnell kleiner und ist jedesmal vollkommen trocken. Beim vierten
Verbandwechsel schon granulierte die Innenwand überall. Der Abszeß
ist jetzt röhrenförmig, und es wurde ein mittelstarkes Drain eingelegt.
Da aber die Schachtwände sich stark vorzuwölben begannen, wurden
sie vorher mit dem Konchotom auf die dem Drain entsprechende
Weise zurückgestutzt, was nicht ohne Quetschung des Gehirns von-
stattenging, weil das vorquellende Gehirn wegen seiner jetzigen
Elastizität stets vor dem Konchotom zurückwich. Dieser Eingriff aber
war entschieden ein Fehler, denn sofort nach ihm entwickelte sich
eine neue Infektion in Form einer stürmischen Meningitis und Enze¬
phalitis unter Schmerzen, Unruhe, Unbesinnlichkeit, stärkstem Opistho¬
tonus des Kopfes, Herpes und hohem Fieber. Lumbalpunktion am
nächsten Tage, stark getrübte Flüssigkeit, die nach Absetzen etwa
zur Hälfte aus wolkigem Eiter besteht. Täglich Vuzininjektion intra¬
lumbal, 0,01 auf 10 ccm Kochsalzlösung, nach denr»Vorgange von
Linck (Arch. f. Ohrhlk. 1920, 106, S. 219). Der Erfolg war ungeahnt
glänzend. Schon bald nach der ersten Injektion fingen die Erschei¬
nungen au abzuklingen, und nach der vierten Injektion, bei welcher
das Punktat fast klar und vollkommen steril war, waren sie ver¬
schwunden. Aber während der Meningitis entwickelte sich aus den
Wänden des Schachtes ein überpflaumengroßer Prolaps, der schlie߬
lich zum Weglassen des Drains zwang. Dieses war auch jetzt über¬
flüssig, denn heute, 14 Tage nach dem Abklingen der Meningitis,
steht der Mann vor Ihtjen in guter Gesundheit. Er hat keinerlei
Krankheitserscheinungen mehr. Der Prolaps aber ist im Rückgänge
begriffen und die definitive Heilung wohl zu erwarten. (Anm. bei der
Korrektur: Am 1. III. 1922 vollkommen geheilt.)
Zasammengefaßt, besteht also die schonendste Be¬
handlung des Gehirnabszesses in der Anlegung eines
weiten, röhrenförmigen Schachtes vom Durchmesser
der Trep’anationsöffnung zum Abszeß durch Resektion
des Gehirns entlang der Punktionsnadel, in dem Ein¬
legen von lockerer Jodoformgaze und später eines
Drainrohres in Schacht und Abszeß, alles unter Leitung
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
388
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 12
des Auges bei reflektiertem Licht im Spekulum. Die
Anlegung eines Schachtes vermeidet die Quetschung des Gehirns im
Zugang zum Abszeß, die Verwendung von Jodoformgaze vermeidet
die Hinterlassung toter Räume im Abszeß, solange er nicht röhren¬
förmig geworden ist, die Verwendung eines Spekulums gestattet
sicheres Arbeiten und schützt den Zugang zum Abszeß vor Verletzung
der Granulationen bei der Nachbehandlung. Die Methode vermeidet
also nach Möglichkeit alles, was die stets lauernde Meningitis und
Enzephalitis hervorrufen und neu anfaclien könnte, und verdient
daher gewiß, die schonendste genannt zu werden. Auch so werden
ja, der ganzen Sachlage nach, gewiß noch genug Menschen trotz
glücklich eröffnetem Hirnabszeß zugrundegehen, aber die Zahl der
Geretteten wird sich vielleicht auf 50 o/o erhöhen lassen.
Aus der Chirurgischen Klinik der Universität in Kiel.
(Direktor: Geh.-Rat. Anschütz.)
Weitere Ergebnisse bei Anwendung der Blut¬
körperchensenkungsprobe in der Diagnostik
chirurgischer Erkrankungen 1 ).
Von Dr. Willi. Löhr, Assistent der Klinik.
M. H.l Schon Virchow, Nasse und Lehmann war es be¬
kannt, daß bei bestimmten Krankheitszuständen eine Instabilität der
roten Blutkörperchen gefunden wird. Diese Tatsache ist vor allen
Dingen von Nasse erforscht worden. Indes wurde von ihm eine
vollkommene Klärung der ätiologischen Momente, die die Blut¬
körperchensenkungsbeschleunigung veranlassen, nicht gegeben. Die
Frage ist vielmehr in Vergessenheit geraten. 1917 entdeckte der Schwede
Fahraeus im Physiologischen Institut der Universität Kiel zufällig, daß
auch im Blut Schwangerer eine Blutkörperchensenkungsbeschleunigung
eintritt, daß das gleiche Phänomen auch bei Infektionskrankheiten und
bei malignen Tumoren vorhanden ist. Fahraeus deutete die Blut¬
körperchensenkung als einen Agglutinationsprozeß und suchte diesen
zunächst im Rudolf Hob ersehen Sinne zu erklären. Nach ihm hat
besonders Linzenmeier diesen Vorgang sehr eingehend erforscht.
Diesen beiden grundlegenden, im Hob er sehen Sinne abgefaßten
Arbeiten ist eine ganze Reihe hochinteressanter serologischer Unter¬
suchungen über aas gleiche Phänomen gefolgt, die zum Teil zu
widersprechenden Resultaten hinsichtlich der Aetiologie der Blut¬
körperchensenkungsbeschleunigung geführt haben, Ergebnisse, die
bisher an einem größeren klinischen Material noch nicht nachgeprüft
wurden. Im Rahmen dieser Ausführungen kann auf die einzelnen be¬
züglich der Blutkörperchensenkung geäußerten Theorien nicht näher
eingegangen werden.
Seit U/s Jahren beschäftige ich mich mit dem gleichen Problem.
Es ergab sich für mich folgende Fragenstellung: 1. gibt es Normal¬
senkungszeiten gesunder Menschen? 2. gibt es Tagesschwankungen
der Blutkörpercnensenkungszeit? und 3. unter welchen Umständen
tritt eine Blutkörperchensenkungsbeschleunigung ein, kann man aus
den gefundenen Zahlen bestimmte Gesetzmäßigkeiten herauslesen, ist
also die Blutkörperchensenkungsprobe als diagnostisches Hilfsmittel
bei chirurgischen Erkrankungen verwendbar?
Ich bediente mich und empfehle als einfachste Methode die
Linzenmeiers. Es wäre auch empfehlenswert, wenn alle Unter¬
sucher sich auf ein System einigten. Ich sah midi genötigt, für die
rasch senkenden Fälle eine weitere Marke IV einzutragen (Näheres
über die Methodik in meinen Ausführungen, Grenzgebiete Bd. XXXIV;
dort auch tabellarische Zusammenstellung der für Gesunde befunde¬
nen Normalwerte). Es ist ohne weiteres einleuchtend, daß die ge¬
fundenen Zahlen relative Werte, keine absoluten darstellen.
Die normale Blutsenkungszeit in diesem System beträgt nach den
Untersuchungen von Linzenmeier für Neugeborene bis zur fünften
Woche (György) 1500 Minuten, um von da ab einen steilen Abfall
bis etwa auf 100 Minuten zu erreichen. Bei über 100 untersuchten
gesunden Männern und Frauen zeigt sich die Normalblutkörperchen¬
senkungszeit für Männer zwischen 1200 und 1400 Minuten und mehr,
bei den FrauA 800 bis 1000 Minuten, im Klimakterium Zahlen¬
werte wie die erwachsener gesunder Männer, bei den Menses da¬
gegen eine Blutkörperchensenkungsbeschleunigung bis etwa auf
600 Minuten. Während des Kindesalters liegen die Blutkörperchen¬
senkungszeiten zwischen den bei fünfwöchigen Säuglingen ge¬
fundenen Zahlen und den für die Erwachsenen gültigen, die im all¬
gemeinen nach Eintritt der Pubertät erreicht sind. Ein 7jähriger ge¬
sunder Knabe hat etwa eine Blutkörperchensenkungszeit von etwa
500 bis 800 Minuten.
Tagesschwankungen wurden nach sehr eingehenden
Untersuchungen H. Löhrs an einer ganzen Reihe von Patienten bei
stündlicher Blutentnahme nicht beobachtet Auch durch die
Nahrung und durch Injektion von Adrenalin, Pilokarpin,
Physostigmin (H. Löhr) konnte keine Beeinflussung der
Blutkörperchensenkug beobachtet werden (1. c).
Nun zu den unter pathologischen Bedingungen gefundenen Blut¬
körperchensenkungszahlen.
. r V. £*b*lten auf dem Nordwestdeutschen Chirurgenkongreß ln Hamburg
13.1.1982.
Zunächst einige Gruppen von Fällen, die keine Blut¬
körperchensenkungsbeschleunigung in ihrem Gefolge
haben: 1. Strumen mit und ohne Basedowerscheinungen (25 Fälle);
2. 1 Akromegalie; 3. 1 Chondrodystrophie; 4. 8 Fälle von Perthes-
Calv£scherHüftgelenkserkrankung; 5.1 Oesophagusdivertikel; 6.3Fälle
von Kardiospasmus; 7. Früh- und Spätrachitis mit ihren Komplikatio¬
nen (30 Fälle), Skoliose, Coxa vara, Genu varum et valgum; 8. übei
30 Fälle von sogenannter „Osteochondrititis“ des Ellbogengelenks,
Knies und des Talus mit und ohne Gelenkmausbildung; 9. 1 Fall von
kartilaginöser Exostose; 10. 4 Fälle von alter Meniskuszerreißung.
Schon Fahraeus und Linzenmeier haben festgestellt daß
bei Entzündungen immer eine Blutkörperchen¬
senkungsbeschleunigung eintritt. An mehreren 100 Fällen
konnten wir es ebenfalls immer feststellen, wobei sich mit großer
Regelmäßigkeit eine Beziehung zwischen Oröße und
Heftigkeit des entzündlichen Prozesses und der Blut¬
körperchensenkung konstatieren ließ, z. B. bei kruppöser Pneu¬
monie oder Peritonitis diffusa Blutkörperchensenkungsbeschleunigung
bis herab zu 15 und 50 Minuten (statt 1500 Minuten). Interessant ist
auch die Beobachtung Westergreens, gestützt auf sehr subtile
Untersuchungen an einem größeren Lungentuberkulosematerial, daß
zwischen der Größe und der Heftigkeit des befallenen Lungenbezirkes
absolut gesetzmäßige Beziehungen bestehen. An unserem Knochen¬
tuberkulosematerial (etwa 50 Fällen) können wir die Beobachtungen
Westergreens, unbeeinflußt durch seine Abhandlung, ebenfalls kon¬
statieren und darüber hinaus auf alle Entzündungen ausdehnen.
So sind auch akute Knochenerkrankungen von einer sehr starken
Blutkörperchensenkungsbeschleunigung gefolgt. Bedeutsam ist, daß
auch klinisch vollkommen symptomlose Fälle von Arthritis chro¬
nica rheumatica eine sehr starke Blutkörperchensenkungsbeschleu¬
nigung aufwiesen (3 Fälle).
Chronische Ulzera, selbst solche mit bedeutender Ausdehnung,
Ulcera cruris, Ulzera auf Amputationsstümpfen und Brandnarben,
große, granulierende, narbigderbe Wundflächen, auch das Ulcus sim-
lex und callosum ventriculi sowie das Ulcus duodeni, alles Krank-
eitszustände, die offenbar wenig resorbieren, haben entweder gar
keinen oder nur mäßigen Einfluß auf die Blutkörperchensenkungs¬
beschleunigung. Treten aber, wie z. B. beim Ulcus ventriculi, neue
entzündliche Erscheinungen (Perigastritis, Adhäsionen, lokale Peri¬
tonitis, gedeckte Perforation) hinzu, so ist die Blutkörperchen¬
senkungsbeschleunigung sofort sehr deutlich. 30 Fälle von Gallen¬
steinerkrankung (mit und ohne Ikterus) waren von einer starken
Blutkörperchensenkungsbeschleunigung gefolgt, auch latente Infek¬
tionen dokumentieren sich in vermehrter Blutkörperchensenkung.
Die gleiche Gesetzmäßigkeit, wie bei Entzündungen wurde auch
bei Untersuchungen von malignen Tumoren gefunden. Große me¬
tastasierende Karzinome senken maximal, kleinere weniger schnell.
Die Untersuchungen wurden an 100 Sarkomen und Karzinomen an¬
gestellt. Zweimal war die Blutkörperchensenkung verlangsamt, trotz
maximaler Tumorbildung! Zweimal wurden bei klinisch geheilten
Karzinomen, einem durch Radium 2 Jahre geheilten sicheren Platten¬
epithelkarzinom des Oesophagus und einem Gesichtskarziuom, das
durch Röntgenbehandlung ly* Jahre geheilt ist, normale Blut¬
körperchensenkungswerte gefunden. Aller Wahrscheinlichkeit nach
wird aber die Blutkörperchensenkungsprobe trotz ihrer großen Fein¬
heit den frühesten Beginn des Karzinoms nicht anzeigen, was sich
besonders bei Mammaerkrankungen zeigt, bei denen die Blut¬
körperchensenkungszahlen bei chronischer Mastitis ebenso oder fast
ebenso tief hinabreichen wie die bei kleinsten Mammakarzinomen
efundenen Zahlen. Röntgenbestrahlung von Tumoren (Röntgen-
ater) beschleunigt die Blutkörperchensenkung deutlich. Gutartige
Tumoren (20 Fälle), wie Lipome, Angiome, Kavemome, Fibrome,
Enchondrome, sind von keiner Blutkörperchensenkungsbeschleunigung
gefolgt. Von 2 Fällen mit Ostitis fibrosa senkte die eine (rrau)
mit irischerem Prozeß deutlich, aber nicht sehr stark. Ein anderer
klinisch geheilter Fall wies kerne Blutkörperchensenkungsbeschleu¬
nigung auf.
Eine Gruppe von 100 nicht komplizierten Frakturen
zeigt in allen Fällen Blutkörperchensenkungsbeschleu¬
nigung, die frühestens bei schwersten Frakturen 12 Stunden
nach dem Unfall deutlich wird, immer aber nach 24 Stunden
beobachtet wird und so lange anhält, bis der Knochenbruch konsoli¬
diert ist, um aber sofort bei Refraktur wieder einzutreten. Auch
hierbei die Gesetzmäßigkeit, daß der Größe der Frak¬
tur auch die Größe der Blutkörperchensenkungs¬
beschleunigung entspricht Oberschenkelbrüche haben starke
Blutkörperchensenkungsbeschleunigung im Gefolge. Zehenbrüche be¬
einflussen die Blutkörperchensenkung nur minimal.
Auch bei einer Gruppe von fortlaufend untersuchten
Gesunden mit steril gesetzten p. p. verheilenden Wun¬
den (50 Fälle) ist immer die Beobachtung möglich, daß ähnlich wie
bei den Frakturen frühestens nach 12 Stunden p. op., immer aber
24 Stunden später eine sehr starke Blutkörperchensenkungsbeschleu¬
nigung eintritt die etwa nach 6—10 Tagen, wenn die Wunde vernarb!
ist, wieder zu Normalzahlen zurückkehrt. Bei sofortiger intra¬
muskulärer Reinjektion von Blut von gleichen Patienten
wurde keine Beeinflussung der Blutkörperchensenkung beobachtet
(2 Fälle); ebensowenig von H. Löhr nach Infusion von Verwandten¬
blut bei myeloischer Leukämie, wohl dagegen eine maximale Blut¬
körperchensenkungsbeschleunigung bei intravenöser Einverleibung
nicht verwandten Blutes bei der gleichen Krankheit.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNÜVERSm 1
24. März 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
389
Parenterale Einverleibung von Ei weiß stoffen,
Milch, Aolan, Caseosan, Tuberkulin, Pferdeserum, führte in fast allen
Fällen zu einer Blutkörperchensenkungsbeschleunigung, welche nach
intravenöser Einverleibung (H. Löhr) sofort eintrat, nach intra¬
muskulärer Injektion einige Stunden später. Interessant ist hierbei die
Beobachtung, daß während schweren anaphylaktischen
Shoks die Blutkörperchensenkung aufgehoben ist, um
nach Verschwinden der Shokerscheinungen maximal beschleunigt zu
sein, in langsam ansteigender Linie bis zum 6. Tag. Auch bei zwei
genuinen Epileptikern wurde während des Anfalls außerordentliche
Blutkörperchensenkungsverlangsamung in der Kieler Psychiatrischen
Klinik in 2 Fällen beobachtet. H. Löhr beobachtete bei Paratyphus-
und Typhusbazillenträgern nach intravenöser Einspritzung von Eiweiß-
stoffen Anstieg des spezifischen Agglutinintiters und gleichzeitig in
parallel laufender Kurve eine vermehrte Blutkörperchensenkung.
Die oben an ungefähr 1000 Fällen dargelegte Gesetz¬
mäßigkeit der Abhängigkeit der Blutkörperchen¬
senkung von der Größe des entzündeten Bezirkes bzw.
des Tumorzerfalls usw. läßt die Blutkörperchensenkung auch in
der Chirurgie als diagnostisches Hilfsmittel brauchbar erscheinen.
Praktisch anwendbar ist sie etwa in folgenden Fällen:
In der Bauch Chirurgie, um sich über die Größe des entzündeten
Bezirkes ein Urteil zu bilden, besonders bei Appendizitis, die im an¬
fallsfreien Intervall keine Blutkörperchensenkungsbeschleunigung ver¬
ursacht.
Besonders empfiehlt sich die Anstellung der Blutkörperchen¬
senkungsprobe in der Chirurgie des Ellbogengelenks, um Tuberkulose
von der „Osteochondritis“ und Gelenkmauserkrankung und Beschwer¬
den nach alten Frakturen abzugrenzen. Bei den Erkrankungen des
Rückgrats kann Tuberkulose und Osteomyelitis von Rachitis der
Wirbelkörper sowie von alten Wirbelfrakturen unterschieden werden.
Bei der Erkrankung der Hüfte können die rachitischen Erkran¬
kungen (Coxa valga et vara) und die Perthes-CalvSsche Erkrankung
gegen beginnende Tuberkulose abgegrenzt werden.
Bei den Erkrankungen des Kniegelenks ist bei den posttrauma¬
tischen, durch Narben verursachten Beschwerden, bei sogenannter
„Osteochondritis“, Gelenkmauserkrankungen die Blutkörperchensenkung
immer normal, bei alten Meniskuszerreißungen wahrscheinlich auch
immer, während Kniegelenkstuberkulose sicn immer in vermehrter
Blutkörperchensenkungsbeschleunigung ankündigt. Die Blutkörper¬
chensenkungsprobe kann zur Abgrenzung von Plattfußbeschwerden
gegenüber der Tuberkulose der Fußknochen Anwendung finden.
Bei beabsichtigter Gelenkmobilisation nach alter Tuberkulose oder
Osteomyelitis kann die Blutkörperchensenkungsbeschleunigung ein
nicht völliges Ausgeheiltsein des entzündlichen Prozesses anzeigen.
Bei Fremdkörpern, Geschossen usw. zeigt die angestellte Blut¬
körperchensenkungsprobe an, ob ihre reaktionslose Einheilung erfolgt
war. In der Chirurgie des Oesophagus kann man Karzinom und Diver¬
tikel oder Kardiospasmus voneinander trennen. Die Probe wird immer
gute Dienste tun, um Entzündungen, auch latente, von nicht entzünd¬
lichen Krankheitszuständen abzugrenzen.
Neurologische Ratschläge für den Praktiker.
Von Prof. Dr. A. Hoche in Freiburg i. Br.
„Schlaflosigkeit.**
Die Klage über Schlaflosigkeit gehört nicht nur für den
Nervenarzt, sondern auch für den Mann der allgemeinen Praxis zu
den häufigeren und für den Arzt lästigeren Dingen. Wer durch
dauernde Beschäftigung mit den nervösen Beschwerden anderer Leute
selbst etwas mürbe geworden ist, empfindet schon ein gewisses
besonderes Wohlwollen gegenüber einem Neurastheniker, der nicht
über Schlafstörungen klagt. Ich selbst bin in solchen Fällen immer
in Versuchung zu sagen: Was können Sie dann noch verlangen, wenn
Sie die Nacht durch schlafen? Ein Teil des ärztlichen Mißbehagens
gegenüber den angeblich schlaflosen Patienten beruht auf dem Um¬
stand, daß diese Klage, von verschwindenden Ausnahmen abgesehen,
eine ungeheuerliche Uebertreibung enthält. Schlaflosigkeit im Wort¬
sinne ist, abgesehen von schweren Psychosen, etwas äußerst Seltenes,
und die Kranken pflegen auch, wenn man die völlige Abwesenheit
von Schlaf anzweifelt, bald einzulenken und Einschränkungen zu
machen. Es gibt zahlreiche Leute mit einer früher immer taktfesten
Gesundheit, die dem Schicksal gegenüber sich beleidigt fühlen, wenn
ihr 8- oder 9stündiger Schlaf auch nur durch mehrfaches Aufwachen
unterbrochen wird. Bismarck erzählt vom alten Kaiser, daß dieser
über eine schlechte Nacht geklagt habe, wenn er zweimal aufwachte,
und über Schlaflosigkeit, wenn sein Schlaf dreimal unterbrochen
wurde. Bei den Angaben, auf denen die schlaflosen Patienten schlie߬
lich stehen bleiben, darf der Arzt dann getrost noch eine Korrektur
anbringen; bei Alkoholisten, Morphinisten und „Schlaflosen“ kann
man ruhig das Doppelte der zugegebenen bosis in Rechnung setzen.
Es handelt sich dabei von seiten der Kranken nicht um bewußte
Uebertreibung, sondern um gutgläubige irrtümliche Behauptungen;
wer sidi selbst beobachtet, weiß, welchen Irrtümern in der Zeit¬
schätzung auch der wissenschaftlich am Schlaf Interessierte unter¬
worfen ist. Um von Schlaflosigkeit sprechen zu können, muß man
schon die ganze Nacht hindurch eine Uhr, die auch die Viertel¬
stunden semägt, bewußtermaßen gehört haben; fehlt eine solche
exakte Kontrolle, so passiert es leicht, daß die wachen, vielleicht
durch längere * Bewußtlosigkeit voneinander getrennten Zeftstrecken
sich unmittelbar zu berühren scheinen. Für diese Täuschung ist es
unerheblich, ob die eingeschobene Schlafzeit eine Minute oder vier
Stunden betrug, wenn nicht die Zeitsignale der Uhr als Kontrolle
dienen. Es ist auch nicht richtig, daß wir nachts entweder schlafen
oder wachen; es gibt verschiedene Abstufungen in den Zwischen¬
zuständen des Halbwachens und Halbschlafens, wie man sehr deut¬
lich erfährt, wenn man sich mit Traumbeobachtungen beschäftigt.
Häufig hat man das Gefühl, seinen Träumen schon kritisch re¬
gistrierend gegenüberzustehen, während man schließlich im hell¬
wachen Morgenzustande erkennt, daß man sich doch noch in den
Ausläufern der Schlafbenommenheit befunden hat. Dem Kranken
gegenüber wird man mit solchen Betrachtungen, solange man ihn
nicht genau kennt, zurückhaltend sein müssen, wenn man nicht von
vornherein sein Vertrauen verscherzen will.
Das Schlafbedürfnis ist viel größeren persönlichen Schwan¬
kungen unterworfen, als im allgemeinen angenommen wird. Es gibt
in dieser Hinsicht eine Lebenskurve, die graphisch so aussehen würde,
daß das Schlafbedürfnis von dem maximalen Zustande im Mutter¬
leibe an langsam sinkt bis zur Höhe der körperlichen Ausbildung
des Individuums, dann jahrzehntelang in annähernd gleichem Niveau
bleibt und mit der sinkenden Lebenskurve des Menschen sich gleich¬
falls senkt. Der Fötus schläft 24 Stunden, das Neugeborene nur um
so viel weniger, als die Zeit der Nahrungsaufnahme erfordert, und
mit zunehmender psychischer Ansprechbarkeit sinkt die tägliche Schlaf¬
zeit, um sich bei Erwachsenen auf etwa 8—9 Stunden einzustellen.
Greise kommen, nicht nur in Romanen, sondern auch in Wirklich¬
keit, mit weniger aus, unter Umständen mit 4—5 Stunden. An der
heranwachsenden Jugend ist gesundheitlich lange Zeit durch unge¬
nügende Bewilligung von Schlaf schwer gesündigt worden. Der alte
lateinische Spruch, der das Schulmeisterdogma stützt: „sex septemve
horas ...“, ist sicherlich von einem alten Manne formuliert worden.
Ich persönlich denke mit Schrecken an das Schlafdefizit, dem wir in
unserem Alumnat ausgesetzt waren, wo wir als Zwölfjährige nur
von 10—5 Uhr schlafen durften. Es ist ein eigentümlicher Zug der
menschlichen Eitelkeit, daß ein geringes Schlafbedürfnis für etwas
Besonderes, für ein Zeichen gehobener Qualität gilt. Man achte nur
darauf, mit welcher Häufigkeit in den Biographien großer Männer
erwähnt wird, daß sie nachts immer nur 3—4 Stunden geschlafen
hätten. Ich habe persönlich einige dieser Großen kennen gelernt
und fand, daß sie ein besonderes Talent hatten, unter allen möglichen
Umständen sich ihren Schlaf portionsweise zu holen. Es sind glück¬
liche Naturen, die die Gabe haben, auch in störenden Situationen
(Wagenfahrten, Kongresse usw.) leicht einzuschlafen, und die sicher
auf dem Wege der Addition doch zu einem mittleren Schlafquantum
kommen. Bei gleichem Alter und bei scheinbar gleicher körper¬
licher Struktur hängt das tatsächlich verschiedene, subjektive Schlaf¬
bedürfnis von nur zum Teil bekannten Faktoren ab; im ganzen haben
blutarme oder bleiche, pastöse Menschen mehr Schlaf nötig als die
rosigen und elastischen. Es ist dabei in Rechnung zu setzen, daß
Schlaf und Schlaf nicht dasselbe ist, je nach seiner Tiefe, nach der
Lebhaftigkeit und Häufigkeit des Träumens usw. Sicher ist, daß
der körperliche Bedarf an Schlaf speziell zum Zweck des Wieder¬
aufbaues abgenützter Gewebe mit Schlafguantitäten gedeckt werden
kann, die in ziemlich großen Grenzen schwanken, und daß es sehr
viele Menschen gibt, die sich einen Luxusschlaf leisten, ebenso
wie, wenigstens vor dem Kriege, viele weit über ihren Bedarf hin¬
aus Nahrungsmittel einführten. Das breite, durch Nachdenken und
Gemütsbewegungen nicht gestörte Philisterium schläft im Durch¬
schnitt seine 10 Stunden und legt Wert darauf, hiervon nichts ab¬
geknapst zu sehen.
Im allgemeinen schlafen wir wohl alle im Winter wesentlich
mehr als Tm Sommer. Bei den Bauern ist der Unterschied auf¬
fallend groß, da sie im Winter bis auf das Doppelte des Sommer¬
schlafquantums kommen. Wenn man bei Nansen liest, daß er bei
seiner Ucberwinterung mit Johannsen in der Erdhöhle fast den
anzen Tag geschlafen hat, so grenzt das schon an die Verhältnisse
es Winterschlafes mancher Säugetiere.
Bei Bemessung der Schlafzeit im Lauf von 24 Stunden rangiert
der Mittagsschlaf bei der Addition vollwertig mit dem Nachtschlaf.
Die experimentelle Psychologie hat es sich angelegen sein lassen,
den in der Form subjektiver Eindrücke vorhandenen Vermutungen
über die Schlaftiefe nicht nur im Lauf der Nacht bei einem ge¬
gebenen Individuum, sondern auch in bezug auf die Verschiedenheiten
zwischen Mensch und Mensch nachzugehen, und zwar unter Ver¬
wendung abgestufter Weckreize, deren zum Aufwecken erforderliche
verschiedene Stärke als Maßstab der Schlaftiefe genommen wird.
Es haben sich dabei namentlich zwei hervortretende Typen er¬
geben, deren Kenntnis für die Behandlung von Schlafstörungen
von Wichtigkeit ist. Der eine wird repräsentiert durch die normalen,
esunden Schläfer, die rasch einschlafen, sehr bald eine höchste
chlaftiefe erreichen, auf der sie 1—2 Stunden verharren, um dann
langsam in flacheren Schlaf zu geraten, bis schließlich ein Auf¬
wachen im erfrischten Zustande stattfindet. Den anderen Typus
zeigen die im ganzen als nervös oder wohl richtiger als konstitu¬
tionell psychopathisch zu bezeichnenden Persönlichkeiten, die ver¬
zögert einschlafen, nur langsam und spät die maximale Schlaftiefe
erreichen, noch gegen Morgen, oft auch erst gegen Morgen wirk-
Digitized by
Gougle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
390
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 12
lieh tief schlafen und müde und unerquickt in ihren Tag eintreten.
Entsprechende Schwankungen der Tagesleistungsfähigkeit sind bei
den charakteristischen Typen zu finden: bei jenem ersteren morgend¬
liche Frische und Arbeitsfreude mit normaler Ermüdung gegen Abend,
bei dem zweiten morgendliche Unlust und Müdigkeit bei abendlicher
Angeregtheit und Leistungsfähigkeit. Die starken Schwankungen der
Schlaftiefe bei dem zweiten Typus erreichen auf dem Gebiete der
eigentlichen Schlafstörungen dann einen solchen Grad, daß die Wellen¬
täler schon zum Erwachen werden, sodaß die Nacht in eine unter
Umständen sehr große Reihe kürzerer Schlafabschnitte zerlegt wird,
die durch Wachliegen getrennt sind.
Unabhängig von diesen dauernden persönlichen Eigentümlich¬
keiten ist die verschiedene Schlaftiefe von großer Bedeutung dafür,
ob und unter welchen Umständen ein Mensch sein nötiges Schlaf¬
quantum finden kann. Daß selbst außerordentlich starke Sinnesreize
bei genügender Ermüdung den Schlaf nicht zu verscheuchen brauchen,
zeigt die Tatsache, daß unsere Feldgrauen in dem Tage und Wochen
lang andauernden Trommelfeuer an der Front schließlich doch ge¬
schlafen haben. Wenn nicht die Mehrzahl der Menschen in dieser
Richtung eine glückliche Unempfindlichkeit besäße, würden die jetzigen
durchschnittlichen Hoteleinrichtungen mit ihrer Lage an Bahnhöfen
und Straßenbahnen, mit ihrem Mangel an Doppeltüren und sonstigen
akustischen Unzulänglichkeiten längst von dem allgemeinen Unwillen
beseitigt sein. Es ist charakteristisch, daß die Vorausbestellung eines
„ruhigen Zimmers“ meist nicht die gewünschte Wirkung hat, weil
die Hotelinhaber selbst keine Ahnung haben, welche ihrer Zimmer
ruhig sind. Auch die Beeinflußbarkeit der Schlaftiefe und des voran¬
gehenden Ermüdungsgefühls durch bestimmte chemische Einwir¬
kungen ist individuell außerordentlich verschieden. Nach meinen
Eindrücken sind diejenigen Menschen, die durch Licht und Lärm
im Schlaf gestört werden, meist identisch mit denjenigen, die durch
abendlichen Genuß von Kaffee und Tee um den Sdilaf betrogen
werden. Ebenso große Verschiedenheiten bestehen in der Beein¬
flussung äußerlich gleichmäßig gesund aussehender Menschen durch
die Gemütsbewegungen und Eindrücke des Tages; Bismarcks
aphoristische Zuspitzung gegenüber Friedrich Wilhelm IV.: „ein
König muß schlafen“, wirci selbst kaum dem Adressaten geholfen
haben.
Manche Menschen, die nachts unzulänglich schlafen, erreichen
im Mittagsschlafe eine ihnen sonst nicht beschiedene Schlaftiefe,
die manchmal beim plötzlichen Gewecktwerden erst durch eine Phase
der Schlaftrunkenheit mit erschwertem Zurechtfinden hindurch in den
wachen Zustand führt.
Die Entscheidung darüber, ob ein bestimmtes Schlafquantum,
berechnet aus Länge und Tiefe, für den Organismus genügend ist
oder nicht, ergibt sich aus der Fähigkeit zu normalen Tagesleistungen
zusammen mit dem subjektiven Befinden. Patienten, die frisch und
elastisch daherkommen und seit Wochen „schlaflos“ sind, kenn¬
zeichnen sich somit ohne weiteres selber als unzuverlässig. Daß
dauernde Schlafentziehung den Tod herbeiführen kann, beweist die
auf diesem besonderen Wege geübte Todesstrafe in China; daß
wochenlange wirkliche Schlaflosigkeit bei Geisteskranken überwunden
wird, zeigt uns die Erfahrung; daß aber eine einzige durchwachte
Nacht ihre seelischen Nachwirkungen über Tage hin sich erstrecken
läßt, zeigt das psychologische Experiment. Gegenüber den gröberen
körperlichen und seelischen Wirkungen einer schlaflosen Nacht, auch
ohne Mitwirkung von Alkohol (Krankenpflege, Eisenbahnfahrten usw.),
besteht eine sehr verschiedene Widerstandsfähigkeit, die ungefähr
der Lebenskurve des Schlafbedürfnisses entspricht. Nervöse Menschen
kennen den Komplex dieser akuten Nachwirkungen genau: benom¬
mener Kopf, Ueberempfindlichkeit gegen lebhafte Sinnesreize, trübe
Stimmung, erschwerter Gedankenablauf, gemütliche Erregbarkeit. Die
häufig vorhandenen subjektiven Herzempfindungen sind auch im
Puls als nervöse Funktionsstörungen erkennbar. Die gelegentlich
auch von Aerzten vertretene Laienidee, daß man Schlafmangel durch
reichliche Ernährung ausgleichen könne, ist nicht zutreffend. Richtig
ist nur so viel, daß ein Schlafdefizit bei guter Ernährung weniger
einschneidend wirkt; gleichzeitige Entziehung von Schlaf und
Nahrung, wie sie- in manchen Geistesstörungen eintritt, wirkt nicht
nur als Addition, sondern als Multiplikation der Schädlichkeiten.
Bei einem Ueberblick über das Vorkommen von Schlaf¬
störungen mögen die der spezialistischen Behandlung vorbehaltenen
Anstaltspsychosen außer Betracht bleiben. Den Praktiker berühren
wohl am häufigsten, und jetzt noch mehr als früher, die bei Geistes¬
gesunden durch Sorge, Gram, Kummer, Haß hervorgerufenen nächt¬
lich wachen Episoden.
„Denk’ ich an Deutschland in der Nacht,
so bin ich um den Schlaf gebracht.“ (H. Heine.)
Der Hergang ist dabei gewöhnlich der, daß nach einigen Stunden
Schlafes ein vorzeitiges Erwachen eintritt, dem kein Wiedereinschlafen
folgt, weil die Flut der unangenehmen Gedankengänge auf den
Erwachten einstürmt. Auch sonst gute Schläfer können durch akute
Unannehmlichkeiten zu solchen wachen Episoden gebracht werden,
in denen sie dann in Gedanken Briefe schreiben, an Repliken feilen
oder Auseinandersetzungen mit Prozeßgegnern, Wohnungsamt,
Köchin oder anderen Vorgesetzten erleben.
Von den nicht nervösen Gründen der Schlafstörungen bedürfen
Dinge wie Fieber, Schmerzen, Herzkrankheiten, Katarrhe u. dgl.
keiner Erwähnung. Die Rolle der Ueberfüllung des Verdauungs¬
kanals wird häufig übersehen. Das Hauptkontingent zu den Fällen
von Schlaflosigkeit stellen die klinischen Rubriken Neurasthenie
und Hysterie, Krankheitsbilder, von denen bald nur noch das
Adjektiv neurasthenisch und hysterisch in bezug auf Symptome und
Reaktionsformen übrigbleiben wird. Wir treffen bei Hysterischen
auch Schlafstörungen, die nicht hysterisch sind, und bei sonst Ge¬
sunden eine hysterische „Schlaflosigkeit“. Die Neurasthenie im
engsten Sinne, a. h. der Zustand erworbener und ausgleichbarer Er¬
schöpfung, die sich sowohl in herabgesetzter Leistungsfähigkeit wie
gesteigerter Reizbarkeit äußert, stellt zahlreiche Fälle. Viele Indi¬
viduen dieser Art kennen sich selbst genug, um ihre subjektiven
sonstigen Beschwerden leichtzunehmen, die Indikation zum Aus¬
spannen aber selber daraus abzuleiten, daß der Schlaf anfängt
wackelig zu werden. Man sieht bei solchen Patienten (was jetzt die
Beobachtungen über Encephalitis lethargica uns besonders zum Be¬
wußtsein gebracht haben), daß Ermüdung, Ermüdungsgefühle, und
Schlaf keine notwendig miteinander verkuppelten Dinge sind. Bei
den Neurasthenikern wird eine tatsächlich vorhandene Ermüdung
durch die gesteigerte Erregbarkeit unwirksam. Scheinbar neurasthe-
nische Schlaflosigkeit ist ein häufiges Einleitungssymptom von Psy¬
chosen ernsterer Art, nicht selten auch Bestandteil der Schwankungen
bei den leichteren Formen der periodischen Störungen, die jetzt
noch großenteils, diagnostisch-irrtümlicherweise, bei der Neurasthenie
untergebracht werden.
Die bei allen diesen Zuständen vorkommenden Schlafstörungen
zeigen drei Haupttypen: einen dauernd zu flachen, der Längen¬
ausdehnung nach aber genügenden und trotzdem nicht erquickenden
Schlaf, das verfrühte Aufwachen ohne oder, was häufiger ist, mit
einem nachtröpfelnden, kurzen Morgenschlaf, endlich das erschwerte
und verzögerte Einschlafen; letzteres ist namentlich den Zuständen
von erworbener Neurasthenie eigen. Die Art, wie die einzelnen
Individuen auf das nächtliche Wachsein reagieren, ist sehr ver¬
schieden. Bei alten Menschen findet man manchmal hierbei eine
große friedliche Gelassenheit, bei jüngeren, wenn es sich um toxisch
(Kaffee, Tee, Nikotin) bedingte Schlafabwesenheit handelt, einen
nicht unangenehmen Zustand hellen Wachseins ohne Nebenerschei¬
nungen, sonst aber häufig Begleiterscheinungen, wie Unruhe, Be¬
dürfnis nach Lagewechsel, Kribbeln in den Extremitäten, Hautjucken
an allen möglichen Stellen, Herzklopfen, Hitzegefühl, Angstzustände
und dgl. mehr. Letztere werden bei Nervösen, die sich gut kennen,
namentlich durch das Wissen um die Tagesfolgen der schlechten
Nacht befördert, ein Gesichtspunkt, der mit seiner vermehrten Span¬
nung auf das erwünschte Einschlafen und das Ausrechnen der noch
bestenfalls bleibenden Stunden am meisten dazu beiträgt, das Ein¬
schlafen zu verhindern. Menschen, die sich selbst beobachten, kennen
auch sehr genau die eigentümliche Verschiebung des Standpunktes
gegenüber den Lebensfragen, die sich in schlaflosen dunklen Stunden
vollzieht. Abgesehen davon, daß wir, je nachdem wir uns in hori¬
zontaler oder vertikaler Stellung befinden, ein verschiedenes gefühls¬
mäßiges Verhältnis zur Welt haben, disponiert die nächtliche Schlaf¬
losigkeit ganz besonders zu trüben, unter Umständen verzweifelten
Auffassungen, die sich dann mit dem Morgenlichte mildern oder
verflüchtigen. Es ist nicht ohne tieferen Grund, daß im Anschluß an
schlaflose Nächte in der grauen Frühe die größte Häufigkeit der
Selbstmorde zu beobachten ist.
Mit der Frage der Behandlung der Schlafstörungen
wird ein dornenvolles Kapitel angeschnitten, womit nicht bestritten
werden soll, daß sich zahlreiche Aerzte diese Aufgabe recht domen¬
los machen. Im allgemeinen steht die Zahl der für einen bestimmten
therapeutischen Zweck angegebenen Mittel im umgekehrten Ver¬
hältnis zu der Sicherheit ihrer Wirkung; gegen Malaria wird als
einziges Medikament Chinin genannt, bei Gicht, wo nichts sicher
hilft, viele Dutzend Mittel. Die zahlreichen Schlafmittel bilden von
dieser Regel insofern eine Ausnahme, als jedes von ihnen Schlaf
herbeizuführen geeignet ist. Die Gründe, warum immer neue chemische
Zusammensetzungen auf den Markt geworfen werden, liegen heute
weniger in einem objektiven Bedürfnis der Aerzte oder der Patienten,
als vielmehr in den Wünschen der chemischen Industrie, auf welche
die große Häufigkeit der Schlafstörungen eine besondere An¬
ziehungskraft ausübt. Es ist heute schwerer, einen neuen guten
Namen für ein Schlafmittel als eine neue Kombination chemischer
Art zu finden, nachdem die Grundsätze einer wirksamen Zusammen¬
setzung so ziemlich feststehen. (Die Entstehung des Wortes Veronal
ist nicht allgemein bekannt: v. Me ring fuhr, als er die Synthese
fertig hatte, nach Italien, und im Schlafwagen München—Verona kam
ihm der Einfall, das noch namenlose Präparat Veronal zu taufen.)
In der beinah unbegrenzten Zahl der Schlafmittel liegt für den un¬
geduldigen Arzt die Verführung, kurzer Hand etwas Neues zu ver¬
schreiben, wenn der Patient an das vorausgehende Mittel gewöhnt
ist und den Weitergebrauch ablehnt.
Eine kunstgerechte Behandlung der Schlafstörungen gehört zu
den schwierigeren Aufgaben, weil sie eine genaue Analyse
der Persönlichkeit zur Voraussetzung hat. Wer es hiermit ernst
nimmt, liebt schlaflose Patienten nicht, da ihr Zustand, ebenso wie
die gleichfalls unbeliebten Klagen über „Kopfweh“ und „Anfälle“,
einen großen Indizienbeweis notwendig macht. Man hat nicht nui
die Aufgabe, im allgemeinen sich darüber klar zu werden, was fü«
eine Art von Geschöpf in nervöser Hinsicht man vor sich hat, sondern
man muß auch den individuellen Eigentümlichkeiten des Schlaftypus
im oben gekennzeichneten Sinne nachgehen, da sich andere Inaika
tionen für das erschwerte Einschlafen, andere für das vorzeitige
Aufwachen und wieder andere für den dauernd zu flachen Schlaf er
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
24. März 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
391
geben. Sehr wichtig ist vor der positiven Behandlung das negative
Moment der Beseitigung etwaiger in der Lebensführung liegen¬
der Schädlichkeiten, z. B. spätes Trinken von Kaffee, Tee,
Lesen im Bett, Nachtarbeit usw. Am schlimmsten ist man daran bei
denjenigen Patienten, denen man in dieser Richtung nichts mehr
verbieten kann, weil sie schon allen Ballast über Bord geworfen
haben.
Aus der Mannigfaltigkeit der Fälle sondern sich für die Be¬
handlung zunächst diejenigen ab, bei denen die Schlafstörung psy¬
chogen bedingt ist, d. h. durch die Erwartung des Nichtschlafens
oder durch die Aufmerksamkeit auf den Akt des Einschlafens ver¬
ursacht wird. Bei denen, die in dieser Richtung die Unbefangen¬
heit sich selbst gegenüber verloren haben, bei den intelligenten
Selbstbeobachtem, kommen zunächst die rein suggestiven Einwir¬
kungen in Frage, die je nach der Persönlichkeit in Aufklärung und
Belehrung, in der Bestimmtheit des Versprechens von Schlaf, in
indifferenten Verordnungen mit Verbalsuggestion oder endlich, wenn
der Arzt darauf eingestellt ist, auch in Hypnose bestehen können.
Vielen Kranken dieser Art hilft es sdion, wenn sie eine Schlaf¬
tablette als Talisman auf dem Nachttisch und damit die Sicherheit
haben, nötigenfalls den Schlaf chemisch herbeizwingen zu können.
Die meisten Träger dieser Art von Schlafstörungen haben sich eine
Menge von Spezialumständen angewöhnt, die vorhanden sein müssen,
wenn das Schlafen glücken soll — Art des Kopfkissens, des Bett¬
winkels, Dunkelheit, Geräuschfreiheit usw. Im allgemeinen wird man
die Tendenz haben müssen, diesen angewöhnten Ueberempfindlich-
keiten, die auch das Reisen erschweren oder unmöglich machen, durch
langsames Abgewöhnen ein Ende zu machen. Am hartnäckigsten in
dieser Richtung pflegt die Empfindlichkeit gegen Geräusche zu sein,
der manche Patienten erfolgreich und mit ärztlicher Billigung durch
die verschiedenen Apparate zum Ohrverschluß abhelfen. Der Hygiene
der Abendstunden ist besondere Aufmerksamkeit zu widmen; wer bis
12 Uhr geistig angestrengt arbeitet, kann nicht verlangen, daß er
sofort einschläft. Die ärztlichen Erziehungsversuche müssen sich auch
auf das Verhalten des Patienten in der wachen Nachtzeit erstrecken.
Das populäre „Zählen“ hilft den wenigsten, eher noch die Ablenkung
durch Heraufbeschwören angenehmer affektfreier Bilder der Ver¬
gangenheit u. dgl. Das Verbot des Nachdenkens über die Unan¬
nehmlichkeiten des Tages ist leicht ausgesprochen und schwer be¬
folgt. Menschen, die so viel Disziplin und Technik haben, ein be¬
stimmtes Denkfach nach Bedarf abzustellen und ein anderes zu
öffnen, brauchen in der Regel keinen Arzt, um mit ihren Schlaf¬
störungen fertig zu werden. Lichtmadien in der Nacht und Lesen
Im Bett wirkt individuell sehr verschieden, meist nicht glücklich.
Physikalische Beeinflussungsversuche können im Sommer
schon vor der Schlafzeit damit beginnen, daß man mit wärmeentziehen¬
den Prozeduren in der heißen Zeit, z. B. durch ruhiges Liegen im
Freien im Nachthemd, für den Patienten das Bett vom Frierstand¬
punkt aus willkommen macht. Auch die Art der Zudeckung, die,
ohne die Unvernunft der Dauerndeckbetten zu erreichen, doch selbst
bei Gebildeten merkwürdig unverständig sein kann, bedarf der Re¬
gulierung.
Von den Wasserprozeduren nützen warme Vollbäder nur
dann etwas, wenn sie einige Stunden vor der Zeit des Einschlafens
gegeben werden und wenn sie lang genug .sind, also etwa: Wasser
von 35° C, Dauer eine Stunde, vor dem 'Abendessen. Will man un¬
mittelbar vor dem Schlafengehen baden lassen, so wirkt häufig im
Sommer günstig ein Bad mit langsamer Abkühlung bis zum Gefühl
des Frierens. Leute mit Kongestionen, klimakterische Frauen mit
Wallungen werden manchmal durch heiße Fußbäder gut auf den
Schlaf vorbereitet. Die Wirkung abendlicher kalter Abwaschun¬
gen ist wohl vorwiegend suggestiv. Ganzpackungen werden von
allen denjenigen schlecht vertragen, die zu Beklemmungs- und Angst¬
zuständen neigen, während ein loser „Schnapswickel“ um den
Thorax (Alkohol und Wasser ana, kein Guttapercha, aber wollene
Zudeckung, lose Fixierung mit Handtuch und Sicherheitsnadeln)
namentlich bei Herzunruhe oft Ueberraschendes leistet
Von den chemischen Schlafmitteln erfreut sich Bal¬
drian entweder als Baldriantee oder in Form der verschiedenen
abgeleiteten Präparate großer Verbreitung und Beliebtheit. Ich habe
doch gelegentlich den Eindruck gehabt, daß es sich bei leichten Zu¬
ständen von Erregbarkeit nicht bloß um eine suggestive Wirkung
handelt. Kalten Baldriantee auf dem Nachttisch zu haben, ist vielen
hysterischen Schlechtschläfern dienlich.
Auch der Alkohol gehört zu den Schlafmitteln. Abstinente
Aerzte werden ihn verwerfen. Ich persönlich halte es, nicht bei
Psychopathen, aber bei Fällen mit erworbener, akuter Schlafstörung
unter Umständen für besser, in den Keller zu schicken als in die
Apotheke.
Vorbereitung für den Schlaf, ohne Schlafmittel zu sein, sind tags¬
über genommene Brompräparate. Schlafmachend, wiederum ohne
Schlafmittel zu .sein, wirken bei neuralgisch, rheumatisch oder katar¬
rhalisch bedingten Schlafstörungen die verschiedenen Präparate aus
der Antifebrin- und Aspirin Verwandtschaft, evtl, auch in Kom¬
bination mit Morphium, welches an sich kein Schlafmittel ist und
außerhalb akuter schmerzhafter Störungen schlechten Schläfern nie¬
mals gegeben werden sollte.
In bezug auf die Schlafmittel im engeren Sinne ist die Parole,
sie möglichst nicht zu verordnen, zwar. ausgegeben, aber sie wird
nicht befolgt. Immerhin ist die Zahl derjenigen Aerzte, die hierin
gewissenhaft sind, doch größer als in der Verordnung von Morphium,
dem gegenüber mir jetzt eine besondere ärztliche Duldsamkeit an¬
zuschwellen scheint.
Keiner von uns kommt um die Verordnung eigentlicher Schlaf¬
mittel herum, namentlich dann nicht, wenn sich der häufige Circulus
vitiosus entwickelt hat, daß der Patient, der nachts nicht geschlafen
hat, am Tage übererregt und überempfindlich ist und mit Sicherheit
einer neuen schlechten Nacht entgegengeht, ein Vorgang, der sich
dann am nächsten Tage wiederholt. Dieser üble Kreislauf erfordert
dringend, daß man zunächst einmal durch eine energische Dosis
eine gut durchschlafene Nacht schafft, um dann weiter bauen zu
können.
Das historisch an der Spitze marschierende Chloralhydrat
ist in schweren Fällen, gute Herzbeschaffenheit vorausgesetzt, noch
immer zu den wirksamsten Mitteln zu zählen. Die Vorzüge der
neueren Synthesen machen es aber selten nötig, außerhalb der Irren¬
anstalten darauf zurückzugreifen. Amylenhydrat und Paral¬
dehyd, die namentlich von Trinkern wegen ihres schnapsernen
Geschmackes gern genommen werden, sind für die Praxis kaum ver¬
wendbar, namentlich das Paraldehyd, weil die ganze Umgebung des
Patienten einen Tag lang von der Atemluft mit Düften wie ein
chemisches Laboratorium erfüllt wird. Wenn dieser Gesichtspunkt
keine Rolle zu spielen bradcht, so hat Paraldehyd den großen Vor¬
zug, daß man es auch mehrmals in der Nacht nehmen lassen kann.
Ich kenne einen Arzt, der merkwürdigerweise sich einen Paraldehydis-
mus angewöhnt hatte und täglich bis zu 100 g konsumierte. Paral¬
dehyd und Amylenhydrat gibt man nötigenfalls in Milch, Pfefferminz¬
tee, Grog oder dgl.
Trional und Sulfonal, die Vorgänger unserer heute herr¬
schenden Schlafmittel, sind fast überflüssig geworden. Veronal
und Medinal sind aus guten Gründen jetzt ßn der Spitze der Verwen¬
dung. Trotz ihrer nahen chemischen Verwandtschaft sind sie in ihren
Nebenwirkungen bei sensiblen Menschen verschieden; speziell nach
Veronal habe ich öfters von Kranken, die zu Verstimmungen neigen,
Klagen über ein „mieses“ Gefühl am Tage nach der Veionalnacht
gehört. Bei der Anwendung wird nicht immer beachtet, daß Veronal
nur wirkt, wenn es mit reichlich warmer Flüssigkeit genommen wird,
während Medinal darin weniger Ansprüche macht. Bei beiden wird
in der Richtung oft gefehlt, daß mau den Patienten erlaubt, das
Mittel beim Aufwachen mitten in der Nacht zu nehmen. Nach
Mitternacht sollte das nicht mehr geschehen, da sonst der nächste
Tag mit benommenem Kopf einherzugehen pflegt. Eine ganz zweck¬
mäßige Kombination im Falle irgendwelcher schmerzhafter Empfin¬
dungen stellt das Codeonal dar, in welchem Codein und Medinal
vertreten sind.
L u m i n a 1 ist im Vergleich zu den genannten das gröbere Kaliber
und wirkt schon in der halben Dosis des Veronals. Adalin ist
namentlich für die leichteren Störungen des Einschlafens zu emp¬
fehlen. Eine nähere Erörterung der zahlreichen weiteren chemischen
Variationen ist nicht erforderlich. Bei Zuständen schwerer Schlaf¬
störung, namentlich mit motorischer Unruhe, z. B. bei Paralysis agitans
oder den analogen Bildern nach Hirngrippe, ist Skopolamin
zweckmäßig, aber subkutan, nicht innerlich. Erfahrung und chemische
Theorie stimmen darin überein, daß Skopolamin vom Verdauungs¬
kanal aus so gut wie unwirksam ist; (Kontraindikation ist Myokarditis
und Arteriosklerose).
Der Arzt, der sich der Schlafstörungen seiner Patienten eindring¬
lich annimmt, kann auf Erfolg rechnen, manchmal auch auf Dank¬
barkeit. Wir alle schätzen den Schlaf erst richtig, wenn er anfängt,
ein unsicherer Besitz zu werden:
„Schlaf, der des Grams verworren Gespinst entwirrt,
der Tod von jedem Lebenstag, das Bad
der wunden Müh, der Balsam kranker Seelen,
der zweite Gang im Gastmahl der Natur,
das nährendste Gericht beim Fest des Lebens.“ (Macbetn.)
Kursus der dermatologischen Technik.
Von Prof. Dr. Max Joseph in Berlin.
II.
Nach dieser allgemeinen Besprechung der Technik gehe ich zur
speziellen Betrachtung über. Der besseren Uebersicht wegen
scheint es mir ratsam, die Dermatosen in alphabetischer Reihenfolge
zu besprechen und hierbei die einzelnen technischen Maßnahmen
zu erwähnen:
Acoe vulgaris, ln erster Reihe empfehle ich Solutio Vlemingks.
Technisch richtig angewandt, führt sie in dem größten Teil der Falle
zum Ziele. Zunächst vorsichtige Anwendung, indem nach starkem
Umschütteln die Lösung mehrfach hintereinander auf einer umschrie¬
benen Stelle, z. B. der Stirn, aufgepinselt und nach einer Stunde
abgewaschen wird, um zu sehen, ob vielleicht eine zu starke Reizung
aufgetreten ist. Sollte dies nicht der Fall sein, so wird in den
nächsten Tagen die Lösung 2, 3 und 4 Stunden auf den kranken
Stellen belassen, um schließlich jede Nacht auf allen kranken Stellen
des Rückens, der Brust und des Gesichts zu bleiben. Kommen wir
hiermit nicht zum Ziele, so wenden wir die Zeißlsche Paste an:
Rp. 13. Lact, sulfur.
Glycerin.
Spiritus ana 10,0
Aceti glacial. 20
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSUM
392
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 12
Diese wird mit einem Borstenpinsel besonders auf die Acne
indurata aufgelegt und bleibt ebenfalls stundenlang bis eine Nacht
auf den kramcen Stellen, um, falls eine Reizung eingetreten, bei Tage
einer Schwefelsalizylpaste zu weichen:
Rp. 14. Acid. salicyl. 2.0
Sulfur, praec. 8,0
Zlnci oxyd.
Amyli ana 20,0
Vaselin, ad 100,0
Diese wird mit einem Salbenspatel oder mit der flachen Seite
eines Teelöffels messerrückendick aufgestrichen, eine dünne Lage
hydrophiler Stoff aufgelegt und mit einer Mullbinde der Verband
befestigt.
Die Komedonen werden mit einem Komedonenquetscher oder
mit einem Uhrschlüssel ausgedrückt. Gleichzeitig wird das Gesicht
mehrmals mit Wasserstoffsuperoxyd abgerieben und mit Natron¬
superoxydsalbenseife gewaschen, oder man läßt den Seifenschaum
eine bis mehrere Stunden oder sogar eine Nacht auf die erkrankten
Stellen einwirken.
Kommt man mit diesen Vorschlägen nicht zum Ziele, so geht
man zu der von Lassar angegebenen Schälpastenbehandlung
über:
Rp. 15. /?-Naphthol. 10,0
Sulf praec. 50,0
% Vaselin.
Sapon. virid. ana 20,0
Diese Schälpaste wird täglich einmal in der Dicke eines Messer¬
rückens auf die erkrankten Stellen aufgestrichen, etwa eine Stunde
daselbst belassen und dann trocken abgewischt. Meist muß dies an
drei bis vier aufeinanderfolgenden Tagen geschehen, in der Zwischen¬
zeit dürfen sich die Kranken nicht waschen, indessen können sie das.
Gesicht einpudern. Nach etwa viermaligem Aufträgen beginnt die
stark gerötete Haut sich zu schälen, erst nach beendeter Schälung
dürfen sich die Kranken wieder waschen. Damit ist der Zyklus
beendet. Er ist zu wiederholen, falls keine Heilung erzielt ist. Zur
Unterstützung empfiehlt sich zuweilen die Injektion von Opsonogen
oder Staphar, zwei- bis dreimal wöchentlich intraglutäal. In anderen
Fällen leistet uns die dreimal wöchentliche intraglutäale Injektion
von Terpichin bessere Erfolge.
Ac«e rosacea. Hier führen wir eine Verödung der erweiterten
Gefäße mit dem Mikrobrenner herbei. Derselbe stellt einen
Paquelin dar, an welchen ein Kupferdraht angelötet ist. Hiermit
können wir jedes noch so kleine Gefäß, nachdem wir den Platin
glühend gemacht haben, kauterisieren. Nachdem der Aetzschorf ab-
gefalien ist, sieht man eine feine, weiße, glatte Narbe oder, falls eine
Heilung noch nicht eingetreten, wird das gleiche Gefäß noch ein¬
mal mit dem Mikrobrenner verschorft. Jede Nachbehandlung unter¬
bleibt. Sollte ein Mikrobrenner nicht vorhanden sein, so kann man
sich leicht helfen, indem man mit der Platinöse, wie sie zu Abstrich¬
präparaten verwendet wird, nach Erhitzen dieselbe Aetzung vor¬
nimmt. Im übrigen kann dieselbe Behandlung wie bei der Acne
vulgaris durchgeführt werden. Nur wird man zuweilen Unnas
Schälpaste in gleicher Weise wie bei Rezept 15 gebrauchen lassen.
JRp. 16. Ichthyol.
Vaselin, ana 5,0
Resorcin.
Pasta Zinci ana 20,0
Oder man gibt als weichere Nachtsalbe nach Jadassohn:
Rp. 17. Ichthyol. 1,0—5,0
Resorcin. 1,0—3,0
Vaselin. 25,0
Ol. Olivar. 10,0
Aqu. dest. ad 50,0
während man bei Tage öfters auf die geröteten Stellen einen 2o/ 0 igen
Resorzinspiritus auftupfen läßt. Zum innerlichen Gebrauch kann man
Ichthyol */,•,• dreimal täglich 5—20 Tropfen in Wasser nehmen lassen.
Aknekelofd. Die Methode der Wahl ist die Röntgenbestrahlung.
Man gibt bei Oberflächenbestrahlung eine Volldosis unter sorgfältiger
Abdeckung der Umgebung, eventuelle Wiederholung erst nach
6 Wochen, bei Filtration durch 1—2 mm Aluminium 5 H.
Alopecia areata. Man lasse eine 1—2<>/oige Chrysarobin-Trauma-
tizinlösung dreimal wöchentlich mit einem Borstenpinsel morgens
auf die kahlen Stellen auftragen, damit bis zum Aoend eine Ein¬
trocknung des Chrysarobins stattfindet und eine Verfärbung der
Bettwäsche verhütet wird. Tritt eine entzündliche Reaktion auf, so
wartet man den Ablauf derselben unter Einfetten mit Borvaseline
ab, um wieder bis zur Heilung zum Chrysarobin zurückzukehren. In
hartnäckigen Fällen verwende man die Quarzlampe mit Kompres¬
sionsbestrahlung.
Alopecia seborrhoica. Der Erfolg hängt hier wesentlich von einer
richtigen Technik ab. So früh als möglich verwende man Sulfoform:
Rp. 18. Sulfoform. 2,5
Ol. Ricin! 0,5
Vaselin, ad. 25,0
Man denke sich den Kopf in 4 Teile zerlegt und fette jeden
Abend nur ein Viertel des Kopfes ein, indem man drei parallele
Scheitel zieht und in diese die Pomade einstreicht. An jedem. Morgen
wird der ganze Kopf mit einem Haarwasser benetzt:
Rp. 19. Resorcin. 2,0
(event Spir. Lavandul. 3j0)
Spiritus ad 10(^0
Sollten starke Schuppenbildung und Jucken bestehen, so wächst
man alle 8—14 Tage mit alkalischem Seifenspiritus. Es werden
3 Eßlöffel hiervon abwechselnd mit 3 Eßlöffel warmem Wasser auf
der Kopfhaut verrieben, der sich bildende Seifenschaum bleibt etwa
10 Minuten auf der Kopfhaut, um dann mit reichlich lauwarmem
Wasser abgespült zu werden.
Nach einmonatigem Gebrauch lassen wir morgens ein austrock¬
nendes Haarwasser:
Rp. 20. Tinct Cantharid. 3,0—5,0
Spiritus ad 100,0
und abends ein einfettendes Wasser aufträufeln:
Rp. 21. Euresol 5,0
Ol. Ricini 0,5-1,0
Spiritus ad 100,0
Nachdem auch diese Wässer einen Monat gebraucht sind, gehen
wir schließlich noch auf einen weiteren Monat zu Waschungen
über von:
Rp. 22. SoL Chloralhydrat 10,0-100,0
um eventuell noch einmal die ganze Kur zu wiederholen. Von Be¬
strahlungen mit Höhensonne habe ich nie einen Erfolg gesehen.
Aogiome werden, wenn sie klein sind, durch Elektrolyse, wenn
größer, durch Kohlensäureschnee oder Radium beseitigt.
Caoitles. Das Haarfärben ist eine Kunst, die gelernt sein
will. Als unschädliches Färbemittel empfehle ich Primal, eine
Lösung von Para-Toluylendiamin und Sulfit (Colman), welches in
den verschiedensten Nuancen von Blond, Dunkelblond, Braun, Ka¬
stanienbraun, Dunkelbraun und Schwarz in den Handel kommt.
Jede Packung enthält eine mit Teilstrichen versehene Flasche Primal¬
lösung (A) der betreffenden Nuance und 4 Röhrchen mit festem
Primalentwickler (B). Das zu färbende, vorher gut gewaschene
und getrocknete Haar (Vorbleichen mit Wasserstoffsuperoxyd ist zu
vermeiden) wird zuerst mit der erforderlichen Menge Primallösung (A)
unter Benutzung eines Bürstchens gut durchfeuchtet. Nachdem die
Farblösung 10 Minuten lang (ohne daß das Haar künstlich getrocknet
wird) auf das Haar eingewirkt hat, wird die zu erzielende Farbe
hervorgerufen durch Aufbürsten der Primalentwickler-(B)-Lösung,
welche in der gleich zu erwähnenden Weise jedesmal unmittelbar vor
dem Färben frisch bereitet wird. Zunächst tritt meist eine grünliche
Färbung ein, die jedoch nach wenigen Sekunden verschwindet und
in die gewünschte Nuance übergeht. Nach 10 Minuten, während
welcher Zeit das Haar wiederum nicht künstlich getrocknet werden
soll, ist die Farbbildung beendet, und das Haar muß nun durch
utes Auswaschen (Shampoonieren) sorgfältig von den Resten der
arblösung befreit werden, damit nicht nachträglich eine Verände¬
rung der erzielten Nuance eintritt. Sollte die letztere bei sehr
schwer anfärbbarem Haar zunächst noch nicht tief genug ausfaHen,
so wird die Färbung wiederholt und dadurch die gewünschte tiefere
Nuance erzielt. Die Herstellung der PrimalentwickTer-(B)-Lösung ge¬
schieht in folgender Weise: Man fülle ein Entwicklerröhrchen (B) fast
voll mit reinem Wasser, verschließe dasselbe wieder mittels des
Korkens und schüttele bis zur erfolgten Lösung des Pulvers. Zum
Färben verwende man etwa dieselbe Menge der Entwicklerlösung,
als man Primallösung verbraucht hat. Der Inhalt je eines Entwickler¬
röhrchens entspricht je einem durdi Teilstriche fan Flasche A) be-
zeichneten Viertel der Primallösung. Die Entwicklerlösung muß stets
vor dem jedesmaligen Färben frisch bereitet werden, da sie sich
nur wenige Stunden hält. Primalschwarz wird nach besonderer Ge¬
brauchsanweisung, welche den betreffenden Packungen beiliegt, ge¬
färbt.
Chloasma. Man ätze zunächst eine kleine Sfelle mit einem in
Acid. carbolic. liquefactum getauchten Glasstäbchen und warte die
darauf folgende Abschiebung der Oberhautschichten ab. Ist der
Erfolg zufriedenstellend, so behandle man in gleicher Weise den
Rest. Andernfalls lasse man folgende Salbe mehrmals täglich ein¬
reiben :
Rp. 2a Acid. tannic.
Acid. carbol. liquefac. ana 2,5
Tinct. jodi 10,0
Vaselin, ad 100,0
Clavos. Meist genügt das Auflegen eines 10o/oigen Salizylseifen-
pflasters, in schwereren Fällen eines 30—50o/oigen SaTizylsäurepflaster-
mulls, welche mehrmals in der Woche zu wechseln sind. Statt dessen
empfiehlt sich zuweilen das zweimal tägliche Aufpinseln von:
Rp. 24. Acid. salicyl. 1,0
Exfr. Cannabis indic. 0,2
Collodium ad 10,0
In den schwersten Fällen vereist man mit Kohlensäureschnee
(i/a—1 Minute) oder wendet Elektrolyse am
Combnstio. Bei Verbrennung leichteren Grades taucht man zur
Linderung der Schmerzen einen Kristallsoda in Wasser und bestreicht
damit einige Male die verbrannte Stelle. Außerdem gibt man schmerz¬
stillende Salben (Anästhesin 1,0, Vaselin ad 10,0 oder Zykloform 1,5,
Vaselin ad 10,0). Haben sich aber größere Blasen gebildet, so
sticht man sie an den abhängigen Stellen an und entleert den In-
□ igitized by Google
Original from
CORUELL UNIVERSITY
24. März 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
393
halt, während die Blasendecke unzerstört bleibt, da sie das frei¬
gelegte Korium schützt. Außerdem läßt man zweimal tägliche Um¬
schläge machen mit:
Rp. 25. Thymol 0,1
01. Lini
Aqu. Calcis ana 50,0
Treten starke Schmerzen hinzu, so wendet man Bi ersehe Stau¬
ung an: Es genügt, einen Gummischlauch oder ein Gummiband ober¬
halb der verbrannten Stelle um die Extremität zu legen, und zwar
so fest, daß der Puls oberhalb der eingeschnürten Stelle deutlich
fühlbar bleibt, bereits nach 1—2 Minuten verschwindet der brennende
Schmerz. Je nach der Schwere der Verbrennung läßt man den
Schlauch 10, 20 oder 30 Minuten liegen, lüftet ihn dann ein wenig;
tritt der brennende Schmerz wieder auf, so ziehe man den Schlauch
fester und lasse ihn nochmals tO Minuten liegen. Bei darauf vor-
enommener Lockerung der Umschnürung wird bei leichteren Ver¬
rennungen angegeben, daß der brennende Schmerz nachgelassen
hat. Man läßt dann den Schlauch, nachdem man ihn ein wenig
gelüftet, weiterhin liegen. Nach etwa 10 Minuten wird er wieder
etwas gelockert. Man richte * sich immer danach, ob Schmerzen
auftreten oder nicht, um die Lockerung alsdann bestehen zu lassen
oder rückgängig zu machen. Allmählich kann man den Schlauch
abnehmen, ohne daß Schmerzen auftreten.
Dermatitis herpetiformls. Wo uns juckstillende Mittel, Arsen
und Röntgenbestrahlungen im Stiche lassen, gehen wir zur Blut¬
auswaschung nach Bruck über. Die Technik ist einfach. Man ent¬
leert durch einen Aderlaß aus der Armvene 150—200 ccm Blut und
injiziert durch dieselbe Kanüle 500 ccm intravenös oder 1000 ccm
subkutan einer physiologischen Kochsalzlösung. Schädigungen oder
unangenehme Zwischenfälle kommen nicht vor. Vielleicht ist es
besser, nach Aßmanns Erfahrungen einen Liter Normosal, ge¬
löst nach Fabrik Vorschrift, intravenös zu infundieren, wobei im all¬
gemeinen die Infusion nach vorhergegangenem Aderlaß besser ver¬
tragen wird.
Ekzem. Die Technik der Behandlung der zirkumskripten Ekzeme
bietet, soweit Puder, Salben, Trockenpinselungen und Pasten in Frage
kommen, keine großen Schwierigkeiten, wenn man die Vorschläge
im allgemeinen Teil beachtet. Dagegen ist bei universellen Ekzemen
der Gebrauch der von Klingmüller eingeführten sauren Teer¬
bäder, welche unter dem Namen „Bai na cid“ in den Handel
kommen, empfehlenswert. Selbst Kranke mit einer am ganzen Kör¬
per nässenden, geröteten und durch Krustenbildung verunstalteten
Haut, mit starken Oedemen und einem unerträglichen Juckreiz kom¬
men auf 10 Minuten in ein Balnacidbad von 30° R. Alsdann werden
sie abgetupft und in ein sehr dick mit Puder eingestreutes Laken ein-
ewickelt. Nach einigen Bädern dieser Art ist das Ekzem trocken.
Isdann gehen wir zu der gleichfalls durch Klingmüller einge¬
führten Terpentinbehandlung über. Man benutzt eine 20<y 0 ige Lösung
von Ol. Terebinth. in Ol. olivarum, von welcher man 2 Teilstriche
einer 1 ccm-Spritze zweimal wöchentlich verwendet. Die Einspritzun¬
gen werden mit einer langen Nadel in der hinteren Axillarlinie,
etwa zweifingerbreit unterhalb der Crista iliaca auf den Knochen
gemacht. Statt dessen kann man auch von einer 10o/ 0 igen Lösung
zweimal wöchentlich eine halbe Spritze injizieren. Ebenso kann man
auch Terpichin, welches aus entharztem Terpentinöl mit Chinin besteht,
jeden zweiten Tag intramuskulär in die Glutäalgegend einspritzen.
Gehen wir auf technische Einzelheiten bei den einzelnen Lokali¬
sationen des Ekzems ein, so verwenden wir auf dem behaarten
Kopfe die Zinnobersalbe:
Rp. 26. Hydrarg. Sulfur, subr. 1,0
Sulfur, sublimat. 24,0
Ol. Bergamott gtt. XXV, Vaselin, ad 100,0
Die Salbe wird mit einem Salbenspatel auf alle nässenden Stellen
aufgetragen, darauf wird hydrophiler Stoff in mehrfacher Lage mit
einer Binde in Form eines Capistrum Simplex befestigt. Der Salben¬
verband wird zweimal täglich erneuert und erst nach 3 Tagen eine
Reinigung des Kopfes mit Oel vorgenommeii. Dieser Turnus wird
wiederholt, bis Heilung eingetreten ist.
Am übrigen Körper werden die eingesalbten Partien mit einer
Binde bedeckt. Diese sei nicht zu fest angelegt, ebensowenig darf
man sie mit einem Bande umschnüren, da sonst zu leicht an den
Druckstellen wieder Ekzeme entstehen, vielmehr sind die Binden
mit einer Sicherheitsnadel zu befestigen, oder, noch besser, man
näht sie zusammen. Bei den Ekzemen der Kinder, besonders im
Gesicht, sind die Salbenmulle, z. B. ein Zinkoxydsalbenmull, zweck¬
mäßig. In diesem werden die Oeffnungen für Augen, Nasen und
Mund ausgeschnitten, eine in gleicher Weise angefertigte Lein¬
wandmaske wird darüber gelegt und mit Bändern auf dem Hinter¬
kopfe befestigt.
Pasten kann man, zumal für ärmere Verhältnisse, im Hause
selbst zubereiten lassen. Man rührt aus fein gepulverter Zinkblüte
unter sparsamem Zusatz von gutem Oel einen möglichst dicken,
gleichmäßigen Brei an. Dieser wird mit einem Löffelstiel so dick
aufgetragen, daß die Haut unter ihm verschwindet. Darauf wird
mit Watte trockenes Kraftmehl reichlich aufgedrückt, sodaß die
Oberfläche trocken wird und von der Salbe nichts mehr abgibt.
Solche Pasten dürfen nie auf behaarten Körperstellen angewandt
werden.
Bei chronischen, schwieligen Ekzemen der Extremitäten wird
nach Abwaschen mit Seife die erkrankte Stelle mit einem in Kali
caust., Aq. dest. ana eingetauchten Pinsel abgerieben. Nach Ab¬
waschen des überschüssigen Kali wird die exkoriierte Stelle mit
einer Höllensteinlösung (Argent. nitr., Aq. dest. anal abgerieben
und ein Verband angelegt, welcher oft, ohne gewechselt zu werden,
bis zur Heilung liegen bleiben kann.
Ephellden werden am radikalsten beseitigt, indem man einen
Glasstab in Acid. carbolic. liquefact. taucht. Man behandle zunächst
eine einzelne Sommersprosse, um zu sehen, ob ein guter Erfolg ein-
tritt. Falls dies nicht der Fall, lasse man Heb ras Sommersprossen¬
salbe:
Rp. 27. Hydrarg. praec. alb.
Bismuth. subnitr. ana 5,0
Ungt. Glycerin. 20,0
mehrere Male des Tages einreiben, nach drei Tagen aussetzen, um
dann von neuem zu beginnen. Oder man läßt Leinwandläppchen mit
0,lo/oigem Sublimatalkohol tränken und mehrere Stunden auflegen.
Aber Vorsicht ist auch hier am Platze, um keine zu starke Irritation
herbeizuführen. Daneben läßt man noch reichlich Umschläge mit
Wasserstoffsuperoxyd machen.
Erythrasma und Ekzema margioatam werden mit der Arning-
schen Pinselung (Rez. 10) behandelt, indem diese zweimal täglich an
drei aufeinanderfolgenden Tagen aufgepinselt wird. Sollte eine Haut¬
reizung eingetreten sein, so wird sie mit Borvaseline eingefettet. In
gleicher Weise kann Ungt. Wilkinsonii angewandt werden.
Beim Favus ist die Methode der Wahl die Röntgenbestrah¬
lung, welche bei guter Technik stets zum Ziele führt. Die Pilze
werden allerdings nicht geschädigt, aber durch die Epilation werden
die Pilze mechanisch entfernt. In einer Sitzung wird bei Ober¬
flächentherapie unter Anwendung einer siebenstelligen Bestrahlung
(Vorderkopf, Hinterkopf, Wirbel rechts und links, vor und hinter
dem Ohre) ohne Abdeckung mit Blei mit Volldosis in etwa 2 bis
3 Wochen eine ziemlich gleichmäßige Epilation erzielt. Den gleichen
Erfolg erreicht man mit schwachgefilterten Strahlen, 1 mm dickem
Aluminiumfilter. Selbst wenn nur einige Stellen erkrankt sind, be¬
strahle man den ganzen Kopf. In der zweiten Woche fangen die
Haare an sich zu lockern, sie geben auf leichten Zug mit der
Zilienpinzette nach, und in der dritten Woche ist völlige Alopezie
eingetreten. Ein Rezidiv erfolgt nur bei nicht ganz sachgemäßer
Bestrahlung und Vernachlässigung der peinlichsten Sauberkeit während
der Entfernung der Haare.
Die Hyperidrosis läßt sich meist durch Behandlung mit Formalin¬
spiritus beseitigen. Wir beginnen mit
Rp. 28. Formalin 10,0
Spiritus ad 100,0
Die Lösung wird auf ein Tuch aufgegossen und auf den beteiligten
Stellen zweimal täglich gründlich verrieben. Ist die Haut hierdurch
gereizt, so fettet man sie einige Tage mit Vaseline ein, um, falls
keine Heilung eingetreten ist, in gleicher Behandlungsart eine
20o/oige, später eine 30%ige oder 40%ige und sogar eine 50%ige
Lösung anzuwenden. Wo hiermit keine Heilung erzielt ist, ver¬
wende man hochgefilterte harte Strahlen mit 2—3 mm Aluminium¬
filter, um nach 4 Wochen eine neue Erythemdosis zu wiederholen.
Für die Beseitigung der Hypertrichosis im Gesichte kommt
weder die Röntgenbehandlung, welche gefährlich ist, noch die Elektro¬
lyse, welche unbefriedigend ist, sondern nur die von Schwenter-
Trachsler eingeführte Bimssteinbehandlung in Betracht. Bei einiger
Uebung erzielen die Frauen damit günstigen Erfolg, allerdings muß
man sich damit trösten, daß die Methode nur palliativ und nicht
kurativ wirkt. Zunächst müssen die Haare mit einer gebogenen
Schere vollkommen kurz über der Hautoberfläche abgeschnitten oder
bei zu starker Fülle einmal rasiert werden. Das Gesicht muß voll¬
kommen trocken sein, und nun reibt man die behaarten Stellen
mit einem harten Bimsstein einige Minuten ab, sodaß man nun nichts
mehr von dem geringen, im Verlaufe von 12 Stunden erfolgenden
Haarwachstum bemerken kann. Bei einiger Vorsicht darf keine
Hautverletzung erfolgen. Bei gering entwickeltem Bartwuchs kann
man sich darauf beschränken, mehrmals täglich Wasserstoffsuper¬
oxyd verreiben zu lassen. Hierdurch werden die Haare entfärbt
und nur noch als wenig in Betracht kommender Flaum sichtbar.
Wird ein Enthaarungsmittel an stark behaarten Extremitäten oder
zwischen den Mammae verlangt, so bepinsele man sie mit Kollodium.
Nach Abnahme der Kollodiumschicht sitzen sämtliche Haare an der
Innenseite derselben fest. Demselben Zwecke dienen die von Unna
empfohlenen Harzstifte, Stili resinosi, welche aus Kolophonium und
Wachs hergestellt sind. Man erwärmt sie über der Flamme, setzt
sie auf die zu enthaarende Stelle, worauf man den Stift mit kurzem
Ruck in der Haarrichtung abzieht.
Die Keloide galten bisher als ein Noli me tangere. Die von
Unna angegebene Verdauungsmethode kann ich aber bei Narben und
bei Narbenkeloiden besonders warm empfehlen. Man verordnet
Pepsin 10,0, Acid. hydrochloric., Acid. carbol. ana 1,0, Aq. dest. ad
200,0, eventuell allmählich ansteigend bis ad 100.0. Mit dieser Flüssig¬
keit werden Mull- oder Wattestücke angefeuchtet, mit Guttapercha-
papier oder Billroth-Batist bedeckt und damit verbunden. Diese Pepsin¬
dunstumschläge verordnet man nachts, während bei Tage ein Ungt.
Pepsin bevorzugt wird:
Rp. 29. Pepsin 10,0
Acid. mur.
Acid. carbol. ana 1,0
Ungt.jnolle ad 100,0
□ igitized by Google
Original from
CORUELL UNIVERSITY
394
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 12
Wo nach mehrtägiger Pepsinanwendung eine Hautentzündung
entsteht, kann man die Salzsäure durch 4<yoige Borsäure ersetzen,
während zur Heilung der Hautreizung eine zweitägige Behandlung
mit eintrocknendem Puder genügt. Oft reicht diese Behandlung
allein nicht für Keloide aus. Dann kombiniert man die Methode
mit 10o/oigem Pyrogallolkollodium und legt darüber einen Pepsin¬
dunstverband an. Natürlich ist die Behandlung langwierig und er¬
fordert von Patient wie Arzt Energie und Ausdauer. Kommt es
zur Ulzeration, so setzt man die Behandlung aus, lind durch Pellidol¬
salben wird die Oberhaut bald wiederhergestellt. Ich erreichte
gute Erfolge hiermit bei Verbrennungen zur Beseitigung von aus¬
gedehnten Narben. Auch Friboes sah kleinfingerdicke Narben-
keloidstränge infolge schwerer Verbrennung nach dreimonatiger Pep¬
sinanwendung. Läßt man noch Massage vorausgehen, so scheint
die Wirkung dadurch verstärkt zu werden.
Die Leukonychia beruht auf einer Luftinfiltration in der Nagel¬
substanz, zur Verdeckung läßt man mehrmals täglich ein Polier¬
pulver einreiben: Stannium oxyd. 30,0 Carmin 0,5.
Standesangelegenheiten.
Zur Stellung des Arztes im Entwurf 1919 zu einem
Deutschen Strafgesetzbuch.
Von Oberreichsanwalt Dr. Ebermayer.
In meinem letzten Berichte über „Rechtsfragen aus der ärzt¬
lichen Praxis“ habe ich mich gegen die Beurteilung gewendet, welche
Geh.-Rat Alexander einigen im Entw. 1919 enthaltenen, die Aerzte
betreffenden Bestimmungen im Aerztl. V. Bl. 1921 Nr. 1239, 1240 ge¬
widmet hatte, und mich insbesondere mit aller Bestimmtheit gegen die
von Alexander dort aufgestellte Behauptung ausgesprochen, daß
auch der Entw. 1919 den vom Arzte zu Heilzwecken lege artis gegen
den Willen des Kranken oder seines gesetzlichen Vertreters vor¬
genommenen Eingriff als vorsätzliche rechtswidrige Körperverletzung
bestrafe. Ich hatte der Vermutung Raum gegeben, daß Geh.-Rat
Alexander die vollkommen veränderte Stellung, die der Entw. 1919
in dieser Frage gegenüber dem VE. und dem Komm.Entw. einge¬
nommen hat, entgangen sein müsse. Die neuen Ausführungen
Alexanders in der D. m. W. 1922 S. 124 überzeugen mich, daß
diese Vermutung falsch war. Ich bedaure lebhaft, daß mir zur Zeit,
als ich sie aussprach, die Verhandlungen des Karlsruher Aerzte-
tages nicht bekannt waren; sonst hätte es mir natürlich niemals
einfallen können, auf eine solche Vermutung zu kommen; die kurzen
Ausführungen Alexanders im Aerztl. V. Bl., die mir damals allein
Vorlagen, konnten den mir unterlaufenen Irrtum aber wohl entschul¬
digen.
Nachdem ich jetzt die Ausführungen Alexanders auf dem
Karlsruher Aerztetag gesehen habe, bin ich um so mehr erstaunt,
daß er trotz genauer Kenntnis des Entw. 1919 und der Denkschrift
in seinen Ausführungen im Aerztl. V. BI. noch die unrichtige Auf¬
fassung vertritt, unter der Herrschaft des neuen Gesetzes, wenn es
dem Entwürfe gemäß gestaltet wird, bestünde noch die Gefahr, daß
der gegen den Willen des Kranken lediglich zu Heil¬
zwecken und lege artis vorgenommene ärztliche Ein¬
griff als vorsätzliche rechtswidrige Körperverletzung
bestraft werden könnte. Bei der großen Autorität, deren sich
die beiden Berichterstatter auf dem Aerztetage, die Herren Alexan¬
der und Puppe mit Recht erfreuen, und mit Rücksicht darauf, daß
ihre Ausführungen auf keinen Widerspruch aus der großen Zahl der
versammelten Aerzte stießen, erscheint es dringend nötig, wieder¬
holt darauf hinzuweisen, daß die beiden Herren die Bestimmungen
des Entw. unrichtig auffassen. Zuzugeben ist, daß der Entw. keine
ausdrückliche Vorschrift dahin enthält, daß der vom Arzte zu Heil¬
zwecken lege artis vorgenommene Eingriff niemals als vorsätzliche
rechtswidrige Körperverletzung angesehen werden könne. Eine der¬
artige ausdrückliche Bestimmung erscheint aber auch nach der ganzen
Konstruktion des Entw. nicht nötig. Wenn der Entw. im § 313 die
gegen den Willen eines anderen erfolgende Behandlung zu Heil¬
zwecken als Vergehen gegen die persönliche Freiheit mit Strafe
bedroht, so bringt er damit klipp und klar zum Ausdruck, daß eine
derartige, gegen den Willen des Behandelten erfolgende Behandlung
nicht als Körperverletzung angesehen und bestraft werden könne;
er bringt damit aber gleichzeitig zum Ausdruck, daß die nicht gegen
den Willen des .Kranken vorgenommene Heilbehandlung, erst recht
nicht als rechtswidrige vorsätzliche Körperverletzung angesehen
werden kann. Meines Erachtens ergibt sich also schon aus dem
Entw. selbst und ohne daß es einer besonderen Ausführung in der
Denkschrift bedurfte, mit hinreichender Deutlichkeit, daß eine zu
Heilzwecken lege artis vorgenommene Handlung, mag sie mit, ohne
oder gegen den Willen des Kranken erfolgen, niemals als körper¬
liche Mißhandlung oder Gesundheitsbeschädigung angesprochen, daher
niemals als Körperverletzung strafbar sein kann. Die Denkschr. hebt
aber auf S. 238 diesen Standpunkt noch in unzweideutiger Weise
hervor. Unter diesen Umständen halte ich es für vollkommen aus¬
geschlossen, daß, wenn der § 313 des Entw. Gesetz wird, jemals
ein Gericht daran denken könnte, entgegen dem im Gesetze selbst
hinreichend klar zum Ausdruck gebrachten, in der Denkschrift noch
in nicht mißzuverstehender Weise erläuterten Willen des Gesetzes
die Heilbehandlung lege artis als Körperverletzung zu bestrafen. Ich
gebe Herrn Alexander durchaus recht: man soll das, was in das
Gesetz gehört, nicht nur in die Begründung schreiben; ich meine aber,
man soll anderseits das Gesetz nicht durch selbstverständliche Zu¬
sätze belasten. Nach den Ausführungen Alexanders auf dem
Aerztetag könnte man wohl annehmen, daß er — was allerdings seinen
Ausführungen im Aerztl. V. Bl. und in der D. m. W. 1922 S. 134
nicht zu entnehmen ist — erfreulicherweise mit mir der gleichen
Meinung ist. dahingehend, daß der Entw. die lege artis erfolgende
Heilbehandlung unter keinen Umständen als Körperverletzung be¬
straft wissen will und daß wir nur insofern differieren, als er es für
nötig hält, daß dieser Grundsatz im Gesetz selbst noch ausdrücklich
ausgesprochen wird, während ich dies zunächst nicht für nötig er¬
achte. Das ist aber letzten Endes lediglich eine Frage der Gesetzes¬
technik; die Hauptsache ist, daß die Aerzte sich darüber klar sind,
daß sie unter der Herrschaft des neuen Gesetzes nicht mehr Gefahr
laufen, bei pflichtgemäßer Ausübung ihrer humanen und segen¬
bringenden Tätigkeit wegen Körperverletzung mit mehr oder weniger
entehrenden Strafen belegt zu werden, len wiederhole zusammen¬
fassend: Was der Entw. will und sagt ist Folgendes: Aerztliche
Eingriffe zu Heilzwecken, lege artis vorgenommen,
können unter keinen Umständen als Körperverletzun¬
gen angesehen werden; erfolgen sie nicht gegen den
Willen der Kranken, so sind sie straflos; erfolgen sie
gegen seinen Willen, so werden sie nicht als Körper¬
verletzungen, sondern lediglich als Delikte gegen die
persönliche Freiheit nach §313 bestraft.
Alexander steht auch dem § 313 wenig freundlich gegenüber.
Er meint, er sei „auf das Betreiben einiger Standesvertretungen in
den Entw. gekommen“. Davon ist mir nichts bekannt. Ueber die
Entstehungsgeschichte kann ich vielmehr — ohne daß ich fürchten
muß, mich damit eines Geheimnisbruches schuldig zu machen —
Folgendes mitteilen. Schon bei Aufstellung des Komm.Entw. hatte
ich mich, da ich von jeher die Auffassung, ärztliche Eingriffe, lege
artis zu Heilzwecken vorgenommeu, seien Körperverletzungen, für
falsch hielt, bemüht, einer dem jetzigen § 313 entsprechenden Be¬
stimmung Aufnahme zu verschaffen. Nach hartem Kampfe scheiterten
meine Bemühungen, hauptsächlich um deswillen, weil auffallender¬
weise die zu den Kommissionsberatungen zugezogenen ärztlichen
Sachverständigen mit der Aufnahme einer solchen Bestimmung sich
nicht befreunden konnten. Bei Aufstellung des Entw. 1919 nähm
ich meine früher abgelehnten Anträge wieder auf, ohne irgendwelches
Betreiben der oder jener Standesvertretung, sondern lediglich meiner
eigenen wissenschaftlichen Ueberzeugung folgend, die durch mein
ethisches und rechtliches Empfinden unterstützt wurde und dahin
ging, es müsse in Zukunft unter allen Umständen vermieden werden,
den lege artis zu Heilzwecken tätig werdenden Arzt wegen Körper¬
verletzung bestrafen zu können, und ich freute mich, daß es mir
gelang, meiner Ansicht zum Siege zu verhelfen. So kam die Be¬
stimmung in den Entw. 1919. Die Bedenken Alexanders gegen
den § 313 gehen insbesondere nach der Richtung, daß er glaubt, es
werde der Praxis Schwierigkeiten machen, den Begriff: „gegen dw
Willen“ abzugrenzen. Ich teile diese Befürchtung nicht. Der Begriff
ist nicht neu und in geltenden Strafgesetzen wiederholt verwendet.
Wo der Entw. den Ausdruck „gegen den Willen“ gebraucht liegt
ein Handeln „gegen den Willen“ nur vor, wenn objektiv feststeht,
daß der andere nicht einverstanden ist, und subjektiv erwiesen wird,
daß der Täter dies gewußt oder doch mit der Möglichkeit mangeln¬
den Einverständnisses gerechnet und die Tat auch für diesen Fall
gewollt hat, also bei Handeln gegen den erkannten oder ver¬
muteten Willen des anderen, dagegen nicht, wenn der Täter nicht
gewußt, auch nicht einmal vermutet hat, der andere sei nicht ein¬
verstanden, wenn er aber bei entsprechender Aufmerksamkeit das
Nichteinverständnis hätte vermuten können und sollen (Denkschr.
S. 233, wo ein Handeln „gegen den Willen“, auch dann verneint
wird, wenn der Täter mit der Möglichkeit eines Einverständnisses
gerechnet hat). Demnach ist auch bei § 313 ein Handeln „gegen den
Willen“ nur anzunehmeu, wenn feststeht, daß der Kranke mit dem
Eingriff nicht einverstanden war, und weiter, daß der Arzt dies ge¬
wußt oder doch vermutet hat. Warum es der Praxis Schwierigkeiten
bereiten soll, eine derartige Feststellung zu treffen,, ist nicht er¬
sichtlich. Nun geht § 313 allerdings einen Schritt weiter. Der Arzt
soll nämlich nicht nur dann strafbar sein, wenn er den entgegen¬
stehenden Willen des Kranken kannte oder vermutete, also »gegen
den Willen“ in dem Sinne des Gesetzes handelte, sondern auch
dann, wenn er diesen entgegenstehenden Willen bei pflichtgemäßer
Sorgfalt erkennen konnte und sollte, also nicht nur gegen den er¬
kannten oder vermuteten, sondern gegen den zu vermutenden (ver¬
mutlichen) Willen handelt oder, wie der Entw. es im § 313 aus¬
drückt: „wenn er fahrlässig angenommen hat, daß der
andere mit der Behandlung einverstanden wäre“. Diese
Ausdehnung wurde — ich glaube im Interesse der Kranken mit
Recht — für nötig erachtet. Besondere Schwierigkeiten der Fest¬
stellung werden sich auch hier nicht ergeben, man müßte denn dem
Richter die Fähigkeit, fahrlässiges Handeln festzustellen, überhaupt
absprechen wollen. .
Daß die Bestimmungen über Notstand und Nothilfe un
Entw. gegenüber dem geltenden Recht eine wesentliche Erweiterung
erfahren haben, insbesondere dadurch, daß die Beschränkung aut
Angehörige weggefallen ist, habe ich schon früher (D. m. W.
1921 S. 134) ausgefuhrt. Die Bestimmungen über Notwehr und Not-
Di gitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSUM
24. März 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
395
hilfe haben aber für den Arzt, soweit es sich um Eingriffe zum
Zwecke der Heilbehandlung handelt, wesentlich an Bedeutung ver¬
loren. Er wird kaum in die Lage kommen, sich auf Nothilfe be¬
rufen zu müssen. Solange er nicht gegen den Willen des
Kranken tätig wird, bleibt er straflos, handelt er gegen
den Willen, so begeht er, da Eingriffe zu Heilzwecken nach dem
Entw. niemals Körperverletzungen sind, lediglich das Spezialdelikt
nach § 313, kommt also auch hier nicht in die Lage, sich auf Not¬
hilfe berufen und die für den Fall der Nothilfe gegen den Willen
dessen, dem geholfen wird, vorgesehene Bestimmung milderer Be¬
strafung (§ 22 Abs. 5) für sich in Anspruch nehmen zu müssen. Da¬
gegen kommt die erweiterte Nothilfe in Betracht bei Ein¬
leitung der Frühgeburt und der Perforation, Fälle, die nicht als
Heilbehandlung gelten und für die deshalb § 313 von vornherein
ausscheidet, bei denen überdies auch die Einwilligung keine Rolle
spielt, da die Mutter nicht über das Leben der Frucht zu verfügen
berechtigt ist. Wenn der Entw. hier in § 22 Berücksichtigung der
sich gegenüberstehenden Interessen verlangt, so kommen bei dem
als Nothelfer auftretenden Arzte wohl kaum, wie Alexander in
seinem Karlsruher Referate vermutet, auf der einen Seite die Inter¬
essen des Arztes, auf der anderen diejenigen des Objekts der Not¬
hilfe in Frage, sondern es stehen sich gegenüber auf der
einen Seite die Interessen an Erhaltung des Lebens
der Mutter, auf der anderen die Interessen an Erhal¬
tung des Lebens der Frucht. Wie sich nach dem Entw. die
strafrechtliche Stellung des Arztes im Falle der Einleitung der Früh¬
geburt und der Perforation gestaltet, habe ich in meinem Aufsatz
über die Stellung des Arztes im Entw. (D. m. W. 1921 S. 134 ff.)
ausgeführt und brauche es hier um so weniger zu wiederholen, als
ich mich in dieser Frage erfreulicherweise in voller Uebereinstim-
mung mit den Ausführungen Alexanders auf dem Aerztetage
befinde. Das Gleiche ist der Fall, soweit es sich um die Frage
der Vernichtung lebensuinverter Leben und der Straflosigkeit der Ab¬
treibung handelt.
Was endlich die Frage der „Trunkenheit“ und „Trunk¬
sucht“ anlangt, so bin ich nach wie vor der Meinung, daß schon
aus dem Entw. selbst, der in § 91 und § 274 von selbstverschuldeter
und schuldhafter Trunkenheit spricht, in § 92 dagegen ganz allgemein
von Trunkenheit, sich mit hinreichender Klarheit ergibt, daß der
Entw. bei Trunksucht zwischen verschuldeter und krankhafter, nicht
verschuldeter unterscheidet. Es bedürfte hier also gar nicht der
Heranziehung der Denkschrift, die übrigens jeden Zweifel nach
dieser Richtung löst.
Bemerkungen zu obigem Artikel.
Von S. Alexander.
Ich bin dem Herrn Verfasser für die vorstehenden ausführlichen
Darlegungen sehr dankbar. Abgesehen von den meine Person be¬
treffenden Erklärungen, die mich völlig befriedigen, enthalten sie
sachlich, was in der Denkschrift nicht lückenlos geschieht, die Be¬
weisführung für die Bedeutung, die § 313 E. in der Frage der
Unterstellung des ärztlichen Eingriffs unter die Körperverletzung
besitzt. Ich muß zugeben, daß diese Beweisführung in praxi ge¬
nügen wird, was ich übrigens auch schon in Karlsruhe zum Aus¬
druck gebracht habe, ich kann aber nicht zugeben, daß die Beweis¬
führung. die doch nur negativ ist, logisch unanfechtbar ist und dem
Rechtsbewußtsein ausnahmslos entspricht. Insbesondere wird es nötig
sein, Aerzte, vielleicht aber auch die ausübenden Organe der Rechts¬
pflege zur Vermeidung von Irrtümern darauf hinzuweisen, daß „Heil¬
behandlung“ mit „ärztlicher Berufstätigkeit“ nicht identisch ist. Bei
dem hervorragenden Einfluß, den der Herr Verfasser nicht nur auf
die Gesetzgebung, sondern auch auf die Handhabung der Gesetze
ausübt, ist zu hoffen, daß Staat und Stand gleichmäßig zu ihrem
Rechte kommen.
Münchner Brief.
Den Bezirksvereinen liegt nunmehr der Entwurf der bayrischen
Sfandesgerichtsordnnng vor. Damit wird nichts grundsätzlich Neues
geschaffen. Vielmehr bestehen seit 1910 Ehrengerichtsordnungen.
Damals gab es noch keine zentrale Leitung der bayrischen Standes¬
interessen, sondern acht selbständige Aerztekammem. Diese hatten
den damaligen Entwurf einer Ehrengerichtsordnung nicht unverändert
angenommen, vielmehr war die Angelegenheit durchaus uneinheitlich
geregelt worden. Unbestritten war aber seitdem die Notwendigkeit
ärztlicher Ehrengerichte. Der Landesausschuß der bayrischen Aerzte
mit seinem Sitz in Nürnberg hat nun die einheitliche Regelung der
Standesgerichtsordnung in die Hand genommen und damit einen
neuen Beweis seiner zielbewußten Führereigenschaften im bayrischen
Standesleben gegeben. Es wäre im allgemeinen Interesse gelegen,
wenn uns der Nürnberger Kurs recht lange Richtung und vor allem
Gesinnung bestimmte, unbekümmert um Eifersüchteleien einzelner
Personen und einzelner Gruppen. Wesentlich wurde der Entwurf
der neuen bayrischen Standesgerichtsordnung durch die Mitarbeit
eines juristischen Beraters gefördert, durch den Stadtrat Dr. Merkel
in Nürnberg. Er gehört seit 1910 dem Ehrengericht der Mittelfrän¬
kischen Aerztekammer als juristisches Mitglied an und verfügt über
zahlreiche Erfahrungen, die wesentlich dem neuen Werke förderlich
waren. Der Inhalt des Entwurfes ist etwa der folgende: Die ärztliche
Standesgerichtsbarkeit dient der Wahrung der ärztlichen Standes¬
pflichten. Unbeschadet ihrer gesetzlichen Rechte sind alle Mitglieder
der ärztlichen Bezirksvereine verpflichtet, ehe sie gegen einen
Kollegen den Schutz der ordentlichen Gerichte anrufen, den Fall der
ärztlichen Standesgerichtsbarkeit zu unterbreiten. Nur soweit Streitig¬
keiten den Verhältnissen der ärztlichen Tätigkeit entspringen, ge¬
hören sie hierher; private Streitigkeiten unterliegen mithin den
standesgerichtlidien Verfahren nicht. Im Standesinteresse erscheint
die Austragung von Streitigkeiten zwischen Aerzten vor der Oeffent-
lichkeit unerwünscht, deshalb soll jedesmal vorher der Versuch ge¬
macht werden, den Prozeß zu lokalisieren. Die Standesgerichtsbar¬
keit zerfällt in zwei grundsätzlich verschiedene Verfahren: in das
schiedsgerichtliche una in das ehrengerichtliche. Beide Instanzen
werden als Organe der Bezirksvereine aus diesen gebildet. Als
Berufungsgerichte gelten entsprechende Einrichtungen bei den Kreis¬
ärztekammern, also die Kammerehrengerichte. Die Schieds- und Ver¬
einsehrengerichte bestehen aus drei Richtern; dazu kann auf Be¬
schluß als vierter Richter ein Jurist treten. Das Kammerehrengericht
dagegen besteht aus fünf Richtern, von denen einer Jurist sein muß;
ihn wählt die Aerztekammer. Diesem Juristen soll gemäß einem
von jeher vertretenen Standpunkte Bergeats das volle Stimm¬
recht übertragen werden. Bedenken gegen eine Zuziehung zum
ärztlichen Ehrengerichte sind nicht nur unbegründet, sondern die
Praxis hat gerade erwiesen, wie nutzbringend für das Ansehen der
Gerichte und für das Interesse der Parteien die Tätigkeit des Juristen
ist. Die Ehrenrichter werden durch eine feierliche Formel mit Hand¬
schlag verpflichtet. Das schiedsgerichtliche Verfahren bezweckt die
gütliche Regelung (Schlichtung) einer Angelegenheit. Scheitert eine
Vennittlung beim beruflichen Streit zweier Aerzte, so fällt das Schieds¬
gericht einen Schiedsspruch, wenn sich vorher die Parteien zur Unter¬
werfung unter den Schiedsspruch bereit erklären. Eine Berufung
gegen den Schiedsspruch besteht nicht. Wenn die Parteien ihre
Bereitwilligkeit anerkannt haben, sich dem Schiedsspruch zu unter¬
werfen, verzichten sie damit auf die Austragung ihrer Angelegenheit
im ordentlichen Rechtswege. Davon verschieden ist das ehrengericht¬
liche Verfahren. Es soll darüber entscheiden, ob die Handlung eines
Arztes der Standesordnung entspricht oder nicht. Dieses Verfahren
tritt ein auf Strafantrag der Vorstandschaft des zuständigen Bezirks¬
vereins oder auf Strafantrag eines Arztes oder schließlich auf Selbst*
anzeige. Die Strafen, die das Ehrengericht verhängen kann, sind
in aufsteigender Richtung: Verweis, Geldstrafe, Aberkennung des
aktiven und passiven Wahlrechtes, Androhung der Erklärung der
Standesunwürdigkeit, schließlich Erklärung der Standesunwürdigkeit.
Der Ausschluß aus dem Bezirksverein unterliegt der Zuständigkeit
der Vereinsversammlung, jedoch nicht dem Ehrengericht. Gegen
einen solchen Beschluß besteht die Möglichkeit einer Beschwerde
an die Aerztekammer, die Entscheidungen des Kammprehrengerichtes
unterliegen einer weiteren Anfechtung nicht, sie sind rechtskräftig.
Der in allen Teilen überaus klare, übersichtliche und sorgsam durch¬
gearbeitete Entwurf enthält dann ferner Einzelheiten über das Ver¬
fahren selbst, über Vorsitz, Zusammensetzung des Gerichts, Ladungen,
Vertretung der Parteien. Dann folgt ein Abschnitt über die Ver¬
handlung, sodann über die Entscheidung, über die Aktenbildung,
über das Amtsgeheimnis. Während die den Entwurf ausarbeitende
Kommission in den meisten Punkten zu einer Uebereinstimmung kam,
muß sie über die Frage der Erklärung auf Ehrenwort einen Alternativ¬
vorschlag unterbreiten. Die einen halten die Abgabe des Ehrenwortes
für unzulässig. Die anderen lehnen die Abgabe des Ehrenwortes nach
dem Ermessen der Parteien, Zeugen und Sachverständigen ab, aber
sie wollen in besonders bedeutungsvollen Fällen dem Gericht das
Recht zum Beschluß geben, einem Zeugen oder Sachverständigen das
Ehrenwort abzunehmen, was dann in besonders förmlicher Weise zu
geschehen habe. Beide Ansichten haben gewichtige * Fürsprecher.
Der Jurist Dr. Merkel gehört zu denen, die das Ehrenwort über¬
haupt ablehnen. Das Ehrenwort soll den Eid der ordentlichen Ge¬
richte ersetzen. Dabei fällt juristisch ein bedeutsamer Unterschied
ins Auge; auf einen wissentlich falschen Eid stehen bekanntlich
schwere Strafen. Diese Strafbarkeit setzt voraus, daß der Eid von
einer zu seiner Abnahme ausdrücklich ermächtigten Behörde in den
gesetzlich zulässigen Fällen abgenommen werde. Die Ehrengerichte
haben nicht die Möglichkeit einer Eidesabnahme mit Rechtsfolgen,
da sie nicht durdi einen Akt der Staatsgewalt ausdrücklich anerkannt
sind. Das ehrengerichtliche Verfahren ist dem Strafprozeß zu ver-
f leichen, es soll eine Verletzung der Standespflicht sühnen. Im
trafprozeß ist nun dem Beklagten gegenüber die Abnahme des Eides
nicht gestattet, er hat sogar das Recht, objektiv die Unwahrheit zu
sagen, wenn es zu seinem Gunsten ihm nötig erscheint. Merkel
folgert daraus, daß auch im ehrengerichtlichen Verfahren die Ab¬
nahme einer ehrenwörtlichen Erklärung des Angeschuldigten nicht
zulässig ist. Die ehrenwörtlichen Erklärungen der Zeugen und Sach¬
verständigen lehnt Merkel ebenfalls ab. Sie seien teils belanglos,
weil Verletzungen des Ehrenwortes im Gegensatz zur Eidesverletzung
keinerlei strafrechtlichen Nachteil nach sich ziehen, teils gefährlich,
wobei er erinnert an die bekannten Täuschungen, Mißverständnisse
und Irrtümer, die dem Zeugen auch im ordentlichen Gericht bona
fide unterlaufen. Als Anhänger des Ehrenwortes im ehrengericht¬
lichen Verfahren gibt Bergeat ebenfalls einleuchtende Gründe an,
derentwegen er die oben angeführte zweite Fassung vertritt. Er
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
396
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 12
1
meint, das ärztliche Ehrengericht stehe um so einwandfreier nach
außen da, je mehr sein Verfahren sich dem der ordentlichen Ge¬
richte anschließe. Kein Gericht aber könne zur Feststellung der Wahr¬
heit besonders feierlicher Aussagen entraten; dem entspreche eben
im ehrengerichtlichen Verfahren aas Ehrenwort. Es bestehe weiterhin
ein Unterschied zwischen diesem Verfahren und dem der ordentlichen
Gerichte. Letztere setzen nur recht wenig bona fides voraus. Das
solle man jedoch nicht auch als Grundlage für ein Standesgericht
übernehmen. Nachgewiesene Unwahrheit verurteilten wir weit schär¬
fer als das ordentliche Gericht. Mir scheint dieses Hervorheben
der feineren Differenzierung in Standesgerichten sehr beachtenswert.
Wir sind in erster Linie Angehörige eines Standes und sollten uns
schon deswegen Vertrauen entgegenbringen. Die Gleichsetzung des
Standeslebens mit dem sonstigen öffentlichen Leben führt zur Ver¬
gröberung unserer gemeinsamen Grundlagen. Praktiken des politi¬
schen Wahlkampfes und halbe Lügen, die man so schön mit reservatio
mentalis umschreibt, lassen das ethische Niveau eines Standes schwin¬
den, machen Mißtrauen gegen den andern wie im politischen Leben
zur Pflicht, Kriegslisten zu einem Gebot der Selbstbewahrung. Dann
aber beginnt im Stande der Kampf aller gegen alle, und es wird
die Grundlage der Standesethik zerstört, die das Vertrauen auf die
Ehrlichkeit des andern zur Voraussetzung hat deswegen, weil das
Bewußtsein, demselben Stande anzugehören, die primäre Wertschätzung
des Fachgenossen bedingen sollte. Die Bezirksvereine werden den
Entwurf noch durchzuberaten haben, sie werden ihn kaum verbessern
können, sondern nur für dieses Stück gediegener und uneigennütziger
Arbeit der Kommission ihren Dank abstatten müssen.
Bekanntlich hat der bayrische Vertreter im Reichsrat den Gesetz¬
entwurf zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten abgelehnt, weil
er den religiös-sittlichen Grundsätzen eines großen Teiles des bayri¬
schen Volkes widerstreite. Daraus wäre zu folgern, daß Bayern ein
neues Reservatrecht ausfindig gemacht habe, das in höherer Religiosi¬
tät und Moral besteht. Ob das für die übrigen Deutschen eine
Schmeichelei ist, kann wohl kaum behauptet werden. Der Verfassungs¬
ausschuß befaßte sich mit einem Abänderungsvorschlag der Bayri¬
schen Volksnartei zu diesem Gesetzentwurf. Es soll dahin gewirkt
werden, daß die bewährten Bestimmungen des bayrischen Land¬
rechtes zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten beibehalten wer¬
den können, daß die Bestimmungen über die Straffreiheiten der
Gewerbsunzucht, der Wohnungskuppelei und der öffentlichen Reklame
für Mittel, die wegen Verhütung der Geschlechtskrankheiten, auch
der Verhütung der Empfängnis dienen, beseitigt werden. Weiterhin
soll die Regierung dafür Sorge tragen, daß gegen die Verhinderung
vori Geburten und Schwangerschaftsunterbrechungen so rasch als
möglich Gesetzesvorlagen im Reichsrat beantragt werden. Schließlich
solle dahin gewirkt werden, daß die gesetzlichen Mittel im Kampf
gegen die planmäßige und geschäftsmäßige Verhinderung von Ge¬
burten und Unfruchtbarmachung sowie Schwangerschaftsunterbrechun¬
gen mit allem Nachdruck angewendet werden.
Die medizinische Fakultät hat einen neuen reichen Zuwachs ihres
Apparats zu verzeichnen. Die neue Ohrenkllnlk ist nun seit einem
halben Jahre im Betriebe. Aus der alten Hebammenschule an der
Pettenkoferstraße ist sie mit geringen baulichen Veränderungen er¬
standen. Sie enthält 31 Betten für Ohrenkranke und ist somit eine
reine Ohrenklinik. Die sehr freundlichen hohen und hellen Räume
sind neu getüncht, Laboratorien und Operationsräume mit Zubehör
wurden eingerichtet, und es wurde mit verhältnismäßig geringen
Mitteln etwas sehr Ansprechendes geschaffen. Manche wissenschaft¬
liche Aufgaben bleiben den mustergültigen Laboratorien der unmittel¬
bar benachbarten Poliklinik Vorbehalten. Die neue Klinik gilt in
erster Linie den Kranken. Die große Belegungsziffer beweist, daß
die Schaffung dieser Klinik einem dringenden Bedürfnis entsprach.
Lange, wohl zu lange, hat München ein derartiges Institut entbehren
müssen. Die Bettenzahl ermöglicht nur die Aufnahme operativer Fälle.
In feierlicher Weise wurde kürzlich der Neubau der Chirurgischen
Klinik eingeweiht. Der Rektor führte aus, daß dieser Bau Sauer¬
bruch bewilligt sei, in strengem Sinne sein Bau sei; die Universität
habe Grund, sich nicht nur des neuen Baues, sondern seines Direktors
zu freuen, dessen eiserner Energie dieser Zuwachs zu danken sei;
gleichzeitig zeuge dieser Bau in ernster Zeit für die Kräfte, die das
deutsche Volk noch immer sein eigen nennen dürfe. Der Neubau,
ein Anbau an den ältesten Trakt nach Westen hin, enthält Operations¬
säle, Druckdifferenzkammer, Laboratorien, Bibliothek, Sammlungen
und Werkstätten. Er stellt ein in jeder Hinsicht glanzvolles modernes
Institut dar, das ebenso unserer Universität wie der Leistungsfähigkeit
unserer Technik das allerbeste Zeugnis ausstellt. Wie alle unsere
Institute, verbinden auch diese neuen Zweckmäßigkeit mit geschmack¬
voller Wirkung. Sie sind nicht nüchtern, allerdings auch nicht mehr
von der gewählten Eleganz der im Frieden erstandenen Bauten.
Diese Fähigkeit, Zweckbauten behaglich und geschmackvoll auszu¬
gestalten, ist noch immer ein Ruhmestitel unserer Stadt, etwas Eigenes
und deshalb Erfreuliches. Die künstlerische Wirkung wird oft nur
durch einen gut gewählten Farbanstrich, durch eine hübsch ange¬
brachte Bank, durdi eine in gewählter Form angebrachte Aufschrift
erzielt, gerade in der Beschränkung zeigt sich sehr oft hier der
Meister. Das ist gute Tradition — wir haben leider auch viel
schlechte. Aber gerade das Festhalten am guten Alten ist der Sinn
eines gesunden Konservativismus, nicht die sonst so oft gebrauchte
Gleichung: alt — gut. Um so mehr erweckt fes Befremden, daß bei¬
nahe ein Vandalismus zur Tat* geworden wäre, der allen, denen
München lieb ist, heftigste Gegenwehr zur Pflicht machte. Auf dem
Areal, wo der Glaspalast steht, sollte neben das alte klassische
Portal zum früheren botanischen Garten eine Bank gesetzt werden
ausgerechnet eine Bank. Aus der alten Frauenklinik hat man ein
Postscheckamt gemacht, jetzt will man hier eine Bank bauen, wir
scheinen im Geld zu ersticken. Dieser schauderhafte Plan rührt an
Münchens Bestes, an seine Vergangenheit; sie gilt es zu erhalten
um so mehr, als zur Zeit mehrere Musen unseres Isarathens teils
schlafen, teils Strümpfe stricken, jedenfalls wenig in Aktion treten.
Was aber ein guter Geist hier gerade an herrlichen Stadtbildern schuf,
darf nicht verhunzt werden, am wenigsten mit einer Bank. Neben
dieser wichtigen ästhetischen Frage spielt die hygienische eine Rolle.
Der alte botanische Garten ist für viele Menschen des Stadtinneni
der einzige freie grüne Platz; ihn sollten wir der Jugend und dem
Alter erhalten; in diesem Sinne haben die größten medizinischen
Vereine Stellung genommen, und es ist zu hoffen, daß diesmal
flacher Nützlichkeitssinn nicht siegt. Wenn jetzt so sehr auf die
Wichtigkeit von Handel und Industrie hingewiesen wird, muß man
die Rufer daran erinnern, daß die besten Gelegenheiten vor und
im Kriege in kleinlichem Unverstand verpaßt wurden, indem man
die bayrischen Wasserkräfte brach liegen ließ; das kann man nicht
einholen, wenn man zur Unterlassungssünde Zerstörungswut gesellt.
Taschenberg.
Brief aus Si Louis.
Am 1. I. waren es zwei Jahre, seitdem das vollständige Alkohol-
Verbot, hierzulande kurz „Prohibition“ genannt, in Kraft trat. Da
der einzige gesetzliche Weg, Alkohol oder, genau gesagt, Whisky zu
erhalten, ein ärztliches Rezept ist und die Regierung jedem Arzt,
der darum einkommt, alle drei Monate hundert Rezeptformulare zu¬
stellt, so hatte das Journal A.M.A. eine Rundfrage bei beinahe
60000 Aerzten veranstaltet, die sich auf alle Staaten des Landes ver¬
teilten und von denen über 30000 die Frauen beantworteten. Von
diesen sprachen sich 51 o/ 0 dahin aus, daß sie den Whisky als nötiges
Heilmittel betrachteten, während 49% behaupteten, er sei für die
Therapie vollständig entbehrlich. 26<>/o sprachen sich für die medi¬
zinische Wirksamkeit des Bieres aus, das allerdings so wie so nicht
verschrieben werden darf, während 74% diese leugneten. Ebenso
schlecht kam der Wein weg, ohne den die große Mehrheit fertig
werden 7U können behauptet. Als Krankheiten, bei denen der Whisky
in Betracht kommt, wurden hauptsächlich Influenza, Lungenentzündung
und Infektionskrankheiten genannt, erst in weitem Abstand Magen-
und Darmleiden, ferner Herzleiden, Diabetes und Shok, während die
Anhänger des Bieres dieses bei der Laktation, Anämie und Dyspepsie
empfehlen möchten. Ueber 20% behaupteten, daß viel unnötiges
Leiden’durch rechtzeitige Anwendung von Alkohol verhindert werden
könne, während ganz vereinzelte Stimmen laut wurden, die aus¬
sagten, sie hätten Todesfälle verhüten können, wenn ihnen recht¬
zeitig Alkohol zur Verfügung gestanden hätte. Die Anzahl der Aerzte,
die sich für Verordnung alkoholischer Getränke ausspricht, ist etwa
gleich groß wie die der Oegner. Bezeichnend ist es aber jedenfalls,
daß, wenn man nur die großen Städte berücksichtigt, die große
Mehrzahl für Alkohol ist, während bei den Landärzten gerade das
Gegenteil stattfindet.
So interessant das Ergebnis dieser Rundfrage ist,
so wenig bedeutet es für die ganze Frage des Alkohol¬
verbots überhaupt. Wir nehmen natürlich an, daß die Kollegen
die Fragen wahrheitsgemäß beantwortet haben, aber wie oft wird
nicht Alkohol verordnet, wo er nicht nötig ist! Jeder Arzt weiß,
daß oft genug Patienten zu ihm kommen in der Absicht, ihren
Whisky verschrieben zu erhalten, und weigert man sich, nun, so geht
der Betreffende eben zu einem andern Arzt, der seinen Wünschen
mehr entgegenkommt. Der Durchschnittsarzt kann sich überhaupt
nicht weigern, Whisky zu verordnen, wo dies gewünscht wird, will
er nicht einen großen Teil seiner zahlungsfähigen Kundschaft ver¬
lieren, nämlich gerade die Leute, bei denen der hohe Preis eines
solchen Rezeptes, gewöhnlich $ 3, nichts ausmacht. Der ärmere Teil
der Bevölkerung, bis weit in den Mittelstand hinein, brennt sich trotz
Verbotes und gelegentlicher Haussuchung seinen Schnaps selbst, der
dann allerdings oft genug von recht fragwürdiger Güte ist. Ich
kenne Gegenden in St. Louis, und in andern Großstädten wird es
nicht anders sein, wo in jedem vierten oder fünften Hause Schnaps
ebrannt wird, ohne derer zu gedenken, die ihren Wein und ihr
ier selbst herstellen. Die Anhänger der Prohibition weisen trium¬
phierend darauf hin, daß im letzten Jahre weniger Verhaftungen wegen
Trunkenheit vorgekommen sind als früher. Selbst wenn das stimmt
beweist es gar nichts. Der heimliche Suff gedeiht mehr als je, und
Leute, die früher mäßig Bier und Wein genossen haben, nehmen
jetzt ihre Zuflucht zu stärkeren Getränken, wovon man sich täglich
überzeugen kann. Auf die politischen, sozialen und ökonomischen
Folgen der Prohibition einzugehen, verbietet sich hier von selbst.
Das ganze Gesetz ist ein wahrer Rattenkönig von Heuchelei und
Korruption, und die Art und Weise, wie man versucht, es durch¬
zuführen, hat bewirkt, daß Amerika jetzt nicht mehr die Bezeichnung
„das Land der Freiheit“ verdient.
Gerade, wie ich dies schreibe, geht mir Nr. 3 dieser Wochen¬
schrift zu vom 19. I., aus der ich auf Seite 100 ersehe, daß ein eng-
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSITV
24. März 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
397
lischer Arzt, Sir Arthur Newsholme, auf Grund seiner Beob¬
achtungen zu andern Schlüssen gelangt ist; aber in seinen Behaup¬
tungen liegt mancher Fehler: so z. B. ist die Zahl der Aerzte, die
um eine Lizenz, Alkohol zu verschreiben, nachgesucht haben, be¬
deutend größer, als er angibt, und zudem steht in demselben Passus
die ganz richtige Mitteilung, daß die Zahl der Morphinisten be¬
deutend im Zunehmen begriffen ist, sicherlich auch eine Folge des
Alkoholverbots. Daß dasselbe abgeschafft wird, glaube ich auch
nicht, doch mehren sich täglich die Stimmen, die der Wiedereinr
führung von Bier und Wein das Wort reden. Ob diese Erfolg haben
werden, läßt sich noch nicht sagen. Ich bin der Letzte, der dem
Alkoholismus das Wort redet. Auch ich halte seine Bekämpfung für
angezeigt, aber man soll nicht das Kind mit dem Bade ausschütten,
wie man es hier getan hat. Im übrigen befinde ich mich in Ueber-
einstimmung mit der überwältigenden Mehrheit der deutsch-amerikani¬
schen Aerzte, die allerdings darin im Gegensatz zu vielen anglo-
amerikanischen Kollegen stehen.
Dem J.A.M.A. zufolge sind im vergangenen Jahre von den
160000 Aerzten, die in Kanada und den Vereinigten Staaten waren,
2300 gestorben, eine Aerztesterblichkeit von 14,65°/q, bei einer Gesamt¬
sterblichkeit in beiden Ländern von 15,05°/o der Bevölkerung. Während
es einer auf 101 Jahre brachte, starben mehr im 66. als in einem
andern Lebensjahre. 426 erlagen Herzleiden, 128 hatten Karzinom,
97 kamen durch Unfälle, 19 durch Mord und 69 durch Selbstmord
um, und einer ward wegen Mordes auf dem elektrischen Stuhle hin-
gerichtet. Gewiß eine interessante Statistik.
Die Besudle dentscber Gelehrter werden wieder häufiger, doch
kommen die Herren bisher weniger aus Deutschland als aus Oester¬
reich. Prof. Pirquet hat im Osten des Landes als geladener Gast
Vorträge gehalten, die sich großen Beifalls erfreuten. Dr. Karl
Landsteiner aus Wien, zuletzt im Haag tätig, hat einen Ruf als
Mitglied des wissenschaftlichen Stabes des Rockefeiler Institute for
Medical Research in New York erhalten und angenommen. Der
berühmte Augenarzt Prof. Ernst Fuchs aus Wien hat im ganzen
Lande Vorlesungen gehalten und gibt gerade jetzt (Februar) auf
Einladung der hiesigen ophthalmologischen Gesellschaft einen mehr¬
wöchigen Vorlesungskurs in St. Louis, zu dem Fachärzte auch von
auswärts, einige sogar aus weiter Entfernung herbeigeeilt sind.
Das meiste Interesse knüpft sich aber an den Besuch von Prof.
Lorenz aus Wien, der seine Tätigkeit bisher allerdings auf Neuyork
beschrankt hat. Er ist hierzulande kein Fremder, da er vor vielen
Jahren nach Chikago berufen war, um die Tochter des Multimillionärs
Armour zu behandeln, die an kongenitaler Luxation des Hüft¬
gelenks litt. Die Behandlung war erfolgreich, und Prof. Lorenz
wurde damals offiziell zur Ausübung der Praxis im Staate Illinois
zugelassen. Er kam dieses Mal hierher, um, wie er sich ausdrückte,
in praktischer Form seinen Dank abzustatten für die Hilfe, die von
Amerika den Kindern in Wien zuteil geworden war. Man stellte
ihm anfangs bereitwillig eine Klinik zur Verfügung, zu der sich
verkrüppelte Kinder aller Art in Scharen drängten und in der er
von morgens bis abend angestrengt, zuweilen bis zu köiperlicher
Erschöpfung, tätig war. Da gelegentlich auch, wie das nicht aus-
bleiben konnte, zahlungsfähige Leute kamen, die er nicht abweisen
konnte, so hieß es bald, er habe ab und zu Bezahlung angenommen,
was ihm schließlich doch nicht zu verdenken wäre. Dennoch regten
sich dadurch der Neid und die Eifersucht einiger Kollegen, die zum
Sturm bliesen, was um so leichter ging, als sich hier eine schöne
Gelegenheit darbot, der Sache ein patriotisches Mäntelchen umzu¬
hängen, denn auch hier gibt es eine Sorte von Leuten, die, wie
Heine sagt,
Um die Herzen zu rühren,
Den Patriotismus trägt zur Schau
Mit allen seinen Qesdiwüren.
Prof. Lorenz wollte daraufhin zuerst seine Tätigkeit einstellen.
Da aber die Presse und einige der ersten Aerzte des Landes außer¬
halb Neuyorks sich auf seine Seite stellten, besann er sich eines
Bessern und setzt seine segensreiche Tätigkeit unermüdet fort.
Auch indirekt kommt diese seine Tätigkeit so manchem Kinde
zugute. Durch den Zulauf, den er in Neuyork hatte, wurde man auch
in andern Städten auf die große Zahl verkrüppelter Kinder aufmerk¬
sam, um die sich bisher die Aerzte wenig oder gar nicht gekümmert
hatten, um so weniger, als es sich meistens um arme Kinder handelte
und noch dazu um solche, die aus Italien und Osteuropa stammten
und deren Eltern der englischen Sprache nicht mächtig waren. Hier
in St. Louis ging daraufhin die Medical Society mit gutem Beispiel
voran. Sie ernannte einen Ausschuß von Fachärzten und erließ in
den Zeitungen einen Aufruf in mehreren Sprachen, in dem alle
verkrüppelten Kinder aufgefordert wurden, sich an bestimmten Tagen
zwecks genauer Untersuchung im Oebäude des Vereins einzufinden.
Der hiesige Automobilklub stellte allen diesen Kindern seine Wagen
frei zur Verfügung. Es fanden sich zwischen 200 und 300 Kinder
ein. Während etwa 10o/o von diesen für unheilbar erklärt wurden,
wurde den andern Heilung oder doch Besserung in Aussicht ge¬
stellt durch eine Behandlung, die sich allerdings über eine lange
Zeit erstrecken muß. Zu diesem Zwecke wurden die Kinder auf
mehrere Hospitäler verteilt, und die Schulbehörde zeigte ihr Ent¬
gegenkommen dadurch, daß sie versprach, ihrerseits für den Unter¬
richt dieser Kinder Sorge zu tragen, der bisher stark vernachlässigt
war. In andern Städten, wie z. ß. Kansas City, ist man dem guten
Beispiel von St. Louis gefolgt. Da aus allen Teilen des Landes Nach¬
richten einliefen von einer großen Anzahl behandlungsbedürftiger
Kinder, so wurde von den Shriners (einem hohen Grade der Frei¬
maurer) hier in St. Louis, als dem am meisten zentral gelegenen
Punkte des Landes, ein großes Hospital gestiftet, das allen verkrüp¬
pelten Kindern unentgeltlich offenstehen soll. Mit seinem Bau wird
demnächst begonnen. So wird in St. Louis nicht nur um ein großes
Hospital reicher, sondern die Arbeit des Prof. Lorenz kommt auf
viele Jahre hinaus Hunderten armen Krüppeln zugute. „Wie doch
aus einer guten Tat so viele gute Taten fließen!“
Noch ein anderes Hospital kommt auch nach St. Louis, nämlich
das große Krankenhaus für Soldaten, die im Kriege dauernd ge¬
schädigt sind oder doch noch einer langen Nachbehandlung bedürfen.
Für seinen Bau hat der Kongreß vor kurzem eine bedeutende Summe
ausgesetzt
Daß die Deutsch-Amerikaner mit ihren Sammlungen znm Besten
deutscher Kinder fortfahren, war schon in Nr. 3 dieser Zeitschrift
erwähnt. Man gibt tatsächlich gern und mit offenen Händen, trotz
des Geschäftsstillstandes und großer Arbeitslosigkeit, denn die Bitt¬
gesuche nehmen schier kein Ende und kommen aus allen Gegenden.
Es scheint beinahe, als ob alles schließlich doch nur ein Tropfen
auf den heißen Stein ist, dennoch hoffen wir, daß unsere Bemühungen
wenigstens einem Teil zugutekommen, damit das heranwachsendö
Geschlecht nicht an Unterernährung und Tuberkulose zugrundegeht,
denn mehr als je braucht die kommende Zeit auch Männer.
Emil Simon.
Kleine Mitteilungen.
— Berlin. Der Hauptausschuß des Reichstags be¬
schäftigte sich am 13. III. bei der Fortsetzung der Beratung über den
Haushalt des Reichsministeriums des Innern mit dem Reichs-
gesundheitsamt. Dr. Moses (U.S.P.) beantragte die Errichtung
eines selbständigen Reichsministeriums für Volksgesundheit unter
fachmännischer Leitung. Der Berichterstatter Prof. Orot j ahn
(S.P.) verlangte gleichfalls eine Reichszentralbehörde für die Ge¬
sundheitspflege, und zwar durch Angliederung des Reichs-
gesu ndheitsamt es an das Reichsarbeitsministerium.
Es müsse aus einer Untersuchungs- und Gutachterstelle ein Ver¬
waltungsamt gemacht werden. Dies sei erforderlich, da jetzt nicht
mehr wie früher die Gesundheitspflege im wesentlichen durch Preußen
gefördert werde. Auf wissenschaftlichem Gebiete leiste das Reichs¬
gesundheitsamt nur wenig, so würde z. B. die Sozialhygiene nicht
genügend berücksichtigt. Außer einigen Abgeordneten (Zentrum und
Demokraten) widersprach auch Reichsminister des Innern Dr. Köster
den Anträgen. Die Aufgaben der sozial-hygienischen Fürsorge dräng¬
ten zwar zur Zentralisierung, doch sei der Zeitpunkt noch zu früh.
Wenn es auch der Oeffentlichkeit natürlich verborgen bliebe, so
habe das Reichsgesundheitsamt außerordentlich viel an gesetzgeberi¬
scher Initiative geleistet. Folgende Gesetze seien in Vorbereitung:
zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, zur Aenderung des Wein¬
gesetzes, Tuberkulose-, Nahrungsmittel-, Irren-, Reichsapotheken-,
Feuerbestattungs-, Abwässer-, Alkoholmißbrauch-, Reichsbeschau-,
Krankenpflege-, Säuglingssterblichkeitsgesetz, Prüfungsordnung für
Aerzte, Tierärzte unaNanrungsmittelchemiker, Alkoholfonds, Tuberku¬
losefonds. Der Minister wird dem Reichstag eine Denkschrift über eine
evtl. Umorganisierung des Reichsgesundheitsamtes und über die Ver¬
einheitlichung der augenblicklich in verschiedenen Ministerien be¬
arbeiteten Aufgaben vorlegen. Präsident Bumm erklärte gegenüber
den Angriffen, daß die Verwaltungsmaßnahmen in der Gesundheits¬
pflege ausreichend seien. Das ergäbe sich daraus, daß Tuberkulose,
Pocken, Ruhr, Typhus und Geschlechtskrankheiten in Deutschland
nicht stärker verbreitet seien als beispielsweise in Frankreich, Däne¬
mark usw. Noch niemals seien Seuchen glücklicherweise in derart
geringem Maße einem ungeheuren Kriege gefolgt wie dem Welt¬
kriege. Auch die wissenschaftlichen Arbeiten des Reichsgesundheits¬
amtes seien insofern erfolgreich gewesen, als in ihm der Cholerabazil¬
lus, der Tuberkelbazillus und der Erreger der Syphilis entdeckt worden
seien. Erst kürzlich sei es gelungen, den Erreger der Maul- und
Klauenseuche zu züchten und damit die Basis für die Immunisierung
der Tiere zu finden. Prof. Grotjahn betonte, daß er niemals die
glorreiche Vergangenheit des Reichsgesundheitsamtes bestritten hätte;
die neue Zeit stelle aber neue Aufgaben, die nicht so sehr auf dem
Gebiete der Seuchenbekämpfung lägen, wie auf dem Gebiete des
sozialhygienischen Fürsorgewesens. Die Bekämpfung des Seuchen¬
wesens sei eben der modernen Medizin zum größten Teil bereits
gelungen. Die Reichsregierung möge Vorarbeiten treffen, für eine
Umgestaltung der Schutzpockenimpfung im Sinne der
Einführung der englischen Gewissensklausel (!) und der Haft¬
pflicht des Reiches für nachgewiesene Impfschäden, sowie der Auf¬
hebung der Wiederimpfung. Der Hauptausschuß lehnte
diesen Antrag jedoch ab. Angenommen wurde ein Antrag
des Abg. D. Schreiber (Z.), der die Vorlegung einer Denk¬
schrift über die Gesamtaufwendungen des Reiches und der Län¬
der für die bestehenden Organisationen in der Tuberkulose¬
bekämpfung wünschte. Zur Förderung der Bekämpfung
des Typhus wurden 750000 M. bewilligt. Als Beitrag zu den
Unterhaltungskosten der Anstalt für die Bekämpfung der
Säuglingssterblichkeit wurden 2 Millionen Mark gewährt;
□ igitized by Google
Original from
CORUELL UNIVERSITY
398
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
Nr. 12
der gleiche Betrag wurde für die Bekämpfung der Säuglingssterb¬
lichkeit und für die Kleinkinderfürsorge im Deutschen Reiche be¬
willigt. Zur Bekämpfung der Tuberkulose bewilligte der Haupt¬
ausschuß 3 Millionen Mark. — Beim Kapitel „Notgemeinschaft
der deutschen Wissenschaft“ begründete Abg. D. Schreiber
(Z.) den von fast allen Parteien Unterzeichneten Antrag, den For¬
derungsbetrag für die Notgemeinschaft von 20 Millionen Mark auf
40 Millionen Mark zu erhöhen. Die deutsche Wissenschaft befinde sich
in ernster Not. Der Hauptausschuß bewilligte die 40 Millionen Mark.
— Der Reichstag hat in seiner Sitzung am 10. III. den § 1 des
Branntwein-Monopolgesetzes angenommen. § 118 will
30 Millionen zur Bekämpfung der Trunksucht und solcher der
Volksgesundheit drohenden Schäden aussetzen, die mit dem mi߬
bräuchlichen Branntweingenuß Zusammenhängen, insbesondere Tuber¬
kulose und Geschlechtskrankheiten.Ueber die Verteilung dieser
Summe entstand eine lebhafte Auseinandersetzung. Es wurden be¬
sonders Vergünstigungen für die Krankenkassen verlangt.
— Auf Grund der vom Reichsgesundheitsrat angeregten Ma߬
nahmen zum Schutz gegen Tuberkulose der in Kranken¬
anstalten beschäftigten Krankenpflegepersonen haben
nunmehr alle Länder entsprechende Weisungen erlassen.
— Die deutsche Regierung hat den Direktor im Reichsgesund¬
heitsamt Dr. Frey und Geh.-Rat Prof. Otto zu Vertretern bei der
europäischen Konferenz zur Bekämpfung der Epide¬
mien in Osteuropa ernannt. Die Konferenz ist am 20. UI. in
Warschau zusammengetreten.
— Einen höchst unerfreulichen Beitrag zu der augenblicklichen
Notlage der deutschen Wissenschaft liefert die Finanzlage
des Kaiserin Friedrich-Hauses für das örztliche Fort¬
bildungswesen. Entstanden aus Stiftungen, vom Staate nur sehr
gering subventioniert, hat das Kaiserin Friedrich-Haus bis jetzt eine
außerordentliche Unterstützung eriahren durch die Dozenten, die ihre
Vorträge dort unentgeltlich hielten. Heute reicht aber der Etat des
Kaiserin Friedrich-Hauses nicht mehr für die einfachsten Lebens¬
bedürfnisse aus. An eine Erhöhung der staatlichen Unterstützung
ist nicht zu denken. Hier müßte die private Wohltätigkeit eingreifen,
ähnlich wie in anderen Staaten. Rockefeiler hat 45 Millionen Dollar
für die ärztliche Fortbildung in Amerika gestiftet. Vielleicht finden
sich auch im neuen Deutschland unter den Reichgewordenen, Reich-
f ebliebenen und Reichergewordenen Männer, die ohne Aussicht auf
itel und Orden für die Förderung der ärztlichen Wissenschaft Mittel
zur Verfügung stellen.
— Die Tarifsätze für die Kreisärzte und für die
Chemiker bei gerichtlichen und medizinalpolizei¬
lichen Verrichtungen sind in Preußen durchweg um
900o/o erhöht worden. Die Erhöhung gilt mit Wirkung vom
1. III. ab.
— Die Lupuskommission des Deutschen Zentral¬
komitees zur Bekämpfung der Tuberkulose hat der
Lupusheilstätte in Gießen auf ihren Antrag 20000 M. be¬
willigt. Nach dem Voranschlag für 1922 wird mit einem Fehlbetrag
von -300000 M. gerechnet, der zur Hälfte durch eine Beihilfe des
hessischen Staates, zur anderen Hälfte durch private Beihilfe gedeckt
werden soll.
— Gegen den unbegreiflichen Beschluß des Magistrats von Groß-
Berlin, zur Ersparung von Ausgaben die städtischen Volks¬
schulen nur wöchentlich einmal reinigen zu lassen,
erheben sich zahlreiche Proteste aus der Einwohnerschaft. Die Schul¬
ärzte haben an den Oberstadtschulrat folgende Erklärung gerichtet:
„Der Zweckverband sämtlicher nebenamtlich angestellten Schulärzte
Groß-Berlins erhebt Einspruch gegen die jetzt eingeführte verminderte
Reinigung der Schulräume. Die Schulen sind jetzt schon so ver¬
schmutzt, daß für die Gesundheit der Schüler und Lehrer ernste Ge¬
fahren entstehen. Die Wiedereinführung der täglichen Reinigung
aller Schulräume erscheint daher als unumgängliche Notwendigkeit.“
— Um die durch einen wochenlangen Streik der Müll¬
kutscher hervorgerufene Verunreinigung der Haushöfe endlich zu
beseitigen oder wenigstens zu mildern, ist auf Veranlassung des
Polizeipräsidenten in der vorigen Woche die Technische Nothilfe
eingesetzt worden. Insgesamt sind seitens der Technischen Nothilfe,
zunächst in den Krankenhäusern und ähnlichen öffentlichen Anstalten,
vom 4. bis 13. III. in 606 Fahrten 19818 Kästen abgeholt worden, was
der Ladung von II 31/2 Eisenbahnwaggons entspricht. Daraufhin schei¬
nen sich die Herren Müllkutscher bereit zu finden, ihre „fürstlichen“
Honorarforderungen zu ermäßigen und mit der Arbeit zu beginnen.
— Der Vorstand des L.V. beschloß auf den Antrag von Hart¬
mann die Gründung einer Aerztefrauen-Begräbniskasse.
— Der Kurpfuscher Otto Wickert, „Biologe und Iridologe“, nennt
sich Privatdozent für Irisdiagnose. Die Kommission zur
Bekämpfung des Kurpfuschertums hat diese mißbräuchliche Titel¬
führung der Polizei mitgeteilt. Mit welchem Erfolge, werden wir
wohl nach sonstigen Erfahrungen in noch nicht absehbarer Zeit hören.
— Die Zahl der Kurpfuscher hat sich seit Kriegsende um
6 OO 0/0 vermehrt.
— Auf eine Einladung der Medizinischen Fakultät in Barcelona
wird Prof. A. Bickel (Berlin) im April dort Vorlesungen halten und
seine Operationen zur normalen und pathologischen Physiologie der
Verdauungsorgane demonstrieren. Die freundschaftlichen Beziehungen
zwischen den spanischen und deutschen — namentlich wissenschaft¬
lichen — Aerztekreisen werden durch diese Einladung aufs neue
beleuchtet.
— Fleckfieber. Deutsches Reich (26. II—4 III. mit Nachträgen): 15 (21). —
Genickstarre. Deutsches Reich (5. II.—II. II.): 22. — Ruhr. Deutsches Reich
(5. II.—11. II.): 64. — Abdominaltyphus. Deutsches Reich (5. II.—II. .1.): 141.
— Heydekrug. Im Kreise sind sieben Fälle von Pocken vor¬
gekommen, von denen zwei tödlich verliefen. Dje Pocken sind in
Litauen aufgetreten und eingeschleppt worden. In den Grenzgebieten
Litauens herrschen überall die schwarzen Pocken.
— Mannheim. Prof. Holzbach, früher Priv.-Doz. in Tübin¬
gen, wurde zum Leiter der neu errichteten Geburtshilflich-
gynäkologischen Abteilung der städtischen Kranken¬
anstalten ernannt, zum Leiter des ebenfalls neu errichteten Säug-
lingskrankenhauses und der allgemeinen Säuglingsfürsorgc Prof. Heß
(Frankfurt).
— München. Da eine fortgesetzte Steigerung der kriminellen
Aborte feststellbar ist, hat die bayerische Regierung durch Verordnung
vom 24.11. Quellstifte aus Laminaria, Pupeloholz usw.
unter Rezeptzwang gestellt.
— Stuttgart. Am 13. III. wurde in der Aula der Technischen
Hochschule das erste deutsche Hochschullaboratorium für Rönt¬
gentechnik eröffnet Die deutsche Röntgenindustrie hat dazu Apparate
im Werte von über 1 Million Mark kostenlos zur Verfügung gestellt.
— Hochschulnachrlchten. Berlin. Dr. Halberstädter hat sich
für Dermatologie, Dr.^Mosler für Pharmakologie. Dr. Pribram für
Chirurgie, Dr. Unverricht und Dr. Wolff-Eisner für Innere
Medizin habilitiert. — Bonn. Priv.-Doz. Elz erhielt die Dienst¬
bezeichnung a. o. Professor. — Gießen. Prof. Brüggemann hat
einen Ruf als Ordinarius für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde er¬
halten. — Greifswald. Prof. Solger, ehemaliger Extraordinarius
für Anatomie, beging am 12. d. M. das fünfzigjährige Doktorjubiläum.
— Königsberg. Prof. Meves (Hamburg) hat einen Ruf als Nach¬
folger Keibels als Ordinarius für Anatomie erhalten. — Marburg.
Als Nachfolger des verstorbenen Prof. Lö h 1 e i n sind für den Lehrstuhl der
Pathologie primo et aequo locoVersö (Charlottenburg) und Schultze
(Braunschweig) inVorschlag gebracht. —Stuttgart. Priv.-Doz. Gl ocker,
Vorstand des neuen Röntgenlaboratoriums an der Technischen Hoch¬
schule, erhielt die Dienstbezeichnung a. o. Professor. — Basel. Prof.
Hedinger erhielt einen Ruf als Nachfolger Busses auf den Lehr¬
stuhl für Pathologie und Anatomie.
. — Gestorben. Dr. Riffel, a. o. Professor der Hvgiene an der
Technischen Hochschule in Karlsruhe, im Alter von 90 Jahren.
— Literarische Neuigkeiten. Im Verlage von Georg Thieme
(Leipzig): Rezepttaschenbuch snarsamer Arzneiverorduungen für Pri¬
vat- und Krankenkassenpraxis (Preise nach dem Stande vom 1 . II. 1922).
Von Prof. Dr. Franz Müller (Berlin) und Oberapotheker Alfons
Koffka (Berlin-Wilmersdorf). Dritte vermehrte und verbesserte Auf¬
lage. Preis M. 16.50, flexibel geb. M. 21.—. Mit Schreibpapier durch¬
schossen M. 20.—, flexibel gebunden M. 27.—. Vorstehende Preise
sind innerhalb Deutschlands zuschlagsfrei.
Um der fortschreitenden Bedeutung, die die Soziale Hygiene in
dem Vorstellungskreis und in der Berufsarbeit nicht nur des rursorge-
arztes, Verwaltungshygienikers sowie ähnlicher Sondergruppen, son¬
dern auch des praktischen Arztes gewonnen hat, Rechnung zu tragen,
werden wir vom April ab unsererWochenschrift allmonatlich eine
Sozialhygienische Rundschau
beigeben. In dieser Sonderbeilage sollen — mehr als bisher in unserer
Literaturübersicht und mehr als ln einer der anderen allgemeinen Zeit¬
schriften — die einschlägigen Aufsätze über soziale Jugend-, ins¬
besondere Säuglingshygiene, Alkohol-, Tuberkulose-, Geschlechts¬
kranken- und sonstige Füftorge referiert werden. Daneben sollen
gelegentlich kurze Originalmitteilungen gleicher Art Platz finden.
Die Schriftleitung dieser Sozialhygienischen Rundschau hat Herr
Prof. Rott, Direktor im Kaiserin Auguste Viktoria-Haus zur Bekämp¬
fung der Säuglingssterblichkeit im Deutsdien Reich, und insbesondere
Leiter des daselbst befindlichen Organisationsamts für Säuglingsschutz,
übernommen. Als Begründer und Vorsitzenderder „Arbeitsgemeinschaft
sozialhygienischer Vereine“ hat er reichliche Gelegenheit, einen dauern¬
den Ueberblick über alle sozialhygienischen Veröffentlichungen zu
gewinnen und für die von ihm geleitete Sonderbeilage unserer Wochen¬
schrift zu verwerten. J- S.
— Berichtigung. Zu der von Rickmann in Nr. 9 S. 284 ver¬
öffentlichten Statistik über 260 Patienten ist noch nachzutragen, daß 15 K^nke
(=5*7%) die Anstalt unverändert oder verschlechtert verließen.
— Auf Seite 14 des Inseratenteil«» ist ein Verzeichnis der bei der Redsktlon
zur Rezension eingegangtnen Bücher und Abhandlungen enthalt«.
Digitized b'
Google
Original from
CORNELL UNiVERSny
LITERATURBERICHT
Redigiert von Prof. Dr. R. von den Velden.
Zeitschriften: Klinische Wochenschrift Nr. 9- — Münchener medizinische Wochenschrift Nr. 9 . — Wiener klinische Wochenschrift Nr. 7 . — Zentralblatt für
allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie Bd. 32 H. 5-9- — Zentralblatt für Bakteriologie Bd. 87 H. 7*8. — Zentralblatt für Chirurgie Nr. 4. —
Deutsche Zeitschrift für Chirurgie Bd. 168 . — Zentralblatt für Gynäkologie Nr. f- 2 . — Zeitschrift für Urologie Bd. 16 H. t. — Zeitschrift für Kinderheil¬
kunde Bd. 31 H. 1-4.
Naturwissenschaften.
♦♦ H. P. Kaufmann (Jena), Lehrbuch der Chemie für Medi¬
ziner und Bloogen. 1. Anorganischer Teil. Leipzig, B.Q.Teubner,
1921. Mit 21 Abbildungen. 156 Seiten mit einem Anhang: Anleitung
zur Ausführung einfacher Versuche im Chemischen Praktikum. 41 Seiten
mit 8 Abbildungen. M. 30.—. Ref.: L. Michaelis (Berlin).
Ein knappgefaütes Lehrbuch der Chemie für die Zwecke des
elementaren Unterrichts der Mediziner. Der Stoff ist von einem
offensichtlich mit reicher Lehrerfahrung ausgerüsteten Chemiker nach
didaktischen Prinzipien zusammengestellt. Die allgemeine und theo¬
retische Chemie ist nicht in besonderen Kapiteln abgehandelt, son¬
dern zerstreut an geeigneten Stellen in ganz elementarer Weise an¬
gebracht, wie es für den ersten chemischen Unterricht zweifellos
sehr zweckmäßig ist. Trotz der großen Knappheit ist die Dar¬
stellung leicht verständlich und klar, der im Anhang gegebene Leit¬
faden für das chemische Praktikum zweckmäßig. Medizinisch wich¬
tige Verbindungen sind überall besonders hervorgehoben: ein sehr
nützliches Buch für den Studenten.
Geschichte der Medizin.
++ Gustav Budjuhnf, Die Zene Arznei 1530. Quellen und
Beiträge zur Geschichte der Zahnheilkunde H. II. Ausgewählt und
erläutert von Kurt Proskauer (Breslau). Berlin, Hermann
Meusser, 1921. 123 S. M. 60.—. Ref.: Mamlock (Berlin).
Nicht um zur Lektüre des eigentlichen Gegenstandes, des äl¬
testen zahnheilkundlichen Druckes, zu veranlassen, sei auf diese
Schrift hingewiesen. Trotz typographisch glänzender Reproduktion
des ersten Druckes von 1530 und der faksimilierten Titelblätter der
späteren, die Sud hoff nebst einem besonderen Vorwort beigefügt
hat, wird die Abhandlung an sich nur dem historisch Interessierten
etwas sagen. Aber die Bearbeitung Budjuhns, eines offenbar
ungewöhnlich befähigten, mit 30 Jahren tödlich verunglückten Arztes
und Zahnarztes, ist ein seltenes Muster gründlichster Gelehrtenarbeit.
Man wird stellenweise an Lcssings kritische Abhandlungen er¬
innert, wenn man dem Autor auf seinen äußerst scharfsinnigen, bis
ins Kleinste alles sorgfältig abwägenden Darlegungen folgt. Zu¬
statten kam ihm hierbei, daß er erst Neuphilologie studiert hatte
und daher die Methoden der Textkritik und Quellenforschung be¬
herrschte. Es ist ein Vergnügen, dem geistreichen Verfasser bei der
Erklärung der Schrift, der Ermittelung ihrer Abfassungszeit, des
Verfassers, der Quellen, der Drucke und ihrer Bedeutung zu folgen.
Hier hat man wirklich mal eine vorbildliche Leistung zu rühmen, und
das Werk lobt den Meister.
Anatomie und Physiologie.
H. Homma (Wien), Gitterfasern in normaler menschlicher Hant.
W. kl. W. Nr. 7. Mit der Silberimprägnation von Maresch-Biel-
schowsky konnten an folgenden Stellen regelmäßig Gitterfasern lim
Sinne von Rößle und Yoshida) nachgewiesen werden: 1. um die
Querschnitte von Schweißdrüsentubuli zirkulär angeordnet, 2. in der
Wand der kleinen Arterien sowohl radiär wie zirkulär, 3. im Stratum
subepitheliale (stäbchenförmige Gebilde, die nicht in die Basalzellen¬
schicht hineinreichen). Weder Eiastin- noch Duerksche Färbung konnte
die gleichen Gebilde zur Darstellung bringen.
G. Embden (Frankfurt a. M.), Kohlenhydratabbau im Tierkftrper.
Kl. W. Nr. 9. Der Abbau der Kohlenhydrate im Tierkörper zerfällt
in zwei Phasen. 1. Die Bildung von Milchsäure über eine Triose
(Glyzerinaldehyd) als Intermediärprodukt und 2. die ^an der Milchsäure
sich vollziehenden wesentlich oxydativen Prozesse. Im biologischen
Sinne ist die Glyzerinbildung beim Abbau der Kohlenhydrate*ein wich¬
tiger, ja vielleicht der einzige Weg, der von den Kohlenhydraten zu
dem einen der beiden charakteristischen Bestandteile des Neutralfettes
führt. Bei der Triosebildung aus Traubenzucker wie bei der Milch¬
säurebildung aus Triose handelt es sich um reversible Reaktionen;
das Gleiche gilt für die Glyzerinbildung aus Triose. Der oxydative
Abbau der Milchsäure geht über Brenztraubensäure-Azetaldehyd und
Essigsäure. Ueber welche Zwischenstufen die Oxvdation der Essig¬
säure erfolgt, die wahrscheinlich nicht nur ein Abbauprodukt der
Kohlenhydrate, sondern auch ein solches der am Aufbau der
Neutralfette beteiligten Fettsäuren und mancher Aminosäuren ist, ist
noch unbekannt Die Reversibilität der Reaktionen beim Kohlenhydrat¬
abbau reicht auch noch in die oxydative Phase hinein. An den drei
Intermediärprodukten mit Karbonylgruppen vollziehen sich auf Seiten¬
wegen biologisch wichtige Reaktionen. (Triose ^ Glyzerin; Brenz-
traubensäure d Alanin; Azetaldehyd Aethylalkohol.
H. J. Hamburger (Groningen), Permeabilität der Glomerulns-
membran für stereoisomere Zucker mit besonderer Berücksichti¬
gung von Galaktose. Kl. W. Nr. 9. Die Glomerulusmembran ist im¬
stande, zwei Zuckerarten quantitativ voneinander zu trennen. In Gemi¬
schen von Glukose und Lävulose und von Glukose und Laktose wurde
die Glukose quantitativ zurückgehalten, während die Lävulose und
Laktose vollständig passierten. Die d-Galaktose zeigte partielle Reten¬
tion. Die Ursache hierfür ist darin gelegen, daß in wässrigen Lösungen
die d-Galaklose in zwei Modifikationen vorkommt, von denen die eine
Form zurückgehalten wird, die andere nicht. Die Untersuchungen be¬
stätigen auch von physiologischer Seite unsere Auffassung über die
Existenz der Stereoisoinerie. Das Studium der partiellen Retention hat
gelehrt, die Multirotation zeigenden Zucker nicht mehr als einen aus bio¬
logischem Gesichtspunkt einheitlichen Stoff zu betrachten.
Allgemeine Pathologie und Pathologische Anatomie.
♦♦ L. Krehl (Heidelberg) und F. Marchand (Leipzig), Handbuch
der allgemeinen Pathologie. Leipzig, S. Hirzel, 1921. Ref.:
W. Groß (Greifswald).
Dieses groß angelegte und von den besten Mitarbeitern unter¬
stützte Handbuch, dessen Bedeutung schon daraus zu erkennen ist,
daß eben Krehl und Marchand, der Kliniker und pathologische
Anatom sich zur Herausgabe vereinigt haben, ist wohl auch durch
den Krieg und seine Folgen in seinem Erscheinen stark verzögert
worden. Um so erfreulicher, daß jetzt wieder ein neuer Band heraus¬
gekommen ist. Während zunächst der schon länger zurückliegende
1. Band die allgemeine Aetiologie in einer Reihe sehr guter Einzel¬
darstellungen gebracht hatte, behandelte der 2. Band die Kreislauf¬
störungen nach allen anatomischen und funktionellen Gesichtspunkten,
die Pathologie der Atmung und teilweise der Sekretion (Haut¬
sekretion, Gallen- und Pankreassekretion, Gallen- und Pankreassteine).
Er enthält ferner eine allgemeine Darstellung der Störungen der
psychischen Funktionen una des Gesichtssinnes. Alle diese einzelnen
Aufsätze sind schon längere Zeit jedem unentbehrlich, der auf dem
betreffenden Gebiet arbeitet. In der ersten Hälfte des 3. Bandes hatte
Ernst die Pathologie der Zelle und die Bedeutung der Zellular¬
pathologie auf breitester Grundlage behandelt und dieses Problem
in Verbindung gebracht mit all den vielen neuen Forschungsergeb¬
nissen, die seit Virchow zur Einordnung in die Zellularpathologie
drängten. Es folgte dann noch eine Darstellung der Lehre von der
Atrophie und Aplasie durch Mönckeberg, die die vielfachen Wand¬
lungen der Anschauungen auf diesem Gebiet erkennen läßt. Die kürz¬
lich erschienene zweite Hälfte des 3. Bandes bringt von Ernst eine
Darstellung der Nekrose, die die Probleme des Lebens, der Nicht¬
sterblichkeit der Einzelligen, des allgemeinen Todes und des ört¬
lichen Gewebstodes mit seinen wechselnden Ursachen behandelt;
ferner eine sehr klare und erschöpfende Darstellung des Kalk- und
Hamsäurestoffwechsels und seiner Störungen, die verschiedenen Be¬
dingungen der Verkalkung und Harnsäureablagerung von M. B.
Schmidt und zuletzt eine Uebersicht über die Pigmente von Hu eck
mit kritischer Behandlung der Untersuchungsmethoden und ihrer
Leistungsfähigkeit.
B. Klar fei d (Leipzig), Pathologische Anatomie des Gehirns in
ihren Beziehungen zur Psychiatrie. M. m. W. Nr.9. Uebersichts-
referat über das bisher mit histologischen, mikrochemischen und
farbenanalytischen Methoden Erreichte. Medizinische Gesellschaft zu
Leipzig, Dezember 1921.
K. A. Heiberg, Zur Kenntnis des Tuberkels beim Menschen.
Zbl. f. Path. 32 Nr. 6. ln etwas unklaren Auseinandersetzungen wird
an der Hand von Abbildungen über die Vorstadien der gewöhnlichen
epitheloiden Zellen berichtet.
G. O. E. Lignac, Hautpigment in Lymphdrfisen. Zbl. f. Path. 32
Nr. 8. Verfasser hat in 7 Fällen die Leistendrüsen auf Hautpigment
enauer mikrochemisch untersucht und kommt zu dem Schluß, daß
ei der weißen Rasse unter normalen Umständen eine lymphogene
Hautpigmentverschleppung stattfinden kann. Eine Tafel mit bunten
Abbildungen.
Nauwerck, Varizen des Herzens. Zbl. f. Path. 32 Nr. 5. Nau-
werck macht darauf aufmerksam, daß in der tabellarischen Zusammen¬
stellung von „Varixknoten im Herzen" von M. Frank in Nr. 8 des
Zentralblattes die Kasuistik unvollständig ist und fügt 3 neue eigene
Fälle hinzu.
Leonie Salmony, Durchbruch eines Marengeschwfirs in die
linke Herzkammer. Zbl. f. Path. 32 Nr. 9. Ausführliche Beschreibung
des von Schmorl sezierten Falles. Tödliche Verblutung aus einem
Ulcus ventriculi, das in den linken Herzventrikel perforiert war. 5 ähn¬
liche Fälle bisher beobachtet.
W. Rolof f, Nebenlunge. Zbl. f. Path. 32 Nr. 8. Bei einer 56jährigen
Frau wurden 3 gut entwickelte Lungen gefunden: eine rechts, eine links
und eine median gelegen bzw. eine rechte und zwei linke Lungen.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
400
LITERATURBERICHT
Nr. 12
A. Elias so w, Meningitis gummosa bei einem Neugeborenen. Zbl.
f. Path. 32 Nr. 5. Makroskopisch: Umschriebene fast pfennigstück¬
große, gelbliche ziemlich erhebliche Verdickung der Pia des linken
Frontallappens. Histologisch: Granulationsgewebe mit verkästen Par¬
tien; massenhafte Spirochäten.
J. Tannenberg, Plexnsverflndernngen und ihre Beziehungen
zur Urlmie. Zbl. f. Path. 32 Nr. 7. Systematische Untersuchung von
60 Plexus chorioidei bei den verschiedensten Krankheiten ergeben, daß
bei der Urämie die von v. M o n a k o w erhobenen Veränderungen (hyaline
Verdickungen, Gefäßveränderungen) nicht für die Urämie spezifisch sind.
Diese Veränderungen kommen aucn bei anderen Erkrankungen vor und
es gibt Fälle von Urämie ohne Veränderungen des Plexus.
Strahleokunde.
F. Peltason (Würzburg), Fehlerhafte Wiedergabe von Schatteo-
iotensitlten auf Röntgenbildern. (Schattensummatlon.) Die Schatten¬
summation ist nach den Untersuchungen des Verfassers als photo¬
graphisches Phänomen erkannt. Als Bedingungen für das Zustande¬
kommen sind fast alle die Faktoren anzusehen, die den Kontrastreichtum,
genauer ausgedrückt die „Gradation" eines Negativs bestimmen, also
Belichtungsintensität, Entwicklungsart der Platte, spezifische Gradation
des verwendeten Plattenmaterials (ob die Platten hart, d. h. übertrieben
kontrastreich oder weich, d. h. mit Abminderung der natürlichen Kon¬
traste arbeiten). In praktischer Hinsicht erscheint zur Vermeidung von
Irrtümern in der Röntgendiagnostik die Herstellung von richtig gra¬
duierten Negativen an Stelle des gewöhnlich beliebten Strebens nach
immer größeren Kontrasten wünschenswert, besonders in Fällen, wo
eine Abschätzung von Schattenintensitäten gegeneinander erforderlich ist.
Allgemeine Therapie.
++ Friedrich Uhlmann (Bern), Lehrbuch der Pharmako¬
therapie für Studierende und Aerzte. Mit Anhang: Robert
Burow, Arzneidispensierkunde. Leipzig, F. C. W. Vogel, 1921.
449 S. M. 100.—, geb. M. 120.—. Ref.: Kochmann (Halle).
Die Absicht des Verfassers war es, in erster Linie auf die prak¬
tischen Bedürfnisse des Arztes Rücksicht zu nehmen. Die Ueber-
schriften der zahlreichen Buchabschnitte sollen den Arzt schnell über
die Indikationen der einzelnen Arzneimittel unterrichten. Innerhalb
eines jeden Abschnitts sind die einzelnen Substanzen übersichtlich
geordnet. Die deutsche, österreichische und Schweizer Pharmakopoe
sind bei der Besprechung berücksichtigt, die in knapper Form den
chemischen Aufbau, die physikalischen Eigenschaften und die thera¬
peutische Anwendung enthält. Den Anfang jedes Abschnittes bildet
eine Erörterung über die Wirkung der Arzneimittel. Die neueren
Präparate finden starke Berücksichtigung und das Wichtigste aus
der Serumtherapie und Balneologie wird erwähnt, ebenso werden
die praktisch wichtigsten Vergiftungen besprochen. Im ersten, all¬
gemeinen Teil des Buches beschäftigt sich der Verfasser mit den
historisch bedeutsamsten Theorien vom Wesen der Krankheit und
ihrer medikamentösen Behandlung. Die homöotherapeutische Schule,
die biochemische Richtung und anderes mehr werden kritisch be¬
sprochen. Auch die Bedingungen der Arzneiwirkung und die Ap¬
plikationsformen der Arzneimittel finden ihre Erwähnung. Eine zu¬
sammenfassende Darstellung der Arzneiverordnungslehre von Burow
beschließt das Buch. Die knappe, aber doch anschauliche Darstellung
und die kurze Erörterung theoretischer Grundlagen geben dem Buch
eine Mittelstellung zwischen Repetitorium und Lehrbuch, das sich
deswegen dem Studierenden nützlich erweisen und wegen der Be¬
sprechung vieler, auch neuerer Arzneimittel, auch dem Arzt nicht
unwillkommen sein könnte.
H. Selter (Königsberg), Wirkung abgetftteter Tnberkelbazillen.
Kl. W. Nr. 9. Abgetötete Tuberkelbazillen sind nicht in der Lage,
irgendwelche Immunitätserscheinungen im gesunden Tier auszulösen.
Ihre Wirkung im tuberkulösen Organismus beruht nur auf dem in
ihm enthaltenen Tuberkulin. Auch die Muchschen Milchsäureauf-
schließungen stellen kein Antigen, sondern lediglich ein Tuberkulin
dar. Die Tuberkulinreaktion, die in einem tuberkulinempfindlichen
Körper nach Einwirkung von Tuberkulin eintritt, ist keine Antikörper¬
reaktion, vielmehr eine Entzündungserscheinung des empfindlichen
Gewebes, die auf den Reiz des Tuberkulins zustande kommt, ohne
daß das Tuberkulin hierbei an die Gewebszellen gebunden wird.
W. Böhme (Dresden), Haut- und Tuberkuloseimmunitat. M. m.
W.Nr.9. Nach Ponndorfs Methode Hautimpfungen mit Tuberkulin,
in dem abgetötete Tuberkelbazillenkulturen suspendiert sind (Impf¬
stoff A.), bei Mischinfizierten werden noch Mischvakzinen aus Staphylo-
und Streptokokken dazugefügt (Impfstoff B.). Hersteller Sächsisches
Serumwerk, Dresden.
C. Bachem (Bonn), Albertan, ein neues Antiseptikum. M. m. W.
Nr. 9. Verbindung von Aluminium mit Phenolalkoholen, Hersteller
Albert und Lohmann in Fahr a. Rh. Sehr feinkörniges Pulver, geruch¬
los, große Adsorptionskraft Die bakterizide Kraft steht hinter der des
Jodoforms zurück, doch erreicht man schnelle Einschränkung der
Wundsekretion.
H. Kionka (Jena). Tonerdeprflparate. Kl. W. Nr. 9. Das neue
Tonerdepräparat „Lavatal" ist ein Desinfektionsmittel von anfangs sehr
starker, aber später, wenn auch in schwächerer Weise, lange anhalten¬
der Desinfektionskraft. Es ist aus dem neuerdings eingeführten Algal
(d. i. milchweintaures Aluminitun) hergestellt worden. Die Reizwirkung
des Algals ist nicht den achten Teil so groß als die der essigsauren
Tonerde. Auch sind Algallösungen besser haltbar. Im Desinfektions¬
wert ist Algal in 10%iger Lösung der essigsauren Tonerde gegenüber
gleichwertig, ohne daß man auch bei doppelt so starker Konzentration
eine Reizwirkung befürchten muß. Die desinfizierende Wirkung des
Lavatals ist noch bedeutend stärker als wie die des Algals, da in den
Lösungen stets Sauerstoff entwickelt wird. Eine nennenswerte Gift¬
wirkung kommt ihm nicht zu. Die Anwendung des Lavatals ist ebenso
wie die des Algals verhältnismäßig billig.
Innere Medizin.
++ Franz M. Groede! (Nauheim), Grundriß und Atlas der
Röntgendiagnostik in der inneren Medizin und den Grenz-
f ebieten. 3. Aufl. München, J. F. Lehmann, 1921. 826 Seiten mit
37 Tafeln und 549 Textabbildungen. Geb. M. 200.—. Ref.: O. Strauß
(Berlin).
Das GroedeIsche Buch hat sich schon lange einer hohen Be¬
wertung zu erfreuen gehabt. Es ist das außeronientliche Verdienst
Groedels, die röntgenologische Herz- und Magendiagnostik durch
methodischen Ausbau sehr stark gefördert zu haben. Was hier
Groedel über die Röntgenuntersuchung des normalen und patho¬
logisch veränderten Magens sagt, ist ein Meisterstück der Darstellung.
Bemerkenswerterweise äußert sich Groedel sehr zurückhaltend über
die Verwendung des Pneumoperitoneums. In zahlreichen Detail¬
fragen hebt Groedel seine Uebereinstimmung mit den Ansichten
des Referenten hervor, in der Interpretation der Zähnelung an der
großen Kurvatur glaubt Groedel aber mir nicht folgen zu können.
In der Nomenklatur des Magens tritt Groedel für die Beibehaltung
der Antrum-Bezeichnung ein. Nächst dem Verdauungskanal ist der
Abschnitt über Herzerkrankungen besonders zu erwähnen. Auch hier
sind die Groede Ischen Arbeiten an erster Stelle zu nennen. Seine
1912 erschienenen Betrachtungen der Herz- und Gefäßkrankheiten sind
in der Allgemeinheit viel zu wenig gewürdigt worden, ebenso die
von ihm angeregte Kombination von Elektrokardiographie und
Röntgenograpnie. Neu hinzugefügt hat Oroedel seinem Buche ein
einleitendes Kapitel über Röntgenphysik, in dem er die große Menge
der modernen Probleme, welche augenblicklich die Röntgenphysik be¬
wegen, kurz streift und in einer dem Mediziner leicht faßlichen Weise
schildert. Ausgehend von dem Grundsatz, daß es heute einem Ein¬
zelnen unmöglich ist, eine autorative Darstellung sämtlicher Teil¬
gebiete der Röntgendiagnostik zu geben, hatte Groedel schon in
der ersten Auflage seines Buches eine Reihe von bewährten Mit¬
arbeitern herangezogen. Neben den von früherher schon bekannten
Autoren, wie Brauer (Pleura- und Perikard-Erkrankungen), Paul
Krause C Thorax-Tumoren, Lungentuberkulose, Gefäßerkrankungen),
Haeniscn (uropoetisches System), Alban Köhler (Skelett), Spieß
und Pfeiffer (obere Luftwege* bzw. Gehörorgan), Schnaudigel
(Augenheilkunde), Jam in (Zwerchfell), Immelmann (Leber- unü
Gallenblase), Fink (Kiefer und Zähne) sind hier Dietlen, Goetze
Holzknecht zu nennen. Holzknecht behandelt in formvollendeter
Weise die röntgenologische Lokalisation in der Innern
Medizin, Goetze (Frankfurt) die röntgenologischen Nach¬
weise der operativen Veränderungen am Verdauungs-
traktus, Dietlen die nichttuberkulösen Lungenerkran¬
kungen an Stelle von Steyrer. In diesem für den Praktiker so
unendlich wichtigen Abschnitt erfreut Dietlen durch Prägnanz und
Kürze. In der Schilderung der Pneumokoniosen lehnt sich Dietlen
meines Erachtens etwas zu sehr an die doch etwas einseitigen Auf¬
fassungen von Staub-Oetiker an. Etwas zu kurz gehalten ist der
Abschnitt über die Röntgenuntersuchungen des Zentralnervensystems
(Otten). Gerade bei diesem für die radiologische Betrachtung so
schwer zugänglichen Teil der Diagnostik hätte ich ein näheres Ein¬
gehen auf die moderne Enzephalographie mit Zuhilfenahme der intra-
lumbalen Luftblasungen im Sinne B i n g e I s für nötig gehalten. —
Wolf Gärtner (Kiel), Kann der Paratypbns B abdominalis
in klinischer, pathologisch - anatomischer, epidemiologi¬
scher und bakteriologischer Hinsicht von der sogenannten
Oastroenterltis paratyphosa B abgetrennt werden? Zbl. f. Bakt
Abt I Orig. 87 H. 7/8. In dieser überaus sorgfältigen Studie kommt
Verfasser zu dem Schluß, daß sowohl die Klinik, die anatomische
Pathologie, als auch die Epidemiologie und die Bakteriologie eine
Trennung des Paratyphus B abdominalis (Schottmüller) von der so¬
genannten Gastroenteritis paratyphosa B wünschenswert erscheinen
lassen. Die Bakteriologie läßt eine Trennung sowohl im Wachstum
als auch durch die spezifische Agglutination und durch die Mause¬
pathogenität, die Toxizität und wahrscheinlich auch durch die Immunitäts¬
verhältnisse erkennen. Hieraus folgt, daß man die bisher zu 2 Gruppen
zusammengefaßten Erreger der Fleischvergiftungen und des Paratyphus B
in 3 Gruppen wird scheiden müssen, und zwar: B. enteritidis Gärtner-
Gruppe, B. enteritidis Breslau-Gruppe, B. Paratyphus B-Gruppe. Der
Begriff. Gastroenteritis paratyphosa verliert somit seine Berechtigung
und ist am besten durch Gastr. Breslau (in Analogie zur üastr.
Gärtner) zu ersetzen.
Kritschewski (Moskau), Protozoen in der Zerebrospinalflifisic-
keit von Fleckfiebererkrnnkten. Zbl. f. Bakt. Abt. I Orig. 87 H.7/8,
In einigen Fällen von Fleckfieber, bei denen eine Affektion der Hirn¬
häute bestand, fanden sich in der Zerebrospinalflüssigkeit Gebilde
von protozoenähnlichem Charakter, in denen der Verfasser die Erreger
des rleckfiebers erblickt.
Digitized b'
Google
Original from
CORNELL UNiVERSITV
24. März 1922
LITERATURBERICHT
401
Fritz v. Outfeld (Berlin), Erate Maßnahmen bei Laboratoriums-
lafektooea. Zbl. f. Bakt Abt. I Orig. 87 H. 7/8. Die vom Verfasser
gemachten Vorschläge sind zweckmäßig und in der Praxis leicht durch¬
zuführen. Alle Interessenten seien auf diese beachtenswerte Arbeit
aufmerksam gemacht.
Ernst Stettner (Erlangen), Jodprophylaxe bei Grippe. Bei einer
Hausepideraie in der Kinderklinik erhielt das Pflegepersonal prophy¬
laktisch mit gutem Erfolg 1 Tablette Dijodyl-Riedel. Säuglinge be¬
kamen eine halbe Tablette, bei ihnen verzögerte sich nur der Aus¬
bruch der Krankheit um einige Tage.
Olpp (Tübingen), Spezifische Therapie und Prophylaxe des Gelb¬
fiebers« M. m. W. Nr. 9. Nach den Vorschriften Noguchis wurde
von Pferden ein Anti-lkteroidcsserum gewonnen, gute Erfolge, nament¬
lich bei Behandlung in den ersten 3 Tagen. Vielversprechende Re¬
sultate in der Prophylaxe mit Injektionen von abgetöteten Reinkulturen
von Leptospira icteroides.
W. Weitz (Tübingen), Dynamik des Herzeos bei Dilatation und
Behandlung des Lanzen Ödems. Kl. W. Nr. 9. Als Quintessenz der
mathematisch-physikalischen Uebcrlegungen des Autors bezüglich der
Dynamik muskulärer Hohlorgane ergibt sich auch für das Herz als
Hohlorgan, daß zur Erzielung des gleichen Schlagvolumens bei gleich¬
bleibendem Aortendruck mit zunehmender HerzTüllung von der vcn-
trikelmuskulatur eine immer größere Kraft aufgewendet wird und sie
sich gleichzeitig weniger verkürzt. Bei zunehmender Anfangsfüllung
wird der Ventrikel an einen Punkt kommen, über den hinaus seine
Arbeitsleistung sinken wird, weil seine Belastung zu groß wird. Nach
Frank und Straub erfolgt die Entleerung normalerweise aus einer
Anfangsfüllung, die unter der für seine Arbeitsleistung günstigsten
Füllung liegt. Bei sinkender Kraft des linken Ventrikels wird unter
Umständen der Nachlaß der Herzkraft kompensiert durch vermehrte
Anfangsfüllung, wodurch der Ventrikel größere Arbeit zu tun vermag.
Geht die Ventrikelfüllung über das Optimale hinaus, so wird der
diastolische Zufluß von Blut erst dann in Uebereinstimmung kommen
mit der systolisch entleerten Menge, wenn der angestiegene diastolische
Ventrikeldruck das Nachströmen des Blutes verringert. Die Folge ist
eine beträchtliche Steigerung des Vorhofsdruckcs und des Druckes
in den Lungengefäßen, besonders den Venen und Kapillaren, wodurch
eine wesentliche Bedingung des Lungenödems geschaffen wird. Als
therapeutisches Prinzip ergibt sich also eine Entlastung des linken
Ventrikels von seiner überschüssigen Blutmenge mittelbar durch den
venösen Aderlaß, unmittelbar durch den arteriellen (Eckstein und
Noeggerath). Weitz empfiehlt eine Entlastung durch direkten
Anstich des linken Ventrikels.
E. Mannaberg (Wien), Hocbdrucktachykardie. W. kl. W. Nr. 7.
Unter 24t Fällen mit Blutdruck über 180 mm Hg fanden sich 103
mit Tachykardie. Dieselbe ist nicht die Folge sondern eine Begleit¬
erscheinung der Hypertonie. Vielleicht hängt sie mit Schilddrüsen¬
störungen zusammen. (Bevorzugung des weiblichen Geschlechts,
Wirkungslosigkeit der Digitalis, profuses Schwitzen, Fehlen der Adre-
nalinmydriasis, öfteres Vorhandensein einer mäßigen Struma.) Brady¬
kardie JMareysches Gesetz) wurde nur in ca. 3°/ 0 gefunden.
Felix Klewitz (Königsberg i. Pr.), Röntgenbestrahlung bei
Asthma bronchiale. M. m. W. Nr. 9. Tiefenbcstrahlung, mehrere Serien
zu je 7 Feldern. Innerlich Jod. Gute Erfolge, die manchmal einer
Heilung gleichkommen. 1 Tabelle.
P. Gerber (Wien), Phthise im Bnchdruckergewerbe. W. kl. W.
Nr. 7. Mit Hilfe der Standcsblätter einer Krankenkasse gelang es
Gerber festzustellen, daß die Phthise bei Buchdruckern in mehr als
V« der Fälle in subchronischcr oder sogar subakuter Form verläuft.
Eine Beeinflußung der Phthise durch Bleiintoxikation wird verneint
A. L Molnar (Budapest), Retrosternaler Kropf. KI. W. Nr. 9.
Kasuistik.
V. Kollert und W. Starlinger (Wien), Bedeutung des Pfasm«-
elweiß für die Klinik und Behandlung von Nierenleiden. W. kl. W.
Nr. 7. Das Fibrinogen ist im Blutplasma bei Nephrosen bis auf das
5fache der Norm vermehrt. Schwankungen des Eiweißgehaltes im
Blute und im Harn gehen parallel, Nierenkranke ohne Albuminurie
haben relativ niedrige Fibrinogenwerte. Zusatz von Diuretizis (Harn¬
stoff, Coffein, natr.-benzoic., Euphyllin, Theophyllin) zum Blutplasma
verhindert die Ausflockung von Fibrinogen selbst bei hohem Fibri¬
nogengehalt. — Bestimmt wurde das Fibrinogen durch Berechnung
aus der Differenz der Refraktionswerte von Blutplasma und Blutserum.
Bei hohem Fibrinogengehalt ist die Senkungsgeschwindigkeit der roten
Blutkörperchen vermehrt.
E. Heß und F. Eisler (Wien), Schmerzen in der Wirbelfiale, ihre
anatomischen Substrate und ihre Diagnose. W. kl. W. Nr. 7. Es
werden die Spinalgien bei Wirbelmalazie, Spondylitis deformans, Spon¬
dylitis ankylopoetica, Spondylarthritis rheumatica, Tumormetastasen und
Spondylitis tuberculosa von differentialdiagnostischen Gesichtspunkten
aus besprochen. Neben diesen kommen gelegentlich Wirbelschmerzen
bei inneren Erkrankungen vor.
Karl Reschke, Verlängerung der Röhrenknochen bei Arthritis
deformans Jugendlicher. D. Zschr. f. Chi?. 16S S. 136. 3mal Arthritis
deformans im jugendlichen Alter, des Knie-, des Fuß-, des Ellbogen¬
gelenkes, mit freien Gelenkkörpern. Das befallene Glied um 1*|, bis
3 cm länger als das der anderen Seite, infolge gesteigerter Tätigkeit
der dem erkrankten Gelenke anliegenden gereizten Knorpelfuge.
A. Am bol d, Kriegsneurose in ärztlicher Selbstbeobachtung.
M. m. W. Nr. 9. Neuropathische Veranlagung. Während der Revolu¬
tionstage große Strapazen, beginnende Pneumonie. Eines Tages Er¬
wachen mit Schütteln beider Arme, bedingt durch den Wunsch, die
schwer erreichbare ärztliche Hilfe zu erzwingen. Mit Hilfe nicht un¬
erheblicher Kraftanstrengung konnte Patient die Bewegungen unter¬
drücken. Acht Tage lang stand ihm der Schüttelmechanismus völlig
nach Belieben zu Gebote.
Kurt Ochsenius (Chemnitz), Nächtliche Wadenkrlmpfe.
M. m. W. Nr. 9. In einigen Fällen war ein Paar zu fest schnürende
Sockenhalter die Ursache für Anfälle von Wadenkrämpfen.
Chirurgie.
♦♦ H. R. Schinz (Zürich), Das Ulkusleiden lm Rdntgenblld
und seine Kontrolle durch den Operationsbefund (Archiv
und Atlas der normalen und pathologischen Anatomie in typischen
Röntgenbildern). Hamburg, Gräfe u. Sillem, 1921. 187 Seiten mit
247 Textfiguren, 25 Tafelabbildungen und 10 Tabellen. Gebunden
M. 120.—. Ref.: Levy-Dorn (Berlin).
Nachdem der Begriff des Ulcus ventriculi im historischen Werden
auseinandergesetzt ist, werden die eigenen Untersuchungen mitgeteilt,
und zwar werden getrennt besprochen die Ulcera callosa der Pars
cardiaca des Magens, die der Pars media (an der kleinen und großen
Kurvatur, wie an den Seitenflächen), die der Pars praepylorica, des
Pylorus und dicht dabei, die Ulcera duodeni und die Schleimhaut-
ulcera. Fall für Fall wird der klinische und röntgenologische Symptom¬
komplex klar geschildert und die autoptische Kontrolle — meist auf
Grund von Resektionen — zur Bewertung der Symptome heran¬
gezogen. „Verfasser kommt zum Ergebnis, daß die Röntgenologie im¬
stande ist, ein „Ulcus chirurgicum“ sicher zu erkennen und von
einem mehr vermuteten als gesehenen Schleimhautulkus zu unter¬
scheiden. Nur durch die Röntgenstrahlen können wir über Form und
Sitz des Ulkus, also den Lokalbefund, aufgeklärt werden, während
die klinischen Symptome generelle Zeichen des Ulkus darstellen, die
bei den verschiedensten Lokalisationen Vorkommen. Das Material ist
musterhaft gesichtet und übersichtlich geordnet. Illustrationen und
Druck sina vortrefflich, sodaß selbst die schwierigen Diagnosen, wie
Ulkus der Pars cardiaca und Ulcus duodeni leicht verstanden werden.
Arthur Buzello, Behandlung der pyogenen Blutiofektion durch
intravenöse Anwendung von Urotropin. D. Zschr. f. Chir. 168 S. 61.
Nach Reagenzglasvorversuchen über die keimwidrige Kraft des Uro¬
tropins wurde bei 18 an schwerer pyogener Blutinfektion nach chirur¬
gischer Erkrankung Leidenden täglich einmal 4—6 g Urotropin in keim¬
freier körperwarmer physiologischer Kochsalzlösung in die Vene
gespritzt. Die schweren Krankheitszeichen verschwinden nach 2—3,
die Blutkeime nach 3—4 Einspritzungen. In ll°/ 0 der Fälle tritt nach
der 6.-8. Einspritzung Blasenreizung (vermehrter Harndrang, Blut¬
harnen) auf. Nur 2 der Kranken starben.
E. Schultze (Marienburg, Westpr.), Tetanus. Zbl. f. Chir. Nr. 4.
Kasuistik. Der tödlich ausgegangene Fall mahnt 1. auch bei Durch¬
schüssen Tetanusantitoxin zu injizieren, wenn ein späterer Eingriff
notwendig wird, 2. offen zu behandeln — ohne Naht.
Eugen Hoff mann, Die Anilinfarben in der Chirurgie. I. Klinische
Beobachtungen über Wirkung und Anwendbarkeit eines Anilinfarbstoff¬
gemisches (öreifswalder Farbstoffmischung nach Prof. Dr.Paul Römer)
bei chirurgischen Erkrankungen. D. Zschr. f. Chir. 16S S. 101. 2jährige
Erfahrungen der Greifswalder Chirurgischen Klinik bei allen möglichen
oberflächlichen und tiefen Eiterungen, besonders auch gegenüber tuber¬
kulösem Gewebe. Versager nur bei Infektionen mit Kolibakterien und
mit Pneumokokken, auf die das Gemisch nicht eingestellt ist.
Paul Frangenheim (Köln), Oesopha^noplastik, Methodik und
Erfolge. M. m. W. Nr. 9. 6 l /*jähriger Knabe. Stenose des Oeso¬
phagus nach Verätzung mit Sodalösung. Eine Dünndarmschlinge
wurde ausgeschaltet, seitlich mit dem Magen anastomosiert, unter die
Brusthaut gelagert und im Jugulum mit Hilfe eines türflügelartigen
Hautlappens mit dem Oesophagus vereinigt. 3 Sitzungen in 8 Wochen.
Voller Erfolg.
Alfr. Cohn (Kattowitz), Fibrom der Bauchdecken in einer
Appendiktomienarbe. Zbl. f. Chir. Nr. 4. Kasuistik.
J. Elsner (Dresden), Einfacher Handgriff zum Nachweis von
$enknngsabszes«en im Baach. Zbl. f. Chir. Nr. 4. Man läßt das Kind
Knie-Ellenbogenlage einnehmen und umgreift von hinten her die Darm¬
beinschaufeln mit beiden Händen etwa in der Höhe der Spin. «nt. sup.,
wobei die Hohlhände auf der Höhe der Darmbeinkämme ruhen. Man
kann so mit den palpierenden Fingern leicht in die unteren Bauch¬
gegenden tief hinein nnd die seitlichen Beckenwände gut abtasten.
E. Kreuter (Erlangen), Gastropexie mit dem Ligamentum teres
hepatis, als vorbereitende Operation zur Röntgenbehandlung gewisser
Magenkarzinome. Zbl. f Chir. Nr. 4. Verfasser ist auf den Gedanken
gekommen, inoperable, aber genügend bewegliche Magenkarzinome
dadurch unbeweglich und angreifbar zu machen, daß man sie unter
Verwendung des Ligamentum teres in der Nabelgegend fixiert
J. Dubs (Winterthur), Resektion oder Gastroenterostomie bei
pylora«femem Ulcus ventriculi? Zbl. f. Chir. Nr. 4. Mitteilung eines
ähnlichen Falles, wie der von Krabbe!.. Die Bedeutung dieser Beobach¬
tungen möchte Verfasser einstweilen vorsichtig so fassen, daß sie in
Situationen, wo die Resektion aus irgend einem Grunde nicht oder
nur schwer durchführbar erscheint, den Entschluß zur Gastroenterosto¬
mie erleichtern können.
Heinrich Martius (Bonn), Po'toperative Baochfellverwachsnngeii«
M. m. W. Nr. 9. Wichtig für die Prophylaxe ist eine gute Operations¬
technik. Bald nach der Operation muß die Darmtätigkeit in Oang ge¬
bracht werden. Die meisten Fälle von Adhäsionen, die durch Pneumo
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
402
LITERATURBERICHT
Nr. 12
Peritoneum röntgenologisch festgestellt wurden, machten keine Be¬
schwerden. Operative Eingriffe nur bei streng lokalisierten und konstan¬
ten Erscheinungen.
Friedrich Wagner, Gallige Peritonitis. D. Zschr. f. Chir. 163
S. 116. 3 operierte Fälle, davon 2 mit tödlichem Ausgange. — Wenn
ein Gallenblasendurchbruch sicher ausgeschlossen werden kann, muß
man einen Filtervorgang annehmen.
Cassuto (Rom), Aenderung am Va1entin*chen Harnröbrensplegel.
Zschr. f. Urol. 16 H. 1. Die Vergrößerung der Brennweite des optischen
Systems ermöglicht eine erhebliche Entfernung des Teleskops vom
Mundstück der urethroskopischen Röhre, so daß sich Instrumente zur
Heilbehandlung ohne Verstellung einführen lassen.
M. Klika (Preßburg), Nene Methode von aseptischem Ureteren-
katheterismns bei infizierter Blase. Zschr. f. Urol. 16 H. 1. Dem durch
die bisher gebräuchlichen Methoden nicht voll erfüllten Haupterfor¬
dernis eines Schutzes des Ureterkatheters vor Infektion mit dem an
seiner Oberfläche haften gebliebenen Inhalt der infizierten Blase wird
durch Verwendung eines Katheters entsprochen, der in einen solchen
mit Gummimembranverschluß eingeschoben ist Das System wird
durch den Zystoskopkanal in die Blase eingeführt und nach dem Ein¬
dringen des äußeren Katheters in die Harnleitermündung seine Mem¬
bran mit der Spitze des inneren durchstoßen.
Hryntschak und Sgalitzer (Wien), Form der Harnblase bei
verschiedenen Körperlagen. Zschr. f. Urol. 16 H. 1. Röntgenologische
Beobachtungen in Seiten-, Rückenlage und aufrechter Körperstellung
ergaben eine stark wechselnde Gestalt der gefüllten diastolischen Blase
(8 Abbildungen). In weit höherem Maße als der Tonus 4er musku¬
lären Wandung sind dafür die individuell verschiedenen Einflüsse der
Nachbarorgane und der Druck der in der Blase enthaltenen Flüssig¬
keitsmenge verantwortlich zu machen.
W. Peters (Bonn), Primäres Melanosarkom des Penis. Zschr. f.
Urol. 16 H. 1. Sehr seltener, einen Siebziger betreffender Fall aus der
Oarrfeschen Klinik. An Stelle der Glans ein schmierig belegtes Ulkus
mit harten Rändern. Amputation, später Exstirpation der Leistendrüsen.
Tod 1 *f A Jahre nach dem Beginn des Leidens an ausgedehnten
Metastasen im Unterleib.
Pfister (Dresden), Orchitis Bllharzlca. Zschr. f. Urol. 16 H. 1.
Das Leiden entsteht durch direktes Einwandern oder embolische Ver¬
schleppung der Eier in das Parenchym mit sekundärer Entzündung
(Bild der Pseudotuberkulose mit und ohne Fisteln), indirekt durch
bakterielle Infektion längs der Vasa deferentia bei Bilharziasis. Viel¬
leicht existiert auch eine toxische Form.
Karl Reschke, Zur Kammerscheo Operation der Schenkelheniien.
D. Zschr. f. Chir. 168 S. 91. Statistik der in den letzten 20 Jahren in der
Greifswalder Chirurgischen Klinik behandelten 560 Schenkelbrüche. —
Nach Kummer wird durch Seiden-U-Naht die Bauch wand des Leisten¬
kanalgebietes vor den inneren Schenkelkanaltrichter heruntergezogen. —
Technisch einfach. Wenig Rückfälle.
Alfred Haas, Hyperorchidle. D. Zschr. f. Chir. 168 S. 11. 9jähriger
mit Ueberhoden ohne Hermaphroditismus. Der rechte Hoden findet
sich bei Leistenbruchoperation im Bruchsacke. Bei derselben Operation
links liegt ein kleinerer Hoden im Leistenkanale, ein größerer im Bruch¬
sacke. Ersterer wird entfernt und mikroskopisch als hvpoplastischer
Ueberhoden (Bild) festgestellt.
Heinr. Fischer (Gießen), Nebeaolereoexstirpatloo bei Epilepsie-
Zbl. f. Chir. Nr. 4. Kritische Bemerkungen zu der Arbeit Spechts.
Gerade die bisher gewonnenen Erfahrungen am Menschen scheinen
dem Verfasser zu beweisen, daß ein Einfluß der Nebennierenreduktion
auf den Krampf auch beim Menschen zweifellos vorhanden ist. Meist
blieben die Krämpfe im Anschluß an die Operation zunächst aus. Die
Frage ist in der Hauptsache wohl die, ob es sich um Dauererfolge
handelt, oder ob der anfängliche Erfolg durch einen bald einsetzenden
Funktionsausgleich im Nebennierensystem nur ein vorübergehender ist.
Damit ist natürlich die praktische Brauchbarkeit der Operation am
Menschen in Frage gestellt. Doch beweist dies nichts gegen die vom
Verfasser vertretene Anschauung der Bedeutung der Nebennieren für
den Krampf und den Krampfmechanismus.
O. Muck (Essen), Entleerung eines Stlrnlappenspätabszesses
und Verhinderung des Ventrikeldurchbruches durch künst¬
liche Blutleere des Gehirns (vorübergehende Karotiden¬
kompression). Zbl. f. Chir. Nr. 4. Kasuistik.
Ernst Stahnke, Knocbenveränderungen bei Neurofibromatose«
D. Zschr. f. Chir. 168 S. 6. 27jähriger mit zahlreichen Neurofibromen
der Haut, besonders des Gesichtes. Daneben laut klinischem und
Röntgenbefunde Knochenverdickungen am Augenhöhlendache, Joch¬
beine, Schläfenbeine, in der vorderen Schädelgrube, sowie Aufhellungs¬
herde im Stirnbeine, Verschmälerung eines Unterkiefers, Spitzbogen¬
bildung des Gaumens, Zurückhaltung zweier Zähne, Verkrümmung
der Wirbelsäule, Verlängerung des rechten Armes. Rachitis wird ab¬
gelehnt, embryonale Eutstehung angenommen.
Rudolf Demel, Gleitbrache. D. Zschr. f. Chir. 168 S. 51.
28jähriger. R.-Leistenbruchoperation. Der Blinddarm bildete mit seinem
Bauchfelle die äußere und hintere Wand des Bruchsackes und war an
Außen- und Hinterfläche, denen der Bauchfellüberzug fehlte, mit
Kremaster und Samenstrang flächenhaft verwachsen. Die v. Eisels-
bergsche Klinik hatte in den letzten 20 Jahren unter 1474 Leisten- und
241 Schenkelbrüchen 20 (= 1,2 v. H.) Gleitbrüche, meist der Flexura
sigmoidea.
. ^ l: Ein »»Becken von Otto-Chrobak*' mit Fractora ace-
taboll. D. Zschr. f. Chir. 168 S. 19. 20jährige mit durch Ausbuchtung
beider Hüftgelenkpfannen in die Beckenhöhle hinein verengtem Becken
bei guter Beweglichkeit, mit wenig Beschwerden. Ursache unbekannt!
jedenfalls nicht zerstörende Koxitis. — Durch Sturz wurde das eine
Pfannendach gesprengt und der Schenkelkopf zentral verschoben.
Johann Nicolaysen, Transplantation des M. abductor dig.V.
bei fehlender Oppositionsfähigkeit des Daumens. D. Zschr. f.Chir. 168
S. 133. Nicolaysen hat am 5. III. 1921 bei einer 18jährigen, deren
M. opponens und flexor brevis pollicis durch Poliomyelitis gelähmt
war, den M. abductor dig. V. von seinem Ansätze her aogelöst,
unter der Hohlhandhaut quer zum Daumen herübergeleitet und hier
angenäht. Nach 4 Monaten Beugungsfähigkeit im Grundgelenke des
Daumens und Annäherung an die anderen Finger.
E. Jacobson (Hamburg), Eigenartige MittelfnBerkranknng. Zbl.f.
Chir. Nr. 4. Kontroverse gegen Deutschländer. Für Verfasser liegt
kein Grund vor, für das von Deutschländer beschriebene Krank¬
heitsbild eine etwas gesuchte Erklärung heranzuziehen; vielmeh-
handelt es sich in allen diesen Fällen um eine mehr weniger oder
langsam vor sich gehende Metatarsalfraktur auf der Basis einer
falschen Belastung.
Frauenheilkunde.
E. Färber (Prag). Ein einfacher Beckenmeaaer für alle er¬
reichbaren Distanzen des weiblichen Beckens. Vorläufige
Mitteilung. Zbl. f. Gyn. Nr. 1. Muß im Original nachgelesen werden.
O. Fo hr (Mainz), Zorn hohen Geradatand. Zbl. f. Gyn. Nr. 2. Kasu¬
istischer Beitrag.
A. Nelius (Mainz), Aetiotogie des tiefen Qnerataodea. ZbLf.
Gyn. Nr. 2. Kasuistischer Beitrag.
Lichtenstein (Leipzig), Zehn Jahre geburtshilflich abwartender
Eklampsiebehandlung. Zbl. f. Gyn. Nr. 1. Ausführlicher Bericht über
317 Fälle von Elampsie, die in den letzten 10 Jahren in der Leipziger
Universitäts-Frauenklinik behandelt wurden. Die geburtshilflich ab¬
wartende Behandlung hat sich in 10 jähriger Anwendung bewährt.
Sie verdient den Vorzug vor der Schnellentbindung.
H. Küster, Weißer Hirsch (Dresden), Ein Vorschlag zur Ver¬
minderung der Abortgefahr bei Operationen an der schwangeres
Gebärmutter (Zbl. f. Gyn. Nr. 1) empfiehlt für die Fälle, in denen
man gezwungen ist Operationen an dem graviden Uterus vorzunehmen
(Zervixrisse) die Injektion von l°/ 0 iger Novokain-Suprareninlösung, um
den Reiz, der durch die Operation gesetzt wird durch Lokalanästhesie
auszuschalten und so eine Weiterleitung auf die Uterusmuskulatur zu
verhindern. Bei abdominellen Enukleationen ist das Geschwulstbett,
bei Ovariotomien der Stiel zu infiltrieren.
R. Schröder (Rostock), Ovarlalzyklns und sein Einfluß auf
Veränderungen des Uterus. Kl. W. Nr. 9. Uebersichtsmitteilung über
die neueren Anschauungen über den Ovarialzyklus und seinen Einfluß
auf die Veränderungen des Uterus.
L. Seitz (Frankfurt a. M.), Benennung der Menstruationsunregel«
mäßigkelten. Zbl. f. Gyn. Nr. 2. Seitz empfiehlt auf Grund lang¬
jähriger praktischer Anwendung folgende Termini technici für die
Menstruationsanomalien; Eumenorrhoe — regelmäßige Periode.
Algomenorrhoe = sch merzhafte Periode mit lokalen Schmelzen.
Dysmenorrhoe=die schlechte Periode mit allgemeinen Störungen.
Algodysmenorrhoe = die kombinierte Form der Empfindungs¬
störungen bei der Menstruation. —Amenorrhoe=fehlende Blutung.
Oligomenorrhoe — zu schwache Blutung. Polymenorrhoe = zu
starke menstruelle Blutung (Menorrhagie). Proiomenorrhoe = die
anteponierende Menstruation. — Opsomenorrhoe = die postponie*
rende Menstruation. — Durch geeignete Kombination der Vorwörter
lassen sich die verschiedensten Siörungen bei ein- und derselben Periode
scharf kennzeichnen z. B. Eu-opsomenorrhoe, Poly-algomenorrhoe usw.
V. Paulinen-Burla (Cernant, Rumänien), Drusen und dritelge
Gebilde in der Scheide. W. kl. W. Nr. 7. ln 3 Fällen von Uterus-
karzinom und 1 Fall von Scheidenmißbildung wurden in der Vaginal¬
schleimhaut Drüsen gefunden, die als „ortsungehörige rückschlagige
Gewebsentwicklung aus dam Fötalleben" angesprochen werden.
Olga Steuding (Beuthen O.-S.), Vaginoplastik. Zbl. f. Gyn.
Nr. 2. Bei der künstlichen Scheidenbildung ist die Mastdarmmethode
(Schubert) der Dünndarmmethode (Baldwin-Mori-Haberlin)
vorzuziehen. Unter den bisher bekannt gewordenen insgesamt
44 Fällen, die nach der Mastdarmmethode operiert wurden, befindet
sich kein Todesfall. Von den 49 Fällen von Anlegung einer Dünn¬
darmscheide endeten 10 = 20,8°/ 0 tödlich.
R. Th. v. Jaschke und R. Salomon (Gießen), Fluorbebandlfiiif
mit Bacillosan. Zbl. f. Gyn. Nr. 2. Verfasser kommen auf Grund
sehr eingehender klinischer und bakteriologischer Untersuchungen zu
dem Schlüsse, „daß Bacillosan keine Konstanz besitzt und daher für
die Praxis ungeeignet ist".
C. Menge (Heidelberg), Das Korpusadenom der Matroue. Zbl.
f. Gyn. Nr. 1. Das Korpusadenom der Menopause ist streng zu trennen
von den Schleimhautpolypen. Diese entstehen überwiegend passiv.
Ferner bilden sie sich zu einer Zeit, in der die Funktion der Keim¬
drüsen und des von ihnen funktionell abhängigen Uterus überhaupt
noch nicht oder erst vor kurzer Zeit erloschen ist Das Korpusadenom
der Matrone ist zwar auch meistens polypös geformt Es ist aber
ein echtes, in seiner Entstehung durchaus aktives Neoplasma, ein
benignes Adenom von polypöser Form. Ferner findet es sich nur m
Digitized by Gougle
.Original fr:m
CORNELL UNIVERSITV
24. Marz 1922
LITERATURBERICHT
403
der späten Menopause, also bei Frauen, die dem Senium nahestehen.
Menge hat im ganzen 8 Fälle beobachtet. Alle Geschwulstträgerinnen
boten das gleiche Bild: Nach mindestens 2—3jähriger (in einem Falle
sogar 15 jähriger) Amenorrhoe waren eines Tages atypische Blutungen
und blutiger Ausfluß auf getreten. — In allen derartigen Fällen denkt
man natürlich zuerst an Korpuskarzinom. Bei der diagnostischen
Abrasio besteht ein ausgesprochener Kontrast zwischen der Menge
des geförderten Kurettagematerials und der Höhlengröße. Bei der
Fingerantastung fühlt man den derben, kissenartigen Polypen. Dieser
läßt sich leicht mit einer Eizange fassen und herausdrehen. In keinem
seiner Fälle hat Menge ein Rezidiv erlebt, ein Zeichen dafür, daß das
Korpusadenom der Matrone ein durchaus benignes Gebilde ist. In
der Nomenklatur der epithelialen Uterusneubildungen empfiehlt Menge
die Bezeichnung „Adenom' 1 für die gutartigen drüsigen Epithelneu¬
bildungen und „Adenocarcinoma uteri tubuläre“ für die bösartigen
epithelialen Tumoren. Die Bezeichnung „Adenoma malignun“ sollte
aus der Literatur verschwinden.
W.S. Flatau (Nürnberg), Verbesserung der intrauterinen Radium*
auwendnng. Zbl. f. Gyn. Nr. 1. Die Abstöpselung des Uterus durch
die intrauterine Applikation der Radiumträger kann zu peritonealen
Reizerscheinungen und Exsudatbildungen führen, ja selbst Todesfälle
sind vorgekommen. Um diese Gefahren zu vermeiden, hat Flatau ein
sehr zweckmäßiges kleines Instrument konstruiert. Dieses besteht aus
einem kleinen gefensterten neusilbernen Hohlzylinder, der — mit
einem Seidenfaden armiert — mittels eines Einführungsstabes in die
Gebärmutterhöhle eingeschoben wird. In diesen gefensterten Zylinder
wird dann das Radiumröhrchen cingeführt und am Herausgleiten durch
einen sterilen Gazestreifen verhindert, der vor die Portio gelegt wird.
P. v. Kubinyi und B. Johan, Gamma Syphiliticum ovarü. posi¬
tiver Spirochätenbefund. Zbl. f. Gyn. Nr. 2. Kasuistischer Beitrag.
Max Samuel (Köln), Behandlung des Abortes. M. m. W. Nr. 9.
Beinhalter werden aus zwei Bettüchern improvisiert. (Siehe Abbild.).
Bei nicht fieberhaften Aborten bis zum 2. Monat darf kürettiert werden,
wenn die Zervix sich nicht weiter jals bis Hegar 12 dehnt. Nach zwei
Monaten stets digitale Ausräumung. Gelöste Reste dürfen mit dem
Winterschen Abortlöffel entfernt werden. Auch bei fieberhaften Fällen
aktives Vorgehen.
Haut- und Venerische Krankheiten.
E. Pulay (Wien), Chemische Bfntbeschaffenheit bei Hautkrank¬
heiten und die sich daraus ergebenden therapeutischen Richt¬
linien. Kl. W. Nr. 9. Verfasser hat sich in den letzten Jahren bemüht,
bei den verschiedensten Dermatosen systematisch-chemische Unter¬
suchungen des Blutes durchzuführen, um aus den Ergebnissen dieser
Studien Richtlinien für eine kausale interne Therapie der Dermatosen
zu gewinnen. Mitteilung der diesbezüglichen Erfahrungen bei Pruritus,
Ekzem und Urticaria. Bei uratisch und vagotonisch bedingtem Pruritus
bewährte sich eine Atophantherapie in Kombination mit Atropin. Er¬
gab die chemische Blutuntersuchung eine Nierenfunktionsstörung
blande antinephritische Therapie. Bei Ekzem wurde meist eine
Urikämie, oftmals Hyperglykämie nachgewiesen. Blutkalk bald ver¬
mehrt, bald vermindert. Bei Urtikaria wurde entgegen aller Erwar¬
tungen oftmals erhöhter Kalkwert im Blut gefunden. Für die Ent¬
stehung der Urtikaria scheint eine Cholesterinäniie des Blutes charak¬
teristisch zu sein. Auch die Proteinkörpertherapie scheint durch eine
Beeinflussung des Cholesterinstoffwechsels zu gehen.
Kinderheilkunde.
Richard Lederer (Wien), Hypogalaktie. 1. Qualitative Hypogalak¬
tie. Die Wirkung der Kriegsernährung auf die Zusammen¬
setzung der Frauenmilch. 2. Die Wirkung der Hypogalaktie auf
den Säugling. Zschr. f. Kindhlk. 31 H. 3/4. Konstitutionelle und kon¬
ditionelle Hypogalaktie sind auseinanderzuhalten. Die Unterernährung
der letzten /ahre hat Veränderungen in der Quantität und Qualität
der Frauenmilch hervorgebracht. Regelmäßig und beträchtlich ist der
Zuckergehalt der Brustmilch, nicht immer der Fettgehalt herabgesetzt.
Ein Teil dieser unterernährten Säuglinge weist die Zeichen einer
akuten Ernährungsstörung auf (Durchfall, Erbrechen).
Max Frank (Prag), Weiße Blntzelleu in der Neugebnrtszeit und
im Siugliagsalter. Zschr. f. Kindhlk. 31 H. 1/2. Das Blutbild des
Neugeborenen, gekennzeichnet durch jugendliche neutrophile Zellen,
Lymphozytose, relative Vermehrung der großen Lymphozyten und
Rechtsverschiebung der Monozyten, macht mit etwa 14 Tagen dem
Blutbilde des Säuglings Platz, sodaß diese Umwandlung als brauch¬
barer Ausdruck zur Begrenzung der Neugeborenenzeit verwendbar
erscheint.
Ph. Schwartz (Frankfurt a. M.), Traumatische Gehirnerweichung
des Neugeborenen. Zschr. f. Kindhlk. 31 H. 1/2. Totgeburt, Asphyxie *
und Lebensschwäche zeigen anatomisch häufig Veränderungen im Ge¬
hirn, als Folgen eines Geburtstraumas. Auch die Encephalitis interst.
neonat. (Virdiow) ist ein Erweichungsprozeß im Gehirn, verursacht
durch eine GeburtsVerletzung.
E. Nobel und N. Dabowsky (Wien), Diagnose der astheni¬
schen Pneumonie der frühgeborenen und lebensschwacheo Säuglinge.
Zschr. f. Kindhlk. 31 H. 3/4. Die Pneumonien debiler und frühgeborener -
Kinder zeigen häufig ein Mißverhältnis zwischen klinischem Befund
und Röntgenbild. Das klinische Bild ist häufig atypisch und zeigt
häufig meningeale Erscheinungen.
E. Melchior (Breslau), Operative Behandlung der Struma con¬
genita des Säuglings. KI. W. Nr. 9. Mitteilung eines Falles mit
anschließender kurzer Besprechung der wenigen in der Literatur mit¬
geteilten Fälle. Von allen Eingriffen kommt wohl heute in erster
Linie nur noch die bilaterale Resektion in Betracht, die Zysten oder
Knoten eventuell die Enukleation. Die Gefährlichkeit der Operation
ergibt sich aus der Empfindlichkeit der Säuglinge gegen größere Ein¬
griffe und Blutverluste.
C. Bliedung (Greifswald), Intrakardiale Adrenalioiojektion bei
Narkoseberzstülstand eines säugliogs. M. m. W. Nr. 9. 4 Monate
altes Kind, 5 Minuten nach Beendigung einer Chloroformnarkose wegen
einer Augenoperation Sistieren von Puls und Atmung. Eine Minute
später Injektion von 7io ccm 1% 0 Adrenalinlösung intrakardial. Fast
sofortiger Erfolg.
R. Schelcher (Dresden), Intravenöse Injektion von Kampfer¬
wasser bei Säoglingen. M. m. W. Nr. 9. In Fällen äußerster Herz¬
schwäche, wo Kampferöl zu langsam wirken würde, etwa 10—20 ccm
Kampferwasser (Merck) intravenös. Wenn die intravenöse Injektion
nicht gelingt, wird in den Sinus sagittalis gespritzt. Einige überraschend
gute Erfolge. Auffällig gebessert wurde die Atmung.
Charlotte Steinkopf (Berlin), Anslöschphänomen bei Scharlach.
Zschr. f. Kindhlk. 31 H. 1/2. Der Ausfall des Auslöschphänomens gibt
nicht immer eine absolute Sicherung der Diagnose. Ein Teil klinisch
sicherer Scharlachfälle zeigt das Phänomen negativ. Das Wesen des
Phänomens wird mit einer Toxin-Antitoxinwirkung erklärt.
Edmund Nobel und Richard Steinbuch (Wien), Prognose
der tuberkulösen Pleuritis der Kinder. Zschr. f. Kindhlk. 31 H. 1/2.
Fast alle Pleuritiden im Kindesalter sind tuberkulöser Natur. Etwa
die Hälfte heilt restlos aus; schwerere Veränderungen zeigen nur etwa
10% der nachuntersuchten Kinder.
Karl Hensch (Köln), Bedingungen der kindlichen Pylorusstenose.
Zschr. f. Kindhlk. 31 H. 3/4. Persistenz der bei vielen Neugeborenen
vorhandenen Pylorusverdickung im Verein mit der lokalen Reizbar¬
keit des Säuglingsmagens kann zum „hartnäckigen gallefreien Er¬
brechen“ führen. Abklemmungen als Folge von Verlagerung anderer
Dannteile, als Folge von Darmatresien oder Geschwürsbildungen in
der Nähe des Pylorus und embryonale Wachstumsstörungen können
Bedingungen einer Pylorusstenose werden. Bedeutungsvoll ist das
Verhalten des Ligamentum hepatoduodenale, dessen Ucbergreifen auf
die Pars pylorica des Magens und dessen Verkürzung zu Knickungen
am Pylorus und zur Stenose führen kann. Diese pathologisch-anato¬
mischen Bedingungen werden in ihrem Wirken begünstigt durch
physiologische Bedingungen, die gegeben sind in der Rasse, im
Geschlecht (männlich), in Erstgeburt und in einem Alter geringer
als sechs Wochen, in denen eine Uebererregbarkeit des Magen¬
motors beim Säugling besteht.
Arvid Wallgren (Wien), Symptomatologie und Patho¬
genese des Oedema scorbaticam tavisibile. Zschr. f. Kindhl. 31 H. 1/2.
Die Heilung des Skorbutes geht häufig mit einer leichten Senkung der
Gewichtskurve einher, die auf die Anschwemmung im akuten Stadium
aufgespeicherten Wassers zurückzuführen ist. Die Wasserspeicherung
äußert sich nicht immer als Oedem, häufiger als vermehrter Turgor
oder allgemeine Schwellung der Beine. Eine Kapillarschädigung in¬
folge Vitaminmangels ist die Ursache dieses vermehrten Wasseraus¬
trittes.
E.'Freudenberg'und P. György (Heidelberg), Safmiakbehand-
lang der Klodertetanle. Kl. W. Nr. 9. Es gelingt durch interne Salmiak¬
darreichung (3—5 g pro die) bei spasmophilen Säuglingen die mecha-
nische’und'elcktrische^Nervenübererregbarkeit zu dämpfen und mani-
festtetanische Zustände^zu beseitigen. Das Verfahren empfiehlt sich
nur bei manifester, nicht bei latenter, auch bei postoperativer Tetanie.
Josef K. Friedjung'(Wien), Kindliche Sexualität. Zschr.f.Kindhlk.
31 H. 1/2. An einem reichen Material wird versucht den Nachweis
zu führen, daß alle „lustbetonten Triebbefriedigungen, die nicht zum
Zwecke der Selbsterhaltung dienen“, als Aeußerungen der kindlichen
Sexualität (im weitesten Sinne des Wortes) aufzufassen sind. Drei
Gruppen der Manifestation der Sexualität lassen sich scheiden: 1. Zur
„Autoerotik“ gehört das Fingerlutschen und das Saugen an der Brust,
wobei der Milchgenuß als „unerwarteter Nebengewinn“ für das Kind
abfällt, das Streicheln und Kitzeln (Hauterotik), alle Handlungen, die
sich an der erogenen Zone des Darmausganges abspielen und schlie߬
lich die Masturbation in allen Lebensaltern. 2. Heteroerotik ist das
Suchen nach der Brust, das Interesse an nackten Körperteilen, ins¬
besondere an den Genitalien von Personen in der Umgebung des
Kindes. 3. Von psychosexuellem Verhalten ist zu reden, wenn sich
beim Kinde seelische Regungen zeigen (Eifersucht, Haß, „Oedipus-
komplex“), die beim Erwachsenen in irgendeiner Beziehung zur
Sexualität stehen.
Siegfried Fink (Göttingen), Arznei Verordnungen im Kindesalter
unter Berücksichtigung der heutigen Preise. Zschr.f.Kindhlk.
31 H. 3/4. Zusammenstellung der gebräuchlichsten Arzneimittel und
ihrer'augenblicklichen Preise, deren Lektüre vor mancher unangenehmen
Ueberraschung in;der Praxis schützen kann.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
404
LITERATURBERICHT
Nr. 12
Kritische therapeutische Rundschau.
Der Frage, inwieweit die blofogIschen Wirkungen des Bad
Gasteiner Thennalwasners mit denjenigen der Radiumemanation
identische sind, suchte I. Schneyer (Zschr. f. physik. diät. Ther. 25
H. 12) dadurch näher zu kommen', daß er die Einwirkungen dieser
beiden Faktoren auf die Leukozytenzahl sowie auf die Magen¬
saftsekretion miteinander verglich. Bei einem allerdings nicht
großen Untersuchungsmaterial ergab sich dabei, daß Thermalbäder
in einem höheren Prozentsatz der Fälle als künstliche radioaktive*
Bäder eine Leukozytose hervorrufen und daß bei innerlichem Ge¬
brauch das Gasteiner Thermalwasser, im Gegensätze zur Radium¬
emanation regelmäßig eine Vermehrung der Salzsäuren-
menge im Magensaft bedingt. Aus diesen, allerdings ergänzungs¬
bedürftigen Versuchen glaubt der Autor zu schließen, daß die Haupt¬
wirkung der Gasteiner Therme nicht ihrem Gehalt an Radium¬
emanation zuzuschreiben ist. — Im übrigen sind therapeutische Ver¬
suche mit Radiumemanatiou neuerdings von verschiedenen
Seiten wieder aufgenommen worden, seitdem, hauptsächlich wohl
durch Faltas Arbeiten, die Ansicht durchgedrungen ist, daß man
früher mit viel zu kleinen Mengen der Emanation gearbeitet hat.
So hat I. Strasburger (Allg. med. Zentr.Ztg. 1921 Nr. 49) in
Fällen von Polyarthritis, vor allem bei der primären chronischen
Arthritis, wobei der Prozeß sich zunächst in und um die Gelenk¬
kapsel abspielt, durch Trinkkuren mit hohen Dosen (300000 M.E. und
darüber) bemerkenswerte objektive und subjektive Erfolge erzielt.
Gute Resultate wurden ferner bei der Trigeminusneuralgie erreicht,
und zwar durch Umschläge stark radioaktiver Salben. Engel¬
mann, der ebenfalls für die Verwendung höherer Dosen bei Radium¬
emanationskuren eintritt (Allg. med. Zentr.Ztg. 1921 Nr. 48), empfiehlt
unter anderem radioaktive Bäder bei Herz- und Gefäßkrankneiten dann
anzuwenden, wenn eine Herabsetzung der Herzarbeit und eine
schonende Einwirkung auf das kardiovaskuläre System angezeigt ist L.
Scholtz (Königsberg*, Protoplasraaaktivlerung und Oamottierapie,
insbesondere durch intravenöse Traobenzockerinjektionen. Derm.
Zschr. 35 H. 3. Einen neuen Weg zur Anregung der Zelltätigkeit und
des Flüssigkeitsstromes von den Geweben nach den Blutgefäßen
glaubt Scholtz gefunden zu haben durch intravenöse Traubenzucker¬
injektionen. Die Erfolge bei exsudativen Hautentzündungen, akuten
Ekzemen, Pemphigus werden als äußerst zufriedenstellend geschildert;
selbst bei trockenen Ekzemen, Psoriasis und Akne zeigte sich ein
günstiger Einfluß auf den Krankheitsprozeß. Es wurden jeden zweiten
Tag 8—15 g Traubenzucker in 30—50<y 0 iger Lösung injiziert. Sie
ist von Merk in sterilen Ampullen zu beziehen. Auch hier hört
man mehr von therapeutischen Erfolgen als von experimenteller
Begründung: bei dem Gebäude der parenteralen Therapie scheint
der Dachstuhl früher fertig zu werden als das Fundament. H. H.
H. Kowalzig, Erfahrungen mit „Kammblosan“, einer neuen
Anwendungsart der Kamille. M. m. W. S. 49. „Kamillosan ist
ein neuer wirkungsvoller alkoholischer Extrakt aus den Blüten von
Matricaria Chamomilla, der eine beruhigende Wirkung bei Darm¬
erkrankungen, insbesondere eine Herabsetzung der Tenesmen, eine
bakterizide Kraft, eine Beschleunigung der Heilungstendenz chroni¬
scher Geschwüre und eine schmerzstillende Einwirkung auf offene
Wunden ausübt.“ Wenn wir von der „bakteriziden Kraft“ absehen,
die durch die Untersuchungen nicht erwiesen ist und auch kaum vor¬
handen sein dürfte, dann sind uns hier von dem „neuen“ Präparate
eine Reihe zweifellos guter, keineswegs aber neuer Eigenschaften der
Kamille mitgeteilt. Der Autor erwähnt selbst, daß man als Träger der
Wirkung das ätherische Oel der Blüten annahm, er aber glaubt
die beschriebenen Wirkungen anderen wirksamen
Extraktivstoffen zuschreiben zu müssen. Das für diese
Schlußfolgerungen notwendige Experiment: die Benützung eines glei¬
chen, von ätherischen Oelen freien Präparates fehlt. Es ist dies aber
auch gar nicht notwendig, denn es ist durch eine Reihe experimentell
pharmakologischer Untersuchungen der letzten Jahre (Wiechowski,
Hocke, Gun ii, Pfibram, St roß und Wiechowski) eindeutig
erwiesen worden, daß die Hauptwirkung der ätherischen Oele (vor
allem des Kampfers und einer Reihe anderer Terpene und anders
konstituierter ätherischer Oele) in einer Lähmung der glatten
Muskulatur besteht. Dadurch sind diese ätherischen Oele im¬
stande, Spasmen der glatten Muskulatur zu beseitigen und
damit besonders bei Ruhr und andereu Darmerkrankun¬
gen einerseits die Schmerzen zu mildern, anderseits die Herausbeför¬
derung retinierten Stuhls und gestauter Bakterienmassen zu ermög¬
lichen. Durch diese experimentell erhobenen Befunde konnten auch
die Wirkungen der „Karminativa“ erklärt werden. Alle diese Wir¬
kungen finden wir in der vorliegenden Mitteilung beschrieben, und
es liegt zweifellos hier in dem neuen Präparate eine anscheinend gut
brauchbare Form eines ätherischen Oels für die genannten Indi¬
kationen vor. Die Annahme des Vorhandenseins anderer wirksamer
Stoffe erscheint unbegründet und entbehrlich. Sn.
CI. Grimme, Können die beiden fremdländischen Drogen
Seoera und Ipekakuanha durch einheimische Arzneipflanzen voll¬
wertig ersetzt werden? M. m. W. S. 50. Die Antwort auf die im
Titel gestellte Frage lautet „ja“, und zwar wird als Ersatz für Senega
die Radix Primulac (die Wurzeln verschiedener einheimischer Primeln)
empfohlen. Als Ersatz für Ipekakuanha wird die Wurzel von Viola
odorata, die Wurzel des Veilchens genannt, die ein „Veilchenemetin“
in genügender Konzentration enthalten soll. Ein Extrakt aus beiden
Drogen kommt unter dem Namen „Primulatum Tosse“ in den Handel.
Unter Hinweis auf den in der D. m. W. erschienenen Artikel von
Wiechowski „Ueber die Expektorantien“ sei besonders betont,
daß wohl den Saponinen als reizerzeugenden Stoffen eine besondere
Rolle in der kausalen Beeinflussung der Expektoration zukommt, so-
daß aller Wahrscheinlichkeit nach der hier gegebene Ersatz die Senega
wirklich vertreten kann. Anderseits hat aber das Emetin der Ipeka¬
kuanha nicht die Bedeutung eines reizfördernden, sondern eines
lähmenden Stoffes, der eben als Spasmolytikum durch Be¬
seitigung von Krämpfen der glatten Muskulatur der Bronchien die
Herausbeförderung von retiniertem Sekret ermöglicht. Dem Emetin
kommt hier eine ähnliche Wirkung zu, wie dem chemisch nahever¬
wandten Papaverin. Es wird daher vorerst, ehe man das Veilchen-
emetin als vollen Ersatz des Ipekakuanhaemetins bewertet, pharmako¬
logisch auch diese Art der Wirkung festzustellen sein, da eben die
emetische Wirkung mit der expektorierenden nicht identi¬
fiziert werden kann. Sn.
Die Elektrotherapie bei Herz- und Geflfikrankbeiten wird von
Bieling (Allg. m. Zztg. Nr. 2) zusammenfassend besprochen. In bezug
auf die hydroelektrischen Voll- und Vicrzellenbäder
weist der Autor auf die Unsicherheit unserer Kenntnisse über ihre
physiologischen Wirkungen hin. Er betont aber, daß er bei Herz¬
erweiterungen in zahlreichen Fällen nach Anwendung des Wech-
selstrom-Vierzellenbades ein allmähliches Zurückgehen der Erweite¬
rung beobachten konnte. Leider fehlt dabei ein Hinweis auf die
Schädlichkeit der Anwendung des Wechselstromes in denjenigen
Fällen, wo eine nervöse Uebererregbarkeit als Komplikation
oder als primäre Ursache der Herzbeschwerden vorhanden ist. Die
d’Arsonvalisation wurde bei Herz- und Gefäßkranken, besonders
bei vorwiegend peripherischen Störungen, zur Herabsetzung des er¬
höhten Blutdrucks vielfach erfolgreich angewandt, bei Nierenver*
änderungen versagte die Methode. Die Kumpf sehe Behandlung
mittels oszillierender Ströme erwies sich nützlich zur Bekämpfung
zentraler Störungen, auch von taChykardischen und sonstigen sub¬
jektiven Beschwerden bei Herzkranken. Die Diathermie wurde
lokal ihrer schmerzstillenden Wirkung wegen bei ausstrahlenden
Schmerzen in Fällen von zentraler Sklerose, Angina pectoris und Herz¬
neurose appliziert Die allgemeine Diathermie bei Blutdruck¬
erhöhungen auf der Basis peripherischer Veränderungen oder auf
toxischer und nervöser Grundlage. Die Indikationsstellungen Bielings
decken sich im allgemeinen mit denjenigen sonstiger Beobachter. L
Shapiro und D. Marine, Klinische Untersuchung eines
Falles von Basedowscher Krankheit mit schneller Besserung
nach oraler Verabreichung von frischen Nebennierenrinden von
Rindern. Endocrinologie 1921 5. Wiederholt sind über günstige
Erfolge von Nebennierenverabreichung bei Basedowscher Krankheit
berichtet worden; der vorliegende Fall war vielleicht deshalb be¬
sonders gut hierfür geeignet, weil er mit einem niedrigen Blutdruck
und ausgebreiteten Purpura verbunden war; gleichzeitig bestand eine
Erhöhung der Blutgerinnungszeit und unregelmäßige Menstruation.
Nach täglicher Verabreichung von 5 g frischer Nebennierenrinde von
Rindern gingen die Symptome schnell zurück, während getrocknete
Präparate nicht dieselben günstigen Wirkungen hatten. W.
Unsere Erfahrungen in der Behandlung der Ürippe-Pltara*
empyeme sind durch die Epidemien der letzten Jahre sehr bereichert,
Ueber die Behandlungsmethode der Sauerbruchsehen Klinik be¬
richtet Jehn (M. m. w. Nr. 12): Zunächst Punktion und Aspiration —
einige Empyeme heilen nach einfacher Punktion aus. Sodann unter
Druckdifferenz von 10—12 cm ausgiebige Thorakotomie in Lokal¬
anästhesie (Resektion von 2—3 Rippen), Miculicz-Tamponade der
Pleura, Perthesscher abdichtender Verband. Verbandwechsel eben¬
falls unter Druckdifferenz. Dieses Verfahren, das die biologischen
Verhältnisse der Lunge und Pleura am besten berücksichtigt und das
Hauptaugenmerk auf die Wiederentfaltung der Lunge richtet, gibt
gute Resultate und kürzt die Behandl-mgsdauer ab, dürfte sich aber
exakt nur an größeren klinischen Instituten durchführen lassen. In
einer lehrreichen Arbeit (Bruns Beitr. z. klin. Chir. 124, H. 3) berichtet
Ganz aus dem Katharinenhospital in Stuttgart über Erfahrungen aus
der Grippeepidemie 1918/19. Die Behandlung bestand in Punktion,
Thorakotomie und Ventildeckverband; mit der Revilliodschen Aspira¬
tionsdrainage machte Ganz keine guten Erfahrungen. Wertvolle
Fingerzeige für die Wahl des Zeitpunktes der Operation gibt die
Ganzsche Statistik. Von den Kranken, die (im Anfang der Epidemie)
sofort, nachdem das Empyem festgestellt war, ohne Rücksicht auf das
Allgemeinbefinden operiert wurden, starben 50o/o. Nach diesen Mi߬
erfolgen wurde das Exsudat zunächst durch eine oder mehrere Punk¬
tionen entleert, dann erst nach Abklingen der bedrohlichen Erschei¬
nungen die Thorakotomie gemacht. Mortalität bei dieser Methode
14o/o. Dieses „abwartend chirurgische“ Verfahren ist gerade bei den
parapneumonischen Grippeempyemen unbedingt zu empfehlen: das
Abklingen des Lungenprozesses ist möglichst abzuwarten. Auf der
Höhe der Krankheit verträgt der durch die Allgemeininfektion schon
schwer geschädigte Körper, namentlich das Herz, eine Thorakotomie
schlecht (Pleurasnok!). Aus der Ganz sehen Statistik geht hervor —
auch andere Erfahrungen, z. B. Wildegans, der über Erfahrungen
von der Kört eschen Abteilung berichtet (Langenb. Arch. 117, H.3;
Grenzgeb. 33, H. 4) bestätigen es —, daß das Hinausschieben der
Operation die Entstehung von Resthöhlen und Fisteln nicht begünstigt
und die Heilungsdauer nicht verlängert. P»
Difitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
VEREINS- UND KONGRESSBERICHTE
Redigiert von Ober-Reg.-Med.-Rat Dr. O. Strauß.
Berlin, Verein für Innere Medizin und Kinderheilkunde,
16 . 1 . 1922 .
Offizielles Protokoll.
Vorsitzender: His. Schriftführer: Brugsch.
Oudzent: Bericht über eiten unklaren Krankheitsfall (Tuber¬
kulose, myeloische Leukämie?). Oudzent berichtet über einen Mann
von 19 Jahren, dessen Beschwerden, die in Mattigkeit, Herzklopfen,
Kopfschmerzen bestanden, etwa zwei Jahre zurück reichten; damals
Mitralinsuffizienz festgestellt; vor zwei Monaten Fieber, große Hin¬
fälligkeit. Bei der Aufnahme folgender Status: Remittierendes Fieber;
Herz mitral konfiguriert, systolisches Geräusch; seröses Exsudat,
neutrophile Zellen; Milz fühlbar, Eiweiß, Zylinder, rote Blutkörperchen.
Augenhintergrund: Starke Netzhautblutungen. Blut: Stark bak¬
terizid. Nachweis des Streptococcus viridans. Auf Qrund dieses Be¬
fundes Diagnose: Endocarditis lenta. Dagegen sprach aber der
Blutbefund: Hb. 26o/ 0 , Erythrozyten 1080 000, Leukozyten 20 000;
darunter 1,5 o/o Myelozyten, 42o/ 0 große, 20o/ o kleine Myeloblasten,
6<>/o Lymphozyten. Oxydasereaktion Hiernach Diagnose: Sub-
leukämische Myelose, unter den Erseneinungen der hämorrhagischen
Diathese und Herzschwäche Exitus. Sektion: Herz erweitert, Herz¬
klappen ohne Befund; dagegen ausgebreitete Tuberkulose in Lunge,
Darm, Lymphknoten, Milz, Leber, Pleura. Mikroskopisch findet
sich in der Lunge großknotige, stark verkäste Tbc., desgleichen
In dem bronchialen Lymphknoten; in der Leber einige miliare und
verkäste Konglomerattuberkel; in der Milz reichlich mononukleäre
Zellen; im Knochenmark zahlreiche einkernige große Rundzellen
(Leukoblasten ?) Hiernach liegt eine allgemeine Tuberkulose vor. Die
auf Grund des klinischen Bildes und des bakteriologischen Ergeb¬
nisses angenommene Endocarditis lenta findet also keine Bestätigung.
Es muß bei der bakteriologischen Untersuchung ein Fehler unter¬
laufen sein. Dagegen läßt sich die Kluft zwischen dem klinischen
Blutbild und dem Sektionsergebhis vorläufig nicht überbrücken. Viel¬
leicht bringt die Diskussion Klärung.
Besprechung. Victor Schilling: Der vorgestellte Fall ist
durch die Oxydasereaktion an frischem Material meines Erachtens
geklärt. Sowohl die Milzpulpa wie die Drüsen und die atypischen
Zellen des Ausstriches reagierten sehr stark positiv. Die Histologie
des Falles spricht, entgegen den bisher vorliegenden Sektionsberich¬
ten, für akute myeloische Leukämie, denn das Knochenmark besteht
fast nur aus sehr zahlreichen Myeloblasten, die sich ebenso massen¬
haft in der Milzpulpa, den Drüsen und angereichert in den Leber¬
kapillaren wiederfinden. Relativ kleine Milz, eigentümliche tumor-
artig lokalisierte Ansammlung der sehr atypischen Myeloblasten, grüne
Farbe des Querschnittes der Drüsenpakete am Hilus lassen an Chloro-
myelom denken, wenn auch der Farbstoff nicht stark entwickelt,
übrigens auch weniger wichtig ist, seitdem man die Mehrzahl der
Chlorome zu den akuten Myelosen rechnen muß. Tuberkulose ist
häufig mit Chloromyelose verbunden. Als weiterer Beweis der Wich¬
tigkeit der Oxydasereaktion wird ein Fall akuter Leukämie mit Zahn¬
fleischwucherung, hämorrhagischer Diathese und papulösen Haut¬
infiltrationen vorgeführt, der nur 7700 Leukozyten aufwies. Da diese
zu 99o/o aus größeren und kleineren Lymphozyten zu bestehen schei¬
nen, wurde Oxydasereaktion angewendet, die zu 87 0/0 sehr stark
positiv ausfiel. Die lymphozytoiden Zeilen mit 1—2 Nukleolen und
oft deutlichem paranukleären Hof waren also Myeloblasten kleiner
Form, der Fall eine akute Myeloblastenleukämie, die angeblich (!)
erst vor 9 Wochen nach Gesichtsrose entstanden war. Für
klinische Zwecke wird die Sdinellreaktion am unfixierten Präparat
nach eigener Methodik (s. Schlenncr, D. m. W. 1921 S. 6)
empfohlen.
Westenhöfer: Schilling wird sich erinnern, daß ich, als
ich auf dem Korridor im Pathologischen Institute an ihm vorbeiging,
zu ihm sagte: „Was für eine schöne chloroleukämische Lymphdrüse
haben Sie da auf dem Teller.“ Was das aufgestellte Leberpräparat
angeht, so ist der kleine verkäste Herd schon verdächtig auf Tuber¬
kulose, indessen fehlt jegliche Andeutung von Riesenzellenbildung,
und da angeblich keine Tuberkelbazillen gefunden werden konnten,
ist schließlich auch die Möglichkeit vorhanden, daß es etwas anderes
ist als ein Tuberkel. Ich habe erst vor wenigen Tagen einen Fall
seziert, der makroskopisch besonders durch seine Verkäsung der
Lvmphdrüsen sich ganz wie eine Tuberkulose verhielt, mikroskopisch
aber doch solche Abweichungen vom Ueblichen bot, daß ich bis
heute nicht weiß, ob es sich um Tuberkulose handelt oder nicht.
Das gleichzeitige Vorkommen von Tuberkulose und Leukämie ist
nichts Seltenes, würde also auch im Falle Gudzents nicht ver¬
wunderlich sein.
C. Maase: Akute lymphatische Leukämie mit ausgedehnten
schweren Hantverinderangen and bemerkenswertem Blutbefnnd. 34jäh-
Hger Arbeiter erkrankte vor etwa drei Monaten plötzlich mit Schüttel¬
frost, hohem Fieber und schweren Allgemeinerscheinungen. Nach
einigen Tagen schmerzhafte Schwellung des linken Unterschenkels, als
deren Ursache ärztlicherseits eine Venenentzündung festgestellt wurde.
Etwa drei Wochen später die gleiche Schwellung am rechten Bein.
Im weiteren Krankheitsverlauf wurde von dem Patienten selbst das
Auftreten roter Flecke an den Beinen und von einigen Knötchen in
der Brusthaut beobachtet. Ungefähr zehn Tage danach plötzliches
Aufschießen größerer und kleinerer Blasen an beiden Beinen. Fieber
und Allgemeinerscheinungen bestanden unverändert fort. In diesem
Stadium erfolgte die Ueberweisung in die Klinik wegen „septischer
Erkrankung“. Das Auffälligste im Status des schwer anämisch und
kachektisch aussehenden Kranken war ein pemphigoides Exanthem an
den Beinen, das hauptsächlich an der Außen- und Hinterseite der
Unterschenkel und des unteren Drittels der Oberschenkel lokalisiert
war. Die schlaffen, teils kreisrund, teils unregelmäßig bogig be¬
grenzten Blasen waren erbsen- bis taubenei-, bis halb nühnereigroß
und erhoben sich aus anscheinend unveränderter Haut. Nur bei ein¬
zelnen Blasen war ein hyperämischer Hof vorhanden. Der Inhalt der
Blasen war teils klar-serös, durchscheinend, teils weißlich oder gelb¬
lich getrübt, teils hämorrhagisch. Die mikroskopische Untersuchung
des Inhalts einer geschlossenen Blase zeigte im Giemsa-Präparat zahl¬
reiche Lymphozyten und polymorphkernige Leukozyten, daneben einige
plumpe Stäbchen. Analog den Hautveränderungen fanden sich an
der Mundschleimhaut flache Erosionen mit am Rande noch haftender
Blasendecke, an der Zunge ein derbes Knötchen von Erbsengroße.
Die übrige Haut wies besonders wieder an den Beinen, aber auch
an der Brust und den Armen ein makulo-papulöses, einem Syphilid
ähnliches Exanthem von rötlich-livider Färbung auf. Auch an den
makulösen Effloreszenzen fühlte man eine deutliche Infiltration in
den tieferen Schichten der Kutis bzw. der Subkutis. Die Lymph-
drüsen zeigten generalisierte, teilweise druckschmerzhafte Schwellung
von Erbsen- und Bohnengröße. Die Milz war bei tiefer Inspiration
am Rippenbogen eben fühlbar; die Leber überragte ihn in der rechten
Mamillarlinie um etwa 2 Querfingerbreiten. Der Blutbefund ergab
bei der ersten Zählung 50 0/0 Hämoglobin, 2,5 Millionen rote und
12 950 weiße Blutkörperchen. Unter den letzteren 94 0/0 Lymphozyten,
etwa je zur Hälfte große und kleine Formen. Die Blutaussaat auf
Agar und Zitratbouillon blieb steril. Aus dem Blaseninhalt wuchsen
in Zitratbouillon einige plumpe Stäbchen mit mittelständigen Sporen
(Verunreinigung?). Binnen wenigen Tagen entwickelten sich anstelle
der pemphigoiden Eruptionen ausgedehnte brandige Nekrosen von
widerlichem Gestank. Nach Abstoßung der brandigen Schorfe hinter¬
blieben große, tiefgreifende, scharf begrenzte Ulzerationen mit
schmierig-eitrigem Grund. Die Ulzerationen sind jetzt wieder am Ab¬
heilen. Gleichzeitig mit dem Auftreten der Geschwüre erfolgte eine
starke Ausdehnung des papulo-makulösen Exanthems und die Ent¬
wicklung ausgebreiteter knotiger, druck schmerzhafter Infiltrate im Be¬
reich der ganzen Kopfschwarte. Auf dem Scheitel zeigte sich eine
diffuse Rötung und Schwellung der Haut mit kleinlamellöser Schup¬
pung (Erythrodermia exfol.). — Die Zahl der Leukozyten stieg inner¬
halb drei Wochen auf den enormen Wert von 1,2 Millionen, während
das Hämoglobin auf 26<>/o, die Zahl der Roten auf 1090000 sank. Die
Leukozyten waren bis auf einige Neutrophile und Eosinophile — ver¬
einzelt auch Myelozyten — ausschließlich Lymphozyten, darunter zahl¬
reiche Riesenformen, aber auch viele kleinere. Ihr weiterer Anstieg
wurde wahrscheinlich durch eine Röntgenbestrahlung der Milz
(Vs H.E.D.) aufgehalten, da sie danach innerhalb 2 Tagen auf etwa
die Hälfte zurückgingen. Bemerkenswert erscheint an dem Fall
neben den ausgedehnten Hautveränderungen der Blutbefund, die für
eine akute Leukämie auffällig lange Krankheitsdauer, das lange sub-
leukämische Vorstadium und das Fehlen jeglicher hämorrhagischer
Diathese. (Ausführliche Publikation erfolgt an anderer Stelle.)
P. Jungmann: a) Familiäre juvenile Schrompfolere. 14jähriger
Junge, seit mehreren Jahren Polydipsie und entsprechende Polyurie,
Hypo- und Isosthenurie, sodaß an Diabetes insipidus gedacht wurde.
Der Befund von Albuminurie, Hypertonie, Herzhypertrophie, erhöhtem
Rest-N im Blut und die Funktionsprüfung sicherten die Diagnose
Schrumpfniere. Tod an Urämie. Bemerkenswert ist der Tod zweier
Geschwister im Alter von 14 und 16 Jahren unter den gleichen Sym¬
ptomen. Es mußte daher an eine angeborene Nierenveränderung ge¬
dacht werden. Bei der Sektion fand sich polyzystische Nieren-
degeneration, kombiniert mit chronischer Glomerulo¬
nephritis. Es ist anzunehmen, daß bei den Geschwistern die
gleichen Veränderungen bestanden haben. Es dürfte sich also um
eine sogenannte konstitutionelle Nierenschwäche mit dadurch be¬
dingter erhöhter Disposition zur Nephritis handeln, b) Zur Behand¬
lung der Herzinsuffizienz mit Bulbus Scillae. Bei kritischer
Prüfung der therapeutischen Wirksamkeit der Scilla sind andere, die
Herzfunktion bessernde Faktoren auszuschließen (Bettruhe, Diät,
andere Medikamente). Erforderlich ist die Anwendung eines genau
dosierten Präparates. In etwa 20 Fällen von Herzinsuffizienz ver¬
schiedener Genese wurde das von C. Spiro (Basel) hergestellte
Scillaren (1 Tabl. = 600 F.D.) erprobt. Im allgemeinen nur ge¬
ringer digitalisähnlicher Effekt trotz hoher Dosierung. Bemerkenswert
aber ein sehr prompter Erfolg bei einem Mitralfehler mit Trikuspidal-
insuffizienz und Arhythmia perpetua, nachdem Chinidin und Strophan¬
thin versagt hatten. Nach Aussetzen von Sdllaren wieder Verschlech¬
terung, nach erneuter Anwendung sofort wieder kompensiert. Hier¬
nach wäre an eine vom Strophanthin verschiedene Wirkungsweise der
Scilla zu denken. Die Verbesserung der diastolischen Herzfunktion
erscheint besonders wichtig.
Besprechung. Siegheim wurde eiligst zu einem Kranken
gerufen, der sich mit Rattengift vergiftet hätte. Die Ehefrau des
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
406
VEREINS- UND KONQRESSBERICHTE
Nr. 12
Patienten hatte die Hälfte einer Meerzwiebel im Gewichte von 670 g
mit Mehl zu 6 Kuchen verbacken und als Rattengift in ihrem Laden
ausgelegt. Der 60jährige Kranke aß mittags alle 6 Kuchen auf,
die er iür Kartoffelpfannkuchen hielt. Es trat darauf Uebelkeit ein,
Patient trank einen scharf schmeckenden Kognak, von dem er ver¬
mutete, daß er Methylalkohol enthielt. Darauf traten häufiges Er¬
brechen, Kopfschmerzen und Lockerwerden aller Zähne ein. Als
Siegheim den Patienten am anderen Tage sah, klagte er nur
noch über Mattigkeit und Appetitlosigkeit. Es bestand ausreichende
Diurese, und unter Ruhe und üiätvorschriften trat in kurzer Zeit voll¬
ständige Genesung ein.
Frik: 66jährige Frau mit starker kardialer Dyspnoe. Stauungs¬
erscheinungen, Sklerose der peripherischen und Gehirnarterien, stark
nach links verbreitertes Herz mit hebendem, verbreitertem Spitzen¬
stoß, systolischem Geräusch über dem ganzen Herzen, erhöhtem Blut¬
druck. Zeigte im Röntgenbild außer erheblicher Verbreiterung des
Herzens nach links mit Abrundung der Herzspitze, die als Hyper¬
trophie des linken Ventrikels gedeutet wurde, eine umschriebene Vor¬
buchung am 1. Herzrand entsprechend dem oberen Teil des 1. Kammer¬
bogens; die Vorwölbung zeigte Kammerpulsation und wurde als Herz¬
aneurysma gedeutet. Die Sektion ergab ein Herzaneiirysma nahe der
Herzspitze an der Vorderwand des 1. Ventrikels; dieses war röntgeno¬
logisch nicht erkennbar gewesen. Die Vorwölbung am linken Herz¬
rand erwies sich als umschriebene Hypertrophie der Muskulatur des
linken Ventrikels im Bereich der Aortenausflußbahn.
H. Zondek: Gaswechseluntergacbunren bei lokalisierter Fettsucht.
H. Zondek berichtet über einen in Gemeinschaft mit A. Loewy
beobachteten Fall von lokalisierter Fettsucht. Die Kranke hatte trotz
ihrer, wenn auch im wesentlichen lokalisierten Fettsucht einen enormen
O f -Verbrauch. Es fanden sich Werte von 370—380ccm 0 2 im Mittel;
auf das Kilogramm Körpergewicht und die Minute berechnet Zahlen
zwischen 6,7 und 6,9 ccm, mithin also Werte, wie sie als Höchst¬
werte bei ganz schweren Formen des Morbus Basedowii gefunden
werden. Auch bei 3 ähnlichen, zum Teil noch viel ausgesprocheneren
Fällen wurden 0 2 -Werte gefunden, die, wenn sie auch nicht die
enorme Höhe wie • bei der demonstrierten Kranken aufweisen, doch
jedenfalls an den oberen Grenzen der Norm liegen. Merkwürdiger¬
weise handelte es sich immer um weibliche Kranke, und zwar solche
mit Zeichen geringgradiger Thyreotoxikose.
Demonstration. Victor Schilling: Ein seltsamer Fall vou
Malaria tropica aus Berlin. Patient ist nach der 13. Salvarsan-
spritze seiner Syphiliskur dicht vor Weihnachten akut mit
Fieber und Schüttelfrost erkrankt. Der behandelnde Arzt Dr. W o 11 e n -
berg stellte sogleich Ueberschwemmung des Blutes mit Tropika fest.
Anschließende klinische Beobachtung bei uns ergab schwerste, zeit¬
weise komatöse und etwas chininresistente Frischinfektion. Die Ringe
nahmen nach intravenöser Chinininjektion von 0,75 Urethanchinin und
3 Tagen je 1,6 g Chinin per os nicht merkbar ab; das Fieber sank erst
nach weiterer Injektion von 1,5 g Urethanchinin intravenös, doch
blieben einzelne Ringe noch tagelang. Zuerst waren zahlreich Tei¬
lungsformen der Tropika und Heranwachsende Gameten
vorhanden. Im Laufe der Chininkur traten kleinere, dann größere
Halbmonde zahlreich auf. Patient war Mai—Juli 1915 in Warschau,
nie fieberkrank, sonst nie im Ausland. Die Entstehung dieser an
schwerste türkische Malaria 1 ) erinnernden Erkrankung im Winter
in Berlin in Form eines Erstlingsfiebers ist durchaus rätselhaft
geblieben. Der Fall wird ausführlich von Wollenberg (D.m.W.)
veröffentlicht. Korrekturanmerkung. Der Patient hat Mitte
Februar trotz dauernder hoher Chiningaben bis 1,8 g. zuletzt 1 g
intramuskulär täglich, wieder massenhaft Ringe im dicken Tropfen;
es ist also ein primär chininresistenter Fall ohne früheren
Chiningebrauch und ohne besondere körperliche 'Strapazen bei guter
Ernährung.
Königsberg i. Pr., Verein für wissenschaftliche Heilkunde,
9 . 1 . 1922 .
Offizielles Protokoll.
Vorsitzender: Winter. Schriftführer: Schütze.
Carl stellt einen 41jährigen Seemann vor, bei dem er in zwei auf¬
einanderfolgenden Sitzungen a) einen Amöbenabszeß, b) einen uniloku-
lären Echinokokkus der Leber operieren konnte. Patient erkrankte
unter dem typischen Bilde einer Cholelithiasis mit fieberhaften Kolik¬
anfällen in der Lebergegend, Erbrechen, Schwellung und Druck¬
schmerzhaftigkeit der Leber und nach dem Anfall Ikterus. Solche
Anfälle von Januar bis Juli 1921 vier, nacheinander von einigen
Tagen bis mehreren Wochen Dauer. Operationsbefund: Fingerbreit
lateral der unveränderten Gallenblase ein im Lebergewebe gelegener
hühnereigroßer Abszeß mit dicker Membran, der sich in toto uner-
öffnet ausschälen läßt. Halbhandbreit daneben im rechten Leber¬
lappen bläulich durchscheinende Zyste vou Handflächengröße an der
Oberfläche. Im Abszeßeiter lassen sich Ruhramöben nachweisen. Der
Echinokokkus wird 10 Tage nach der Abszeßoperation entleert. In
den zahlreichen Tochterblaseu der mehr als mannsfaustgroßen Echino¬
kokkuszyste finden sich die vollständigen Bandwurmköpfe. Heilung
unkompliziert. Die Infektion für beide Krankheiten hat Patient sien
auf seinen zahlreichen Seefahrten zugezogen.
*) Vgl. V. Schillln g. D.m. W. 1919 H. 17; Arch. f. Schiff»- u. Trop. Hyg. 1919, 23.
Fink: Hydrocephalus exterous und Geburt. Fink demonstriert
das Kopfpräparat eines intrauterin entstandenen Hydrocephalus ex-
ternus bei reifem, sehr kräftigem und sonst ganz normalem Kinde.
Eine Ansammlung von 750 ccin klarer Flüssigkeit zwischen der Dura
und der Pia mater hat eine starke Kompression und Verhärtung der
Großhirnhemisphären nach sidi gezogen. Fink führt auf Orund
nachgewiesener alter Blutherdc und Blutpigmentaiihäufungen zwischen
den Blättern der Falx cerebri dicht über ihrem Ansatz an das Ten-
torium cerebelli und ebensolcher Herde zwischen den Schichten des
Tentoriums die Genese dieses Hydrocephalus externus auf eine Trans¬
sudation von Serum aus dem Sinus sagittalis superior und inferior
infolge einer Kompression ihrer Einmündungsstellen in den Sinus
rectus sowie Einengung des Sinus rectus selbst zurück. Es handelt
sich also um einen Transsudationshydrozephalus. — Der alten
Blutung muß ein unbekannt gebliebenes Trauma zugrundegelegen
haben. Fink empfiehlt auf Grund der günstigen Erfahrungen der
Königsberger Universitäts-Frauenklinik, bei Geburt des in Schädel¬
lage eingestellten Hydrozephalus bei großer und zweifelloser Hydro¬
zephalusbildung die Perforation, bei geringen oder nicht ganz sicher
erkennbaren Fällen (Differentialdiagnose Ossifikationsdefekte) erst eine
'diagnostische und dann evtl, die therapeutische Punktion und dann
Abwarten des spontanen Geburtsverlaufs.
Borchardt: Ueber Infantilismus und seine EotstehuagBursachen.
Das Wesen des Infantilismus beruht auf Entwicklungshemmung fSub-
evolutionismus). „Stehenbleiben auf kindlicher Entwicklungs¬
stufe“ ist gleichbedeutend mit Entwicklungshemmung in der Puber¬
tätszeit, begrenzt den Subevolutionismus also auf einen relativ engen
Lebensabschnitt. Aus praktischen Gründen empfiehlt es sich, Ent¬
wicklungshemmung zu jeder Zeit der Entwicklung als Infantilsmus
zu bezeichnen. Ausdrücke wie Puerilismus, Juveuilismus usw. werden
dann entbehrlich. — Ein Fortbestehen kindlicher Wachstumstendenz
jenseits der Pubertätszeit hat mit Infantilismus nichts zu tun. Der
hypogenitale Hochwuchs und der Eunuchoidismus sind daher unter
allen Umständen vom lufantilismus abzutrennen. Die somatischen und
psychischen Veränderungen durch die Geschlechtsreife bringen es
mit sich, daß der Infantilismus in der Pubertätszeit besonders augen¬
fällige Erscheinungen macht. Die Pactialinfantilismen, die vom Inlan-
tilismus uuiversalis streng abzutrennen sind, haben keine allgemeinen
Ursachen, sondern sind in der Regel als Variationen oder Deviationen
anzusehen; zu ihnen gehören u. a. außer dem Hypogenitalismus der
sog. Fötalismus oder Embryonismus und der psychische Infantilis-
mus. — Die Abgrenzung vom Zwergwuchs ist schwierig, weil Zwerg¬
wuchs ein Sammelbegriff ist. Die Unterscheidung in primordialen und
infantilen Zwergwuchs weist schon durch die Namengebung darauf
hin, daß Infantilismus und Zwergwuchs kombiniert Vorkommen. Der
primordiale Zwergwuchs läßt sich aber vom Infantilismus gut ab¬
trennen, da es sich bei ihm um ein Kleinbleiben in allen Dimensionen
und Proportionen bei normaler Entwicklung handelt. — Borchardt
geht ausführlich auf die Beziehungen zu den typischen Konstitutions¬
störungen ein. Bei der Asthenie, die durch Verminderung der Reak¬
tionsfähigkeit der verschiedenen Gewebe ausgezeichnet ist, findet sich
regelmäßig ein gewisser Grad von Infantilismus; hier ist die Ent¬
wicklungshemmung Teilerscheinung dieser geringen Reaktionsfähig¬
keit. Erhöhte Reaktionsfähigkeit findet sich bei einer großen Reihe
anderer Konstitutionsstörungen (exsudative Diathese, Status thymico-
fymphaticus, Vagotonie, eosinophile und Bindegewebsdiathese usw.),
die Borchardt unter dem Begriff Status irritabilis zusammen¬
gefaßt hat. Diese konstitutionellen Veränderungen kommen regel¬
mäßig bei gröberen Veränderungen der endokrinen Drüsen vor. Datier
findet sich der inkretorisch beeinflußte lufantilismus regelmäßig zu¬
sammen mit Status irritabilis. Die durch äußere Einflüsse bedingten
dystrophischen Formen des lufantilismus weisen keine engeren Be¬
ziehungen zu typischen Konstitutionsstörungen auf. — Auf Orund
der Pathogenese lassen sich 4 Formen des universellen Infan¬
tilismus voneinander abgreuzen: 1. Ererbter Infantilismus
durch abnorme Wachstumsanlage (meist mit ererbter Asthenie ver¬
bunden); 2. Infantilismus durch Keimschädigung (Blast-
ophthorie), insbesondere durch Alkohol, Blei, Röntgenstrahlen;
3. Infantilismus auf Grundlage endokriner Störungen
(hypothyreoid, hypophysär, thymipriv, pluriglandulär, Hypogenitalis¬
mus kann mit Infantilismus verbunden sein, ist es aber auch oft nicht);
4. dystrophischer Infantilismus infolge früh (unter Um¬
ständen intrauterin) erworbener Infektion (Syphilis, Tuberkulose,
Malaria usw.), Intoxikation (Alkohol), durch Ernährungsschäden
(Kriegskinder), Resorptionsstörungen (Herters intestinaler Infantilis¬
mus), bei angeborenen und früh erworbenen Herzfehlern. — Alle
Formen des dystrophischen Infantilismus können auf Lipoidmangel
bzw. Lipoidbindung durch Gifte zurückgeführt werden. Ob auch
dem endokrin bedingten Infantilismus eine Störung des Lipoidstoff¬
wechsels zugrundeliegt, ist unbekannt.
Besprechung. Rosenow: Zwei von ihm beobachtete jugend¬
liche Kranke mit typischem Infantilismus und starker Vergrößerung der
Milz und Leber (nepatospienomegale Form des Infantilismus) zeigten
eine sehr starke Erhöhung der Kohlenhydrattoleranz. Sie
vertrugen 200 bzw. 300 g (l) Traubenzucker nüchtern, ohne daß „eine
Glykosurie eintrat. Auch die (nur bei dem einen Fall geprüfte)
Toleranz für Lävulose war erhöht.
Jester: Die Wirkung von Grillen Glyzeriopepsio beim Slagltaf*
(Erscheint als Originalartikel in dieser Wochenschrift.)
Digitized by
Google
Original from
CQRNEILL UNiVERSlTY
24. März 1922
VEREINS- UND KONORESSBERICHTE
407
Hamburg, Aerztlicher Verein, 20. XII. 1921.
Offizielles Protokoll.
Vorsitzender: Simmonds. Schriftführer: Roedelius.
Rudolf Kaiser: Fall von Cholesteatom, das das Zellensystem
genau nach Art einer Ohrradikaloperation herausgearbeitet und dabei
Fazialislähmung verursacht hatte. Es war in der Hauptsache nur noch
die Ausführung der Plastik notwendig. Restlose Heilung.
Bi e mann: Fall von akuter syphilitischer Meniogitis bei einem
21jährigen Manne 5 1 /* Monate nach Infektion. Vorbehandelt mit 20 Hg-
Spritzen und 3 g Neosalvarsan. Htägige prodromale, an Intensität
zunehmende Kopfschmerzen. Bei Aufnahme schwerste meningitische
Erscheinungen. Hoher Liquordruck. Liquor leicht getrübt. Starke
Pleozytose; Phase 1 und Pandy -}-■ Wa.R. im Blut -j—}—j— j— , im Liquor
bis 0,3 -f—j—f-. Nach 1 Linser-Spritze schnelles Abklingen der schweren
Krankheitserscheinungen. Nach monatelanger Salvarsan-, Hg-, Jod-
kali- und Zittmann-Behandlung 1 Jahr nach der Infektion noch hoher
Liquordruck, geringe Pleozytose, Phase 1 und Pandy schwach -f-, Wa.R.
im Blut 0, im Liquor bis 0,7 —(-• Mitunter noch Kopfschmerzen.
Beiderseitige Stauungspapille mit beginnender Optikusatrophie.
Oehlecker: Bericht über operierten Hypophysistumor (zur Demon¬
stration Fahr). Die 31jährige Patientin mit Dystrophia adiposo-
genitalis war infotge Sehstörung, Kopfschmerzen, Schwindel usw.
schwer krank und zu keiner Tätigkeit fähig. Nach der vor 2-Vi Jahren
ausgeführten Trepanation des Türkensattels und Entfernung von
Sarkomteileu war die Patientin wieder völlig arbeitsfähig geworden.
Erst iu letzter Zeit wieder Verschlimmerung.
Fahr demonstriert das bei der Sektion gewonnene Präparat des
von Oehlecker operierten Falls. Es handelt sich um einen malignen
Tumor der Hypophyse, vermutlich von den Hauptzellen ausgehend, mit
völliger Zerstörung der Neurohypophyse und starker Kompression der
Hirnbasis (völlige Atrophie der Optici). Hypophysäre Kachexie (Sim¬
monds) fehlte, es wird angenommen, daß die von Hypophysenelemen¬
ten ausgehenden Tumorzellen die Funktion so weit aufrecht erhielten,
daß dies vermieden wurde. Es bestand Dystrophia adiposogenitalis. Es
werden an der Hand dieser und früherer Beobachtungen die verschie¬
denen auf die Dystrophie bezüglichen Theorien (B. Fischer, Erd¬
heim, Oottlieb) sowie die Lücken und Unklarheiten besprochen,
die hier in unsern Kenntnissen noch bestehen.
Trömner demonstriert a) einen Fall von Paralysis agltans, welcher
auch ohne Epithelkörperbehandlung eine der von Kühl gezeigten
ähnliche Besserung erlebt hat, und zwar nur durch Bettruhe und heiße
Bader. — b) Einen Knaben mit Myelodysplasie: Pes eqnimis, Ver¬
kürzung des Beines, Atrophie der Beinmuskeln. Ursache meist Ent¬
wicklungsstörungen in der Schlußlinie des unteren Medullarrohres.
Röntgennachweis einer geringen Spina bifida. Daß die Störungen
bei fortschreitendem Längenwuchs mehr hervortreten, rührt daher,
daß die Rückenmarkswurzeln durch evtl, narbige Verwachsungen
an genügender Ausdehnung verhindert werden. Man hat des¬
halb chirurgische Lösung solcher Wurzelverwachsungen versucht.
Auch Impotenz der Erwachsenen kann durch solche Dysplasien
bedingt sein. — c) Eine Charakterver Änderung nach Orippe: 13jähri-
es Mädchen, früher ruhig, fleißig, ordentlich, wurde nach einer im
rühjahr 1921 überstandenen Orippe ungezogen, unfolgsam, unauf¬
merksam und in der Schule im höchsten Maße störend durch ihre
Neigung zum Schabernack und Ungezogenheit. Auf der Straße ging sie
mit geschlossenen Augen oder neckte Hunde und Menschen und störte
ihre Mitschülerinnen auf alle Weise. Auf solche Charakterveränderungen
ist im letzten Sommer in Bonn von seiten Kirschbaum und W e s t p h a I
hingewiesen worden. Ihre Kenntnis ist in evtl, gutachtlicher Beziehung
wichtig. Zu erwägen bleibt aber, ob den scheinbaren Ungezogenheiten
nicht eine leichte chronische Manie zugrundeliegt, wie sie ebenfalls
nach Orippe, z. B. von Hudovernig, mehrfach beobachtet wurde.
Much: Spezifische nod unspezifische Reiztherapie. L Die spezi¬
fische bakterizide Serumtherapie beim Menschen hat ein
völliges Fiasko erlebt. Das ist auch rein wissenschaftlich verständ¬
lich. Denn erstens ist die Uebertragung von biologischen Tierver¬
suchen auf den Menschen sehr gefährlich, ja allermeist irrefüh¬
rend, somit wertlos. Ganz unzulänglich sind zweitens Reagenzglas¬
prüfungen. Drittens wird gegenüber der Blutimmunität die wichtigere
Zellimmunität nicht berücksichtigt. Außerdem bleibt viertens die un¬
spezifische Immunität außer acht, die mindestens ebenso wichtig ist
wie die spezifische. Fünftens stellt man sich nur auf die eine, und
zwar am schwersten zugängliche Seite des Kampfes, auf den Angriff,
ein. Auch die Chemotherapie als Sterilisatio magna hat diese Ein¬
stellung und muß damit den Rückzug antreten. Die Umstellung auf
die Körperabwehrkräfte hat doppelten Vorteil: 1. bietet der Körper
selbst die nötigen Kräfte auf, 2. können auch Krankheiten ohne
erreichbaren Erreger biologisch bekämpft werden. Das will die
Vakzine- oder Reiztherapie. Die spezifische erklärt sich in ihrer
Wirkung aus dem Satz: Corpora non agunt nisi soluta, aus der Lage
des Herdes und aus dem biologischen Rei^gesetz, das sich wieder
aus dem Weigertschen Gesetz erklärt. Die biologische Wirkung
kleinster Reize ist bewiesen. Zur Erzeugung von Immunkräften beim
Gesunden kann man größere Impfstoffmengen nehmen, da sie hier
auch nur kleine Reize bedeuten. Es geht aber auch, wie wir und
Friedberger zeigten, mit minimalen Mengen. Kranke dagegen
stehen schon unter einem Reiz. Also Vorsicht geboten. Aber auch
der kleine spezifische Reiz kann nur wirken, wenn er ein anderes
System trifft als der große Krankheitsreiz. Es drängt alles zur Reiz-
messung. Zwei Wege: tastend oder vorher ausgewertet. Nur der
zweite sicher. Es genügt praktisch die Messung der Zellimnumität,
am besten in der Haut. Die Haut ist nicht nur Nachweisorgan, son¬
dern auch Bildungs-, zum mindesten Vermittlungsorgan der Immunität.
Hat man die geringste Reizmenge einer Vakzine festgestellt, so gibt
es für die Behandlung drei Wege: 1. erschleichend mit häufigen
kleinen Mengen, 2. mittlere Mengen in Pausen, 3. Schwellenreizung
mit einmaliger stärkerer Menge und kleinste Reize, nachher Zuführung
der Vakzine in die Haut. Auch die Behandlung selbst kann man bio¬
logisch kontrollieren. Praktisch wird man alle Messungen mit der
Benandlungsvakzine selber machen. Anwendung: Nicht bei den
akuten Krankheiten, wo schon der ganze Körper spezifisch gereizt
ist. Hier kann nur ein Reiz anderer Art wirken. Am besten eignen
sich die chronischen, vor allem Tuberkulose. Doch auch hier Grenzen.
Erklärung zum Teil aus Teilreizen. Hinweis auf die Lipoidantikörper.
Partigenbehandlung ist die bis in die äußerste Spitze verfolgte
Spezifitätsbehandlung. Dennoch leistet bei Tuberkulose die unspezi¬
fische Behandlung oft dasselbe. Indessen immer über die spezifische
Immunität. Tuberkulose steht unter dem Walten der spezifischen
Kräfte. Einblick ist also nur mit ihnen möglich; Eingriff da¬
gegen kann auf die verschiedenste Weise erfolgen. Das ist der Sinn
der Partigenlehre. Bei subchronischen Krankheiten kommen spezifische
Kräfte vor; die unspezifischen können aber auch allein wirken. Man
kann hier also auch allein mit der unspezifischen Reiztherapie aus-
kommen. II. Die unspezifische Reiztherapie ist ferner für die akuten
Krankheiten und ihre Erreger nicht erhältlich (Rheumatismen,
Gelenkleiden, Hautkrankheiten usw. usw.). Auch hier ist Dosierung
die Hauptsache. Viele Mißerfolge erklären sich wohl aus mangel¬
hafter Dosierung. Aber ein biologisches Meßverfahren steht hier
leider noch aus. Besprechung des Werdeganges der Lehre von der
unspezifischen Immunität und der Therapie nebst den Mitteln. Ein
einfaches chemisches Reizmittel wäre gewiß zu begrüßen. Yatren. Die
drei Arten des Vorgehens. Die starke Schwellen reizung nur bei ab¬
gestumpften Systemen, sonst einschleichendes Verfahren, das als
solches immer den Vorzug verdient. Also nicht Sterilisatio, sondern«
Stimulatio. Hinweis auf die biologische Wirkung auch der andern
Verfahren außer den Einspritzungen. Da die verschiedensten Reize
dieselbe Wirkung haben, so deutet das auf ein gemeinsames Binde¬
glied. Entweder erzeugen sie alle denselben physikalischen Zell¬
zustand oder dieselben Zerfallsstoffe. Oder sie wirken auf ein ein¬
heitliches Immunitätssystem. Oder beides. Die Versuche von Freund
(einheitliche Körperzerfallsstoffe) konnten wir bisher nicht bestätigen.
III. Anhang. Organtherapie. In diesen Zusammenhang gehört
natürlich nicht die Zufuhr von Organstoffen (z. B. Thyreoidea¬
stoffe bei Schilddrüsenschwund). Diese Organersatztherapie
gehört nicht hierher, sondern lediglich die Organ re iz therapie,
die den gestörten Betrieb einzelner Organe wiederherstellen will.
(Erscheint als Heft 2/3 der Modernen Biologie, Kabitzsch.)
Freiburg, Medizinische Gesellschaft, 17.1.1922.
Offizielles Protokoll«
Vorsitzender: Lexer. Schriftführer: Rominger.
Lexer: Demonstrationen. Ein Fall von Schultergelenksanky-
lose operiert nach eigenem Verfahren tnit ausgezeichneter Beweglichkeit.
E. Küppers: (Jeher einige Eigentümlichkeiten der vegetativen
Innervation und die vegetative Sensibilität. Die Tatsache des Ant¬
agonismus zwischen dem sympathischen und dem parasympathischen
Teile des vegetativen Nervensystems ist wenig geeignet, als Grund¬
lage für die Einteilungsversuche innerhalb des vegetativen Bereiches
zu dienen. Man sollte vielmehr alle bekannten Tatsachen in Be¬
tracht ziehen, also außer dem Effekt vor allem Ursprung, Verlauf
und Endigungsweise der Bahnen. Von diesem Gesichtspunkte aus
kann das parasympathische System in gewissem Sinne als aas „System
der inneren Körperoberfläche“ aufgefaßt werden; denn die Reizung
der parasympathischen Fasern fördert die Leistungen von: Sphincter
iridis, Ziliarmuskel, Tränendrüse, Speicheldrüsen, Bronchialmuskeln,
Speiseröhre, Magen, Bauchspeicheldrüse, Leber (Gallensekretion),
Gallenblase, Dünndarm, Dickdarm, Mastdarm, Niere, Blase (Harn¬
ausstoßung). — Das sympathische dagegen ist das „System des or¬
ganischen Raumes“, umfassend die Zirkulationsorgane, die Haut als
Körperbedeckung (nicht als Sinnesorgan) und die Geschlechtsorgane;
denn seine Reizung fördert die Leistungen von 1. Herz, Gefäßen und
Nebennieren, 2. Schweißdrüsen und Hautmuskeln und 3. Genitalien.
Da sich ferner zeigen läßt, daß das parasympathische System be¬
sonders enge Beziehungen zum „muralen“ oder „.enteralen“ System
hat, d. h. zu den Geflechten um die Eingeweide herum, so ergibt
sich folgendes Schema des gesamten Nervensystems:
Murales System •«- Parasympathisches S... .-*> Animalisches System
\
Sympathisches S. Protopathisches S.
Unter dem protopathischen System ist dabei die von He ad heraus¬
gesonderte allgemeine Körpersensibilität 2 U verstehen, die die Emp¬
findungen von Schmerz, Kitzel, Wollust und dumpfem Druck, von
Wärme und Kälte außerhalb der Grenzen von 26 und 37°, ferner
auch von Ekel, Behagen und Mißbehagen und anderen Zuständen
des vegetativen Bereiches leitet. Es läßt sich nachweisen, daß diese
Sensibilität mit der vegetativen identisch ist und daß sie in besonders
engen’ Beziehungen zum sympathischen Teil des vegetativen Systems
stent (dagegen nicht zum parasympathischen). Es sind somit — zu¬
nächst in jedem Segment, schließlich auch im Vorderhim — drei
reflexbogenartig gebaute Nervensysteme zu unterscheiden: das murale,
Difitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
408
VEREINS* UND KONQRESSBERICHTE
Nr.-12
das animalische und das „basale“, dessen sensibler Schenkel vom
protopathischen, dessen motorischer vom sympathischen System dar¬
gestellt wird. Die zentrale Vermittlung zwischen diesen Systemen
wird durch das parasympathische und zwei weitere in der Zere-
brospinalachse anzunehmende „Kernsysteme“ hergestellt. — Die im
Vortrag näher entwickelte Auffassung von den funktionellen Zusam¬
menhängen im Gesamtnervensystem ist dadurch gekennzeichnet, daß sie
die Lokalisation des Psychischen erlaubt. (Die ausführliche Arbeit wird
im nächsten Hefte der Zschr. f. d. ges. Neurol. veröffentlicht.)
v. Szily: Aufstellung von morphologischen Grundtypen der Papilla
nerv! optici in der Wirbeltierreihe (Fische, Vögel, Reptilien, Säuger)
auf Grund von vergleichend entwicklungsgeschichtlichen Unter¬
suchungen nebst Bemerkungen zur Phylogenese des Wirbeltierauges
(mit Demonstration). Nach der allgemein herrschenden Anschauung
sind bezüglich des Auges in der ganzen Wirbeltierreihe niedere Zu¬
stände nicht erkennbar (Gegenbaur, Froriep u. a.). Auch die
Embryologie erwies sich bisher diesem Organ gegenüber vollkommen
machtlos; wir finden wohl Verschiedenheiten im einzelnen, aber bis¬
her konnten keine ontogenetischen Einrichtungen aufgedeckt werden,
aus welchen auch nur mit irgendeinem Grad von Sicherheit Rück¬
schlüsse auf hypothetische Stadien der Phylogenese abzuleiten wären.
Das gilt auch für das ophthalmoskopische Bild der vollentwickelten
Papilla nervi optici. Wobl gibt es hier bekannte Unterschiede von
teilweise prinzipieller Bedeutung, die sich neben der Form und Be¬
grenzung der Papille auf Vorhandensein oder Fehlen, Zahl und Ver¬
teilung der Gefäße in der Netzhaut, die Farbe des Augenhinter¬
grundes (Tapetum) und das Vorhandensein von gewissen Anhangs*
Organen der Papille, wie Fächer (oder Pekten) bei Vögeln, Zapfen
und Polster bei Reptilien und Leiste bei Fischen, beziehen. In dieser
Hinsicht können sogar im System sehr nahestehende Arten weit¬
gehende Unterschiede aufweisen, und man wird sehr enttäuscht,
wenn man annehmen würde, daß kein Emporsteigen in der Wirbel¬
tierreihe eine regelmäßige Annäherung des Augengrundbildes an
»das der Säuger, etwa des Menschen, zu konstatieren sei. Der im
fertigen Zustande kompliziertere Bau ist auch nicht immer als Zeichen
einer höheren Stufe der Entwicklung anzusehen. Hier den richtigen
Weg zu weisen, blieb der durch Erfolge auf anderen Gebieten der
Phylogenese erprobten, vergleichenden Entwicklungsgeschichte Vor¬
behalten. Verfolgt man die Papillogenese bis in die frühesten
Stadien der Entwicklung, so gelingt es, hier verschiedene Grund¬
typen voneinander zu unterscheiden, die später, nach erfolgter
Neurotisation und Dazutreten der sog. Anhangsgebilde (Gefäße,
Fächer, Polster und Zapfen, Leiste) nicht mehr oder nicht mehr mit
derselben Klarheit zu erkennen sind. Wenn nun auch die „Pa¬
pilla nervi optici primitiva s. embryonalis“ bei den ver¬
schiedenen Gruppen der Wirbeltiere prinzipielle Unterschiede aufweist
— eines haben alle gemeinsam, und das ist die wichtige Rolle, die
dabei die Becherspalte spielt. Diese hat als solche, wie es nun¬
mehr feststeht, die Aufgabe, zur Zeit des kräftigen Anwachsens
der gesamten Augenaulage und der Umwandlung der Augenblase
zum Augenbecher, an einer umschriebenen Stelle den Zusammenhang
der Retina mit dem Becherstiel zu vermitteln und aufrechtzuer¬
halten. Die Knochenfische bleiben durchweg auf dieser nied¬
rigsten Stufe stehen und zeigen somit den reinenBecherspalten-
typ. Die Becherspalte bleibt in ganzer Länge offen (Processus falci-
formis), und eine Verschmelzung der Spaltränder tritt hier nur im
vordersten Abschnitt, im Gebiet der Kampanula (Musculus retractor
lentis) ein. Die Papille beschränkt sich nur auf das mediale Ende
der Becherspalte. Der hier dauernd bestehenbleibende Zustand ist
als Entwicklungsstadium allen Wirbeltieraugen gemeinsam, nur daß
bei diesen damit die Papillogenese nicht abgeschlossen ist, sondern
sich daran noch weitere, zum Teil komplizierte Entwicklungsvorgänge
anschließen. Beim Typus „Vögel“ kommt als etwas Neues die
Verschmelzung der Becherspaltenränder dazu, aber ohne spätere
sekundäre Trennung der beiden Blätter des Augenbechers in dem
Bereiche der eigentlichen Papillenanlage. Eine Trennung in ein
inneres oder retinales und ein äußeres oder Pigmentblatt, tritt nur
im vordersten Abschnitt ein, der nicht mehr zur Papille hinzugehört.
Dadurch erklärt sich auch die längliche Papillenform bei
diesen Tieren. Der Fächer (Pekten) entwickelt sich aus einer gliösen
Umwandlung jenes zentral gelegenen Zellstreifens der embryonalen
Papillenanlage, der durch das seitliche Einbiegen der Sehnerven-
fasem abgegrenzt wird und von der Neurotisation verschont bleibt.
Der Fächer ist somit nur ein Anhangsgebilde der embryonalen Pa¬
pillenanlage. Der Typus „Reptilien“ zeigt wieder ein prinzipiell
verschiedenes Verhalten. Hier verwachsen die Spaltränder in ganzer
Länge, aber es tritt ebenso in ganzer Länge die sekundäre Trennung
wieder ein, sodaß der ganze Augenbecher doppelwandig ist. Die
vollständige Loslösung des inneren Blattes vom Becherstiel wird am
medialen Ende der Becherspalte vom embryonalen Glaskörpergefäß
verhindert, um das herum sich eine ringförmige (später kreis¬
runde) embryonale Papillenanlage bildet. Der Zapfen oder
Polster der Reptilien ist keine „Vorstufe“ des Fächers der Vögel
und diesem auch nicht homolog; er ist im Gegensatz zu letzterem
bindegewebigen Ursprunges. Die höchste Stufe der Entwicklung
erreicht aber die „Papilla nervi optici primitiva s. embryonalis“ mit
dem Typus „Säuger“. Dieser ist dem Reptilientyp ähnlich wird
iedoch —- begünstigt durch eine größere Hohlraumbildung zwischen
Retina und Pigmentblatt sowie durch das breitere Lumen am okularen
Ende des Becherstieles — geradezu zu einem wohlumgrenzten be-
sonderen Abschnitt der embryonalen Augenanlage una bildet hier
das von Szily sog. „röhrenförmige Schaltstück“. Mit ein¬
setzender Nervenfaserentvvicklung verschwinden die Zellen der em¬
bryonalen Papillenanlage, und es bleibt nur die Pforte übrig, durch
die die Fasern des Sehnerven das Auge verlassen. — Untersuchungen
an anderen Tierarten sollen die Befunde ergänzen. Jedenfalls ist
durch die Aufdeckung von verschiedenen Typen der primitiven
Papillerranlage zum erstenmal gelungen, gewisse prinzipielle Unter¬
schiede, im Sinne einer niedrigeren und höheren Stufe der Ausbildung
bei den verschiedenen Wirbeltiergruppen in der Entwicklung des
Auges nachzuweisen. Die Vögel fallen zunächst als eine Abzwei¬
gung aus diesem Rahmen etwas heraus. Die primitivste Form würden
aber die Knochenfische darstellen. Zur Durchführung der stammes¬
verwandtschaftlichen Analyse kann ferner der bei dieser Gruppe am
kräftigsten entwickelte Muse, retractor lentis mit herangezogen wer¬
den, der bei Sclachiern — bei welchen teilweise ontogenetisch die
Verschmelzung der Becherspaltenränder im Bereiche der Papillen-
anlage zuerst auftritt — im allgemeinen schon viel weniger stark
entwickelt und anscheinend auch weniger funktionstüchtig ist (v. Heß).
Aber selbst bei manchen Amphibien scheint ein damit homologes
Gebilde zwar nicht mehr als Muskel, wohl aber noch als knopf¬
förmiges Rudiment vorzukommen. Bei diesen ist dann auch die
Becherspalte in ganzer Länge geschlossen. Auf Grund der Papillo¬
genese und den zuletzt erwähnten Gebilden kann daher schon jetzt
mit der nötigen Reserve und den bei phylogenetischen Rückschlüssen
stets wahrzunehmenden Einschränkungen, wenn auch nicht im Sinne
der direkten Weiterentwicklung, die folgende Reihenfolge auf¬
gestellt werden: Knochenfische, Selachier, Amphibien, Reptilien, Säuger.
Würzburg, Physikalisch-medizinische Gesellschaft,
I. XII. und 15. XII. 1921’).
Offizielles Protokoll.
Vorsitzender: Wessely. Schriftführer: Süßmann.
(1. XII.) Trauerfeier für Dietrich Gerhardt (f 31. VII. 1921). Oe-
dachtnisreden von K. Wessely, E. Magnus-Aisleben und Friedrich
v. Müller (München).
(15. XII., 72. Stiftungstag.) K. Wessely: Ueber Pathogenese ttod
Therapie der Netzbautablösang. Wessely gibt einen historischen
Ueberblick über die Entwicklung unserer Vorstellungen von der Ent¬
stehung der Netzhautablösung, die ein gewisses Schwanken zwischen
der sogenannten Retraktions- und Exsuaationstheorie aufweisen. Die
Annahme, daß der Ablösung der Retina ein primärer Erguß aus
den Aderhautgefäßen zugrundeliegc, geht noch auf die vorophthal¬
moskopische Zeit zurück und wurde besonders durch Arlt gestützt.
Sie wurde aber fast allgemein verlassen, nachdem St eil wag,
H. Müller, Leber und Rählmann gegen sie geltend gemacht
hatten, daß ein postretinales Exsudat im geschlossenen Bulbus nicht
entstehen könne, ohne eine starke Drucksteigerung zu verursachen,
die ihrerseits die Abdrängung der Netzhaut verhindern müsse. Leber
kam daher zur Aufstellung der Schrumpfuiigstheorie, welche die pri¬
märe Veränderung im Glaskörper sucht und annimmt, daß durch
schrumpfende Glaskörperstränge die Retina zeltförmig hochgehoben
und zum Einreißen gebracht werde, wobei sich Glaskörperflussigkeit
hinter sie ergieße. Wessely hat aber in eigenen Experimenten, die
er erneut demonstriert, zeigen können, daß auf dem Wege reiner
Exsudation aus den Aderhautgefäßen, nämlich durch Verbrennung
zweiten Grades von der Sklera aus, an Tieren große blasige Netz¬
hautablösungen erzeugt werden können, die den beim Menschen beob¬
achteten in weitem Maße gleichen, daß also die Einwände gegen die
Exsudationstheorie unberechtigt und rein theoretischer Natur sind.
Auch spricht gegen allgemeine Gültigkeit der Schrumpfungstheorie
die Tatsache, daß ein Netzhautriß nicht unbedingt zur Ablatio retinae
ehört, Glaskörperstränge häufig vermißt werden, die postretinale
lüssigkeit hohen Eiweißgehalt zeigt und sich der Schwere nach hinter
der Netzhaut senkt, sowie daß eine Anlegung der Ablösung in einem
bestimmten Prozentsatz der Fälle erfolgen kann. Leber hat des¬
wegen seine Theorie später auch weitgehend modifiziert, indem er
den schrumpfenden Prozeß in einer Präretinitis sucht und die Trans-
sudation aus den Aderhautgefäßen ex vacuo erfolgen läßt. Wessely
weist nun an der Hand eines großen Materials anatomischer
Untersuchungen unter zahlreichen Demonstrationen nach, daß es
bei den Formen von Netzhautablösungen beim Menschen (my¬
opische, arteriosklerotische, albuminurische, traumatische, ferner bei
Aderhauttumoren, Orbitalphlegmonen usw.) äußerst schwer ist, zu
analysieren, wie Schrumpfungszug von vorn und Exsudationsdruck
von hinten sich gegenseitig zueinander verhalten, daß die Entschei¬
dung, welcher von beiden Vorgängen der primäre, welcher der se¬
kundäre ist, aus dem anatomischen Bilde vorgerückter Fälle — und
fast nur solche kommen zur Autopsie — ifteist ganz unmöglich ist.
Die Fragen bedürfen also wdter noch eines viel eingehenderen Stu¬
diums, als nach den Leb ersehen Untersuchungen gemeinhin an¬
genommen wird, und vor allem ist der experimentelle Weg unter
anatomischer Kontrolle weiter zu beschreiten. Auch in der Therapie
kann ein einseitiger Standpunkt nur schaden. Noch keine der zahl¬
losen Behandlungsmethoden hat, allgemein betrachtet, bemerkenswerte
Erfolge zu verzeichnen gehabt. Jede hat in Einzelfällen einmal günstig
gewirkt, in der überwiegenden Zahl aber versagt. Das kann bei der
Vielgestaltigkeit des Entstehungsmechanismus der Netzhautablösungen
nicht wundernehmen, und nur aus einem tieferen Eindringen in das
Verständnis desselben sind Fortschritte in der Behandlung zu erwarten.
l ) Bei der Redaktion eingegangen am 10. II. 1922.
Verantwortlicher Redakteur: Qeh.8an.-Rat Prof. Dr. f. Schwalbe. — Druck von Oscar Brandstetter In Leipzig.
Digitized by Poesie
Original fro-m
CORNELL UNIVERSUM
Deutsche Medizinische Wochenschrift
Begründet von Dr. Paul Börner
HERAUSGEBER: VE R LAO:
Geh. San.-Rat Prof. Dr. Schwalbe GEORG THIEME/ LEIPZIG
Berlin-Charlottenburg, Schlüterstraße 53 Antonstraße 15
Nummer 13
Freitag, den 31. Mfirz 1922
48. Jahrgang
lieber Degeneration und Regeneration.
Von Prof. Pani Emst in Heidelberg.
11 .
Die Regeneration 1 ).
Mit der Regeneration betreten wir das Gebiet der Assi¬
milation, der Einlagerung der Nahrungsstoffe und ihrer Abkömm¬
linge in die Zellen in der Form, welche der Eigenart der Organe
entspricht. Die Stoffe werden den spezifischen Bestandteilen der
Zelle ähnlich oder gleich gemacht („angeähneit“), ein Vorgang, der
mit Synthese zu größeren Molekülen einhergeht und dem Aufbau
unter qualitativer Veränderung der Substanzen dient. Die Nahrung
wird in neue Lebenssubstanz umgewandelt.
Das Gebiet der Regeneration, der Wiedererzeugung
verloren gegangener Teile, des Ersatzes und der Erneuerung
im Dienst der Ausbesserung (Reparation), der Wiederher¬
stellung des Ganzen ist von Alters her (Aristoteles) gepflegt
worden und hat sein Sinnbild in der Sage von der Hydra gefunden,
der an Stelle des abgeschlagenen Kopfes zwei neue wuchsen. Die
periodische und physiologische Regeneration des Hirschgeweihes,
die Mruserung der Vögel, die Häutung bei Arthropoden, Krustazeen,
Amphibien und Reptilien, der Haar- und Zahnwechsel der Säuger
gewannen auch den Laien, den Jäger, den Tierfreund, Züchter und
Landwirt für diese Fragen. Spallanzani verglich das Aussprossen
zerschnittener Polypen und Würmer mit Stecklingen der Pflanzen,
und seit 80 Jahren kennt man die Regeneration der Kristalle. Das
Gebiet ist reich an Wundern. Kein Wunder, daß gerade hier die
mechanische Betrachtungsweise oft Versagte und das Feld dem Vitalis¬
mus überlassen mußte. Angesichts der Aequipotenz und Totipotenz
(Gleich- und Ganzwertigkeit) der Furchungskugeln der Seeigeleier
verzichtet Driesch auf jede Maschinentheorie, verkündet die Auto¬
nomie der Lebensvorgänge, ihre Unbeweisbarkeit durch mechanische,
chemisch-physikalische Gesetze und ergibt sich dem Vitalismus, indem
er in der Entelechie (in Erinnerung an Aristoteles) den elemen¬
taren Ausdruck für die Eigengesetzlichkeit des Lebendigen findet,
— ein Markstein in der neueren Biologie.
Andern erschien die Regeneration als Ergebnis von Erregungen
oder Reizen, auf welche die Reaktion in den Bahnen der phylo¬
genetisch eingeübten und vererbten Entwicklungsvorgänge verliefe,
und als Mneme, d. h. als Wiederholung der zeitlichen Reihe von
Vorstufen erfolgte. Die Wurzeln der Regeneration führen auf Fort¬
pflanzung und Wachstum, also auf Hauptkennzeichen des Lebens
zurück. Kein Gebiet lockte wie dieses, die Fragen nach den formativen
Reizen zu erörtern. Alle Tierklassen liefern wunderbare Zeugen
einer geradezu erstaunlichen Restitutionskraft, sodaß wie kaum
irgendwo hier der Satz gilt: Wer nur die Medizin kennt,
der kennt nicht einmal die Medizin!
Anderseits ist auf diesem Boden die Entwicklungsmecha¬
nik gewachsen und erstarkt und hat die Begriffe der Polarität,
der Homo- und Heteromorphose, der Epi- und Neo-
morphose, der Morph allaxis, der Postgeneration, der
Superregeneration, der Autotomie, der funktionellen
Anpassung, der Selbstdifferenzierung und funktionel¬
len Entwicklung, der prospektiven Potenz geschaffen.
Nach Zerstückelung von Protozoen (Stentor) bis zu Ve des
Körpervolumens sah man Herstellung des Tieres unter Umformung
und Umarbeitung des Materials, vorausgesetzt, daß das Teilstück
im Besitz eines Kemteils war. Kernlose Stücke gehen zugrunde,
ähnlich wie kernlose Eistücke von Seeigeln zugrundegehen, wenn
ihnen nicht etwa ein Spermakern zugeführt wird. Mit Hydroid-
polypen (Cölenteraten) hat Trembley schon 1740 erfolgreiche
Versuche angestellt und brachte Stücke von A /e des Tieres zur Ganz¬
bildung. Bei Tubularien (Hydroidpolypen) muß jede Zelle als eine
Anlage des Polypen gelten (Totipotenz), denn es wachsen aus dem
kleinsten Stücke sogar Doppelköpfe. Man sah isolierte Zellen mit
amöboiden Bewegungen zu Aggregaten zusammentreten und ganze
Tiere bilden. Aus einfachsten Bestandteilen stellt der Organismus
das Ganze her. Bei den Aktinien (Korallen) sprossen überall aus
seitlichen Einschnitten Tentakeln heraus, und man kann so ebenfalls
l ) Siehe den Aufsatz Ober Degeneration in Nr. 7.
Tiere mit zwei Köpfen erzeugen. Schon hier begegnet man der
Heteromorphose, wo das Neue dem Alten nicht entspricht,
wo ein nach Form und Funktion anderes Organ hervorwächst, als
zu erwarten war.
Das ausgiebigste Versuchsfeld stellen die Würmer. Beim Regen¬
wurm haben die Endpole nur gleichpolige Potenz, d. h. die
Enden können nur entweder Kopf oder Schwanz bilden, während
das Mittelstück aus wenigen Körperringen totipotent ist, also je
nach Umständen sowohl Kopf wie Schwanz bilden kann. Die Strudel¬
würmer, Planarien, ergänzen aus dem 100. Teil ihres Volumens aus
irgendeiner Stelle das ganze Tier, und man kann ihnen je nach
der Verletzung überall, sogar nach hinten Köpfe hervorwachsen
lassen. Vereinigt man zwei Regenwurmstücke nach Entfernung ihrer
Kopfenden und entfernt nun das eine Stück bis auf einen kleinen
Rest, so regeneriert ein Kopf statt des Schwanzes; das ist Hetero¬
morphose durch Umkehrung der Polarität. Schafft man durch
die Wunden zwei Regenerationszentren, etwa durch Spaltung am
Vorder- oder Hinterende, so erzielt man Doppel- und Mehrfach¬
bildungen (Köpfe, Schw'änze), Superregenerationen, die als
Mißbildungen längst bekannt sind und die ganz ähnlich bei Arthro¬
poden (Krebsscheren), bei Amphibien (Schwanz von Kröte und Triton),
Reptilien (Schlangenköpfe) Vorkommen.
Während nun in der Regel das neue Material durch Zellteilung
aus dem alten stammt, also Gleiches aus Gleichem entsteht,
z. B. Epithel aus Epithel, Muskel aus Muskel, Bindegewebe aus
Bindegewebe, Ganglienzelle aus Ganglienzelle, Darmepithel aus
Darmepithel, so hält sich bei Anneliden das neue Material nicht
einmal an das gleiche Keimblatt, sondern baut sich aus indifferenten
Zellen der Knospe auf, z. B. Vorder- und Enddarm, ja Muskel und
Nervensystem, sogar aus dem Ektoderm, sodaß also die Regeneration
nicht schlechthin die Ontogenie wiederholt. Das widerspricht der
Keimblätterlehre, die die Organe auf bestimmte Schichten des Em-
biyonalkörpers zurückführt. Einander widersprechende Angaben über
Bildung des Vorderdarms, bald aus Entoderm, bald aus Ektoderm,
brauchen nicht auf Beobachtungsfehlern zu beruhen, sie.zeigen viel¬
mehr, daß die Natur das Verlorengegangene aus dem Vorhandenen,
Stehengebliebenen neu aufbaut, wenn es geht: Gleiches aus Gleichem.
Ist dies aber nicht durchführbar, so weiß sie sich zu helfen und
nimmt das Material, wo sie es findet. Doch ist dieser Satz nicht
ohne weiteres auf höhere Tierformen anzuwenden.
Bei Clavellina, einer Aszidie, bildet sich der Kiemenkorb mit
Kiemenspalten, Siphonen und Nervenzentren aus dem Eingeweide-
sack, also nicht Gleiches aus Gleichem, sondern ein typisch ge¬
stalteter Körperteil aus einem ganz anders gestalteten Teil. Ebenso
wächst aus einem Kiemenkorb oder einem Stammstolo das ganze
Tier wieder, wobei oft eine Reduktion der Größe auftritt. Die
Aszidien verdienen deshalb besondere Beachtung, weil ihre Larve
durch eine Chorda dorsalis sich dem Wirbeltiere nähert. Gerade
hier findet eine starke Umordnung, Umformung, Verlagerung und
Umarbeitung, Umgestaltung (Morphallaxis) des Materiales zum
Aufbau des Neuen statt.
Abgeschnittene Arme von Echinodermen regenerieren nur
in Verbindung mit einem Teil der Körperplatte, wenn dieser Rest
auch nur Vs der Platte beträgt. Die Platte allein ist beim Schlangen-
stem nicht regenerationsfähig, doch sichert ein einziger Arm ihre
Regeneration. Diese geschieht nach der Spezifizität der Keimblätter,
so bilden sich Nerven aus dem Ektoderm. Aber der berühmteste
Versuch an Stachelhäutern betrifft doch das Seeigelei, wo Driesch
zeigte, daß Vi Blastomere (=* eine Blastomere des Vierzellenstadiums)
noch einen ganzen ausgebildeten Pluteus (Larve), Vs Blastomere noch
Gastrula mit Darmgliederung, Vis Blastomere Gastrula ohne Darm¬
gliederung, Vss °ur noch Blastula zu bilden vermögen. Alle Blasto*
meren sind also gleichwertig und ganzwertig, und die prospektive
Potenz („das mögliche Schicksal“) nimmt mit fortschreitender Dif¬
ferenzierung der Elastomeren ab. Bis zur 4. Teilung sind die Blasto-
meren ganzwertig (totipotent), wenn auch in späteren Stadien nicht
mehr vollwertig, sondern mehr und mehr minderwertig. Das See¬
igelei als harmonisch äquipotentielles System bewog Driesch zur
Abkehr vom Mechanismus und zum Bekenntnis des Vitalismus.
Bei den Weichtieren regenerieren Fuß und Mantel, Fühler
der Schnecken mit dem endständigen Auge, Arme der Tintenfische
und auch die Schalen. Unter den Arthropoden regenerieren am
wenigsten die Insekten, am meisten die Krustazeen, zum Beweis, daß
Digitized by
Gck igle
Original fmm
CORNELL UNiVERSITV
410
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 13
der Satz nicht schlechthin gilt, die Regeneration nehme stetig von
der höheren zur niederen Tierform ab. So übertrifft die Regenera-
tionsfähigkeit der Amphibien die der Echinodermen, Amphibien (Sala¬
mander) regenerieren noch besser als gewisse Würmer (Blutegel),
ln jeder Tiergruppe gibt es Formen mit großer und geringerer Re¬
generationsfähigkeit. Immerhin sind niedere Formen reicher an re¬
generierenden Arten als höhere, auch regenerieren im allgemeinen
Larven besser als erwachsene Tiere. Beim Frosch nimmt die Re¬
generation mit jedem Entwicklungsstadium ab. Uebrigens sind unsere
Kenntnisse noch keineswegs abgeschlossen. Man hat neuerdings
Regenerationen an Arten gefunden, wo dergleichen nicht bekannt war
(Beine des Marmelmolches, des Höhlenkriechers, des ürottenmolchcs).
Also ist die Regeneration in der Natur viel verbreiteter, als man
ahnte. Krabben und Flußkrebse regenerieren abgeworfene Scheren
und Beine. Ein Krebs Alpheus mit ungleichen Scheren tauscht die
Scheren um. Wird die große Schnalzschere abgeworfen oder ent¬
fernt, so regeneriert sie sich zur Zwickschere, die bisherige Zwick¬
schere nimmt den. Charakter der Schnalzschere an, und die Scheren
sind vertauscht. Erneute Amputation der neuen Schnalzschere schafft
die alten Verhältnisse. Nach Durchschneidung der Nerven der Zwick¬
schere unterbleibt ihre ürößenzunahme zur Schnalzschere, doch soll
die Scherenumkehr auch nach Durchtrennung der Nerven erfolgen
können. Dieser Einfluß des Nervensystems auf das Regenerat wird
noch deutlicher in Herbsts berühmtem Versuch: Amputiert er einer
Languste Palinurus ein Auge unter Erhaltung des Augenstiels mit
Ganglion, so regeneriert sich das Auge, nimmt er aber Auge mitsamt
dem Stiel und Ganglion fort, so tritt ein minderwertiger Ersatz in
Gestalt einer fühlerähnlichen Antenne ein. Das schönste Beispiel
für Heteromorphose. Herbst nimmt einen formativen Reiz an und
verlegt ihn ins Ganglion.
Andere sehen darin einen phylogenetischen Rückschlag, Ata¬
vismus, indem sie die ursprüngliche Gliedmaßennatur der Stiel¬
augen annehmen, wie auch Krebse phylogenetisch ältere Formen
der Scheren neubilden sollen. Daß bei Mangel des Ganglions die
minderwertige Potenz, das niedrigere Organ, zuweilen fossile Formen
eintreten, zeigen zahlreiche Beispiele an Strandkrabben, auch Schmet¬
terlingen mit bipotenten Anlagen von Körperanhängen (Fühler, Kiefer,
Flügel, Beine). Die Wiedererzeugung durchliefe nach dem bio¬
genetischen Grundgesetz die Stufen der Vorfahrenreihe wie
die erstmalige Entwicklung. Der Einfluß des Nervensystems ist be¬
sonders für die Periode der funktionellen Entwicklung von Be¬
deutung, während das Stadium der Selbstdifferenzierung vom Nerven¬
system unabhängig ist.
An Arthropoden (Krebsen, Weberknechten, Spinnen, Tausend¬
füßern, Heuschrecken) hat man die sonderbare Selbstverstümmelung
(Autotomie) beobachtet, die auch vom Eidechsenschwanz allgemein
bekannt ist, und zwar geschieht die Lösung an vorgebildeten Brudi-
stellen oder Bruchgelenken. Dieses Verfahren erscheint uns als eine
Art Schutzvorrichtung, die in Anwendung kommt, wenn dem Glied
Gefahr droht.
Unter den Wirbeltieren haben die Amphibien am meisten
zum Versuch herha!*en müssen. Die Regeneration der Gliedmaßen
des Salamanders hat schon Spallanzani 6mal hintereinander wieder¬
holt. In ähnlicher Weise hat Ribbert über lOOmal die Epidermis
am Kaninchenohr abgekratzt und wieder erzeugen lassen, und bei
Ringelwürmern hat man 8—9mal aufeinanderfolgende Kopf- und
Schwanzbildung am selben Tier erlebt. Doppel- und Mehrfachbildung
(Superregeneration) kommen bei Amphibien häufig vor: Am Becken
und Hinterglied der Kröte, Doppelkopf und Polydaktylie bei Triton.
Die erscheinen uns dann als Mißbildung. Am Amphibienei hat sich
jene Erörterung darüber abgespielt, ob nach Zerstörung einer Blasto-
mere im Zweizellenstadium sich zuerst eine Halbbildung (Hemi-
embryo) und durch nachträgliche Postgeneration erst eine
Ganzbildung herausstellte. Darin scheinen sich verschiedene Tier¬
arten ungleich zu verhalten. Als eine Frucht der Regenerations¬
versuche hat sich die Einteilung der Zellen nach ihrer Potenz in drei
Arten ergeben:
1. Totipotente Zellen, z. B. die befruchtete Eizelle und
die ersten Blastomeren.
2. Multipotente Zellen, z. B. die Zellen der Keimblätter und
des Augenbechers.
3. Unipotente Zellen, z. B. alle endgültig differenzierten
Zellen des Muskels, Nerven, der Drüsen. Nur für letztere gilt die
Lehre von der Spezifizität der Gewebe und ist kein allgemeines
Gesetz.
Großes Aufsehen haben die Versuche der Linsenregenera¬
tion an Triton und Salamander gemacht. Nach Entfernung der
Linse entstand das Regenerat nicht etwa vom Hornhautepithel,
sondern vom oberen Rand der Iris aus, also vom Epithel des sekun¬
dären Augenbecherrandes, durch offenbare Heteromorphose aus
Zellen, die von der Wand des primären Vorderhirnbläschens her¬
rühren und die niemals irgendeine Beziehung zur Linsenanlage hatten.
Das wäre also das Werk multipotenter Zellen desselben Keimblattes,
denn vom Ektoderm stammen sie ebensogut wie die eigentlichen
linsenbildenden Zellen. Aber das Monopol der epidermoidalen Zellen
ist damit gebrochen, auch ist die Linsenbildung nicht an einen be¬
stimmten Ort gebunden, da jede Hautstelle des Körpers eine Linse
bilden kann, sofern sie nur in Berührung mit der Augenblase kommt.
Auch aus Retina wird eine Linse gebildet und ihrer sogar mehrere.
Die Regeneration der Linse wiederholt also nicht den embyonalen
Weg, sondern nimmt den Stoff anderswo her. £ s
Von den Reptilien kommt am meisten die Eidechse in Be¬
tracht, deren Neubildung des Schwanzes von altersher bekannt ist
Hier sind Doppel- und Gabelschwänze, ja sogar sieben Schwanz¬
spitzen beobachtet und an Schlangen Doppelköpfe, sodaß also die
Lemäische Hydra wirklich ihr natürliches Ebenbild hätte, wie denn
auch für gewisse Mißbildungen eine Hypothese annimmt, daß sie
der menschlichen Phantasie den Anstoß zur Gestaltung von Fabel¬
wesen gegeben haben möchten: Zyklops für Polyphem, Spina bifida
mit Pes equino-varus und Hypertrichosis für Faun und Satyr, Dupli-
citas anterior für die Melioniden, die Zwillingstöchter des Poseidon
Epignathus für Chronos, der seine Kinder frißt, Kephalothoracopagus
für Janus, Acardius acormus für das Gorgouenhaupt usw.
Alle diese Erfahrungen und Versuche haben uns bedeutende
Lehren über die Abhängigkeiten der Regeneration erteilt. Sie hängt
ab vom Gesamtorganismus, vom Umfang, der Richtung und Lage
der Wundfläche, indem zu Anfang das Regenerat senkrecht zur
Schnittfläche gerichtet ist und erst nachträglich eine funktionelle
„Orthopädie“ mit Rückkehr zum physiologischen Gleichgewicht er¬
fährt, von der Leistung des betreffenden Körperteils, von dem Zu¬
stand seiner Bewegung, wie z. B. die Beansprudiung des Ruder¬
schwanzes bei Molch- und Froschlarven die Regeneration beschleu¬
nigt und die Ausbildung des Regencrates im Sinne der funk¬
tionellen Anpassung gestaltet. Von Beweisen der Abhängig¬
keit der Neubildung vom Nervensystem war schon die Rede. Von
bedeutendem Einfluß ist das Alter, indem junge Tiere rascher und
vollständiger regenerieren als erwachsene. Welch gute Heilhaut hat
das Kind! Wichtig erscheinen oft die Fortpflanzungsorgane, denn
kastrierte Hirsche bilden ihre Geweihe nicht mehr oder mangelhaft
oder pathologisch. Eine geringere Rolle spielt merkwürdigerweise
die Ernährung, denn hungernde Planarien regenerieren besser als
gut ernährte. Allerhand äußere Wirkungsweisen, die wir immer
wieder als allgemein biologische Reize antreffen, spielen auch hier
mit: Temperatur, Licht, äußeres Medium, Schwerkraft, Kontaktwir¬
kung. So hängt das Temperaturoptimum von der Lebensart des Tieres
ab. Blaue Lichtstrahlen sind günstig. Bei Seetieren ist der Salz¬
gehalt des Seewassers wichtig. Sauerstoffgehalt, bestimmte Salze,
osmotischer Druck entfalten ihre Wirkungen. Mit Veränderung der
Schwerkraft und Kontaktwirkung gelang es, die Polarität umzukehren.
Die Tatsachen der Sei bst Zerstückelung (Autotomie) mit
ihrem Schein der Zweckmäßigkeit, die fließenden Uebergänge von
Regeneration und ungeschlechtlicher Fortpflanzung (z. B. künstlicher
Parthenogenesis) legten es nahe, die Regeneration als Werk der
Anpassung anzusehen; danach wäre Regeneration zur Erhaltung not¬
wendig und unentbehrlich und wäre eine durch Selektion herbei¬
geführte Errungenschaft niederer Formen, die den höheren Formen
mit verwickelterem Bau wieder abhanden gekommen wäre und nur
für bestimmte Teile sich wieder steigern ließe. Man dachte sich,
daß gebrechliche, feindlichen Angriffen ausgesetzte Tiere die Re¬
generation dringend benötigten, daß ein Ueberschuß an Anlagen
ihnen ein Gewinn im Kampf ums Dasein bedeute, der sie zur Fort¬
pflanzung befähigte, die wiederum diese erworbene Fähigkeit ver¬
erbte. Jedoch regenerieren nicht nur die autotomierten Gliedmaßen,
ja die anderen sogar besser; nicht nur um ihre Weibchen kämpfende
Vögel regenerieren ihre abgewetzten Schnäbel, sondern auch ganz
friedfertige Arten, die solchen Kampf nicht nötig haben und zahme
Freier sind, regenerieren abgeschnittene Schnäbel ebensogut.' Der
Einsiedlerkrebs regeneriert seine in der Schneckenschale geborgenen
rudimentären Beine ebensogut wie die nicht geschützten, und warum
regenerieren denn Warmblüter ihre oft gefährdeten Beine und Augen
nicht? Ferner regenerieren bei Wirbeltieren auch innere, also doch
geborgene Organe, wie Darmkanal, Lungen, Milz, Niere, Leber,
Schilddrüse, Speicheldrüse, Lymphdrüse, Muskel, Gefäße, Geschlechts¬
drüsen (an Polypen, Stachelhäutern und Würmern), Gehirnganglien
(an Manteltieren). Diese letzten Tatsachen werden auch gegen die
scharfe Sonderung von Körper- und Keimplasma (Weismann) ver¬
wendet. Die Selektionstheorie erklärt auch nicht, wie Regeneration
ursprünglich in die Welt kam. Sie setzt sie schon voraus. Darum
sagten die anderen: Sie ist immer dagewesen als ein ursprünglicher
Besitz aller Organismen und steht in enger Beziehung zum Wachs¬
tum. Wo das Wachstum erloschen ist, tritt auch keine Regeneration
mehr auf. Niedere Tiere wachsen zeitlebens, auch über die Ge¬
schlechtsreife hinaus, höhere erreichen ein bestimmtes Maß. Be¬
sonders kräftig regenerieren alle Hautgewebe. Mit fortschreitender
Entwicklung sinkt die Regenerationskraft, aus dem halben Froschei
wird ein ganzer Frosch. Junge Larven wiedererzeugen Augen und
Anlagen von Gliedmaßen, größere Larven noch Linse, amputierte
Hinterbeine, die Quappe ersetzt noch den Schwanz, der verwandelte
Frosch ergänzt seine Extremitäten nicht mehr. Auch beim Seeigel
nehmen die regenerativen Potenzen mit jeder Entwicklungsstufe ab.
Je jünger und weniger differenziert das Tier, je größer sein Wachs¬
tumstrieb, je allgemeiner seine Bildungspotenzen, um so leichter
und vollständiger seine Regeneration. Die Regeneration ist eine
Beschleunigung des Wachstumsvorganges. Der Verlust eines Teiles
stört das Gleichgewicht zwischen den wirksamen Kräften. Als Folge
von Störung des inneren Formgleichgewichtes stellt sich Regeneration
ein, indem nach energetischen Gesetzen ein Abfluß der Formbii-
dungsenergien vom höheren zum niederen Niveau der Fortbildung
stattfindet. Mit der Größe der Differenz nimmt die Geschwindigkeit
der Ausgleichsbewegung zu (vgl. Temperaturen, Flüssigkeitsspiegei).
Digitized by Goösle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
31. März" 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE tWOCHENSCHRIFT
411
Eine wachsende Form kann nach Verstümmelung die Ganzform nur
auf Kosten der übrigen Teile erreichen, durch Umformung und Ver¬
kleinerung des Ganzen (Morphallaxis). So kehren verwickelte For¬
men zu einfacherem Bau zurück unter Entdifferenzierung und Um¬
differenzierung des Zellmaterials. Diese Theorie (Przibram) hofft
die Erscheinungen der Regeneration ohne Ausnahmegesetze von den
Ursachen und Wirkungen der anorganischen Welt zu verstehen. Wie
% der Horror vacui durch den Luftdruck ersetzt wurde, so will sie
* den Horror imperfecti (oder vitiosi) durch Gleichgewichtsgesctze
erklären, ohne zu Zweckursachen Zuflucht nehmen zu müssen.
Wir sehen also wie in allen biologischen Fragen so auch auf
dem Feld der Regeneration sich die beiden Grundanschauungen den
Platz streitig machen: Der Vitalismus mit dem Bekenntnis zum
Dualismus der anorganischen toten und der organischen lebenden
Welt, mit der Erklärung der organischen Zweckmäßigkeit durch ziel¬
strebige - ’finale Vorgänge (Finalität) und der Mechanismus mit
dem Vertrauen auf die Einheit der anorganischen und organischen
Welt und mit der Deutung der organischen Zweckmäßigkeit mittels
Ursache und Wirkung nach mechanischen Gesetzen (Kausalität). Das
ist der große Hintergrund überall.
Das ist die Grundlage zum Verständnis der Regenerations¬
vorgänge bei Menschen. Ohne sie bleibt es Stückwerk. Die
Wiedererzeugung beim Menschen ist beherrscht vom Gesetz der
Spezifizität der Zellen und Gewebe: Omnis cellula e cellula ejusdem
generis. Die Ausnahmen betreffen hauptsächlich die Differenzierung
in der embryonalen Entwicklung, die Umdifferenzierung und die
Metaplasie.
Während die physiologische Regeneration an Verbrauchs¬
und Wechselgeweben, nämlich am Deckepithel und seinen Abkömm¬
lingen, an den Keimdrüsen und bei der Blutbildung (Mauserung des
Blutes) den Ersatz für die funktionelle Abnützung übernimmt, hat die
pathologische Regeneration die Aulgabe, krankhafte Defekte, zu
decken, Lücken auszufüllen, Wunden zu heilen, doch erreicht sie
selten die Vollkommenheit der physiologischen. Off bleibt sie ein
Lückenbüßer wie in der Narben- und Schwielenbiidung. Auch funk¬
tionell bleibt sie oft mangelhaft, weicht von der Richtschnur ab
(Atypie) oder schießt übers Ziel hinaus fUeberschußbildung, Caro,
Catlus luxurians). Die Regeneration ist durchaus eine Zellenfrage,
da sie immer von einem kernhaltigen Protoplasmarest ausgeht und
neue Kerne und Zellen durch Mitose und Amitose schafft.
Es wiederholt sich hier nach dem Vorbild der Stammesgeschichte
von einer Tierstufe zur anderen die Abnahme der Regenerations¬
kraft mit der Höhe der Differenzierung der Zelle, es regenerieren
also Ausführungsgänge besser als ausgebildete Drüsen, Nerven- und
Muskelzellen schlechter als Epithel und Bindesubstanzen, der Blut¬
gefäßbindegewebeapparat besser als alle spezifischen Gewebe, wie
Drüsen, Muskeln, Nerven, daher er gerne an Stelle traumatischer
und entzündlicher Defekte ein Füll- und Flickgewebe in Gestalt der
Narbe bildet, worin diese sich eben bei der Unzulänglichkeit und
kümmerlichen Leistung der spezifischen Gewebe als Lückenbüßer
erweist.
Die Wundheilung, das praktisch bedeutendste Beispiel der
Regeneration, braucht junges Bindegewebe für den Halt, junge Ge¬
fäße für den Bestand, neues Epithel für den Schutz der Neubildung.
Echtes Epithel geht nur aus seinesgleichen hervor und bildet nur
seinesgleichen. Die Erneuerung geschieht, z. B. an der Hornhaut,
zuerst durch Amitose, die das schnellere und flüchtigere Verfahren
darzustellen scheint, um für den ersten Behelf die Lücke zu füllen.
Dann aber setzt die langsamere, aber tüchtigere Mitose in der
Keimschicht mit ihren haltbarem Gebilden ein, die sich gleitend
auf die zu überhäutenden Flächen vorschieben. Im Darm- und
Uterusepithcl liegt die Keimzone als Quelle der Erneuerung in den
Krypten. Hier kommen Abweichungen der Erzeugnisse vor im Sinne
der Metaplasie und atypischen Epithelwucherungen. An der Haut
können Ausführungsgänge der Talg- und Schweißdrüsen die Ober¬
fläche mit Epidermis versorgen, nicht aber umgekehrt junge Epidermis-
zellen wieder Talgdrüsen und Haarbälge bilden, und Drüsen er¬
neuern sich aus ihren im Range tiefer stehenden Ausführungsgängen.
Deckzellen seröser Häute werden rasch ersetzt und zeigen lebhafte
Neigung, in die Spalten des entzündlich ausgeschwitzten Fibrins
hineinzuwachsen (Thigmotaxis), eine Erscheinung, die man auch in
der künstlichen Zellenkultur beobachtet. Aus wuchernder Neubildung
von Deckzellen können sogar drüsenartige Gebilde und Zysten (am
Peritoneum) entstehen.
Der Grund der Wunde schafft junges Bindegewebe. Die se߬
haften Bindegewebszellen bilden durch Mitose mit jungen Gefäßen
zusammen ein Keimgewebe. Seine Fibroblasten wandeln ihr äußeres
Protoplasma in Fasern um, die zuerst keinen bestimmten Charakter
haben (Silherfibrillen), dann aber sich je nach Bedarf in kollagcne
und elastische Fasern scheiden. In dieser Umgestaltung der Zellen
des jungen Granulations- und Keimgewebes zu Fasern, die sich mehr
und mehr von den Zellen losmachen und selbständig werden, be¬
ruht die Narbenbildung. Auf Kosten der Zellen nimmt die Zwischen¬
substanz zu.
Den dritten Beitrag zur Wundheilung liefern die Gefäße, die
sich aus mitotisch geteilten Kapillarendothelien aufbauen, als zarte
Sprossen sich entgegenwachsen und zu Netzen verschmelzen, sich
dann aushöhlen und mit Blut füllen. Die zarten Röhrchen erhalten
eine Verstärkung durch Biudegewebszellen und glatte Muskelfasern
und können so zu kleinen Arterien und Venen aufrücken, ja es ist
nicht ausgeschlossen, daß die Kapillarendothelien selber in viel¬
seitiger Weise tätig, einerseits Makrophagen, Wanderzellen, Histio-
zyten mit dem Vermögen der Farbstoffspeicherung bilden, ander¬
seits adventitielle Zellen abspalten, in denen die einen Stammzellen
von Leuko- und Lymphozyten, die anderen die Bildner von jungem
Bindegewebe erkennen wollen. Werden diese Ansichten bestätigt,
so würden die Angehörigen des Blutgefäßbindegewebsapparates zu
einer Familie vereinigt, innerhalb der die Zellen des Gefäßinhaltes,
der Gefäßwand und ihrer nächsten Umgebung sich wechselseitig er¬
setzen könnten, wie sich im Gefäßhof des Hühnchens die Stamm-
zellen des Mesoderms in Blutgefäßwand und Bindegewebszellcn
schieden, etwa im Sinne des H i s sehen Parablasten oder der neueren
Mesenchymtheorie. Dann stünden große Umwälzungen in unseren
Anschauungen bevor.
An das Bindegewebe schließen sich die übrigen Bindesubstanzen
an, von denen Knorpel und Knochen den bedeutendsten An¬
teil an der Kallusbildung, also der Heilung der Knochenbrüche, einem
Sonderfall der Regeneration, haben. Das Muttergewebc des Knorpels
ist das Perichondrium, aus dem ein Keimgewebe unbestimmter Zellen
hervorgeht, die erst Fibrillen, dann homogene Grundsubstanz bilden,
in deren Lücken die Knorpelzellen zu liegen kommen, die wir an
Kapseln, oberflächlichen Verdichtungen der Grundsubstanz erkennen.
Bleibt die homogene Umwandlung der Fasern aus, so bekommen
wir den bindegewebigen oder elastischen Knorpel. Im Kallus des
Kindes und unserer Versuchstiere sehen wir oft Knorpelinseln auch
aus Periost entstehen oder gar aus dem Endost des Knochenmarkes.
Eine wichtige Frage, die uns in der Metaplasie und Geschwulstlehre
immer wieder begegnet, ist die, woraus die Natur heterologe und
heterotope Knorpelinseln in Harnblase, Uterus, Niere und Keim¬
drüsen schafft, wo doch weit und breit kein Knorpel vorkommt.
Kann unter Umständen überall jedes Bindegewebe auch Knorpel
bilden, oder müssen wir da für die Richtung ihrer Entwicklung
bestimmte (determinierte) Zellen annehmen, denen die chondro¬
plastische Anlage innewohnt? Wird Knorpel in Knochen übergeführt,
so geschieht dies durch neoplastischen Ersatz, nicht durch direkte
metaplastische Umwandlung, die zwar immer wieder behauptet, doch
nicht ganz sicher bewiesen ist. Wir bemerken hier, daß diese rein
morphologische Beschreibung der Vorgänge uns auch nicht endgültig
befriedigen kann und daß wir für Differenzierung, Fibrillenbildung,
homogene Umwandlung der Grundsubstanz, Scheidung in kollagene
und elastische Fasern, Metaplasie und hundert andere Fragen auch
auf physikalisch-chemische Deutungen hoffen.
Fertiger Knochen ist ein so ausgebildetes Gewebe, daß es
keiner Neubildung mehr fähig ist. Soll Knochen gebildet werden,
so muß das Periost oder Endost das leisten. Unbestimmte Keim¬
zellen (Osteoblasten) verrichten ihr Werk der fibrillären Ausgestal¬
tung und homogenen Umwandlung zu Grundsubstanz, in deren Lücken
die Osteoblasten als Knochenkörperchen zu liegen kommen, woraus
entweder geflechtartige oder lamellöse Anordnung entsteht. Auch
hier drängt sich die Frage auf, ob aus jeglichem Bindegewebe, das
zuvor verkalkt, metaplastisch Knochen werden kann, wenn wir
solchen z. B. in Arterien, Strumen, Myomen, Tonsillen, Lymphdrüsen,
Narben, entzündlichen Schwarten, also am ungewohnten fremden
Orte finden.
Wie brennend ist die Frage, ob das Knochenmark Blutver¬
luste zu decken vermag, sei das Blut durch eine Verwundung oder
durch Gifte vermindert! Daß die eosino-, neutro-, basophilen Leuko¬
zyten aus gleichgranulierten Myelozyten und diese aus ungranulierten
Myeloblasten stammen, steht heute" wohl ziemlich fest. Viele leiten
die Myeloblasten von adventitiellen Zellen der Gefäße ab. Aber
dann wird die Bildung weißer Blutzellen kein Vorrecht des Knochen¬
marks mehr sein, sondern auch in der Milz, den Lymphdrüsen, im
Bindegewebe der Leber, der Niere, des Thymus, des Pankreas aus
Adventitiazellen erfolgen können. Für diese Ansicht mehren sich
die Stimmen. Auch aus retikulo-endothelialen Zellen (Histiozyten)
Werden lymphoide und leukozytoide Zellen abgeleitet. Die Umwand¬
lung von Fettmark in rotes myeloides Mark ist hauptsächlich der
Tätigkeit der endothelialen und adventitiellen Zellen zu verdanken.
Die Lymphozyten entstehen in Milz, Lymphdrüsen und Schleimhäuten,
in den Keimzentren durch Mitose aus Lymphoblosten, ferner im
Mesenchym, adenoiden Gewebe, Knochenmark, Thymus, Leber, wo
sie überall auch aus adventitiellen Zellen sollen entstehen können.
Die Erythrozyten bilden sich nach allgemeiner Annahme vorwiegend
im Knochenmark, unter pathologischen Umständen aber auch in der
fötalen Bildungsstätte Leber, gleichsam unter Wiedererwachen em¬
bryonaler Funktion und in den Stätten von myeloider Metaplasie
(Milz, Lymphdrüsen, Thymus).
Die Neubildung glatter Muskelfasern ist geringfügig. Das
meiste leistet bei Heilung von Lücken im Darm das Bindegewebe,
trotz mitotischer Teilung der glatten Muskelfasern. Dagegen sind
diese bei der Hypertrophie der Harnblase, beim Wachstum des
graviden Uterus beträchtlicher Verlängerung und Verbreiterung fähig.
An quergestreiften Muskeln kennen wir bei Arbeitshyper¬
trophie mehr die Größenzunahme (Hypertrophie) als die Vermehrung
(numerische Hyperplasie). Knospen aus Sarkoblasten aus den vor¬
handenen Stümpfen der Muskelfasern ragen mit kolbigen, kernreichen
Anschwellungen in die Narbe hinein und können Riesenzellen Vor¬
täuschen. Die Regeneration nach wachsartiger Degeneration voll¬
zieht sich durch Sarkoblasten von Kemprotoplasmaresten aus, woraus
vollständige Muskelfasern hervorwachsen, das Beispiel vollständigster
Regeneration, das wir am Muskel kennen.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
412
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 13
Die Neuroglia verfügt über eine so bedeutende Fähigkeit der
Neubildung, daß sie als Füllgewebe im Nervensystem die Rolle des
Bindegewebes übernimmt. Sie wächst in Poren von Fremdkörpern
hinein, die man ihr im Versuch bietet. Durch Mitose erzeugt sie
Spinnenzellen (Astrozyten), deren Fibrillen einen dichten, feinen Filz
bilden, der die Glia kennzeichnet. Mehr und mehr wird die Glia
als ein Synzytium betrachtet.
Im Zentralnervensystem können Fasern, die mit ihrer
Ursprungszelle in Verbindung geblieben sind, auswachsen und bilden
dabei zuerst Achsenzylinder, dann Markscheiden. Nach Rückenmarks-
durchtrennung hat man aus dem Rückenmarksstumpf wie aus hinteren
und vorderen Wurzeln Nervenfasern aussprießen sehen. Aber eine
Neubildung der Ganglienzellen ist nie sicher bewiesen worden. Hat
man auch durch Scharlachöl Purkinjesche Zellen und Retinaganglien¬
zellen zur Mitose gebracht, so bezweifelt man eine ersprießliche
Zweiteilung, und Bilder von Kernfragmentierung werden als De¬
generation aufgefaßt. Um so überraschender sind die wirklich neu¬
gebildeten Zellen im Ganglioneurom. Wir müssen also auf eine
Mauserung unserer Hirnzellen verzichten und demgemäß mit dem
eisernen Bestand, der uns von Geburt an verliehen ist, haushälterisch
umgehen.
Erfreulicher steht es mit den peripherischen Nerven, zu
deren Neubildung der Krieg nur allzuviel Gelegenheit geboten hat.
Der Durchtrennung des Nerven folgt eine rasche traumatische zentrale
Degeneration der Fasern bis zum letzten Schnürring oder um mehrere
Segmente und eine langsame retrograde Atrophie bis zur Ursprungs-
zelle, hauptsächlich aber entartet das peripherische Stück in ganzer
Lange. Eine Heilung durch direkte Vereinigung (prima intentio)
ist ausgeschlossen. Auch die Nervennaht erreicht das nicht, sondern
begünstigt nur die Regeneration, die nun im zentralen und peripheri¬
schen Stumpf anhebt. Die autogene peripherische Neubildung wird
eingeleitet durch Mitose der Schwannschen Zellen, die als Phago¬
zyten zerfallene Bruchstücke und Trümmer auf nehmen und sich zu¬
gleich als Neuroblasten auftun, die sich zu synzytialen Bändern ver¬
einigen und Fibrillen schaffen. Dazu fügt sich später die Myelin¬
scheide, aber diese peripherische autogene Regeneration führt bloß
zum Ziel, wenn sie rechtzeitigen Anschluß an den zentralen Stumpf
gewinnt, von dem der funktionelle Reiz und damit die Anregung
zur Fibrillenbildung ausgeht, die nun zentrifugal fortschreitet. Dabei
üben lipoide Zerfallsprodukte des Myelins eine neurotropische An¬
ziehung auf die jungen Sprossen aus. Mit Kalbsarterien und anderen
Hüllen schützt der Chirurg den jungen Nerven vor dem Eindringen
störenden Narbengewebes. Fehlt den Sprossen ein peripherisches
Ziel und eine Bann, wie bei der Amputation, so knäueln sie sich
zum Amputationsneurom zusammen, das also kein echtes Blastom,
sondern die Frucht einer ziellosen Regeneration ist. Wenn sich die
gliöse Natur der Schwannschen Zellen bestätigt, so wäre damit ihre
Zugehörigkeit zum Nervensystem gewährleistet und ihre Beteiligung
an der Neubildung von Nervenfasern einigermaßen erklärlich.
Das Gebiet der Regeneration ist unermeßlich und unabseh¬
bar. Auf Schritt und Tntt steht man in ihrem Bereich. Bei einiger
Ueberlegung wird man bald gewahr, daß die Wundheilung,
Granulation, Geschwürsheilung, pathologische Or¬
ganisation, Kallusbildung nur Sonder- und Einzelfälle der Re¬
generation, daß ferner Metaplasie, Transplantation, Pfrop¬
fung, Parabiose (Vereinigung zweier Individuen), Explanta¬
tion (Gewebe- und Zellenkultur), funktionelle Anpassung,
Hypertrophie und Hyperplasie verwandte Grenzgebiete, Er¬
gänzungen und Erweiterungen der Regeneration sind und daß die
Lehren der Regeneration uns auch in der Geschwulstlehre
zustattenkommen. Alle diese Gebiete gehören zum Reich des
Wachstums, das zwar im Anorganischen Analogien und Parallelen
hat, wie z. B. im Wachstum der Kristalle, das aber als eine Art
des Formwechsels in Verbindung mit Stoffwechsel, Kraftwechsel, zu¬
sammen mit Reizbarkeit, Bewegung, Vermehrung, Fortpflanzung und
Vererbung zu den unentbehrlidien ewigen Kennzeichen des Lebens
gehört. Darin liegt es begründet, warum auf diesem Kampfplatz
Vitalismus und Mechanismus immer wieder aufeinander prallen.
Was die Lehre von der Wiedergeburt und Wiedererzeugung und
Verjüngung von Geweben und Zellen dem Chirurgen zu sagen hat
und was alles er aus ihr schöpft in Beziehung auf die Bedeutung
der Schädigung, Erhaltung und Größe der Lücke, körpereigene und
körperfremde Reize, Wundhormone, auf ernährende Wirkung des
Blutergusses und künstlicher Nährböden, den Einfluß örtlicher und
allgemeiner Ernährung und des Alters, das hat der Leser dieser
Blätter im Jahrgang 1917, 1918 aus Biers Feder mit staunender Be¬
friedigung vernommen. Aber auch die innere Medizin mag daran
erinnert werden, daß ein guter Teil ihrer Heilerfolge den schlummern¬
den Kräften der Wiedererzeugung in den Organen zu verdanken ist,
im Darm nach Typhus und Dysenterie, in der Lunge nach Entzün¬
dungen und tuberkulösen Zerstörungen, in den Nieren nach toxischen
und entzündlichen Entartungen, in der Leber bei Zirrhose und gelber
Atrophie, im Herzen bei der Erzielung der Kompensation. Wenn es
heißt: natura sanat, medicus curat, so besteht jene sanatio zu einem
guten Teil in Wegschaffung des Degenerierten und in Anbahnung
der Regeneration, die der Medicus curando im besten Falle fördern
und unterstützen kann.
Aus der Chirurgischen Universitätsklinik in Breslau.
Das Tennisbein.
Von Prof. Dr. Hermann Köttner, Direktor der Klinik.
Mit dem immer mehr zunehmenden Interesse für das Tennisspiel
in Deutschland wird auch eine Verletzung häufiger beobachtet werden,
über welche sich in der deutschen Literatur bisher auffallend wenig
findet, die subkutane Ruptur des Triceps surae, das „Tennisbein“. Die
englische Literatur enthält, entsprechend der größeren Verbreitung
des Spieles in englischen Ländern, mehr über die in mehrfacher Rich¬
tung interessante Verletzung. Sie ist dort unter dem Namen „Tennis¬
leg“ bekannt, eine Bezeichnung, welche der des viel häufigeren
„Tennisarms“ oder „Tennisellbogens“ entspricht, einer durch for¬
ciertes Spiel in bestimmter Haltung bedingten Schädigung des Ell¬
bogengelenkes. Da ich das „Tennisbein“ viermal zu beobachten
Gelegenheit hatte und es außerdem am eignen Leibe studieren konnte,
so möchte ich ihm einige Worte widmen, zumal über die Patho¬
genese der Verletzung wenig bekannt ist und die Ansichten über die
Behandlung nicht unerheblich auseinandergehen.
Unter meinen Patienten befand sich nur ein junger Mann in den
zwanziger Jahren, die übrigen Verletzten standen in höherem Lebens¬
alter zwischen dem 35. und 55. Jahre. Daß es sich ausschließlich um
Männer gehandelt hat, ist vielleicht ein Zufall, wenn auch in allen mir
zugänglichen Fällen der englischen Literatur ebenfalls nur Männer
betroffen waren; möglicherweise ist dabei zu berücksichtigen, daß im
höheren Lebensalter weniger Frauen als Männer sich dem Tennisspiel
widmen. Denn daß das vorwiegende Betroffensein des höheren
Alters kein Zufall sein kann, geht aus der Kasuistik der Verletzung
mit Sicherheit hervor. Offenbar büßen Muskeln und Sehnen mit den
Jahren doch erheblich an Elastizität ein und sind den nicht unbeträcht¬
lichen Anforderungen gerade an die Wadenmuskulatur beim Lawn-
tennis dann nicht mehr in vollem Umfange gewachsen. Von Be¬
deutung mag auch sein, daß es sich bei den Betroffenen meist um
Männer handelt, die das Spiel nicht sportmäßig, sondern nur zu ihrer
Erholung und nicht zuletzt auch zur Beschränkung ihres Körper¬
gewichtes treiben. Mit der Höhe des zu befördernden Gewichtes aber
wächst auch die Anforderung an die Elastizität des in Betracht kom¬
menden Muskelsehnenapparates, und für den Muskel selbst dürfte
die stärkere Fettdurchwachsung beim älteren, korpulenteren Men¬
schen ebenfalls nicht günstig sein. Daß ein Sports- oder berufs¬
mäßiger Tennisspieler betroffen wird, scheint sehr selten vorzukom¬
men, ich fand in der Literatur nur einen derartigen Fall von Hood 1 ).
Dagegen sind in der Kasuistik auffallend viel Aerzte vertretenj nicht
weniger als drei meiner Fälle gehören hierher, und auch in der
englischen Literatur sind Aerzte mehrfach als Patienten erwähnt.
Es hängt dies wohl damit zusammen, daß ältere Aerzte, welche das
Spiel meist aus Gesundheitsgründen treiben, nicht gerade zu den
Leichtgewichten zu gehören pflegen und dadurch für die Läsion
disponiert sind; außerdem bringen sie dem Fall ein fachliches Inter¬
esse entgegen, wie dies ja auch für meine Person zutrifft.
Der Hergang der Verletzung ist außerordentlich charakte¬
ristisch. Mitten im Spiel empfindet der Betroffene plötzlich einen
heftigen Schmerz in der Wade, bleibt wie angewurzelt stehen oder
hebt auch wohl das verletzte Bein in die Höhe. Fast immer blickt
er sich entrüstet um, denn der Schmerz löst die Empfindung aus, als
werde man von einem Stein oder sehr scharfen Ball an der Wade
f etroffen. Betrifft die Ruptur die Achillessehne selbst, so wird der
chmerz mehr gegen die Ferse hin verlegt, in einigen Fällen wurde
auch das NadigeBen der Sehne und ein dem Riß entsprechendes
Geräusch empfunden. Die Funktion des Beines ist stets sofort auf¬
gehoben und der Schmerz so heftig, daß der Patient in leichten
Fällen gerade noch hinkend den Spielplatz verlassen kann, in schweren
Fällen aber zusammenbricht und vom Platz getragen werden muß.
Die Lokalisation des Risses ist sehr verschieden, be¬
trifft aber häufiger den muskulären Teil des Triceps surae oder den
Uebergang des Muskels in die Sehne als die Achillessehne selbst.
Ist diese zerrissen, so ist die querverlaufende Ruptur meist deutlich
zu fühlen und klafft bisweilen so weit, daß zwei Querfinger hinein-
geleget werden können. Auch im Bereich des Muskels ist der
Riß, wenn die oberflächlichen Teile betroffen sind, mitunter als
quere Furche wahrnehmbar; liegt er tiefer, so gibt nur die lokalisierte
Druckempfindlichkeit Anhaltspunkte für den Sitz. In diesen Fällen
fühlt man jedoch die Wadenmuskulatur schon bald nach dem Unfall
auffallend nart und gespannt, besonders in den der Ruptur benach¬
barten Partien. Die Hauptursache dieser Rigidität ist der zunehmende,
den Muskel infiltrierende Bluterguß; infolgedessen pflegt die Span¬
nung im Laufe der Stunden noch zu wachsen, und die Schwellung der
Wadenmuskulatur kann sehr beträchtlich werden. Unter der Haut wird
der Bluterguß meist erst am folgenden Tage sichtbar, und die Ver¬
färbung der Haut soll, falls die sonstigen Symptome nicht schon auf den
Sitz der Ruptur hinweisen, brauchbare Anhaltspunkte für die Lokalisa¬
tion ergeben. Namentlich Thomas*) hat weitgehende diagnostische
Schlüsse auf die Form der Sugillation aufgebaut. Er bezeichnet eine
hufeisenförmige Verfärbung, deren Bogen in Höhe der Muskelruptur
gelegen ist, während die freien Enden des Hufeisens zu beiden Seiten
der Achillessehne hinabreichen, als charakteristisch für einen Riß in der
«) The Lancet, 25. X. 1884. - •) Brftlsh. nied. Jotini. 1902; ia
Digitized by Google
Original from
CORNELL UNiVERSITV
31. März 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
413
Muskulatur selbst; dagegen soll bei einem Riß im Bereich der Sehne,
auch wenn dieser nicht vollständig und dementsprechend ])alpatorisch
nicht ohne weiteres nachweisbar ist, eine H-förmige Verfärbung auf-
treten, wobei die quere Verbindungsbrücke der zu beiden Seiten der
Achillessehne liegenden Längsstriche des H in der Höhe des Sehnen¬
risses gelegen sein soll. Nach meinen Beobachtungen sind diese
Angaben zu schematisch; nur ausnahmsweise läßt die Stelle, an der
der Bluterguß zuerst zutagetritt und am intensivsten wird, Schlüsse
auf die Lokalisation zu. Jedenfalls erscheint die Sugillation bei
Muskelrissen über dem dicken Muskel meist erst später als in den
peripherischen Abschnitten auf und neben der Achillessehne. Auch
in leichten Fällen ist die Verfärbung der Haut meist ziemlich aus¬
gedehnt und bleibt wochenlang nachweisbar.
Bei dem ältesten meiner Patienten, einem 55jährigen Herrn, war
die Ruptur doppelseitig und betraf beiderseits den Muskel selbst,
von dem offenbar nur einige Fasern zerrissen waren. Sonst habe
ich in der Literatur von doppelseitigen Rissen nichts finden können,
sie sind nach dem Hergang der Verletzung auch schwer zu erklären.
Die Art der Entstehung ist fast nie mit Sicherheit festzu¬
stellen, da der Verletzte nur ausnahmsweise brauchbare Angaben zu
machen weiß. So viel läßt sich jedoch sagen, daß die Ruptur sowohl
in voller Bewegung wie im Stand erfolgen kann. Ein grundsätzlicher
Unterschied gegenüber anderweitigen subkutanen Muskel- und Sehnen¬
rissen dürfte kaum bestehen, und von diesen wissen wir aus den
Untersuchungen von May dl, Sehrt u. a. 1 ), daß sie durch rasche
und brüske Ueberdehnung des maximal kontrahierten Muskels Zu¬
standekommen, also während des Tennisspiels etwa bei momentaner
Unterbrechung des Laufes oder bei plötzlicher und rascher Orts¬
veränderung aus dem Stand. Begünstigend wirkt nach v.Saar 1 ), daß
diese Bewegungen beim Lawu-teunis vielfach auf den Fußspitzen oder
doch wenigstens auf dem Ballen des Vorderfußes, weit seltener mit
Belastung der ganzen Sohle ausgeführt werden. Kommt zu der hier¬
durch bewirkten starken Spannung der Achillessehne noch die plötz¬
liche, heftige Bewegung hinzu, dann sind für eine Ruptur die Vor¬
bedingungen gegeben, welche bei Verringerung der Gewebselastizität
im vorgeschritteneren Alter besonders wirksam sein müssen. Ich
habe den Eindruck gewonnen, daß für den straff gespannten Muskel
auch eine gleichzeitige Rotationsbewegung gefährlich ist. So erfolgte
bei mir die Ruptur im Stand, als ich mich auf den Fußspitzen nach dem
herankommenaen Ball hindrehte.
Die Diagnose der Verletzung ist bei ihrer typischen Entstehung
und den geschilderten charakteristischen Symptomen stets leicht.
Erwähnt mag werden, daß bei Rupturen im Bereich der Sehne das
Röntgenbild die meist schon sichere Diagnose bestätigen und Einzel¬
heiten über Sitz und Ausdehnung des Risses ergeben kann, da die
Sehne als deutlicher Schatten auf der Röntgenplatte hervortritt. Auch
die Heilungsvorgänge an der Sehne lassen sich mit Hilfe des Röntgen¬
bildes gut verfolgen; so stellte Thomas an seiner eigenen rupturier-
ten Sehne fest, daß sie nach Abschluß der Heilung im Röntgenbilde
1 cm dicker und breiter erschien als die der gesunden Seite.
Die Prognose der Verletzung ist auch in den schwersten Fäl¬
len durchaus gut; selbst bei vollständiger Zerreißung der Achilles¬
sehne und weitem Klaffen des Risses ist stets eine vollkommene
Wiederherstellung erzielt worden. Wesentlich günstiger noch sind,
was die Dauer des Heilverlaufes anlangt, die Rupturen im Bereich
des Muskels selbst, da sie nur partielle zu sein pflegen. Eine gewisse
Empfindlichkeit der betroffenen Muskelpartie habe ich jedoch bei
mir noch nach 4 Monaten feststellen können, als ich zum ersten
Male wieder eine anstrengende Bergbesteigung ausführte; diese Emp¬
findlichkeit und ein gewisses Schwächegefuh! verlor sich indes rasch.
Wesentlichen Anteil an der guten Prognose hat eine rationelle
Therapie; denn würde man diese Sehnen- und Muskelrupturen, wie
dies früher üblich war, einer langwierigen Liegebehandlung mit
Schienen oder Gipsverbänden oder gar einer chirurgischen Therapie
mit operativer Freilegung und Nant unterziehen, so würden die
Resultate sicher viel zu wünschen übrig lassen. Dies lehrt der Fall
eines englischen Arztes, Dr. Spencer Ponsonby Fane*), der
infolge solcher unzweckmäßigen Therapie 19 Monate brauchte, bis
er seine volle Gehfähigkeit wiedererlangt hatte.
Die einzig richtige Behandlung ist die, welche auf rascheste
Wiederherstellung der Funktion Gewicht legt, dem Patienten jedes
Krankenlager erspart und ihn zu sofortiger Aufnahme der Geh¬
bewegungen veranlaßt. In leichten Fällen, bei partiellen Rupturen
im Bereich des Muskels, macht dies gar keine Schwierigkeiten. Hier
soll der Patient sofort mit Hilfe eines Stockes Gehversuche machen,
die zwar zuerst sehr schmerzhaft sind, nach 2—3 Tagen aber schon
recht gut vonstatten gehen, sodaß nach einer Woche die normale
Gehfähigkeit erreicht zu sein pflegt. Besondere Verbände sind in
diesen Fällen nicht notwendig, auch Massage erübrigt -sich; bei
ängstlichen Patienten und sehr heftigen Schmerzen kann der sogleich
zu beschreibende Pflasterverband angelegt werden. Bewegungen,
welche zu starker Kontraktion der Wadenmuskulatur führen, wie
Erheben auf die Fußspitzen, Aufrichten aus der Kniebeuge, Tennis¬
spielen und Aehnliches, sind, namentlich bei älteren Leuten, 3 bis
4 Wochen lang zu vermeiden, da sonst die verklebte Rupturstelle
leicht wieder einreißt. . . . ^ .
Auch in den schweren* Fällen, namentlich bei Totalrupturen der
Achillessehne , sollen die Bewegungen sofort wieder aufgenommen
werden , doch sind hier, da die Schmerzhaftigkeit sehr groß ist und die
») Vgl. v. Saar, Die Sportverletzungen. N. D. Chlr. 1914,13, S. 88. — •) Zitiert nach
Hood, 1. c.
Schwäche des Fußes sehr hinderlich zu sein pflegt, einige Unter¬
stützungsmaßnahmen notwendig. Rationell ist die Behandlung nach
Hood, die in England die aUgemeiii übliche zu sein scheint. Der
Patient wird sobald als möglich nach dem Unfall auf ein Sofa oder
etwas Aehnliches gelagert, das verletzte Bein erhöht auf die Kopf¬
lehne. Diese Maßnahme allein genügt, um die Blutung zu sistieren,
die Schwellung zu verringern und den Spannungsschmerz zu erleich¬
tern. Wird die Hochlagerung unterlassen, so wird auch der nun
folgende Verband rasch locker. Dieser Verband besteht aus Heft-
f jflaster- oder Leukoplaststreifen und wird nach einiger Zeit der Hoch-
agerung auf die inzwischen rasierte und entfettete Haut des noch
hochliegenden Beines angelegt, ganz nach Art der Heftpflasterver¬
bände, welche zur Behandlung des Ulcus cruris dienen. Der Verband
reicht von der Gegend dicht oberhalb des Fußgelenkes bis auf die
dickste Partie der Wade hinauf. Wenn der Verband liegt, muß der
Patient sofort versuchen zu gehen, und es darf ihm nicht eher Ruhe
gelassen werden, als bis dieser Versuch vollkommen gelungen ist.
Der Schmerz pflegt durch den Verband so verringert zu sein, daß
der Verletzte auf ebenem Boden meist sogar ohne Stock sogleich zu
gehen vermag. Der Patient wird ermahnt, die Gehversuche lang¬
sam zu steigern und das Gehen auf unebenem Boden noch zu ver¬
meiden. Nach 3 Tagen ist der Pflasterverband gewöhnlich zu locker
geworden und muß erneuert werden. In leichteren Fällen genügt
dies meist, in schweren müssen die Verbände wiederholt werden, bis
der Patient selbst das Gefühl hat, sie entbehren zu können. Die
späteren Verbände sollen fester angelegt werden, dürfen aber niemals
schnüren. Auch bei Rupturen der Sehne können die Patienten meist
nach 3—4 Tagen schon in normaler Weise Treppen steigen, bis dahin
müssen sic es nach Art kleiner Kinder tun.
Die Methode ist deshalb so empfehlenswert, weil die Patienten
ihrem Berufe nicht entzogen werden und ihnen jede Atrophie und
Gelenkversteifung erspart bleibt. Ich selbst brauchte mitten im
Semesterbetrieb meine Tätigkeit nicht einen Tag zu unterbrechen.
Am besten wird die Leistungsfähigkeit der Behandlung durch die
Tatsache illustriert, daß ein bekannter englischer Sportsmann, Dr.
W.G.Grace, schon am Tage nach der Verletzung mit dem Pflaster¬
verband seine Turnierspiele wieder aufnehmen konnte. Allerdings
ist dies eine seltene, durch die besonderen Eigenschaften des Sports¬
manns erklärte Ausnahme; daß jedoch auch bei schweren Rupturen
die Patienten nach 3 Wochen wieder Tennis spielen können, ist nichts
Ungewöhnliches. Durch die geschilderte Behandlung werden auch
alle besonderen Schienen und „künstlichen“ Achillessehnen, wie sie
z. B. von Thomas, Brown (Lancet, 19.1.1907) u. a. für das Tennis¬
bein empfohlen worden sind, entbehrlich gemacht.
Aus der Universitätsklinik für Haut- und Geschlechtskrankheiten
in Würzburg.
Zur Frage der Syphilisverhiitung und der Säuglings- bzw.
Ammensyphilis.
Von Karl Zieler.
Es ist leider noch nicht Gemeingut der Aerzte, nach welchen
Grundsätzen die Auswahl von Ammen getroffen werden muß. bzw.
von Säuglingen, die Ammen angelegt werden sollen. Zwar wird wohl
jeder Arzt streng darauf halten, daß als Ammen nur solche Frauen
verwendet werden, bei denen eine Syphilis ohne Erscheinungen un¬
bedingt ausgeschlossen werden kann. Diese Sorgfalt wird aber leider
nicht immer in hinreichendem Maße angewendet, wenn es sich darum
handelt, für einen Säugling, der schlecht gedeiht, eine Amme zu
stellen. Auch hier muß der gleiche Grundsatz gelten, daß einer ge¬
sunden Amme ein Säugling nur dann angelegt wird, wenn bei diesem
eine angeborene Syphilis (die hierfür praktisch wohl allein in Be¬
tracht kommt) mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann.
Es ist ia bekannt, daß die Ansteckung eines Säuglings mit an¬
geborener Syphilis in der Regel vor der Geburt, und zwar schon
längere Zeit vorher erfolgt ist, sodaß wir bei der Geburt meist
Krankheitserscheinungen nachweisen können. Da aber die Ansteckung
der Frucht erst einige Wochen oder selbst nur Tage vor bzw. bei
der Geburt Zustandekommen kann, so kommen folgende Möglichkeiten
in Betracht.
a) Die Ansteckung des Neugebornen im Mutterleibe ist mindestens
7—8 Wochen vor der Geburt erfolgt. Dann werden wir schon bei
der Geburt Syphiliserscheinungen erwarten können.
b) Erfolgt die Ansteckung erst während der Geburt (Riet-
schel), so sind äußere Erscheinungen der Syphilis selbstverständlich
nicht früher als 6—8 Wochen nach der Geburt zu erwarten. Die
Wa.R. kann nach den bekannten Erfahrungen schon etwas früher
positiv ausfallen.
Zwischen diesen beiden Möglichkeiten sind natürlich alle Ueber*
gärige möglich, sodaß wir vielleicht einmal 2 Wochen, ein anderes
Mal 4—5 Wochen nach der Geburt Syphiliserscheinungen feststellen
können.
Hieraus haben die Kinderärzte schon längst die selbst¬
verständliche Folgerung gezogen, einen Säugling einer
gesunden Amme nur dann anzulegen, wenn bei ihm die
Erkrankung an Syphilis ausgeschlossen werden kann.
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
414
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 13
In unsicheren Fällen darf dies also keineswegs vor Ablauf von
8 Wochen geschehen und nur nach gründlicher (einschließlich sero¬
logischer) Untersuchung.
Auf diese an sich bekannten Dinge eindringlich hinzuweisen, gibt
mir folgende Beobachtung Veranlassung:
H. B. wird im Alter von 8 Tagen als schlecht gedeihendes, un¬
eheliches Kind einem Pflegeheim übergeben und sofort einer ge¬
sunden Amme (C. K.) angelegt. Es wurde von dieser vom 21. IX. bis
22. X. 1921 gestillt. Am 22. X. wurde bei einer Vorführung in der
Universitäts-Poliklinik für Hautkrankheiten ein ausgebreiteter, all-
emeiner, makulo-papulöser Syphilisausschlag festgestellt. Außer einer
ichten Roseola am Körper waren Schleimhautpapeln im Munde und
nässende Papeln am After vorhanden 1 ). Da diese schon mindestens
einige Tage bestanden hatten, mußte mit der Ansteckung der Amme
gerechnet werden. Diese hatte in der gleichen Zeit noch weitere vier
Kinder gestillt und später (s. u.) noch zwei andere!
I. Das eigene Kind (Z. K.), geb. 17. III. 1921, nur bis 13. X. 1921.
Es ist bisher gesund geblieben.
2. M. F., geb. 28. V. 1921, gestillt vom 21. IX. bis 22. X. 1921.
3. H. M., geb. 20. IX. 1921, gestillt vom 1. X. bis 22. X. und
vom 28. XI. bis 13. XII. 1921.
4. D. E., geb. 20. IX. 1921, gestillt vom 21. IX. bis 22. X. 1921
und vom 28. XI. bis 11. XII. 1921.
5. W. J., geb. 18. XI. 1921, gestillt vom 7. bis 13. XII. 1921.
6. K. W., geb. 3. XI. 1921, gestillt vom 7. bis 13. XII. 1921.
Da die Amme als schon gefährdet angesehen werden mußte, ist
ihr selbstverständlich jedes weitere Stillen untersagt und diese Weisung
auch dem Pflegeheim ohne jede Einschränkung übermittelt
worden. Da nun bis Ende November Krankheitserscheinungen bei
der Amme nicht aufgetreten waren, hat diese, der aus Erwerbs¬
gründen sehr viel an ihrer Tätigkeit als Amme lag, im Pflegeheim
erklärt, sie dürfe wieder stillen! Darauf ist sie ohne jede
Rückfrage bei der Poliklinik, die selbstverständlich
die Einwilligung niemals gegeben hätte, wieder als
Amme verwendet worden! Dieses Verfahren ist von sehr
schwerwiegenden Folgen gewesen.
Infolge einer Erkrankung an Grippe ist die Amme erst am 13. XII.
1921 wieder in der Poliklinik erschienen. Dabei wurde ein Primär¬
affekt der rechten Brustwarze mit Spirochäten fest-
gestellt. Während der Erkrankung an Grippe soll zwischen dem
1. und 6. XII. 1921 eine Wunde bzw. ein Einriß beobachtet worden
sein, der aber ohne Benachrichtigung der Poliklinik und ohne Spi¬
rochätenuntersuchung einfach örtlich behandelt wor¬
den ist, und zwar wurde dabei die Kranke als Amme weiter¬
verwendet!
Trotzdem also die Wunde bei der vorliegenden Vorgeschichte
unter allen Umständen als syphilisverdächtig angesehen werden mußte,
ist weder eine Spirochätenuntersuchung veranlaßt,
noch das Stillgeschäft unterbrochen worden, und zwar
allein auf eine angebliche mündliche Bestellung hin!
Selbst wenn eine mündliche Bestellung erfolgt wäre, durfte sich
in einer so wichtigen Frage ein Arzt niemals darauf verlassen. Denn
wie häufig melden Kranke etwas ganz anderes, als ihnen aufgetragen
war, und zwar auch dann, wenn nicht, wie hier, der eigene Vorteil
der Kranken eine wesentliche Rolle spielt. In solchen Fällen kann
man wohl sagen: Bewußt oder unbewußt ist omnis aegrotus mendax!
Das Auftreten des Primäraffektes bei der Amme ist zweifellos
verhältnismäßig spät erfolgt: erst 6—7 Wochen nach der wahrschein¬
lichen Ansteckung. Das ist zwar ungewöhnlich, aber bekannt.
Von den 6 durch die Amme gestillten Kindern sind Nr. 1 und 2
von Syphilis frei geblieben. Das erste, das Kind der Amme selbst,
ist schon vor der in Betracht kommenden Zeit der Ansteckung ab¬
gesetzt worden, das zweite nur in der Zeit der Ansteckungsmöglich¬
keit gestillt worden, während die übrigen 4 bei schon bestehendem
Primäraffekt wieder bzw. zum ersten Male angelegt worden sind.
Für diese kommt als spätester Ansteckungstag der 11. bzw. 13. De¬
zember in Betracht.
Nr. 3 zeigte nach 40 Tagen eine verdächtige Rötung an der
oberen Zahnleiste rechts, in der 2 Tage später ebenso wie in einer
Submaxillardrüse derselben Seite Spirochäten gefunden worden sind.
Auch hier ist also der Primäraffekt verhältnismäßig spät aufgetreten.
Von den übrigen 3 Kindern sind Nr. 4 und 5 ebenfalls an Syphilis
erkrankt. Bei ihnen ist während der ganzen Zeit der Beobachtung ein
Primäraffekt nicht beobachtet worden. Ein schwach ausgebildeter,
papulöser Ausschlag (mit positivem Spirochätenbefund bei Nr. 4) ist
mindestens 81 / 2—9 Wochen nach der mutmaßlichen Ansteckung auf¬
getreten.
Nur das letzfe Kind (Nr. 6) ist bisher gesund geblieben. Die
Blutuntersuchung hat dauernd negative Befunde ergeben. Die ver¬
flossene Zeit beträgt jetzt mindestens 14 Wochen, sodaß dieses
Kind wohl der Gefahr entgangen sein dürfte.
Zu diesen Beobachtungen wäre noch Folgendes zu betonen:
a) Das verhältnismäßig späte Auftreten des Primär¬
affektes bei der Amme sowie bei dem Kinde Nr. 3. Beob¬
achtungsfehler liegen hier nicht vor. Kürzer zurückliegende An¬
steckungen glauben wir ausschließen zu können, da uns andere Mög¬
lichkeiten nicht bekannt geworden sind. Daß an solche gedacht wer-
Die erst hierauf vorgenoramene Untersuchung der Mutter hat deren Erkrankung
an .latenter" Syphilis ergeben.
den kann, geben wir zu. Denn es sind nach dem ersten Vorfall noch
Kinder unter 8 Wochen der Amme angelegt worden. Das geht
daraus hervor, daß die Kinder Nr. 5 und 6 am 18. XI. bzw, 3. XI.
1921 geboren waren, also schon im Alter von 3 bzw. 5 Wochen der
Amme (C. K.) angelegt worden sind, über die wir berichten.
Man könnte dann ferner daran denken, was allerdings nur für
das Kind Nr. 5 in Betracht kommt, daß dieses an einer angeborenen
Syphilis leide. Daß dann in diesem Falle ein verhältnismäßig schwach
ausgebildeter Syphilisausschlag sich erst 11 Wochen nach der Geburt
zeigt, wäre zum mindesten sehr ungewöhnlich.
Denn die Wa.R. war noch 6 Wochen nach der Geburt negativ
gewesen, und das Kind war bis zum Ausbruch der Allgemeinerschei¬
nungen gut gediehen.
Daß trotz genauer, regelmäßiger Beobachtung bei
den Kindern Nr. 4 und 5 Primäraffelcte nicht beobachtet
worden sind, ist auffällig, erklärt aber vielleicht die etwas kurze
Zeit bis zum Auftreten des allgemeinen Syphilisausschlages.
Die Erkrankung der 3 Kinder an Syphilis hätte sich zweifellos ver¬
meiden lassen. Es ist eine erhebliche Leichtgläubigkeit, wenn unter
Verhältnissen, wie sie hier Vorgelegen haben, ein Arzt sich allein auf
die Aussage der Amme verläßt, die aus Erwerbsgründen sich schon
vorher wieder zum Stillen gedrängt hatte! Daß innerhalb von 5 bis
6 Wochen Erscheinungen bei der Amme nicht aufgetreten waren, war
keineswegs zu verwerten, selbstverständlich noch viel weniger der
negative Ausfall der Wa.R., der bis zu dieser Zeit gar nicht anders
erwartet werden konnte.
Nachträglich kann man selbstverständlich die Frage stellen, wes¬
halb die gefährdeten Kinder nicht prophylaktisch behandelt werden
sind. Wir haben davon abgesehen, weil wir vor einiger Zeit verhält¬
nismäßig kurz hintereinander 4 Frauen über iy 2 —2 Jahre haben beab-
; achten können, die trotz reichlich vorhandener Möglichkeit zur An*
j steckung durch ihre an frischer ansteckender Syphilis erkrankten
j Männer von Syphilis frei geblieben sind. Zweifellos war für die
Kinder Nr. 1—4, mindestens für Nr. 2—4, bis zum 22. X. 1921 die
Möglichkeit einer Ansteckung gegeben, ohne daß eine Erkrankung
| damals erfolgt ist.
Die aus den geschilderten Beobachtungen zu ziehenden Folge¬
rungen decken sich mit den in der Einleitung gegebenen Grundsätzen,
sodaß ein weiteres Eingehen hierauf sich erübrigt.
Aus dem Pharmakologischen Institut der deutschen Universität
in Prag. (Vorstand: Prof. Dr. W. Wiechowski.)
Die pharmakologische Bewertung der Chinin-Digitalis¬
kombination bei Herzkrankheiten.
Von Prof. Dr. Emil Starkenstein.
I.
In klinischen Lehrbüchern, in Rezeptkalendern und in der täg¬
lichen Arzneiverschrcibung des Arztes begegnen wir gelegentlidi dei
Kombination von Chinin mit Digitalis, einer Verordnungsweise,
die vom pharmakologischen Gesichtspunkt aus zunächst nicht ohne
weiteres verständlich ist. Die pharmakologische Analyse hat vielfach
das Zweckmäßige solcher empirischer Arzneikombinationen im Sinne
von Arzneisynergismen erschlossen, sie wird aber anderseits auch das
Widersinnige solcher Verschreibungen im Sinne von Arzneiantagonis¬
men darlegen können.
Ganz allgemein betrachtet, werden wir die Kombination von
Digitaliskörpern mit Chinin vom pharmakologischen Standpunkt aus
nach drei Richtungen hin beurteilen können. Wir werden da zu
unterscheiden haben:
1. Kombinationen, bei denen die antipyretische Chinimvirkung
durch Digitalis unterstützt werden soll;
2. Kombinationen der beiden Stoffe, bei denen das Chinin hin¬
sichtlich seiner therapeutischen Bewertung als allgemeines „Toni
kum“ auftritt;
3. Kombinationen, bei denen das Chinin die Wirkung der Digitalis¬
stoffe auf Herz und Kreislauf unterstützen soll.
Unsere Untersuchungen über den pharmakologischen Wert dieser
Kombinationen sollen sich ausschließlich mit diesem letzten Zwecke
befassen.
Ein Einblick in die ältere Literatur zeigt, daß dieser Zweck
keineswegs der ursprüngliche war. Die übliche Verschreibungsweise
von Pulv. fol. digitalis mit Chininum muriaticum ää oder von Digitalis¬
tinktur mit verschiedenen Chinapräparaten beginnt etwa in der Mitte
des vorigen Jahrhunderts.
„Wenn torpide Schwäche zugrundelag, zumal bei betagten Sub¬
jekten“, finden wir Tinctura digitalis mit Tinctura chinae kombiniert
(Bcrends), bei asthenischen Hydrosen die Digitalis öfter mit andern
„harntreibenden Mitteln“ und mit tonisierenden, wie Chinarinde,
verschrieben. Die Wertung der Cliinapräparate als Tonika und Sto*
machika lassen die Kombination nach dieser Richtung hin begreiflich
erscheinen.
Wie ein weiterer Einblick in die Literatur dieser Zeit zeigt, han¬
delte es sich auch für andere therapeutische Zwecke nicht um die
Absicht, der Digitalis im Chinin ein Adjuvans beizugeben, sondern
umgekehrt, die Chininwirkung durch die Digitalis zu verstärken.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNSVERSSTY
31. März 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
415
Li eher meiste r, der bekanntlich der extremsten Fieberbekämpfung
das Wort redete, suchte die damals noch geringe Zahl der Fieber¬
mittel nadi Möglichkeit zu vermehren. Er erwähnt Fälle, „bei denen
das Fieber eine solche Hartnäckigkeit zeigte, daß noch anderweitige
antipyretische Medikamente zu Hilfe genommen werden mußten“.
Unter solchen unterstützenden Fiebermitteln hebt er nun besonders
die Digitalis hervor. Durch frühere Untersuchungen von Heiden -
hein uno Ackermann war experimentell die temperaturherab¬
setzende Wirkung der Digitalis gezeigt worden. (Auf die Erklärungs¬
versuche dieser Wirkung soll hier nicht weiter eingegangen werden.)
Traube hatte die Digitalis auch erfolgreich bei Pneumonie als
Antipyretikum, Wunderlich bei Typhus angewendet. Aus diesen
Gründen empfahl Liebermeister die Kombination von Digitalis
und Chinin (Pulv. fol. digitalis 0,1—0,2, Chiuini sulfurici 0,5—1,0
pro die. Die Kombination hatte hier also vorwiegend
den Zweck einer Verstärkung der antipyretischen
Chininwirkung.
Seither tritt diese Kombination teils in gleicher Form, teils unter
Verwendung anderer Einzeldosen der beiden Mittel immer wieder
in der Rezeptur auf. Es ist nicht klar, ob diese Art der Kombination
ohne Berücksichtigung des eigentlichen Zweckes dann auch ohne
weitere Ueberlegung für die „Herzwirkung“ der Digitalis übernommen
wurde, oder ob sie auf Grund neuerlicher diesbezüglicher Erfahrungen
in die Herzpathologie eingeführt wurde. Nur wenig spricht für
dasbewußtZweckmäßigedieserVersch reib ungs weise;
denn über die Herzwirkung des Chinins war zur damaligen Zeit noch
wenige bekannt. Nur gelegentlich finden wir vereinzelte Angaben,
die sich in diesem Sinne verwerten ließen: So sagt Oppolzer in
einer Mitteilung über die Therapie der Herzkrankheiten bei Steno¬
kardie: „bei Paroxysmen nützt Chinin gewöhnlich“.
Mehr als durch eine derartige gelegentliche Verschreibungsweise
von Chinin und Digitalis gewann die Frage an Interesse durch die in
den letzten Jahren gewonnene Erfahrung, daß Chinin imstande ist,
bei der Arhythmia perpetua, einer durch Vorhofflimmern
bedingten Pulsunregelmäßigkeit, regularisierend zu wirken.
Da dieser Zustand nach klinischen Angaben einerseits auch durch
Digitalis günstig beeinflußt werden kann, anderseits diese Störung
auch bei Herzen auftritt, die wegen eines Klappenfehlers bzw. wegen
bestehender Inkompensation eine Digitalistherapie erfordern, so er¬
scheint die Frage berechtigt, ob in solchen Fällen auch eine gleich¬
zeitige Verordnung von Chinin und Digitalis angezeigt
oder zulässig sei. Dadurch wird der Arzt vor die Aufgabe gestellt, sich
über die gl eich zeitige Wirkung beider Stoffe auf die Herztätigkeit
ein Bild zu machen. Dies ist für die praktische Anwendung der Kombi¬
nation um so notwendiger, als beide Substanzen in größeren (toxischen)
Dosen am normalen Herzen in ihrer schließlichen Endwirkung
(d. h. in ihrer Beeinflussung der Leistungsfähigkeit des Herzens)
antagonistisch wirken, während sie in kleinen, etwa den üblichen
therapeutischen Dosen, das normale Herz unbeeinflußt lassen. Aus
dieser Tatsache ergibt sich ganz allgemein für die pharmakologische
Bewertung der Digitalis-Chminkombination die Notwendigkeit, von
der Art der pathologischen Zustände auszugehen, bei wel¬
cher die beiden Stoffe jeder für sich therapeutisch nützlich
efunden wurden, und daran die Frage zu knüpfen, inwieweit die
isher bekannten pharmakologisch experimentell ermittelten Teil¬
wirkungen der beiden Stoffe auch die Zweckmäßigkeit ihrer Kom¬
bination für alle oder nur für bestimmte Fälle gerechtfertigt
erscheinen lassen.
Das Hauptanwendungsgebiet der Digitalis sind Herzinsuffizienz
und Kompensationsstörungen, die durch idiopathische Hypertrophie
und Dilatation sowie durch Klappenfehler verursacht sind. Ein weiteres
Indikationsgebiet für die Digitalisanwendung finden wir bei gewissen
Arhythmien, speziell bei der erwähnten durch Vorhofflimmern be¬
dingten Arhythmia perpetua, die, wie erwähnt, teils selbständig, teils
in Verbindung mit der erstgenannten Indikation für die Digitalis,
d. h. mit gleichzeitiger Kompensationsstörung auftreten kann.
Das bisher einzige Anwendungsgebiet des Chinins bei Herz¬
krankheiten ist das eben erwähnte Vorhofflimmern bzw. die darauf
beruhende perpetuelle Arhythmie. Es ergibt sich daraus die Frage¬
stellung, ob vom experimentell pharmakologischen Standpunkt aus
die Kombination von Chinin und Digitalis bei Herzkrank¬
heiten — wenn überhaupt — ganz allgemein oder bloß bei der
perpetuellen Arhythmie zu rechtfertigen ist.
Zur Beantwortung dieser Frage erscheint es notwendig, neben
der resultierenden Endwirkung auf die Herzleistung auch alle
bisher bekannt gewordenen Teil wirk ungen beider Stoffe auf die
Herzarbeit zu betrachten, wobei allerdings gesagt werden muß, daß
die Chininwirkung in ihren Einzelwirkungen weit weniger gut bekannt
ist als die der Digitalis.
II. Die Wirkung der Digitalisstoffe.
a) Allgemeine Kreislaufwirkung. Wir haben bereits als
Hauptanwendungsgebiet der Digitalisstoffe Herzinsuffizienz und Kom¬
pensationsstörungen kennengelernt. Die Beseitigung dieser Störung
kommt dadurch zustande, daß eine vollständigere Systole
und gleichzeitig verlängerte Diastole zu einer Ver¬
größerung des Pulsschlagvolumens, zu einer Vermehrung
der Herzarbeit und dadurch zu einer besseren Füllung des ar¬
teriellen und zu einer Entlastung des venösen Systems führt.
Im Experiment ist eine Steigerung der Herzleistung am nor¬
malen Herzen zumindest höchst unwahrscheinlich, sie ist wahr¬
scheinlich überhaupt nicht vorhanden (vgl. hierzu K. J unk mann).
Wohl aber gelingt es, unter gewissen Bedingungen eine Förderung
der Zirkulation auch im Experiment zu zeigen. Diese Bedingungen
sind im allgemeinen solche, welche die Herztätigkeit schädigen und
damit der Digitalis eine Basis für ihre Wirkung schaffen. So konnten
Gott lieb und Magnus an dem nach der Langendorffschen Methode
schlagenden Ventrikel und Bock am reduzierten Herzlungenkreislauf
eine Zunahme der Arbeitsleistung unter Digitaliseinfluß feststellen,
durchwegs Methoden, die an sich schon mit einer Schädigung der
Herztätigkeit verbunden sind. Weiter erwiesen sich in den Unter¬
suchungen von J u n k m a n n erhöhte Anfangsspaunung, Kalzium¬
mangel, Chinin und Kampfer als derartig herzschädigende Ursachen,
nach deren Einwirkung die leistungssteigernde Digitaliswirkung gut
demonstrabcl wurde. Auch Bijlsma konnte den Einfluß der Digi¬
talis auf die Herzkraft des Säugetierherzens nur bei gesteigerten Wider¬
ständen feststellen.
Er fand Folgendes: Wenn der künstliche Widerstand so weit ge¬
steigert wird, daß das Herz in der Nähe seiner physiologischen
Leistungsgrenze arbeitet und dann eine therapeutische Strophanthin¬
dosis gegeben wird, so nimmt das Herzvolumen ab. Nach Strophan¬
thin kann der Widerstand beträchtlich höher gesteigert werden, bevor
das Herz eine bestimmte Dilatation erreicht. Nach Strophanthin
bewirkt eine bestimmte Widerstandserhöhung eine geringere Dilatation
als in der Normalperiode, die Anspannung und auch die Austreibung
findet schneller statt. Durch die schnellere Austreibung bei gleichem
Widerstand kann der maximale systolische Druck im linken Ventrikel
erhöht werden. Wird als oberste Grenze der physiologischen Leistungs¬
fähigkeit des Herzens diejenige angenommen, bei welcher das Herz
dilatiert, das Minutenvolumen schnell abnimmt und der minimale diasto¬
lische Druck steigt, dann ergibt sich unter dem StrophanthineinfluB
eine deutliche Erhöhung dieser Grenze. Die annähernd isometrischen
Kontraktionen des linken Ventrikels bei vollständiger Aortenkom-
kompression erreichen nach Strophanthin ein höheres Maximum. Aus
diesen Versuchsresultaten ergibt sich, daß nach Analogie mit dem,
was man beim Skelettmuskel als Vergrößerung der Kralt bezeichnen
kann, die Kraft des Herzens durch Strophanthin zunimmt, und es
wird als sehr wahrscheinlich angenommen, daß auch die absolute
Kraft des Herzens gesteigert wird.
Auch in der menschlichen Therapie sind es nicht hypodyname
Herzen schlechtweg, die durch Digitaliskörner in ihrem Zustand
gebessert werden, sondern es handelt sich aucn hier um Störungen
bestimmter Art (Hypertrophie, Dilatation), die die Vorbedingung für
eine sichtliche Digitaliswirkung darstellen (vgl. hierzu Edens,
B rüg sch).
So erweisen sich die kleinen (therapeutischen) Dosen der Digi¬
talisstoffe am normalen Herzen als wirkungslos, während sie das
in bestimmter Art geschädigte Herz zu gesteigerter Leistung anregen
und durch die Aenderung der Blutverteilung imstande sind, Kreis¬
laufstörungen bestimmter Art zu beheben. Größere (toxische) Dosen
dagegen führen das Herz unter stets abnehmender diastolischer Er¬
weiterung und zunehmender systolischer Verkleinerung zum Stillstand.
b) Die Analyse der Herz Wirkung der pigitaliskör-
per hinsichtlich ihrer Einzelwirkung. Wie erwähnt, kann
die Kenntnis des resultierenden Endeffektes der Digitaliswirkung
nicht ausreichen, um deren Kombination mit Chinin richtig zu bewerten.
Hierzu ist vielmehr noch die Analyse der Einzelwirkungen der
Digitalisstoffe auf das Herz erforderlich. Diese läßt sich unter wesent¬
licher Zugrundelegung der zusammenfassenden Darstellung Win¬
terbergs kurz folgendermaßen wiedergeben:
Durch die Herzwirkung der Digitaliskörper werden getroffen:
1. das Herznervensystem, 2. das spezifische Muskelsystem, 3. der
Herzmuskel. Von den extrakardialen Herznerven wird von den
Digitaliskörpern eigentlich nur der Vagus betroffen. Er wird
zentral erregt, was an sich zu einer Verlangsamung der Schlag¬
folge führen muß. Diese zentrale Vaguserregung führt weiterhin
sekundär zu Veränderungen in der Reizleitung und in der Erreg¬
barkeit des Herzmuskels, wovon noch die Rede sein wird. In der
Peripherie ist eine derartige Erregung des Vagus wahrscheinlich,
doch steht hier mehr eine Steigerung der Erregbarkeit der Nerven¬
endigungen im Vordergrund. Die Wirkung auf das spezifische Muskel¬
system bezieht sich einerseits auf die Zentren der Reizbildung, ander¬
seits auf das Reizleitungssystem.
Ganz allgemein läßt sich sagen, daß die reizerzeugenden Zentren
durch die digitalisartig wirkenden Stoffe erst erregt und dann gelähmt
werden; doch sind die einzelnen Zentren verschieden empfindlich. Der
Sinusknoten (primäre Zentren) wird durch Digitalis zuerst erregt,
was eigentlich zu einer Beschleunigung der normalgebildeten Herz¬
reize fünren müßte; doch kann dies nur unter bestimmten Bedingungen
deutlich in Erscheinung treten, weil die gleichzeitige Verlangsamung
der Herztätigkeit als Folge zentraler Vaguserregung der durch Steige¬
rung der Reizerzeugung bedingten Beschleunigung entgegenwirkt.
Der Atrioventrikularknoten (Tawarascher Knoten, sekun¬
däre Zentren) wird durch Digitalis nur ausnahmsweise stärker erregt
als der Sinusknoten. In diesem Falle würde atrioventrikuläre Auto¬
matic auftreten. In der Regel aber behält der Sinusknoten auch unter
der Digitaliswirkung die Führung und gibt sie erst bei starker Ver¬
giftung unvermittelt an die tertiären Zentren (in der Ventrikel¬
wand) ab, was dann zur Kammerautomatie führen muß. Diese wird
um so leichter auftreten, als durch derartig große Digitalisdosen auch
die Leitung vom Vorhof zum Ventrikel fast vollkommen blockiert
wird. Hiervon wird noch die Rede sein. Die erwähnten tertiären
Digitized by Gougle
Original from
CORNELL UNiVERSITV
416
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
Zentren des Ventrikels werden durch, therapeutische Dosen von
Digitalis meist nur in ihrer Erregbarkeit gesteigert, während eine
direkte Erregung mit der erwähnten Steigerung der Autonomie und
Neigung zu Kammerflimmern erst nach größeren Dosen eintritt.
Sehr wichtig ist für die Beurteilung der Digitaliswirkung bezüg¬
lich der hier in Untersuchung stehenden Fragen der Einfluß der
Digitalisglykoside auf die Reizleitung. Je nach der einwirkenden
kleineren oder größeren Digitalisdosis finden wir gerade in diesem
Angriffspunkte alle Uebergänge von einer einfachen Verlängerung
des Intervalls zwischen Vomof- (Atrium-)^und'Ventrikelsystole (As-Vs)
bis zum vollkommenen Ausfall von Ventrikelsystolen, was schließlich
in eine vollkommene Leituugsunterbrechung und damit einhergehende
Dissoziation der Schlagfolge übergehen kann.
Außer mit diesem direkt hemmenden Einfluß der Digitalis-
Wirkung auf die Reizleitung haben wir hier auch noch mit einer
Unterstützung dieser Hemmung zu rechnen, wie sie als Folge der
zentralen Vaguserregung auftreten kann.
Hinsichtlich der Beeinflussung des Herzmuskels durch die
Digitaliskörper haben wir deren Einfluß auf die Erregbarkeit
bzw. auf aie Dauer der refraktären Phase, dann auf die
systolische und diastolische Muskelwirkung und schließlich auf die
darauf beruhende resultierende End Wirkung, die Herzarbeit, zu
berücksichtigen.
Was die Beeinflussung der refraktären Phase anlangt, so
sei zunächst auf die Feststellungen von W. St r a u b venviesen, der
beim Froschherzen bei fortschreitender Vergiftung eine immer mehr
zunehmende Herabsetzung der Erregbarkeit, d. h. eine Verlängerung
der refraktären Phase nachweisen konnte. Anderseits ist hier auf die
Befunde von Lewis zu verweisen, der mit seinen Mitarbeitern als
Folge zentraler Vagusreizung eine Verkürzung der Refraktär¬
periode am Vorhof des Hundes nachgewiesen hat. Mit Rücksicht
auf die große Rolle, die im therapeutischen Stadium der Digitalis-
wirkung der Vaguserregung zukommt, werden wir auch an die Mög¬
lichkeit einer Verkürzung der refraktären Phase in einem bestimmten
Stadium der Digitaliswirkung denken müssen.
Die Wirkung der Digitalis auf den Herzmuskel wird im all¬
gemeinen so dargestellt, daß die Systole eine Verstärkung und gleich¬
zeitig die Diastole eine Vergrößerung erfährt, was bei unveränderter
Frequenz zu einer Vergrößerung des Minutenschlagvolumens führen
müßte. Die darauf beruhende Leistungssteigerung laßt sich aber, wie
bereits ausgeführt wurde, nur an Herzen demonstrieren, die in be¬
stimmter Weise geschädigt worden sind. So konnten besonders Gott¬
lieb und Magnus eine Zunahme der isometrischen und isotonischen
Zuckung feststellen. Weiter fand de Heer, daß durch Strophanthin
die Verkürzung der Muskelelemente, d. h. der Kontraktionsablauf in
der Systole beschleunigt wird. Schließlich sei in diesem Zusammen¬
hang auch auf die Befunde von Biilsma über den Einfluß der
Digitalis auf die Herzkraft sowie auf die Untersuchungen von Junk-
mann verwiesen, die bereits bei der Besprechung der allgemeinen
Digitaliswirkung Erwähnung fanden.
Besondere Berücksichtigung für die hier zu erörternde Frage hat
noch der Einfluß der Digitaliskörper auf den Koronarkreislauf
zu finden. Diesbezüglich sei einerseits auf die Arbeiten von Braun
und Mager sowie die von Braun verwiesen, welche Autoren aus
ihren Experimenten eine Verengerung der Koronararterien
feststellen konnten, während andere Autoren (F, Meyer, Micu-
licich) einen solchen Einfluß nicht feststellen konnten, gelegentlich
sogar von einer Erweiterung sprechen. Jedenfalls ist demzufolge die
Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen, daß es unter bestimmten
Beoingungen unter dem Einfluß der Digitaliswirkung auch zu einer
Verengerung der Koronargefäße kommen kann.
(Ein Schluß-Artikel folgt.)
Die Strahlenbehandlung des Krebses.
Von Otto Strauß.
(Schluß aus Nr. 12.)
II.
Ueber die Bedeutung der prophylaktischen postopera¬
tiven Bestrahlung beim Karzinom habe ich mich an dieser Stelle
bereits zusammenfassend geäußert (vgl. D. m. W. 1921 S. 1528). Man
kann heute wohl sagen, daß die postoperative Bestrahlung ein von
der Allgemeinheit angenommenes Verfahren darstellt. Bedenken
dagegen haben nur einzelne Chirurgische Kliniken geäußert, in erster
Linie Tübingen und Marburg. Grundsätzlich ablehnend verhält sich
die Chirurgische Klinik in Bonn mit der Begründung, daß die Nach¬
bestrahlung doch nicht die Fernmetastase zu verhüten vermag.
Ungünstige Wirkung der Nachbestrahlung hat außerdem die Chirur¬
gische Klinik in Gießen beobachtet. Von 35 nidit bestrahlten Mamma¬
karzinomen (Spätfällen) sind 3 rezidivfrei geblieben, während 3 be¬
strahlte Spätfälle rezidivierten. Um hieraus irgendwelche Schlüsse
zu ziehen, ist das mitgeteilte Material zu klein. Bei 63 der Gruppe II
der Steinthalschen Einteilung angehörenden Mammakarzinomen blie¬
ben 31 (49,2o/o) nicht bestrahlte rezidivfrei, während von den 7 Be¬
strahlten nur ein Fall (14,3o/o) nicht rezidiviertc. Bemerkenswerter¬
weise sind aber auch Chirurgische Kliniken, aus welchen schon ab¬
lehnende Veröffentlichungen hervorgegangen sind, Anhänger der Nach¬
bestrahlung geblieben. Es sind also von den Chirurgischen Kliniken
KM3
nur 4 ausgesprochene Gegner der postoperativen Be¬
strahlung, die anderen sind teil mehr, teils minder überzeugte An¬
hänger dieses Verfahrens. Noch nicht zu abschließendem Urteil ge¬
lange die Chirurgische Klinik in Greifswald.
Ganz und gar verschieden sind die Angaben über den Zeit¬
punkt, nach welchem man die postoperative Bestrahlung
einzuleiten habe. Ich selbst habe in meiner vorstehend angeführten
Veröffentlichung den Standpunkt vertreten, sofort nach der Ope¬
ration mit der Bestrahlung zu beginnen. Die richtige Wahl des Zeit¬
punktes der Nachbestrahlung hält Payr für besonders notwendig.
Nach Ansicht der Mehrzahl der Chirurgen soll die Bestrahlung so
früh erfolgen, als der Wundverlauf es zuläßt (Lexer, Schmie¬
den, Borchardt, Kümmell. Küttner, König, Müller,
Guleke, Kirschner, Völcker). Anschütz wartet 2 bis
3 Wochen, Stich und Enderlein 3 Wodien, Frangenheim
4 Wochen, P a y r oft bis zu 6 Wochen und Hildebrandtö Wochen.
Während also hieraus hervorgeht, daß die Chirurgen möglichst bald
nach beendetem Wundverlauf, oft auch noch vorher bestrahlen, liegt
dies beim Uteruskarzinom anders. Der Uteruskrebs stellt der Behand¬
lung auch hier andere Aufgaben als das Karzinom der Verdauungs¬
organe. Wenn man zur Nachbestrahlung radioaktive Substanzen ver¬
wendet, so muß man berücksichtigen, daß das frische Narben¬
gewebe Bestrahlung schlecht verträgt und sehr leidit
nekrotisch wird (Bumm). Audi ist bei den Schleimhäuten, wenn
sie einmal die Maximaldosis erhalten haben, die Gefahr einer Ver¬
brennung viel größer als bei der Haut. Ferner liegt es in der Natur
des Bestrahlungsobjekts, daß radioaktive Substanzen in unmittelbare
Nähe des Operationsgebiets gebracht werden müssen und somit den
Wundverlauf ungünstig beeinträchtigen können, was bei der Röntgen¬
bestrahlung wegfällt. Ferner zeigt sich bei den wiederholten Bestrah¬
lungen oftmals die Blase strahlenempfindlich (Weibel), also alles
Gründe, die ein sofortiges Einleiten der Nachbestrahlung beim Genital¬
karzinom nicht angezeigt erscheinen läßt. Bumm wartet daher mit
der Nachbestrahlung 8—12 Wochen, Winter 6—8 Wochen, Hei¬
mann (Breslau) 6 Wochen. Mayer (Tübingen) läßt 3 Wochen,
v. Jaschke (Gießen) und Zangemeister (Marburg) 3—4 Wochen
vergehen. Frauenkliniken, die nur Röntgenstrahlen verwenden (Hen¬
kel), wählen im allgemeinen einen früheren Zeitpunkt Seil heim
beginnt mit der Bestrahlung 10 Tage nach der Operation.
Um die nach Operationen sich an der seitlichen Beckenwand bil¬
denden Rezidive, an welche man mit der Bestrahlung nicht genügend
herankommt, einer wirksamen Behandlung zugänglich zu machen,
kombiniert Bumm die Strahlentherapie mit der Opera¬
tion. Bumm macht einen Einschnitt zwischen Rektum und Tuber ischii,
eht durch die Fossa ischio-rectalis, durchbohrt die Fascia pelvis und
en Levator ani, bis man mit dem Finger an die Geschwulst heran¬
kommt. Hier wird ein mit einem Faden armiertes Radiumröhrchen
von 100 mg eingelegt. Dasselbe läßt man 60 Stunden liegen. Die
lokale Reaktion ist nach den Erfahrungen von Bumm gering, die Er¬
folge befriedigend.
Die paravaginale Radiumbehandlung Bumms zeigt der
Allgemeinheit hier einen Weg, der meines Erachtens viel zu wenig be¬
schritten wird. Bei unserer hochausgebildeten chirurgischen Technik
ist es eine Kleinigkeit, Radiumpräparate an den Karzinomherd heran-
zubringen und so aus nächster Nähe auf die krebserkrankte Stelle
relativ große Strahlenmengen einwirken zu lassen. Hier fehlt zwischen
den Chirurgen und Radiologen noch durchaus der engere Kontakt.
Hoffentlich bietet Bumms paravaginale Radiumtherapie die An¬
regung für neue Behandlungsmethoden.
Bis jetzt war nur von einer Krebstherapie die Rede, die auf eine
Beseitigung der karzinomatösen Neubildung gerichtet
war. Die örtliche Krebsvemichtung bildet das letzte und höchste
Ziet der heute geübten Karzinombehandlung. Etwas ganz anderes ist
die Idee, das Karzinom durch einen vom Organismus selbst
ausgehenden HeilungsVorgang zu beeinflussen. Wir wissen
nun, daß der Körper im Kampf gegen das Karzinom zwar nicht voll¬
ständig wehrlos ist, daß aber eine spontane Krebsheilung nicht zu¬
standekommt. Wäre es nun möglich, durch strahlende Energie die
Abwehrkräfte des Organismus gegen das Karzinom so anzuregen,
daß eine Spontanheilung des Leidens zustandekommt? Diese
Frage ist nicht neu. Zunächst haben sehr angesehene Forscher auf
dem Gebiet der Strahlentherapie die Ansicht vertreten, daß die ganze
Wirkung der Röntgen- und Radiumstrahlen sich gar nicht gegen das
Karzinom selbst richte, sondern nur auf einer Anregung der Ab¬
wehrvorrichtungen des Organismus beruhe. Bekanntlich war
es Exner, der als Erster die Ansicht vertrat, daß die Bestrahlung
beim Karzinom das Bindegewebe anregt. Durch diese vermehrte
Bindegewebsanbildung sollte der Krebs aufgefasert werden. Die
einzelnen Krebsinseln werden dann von Bindegewebe eingerahmt,
das die Krebszellen druckatrophisch zum Schwinden bringt. Der
Exnersehen Ansicht haben sich im Laufe der Zeit sehr viele Autoren
von Ansehen angeschlossen. Opitz, Schlesinger, Payr u. a.
vertreten die Auffassung, daß in der Anregung des Bindegewebes
der eigentliche Heilvorgang zu erblicken sei, und man kann wohl
sagen, daß heute die Mehrzahl der Autoren dem Bindegewebe
eine ausschlaggebende Bedeutung in der Unschädlichmachung der
Krebserkrankunjr zuspricht. Es wäre also danach die Strahlentherapie
der malignen Neubildung keine Vernichtungsbehandlung
im Sinne der Chirurgen und in keiner Weise in Parallele zu setzen
mit der Kaustik oder Fulguration. Jedoch ist das alles nidit so fest¬
stehend. Ob eine Bindegewebsreizung in dem Sinne stattfindet, daß
Digitized b"
Google
Original from
CORNELL UNfVERSITY
31. März 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
417
es 2 ur Druckatrophie des Karzinoms kommt, erscheint sehr fraglich.
Desgleichen ist es durchaus fraglich, ob eine durch die Bestrafung
liervorgerufenfe Beeinflussung des Bindegewebes überhaupt stattfindet.
Experimentell festgestellt ist hierüber nichts, und die Beobachtung am
Krankenbett spricht sogar dagegen. Wäre das der Fall, so müßte
das bindegewebsreiche Karzinom — der Skirrhus — auf Bestrahlung
auch besonders gut reagieren. Diesen Oedankengang findet man auch
vertreten, und besonders Payr, in gewissem Sinne auch Sellheim
(wenigstens für ältere Frauen) haben eine stärkere Wirkung der Be¬
strahlung beim Skirrhus beobachtet. Indessen sprechen sich sonst sämt¬
liche Kliniker, die hierüber Mitteilungen gemacht haben, in entgegen¬
gesetztem Sinne aus. Die Wirksamkeit der Strahlentherapie knüpft
an an die Blutgefäße. Die Gefäßintima ist der strahlenempfindliche
Teil. Von einer elektiven Strahlenwirkung auf das Karzinom selbst, von
welcher so viel die Rede ist, kann man nicht sprechen. Damit erklärt
sich auch die Verschiedenheit der Wirksamkeit aer Strahlenbehandlung,
die manches Mal außerordentlich, dann wieder völlig negativ ist.
Ein Karzinom mit entsprechender Durchblutung spricht auf die Be¬
strahlung eben gut an. Mithin ist die Strahlenwirkung auf das Kar¬
zinom lediglich als eine krebsvernichtende anzusehen, und ich
mache zwischen der operativen Behandlung und der Bestrahlung einen
grundsätzlichen Unterschied überhaupt nicht: beide Behandlungs¬
arten beruhen auf örtlicher Einwirkung. Ist der Tumor und
seine erreichbaren Metastasen beseitigt, so ist die Behandlungsauf¬
gabe erfüllt. Als spontane Krebsheilung ist das alles nicht auf-
zufasseu. Die karzinomatöse Disposition wird durch diese Form
der Behandlung ebensowenig beeinflußt wie durch die chirurgische.
Gelingt es dem Organismus, nach Entfernung des Karzinomherdes
noch Schutzstoffe in ausreichendem Maße anzubilden, so bleibt das
Individuum vor einem Rezidiv bewahrt, gelingt es nicht, so ist mit
dem Wiederauftfeten der Neubildung zu rechnen, ganz gleichgültig,
ob man den Primärtumor strahlentnerapeutisch oder operativ ent¬
fernt hat
Eine ganz andere Frage ist es, obman mit Hilfe derStrah-
tenbehandlung in der Lage ist, die karzinomatöse Dis¬
position selbst in irgendeiner Weise zu beeinflussen.
Da wir jedoch im Augenblick über die Krebsätiologie noch absolut
ununterrichtet sind, so ist es fast unmöglich, hierüber etwas Feststehen¬
des zu sagen. In welcher Weise sollte das überhaupt möglich sein?
Können wir auf Stoff Wechsel Vorgänge durch Bestrahlung einwirken,
sind wir in der Lage, innersekretorische Wirkungen auszuüben und
irgendwelche Hypofunktionen in Hyperfunktionen umzubilden, ver¬
mögen wir fermentative Abartungen zu beeinflussen, sind kolloidale
Vorgänge, Oberflächenspannung, Adsorptionsverhältnisse einer Strah¬
leneinwirkung zugänglich? Zweifellos sind Beeinflussungen in diesem
Sinne durch Bestrahlung zu erzielen, eine Frage ist es nur, ob die nach¬
weisbar vorhandenen Bestrahlungswirkungen stark genug sind, eine
Veränderung der Disposition, eine Umstimmung des Organismus zu be¬
wirken. Wir müssen — ganz allgemein gesagt — annenmen, daß das
Karzinom dann beginnt, sich zu entwickeln, wenn die blutbildenden
Organe anfaugen zu atrophieren und die epithelialen Gebilde über die
mesodermalen ein Uebergewicht erlangen. Welche Rolle hierbei noch
die endokrinen Organe — ich meine hier die endokrinen Organe
im engeren Wortsinn — spielen, ist unentschieden, jedoch nicht
völlig unbekannt. Wir wissen z. B., daß der Thymus stark karzi-
nolytisch wirkt. Das Serum eines Individuums mit Status thymico-
lymphaticus 4 ) löst 3—6mal so starke Krebszellen auf wie das Serum
eines gleichalterigen normalen Menschen (Kam in er und Morgen¬
stern). Bekanntlich ist im normalen Serum eine krebszerstö¬
rende Substanz vorhanden, die sog. Normalsäure. Es ist dies eine
ätherlöslichc organische Fettsäureverbindung, die in sehr kleiner Menge
im Serum zu finden ist (0,1 g auf 5 Liter Serum). Im Serum des
Krebskranken fehlt sie. Im karzinomatösen Organismus findet
man statt dessen eine ungesättigte Fettsäure Verbindung
(die sog. Karzinomsäure), welche die Normalsäure unwirksam zu
machen imstande sein soll. Solange der Thymus stärker funktioniert,
ist die Normalsäure stark entwickelt. Mit der Thymusrückbildung
sinkt sie immer mehr ab. Es wäre somit in gewissem Sinne erwiesen,
daß der Krebs eine Alterserscheinung darstellt, worauf ja eigentlich
auch unsere bisherige Erfahrung hindeutet. Und trotzdem ist dieser
Schluß, daß Karzinomentwicklung und Thymusrückbildung ohne
weiteres in Korrelation stünden, nicht gerechtfertigt. Die experi¬
mentelle Forschung spricht nicht dafür, daß das Karzinom an das
Lebensalter gebunden ist (Yamagiwa, Yschikawa, Bang), auch
wissen wir, daß der SchornsteinTegerkrebs in solchen Ländern, in
denen jugendliche Individuen (Knaben) sich diesem Berufe zu¬
wandten, auch im frühen Lebensalter vorkommt. Es wird also der
Wert der Annahme einer karzinolytischen Thymuswirkung durch
diese Erfahrungssätze beeinträchtigt, wenn auch nicht völlig aufge¬
hoben. ! j ,
Ungeklärt ist die Rolle, welche die Milz für die Krebsent¬
stehung oder, besser gesagt, für die Karzinolyse besitzt. Die Milz
beginnt im Alter zu schhimpfen, bei Krebskranken findet man sie
häufig atrophisch. Die Milz ist nur selten Sitz einer Metastase,
Williams hat bei 15000 Sektionen nie ein Karzinom der Milz
gefunden. Fi Schema sowohl wie Odier fanden, daß das Impf-
karzinom nach Milzexstirpation rapides Wachstum zeigt, Frankl
fand — damit in gewissem Sinne übereinstimmend — eine starke
1 ) Inwieweit die moderne pathologisch-anatomische Forschung den Begriff des
Status thjmJcelyinpfcaticus noch anerkennt, Ist nicht meine Sache zu beurteilen.
Hemmung der Impftumoren, wenn man dem Karzinombref Milzextrakt
beimischte. Indessen sprechen auch sehr bedeutungsvolle Versuche
gegen eine karzinolytische Funktion der Milz. Wir wissen aus den
Untersuchungen Fibigers (D. m. W. 1921 Nr. 48/49), daß eine Ent¬
milzung spiropterainfizierter Ratten keinen Anstieg der Krebsziffer
beim Beobachtungsmaterial zur Folge hatte und daß unter 18 milzlosen
bunten Ratten nur bei 5 ein Spiropterenkarzinom auftrat, während bei
19 Kontrtilltieren 13mal Krebs beobachtet wurde. — Ungeklärt ist die
Bedeutung der Schildd rüse für die Karzinomentwicklung. Es ist eine
bekannte und nicht genügend gewürdigte Tatsache, daß Basedow¬
sche Erkrankung und Karzinom fast nie gemeinsam Vorkom¬
men. Das Kolloid bei Basedow-Erkrankung ähnelt dem fötalen Zustand,
während bei Hypothyreose der ganzen Zelle ein Alterszustand auf¬
gedrückt wird (Möbius). Daher ist auch nach Ansicht von Bayard
in kropfreichen Ländern das Karzinom vermehrt. Ohne diese Schlu߬
folgerung Bayards zur ineinigen zu machen, ist nicht zu bestreiten,
daß das Karzinom in kropfreichen Ländern in erhöhtem Maße auf-
tritt. Neben Thymus, Schilddrüse und Milz ist von Drüsen endokriner
Wirkung noch das Ovar zu nennen. Man hat dem Ovar schon lange
eine Bedeutung für das Zustandekommen des Karzinoms zugesprochen,
und es wäre ja auch ohne weiteres zu verstehen, daß vom Ovar ein
Wachstumsanreiz auf das Brustdrüsenepithel ausgeübt wird. Auf die
hierher gehörenden Untersuchungsergebnisse von Loeb, Joan-
novies, Beatson, Kahen usw. kann ich nicht näher eingehen,
ich möchte nur darauf verweisen, daß eine hieraus gezogene Fol¬
gerung unbegründet ist. Man nahm an, daß das Brustdrüsen¬
karzinom bei befruchteten Frauen infolge einer erhöhten Ovarial-
tätigkeit reichlicher vorkommt als bei Nulliparen. Um diesen Nach¬
weis zu führen, bedarf es aber erst ganz anderer statistischer Fest¬
stellungen. Das Verhältnis der verheirateten Frauen zu den unver¬
heirateten ist 5:1, es ist also selbstverständlich, daß das Brustdrüsen¬
karzinom bei Unverheirateten viel seltener ist. Es ist also hier eine
sehr bedeutungsvolle Behauptung statistisch noch ganz unzulänglich
begründet, wenn auch der ungünstige Einfluß der Gravidität und
Laktation nicht nur auf den Krebsverlauf im allgemeinen, sondern
auch auf den Mammakrebs als feststehend anzusehen ist (Wolf).
Ich habe diese möglicherweise bestehenden Zusammenhänge
zwischen der Funktion endokriner Organe und der Ent¬
stehung des Karzinoms hier berührt, nicht um auf die außer¬
halb des Rahmens meines Themas liegende Krebsätiologie näher ein¬
zugehen, sondern um die Frage zu erörtern, ob wir vielleicht durch
Verabreichung von Röntgenreizdosen auf die endokri¬
nen Organe, möglicherweise auch durch Sterilisierung den Organis¬
mus im Kampf gegen das Karzinom zu stärken vermögen. Es ist ein
Verdienst von Manfred Fränkel gewesen, als Erster diese Idee
fortgesetzt vertreten zu haben. Daß man durch Bestrahlung den
Thymus, die Schilddrüse und die Milz zu einer erhöhten Tätigkeit
veranlassen kann, ist bekannt. Der Begriff der Reizdosis ist aber
schwer zu umschreiben. Bei dem einen Individuum wirkt eine Strah¬
lenmenge noch als Reizdosis, die bei einem andern noch gar
nicht und bei einem dritten als Schädigungsdosis in Erscheinung
tritt. Eine vertiefte re Betrachtungsweise, eine strengere Blutbfla-
kontrolle wird uns auch in die Lage versetzen, den Begriff der Reiz¬
dosis besser therapeutisch auszunützen.
Zur Zeit werden an unseren Universitätskliniken Versuche nicht
emacht, durch strahlende Energie eine umstimmende Wirkung auf
en Organismus ausüben zu wollen. Die bis jetzt geübte Strahlen¬
behandlung ist eine ledigliche Vernichtungstherapie. Nur Sauer¬
bruch geht auf dieses Problem näher ein.
Ob das Karzinom in seinem Verlauf durch örtliche, klima¬
tische, völkische oder sonstige Einwirkungen beeinflußt
wird, hierüber existieren nur wenig genauere Vorstellungen. Wir
wissen, daß in gewissen Oegenden das Karzinom gehäufter auftritt,
doch über den Verlauf der einzelnen Karzinomfälle, über ihre größere
oder geringere Malignität bei dieser oder jener Rasse, in diesem
oder jenem Klima wissen wir fast nichts. An unseren Universitäts¬
kliniken sind auf jeden Fall größere Veränderungen im Verlauf
nicht zu beobachten gewesen. Krönig, der aus eigener Erfahrung
über ein größeres Krebsmaterial in Berlin, Altona, Hamburg, Greifs¬
wald, Marburg und Würzburg zu berichten vermag, hat Verlaufs¬
unterschiede nicht festzustellen vermocht. Opitz, dem zwar eine
sehr verschiedene Häufigkeit im Auftreten des Krebses aufgefallen
ist, hat Verlaufsunterscniede nicht gesehen. Auch Payr und
Döderlein können keine genaueren Angaben über Verlaufsdiffe¬
renzen machen, während Winter solche Unterschiede beobachtet hat.
Tatsächlich existieren sehr große, statistisch nachweisbare
Verschiedenheiten im Karzinomverlauf, die man bis jetzt
noch nicht genügend beachtet hat. Wenn man große Städte mit reich¬
lichem Karzinommaterial, wie Berlin, Hamburg, Breslau, Frankfurt
und München, sich daraufhin ansieht, so kann man feststellen, daß
der Krebsverlauf in den einzelnen Städten ganz verschieden ist.
So sterben z. B. in Berlin und Hamburg s / 9 der Krebskranken,
während in Breslau *und München nur Ys in derselben Beobachtungs¬
zeit eingeht. In Frankfurt a. M. sinkt diese Zahl sogar auf Vs. ob¬
wohl man nicht sagen kann, daß die Krebsfälle dort früher diagno¬
stiziert werden und daß dadurch für die Therapie günstigere Vor¬
aussetzungen vorhanden sind. In der Frankfurter Frauenklinik kommt
das Karzinom nur mit einer Operabilität von 47,4<>/o in ärztliche Be¬
handlung. Trotzdem ist die Krebssterblichkeit relativ niedrig.
Wir ersehen hieraus, wie viel ungelöste Probleme uns die Krebs¬
betrachtung noch bietet, und wir können es auch verstehen» daß
Difitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
418
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 13
die Beeinflußbarkeit durch Bestrahlung nicht überall dieselbe ist.
Die Verschiedenartigkeit des Karzinoms erklärt die Verschiedenheit
des Erfolgs. Es sind diese Unterschiede nicht nur histologische, nicht
nur topische, es spielen hierbei auch noch unbekannte Verhältnisse
mit. Dies muß offen zugegeben werden, denn nichts ist in dieser
Hinsicht verkehrter als Verallgemeinerungen. Wir kennen z. B. eine
roße Reihe von Schädlichkeiten, von denen wir wissen, daß sie den
öden für die Entstehung eines Karzinoms vorbereiten, und können
doch nicht sagen, daß diese Noxen zum Krebs führen müssen.
Bekannt ist der Kangrikrebs bei den Einwohnern Kaschmirs, der
Speiseröhrenkrebs bei der männlichen Bevölkerung Chinas, der Mund¬
höhlenkrebs der Betelnußkauer, der Krebs infolge Schädigung von
Ruß, Teer, Paraffin, sowie der Blasenkrebs der Anilinarbeiter. Und
dennoch treten die Krebse nur bei einem kleinen Teil der von diesen
Schädlichkeiten Betroffenen auf. Dafür sprechen auch die Beobach¬
tungen im Tierexperiment. Auch hier sehen wir, daß dieselbe Noxe
durchaus nicht immer das Karzinom hervorruft. So entsteht der
Spiropterenkrebs bei 50—60% der bunten Ratten, bei ungefähr 33%
der Wanderratten, bei 3% der Hausratten und zu 4— 5<>/o bei weißen
Mäusen. Die letztere Angabe muß sehr verwundern, da ja sonst die
weiße Maus für das Karzinom absolut empfänglich ist und das
Teerkarzinom bei einem hohen Prozentsatz weißer Mäuse zur Ent¬
wicklung gelangt (Tsutsui in 50o/ 0 , Bierich in 55—60o/ 0 , Bang
bei 90o/o und Bloch bei fast 100o/o). Es sind eben individuelle
Prädispositionen, erhöhte Empfänglichkeit für krebs¬
erzeugende Reize für das Zustandekommen des Karzinoms nötig.
Ueber beobachtete Schädigungen bzw. Ueberempfind-
lichkeit gegen Röntgenstrahlen liegen nicht'viele Mitteilungen
vor. Die Mehrzahl der Kliniken betont, daß sie niemals Röntgen¬
schädigungen beobachtet habe. Diesem an sich ja gewiß sehr
erfreulichen Ergebnis betont Menge gegenüber, daß jeder ehrliche
Beobachter von Röntgenwirkungen auch unangenehme Folgen der
Bestrahlung schon gesehen habe. Unter 360 bestrahlten Kranken
hat man in der Chirurgischen Klinik in Leipzig 4 Verbrennungen
beobachtet, ferner haben die Chirurgischen Kliniken in Breslau, Halle,
Kiel, Köln, Jena und in Moabit unangenehme Zwischenfälle zu ver¬
zeichnen. Die Angabe der Payr sehen Klinik (4 Verbrennungen
auf 360 Bestrahlte) sind sehr bemerkenswert und dürften eine ge¬
wisse Grundlage für eine dahingehende Betrachtung bilden. In
welchen Grenzen die persönliche Empfindlichkeit zu schwanken ver¬
mag, hierüber bestehen zur Zeit noch keine übereinstimmenden An¬
gaben. Während Krönig und Friedrich Schwankungen zwischen
200 und 300% annehmen, haben Seitz und Wintz nur Differenzen
von 15o/o bemerkt. Auf Grund eigener Wahrnehmungen möchte ich
mehr der Ansicht von Krönig und Friedrich beipflichten.
Ueber das zur Bestrahlung verwandte Instrumentarium ist
Folgendes zu sagen: 21 Kliniken arbeiten mit dem Symmetrie¬
apparat von Reiniger, Gebbert & Schall, 19 mit aem Inten¬
sivreformapparat der Veifa-Werke, 5 mit Siemensschen
Apparaturen, eine mit dem Radio-Silex von Koch uud
S t e r z e 1 und 2 mit dem Hartstrahlapparat der Sanitas.
Es läßt sich heute mit einiger Sicherheit sagen, daß die Wahl des
Instrumentariums für den erzielten Erfolg ohne Bedeutung ist. Wir
stehen allerdings im Augenblick vor der Bekanntgabe eines neuen
Röhrentyps, der vielleicht (wir sind jetzt schon sehr skeptisch ge¬
worden) für die Dosierung neue Gesichtspunkte bringen wird. Dies
vorausgesetzt, muß ausgesprochen werden, daß trotz der großen
konstruktiven Gegensätze zwischen den einzelnen Apparaturen, trotz
größter Verschiedenheiten der verwandten Spannungen und Strom¬
stärken das therapeutische Ergebnis bei allen diesen
Instrumentarien dasselbe ist.
Als Meßmethoden benutzten 16 das lontoquantimeter, 12 das
Intensimeter. Auf die Notwendigkeit biologischer Meßmethoden weisen
sehr viele Kliniken hin. Diesem Verlangen ist durchaus beizupflichten.
Die heute als beste Meßmethode anerkannte iontoquantimetrische Fest¬
stellung kann uns nur etwas Positives über die verabreichte Menge
sagen, nie aber uns einen Anhaltspunkt gewähren für die Beurteilung
des tatsächlich erzielten Effekts. Man mag über die Bedeutung des
Hauterythems denken, wie man will, sicher ist das Auftreten des
Erythems das einzige sichere Anzeichen für eine im Körper aufgetre¬
tene Reaktion.
Zusammenfassung. Das Karzinom ist für die Therapie keine ein¬
heitliche Aufgabe. Die Uteruskarzinome nehmen eine Sonder¬
stellung ein. Dadurch erklären sich die Gegensätze in der Be¬
wertung der Strahlentherapie zwischen Chirurgen und vielen Gynä¬
kologen. Zur Zeit kann die Behandlung des chirurgischen Kar¬
zinoms nur operativ sein. Die oisher viel vertretene, zeit¬
weise sogar herrschende Auffassung, daß jedes Karzinom eine
gleichmäßige Radiosensibilität besitzt und daß es nur eine
Frage der Dosierung sei, ob man es beseitigen könne oder nicht,
muß endgültig aus unserer Betrachtung ausscheiden.
Wie sich diese Verschiedenheit der Wirkung erklärt, entzieht sich
vorläufig noch unserer Kenntnis. Ueber die rohe Empirie sind wir
noch nicht hinausgekommen. A priori könnte man ja annehmen, daß
eine Krebsbildung um so leichter durch Bestrahlung zu beeinflussen
ist, je radiosensibler der Mutterboden ist, auf dem sie
entstanden ist. Diese Erklärung trifft für das Uteruskarzinom nicht
zu, denn wir haben gesehen, daß die Schleimhaut des Uterus und der
Vagina ausgesprochen schwach empfindlich gegen Bestrahlung ist.
Es ist wahrscheinlich, daß entwicklungsgeschichtliche Vorgänge hier
eine Rolle spielen. Ich will nicht etwa hier zurückgreifen auf die
alte, mit Recht verlassene Cohnheim sehe Theorie, sondern ich
denke mir die Vorgänge so: das Karzinom entsteht entweder ört¬
lich und bleibt lokalisiert, oder es entsteht auf Grundlage kon¬
stitutioneller Faktoren und generalisiert. Die örtliche
Entstehung ist auf falsche Chromosomenkoppelung zu¬
rückzuführen. Der formative Trieb der Zelle mit falscher Chrotno-
somenkoppelung wird durch Ektohormone lange niedergehalten und
gelangt erst dann zu freier Entfaltung, wenn die Ektohormone
wirkungslos werden und damit die Endohormone das Uebergewidht
erhalten. Dies tritt ein in dem Lebensalter, in dem erfahrungsgemäß
das Karzinom am meisten klinisch beobachtet wird. Oanz im Gegen¬
satz dazu entwickelt sich die andere Krebsform. Hier entstäien
fermentative Abartungen im Organismus. An irgendeiner Stelle rufen
Reize, chemischer oder physikalischer Art eine Karzinomentwicklung
hervor. Diese Krebsform neigt zur Generalisation. Auf erstere ist
die Strahlentherapie wirkungsvoll, auf letztere nicht.
Aus der I. Medizinischen Universitäts-Klinik in München
(Direktor: Prof. v. Romberg).
Über die klinische Brauchbarkeit der Duodenalsonde bei
Erkrankungen der Qallenwege.
Von Dr.P. Hecht und Dr.J.Mantz (ehern. Volontärassistenten der Klinik).
Die zuerst von den Amerikanern Einhorn und Gross ange¬
gebene Duodenalsonde diente zunächst nur der Untersuchung des
Duodenums.
Wir verdanken der Duodenalsondenmethode wertvolle physio¬
logische Beiträge zur Frage der chemischen und fermentativen Zu¬
sammensetzung des Duodenalsekrets im nüchternen Zustande, nach
Einnahme der verschiedensten Mahlzeiten, unter dem Einfluß von
Arzneimitteln und anderen Reizstoffen.
Für klinische Zwecke wurde die Sonde besonders wertvoll bei
der Bestimmung der Pankreasfermente. Bondi, Volk u. a. be¬
schrieben hier neue Methoden, die zu sichereren Ergebnissen führten
als die bisher geübte Fermentuntersuchung der Fäzes. Auch zur
röntgenologischen Darstellung des Duodenums wurde die Sonde von
David verwandt.
In letzter Zeit wurde die Duodenalsonde auch zur Diagnostik
der Erkrankungen der Gallenwege herangezogen. Ueber die physio¬
logischen Bedingungen, unter denen die Gallenabsonderung und der
Gallenabfluß beim Menschen erfolgen, ist durch Tierexperimente
zwar vieles bekannt. Ungenügend geklärt sind vor allem die feinen
Reflexverhältnisse zwischen Gallensekretion und -abfluß und den
übrigen Verdauungsorganen (Magen, Darm, Bauchspeicheldrüse und
Lebert.
Wir wissen, daß unter physiologischen Verhältnissen die Galle
nicht dauernd gleichmäßig in das Duodenum fließt. Sieht man von
der bekannten Leertätigkeit aller Verdauungsdrüsen, die in etwa
einstündigen Pausen, auch bei Nüchternheit, einige Kubikzentimeter
Sekret — auch Galle — entleeren, ab, so fließt im übrigen die Galle
nur auf ganz bestimmte Reize. Feinste Zusammenhänge bestehen
zwischen Gallensekretion und Magenentleerung. Wir sehen nervöse
und chemische Reflexe in Tätigkeit. Der Uebertritt des sauren
Mageninhalts in das Duodenum ruft Gallefluß hervor. Dasselbe wird
erreicht durch Uebertritt von Fett und gewissen Albumosen (Paw-
low, Cohnheim, Klee, Rost u. a.). Anderseits rufen Verände¬
rungen am Apparate des Gallenzuflusses (Cholezystektomie, Zystikus-
verschluß) Veränderung der Magensaftabsonderung hervor (Honlweg)
Führt man eine Sonde in das Duodenum ein, so wird bei richtiger
Lagerung meist kontinuierlich gallehaltiges Sekret entleert. Dies ge¬
schieht auch im nüchternen Zustande. Die sekretorischen Verhältnisse
sind hier am besten mit dem Zustande zu vergleichen, der nach
Entfernung der Gallenblase entsteht und von Rost, Klee und
Klüpfel am gallenblasenlosen Hund beobachtet wurde. Ob hier
der mechanische Reiz des im Duodenum liegenden Sondenknopfes
von Bedeutung ist, ist schwer zu entscheiden. Jedenfalls spielen
auch psychische Faktoren eine Rolle. Schon bei Tierversuchen am
Fistelhund ist das beobachtet worden; auch bei Sondenuntersuchungen
am Menschen erfolgt bei verschiedenen Versuchspersonen unter sonst
gleichen Bedingungen zu ganz verschiedenen Zeiten nach Einführung
der Sonde der erste Gallenabfluß.
Die Schwierigkeiten der Technik lassen sich nach einiger
Uebung meist leicht überwinden. Wie Stepp betont, macht jeder,
der sich einige Zeit mit der Duodenalsondierung beschäftigt, in der
praktischen Anwendung der Sonde eigene Erfahrungen, die ihm
bald ein sicheres Arbeiten ermöglichen. Recht schätzenswert ist die
Möglichkeit der Röntgenkontrolle, denn erst sie bringt den sicheren
Beweis, daß der Sondenknopf sich im Zwölffingerdarm in der Gegend
des gewünschten Bezirks befindet. Die Kontrolle der eingeführten
Sondenlänge ist meist recht trügerisch, da es Vorkommen kann, daß
die Sonde sich im Magen mehrmals in Schlingen gelegt und noch
nicht den Pylorus passiert hat. Auch die Prüfung auf saure bzw.
alkalische Reaktion ist ein unsicheres Zeichen. Nach kürzlich ver¬
öffentlichten Sondenuntersuchungen von Jarno und Vandorfy
tritt galliger Duodenalinhalt bei der periodischen Leertätigkeit des
Magens in ihn über. Wir kennen den galligen Mageninhalt ja auch
□ igitized by Gougle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
31. März 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
419
bei der früh nüchtern erfolgten Ausheberung Superazider. Immerhin
darf man im allgemeinen annehmen, daß bet Ablauf gallig-alkalischer
Flüssigkeit die Sonde im Duodenum liegt. Das ist dann sicher, wenn
das Sekret ganz klar ist. Mitunter bleibt aber auch bei richtiger
Einnahme der erforderlichen rechten Seitenlage die Heber¬
wirkung aus; dann gelingt es meist, durch einige tiefe Atemzüge
das Abtropfen der Flüssigkeit in Gang zu bringen oder zu be¬
schleunigen (von Bon di angegebenes Hilfsmittel).
Unsere Sonden versuche an gesunden und kranken Men¬
schen in der I. Medizinischen Klinik in München, dienten vor allem
der Differentialdiagnose von Erkrankungen der Leber und der Gallen¬
wege 1 ). Stepp, der auch unter diesen Gesichtspunkten die Duodenal¬
sonde anwandte, benützte als Mittel, die Gallenabsonderung anzu¬
regen, die Einspritzung von Witte-Pepton. Nach Tierversuchen von
Cohnheim und Klee, die von Rost bestätigt sind, wirkt das
Witte-Pepton kontrahierend auf die Muskulatur der Gallenblase.
Die dabei entleerte Galle unterscheidet sich von der frisch aus der
Leber sezemierten Galle durch ihre dunklere Farbe und höhere
Konzentration. Stepp fand nun mit der Duodenalsonde, daß beim
Gesunden der „Witte-Peptonreflex“ regelmäßig positiv war,
d. h. daß dunklere Blasengalle der Injektion des Mittels folgte. Da¬
egen blieb bei Erkrankungen der Gallenblase, wohl infolge mangel-
after Resorption oder Verlegung des Ganges, der Erguß von dunk¬
lerer Galle aus.
Bei der Einfachheit der Methode schien somit der Witte-Pepton¬
reflex für die Diagnose von der größten Bedeutung. Auch wir ver¬
suchten zunächst mit diesem Verfahren zum Ziele zu kommen. Doch
machten wir bald die Erfahrung, daß auch beim Gallenblasengesunden
der Witte-Peptonreflex nicht regelmäßig auftrat.
Bei 25 Patienten, die spontan durch die Sonde Galle nach außen
entleerten, fiel er nur bei 7 (4 Gallengesunde, 3 katarrhalischer
Ikterus) positiv aus, bei 17 fehlte die Entleerung merkbar dunklerer
Galle. Unter diesen negativen Fällen waren 3 mit Cholelithiasis,
1 mit Cholezystitis, 6 andere hatten katarrhalischen Ikterus, 1 Leber¬
syphilis, 1 Ulcus duodeni, 1 Karzinom; 3 waren gallengesund.
Hie und da werden auch schon Spontanentleerungen dunklerer
Galle beobachtet. Wir sahen das sehr auffallend bei einem Patienten,
aber auch Bondi, Stepp, Strauß u. a. wiesen bereits darauf hin.
Daß hier Spontankontraktionen der Gallenblase erfolgt sind, ist mit
Wahrscheinlichkeit anzunehmen.
Da der Witte-Peptonreflex demnach nicht regelmäßig auftritt,
sind w*ir noch nicht_ berechtigt, aus seinem Fehlen auf eine Er¬
krankung der Gallenblase zu schließen. Doch scheint sein positiver
Ausfall, soweit unser Material reicht, für die Intaktheit der Gallen¬
blase zu sprechen. Insofern ist er sicher von großer Bedeutung.
Die Entscheidung der Frage, ob ein negativer Witte-Peptonreflex
durch Verlegung des Ductus cysticus oder durch entzündliche Pro¬
zesse in der Gallenblasenschleimhaut selbst, mit Unfähigkeit, die
Galle zu konzentrieren, bedingt ist, macht Stepp abhängig vom
Sedimentbefund. Der Nachweis von Leukozyten in der nach Witte-
Peptoneinspritzung gewonnenen „Blasengalle“ im Gegensatz zu der
zuvor entleerten „Lebergalle“ soll mit Wahrscheinlichkeit das Frei¬
sein des Gallenblasenabflußwegs und die Herkunft der Galle aus
einer entzündlich veränderten Blase beweisen. Auch wir konnten
bei einigen Fällen von Cholelithiasis nach Witte-Pepton Leukozyten
in der Galle nachweisen, die vorher nicht vorhanden waren; aber
sichere Schlüsse wagten wir nicht daraus zu ziehen. Denn auch bei
anderen Erkrankungen, die nicht die Gallenblase mit angegriffen
hatten, fanden wir wechselnden Sedimentbefund in den einzelnen
Galleportionen. Auch müssen wir immer mit der das Sediment zer¬
störenden Wirkung von Pankreassekret rechnen (Bondi). Mikro¬
skopisch finden sich in dem Duodenalinhalt die verschiedensten Ge¬
bilde. Eine diagnostische Bedeutung maßen wir ihnen nicht bei.
Auch auf den makroskopischen oder chemischen Nachweis von
Blut in der mit der Sonde gewonnenen Flüssigkeit ist kein be¬
sonderer Wert zu Ifegen. Mehrfach fanden auch wir, wie andere
Untersucher, kleine Blutbeimengungen, besonders bei Fällen von
Gelbsucht, ohne daß irgendein Anhaltspunkt für ein Ulcus duodeni
vorlag. Auf die leichte Verletzbarkeit der kleinsten Kapillaren auch
der Magenschleimhaut gerade beim katarrhalischen Ikterus hat Bondi
schon aufmerksam gemacht 1 ).
Neben dem Witte-Pepton verwandten wir als gallelockendes
Mittel das Oleum menth. piperit. Von Heinz und seinen
Schülern Renner und Diepold wurden auf Grund von Tierver¬
suchen unter anderen ätherischen Oelen das Pfefferminzöl als be¬
sonders gallelockendes Mittel empfohlen und therapeutisch verwendet.
Auch wurden von klinischer Seite (v. Noorden) Erfolge mit dem
unter dem Namen Cholaktol erschienenen Mittel berichtet.
Ohne auf die theoretische Begründung dieser Medikation ein-
gehen 'zu wollen, glauben auch wir. daß in der Klinik die Ver¬
wendung von Cholaktoltabletten bei Cnolelithiasis und katarrhalischem
Ikterus nützlich gewirkt hat. Als wir, einem Vorschlag von Klee
folgend, das Pfefferminzöl zu diagnostischen Zwecken durch die
») Der eine von uns batte den Vorzug, die Methode bei Herrn Prof. Stepp in Gießen
zu erlernen. — •) Kürzlich von Lepthne veröffentlichte Untersuchungen des Bilirubin-
gehalts nach der Methode von Hijm ans van den Bergh in der mittels Duodenalsonde
gewonnenen Lebergalle ergaben als normale Werte 3—0 Einheiten. Höhere Werte wur¬
den bei abklingendem, mechanischem Ikterus (sekundäre Pleiochromie) und auch bef
Krankheiten mit Hämolyse gefunden (primäre Pleiochromie). Beimischungen von Blasen,
gaüe nach Witte-Pepton ergaben verschieden hohe Werte, die höchsten beim hämoly¬
tischen Ikterus und bei perniziöser Anämie.
Sonde in das Duodenum spritzten, konnten wir unmittelbar beob¬
achten, wie der Abfluß der Galle zunahm. Zu diesem Zwecke ver¬
wandten wir 20 ccm einer 0,2o/ 0 igen sirupösen Lösung. Unangenehme
Nebenwirkungen traten nicht ein. Auf Tabelle I steht die Wirkung
Tabelle I.
Klin. Diagnose
Spontaner
Gallefluß
Gallefluß nach Ein¬
spritzung v. 20 ccm
0,2% Ol. menth. pip.
Lösung
Auftreten
der Wirkung
nach Minuten
Obstlpatio spastica
+
+ +
Syphilitische Hemiplegie
+
+ +
8
Tabes meseralca
-i-
+
Cholelithiasis
+
+ +
Magenneurose
—
+ +
5
Icterus catarrhaUs
—
+
15
Icterus catarrhalis
—
+
10
Icterus catarrhaUs
—
+
15
Icterus catarrhalis
—
+
25
Care, papillae Vateri
—
—
—
+
120
—
—
(vgl. Text)
des Pfefferminzöls auf den Gallefluß nach außen. In erster Linie
sind die Fälle angeführt, bei denen Spontangalle durch die Sonde
nach außen abtropfte. Dabei zeigte sich, daß meist schon wenige
Minuten nach der Einspritzung von Pfefferminzöl vermehrter Ad-
fluß einer klaren, hellen Galle, in einigen wenigen Fällen auch
von dunkler gefärbter Galle (Beimischung von Blasengalle), erfolgte.
Bei 2 Fällen wurde die Minutenmenge der abfließenden Galle ge¬
messen (Tabelle II). Nach Pfefferminzöl nimmt die Gallenmenge zu.
Tabelle II.
Spontaner
Gallefluß
pro Minuten
Nach
Klin. Diagnose
Ol. menth. pip.
Einspritzung Ins
Duodenum
W.Pepton-
„retl. - •
Nach
W. P.
Obstipatio spast.
0,818 ccm
1,29 ccm
+
2,902 ccm
Cholelithiasis
1,305 ccm
1,550 ccm
0
3^30 ccm
Nach Witte-Pepton wird sie noch weiter gesteigert. Bei einer An¬
zahl von Kranken (2. Abschnitt der Tabelle I), besonders bei ver¬
schiedenen Fällen von Ikterus, fehlte spontaner Gallefluß, auch bei
längerem Liegen des Sondenknopfs. Die dann vorgenommene Ein¬
spritzung von Pfefferminzöl brachte, wie die Tabelle zeigt, fast
immer den Gallefluß in Gang. Mitunter trat schon wenige Minuten
nach der Einspritzung schußweise Gallenentleerung ein und hielt
dauernd, wenn auch durch stärkere Schüsse unterbrochen, längere
Zeit (1—2 Stunden) an. Ob es sich bei dieser Wirkung des Pfeffer¬
minzöls um eine echte Steigerung der Gallensekretion (Heinz) oder
um eine vermehrte Austreibung aus den Gallengängen handelt, konnte
natürlich nicht entschieden werden. Manches schien in der Tat für
die'erstere Ansicht zu sprechen. Doch wird man gut tun, bei der
unübersehbaren RoHe des Gallenblasenreservoirs mit allen Schlüssen
vorsichtig zu sein. Daß durch das Pfefferminzöl die Gallenblase nicht
völlig entleert wurde, das scheint der positive Ausfall des Witte-
Peptonversuches zu beweisen. Therapeutisch von Wichtigkeit war
das Fehlen von Spontangalle vor und der Gallenfluß nach Pfeffer-
minzöi bei Icterus catarrhalis. Sollte hier durch erhöhten Druck der
Galle ein partieller Abschluß der Vaterschen Papille gesprengt wor¬
den sein? Jedenfalls sahen wir in mehreren Fällen von Ikterus
schon an dem folgenden Tag nach der Pfefferminzöleinsnritzung eine
deutliche Abblassung der gelblichen Hautfarbe. Daß selbst ein hoch¬
gradiger Choledochusverschluß durch einen Tumor mit Einspritzung
von Pfefferminzöl noch gesprengt werden konnte, sahen wir bei
einem autoptisch bestätigten primären Karzinom der Papilla Vateri.
Hier waren die unteren Gallenwege durch die Gallenstauung hoch-
Ö erweitert. Wie die Duodenalsondierung lehrte, floß nicht ein
n Galle in das Duodenum. Doch gelang es unter 3 Versuchen
einmal, durch Einspritzung von Oleuin menth. piperit. für einige
Minuten den Erguß einer dunklen, konzentrierten, stark schleim¬
haltigen Galle in den Darm hervorzurufen.
Bei der vorsichtigen Bewertung, die die Untersuchung des Stuhles
auf Hydrobilirubin und des Urins auf Urobilin für die Diagnose des
totalen Choledochusverschlusses verdient, kommt der Duodenalsonde
in Verbindung mit der Einspritzung gallelockender Substanzen dem¬
nach eine höhere diagnostische Bedeutung zu.
Zusammenfassung. Die Methode der Duodenalsondierung ist auch
bei der Diagnostik der Gallenerkrankungen von Nutzen. Ganz be¬
sonders gibt die gleichzeitige Einspritzung von Witte-Pepton diagno¬
stische Hinweise. In Bestätigung der Angabe Stepps fanden auch
wir, daß ein positiver Ausfall des Witte-Peptonreflexes mit Aus¬
scheidung dunklerer Blasengalle für Gesundheit der Gallenblase
spricht. Das zu therapeutischen Zwecken von Heinz neuerdings
wieder empfohlene Pfefferminzöl erwies sich auch für die diagnostische
Duodenalsondenuntersuchung von Wert.
Bondi, Arch. f. Verdauungskr. 1913,19, H. 6. — Bondi und Volk, W. kl. W. 1919
Nr. 6. - HeInz, Ther. Hmh. 1920 H. 13; Jkurs. f. ärztl. Fortbild. 1921 H. a; M. m. W. 1921
S.629. - L. Jarno und J. Vandorfy, D. m. W. 1921 H. 4. - Klee und Klüpfel, Mltt.
Grenzgeb. 1914,27. — Krleger, Zschr. f. hyg. diät.Ther. 1920H. 1. — Lepfchne, D. Arch.
t klln. M. 137, H. 1-2. — Matthes, Lehrbuch der Dlff. Diagnose innerer Krankheiten,
2. Aufl. 1921. — Rost, Mltt. Grenzgeb. 1913,26. — Rost, Path. Physiologie des Chirur¬
gen, 2.Aufl. 1921.- S tep p, Zschr. f. klin. M. 89, H. 5-6; M.m.W. 1921 Nr.4.-L. Strauß
M. Kl. 1921 Nr. 52. - Tvilstegaarde, refer. nach Kongrzbl. 1921,16, H. a
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
420
DEUTSCHE MEDIZINISCHE iWOCHENSCHRIFT
Nr. 13
Aus der III. Medizinischen Klinik der Universität in Budapest.
(Direktor: Prof. A. von Koränyi.)
Zum Kohleuhydratstoffwechsel der Leberkranken.
Von Dr. Üäza Hetänyl.
I.
Die in dieser Arbeit mitzuteilenden Untersuchungen haben den
Zweck, einige Daten zum Kohlenhydratstoffwechsel der Leberkranken
zu bringen. Die zentrale Stellung der Leber im Kohlenhydratstoff¬
wechsel macht es begreiflich, wenn man nach Ausfällen in
diesem forscht, wenn der Ort, wo sich die wichtigsten Prozesse
abspielen, also die Leber, von verschiedenen pathologischen Ver¬
änderungen betroffen ist. Dies geschah bisher bloß in geringem
Maße, und außer der alimentären Glykosurie wurde auch kein anderer
Versuch gemacht. — Aber auch von dieser stellte sich heraus, daß
sie nicht auf Lebererkrankung zurückzuführen ist, daß sie vielmehr
ein physiologischer Vorgang mit bloß quantitativen individuellen
Unterschieden ist. So habe ich den Kohlenhydratstoffwechsel der
Leberkranken von verschiedenen Gesichtspunkten aus einer Prüfung
unterzogen und meine Ergebnisse in dem Folgenden zusammen¬
gestellt: , i..
Das Verhalten des nüchternen Blutzuckerwertes
bei Leberkranken. Seit den klassischen Untersuchungen von
CI. Bernfrd wissen wir, daß der Ort der im menschlichen Organis¬
mus ständig unterhaltenen Zuckerbildung in der Leber zu suchen
ist. Aus dieser Quelle stammt also auch der Zuckergehalt des
Blutes. Dieser Zucker ist aber mit dem aus dem Darme resorbierten
Zucker der Nahrung nicht identisch. Letzterer wird zuerst in der
Leber als Glykogen fixiert und wird bloß gradatim — neuerlich zu
Zucker umgewandelt — in die Zirkulation entsandt. Auf diese
Weise ist also die Leber nicht nur der Ort der Zuckerbildung, sondern
auch der Regulator des Zuckergehaltes des Blutes. Mit welcher
Vollkommenheit sie diese Aufgabe bewältigt, zeigt die Konstanz des
Blutzuckers desselben Individuums unter verschiedenen Verhältnissen.
Es ist nun die Frage, wie Ausfall oder Schwächung der Leber¬
funktion den Blutzucker beeinflußt. Ueber den Blutzuckerwert der
Leberkranken finden sich in der Literatur nur vereinzelte Beob¬
achtungen, die im allgemeinen über normale Werte berichten, syste¬
matische Untersuchungen aber an einem größeren Material mit ver¬
läßlicher Methodik fehlen bisher.
Vom Krankenmaterial unserer Klinik habe ich an 20 Leber-
gesundeu (Neurasthenie, Cat. apicum, Bronchitis putrida, Sderosis
multiplex) und an 183 Kranken, die eine Leberläsion aufwiesen,
Blutzuckeruntersuchungen durchgeführt. Die Bestimmung geschah
immer morgens nüchtern mit der Bangschen Mikromethode.
Der Blutzucker der Lebergesunden schwankte zwischen 0,078o/o
und 0,121 o/o, durchschnittlich war er 0,096o/o.
Die bei Leberkranken gewonnenen Werte teilen wir in zwei
Gruppen. In die erste Gruppe stellen wir die Fälle ohne manifeste
Gallenstauung, in die zweite solche, die mit Ikterus einhergingen.
1. Fälle ohne Ikterus. 1. Cirrhosis atrophica. 20Fälle.
Blutzucker zwischen 0,060o/o und 0,105%, durchschnittlich 0,086°/o.
2. Lues hepatis. 13 Fälle. Blutzucker zwischen 0,078o/o und
0,112o/o, durchschnittlich 0,096o/o.
3. Carcinoma hepatis. 2 Fälle. Blutzucker 0,090o/ o und
0,099 o/o.
4. Echinococcus hepatis. 3 Fälle. 0,086o/o — 0,100% —
0,106 o/o.
5. Cholelithiasis. 77 Fälle. Blutzucker zwischen 0,078o/o
und 0,123%, durchschnittlich 0,099%.
6. Stauungsleber. 27 Fälle. Blutzucker zwischen 0,077o/o und
0,117o/ 0 , durchschnittlich 0,097 o/ 0 .
II. Fälle mit Ikterus. 1. Cirrhosis hypertrophica.
3 Fälle. Blutzucker zwischen 0,090o/ 0 und 0,110%, durchschnittlich
0,097o/o.
2. Cholelithiasis. 11 Fälle. Blutzucker zwischen 0,090o/o
und 0,110o/ 0 , durchschnittlich 0,100o/o.
3. Carcinoma pancreatis aut ventriculi. 4 Fälle. Blut¬
zucker 0,106o/o, 0,116o/o, 0,130% (Pankreas), 0,100o/o (Magen).
4. Icterus catarrhalis. 23 Fälle. Blutzucker zwischen 0,093o/o
und 0,150o/ 0 , durchschnittlich 0,114o/o.
Wenn wir die Durchschnittswerte 'zusammenfassend überblicken,
so sehen wir, daß die Werte der Leberkranken im Verhältnis zu
denen der Lebergesunden keine irgendwie bedeutende Abweichung
zeigen. Von der ersten Gruppe sehen wir bloß bei der Laennec-
Zirrhose — sowohl im Durchschnitt wie bei den Maximal- und
Minimalwerten — niedrigere Zahlen. Dagegen zeigen die Fälle der
2. Gruppe durchschnittlich eine geringe Erhöhung zur Norm. Dies
gilt in erster Reihe für den katarrhalischen Ikterus (bis 0,150o/ 0 ).
Bevor wir auf die Bewertung der Ergebnisse übergehen, müssen
wir uns kurz auch mit der experimentellen Seite der Frage be¬
schäftigen.
Minkowski fand im Jahre 1886, daß der Blutzucker bei Oänsen
nach Leberexstirpation verschwindet. Nach unvollkommener Leber-
ausschaltung beobachteten Tangl und Harley sowie Schenck
eine bedeutende Erniedrigung des Blutzuckerwertes. Pavy und
Siau sahen den Blutzucker bei lcberexstirpierten Hunden im Durch¬
schnitt von 0,123o/o auf 0,059o/o sinken. Auch der Blutzucker von
Eck-Fistelhunden ist im allgemeinen niedriger (Erd£lyi).
Die Unterbindung der Gallenwege führt zum Verschwinden des
Leberglykogens. Nach Versuchen, die hier nicht detailliert werden
können (siehe Noorden, Pathologie des Stoffwechsels), ist dieser
Glykogenschwund nicht dadurch bedingt, daß die Leber kein Qly.
kogen mehr bildet, sondern durch Verlust des Olykogenfixations-
Vermögens der Leber.
Aus den experimentellen Daten ist ersichtlich, daß Leberiäsionen
den Blutzucker in zwei Richtungen beeinflussen können:
1. Durch Verminderung des Parenchyms nimmt die Zuckerbildung
in der Leber ab.
2. Verschluß der Gallenwege schädigt das Olykogenfixationsver-
mögen der Leber.
Diese beiden Faktoren entfalten einen gegensätzlichen Einfluß
auf den Blutzuckerwert: während der erste eine Erniedrigung, ver¬
ursacht der zweite Faktor eine Erhöhung. Wenn wir die Rolle dieser
Faktoren auf die menschliche Pathologie übertragen, so können
wir dem ersten Faktor zweifellos bloß eine beschränkte Bedeutung
zukommen lassen.
Ein der Leberexstirpation äquivalenter oder auch ihr nur nahe-
kommender Parenchymuntergang kommt (außer vielleicht bei der
akuten Atrophie, die ich zu untersuchen keine Gelegenheit hatte)
bei keiner Lebererkrankung vor. Die partielle Exstirpation, sowie
die Ergebnisse von Schenck, der nach Leberexstirpation keine
Blutzuckerabnahme sah, wenn auch nur ein Lappen mit unver¬
sehrter Zirkulation an der Stelle verblieb, weisen dahin, daß die
gesunden Parenchympartien die Funktion der ausfallenden Teile
kompensierend übernehmen.
Daß dem zweiten Faktor eine Rolle zukommt, zeigen die, wenn
auch nur wenig erhöhten Werte der Ikterischen.
In der menschlichen Pathologie kann aber auch ein dritter
Faktor eine Rolle spielen, und zwar eine konkomitierende Läsion
des Pankreas. Besonders die Leberzirrhose und manche Fälle von
Cholelithiasis werden von einer chronischen Pankreatitis begleitet.
Doch wird ein Ausfall in der inneren Sekretion des Pankreas bloß
bei vorgerücktester Atrophie des Organs gefunden, und auch wir
fanden in keinem Falle ausgesprochene Hyperglykämie.
Auch wäre es vorstellbar, aaß die Abnahme der pankreatischen
Hemmung auf die zuckerbildende Funktion der Leber eine kom¬
pensierende Rolle ausiübt, indem sie die an Zahl verkleinerten Leber¬
zellen zu einer erhöhten Tätigkeit anspornt.
Alles zusammenfassend, können wir behaupten, daß die ver¬
schiedenen Lebererkrankungen den nüchternen Blutzuckerwert in
keinem nennenswerten Maße beeinflussen.
Minkowski, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 1886. — Tangl-Harley, Arch. f.d.
ges.Phys. 1895. — Schenck, Arch. f. d. ges. Phys. 1894,57. — Pavy-Slau, Journ.of
Phys. 1903. — ErdÄIyi, Zschr. f. pbysiol. Chem. 1914,90.
Aus der Chirurgischen Universitätsklinik in Frankfurt a. M.
(Direktor: Prof. Dr. V. Schmieden.)
Die Hyperthyreosen 1 ).
Von Dr. Alexander Hellwig.
Sud eck berichtet, er habe 5 schwerste Fälle von Basedow¬
scher Krankheit durch Totalexstirpation der Schild¬
drüse schnell und vollkommen geheilt. Die Bedeutung dieser Tat¬
sache kann nicht hoch genug bewertet werden — nicht, daß wir diese
radikalste Operation zur Methode der Wahl bei Morbus Basedowii er¬
heben dürften, aber in der Erkenntnis der Pathogenese dieser rätsel¬
haften Erkrankung hat uns Sud eck mit seinem kühnen Experiment
einen gewaltigen Schritt vorwärts gebracht. Die Möbius sehe
Theorie von der rein thyreogenen Entstehung der Basedow-
Erkrankung wird in neuerer Zeit, angesichts der manchmal aus¬
bleibenden Erfolge der Teilresektion, immer heftiger befehdet. Die
heutigen Anschauungen heben außer der Schilddrüsenerkrankung die
Mitwirkung anderer endokriner Drüsen, besonders der Thymusdrüse,
dann des Pankreas, der Nebennieren, der Epithelkörperchen, der
Hypophyse, der Ovarien hervor (Klose, Rautmann, Pettavel).
Oswald sieht das Wesen des Morbus Basedowii in einem primären
Reizzustand des vegetativen Nervensystems, in das die Scnilddnise
nur als Multiplikator eingeschaltet ist. Am weitesten spricht
Chvostek der Schilddrüse die Bedeutung in der Entstehung der
Basedowschen Krankheit ab. In seiner großen Monographie über
Morbus Basedowii und Hyperthyreosen betrachtet er erstere als eine
Konstitutionskrankheit, entstanden auf dem Boden einer abnormen
degenerativen Anlage. Sie ergreift nach ihm alle endokrinen Drüsen,
nicht nur die Schilddrüse, deren pathologische Veränderung etwas
Sekundäres sei, neben manchen anderen Schädigungen ein äußeres
Zeichen des gestörten Keimplasmas.
Sud eck hat mit seinen 5 erfolgreichen Operationen der Mö¬
bius sehen Theorie den Boden zurückerobert. Einwandfrei hat er
*) Zum Teil vorgetragen auf dem 45. Chirurgenkongreß 1921 ln Berlin In der
Diskussion xu Sudecks Referat ^lieber die chirurgische Behandlung des Morbus
Basedowii".
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
31. März 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
421
bewiesen, daß das Symptomenbild des Morbus Basedowii durchaus
von der Schilddrüse beherrscht wird, daß Mißerfolge operativer
Behandlung nur an zu wenig ausgiebiger Resektion der erkrankten
Drüse liegen. Die chirurgische Therapie der Basedowschen Krank¬
heit, von Chvostek u. a. als unnötig bzw. ungerechtfertigt ver¬
worfen, besteht nach wie vor zu Recht, sie ist und bleibt die
kausale Therapie.
Scharf aber wendet sich Sud eck in seinem Referate gegen die
Begriffsverwirrung, die durch Aufstellung der Formes frustes
das klare Bild des klassischen Basedow immer mehr verdunkle. Von
vielen, vielleicht den meisten Aerzten werde jede innere Sekretions¬
störung, und wenn es nur einzelne Symptome sind, zum M. B. als
Forme fruste gerechnet. Sud eck verlangt für die Praxis eine Ein¬
teilung, die uns vor allem über die Beteiligung der Schilddrüse am
Zustandekommen der Erscheinungen orientiert, soweit wir dazu in
der Lage sind. Er unterscheidet 3 Formen:
1. Den klassischen Basedow, 2. den Thyreoidismus, 3. einen
auf innere Sekretionsstörung zurüdezuführenden Status neuropathicus,
bei d«m die Schilddrüse nicht oder wenigstens nicht beherrschend
beteiligt ist.
Sud eck schließt sich mit dieser Einteilung eng an die Auf¬
fassung Chvosteks an, wie sie in der erwähnten großen Arbeit
zum Ausdruck kommt. Den Begriff Basedowsche Krankheit wollen
Chvostek-Sudeck dem klassischen Morbus Basedowii mit den
4 Kardinalsymptomen (dem Vollbasedow Kochers) allein Vorbehalten
wissen. Sud eck hält die Schilddrüsenfunktionsstörung des klassi¬
schen M. B. für eine Dysthyreose im Sinne Kloses, daß nämlich
ein unvollkommen aufgebautes, unreifes, jodhaltiges Sekret, das
Basedow-Jodin, in die Blutbahn abgegeben wird.
Wie Chvostek, unterscheidet Sudeck vom klassischen Morbus
Basedowii streng den Thyreoidismus. Es soll sich dabei um
ein pathologisch-anatomisch und klinisch vom M. B. differentes Bild
handeln, die Entwicklung soll meist langsam geschehen, nicht akut
wie beim M. B. Die klinischen Symptome sind nach Chvostek
denen ähnlich, die durch Schilddrüscnfütterung verursacht werden
können Zu dieser Gruppe rechnen Chvostek-Sudeck auch das
thyreotoxische Kropfherz von Kraus. Zwar komme es beim Thy¬
reoidismus zuweilen zu ganz schweren Krankheitserscheinungen, doch
sei die klinische Unterscheidung der ausgesprochenen Fälle ohne
weiteres klar. Niemals würde ein Fall von Thyreoidismus in Voll¬
basedow übergehen bei aller Aehnlichkeit der klinischen Erschei¬
nungen. Als Grundlage des Thyreoidismus betrachten Chvostek-
Sudeck eine quantitative Veränderung der Schilddrüsensekretion,
eine Hyperthyreose.
Sudeck stellt dann als 3. Gruppe den Status neuropathicus
auf. Zu diesem gehören nach ihm zum guten Teil die Fälle, die
in der Literatur als Formes'frustes, atypischer Basedow, Basedowoid
figurieren. Nach Chvostek gehören 3 / 4 aller in der Literatur ge¬
nannten Formes frustes hierher. In dieser Kategorie finden wir
angeblich meist neuropathische Belastung und eine eigene neuro-
E athische Anamnese, Stigmata körperlicher und geistiger Entartung
Me Erscheinungen dieses Status neuropathicus, weit entfernt mit
Schilddrüsenanomalien etwas zu tun zu haben, seien der Ausdruck
einer degenerativen Anlage; Sud eck hält sie in der Mehrzahl der
Fälle für eine Sekretionsstörung, Neurosen glandulären Ursprungs,
aber für solche mit keiner oder nicht vorwiegender Beteiligung der
Schilddrüse. Er warnt den Chirurgen, diese Fälle zu operieren, denn
der operative Erfolg bleibe dabei aus.
Bietet nun diese Dreiteilung der Störungen in der Tat praktische
Vorteile, ist besonders die scharfe Abgrenzung des Voll¬
basedow vom Thyreoidismus bzw. der Hyperthyreose ge¬
rechtfertigt? Während Sud eck mit den Erfolgen seiner 5 Total¬
exstirpationen experimentell die Wahrheit der Möbius sehen Theorie
vom klassischen Basedow als einer primären Schilddrüsenerkrankung
beweist, stellt er sich mit der prinzipiellen Unterscheidung der er¬
wähnten drei Krankheitsformen in schroffsten Gegensatz zu dem
ungarischen Gedanken von Möbius: „Man könnte eine Reihe auf-
stellen, die mit dem gewöhnlichen Kropfkranken ohne alle
Zeichen der Basedowschen Krankheit beginnt, während bei den
folgenden Gliedern die Zahl dieser Zeichen allmählich wächst, bis
schließlich das vollständige Bild der Basedowschen Krankheit er¬
reicht wird.“ Ganz den gleichen Standpunkt wie Möbius nehmen
die modernen Arbeiten von Krecke, Starck, Krehl ein. Krecke
betrachtet die Basedowsche Krankheit mit ihren 4 Kardinalsymptomen
nur als höchsten Grad der Schilddrüsenhypersekretion, er bezeichnet
aUe durch Hyperthyreose bedingten Erkrankungen als Thyreosen,
und da er die Herzerscheinungen für das wesentlichste Symptom
derselben hält, unterscheidet er je nach ihrer Schwere 3 Grade
von Thyreosen, ganz unabhängig vom Vorhandensein der übrigen
Basedowerscheinungen, speziell aes Exophthalmus, dessen sympto¬
matische Bedeutung er leugnet.
Starck nimmt an, daß unter dem Einfluß von thyreotoxischen
Stoffen eine große Zahl von Krankheitssymptomen auftritt, die
sich in ganz beliebiger qualitativer und quantitativer Weise grup¬
pieren. Basedowsche Krankheit und Formes frustes sind nach Starck
dem Wesen nach gleiche Krankheitsbilder, das ei ne kann in das
andere übergehen. Er bezeichnet den ganzen Symptomenkom-
plex alsThyreotoxikose.
Die^K o c h e r sehe Schule macht zwar keinen prinzipiellen, aber
doch einen deutlichen Unterschied zwischen Basedow und Hyper-
thyreoküsmus. Bei dem ersteren handle es sich um eine pro¬
grediente Krankheit mit bestimmtem Verlauf, während dem Hyper-
thyreoidismus ein nicht progredienter, nur periodisch sich steigern¬
der Symptomenkomplex angehöre. •
Wie sollen wir hier Klarheit in die Begriffsbestimmung
und Abgrenzung des Morbus Basedowii bringen? Welche
Auffassung ist besser durch klinische Beobachtung, Experiment,
pathologische Anatomie fundiert, die unitarische von Möbius,
Krecke, Krehl oder die scharfe Trennung des klassischen Base¬
dows von den symptomenarmen Fällen, wie sie Chvostek-Sudeck
fordern? Das letzte Wort in dieser Frage wird die Chemie zu
sprechen haben. Völlige Klärung in der Pathogenese aller dieser
Erkrankungen wird erst dann zu erhoffen sein, wenn es gelingt, bei
diesen Zuständen in den abführenden Gefäßen der Thyreoidea quan¬
titativ und qualitativ verändertes Schilddrüsensekret nachzuweisen.
Bis dahin können uns einer Lösung dieses Problems nur indirekte
Beweise näher bringen, die uns Klinik, pathologische Anatomie
und Experimente an die Hand geben.
Zunächst das klinische Bild: Zwar behaupten Chvostek-
Sudeck, daß die klinische Unterscheidung der ausgesprochenen
Fälle von Thyreoidismus vom klassischen Basedow ohne weiteres
klar ist. Gehören nicht aber Zittern, Abmagerung, Mattigkeit, Herz¬
klopfen, Tachykardie, Pulsirregularität mit Herzhypertrophie, Lid¬
spaltensymptome — Sudecks Symptome des Thyreoidismus —-
durchaus in das große Krankheitsbila des Morbus Basedowii? Es
sind alles Zeichen eines erhöhten Tonus des vegetativen
Nervensystems, dessen Erfolgsorgane wir uns nach Oottliebs
Experimenten durch vermehrten Gehalt des Bluts an
Schilddrüsenstoffen sensibilisiert vorstellen müssen. Warum
in einem Falle nur eine oder einige wenige Gruppen vor» vegetativen
Organsystemen betroffen sind, können wir nicht sagen. Auf keinen
Fall kann ich auf Grund meiner Erfahrungen die Behauptung
Chvostek-Sudecks anerkennen, ein echter Thyreo'dismus gehe
bei aller Aehnlichkeit der klinischen Erscheinungen niemals in die
klassische Form des Morbus Basedowii über. Das Gegenteil erscheint
mir in Uebereinstimmung mit Klose, Kocher, Krehl, Krecke
u. a. richtig. Und wenn Bauer, ähnlich wie Theodor Kocher,
sagt, daß gerade Menschen mit bestimmter Konstitution es sind
(thyreotoxische Konstitution), die zum Vollbasedow neigen, so be¬
deutet das nichts anderes, als daß der Thyreoidismus in Vollbasedow
übergehen kann. Denn betrachten wir die thyreotoxische Kon¬
stitution naher, so finden wir bei ihr aHe die Symptome, die
Sud eck für den Thyreoidismus charakteristisch hält. Bauer schil¬
dert nämlich diese Menschenklasse als magere, nervöse und reizbare
Individuen mit feuchter Haut, Neigung zu Schweißen, Tachykardie
und Diarrhöen, Menschen mit lebhaftem Stoffwechsel, mit großen,
glänzenden Augen und weiten Lidspalten, mit lebhaftem Tempera¬
ment und unstetem Wesen, die bei geringfügigsten Anlässen Tem¬
peratursteigerung bekommen und trotz reichlicher Nahrungsaufnahme
stets mehr oder minder mager bleiben.
Abgesehen von dem allgemein klinischen Bild, geht auch aus dem
Blutbild, dem Verhalten der Blutgerinnung, aus den Adre-
nalinproben (Seitz), vor allem aber auch den Stoffwechsel¬
versuchen, wie sie besonders amerikanische Kliniken zur Beur¬
teilung der Schilddrüsenstörung vor Kropfoperationen ausführen, nur
zu deutlich hervor, daß die Unterscheidung des klassischen Basedow
vom Thyreoidismus etwas Gekünsteltes ist. So wenig sich diese
Reaktionen allein in der Beurteilung einer Schilddrüsenstörung ver¬
werten lassen, wir sie vielmehr nur als EinzelSymptome aufzufassen
sind, die der Schwere des gesamten klinischen Bildes durchaus
nicht in gesetzmäßiger Weise parallel gehen, so sprechen sie doch
immerhin vielmehr dafür, daß zwischen Morbus Basedowii und
Thyreoidismus nur graduelle Unterschiede bestehen, daß beide durch
in gleicher Richtung liegende Anomalien der Schilddrüsensekretion
bedingt sind. Nur eine aus der Sudeck sehen Klinik stammende
Arbeit beweist an Hand von einer komplizierten serologischen Re¬
aktion (Dispergierungsvermögen des Blutserums gegenüber Jod¬
säure), daß eine scharfe Trennung zwischen Morbus Basedowii und
Thyreoidismus zu machen ist, daß der Morbus Basedowii einer Hyoer-
funktion, der Thyreoidismus einer Hypofunktion, ähnlich dem Myx¬
ödem, entspricht. Ob dieses auffallende Resultat aus der so geringen
Zahl von komplizierten serologischen Versuchen streng wissenschaft¬
licher Kritik standhalten wird, bezweifle ich.
Gemeinsam mit Neuschloß habe ich, auf Anregung von Herrn
Geh.-Rat Eli in ge r, seit einiger Zeit die serologische Methode
herangezogen, um Klarheit in der Begriffsbestimmung des Morbus
Basedowii und des Thyreoidismus zu erlangen. Die Versuche (Be¬
stimmung des Quellungsdrucks der Serumeiweißkörper) sind noch zu
spärlich, um zu einem abschließenden Urteil zu kommen. Indes ver¬
sprechen die bisherigen Resultate, uns in unserem unitarischen Stand¬
punkt von dem gemeinsamen Grund dieser Schilddrüsenanomalien
zu bestärken.
Wenn man bedenkt, wie fruchtbar die pathologisch-anato¬
mische Methode für die Auffassung vom Wesen des Morbus
Basedowii geworden ist, wie die pathologisch-anatomische Konstanz
der Schilddrüsenveränderung zur mächtigsten Stütze für die thyreogene
Theorie der Basedowschen Erkrankung geworden ist, so muß man
sich wundern, daß der Bau der Schilddrüse bei den symptomenärmeren
Fällen bisher noch kaum einen Bearbeiter gefunden hat.
Seit 3 Jahren beschäftige ich mich mit der pathologischen Ana¬
tomie der Schilddrüse bei den als Thyreoidismus, Formes frustes.
thyreotoxische Konstitution, Hyperthyreose bezeichneten Krankheits-
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
422
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 13
bildern. Es standen mir das Kropfmaterial des Freiburger Pa¬
thologischen Instituts und der Frankfurter Chirurgischen Klinik
zu vergleichend pathologisch-anatomischen und klinischen Studien
zur Verfügung. Kurz zusammengefaßt, fand ich einen weit¬
gehenden Farallelismus zwischen histologischen Ver¬
änderungen der Schilddrüse und der Schwere der kli¬
nischen Erscheinungen. Am eindeutigsten lagen die Ver¬
hältnisse bei den diffusen Kropfformen. Die pathologisch¬
anatomische Grundlage der leichten Formen von Hyper¬
thyreose (Thyrcoidismus von Chvostek-Sudeck) ist die dif¬
fuse Kolloidstruma (großfollikuläre Hyperplasie der Schilddrüse)
mit ihrem dünnen Kolloid, ihren papillären Follikelwandwucherungen,
ihrer Neubildung von kleinsten Follikeln, ihrem guten Blutgehalt und
ihrem gering entwickelten Bindegewebe. In dieser diffusen Kolloid¬
struma fand sich üppigeres Epithelwachstum mit Erhöhung der Fol¬
likelzellen, die sich in Leisten und flachen Wülsten in das Bläschen¬
innere vorschieben, sodaß die Follikel stärker eingeengt werden
und unregelmäßige Formen annehmen, das Kolloid wurde dünnflüs¬
siger, der Blutgehalt stärker, wenn im klinischen Bilde größerer
Symptomenreichtum auftrat. Schließlich entsprachen dem klinischen
Syndrom des klassischen Basedow von üppigstem Epithelwachstum
zu schmalen Schläuchen eingeengte, große Follikel räume, hochgradigste
Verdünnung des Kolloids, das Eosin nicht mehr annahm, höchster
Reichtum an Blutgefäßen. Aber fast stets sah ich auch bei der
typischen Basedowdrüse den Boden, auf dem sie entstanden war:
Reste großer Follikel der diffusen Kolloidstruma fanden sich fast
in jedem Gesichtsfeld. Wie für den Vollbasedow, so gilt auch für
die leichten Hyperthyreosen die pathologisch-anatomische Konstanz,
und zwar finden wir bei letzteren die gleichen histologischen Ver¬
änderungen angedeutet, die in ausgesprochenem Maße dem
klassischen Basedow zugrundeliegen: Verflüssigung des Kolloids, Ver¬
mehrung und Vergrößerung der Epithelzellen, Reichtum an Blut¬
gefäßen. Wie für den klassischen Basedow die Struma basedowiana,
so scheint für die milden Formen von Hyperthyreose die diffuse
großfollikuläre Kolloidstruma der Typus der Schilddrüsenveränderung
zu sein.
Bieten die adenomatösen Formen bei der Buntheit ihrer
Schnittfläche auch viel kompliziertere Verhältnisse dar, so lassen
sich doch auch bei ihnen gleiche Uebergänge vom rasch wachsenden
roßfollikulären Adenom zur typischen, von Klose und Kocher
eschriebenen Struma nodosa basedowificata aufstellen. Auch das
rasch wachsende großfollikuläre Adenom ruft Zeichen von Hyper¬
thyreose hervor, solange es klein und gut ernährt ist und, mit
dünner Kapsel versehen, in regem Säfteaustausch mit dem extra¬
kapsulären Gefäßsystem der Schilddrüse steht, solange es also noch
nicht degeneriert ist.
Umgekehrt kann man an der Schilddrüse deutlich Vorgänge er¬
kennen, die einer Heilung des Morbus Basedowii entsprechen.
A. Kocher beschreibt einige Fälle von ausgeheiltem Base¬
dow, die das typische Bild der diffusen Kolloidstruma darboten. Ich
besitze ein instruktives Präparat einer Basedow-Drüse, einige Wochen
nach präliminarer Unterbindung zweier Arterien durch Radikal¬
operation gewonnen. Deutlich sieht man hier das dichte Parenchym
der Basedow-Drüse sich in das lichtere Bild der Kolloidstruma zu¬
rückentwickeln (Erweiterung der Follikel, Abnahme der Epithelwuche¬
rungen, Färbbarkeit des Kolloids).
Gerade diese interessanten Uebergänge der diffusen Kolloid¬
struma in das typische Bild der Basedow-Drüse und umgekehrt, die
Rückentwicklung der Basedow-Drüse zur großfollikulären Hyperplasie
bei Ausheilung des Morbus Basedowii, die Tatsache schließlich, daß
die typisene Basedow-Struma in der Regel auf dem
Boden der diffusen Kolloidstruma entsteht, beweisen mir,
wie irrig eine scharfe Unterscheidung zwischen Morbus Basedowii und
Hyperthyreose ist. Histologisch und klinisch handelt es sich meines
Erachtens um durchaus in gleicher Richtung liegende Schilddrüsen¬
anomalien, die man hach dem histologischen Bild wenigstens nur als
verschiedene Grade einer Schilddrüsenhyperplasie mit Hypersekretion
auffassen muß.
Als kausale Therapie halten wir auch bei den leichten
Hyperthyreosen, wenn interne Maßnahmen versagen, die Re¬
sektion der Schilddrüse für ebenso indiziert wie beim Vollbasedow,
und unsere chirurgischen Erfolge bestätigen unsere Voraussetzungen
in hervorragender Weise.
Nun zum Status neuropathicus der Sudeckschen Ein¬
teilung. Gewiß soll zugegeben werden, daß — solange uns spezifische
Reaktionen für den Gehalt des Blutes an Schilddrüsenstoffen fehlen —
fälschlicherweise Zustände mit Basedowscher Krankheit bezeichnet
werden, die nichts mit Hyperthyreose zu tun haben. Ob, wie
Chvostek sagt, 2 /., aller als Formes frustes bezeichneten Fälle
gar nichts mit Schilddrüsenstörung zu tun haben, wäre möglich; auch
liegt es nahe, daß sehr oft eine Kombination von Schilddrüsenstörung
mit Neuropathie vorliegen kann. Auch bei seinen echten Basedow-
Fällen behielt Sudeck einmal neuropathische Zustände zurück, ein
Beweis, daß hier eine Komplikation mit Neurasthenie vorlag. Ich
erinnere mich einer Patientin, die hysterische Anfälle bei echtem
Basedow aufwies. Nach der Radikaloperation verschwanden die
Basedow-Symptome prompt, die Hysterie verschlimmerte sich durch
den Insult der Operation nur noch mehr. Echte Komplikationen von
Morbus Basedowii mit Manie und anderen Psychosen wurden mehr¬
fach beschrieben, öfter noch mögen neurasthenische Zustände mit
den leichten Hyperthyreosen vergesellschaftet sein. Aber dafür einen
besonderen Namen aufzustellen, wie Sudeck es tut, erscheint mir
nicht nötig. Hat man die wahre Natur dieser funktionellen Störungen
richtig erkannt, so wird man von einer nicht indizierten Operation
nichts Unmögliches verlangen. Lassen wir den Begriff Status neuro-
E athicus aus Sud eck s Einteilung fort, so bliebe noch die scharfe
Interscheidung zwischen klassischem Basedow und
Thyreoidismus. Aus dem Gesagten geht meines Erachtens her¬
vor, daß die prinzipielle Unterscheidung dieser beiden Formen der
Schilddrüsenstörung nicht gerechtfertigt erscheint. Sudecks For¬
derung, den Morbus Basedowii als Dysthyreose dem Thyreoidismus
als einer Hyperthyreose gegenüberzustellen, halte ich für nicht gerecht¬
fertigt. Auf jeden Fall widersprechen ihr meine histologischen Prä¬
parate.
Möglich, daß der Bläscheninhalt der Basedow-Drüse gegenüber
der Norm verändert ist — das wäre aus der Art der Färbung viel¬
leicht anzunehmen — dann ist er es aber auch bei dem Typus der
Schilddrüsenveränderung bei Thyreoidismus, bei der diffusen Kolloid¬
struma. Ich halte die Aenderung des Sekrets für eine Folge der
schnellen Produktion und Resorption, also in erster Linie für eine
Verdünnung. Das Wesentliche bei den symptomenarmen Fällen
wie bei dem Vollbasedow bleibt, soweit die Morphologie Schlüsse
auf die Funktion des Organes zuläßt, doch die erhöhte Tätig¬
keit der Schilddrüse.
So stehe ich nicht an, den unitarischen Standpunkt von
Möbius in seiner ganzen Bedeutung aufrechtzuerhalten. Am besten
bezeichnen wir alle Zustände der Schilddrüsenhypersekretion als
Hyperthyreosen und teilen sie in leichte und schwere
Formen ein. Unter den letzteren haben wir die progredienten Formen
zu verstehen, erstens die mit und zweitens die ohne Basedows
Trias. Gefährlich für unsere Erkenntnis der Schilddrüsenstörungen
halte ich es, den klassischen Basedow den anderen Formen von
Schilddrüsenhypersekretion schroff gegenüberzustellen. Er ist nur das
Endglied in "der großen Kette der Krankheiten, die, trotz größter
Mannigfaltigkeit .und Ungleichheit ihrer Symptome, doch der Aus¬
druck der gleichen Schilddrüsenfunktionsstorung sind, der Hyper¬
sekretion der Schilddrüse.
Aus der I. Medizinischen Universitätsklinik (Direktor: Geh.-Rat His)
und der Universitäts-Frauenklinik derCharit6 in Berlin. (Direktor:
Geh.-Rat Franz.)
Das vollständige Differentialleukozytenbild im Pnerperiam.
Von Ernst Martin Fuß, Medizinalpraktikant
Von Wild, Rieder, Hahl, Arneth, Burkhard, Grafen-
berg, Dietrich, Doi, Dirks, Terhola u. a. Autoren sind
Schwangerschaft, Geburtsperiode und Wochenbett hämatologisch
untersudit worden. Zahlreiche Arbeiten, speziell zur Feststellung der
Leukozyten z a h 1, haben in den letzten Jahren allmählich zur Ein¬
stimmigkeit in dieser strittigen Frage geführt; und zwar nach
Naegeli, Blutkrankheiten und Blutdiagnostik, 1919:
I. bezüglich Schwangerschaft: „Die neueren Arbeiten zeigen jetzt
eine Uebereinstimmung mit dem Ergebnis, daß eine wirklich nennens¬
werte Leukozytose nicht besteht und nur, zumal bei Erstgebärenden,
hochphysiologische Werte die Regel bilden (Dietrich,Doi u. a.).
Die unbedeutende Vermehrung beruht nach Arneth auf einer Zu¬
nahme der Neutrophilen. In eigener Beobachtung betrug sie 2000
bis 3000 Neutrophile.“
II. bezüglich Geburt: „Im Verlauf der Geburt ist eine ansehnliche
neutrophile Leukozytose bis über 20000 vorhanden.“
III. bezüglich Wochenbett: „Im Wochenbett findet rasch ein Aus¬
gleich der Störung statt.“
Anders steht es mit den Forschungen nach der Qualität der
Leukozyten. Arneth hat in seinem Werk: Die qualitative Blutlehre,
Leipzig 1920 (Verlag Klinkhardt; S. 62—69 des Bandes I) seine aus
dem Jahre 1904 stammenden Fälle lediglich unter Berücksichtigung
des neutrophilen Blutbildes nach der von ihm inaugurierten Klassi-
fizierungsmethode mitgeteilt.
Nach seiner Methode arbeiten Gräfenberg, Doi, Terhola
u. a. und bestätigen seine Befunde; letztere unter Berücksichtigung
auch der andern Leukozytenklassen.
Ich habe mich mit Hilfe der Differentialleukozytenzählmethode
nach V. Schilling einer Nachprüfung des gesamten Differential¬
leukozytenbildes im Puerperium unterzogen. Der Beginn der Unter¬
suchungen fiel gewöhnlich in die Zeit ca. 2 Tage ante partum; dann
wurde gleich nach der Geburt und anschließend das Wochenbett bis
zur durchschnittlich 8 Tage später erfolgten Entlassung der Patien¬
tinnen untersucht. Dank der Einfachheit der erwähnten Methode war
es möglich, innerhalb von 8 Wochen außer der gleichzeitig
herlaufenden Bearbeitung von 4 Karzinomfällen etwa 20 geburtshilf¬
liche Fälle zu untersuchen, und zwar so, daß von jedem Fall etwa
8 Blutausstrich- und ebenso viele Dicke-Tropfen-Präparate hergestellt
wurden. Von jedem Blutausstrichpräparat wurden 300 Zellen aus-
gezählt und differentiell bestimmt. , ,
Die fortlaufenden Untersuchungen haben einen klareren Einblic*
in die qualitative neutrophile Kern Verschiebung gestattet und gleich¬
zeitig durch die Anordnung des Schillingschen Schemas einen kon-
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNiVERSITY
31. März 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
423
tinuierlichen Vergleich des Verhaltens aller Leukozyten¬
klassen untereinander ermöglicht, was in den bisherigen Ar¬
beiten — außer denen von Doi, Terhola, Sieben — in der
Regel nicht geschehen ist. — Da mich äußere Umstände augenblick¬
lich an der detaillierten Ausarbeitung meiner Befunde verhindern,
seien heute schon folgende vorläufige Ergebnisse in
bezug auf die Prozentwerte der einzelnen Leukozyten-
klassen mitgeteilt:
I. Die Basophilen zeigen kein besonderes Verhalten.
II. Die Eosinophilen sind in seltenen Fällen schon 1—2 Tage
vor, immer am Tage der Geburt — mindestens relativ — ver¬
schwunden, treten meist am 2. Tage post partum wieder auf, um
sich dann entweder zögernd — und das meistens — oder sprunghaft
hoch an Zahl — und das seltener — wieder einzustellen. Am Ent-
lassungstage der Patientinnen, d. h. 8—10 Tage post partum, ist ihre
Prozentzahl normal, bleibt aber häutig noch vermindert.
III. Die Lymphozyten zeigen unter der Geburt eine deutliche
Verminderung, zuweilen sogar einen ausgesprochenen Sturz (!); doch
erholen sie sich meist sehr schnell, nur ausnahmsweise erst nach
8 Tagen wieder. Doch ist dann ihre Normalprozentzahl erreicht.
Ein Fall zeigte eine vorübergehende Hyperkompensation aufs Dop¬
pelte der Normalzahl.
IV. Für die großen Mono nukleären gilt im großen ganzen
das von den Lymphozyten Gesagte. Bis auf wenig abweichende
Fälle zeigen sie in ihrem Verhalten einen auffälligen Parallelismus
mit dem der Lymphozyten (nicht, wie Naegeli ausführt, mit dem
der Neutrophilen!).
V. Bei weitem am wichtigsten erweisen sich die Neutro¬
philen. Sie zeigen durchaus das von Arneth, Burkhard u. a.,
vor allem von Doi und Terhola mitgeteilte Verhalten, das auch
in dem vereinfachten Verfahren nach Schilling voll zum Ausdruck
kommt. — Gerade die Verschiebungen im Bilde der Neutrophilen
haben bei Verfasser den Eindruck hinterlassen, daß es vorerst an¬
gebracht erscheint, genau zu beobachten und Tatsachenmaterial zu
sammeln und auf Erklärungstheorien speziell für das Verhalten des
Differentialleukozytenbildes im Puerperium zu verzichten. Eine Gegen¬
überstellung von Fällen ganz unkomplizierter Geburten mit solchen
von komplizierten soll in der späteren Hauptarbeit durchgeführt
werden, und es wird dann gezeigt werden, daß es falsch wäre, ein
einheitliches „Normalblutbild“ für das Puerperium festzulegen. Die
schönste, bestverlaufene Geburt, selbst mit Fehlen der Temperatur im
Wochenbett, ist häufig von einem erheblich veränderten Blutbild
begleitet, das auf Intoxikation hinzuweisen scheint.
Für die Praxis ist wohl sicher, daß auch fast jede
Wöchnerin mit Spontangeburt und klinisch bestem Ver¬
lauf des Puerperiums eine Blutbildverschiebung hat.
Diese Verschiebung ist nicht in allen Fällen gleich stark. Sie ist
aber häufig so stark und so lange anhaltend, daß es zweifelhaft er¬
scheinen muß, den Zustand solcher Patientinnen noch als physio¬
logischen zu bezeichnen. Das Blutbild zeigt für jeden Fall individuell,
wie der betreffende Organismus mit Gravidität, Geburt und Wochen¬
bett fertig wird.
Es ist von Wichtigkeit, die Beschaffenheitdes Blut¬
bildes ante partum zu kennen, um sich eine richtige Vor¬
stellung von der Bedeutung der späteren Verschiebung für den
speziellen Fall zu machen. Starke Zunahme der Stabkernigen mit
Auftreten von gar keinen oder nur wenigen Jugendlichen, zugleich
mit starker Abnahme der Polynukleären in den Prozentzahlcn der
Neutrophilen darf noch keinen Grund zur Stellung bedenklicher
Prognose abgeben. Ist ein solches Blutbild vorhanden, so
soll es aber — trotz klinisch bestem Zustand und trotz Fehlen
von Temperatur — für den Arzt ein Fingerzeig zur Vorsicht sein!
Das Blutbild gestattet objektivste Kritik und Prognosenstellung.
Höhe der Verschiebung, jugendliche Beschaffenheit der Leuko¬
zyten mit eventuellem Auftreten von Myelozyten werden aber un¬
zweifelhaft Wochenbettinfektionen schwererer Art noch gut von In¬
toxikationen, wie sie Verfasser zur Beobachtung kamen, abgrenzen
lassen.
Zum Schlüsse seien noch einige der 20 Fälle mit ihren Spezial¬
ergebnissen mitgeteilt; ihre Anordnung erfolgt nach der Schwere
der Blutbildveränderung:
1. Fall S., 32jährige Patientin, die drei Kinder und fünf Fehl¬
geburten hat, jetzige Gravidität beschwerdelos verlaufen; 4mal inner¬
lich untersucht. — Klinische Diagnose: Zwillinge. Geburt am 13. IV.
frühmorgens: ein J spontan, ein $ mit Kunsthilfe: Wendung, Ex¬
traktion, Veit-Smellie. — Das Blutbild zeigt die bekannte leichte
Verschiebung unter der Geburt. Es fällt auf, wie geringfügig die
Veränderung im Blutbild ist trotz der 4mal innerlichen Untersuchung,
den Gemini und der künstlichen Geburt. — Das Blutbild erklärt gleich¬
zeitig den glänzenden Zustand der Mutter schon 5 Tage post partum
und ihren vollauf berechtigten Wunsch nach Entlassung, trotzdem
klinisch Bettruhe oder mindestens Schonung noch angezeigt schienen.
Im nächsten Falle handelt es sich um eine unkomplizierte Spontan¬
geburt.
2. Dieser Fall M. ist eine IV-Para; 27jährig; 2mal innerlich
untersucht; Spontangeburt aus II.-Hinterh.-Lage, ohne Blutverlust.
— Schon vor der Geburt zeigt das Blutbild eine starke Verschiebung
nach links. Stabkernige stark vermehrt; Lymphozyten stark ver¬
mindert. Während der nächsten Tage post partum fällt die Prozent¬
zahl der Stabkernigen schnell ab, und umgekehrt steigt die der
Lymphozyten in gleichem Maße, ebenso die der großen Mono¬
nukleären. 4 Tage post partum ist das Blutbild schon fast wieder
normal. Patientin fühlt sich wohl und wird entlassen.
3. Als letzter noch kurz ein Fall von Eklampsie. Fall B. ist
eine 26jährige I.-Para. Sie wurde am 18. IV. um 2 Uhr früh in die
Klinik eingeliefert, nachdem sie draußen aus I.-Hinterh.-Lage ein $
geboren hatte. Um 8 Uhr früh erfolgte der erste eklamptische Anfall;
bis um 12 Uhr hatten sich sechs weitere eingestellt. Klinisch schien
der Zustand außerordentlich ernst. — Erster Blutabstrich um i/ 4 l Uhr
mittags. Die folgenden stets am Nachmittag um 1/26 Uhr, d. h. kurz
nach dem Stillen und eine Stunde vor dem Abendbrot.
Aus der Kurve ist die außerordentlich starke Blutverschiebung,
die bis in die Jugendlichen geht, ersichtlich. Recht deutlich spiegelt
das Blutbild auch eine Krise wieder, die zwischen dem 20 . und 21 .
liegt. Es ist der Zeitpunkt, an dem die Milch einschoß. In den
folgenden Tagen bessert sich der Zustand wesentlich, doch ist das
Blutbild noch stark gereizt, was sich bei mäßiger Prozentzahl der
Stabkernigen durch aas Vorhandensein der Jugendlichen, vor allem
der granulierten Mononukleären kundtut. Der Fall ist ein deut¬
liches Beispiel dafür, daß es auf die gleichzeitige Berücksichtigung
aller Leukozytenklassen ankommt.
In diesem Eklampsiefall wurde auch die Leukozytenzahl genau
verfolgt; sie weicht ganz erheblich von dem sonst zur Beobachtung
gelangten ab und sei deshalb ebenfalls mitgeteilt.
Blutbilder:
1. Fall S. — Beispiel für kaum verändertes Blutbild trotz 4 X innerlicher Untersuchung,
Zwillingen, künstlicher Geburt.
Datum
0 ^
Eosino¬
phile
Mye¬
lozyten
Jugend¬
liche
Stab- II
kernige ||
Segmen- ,
tierte 1
Lympho¬
zyten j
Große I
Mono- 1
nukleäre,
Reiz¬
formen |
Sonstige Bemerkungen
24 III. 1921
0.5
0,5
_
__
5
66,5
16
10,5
1
| fieberfrei
25. III. 1921
—
—
—
—
7
61,0
25
7
—
13. IV.1921
—
3
_
—
8,5
57,5
27.5
3,5!
—
12®° mittags Partus
15. IV. 1921
—
7
_
—
3
72,5
18,5
4
—
15.IV.-17.IV. fieberfrei
18. IV. 1921
0,5
3
—
—
3,5
63
22,5
7
0,5
\ fiphprfrpl
20. IV. 1921
0.5
1,5
—
—
4
58
31
4,5
0,5
entlassen / fieberfrei
Fall M. — Beispiel für stark verändertes Blutbild bei Spontangeburt ohne jegliche
Komplikation.
Datum
Baso- !
phile |
Eosino¬
phile
Mye¬
lozyten
Jugend¬
liche
Stab-
kernige
s«
Sa
<u —
Lympho-j
zyten |
Große j|
Mono- i|
nukleäre |
, c
V E
Ko
Sonstige Bemerkungen
27. III. 1921
_
_
_
25,5
68
5!
2
_
ante partum ^
28. III. 1921
0,5
0,5
—
—
27
63
7
2
—
post partum *C
29. III. 1921
—
3
—
—
12
67
16
11
1
\%
30. III. 1921
—
3
—
—
10
63,5
19
5,5
—
steht am 31. III. auf j J=
1. IV. 1921
—
2
—
_
14
55
26
7,5
0,5
hs
2. IV. 1921
—
4
—
—
6,5
59
24
6,5
entlassen I
3. Fall B. — Beispiel für sehr stark verändertes Blutbild bei Eklampsie.
Datum
Basophile
Eosinophiie
Mye¬
lozyten
Jugendliche
Stabkernige
Segmentierte
Lymphozyten
Große Mononukleäre
Reizformen
Dicker Tropfen:
Zerriss. Polychrom.
Tem¬
peratur
Zahl
18.IV.1921
-
0,5
—
3
21
49,5
19
7
-
+ + +
37,5; 37
26300
19.IV.1921
0,5
1
—
1
26,5
51
17
3
-
+ + +
36,3:36.5
29750
20.IV.1921
-
-
0,5
Prom. 1 )
-
33
52,5
7,5!
6,5
-
+ + +
36 ; 38,4
28533
21.IV.I921
-
2
0,5
Prom.
1
49!
25!
16
6,5
-
+ +
36,8:37,4
31050
22.IV.1921
-
2,5
-
•
23,5
39
27
7
-
+
36,2:36,7
20 950
23.IV.1921
_
_
1
1
26
27!
28,5
16,5!
_
+
36,7; 36,5
17500
25.IV.1921
-
2
1,5
gran.M.*)
2,5
[10,5
49,5
24
9.5
0.5
+
36,4; 36,8
19750
29.IV.1921
-
2
-
-
8
56
25
8,5
0,5
+
37 ;
19100
Sonstige
Bemer¬
kungen
(500 g Ader¬
laß. - Nar-
l kotika
Milch
schießt ein.
{ — Schmer¬
zen beim
Urinieren
I Urin nur
mittels
l Katheter
defrei ent-
Für die Praxis erscheint lediglich die kontinuierliche Beobachtung
des Differentialleukozytenbildes — ohne dauernde Beobachtung der
Gesamtzahl — für ausreichend, um sich ein Urteil über die Schwere
der Veränderungen machen zu können, die sich in dem betreffenden
Organismus abspielen. Selbstverständlich hat die Bewertung des
Blutbefundes stets vergleichend mit dem sonstigen klinischen Bild
zu erfolgen.
») Promyelozyten. — ■) Oranullerte Mononukleäre.
Digitized b'
Google
Original from
CORNELL UNIVERSUM
424
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
Nr. 13
Aus der Universitäts-Frauenklinik in Breslau.
(Direktor: Geh.-Rat O. Küstner.)
Die Geburt im vereinfachten schematischen Dämmerschlaf.
Von Dr. Beano Liegner, Frauenarzt in Breslau,
früher Assistent der Klinik.
Die Literatur über den schematischen Dämmerschlaf in seiner
vereinfachten Form hat allmählich einen großen Umfang angenommen,
ohne daß die Ansichten zu einer völligen Einigung gelangt sind.
Siegel betont allen Anfechtungen gegenüber stets von neuem die
Zweckmäßigkeit der Schematisierung und die begründete Richtig¬
keit der Grundlagen seiner Methode. Es findet sich jedoch in allen
Veröffentlichungen eine Reihe von Fragen, die annähernd gleich¬
mäßig beantwortet werden und die man daher als entschieden an-
sehen muß. In anderen Punkten, so z. B. in der Frage der Ueber-
dosierung, verteidigt Siegel seine Anschauungen, ohne seine Gegner,
wie zu erwarten ist, zu überzeugen. Als Siegel den Skopolamin-
Amnesindämmerschlaf in seiner vereinfachten Form empfahl, betonte
er von neuem, daß die Erfahrungen mit der individualisierenden
Methode ihn dazu führten, ein Schema aufzustellen und dadurch ohne
Verminderung der Leistungsfähigkeit derselben ihre Anwendung er¬
heblich zu erleichtern. Es muß zugegeben werden, daß die kritische
Ausführung der Merkfähigkeitsprüfungen bei der alten Form Uebung
und Erfahrung im Dämmerschlaf zur Voraussetzung haben mußte,
aber es ist nun die Frage, ob das Aufgeben der individuellen Modi¬
fikation zugunsten eines starren Schemas nicht erhebliche Nachteile
nach sich zieht. Die Allgemeinerfahrungen in der Medizin machen
es schon wahrscheinlich, und auch der angezogene Vergleich mit
der Narkose ist deshalb nicht stichhaltig, weil gerade das Narkoti¬
sieren ein genaues Anpassen an das Individuum und deshalb Er¬
fahrung und Beweglichkeit in der Ausführung verlangt. Und das ist
ja gerade der Nachteil und der Vorteil jedes Schemas, daß man es
automatisch in jedem Falle anwenden kann und daß es besonderer
Erfahrungen bei der Ausführung nicht bedarf. Auf die Schematisierung
des Dämmerschlafes angewandt, müßte man also annehmen, daß der
in ihm Geübte und Ungeübte die gleichen Resultate erzielen könne.
Auch die Freiburger Schule unter Führung von Gauß verficht das
Schema — wenn auch in anderer Anordnung —, obwohl sie, wie auch
Siegel, großen Wert darauf legt, daß die Ausführung des Schlafes
von Aerzten und Personal beobachtet wird, die in ihm geübt und
erfahren sind. Der Widerspruch in diesen Anschauungen tritt jedem
Untersucher sofort entgegen, und er merkt bald, von welch ent¬
scheidender Bedeutung die Uebung und Erfahrung trotz des Schemas
ist. Im Laufe der letzten Jahre sind mehrere Tausende von Dämmer¬
schlafgeburten nach dem vereinfachten Schema beobachtet und die
Erfahrungen in der Literatur niedergelegt worden. Wenn ich jetzt
an einer kleinen Untersuchungsreihe meine Erfahrungen zusammt'n-
fasse, so kommt mir dabei zugute, daß jeder einzelne Fall, mit den
Beobachtungen anderer Autoren verglichen, ganz anders gewertet
werden kann. . Die Versuche erstrecken sich auf den Zeitraum von
November 1919 bis Januar 1921 und umfassen 36 Fälle; es wird
aus den weiteren Auseinandersetzungen hervorgehen, daß die Durch¬
führung des Dämmerschlafes zum großen Teil eine Personalfrage ist.
Bei der achtstündigen Arbeitszeit im Klinikbetriebe und bei der
starken relativen Verminderung des Personals ist es daher oft un¬
möglich gewesen, die nötigen Hilfskräfte zur Verfügung zu haben.
Es können unsere Fälle gewiß nicht zu einer maßgeblichen prozen¬
tualen Berechnung herangezogen werden, aber unsere Erfahrungen
lassen sich doch zur kritischen Wertung recht gut verwenden.
Besonders wichtig ist es, daß die Beobachtung und Durchführung
in einer Hand bleibt, und so habe ich sämtliche Fälle während der
ganzen Zeit selbst behandelt und beobachtet, sodaß ich völlig un¬
abhängig von den Angaben anderer bin. Eine besondere Auswahl des
Materials hat nicht stattgefunden, es wurden die Kreißenden, wie
sie gerade zur Geburt kamen, gespritzt. Daß unter den 36 Frauen
29 Erstgebärende waren, ergibt sich als selbstverständlich aus dem
Ueberwiegen derselben im klinischen Material.
In Anwendung brachten wir das von Siegel angegebene letzte
Schema.
Beginn mit I 1 /» ccm Skopolamin haltbar + 17* ccm Amnesln
•/ 4 Std. spater 17* ccm Skopolamin haltbar + 7* ccm Amnesln
1 Std. spater 7* ccm Skopolamin haltbar + 7* ccm Amnesin
Von da ab jede Stunde Va ccm Skopolamin; jede dritte Skopolamin¬
dosis wird mit y* ccm Amnesin kombiniert. Wir hielten uns, wie
wir noch zeigen werden, im allgemeinen streng an das Schema.
Die Entscheidung, wann man mit den Injektionen beginnen soll,
ist von wesentlicher Bedeutung für den Verlauf. Bei zu früh be¬
ginnender Behandlung kann die Spritzenzahl außerordentlich hoch
werden (Feldmann 25, Hermstein 30), setzt sie zu spät ein,
so kann die Geburt stattfinden, bevor die gewünschte Wirkung,
also „das Stadium der Bewußtseinstrübung, das zwischen der ein-,
fachen Schmerzlinderung und tiefen Narkose liegt“ (Gauß), erreicht
ist. Wir begannen mit den Einspritzungen, wenn die Wehen in
regelmäßigen Abständen von etwa 5 Minuten folgten und kräftig
waren. Daß sich dabei die Geburt nicht immer im gleichen Stadium
befand, ist selbstverständlich, oft war der Muttermund schon voll-
pSJLi eröffnet , bisweilen erst fünfmarkstückgroß, meist stand die
rrucntblase noch, öfters war sie gesprungen.
Die wesentliche Verbesserung in der vereinfachten Methode liegt
in der Einführung des Amnesins, das im Kubikzentimeter 0,2 g Chinin
bihydrochloricum enthält. Damit war bereits zum Ausdruck gebracht,
daß bei den früheren Präparaten die Wehentätigkeit erheblich beein¬
trächtigt war und daher zum Ausgleich der wehenhemmenden Wir¬
kung des Narkotikums das Chinin geeignet schien. Da wir bei manifesten
Wehen erst mit dem Dämmerschlaf begannen, war es uns leicht, ihre
Intensität, ihre Dauer und ihr Intervall zu kontrollieren. Wir fanden
in 22 Fällen, d. h. in 61 o/o, keine nennenswerte Verschlechterung der
Wehen, sie blieben — von den üblichen physiologischen Schwan¬
kungen abgesehen —- bis zum Ende unverändert.
In 11 Fällen = 30,5<y 0 war eine deutliche Verschlechterung zu be¬
merken; die Intervalle wurden größer, die Kontraktionen des Uterus
schwächer und kürzer. Bei all diesen Fällen wurden mehr als 4 In¬
jektionen gegeben; die dritte hatte noch keine Veränderung hervor¬
gerufen. Es waren bis zur Verschlechterung der Wehen innerhalb
21/3 Stunden gegeben worden 1,2 mg Skopolamin und 0,03 Morphin¬
narkotin, das entspricht 1,25 cg Morphinäquivalent (gemäß Siegels
Angaben). In 3 Fällen hörten die vorher guten und kräftigen Wehen
ganz auf, zweimal nach der 4., das drittema! nach der 5. Injektion.
Wie außerordentlich verschieden die einzelnen Menschen auf Nar¬
kotika reagieren, sahen wir bei einer I.-Para, wo trotz 11 Injektionen
die Wehenkraft unverändert blieb. Unsere Versuche, durch Chinin
f >er os oder Pituglandol die Wehentätigkeit wieder zu fördern, miß-
angen, wie auch von anderen Seiten berichtet wird.
Für die Wehenverschlechterung werden mit Recht die einge¬
führten Narkotika verantwortlich gemacht, vor allem das Morphin¬
narkotin. In den divergenten Berechnungen von Gauß und Siegel
spielt die Morphiumkomponente die entscheidende Rolle, das Skopo¬
lamin wird nicht als wehenhemmend angesehen. Das entspricht den
üblichen pharmakologischen Anschauungen und auch den Tierver¬
suchen, die den Einfluß des Skopolamins auf die Uterusmuskulatur
zeigen sollen. Und doch glaube ich, daß auch das Skopolamin nicht
ohne Bedeutung für den gebärenden Uterus ist. Einer Anregung
nachgehend, beobachtete icn, daß beim Tetanus uteri, den man in
der Regel durch 0,01—0,02 Morphium erfolgreich bekämpft, man die
gleiche krampflösende Wirkung durch 0,3—0,5 mg Skopolamin er¬
zielen konnte. Deshalb glaube ich, daß, wenn man in dem. Be¬
streben, die Morphinwirkung möglichst abzuschwächen, auch noch
weiter gehen wird (Gauß), man trotzdem Wehenverschlechterungen
sehen wird, die dem Skopolamin zur Last zu legen sind.
Das Schlechterwerden der Wehen muß natürlich zu einer Ver¬
längerung der Geburtsdauer führen, wenn diese an sich auch bei
einer somnolenten Frau nicht wesentlich ins Gewicht fällt Die
Geburtsdauer ist aber außerdem noch abhängig von verschiedenen
anderen Faktoren, z. B. der Kindslage, der Beschaffenheit der Mutter
und der Wirksamkeit der Bauchpresse in der Austreibung. Bei den
behandelten Erstgebärenden, unter denen 1 Steißlage und 2mal Zwil¬
linge waren, hatten wir eine Durchschnittsgeburtsdauer von 23 Stun¬
den, eine hohe Ziffer, die nicht nur durch die Verlängerung der
Austreibungsperiode erklärt ist. Bei den Erstgebärenden habe ich
die Austreibungszeit auf 2 Stunden 21 Minuten errechnet. Diese
hohe Zahl aber steht noch zurück hinter dem Eindruck, den der
Geburtshelfer am Kreißbett selbst empfängt. Der Kopf ist bereits
in der Vulva sichtbar, die Wehen sind kräftig, und es vergehen
halbe und ganze Stunden, ohne daß die Geburt auch nur eine Spur
fortschreitet. Der Grund liegt in der Unfähigkeit der Kreißenden,
die Bauchpresse zweckmäßig zu verwenden und koordiniert, den An
Ordnungen entsprechend, mitzupressen. Das Skopolamin hat seine
Rauschwirkung ausgeübt, und wir sehen die Kreißende meist in einem
somnolenten Zustande, örtlich, zeitlich und sachlich mehr oder weniger
unorientiert; es ist unmöglich, sie gedanklich zu fixieren, und daraus
erklärt es sich, daß sie entweder gar nicht die Bauchpresse in Tätig¬
keit setzt oder in der Wehenpause, in der ihre Kraft unnütz verpafft
Wie anderen Untersuchern ging es auch uns so, daß wir warteten,
ob nicht der Kopf weiter vorrückte, dem Sdiema entsprechend
weiter injizierten, nach längerer Zeit — in einem Falle nach 6 Stun¬
den — eine Spontangeburt erreichten oder aus einer eintretenden In¬
dikation heraus die Geburt künstlich beendeten.
Wir sind damit zu einem Punkte gekommen, der für die Durch¬
führung des Dämmerschlafes von größter Wichtigkeit ist Welche
Wirkungen rufen diederFrau zugeführten Medikamente
in ih rem Organismus hervor? Man muß sich darüber klar sein,
daß die der Kreißenden zugeführten Alkaloide zum Teil die Maximaldosis
überschreiten. Aus der Zahl der Beobachtungen heraus läßt sich un¬
schwer ein Bild zeichnen, das die mit der Methode behandelten Frauen
zu bieten pflegen: Nach den ersten Injektionen (D/sccm Skopolamin
-f 1/2 ccm Amnesin) wird nach Verlauf von 20—30 Minuten die Kreißende
müde, sie gibt an, daß die Wehen nicht mehr ganz so schmerzhaft
sind, ihr Gesicht fängt an, sich zu röten. Einige Zeit nach der zweiten
Einspritzung (etwa 1 Stunde nach Beginn) verstärken sich diese Er¬
scheinungen. In den Wehenpausen schläft die Frau, wacht während
der Wehe und schließt nachher wieder die Augen. Jetzt beginnen
leichte Zeichen der Unruhe, die Hände suchen unruhig auf der Bett¬
decke, die Beine bewegen sich zwecklos, im Schlafe werden unzu*
sammenhängende Worte gesprochen. Es gelingt jedoch noch, die
Kreißende zu fixieren; sie ist örtlich und zeitlich völlig orientiert
und gibt auf Fragen geordnete Antworten. Die Qesichtsröte hat
sich verstärkt, die Pupillen werden weiter; starkes Durstgefühl, be¬
ginnender Geruch aus dem Munde. Die Frau ist völlig verwirrt und
desorientiert; sie öffnet- auf Anruf die Äugen, antwortet auf Be-
□ igitized by Gougle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
31. März 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
425
fragen gar nicht oder unzusammenhängendes Zeug. Die Unruhe hat
sich außerordentlich gesteigert; selbst in den Wehenpausen versuchen
die Frauen aus dem Bett zu steigen, schlagen mit Armen und Beinen
um sich, wenn sie nicht ganz im Wehenintervall schlafen. Setzt eine
Wehe ein, dann beginnt der Kampf zwischen Kreißender und Per¬
sonal; mit Aufbietung aller Kräfte sucht sie aus dem Bett zu gehen,
gebärdet sich wie eine Wilde, greift mit den Händen nach den
Genitalien, besonders dann, wenn der Kopf auf dem Beckenboden
steht. Es ist gänzlich unmöglich, irgendeine Verbindung mit der Frau
zu bekommen, sie gehorcht keiner Aufforderung und ist gänzlich
dem Willen des Geburtshelfers entglitten. So erklärt es sich auch,
daß in der Austreibung die Mitarbeit der willkürlichen Muskulatur
völlig fehlt. Es fällt der Frau gar nicht ein, mitzupressen; vielleicht,
sogar wahrscheinlich, gelangt die Aufforderung dazu gar nicht zur
Perzeption; die Folge dieses Zustandes sind völlig zwecklose Be¬
wegungen. Das Gesicht hat eine tief blaurote Farbe angenommen,
es sieht gedunsen aus, die Pupillen sind extrem weit, der Mund
ist geöffnet, die Lippen trocken. Dieses Bild hält mit einigen Varia¬
tionen während der Injektionszeit weiter an. Nun würde man diese
Situationen, so wenig erfreulich ihr Anblick ist, ganz ruhig hin¬
nehmen, wenn nicht damit eine Reihe von unangenehmen Dingen
verbunden wäre. Bleiben wir zunächst bei der Unruhe; ihren Um¬
fang kann man am besten daran ermessen, daß im Durchschnitt
4—5 Menschen nötig sind, um die Kreißende zu halten, bisweilen
haben sich 8 Personen vergeblich darum bemüht. Das ist natürlich
eine Forderung, die eigentlich nirgends, auch nicht in einem klini¬
schen Betriebe, zu erfüllen ist. Auch uns stand dazu — es handelte
sich ja oft um Stunden — das nötige Personal nicht zur Verfügung,
und wir mußten die Frauen mit Händen und Füßen ans Bett fesseln,
ein Vorgehen, das bei der hochgradigen Unruhe nicht ganz unbe¬
denklich ist und ohne große Phantasie an Szenen aus der Folter¬
kammer erinnert. Dieser schwere Skopolaminrausch hat aber noch
andere Gefahren in sich. Es ist fast typisch, daß die Frauen in ihrer
Benommenheit nach den Genitalien greifen, und es muß daher be¬
sonders darauf geachtet werden, daß diese Absicht zur Vermeidung
von Infektionen unausgeführt bleibt. Erfreulicherweise haben wir
trotzdem keine Störung im Wochenbett gesehen, die wir auf die
stark gefährdete Asepsis während der Geburt hätten zurückführen
können.
Von Feldmann ist zuerst betont worden, daß die Frauen kein
Wasser lassen können und katheterisiert werden müssen. Ich sah,
daß die Kreißenden der Aufforderung zum Urinieren nachkamen, so¬
lange sie noch zu fixieren waren, daß aber beim Eintreten tiefer
Somnolenz sie weder eine Empfindung für den Füllungszustand der
Blase hatten, noch zur spontanen Urinentleerung zu veranlassen
waren. Hier muß dann eben katheterisiert werden. Es ist leicht
begreiflich, daß in dem Zustand dieser Unruhe es nicht ganz leicht
ist, die kindlichen Herztöne zu kontrollieren. Die Frau Hegt kaum
einen Augenblick ruhig, noch dazu, wenn ihr das Hörrohr auf den
Leib gesetzt wird. Und wie nötig gerade beim Dämmerschlaf die
Kontrolle der Herztöne ist, wird noch besprochen werden. Dasselbe
gilt für den Dammsdiutz, der sich oft kaum durchführen läßt. Feld¬
mann berichtet von 17,2o/ 0 , Gaenßbauer von 28<>/o Dammrissen,
wir hatten 7 Dammrupturen, also 19,5o/o gegen 9o/ 0 bei Wachgeburten.
Nun ist die Reaktion der einzelnen Menschen auf die ein¬
geführten Alkaloide ganz verschieden. In manchen Fällen blieb es
trotz 10—11 Injektionen bei dem Zustande der Unruhe, in anderen
sahen wir eine tiefe Narkose eintreten, in der die Frauen auf nichts
reagierten. Das eine Mal trat bei einer I.-Para nach der 6. Injek¬
tion (1,8 mg Skopolamin und 0,015 Morphinäquivalent) die Voll¬
narkose ein, bei einer IIL-Para schon nach der 3. Einspritzung (1,05 mg
Skopolamin + 0,0125 Morphinäquivalent). Daraus erhellt zur Deut¬
lichkeit, wie wenig die Einführung so differenter Mittel durch ein
Schema sich sichern läßt. Was bei dem einen zur Exzitation führt,
kann bei dem andern zur schweren bedrohlichen Lähmung führen.
Ganz besonders eindrucksvoll bleibt mir ein dritter Fall, eine I.-Para,
die im ganzen 3 Einspritzungen bekommen hatte. Schon bei der
ersten war der Schlaf ohne wesentliche Erregung eingetreten, jetzt
aber lag die Frau völlig tief narkotisiert da, mit extrem weiten,
schlecht reagierenden Pupillen; der Puls war nach anfänglicher Be¬
schleunigung auf ca. 45 zurückgegangen. Es bot sich uns also das
Bild einer schweren Intoxikation dar, das uns zum sofortigen Ab¬
bruch des Dämmerschlafes veranlaßte. Es läßt sich hierbei natürlich
schwer sagen, welches der Medikamente verantwortlich zu machen
ist; man muß wohl damit rechnen, daß es einerseits überempfind¬
liche Individuen gibt, anderseits Gaben, die sich in der Höhe der
Maximaldosis halten, das individuelle Maximum bisweilen über¬
schreiten.
Von einigen Autoren wird berichtet, daß die Verschlechterung
der Wehen im Dämmerschlaf auch in der Nachgeburtsperiode in
Erscheinung tritt. Wir haben in unseren Fällen keine wesentlichen
Störungen beobachtet. In diesem Punkte ist der Amnesinschlaf der
Narkophinmethode überlegen, bei der in der Klinik durch Bondy
sehr häufig Blutungen und Atonien gesehen wurden.
Eine wesentliche Frage ist, ob im Dämmerschlaf die Zahl der
operativen Entbindungsmaßnahmen erheblich erhöht ist. Siegel
selbst gibt zu, daß die Zangenfrequenz sich bei seiner Methode er¬
höht, halt die Ausgangszange aber nicht für einen Eingriff, der für
Mutter oder Kind von wesentlicher Bedeutung ist. Wenn man
siebt daß der Kopf stundenlang sichtbar ist, ohne daß die Geburt
fortsdireitet, wenn die Wehen völlig sistiert haben, oder die un¬
ruhige und somnolente Frau die Bauchpresse in keiner Weise zur
Hilfe heranzieht, so bleibt schließlich nichts anderes übrig, als die
Geburt zu beenden; nicht immer wird die Zange dazu nötig sein,
3mal entwickelten wir das Kind durch Kristeller und Hinterdamm¬
griff, lmal durch Episiotomie. 7mal legten wir die Zange an, in
einem FaHe wegen Ausziehung des unteren Uterinsegments, der
also dem Dämmerschlaf nicht zur Last fällt; immerhin bleiben noch
6 Zangenentbindungen — 17,1 o/ 0 übrig. -Nun müssen wir aber in Be¬
tracht ziehen, daß die Indikation zur Entbindung auch durch das
Befinden des Kindes gegeben wird, und wir kommen dadurch zu
der Frage, mit der, wie Gauß sagt, die Berechtigung des Dämmer¬
schlafes steht und fällt. Es ist von vornherein ja anzunehmen, daß
die Narkotika, die der Mutter zugeführt werden, auch in den kind¬
lichen Kreislauf übergehen. Von dem Skopolamin wissen wir, be¬
sonders durch Straub, daß es in wenigen Minuten aus dem Körper
ausgeschieden wird, während das Morphium und seine Derivate sich
wesentlich länger im Organismus aufhalten. Diese müßte man also
für eine intrauterine Kindssdiädigung besonders verantwortlich
machen. Fast durch alle Untersucher wird von Kindern berichtet, die
während der Geburt durch den Dämmerschlaf zugrundegegangen sind.
Auf der anderen Seite ist kürzlich wieder durch Lemoke, früher
schon durch Gauß betont worden, daß bei großen Vergleichsreihen
die kindliche Mortalität im Dämmerschlaf geringer ist als bei der
Wachgeburt. Aschoff glaubt die Erklärung dafür darin zu sehen,
daß durch die eingeführten Medikamente eine intrauterine Betäubung
des kindlichen Atemzentrums eintritt und dadurch vorzeitige Atem¬
bewegungen vermieden werden. Diese von Aschoff angenom¬
mene Betäubung des Atemzentrums läßt sich klinisch leicht an den
schweren, bisweilen tödlichen Schädigungen desselben beweisen. Der
Indikator für die intrauterine Kindsschädigung sind die Herztöne.
Obwohl sie bei der unruhigen Dämmerschlafenden oft sehr schwer
zu kontrollieren sind, haben wir sie ganz besonders regelmäßig und
sorgfältig auch bei stehender Blase beobachtet. Die Notwendigkeit
dieser erhöhten Vorsicht lehren folgende Erfahrungen.
a) I.-Para. Zwillinge. Erstes Kind Schädellage, zweites Querlage.
Nach der 6. Injektion werden die Herztöne des ersten Kindes plötz¬
lich kaum hörbar und außerordentlich langsam. Schleunige Zangen¬
extraktion mit der Kielland-Zange. Dauer von dem Bemerken der
Kindsschädigung bis zur Geburt knapp 5 Minuten. Kind tief bleich
asphyktisch. Schultzesche Schwingungen usw. Erster Atemzug nach
10 Minuten, erster Schrei nach 1/4 Stunde.
b) I.-Para. Stehende Blase. 3 Injektionen. Herztöne dauernd
kontrolliert, gut. Beim Blasensprung Abgang von mekoniumhaltigem
Fruchtwasser. Herztöne kaum hörbar, dumpf und langsam. Sofort
Zange mit Dammschnitt. Operationsdauer 3 Minuten. Kind tot.
Kein Herzschlag. Sektion zeigt nichts Besonderes, keine Anomalie,
keine Zangenschädigungen.
Diese beiden Erlebnisse, besonders das letztere, müssen wir, wie
ich glaube, als direkte Dämmerschlafschädigung ansehen. Es kann
dabei nicht der Vorwurf einer Unterlassung erhoben werden, da ich
selbst dauernd zugegen war, die Herztöne beobachtete und bei ihrer
Verschlechterung die Zange ausführte in einer Zeit, in der Kinder mit
akuten Kreislaufstörungen sonst kaum abzusterben pflegen. Aehn-
liche Beobachtungen sind auch von anderen Seiten gemacht worden.
Oft verschwanden die Herztöne ganz plötzlich „im Handumdrehen“
Gaschke), und nidit immer gelang es, das Kind zu retten. Es
drängt sich mir bei solchen Ereignissen der Vergleich mit der Ge¬
burt beim engen Becken auf, wo wir sehen, daß der Kopf in langer
Geburtsdauer ohne wesentliche Störung der Beckenform adaptiert
wird; wenn er dann die Beckenenge passiert hat und auf dem Becken¬
boden angelangt ist, genügt oft eine geringe Kreislaufstörung, z. B.
eine zu rasche Wehenfolge, um das Kind aufs schwerste zu schädigen.
Auch hier verschwinden oft im Augenblick die Herztöne, und das
Kind kann nidit mehr gerettet werden. In beiden Fällen eine zerebrale
Störung (Narkotikum ozw. vorübergehende Hirndruckerhöhung), die
bei dem Hinzutreten sonst anstandslos vertragener Störungen zu
einem sofortigen „Herzblock“ führen (Gauß).
Zeigt uns diese Erfahrung, daß der Dämmerschlaf die dauernde
Anwesenheit des Arztes und seine genaueste Aufmerksamkeit ver¬
langt, so sehen wir weiter, daß die Gefahren für das Kind noch
nicht erschöpft sind. Es wäre erstaunlich, wenn wir bei einer im
tiefen Dämmerschlaf befindlichen Frau ein Kind zur Welt brächten,
das gar keine narkotischen Einwirkungen zeigte. 7 Kinder (20<y o )
waren oligopnoisdi, d. h. sie atmeten regelmäßig, schrien aber
nicht und machten einen schläfrigen, narkotisierten Eindruck. 6 Kin¬
der (17,1 0 / 0 ) waren asphyktisch, zum Teil recht schwer und lang-
andauernd. Bei 2 Kindern sahen wir eine auch von anderer Seite
beobachtete Erscheinung. Einige Minuten nach der Geburt trat plötz¬
lich eine tiefe Asphyxie auf, die recht energische Behandlung not¬
wendig machte, um das Kind am Leben zu erhalten. Waren die
Neugeborenen über die ersten Lebensstunden hinaus, so erlebten
wir, im Gegensatz zu Feldmann, kaum unangenehme Zwischen¬
fälle. Diese legt in ihren Beobachtungen entscheidenden Wert auf
das Verhalten der Kinder in den ersten Lebenstagen, das sich ihrer
Ansicht nach recht ungünstig von dem normal Geborener unter¬
schied. Uns ist dabei nichts Besonderes aufgefallen. Die Kinder
tranken nicht schlechter als die anderen, verloren auch nicht mehr
an Körpergewicht sodaß wir den Eindruck gewannen, daß wohl nach
einigen Stunden das Narkotikum ganz aus dem Organismus ausge-
schieden und somit jede Gefahr weiterer Schädigung beseitigt war.
Digitized by LjOi »öle
Original from
CORUELL UNIVERSITY
426
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 13
Zur Besprechung bleibt noch der Hauptzweck des Dämmer¬
schlafes, die Herabsetzung der Schmerzempfindung und die Amnesie
für den Geburtsschmerz. Man muß diese Dinge sehr voneinander
scheiden; denn beide Möglichkeiten können die Kreißende zur
schmerzlosen Entbindung führen. Die eingeführten Mittel könnten
dazu führen, daß in der Tat eine so erhebliche Schmerzbetäubung
auftritt, daß die Frauen die Schmerzen der Wehen und Austreibung
nidit empfinden, oder die Schmerzempfindung könnte unverändert
bleiben und die Rückerinnerung an die Schmerzen durch den Rausch¬
zustand ausgeschaltet sein. Daß auch die letzte Möglichkeit viel für
sich hat, zeigen uns die Beobachtungen in der Hypnose, wo es
durch psychische Beeinflussung unschwer gelingt, empfundene
Schmerzen völlig aus der Erinnerung auszuschalten und daher für das
Individuum als nicht empfunden zu gestalten. Welcher Weg im
Dämmerschlaf zur Amnesie führt, läßt sich exakt schwer beweisen.
Jedenfalls wird in der überwiegenden Zahl der Fälle das Ziel völlig
erreicht. Eine volle Amnesie für die Geburt hatten 24 Frauen
— 66,6o/o; sie hatten nur die Erinnerung, daß ihnen etwas eingespritzt
wurde, meist wissen sie nur von 2 Injektionen, von da ab fehlt
jede Erinnerung; aus dem Schlaf erwacht, sind sie ganz erstaunt,
daß alles schon vorüber ist, betasten ihren Leib und sind überrascht,
wenn man ihnen das Geburtsobjekt vorzeigt. Auch in den späteren
Wochenbettagen kehrt die Erinnerung nidit zurück; die Wöchnerinnen
fühlen sich außerordentlich wohl und sind meist von der Methode
sehr begeistert. In 8 Fällen war die Amnesie nicht vollständig, es
bestanden noch Erinnerungsinseln an besonders schmerzhafte Wehen,
an die Dammnaht oder an die Aufforderungen zur Ruhe. Bei diesen
Beobachtungen waren zum Teil Fälle, die 7mal gespritzt waren,
allerdings auch zwei mit 2 Injektionen, bei denen also die Medika¬
mententwicklung nidit voll in Erscheinung getreten war. Eine Be¬
obachtung war mir besonders bemerkenswert. Eine I.-Para gebar
10 Minuten nach der 3. Injektion; sie war völlig klar und gab in
normaler Weise Zeichen der empfundenen Schmerzen von sich. Kurz
nach der Ausstoßung der Plazenta wurde sie unruhig und somnolent
und hatte schließlich volle Amnesie für den Geburtsverlauf. Vielleicht
sprechen diese Symptome dafür, daß es dte Rückerinnerung ist, die
diirdi den Dämmerschlaf ausgesdialtet wird. Wie schon erwähnt,
beginnt die Wirkung der Medikamente zwischen der ersten und
zweiten Injektion; nach dieser ist meist der Dämmerschlaf einge¬
treten und der gewünschte Zustand erreicht. Zu den Versagern
rechnen wir 4 Fälle; dazu gehört die eine Beobachtung, in der der
Dämmerschlaf wegen der lutoxikationserscheinungen abgebrochen
wurde. Einmal war nur 1 Injektion gegeben, ein andermal 2; im
letzten Falle war die Frau bei 6 Einspritzungen zwar schläfrig, hatte
aber volle Rückerinnerung für die Empfindungen während des
Partus. Wir müssen aus diesen Feststellungen also schließen, daß
das Ziel des Dämmerschlafes, die schmerzlose Geburt, in der über¬
wiegenden Zahl voll erreicht wird und daß es kaum einen ausge¬
sprochenen Versager gibt.
Trotzdem stehen wir in Berücksichtigung aller unserer Beobach¬
tungen auf dem Standpunkt, daß der schematische Dämmer¬
schlaf auch in der einfachen Form abzulehnen ist. Zu¬
nächst verwerfen wir jedes Schema in der Behandlung mit solch
differenten Arzneimitteln. Trotz der Chininbeigabe und der
Herabsetzung der Morphiummenge werden die Wehen
oft verschlechtert. Das kindliche Leben ist in erhöh¬
tem Maße gefährdet, selbst bei stehender Blase, da
das Atemzentrum durch die Alkaloide lähmend beein¬
flußt wird. Der Rauschzustand der Kreißenden ist so
hochgradig, daß für die Privatpraxis der Dämmer¬
schlaf überhaupt nicht, für die Klinik nur bei ganz be¬
sonders günstigen Personalverhältnissen in Frage
kommt. Die Möglichkeit schnell auftretender Störun¬
gen erfordert die dauernde Anwesenheit und Beobach¬
tung von seiten des Arztes. Obwohl das Ziel, die
schmerzlose Geburt, durch das Verfahren voll erreicht
wird, glauben wir doch, daß der Dämmerschlaf nur für
ganz besondere, seltene Fälle zu wählen ist, und daß
er dann nur bei sorgfältiger klinischer Leitung vor¬
genommen werden darf.
Aus der Universitäts-Kinderklinik in Köln.
(Leiter: Oeh.-Rat Siegert.)
Desquamationsprozeß in den Harnwegen bei Scharlach.
Von Dr. M. Gonoella.
Durch systematische Urinuntersuchungen von Scharlachkindern
wurde versucht zu ermitteln, ob analog dem Schuppungsprozeß an der
äußeren Haut eine Schuppung der Schleimhäute besteht, die sich an
der Blasendesquamation messen läßt. Es würde diese dann auf ein
Enanthemstadium an der Blasenschleimhaut rückschließen lassen.
Von 16 Kindern der Scharlachstation wurde vom Exanthemstadium
an bis zum Ende der 5. oder 6. Woche, und zwar anfangs täglich,
von der 3. oder 4. Woche an jeden 2. oder 3. Tag der Urin unter¬
sucht. Es wurden gleichgroße Urinmengen (10 ccm) in der stets
mit der gleichen Tourenzahl laufenden Zentrifuge während 10 Mi¬
nuten zentrifugiert. Zu Beginn der Untersuchungen war der zu
untersuchende Urin von einer beliebigen Tagesportion genommen.
Da starke Schwankungen in den Resultaten an einanderfolgenden
Tagen auftraten, wurde späterhin vom Gesamturin von 24 Stunden
die zu untersuchende Menge nach guter Durdischüttelung ge¬
nommen.
Die Zählung der Epithelien fand in der Bürkersdien Kammer
statt. Es wurden die innerhalb des Raumes von 1 ccm Inhalt sich
findenden Epithelien gezählt. Zur Kontrolle wurden verschiedent¬
lich mehrere Male hintereinander einzelne Tropfen von dem im
Zentrifugengläschen sich findenden Sediment untersucht. Die dabei
sich ergebenden Resultate wichen nur um Zahlen von 1,2 und im
höchsten Falle von 4 Epithelien ab.
Es wurden die Urine von 5 Knaben und 11 Mädchen untersucht.
Von diesen Kindern hatten 8 einen vollkommen komplikationslos
verlaufenden Scharlach. Bei zwei weiteren bestand vom Beginn an
eine Zystitis, die übrigen Scharlachfälle waren entweder kompliziert
durch in späteren Wochen auftretende rezidivierende Anginen, durch
Otitis media oder eine in wenigen Tagen wieder verschwindende
Albuminurie.
Das Scharlachexanthem bei den Kindern war von verschiedener
Intensität und Ausdehnung. Die Hautschuppung, deren Stärke manch¬
mal der Stärke des Exanthems vollkommen entgegengesetzt war,
war mitunter nur ganz fein, mitunter aber großlamellös. Es ergab
die Zählung bei den Mädchen höhere Epithelwerte als bei den
Knaben. Es ist dies wohl darauf zurückzuführen, daß bei den
ersteren Epithelien von den Labien und der äußeren Haut hinzu¬
kommen. Hier muß man die Art der Epithelien entscheiden lassen.
Nur die großen, blassen, polygonalen oder auch runden Zellen mit
großem, rundem Kern wurden als Blasenepithelien angesehen, während
die kernlosen, etwas dunkelglänzenden, schmalen, lanzettförmigen
Epithelien, die sich bei den Mädchen viel reichlicher fanden als bei
den Knaben, als Beimischung von der Haut betrachtet und bei der
Zählung ausgeschaltet wurden.
Nicht in allen untersuchten Fällen trat eine Vermehrung der
Epithelzellen des Urins während der Scharlacherkrankung auiT Bei
3 Kindern, einem Knaben und 2 Mädchen, änderte sich die Zahl
der Epithelzellen kaum wesentlich während der ganzen Unter¬
suchungswochen. Das eine von diesen Mädchen hatte wohl sehr
viele Epithelien in seinem Urin aufzuweisen wegen der bgleitenden
Zystitis, aber eine Steigerung erfuhren diese nicht.
Die Zunahme der Epithelien fiel nicht immer mit dem Beginn
der Schuppung der äußeren Haut zusammen. In 3 Fällen trat be¬
reits eine Vermehrung ein während des Exanthemstadiums, ander¬
seits waren 2 weitere Fälle darunter, wo erst 8 bzvv. 10 Tage nach
Beginn der Hautschuppung eine Vermehrung der Epithelien im
Urin sich fand. Es entsprach auch nicht immer starke Schuppung der
äußeren Haut einer großen Zunahme der Blasenepithelien, vielmehr
hatten 2 Kinder mit stärkster großlamellöser Schuppung nur eine
verschwindende Anzahl von Epithelien. In einzelnen Fällen stieg
die Menge der Epithelien auf das Drei- und Vierfache der in den
ersten Tagen gefundenen, immer aber war, abgesehen von den
drei oben erwähnten Fällen, wo keine Vermehrung auftrat, eine deut¬
liche Zunahme ersichtlich.
Diese Zunahme war von verschiedenlanger Dauer, entweder er¬
wiesen sich bis zur 5. oder 6. Woche hin die Epithelzahlen erhöht,
oder aber nach 8—14 Tagen ließen sie nach, um dann bis zum
Schluß der Untersuchung niedrig zu bleiben oder nochmals für einige
Tage anzusteigen. Die Steigerung fiel nicht mit eintretenden Kom¬
plikationen oder neu ansteigendem Fieber zusammen. Auffallend waren
die Schwankungen in den Zahlen von aufeinanderfolgenden Tagen,
die zuerst, wie anfangs erwähnt, auf verschiedenen Epithelgehalt in
verschiedenen Portionen Urin zurückgeführt wurden; aber auch als
der Gesamturin vom ganzen Tage untersucht wurde, konnten diese
Schwankungen konstatiert werden. Zur Kontrolle wurden die Urine
von 8 Kindern (4 Knaben, 4 Mädchen) untersucht, die an anderen
akuten fieberhaften Erkrankungen litten (Typhus, kruppöse Pneumonie,
Grippepneumonie), und zwar vom Beginn der Erkrankung bis 10
bis 14 Tage nach der Entfieberung. Bei keinem dieser Kinder konnte
eine Zunahme der Epithelien festgestellt werden.
Es sprechen die Untersuchungen für eine Abschuppung der Ham-
wege im Anschluß an Scharlach, entsprechend der Schuppung auf
der äußeren Haut.
Kursus der dermatologischen Technik.
Von Prof. Dr. Max Joseph in Berlin.
III.
Für die Behandlung des Lupus erythematosus ist vor allem der
Grundsatz des „Nihil nocere“ festzuhalten. Die Erkrankung heilt
zuweilen spontan mit glatter Atrophie ab, daher dürfen wir mit
unseren therapeutischen Maßnahmen keine tiefen Narben erzeugen,
welche den Kranken kosmetisch entstellen. Es kommt also darauf an,
nur oberflächlich wirkende Aetzmittel zu gebrauchen. Zu diesen
gehört in erster Reihe die Trichloressigsäure. Man verordnet
Acid. trichloracetic. 5,0 und setzt den Kristallen einen halben Tee¬
löffel Wasser zu. Einen hiermit getränkten Pinsel verreibt man auf
der erkrankten Stelle, es bildet sich ein Aetzschorf. Hat sich der*
Digitized by
Gck igle
Original ffom
CORNELL UNfVERSITV
31. März 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
427
selbe abgestoßen, so wird, falls keine Heilung eingetreten, die
Aetzung wiederholt.
Ebenso gute Erfolge erzielen wir mit der Holländer sehen
Vorschrift, Chinin innerlich mit der äußerlichen Einpinselung von
Jodtinktur zu verbinden. Nachdem zunächst durch die Verab¬
reichung von 0,05 Chinin, sulfur. oder hydrochlor. festgestellt ist,
daß keine Idiosynkrasie besteht, gibt man 0,1—0,2 und später drei¬
mal täglich 0,5 Chinin. Etwa 5—10 Minuten danach werden die
befallenen Stellen mehrmals hintereinander mit Jodtinktur intensiv
bepinselt. Die Jodierung erfolgt morgens und abends. Es wird
5—6 Tage hintereinander Chinin und Jod verabreicht, dann eine
Pause von gleicher Dauer gemacht, bis sich die Jodkruste in La¬
mellen abhebt und eine gesunde Epidermis zum Vorschein kommt.
Sind die Reaktionszustände zu gering, so muß man die Einzel-
und Oesamtdosis steigern. Die Kranken, welche geringe Symptome
der Chininintoxikation bekommen und diese erst bei großen Dosen,
benötigen zur Heilung längerer Zeit als diejenigen Patienten, welche
unangenehme Nebenerscheinungen schon bei kleinen Dosen auf¬
weisen.
Ebenso günstige Resultate erzielt man mit Kohlensäure¬
schnee, wobei 10—20 Sekunden ein kräftiger Druck angewandt wird.
Der Lupus vulgaris ist, wenn frühzeitig erkannt, stets durch
Exzision zu beseitigen, je kleiner der Herd, desto einfacher die
Operation, selbst wenn sie eine Narbe hinterläßt. Sie erspart dagegen
dem Träger eine jahrelange Behandlung. Wo dieser Zeitpunkt ver¬
säumt ist, gehen wir zur Aetz- und Lichtbehandlung über, welche
wir meist kombinieren müssen, um ein gutes Resultat zu erreichen.
Sicher erzielt man mit der Finsentherapie kosmetisch die
besten Resultate, vorausgesetzt, daß die Lupusherde flach sind oder
durch vorbereitende Methoden plan geworden sind. Zur Vorbe¬
reitung verwenden wir ätzende halben, die elektiv wirken und das
gesunde Gewebe schonen. Dazu gehört eine 30%ige Resorzinpaste
oder eine 10<>/oige Pyrogallolsalbe. Hierdurch werden die Lupus¬
herde, wenn man diese zweimal täglich verbindet, angeätzt. Statt
dessen kann man auch eine langsamere Aetzung vornehmen mit
der in Kopenhagen üblichen Salbe:
Rp. 30. Pyrogallol 2,0
Acid. salicy).
Ichthyol, ana 5,0
, Vaselin. 30,0
Der Verbandwechsel erfolgt täglich einmal, und die Schmerzen
sind nicht bedeutend. Ist aber das subkutane Gewebe mitergriffen,
so ist die Röntgentherapie die Methode der Wahl, ganz be¬
sonders bei den hypertrophischen und ulzerativen Formen. Das erste¬
mal bestrahle man nach Spitzer mit 5 H (Holzknecht-Einheiten)
mit Glasfilter, danach ist in der Regel eine wesentliche Abflachung
zu konstatieren. Nach 4 bis 6 Wochen erfolgt eine zweite Be¬
strahlungsdosis mit 2—3 mm-Aluminiumfilter, wozu 8—10 H. ver¬
wendet werden können. Dadurch werden selbst zerfallene hyper¬
trophische Krankheitsherde zur Reinigung und Ueberhäutung ge¬
bracht. Der Lupus hypertrophicus an der Nase kann mit 5—10 H.
auch ohne Filter bestrahlt werden. Bleiben noch Infiltrate zurück,
so sind diese durch Finsen- oder Radiumbehandlung zu beseitigen.
Die letztere Behandlungsmethode bewährt sich ganz besonders beim
Lupus der Schleimhaut. Zur Unterstützung kann man lokaL
hierbei' Kalomel aufpudern und eine Stunde vorher einen Eßlöffel
5%ige Jodkalilösung verabreichen.
Bei der Mikrosporie der Kinder ist die Röntgenbehandlung allein
am Platze. Man muß, wie beim Favus, den ganzen Kopf bestrahlen,
14 Tage danach beginnt der Haarausfall und ist nach 35 Tagen
beendet. Nach zweimonatiger Kahlheit beginnen die Haare wieder
zu wachsen. Sofort nach dem Ausfallen der Haare sollen die Köpfe
täglich einmal mit verdünnter Jodtinktur (Tinct. Jodi 10,0, '70%
Alkohol ad 100,0) etwa 10 Tage lang gepinselt und mit Seifen¬
waschungen gereinigt werden.
Die Technik der Beseitigung der Naevi richtet sich nach der
Größe und dem anatomischen Bau, um ein günstiges kosmetisches
Resultat zu erzielen. Sind die Naevi klein und mäßig pigmentiert,
so wird man mit der Elektrolyse befriedigende Resultate er¬
zielen. Gewöhnlich genügt die Einwirkung des konstanten Stromes
5 Minuten lang bei 2 Milliampere, um nach 10—14 Tagen, wenn
der Schorf abgefallen ist, eine Heilung zu erzielen. Die gleiche
Methode genügt auch für kleine Naevi sanguinei. Sind aber
die Naevi größer und stark dunkel bis schwarz pigmentiert,'oder sind
die Naevi vasculosi von größerem Umfange, so ist die Behandlung
mit Kohlensäureschnee vorzuziehen. Man beginne zunächst mit
einer Anwendungsdauer von 10 Sekunden bei kräftigem Drucke,
um mitunter 30 bis 50 Sekunden lang die Erfrierung mehrere Male
zu wiederholen. Eine Erfrierung von 10—20 Sekunden genügt ge¬
wöhnlich, um die Pigmentierung der Haut zu vernichten. Nach
30 Sekunden kommt es zu einer Blasenbildung, welche nach ungefähr
2 Wochen von leichter Narbenbildung gefolgt ist. Nach längerer
Einwirkung von 50 bis 60 Sekunden erfolgt eine Schorfbildung mit
glatter, weißer, oberflächlicher Narbe. Es empfiehlt sich, die Er¬
frierung auf die gesunde Haut etwas über die Naevi auszudehnen,
da sonst leicht durch eine Verschiebung des Pigments schwach ge¬
färbte Ringe um die sonst abgebleichten Partien entstehen.
Nflgelerkrankugea. Bei Nagelekzemen, sei es den eigentlichen
unguaten oder den mit schmerzhafter Entzündung des Nagelfalzes
einhergehenden, empfehlen sich Einwirkungen mit 10%igem Salizyl-
seifenpflaster oder Röntgenbestrahlungen mit voller Erythemdosis.
Die letztere Behandlungsweise ist auch bei der seltenen Lokalisation
der Favus- oder Trichophytonpilze in den Nägeln von bestem Er¬
folge begleitet und ebenso bei der Psoriasis der Nägel, falls
man hier nicht zunächst eine zweimal tägliche Aufpinselung von
lOo/oigem Pyrogallol-Traumatizin versuchen will.
Neurodermitis (Lichen simplex chronicus). Die für den Kranken
angenehmste und schnellste Beeinflussung findet durch Röntgen¬
behandlung statt, und zwar genügt Oberflächenbestrahlung mittels
fraktionierter Therapie. Freilich sind Rezidive die Regel. Zur Unter¬
stützung sind Teer- oder Tumenoltrockenpinselungen zu verwenden.
Sie sind in 10°/oiger Konzentration zu nehmen und zweimal täglich
zu gebrauchen.
Pediculosis. Die Techniker die Beseitigung der Kopfläuse
ist einfach. Man befeuchtet den behaarten Kopf mit 1 / 4 —V* Liter
Petroleum oder mit 100 ccm Lausofan (Cyklohexanon). Dann wird
der ganze Kopf mit einer Gummikappe oder einer ähnlichen Kopf¬
bedeckung abgeschlossen, und nach einigen Stunden oder einer
Nacht wird der Kopf mit Wasser und Seife gereinigt. Die mit einem
Chitinpanzer an den Haaren festsitzenden Nisse werden durch Essig
aufgelöst. Ob man hierzu Sabadillessig oder Holzessig nimmt, ist
gleichgültig. Jedenfalls erfolgt die Beseitigung erst allmählich durch
Auskämmen. Sind Kleiderläuse konstatiert, so muß zunächst
die Wäsche ausgekocht werden, der Körper wird mit 10o/ 0 iger
Schwefelsalbe eingerieben, die Kleider gründlich ausgeklopft, des¬
infiziert und die in den Kleiderfalten befindlichen Eier durch Bügeln
mit einem Plätteisen abgetötet. Am einfachsten ist die Technik bei
den Pediculi pubis. Hier genügt das Einreiben mit Ungt.
Hydrarg. einer. Sollte sich danaä eine artefizielle Dermatitis ein¬
stellen, so heilt diese bald nach zweimal täglichem Einfetten mit
Lenicet- oder Borvaseline ab.
Pemphigus. In frühen Stadien empfehlen sich Terpentininjek¬
tionen, daneben Kollargolklistiere (0,5:200,0 Aq. dest.) und eine
Vioformsalbe:
Rp. 31. Vioform 4 fl
Bismuth. subnitr. 9,0
Lanolin 70,0
Ol. Olivar. ad 1000
Man versuche außerdem eine intravenöse Injektion von 20 ccm
nicht defibrinierten normalen Menschenblutes, in vorgeschrittenen
Fällen muß man seine Zuflucht zu dem permanenten Wasserbett
nehmen. Die Kranken werden auf ein hängemattenartig in der
Wanne ausgespanntes Laken gelagert und können hier Tage, ja
Wochen zubringen. Die Kranken fühlen sich bei einer Temperatur
von 27 bis 28° R meist darin wohl.
Perniones. Man reibe eine 5—10o/ 0 ige Chlorkalk salbe ein,
lege darüber einen Handschuh an oder mache einen Verband mit
impermeablem Stoffe. Gleich günstig wirkt das Pernionin, eine
Kombination des Oleum salviae mit Wintergrünöl. Zur Unterstützung
diene eine Röntgenbestrahlung mit harter Therapieröhre, 0,5 mm-
Aluminiumfilter, 1 / 3 — Vs Erythemdosis.
Prarigo. Außer zweimal täglich vorzunehmenden Einreibungen
mit 5%iger Naphtholsalbe, wird Lebertran unverdünnt 1 / 2 —1 ccm intra¬
muskulär in der hinteren Axillarlinie zweiquerfingerbreit unterhalb
der Crista iliaca auf die Beckenschaufel zweimal wöchentlich injiziert.
Zur Unterstützung werden Röntgenbestrahlungen herangezogen, bei
kleinen Kindern 1/3 Dosis bei 7,5 Wehnelt, nach 2 Bestrahlungen
eine dreiwöchige Pause. Bei den hartnäckigsten Fällen kann man
durch die Behandlung mit menschlichem Serum nach Linser ein
Verschwinden der subjektiven und objektiven Erscheinungen erzielen.
Man läßt aus der Kubitalvene eines gesunden Menschen ohne nach¬
weisbare Tuberkulose und mit negativer Wa.R. ungefähr 50 ccm
.Blut in ein steriles Zentrifugierglas einlaufen, in welchem sofort
durch ungefähr 5 Minuten langes Schütteln mit Glasperlen die De¬
fibrinierung vorgenommen wird. Alsdann wird das Blut in der
elektrischen Zentrifuge ausgeschleudert und das Serum intravenös
injiziert. Wo aber die Beschaffung des Serums Schwierigkeiten
macht, kann durch Verwendung des künstlichen Serums der von
Freund modifizierten Ringerschen Lösung:
Rp. 32. Natr. chlorat. 7,5
Kal. chlorat. 0,1
Calc. chlorat. 0,2
Aqu. dest ad 1000,0
der gleiche Erfolg erzielt werden. Es werden ungefähr 200 ccm
der sterilen Lösung in die Muskulatur beider Hinterbacken einge-
snritzt, indem man einen Glastrichter mit einem Schlauch und einer
Nadel versieht oder eine 100 ccm fassende Spritze benutzt.
Pruritus. Wenn uns bei universellem Pruritus die mehrmals täg¬
liche Verwendung von 6—10o/oiger Mentholsalbe im Stiche läßt, so
verwenden wir einen 10<>/oigen Ichthyol-Zinkleim:
Rp. 33. IchthyoL 10,0
Gelatln. alb. 75,Q
Solve in Aqu. fervid. 25 0$
Zlnd oxyd. 75.0
Glycerin. 125,0
Diese feste Masse wird in einem Topfe mit heißem Wasser
flüssig gemacht. Alsdann wird der flüssige Leim mit einem lang¬
haarigen Kopierpinsel über die erkrankten Teile dick aufgestrichen
und mit Wattebäuschchen betupft. In den schwersten Fällen ver¬
wenden wir Ei gen serum. Es werden 50—100 ccm Blut aus der
Digitized by Lsoogie
Original from
CORNELL UNIVERSITY
428
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 13
Kubitalvene in sterile Zentrifugengläser von 50 ccm Fassungsvermögen,
in denen sich eine Spirale befindet, aufgefangen, drei Minuten ge¬
schüttelt, zentrifugiert und abgesogen, von dem auf 55° erwärmten
Serum werden 10—25 ccm möglichst bald demselben Patienten intra¬
venös injiziert.
Beim lokalen Pruritus vulvae verwenden wir mit bestem
Erfolge Röntgenbestrahlungen, doch muß hier größte Vorsicht be¬
obachtet werden, damit keine Verbrennung erfolgt.
Den Pruritus ani gelingt es meist durch zweimal tägliche
Waschungen, morgens und abends, mit Sublimatlösung (1:1000) zu
beseitigen.
Psoriasis. Bei umschriebener und universeller Psoriasis ist das
bequemste und technisch am leichtesten anzuwendende Heilmittel
die Röntgentherapie. Wo deren Anwendung nicht möglich,
lassen wir zweimal täglich die offizinelle 10o/ 0 ige weiße Präzipitat¬
salbe einreiben. Allerdings ist zu beachten, daß stets vorher durch
Bäder oder Einfettungen mit Vaseline die Schuppen entfernt werden,
damit sich die Wirkung schneller einstellt. Kommen wir hiermit
nicht zum Ziele, so verwenden wir 1— 2<>/oiges Chrysarobin-Trauma-
tizin. Allerdings muß man den Patienten darauf aufmerksam machen,
daß hierdurch die Wäsche unbrauchbar wird, ein für heutige Zeit
sehr großer Nachteil. Bei universeller Psoriasis kann man die Pa¬
tienten einteeren mit:
Rp. 34. OI. Rusci
Ol. Fagl ana 40,0
Ol. Olivar.
Spiritus dilut ana 10^0
und läßt sie 20—30 Minuten in einem warmen Bade, um sie alsdann
abzutrocknen. Bei zirkumskripter, infiltrierter Psoriasis, besonders
an den Unterschenkeln, bewährt sich die Dreuwsche Salbe:
Rp. 35. Acid. salicyl. 10,0
Chrysarobln
Ol. Rusci ana 20,0
Sapon. virid.
Vaselin, ana 7&ß
Die Salbe wird 4 Tage hintereinander zweimal täglich einge¬
pinselt, dann eine indifferente Salbe aufgestrichen und nach einem
Bade dieser Zyklus solange wiederholt, bis Abheilung erfolgt.
Oeffentüches Gesundheitswesen.
Das Pieckfieber and seine jetzige Invasionsgefahr.
Von Dr. Fritx Omankowski, Arzt des Auswandererlagers in Danzig.
Schon weit in die Kreise des Publikums ist heute die Kenntnis der
Tatsache gedrungen, daß unser Land mehr denn je in der ständigen
Gefahr schwebt, mit ansteckenden Krankheiten verseucht zu werden.
Wie weit das Folge der politischen Neugestaltungen ist, welche uns
ein erdrückender Friede aufgezwungen hat, mag an anderer Stelle
erörtert werden, soviel steht fest, daß vom Osten dauernd Gefahr
droht, daß die schwersten Seuchen, die seit jeher im europäischen
Rußland, in Polen und weiter südlich in den Balkanstaaten ihre Herde
hatten, an den Toren der neu geschaffenen deutschen Ostgrenze keine
jener Barrikaden mehr finden, welche ihnen vor 1914 die Invasion
auf deutsches Gebiet erschwerten, ja fast unmöglich machten.
Unter den Volksseuchen, die in dem von Wirrungen durchwühlten
Rußland nicht mehr zu zählende Menschenopfer fordern, die auch in
den Ostseeprovinzen, Polen, Galizien, Ukraine, Jugoslawien und süd¬
lichem Balkan bisher auch recht zwanglos ihre Wirkung entfalten
konnten, erscheint mir für uns am bedrohlichsten das rleckfieber.
Uns, die wir heute wissen, daß die Laus der Ueberträger dieser Krank¬
heit ist, daß es — geradeaus gesagt — ohne Laus kein Fleckfieber
gibt, müssen aus dieser Erkenntnis Aufgaben erwachsen, die in die
Tat umzuwandeln für jedermann höchste Pflicht bedeutet, dem das
Volkswohl am Herzen liegt.
Die großen deutschen Hafenplätze, die Mitbegründer allgemeinen
Aufschwunges waren, zeigten sich stets bemüht, am Weltpassagier¬
verkehr teilzunehmen, und Linien, wie *der Norddeutsche Lloyd und
die Hamburg-Amerika-Linie, hatten auch in dieser Beziehung besten
Ruf. Die Zahlen der von ihnen beförderten Passagiere sprechen hier
eine beredte Sprache. Nachdem nun der Krieg den Auswanderer- und
Rückwandererstrom für sechs Jahre schweigen hieß, wurden die
Vermutungen bestätigt, daß nach Friedensschluß die Wanderung nach
Uebersee ganz großen Umfang annehmen würde. Aus dieser Er¬
kenntnis heraus eröffnete nun der vom Reich losgelöste Freistaat
Danzig einen Auswandererbetrieb, dem sich Polen als Mitbeteiligter
am Danziger Hafen mit der Abwicklung des Rückwanderergeschäftes
anschloß. Die Tatsache, daß das Danziger Auswandererlager von
der Zeit seiner Begründung im Frühjahr 1920 ab bis heute schon
etwa 70000 Auswanderern den Weg in die neue Heimat gewiesen
hat, beweist zahlenmäßig die Berechtigung einer derartigen Anlage,
ganz abgesehen von der Verpflichtung, das junge Unternehmen trotz
unverkennbarer Schwierigkeiten zielbewußt zu erhalten und zu för¬
dern. Den maßgebenden Stellen wurde klar, daß die Schaffung gro߬
zügiger Sanierungsanlagen die Kardinalaufgabe des ganzen Betnebes
sein mußte und daß nur exakte Arbeit und stete Kontrolle bei
schneller Anpassungsfähigkeit an moderne Neuforderungen es ver¬
hindern konnten, daß Danzig von Seuchen heimgesucht wurde, was
bei den fast stets aus mehr oder weniger verseuchten Ursprungs¬
ländern stammenden Emigranten keine kleine Angelegenheit bedeutete.
Schwieriger wurde die Ueberwachung, als die Zollgrenze zwischen
Polen und Danzig fiel und der Einschleppung von Infektionskrank¬
heiten Tür und Tor geöffnet waren. Die Folgen zeigen sich schon
heute, wo in jüngster Zeit das Auftreten von Fleckfieber, wenn auch
zum Glück nur ganz sporadisch — es waren wohl drei oder vier
Fälle —, die verantwortlichen Dienststellen gemahnte, rigoros einzu¬
schreiten. Sofort verfügte Ueberwachungsmaßnahmen an der Grenze
und auf den in Frage kommenden Bahnstrecken waren die wirkungs¬
vollen Verordnungen, welche die Gesundheitsbehörde von heute auf
morgen verfügte und die eine weitere Seucheneinschleppung zu ver¬
hüten wohl in der Lage sind, ohne den neuen Grenznachbarn Ver¬
kehrsschikanen auch nur vermuten zu lassen. Daß die im Bereich
des Auswandererlagers selbst schon im vorigen Winter aufgetretenen
Fälle von Fleckfieber — es waren bisher zusammen nur 6 — stets
örtlich und zeitlich isoliert gehalten werden konnten, bedeutet für
die sanitäre Ueberwachung des Emigrationsbetriebes einen schönen
Erfolg. Daß der amerikanische Gesundheitsdienst (Public Health
Service-United States of America) und seine bevollmächtigten Aerzte
mit ihren Forderungen, die sie an die Neubürger der Vereinigten
Staaten in sanitärer Beziehung stellten, bedeutend mithalfen, die
Sanierungsanlagen stets und zeitgemäß auszubauen, ist den Eingeweih¬
ten eine bekannte Tatsache, der sie sich heute dankbar beugen, so
sehr sie auch von Fall zu Fall deren wachsenden Forderungen oft
nur widerwillig nachgaben. So steht es heute derart, daß der junge
Freistaat durch energische und weitsichtige Prophylaxe seitens seiner
geschickt und umsichtig operierenden Gesundheitsbehörde und der
mr unterstellten Mitarbeiter in praktisch weitestem Sinne gegen eine
Verseuchung gesichert erscheint, nachdem sie mit Hilfe zuverlässiger
Unterorgane aller Schwierigkeiten Herr geworden ist, die ihr von
Laienkreisen in den Weg gelegt wurden.
Wie steht es nun aber mit dem Reich? Und das ist der Kern¬
punkt meiner kurzen Ausführung. Während im Frieden an der Ost¬
grenze Deutschlands (Prostken, Eydtkuhnen, Illowo usw.) von Aerzten
geleitete Sanierungsanstalten bestanden, die der aus Osteuropa stam¬
mende Auswanderer durchlaufen mußte, ehe ihm das Betreten des
Landes und das Erreichen seines Imbarkationshafens Bremen oder
.Hamburg gestattet wurde, scheint der Standpunkt heute reichlich
exspektiv geworden zu sein. Der Norddeutsche Lloyd war es zum
Teil, der im Frieden aus eigener Initiative heraus eine Grenzsanierung
von seinen Passagieren verlangte. Heute liegt die Sache jedoch nicht
so günstig. Nicht bloß deutsche Schiffahrfslinien, sondern in weit
größerem Maße ausländische Gesellschaften holen ihre Zwischen¬
deckspassagiere in starker Zahl aus Polen, führen sie quer durch
Deutschland ihren Verladehäfen Rotterdam, Antwerpen, Le Havre
usw. zu. Größer als früher ist heute die Wahrscheinlichkeit, daß
unter den durchreisenden Passagieren verseuchte Individuen mit¬
fahren; eine sogenannte Isolierung der durchfahrenden Züge oder
Trennung der Emigranten von den übrigen Reisegästen ist doch —
das weiß der Eingeweihte — kaum mehr als eine fromme Geste.
Holland hat in Erkenntnis dieser Sachlage in Oldenzaal eine Orenz-
sanierungsstation errichtet; sie muß jeder Emigrant passieren, der
holländischen Boden betreten will, und es wird dort weder Mühe noch
Geld gescheut, um diese Anstalt, die ich im Frühjahr vorigen Jahres
bereits in recht komfortablem Zustande fand, zu unterhalten und
auszugestalten. Nichts von alledem geschieht an der deutsch-polni¬
schen Grenze! So dürfte es nicht wundernehmen, daß in den dortigen
Orenzlanden eine direkte Invasion von Seuchenkrankheiten zu befürch¬
ten steht, wenn man von einer solchen nicht schon sprechen kann, wo
sich heute Frankfurt bereits mit 26 Fleckfieberfällen meldet, welche
lediglich Transporten entstammen, die aus dem Wolgagebiet eintrafen.
Diese Transporte hätten keine Infektionsmöglichkeit geboten, wenn
sie wie in Friedenszeiten an der Grenze ordnungsmäßig saniert worden
wären. Es muß ja doch beachtet werden, daß heute zahlreiche rus¬
sische Flüchtlinge in Warschau Pässe erhalten, welche ihnen die
Auswanderung gestatten.
Es soll fast mehr als eine Anregung bedeuten, wenn hier vor¬
geschlagen wird, die Durchreise durch Deutschland solchen nicht
sanierten Passagieren aus Osteuropa zu verbieten. Ihnen steht der
Weg über Danzig frei, dessen Auswandererlager nach dem Urteil
ausländischer Fachvertreter mustergültig sowohl in bezug auf Sanie¬
rung wie auch Imbarkationsverhältnisse bezeichnet wurde. Dieser
Modus dürfte auch im Interesse Polens liegen, das an der Seuchen¬
bekämpfung äußerst regen Anteil nimmt und dessen Rückwanderer¬
betrieb damit zur vollen Entwicklung käme. Für die einzelnen Schiff¬
fahrtslinien wäre eine Dirigierung ihrer Passagiere über Danzig kaum
zweckwidrig, da sie ja heute schon laufenden Schiffsdienst über
Danzig unterhalten; etwa resultierende geringe Transportmehrkosten
müßten sich die Reisenden mit Rücksicht auf den Ernst der Sachlage
wohl gefallen lassen. Für die deutsche Behörde bleibt neben diesem
einfachen und opferfreien Wege wohl nur noch ein zweiter, der
fraglos mühsamer, zeitraubender und kostspieliger ist: die sofortige
Ernchtung moderner und leistungsfähiger Sanierungsanstalten an der
Ostgrenze, falls auf einen Durchtransport der Auswanderer verzichtet
wird, der via Warschau—Thora—Danzig—Lauenburg—Stettin geht
und die durchgeführte Sanierung in dem Danziger Auswanderer¬
lager durch Attest gewährleistet, wie sie heute schon vom Hafenarzt
in Hamburg verlangt wird für alle Passagiere, welche, aus Osteuropa
stammend, Hamburg per Schiff zum Zwecke des transatlantischen
Abtransportes anlaufen.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
31. März 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
429
Es erscheint doch überaus naheliegend, auf diese Verhältnisse
einen scharfen Bück zu werfen, zu prüfen, ob es gefahrlos geschieht,
großen Transporten aus dem heute mehr oder weniger verseuchten
Osteuropa ohne die nötigen Sanierungsmaßnahmen Tür und Tor des
Reiches zu öffnen. Oben sind der gangbaren Wege zwei genannt;
aber einer von ihnen muß beschriften werden, um gegen eine all¬
gemeine Invasion von Seuchenkrankheiten geschützt zu sein.
Die Verhandlungen der Aerzteschalt mit den
Krankenkassen über die Neuregelung der Honorare
am 22. und 23. März.
Nachdem eine allgemeine Verständigung der Vertreter der Aerzte-
schaft mit den Vertretern der Krankenkassen über Aenderungen der
Honorare trotz der verschiedenen Schiedssprüche (wie in unserer
Wochenschrift mitgeteilt worden ist) nicht zustande gekommen war,
hatten die zentralen Aerzteorganisationen sämtliche mit den Kranken¬
kassen abgeschlossenen Verträge gekündigt. Der Beirat des L.V. hatte
in seiner Sitzung vom 25. und 26.11. erklärt, daß „die ärztlichen Or¬
ganisationen im Mangel zentraler Abmachungen gezwungen sind, ge¬
mäß § 126 BGB. nach Ablauf einer Frist von 14 Tagen allenthalben
in den vertraglosen Zustand einzutreten, zu dessen Durchführung der
L.V. alle Mittel seiner Organisation zur Verfügung stellen würde“. In
Erkenntnis der bedenklichen Folgen eines vertraglosen Zustandes für
die Durchführung der RVO. hatte der demokratische Reichstags¬
abgeordnete Ziegler an die Regierung die Anfrage gerichtet, welche
Maßnahmen sie zum Schutz der versicherten zu treffen gedenke, und
wahrscheinlich unmittelbar aus dieser Veranlassung hatte der Reichs¬
arbeitsminister Brauns die Vertreter der beiderseitigen Organisa¬
tionen zu einer Verhandlung auf den 22. UI. im Dienstgebäude des
Reichsarbeitsministeriums eingeladen. „Bei der starken Gegensätz¬
lichkeit, die sich als eine Folge der anhaltenden Streitigkeiten zwischen
den Vorstandsmitgliedern der beiderseitigen Organisationen heraus¬
gebildet hat“, hielt es der Reichsarbeitsminister „zur Förderung
eines freundlichen Ausgleichs für zweckmäßig, zu den Beratungen
je drei sachkundige Personen von beiden Seiten zuzuziehen, die an
dem bisherigen Streit nicht unmittelbar beteiligt waren“. Unter
diesen sachkundigen Persönlichkeiten auf seiten der Krankenkassen¬
vertreter befand sich der frühere Reichsminister Wissell; für
die ärztlichen Organisationen waren geladen Geh.-Rat F. Kraus,
Stoeter und ich. Als Vertreter des Geschäftsausschusses des
Deutschen Aerztevereinsbundes und des Vorstandes des L. V. waren
entsandt Dippe, Streffer (Leipzig), Scholl (München), v.
Wild (Kassel), G. Ritter (Berlin). Hartmann war leider
durch seinen eigenen Gesundheitszustand und durch den schweren
Verlust, der ihn durch den Tod seiner Frau betroffen hat, am
Erscheinen verhindert. Auf der anderen Seite fehlte unser Haupt¬
gegner Fräßdorf. Auf der Seite der Vertreter der Krankenkassen-
verbinde befanden sich u. a. Lehmann, Heinemann, Meyer
und Dr. C rüg er. Auf .Wunsch der ärztlichen Delegierten und im
Einverständnis mit dem Reichsarbeitsminister (mit zögerndem Zu-
estandnis der Vertreter der Krankenkassen) wohnen als Zuhörer
en Verhandlungen von ärztlicher Seite Kuhns und der Syn¬
dikus des L. V. Justizrat Thiersch (Leipzig) bei. Von seiten
des Reichsarbeitsministeriums nahmen mehrere Mitglieder an den
Verhandlungen teil, darunter namentlich Qeh.-Rat Spielhagen
(der bekanntlich an dem Zustandekommen und dem Ausbau der neuen
RVO. wesentlich beteiligt war), Ministerialrat Schulz, Ministerialrat
Martineck (der Leiter der Sozialärztlichen Abteilung), R. Lenn-
hoff und Ministerialrat Riech. Die Verhandlungen wurden am Vor¬
mittag des 22. vom Reichsarbeitsminister persönlich, weiterhin an
seiner Stelle von Ministerialdirektor Sitzler geleitet.
Vorweg verdient hervorgehoben zu werden, daß, so außerordent¬
lich schwierig sich die Auseinandersetzungen gestalteten und so oft
auch von der einen oder anderen Seite mit dem Abbruch der Sitzung
gedroht wurde, doch der Geist, in dem die Aussprache geführt
wurde, nach dem Urteil der langjährigen beiderseitigen Vertreter un¬
gewöhnlich friedlich war und daß es namentlich zu den früheren
scharfen persönlichen Gegensätzen nicht gekommen ist. Bestim¬
mend für diesen Verlauf und für das Ergebnis der Verhandlungen war
unzweifelhaft die Einsicht, daß die Not unseres Volkes nicht durch
den aus dem vertraglosen Zustand sich ergebenden schweren Kon¬
flikt vermehrt werden dürfe und daß man deshalb zu einer Ver¬
ständigung kommen müsse. Zu der Verwirklichung dieser Absicht
hat aber unzweifelhaft die ruhige und geschickte Art, mit der die
Verhandlungen sowohl vom Reichsarbeitsminister wie auch von dem
die Sache und die Form beherrschenden Ministerialdirektor Sitzler
geleitet wurden, beigetragen. Immer wieder verstand es jeder der
beiden Vorsitzenden, die Verhandlungen über die toten Punkte hin¬
wegzuführen und jede der Parteien von ihrem Entschluß, die Debatte
zu beendigen, durch vermittelnde Vorschläge abzubringen.
Den eigentlichen Verhandlungen voraufgegangen waren am Vor¬
tage mehrstündige Beratungen jeder der beiden Parteien für sich,
bei denen die von ihnen zu erhebenden Forderungen und etwa zu
gewährende Zugeständnisse festgestellt wurden.
Bei Beginn des ersten — 11 Stunden währenden — Sitzungstages
bestand die Schwierigkeit, den ungeheuerlichen Vorwurf „glatter Ver¬
tragsbruch“, den der Haupt verband deutscher Ortskrankenka9sen in
seinem an den L. V. gerichteten Briefe vom 14. XII. 1921 erhoben
hatte, zu beseitigen. Es wurde dadurch erreicht, daß der Reichs¬
arbeitsminister in seiner Einleitungsrede betonte, er könne
in dem Verhalten der Vertreter der Aerzteschaft einen
Vertragsbruch nicht erblickeui, und daß dieser Auf¬
fassung die Vertreter der Krankenkassen ausdrück¬
lich zustimmten.
Die Hauptangelpunkte des ersten Sitzungstages bildeten 1 . die
Frage, inwieweit die neue preußische Gebührenordnung, welche vom
Wohlfahrtsministerium mit Geltung vom 1 . IV. ab erlassen worden
ist, für die kassenärztlichen Honorare als Grundlage dienen sollte,
2 . die Teuerungszuschläge gemäß dem Reichsteuerungsindex, 3 . die
Forderung, daß die neue Gebührenordnung auch für das 1 . Quartal
1922 Geltung haben solle und 4. die Forderung, daß die den Teue¬
rungsverhältnissen entsprechenden Aenderungen der Honorare nicht
immer wieder von Kommissionen beschlossen und festgestelit, sondern
automatisch in einer Art „gleitender Honorarskala“ sich regeln sollten.
Jeder der Punkte entfesselte mehr oder minder starke Gegensätze,
um deren Ausgleich auf beiden Seiten scharf gekämpft wurde. Am
2 . Verhandlungstage wurde vornehmlich über die Frage des Pau¬
schale . verhandelt. Es war eine Freude zu hören, mit welcher
gründlichen Sachkenntnis und feingeschliffenen Dialektik die Ver¬
treter der ärztlichen Organisationen, sowohl ihr Führer Dippe
wie auch namentlich Streffer, Scholl, v. Wildt und Ritter,
die wohlerwogenen Forderungen der Kassenärzte begründeten. Aber
die Gerechtigkeit verlangt auch anzuerkennen, mit welcher Energie
und Stoffbeherrschung der gewandte Heinemann und der mas¬
sivere Lehmann ihren Standpunkt verteidigten. Das Mißtrauen
egen die Ehrlichkeit der Gegner, das so viele und schwere Kon-
ikte in den bisherigen Kämpfen hervorgerufen hat, kam nur dann
und wann als bedrohliches Wetterleuchten zum Ausdruck, sodaß
die „Unparteiischen“ nur selten Gelegenheit fanden, klärend und
beruhigend auf die erregten Gemüter einzuwirken. Und so ist es
gelungen, als Ergebnis der langwierigen und verwickelten Verhand¬
lungen folgenden Vertrag zustandezubringen:
Tarifabkommen vom 22 . III. 1922 .
§ 1 . Vom 1 . IV. 1922 ab werden die Vergütungen bei Zahlungen nach
Einzelleistungen gemäß den Mindestsätzen der neuen Preußischen Gebühren-
Ordnung berechnet. Zu diesen Sätzen treten Teuerungszuschläge, die unter
Zugrundelegung der Reichsindexziffem bemessen werden. Jede Partei kann
bis zum 15 . des ersten Monats des Quartals verlangen, daß über die Höhe
des Teuerungszuschlages Verhandlungen vor einem Ausschuß stattfinden. Der
Ausschuß setzt sich aus je zwei Vertretern der Aerzteverbände und der Kassen¬
verbände, sowie einem vom Reichsarbeitsministerium zu bestellenden Vor¬
sitzenden zusammen. An seinen Beratungen nehmen außerdem je ein Vertreter
des Statistischen Reichsamtes und des Preußischen Wohlfahrtsministeriums als
Sachverständige teil.
Der Ausschuß geht bei den Verhandlungen von der im April 1922 ver¬
öffentlichten Reichsindexziffer aus. Mit dieser Indexziffer wird die mittlere
Indexziffer des Vierteljahres, für das die Teuerung festgesetzt wird, in Be¬
ziehung gesetzt.
8.2. Für das erste Kalendervierteljahr 1922 beträgt die Vergütung für
die Beratung 10.— M. und für den Besuch 20.— M. Dazu kommt ein Zu¬
schlag auf die Mindestsätze der bisherigen Preußischen Gebührenordnung
(Sonderleistungen) in Höhe von 150 % und für geburtshilfliche Leistungen in
Höhe von 300°/ 0 .
§ 3- Wird die Preußische Gebührenordnung geändert, so finden deren
neue Sätze Anwendung. Wegen des Teuerungszuschlages zu den neuen Sätzen
gelten die Vereinbarungen nach § 1 entsprechend.
$ 4. Wegen der Begrenzung der Leistungen nach dem Vorbilde in den
früheren Tarifverträgen und Vereinbarungen werden die Parteien sofort un¬
mittelbar in Verhandlungen treten. Von der Einigung auf diesem Gebiete
hängt die Wirksamkeit dieser Vereinbarung ab.
§ 5* Die Vereinbarung von Wegegebühren und Vergütung von Zeitver¬
säumnis bleibt örtlicher Vereinbarung Vorbehalten.
5 6. Durch diese Vereinbarung wird die Zulässigkeit besonderer Teuerungs¬
zuschläge für besetzte Gebiete, in denen die Reichsverwaltung Gehalts- oder
Lohnzuschläge gewährt, nicht berührt.
Ergänzungsbestimmungen zum Tarifabkommen vom 22 . III. 1922 .
I. Bei Bezahlung nach Einzelleistungen ist eine Begrenzung der Gesamt¬
ausgaben für die ärztliche Behandlung zu vereinbaren.
a) ln der Regel soll im Vierteljahrsdurchschnitt die Zahl von zusammen
4 Beratungen und Besuchen auf den einzelnen Krankheitsfall nicht Über¬
schritten werden dürfen.
Die zuständige ärztliche Organisation ist verpflichtet, die Vielgeschäftig¬
keit einzelner Aerzte, die wiederholt den Durchschnitt überschreiten, durch
entsprechende Maßnahmen zu bekämpfen.
b) Von dem vierteljährlichen Gesamthonorar dürfen auf Sonderleistungen
nicht mehr als 30°/ 0 entfallen. .
Die Bestimmung zu b gilt nur bis zum 31 . III. 1922 .
Es bleibt späterer Prüfung Vorbehalten, in welchem Maße infolge der
veränderten Grundsätze der neuen Geb.O. die Zahl 4 unter a herabzusetzen
und ob und in welchem Umfange der Prozentsatz unter b zu erhöhen ist.
Ueberschießende Beträge, die sich nach a und b ergeben, sind nach ört¬
lich zu vereinbarenden Grundsätzen zu kürzen.. Bei Streit über die Durch¬
führung dieser Bestimmungen entscheidet endgültig das in jedem Kassenarzt¬
vertrage vorzusehende Schiedsgericht.
II. Bei Wiederholung von Leistungen gleicher Art gemäß folgender Ziffern
der Preußischen ärztlichen Geb.O. vom 1 . IX. 1920 : 22 a, 23 a, b und e, 24a
und b, 26a bis d, 27 a und b, 28 , 33a und b und 136 darf die Beratungs-
Digitized by Google
Original from
CORNELL UNiVERSITY
430
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 13
gebühr neben der Gebühr für die Sonderverrichtung in einem Krankheitsfall im
Vierteljahr nur dreimal berechnet werden. Vom vierten Male an kommt nur
die Sonderverrichtung in Ansatz.
Bei Untersuchung nach 11 Ziffer 66 , 93 a und 115 a kommt außer der
darauf entfallenden Gebühr diejenige für die allgemeine Beratung nur dann
in Anrechnung, wenn auch eine allgemeine Beratung oder Untersuchung statt¬
gefunden hat. Mit anderen Sonderleistungen zusammen können die Unter¬
suchungen nach 11 Ziffer 66 , 93 a und 115 a im Laufe eines Krankheitsfalles
nur dann berechnet werden, wenn sie in der Art der Krankheit begründet
sind. Auf Verlangen ist eine besondere Begründung zu geben.
Diese Bestimmungen gelten für das erste Vierteljahr 1922 .
III. 1 . Krankheitsbescheinigungen und kurze Auskünfte, die die Kasse für
ihre Zwecke vom Arzt fordert, sind nicht besonders zu bezahlen.
2 . Für die Anwendung und Bezahlung von sachlichen Leistungen, z. B.
Lichtbehandlung, können örtliche Vereinbarungen getroffen werden. Die Aus¬
führung solcher Leistungen kann die Kasse von ihrer Genehmigung abhängig machen.
3. Die einfache Brillenverordnung ohne eingehende Untersuchung im Sinne
von Ziffer 91 a der Geb.O. wird mit der einfachen Beratungsgebühr abgegolten.
4. Die Untersuchungen nach Ziffer 19 , 20a bis e, 21 a bis c, 27 e, 62b,
64, 91 a bis et H 3 a bis e, 123a der Preußischen Gebührenordnung dürfen nur
berechnet werden, wenn sie notwendig waren. Mehr als zweimal dürfen diese
Untersuchungen in einem Behandlungsvierteljahr nicht berechnet werden; für
Ausnahmefälle ist besondere Begründung erforderlich.
Ziffer 4 gilt erst vom 1. IV. 1922 ab.
IV. Wird ein Kassenmitglied von seiner Kasse an einen Facharzt außer¬
halb des Kassenbezirks überwiesen, so sind mangels anderer Vereinbarungen
zwischen Arzt und Kasse die Mindestsätze der Preußischen Gebührenordnung
und der jeweilige Teuerungszuschlag maßgebend.
V. 1. Für die Behandlung überwiesener Mitglieder auswärtiger Kassen
(§ 219 RVO.) sind bei Berechnung der ärztlichen Vergütung nach Einzel¬
leistungen die gleichen Sätze wie für die Mitglieder der aushelfenden Kasse, bei
Bezahlung der ärztlichen Vergütung nach Pauschsätzen die Mindestsätze der
GebO. mit den jeweiligen Teuerungszuschlägen zu berechnen.
2. Die im Bezirk eines Versicherungsamtes vereinbarten Vergütungen gelten
auch für die Kassen anderer Bezirke, soweit ihre Mitglieder ihren ständigen
Wohnsitz in dem Bezirke haben.
3. Die vertraglichen Honorarbestimmungen gelten unterschiedslos für alle
Kassenmitglieder, unzulässig ist auch die Forderung besonderer Bezahlung bei
Betriebsunfällen, vorbeugenden Heilverfahren, oder Schadenersatzfällen (§1542
RVO.), wenn die Krankenkasse zur Gewährung freier ärztlicher Behandlung
verpflichtet ist. _
Im Einvernehmen beider Parteien werden die Herren Heinemann und
Dr. G. Ritter mit der Unterzeichnung der vorstehenden Ergänzungsbestim¬
mungen beauftragt.
Berlin, den 23 . III. 1922 .
Gewiß muß zugegeben werden, daß nicht alle Blütenträume ge¬
reift sind, und mit großer Wahrscheinlichkeit darf erwartet werden,
daß bei nicht wenigen Aerzten draußen im Lande Mißmut über die
Nichterfüllung der als unerläßlich und unverminderlich angesehenen
Wünsche offenbar werden wird. Vor allem ist es höchst bedauerlich,
daß eine Einigung über das Pauschale nicht zustandegekommen ist.
Aber nicht nur persönliche Erfahrungen, sondern auch ganz besonders
unsere tieftraurigen politischen Erlebnisse der letzten Jahre müssen
jedem die Ueberzeugung beigebracht haben, daß Verhandlungen mit
mehr oder weniger gleich starken Gegnern fast niemals ohne Zu¬
geständnisse beendet werden können und daß nur ein brutaler Sieger
darauf rechnen kann, mit einem „Diktat“ seine Forderungen durch¬
zusetzen. Die Vertreter unserer Organisationen verdienen wärmsten
Dank für den Kampf, den sie auch in diesen Verhandlungen für die
Interessen der Allgemeinheit gekämpft und bestanden haben. Und
diejenigen Kollegen, welche darüber Klage führen, daß der Sieg
nicht restlos erfochten worden ist, mögen dessen eingedenk bleiben,
daß der vertraglose Zustand zwischen Aerzten und Krankenkassen,
der beim Scheitern der Verhandlungen eingetreten wäre, trotz mancher
Vorteile erhebliche Opfer gefordert hätte, nicht nur materielle auf
seiten der Versicherten und der Aerzte selbst, sondern auch ideelle
durch die schier unbegrenzte Fortsetzung des Zwistes. Hoffen wir,
daß auf der am 22. und 23. III. gewonnenen Basis an Stelle der er¬
bitterten Gegner die erstrebte Arbeitsgemeinschaft zwischen Aerzten
und Krankenkassen, die schon vielfach im Süden segensreich wirkt,
allgemein im Deutschen Reich errungen wird, zum Wohle des großen
sozialen Werkes, durch welches Deutschland schon vor Jahrzehnten
die Bewunderung der übrigen Kulturländer gefunden hat.
J. Schwalbe.
Kleine Mitteilungen.
— Der Reichsarbeitsminister hat unter dem 30. I. Ausfüh¬
rungsbestimmungen zum Versorgungsgesetz (Gesetz über
das Versorgungsverfanren in Versorgungssachen vom 10. I. 1922) er¬
lassen.
— Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes hat auf
Wunsch der großen Kriegsverletztenorganisationen eine Sachver¬
ständigenkonferenz zur Beratung aller die Kriegsverletzten
besonders interessierenden Fragen eingeladen, die in Genf zum ersten¬
mal auf dem Internationalen Arbeitsamt zusammentrat. An der Kon¬
ferenz beteiligen sich 6 Sachverständige von den großen Organisatio¬
nen der Kriegsverletzten und 4 Sachverständige aus den Regierungs¬
abteilungen, die sich mit dieser Frage in Frankreich, England, Deutsch¬
land und Italien beschäftigen. Außerdem nehmen auch Vertreter der
Hygier.eabteilung des Völkerbundes und des Internationalen Komitees
vom Roten Kreuz an den Verhandlungen teil, die unter Leitung des
englischen Direktors des Arbeitsamtes Albert Thomas stattfinden.
— Am 20. III. hielt Geh.-Rat Friedrich Müller (München)
im Verein für innere Medizin und Kinderheilkunde die diesjährige
Leyden-Vorlesung. Vor einer großen — über den kleinen Saal
hinaus sich weit fortsetzenden — Zuhörerschaft, unter der sich auch
die Witwe Leydens befand, sprach Müller in gewohnter Meister¬
schaft mit seiner beherrschenden Sachkenntnis und klassischen Dar¬
stellung über Stoffwechselproblcme. Stürmischer BeifaU legte
Zeugnis ab von dem starken Eindruck, den der Vortrag hervorge¬
rufen hatte.
— Der Deutsche Verein für öffentliche Gesundheitspflege wird
seine Jahresversammlung vom 10 .—12. IX. in Frankfurt a.M. abhalten. Als
einziger Gegenstand steht auf der Tagesordnung: Wohnungsnot und Volks¬
gesundheit.
— Vom 29 . IV. bis 1. V. wird in unmittelbarem Anschluß an den
Kongreß für Innere Medizin eine Radiumtagung in Bad Kreuznach
von der Deutschen Gesellschaft für Strahlentherapie veranstaltet. Ueber die
Radiumbehandlung der Krebse werden 3 Referate erstattet werden.
— Den Teilnehmern der diesjährigen Tagung der Aerzte für Stoff¬
wechsel-Verdauungskrankheiten, .die vom 27 .- 29 . IV. 1922 in Bad
Homburg stattfindet (vgl. Nr. 12, S. 366) werden von den Homburger Hotels
und Pensionen wesentliche Vergünstigungen gewährt. Bestellungen von Woh¬
nungen bei der städtischen Kur- undji Bade Verwaltung.
— Prof. J. Israel, der die Wiederwahl zum stellvertretenden
Vorsitzenden der Berliner medizinischen Gesellschaft mit
Rücksicht auf sein Alter abgelehnt hatte, ist wegen seiner lang¬
jährigen Verdienste um die Gesellschaft (als Schriftführer und stell¬
vertretender Vorsitzender) zum Ehrenmitglied gewählt.
— Pocken. Deutsches Reich (19.-25.II): 6. - Flecklieber. Deutsches Reich
(5.—II. III. mit Nachträgen): 2. Litauen (Dezember und Januar): 1413 (107t). — Ge¬
nickstarre. Deutsches Reich (12.-18. II.): 26. - Ruhr. Deutsches Reich (12.-1&I1):
60. — Abdominaltyphus. Deutsches Reich (12.—18.II.): 148. — Cholera. Starke
Ausbreitung in der Ukraine.
— Köln. Der Allgemeine ärztliche Verein feierte am
18. III. unter starker Beteiligung der akademischen und behördlichen
Kreist sein 50jähriges Bestehen.
— Klagenfurt. Reg.-Rat Dr. Torggler, Professor an der
staatlichen Hebammenlehranstalt, wurde zum Hofrat ernannt.
— Hochschulnachrichten. Berlin. Geh.-Rat Bon nhoeffer hat einen
Ruf nach München als Nachfolger K r ä p e 1 i n s erhalten. Ministerialrat Prof.
Juckenack, Dozent für Nahrungsmittelchemie und chemisch-technische
Analyse an der Technischen Hochschule, wurde zum Honorarprofessor
ernannt. — Breslau. Prof. v. Eggeling (Jena) hat den Ruf als Nach¬
folger von Kallius angenommen (vgl. Nr. 7). — Dresden. Stabsarzt
a. D. Weiser erhielt einen Lehrauftrag für Röntgenologie an der Tier¬
ärztlichen Hochschule. — Frankfurt a. M. Priv.-Doz. Prof. Baer
wurde^um a. o. Professor ernannt. — Gießen. Prof. Brüggemann
hat den Ruf (vgl. Nr. 12) als Nachfolger von v. Eicken angenommen. —
Hamburg. Dr. Bi er ich, Leiter des Instituts für Krebsforschung am
Allgemeinen Krankenhaus Hamburg-Eppendorf, hat sich habilitiert —
Leipzig. Dr. Jacobshagen, 2. Prosektor am Anatomischen Institut,
hat sich habilitiert. — Würzburg. Hofrat Prof. Walkhof f (München)
wurde als Nachfolger des Hofrates Michel vom 1. IV. d. J. an zum
Direktor des Zahnärztlichen Instituts unter Verleihung des Titels und
Ranges eines o. Professors ernannt. — Wien. Prof. Piskacek und
Prof. Moll wurden zu Hofräten ernannt. — Basel. Dr. Odermath,
Assistenzarzt an der Chirurgischen Klinik, hat sich habilitiert. — Zürich.
Die Proff. Hedinger und K. Sternberg waren primo et aequo loco
als Nachfolger von Busse vorgeschlagen (vgl. Nr. 11).
— Gestorben. Prof. W. Ph. Dunbar, Ordinarius der Bakterio¬
logie und Direktor des Hygienischen Instituts in Hamburg, im Alter
von 59 Jahren. Dun bar wurde 1892 mit der Leitung des neugegrün¬
deten Hamburgischen Staatsinstituts für Hygiene beauftragt. Der Ver¬
storbene hat sich besonders mit der Erforschung der Pest befaßt
1903 erhielt er den Pettenkofer-Preis und 1904 den Großen Preis auf
der Weltausstellung in St. Louis für Arbeiten über die Ursache und
spezifische Behandlung des Heufiebers.— Prof. Ludwig Burkhardt,
Chefarzt der Chirurgischen Abteilung des Allgemeinen Krankenhauses
in Nürnberg, im Alter von 50 Jahren. Burkhardt war Assistent bei
Schönborn und Enderlen, habilitierte sich 1902 und leitete seit
1910 die erwähnte Chirurgische Abteilung in Nürnberg. — Ober-Med.-
Rat Prof. Nipp old, Dozent an der Bergakademie in Freiberg i. S., im
72. Lebensjahr.
— Literarische Nettigkeiten. Jahresbericht über Neneraiigea auf
deo Gebieten der Pharmakotherapie and Pharmazie 1919 — 1926. Darm¬
stadt 1921. 336 S.
Bei der großen Bedeutung, welohe (namentlich mit Rücksicht auf die 8.429
berichtete Neuregelung der kassenarztliohen Honorare) die am I. April la
Kraft tretende neue preußische Gebührenordnung für die Aerztesehaft be¬
sitzt, hat sich unser Verlag In dankenswerter Weise entschlossen, eile
Sonderausgabe der G. 0. herzustellen. Auf Wunsch Übersendet der Vertag
(Georg Thieme, Leipzig, Antonatr. 15) jedem Abonnenten ein Exemplar porto¬
frei gegen Einsendung von 2 Mark.
□ igitized by Gougle
Original ffom
CORNELL UN1VERSSTV
LITERATURBERICHT
Redigiert von Prof. Dr. R. von den Velden.
Zeitschriften: Klinische Wochenschrift Nr. 10-11. — Münchener medizinische Wochenschrift Nr. 10. — Wiener klinische Wochenschrift Nr. 8. — Medizinische
‘ Klinik Nr. 3-4. - Zeitschrift für die gesamte Neurologie Bd. 71. — Zentralblatt für Chirurgie Nr. 5-6. — Bruns Beiträge zur klinischen Chirurgie Bd. ii8. —
Jahrbuch für Kinderheilkunde Bd. 97 H. 1-2. — Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten Bd. 95 H. i.
Allgemeines.
♦♦ Alfred Storch (Tübingen), August Strindberg im Licht
seiner Selbstbiograjphie. Grenzfragen des Nerven- und Seelen¬
lebens Nr. 111. München-Wiesbaden, J. F. Bergmann, 1921. 76 S.
M. 15.—. Ref.: Th. Ziehen (Halle).
Verfasser schildert in anschaulicher Weise die Entwicklung der
psychopathischen Persönlichkeit Strindbergs, seine — wie Verfasser
meint, schizophrene, wie Referent meint, aegenerativ-paranoische —
Psychose und den an die letztere sich anschließenden „Endzustand“.
Allenthalben ist Strindbergs Selbstbiographie zugrunde gelegt.
Namentlich für die Lehre von der degenerativen psychopathischen
Konstitution ist die Abhandlung höchst interessant.
Physiologie.
♦♦ Andor Fodor (Halle), Das Fermentproblem. Dresden,
Th. Steinkopff, 1922. 280 Seiten mit 24 Abbildungen und Tabellen.
M. 65.—. Ref.: E. Reinfurth (Berlin).
Es ist nicht klar ersichtlich, welche Absicht der Verfasser mit der
vorliegenden Monographie verfolgt, nachdem die bekannten Werke
von Oppenheimer wie von Euler über Fermente vorliegen. Es
erscheint seltsam, daß in einer Behandlung dieser Fragen das Grund¬
problem, die Reindarstellung der Enzyme, die dank der Arbeiten
Willstätters jetzt in einigen Fällen bereits gelungen ist, nicht in den
Mittelpunkt gerückt, ja nicht einmal erwähnt wird. Denn die Bereitung
reiner Enzyme ist doch wohl das Fermentproblem. Da Willstätter
insbesondere gezeigt hat, auf welch unsicherer Grundlage sich eine
einseitige kolloidchemische Beurteilung des Fermentproblems bisher
bewegt,*muß man vorläufig einer solchen Betrachtungsweise gegenüber
Zurückhaltung üben. Das von Jacoby erfolgreich bearbeitete Gebiet
der künstlichen Zymogene, die neueren Anschauungen über den Zu¬
stand der Zymase in der Zelle, die Giaya inauguriert hat, sind nicht
berücksichtigt. Hervorgehoben sei, daß das Buch auch wertvolle An¬
regungen enthält sowie Ausblicke eröffnet, deren Berechtigung die
Zukumt erweisen. muß. Sehr anschaulich' ist das Kapitel von den
Abwehrfermenten und der asymmetrischen Fermentsynthese zur Dar¬
stellung gebracht. _
Allgemeine Pathologie und Pathologische Anatomie.
S. Peiler (Wien), Ergebnisse der von der Oesterreichi-
schen Gesellschaft für Erforschung und Bekämpfung der Krebs-
krnnkbeit veranstalteten Sammelforschung. W. kl. W. Nr. 6,
7 und 8. Die Statistik enthält soviel Einzelheiten, die im Referat nicht
wiedergegeben werden können, daß der Hinweis auf die allgemeinen Aus¬
führungen Frankels (W. kl. W. Nr. 5 und 6) an dieser Stelle genügt.
R. Wagner (Wien), Intrakutane Injektion abgestufter H-Ionen-
konsentrationen. Kl. W. Nr. 11. Bei Injektionen von abgestuften H-
Ionenkonzentrationen mittels Boraxmischungen liegt der Indifferenz¬
punkt auf der Haut auf der alkalischen Seite, bei Injektionen von
Phosphatgemischen auf der sauren Seite. Der erstere Indifferenzpunkt
ergibt sich bei hypertonischer, der letztere bei hypotonischer Konzen¬
tration. In einigen daraufhin gerichteten Versuchen konnte wahr¬
scheinlich gemacht werden, daß hypertonische NaCl-Lösung durch
OH-Ionen, hypotonische NaCI-Lösung hingegen durch H-Ionen in ihrer
Wirkung mitigiert werden kann.
Richard Stephan (Frankfurt a. M.), Die Punktion der Neben¬
nierenrinde. M. m. W. Nr. 10. Röntgenbestrahlung einer Nebenniere
bringt das Rindengewebe zur Degeneration, das Mark bleibt unbeein¬
flußt, eine Verminderung des Blutdrucks tritt nicht ein. Bei Polyglo¬
bulie werden die Erythrozytenzahlen normal. Die Milzfunktion unter¬
liegt der Regulierung durch die Nebennierenrinde.
H. Lohr (Kiel), Beeinflussung der Blutkbrpercheiisenkiui«-
geschwindigkeit durch Reizstoffe. Kl. W. Nr. 10. Nach intramusku¬
lärer Injektion von Eiweißkörpern sah Löhr in fast allen Fällen nach
ungefähr 2 Stunden eine Beschleunigung der Sedimentierung. Bei
einigen Fällen trat die Beschleunigung in späterer Zeit auf, 3—4 Stunden.
Es liegt ein weitgehender Paralleusmus mit der Typhusagglutinin¬
steigerung durch unspezifische Reize vor, der zeitliche Reaktionsablauf
ist nier derselbe wie dort. Die Beschleunigung dauerte zirka 8—10
Tage. Bei endovenöser Verabreichung des Reizkörpers (Caseosan)
trat die Senkungsbeschleunigung ebenso prompt aber noch früher als
bei intramuskulärer Injektion auf. Die kolloidalen Silberpräparate
Dispargen und Kollargol verhalten sich nicht wesentlich anders als
Eiweiß, wenn auch nicht mit solcher Schnelligkeit und Sicherheit. Nach
Adrenalin geringe Beschleunigung, nie Hemmung durch Pillokarpin.
Bei einer Perniziosa wurde die bestehende starke Beschleunigung durch
eine Verwandtenbluttransfusion von einem halben Liter Blut deutlich
gehemmt.
H. Mautner und G. Cori (Wien), Einfluß der Lebergefäße auf
den Wasserbaushalt und die hämoklasische Krise. Kl. W. Nr. 11.
Jede Wasserzuführung in die Blutbahn führt beim Hund zu einer
Kontraktion der Lebervenen, zu einer Stauung in der Leber und zu
einem Abströmen von WasseV aus der Blutbahn in die Lymphräume.
(Regulationsmechanismus zur Eliminierung des Wassers aus der Zirku¬
lation ohne Beeinflussung des Blutdruckes und ohne Beteiligung der
Nieren.) Gleichartiges Ansprechen der Lebervenenmuskulatur auf
Wasser wie auf Zufuhr giftiger Eiweißabbauprodukte. Die hämo¬
klasische Krise nach Genuß von Milch wird mit der Wirkung dieser
Eiweißabbauprodukte in Zusammenhang gebracht. Wasserzufuhr muß
zu denselben Ergebnissen führen wie das Trinken von Milch (durch
Versuche der Verfasser bestätigt).
W. Gerlach (Jena), Periarteriitis nodosa. Kl. W. Nr. 10. Mit¬
teilung und genaue Beschreibung eines Falles von Periarteriitis nodosa,
der sich sowohl in klinischer als in pathologisch-anatomischer Bezie¬
hung durch die hochgradige Beteiligung des peripherischen Nerven¬
systems auszeichnete und bei dem klinisch die Diagnose Landrysche
Paralyse gestellt worden war. Anschließend Besprechung des Wesens,
der Aetiologie, der Histopathogenese und der Klinik der Periarteriitis
nodosa. Wir müssen die Periarteriitis nodosa wohl als eine System¬
erkrankung nur der Arterien auffassen, und zwar als einen herdförmigen,
multipel auftretenden Entzündungsprozeß der äußeren Wandschichten
arterieller Gefäße eines oder mehrerer Organsysteme. Bezüglich der
Aetiologie weisen neuere Befunde v. Hauns (positive Imprresultate
beim Meerschweinchen in einem intravital diagnostizierten Fall) zweifel¬
los in hohem Maße auf eine Erkrankung infektiöser Natur hin. Auch
nach dem vorliegenden Fall scheint es, wie auch Vers6, Schmidt,
Grub er u. a. bei Periarteriitis nodosa annehmen, als das wahrschein¬
lichste, daß die Noxe in den äußeren Wandschichten angreift und alle
drei Wandschichten in mehr oder weniger hohem Grade zur Reaktion
anregt. In den meisten Fällen wird wohl eine intravitale Diagnose
der Periarteriitis nodosa unmöglich sein, was um so mehr zu bedauern
ist, als in wenigen Fällen die Therapie nicht ganz machtlos ist. Die
sogenannten klassischen Symptome: der chlorotische Marasmus, poly-
neuritische und polympositische Symptome, abdomineller Druckschmerz,
Diarrhoen, Erbrechen, Blutstühle eventuell Perforationsperitonitis können
einzeln oder auch vergesellschaftet sich finden; sie können aber auch
ganz fehlen.
A.Neudörfer (Hohenems), Askaridiasls der Gallenwege. W.kl.W.
Nr. 8. 4 Fälle innerhalb 2 Jahren.
Sagel, Histologische Analyse des Qliastranchwerks der Klein-
birarlnde. Zschr. f. d. ges. Neurol. 71 S. 278. Gliastrauchwerk tritt in
der ganzen Molekularzone des Kleinhirns bei verschiedenen akuten In¬
fektionskrankheiten und Schüben chronischer Leiden, insbesondere Epi¬
lepsie auf, bedeutet eine flüchtige Reaktion der zelligen Glia auf akuten
Parenchymzerfall der Purkinjeneurone, ist als vorübergehender Lücken¬
büßer für den durch letzteren erstandenen Defekt und als Abbau¬
werkzeug aufzufassen, fällt rasch der Rückbildung anheim und kann
durch herdförmige Sklerose ersetzt werden.
A. Corvin (Wien), Bernsteinsänre im Zystpninhalte eines Glioms.
W. kl. W. Nr. 8. 1 Fall. Der Tumor saß im rechten Schläfenlappen
des Großhirns.
A. Israel (Berlin), Neoropathlsche Veränderungen in zentral gelähm¬
ten Gliedern. Arch. f. klin. Cnir. 118. Mitteilung von mehreren eigenen
Fällen. Die eigentümlichen, nach Unterbrechung zentraler Bahnen auf¬
tretenden Neubildungen sind nicht nur Kuriosa, wie man nach ihrem
verstreuten Auftreten in der Literatur vermuten könnte; das in kurzer
Zeit zusammengetragene Material ist ein Beleg für eine typische Ge-
websreaktion der gelähmten Glieder. Bis zu den letzten Gründen
dieses geheimnisvollen Vorgangs können wir nicht Vordringen; auch
das Experiment versagt bisher. Natürlich ist die Ostiosis kein regel¬
mäßiges Vorkommen; ohne die Annahme einer persönlichen und Ört¬
lichen Veranlagung kommt man nicht aus.
Mikroben- und Immunitltslebre.
Eugen Fraenkel (Hamburg), MenscheopathogeDltät des Pyo-
zyaneusbazillus. Zschr. f. Hyg. 95 H. 1. Während bisher Schädigungen
der Leber durch den Bacillus pyocyaneus noch nicht beobachtet waren,
fand der Autor bei einem an einer Pyozyaneusinfektion zugrunde¬
gegangenen zweimonatigen Kind als Folgezustand einer schweren
nekrotisierenden Erkrankung des Magens eine umschriebene Leber¬
nekrose. Herbeigeführt war diese durch Infektion eines Pfortader¬
ästchens, als dessen Wurzelgebiet die im Bereich der erkrankten Magen¬
wand verlaufenden, durch den Bacillus pyocyaneus okkupierten Venen
in Betracht kamen.
H. Schloßberger und W. Pfannenstiel (Frankfurt a. M.),
Differenzierung säurefester Bakterien durch Komplementbindung.
Zschr. f. Hyg. 95 H. 1. Die Differenzierung der tierpathogenen und
saprophytisenen Vertreter der säurefesten Bakteriengruppe mit Hilfe
von Immunseren im Komplementbindungsversuch ist nicht möglich.
Digitized by
Gck igle
Original fr&m
CORNELL UNIVERSITV
432
LITERATURBERICHT
Nr. 13
Nur ein schleimig wachsender Hühnertuberkelbazillenstamm wurde durch
das homologe Serum stärker und durch heterologe Sera geringer beein¬
flußt als die anderen Stämme. Als Grund für diese Sonderstellung
werden außer einer abweichenden Zusammensetzung des Antigen¬
apparates auch physikalisch-chemische Unterschiede angenommen.
W. Pfannenstiel (Frankfurt a. M.), Extrahierbarkeit säurefester
Bakterien durch Aether-Azetontemische. Zschr. f. Hyg. 95 H. 1. Die
echten Tuberkelbazillen vom Typus humanus, die Hühnertuberkel¬
bazillen und die durch wiederholte Meerschweinchenpassage aus so¬
genannten saprophytischen Säurefesten gewonnenen, in ihrer Virulenz
gesteigerten Bakterien sind bei wechselnder Extrahierbarkeit im Gegen¬
satz zu den saprophytischen und nur wenig tierpathogenen Stämmen
durch Fettextraktion ihrer Säurefestigkeit viel schwerer bzw. überhaupt
nicht vollständig zu berauben. Die Anpassung säurefester Stäbchen
an den Warmblüterorganismus scheint zu einer Aenderung des physi¬
kalisch-chemischen Aufbaues der Bakterien zu führen. Mit dieser
Aenderung sind offenbar Aenderungen der Pathogenität verbunden.
O. Bail und T. Watanabe (Prag), Miscbbakteriopbagen. W. kl. W.
Nr. 8. Gedrängte Uebersicht über den jetzigen Stand der Bakterio-
phagenforschung. Die Zerlegung in „Teilbakteriophagen“ und die
Möglichkeit, diese rein zu züchten, sowie das serologische Verhalten
von Tieren, die mit Teil- resp. Mischbakteriophagen behandelt sind,
hat eine große Zahl interessanter Einzelresultate zutage gefördert, die
zeigen, wie verwickelt das Problem ist. Es ist zur Zeit nicht einmal
möglich zu entscheiden, inwieweit die Bakteriophagen spezifisch sind.
O. Schiemann (Berlin), Experimentelle Wunddesinfektion. Zschr.
f. Hyg. 95 H. 1. Die günstigen Desinfektionsergebnisse, die bei frischen
Wundinfektionen von Mäusen durch Friedländerbazillen, Mäusetyphus¬
bazillen, Streptokokken und Staphylokokken besonders bei Verwendung
von Trypaflavin und Sublimat erzielt werden, sind auf eine direkte
Keimtötung zurückzuführen; diese ist für den Erfolg entscheidend. Das
Trypaflavin entfaltete auch als Streupulver eine starke Heilwirkung.
Ad. Reinhardt (Leipzig), Experimentelle Wunddesinfektion bei
Meerschweinchen und Mäusen nach Infektion mit Hühnercholera-
baziilen, Pneumokokken und Streptokokken. Zschr. f.Hyg.95H. 1. Als
bestes Desinfiziens bei der Hühnercholerawundinfektion erwies sich das
Trypaflavin. Ihm kamen in der Wirkung Sublimat 1:1000 und
10 proz. Silbernitratlösung ziemlich nahe. Auch Jodoform und Jod¬
tinktur hatten eine deutliche Heilwirkung, in einem Falle war auch
Phenol schwach wirksam. Bei der Pneumokokkenwundinfektion wirkte
ebenfalls Trypaflavin am sichersten; ihm stand recht nahe Vuzin,
während Optochin weniger wirksam war. Eine deutliche Wirkung
zeigte auch hier Sublimat. Bei der Streptokokkenwundinfektion zeigte
das Trypaflavin ebenfalls eine gute Heilwirkung. Für das Zustande¬
kommen der Desinfektionswirkung in der Wunde ist neben der direkten
keimtötenden Wirkung der Antiseptika im lebenden Gewebe eine ent¬
wicklungshemmende und wahrscheinlich, insbesondere bei den Akridin¬
stoffen, eine virulenzabschwächende Wirkung von Bedeutung.
L Bitter (Kiel), Begutachtung von Desinfektionsmitteln. Zschr.
f. Hyg. 95 H. 1. Die Gesichtspunkte, nach denen man ein Desinfektions¬
mittel zu prüfen und zu begutachten hat, sind: 1. hohe Desinfektions¬
kraft für Spaltpilze in feuchtem und trockenem Zustande (gegebenenfalls
Sporen), 2. Ungiftigkeit, 3. Geruchlosigkeit, 4. Wohlfeilheit, 5. Unschäd¬
lichkeit für Wäsche- und Gebrauchsgegenstände pp. Man darf keinen
dieser Gesichtspunkte bei der Begutachtung vernachlässigen und wird
dann auf Grund der Gesamtprüfung oft zu einem ablehnenden Urteil
kommen, während die Herstellungsstelle eine bestimmte Eigenschaft
ungebührlich hoch bewertet. Das wird am Beispiel des „Phenoco"
gegenüber der Kresolseife des näheren erörtert.
Allgemeine Diagnostik.
A. Weber (Bad Nauheim), Alomininnisaiten zur Aufnahme des
Elektrokardiogramms. M. m. W. Nr. 10. Hinweis auf die Vorteile
der Aluminiumsaiten, die jetzt in Stärke von 3 n Durchmesser her-
g estellt werden können. (Heräus, Hanau.) Man kann so auch mit
leinen Modellen von Saitengalvanometern vollkommen richtige Elektro¬
kardiogramme zeichnen.
Lepehne (Königsberg), Leberfanktlonsprüfangen. M. m. W. Nr. 10.
Die Chromodiagnostik durch Farbstoffinjektion und Duodenalsondie¬
rung ergab keine diagnostisch verwertbaren Resultate. Tabellen über
das Verhalten der Gallensäuren im Duodenalsaft und Urin. Nach¬
prüfung der Faltaschen Probe mit Eingaben von Fel tauri sicc. dep.
Hierbei ist zu beachten, daß beim Einnehmen am Morgen erst am
Nachmittag eine starke Steigerung des Urobilinogengehalts auftritt.
Einheitliche Ergebnisse wurden nicht erzielt.
Ganter (Würzburg), Gewinnung von Dünndarminhalt beim Men¬
schen. M.m. W. Nr. 10. Schluckenlassen eines langen dünnen Schlauches
in der Art einer verlängerten Einhornschen Duodenalsonde. Ueber das
durchlöcherte Endstück ist ein dünnwandiges Stück Gummi gestülpt,
das durch plötzliches Einblasen von Luft von dem Mundstück efes
Schlauches her sich an der Stelle, von der der Darminhalt entnommen
werden soll, abstreifen läßt.
W. Starlinger (Wien), Methodik der Reingewinnung nativer
menschlicher Leukozyten. W. kl. W. Nr. 8. Starlinger legt die Be¬
obachtung zugrunde, daß die Trennung von Erythrozyten und Leuko¬
zyten leicht vor sich geht, wenn die Senkungsgeschwindigkeit erhöht
ist. Da die Senkungsgeschwindigkeit mit dem höheren Gehalt an
Fibrinogen wächst, so ist überall da, wo sie normal ist, die Trennung
durch einen Ersatz des Plasmas durch entsprechende Fibrinogen-Salz¬
lösungen leicht zu erreichen. Die geringste Erythrozytenbeimengung,
welche zunächst unvermeidlich ist, wird durch mehrmaliges Waschen
mit einer physiologischen Salzlösung ohne Schwierigkeiten beseitigt.
Huntemüller (GießenJ, Anreicherangsverfahren zum Nachweis
von wenigen oder in ihrer Wachstumsenergie gehemmten
Keimen im menschlichen Harn. M. m. W. Nr. 10. 2 ccm des steril
entnommenen Urins werden zu einer Agarplatte verarbeitet, ein weiterer
Teil mit der gleichen Menge Bouillon versetzt, ein Teil bleibt unver¬
dünnt. Bebrütung bei 37". In vielen Fällen ließ sich so die Aetio-
logie des Leidens klären ohne den kostspieligen Tierversuch.
Allgemeine Therapie.
++ Adolf Schnee, Kompendium der Hochfrequenz ln ihren
verschiedenen Anwendungsformen einschl. der Dia¬
thermie. Leipzig, O. Nemnich, 1921. 344 S. Ocb. Ref.: Otto
Strauß.
Adolph Schnee war einer der ersten Aerzte in Deutschland, die
sich eingehend wissenschaftlich mit der Verwendung der Hochfrequenz
befaßten. Er war daher der berufene Vertreter zur Herausgabe eines
größeren Werkes der Hochfrequenztherapie, in dem nach seiner Ab¬
sicht D’Arsonval, Oudin, Gouilleminot, Keating-Hart selbst
zu Worte kommen sollten. Der Weltkrieg machte diesen Plan un¬
möglich und Schnee beendete nunmehr das Buch allein, dessen Ver¬
öffentlichung er aber nicht mehr erlebte. Schnee hatte viele Jahre
lang auf dem Gebiet der Verwendung der Hochfrequenz eine aus¬
gebreitete Lehrfähigkeit ausgeübt. Dies merkt man dem Buche auf
jeder Seite an. Ueberall erfreut er durch die leicht verstehbare Dar¬
stellungsweise, die sich mit großer wissenschaftlichen Gründlichkeit in
glücklichster Weise vereinigt. Das Buch ist außerordentlich reich mit
Bildern ausgestattet. Für die Allgemeinheit dürfte es von Interesse
sein, daraus zu erfahren, daß Schnee auch Lungentuberkulose mit
Hochfrequenz behandelte und in 86 Fällen eine gute Wirkung dabei
beobachtete.
C. Dorno (Davos), Für den Mediziner wichtige meteorologisch-
klimatolorische Kenntnisse. Kl. W. Nr. 11. Besprechung der den
Begriff „Wetter“ ausmachenden meteorologischen Elemente (Sonnen¬
strahlung, Luftdruck, Wind, Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Bewölkung,
Niederschlag) und ihr Einfluß auf den gesunden und kranken Menschen.
H. Herxheimer (Spandau), Wirkung von nrimärera Natrium¬
phosphat auf die körperliche Leistungsfähigkeit. Kl. W.Nr. 10. Ver¬
suche mit täglichen Gaben von Phosphorsäure in Form von prim.
Natriumphospnat (Recresal) brachten einen erheblichen Stoffansatz,
der sich wahrscheinlich in erster Linie auf Skelett und Muskulatur
erstreckte, und eine meßbare Steigerung der körperlichen Leistungs¬
fähigkeit. Die Wirkung beruht vielleicht auf Beschleunigung des
Wiederaufbaus des Laktakidogens, der Betriebssubstanz der Muskulatur,
doch können auch andere Faktoren eine Rolle spielen. Es besteht
eine gewisse Aehnlichkeit zwischen Phosphatwirkung und Arsenik¬
wirkung. Bei der Darreichung ist Wert darauf zu legen, daß die in
den Versuchen angewandte Menge (tägl. 3 g) nicht oder nur in sehr
vorsichtiger Weise überschritten wird, und daß das prim. Natrium¬
phosphat spätestens um die Mittagszeit genommen wira, da Einnahme
am Nachmittag oder Abend zu Schlafstörungen führen könnte. Seine
Zuführung kann entweder in Form einer etwa 2prozentigen Lösung,
der man im Bedarfsfälle etwas Zucker oder Saccharin hinzufügen kann,
oder in Form von Tabletten erfolgen.
C. Lange (Berlin), Wirkungsweise und Altera der Vakzine.
Kl. W. Nr. 10. Beobachtungen zur Ergänzung der gleichlautenden
Veröffentlichung von A.Buschke und E.Langer (KI.W. Nr.3). Die
Vakzinetherapie, die auf beschränktem Gebiet Ausgezeichnetes leistet,
wird niemals auf dem Wege fabrikmäßiger Herstellung Allgemeingut
des praktischen Arztes werden können, sondern sie wird ihr Optimum
nur in der Hand des auf diesem Gebiete sehr erfahrenen Arztes leisten,
der neben einer ausreichenden klinischen Erfahrung — bezüglich
Indikationsstellung und Dosierung — auch die Methoden der Herstellung
und Prüfung von Impfstoffen ausreichend beherrscht
Innere Medizin.
♦♦ Siegfried Kolleb (Wien), Spitkrankhelten bei Kriegsteil¬
nehmern. Wien, Fr. Deuticke, 1921. 28 S. M. 4.—. Ref.:
Martineck.
Bei verspätet angemeldeten Versorgungsansprüchen ist die Prü¬
fung der Frage besonders schwierig, ob diese Spätkrankheiten D. B.-
Folgen sind und ob sie bis dahin latent waren, sodaß eine fristgemäße
Anmeldung nicht möglich war. Von diesen Gesichtspunkten aus er¬
örtert Verfasser die hauptsächlich in Betracht kommenden Späikrank-
heiten: Tuberkulose, Pleuritis, chronische Nierenentzündung und
besonders eingehend — er ist Neurologe — die Nerven- und Geistes¬
krankheiten; bei letzteren verlangt er mit Recht die möglichst genaue
Feststellung der auslösenden Momente wie Erschöpfung, Entkräftung,
Verletzungen, schmerzhafte Prozesse, Schädeltraumen. Bei den meta-
syphilitiscnen Erkrankungen geht bekanntlich das österreichische Inva-
liden-Entschädigungsgesetz senr weit, da auch eine Syphilis als D. B.-
Folge anerkannt werden kann, wenn die Ansteckung als durch äußere
und innere Kriegsverhältnisse bedingt anzusehen ist.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
31. März 1922
LITERATURBERICHT
433
Ad. Reinhardt (Leipzig), Trypaflavin bei Dipbtherieinfektion.
Zschr. f. Hyg. 95 H. 1. 1- und 0,1 -prozentige Trypaflavinlösungen
heben bei der experimentellen Wunddiphtherie des Meerschweinchens
die auf Giftresorption zurückzufuhrende letale Wirkung der lebenden
Diphtheriebazillen % und */« Stunden nach der Infektion auf. In der
Verdünnung 1:100 verhindert das Mittel ferner die tödliche Wirkung
der vorher durch Toluol abgetöteten Diphtheriebazillen, und in 100«
und 1000-facher Verdünnung tötet es die lebenden Diphtheriebazillen
in der Wunde ab, wenn es % und % Stunden nach der Infektion mit
der Wundfläche in Berührung gebracht wird. Auch Sublimat, Phenol
und Jodtinktur üben eine erhebliche bakterizide Wirkung in der Wunde
aus, lassen aber, wenigstens bei den gewählten großen Infektions¬
dosen, keinen Einfluß auf den Krankheitsprozeß erkennen.
Ch. Lundsgaard (Kopenhagen), Klinische Pulsantersachang bei
unregelmäßigem Puls besonders bei Arrhythmia perpetoa. KI.
W. Nr. 10. Als Pulsdefizit bezeichnet man den Unterschied zwischen
der Frequenz des Herzens und des Pulses, der eine Folge der in¬
äqualen Schlagvolumina und eine indirekte Folge von unregelmäßiger
Herztätigkeit darstellt. Eine Arrhythm : e mit Pulsdefizit ist wohl meist
eine Arrhythmia perpetua; man kann aber doch nicht das Vorhanden¬
sein eines Pulsdefizits als pathognomisch für diese Arrhythmieform
betrachten. Differentialdiagnostisch sind für die Unterscheidung zwischen
Extrasystolie und A. p. zu beachten: 1. bei Extrasystolie Grund¬
rhythmus erhalten, bei A. p. vollkommener Mangel an Rhythmus;
2. bei Extrasvstolie gibt sich das Pulsdefizit als eine Bradysphygmie
mit normaler Herzfrequenz (Normokardie) zu erkennen; bei A.p. spricht
es sich als Tachykardie mit Normasphygmie oder mäßiger Tachy-
sphygmie aus; 3. nach Anstrengungen vermindert sich oder verschwindet
ein PuJsdefizit bei Extrasystolie; bei A. p. steigert es sich oder tritt
es, wenn es in Ruhe nicht vorlag, hervor. Doch ist diese Regel nicht
ohne Ausnahme. Es kann als klinisch und experimentell dargetan
betrachtet werden, daß eine unregelmäßige Herzaktion eine für das
Herz unzweckmäßige Arbeitsweise darstellt, indem sie eine Herab¬
setzung der in der Zeiteinheit ausgesandten Blutmenge bewirkt. Eine
Untersuchung des Verhaltens des Pulsdefizits bei Arbeit hat Bedeutung
als Hilfsmittel für die Entscheidung der Frage, inwiefern eine relative,
kardiale Kreislaufinsuffizienz vorliegt. Bei Patienten mit A. p. muß
man therapeutisch darauf abzielen, ein etwa vorliegendes Pulsdefizit
zum Schwinden zu bringen. Besonders bei relativer Herzinsuffizienz
wird das Pulsdefizit von entscheidendem Wert sein, sowohl für die
Wahl der Arznei als auch für die Entscheidung der Frage, wie lange
und wie intensiv man behandeln soll. Bezüglich der Bedeutung des
Pulsdefizits für die Beurteilung der Prognose ist noch nichts Zuver¬
lässiges bekannt, doch ist es ein schlechtes Zeichen, wenn ein Puls¬
defizit (bei Ruhe) nicht während einer korrekt geleiteten Behandlung
schwindet
Hirsch (Berlin), HerzstSrnngeo beim Scharlach. M. Kl. Nr. 4.
Dem Verhalten des Herzens und Kreislaufapparates kommt bei
Scharlach eine große Bedeutung zu. Die Ursache der akut verlaufenden
und ad exitum führenden Fälle sehen wir in akut auf treten der Endo-
und Myokardschädigung kombiniert mit Tonuserschlaffung und
Vasomotorenlähmung.
Fritz Hilpert (Erlangen), Behandlung der Tuberkulose mit
RSutrenstrahleti. M. m. W. Nr. 10. Die günstigste Dosis für Drüsen-
und Bauchfelltuberkulose ist 40—50% der Hauteinheitsdosis, für Lungen¬
tuberkulose 6°/*, allmählich steigend auf 20%, bei Larynxtuberkulose
Optimum bei etwa 25%. Bei Lupus und Hauttuberkulose mindestens
80% der H. E. D. Günstige Erfolge.
Enderlen (Heidelberg), Kropf. Kl. W. Nr. 10. Uebersichts-
mitteilung.
Perl, Ueber inkomplette Formen des Myxödems. Zschr. f. d.
ges. Neurol. 71 S. 268. Der gutartige Hypothyreoidismus, der sich in
veränderter Magen-Darmsekretion, Stoffwechselstörungen mit Adiposi¬
tas, Intoxikationserscheinungen mit nervösen und psychischen Störungen,
trophischen Störungen der Haut, Nägel, lokalisiertem Hautödem äußert,
ist relativ häufig.
Ladislaus v. Friedrich (Frankfurt a. M.), Zur Pankreasfnnktlon
bei der Ruhr. M. m. W. Nr. 10. Untersuchungen auf Pankreasfermente
mit der Duodenalsonde an 10 akuten und 10 chronischen Fällen. Keine
Anhaltspunkte dafür, daß die Magenachylie auch von Pankreasachylie
begleitet wird. Finden sich mangelhaft ausgenutzte Nahrungsreste, so
ist dies wohl auf Dünndarmschädigungen zurückzuführen.
P. Neukirch und H. G. Rottmann (Düsseldorf), Lordotiscbe
und zyklische Albuminurie bei tuberkulösem Gibbns. Kl. W. Nr. 11.
Kasuistik.
Pulay (Wien), Vagotouiscbe Manifestation an der Haut als
Ausdruck nratiscber Diathese. M. Kl. Nr. 3. Bei allen Fällen von
Pruritus als auch in den Fällen von Urticaria ließen sich im Blute
erhöhte Harnsäurewerte feststellen bei normalem oder etwas
verminderten Harnsäureausscheidungswerten. Es ist demnach nahe¬
liegend, an einen Zusammenhang zwischen Vagotonie und Hyperuri¬
kämie zu denken. Dafür spricht auch der gute therapeutische Erfolg
mit Atropin und die günstige Beeinflussung derselben mit Zuhilfe¬
nahme von Atophanpräparaten.
H. Kümmel! (Hamburg), Posttraamatische Wirbelerkraoknng.
Arch f. kl in. Chift 118. Die posttraumatische Spondylitis (Kümmellsche
Krankheit) wird stets durch ein Trauma hervorgerufen. Sie verläuft
in 3 Stadien: 1. mehr oder weniger heftiger Shock, der meist
bald verschwindet; 2. nach meist nur kurze Zeit anhaltender lokaler
Schmerzhaftigkeit der Wirbelsäule Stadium des relativen Wohlbefindens
und der Wiederaufnahme der Tätigkeit; 3. nach Wochen, Monaten, ja
Jahren Gibbusbildung unter erneut einsetzenden Schmerzen an der
getroffenen Partie der Wirbelsäule. Die Wirkungen des Traumas auf
den getroffenen Wirbel spielen sich in den verschiedensten Abstufungen
ab: Leichte Quetschung der Spongiosa und starke Durchblutung der¬
selben, Fissuren von vornherein festzustellende Kompressionsfrakturen.
Das Charakteristische des Kümmellschen Symptomenkomplexes ist
jedoch, daß das primäre Trauma keine klinisch nachweisbaren, in den
meisten Fällen auch mit guten Röntgenbildern nicht festzustellenden
Veränderungen aufweist. Erst später tritt das nunmehr klinisch und
pathologisch-anatomisch unschwer festzustellende Krankheitsbild in
Erscheinung. Die Kümmellsche Erkrankung ist ein scharf umrissenes
wohl charakterisiertes Krankheitsbild, dessen Ursache und Verlauf
nunmehr pathologisch-anatomisch sowie durch das Röntgenbild fest¬
gestellt ist, und das im allgemeinen nicht auf Kompressionsfrakturen,
die von vornherein nachweisbar sind, zurückzuführen ist.
Klieneberger, Simulation geistiger Störungen. Zschr. f. d. ges.
Neurol. 71 S. 239. 3 Arten: 1. Bewußte künstliche Erzeugung geistiger
Störung (Gifte). 2. Gefälschte Anamnese. 3. Simulation infolge Hy¬
sterie und Psychopathie und Simulation auch psychiatrisch als gesund
zu Bezeichnender (mehrfach bei Gefangenen!). Einzelsymptome dürfen
nicht überwertet werden (Simulation von Zungenbiß). Simulation ist
nicht häufig. Im allgemeinen bewirkt Simulation geistiger Störungen
keine schädlichen Folgen.
K. Schneider, Phänomenologische Psychologie der invertierten
Sexualität und erotischen Liebe. Zschr. f. d. ges. Neurol. 71 S. 346.
Es kommt auf die Intention (männlich oder weiblich, unterwerfend oder
hingebend) beider Partner und den Leib des Sexualobjektes an. Da¬
nach gibt es verschiedene Typen je nach dem Zusammentreffen der
Intentionen und Leibbeschaffenheiten. Es gibt keine gleichgeschlecht¬
liche Sexualität und erotische Liebe, sondern nur sexuelle Einstellung
und erotische Liebe zu Angehörigen desselben Geschlechts.
F. H. Lewy und Tiefenbach, Experimentelle'Mangauoeroxyd-
Enzeohaliti« und ihre sekundäre Autoinfektion. Zschr. f. d.
ges. Neurol. 71 S. 303. Bei der Kaninchenmanganperoxydvergiftung
kommt es zu einer langsam verlaufenden Entzündung mehr der grauen
als der weißen Substanz mit Ganglienzellendegeneration, reaktiver
Gliawucherung und Proliferationserscheinungen der Gefäße. Besonders
geschädigt ist die Gefäßinnenhaut, hyaline Thrombenbildung. Die
Gefäßschädigung scheint der des Parenchyms voraufzugehen. Das
klinische Bild beim Menschen deutet auf Linsenkernerkrankung hin.
Mann, Wesen der strläreo oder extrapyramidalen Bewegungs¬
störung. Zschr. f. d. ges. Neurol. 71 S. 357. Beim striären Symptomen-
komplex (amyostatischen) ist ein in den willkürlichen Apparat einge¬
schalteter Mechanismus, der regulierende und hemmende Impulse dem
Pyramidensystem gibt, geschädigt. Die striäre Bewegungsstörung ist
eine Abart der Ataxie. Es liegt ein Mißverhältnis zwischen Innervation
und Denervation der Antagonisten zugrunde. Geschädigt sei die
zentripetale und die regulierende, eingeschaltete Bahn; der Rigor kommt
durch Ausbleiben der Denervation der Antagonisten, die Verlang¬
samung durch mangelnde Entspannung derselben Zustände. Das Aus¬
bleiben der Uebermittlung der Denervation bedingt einen Mangel zu
neuem Bewegungsantrieb.
Vollmer (Heidelberg), Bewegongg- und Reflexelfentfimlichkeiten
bei amyostatischer Enzephalitis. M. Kl. Nr. 3. Bei einem Fall von
Linsenkernstarre bei einem 2 jährigen Kinde werden den Magnusschen
Reflexen entsprechende Erscheinungen beobachtet. Außerdem war
der Umklammerungsreflex Moros und der symmetrische Beinverkürzungs-
reflex von den Armen aus (Freudenberg) nachzuweisen. Endlich ließ
sich eine Abhängigkeit des Tremors von der Kopfstellung in wieder¬
holten Versuchen stets übereinstimmend feststellen.
Wexberg, Kan- und ^chlnckstöronzeo bei Enzephalitis. Zschr.
f. d. ges. Neurol. 71 S. 210. Dreifache Lokalisationsmöglichkeit der Kau-
und Schluckstörungen bei Enzephalitis: I.Bulbäre: Atrophie, elektrische
Störung, Lähmung gleich für willkürliche, automatische und reflektorische
Impulse. 2. Supranukleär (pseudobulbär), bewußte Innervation schwerer
betroffen als reflektorisch — automatisch — und mimisch. 3. Striär == wie
sub 2), aber kombiniert mit Bewegungsstörungen der Extremitäten
von amyostatischen Charakter. Typisch striär ist eine abnorme Ermüd¬
barkeit der Kaumuskulatur, parallel der der übrigen Skelettmuskeln als
Produkt der Hemmung des Bewegungsimpulses und des Rigors der
Muskulatur.
P. Martini und H. Isserlin (München), Paralysis afitaps und
Tetanie im Rahmen der Arferlosderosis cerebri. KI. W. Nr. 11.
Mitteilung eines Falles, der die Symptome dreier verschiedener Nerven¬
krankheiten vereinigte. Arteriosclerosis cerebri, Paralysis agitans und
Tetanie. Die Symptome der Paralysis agitans lassen sich in vorliegendem
Falle zwanglos aus der Hirnarteriosklerose verstehen (Erweichungsherd
im linken Linsenkern). Bezüglich der Tetanie denkt Verfasser an einen
ätiologischen Zusammenhang zwischen amyostatischen Symptomen-
komplex und Tetanie (Beziehungen des vegetativen Nervensystems zur
Gruppe der durch den plastischen Tonus ausgezeichneten amyostatischen
Erkrankungen. E. Frank).
Wexberg, Klinik und Anatomie der Hirntumoren. Zschr. f. d.
P es. Neurol. 71 S. 76. Bericht über 36 Hirntumoren. Nystagmus kann
olge allgemeinen Hirndrucks, Symptom des Stauungslabyrinths ohne
lokaldiagnostische Bedeutung sein. Auf das Vorkommen von Blasen¬
störungen wird besonders hingewiesen. Parkinsonsche Erscheinungen
(entsprechend Paralysis agitans) wurden öfter bei Stirnhirn- und ßalken-
tumoren beobachtet. Positive Röntgenbefunde wurden 20 mal festge
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNÜVERSrn 1
434
LITERATURBERICHT
Nr. 13
stellt, 3mal Verkalkungsherde, 13mal Veränderung der Schädeldecke
infolge Hirndruck. Nur lmal entsprachen die lokalen Veränderungen
dem Tumorsitz. Heilung nur in 1 Fall, dagegen öfters günstige Resultate
der Palliativtrepanation.
K. Krisch (Greifswald), Luminalbehandlunf motorischer und
psychischer Erregungen. Kl. W. Nr. 11. Beste Erfolge bei Depressionen
mit ängstlicher Erregung; auch bei hypochondrisch gefärbten Depres¬
sionen günstiger, beruhigender Einfluß. Bei den motorischen Erschei¬
nungen der Chorea, den psychomotorischen Erregungen der Dementia
praecox Gruppe kein durchschlagender Erfolg. Ebenso bei den
affektiven Erregungen der Manien. Berücksichtigung der individuell
verschiedenen Empfänglichkeit gegenüber dem Lumina!.
Brandenburg (Berlin), Kochsalz als Mittel gegen Kopfschmerzen.
M. Klin. Nr. 4. Empfehlung der von amerikanischer Seite angegebenen
Verordnung gegen Kopfschmerzen große Dosen von Kochsalz zu
geben. Besonders gegen diejenigen Formen, welche ihre Ursache haben
in einem vermehrten Druck innerhalb der Schädelhöhle, da das Koch¬
salz den Druck in der Schädelhöhle herabsetzen soll. Dieser Zusam¬
menhang verdient um so mehr genauer studiert zu werden, als gerade
die differentialdiagnostische Bedeutung der NaCI-Verordnung bei
Kopfschmerzen das wesentliche Ergebnis dieser therapeutischen Vor¬
schläge zu sein scheint.
Baumgart, Juvenile Tabes unter besonderer Berücksichti¬
gung der hereditären und konstitutionellen Momente. Zschr.
f. d. ges. Neurol. 71 S. 321. Von 130 Fällen 49mal ein oder beide
Eltern gleichartig (metasyphilitisch) erkrankt. Vater weit häufiger er¬
krankt als Mutter; dagegen das tabische Kind häufiger weiblich. Andere
nervöse Belastung spielt untergeordnete Rolle. Der asthenische Typ
ist bei jugendlichen Tabikern relativ selten, dagegen der Infantilismus
von Bedeutung. Die Tatsachen zeigen, daß bei der Tabes überhaupt
außer der Syphilis konstitutionelle hereditäre Momente die wesentlich¬
sten Vorbedingungen darstellen.
Chirurgie.
H. Harttung (Eisleben), Postoperative Tetanie und Unglücks¬
fälle bei Anästhesien. Zbl. f. Chir. Nr. 6. Bericht über 2 Kranke mit
Kropfoperation. Die 41jährige Frau bekam nach der Operation teta-
nische Symptome, kombiniert mit einer Psychose; Schilddrüsentabletten;
Heilung. Im 2. Falle handelte es sich um ein lßjähriges Mädchen,
apfelgroße Struma cystica. Einspritzung von 50 ccm , / 4 °/ 0 igcr und
50 ccm l°/o>g er Novokainsuprareninlösung. 5 Minuten nach Beginn
der Operation schwerster Kollaps. Tod am Abend des nächsten Tages.
Verfasser neigt der Annahme einer schweren Novokainvergiftung zu.
A. Eiseisberg (Wien), Behandlung der Tetania parathyreopriva.
Arch. f. klin. Chir. 118. Zur Verhinderung der postoperativen Tetanie
scheint wohl die Prophylaxe bei der Operation das beste Mittel.
Leider versagt sie auch gelegentlich. Für die Behandlung der aus-
gebrochenen Tetanie gibt es eine Reihe von wirksamen Medikamenten:
Thyreoidintabletten, Calcium lacticum, intravenöse Injektion von Afenil
(Calc. chlorid.-Harnstoff), Chloralhydrat, mehlfrcie Diät, wenn es sich
um Mehl handelt, das durch Beimengung von Secale cornutum ver¬
unreinigt ist). Nur im Falle, daß diese Medikationen versagen, soll
zur Verpflanzung geschritten werden; und zwar soll die Verpflanzung
vom Lebenden tunlichst eingeschränkt werden. Die Verpflanzung ge¬
schieht am besten zwischen Faszie und Peritoneum.
C. Vidakovits (Budapest), Drainage nach Strumektomie. Zbl.
f. Chir. Nr. 5. Verfasser ist Anhänger der Drainage nach Strumektomie
geblieben; auch in der sogenannten Drainfistel sieht er keinen Grund,
das Drainieren zu verlassen.
H. Lehmann (Wien), Zehnprozentige Jodkalilösung zur Dar¬
stellung von Pistelglngen* Abszeß- und Empvemhöhlen im Rönt¬
genhilde. Zbl. f. Chir. Nr. 6. Technische Mitteilung.
Klapp und Rieß (Berlin), Anheftung des gastroptotiechen Magens
an die Rippen. Arch. f. klin. Chir. 118. Klapp ist auf den Gedanken
gekommen, den gesenkten Magen an die unteren Rippen bzw. Rippen-
knorpcl des linken Rippenbogens aufzuhängen. Die bisherigen Er¬
folge — 5 Krankengeschichten werden mitgeteilt — sind sehr günstig.
R. Hölscher (Lüneburg), Chirurgie des Ulcus callosum veotriculi.
Arch. f. klin. Chir. 118. Mitteilung auf Grund von 75 eigenen Fällen.
Die einfache oder die mit Gastroanastomose oder ähnlichem kom¬
binierte Gastroenterostomie, einerlei, ob ante- oder retrocohca, leistet
bezüglich der Heilung des Ulcus callosum, auch des der kleinen Kur¬
vatur, zum mindesten dasselbe wie die radikalen Methoden, und ist
deshalb im allgemeinen vorzuziehen. Um diese gute Wirkung aus¬
üben zu können, muß sie an richtiger, die beste Magendrainage ermög¬
lichender Stelle angelegt werden, wobei man sich m jedem Einzelfalle
nach dem Sitze des Geschwürs richten muß.
V. Schmieden (Frankfurt a. M.), Kausale Behandlung des Magen¬
geschwürs. Arch. f. Klin. Chir. 118. Wenn das Magengeschwür seine
Entstehung dem Zusammenwirken mehrerer ätiologischer Faktoren
verdankt, dann muß auch unser operatives Vorgehen zahlreiche Weg¬
weiser anerkennen. Zurzeit genügt die Chirurgie mit der Exzision
des Geschwürs zunächst der Auffassung Asch off s als eines örtlichen
Leidens; mit der Naht und Wiederherstellung cks Magenlumens und
seiner Funktion muß sie gleichzeitig der Auffassung als eines Allgemein-
leidens genügen lernen.
K. Vogeler (Berlin-Steglitz), Querer bogenförmiger Baochscfanitt
bei eitrigen Bauchoperationen. Zbl. f. Chir. Nr. 5. Technische Mit¬
teilung.
F. Erk es (Reichenberg), Chirurgische Behandlung des tuberkulösen
Aszites mit Peritonealfensterung zwecks subkutaner Dauer¬
drainage. Arch. f. klin. Chir. 118. Die Methode hat in fünf Fällen
von tuberkulöser Peritonitis zu rascher Rekonvaleszenz und Wieder¬
eintritt der Arbeitsfähigkeit geführt. Die Methode ist wenig ein¬
greifend und kann auch sehr geschwächten Kranken zugemutet
werden. Auch bei Aszites bei anderen Krankheiten (Krebs u. a) läßt
sich durch die Peritonealfensterung auf einfache ungefährliche Weise
eine wenn auch neue zeitweilige Besserung erzielen.
C. Ritter (Düsseldorf), Gallige Peritonitis ohne Perforation.
Arch. f. klin. Chir. 118. Mitteilung von zwei eigenen Beobachtungen.
Die eigentlichen Krankheitserscheinungen treten meist ganz akut auf.
Es gibt zwei Arten von galliger Peritonitis: 1. solche, in denen es
sich um Filtration der Galle durch die pathologisch-anatomisch ver¬
änderte Gallenblasenwand handelt; 2. solche, die auf der Perforation
eines galleführenden Ganges beruhen. Die Diagnose der galligen
Peritonitis ist bisher noch nie vor der Operation gestellt worden.
Die Prognose ist jedenfalls weit günstiger als die der galligen Per¬
forationsperitonitis, deren Mortalität sehr hoch ist. Als einziges thera¬
peutisches Mittel kommt die Operation in Frage, die je nachdem in
der Exstirpation der Gallenblase, in der Exzision von Steinen aus
Choledochus oder Hepatikus, oder in der Tamponade eines sub¬
serösen Gallenganges, eventuell in der Uebernähung der Leberstelle
mit einem Netzlappen besteht.
M. Katzenstein und F. Schulz (Berlin), Rlvaool und seine
Verwendung bei diffuser Peritonitis. Kl. W. Nr. 11. Die Ergebnisse
der sogenannten Spätoperationen bei Peritonitis zu bessern ist das Ziel
der peritonealen chemischen Antisepsis. Das Rivanol scheint berufen
zu sein, eine wirksame Antisepsis in der Bauchhöhle zu ermöglichen.
Die Autoren wenden das Rivanol bei jeder Laparotomie, bei der
Infektionsmöglichkeiten gegeben sind, an und haben gute Erfolge ge¬
sehen, z. B. bei Gallenblasenabszessen, die kurz vor dem Durchbruch
standen, und bei einer Reihe von gynäkologischen Operationen. Am
eklatantesten waren die Erfolge bei den sogenannten Spätfällen bei
Peritonitis nach Appendizitis. Verfasser führen nach Beendigung der
Operation 1—200 ccm Rivanol in die Bauchhöhle ein nach vorheriger
mechanischer Entfernung des Eiters. In neuerer Zeit schließen sie die
Bauchhöhle bei eitriger Peritonitis ohne Drainage und sehen darin
einen Hauptvorzug der antiseptischen Behandlung der Peritonitiden.
V. Schmieden und C. Roh de (Frankfurts. M.), Stauungsgalleo-
blase. Arch. f. klin. Chir. 118. Der anatomische Aufbau und die topo¬
graphischen Lagebeziehungen der Gallenblase und abführenden Gallen¬
wege disponieren von Haus aus schon ohne Hinzutritt akzidenteller
Faktoren zu Gallenstauungen. Sie treten besonders leicht ein, wenn
die für eine geordnete Funktion der Gallenblase notwendigen Hilfs¬
faktoren (Atembewegungen, Zwerchfell, Bauchmuskeln, Bauchpresse,
intraabdominellen Druck, richtige Lagerung, Beweglichkeit, Füllung
und Tätigkeit des Magendarmtraktus) irgendwie geschädigt werden.
Hierzu kommen die mit der Entwicklungsgeschichte der Art und des
einzelnen Individuums einhergehenden Veränderungen (aufrechter
Oang usw.). Uhter ihren Einflüssen entsteht die sow'ohl als patho¬
logisch-anatomischer wie auch klinischer Begriff fest umrissene Stau¬
ungsgallenblase. Sie ist charakterisiert durch den akuten Ventil¬
verschluß im Ductus cysticus, unter dessen Einwirkung alle pathologisch¬
anatomischen als auch klinischen Svmptome sich ausbilden. Unter
konservativer Behandlung ist nur eine Latenz zu erzielen, während
die Cholezystektomie in jedem Falle die Krankheit radikal beseitigt.
F. v. Hofmeister (Stuttgart), Unterbindung der Arteria hepatica
propria ohne Lebe rschädignnp. Zbl. f. Chir.Nr.5. Bei der 56jährigen
Frau handelte es sich um einen Fall von Ligatur der Arteria hepatica
propria jenseits des Abgangs der Arteria gastrica d. bei gleichzeitiger
rast totaler Magenexstirpation mit völlig ungestörter Heilung. .Ein
gleichartiger Fall ist bisher nicht beobachtet worden. Vielleicht lag
in diesem Falle die sogenannte Triplizität der Leberarterie vor.
D. Maluschew (Subotika), Blutdruck bei Achsendrebnng des
Mesenteriums. Zbl. f. Chir. Nr. 5. Die Torsion des Gekröses geht
im Anfangsstadium mit einer bedeutenden Blutdrucksteigerung einner.
Das Zurückdrehen des torquierten Mesenteriums hat eine kritische
Blutdrucksenkung zur Folge.
L. Arnsperger (Karlsruhe), Retrograde Dünndarmlnvaglnatlon
nach Gastroenterostomie. Zbl. f. Chir. Nr. 6. Kasuistik.
H. Lehmann (Wien), Volvo*«« coecl durch falsche Drehung
der Nabelschleife. W. kl. W. Nr. 8. 1 Fall.
W. Körte (Berlin), Entzündliche Geschwülste am Darm. Arch. f.
klin. Chir. 118. Verfasser teilt 15 eigene Beobachtungen mit. Es
kommen am Darm und zwar vorwiegend am Dickdarm entzündliche
Geschwülste vor, die von echten Neoplasmen, tuberkulösen oder
aktinomykotischen Tumoren schwer zu unterscheiden sind. Ursachen
sind Appendizitis, Typhlitis und die von Dickdarmdivertikeln aus¬
gehenden ent7Ündlichen Prozesse. Die Entzündung hat ihren Sitz
hauptsächlich in dem Fettgewebe des Mesokolonansatzes. Die Ent¬
wicklung ist eine sehr allmähliche. Die Hauptsymptome sind die der
chronischen Darmverengerung. Die Behandlung besteht bei nicht ganz
einwandfreien Fällen in der radikalen Entfernung durch Darmresektion,
sonst in der Enteroanastomose.
V. Schmieden und H. Peiper (Frankfurt a. M.), Operative Neben-
niereuredoktioa. Arch. f. klin. Chir. 118. Mitteilungaus der Frankfurter
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
p
3 1. März 1922 LITERATURBERICHT 435
Chirurgischen Klinik über 7 Operationsfälle, sowie über eine weitere
Operation von Seiffert (Neunkirchen, Saar). Bei den mit der Neben¬
nierenreduktion nach Brüning operierten Epileptikern wurde keine
dauernde Besserung des Krampfzustandes erzielt. Für oder gegen die
Fischcrsche Theorie des Krampfmechanismus lassen sich aus diesen
Mißerfolgen sichere Schlüsse nicht ziehen. Schließlich werden Beob¬
achtungen mitgeteilt, die Einwirkungen der einseitigen Nebennicren-
exstirpation auf den menschlichen Organismus, speziell das endokrine
System, erkennen lassen.
O. Rumpel (Berlin), Angeborene einseitige Nierenatrophie. Arch.
f. klin. Chir. 118. Mitteilung von 5 Fällen (3 M., 2 W.). Stets handelte
es sich um sonst gesunde Leute, die keine Nierenkrankheiten durch-
emacht hatten und keine sonstigen Entwicklungsstörungen zeigten,
lets war die Zwergniere kurz gestielt und infolgedessen wenig be¬
weglich; -sie war von reichlichem Fettgewebe umgeben und fühlte
sich an wie ein größerer Fettklumpen. Nierenbecken meist stark ge¬
schrumpft. Funktionell konnte in den meisten Fällen ein vollständiger
Ausfall der sekretorischen Tätigkeit der atrophischen Niere festgestellt
werden. Die Anomalie kann das ganze Leben hindurch bestehen, ohne
Krankheitserscheinungen zu verursachen. Sie kann aber sehr erheb¬
liche klinische Bedeutung erlangen, wenn die andere Niere verletzt
wird oder erkrankt; anderseits disponiert sie zu Erkrankungen be¬
sonders infektiöser Art. Diagnostisch ist namentlich die Röntgeno-
sp-aphie und die Uretero- und Pyelographie wichtig. Die Therapie
kann selbstverständlich nur in der radikalen Entfernung des entarteten
und funktionslosen Organs bestehen, bei nicht ganz intakter zweiter
Niere in der Nephrotomie.
A. Wagner (Lübeck), Technik der späten zweizeiligen Prostat¬
ektomie. Zbl. f. Chir. Nr. 6. Verfasser empfiehlt hier ein Extraperi¬
toneallegen der Blase, das die Operation sehr erleichtert, den Eingriff
in keiner Weise kompliziert und die Operationsdauer verkürzt.
Walterhöf er und Schramm (Berlin), Operative Behandlung der
perniziösen Anämie. Arch. f. klin. Chir. 118. Die bisherigen Resultate
zeigen, daß die Milzexstirpation nicht zur Heilung der perniziösen
Anämie führt. Die Verfasser haben deshalb bei ihrem Vorgehen das
Gewicht auf das Knochenmark selbst gelegt, als den Hauptsitz der
Veränderungen. Bei 9 Kranken entmarkten sie die Tibia resp. den
Oberschenkel von einem möglichst kleinen Knochenloch aus. Mehrere
Tage vorher eine Menschenbluttransfusion, sowie eina subkutane Koch¬
salzinfusion von 1 Liter. In einer Reihe von Fällen wurden günstige
subjektive und objektive Wirkungen erzielt; namentich zeigte sich die
Wirkung auf das Blutbild in einer raschen Steigerung der Erythro-
zvthenzahl. Zurzeit halten die Verfasser eine Operation in allen den
Fällen für angezeigt, in denen eine Behandlung mit anderen inneren
Mitteln keinen Umschwung im Blutbild herbeizuführen vermochte.
F. Sauerbruch (München), Operative Behandlung schwerer Sko¬
liosen. Arch. f. klin. Chir. 118. Die Ausführungen des Verfassers, die
sich nicht zu einem kurzen Referate eignen, zeigen, wie sich aus den
Erfahrungen der Thoraxchirurgen planmäßig hoffnungsvolle Vorschläge
für eine erfolgreiche operative Behandlung schwerer fixierter Skoliosen
entwickeln. Von grundsätzlicher Bedeutung ist die Feststellung, daß
durch zweckmäßige Eingriffe an den Rippen Erfolge erzielt werden
können, die orthopädischen Maßnahmen allein versagt sind.
F. Härtel (Halle a. S.), Mechanik und Behandlung des typischen
Schlusselbeinbraches. Arch. f. klin. Chir. 118. Die Dislokation beim
typischen Schlüssclbeinbruch entsteht hauptsächlich durch Verschiebung
des lateralen Bruchstückes infolge der natürlichen Pronationsbewegung
des Schultergürtels, deren normale Hemmung durch das Schlüsselbein
unterbleibt. Die Reposition gelingt ohne Kraftanwendung durch stärkste
Supination der Schulterblätter. Die wirksamste Bewegung, um diese
Supination herbeizuführen, ist die Zurückführung beider Oberarme bei
gebeugten und sagittal stehenden Vorderarmen. In dieser Stellung an¬
gelegte Verbände — Aufhängung der Vorderarme in einer besonderen
Nackenschlinge, eine zwischen Rücken und gebeugte Ellenbogen einge¬
fügte Versteifung (gepolsterter Stock, C- oder S förmige Schiene) —
sind imstande, die Retention der Fragmente in guter Stellung bis zur
Heilung bei ambulanter Behandlung zu gewährleisten.
R. Klapp (Berlin), Behandlung frischer und alter Radlwbriiche.
Arch. f. klin. Chir. 118. Reposition durch sehr starken Zug in der
Längsrichtung. Die seitliche Dislokation wird auf einem starken Eisen¬
gestell vorgenommen. Kneten der Bruchstelle. Fixation in vollkommener
Mittelstellung der Hand. Gut anmodellierter Gipsverband bis über
die Mitte des Unterarms. _Der Verband wird so ausgeschnitten, daß
er vollen Faustschluß und volles Abspreizen des Daumens ermöglicht.
Sofortige Bewegungen der Finger. Dauer der Fixation 2—3 Wochen.
Alte in schlechter Stellung konsolidierte Radiusbrüche lassen sich durch
Osteotomie der Bruchstelle mit nachfolgender Reposition erheblich
verbessern.
B. Cohn (Berlin), Coxa valga taxans Arch. f. klin. Chir. 118. Die
Coxa valga luvans (Klapp) ist eine meist angeborene Krankheit, die
infolge einer Valgusstellung des Schenkelhalses und schlechter Ent¬
wicklung und Mißgestaltung der. Pfannen entsteht. Sie zeigt sehr nahe Be¬
ziehungen zur kongenitalen Hüftgelenksluxation; stellt aber ein Krank¬
heitsbild sui gencris dar. Sie hat einen eigenen Symptomenkomplex,
auf Grund dessen sie rein klinisch diagnostiziert werden kann. Die
Therapie ist bis jetzt aussichtslos.
Frauenheilkunde.
W. Hannes (Breslau), Metreuryse bei Piaceata praevia. Kl. W.
Nr. 10. Treten infolge von Placenta praevia Blutungen auf, so sind
solche Frauen, w enn ohne Gefahr für sie möglich, einer Gebähranstalt
zuzuführen. Ist dies nicht angängig, so muß alsbald an Ort und Stelle
für sachgemäße Blutstillung Sorge getragen werden. Dies geschieht,
wenn der Muttermund und Halskanal wenigstens für einen Finger
durchgängig ist, mittels intraamnialer Metreuryse, falls es sich um
Placenta praevia totalis bzw. um Querlage handelt. Sind neben dem
Plazentagewebe freie Eihäute im Muttermunde zu tasten und besteht
Längslage der Frucht, dann kann zunächst versucht werden, mit dem
Blasensprung auszukommen. Tritt hierauf nicht unter Aufhören der
Blutung der vorliegende Teil tiefer, dann soll ebenfalls die Metreuryse
eingeleitet werden. Zur Metreuryse bei Placenta praevia ist der weiche
nicht zugfeste Braunsche Ballon zu verwenden. Nur zum Zwecke des
Transportes und nur wenn bei Behandlung an Ort und Stelle bei fort¬
bestehender Blutung der Muttermund noch nicht für einen Finger
durchgängig ist, darf, sosusagen als kurzdauernder Notverband, die
peinlich aseptisch ausgeführte Scheidcntramponade zur Anwendung
kommen. Ist bei Uebernahme des Falles der Muttermund regelrecht
für eine entbindende Operation eröffnet und besteht noch Blutung,
dann ist die nach Lage und Stand des Kindes entbindende Operation
auszuführen. Die kombinierte Wendung nach Braxton-Hieks ist nur
dann bei Placenta praevia anzuw enden, wenn es sich um eine sicher¬
lich lebensunfähige Abortusfrucht handelt, oder wenn aus irgend¬
welchen äußeren Gründen das Metrcuryseinstrumentarium nicht zifr
Hand ist. Wird in solchem Falle vor völliger Eröffnung des Mutter¬
mundes an dem herausgeleiteten Fuß extrahiert, so sind Zervixrisse
und tödliche Blutungen die sehr wahrscheinliche Folge. Der Kaiser¬
schnitt ist nur im ausgesuchten Einzelfalle imstande, die Resultate für
Mutter und Kind bei Placenta praevia zu bessern.
Lud wig Handorn (Heidelberg), Zur Therapie des septischen
Abortes. M. m. W. Nr. 10. Vergleichung der Resultate der früher
angewandten aktiven Therapie mit dem seit 1915 geübten konservativem
Verfahren an der Universitätsklinik. Die Mortalität ist bei aktivem
Vorgehen bedeutend höher. Die durchschnittliche Dauer des Kranken¬
hausaufenthaltes war bei den abwartend behandelten Fällen nur 3 Tage
länger, die Verblutungsgefahr ist sehr gering. Ausräumung, nachdem
die Patienten 8 Tage fieberfrei waren.
Augenheilkunde.
♦♦ Alfred Vogt (Basel), Atlas der Spaltlampenmlkroskople
des lebenden Auges. Berlin, J. Springer, 1921. 162 Seiten mit
370 Abbildungen. Geb. M. 5S0.—. Ref.: Steindorff (Berlin).
Das Werk Vogts, das mit großer Spannung erwartet wurde, ver¬
dient nach Inhalt und Form das höchste Lob. Die 38 Tafeln mit
ihren 367 meist farbigen Bildern geben die neue Welt, die uns die
Gullstrandsche Spaltlampe erschlossen hat, in bewundernswerter Natur¬
freue und Vollkommenheit wieder. Wer noch nie am Lebenden oder
im Bilde Spaltlampenbefunde gesehen hat, wird beim Durchsehen des
Werkes über das Neue und Unerhörte, das uns diese Methodik ent¬
hüllt, in gerechtes Erstaunen geraten, denn sie gibt uns eine unüber¬
sehbare Fülle des bisher Unbekannten, dessen einwandfreie Deutung
freilich vielfach noch umstritten ist. Die kurzen und klaren Angaben zur
Technik und Methodik und die erschöpfenden Literaturangaben ermög¬
lichen es dem Augenarzt, die keineswegs leichte Handhabung der
Spaltlampe mit Hilfe der Abbildungen zu erlernen und die neuen Be¬
funde zu deuten. Die Spaltlampenmikroskopie, der Linse, deren
Erforschung Vogts besonderes Verdienst ist, wird von ihm mit ver¬
ständlicher Vorliebe in vorbildlicher Klarheit dargestellt Auffallend
ist es, daß Vogt das schöne Werk Koeppes „Die Mikroskopie des
Auges", das doch genaue Anweisungen zur Methodik und Technik
der Spaltlampenmikroskopie enthält, vollkommen übergeht.
O. Tobias (Berlin-Lichtenberg), Herdreaktion am Auge bei un-
spezifischer Proteinkörpertherapie mit besonderer Berücksichti¬
gung ihrer Gefahren. Kl. W. Nr. 11. Bei der Auswertung unspe-
zifisener Proteinkörper für die augenärztliche Therapie hat Tobias
wiederholt typische Herdreaktionen am erkrankten Auge beobachten
können, vor allem mit Yatrenkasein (Kombination aus chemisch reinem
mit Natrium bicarbonicum in Lösung gebrachtem Kasein und Yatren,
einem Jodderivat des Benzolpyridins). Auffallend war die ungemeine
Aehnlichkeit der Herdreaktion mit der, welche nach probatorischer
Tuberkulininjektion, sowie während einer Tuberkulinbehandlung be¬
kannt geworden ist. Zweifellos lassen sich also durch genügend hohe
Dosen eines unspezifischen Eiweißkörpers ebenso wie durch größere
Dosen Tuberkulin typische Herdreaktionen am Auge erzwingen, sobald
die Vorbedingung, daß ein kranker Herd vorliegt, gegeben ist. Es
dürfte dies ein weiterer Beitrag sein zur Deutung der Tuberkulinreaktion
als seiner unspezifischen Eiweißwirkung. Bei der therapeutischen Ver¬
wertung der unspezifi9chen Proteinkörperreaktionen für die Ophthal¬
mologie, darf die Provokation entzündlicher Herdreaktionen nur soweit
erfolgen, als sie als wirkliches Heilagens in Frage kommt.
□ igitized by Gougle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
436
LITERATURBERICHT
Nr. 13
Haut- und Venerische Krankheiten.
♦♦ Max Joseph (Berlin), Lehrbuch der Haarkrankheiten.
2. Aufl. Leipzig, J. A. Barth, 1921. 162 Seiten mit 25 Abbildungen
und Rezepten. M. 33.—. Ref.: Zieler (Würzburg).
Josephs Lehrbuch der Haarkrankheiten ist erst jetzt nach fast
12 Jahren in 2. Auflage erschienen, trotzdem es seinerzeit eine sehr
fühlbare Lücke ausgefüllt hat. Die lobende Anerkennung, die Jadas-
sohn der 1. Auflage gewidmet hat, kann auch für die neue Auflage
aufrecht erhalten werden. Wenn auch die Not der Zeit den Verfasser
zu manchen Kürzungen gezwungen hat, so hat doch darunter der Wert
des Werkes nirgends wesentlich gelitten. Das Wegfallen der früheren
ausführlichen Literaturangaben ist zwar recht bedauerlich, muß aber
unter den vorliegenden Umständen verschmerzt werden.
W. Böhme (Dresden), Neue Injektiottsmetliode des Tuberkulins
bei ausgebreiteter Hauitoberkulose. — M. Straßberg (Wien), Er¬
widerung. W. kl. W. Nr. 8. Böhme ruft der von Straß berg
(W. kl. W. Nr. 3) beschriebenen neuen Methode gegenüber die vor¬
züglichen Resultate der Ponndorfimpfung ins Gedächtnis zurück,
die alles bisher Erreichte übertreffen sollen.
K. Bauer (Wien), Positive unspezifiscbe Wa.R. und Meineckescfae
Reaktion als Folge von Digitalistherapie. W. kl. W. Nr.8. In 16 Fällen
konnte Bauer nachweisen, daß die Medikation von Digitalis eine
negative Wa. R. und D. M. in eine schwach positive verwandeln kann.
In einem Falle konnte verfolgt werden, wie mehrere Digitaliskuren
immer wieder die Serumreaktion positiv machten. Es gibt aber auch
Fälle, wo keine Aenderung durch Digitalis eintritt.
Fabry und Wolf (Dortmund), Behandlung der Syphilis mtt Neo-
sllbersalvarsan und andere Probleme der Syphilisbehandlung.
M. Kl. Nr. 4. Oute Verträglichkeit des Präparates im Vergleich zu
den anderen Salvarsanpräparaten, ebenso gelang es mit einer Neo-
silbersalvarsanbehandlung bei allen Fällen eine negative Seroreaktion
zu erzielen.
E. Galewsky (Dresden), Neosllbersalvarsannatriura. M. m. W.
Nr. 10. Das Neosilbersalvarsannatrium überragt das Neosalvarsan bei
weitem. Der angioneurotische Symptomenkomplex fällt fast ganz fort.
Die Lösungen sind haltbar, doch sollte man sie nicht länger als eine
halbe Stunde stehen lassen.
J. Heller (Charlottenburg), ist das Quecksilber ein symptoma"
fisches Heilmittel oder beeinflußt es den Verlauf der Syphilis.
Kl. W. Nr. 11. Heller sieht aus seinen Untersuchungen den Beweis
für erbracht, daß das Quecksilber nicht nur ein symptomatisches Heil¬
mittel ist, sondern den Verlauf der Krankheit günstig beeinflußt. Die
Orenzen seiner Wirksamkeit sind bekannt. Solange nicht bewiesen
ist, daß ein anderes Heilmittel, etwa das Salvarsan, das Gleiche oder
ein Mehr leistet — dieser Beweis kann von der pathologischen'Ana¬
tomie erst in 20 Jahren gegeben werden — hat der Arzt nicht das
Recht, auf die Anwendung des Quecksilbers zu verzichten und auf
die Selbstheilung der Syphilis zu vertrauen.
Marlinger (Bonn), Todesfall nach einmaliger Novasurolinjektlon*
M. KI. Nr. 4. Bei einer mit Quecksilber und Salvarsan vorbehandelten
Patientin trat nach einmaliger Injektion von 2 ccm* Novasurol der
Exitus ein unter Zeichen von epileptiformen Krämpfen. Kein
Sektionsbefund.
Kinderheilkunde.
D Pospischill (Wien), Ueber Klinik und Epidemiologie
des Pertussis. Berlin, S. Karger, 1921. 180 Seiten mit zwei Tafeln.
M. 33.—. Ref.: L F. Meyer (Berlin).
Die Lektüre des angezeigten Buches kann nicht gerade als an¬
genehm bezeichnet werden. Man muß sich durch den verschrobenen,
mit poetischen Vergleichen überreich durchwebten und verschachtelten
Stil des Verfassers durcharbeiten, um auf den Kern der Beobachtungen
zu kommen. Dabei bringt der auf dem Gebiete des Keuchhustens
wohl erfahrenste Kinderarzt eine ganze Reihe neuer Beobachtungen, die
zweifellos größeres Interesse verdienen. Nach einer epidemiologischen
Einleitung, die die Bedeutung der Mischinfektionen hervorhebt, wird
die lange sieb über Jahre erstreckende Krankheitsdauer des Keuch¬
hustens und seine große Bedeutung für die Gesundheit und das Leben
der Kinder“ besprochen. Der Beginn des Keuchhustens wird im all¬
gemeinen von dem Eintritt der typischen Hustenattacken datiert. Nach
Pospischill ist diesem Husten ein typischer auskultatorischer Lungen¬
befund ebenbürtig, der vom Hustensymptom unabhängig den Keuch¬
husten anzeigen kann. Die ..Pertussislunge" äußert sich klinisch in
einer fieberhaften Bronchitis eines Lungenlappens mit kleinem und mittel¬
blasigem halbklingendem Rasseln, Bronchialatmen fehlt meist, der Per¬
kussionsbefund zeigt manchmal ganz leichten abgeschwächten Schall.
In diesem Lungenbefund, der sich bei Rezidiven des Keuchhustens
wiederholen soll, sieht der Verfasser ein typisches Svmptom des Keuch¬
hustens. Lange Zeit hindurch soll tr bestehen können, bis es eines
Tages unter der Einwirkung irgend einer sekundären Infektion, Masern,
Influenza, Grippe usw. zur Entfaltung der vollständigen Pertussisklinik
kommt, die also demgemäß schon als Rezidiv anzusprechen ist. „Die
Pertussis besitzt die Lungen der Kinder Wiens." Die Dauer der
Keuchhustenerkrankung soll sich über die ganze Kindheit erstrecken
können, also exquisit chronisch sein. Die Klinik der Pertussis wäre
zumeist die Klinik der Rezidive, die durch sekundäre Infektionen an¬
geregt und aufs neue belebt würden. Es ist schwer, dieser Vorstellung
des Verfassers zu folgen, doch sollte man nicht absprechen, ohne ge¬
prüft zu haben. Auen von dem übrigen Inhalt des Buches, z. B. von
dem Kapitel Pertussis-Gehirn ist vieles interessant, wenn auch weniger
revolutionär. In der Therapie wird die Freiluftbehandlung als beste
Prophylaxe der bösartigen Misch infektionen mit Recht aufs wärmste
empfohlen. Wer sich die Mühe der Lektüre . nicht verdrießen läßt,
wird viel Anregung erfahren und erkennen, daß der Keuchhusten
noch manches ungelöste Problem in sich birgt.
F. Göppert (Göttingen), Infektiöse Intoxikation im Sflnxlingsalter.
Jb. f. Kindhlk. 97 H. 1/2. Im Verlauf leichter und schwerer Infekte
stellen sich nicht selten toxische Störungen ein, die alle Zeichen der
alimentären Intoxikation aufweisen können. Das Fortbestehen toxischer
Erscheinungen nach Nahrungsentziehung, die Ausscheidung von Mo¬
nosacchariden im Harn (bei der alimentären Intoxikation stets Disaccha¬
ride) und das nicht. seltene Fehlen von Durchfällen, wenigstens im
Beginn der Störung, erlaubt die Unterscheidung der klinisch sehr ähn¬
lichen Bilder.
E. Krasemann (Rostock), Blotalkaleszeflzontersnchnngefl bei ge¬
sunden und kranken insbesondere intoxizierten Slnglingen. Jb. f.
Kindhlk. 97 H. 1/2. Die Blutalkaleszenz, gemessen an der Karbonat¬
zahl, ist beim jungen Kinde in den ersten vier Lebenswochen, beim
frühgeborenen Kinde und bei der alimentären Intoxikation herabgesetzt.
Fettreiche Nahrungen führen zur Säuerung mit Ausnahme der Fett¬
zusätze, die in Form der geschmolzenen Butter (Buttermehlnahrung)
gemacht werden.
P. Hoffmann und S. Rosenbaum (Marburg), Akute allmeiitire
Broihrangsstöraagea, Nahrung und Magensaftsekretion. Jb. f. Kindhlk.
97 H. 1 [2. Allein das Eiweiß der Milch erregt, wenn die Eiweißkonzen¬
tration in dem Milchgemisch den Eiweißgenalt der Frauenmilch über¬
steigt, eine Sekretion von Magensaft; Fett und Kohlenhydrate sind auf
die Magensaftsekretion ohne jeden Einfluß.
H. Flesch und F. v. Torday (Budapest), Bnttennehlbrel und
Butterraeblvollntllcb. Jb. f. Kindhlk. 97 H. 1/2. Empfehlung der Nah-
rungsgemischc füc^ ältere, dystrophische Säuglinge, Warnung vor ihrer
Anwendung bei Kindern im ersten Halbjahr.
E. Rachmilewitsch (Berlin), Konzentrierte flüssige Meblaahrrag
für lange Sftnglioge. Jb. f. Kindhlk. 97 H. 1/2. Die Hälfte des Ver¬
dünnungswassers mit Weizenmehl kalt verquirlt und zur anderen
Hälfte siedendes Wasser zugesetzt ergibt nach einstündigem Kochen
eine flüssige Mehlsuppe, die mit der gleichen Menge roher Milch ver¬
setzt, ohne weiteren jZuckerzusatz ! cine gärungsdämpfende Säuglings¬
nahrung ergibt, die auch von jungen Kindern gut vertragen wird.
E. Stranky und E. Schiller (Wien), Ueber Lenkolystae. Jb. f.
Kindhlk. 97 H. 1/3. Die Leukopenie nach Nahrungsaufnahme beim
Säugling ist nicht bedingt durch besondere, leukolytisch wirkende
Stoffe, sondern sie beruht wahrscheinlich auf verdauenden oder auto¬
lytisch wirkenden Substanzen, die aus zerfallenden Leukozyten frei
werden.
H. Rieder (Bern), Rondzellenlnfiltrate im Myokard bei Status
thymo-tymphatieflg. Jb. f. Kindh. 97 H. 1 /2. Patienten mit plötzlichem
Herztod und den Befunden eines Status thymo-Iymphaticus und einer
Herzhypertrophie zeigen fast stets im Myokard Rundzelleninfiltrate,
vielleicht entzündlicher Art. die in einzelnen Fällen die Herzhypertrophie
und den plötzlichen Herztod erklären können.
W. Neuland (Berlin), Aetiologie und Prognose der serösen
Pleuritis beim Kinde. Kl. W. Nr. 10. Resultat der Beobachtungen
ergibt: Von 24 Kindern, die zur Zeit ihrer Erkrankung an Pleuritis
tuberkulöse infiziert waren, blieben 18 nach 1—10 Jahren völlig gesund,
bei 7 von diesen waren nur geringe Reste der früheren Krankheit
nachweisbar; 2 boten nach 2—3 Jahren sichere Zeichen einer aktiven,
1 einer überstandenen Lungentuberkulose, 1 Kind litt an einer tuber¬
kulösen Wirbelkaries, 2 zeigten bei der Nachuntersuchung einen für
Tuberkulose zweifelhaften, für ihre Träger derzeit jedoch völlig harm¬
losen Lungenbefund.
Hygiene.
♦♦ Carl Flfiffsre (Berlin), Orundriß der Hygiene. 9. Aufl. Berlin-
Leipzig, Vereinigung wissenschaftlicher Verleger, 1921. 863 Seiten
mit 219 Abbildungen. M. 70.—. Ref.: W. Hoffmann (Berlin).
Flügges „Grundriß der Hygiene" ist in der neunten Auflage
erschienen. Beweist dies schon allein die allgemein anerkannte Brauch¬
barkeit des Buches, so hat diese Auflage noch dadurch an besonderem
Wert gewonnen, daß die Erfahrungen der Kriegs- und Nachkriegszeit
Berücksichtigung gefunden haben. Dies trifft besonders bei der*
Kapiteln Infektionskrankheiten und Ernährung zu. So werden Flügges
Gedanken und Erfahrungen als Hygieniker fortleben, nachdem der
Autor selbst den Lehrstuhl der Hygiene an der Berliner Universität
verlassen hat
Digitized by
Google
Original from
CORNELL UNiVERSITY
VEREINS- UNO KONGRESSBERICHTE
Redigiert von Ober-Reg.-Med.-Rat Dr. O. Strauß._
Berlin, Medizinische Gesellschaft, 4. III. 1922.
Vor der Tagesordnung. Versö berichtet über Neurofibroma¬
tose mit traumatischer maligner Gesell wulst bild ung bei Vater und Sohn.
Die traumatische Entartung ist nicht sehr häufig. Wichtig ist der
Gang der Vererbung.
Besprechung. Benda fragt, ob Veränderungen an Gehirn und
Rückenmark vorhanden waren. Verse verneint dies.
Tagesordnung: Resolution des Ausschusses für Bevölkerung-
E olitik. Nach einem Bericht von Grotjahn und Diskussionsbemer-
ungen von F. Lesser, E. Hamburger, Westenhöffer und Kraus
nimmt die Gesellschaft die von dem Ausschuß vorgeschlagene Re¬
solution zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten an. Sie hat
folgenden Wortlaut: „Die Berliner medizinische Gesellschaft legt
keinen Wert auf Beibehaltung der Reglementierung, unter der Be¬
dingung, daß bei der Neuregelung der Ueberwachung aller der
Verbreitung von Geschlechtskrankheiten verdächtiger Männer und
Frauen sämtliche erprobten ärztlichen Maßnahmen zur Verhütung der
Geschlechtskrankheiten durchgeführt werden.“
Schlußwort über Salvarsaof ragen. Arndt besteht auf der staat¬
lichen Kontrolle des Präparates. Für den Praktiker ist die Indikations¬
stellung am wichtigsten. Die Behandlung aller Fälle von latenter Spät¬
syphilis mit Salvarsan lehnt er ab, solange die Behandlung nicht gefahr¬
los geworden ist. Manche Fälle von Syphilis sind gegen Salvarsan
völlig refraktär. Das Salvarsan ist ein ansgezeichnetes Mittel, das man
nicht mit zu großem Pessimismus, aber auch nicht mit zu großem Op¬
timismus betrachten darf. Der Abortivkur von Lesser muß mit Skepsis
entgegengetreten werden. Der Syphilisarzt von Citron wird energisch
abgelehnt.
Citron: Die Internisten sind sich in der Diskussion einig darüber
gewesen, daß das Salvarsan auch in Fällen anzuwenden ist, die Ehr¬
sich als kontraindiziert angesehen hat. — Die Mehrzahl der Syphilitiker
hat keine Hauterscheinungen gehabt, und deshalb ist es nicht nötig,
daß nur der Dermatologe die Frühsyphilis behandelt. — Es scheint
noch nicht sicher zu sein, ob der Ikterus überhaupt ein Salvarsan-
schaden ist. Dresel.
Berlin, Laryngologische Gesellschaft, 20.1. und 3. III. 1922.
(20. 1.) Bradt: Rekurrensparese bei einem Aneurysma der Vena
anoayoa auf syphilitischer Basis.
Finder macht noch auf das Symptom der Lähmung des rechten
Armes durch Druck auf den Plexus brachialis aufmerksam.
Halle: Ueber Ganmeuplastik. Halle geht zunächst auf die
Langenbecksche Methode der Operation des Wolfsrachens ein,
deren Nachteil er in einer Funktionsbeeinträchtigung durch Ver¬
kürzung des Gaumens in der Gegend der Uvula sieht. Auch künst¬
liche Gaumenplatten, Obturatoren, helfen nicht viel. Daß sich der
weiche Gaumen möglichst dicht an den Rachen anlegt, erreicht
Halle dadurch, daß er den Langenbeckschen Schnitt um die
letzten Molarzähne bis zum weichen Gaumen erweitert, wodurch der
ganze Gaumen, auch die Gegend der Uvula, nach hinten verlagert
wird. Während der Heilung des Schnittes wird eine Zelluloidplatte
oder Drahtplatte an den Zähnen (Ganzer) befestigt zur Schonung
der Gaumennaht. Halle demonstriert sodann Photographien trau¬
matischer Gaumendefekte (Kriegsverletzungen), welche er durch von
Esser angegebene Lappen aus der Wange — Schnittführung vom
Augen-Nasen- bis Mundwinkel — gut deckte. Besonders guten kos¬
metischen Erfolg bei großen Defekten hatte Halle mit Strang¬
lappen (nach Oanzer) aus dem Arme (besonders bei Frauen zu
empfehlen, um die Gesichtsnarbenbildung zu vermeiden).
Besprechung. Ganzer empfiehlt, auch mittlere Defekte nach
der zuletzt von H al 1 e erwähnten Methode zu decken. Er legt keinen
zu großen Wert auf die beiderseitige Epithelisierung der Lappen,
da er auch bei einseitig epithelisierten weder Perforationen noch
Schrumpfung beobachtet hat.
Esser legt ebenfalls nicht zu großes^Gewicht auf di£ beider¬
seitige Epithelisierung der Lappen, besonders bei mittleren De¬
fekten. Er rät, evtl, den von inm angegebenen Lappen mit dem
Epithel eines Thierschschen Lappens zu umwickeln.
Halle empfiehlt, bei kleineren Defekten Lappen aus der Nach¬
barschaft zu nehmen, sowie bei größeren Defekten doch auf die
beiderseitige Epithelisierung der Lappen zu achten.
(3. III.) Vogel: a) Verätzung der Speiseröhre und des Pharynx mit
Essigessenz, mit letalem Ausgange an Bronchopneumonie, b) Demon¬
stration von Zungenpapillomzelchnungen.
Minnigerode: a) Sarkom des Nasenrachenraumes. Erleichterung
durch Radium, b) Karzinom der Trachea, c) Sarkom des Kehlkopfes.
Besprechung. Kuttner hält die langdauernde Anwendung des
Radiums für nicht ungefährlich.
Schötz berichtet von einem ähnlichen Fall.
Claus berichtet über die Behandlung des 1. Falles im Virchow-
Krankenhaus mit Röntgenbestrahlung. Claus hat keine guten Erfah¬
rungen mit Radium gemacht.
Finder hatte ebenfalls keine guten Erfolge mit Radium.
Hey mann ebenfalls.
Rosenthal berichtet über einen ähnlichen Fall.
Minnigerode hat bei dem l.Fall lediglich Radium wegen des Versa¬
gens jeder anderenTherapiezursymptomatischen Erleichterungangewandt.
Weingärtner: a) Magenschiaucb im Oesopnagus. t b) Kohle im
linken Bronchus, c) Plastik einer Sattelnase mit Kork.
Rosenthal: Tumor des Larynx als Nebenbefund bei Angina-
Tonsillitis. v Ludwig Joseph (Berlin).
Leipzig, Medizinische Gesellschaft, 13. XII. I92D.
Marchand gibt die Schlußfolgerungen seines am 29. XI. gehaltenen
Vortrages über die painologische Anatomie der Lungentuberkulose.
Besprechung über die Tuberkulosevortrige von Marchand
(vgl. Nr. 1 S. 48) und Hübsch mann (vgl. 1921 S. 1445).
Hübschmann führt aus, daß (vgl. Nr. 1 S. 48) Schwankungen
im Immunitätszustand bei Tuberkulose nicht selten Vorkommen, dessen
Beziehungen zum zellulär-anatomischen Zustand sind jedoch noch
nicht geklärt. Es wird kurz das Asch off sehe Einteilungsschema der
Lungenphthise besprochen und diesem das klinisch gut brauchbare
Fraenkel-Albrechtsche Schema gegenübergestellt.
Strümnell setzt die durch klinisch-physikalische Untersuchungen
zu erhaltenden Vorstellungen über den jeweils bestehenden pa'tho-
logisch-anatomischen Befund Lungenerkrankter auseinander. Es er¬
gibt sich hieraus, daß klinisch eine strenge Scheidung im Sinne des
Asch off sehen Schemas nur in der Minderzahl der Fälle ermöglicht
ist. Nicht nur der pathologisch-anatomische Prozeß in den Lungen
entscheidet die Prognose, sondern vor allem andere endo- und ex¬
ogene Faktoren (Disposition, Konstitution) sowie äußere Umstände.
Es wird vor der Einseitigkeit gewarnt, die Lungentuberkulose als ein
rein pathologisch-anatomisches oder nur als ein immun-biologisches
Problem zu behandeln. Der Begriff „Ausheilung“ ist für den Patho¬
logen ein anderer als für den Kliniker. Die Gefahr einer gewissen
Suggestion insbesondere der jüngeren Aerzte ist durch die Auf¬
stellung von schematischen Einteilungen gegeben. Jeder Fall von
Lungentuberkulose ist individuell anzusehen, zu erforschen und zu
behandeln.
Aßmann betont den Wert exakter pathologisch-anatomischer
Untersuchungen für das Problem der Lungentuberkulose; es spielen
die aber vorläufig noch ungeklärten immun-biologischen Vorgänge
jedoch auch eine RoHe. Es wird auf die Aehnlichkeit der kindlichen
Tuberkulose mit manchen Fällen von „Kriegstuberkulose“ hinge¬
wiesen, deren Lokalisation im unteren und mittleren Lungenfeld,
aber nicht in der Spitzenregion erfolgt, deren Ausgang als käsig-
bronchopneumonische Form meist letal ist. Die Anschauung einer
Ausbreitung der Tuberkulose durch retrograden Lymphtransport vom
Hilus nach der Peripherie bei Erwachsenen wird als nicht genügend
pathologisch-anatomisch erwiesen angesprochen. Die Nomenklatur
Aschoffs dürfte gegenüber der bisher gebräuchlichen von Fraen-
kel-Albrccht wohl keine Vorteile bieten.
Wandel will sowohl bei Kindern wie bei Erwachsenen die
Verbreitungsweise der Tuberkulose vom Hilus nach der Peripherie
zu verfolgt haben. Er warnt ebenfalls vor dem Schematisieren auf
Grund der Asch off sehen Einteilung. Sie versagt besonders bei den
exsudativen Formen, deren Aehnlichkeit mit pneumonischen Prozessen,
syphilitischen Entzündungen und Lymphstauungen erwähnt wird und
deren Prognose nicht immer ungünstig ist.
Hueclc: Scheinbare Ausbreitung der Tuberkulose vom Hilus
nach der Peripherie ist dadurch bedingt, daß eine sich allmählich
verbreitende, durch unspezifische Prozesse hervorgerufene Entzün¬
dungsstraße zwischen peripherischem Herd und vergrößerten Hilus-
drüsen im Gebiete der Lymphwege perivaskulär und peribronchial
entstehen kann.
Marchand: Eine Ausbreitung der Tuberkulose vom Hilus nach
der Spitze besteht für gewöhnlich nicht, nur in den Fällen, wo ein
Durchbruch in einen Bronchus und eine Aspiration peripherwärts er¬
folgt; bei Kindern häufiger als bei Erwachsenen.
Kruse: Eine Immunisierung durch in der Kindheit überstandene
Tuberkulose findet nicht in dem Maße statt, wie gewöhnlich an¬
genommen wird. Die größere Morbidität und Mortalität an Tuber¬
kulose bisher davon verschonter Völker wird durch Mangel an
Rassenimmunität, nicht an individueller Immunität erklärt.
Klarfeld spricht über die pathologische Anatomie des Gehirnes
in ihren Beziehungen zur Psychiatrie, auf die besondere Problem¬
stellung in der Psychiatrie hinweisend, die aus der Klinik derselben
sich ergibt. Dadurch genauere Umgrenzung bestimmter Krankheits¬
einheiten in einzelnen Gebieten möglich geworden. Auf anderen
Gebieten war bis jetzt kein eindeutiges pathologisch-anatomisches
Substrat zu finden (Psychosen usw.). Der Nachweis des Abbaues
bestimmter Organe bei manchen Geisteskrankheiten hat auch manche
Aufklärung gebracht. Die Untersuchungen Heids sind eine wichtige
Grundlage für das Verstehen pathologisch-anatomischer Vorgänge
im Nervengewebe. Gliagewebe und Ganglien-, Nervengewebe bilden
eine biologische Einheit. Gliagewebe kann auf irgendwelche Schädi¬
gung direkt reagieren. Insbesondere erfordern entzündliche Vor-
*) Bel der Redaktion eingegangen am 22. Ü. 1922.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
438
VEREINS- UND KONORESSBERICHTE
Nr. 13
gange am Nervengewebe eine neue Auffassung. Eine Abgrenzung
einzelner Krankheiten vom ätiologischen Standpunkte aus ist viel¬
fach nicht möglich, denn Stoffwechselstörungen, infektiöse Erkran¬
kungen, endokrine Störungen können die gleichen Erscheinungen
hervorrufen. Kongenitale Anlage des Gehirns ist auch zu berück¬
sichtigen. Eine Hirnerkrankung ist — wie immer — die Resultante
mehrerer Faktoren.
Nießl v. Mayendorf weist auf die bisher ungelöste Aufgabe
des Nachweises bestimmter Veränderungen des Nervengewebes bei
Ablauf des normalen Vorstellungslebens (des Erkennens, Wahr¬
nehmens usw.) hin.
Bumke: Für die Erklärung psychischer Vorgänge dürften sich
als „Ablaufserscheinungen“ keine pathologisch-anatomischen Verände¬
rungen nachweisen lassen, wohl aber für dauernde, tiefergreifende
psychische Veränderungen. Thomas (Eigenbericht).
Zwickau, Medizinische Gesellschaft, I. XI. 1921 *).
Offizielles Protokoll.
Vorsitzender: Braun. Schriftführer: Dietel.
Müller-Gottsched berichtet über einen Fall vt>n Qoebell-
Stoeckelscher Operation wegen puerperaler Harninkontinenz, bei dem
es infolge Infektion und ungenügender Drainage des paravesikalen
Bindegewcbsraumes zunächst zu einer Blasenschcidenfistel gekommen
war, die spontan heilte. Danach war der Blasenschluß vollkommen.
Vier Monate später erkrankte die Patientin an einer impermeablen
Striktur der Harnröhre, die aus vitaler Indikation zur Anlegung
einer Blasenscheidenfistel zwang. Die Striktur wird erklärt durch
narbige Schrumpfung der in diesem Falle außerordentlich lang ge¬
nommenen, zu einem doppelten Ring um den Blasenhals gelegten
und sehr fest angezogenen Aponeurosenmuskelstreifen. Bei derselben
Patientin führte Müller-Gottsched eine neue Methode der tem¬
porären Sterilisierung aus. Es lag ihm daran, die Ovarien in ihrer
normalen Lage durch einen Mantel von den Tuben abzuschlicßen,
ohne Ovarien oder Tuben zu schädigen. Er benutzte dazu ein frei
transplantiertes Netzstück, das, über das Ovarium gebreitet, an das
hintere Blatt des Ligamentum latuin geheftet wurde. Sterilisierungs¬
effekt ist erreicht. Wiederherstellung der Fruchtbarkeit wird denk¬
bar einfach sein.
Besprechung. Kulenkampff hält das Müller-Gottschedsche
Verfahren, eine temporäre Sterilisation, d. h. Einhüllung der Ovarien
in ein frei transplantiertes Netzstück, für einfach und sicher.
Braun: Die Mitteilung eines Mißerfolgs der Stöckelschen Ope¬
ration ist sehr dankenswert. Die transplantierte Faszie neigt sehr
zur Schrumpfung, und wenn die Umschnürung der Harnröhre nicht
sehr vorsichtig gemacht wird und noch eine Wundinfektion hinzu¬
kommt, so können sich leicht Harnröhrenverengerungen bilden. Bei
Frauen, die einen Vorfall der vorderen Scheidenwand und eine
Zystozele haben, wird Inkontinenz gewöhnlich beseitigt, wenn die
Zystozele beseitigt wird, am besten durch die Schauta-Wertheimsche
Operation.
Braun: Ueber Epimeningitig spinalis. Kürzlich hat Hinz (D. m. W.
1921 Nr. 41) über einen Fall von Perimeningitis spinalis
(eitrige Entzündung im epiduralen Raum) berichtet. Braun erörtert
die Bedingungen, unter welchen chronische und akute Entzündungen
in diesem Raum Zustandekommen können, und berichtet über einen
Fall, wo im Anschluß an eine Lymphaugitis am Arm das linke
Beckenkreuzbeingelenk vereiterte. Es hatte sich ein Abszeß gebildet,
der unmittelbar vor den linken Querfortsätzen der Lendenwirbelsäule
lag und die Wurzeln des linken Plexus Iumbalis und sacralis umspülte
und der von hinten her eröffnet werden konnte*. Klinisch bestanden
schwere Neuralgien im linken Bein und eine Peroneuslähmung. In
der Folge stellten sich aber noch heftige Neuralgien in den Bauch¬
decken und Zwischenrippennerven ein, und zwar beiderseits,
während das rechte Bein frei blieb, ferner Nackenschmerzen und
wiederholtes Erbrechen. Dabei waren Puls und Temperatur normal,
und die Lumbalpunktion förderte klaren Liquor. Braun faßt diese
Symptome als Folge einer Perimeningitis spinalis auf, die sich ver¬
mutlich durch die linken Wirbellöcher der Lendenwirbelsäule auf den
epiduralen Raum fortgesetzt hat. Es trat Heilung ein. Nur die
Peroneuslähmung besteht vorläufig noch. Die Neuralgien haben sich
ganz verloren.
Braun berichtet über seine weiteren Erfahrungen mit der Unter¬
bindung bzw. Resektion der Vena ileocolica bei mesenterialer Pyämie
nach Appendizitis. Braun hatte bis 1913 (Beitr. z. klin. Chir. 86
S. 314) zweimal die Operation ausgeführt, beide Male mit Erfolg.
Seitdem hat er wieder 2 Fälle operiert, von denen der eine gehellt
ist. In dem anderen kam die Operation zu spät, die Thrombose war
schon bis in die Vena portae vorgeschritten. Von anderer Seite sind
seither zwei Mitteilungen veröffentlicht. Weil (Küttner) (B. kl. W.
1920 S. 270) berichtet über eine erfolgreiche Unterbindung der Vena
ileocolica. Bräunig (Heidenhain) (M. m. W. 1921 S. 1115) be¬
richtet über 7 derartige Operationen, rünf Frühfälle, wo die Vene
im Gesunden unterbunden werden konnte, sind geheilt, zwei Spätfälle
sind gestorben, der eine an Peritonitis, der andere an Pfortaderthrom¬
bose. Braun kommt zu folgenden Schlüssen: Ein 'Schüttelfrost
bei der Appendizitis ist stets ein Alarmzeichen, und wenn er sich
wiederholt, ist höchste Eile am Platze. In jedem solchen Falle, auch
wenn nur ein Schüttelfrost vorangegangen war, sollte die Vena
») Bei der Redaktion eingegangen am 25.1. 1922.
ileocolica unterbunden werden. Man kann sie sich leicht vom gewöhn¬
lichen Appendizitisschnitt aus zugänglich machen, und ihre Unter¬
bindung ist kaum eine Komplikation der gewöhnlichen Operation.
Die Operationen werden selten erfolgreich sein, wenn bereits das
ausgesprochene Bild der mesenterialen Pyämie da ist, gehäufte Schüt¬
telfröste vorangegangen sind und die Vena ileocolica vereitert ist.
Ihr Erfolg wiixi kaum ausbleiben, wenn man die Vene unterbinden
kann, bevor sie thrombosiert ist.
Kulenkampff: Ueber Lungengaiigräfl. Kulenkampff berichtet
über einen glücklich in örtlicher Betäubung operierten Fall von
multipler Lungengangrän, bei dem sich zwei Herde im rech¬
ten Unterlappen landen, die durch zwei Eingriffe eröffnet wurden.
Nach den letzten, allerdings schon älteren größeren Statistiken mögen
etwa ein halbes Hundert Fälle von multipler Gangrän operativ ge¬
rettet sein. Aetiologie: wahrscheinlich Tabakaspiration einige
Monate zuvor (Zigarettenraucher). Typischer, schwer kachektischer
Eindruck mit fahler, grauer Farbe, Trommelschlägelfinger,
die einige Wochen nach Eröffnung der Herde in charak¬
teristischer Weise sich wieder zurückbildeten. Es be¬
stand von seiten des Hausarztes der Verdacht auf Lungentuber¬
kulose, der durch den Befund säurefester Stäbchen an¬
scheinend bestätigt wurde. Es ist nä in lieh nicht in die Lite¬
ratur übergegangen, was Lenhartz schon lehrte, daß
bei der Lungengangrän säurefeste Stäbchen Vorkom¬
men. Auch hier war das der Fall. Dieselben schwanden sofort nach
Eröffnung des Herdes. Auch exzidiertes Lungengewebe aus der
Höhlen wand ließ mikroskopisch keine Tuberkulose erkennen. Ope¬
rativ war günstig, daß trotz tiefen Sitzes der Herde — 12 cm — eine
dicke Pleuraschwarte vorhanden war. Der zweite Eingriff wurde
gleich mit einer partiellen Thorakoplastik, Resektion der 4.—8. Rippe
in der Mamillarlinie verbunden. Es besteht noch eine kleine Bronchus¬
fistel, die eventuell noch durch eine Plastik gedeckt werden muß.
Köln, Allgemeiner ärztlicher Verein, 12. XII. 1921.
M. Samuel: Ueber die Behandlung des Abortes. S. ist unbedingt
für digitale Austastung sowohl beim fiebernden wie nicht fiebernden
Abort. Nur bei nicht fieberndem Abort bis zum 2. Monat darf küret-
tiert werden, wenn die Zervix für den Finger nicht durchgängig
ist und es stark blutet. S. ist auch beim fiebernden Abort für
aktives Vorgehen. Bei Kürettage wie Austastung kennt S. keinerlei
Assistenz, weil er stets ein sich selbsthaltendes hinteres Spekulum
verwendet und sich im Privathause aus 2 Bettüchern absolut fest¬
sitzende Beinhalter improvisiert. Ein Bettuch hält die Beine, indem
es um den Nacken geschlungen ist, nach oben, das andere Bettuch
hält die Beine seitlich auseinander dadurch, daß es um die Tisch¬
beine herumgeschlungen, am ersten Bettuch wieder befestigt wird.
Ehe bei einer Schwangerschaft über 2 Monate ausgetastet wird,
soll der in den Uterus eingeführte Finger den Kopf fest gegen
die äußere, dem Uterus aufliegende Hand anpressen, wobei der ein¬
geführte Finger sich in eine Fontanelle einbohrt und damit der Kopf
zusammenfällt. Die Entleerung des Uterus ist danach leicht. Spü¬
lungen und Tamponade hält er für unnötig.
In der Besprechung legt Löhnberg den Standpunkt der
Füthsehen Klinik in der Abortbehandlung dar: Grundsätzlich wird
der Gebrauch der Kürette bei der Ausräumung des abortierenden
Uterus auch vor dem 2. Monat verworfen. Digitale Ausräumung
des Uterus, sobald Zervix für Finger durchgängig. Die Zervix¬
dilatation wird erreicht durch Laminaria- bzw. Hegardilatation, und
vor allem durch Uterovaginaltamponade mit Jodoformgaze. Durch
eine rite durchgeführte Uterovaginaltamponade mit dem praktischen
Rapidtamponator erübrigt sich oft die digitale Ausräumutig, da durch
die angeregte Wehentätigkeit der Uterus seinen Inhalt gar nicht so
selten hinter der Tamponade spontan ausstößt. Die Wintersche
Abortzange soll nur zur Entfernung vorher digital gelöster Abort¬
reste Verwendung finden. Anschließend Spülung des Uterus mit
1,5 o/ciger Lysoformlösung und nachträgliche lodoformgazetamponade
für 6—12 Stunden. Beim fieberhaften Aborte ist an der Kölner
Klinik nur konservatives Vorgehen. Jedoch wird bei starker Blutung
zur sofortigen Entleerung des Uterus geschritten, die so schonend
wie möglich zu erfolgen hat. Sonst wird empfohlen, zunächst unter
Bettruhe und Eisblase die Entfieberung abzuwarten und dann nach
erreichter Fingerdurchlässigkeit, die am besten durch Uterovaginal¬
tamponade erzielt wird, die digitale Ausräumung vorzunehmen. Das
Trelatsche Spekulum hat sich stets glänzend bewährt
Frankenstein weist auf die Differenz zwischen der klinischen
und praktischen Behandlung hin. Stets sei digital auszuräumem nie
mit der Kürette. Die Spülung sei ideal, aber im Privathause wendet
er sie nicht an. Die Tamponade sei im Privathause nicht immer
durchführbar, eine rite ausgeführte Digitalausräumung bedarf keiner
Tamponade. Frankenstein tamponiert zwar anfangs schnell, ent¬
fernt aber fast unmittelbar darauf wieder den Tampon. Beim fieber¬
haften Abort muß nach Frankensteins Ansicht stets in der
Praxis ausgeräumt werden. Die Wintersche Abortzange ist nicht
ungefährlich. — Lammers hält die Digitalausräumung nicht immer
für möglich. Aber eine Ausräumung hat stets zu erfolgen.
Samuel (Schlußwort): Das selbsthaltende Trelatsche Spekulum
verwirft er, weil für den Praktiker das Sicherheitsgefühl bezüglich
der Perforation gegenüber dem federnden Halten des Uterus mit
2 Kugelzangen verloren geht. Das exspektative Verhalten ist in
Digitized b'
Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
31. März 1922
VEREINS- UND KONORESSBERICHTE
439
der Praxis nicht durchführbar, aber auch nicht angebracht; denn
bisher ist absolut unbewiesen, daß das exspektative Verhalten bessere
Resultate gibt.
Külbs: Ueber die für die Praxis wichtigsten Hypertonien. Auf
dem Gebiete der Hypertonien ist zwar experimentell viel gearbeitet,
die Erfahrungen am Krankenbette sind jedoch sehr gering. Die Er¬
krankung zeichnet sich dadurch aus, daß weder Eiweiß noch Zylinder
im Urin nachweisbar sind, trotz der Blutdruckerhöhung auf 150 bis
200. Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, Dyspnoe, Nasenbluten, Schluck¬
beschwerden, stenokardische Anfälle sind die hervorstechenden Sym¬
ptome. Meist haben die Patienten einen Schlemmertypus, gedrungenen
Habitus, aufgetriebenes Abdomen, röntgenologisch Zwerchfellhoch¬
stand. Emphysemhabitus, Herz wenig verändert, Puls leicht be¬
schleunigt, Art. dorsalis pedis rigide, die Aorta in 1/3 der Fälle
verbreitert, Leber vergrößert. Therapeutisch ist kochsalzarme Kost
wichtig. Auch die Hydrotherapie hat dabei Erfolg: 5—10 Minuten
auf eine rauhe warme Matte treten, Fußbäder, heiße Abreibungen,
heiße Kompressen auf den Rücken. Die Nitrite wirken am besten,
daneben kleine Digitalisdosen (Heimsche Pillen), oder Digitalis
+ Diuretin. Oft günstig ein Aderlaß. Külbs hat bisher 250 Fälle
behandelt, die Mehrzahl zwischen dem 50.—60. Lebensjahre. Die
Blutdruckerhöhung bleibt über Monate und Jahre bestehen. Die
Nebennieren sind glicht mit beteiligt, ein Kontraktionszustand des
peripherischen Gefäßsystems ist nicht auszuschließen.
H. F. O. Haberland (Köln).
GieBen, Medizinische Gesellschaft, II. 1.1922.
Offizielles Protokoll.
Vorsitzender: Ott. Schriftführer: Gundermann.
Rothmann: Die Mischung der Quecksilber- and Salvnrsanpräpa-
rate and ihre therapeutische Anwendung. Rothmann konnte zeigen,
daß bei der Linserschen Mischung von Salvarsan und Sublimat nicht
hochkomplizierte organische Hg-Verbindungen entstehen,, wie mehr¬
fach vermutet worden ist, sondern daß das Sublimat zu kolloidalem
metallischen Hg reduziert wird, indem ein geringer Teil des Salvar-
sans eine Oxydation erleidet (vgl. D. m. W. 1921 Nr. 3). Tierversuche
ergeben, daß die Oxydationsprodukte des Salvarsans auch nach Bei¬
mischung sehr hoher Sublimatdosen keine Vergiftungserscheinungen
hervorrufen. Die Ausfällung des kolloidalen Hg bedingt keine Embolie¬
gefahr, da die sekundäre Verfestigung der Teilchen äußerst langsam
erfolgt. Nur nach 24stündigem Stehenlassen der Mischung führte
die intravenöse Einspritzung im Tierversuch zu einem tödlichen
Lungeninfarkt. Das Mischverfahren erweist sich demnach auf Grund
der experimentellen Untersuchung als eine einwandfreie, ungefähr¬
liche und wohlbegründete Methode. Grundsätzlich die gleichen Ver¬
hältnisse wie bei der Mischung des Salvarsans mit Sublimat ergeben
sich bei der Mischung des Salvarsans mit anderen ionisierten oder
halbkomplexen Hg-Salzen. Die Reduzierbarkeit der verschiedenen
Hg-Präparate durch Salvarsan steht in Parallele mit ihrer Fällbarkeit
durch Schwefelammonium. Die vollkomplexen Hg-Salze, die keine
Ionenreaktionen geben, scheiden auch bei der Mischung mit Salvarsan
kein gefälltes kolloidales Hg ab. Da die vollkomplexen Hg-Salze
therapeutisch keine Hg-Wirkung entfalten, ist es verfehlt, zur Misch¬
behandlung solche Hg-Verbindungen zu' wählen, die keine Trübung
durch Salvarsan erleiden. Die Adsorption des Salvarsans an die Hg-
Teitchen und die Dispersitätsänderung beider Substanzen ließen gute
therapeutische Resultate erhoffen. Die Erfolge waren jedoch nicht
befriedigend. Die Mischkur wurde mit verschiedenen Hg- und ver¬
schiedenen Salvarsanpräparaten ein Jahr hindurch bei 242 Patienten
durchgeführt. Auffallend schwer ließen sich die sekundär-syphilitischen
Infiltrate und die Wa.R. beeinflussen. Unter 136 Patienten, bei denen
die Beendigung der Kur mehr als 6 Monate zurückliegt, waren in
23o/o der Fälle klinische und serologische Rezidive zu beobachten; in
12o/o der Fälle ist die positive Wa.R. unbeeinflußt geblieben. Diese
35o/o erfolglos behandelten Fälle sind als Minimal-Prozentzahl zu
betrachten, da die Beobachtungszeit zu kurz ist und nicht sämtliche
Patienten dauernd beobachtet werden konnten. Die ungenügende
'Wirksamkeit der Mischungen wird in dem Umstand zu suchen sein,
es nicht zur Depotwirkung des Hg kommt; die intravenöse Ein-
vo.eibungsmethode des Hg scheint eine gleichmäßige und dauernde
Hg-Wirkung auch dann nicht zu zeitigen, wenn das Hg ungelöst und
mit großer Oberflächenentfaltung in die Vene gelangt.
Mönchen, Aerztlicher Verein, 8. II. 1922.
Jansen: Krankheitsbilder der Polyserositis mit Krankenvorstellungen.
4 Fälle, lßjähriger Jüngling. Beginn mit Atemnot und Spannungs¬
gefühl im Leib. Dann allmählich im Verlaufe von 2 Jahren Atem¬
not verstärkt, Zyanose, Herzvergrößerung nach R, weniger nach L,
über allen Ostien systolische Geräusche, 2. Pulmonalton stark akzen¬
tuiert, diffuse Bronchitis, große Leber, Aszites und Oedeme; de-
kompensorische Mitralinsuffizienz, R pleuritische Schwarte, Drüsen in
der Fossa supraclavicuiaris und submaxillaris; Aszitesflüssigkeit ent¬
hält 5o/o Eiweiß; subfebrile Temperatur. Aetiologie: Tuberkulose. 44-
jähriger Mann. Herzhypertrophie, Vorhofflimmern (Elektrokardio¬
gramm!). Arhythmia perpetua, frustrane Systolen (Puls 90, Herz
160); alte pleurit. Schwarte, Aszites, Stauungsleber, Strangulierung
der Vena port. und cava infer. auch hier. Aetiologie: Tuberkulose.
52jähriger Mann: pleurit. Schwarte, Herzhypertrophie, Aszites, Leber¬
zirrhose auf polyserositischer Grundlage, Arhythmia perpetua. Seit
ca. 10 Jahren krank, 24mal punktiert, zur Zeit jede Therapie effektlos.
20jähriger Jüngling. Beginn mit Nasenbluten, Verdauungsbeschwerden,
Spannung im Leib. Im Laufe der Monate im Wechsel mit Perioden
der Besserung allmählich Zyanose, Atemnot, Herzhypertrophie (Drei¬
eckform des Herzens), 90 mm syst. Blutdruck; Punktion des Herz¬
beutels (2mal 800 ccm) ergibt hämorrhagisches Exsudat. Zur Zeit
mächtiger Aszites und stärkste Oedeme vom Bauch abwärts. Die
Röntgenaufnahmen zeigen überall die zackigen, in das Pleuroklrd
einstrahlenden Herzschattengrenzen, die Pleuraschwarten, Leberver¬
größerungen, Zwerchfellhochstand und Verdichtungen im rechten
Lungenbild. Therapie: Digitalis und Theozin; daneben mit gutem
Erfolg Höhensonne und als ausgezeichnetes Diuretikum Novasurol.
Jansen bespricht die Frage der Kardiolyse, über die erst noch
genügende chirurgische Erfahrungen gesammelt werden müßten.
Sauerbruch Desprach die Breuersche Operation. Verwachsungen
zwischen Myokard und Perikard hätten nach seiner Erfahrung keinen
wesentlich ungünstigen Einfluß auf die Herzleistung, wohl aber
Verwachsungen, Leisten- und Strangbildungen zwischen Perikard und
Pleura. Diese zwängen das Herz durch die Spannung zur erhöhten
primären Leistung durch Gegenzug und machten das Herz allmählich
insuffizient oder sekundär durch Strangulierung der Vena cava infer.
oder super. Solche Fälle müßten operiert werden, und zwar mög¬
lichst frühzeitig, denn dann sei die Prognose günstig. Er habe den
Erfolg am Puls unmittelbar nach Durchschneiaung der Stränge auf
dem Operationstisch beobachten können. Für geeignete Fälle (starke
bedrohliche perikarditische Exsudate) empfiehlt er die Perikardio¬
tomie oder Anlegung eines Zwerchfellfensters, damit das Exsudat in
die Bauchhöhle abfließen kann (französische Methode nach Delong).
Thannhäuser sprach über Novasurol als Diuretikum. Ausge¬
zeichnet, aber gefährlich bei primärer Nierenerkrankung. Hier
Schädigung des Nierengewebes und Blutharnen. Jm Zweifelsfall stets
robeweise 1 ccm der Bayer-Elberfeldschen 2,2 g Dosis. Wenn da-
ei keine Diurese einsetzt, aufhören. Bei guter Wirkung (Steigen
der Wasser- und Kochsalzausscheidung), 2mal 2 ccm in der Woche,
bis der Patient entwässert ist. Hoeflmayr.
Heidelberg, Naturhistorisch-medizinischer Verein,
10.1.1922.
Teutschländer: Demonstration über experimentelle Teerkarzi¬
nome. Projektion von Diapositiven von Hautveränderungen und
Epitheliomen, welche durch monatelange Pinselung mit Gaswerkteer
erzeugt werden. Alle 5 der 55 gepinselten Mäuse, welche den 4. bis
7. Pinselungsmonat überlebten, zeigten epitheliale Tumoren. Bei
dreien davon kann nach dem histologischen Bild an der biologischen
Bösartigkeit der Gewächse kein Zweifel bestehen, wenn auch de-
struierendes Wachstum nicht sicher nachgewiesen werden konnte.
Die Veränderungen der 2 übrigen Tiere sind mikroskopisch noch
nicht untersucht, stimmen aber makroskopisch mit den bereits
untersuchter Tumoren überein. Unabhängig von den Teusch¬
iänder erst vor kurzem bekannt gewordenen Mitteilungen Blochs
konnte durch Experimente mit verschiedenen Teerfraktionen, aus¬
geführt durch cand. med. Jordan, gezeigt werden, daß es mit
einer gewissen Teerfraktion schon nach einigen Monaten gelingt,
ähnliche makroskopische Wucherungen zu erzielen, wie bei vier-
monatiger Pinselung mit Vollteer. Diese Versuche sind noch nicht
abgeschlossen. — Im Anschluß an die Teertumoren werden dann
seltenere Spontankarzinome demonstriert, welche Teuschländer
auf relativ spezifische, parasitär chemische Reize zurückführt: zu¬
nächst ein Bilharzia-Karzinom der Harnblase, an dessen Peripherie
noch zahlreiche Bilharziaeier zu erkennen sind, die von Teusch¬
länder auch bei einem an Hämaturie und Papillombildung der
Harnblase leidenden Aegypter im Urin nachgewiesen werden konnten.
Schließlich wurden mehrere der von Teuschländer beobachteten
Fälle von Kalkbeinkarzinom gezeigt, das ist ein Mittelfu߬
karzinom des Haushuhns, das sich im Anschluß an eine durch eine
Milbenart verursachte Fußkrätze entwickelt.
Dennig: Gefäßreflexe der Rückenmarkskrankheiten. Nach dem
Vorbild von Stursberg wurden Kältereflexe plethysmographisch
registriert, außerdem die von L. R. Müller beschriebene reflek¬
torische Dermographie und ihr Ausfall bei Rückenmarksverletzung
genauer untersucht. Hieraus wurde gefolgert: Die Vasokonstriktoren
für den Arm entspringen unterhalb des rechten Dorsalsegmentes
aus dem Rückenmark. Die Vasodilatatoren stehen bei Menschen
ebenso, wie es beim Tier nachgewiesen ist, in engstem Zusammen¬
hang mit den sensiblen Fasern für Temperatur- und Schmerzemp¬
findung. Sowohl die Gefäßverengerung als auch die Gefäßerweiterung
bei der reflektorischen Dermographie kommt nur durch die Dilata¬
toren ohne Mitwirkung der Konstriktoren zustande. Der Reflex wird
innerhalb eines Rückenmarksegmentes geschlossen. Die Vaso¬
konstriktoren und Dilatatoren sind weitgehend unabhängig vonein¬
ander.
Falkenheim: Serologische Untersuchungen über die Struktur
nnd die Herkunft der Blutplättchen. Falkenheim berichtet über
Untersuchungen, die von ihm und Rosenthal im vergangenen Jahr
an der Breslauer medizinischen Klinik durchgeführt wurden. Es
wurde versucht, nach Immunisierung von Kaninchen mit Erythrozyten,
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
440
VEREINS- UND KONGRESSBERICHTE
Nr. 13
Leukozyten und Blutplättchen des Menschen durch Ausprüfung der
Spezifizität der gebildeten Zellagglutinine im serologischen Reagenz-
glasversuch gegenüber den als Antigen verwendeten drei Zellformen
des Blutes tiefere Einblicke in ihre verwandtschaftlichen Beziehungen
zu gewinnen und aus diesen Rückschlüsse auf die Abstammung der
Blutplättchen zu ziehen. Die Versuche wurden mit inaktivierten
Seren angesetzt, die Ablesung erfolgte nach zweistündigem Auf¬
enthalt im Brutschrank bei 37° und Verweilen im Eisschrank bis
zum nächsten Tage. Leukozyten und Blutplättchen erwiesen sich
als ebenso agglutinierbar wie die Erythrozyten. Die mit Erythrozyten
erzeugten Agglutinine waren hauptsächlich gegen Erythrozyten ge¬
richtet, dagegen schwächer gegen Leukozyten, kaum aber gegen
Plättchen, während sowohl die Leukozyten- als auch Plättcheniminun-
seta ausgesprochen auf Leukozyten und Blutplättchen, verschwindend
gering auf Erythrozyten wirkten, woraus auf nähere zellverwandt-
schaftliche Beziehungen zwischen Blutplättchen und Leukozyten oder
allgemeiner: den Zellen des leukopoetischen Systems als zwischen
Blutplättchen und Erythrozyten geschlossen werden konnte, zumal
auch Bindungsversuche eine weit stärkere Avidität der mit Blut¬
plättchen ausgelösten Antikörper zu den Zellen des leukopoetischen
Systems als zu Erythrozyten erwiesen. -Ein im Sinne der Schilling-
schen Theorie der erythrozytär-karyogenen Genese der Plättchen
möglicher Einwand, daß spezifische Kernsubstanzantikörper die Ver¬
suchsergebnisse gezeitigt haben konnten, ließ sich entkräften durch
den Ausfall gleichartig angesetzter Versuche mit Immunseren, die
erzeugt waren gegen kernhaltige Hühnererythrozyten und kern¬
haltige Spindelzellen, den Plättchen der Säuger entsprechende Zellen
und nach Schilling lediglich gealterte kernhaltige Erythrozyten
darstellend. Es traten keinerlei zellverwandtschaftliche Beziehungen
zueinander zutage, noch konnte ein Beweis geliefert werden für eine
Beeinflussung der Immunkörperbildung durch Kernsubstanzen. Die
Menschenblutergebnisse konnten somit als Ausdruck näherer struktur-
biologischer Verwandtschaft zwischen den Zellen des leukopoetischen
Systems und Blutplättchen gewertet werden unter Ablehnung der
erythrozytär-karyogenen Plättchengenese. Im Sinne der Ehrlich-
schen Rezeptorentheorie konnte zwecks plastischer Darstellung dieses
Ergebnisses ein für Erythrozyten charakteristischer E-Rezeptor, der
schwächer in Leukozyten, rudimentär in den Plättchen ausgebildet
ist, abgegrenzt werden gegen einen L-Rezeptor, der nur den Blut¬
plättchen und Zellen des leukopoetischen Systems eignet. Wenn auch
die Ergebnisse keine Rückschlüsse gestatten auf die Zugehörigkeit
der Plättchen zu einer speziellen Zellart des leukopoetischen Systems,
so konnte in ihnen unter Berücksichtigung der Zugehörigkeit der
Megakaryozyten zu diesem System eine weitere Stütze zugunsten
der Wrightschen Lehre der megakaryozytogen-leukozytären Abstam¬
mung der Blutplättchen erblickt werden. (Erscheint als Originalarbeit
im Arch. f. exper. Pharm, u. Path.) Grünbaum.
Wien, Medizinische Gesellschaften, Januar 1922.
Gesellschaft der Aerzte In Wien. (13.1.) J. Fein demon¬
striert einen 43jährigen Mann, bei welchem er wegen Kehlkopf¬
syphilis eine antisyphilitische Behändlung mit Mirloo und äalvarsan
anwendete. Es kam zur Herxheimerschen Reaktion, wobei die
Narben sukkulenter, ödematös und gerötet wurden; nach einigen Wochen
bot der Kehlkopf das Bild einer chronischen Entzündung. Die Reaktion
war bisher nur bei primären und sekundären Effloreszenzen bekannt.
V. Blum hält einen Vortrag über die Verschiedenheit der Durch¬
lässigkeit der Harnsteine für Röntgenstrahlen.
F.Demmer führt eine 60jährige Frau vor, welche er wegen einer
Zyste in der rechten Leistengegend von mehr als Mannsfaustgröße
operierte. Die Zyste, welche leicht mit Hernia accreta zu verwechseln
war, hatte drei Fortsätze und dehnte sich bis zum Uterus zwischen
die Blätter des breiten Mutterbandes aus. Die Aetiologie dieser Ge¬
schwülste ist unklar.
(20.1.) J. Kraft demonstriert ein primäres Nierenbeckenpapillom
eines 56jährigen Mannes, welcher an heftigen Anfällen von Hämaturie
litt, von denen er nach Nephrektomie der rechten Niere zwar Voll¬
kommen befreit wurde, doch nach 2 Jahren abermals an einem Papillom
des rechten Ureters erkrankte. Der Ureterrest wurde sodann exstirpiert.
E. Fröschels und L R6thi zeigen einen 43jährigen Mann mit
5 1 /* Oktavei Stimmumfang, welcher Sopran und Alt bei kräftiger Mittel¬
lage singen kann.
A. Fränkel hält einen Vortrag zur Lehre von der Krebskrank¬
heit, und betont, daß bei dieser Fachforschung alle beteiligten Gebiete,
wie Klinik, Experimentalpathologie, Chemie, Statistik mitzuwirken haben,
das letzte Wort hat jedoch der Arzt zu sprechen.
(27.1.) S. Peiler berichtet über die Ergebnisse der von der Oester-
reienisenen Gesellschaft zur Erforschung und Bekämpfung
der Krebskrankheit durchgeführte Sammelforschung. Von 6000 Aerz-
ten haben bloß 400 die ausgesendeten Fragebogen ausgefüllt zurück-
gesendet. Die meisten von den einzelnen Aerzten gemachten Angaben
erwiesen sich bei näherer Prüfung als unhaltbar.
Gesellschaft für Innere Medizin und Kinderheilkunde:
R. Neurath zeigt ein 2 l / 4 Jahre altes Mädchen mit ererbter idio¬
pathischer Hemeralopie, welche sich im Verluste des Orientierungs¬
vermögens im Raume zur Zeit der eintretenden Dämmerung äußerte
und vorher schon bei ihrem Vater und seinen drei Brüdern auftrat.
Kranke Väter haben gesunde Kinder, gesunde Mütter kranke Söhne,
die Mutter Ist die Ueoerträgerin, der Konduktor der Krankheit.
H. Kozitschek demonstriert ein 7 Monate altes Kind mitMyotoola
congenita (Oppenheim), welches seit der Geburt die Beine nicht be¬
wegt und später den Kopf zu halten verlernt hat; der Brustkorb steht
fast still, dafür wird das Abdomen gleichzeitig mit der Atmung sehr
lebhaft bewegt. Die galvanische Erregbarkeit ist nur bei sehr starken
Strömen vorhanden nebst Entartungsreaktion.
R. Po Hak spricht über eine gehäuft auf tretende grippeartige Er¬
krankung mit Fieber und pylorospastischem Erbrechen, besonders bei
Säuglingen.
R. Wagner demonstriert ein 10jähriges Mädchen mit hepatogener
Azooamylie, Lebertumor und einer eigenen Störung des Kohlenhydrat¬
stoffwechsels, bei welcher die Korrelation der Blutdrüsen, Pankreas,
Leber und Schilddrüse eine gewisse Rolle spielt
E. Duschak zeigt ein OvJähriges Mädchen mit Athetose double
und Hüftluxation, welche sich auf dem Boden einer infantilen Zentra!-
lähmung entwickelt hat und deren Lokalisation in den Stammganglien,
besonders im Linsenkern zu suchen ist; die Prognose ist ungünstig.
E. Wessely demonstriert ein 12jähriges Mädchen mit Uysphagie
infolge miliarer Tuberkulose des Gaumens, der Uvula und der hinteren
Gaumenbogen mit zahlreichen, kaum hirsekerngroßen Knötchen und
ebensolchen Geschwüren der Schleimhaut. Das Kind wird mit direkter
Lichtbestrahlung behandelt.
P. Neu da führt drei Fälle von Ery tbraemie (Polycythaemia rubra)
vor mit blauroter Verfärbung der Gesichtshaut, der Gliedmaßen, be¬
sonders der Gelenke, Injektion des weichen Gaumens, der Zunge, der
Bindehaut, harter Milz, Vermehrung der roten Blutkörperchen auf
9 Millionen.
H. Schlesinger demonstriert eine 36jährige Frau mit einem extra¬
medullären Tumor (Endotheliom), bei welcher nach Operation und
Röntgenbehandlung Besserung eintrat Die Krankheit begann mit all-
mählich wechselnder Pause der linken Hand und einer partiellen Em¬
pfindungslähmung.
Vereinigung der Pathologischen Anatomen Wiens.
C. Sternberg demonstriert die inneren Organe einer 27jährigen an
Puerperalsepsis verstorbenen Frau, welche kurz vor dem Tode eine
Trypailavininiektion erhielt, was eine intensive Gelbfärbung des ganzen
Körpers zur Folge hatte.
H. Leonhartsberger zeigt ein außerordentlich großes Spindel-
zelleosarkom der weichen Schädeldecken bei einer 68jährigen Frau,
welches vom Hinterhaupte bis zur Spina scapulae reichte und auf ein
Trauma mit einem Kistendeckel im J. 1919 zurückgeführt wurde; es
ging vom Perikranium aus und verursachte eine leichte Stauungspapille.
A. Priesel spricht über Formanomalien des menschlichen Hirn-
aohanges.
C. Sternberg spricht über Leberveränderungen nach Schwamm-
vergiftung auf Grund der Beobachtungen bei 19 Fällen; meistens kommt
es zur degenerativen, ferner zur infiltrativen Verfettung, sodann zu
verstreuten Zellnekrosen, ähnlich wie bei der Phosphorvergiftung.
R. Saffe bespricht die infektiöse Anämie der Pferde.
Wiener Laryngo-rhinologische Gesellschaft. K. Menzel
demonstriert einen 52jährigen Mann mit abnormen, durch eine retro¬
sternale Struma hervorgerutenen Stauungserscheinungen mit kollateralem
Kreislauf der vorderen Brustwand und Größenzunahme des Gesichts,
welche wahrscheinlich durch eine Kompression der Vena cava inf.
oder eines ihrer größten Zuflüsse, vielleicht den beiden Venae anony-
mae verursacht ist; dabei besteht eine enorme Verdickung der Uvula
und eine seitliche Verengerung der ganzen Lanynx.
Geburtshilflich-gynäkologische Gesellschaft. P. Werner
zeigt eine 25 jährige Patientin, welche nach einem erzwungenen Koitus¬
versuch vor 4 Monaten an einer wandernden Scheidensteoose infolge
eines nervösen Kontraktionszustandes der Ringmuskelschicht der Vagina
leidet. Die Beschwerden, welche ihren Ausdruck in unregelmäßigen
Blutungen und Unterleibsschmerzen fanden, gingen auf schwere fara-
dische Ströme zurück.
H. Thal er demonstriert das Präparat einer Totalexstirpation des
uneröffneten Uterus bei vorzeitiger Lösung der normal sitzenden
Plazenta einer 36jährigen Frau, welche schon vorher drei Graviditäten
mit vorzeitiger Plazentalösung durchmachte, hochgradig anämisch war
und nebenbei an chronischer Glomerulonephritis litt. Wegen des
drohenden Blutverlustes war dieses rasche Einschreiten unerläßlich und
lebensrettend.
O. Frankl und V. Hieß sprechen über die vorzeitige Lösung der
normal sitzenden Plazenta und teilen die ätiologischen Faktoren jn
folgende drei Gruppen ein: 1. mechanische Ursachen, 2. vorzeitig
einsetzende Dilatation der der Spongiosagefäße, 3. abnorme Durch¬
lässigkeit und Zerreißlichkeit der Gefäße bei chronischer Nephritis und
Nephropathie.
Gesellschaft für physikalische Medizin. A. Strasser hält
nen Vortrag über das Wesen der Schwitzkuren.
Ophthalmologische Gesellschaft. C. Bar kan spricht unter
Demonstration von drei Fällen über entrundete Pupillen bei Atrophie
der Regenbogenhaut infolge nervöser Spätsyphilis.
Th. Birn ha eher zeigt eine 35jährige Frau mit Neuritis retro-
bulbäris« bei welcher wegen Verdacht einer Nebenhöhlenerkrankung
das Keilbein eröffnet und eine Schwitzkur angeordnet wurde, worauf
eine Besserung des Visus auftrat Nebenbei bestand noch multiple
Sklerose.
L. Sallmann demonstriert einen 15jährigen Burschen, bei welchem
nach einer Grippe ein Anfall von Papllloretinitis pseudoalbnminnrica
bei essentieller Chloranämie auf trat Hovorka.
Verantwortlicher Redakteur: Oeh.8an.-Rat Prof. Dr. |. Schwalbe. — Druck von Oscar Brandstetter In Leipzig.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
PRAEMEDICUS
Offizielle Mitteilungen der „Vereinigung Deutscher Medizinalpraktikanten“ und des „Verbandes Deutscher Medizlnersohsften M
VERLAG VON GEORG THIEME / LEIPZIG/ ANTONSTR.15
Nummer 6 Freitag, den 31. Mürz 1022 2. Jahrgang
Bekanntmachungen.
Verband Deutscher Medizinalpraktikanten,
Sitz Leipzig, Krankenhaus St. Jakob, Liebigstr. 20.
Auf unser Gesuch an den „Deutschen Städtetag“ vom 16. II. 1022
erhielten wir von diesem die folgende Antwort:
Deutscher Städtetag, „ i-„-
Zentralstelle. Berlln - den 23 - '*• m2 -
Dem dortigen Anträge, eine einheitliche Regelung der Vergütung für
die an städtischen Krankenhäusern angestellten Medizinalpraktikanten
herbeizuführen, kann nicht entsprochen werden, da der Städtetag
grundsätzlich davon absieht, den Städten bezüglich der Besoldung
ihrer Beamten und Angestellten einheitliche Richtlinien zu empfehlen.
I. V.: gez. Meyer-Lülmann.
Daraufhin wandten wir uns wieder an den betreffenden Herrn
Stadtrat, auf dessen ausdrückliches Anraten wir den obigen Schritt
erst unternommen hatten (siehe den Bericht über unsere letzte Mit¬
glieder-Versammlung in der vorigen Nummer des Praemedicus). Er
erklärte uns, diese Stellungnahme des Städtetages sei ihm unerfindlich.
Welche der beiden Instanzen nun eigentlich im Rechte ist, können
wir nicht entscheiden. Wir haben gegenwärtig die Angelegenheit von
neuem dem Rate der Stadt Leipzig übergeben mit dem dringenden
Ersuchen um baldige Erledigung.
Bei dem jetzigen Stande der Dinge ist es ja nun zwecklos, daß
auch die übrigen Ortsgruppen des Verbandes mit der unsrigen gleich¬
lautende Eingaben an den Städtetag richten, wie wir es ursprünglich
angeregt hatten. Wir bedauern lebhaft, dies überhaupt getan zu haben;
doch kann uns keine Schuld treffen, da wir erst durch die uns ge¬
gebene Auskunft Veranlaßt wurden, an den Städtetag heranzutreten.
An das Leipzig, den I. III. 1922.
Reichsministerium
des Inneren Berlin.
Der „Verband Deutscher Medizinalpraktikanten“ erlaubt sich erneut,
dem Reichsministerium des Inneren folgende Eingabe zu unterbreiten:
Die Frage der Entschädigung des Medizinalpraktikanten für seine,
im Dienste der Allgemeinheit geleistete Arbeit ist bei dem Fehlen
einheitlicher, für das gesamte Deutsche Reich geltender Bestimmungen
nach wie vor in vollkommen unzureichender Weise geregelt.
Trotzdem behördlicherseits anerkannt worden ist (siehe das Schrei¬
ben des Reichsministeriums des Inneren vom 19. XL 1921 in Beant¬
wortung der letzten Eingabe unseres Verbandes vom September 1921),
daß sich bei den heutigen Preisverhältnissen viele Medizinalprakti¬
kanten in einer äußerst bedrängten wirtschaftlichen Lage befinden,
und trotzdem man bei den Behörden die Berechtigung unserer For¬
derungen durchaus einsieht, erzielten unsere fortgesetzten Bemühun¬
gen auf diesem Gebiete bisher noch keinen nennenswerten Erfolg.
Noch immer gibt es zahlreiche Städte, wo der Medizinalpraktikant
ohne jede Bezahlung arbeiten muß (z. B. Dresden und München).
In Leipzig bekommen die Medizinalpraktikanten der städtischen Kran¬
kenhäuser freie Verpflegung und 100 M. pro Monat, während die
Praktikanten der staatlichen Universitätsinstitute völlig leer ausgehen.
Nirgends aber wird in den größeren Kliniken das Minimum einer
Entschädigung des Medizinalpraktikanten, wie wir es im Folgenden
aufgestellt haben, erreicht.
Der „Verband Deutscher Medizinal-Praktikanten“
tritt unbedingt ein für eine reichsgesetzliche Fest¬
legung dieser Frage. Deshalb richtete er bereits im September
1921, zusammen mit dem „Verband Deutscher Medizinerschaften“ ein
diesbezügliches Gesuch an das Reichsministerium des Inneren, welches
jedoch abschlägig beschieden wurde. Seine ablehnende Haltung be¬
gründete das Reichsministerium des Inneren damals u. a. mit dem Hin¬
weis auf die in Aussicht stehende Neuregelung des medizinischen Studiums.
Demgegenüber gestatten wir uns, auf folgende Tatsachen auf¬
merksam zu machen:
Die zur Zeit geltenden Bestimmungen über die Ableistung des
„Praktischen Jahres“ (§§ 59 bis 63 der Prüfungsordnung für Aerzte
sowie die Anweisung über das praktische Jahr der Mediziner) stammen
aus dem Jahre 1901 bzw. 1908. Es erübrigt sich wohl, zu er¬
örtern, welcher ungeheuere Unterschied zwischen den wirtschaft¬
lichen Verhältnissen zu Beginn unseres Jahrhunderts und denen des
heutigen Deutschland besteht. Schon damals aber wurde es für
wünschenswert erachtet (siehe § 14 der Anweisung über das praktische
|ahr der für Mediziner), dem Medizinalpraktikanten als Entschädigung
für seine Tätigkeit freie Wohnung und Verpflegung zu gewähren.
Was damals wünschenswert war, ist heute zur dringenden Notwendig¬
keit geworden, und es ist uns unmöglich, unsere Ansprüche in
Deutsohe Medlzlnisohe Woohenaohrlft Nr. 13 1
dieser Hinsicht bis zur Neuordnung des Medizinstudiums zurückzu¬
stellen, zumal diese unseres Wissens noch bei weitem nicht spruchreif
ist. Wir bitten deshalb, für die Zwischenzeit nach¬
stehendem Vorschlag Gesetzeskraft verleihen zu wollen:
Vom ... 1922 ab erhält der § 14 der Anweisung über das prak¬
tische Jahr der Mediziner vom 11. VIII. 1908 in seiner zweiten Hälfte
den folgenden Wortlaut (diese Aenderung geschieht in Anbetracht der
veränderten Zeitverhältnisse mit Geltung bis zur Durchführung der
geplanten Neuregelung des medizinischen Studiums):
„Während seiner praktischen Tätigkeit in einer Krankenanstalt
erhält der Kandidat als Mindestmaß einer Entschädigung: freie Woh¬
nung (inkl. Heizung, Beleuchtung und Wäsche), sowie freie Ver¬
pflegung. Gestatten die Verhältnisse die Unterbringung des Kan¬
didaten in der Krankenanstalt, oder seine Verpflegung daselbst, oder
beides nicht, so ist ihm dafür eine, mit den herrschenden Preis¬
verhältnissen in Einklang stehende Geldentschädigung zu gewähren.“
Freie Wohnung und Verpflegung bezeichnete auch das Reichs¬
ministerium des Inneren (in Uebereinstimmung mit den Regierungen
der Länder) in seiner Antwort auf unser Gesuch vom September 1921
als „angemessene Entschädigung für die Dienstleistungen der Me¬
dizinalpraktikanten“.
Die Bezüge aller übrigen, in den Krankenanstalten beschäftigten
Personen sind, trotz der herrschenden Finanznot wiederholt, der
fortschreitenden Geldentwertung entsprechend, aufgebessert worden.
Nur uns Medizinalpraktikanten glaubt man, mit dem Hinweis auf die
schlechte finanzielle Lage der meisten Krankenanstalten (siehe das
Antwortschreiben des Reichsministeriums des Inneren vom 19. XI.
1921), die Erfüllung unserer, doch wahrhaftig bescheidenen Forde¬
rungen vorenthalten zu können.
Dagegen ist man anderen akademischen Berufen wesentlich mehr
entgegengekommen. So beziehen z. B. die Referendare in Sachsen
einen Monatsgehalt von über 1200 M., obw'ohl ihr Universitäts¬
studium nur 6 Semester in Anspruch nimmt (gegen 10 Semester bei
uns Medizinern) und noch dazu beträchtlich billiger ist.
Schließlich möchten wir noch darauf hinvveisen, daß sich gerade
jetzt unter den Medizinalpraktikanten (wie auch unter den älteren
Medizinstudierenden) eine ziemlich große Zahl Kriegsteilnehmer be¬
findet, welche meist mehrere Jahre durch den Krieg verloren haben
und deshalb der ganz besonderen Förderung, auch in diesen wirt¬
schaftlichen Dingen bedürfen.
Wir hoffen bestimmt, daß sich das Hohe Ministerium der Dring¬
lichkeit unserer Forderungen nicht länger verschließen und die un¬
verzügliche Durchführung unseres obigen Vorschlages veranlassen
wird, zumal dieser nach unserer Ueberzeugung einen durchaus gang¬
baren Weg darstellt. Doppelt gibt, wer schnell gibt!
Verband Deutscher Medizinalpraktikanten gez. Krebs, 1. Vors.
Durchschläge dieser Eingabe wurden außerdem ge¬
sandt an: Reichsarbeitsministerium; Sekretariat des Deutschen
Reichstags; Preuß. Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volks¬
bildung; Preuß. Ministerium für Volksw'ohlfahrt; sowie die Kultus¬
ministerien der übrigen deutschen Bundesstaaten und den Senat der
drei Hansestädte.
Gleichzeitig sandten wir an das Reichsarbeitsministerium
folgendes Schreiben:
An das Leipzig, den I. III. 1922.
Reichsarbeitsministerium Berlin.
In unserem Gesuch an das Reichsministerium des Inneren vom
September 1921 hatten wir u. a. die Frage aufgeworfen, ob es nicht
möglich sei, den zur Zeit in dieser Hinsicht völlig schutzlosen Me¬
dizinalpraktikanten gegen Krankheit, Unfall und Haftpflicht zu ver¬
sichern. Daraufhin teilte uns das Reichsministerium des Inneren in
seiner Antwort vom 19. XI. 1921 mit, es sei wegen dieser Angelegen¬
heit mit dem Reichsarbeitsministerium in Verbindung getreten, „w<>
die Frage, ob ein derartiger Schutz im Wege der Einbeziehung in
die Versicherung nach der Reichsversicherungsordnung bewirkt wer¬
den könnte, noch einer besonderen Prüfung unterliegt“.
Wir bitten deshalb das Hohe Ministerium, sich nunmehr darüber
äußern zu wollen, ob uns diese, äußerst wünschenswerte Einbeziehung
in die Reichsversicherungsordnung gewährt werden kann.
Verband DeutscheFMedizinalpraktikantcn gez. Krebs, 1. Vors.
Ueber den Verlauf der^,letztenJMitgl|iederversammlung des Ver-
bandes Deutscher’Medizinalpraktikanten^Ortsgruppe Leipzig,
welche Mittwoch, den 22. III., 8 Uhr abends im Restaurant „Stehfest“,
Leipzig, Albertstraße stattfand, werde ich im nächsten „Praemedicus“
berichten. Neu mann, Schriftführer.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
442
PRAEMEDICUS
Nr. 5
Nochmals: Fürsorgeärzte.
Von Dr. Franz Goldmann.
Die Ausführungen Telekys in Nr. 3 des Praemedicus werden
zweifellos die Aufmerksamkeit manches jungen Kollegen auf das
Gebiet der Gesundheitsfürsorge lenken. Wer — wie leider nicht
wenige Kommilitonen — die unabweisbare Sorge um seine Existenz
in den Vordergrund seiner Ueberlegungen stellen muß, der wird
leicht dazu neigen, die von Teleky aufgezeigte Konjunktur aus¬
zunützen und die Tätigkeit in deT ärztlichen Fürsorge als willkom¬
menen Nothelfer betrachten. — Aber dies Arbeitsgebiet darf nicht
von dem Gesichtspunkt aus angesehen werden, welche Rolle es
für die soziale Frage des Aerztestandes spielt. Mehr als jede andere
Form der ärztlichen Betätigung ist die fürsorgerische für den plan¬
vollen Aufbau einer geordneten Gesundheitswirtschaft der Gesell¬
schaft von einschneidender Bedeutung und gewinnt fortgesetzt an
Intensität und Extensität. Deshalb scheint es mir im Interesse aller
Beteiligten nicht unnötig, der Skizzierung Telekys noch einige
Bemerkungen hinzuzufügen.
Ob eine verhältnismäßig kurz bemessene Ausbildung auf den
beiden wichtigsten Gebieten, der Säuglings- und Tuberkulosefürsorge,
ausreichend sein wird, um den betreffenden Arzt zur Leitung einer
Fürsorgestelle in einer Gemeinde zu qualifizieren, muß bezweifelt
werden. Jedenfalls versuchen größere Städte und Gemeindeverbände
mit Recht — aber nicht immer mit Erfolg —, Aerzte, die sich in
langjähriger spezialistischer Anstaltspraxis besondere klinische Er¬
fahrung und guten Ruf erworben haben, zur üebernahme derartiger
Posten zu gewinnen. Im Interesse der Volksgesundheit ist dieses
Vorgehen nur erfreulich; für den Nachwuchs, der aus wirtschaftlichen
Gründen sich keine zielbewußte Ausbildung leisten kann, ergibt sich
dadurch ein verschärfter Konkurrenzkampf. Aber es muß auch ein¬
mal gesagt w’erden: Die Eignung für den praktischen Dienst in der
Gesundheitsfürsorge und der Krankenfürsorge wird nicht allein durch
den Nachweis eines guten. Herzens und mitleidig erschütterter Nerven
bezeugt — auch auf diesem. Gebiet ist gründliche Kenntnis der
klinisrfien Medizin erst das geeignete Fundament.
Anders liegt es mit einer nah verwandten Form der Tätigkeit
als öffentlicher Arzt: Für den Verwaltungsmediziner, der in erster
Linie organisatorisch, gutachtlich usw. arbeitet, wird allerdings die
von Teleky angegebene Art und Weise der Ausbildung eine zu¬
nächst ausreichende Grundlage sein und Anspruch auf einen ent¬
sprechenden Posten begründen. Aber bei alledem darf eins nicht
vergessen werden: Gegenüber der bis vor kurzem noch üblichen
Auffassung vom ärztlichen Beruf zeichnet sich die fürsorgeärztliche
und verwaltungsmedizinische Tätigkeit durch eine ganz besondere
geistige Eigenart und abweichende Methodik aus. Das sind Impon¬
derabilien, deren Gewicht unter Umständen sich erst auf dem Wege
als untragbar erweist.
Die Einstellung: Fort vom Individuum und hin zur Masse —,
die durch sie bedingte Erschwerung der individuellen Therapie, und
die Wertbetonung der Diagnostik und Prophylaxe im Interesse der
Gesellschaft, diese Einstellung der fürsorgeärztlichen und verwal¬
tungsmedizinischen Tätigkeit wird sicher vielen schwierig oder un¬
möglich sein, um so mehr als die ganze Erziehung des Mediziners
die Ausübung des ärztlichen Berufes als einen Akt der Nächsten¬
liebe und weniger als Forderung von Vernunft und Verstand er¬
scheinen läßt.
Wer sich mit dem kardinalen Problem, ob der definitive Wert
der sozialen Entwicklung in der Ausbildung der Persönlichkeit oder
der Assoziationen liegt, auf diese Weise abgeben muß, erlangt dabei
Gelegenheit, sich den Entwicklungsgang der Medizin klarzumachen;
Er wird den Wandel vom Humanismus zum Utilitarismus, vom Tradi-
tionalismus zum Rationalismus sehen, die Mechanisierung, die Ar¬
beitsteilung, den Untergang des Kleinbetriebes —, und er wird mit
vielleicht sonst nicht geahnter Deutlichkeit die Krise bemerken, in
der sich die Aerzteschaft zur Zeit befindet.
So gelangt der junge Arzt an den Scheideweg, an dem er sich
entschließen muß, ob er in Richtung auf den individuellen oder
auf den sozialen und endlich auch den politischen Arzt gehen will
Nun noch ein Wort über die Arbeitsmethodik. Auch hier
kaum eine Möglichkeit, schon auf der Universität sich zu orientieren.
Die verwaltungsmedizinische und fürsorgeärztliche Arbeit ist von
zahlreichen Elementen abhängig, die in den verschiedensten Er¬
kenntnisgebieten verstreut sind: Die Medizin mit allen naturwissen¬
schaftlichen, die politische Oekonomie und soziale Politik mit den
dazu gehörigen geisteswissenschaftlichen Disziplinen liefern die Bau¬
steine. Daher wird für den Mediziner noch die Bekanntschaft mit
der Forschungsmethode der Statistik, die er so gar nicht lieben
will, eine Notwendigkeit, wenn er den Problemen der Biometrie,
der Familienforschung und Deszendenzhygiene, der Epidemiologie
tisw. nachgehen will.
Aus diesen Ausführungen ergibt sich die große Wichtigkeit und
gewaltige Ausdehnung des Arbeitsgebietes. Der Tüchtige wird hier
reichliche Gelegenheit zu befriedigender Tätigkeit finden. Nur soll
er sich über das Grundsätzliche klar sein und sich prüfen, bevor dr
sich ewig bindet, ob er nicht nur eine opportunistische Flucht in
eine Beamtenlaufbahn begeht.
Botanik.
Von cand. med. E. Lehmann in Berlin.
Die Herausgabe eines Blattes wie des „Praemedicus“ vor einigen
Monaten, habe ich mit großer Freude begrüßt, denn es scheint mir
hier ein geeignetes Forum geschaffen zu sein, vor einer größeren
Öffentlichkeit von Acrzten und Studenten, vor ahem aber von
Hochschullehrern und Dozenten Fragen zu erörtern, die für das
Studium und die weitere Ausbildung eines Mediziners von Wichtig¬
keit sind. Ich gestatte mir in Folgendem einige Bemerkungen über
den botanischen Unterricht und hoffe, vielleicht auch praktische An¬
regungen geben zu können, wie er fruchtbarer zu gestalten wäre.
Ein großer Teil der Therapie, speziell der internen, baut sich
auf der Verwendung von Stoffen aus dem Pflanzenreich auf. Daher
wäre anzunehmen, daß diejenigen, die sich ihr widmen, über reichliche
Kenntnisse in der Botanik verfügen. Es ist zwar richtig, daß in
letzter Zeit mehr denn je synthetische Präparate angewandt würden,
auch läßt die Tatsache, daß fast täglich neue auf den Markt kommen,
auf eine große Beliebtheit schließen in Kreisen der Praktiker, den¬
noch aber bekommt man oft genug in den verschiedenen Kliniken
zu hören, daß alle künstlichen Mittel nicht den Wert haben der
richtig zubereiteten Droge. Anderseits läßt sich aus dem ständigen
Auftauchen neuer Mittel und ihrem oft ebenso raschen Verschwinden
erkennen, daß ihr Gebrauch vielfach Modesache ist und es daher
für den angehenden Praktiker besser wäre, er lernte die Wirkung
des ganzen Pflanzenextrakts kennen und nicht nur des sogenannten
„wirksamen Prinzips“.
Für den Studenten müßte nach Erkenntnis dieser Dinge klar sein,
daß er für seine Praxis, in der ja die Therapie die wesentlichste
Rolle spielt und nicht die Diagnostik, wie vielfach in der Klinik,
eine gute botanische Vorbildung braucht. Aehnlich der heute schon
vielerorts gelesenen Chemie für Mediziner sollte man dazu übergehen,
ein Kolleg zu halten, das die notwendigen Unterlagen für ein
Studium der Therapie auf pharmakologischer Grundlage bietet.
Was hätte eine solche Vorlesung zu enthalten? Ich stelle mir
vor, sie wäre während des vorklinischen Studiums zu absolvieren
und müßte 2—3mal wöchentlich stattfinden. Das Programm, das ich
im einzelnen hier nicht ausführen will, soll umfassen: I. Allgemeine
Pflanzenkunde: a) Anatomie und Morphologie (1. makroskopisch,
2. mikrpskopisch) nebst Organologie, b) Physiologie. II. Spezielle
Botanik. Hier wären nicht sämtliche Pflanzenfamilien der Reihe nach
zu besprechen, sondern nur diejenigen, die für die spätere Therapie
von Wichtigkeit sind, also um einige aufzuzählen: Digitalis. Rhabarber,
Mohn, Cinchona succi rubra, Cubeben usw. In einem III. Teil wäre
dann — womöglich mit praktischen Uebungen — Anleitung zu geben,
wie man an die Zubereitung einer Pflanze herangeht, um sie thera¬
peutisch nutzbar zu machen, wie man z. B. ein Alkaloid aus ihr
gewinnt oder ein Glykosid darstellt. Vielfach richtet sich ja die
Therapie nach den Gegenden, und es dürfte dann gelegentlich von
Wert sein, die Methoden zu kennen, um eventuell Hausmittel, alt¬
bewährte Arten der Anwendung gewisser Pflanzen der eingesessenen
Bevölkerung einmal wissenschaftlich nachprüfen zu können. Noch
aus einem anderen Grunde scheint mir dieser dritte Teil von Be¬
deutung. Mancher von den jetzigen Studenten wird ins Ausland
gehen und dort den Gebrauch ihm fremder Pflanzen sehen; kennt
er die Art und Weise der Forschung nach den wirksamen Bestand¬
teilen, so kann es ihm möglicherweise gute Dienste leisten.
Die jetzige Art des botanischen Unterrichtes für den Mediziner
wird wohl von kaum jemand als befriedigend empfunden werden.
Sie erschöpft sich in einem zumeist noch unregelmäßigen Besuch der
großen botanischen Vorlesung. Zum Examen paukt man sich dann
rasch einige Kenntnisse ein, um im späteren pharmakologischen
Kolleg feststellen zu können, daß so gut als nichts haften geblieben
ist. Sollten meine Zeilen dazu beitragen, daß hier einiges besser
gestaltet wird, so wäre alles erreicht, was mit ihnen beabsichtigt ist.
Kurze Mitteilungen.
— Die Besucherzahl der Universität Köln hat sich gegen die
vergangenen Semester wiederum gesteigert. Die Universität zählt im
laufenden Winter-Semester 4107 eingeschriebene Studierende, die Vor¬
lesungen belegt haben. Davon gehören zur Wirtschafts- und Sozial¬
wissenschaftlichen Fakultät 2644, zur Rechtswissenschaftlichen Fakul¬
tät 573, zur Medizinischen Fakultät 376 und zur Philosophischen
Fakultät 514 Studierende. Außerdem haben 650 Gasthörer Vorlesungen
belegt und 1731 Besucher nehmen an den allgemeinen Vorlesungen
teil. Die Gesamtbesucherzahl der Universität ist demnach 6488. Von
den eingeschriebenen 3663 männlichen Studierenden entfallen auf Preußen
3434 (darunter 2898 Rheinländer einschließlich 1091 Kölner), auf das
übrige Deutschland 149, auf das Ausland 79; von den 445 Studentinnen
auf Preußen 421 (darunter 378 Rheinländerinnen einschließlich 193 Kölne-
rinnen), auf das übrige Deutschland 15, auf das Ausland 9. Von den
insgesamt 88 Ausländern, die mit ministerieller Genehmigung zugelassen
sind, stammen 14 aus Norwegen, je 9 aus Deutsch-Oesterreich und
Bulgarien, 8 aus Jugoslawien und Tschechoslowakei, je 5 aus Luxem¬
burg, Schweden, Rumänien und Holland, je 2 aus Finnland, Frankreich,
Litauen, Ukraine, Türkei und Kolumbien, je 1 aus Georgien, Rußland,
Schweiz, Ungarn, Italien und Afrika, 2 sind staatenlos.
Für die Schriftleltung verantwortlich: Dr. Hans Hirsch berg, Leipzig, Sidonienstrafie 66,1V. — Druck von Oacar Brandstetter In Leipzig.
Digitized b'
Google
Original from
CORNELL UNfVERSITY
Deutsche Medizinische Wochenschrift
Begründet von Dr. Paul Börner
HERAUSOEBER: VERLAO:
Geh. San.-Rat Prof. Dr. Schwalbe GEORGTHIEME/LEIPZIG
Berlin-Charlottenburg, Schlüterstraße 53 Antonstraße 15
Nummer 14 Freitag, den 7. April 1922 48. Jahrgang
Enzephalitis und Myelitis im Frühstadium der Syphilis
während der Saivarsanbehandlung, geheilt mit Quecksilber
und Salvarsan 1 ).
Von Prof. Werther in Dresden.
Die Fälle, über welche ich kurz berichten will, sind nichts Neues,
aber ich tue es, weil über ihre Entstehung verschiedene Meinungen
herrschen. Es fragt sich, ob diese Kranken zuviel oder zu wenig
Salvarsan bekommen haben und ob sie weiter damit behandelt wer¬
den sollen oder nicht. Das ist für die Kranken sehr wichtig.
Bei der Erörterung muß.ich auf die Begriffe Intoxikation und
Provokation und auf Fragen der Immunität und der Salvarsantodes-
fälle eingehen.
1. Fall: Eine 26jährige Schwangere, von vornherein ohne nervöse
Störungen, hat bei der Aufnahme kein allgemeines Exanthem, sondern
nur Papeln. Erkrankt bei der ersten Kur nach der 5. Neosalvarsan-
dosis ohne Fieber, mit Kopfschmerzen, Schwindel und Nackenschmer¬
zen, am 2. Tage geringe Somnolenz, am 3. Tage Blasen- und Mast¬
darmstör ungen, Lähmung beider Beine, der Rückenmuskeln und
Schwäche in den Armen; leichte Sensibilitätsstörungen, spastische
Reflexe. Im Liquor nur: Phase I -f-. Behandlung mit Kalomelinjektio-
nen und Silbersalvarsan.
Nach 4 Wochen Gehversuche mit Erfolg, nach 8 Wochen Heilung
mit zurückbleibender leichter Schwäche und Ataxie im linken Bein.
Zwei Monate später wird eine Nachkur mit Kalomel und Neosalvarsan
ohne Reaktion vertragen.
Dieser Fall bot also eine Myelitis syphilitica dar, plötzlich be¬
ginnend mit meningealen Vorboten, die dann zurücktreten, anfäng¬
lich auch mit Beteiligung des Gehirns (Somnolenz). Im Mittelpunkt
steht die Paraplegie mit Strangsymptomen (Ataxie und Spasmen).
2. Fall: Eine 24jährige Schwangere kommt ebenfalls mit frischen
Papeln ohne allgemeines Exanthem. Von vornherein lebhafte Patellar-
reflexe. Erkrankt während der ersten Kur nach ?/. Hg-Salizyl- und
4 Neosalvarsaninjektionen mit Kopfschmerz und leichter Benommen¬
heit, dann Lähmung beider Beine, Harn- und Stuhlverhaltung bei
gesteigerten Reflexen. Liquor am 3. Tage 420 mm Druck, wegen
Blutbeimengungen nicht weiter untersucht. Weinerliche Stimmung
und verwaschene Sprache am 3.—4. Tage. Heilung in 5 Wochen mit
7 / 2 Kalomef- und 3 Silbersalvarsaninjektionen. 4 Monate später eine
zweite Salvarsankur ohne Reaktion.
Auch diese Kranke litt an Meningomyelitis syphilitica wie Fall 1,
mit enzephalitischem Einschlag.
3. Fall: Ein 26jähriges Mädchen mit Primäraffekt und Wa.R. -f.
Erhält innerhalb 48 Stunden Neosalvarsan 3mal Dosis III. Diese abor¬
tive Behandlung wurde in der irrtümlichen Annahme, daß die Wa.R.
negativ sei, vorgenommen. Am 4. Tage danach Kopfschmerz, Erbre¬
chen und Benommenheit, alle psychischen Reaktionen verlangsamt,
Sprache verwaschen, Harnverhaltung, keine Lähmungen. Am-5. Tage
Demenz, die sich in hemmungslosen Reden mit kindlichem Inhalt zeigt.
Sprache überlaut, zeitweilig deutlich bulbär gestört; Lippen- und
Zungenlaute werden nicht hervorgebracht. Bulimie: die Kranke ver¬
schlingt, was ihr gereicht wird. Am 9. Tage werden Doppelsehen und
undeutliches Sehen geklagt. Liquor nur: Zellen 12, Pandy -{-. Vom
12. Tage ab Besserung der Psyche. Im weiteren Verlauf vorübergehend
leichte Fazialisparese, erst rechts, dann links. Arme und Beine leicht
ataktisch, Gang unsicher. Heilung unter Merkoid (4mal), Silber-
salvarsan (5mal 0,15), Salvarsannatrium (8mal II und III) in 10 Wochen.
Es handelt sich bei diesem 3. Fall also um eine Encephalitis
syphilitica bei bestehender Sklerose, aber schon Wa.R. -|-, beginnend
mit Somnolenz, dann Demenz, am Schluß verschiedene unvollkommen
entwickelte Ausfallserscheinungen
Es ist niifj'wichtig zu erörtern, ob hier Salvarsan-
vergiftungen oder syphilitische Erkrankungen vor¬
liegen. ■ • •
Ich möchte kurz ins Gedächtnis zurückrufen, was wir von Salvar-
sanintoxikationen wissen. Ist mit diesem Wort ein klarer Begriff
>) Vorgetragen in der Versammlung mitteldeutscher Neurologen und Psychiater,
Dresden, 23. X. 1921.
verbunden? Ist nicht vielmehr diese Diagnose häufig ohne genügende
Stütze, nur aus Wahrscheiulichkeitsgründen ausgesprochen worden?
Arsen kann die Kapillaren lähmen, es kann das Zentralnervensystem
lähmen und Neuritis und Polyneuritis machen. Salvarsan ist eine
komplexe Arsenverbindung (an C gebunden) und deshalb von anderer
toxischer Wirkung als Arsen und arsenige Säure. Unter Umständen
kann aus Salvarsan durch Oxydation in der Lösung oder im Gewebe
des Körpers eine giftigere Arsenverbindung entstehen. Aber an und
für sich ist es nach Ehrlichs und anderer Versuchen nicht organo-
trop, sondern nur parasitrop, im besonderen nicht neurotrop Salvarsan
wird in der Gehirnsubstanz nicht gespeichert. Das Hirn enthält nach
Ullmannns Untersuchungen nicht mehr davon, als seiner Blutmenge
entspricht. An Tieren wurden durch intraspinale Salvarsanverabrei-
chung von bestimmter Konzentration ab kapillare Blutungen
in Meningen und Parenchym erzeugt. Klinisch treten Benommenheit
und Krämpfe auf (Berger 1914).
Das Salvarsan wird in der Regel rasch ausgeschieden, in der
Hauptsache in wenigen Tagen. Eine Disposition soll die Ausscheidung
verlangsamen und damit das Giftigerwerden befördern. Schwanger¬
schaft und Nierensperre, eine durch Gi.te, z. B. Hg, verursachte
Funktionsstörung mit Oligurie, sind in dieser Beziehung verdächtig.
Verborgene und unkontrollierbare Intoxikations- und Infektionszu-
stände gleichfalls. Vorhergegangenes Trauma soll das Gehirn empiind-
licher gegen Salvarsan machen (Moritz), ähnlich wie Luithlen cs
bei Tieren durch Röntgenbestrahlung überempfindlich machte. Ich
vermute dasselbe von Alkoholismus und Epilepsie.
Es gibt also verschiedene Umstände, welche eine
Salvarsan Vergiftung befördern können. Im einzelnen Fall
müssen sie in Betracht gezogen werden.
Die sogenannten Salvarsanschädigungen sind nicht immer nach
den größten Dosen Salvarsan vorgekommen. Die kleinsten Dosen
haben schwere Erkrankungen nach sich gezogen, Pferdedosen dagegen
wurden von Menschen ohne Vergiftung vertragen (Weigeldt, D m.
W. 1920: Neosalvarsan 3 g zu 10 ccm). Schon deswegen ist eine reine
Giftwirkung in Fällen mit kleiner Dosis fraglich. Wenn wir nach
Salvarsan Erbrechen und Durchfall, ein toxisches Exanthem, besonders
Hautentzündungen an Handtellern und Fußsohlen sehen, dann können
wir von Arsenvergiftung reden. Erhärtend für diese Meinung ist,
wenn die Einzel- oder Gesamtdosis groß war, oder wenn sich zu den
genannten Symptomen noch ein Ikterus gesellt. Parästhesien an den
Handtellern und Füßen sind charakteristisch für Arsenwirkung, Neu¬
ritis bei direkter Salvarsanwirkung auf einen peripherischen Nerven
und Polyneuritis am Schluß einer großen Gesamtkur (Schottmüller
bei 10 g zweimal u. a.) beruhen zweifellos auf Arsenwirkung. Wenn
Altsalvarsan ungenügend alkalisiert injiziert wird und es zu Thromben¬
bildung in den Lungenkapillaren kommt, so kann man von Salvarsan-
tod reden. Reine Salvarsanvergiftungen sind sicher sehr selten.
Die Hälfte der von der Salvarsan-Kommission (1918) fcstegestell-
ten 12 unzweifelhaft durch Salvarsan bedingten Todesfälle starb an
Enzephalitis. Aber es fehlen die Beweise, daß es reine Salvarsan¬
vergiftungen waren. Man muß daher mit dieser Diagnose vorsichtig
sein. Bei meinen Fällen lag keine Salvarsanschädigung, sondern eine
provozierte syphilitische Erkrankung vor.
Schon Ehrlich stellte 1913 fest, daß entzündliche Schweljungen
des Flirns und Encephalitis haemorrhagica bei Nichtsyphilitischen,
die mit Salvarsan behandelt waren, nicht vorgekommen sind. Auch
bei Syphilitischen mit seronegativem Primäraffekt ist dergleichen
nicht erlebt worden, wie Kyrie in seinen Vorlesungen hervorhebt.
Auch ich kann mich dessen nicht erinnern. Da ist das Gehirn noch
gesund Eine reine Giftwirkung auf ein gesundes Organ ist also nie
in Frage gekommen. Zu einer späteren Zeit trifft das Salvarsan auf
ein Organ, welches erkrankt oder mindestens infiziert ist. Die syphi¬
litische Infektion des Gehirns im Frühstadium ist durch Liquorbefunde,
Liquorimpfungen und Tierexperimente bewiesen. Die Krankheits¬
bereitschaft ist also sehr groß. Alle Sektionsbefunde in Fällen, wo
klinisch Salvarsantod erkannt wurde, liegen nicht außerhalb des Be¬
reichs der Spirochäteninfektions- und -giitwirkung. Sie lauten: kapil¬
lare Blutungen im Gehirn, punkt- und strichförinig, Erweichungsherde,
vielfache kleine und einzelne große subdurale Blutungen, Throm¬
bose der Vena galeni und Stasen, Leptomeningitis, Himschwellung
Jakob stellte an verschiedenen Hirnbefunden infolge von „Salvarsan¬
tod“ eine heftige Neigung der Herde zur Degeneration nach Salvarsan
fest, besonders nach unzulänglichen Salvarsandosen. Die frischen
Digitized by
Google
Original from
CORNELL UNIVERSUM
444
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 14
Blutaustrittc in die Nerven Substanz und Pia fanden sich nur in syphi¬
litisch erkranktem Gewebe (Zschr. f. d. ges. Neurol. 19, 2). Daß Hirn¬
schwellung' durch eine einfache Enzephalitis ohne Meningitis und
Gefäßerkrankungen und diese durch eine frische Spirochäteninfektion
bedingt sein kann, ist bisher nicht allgemein anerkannt. Ich glaube,
weil die Frühsyphilis selten auf den Sektionstisch kommt. Oppen¬
heim erklärte sie schon im allgemeinen für die größte Seltenheit.
Einzelne Fälle erwähnt Nonne in seinem Lehrbuch. Er sagt dort
auch, daß Erb 1903 für Degeneration und Atrophie der Nervenkerne
und -bahnen als Folge der Syphilis eingetreten ist: „Die Spirochäten¬
befunde bei Paralyse beweisen, daß in der Tat auch primäre Zell-
und Faserdegenerationen im Gehirn der Ausdruck einer syphilitogenen
Hirnerkrankung sein können.“ — Nissl und Alzheimer haben
die primäre Degeneration nachgewiesen, und 1919 betont Jakob von
neuem die primäre toxische Gewebsnekrose im Zentralnervensystem bei
Svphilis, ebenso wie in peripherischen Organen (Leber, Nebennieren,
Hypophyse). Auf die toxische Frühhepatitis hat schon Michael
(Arch. f. D. u. S. 1914) unter Berücksichtigung der dabei auftretenden
akuten gelben Leberatrophie hingewiesen. Auch letztere ist in der
Salvarsanperiode häufiger aufgetreten als früher. Es ist nicht unwahr¬
scheinlich, daß eine Hirnparenchymdegeneration in geringem Grade
sehr häufig bei Früh svphilis vorhanden ist. Die Demenz der
frischen Zugänge ist dem aufmerksamen Beobachter schon oft auf¬
gefallen. Sie sind stumpf, antworten langsam, besinnen sich schwer
und zeigen oft Mangel höherer Gefühle (Scham, Verantwortungs¬
gefühl). Eine solche Parenchymdegeneration kann auch latent bleiben
und dürfte sich in den meisten Fällen regenerieren; in anderen ent¬
wickelt sie sich schleichend bis zum paralytischen Krankheitsbild. I n -
folge der sog. Salvarsanprovokation kommt sie jetzt
häufiger in Erscheinung.
Wie kommt nun diese Provo-ka..tion durch Salvarsan
zustande? Die latente Hirninfektion kann sich weiter entwickeln
und zur Reaktion des Zentralnervensystems führen, wenn gar keine
Behandlung stattfindet, oder wenn die Salvarsanbehandlung in zu
großen Zwischenräumen stattfindet. Dann können sich die Spiro¬
chäten von einer Injektion zur anderen erholen. Sie sollen aber nicht
zur Ruhe kommen, deshalb muß im Frühstadium der schnellen Aus¬
scheidung des Salvarsans Rechnung getragen und zweimal wöchent¬
lich eingespritzt werden.
Ehrlich selbst hat den Gedanken ausgesprochen, daß zu kleine
Dosen die Spirochäten nicht töteten, sondern direkt reizten. Sie
werden dadurch giftiger! Auch eine Reaktion des Zentralnerven¬
systems nadT Art der Herxheim ersehen auf der Haut hielt er
für möglich, die um so intensiver ausfallen wird, je größer die an¬
gewandte Salvarsandosis und je spi rillen re ich er die Herde im Zentral¬
nervensystem oder dessen Häuten sind. — Diese Hypothese überträgt
Hautverhältnisse aufs Gehirn. Gefäßreaktionen wie die Haut kann
sich das Gehirn jedoch nicht leisten. Wenn es das könnte, so würde
wohl die Syphilis einen anderen und vielleicht rascheren Verlauf haben.
Meines Erachtens und auf Grund von Gennerichs Lehre sind die
unter Salvarsan auftretenden enzephalitischen und meningitischen Re¬
aktionen indirekt provoziert: durch allgemeine Abnahme der Im¬
munvorgänge und Giftigkeitssteigerung der Hirnspirochäten. Die
latente Gehirnaffektion heilt von selbst aus, wenn der Organismus
reich an Abwehrstoffen ist. Sie entwickelt sich weiter, wenn die Menge
der Abwehrstoffe nicht groß ist. Je stärker die Exantheme sind,
desto reicher ist die Bildung von Antikörpern in der Haut, die ins
Serum gelangen und natürlich auch dem Gehirn zugutekommen. Die
Haut ist auch bei der Syphilis das Grab der Keime, wie bei den
akuten Exanthemen. Wenn das Exanthem fehlt, wie bei meinen beiden
Fällen von Meningomyelitis, so ist der Körper arm an Abwehrstoffen.
Wenn ein Exanthem — oder die Allgemeindurchseuchung — durch
Salvarsan brüsk unterdrückt wird, so verarmt er, und die Virulenz
der Gehirnspirochäten schnellt in die Höhe, weil die Antikörperbildung •
in der Haut aufhört und weil sie selbst wegen ihrer Lage im Paren¬
chym oder wegen der ungünstigen Blutversorgung ihres sonstigen
Sitzes weniger vom Salvarsan erreicht werden als die Hautspirochäten.
Vielleicht ist auch das Gehirn durch seinen Lipoidgehalt ein besonders
uter Nährboden für die Spirochäten (Wassermann: Ueber Lipoide
ei positiver Wa.R. D. m. W. 1921.). Nach der Ehrlichschen An¬
schauung von den Wuchsstoffen würden die Hirnspirochäten nach
Einschränkung der allgemeinen Durchseuchung — mit Ausnahme der
des Zentralnervensystems — konkurrenzlos über die Wuchsstoffe ge¬
bieten.
Die Spirochäten werden also giftiger, und so kommt es häufiger,
als früher beobachtet wurde, zur Reaktion seitens des Gehirns und
Rückenmarks. Die sog. Provokation ist demnach keine Giftwirkung
des Salvarsans, sondern der Spirochäten. Die Neurorezidive können
deshalb gerade während der Behandlung auftreten, ja es kann ex¬
plosionsartig zu einer enzephalitischen Erkrankung kommen, die einem
paralytischen Anfall verglichen werden kann und vielleicht auch gleich
ist. Denn ein solcher beruht nach Jakob auf einer schubähnlichen
Spirochäten Wucherung mit Himschwellung.
Weder der spontane Ablauf noch die Hg-Behandlung zeitigten so
häufig Virulenzschwankungen der Gehirnspirochäten. Wir waren des¬
halb früher nicht gewohnt, im Frühstadium die zentrale Infektion in
Form von Enzephalitis oder Myelitis hervortreten zu sehen. Die
Salvarsanzeit hat das geändert. Plaut erlebte sogar Paralyse im
4. Jahre nach der Ansteckung bei einem Falle, der im Frühstadium
nur 2 Salvarsaniniektionen erhalten hatte. Die Liquorbefunde im
Frühstadium sind bei Behandelten häufiger krankhaft als bei Nicht-
behandelten (Oennerich, Hauptmann, Fleischmann u. a.).
Bei den ersteren kommen also mehr Reaktionen vor, weil das Salvarsan
latente Krankheitsherde aufstöbert und angreift. Wir müssen sie dann
auszuheilen suchen, und dazu dient die energische Fortsetzung
der Salvarsanbehandlung. Ob es günstiger ist, die Herde nicht
aufzustöbem und sie der Natur zu überlassen, ist eine Frage, die
verschieden beantwortet wird. Nach meiner Erfahrung ist es gün¬
stiger, sie in Angriff zu nehmen, solange noch Zeit ist, sie zu
heilen, und mit allen Mitteln; Liquorkontrolle und intraspinale
Behandlung sind dabei unentbehrlich.
Dreyfus hat im Jahre 1919 spiriilotoxische und arsenotoxische
zerebrale Reaktionen getrennt. Beide können auf Hirnschwellung
mit oder ohne Entzündung beruhen und die gleichen klinischen Er¬
scheinungen (Herdreaktion und meningeale Reaktion) machen. Nach
Dreyfus tritt die spiriilotoxische wie eine Herxheim ersehe
Reaktion gleich nach der ersten Injektion und die arsenotoxische erst
nach mehreren Tagen auf, wenn die Salvarsanausscheidung durch
Disposition oder Komplikationen verzögert worden ist. Ich halte diese
Trennung für nicht aen Tatsachen entsprechend. Dreyfus meint
ferner, der spirillotoxischen Reaktion ginge Kopfschmerz und Pleo-
zytpse (zu Hunderten) voraus.- Beides sind gewiß wichtige Warnungs¬
zeichen, aber ihr Fehlen schließt im Frühstadium keineswegs eine
Infektion und Erkrankung des Zentralnervensystems aus. Diese Zwei¬
teilung der zerebralen Reaktionen ist deswegen bedenklich, weil sie
das ärztliche Handeln falsch beeinflußt.
In meinen Fällen ist bemerkenswert, daß die Reaktionen seitens
des Rückenmarks und des Gehirns nicht nach der ersten Injektion
auftraten, sondern im weiteren Verlauf der Behandlung; der
Liquor war in geringem Grade krankhaft verändert, und die Fort¬
setzung der antisyphilitischen Behandlung brachte sie zur Heilung,
obgleich sie nach Dreyfus als arsenotoxisch anzusehen gewesen
wären.
Mit besonderer Absicht habe ich die angeführten Fälle zunächst
mit Kalomelinjektionen behandelt, weil dies seit alter Zeit, wenn
Gefahr seitens des Zentralnervensystems droht, unser bestes Hg-Mittel
ist. Es wirkt langsamer als das Salvarsan und verhütet dadurch eine
weitere Provokation. Außerdem sind neuerdings Anschauungen über
die Hg-Wirkung aufgetaucht, die hier besonders in Betracht kommen:
1. Metalle sind in kolloidaler Lösung imstande, Reaktionen im Serum,
z. B. die Giftbindung, zu beschleunigen; sie wirken als Katalysator
(Notthaft, Derm.Wschr. 1919 S.388) oder nach Bredig als ein
anorganisches Ferment durch bloße Kontaktwirkung. 2. Experimente
haben ergeben (BIeyer und Mulzer, M. m. W. 1920), daß Hg
die Bildung bakterizider Stoffe im Serum vermehrt, auch Komplement
und Hämolysin. Eine solche Wirkung des an sich nicht oder sehr
schwach spirochätentötenden Hg ist unter den obwaltenden Verhält¬
nissen, d. h. bei Abnahme der Abwehrkräfte durch schnelle Exanthem¬
unterdrückung, gerade erwünscht.
Nach den mäßigen Kalomelverabreichungcn habe ich dann Sal¬
varsan bis zur Heilung gegeben. Mle 3 Kranken haben einige Wochen
nach Schluß der Kur eine Salvarsannachkur erhalten und keinerlei
Ueberempfindlichkeit gegen Salvarsan bewiesen. Dadurch ist
der Beweis geliefert, daß die Enzephalitis und Myelitis dieser Fälle
nicht durch eine Salvarsanvergiftung bedingt waren. Auch eine Sal-
varsanfestigkeit der Spirochäten, hervorgerufen durch verzettelte
oder häufige, jedoch zu kleine Gaben, kann in solchen Fällen wie
den meinigen nicht angenommen werden. Ich habe, wie Gennerich,
prompte Wirkung des Salvarsans gegen Neurorezidive, besonders bei
direkter spinaler Verabreichung, gesehen. Die gegensätzliche Wirkung
einer verzettelten Salvarsanbehandlung und einer energischen beleuchtet
folgender Fall:
Ein Kranker kam i/s Jahr nach der Ansteckung, mit akuter syphi¬
litischer Meningitis in Behandlung. Diese war aufgetreten, nach¬
dem er 8 Wochen lang mit Hg und Salvarsan behandelt worden war
Er hatte aber nur wöchentlich eine Dosis bekommen. Diese ver¬
zettelte Behandlung hat die Weiterentwicklung der ftteningealen Infek¬
tion nicht hindern können. Er erkrankte am Schluß derselben mit
Kopfschmerz, Erbrechen, Nackensteifigkeit und Druckpuls (36). Am
15. III. letzte Salvarsangabe, am 30. III. hatte der Liquor bei 600 Druck
2108 Lymphozyten. Er wurde sofort intraspinal mit Neosalvarsan
behandelt, erhielt 7mal mit zehntägigen Pausen erst 1 mg, dann 2mg
Neosalvarsan. Gleichzeitig erhielt er erst durch 2 Wochen Kalomel,
dann 2ma! wöchentlich Salvarsannatrium. Es trat während dieser
Behandlung eine Provokation insofern ein, als die negative Wa.R. im
Liquor für 14 Tage stärker positiv (-f- bei 0,2) wurde und leichte
Paresen des 4., 6. und 7. Hirnnerven, alle linkseitig, kamen und
gingen. Nach 68 Tagen war der Kranke geheilt und konnte mit
negativer Liquor-Wa.R. entlassen werden. Die Lymphozytose war
von 2018 auf 13 allmählich zurückgegangen. Die Wirkung der ener¬
gischen Salvarsanbehandlung bis zur Heilung spricht deutlich für das
Salvarsan und für eine gleiche Entstehung dieser akuten Meningitis
wie der Myelitis und Enzephalitis der oben zitierten Fälle.
Aehnlidie Fälle könnte ich in großer Zahl anführen. Sie lehren
uns: Zu wenig Salvarsan ist schlechter als gar keines! Im Frühstadium
wird allgemein nicht genug Salvarsan gegeben! An den Aenderungen
des Sypnilisverlaufes und der Häufung der Zentralnervensystemserkran¬
kungen im Frühstadium ist nicht selten die falsche Salvarsananwendung
schuld
Digitized by Google
Original fro-m
CORNELL UNIVERSITV
7. April 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
445
Aus der I. Medizinischen Universitätsklinik in München.
(Direktor: Geh.-Rat Prof. E. y. Romberg.)
Weitere Erfahrungen in der Behandlung der Arhythmia
perpetua mit Chinidin und Digitalis.
Von Dr. Wilhelm v. Kapff, Assistenzarzt.
Ueber die Behandlung der Arhythmia perpetua (A. p.)
mit Chinidin (Ch.) liegt nunmehr eine Reihe von Mitteilungen vor,
die einen Ueberblick über die Brauchbarkeit des Mittels gestatten.
Seit der von Benjamin-v. Kapff veröffentlichten Beobachtungs¬
reihe wurden an der 1. Medizinischen Klinik München weitere 19 Fälle
von A. P. mit Ch. behandelt. Für die Indikation zur Ch.-Behandlung
und für ihre Durchführung waren die betonten Richtlinien maßgebend.
Von diesen 19 Fällen wurden 9 durch Ch. regelmäßig — 47,3o/ 0 Er¬
folg gegenüber 66<>/o der 1. Reihe. Dieser Unterschied im Erfolg
ist aut die niedere Zahl der beobachteten Fälle zurückzuführen, dies
gilt sicher auch für die Mitteilung von Jenny (94o/o Erfolg). Denn,
wie die Tabelle 1 zeigt, ist das Gesamtergebnis der ChT-Be¬
handlung der A.p. kein glänzendes; fast die Hälfte der Fälle
bleibt trotz Chinidin unregelmäßig. Insgesamt sind 299 Fälle von
A.p. mit Ch. behandelt, in 156 Fällen trat regelmäßige
Herztätigkeit ein: = 52,5<>/o. Entsprechend ist das Ergebnis der
I. Medizinischen Klinik München (s. Tabelle 1 Nr. 13 und 14): von
46 Fällen 27 = 58,6o/o regularisiert.
Nr.
Fälle
geregelt
I. v. Bergmann..
9
6
2. Bock. .
35
16
3. Boden-Neukirch.
17
7
4. Drury.
13
6
51 Faber.
2
1
6. v. Frey.
22
11
7. Haas.
44
27
8. Hamburger . . . .
7
3
9. Hewlett...
11
5
10. Jenny.
18
17
11 Klewitz.
13
1
12. Levy..
4
2
13L Oppenhelmer-Mann..
72
9
14. Schoit-Wisser.
11
4
15. Wybauw.
25
14
16. Benjamin-Kapff.
27
18
17. v. Kapff.
19
9
(Nr. 16 u. 171. Medizinische Klinik in München)
(46)
(27)
-66 •/•
-48 %
-41 •/,
-46 %
= 50 %
= 50 %
= 61 %
= 43 %
= 45,4 °/o
= 94 %
= 7 •/•
= 50 %
= 41 °/o
= 36 %
= 56 %
-66 Vo
= 47,3 °/o
(5ö,6Vo)
Insgesamt 299 156 52,5%
Welche Gesichtspunkte für die Behandlung mit Ch. ergeben
sich aus dem mitgeteilten Material?
Der Einfluß der Art des Herzleidens wird verschieden
beurteilt. Bock fand ein besseres Ansprechen der A. p. mit Arterio¬
sklerose oder mit Sch rümpf niere, Frey ein schlechteres. Nach un¬
serem Material wurden 58o/o der überwiegend arteriosklerotischen,
56 o/o der überwiegend postrheumatischen Herzerkrankungen durch
Ch. regelmäßig. Von 11 Hypertonikern mit A. p. blieben 4 Fälle
unbeeinflußt. Klewltz gelingt die Regularisierung in 1 Fall mit
frischer Endokarditis, Bock hat ein schlechtes Ergebnis bei Endo¬
karditiden. Auch uns war Ch. in sämtlichen Fällen (3) von frischer
Endokarditis unwirksam. Aus der Art des bestehenden Herz¬
leidens kann also kein Schluß auf die wahrscheinliche
Wirksamkeit des Ch. gezogen werden.
Bei kurzem Bestehen des A. p. sah Frey die meisten Erfolge.
Er empfiehlt daher die Frühbehandlung. Bock fand die Dauer der be¬
stehenden Arhythmie bedeutungslos. In allen 4 Fällen unseres Materials,
bei denen während des Krankenhausaufenthalts teilweise nach Digitalis
bzw. Strophanthin A. p. aufgetreten war, hat nach Ch. die Regel¬
mäßigkeit wieder eingesetzt.
Daß diese, kurzdauernden Arhythmien durch Ch., und nicht
spontan beendet wurden, zeigt die beim Uebergang zur Regel¬
mäßigkeit aufgetretene Vorhofstachysystolie. Diese 4 Fälle sind
den „kurzdauernden Zuständen“ von Flimmerarhythmie zuzurechnen,
bei denen Semerau im Gegensatz zu der „paroxystischen“ Form
keine Beeinflussung durch Chinin sah.
1. H. Sepsis, Mitralinsuffizienz. Nach 1,8 Digitalis Vorhofflim¬
mern (fli) 1 ). Nach 1,3 Ch. tachysystolisch und dann regelmäßig.
2. Sdhl. 70 cf. Herzinsuffizienz. Art. sei. III. Nach 2mal 2x0,05
Pulv. f. digit. titr. A. p. mit V.fli. Nach 1,8 Ch. tachysystolisch und
dann regelmäßig. Später Kammerextrasystolen.
3. G. 51 cf. Aorteninsuffizienz. Aortitis syph. Endarteriitis syph.
Bei chronischen, kleinen Digitalisgaben plötzlich A. p. mit V.tla.
(Frequenz 350). Nach 1,0 Ch. tachysystolisch und dann regelmäßig.
4. M. 36 cf. Perikarditis. Pneumonia crouposa. Pleuritis. Poly¬
arthritis rheum. Mitralinsuffizienz. Nach 4 x Vs mg Strophanthin intra¬
venös, A. p. mit V.fli. Nach 1,0 Ch. regelmäßig.
Außerdem 5. v. M. Anfallsweise A. p. Seit 6 Wochen unregel¬
mäßig: A. p. Kammer 140, V.fli. Nach 0,5 Ch. regelmäßig (cf.
Semerau S. 196 Fall 3) 1 ).
i) V.fla = Vorhofflattern. V.fli = Vorhofflimmern. V.T — VorhoftachysystoHe.
•) Nach gütiger Mitteilung des Herrn Prof. Veil spater erneut unregelmäßig.
Nach Ofi Clnchonidin regelmäßig.
In den anderen Fällen war der Beginn der A. p. nicht festzustellen.
Während die Dauer der Arhythmie wohl sicher von Einfluß auf
die Wirksamkeit des Ch. ist, gibt die Dauer des Herzleidens an
sich keinen Maßstab. Herzen, deren Erkrankung seit Vs— 1 /* Jahr offen¬
kundig war, ließen sich durch Ch. nicht beeinflussen, und Herzen, die
schon vor 20 und 30 Jahren dekompensiert gewesen waren, wurden auf
Ch. regelmäßig.
Von großer Bedeutung ist der Grad der Kreislaufstörung.
Wohl sind einzelne Fälle von schwerer Herzschwäche durch Ch. regel¬
mäßig und allgemein besser geworden (v. Bergmann, Bock).
Meist wird jedoch eine Herzinsuffizienz schwereren Grades deut¬
lich verschlechtert (Klewitz, Boden-Neukirch, Benjamin-
v. Kapff). Die primäre Schädigung der Herzkraft durch Ch. ist er¬
neut von Frey-Hagemann nachgewiesen worden. Auch bei
geringgradiger Herzinsuffizienz versagt oft Ch. und hat erst nach
Besserung des Kreislaufs Erfolg. Romberg hat darum die Not¬
wendigkeit hervorgehoben, daß eine deutliche Herzinsuffizienz mit
A.p. zunächst nicht mit Chinidin, sondern mit Digitalis
behandelt werden muß, daß erst nach weitgehender Besserung des
Kreislaufs die Chinidinbehandlung begonnen werden darf. Unsere
weiteren Erfahrungen haben diese Forderung bestätigt. Auch Frey,
Bock kommen zu diesem Ergebnis. Doch kann auch trotz weitest¬
gehender Besserung der Herzkrait eine Verschlechterung durch Ch.
eintreten, die zum Absetzen des Mittels zwingt.
D. 22 £ Kaufmann. Mitralstenose, Mitralinsuffizienz, Aorten¬
insuffizienz. Herzfehler vor 12 Jahren festgestelit. Seit Frühjahr 1921
A. p. Aufgenomnien mit Zyanose, Dyspnoe, Oedemen, Stauungbron¬
chitis, Leberschwellung, Meteorismus. Durch Spartein, Strophanthin,
ferner Digipurat in 3 Monaten so gebessert, daß Bewegungstherapie
begonnen und gut ertragen wird. E.K.G.: A. p. Kammerfrequenz
etwa 60, Vorhoffrequenz etwa 450. Nach 3,0 Ch. Puls um ICO, Völle¬
gefühl im Leib, Nachlassen der Diurese, vermehrte Leberschwellung.
E.K.G.: A.p. Vorhoffrequenz nicht beeinflußt. Deshalb Ch. abgesetzt.
Unter erneuter Digitalisierung sinkt Pulszahl, steigt Diurese an.
Wiederherstellung des alten Kompensationszustands.
Dieser möglichen Kreislaufsschädigung durch gleichzeitige Gaben
von Digitalis zu begegnen, ist nicht ratsam (Romberg, Frey,
B e n j a m i n - v. K a p f f). Die Beurteilung der Wirksamkeit dieser difie-
renten Mittel wird dadurch wegen ihrer verschiedenen Wirkung aui die
Reizleitung, Reizbildung und Reizbarkeit des Herzens (s. u.) unliebsam
erschwert. Auch sahen Klewitz, Boden-Neukirch von dieser
Kombination keinen Vorteil. Zwar hat Zondek durch Strophanthin
den Stillstand eines mit Ch. vergifteten Froschherzens Verhindert, doch
lassen sich aus diesen Versuchen am Kaltblüterherzen weitere thera¬
peutische Schlüsse noch nicht ziehen. Frey empfiehlt Strychnin,
Jenny Bulb, scillae neben Ch. zu geben.
In der Dosierung des Chinidins 1 ) sind die von Bergmann
aufgestellten Richtlinien im allgemeinen maßgebend gewesen. Grö¬
ßere Mengen gaben Jenny, Boden-Neukirch (bis 3x 1,0g
Ch. täglich). Solche größere Einzelgaben halte ich mit Frey nicht
für ratsam. Es gibt ja Kranke, die Ch. in großen Mengen gut er¬
tragen (Fall J.: 30,2g in 20 Tagen, Bock: 31,8g in 21 Tagen),
aber die Mehrzahl der Kranken hat schon bei kleineren Einzeldosen
Beschwerden: Hitze, Schwindel, Blutwallungen, Durchfall zum Teil
wenige Minuten nach Aufnahme des Mittels. Diese häufigen leichten
Störungen mahnen im Hinblick auf die von Frey, Bock, Haass,
Hagen mitgeteilten schweren Erscheinungen doch zu großer Vor¬
sicht. ln kleineren Mengen wird Ch. rascher und vollständiger aus¬
geschieden als in einzelnen größeren Gaben (Wiechmann). An der
v. Rombergschen Klinik wird daher die tägliche Menge von 4 x
0,5 bzw. 5x0,4 auch bei bester Verträglichkeit des Mittels nicht
überschritten. Bei der Verabfolgung des Ch. nüchtern vor dem
Essen erscheint seine Wirksamkeit am größten. Levy gibt Ch. in
kleineren Mengen 5x0,2; Haass beginnt mit 0,2 und steigt täg¬
lich um 0,2 bis 5 X 0,2. Bei Nichterfolg wiederholt er die Kur.
Eine Wiederholung der Chinidin kur erscheint uns nicht
ohne weiteres empfehlenswert. Denn mehrfach war eine Steigerung
der subjektiven Empfindlichkeit gegen Ch. zu beobachten.
Fall Z. I. Kur nach 11,4 Ch. Schwindelgefühl, II. Kur nach 8,0 Ch.
(Pause zwischen I. und II.: 10 Tage) abgebrochen wegen Schwindel,
Flimmern vor den Augen. Keine vermehrte Herzinsuffizienz.
Fall Pf. I. Kur nach 11,7 Ch. Erbrechen, 11. Kur nach 9,4 Ch.
Uebelkeit (Pause zwischen I. und II.: 6 Tage), III. Kur nach 1,4 Ch.
nächtlich einsetzende Oppression, Dyspnoe (Pause zwischen II. und
III.: 14 Tage). Keine vermehrte Dekompensation.
Wegen dieser gelegentlichen Steigerung der Empfindlichkeit führen
wir die 1. Chinidinkur durch, wenn nicht subjektive oder objektive
Störungen zum Absetzen des Mittels nötigen, gehen dabei bis zu
hohen Gesamtdosen — zuweilen gelingt die Regularisierung erst
nach einer größeren Menge (Bock 21,2 Ch. in 19 Tagen) — wieder¬
holen aber die Kur erst nach weiterer Besserung des Kreislaufs,
frühestens 3 Wochen nach der I. Kur.
Die durch Ch. erreichte Regelmäßigkeit ist meist nicht von
Dauer. Einzelne Fälle blieben lange Zeit rhythmisch (Bock: 12 Mo¬
nate, Boden-Neukirch: 9 Monate, Fall C. M. 10 Monate), schlie߬
lich kehrt die Arhythmie wieder und ist mit Ch. nicht mehr zu be¬
einflussen. Um das Wiederauftreten der A. p. möglichst hintanzu¬
halten, ist die chronische Darreichung von Ch. empfehlenswert
(s. auch Jenny).
*) Comprettan Chlnidlmitn suifurlcum 0,2 M. B. K.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
446
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 14
Der von uns erwähnte Fall (D. m. W. 1921 Nr. 1 S. 7) von Mitral¬
insuffizienz, Mitralstenose, Aorteninsuffizienz war bei chronischem
Chinidingebrauch 10 Monate regelmäßig geblieben. Es war gegeben
worden: nach Regularisierung jeden 2. Tag 0,2 Ch., später 2 Tage
je 0,2 Ch., 1 Tag Pause, dann wieder täglich 0,2, 2x0,2 Ch. Bei
vermehrter Herzschwäche zeitweiliges Aussetzen d^s Ch. Digitalis.
Eine Stauungsbronchitis, Pleuratranssudat waren gut überstanden
worden. Mit vermehrter Dekompensation wieder A. p. A. p. nach
Besserung (Digitalis) durch Ch. 2x behoben. Dann Ch. trotz kleiner
Dosis (0,2) nicht mehr ertragen. Jetzt dauernd arhythmisch.
Elektrokardiographisch hat sich das regelmäßige‘ Vor¬
kommen der Vorhoftachvsystolie (V.T.) bestätigt. In o der 9 geregel¬
ten Fälle wurde V.T. efektrographisch gezeichnet.
Als Vorhofstachysystolie (V.T.) wird bezeichnet: die rasche
regelmäßige Folge der P.zacken, mit gleichem P.P.abstand,
bei Unregelmäßigkeit der Kammerrhythmus. Als Vorhofs-
flattern (V.fla.k die rasche unregelmäßige Folge der P.zacken
mit ungleichem P.P.abstand. Bei Vorhofsf 1 immern hat die
unregelmäßige Folge der P.zacken eine Frequenz von mehr als 400,
oder einzelne P.zacken sind nicht mehr deutlich erkennbar (v. Rom¬
ber 8 )-
Kurve I.
OM °'*° 0 ' 9Z
.| KT
Vorhofflimmern
•,* oft Oft
106 HUf.
Vorhof-
tachysystolie
| 4fr °,$v *,sr
Ha Mtw» tlo VrUsf aVo
Vorhof*
tachysystolie
p p p
regelmäßige
f/fQ SteS
Schlagfolge
behandlung eignen sich besonders die kurze Zeit bestehenden Arhyth¬
mien ohne beträchtliche Herzinsuffizienz. Das deutlich insuffiziente
Herz muß aber weitgehend gebessert werden, ehe es mit Aussicht auf
Erfolg mit Ch. behandelt werden darf.
Das Mittel zur Behandlung des insuffizienten Her¬
zens mit Arhythmia perpetua ist die Digitalis: zeitigt sie
doch gerade bei peroetuellen Arhythmien durch Verlangsamung des
Herzschlags glänzende Erfolge (v. Romberg). Die Digitaliswirkung
auf den Vornof ist nicht einheitlich. Meist geht Vorhofsflattern in
Vorhofsflimmern über, ebenso auch Fälle von Vorhofstachysystolie
(Hering, Rihl, Lewis). Anderseits führt Benjamin Fälle an,
die unter D. regelmäßig, ohne D. unregelmäßig sind. Edens be¬
richtet, wie unter D. Flimmern in Flattern und Tachysystolie übergeht,
wie in einem andern Fall Flimmern durch D. dauernd beseitigt wird.
Ein Fall von Vorhofstachysystolie (Lewis) wird durch D. zunächst
flimmernd, dann aber ganz regelmäßig.
In diese Reihe gehört auch ein Fall, der in langer klinischer Be¬
obachtung stand und der wegen der Wichtigkeit der hier aufgerollten
Fragen nachstehend ausführlich mitgeteilt wird.
v. R. 61 (J. Seit 1905 GaHensteinkoliken. 11. IX. 1913 Operation
(Prof.-v. Hofmeister 1 )). Chronische Cholecystitis calculosa, inter¬
mittierender Choledochusverschluß, Choledochuspfortaderfistel. Hei¬
lung durch Cholezystektomie, Choledochotomie; Naht der Pfort¬
aderperforation.
Aufgenommen in I. Medizinische Klinik, München: Juni/August
1913 wegen Dilatatio cordis und hochgradiger Arhythmie. Wieder
aufgenommen: November Dezember 1913, März 1914, Mai 1915: Das
Befinden und die Leistungsfähigkeit des Herzens hat sich allmäh¬
lich immer mehr gebessert. Seit »/* Jahr unter chronischer Digipurat-
Kurve U.
ZSXJto t,so os*
?Xit$
^ <1*# *.« fi
4'* >ti 0*0 öl* *a (U W»
$*7lO
* ¥l ,a O-C tst o.O$ 4 it
%i •*# «/ 4*4 4/
IX.jP lo
o*i h ,.i i* ot o,t *H
Ar
4,9*
<*X 4.9
Kurve I zeigt den Uebergang des Vorhofsflimmerns in V.T.
sowie die weitere Verlangsamung der Vorhofsfrequenz durch Ch.,
schließlich den regelmäßigen Rhythmus.
69 Jahre alte Frau. Arteriosklerose. Herzinsuffizienz, nach Ery¬
sipel aufgetreten. Vor Ch. V.fli. einzelne P.zacken nicht erkennbar.
Nach 0,8 Ch.: V.T. jeder 4. Vorhofsreiz wird nach 0,18 Sekunden
von der Kammer beantwortet. Nach 1,4 Ch.: Vorhof weiter ver¬
langsamt. 2:1 Vorhofskammerblock. P.R. = 0,20 Sekunden. Nach
5,6 Ch.: regelmäßige Tätigkeit P.R. 0,19. R. und T. sind abgeflacht,
kleiner (bei gleicher Empfindlichkeit der Saite).
Die mehrfach beschriebene Abflachung und Verkleinerung der
R.- und T.zacke ist uns nur selten deutlich gewesen. Der R.T.abstand
ist auf Kurve 1/4 im Verhältnis zur Pulslänge R.R. verlängert. Diese
Aenderung des proportionellen Systolen wertes (Brugsch-Blumen-
feld) ist entgegen unserer früheren Erfahrung doch mehrfach nachzu¬
weisen. Sie ist wohl der Ausdruck der negativ inotropen Chinidin¬
wirkung. Der Uebergang von V.fla. zur V.T. geht allmählich vor sich.
Man sieht zuweilen, wie an Stelle der zuerst beobachteten raschen,
völlig unregelmäßigen Vorhofstätigkeit nach Ch. die P.zacken sich
langsamer folgen, die Länge der einzelnen P.zacken nahezu gleich
lang erscheint. Mehrfach wird durch Ch. V.T. erreicht, eine regel¬
mäßige Herztätigkeit stellt sich aber nicht ein.
Die Behandlung der A. p. mit Chinidin führt also nur
in einem Teil der Fälle (etwa 50o /0 ) durch die Wiederherstellung der
regelmäßigen Herztätigkeit zu einem befriedigenden Erfolg. Dieser
Frfolg ist meist nur vorübergehend; er kann bei geeigneter chronischer
Uh.medikation monatelang anhalten und bedeutet in diesem Rahmen
cm schönes Ergebnis unserer Herzbehandlung. Für die Chinidin¬
wirkung (zuletzt jeden 5. Tag 0,05 Digipurat). Hat seinen Puls genau
beobachtet, fühlt nur ausnahmsweise noch „nervöse Extrasystolen“.
E.K.G. (Mai 1915) völlig normal. Wegen Dyspepsie im Juli/August
1915 und September 1916 wieder aufgenommen. Dabei von seiten des
Herzens keinerlei Störungen.
Seit 1917 anfallsweise Herzklopfen mit ^angigkeitsgefühl beim
Gehen. 1918 häufigere Anfälle dieser Art, hören nach Digitalis, Theo¬
bromin auf. Puls morgens 50, nach Mahlzeit 4>is 140. Ausset2en des
Pulses alle 20—30 Schläge. 1919 Auftreten von Oedemen.
Aufnahme in 1. Medizinische Klinik, München, 16. X.
bis 3. XI. 1919. Verbreiterung des Herzens mit systolischem Mitral¬
geräusch. Arhythmischer Puls: am Herzen 115, an A. radial. 9J5. Leber-
schwellung. Oedeme, die zum Teil durch Unterernährung bedingt
waren. Auf Bettruhe, Ueberernährung, mit eiweißreicher Kost weit¬
gehende Besserung.
1. Chinidinkur: nach 1,0 Ch. vorübergehend palpatorisch regel¬
mäßig; Puls 110. Nach 8,2 Ch. (5. Tag) V.T. mit regelmäßigem
Kammerschlag: Kammer 110, Vorhof 220, P.P. 0,27", P.R. 0,10". Nach
13,1 Ch. (in 10 Tagen) Puls um 100, zeitweise arhythmisch. E.K.G.
V.T. mit partiellem 2:1- oder 3:1-Vorhof-Kammerblock 2 ). Durch
Verodigen Puls auf 60 verlangsamt. Nach Entlassung zunächst gutes
Befinden.
Aufnahme in I. Medizinische Klinik, München: 26. I.
bis 17. IV. 1920 wegen anfallsweiser Herzangst, Herzklopfen, Atem¬
not. E.K.G.: A. P. mit V.fli. Kammer 100 ziemlich regelmäßig. Vorhof
etwa 600 mit ganz wechselnd ausgeprägten P.zacken.
*) Hofmeister, M. m. W. 1913 Nr. 5 S.225.
•) Benjamin-Kapff, D. m. W. 1921 Nr. 1 . Kurve 2 .
Digitized b'
Google
Original from
CORNELL UNiVERSITV
7. April 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
447
2. Chinidinkur: nach 1,0 V.T., Vorhof 230. Kammer 115,
P.R. 0,14", nach 16,0 Ch. (in 13 Tagen) tachykardischer Anfall von
160—180 Pulsen. Ch. abgesetzt. Puls bleibt um 120, leicht arhythmisch.
April 1920. E.K.G.: V.T. Kammer etwa 120, partieller Vorhof-
Kammerblock (2:1). P.R. 0,10-0,18".
Bei Entlassung geht Patient 2Va Stunden ohne Beschwerden, steigt
90 Stufen. Juni 1920 vorübergehende Dekompensation durch Broncho¬
pneumonie.
Aufnahme in die 1. Medizinische Klinik, München,
25.X. bis 21. XII. 1920." A. P. mit ziemlich regelmäßigem Kammerpuls
(90). Vorhof: Wechsel von Fli. und Fla. (etwa 500—400) (s. Kurve Ila).
3. Chinidinkür: nach 0,6 Ch.: vorübergehend 136 Pulse, nach'
1,4 Ch.: 112—120 Pulse. Subjektive Beschwerden (Ohrensausen, Kopf¬
schmerzen, Hitzegefühl). Nach 13,0 Ch. (in 10 Tagen) tachykardischer
Anfall von 200 Pulsen, der nach 2 Stunderi abklingt. (5. XI.) Während
des Anfalls schwer herzinsuffizient. E.K.G. 7. XI. 1920: (s. Kurve Ilb):
V.T. mit unregelmäßigem Kammerpuls. Vorhof 250. Kammer 110.
P.P. 0,24". P.R. 0,08—0,24 sek. Pulsfrequenz wechselt weiterhin sehr,
bald regelmäßig bradykardisch (60) und tachykardisch (130—140), bald
unregelmäßig beschleunigt.
E.K.G. 9. XI. 1920 (s. Kurve Ilb). V.T. nahezu regelmäßiger
Kammerpuls. Vorhof: ca. 272, Kammer: 107, P.P.: 0,22, P.R.: 0,08
bis 0.10. R.R. 0,45-0,68 sek.
Digitalisiert (bis 4x0,1 Digipurat per os), vorübergehend Bige-
minie. E.K.G. 22rXI. 1920 (s. Kurve Ile): V.T. regelmäßiger Kam¬
merpuls. Kammersystolenausfall nach jedem 4.-5. Schlag. Vorhof
260, Kammer 125. P.P.: 0,26", P.R. 0,06—0,08", R.R. 0,48-0,90 sek.
Ab 25. XI. Digipurat 5x0,1 täglich. E.K.G. 27. XI. (s. Kurve Ild):
V.T. regelmäßiger Kammerpuls. 4:1 A.-V.block. Vorhof 240. Kam¬
mer 60. P.P. 0,24, P.R. 0,06-0,24", R.R. 0,96-1,04 sek.
29. XI. Digitalis wegen subjektiver Beschwerden abgesetzt (in
10 Tagen 4,3 g Digipurat). Puls 52—64 regelmäßig. Ab 5. XII. chro¬
nische Digitalisierung (2x0,1 Digipurat). Aufstehen. Beginn mit
Gehen — Treppensteigen.
12. XII. Digipurat 0,1. Physische und psychische Mehranstren¬
gung. Nachts Puls 125, unregelmäßig: Digipurat 0,2 intravenös.
14. XII. Puls morgens unregelmäßig 60, Digipurat 0,2 1 intravenös.
15. XII. nach Digipurat 0,2 intravenös Puls regelmäßig. E.K.G. 17. XII.
(s. Kurve Ile). Normales E.K.G. P.R. 0,16—0,18. P.: kurz, scharf
abgesetzt, zuweilen gespalten. T. deutlich ausgeprägt. Die Puls¬
regelmäßigkeit besteht seither 13 Monate weiter.
Die angegebenen Pulszahlen verdanken, wir z. T. der vorzüglichen
Selbstbeobachtung des Kranken.
In diesem Fall wurde durch Chinidin das Vorhofflimmern bis
zur regelmäßigen Tachysystolie verlangsamt. Eine weitere Verlang¬
samung der Vorhof- und auch der Kammerfrequenz ist mit Ch. nicht
zu erreichen; vielmehr kommt es zweimal zu Kammertachykardie.
Die Frequenz der tachysystolischen Vorhofszacken ist hier kon¬
stant 240—250. Aehnliche Werte zeigen auch andere Vorhofstachy-
systolien. Auch J. RihI fand regelmäßig 200—204. Nur einmal be¬
obachtete ich eine Vorhoffrequenz von 340. Solch hohe Schlagzahl
ist selten; nur Lewis und Mathewson berichten über Tachy-
systolien von 300—312.
Durch Digitalis wird durch Ueberleitungserschwerung die
Kammerfrequenz herabgesetzt, während die des Vorhofs unbeeinflußt
bleibt. Die gegensätzliche Wirkung auf die Ueberleitung ist deutlich:
Digitalis — Bradykardie bis 60 Pulse, Chinidin — Tachykardie bis
180 Pulse. Bei einer Ueberleitungserschwerung durch Ch., wie
Schott annimmt, wäre für diese Tachykardie das Einsetzen einer
A.V.-Automatie anzunehmen. Diese ist schon wegen der hohen
Frequenz unwahrscheinlich. Näher liegt die Annahme, daß durch
die hemmende Wirkung des Ch. die Vorhoffrequenz so weit herab¬
gesetzt wurde, daß die Kammer auf jeden Vorhofreiz antworten
konnte. Frey ist derselben Anschauung und versucht deshalb, Ch.
weiterzugeben. Der bedrohliche Zustand des Kranken verbot dies uns.
Während Ch. also nicht zum Erfolg führte, wird die Vorhof¬
aktion unter Digitalis regelmäßig 1 ).
Bei dieser ungewöhnlichen Digitaliswirkung ist zunächst der
Vaguseinfluß in Betracht zu ziehen, der gerade bei Arhythmia per-
petua in der verschiedensten Weise sich geltend macht (Edens).
Auch in unserem Fall läßt der beobachtete Wechsel der Pulsfrequenz
(s. o.) eine erhöhte Erregbarkeit des Vagus annehmen. Zwar haben
Hering, Ri hl gerade bei Vorhofstachysystolie eine Wirkung der
Vagusreizung auf den Vorhof nicht feststellen können, doch hat
Th. Lewis experimentell nachgewiesen, daß Vorhofflattern durch
Vagusreizung in die normale Schlagfolge übergeführt werden kann.
Als Hauptfaktor dieser Wirkung nimmt er, ebenso wie bei dem
häufigeren Uebergang des Flatterns in Flimmern, eine Verkürzung
der Refraktärphase durch Vagusreiz an.
Sicherlich ist die Digitaliswirkung der Vaguswirkung nicht gleich¬
zusetzen. Ein Unterschied liegt schon in der Verlängerung der
refraktären Phase durch Digitalis (W. Straub). Wir müssen mehrere
Momente annehmen, auf deren Zusammenwirken vielleicht der Vagus
von Einfluß gewesen ist: einmal eine Abschwächung der Vorhof¬
kontraktion, wie sie* Cushny auch bei Digitalis festgestellt hat,
ferner Verlängerung der Refraktärphase — Eigenschaften, die auch
») Anmerkung bei der Korrektur: Fall von R. ist laut gütiger Mitteilung
seines Arztes seit Anfang Mürz dieses Jahres wieder perpetuel! arhythmisch.
das Chinidin aufweist. Dazu kommt eine deutliche Ueberleitungs¬
erschwerung. Dadurch waren möglicherweise die Bedingungen da¬
für gegeben, daß mit der plötzlichen massiven Digitalisüberflutung
durch die intravenöse Einspritzung der Sinus wieder fähig wurde,
die Führung des Herzens zu übernehmen. Daß Digitalis den Sinus
besonders erregt, stellten Rothberger-Winterberg fest. Es
ist auch wahrscheinlich, daß die Reizbildung im Sinus, trotz Vorhof¬
flattern, weiterbesteht. Ausschlaggebend war wohl die Möglichkeit,
mit sehr hohen Digitalismengen (Digipurat 5x0,1 täglich, 4,3 g in
10 Tagen) die Reizleitung zu beeinflussen, ohne daß es zu Reizen
von tertiären Zentren aus gekommen ist. Zu dieser starken Digita¬
lisierung kam noch die rasche, massive Wirkung der intravenösen
Verabreichung.
Wir haben darum in einem weiteren Fall von Vorhofstachysystolie
ebenfalls hohe Digitalisdosen intravenös gegeben und wieder die
regelmäßige Herzaktion eintre-
Kurve III. ten sehen.
Rb., 45 Jahre alt, Phthi-
sis pulmonum. Syphilis. Plötz¬
liche Tachykardie von 130 Pul¬
sen. Durch Vagusdruck nicht
beeinflußt. Am 3. Tag nach
2x0,2 ccm Digipurat intravenös
(innerhalb 12 Stunden) Puls aut
100 gesunken.
I. E.K.G. Vorhofstachysy¬
stolie: Kammer 168, R.R. 0,30
bis 0,38 sek. Vorhof 340, P.P.:
O, 18". II. E.K.G. nach 2x0,2
Digipurat i. v. Regelmäßigkeit
des E.K.G., des gleichzeitig ver-
zeichneten Venen- und Radial¬
pulses. Kammer 91, R.R.: 0,66",
P. R. 0,16" (s. Kurve III).
Die Vorhoftachysystolie
trennt sich scharf vom regel¬
mäßigen Ablauf der Herztätig¬
keit. Einen Uebergang, etwa
im Sinne gehäufter Vorhofextra¬
systolen, habe ich nie beobach¬
tet. Es ist daher anzunehmen,
daß ein heterotoper Reiz die
Vorhoftachysystolie verursacht.
Die positive Richtung der P.zacke im E.K.G. spricht nicht gegen
einen heterotopen Ursprung. De Bo er führt zwar an, daß der
zum Kammerwühlen führende Reiz auch vom normalen Ursprung
ausgehen kann. Dieser Befund ist aber nicht ohne weiteres auf den
Vorhof übertragbar.
Die Vorhofstachysystolie zeigt nach Flimmern hin Uebergänge.
Gerade das Chinidin läßt den Wechsel vom Flimmern zum Flattern,
zur Tachysystolie verfolgen. Die Beobachtung führt zu der Anschau¬
ung, daß nicht nur Vorhofflimmern und -flattern, sondern auch die
Vorhofstachysystolie nur graduell verschiedene Glieder ein und des¬
selben Vorgangs sind, der klinisch zum Bild der A. p. führt (Roth¬
berger-Winterberg, Romberg). Die Annahme von multiplen
heterotopen Reizbildungsstätten (Hering) ist nicht erforderlich.
7 f 7 7 * f '•n'*'*’»-*» t. #■
*4 -H«-
«r r
X W •»
R * R
I*m'' »I .V**f *l~l *1 *J *1 »I *1-1 *1*1 *1*1
^
Es kann ein Reiz, der sofort nach Ablauf der refraktären Phase
einfällt, eine Reihe von Kontraktionen auslösen (de Bo er). Dieser
Befund an der Kammer besteht nach den Untersuchungen von
Th. Lewis auch am Vorhof. Auf die Theorie der Kreisbewegung
beim Vorhofsflattern (Th. Lewis) sei hier nicht weiter eingegangen.
Ich weise nur darauf hin, daß die Reizbarkeit nach einer Kontrak¬
tion nicht gleichzeitig in allen Teilen des Herzmuskels wieder er¬
reicht wird (W. Trendelenburg) und daß beim Vorhofflimmern
die Refraktärphase verkürzt ist (W. Trendelenburg, Samoj-
loff). Erhöhte Reizbildung in einem heterotopen Zentrum und
Verkürzung der Refraktärphase kann also zu Tachysystolie und
Flattern führen.
Die Wirkung des Chinidins besteht in erster Linie in einer Herab¬
setzung der Reizbarkeit des Herzens lm d in einer Verlängerung
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
448
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 14
der Refraktärphase (F. B. Hofmann, Santesson, W. Frey),
ferner in einer Herabsetzung der Kontraktilität des Herzmuskels.
Diese Aenderungen der Eigenschaften des Herzmuskels wirken zweifel¬
los dem Weiterfluten eines Reizes im Sinne de Boers und Th.
Lewis entgegen. Der heterotope Reiz an sich wird zunächst nicht
beeinflußt: er bleibt bestehen und führt zur Vorhofstachysystolie.
Th. Lewis kommt zu ähnlicher Anschauung über die Chinidin¬
wirkung. Die Hemmung der Reizbildung durch Chinidin lediglich
mit der Herabsetzung der Reizbarkeit zu erklären (W. Frey), ist
nach folgend mitgeteiltem Fall nicht angängig (s. Kurve IV).
v. H. 57 d. Zirrhose der linken Lunge mit starker Verziehung
des Mediastinums. Tabes dorsalis. Anfallsweise Herzklopfen, zu¬
nächst vorübergehend etwa 3 Stunden anhaltend, dann dauernd. Mit
Tachykardie aufgenommen (23. V. 1921). E.K.O. Vorhoftachysystolie
mit negativem F. Vorhof 300. Kammer 150.
1. Chinidinkur: 28. V. bis 5. VI. in 9 Tagen 13,3 g Ch., nach
11,8 Ch. 100 Puls, nach Absetzen wieder 140. II. Chinidinkur:
(11.—23. VI.) in 13 Tagen 23,7 g Ch., nach 1,2 g Ch. Puls um 100,
nach Absetzen des Ch. wieder 140. III. Chinidinkur: (10.—13. VII.)
in 4 Tagen 5,4 g Ch., nach 3,4 g Puls 96. Die mehrfach aufgenom¬
menen E.K.G. ergeben während der Chinidindarreichung: Vor-
hofstachysystolie mit teilweise positivem, teilweise
negativem P. Kammer ca. 105—110, Vorhof 230. Ventrikuläre
Extrasystolen.
Ohne Chinidin: Vorhoftachysystolie mit negativem P.
Digipurat intravenös (bis 0,6 täglich; in 13 Tagen 6,4 g Digi-
purat) hatte keinerlei Wirkung.
Chinidin wirkte hier ohne Herabsetzung der Reizbarkeit auf die
Reizbildung. Der heterotope Reiz, der in der Gegend des Sinus
coronarius oder noch tiefer sich bildet, wechselt unter Chinidin
seinen Ursprung, das negative P. wird zeitweilig positiv. Weder
mit Chinidin noch mit Digitalis war eine weitere Beeinflussung zu
erreichen. In dieser Wirkung auf die Reizbildung trennt sich Chinidin
scharf von Digitalis.
Zuftammenfassiui;. Der Ueberblick über die mit Chinidin be¬
handelten Fälle von A. p. ergibt: 1. daß Chinidin in etwa der Hälfte
der Fälle zur regelmäßigen Herzaktion führt;
2. daß Chinidin wegen seiner die Herzkraft herabsetzenden
Eigenschaften nur bei gut kompensierter Herzinsuffizienz anzuwenden
ist. daß bei stärkerer Herzschwäche die Digitalisbehandlung vor der
Chinidinbehandlung einsetzen muß;
3. daß die Wiederholung einer Chinidinkur wegen der Möglich¬
keit gesteigerter Empfindlichkeit erst nach weiterer Besserung des
Kreislaufs (Digitalis) nach einer Pause von mindestens 3 Wochen
anzuraten ist;
4. daß Chinidin die flimmernde Vorhofstätigkeit allmählich zur
Vorhofstachysystolie überführt und daß diese Erscheinung als ein
weiterer Beweis dafür anzusehen ist, daß Tachysystolie und Flim¬
mern nur graduell verschieden, auf die Bildung eines heterotopen
Reizzentrums zurückzuführen sind.
Die Wirkung des Chinidins auf die Reizbildung wird an einem
Fall gezeigt,
5. Ein Fall von-Arhythmia perpetua wird ausführlich mitgeteilt:
Chinidin führte nur zu Vorhofstachysystolie, Digitalis aber zur regel¬
mäßigen Herzaktion. Die Wirkung der Digitalis wird zurückgeführt
auf die Abschwächung der Vorhofkontraktion, die Verlängerung der
refraktären Phase und der Ueberleitung, verbunden mit einem An¬
trieb auf den Sinus durch plötzliche, große Digitalismengen.
Die verschiedene Wirkung der Digitalis und des Chinidins auf die
Reizleitung, Reizbildung und Reizbarkeit wird durch diese Beobach¬
tungen deutlich; die gleichzeitige Verabreichung von wirksamen
Digitalis- und Chinidinmengen ist deshalb nicht ratsam.
v. Bergmann, M. ro. W. 1919 Nr. 26. — Bock, M. Kl. 1921 Nr.35. - Boden-
Neukirch.D. Arch. f. klin. M. 1921, 136, S. 181. — Drury, Brlt. med. journ. 1921 3170
n. Kongrzbl 2.1.1922,165.-Faber. Knud, Ugeskrift f. laeger 1921 18n Kongrzbl. 2.1.1922.
— v. Frey, B. kl. W. 1918Nr. 18/19, 36; D. Arch. f klin. M. 1921,136; Ther. Hmh. 1921,17,
S. 531. — v. Frey-Hagemann, Zschr. f. d. ges. exper. M. 1921 Nr.5/6 S.290. — Haaa,
B. kl. W. 1921 Nr. 11. - Haeen, Wis^ensch. med. Verein in Köln 2. VI. 1921, ref. D. m. W.
1921 Nr.47. —Hamburger,Journ of the americ. med assoz. 1921,77,Nr.23. — Hewlett,
Journ. of the americ. med. assoz. 1921. 77. Nr. 23. — Oppenheimer-Mann, Journ. of the
americ. med.assoz. 192',77,Nr.23(n. Konpzbl) — F.B Hofmann, Zschr.f. Biol 1920,1. —
I e n n y, Schweizer med. Wochenschr. 1921 Nr 11 /12. — v. K a p f f - B e n j a m i n, D. m. W. 1921
Nr. 1. — Klewitz,D m.W. 1920Nr. 1. — Levy.Americ.med.assoc. 1921,76(n.Kongrzbl.).—
T h. L e w i s, Brit. med. Journ. 19?1 3l 70 (n. Kongrzbl. 2.1.1922). — Schott-Wisser.D. Arch.
f. klin. M. 134H.3, 4. - Wiechman n, Zschr. f. d. ges. exper."M. 1920Nr.7. - Wybauw,
Annal. et bull, delasoc.r. des Sciences m6d. etnat.de Bruvelles 1921,1 (Kongrzbl. 1921 H.9
S. 482). — Zo n d e k, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 1920, 88, S. 158. — B e n j a m i n, Erfah¬
rungen in der Behandlung der A'hythim'a perpetua mit Digitalis. Diss. München 1920. —
deBoer, Pflüg. Arch. 1920, 178,187 — Brugsch-Blumenfeld, B kl. W. 1919 Nr. 4a -
Cushny, zitiert nach Jagi*;. Handhuch 1914. — Edens, Digitalisbehandlung 1916.—
Herin g. M. m. W. 1914,1. — Le wis, Heart 1912,3, S.279. — Th. Lewis und Mitarbeiter,
Heart 1921,8, (siehe Kongrzbl. 18,19). — Mathewson. Edinb. med. Journ. 1913,11. —
Rihl, Zschr. f. eyper. Path. u. Ther. 1911,9. — v. Romberg, Lehrbuch der Krankheiten
des Herzens3. Aufl. 1921. — v. Romberg, Sitzung der Facharzte für Innere Medizin,
München 2. II. 1922. - Pothberger-Winterberg, Pflüg. Arch. 1913,150; 1915,160.—
Rothberger, Kl. W. 1922,2. - Samojloff, Pflüg. Arch. 1910,135. - Santesson,
Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 1893 , 32 — W. Straub. Arch. f. exper. Path. u. Pharm.
1901,45. — W. Trendelenburg, Arch. f. Anat. Phys. Phys. Abt. 1903,303.
Aus dem Pharmakologischen Institut der deutschen Universität
in Piag. (Vorstand: Prof. Dr. W. Wiechowski.)
Die pharmakologische Bewertung der Chinin-Digitalis-
kombination bei Herzkrankheiten.
Von Prof. Dr. Emil Starkenatein.
(Schluß aus Nr. 13.)
III. Die Herzwlrkonf des Chinins.
Wie bereits erwähnt, liegt uns sowohl für die allgemeine Herz¬
wirkung des Chinins, als insbesondere für dessen Einzelwirkungea
ein wesentlich geringeres experimentelles Tatsachenmaterial vor. In
dieser Beziehung seien die Untersuchungen von Santesson, von
Hedbom, von Stock vis und Starkenstein, dann von F. B.
Hoffmann, von Fr6dericq und Terroine und von Biberfeld
sowie die von lunkmann und von Singer und Winterberg er¬
wähnt. Aus allen diesen Untersuchungen ergibt sich für die resul¬
tierende Endwirkung des Chinins am Herzen eine lähmende Wir¬
kung, welche von einer sofortigen Herabsetzung der Leistung ihren
Ausgang nimmt. Was die Einzelwirkungen des Chinins am Herzen
anlangt, so konnte unter seinem Einfluß eine Herabsetzung der Reiz¬
bildung festgestellt werden 1 ). Doch scheint der Sinusknoten hier
besonders widerstandsfähig zu sein, sodaß erst größere Gaben die
normale Pulsfrequenz herabsetzen. Auch die Reizleitung wird unter
Chinineinfluß genemmt. Der Einfluß des Chinins auf den Herzmuskel
äußert sich in einer Herabsetzung der Kontraktilität, die schließlich
unter Zunahme der Diastolen in einen diastolischen Herzstillstand
übergeht. Gleichzeitig mit der erwähnten negativ inotropen Wirkung
auf die Muskulatur erfährt auch die refraktäre Phase eine Ver¬
längerung. Schließlich sei noch auf die Untersuchungen von
Boden una Neukirch verwiesen, welche auf Grund ihrer Unter¬
suchungen auch eine Erweiterung der Koronargefäße an¬
nehmen.
Wollen wir nuiTsowofil aus der Gesamtwirkung als auch aus den
Einzelwirkungen der beiden Stoffe die Berechtigung oder Ablehnung
einer Kombination hinsichtlich ihrer Wirkung am Herzen überhaupt
ableiten, so wird dies durch die genaue Gegenüberstellung der bisher
gewonnenen Resultate ermöglicht werden.
Ueberslchtliche Darstellung der Herzwirkung kleiner (sog. thera¬
peutischer) Dosen von Digitalis und Chinin.
Angriffspunkt
DUitalis
Chinin
erregt
_
steigert die Erregbarkeit
—
Zentren d. Reizerzeugung:
Primär: Sinusknoten
(Wirkung verdeckt
erregt ( durch zentr. Vagus-
/doch ist Sinus-
“ JÄH
[ erregung
l fähigsten
Sekund: Tawaraknoten
erregt
hemmt
Tertiäre (Kammerzentren) {
steigert Erregbarkeit in
kleineren, erregt in größeren
hemmt
Dosen
(direkt, sowie als
Reizleitung
hemmt (Folge der Vagus-
hemmt
l erregung
Herzmuskel:
Kontraktilität
r
fördert (positiv inotrop.)
verkürzt als Folge zentr.
hemmt (negativ introp.)
Refraktäre Phase l
Vaguserregung. veilängert
mit Zunahme der toxischen
verlängert
Wirkung
Tonus
steigert
hemmt
Koronargefäße
verengert (?)
erweitert
Herzleistung
erhöht
vermindert
Aus dieser tabellarischen Gegenüberstellung kann man für die
Wirkung therapeutischer Dosen folgende Schlüsse ziehen:
1. Die gegensätzliche Wirkung von Chinin und Digitalis aut die
reizerzeugenden Zentren, auf die Kontraktilität und den Tonus des
Herzmuskels sowie auf die Koronargefäße (dies wenigstens unter
bestimmten Bedingungen) kann zur Folge haben, daß bei gleichzeitiger
Darreichung der beiden Stoffe die Digitaliswirkung in jeder Beziehung
gemildert wird. Es ist ohne weiteres verständlich, daß von diesem
Antagonismus überall dort Gebrauch gemacht werden kann, wo es
sich darum handeln wird, nicht gewollte Symptome, die als Folge
der Digitaliswirkung in Erscheinung treten, zu beseitigen. Dies gilt
besonders von den leichteren und schwereren Intoxikationserscheinun¬
gen (kumulative Wirkung, Arhythmien und Allorhythmien), wie sie
nach längerem Gebrauch kleiner, oder nach größeren Digitalisdosen in
Erscheinung treten können.
Für die praktische Seite der Verwertbarkeit dieses antagonisti¬
schen Verhaltens von Chinin und Digitalis bietet uns sowohl die
experimentelle als auch die klinische Erfahrung mehrfache Belege.
Schon im Jahre 1891 beobachtete Stock vis, daß bei gleichzeitiger
Verabreichung von Chinin und Digitalis die lähmende Cnininwirkung
l ) Die vorwiegend klinischen Angaben über eine vorübergehende Steigerung der
Sinusfrequenz nach intravenöser Chinininjektion beim Menschen bedürfen noch einer
genaueren Analyse. (Vgl hierzu Schott, sowie Singer und Wioterberg.)
Digitized by
Gck igle
Qrigiralfrom
CORNELL UNIVERSUM
7. April 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
449
aufgehoben werden konnte. Gleichfalls auf experimentellem Wege
konnte ich bei Untersuchungen über den experimentell erzeugten
Pulsus altemans den erwähnten Antagonismus zwischen Chinin und
Digitalis feststellen. Ich hatte bei diesen Untersuchungen nach Mit¬
teln gesucht, um den durch Glyoxylsäure und durch Digitalisglykoside
erzeugten Pulsus alternans antagonistisch zu beeinflussen bzw. seine
Entstehung zu verhindern. Da dieses Pulsphänomen durchwegs durch
Stoffe ausgelöst wird, die eine positiv inotrope Wirkung
zeigen, so war es naheliegend, hierfür als Antagonisten das Chinin
zu wählen, dessen negativ inotrope Wirkung durch die er¬
wähnten Untersuchungen von Santesson sowie von Hedbom
bereits bekannt war. Namentlich Hedbom hatte bereits darauf hin¬
gewiesen, daß die am isolierten Herzen auftretenden Unregelmäßig¬
keiten des Herzschlags zuweilen unter dem Einfluß des Chinins regu-
larisiert wurden und daß nach der ersten Zuleitung von Chininblut
die Alternierung, nach weiterer Chininzufuhr die Gruppenbildung zum
Schwinden gebracht werden konnte. Diesen Beobachtungen entspre¬
chend, konnte ich auch am Warmblüter den durch Glyoxylsäure er¬
zeugten Pulsus alternans stets durch Chinin zum Schwinden bringen.
In einer späteren Untersuchung, die ich gemeinsam mit R. H.
Kahn über das Elektrokardiogramm beim Alternans ausgeführt habe,
ließ sich dieser erwähnte Antagonismus von Chinin gegenüber dem
•experimentell erzeugten Alternans wiederum zeigen, ln einem be¬
stimmten Stadium der Glyoxylsäurewirkung wird während des kleinen
alternierenden Pulsschlags der Herzschlag so klein, daß er nur mehr
an der direkten Herzkurve, nicht mehr aber au der PuIs(karotis)kucve
wahrgenommen werden kann, sodaß bei der Gegenüberstellung dieser
beiden Kurven die Herzkurve doppelt so viel Pulsschläge aufweist als
die Karotiskurve. Wird nun in diesem Stadium dem Versuchstiere
Chinin injiziert, dann erscheint zunächst, ebenso wie beim Herzen,
auch in der Karotiskurve der kleine Schlag alternierend mit dem
großen und geht schließlich bald in eine normale Schlagfoige über.
Ebenso kann ein typischer Pulsus alternans durch Chinin jederzeit
zum Schwinden gebracht werden.
Bei den zuerst erwähnten eigenen Untersuchungen zeigte sich
aber auch der Antagonismus des Chinins zur Digitalis nicht nur dem
.Phänomen des Alternans, sondern auch den übngen toxischen Digi¬
taliswirkungen gegenüber. Besonders deutlich ließ sich beim Kanin¬
chen zeigen, daß es gelingt, den durch Strophanthinvergiftung ganz
unregelmäßig gewordenen Herzschlag durch Chinin zu regularisieren
und vollständig normal zu gestalten und damit das sicher dem Tode
verfallene Tier zu retten.
Auf Grund dieser Experimente zog ich damals 11907)
schon den Schluß, einerseits Chinin als ein regulari-
zierendes Mittel beim Pulsus alternans zu empfehlen,
unabhängig von diesem Phänomen aber Chinin auch
bei Intoxikationen durch Stoffe der Digitalisreihe als
Antagonisten zu verwenden.
Auf die für die Praxis aus diesen experimentellen Erfahrungen
sich ergebende Schlüsse wurde dann von Pohl hingewiesen, der
für die Erzielung rascher und maximaler Herzwirkung die Verabrei¬
chung der Digitalisstoffe unvermengt, ganz besonders aber nicht mit
Chinin zu verabreichen empfiehlt.
Auch klinische Erfahrungen können als Beleg für die praktische
Bedeutung dieses antagonistischen Verhaltens von Chinin und Digi¬
talis verwertet werden. In dieser Beziehung ist folgender von Tho-
maver mitgeteilte Fall bemerkenswert.
Eine 52jährige Frau hatte wegen dyspnoischer Beschwerden den
-Arzt aufgesucht. Er fand bei ihr Erweiterung des Herzens, besonders
äles linken Ventrikels, reine Herztöne, im Harn kein Eiweiß. Der
Patientin wurde Pulv. fol. digit., Chinin, muriat. ää 0,5, Sacchari albi 4,0
in 10 Pulver geteilt, verordnet. Nach acht Jahren und vier Monaten war
die Patientin wieder beim Arzte erschienen und erzählte, daß sie
seit jener Zeit ärztliche Hilfe nicht mehr in Anspruch nehmen mußte,
Sre wolle aber doch endlich fragen, ob sie diese Pulver immer noch
Reiter nehmen soll. Die Berechnung ergab, daß die Patientin ohne
Pause 456,45 g Digitalispulver und die gleiche Menge Chininchlor¬
hydrat genommen hatte, und zwar während einer Zeit von 3043 Tagen.
Sie hatte während dieser Zeit keinerlei dyspnoische Beschwerden, aber
auch keinerlei Folgezustände, die etwa als Folgeerscheinungen kumu-
’/ativer Digitaliswirkung hätten gedeutet weraen können. T h o -
tfiay er warnte nun die Frau vor weiterer Einnahme der Pulver. Nach
wenigen Tagen traten die dyspnoischen Beschwerden und die Sym¬
ptome der uilatatio cordis wieder auf, die nunmehr durch Herzmittel
nicht mehr zu beseitigen waren, und unter schwersten Erscheinungen
ist dann die Frau zugrundegegangen.
Dieser Fall erscheint für unsere hier in Untersuchung stehende
Frage von ganz besonderer Bedeutung. Wenn es auch nicht mit aller
Sicherheit zu beweisen ist, so ist es doch sehr wahrscheinlich, daß
hier Digitalis und Chinin durch ihren Antagonismus einen Zustand
geschaffen haben, der nicht eine vollständige Aufhebung der Wir¬
kung zufolge hatte, aber doch zumindest manifeste Nebenwirkungen
der beiden Stoffe verhinderte, wenn auch. — wie der Ausgang der
Krankheit zeigt — nicht von einer Heilung, sondern nur Von einer
Unterdrückung der Symptome gesprochen werden kann.
Während wir bisher den Antagonismus des Chinins zur Digitalis
nur in dem Sinne praktisch verwenden konnten, als er zur Ver¬
hinderung einer toxischen Digitaliswirkung brauchbar
erschien, kann aber auch an eine direkte Förderung der thera¬
peutischen Kreislaufwirkung der Digitalis durch Chi-
niri gedacht werden Wir haben bereits des öftern darauf hinge¬
wiesen, daß für das Zustandekommen des therapeutischen Endeffekts
der Digitaliswirkung die gleichzeitige Vergrößerung der Diastole
für die Ermöglichung eines größeren Pulsscnlagvolumens und damit
für die Vergrößerung der Leistung eine notwendige Voraussetzung ist.
Es erscheint nach dem, was wir über die Einzelwirkung von Chinin
und Digitalis kennengelernt haben, nicht unmöglich, daß selbst kleine
Chinindosen in diesem Sinne die Digitaliswirkung unterstützen und
zu einer Besserung des therapeutischen Endeffektes beitragen können.
Weiter sei auf die erwähnten Angaben von Braun verwiesen,
welcher behauptet, daß die günstige Wirkung der Digitalis auf das
Herz durch die Verengerung der Koronargefäße zum Teile aufgehoben
wird, und er schlägt, um diesen Uebelstand zu vermeiden, die kom¬
binierte Darreichung von Digitalis und Koffein vor. Zweifellos er¬
scheint eine solche Kombination berechtigt, doch darf nicht übersehen
werden, daß Koffein gerade hier die systolische Herzwirkung noch
verstärken wird und dadurch vielleicht dem Zustandekommen der
notwendigen diastolischen Wirkung noch hinderlicher entgegenstehen
kann. Gerade in diesem Sinne könnte sieh dort, wo die von Braun
angeführten Voraussetzungen gegeben sind, die Kombination von
Chinin mit Digitalis zur Förderung der Digitaliswirkung zweckmäßig
erweisen. Vielleicht wird dadurch der Wert dieser empirischen Kom¬
bination begreiflich, und vielleicht ist darin der Grund zu suchen, daß
sich diese Kombination in der Rezeptur erhalten hat.
Es kann jedoch keineswegs erwartet werden, daß überall dort, wo
Digitalis allein nicht wirkt, der Effekt durch deren Kombination mit
Chinin erreicht werden muß. Es kann sich aber um Fälle bestimmter
Indikation handeln, wo das anscheinend antagonistische Chinin auch
bei bestehender Inkompensation die Digitaliswirkung im angedeutejen
Sinne fördern könnte, was zu entscheiden eben jeweils der analysieren¬
den Kunst des Arztes überlassen bleiben muß, und dies umsomehr,
als die Anwendung von Chinin bei bestehender Inkompensation keines
wegs immer als ungefährlich gelten wird. Es kämen, wenn obige
Annahme zutrifft, eben solche muskelstarke Herzen in Betracht,
bei denen von allem Anfang die systolische Wirkung der Digitalis
überwiegt, durch deren Dämpfung dann eben auch die diastolische
erleichtert werden könnte.
Aus dem bisher Gesagten ergibt sich, daß die Kombination
von Chinin und Digitalis dort ihre Berechtigung haben
kann, wo es sich darum handelt, einerseits bei lang dauernder Digi¬
talismedikation der Kumulation oder sonstigen Intoxikationsgefahren
vorzubeugen, ganz besonders aber bei bereits bestehenden Vergiß*
tungserscheinungen von seiten des Herzens. Die Kombination kann
weiter in bestimmten Fällen zur Unterstützung der gewollten thera¬
peutischen Digitaliswirkung von Wert sein, und zwar dann, wenn eine
übermäßige systolische Wirkung dem Zustandekommen der not
wendigen diastolischen entgegenwirkt, oder wenn sich infolge
Koronargefäßverengerung die Digitaliswirkung selbst hemmt.
Kontraindiziert erscheint dagegen jede Kombination von
Chinin mit Digitalis überall dort, wo die Notwendigkeit einer raschen
— vorwiegend systolischen — Digitaliswirkung gefordert wird, weil
in diesem Falle das Chinin als hemmender Antagonist dem Zustande
kommen der gewollten Wirkung entgegenarbeitet.
IV. Die Wirkung von Chinin nnd Digitalis bei der Arhythmie perpetna.
(Vorhofflimmern.)
Von ganz anderem Gesichtspunkte als die bisher besprochenen
pathologischen Zustände sind jene zu beurteilen, bei denen sowohl
Digitalis als-auch Chinin für sich allein imstande sind,
die pathologischen Erscheinungen zu beseitige». Dies gilt hier be¬
sonders von der durch Vorhofflimmern bedingten Arhythmia perpetua,
bei der nach klinischen Angaben jeder der beiden Stoffe allein imstande
ist, das Flimmern in einen rhythmischen, annähernd normal frequenten
Puls zu verwandeln.
a) Chinin. Namentlich gilt dies vom Chinin, das auf Grund der
Beobachtungen Wenckebachs hier ein besonders scharf abgegrenz¬
tes Indikationsgebiet gefunden hat. W. Frey hat dann an Stelle des
Chinins das diesem stereoisomere rechtsdrehende Chinidin empfoh¬
len, das sich bei gleicher Indikation besser bewährte und seither all¬
gemeine Anwendung findet.
Seit diesen ersten Beobachtungen liegt über diese spezielle
Chinin- bzw. Chinidinwirkung eine ganze Reihe von klinischen und
experimentellen Untersuchungen vor, von denen besonders die der
folgenden Autoren erwähnt seien: Wenckebach, W. Frey, Hecht
und Rothberger, G. v. Bergmann, Fahrenkamp, Weil,
Boch, Arrilaga und Waldorp,Schott, Vetlesen, Schrumpf,
Mackenzie, de Boer, Drury und Iliescu, Lewis, Drury
Iliescu und Wedd, Kropfeid, E. Jenny, Benjamin und
Kapff, Haass, Clerc und Pezzi, R. Levy, Wybauw, Bock,
Boden und Neukirch, Rothberger, Singer und Winter¬
berg.
Es ist nicht möglich und auch nicht dem hier zugrundeliegenden
Zwecke entsprechend, auf all die vielen Einzelheiten, die in den hier
angeführten Arbeiten über die Chinin- bzw. Chinidinwirkung be¬
obachtet wurden, einzugehen, so wichtig dies auch für die absolute
Indikation bzw. Kontraindikation dieses Mittels beim Vorhofflimmern
sein möge.
Die Anschauungen über das Wesen dieser Wirkung sind natur-
emäß abhängig von den Anschauungen über das Wesen und die
ntstehungsursache des Flimmerns und Flatterns. Darüber sind die
Meinungen geteilt. Die große Literatur über diesen Gegenstand fand
eine gründliche und kritische Besprechung jn einer Zusammenfassung
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
450
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 14
Rothbcrgers (KI. Wschr. 1922, 2), auf die auch bezüglich der
Einzelheiten dieser Frage verwiesen sei. Kurz zusammengefaßt, liegen
über die Entstehung und das Wesen des Vorhofflimmerns drei
Theorien vor:
1. Hering führt das Phänomen auf die Entstehung zahlreicher
heterotoper multilokularer (an verschiedenen Stellen des Vorhofs ent¬
standener) Reize zurück;
2. Rothberger und Winterberg auf solche heterotopen,
vorwiegend unilokulären Ursprungs;
3. Mince, de Boer, Lewis haben eine Reihe experimenteller
Tatsachen mitgeteilt, die zur Fassung folgender Anschauung über d e
Entstehung des Vorhofflimmerns führten: Normalerweise breiten sich
die Erregimgswellen nach allen Seiten aus und kommen durch Auf¬
treffen auf einen im Refraktärstadium befindlichen unerregbaren
Punkt zum Stillstand. Beim Flimmern aber entstehen gehäufte, vor¬
zeitig^ (am Ende der Refraktärperiode) einsetzende Erregungen. Da
hier die Refraktärperiode stark verkürzt ist und die
Welle langsam abläuft, so trifft sie dauernd erregbare Teile und wird
dadurch zu einer einseitig, dauernd im Kreise umlaufenden Welle.
Die oben wiedergegebenen Grundwirkungen des Chinins auf die
Herztätigkeit können nun zur Erklärung seiner Wirkung auf das
Vorhofflimmern, den genannten Theorien entsprechend, in folgender
Weise herangezogen werden. Nach den ersten beiden Theorien wird
das Chinin dadurch, daß es sowohl die Reizerzeugung als auch die
muskuläre Erregbarkeit herabsetzt, imstande sein, das Vorhofflimmern zu
beseitigen. Nach der dritten Theorie dagegen zirkuliert beim Vorhof¬
flimmern etwa 450mal in der Minute die erwähnte Reizwelle, die das
Wirksamvverden aller anderen Reize hindert. Diese abnorme Welle ist
nur möglich bei Aenderung der refraktären Periode, Aenderung der
Leitungszeit und des Kontraktionsablaufs. Nach den Untersuchungen
von Lewis und seinen Mitarbeitern genügt aus diesem Grunde die
Herabsetzung der Erregbarkeit zur Beseitigung des Phänomens nicht.
Es muß vielmehr mit der Herabsetzung der Erregbarkeit
auch eine Verlängerung der refraktären Phase einhergehen.
Dies ist nun, wie aus den obigen pharmakologischen Analysen der
Chininwirkung hervorgeht, bei diesem der Fall. Nach de Boer be¬
wirkt diese Verlängerung der refraktären Phase, daß die Kreiswelle
keine Runde mehr machen kann, weil sie jetzt eben an irgendeiner
Stelle auf Gewebe stößt, das nach Verlängerung der Refraktärperiode
noch unerregbar gegen Reize ist. Dadurch muß die Welle erlöschen.
b) Digitalis. Wir haben bereits erwähnt, daß auch von der Digi¬
talis allein günstige therapeutische Wirkungen bei der Arhythmia per-
petua zur Beobachtung gelangten. Dies ist nach dem bisher Gesagten
nicht ohne weiteres verständlich; denn wir haben das Vorhofflimmern
als ein Phänomen kennengelernt, das seine Entstehung vorwiegend
erregenden Ursachen verdankt. Demzufolge erscheint hierfür die
Anwendung des im allgemeinen lähmenden Chinins verständlich,
weniger die der erregenden Digitaliskörper. Die oben besprochenen
Einzelwirkungen der Digitalis geben uns auch für diese Wirkung
gewisse Anhaltspunkte, die auch nach dieser Richtung hin mit allen
gegenwärtig gegebenen Deutungen dieser Wirkung übereinstimmen.
Wir haben bereits öfter erwähnt, daß sowohl als Folge der durch
Digitalis bedingten zentralen Vaguserregung, als auch durch direkte
Einwirkung eine Hemmung der Ueberleitung erfolgt, was bei
bestehendem Vorhofflimmern oder -flattern zu einer Verminderung und
Regularisierung der Kammerfrequenz führen wird. Die im Vorhof
mit ungemein hoher Frequenz (300—400 in der Minute), wenn auch
geordnet, rhythmisch entstehenden Reize müßten, wenn sie alle den
Ventrikel träfen, auch diesen zum Flimmern bringen, was sofort zum
Sekundenherztod führen würde. Dies ist nun aber nicht der Fall:
Es werden nicht alle im Vorhof entstandenen Reize auf die
Kammer übergeleitet, und von den trotzdem noch sehr zahlreich über¬
geleiteten Reizen kann die Kammer nicht zu gleich starken Kontrak¬
tionen angeregt werden. Immerhin aber führen diese Verhältnisse zu
einer sehr frequenten und ganz unregelmäßigen Ventrikeltätigkeit,
was weiter zu Kreislaufstörungen in der Peripherie führen kann.
Diese Verhältnisse werden nun durch Hemmung der Ueberleitung
begreiflicherweise günstig beeinflußt.
Daraus geht hervor, daß durch die Digitalis im allgemeinen wohl
gewisse Symptome der Arhythmia perpetua günstig beeinflußt werden
können, während das Vorhofflimmern selbst dadurch nicht beeinflußt
wird.
Auch die oben dargestellten Einzelwirkungen zeigen, daß die
Digitaliswirkung das Flimmern nicht kausal günstig beeinflussen
kann. Durch Digitalis wird die refraktäre Phase als Folge der Vagus¬
erregung jedenfalls verkürzt, was nach dem Gesagten der Beseitigung
des Flimmerns nicht zuträglich sein kann. (Ob die am Froschherzen
von Straub gefundene Verlängerung der refraktären Phase auch
schon im therapeutischen Stadium der Digitaliswirkung beim Men¬
schen auftritt und nicht vielmehr eine Teilwirkung des toxischen
Stadiums darstellt, ist nicht entschieden.) Außerdem wird jedenfalls
die Erregbarkeit der Kammer durch Digitalis gesteigert. Man muß
daher schließen, daß die Digitalis zwar imstande ist, die schädlichen
Folgen des Vorhofflimmerns auf die Kammer und den Kreislauf zu
mildern, das Flimmern selbst aber eher ungünstig beeinflussen kann.
c) Die kombinierte Chinin- Digitaliswirkung beim
Vorhofflimmern. Wir haben einleitend gesagt, daß es notwendig
ist, für die Bewertung der Chinin-Digitaliskombination von der Art der
pathologischen Zustände auszugehen, bei welchen die beiden Stoffe,
jeder für sich, nützlich gefunden wurden, und daran die Frage zu knüp¬
fen, inwieweit die bisher bekannt gewordenen experimentell ermittelten
Tatsachen über die Teil Wirkungen der beiden Stoffe auch die Zweck¬
mäßigkeit ihrer Kombination für alle oder nur für bestimmte Fälle
gerechtfertigt erscheinen lassen. Diese Untersuchungen haben nun
schon gezeigt, wie verschiedenartig diese hier gestellte Frage für die
allgemeinen Indikationen der Digitalis (Kompensationsstörungen) einer¬
seits und die perpetuelle Arhythmie anderseits zu beantworten ist.
Um so schwieriger gestaltet sich die Beantwortung des letzten Teiles
dieser Frage, ob die Kombination von Chinin und Digitalis bei der
Arhythmia perpetua empfehlenswert ist, bei der, wie erwähnt, jeder
dieser Stoffe für sich allein gelegentlich mit günstigem Erfolg ver¬
wendet werden.
Die Ansichten der Kliniker sind hierüber keineswegs gleich¬
lautend:
Wenckebach empfiehlt in Uebereinstimmung mit Mackenzie
die Verabreichung möglichst großer Digitalisdosen (0,8 Pulv. fol.
digit. pro die), die evtl, bis zum Erbrechen fortgesetzt werden. Durch
leichzeitige Verabreichung von 0,4—0,8 g Chininum hydrochloricum
ann neben der kardiotonischen Digitaliswirkung auch die notwendige
„dämpfende“ Chininwirkung erreicht werden. Auch bei anderen
Formen der Arhythmien, bei Hyperkinesen, hält Wenckebach die
Kombination von Chinin und Digitalis indiziert.
Auch Schrumpf empfiehlt die gleichzeitige Chinin- und Digi¬
talisverabreichung. E. Jenny sah in einem Falle von Vorhofflimmern
von Chinin allein keinen Erfolg, wohl aber von dessen Kombination
mit Scilla. '
Dagegen möchte v. Bergmann, wenn es der Kreislauf irgend
zuläßt, nicht zur gleichzeitigen Darreichung von Chinin- und Digitalis
raten. Er glaubt, daß die Digitaliswirkung, da sie in mancher Hin¬
sicht der Chinidinwirkung antagonistisch gegenübersteht, der Regulari-
sierung des Rhythmus voraussichtlich entgegenwirkt. Es w'ird aber
die Herabsetzung pathologischer Reizbildung und Reizbarkeit be¬
nötigt. Erst nach erfolgter Kegularisierung mag nach v. Bergmann
in entsprechenden Fällen eine kräftige uigitalistheräpie notwendig
werden. Es erscheint aber möglich, daß durch die durch Chinin bzw.
Chinidin bewirkte Regularisierung auch ohne Digitalis die Stauungen
zum Schwinden gebracht werden können.
Ganz anderer Ansicht wiederum ist Frey. Er betont, daß zwar
durch Digitalis mit der Herabsetzung der Ventrikelfrequenz der Puls
auch tatsächlich in der Regel regelmäßiger wird, daß aber das Vor¬
hofflimmern dadurch niemals beseitigt werden könne. Frey ver¬
langt weiter, daß schwer insuffiziente Herzen nicht mit Chinidin
behandelt werden sollen, daß hier erst Digitalistherapie, daun Chinidin¬
therapie eingeleitet werden soll, wie ja überhaupt die Aussichten der
Chinidinbehandluug bei wesentlich intakter Muskulatur besser sind
als bei geschädigtem Herzmuskel. Entschieden aber spricht sich
Frey in Uebereinstimmung mit Benjamin und v. Kapff gegen
die gleichzeitige Verabreichung von Chinidin und
Digitalis aus: „Ein Präparat schwächt das andere, die Beurteilung
der Situation wird dadurch erschwert. Die starke Wirkung der
Digitaliskörper gegenüber dem Vagus kann das Wiederaufleben des
Sinusknotens und damit das Einsetzen der normalen Schlagfolge unter
Umständen hindern.“ -
Schott glaubt, daß die gleichzeitige Verabreichung beider Stoffe
die Gefahr der Blockierung erhöhe.
Schließlich faßt Romberg seine Anschauungen über diese Frage
folgendermaßen zusammen: „Bei der ausgezeichneten und völlig
gefahrlosen Wirkung der Digitalis auf sehr viele perpetuelle Arhyth¬
mien wird die Abgrenzung der Indikationen für die Digitalis und für
das Chinidin abzuwarten sein. Er empfiehlt in Uebereinstimmung mit
Frey bei perpetueller Arhythmie mit Herzinsuffizienz zuerst die
typische Digitalisbehandlung. Ist die Insuffizienz beseitigt, dann
Chinidin. Versagt aber die Digitalis, dann darf bei be¬
stehender Insuffizienz Chinidin nicht als Ersatz angewendet werden.
Der gleichzeitige Gebrauch von Digitalis und Chinidin ist zu ver¬
meiden.
Wir sehen aus dieser Uebersicht das Bestehen entgegengesetzter
Anschauungen. Es wird aber ohne weiteres klar, daß auch hier für
die Beantwortung der gestellten Frage vorerst entschieden sein muß,
welcher der bestehenden pathologischen Zustände die Hauptindi¬
kation abgibt. Da liegen die Verhältnisse am einfachsten, wenn die
Arhythmia perpetua von keiner Kompensationsstörung begleitet ist.
Vergleichen wir die für die Beseitigung des Flimmerns nach der
oben wiedergegebenen Tabelle maßgebenden Teilwirkungen der
beiden Stoffe Chinin und Digitalis, so finden wir nur hinsichtlich
der Verlängerung der Ueberieitungszeit ein gleichsinniges Verhalten,
in allen übrigen Beziehungen dagegen ein antagonistische?. Stellt
folglich das Flimmern allein die Indikation für die Therapie, dann
wird eine Kombination der beiden Stoffe nicht zu befürworten sein:
man wird mit Chinin allein das Auslangen finden. Sind dagegen als
Folge des Flimmerns Störungen der Veutrikelarbeit und als weitere
Folge Kreislaufstörungen aufgetreten, dann wird nach dem oben
Gesagten — falls Chinin allein nicht ausreicht — zur Erschwerung der
Ueberleitung die Kombination mit Digitalis indiziert erscheinen. Digi¬
talis allein ist in allen diesen Fällen nicht zu empfehlen, weil dadurch
nur ein Symptom, nicht aber das Flimmern beseitigt werden kann.
Umgekehrt wird Chinin in der Kombination den nachteiligen Wir¬
kungen der notwendigen größeren Digitalisgaben auf den Ventrikel
entgegenarbeiten, die günstigen Wirkungen aber gleichsinnig Unter¬
stützen.
Digitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSUM
7. April 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
Oanz andere Beurteilung werden schließlich jene Fälle zu finden
haben, bei denen das Flimmern auf Basis einer Mitralinsuffizienz mit
Kompensationsstörungen auftritt. Hier wird wohl, ganz im Sinne
von Frey und von Homberg, das schwer insuffiziente Herz nicht
mit Chinin zu behandeln sein. Hier hat erst Digitalis die Kompen¬
sation herbeizuführen, wobei eventuell auch durch Hemmung der
Ueberleitung die vom Flimmern her dem Ventrikel drohende Gefahr
beseitigt werden wird. Nach erfolgter Kompensation hat dann erst
die Cninintherapie einzusetzen, wobei nach dem oben Gesagten ent¬
weder mit Chinin allein oder gerade in solchen Fällen in der Kombi¬
nation mit Digitalis das Vomofflimmcm als solches zu behandeln
sein wird.
Ganz berechtigt erscheint die Forderung Wencke-
bachs, hier niemals eine allgemein bestimmte Dosfs
für das eine oderdas andere Mittel festzusetzen. Gerade
hier wird es Aufgabe des Arztes sein, einerseits die Chinin- bzw.
Digitalisdosis dem pathologischen Zustande, insbesondere der musku¬
lären Leistungsfähigkeit, anderseits wechselseitig im Falle der Kombi¬
nation das eine Mittel dem andern, insbesondere das Chinin der
Digitalismenge anzupassen.
2asamaieifasseB<l kann über die pharmakologische Bewertung der
Chinin-Digitaliskombination hei Herzkrankheiten Folgendes gesagt
werden:
Die* Kombination von Chinin mit Digitalis ist ursprünglich nicht
für Herzkrankheiten gedacht gewesen, sondern hatte vornehmlich
den Zw'eck, die antipyretische Qiininwirkuug durch die gleichartige
Digitaliswirkung zu steigern. Die Anwendung der Kombination bei
Herzkrankheiten scheint auf Uebertragung zu beruhen. Ihre pharma¬
kologische Bewertung erscheint besonders deswegen wichtig, weil
Chinin ebenso \Vie-'Digitalis" im speziellen FaWe des Vorhofflimmerns
allein ebenso wie in Kombination Anwendung finden. Die Beurteilung
des Wertes dieser Kombination für Herzkrankheiten kann keine ein¬
heitliche sein, sie kann vielmehr nur unter jeweiliger Berücksichtigung
der pathologischen Zustände erfolgen, bei denen sie Verwendung
findet, und dabei nur aus der Gegenüberstellung der experimentell
ermittelten Teilwirkungen der beiden Stoffe abgeleitet werden.
Demzufolge ergibt sich, daß die Kombination von Chinin
und Digitalis dort ihre Berechtigung hat, wo es sich darum
handelt, einerseits bei langdauern der Digitalismedikation
der Kumulation oder sonstigen Intoxikationsgefah-
ren vorzubeugen, ganz besonders aber bei bereits bestehenden
Vergiftungserscheinungen seitens des Herzens, wo dann eben unter
Weglassung des „vergiftenden“ Mittels das andere als „Antagonist“
zur Anwendung kommen wird.
Die Kombination kann weiter in bestimmten Fällen zur
Unterstützung der gewollten therapeutischen Digitaliswirkung von
Wert sein, wenn eine übermäßige systolische Wirkung
dem Zustandekommen der notwendigen diastolischen
entgegenwirkt, oder wenn sich infolge Koronargefäß-
verengerung die Digitaliswirkung selbst hemmt.
Kontraindiziert erscheint die Kombination von Digitalis mit
Chinin dort, wo die Notwendigkeit einer raschen —
systolischen Digitaliswirkung gefordert wird, weil hier
das Chinin als hemmender Antagonist der gewollten Wirkung ent-
.gegenarbeitet.
Bei der durch Vorhofflimmern bedingten Arhythmia perpetua wird
vom pharmakologischen Standpunkt aus eine Kombination des Chinins
mit Digitalis dort nicht zu befürworten sein, wo die Arhythmia allein,
d.h. ohne Kompensationsstörung auftritt. Hier wird Chinin allein
indiziert erscheinen. Treten als Folge des Vorhofflimmerns Störun¬
gen in der Ventrikeltätigkeit und am Kreislauf auf, dann erscheint
zur Unterstützung der Chininwirkung — zur Hemmung der Ueber¬
leitung die Kombination mit Digitalis gerechtfertigt,
Digitalis allein aber nicht gerechtfertigt.
Insuffiziente Herzen mit flimmernden Vorhöfen sind erst mit
Digitalis allein, dann, nach erfolgter Kompensation,
mit Chinin allein oder bei Vorhandensein der oben er¬
wähnten Bedingungen mit der Kombination von Chinin
mit Digitalis zu behandeln 1 ).
Radiothorium und seine klinisch-therapeutische
Anwendung*). .
Von a. o. Univ.-Prof. Dr. Pani Lazarus,
Dirigierender Arzt des Marienkrankenhauses in Berlin.
I.
Im Jahre 1828 benannte Berzelius das von ihm im Thorianit
entdeckte neue Element in einer ingeniösen Vorahnung nach dem
blitzestrahlenden Gotte „Thor“. — Die Forschungen der letzten
Jahrzehnte haben gelehrt, daß cs das Vaterelement einer Reihe
strahlender Stoffe ist. Unter diesen hat sich das Mesothor den eben¬
bürtigen Heilplatz an der Seite des Radiums verschafft, während
sich die Thor X-Therapie trotz der biologisch großen Wirkungen
bisher nicht recht durchsetzen konnte. Vieles trug hierzu bei; so
*) Wegen Raurnmangel muß ich auf Wunsch der Redaktion von der Wiedergabe
meines umfangreichen Literaturverzeichnisses Abstand nehmen. — *) Vortrag, gehalten
im Verein für Inner« Medizin und Kinderheilkunde in Berlin am 20.11.1922.
451
beging man im Oegensatz zu der anfangs allzu schwach dosierten und
daher bald bei dieser Dosierung als wenig wirksam erkannten Radium
Emanationstherapie beim Thor X den Fehler der Ueberdosierung
— die Folge waren tödliche Vergiftungen. Nur in der Dermatologie
hat sich die Thor X-Behandlung (Doramad), insbesondere bei der
Behandlung der Psoriasis, einen gesicherten Platz errungen. Der
praktischen Anwendung steht seine Kurzlebigkeit im Wege. Bereits
nach 3,64 Tagen ist es zur Hälfte abgeklungen, es kann daher nur
unter steter Umrechnung auf die Aktivität zur Herstellungszeit
dosiert werden. Eine Verwendung des Mittels außerhalb des Er¬
zeugungsortes ist bei der Unregelmäßigkeit der heutigen Verkehrs
Verhältnisse mit Schwierigkeiten verbunden. Die letzte Wirkung des
Thor X erlischt so gut wie völlig nach 4 Wochen, praktisch jedoch
nach annähernd 8 Tagen (abgeklungen auf etwa 14 ), wenn man nicht
sehr hohe Dosen nimmt.
Aus diesen Gründen habe ich bereits vor 10 Jahren, das Augen
merk auf das von Hahn 1904/05 entdeckte Vaterelement des Thor X,
auf das Radiothor gelenkt und es in Form von Kompressen, Inhala¬
tionen, Injektionen angewandt 1 ). Ueber die durch unlösliches Radio¬
thor erzeugten Gewebsveränderungen hat dann Prado Tagle histo¬
logische Untersuchungen au Mäusen gemacht (in dem Institut von
Prof. Bickel). In den ersten Tagen erzeugt das Radiothor eine
Entzündung: kapilläre Erweiterung, Exsudationen, Ieukozytäre In¬
filtration. Später erfolgen Kariolyse, Nekrose und Fibroblastenver¬
mehrung, Resorption der Radiothorpartikelchen sowie der nekrotischen
Partien und zum Schlüsse Narbenbildung. Während es sich bei
meinen bisherigen Versuchen um Anwendung unlöslicher Radio-
thorverbindungen handelte, sodaß nur. an der Einverleibungsstelle
Wirkungen hervorgerufen wurden, habe ich mir nunmehr die Auf¬
gabe gestellt, lösliche Radiothorverbindungen biologisch und
therapeutisch zu studieren; hierbei wurde ich von den Chemischen
Werken vorm. Auer in dankenswerter Weise unterstützt. Von ihnen
erhielt ich das lösliche Radiothor in sterilen Ampullen von 50 bis
200 E.S.E. auf Vs —2 ccm H 2 0 konzentriert. Ich verwandte es vor¬
zugsweise intravenös, seltener mit 10 ccm V 2 °/oiger Novokainlösung
verdünnt auch subkutan und intramuskulär. Bei letzterer Anwendung
wird ein Teil des Radiothors scheinbar ausgefällt, worauf die schwä¬
chere biologische Wirkung und eine geringe Empfindlichkeit an
der Injektionsstelle deuten.
Das Radiothor hat, praktisch gesprochen, eine Gesamtlebens¬
dauer von etwa 14 Jahren und eine Halbwertsperiode von etwu
700 Tagen, es ist fast 200ma! so langlebig wie das Thor X. Es hat
somit den großen Vorteil, daß es fast einem pharmazeutischen Prä-
arate ähnlich eine längere Lebensdauer und eine .größere Konstanz
esitzt. Weiterhin hat es, wie aus der Tabelle hervorgeht, vor dem
Thor X eine weiche Alpha- und Betastrahlung voraus, vor allem
aber, daß es ein Thorium X-Reservoir darstellt, welches stets Thor X
und dadurch auch Thoriumemanation und deren aktiven Niederschlag
nacherzeugt.
Die ^-Strahlung von 1 mg Radiothor entspricht der ^Strahlung
von 1 mg RadiumeTement. Das Radiothor, das infolge seiner kürzeren
Lebensdauer in der Zeiteinheit mehr a-Strahlen aussendet, liefert auch
mehr E.S.E.; 1 mg Radiothor liefert bei vollständiger Ausnutzung
der a-Strahlen einen Sättigungsstrom von ca. 6200 E.S.E., während
1 mg Ra nur einen solchen von ca. 3200 E.S.E. unterhält. Täglich
zerfallen I 80/0 des beim Radiothor befindlichen Thor X, und ebenso¬
viel werden nachgebildet, sodaß also das Radiothor mit seiner Zer¬
fallsprodukten im Gleichgewicht bleibt. Da das Radiothor einen
o-Strahler mehr hat als das Thor X, so liefern 100 E.S.E. Radiothor
denselben Sättigungsstrom wie ca. 120 E.S.E. Thor X. Wenn 1 Atom
Radiothor zerfällt, so zerfallen seine Tochterprodukte dem Gleich¬
gewicht entsprechend. Chemisch verhalten sich jedoch die einzelnen
Stoffe verschieden. Das Radiothor ist in seinen chemischen Eigen¬
schaften mit dem Thorium purum identisch. Das Thor X unter¬
scheidet sich chemisch ganz wesentlich, da es mit dem Radium und
Banrum chemisch identisch und auch mit dem Mesothor isotrop ist.
— Von den Zerfallsprodukten hat das Thor A den chemischen Typus
des Poloniums, das Thor B jenen des Bleis, Thor C jenen des
Wismuts. Es dürften sich daher die einzelnen radioaktiven Stoffe
im Körper verschieden verhalten und verschieden verankern. Das
Thor X hat, wie das Radium und Mesothor, eine chemische Aehn-
lichkeit mit den Kalziumsalzen und geht daher zum größten Teil
ins Knochengewebe, wo es unter Stramenabgabe erlischt. Das Radio¬
thor bleibt längere Zeit an den Verankerungsorten, es wird daher
nach dem Schwarzschildschen Oesetz, wonach die Wirkung gleich
ist der Intensität mal Zeit, eine erhebliche kumulative Wirkung
vor dem Thor X voraushaben. Um die gleiche Wirkung zu erzielen,
muß bei dem kurzlebigen Thor X der Intensitätsfaktor größer ge¬
wählt werden, wodurch sich der intermittierende,, der Stoß-
charakter der Thor X-Wirkung z. B. bei der Leukämie erklärt und
damit die Gefahr der plötzlichen Ueberflutung des Organismus mit
hohen Dosen von strahlender Materie. Das länger lebende Radiothor
wirkt mehr kontinuierlich abklingend. Hier ist der Zeitfaktor größer,
die Bestrahlung steigert die Empfindlichkeit der betroffenen Gewebe
und versetzt sie in einen latenten Reizzustand als Folge der Kumu¬
lationswirkung. Es sind daher bei der Radiothoranwendung stets
rößere Intervalle notwendig unter steter Kontrolle
es Blutbildes, der Darmfunktion und des Allgemein-
*) Siehe Verfassers Handbuch der Radium-Biologie und Therapie. Verlag Berg¬
mann 1913.
Digitized b’
Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
452
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 14
be finden s (Gewicht). Das Radiothor stellt gewissermaßen eine
konstantere Einverleibung von Thor X dar. ln den von mir bisher
behandelten Fällen enthielten 100 E.S.E. Radiothor 20 mg Thor¬
chlorid, dessen Wirkungen noch so gut wie gar nicht erforscht sind.
Das Radiothor muß daher alle Reaktionen und Organotropien des
Thorium purum mitmachen. Jedenfalls ist die chemische Natur des
Radiothors völlig verschieden von der des Radiums und Mesothors.
Während Thorium purum und Radiothor vierwertige Elemente sind,
ist das Radium als Erdalkali zweiwertig und macht im Organismus
den Kalziumkreislauf mit. Man könnte dem Radiothor auch eine
andere Gleitschiene mitgeben; so habe ich in früheren Versuchen
Kollargole und Elektrargole, Jod, Hg, Arsen, Proteinkörper und
Organpräparate mit radioaktiven Lösungen gemischt, ohne mir bisher
ein Urteil über den Wert dieser Kombinationen bilden zu können.
Eine andere Frage bildet die Gefahr der länger dauernden Ver¬
ankerung des Radiothors im Organismus. Vom Radium ist es be¬
kannt, daß es nach Jugularisinjektionen an Pferden (Dominici)
noch über i/l> Jahr im Organismus nachweisbar war.
Das eingespritzte lösliche Radiothor wird mit dem Stuhl und
Urin täglich zu je etwa D/o ausgeschieden. Ein Kaninchen, dem
100 E.S.E. eingespritzt worden sind, hatte nach 24 Tagen noch
Vi davon im Organismus 1 ).
Die Wirkung des Radiothors in der Blutbahn und in den Organen
beruht auf der Umwandlung der strahlenden Energie in andere
Formen von Energie, chemische, thermische, elektrische und mecha¬
nische Energie. Hierbei kommen für die Oberflächen Wirkung
die 6 a-Strahler mit den Reichweiten
Radiothorium.33? ccm j Thorium A.5,70 ccm
Thorium X.4,30 ccm i Thorium C ..4,80 ccm
Thorium Eman.5,00 ccm | Thorium C,.8,60 ccm
in Betracht. Sodann die Oberschichten Strahlung durch die
4 ß-Strahler: Radiothor, Thor B, Thor C, Thor C" und schließlich
die Tiefenwirkung durch die 2 y-Strahler Thor B und Thor C". Die
Halbwertsschichten in Zentimeter Aluminium sind aus der Tabelle
ersichtlich. (Aus K. Fa j ans, Radioaktivität, 3. Aufl. 1921, bei Vieweg.)
Thoriumreihe.
!
Name des
Elementes j
1
Symbol
Halbwertszeit
Strahlung
Reichweite der
a-Strahlen In cm
Halbwettsdicke In
cm Aluminium
/^-Strahlen y-Strahlen
b
!§
U
u
Atomgewicht
Thorium.
Th
1,5- 10 1# a
a
2,721
Th
232,15
Mesothorium I . .
Wh,
6,7 a
(ß)
i
!
_
_
Ra
228
Mesothorium 2 . .
Radiothorium .
Wh,
Wh
6,2 h
1,90a
ßy
aß
I
3,87;
(3.5-10 2
{ b,s *
\\ß • io- 2
/0,Q27
>5,98
Ac
Th
228
228
Thorium X . . . .
thX
3,64 d
o
4,30 i
-
-
Ra
224
Thoriumemanation
ThEm
54,5 s
a
5,001
-
-
Ein
220
Thorium A . . . .
VhA
0,14 s
a
5,70
_ ' ■
_
(Po)
2’6
Thorium B . . . .
W
10,6 h
ßy
-
4,5 • 10“*
(43-10-!
to-10-
Pb
212
Thorium C . . . .
ThC— T
60,8 m
aß
4,80
4ß\0~ %
Ul»
Bl
212
Thorium C'. . . .
IhC' I
(IO“ 11 »)
a
8,60
-
-
(Po)
212
Thorium C" . .
1 ThC"
3,20 m
ßy
3,2 • 10~ 9
7,22
TI
208
Thorium D . . . .
ihl^ Cpb°)
_
_
-r
Pb
206,0
(Thoriumblei)
i
a = Jahr, d = Tag, h * Stunde, m = Minute, s = Sekunde.
Der Körper wird somit durch die Imprägnation mit radioaktiver
Substanz selbst zum Strahler, die Zelle wird gewissermaßen zur
Röntgenröhre. Legt man eine Ampulle mit 100 E.S.E. Radiothor auf
die photographische Platte (Demonstration einer 3 Monate alten
Lösung), so tritt nach 24stündiger Einwirkung eine ausgedehnte
Schwärzung ein, nicht von dem nur schwache a- und ß-Strahlen aus¬
sendenden Radiothor, sondern wesentlich von dem starke ß- und y-
Strahlen aussendenden Thor C ausgehend.
Eine Maus, der man 100 E.S.E. Radiothor in die Schwanzvene in¬
jiziert, geht meist bereits nach 24 Stunden ein. Legt man diese Maus
24 Stunden lang auf eine doppelt in lichtdichtes Papier eingehüllte photo¬
graphische Platte, so erhält man ein Autophotogramm des Skeletts,
der Leber und der Milz als Beweis, daß der größte Teil der ß- und
insbesondere der y-Strahlung in diesen Organen deponiert ist. Ent¬
weder ist das Radiothor an den gleichen Stellen mitverankert, oder
nur seine Y-Zerfallsprodukte Thor B und Thor C". Die Methodik der
Autophotographie habe ich zuerst 1912 zum Nachweise der Ver¬
ankerung radioaktiver Materie bei Tier und Mensch angewandt und
konnte auch die Selbstphotographie eines Schienbeines darstellen
bei einem Falle von perniziöser Anämie, mit Reizdosen von Ak-
>) Ein geistvoller Vorschlag des Chemikers Dr. P. M.Wolf empfiehlt, als Gegen¬
gift inaktives Thor zu geben, welches das Radiothor aus seinen Depotstellen wieder
anzieht, sich mit ihm vereinigt und mit Ihm ausgeschieden wird. Es sind weitere
Untersuchungen notwendig, um vorerst die toxischen Dosen von Thorium purum
featzustellen.
tinium X behandelt (B. kl. Wschr. 1912). In ähnlicher Art konnte
ich jetzt auch die Selbstphotographie des Brustkorbes bei einer
schmächtigen Frau nachweisen, der ich 1000 E.S.E. Thor X injiziert
hatte. Die Konturen der Organe, des Herzens, der Rippen waren
zwar verschwommen, doch erkennbar. Ein ähnliches Bild konnte ich
bei einer Frau mit Mediastinaltumor nach Injektion von zweimal
200 E.S.E. Radiothor erzielen (3tägige Exposition).
Von weiteren Versuchen möchte ich über das Ergebnis einer
intravenösen Injektion von 300 E.S.E. Radiothor bei einem Hund
(schwarzer Teckel) berichten.
Die ersten 9 Tage fühlte sich das Tier wohl. Außer starker
Polyurie und einer geringen Gewichtsabnahme von S000 auf 7700 g
war nichts Abnormes zu bemerken. Vom 10. Tage ab begann das
Tier abzumagern, fraß nicht, es stellten sich Obstipation und Fieber
(38,5) ein. Am 14. Tage nach der Einspritzung verfiel das Tier
rapide und wog nach dem Tode 6300 g. Das Blutbild stellte sich
vor und nach der Injektion folgendermaßen dar:
Datum
Rote
Blk.
Weiße tI
BUc. l H «emogl.j
Polyn. Gr. | Kl.
Segm. j Lymph.
“u!T Eo *-’St*bl.j Buoph.
4. X.
4700000
4800.|
1 ß 1 18 1
6
n i i i - 2 . ;
Injektion von 300 E.S.E. intrav.
7. X.
5200000
, 3200 :
1 47 19
18
1 10 3 3 5
9 X.
6700000
! 3200
64 1 10 i
6
1 5 12 3 1 4
12 X.
6400030
! 2600 ; 100
54 1 14
8
| 8 4 4 8
15 X.
5600000
1 2000 > 85
! 16 j 52 1
4
! 24 i 2 | 2
16i X.
exitus
Die Blutveränderungen charakterisieren sich somit durch Hyper-
globulie (Knochenmarksreizung), durch Leukopenie (Zerstörung der
lymphatischen Gewebe) und in den letzten 4 Tagen durch eine
Schädigung des Knochenmarks, kenntlich ^n der beginnenden Ab¬
nahme der roten Blutkörperchen und einer erheblichen Abnahme der
olynukleären segmentierten Leukozyten. Die Vermehrung der großen
yinphozyten sowie der mononukleären, desgleichen die Abnahme des
Hämoglobins sind auf das Fieber und auf die sekundäre Anämie zu
beziehen, veranlaßt durch Netz- und Dickdarmblutungeu. Bei der
Autopsie des hochgradig abgemagerten und blutarmen Tieres waren
mit freiem Auge kaum noch Lymphdrüsen auffindbar. Herz, Lunge
und Magen o. B. Die Bauchhöhle bot das Bild einer hämorrhagischen
Peritonitis, Netz- und Dickdarm waren blutigbraun infiltriert, die
Darmschlingen waren zu einem braunroten Konvolut verbacken. Die
histologische Untersuchung der Halslymphdrüsen, des Knochenmarks
(1. Femur), von Milz, Leber, Pankreas, Dünndarm und Netz, Dickdarm.
Nieren und Nebennieren ergaben das Bild einer allgemeinen Kapil¬
larschädigung (hämorrhagische Diathese) und einer
schweren Schädigung des lymphatischen Gewebes. Für
die gütige - Durchsicht und Erläuterung der histologischen Präparate
bin ich Herrn Prof. Westenhöfer zu besonderem Dank verpflichtet.
Im Pankreas fanden sich frische, große, interstitielle Blutungen. In
der Niere waren sowohl in der Rinden- wie in der Marksubstanz herd¬
förmige Blutungen, und zwar im Bereich der Kapillaren zwischen den
Kanälchen vorhanden. Entzündliche Erscheinungen waren nicht nach¬
weisbar. Die Schädigung setzte erst jenseits der Glomeruli ein.
Diese und die ''größeren Gefäße waren nicht geschädigt. In der
Rindensubstanz der Nebennieren und in dem umgebenden Fettlager
einige Herde von Blutungen. Die Leber war stark hyperämisch,
einzelne Stellen schienen für eine akute Zelldegeneration zu sprechen.
Die Lymphdrüse bot teils Zeichen der Blutresorptiou, teils der Kern-
Zertrümmerung, des Lymphozytenschwundes, sodaß sie wie dis¬
soziiert aussah. Der Dünndarm war intakt, nicht einmal hyperämisch.
In der Dickdarmschleimhaut befanden sich an der Oberfläche und
zwischen die Drüsen hineinreicliend ausgedehnte Blutungen. Auch in
der Submukosa fanden sich Blutungen, die stellenweise bis zur Dann¬
muskulatur reichten. Der Dickdarm fungiert ebenso wie bei der
dysenterischen Infektion und verschiedenen metallischen Vergiftungen
(Quecksilber) als besonderes Exkretionsorgan und ist daher am
stärksten geschädigt. Das Knochenmark zeigte stellenweise nekro¬
tische Schollen, stellenweise ließ es nichts Abnormes erkennen. Die
in ein Messungsinstitut gesandten Stuhl- und Urinproben aus den
ersten 10 Tagen sind in Verlust geraten. Die aus den letzten
3 Tagen stammenden Exkrete ließen nicht mehr sicher meßbare
Aktivitäten erkennen.
Zusammenfassung. Die Injektion von 300 E.S.E. führte zu
einer progressiven Schädigung des. Blutbildes und der inneren Organe,
zu einer starken Reizwirkung auf das Knochenmark (Hyperglobulie)
und einer erheblichen Hemmungswirkung auf das lymphatische Ge¬
webe (Leukopenie). Der Tod erfolgte unter den Erscheinungen der
posthämorrhagischen Anämie, verursacht durch eine allgemeine Kapil-
iarschädigung, die zu hämorrhagischer Diathese führte.
Kaninchenversuch: Intravenöse Injektion von 100 E.S.E.
Volles Wohlbefinden. Tötung nach 24 Tagen durch Entbluten. Die
Messung des Stuhles und des Urins während der ersten 10 Tage ergab,
daß täglich durch den Darm und durch die Nieren ungefähr je
1 E.S.E., insgesamt also per Urinam 10,45 E.S.E. und per Fäzes
8,50 E.S.E., abgegangen sind. Um die Thor X-Quote möglichst aus¬
zuschalten, wurden die Untersuchungen erst nach 2 Wochen ge¬
macht. Die Organe wurden verascht und ergaben folgende Meßwerte:
Digitized b)
Google
Original from
CORNELL UNSVERSiTV
7. April 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
453
Knochen .
• - (290g) =
6,25
E.S.E.
Muskulatur....
Magen, Darm . .
. • (965g)y_
. . (600 g)/ "
1,85
E.S.E.
Herz.
Lungen .
• - (20 g)l _
- • (20 g)/ “
4,80
E.S E.
Nieren.
• • (20 g) =
0,14
E.S.E.
Leber ..
Milz.
- • 000g)i _
. • (3 g)/ “
12.20
E.S.E.
Blut. . ..
—
E.S.E.
23,29
E.S.E.
Am stärksten aktiv erwiesen sich somit das Skelettsystem sowie
die Leber und Milz. Das Blut erwies sich als inaktiv.
Derartige Messungen sind, trotzdem sie von sachverständiger
Seite ausgeführt wurden, wofür ich Herrn Dr. P. M. Wolf besonders
dankbar bin, nach dessen eigener Ansicht mit großen Fehlerquellen
verbunden. Nur ganz allgemein kann man annehmen, daß etwa 2<>/o
des Radiothors täglich per vias naturales zur Ausscheidung gelangen
und daß die Hauptaktivität sich im Knochensystem, in der Leber und
Milz verankern.
Ein weiterer Versuch betraf eine ausgewachsene Ratte mit einem
Flexnerschen Impfkrebs unter der Bauchhaut. Für deren Ueber-
lassung sage ich Herrn Prof. Blumenthal besten Dank. Das
Tier starb unter den Erscheinungen der Abmagerung am 10. Tage
nach der Injektion von 100 E.S.E. Radiothor in die Schwanzvene.
Der Tumor war etwas vergrößert (Reizwachstum), bis zu den
Randzonen käsig nekrotisch. Die histologische Untersuchung er¬
gab eine starke Hyperämie des Tumors mit hämorrhagischen Her¬
den, einen Zerfall der Karzinomzellen mit massenhaft Kerntrümmern
und ausgedehnte Nekrosen, zwischen denen, in reichliches Binde¬
gewebe in den Randpartien eingebettet, noch wohlausgebildete Kar¬
zinomzellen lagen. Derartige Nekrosen finden sich bekanntlich auch
in unbeeinflußten Tiertumoren, doch scheinen die starke Hyper¬
ämie und die Hämorrhagien für die Einwirkung des Radiothors zu
sprechen. Ein bohnengroßes Stück des Tumors O /4 des ganzen Tumors)
ergab verascht 23 Mach-E. Aktivität. Ein ebenso großes Stück, in
einer Pappschachtel auf eine in doppeltes lichtdichtes Papier gehüllte
photographische Platte gelegt, ergab nach 48 Stunden eine deutliche
Schwärzung — die Krebszelle wurde also selbst zur Strahlenquelle!
Das Radiothor ist also tumoraffin. Der Tumor hatte noch 10 Tage
nach der Injektion 0,1 E.S.E. aufgespeichert. Der veraschte Ratten¬
körper ohne Schwanz und Fell enthielt etwa 0,25 E.S.E.
Weitere Versuche sollen lehren, ob man das Radiothor mit an¬
deren tumoräffinen Stoffen zweckmäßig verbinden kann. Die Milz
war stark verschmälert, die Follikel waren verkleinert und traten
nicht so deutlich hervor. Auffallend war der überaus große Reich¬
tum der Sinusräume der Milz an Plasmazellen, ein Zeichen
einer stattgehabten Phagozytose der Zerfallsmassen der Blutkörper¬
chen. Zahlreiche blutpigmenthaltige Zellen bewiesen die starke Zer¬
trümmerung der roten Blutkörperchen. Die Leber war enorm hyper-
ämisch, manche Kapillaren waren zerrissen und daher von Blut¬
austritten umgeben. Stellenweise beginnende Nekrosen der Leber¬
zellen. Das Mark der Nebenniere war durchsetzt von Blutungen und
Hyperämien, die Zellen, besonders in der Rinde, waren stellenweise
geschädigt und auffallend arm an Graafschen und Primordial-Fol-
likeln. Das Ovarium war stark hyperämisch. Der Befund bot, ähn¬
lich wie bei dem Hund, das Bild einer Schädigung der Kapillaren,
hämorrhagische Diathese. Den Herren Hirschfeld und Halber-
stäatcr sage ich besten Dank für die Durchsicht der Präparate:
Alle Versuche beweisen, daß das Radiothor, ähnlich wie der
Phosphor, erst nach einem Intervall seine deletären Wirkungen ent¬
faltet Es versetzt die betroffenen Gewebe offenbar zunächst in
einen latenten Reizzustand, sodaß die folgenden Strahleneinwirkungen
immer heftigere Reaktionen auslösen und es zur Kumulation kommt.
Daraus folgt die Lehre für die Anwendung beim Menschen, daß man
das Radiothor nur in größeren Intervallen unter steter Kontrolle des
Blutbildes, der Darmfunktionen und des Allgemeinbefindens (Ge¬
wicht) anwende, man vermeide es bei Neigung zu Blutungen und
bei Erkrankungen des Dickdarms. Als Reizdosis wären 20—100 E.S.E.
zu empfehlen, als Hemmungsdosis Beginn mit 2—300 E.S.E. und Fort¬
setzung nach größerem Intervall mit kleinerer Dosierung 200, 100 und
50. Der Preis des Radiothors ist, da eine Tonne Monazitsand nur
Spuren Radiothor liefert, nicht billig, er beträgt für 100 E.S.E. 60 M.
Elster und Geitel haben das Rpdiothor auch in den Quellsedi¬
menten von Baden-Baden, Mache im Gasteiner Reissacherit nach¬
gewiesen. Vielleicht wird es sich auch daraus oder auch aus Glüh¬
strümpfen gewinnen lassen. (Schluß folgt.)
Aus der Medizinischen Universitätsklinik in Leipzig.
(Direktor: Geh.-Rat v. Strümpell.)
Ueber das konstante Vorkommen von Bilirubinkristallen
(Hämatoidinkristailen) im Urin bei Ikterus und deren Ver¬
wechslung mit Tyrosinnadeln.
Von Priv.-Doz. Dr. Georg Dorner, Oberarzt an der Klinik.
Das Vorkommen von Bilirubinkristallen im Harn gilt als sehr
selten und ist vereinzelt im Anschluß an schwere Blutungen bei
chronischer Nephritis beschrieben worden. Nur Sahli erwähnt in
seinen klinischen Untersuchungsmethoden, daß beim Ikterus im Harn
bisweilen Büschel und Rhomboeder beobachtet werden können, welche
die Gmelinsche Probe geben, und Knöpf el mach er hat bei Neu¬
geborenen im Urin häufig Hämatoidinkristalle gesehen; doch ist die
Kenntnis dieser Tatsachen in keines der anderen Lehrbücher über¬
gegangen. Bei der mikroskopischen Durchsicht der Harnsedimente
von lkterischen auf Leuzin- und Tyrosinkristalle fiel es mir auf,
daß man nahezu konstant feine Nadelbüschel finden konnte, die ent¬
weder vereinzelt oder in größeren Haufen zusammenlagen. Die
Büschel waren von gelbrotlicher, bisweilen tief braunroter Farbe, und
sie traten meist in Leukozyten auf, die sich mit üallenfarbstoff im¬
prägniert hatten. Dagegen blieben die gelben Pigmente, die in Zylin¬
dern und auch in cpithelien angehäuft waren, gewöhnlich ohne
Kristallbildung.
Bekanntlich wird der Gallenfarbstoff sowohl von Verunreinigungen
im Harn als auch besonders von Zylindern und Epithelien aufge¬
nommen, die daher in ikterischem Harn stark gelbe oder grüne Farbe
zeigen. Oft bleibt diese Imprägnierung mit Gallenfarbstoit noch be¬
stehen, wenn schon beim Abklingen der Gelbsucht mit den gewöhn¬
lichen Methoden größere Mengen von Gallepigment im Harn nicht
mehr nachgewiesen werden können, sodaß die Untersuchung der
Harnsedimente als eine der feinsten Proben auf Gallenfarbstoif be¬
zeichnet werden muß. Daß es sich bei dieser Pigmentierung wirklich
um Gallenfarbstoff handelt, läßt sich mikrochemisch sehr einfach
nachw'eisen, indem ein Tropfen Lugolscher Lösung, zum Sediment
gesetzt, deutlichen Umschlag des gelben Farbentones in Grün her-
vorruft.
Bei jedem ikterischcn Urin kann durch Abzentrifugieren des
Bodensatzes ein Sediment gewonnen werden, welches aus Leukozyten,
Epithelien, Zylindern, Harnkristallen und Verunreinigungen besteht.
In diesen Sedimenten fand ich nun zunächst bei Fällen von akuter
gelber Leberatrophie die vorher erwähnten bräunlichen Nadelbiischel
Dem Aussehen nach konnten diese sehr leicht mit Tyrosinnadeln
verwechselt werden, wenn man annahm, daß die Tyrosinnadeln
sich mit Gallenfarbstoff imprägniert hätten, wie ja auch die
Harnsäurekristalle z. B. den Harn und Gallenfarbstoff an sich reißen.
Da neben den gelbrot gefärbten Nadeln weiterhin in einzelnen Fällen
elbe, runde Kugeln im Urinsediment gefunden wurden, die mit Letizin-
ugeln große Aehnlichkeit hatten, so war die Möglichkeit einer
Verwechslung noch mehr gegeben. Die genaueren mikrochemischen
Untersuchungen ergaben aber, wie ich hier gleich vorwegnehmen
will, daß die Kristalle Hämatoidinkristalle waren und die Kugeln aus
harnsaurem Ammonium bzw. Harnsäure und harnsauren Salzen be¬
standen. Ich glaube nicht fehlzugehen, wenn ich behaupte, daß in
den meisten Fällen, in denen im Urin spontan Leuzinkugeln und
Tyrosinnadeln gesehen worden sind, es sich um Täuschungen ge¬
handelt hat und daß Verwechslungen Vorgelegen haben mit Häm¬
atoidinkristallen und Kugeln bzw. Büscheln von harnsaurem Am¬
monium. Diese Behauptung stützt sich auf Untersuchung von 12
Fällen von akuter gelber Leberatrophie, die ich im Laufe der Zeit
zu beobachten Gelegenheit hatte. Es gelang mir nicht ein einziges
Mal, im Harn spontan Leuzin oder Tyrosin kristallinisch nach¬
zuweisen, und auch nach Fällung mit basischem Bleiazetat und Ein¬
dampfen größerer Harnportionen nach der Entbleiung konnte ich
nur in 6 Fällen von den 14 untersuchten den sicheren Nachweis von
Leuzin und Tyrosin erbringen 1 ). In gleicher Weise ergab die Formol-
titrierung auf Aminosäuren bei mehreren Fällen von akuter gelber
Leberatrophie, die ich mittels dieser Methode untersuchte, keine nach¬
weisbare Vermehrung von Aminosäuren gegenüber anderen Harnen,
die von fieberhaften Kranken oder von Normalen stammten. Bei
andern Fällen, wo mir es dann noch gelang, Leuzin und Thyrosin
kristallinisch zu erhalten, ergaben sich hohe Aminosäurewerte bei der
Formoltitration; aber auch diese Werte wechselten zw ischen 7 mg
in 100 und 75 mg in 100 ccm Urin an verschiedenen Tagen-). Die
Ursache dieses Häufig negativen Ausfalls meiner Untersuchungen
liegt zurr. Teil daran, daß einerseits verschiedene Harnportionen
sehr verschiedene Mengen von Aminosäuren enthalten können,
wie vor allem die Formoltitrierung zeigte, anderseits daran, daß
die Kranken häufig schon moribund aufgenommen wurden und, wie
sich bei der Sektion herausstelltc, der Zerfall des Lebergewebes
schon vollendet war, sodaß kein neu zerfallendes Gewebe mehr zur
Verfügung stand. Weiterhin aber scheint mir doch das Auftreten
von Leuzin und Tyrosin bei akuter gelber Leberatrophie durchaus
nicht so konstant zu sein, wie immer behauptet wird. Die neuerdings
von mehreren Seiten aufgestellte Behauptung, daß auch bei leichten
Leberkrankheiten Leuzin und Tyrosin im Harn spontan ausfallen
oder nach Einengen des Urins auskristallisieren, lassen sich durch
meine Untersuchungen nicht bestätigen, werden vielmehr durch den
negativen Ausfall der Formoltitrierung, die ich in zahlreichen der¬
artigen Fällen ausführte, widerlegt, und so glaube ich, daß die anders
lautenden Angaben zum Teil auf Täuschungen und Verwechselungen
beruhen.
Die genauere Untersuchung der vorher erwähnten Nadelbüschel
ergab Folgendes:
1. Bei sorgfältiger Durchsicht der iktcrischen Harnsedimente
wurden die Büschel fast regelmäßig in stärker, aber auch schwächer
*) Die Veresterungsmethode von Fischer konnte nicht angewendet werden, da
die nötigen Vakuumdestillationsapparate nicht zur Verfügung standen, und beim Ein¬
dampfen von Aminosäuren werden nach Untersuchungen von Grünhut-Weber bei
Gegenwart von Zucker die Aminosäuren teilweise zerst6rt.%o können geringe Mengen
bei der allgemein üblichen Methode, dem Nachweis entgehen. - Ä ) Methode siehe
N e u b e r g „Der Ham", S. 578.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
t
454 DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT Nr. 14
ikterischem Harn gefunden, wenn derselbe sauer reagierte und noch
nicht zersetzt war. Das Vorkommen war gebunden an das Vorhanden¬
sein von Leukozyten, und zwar konnte man zunächst eine starke
Anhäufung des dallepigments in den Leukozyten wahrnehmen, dann
traten einzelne kleine Nädelchen in den Leukozyten auf, in anderen
Leukozyten waren zahlreiche Nadeln zu Büscheln vereint anzutreffen.
Die Spitzen dieser Nadeln überragten den Leukozytenrand häufig um
mehrere Mikren. Schließlich konnten Büschel von etwas größeren
Nadeln in Häufchen angetroffen werden, die durch Zusammenbacken
von mehreren Leukozytenkernen entstanden waren und wo der ein¬
zelne Leukozyt teilweise schon zugrundegegangen war. In einzelnen
Fällen konnten nach Auflösung der Nadeln noch Ueberreste der
Leukozyten gefunden werden. Die Anzahl der Nadelbüschel wechselte
sehr, bisweilen fanden wir im ganzen Sediment nur einen solchen
Nadelbüschel, in anderen Fällen lagen zahlreiche im Gesichtsfeld.
In stark saurem dünnen Ham waren die Nadeln oft zahlreicher als
im schwach sauren konzentrierten. Das chemische Verhalten der
Nadeln war folgendes:
a) Bei Zufügen von Salpetersäure, die mit einer Spur rauchender
Salpetersäure versetzt war, trat zu dein frischen Sediment eine deut¬
liche Grünfärbung der Nadeln nicht ein, während das sonst in Leuko¬
zyten und Zylindern enthaltene amorphe Gallepigment sich deutlich
grün färbte.
b) Bei Zusatz von Lugolscher Lösung färbten sich die Kristalle
nicht grün, während die umgebenden Gallepigmente, die in Epithelien
und Zylindern angehäuft waren, deutliche Grünfärbung zeigten.
c) Das Ehrlichsche Diazoreagens, angewandt nach den Angaben
von van den Bergh, färbte die Nadeln zunächst intensiver braun¬
rot und löste sie vom Rande her etwas auf. Eine schöne Rotfärbung
oder Rotviolettfärbung, die als charakteristisch für Bilirubin angegeben
wird, trat weder mit, noch ohne Zusatz von Alkohol auf.
d) Trockene Nadeln, die durch schnelles Waschen des Sedi¬
mentes mit Alkohol und Aether und Abzentrifugieren gewonnen
waren, lösten sich langsam, aber vollkommen in Chloroform auf,
wobei das Chloroform deutlich eine gelbe Farbe annahm. Die in der
eben angegebenen Weise getrockneten Nadeln vorsichtig mit rauchen¬
der Salpetersäuer versetzt, sinterten gleichfalls zusammen,- färbten
sich meistens tief braunrot, in einzelnen Fällen auch grünlich, und
wurden dann vollkommen entfärbt.
e) Auf Zusatz von Natronlauge lösten sich die feuchten Nadeln
kaum auf, die trockenen etwas schneller.
f) Verdünnte Salzsäure löste die Nadeln nicht auf.
g) Zusatz von Millonschem Reagens rief keine Rotfärbung der
Nadeln hervor, ebenso war die Piarasche Probe auf Tyrosin, mit
den trockenen Nadeln angestellt, negativ 1 ). Damit ist der Beweis
erbracht, daß die Nadeln nicht mit Gallenfarbstoff imprägniertes
Tyrosin sein können, sondern aus der Löslichkeit in Chloroform
und der Schwcrlpslichkeit in Natronlauge und in Säuren, aus der
typischen gelbroten Farbe, aus der Unlöslichkeit der Kristalle in
Wasser, Alkohol und Aether ist in Uebereinstimmung mit den Unter¬
suchungen von Knöpfelmacher zu folgern, daß es sich um
Hämatoidinnadeln handelt. Der etwas mangelhafte Ausfall der Farb¬
reaktion beruht wohl darauf, daß nur die Bilirubinlösungen, nicht
aber die Bilirubinkristalle die Farbreaktionen geben und die hier
erwähnten Nadelbüschel durch die Leukozyten vor Auflösung ge¬
schützt werden.
Der Versuch, die Nadeln künstlich aus Galle, der Eiter zugesetzt
war, zu erzeugen, gelang nicht, auch wenn die Eitergallelösung leicht
mit Essigsäure angesäuert wurde
Fig. i. Möglicherweise ist das Auskri-'
stallisieren der Nadeln an die
lebende Funktion der Leuko¬
zyten gebunden, und der uns
zur Verfügung stehende Eiter
zeigte schon schwere Degene¬
rationserscheinungen an den
Leukozyten, sodaß diese künst¬
lich zugesetzten den spontan im
Urin ausgeschiedenen nicht
gleichgesetzt werden können.
2. Das chemische Verhalten
der gelbgefärbten Kugeln war
das für Ammoniumurat charak¬
teristische. Weder Zusatz von
Natronlauge noch Ammoniak
löste die Kristalle auf, dagegen
wurde durch diese Reagenzien
1. Gelbrote Nadeln von Hämatoidin. - die Gelbfärbung genommen, und
2. Gelbe Kugeln von harnsaurem Ammonium. die Kugeln zeigten danach deut-
— 3. Ammoniumurat in Büscheln. liehe radiär kristallinische Strei-
* fung, während echte Leuzin¬
kugeln viel weniger lichtbrechend sind, fast wie große rote Blut¬
körperchen anssehen und keine kristallinische Streifung erkennen
lassen, außerdem beim, geringsten Zusatz von Natronlauge, Ammoniak
') Durch Versuche koqple ich mich überzeugen, daß künstlich hergestellte Tyrosin-
nadeln sich, wenn die Tfrosinlösung vor der Auskristallisation mit Gallenfarbstoff
versetzt wird, nur ganz schwach mit Gallenfarbstoff imprägnieren, während die Leuzin-
kugeln sich bedeutend intensiver färben.
oder sogar Wasser löslich sind. Weiterhin gaben dann die erwähnten
Kugeln eine positive Murexidorobe. Qie beigegebene Fig. 1 zeigt:
1. Hämatoidinkristalle,
2. Kugeln aus hainsaurem Ammonium,
3. Büschel aus harnsaurem Ammonium, wie sie im Zentrifugal
eines ikterischen Harns bei starker Vergrößerung (Okular 3, Objek¬
tiv 7) zu sehen sind.
Fig. 2 zeigt Leuzinkugeln mit Tyrosinnadeln, gewonnen aus
Urin bei akuter gelber Leberatrophie nach Bleiessigbehandlung.
Fig. 2.
I. Leuzinkugeln. — 2. Tyrosinnadeln. (Mikrophotographie.)
Zusammenfassend müssen wir betonen, daß in fast jedem ikteri¬
schen Harn bei der mikroskopischen Untersuchung Kristalle vön
Hämatoidin und oft auch von harnsaurem Ammonium gefunden
werden, die leicht zu Verwechslungen mit Tyrosin und Leuzin
führen können. Leuzin und Tyrosin kommen seltener im Harn vor,
als bisher angenommen wurde, selbst bei akuter gelber Leberatrophie
gelingt der sichere Nachweis nicht in allen Fällen.
Sahli, Lehrbuch der klinischen Untersuchungsmethoden. — Knöpfelmacher,
W.kl.W. 1896 Nr. 24; Jb. f. Kindhlk 47.—van den Bergh, Gallenfarbstoff im Blute. —
Hoppe-Seyler -Thierfelder, Handbuch der chemischen Analyse. — E. Neumann,
Virch. Arch. 111 u. 177. — C. Neuberg, Der Harn, Berlin 1911. — Qrünhut-Weber,
Biochem. Zschr. 121, S. 109.
Aus der Universitäts-Kinderklinik in Berlin.
(Direktor: Geh.-Rat Czerny.)
Therapie der Rachitis 1 ).
Von Dr. Richard Hamburger.
Die Einsicht in die Pathogenese der Rachitis und damit ihre
Therapie ist durch vertiefte Berücksichtigung und Erkennung eines
für die Krankheit besonders bedeutungsvollen Umstandes mächtig
gefördert worden. Dieser neustudierte Faktor ist das Licht, dessen
Bedeutung zwar schon lange vermutet, aber nicht genügend bearbeitet
wurde. Raczynski (1) ist als Erster dieser Frage exakt nachge¬
gangen; er beschränkte sich 1912 beim pädiatrischen Kongreß in
Paris auf eine kurze Mitteilung, in der er für die Bedeutung des
Lichtmangels in der Pathogenese der Rachitis eintrat. Er stützte
seine Auffassung durch die chemische Analyse von zwei Hunden,
von denen der im Dunkeln gehaltene einen deutlich verminderten
Gehalt an Kalk und Phosphor gegenüber einem im Hellen gehaltenen
Hunde bei gleicher Ernährung aufwies. Raczynski scheint aber
diese Frage nicht weiter verfolgt zu haben. Erst durch die bekannten
und bedeutungsvollen Untersuchungen von Huldschinsky (2—4)
über den Einfluß von Qu.-Qu.-Lampenbestrahlung auf Rachitis
und Tetanie, die mehrfach Bestätigung fanden (Putzig [5], Rie¬
del [6], Sachs [7], Mengert (8], Bahrdt [91, Erlacher [101),
ist die Angelegenheit in Fluß geraten. Ueber aie Anwendung des
Lichtes in therapeutischer Beziehung wird noch zu sprechen sein.
Im Augenblicke möchte ich aber noch bei der allgemeinen Bedeutung
des Lichtes für die Rachitis verweilen. Denn klinische, chemische
und experimentelle Erfahrungen, die den Lichteinfluß und — wie
ich gleich hinzufügen möchte — den ungenügenden Lichtes und der
Dunkelheit auf die Rachitis zu erkennen trachteten, haben über den
Rahmen der Lichtwirkung hinaus die ganze Frage der Rachitis auf
eine feste Grundlage gestellt. Ich schätze die Ergebnisse dieser
Untersuchungen deswegen so hoch ein, weil sie aus einer ganz
anderen Richtung als die bisherigen Studien genügend Material
zu älterem, das sich besonders auf die Bedeutung der Konstitution
’) Vortrag in der pädiatrischen Sektion des Vereins für Innere Medizin und Kinder¬
heilkunde in Berlin am 16.1. 1922.
Digitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSSTV
7. April 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
455
und Ernährung gestützt hatte, fügten, um das kausale Moment der
Krankheit zu erkennen und darauf eine kausale Therapie zu gründen.
Darüber zu berichten, ist meine heutige Aufgabe.
Wenn ich behaupte, daß eine Störung des Kalkstoffwechsels das
ursächliche und charakteristische Moment für die Rachitis ist, so
möchte das als Binsenweisheit erscheinen. Aber Vorstellungen, daß
die besagte Störung nur ein begleitendes und kein bedingendes
Moment für die Erkrankung ist, daß innersekretorische Störungen,
Vitaminmangel — um nur neuere Hypothesen zu erwähnen — die
Grundlage der Erkrankungen seien, drohen die primäre Bedeutung
der Kalkstörung zu verschütten.
Wenn wir uns fragen, wanim man denn eigentlich die Störungen
im Kalkumsatz nicht als ausreichende Erklärung für das Wesen der
Rachitis ansah und zu den eben gestreiften Vermutungen seine Zu¬
flucht nahm, so lag das daran, daß für den Kalk, im Gegensatz zum
Umsätze der meisten anderen Substanzen unserer Nahrung, besondere
Verhältnisse vorzuliegen scheinen. Ich habe mir darüber Vorstel¬
lungen gemacht, die zum Teil mit schon früher in der Literatur
niedergelegten Beobachtungen Beziehungen haben (Freudenberg
und Klocmann [11, 121, Orgler [13, 141, Schloß [15], Stoeltz-
ner [16], Lasch und wertheimer [18]) und die meiner Meinung
nach gerade durch den Einfluß des Lichtes auf diesen Vorgang eine
weitere Stütze erfahren.
Ich möchte darüber kurz Folgendes erwähnen. Die Mehrzahl der
Elemente der Nahrung unterliegen bezüglich Retention und Aus¬
scheidung, allgemein gesagt, dem Gesetz von Angebot und Nach¬
frage. Ihr Transport wird durch die Körperflüssigkeiten an den Ort
des Bedarfs bewerkstelligt; dort werden sie festgehalten. Von der
Notwendigkeit besonderer Vorbedingung für ihre Fixierung ist, ab*
esehen von einigen Erfahrungen bei der Wasserbindung und dem
estehen gewisser Relationen zwischen einigen Mineralien, nicht
viel bekannt. Einige, besonders die organischen Substanzen, können
bei Ueberangebot gespeichert werden. Nach Unterangebot von Be¬
lang oder Verarmung an wichtigen Substanzen vermag der Körper
bei darauffolgender reichlicher Zufuhr in der Regel den Verlust
durch Hyperretention auszugleichen. Ich möchte als Beispiel den
Chlorhunger oder den Durst nennen.
Anders die Verhältnisse beim Kalk. Sein Umsatz unterliegt, wie
wahrscheinlich auch der des Phosphors und vielleicht des Eisens,
besonderen Gesetzen. Ich möchte aber nur vom Kalk sprechen und
da in groben Umrissen zwischen kalzipriven und kalkstabilisierenden
Einwirkungen unterscheiden. Das floride Stadium der Rachitis wird
charakterisiert durch eine negative Kalkbilanz, d. h. der Körper schei¬
det durch Stuhl und Urin mehr Kalk aus, als ihm durch die Nahrung
zugeführt wird; er gibt also Körperkalk ab, er verarmt an Kalk.
Dieser Zustand geht den manifesten klinischen Symptomen voraus
(Birk und Orgler [19]) oder begleitet sie noch. Es geht aber aus
Analysen der Körpersubstanz von Rachitikern hervor, daß auch im
Stadium der klinischen Rachitis, Gehirn, Muskeln (Quest, Aschen¬
heim und Kaumheimer [35,36], Knochen, kurzum der Gesamt¬
körper des Rachitikers, wesentlich kalkärmer ist als der des Nor¬
malen. Der Rachitiker ist demnach an Kalk verarmt, wir sehen
zweifellos dadurch bedingte, schwere funktionelle und morphologische
Veränderungen bei ihm auftreten, und trotzdem verwendet er den
angebotenen Kalk nicht, um den Defekt auszugleichen. Auch ver¬
mehrte Zufuhr von Kalk ändert an dem Zustand nichts.
Der Organismus scheint also, im Gegensatz zum chlorverarmten,
chlorhungrigen, nicht kalkhungrig zu sein. In Wirklichkeit leidet er
an dem Unvermögen, Kalk zu retinieren. Es kann sich auch um den
Verlust der Fähigkeit handeln, ihn den bedürftigen Organsystemen
zuzuführen, oder aber diese selbst sind nicht imstande, kreisenden
Kalk zu binden. Die Faktoren, die diese Zustände zum Aufhören
bringen oder in das Gegenteil umkehren, nenne ich etwas ungenau
kalkstabilisierende; die Einflüsse, die den pathologischen Zustand för¬
dern oder herbeiführen, kalziprive. Ich habe für die Bezeichnung
dieser Vorgänge keine besseren Ausdrücke gefunden.
Von dem Augenblicke der Anwendung der wirksamsten Kalk¬
stabilisatoren — schon wenige Tage darauf läßt sich oft klinisch,
chemisch und röntgenologisch der Umschwung nachweisen — ge¬
winnt der Körper des Rachitischen die Fähigkeit wieder, zugeführten
Kalk* richtig zu verwerten; die erkrankten Organsysteme beginnen
sich mit Kalk zu imprägnieren, die Krankheit fängt zu heilen an
(Birk [20], Orgler [13, 14], Schabad [23—27], Schloß [15],
Lasch und Wertheimer [18]). Wie der chlorhungrige Organis¬
mus, gleicht jetzt der Körper meist durch Ueberretention das De¬
fizit aus.
Ein in der angedeuteten Art abnormer Ablauf der Resorption,
der Retention, des Anbaues und Verwertung einer bestimmten Sub¬
stanz im Körper charakterisiert die Stoffwechselstörungen überhaupt.
Ich meine daher, daß die Rachitis sich zwanglos in die Gruppe der
Stoffwechselstörungen einordnet, und zwar als Krankheit, deren Er¬
scheinungen durch eine Störung des Kalkumsatzes bedingt sind.
Allerdings finde ich in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle, in
einem gewissen Gegensatz zu den konstitutionellen, gewöhnlich das
ganze Leben laug dauernden Stoffvvechselstörungen, wie dem Dia¬
betes, daß man die Rachitis beim jungen Kinde zu den durch
bestimmte Bedingungen erzeugten, also konditionellen, vorüber¬
gehenden Stoffwechselerkrankungen rechnen müßte.
Die wirksamsten Kalkstabilisatoren sind der Lebertran und im
höchsten Maße das Licht, besonders sein kurzwelliger, ultravioletter
Anteil Mit Abstand folgen Gemüse (Freise und Ruprecht [37],
Hamburger und Stransky [38]), vielleicht auch Obst. Ich ziehe
es vor, bei gewissen für die Rachitis schädigenden sowie heilsamen
alimentären Einflüssen, wie denen des Lebertrans und Gemüses,
nach den neueren Beobachtungen nur von einer kalzipriven oder
kalkstabilisierenden, und nicht von einer Vitaminwirkung zu sprechen.
Nach der besseren Erkennung der Bedeutung des Lichtes für Ver¬
hütung und Heilung der Rachitis möchte ich die Beweiskraft aller
über diesen Gegenstand, besonders an der Ratte, gemachten Ver¬
suche bezüglich der menschlichen Rachitis nur gering einschätzen.
Für die Ratte, einem Tier, das unter natürlichen Verhältnissen vor¬
wiegend im Dunkeln lebt, kann das Licht für die Aufrechterhaltung
normaler I^ebensbedingungen, insbesondere auch für den Kalkstoff¬
wechsel, im Vergleich zum Menschen nur eine untergeordnete Rolle
spielen.
Es' ist zu vermuten, daß in dieser Beziehung für die Ratte
andere Regulierungen vorliegen. In letzter Zeit wird hierfür z. B.
dem Phosphor in amerikanischen Arbeiten (Shippley, Park, Mc.
Collum und Simmonds [28]) eine erhebliche Bedeutung zuge¬
schrieben. In der menschlichen Rachitis- ist man von der ursprünglichen
Schätzung der Phosphorwirkung abgekommen (Stoeltzner [16],
Lehnert [29]), nachdem sich neben dem Versagen einer reinen
Phosphorbehandlung erwies, daß dem Phosphorlebertran seine anti-
rachitische Wirkung auch ohne Phosphorzusatz erhalten bleibt (Scha¬
bad, Schloß). Trotzdem benutzen wir seit Kassowitz (30—33)
gern Phosphorlebertran, weil der an sich nicht antirachitisch wir¬
kende Phosphor die Wirksamkeit des Lebertrans erhöht, ein Vor¬
gang, auf den Stoeltzner (17) neuerdings hingewiesen hat.
Die gleichartige kalkstabilisierende Wirkung so heterogener Fak¬
toren, wie des Lebertrans, des Lichtes und von Gemüse, kann nur
aus dem gemeinsamen Ansatzpunkt ihrer Wirksamkeit verstanden
werden. Ich fasse sie als Sensibilisatoren des Kalkstoffwechsels auf,
die den normalen Kalkumsatz erhalten und den pathologischen zur
Norm zurückführen können. Wir werden bei der Prophylaxe der
Rachitis sehen, daß auch das gesunde Kind dieser Reize bedarf
oder gerade wegen ihres Vorhandenseins von Rachitis verschont
bleibt. Ich möchte betonen, daß die Sensibilisierung, d. h. die An¬
wesenheit oder Zuführung des Reizes, das Wesentliche ist, weil
lediglich sein Fortfall die Erkrankung auslösen, seine Zugabe sie
heilen kann. Alle sonstigen Umstände der Ernährung, Haltung, der
persönlichen Eigenschaften usw. können dabei unter Umständen un¬
verändert bleiben.
Es wären nun die wichtigsten kalzipriven Einflüsse zu erörtern.
Als den entscheidendsten und allgemeinsten möchte ich den Licht¬
mangel nennen. Ueberblickt man ein größeres Menschenmaterial,
sagen wir die jungen Säuglinge unserer Klinik, so können wir im
Winter rachitische Symptome bei nahezu allen Kindern, bei allen
möglichen Nahruugsgemischen, auch bei Ammenmilch und Brust-
nahrung entstehen sehen. Dasselbe gilt, wie mir die Praktiker zu¬
eben werden, für viele sonst gesunde Kinder im Privathaus. Bei
er Mehrzahl dieser Kinder äußert sich die Rachitis in sehr milder
Form. Sie beschränkt sich auf eine mäßige Vergrößerung der Fon¬
tanelle, gelinde Kraniotabes, einen geringen Rosenkranz und Epi¬
physenschwellungen, Schweiße oder verspätete statische Funktionen.
Daß diese Erscheinungen oft harmlos sind, entkleidet sie aber nicht
ihrer pathogriostischen Bedeutung. Erkennen wir das an, dann müssen
wir zugeben, daß gewisse Bedingungen, z. B. Lichtmangel, den Schutz
einer an sich sachgemäßen Ernährung, z. B. auch an der Brust,
durchbrechen können. Lichtinsuffizienz setzt sich also, da die rachi¬
tischen Erscheinungen bei nahezu allen Kindern festzustellen sind,
selbst über günstige konstitutionelle, vererbte Anlagen hinweg und
erzeugt nahezu gesetzmäßig rachitische Symptome.
Genau das gleiche Menschenmaterial läßt sich aber bei sonst
gleichen Bedingungen der Haltung und Nahrung vor dem Ausbruch
der Rachitis schützen, wenn wir ihm rechtzeitig Lebertran reichen
oder es genügend belichten. Ich finde für die allgemeine Ver¬
breitung, wenigstens der leichten Formen von Rachitis, unter diesen
Umständen nur in der Lichtinsuffizienz eine Erklärung, und zwar so,
daß die wirksamen Strahlengruppen nicht genügend durch Fenster¬
glas durchgelassen werden. Das entspricht auch sonstigen Beobach¬
tungen über den Durchtritt kurzwelliger Strahlen durch gewöhn¬
liches Glas.
Wenn ich eben von sachgemäßer Nahrung sprach, so verstehe
ich darunter zunächst eine Nahrung, die genügend Kalk enthält.
Dieser Forderung entsprechen von künstlichen Gemischen alle, die
nicht abnorm wenig Kuhmilch enthalten. Halbverdünnte Milch deckt
den Kalkbedarf reidilidi. Auch der geringere Kalkgehalt der Frauen¬
milch reicht für rechtzeitig Gebotene aus, selbst für Frühgeborene
mit angeborenem Kalkdefekt langt die Frauenmilch zu, wenn man
nur kalkfixierende Reize, vorzüglich alsp Lebertran oder Belichtung,
prophylaktisch hinzugibt. Der Ersatz einer Mahlzeit durch Kuhmilch
als reichlicher Kalkquelle, erschein? hier nicht unangebracht. Im üb¬
rigen vermeiden wir im allgemeinen zu rasche Gewichtszunahme, ein¬
seitige Bevorzugung der Milch, von der wir auch bei älteren Säug¬
lingen kaum je mehr als i/a I mit Kohlenhydraten als Abkochung
oder Brei vermengt, brauchen. Bei Rachitikern überschreiten wir
diese Menge keinesfalls und betrachten bei Kindern unter 5000 g
die Budinsche Zahl (d. h. die Milchmenge, die einem Zehntel des
Körpergewichtes entspricht) als Höchstgrenzev Wir machen von früh¬
zeitigem Ersatz der ausschließlichen Milchmahlzeiten durch Gemüse¬
abkochungen. auch in Breiform, unter löffelweiser Zulage von Ge¬
müsepüree als vorbeugender Kost Gebrauch. Bei Rachitikern wün-
Digitized by LjOi *oie
Original from
CORNELL UNIVERSITY
456
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 14
schell wir eine besondere Bevorzugung der vegetabilischen Kost¬
form (zwei Mahlzeiten täglich), auch als Obstbrei und Zufütterung
von Fleisch (bis zu 1 Eßlöffel, besonders als Leberpüree oder Kalbs-
milch), im zweiten Lebenshalbjahr in Form von 4 (Brei-)Mahlzeiten.
Diese Ernährungsvorschriften entsprechen der Kostform, wie sie
A. Czerny (34) vorschlägt.
Als zweiter kalzipriver Umstand soll überreichliche Ernährung
mit starker Gewichtszunahme genannt werden, während der sich
die rachitischen Symptome besonders lebhaft zu entwickeln pflegen.
Eine nicht unerhebliche kalkraubende Wirkung hat dabei die bei
Milchüberfütterung oft vorhandene Obstipation mit pathologischem,
trockenem und hellem Kalkseifenstuhl (Birk.[20], Rothberg [22]).
Schließlich darf als rachitisfördernd auch nicht die auf den
Kalkstoffwechsel ungünstige Wirkung von Infekten, besonders der
Atmungswege unerwähnt bleiben. Es ist bekannt, daß sich dabei,
oft in wenigen Tagen, die gerade bei diesen Erkrankungsformen
verhängnisvoll rachitische Erweichung der Rippen bemerkbar macht.
Neben den eben genannten, äußeren, kalzipriven oder rachitis¬
fördernden Bedingungen ist noch von zwei angeborenen inneren
Umständen ein beschleunigender Einfluß auf die Entwicklung und
den schweren Verlauf der Rachitis zu befürchten. Der eine ist eine
familiäre Veranlagung für diese Erkrankung, die sich nicht selten
in Bevorzugung einer gleichartigen Lokalisation rachitischer Er¬
scheinungen äußert, worauf bei der Prophylaxe geachtet werden muß.
Und schließlich möchte ich noch die bekannte Anfälligkeit der Früh¬
geburten und körperlich Debilen, wie Zwillingen, gegenüber der
Rachitis nennen.
Besonders ungünstig wirkt, was nicht wundernimmt, das Zu¬
sammentreffen einer angeborenen Disposition mit einem oder meh¬
reren kalzipriven Einflüssen, sowie mehrere rachitisfördernde Fak¬
toren, selbst bei Unbelasteten. So, wenn z. B. ein zu früh geborenes
Kind bei Lichtmangel aufgezogen wird, sagen wir in einer Conveuse.
eine Einrichtung, die wir nicht nur als entbehrlich, sondern als
schädlich ansehen. Oder wenn eine durch Lichtmangel entstandene
Rachitis, bei reichlicher Kuhmilchfüttcrung, weiter lichtinsuffizient
gehalten wird und dabei eine Bronchopneumonie überstehen soll,
ich möchte auf diese Verhältnisse der Summation oder gegenseitigen
Aufhebung auch für die Fälle hinweisen, wo z. B. bei ungenügendem
Erfolg von Lebertranverabreichung, der am meisten angewandten
antirachitischen Therapie, nicht für Beseitigung z. B. der gewöhnlichen,
winterlichen Lichtinsuffizienz gesorgt wird. Es kann so eine anti¬
rachitische Wirkung durch Fortdauer der rachitisfördernden sehr ab¬
geschwächt werden.
Es muß daher ein Grundsatz der antirachitischen
Therapie sein, die Summation von kalzipriven Ein¬
flüssen zu vermeiden, die Kombination von kalkstabi¬
lisierenden Einflüssen zu erstreben. Ebenso wirkt nach
meinen Erfahrungen eine zu der hervorstechendsten, vorausgegan¬
genen Schädigung kontrastierende Behandlung am überraschendsten,
z. B. bei milchüberfütterten Kindern die Einschränkung der Milch¬
menge und Ernährung mit gemischter Kost, bei pathologischem Kalk¬
seifenstuhl die Zulage von Malzsupnenextrakt, bei in Lichtmangel
aufwachsenden Kindern genügende Belichtung. Unterstützt werden
alle Maßnahmen durch die Zulage von Lebertran.
Eine ganz energische, kombinierte, kalkstabilisierende Therapie
verlangen eigentlich nur die durch die Erkrankung akut bedrohten
Kinder. Die am stärksten wirkende Behandlung ist die Anwendung
von Lebertran mit gleichzeitiger Bestrahlung mittels der künstlichen
Höhensonne nach Richtigstellung der Ernährung. Als akut bedrohte
Kinder möchte ich Rachitiker mit gehäuften eklamptischen Anfällen
und Stimmritzenkrämpfen, sodann Rachitiker mit Bronchopneumonien,
besonders bei weichem Thorax ansehen. Vielleicht gehören auch
die Kinder dazu, die ohne nachweislichen Lungenbefund eine sehr
schnelle Atmung mit Einziehungen der Rippen aufweisen.
•, Daß man tetanische Säuglinge mit gehäuften, allgemeinen Krämp¬
fen, Karpopedalspasmen und Stimmritzenkrämpfen, ohne die sonst
notwendige Milchentziehung, ohne Darreichung von Kalk oder
sonstigen Sedativa nur durch allerdings zweimal täglich an¬
gewandte Höhensonnenbestrahlung rasch aus dem gefährlichen Zu¬
stand herausbekommt, scheint mir von mehr als praktischem Inter¬
esse. Das wird wahrscheinlich nicht die Therapie des Praktikers
sein und braucht es auch nicht zu sein; er wird, vielleicht abgesehen
von den bedrohlichsten Fällen, vielmals mit der Ernährungstherapie,
Sedativa und der natürlichen Belichtung auskommen. Es bleibt
aber aus ätiologischen und theoretischen Gründen höchst bemerkens¬
wert, daß die stärkste kalkstabilisierende Wirkung, die wir zur Zeit
kennen, auch eine bei der Tetanie des Säuglings schnell wirkende,
kausale Therapie zu sein scheint.
Was ich eben von der Tetanie in der Praxis bemerkte, gilt noch
viel mehr von der Prophylaxe. Ich möchte die Prophylaxe aus
naheliegenden Gründen fast für die wichtigste und dankbarste Auf¬
gabe der antirachitischen Behandlung ansehen. Hier wird man erst
recht mit einfachen Mitteln vorzugehen haben. Nach meinen Er¬
fahrungen kann man dabei neben einer sachgemäßen Ernährung mit
der prophylaktischen Darreichung von -Lebertran und der Belichtung
mit Tageslicht auch im Winter die schönsten Erfolge erzielen. Diese
Maßnahmen wirken nicht nur bei Normalen, sondern meist auch bei
Kindern, die familiär mit Rachitis belastet sind, so gut, daß man
•njdit Spur von Rachitis bei ihnen entdecken kann. Wir müssen
aber die Kinder regelmäßig dem Freilicht aussetzen.
Bei den von mir beobachteten Kindern schien eine tägliche Be¬
lichtung von zwei Stunden ausreichend zu sein. Die Kinder müssen
selbstverständlich warm eingepackt werden, unter Umständen mit
Wärmflaschen. Temperaturen bis zu 5° Kälte wurden anstandslos
vertragen. Im Kinderwagen darf das Verdeck nicht hochgeschlagen
sein. Als empfangende Fläche reicht anscheinend die Haut des
Gesichtes aus. Nicht beschattete Balkons ersparen den Transport auf
die Straße; bei schlechtem Wetter und für manche Verhältnisse kommt
die Lagerung am geöffneten Fenster mit genügend Lichteintritt, also
z. B. nicht dunkler Fenster niederer Etagen in Frage.
Die Durchschlagskraft der Lebertranprophylaxe sehe
ich, außer an rechtzeitig Geborenen, durch ihre Erfolge bei den der
Rachitis besonders zugänglichen Frühgeburten erwiesen. Bei früh¬
zeitiger Anwendung, etwa von der 4. Lebenswoche ab, ließen sich
Kinder von 1500 g aufwärts, ohne Lichtbehandlung, rachitisfrei oder
mit den mildesten Symptomen, wie etwas vergrößerter Fontanelle,
aufziehen. Auch die Höhensonne sichert bei Frühgeburten das Frei¬
bleiben von Rachitis. Bei ausgetragenen Kindern begann ich meistens
etwa in der 8. Woche zweimal täglich je einen halben Teelöffel
Lebertran verabfolgen zu lassen; 150—200g Lebertran im Monat
scheinen für die Prophylaxe auszureichen. Bei Frühgeburten dosierte
ich bis zu einem Gewicht von 2000 g zweimal täglich 5—10—20 Trop¬
fen, dann steigend bis zur vorigen Menge. Gewöhnlich wurde Phos¬
phorlebertran angewandt. Die Zahlen über Dosierung und Beginn der
vorbeugenden Lebertranbehandlung bedeuten nur eine ungefähre An¬
gabe. Meine Erfahrungen mit dem frühen Einsetzen dieser Therapie
haben mich zu der Auffassung gebracht, daß sie die breiteste An¬
wendung verdient.
Die Höhensonne haben wir klinisch wahrscheinlich öfters in¬
tensiver, als zu prophylaktischen und therapeutischen Erfolgen nötig,
angewendet. Poliklinisch wenden wir sie jetzt therapeutisch gewöhn¬
lich dreimal wöchentlich, von 3 zu 3 Minuten steigernd, nicht über
30 Minuten, durchweg im Lampenabstand von 75 cm an und unter¬
brechen nach 12 Bestrahlungen. Prophylaktisch und bei schweren
Erscheinungen wird man letzten Endes die Anwendung vom ge¬
zeitigten Erfolg abhängig machen.
Handelte es sich bei der eben erwähnten Gruppe von Kindern
um gesunde, bei denen ich zur kombinierten antirachitischen Pro¬
phylaxe rate, wo man aber z. B. über den Zeitpunkt des Einsetzens
m Zweifel sein könnte, so beeile ich mich damit besonders bei
Kindern, die mit fieberhaften Infekten, besonders der Atemwege,
gebracht werden. Ausnahmslos aber behandle ich die Broncho¬
pneumonien, auch von Nichtrachitikern, vorbeugend mit Lebertran,
von der Erwägung ausgehend, daß kaum eine andere Erkrankung
klinische Erscheinungen der Rachitis gleich schnell hervorruft wie
die Bronchopneumonie und daß anderseits durch die Thoraxrachitis
des Säuglings keine Krankheit gleich ungünstig beeinflußt wird, wie
die Bronchopneumonien. Hierbei bevorzuge ich den Vs%igen Kreosot¬
lebertran vor dem reinen oder Phosphorlebertran. Aus Gründen,
die zu erörtern hier nicht Zeit ist, erscheint es mir berechtigt, bei
der Bronchopneumonie und der schon erwähnten Polypnoe eine
antiskorbutische Prophylaxe oder Therapie durch Darreichung von
20—30 g Zitronen- oder Apfelsinensaft zu treiben. Auch die Schmerz¬
haftigkeit eines rachitischen Kindes gegen Berührung und Aufge¬
hobenwerden, die gewöhnlich als rachitischer Schmerz gedeutet wird,
sollte immer einem Versuch antiskorbutischer Behandlung unter¬
zogen werden.
Auf eine Reihe weiterer Punkte der Therapie kann ich leider
wegen der vorgerückten Zeit nicht mehr eingehen; ich mußte auch
aus diesem Grunde manches für die symptomatische Therapie lange
Bewährte, wie aktive Bewegungen, Massage, kurz abhandeln oder
übergehen, um, wie ich glaube, einige weniger bekannte oder neue
Erfahrungen in der Behandlung der Rachitis mitzuteilen.
I. Compt. rend. de l’associatlon internationale de Pädiatrie. Premier Congrds.
Paris 1912. — 2-4. D. m. W. 1919 Nr. 26; 1929 Nr. 6: Zschr. f. Kindhlk. 1920,26. - 5. Ther.
Hmschr. 1920 H. & - 6. M. m. W. 1921 Nr. 29. — 7. M. m. W. 1921 N r . 31. - 8. O. m. W. 1921
Nr. 24. - 9. Mschr. f.Kindhlk. 1922.22. - 10. M m. W. 1921 Nr. 5. Referat, Sitzungsberichte.
- 11/1? Jb. f. Kindhlk. 1913,78; 1921,96. - 13/14 Mschr f. Kindhlk. 1911,10; Erg. d. Inn. M.
8. — 15. Erg. d. Inn. M. 1917. 15, daselbst ausgiebige Literatur — 16/17. Path. u. Ther.
d. Rachitis. Berlin 1904; M m. W. 1921 Nr. 9. - 1». Mschr. f Kindhlk. 1922. 22. - 19. Mschr.
f. Kindhlk. 1910.9. - 20/91. Mschr. f. Kindhlk. 1909, 7; )b. f. Kindhlk 1907,66. — 22. Ib. L
K'ndhlk. 1907.66. -23 -V. Arch. f. KindHk 1910, 52, 53. 54; Zschr. f k!in. M. 1909.67,68.-
2a Zitiert nach M Nathan, Presse nuklicale. 1921 Nr. 83. — 29. Erg. d. Inn. M 1910,6-
30 33. Jb. f. Kindhlk. 75, 76. 77. Gesammelte Abhandlungen, Berlin 1914, Springer. -
34. Rachitis, in Kraus-Brugsch, Spez Path. u Ther. inn. Krankh, Berlin, “Urban und
Schwarzenberg. - 35. |b. f. Kindhlk 1906.61. 36. Mschr. f. Kindhlk. 1912, 10. — 37. Mschr.
f.Kindhlk. 1920.19. - 3a Mschr. f. Kindhlk. 1921,21.
Aus dem Georg Speyer-Haus in Frankfurt a. M.
(Direktor: Geh.Rat W. Kolle.)
Schnellfärbung von Darmflagellaten.
Von R. Oehler.
Es fehlt dem Protozoenforscher nicht an färberischen Hilfsmitteln,
mit denen er in die Tiefe seiner Untersuchungsbefohlenen hinein¬
leuchten kann. Die Heidenhain-Färbung, die Giemsa-Färbung leisten in
kundigen Händen Erstaunliches. Aber für Schnell- und Massenunter¬
suchungen, für Kliniker und Nichtspezialisten sind diese Färbungen
zu umständlich. Kliniker brauchen Verfahren wie das von Riegel
Digitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSUM
7. April 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
457
zur Amöbenfärbung angegebene, das auch in der Hand des Un¬
geübten rasch verwendbare Belegstücke liefert, an denen man sieht,
was der Kliniker braucht: die kennzeichnenden Teile des gesuchten
Parasiten. Etwas Aehnliches bieten für Flagellaten die beiden mit¬
zuteilenden Verfahren, welche kürzlich im G. Speyer-Haus von Prof.
Breßlau und Prof. Ruppert 1 ) ausgearbeitet, worden sind. Ich
habe sie an den Darmflagellaten der Maus, an Giardia-Lamblia und
an Trichomonas ausgeprobt und glaube sie den Aerzten zur Unter¬
suchung von Darm- und anderen Schleimhautflagellaten empfehlen zu
können.
Die Ruppertsche Färbung ging auf Darstellung von feinsten
Spirochäten aus. Die Erreger der Menschen- und Hasensyphilis wer¬
den mit ihr rasch und deutlich zur Anschauung gebracht. Gelegent¬
lich wurden auch Trypanosomen gefärbt.
Die Vorschrift lautet 1 ): 1. Herstellung dünner Objektträger¬
ausstriche, 2. Ausstriche gut lufttrocken werden lassen; 3. 1—2 Mi¬
nuten Rugesche Lösung: Eisessig 1,0 -f- Formalin 20 +Wasser 100;
4. Abspülen; 5. Ueberschichten und gut kochen mit gesättigter Lösung
von Brillant-Reinblau 8.G. extra (Bayer & Co., Leverkusen); 6. Ab¬
spülen; 7. 3 Sekunden nachfärben in 5fach verdünntem Ziehlschen
Karbolfuchsin; 8. Abspülen, trocknen.
Für Flagellaten, z. B. Trichomonas vom Mäusedarm, wird das
Verfahren noch einfacher. Zunächst der Ausstrich: Am besten wird
Darminhall mit körperwarmem Agarschleim (1 Agar auf 500 Wasser)
auf dem Objektträger gut gemischt und wie ein Blutpräparat dünn 2 )
ausgestrichen. Man läßt es antrocknen. Fixierung in Formolessig-
säure kann wegbleiben. Die Farblösung, 2 g Brillant-Reinblau 8. G.
extra auf 100 Wasser, wird aufgegossen und leicht erwärmt. Nach
1 Minute abspülen in Wasser, trocknen, Einschluß in Paraffin, liquid.
Die Nachfärbung mit Fuchsin bleibt weg.
Die Präparate zeigen gute Erhaltung der Teile, weniger der Form.
Die von Haus aus bimförmigen Trichomonaden sind zu rundlichen
Gestalten abgeplattet. Aber sie zeigen bestens alle kennzeichnenden
Teile: den Kernj die Basalkörner der Geißeln, die Basalleiste unter
dem Ansatz der Wellmembran und vor allem klar den Randfaden
der Wellmembran sowie die drei kleinen Stirngeißeln.
Giardia-Lamblia gibt ebenfalls durchaus verwendbare Bilder: die
Geißeln deutlich; weniger die Innenteile. Für die kurze Mühe alles, was
man wünschen mag. Jedenfalls genug für klinische Untersuchungen.
Die Breßlausche Färbung 3 ) ist eine Deckfärbung, keine Innenfärbung.
Sie wird zunächst für Ziliaten ausgearbeitet, doch zeigte schon Bre߬
lau die Verwendbarkeit für Euglenia. Die verwendete Deckfarbe, das
Opalblau, von Grübler beziehbar, ist eine dicke Masse, die mit dem
zu untersuchenden Darminhalt oder Eiter gut verrührt und fein aus¬
gestrichen wird. Das Eintrocknen soll durch Schwenken an der Luft
beschleunigt werden. Die feinkolloide Farbmasse bäckt die Unter¬
suchungsmasse ein und erhält bestens die Form. Alle Erhabenheiten
erscheinen licht, alle Vertiefungen blau in feinsten Abstufungen, so-
daß ein anschauliches Reliefbild auf dunkelblauem Grunde entsteht.
Giardia zeigt die Geißeln, zeigt die napfartige Vertiefung der
Ventralbucht, ein voll kennzeichnendes Bild. Ein weiteres färberisches
Hilfsmittel sei anschließend mitgeteilt, das gelegentlich auch zu Art¬
unterscheidungen mithelfen kann. Es ist die „Vitalfärbung“ mit dem
Riegelschen Chloroform-Azur 1 ). Mansonlösung (Methylenblau medi-
Fig. i.
Trichomonas muris. Huppert-Färbung. Man sieht die 3 Stirngeißeln,
die Wellmembran mtt deren Randfaden und den verwaschenen
Schatten der Basalleiste. Diese liegt tiefer; kann deshalb in der
Photographie nicht neben den Geißeln scharf eingestellt werden. Im
Präparat ist sie klar und genau umrändert. Vergrößerung 1:2000.
*) D. m. W. 1921 Nr. 36. — •) Nur die dünnsten Stellen geben gute Färbung. —
») Arch. f. Prot. 1921, 43, S. 467. — «) Arch. f. Schiffs- u. Trop.Hyg. 1918, 22, S. 217.
cinale Höchst 2,0+ Borat 5,0 + Wasser 100) wird mit Chloroform
etwa zu gleichen Teilen ausgeschüttelt, die dunkel blaurote Chloroform-
Azurlösung vom überstehenden Wassermethylenblau durch Abhebern
und Filtrieren getrennt. Ein Tropfen dieser Chloroform-Azurlösung
wird auf dem Deckglas zum Verdunsten gebracht und verstrichen.
Ein kleiner Tropfen Untersuchungsmasse kommt auf den Objekt¬
träger. Das Deckglas mit der Farbschicht wird aufgelegt, angedrückt.
Fig. 2.
Giardia-Lamblia intestinalis hominis. Breßlau-Färbung. Auch hier
zeigt das Präparat bei geeigneter Einstellung scharfe Ränder der
Zentralbucht Vergrößerung 1:2000.
Alsbald sind Bakterien, besonders günstig, bewegte Spießbakterien
des Mäusedarms purpur- bis violettrot gefärbt. Die körnig-gebänderte
Innenstruktur zeigt sich deutlich. Dann sieht man bewegte, gefärbte,
feine und gröbere Spirochäten. Bewegte Amöben zeigen aufgenommene
Bakterien und die aus ihnen zusammengeschmolzenen. Körner in den
Vakuolen. Trichomonas zeigt große rote schollige Einschlüsse. Octo-
mitus wird blau durch eingelagerte kleine Körner. Nach 5 Minuten
erlischt die Bewegung. Die Färbung hält länger, verblaßt und ver¬
zieht sich dann.
Es ist die bekannte „Vitalfärbung“ mit Methylenblau; nur kommt
sie mit der Chloroform-Azurfarbe nach Riegel besonders gut und
ausgiebig zustande. Wer mit Darmprotozoen arbeitet, wird sie dien¬
lich finden.
Den Klinikern und Aerzten seien die mitgeteilten Verfahren zur
Benutzung bei dem Studium der Darmprotozoen hiermit empfohlen.
Beide Bilder nach Aufnahmen von Herrn Maas, wissenschaftlicher Photograph des
G. Speyer-Hauses.
Klinische Erfahrungen mit Neosilbersalvarsannatrium.
Von San.-Rat Dr. Alfred Sternthal,
Oberarzt der Hautabteilung am Krankenhaus vom Roten Kreuz
in Braunschweig.
Ueber Erfahrungen mit Silbersalvarsan hatte ich im Januar 1921
im Aerztlichen Kreisverein in Braunschweig ausführlich berichtet 1 ).
Das außerordentlich wirksame Präparat litt an zwei Mängeln, der
schwereren Löslichkeit und dem häufigeren Auftreten des sogenannten
„angioneurotischen Symptomenkomplexes“. Diese sollten dem neuen
Präparat, Neosilbersalvarsannatrium, fehlen, das mir im Mai von
Geh.-Rat Kolle in liebenswürdiger Weise zur Verfügung gestellt
wurde, zudem sollte es wesentlich ungiftiger als das Silbersalvarsan
sein und sich leichter mit Hg kombinieren lassen. Da das Neosilber-
salvarsannatrium (NSS.l jetzt freigegeben wird, hatte ich es für
wünschenswert, daß jeder, der bisher mit dem Mittel gearbeitet hat,
seine Erfahrungen mitteilt.
Ich beschäftige mich zunächst mit der Anwendung des Mittels
allein, ohne Beimischung von Hg. Das schokoladenfarbene Pulver
löst sich ebenso leicht wie Neosalvarsan durch Aufpudern auf Wasser
und ist von mir anfangs in 20 ccm, später in 10 ccm Flüssigkeit
gelöst worden. Doch ist es zweifellos, daß bei Kranken, deren Herz
nicht völlig regelrecht ist, ebenso bei älteren Menschen und bei
Tabikern die stärker konzentrierte Lösung ab und an doch einen
angioneurotischen Symptomcnkomplex auslöst. Deshalb empfiehlt es
sich, bei solchen Kränken, wie auch bei empfindlichen Menschen über¬
haupt, lieber die stärker verdünnte Lösung zu benutzen. Die Zwischen-
i) Siehe Referat M. KI. 1921 Nr. 16 S. 488
Digitized by
Google
Original from
CORNELL UNiVERSITV
458
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 14
räume zwischen den einzelnen Einspritzungen betrugen in der Regel
4—5 Tage. Frauen erhielten bei der ersten Einspritzung meist 0,2 g,
bei der zweiten 0,3, bei der dritten und allen folgenden 0,4; Männer
entsprechend 0,3—0,4—0,5. Selbstverständlich ist dies aber kein
Schema „F“! Bei Herzfehlern beginnt man lieber mit 0,2 g, ebenso
bei Tabes, und man läßt sich für den weiteren Verlauf der Kur
von der Bekömmlichkeit der vorangegangenen Dosis, von dem All¬
gemeinzustand, von der Beteiligung der großen parenchymatösen
Organe am syphilitischen Krankheitsprozeß oder sonstigen Störungen
und auch vom Körpergewicht leiten. An Gesamtmenge des Mittels
erhalten die Frauen 3,8—4,5 g, Männer 4,5-M) g.
Störungen während der Injektion wurden nur dann
beobachtet, wenn die Lösung, wie erwähnt, für den vorliegenden
Fall zu konzentriert war. Und zwar trat dann die bekannte Erschei¬
nung des angioneurotischen Symptomenkomplexes in leichtestem Grade
auf. Nach wenigen Minuten waren die Kranken wieder wohlauf.
Störungen nach der Injektion bestanden darin, daß am Abend
der ersteif Einspritzung bei Kranken mit weit ausgebreiteten Exan¬
themen leichte Temperatursteigerungen, etwas Unbehagen, bisweilen
leichte Kopfschmerzen auftraten, wie dies auch sonst — auch nach
der ersten Hg-Injektion — bekannt ist und — ob mit Recht oder
Unrecht, sei dahingestellt — als „Spirochätenfieber“ bezeichnet wird.
Exantheme wurden nur in einem sicheren und einem zweifel¬
haften Falle gesehen. In dem ersten handelte es sich um einen Herrn
von 50 Jahren, einen sehr nervösen und um sein Leben besorgten
Akademiker. Primäraffekt der Oberlippe, rechtseitiger submaxillärer
Bubo. Spir. pallida -j—f-. Wa.R. 44~ f— j-. S.G.-R. -f—f-, Infektions¬
termin unbekannt. „Wunde“ seit 3—4 Wochen bemerkt. Am 16. VII.
1921 0,2 g NSS.; am 21. VI. 0,3 g. Primäraffekt am 25. VI. ab¬
geheilt, doch leichtes masernähnliches Exanthem mit Konjunk¬
tivitis und starkem Juckreiz. Aussetzen der Behandlung, laue Bäder,
kühle Uebergießungen. Nach 8 Tagen Exanthem ohne weitere Stö¬
rung des Allgemeinbefindens verschwunden. Derselbe Patient bekam
;un 23. VIII. und 27. VIII. je 0,3 g Ncosalvarsan („914“), worauf auch
wieder leichtes Exanthem ähnlicher Art wie vorher auftrat. Dagegen
verträgt er Salvarsannatrium und hat damit seine Kur vollendet, die
mit negativer Wa.R. und negativer S.G.-R. abschloß. — In dem
zweiten Falle erhielt ein 35jähriger, kräftiger früherer Offizier mit
sekundärem Spätsyphilid, Wa.R. K S.G.-R. 4--h am 7. V. 1921
0,2; 12. V. 0,3; 17. V. 0,4 NSS. Zwei Tage nach der letzten Behand¬
lung Urtikaria, die nach 3 Tagen wieder verschwand. Behandlung
bis 7. VI. ausgesetzt, dann weitere Einspritzungen ohne jede Störung.
Ob die Urtikaria überhaupt mit der Injektion zusammenhmg und nicht
ex ingestis auftrat, bleibt zweifelhaft.
Ein Neurorezidiv ist bisher nicht .beobachtet worden, dagegen
ist ein Rezidiv am Akustikus, das mir vom Ohrenarzt, Prof. Dr.
Schlegel, hier, zugewiesen wurde (Wa.R.-j—J—f—{-)> nach wenigen
Injektionen mit d<?m neuen Mittel völlig geheilt und am Schlüsse der
Behandlung auch serologisch negativ geworden. Dieses mir vom
Ohrenarzt überwiesene „Neurorezidiv“ hatte vorher Salvarsan über¬
haupt nicht erhalten.
Mit NSS. sind bis 20. XI. 1921 76 Kranke in angegebener Weise
behandelt, und zwar erhielten sie 600 intravenöse und 9 intramuskuläre
Injektionen. Bei 23 sind die Kuren noch nicht vollendet, und 7 schei¬
den aus, weil sie die Kur vorzeitig abbrachen. Von 5 fehlt noch
das Ergebnis der Blutuntersuchung, sie sind aber klinisch geheilt.
Unter Beiseitelassung dieser 35 Fälle kann ich also über 41 berichten.
Die klinischen Anzeichen verschwanden unter dem Einflüsse des
Mittels außerordentlich rasch. Es ist schon oben bemerkt, daß ein
Lippenprimäraffekt nach 0,5 g binnen 9 Tagen abgeheilt war. Sehr
rasch vollzog sich auch die Heilung der übrigen Primäraffekte.
Ebenso verschwanden Roseola und Plaques nach einer Gesamtdosis
von 0,5 bis 0,7 des Mittels, bisweilen schon nach einer einzigen Iniek-
lion von 0,3 bis 0,4. Auch der den Schanker begleitende Bubo bilaetc
sich schnell und völlig zurück, was besonders für die günstige Wir¬
kung des NSS. spricht. Bei den sonst sehr schwer zu beeinflussenden
miliaren Exanthemen, die gerade bei den weiblichen Kranken meiner
Abteilung im Krankenhause vom Roten Kreuz hier des öfteren beob¬
achtet wurden, haben wir nicht einen Fall gesehen, bei dem das
Exanthem die 5. oder 6. Injektion überdauert hätte. Auch die Wir¬
kung auf die Seroreaktion ist durchaus befriedigend, soweit
man hier aus dem kleinen Material und der kurzen Beobachtungszeit
iiberhaupt Schlüsse ziehen darf. Von den 41 Kranken sind 7, davon
2 kongenital syphilitische Kinder, bei denen die Blutreaktion stets
schwer negativ zu machen ist, positiv geblieben, 34 aber wurden
zunächst negativ, das sind rund ®/ 7 . Sehen wir uns diese 34 an,
wie sie sich aff die verschiedenen Krankheitsstadien verteilen, so
blieben 3 Primäraffekte, die die Kur seronegativ begannen, negativ.
Zwei seropositive Primäraffekte wurden gleichfalls negativ, sodaß
sämtliche 5 Primnraffekte, nach Wassermann und gleichzeitig
Sachs-Georgi untersucht, negativ blieben oder es wurden. Von diesen
Fällen konnten gerade die beiden vor der Kur seropositiv reagieren¬
den Primäraffekte, der eine nach 6 Wochen, der andere nach 3 Mo¬
naten nachuntersucht und noch klinisch und serologisch negativ fest-
bestellt werden. — Von 28 negativ gewordenen Sekundärsyphilitischen
wurden 4 nach einem Monat wieder klinisch krank und seropositiv
befunden. Auch von 7 positiv gebliebenen waren 6 wieder mit
Exanthem behaftet. Wenn von 28 negativ gewordenen Sekundär-
-vphilitischen nach einem Monat 4 wieder Rezidive aufwiesen, so
sind rl,nd 86o/o zunächst negativ geblieben, gewiß ein gutes
Ergebnis. Der letzte, 34., der negativ gewordenen Fälle betrifft
eine Lues oongenita tarda, bei der dieses günstige Ergebnis ganz
besonders hoch gewertet werden muß. Diese zusammen Stellung
erweist, wenn auch die Zahlen vorläufig klein sind, daß die mit
negativer oder frühpositiver Reaktion in Behandlung kommenden
Primäraffekte ausnahmslos günstig beeinflußt werden, während bei
schon ausgebreifeten Erscheinungen immerhin Vj der Fälle rasch
wieder positiv wird und jedenfalls erst nach wiederholten Kuren heilt.
Doch müssen die mit dem neuen Mittel erzielten Ergebnisse sehr
günstige genannt werden, wenn man sich auch bewußt bleiben muß,
daß bei der Kürze der vergangenen Zeit etwas Endgültiges sich noch
nicht sagen läßt. Jedenfalls erscheint NSS. aber den andern Salvarsan-
präparaten mindestens ebenbürtig.
Unter den 34 negativ Gewordenen befinden sich 10, die bisher
eine zweite Kur mit NSS. völlig durchmachten. Diese 10 befanden
sich 4 Wochen bis 3 Monate nach der ersten NSS.-Kur; 6 davon
waren bei Beginn der zweiten Kur noch negativ, während die 4 an¬
deren die genannten klinischen und serologischen Rezidive darstellen.
Schwangere vertragen das Mittel ebenso gut, wie ich das früher
schon (1. c.) vom Silbersalvarsan angegeben habe. Man kann sie
ruhig eine volle Kur durchmachen lassen. — Drei Fälle von Iritis
wurden ganz außerordentlich rasch geheilt (zwei mit gleichzeitiger
Schmierkur). Es hinterblieb keine Spur von Synechie, obwohl 2 Falle
ganz besonders schwerer Art gewesen waren; das erkrankte Auge
wurde in jeder Hinsicht völlig normal.
Ueber tertiäre Fälle — einen von Aneurysma aortae, 2 Fälle
von Tabes — kann ich noch nichts Sicheres berichten, da sie noch
in Behandlung stehen, nur das sei bemerkt, daß sie das Mittel aus¬
gezeichnet vertragen.
Schließlich will ich hcrvorhebeii, daß NSS. bei kongenitaler
Syphilis der Säuglinge sich ungemischt ausgezeichnet zur intramusku¬
lären Injektion eignet. Bei 8 mg pro Kilo Körpergewicht — die
Lösung auf 0,5 ccm Wasser — wird es örtlich ohne Reaktion und
allgemein gut vertragen. Wie schon früher für das Silbersalvarsan,-
konnte auch hier namentlich die Hebung des Allgemeinbefindens
festgestellt werden. Der eine Fall war so, daß das Kind den Ein¬
drude eines sterbenden Säuglings machte. Es war zum Skelett ab¬
gemagert, wimmerte nur mit leiser Stimme, erbrach alles Genossene
und hatte livide, kühle Extremitäten. Dieses Kind ist nach 3, in je
Mtägigcn Pausen gegebenen Injektionen blühend, frisch, rosig und
vergnügt wie andere Kinder seines Alters, ist klinisch geheilt; die
Seroreaktion steht noch aus. Bei dem anderen Kinde hat sich der
Allgemeinzustand ebenfalls gehoben, doch ist es klinisch noch nicht
geheilt.
Ich wende mich nuii zu den mit sogenannten „Mischspritzen“
behandelten Fällen. Hier wurden 24 Kranke behandelt, davon sind
2 nicht zu Ende behandelt, bei 8 ist die Kur auch im Gange, sodaß
über 14 berichtet werden kann. Auf dem XII. Kongreß der Deutschen
Dermatologischen Gesellschaft in Hamburg hat Kolle 1 ) darauf auf¬
merksam gemacht, daß das Sublimat, das Li ns er zum Mischen mit •
Salvarsan benutzte, nicht zweckmäßig sei, weil es ein sehr starkes
Oxydationsmittel ist, das die Arsen Verbindungen angreift. Er emp¬
fiehlt vielmehr das Novasurol. Ich möchte hinzufügen, daß das von
Oelze 2 ) eingeführte Cyarsal noch weniger toxische Mischungen
bei gleich guter Wirkung ergibt. Von den bisher vollendeten 14 Kuren
mit insgesamt 180 Injektionen sind tl mit NSS. und Novasurol, 3 mit
NSS. und Cyarsal gemacht, während alle jetzt begonnenen mit Cyarsal
durchgeführt werden.
Die Technik der Injektion war folgende: Die glatt gelöste und
sorgfältig filtrierte NSS.-Lösung wird in die Spritze aufgezogen und
dann das Cyarsal oder Novasurol dazu. Eine irgendwie durdi Farb¬
veränderung der schokoladenbraunen Flüssigkeit sichtbare Reaktion
ist dabei nicht wahrnehmbar. Die Mischung wird unmittelbar vor
der Injektion hergestellt und sofort eingespritzt, um Zersetzungen
des NSS. zu vermeiden. Die Injektion wurde alle 4—5 Tage gemacht
unter Prüfung des Urins sowie der Mundschleimhaut und Beachtung
des Darmes. Vor der Kur werden selbstverständlich — wie stets vor
Hg- oder Salvarsankuren — Herz, Leber, Milz, Urin sorgfältig unter¬
sucht. Pflege des Zahnfleisches mit Zahnpasta (Pebeco) und fleißi¬
ges Spülen der Mundhöhle werden vorgeschrieben; Rauchen während
der Kur ist verboten. Begonnen wurde mit 0,2 g NSS. 4- 0,5 ccm
Cvarsal oder Novasurol, dann gab ich 0,3 4 1 ccm; 0,4 -f 2 ccm; bei
Männern bis 0,5 -f 2 ccm. Im ganzen erhalten die Kränken 5,0—5,2 g
NSS. -}- 14,5—16,5 ccm Cyarsal oder Novasurol. Albuminurie oder
Darmreizungen oder Stomatitis wurden in den bisher zu Ende beob¬
achteten Fällen nicht gesehen, ebensowenig Exantheme oder ein
Neurorezidiv; dagegen muß doch gesagt werden, daß im allgemeinen
die Mischling NSS. 4- Novasurol stärker giftig wirkt als die mit
Cvarsal, daß aber auch diese Mischung nicht ganz frei von giftiger
Wirkung ist. Bei der Mischung mit Novasurol hatte ich häufig Klagen
über hohe Temperaturen, anhaltende Kopfschmerzen, tagelanges Uebel-
befinden. In zwei Fällen mußte diese Kur abgebrochen werden,
weil es nicht möglich war, sie ohne Gefahr für die Kranken fortzu¬
setzen. In dem einen Falle, bei einem schweren Potator allerdings,
kam es zu schwerster Angioneurose und großer Herzschwäche am
Ende der Kur, weshalb sie mit ungemischtem NSS. fortgesetzt und
nun gut vertragen wurde. In dem anderen Falle trat auf 0,3 NSS.
-r 1 ccm Novasurol Temperatur von 40° C und mehrtägiges Uebel-
befinden auf. Als dann nach 8 Tagen 0,2 NSS. 4- 0,5 ccm Novasurol
gegeben wurde und die gleiche Reaktion auftrat, wurde auf Novasurol
i rVgI.?KoIle, Antorreferat In Derm*Zschr*34, H. 3 u. 4 S.»178-180.
«Nr. 9 S. 274-272. rrj* 4 . , .-
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
7. April 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
459
verzichtet und Cyarsal weiter gegeben, was keinerlei Beschwerden
machte. Von einer Frau wurde aie Mischspritze NSS. Cyarsal sehr
schlecht vertragen, während NSS. allein keinerlei Störung bei ihr
hervomift.
Daß Exantheme der Lues rascher verschwinden als bei Injektion
ungemischter NSS.-Lösungen, kann ich bisher nicht behaupten. Was
die Seroreaktion anbetrifft, so sind von den 14 Fällen bei 2 sero-
negativen Primäraffekten die Wa.R. und S.G.-R. negativ geblieben.
Von 5 Erstexanthemen sind 2 positiv gebü.jen, 2 negativ geworden,
während 1 Blutuntersuchung noch ausstc!.t. Von 7 seropositiven,
latenten Fällen ist einer positiv geblieben, 6 sind negativ geworden.
Irgendwelche Schlüsse lassen sich aus diesen wenigen Zahlen noch
nicht ziehen. Wenn man sieht, wie ausgezeichnet das ungemischte
NSS. vertragen wird und wie man aut der anderen Seite durch die
Mischspritzen, auch wenn man das Cyarsal statt Novasurol benutzt,
eine Gefahrenkomponente mehr bekommt, wenn man dann weiter
weiß, daß es Ko Ile „trotz Hebung der chemotherapeutischen Wir¬
kung der Gemische und chemotherapeutischer Aktivierung“ (1. c.)
nicht gelang, im Tierexperiment eine Dauerwirkung der Hg-Salvarsan-
mischungen nachzuweisen, so wird man ihm sicher oeipflichten,
wenn er (1. c.) unter 7 verlangt: „Es ist experimentell und klinisch
zu prüfen, ob diese Methode der Injektion von Salvarsan-Hg-Gemi-
schen der gewöhnlich als Kombinationskur bezeichneten Anwendung
von Salvarsäh und Hg — wobei große Quecksilbermengen intra¬
muskulär angewendet werden — überlegen ist. Klinisch dürfte auf
Grund der Tierversuche die Frage der Leberschädigung und des
Ikterus wegen der Mischung von kolloidalem Quecksilber mit dem
gleichfalls kolloidalen Salvarsangemisch im Auge zu behalten sein.
Vor der Verwendung der Salvarsan-Quecksilberge-
mische in der Therapie des Praktikers dürfte eine
eingehende Erprobung des Verfahrens in Kliniken
notwendig Sein.“
Schlisse. 1. Das Neosilbersalvarsannatrium ist ein ausgezeich¬
netes Mittel zur Behandlung der Syphilis. Es ist leicht löslich, wird
gut vertragen, hat keine üblen Nebenwirkungen und entfaltet auf
Schanker, Bubo, Exantheme und andere Erscheinungen der Krankheit
wie aul die Seroreaktion eine starke Wirkung. Die weitere Erfahrung
muß entscheiden, ob seine wiederholte Anwendung eine Dauerheilung
der Krankheit erzielt. Jedenfalls kann man schon heute dem prakti¬
schen Arzt das Mittel in die Hand geben. Es eignet sich ebenso zur
Behandlung jugendlicher wie alter Menschen, zur Behandlung der
Herzkranken wie Tabiker, Schwangerer und Säuglinge. Es ist als
gefahrlos zu bezeichnen.
2. Es bleibt weiter zu erforschen, ob die „Mischspritzen“ über¬
haupt der bisher angewandten „kombinierten“ Behandlung überlegen
sind. Vorläufig ist dem Praktiker zu raten, diese Methode nicht eher
anzuwenden, als bis ihre Gefahrenzone hinreichend bekannt und
begrenzt ist. Jedenfalls ist aber, wenn Mischspritzen klinisch erprobt
werden sollen, NSS. -4- Cyarsal dringend zu empfehlen.
Oie Behandlung der Epididymitis blennorrhagica mit
Röntgenstrahlen.
Von Dr. Joseph Wetterer in Mannheim.
Als ich vor etwa einem Jahre an anderer Stelle 1 ) über die Röntgen¬
behandlung der Gonorrhoe und ihrer hauptsächlichsten Komplikationen
berichtete, hatte ich nebenbei auch der Epididymitis gonorrhoica Er¬
wähnung getan. Meine Erfahrungen mit der Röntgenbehandlung der
Epididymitis tuberculosa und insbesondere der Prostatitis gonorrhoica
legten es mir nahe, auch bei der Trippererkrankung des Nebenhodens
die Wirkung der Röntgenbestrahlung zu erproben. Zur Zeit der
erwähnten Veröffentlichung waren jedoch meine Beobachtungen in
bezug auf letztere Äffektion an Zahl zu gering, als daß sich allgemein¬
gültige Schlüsse aus ihnen hätten ziehen lassen. Es waren damals
nur vier Fälle zur Röntgenbehandlung gelangt. In drei von diesen
vier Fällen war ein Erfolg ausgeblieben, und zwar wahrscheinlich
infolge von zu schwacher Dosierung; in dem vierten Falle dagegen
wurde ein vorzügliches Resultat erzielt.
Seit jener Zeit habe ich Gelegenheit gefunden, an einer größeren
Zahl von Fällen die Wirkung der Bestrahlung auf die Epididymitis
blennorrhagica zu beobachten. Ich kann meine Erfahrungen dahin zu¬
sammenfassen, daß die gonorrhoische Erkrankung des
Nebenhodens vortrefflich für die Röntgenbehandlung
geeignet ist. Je frischer ein Fall, desto rascher und
vollkommener, reagiert er auf die Bestrahlung. Am
günstigsten liegen die Verhältnisse, wenn die Bestrahlung bereits
wenige Stunden nach Auftreten der ersten Schmerzen vorgenommen
wird. Der Erfolg ist dann geradezu glänzend. Schon in der der
Bestrahlung folgenden Nacht lassen Spannungsgefühl und Schmerz¬
empfindung in dem erkrankten Organe nach; nach etwa 20 Stunden
ist dann der Patient völlig schmerzfrei. In weniger rezenten Fällen
ist der' Erfolg ebenfalls gut, jedoch tritt er nicht so rasch ein wie in
den frischen Fällen. In der Kegel genügt eine einzige stärkere Be¬
strahlung zur Herbeiführung des gewünschten Effektes. Am Schlüsse
•) 6t*ahto)tber. Apri 1921,12. H 2
der Behandlung finden wir das bekannte Infiltrat wohl noch vor,
jedoch fühlt sich das Gewebe entschieden weicher an als in nicht-
bestrahlten Fällen.
Wichtig erscheint, daß die Röntgenbehandlung den Patienten völlig
arbeitsfähig erhält, während wir bei der Arthigonbehandlung, deren
Wert gewiß nicht verkannt werden soll, immerhin mit einer halben
bis einer ganzen Woche Bettruhe rechnen müssen.
Eine Schädigung des generativen Anteils des Hodens und Neben¬
hodens durch stärkere Dosierung brauchen wir nicht zu fürchten, da
der Prozeß ohnedies mit gänzlicher oder teihveiser Zerstörung dieser
Funktion des befallenen Organs zu endigen pflegt. Uebrigens dürfte
die Regenerationsfähigkeit der Keimdrüsen nach Strahlenschädigung,
wenigstens bei jüngeren Individuen, doch größer sein, als ge¬
wöhnlich angenommen wird, wie so manche Fälle aus dem Gebiete
der urologischen Röntgentherapie zeigen, in denen auch nach hohen
Strahlendosen die Funktion der Generationsorgane sich wieder her¬
stellt. Es sei hier auch erinnert an das Auftreten von temporärer
Azoospermie bzw. Nekrospermie oder wechselnder Oligonekrospermie
bei Radiologen und Röntgentechnikern, wie z. B. in den bekannten,
von Laquerrifcre und von Roufier mitgeteilten Fällen 1 ). Ein
Analogon zu dieser Erscheinung bietet die gynäkologische Röntgen¬
therapie, in der bekanntlich nicht selten das Wiedereintreten der
Menses und selbst Konzeption und Schwangerschaft nach Herbei¬
führung der Röntgenamenorrhoe beobachtet werden.
Die Wirkung der Röntgenbestrahlung auf den blennorrhagischen
Krankheitsprozeß besteht selbstverständlich nicht in einer Schädigung
der Gonokokken — verhalten sich diese doch hochgradig widerstands¬
fähig gegen X-Strahlen —, sondern, ähnlich wie bei der Tuberkulose,
dem Rhinosklerom und der Aktinomykosis, in einer mechanischen
Elimination der Krankheitserreger (Abstoßung bazillenhaltigen Ge¬
webes) und vor allem in einer Veränderung ihres Nährbodens.
Was die Dosierung anlangt, so hat sich eine Strahlung von
etwa 4 cm Halbwertschicht in Wasser, durch 0,5 mm Zink und 1 mm
Aluminium filtriert, als geeignet erwiesen. Von dieser Strahlung
werden, bei Anwendung zweier Felder — eines vorn und eines hin¬
ten — unter möglichst scharfer Abgrenzung des gesunden Neben¬
hodens auf jedes Feld etwa 75o/o der HED. gegeben. Die Hautdosis
beträgt demnach etwa 150—180 F. pro Feld. Eine stärkere Bestrah¬
lung verbietet sich, weil bei der geringen Schichtdicke des Organs
die Haut auf der Rückseite des Restrahlungsfeldes jeweils noch
ziemlich stark mitgetroffen wird.
Aus dem Zentralröntgenlaboratorium des Allgemeinen Kranken«
hauses in Wien (Vorstand: Prof. Holzknecht) und dem Röntgen¬
institut des Krankenkauses Wieden in Wien (Vorstand: Primarius
F. Eisler).
Temporäre Sterilisation von Mann und Frau in wechselnder
iL^a. Folge mittels Röntgenstrahlen.
C ’♦ 'S Von* Dr/Emmerich Markovits. * v ">* r ~
Die Untersuchungen von Faveau de Courmelles, Albers-
Schönberg, Halberstaedter, Reifferscheid u. a. haben ge¬
zeigt, daß die parenchymatösen Bestandteile der Keimdrüse von
Röntgenstrahlen im Sinne einer Degeneration stark beeinflußt wer¬
den, dagegen das interstitielle Gewebe nur wenig verändert wird.
Nach den ersten therapeutischen Erfolgen der Gynäkologie setzten
die Versuche zur temporären Sterilisation bei verschiedenen Erkrankun¬
gen, hauptsächlich bei tuberkulösen Frauen ein. Gauß bestrahlte
10 Frauen im Alter von ungefähr 30 Jahren. Von diesen waren nach
Ablauf von fast 1 Jahr 9 noch steril,, während sie vor der Behand¬
lung pro Jahr, im Durchschnitt gerechnet, zusammen 7 Schwanger¬
schaften aufwiesen. Weber machte dieselbe Beobachtung bei 3
Frauen, bei denen innerhalb y s Jahres nach der Behandlung keine
Konzeption eintrat. Aehnliche Resultate hat auch K e I e n erzielt.
Er hat die Sterilisierung in 7 Fällen — bei Schwangerschaft kontram-
dizierenden Krankheiten — durchgeführt und bestrahlte die Patien¬
tinnen in einmonatlichen Intervallen so lange, bis die Menstruation
geringer wurde. Die Gravidität blieb aus. Daß diese Sterilisation nur
vorübergehend sein kann, ergibt sich aus den Mitteilungen M. Frän*
kels, der bei einigen auf diese Weise behandelten Frauen einige
Monate nach Wiederauftreten der Menstruation normale Schwanger¬
schaften beobachten konnte.
Von großem Interesse sind die Versuche von Seitz und Wintz,
die bei exakter Dosierung eine abgestufte Kastration erzielten, wo¬
bei für die Erhaltung einzelner Follikel gesorgt wurde. Nach ihrer
Erfahrung kehrte die Menstruation nach der Sterilisation erst i/j bis
1 Jahr und später wieder zurück. Nach den Beobachtungen Werners
stellt sich die Menstniation nach erzielter Oligomenomoe höchstens
innerhalb 2 Jahren wieder ein. Lorey bestrahlte in Serien mit vier¬
wöchentlichem Abstand mit einer E. D. so lange, bis Oligomenorhoe
eintrat. Martius hat eine junge Frau — die sehr starke Menstrua¬
tion hatte — durch eine etwas unter der gewöhnlichen Kastrations-
•) In der Zusammenstellung von Fa her. Fnrtschr d Röntgend 1911.16. H 6
S. 435 enthalten.
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
460
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 14
dosis bleibende Strahlenmenge behandelt. Nach 6 Monaten trat die
übliche Blutung wieder ein.
Daß nach Röntgenbestrahlungen des Ovariums bei jugendlichen,
noch im zeugungsfähigen Alter stehenden Individuen eine spätere
Gravidität erfolgen kann, mit normalem Verlauf und normaler Ent¬
bindung, ohne daß die Früchte degenerative, auf Röntgenschädi¬
gung zurückzuführende Stigmata aufwiesen, entnehmen wir aus den
jüngst erschienenen. Arbeiten von Pankow, Zangenmeister,
Senuman u. a.
E$ geht daraus hervor, daß in den bestrahlten Ovarien noch
unbeschädigte, leicht geschädigte oder regenerationsfähige Follikel
vorhanden sein müssen, die nach Ausreifung zur Ovulation bzw
Menstruation und sogar zur Produktion betruchtungsfähiger Eier
kommen können.
Was nun die männliche Keimdrüse anlangt, so reagieren die
parenchymatösen Bestandteile auf Röntgenstrahlen ähnlich wie die
der Ovarien (Albers-Schönberg). Nach Bestrahlung der Testes
verlieren die Tiere ihre Befruchtungsfähigkeit. Die durch die Rönt¬
genstrahlen verursachte Azoospermie kann jedoch eine vorübergehende
Veränderung sein, wie die Befruchtungsfähigkeit von Individuen, die
bei der Arbeit mit Röntgenstrahlen eine Schädigung in dieser Hin¬
sicht erfahren haben, genügend beweist. Kriser 1 ) hat jüngst bei
einem Patienten mit minimalsten Dosen Azoospermie erreicht, und
zwar verabreichte er 3 mal in zweimonatlichen Abständen 1 H durch
0,3 mm Messingfilter auf der Haut gemessen.
Wenn auch eine exakte Methode zur Erzielung der temporären
Sterilisation noch nicht existiert, so kann man sie aus den vor¬
liegenden Mitteilungen einigermaßen konstruieren, und vor allem ist
es leicht, sie durch wiederholte kleine Dosen usque ad effectum zu
erreichen. Jedenfalls kann bei gewissen Krankheiten an die prak¬
tische Anwendung des Sterilisationsverfahrens mittels Bestrahlung
gedacht werden.
Was zunächst die Lues anbelangt, so ist der Wunsch, für die
Dauer der Erkrankung die Konzeption zu verhindern, ohne weiteres
begreiflich, besonders mit Rücksicht darauf, daß ja luische Kinder
entweder an den Folgen der Lues selbst oder infolge geschwächter
Konstitution in kurzer Zeit zugrundegehen.
Die von uns vorgeschlagene Methodik ist ziemlich einfach, da
sie höchstens im Jahre einmal den Mann und einmal die Frau einer
kurzen Sitzung unterwerfen würde. Sie würde folgendermaßen durch¬
zuführen sein: Es wäre zunächst die Frau zeitweilig zu sterilisieren.
Nach den Literaturangaben kehrt bei den angewandten Methoden in
keinem Falle die Menstruation und somit die Empfangsfähigkeit
vor Ablauf i/ 2 Jahres wieder. Um Konzeption zu verhindern, muß
rhan den Mann bestrahlen, bevor die Konzeptionsfähigkeit der Frau
wieder eintritt, also vor dem minimalen bekannten Zeittermin des
Wiedereintrittes der Menstruation. Da Erfahrungen über die Dauer
der temporären Sterilisation des Mannes ausstehen, müssen wir uns
vorläufig mit angenommenen Zählen begnügen (etwa 6 Monate) und
sicherheitshalber periodisch Spermauntersuoiungen einschalten. Dei 1
Turnus kann dann nach Bedarf wiederholt wenden. Diese Methode
eignet sich für alle anderen Krankheitsfälle mit ähnlicher Sach¬
lage.
G. Winter, welcher den Gegenstand ausführlich behandelt hat,
sagt, daß „im gesunden und noch viel mehr im schon vorher kranken
Körper allein durch die Schwangerschaft schwere, ja nicht selten
tödlich verlaufende Erkrankungen auftreten können“. „In Fällen, bei
welchen die Schwangerschaft voraussichtlich eine dauernde und irre¬
parable schwere Schädigung lebenswichtiger Organe sicher oder
wahrscheinlich herbeiführt, ist die Vorbeugung zur Verhinderiing
der Gravidität am Platze.“ Unter den von G. Winter angeführten
Leiden, bei denen die Verhütung der Schwangerschaft indiziert ist,
ist eine ganze Reihe von Fällen, welche nach entsprechender Behand¬
lung eine derart günstige Veränderung des Zustandes versprechen,
daß eine totale Sterilisation überflüssig erscheint und durch eine* vor¬
übergehende erreicht werden könnte. So z. B. leichte Tuberkulose
mit guter Heilungstendenz, Basedow nach erfolgreicher operativer
oder Röntgentherapie, erworbener Diabetes leichteren Grades, Mor¬
phinismus, der noch zu heilen ist usw. Es würden demnach die bisher
in der Gynäkologie üblichen Indikationen zur künstlichen Verhütung
der Gravidität eingeteilt werden müssen in temporäre und dau¬
ernde. Es ist klar, daß wir da, wo wir die Konzeptionsfähigkeit
der Frau ohne Schädigung für sie und die Nachkommenschaft er¬
halten können, nicht total sterilisieren werden. Wir möchten an
dieser Stelle Holzknecht zitieren: „Wir haben kein Recht, mehr
zu vernichten, als für die Heilung im Einzelfalle minimo nötig ist,
also 6—12 Ovula; nicht alle und nicht die interstitielle Drüse, also
partielle Exovulation. Da die Resistenz der Ovarien in weitesten
Grenzen schwankt, muß die individuelle Ovarialdosis gegeben und
im Einzelfallc gesucht werden.“
Es sei noch erwähnt, daß F. W i n t e r gefunden hat, daß Aus¬
fallserscheinungen bei jüngeren Patientinnen in geringerem Maße
aufzutreten pflegen, und daß Fuchs darauf aufmerksam gemacht
hat, daß die Voluptas nach Röntgenkastration meistens erhalten bleibt,
bei dem Rest vermindert ist und nur bei einem kleinen Teil ver¬
löscht. In dieser Statistik ist das Alter nicht deutlich angeführt, der
größte Teil findet sich in Nähe des normalen Klimakteriums.
') Zentralröntgentaboratorium des Allgemeinen Krankenhauses in Wien.
Die Methode kann dort Verwendung finden, wo Zustimmung
seitens des Mannes und der Frau besteht.
Albers -Schönberg, Verh.D.Röntgenges. 1909,2; 1910,2; Fortscbr.d.Röntgenstr.
8. — M. Frankel, Fortschr. d. Röntgenstr. 19 . — Fuchs, Strahlenther. 13. — Gauß.
14. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie, M.m.W. 1911. — Holzknecht,
M. m. W. 1921 Nr. 37. - Kelen, Mschr. f. Geburtsh. 1911; M. m. W. 1912. - Kriser,
Kongreß der Deutschen Urolog.-Gesellschaft ln Wien 1921. — Lorey, Strahlenther. 10. —
Martius, Gyn. Strahlenther., (Cohen, Bonn 1921). — Pankow, Strahlenther. 10. —
Pape, Strahlenther. 11. — Reiterscheid, Verh. D. Röntgenges. 1910,6. - Schumann,
Strahlenther. 9, — S e i t z und W i n t z, Unsere Methode der Röntgentiefentherapie 1920. —
Weber, M.m.W 1912. — Werner, Arch. f. Gyn. HO, H. 2 (zitiert nach Lolrey). —
F. Winter, Strahlenther. 13. — G. Winter, Die Indikationen zur künstlichen Unter¬
brechung der Schwangerschaft 1918; Die Indikation zur künstlichen Sterilisierung der
Frau 1920. — Zangenmeister, M.m.W. 1917 (zitiert nach Pankow).
Aus der Medizinischen Abteilung des Provinzialkrankenhauses
in Falun (Schweden).
Ueber Behandlung des akuten nephritischen Lungenödems
durch Abbinden der Glieder.
Von Lennart Ehreoberg, Dirigierender Arzt der Abteilung.
Bei meinen therapeutischen Versuchen mit dem von Tornai 1 )
und v. Tabora 2 ) empfohlenen Abbinden der Glieder habe ich,
wie die genannten Autoren, bei der von ihnen ursprünglich angegebe¬
nen Indikation — die Ueberlastung der rechten Herzhälfte — sehr
gute Erfolge gesehen. Auch bei anderen mit Störungen des Herzens
und des kleinen Kreislaufes einhergehenden Dyspnoezuständen habe
ich das Abbinden sehr günstig wirken sehen, so auch beim akuten
nephritischen Lungenödem. Da, soweit ich weiß, diese Behandlungs¬
art beim nephritischen Lungenödem bisher noch nicht allgemein
bekannt und gewürdigt ist, halte ich es für angebracht, hier über
ein paar von meinen Beobachtungen kurz zu berichten.
1. Akut ein setze 11 des Lungenödem während einer
subchronischen Nephritis.
M. S., 55 Jahre alt, Frau, wurde am 25. V. 1919 wegen doppel¬
seitiger Influenzapneumonie in die Abteilung aufgenommen. Die
Pneumonie klang während der nächsten Tage ab. Nach zwei Wochen
trat Albuminurie auf, und bald entwickelte sich das Bild einer
schweren Nephritis: Anasarka, Kopfschmerzen, Uebelkeit, Erbrechen,
blasse Hautfarbe, Anämie (Tallquist 50—30 0/0), Albuminurie 1—8%o,
arterielle Hypertension (180—210 Hg). Das Sediment enthielt regel¬
mäßig weiße Blutkörperchen, vereinzelte Erythrozyten; niemals Zylin¬
der. Bei gewöhnlicher laktovegetabilischer Diät war der NaCl-Gehalt
des Harns 4—5 gm in 24 Stunden. Während der Behandlung mit
NaCl-armer und zeitweise auch mit N-armer Kost trat eine fort¬
dauernde Verschlimmerung ein, die am 9. IX. 1919 mit Exitus letalis
endete. Die Sektion ergab typisch große weiße Nieren.
Das uns hier besonders interessierende Ereignis trat am 16. VII.
ein. An diesem Tage befiel die Patientin um 3 Uhr nachmittags
plötzlich eine sehr schwere Atemnot mit heftigem Husten und reich¬
lichem rötlich-schaumigen Auswurf. An den Lungen hörte man Äel
kleinblasige Rasselgeräusche. Pulsfrequenz 126. Atemfrequenz 46.
So schnell wie möglich werden alle vier Extremitäten mit Gummi-
schläuchen abgebunden. Nach ein paar Minuten ist der Husten so
gut wie verschwunden, der Atemtypus bedeutend ruhiger. Nach
10 Minuten ist der Anfall schon völlig vorüber. Doch bleiben die
Schläuche noch 20 Minuten liegen, und gegen Ende dieser Zeit
werden Kampferöl und Digalen subkutan verabreicht. Nach 30 Minu¬
ten ist die Pulsfrequenz 96, die Atemfrequenz 29.
Während der fortgesetzten Behandlung der Patientin kamen ähn¬
liche Anfälle nicht mehr vor.
2. Akut einsetzendes Lungenödem während einer
akuten Nephritis.
C. J. D., 56 Jahre, Pferdehändler. Aufgenommen am 15. VII. 1919.
Zuvor immer gesund. Ohne vorhergehende Krankheitszeichen wurde
am 10. VII. eine Anschwellung auf den Handrücken und an den
Beinen wahlgenommen. Am folgenden Tage bedeutende Gedunsen¬
heit des Gesichts. Harnmenge spärlich. Kopfschmerzen. Uebelkeit.
Status am 15. VII. 1919, Habitus apoplecticus. Bedeutendes Ana¬
sarka am unteren Rücken, an den Unterschenkeln und den Füßen.
Mäßiges Oedem an den Krura und am Trunkus. Cor: normale
Größe, Töne fein. Pulsfrequenz 76. Systolischer Blutdruck 185 Hg.
Lungen: an der rechten Basis zahlreiche mittelblasige Rasselgeräusche.
Abdomen: normal. Augenboden: normal. Harn: Menge 800ccm.
Spez. Gew. 1,020, NaCl 7,5°/oo- Albumin 4°/ 00 . Sediment: massen¬
haft körnige Zylinder, vereinzelte Erythrozyten. Verschreibung: lakto-
vegetabilische Diät und Acetas kalicus.
Tagesnotizen:
16. VII. Die Rasselgeräusche an der rechten Lungenbasis sind ver¬
schwunden. Heute dagegen zahlreiche Rasselgeräusche an der linken
Basis. Dyspnoisch. Respirationsfreauenz 36. Am Nachmittag Kopf¬
schmerzen, Uebelkeit und Husten. Blutdruck, systolisch, 170 Hg.
Um 9 Uhr abends steigern sich Atemnot und Husten höchst
bedeutend, und die Atembeschwcrden nehmen einen bedrohlichen
Charakter an. Abbinden aller vier Extremitäten. Die Pulsfrequenz ist
B. kl. W. 1911 Nr. 5. - “) M. m. W. 1910 S. 1265.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
7. April 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
461
92, die Atemfrequenz 40. Die Dyspnoe nimmt sogleich rasch ab.
Der Husten und die Uebelkeit hören auf. Die subjektive Erleichte¬
rung wird als bedeutend bezeichnet. Das Bild einer gewaltigen
Dyspnoe hat sich in einigen Minuten in einen ruhigen Atemtypus
verwandelt. Nach einer halben Stunde werden die Schläuche gelöst.
Die Pulsfrequenz ist jetzt 86, die Atemfrequenz 26.
17. VII. Der Patient hat ziemlich gut insgesamt 5 Stunden ohne
Medikament geschlafen. Er ist heute ziemlich wohl, kaum dyspnoisch.
Aus eigenem Antrieb sagte er, „hätte er gestern abend nicht die
Schläuche bekommen, wäre er erstickt“. Blutdruck, systolisch, 176 Hg.
Um 9 Uhr abends wieder Atemnot, Husten und Uebelkeit.
Pulsfrequenz 80, Atemfrequenz 36. Abbinden. Die Atmung wird
sofort ireier. Husten und Uebelkeit hören auf. Nach einer halben
Stunde ist die Pulsfrequenz 72, die Atemfrequenz 24.
19. VII. Das Anasarka ist vermindert. Am Abend etwas dyspnoisch.
Pulsfrequenz 82, Atemfrequenz 30. Nach Abbinden der Extremitäten
während einer halben Stunde 82 und 24. Subjektive Erleichterung.
Während der folgenden Tage schnell fortschreitende Besserung
aller Symptome. Der Patient wurde am 5. VIII. als symptomenfrei
entlassen.
In dem ersten der hier mitgeteilten Fälle zeigte der Anfall alle
klassischen Zeichen eines akuten Lungenödems. Im zweiten Fall
war das Bild insofern nicht typisch, als der Auswurf fehlte und eine
Bemerkung über während des Anfalles beobachtete typische Rassel¬
geräusche nicht vorhanden ist. Die schon vorher beobachteten Rassel¬
geräusche, die sich noch mehr als flüchtig erwiesen hatten, sowie
der Husten, der sich an den schweren Atemnotanfall eines hydropi-
schen Nephritikers anschloß, machen es doch viel wahrscheinlicher,
daß wir eher einem Lungenödem ohne Expektorat als einem soge¬
nannten Asthma uraemicum gegenüberstehen.
In beiden Fällen war die günstige Wirkung auf den bedrohlichen
Zustand des Patienten ganz auffällig. Zum Teil geht dieses schon
aus den notierten Frequenzzahlen der Atmung hervor. Noch bedeu¬
tender waren aber die während des Abbindens stattfindenden Ver¬
wandlungen*, welche sich nicht zahlenmäßig ausdrücken lassen: die
schnell eintretende, durchgreifende Veränderung des Atemtypus und
die subjektive Erleichterung. Bemerkenswert ist, daß, wie ich es
bei gleichartiger Behandlung inkompensierter Herzkranker gefunden
habe, auch hier die Pulsfrequenz günstig beeinflußt wird.
Eine völlige Erklärung dieser durch das Abbinden auf das Lungen¬
ödem ausgeübten Wirkung ist nicht leicht zu geben, um so mehr,
als wir die Genese dieses Zustandes nicht kennen. Berechtigt
scheint es doch, auf eine durch die veränderte Blutverteilung her¬
vorgerufene Entlastung des Herzens und des kleinen Kreislaufes
hinzuweisen. Früher ist bekanntlich der Aderlaß, der wohl in einem
gleichartigen Sinn wirkt, zur Behandlung des Lungenödems empfohlen
worden,- aber nur bei kräftigen, gutgenährten Patienten. Nach meinen
Erfahrungen dürfte auch das Abbinden der Glieder — in zweck¬
mäßiger Verbindung mit anderen üblichen Mitteln — sehr empfehlens¬
wert sein, und zwar ohne jede ipdikatorische Einschränkung betreffs
des Ernährungszustandes. Ueberdies bietet das Abbinden gegenüber
dem Aderlaß den Vorteil, daß es im Bedarfsfälle binnen kurzer Zeit
mehrmals wiederholt werden kann.
Eine Bank für Körpermessung in horizontaler Lage und
vertikaler Stellung.
Von Dr. L. Schmidt Und Dr. Eduard Weiß» Sanatorium Bad Pistyan.
Von orthopädisch-chirurgischen Untersuchungen abgesehen, sind
Körpermessungen resp. Messungen gewisser Körperpartien kaum in
Gebrauch. Und doch gibt es eine Fülle von Daten, die auch für
den praktischen Arzt von Interesse, in Ermangelung entsprechender
Vorkehrungen jedoch gar nicht untersucht und näher gekannt sind.
Der . Beginn der Skoliose, Verkürzung der untern Extremität infolge
beginnender Knie- oder Hüfterkrankung, schiefe Beckenhaltung, die
Daten des Wachstums u. dgl. sind wichtige Dinge, für die warmes
Interesse besteht. Auch für die interne Klinik gibt es eine Reihe
Probleme, die eines genaueren Studiums wert scheinen. Wir be¬
ginnen uns gerade jetzt in die Zeichen und Charakteristiken der
verschiedenen Körperkonstitutionen zu „vertiefen. Das Knochengerüst
hat für diese, z. B. für den Typus des sthenischen. und asthenischen
Körperbaues, die allergrößte Bedeutung. Hingewiesen sei ferner auf
das große Kapitel, das die verschiedenen Knochenerkrankungen in
der Innern Medizin bilden und das besonders durch die Ernährungs¬
krisen der Kriegsjahre aktuell geworden (Osteomalazie, Rachitis) und
in den Vordergrund getreten ist. Die Aeußerlichkeiten des Thorax
(Thorax paralyticus usw.) sollten eigentlich genauer fixiert werden
können. Aber auch das Abdomen ist in seinen pathologisch abweichen¬
den Formen nicht analysiert. Die Praxis dürfte da so manches inter¬
essante Detail zutagefördern.
Die bequeme und einfache Handhabung unserer Meßbank
geht aus der Abbildung ohne weiteres hervor. An den beiden Seiten¬
stangen läuft eine Zahl, auch der Höhe nach beliebig einstellbarer
Stifte A, an der Schmalseite der Bank dienen einstellbare Haken B
für eine Richtschnur, die, über die Mittellinie des Körpers gespannt,
die symmetrische Lage des Körpers zu bestimmen hilft. Die Bank
kann natürlich auch fest gepolstert und für die verschiedenen Körper¬
lagen verstellbar dreiteilig gemacht werden, um im Sprechzimmer des
Arztes auch andern Zwecken zu dienen. Aus der Abbildung nicht
ersichtlich ist folgende Modifikation: Die Seitenstangen bilden die
Längsseiten eines Rahmens, der, durch eine entsprechende Vor¬
richtung mit einem Griffe an dem einen Bankende vertikal gestellt,
auch sämtliche Messungen in aufrechter Stellung der Untersuchungs¬
person gut ermöglicht. Die Unterschiede der Resultate in aufrechter
Stellung und horizontaler Lage dürften bei systematischen Unter¬
suchungen besonders interessante Schlüsse ergeben.
Kursus der dermatologischen Technik.
Von Prof. Dr. Max Joseph in Berlin.
IV. (Schluß.)
Pyodermie. Bei oberflächlichen Formen pinseln wir zweimal
täglich die Zinnoberschwefelpinselung (Rez. 9) auf, während wir an
den nässenden Stellen die Zinnobersalbe (Rez. 26) aufstreichen und
darüber einen Verband anlegen. Außerdem wird dreimal wöchentlich
eine Vakzine injiziert, wozu wir entweder Opsonogen oder
Staphar benutzen.
Rhinophyms. Wo man mit dem Mikrobrenner nicht genügenden
Erfolg erzielt, müssen die Knpten direkt durch Dekortikation mit
dem Messer abgetragen werden. Man geht mit dem Finger in die
Nasenlöcher und schält unter Novokain-Suprareninanästhesie und mit
Aethylchloridspray die hypertrophischen Teile so w'eit ab, bis man
die frühere normale Form erreicht hat. Die Blutung wird durch in
Adrenalinlösung getauchte Watte gestillt, und von den zurückbleiben¬
den Talgdrüsen geht in 2—3 Wochen die Ueberhäütung vor .sich.
Statt dessen kann man auch Galvanokaustik oder Kohlensäureschnee
verwenden.
Skrofuloderms. Man betupft mehrere Tage hintereinander die
geschwürige Fläche mit einer konzentrierten Auflösung von reiner
kristallisierter Karbolsäure in Alkohol und legt darüber einen Bor¬
salbenverband an. Zur Unterstützung der Heilung dient Röntgen¬
therapie 1 / 2 - bis Volldosis.
Sksbles. Für die schnelle Heilung einer Krätze ist es von größter
Wichtigkeit, dem Kranken die Technik seiner Behandlung genau
anzugeben. Ein Vorbereitungsbad ist unnötig und kann bei be¬
stehendem postskabiösen Ekzem sogar schaden. Der Patient legt
sich in sein Bett, wartet qb, bis er warm geworden ist, und fängt
nun an, sobald er starkes Jucken verspürt, den Körper mit dem Anti-
skabiosum einzureiben. Zuerst werden die Interdigitalfalten sämt¬
licher Finger eingerieben, alsdann die Gegend des Handgelenkes,
es folgen die Streckseiten des Ellbogens, die Achselfalten, aber nicht
die Achselhöhlen, die Mammae, der Nabel, die inneren Seiten der
unteren Extremitäten, der Penis, die Lenden und die Nates. Diese
Einreibungen werden an drei aufeinanderfolgenden Abenden aus*
geführt, am vierten Tage wird gebadet und der Körper abgeseift.
Ist keine Heilung eingetreten, wird die Kur wiederholt
Die Sklerodermie macht in ihrer umschriebenen Form dem Pa¬
tienten wenig Beschwerden, da si£ meist spontan in das atrophische
Stadium übergeht. Anders die generalisierte Form. Hier kann eine
gute Röntgentechnik (30—35 cm Funkenstrecke, 2 Milliampere,
Schw'ermetalTfilterung, ca. V 5 H.E.D., alle 2—4 Wochen) durch Reiz¬
bestrahlung des Thymus guten Erfolg geben.
Beim Strophnlus iofantum reguliere man die Diät und vermeide
Ueberernährung. Aeußerlich läßt man zweimal täglich Ichthyolkühl¬
salbe aufstreichen:
Rp. 36. Ichthyol, ammon. 10,0
Ad>p. lanae 20,0
Vaselin. 40,0
Aqu. dest. ad 100,0
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTT
462
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 14
oder verwende Trockenpinselungen (Rez. 7) mit 10o/oigem Teer
oder 10°A>igem Tumenol. Innerlich gebe man ebenfalls Ichthyol:
Rp, 37. Ichthyol, ammon. 10,0
Aqu. Menthae piper. 80,0
Syrup. simpl 20,0
D. S. 10 Tropfen bis einen Kaffeelöffel voll in einem Glase Wasser
zu nehmen.
Sycosis vulgaris. Das Rasieren ist hier nicht nur gestattet, sondern
erforderlich, da die Pusteln ihres eitrigen Inhaltes entleert werden.
Alsdann lasse man eine Schwefelsalizylpaste (Rez. 141 messerrücken¬
dick jeden Abend aufstreichen, lege einen Verband an und lasse
die Paste morgens mit Oel entfernen. In anderen Fällen führt die
Brookesche J J aste zum Ziele:
Rp. 38. Hydrarg. oleinic. (5%) 20,0
Add. salicyl.
Ichthyol, ana 1,0
Past. Zinci ad 50j0
Bei der Sykosis der Oberlippe kann man versuchen, den Bart
stehen zu lassen und eine Schwefelsalizylsalbe (Acid. salicyl. 1,0, Sulf.
praec. 4,0, Vaselin, ad 50,0) mehrmals täglich einzufetten. Vor allem
ist aber auch hier die Röntgenbehandlung vorzunehmen. Es
genügt Oberflächentherapie mit V 2 Erythemdosis, welche nach
14 Tagen zu wiederholen ist. Freilich kommen Rezidive vor, sodaß
man sich in den hartnäckigsten Fällen gezwungen sieht, durch lang-
dauernde intermittierende Röntgenbestrahlungen eine völlige Ver¬
ödung der Follikel herbeizuführen. Dies darf aber nur mit Ein¬
willigung des Kranken geschehen, da eine narbige Atrophie der Haut
und das Auftreten von Teleangiektasien das unvermeidliche End¬
resultat derartiger lange fortgesetzter intermittierender Röntgen¬
behandlung ist. Natürlich wird hierdurch der kosmetische Effekt
stark beeinträchtigt.
Tätowierungen werden, wenn sie wenig umfangreich sind, durch
Elektrolyse beseitigt. Sind sie größer, so wendet man Kohlensäure¬
schnee an.
Trichophytie. Das Rasieren ist zu verbieten. Mir bewährt sich
am besten bei der Trichophytia superficialis ein 10o/oiger
Salizylseifenspiritis:
Rp. 39. Acid. salicyl. 2ß
Spiritus saponat ad 25,0
Dieser wird drei Male täglich an vier aufeinanderfolgenden
Tagen auf alle kranken Stellen aufgepinselt. Alsdann läßt man vier
Tage lang die kranken Hautstellen sich abschälen. In vielen Fällen
ist damit die Trichophytie geheilt; ist dies nicht der Fall, so wieder¬
hole man den Turnus noch einmal oder öfters. Von vornherein
lasse ich den Patienten mit einer Zilienpinzette seine Haare an den
kranken Stellen epilieren. Ist es trotz alledem zu einer Tricho¬
phytia profunda gekommen, so ist in einer Sitzung mit einer
Volldosis Röntgenstrahlen die Epilation herbeizuführen. Nach etwa
14 Tagen folgen die Haare einem leichten Zuge. Zur Rückbildung
der Testierenden knotigen Infiltrate bewähren sich warme Sublimat¬
umschläge und Terpentininjektionen, wodurch am schnellsten eine
Resorption herbeigeführt wird.
Trichorrhexis nodosa kommt bei uns gewöhnlich im Schnurrbart
vor. Man verbiete das Waschen des Gesichts mit Seife und lasse
zur Nacht mit Rizinusöl einfetten. Das Gleiche gilt für die Tr ich o-
ptilosis, das Spalten einzelner Haare in der Längsrichtung. Da¬
gegen sind bei der Trichomycosis palmellina an den Achsel-
haaren gerade Seifenwaschungen mit nachfolgender Sublfmatspülung
notwendig.
Bei den Tuberkuliden, den papulo-nekrotischen, akneiformen
Exanthemen der Tuberkulose, bewährt sich das Ponndorfsche Ver¬
fahren der Hautimpfung mit Alttuberkulin unverdünnt oder bei
Jugendlichen in 50o/ 0 iger Verdünnung. Die Methode besteht darin,
tuberkulöse Affektionen mit kutanen Tuberkulinapplikationen thera¬
peutisch zu beeinflussen. Sie hat den Zweck, die Bildung von Anti¬
körpern im Organismus anzuregen in der Hoffnung, daß diese sich
bei ,der Bekämpfung des tuberkulösen Krankheitsprozesses und zur
Unterstützung chirurgischer und chemischer Aetzmethoden nützlich
erweisen. Die Technik der kutanen Impfung gestaltet sich ein¬
fach. Mit einer Impflanzette werden mehrere 3—4 cm lange, lineare,
sich überkreuzende Skarifikationen gemacht, am besten auf der Haut
der Oberarme oder Oberschenkel. Später kann man sogar 20 bis
25 oberflächliche, kaum blutende Schnitte mit der Impflanzette 2 mm
voneinander machen. Bei Kindern wird nur ein Impffeld angelegt,
bei Erwachsenen zwei, z. B. auf jedem Oberschenkel eins. In jedes
Impffeld wird dann ein Tropfen Alttuberkulin gerieben und nach
Eintrocknen desselben ein steriler Verband angelegt. Die Reaktion
tritt meist in 24 oder seltener in 48 Stunden in Form einer Herd¬
reaktion des Impffeldes ein, wir sprechen dann von einer schwachen
positiven Reaktion. Ist außer der Area eine sammetartige Erhebung
auf dem Impffelde zu bemerken, so nennen wir die Reaktion mittel¬
kräftig. Sind außer der Area Blasen und Pustelbildungen vorhanden,
so haben wir eine stark positive Reaktion. Nach 5—6 Tagen schwindet
die Reaktion, und das Impffeld trocknet ein. Pigmentierte Flecke
bleiben längere Zeit hindurch noch bestehen. Nach 14 Tagen bis
3 Wochen findet eine Wiederholung statt, alle übrigen nach 4 Wochen.
die vier ersten Impfungen erfolgen jedesmal auf einem neuen Impf¬
feld, die fünfte wieder auf dem ersten. Das Impf verfahren wird
so lange fortgesetzt, als man es nach dem Befinden des Kranken
für nötig erachtet. Beim Anlegen eines späteren Impffeldes kann
man wiederholt sehen, daß das alte Impffeld erneut mitreagiert. Eine
wenige Stunden nach der Impfung auftretende Reaktion am Impf¬
feld muß als Ueberempfinduchkeit der Haut betrachtet werden.
Natürlich ist zur Unterstützung eine Röntgentherapie gleichfalls zu
verwenden.
Ulcera cruris. Diese Crux medicorum muß von jedem praktischen
Arzte sachgemäß behandelt und geheilt werden, wenn er sich ein
wenig in die Technik vertieft. Die Geschwüre werden nach Jod¬
pinselung und Aufstreuen von Dermatol mit nachfolgender Zink¬
paste durch breite Flanellbinden vom Fuße bis zum Knie kom¬
primiert. Der Verband ist nach 8—10 Tagen und nur, wenn Schmer¬
zen dazu zwingen, früher zu erneuern. Den Unnaschen Zinkleim:
Rp. 40. Gelatfn. alb. 30,0
Zinci oxyd. 50/)
Glycerin 60,0
Aqu. dest. 80,0
macht man flüssig, indem man das Gefäß in heißes Wasser stellt
Zum Unterschenkelverband benutzt CI äsen Mullbinden mit so
weitläufiger Fadenstellung, daß beim Verbinden der Leim leicht
durchdringt, und zwar in 3 Breiten: 7 bis 8 cm für den
Fuß, 10 cm für den Unterschenkel, 12 cm für die Bildung der
Hacke. Der Kranke legt seinen Unterschenkel schräg über die Ecke
eines Holzstuhles, daß er völlig frei von allen Seiten zugänglich ist.
Zunächst pinselt man die Hacke allerseits voll Leim und legt von
hinten und unten her die 20—25 cm lange Hackenbinde schräg
nach vorn und oben so an, daß sie, Hinter- und Unterseite" der
Hacke deckend, beiderseits bis an den Spann reicht, und Schneidet
dann ab. Sofort wird nun der Fuß bepinselt, nach vom bis zu einer
Linie etwas hinter dem großen Ballen, hinten bis an oder etwas
über den Knöcheln. Unter der Aufforderung an den Kranken, seinen
Fuß rechtwinklig zum Unterschenkel zu halten, wird nun der übrige
Fuß mit der schmalen Binde mittels der bekannten Steigbügel¬
touren verbunden, sodaß Fuß- und Hackenverband ein Ganzes bilden.
Nun wird sofort derselbe Verband an Hacke und Fuß noch einmal
wiederholt. Eine wesentliche Verbesserung ist aber dadurch erzielt,
daß es gelungen ist, den Zinkleimverband in gebrauchsfertiger Form
in den Handel zu bringen, und diese Glaukobinde moilis kann
ich wärmstens empfehlen. Nachdem das Bein kurze Zeit hochge¬
lagert ist, reinigt man die Haut des Unterschenkels mit warmem
Wasser und Seife und entfettet sie mit Benzin. Die Bindentouren
werden dachziegelartig geführt, beginnen an den Zehen und endigen
am Knie. Besteht ein Ulcus cruris, so wird der Verband gefenstert
angelegt. Ueber die Glaukobinde legt man noch eine Mullbinde,
um das Festkleben an den Kleidern zu verhüten. Der Verband kann
8 bis 14 Tage liegen bleiben.
Zuweilen ist aber notwendig, die Krampfadern zur'Verödung zu
bringen, und auch die Technik dieses von Linser eingeführten
Verfahrens ist« für den Praktiker nicht schwierig. Man verordnet
Sublimat, Natr. chlorat. ana 1,0, Aq. dest ad 100,0 und sticht nach
Zirn an dem sitzenden oder stehenden Kranken die möglichst
dünne Nadel etwas ober- oder unteihalb der Krampfaderstelle ein.
Man führt unter der Haut die Nadel 1—2 cm, ehe man in das
Gefäß eingeht. Man prüft durch Ansaugen von Blut, ob man in
dem Gefäß ist, und injiziert 1 ccm der Sublimatlösung. Beim Her¬
ausziehen der Kanüle achte man darauf, daß nicht Lösung mit Blut
gemischt in das perivenöse Gewebe zurückfließt*- was oft zu ent¬
zündlichen Reaktionen führt. Man drücke daher beim Zurückziehen
der Spritze sofort auf die Einstichstelle. Die Einspritzung ist völlig
schmerzlos. Man injiziert am besten am Stamm der Vena saphena
über dem Knie. Die meisten Kranken können ihrer gewohnten
Beschäftigung nachgehen, nur zuweilen bleiben manche Patienten
wegen Spannungsgefühls kurze Zeit im Bett.
Verrucae. Die gewöhnlichen harten Warzen werden am sicher¬
sten durch Elektrolyse beseitigt. Man führt die Nadel unter die
Basis der Warze, schließt den Strom, läßt ihn in einer Stärke von
2—3 Milliampere etwa 2—5 Minuten einwirken. Dadurch wird der
Mutterboden zerstört, es bildet sich ein Schorf, welcher nach 8 bis
14 Tagen abfällt, man sieht nur noch einen roten Fleck, welcher bald
der normalen Hautfarbe Platz macht.
Bei den Verrucae plauae juveniles bewährt sich dagegen
das Hydrarg. jodat.
Rp. 41. Hydrarg. jodat. 0,3
Mass. Pili. q.s.
u. f. Pili. Nr. XXX
S. 3 mal tgl. 1 Pille
Die Warzen verschwinden gewöhnlich in kurzer Zeit.
Schließlich sei noch des Xanthoma palpebrarum gedacht. Bei
kleinen Geschwülsten versuche man lOtyoiges Sublimatkollodium
jeden zweiten Tag einpinseln zu lassen. Bei mittelgroßen Ge¬
schwülsten empfiehlt sich die Elektrolyse. Für größere Tumoren
bleibt nur die Operation übrig, um ein einigermaßen gutes kosmeti¬
sches Resultat zu erzielen.
□ igitized by Gougle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
7. April 1022
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
463
Standesangelezenheiten.
Zur Prüfungsordnung für technische Assistentinnen an
medizinischen Instituten.
Von Priv.-Doz. Dr. Franz Groedel in Frankfurt a. M., Bad Nauheim.
Unter dem 26. August 1921 sind von dem Minister für Volks¬
wohlfahrt Vorschriften für die staatliche Prüfung von technischen
Assistentinnen an medizinischen Instituten erlassen worden. Die aus¬
führliche Publikation dieser Vorschriften findet man in Nr. 18 vom
15. September 1921 der „Volkswohlfahrt“, des Amtsblattes des Preu¬
ßischen Ministeriums für Volks Wohlfahrt. Ich konnte mich davon
überzeugen, daß die große Masse der Kollegen von diesen Vor¬
schriften bis heute keine oder nur geringe Kenntnis erlangt hat.
Und doch sollten sie von allen jenen, die sich im eigenen Interesse,
als Arbeitgeber oder Arbeitnehmer, oder aber aus sozialer Anteil¬
nahme für diese Verordnung interessieren, studiert werden. Denn
wenn auch laut § 19 innerhalb der nächsten sechs Jahre unter be¬
stimmten Bedingungen die „staatliche Anerkennung“ noch ohne Prü¬
fung erteilt werden kann, so werden wir nach diesem Zeitpunkt —
wir begrüßen das lebhaft — nur noch geprüfte technische Assisten¬
tinnen haben und hoffentlich auch nur solche anstellen.
Ich hätte nun gewiß keine Veranlassung genommen, mich an
dieser Stelle mit der längst ersehnten staatlichen Fürsorge für die
Ausbildung technischer Assistentinnen zu beschäftigen una an dieser
an sich so erfreulichen Neueinrichtung Kritik zu üben, wenn ich nicht
ernste Bedenken vorzubringen hätte.
An der Prüfungsordnung als solcher ist nichts auszusetzen. Sie
ist nach bekannten Vorbildern erlassen und wird sich wohl dem¬
entsprechend bewähren. Zu fragen wäre vielleicht, warum nur tech¬
nische Assistentinnen, nicht auch technische Assistenten in ihrer Aus¬
bildung staatlich überwacht werden sollen. Doch das nur nebenbei.
Nun steht aber in § 12: „Jeder Prüfling nat sich der Prüfung
in sämtlichen Hauptfächern zu unterziehen.“ Als Hauptausbildungs¬
fächer werden in dem als Anlage beigefügten Ausbildungsplan ge¬
nannt: I. Chemie und Physik; II. Anatomie und Physiologie; III. Para¬
sitologie und Serologie; IV. Klinische Chemie und Mikroskopie;
V. Photographie.
Zur Photographie zählt aber der Erlaß auch als V c die
Röntgenologie!
Man muß sich wundern, daß die Röntgenologie hier als photo¬
graphisches Fach aufgeführt wird. Doch wir wollen uns nicht mit
Kangstreitigkeiten befassen. Die wichtigere Frage ist die: Läßt die
preußische Prüfungsordnung für technische Assistentinnen an medi¬
zinischen Instituten hoffen, daß den röntgenologisch tätigen Aerzten
in Zukunft besser ausgebildete Hilfskräfte zur Verfügung stehen
werden als jetzt? Das ist zu verneinen. Nur nebenbei sei hier er¬
örtert, ob die Prüfungsordnung den Interessen der übrigen medizini¬
schen Laboratorien gerecht wird.
Die Prüfungsordnung geht von einem prinzipiell wichtigen Irr¬
tum aus: Sie hält die Arbeit und die Obliegenheiten der Laborantin
(nach seitherigem Sprachgebrauch eine Hilfskraft für Untersuchungen
am toten Objekt, wie Urin, Stuhl, anatomisches Präparat) und die
Arbeit der Röntgenlaborantin (die sich mit und am kranken Menschen
zu beschäftigen hat) für vergleichbar, auf gleicher Grundlage auf¬
gebaut.
Die Anlage 1 erläutert die Wichtigkeit der einzelnen Fächer. Sie
sagt lakonisch: „Die Röntgenologie (vc) nimmt als Sonderfach eine
selbständige Stellung ein.“
Liegt da nicht ein krasser Widerspruch vor zwischen der Ein¬
ordnung der Röntgenologie, dem „Sonaerfach“ mit 820 Lehrstunden,
als Va der Gruppe (Vf Photographie, gegenüber 4*/s anderen Gruppen
mit etwa 1800 Stunden, worunter noch 300 Stunden für allgemeine
Photographie vorgesehen sind?
Doch es kommt mir durchaus nicht darauf an, hier die Form des
Erlasses als solche zu kritisieren. Ich mußte die vorstehenden Aus¬
führungen nur machen, um zu zeigen, daß laut Erlaß offenbar jede
technische Assistentin an medizinischen Instituten in Zukunft eine
volle Ausbildung als Röntgenlaborantin erhalten soll — es geht dies
und das Wie nur leider nicht aus dem Erlaß hervor — und daß
anderseits jede Röntgenlaborantin in Zukunft in allen, sagen wir
klinischen und anatomischen Laboratoriumsarbeiten voll ausgebildet
werden soll. Und das in zwei Jahren.
Hiergegen müssen wir — die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer —
uns wenden. Das kann keine gute Ausbildung werden.
Ich sagte schon, die Laborantin nach altem Sprachgebrauch ar¬
beitet am toten Objekt, die Röntgenlaborantin an unseren Mit¬
menschen. Erstere muß selbstverständlich auch gewissenhaft sein,
sonst kann sie indirekt den Kranken schaden (falsche Diagnose zum
Beispiel). Letztere aber ist unsere Gehilfin bei der Untersuchung und
der Behandlung der Patienten, genau wie die Krankenschwester und
die Hebamme! Sie ist Röntgenschwester in erster Linie. Sie muß auch
kleine ärztliche Hilfeleistungen verrichten können, wie Einläufe,
Katheterisieren, subkutane Einspritzungen geben, Verbände anlegen,
sie muß einen Kranken richtig anfassen, heben, lagern können —
kurz, sie muß auch Schwester sein. Sogar erst Schwester. Und dazu
muß sie Neigung und Geschick für Technik, physikalische Apparate
und zuletzt für Photographie haben.
Wir sehen heute in allen Laboratorien, daß die Röntgenschwestern
kaum Zeit finden, die schriftlichen Arbeiten (Beherrschung der Schreib¬
maschine und Stenographie ist wichtig), die Registratur und die
Plattenarchivarbeiten zu verrichten. Oft sind hierfür besondere Hilfs¬
kräfte notwendig. In wie vielen Laboratorien findet aber die Röntgen¬
schwester noch Zeit zum Mikroskopieren, speziell zur Untersuchung
anatomischer Präparate, zum Anlegen von Nährböden usw.?
Ich weiß sehr wohl, daß der Erlaß nicht beabsichtigen konnte,
einen Ausbildungsplan zu bringen, der uns dann technische Assisten¬
tinnen für alle Spezialbedürfnisse in staatlich geprüften Exemplaren
liefert. Die praktische Spezialausbildung muß — das steht zwar in
Anlage 1 nicht zu lesen — erst nach der Prüfung sich anschließen.
Aber die Frage ist: Kann man die Röntgenschwester und die
übrigen technischen Assistentinnen medizinischer Institute überhaupt
nach einem gemeinsamen Lehrplan vorbilden?
Man kann sich zu dieser Frage verschieden stellen. Da9 eine
muß man jedenfalls sagen: nach dem vorliegenden Plan kann man
keine Röntgenassistentin ausbilden, denn sie wird mit 140 Stunden
für theoretische Chemie und Physik in letzterer zu wenig ausgebildet,
mit 340 praktischen chemischen und mathematischen Stunden über¬
lastet, mit 340 Stunden praktischer mikroskopisch-anatomischer Aus¬
bildung und gar 340 Stunden praktischer Serologie und Parasitologie
direkt überfüttert, selbst wenn wir für letzteres 70 theoretische
Stunden billigen und für die praktisch wertvollere klinische Chemie
und Mikroskopie 110 Stunden begrüßen. Demgegenüber sind selbst
840 Stunden Röntgenologie zu wenig. Es fehlt die praktische Physik,
es fehlt die Werkstattarbeit, das Auseinandernehmen und Reinigen
der Apparate u. v. a., es fehlt die Ausbildung im Umgang mit
Kranken. Mindestens die Hälfte der für die nicht röntgenologische
Ausbildung vorgesehenen Zeit ist vergeudet — weil die geforderte
zu weitgehende allgemein medizinisch-technische Ausbildung umsonst
war und über Nacht verschwitzt wird, wenn die praktische Be¬
tätigung nicht folgt. Die gleiche Zeit kann besser für rein röntgeno¬
logische bzw. röntgentechnische Ausbildung benutzt werden. Und
dann sollte ein drittes Jahr oder wenigstens Vs Jahr zur EHemung
der Krankenpflege benutzt werden.
Und was soll die Laborantin, die in einem Anatomischen Institut
oder im Chemischen Laboratorium einer Klinik arbeitet, mit ihrer
820stündigen Röntgenausbildung machen? Hätte man nicht die Zeit
besser für ihre eigentliche Ausbildung benutzt, anstatt ihr eine Halb¬
bildung zu geben, die ihr die staatliche Berechtigung gibt, auch als
Röntgenlaborantin zu arbeiten, ohne meiner Ansicht nach im Ent¬
ferntesten hierzu vorbereitet und geeignet zu sein. Hier erweckt
die Verordnung Hoffnungen, die zu schweren Enttäuschungen der
Arbeitnehmerinnen führen müssen, aber auch für die Patienten ge¬
fährliche Folgen haben können.
Das Resultat dieser Besprechung wäre: Der Prüfungserlaß ist
hocherfreulich, der dazugehörige Plan für die Ausbildung von tech¬
nischen Assistentinnen an medizinischen Instituten bedarf dringend
einer Umarbeitung. In seiner jetzigen Form kann er uns keine
guten Hilfskräfte liefern. Denn man beachte das Wort „Technik“
Alle Techniken kann man nicht beherrschen. Will man zu viele er¬
lernen, dann bleibt man in allen Dilettant. Der Ausbildungsplan sieht
aber nicht etwa nur die Grundlagen für alle Techniken vor, er will
vielmehr — ohne es erreichen zu können — in allen Techniken aus¬
bilden.
Es ist nicht meines Amtes, Gegenvorschläge zu machen. Es wäre
aber sicherlich möglich, den Lehrstoff so zu unterteilen, daß ein
Jahr lang alle Schülerinnen gemeinsam unterrichtet werden könnten
(Anatomie, Physiologie, theoretische allgemeine Physik, theoretische
allgemeine Chemie, Ueberblick über Parasitologie und Serologie,
Photographie, vielleicht auch klinische Chemie und Mikroskopie).
Im zweiten Jahre müßten aber die Laborantinnen ihre Ausbildung,
speziell die technische, allein fortsetzen, wie auch die Röntgen¬
assistentinnen nun spezielle Physik und Röntgentechnik nach be¬
sonderem Plan erlernen sollten. Ob nebenher, zwischendurch oder
nach dem Examen noch ein halbes oder ein Jahr der Krankenpflege
gewidmet werden müßte, wäre zu überlegen.
Daß die Röntgenschwestern eine lange Ausbildungszeit benötigen,
das wissen sie selbst. Ich hatte 1920 im Aufträge der Frankfurter
Röntgengesellschaft mit dem Bund der technischen Angestellten und
Beamten zu verhandeln. Damals wurden die Gehaltsforderungen von
uns unter der Bedingung akzeptiert, daß: „Als ausgebildete Röntgen-
laborantiu gilt, wer den von aer Frankfurter Röntgengesellschaft er¬
lassenen Bestimmungen genügt, d. h. den Nachweis einer dreijährigen
Ausbildungszeit erbringt, insbesondere den Nachweis: 1. einer ein¬
jährigen Tätigkeit in Krankenpflege; 2. einer mindestens einjährigen
Ausbildung in Röntgentechnik in einem großen Laboratorium; 3. über
erworbene Kenntnisse in Buchführung, Schreibmaschine, Stenographie
und eventuell Laboratoriumsarbeiten; 4. möglichst einer sechswöchent¬
lichen Tätigkeit in einer einschlägigen Fabrik.“
Daß diesen Bedingungen nun eine offizielle Prüfungsordnung an¬
gefügt wird, ist — es sei dies zum Schlüsse wiederholt — ein
großer Gewinn und wird von allen Beteiligten dankbar begrüßt. Und
es sollte wohl möglich sein, auch den Lehrplan so zu gestalten, daß
den Interessen der Röntgenschwestern^ der Röntgenlaboratorien und
der Patienten gleichermaßen gedient ist.
Der Ausschuß der Deutschen Röntgengesellschaft wird sich im
April mit der Prüfungsordnung für technische Angestellte in medi¬
zinischen Instituten beschäftigen müssen. Anregungen, Vorschläge
und Meinungsäußerungen sind schon vorher willkommen,'damit dem
Kongreß eine den Ansichten der Mehrheit entsprechende Resolution
vorgelegt werden kann.
Digitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERS1TV
404
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 14
Kleine Mitteilungen.
— Berlin. Wie aus dem Bericht aus Nr. 13 S. 429 ersichtlich,
ist eine allgemeine Vereinbarung zwischen Krankenkassen
und Aerzten über das Pauschalhonorar nicht erreicht
worden. Da zwischen den .Berliner Krankenkassen und Aerzten auch
ein Vertrag über das Honorar für das erste Vierteljahr 1922 nicht
zustande gekommen war, hat ein Schiedsgericht am 31. III. im Reichs¬
arbeitsministerium unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten Luers-
sen das Honorar auf 100 M. Jahrespauschale, also für die drei Monate
auf 25 M. festgesetzt.
— Der Reichsrat nahm in seiner Sitzung am *23. III. einen
Gesetzentwurf über Versicherungsgrenzen und Ren¬
tenbemessung in der Unfallversicherung an. Die Grenze
für die Zwangsversicherung wurde auf 750UU M. erhöht, die Grenze
für die Rentenoemessuiig auf 18 000 M. Das Sterbegeld soll mindestens
500 M. betragen.
— Die Ständige Kommission der Aerztc und Lebens¬
versicherungsgesellschaften hat neue Gutachterhono¬
rare vereinbart, denen die beiden Verbände zugestimmt haben.
— Bei der dritten Lesung des Gesetzentwurfs über die Heran¬
ziehung der Frauen zum Schöffen- und Geschworenenamte im Rechts¬
ausschuß des Reichstags wurde den Aerzten das Recht der
Ablehnung des Schöffen-und Geschworenenamtes zugestanden
— Im Prüfungsjahr 1919/20 haben in Preußen von 2381 Prüf¬
lingen 2134 die ärztliche Prüfung bestanden. Von den Kan¬
didaten erhielten 1622 das Prädikat gut, 323 sehr gut und nur 189
genügend. Es ist nach diesem Ergebnis keine Verschlechterung der
Gesamtleistung der Prüflinge gegenüber der Vorkriegszeit festzu¬
stellen. — Die Vorprüfung haben von 3655 3042 im Jahre 1919/20
bestanden, davon 621 mit sehr gut und 1658 mit gut.
— Im Jahre 1919/20 haben 3876 Aerzte die Approbation
erhalten. Davon entfallen auf Preußen 2045, Bayern 669, Sachsen
157, Württemberg 176, Baden 327, Thüringen 108, Hessen 129,
Hamburg 38 und Mecklenburg-Schwerin 223.
— Die zugunsten der deutschen Kinderhilfe in Groß-
Berlin veranstalteten Sammlungen haben 7604451 M. er¬
geben. Für die Verwendung der Mittel wurden folgende Richtlinien
aufgestellt: Möglichst umfassende langfristige Verschickung von Kin¬
dern aufs Land und in Erholungsheime. Bekämpfung der Tuber¬
kulose und Rachitis, sei es durch Heilbehandlung in Heilstätten, durch
Emährungszuschüsse, Beschaffung von besseren Wohngelegenheiten,
Kleidungs- und Wäschestücken oder Arzneimitteln. Die Hälfte der
gesammelten Mittel wurde für die offene Fürsorge bestimmt, die
andere Hälfte für die geschlossene.
— Im Jahre 1921 wurden 179 Apothekenkonzessionen
(darunter 119 Neuanlagen) erteilt, gegen 168 im Jahre 1920.
— Der Fleischverbrauch in Deutschland ist auf 40o/ 0
gegenüber der Vorkriegszeit zurückgegangen.
— Die Internationale Sanitätskonferenz in Warschau
(vgl. Nr. 12 S. 398), an welcher von deutscher Seite Direktor Frey, Prof.
Otto und Prof. Mühle ns teilnahmen, unterbreitete dem Völkerbund
eine Reihe von Beschlüssen. Danach ist der Kampf gegen die vom Osten
drohenden Epidemien nicht nur an den Grenzen der bedrohten Länder,
sondern gleichzeitig auch in den Seuchenzentren Ukraine und Weißru߬
land zu führen; sämtl.che europäischen Regierungen sind verpflichtet, an
dem Kampfe gegen die osteuropäischen Epidemien teilzunehmen; die zu
tragenden Ausgaben werden unter den Mitgliedern des Völkerbundes
nach einem festgesetzten Schlüssel verteilt, während die Länder, die
nicht dem Völkerbund angehören, aufgefordert werden sollen, an den
Ausgaben nach einem ähnlichen Scnlüssel teilzunehmen; mit der Aus¬
führung der Beschlüsse der Warschauer Sanitätskonferenz wird die
Hygienesektion des Völkerbundes betraut, wobei die Konferenz ver¬
langt, daß den Völkern, die nicht dem Völkerbunde angenören, die
Möglichkeit geboten wird, in der Organisation zur Seuchenbekämpfung
vertreten zu sein; in einer besonderen Entschließung , drückt der
Kongreß die Ueberzeugung aus, daß ohne gleichzeitige Aktion zur
Bekämpfung der russischen Hungersnot reine Sanitätsmaßregeln nicht
übermäßig wirkungsvoll sein dürften.
— Der „Rhein. Beobachter“ Berichtet in seiner letzten Nummer
über die dem besetzten Gebiete aufgezwungene Bor¬
dellwirtschaft. Die Einrichtung von öffentlichen Häusern auf
Anforderungen der Besatzungsbehörden beschränkt sich auf das von
den Franzosen besetzte Gebiet. Dort sind in einer großen Anzahl
von Orten auf dem Wege der Requisition Bordelle eingerichtet
worden, deren Kosten dem Deutschen Reiche teilweise zur Last
fallea werden. Eine entsprechende Anforderung erging von der
Besatzung zunächst mündlich, dann schriftlich an den Bürgermeister
der Stadt Ems (Badeort mit 7400 Einwohnern). Auf die verschiedenen
Proteste ist der Bürgermeister schließlich unter Androhung von
Strafe zur sofortigen Ausführung des gegebenen Requisitionsbefehls
und zur Errichtung eines Bordells im Wirtshaus „Zur deutschen
Flagge“, welches die Franzosen selbst, wohl nicht ohne Absicht,
hierfür bestimmt hatten, gezwungen worden. Weitere Bordelle mu߬
ten auf Befehl der Franzosen noch in folgenden Orten eingerichtet
werden: Siegburg, Kostheim bei Mainz, Kaiserslautern, Landau, Lud¬
wigshafen, Mainz, Forst Weisenau bei Mainz, Bingen, Langenschwall-
bach, Höchst a. M., Wiesbaden, Griesheim bei Darmstadt, Idstein
(Taunus), Speyer, Diez. Die Kosten, die der deutsche Steuerzahler
für diese echt französischen Einrichtungen zu zahlen hatte, betrugen
vorläufig rund 700000 M. Bordelle waren m der überwiegenden
Zahl vorgenannter Orte eine völlig unbekannte Einrichtung. Der
sittliche Verderb und das fortgesetzte Aergernis, das gerade in den
kleinen, sittenreinen Städtchen hierdurch dauernd gegeben wird,
sind unerträglich. Wer aber seiner sittlichen Empörung über der¬
artige Zustände freimütig Ausdruck gibt, der „gefährdet die Würde
und das Ansehen der Besatzungstruppen“.
— Die 1. Tagung der Gesellschaft Deutscher Tuberkulose-
Fürsorgeärzte findet am 15- und 16. V. in Halle statt. Mit ihr ist eine
Besichtigung der Halleschen Fürsorgestelle und der anderen der Tuberkulose
dienenden Einrichtungen verknüpft. Beitrittserklärungen an Dr. Braeuning,
Hohenkrug b. Stettin.
— Vom 24.-28. IV. findet in Düsseldorf ein Kongreß zur Förderung
der Familie statt. Es sprechen dabei u. a. Geh.-Rat Schloßmann und
Geh. Ober-Med.-Rat K roh ne.
— Pocken. Deutsches Reich (5.-11. III.): 1. — Genickstarre. Deutsches
Reich (19.-25.II.): 32. - Ruhr. Deutsches Reich (19.-25.II.): 43. - Abdominal-
t y p h u s. Deutsches Reich (19.—25. II.): 123.
-- Dessau. Die Gebühren der Medizinalbeamten in
Anhalt sind nach einer Verordnung des Staatsrates vom 24. I. 1922
uui 300 v. H. erhöht worden.
— Frankfurt a. M. Geh. San.-Rat Lampö ist aus der von ihm und von
Prof.v. Noorden gemeinsam begründeten Privatklinik iür Zuckerkranke ausge¬
schieden. Sein Nachfolger ist Prof. S. Isaak, Oberarzt an der medizinischen
Poliklinik.
— Hamburg. Die forensisch-psychologische Gesell¬
schaft hat einen Ausschuß zur Prüfung okkultistischer
Phänomene eingesetzt, welcher Prof. Weygandt, Prof. Schae*
fer, Oberarzt Trömner, Sinei und Ciinbal, sowie Dr. Bren¬
necke, Dr. Reißig und außerdem auch noch einige Juristen an¬
gehören werden. (Von dem Ergebnis des zum gleichen Zweck in
Berlin eingesetzten Prüfungsausschusses [vgl. d. W. 1921 S. 602) hat
man bis jetzt noch nichts vernommen.)
— München. Im Laboratorium für gewerbliche Me¬
dizin und Hygiene des bayrischen Land.esgewerbe-
arztes (vgl. d. W. 1921 S. 1568) sollen in erster Reihe alle Fälle
von möglicher oder tatsächlicher Bleischädigung in den verschiedenen
Berufen (bei Malern, Anstreichern, Schriftsetzern, Arbeitern aus
chromolithographischen Betrieben, aus Metallschmelzereien, Altmetall¬
betrieben, Töpfereien und dgl. mehr) festgcstellt werden. Der Pa¬
tient kann zur Blutentnahme persönlich in das Laboratorium kommen.
Auch Bleiarbeiter, die noch keine Krankheitserscheinungen zeigen,
können sich hier kostenlos untersuchen lassen.
— Stuttgart. Der württembergische Medizinalbeamtenverein
erklärte sich bei seiner 17. Jahresversammlung am 4. und 5. III. mit
der Uebertragung der gesamten ärztlichen Fürsorge¬
tätigkeit an die Oberamtsärzte grundsätzlich einverstanden.
— Danzig. Die Berufsvereinigung der Aerzte gibt eine Er¬
höhung der ärztlichen Honorare auf das Zwanzigfachc
der Friedenspraxis bekannt.
— Wien. Der Verein zur Erhaltung der Wiener Uni¬
versität beschloß der Universität einen Betrag von 35 Millionen
Kronen zur Verfügung zu stellen.
— Tokio. Die Tuberkulosebekämpfung ist in Japan
durch G esetz geregelt.
— tlochschuinacanchten. Berlin. Priv.-Doz. Wolff-Eisner, der
im Herbst über seine Tuberkulose- und Immunitätsforschungen in
Madrid, Valencia und Granada Vorträge hielt (vgl. diese Wochen¬
schrift 1921 S. 1272), ist von der spanischen Gesellschaft für Lungen¬
krankheiten in Madrid und vom Instituto medico Valenciano zum
Enrenmitglied ernannt worden. Prof. L. Michaelis ist für
das Ordinariat für Pnysiologische Chemie an der Universität Nagoya
(Japan), dessen Uebernahme jüngst Professor Neuberg (Berlin-Dahlem)
abgelehnt hat, in Aussicht genommen. — Heidelberg. .Priv.-Doz.
Wettstein, Oberarzt an der Psychiatrischen Klinik, wurde zum a.o.
Professor ernannt. — Leipzig, a. o. Prof. Ober-Mcd.-Rat Barth,
Direktor der Kinik und Poliklinik für Ohren-, Nasen- und Halskrank¬
heiten, wurde zum Ordinarius ernannt. — Rostock. Prof. Fischer
(Bonn) hat den Ruf a.s Ordinarius der Pathologischen Anatomie (vgl.
Nr. 4 S. 136) angenommen. — Wien. Dr. Bachstez hat sich für
Augenheilkunde habilitiert. — Basel. Prosektor Priv.-Doz. Ludwig
wurde zum a.o. Professor ernannt.
— Gestorben. Geh.-Rat Prof. Alfred Blaschko, der ausge¬
zeichnete Dermatologe und hervorragende Sozialhygieniker im Alter
von 64 Jahren an einem Darm-Karzinom den 27. III. in Berlin. Nach¬
ruf folgt. — Geh.-Rat Prof. Leopold Rieß, der frühere Direktor der
Inneren Abteilung des Städtischen Krankenhauses am Friedrichshain,
im Alter von 82 Jahren. Rieß stammte aus der Schule von Frerichs
in Berlin, dessen Assistent er mehrere Jahre war. Auf verschiedenen
Gebieten seiner Disziplin hat er beachtenswerte Arbeiten veröffentlicht,
so insbesondere über neuere Arzneimittel. Rieß war auch lange Zeit
Mitarbeiter der Virchow-Hirschschen Jahresberichte. — Geh. San.-
Rat Weber, Chefarzt und Leitender Arzt der Abteilung für Innere
Medizin am „Roten Kreuz“, in Kassel.
— Die erste Ausgabe der in Nr. 12 S. 398 angekündigten Sozialhygie*
nischen Rundschau wird in Heft 15 erscheinen.
— Auf Seite 16 des Inseratenteiles ist ein Verzeichnis der bai der Redaktion
zur Rezension eingegangenen Bücher und Abhandlungen enthalten.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNiVERSSTV
Naturwissenschaften.
++ Ernst Küster (Gießen), Botanische Betrachtungen über
Alter und Tod. Berlin, Gebr. Bornträger, 1921. 44 S. M. 12.— .
Ref.: Voß (Düsseldorf).
Wie schon der Titel zeigt, behandelt Küster die Frage von Alter
und Tod nur vom botanischen Standpunkt aus. Auf Grund aller
modernen Forschungen glaubt er folgende Theorie zur Annahme
empfehlen zu können: Wie ein Organismus durch seine Stoffwechsel¬
produkte seine Umgebung langsam vergiftet, so vergiftet er auch seinen
eigenen Vegetationskörper oder wenigstens diejenigen seiner Teile, die
der Intoxikationsgefahr aus inneren oder äußeren Gründen am meisten
ausgesetzt sind: Die Vergiftung führt zu den trscheinungen des Alterns
und führt zum Tode, wenn die Anhäufung schädlicher Stoffwechsel¬
produkte nicht rechtzeitig unterbrochen oder ihre lebenbedrohende
Wirkung auf irgendwelche Weise paralysiert wird. Die Theorie lehnt
es ab, über die Qualität der wirksamen Stoffwechselprodukte etwas
auszusagen, und vermeidet es ausdrücklich, irgendwelche Struktur¬
veränderungen alternder Zellen für den mikroskopisch nachweisbaren
Ausdruck der „inneren Sekretion" zu erklären.
Anatomie und Physiologie.
♦♦ Robert Tigerstedt (Helsingfors), Die Physiologie des Kreis¬
laufs. 2. Aufl. Bd. II. Berlin und Leipzig, Vereinigung wissen¬
schaftlicher Verleger, 1921. 478 S. M. 120.—, geb. 136.— M.
Ref.: H. E. Hering (Köln).
Es ist sehr erfreulich, daß dem ersten Band, den ich im Sommer
1921 in diesem Blatte besprochen habe, so relativ bald der zweite
gefolgt ist. Er ist 476 Seiten stark und führt die Ueberschrift: Die
Innervation des Herzens. Nach der Anführung der Erfahrungen über
die künstliche Reizung des Herzens wird seine Automatic und die
Fortpflanzung der Erregung durch das Herz besprochen, worauf
unsere Kenntnisse über die elektrischen Erscheinungen am Herzen
mitgeteilt werden. An diese schließt sich die Darstellung der Funk¬
tion der Herznerven, zunächst der zentrifugalen, i. e. der hemmen¬
den und fördernden, dann die der Reflexe und der Zentren der Herz¬
nerven. Den Schluß bildet ein eigenes Kapitel über die Zahl der
Herzschläge. Wie im ersten Band, so hat auch in diesem zweiten
der Verfasser eine sehr große Zahl von Veröffentlichungen ver¬
arbeitet. Wenn ihm trotzdem manche Mitteilung entgangen ist, so
darf man ihm bei dem so umfangreichen Stoffe keinen Vorwurf
daraus machen. Was ich vom medizinischen Standpunkt noch etwas
mehr berücksichtigt und betont gewünscht hätte, das ist unsere
Kenntnis von der Physiologie des menschlichen Herzens, und
ferner den Hinweis darauf, daß unsere Erfahrungen an letzterem,
besonders auch die am wiederbelebten menschlichen Her¬
zen, uns gelehrt haben, wie ähnlich es seiner Funktion nach dem
Säugetierherzen ist, denn dadurch gewinnen die Ergebnisse der
experimentellen Untersuchungen an letzteren erst ihre Bedeutung für
die Erklärung der Funktionen und der Funktionsstörungen des der
Analyse viel schwerer zugänglichen menschlichen Herzens. Ander¬
seits hat die Pathologie physiologische Vorgänge öfter schon vor
den experimentellen Untersuchungen an Tieren kennen gelehrt, daher
es wünschenswert ist, daß die Physiologie auch solche von der
Pathologie gemachte Erfahrungen möglichst berücksichtigt. In dem
Kapitel über das anatomische Substrat der Herzautomatie kommt
der Verfasser zu dem Schluß, daß unsere heutigen Kenntnisse dar¬
über sich ebensogut durch die Ganglienzellentheorie wie durch die
myogene Theorie erklären lassen. Zu diesem Ergebnis habe ich jetzt
in Pflügers Archiv Stellung genommen, denn es handelt sich heute
nicht um die Alternative, ob die Ganglienzellen oder die Muskel¬
fasern die Träger der Automatie sind, sondern um die Alternative,
ob in den Nervenfasern oder in den Muskelfasern die Ursprungsreize
entstehen, denn die Tatsachen weisen alle auf eine extragangTionäre
Entstehung der Herzreize hin. Wenn ich demnach in gewissen Einzel¬
heiten den Ausführungen des Verfassers nicht zustimmen kann, so
tangiert dies doch nicht die Tatsache, daß heute niemand über die
Herzphysiologie im allgemeinen sich besser orientieren kann als
in Tigerstedts Werk, daher ich es wiederum nur sehr empfehlen
kann.
Allgemeine Pathologie und Pathologische Anatomie.
K. Peyser (Graz), Hämolyseversuch als Kriterium für Infiltrat-
bilduag. W. kl. W. Nr. 10. Peyser wurde durch die Beobachtung,
daß Preglsche Jodlösung — die bekanntlich subkutan Infiltrate ver¬
ursacht — in vitro hämolytisch wirkt, dazu veranlaßt, andere Phar¬
maka darauf zu untersuchen, ob diese beiden Prozesse miteinander
parallel gehen. Tatsächlich ergab sich für Chinin, Aether, Emberin,
Merosyl, Kalomel, Asurol, Hg-Methyl, Fizia, Dispargen, Elekrokollar-
gol, Terpentinöl ein solches Parallelgehen. Nur Salvarsan und Neo-
salvarsan machten eine Ausnahme, indem sie nicht hämolysierten.
Morphin, Kokain, Atropin, Digalen, Adigan, Pilokarpin, Natr. cacodyl.,
Aqu. dest. und Ol. camphorat. zeigten keine Hämolyse, ebenso wie sie
keine Infiltrate verursachen.
F. Passini (Wien), Abbau der Qallenfarbstoffe durch streng
auaSrobiscb wachsen je. fäulniserregende Darmbakterien. W. kl. W.
Nr. 10. Versuche mit Anaerobiern, welche aus Darminhalt gezüchtet
waren, ergaben, daß bei Zusatz von frischer Galle zu den Kulturen in
kurzer Zeit die Gallenfarbstoffe abgebaut werden. Typische Fäulnis¬
erreger greifen das Bilirubin auch bei Anwesenheit von Zucker an,
während vorwiegend Gärung hervorrufende Arten bei Anwesenheit
von Zucker keinen Einfluß auf die Gallenfarbstoffe haben.
W. Hülse (Halle), Untersuchungen über gefäßverengernde
Stoffe im Blute bei Hypertonien. Zbl. f. inn. M. H. 1. Mit der Läwen-
Trendelenburgschen Frosch-Durchspülungsmethode läßt sich bei akuten
Nephritiden keine Hyperadrenalinämie nachweisen. Dagegen wurden
Stoffe gefunden, welche die Gefäße für Adrenalin sensibilisieren.
E. Kylin (Gothenburg), Ist die sogenannte, akute diffuse
Glomerulonephritis eine primäre üefäßaffAktion? Zbl. f. inn. M.
Nr. 3/4. Der Verfasser kommt auf Grund ausgedehnter Untersuchungen
und eingehender Erwägungen zu dem Ergebnis, daß bei der diffusen
Glomerulonephritis eine Gefäßaffektion das Primäre ist.
Mikroben- und Immunitfttslehre.
H. Selter (Königsberg i. Pr.), Imnmnltitsverhlllnisse bei Meer-
schweinchentnberkulose. Zschr. f. Hyg. 95 H. 2. Infektionen mit leben¬
den Tuberkelbazillen, die bei Meerschweinchen zu einer latenten oder
chronisch verlaufenden schwachen Tuberkulose führen, verleihen den
Tieren eine völlige Immunität gegen eine nicht zu starke Reinfektion.
Starke Reinfektionsdosen verursachen nur eine örtliche Reaktion, ver¬
schlimmern aber nicht die Tuberkulose im Innern. Auf Tiere, die
durch eine erste Impfung deutlich krank geworden sind, kann eine
Reinfektion — je nach dem Zustande der Erkrankung — schädigend
wirken. Zur Erzielung latenter oder chronisch verlaufender schwacher
Tuberkulosen beim Meerschweinchen erweisen sich lebende, in ihrer
Virulenz abgeschwächte Bazillen in Verbindung mit lebendem, auf¬
geschlossenem Tuberkelbazillenprotoplasma (Vitaltuberkulin) als ein
sehr geeigneter Impfstoff. Vorbehandlung mit säurefesten Saprophyten
setzt die Widerstandsfähigkeit der Tiere herunter, sodaß sie einer
folgenden Infektion leichter erliegen. Bei den durch eine tuberkulöse
Erkrankung immun gewordenen Tieren werden die bei der späteren
Reinfektion einverleibten Bazillen langsam in Wochen und Monaten
abgebaut und beseitigt. Welche Stoffe diesen Abbau bewirken und
worauf die Immunität des Körpergewebes gegen die neu eingebrachten
Bazillen beruht, steht noch nicht fest
Allgemeine Diagnostik.
M.Kahane (Wien), Kntane Diagnostik innerer Krankheiten. W. Arch.
3 H. 1/2. Das Wesen der kutanen Diagnostik besteht in der Verwer¬
tung von Hautphänomenen zur Erkennung von Erkrankungen innerer
Organe. Als kutane Diagnostik bezeichnet Kahane die. diagnostische
Verwertung jener Hauptphänomene, die sich aus den physiologischen
und pathologischen Beziehungen zwischen Haut- und Viszeralnerven
innerhalb des Rückenmarkes ableiten lassen. Eine diagnostische Ver¬
wertbarkeit kommt nur den Headsehen Zonen und der galvanopalpa-
torischen Reaktion zu, weil diese beiden nur an die irritativ entzünd¬
liche Natur der vorliegenden Erkrankung anknüpfen. Besonders eignet
sich zur Untersuchung die Galvanopalpation. Die Galvanopalpation
ist eine Methode zur Feststellung der Reaktion der sensorischen Haut¬
nerven mit Hilfe des galvanischen Stromes. Der wesentlichste Vorzug
der Methode soll auf dem 'ausgeprägten regionären Charakter der
Reaktion beiuhen, der einen' unmittelbaren Schluß auf den Sitz des
Krankheitsherdes gestattet.
Laqueur (Berlin), Galvnnopalpation. M. Kl. Nr. 10. Die Galvano¬
palpation ist ein gut verwertbares diagnostisches Hilfsmittel, besonders
bei Erkrankungen der Aorta, der Gallenblase, des Appendix und des
Peritoneums.
Lehndorff (Prag), Seitliche oberflächliche Ausbreitung der
Stoßwirkung bei der Perkussion und über eine Methode der
Perkussion mit Seitenschalldämpfung. W. Arch. 3 H. 1/2. Die seit¬
liche oberflächliche Ausbreitung der Stoßwirkung bei der Perkussion,
die bisher allgemein in ihrer Bedeutung viel zu gering eingeschätzt
wurde, übt einen eminent störenden Einfluß bei der Lokalisation aus
und bewirkt eine Reihe typischer Fehlerquellen bei der topographischen
Abgrenzung. Durch eine solche Methode der Perkussion mit Seiten-
□ igitized by Gougle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
466
LITERATURBERICHT
Nr. 14
schalldämpfung kann man, wie röntgenologische Kontrolluntersuchungen
/eigen, eine genaue und weniger schwierige Lokalisation erzielen. Die
besten Resultate gibt die Anwendung eines Stäbchenplessimeters, das
aus einem 22 mm langen Glasstäbchen besteht und in einem Metall¬
ring befestigt ist. Ueber das Stäbchen ist eine Gummifingerkuppe ge¬
zogen; bei der Anwendung wird der Ring über die Mittelphalanx
des Mittelfingers gestreift.
V. Kollert (Wien), Verwertbarkeit des Münzenklanges (signe du
sou) für die klinische Diagnostik. W. Arch. 3 H. 1/2. Freie pleurale
Ergüsse ergeben Münzenklang. Man kann auch damit die Frage be¬
antworten, ob sich hinter einer Pleuraschwarte noch ein Erguß befindet
und wie weit er nach aufwärts reicht. Abgesackte pleurale Ergüsse
zeigen Münzenklang, wenn man die Untersuchungsstellen so wählt, daß
die für die Entstehung des Symptoms nötigen physikalischen Bedingun¬
gen eingehalten werden. Große Aneurysmensäcke geben oft dieses
Phänomen an ganz umschriebenen Steilen.
W. Loli, -Nachweis von ruberkelbazillen im dicken Tropfen.
W. m. W. Nr. 7. Zunächst wurde diese Methode für den Nachweis
von Tuberkelbazillen in den Fäzes eingeführt. Eine kleine Menge
Fäzes wird mit Wasser verrührt und zentrifugiert. Die Mehrzahl der
Bazillen findet sich in der Flüssigkeitsschicht über dem Sediment.
Diese wird abgegossen und mit 2 Teilen 96°/ 0 igen Alkohols ver¬
mischt und wieder zentrifugiert. Jetzt sind die Bazillen im Sediment
enthalten, das in Form eines dicken Tropfens auf den Objekt¬
träger gebracht, getrocknet, in der Flamme fixiert und nach Ziehl-
Nelsen gefärbt wird. Gegenfärbung mit Methylenblau. Werden in
einem gewöhnlichen Ausstrichpräparat des Sputums keine Tuberkel¬
bazillen gefunden, so wird 1 Teil Sputum mit 2 Teilen einer 50°/,.igen
Antiforminlösung versetzt, */ Ä Stunde stehen gelassen, dann zentrifugiert.
Die Flüssigkeit wird abgegossen nud nur das an der Wand des Röhr¬
chens haftende spärliche Sediment in 1—2 Tropfen destillierten Wassers
mittels Platmöse verrührt. Die Aufschwemmung wird in Form eines
dicken Tropfens auf den Objektträger gebracht und gefärbt.
E. Joel (Berlin), H-Ionenkonzemraiion als Abdruck der wahren
Azidität. Ther. d. Gegenw. H. 2. Physikalisch-chemische Ausführungen
über die gewichtsanalytische Bestimmung freier Wasserstoff-Ionen.
Die betreffenden Methoden werden beschrieben und in ihrer Ver¬
wendbarkeit kritisch gewürdigt.
H. Strauß (Halle), Ammuniakbe'timmungea im Blutserum. Zbl. f.
inn. M. Nr. 2. Für die Ammoniakbestimmung im Serum wird die
Methode von Hahn und Kootz empfohlen. Der Normalwert für
Ammoniak im Blutserum liegt zwischen 1—2 mg°/ 0 mit einer Höchst¬
grenze von 2,5 °/ 0 .
Gutfred und Weigert (Berlin), Liquordiagnostik mitKongorubin.
M. KL Nr. 5. Die Versuche, das Kongorubin zur klinischen Diagnostik
heranzuziehen, haben bisher zu keinem brauchbaren Ergebnis geführt.
Trotzdem ist bei den Eigenschaften des Kongorubins die Hoffnung be¬
rechtigt, daß es gelingen wird, dasselbe zur praktischen Liquorunter¬
suchung zu verwenden.
Allgemeine Therapie.
G. Klemperer (Berlin), Arzneiverordnung im Krankenhaus und
in der Praxis. Ther. d. uegenw. H. 2. Uebersicht über einige der
vielgebrauchten ausländischen Heilmittel, die durch inländische ersetz¬
bar sind. Es kommen außer Digitalis und seinen Derivaten (außer
Digalen) u. a. die Verarbeitungen von Chlor, Brom^ Schwefel, Phos-
f ihor, Arsen, Kalk, Kupfer, Aluminium, Blei und Eisen in Betracht;
erner die synthetischen Präparate Eukain, Anästhesin, Tenosin, Lkjui-
drast, sowie die große Zahl der Antipyretika und Antineuralgika.
Weiter zahlreiche Organpräparate, auch Colchicum, Atropin, Salvarsan
usw. Ueberhaupt kann die medikamentöse Therapie erheblich ein¬
geschränkt werden.
Glaser und Buschmann (Berlin), Reizkftrpertherapie mit be¬
sonderer Berücksichtigung der Dosierung. M. KL Nr. 9.
1. Bei der Reizkörpertherapie ist zu berücksichtigen: a) die Konstitu¬
tion, b) das erkrankte Organ und die Art der Krankheit, c) die Art
des Mittels, d) die Höhe der Dosis, e) die Intervalle zwischen den
einzelnen Injektionen. 2. Der Blutlipoidnachweis nach Gabbe (Gly-
zerin-Ueberschichtungsprobe) als Dosierungsreaktion der Reiztherapie
fällt bei fettfreier Diät stets negativ aus und ist daher unbrauchbar.
3. ln der Inneren Medizin sind die subakuten Gelenkentzündungen das
wichtigste Gebiet der Reizkörpertherapie.
Krebs und Weskott (Aachen), Reizkörper- und physikalische
Therapie. Zschr. f. physik. diät. Ther. H. 1. Die Reizkörpertherapie ist
imstande, die physikalische Therapie der chronischen Arthritiden und
Neuralgien in manchen Fällen zu unterstützen; sie zu ersetzen vermag
sie nur selten. Sie ist erst anzuwenden, wenn mit den bewährten
Mitteln der physikalischen und Balneotherapie nichts zu erreichen ist
Wiedwald (Treuenbrietzen), Lokale Abkühlung und protrahierte
kalte Bilder begünstigen die Lungentuberkulose. Ther. d. Gegenw.
H. 2. Kritische Erörterung über das Wesen der Wirkung kühler hydria-
tischer Prozeduren und den möglichen Zusammenhang mit Blutarmut
und Tuberkulose bei zu ausgedehnter Anwendung.
Rom ich (Wien), Intermittierende Helintherapie. Zschr. f. physik.
diät. Ther. H. 1. Die Heilkraft der Sonne darf bei chirurgischer Tuber¬
kulose nicht ununterbrochen als Dauerreiz angewandt werden, sondern
sobald der Organismus nicht mehr genügend auf die Besonnung
reagiert, muß pausiert oder mit einem andern Reizmittel eine Steigerung
der natürlichen Abwehrkräfte fortgeführt werden; dann erst soll die
Freiluftsonnenbehandlung wieder einsetzen.
Kamnitzer (Berlin), Behandlung des Schnupfen mit Kollargol.
Ther. d. Gegenw. H. 2. Man bringt 1—2 Tropfen einer 2 0 / fl igen
Kollargollösung auf die Konjunktiva, das kann bis zu 3mal täglich
wiederholt werden; besonders bei Säuglingen kann dies Verfahren
angewandt werden.
Weygandt (Hamburg), Tierversuche und klinische Beo¬
bachtungen bei Darreichung von Zentralnerveasjstem-Substanz.
M. Kl. Nr. 7. Promonta erwies sich in Tierversuchen und auch in
zahlreichen Fällen von leichten Psychosen als ein wertvolles Heilmittel.
Gerönne (Potsdam), Novasurol. Ther. d. Gegenw. H. 2. Das
Mittel übertrifft an diuretischer Kraft die besten bisher bekannten
Diuretika und hat den Vorteil, intraglutäal und intravenös angewandt
werden zu können. Die verschiedenen Indikationen bei Hydrops und
Oedemen werden genauer besprochen.
Hassencamp (Halle), Novasurol als Diuretikum. Zbl. f. inn. M.
Nr. 6. Die eigentliche Uomäne der Novasurolbehandlung sind die
ödematösen Herzerkrankungen. Zweckmäßig ist eine Kombination
mit einem Digitalispräparat.
P. Saxl (Wien), Novasuroldiurese. W. Arch. 3 H. 1/2. Es wurden
bei der Novasuroldiurese die Kochsalz-, Eiweiß- und Zuckerverschie¬
bungen im Transudat bzw. Oedem, im Blut und im Harn verfolgt und
festgestellt, daß Kochsalz und Wasser durch die Niere sehr rasch zur
Ausscheidung kommen. Diese Ausscheidung ist von dein Kochsalz-
und Wassergehalt des Blutes unabhängig, wird hingegen reguliert von
dem Anstieg des Kochsalzes und dem Uebrrschüssigwerden von Wasser,
das in den Geweben bzw. in den Gewebsflüssigkeiten und Transsudaten
stattfindet. Zufuhr von Atropin und von großen Kochsalzgaben führt
zur Hemmung der Novasuroldiurese, die bei ersterem in der Niere,
bei letzteren im Gewebe einsetzen dürfte.
Bloch (Berlin), 4 Jahre weiterer Erfahrungen mit Testogan und
Thelygan. M. Kl. Nr. 5. Testogan und Thelygan haben sich bei allen
Erschöpfungszuständen endokrinen Ursprungs insbesondere denjenigen,
die mit einer sexuellen Insuffizienz verknüpft sind, sowohl als Roboran-
tia wie als Spezifika vorzüglich bewährt.
Bi sch off (Lugano), Lugano als Kurort. Zschr. f. physik. diät.
Ther. H. 1. Allgemein-baineologische, klimatologischc und meteoro¬
logische Darstellung. Auch werden die besondern hygienischen Ver¬
hältnisse und die Indikationen Luganos erörtert.
Innere Medizin.
♦ ♦ Georg L. Dreyfua (Frankfurt a. M.), Isolierte Pupillen-
Störung und Liquor cerebrospinalis. Jena, G. Fischer 1921.
96 S. M. 18.—. Ref.: K. Löwenstein (Berlin).
Die Verfolgung des Krankheitsverlaufs bei 107 Patienten mit iso¬
lierten syphilitischen Pupillenstörungen bildet die Grundlage dieser
Arbeit. Die 4 Möglichkeiten sind: Fortentwicklung im Sinne einer
Paralyse, einer Tabes, einer Lues cerebrospinalis und keine Fort¬
entwicklung. Die Kranken mit Liquorveränderungen haben regel¬
mäßiger organisch nervöse Beschwerden, als die ohne Liquorverände¬
rungen. Schwere Liquorveränderungen sind auch ohne klinische
Symptome gleichbedeutend mit aktiver Syphilis. Alle Kranken mit
Liquorveränaerungen bedürfen regelmäßig durchgeführter Behandlung.
Serum- und liquornegative Kranke mit Pupillenstörungen können ohne
Behandlung ausheilen, sie bedürfen ihrer nicht. Das wichtigste Er¬
gebnis der bedeutungsvollen Zusammenstellung ist: Primär liquor-
positive Kranke des späteren Latenzstadiums leiden an aktiver pro¬
gredienter Hirnsyphilis, primär liquornegative dieses Stadiums sind
fast sicher stationär.
H. Ka hier (Wien), Pa*hogene der essentiellen Hypertonie. W. Arch.
3 H. 1/2. In manchen Fällen von essentieller Hypertonie bewirkt die
Lumbalpunktion eine ausgesprochene Blutdrucksenkung. In anderen
Fällen von Hochdruck (bei Glomerulonephritis, genuiner Schrumpf¬
niere) zeigt der Blutdruck nach Lumbalpunktion übereinstimmendes
Verhalten, nämlich ein Absinken wie bei Kontrollfällen ohne Hoch¬
druck, ohne daß aus diesem Verhalten auch auf die einheitliche Genese
des Hochdruckes geschlossen werden könnte.
S. Peiler (Wien), Theorie des arteriellen Minimaldruckes und
dessen Bestimmung. W. Arch. 3 H. 1/2. Die neue Kreislauftheorie
von Sahli, der Minimaldruck sei dem hydrostatischen Drucke gleich,
ist unbegründet.
R. Singer und H. Winterberg (Wien), Cbioiu als Herz- und
Gefäfimittei. W. Arch. 3 H. 1/2. Chinin oder besser Chinidin eignen
sich vorzüglich zur Bekämpfung der Extrasystolie sowie des Vorhofs-
fUmmerns und Vorhofflatterns. Die Chinintherapie dieser Affektionen
ist, wenn auch nicht in jedem Falle erfolgreich, gegenwärtig die beste
Behandlungsmethode.
W. Neumann, Spezifische Therapie und Diagnostik der Tuber¬
kulose. W. m. W. Nr. 11. Allgemeine Betrachtungen im Anschluß an
Kasuistik.
S. Peiler und R. Strisower (Wien), Scbweiß*ekretion beim
Menschen. W. Arch. 3 H. 1/2. Die Angabe Gerbers über schwei߬
hemmende Wirkung der Zuckerlösung bei Tuberkulose wird bestätigt.
Die Veruche bestätigen die Anschauung, daß die Schweißsekretion in
bedeutendem Maße vom Wasserangebot unabhängig ist.
J. Pal, Kardiospasmus. W.m. W.Nr. 6und 9. Fortbildungsvortrag.
H. Eppinger, Icterus catarrhalis. W. m. W. Nr. 6. Fortbildungs¬
vortrag.
Strisower (Wien), Ikterus mit besonderer Berücksichtigung der
Duodenalsaft- und Serunmntersnchnug. W. Arch. 3 H. 1/Z Durch
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNiVERSITV
7. April 1922
LITERATURBERICHT
467
sachkundiges Auffangen des Duodenalsaftes ist es möglich, ein ziem¬
lich reines Lebersekret zu erhalten. Aus dem Vergleich der Bilirubin-
werte im Serum- und Duodenalsaft ergeben sich folgende Ikterusarten:
1. Mechanischer Ikterus, hohe Werte im Serum, geringe im Duodenal¬
saft, 2. Ikterus infolge erhöhten Angebots des Gailenfarbstoffes bei
normaler oder gestörter exkretorischer Fähigkeit der Leber, hohe Biliru¬
binwerte im Serum und Duodenalsaft, 3. Ikterus infolge einer Störung
der exkretorischen Fähigkeit der Leber, normale Werte des Gallenfarb-
stoffes im Duodenalsait, erhöhte im Blut. Besonderer Wert ist der
qualitativen Eiweißprobe des Duodenalsaftes beizumessen. Bei Cholan¬
gitis ist die Eiweißmenge sehr erhöht.
Herrnheiser (Prag), Manifestation von Paokreaserkranknngen
im Röntgengebilde. M. Kl. Nr. 8. Pankreaserkrankungen werden dem
indirekten röntgenologischen Nachweise um so regelmäßiger zugäng¬
lich sein, je öfter sie mit einer Formveränderung und Größenzunahme
des Organs einhergehen. Doch kann die Röntgenuntersuchung die
Feststellung entzündlicher Pankreaserkrankungen auch dadurch fördern,
indem sie Veränderungen nachweist, welche als disponierendes oder
ursächliches Moment der Pankreatitis und Pankreasnekrose in Betracht
kommen.
K. v.Noorden, Behandlung diarrhoischerZustlnde. Ueber chro¬
nische Stuhurägheit und deren Behandlung. W. m.W. Nr. 9. 2 Fort¬
bildungsvorträge.
Zwei g (Wien), Behandlung d e r ch ronischen Obstipation m i t Paraffin.
M. KL Nr. 5. Paraffin hat sich bei einer großen Anzahl von Fällen
chronischer Obstirpation sehr gut bewährt. Wegen des hohen Preises
konnte es nicht mehr angewendet werden. Ein sehr billiges Ersatz¬
präparat ist das Cristolax D. Wander, das in seiner Wirkung dem
Paraffin liqu. gleichwertig ist.
F. Völhard, Wandlungen in der Nephritislelire. W. m. W. Nr. 10.
Fortbildungsvortrag.
Gaisböck (Innsbruck), Experimentelle und anatomische Unter¬
suchungen zur Frage der Kältenephritis. W.Arch.3 H. 1/2. Direkte
Kühlung der Nieren ist imstande, eine akute Entzündung zu erzeugen. Die
histologischen Veränderungen zeigen, daß durch Kühlung mit 3—4°
neben entzündlichen, mehr degenerativen Veränderungen in den Tub.
cont., nach Kühlung mit 9—10 aber die entzündlichen Erscheinungen
am Gefäßsystem in den Vordergrund treten. Dem Charakter der
Entzündung entspricht ein glomerulotubulärer Typus. Diese Verän¬
derungen sind reversibel. Splanchnikusdurchtrennung und Dekapsu;
lation haben keinen erkennbaren hemmenden Einfluß auf die entzünd¬
lichen Veränderungen. Im Anschluß an die Dekapsulation entsteht
manchmal von Gewebsläsionen der Rinde aus eine interstitielle Zell-
und Bindegewebswucherung. Das gleich- oder vorzeitige Bestehen
einer Streptokokkeninvasion zur Zeit der Kühlung führte zum Bilde
einer akuten interstitiellen Nephritis mit schweren Veränderungen in
den Glomeruli und im gesamten Parenchym.
H.Beth (Wien), Differeniialdiagnose urämischer Zustlnde. W.Arch.
3 H. 1/2. Bei klinischen Fällen mit pathologisch niederem Blutdruck
zeigt die Nierenfunktionsprüfung in Uebereinstimmung mit experimen¬
tellen Erfahrungen erhebliche Störungen sowohl der Wasserausscheidung
wie der Konzentrationsfähigkeit.
A. Edelmann und P.Saxl (Wien), Kachexie und polyglanduläre
Insuffizienz der Drusen mit äußerer und innerer Sekretion. W.Arch. 3
H. 1/2. Beschreibung von 3 Fällen, in denen neben pluriglandulärer
Insuffizienz der Drüsen mit Innerer Sekretion eine hochgradige Insuffizienz
der Drüsen mit äußerer Sekretion bestand.
Wollenberg (Berlin), Sexualität bei sporadischem Kretinismus.
M. Kl. Nr. 5. Fall von infantilem Myxödem mit völlig normalen Sexual¬
organen und leichter Konzeptionsfähigkeit. Die Anschaung von der
Irreparabilität der genitalen Funktionsstörung bei ausgesprochenem
sporadischen Kretinismus muß also einer Revision unterzogen werden.
Kamnitzer (Berlin), Beteiligung der Knochen bei der Arthritis
gonorrhoica. Ther. d. Gegenw. H. 2. Mitteilung eines Falles schwerer
gonorrhoischer Monarthritis der linken Hand, bei der es sich nicht
wie sonst bei Gonorrhoe nur um Zerstörung des Knorpels und Atrophie
des Knochens, sondern um direkte Zerstörung der Knochensubstanz
handelte.
Eduard Weisz (Pistyan), Mastkur bei gewissen chronischen
Gelenkrheumatismen. Ther. d. Gegenw. H. 2. Bei progressiven, lang-
dauernden Erkrankungen, wo die Abmagerung weit über die Grenzen
einfacher Inaktivitäts-Atrophie herausgeht, wird Mastkur empfohlen.
H. Kahler (Wien), Vasomotorische Störungen bei zerebralen
Hemiplegien. W. kl. W. Nr. 10. Bei 49 Fällen von zentraler Hemi-
legie mit schlaffer Lähmung war der Blutdruck auf der gelähmten
eite 10—20 mm Hg höher. Dieses Phänomen wird dadurch erklärt,
daß infolge des Wegfalls der Hemmung vom Großhirn ein erhöhter
Tonus der Vasokonstriktoren von den tieferliegenden Vasomotoren¬
zentren (Medulla oblongata, Rückenmark) zustande kommt. 5 Fälle
mit Kontraktur der gelähmten Extremitäten zeigten Erniedrigung des
Blutdrucks an der gelähmten Seite. Eine Erklärung für dieses Ver¬
halten ist vorläufig nicht möglich. Reizung des Vasomotorenzentrums
durch Lumbalpunktion, Koffein oder Strychnin hatte bei kortikalen
und in der Nähe der Rinde liegenden Läsionen beiderseitiges Ansteigen
des Blutdrucks zur Folge. Bei Läsionen, der Stammganglien blieb die
Blutdrucksteigerung auf der gelähmten Seite aus, bei Läsionen der
Pons blieb sie auf beiden Seiten aus. Das zeigt einmal, daß in den
Stammganglien wichtige Vasomotorenzentren sitzen und daß bei Zer¬
störungen im Gebiete der Pons die Vasomotorenbahn für beide Seiten
geschädigt wird. -
Chirurgie.
♦♦ F. Härtel und Fr. Loeffler (Halle), Der Verband. Lehr¬
buch der chirurgischen und orthopädischen Verband¬
behandlung. Berlin, J. Springer 1922. 282 Seiten mit 96 Abbil¬
dungen. M. 96.—. Ref.: Axhausen (Berlin).
Wohl in allen deutschen Kliniken hat der für die praktische Aus¬
bildung der Studierenden so wichtige „Verbandkurs“ mit der Zeit ein
neues Gesicht angenommen. Bei aller Berücksichtigung der wichtigsten
typischen Verbände, ohne deren Kenntnis nun einmal eine zuverlässige
Verbandtechnik nicht zu erwerben ist, ist mehr und mehr Gewicht
auf das praktisch Nötige gelegt worden: richtige Wundverbände,
fixierende Verbände, Streckverbände, Wundbehandlung und Wund¬
pflege. Diesem Wandel trägt auch die vorliegende Verbandlehrc
Rechnung. Der erste Abschnitt (Der Deckverband) bringt eine Dar¬
stellung der für die einzelnen Körpergegenden erprobten Tourenfolgen,
soweit sie den heute geübten Verbänden zugrunde liegen. Der zweite
Abschnitt (Der mechanische Verband) gibt nach einer Besprechung
der Aufgaben und des Wesens der fixierenden Verbände eine sehr
ausführliche Darstellung der verschiedenen Formen und der einzelnen
technischen Maßnahmen . bis herein in das Gebiet einfacherer ortho¬
pädischer Hilfeleistungen. Der dritte Teil (Der Wund verband) geht
von den Grundsätzen der neuzeitlichen Wundbehandlung aus und
bespricht die praktische Ausführung der Verbände an Wunden jeder
Art und jeder Körpergegend, samt allen dazugehörigen Massnahmen.
Was die Verfasser über die Bedeutung einer guten Verbandtechnik
für die chirurgischen Erfolge und für das Ansehen des Arztes sagen,
ist zu unterschreiben und zu unterstreichen. Eben deswegen ist dem
Buch die weiteste Verbreitung zu wünschen. Vielleicht würde eine
knappere Fassung diesem Zwecke noch besser dienen. Die Darstellung
und die bildnerischen Beigaben sind als mustergültig zu bezeichnen.
K. Urban, Lokalanästhesie und Allgemeinnarkose. W. m.W
Nr. 10 und 11. Allgemeine Betrachtungen.
Salinger (Berlin), Chirurgische Komplikationen der Grippe. Ther.
d. Gegenw. H. 2. Abgehandelt werden Empyem, Erkrankungen des
Peritoneums, der Leber und Gallenblase, Lymphdrüsen, Knochen und
Gelenke. Die Besonderheiten in diagnostischer und therapeutischer
Hinsicht werden dargestellt.
J.Hohlbaum (Leipzig), Tödliche Embolie nach Varrzenbehandlung
mit Pregl Lösung. Zbl. f. Chir. Nr. 7. Der Fall aus der Payrschen
Klinik betraf einen 54 jährigen Mann mit sehr ausgedehnten finger¬
dicken Varizen im ganzen Gebiete der V. saphena magna. Nach dem
genau nach Wittek-Matheis vorgenommenen Verfahren entwickelte
sich trotz strengster Bettruhe eine bis zur Schenkelbeuge fortschreitende
Thrombose. 14 Tage nach dem Eingriff plötzlicher Tod unter dem
Zeichen einer Lungenembolie. Genauer pathologisch-anatomischer
Befund. Nach Verfassers Ansicht ist es unerläßlich, vor Injektion der
Pregl-Lösung die V. saphena vor ihrer Einmündung in die V. femora¬
lis zu ligieren oder hier ein Stück der Vene zu resezieren.
H. Meyer (Göttingen), Nasenkorrektur bei Hasenschartenopera-
tionen. Zbl. f. Chir. Nr. 7. Technische Mitteilung.
' E. Schütz, Ulcus duodeni. W. m. W. Nr. 8. Besprechung der
Indikationen zur Operation. Nichts Neues.
M. Bau mann (Hannover), Tetanie im Anschluß an eine Gastro¬
enterostomie. Zbl. f. Chir. Nr. 8. Kasuistik.
H. Alapp (Budapest), Operation des postoperativen Jejunalulkns.
Zbl. f. Chir. Nr. 8. Für die Fälle des postoperativen Ulcus pepticuni
jejuni, die nach Gastroenterostomie wegen stenosierenden Duodenal-
(Pylorus)geschwürs entstanden sind, schlägt Verfasser vor, den normal-
anatomisenen Zustand wieder herzustellen durch Exzision des Ulcus
pepticum jejuni, Resektion mit End- zu Endnaht der Anastomosen-
scnlinge und mit anschließender Pyloroplastik.
Linhart (Plan), Vorübergehender Verschluß von Körperöffnungen
mittels Hautknopflöcher. M.KI.Nr.6. ZurBildungvonKnopflöchern zum
Verschluß eines abdom inalen Anus praeternat. ist die ganze Dicke der Bauch¬
decke zweckmäßiger zu verwenden, als eine bloße Falte der Abdominalhaut.
E. Heymann (Berlin), Nebennierenexstirpation und Epilepsie.
Zbl. f. Chir. Nr. 8. Der Wert der Nebennierenexstirpation liegt in der
Bekämpfung der Krämpfe, und sie allein enthält die Indikation zur
Entfernung der Nebenniere. Die Indikationen zu den Eingriffen am
Gehirn bleiben vollkommen zu Recht bestehen. Die Mißerfolge nach
Entfernung der Nebenniere erklären sich z. T. aus falscher Indikations¬
stellung, z. T. aus einer fehlerhaften Operationstechnik, w r eil häufig
nicht die ganze Nebenniere entfernt worden ist. Mit einer transperi¬
tonealen, von einem Laparatomieschnitte ausgehenden Methode gelingt
es nach den Erfahrungen des Verfassers sicher, die linke Nebenniere
im Ganzen zu entfernen. Technische Einzelheiten im Original.
R. Oppenheimer (Frankfurt a. M.), Operativ geheilter Fall von
tkbischer Blasenparese. Zbl. f. Chir. Nr. 7. Verfasser hat den erfolg¬
reichen Versuch gemacht, bei einem 44jähr. Tabischen durch Auf¬
pfropfung funktionstüchtiger Muskeln, und zwar der Mm. recti, die
Leistungsfähigkeit des Detrusor zu steigern. Einzelheiten im Original.
J. Elsner (Dresden), Heule-Albee-Operation. Zbl. f. Chir. Nr. 8.
Technische Mitteilung.
S. Rom ich (Grfmmenstein-Wien), Diagnose und Therapie des
statischen Plattfußes. W. kl. W. Nr. 9. Bei der Diagnose außer Fu߬
abdruck und Beschwerden (Plattfußschmerzen bei noch nicht zum
Stillstand gekommenem Prozeß) auch die Form der Stiefelabnutzung
beachten, die wichtige Aufschlüsse gibt. Außer Plattfußeinlagen gym¬
nastische Behandlung, um den Fuß sobald als möglich von der Ein¬
lage zu befreien. _
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSUM
468
LITERATURBERICHT
Nr. 14
Frauenheilkunde.
Kritzler (Erlbach i. V.), Feststellung der Kopfstellung bei der
geburishil liehen Untersuchung. M. KL Nr. 5. Der Nutzen des genauen
Orientiertseins über den Stand des Kopfes besteht also darin, daß der
Arzt über den Stand der Geburt und über den Schwierigkeitsgrad einer
etwaigen Zangenanwendung nicht im Unklaren ist.
J. Arnold (Innsbruck), Schwangerschaft nach schwerer beider¬
seitiger Adnexentzundung. Zbl. f. Gyn. Nr. 4. Eine Frau, die wegen
beiderseitiger rezidivierender Adnextumoren wiederholt in klinischer
Beobachtung stand, konzipierte 4 Jahre nach Beginn ihrer Erkrankung.
Das spontan geborene Kind erkrankte an Blennorrhoe.
J. Schiffmann, Seltenere Indikationen zur Sectio caesarea.
W. m. W. Nr. 6. Kasuistik.
M. Müller (Mainz), Klinische Beobachtangen über Traubenzucker
als wehenförderndes Mittel. Zbl. f. Gyn. Nr. 4. Verfasser empfiehlt
auf Grund zahlreicher klinischer Beobachtungen bei Wehenschwäche
ein- oder mehrmalige intravenöse Injektionen von 10 ccm 40—50°/ o iger
T raubenzuckerlösung.
F. Lönne und F. Schugt (Göttingen), Das Vorkommen von
Diphthe'iebaziilen in der scheide. Zbl. f. Gyn. Nr. 3. Verfasser
fanden im Gegensatz zu anderen Autoren nie echte Diphtheriebazillen
in der Scheide (300 Scheidenabstriche bei 110 Frauen) dagegen in 43%
aller Fälle Pseudodiphtheriebazillen.
H. Do er fl er (Regensburg), Indikation zur Ventrofixation. Zbl. f-
Gyn. Nr. 3. Verfasser tritt für die Ventrofixation ein, die er seit Jahren
nach einer von ihm angegebenen Modifikation mit ausgezeichnetem
Erfolge gemacht hat.
C. Fleischmann (Wien), Myom entwickln ng nach Ovarientrans¬
plantation. Zbl. f. Gyn. Nr. 3. Kasuistischer Beitrag.
L. F. Drießen (Amsterdam), Technik der Fibromyombehandfuog
mit Röntgenstrahlen-**estrahlung in zwei Sitzungen. Zbl. f. Gyn. Nr. 3.
Verfasser empfiehlt Röntgenbestrahlungen in zwei Sitzungen. Die
Technik muß im Original nachgesehen werden.
E. Clodi und K. J. Schopper (Linz), Praeputium clltoridis und
Gonokokken. W. kl. W. Nr. 9. Von 35 gonorrhoekranken Frauen mit
positivem Gonokokkenbefund war nur 9mal das Praeputium frei von
Gk. In 4 Fällen waren Urethra und Zervix schon gonokokkenfrei, da¬
gegen fanden sich im Präputium noch Gonokokken, die zur Neuinfektion
führen können. Histologische Untersuchungen aus Präputialpräparaten
von nicht an Gonorrhoe erkrankten Frauen zeigen, daß das von dünner
Hornschicht bedeckte mehrschichtige Plattenepithel der Präputialhaut
für gonorrhoische Infektionen leicht empfänglich ist Es wird empfohlen,
den Präputialsack mit 10% Ichthyolglyzerin (evtl. Zusatz von 10% Si¬
rup) zu behandeln.
W. Schönfeld (Greifswald), Sind die verschiedenen Arten
der intravenösen Behandlung des Trippers beim Weibe ein Fort¬
schritt, gemessen an den neuzeitlichen Provokationsver*
fahren zur Feststellung der Heilung? Derm. Zschr. 33 H. 1:
Schönfeld ist für ein verhältnismäßig aktives Vorgehen in der Be¬
handlung der Frauengonorrhoe. Zur intravenösen Therapie werden
Elektrokollargol und Sanoflavin empfohlen. Sie ist besonders dann zu
versuchen, wenn bei frischen Erkrankungen des Muttermundhalses
nicht sofort mit der Lokaltherapie angefangen werden kann, 1 — 2mal
täglich Injektionen 10 Tage lang. Beschränkten Wert hat die intrave¬
nöse Behandlung bei Erkrankungen der Harnröhre, der Gebärmutter
und der Adnexe, keinen Zweck bei Schwangeren und Vulvovaginitis
kleiner Mädchen. Daneben unbedingt örtliche Behandlung.
B. Liegner (Breslau), Sugge*tivbehandtung in der Frauenheilkunde.
Zbl. f. Gyn. Nr. 3. Ausführliche zusammenfassende Uebersicht mit
reichen eigenen guten Erfahrungen.
Augenheilkunde.
N. Blatt (Wien), Therapie des Blepharospasmus. W. kl. W. Nr. 10.
Empfehlung von Novokaininjektiopen in den M. orbicularis (1 ccm
der 2°/ igen Lösung).
J. Meller (Wien), Behandlung von Angenkrankhelten mit Tuber¬
kulin. — E. No wak (Wien), Behandlung der Aogentoberkutose durch
den praktischen Arzt w. kl. W. Nr. 9. Allgemeine Uebersicht über
die Tuberkulinbehandlung der Augentuberkulose, deren ambulante
Durchführung durch die ungünstigen wirtschaftlichen Verhältnisse zur
Notwendigkeit geworden ist.
Krankheiten des Ohres und der oberen Luftwege.
♦♦ Gustav Frank© (Berlin), Ueber Wachstum und Verbildung
des Kiefers und der Nasenscheidewand. Leipzig, Kurt Ka-
bitzsch, 1921. 203 Seiten mit 20 Tafeln und 4 Abbildungen. M. 60.—.
Ref.: Amersbach (Freiburg).
Aus der großen Fülle der Tatsachen und Auffassungen, welch
letzteren man vielleicht nicht immer restlos beistimmen wird, die
aber jedenfalls interessant und diskutabel sind, seien einige wesent¬
liche hervorgehoben. Soweit es sich um Messungen handelt, sind
diese mit einem neuen, vom Verfasser konstruierten Meßapparat
ausgeführt. Die Breiten-, Längen- und Höhenentwicklung der Kiefer
folgt im wesentlichen eigenen, ererbten Bauplänen. Daneben spielt
die Beeinflussung der Zähne eine untergeordnete Rolle. Bei har¬
monischer Koinzidenz des Wachstums von Kiefer und Zähnen ent¬
steht ein normales, bei Disharmonie ein mißgestaltetes Gebiß. Bei
deformem Kiefer bildet sich eine unregelmäßige Zahnstellung oder
eine stärkere Vorwölbung des Alveolanortsatzes aus. Der abnorm
hohe Gaumen und enge Kiefer beruht auf einer Entwicklungsstörung
infolge mangelhafter lokaler Wachstumsenergie, nicht auf embryonaler
Anlage. Verbiegungen und Leisten de9 Nasenseptums entstehen
nicht durch mechanische Druckwirkungen. Die Ursache der Septum¬
verbiegungen ist in hyperplastischen Wachstumsvorgängen relativer
oder absoluter Natur des Septumknorpels zu suchen. Diese können
schon im Fötalleben auftreten, sie bestehen mit wenigen Ausnahmen
bei allen zivilisierten Menschen, jedoch bei Frauen und außer¬
europäischen Völkern seltener und sind nicht ontogenetischen, son¬
dern phylogenetischen Ursprungs. Traumatische tmd chronisch-ent¬
zündliche Einflüsse kommen nur als akzessorische Momente in Be¬
tracht. Die erektile Wirkung der Muscheln als generelle Ursache
der Septumdeviation wird abgelehnt. Asymmetrie des Gesichts¬
skeletts beruht auf dem Kampfe der rechts und links gelegenen
Teile, wobei der schwächere Teil unterliegt. Die Funktion der
Atmung (Mund- oder Nasenatmung) ist für die Bildung der Nase
belanglos. Es ist vielmehr der Funktion der Kaumuskulatur eine
wesentlich gestaltende Einwirkung auf Nase, Nebenhöhlen und Kiefer
zuzuschreiben. Für das Knochenwachstum ist der funktionelle Reiz
maßgebend. Nur „intermittierende" Reize wirken trophisch günstig
Der mechanisch ungünstigste Faktor ist für Knochen Schub und
Entlastung.
Haut- und Venerische Krankheiten.
♦♦ Karl Zieler (Würzburg), Die Geschlechtskrankheiten. Ihr
Wesen, ihre Erkennung und Behandlung. 2. vermehrte Auf].
Leipzig, Georg Thieme, 1922. 183 Seiten mit 17 Abbildungen. Geb.
M. 30.—. Ret.: Max joseph (Berlin).
Der Erfolg, nach 2 Jahren eine neue Auflage, spricht am besten
für sich selbst. Mancherlei ist verbessert worden, vieles schärfer und
ausführlicher gefaßt. Dazu ist eine Tafel mit Abbildungen der Gono¬
kokken, Ulkusmolle-Erreger und Spirochäten beigefügt. So wird der
Grundriß weitgehendsten Ansprüchen genügen.
R. Brandt (Wien), Gibt es eine zeitweilige natirilche Resi¬
stenz gegen Svphllis? W. kl. W. Nr. 10. Auf Grund seiner Beobach¬
tungen an Prostituierten glaubt Brandt mit Sicherheit eine zeitweilige
natürliche Resistenz gegen Syphilis annehmen zu dürfen. Es werden
Fälle angeführt, die sich erst nach 8, sogar 16jähriger Kontrolle infi¬
ziert haben sollen.
O. Sachs, Sammelforschuag über die Aborthrbebandlung der
Syphilis. W. m. W. Nr. 9. 224 Fälle von Syphilis wurden einer
Abortivbehandlung unterzogen, davon 6S nur mit Quecksilberpräparaten
(Einreibungen, Hydrarg. salicvlicum, Hydrarg. succinimid, Enesol, ent¬
weder allein oder kombiniert), 64 nur mit Salvarsan und 92 mit Sal-
varsan und Quecksilber kombiniert. Berücksichtigt wurden nur die
64 mit Salvarsan allein und die 92 mit Salvarsan und Quecksilber be¬
handelten Fälle. Von diesen 156 Fällen konnten nur 41 nach Beendigung
der Kur kontrolliert werden, und zwar 19 bis zu einem Jahr, 7 bis zu
zwei Jahren und 15 Fälle bis zu neun Jahren. Von diesen 15 Fällen
blieben 11 (10 seronegative und 1 seropositiver) rezidivfrei) 2 sero¬
negative zeigten ein klinisches Rezidiv und 2 seropositive blieben
positiv.
Kinderheilkunde.
Schiff (Berlin), Asthenische Gefäßreaktion als konstitutionelles
Stigma bei Kindern. M. Kl. Nr. 7. Als asthenische Gefäßreaktion
wird das refraktäre Verhalten von blassen schwachgebauten Kindern
egenüber der blutdrucksteigernden Wirkung des Adrenalins bezeichnet,
ie ist in vielen Fällen schon aus der Pulsbeschaffenheit des Kindes
vorauszusagen.
Feuer hack (Berlin), Röteln. Ther. d. Gegenw. H. 2. Schilderung
einer Epidemie von 9Fällen; die charakteristische schmerzhafte Schwel¬
lung der okzipitalen und zervikalen Lymphdrüsen wird besonders
erwähnt.
Hans Opitz (Breslau), Aktive Immunisierung gegen Diphtherie
beim Menschen. Jb. f. Kindhlk. 97 H. 3f4. Eine gleichzeitige aktive
und passive Immunisierung läßt sich weder bei intrakutaner, noch bei
subkutaner Injektion des Impfstoffes erzielen. Die Methode der Wahl
für die aktive Immunisierung ist die intrakutane Injektion schwach
überneutralisierter Toxin-Antitoxingemische.
M. Henkel (Jena), Intrakranielte Blutungen Neugeborener. Zbl. f.
Gyn. Nr. 4. Ausführliche Arbeit zu kurzem Referate nicht geeignet
F. Thoenes (Dortmund), Skelettsystem bei Slnglingssyphills.
Arch. f. Kindhlk. 70 H. 4. Röntgenologisch nachweisbare spezifische
Digitized by Google
Original fram ‘
CORNELL UNiVERSITY
7. April 1922
LITERATURBERICHT
469
Veränderungen finden sich am Skelettsystem von 75°/ 0 aller syphili¬
tischen Säuglinge. Der Lieblingssitz der Osteochondritis luetica ist —
entgegen den Angaben der Anatomen — nicht das distale Ende des
Femur, sondern die distale Epiphyse von Ulna und Radiu.
E. Wentzler (Greifswald), Ein Arparat zur Messest des Schidel»
iooeodrockes an der Fomaneile des Säuglings. Arch. f. Kindhlk. 70
H. 4. Die Beobachtung, daß die respiratorischen Schwankungen der
Fontanelle im umgekehrten Verhältnis zur Höhe des Schädelinnen-
druckes stehen, ermöglicht mittels des angegebenen Apparates eine
direkte und unblutige Messung des Schädelinnendruckes beim Säugling.
Gino Frontali (Berlin), Einfluß verschiedener Korrelation
der Nal>rongt>bcsiandieile auf die Fettausnntzung beim Siugling.
Jb. f. Kindhlk. 97 H. 3 4. Zulage von 5°/ 0 Rübenzucker zu einer Grund¬
nahrung (Sahnemilch) verschlechterte die Fettausnutzung; günstiger
wirkten auf den Fettstoffwechsel Zulagen von 5°/ 0 Malzextrakt, Milch¬
zucker oder Maltose. Zugabe eines zweiten Kohlenhydrates (2V«°/ 0
Weizenmehl -f- 2V« w /o Rübenzucker) war ohne Einfluß auf die Fett¬
resorption. Besonders ungünstig wirkt auf die Fettausnutzung die
Zulage von Plasmon (2’/*). Veränderungen der Molkensalze waren ohne
Bedeutung für den Fettumsatz.
S. Rosenbaum (Marburg), Pathogenese der aknten alimen¬
täre« trnähru»gsstörungen. Einwirkung peptischer und 1rypti$ch<rr
Vorverdauung auf das Kohmiicbeiweiß. Jb. f. Kindhlk. 97 H. 3/4.
Aus Verdauungsversuchen in vitro ist zu schließen, daß Peptone die
Magensaftsekrttion vermehren, sobald der Gehalt an Eiweiß und Ei-
weißabbauprodukten den Eiweißgehalt der Frauenmilch übersteigt.
Aminosäuren wirken auf die Magensaftsekretion nicht ein. Die pep¬
tische Verdauung führt zu hochmolekularen Eiweißabbauprodukten
und greift fast am gesamten Eiweiß an; tryptische Verdauung produ¬
ziert aus einem geringen Teil des Eiweißes tief gespaltene Eiwei߬
abbauprodukte (Aaninosäuren).
Paul Widowitz (Graz), Pathogenität des Pneumokokkus bei
metarn«*iimoni<cben Erkrankungen im frühesten Kindesalter. Arch.
f. Kindhlk. 70 H. 4. Empfehlung einer konservativen Behandlung der
metapneumonischen Empyeme (Punktion); Warnung vor der Thorako¬
tomie im 1. und 2. Lebensjahr. Dieses Vorgehen erscheint berechtigt,
da sich im Reagenzglasversuch (Virulenzprüfun'g) und am Krankenbette
(Gutartigkeit metapneumonischer Pneumokokkenmeningitiden) eine
Virulen?abnahme der Pneumokokken im Verlaufe der Erkrankung
nachweisen ließ.
A. v. Bosanyi (Budapest), Duodenalgeschwüre im Kindesalter.
Jb. f. Kindhlk. 97 H. 3/4. Aehnlich wie nach schweren Verbrennungen
kann es beim Säugling im Anschluß an länger bestehende Hauterkran¬
kungen (2 Krankengeschichten von Erythrodermia desquamativa) zur
Geschwürsbildung im Duodenum kommen.
M. Abelmann (St. Petersburg), Funktionelle Dlamostik bei chro¬
nischen und akuten Erkrankungen der Nieren. Jb. f. Kindhlk.97 H. 3/4.
Chronische Nierenerkrankungen mit ungünstiger Prognose zeigen ein
fast völliges Fehlen der Ausscheidung für Faibstoffe, Milchzucker und
Jod. Normale Ausscheidung von Phenolsulfophthalein, Jod und Milch¬
zucker läßt auch bei Albuminurie eine Läsion des Nierengewebes aus-
schließcn. Beträchtliche Beeinträchtigung der Nierenfunktion für die
Ausscheidung von Farbstoffen und Milchzucker läßt bei den akuten
Nephritiden die Prognose ungünstig stellen. Fortbestehen einer
sehlechten Ausscheidung für Milchzucker und Phenolsulfophthalein
spricht selbst bei eiweißfreiem Harn nach akuten Nephritiden gegen
eine Heilung der Erkrankung.
KurtScheer (Frankfurt a. M.), Die Beeinflußbarkeit der Spas-*
mophilie durch Salzslvremilch. Jb. f. Kindhlk. 97 H. 3/4. Nach
Verabreichung von Salzsäuremilch (zu 740 g ungekochter Vollmilch
266 g n» HCl unter Umrühren zusetzen, langsam aufkochen. Der
zähe Käseklumpen löst sich bei weiterem Erhitzen) schwinden in
wenigen Stunden die Erscheinungen der Spasmophilie. Erklärung:
I. . erhöhte Phosphatausscheidung führt gleichzeitig zur vermehrten
Amscheidung der krampferregenden Na+ und K + ; 2. die Resorption
der Ca-Salze wird begünstigt.
•:’A. Eckstein und E. Rominger (Freiburg), Afmonfsstärnnfen
bei der tuberkulösen Meninjriti«. Arch. f. Kinanlk. 70 H. 4. Bei Er¬
krankungen an Meningitis tuberculosa, dhne wesentliche miliare Aus¬
saat" in den Lungen, führt eine Endotoxinvergiftung zu einer großen,
beschleunigten, unregelmäßigen Atmung; aus dieser „Reizatmung" ent¬
wickelt sich in den späteren Stadien der Erkrankung das Cheyne-
Sfokessche Atmen, <]ps als funktionelle Dissoziation des normalen
Atmungsablaufes in den einzelnen Atmungszentren zu deuten ist.
Hygiene.
M. Pappenheim (Wien), Medizinisches und Aerztllches aus
Sowietmßland. W. kl. W. Nr. 8 u. 9. Der gute Wille der Regierung,
den sanitären Anforderungen zu genügen, wird anerkannt. Es fehlen
aber die Geldmittel schon allein zur Beschämung der nötigen Arznei¬
mittel. Großzügig organisiert ist die Aufklärungsarbeit auf ärztlichem
Gebiete. Obwohl sehr weitgehende Versuche zur Sozialisierung der
Aerzte gemacht worden sind, ist die Privatpraxis erlaubt. Die Honorare
sind allerdings nicht entfernt der allgemeinen Tenerung gefolgt. Aus
diesem Grunde sind viele Aerzte auf „Nebenverdienst" angewiesen.
Der ärztliche Nachwuchs ist zahlreich, aber ungenügend ausgebildet.
Viele der neugebildeten medizinischen Fakultäten mußten aus Mangel
an Lehrkräften und entsprechenden Einrichtungen wieder geschlossen
werden. Von den vielen anderen Einzelheiten des lesenswerten Auf¬
satzes kann ein kurzes Referat kein Bild geben.
S. Peiler und V. Ruß (Wien), Typhosepidemie unter Kinder«.
Zschr. f. Hyg. 95 H. 2. Schilderung der Beobachtungen bei einer
größeren Typhusepidemie, die ihren Ausgang von der Küche einer
Kinderhilfsaktion nahm und, abgesehen von einem Lehrer, vornehm¬
lich Schulkinder betraf, die dann als Infektionsquelle für weitere
Kontaktinfektionen dienten. Verursacht wurde die Infektion durch
eine Dauerausscheiderin. Die Kinder von 9—10 Jahren zeigten sich
als etwas weniger empfänglich als die 11—15jährigen. Die Diagnose
konnte in zahlreichen Fällen nur durch die Gruber-Widalsche Reaktion
erbracht werden. Der Agglutinintiter war vielfach auffällig hoch, auch
enthielt das Blutserum bei den Kindern, namentlich in der ersten Zeit
der Erkrankung, sehr häufig ganz beträchtliche Mengen von Mit-
agglutimnen für Paratyphus.
Ludwig Bitter (Kiel), Bakteriologische Diphtherledlarnose.
Zschr. f. Hyg. 95 H. 2. Statistische Angaben über das Verhältnis der
in den Jahren 1913-1914 in der Provinz Schleswig-Holstein (mit Aus¬
schluß von Altona) amtlich gemeldeten Diphtherieerkrankungen zu den
bakteriologisch festeestcllten Fällen. Die Anzahl der positiven Befunde
war deutlich beeinflußt 1. von der Anzahl der eingesandten Proben
und 2. von der Anzahl der sich ereignenden Diphtheriefälle. Für die
Anzahl der eingesandten Proben scheint neben der Schulung der
Aerzte und der Diphtherieerkrankungsziffer auch die Bösartigkeit der
vorkommenden Erkrankungen von Bedeutung zu sein. Die beiden
letzten Faktoren entfalten offenbar eine Nachwirkung.
Sachverstflndigentfltigkeit.
Rudolf Alke (Gelsenkirchcn), Der Nachweis von Blot mit dem
Foldschen Reazui* Rhodamin in der gerichtlichen Medizin. D. Zschr.
f. d. ges. gerichtl. Med. H. 1. Rhodamin ist ein Farbstoff der Bad. Anilin-F.
der sowohl der chemischen Formel nach, als auch in seinen Reaktionen
dem Phenolphthalein nahesteht. Das Fuldsche Reagens zeigt bei Anwesen¬
heit von Blut eine rote Reaktion, die bei größeren Verdünnungen
mehr blaurot ist. Es zeigt eine große Empfindlichkeit gegen Blut, für
gerichtliche Zwecke liegt die Grenze bei 1:100000. Die Reaktion
verläuft etw a der Menge des vorhandenen Blutes parallel. Das Fuldsche
Reagens gibt keine spezifische Reaktion.
Lewerenz (Scheswig), Hirogeschwatet nach Kopfverletz«og.
Aerztl. Sachverst. Ztg. Nr. 3. Der am 28. IX. 1877 geborene Th. erlitt
am 19. VII. 1904 durch einen Hufschlag einen komplizierten Schädel¬
bruch. Nach günstigem Heilungsverlauf 90’V o Rente, die nach einigen
Jahren wegen Abnahme des Schwindelgefühls und größerer Sicherheit
des Gehens auf 20°/ 0 gemindert wurde. März 1921 verschlimmerte
sich der Zustand. Neigung zu Schwindelanfällen, die Ueberwachung
erforderte. Juli 1921 Bewußtlosigkeit und Erbrechen. Trepanation;
nach wenigen Minuten trat der Tod ein. Leichenöffnung ergab neben
den Folgen des Schädelbruches eine vom Boden der linken Seiten-
stimhöhle ausgehendes, gestieltes Neurofibrom als zweifellose Todes¬
ursache. Ursächlicher Zusammenhang zwischen Unfall und Neubildung
verneint, weil 17 Jahre nach der Kopfverletzung erst der Tod eintrat
und Brückenerscheinungen fehlten und w’eil Bindegewebsgeschwülste
nicht durch äußere Beschädigungen entstehen. Durch vorliegenden Fall
wird die von Walter vertretene Auffassung bestätigt, daß die Aetiologie
der Hirngeschwülste nicht in einem Trauma zu suchen ist.
W. Horstmann (Stralsund), Sexnalpathologie. D. Zschr. f. d.
ges. gerichtl. Med. H. 1. Die Annahme der Entstehung von Abwei¬
chungen im Geschlechtsempfinden und deren Betätigung durch ein
besonderes Erlebnis in früher Kindheit kann bei Individuen zutreffen,
bei denen sich nur eine Art der Perversion vorfindet. Im allgemeinen
handelt es sich aber um komplizierte Anomalien. Das sexuelle Ge¬
dankenbild des Gesunden baut sich aus der Zusammenfassung ver¬
schiedener unbewußter Triebe auf, die sich ständig erneuert. Eine
Störung derselben durch Erschöpfung, Autointoxikation oder Krankheit
läßt dann unter Umständen einen Teiltrieb dominierend hervortreten,
der den Eindruck des Abnormen oder Krankhaften macht. So wuchern
Geschlechtsverirrungen am mannigfachsten in den Zeiten des körper¬
lichen und seelischen Niederganges eines Volkes. Die Anomalien
des Sexualempfindens sind viel verbreiteter, als man annimmt, weil
perverse Persönlichkeiten verhältnismäßig selten zum Arzt kommen
und ein Teil in der Lage ist, seine Neigungen zu unterdrücken, der
andere mit der nötigen Vorsicht vorgeht. Der Arzt in der Irrenanstalt
hat sich hauptsächlich mit 4 Gruppen zu beschäftigen: 1. Beob¬
achtungsfälle nach homosexuellen Delikten. 2. Sadisten, selten geistig
vollwertig. 3. Sittlichkeitsverbrecher an Kindern, gewöhnlich der ver¬
blödete Greis, zumeist unzurechnungsfähig. 4. Exhibitionisten, meistens
Epileptiker, im Dämmerzustand. Andere Anomalien, Zopfabschneider,
Fetischisten, Masochisten usw. haben kaum praktische Bedeutung.
Digitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSUM
470
LITERATURBERICHT
Nr. 14
Kritisches Sammelreferat über intravenöse Traubenzuckerinfusionen.
Von Dr. Heinrich Zimmer (Berlin).
Die intravenöse Verabreichung von Traubenzuckerlösungen hat
verschiedentlich zu therapeutischen Zwecken Verwendung gefunden.
Büdingen, der den Anstoß dazu gab, hatte die Vorstellung, daß
gewisse Fälle von Herzinsuffizienz am einer Glykogenverarmung des
Herzmuskels durch zu geringen Zuckergehalt des Blutes beruhten.
Durch Infusion größerer Mengen 15—20<y o iger Dextroselösungen er¬
strebte er eine bessere Ernährung lind Kräftigung des Herzens. Von
verschiedenen Autoren wurden außer von Büdingen günstige Wir¬
kungen dieses Vorgehens bei der Cardiodystrophia hypoglvcaemica
(Pfalz u. a.) berichtet. Ueber den Wirkungsmechanismus herrschte
keine einheitliche Auffassung. Nonnenbruch und Szyska haben
keine objektive Besserung einer Kreislaufschwäche nach Zuckerinjek¬
tionen gesehen, und Travers fand an 102 Herzkranken morgens
nüchtern in ruhendem Zustande keine Hypoglykämie (9 Fälle mit den
Symptomen der Cardiodystrophia hypoglycaemica). Auch Isaac hat
niemals Hypoglykämie bei Herzkranken gefunden. Jedenfalls liegt
nach allen Untersuchungen bis jetzt kein strikter Beweis vor,
daß kardiale Symptome durch Zuckermangel im Blute
hervorgerufen werden. Die Frage nach der Bedeutung des
Traubenzuckers für die Herztätigkeit sollte nach Romberg nicht
auf den von Büdingen angenommenen Symptomkomplex der
Kardiodystrophie beschränkt, sondern auf den Einfluß verminderter
Zufuhr oder Verarbeitung für die Herzarbeit ausgedehnt werden.
Sauerstoffverbrauch und Arbeitsleistung sind weitgehend unabhängig
von dem Glykosegehalt der Durchspülungsflüssigkeit (Rohde), und
die Fähigkeit des Herzens, die ihm ini Blut in einer bestimmten Kon¬
zentration dargebotenen Stoffe zu verwerten, kann sehr verschieden
sein und hängt von den mannigfachsten Faktoren ab. Im Zusam¬
menhang damit ist an die Beeinflussi#ig der Zellmembran - ,
Permeabilität durch die Wirkung verschiedener Ionen und die
davon abhängende Beeinflussung der Sauerstoff- und Traubenzucker¬
aufnahme zu denken und zu untersuchen, inwiefern strukturelle und
morphologische Veränderungen des Herzmuskels, z. B. bei Diphtherie
u. a. Intoxikationen, von Einfluß auf den An- und Abbau des Gly¬
kogens bzw. des Laktazidogens sind.
De»* Blutzuckerspiegel soll sich unter normalen Verhält¬
nissen unmittelbar nach der Infusion sehr steil erheben, um dann mehr
oder minder rasch wieder abzufallen (Thanuhauser und Pfitz-
ncr, Ryser, Opitz, Beumer, Christoffel). Abweichungen
von der Norm haben Thannhauser und Pfitzner bei Leber¬
erkrankungen beobachtet, wo sie eine Hyperglykämie für mehrere
Stunden hindurch nachweisen konnten. Für den Verlauf der Zucker¬
kurve im peripherischen Blut kommt nicht so sehr der Konzentrations¬
grad der verwendeten Lösung und die Dauer der Infusion, als viel¬
mehr die absolute Menge pro Kilogramm Körpergewicht und auch
der Zustand der Leber und das Verhalten der sonstigen, den Zucker¬
stoffwechsel regulierenden Faktoren in Betracht.
Die Anwendung hypertonischer Zuckerlösungen hat durch ihre
als Osmotherapie bezeichnete entwässernde Wirkung eine er¬
hebliche Erweiterung erfahren. Ellinger, Lipschitz und Hey-
mann sowie Bürger und Hagemann zeigten, daß als regel¬
mäßige Folge der Injektion einer hypertonischen Dextroselösung eine
mehr oder weniger weitgehende histogene Verdünnung des Blutes ein-
tritt. Der Effekt der Verdünnung hängt nicht so sehr von dem (moleku¬
laren) Konzentrationsgrad der Lösungen als vielmehr von der Menge
des disponiblen Gewebswassers, sowie von dem Tempo, in welchem
injiziert wird, ab. Solche akute Störungen ^es osmotischen Gleich¬
gewichts sind natürlich auch mit anderen hypertonischen Kristalloid-
lösungen (Kochsalz, Harnstoff) zu erzielen (v. d. Velden). Es ist
zu erwarten, daß sowohl durch die größere molekulare Konstitution
sowie die Eigenschaft als nicht dissoziierte Kristalloidlösung, als auch
durch die energetische Komponente der Dynamik des Zuckers die
maßgebenden Faktoren des Fliissigkeits- und Stoffaustausches zwi¬
schen Blut und Gewebe (Permeabilität der Zellhiillen und Quellungs¬
druck der Serumkolloide) im Vergleich zur Wirkung der stark dis¬
soziierten Kochsalzlösung mehr oder minder modifiziert werden, so-
daß sich daraus vielleicht Unterschiede in dem Effekt beider Lösungen
ergeben. Versuche zur Heilung des entzündlichen Lungenödems
nach Phosgenvergiftung (Ellinger) ergaben, daß mit tödlichen
Mengen Gas vergiftete Kaninchen zu 50o/ 0 gerettet werden konnten,
wenn ihnen nach der Einatmung des Gases 50o/oige Traubenzucker-
Ringerlösung eingespritzt wurde. Gleiche Versuche mit entsprechenden
Kochsalzlösungen hatten eine Verschlimmerung zur Folge. Man hat.
versucht, die im Experiment bestätigte, schon vorher theoretisch an¬
genommene ödemmobilisierende Wirkung hypertonischer Zucker¬
lösungen auch in der Therapie beim Menschen anzuwenden, aber bis
jetzt ohne besonderen Erfolg. Nur Steyskal berichtet über er¬
mutigende Erfolge bei Bronchopneumonien, Lungenödemen, Stauungs¬
zuständen bei Herzinsuffiziens. Exil er hat eine Abkürzung oder
sogar ein Ausbleiben des Exzitationsstadiums bei Aethernarkosen
nach Traubenzuckerinfusionen gesehen. Travers hält bei Kräfte¬
verfall, starkem Blutverlust, Wasserarmut, die Injektion 10- bis
20o/oiger Traubenzuckerlösungen der bisherigen Kochsalzlösung über¬
legen. Richter und Scholz suchen den erhöhten Flüssigkeitsstrom
aus der Haut nach dem Blute auch in der Therapie der Hautkrank¬
heiten anzuwendeu. Sie empfehlen die Injektion besonders bei frischen
entzündlich exsudativen Prozessen der Haut, vor allem beim Pem¬
phigus.
Man kann natürlich, wie Steyskal dies versucht hat, die in
der Folge solcher akuten Gleichgewichtsstörungen eintretenden Strö¬
mungen, die zwischen Blut, Gewebe, Lymphe und Blut in der ver¬
schiedensten Weise hin und her pendeln können, benutzen, um irgend¬
wo deponierte Arzneimittel in beschleunigten Umlauf zu -setzen. Bei
der Mannigfaltigkeit und Uniibersehbarkeit der für diese Strömungen
maßgebenden Faktoren kann man aber über die Richtung, Intensität
und Dauer solcher Strömungen nur ungenaue Angaben machen, sodaß
uns dieses Transportmittel nur wenig Sicherheit bietet (v. d. Velden).
Die akute Gleichgewichtsstörung bleibt natürlich nicht nur auf dem
Flüssigkeitsaustausch zwischen Blut und Gewebe beschränkt, sondern
wird auch sekundär einen veränderten Stoffaustausch überhaupt zur
Folge haben. Es kann dadurch zu einer Mobilisierung histogener
Substanzen aus dem Gewebe ins Blut kommen, wie v. d. Velden durch
Injektion hypertonischer Kochsalzlösungen ins Blut eine „Gewebsaus-
laugung“ nachwies (Thrombokinasenvermehrung?). Man kann also an¬
nehmen, daß durch den Fliissigkeitsstrom Abbau- und Ermüdungsstoffe
aus dem Gewebe beschleunigt weggeführt in den Kreislauf gelangen, um
hier vielleicht als harnfähige Substanzen diuretisch zu wirken, sei es
durch eine Aenderung des physikalisch-chemischen Milieus (Quellungs¬
verhältnisse des Eiweißes), sei es durch direkte Wirkung auf die
Nieren. Ein großer Teil der mannigfachen therapeutischen
Wirkungen hypertonischer Traubenzuckerlösungen,
die meist empirisch entdeckt und in ihrer Dynamik bis jetzt falsch
gedeutet wurden, ließe sich durch diese gewebsentlastende
Wirkung erklären. Besonders die günstigen Wirkungen bei
Infektionskrankheiten (Grippe), über die amerikanische Autoren
(C. W, Wells, R. C. Blankinship u. a.) berichten, wären so auf¬
zufassen. Auch die von vielen Untersuchern festgestellte blutdruck¬
steigernde Wirkung kann von Einfluß auf den Krankheitsverlauf sein.
Die günstige Wirkung bei manchen Herzkranken ist vielleicht auf
eine derartige Gewebsentlastung des ermüdeten Herzens von Er¬
müdungsstoffen zurückzuführen, womit der Funktion dieses Organs
eine wesentliche Hilfe gebracht werden kann. Nach dieser Richtung
hin sind auch die analeptischen Wirkungen, die bei kollabierten Kran¬
ken durch intravenöse Injektion 10o/oiger Kochsalzlösung erzielt wer¬
den, aufzufassen. Es kann sich in diesen Fällen unmöglich um eine
bessere Ernährung des Herzmuskels handeln, sondern der günstige
Einfluß ist wahrscheinlich nur auf rein osmotische Wirkungen zurück¬
zuführen. Man hätte so diesen Effekt hypertonischer Kristalloidlösun-
gen in die Reihe jener therapeutischen Maßnahmen einzureihen, die
schon die alte Klinik als „innere Waschung des Organis¬
mus“ bezeichnete. Eine allgemein gültige Indikation wäre überall
dort gegeben, wo es zu einer Beeinflussung des Säftestroms in diesem
Sinne kommen soll. Es liegt nahe, angeregt durch die gegenwärtig
überall in den Vordergrund getretene Proteinkörpertherapie, der Injek¬
tion von Traubenzuckerlösungen auch eine protoplasmaaktivierende
leistungssteigernde Wirkung zu supponieren (Scholz und Richter).
Die Befreiung des Gewebes von toxisch wirkenden Abbaustoffen
muß ja schon an und für sich zu einer Leistungssteigerung der
Zellen führen. Dazu kommt, daß gewisse chemisch-physikalische fer¬
mentative Prozesse in dem durch die Gleichgewichtsstörung veränder¬
ten Milieu anders verlaufen (z. B. bei der Gerinnung). Eine Protein-
.körperwirkung kommt wahrscheinlich auch dadurch zustande, daß
durch den Fliissigkeitsstrom in den Kreislauf gekommene Blut* und
Gewebszerfallsprodukte im Blute kreisen, an kranke Stellen heran¬
geführt und dort als art- bzw. blutspezifische Reize günstige Reak¬
tionen mit mehr oder weniger großem pyrogenem Effekt hervorrufen
können. Neuerdings fand Steinberg, angeregt durch Beobach¬
tungen Pranters, eine erhöhte spirillozide Wirkung von Trauben-
zucker-Salvarsangemischen.
Dauernde schädliche Folgen der Infusionen, auch bei stärkster
Konzentration, sind bis jetzt von keinem Autor beobachtet worden.
Häufig klagen die Kranken kurz nach der Injektion über bald vorüber¬
gehenden Kopfdruck und Hitzegefühl. In nicht seltenen Fällen wer¬
den auch Temperatursteigerungen, manchmal mit Schüttelfrost, einige
Stunden nach der Injektion berichtet. Bedeutende diuretische
Effekte werden beim Menschen, entgegen der Beobachtung fran¬
zösischer Autoren, im allgemeinen vermißt. Der Zuckerverlust durch
den Harn ist nach der Injektion relativ gering« Die 50°/oige Lösung
stellt nach Korbsch die Grenze dar, bei welcher die Viskosität der
Lösung sich noch nicht störend bemerkbar macht.
Büdingen, Ernährungsstörungen des Herzmuskels, Leipzig 1917, D. m. W. 1919
Nr. 3; D. Arch. f. klin. M 114 S.534; 128 S. 151. - Travers, D. Arch. f. klin. M. 137
H.5u 6. - Isaac, Ther.Hmh. Jg.35H.22. — Opitz, Kl.W. 1922 Nr. 3. - Lipschitz,
Arch. f.exper.Path.u.Pharm. 85- — Bürger und Hagemann, Zschr.f.d.ges.exper.M.
11 S. 239; D.m. W. 1921 Nr. 8. — von den Velden, D. m.W. 1909 Nr. 5; Verhandl. d.
Kongr.f.inn.M. I909u.l9il; Ther.Mh. 1911; Karlsbader Ref. 1921. - Ellinger, M.m.W.
1920 Nr. 49. - Exner, W. kl.W. 1921 Nr.4. — Steyskal, W.kl. W. 192 Nr.4 u.6. -
Scholz und Richter, D. m. W. 1921 Nr.50. — C. W. Wells und Blankinship. Journal
of the americ. assoc. 1919, 6; 1918, 8; 1914, 7. - Pranter, W. kl.W. 1921 Nr. 4. -
Steinberg, D. m. W. 1921 Nr. 50. — Korbsch, D. m. W. 1921 Nr. 12.
Digitized fr
Google
Original from
CORNELL UNSVERSITY
VEREINS- UND KONGRESS BERICHTE
Redigiert von Ober-Reg.-Med.-Rat Dr. O. Strauß.
Berlin, Medizinische Gesellschaft, 15. III. 1922.
Demonstrationen: Esser zeigt einige Patienten, die mit [sehr
schmal gestielten Arterienbantlappen behandelt worden sind.
Besprechung. F. Krause fragt, ob man die Arterie ohne
weiteres umdrehen kann.
Esser bejaht dies.
P. Rosenstein demonstriert Jein Kind mit operativ geheilter Zer¬
reißung der Vena cava inferior. Anschließend mußte noch eine
Hydronephrosc operiert und eine Magenfistel angelegt werden, weil
eine Striktur des Oesophagus entstanden war, vermutlich infolge
der Zirkulationsstörung in der V. cava. Jetzt ist der Oesophagus
durch Bougierung wieder funktionsfähig geworden.
Tagesordnung.. Brugsch: Zur Lehre von der Gicht (nach ge¬
meinsamen Versuchen mit Rother). Brugsch erörtert zunächst die
Ein wände, die man gegen die Brugsch-Sch ittenhelm sehe
Gichttheorie erhoben hat. Als eine feststehende Tatsache dieser
Lehre kann man heute ansehen, daß die endogene Harnsäureaus*
Scheidung bei der Gicht niedrig liegt, dagegen der Harnsäure¬
spiegel un Blute erhöht ist. Der diagnostische Wert der Harnsäure¬
bestimmung im Blute wird allerdings eingeengt durch die Unsicher¬
heit der kolorimetrischen Methoden, die in der Nichthaltbarkeit der
Standardlösung, dem Festhalten von Harnsäure im Blutkoagulum
und Unproportionalität zwischen Blaufärbung und Harnsäure bei
höheren Werten besteht. Die exogene Harnsäureausscheidung ver¬
läuft bei Gichtkranken verschleppt. Harnsäureinjektionen ins Blut,
Einspritzungen von Nukleosiden (Tannhauser), Einspritzung von
Adenin (Brugsch-Rother) zeitigten bald niedrige, bald hohe
Hamsäurewerte beim Gesunden, beim Gichtkranken ansteigend mit
der Schwere des Falls niedrigere Werte. Die Frage der Urikolyse
läßt sich nach den Erfahrungen am Gesunden nur für einen Teil
der Fälle ausdeuten, für den anderen Teil der Fälle müßte man sie
ablehnen. Es bleibt aber immer noch eine Anzahl von Patienten
übrig, wo mehr Harnsäure ausgeführt als Harnsäure bzw. ihre Vor¬
stufen eingespritzt wurden. Zur Deutung dieser Unstimmigkeit greift
Brugsch auf eine dritte Quelle der Harnsäurebildung bzw. Ausfuhr
zurück, die er Reizhamsäure nennt. Sie beruht auf Reizen des
vegetativen Nervensystems (Harnsäurestich). Auch den Purinkörpern
kann eine Reizhamsäurewirkung zukommen. Der ausbleibende Reiz¬
effekt auf diese dritte Quote der Harnsäureausfuhr ist imstande, das
Wesen der Gicht in bezug auf die Urikiimie zu erklären. Die Gud-
ze nt sehe Uratohistechfe wird abgelehnt. Die Untersuchungen von
Schade über die kolloidale Bluthamsäure werden als besonders
bedeutungsvoll erwähnt.
Besprechung. Tannhauser (München) a. G.: Brugsch
hat seine Ansicht fallen lassen, daß die Gicht eine Stoffwechsel¬
erkrankung ist, in dem Sinne, daß der intermediäre Harnsäurestoff¬
wechsel gestört ist. Damit hat Brugsch sich den Anschauungen
Tannhausers sehr genähert. Er bespricht zunächst die inter¬
mediären Stoffwechselvorgänge der Purine. Im Darm wird Nuklein¬
säure abgespalten. Diese wird resorbiert und zerfällt dann im inter¬
mediären Stoffwechsel über Hypoxantin usw. in Harnsäure, welche
ein Stoffwechselendprodukt ist. Die Bildung der Harnsäure ist beim
Gichtkranken nicht gestört. Nur die Ausscheidung wird hintange¬
halten. Garrod glaubte an eine organische Schädigung der Niere.
Dies ist sicher in den ersten Stadien nicht richtig. Trotzdem drängt
alles zur Auffassung hin, daß die Niere bei der Gicht beteiligt ist.
Die Harnsäure ist beim Gichtkranken im Blut vermehrt. Ebenso bei
manchen Kranken mit organischen Nierenschädigungen. Es gibt
Patienten, die erst infolge der Nierenschädigung eine Gicht be¬
kommen. Diese stehen den Patienten mit konstitutioneller Gicht
gegenüber. Weshalb nun die Harnsäure im Knorpel ausfällt, wenn
sie im Blut vermehrt ist, läßt sich noch nicht mit Sicherheit ent¬
scheiden. Neuere Untersuchungen in der Münchener Klinik weisen
darauf hin, daß mechanische Dinge dabei eine Rolle spielen. Die
Harnsäure fällt in den Saftkanälchen des Knorpels aus. — Es ist
gelungen, das Atophan so weit auszubauen, daß das neue Präparat
(Böh ringer) eine erheblich bessere Wirkung auf die Harnsäure¬
ausscheidung ausübt.
Goldscheider: Tannhauser identifiziert die Klinik der
Gicht mit dem Gichtanfall. Man kann aber Gichtiker sein, ohne
jemals einen Anfall zu bekommen. Der Anfall hängt von ganz zu¬
fälligen Umständen ab. — Das vegetative System ist beim Gichtiker
abnorm. Trotzdem kann man es nicht als Ursache der Gicht an¬
sehen. Es besteht vermutlich ein Circulus vitiosus, indem die Harn¬
säure auf das vegetative System und das vegetative System auf die
Harnsäure einwirkt. — Wichtig ist die Fluktuation im Krankheits¬
bilde der Gicht. Die Diagnose der Gicht ist eigentlich mit fort¬
schreitender chemischer Erkenntnis erschüttert worden. Die ver¬
zögerte Ausscheidung, der Blutharnsäuregehalt usw. sind nicht be¬
weisend. Für die Diagnose kommen nur der Anfall, die Tophi und
die Röntgenuntersuchung der Gelenke in Betracht. Die atypische
Gicht läßt sich durch Harnsäureablagerungen erkennen an Stellen,
wo häufig nicht danach gesucht wird. Insbesondere ist das feine
Knieknirschen charakteristisch. Da die wissenschaftliche Forschung
die Diagnose unsicher gemacht hat, ist die Hervorhebung der klini¬
schen Gesichtspunkte besonders wichtig. *
Umber: Wir stehen heute wieder da, worauf der alte Garrod
hingewiesen hat. Es handelt sich bei der Gicht um eine Harnsäure¬
retention. Wie diese entsteht, kann man noch nicht sagen. Das
Fermentmotiv scheint nicht das beherrschende zu sein. Auch die
Niere allein kann nicht an der Retention schuld sein. Auch Tann¬
hauser hat sich zu dieser Auffassung bekannt. Das Wesentliche
des Gichtproblems scheint doch in den Geweben selbst zu liegen,
w'enn auch nicht alle Gewebe dabei gleichzusetzen sind. Für die
Praxis hat sich nichts geändert. Die purinarme Diät bleibt als
wichtigste Therapie bestehen. Umber betont ebenfalls die große
Bedeutung des vegetativen Nervensystems. Insbesondere das Col¬
chicum scheint auf diesem Wege zu wirken. Dresel.
Berlin, Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie,
24.11.1922.
Nagel demonstriert Tumoren (doppelseitige Dermoide, Ovarial-
zyste), die er während der Gravidität exstirpiert hat, ohne daß die
Schwangerschaft unterbrochen wurde.
Heinsius demonstriert einem mannskopfgroßen Tumor (wahr¬
scheinlich Myom), dessen Zusammenhang mit dem Uterus sich während
der Operation nicht mehr nach weisen ließ, der frei in der Bauch¬
höhle lag.
Siefart: Zur'Indikation und Technik der Abortbehandlnng. Nach
kurzem Bericht über die verschiedenen in der Literatur niedergelegten
Ansichten über die Abortbehandlung kommt Siefart an der Hand
von 151 eigenen Fällen zu folgendem Ergebnis: Jeder stärker blutende
Abort bis zum 3. Monat ist auszuräumen, da er nicht' aufzuhalteu
ist. Man muß insofern soziale Rücksicht nehmen, als die Frauen
wegen der Kosten nicht zu lange bettlägerig sein dürfen. Jeder
Abort zeigt geringe Temperaturerhöhungen. Siefart sprichht sich
für die aktive Therapie des fieberhaften Abortes aus.
Beim Abwarten könne man mit der Therapie zu spät kommen. Die
bakteriologische Kontrolle sei in der Praxis gar nicht durchführbar.
Was die Technik anbetrifft, so bevorzugt Siefart die instrumeatelle
Ausräumung, wobei er stets die scharfe Kürette anwendet. Nach der
Ausräumung Ausspülung mit Formalinpräparaten. Die Tamponade
wird zur Drainage des Uterus empfohlen.
Besprechung. Hammerschlag: Nur eine große Statistik
kann in der Frage des fieberhaften Abortes beweisend sein
(491 eigene Fälle). Fieberhaft ist der Abort erst über 38\ Strenge
konservative Behandlung, wobei in 40<y 0 spontane Ausstoßung erfolgt.
Mortalität 0,9°/o. Er muß auch zugeben, daß die bakteriologische
Kontrolle für die Indikationsstellung keinen Wert besitzt.
An der weiteren Aussprache beteiligen sich: Keller, Falk
Heyn.
Berlin, Röntgenvereinigung, 26.1. 1922.
Fortsetzung der Besprechung über das Thema: Welche An¬
forderungen missen an unsere Röntgen-Tiefentherapie-Apparate ge¬
stellt werden? (Vgl. Nr. 4 S. 144.)
Janus: Spezialapparate für Tiefentherapie. Die von Siemens
& Halske hergestellten Apparate sind speziell für die Benutzung der
Siemens-Glühkathoden-Coolidgeröhre ausgebaut. Der Induktorapparat,
welcher mit Gasunterbrecher und einer den Schließungsstrom ab¬
sperrenden Siemens-Ventilfunkenstrecke versehen ist, zeigt in den
Einzelheiten Abweichungen von dem Herkömmlichen, die für die
Erreichung des Endzweckes wesentlich sind. Sie bestehen in der An¬
ordnung von Drosselspulen, welche die in den eingeschalteten Fun¬
kenstrecken auftretenden, für Apparat und Röhre schädlichen Hoch¬
frequenzschwingungen bis auf einen kleinen, belanglosen Rest ab¬
drosseln. Schwierigkeiten entstanden für die Technik nicht so sehr
durch die Notwendigkeit der Erzeugung einer hohen Spannung, als
durch die lange Belastungsdauer. Es wurde ein ganz neuer Typ eines
öliselierten Induktors (im Gegensatz zu den Induktoren mit festem
Isolationsausgußmaterial) geschaffen. Nach dem gleichen Prinzip wur¬
den auch Transformatoren hergestellt, welche zum Aufbau des sog.
Multiv.oltapparates dienen. Bewährt haben sich dabei die aus dickem
Bleiblech angefertigten Bestrahlungskästen. Die Bestrahlungskästen
haben den Zweck, Arzt, Personal und auch den Patienten vor un¬
gewollter Bestrahlung durch vagabundierende Röntgenstrahlen zu
schützen. Die Leistung des vorerwähnten Induktorapparates ist nach
Messungen an der Erlanger Universitäts-Frauenklinik bei 2,2 Milli¬
ampere, 39 cm Funkenschlagweite an der Röhre, 0,5 mm Zinkfilter,
23 cm Fokushautabstand, 6 x 8 cm Einfallsfeld gekennzeichnet durch
eine prozentuale Tiefendosis von 24»/o und eine H.E.D.-Zeit von
31 Minuten. Da die Siemens-Glühkathodenröhren ohne weiteres bei
der gleichen Spannung mit 3 MMIiamp&re betrieben werden kön¬
nen, so läßt sich die Zeit zur Erreichung der H.E.D. bis auf rund
22 Minuten herabsetzen. Die Leistung des Multivoltapparates, die an
einer Leistungstafel mit auswechselbaren Zahlenstreifen ablesbar ist,
beträgt unter den gleichen Umständen in bezug auf die Tiefendosis
20,5o/o und 22Va Minuten für die Bestrahlung mit 2,5 Milliampere
\
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
472
VEREINS- UND KONORESSBERICHTE
Nr. 14
und 180 kV Spitzenspannung. Janus erinnert an das heute lächerlich
wirkende Wettrennen nach der größten X-Zahl in den Jahren 1912/13
und warnt davor, dieses Wettrennen in neuer Auflage mit der
prozentualen Tiefendosis und der H.E.D.-Zeit zu wiederholen. Er
weist darauf hin, daß unter genau gleichen Bedingungen, speziell
gleicher Röhrenstromstärke und gleicher Scheitelwertspannung, Fil¬
terung, Entfernung, Feldgröße usvv. fast alle Apparate ein und die¬
selbe prozentuale Tiefendosis (bei dem Induktor allem Anschein nach
etwas größere, bei dem Transformatorapparat eine etwas kleinere
p. T.D.) und gleiche H.E.D.-Zeit ergeben. Die Messungen sind an
und für sich kompliziert und die bestimmenden Faktoren Scheitel¬
wertspannung, Milliampferezahl, Fokusabstand, Filterabsorption (durch
verschiedene Dichte der Filterbleche) sehr schwer genau einzuhalten.
Besonders aber spielt die Netzspannung, an welche der Röntgen¬
apparat angelegt ist, für die Messungen eine sehr erhebliche
Rolle.
Besprechung. Bucky hält es für erforderlich, daß man sich
nicht so einseitig an die physikalischen Fragen hält und mehr Augen¬
merk auf die biologische Wirkung verwendet. Wir geraten sonst
in eine Sackgasse.
Nagelschmidt verlangt bessere Schutzmaßnahmen und vor
allem Hilfsvorrichtungen, die das Vergessen des Einsetzens eines
Filters unmöglich machen.
Szegö bemängelt, daß man Versuche miteinander vergleicht,
die nicht vergleichbar sind.
Strauß weist auf die großen Widersprüche hin, die hier vor¬
gebracht wurden und welche durch die Aussprache eine Klärung
nicht gefunden haben.
Behnken stimmt dem zu.
Levy-Dorn, Großmann (Schlußwort). Otto Strauß.
Hamburg, Aerztlicher Verein, 3.1.1922.
Offizielles Protokoll.
Vorsitzender: Simmonds. Schriftführer: Roedelius.
Groß: a) Operation einer Galleofistel durch perdoodeoale Hepatie-
drainage. b) Demonstration seines heftpfiasterverbandes bei Rippen-
brachen, der darin besteht, daß bei tiefer Einatmung ein Streifen unter
der Fraktur beginnend über eine Schulter straff geführt wird. Fixation
durch quere Streifen.
Dreifuß stellt einen 59jährigen Patienten mit operierter, recht¬
seitiger echter Hernia encystica vor. Die Diagnose wurde, wie auch
bei den andern operierten Fällen, erst während der Operation gestellt.
Durch das Vorhandensein eines einfachen Serosablattes, der normalen
Lage des Hodens glaubt Vortragender, daß die Hernia encystica
erworben ist.
Kowitz zeigt einen Fall von Myxoedema frustrum bei einem
51jährigen Kranken. Hauptsymptome: Myxödematöse Haut, Haar¬
ausfall und Verminderung des Grundumsatzes um 35%. Die ersten
Erscheinungen reichen bis 1892 zurück. Letzthin zunehmende körper¬
liche und geistige Mattigkeit, Stupor. Die Symptome gehen ebenso
wie die vorher festgestellte Insuffizienz der Wasser- und Salzaus-
scheidung prompt auf Thyreoideamedikation (Gl. thyreoideae Merck
0,6 p. d.) zurück. Die Schilddrüse ist nicht nachweisbar. Demon¬
stration der Stoffwechselkurve.
Heinrich Embden: a) Ein neuer Falt von Manganvergiftung
mit Mangaostottera bei einem Braunsteinmnller. Die nach der Neu¬
auffindung der Manganvergiftung durch Embden (1902) in den Braun¬
steinmühlen getroffenen gesundheitspolizeilichen Maßregeln haben hier
in Hamburg den Manganismus verschwinden lassen. Der jetzt neu
aufgetretene Fall betrifft einen 46jährigen Mann, der seit 1914 Braun¬
stein mahlt. Von 1915—1919 Pause (als Infanterist im Kriege). Seit¬
dem wieder in intensivem Betrieb tätig. Noch vor 3 Monaten völlig
gesund. In letzter Zeit .wurde an Stelle des nicht mehr zugänglichen
südrussischen Erzes das viel härtere und mehr staubende brasilianische
vermahlen. — Erkrankung vor etwa 8 Wochen. Erstes Symptom das
Stottern. Dann kam das Zittern in den Händen, charakteristischer
„Aktionstremor“, besonders bei nach oben gerichteten Händen
(Gesichtwaschen). Dann Gang schwerer. Kein Schwindel, kein Kopf¬
schmerz, keine Ketro- oder Propulsion. Kann nur noch sehr schlecht
schreiben. Kein Zwangslachen. Bewegungsarmut, besonders auch
als Hypomimie. Das Auftreten von Stottern als organisches Symptom
(wie bei der chronischen Quecksilbervergiftung) legt den Gedanken
nahe, daß unter den genuinen Stotterern, die wir alle als Neurotiker
anzusehen gewöhnt sind, doch vielleicht einzelne organisch bedingte
Fälle sich verbergen. Ob das Manganstottern ein Linsenkernsymptom
ist, müssen weitere Beobachtungen lehren, b) Zorn Kapitel der Parltin-
soodlagnose: Reinbrandts Radierung: „Der barmherzige Samariter“.
Dazu wird folgender, von Goethe zustimmend zitierter Satz des Abbe
Longhi aus Goethes Aufsatz „Rembrandt der Denker“ angeführt:
„Mit Stillschweigen kann ich nicht vorübergehen an dem Blatt vom
Samariter, wo Rembrandt den guten Alten unter der Tür in solcher
Stellung gezeichnet hat, wie sie demjenigen eigen ist, der gewöhnlich
zittert, sodaß er durch die Verbindung der Erinnerungen wirklich
zu zittern scheint, welches kein anderer Maler weder vor ihm, noch
nach ihm durch seine Kunst erlangen konnte.“ Der „gute Alte“
ist der Wirt am Wege, dem der Samariter den Verwundeten zur
Pflege anvertraut. Der Alte steht vorgebückt da und hält in seiner
rechten Hand zwischen Daumen und Zeigefinger einige Münzen, die
er vom Samariter eben empfangen hat, während die Unke nach dem
vorn rechts hangenden Geldbeutel faßt. Diese vorgebeugte Haltung
des Alten mit der geldzählenden rechten und der vorwärtsgreifenden
linken Hand ergibt ein Gesamtbild wie bei Paralysis agitans. Wissen¬
schaftlich ist diese bekanntlich erst 1817 beschrieben, ihr Bild aber
schlummerte in der Erinnerung Longhis und des ihm zustimmenden
Goethe, sodaß diese beiden visuell Hochbegabten zu der Haltung
das Zittern assoziierten (an das Rembrandt wahrscheinlich nicht ge¬
dacht hat). Vorgebeugte Haltung und Geldzählstellung der rechten
Hand ergeben sich aus der dargestellten Situation, ohne pathologisch
bedingt zu sein. Die Longhi-Goethe-Diagnose „Zitterer“ ist eine
klassische „Kennerschaftsdiagnose“, auf Grund noch nicht analytisch
zum Bewußtsein gebrachter Einzelsymptome. Die „wissenschaftliche“
Durcharbeitung erst, mit ihrer (überlieferbaren) Klarstellung der dia-
nostischen Elemente des Syndroms ermöglicht seit Parkinson die
rkenntnis, daß und warum hier der erste Eindruck „Zitterer“ irr¬
tümlich ist. Mit analogem Irrtum irrt sicherlich heute noch häufig
der Arzt dort, wo er notgedrungen noch Kennerschaftsdiagnostik
treibt, z. B. bei manchem Urteil: „Dies ist hysterisch.“
Schottmüller macht epidemiologische Bemerkungen über die
jetzige Grippe-Epidemie. (Erscheint als Originalartikel in dieser
Wochenschrift.)
Schmilinsky: Seit 12 Jahren bestehende Oesophago-Tracbeal-
fistel nach Gumma der Trachea. (Vgl. diese Wochenschrift 1911
S. 2404.) 45jähriger Mann. 1900 Infectio syphilitica. 1904—1909 ver¬
schiedene Tertiärerscheinungen. Oktober 1909 fürchterliches Ver¬
schlucken bei jeder Speiseaufnahme. Nach mehrwödientlicher Schlauch¬
ernährung und antisyphilitischer Kur kann er Festes wieder schlucken.
Diagnose: 1. Beim Schlucken wird Luft durch die Fistel aus der
Trachea mit in die Speiseröhre gerissen. Daher fortwährendes Luft-
aufstoßen. Röntgenologisch: große Magenblase und viel Luft in den
Därmen, wie bei nervöser Aerophagie. 2. Bei Einführung des Oeso-
phagoskopes in den oberen Oesophagus wird man von einem wannen
Luftstrom angeblasen, als wäre man mit dem Bronchoskop in der
Trachea. 3. Man sieht bei der Oesophagoskopie 20 cm von der
Zahnreihe an der vorderen Speiseröhrenwand ein erbsengroßes Loch,
das in die Trachea führt. — Patient vermeidet das Verschlucken
dadurch, daß er beim Essen Kopf und Oberkörper auf die linke Seite
neigt. Als er aber kürzlich einmal erbrach, verschluckte er sich stark
und bekam einen Tag 40° Fieber (Lungeninfektion). Gefährdet ist
der Kranke dauernd, aber zu einem operativen Eingriff wird man
sich nur ungern entschließen wegen ausgedehnter Narben zwischen
Luft- und Speiseröhre.
Besprechung zum Much sehen Vortrag. Spezifische and oa-
spezi fische Reiztherapie. (Vgl. Nr. 12 S. 407.) Dreifuß warnt vor zu
großem Optimismus bei Behandlung chronischer Gelenkleiden mit
Yatren-Kasein.
Matt ha ei: Die Versuche einer Sterilisatio magna sind als vor¬
läufig gescheitert anzusehen. Alle Versuche sind zu fördern, welche
die Abwehrkräfte steigern. Much glaubt bei Sepsis, Dyshormonien
— speziell ovarieller Natur — und Hautkrankheiten Erfolge gesehen
zu haben. Er hat den Eindruck, daß bei Sepsis die chemischen Mittel
— Silberpräparate, von denen Argoflavin und Trypaflavin .am wirk¬
samsten zu sein scheinen — durch intramuskuläre Injektion
von menschlichem Blut in kleinen Dosen (10—20 ccm) — in ihrer
Wirksamkeit verstärkt werden. Unspezifische Reiztherapie ist auch
bei chronischem Ekzem eventuell von Erfolg in der Art, daß vor der
Blutinjektion unwirksam gebliebene chemische oder physikalische
Mittel nach der Uebertragung zur Heilung führten. Bei der Dys¬
funktion auf ovarieller Basis sah Much Gutes von der Organ¬
therapie mit menschlichen Organextrakten, bei günstig gelegenen
Fällen auch mit direkter Organtransplantation.
Richter: Krankheit ist die Störung der normalen physiologischen
chemischen Körpermittel (unter oder mit nervöser Auswirkung). Die
Definition der Abwehrstoffe sollte sich nicht au Kollektivnamen von
heterogenen Körpersubstanzen halten, wie es z. B. der vage Kollektiv¬
begriff „Lipoid“ ist. Kann man lokale und allgemeine Erkrankung,
Krankheitsüberwindung, normale und gesteigerte Resistenz bzw. Im¬
munität auf einfache chemische Reaktionen zurückführen? — Oxydation
und ihr System, Lunge, rote und weiße Blutkörperchen, letztere im
Gewebe, sind Oxydationsgrundlagen, wobei die weißen Blutkörper¬
chen mit ihrem oxydativen Moment besonderer Abwehr dienen. (Die
Oxydation steht unter vagotonischer Beeinflussung.) Das von Rich¬
ter bewiesene reduktive System — Nebenniere, Hypophyse, Schild¬
drüse —- dient dem gegenteiligen Prinzip, der Reduktion, also der
Sauerstoffortführung. (Die Reduktion steht unter sympathikometi-
scUer oder sympathikotomischer Beeinflussung.) Außer diesen Momen¬
ten der oxydativen und reduktiven Abwehr bei der lokalen Entzündung
und allgemeiner Infektion (Fieber) ist die häufig in der Natur vor¬
kommende Cannizzarosche Reaktion, d. h. simultane Reduktious- und
Oxydationswirkung, sicher als fundamentale Abwehrreaktion aufzu¬
fassen (Mandel); gegen Aerobier und Anaerobier und andere möglichen
Arten der Infektion müssen diese drei Fundamentalreaktionen in Kraft
treten. Zellular sind die Leukozyten die Träger der Oxydation,
humorale Stoffe dagegen Träger der Reduktion, also zellulare Cor-
ora fixata und humorale Corpora soluta. Störung eines der geschil-
erten Systeme ergibt Krankheit. Resistenz ist die normale Balan¬
cierung der Abwehr, Immunität ist die gesteigerte Funktion beider
Systeme auf Grundlage des Weigertschen Ueberregenerationsgesetzes
— also die zeitlich 'mehr oder weniger vorhandene Steigerung der
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL ÜNIVERSITY
7. April 1922
VEREINS- UND KONGRESSBERICHTE
473
Abwehr. Richter schildert einige Beziehungen der Tuberkulose
/u Schilddrüse und Addison.
P. Wichmann weist auf die natürlichen, sich in der Haut
abspielenden immunisatorischen Vorgänge bei Tuberkulose hin (D.),
Bei demselben Individuum können diese sich, in verschiedenen
Hautregionen gleichzeitig ausgeführt, verschieden gestalten, dement¬
sprechend auch die künstlichen spezifischen Reaktionen (Pirquet,
Ponndorf, Partialantigene) verschieden ausfallen. Die Haut ist daher
kein verläßliches Testorgan zur Beurteilung der inneren Tuberkulose.
Noch weniger kann man die Immunität des inneren Organismus von
der Haut aus speziell mit Partialantigeneinstelluug messen, da die
letztere durchaus nicht immer dem Verlauf der inneren Tuberkulose
parallel verläuft, ja oft völlig versagt (D.). Sicherlich kommt der
Antikörperproduktion der Haut eine hervorragende Rolle zu; daß sie
die wichtigste Fabrikationsstätte darstellt, ist z. Zt. noch nicht er¬
wiesen. Der Verlauf der Syphilis und Tuberkulose läßt das Lymph¬
gefäßsystem als dasjenige Organ erkennen, in welchem der Kampf
der Antikörper mit dem Virus stattfindet, eine Auffassung, die durch
die experimentellen Untersuchungen des Autors über Behandlung
Tuberkulöser mit dem Extrakt der eigenen Lymphdrüsen gestützt wird,
wobei intrakutane oder subkutane Einspritzungen sich nicht merklich
in der Wirkung unterscheiden. Versuche, durch Injektionen von
Hautextrakten, die aus Hautregionen mit starker Antikörperproduktion
gewonnen sind, tuberkulöse Prozesse zu beeinflussen, zeigten nur
sehr geringe Einflüsse auf äußere tuberkulöse Prozesse. Der Thera-
ie mit Partialantigenen kommt eine größere Bedeutung als der
uberkulintherapie nicht zu. Von 102 mit Partigenen behandelten
Fällen sichtbarer Tuberkulose zeigten nur 8 eine eindeutige günstige
Beeinflussung, unter letzteren waren 5 Fälle vorübergehender Besse¬
rung. Es wird bestenfalls eine „Partigenimmunität“ erzeugt, welche
sich aber in den meisten Fällen mit der Tuberkuloseimmunität, die der
Organismus braucht, nicht deckt.
Delbanco: Die Therapie einer längst verflossenen Aerztegene-
ration ist in neuem Gewände wiedergekehrt. Haarseil, Schröpfkopf,
Fontanelle, Aderlaß sind das moderne therapeutische Rüstzeug. Nur
sind Terpentin-Aolan-Einspritzungen u. a. appetitlicher und weniger
gefährlich. Erst unsere Aerztegeneration hat aus den Händen von
Naturärzten und Naturheilkundigen das stärkste „unspezifische Reiz¬
mittel“, das Sonnenlicht, in die Therapie hinübergenommen. An die
Stelle der alten^;,Ableitung“ sind moderne biologische Erklärungen
getreten, die restlos noch niemanden befriedigen. Much spricht mit
Recht von einem Spiralengang ärztlicher Therapie. Delbanco niqimt
Stellung zu E. F. Müllers Fremdkörpertheorie, mit der Reizung des
Knochenmarks im Mittelpunkt, zu Hermann Freunds an das vege¬
tative Nervensystem anknüpfenden Ideen, welche in der Reizung der
Vasokonstriktoren das Wesen der unspezifischen Reintherapie er¬
blicken. S m i t h 1 e n u. a. sprechen wegen kolloidaler Zustandsänderung
des Blutes von „Kolloidtherapie“. Wie eine Intuition mutet der Schritt
von Much an, dem Begriff der Immunitätsreaktion eine solche Aus¬
dehnung zu geben, daß weite Strecken der inneren Medizin ihm zu¬
fallen. Die unspezifische Reizung steigert die spezifische Ab¬
wehr der Zelle. Delbanco verweist auf des noch lebenden Nour-
neys Arbeiten, der seit 40 fahren, wie er sagt, der überzeugungstreue
«Allergist“ ist, in dem Selbstheilungsprozeß eine neue Energie zur
Wirkung bringen will, in seiner Erstlingsarbeit über Superinfektionen
mit dem Vakzinegift beim Erstimpfling lehrte, daß jede Infektion mit
einer Blutinfektion beginnt. Ist das Blut nicht mehr imstande, die
Infektion zu meistern, so treten in den örtlichen allergischen Organ¬
bezirken —• nach außen als Krankheitssymptome imponierend —
„vitale Energien“, als spezifische Immunitätsreaktionen nacheinander
in Tätigkeit. Nourney überschätzt nach Delbancos Ansicht seine
„Vebli“, d. i. Venenbluttherapie. Delbanco referiert über die Refe¬
rate und Diskussionen, welche auf dem Hamburger Kongreß der
Deutschen Dermatologischen Gesellschaft dem Muchschen Thema
gegolten haben, ln der Diskussion standen Smith len (Wien) und
Hans Sachs (Heidelberg) mit ihren kolloidchemischen Ausführungen
im Vordergrund. Biers Aufsätze zu diesem Gebiet zeigen Virchow
wieder als Klassiker. So viele Redner auf dem Hamburger Kongreß,
so viele Problemstellungen, Hypothesen, geistvolle, widerlegte und
unwiderlegte Behauptungen. — weiter als die alten Bader sind wir
in der Praxis noch nicht gelängt. — Barfurth (kein Eigenbericht).
Peyser geht von einem Satze aus, den der Vortragende in
folgender Weise formuliert hat: „Es erzeugen alle diese Reize den¬
selben physikalischen Zellzustand oder dieselben Zerfallsstoffe
von Körperzellen.“ Da Peyser sich mit dem physikalischen
Zustande beschäftigen will, so macht er zunächst einige Vorbemer¬
kungen, die sich auf die Aktinoelektrizität beziehen und die
darauf hinauslaufen, daß ultraviolette Strahlen negative Elektrizität
vernichten. Da nun sämtliche Bakterien nach Bechold und
Höher negativ elektrisch geladen sind, so fallen diese, von
den ultravioletten Strahlen, direkt getroffen, dem Tode anheim. Für
sie bedeutet die elektrische Ladung eine der Lebensenergien. Praktisch
ist längst bekannt, daß Wasser, in dem sich hochvirulente Kul¬
turen befinden, durch den Einfluß der ultravioletten Strah¬
len fast im Moment sterilisiert wird, und zwar durch die kurz¬
welligen Strahlen als solche. Hierher gehört auch die Beobachtung
der Heilung von Bauchtuberkulose durch Laparotomie (Licht¬
wirkung). Die Wirkung von Chinin, Terpentin und anderen
Stoffen gehört hierher, weil ihnen optische Qualitäten zukommen.
Interessant ist, daß der Chinabaum in Afrika sein Alkaloid verlor,
als aber der Stamm vor den direkten Sonnenstrahlen geschützt wurde,
erhielt er es wieder. Offenbar, weil die roten Strahlen die hier in
Betracht kommenden kurzwelligen unter dem Einflüsse des zu starken
Sonnenlichtes vernichtet hatten. Nicht zuletzt sind die Lipoide hier
zu erwähnen und müssen daher von den Proteinen als Antigene
streng geschieden werden, da letztere ganz andere physikalische
Eigenschaften haben. Aüch zur Klärung des Wesens der Fermente,
von denen einigen optische Aktivität zukommt, trägt die These
von der Aktinoelektrizität bei. Die Therapie wird in Zukunft nicht
mehr darauf verzichten dürfen, die Reziprozität der physi¬
kalischen Energien zu berücksichtigen.
Nachtrag: E. F. R. Müller betont die Notwendigkeit ge ¬
nauester histologischer nebenklinischer Untersuchung über die dem
unspezifischen Reiz und der Reizwirkung zugrundeliegenden Vor¬
gänge. Am kleinen, gesunden Laboratoriumstier ist das nicht mög¬
lich. Er hat deshalb seine Untersuchungen am kranken Großtier
gemacht, am Rotlauf der Schweine und an der Maul- und Klauen¬
seuche der Rinder. Dabei ergab sich fast völlige Uebereinstimmung
zwischen spezifischer und unspezifischer Behandlung. — Für die Do¬
sierung ergab sich die Notwendigkeit hoher Dosen und häufiger
Gaben bei akuten, seltener und geringer bei leichten und chronisch
verlaufenden Infektionen. Die Verwertung der immunisierenden
Eigenschaften der Haut (intrakutane Einspritzung) stellt einen be¬
sonders aussichtsreichen Teil der unspezifischen Behandlung dar.
Kiel, Medizinische Gesellschaft, 15. XII. 1921.
Offizielles Protokoll.
Vorsitzender: i. V. Hoppe-Seyler. Schriftführer: derselbe.
Holzapfel: a) Vulvaverschluß durch Verbrennung. 18jähr. Virgo
fiel mit 3 Jahren auf ein heißes Plätteisen. Breite, strahlige Narbe
quer über den Damm, nach links und weiter nach rechts ausstrahlend.
Durch* Narbenzug ist die hintere Kommissur nach vorn und oben
gezogen, sodaß sie segelartig vor der hinteren Vulvahälfte liegt und
den Introitus verschließt. Heilung durch Plastik, durch Abbildungen
erläutert. (Erscheint im Zbl. f. Gyn.) b) Seltene Qynatresle. Gut
entwickeltes, kräftiges 13jähriges Mädchen, nicht menstruiert. Vor
4 Jahren schwere Masern. Vor 8 Monaten öfter Harndrang. Vor
2 Monaten beim Baden dicker Leib bemerkt. Seit längerer Zeit
Kopfschmerzen, sonst keine Beschwerden, kein Fieber. Mammae
etwas entwickelt. Im Abdomen ein prallzystischer, den Nabel um
3 cm übersteigender Tumor, oben etwas knollig, sonst glatt, ins
Becken bis etwa 5 cm unterhalb der Linea innomminata hinabsteigend.
Hymen verschlossen, kaum vorgewölbt, blaßrot. Bei dem jugend¬
lichen Alter der Kranken und dem Fehlen aller Molimima ließ sich
ein gynatretischer Menstrualbluttumor ausschließen. Andere gyna-
tretische Verhaltungstumoren auf entzündlicher Grundlage waren in
dieser Größe nicht beschrieben, auch war es unwahrscheinlich, daß
in einem solchen Falle gar keine örtlichen Beschwerden bestanden.
Das Wahrscheinlichste war nach dem Befunde Schwangerschaft (trotz
Hymen occlusus und Jugend) oder ein Ovarialtumor. Wiederholte,
sehr gründliche Untersuchung ergab keine Anhaltspunkte für Schwan¬
gerschaft. Somit sollte zur Feststellung und nötigenfalls Entfernung
des Tumors das Abdomen geöffnet und nachher die Gynatresie
beseitigt werden. Die Laparotomie ergab 3 cm lange Ovarien ohne
jede Narbe, den Tumor als Flüssigkeitsansammlung in Scheide und
Zervix, das Korpus in bekannter Weise auf dem Tumor reitend.
Bei dem unbekannten Inhalt des Tumors schien es besser, das
Abdomen zu schließen und den Tumor von unten anzugehen. Der
2 — 21/2 mm dicke Hymen wurde durchtrennt, danach eine Zwischen¬
schicht und dann der Scheidensack eröffnet, der reinen Eiter enthielt.
Die Untersuchung ergab eine Reinkultur von Streptokokken. Verlauf
glatt, fieberfrei. Es handelte sich also um eine untere Scheiden-
atresie mit ausgedehnter Pyoelythrometra. Holzapfel nimmt an,
daß die Atresie erworben wurde wahrscheinlich mit Eiterbildung
während der Masernerkrankung. Bemerkenswert ist die Größe des
Eitersackes, der fast völlige Mangel an Beschwerden und das sehr
langsame Wachstum des Tumors, das festgestellt wurde durch die
langsame Zurückbildung der Scheide. 31/2 Jahre post operationem
war die Scheide noch weit, die Portio kurz durch die reichliche
Scheidenhaut. (Erscheint im Zbl. f. Gyn.) c) Schwangerschaftszelctiea
Holzapfel beschreibt ein Zeichen, durch das man oft recht früh¬
zeitig die Schwangerschaft erkennen kann. Es beruht auf der Locke¬
rung des Korpus und wird früher deutlich als das Hegarsche
Zeichen (I). Wenn man nach der Betastung des Organs Zeigefinger
und Hand am Korpus bis über den Fundus unter leisem Druck hin¬
gleiten läßt, so schnellt der nichtgravide Uterus „knapsend“ unter
den Fingern weg, etwa wie ein nasser Kirschkern sich zwischen
zwei Fingern wegschnellen läßt, natürlich mit etwas geringerer Ge¬
walt. Ist der Uterus gravid, so wird das Knapsen nicht deutlich,
oder es fehlt. Hat man sich auf diese Untersuchungsweise eingeübt,
so kann man in den meisten Fällen die Schwangerschaft sehr früh
erkennen. Knapst es deutlich, so liegt kein Ei im Uterus eingebettet.
Fehlt das Knapsen, so ist der Uterus gravid, bei undeutlichem Knapsen
wahrscheinlich gravid. Schwierig wird die Beurteilung bei der Retro-
versio mit Stauungserscheinungen und beim prämenstruellen Uterus.
Aber gerade hier ist das Knapsen oft besser zu verwerten als die
Weichheit des Korpus, die sonst das beste Zeichen für Schwanger¬
schaft darstellt (s. Zbl. f. Qyn. 1921 Nr. 26).
Besprechung. Linzenmeyer.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITV
474
VEREINS- UND KONORESSBERICHTE
Nr. 14
Göbell bespricht die Entstehungsweise der sogenannten Hernia
iaphragmatica spuria nach Schußverletzung und referiert über 2 selbst
beobachtete Fälle. Der eine wurde in Trier beobachtet und kam
unter den Erscheinungen des Magenverschlusses und der Herz¬
schwäche ad exitum. Bei der Sektion fand sich der durch eine
Zwerchfellücke getretene stark aufgeblähte* Magen in der linken
Pleurahöhle, das Herz war stark nach rechts verdrängt, die linke
Lunge komprimiert. Der zweite Fall wird als geheilt vorgestellt.
Er wurde am 28. III. 1918 durch einen Schrapnellsteckschuß ver¬
wundet. Im Februar 1919 wurde hier die Schrapnellkugel entfernt.
Am 15. IV. 1919 wurde der Patient mit Ileuserscheinungen eingeliefert.
Es wurde die Diagnose Prolaps des Kolons in eine Zwerchfellücke
gestellt und operiert, und zwar zunächst, da eine Einklemmung in
der Zwerchfellücke nicht nachweisbar war, eine Kolostomie ausge¬
führt. Drei Tage später mußte wegen Fortbestehen der Ileus¬
erscheinungen eine Enterostomie angeschlossen werden. Danach er¬
holte sich der Patient. Am 24. VI. 1919 wurde durch Thorakotomie
die Hernia diaphragmatica spuria freigelegt; der scheinbar vorhan¬
dene Bruchsack war aus Netz- und Narbengewebe gebildet, in ihm
lag das Colon transversum. Bei der Präparation des Darmes fand
sich eine durch Netz verschlossene Schußverletzung des Darms, in¬
folgedessen Darmnaht. Diese Darmnaht war nur unter gleichzeitiger
Verengerung des Kolons möglich. Die Lücke im Diaphragma wurde
nach Anfrischung durch Seidennähte geschlossen. Um zu verhindern,
daß nach Verschluß des Anus wieder ein Ileus auftrat, wurde am
1. IX. 1919 eine Verbindung zwischen Colon transversum und Colon
descerdens hetgestellt. Nach Heilung dieser Wunde wurde am 25. XI.
1919 der Anus praeternaturalis geschlossen.
Besprechung. Käppis.
Göbell stellt a) einen Verwundeten mit Graoatsplittersteckschiiß
im Herzbeutel vor. Die fibrösen Verwachsungen des Herzbeutels
hatten starke Herzbeschwerden hervorgerufen. Die Kardiolysis
mit Durchtrennung der fibrösen Verwachsungen zwischen Perikard
und Epikard und Entknochung bzw. Entknorpelung der Bru?hvand
zeitigte ein sehr gutes Resultat, b) Sphinkterplastik am Rektum.
Göbell stellt eine Patientin vor, bei welcher am 28. V. 1916 wegen
Wirbelbruchs und Lähmungen beider Beine, von Blase und Mastdarm
eine Laminektomie ausgeführt worden war. Es hat sich danach die
Motilität und Sensibilität der Beine wiederhergestellt, nur bestand
noch eine Incontinentia alvi. Es wurde deshalb am 12. IX. 1918
Plastik ausgeführt, welcher beiderseits der vom Nervus glutaeus
inferior versorgte Muskelabschnitt des Musculus glutaeus maximus von
seiner Insertion abgelöst, aber mit Gefäßen und Nerven in Ver¬
bindung gelassen wurde. Dann wurde das Steißbein exstirpiert, das
Rektum isoliert. Die beiden sehnigen Enden des Musculus glut. max.
wurden nach vorn vom Rektum gezogen und hier miteinander
vernäht, es sollte auf diese Weise der Darm nach hinten geknickt
und dadurch eine Kontinenz erzielt werden. Da eine Infektion in
der mittleren Operationswunde auftrat, wurde am 25. IX. 1918 ein
Anus praeternaturalis an der Flexura sigmoidea angelegt. Inzwischen
war durch eine langdauernde Zystitis und Pyelitis ein weiteres
operatives Vorgehen nicht möglich. Am 27. V. TOO ergab die Unter¬
suchung, daß der bisherige Eingriff zum Verschluß nicht genügte, es
wurde deshalb bei einer abermaligen Operation ein Stück Ober¬
schenkelfaszie von hinten zwischen den beiden Glutäen ausgespannt;
auf diese Weise wurde erreicht, daß das Rektum einmal nach hinten
gezogen wurde, gleichzeitig durch eine von den Glutaealsehnen und
der freitransplantierten Faszie gebildeten Zwinge komprimiert wurde.
Am 21. VIII. 1920 wurde der Anus praeternaturalis verschlossen, da¬
nach zeigte sich, daß die Patientin imstande war, den Stuhl zurück¬
zuhalten. Der Zustand hat sich immer mehr gebessert, sodaß sie
heiraten konnte. Ein Verschluß für Winde besteht nicht, c) Tief-
sitzende Dnodenalstenose bei einem nengtborenen Mädchen. Die
Duodenalstenose war durch zweimalige korkenzieherartige Drehung
des Duodenums hervorgerufen. In diesem Fall hat Göbell eine
Gastroenterostomia antecolica anterior mit nachfolgender Entero-
anastomose ausgeführt. Es erfolgte aber keine Entleerung des Magen¬
inhaltes in den Darm, sodaß das Kind an ganz allmählicher Ent¬
kräftung zugrundeging. Früher ausgeführte Tierversuche stimmten
mit diesem Ausgang überein, während ein von Helfe rieh ope¬
rierter Fall von erworbener tiefsitzender Dnodenalstenose durch
Gastroenterostomie geheilt wurde. Tiere, an denen ein künstlicher
Duodenalverschluß mit nachfolgender Gastroenterostomie ausgeführt
war, magerten stark ab und gingen zugrunde. Bei einem Neuge¬
borenen mit Duodenalstenose sind die Verhältnisse sehr ähnlich den
Tierversuchen, weil auch bei ihm die Stenose plötzlich, nämlich beim
ersten Schluck Muttermilch, in Erscheinung tritt. Das Duodenum
hatte in utero keine Gelegenheit, sich der Stenose anzupassen. Es
muß deshalb, wie Wilms schon gefordert hat, entweder die Ope¬
ration an der Stenose angreifen oder eine Verbindung zwischen
Duodenum und Jejunum angelegt werden.
Besprechung. Spiegel, Linzenmeier, Hoppe-Seyler,
Göbell.
Käppis glaubt, daß noch ziemlich viele Kriegsverletzte mit
Zwerchfellhernien unoperiert sind, daß es wünschenswert ist, diese
zu erkennen und zu operieren, ehe Einklemmungen auftreten, und
daß die, wenigstens vermutungsweise, Diagnose nicht schwierig ist,
wenn bei einem linkseitigen Brust- oder Bauchschuß entsprechende
Schmerzanfälle oder andere Störungen auftreten, insbesondere, wenn
dabei Schulterschmerz vorhanden ist. Bei der Operation im nicht-
emgeklcmmten Zustand empfiehlt Käppis, sowohl von Pleura wie
vom Abdomen aus zu operieren und vorher den Phrenikus mit Novo¬
kain oder Vereisung leitungsunfähig zu machen. Für die Ope¬
ration eignet sich sehr der von Kirschner angegebene Angel¬
hakenschnitt. Käppis weist noch auf die Bedeutung des Pneumo¬
peritoneums für die Stellung der genauen Diagnose hin; allerdings
kann das Pneumoperitoneum möglicherweise Einklemmungen auslösen.
Köln, Allgemeiner ärztlicher Verein, 9.1.1922.
Meirowsky: Ueber den gegenwärtigen Stand der Salvarsan-
tberapie der Syphilis. Meirowsky bespricht zunächst die einzelnen
Schädigungen, die durch das Salvarsan hervorgerufen werden, weist
auf die Häufung der Fälle mit angioneurotischen Symptomenkom-
plexen hin, bespricht die Bedeutung der Ikterusfälle und der En¬
cephalitis haemorrhagica. Was die Wirkung des Mittels anbetrifft,
so empfiehlt Meirowsky auch die prophylaktische Syphilisbehand¬
lung für alle Fälle, in denen der Verkehr mit einer frisch syphiliti¬
schen Person stattgefunden hat und der Verdacht auf Ansteckung
vorhanden ist. Obwohl es sicher ist, daß auch schon mit einer
Kur in der Mehrzahl der Fälle eine Heilung erzielt werden kann,
treten in einzelnen Fällen, wie auch die Statistik der Deutschen
Dermatologischen Gesellschaft ergeben hat, Rezidive auf. Da man
dem einzelnen Fall nicht ansehen kann, ob er zu den glücklichen
gehört, bei dem eine einmalige Behandlung einen vollen Erfolg er¬
zielt hat, so empfiehlt der Vortragende eine Wiederholung der Kur
in jedem einzelnen Falle. Das Problem der Syphilisbehandtung be¬
ginnt erst bei der sekundären Syphilis, da in diesem Stadium von
den Neurologen und Internisten eine Häufung der zerebralen Syphilis¬
fälle beobachtet worden ist. Sie beruht auf der verschiedenen Wir¬
kungsweise des Quecksilbers und Salvarsans. Während das erstere
die Immunitätsvorgänge im Körper anregt, tötet das Salvarsan die
Spirochäten direkt ab.. Dadurch kommt es gar nicht zu Iinmunitäts-
vorgärgen im Kölner, und aus diesem Grunde können sich Mono-
rezidive an den Gehirnhäuten entwickeln. Diesen zerebralen Re¬
zidiven kann man nur durch eine sehr intensive Behandlung des
sekundären Stadiums Vorbeugen. Die Kuren müssen bis zu 5—8 g
angewendet und mindestens zweimal wiederholt werden. Auch im
sekundären Stadium werden ausgezeichnete Erfolge mit Salvarsan
erzielt, obwohl hier die Behandlung nur noch symptomatisch wirkt.
In allen Fällen, in denen im Latentstadium eine hartnäckige positive
Reaktion vorhanden ist, soll das Negativwerden nicht mit Gewalt
erzwungen werden. Solche hartnäckig positiven Fälle werden oft
noch nach Jahren spontan negativ,‘brauchen jedenfalls durchaus nicht
Tabes oder Paralyse zu bekommen. Kombinationsbehandlung wird
empfohlen; jedoch kann beim Höhergeheu der Salvarsandosen die
Quantität des Hg geringer werden.
In der Besprechung schneidet Hopmann die Frage an,
ob das Salvarsan vielleicht nur die Schutzstoffe anrege, die Spiro¬
chäten aber nicht abtötet. Auch durch Schmierkur wird die Haut
zur Tätigkeit der Immunstoffe angeregt. Zinsser leitet niemals eine
prophylaktische Therapie ein bei Männern, bevor nicht die Diagnose
gesichert ist. Dagegen bei Frauen übersieht man häufig den Primär¬
affekt, und deshalb sei bei Frauen die prophylaktische Behandlung
mit Salvarsan anzuraten. Beltz bestätigt die starke Zunahme menin-
gealer Reizerscheinungen im sekundären Stadium mit dem Beginn
der Salvarsansera. Ob der endolumbalen Salvarsantherapie die Zu¬
kunft in der Behandlung der gesamten syphilitischen Erkrankungen
des Zentralnervensystems gehört, bleibt abzuwarten. Seine bisherigen
Erfahrungen erlauben noch kein sicheres Urteil. Der Opitimismus
Genrierichs ist verfrüht. Für das Auftreten von Tabes und
Paralyse sind neben der obligatorischen Bedingung der Syphilis
endogene dispositionelle Faktoren maßgebend. Gegen hartnäckige
tabische Krisen haben sich endolumbale Salvarsaninjektionen sehr
bewährt. Blum betont, daß nach der Einführung des Salvarsans die
Tabes und Paralyse zugenommen habe. Haberland erwähnt, daß
in manchen Fällen mit der Försterschen Operation gute Resultate
erzielt werden. Vorschütz fand, daß bei schweren Infektions¬
krankheiten im subakuten und chronischen Stadium, wo das Serum
einen sehr stark erhöhten Globulingehalt aufweist, die Wa.R. sehr
oft positiv ausfällt. Habermann teilt-nicht die pessimistische Auf¬
fassung Meirowskys über die Prognose der Neurorezidive, da
Umfang, Alter und vor allem Lokalisation der Prozesse doch weit¬
gehende Unterschiede bedingen. Zur Vermeidung des angioneuroti¬
schen Komplexes bei disponierten Personen mißt Habermann der
vorbeugenden Adrenalininjektion keinen großen Wert bei; wirksamer
erwies sich außer langprotrahierter Injektionsweise die Auflösung
des Salvarsans in hochprozentigen Traubenzuckerlösungen (Stejskal,
Scholtz) auch zur Vermeidung des Brechreizes. Siegmund er¬
örtert vom Standpunkt des Pathologischen Anatomen die Salvarsan-
schädigungen. Muskelnekrosen kommen bei Kindern gar nicht selten
zur Beobachtung und können den Ausgang für eine Sepsis abgeben.
Als auslösender Faktor für das Zustandekommen von toxischen Leber¬
atrophien ist Salvarsan zweifellos von Bedeutung. Die Salvarsan-
enzephalitis beruht auf einer Schädigung der Kapillarendothelien mit
Ausbildung hyaliner Thromben, umschriebenen Nekrosen und Dia¬
pedeseblutung in der weißen Hirnsubstanz. Thrombose der Vena
magna Galeni ist nicht Ursache, sondern Folge der Hirnpüfpura
(Dietrich). Für das Zustandekommen der Hirngefäßschädigung
sind anderweitige vasomotorische Schädigungen unterstützende Fak¬
toren, insbesondere Gravidität und Menstruation.
H. F. O. Haberland (Köln).
Verantwortlicher Redakteur: Geh. San.-Rat Prof. Dr. |. Schwalbe. — Druck von Oscar Brandstetter ln Leipzig.
□ igitized by Gougle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
Deutsche Medizinische Wochenschrift
Begründet von Dr. Paul Börner
HERAUSGEBER: VERLAO:
Geh. San.-Rat Prof. Dr. Schwalbe GEORG THIEME / LEIPZIG
Bertin-Charlottenburg, Schlüterstraße 53 Antonstraße 15
Nummer 15
Frtltag, den 14. April 1922
48. Jahrgang
Diabetes und Balneologie 1 ).
Von 0. Minkowski.
M. H.! Der ehrenvollen Aufforderung Ihres Vorstandes, den ein¬
leitenden Vortrag zu den heutigen Verhandlungen über die Balneo¬
therapie des Diabetes zu übernehmen, bin ich nicht leichten Herzens
gefolgt. Nicht etwa, daß es mir schwer würde, das Glaubensbekennt¬
nis von der Wirksamkeit der Mineralwasserkuren beim
Diabetes abzulegen, das doch wohl die Voraussetzung für die Ueber-
nahme einer solchen Aufgabe vor diesem Forum bilden muß. Aber
ich bin mir dessen bewußt, daß Sie anderes von mir erwarten, als
die Wiederholung der Ihnen allen geläufigen Erfahrungstatsachen
von dem günstigen Einfluß der Heilquellen auf das Befinden vieler
Diabetiker. Von ihrer Wirksamkeit kann man ja überzeugt sein, auch
wenn man, wie es geschehen ist, es für zweifelhaft erklärt, ob der
Nutzen, den sie in vielen Fällen bringen, nicht wettgemacht wird
durch den Schaden, der in anderen Fällen durch die Ueberschätzung
ihrer Wirkungen angestiftet wird. Die Gefahr, daß die Kranken durch
das Vertrauen auf die Heilkraft der Kuren zum Leichtsinn verführt
werden und in der Zwischenzeit ihr Leiden vernachlässigen, kann
ja nicht als ein Einwand gegen die Heilkraft der Quellen angesehen
werden. Diese Gefahr könnte bei gutem Willen der Kranken und
ihrer Aerzte vermieden werden.
Aber der weitverbreitete Glaube an die — nicht allein von der
Ernährungsweise abhängigen — günstigen Wirkungen der Mineral¬
quellen fußte, bei Lichte besehen, bis jetzt in der Hauptsache doch
nur auf rein subjektiven Eindrücken, deren Wert nur durch die
Ueberzeugung zu begründen ist, wie sie in dem von v. Noorden
zitierten Ausspruch Lincolns zum Ausdruck kommt, daß wohl
„alle Menschen manche Zeit, manche Menschen alle Zeit, aber nicht
alle Menschen alle Zeit einer Täuschung unterliegen können“. Bei
dem wechselvollen Verlauf der Krankheit und den mannigfachen
Einflüssen, von denen die Intensität der Glykosurie abhängen kann,
können weder Beobachtungen an Einzelfällen, noch ad hoc zusammen¬
gestellte Statistiken volle Beweiskraft beanspruchen.
Die moderne Balneologie stellt höhere Anforderungen: Die ganze
Anordnung dieser Tagung, der Inhalt der bereits gestern gehörten
und der uns noch in Aussicht gestellten Vorträge bringt es ja über¬
zeugend zum Ausdruck, wie die Balneotherapie, befruchtet durch die
Errungenschaften der neueren chemischen, physikalischen und physi¬
kalisch-chemischen Forschungen, immer mehr zu dem Range einer
exakten Naturwissenschaft emporstrebt und auch an die alten Er¬
fahrungstatsachen den Maßstab wissenschaftlicher Kritik und wissen¬
schaftlicher Erkenntnis anzulegen sich bemüht. So muß es auch
heute unser Bestreben sein, aus einem Einblick in das Wesen der
diabetischen Störung und «in die Wirkungsweise der
Mineralwässer ihren Wert für die Behandlung der Zuckerkrank¬
heit zu erkennen und aus der so gewonnenen Erkenntnis Handhaben
für die Beurteilung der praktischen Erfahrungen abzuleiten.
Von diesem Ziele aber sind wir leider noch weit entfernt. Ich
kann es daher nur versuchen, in aller Kürze anzudeuten, wie man
sich einstweilen unter Zugrundelegung der Ergebnisse der neueren
Forschungen die Zusammenhänge allenfalls vorstellen und wo man
zunächst nach den Angriffspunkten für die Wirkungen der Mineral¬
wasserkuren suchen könnte.
Zunächst einige Worte über die Stoffwechselstö¬
rung beim Diabetes:
M. H.I Im Widerstreit der Meinungen bilden bekanntlich Schlag¬
worte oft das größte Hindernis für ein gegenseitiges Verstehen.
Mit dem Eindringen in das Wesen der Dinge verlieren sie aber
oft die Schärfe ihres Gegensatzes. Das gilt vielleicht schon heute
für die Hauptfrage über die dem Diabetes zugrundeliegende Störung:
Ist die Ueberladung des Organismus mit Zucker Folge einer ver¬
mehrten Bildung oder eines gestörten Verbrauchs von
Zucker? Die Vertreter beider Annahmen glauben vielleicht in der
weiteren Entwicklung unserer Erkenntnis eine Bestätigung ihrer An¬
sichten erblicken zu dürfen, ein Beweis dafür, daß die Vorstellungen,
die diesen Ansichten zugrundeliegen, gar nicht so unvereinbar waren,
wie es schien, und daß vielfach nur die falsche Beurteilung des geg¬
nerischen Standpunktes zu seiner Ablehnung Anlaß gab.
f ) Vortrag,"gehalten aul ;dem 38. Baineologenkongreß in Bertln'am 17. III. 1922.
So habe ich, der ich wohl als ein Verfechter der Lehre von
der Störung des Zuckerverbrauchs gelte, niemals bejtritten, daß
auch eine vermehrte Zuckerbildung beim Diabetes eine Rolle spielt.
Ich habe nur immer betont, daß dadurch allein die Vorgänge beim
Diabetes nicht erklärt werden könnten, daß man vielmehr ohne
die Annahme einer Störung des Verbrauchs nicht auskommen könnte
und daß diese Störung auf das Versagen einer für die „normale
Verwertung des Zuckers“ unumgänglich notwendigen Pankreasfunk¬
tion zurückgeführt werden müsse. An dieser Ansicht glaube ich
auch heute noch festhalten zu dürfen. Ich möchte vör allem die
Annahme zurückweisen, daß die Störung der Pankreasfunk¬
tion, die, wie ich glaube, allen Fällen zugrundeliegt, die den
Namen des Diabetes mellitus verdienen, daß diese Störung allein in
einer ungezügelten Zuckerproduktion zu suchen sei, dife durch den
Ausfall eines hemmenden Einflusses der Bauchspeicheldrüse auf die
Adrenalinwirkung in der Leber bedingt wird. Ich glailbe vielmehr
nach wie vor, daß es sich nur um ein Versagen eirier positiven
Leistung handelt, die das Pankreas bei der normalen Verwertung
des Zuckers zu vollbringen hat.
Aber wenn wir nun versuchen, uns auf Grund der neueren
Forschungen näher darüber klar zu werden, welcher Art diese
Leistungen des Pankreas sein könnten, so ergeben sich
Möglichkeiten, die scheinbaren Gegensätze auszugleichen:
In meiner ausführlichen Arbeit über den Diabetes nach der
Pankreasexstirpation aus dem Jahre 1893 l ) — eine Arbeit, die, wie
mir scheint, von neueren Autoren leider nur selten im Original ein¬
gesehen wird — habe ich hervorgehoben, wie jede Theorie über die
Rolle der Bauchspeicheldrüse beim Zuckerverbrauch, vor allem das
verschiedene Schicksal des rechtsdrehenden und des linksdrehenden
Zuckers im Organismus des Diabetikers, namentlich auch in bezug
auf die Glykogenbildung in der Leber, zu berücksichtigen hätte. Ich
wies darauf hin, daß dieses verschiedene Verhalten mit der Ver¬
schiedenheit in der chemischen Konstitution des Akiehydzuckers und
des Ketonzuckers in Zusammenhang stehen könnte, und habe dabei
wörtlich bemerkt: „die einfachste Erklärung gäbe die Annahme, daß
überhaupt nur aus Lävulose Glykogen gebildet werde und daß das
Pankreas erst die Dextrose in Lävulose umwandeln müsse“. Bei
dem damaligen Stande unserer Kenntnis mußte ich zunächst eine
solche Annahme als schwerlich zulässig bezeichnen. Neuere Unter¬
suchungen haben aber gezeigt, wie nahe ich mit jenem Gedanken
der Wirklichkeit war. Die Untersuchungen von Embden und seinen
Mitarbeitern über die Vorgänge bei dem Kohlenhydratumsatz in der
Muskulatur haben, in Analogie mit den neuen Forschungen (von
Neuberg, Euler u. a.) über die Vorgänge bei der Hefegärung,
gezeigt, daß in der Tat die Lävulose die im Organismus viel leichter
verwendbare Form des Zuckers ist und daß der Traubenzucker,
wenn er als Energiespender in der Muskulatur verbraucht oder als
Polysaccharid in Form des Glykogens aufgesoeichert werden soll,
erst eine intramolekulare Atomverschiebung erleiden muß, durch die
er, wenn auch nicht direkt in Fruchtzucker, so doch in eine diesem
näherstehende Form übergeführt werden muß. Wir dürfen heute
damit rechnen, daß der Traubenzucker überhaupt nur eine Trans¬
portform der Kohlenhydrate vorstellt, die, um für die Zwecke des
Organismus verwendbar zu werden, in eine andere, mehrreaktions¬
fähige Form übergeführt werden muß. Eine solche ist, wie es be¬
sonders Isaac 2 ) ausgeführt hat, mit großer Wahrscheinlichkeit in der
durch eine Doppelbindung zwischen zwei Kohlenstoffatomen ausge¬
zeichneten sogenannten „Enolform“ des Zuckers gegeben, die gewisser¬
maßen eine Üebergangsform zwischen dem Aldehyd- und dem Keton¬
zucker bildet. Wie durch Verschiebung des H bzw. OH die eine Form
in die andere übergeführt werden kann, ersehen Sie aus den Formeln
CHt(OH)
CH,(OH)
CH*(OH)
CH(OH)
CH(OH)
CH(OH)
CH(OH)
CH(OH)
CH(OH)
CH(OH)
CH(OH)
CH(OH)
CH(OH)
C(OH)
C=0
<*HO
Dextrose (Aldehydzucker)
CH(OH)
Enol
CH.(OH)
Lävulose (Ketonzucker)
*) Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 1893,31. S 178. -
•) B. Kl. W. 1919 Nr.40; M. Kl I9?0;
Tber Hmh. 1921 Nr. 5.
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSUM
476
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 15
Diese doppelte Bindung der Kohlenstoffatome bedingt die be¬
sondere Reaktionsfähigkeit der Substanz. Durch die Auflösung der
doppelten Bindung ergeben sich freie Valenzen an den Kohlenstoff¬
atomen, die sowohl eine Vereinigung mit gleichen Atomgruppen,
also die Polymerisierung zu Glykogen, wie eine esterartige An¬
lagerung an Phosphprsäure ermöglichen. Die Verbindung mit Phos¬
phorsäure ist die eigentliche Verbrauchsform der Kohlenhydrate
im Organismus. Das von Embden als Vorstufe der J^/Uldhsäuife,
durch welche der Kontraktionsvorgang im Muskel ausgelöst wird,
bezeichnete „Lactacidogen“ ist eine Hexosediphosphorsäure, die mit
der in der Hefe nachgewiesenen Lävulosephosphorsäure identisch ist.
So führt der Weg von der Dextrose wie von der Lävulose zum
Glykogen wie zur Milchsäure über die Enolform des Zuckers, und
umgekehrt geht auch die Umwandlung des Glykogens in Zucker,
wie der Wiederaufbau des Zuckers aus der Milchsäure, wahrschein¬
lich über dieses Enol.
Ein solcher Wiederaufbau von Zucker aus Milchsäure findet, wie es scheint,
im Organismus in einer Weise statt, daß dadurch eine erhebliche Ersparnis im
Kohlenhydratumsatz erzielt wird. Von den 6 Molekülen, die aus einem Molekül
der Hexosediphosphorsäure entstehen und bei der Muskelkontraktion zur Wirkung
gelangen, werden 4 unter Energieaufwand wieder in Zucker zurückverwandelt,
wobei die durch den oxydativen Abbau der beiden übrigen Milchsäuremoleküle
gewonnene Energie zum Teil Verwendung findet.
Im normalen Organismus stehen Zuckerbildung, Zuckerspeiche¬
rung und Zuckerverbrauch in innigster Wechselbeziehung. Sie werden
sowohl an den Orten, wo die Kohlenhydrate gespeichert werden, wie
an den Stellen, wo sie als Energiespender verwertet werden, nach
den Bedürfnissen des Organismus geregelt, wobei, wie bekannt, als
Regulatoren in der Hauptsache die Einwirkungen innersekretorischer
Organe dienen, die ihrerseits unter dem Einfluß oder durch Ver¬
mittlung der vegetativen, sympathischen und parasympathischen In¬
nervation in Aktion treten. Da es sich aber bei den hier in Betracht
kommenden Spaltungen, Synthesen und intramolekularen Umgrup¬
pierungen der Atome um reversible Vorgänge handelt, so wird
ihr Ablauf in der einen oder in der anderen Richtung vor allem
auch nach dem Gesetz der Massenwirkung durch die Mengenver¬
hältnisse »der an den Vorgängen beteiligten Substanzen bestimmt.
Aus dem Zusammenwirken der verschiedenen Regulatoren ergibt sich
dann ein Gleichgewichtszustand, der in der Höhe des Blut¬
zuckerspiegels seinen Ausdruck findet.
Man kann nun die dem Diabetes zugrundeliegende Störung so
formulieren, daß man, wie v. Noorden und Isaac es getan haben,
sagt: „Beim Diabetes ist der Gleichgewichtszustand Enol-Dextrose
abnorm weit in der Richtung zur Dextrose verschoben“, d. h. also,
die Umwandlung des Enols in Traubenzucker vollzieht *sich beim
Diabetes leichter als der Uebergang des Traubenzuckers in Enol.
Darin stimme ich den genannten Autoren vollkommen bei. 'Ich sehe
aber nicht ein, warum man, wie sie meinen, in diesem Verhalten
einen Ausdruck dafür erblicken muß, daß beim Diabetes eine unter
dem Einfluß pathologischer Reize oder durch Fortfall einer Brems¬
wirkung des Pankreas zustandekommende gesteigerte Zuckerproduk¬
tion als die primäre Störung anzusehen ist. Mir scheint eine andere
Annahme viel einfacher und näherliegend: Wir können uns vorstellen,
daß für die Ueberführung des Traubenzuckers in die
F‘ 0 rm des Enols die Mitwirkung der inneren Sekretion
des Pankreas unbedingt erforderlich ist, während der um¬
gekehrte Vorgang der Umwandlung des Enols in Traubenzucker
ebenso wie der Uebergang der Lävulose und des Glykogens in die
Enolform sich ohne Mitwirkung des Pankreas durch die in der
Leber und den Muskeln vorhandenen Fermente vollziehen kann. Ich
halte diese Annahme aus chemischen und biologischen Gründen, auf
die ich hier im einzelnen nicht eingehen kann, für durchaus zulässig.
Sie würde nicht nur die gehemmte Umwandlung des Traubenzuckers
in Glykogen — die „Dvszooamylie“ Naunyns —, sondern auch die
Störung jeder anderen Verwertung des Traubenzuckers beim Diabetes
erklären. Sie würde es aber auch begreiflich erscheinen lassen, daß
eine beschleunigte Umwandlung des Glykogens in Zucker und eine
vermehrte Zuckerbildung aus anderen Quellen bei einem Versagen
der Pankreasfunktion zwangsläufig Zustandekommen muß. Denn, wenn
der Uebergang des Enols in Traubenzucker ungehemmt vohstatten
geht, während die Verwandlung der Dextrose in Enol nicht möglich
ist, muß es auch zu einem schnellen Verschwinden des Enols und
damit auch zu einer beschleunigten Umwandlung des Glykogens
in Enol und in Dextrose kommen. Wir würden es aüch verstehen,
warum die Lävulose im diabetischen Organismus zum Teil noch
verbraucht werden kann, während sie zum Teil auf dem Umwege
über das Glykogen zu einer Vermehrung der Dextroseausfuhr bei¬
tragen kann.
In einem im Herbst v. J. in Karlsbad gehaltenen Vortrag hat
E. Frank bereits auf die Möglichkeit einer solchen Erklärung hin¬
gewiesen. Er hat dabei allerdings die hierbei in Betracht kommen¬
den Vorgänge zunächst nur soweit ins Auge gefaßt, als sie sich in
der Leber abspielen, und daher die Frage der primären Beteiligung
der Leber an der Stoffwechselstörung beim Diabetes bejahen zu
müssen geglaubt. Mir scheint aber, daß, wenn man sich erst mit der
Tatsache vertraut gemacht hat, daß der Traubenzucker nur die
Transportform der Kohlenhydrate ist, man auch nicht umhin kann,
die gleiche Mitwirkung des Pankreas bei der Umwandlung der dem
Muskel mit dem Blute zugeführten Dextrose in eine reaktions¬
fähige Form auch für die Bildung des Muskelglykogens und der
Hexosephosphorsäure im Muskel postulieren zu müssen.
Bei dieser Sachlage aber ist es wohl nur ein Streit um'Worte,
ob man von einer vermehrten Zuckerbildung oder von einem ge¬
hemmten Verbrauch des Traubenzuckers als Ursache der diabetischen
Hyperglykämie sprechen will. Versteift man sich darauf, daß die
einmal entstandene Hexosephosphorsäure auch im diabetischen Or¬
ganismus in normaler Weise verwendet werden 7 kann, .dann
jnan, wenn whi wül, sogar von rinem ertialtenen KoMenhydratver-
'Ittauch sprechen. Mit gleichem Recht kann man aber auch die Un¬
fähigkeit, den Traubenzucker in eine reaktionsfähige Form umzu¬
wandeln, als eine Störung der normalen Verwertung des Trauben¬
zuckers bezeichnen. Ich habe meinerseits die Empfindung, daß die
Vorstellungen, die ich mir auf Grund meiner Untersuchungen über
den Pankreasdiabetes von Anfang an gebildet hatte, mit der modernen
Entwicklung xler Lehre vom Kohlenhydratumsatz durchaus in Einklang
stehen.
Aber nicht dieses steht hier zur Diskussion. Ich habe mich hei
diesen Auseinandersetzungen nur deshalb etwas länger aufgehalten,
weil die vorher entwickelten Anschauungen mir eine annehmbare
Vorstellung über die Wirkungsweise der Mineralwässer
beim Diabetes nahezulegen scheinen. Der entscheidende Vor¬
gang bei der Umwandlung des Traubenzuckers in eine reaktionsfähige
Form ist nach dem Gesagten in einer Umlagerung von H-Atomen und
OH-Gnippen zu erblicken, also in einer Umgruppierung von Ionen,
von der wir nach allem, was wir wissen, annehmen dürfen, daß sie
zum mindesten in ihrer Geschwindigkeit und Intensität durch Aende-
rungen des Elektrolytgleichgewichts beeinflußbar sein muß. Solche
Aenderungen können aber zweifellos im Organismus durch die Ein¬
wirkung der Mineralwässer hervorgerufen werden, gleichgültig, ob
wir dabei mehr ihre Radioaktivität oder ihren Gehalt an Karbonaten
oder anderen leicht dissoziierbaren Elektrolyten ins Auge fassen. Wenn
auch die Fähigkeit des Organismus, die normale Zusammensetzung
seines Blutes zu w'ahren, so weitgehend ist, daß nach Zufuhr von
Mineralwässern in den gebräuchlichen Mengen meßbare Schwan¬
kungen weder in der Konzentration der H-Ionen, noch in dem
Salzgehalt des Blutes nachweisbar sind, so wissen wir doch, daß
diese Erhaltung der gleichmäßigen Zusammensetzung des Blutes
nur dadurch möglich ist, daß die regulatorischen Einrichtungen, die
in der Funktion der Nieren wie in dem lonenaustausch mit den
Geweben gegeben sind, schon auf die geringsten Aenderungen der
Konzentration im Blute ansprechen. In den Geweben, wo sich ja
schließlich die in Frage kommenden Vorgänge' abspielen, und vor
allem in den Gewebsflüssigkeiten, auf deren große Bedeutung Wie-
chowski gestern hingewiesen hat, können zweifellos wirksame
Aenderungen der Ionen- und Elektrolytkonzentration unter der Ein¬
wirkung der Mineralwässer Zustandekommen.
Wie sich im einzelnen die Wirkung der verschiedenen Mineral¬
wässer in der hier in Rede stehenden Richtung gestaltet, darüber
vermögen wir vorläufig noch kein Urteil zu gewinnen. Einstweilen
dürfen wir die hier erörterte Möglichkeit nur als eine Arbeits¬
hypothese ansehen, die zu weiteren Untersuchungen Anlaß geben
kann. Wir dürfen nicht vergessen, daß ebensowen ig wie die Um¬
wandlung des Traubenzuckers in eine reaktionsfähige Form die
einzige Funktion zu sein braucht, die dem Pankreas beim Zucker¬
stoffwechsel zukommt, auch die Beeinflussung dieser Funktion die
einzige Wirkung der durch die Mineralwässer hervorgerufenen Ver¬
schiebung des Elcktrolytgleichgewichts auf den Kohlenhydratumsatz
des Organismus zu sein braudit. Man hat ja au zahlreiche andere
Möglichkeiten gedacht, wie die Rolle des Pankreas beim Kohlen¬
hydratumsatz gedeutet werden könnte. Ich selbst habe in der früher
erwähnten Arbeit darauf hingewiesen, daß es denkbar wäre, daß
das Pankreas nicht auf den Zucker selbst, sondern auf die Organe
einwirkt, die in der Norm den Zucker verbrauchen; daß es auch
denkbar wäre, daß der Zucker in der Norm in irgendeiner lockeren
Bindung zirkuliert, die ihn für die oxydativen Prozesse unangreifbar
macht, und daß das Pankreas berufen sein könnte, diese Bindung zu
lösen. Für diese letztere Möglichkeit ist bekanntlich Schmiede-
berg noch kurz vor seinem Lebensende eingetreten. Lesser 1 )
glaubte, die Rolle des Pankreas so deuten zu dürfen, daß er, wie
es schon Claude Bernard vermutet hat, eine räumliche Trennung
von diastatischem Ferment und Glykogen in der Leber annahm, die
beim Pankreasdiabetes gestört werde, wodurch es zu einer be¬
schleunigten Zuckerproduktion komme. Arnoldi hat neuerdings die
diabetische Hyperglykämie auf eine erschwerte Durchlässigkeit der
Gewebe für den Zucker zurückführen zu dürfen geglaubt, die durch
eine Aenderung der Grenzflächen des Protoplasmas der Zellen be¬
dingt sei. Diese verringerte Permeabilität glaubte er auf eine Ver¬
schiebung in den Verhältnissen der Kationen (K, Na, Ca) beziehen
zu dürfen, wodurch die kolloidchemische Struktur der Zellgrenz¬
flächen beeinflußt würde. Mit Roubitschek 2 ) hat er neuerdings
die durch Verabfolgung von Karlsbader Wasser erzielte Senkung des
Blutzuckerspiegels bei Diabetischen von diesem Gesichtspunkte aus
auf eine Verbesserung des Zuckerzuflusses zu den Geweben zurück-
zuführen gesucht. Wenn auch gegen manche der auf diesem Gebiete
geäußerten Ansichten schwere Bedenken geltend gemacht werden
könnten, so bleibt es doch keineswegs ausgeschlossen,' daß — selbst
wenn die gehemmte Umwandlung des Zuckers in eine reaktions¬
fähige Form die wesentlichste Störung beim Diabetes sein sollte —
daneben noch Störungen anderer Stoffwechselvorgänge eine wich¬
tige Rolle spielen könnten.
r * .’) Erg. d. Inn. M. 1919, 16, S. 279. - *) D. m. W. 1922 Nr. 8 S. 250.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
14.AprU.1922 DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT . 477
Aber welcher Art auch diese Abweichungen sein mögen, in
letzter Linie handelt es sich immer um chemische und physikalisch-
chemische Vorgänge, die — mögen sie durch fermentative, kata¬
lytische und hormonale Einwirkungen innersekretorischer Organe oder
durch nervöse Einflüsse geregelt werden — nach allem was wir
wissen, in ihrem Ablauf von der Konzentration, Dissoziation und
Gruppierung der verschiedenen Ionen im Organismus abhängig sind
und die daher durch die in den Mineralquellen gegebenen Heil¬
faktoren beeinflußt werden können. Die Art dieser Wirkungen im
einzelnen wird noch zu erforschen sein. Doch liegen schon jetzt
zahlreiche Untersuchungen vor, die uns zeigen, nicht nur wie im
allgemeinen sowohl die Wirkungen der Enzyme, wie die Wirksamkeit
nervöser Reize von der Gegenwart von Salzen und von den Kon¬
zentrationen bestimmter Ionen abhängig ist, sondern auch, wie
speziell der Ablauf des Kohlenhydratumsatzes im Organismus durch
solche Faktoren beeinflußt werden kann. Es würde uns zu weit
führen, alle diese Untersuchungen hier im einzelnen zu besprechen.
Außer den gestern schon genannten Untersuchungen von Mans¬
feld, sowie v. Rona und Wilenka erwähne ich z. B. den Befund
von Loewy 1 ), daß durch Vernjinderung der Kalikonzentration der
herabgesetzte Zuckerverbrauch im künstlich durchströmten Herzen
diabetischer Tiere gesteigert werden kann, sowie die vor kurzem
erschienenen Untersuchungen von Einar L^ngfeldt 2 ) in Chri-
stiania über die Bedeutung der Salze und der H-lonenkonzentration
für die Wirksamkeit der diastatischen Enzyme und ihre Beeinflu߬
barkeit durch Zusatz von Adrenalin und Thyreoidin.
Noch reichen die bekannten T ltsachen nicht aus. um uns einen
klaren Einblick in alle Bedingungen für die Wirksamkeit der balneo-
therapeutischen Faktoren beim Diabetes mellitus zu gewähren. Wenn
wir aber versuchen, uns die verschiedenen Angriffspunkte zu
vergegenwärtigen, an denen nach unseren bisherigen, namentlich
auch den rein ärztlichen Erfahrungen die Wirkungen dieser Faktoren
ersetzen könnten, so müssen wir vielleicht einstweilen immer noch
1. an erster Stelle die allgemeine günstige Einwirkung der Kuren
auf den Gesamtorganismus, die Verbesserung der allge¬
meinen Kondition anführen, wie sie zum Teil vielleicht durch
Beeinflussung des allgemeinen Stoffumsatzes durch die spezifische
Einwirkung der Mineralwässer, zum Teil aber auch sicher nur in
den günstigen klimatischen, hygienischen, diätetischen, hydrothera¬
peutischen, psychischen und ähnlichen Einflüssen zu suchen sind.
Schon Seegen hat betont, daß die Besserung in dem Allgemein¬
befinden der Diabetiker bei Mineralwasserkuren häufig selbst da zu
beobachten ist, wo ein günstiger Einfluß auf die Zuckerausscheidung
vermißt wird, und Lepine hat die Ansicht ausgesprochen, daB
bisweilen sogar die Zunahme einer Glykosurie der Ausdruck eines
erhöhten Wohlbefindens eines Diabetikers sein kann, indem er auf
den paradoxen Ausspruch Claude Bernards hinwies: „pour etre
diabltique il faut etre bien portant“, in welchem zum Ausdruck
kommt, daß das Nachlassen einer Glykosurie häufig auch die Folge
einer Verschlimmerung des Allgemeinbefindens äein.kann. In dieser
günstigen Beeinflussung des Oesamtorganismus dürfen wir wohl
hauptsächlich die Ueberlegenheit der an Ort und Stelle
in den Kurorten durchgeführten Kuren gegenüber den zu
Hause durchgeführten Trinkkuren sehen, ganz abgesehen davon,
daß auch die Wirksamkeit der Wässer an der Quelle schon allein
infolge der Radioaktivität größer sein dürfte. ,
2. Nächstdem haben wir wohl daran zu denken, daß durch die
Mineralwasserkuren auch eine günstige Wirkung auf die der
Stoffwechselstörung zugrundeliegende Organerkran¬
kung ausgeübt werden kann. Wenn nach meiner Ueberzeugung das
hierbei in Betracht kommende Organ nicht, wie man früher wohl
geglaubt hat, in der Leber, sondern hauptsächlich in der Bauch¬
speicheldrüse zu suchen ist, so steht dem nichts im Wege, daß
wir den Mineralwasserkuren auch eine Einwirkung auf die krank¬
haften Veränderungen und Funktionsstörungen dieses Organs mit
gleichem Rechte zuschreibcu können, wie man es für die Leber
etan hat, mag man dabei mehr die durch Wärme, Radioaktivität,
ie Kohlensäure oder den Salzgehalt bewirkte Hyperämie, oder andere,
kolloidchemische Momente für das Wirksame halten, wie z. B. die
von Schade 3 ) als „antionkisch“ bezeichnete, den entzündlichen
Quellungsvorgang beseitigende Wirkung gewisser Metallösungen, wor¬
auf man wohl auch die „antikatarrhalischen“ Wirkungen der Wässer
bezogen hat.
3. Weiter dürfen wir mit der Möglichkeit rechnen, daß die
Leistungen der beim Kohlenhydratumsatz beteiligten Organe, also
vor allem die Produktion wirksamer Fermente oder Hor¬
mone, durch die Zufuhr der Mineralwässer gesteigert werden könnte.
Daß die Produktion und Abgabe von Fermenten durch mannig¬
fache physikalische und chemische Einflüsse, durch Temperatur¬
schwankungen, geringe Verschiebungen der H und OH-Ionenlkonzen-
tration und die Einwirkung von Elektrolyten beeinflußt werden kann,
wissen wir ja aus zahlreichen Erfahrungen.
4. Aber auch die Ge sch wind igkeit und Intensität der
Wirkung einer gegebenen Fermentmenge kann nicht nur
durch Aenderungen in der Konzentration der Ionen, sondern auch
durch die Anwesenheit von Neutralsalzen in weitgehendem Maße
geregelt werden. Wir wissen ja, in wie hohem Maße von der Be¬
schaffenheit des Mediums die Aktivierung der Fermente abhängen
*) M. in. W. 1913 Nr. 13 S.60Ö. - ») ’ournal of biolog. chcm. 1921,46. — •) Physik.
Chm 1. d. Inn. M. 1921 S. 271.
kann, wobei neben dem reaktionskinetischen Einfluß der
lonenkonzentration auch die kolloidchemischen Wirkungen der
Salze zur -Geltung kommen können, insofern sie durch Aende¬
rungen der Dispersität die Größe der aktiven Oberfläche der
Fermente zu modifizieren und durch Beeinflussung der Zell¬
oberfläche die Durchlässigkeit der Zellen für die gelösten Sub¬
stanzen zu ändern vermögen. Dazu kommt, .daß, wie sicher er¬
wiesen, auch die Anspruchsfähigkeit der auf Erregungen des Nervert-
systems reagierenden Erfolgsorgane in hohem Maße durch Menge
qnd Art der anorganischen Bestandteile beeinflußt wird.
5. Schließlich bleibt auch noch die Möglichkeit zu berücksich¬
tigen, daßjdie mit dem Mineralwasser zugeführten Substanzen bis zu
einem gewissen Grade auch einen Ersatz für die fehlenden
organischen Katalysatoren liefern können. Daß durch an¬
organische Katalysatoren in Lösungen ähnliche Umsetzungen der
Kohlenhydrate hervorgerufen werden können, wie durch die im
Organismus wirksamen Fermente, kann nach den Ergebnissen der
neueren Forschungen über die Wege für den oxydativen Abbau
der Kohlenhydrate nicht mehr zweifelhaft sein. Auf die besondere
Bedeutung der anorganischen Katalysatoren hat besonders Schade l )
hingewiesen.
So sind denn viele Wege gegeben, auf denen eine baineothera¬
peutische Beeinflussung der diabetischen Stoffwechselstörung mög¬
lich ist. Es wird noch viel Wasser den Quellen entströmen, bis wir
alle Einzelheiten der Wirkungsweise der Mineralwässer so weit er¬
forscht haben werden, daß wir hieraus genauere Indikationen für
ihre Anwendung im Einzelfalle, für Grad und Abstufung der Wir¬
kungen und namentlich auch für die Auswahl der für die ver¬
schiedenen Fälle geeigneten Quellen werden ableiten können. In
dieser Beziehung müssen wir uns vorläufig an die rein empirisch
gewonnenen Regeln halten. Die Erfahrung bevorzugt in der Be¬
handlung des Diabetes die alkalischen und namentlich die heißen
alkalisch-salinischen Quellen. Es ließen sich Gründe für die größere
Wirksamkeit dieser Quellen anführen. Aber auch die Wirksamkeit
der warmen und kalten alkalisch-muriatischen und Kochsalzquellen
läßt sich nicht von vornherein in Abrede stellen, für die manche
Zeugen eingetreten sind, wie z. B. Pfeiffer (Wiesbaden) auf dem
letzten Kongreß für innere Medizin.
Ich glaube, daß man in dieser Hinsicht vorläufig nur sagen kann:
Diejenigen Kurorte verdienen den Vorzug, die für die Behandlung
von Diabetischen eingerichtet sind, d. h. in denen auch ausreichend
Fürsorge für eine zweckmäßige diätetische Behandlung der Zucker¬
kranken getroffen ist und in denen vor allem auch die Aerzte über
das nötige Verständnis und über ausreichende Erfahrungen in der
Behandlung der Zuckerkranken verfügen.
Radiothorium und seine klinisch-therapeutische
Anwendung.
Von a. o. Univ.-Prof. Dr. Paal Lazarus,
Dirigierender Arzt des Marienkrankenhauses in Berlin.
(Schluß aus Nr. 14.)
II.
Die Dosierung ist das schwierigste Problem der Stfahlen-
therapie. Jedes Organ verhält sich an und für sich anders, dazu
verschieden im gesunden und im kranken Zustande und verschieden
je nach der Art der Erkrankung. Wir müssen daher bei der Dosierung
zwei Momente ins Auge fassen: die Spezifizität des Organs
•und die der Krankheit und uns darüber klar sein, ob wir
assimilatorische oder dissimilatorische Vorgänge anregen oder lähmen
wollen. Hochradiosensible Organe, das Blut und die Blut¬
bildungsstätten, Knochenmark, Milz, Lymphdrüsen und die chrom-
affinen Organe, sowie hochradiosensible Krankheitspro¬
zesse, perniziöse Anämie, chronische Entzündungen und Stoff¬
wechselkrankheiten, sind mit schwächeren Dosierungen zu behandeln.
Mediosensible Organe, Ovarien, Hoden, sowie mediosen¬
sible Krankheitsprozesse mit stark reproduktiver Zelltendenz,
Leukämie, Granulome, sind mit den Hemmungsdosen in abklingender
Stärke anzugehen. Bei Sarkomen und Karzinomen ist die Radiothor¬
behandlung nicht angezeigt. In der anwendbaren Dosierung wird sie
mehr als Reizdosis wirken und in größerer Dosierung mit der Gefahr
der hämorrhagischen Diathese und der extremen Leukopenie ver¬
bunden sein. Hingegen kann man sie bei Granulomen, insbesondere
den disseminierten Formen, zweckmäßig mit Außenbestrah¬
lungen von Radium oder Röntgen kombiniert verwenden. In¬
wieweit eine Kombination mit radiothoraktivierten chemo- und organo-
therapeutischen Präparaten zweckdienlich ist, müssen weitere Unter¬
suchungen lehren. Jedenfalls sollten wegen der Gefahr der Darm¬
reizung keineswegs stärkere Dosierungen per os gegeben werden.
Inwieweit wir lokale unlösliche Radiothorinjektionen
intra- und periartikulär oder zur Anregung der Bindegewebsneu¬
bildung z. B. intratumoral, desgleichen in Lupusknötchen usw., und
in Kombination mit Tiefenbestrahlungen anwenden können, müssen
weitere Untersuchungen lehren.
l ) 1- c. M. m. W. 1907 Nr. 38. Die Bedeutung der Katalyse für die Medisin. Kiel 1907.
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERS1TV
478
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
Nr.U5
Daß bei oberflächlichen Hautprozessen das Radiothor günstig
wirkt, konnte ich ±»ei einem Fall von Psoriasis nachweisen. Die Be-
tupfung der einen Hälfte eines handtellergroßen psoriatischen Herdes
der Bauchhaut mit 200 E.S.E. ergab dessen glatte Abheilung 1 ).
Versuche an gesunden Personen ergaben eine Leuko¬
zytenabnahme ohne tiefgreifende Aenderung des Blutbildes. Es
handelt sich um einen Abbau der Leukozyten am Entstehungsorte.
Beispiel: 40jähriger Mann, fettleibig, 215 Pfund.
29. und 30. X. Injektion von je 50 E.S.E. Radiothor. Die Werte
betrugen am 28. X. bzw. 5. XI. 1921 (p. i.): Hämoglobin 94 (98),
Index 0,94 (1), rote Blutkörperchen 5,01 Millionen (4,96), weiße
Blutkörperchen 5510 (4150), Lymphozyten 37 (41), Mononukleäre 6
(6), Polyneutrophile 53 (50), Eosinophile 3,5 (2,5), Basophile 0,5 (0,5).
Keinerlei Beschwerden während der nächsten 4 Monate.
Weitaus empfindlicher ist das Blut bei pathologischen Zu¬
ständen. Ein 22jähriger Patient mit Hyperglobulie, Dystro¬
phia adiposo-genitalis bekam am 1. XL 1921 und am 7. XI.
je 100 E.S.E., am 19. XI. 50 E.S.E. Radiothor. Die einzelnen Werte
stellten sich vor der Injektion am 1. XL und nach den Injektionen
am 14. XI. und 20. XI. wie folgt:
Hämoglobin 110—100 .. luO, rote Blutkörperchen 5,7 Millionen,
4,65 5,0, weiße Blutkörperchen 12800 .. 6800 .. 5600; Basophile
8 .. 7 .. 3; Stabf. 1 .. 4 .. 3; Lymphozyten 23 .. 22 .. 22; Eosino¬
phile 1 .. 2 .. 4; Segment. 52 .. 48 .. 53; Monozyten 15 .. 7 .. 15.
Der Fall lehrt, daß pathologische Gewebe viel empfindlicher
sind als normale. Sowohl die roten wie die weißen Blutkörperchen
und der Hämoglobingehalt haben nennenswert abgenommen. Das
spezielle Blutbild ist allerdings nicht wesentlich verändert. Patient
hat die 250 E.S.E. Radiothor ohne jede Störung überwunden.
Noch intensiver erwies sich der Einfluß des Radiothors auf die
Leukämie.
Leucaemia lymphatica:
Fall I: 62jähriger Kaufmann M.
Vorkrankheiten: Häufige Fieberanfälle infolge von Hals-, Nasen-
und Magendarmerkrankungen. Früher stark blutende Hämorrhoiden.
Vor 6 Wochen Angina Vincenti, spontan geheilt. Starker sexueller
Abusus (Coitus interruptus), Kettenraucher (40 Zigaretten), Neur¬
astheniker.
Seit 3 Jahren lymphatische Leukämie festgestellt, von Zeit zu
Zeit günstig beeinflußt durch wiederholte Arsenkuren (u. a. 600
Dosen Arsacetin ä 0,05, 10 Schachteln Elarson usw.) und Röntgen¬
bestrahlung. Bisher im ganzen 40 Bestrahlungen von 20 Minuten
Dauer. Danach ein „nässendes Ekzem“ aufgetreten. Vor 2 Wochen
angeblich Fischvergiftung mit Temperatur 38,6, Durchfällen, Tenesmen
und rapider Hinfälligkeit.
Status vom 15. VIll. 1921: Blaßgrüner, zahnloser Mann, hoch-
Ö kachektisch, starke Oedeme, Durchfälle, Tenesmen, 147 Pfd.
ht, Blutdruck 90, Puls 84, starke Nachtschweiße, Gefühl von
Abgestorbensein der Hände und Füße, hochgradige Atemnot und
Erweiterung beider Herzventrikel mit schabenden Geräuschen am
5. Punkt. Starker Hustenreiz. Ueber beiden Lungen Giemen. Zunge
weißlich belegt. Im Harn 0,2 % 0 Albumin, 3—5 hyaline und fein¬
granulierte Zylinder im Präparat, außerdem Nierenepithelien und
einzelne Blutschatten.
Vom Warzenfortsatz bis zum Schlüsselbein jederseits ein Kranz
von 15/18 bis hühnereigroßen Drüsen. Auch die nuchalen und in-
fraklavikularen Drüsen sind geschwollen. In beiden Axillargruben
bis doppeltgänseeigroße Pakete. Längs des Sulcus bicipitalis Kranz
von Drüsen. Straußeigroße Pakete in beiden Inguinalgruben. Milz
stark vergrößert, Längs- zu Querdurchmesser 42:26 cm. Leber ver¬
größert, in der Mamillarlinie 18,5 cm hoch. Starke mediastiuale
Tumoren. Im rechten Hilus ein bananengroßer, im linken Hilus
ein gänseeigroßer Tumor. Starke Druckerscheinungen. Im Auge
beiderseits frische und ältere Glaskörperblutung. Die Blutbefund¬
zahlen sind aus der Tabelle ersichtlich:
| _ ;
Rote
1
Färbe-
Weiße
>.
N
O
!
j Gr.
Polynukl.
1
J Eos.
1
Basoph.
Datum
e 1
KO
X
! _!
Blk.
Index
Blk.
Q. ’
1 E 1
>»
! ..-J ..
: Mono-
! nukl.
I_
neutro¬
phile
13. VIII.
35
1
1880000!
1
0,9
!
751000 I
90%
3,5
3,5
i
3,0 1
25. VIII.
35
1620U00 j
1,08
921000
93%
2,5
3,0 !
1,5 j
_
2. IX.
35
20 00.0
0,9
455000
9n%
1,5
2,5
! _
15. IX.
32
1850000
0.9
191000
95%
1,5
3,0
_
_
24. IX.
40
2420000 1
0,8
193000
94%
1.5
3,8
0,7
3.X. 1
40
2210010 i
0,9
81000
96%
1,7
2,0
0,3
—
15. X.
3i
1720000 j
1,1
27400
94%
2.5
3,5
—
28.X.
30
119G00C |
!
1,4
6450
85%
30
10.0
1,0.
i Myelo-
1 zyten 1
Der Kranke befand sich in einer präagonalen Verfassung, sodaß
er zunächst einer tonisierenden Behandlung (Digalen usw.) unter¬
zogen werden mußte. Am 25. VIII. erhielt er 100 E.S.E. Radiothor
und am 26. VIII. 200 E.S.E. intravenös. Unmittelbar darauf hob sich
Das Radiothor ließe sich, wie ich es In der Ther d. Gegenw. 1913 auch für das
ThorX beschrieben, in hochkonzentrierter Aktivität und fester Form in Filterröhrchen
und Platten f orm, ferner in Nadeln •intratumorale Rad punktur) zu ß - und
y-Starkbestrahlunnen verwenden zur Be«pickung von Geschwülsten, ähnlich wie die in
Hohlnadeln aus Platin oder Glas konzentrierteEmanation, insbesondere in Amerika,
verwendet wird.
das Allgemeinbefinden, Husten und Atemnot wurden geringer, Hals-
drüseu, Milz und Leber begannen abzuschwellen. Die Zahl der roteu
Blutkörperchen stieg an (Knochenmarksreizung), die Zahl der weißen
sank um mehr als die Hälfte. Die Temperatur schwankte zwischen
36,5 und 38,3. Am 8. IX. erhielt er 100 E.S.E., am 10. IX. und 16. IX.
je 50 E.S.E. Die günstige Einwirkung auf das Blut und Allgemein¬
befinden machte, abgesenen von Kniegichtschmerzen (durch Atophan
behoben!, weitere Fortschritte. Die Drüsen in der Achselhöhle und
in der Leistengegend nahmen weiter ab. Am 26., 28. und 30. IX.
erhielt er je 50 E.S.E., am 4. X. 100 E.S.E., am 11. X. 50 E.S.E.
Die Milz verkleinerte sich, wie aus der Zusammenstellung hervor¬
geht, ganz erheblich. Auch aus der Gewichtskurve ließ sich die
Abnahme der Organschwellungen und der Oedeme erkennen. So
betrugen am 22. VllL, am 30. VIII., am 6. IX., am 19. IX., am 12. X.,
am 4. XI. die Milzdurchmesser in Zentimetern 42/26, 31/19, 35,5/19,
32/19,5, 23/20, 17/14, die Leberhöhe in der Mamillarlinie 18,5, 16, 10,
8, 8 cm, der Nabelumfang 97, 92,8, 90,5, 90, 89, 87,5, 84 cm. Die Ge¬
wichte betrugen vom 23. VIII. ab: 150 Pfd., 27. VIII. 146 Pfd.,
3. IX. 140, 17. IX. 142, 24. IX. 143 Pfd., 1. X. 140 Pfd., 15. X. 136 Pfd.
Der bis dahin fast stets bettlägerige Kranke konnte kleinere
Spaziergänge machen und begab sich ohne mein Wissen zu einem
Zahnarzt, der ihm am 5. X. kariöse Zahnstümpfe extrahierte, wobei
Patient einen starken Blutverlust erlitt. Davon konnte sich Patient
nicht mehr erholen, es trat eine schwere sekundäre Anämie ein,
die Reaktionsfähigkeit der blutbildenden Organe nahm ab. Trotz
Rückbildung der leukämischen Veränderungen — die Zahl der weißen
Blutkörperchen erreichte die Norm, die Drüsenschwellungen bil¬
deten sich vollständig zurück — verschlimmerte sich von Tag zu
Tag sein Befinden. Als Zeichen der Erschöpfung des Knochenmarks
ist die Abnahme der roten Blutkörperchen anzusehen. Die Temperatur
schwankte zwischen 37,4 und 38,5, die Herzdilatation und die Herz¬
geräusche nahmen zu, der Blutdruck sank auf 75. In beiden Ober¬
lappen warer. (27. X.) kleinblasige Geräusche wahrnehmbar, die Ap-
petenz versagte vollständig, trotzdem sich Durchfälle und Tenesmen
verloren und die Stuhlvernältnisse normalisiert hatten. Eine Pneu¬
monie im rechten Oberlappen, eine linkseitige Pleuritis und hämor¬
rhagische Lungeninfarkte führten am 6. XL den Exitus herbei. Aut¬
opsie durfte nicht ausgeführt werden.
Epikrise: Bei einem desolaten, bereits 3 Jahre hindurch durch
hohe Arsen- und Röntgendosen behandelten Falle von lymphatischer
Leukämie führten Radiothorinjektionen zu einer sehr erheblichen
Einschmelzung der lienalen, mediastinalen und lymphatischen Tumoren
und einer Besserung der Zahl der roten Blutkörperchen von 1,6 Mil¬
lionen auf 2,420 Millionen, also um 30o/ 0 , zu einem Ansteigen des
Hämoglobins von 30 auf 40<yo und einer Zerstörung der weißen Blut¬
körperchen von 921000 auf 6450 (auf y 150 ) ohne wesentliche Ver¬
änderung des speziellen Blutbildes. Diese dissoziierte Wirkung:
Reizwirkung auf das Knochenmark, Zerstörung der Lymphozyten
wurde unterbrochen durch eine starke Blutung nach Zahnextraktion
mit anschließender sekundärer Anämie. Die Reaktionsfähigkeit des
Knochenmarks nahm ab, die Zahl der roten Blutkörperchen und das
Hämoglobin verminderten sich, es erfolgte Umkehr des Index. Die
Rückbildung des lymphatischen Gewebes schritt aber weiter vor.
Der Tod erfolgte unter den üblichen terminalen Erscheinungen der
schwersten Erschöpfungsanämie mit dilatativer Herzinsuffizienz,
Lungeninfarkten und Pleuropneumonie.
Fall II: 55jähriger Schneider W. 1894 Syphilis, Schmierkur und
starke Abmagerung bis 85 Pfund. Seit Juni 1902 wiederholt Schmer¬
zen und Schwellung der Leber, auf Jod Rückgang. Von 1885—1890
starkes Potatorium. Mitte März 1920 Drüsenschwellung am Halse,
Husten, Atemnot, kein Fieber. Seit 29. IV. 1920 wegen Lympho-
granulomatosis (zahlreiche Lymphknoten am Halse, in der Achsel¬
höhle und auch im Unterleib, Leber-Milztumor, Mediastinaltumor)
in meiner Behandlung. Wa.R. negativ. Blutbefund: Hämoglobin 98,
rote Blutkörperchen 4,8 Millionen, weiße Blutkörperchen 165U0, Polyn.
neutrophile 22o/<,, Lymphozyten 49°/o, Mononukleäre 22<>/o, Uebergangs-
formen 5%, Myeloblasten 2<yo. Unter Radiumbestrahlung gelang es,
die Tumoren zurückzubringen.
Rückfall im März 1921. Abermalige Radiumbestrahlung. Besserung.
12.1.1922: Starke Schwellung des Leibes, hochgradiger Leber- und Milz-
!
«3 |i
Q |
1 Hämogi. {
L . f
!
Rote
| Blk.
« i ä*
! ä-*
* 3 i r
j
Lymphozyt 1
Kr - !
Polynukl.
neutrophil.
«1
o !
CU
3
«
£. «e
■o c = i
O i3 4>
Zi CtfN
Gr.
Mononukl.
Nabel umf.
| -5-
w V
3 &
1 ■c S
’s_
Leberhöhe ||
13. 1. 1 68 % 4060000’
i i
113750 ! 89°/° 5,5
j 4,5 ! 0,5
0,5
1 ! i
! ! 88
27,5 * 14
118 cm
17.1. 300 E.S.E. intravenös
23.1. [ i71 °/° 1 43000001 105000 j 77% 1 14 18 10,5 0,5j j 87 | J3,5 10
'! I I I I I I I I I ! 1/2,14,5011
23.1. 200 E.S.E. intravenös
30.1.
78% 4370000j
25030
80%
7%
8
1
1
1 1
87
15
10
9. II.
83,6 |
4950000
!
18125:
42,5%
31%
5,5%
1,5
0,5
2
17 !
i 86
11 cm
. J4_
* 9
1
I
1
1
1 10 cm
1
äTiirj
~ 9Ö j
! 5400000,
i
9370 j
55
20,5
11,5
Öj5
|Ö5
3,5 j
8*5
I« 6 !
V 2
| 8,5
22. III.!
82 ;
4 200000
8125
33
i 50,5
1
0,5
2
14 !
87
9 cm
12 !
7,5
1
8 cm I
Digitized b"
■V Google
Original from
CORNELL UNfVERSITV
14. April 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
479
tumor, Hals-, Axillar-, Subklavikular-, Mediastinal- und Inguinaldrüsen
zu kranzförmigen Knoten und großen Paketen geschwollen. Im Unter*
leibe Mesenterialtumoren deutlich fühlbar. Hilusdrüsen rechts und
links und im hinteren Mediastinum zu bananen- bis gänseeigroßen
Paketen geschwollen. Körpergewicht 114 Pfund. Am 17. I. erhielt
Patient 300 E.S.E. Radiothor intravenös, eine Woche darauf waren der
Hämoglobingehalt und die Zahl der roten Blutkörperchen gestiegen,
die Zahl der weißen etwas gesunken. 23. I. erhielt er die 2. Injektion
Radiothor, 200 E.S.E. intravenös.
Allgemeinbefinden und Gewicht hoben sich, die Atemnot, die
Schwellung von Milz und Leber sowie der Lymphdrüsen gingen ganz
erheblich zurück (siehe vorstehende Tabelle).
Die Beschaffenheit des Blutes besserte sich entschieden, auch das
spezielle Blutbild wurde verändert, die polynukleären Neutrophilen
nahmen zu, die Lymphozyten nahmen ab.
Resistenter erwies sich das Blutbild bei Fällen von sekun¬
därer Anämie. Die Injektion von 100 E.S.E. Radiothor bei einer
38 Jahre alten Patientin mit sekundärer Anämie infolge Hämorrhoidal¬
blutungen ergab eine Zunahme des Hämoglobins und der Erythro¬
zytenzahl. Das Blutbild am 22. I., am 31. 1., am 14. II. und 28. II..
je eine bzw. drei Wochen nach Injektion von je 10Q E.S.E. ergab
folgende Werte:
!]
Datum; iHämogl.
R. Blk.
W. Blk.
Polynukleäre
neutr. { Eos. iBasoph.
Lym¬
phozyt.
Or.Mon.
nukl.
__
Ueber-
gangs-
zellen
22. I.
42
2990000
4000
57
4,5 2
30
4
2,5
31. I.
40
281000
4850 |
66,5
4 1
1 21,5
■ 5 j
2
14. II.
36
2870000 i
6250
62
4,5 | 1
' 26
5.5 1
1
28.11.
48
■ 3860000 1
1 4685
64,5
2,5 1*0,5
„27,5 |
1 2,5 |
1 2,5
Bei einem Falle von kindskopfgroßem Fibrosarkom der
Becken schaufei bei einem 58jährigen Mann ergab das Blutbild vor und
nach der Injektion von 200 E.S.E. Radiothor am 23. XII. und 150 E.S.E.
Radiothor am 26. XII. folgende Zahlen:
(Die eingeklammerte 3. Zahl stellt das Blutbild nach 5200 Milli¬
grammstunden [Mesothor-1 Außenbestrahlung in einer Serie vom
30. XII. bis 12. I. dar.) Werte am 23. XII., am 28. XII. und am 13. I.
betrugen: Hämoglobin 77, 77 (67,3), rote Blutkörperchen 4,1 Millionen,
4, 4 (4,8), Leukozyten 9500, 6700 (3200), Färbeindex 0,9, 0,9 (0,7).
Leukozytentabelle: Neutrophile 67,2, 61,9 (68,2), Lymphozyten
27,4, 30,8 (28,6), Eosinophile 3,1, 2,8 (0,9), Mononukleäre und Ueber-
gangsformert 2,2, 4,5 (2,3).
Es wurden somit auch in diesem Falle die roten Blutkörperchen
in geringem Maße vermehrt und die weißen vermindert. Eine Be¬
einflussung des Tumors war, abgesehen von einem Nachlassen der
qualvollen Beckenneuralgien, nicht nachweisbar.
Audi ein weiterer Fall von sekundärer Anämie bei einem Kar¬
zinom der Flexura sigmoidea bei einem 56jährigen Mann ergab nur
ein vorübergehendes geringes Ansteigen der roten Blutkörperchen
und des Hämoglobingehalts nach 100 E.S.E. Radiothor. Bei einem
Fall von Schrumpfniere und Status post apoplexiam bei einer 60-
jahrigen Frau erfolgte nach der Injektion von zweimal 100 E.S.E.
Radiothor eine Abnahme der roten Blutkörperchen von 7,4 auf 6,2
Millionen und des Blutdruckes von 145 (diastol), 225 (systol) auf
140 bzw. 205.
Ein Patient mit sekundärer Anämie nach Malaria mit Milztumor
ergab nach der Injektion von 100 E.S.E. Radiothor ein Ansteigen
der roten Blutkörperchen von 4,48 Millionen auf 4,6 und nach aber¬
maliger Injektion von 100 E.S.E. deren Abfall auf 4,18, ein Ansteigen
des Hämoglobins von 78 auf 84, hierauf ein Absinken auf 78%, ein
Absinken der weißen Blutkörperchen von 14400 auf 10900 und schlie߬
lich auf 3900. Der Leukozytenstatus ergab: Neutrophile 60 bzw. 55
bzw. 72, der Lymphozyten 29 bzw. 28 bzw. 19, Monozyten 7 bzw. 12
bzw. 7, Eosinophile 4 bzw. 5 bzw. 2. Die Injektion war unmittelbar
mit Frösteln und leichter Temperaturerhöhung auf 37,2 verknüpft,
ohne daß jedoch im Blute Malariaringe nachweisbar waren. Befund
vom 20. 11.: Hämoglobin 79, 4,160 Millionen Rote, 3100 Weiße, 65%
Leukozyten, 26 o/o Lymphozyten, 6 o/o Monozyten, 3°/o Eosinophile.
Manche Fälle erweisen sich als schwerer beeinflußbar, so z. B.
ein Fall von Lymphogranulom, insbesondere der Fialsdrüsen
und des Mediastinums, der bereits seit 7 Jahren wiederholte Röntgen-
und Radiumkuren durchgemacht hatte und wo offenbar bereits eine
gewiss* Strahlenfestigkeit eingetreten war. Die Blutbefunde vor und
4 Tage nach der (subkutanen, 16. XII.) und 6 Tage nach (intramus¬
kulärer, 22. XII.) Injektion von je 200 E.S.E. Radiothor sowie am 5.11.
nach 84 Stunden Außenbestrahlung mit <Radium> ergaben folgende
Werte: Hämoglobin 56 (58) [55] <68>, rote Blutkörperchen 4,06 Mil¬
lionen (4,01) [4,020] <4,21>, weiße Blutkörperchen 6050 (6850) [5050]
<4600>, Lymphozyten 12<>/o (10) [15%] <17>, Monozyten 6% (9%)
[llo'o] <9>, polynukleäre Neutrophile 74<>/o (73%) [69<>/o] <69>, Eosino¬
phile 7% (6,5%) [4%1 <4>, Basophile 1% (1,5) [1 o/o] <1>. Trotzdem t
erwies sich die Kombination von Radiothorinjektionen*
mit Außenbestrahlungen von Radium gerade in derart
wiederholt behandelten und schon refraktären Fällen
als erfolgreich. Die Patientin entfieberte, die Tumoren bildeten
sich zurück, und das Allgemeinbefinden hob sich. Diese Additions¬
behandlung verdient insbesondere hei disseminierten Krankheits-
prozessen Anwendung.
Weitere Versuche betreffen die Einwirkung auf bakterielle und
serologische Vorgänge sowie die Beeinflussung von Rheumatosen,
chronischen Entzündungen und Exsudaten, der Arteriosklerose und
Gicht. Ein Stoffwechselversuch ergab eine erhebliche Vermehrung
der Harnsäureausscheidung, die nicht, wie bei den meisten
harnsäurevermehrenden Mitteln, bereits einige Tage nach der Ein¬
führung nachließ, sondern entsprechend der steten Nachbildung von
Thor X aus den Radiothordepots noch 7 Tage post injectionem un¬
geschwächt nachweisbar war. Wir haben im Radiothor das Mittel,
eine längerdauernde Beeinflussung des Stoffwechsels zu
erzielen.
Es handelte sich um einen 65jährigen Bernsteinfischer, der wegen
einer subfebrilen subakuten Polyarthritis rheümatica in
der Klinik von Geh.-Rat Kraus (Abteilung des Oberarztes Dr.
Retzlaff) lag, dem ich für die Durchführung des Versuches zu
danken habe. Die harnsäuresteigernde Wirkung der Injektion ist
aus der Tabelle ersichtlich. Auch subjektiv und objektiv wurde das
Befinden des Patienten günstig beeinflußt. Die Schwellungen, die
Schmerzen im rechten Sprunggelenk und linken Schultergelenk nahmen
ab. Der Patient konnte das Bett verlassen und schmerzfrei gehen,
verließ wesentlich gebessert am 4. III. auf eigenen Wunsch die Klinik.
Datum
li
Urinmenge
j Harnsäure in
i 100 Urin
i
:
Tagesmenge j
Täglicher
Durchschnitt
29.1.
i !
ii
1050
1 0,05166
0,5424 1
3a I.
1020
, 0,0546
0,556 j
0,6348
31.1.
i!
1400
0,05462
0,7657
1. II.
!l
1500
0,045
0,675
2. II. Injektion
von 300 E.S.E. Radiothor intravenös.
2.11.
1750
0,05324
0,9317
3.11.
1850
0,04998
0,8996
4.11.
1600
0,05344
0,8543
5. II.
1700 ’
! 0,05124
0,87108 ;
0,87651
6.11.
i
1700
1 0,0525
0.8925 |
7. II.
,|
1340
, 0,063
0,853 !
a II.
1800
I 0,049
0,8867 J
Diese Versuche sowie weitere dazu \
gehörige Stoffwechselanalysen
sind im Gange. Von großer Bedeutung wira die experimentell-bio¬
logische Durchforschung des Radiothors sein (Beeinflussung der Fer¬
mente und der Sekretionen, welche Aufgabe Herr Prof. Bickel zu
bearbeiten begonnen hat).
Ich glaube, durch meine Untersuchungen gezeigt zu haben, daß
wir im Radiothor ein Mittel von einer gewaltigen biologi¬
schen Energie besitzen. 0,00003 Gewichtsgramm = 3500 E.S.E.
würde unweigerlich zum Tode eines Erwachsenen unter explosiver
Sprengung der Kapillaren, hämorrhagischer Diathese und Leukozyten¬
schwund führen. Es gehört also zu den vehementesten Mitteln, die
wir kennen. Vor der allgemeinen Einführung in die Praxis ist noch
eine sehr sorgfältige und vorsichtige klinische, experimentelle und
anatomische Durchforschung der Reizdosen und Hemmungsdosen so¬
wie der Dauerwirkungen notwendig. Stärkere Dosierungen sind bei
der Kumulativtendenz zu vermeiden, daher bilden nur die stark radio-
sensiblen Organe und Krankheitszustände ein Indikationsgebiet, nicht
aber jene nur Intensivbestrahlungen zugänglichen Neoplasmen. Das
Radiothor hat, abgesehen davon, daß es von den chemischen Werken
aus Monazitsand in Deutschland erzeugt werden kann, vor dem lang¬
lebigen Radium und vor dem kurzlebigen Thor X große Vorzüge. Die
vom Radium produzierte langlebige Emanation wird zum größten
Teil ausgeatmet, während das vom Radiothor produzierte Thor X
sich schon nach 1 Stunde zum größten Teil im Knochenmark, der
Leber und der Milz verankert. Die von dem niedergeschlagenen
Thor X entwickelte äußerst kurzlebige Emanation von 54 Sekunden
kommt größtenteils an Ort und Stelle zum Zerfall, ehe sie noch
Zeit hatte, den Organismus zu verlassen. Deren biologisch wirksame
Zerfallsprodukte sind langlebiger als die der Radiumemanation, so-
daß die örtliche Wirkung eines gewissen Aktivitätsquantums schon
aus rein physikalischen Gründen intensiver sein muß, als bei der
den Organismus gewissermaßen kometartig durchziehenden Radium¬
emanation, die den Organismus lange vor ihrem Zerfall wieder ver¬
läßt. Diese kreist hingegen intensiver in den Gewebsflüssigkeiten
und wird daher eher allgemeine Schwachreizwirkungen ausüben kön¬
nen. Vielleicht beruht darauf die Tatsache, daß die Thor X-Behandlung
bei chronischen Rheumatosen oft weniger wirksam ist als eine
wiederholte Emanationsbehandlung. Die Radiumemanationsbehand-
hing kann jedoch niemals mehr als eine schwache Reizwirkung her¬
beiführen und stellt eine Art innerer Hyperämiebehandlung dar. Die
Radiothorbehandlung kann jedoch durch kumulative Reizwirkung bis
zur Zellzerstörung führen. Sie ist eine Dauerbestrahlung, wobei die
durch Vorbestrahlung sensibilisierte Zeile einer Reizspeicherung aus¬
gesetzt wird und es so zu einer wachsenden Anhäufung von poten¬
tieller Energie und ihrer Umwandlung in biologisch wirksame Energie,
Wärme usw. kommt — beruht doch alles biologische Geschehen auf
Energieumwandlung. So wird das Radiothor insbesondere bei jenen
chronischen Krankneitszuständen und Diathesen am Platze sein, die
wir durch eine chronische Therapie in Schach halten wollen.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
480
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
Nr. 15
Neue Gedanken zur Therapie des Karzinoms.
Von Dr. Josef Weiterer in Mannheim.
Vor Jahren, gelegentlich einer meiner Frankfurter Vorträge über
die Heilungsmöglichkeiten des Karzinoms durch Strahlenbehandlung,
bei denen ich den Wert der Arbeiten Dessauers für die Tiefen¬
therapie besprach, habe ich dem Gedanken Ausdruck gegeben, daß
wir im fortgeschrittenen Stadium des Karzinoms, in welchem dieses
eine Allgemeinerkrankung des Körpers bedeute, nicht nur lokal Vor¬
gehen dürften, sondern eine Hilfsaktion vom Blut aus in die Wege
leiten müßten. In weiterer Verfolgung dieses Gedankens führte
ich aus, daß das Blut solcher Personen, die, sei es durch Operation,
sei es durch Bestrahlung, vom Karzinome befreit worden sind, wahr¬
scheinlich karzinomfeindliche Stoffe enthalte und daß diese Stoffe,
in die Blutbahn Karzinomkranker eingebracht, zu einem unterstützen¬
den Faktor der Karzinombehandlung werden könnte. Es war mir
jedoch nicht möglich, in dieser Hinsicht praktische Versuche anzu-
stellen, denn die wenigen, im klinischen Sinne geheilten Fälle, über
die ich verfügte, waren nicht zu bewegen, Blut für andere zu spenden.
So ließ ich denn die Sache vorläufig ruhen. Trotzdem beschäftigten
mich diese Ueberlegungen andauernd.
Sicher sind im Blute aller, auch der ungeheilten Karzinomkranken,
Stoffe enthalten, die dem karzinomatösen Prozesse entgegenarbeiten,
nur sind sie vielleicht nicht reichlich genug vorhanden, um den
Kampf gegen den übermächtigen Feind erfolgreich zu führen. Eine
ähnliche Voraussetzung liegt auch der Reizbestrahlung zu¬
grunde, wie sie Manfred Frankel inauguriert hat. Durch die
Reizbestrahlung sollen bekanntlich die latenten Schutzkräfte des Kör¬
pers, die in verschiedenen Organen, insbesondere in der Milz auf-
gespeichert sind, freigemacht und die betreffenden Organe zu ver¬
mehrter Bildung derartiger Stoffe angeregt werden. Dieser Gedanke
ist kühn und geistvoll und zugleich von weittragendem theoretischen
Interesse. Praktisch dürften wir indessen beim Karzinomkranken
bald an einem Punkte angelangt sein, wo dieN Reserven aufgezehrt
sind, ohne daß der geschwächte Körper des Kranken imstande wäre,
sie in genügender Weise zu ergänzen.
Anstatt aber die Rücklagen des Körpers aufzubrauchen und ihn
dadurch ärmer zu machen, gilt es, ihm die Schutzstoffe in einer
Weise zuzuführen, die ihn bereichert. Und damit komme ich auf
meine ursprüngliche Idee zurück. Wenn ich mir vergegenwärtigte,
daß das Karzinom mit wenigen Ausnahmen eine Erkrankung des
reiferen Alters ist, mußte ich daraus den Schluß ziehen, daß sich
im Blute Jugendlicher jene Stoffe, die der Entwicklung des Karzinoms
hemmend gegenüberstehen, in besonders reichlichem Maße befinden.
Die logische Folge dieser Annahme war für mich die Forderung
der Einbringung von Serum Jugendlicher in das Blut der Karzinom¬
kranken. Hierzu schien mir das streng artgleiche Serum in
erster Linie geeignet, und zwar aus dem Grunde, weil es leichter
assimilierbar, also mit weniger schädlichen Nebenwirkungen behaftet
ist als artfremdes Serum; und so gab ich denn sowohl aus medizini¬
schen als aus ethischen Gründen dem Serum von Deszendenten
(Kindern und Enkeln) den Vorzug.
Den ersten Versuch wagte ich bei zwei vergeblich behandelten,
aussichtslos scheinenden und bereits kachektischen Fällen. Ich be¬
schloß, wenn die Unschädlichkeit und eine gewisse Wirksamkeit der
Methode einmal erwiesen sei, diese in Kombination mit der Operation
und der Strahlentherapie auch bei Karzinompatienten in früheren
Stadien der Erkrankung anzuwenden. Da die ersten Versuche, wie
weiter unten dargelegt wird, eine überraschende Besserung des
Blutbildes herbeiführten, erschien es mir weiterhin erlaubt, die Serum¬
behandlung auch in gut beeinflußten Fällen nach Operation oder
Strahlenbehandlung rein prophylaktisch auszuwerten, da wir viel¬
leicht am sichersten einem Rezidiv Vorbeugen, wenn wir das Blutbild
des betreffenden Individuums dauernd auf der Höhe zu halten ver¬
mögen.
Es sei mir gestattet, hier mit aller Reserve und ohne in schäd¬
lichen Optimismus zu verfallen, die obenerwähnten Fälle zu be¬
sprechen, in denen die Wirkung der Methode derart eklatant hervor¬
trat, daß ich mich verpflichtet fühle, mit ihrer Veröffentlichung nicht
länger zurückzuhalten, obgleich sie verschwindend klein an Zahl
sind. Diese Fälle wurden genau beobachtet; die Blutuntersuchung
wurde häufig, in dem einen eine Zeitlang täglich, vorgenommen.
FaH 1. Frau Sch., hochgradig anämische, hinfällige Frau von
68 Jahren. Tiefreichendes, großes Hautkarzinom der rechten Schläfen¬
gegend, mit starker Usur des Knochens. Torpider, übelaussehender
Belag. Blutbild sehr schlecht.
Die Röntgenbehandlung des Karzinoms war ohne Effekt. Das
Karzinom nahm im Gegenteil an Breiten- und Tiefenausdehnung
zu, und da eine Nekrose des Knochens durch weitere Bestrahlung
befürchtet werden mußte, wurde letztere aufgegeben.
Nun erfolgte die I. intravenöse Injektion von einer gewissen
Menge Serum des 14jährigen Enkels der Patientin. Zu gleicher Zeit
wurden Reizbestrahlungen von Milz, Thymus und platten Knochen
in der von mir ermittelten Reizdosis vorgenommen. Gleichzeitig
erfolgte eine Darreichung ^von roher Hammelmilz, ä la tartare zu¬
bereitet; jedoch wurde diese schlecht vertragen und daher nicht
weiter gegeben.
Am dritten Tage nach der ersten Seruminjektion, die, ohne stärkere
Leukozytose hervorzurufen, scheinbar reaktionslos verlaufen war, er¬
folgte plötzlich ein Anstieg der Erythrozyten um 3 / 4 Millionen auf
etwa 4 000 000 und des Hämoglobingehaltes.
Acht Tage später wurde eine zweite Seruminjektion, diesmal nicht
von Reizbestrahlungen begleitet, gegeben. Weiterer Anstieg der
Erythrozyten bis auf normale Ziffern.
Die Frau fühlte sich subjektiv viel wohler. Kleine Gewichtszu¬
nahme.
III. Injektion nach weiteren 8 Tagen.
IV. Injektion nach abermals 8 Tagen.
Alle Injektionen wurden sehr gut und ohne die geringste Störung
vertragen. Niemals war eine nennenswerte Leukozytose, die uns bei
den täglichen Blutkontrollen sicherlich nicht entgangen wäre, auf¬
getreten. Die Patientin hat an Körpergewicht zugenommen, fühjt
sich frisch und munter und hat ein besseres Aussehen gewonnen.
Das auffallendste Moment aber war die Beeinflussung des Karzinoms
selbst. Das vorher stark sezernierende Geschwür trocknete ein,
und ein großer Teil desselben heilte mit schöner Narbe ab, ohne
daß eine lokale Behandlung während der letzten drei Monate statt¬
gefunden hätte.
Die Beeinflussung des zweiten Falles tritt noch weit prägnanter
hervor als die des ersten.
R. G., 66 Jahre alt, Gärtner von Beruf, leidet an einem inoperabeln
Karzinom des Magens. Der Tumor ist von außen als faustgroßes,
hartes Gebilde in der kleinen Kurvatur deutlich abzutasten. Allgemein¬
befinden sehr schlecht, Körpergewicht auf 98 Pfund gesunken. Der
Patient, der kaum mehr gehen kann, schleppt sich seit einem Jahre
nur noch mühsam fort. Gesichtsfarbe schlecht, Blick trübe, heftig
quälende Schmerzen, Appetit- und Schlaflosigkeit. Ausgesprochene
Kachexie, der auch das Blutbild entspricht.
I. Intravenöse Injektion von Serum des jüngsten Kindes, der
21jährigen Tochter des Patienten.
Reizbestrahlung von Milz, Thymus und platten Knochen, am
gleichen Tage sowie Röntgenticfenbestrahlung des Tumors (Fem-
feld, 2 Strahlenkegel).
Die Blutkontrolle, die bei dem auswärts wohnenden Patienten
leider nicht täglich vorgenommen werden konnte, zeigte 5 Tage
nach der ersten Injektion eine starke Vermehrung der Erythrozyten;
Patient gibt an, daß er sich viel wohler fühle und zum ersten Male
wieder schlief.
II. Injektion von Serum, 8 Tage später.
Die vor der Injektion vorgenommene Blutuntersuchung ergab
ein völlig normales Blutbild. Der Tumor ist wesent¬
lich kleiner geworden. Der Patient hat keinerlei Schmerzen
mehr, Appetit- und Schlaflosigkeit sind völlig behoben, Arbeitslust
und Arbeitsfähigkeit zurückgekehrt. Die Angehörigen bestätigen die
Aussagen des Patienten. Gewichtszunahme über 2y ä kg.
III. Seruminjektion nach weiteren acht Tagen. Zwei Tage nach
der Injektion stieg die Erythrozytenzahl auf über 5000000 an, der
Hämoglobingehalt über die Norm.
Das Körpergewicht zeigte eine weitert Zunahme.
IV. Seruminjektion nach weiteren 8 Tagen.
Einige Zeit darauf ist der Tumor nicht mehr palpabel. Es er¬
folgt eine zweite Tiefenbestrahlung der Magengegend. Daß der
Rückgang des zu Beginn der Bestrahlung faustgroßen Tumors, der
nun etwa 4—5 Wochen später schon nicht mehr palpiert werden
konnte, allein eine Folge der Röntgentiefenbestrahlung war, glaube
ich nicht. Erfahrungsgemäß reagieren die Skirrhi der Magenschleim¬
haut nur sehr wenig auf die Strahlenbehandlung, ja sie verhalten
sich vielfach sogar völlig refraktär.
Wenn in dem vorliegenden Falle trotzdem auf die Röntgen¬
bestrahlung nicht verzichtet wurde, so geschah dies in dem Be¬
streben, kein Mittel unversucht zu lassen, von dem irgendeine, wenn
auch noch so geringe Beihilfe erwartet werden durfte.
Das Allgemeinbefinden des Patienten ist bis jetzt dauernd gut
geblieben. Gewichtszunahme seit Beginn der Kur über 5 kg.
Idi habe, wie bereits bemerkt, nur das Serum zu Injektions¬
zwecken benützt, da ich mich nicht entschließen konnte, Blutköiper
mit zu injizieren, weil diese, speziell die Erythrozyten, für den kranken
Körper wahrscheinlich nur einen Ballast bedeuten, den er unter An¬
strengungen wieder auszuwerfen gezwungen ist. Ueber eine Dosie¬
rung des Serums schon jetzt genauere Angaben zu machen, muß ich
mir versagen, da meine* Erfahrungen an Zahl noch sehr bescheiden
sind. Indessen scheint es mir, daß wir mit der Dosis um so höher
gehen müssen, je vorgeschrittener einerseits die Krebskachexie und
je älter anderseits der jugendliche Blutspender ist.
Sobald weitere Erfahrungen vorliegen, wird Näheres über die
Dosierung des Serums mitgeteilt werden.
Bei weiteren Versuchen beabsichtige ich übrigens, folgenden
Weg der Serumanwendung einzuschlagen: Einige Tage vor der
ersten Röntgentiefenbestrahlung oder, wenn es sich um einen -ope-
rabeln Tumor handelt, vor der Operation, wird nach Aufnahme des
Blutbildes eine Seniminjektion gemacht werden. Da wir mit Ca-
spari die Röntgentiefenbestrahlung vielleicht noch mehr als die
blutige Operation als einen die Immunität herabsetzenden Vorgang
ansehen, werden wir schon wenige Tage nach der Bestrahlung bzw.
Operation die Serumzufuhr wiederholen, also nicht so lange warten,
wie ich es bisher tat.
Und nun noch ein Wort über die Reizbestrahlung.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
14. April 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
481
Wenn ich in meinen Fällen neben der Serumbehandlung auch
die Reizbestrahlung heranzog, so geschah es nicht deshalb, weil ich
glaubte, damit ein ausschlaggebendes Moment in den Behandlungs¬
pan einziifügen, sondern in dem Bestreben, alle irgendwie erreich¬
baren Hilfstruppen heranzuziehen und die Pause zwischen der Serum¬
injektion und der Beeinflussung des Blutbildes durch zeitweilige
Mobilisierung der Reserven zu überbrücken. Nun hat sich aber diese
Pause viel kürzer erwiesen, als ich ursprünglich annahm. Die Reiz¬
bestrahlung erscheint somit hier entbehrlich, wenn ich auch nicht
verkennen will, daß sie in mancher Hinsicht Wertvolles zu leisten
vermag (siehe auch unter Anämie usw. im anschließenden Aufsatze).
Indessen hat sie den Nachteil, daß sie das Bild der Serumwirkung
trübt. Ich habe sie daher in jedem Falle nur einmal, zu Anfang der
Behandlung, angewendet. Die Beeinflussung des Blutbildes im
weiteren Verlaufe der Fälle kommt also allein auf die Rechnung der
Serum Wirkung.
Was die Reizdosis selbst anlangt, so scheint mir diese in bezug
auf die blutbildenden Organe weit niedriger zu liegen, als im
allgemeinen angenommen wird. Manfred Frankel hat die Reiz¬
dosis der Milz auf ca. a/s der Erythemdosis bemessen. Meiner Er¬
fahrung nach bedeutet diese Dosis kaum mehr eine Reizdosis, sondern
streift, bei der hohen Strahlenempfindlichkeit des Organs, schon die
Zerstörungsdosis. Als Optimum hat sich mir nach mancherlei, unter
genauester Bhitkontrolle angestellten Versuchen folgender Modus der
Reizbestrahlung der blutbildenden Organe erwiesen: Bei einer sekun¬
dären Spannung von 180 Kilovolt und einer Belastung von 2 Ma.,
4 mm Aluminiumfilter, einem Oroßfemfeld, 1 / 10 der H.E.D., also
etwa 15 F Oberflächendosis.
Bei diesem Bestrahlungsmodus steigt die Zahl der Erythrozyten
ohne vorhergehende nennenswerte Leukozytose schon nach 24 bis
36 Stunden kräftig an. Das Ausbleiben der Röntgenisierungsleuko-
zytose darf wohl so gedeutet werden, daß eine Schädigung des
weißen Blutbildes nicht stattfindet, während die Reizwirkung auf
das rote Blutbild durch den steilen Anstieg der Erythrozyten und
des Hämoglobingehaltes klar hervortritt.
Man mag die oben skizzierten Fälle mit aller gebotenen Skepsis
betrachten, man mag über die Berechtigung einer auf einer reinen
Hypothese aufgebauten Methode denken, wie man will, doch wird
man sich nicht des Eindrucks erwehren können, daß eine hervor¬
ragende Beeinflussung des lokalen sowie des Allgemeinzustandes
in überraschend kurzer Zeit erreicht wurde.
Ich habe übrigens die Leiter einiger großen Kliniken gebeten,
meine Versuche an ihrem ausgedehnteren Krankenmaterial weiter¬
zuführen, und sie haben sich in liebenswürdiger Weise hierzu bereit
gefunden. Bis ihre Erfahrungen vorliegen, müssen wir unser Urteil
über die Möglichkeit einer die lokale Therapie tatkräftig unter¬
stützenden Allgemeinbehandlung des Karzinoms durch das streng
artgleiche Serum zurückstellen. (Ein weiterer Artikel über die Serum-
anWendung bei anderen Affektionen folgt.)
Aus der Chirurgischen Universitätsklinik in Berlin
(Direktor: Geh.-Rat Bier).
Unsere bisherigen Erfolge mit Rivanol bei lokalen
Infektionen.
Von Dr. Heiaz Siebrecht und Dr. Joseph UJhelyi.
Bis vor kurzer Zeit galt der Satz als unumstößlich, daß Keime im
lebenden Gewebe nur unter Zerstörung des Gewebes abgetötet werden
könnten.
Die neue chemotherapeutische Welle, die wir jetzt durchmachen,
hat diesen alten Grundsatz bereits ins Wanken gebracht. Es ist im
Tierexperiment Morgenroth, Neufeld u. a. gelungen, darzutun,
daß die Möglichkeit der Abtötung von Keimen in Wunden und
Geweben besteht, ohne daß die Gewebe in Betracht kommender Weise
geschädigt werden. Hervorgehoben sei besonders, daß es Morgen-
roth gelungen ist, den experimentellen Nachweis der Klapp sehen
prophylaktischen Tiefenantisepsis zu führen..
ln höherem Maße als dem Vuzin kommt dem neuesten Morgen-
roth sehen Mittel Rivanol die Eigenschaft der Beeinflussung der
Keime neben der Schonung der Gewebe zu.
.Das Rivanol, ein auf synthetischem Wege hergestelltes Anti¬
septikum, hat nach Morgenroths Erfahrungen eine maximale bak¬
terizide Kraft gegenüber Eitererregern, besonders Strepto- und Sta¬
phylokokken. Seme Anwendung auf die praktische Chirurgie ist
bereits von Klapp, Rosenste in, Härtel, Katzenstein u. a.
erprobt worden, die ihre Ergebnisse veröffentlicht haben.
Gleichzeitig sind an unserer Klinik Versuche gemacht worden,
über deren therapeutische Ergebnisse bei lokalen Infektionen wir
hier kurz berichten wollen.
Wir behandelten:
a) Weichteilabszesse .. 17 Fälle
b) SchweißdrOsenabszesse .. 7 Fälle
c) Bursitis purulenta..2 Fälle
d) Mastitiden .. 7 Fälle
e) Furunkel, Karbunkel ..10 Fälle
f) Fortschreitende akute Entzündung (Phlegmone). 5 Fälle
g) Lymphadenitis. 2 Fälle
h) Oefcnfceapyea . ... . . . . 7 Fälle
Zusammen:. OT^Fftlle
a) Weichteilabszesse. Von den 17 Abszessen waren bei
13 Abszessen Staphylokokken, bei 1 Abszeß Streptokokken, bei 3 Ab¬
szessen Strepto- 4- Staphylokokken als Infektionserreger nachweisbar.
Bei Weichteilabszessen haben wir, soweit sie reif waren, die
Punktion der Abszeßhöhle mit darauffolgender Füllung mit Rivanol
vorgenommen: bei unreifen Abszessen haben wir 1—2 Tage heiße
Umschläge machen lassen und sie dann wie die reifen behandelt. Für
die Punktion haben wir eine Stelle teils oberhalb, teils unterhalb des
Abszesses 1—2 Querfinger im gesunden Gewebe gewählt. Dabei
haben wir die Erfahrung gemacht, daß wir einen Durchbruch des
Abszeßinhaltes häufiger vermeiden konnten, wenn wir die Punktions¬
stelle oberhalb des Abszesses gewählt hatten.
Die Größe der Abszesse schwankte zwischen Kindskopf- bis
Taubeneigröße, und bei Punktion entleerten sich 5—250 ccm Eiter.
Wir haben in einigen Fällen nach vorausgegangener Punktion der
Abszesse 1—2 Stichinzisionen an JHfren unteren, seitlich gelegenen
Stellen gemacht. Dieses taten wir, um den Rivanolniederschlag und
die noch vorhandenen Gewebsnekrosen, welche als Fremdkörper an¬
gesehen und so der Heilung im Wege stehen könnten, zu entfernen.
Die Behandlungsdauer betrug durchschnittlich 8—10 Tage. Ein
Abszeß heilte in 15, ein anderer in 18 Tagen, was die längste Be¬
handlungszeit darstellte.
Als Heilungserfolg unterschieden wir eine klinische und eine
klinische -f- bakteriologische Heilung. Unter klinischer Heilung ver¬
standen wir die vollständige Rückbildung der Entzündungserschei-
nungen, die volle Schmerzlosigkeit mit allgemeinem Wohlbefinden,
während wir bei der klinischen -f- bakteriologischen Heilung auch
die Sterilität der Abszeßhöhle erreichten.
So ist es uns bei allen 17 Abszessen gelungen, sämtliche zur
klinischen Heilung zu bringen, wobei 7 Abszesse (41°/ 0 ) auch steril wurden.
Als Vorteile dieser Behandlung können wir einerseits die Schmerz¬
losigkeit, welche bereits nach der 1. Punktion eintritt, und den Tem¬
peraturabstieg, anderseits den kosmetischen Erfolg, was auch Bier
und Härtel betont haben, erwähnen.
Wir benutzten anfangs eine Verdünnung des Rivanols 1:1000 in
0,5 0 oiger Kochsalzlösung und 0,5%iger Novokainlösung. ^Später sind
wir auf eine Lösung 1:500 mit l%igem Novokain übergegangen, ohne
dabei einen besseren Erfolg erzielt zu haben.
b) Schweißdrüsenabszesse. Was die Schweißdrüsen-'
abszessc anbelangt, so war ihre Behandlung trotz Lokalanästhesie
mit geringen Schmerzen verbunden. Wir haben von 7 Schtoeißdrüsen-
abszes9en 3 punktiert und mit Rivanol gefüllt, 4 um- und unterspritzt.
Bei diesen letzten handelte es sich um 4 unreife Abszesse. Auch bei
3 Fällen von Schweißdrüsenabszessen haben wir einen Durchbruch
des Abszeßinhaltes erlebt, welcher aber bei der klinischen Heilung
keine Rolle spielte. Die Heilung erfolgte durchschnittlich in 8 bis
10 Tagen. Die meisten Patienten hatten nach der Injektion 3 bis
4 Stunden Schmerzen, die dann nachließen und sich nicht wieder
einstellten. Von den 7 Fällen, welche alle Stanhylokokkeninfektionen
waren, sind 6 vollständig geheilt, 1 ist in Heilung begriffen. Er
befindet sich noch in unserer Behandlung.
c) Bursitis purutenta. Wir haben 2 Fälle von Bursitis
olecrani (Staphylokokken) mit Rivanol behandelt, indem wir sie am
proximalen Rande punktierten und mit 5 ccm Rivanol anfüüten. Beide
sind in 5 Tagen zur vollständigen klinischen und funktionellen Heilung
gekommen, ohne daß wir zur Entfernung des Rivanolniederschlages
(Härtel) eine Stichinzision gemacht hätten.
d) Mastitiden. Von unseren 7 Mastitiden waren 4 puerperale,
1 postskabiöse und 2 juvenile. In 6 Fällen waren Staphylokokken die
Infektionserreger, in 1 Falle handelte es sich um eine Mischinfektion
(Strepto- -f Staphylokokken). In 5 Fällen haben wir eine klinische
Heilung erreichen können (davon in 1 Falle klinische und bakterio¬
logische); dagegen mußten wir bei 2 Mastitiden zur Inzision greifen.
Diese beiden Falle seien hier kurz erwähnt:
1. Frl. E. K., 24 Jahre alt. Diagnose: Mastitis post skabiem.
1. XII. 1921: Vor 4 Tagen bemerkte Patientin unter der rechten Brust¬
warze eine Schwellung und Rötung, welche ihr große Schmerzen ver¬
ursachten. Temperatur 38,5.
Befund: Unterhalb der rechten Brustwarze hühnereigroße Schwel¬
lung, Rötung, Fluktuation, starke Druckempfindlidikeit. Umgebung
2 Querfinger breit infiltriert.
Auf Punktion entleert sich 5 ccm dickflüssiger Eiter. Füllung
und Umspritzung mit 10 ccm Rivanol 1:1000, 0,5°/o Novokain una
0,5% Kochsalz. Kulturergebnis: Staphylokokken.
Nach 3 Punktionen Kulturergebnis steril. Patientin fühlt sich
ganz wohl, die Entzündmigserscheinungen sind fast vollständig ab¬
geklungen. Am 10. Tage stellten sich erneut Schmerzen ein.
Befund: Rötung, Schwellung zugenommen. Sehr große Schmerz¬
haftigkeit. Auf Punktion entleeren sich 20 ccm blutig verfärbten Eiters.
Bakteriologischer Befund: Streptokokken.
Da sich nach der Punktion erneut heftige Schmerzen einstellten,
die Temperatur anstieg und das allgemeine Befinden schlechter wurde,
haben wir die Inzision vorgenommen. In diesem Falle handelte es
sich wohl um eine Neuinfektion, da die Kultur zuerst Staphylo-, dann
Streptokokken nachwies, was bei Skabies nicht selten der Fall ist.
Fall 2. Fr. H., 43 Jahre alt. Diagnose: Mastitis puerperalis.
Seit 20. II. 1922 ist Patientin wegen einer Mastitis in ärztlicher Be¬
handlung gewesen. Die Schmerzen ließen nicht nach, Temperatur
38,5; arr. 10. III. 1922 suchte Patientin unsere Poliklinik auf.
Befund: Linke Brustdrüse stark geschwollen, gerötet und druck¬
empfindlich. An 3 Stellen (2 oberhalb der Brustwarze voneinander
Digitized b"
Google
Original from
CORNELL UNiVERSITV
482
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 15
in 5 cm Entfernung, 1 unterhalb der Brustwarze) ist Fluktuation zu
fühlen. Die Punktion der 3 Stellen ergibt 10 ccm Eiter. Füllung und
Umspritzung mit 30 ccm Rivanol 1:500. Kultur Staphylokokken.
Am nächsten Tage große Schmerzen. Temperatur morgens 37,6,
abends 38,6. Nachts konnte Patientin besser schlafen. Am 12. III.
starke Schmerzen im oberen äußeren Quadranten der linken Brust¬
drüse, Infiltration.
Auf Punktion entleeren sich 10 ccm Eiter. Umspritzung und
Füllung mit 30 ccm Rivanol. 14.111.1922: Schmerzen sind seit 12. III.
erheblicher geworden. Schlaflosigkeit, schlechtes Allgemeinbefinden.
Temperatur 38,8. Es wird eine Inzision gemacht, welche nach 2 Tagen
zur auffallenden Besserung führte.
Bei den Mastitiden müssen wir in bezug auf die Rivanolbehandlung
zwischen abgeschlossenen einkammerigen und mehrkammerigen Absze߬
höhlen einen Unterschied machen. Bei den ersten erreichten wir in
relativ kurzer Zeit (10—18 Tage) eine klinische Heilung, wobei die
Schmerzlosigkeit vom l.Tage der*Behandlung an zu erwähnen wäre.
In der Behandlung dieser Mastitiden möchten wir besonders auch auf
den kosmetischen Erfolg hinweisen. Dagegen konnten wir bei den
mehrkammerigen, fortschreitenden Mastitiden trotz Punktion und
Umspritzung mit Rivanol zu keinem Erfolge gelangen.
e) Furunkel, Karbunkel. Bei Furunkeln und Karbunkeln
haben wir aus dem Zentrum des infizierten Gewebes den Eiter aus-
zusaugen und nachher die Höhle mit Rivanol anzufüllen versucht.
War dieses nicht möglich — war der Furunkel noch unreif —> so sind
wir zur Um- und Unterspritzung fibergegangen.
Bei unseren 10 Fällen, die wir nach dieser Methode behandelt
haben, konnten wir feststellen, daß die Behandlungsdauer kürzer
und zugleich schmerzloser war als bei den anderen Fällen, die wir
mit Inzision oder Wärmeapplikatiou behandelt haben. So sind die
Furunkel und Karbunkel, die mit Rivanol behandelt waren, durch¬
schnittlich in 10 Tagen zur Heilung gekommen. Wir möchten dabei
noch erwähnen, daß Furunkel und Karbunkel von jeder Größe und
Ausdehnung durch die Umspritzung zum Stillstand gebracht werden
konnten. Diabetische Furunkel waren nicht dabei.
f) Fortschreitende akute (phlegmonöse) Entzündun¬
gen. In einem Falle von akuter fortschreitender Pnlegmone konnte
die Rivanolbehandlung zu keinem Erfolge führen.' Es handelte sich
hier um eine Phlegmone am Unterarm, bei der 2 Tage nach der
Um- und Unterspritzung derartig heftige Schmerzen auftraten, daß
wir, um ein Weitergreifen der Phlegmone zu vermeiden, uns zur
Inzision entschließen mußten.
In einem anderen Falle konnten wir bei einer Phlegmone des
Oberarmes (Staphylokokken) nach vorgenommener Inzision die Infil¬
tration, welche beinahe den ganzen Oberarm umfaßte, durch zwei¬
malige Umspritzung mit Rivanol zum Stillstand und nach 5 Um¬
spritzungen zur vollständigen klinischen und funktionellen Heilung
bringen.
Ein Fall — eine akute fortschreitende Entzündung des Halses
(Staphylokokkeninfektion) — kam nach dreimaliger Um- und Unter¬
spritzung in 10 Tagen zur Heilung.
Eine Sehnenscheidenphlegmonc. die sich zur Zeit noch in Behand¬
lung befindet, scheint nicht erfolgversprechend zu werden.
Einen auffallenden Erfolg haben wir in folgendem Falle, bei dem
es sich um eine akute fortschreitende Entzündung handelte, erzielt.
A. B., 31 Jahre alt, Arbeiter. Am 17. III. 1922 bei der Arbeit eine
Verletzung am 4. Finger der rechten Hand. An den beiden ersten
Tagen leichte Schwellung; am 3. Tage nahm die Schwellung nach
4stündiger Arbeit derartig zu, daß Patient unsere Poliklinik aufsuchte.
Temperatur 38,5. Allgemeinbefinden schlecht.
Befund am 19. III.: Ueber dem Grundgelenk des 4. Fingers der
rechten Hand eine fünfpfennigstückgroße eitrige Blase (Verletzungs¬
stelle). Wurstförmige Schwellung des Handrückens, über das Hand¬
gelenk bis zum oberen Drittel des Unterarmes hinaufgehend. Rötung,
Infiltration, Druckempfindlichkeit. Aktive und passive Bewegungen
der Hand und der Finger unmöglich. Auf leichten Druck hin ent¬
leert sich aus der verletzten Stelle etwas Eiter.
Umspritzung der Ausbreitungsrichtung entgegengesetzt (zentri¬
fugal) mit 12 ccm Rivanol 1:500 in Lokalanästhesie. Abtrennung der
nekrotischen Haut von der verletzten Stelle. Kultur: Gram-positive
Diplokokken. Am 20. III. ist die Schwellung erheblich zurückgegangen.
Passive Beweglichkeit des Handgelenkes noch schmerzhaft. Brennen
in der Mitte des Handrückens. Temperatur 37,7. Allgemeinbefinden
besser. Umspritzung mjt 12 ccm Rivanol in Lokalanästhesie. Am 22. III.
ist die Schwellung zurückgegangen. Passive Beweglichkeit des Hand¬
gelenkes und der Finger schmerzlos. Kein Fieber. Allgemeinbefinden
gut. Feuchter Rivanolverband. Am 25. III. kann Patient das Hand¬
gelenk schmerzlos bewegen und eine Faust machen. Entzündungs¬
erscheinungen sind zurückgegangen, Wunde am 29. III. verheilt.
g) Lymphadenitis. In einem Falle von Lymphadenitis am
Oberschenkel, bei dem es sich um eine Staphylokokkeninfektion han¬
delte, haben wir nach 4 Punktionen, Um- und Unterspritzungen keinen
Erfolg erzielen können. Wir mußten endlich einen Einschnitt machen.
In dem anderen Falle haben wir nach 3 Punktionen und Um¬
spritzungen eine Besserung erreicht. Der Fall ist noch in Behandlung.
h) Gelenkempyeme. Hier erzielten wir mit der Rivanolbehand¬
lung auffallend gute Erfolge. Die sofortige Schmerzlosigkeit von der
ersten Punktion an, der Temperaturabfall, die Zurückbildung der
Entzündungserscheinungen und damit erhebliche Besserung des All¬
gemeinzustandes, sowie die rasche funktionelle Heilung sind hier
besonders erwähnenswert.
Es waren: 3 Kniegelenks-, 2 Fußgelenks-, 2 Handgelenksempyeme,
davon in 3 Fällen Streptokokken, in 4 Fällen Mischinfektion.
Ein Fall von Kniegelenksempyem, bei dem es sich um eine
Metastase bei allgemeiner Pyämie nach Nackenfurunkel handelte, kam
zum Exitus während die übrigen in verhältnismäßig kurzer Zeit ohne
iede andere therapeutische Maßnahme, nur nach durchschnittlich
2—3 Punktionen und Injektionen von Rivanol 1:1000 zur Heilung kamen.
Die Sektion dieses Falles (Prof. Hart) ergab folgenden lokalen
Befund: Das rechte Kniegelenk geschwollen, auf Druck entleert sich
aus der Außenseite des Gelenkes durch eine Punktionsöffnung gelblich¬
grüner Eiter. Bei Eröffnung des Gelenkes zeigt sich dieses vollständig
mit dem gleichen Eiter angefüllt.
Die allgemeine Diagnose lautete: Pyämie nach Nackenfurunkel,
Vereiterung des rechten Kniegelenks und seiner Umgebung. Lungen-
abszessc. Rechtseitiger Pneumothorax mit serofibrinöser Pleuritis,
Atelektase der rechten Lunge. Abszeß vor dem Kehlkopf. Septische
Milzschwellung. Abszesse in beiden Nieren.
Pleuraempyeme haben wir mit Rivanol nicht behandelt.
Zusammenfassung. Das Rivanol von Morgenroth ist zur Zeit
das wirksamste chemotherapeutische Antiseptikum. Wenn wir es mit
den Chiniuderivaten (Eukupin, Vuzin usw.) vergleichen, so können wir
sagen, daß in der Behandlung geschlossener Abszesse dieselben Resul¬
tate erzielt worden sind (Bier). Das Rivanol hat ebenso wie das
Eukupin bei den fortschreitenden Phlegmonen versagt. Es hat aber
gegenüber den Chininderivaten folgende Vorteile:
1. Es wirkt nicht gewebsschädigend, verursacht also klinisch
durch seine chemische Wirkung nicht die geringsten Nekrosen.
2. Es wirkt nicht nur wachstumshemmend, sondern kann auch
bakterizid wirken (Sterilität der geschlossenen Abszeßhöhlen); aller¬
dings kann von einer Regelmäßigkeit nicht die Rede sein.
3. Seine Applikation verursacht keine Schmerzen, im Gegenteil,
es wirkt schmerzlindernd.
4. Es macht eine akute Entzündung mit Leukozytose, welche
klinisch im Sinne der Bierschen „Heilentzündung“ aufgefaßt wer¬
den kann.
Gegenüber der Inzision besitzt das Rivanol den kosmetischen und
funktionellen Vorteil der minimalen Narbenbildung (Mastitis, Abszesse
im Bereiche des Gesichtes).
Auf die Bedeutung dieses Vorteiles hat Bier hingewiesen, welcher
den hervorragenden Schutz der lückenlosen Hautdecke für die Regene¬
ration bei Punktion heißer Abszesse feststellte: „obwohl sich Nekrosen
in heißen Abszessen befinden, verschwinden sie in der Regel, ohne die
eringste Spur zu hinterlassen, nehmen also einen viel günstigeren
usgang als die allerbesten, per primam intentionem heilenden Wunden.*
Die konservative Behandlung mit Rivanol kann bei abgeschlos¬
senen Abszessen, einkammerigen Mastitiden, Bursitiden, Gelenk
empyemen, Furunkeln, Karbunkeln, nach genauer Kenntnis der Technik
mit Erfolg angewandt werden. Bei mehrkammerigen Mastitiden,
Lymphadenitis, phlegmonösen Entzündungen ist der Erfolg zweifelhaft.
Bei Sehnenscheidenphlegmonen können wir mit dem Rivanol keinen
Erfolg erreichen.
Mit dem Rivanol ist das Problem der therapeutischen Tiefen¬
antisepsis noch nicht gelöst. Es kann aber nicht bestritten werden,
daß wir diesem Ziele nähergekommen sind.
Aus der Medizinischen Klinik (Direktor: Geh.-Rat Hirsch)
und dem Pathologischen Institut (Stellvertr. Direktor:
Prof. Dr. W. Fischer) der Universität in Bonn.
Zur Kenntnis der Lymphogranulomatose.
Von Dr. Hans v. Hecker und Prof. Walter Fischer.
Wie schwer es sein kann, das klinische und anatomische Bild
der Lymphogranulomatose zu erkennen, mögen 2 Fälle zeigen, die
in kurzer Zeit in der Medizinischen Klinik zu Bonn zur Beobachtung
kamen.
Der 32jährige Lokomotivheizer Nikolaus B. wurde am 18.1.1921
in die Medizinische Klinik zu Bonn wegen „Drüsenschwellungen“ an¬
genommen. Aus seiner Anamnese ist Folgendes hervorzuheben.
Familienanamnese o. B. Während des Krieges Beckenschuß, der ohne
Folgen verheilte. Mitte Juni 1920 fiel B. mit der Brust auf den
Tenderkasten einer Lokomotive. Die Schmerzen waren gering. Abends
war die Aufprallstelle „blutunterlaufen“, machte jedoch keinerlei
größere Beschwerden. Den Dienst konnte B. ohne Unterbrechung
weiter versehen. Seit September 1920 bemerkte er mitten auf der
Brust, in Höhe des Manubrium sterni, eine allmählich sich ver¬
größernde Anschwellung. Gleichzeitig trat eine ständig zunehmende
Müdigkeit und Abgeschlagenheit auf, die er früher niemals bemerkt
hatte. Während der letzten 8 Wochen 40 Pfund Gewichtsverlust und
starke Nachtschweiße sowie sich ständig verstärkende Atemnot.
Abnormer Juckreiz hat niemals bestanden.
Status: Kräftig gebaut, Hautfarbe und sichtbare Schleimhäute
blaß, Haut feucht. Leidlicher Ernährungszustand. An den abhän¬
gigen Partien des Rumpfes leichte Oedeme. An der fechten Hals-
seite, in beiden Achselhöhlen sowie der rechten Supraklavikulargrube
etwa walnußgroße, indolente Drüsenpakete. Der obere Teil des Ster¬
nums ist von einer auf die linke Brustseite hinüberreichenden, mit
der Unterlage fest verwachsenen, etwa handtellergro&en, nicht druck-
oder schmerzempfindlichen Geschwulst eingenommen.
Digitized by Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
14. April 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
483
Der Thorax ist gut gewölbt, dehnt sich nur wenig beim Atmen
aus. Patient ist sehr dyspnoisch. Lungengrenzen: vorne rechts
im 5. Interkostalraum, hinten rechts am 11. Brustwirbeldorn mäßig
verschieblich. Hinten links handbreite Dämpfung mit stark abge¬
schwächtem Atmen und Pektoralfremitus. Kein Katarrh. Der media-
stinale Brustteil ist von einer, der Herzdämpfung sich anschließen¬
den, intensiven Dämpfung eingenommen. Die Dämpfung ist in Höhe
der 2. Rippe 6 cm breit, sie bildet eine dreieckartige Figur, dessen
Basis in Höhe des 5. Interkostalraumes liegt, wo sie nach links die
Mamillarlinie erreicht, nach rechts die Mamillarlinie um 1 cm über¬
schreitet. Herztöne: leise. Aktion sehr beschleunigt, 120 pro
Minute.
Abdomen: aufgetrieben, deutlicher Aszites. Leber überragt
den Rippenbogen um einen Ouerfinger. Die Milzdämpfung ist ver¬
größert, die Milz nicht palpabel.
Die Reflexe sind in Ordnung. Urin: dunkelgelb, schwach
sauer, eiweiß- und zuckerfrei. Gallenfarbstoffe und Urobilinogen
sind negativ.
Blutbefund: Hämoglobin 55 (nach Sahli). Erythro¬
zyten 3480000, Färbeindex 0,8, Leukozyten 7600." Blut¬
bild: Neutrophile Leukozyten 61 o/o, Lymphozyten 36 o/ 0 ,
Eosinophile 2%, Mononukleäre 1 o/o.
18.1.1921. Die histologische Untersuchung der vor
einigen Tagen exstirpierten Achseldrüsen zeigt ein
kleinzelliges Rundzellensarkom (Pathologisches Institut).
21. I. 1921. Die Röntgenplatte des Thorax ergibt: Mäch¬
tige Verbreiterung des Mittelschattens, besonders nach rechts, dort
bis in das Spitzenfeld aufsteigend. Vom Herzen ist nur die Spitze
frei pulsierend zu beobachten. Wa.R. im Blutserum: negativ.
11. II. Die anfänglich vorhandenen Zeichen von Herzinsuffizienz
sind unter Digitalisdarreichung zurückgegangen. Desgleichen sind
die während der ersten 3 Wochen bestehenden unregelmäßigen,
meist hohen Temperaturen (zwischen 38 und 39.4°) letzt ruhiger
geworden. Patient ist inzwischen mit Röntgenstrahlen behandelt wor¬
den (7 Felder), fühlt sich subjektiv sehr viel wohler. Die Dyspnoe
ist ganz verschwunden. Objektiv ist die Dämpfung auf der Brust
wesentlich zurückgegangen, nach rechts reicht sie kaum noch über
das Sternum (in Höhe des 5. Interkostalraumes) hinaus, nach links
schließt sie mit der normalen Herzdämpfung ab. Der auf dem
oberen Teile des Sternums sitzende Tumor hebt sich, da die Um¬
gebung flacher geworden ist, nunmehr besser ab. Eine erneute
Röntgenaufnahme zeigt den rechten Herzzwerchfellwinkel be¬
deutend aufgehellt und klarer gezeichnet. Ueber dem rechten Hilus
bleibt ein faustgroßer Tumor bestehen.
4. HT. Weitere wesentliche subjektive Besserung. Ist seit 14 Tagen
außer Bett. Die Dämpfung über dem Mediastinum hat sich weiter
verkleinert. Seit 3 Wochen fieberfrei. In der Bauchhant haben sich
in den letzten Wochen 4 etwa bohnengroße, harie, leicht livid gefärbte
Tumoren gebildet. Patient wird auf seinen Wunsch entlassen.
14. IV. Neuaufnahme. B. kommt zu Fuß in die Klinik. Er
habe sich seit der Entlassung wohl befunden und komme nur wieder
in die Klinik, da er dorthin zwecks erneuter Behandlung bestellt sei.
Objektiv: Sieht jetzt äußerst blaß (fahl, gelblich) aus. Leichte
Oedeme beider Unterschenkel. Ist sehr mager (kachektisch). Deut¬
licher Aszites. Gewicht 63,9 kg, Temperatur 37,4°. Die Vorwölbung
auf dem Manubrium stemi ist etwa zweimandelgroß. Bei Beklopfen
Sch m e rzh a ftigkeit.
Lunge zeigt außer leichtem diffusen Katarrh nichts Besonderes.
Die Dämpfung über dem Mediastinum ist nicht verändert seit der
letzten Untersuchung vom 4. III. Ueber der Herzbasis systolisches
Geräusch, das zur Spitze hin abnimmt. Leber überragt den Rippen¬
bogen um 2 Querfinger, die Milz ist jetzt stark vergrößert und
überschreitet den Rippenbogen um 4 Querfinger. Im Urin außer
Urobilinogen -f- (in der Kälte) nichts Besonderes. Sediment: o. B.
Reflexe: in Ordnung. Augenhintergrund: o. B. Gewicht 63,9 kg.
Blutbefund: Hämoglobin 38 (Sahli), Erythrozyten
1714000, Leukozyten 1800. Blutbild: Neutrophile Leuko¬
zyten 66o/o, kleine Lymphozyten 26°/o, große Lympho¬
zyten 2o/ 0 , Uebergangsformen 4o/o, Mononukleare 2%.
24. IV. Ständig ganz unregelmäßige Temperaturen bis 38.6°.
Di? in der Bauchhaut befindlichen 4 Tumoren (vgl. 4. III.) sind
fetzt schwärzlich gefärbt, ihre Zentren sind nekrotisch geworden.
Wegen rapider Zunahme des Aszites Punktion und Ablassen von
4 500 ccm einer dunkelgelben, klaren, serösen Flüssigkeit. In ihr
Albumen -f* (nach der sog. Rivaltaschen Probe).. Spezifisches Ge¬
wicht 1012. Im Sediment reichlich Leukozyten.
I V. Aszites wieder angestiegen. Starke Oedeme an beiden
Beinen, dem Rumpfe und den Genitalien. Beiderseits Pleuraexsudate.
Sensorium frei.
4. V. Heute nachmittag 3 Uhr fällt Patient plötzlich im Bett
zurück, wird bewußtlos und liegt in tiefem Koma. Es treten epilepti-
forme Zuckungen auf. Babinski: negativ. Nach 20 Minuten kommt
er langsam wieder zu sich. Erinnert sich an nichts.
6 . V. Gestern nachmittag und heute früh gegen 4 Uhr wieder
epileptiforme Anfälle von gleicher Stärke und Dauer wie am 4. V.
B. ist seit Auftreten dieser Anfälle psychisch verändert. Während
er früher euphorisch war, ist er jetzt ganz teilnahmslos und nieder¬
geschlagen. Während des heutigen Tages noch 4 derartige An¬
fälle. Pupillen im Anfälle springend, auf Lichteinfall nicht reagierend.
Augenhintergrund o. B. Keine Stauungspapille. Rapide Verschlech¬
terung. Starke Zunahme der allgemeinen Oedeme; ist seit abends
10 Uhr bewußtlos. Hämoglobin 30 (Sahli). Temperatur meist zwischen
37 und 38°.
7. V. 12 Uhr Exitus letalis.
Zusammenfassend ergibt mithin das obige Kran¬
ke nblatt: Allmähliche, erstmalig September 1920 bemerkte, schmerz¬
lose axilläre Drüsenschwellungen. Bei Aufnahme (Januar 1921) be¬
reits großer Mediastinaltumor mit Erscheinungen von Herzschwäche
sowie Zeichen von Anämie. Guter Erfolg der Röntgenbestrahlung
hinsichtlich der Verkleinerung der mediastinalen Geschwulstmassen.
6 Wochen später schwere Kachexie. Bauchmetastasen. Kurz vor dem
Exitus schwere Zerebralerscheinungen (epileptiforme Anfälle mit nach¬
folgendem tiefen Koma).
Wir dachten anfänglich (rein klinisch) an die Möglichkeit, daß
es sich bei der vorliegenden Erkrankung um Lymphogranulomatose
handelte.
Zwar fehlte anamnestisch das für diese Erkrankung so typische,
schon frühzeitig auftretende und sehr quälende Hautjucken. Auch
die Blutuntersuchung ergab (abgesehen von einer gewissen Anämie)
keinerlei von der Norm abweichende charakteristische Veränderung
des • qualitativen Leukozytenbildes (insbesondere Fehlen von Eosino¬
philie) und somit keinen bestimmten Hinweis auf einen derartigen
Charakter der Tumoren. Auch der von Naegeli angegebene Be¬
fund einer Leukozytose, „entsprechend .dem Wesen der Krankheit
(Lymphogranulomatose) als einer Entzündung“, fand sich nicht. Die
Leukozytenzahl war vielmehr anfänglich in normalen Grenzen (7800).
Erst später trat eine Veränderung ein. Und zwar fanden wir dann
eine starke Leukopenie (1800). Es war dies zu einer Zeit, als der
Zustand des Kranken sich wesentlich verschlechtert und sich eine
ausgesprochene Kachexie eingestellt hatte. Während einer solchen,
im Verlauf einer Lvmnhogranulomatose auftretenden Kachexie wer¬
den nach Ziegler nicht selten Leukozytenwerte bis 1000 gefunden.
Sprach diese letzte Feststellung vielleicht schon für die Annahme
einer Lymphogranulomatose, so fanden sich auch noch weitere Mo¬
mente, die für die gleiche Auffassung verwertbar erschienen.
Zunächst waren die wechselnden, teilweise recht hohen Tempera¬
turen auffallend, die rekurrierenden Charakter zeigten und vielfach
bei Lvmphogranulomatose vo-kommen. Ferner ließ der lokale Drüsen¬
befund, nämlich das Fehlen eitriger Einschmelzungen, sowie Ver¬
wachsungen mit der bedeckenden* FTaut, weiter die gute Isolierung
der einzelnen Tumoren untereinander, dabei ihre derbe Konsistenz
und Indolenz an diese Form der Lymphdrüsentumoren denken.
Desgleichen gewisse Hauttumoren. Kurz vor seiner erstmaligen
Entlassung aus der Klinik (4. III. 1921) wurden nämlich in der Bauch¬
haut 4 livid gefärbte, etwa bohnengroße Tumoren gefunden, die im
Verlaufe einiger Wochen allmählich in ihrem Zentrum nekrotisierten
und geschwürig zerfielen. Derartige Hauttumoren kommen nun bei
Lymphogranulomatose vor. „Es sind“ (so schreibt Ziegler über
diese echten granulomatösen Hauttumoren) „teils subkutan oder
intrakutan gelegene, erbsengroße oder größere, flache oder erhabene,
blaßrötliche oder blaurote Tumoren. Bisweilen bilden sich durch
zentralen Zerfall kraterförmige Geschwüre.“
Auch die spätere Vergrößerung der Milz sprach im gleichen Sinne.
Die klinisch nicht einwandfrei sichere Klärung der Natur der
Lvmphdrüsentumoren hofften wir durch die histologische
Untersuchung einer probeexzidierten Drüse aus der
Axilla zu erhalten. Zu diesem Zwecke ließen wir in der hiesigen
Chirurgischen Klinik eine axilläre Lymphdrüse exzidieren. Die histo¬
logische Untersuchung derselben ergab aber nach Mitteilung des
Pathologischen Institutes (vgl. unten) das Bild eines kleinzelligen
Rund zellensarkoms.
Diesem von pathologisch-anatomischer Seite mit Sicherheit aus¬
gesprochenen Urteil folgend, ließen wir die Diagnose Lymphogranulo¬
matose fallen und faßten das ganze Krankheitsbild als ein schnell
wachsendes, metastasierendes Lymphosarkom auf.
Erst die weiter unten mitgeteilte eingehende histologische Unter¬
suchung einiger abdomineller Lymphknoten erwies dann später den
wahren Charakter der Tumormassen als Lymphogranulomatose (d. h.
unsere ursprüngliche klinische Diagnose).
Es zeigt dieses Verhalten, wie schwierig es bis¬
weilen sein kann, lediglich nach dem histologischen
Befunde einer einzigen Probeexzision zu einem klaren
Urteile hinsichtlich des anatomischen Charakters von
generalisierten Drüsentumoren zu gelangen. Und wir
sind ganz der Ansicht Umbers, der von einem ähnlichen Falle
berichtend sagt: „daß manchmal auch der Pathologische Anatom
nicht imstande ist, in früheren Stadien schon das Charakteristische
herauszufinden, wenigstens an den gerade exzidierten Drüsen“ (Dis¬
kussionsbemerkung). Auch in unserem Falle erfolgte die Exzision
schon frühzeitig, bald nach Einlieferung in die Klinik. Weitere Ex¬
zisionen wollte B. später an sich nicht mehr vornehmen lassen.
Bemerkenswert ist klinisch noch das Auftreten von schweren,
epilepsieähnlichen Krampfanfällen, mit tiefer Benommenheit und
Amnesie sowie einer Veränderung des psvchischen Verhaltens des
Erkrankten. Diese ganzen Erscheinungen ließen die Manifestierung
von Gehirnmetastasen annehmen, die ja auch bei der Autopsie
(siehe unten) gefunden wurden.
Bei der von Prof. W. Fischer vorgenommenen Sektion er¬
gab sich im Wesentlichen Folgendes:
Schädeldach symmetrisch. DipIoS gering entwickelt. Dura ziem¬
lich gespannt, Innenfläche etwas trocken. Sinus mit Kruor gefüllt.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
484
MUTSCHE MEDIZINISCHE »WOCHENSCHRIFT
Nr. 15
Pia-Arachnoidea nicht getrübt, überall an der Konvexität wie an der
Basis zart. Gehirn von gewöhnlicher Konfiguration, Konsistenz etwas
weich. Im Centrum semiovale beiderseits ziemlich symmetrisch
in der Höhe des Caput nudei caudati in der Marksubstanz je ein
etwas über kirschgroßer, rechts etwas größerer, ganz weicher Herd.
Die Hirnsubstanz hat hier eine etwas rosabräunltche Farbe, ist von
kleinsten Blutungen durchsetzt, die Grenze dieses Herdes ist ganz
unscharf: in der Peripherie ist die Hirnsubstanz etwas ödematös und
leicht gelblich gefärbt. An den großen Ganglien keine pathologischen
Veränderungen. Seitenventrikel von gewöhnlicher Weite, Ependym
latt, Plexus chorioidei o. B. 4. Ventrikel o. B. Arterien der Him-
asis dünnwandig und ohne pathologischen Befund.
Bei Eröffnung der Bauchhöhle zeigt sich, daß die Muskulatur
sehr dünn ist. In der Bauchhöhle finden sich etwa 200 ccm leicht
getrübter, gelber Flüssigkeit. Zwischen der 2. und 3. Rippe links
und zwischen 3. und 4. Kippe rechts finden sich trüb-gelbe, homo¬
gene Geschwulstmassen, übergehend in weichere, die im wesent¬
lichen im vordem Mediastinum, ungefähr entsprechend der Lage des
Thymus, sich vorfinden. Die Därme sind stark gebläht, die Serosa
spiegelnd und glatt. Das große Netz ist verkürzt und besonders
in seiner rechten Hälfte verdickt; überall ist es durchsetzt mit
flachen, weißen Knötchen. Die Leber schneidet mit dem Rippenrand
ab. Zwerchfellstand: rechts unterer Rand der 4. Rippe, links der
5. Rippe. Rippenknorpel der ersten Rippe beiderseits verknöchert.
Nach Eröffnung der Brusthöhle finden sich ausgedehnte Ver¬
wachsungen der tiefer liegenden Organe mit dem Manubrium stemi.
Auf dem Herzbeutel befindet sich in seinem oberen Abschnitt eine
gallertige Auflagerung. Auf der Vorderfläche des rechten Ventrikels
ein kleiner Sehnenfleck. Epikardiales Fett gut entwickelt. Bei Her¬
ausnahme des Herzens findet sich in beiden Ventrikeln etwas flüs¬
siges und locker geronnenes Blut. Die Klappen des rechten Herzens
dünn und zart, die Muskulatur rechts etwas blaß. Im linken Ven¬
trikel ist die Wand von entsprechender Dicke, die Farbe der Mus¬
kulatur etwas bräunlich; Endokard und Klappen o. B. Beide Lungen
sind ausgedehnt mit der Brustwand verwachsen, besonders die rechte.
Die linke Lunge auf der Schnittfläche gut lufthaltig, mäßig blut¬
reich, nirgends Verdichtungsherde; etwas Oedem. Schleimhaut der
Bronchien ohne Veränderungen. In der linken Pleurahöhle etwa
70 ccm klare, gelbe Flüssigkeit.
Um den Tumor, der die Gegend des rechten Lungenhilus ein¬
nimmt, nicht zu verletzen, wird die rechte Lunge mit den Hals¬
organen gemeinsam herausgenommen. Es findet sich, daß die oben¬
erwähnte Tumormasse des vorderen Mediastinums sich bis in die
Gegend des Hilus der rechten Lunge fortsetzt und daselbst einen
großen, ziemlich weichen, fast rein weißen Knoten bildet. Die rechte
Lunge ist noch ausgedehnter als die linke an der Spitze durch binde¬
gewebige Adhäsionen fixiert. Auf dem Durchschnitt bietet die rechte
Lunge in allen Teilen die gleichen Verhältnisse wie die linke.
Die Milz mißt 21:17:6 cm, wiegt 860 g. Das Parenchym ist
dunkelrot, die Zeichnung ist völlig verwaschen, die Konsistenz recht
weich. Es findet sich, daß fast ein Viertel der Milz, und zwar* vom
Hilus bis zur Kapsel, in trockenes, teils gelbliches,, teils gelblich
rotes, nekrotisches Gewebe umgewnndelt ist, das sich scharf gegen
die Umgebung abgrenzt. Vom Hilus der Milz greifen ziemlich feste,
fast reinweiße Tumormassen auf das Pankreas und das retroperi-
toneale Gewebe über; in der Milz selbst ist nichts von Tumor fest¬
zustellen.
Im Mesenterium überall flache, harte, weiße Verdickungen, eben¬
solche Tumorknötchen im parietalen Peritoneum und im Zwerchfell.
Die Oberfläche der Leber ist von zahlreichen weißlich - gelben,
flachen Tumorknoten bedeckt, die bis 5-Pfennigstückgröße erreichen.
Auch die Schnittfläche der Leber ist von Tumorknoten durchsetzt,
die Knoten sind mehr oder weniger gut abgegrenzt, teils weiß,
teils weißlich-rosa, einige auch schmutzig verfärbt und sehr weich.
Die Leber ist etwas gelblich gefärbt, die Konsistenz weich. An
der Leberpforte finden sich im Peritoneum diffuse Wucherungen
von weißlichem Tumorgewebe; der Tumor engt jedoch die Gallen¬
wege nicht ein. Die Gallenblase enthält flüssige, gelbbraune Galle,
ihre Wand ist ohne besonderen Befund. In dem großen und breiten
Pankreas finden sich, zumal im Kopfteil, einige weißliche, zum Teil
weiche Tumorknoten; härtere, recht flache Tumorknoten rings um
das Pankreas und überall im Mesenterium. Die retroperitonealen
Lymphknoten sind zum Teil in größere, ziemlich weiche, weiße, bis
taubeneigroße Knoten umgewandelt. Nur ganz vereinzelt in den
Knoten trockene, gelbe, opake Partien.
Im unteren Ileum ein pfennigstückgroßes, quergestelltes, nicht
tiefes Ulkus, mit etwas wulstigem, leicht überhängendem Rand; der
Grund ist glatt, auf der Serosaseite einige punktförmige, weißliche
Verdickungen. Zwei ähnliche, viel kleinere, ganz flache Ulzera an
der Ileozökalklappe, hier auch in der Serosa ganz flache Tumor¬
massen. Appendix lang, total obliteriert, nach hinten oben ge¬
schlagen. Dickdarm o. B.
Die mikroskopische Untersuchung der Tumormassen im
Mediastinum, in den Lymphknoten, in Muskel, Leber und Gehirn,
der Milz und der Darmgeschwüre ergab zunächst recht wenig ein¬
heitliche Bilder, aber schließlich doch in einigen abdominalen Lymph¬
knoten sichere Beweise dafür, daß es sich um eine Lymphogra¬
nulomatose handelt. Im ganzen überwiegen in den Wucherungen
plasmareiche Zellen: junge Fibroblasten und Lymphgefäße, endothel¬
artige Zellen; und da und dort findet man auch ganz charakteristische
Stembergsche Riesen zellen; Plasmazellen sind in mäßiger Menge
vorhanden, typische Lymphozyten und lymphozytenartige Zellen
treten ziemlich zurück. Eosinophile Leukozyten wurden nur in
wenigen Schnitten, und auch da nur ganz vereinzelt angetroffen. Am
atypischesten sind die Wucherungen in der Leber, wo sie nut
zum Teil periportal angeordnet sind, sonst ohne erkennbare Be¬
ziehungen zu Gefäßen oder bestimmte Abschnitte eines Leberläpp-
chens. Die Wucherungen bestehen hier aus einem Gemisch von
Lymphozyten, Plasmazellen, Fibroblasten, kleinen Riesenzellen, und
dann sind noch relativ viel neutrophile Leukozyten, jedoch nirgends
eosinophile Zellen anzutreffen. Die Grenzen des Granuloms gegen
das Lebergewebe sind ganz unscharf. Es besteht starke Hämo-
siderose der Leber und mäßiger Grad von Verfettung.
Am eigenartigsten sind die Herde im Gehirn. Hier finden
sich die Wucherungen fast alle deutlich perivaskulär angeordnet,
die Zellen haben meist den Typ von Lymphozyten, Lympnoblasten
und Plasmazeilen, ganz vereinzelt findet man auch kleine Herde
Stembergscher Riesenzellen; nirgends eosinophile Zellen. In einigen
Herden stellt man zentralen Zerfall fest, hier finden sich Kem-
trümmer und neutrophile Leukozyten, auch etwas Neuronophagie.
Am Rande der Wucherungen ist das Gewebe ödematös durchtränkt.
Blutungen sind nirgends festzustellen. Manche Herde lassen aber
auch nicht die geringste Beziehung zu Gefäßen erkennen. Die
Grenzen gegen das Himgewebe sind oft ganz unscharf.
Nach diesem Befund handelt es sich im vorliegen¬
den Falle also*um eine Lymphogranulomatose im Media-
stinum, übergreifend auf Interkostalmuskulatur, mes¬
enteriale, retroperitoneale Lymphknoten, Pankreas
und Leber, auf Darm und auf das Gehirn; und Bildung
eines großen Milzinfarktes durch Uebergreifen auf
die M iTz g e f ä ß e. (Schluß folgt.)
Aus der Chirurgischen Abteilung des Augusta-Hospitals in Berlin.
Ueber einen gutartigen Pankreastumor 1 ).
Von Dr. E. Heymaan, Dirigirender Arzt.
Gutartige Pankreastumoren scheinen außerordentlich selten be¬
obachtet zu sein. W. Körte (1) erwähnt drei, von denen einer,
ein Fibrom, von ihm selbst operativ entfernt worden ist. N. Gu-
leke (2), der die Literatur über die Pankreaserkrankungen bis zum
Jahre 1911 zusammengestellt hat, berichtet über keinen weiteren,
im letzten Jahre ist ein kleinzystisches Adenom aus dem Pankreas¬
kopf von H. Lorenz (3) in Wien exstirpiert worden. Der Ductus
Wirsungianus, der im Operationsfeld lag, wurde in den Magen genäht.
Die Kranke konnte geheilt vorgestellt werden. Vor etwa anderthalb
Jahren habe ich bei einer 41jährigen Kranken gleichfalls eine histo¬
logisch gutartige Geschwulst aus dem Paukreaslcopf ausschälen kön¬
nen, die freilich vor dem Eingriff ihrer klinischem Erscheinungen
wegen für ein Pyloruskarzinom gehalten worden war und als solches
auch von mir operiert worden ist. Die fehlerhafte Diagnose konnte
erst während des Eingriffes richtiggestellt werden.
Aus der Krankheitsgeschichte seien felgende Einzelheiten mitge¬
teilt: • ö!
Die 41jährige Ehefrau A. S. litt seit März 1920 fortwährend an
Schmerzen in der Oberbauchgegend, die unabhängig von den Mahl¬
zeiten einsetzten und sich bei Bewegungen und bei der Arbeit oft¬
mals ins Unerträgliche steigerten. Es bestand häufig Uebelkeit,
von Zeit zu Zeit trat Erbrechen ein. Im allgemeinen blieb die Kranke
jedoch arbeitsfähig. — Im Juni steigerten sich die Schmerzen der¬
art, daß die Kranke liegen mußte, da sie nur während der Ruhe
nachließen, dann verschwand auch die Uebelkeit. Da alle Nahrung
bitter schmeckte, bestand vollkommene Appetitlosigkeit. — Die
übrige Vorgeschichte ist belanglos. Vor elf Jahren wurde ihr der
Wurmfortsatz entfernt. Sie hat zwei gesunde Kinder. Die Regel¬
mäßigkeit der Periode war seit den letzten Kriegsjahren durch lange
Intervalle unterbrochen. Gelb war die Kranke niemals gewesen.
Wegen ihrer unerträglichen Schmerzen und ihres elenden Zustandes
wurde sie am 12. VI. 1920 auf die Chirurgische Abteilung des
Augusta-Hospitals aufgenommen.
An den Brustorganen war nichts Besonderes nachweisbar. Die
Bauchwand fühlte sich schlaff an und zeigte Striae. Die rechte
Niere stand tief, ließ sich aber in die normale Lage zurückbringen.
Der äußere Rand des rechten Rektus war mäßig druckempfindlich.
Hier fühlte man etwas oberhalb vom Nabel durch die Bauchdecke
hindurch in der Tiefe einen etwa eigroßen, festen, nicht
druckempfindlichen Tumor, der passiv mäßig gut beweglich
war. Bei der Aufblähung des Magens verschwand die Geschwulst.
Im Stuhl wurde bei hintereinander an drei Tagen vorgenommenen
Untersuchungen einmal Blut nachgewiesen, die anderen Male nicht.
Nüchtern war der Magen leer. Die Menge des ausgeheberten Probe¬
frühstücks betrug etwa 200 ccm einer etwas schleimigen, tropfbaren,
mäßig gut verdauten Flüssigkeit. Die Werte für die freie HCl be¬
liefen sich auf 8, die für die Gesamtazidität auf 26.
Das Röntgenbild (siehe Figur) zeigte einen ptotischen, etwas
hypotonischen Magen mit spitzwinkliger Knickung der kleinen Kur¬
vatur. In der Antrumgegend blieb ständig ein Füllungsdefekt er¬
halten, der Schatten im übrigen Antrumteil stand mit dem Magen-
*) Vortrag mit Demonstration in der Berliner Oesellschaft für Chirurgie am 9.1.1922.
Digitized b'
Google
Original from
CORNELL UNiVERSSTY
14. April 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
485
schattdn durch unregelmäßig gezackte Ausläufer in Verbindung. Der
Ausfall im Antrum saß an der kleinen Kurvatur, er glich sich während
der Durchleuchtung nach verschiedenen Richtungen niemals aus und
ist auch auf dem Bilde zu sehen. Der Pylorus war suffizient, die
Bulbushaubc breit und fast dauernd gefüllt, während Pars superior
und descendens sich nur wenig füllten. Der Schatten glich an dieser
Stelle einem Kometenschweif, dessen lang ausgezogene, schmale
Spitze im Bulbus mündete. Zähnelung und schmale Ausziehung zeig¬
ten das Bild der Kompression von außen.
Nach dem klinischen Befunde und dem Röntgenbilde mußte die
Diagnose auf Karzinom des Pylorus, das seinen Ausgang von der
kleinen Kurvatur genommen hatte,
gestellt werden. Die Härte der
Geschwulst, in Verbindung mit
dem Blutnachweis im Stuhl, mußte
diese Diagnose bekräftigen. Nur
der Chemismus sprach dagegen.
Am 20. VII. 1920 wurde die La¬
parotomie in der Absicht ausge¬
führt, das Karzinom zu beseitigen.
Nach Eröffnung der Bauch¬
höhle erwiesen sich aber Pförtner
und kleine Kurvatur sowie die
übrigen Teile des Magens als voll¬
kommen gesund, nur bestand eine
spitzwinklige Ptose der kleinen
Kurvatur und daneben, wie so
häufig, eine spastische Kontraktur
des Duodenums bis auf Bleistift¬
dicke. Dies wurde sichtbar, nach¬
dem ein deutlich vorhandenes
Ligamentum hepato-colicum, das
eine anatomisch seltene, laterale
Verbreiterung des Ligamentum
hepato-duodenale darstellt, durch¬
trennt worden war. Es zeigte sich
ferner, daß die Pars descendens
duodeni nach vorne vorgedrängt
war. Sie zog wie eine Tänie über
den Längsmeridian des Pankreas¬
kopfes hinweg. Dieser war kugelförmig verdickt, erstreckte sich
lateralwärts unter die Umschlagsfalte des Peritoneums, das vorne
das Duodenum bedeckt, und ließ sich in senkrechter Richtung an
seiner Verbindung mit dem Pankreaskörper hin und her bewegen.
Im Gegensatz zu der Drüse selbst fühlte sich der apfelähnliche Kopf
sehr hart an; man sah aber, daß er außen von einer Schicht Pankreas¬
gewebe überkleidet war. Zu einer besonders auffallenden Gefä߬
entwicklung war es an der Oberfläche nirgends gekommen. Da die
Absuchung der Abdominalorgane keine andere Geschwulstbildung
aufdeckte, so war anzunehmen, daß sie lediglich im Pankreaskopf
ihren Sitz hatte.
Der Weg zur Exstirpation war durch die medianwärts ver¬
schobene Lage des Duodenums gegeben. Nach Inzision des Peritoneal¬
überzuges und Mobilisierung des Duodenums von seiner lateralen
Kante aus trat die Kugelgestalt der Geschwulst deutlicher in Er¬
scheinung. Auch konnte kein Zweifel mehr darüber bestehen, daß
sie sich im Scheitel des Pankreaskopfes entwickelt hatte, denn bei
der Lösung der dorsalen Fläche, die von der Inzision aus vorge¬
nommen wurde, gelang es, die Kugel immer mehr zu mobilisieren,
bis sie schließlich nur noch median an einer schmalen Gewebsbrücke
mit dem übrigen Pankreas zusammenhing.
Eine besondere Gefahr bei der Exstirpation der Geschwulst
bildete die Nähe des Ductus choledochus und pancreaticus, die
schätzungsweise an der medianen Fläche des Tumors entlanglaufen
mußten. Um den Hauptgallengang nicht zu verletzen, wurde er da¬
her zunächst im Ligamentum hepato-duodenale freigelegt und durch
Auseinanderzerren des leicht zerreißlichen kleinen Netzes mittels
zweier anatomischer Pinzetten bis zu seinem Eintritt in das Pankreas
verfolgt. Das Duodenum war bei der Mobilisierung medianwärts ver¬
lagert worden, sodaß seine Verletzung nicht zu befürchten war.
Nach diesen einleitenden Maßnahmen war der Pankreaskopf so
weit zugängig geworden, daß der Tumor von der lateralen unteren
Fläche aus entfernt werden konnte. Ich spaltete zunächst, unbe¬
kümmert um die Blutung, die nach kurzdauerndem Andrücken eines
Tupfers schnell zu stehen pflegte, die schmale Drüsenschicht, die die
Geschwulst umgab, und löste sie mit einer vorn gebogenen, ge¬
schlossenen Schere und später mit dem Finger nach allen Seiten
ab, wobei Instrument und ringer die Oeschwulst lateralwärts drängten,
um nicht die median gelegenen großen Drüsengänge zu verletzen.
Erleichtert wurde die Auslösung dadurch, daß den Tumor offenbar
eine Art fibröse Kapsel umgab. Als die Blutung mit fortschreitender
Ausschälung der Geschwulst heftiger wurde, führte ich den Zeige¬
finger der linken Hand unter den Pankreaskopf und komprimierte
nadi Möglichkeit zwischen ihm und Daumen die Uebergangsstelle
zur normalen Drüse. An mehreren Stellen traten größere Gefäße
aus dem Pankreas in das Geschwulstgewebe über. Sie ließen sich
nicht fassen, doch wurden sie später durch eine fortlaufende Katgut-
naht, die durch die Ränder des Wundbettes geführt wurden, gefaßt.
Die Durchmesser der exstirpierten Geschwulst betrugen fast
überall 4 cm. Sie war im frischen Zustand größer als das Präparat,
das ich herumgebe; denn sie ist im Alkohol und nachdem eine Scheibe
zur mikroskopischen Untersuchung herausgeschnitten war, ge¬
schrumpft. Die Konsistenz war derb, sodaß ich zunächst an ein
Fibrom dachte; ihre Hülle bestand aus einer Bindegewebskapsel, an
der ringsherum Reste von Pankreasgewebe hafteten. Auf dem Durch¬
schnitt ähnelte sie einer Struma, nur daß das Bindegewebsgerüst
dichter entwickelt war und einzelne Zysten deutlicher hervortraten.
Die mikroskopische Untersuchung (Prof. Oe st reich) ergab ein
Zystadenom. Im Präparat waren zahlreiche schmale Bindege-
webszüge erkennbar, die Gefäße enthielten, zum Teil hyalin ent¬
artet waren und stellenweise geringfügige Verkalkung aufwiesen.
Die Räume zwischen diesem Gerüst waren leer, enthielten aber kein
Kolloid. Ausgekleidet waren sie von teils platten, teils kubisdien
Zellen, vielfach in mehreren Schichten. Eine Membrana propria
war nicht vorhanden. Am Rande war das Bindegewebe dichter an¬
geordnet.
Nach der Naht des Geschwulstbettes im Pankreaskopf und nach
kurzdauernder Kompression der Nahtstelle stand die Blutung voll¬
kommen. Der Peritonealüberzug wurde, so gut es ging, über der
Wunde vereinigt und das Duodenum zurückgelagert. Es umschloß
nunmehr mit seiner Hufeisengestalt den durch die Resektion ver¬
kleinerten Pankreaskopf, wie dies im natürlichen Zustand der Fall
ist. Zum Schluß wurde die kleine Kurvatur des Magens mittels
4 Fäden, die hoch oben im Ligamentum hepato-gastricum verknotet
wurden, gehoben, um die spitzwinklige Ptose auszugleichen, und
die Bauchhöhle ohne Drain geschlossen. — Siebzehn Tage später
konnte die Kranke, nachdem die Wundheilung anfangs durch eine
Bronchitis bedroht gewesen war, geheilt aus dem Krankenhaus ent¬
lassen werden. Sie hat ihr quälendstes Symptom, die Schmerzen,
vollkommen verloren und ist arbeitsfähig und gesund geworden.
Von einem Rezidiv ist, wie sie sich an der Kranken überzeugen
wollen, nichts zu fühlen. *
Wären mir die Ausführungen von W. Körte in unserer Gesell¬
schaft vom Januar 1914 gegenwärtig gewesen, so hätte ich die
Bauchhöhle, sicherlich nicht ohne ein Drainrohr an die Operations¬
stelle gelegt zu haben, geschlossen. Indessen hat meine Kranke durch
den vollkommenen Verschluß keinen Schaden erlitten, und ich muß
annehmen, daß entweder die Naht der Resektionswunde im Pankreas
primär gehalten hat oder daß bei der Entfernung der Geschwulst
nur wenig wirklich funktionsfähiges Drüsengewebe verletzt worden
ist. Da das Einlegen eines Drainrohres nur nützlich, aber niemals
schädlich sein kann, so empfiehlt es sich, dem Kört eschen Rat¬
schlag zu folgen.
Daß eine echte Geschwulstbildung und nicht eine Re-
tentions- oder Erweichungszyste vorlag, kann nach dem histologi¬
schen Befund nicht zweifelhaft sein, ebensowenig, daß das Gebilde
gutartig war, denn nirgends fanden sich im mikroskopischen Prä¬
parat Zellwucherungen, die auf ein Karzinom verdächtig gewesen
wären. Aeußerlich sprach schon die Bindegewebshülle, die den Tumor
umgab, gegen diesen Verdacht. Das gesamte Bild glich vollkommen
dem, das B. Roman (4) von einer gelegentlich einer Sektion im
Pankreaskörper gefundenen Geschwulst geschildert und das er als
Adenoma cysticum der Bauchspeicheldrüse beschrieben hat. Auch
H. Lorenz (3) bezeichnet das von ihm operativ entfernte Gewächs
als kleinzystisches Adenom.
Bei der Seltenheit solcher Geschwülste ist die falsche Diagnose
verzeihlich. Und doch erscheint es möglich, eine richtige Diagnose
zu stellen, wenn man sich der einzelnen Zeichen erinnern würde,
die als charakteristisch für Pankreasgeschwülste aufgestellt worden
sind. Freilich gelten diese hauptsächlich für die Krebsgeschwülste
des Pankreas, vielleicht sind sie aber für die Erkennung der gut¬
artigen Gewächse dieses Organs ebenso wertvoll. Diese Vermutung
kann erst ihre Bestätigung finden, wenn die Zahl der Veröffent¬
lichungen über die gutartigen Neubildungen des Pankreas gewachsen
sein wird. Bei der von mir operierten Kranken fanden sich Sym¬
ptome, die mit denen der bösartigen Tumoren dieser Drüse nahezu
vollkommen übereinstimmten.
Auf das Ergebnis der Pankreasfunktionsprüfung wird man selten
die Geschwulstdiagnose aufbauen können, denn zu einem Funktions¬
ausfall kommt es scheinbar bei Tumoren, im Gegensatz zur Blutung
und zu anderen Erkrankungen dieser Drüse, selten, und dies nur
dann, wenn der größte Teil des Organs beteiligt ist. Bei kleineren
Geschwülsten, wo sie auch am Pankreas sitzen mögen, scheint ein
Einfluß auf die spezifische Tätigkeit der Drüse niemals beobachtet
zu sein. Die gestörte Funktion würde sich klinisch vor allem in
Diarrhöen zu erkennen geben. Eingehendere Toleranzprüfungen und
die besonderen Harnreaktionen können von dem Chirurgen wohl
kaum in wünschenswerter Weise ausgeführt werden. Dagegen sollte
eine Reihe anderer Zeichen, die mit dem üblichen klinischen Rüst¬
zeug festgestellt werden können, unsere Aufmerksamkeit auf im
Pankreas sitzende Neubildungen hinlenken.
Am wichtigsten bleibt der Nachweis der Geschwulst durch Pal¬
pation und die Lokalisation an einem der typischen Orte,
die W. Körte für den Sitz der Zysten angegeben hat. Doch scheint
eine Pankreasgeschwulst durchaus nicht immer fühlbar zu sein (6).
Wenn es aber der Fall ist, so wird als Sitz für die soliden Ge¬
schwülste die Oberbauchgegend oberhalb des Querkolons angegeben,
wohl deshalb, weil die meisten Karzinome, und dies traf auch bei
dem von W. Körte beschriebenen Fibrom zu, dem Pankreaskörper
angehören. Nach Lufteinblasung in den Magen sollen Pankreas¬
geschwülste der Palpation unzugängig werden. Auch bei meiner
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSUM
486
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 15
Kranken verschwand die gut palpable, hühnereigroße Geschwulst
nach der Magenaufblähung. Gegen die Annahme einer Neubildung
im Pankreas schien mir aber die sonst nie beschriebene Verschieb¬
lichkeit zu sprechen.
Viel charakteristischer als der Sitz der Geschwulst ist die In¬
tensität und Gleichmäßigkeit der Schmerzen, die sie erzeugt.
Nach K. Klein Schmidt (5) sind sie ein regelmäßiges Symptom
beim Pankreaskrebs. N. Guleke (2) beschreibt die Schmerzanfälle
genauer und gibt an, daß Dieulafoy geradezu von einem „Drame
pankreatique“ spräche. Es scheint, als ob die gutartigen Geschwülste
sich in dieser Beziehung nicht von den bösartigen unterschieden;
denn meine Kranke litt gleichfalls an den heftigsten Schmerzen. Sie
standen sogar so vollständig im Vordergründe des Krankheitsbildes,
daß sie allein für mich eine Indikation zur Operation gewesen wären,
wenn nicht die Palpation einer Geschwulst ohnehin einen Eingriff
erfordert hätte. Denn daß dergleichen wütende Schmerzen mit
größter Sicherheit auf eine Beteiligung des Pankreas hinweisen,
habe ich immer wieder bei den ins Pankreas penetrierten Ulcera
ventriculi und duodeni, aber ebenso bei den Krebsen dieser Organe
gesehen. Tatsächlich war ich denn auch bei der vorgestellten Kran¬
ken nicht im Zweifel, daß die Geschwulst auf das Pankreas über¬
gegriffen hätte.
Wenn demnach stets eine von ungewöhnlich heftigen und dauern¬
den Schmerzanfällen begleitete Geschwulstentwicklung in der Ober¬
bauchgegend ais verdacnug auf Beteiligung des Pankreas anzuseben
ist, so bliebe noch zu entscheiden, wie weit eine solche Neu¬
bildung mit dem Magen oder mit dem Zwölffingerdarm zusammen¬
hängt, ob sie als extraventrikulär oder extraduodenal entstanden
anzusehen ist. Auch in dieser Beziehung sind in letzter Zeit
diagnostische Fortschritte zu verzeichnen. Es scheint vor allem,
als ob die Methode des Pneumoperitoneums berufen ist,
wertvolle diagnostische Aufklärungen zu geben. Sie ist von mir,
da ich diagnostische Zweifel an der Diagnose nicht hatte, verabsäumt
worden. Aber das von K. Kleinschmidt (5) beschriebene Kar¬
zinom im Schwanzteil des Pankreas war auf Grund des Befundes im
Pneumoperitoneum richtig diagnostiziert und lokalisiert worden. Er
konnte in halbrechter Seitenlage feststellen, daß die Geschwulst
ohne erkennbare Verwachsungen zwischen Magen und Kolon in
Höhe des 1. und 2. Lendenwirbels im Pankreas saß (1. c.) und nicht
mit dem Magen zusammenhing. Die Zweifel, die A. Püschel (6)
der Methode entgegenbringt, sind daher unberechtigt.
Als ein sehr wichtiges diagnostisches Hilfsmittel muß endlich die
Röntgendurchleuchtung angesehen werden. A. Püschel (6)
hat sechs Kranke mit Pankreaskarziuom kontrolliert und
Stellung der wichtigsten Symptome nicht müßig zu sein. Jeder Fort¬
schritt in der Diagnose der Pankreasgeschwülste wird auch der
frühzeitigen Therapie der Zysten und der Karzinome der Bauch¬
speicheldrüse zugutekommen.
1. Deutsche Chirurgie, Lieferung 45 (Literatur bis 1898); Handbuch der praktischen
Chirurgie 3, F. Enke. Stuttgart; D. m. W. 1909, Nr. 49; Zbl. f. Chir. 1914 Nr. 10. 2. Erg. d
Chir. u. Orthop. 1912 (Literatur bis 1911). — 3. Wiener Gesellschaft der Aerzte, Sitzung
vom 1 VI. 1921; D. m. W. 1921 S. 1282. - 4 Virch. Arch. 209, S. 234 (hier auch patholog.-
anatom. Literatur). — 5. D. m. W. 1921 Nr. 39 S. 1162. — 6 Fortschr. d. Röntgenstr.27
S. 459. - 7. M. KI. 1912 Nr. 25 S 1029.
Aus dem Sanatorium Groedel in Bad Nauheim.
Antisyphilitische Kuren mit intravenöser Darreichung von
Salvarsan-Novasurolmischung bei Herzkranken.
Von Dr. Carl Winkler, Hausarzt des Sanatoriums.
In neuester Zeit wird das Novasurol — ein in der Svphilis-
behandlung bereits bewährtes, intravenös verwendbares Quecksilber¬
präparat — auch als Diuretikum für die Behandlung hydropischer Herz¬
kranker (Lange, Ther. d. Gegenw. 1920 Nr. 7; Kollert ebenda
1920 Nr. 10) verwandt. Wir selbst haben bisher nur bei den schwersten
Fällen, und nur wenn alle anderen Mittel versagt hatten, 1,0 Novasurol
verabfolgt. Der Erfolg war stets eklatant. Es setzte eine Harnflut ein,
dann versagte jedoch die Diurese vollkommen. Gaben wir nun am
nächsten Tag wieder Novasurol, so hatten wir keinen Erfolg. Im
Gegenteil erlebten wir dann schwere Intoxikationserscheinungen, En¬
teritiden besonders, und einmal ein schweres Quecksilberexanthem.
Wir sind deshalb bei schwerer Störung der. Diurese etwas zurück¬
haltend geworden. Bei leichteren und auf andere Mittel reagierenden
Fällen haben wir noch keine Erfahrungen gesammelt.
Die Tatsache, daß Novasurol bei Kreislaufstörungen günstig auf
die Diurese wirkt und von seiten der Zirkulationsorgane gut ver¬
tragen wirdj legte uns aber den Gedanken nahe, bei unseren zahl¬
reichen tertiärsyphilitischen schweren Herzfällen die einzeitige intra¬
venöse Neosalvarsan-Novasurol-Behandlung durchzuführen, um so mehr,
als die vorliegenden Berichte (Schönfeld, M. m. W. 1921 Nr.7;
daselbst vorhergehende Literatur; Schmalz, D.m. W. 1921 Nr. 35;
Treitel, Ther. d. Gegenw., Mai 1921), die sich allerdings vorzugs¬
weise auf frische Fälle bezogen, günstig lauteten.
In Folgendem will ich eine Zusammenstellung der von uns ini
Jahre 1921 mit intravenöser Darreichung von Salvarsan-Novasurol-
als charakteristisch für die Pankreastumoren sieben Punkte
zusammengestellt, die er zum Teil von anderen Unter¬
suchern angegeben fand. Der Magenschatten soll erstens
klein sein und hoch liegen, ein Bild, das freilich audi
beim Magenkarzinom beobachtet wird. Wichtiger soll
zweitens das Vorkommen einer nach links konvexen
kräftigen Ausbuchtung der kleinen Kurvatur und eine
Verbreiterung des Magenwitikels (F. M. GroedeI) sein.
Durch extraventrikuläre Drüsengeschwülste, durch Zysten
und Leberlappen kann das gleiche Bild entstehen. Beide
Angaben treffen bei meiner Kranken nicht zu. Da ferner
eine Geschwulst in oder an einem Hohlorgan einen
Füllungsdefekt in diesem bewirkt, so ist drittens die
Form des Defektes im Magen- oder Duodenalschatten
von Bedeutung. Indessen pflegen solche Ausfälle bei
der Diagnosestellung leicht irrezuführen, wenn man nicht
auf die Aenderung der Form des Defektes bei Verände¬
rung der Lage des Kranken achtet. Beim extraventriku¬
lären Tumor und bei Neubildungen im Pankreas ver¬
schwindet der Ausfall, oder er ändert seine Konturen;
bei einer Magengeschwulst bleibt dagegen das ursprüng¬
liche Bild des Ausfalls auch nach Lagewechsel erhalten.
Auch das Verschwinden des Defektes bei Kontrollunter-
suchungen und das Fortgleiten der Peristaltik über den
Defekt hinüber spricht nach Emmo Schlesinger (7)
für extraventrikuläre Ursachen. Wenn Pankreastumoren
viertens Duodenal- oder Pylorusstenosen zur Folge haben,
kommt dies auf dem Röntgenbild zum Ausdruck. Die
Duodenalschatten nehmen die verschiedensten Formen
an, indem der Bulbusteil allein oder mit anderen Teilen
des Duodenums zusammen erweitert und verdrängt sein
kann. Dies war bei meiner Kranken der Fall (siehe
Figur). Verbindung solcher Duodenalengen mit duode¬
naler Magenmotilität ist nach Püschef gleichfalls be¬
schrieben worden. Das fünfte Zeichen sei die Erweiterung
der Papilla Vateri, von der nicht mitgeteilt ist, wie sie
sich auf dem Röntgenbild zu erkennen gibt. Sechstens
führen Pankreasgeschwülste bisweilen zu Verdrängungen
des Kolons, und siebentes sollen sich Steinbildungen, wenn
sie Geschwülsten zugrundeltegen, durch Schatten auf dem
Röntgenbilde zu erkennen geben.
Bei der Seltenheit der gutartigen Pankreasgeschwülste
wird man auch selten in die Verlegenheit kommen, die
Diagnose stellen zu müssen. Da aber fast alle bisher
niedergelegteu Erfahrungen im Anschluß an chirurgische
Eingriffe gesammelt sind, so schien mir eine Zusammen-
>~ -2 j= Gesamt¬
en S« Diagnose behänd- Einzeibehandiung
«2 iung
Komplikationen
2,1 Ne. 5 Inj.: 0,3 Ne. + 1,0 No.
+ 5,75No. 1 Inj.:0,3 Ne. + 0,75No.
i+ ,5 L r a S v, P s U ! m S°, n A n 6,15Ne. 9Ini.: 0,6 Ne. t 2,0 No.
+ Hjdrotho«x +?5 - 7 No- 1 ln].: MSN., f 2,0 No.
+ 15 Lues pulmonum + ,$ {Jo. s|nj :06 Ne + , ß No .
+ bt.A. +200 Aq
Glykosurie + o Q I Ini.:0,6 Ne. + 0,5 No.
t- 17 Ang. pect. , 1 Ini.:0,6 Ne.+0,70No.
I 7K Mn 1 we. +U./U,
‘• 75No 4 Inj.:0,6 Ne. + 1,0 1
Lues pulmonum N ! iS Vp tn 7 SNn
39 + .Ä CL + 60 No. i !„" ,!Ö Ne! t Ä
art coron - 1 Inj.:0,6 Ne. + 1,5 No.
3,1 Ne. 1 Ini.:03 Ne.+0,25No.
+ 1,25 No. 2Inj.:0,6 Ne. + 0,5 No.
Lues pulmonum 4,8 Ne.
7.+ + + ? (Fehldiagnose 16,25 No.
Tbcj 30,0 Ao.
Myokarditis
Ski. O.A.
2,1 Ne.
+ 5,5 No.
4,5 Ne.
+ 18,5 No.
+40,0 Ao.
? Nach jeder Injektion Unbehagen,
geringes Fieber, bettlägerig
Nach den ersten Novasurolin-
jektionen intramuskulär Intoxi-
. kationserscheinungen, danach
intravenöse Verabreichung dei
Neo- + Novamischung ohne
Erscheinungen
Nach 4 Injektionen starke Stoma¬
titis, Enteritis. No. wird auch
allein injiziert nicht vertragen
Daher Fortsetzung der Kur mit
Ne. allein
Starke Enteritis mit blutigem
Stuhl. Wegen Auftreten von
Hämorrhoiden Operation und
Unterbrechung der Kur
? Wegen Hg-Intoxikationserschei-
nungen No ausgesetzt
9 Art. Ski. + Sei. 4,65 Ne.
cerebr. 23,25 No.
? J.A. + Dil.A. + 2L0 5 No!
JA. + F.M.
+ St.M.
1 Inj.:0,3 Ne.+0,5 No.
1 In .: 0,45 Ne. + 1,0 No.
2 Inj.: 0,6 Ne. + 2,0 No.
o 1A 4- Tah inci °- 6 Ne - UnD 0 - 3 Ne.+0,5 No.
t J.A. + Tab. inci. + , 5 No i Inj.: 0,3 Ne. 4 1,0 No.
Nach den beiden ersten gemisch¬
ten Spritzen Fieber, Kur wurde
getrennt fortgesetzt. Die beiden
letzten Injektionen von 0,6 Ne
+ 2,0 No. ohne Beschwerden
vertragen
Starke Halsentzündung, Stoma¬
titis, Fieber, Enteritis. Infolge
der starken Neurasthenie des
Patienten Kux abgebrochen
•) ganz frische Affektion. Ne. = Neosalvarsan. No. = Novasurol. Ao. = Aolaa.
Digitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
14. April 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
487
Mischung behandelten Syphilisfälle bringen und über unsere Erfah¬
rung berichten. Es handelt sich um 13 Fälle, über welche die Ta¬
belle Auskunft gibt.
Aus dieser Aufstellung ist zu ersehen, daß die Verabreichung von
Neosalvarsan-Novasurol bei 6 Fällen ohne Komplikationen vertragen
wurde. Daß die Intoxikationserscheinungen der übrigen 7 Fälle,
Enteritis, Stomatitis usw., hauptsächlich auf Novasurol zurückzuführen
sind, steht wohl außer Zweifel. Und es ist zu hoffen, daß man bei
vorsichtiger, langsam steigender Dosierung die Mehrzahl der Fälle
einzeitig mit Novasurol-Neosalvarsan behandeln kann. Aber eine ge¬
wisse Zahl von Menschen wird Novasurol auch bei vorsichtiger
Steigerung nicht vertragen, eben wegen seiner starken Wirkung, die
offenbar leicht zu Quecksilberintoxikationserscheinungen führt. Von
seiten des Zirkulationsapparates wird jedenfalls Novasurol allein und
in Kombination mit Salvarsan gut vertragen — auch von seiten der
Niere sahen wir keine unangenehmen Reaktionen — und gerade bei
manchen, therapeutisch besonders schwer zugänglichen Fällen von
tertiärer Herz- und Lungensyphilis schien uns nur die kombinierte
intravenöse Quecksilber-Salvarsan-Behandlung den subjektiv und ob¬
jektiv auffallend guten Erfolg hervorzurufen.
Einige Geschicklichkeit setzt allerdings die Technik voraus, da bei
dem undurchsichtigen, dunkelgrünen Gemisch das Eindringen des
Venenblutes in die Spritze nicht leicht - beobachtet werden kann.
Nicht unerwähnt möchte ich lassen, daß auch die intravenöse Ver¬
abreichung von Novasurol allein der intramuskulären in jeder Be¬
ziehung vorzuziehen ist. Und zwar ist sie, richtig ausgeführt, völlig
schmerzlos und die Wirkung natürlich viel kräftiger. Anderseits
ist zuzugeben, daß sich bei längerem Stehen die dunkelgrüne
Mischung des Novasurol-Neosalvarsans in eine dunkelgraue verändert.
Ob es sich dabei um eine Aenderung der chemischen Verbindung
handelt oder um ein Sedimentieren, entzieht sich meiner Kenntnis.
Jedenfalls hätte ich ohne die vorliegenden Mitteilungen nicht ge¬
wagt, ein derartiges Gemisch zu injizieren.
Vielleicht gelingt es, das Novasurol so darzustellen, daß die
Mischung der Lösungen beider Stoffe klar und beständig bleibt.
Anderseits könnte man den Uebelstand vielleicht durch Verbesserung
der Technik beseitigen, wenn man aus einer Doppelspritze beide
Medikamente durch eine Kanüle in einer Sitzung, aber nacheinander
verabreicht.
Die Qoldbehandlung der Tuberkulose.
Von Dr. Q. Schelleoberg,
Chefarzt der Heilstätte Ruppertshain im Taunus.
Die Ausführungen Levys (in Nr. 7), die viel Erfreuliches über
die Goldbehandlung der Tuberkulose berichten, können nach meinem
Eindruck bei der Aerztewelt und auch beim Krankenpublikum Illusionen
erwecken, die mit der Wirklichkeit bald in Konflikt geraten.
Levy sagt zum Beginn seines Artikels, daß wir mit den immun¬
biologischen Methoden, mit Tuberkulin und mit Tuberkelbazillen
nicht immunisieren können — eine Behauptung, die sehr richtig
ist — und erwartet in dieser Hinsicht Fortschritte nur von chemischen
Mitteln, eine Ansicht, die mir nicht ganz verständlich ist. Er bringt
in seiner Arbeit mehrmals Vergleiche zwischen Tuberkulose und
Syphilis, die mir durchaus nicht berechtigt erscheinen. Die Syphilis
in ihren verschiedenen Stadien ist etwas ganz anderes als die
Tuberkulose in ihren verschiedenen Stadien.
Ich selbst habe im Jahre 1921 meine Erfahrungen über die
Krysolganbehandlung an 79 Krankheitsfällen veröffentlicht und halte
mich deshalb für berufen, zu dem oder jenem Punkte in den Aus¬
führungen Levys Stellung zu nehmen. Ich muß sagen, daß ich bei
der Behandlung allerdings weniger Fälle äußerer Tuberkulose mit
Krysolgan in keinem Fall die raschen Einwirkungen gesehen habe,
wie Levy sie geschildert hat. Ich hatte nach Abschluß meiner
Veröffentlichung noch Gelegenheit, mehrere Fälle fistelnder ein- und
mehrherdiger Knochentuberkulose mit Krysolgan zu behandeln, und
muß gestehen, daß ich da recht wenig von günstiger Wirkung ge¬
sehen habe.
Was die Wirkung des Krysolgans bei Lungentuberkulose anbe¬
langt, wird in der.Arbeit von Levy das Aufheben von Dämpfungen
erwähnt, das Rasseln soll weniger geworden oder ganz verschwunden
sein. Ich habe bei meinen Fällen ein Aufhellen oder gar ein Ver¬
schwinden der Dämpfungen nie konstatieren können, auch war das
Verschwinden von Rasselgeräuschen nur in der Minderzahl der Fälle
zu beobachten. Der Katarrh hat wohl in vielen Fällen eine Ver¬
minderung erfahren, aber nicht mehr, als wir es bei der in den
Lungenheilstätten üblichen Therapie zu sehen gewohnt sind.' Eine
Veränderung des Sputums, wie sie Verfasser mit den eigenen Wor¬
ten einer Kranken schildert, sind uns in keinem Fall in dieser. Weise
aufgefallen, auch konnten wir ein besonderes Nachlassen von Husten
und Auswurf ebenso wie eine Entfieberung bei fiebernden Kranken
nicht konstatieren. Levy faßt seine Erfahrungen dahin zusammen,
daß alle Kranken gebessert wurden, teilweise in einem Umfange,
wie er ihn mit keinem anderen Mittel bis dahin während dreier
Jahre auf der Station erzielen konnte, obwohl die Behandlungsdauer
und Beobachtungszeiten nach seinen eignen Worten zu kurz waren.
Levy schildert den Effekt der Gorabehandlung bei einem Falle
von ausgedehntestem Hautlupus, über den man sehr erfreut sein
kann; - leider konnte -ich mich drei. mehreren Fällen, die nach Ab
Schluß mdnef Beobachtungsreihe in meine Behandlung kamen, keines
wegs von einer so schnellen und weitgehenden Besserung über
zeugen. Meine Erfahrungen bei der Goldbehandlung der äußeren
Tuberkulose haben . mich leider dazu gebracht, von der weiteren
Anwendung der Goldbehandlung bei diesen Tuberkuloseformen Ab
stand zu nehmen — ich muß sagen leider, da ich nach den vor
liegenden Veröffentlichungen mehr von dem Mittel erwartet hatte
Levy empfiehlt die Dosierung des Krysolgans in viel geringeren
Dosen, als bisher üblich war, obwohl er bei einer Knochentuberkulose
mit 4,2 Krysolgan in 17 Injektionen (das ist pro Injektion 0,25 g)
den glänzendsten Heilerfolg erzielte. Seiner Ansicht ist vollkommen
zuzustimmen, daß es Kranke in jedem Stadium gibt, die auf Krysolgan
nicht reagieren, und daß diese Fälle zu den fibrösen Formen zu
rechnen sind, bei denen der Mangel an Blutgefäßen die Kontakt¬
möglichkeit des Krysolgans mit dem wirklichen Krankheitsherde ver¬
hindert oder zum mindesten erschwert. Obwohl Levy im Beginn
semer Ausführungen dem Tuberkulin als Heilmittel nicht viel Be¬
deutung zuschreibt, rühmt er seinen Vorzug, eine Hyperämie im
kranken Gewebe und dadurch * dem Krysolgan den Zugang zum
kranken Gewebe wieder frei machen zu können. Auch in der
ambulanten Praxis sah Levy größere und schneller eintretende Er¬
folge, als er sie bei anderer Behandlung, vor allem bei Tuberkulin,
zu sehen gewöhnt war; er nennt sie allerdings gleich in den folgen¬
den Sätzen „nur Teilerfolge, die man erzielt“. Levy glaubt in
vielen Fällen mit dem Kiysolgan allein auskommeu, in vielen aber nur
im Zusammenwirken mit dem Tuberkulin zum Ziele kommen zu
können, daß zur Unterstützung alle bisher bewährten Behandlungs¬
methoden herangezogen werden müssen und daß das Krysolgan sie
alle an Wirkung übertrifft. Mit der letzteren Behauptung kann ich
mich auf Grund meiner zahlreichen Beobachtungen keineswegs ein¬
verstanden erklären.
Die Behauptung von Levy, daß sich die Krysolganbehandlung
sehr gut in der ambulanten Praxis durchführen lasse, — „sehr
wesentlich für den Praktiker, besonders in der Kassentätigkeit“ —
ist für mich der Hauptgrund gewesen, zu den Ausführungen Levys
Stellung zu nehmen. Levy hat selbst ganz erhebliche Reak¬
tionen nach Krysolgan gesehen; ich habe mich in meiner Arbeit
dahin geäußert, daß das Krysolgan spezifisch auf die tuberkulöse
Erkrankung einwirkt, aber eine Regelmäßigkeit in dem Auftreten der
Herdreaktionen nicht zu beobachten war. Wenn ich auch letztere
Einschränkung machen mußte, so glaube ich mich doch dazu ver¬
pflichtet, ganz besonders von dem Standpunkte des Tuberkulosefach¬
arztes aus, von dieser Empfehlung abraten zu müssen. Es ist wohl
nicht nötig, darauf hinzuweisen, daß Kranke bei derlei Reaktionen
der strengsten ärztlichen Aufsicht und größter Ruhe bedürfen, daß
dieses aber in der ambulanten Praxis und bei der Berufsausübung
der Kranken nicht möglich ist. Das Krysolgan -als Ersatz für jahre¬
lange konservative Behandlung bei chirurgischer Tuberkulose hin¬
zustellen und dadurch diese Behandlung wieder der allgemeinen
Aerztewelt zuzuweisen, letzteres auch hinsichtlich der Behandlung
der Lungentuberkulose infolge des wirtschaftlichen Tiefstandes un¬
seres Volkes auszusprechen, halte idi keineswegs für gerechtfertigt.
Aus der Unterrichtsanstalt für Staatsarzneikunde der Universität
in Berlin.
Konservierung forensischer Sera und Antisera mit Yatren.
Von Dr. Georg Straßmann, Assistent der Anstalt.
Das Yatren, ein Jodderivat des Benzolpyridins, das von dem
Westlaboratorium in Hamburg hergestellt wird, hat infolge seiner
bakterientötenden und wachstumhemmenden Wirkung bei Bekämp¬
fung von Infektionen, zumal es das normale Körpergewebe nicht
schädigt, sowohl beim Menschen wie auch in der Tierheilkunde in
der Form von Pulver, von Lösungen und als Yatrengaze vielfach
erfolgreich Verwendung gefunden. Auch als unspezifisches leistungs-
steigemdes Mittel wurde es sowohl per os gegeben wie injiziert.
Seine keimtötende Wirkung auf Diphtherie- und Typhusbazillen und
Staphylokokken wurde von Bi sch off (1) festgestelit. Nach den
Untersuchungen von Dietrich (2) löst sich Yatren, das in Wasser
beim Aufkochen bis zu 10<y o löslich ist, von denen nach dem Er¬
kalten 5 o/o in Lösung bleiben, im Pferdeserum zu weniger als 5o/ 0 .
Dietrich fand, daß eine subkutane, intraperitoneale und intra¬
venöse Einspritzung verschiedener Mengen von Yatren für Kaninchen,
Meerschweinchen und Mäuse unschädlich war. Erst größere Dosen
waren für Mäuse tödlich. Bei diesen Versuchen fand Dietricli
weder eine Hämolyse der roten Blutkörperchen, noch eine Schädigung
der phagozytären Kräfte der weißen Blutkörperchen, ebensowenig eine
Beeinträchtigung der Bildung agglutinierender Antikörper. Er hielt
daher Yatren wegen seiner Ungiftigkeit und Unschädlichkeit gegen¬
über dem normalen Körpergewebe als Tiefenantiseptikum für be¬
sonders geeignet.
Diese Eigenschaften des Yatrens haben zuerst Hinz (3) veran¬
laßt, Yatren zur Konservierung von Serum zu versuchen. Er kon¬
servierte einmal Pferdeserum mit der üblichen Karbolsäure, sodann
Hundeserum mit 3o/o Yatren, das er hineinschüttete, ohne es vorher
in Wasser zu lösen, bewahrte in mit Korken verschlossenen Glas-
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTY
488
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 15
gefäßen bei wechselnder Temperatur beide Sera im Zimmer auf
und fand nach drei Monaten das mit Karbolsäure versetzte Serum
stark getrübt, das mit Yatren behandelte vollkommen* klar. Dieses
entsprach daher nach seinem makroskopischen Aussehen allen An¬
forderungen für ein zu injizierendes Serum. Wiederholte subkutane
Injektionen von mit Yatren behandeltem Serum bei Hunden machten
weder eine örtliche Reaktion, noch eine Beeinträchtigung oder Stö¬
rung des • Allgemeinbefindens. Hinz hat mir in entgegenkommen¬
der Weise von ihm mit Yatren konserviertes Hundeserum, das ich
für die Gewinnung eines Hundeantiserums gebrauchte, zur Ver¬
fügung gestellt. Dieses injizierte ich Kaninchen ohne Schaden intra¬
venös.
Es regte das bei mir den Gedanken an, das Yatren überhaupt
für die Konservierung von forensischem Serum und präzipitierendem
Antiserum zu verwenden. Die Injektion des mit Yatren konservierten
Serums nahm ich in der bei uns üblichen Weise vor, indem ich
eine Serummenge von 2 ccm in Zwischenräumen von 6—7 Tagen
3—4mal Kaniucnen in die Ohrvene spritzte, bis das Antiserum
genügend hochwertig geworden war.
Die Aufbewahrung der Antisera geschah bei uns bisher bei
kühler Temperatur (auf dem Eisschrank) in zugeschmolzenen, in der
Mitte bauchig aufgetriebenen Glaskapillaren, worin sich das Anti¬
serum bisweilen monatelang ohne Zusatz eines Konservierungsmittels,
hält, ohne an Wirksamkeit einzubüßen. Doch stellen sich öfter
Niederschläge und Trübungen allmählich _ein. Als antiseptisches Kon¬
servierungsmittel hat sich sonst am meisten die 3<yoige Karbolkoch¬
salzlösung in Mengen von 1 ccm auf 20 ccm Serum bewährt. Es
erschien mir aber sehr vorteilhaft, wenn es möglich wäre, mittels
Yatren bei jeder Temperatur ohne besondere Vorsichtsmaßregeln für
längere Zeit sowohl Serum, das zu Injektionen benutzt werden sollte,
da nicht immer frisches Tier- oder Menschenblut zur Verfügung
steht, wie auch Antiserum aufzubewahren und beides in gewöhn¬
lichen, einfach verschlossenen Glasgefäßen zu halten, in denen es
auch bequem versandt werden kann.
Tatsächlich hat sich mir das Yatren für diese Zwecke sehr be¬
währt. Die Menge, die man dem Serum oder Antiserum zufügt, hat
keine besondere Bedeutung, man kann 1—5 g des Pulvers auf
100 ccm Serum zufügen. Dabei bildet sich zunächst an der Ober¬
fläche ein gelblicher Schaum, und die nicht gelöste Menge des
Yatrens senkt sich als gelber Niederschlag allmählich zu Boden.
Das Serum wird dunkelbraun gefärbt und bleibt monatelang, viel¬
leicht auch jahrelang, was nachgeprüft werden muß, vollkommen klar.
Die bakteriologische . Untersuchung, die freundlicherweise Ober¬
stabsarzt Dietrich im Kaiser-Wilhelmsinstitut für experimentelle
Therapie an einem Rinderserum vomahm, dem ich im April 3o/o
Yatren zusetzte und das ich ihm im Oktober zur bakterio¬
logischen Prüfung übersandte, ergab, daß das Serum sowohl für
aerobe wie anaerobe Keime steril geblieben war. Dieses Serum hatte
ich im Laboratorium während des Sommers bei wechselnder Tempe¬
ratur in einem einfach verkorkten Glaskölbchen aufgestellt. Ebenso
klar und unverändert waren verschiedene andere Tiersera geblieben,
die unter denselben Bedingungen ohne Benutzung eines Kälte¬
apparates oder Eisschrankes im Laboratorium aufgehoben wurden
und die ich nach mehreren Monaten "Kaninchen intravenös in der
oben beschriebenen Weise zur Herstellung von präzipitierendem Anti¬
serum ohne Schädigung der Tiere einspritzte. Dabei ist es zweck¬
mäßig, vor der Injektion das Serum zu filtrieren, damit nicht etwa
ungelöstes Yatren die Kanüle verstopft. Die Kaninchen vertrugen
die Einspritzung gut, und merkwürdigerweise konnte ich bisher bei
sämtlichen Versuchen nach 3—4 Injektionen ein hochwertiges und
artspezifisches, forensisch brauchbares Antiserum erzeugen, sowohl
ein Rinder-, wie ein Schweine- und ein Pferdeantiserum. Eine vor¬
übergehende Freßunlust bei 2 Tieren nach der einen Injektion
konnte sehr wohl auf die Antikörperbildung zurückgeführt werden,
da sic auch sonst bei Seruminjektionen öfters beobachtet wird.
Die Wertigkeit der hergestellten forensischen Antisera betrug
mindestens 1:20000.
Bei der verhältnismäßig kleinen Anzahl von Tierversuchen, die
ich bisher vornahm, will ich allerdings nicht behaupten, daß gerade
wegen der Konservierung der Sera mit Yatren es jedesmal gelungen
ist, ein brauchbares Antiserum zu erhalten. Es könnte dies ein zu¬
fälliger Befund sein, und es müssen in dieser Richtung noch mehr
Versuche angestellt werden. Jedenfalls aber waren die so kon¬
servierten Sera für intravenöse Injektionen durchaus verwendbar und
unschädlich für das behandelte Tier.
Auch die Antisera kann man mit Yatren konservieren und in
Glasgefäßen, die nur mit Kork oder Watte verschlossen sind, im
Laboratorium bei wechselnder Temperatur aufbewahren, ohne daß
sie nach 3—5 Monaten an Wertigkeit, Spezifität und Klarheit ein¬
büßten. Auch hier setzte ich Yatrenmengen bis zu 5% den Anti-
seren hinzu, die sich in dieser Menge allerdings nicht vollkommen
im Serum lösen. Das nicht Gelöste senkt sich dann zu Boden. Nach
5* Monaten waren die Antisera klar und hatten dieselbe Wertigkeit
wie bei ihrer Gewinnung. Auch hier muß für spätere Zeit eine
weitere Nachprüfung erfolgen. 1—2% Yatreuzusatz dürfte ausreichend
sein zur Konservierung.
Die Anstellung der Präzipitinreaktion in Hauserschen Kapillaren
ist mit dem so behandelten Serum und Antiserum trotz der dunkel¬
braunen Farbe der Sera ebensogut möglich wie mit gewöhnlichem
helleren Serum, da sich die ringförmige Trübung und der Nieder¬
schlag an der Berührungsstelle der Sera gut markiert. Auch das
Antiserum wird am besten vor Anstellung der Reaktion filtriert Mir
scheint, daß Yatren im Mengenverhältnis von 1—3 oder auch mehr
Teilen zu 100 Teilen Serum und Antiserum zugesetzt, geeignet ist,
die Sera in unschädlicher Weise zu konservieren und steril zu er¬
halten, wobei als besonderer Vorteil hervorzulieben ist, daß die Sera
ohne besondere Vorsichtsmaßregeln bei jeglicher Temperatur in ge¬
wöhnlichen Glasgefäßen aufbewahrt werden können.
1. D. in. W. 1913 Nr. 3a - 2. D. m. W. 1920 Nr. 39. - 3. Berlin, tierärrtl. Wschr. 1921
Nr. 13. Fernersiehe u. a. auch 4. Leers. Forens. Blutuntersuchung, Berlin 1910, Springer;
5. Uhlenhuth und Weidanz, Praktische Anleitung zur Ausfahrung des biologischen
Eiweiß-Dliferenzierungsverfahrens, Jena 1909; 6. Zimmer, M. m. W. 1921 Nr. 18;
7. Z4mmer, B.kl. W. 1921 Nr. 20; a Finger, M. m. W. 1921 Nr. 21 und 9. Sonntag,
M. in. W. 1921 Nr. 19.
Zwei Fälle von Zinkvergiftung.
Von Dr. R. Eogelsmaaa, Kreismedizinalrat in Kiel.
Zwei Fälle von Zinkvergiftung wurden von mir beobachtet, die
Interesse für die praktischen und die beamteten Aerzte bieten.
1. Bei der 45 Jahre alten Ehefrau Sch. stellte ich am 8. IV. 1920
eine frische Gonorrhoe der Zervix fest (Infektion durch den Ehe¬
mann!).
Es wurde verordnet: Zinc. chlorat., Aqua dest. ää, 3mal täglich
warme Spülungen, 1 Teelöffel auf 1 Liter Wasser (vgl. Hoffmann,
Die Behandlung der Haut- und Geschlechtskrankheiten, Bonn 1917
S. 627).
Sorgfältige Beobachtung der Vorschrift wurde der Patientin drin¬
gend empfohlen.
Am 10. IV. nachmittags wurde ich zu der Patientin gerufen. Sie
lag stöhnend im Bett; das Gesicht war schmerzhaft verzogen. Auf
der blassen Haut standen Schweißperlen. Der Leib war aufgetrieben,
sehr druckempfindlich, besonders unterhalb des Nabels. Fieber be¬
stand nicht. Der Puls war klein und beschleunigt. Der Harn ent¬
hielt Eiweiß; mikroskopisch wurden hyaline und granulierte Zylinder
und viele Eiterkörperchen gefunden.
Bei der Patientiri war am 9. IV. die Periode eingetreten, trotz¬
dem hatte sie noch dreimal die Spülungen mit der 5iOo/ 0 igen Chlor¬
zinklösung vorgenommen. Die ersten Krankheitserscheinungen traten
schon in der Nacht vom 9. zum 10. auf. Nach zwei weiteren
Spülungen stellten sich starke Leibschmerzen ein; heftige Durch¬
fälle, Uebelkeit und Brechreiz, jedoch kein Erbrechen.
Die Diagnose lautete: akute Zinkvergiftung. Von den erweiterten
Gefäßen der Gebärmutterschleimhaut während der Menses war das
Zinkchlorid resorbiert, im Magen, Darmkanal und durch die Nieren
ausgeschieden worden. Der Verlauf der Krankheit war äußerst hart¬
näckig. Nach 5 Tagen ging der schwere Anfangszustand vorüber.
Appetitmangel blieb lange bestehen. Patientin litt dauernd unter
Blähungen. Die Gebärmutter und ihre Anhänge waren nicht druck¬
empfindlich.
Am 23. IV. enthielt das Hamsediment viele Eiterkörperchen,
keine Zylinder, am 28. IV. keine Eiterkörperchen mehr.
Am 2L V. verließ Patientin das Bett. Ende Juni, nach 2y 2 mona-
tiger Krankheit, war sie genesen. Mehrfache Untersuchungen seit
dem 21. V. auf Gonokokken fielen negativ aus.
Patientin war also geheilt, aber um einen hohen Preis. Die an¬
geordnete Verschreibungsweise von Zinkchlorat ist nicht zweckmäßig.
Die Dosierung ist sehr ungenau.
Vergiftungserscheinungen wären aber nicht aufgetreten, wenn
nicht gleichzeitig die Menses eingesetzt hätten.
Schadenersatzansprüche hätten von nicht versicherten Personen
erhoben werden können, zum mindesten betreffs freier Behandlung.
Lag Fahrlässigkeit des Arztes vor? Der Richter wird diese
Frage zweifellos in diesem Falle verneinen.
Gleichwohl wird der Arzt in Zukunft, bei eindringlicher Mahnung,
die Vorschriften zu befolgen, die Warnung nicht unterlassen dürfen,
bei Eintritt der Menses die Spülungen auszusetzen. Hjrdrargyrum
oxycyanatum, Argentum nitricum können unter den gleichen Um¬
ständen ähnliche Wirkungen verursachen (vgl. Kisskalt, Zschr. f.
Hyg. 71, 1912).
Die Vergiftung kam auf resorptivem Wege zustande. Lew in
hat berichtet, daß bei einem Handekzem nach längerer Behandlung
mit ZnO-Pulver durch Resorption Zinkvergiftung aufgetreten ist
Diese Fälle sind selten. Die Disposition ist von ausschlaggebender
Bedeutung!
2. 23 Jahre alter Brenner H. B., auf hiesiger Abwrakwerft;
schon mehrere Monate bei der Brennarbeit beschäftigt. Kriegsschiffe
werden hier bekanntlich mittels Schneidebrenner zerlegt. Durch Ge¬
misch von H und O oder Azetylen und O werden Temperaturen
von 12—1500° C erzeugt. Der Brenner hatte schon 8 Tage an
einem großen Maschinenkessel, der unter dem Oberdeck lag, ge¬
brannt. Am 31. VII. 1921 brannte er von 7 Uhr morgens eine starke
Zinkoxydplatte, die in diesem Kessel als Rostschutz angebracht war,
durch. 10 Uhr 50 Minuten wurde es ihm im Kesselraum schlecht;
er hatte das Gefühl* als ob er brechen müßte, ging daher an die
Luft. Draußen war es kalt, er ging daher in den Heizraum. Hier
wurde es ihm schwindelig. Nach der Angabe von Augenzeugen
soll er Krämpfe bekommen haben, blau im Gesicht geworden sein.
Im Anfall sollen Durchfälle und Erbrechen aufgetreten sein.
Digitized by Google
Original from
CORUELL UNIVERSITY
j
14. April 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
489
Der Patient wurde sofort über die Förde in die Medizinische
Universitätsklinik geschafft, dort aber mit so ungenauen Angaben
abgeliefert, daß zunächst an eine Zinkvergiftung nicht gedacht wurde.
Um so größeren objektiven Wert haben die Aufzeichnungen in
der Krankengeschichte, für deren Ueberlassung ich Prof. Schitten-
helm auch an dieser Stelle danke.
Der Leib war stark gespannt und druckempfindlich. Der Harn
enthielt am 2. IV. — 2 Tage nach dem Anfall — mäßig zahlreiche
Eiterkörperchen und Epithelien. Fieber bestand nicht, der Puls
schwankte zwischen 60 und 90 Schlägen in der Minute. Im Blute
keine getüpfelten Erythrozyten.
Am 7. IV. wurde Patient entlassen und fing wieder an zu
arbeiten. Noch Wochen später klagte er aber über gelegentlich
auftretende Leibkrämpfe. Die Diagnose wurde auf akute Zinkver¬
giftung gestellt, infolge Einatmung von siedendem Zink.
Die Analogie mit dem ersten Fall hinsichtlich der Krankheits¬
erscheinungen liegt zutage; ebenso die Aehnlichkeit mit den Er¬
scheinungen des Gießfiebers.
Näher auf diese interessante gewerbliche Vergiftung einzugehen,
verbietet der Raum dieser Zeitsdirift. Hier muß auf die Darstel¬
lungen bei Erben, Lehmann, Kobert, Kunkel, Roth ver¬
wiesen werden. Es sei nur erwähnt, daß nach unserer Ansicht
zwei Faktoren für das Zustandekommen des Gießfiebers in Betracht
kommen und berücksichtigt werden müssen.
Es kann Aetzwirkung eintreten, und der Zustand nach parenteraler
Eiweißzufuhr. Dann treten Erscheinungen auf analog wie bei Schutz¬
impfungen: Fieber, Schüttelfrost, Mattigkeit. Zweitens kann die re-
sorptive Wirkung vorwiegen; dann treten folgende Symptome in
den Vordergrund: Brechreiz, Erbrechen, Durchfälle, Leibschmerzen.
In unserem Falle überwiegt die Tesorptive Wirkung; im Anfang
sind deutlich die Erscheinungen nach Aetzwirkung vorhanden.
Die Menge des eingeatmeten ZnO kann niemand angeben; sicher
ist sie groß gewesen.
Zink siedet bei 830° C, mußte also hier in Dampfform in größer
Menge eingeatmet worden sein.
Auf der Werft wurde die Zerlegung der Zinkteile auf kaltem
Wege erneut angeordnet. Erfahrenen Brennern sind die Gefahren
beim Durchbrennen von Zinkmetall wohl bekannt.
ZosamneDfasfang: 2 Fälle von Zinkvergiftung. Fall 1 rein re-
sorptiv. Faß 2, dem Gießfieber ännelnd, durch Inhalation bedingt,
zum Teil Aetzwirkung, zum Teil resorptive Wirkung. Beide Fälle
Unglücksfälle, vermeidbar bei genügender Vorsicht von Patient, Arzt,
Arbeitgeber und Arbeitnehmer.
Aber nur durch Beispiele können wir lernen!
Aus dem Kreiskrankenhause Oschersleben-Bode.
Schweinerotlaufübertragung durch Kadaververwertung.
Von Dr. E*an.
In der D. m. W. 1921 Nr.35 hat Veilchenblau mehrere Fälle
von Schweinerotlaufübertragung auf den Menschen mitgeteilt. Da
Uebertragungen doch nicht so häufig vorzukommen scheinen, wie
man wohl entsprechend der Verbreitung und dem nicht seltenen Vor¬
kommen dieser Erkrankung annehmen dürfte, Beschreibungen dieser
Krankheit beim Menschen, Diagnose und Therapie in den leicht zu
beschaffenden Lehrbüchern fehlen, war der Beitrag sehr zu begrüßen.
Nur in einem Punkt kann ich Veilchenblau nicht zustimmen,
nämlich in seinen therapeutischen Vorschlägen; ehe ich darauf aber
näher eingehe, möchte ich eine Beobachtung von Schweinerotlauf¬
übertragung auf den Menschen bei Kadaververwer¬
tung mitteilen, der mich unlängst veranlaßte, mich mit diesem Krank¬
heitsbilde etwas näher zu beschäftigen.
Es handelte sich um einen jungen Abdeckerssohn, der im Betriebe
seines Vaters beschäftigt ist und der sich eine kleine Verletzung am
Mittelfinger und vielleicht auch am Daumen der rechten Hand zu¬
gezogen hatte. Als ich ihn das erste Mal sah, stellte ich eine derb-
knotige Infiltration am Mittelfingerendglied und eine erysipelatöse
Rötung am Daumen fest. Auffallend waren die starken lokalen
und Drüsenschmerzen am rechten Arm, die den Kranken
nachts nicht schlafen ließen. Es wurden zunächst feuchte Umschläge
verordnet — Am nächsten Tag war das Bild wesentlich verändert;
Klagen über stark gestörtes Allgemeinbefinden, zie¬
hende Schmerzen im ganzen rechten Arm und unerträgliche
Beschwerden in den beiden befallenen Fingern. Daumen
und Mittelfinger waren hochrot verfärbt und sehr stark geschwollen,
Bewegungen in den Fingern waren nicht möglich. Die Veränderungen
beschränkten sich auf die Finger allein, die Rötung endete in einem
wallartigen Ring, Handrücken und Hohlhand waren frei und zeigten
auch keine lymphangitischen Stränge. Kein Fieber. Auf das Drängen
des infolge der heftigen Schmerzen sehr unruhigen Kranken, ihm „die
Finger aufzuschneiden“, ließ ich mich nicht ein, sondern gab ihm
zunächst in den rechten Oberarm subkutan eine Dosis von 2 ccm
Prenzlauer-Serum, zu welchem mit- der hiesige Kreistierarzt
Dolle riet und welches er mir freundlichst zur Verfügung stellte;
die Finger selbst wurden, wie wir Erysipel des Gesichtes zu behandeln
pflegen, mit Ichthyolsalbe eingewickelt. Für die Nacht bekam der
Patient, welcher mehrere Nächte nicht geschlafen hatte, 0,01 Morphium
subkutan.
Der Erfolg war verblüffend; Patient war am anderen Tage ganz
schmerzfrei, die Finger hatten ungefähr ihre normale Form erlangt,
konnten bewegt werden, nur die Injektionsstelle schmerzte etwas.
Am folgenden Tage war Patient voll arbeitsfähig.
Bei der Durchsicht der tierärztlichen Literatur finde ich, daß
Infektionen mit Schweinerotlauf am Tiere bei der Kadaververwertung
recht selten beobachtet sind 1 ); häufiger bei Tierärzten beim Arbeiten
mit Rotlaufkulturen oder beim Zerlegen rotlaufkranker Tiere. Nach
einer mündlichen Mitteilung des Kreistierarztes Dolle wird deshalb
bei Verdacht einer Verletzung vom Verletzten selbst an sich eine
Impfung mit Serum sofort vorgenommen.
Die Heilungen ohne Schutzimpfungen verlaufen außerordentlich
langsam, dauern oft 3—4 Wochen; nicht selten ist dabei das Allgemein¬
befinden sehr gestört, es kommt zu hohen Fieberanstiegen.
In seiner Veröffentlichung geht Veilchenblau meines Er¬
achtens zu wenig auf die gute Eigenschaft des Serums ein und emp¬
fiehlt zu eindringlich eine Lokalbehandlung. Es ist ja möglich, daß
die verschiedenen Rotlaufsera verschieden wirken und daß er weniger
rompten Einfluß davon sah. Bei der Verwendung des Prenzlauer-
erums hatte ich aber den Eindruck einer ganz überraschenden Wir¬
kung und würde es gegebenenfalls wieder verwenden. Die Behand¬
lung der erkrankten Stelle durch irgendwelche Salben, Bleiwasser¬
umschläge, Bäder und dergleichen halte ich zwar für den Patienten
für wohltuend, aber, was die Heilung anlangt, belanglos.
Auf diese eindeutige Serumwirkung, die auch aus einigen von
Veilchenblau berichteten Fällen zu erkennen ist, hinzuweisen und
vor Versuchen mit Lokalbehandlung, welcher Art sie auch sei, zu
warnen, ist der Zweck dieser Zeilen. Bei rechtzeitiger Anwendung des
Serums wird man dann auch keine Allgemeininfektionen, die Veil¬
chenblau erwähnt, mit Caseosan, Argo. chrom. oder Diphtherieserum
zu behandeln haben; die Literatur weiß übrigens nichts von solchen
Allgemeininfektionen. Derartig weit von aer spezifischen Serum¬
therapie abgehende Vorschläge bringen höchstens Verwirrung in die
Behandlungsart.
Chirurgische Ratschläge für den Praktiker.
Von G. Ledderhose in München.
XIV.*)
Intrakranielle traumatische Blutungen.
Für den Praktiker stehen begreiflicherweise solche Krankheits¬
bilder der speziellen Chirurgie im Vordergrund des Interesses, bei
denen ausschließlich oder vorwiegend operative Eingriffe imstande
sind, das schwer bedrohte .Leben zu erhalten. In so gelagerten
Fällen trifft den Praktiker häufig die Haupt Verantwortung, und er
darf sich das Hauptverdienst zuschreiben, wenn auf Grund seiner
richtigen Indikationsstellung die Heilung gelungen ist. Man kann
vom Praktiker nicht verlangen, daß er die hier in Betracht kommen¬
den Krankheitsbilder in ihrer oft ungemein großen Vielgestaltigkeit
kennt und beherrscht; er muß sich jedoch das Typische der Er¬
scheinungen einprägen, was ihn dann befähigt, bei den beobachteten
Einzelfällen zur rechten Zeit an die entscheidende diagnostische
Möglichkeit zu denken. Die Erfahrung der Pathologischen Anatomen
und der Gerichtsärzte lehrt, daß unter ungünstigen äußeren Be¬
dingungen, wie sie namentlich auf dem Land bestehen, vielfach
Kopfverletzte mit intrakranieller Blutung deshalb zu-
grufidegehen, weil nicht rechtzeitig chirurgische Hilfe zur Stelle
ist oder weil fälschlich zerebrale Erscheinungen auf Verletzung des
Gehirns selbst statt auf die Druckwirkung von Blutansammlung be¬
zogen werden und deshalb die rettungbringende Operation unter¬
bleibt.
Von den traumatischen Hämatomen innerhalb des Schädelraumes
haben die durch Verletzung der mittleren Hirnhaut ge-
fäße (Art. und Vena meningea media) entstandenen am meisten
praktische Bedeutung. In der Regel gestalten sich die Fälle dieser
Art wie folgt. Kopfverletzung durch Sturz, Schlag oder Wurf. So¬
fort Erscheinungen von Gehirnerschütterung: ohnmachtsähn¬
licher Zustand, Aufgehobensein des Bewußtseins, Blässe des Ge¬
sichts, Erbrechen, Ausfall der Sinneseindrücke, herabgesetzte oder
aufgehobene Reaktion der verengten oder erweiterten Pupillen, ober¬
flächliche Atmung mit einzelnen tiefen Zügen, kleiner, unregel¬
mäßiger, öfter verlangsamter Puls. Nach minuten- bis stundenlangem
Fortbestehen werden sämtliche Kommotionssymptome rückgängig,
und es bleibt vielleicht nur ein Erinnerungsdefekt in bezug auf die
Umstände der Verletzung oder auf vorangegangene Ereignisse zu¬
rück. Der Verletzte fühlt sich wohl und vermag sogar unter Um¬
ständen seiner gewohnten Beschäftigung nachzugehen. Doch die aus
den zerrissenen mittleren Meningealgefäßen austretende, zwischen
der Seitenwand des Schädels und der harten Hirnhaut angesammelte
Blutmenge vergrößert sich mehr und mehr, und sobald die physio¬
logischen Kräfte, welche die intrakranielle Druckerhöhung auszu¬
gleichen vermögen, erschöpft sind, setzen die bezeichnenden Merk¬
male des Hirndrucks ein. Das zwischen ihnen und den Sym-
») Ein Fall ln Vöff a. <£ Vet.Jber., 14. Jahrg. S. 34. — •) Im Anschluß an die In
Nit. 39 - 52 des Jahrgs. 1921 veröffentlichten Aufsätze allgemeinchlrurglschen Inhalts
folgen Jetzt die spezialchirurgischen.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTy
490
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
Ni. 15
ptomen der Kömmotion sich einschiebende frei e i Fi?terva IT ist
von der größten diagnostischen Wichtigkeit für die tragfrocheri Häm¬
atome der Dura mater. r
Die Zeichen des Hirndrucks pflegen innerhalb der ersten
24 Stunden nach der Verletzung einzusetzen, sobald die ausgetretene
Blutmenge etwa 75 ccm erreicht hat. Kopfschmerzen, Rötung des
Gesichts, Schwerbesinnlichkeit, Delirien, Erbrechen treten zunächst
zusammen mit Verlangsamung und vermehrter Spannung des Pulses
auf. Die Pupillen sind verengt, es ist Stauungspapille nachweisbar.
Bei zunehmendem Druck bilden sich mehr und mehr Lähmungs¬
erscheinungen aus: die Bewußtseinsstörung geht in Somnolenz und
dann in Koma über, d. h. in einen Zustand, aus welchem der Ver¬
letzte nicht erweckt werden kann. Der stark verlangsamte Puls
wird klein und beschleunigt, die Atmung wird unregelmäßig und
schnarchend; Blase und Darm werden unfreiwillig entleert. Bei
ungünstigem Ausgang kommt es zuerst zu Atmungs-, dann zu
Herzstillstand. Am meisten bezeichnend für die umschriebene intra¬
kranielle' Blutansammlung ist die örtliche Druckwirkung auf
das Gehirn, die in Sprachstörung (selten) und kontralate-
raler Hemiplegie ihren Ausdruck findet.
In der geschilderten Weise entstehen und gruppieren sich die
zerebralen Symptome der Commotio und Compressio bei typischem
Verlauf des Hämatoms der harten Hirnhaut; aber gerade darin be¬
ruht die Schwierigkeit der Diagnose, daß ungemein häufig erhebliche
Abweichungen von dem regelmäßigen Verlauf zu verzeichnen sind.
Nur ausnahmsweise wurde nach stärkerer Gewalteinwirkung gegen
den Schädel Verletzung der mittleren Meningealgefäße ohne Knochen¬
bruch beobachtet; deshalb ist als Grundlage für die diagnostische
Beurteilung die Prüfung auf Fraktursymptome anzusehen. Die
durch die unverletzten Weichteile vorgenommene Betastung stellt
fest, ob Bruchspalten, eingedrückte, teilweise oder ganz aus dem
Zusammenhang getrennte, frei oder federnd bewegliche Knochenteile
fühlbar sind; die auf eine Linie beschränkte Druckempfindlichkeit
kann Knochensprung (Fissur) anzeigen. Vor Verwechslung normaler
Knochennähte sowie angeborener oder erworbener Abweichungen
von der regelrechten Oberflächengestalt des Schädels mit Bruch¬
stellen hat man sich zu hüten. Unter Quetschungsstellen der Schädel¬
weichteile (Beulen) macht das Erkennen von Frakturen besondere
Schwierigkeit. Gegebenenfalls leisten die Röntgenstrahlen wertvolle
diagnostische Hilfe. Zur Untersuchung "auf Fraktur in Weich-
teilwunden des Kopfes reicht häufig die Besichtigung der mit
sterilen Haken auseinandergezogenen Wundränder aus; Sondieren
ist nach wie vor zu verwerfen, während gegen die vorsichtige Be¬
tastung des Knochens durch die mit sterilem Handschuh bedeckte
Hand kein Bedenken besteht. Große Bedeutung für die Fraktur¬
diagnose kommt dem durch die Gesichtsöffnungen austretenden oder
unter der Haut und den Schleimhäuten sichtbar werdenden Blut zu.
Allerdings ist die Möglichkeit diagnostischer Irrtümer hier nicht
gering. Sehr bekannt ist die aus dem Ohr erfolgende Blutung in¬
folge von Bruch des Schläfenbeins, bei dem die mittleren Meningeal¬
gefäße am meisten gefährdet sind. Der Blutung kann Ausfließen
von Zerebrospinalflüssigkeit folgen. Zu beachten ist, daß Zerreißung
des Trommelfells allein allerdings nur geringen Blutaustritt herbei¬
führt, daß Bruch des äußeren knöchernen Gehörgangs, etwa nach
Fall auf das Kinn, Ohrblutung hervorruft und daß Blutung in das
innere Ohr bei unverletztem Trommelfell durch die Tube in den
Rachen Abfluß findet. Ehe man sich dazu entschließt, Blutung aus
Nase oder Mund, auch Blutbrechen auf Bruch der Knochen des
Nasen- oder Rachendachs, also der Schädelbasis, mit gleichzeitiger
Schleimhautverletzung zurückzuführen, müssen sonstige Ursachen
dieser Blutungsart, namentlich direkte Verletzung der Nase selbst,
auszuschließen sein. Auch bei Blutunterlaufung der Augenlider und
der Bindehaut sowie bei Vortreten des Augapfels ist in erster Linie
an direktes Trauma der Orbitalgegend, und dann erst an Fraktur
des Augenhöhlendachs zu denken. Blut, das während der nächsten
Tage nach Kopfverletzung in der Gegend des Warzenfortsatzes, in
der seitlichen oberen Halsgegend sowie an anderen Stellen im Be¬
reich des Kopfs und Gesichts unter der Haut zutagetritt, ist öfter
entscheidend für die Diagnose Schädelbruch. Findet nach offenem
Bruch der Schläfenschuppe oder auch nach Stich-, Hieb- und Schu߬
verletzung stärkere Blutung nach außen statt, die für Verletzung der
Art. meningea media spricht, so schließt dies nicht die Ansamm¬
lung von Blut in Form eines extraduralen Hämatoms oder bei gleich¬
zeitiger Verletzung der harten Hirnhaut diffuse oder umschriebene
subdurale Blutansammlung auf der Gehirnoberfläche aus.
Die von Verletzung der mittleren Meningealgefäße herrührenden
extraduralen Hämatome haben ihren Sitz meist der Mitte
der Schläfenschuppe und dem Seitenwandbein entsprechend, er¬
strecken sich aber auch nicht selten mehr gegen das Stirnbein oder
gegen das Hinterhauptsbein, woraus sich nach Krön lein, die Unter¬
scheidung von 3 verschieden gelagerten Hämatomen ergibt. Unter
der unverletzten Dura sich ansammelnde größere Blutmengen
entstammen den Sinus oder den Gefäßen der weichen Hirnhäute.
Verteilen sie sich auch meist diffus über größere Abschnitte der
Gehimoberfläche, so können sie doch auch infolge frühzeitiger Ge¬
rinnung umschriebene Blutklumpen bilden, welche dann die gleichen
zerebralen Erscheinungen bedingen wie die extraduralen Hämatome.
Es ereignet sich offenbar öfter, daß Verletzungen der mittleren
n^jfeautgefäße deshalb unerkannt und unoperiert bleiben, weil man
’ n rauen von schwerer Bewußtseinsstörung nicht an sie gedacht,
vielmehr andere Ursachen verantwortlich gemacht hat. Diese Ge¬
fahr besteht anfangs namentlich bei tiefer alkoholischer Som-
nolenz, die, wenn Anamnese und äußere Zeichen des Schädel-
bruchs fehlen, sowie bei nur kurzer Untersuchung und Beobachtung
die Zeichen des zunehmenden Gehirndrucks zu verschleiern vermag.
Daß bei zunächst unklarer hochgradiger Bewußtseinsstörung audi
die Möglichkeit des urämischen oder diabetischen Komas zu be¬
rücksichtigen ist, sei noch besonders hervorgehoben. Anderseits
können auch schnell vorübergehende Erscheinungen der Himerschüt¬
terung leicht unerkannt bleiben.
In hohem Grade wird die Diagnose der intrakraniellen Blutung
dadurch erschwert, daß das freie Intervall zwischen den Symptomen
der Commotio und der Compressio cerebri fehlt, was bei mehr als
einem Drittel der Fälle zutreffen soll. Die Erklärung liegt darin,
daß der Stamm oder ein stärkerer Ast der Art. meningea media
verletzt wurde und daß die Ablösung der harten Hirnhaut vom
Knochen durch die austretende Blutmenge sich besonders leicht
vollzog. Den Gegensatz zu diesen Bedingungen bilden die Fälle
von'Verletzung der extraduralen, intraduralen (Sinus) oder subduralen
venösen Gefäße, -bei denen die Erscheinungen des Hirndrucks
in der Regel wesentlich später und langsamer zur Entwicklung ge¬
langen und damit die Gelegenheit zur Ausbildung des freien Inter¬
valls besonders günstig ist. Aus den genannten Gründen muß man
das Fehlen des Intervalls prognostisch ernst beurteilen; es kann der
Himdruck in solchen Fällen schon innerhalb der ersten 12 Stunden
nach der Verletzung die tödliche Gehirnlähmung auslösen. Auch
bezüglich der allgemeinen und lokalen Symptome, welche die Ein¬
wirkung der intrakraniellen Hämatome auf aas Zentralnervensystem
hervorruft, ist keine ausgesprochene Gesetzmäßigkeit zu erwarten,
vielmehr muß man auf verschiedenartige Symptomengruppen gefaßt
sein. Weite und Reaktion der Pupillen sowie Auftreten der Stau¬
ungspapille folgen nicht bestimmten Regeln, und selbst die dia-
nostisch wichtigste Erscheinung, die allmählich eintretende ge-
reuzte Hemiplegie (Fazialis und Gliedmaßen), kann bei mehr dif¬
fusen, dünnschichtigen Blutextravasaten außerhalb und unterhalb der
Duft ausbleiben oder nur unvollständig ausgebildet sein. Etwa vor¬
handene Lähmung von Augenmuskeln oder peripherische Lähmung
des Fazialis gibt gute Anhaltspunkte für die Lokalisation der Knochen¬
bruchstelle. Ausnahmsweise kommt die Halbseitenlähmung kolla¬
teral, d. h. auf der Seite des Hämatomsitzes, zustande, wie üb¬
rigens auch bei anderen intrakraniellen, raumbeengenden Prozessen.
Es handelt sich dabei durchaus nicht immer um Beobachtungsfehler,
und es muß, wie ich es seinerzeit empfohlen habe, wenn das Häm¬
atom nicht auf der der Hemiplegie entgegengesetzten Seite ge¬
funden wird, auf der gleichen Seite nach ihm gesucht werden.
Krämpfe, Glykosurie und Hyperthermie sind seltene Begleiterschei¬
nungen des Himdrucks.
Differentialdiagnostisch kommen für die traumatischen intra¬
kraniellen Blutungen vorwiegend die Apoplexie, die Pachy-
meningitis haemorrhagica und die Gehirnerweichung
(nach Embolie oder Thrombose) in Betracht. Unterscheidend ist hier
hauptsächlich die plötzliche, dort die allmähliche Entstehung der
Hemiplegie. Sind mit dieser gleichzeitig die Zeichen der Kopfver¬
letzung gegeben, so kann es besondere Schwierigkeiten machen,
festzustellen, ob es sich um traumatisches Hämatom oder um
Apoplexie in ursächlichem Zusammenhang mit vorangegangenem
oaer nachgefolgtem Kopftrauma handelt. Wenn die Symptome
die Diagnose einer extra- oder subduralen, umschriebenen Blut¬
ansammlung sowie deren Lokalisation nicht in einigermaßen be¬
stimmter Form zulassen, leistet die Hirnpunktion nach Neißer
und Pol lack sehr wertvolle Dienste. Durch ein enges Bohrloch
des Schädeldaches wird mit der Spritzenkanüle eingegangen und
etwa vorhandenes, extra- oder subdural ausgetretenes Blut ange¬
saugt. Die Punktionsstellen richten sich nach den auf bestimmte Ge¬
hirnbezirke hinweisenden Erscheinungen oder nach den Gegenden,
in welchen die verschiedenen Formen des Hämatoms der Dura
mater ihren Sitz zu haben pflegen. Mehrfache Punktionen können
notwendig werden sowohl auf einer als auf beiden Seiten des
Schädels. Entleeren des angesammelten Blutes mittels der Punktions¬
spritze dürfte höchstens beim subduralen Hämatom der Neuge¬
borenen therapeutisch in Betracht kommen. Die Lumbalpunk¬
tion hat als Mittel für das Erkennen intrakranieller Blutungen nur
sehr beschränkten Wert. Wenn sich auch leicht entscheiden laßt,
ob blutige Färbung des Punktates auf Blutaustritt in den Subdural¬
raum oder auf Verletzung eines venösen Gefäßes beim Einstechen
des Trokars beruht, so gibt doch die hämorrhagische Beschaffenheit
des Liquors keinen Aufschluß darüber, ob es sich um die wohl bei
den meisten heftigeren Kopfverletzungen stattfindende Beimengung
geringer Blutmengen zur Gehirnflüssigkeit oder um größere sub-
durale Blutansammlung in diffuser oder umschriebener Form handelt
Weiter wäre zu bedenken, daß die Lumbalpunktion bei hochgradiger
intrakranieller Druckerhöhung nicht unbedenklich ist.
Die Prognose des Hämatoms der Dura mater ist in bezug
auf die spontane Heilungsmöglichkeit schlecht, weil auch bei Stehen
der Blutung die Bedingungen für Resorption des ausgetretenen
Blutes von seiten sowohl der harten Hirnhaut als des Knochens se|u
ungünstig sind. Aber auch die größeren subduralen Blutansamm¬
lungen sind der Aufsaugung nur m beschränktem Maße zugänglich
und führen deshalb nicht selten zu tödlicher Gehirnlähmung. Besteht
also nach Kopfverletzung in bedrohlicher Weise zunehmender Hiro-
druck mit Hemiplegie und sind sonstige Gründe zur Annahm? eine 5 -
extra- oder subauralen Hämatoms (Ergebnis der Himpunktion) ge
Digitized by Gougle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
H. April 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
491
geben, so ist.die operative Ausräumung des ergossenen Blutes
unbedingt angezeigt. Aber auch bei unsicherer Diagnose muß man sich
öfter zur Operation entschließen, sobald diese die einzige Aussicht auf
Rettung des Verletzten darstellt. Zwecks Freilegens und Ausräumens
der fraglichen Hämatome gibt man neuerdings dem osteoplasti¬
schen Verfahren vor der Anwendung des Trepans den Vorzug.
Nach Aufklappen eines in der Schläfengegend mit unterer Basis gebil¬
deten Periostknochenlappens läßt sich der Bezirk, in welchem die extra¬
duralen Hämatome ihren Sitz haben, übersehen oder zugänglich
machen. Mittels Tupfers wird das angesammelte Blut ausgeräumt und
die freigelegte verletzte Stelle der Arterie doppelt unterbunden oder
umstochen. Wenn häufig nach Entfernen des ergossenen Blutes keine
Blutung sichtbar wird, so kann dies daran liegen, daß nicht die Arterie,
sondern eine sie begleitende Vene verletzt war und daß deshalb die Blu¬
tung spontan zum Stehen kam. Tamponade als Mittel der arteriellen
Blutstillung sollte nur im äußersten Notfall angewandt werden, wäh¬
rend sie bei Sinusverletzungen das Verfahren der Wahl darstellt. Bei
subduralem Bluterguß kann nach Spalten der harten Hirnhaut Ab¬
fließen oder Entleeren größerer Blutmengen Platz greifen; aber wenn
auch nur wenig Blut zum Austritt gelangt, vermag das sofort sowie
in der Folge eintretende Abfließen der Zerebrospinalflüssigkeit sämt¬
liche Hirndrucksymptome zum Rückgang zu bringen. Wurde mit
der entlastenden Operation zu lange gewartet, so kann die zerebrale
Lähmung irreparabel geworden sein.
Kursus der venerologischen Technik.
Von Prof. Dr. Max Joseph in Berlin.
1 .
Syphilis.
Trotz der großen Fortschritte auf dem Gebiete der Syphilis¬
therapie harren noch viele Fragen- in der alltäglichen Praxis einer
endgültigen Beantwortung. Fangen wir zunächst mit der einfachsten
an: wann soll die SyphilisbehandTung beginnen? So einfach die Frage
zu entscheiden ist, wenn mit Sicherheit Spirochaetae pallidae nach¬
gewiesen sind, so schwierig ist die Entscheidung, wenn von Anfang
an die Diagnose nicht sicher gestellt werden kann.
Der Nachweis der Spirochaetae pallidae gelingt leicht, wenn der
Primäraffekt klinisch noch kaum zu diagnostizieren und nach der
Anamnese die Infektion als wahrscheinlich anzunehmen ist. Unter
dem Bilde einer geringfügigen, unscheinbaren Erosion, welche oft an
einen Herpes progenitalis erinnert, verbirgt sich häufig schon der
Infekt. In diesem Stadium gelingt der Nachweis der Spirochaeta
pallida leicht mit der Dunkelfeldmethode, welche freilich einen Apparat
voraussetzt, der heute seines hohen Preises wegen wohl von wenigen
praktischen Aerzten angeschafft wird.
Wo ein Dunkelfeld vorhanden ist, macht die Technik keine
Schwierigkeit. Man benutzt hierzu eine kleine elektrische Bogen¬
lampe (Liliputlampe). Durch die seitlich abgelenkten Strahlen der
Dunkelfeldeinrichtung wird das Objekt von allen Seiten auf dunklem
Grunde beleuchtet und gelangt so in das Objektiv. Hierbei erreichen
nur die zerstreuten Strahlen das Auge, die direkten werden durch
eine Trichterblende im Objektiv abgeblendet. Die Herstellung des
Präparates geschieht so, daß man mit einer Platinöse oder mit in
Kochsalzlösung getränkter Watte so lange auf der Erosion reibt, bis
es blutet. Alsdann wartet man ab, bis nach der Blutstillung Serum
herausquiüt, und bringt von diesem mit etwas Blut vermischten Serum
einen Tropfen mit einer Platinöse auf ein Deckgläschen, welches
auf einen Objektträger aufgedrückt wird. Zwischen Kondensator und
Objektträger wird, um eine Ablenkung der Strahlen zu vermeiden,
ein Tropfen Zedemöl gebracht und nun mit der Oelimmersion unter¬
sucht, nachdem vorher audi auf das Deckglas ein wenig Zedemöl
getropft ist. Alsdann heben sich bei der intensiven künstlichen Be¬
leuchtung in der Nähe der zeitigen Elemente die Spirochäten als
lebhaft bewegliche, hellleuchtende, rein weiße Objekte ab und zeigen
eine äußerst charakteristische Art der Bewegung. Die Spirochaeta
pallida zeigt Korkzieherform, die Windungen sind gleichmäßig, eng
und steil angeordnet und zeigen große Formbeständigkeit, die Zahl der
Windungen schwankt zwischen 8—20, die Enden der Spirochäte
sind zugespitzt. Ebenso charakteristisch ist die Art der Bewegung.
Man konstatiert eine lebhafte Rotationsbewegung der vollständig
gestreckten Spirochäte um die eigene Längsachse. Mit dieser gleich¬
zeitig werden wellenförmige Bewegungen im Sinne der Längsachse
ausgeführt, deren Krümmungsradius größer ist als eine Windungs¬
höhe, wodurch wellenförmige Krümmungen des Spirochätenleibes ent¬
stehen. Die Lokomotion der Spirochäte ist in frischen Präparaten
ziemlich lebhaft und läßt bald nach.
Wo aber keine Gelegenheit der Untersuchung mit Dunkelfeld-
beleuchtung besteht, muß der praktische Arzt zu den Färbemethoden
reifen. Als solche bewährt sich das Tuscheverfahren von
urri: Man tropft auf den mit Reizserum beschickten Objektträger
einen Tropfen der Pelikan-Perltusche und verstreicht mit einem zweiten
Objektträger dieses Gemisch von der Breite des Objektträgers aus
bis zum Rande in dünner Schicht. Statt dessen kann das Präparat
auch mit 2<Vo Kollargollösung gefärbt werden. Das an der Luft
getrocknete Präparat wird mit Oelimmersion besichtigt. Es heben
sich alsdann die Spirochäten in Ihrer feinen, weißen Schlängelung
mit ihren tiefen, steilen und regelmäßigen Windungen gut von dem
dunklen Grunde ab. Natürlich fehlt die charakteristische Bewegung
%!er Spirochäten. Fällt bei den Färbemethoden der Befund negativ
aus, so muß zur sicheren Entscheidung die Dunkelfeldmethode heran¬
gezogen werden.
Ist aber die verdächtige Erosion mit Salbe oder Pulvern bereits
behandelt worden, so gelingt der Nachweis der Spirochaete pallida
nicht mehr so leicht, im Gegenteil, er bereitet uns die größten Schwie¬
rigkeiten. Wir lassen 24 Stunden Kochsalzumschläge machen und
versuchen nochmals, Spirochäten nachzuweisen. Daher muß in die
weitesten ärztlichen Kreise die Forderung dringen, daß der Primär¬
affekt niemals lokal zu behandeln ist, bevor nicht die Diagnose, ob
Ulcus molle oder Primäraffekt, gesichert ist. Jede lokale Therapie
führt zur Verwirrung und schränkt die Möglichkeit einer Abortiv¬
behandlung ein. Natürlich wird man in zweifelhaften Fällen stets
neben dem Spirochätennachweis auf UIcus-molle-Bazillen fahnden.
Der Nachweis der letzteren gelingt leicht, wenn man ein Abstrich¬
präparat 10 Minuten lang mit dem Methylgrün-Pyroningemisch färbt,
wobei die fischzugartig angeordneten Streptobazillenketten dunkel-
purpurrot erscheinen.
Nicht selten kommen aber Patienten in unsere Behandlung, bei
welchen das Ulkus schon einige Zeit besteht, der charakteristische
klinische Charakter durch unzweckmäßige Behandlung verloren ge¬
gangen ist und der Nachweis der Mikroorganismen aus den oben
angeführten Gründen nicht mehr gelingt. Wie hat sich hier der Arzt
zu verhalten? Es stehen zwei Wege offen. Er kann abwarten, bis
die Drüsenschwellungen sich einstellen, welche hart, indolent, auf
Syphilis hinweisen und, wenn schmerzhaft, ein Ulcus molle vermuten
lassen. Die Sicherheit ist aber hiermit nicht gegeben, und Irrtümer
kommen mehr wie genug vor. Die Wa.R. läßt uns hier oft genug im
Stich, da nicht Zeit genug nach der Infektion verstrichen ist, als daß
sie positiv ausfallen müßte. Der Patient wechselt natürlich auch oft
seinen Arzt, und so ist der letzte Arzt in einer schwierigen Lage,
wie er Vorgehen soll. Mir scheint, daß in solchen Fällen abzuwarten
ist, bis die Diagnose absolut sicher auf Syphilis gestellt werden kann.
Denn bei zweifelhafter Diagnose eine Syphilisbehandlung einzuleiten,
macht den Patienten oft zu einem Neurastheniker, da er sich jahrelang,
besonders wenn die Wa.R. später stets negativ ausfällt, mit der
Frage abquält, ob er in der Tat Syphilis hatte oder eine Fehldiagnose
vorliegt. Ich warte daher ab, bis die Diagnose durch Auftreten
sicherer klinischer Erscheinungen oder serologisch positiv beant¬
wortet ist.
Nun wird aber von anderen Seiten dieses Verhalten als ein Fehler
betrachtet. Ich bin sogar vor kurzem zu einem Gutachten aufgefordert
worden, da der zweite Arzt einem Patienten, welcher in dieser ab¬
wartenden Weise behandelt wurde, riet, den ersten Arzt zu verklagen,
da hier ein nicht mehr gutzumachendes Versehen vorliege, wodurch
ein schwerer Verlauf der Syphilis bedingt sei.
Damit kommen wir auf die Frage, ob in der Tat die Abortiv¬
behandlung selbst in den frühzeitig diagnostizierten seronegatjven
Fällen von sicherem Erfolge begleitet ist. Uie Anschauungen hierüber
sind geteilt. Auf der einen Seite stehen Beobachter, welche von 100o/o
Heilungen seronegativer und sogar auch von 100°/o Heilungen sero-
positiver Syphilis sprechen. Zu den Vertretern dieser Richtung gehört
vor altem Spiethoff. .Er ist der Meinung, daß 0,6 Neosalvarsan bei
Frauen und 0,75 bei Männern im Durchschnitt anstandslos vertragen
werden und daß diese Gaben Dosen darstellen, die man als wirkungs¬
voll bezeichnen kann, da bei ihnen die Folgen ungenügender Salvarsan-
behandlung (Neurorezidive) ausbleiben. Um Nebenerscheinungen zu
vermeiden, wird 24, 12 oder 4 Stunden vor dem Hauptschlag Vs — 1 /4
der beabsichtigten Volldosis intravenös verabreicht und außerdem
i/a Stunde vor der Hauptinjektion eine Morphium-Skopolamininjektion
gegeben. Dieses antianaphylaktische Verfahren wird vor der ersten
und zweiten Injektion angewandt. Von Neosalvarsan nimmt er die
heroische Dosis V bis Dosis X; gebraucht er Altsalvarsan, bleibt er
bei 0,5. Die Injektionen erfolgen bei Dosis V in 8tägigen Pausen. Ein
einfaches Mittel, Nebenerscheinungen unter der Kur oft mit einem
Schlage zu vermeiden, ist der IJebergang zum Natriumsalvarsan. So
gibt er von Altsalvarsan durchschnittlich 1,5 g, von Neosalvarsan
durchschnittlich 3,4 g. Diesen überraschenden Heilerfolgen stehen
die Erfahrungen anderer Aerzte gegenüber, welche nur von 50o'o
Heilerfolgen sprechen und sogar über diesen hohen Prozentsatz noch
skeptisch urteilen.
Wie soll nun heute der praktische Arzt sein therapeutisches Han¬
deln einrichten? Ich rate zu folgendem Vorgehen. Sind in der Primär¬
eruption sicher Spirochäten nachgewiesen, so ist bei negativer Wa.R.
sofort Neosalvarsan 0,45 zu injizieren; bleibt nach 4—5 Tagen die
Wa.R. negativ, so gebe ich eine kombinierte Kur von 15 Spritzen
Hydrargyrum salicylicum und nach jeder dritten Spritze immer wieder
Neosalvarsan 0,45. Ist die Wa.R. positiv, so beginne ich mit Hydrar¬
gyrum, um nach 2 Injektionen Neosalvarsan einzuschalten. Ich halte
eine Einreibungskur für gleichwertig der Injektionskur und kombiniere
sie ebenfalls mit der gleichen angegebenen Menge Salvarsan. Bei
den seronegativen Fällen beschränke ich mich darauf, die Wa.R.
dauernd zu verfolgen, während von anderen Seiten, z. B. von Kerl,
auch in diesen Fällen vorgeschlagen Avird, nach der ersten energischen
Kur noch weiterhin Salvarsan in 14tägigen Intervallen ein fahr hin¬
durch intravenös zu verabreichen. Bei den seropositiven Fällen lasse
ich dagegen in den ersten zwei Jahren 4—6 kombinierte Kuren aus¬
führen.
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERS1TV
'492
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 15
Die Technik der Salvarsaninjektionen ist so einfach, daß sie jeder
Arzt ausführen kann. Man verwendet hierzu eine 5 g haltige Rekord¬
spritze, füllt sie mit frischem, in einem sterilen Reagenzglas auf¬
gekochtem Wasserleitungswasser, läßt das Wasser abkühlen und0
schüttet das Salvarsan hinein. Nach geringem Umschütteln löst sich
dasselbe leicht. Es wird eine Kanüle aufgesetzt, und nachdem ein
Arm mit der am besten sichtbaren Vene gut gestaut ist, wird diese
Stelle mit Eenzi i oder Alkohol abgerieben und die Kanüle eingestochen.
Bei gelungener Einführung fließt Blut in die Spritze, die Stauungs¬
binde wird gelöst und der Spritzeninhalt injiziert. In den meisten
Fällen wird dies gut vertragen. Vorsichtshalber lasse ich die Patienten
einige Stunden zu Hause Dleiben und ausruhen. Voraussetzung ist,
daß der Patient sich vor der Einspritzung vollkommen wohl fühlt.
Ist er erkältet oder hat er gar Fieber, so warte ich einige Tage ab.
Kann ich in die Vene nicht hineinkommen, so suche ich mir eine
geeignetere an dem gleichen oder dem andern Arme aus, und sollte
es auch hier nicht gelingen, so benutze ich irgendeine andere, gut
sichtbare Vene des Körpers. Sollte der Patient während der Injektion
über einen noch so leichten Schmerz klagen, so achte ich darauf, ob
eine geringe, quaddelartige Erhebung sichtbar ist, welche auf ein
Infiltrat außerhalb der Vene hinweist. Die Schmerzen sind bei einem
solchen Infiltrat sehr stark und werden nur wenig durch Umschläge
oder Morphium beeinflußt. In normal verlaufenden Fällen werden
die Injektionen alle 8 Tage wiederholt.
Da die Quecksilbereinspritzung häufig mit Beschwerden für die
Patienten verbunden ist, die Quecksilbereinreibungen ebenfalls manche
Nachteile aufweisen, so ging Linse r dazu über, Salvarsan und
Quecksilber einzeitig intravenös zu injizieren. Als erste Injektion
empfiehlt er 0,3 Neosalvarsan und 1 ccm einer lo/oigen Sublimat¬
lösung. Bei den weiteren Injektionen steigt er auf 0,45 Neosalvarsan
und 2 ccm Sublimat. Man kann hiervon 10—15 Injektionen verab-
reichen. Statt dessen hat man auch Neosalvarsan mit Novasurol oder
Cyarsal gemischt und hiermit gleichwertige Resultate erzielt. Auch
hier wird der Lösung von 0,45 Neosalvarsan eine ganze Ampulle
Novasurol oder Cyarsal beigemischt. Bruck empfiehlt bei Männern
4,0 Neosalvarsan -f- 0,4—0,5 Hg und bei Frauen etwa 3,0—3,5 g
Neosalvarsan -j- etwa 0,4 Hg. Oelze gibt wöchentlich 2 Injektionen,
im ganzen 14 mit Cyarsal. Diese Methoden werden im allgemeinen
gut vertragen, und ich halte sie alle 3 nach meinen Erfahrungen für
gleichwertig. Diese Mischspritzen sind für den Patienten sehr bequem.
Von dem Erfolg bin ich aber in bezug auf Rezidivieren nicht voll
befriedigt. Ich schließe mich dem Urteile C. Outmanns an, daß
hierbei Rückfälle recht schnell auftreten. Daher rate ich, vorläufig
diese Methode in der Praxis noch nicht als eine intensive Behandlung
aufzufassen.
OeffentHches Qesundheitswesen.
Die Neugestaltung des Berliner Städtischen Rettungswesens.
Von Dr. Frank, Direktor des Rettungswesens.
Trotz der drückenden Verhältnisse, unter denen die Verwaltung
der Reichshauptstadt steht, ist sie ständig bemüht, notwendige Wohl-
fahrtseinrichtungen für ihre Bürgerschaft nicht* nur zu erhalten, sondern
auch auszubauen. Zu denjenigen Einrichtungen, die auf diesem
Gebiet von der Stadtverwaltung in sorgfältigster Weise berücksichtigt
werden, gehört das Rettungswesen, das gelegentlich der Ausdehnung
des Berliner Gebietes durch die Schaffung der neuen Stadtgemeinde
einer Umgestaltung unterzogen worden ist.
Ein kurzer Ueberblick über die Entwicklung des Berliner Rettungs¬
wesens, Krankentransportwesens und des wertvollen Bettennachweises
lehrt, daß verschiedene interessierte Gruppen an seiner Erschaffung
gearbeitet haben. Waren es zuerst die Berufsgenossenschaften, die
aus dem Interesse ihrer Betriebseinrichtungen heraus Stätten erster
Hilfe für Unfallverletzte Arbiter schufen, aus denen sich schnell
solche für die Allgemeinheit entwickelten, so hat die Berliner Aerzte-
schaft frühzeitig es für nötig gehalten, aus gewissermaßen privater
Initiative eine Stelle zu schaffen, die Aufnahmesuchenden mit größier
Schnelligkeit eine Orientierung darüber gab, in welchem Krankenhaus
ein Bett frei war. Wenn auch ein gewisser und nicht immer erfreu¬
licher Kampf zwischen den eben genannten Parteien einige Zeit
getobt hat, da über die Auffassung der Grenze erster Hilfeleistung
zwischen Aerzten und Berufsgenossenschaften naturgemäß Meinungs¬
verschiedenheiten bestanden, so hat dieser Gegensatz für die Öffent¬
lichkeit doch insofern nützliche Folgeerscheinungen gehabt, als er
schließlich zu einer Uebernahme der sämtlichen auf dem Gebiete
bestehenden Einrichtungen durch die Stadtgemeinde führte. Erst mit
dieser wurde das gesamte Rettungswesen auf eine sichere Basis
estellt, und es wurde im Jahre 1913 die feste Grundlage für die
orm geschaffen, in der es sich jetzt in einer Dreiteilung darstellt,
nämlich 1. als eine große Zahl sogenannter Rettungsstellen für erste
Hilfe und plötzliche Erkrankung; 2. als ein sehr ausgebildetes Kranken-
und Rettungstransportweseu und 3. als die Zentralnachweisstelle
freier Betten in allen Krankenhäusern, die zugleich die zusammenfas¬
sende Stelle auch für Rettungs- und Krankentransportwesen darstellt.
Die Rettungsstellen sind über das ganze Gebiet der Stadt¬
gemeinde verteilt; es sind 43 vorhanden, die teils als eigene RettungSr
stelle ausgebildet sind, teils mit Krankenhäusern in Verbindung stehen.
Ueber die Einrichtung der Rettungsstellen hier im Detail zu sprachen,"
erscheint überflüssig. Es muß genügen, darauf hinzuweisen, daß
sie eine beschränkte Anzahl von Instrumenten und Verbandsstoffen
und sonstigen Hilfsmitteln für erste Hilfe (Sauerstoffapparat usw.)
enthalten, und zwar gerade nur so viel, als für erste Hilfeleistung
als unbedingt notwendig erachtet wird. Aber auch nicht weniger.
Sie sind ferner mit einer Tasche ausgerüstet, die der Arzt bei seinen
Gängen nach außen mitnimmt, und die Folgendes enthält:
1. I auskochbares Metailefui, in welchem j 7. 1 Magenspülapparat
sich eine chirurgische Pinzette, 1 ana- 8. 1 Gegengiftkasten
tonische Pinzette, I Sonde, 1 kleine I 9. I Injektionskasten
geknöpfte Schere und 1 Skalpell, 1 Plan 1 10. 3 Drahtschienen
sowie 2 Moojsche Nadeln und 1 Röhr- 11. 1 Fieberthermometer
chen Vönelseide befinden. | 12. 1 Rasiermesser im Etui
2. 1 Beutel mit Wattebinden (sterilisiert) j 13. 1 dünnen Nelatonkatheter in Dose
3. 1 Beutel mit Mullbinden u. Stärkebinden 14. I kleine Dose mit Soda
4. 1 Beutel mitGazekompressen(sterilisiert) 15. 1 Schwamm zum Abwaschen Blutender
5. einige Schnellverbände im Gummibeutel
6. 1 Esmarchschen Schlauch j 16. 1 elektrische Taschenlampe
Damit soll erzielt werden, daß der Arzt nicht mit leeren Händen
und ohne die Möglichkeit, sofort effektive Hilfe zu leisten, an eine
Unfallstelle oder zu einem plötzlich Erkrankten kommt Denn die
Rettungsstellen leisten die erste Hilfe nicht nur innerhalb ihrer
Räume, sondern auch auf telephonische oder sonstige Benachrichti¬
gung nach außerhalb, und es ist durch ihr Vorhandensein erzielt
worden, daß mit größtmöglicher Sicherheit an jedem Bedarfsort
in Berlin in tunlichst kurzer Zeit ein Arzt mit den nötigen Hilfsmitteln
erscheinen kann. An dem Ausbau dieser Einrichtung wird ständig
earbeitet, neuerdings durch den Versuch der Heranziehung der
euerwehr zum Eiltransport des Arztes an eine Unfallstelle. Eine
besondere Organisation regelt das Zusammenwirken mehrerer oder
äußerstenfalls aller Rettungsstellen bei einem etwa vorkommenden
Massenunfall. Einrichtungen zur vorübergehenden Aufnahme Schwer-
kranker oder Alkoholvergifteter sind in jeder Rettungsstelle vorhan¬
den. Der Arztdienst findet abwechslungsweise durch auch anderweit
in der Praxis stehende Aerzte statt. Zur Zeit wird für die Dienst¬
stunde 10 M. am Tage und für den Nachtdienst 50 M. vergütet Den
Heilgehilfendienst besorgen unter Berücksichtigung des Achtstunden¬
tages in jeder Rettungsstelle drei Heilgehilfen.
Das vorher Gesagte gilt für diejenigen Rettungsstellen, die für
sich in Läden oder Baracken untergebracht sind. Tn den Kranken¬
häusern ist die Rettungsstelle ein Appendix der ganzen Krankenhaus¬
einrichtung. Es wird sich im Lauf der Zeit herausstellen, ob es bei
starker Inanspruchnahme möglich sein wird, ohne weiteres das Ret¬
tungswesen neben dem Krankenhausdienst zu führen. Wahrscheinlich
wird es notwendig sein, wenn Rettungseinrichtungen mit Kranken¬
häusern verbunden werden, sie auch innerhalb der Krankenhäuser
ganz selbständig zu gestalten.
Transportwesen. Diese zweite Branche der Einrichtung des
Berliner Rettungswesens ist neueren Datums. Bis zum Jahre 1920
war das Krankentransportwesen in der Hand von Privatunternehmern
oder Vereinen und entzog sich bezüglich Promptheit, Sauberkeit und
Preisstellung einer eingehenden Kontrolle. Durch die Uebernahme der
Transporteinrichtungen des Verbandes für erste Hilfe in städtische
Verwaltung, den Ausbau derselben und ihre Anglrederung an das
Rettungsamt, sind diese Verhältnisse wesentlich gebessert worden.
In verschiedenen über die Stadt verteilten Depots verfügt das Rettungs¬
amt zur Zeit über etwa 29 Automobilkrankenwagen, die in der Lage
sind, täglich über 200 Transporte auszuführen. Die Wagen stehen
bezüglich Einrichtung unter ständiger Kontrolle; das Begleitpersonal
ist im Krankentransportwesen ausgebildet. Nach jedem infektions¬
verdächtigen Transport wird der Wagen durch Ausspritzen und Aus¬
waschen mit Kresolseifenlösung, die Decken usw. durch Heißdarapf-
sterilisation desinfiziert. Die Bestellung der Wagen erfolgt durch die
hierunter zu schildernde Zentrale des Rettungsamtes oder durch
jede einzelne Rettungsstelle oder durch die Polizei. Der Transport
erfolgt ausschließlich durch Automobile bester Konstruktion, beson¬
ders auf gute Federung der Wagen ist Rücksicht genommen, da nach
langen Versuchen von einer besonderen Abfeaerung der Tragen
innerhalb des Wagens Abstand genommen worden ist.
Das Rückgrat des ganzen Rettungs- und Krankentransportwesens
bildet die Zentralmeldestelle des Rettungsamtes, eine Telephonzentrale,
die mit sämtlichen Krankenhäusern, sämtlichen Rettungsstellen, sämt¬
lichen Krankenwagendepots und zahlreichen Behörden durch direkte
Drähte verbunden ist. Mit ihrer Hilfe gelingt es leicht, den einzelnen
Organen des Rettungs- und Krankentransportwesens die nötigen
Direktiven zu geben. Ihr Hauptwirken liegt aber auf dem Gebiete
des Nachweises freier Betten in Krankenhäusern. Der früher be¬
stehende unerfreuliche Zustand, daß häufig ein Kranker von einem
Krankenhaus zum anderen fahren mußte, bis er Unterkunft fand, ist
durch ihr Wirken wesentlich gebessert worden, denn auf telephonische
Anfrage bei der Zentrale, die täglich mehrmals die Meldung freier
Betten in Krankenhäusern von diesen erhält, kann ein jeder Bewohner
der Stadt erfahren, wo für ihn ein Bett vorhanden ist, das nach er?
folgter Bestellung mehrere Stunden für ihn freigehalten wird. Von
welcher Bedeutung eine derartige zentralisierte Einrichtung für eine
Millionenstadt ist, haben besonders die Erfahrungen der letzten
Grippeepidemie bewiesen, in der es durch rechtzeitiges Freimachen von
Stationen, Verlegen von Lerchtkranken von einem Krankenhaus ins
andere usw, besonders unter Mitwirkung der Zentrale möglich ge¬
wesen ist, sämtliche Grippekranke, die Aufnahme heischten, In bequem
zu erreichenden Krankenhäusern unterzubringen.
□ igitized by Gougle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
14. April 1922
PEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
493
Zum Schluß noch ein Wort über die finanziellen Fragen
des Rettungswesens. Das Rettungswesen als soziale Einrichtung
kann nicht in der Lage sein, sich aus sich selbst heraus zu erhalten.
Immerhin erfordert schon die Rücksicht auf die frei praktizierenden
Aerzte, daß die Rettungsstellen nicht in einer den Aerztestand schädi¬
genden Weise vom Publikum ausgenutzt werden dürfen. Anderseits
soll aber jeder Hilfesuchende ohne vorherige Frage nach seiner
Zahlungsfähigkeit in den Rettungsstellen die erste Hilfe finden. Ist er
zahlungsfähig, so werden ihm dieselben Sätze abverlangt, die die
Aerzte in ihrer Praxis dem Publikum berechnen. Dieser Grundsatz
wird unbeschadet dessen aufrechterhalteu, daß bezüglich der Kranken¬
kassenmitglieder mit den Krankenkassen Verträge abgeschlossen wor¬
den sind, die die Honorare für die einzelne Hilfeleistung fixieren. Daß
das Wirken der Rettungsstellen sich durchaus und ausschließlich auf
erste Hilfeleistung beschränkt, soll hier noch einmal erwähnt werden.
Der Zuschuß durch die Stadtgemeinde für das eigentliche Rettungs¬
wesen, den die Stadt jährlich leisten muß, beträgt 31/2 Millionen Mark,
auch das Krankentransportwesen erfordert erhebliche Zuschüsse, die
sich im Jahre auf etwa 3 Millionen Mark beziffern. Immerhin erscheint
es nicht ausgeschlossen, durch eine geschickte Tarifpolitik und ent¬
sprechende Heranziehung der leistungsfähigen Krankenkassen, die
naturgemäß die Hauptauftraggeber beim Krankentransport sind, den
Krankentransport allmählich in ein Betriebsunternehmen zu verwan¬
deln, das sicn aus sich selbst heraus erhalten wird. Die Fernsprech¬
zentrale ist einnahmelos, da sie alle Auskünfte dem Publikum kosten¬
los erteilt.
So stellt sich das Berliner Rettungswesen als eine großzügige Ein¬
richtung zum Nutzen der Bürgerschaft, aber auch der Aerzte dar.
Durch die stete Hilfsbereitschaft der Rettungsstellen wird diesen
manche ihre gewöhnliche Tätigkeit stark störende plötzliche Inan¬
spruchnahme abgenommen, und die nicht unerheblichen Summen,
welche für Aerztehonorar seitens der Stadt ausgegeben werden, sichern
einer größeren Zahl jüngerer und älterer Aerzte ein gewisses wert¬
volles Einkommen. Ferner wird durch die zuverlässig^ Einrichtung
des Krankentransportes und den gut funktionierenden Bettennach¬
weis der Aerzteschaft Berlins manche Sorge und Mühe für ihre
Patienten abgenommen. So hat sich dann auch aus einer im Anfang
der Gründung des Rettungswesens bestehenden Gegnerschaft zwischen
Aerzteschaft und Rettungswesen ein vertrauensvolles Verhältnis her¬
ausgebildet, dessen weiteren Ausbau zu pflegen die Verwaltung des
Rettungswesens sich besonders angelegen sein läßt.
Standesangelegenheiten.
Die Beseitigung der Premdausdrücke in der medizinischen
Schriftsprache.
Die „Vereinigung der Deutschen medizinischen Fachpresse“ hatte in ihrer
Sitzung m -Bad Nauheim 1920 eine Kommission eingesetzt, die zusammen mit
der „Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin“ die in der deutschen medi-
zin’schen Schriftsprache völlig entbehrlichen „Fremdausdrücke“ verdeutschen
sollte. Dabei wurde ausdrücklich betont, daß es nicht die Absicht sei, die
den alten Sprachen entnommenen, international eingeführten Termini technici der
Medizin, auf die nicht verzichtet werden kann, zu beseitigen. Wohl aber sollten
die meist französischen, zum kleineren Teil englischen Fremdausdrücke, die viel¬
fach nur aus Bequemlichkeit in die Literatur eingeführt worden waren, aus
unserer Schriftsprache wieder verschwinden.
Als Erfolg der Arbeiten der Kommission veröffentlichen wir nunmehr die
nachstehende Liste, und wir bitten die Verfasser und Schriftleitungen, die hier
vorgesch'agenen Ausdrücke an Stelle der fremden — zuweilen wurde, da ein
passender deutscher Ausdruck fehlte, ein lateinischer zu Hilfe genommen —
in Ihren Arbeiten künjjghin verwenden zu wollen.
Der Kommission, die ihre Arbeiten fortsetzen wird, gehörten folgende
Herren an: Doz. Dr. Bum (Wien), Geh.-Rat Gerhardt (Würzburg t),
Geh.-Rat G. Klemperer (Berlin), Reg.-Med.-Rat Marl 6 (Berlin), Geh.-Rat
Penzöldt (Erlangen), Hofrat Spatz (München), Prof. Stursberg (Bonn).
Sie wurden in ihren Arbeiten unterstützt von den Herren: Geh.-Rat Bier
(Berlin), Geh.-Rat Döderlein (München), Geh.-Rat v. Gruber (München),
Geh.-Rat Prof. Kraepelin (München), Geh.-Rat Schwalbe (Charlottenburg),
Prof, H. Vierordt (Tübingen) und Prof. v. Zumbusch.
Alien diesen Herren, insbesondere dem Vorsitzenden der KommiS on Herrn
Hofrat Spatz bringen wir hiermit für ihre Arbeiten unseren herzlichsten Dank
zum Ausdruck..
Berlin, im März 1922 . Der. Vorsitzende der „Vereinigung der
Deutschen medizinischen Fachpresse“.
Hans Kohn.
Vorschläge für die Verdeutschung medizinischer Fremdausürücke.
AdDouchement forc 6
Ällaitement - mixte
Atopteie atrophiante
Altitude
Amplitude
Are du cercle
Boutonnidre
Brisement for c&
Bruit de pot fttf
gewaltsame Entbindung
Zwiemilchernährung
Alopecia atrophicans
Pulsnöhe
Pulsdruck
Kreisbogenstellung
Aeußerer Harnröhrenschnitt
gewaltsames Beweglichmachen
Geräusch des gesprungenen Topfes
Cancer en cuirasse
Panzerkrebs
Chancre mixte
gemischter Schanker
Chancre redux ,
Sclerosis redux
Choc en retour
Rückansteckung
Contrecoup
Gegenstoß
Creeping disease
Larva migrans
Cri hydrenc£phalique
Wasserkopfschrei
Debridement
Einkerbung (des Bruchringes)
Defense musculaire
Abwehrspannung
Derangement interne
Binnenverletzung (des Kniegelenks)
Dermographie blanche
Nachblassen der Haut
Deviation conjug£e
Gleichsinnige Abweichung
en masse
Massen- (reposition)
Erreur de sexe
Geschlechtsverwechslung
Etat mamelonne
warzenähn icher Zustand
Fil de Florence
Florentiner Sei Je
Formes frustes
unausgeprägte Formen
Basedow fruste
unausgeprägte Basedowkrankheit
Fremissement
Schwirren.
Fugue-Zustände
Wandertrieb
Glossy skin
Glanzhaut
H Apatite parenchymateuse nodulaire
knotige parenchymatöse Hepatitis
Katheter ä double courant
Rücklaufkatheter
Maladies des Tics
Tickkrankheit
Mal perforant
Malum perfora ns
M£che
Docht
Moral insanity
Moralischer Schwachsinn
Mouches volantes
Mückensehen.
No Restraint
zwanglose Behandlung
Osteoarthropathie hypertrophiante \
pneumatique /
Kolbenfinger
Petit mal
kleiner epileptischer Anfall
Peyersche Plaques
Peyersche Haufen
Piqüre
Zuckerstich
Plaques muqueuses
Schleimhautpapeln
Redressement force
gewaltsame Richtigstellung
Shock
Schock
Syphilis d’embiee
Syphilis ohne Primäraffekt
Syphilis ignoree
funbewußt erworbene Syphilis,
\ Syphilis insonfium
Tapotement
Klopfbehandlung, Beklopfung
Teinte
Vergleichsfarbe
Tic
Tick
Tic convulsiv
Muskeltick
Tic douloureux
Schmerztick
Tic rotatoire
Drehtick
Voussure
Herzbuckel
White spots disease
Weißfleckenkrankheit, Leukoderma.
Wiener Brief.
Streik, Boykott und Sabotage sind beliebte Waffen im modernen
sozialen und wirtschaftlichen Kampfe. Leider haben diese gewiß
nicht sympathischen Mittel auch die Aerzte angekränkelt, und öfter,
als gut ist, wird auch von ihnen mit diesen Waffen gedroht und —
gearbeitet. So ist vor kurzem erst ein Streik der Aerzte zu Ende
gegangen, der bei der größten Arbeiterkrankenkasse Wiens 10 Wochen
lang gedauert hat. Es war kein absoluter Streik. Die Aerzte haben,
die Kassenmitglieder anstandslos behandelt, aber nicht als Kassen¬
kranke, sondern als Privatkranke, die den Arzt selbst gleich bezahlen
mußten, und zwar bezahlen nach normalem Tarife. Die Aerzte haben
nur den Kassen gegenüber gestreikt und jede kassenärztliche ad¬
ministrative Tätigkeit eingestellt. Die Ursache waren Honorardif¬
ferenzen. Nach langen mühevollen Verhandlungen der Regierung
wurde der Streit geschlichtet und der Streik beendigt. Er hat dies¬
mal auffallend lange gedauert. Es waren ja die Aerzte zufrieden,
weil sie weniger zu tun hatten und dafür besser oder gut gezahlt
wurden; es waren die Kassenmitglieder im großen und ganzen zu¬
frieden, denn bei dem großen Einkommen, das die Arbeiter jetzt
haben, konnten sie das Aerztehonorar spielend bezahlen, und es
scheint ihnen ganz gut gefallen zu haben, daß auch sie eine Zeitlang
Privatkranke abgeben konnten und als Privatkranke behandelt wurden;
die Kässenleitungen wiederum scheinen zufrieden gewesen zu sein,
denn sie haben die Aerztegagen erspart, und bei dem geringen Er¬
satz, den sie den Versicherten für die ärztliche Behandlung leisteten,
haben es die meisten Versicherten unterlassen, die zeitraubende
Einholung des Kostenersatzes bei der Kassenverwaltung durchzu¬
führen. Nicht zufrieden waren bloß ein paar Zeitungen, die sich die
Gelegenheit nicht entgehen lassen wollten, entweder den Aerzten
oder den Kassenverwaltern oder der Regierung eins am Zeuge zu
flicken. Nun, die Regierung mußte endlich eingreifen, aber nicht
so sehr et\va darum, weil durch diesen Streik die öffentliche
Gesundheit bedroht war, sondern weil das Prinzip der sozialen
Krankenversicherung durch den Streik durchlöchert worden war und
weil am Ende gar eine längere Dauer des Streiks die „Gefahr“ in
sich geschlossen hätte, daß die Aerzte und die Versicherten an dem
vertraglosen Zustand und an der absoluten freien Arztwahl bei den
Arbeiterkrankenkassen Gefallen gefunden hätten. So mußte denn
der Streik geschlichtet werden, und jetzt ist wieder alles im alten
Digitized by t^ouQie
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
m
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 15
Oleise. Mit einer entsprechenden Erhöhung der kassenärztlichen
Bezüge natürlich.
Für die Bemessung des Honorars in der Privatpraxis stellt die
Wirtschaftliche Organisation der Aerzte alle Monate einen Multi¬
plikator auf; gegenwärtig ist dieser 250, sodaß das Honorar in
Wien das 250fache des Friedenstarifes beträgt. Somit kommt eine
Ordination in der Sprechstunde auf 1000, ein Besuch beim Patienten
auf 1500 Kronen im Mindesttarif. Natürlich bleibt das ärztliche
Honorar damit noch weit hinter dem wirklichen Bedürfnis der Aerzte
zurück. Denn alles ist wenigstens um das lOOOfache des Friedens¬
reises gestiegen, mit Ausnahme der Wohnungs- und der Post- und
traßenbahnkosten, die aber schließlich nicht den Ausschlag geben.
Seit einigen Jahren wird in Oesterreich der Titel Medizinalrat
und Obermedizinalrat verliehen. Die Folge davon ist ein großes
Wettlaufen der Aerzte, diesen Titel zu erlangen. Der Titel wird
aber nicht etwa automatisch verliehen oder aus der Entschließung
irgendeiner Behörde oder eines Amtes heraus, sondern die Kan¬
didaten müssen von irgendeinem Vereine (Wohlfahrtsverein, Kranken¬
kasse, Schule, Aerzteverein usw.) oder von einem Politiker bei der
Regierung eingegeben werden. Wer mehr und bessere Beziehungen
hat, 1 kommt eher daran, und in der Republik ist — lächerlicherweise •—
die Titelsucht noch viel ärger geworden, als sie in der Monarchie
war. In der Wirtschaftlichen Organisation der Aerzte wird nun das
Verlangen propagiert, daß sich die mit dem Titel ausgezeichneten
Aerzte auf ihren Firmentafeln und Rezeptformularen nicht als Medi-
zirialräte bezeichnen dürfen. Das würde natürlich der Eitelkeit einen
argen Stoß versetzen, aber es würde nicht ausreichen, die Jagd nach
dem Titel aus der Welt zu schaffen. Die Eitelkeit wird ja immer
stärker sein als die Vernunft und die Billigkeit. Viel zweckmäßiger
erscheint das Verlangen einer andern Gruppe, es solle der Medizinal¬
ratstitel verallgemeinert werden, etwa in der Art, daß alle Aerzte
nach lOjähriger Praxis bei einwandfreiem Verhalten den Titel Medi¬
zinalrat und nach etwa 30 Jahren den Titel Obermedizinalrat be¬
anspruchen können. Dadurch würde die Möglichkeit der Benutzung
dieses Titels zu illoyaler Konkurrenz am ehesten ausgeschaltet werden.
Unter der Wiener Aerzteschaft ist die Idee aufgetaucht, die
baUsärztlichen Atteste der Lebensverticheniiigsaiistaltea nicht mehr
auszustellen, weil dadurch ja eigentlich doch das ärztliche Berufs¬
geheimnis verletzt wird und weil die Honorare für solche Atteste
ohhehin sehr gering sind. Die Begründung ist gewiß nicht ganz
einwandfrei. Zum mindesten stehen die beiden Gründe nicht auf
gleichwertiger Stufe. Der erste Grund, und zwar er allein, muß
maßgebend sein. Die Lebensversicherungsanstalten müssen eben auf
die hausärztlichen Atteste verzichten, weil diese mit dem ärztlichen
Berufsgeheimnisse nicht vereinbar sind. Die Einwilligung des Ver¬
sicherungswerbers zur Abgabe eines solchen Attestes ist nicht ganz
ehrlich gegeben; in der Mehrzahl der Fälle nimmt der Versicherungs¬
werber ja doch an, daß sein Hausarzt über ihn nichts Ungünstiges
berichten wird! Und wie oft empfindet der Hausarzt einen Konflikt
zwischen den Interessen seines Klienten und dem. Verlangen der
Versicherungsanstalt peinlich! Die hausärztlichen Atteste werden ein¬
mal fallen müssen. Die Anstalten können ja jeden ihnen Aufnahms-
werten von zwei Vertrauensärzten untersuchen lassen.
Eine in Oesterreich Aufsehen erregende Neuerung ist die Ein¬
führung, daß in den staatlichen Krankenhäusern nunmehr von den
Patienten außer der täglichen Verpflegtaxe auch besondere Honorare
für Operation im Spital und für „sonstige außergewöhnliche thera¬
peutische Maßnahmen“, sowie für Röntgen- und Finsenbehandlung,
Massage, pathologisch-anatomische, chemische, mikroskopische und
bakteriologische Untersuchungen eingehoben werden können, von
welchen Honoraren ein Teil den Krankenhausärzten ausgefolgt wird.
Diese Gebühren gehen bis zu 50000 Kronen und werden von Aus¬
ländern im drei- bis fünffachen Ausmaße eingehoben. Früher konnte
jedermann in einem Krankenhause aufgenommen werden und erhielt
dort für die Bezahlung der normalen Verpflegsgebühr — im Frieden
betrug sie 2 Kronen, jetzt 1000 Kronen, täglidi — alles, Verpflegung,
Behandlung, Operation usw. Die Bauern und manche andere reiche
Geizhälse hatten das weidlich ausgenützt. Vor einiger Zeit wurde
nun zuerst insofern eine Aenderung getroffen, als die Verpflegs-
taxe nicht mehr nach der Klasse berechnet wird, auf welche der
Kranke aufgenommen wird, sondern nach dem Einkommen des Kran¬
ken, sodaß Leute, auch wenn sie auf der dritten Klasse verpflegt
und behandelt werden, unter Umständen die Gebühren für die
zweite (3000) oder für die erste (6000) Klasse bezahlen müssen, da¬
mit der Staat nicht so unendlich viel auf jeden Kranken daraufzahlen
muß. Durch die weitere Einführung der besonderen Operations-
uhd Behandlungstaxen will man die skrupellose Ausnutzung der öffent¬
lichen Spitäler und das Riesendefizit des Spitalfonds eindämmen. Ob
das aber gelingen wird? —s—
Otto Busse zum Gedächtnis.
..Am:.3. Ib 1922 verschied in Zürich der ordentliche Professor für
Pathologische Anatomie und Direktor, des Pathologischen Institutes
an der Universität, Otto Busse, nach kurzer Krankheit im
55. Lebensjahre.
Busse wurde am 6. XII. 1867 in Gühlitz bei Perleberg geboren.
Seine Studienzeit absolvierte er in Greifswald, wo er am 30. XII. 1892
approbiert wurde Hier trat er im nächsten Jahre als Assistent am
Pathologischen Institut bei Paul Orawitz ein, habilitierte sich
1895 daselbst für Pathologische Anatomie und erhielt 1902 den
Professortitel.
Aus dieser Zeit stammen seine ausgezeichneten Arbeiten über
„Bau und Einteilung der NierengeschwüTste“, über „Zystennieren“,
sowie die histologischen Vorgänge bei der Entzündung und Wund¬
heilung der Gewebe.
Bekannt wurde Busse- besonders durch seine Untersuchungen
über die pathogenen Hefen (Saccharomykosis). Sie waren deshalb so
bedeutsam, weil durch sie zum erstenmal der Nachweis erbracht
wurde, daß Geschwulstbildungen des Menschen von klinisch bös¬
artigem Charakter, durch Parasiten hervorgerufen, auf Tieren ex¬
perimentell weitergezüchtet werden konnten. In seinem Werke „Die
Hefen als Krankheitserreger“, 1896, hat der Verstorbene alle dieses
Gebiet betreffenden Fragen eingehend erörtert.
Im Jahre 1904 wurde Busse zum Vorsteher der Pathologisch-
anatomischen Abteilung des Hygienischen Instituts in Posen als
Nachfolger von O. Lubarsch ernannt. Hier hat er sieben Jahre
lang gearbeitet und dem dortigen Institute eine mustergültige Samm¬
lung pathologisch-anatomischer Präparate hinterlassen. Von seinen
Arbeiten aus der Posener Zeit sei besonders erwähnt seine große
Monographie über die „Uebertragbare Genickstarre“, in der er die
Ergebnisse sorgfältiger makroskopischer und mikroskopischer Unter¬
suchungen an der Hand sehr schöner Abbildungen niedergelegt hat.
Als durch den Fortgang von Benno Schmidt im Jahre 1911
der Lehrstuhl für Pathologische Anatomie in Zürich frei wurde,
folgte Busse dem Rufe der Fakultät als sein Nachfolger. Jetzt
war ihm wieder Gelegenheit gegeben, die Lehrtätigkeit an einer
Universität, an der er mit allen Fasern seines Herzens hing, aus¬
zuüben. Und er verstand es ganz ausgezeichnet, auf seine Schüler
einzuwirken und ihnen die Liebe für Pathologische Anatomie ein¬
zuflößen. Seine große Lehrbefähigung hat er durch die Herausgabe
seines Buches „Das ObduktionsProtokoll“, das in mehreren
Auflagen eschienen ist, klar bewiesen. Aber nicht nur als Lehrer
und am Sektionstisch wird er seinen Schülern und Kollegen unver¬
gessen bleiben, sondern auch als ausgezeichneter Mensch. Busse
war ein offener, vornehmer Charakter, ein ganzer deutscher Mann.
Sein Tod bedeutet für weite Kreise einen schweren Verlust.
F. Landois (Berlin).
Karl Ludwig Schleich f.
Mit Karl Ludwig Schleich ist ohne Zweifel der Vater der
modernen lokalen Anästhesie dahingegangen. Die ältem Chirurgen
werden sich noch der unliebsamen Szene auf dem Chirurgenkongresse
des Jahres 1892 erinnern, welche auf die ungewohnte und heraus¬
fordernde Form der Veröffentlichung seiner in Wirklichkeit bahn¬
brechenden Resultate folgte. Dem jugendlichen Stürmer hat diese völ¬
lige Verkennung der Psyche eines Aerztekongresses seine akademische
Laufbahn gekostet. In Wöhlers Laboratorium war das Kokain er¬
funden. Die Methode der subkutanen Einspritzungen, von Pravaz
1853 angegeben, war schon von Wood propagiert, Liebreich
und seine Schule hatte organische und anorganische Verbindungen
auf ihren anästhesierenden Wert geprüft. So lag der Gedanke, mittels
Kokaineinspritzungen Operationen auszuführen, in greifbarer Nähe.
Die „Anaesthesia dolorosa“ Liebreichs hatte in Verbindung
mit der hohen Giftigkeit des Alkaloids die meisten Chirurgen abr
gehalten. Aber schon im Jahre 1887 hat unser auf manchem Neu¬
land der Chirurgie ebenso erfolgreicher wie zunächst auch ver¬
kannter Themistokles Gluck in der Berliner medizinischen Gesell¬
schaft eine Reihe von Patienten demonstriert, bei denen er große
operative Eingriffe mit dieser Kokainanästhesie gemacht hatte. Das¬
selbe hat auch zwei Jahre später der französische Meisterchirurg
Reelus in Paris getan. Schleich ging zweifelsohne zunächst von
dieser Kokainanästhesie aus, suchte aber schon frühzeitig durch
Herabsetzung der Dosis unter Anwendung eines gelinden Aether-
sprays die Eingriffe ungefährlicher zu madfien.
Nachdem er schon im Juni 1891 mehrere hundert Operationen,
darunter einige Laparotomien, mit dieser Jechnik ausgeführt hat,
verläßt er noch im Herbst desselben Jahres bewußt den Boden.*!er
reinen regionären Kokainwirkung und begründet seine Methode der
Infiltrationsanästhesie. Die hierzu nötigen Versuche stellt er. am
eigenen Leibe und an seinen Assistenten fest. Damit' war die erste
rationelle Methode einer Lokalanästhesie geschaffen, die dann bald
durch weitern Ausbau sowohl von Schleich wie andern Chirurgen
veredelt wurde. — Schleich hat zu jeder Zeit sein Verdienst hoch
eingeschätzt; er hat sich als Märtyrer gefühlt und sein Schicksal
mit dem andrer Erfinder und Entdecker verglichen. Und dies um
so mehr, weil, als endlich seine Methode Allgemeingut der Aerzte
eworden war, man sein Verdienst durch die besondere Anerkennung
er Reel us sehen Vorarbeit zu verdunkeln suchte. Das Pariser
Akademiegebäude der Medizin ziert ein Riesengemälde der Ge¬
schichte der Medizin. Unter den beinah hundert dort Dargestellten
befindet sich kein einziger Deutscher. Uns erwächst schon deshalb
in erster Linie die Pflicht, die wahren Großtaten in der Heilkunde
unserer Landsleute nicht selbst in den Schatten zu stellen.
Schleich war aller Künste Meister. Als ausübender Musiker,
Komponist und Sänger überschritten seine Leistungen den Dilettan¬
tismus. Nach der eisernen und nüchternen Umklammerung der Logik
Digitized b
Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
14. April 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
495
eines V ircfto w flüchtete er in die Tafelrunde geistig hochstehen¬
der Männer/' die er zu seinen Freunden zählte. Immer wieder wollte
er während seines Studiums nach der Kunstseite ausbrechen, Wurde
aber von dem gütigsten aller Väter eingefangen und in das
och des Medizinstudiums gezwängt. Alles das hat Schleich noch
urz vor seinem Tode in einem äußerst interessanten Memoirenwerk
mit bildhafter Sprache geschildert, welches er „Besonnte Vergangen¬
heit“ nannte. Diese dichterisch verschönte Lebensschilderung und
eine Reihe anderer populär medizinischer Schriften erregen zwar
beim Fachmann Kopfschütteln, sind aber durch das hinreißend dich¬
terische Talent des Erzählers, vor allem aber auch durch die phan¬
tastischen, aber immer geistvollen Hypothesen dem Laien verlockende
geistige Nahrung. So war das Leben dieses seltenen Mannes voller
Gegensätze, voller dionysischer Freuden, voller Enttäuschungen, voller
Tragik. Diese ist ihm oft genug selbst zum Bewußtsein gekommen.
Neben seine Porträtskizze schrieb er die Worte:
Wann wird mich, von der Qual befreit,
Der große Arzt der tiefsten Leiden,
Die „königliche Einsamkeit“
ln ihren schweren Purpur kleiden.
Holländer (Berlin).
Korrespondenzen.
Bemerkungen zu der Arbeit von Simon und Wolff „Ein
einfaches Verfahren zur Desinfektion des tuberkulösen
Auswurfes“ in Nr. 8.
Von P. Uhlenhuth in Marburg.
Simon und Wolff bringen in dieser Arbeit folgende Fußnote:
„Es scheint ungewöhnlich, daß Uhlenhuth in einer Anmerkung des
Kongreßberichtes bereits mitteilen kann, daß das von uns erprobte
Verfahren unwirksam sei. Nachprüfungen über ein Verfahren zu ver¬
öffentlichen, das in seinen Einzelheiten und in extenso noch nicht
öffentlich bekannt gegeben ist, war bisher nicht üblich.“
Dazu bemerken wir, daß unsere Nachprüfung erfolgt ist auf
Grund der von Wolff am 19.V. 1921 in Bad Elster zu meinem Vor¬
trag „Neue Verfahren zur Desinfektion tuberkulösen Auswurfes“ ge¬
machten Diskussionsbemerkung, in der er das in Frage stehende
Chlorkalk-Staßfurter-Salz-Verfahren unter genauer Angabe der Tech¬
nik 1 ) mitteilte. Es ist wohl allgemein üblich, eine öffent¬
lich auf einem Kongreß vorgetragene Mitteilung als
eine Veröffentlichung aufzufassen.
Im übrigen verweise ich auf die im Druck befindliche demnächst
im Archiv für Hygiene erscheinende Arbeit von Uhlenhuth und
Jötten: „Die Desinfektion tuberkulösen Auswurfes“ II. Mitteilung,
die auch die Protokolle unserer Versuche, die die Wirkungslosigkeit
des Verfahrens erweisen, enthält.
Kleine Mitteilungen.
— Berlin. Im Reichstag wurde ein Antrag auf Sicherung
der ärztlichen Versorgung bei den Krankenkassen, wo¬
nach statt ärztlicher Behandlung gegebenenfalls bare
Leistungen zu gewähren ist, angenommen. — Bei der dritten
Lesung des Umsatzsteuergesetzes wurde ein Antrag aller bürgerlichen
Parteien und der Sozialdemokraten angenommen, wonach ärztliche
und ähnliche Hilfeleistungen sowie Arznei und Heilmittel
zur Krankenpflege von der Umsatzsteuerpflicht frei bleiben.
— Abgeordnete aller Parteien haben den Antrag eingebracht, die
Reichsregierung zu ersuchen, alsbald eingehende Ermittlungen über
die wirtschaftlichen, gesundheitlichen und sittlichen Wirkungen der
Alkoholverbotsgesetzgebung in den Vereinigten Staa¬
ten von Nordamerika anzustellen, dem Reichstage die Ergebnisse
dieser Ermittlungen 1 zugänglich zu machen und zu erwägen, welche
Folgerungen aus diesem Material für die deutsche Gesetzgebung
zu ziehen sind.
— Bei der Beratung des Haushaltes des Reichsarbeitsministeriums
im Hauptausschuß gab der Reichsarbeitsminister Dr. Brauns eine
Uebersicht über die Gesetzgeburigsarbeiten des Reichs¬
arbeitsministeriums. Dem Reichstag sind vorgelegt: die Ge- i
setzentwürfe über Aenderung der Reichsversicherungsordnung, über
Aehderung des Versicherungsgesetzes für Angestellte, über die Er¬
richtung einer Reichsausführungsbehörde für Unfallversicherung. Fer¬
ner Gesetzentwürfe über Errichtung von Pflichtverbänden der Kran- '
kenkassen, über den Zusammenschluß von Trägern der Reichsver¬
sicherung zum Zwecke gemeinsamer Wohlfahrtspflege, über Rege¬
lung des Heilverfahrens, über die Pauschbeträge für die Spruch-
sacnen bei den Oberversicherungsämtern. In Bearbeitung sind Gesetze
zur Durchführung der Arbeiter- und Angestelltenversicnerung in den
besetzten rheinischen Gebieten, zur Regelung der Beziehungen
zwischen den Krankenkassen und Aerzten betreffend Einführung
obligatorischer Arzthilfe für die Familienmitglieder der Versicherten,
’) Die Technik hat uns Herr Wolff dann auch m.rh schriftlich am 29 V in ihren
Einzelheiten mttgeteilt.
betreffend die Rechtsverhältnisse der Angestellten bei den ^Ver-
Sicherungsträgern. Vom Vorläufigen Reichswirtschaftsrat begutachtet
und dem Reichsrat vörgelegt sind Gesetzentwürfe über die washing-.
toner Uebereinkunft vom 28. XL 1919 betreffend Arbeitslosigkeit, die
Nachtarbeit der Frauen, die Festsetzung einer Altersgrenze für die
Zulassung von Kindern zur gewerblichen Arbeit und über die ge¬
werbliche Nachtarbeit der Jugendlichen. — Im Hauptausschuß, des
Reichstags wurde eine Entschließung angenommen, welche die Re¬
gierung ersucht-, dem Reichstag umgehend einen Gesetzentwurf vor-
zulegen, der die Leistungen der Reichswochenhilfe und
Wochenfürsorge in Einklang mit der ei nge treten« n
Teuerung bringt.
— Zum Gesetzentwurf über Versicherungsgrenzen
und Rentenbemessung in der Unfallversicherung be¬
schloß der Reichs wirtschaftsrat, daß die Versicherungsgrenze
auf den 20fachen Betrag der Friedenssätze, also auf 100000 M. für
Betriebsbeamte und auf 60000 M. für selbstversichernde Arbeitgeber
erhöht werden sollen.
— Der Minister für Volks Wohlfahrt befaßt sich in einem
Erlaß vom 4. III. 1922 mit der Unterstützung und Errichtung
von Pflegeämtern für sittlich und sozial gefährdete
Personen. Es stehen dafür im laufenden Rechnungsjahr 400000 M.
zur Verfügung. — Der Minister für Volkswohlfahrt gibt unter dem
28.1.1922 bekannt, daß in den „Fragebogen für die Erhebun¬
gen über besondere Vorkommnisse bei den öffe ntl ich eu
Impfungen“ der Begriff des Im pf ery sipels oft unrichtig
aufgefaßt wurde. Als Erysipel gelten lediglich flachenhaft sich, aus¬
breitende, stark fieberhafte Hautentzündungen. — Nach einer weiteren
Verfügung des Ministers für Volkswohlfahrt vom 3. III.
1922 wurden die Gebühren für Medizinalbeamte um rund
900% erhöht. — In der Medizinal-Abteilung des Ministeriums für
Volkswohlfahrt fand am 4. III. eine Besprechung über die Schädi¬
gungen im Krankenhausbetrieb statt,die durch denStreik
entstanden waren. Es wurde dabei festgestellt, daß es zu einer
Reihe schwerer Schädigungen gekommen war (vgl. D. m. W. 9 S. 299).
Als Vorbedingung gegen solche Gefährdungen des Lebens kann nur
das sofortige Einsetzen der Technischen Nothilfe angesehen werden.
- Der Berliner Magistrat sucht für ein Krankenhaus einen
dirigierenden Arzt für die Innere Abteilung. Verlangt wird
„ein Arzt von anerkannter wissenschaftlicher Bedeutung
und reich an Erfahrung“. Dafür bietet der Magistrat eine
jährliche Vergütung von — 14000 M. und 93% Versorgungszuschlag,
also rund 26000 M. Ein dirigierender Arzt eines Krankenhauses wird
schlechter entlohnt als ein ungelernter Arbeiter! Da bei der Beendung
des nunmehr glücklich beigelegten Müllkutscherstreiks die Gebühren
der Müllkutscher auf 800 M. Wochenlohn (bei 3 Fuhren täglich) fest¬
gesetzt wurden, so stellt sich jährlich ein Abfallabführer um 12000 M.
höher als ein Arzt in einer sogenannten gehobenen Stellung.
— Die Schöneberger Bezirksversammlung hatte das Bezirksamt
ersucht, beim Magistrat für die Beibehaltung der täglichen
Reinigung der Schulen (vgl. Nr. 12 S. 398) vorstellig zu werden.
Der Magistrat lehnte aber aus fiskalischen Gründen die Aufhebung
der Verfügung über die nur dreimalige Reinigung der Schulen ’ab.
Bemängelt wurde auch die Verfügung des Magistrats, nach der die
Krankenhäuser nur zweimal in der Woche zu reinigen sind.
Die Verfügung über die zweimalige Reinigung der Krankenhäuser
soll in der Berliner Stadtverordnetenversammlung zur Sprache ge¬
bracht werden. (Es ist hier wie überall dasselbe Lied. Erst «nt-
spricht man allen maßlosen Forderungen der Scheuerfrauen* und
hinterher fehlen die Mittel für eine geordnete Reinigung.) .
— Die Akademie für Leibesübungen und die Zemträl-
turnänstalt in Spandau beabsichtigen . im Juni 14tägige Lehr¬
gänge für Aerzte abzuhalten, zu denen auch beamtete Kollegen
abgeördnet werden sollen.
— Der Deutsche Beamten-Wirtschaftsbund hatte im Mai vorigen
Jahres einen Kinderhilfstag veranstaltet, dessen Ertrag (1 Million
Mark) zur Schaffung preiswerter Erholungsmöglich¬
keiten, ferner zur Tuberkulosebekämpfung und zu ver¬
mehrter Fürsorge für Beamtenhinterbliebene verwendet
werden soll.
— Die Bremer Milchhändler haben nach vorhergegangerier
Besprechung einmütig erklärt, für den vom Senat und Bürgerschaft
festgesetzten Höchstpreis, 5.20 M. für den Erzeuger und 80 Pfennige
für den Händler, nicht mehr liefern zu können.
— Zu dem in Nr. M veröffentlichten Aufsatz „Aus dem'Kampf gegen
den Geheimmittelmißbrauch“ teilt Herr Kreisassistenzarzt Dr. Wein
berg in Bochum mit, daß das dortige Schöffengericht am 5. I. einen'Dro¬
gisten wegen Feilhaltens von Rad-Jo nach § 367, Ziffer 3 StGB, zu
einer Geldstrafe verurteilt hat. Bestimmend war für die gerichtliche
Entscheidung das Gutachten von Dr. W., wonach Rad-Jo zweifellos als Heil
mittel im Sinne der Kaiserlichen Verordnung vom 22. X. 1901 angesehen
werden müsse. In der Berufungsinstanz hat das Gericht beschlossen, ein
Gutachten des gerichtsärztlichen Ausschusses für die Provinz Westfalen ein
zuholen. Die Polizeidirektion Bochum hat überdies die dortigen
Drogisten darauf aufmerksam gemacht, daß ein FeilhalUii"ron
Rad-Jo nicht gestattet sei und daß sie sich im Falle des Zuwider -
handelns einer Strafverfolgung aussetzen. Die gleiche Verordnung
müßte auf Veranlassung der zentralen Gesundheitsbehörden von sämtlichen
Polizeibehörden erlassen werden. — Bel dieser Gelegenheit wollen wir unseren
Usern nicht vorenthalten, daß der „vielgewandte“ Rad-Jo-Fabrikant einen
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
496
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 15
neuen Reklametrick versucht hat, indem er einen Film unter dem ge¬
wiß bescheidenen Titel „Ein Wohltäter der Menschheit“ bei der Film¬
prüfungsstelle in Berlin einreichte. Selbstverständlich ist sein Antrag abgelehnt
worden.
— Das Kaiserin Auguste Victoria-Haus veranstaltet vom 29. V.
bis 5 . VII. einen öwöchigen Lehrgang für Aerzte über Ernährung,
Krankheiten und Fürsorge des frühen Kindesalters, der von jetzt ab
halbjährli.h stattfindet. Das Kurshonorar beträgt 1200 M. Anmeldungen an
das Kaiserin Auguste Victoria-Haus, Charlotten bürg 5, Mollwitz-Frankstr.
— In der Sitzung des Vereins für Innere Medizin und Kinder¬
heilkunde am 3. IV. fand die Generalversammlung statt. Der bisherige
Vorstand wurde wiedergewählt, Geh.-Rat Kraus zum Ehrenvorsitzenden
ernannt. Es fand sodann die Aussprache zum Vortrag von P. Lazarus Ueber
Radiothorium statt, an welcher sich Eweyk, O. Strauß und P. Lazarus
beteiligten. Hierauf folgte die Aussprache zuni Vortrag von O. Strauß
Die Strahlenbehandlung des Krebses. Es sprachen F. Blumenthal, Max
Cohn, Magnus-Levy, Westenhöfer, Levy-Dorn, Halberstädter,
Manfred Frankel und 0 . Strauß (Schlußwort).
— Der neueste Marktbericht über den Handel mitDrogen und
Chemikalien sieht wieder z. T. beträchtliche Preiserhöhungen vor:
Acid. acetylosalicylic. wurde um 35 M. das Kilogramm herauf¬
gesetzt; Aether sulfuric. (Schwefeläther) um 6 M.; Aspirin um
320 M.; Bismutsalze insgesamt um etwa 225 M.; Reincoffein
um 200 M. und die Doppelsalze um 45 M.; Collodium um 6M.;
Jodkali um 290 M.; Jodnatrium 333M.; Jodoform 386 M. und
resubl. Jod 348 M. pro Kilogramm. Phenacetin ist um 100 M. im
Preise gestiegen, Salizylsäure und Salizylnatron um 15 M.
— Die auf Anregung des brasilianischen Schriftstellers Dr. Cha¬
teaubriand in Brasilien veranstaltete Geldsammlung
zugunsten der notleidenden deutschen Wissenschaft
ergab den Betrag von 4 650000 M.
— In Kanada, Südafrika, Australien und Japan sind neuerdings
Ministerien für öffentliche Gesundheitspflege einge¬
richtet worden.
— Fleckfieber. Deutsches Reich (12.—18. Hi. mit Nachträgen): & — Genick¬
starre. Deutsches Reich (26. II.—4. III.): 35. — Ruhr. Deutsches Reich (26. II.— 4. III.):
43. — Abdominaltyphus. Deutsches Reich (26. II.—4. III.): 140.
— Augsburg. Geh.-Rat Schreiber, seit 37 Jahren Oberarzt
der Chirurgischen Abteilung des städtischen Krankenhauses, hat um
Enthebung von seinem Posten nachgesucht. An seine Stelle wurde
Prof. Fla eck er (München) gewählt.
— Braunschweig. Eine Bekanntmachung des Staatsministe¬
riums vom 12. I. verfügt eine staatliche Prüfung der Krank e n-
pflegepersonen, für deren Abhaltung die in Preußen bestehen¬
den Bestimmungen maßgebend sind (vgl. d. W. 1921 S. 1104). Auch
wird wie in Preußen eine 2jährige Ausbildungszeit gefordert.
— Breslau. Die Ostdeutsche Sozial-Hygienische Akademie ver¬
anstaltet vom 19. VI. bis 1. VII. 1922 einen Kurs der Sozialen
Zahnheilkunde.
— Dresden. Die Stadt Dresden hat zum Neubau des Deut¬
schen Hygiene-Museums einen Baubetrag von 3 Millionen
unter der Bedingung bewilligt, daß sich das Reich mit einem Beitrag
von 6 Millionen Mark und der Staat mit einem Beitrag von 3 Millionen
Mark beteiligt. Außerdem hat Dresden beschlossen, den laufenden
Beitrag für das Deutsche Hygiene-Museum auf 200 000 Mark zu
erhöhen, unter der Bedingung, daß der Staat 300000 Mark und das
Reich 500000 Mark zusteuern.
— Düsseldorf. Die Stadtverordneten bewilligten für den
Neubau der akademischen Frauenklinik 24 3 / 4 Millionen.
— Göttin gen. Das Preußische Kultusministerium hat die bisher
in der Anatomischen Anstalt in Hannover befindliche
Sammlung von älteren medizinischen Werken der Göt¬
tinger Universitätsbibliothek überweisen lassen. Diese Büchersamm¬
lung hat um das Jahr 1760 der Hofmedikus Johann Chr. Bruns
begründet und auf 2000 Bände und 2000 Dissertationen gebracht.
Die Bibliothek enthält Bestände aus älterer Zeit, wie sie selbst
die Bibliotheque Nationale in Paris und das British Museum m London
nicht besitzen.
— Jena. Dem Wohlfahrtsamt wurde aus Amerika für
kranke Kinder eine größere Summe zur Verfügung ge-
stellt. Aus diesen Mitteln wurde eine Kinderheilstätte mit Wald¬
schule errichtet.
— Köln. In der letzten Versammlung'des Deutschen Notbundes
gegen die Schwarze Schmach wies prakt. Arzt Dr. Rosen¬
berger auf die großen Gefahren hin, die Deutschland in der
rasch wachsenden Zahl der Fälle der tropischen Ma¬
laria durch die farbigen Besatzungstruppen drohen.
— Memel. Die hiesigen Krankenkassen haben den Aerzten
die halben Honorarsätze des deutschen Tarifes angeboten
und beschlossen, Nothelfer heranzuziehen, da die Aerzte sich weigern,
sich darauf einzulassen. Es ist selbstverständlich, daß kein deutscher
Arzt dem Ruf der Krankenkassen des Memelgebietes folgen und
unseren dortigen Kollegen in den Rücken fallen darf.
-- München. Die Zahl der Selbstmorde betrug in Bayern
1920 946 (gegen 1246 im Jahre 1913).
— Schwerin. Die Regierung hat unter dem 15. XII. 1921 ein
Gesetz über das Hebammen wesen erlassen.
— Stuttgart. Die Festsetzung der Arzthonorare für
das 1. Vierteljahr 1922 ist durch einen Schiedsspruch vom
4. 111. erfolgt. Nach diesem ist u. a. davon auszugehen, daß die am
1. IV. 1921 in Kraft getretene Krankenkassengebührenordnung dem
Stand der Teuerung, die in der Reichsteuerungsindexziffer ihren Aus¬
druck findet, zu entsprechen hat. Der Satz für eine ärztliche Beratung
beträgt, 10 M., für einen Besuch 20 M. vom 1.1.1922 an. Den
Teuerungsverhältnissen wird dadurch Rechnung getragen, daß ver¬
änderliche prozentuale Teuerungszuschläge nach dem Durchschnitt
der in den zuletzt abgelaufenen 3 Monaten festgesetzten Reichs¬
teuerungsindexziffern festgestellt werden. — Der AerztlicheVerein
beging am 2. IV. das Fest seines 50jährigen Bestehens.
— Tübingen. Prof. Gonser, Generalsekretär des Deutschen
Vereins gegen den Mißbrauch geistiger Getränke, wurde von der
Medizinischen Fakultät zum Ehrendoktor ernannt.
— Wien. Der japanische Gesandte hat der Universität
zur Behebung ihrer finanziellen Schwierigkeiten 6500000 K. gestiftet.
— Brüssel. Die Zahl der Syphiliskranken in Belgien wird
auf 1/2 Million geschätzt. Der oberste Gesundheitsrat schlägt daher
vor, die Syphiliskranken unentgeltlich ärztlich zu behandeln und mit
Schärfe gegen die Kurpfuscher vorzugehen. Die Reglementierung
der Prostitution hat sich nach der Darstellung des obersten Gesund¬
heitsrats nicht bew-ährt.
— Neuywrk. Die großen Privatvereinigungeil, die sich mit der
Pflege des öffentlichen Gesundheitswesens befassen, haben sich zu
einem National-Gesundheitsrat zusammengeschlossen.
— Hochscbulnachrichten. Dresden. Dr. Lahm, Vorstand des
wissenschaftlichen Laboratoriums der staatlichen Frauenklinik, wurde
zum Professor ernannt. — Erlangen. Geh.-Rat Penzoldt feierte am
25.III.sein 50jähriges Doktorjubiläum. — Heidelberg. Dr.Groß,
Assistent am Physiologischen Institut, hat sich habilitiert. — Königs-
! berg. Prof. Bruns (Göttingen) wurde zum o. Professor und Direktor
der Medizinischen Poliklinik als Nachfolger von J. Schreiber ernannt.
— Wien. Dr. Sgalitzer hat sich für Röntgenologie, Dr. Schlemmer
für Laryngo-Rhinologie habilitiert — Prag. Dr. Pamperl hat sich
für Chirurgie habilitiert.
— Gestorben. Geh. Med.-Rat Emil Berthold, der langjährige
Extraordinarius für Ohrenheilkunde der Königsberger Universität, im
85. Lebensjahr in Schleswig. Berthold war noch Helmholtz-
Schüler. Ursprünglich Ophthalmologe wandte er sich dann der Otologie
und Laryngologie zu. Unter seinen zahlreichen Arbeiten hat seine
Monographie über das künstliche Trommelfell allgemeine Be¬
achtung gefunden. Der ganze Begriff der Myringoplastik ist mit dem
Namen Emil Bertholds verknüpft — Dr. Schaumann, verdienst¬
voller Forscher über Botryozephalus-Anämie und Beri-Beri-Erkrankung,
im 66. Lebensjahr in Genf. — Prof. Julius Wi eting, Leitender Arzt
des Hamburgischen Seehospitals „Nordheim-Stiftung" in Sahlenburg bei
Cuxhaven, im Alter von 55 Jahren. 1902 w r urde er zur Reorganisation
der Medizin in der Türkei berufen und übernahm als Nachfolger Geh.-
Rat Rieders die Leitung des Lehrkrankenhauses Gülhane in Konstan¬
tinopel. 1915 kehrte er nach Deutschland zurück. Seine Veröffent¬
lichungen betreffen die Gesamtchirurgie, ferner den Burenkrieg, Balkan¬
krieg, Weltkrieg usw. — Dr.Merzweiler, Leiter des deutschen Kranken¬
hauses in Tiflis, an Flecktyphus. Im Sommer 1918 w r ar er als Militär¬
arzt mit den deutschen Truppen nach Tiflis gekommen. Als die
deutschen Truppen am 7.1.1919Tiflis verließen, blieb Dr.Merzweiler
als Chefarzt des deutschen Krankenhauses zurück. Seiner Umsicht
und Tatkraft war es zu verdanken, daß das deutsche Krankenhaus die
folgende schwere Zeit erfolgreich überstehen konnte.
— Literarische Neuigkeiten. Die Schriftleitung der Zeitschrift für
ärztlich-soziale*Ver*orgun?swesen hat Priv.-Doz. Christian anstelle
von Reg.-Med.-Rat Marie übernommen.
Aufruf an di« Aerzte I
Da manche ärztlichen Zeitschriften leider noch immer zu beanstandende
Anzeigen von Hermitteln aufnehmen, sieht sich der Unterzeichnete Ausschuß
genötigt, die für je*en gewissenhaften und wissenschaftli:h gebildeten Arzt
selbstverständliche Mahnung zu veröffentlichen, kein Arzneimittel zu ver¬
ordnen, dessen chemische Natur (insbesondere dessen chemische Bestandteile)
und pharmakologische Wirkungsweise nicht aus den Zeitschriften oder Lehr¬
werken bekannt sind. Andernfalls unterscheidet sich der Arzt bei der Ver¬
ordnung von Medikamenten nicht von einem Handwerker oder gar Kur¬
pfuscher.
Gegen Heilmittelanzeigen, welche offensichtlich übertrieben oder sogar
marktschreierisch erscheinen, insbesondere wenn solche auch in der Laien¬
presse, namentlich in den Tageszeitungen, veröffentlicht werden, soll der Arzt
von vornherein mißtrauisch sein.
Die Aerzte müssen von den Schriftleitungen der von ihnen gelesenen
medizinischen Zeitschriften verlangen, daß solche Anzeigen überhaupt nicht
aufgenommen werden. Auskunft über Arzneimittel erteilt die Geschäftsstelle
der Arzneimittelkommission der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin in
Jena (Prof. Holste) auf Anfragen. (Rückporto beilegen.)
Berlin, im April 1922.
Die Anzeigenprüfangskoniniission des Deutschen Aerztevereinshnndes:
Prof. Heffter, Prof. G. Klemperer, Prof. R. Lennhoff,
Prof. Schwalbe, Dr. Beckmann, Dr. Herzau, Obmann.
Digitized b"
Google
Original from
CORNELL UNfVERSITY
LITERATURBERICHT
Redigiert von Prot Dr. R. von den Velden.
Zeitschriften: Klinische Wochenschrift far. 12. — Münchener medizinische Wochenschrift Nr. 11. — Wiener klinische Wochenschrift Nr. 11 . — Fortschritte
auf dem Gebiet der Röntgenstrahlen Bd. 28 H. 6. — Virchows Archiv Bd. 234 H. 2-4, Bd. 235- — Zeitschrift für experimentelle Pathologie und
Therapie Bd. 22 H. l. — Deutsches Archiv für klinische Medizin Bd. 135 H. 3-4. — Zentralblatt für Chirurgie Nr. 9. — Mitteilungen aus den Grenz¬
gebieten der Medizin und Chirurgie Bi. 34 H. 2. — Zentralblatt für Gynäkologie Nr. 5-6. — Zeitschrift für Urologie Bd. 16 H. 2.
Biographie.
♦ Theodor Klrchhoff (Schleswig), Deutsche Irrenärzte. Ein-
zelbilder ihres Lebens und Wirkens. Bd. I. Berlin, J. Springer, 1921.
274 Seiten mit44 Abbildungen. Geb. M. 96.—. Ref.: Voß (Düsseldorf).
Es ist in unserer materiellen Zeit eine besondere Freude, ein Buch
empfehlen zu dürfen, das rein idealen, wissenschaftlichen Zwecken
dient. Der vorliegende l. Band umfaßt die Geschichte der Vorläufer
der deutschen Irrenheilkunde vom Ende des 18. bis etwa zum Ende
des 19. Jahrhundeis. Die einzelnen Abschnitte sind von zahlreichen
Mitarbeitern auf Grund eingehender Quellenstudien verfaßt und geben
ein anschauliches Bild vom Leben und Wirken unserer Vorgänger.
Allgemeine Pathologie und Pathologische Anatomie.
44 Hermann Rautmann (Freiburg), Untersuchungen über
die Norm, ihre Bedeutung und bentimmung. Jena,G. Fischer,
1921. 115 Seiten mit Abbildungen und Tabellen. M. 30.—. Ref.:
Schaxel (Jena).
Der Begriff der Norm hat besonders für die Konstitutionspatho¬
logie Bedeutung, spielt aber in der Biologie überhaupt eine große
Rolle. In Physik und Chemie wird nach Uebereinkommen als normal
bezeichnet, was in praktischer Hinsicht eindeutig und endgültig bestimmt
ist und als Ausgangswert dient, mit dem andere vergleichbare Gegen¬
stände in Beziehung gesetzt werden. In der Biologie haftet der Norm
eine große Unbestimmtheit an. Rautmann strebt nach einer objektiven
und empirischen Normbestimmung. Er will „alle diejenigen Befunde
normal nennen, die in der Regel d. h. am häufigsten oder zum min¬
desten bedeutend häufiger als gewisse andere Befunde Vorkommen".
Die Häufigkeitsangabe der Norm wird rechnerisch mit Hilfe der
Fechnerchen Kollektivmaßiehre erfaßt. Das von Fechner ange¬
gebene logarithmische, zweiseitige Gaußsche Gesetz stellt wahr¬
scheinlich ein in der Biologie fast allgemein gültiges Verteilungs¬
gesetz dar, da es sowohl bei beliebig' starker Asymmetrie der Ver¬
teilung wie bei beliebig starker verhältnismäßiger Schwankung
anwendbar ist. Im einzelnen wird die Bestimmung des Normaltypus
eines jungen Deutschen im Alter von 24 Jahren durchgeführt. Aus
einem reichen tabellarisch dargestellten und rechnerisch verwerteten
Material ergibt sich: Körpergröße 165—175 cm, Gewicht 60—72 kg,
Brustumfang 82—89 cm, Brustspielraum 5,5—8,5 cm, systolischer Blut¬
druck 140—170 cm Wasser, Herz 12,5—14,2 cm, Puls 65—78 in der
Minute. Zu der mathematischen Häufigkeitsangabe tritt die Beurteilung
des biologischen Befundes nach seiner Wertigkeit. Ihre Definition
als Daseinsfähigkeit wird enger gefaßt als Wertigkeit vom ärztlichen
Standpunkt aus usw. Die Berücksichtigung der Desonderen Art des
Kollektivgegenstandes findet darin ihren Ausdruck.
Gedenkband zum 100. Geburtstag Rudolf Virchows. Virch. Arch. 235.
Dieser Gedenkband sollte ein vollständiges Bild Virchows auf allen
Gebieten seiner Betätigung geben und das wäre in hervorragender
Weise gelungen, wenn nicht der angekündigte Aufsatz von Schloß-
mann „Vircnow als Politiker" im letzten Augenblicke ausgeblieben
wäre. Hier kann nur der Titel der vielen anregenden und interessanten
Aufsätze angeführt werden: O. Lubarsch, Biographische Einlei¬
tung. — J. Orth, R. Virchow vor einem halben Jahrhundert.
Persönliche Erinnerungen. — G. Falk,^ Ueber Virchows geplante
Berufung nach Gießen 1849. — P. Ernst, Virchows Zellularpatho¬
logie einst und Jetzt. — L. Aschoff, Virchows Lehre von den
Degenerationen (passiven Vorgängen) und ihre Weiterentwick¬
lung. — O. Lubarsch, Virchows Entzunduogslehre und ihre
Weiterentwicklung bis zur Gegenwart. — A. Dietrich, Die
Entwicklung der Lehre von der Thrombose und Embolie seit
Virchow. — M. Löhlein, R. Virchow und die Entwicklung
der Ätiologischen Forschung. — O. Lubarsch, Die Virchowsche
Geschwulstlebre und ihre Weiterentwicklung. — L. Jores, Die
E|ntWicklung der Lehre von der Arteriosklerose seit Virchow. —
M. B. Schmidt, Virchows pathologisch-anatomische For¬
schungen über die Erkrankungen des Knochensystems. — Fr.
Kraus, R. Virchow und die heutige Klinik. — G. P. Sacharoff,
R. Virchow und die russische Medizin. — Pio Foa, Virchow in
Italien. — Katsüsaburo Yamagiwa, Virchows Einfluß auf die
japanische Medizin. — E. Hesse, R. Virchow und die öffentliche
Gesundheitspflege. — v. Luschan, R. Virchow als Anthropologe. —
J. Ewing, Der Einfluß Virchows auf die medizinische Wissen¬
schaft in Amerika.
Borchardt (Königsberg), Infantilismus. D. Arch. f. klin. M. 138
H. 3/4. Der Begriff des Infantilismus kann mit dem Begriff der all¬
emeinen gleichmäßigen körperlichen und geistigen Entwicklungs-
emmung gleichgestellt werden. Der Infantilismus kann durch Ver¬
erbung oder Keimschädigung (blastogene Störungen^ wie auf Grundlage
endokriner Störungen oder durch Dystrophie (somatische Störungen)
bedingt werden. Als Ursachen des erworbenen Infantilismus sind
Unterfunktion endokriner Drüsen, Infektionen, Intoxikationen, Ernäh¬
rungsschäden bekannt geworden. Ein Teil dieser bekannten Schäden
wirkt durch Mangel des wachstumsreizenden Lezithins.
K. Dresel (Berlin), Einfluß des vegetativen Nervensystems auf
die Adreoatinblutdruckkurve. Zschr. f. exper. Path. u. Ther. 22 H. 1.
Nach subkutaner Injektion von 1 ccm käuflichen Suprarenins wird der
Blutdruck zunächst etwa alle 2—3 Minuten und nach 10 Minuten alle
5 Minuten bestimmt und in ein Koordinatensystem eingetragen, in
welchem für 10 Minuten die gleiche Länge wie für 10 mm Hg gewählt
ist. Man erhält so Kurven, die bei Vagotonischen S-förmig ansteigen
oder erst nach einigen Minuten ansteigen oder in ganz schweren
Fällen zuerst Blutdrucksendung zeigen. Bei Sympathikotonischen er¬
folgt sehr rascher steiler Anstieg und etwas weniger steiler Abfall der
Kurve. Die bei ausgeglichenem vegetativem Nervensystem gefundene
Kurve wird als Resultante der Vagus- und Sympathikuskurve aufgetaßt.
Durch reichliche Atropinmedikation läßt sich eine vagotonische Adre¬
nalinblutdruckkurve in eine sympathikotonische verwandeln. Für die
Uebererregbarkeit im vegetativen Nervensystem wird angenommen,
daß der Regulationsmechanismus fortgefallen ist, der, dem Vagus und
Sympathikus übergeordnet, normalerweise dafür sorgt, daß durch einen
Synergismus beider Systeme möglichst schnell bei Erregung des einen
oder anderen ein Gleichgewicht wieder hergestellt wird.
W. Arnoldi und E. Kratter, WArmeprodnktioa bei Diabetes
mellitus. Zschr. f. exper. Path. u. Ther. 22 H. 1. Unter Berücksichti-
ung von Ernährungslage, Stoffwechsellage und Ernährungszustand
rauchen die Verbrennungsprozesse bei Diabetischen und Nichtdiabe¬
tischen nicht prinzipiell getrennt zu werden. Bei den Zuckerkranken
liegt der Schlüssel zum Verständnis in dem Kh-Verbrauch. Der un¬
genügenden Kh-Verwertung folgt Einschmelzen des Körperfettes und
damit gleichzeitich zunächst geringer, später stärkerer Eiweißabbau. Es
tritt dann eine negative N-Bilanz hervor und die Wärmeproduktion ist
erhöht, bis endlich sub finem vitae der Vorrat an Kraftspendern auf¬
gebraucht ist und Gaswechsel und Wärmeproduktion sinken.
F. March and, Entzüudungebegriff. Virch. Arch. 234 H. 2/3. Sehr
lesenswerte kritische Studie. Marchand schlägt vor, sich darüber
zu einigen, daß man die durch eine schädigende Ursache unmittelbar
herbeigeführte degenerative Veränderung von den Entzündungsvor¬
gängen trennt, und gibt dann folgende biologische Definition: „Wir
verstehen demnach unter .Entzündung*, ,entzündlich* eine Reihe von
reaktiven Vorgängen an den Gefäßen und dem Gewebe, die nach
Einwirkung von Schädlichkeiten phsykalischer, chemischer und infek¬
tiöser Art in gesetzmäßiger Weise verlaufen und im günstigen Falle
zur Beseitigung der Schädigung und dadurch zur Heilung führen."
Im einzelnen wird besprochen: die Entzündungstheorie L. Aschoffs
und G. Rickers, Entzündung und Nekrose, die progressiven Ver¬
änderungen, die lokale vasomotorische Reaktion, Bildung von Exsudat¬
zellen aus Gewebszellen; Lymphozyten.
A. Kuttner (Berlin), Entzündung und Nerveosystem. Kl.W.Nr.12.
Beitrag zu der Arbeit von F. Friedrich und M. Winkel. Kl.W.Nr. 1.
Fall von Jodoedem des Kehlkopfs bei einseitiger Rekurrenslähmung,
wo nur die gesunde Seite das Oedem zeigte, während die kranke
Seite vollständig frei blieb. Also auch hier ein unzweifelhafter Ein¬
fluß des erkrankten Nerven auf die Reaktion des Gewebes bei interner
Jodmedikation. Im Gegensatz zum Kaufmann-Winkelschen Falle
fehlte hier die Reaktion ganz und gar auf der Seite des gelähmten
Nerven.
H. Löwenstädt, Zeitiger Gewebeabbau und seine Beziehung
zur Eiterung. Virch. Arch. 234 H. 2/3. An Plasmakulturversuchen vor
allem mit Herzklappen und Korneagewebe wird im Wesentlichen die
Richtigkeit der objektiven Befunde von Grawitz und seinen Schülern
bestätigt. Bei der Deutung der Befunde ist aber eine Entscheidung
für oder gegen Grawitz nicht mit Sicherheit möglich.
M. H. Kuczynski, Pathologie der Abwehrleistungen. Virch. Arch.
234 H. 2/3. Untersuchungen (z. T. mit E. Wolf f) über den Verlauf und
die Ausdrucksformen von Infekionen der Maus mit wenig virulenten
Streptokokken und Erfahrungen an spontanen und Impftumoren der
Mäuse. U. a. wird eingegangen auf die Reaktion der Milz, auf die
Entstehung der Plasma- und Riesenzellen und der Blutplättchen.
E. Joest, Biologische Einteilung der Mißbildungen« Virch. Arch.
234 H. 2/& Joest unterscheidet Variationen, Anomalien, Mißbildungen
im engeren Sinne.
K. A. Heiberg, Haut-Epithel-Atypie bei Krebs- und Granolatlons-
gewebe und die diagnostische Verwendung der Kerngröße.
Virch. Arch. 234 H. 2/3. Es wird versucht, aus der Kerngröße ein
Unterscheidungsmerkmal zwischen atypischer Epithel Wucherung und
Karzinom zu gewinnen. Der Befund sehr großer Kerne soll beweisend
für Karzinom sein.
Dosquet, Meta«tisenbilduog bei primireo Lungen- und Rron-
chialkrebsen. Virch. Arch. 234 H. 2/3. Auf Grund eines großen Materials
wird die starke Bevorzugung von Gehirn und Nebennieren bei der
Metastasierung von Lungen- und Bronchialkrebsen festgestellt.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNiVERS!T7
498
LITERATURBERICHT
Nr. 15
. P.»J. Lang, Karzinosarkome d*B Oesophagus; Virch. Acch. 234
H; 2 3.. Mitteilung von 2 Fällen mit makroskopischen: und mikro¬
skopischen Bildern.
F. J. Lang, Durch Leptotbrix-Infektfon bedingte Leberlnfarzie-
rting in einem Falle von kallösem Ulcus duodeoi. Virch. Arch.234
H. '2/3. Der interessante Befund wurde bei einem 26jährigen Manne
erhoben, der zwei Tage nach der Operation desJUlkus gestorben war.
ln den erweiterten Pfortaderverzweigungen und den Aesten der Leber¬
arterie hatten sich mächtige Anhäufungen der Fadenbildung entwickelt
und zur Nekrose des entsprechenden Lebergewebes geführt
£. Joest, Pathogenese des Intestinalemphysems (Pneumatosis
cystoides intestini). Virch. Arch. 234 H. 2/3. Joest wendet sich gegen
die Ansicht PI enges, daß das Intestinalemphysem beim Menschen und
beim Schwein die gleiche Pathogenese hat. Im Gegensatz zu PI enge
ist nacdi Joest das Gas in den Zysten ein Produkt von Bakterien.
i E. K. Wolff (Berlin), Nierenveränderungeo bePDiphtherie. Kl. W.
Nr. 12, Untersuchungen ausgeführt an der weißen*Maus. Der Prozeß
entspricht einer sogenannten Nephrose: degenerativejVorgänge an den
Epitljelien der gewundenen Harnkanälchen ohne Beteiligung des Inter-
stifiums und der Gefäße mit beachtlicher Neigung zum regenerativen
Frsätz zugrunde gegangener Teile.
H. v. Meyenburg, Subseröse Zystenbilduugen. Virch. Arch. 234
H: 2'3- In 3 Fällen von Serosazysten des Uterus zeigten die Patien¬
tinnen gleichzeitig an anderen Stellen Karzinome. Eine Durchsicht der
Literatur ergibt, daß dieses Zusammentreffen von Serosazysten und
anderweitigen Karzinomen so häufig ist, daß eine Beziehung anzu¬
nehmen ist. Nach Ansicht des Verfassers sollen die Träger epithelialer
Geschwülste die Neigung haben, spontan Gebilde hervorzubringen,
die echten Geschwülsten gleichen.
W. Reckendorf, Cborionepitbeliom des Hodens. Virch. Arch.234
H. 2/3. Reines Chorionepitheliom mit Metastasen bei einem 24jährigen
Soldaten.
P. Schneider, Angeborene Frühsyphilis im Knocbensystem, die
Osteochondritis und Periostitis syphilitica congenita, in
ihren Beziehungen zur Spirochätenverbreitung. Virch. Arch.
234 H. 3/4. - Auf Grund umfassender Untersuchung von 41 Fällen von
angeborener Syphilis (Totgeburten, vorzeitig Lebendgeborene, Säuglinge
bis zum Alter von 3 Monaten) wird in sehr übersichtlicher Form ein BiTd
der Spirochätenverbreitung in Beziehung zur Erkrankung des Knochen-
syStems gegeben. Die Spirochätenausbreitung wird als typisch und
sytematisch erkannt, es lassen sich frische, rückgängige und fort¬
schreitende Infektionen unterscheiden; die verschiedenen Formen der
Osteochondritis, Osteomyelitis und Periostitis sind als lokal entzünd¬
liche Gewebsreaktion auf die Spirochätose zu verstehen. Die Knochen¬
erkrankungen der kongenitalen Spätsyphilis werden als Lokalrezidive der
köngenitalen frühsyphilitischen Knochenerkrankungen gedeutet, aus¬
gehend von Spirochätenrezidiven im Knochengewebe. Zahlreiche gute
Abbildungen, ausführliche Mitteilung der einzelnen Fälle und eine
tabellarische Uebersicht erhöhen noch den Wert der Arbeit.
Martha Schmidtmann, Multiple Myelome. Virch. Arch. 234
H. 2/3. Mitteilung eines Falles von Myelom, bei dem die Knoten im
Knochen aus Plasmazellen bestanden. Ergänzend wird ein Fall erwähnt,
in dem es sich um eine diffuse Hyperplasie des Knochenmarkes mit
Beteiligung aller Knochenmarkszellen handelt.
F. H. Lewy (Berlin), Histologische Veränderungen im Gehirn bei
hyperkinetischen Erkrankungen der Maos nach Dipbtherieiofektion.
KL W. Nr. 12. In den Gehirnen der Diphtheriemäuse waren die kleinen
neostriären Zellen stets, der zentrale Thalamuskern meist, die grenz¬
zeiligen hypothalamischen Teile mehrmals erkrankt, und zwar ließ
sich je nach dem mehr oder weniger rasch tödlichen Verlauf eine
diffuse perakute, mehr miliare Nekrose ohne Gliareaktion, eine suba¬
kute miliare Erkrankung mit frustaner Gliareaktion und eine mehr
chronische Schädigung der genannten Zeilen nachweisen, von denen
die .letzteren histologisch den bei der chronischen Chorea des Menschen
beschriebenen Veränderungen weitgehend glichen. Beziehungen zu
Gefäßen, proliferative und infiltrative Vorgänge an diesen, fehlten völlig.
Strahlenkunde.
Eckert (Berlin), Abhängigkeit des'Röntgeostrahleospektrnms von
de r Spaonunjrskurve. Fortschr. d. Röntgenstr. 28 H. 6. In der Theorie
gebührt der Sinuskurve der Vorzug vor der Spitzkurve, falls es auf
möglichst gleichmäßig hohe Spannungen ankommt. Beim jetzigen
Stande der Röntgentechnik wird aber in dieser Hinsicht durch die
Spitzkurven liefernde Hartstrahlmaschine das Ziel rationeller erreicht.
• L. Halberstaedter und AlberTSimons (Berlin), Reizwirkling
d er Röntjrenstrahlen. Biologische Ergebnisse aus Versuchen an Pflanzen.
Fortschr. d. Röntgenstr. 28 H. 6. Bestrahlungen an vorgekeimten Bohnen*
und Weizensamen ergaben je nach der Dosis und der Strahlenemp-
findlichkeit einen mehr oder weniger starken Wachstumsreiz oder Reiz
mit nachfolgender Hemmung oder Schädigung gelegentlich mit nach¬
folgender Erholung (eventuell nach anfänglichem Reiz), endlich Zell¬
tod, ebenfalls gelegentlich nach anfänglichem Reiz.
Allgemeine Diagnostik.
Rudolf Martin (München), Aathropometrle. M, ml W. Nr..11.
Ausführliche Beschreibung der*vom Verfasser angewandten anthropo-
metrischen Technik (siehe Abbildung). Die anthropometrische Beob¬
achtung kann die klinische Diagnose des Körperbaus in wesentlichen
Punkten ergänzen, in vielen Fällen ist sie für die Prognose verwertbar.
Van der Reis (Greifswald), Ausbau der Darmpatronenmetfaode.
Kl. W. Nr. 12. Beschreibung und Empfehlung eines Verfahrens, die
Patronen, welche an eintm Schlauch in den oberen Dünndarm herab¬
gelassen und dort zunächst nur durch Einpressen einiger Kubikzenti¬
meter Flüssigkeit abgestoßen wurden, auf demselben Wege per os
wieder zurückzubefördern. Die Gefahr, durch den Schlauch selbst
oder durch das Hochziehen eine Invagination oder einen Volvulus
hervorzurufen, ist gering. Trotzdem bestehen vorläufige Bedenken,
diese Methode auch für das Zökum anzuwenden. Das Verfahren
bildet eine Erweiterung und Vereinfachung der Untersuchung des
Dünndarms.
Allgemeine Therapie.
Q. Bucky (Berlin), Anleitung zur Diathermiebehandlung.
Wien, Urban & Schwarzenberg, 1921. 160 Seiten mit 129 Ab¬
bildungen. M. 24.—. Ref.: Otto Strauß.
Das kleine Buch von Bucky stellt eine vorzügliche Anleitung für
die Ausübung des Diathermie-Verfahrens dar. Es enthält zahlreiche,
für die Praktiker sehr wertvolle Abbildungen, wie es überhaupt der
Zweck der ganzen Schrift ist, ausschließlich der praktischen Betätigung
zu dienen. Daß Bucky auch in diesem Buche in Anlehnung an
BergoniS für die Verwendung der trockenen Elektrode eiutreten
und die feuchte Elektrode als unzweckmäßig verwerfen würde,
mußte man nach seinen Ausführungen über die Applikationstechnik
der Diathermie-Ströme auf dem IV. Internationalen Kongreß für Phy¬
siotherapie (1913) erwarten. Unter vielen Vorzügen des Buckyschen
Buches möchte ich noch besonders die anschauliche Darstellung der
Anwendung der Diathermie bei gonorrhoischen Erkrankungen her¬
vorheben.
E. Aschenheim und S. Mayer (Düsseldorf), Einflnfi des Lichtes
auf das Blut. Zschr. f. exper. Path. u. Ther. 22 H. 1. 220 Bhrtnnter-
suchungen an 16 Kindern bei dauernder Einwirkung des natürlichen
und künstlichen Lichtes ließen einen Einfluß des Lichtes auf die zellu¬
läre Zusammensetzung des Blutes bei allen bestrahlten Kindern fest¬
stellen. Prinzipielle Unterschiede in der Wirkung natürlicher und
künstlicher Belichtung wurden nicht beobachtet. Die Reaktion be¬
stand in einer Vermehrung der ungranulierten, einkernigen Zellen unter
besonderer Beteiligung der großen Mononukleäreu. Diese Vermehrung
erfolgte zumeist auf Kosten der polymorphkernigen, neutrophilen Leu¬
kozyten. Eosinophile und Mastzellen blieben im ganzen unbeteiligt.
Die Intensität der Reaktion war abhängig von der Dauer der Bestrahlung
und von dem jeweiligen Krankheitszustande bzw. der Reaktionsfähig¬
keit des Kindes. Alter des Kindes und die Art der Erkrankung be¬
einflußte auch die Art der Reaktion.
K. Retzlaff (Berlin), Verhalten des Chinins im menschHcheaOr¬
ganismus. Zschr. f. exper. Path. u. Ther. 22 H. 1. Die Ursache des
mangelhaften Effektes von Chinin in manchen Fällen von Malaria ist
nicht eine Gewöhnung des Organismus an das Chinin. Es ist dabei
weder eine vermehrte Zerstörung des Chinins, noch eine sonstwie
eänderte Reaktion des Körpers auf das Chinin nachzuweisen. Das in
as Plasma gelangende Chinin wird sehr schnell von den Erythrozyten
aufgenommen. Der Chiningehalt des Blutes 2—6 Stunden nach Ein¬
nahme von 0,3 Chinin bewegt sich zwischen 1:130000 und 1:200000,
hat später wesentlich niedrigere Konzentration. Der zweckmäßigste
Zeitpunkt für die Einnahme der prophylaktischen Chinindosis ist die
Zeit etwa 1 Stunde vor der Abenddämmerung. Besteht die ganze Nacht
hindurch die Infektionsgefahr, ist es erforderlich, die Dosis von 0,3 g
Chinin 5 Stunden nach der ersten zu wiederholen.
A. Holste (Jena), Prüfung von Herzmitteln. Zschr.f.exper.Path.
u. Ther. 22 H. 1. Bei der Ganzfroschmethode spielt das Lösungsmittel
des Herzmittels, seine Reaktion, das Vorhandensein oder Fehlen von
Ballaststoffen, die Wahl des Lymphsacks, sein Füllungsgrad, individu¬
elle Verschiedenheiten der Resorptionsgeschwindigkeit und Entgiftung
eine so einschneidende Rolle, daß große Schwankungen in den Still¬
standszeiten beobachtet werden, die nicht durch die wirksamen Körper
selbst verursacht sind. Im Gegensatz dazu gestatten die verschiedenen
Verfahren des isolierten Froschherzens eine genaue Fixierung des
Augenblicks, wo die Giftwirkung am Herzen einsetzt, und ergeben
innerhalb der durch biologische Möglichkeit gezogenen Grenze über¬
einstimmendere Stillstandszeiten.
E. Frey (Marburg a. d. L.), Wirkung von diazetyliertem Helleborein
auf das Froschherz. Zschr. f. exper. Path. u. Ther. 22 H. 1. Nach
Versuchen am isolierten Froschherzen an der Straubschen Kanüle ver¬
wandelt die Abspaltung des Essigsäurerestes aus dem Helleborein die
Wirkung des Körpers ins Gegenteil. Während Helleborein wie alle
Digitaliskörper zu einer Verzögerung des Wiederaufbaus der Milch¬
säure zu ihrer zersetzbaren Muttersubstanz führt, führt deazetyliertes
Helleborein, wie es in alten Helleboreinlösungen auftritt, zu einer Be¬
schleunigung des Aufbaus potentieller Energie, wodurch eine Extra¬
systole ein höheres Niveau erreicht als die normale Zuckung. Die
Pulse werden kleiner, die Refraktärzeit ist verkürzt.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNEIL UNiVERSSTY
14. April 1922
LITERATURBERICHT
499
Innere Medizin.
♦♦ Jos. Lothar Entres (Eglfing), Zur Klinik und Vererbung
der rluntiagtonachen Cnorea (Küdin, Studien über Vererbung
und Entstehung geistiger Storungen lil). Berlin, J. Springer, 1921.
149 Seiten mit iateln und Abbildungen. M. 88.—. Ref.: R. Hirsch¬
feld (Berlin).
Das vorliegende Buch enthält den heutigen Besitzstand an ge¬
sichertem Wissen über die Huntingtonsche Cnorea. Nach einer ein¬
gehenden klinisch und pathologiscn-anatomischen Schilderung von
15 Fällen Huntingtonscher Chorea bespricnt Verfasser die Symptoma¬
tologie der Erkrankung. Bei ungewönnlich frühem Ausbrucn spielen
auslösende Ursacnen eine wichtige Rolle, z. B. da» zufällige Zusammen¬
treffen der Anlage zur Huntingconscnen Chorea mit anderen erblich-
degenerativen Anlagen des Zentralnervensystems. Diejenigen Formen
choreatischer Bewegungsstörungen, welche nach Aetiologie und Verlauf
je in sictr zusammengehörige Krankneitsbilder liefern, das sind die Syden-
hamsche und die Huntingtonsche Chorea, muß man als Krankheiten
9ui generis weiter festnaiten. Die übrigen Choreaformen muß man
vorläufig noch als symptomatisch ansehen. Zwischen Huntingtonscher
Chorea und genuiner Epilepsie besteht kein erbgenetischer Zusammen¬
hang. Wenn beide Leiden gleichzeitig Vorkommen, hat jedes seine
besondere Entstehungsursache. Dasselbe gilt von den Beziehungen
von Schwachsinn, den Psychosen und Neurosen und Huntingtonscner
Chorea. Die Huntingtonsche Chorea befällt mit ungefähr gleicher
Häufigkeit beide Uescnlechter. Sie vererbt sich stets in direkter Linie.
Die Nachkommenschaft gesund gebliebener Familienmitglieder ist dau¬
ernd von der Krankheit verschont; in fast jeder Generation mit ge¬
nügend großer Kinderzahl, die von einem kranken Elter abstammt,
finden sich Choreakranke. Unzweifelhaft echte Fälle von Huntington¬
scher Chorea; bei denen gleichartige und direkte erbliche Belastung
mit voller Bestimmtheit ausgeschlossen werden konnte, sind bisher
nicht veröffentlicht worden. Verfasser kommt auf Grund seiner Unter¬
suchungen an der Hand ausführlich mitgeteilter Stammbäume zu dem
Schlüsse, daß die Huntingtonsche Chorea im Erbgange einem unab¬
änderlichen Gesetze folgt, nämlich dem Gesetze der dominanten Ver¬
erbung. Nach einem kurzen Ueberblick über die pathologisch-anato¬
mischen Befunde bei der Huntingtonschen Chorea bilden den Schluß
des Buches rassenhygienische Betrachtungen, die in der Warnung
gipfeln, in eine Chorealamilie einzuheiraten, während man das Heiraten
von Personen gestatten kann, die einer gesund gebliebenen Linie einer
Choreafamilie angehören.
K. Bingold, Anaörobe Bakterien als Infektionserreger septischer
interner Erkrankungen. Virch. Arch. 234 H. 2/3. Schilderung des
klinischen Bildes der septischen Erkrankungen durch anaerobe Strepto¬
kokken, anaerobe Staphylokokken und Gasbazillen.
F. Hutter (Wien), Lokalisation des Qelenkrheomatismos im Kehl¬
kopf. W. kl. W. Nr. 11. Mächtige blaß-ödematose Schwellung des
rechten Aryknorpels. Rechte Kehlkopfhälfte unbeweglich, rechtes Stimm¬
band leicht abduziert Prompte Wirkung von Aspirin.
Franz M. Grödel (Frankfurt a. M.-Nauheim), Röntgenfanktions-
nrifuog des Herzens. D. Arch. f. klin. M. 138 H. 3/4. Für die Beur¬
teilung des Herzens bei der Röntgenuntersuchung kommen Schattenform
des Herzens bei verschiedenem Tonus, Herzpulsation, Formverände-
rang durch Aenderung des Zwerchfellstandes, Herzgrößenbe9timmung
(Fra^e der dosierten Arbeit) als direkt feststellbare Momente in Betracht
Als indirekte Faktoren — Dekompensation — müssen die Stauungs¬
erscheinungen in der Lunge und an der Pulmonalis berücksichtigt
werden. (Beschattung der Hilusgegend frühzeitiges Röntgensymptom
der Insuffizienz. — Schlaffer Aktionstyp und schlaffe Silhouttenforra
bei Degeneration.)
A. Hafner (Augsburg), Akute diffuse. Interstitielle Myokarditis.
D. Arch. f. kl. M. 138 H. 3/4. Kasuistische Mitteilung: Auftreten im
Anschluß an eine fieberhafte Erkrankung „Grippe", klinisch leichte
Herzverbreiterung, Dyspnoe, beschleunigte, extrasystolische Schlag¬
folge; anatomisch zeitig entzündliche Infiltrate.
Christian und Frick (Berlin), Röntgenbefund bei chronischem
partiellen Herzaoeurysma. Kl. w. Nr. 12. Kasuistik.
Walther Amelung (Frankfurt a. M.), Doppelte Konturierung des
Henschattens im Röntgenbilde bei Perikarditis. Fortschr. d.
Röntgenstr. 28 H. 6. 2 Fälle, von denen der eine autoptisch, wenigstens
was die Diagnose „Erguß im Perikard" betrifft, bestätigt werden konnte.
Die Reproduktion der Bilder läßt die charakteristische Zeichnung leider
nicht erkennen.
E. Weiß und M. Holland (Tübingen), Morphologie und Topo¬
graphie der Hautkapillaren. Zschr. f. exper. Päth. u. Ther. 22 H. 1. An
dem von Weiß aufgestellte'n Normaltypus der Hautkapillaren am
Nageirand wird festgehalten. Lokale Verhältnisse — Einwirkungen
beruflicher, chemischer und aktinischer Art — sind zu berücksichtigen.
Abweichungen vom Normaltyp bei scheinbar Gesunden (7 Fälle) ließen
durch genaue Anamnese und Beobachtung Konstitutionsanomalien er¬
kennen. Bei Kranken ist von der Norm abweichender Kapillarbefund
meist Ausdruck vasoneurotischer oder bestimmter konstitutioneller
Veranlagung, häufig auch ein Symptom toxisch infektiöser Einwirkung.
Die Kapillaruntersuchung erleichtert in vielen Fällen die Diagnose. Es
lassen sich die Papillargefäße der gesamten KörperoberfTäche der
mikroskopischen Betrachtung unterziehen. Die Befunde werden be¬
schrieben und abgebildet. Die Stelle am Fingernagelrand ist zur Beob¬
achtung zunächst die geeignetste.
Rudolf Schräder (Frankfurt a. M), Veränderungen im Verhalten
der Dicht® der KaolHürwaadung und deren .Nachweis durch dars
EadotheUymptum. Mitt. Grenzgeb. 34 H. 2. Das Rumpel - Leedesche
Phänomen kommt schon duren die physiologischen Störungen im
endokrinen Gleichgewichte, wie sie Menstruation und Klimakterium
setzen, zustande, ebenso findet es sich bei Basedow, weiterhin wirken
eine Anzahl Gifte (Grippetoxin, Salvarsan, Spirochätenstoffwechsel¬
toxine, Chloroform, A-naphylaktoxin u. a.) elektiv schädigend aut den
Endothelapparat. Als Zentralstelle dieser Störungen sieht Schräder
die Milz an.
Friedrich Müller, Tuberkulose und Konstitution. M. m. W.
Nr. 11. Uebersichtsvortrag. Die Unterscheidung der exsudativen und
proliferativen Formen ist nicht zweckmäßig, es kommt nicht auf den
augenblicklichen pathologisch-anatomischen Stand der Krankheit an,
sondern auf den Krankheitsverlauf in dem infizierten Organismus.
Felix Marchand (Leipzig), Tuberkulösoder pbthisisch? M.m.W.
Nr. 11. Zu Asch off in M. m.W. Nr. 6. Der Name Tuberkulose ist, weil er
etwas ätiologisch Einheitliches mit sehr verschiedenen anatomischen
Veränderungen bedeutet, dem Ausdruck Phthise vorzuztehen.
A. Gottstein (Berlin), Tuberkulose und riungersnot. Kl. W. Nr. 12.
Die Steigerung der Tuberkulosesterblichkeit in Deutschland und Oester¬
reich, aber auch in geringerem Maße in England, Holland, Schweiz,
Dänemark, Schweden in den Jahren 1916— 19i9, wird duren Influenza,
Winterkälte und Kotilenmangel nicht ausreichend erklärt. Eine logische
Notwendigkeit zwingt uns, die Uebersterblichkeit von Tuberkulose mit
der Hungersnot in Verbindung zu bringen. Eine Erhöhung der Schwind¬
such tster bl ichkeit tritt nach früheren statistischen Untersuchungen erst
einige Zeit nach dem Abklingen der Hungersnot und nach dem Ver¬
schwinden der durch sie herbeigeführten allgemeinen Sterblichkeits¬
steigerung in Erscheinung. Eine Erklärung hierfür ergibt sich daraus,
daß die konstitutionelle Schwächung des kindlichen Körpers auch beim
Ausbleiben der kindlichen Infektion genügt, um den Organismus des
Erwachsenen hinfälliger gegenüber der Verwüstung durch den Tuberkel¬
bazillus zu machen. Aus dm Beobacntungen aus Finnland und den
anderen in der Arbeit angeführten Feststellungen ergibt sich, daß die
Hauptgefahr durch die Tuberkulose uns erst in den nächsten Jahren
droht. Sie wird stärker und nachhaltiger sein als die Steigerung von
1917/19 und kann vielleicht Jahrzehnte anhalten.
F. Salomon (Beelitz-Berlin), Lunzenzeichoanz. Fortschr. d. Röht-
genst. 28 H. 6. Zum Teil sicher durch die Broncnialwände bedingt.
FelixFleischner(Wien), Zur röntgenologischen Symptomatologie
und zur Patnotogie des Pneumothorax. Fortschr. d. Röntgenstr. 28
H. 6. Luft zwischen Pleura mediastinalis und pulmonalis verrät sich
durch einen charakteristischen durchlässigen Streifen (Pneumothorax
mediastinalis). Kleine Flüssigkeitsmengen ermöglichen die Erkennung
kleiner, sonst nicht erkennbarer Gasblasen im Pleuraraum. Es wird
auf einen besonderen „wühlenden" und „flatternden“ Bewegungstypus
des Herzens bei Pneumothorax hingewiesen. Bisweilen weitet sich
inspiratorisch die durch den Pneumothorax nur unvollkommen kolla¬
bierte Lunge und nimmt an der Atmung teil — ein neuer Grund für
die Notwendigkeit, die Pneumothoraxtherapie röntgenologisch zu kon¬
trollieren.
Joseph Freud (Wien), Röntgeodiagnose des seltenen tiefsitzen¬
den Oesopnagnsdivertikels. Fortschr. d. Röntgenstr. 28 H. 6. Bei ge¬
wöhnlicher Röntgenuntersuchung aufgefundene tiefsitzende Oesophagus-
divertikel. 3 Fälle.
Hugo Berger (Biaunschweig), Perforation der Speiseröhre und
Röntgendnrchleuchtnng. Fortschr. d. Röntgenstr. 28 H. 6. Bariumbrei
trat ohne Auftreten von Hustenstößen (nur gelegentlich gurgelndes
Geräusch) bei Oesophaguskarzinom in die Bronchien und führte zur
Erstickung. Zeichen von Perforation des Oesophagus, wie Husten¬
reiz, Atemnot, Erbrechen, bilden eine Kontraindikation gegen die
Röntgenuntersuchung.
Franz M. Groedel (Frankfurt a. M. und Bad Nauheim), Röntgen-
symptomatologie des Ulcns dnodeni. Mitt Grenzgeb. 34 H. 2. Häufig
ist zur besseren Darstellung des Duodenums auf der Platte Kontrast¬
mittelaufschwemmung, die den Meringschen Reflex nicht auslöst, ge¬
eigneter als Brei. Leichte Rechtsneigung bietet oft Vorzüge, die rechte
Seitenlage keine, wohl aber die linke. Die schöne, auf ausgedehnter
Erfahrung und gründlichster Würdigung aller Einzelfragen beruhende
Uebersicht wird jeder, der Röntgendiagnostik treibt, mit Vorteil durch¬
arbeiten.
G. Deusch und H. Rürup (Rostock), PaakreaMaft-Rückflnß und
Tiypsin-Salzsäare-Resistenz. D. Arch. f. klin. M. 138 H. 3/4. Duodenal¬
saft wurde mit der Einhomschen Sonde gewonnen. Der Grenzwert
für die Widerstandsfähigkeit des Trypsins gegen HCl bei Verdanungs-
temperatur liegt etwa bei 0,05 °/ 0 HCl. Nur unterhalb dieses Grenz¬
wertes ist der negative Ausfall der Trypsinprobe für funktionelle Pan¬
kreasdiagnostik verwertbar.
H. Rieder (München), Röntgendiagnostik der Qallensteine.
Fortschr. d. Röntgenstr. 28 H. 6. Gallensteine können bei einem unter
10°/ 0 liegenden Kalkgehalt dargestellt werden. Wichtiger als der
Prozentgehalt ist die Verteilung des Kalkes im Stein. Unter günstigen
Umständen lassen sich auch reine oder nur mit einem feinen Kalk¬
überzug versehene Cholestearin- und Bilirubinsteine röntgenologisch
nachweisen. Auf gewisse funktionelle, sowie anatomische Folgeerschei¬
nungen der CholeTithiasis sollte namentlich in chronischen Fällen stets
geachtet werden (verzögerte Entleerung des Magens, Spasmen desselben,
Recht9lagerung und Fixation des Pylorus, Eindellungen der großen
Kurvatur, Veränderungen am Duodenum).
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
500
LITERATURBERICHT
Nr. 15
Th. E. Heß Thaysen (Kopenhagen), Koloptose als Ursache der
Obstipation. Mitt. Grenzgeb. 34 H. 2. Untersuchungen an normalen
Männern und Frauen ergaben, daß bei jedem 4. Manne und ungefähr
bei jeder 2. Frau das Querkolon 10 cm und noch tiefer unterhalb der
Umbilikaltransversale zu finden ist. Dabei kommen, bei Frauen mehr
als bei Männern, bei mehrmaliger Untersuchung Schwankungen bis zu
8 cm vor. Bei Aszendensobstipation ist die Form der rechten Flexur
nicht häufiger als bei Normalen spitzwinklig. Der einzige markante
Fall, in dem zweimal eine starke Transversoptose festgestellt wurde,
zeigte bei 2 anderen Aufnahmen eine höhere Lage des Querkolons.
Danach spielen die mechanischen Momente keine Rolle bei der
habituellen Obstipation, sie ist rein funktionellen Ursprungs.
R. Kolisch (Wien), Balantidlasis coli. W. kl. W. Nr. 11.
W. Th. Schmidt (Fürstenberg), Oxyuriasis. M. m. W. Nr. 11.
Neben den üblichen Behandlungsmethoden bewährte sich gut die
Gelonida Alumin. subacetici. In 3tägigem Turnus mit 3 Ruhetagen
dazwischen 3mal täglich 1,0 g, bei Kindern 0,5.
J. Snapper (Amsterdam), Baucbkoliken mit Porphyrinurie. Kl. W.
Nr. 12. Drei Fälle von Colica porphyrinurica: Anfälle heftiger Bauch-
und Lendenschmerzen mit Erbrechen und Obstipation, während des
Anfalls, Ausscheidung eines dunkelroten Urins, der viel Porphyrin ent¬
hielt. Zwei Fälle sind unter Lähmungserscheinungen des zentralen und
peripherischen Nervensystems gestorben. Das Nervensystem war mi¬
kroskopisch im ersten Fall normal; im zweiten fanden sich an den
peripherischen Nerven deutliche Erscheinungen chronischer Entartung.
Ein anatomischer Grund für die Bauchkoliken wurde in keinem Falle
gefunden.
Schlayer (Berlin), Frühdiagnose der Schrumpfulere. Zschr. f.
Urol. 16 H. 2. (Siehe diese Wochenschrift 1921 S. 373.)
Max Rosen berg (Charlottenburg-Westend), Ambardsche Kon¬
stante als Methode der Nierenfunktluosprufuug. Mitt.Grenzgeb.34
H. 2. Bei gutem Ausfall der Verdünnungs- und Konzentrationsprobe
zeigt die Konstante meist normalen Wert, bei geschädigtem Vermögen
der Wasserausscheidung und der Konzentration ist sie fast immer
erhöht. Mehrfach war die Konstante bei normalem Ausfall der erst¬
genannten Proben erhöht, ohne daß klinisches Bild und Verlauf für
Malignität sprachen, auch ein autoptisches Ergebnis ergab gute Ueber-
einstimmung mit ersteren Proben, schlechte mit der Konstante. Wenn
ihr auch nicht jeder Wert abzusprechen ist, so ist derselbe doch ge¬
ringer als der der anderen Proben. Vor allem ermöglicht sie nicht,
wie behauptet wird, einen Funktionsausfall prozentual Testzustellen.
Irene Barät und Geza Het£nyi (Budapest), Reststickstoff im
Blut und Qewebe bei Nierenerkrankungen. D. Arch. f. klin. M. 183
H. 3/4. Reststickstoffuntersuchungen mit der Bangschen Mikromethode:
Der R. N.-Gehalt der Gewebe ist physiologisch höher als der des
Blutes, ist bei diffusen Nierenerkrankungen erhöht. Bei akuten Nieren¬
erkrankungen, sowie akuter Verschlimmerung chronischer Prozesse über¬
trifft die prozentuelle Blutreststickstofferhöhung diejenige der Gewebe.
Bei pathologisch gesteigertem Eiweißzerfall ist die Erhöhung der Ge¬
webewerte größer. Die prozentuelle Erhöhung der Blut- und Gewebe-
werte ist bei der benignen Nephrosklerose annähernd gleichmäßig.
Fe der off (St. Petersburg), Klinik und Therapie der Neohro-
lithiasis. Zschr. f. Urol. 16 H. 2. Ausführlicher Bericht über Beob¬
achtungen an reichem eigenen Operationsmaterial (241 Fälle aus den
Jahren 1903—1921) unter Einstreuung von Krankengeschichten. Dia¬
gnostik. Stellungnahme zu den Kontraindikationen der Pyelotomie.
Sie bleibt die Operation der Wahl bei unabweislichem chirurgischen
Eingriff. Bei Eiterung, ausgedehnter Atrophie, multiplen Parenchym¬
steinen verdient die primäre Nephrektomie den Vorzug vor der
typischen Nephrolithotomie.
P. Den icke (Kasan), Purpura simplex der Harnblase. Zschr.
f. Urol. 16 H. 2. Postmenstruale Hämaturie. Zystoskop: Flohstich¬
ähnliche Flecken besonders im Fundus ohne sonstigen Befund. Spon¬
tane Heilung. (Siehe V. Blum, diese Wochenschrift 1914 S. 820.)
E. Schubert (München) und M. Zolotnitzky, Sklerator.
Zschr. f. Urol. 16 H. 2. Sinnreich konstruierte Vorrichtung zur Be¬
handlung der männlichen Impotenz auf mechanischem Wege. Ver¬
wirklichung einer — erst nachträglich bekannt gewordenen — Idee
Fürbringers aus dem Jahre 1902 in vervollkommneter Form. Der
Apparat ist einfach, als gesprengter Zylinder aus elastischem Material
(Zelluloid) gearbeitet, dauerhaft und nicht kostspielig. Stellungnahme
zur Indikation und Gegenanzeige an der Hand der einschlägigen
Literatur.
V. Schilling, Zelltheorle des Erythrozyten als Grundlage
der klinischen Wertung anämischer Blutbefunde. Virch.
Arch. 234 H. 2/3. Schilling begründet ausführlich seine Zelltheorie,
nach der das rote Blutkörperchen im Prinzip eine wirkliche, aber
fortschreitend stark modifizierte Zelle ist und nach der die Blutplätt¬
chen von den roten Blutkörperchen stammen. Die klinischen Nutz¬
anwendungen der Theorie werden zusammenfassend geschildert. Zahl¬
reiche Abbildungen erläutern die als Habilitationsschrift eingereichte*
Arbeit.
E. Segall und M. Händel (Wien), Katalasegehalt des Blotes.
D. Arch. f. klin. M. 138 H. 3/4. Katalasebestimmungen über den Kata¬
lasegehalt des Blutes und seine differentialdiagnostische Verwertbarkeit
bei Anämien: Die abnorme Erhöhung des Katalaseindex ist kein kon¬
stantes, eigenes Symptom der perniziösen Anämie.
O. Wuth, Konstitution und endokrines System. M. m. W. Nr. 1L
Enge Beziehungen des endokrinen Systems zur körperlichen und
seelischen Konstitution sind in vielen Fällen sehr wahrscheinlich, in
anderen wie beim Myxödem sicher.
Thomas Scholz (Neuyork), Metastatlsches Karzinom der Wirbel-
süule. Fortschr. d. Röntgenstr. 28 H. 6. Die Diagnose wurde in 2 Fällen
durch die Röntgenstrahlen wesentlich gefördert. Die Primärherde
wurden erst bei der Sektion gefunden: Haselnußgroßes Adenokarzinom
in der Schilddrüse, beziehungsweise in der Brustdrüse. Als beachtens¬
wertes Frühsymptom wird bezeichnet plötzlich bei gewissen Bewe¬
gungen auftretender heftiger Schmerz, der bei geeigneter Körperlage
nach wenigen Minuten verschwindet.
Richard Stephan (Frankfurts.M.),Polyperlostitlshyperaesthetica,
Mitt. Grenzgeb. 34 H. 2. Ein neues Krankheitsbild, das Chirurgen und
Inneren öfter vor Augen kommen dürfte: 5 Fälle, 2 voll entwickelte,
3 mehr im Beginn, einer schon seit 8 Jahren in wechselnder Beob¬
achtung; 2 haben unter der Annahme einer Knochentuberkulose zu
chirurgischen Eingriffen Anlaß gegeben. Die Krankheit ist eminent
chronisch, verläuft in Perioden mit anfangs sehr langen Intervallen,
geht mit subfebrilen Temperaturerhöhungen einher und ergreift, von
umschriebenen entzündlichen Knochenhautprozessen ausgehend, in
Schüben allmählich das ganze Skelett. Die periostalen Schwellungen
sind röntgenologisch illustriert, am Ende bei schlechtem Ernährungs¬
zustand vielfach als knollige Auftreibungen fühlbar. Auffällig ist die
Reizempfindlichkeit des Bindegewebes, namentlich im Bereich frischer
Prozesse, auf Tuberkulin, Trypaflavin und Silbersalvafsan, die zu
stärkster Infiltration, teilweise mit Nekrotisierung des Zentrums führten.
Die Exzision einer periostalen Schwellung ergab nichts Charakteristi¬
sches, nur zellarmes Fasergewebe, während Epidermis, Subkutis und
Muskulatur histologisch völlig unverändert waren. Die Krankheit ist
bisher nur bei Frauen beobachtet. Es fand sich keinerlei Anhalt für
eine spezifische Ursache. 2 chronische Stirnhöhlenerkrankungen
scheinen Folgekrankheit infolge von Periostschwellung. Innerliche Mittel,
insonderheit auch Antirheumatika, hatten keinen Erfolg, nur kleine
Röntgendosen schienen symptomatisch wirksam.
Robert Kienboecic (Wien), Der radiologische Befand bei
Knochenerkraakungea. Fortschr. d. Röntgenstr. 28 H. 6. Man sollte
in jedem Falle die reine Beschreibung des Befundes und seine Be¬
wertung streng auseinanderhalten. Hierbei sollte man sich geeigneter
Fachausdrücke bedienen. Doch scheinen mir nicht alle vom Verfasser
empfohlenen Bezeichnungen empfehlenswert. Insbesondere sehe ich
kein Vorteil darin, das Negativ so zu beschreiben, als ob man ein
Positiv vor sich hätte. Hierzu wäre eine allgemeine Verabredung
nötig, welche sich doch nicht erzielen läßt. Ich habe mich daran
gewöhnt, Worte zu gebrauchen, welche sowohl für das Negativ, wie
Positiv passen, so z. B. statt „dunkel" im Negativ, respektiv hell im
Positiv „durchlässig" und möchte im Interesse der Klarheit diesen
Gebrauch allgemein empfehlen. Es werden zahlreiche beherzigens¬
werte Detailvorschriften gegeben, so z. B. für den Befund des Röntgen¬
bildes einer Extremität sollen der Reihe nach beschrieben werden:
Das Körperteilbild in seiner äußeren Form, die Unterhautfettzone,
Hauptweichteilzonen (meist Muskel-Sehnenzonen), Knochenbild. Die
Vorteile der zielbewußten Verwertung der Röntgenbilder durch das
Verfahren von Kienboeck werden an vier im bekannten Rumpelschen
Atlas veröffentlichten Bildern gezeigt, wobei ganz neue Ergebnisse
gewonnen und Fehlschlüsse aufgedeckt werden.
R. Meyer-Bisch (Göttingen), Schwefetbebandluug chronisch defor¬
mierender Gelenkerkrankungen. Kl. W. Nr. 12. Untersuchungen des
Autors ergaben, daß durch Schwefelinjektionen sowohl- der Eiwei߬
ais auch der Chlorstoffwechsel weitgehend verändert werden und daß
eine vermehrte Ausscheidung von Urobilin und Glykuronsäure statt¬
findet. Auch wiesen gewisse Befunde mit Eindringlichkeit darauf hin,
daß in Gelenkexsudaten gefundene Schwefelverbindungen nur zum
Teil dem allgemeinen Kreislauf entstammen, zum andern Teil aber
wahrscheinlich aus den Gelenkw f andungen herrühren, daß also bei
bestimmten exsudativen Vorgängen der Gelenkknorpel eine Stätte ge¬
steigerter Bildung dieser Schwelelsäureverbindungen darstellen kann.
Tierversuche ergaben unter dem Einfluß einer Schwefelinjektion eine
Abnahme des Chondroitinschwefelsäuregehaltes und der Quellbarkeit
des Knorpels. Daneben kommt dem Schwefel auch eine ProteTnkörper-
wirkung zu. Meyer-Bisch empfiehlt zunächst Beginn mit kleinsten
Dosen (Sulf. dep. 0,1, Oleum oliv, ad 100.0, 5 ccm intragluteal). Falls
keine besondere Ueberempfindlichkeit nach 7 Tagen 2—5 ccm einer
stärkeren Lösung (Sulf. dep. 1,0, Oleum oliv, ad 100,0), 7 Tage nach
der zweiten Injektion 5 ccm der schwachen Lösung und Wiederholung
dieser Injektion nach weiteren 7 Tagen. Bei Ueberempfindlichkeit
Durchführung der ganzen Kur nur mit der schwachen Lösung.
Weiteres über Dosierung siehe Originalarbeit.
Max Heinrich Fischer und Ernst Wodak (Prag), Vermin¬
derung der Nausea bei Ve«4ibulari*reizung. M. m. W. Nr. 11. Exakte
Kopffixation an einem „Beißbrett". Der zu Untersuchende beißt kräftig
in ein Stück erwärmter Stentsmasse, das an einer Stange am Drehstuhl
befestigt ist. Vielleicht läßt sich dadurch auch die Seekrankheit günstig
beeinflussen.
O. Winterstein (Zürich), Phrenikuslähmung bei Lähmung des
Plexn« brachialis. Mitt. Grenzgeb. 34 H. 2 Durch Sturz wurden der
7. Halswirbel und der 1. Brustwirbel links beschädigt und eine schwere
Wurzelläsion mit sofortiger Armlähmung gesetzt; eine Gefäßruptur
brachte ein mächtiges Hämatom zustande, dessen narbige Schrumpfung
die spontane Leitungsregeneration unmöglich machte. Von seiten des
linken Zwerchfells bestand dauerndes Höherstehen und minimale Ver¬
schieblichkeit, daneben geringere Exkursionsbreite der linken Thorax¬
hälfte und Nachschleppen bei tiefer Atmung, kein Litten. Bei Thorax¬
durchleuchtung zeigte sich noch paradoxe Atmung, das linksseitige
Lungengewebe schien lufthaltiger.
Difitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSITY
14. Apri! 1922
LITERATURBERICHT
501
Kurt L. Elsner (Brooklyn, N.-Y,), Perinealkrampf. M. m. W.
Nr. 11. Dumpfe, heftige Schmerzen im Rektum, die den Patienten
nachts aus dem Schlaf wecken. Dauer meist einige Minuten. Er«
schütterung der Beckengegend durch Umherhüpfen, Vibrationsmassage
bringt Linderung. Der Allgemeinzustand leidet auch bei langem Be¬
stehen des Leidens nicht. Die Ansammlung harter Kotmassen muß
vermieden werden, häufiger Stuhlgang nach Abführmitteln löst manch¬
mal die Anfälle aus. Es handelt sich anscheinend um einen Krampf
von Perinealmuskeln.
A. La wen (Marburg a. L.), Vereisung des Nervus ischiadicns und
des Nervus saphenus bei aagiospastischen Schmerzznständen* der
nnteren Extremität. M. m. W. Nr. 11. Angiospasmen bei Arterio¬
sklerose mit beginnender Gangrän des Fußes, unerträgliche Schmerzen.
Vereisung des Tschiadikus und Saphenus, Patient wurde schmerzfrei,
seit 9 Monaten. Gleich am ersten Tage wurde der Fuß wieder warm.
Etwa 7 Monate nach der Vereisung, zu einer Zeit, als die Nerven-
regeneration besonders schnelle Fortschritte machte, entstanden 2 tro-
phische Ulzera, eins heilte ab, das andre bestand noch bei Abschluß
der Beobachtung.
F. Bolte (Rostock), Erythrocyanosis cutis symmetrica. Kl. W.
Nr. 12. Mitteilung zweier Fälle von Erythrocyanosis cutis symmetrica
mit genauen differentialdiagnostischen Erwägungen. Objektiv ergab
sich von krankhaften Veränderungen der Haut außer Lichen pilaris
nur die Blaurotfärbung. Aus den Ausführungen Boltes ergibt sich,
daß das Krankheitsbild der Erythrocyanosis cutis symmetrica augen¬
scheinlich als selbstständiges vasomotorisches Syndrom aufzufassen
ist und dem von Lengfellner beschriebenen Erythema venosum
nahesteht. Aus dem Auftreten der Verfärbung erst nach Eintritt der
Menses und der Abnahme der Verfärbung während der Menses schließt
Bolte auf einen ursächlichen Zusammenhang mit der innersekre¬
torischen Funktion des Ovariums.
O. Schwarz (Wien), Psychophysisches Problem in der Sexaal»
reform. W. kl. W. Nr. 11. Kurze Charakteristik des Freudschen
Systems der Sexualität und der Adlersehen Individualpsychologie.
Es bleibt vorläufig nichts anderes übrig, als alle Fälle nach den hierin
niedergelegten psychologischen Gesichtspunkten auf ihre Genese zu
untersuchen. Bleibt ein nicht mehr aufzulösender Rest, dann ist ein
— bis jetzt nicht genügend fundierter — Versuch mit einer Organo¬
therapie gerechtfertigt Die Stein ach sehen Rattenversuche beweisen
vorläufig nichts für die menschliche Sexualpathologie.
Chirurgie.
♦♦ Wilhelm Baetzner (Berlin), Diagnostik der chirurgischen
Nierenerkrankungen. Berlin, J. Springer, 1921. 340 Seiten mit
263 Abbildungen. M. 42.-—. Ref.: Borchard (Charlottenbürg).
Das auf den vielseitigen Erfahrungen der Berliner Chirurgischen
Universitätsklinik fußende Buch behandelt nach kurzen anatomischen
und physiologischen Vorbemerkungen die allgemeine und spezielle
Diagnostik der Nierenerkrankungen. Die Methoden der klinischen,
der Harnuntersuchung, besonders der Zystoskopie mit Ureteren-
katheterismus, der Röntgenuntersuchung, der Pyelographie, des
Pneumoperitoneums werden ausführlich erörtert. Die sehr kritische
und objektive Bewertung der Methoden ist ein großer Vorzug be¬
sonders auch hinsichtlich der Funktionsprüfungen. Die Indikation zur
Pyelographie will Verfasser wegen der Gefahren enger begrenzt
wissen, über den Wert des Pneumoperitoneums ist ein abschließendes
Urteil noch nicht möglich. Im speziellen Teil sind besonders die
Hydronephrose, die Niereneiterungen, die Nierentuberkulose, die
Stemkrankheit überaus klar und eingehend dargestellt und durch ein
reiches Material belegt.. Zahlreiche, zum Teil farbige sehr gute Abbil¬
dungen dienen zur weiteren Förderung des Verständnisses. Das nach
Gehalt und Form ausgezeichnete Buch wird sich sicherlich einen
weiten Leserkreis erwerben.
A. Ritschl (Freiburg), Wellenschnitt. M. m. W. Nr. 11. Empfeh¬
lung eines wellenförmigen Hautschnittes (siehe Abbildung) für solche
Fälle, wo eine gradlinige Narbe infolge späterer Schrumpfung den
Ablauf bestimmter Bewegungen behindern könnte, und bei Operation
von Kontrakturen.
Wilhelm Lohr (Kiel), Senkuafsrescliwindifkeit der roten Blut¬
körperchen als diagnostische« Hilfsmittel bei chirortisclien Erkran-
fcoagea. Mitt. Grenzgeb. 34 H. 2. Die Beschleunigung der Senkungs-
Geschwindigkeit der Erythrozyten geht proportional der Größe des
Zellzerfalls; so zeigen sie ausgedehntere Entzündungen beliebiger
Gegenden und Organe, sterile Operationen, Frakturen, ein nicht ver¬
eiterter traumatischer Hämatothorax, Gallensteine, Tumoren. Im
anaphylaktischen Shok wurde eine ausgesprochene Verlangsamung
beobachtet, die über eine exzessive Beschleunigung zu normalen Werten
zurückkehrte. Die Beschleunigung ist hie und da differentialdiagnostisch
vttwendbar; so würde sie z. B. bei sicherem Ulcus pylori oderduodeni
eine begleitende Entzündung anzeigen.
Heinz Dahmann (Düsseldorf), Therapie der PeritmraillHis.
M. m. W. Nr. 11. Zunächst konservativ, bis Probepunktion Eiter er¬
gibt Dann breite Inzision durch den vorderen Gaumenbogen, wenn
die Abszeßhöhle weit nach vorn reicht, oder durch die obere Gaumen¬
bucht, wenn der Abszeß hier zu liegen scheint und wenn am vorderen
Gaumenbogen durch frühere Einschnitte zahlreiche Narben bestehen.
Ausschälung des oberen Tonsillenpols, wenn nach Abheilung der ersten
entzündlichen Erscheinungen die Tonsillektomie angeschlossen werden
kann . »
Th. Beer (Königsberg i. Pr.), Aetlolofie des peptischen Jejnnal-
resebwürs. Zbl. f. Chir. Nr. 9. 29jähr. Kranker mit rezidivierendem
Jejunalgeschwür, das binnen* 4 Wochen nach Beseitigung des ersten
entstanden ist und in dieser kurzen Zeit eine Ausdehnung von Fünf¬
markstückgröße erfahren und zu einer Perforation in großer Ausdehnung
geführt hat, in deren Folge schließlich die Arrosion einer großen Vene
erfolgte. Tod. Offenbar lag in diesem Falle eine durch operative
Maßnahmen nicht zu beseitigende individuelle Disposition zur Ge¬
schwürsbildung vor. Außerdem spielen wahrscheinlich noch schädi¬
gende Momente der Darmwand mit, namentlich sehr stark federnde
Darmklemmen.
A. H. Hofmann (Offenburg), Invagination des Wurmfortsatzes.
Zbl. f. Chr. Nr. 9. Bei allen Invaginationsmethoden muß als oberster
Grundsatz die Abschnürung der nicht invertierten Wurmbasis gelten.
Wir haben 3 Arten der Invagination: 1. die einfache Invagination, die
die ganze Dicke und Länge des Wurms bis auf seine nicht invertierte
Basis betrifft; 2. die Skalpierungsmethode, bei der die Invagination
des von der Serosa entblößten Muskularis-Mukosaschlauches statt¬
findet; 3. die Kombination beider Methoden, die Tnvagination der
serosabedeckten Spitze in den skalpierten proximalen Teil. Die erste
Methode ist die einfachste uud die Methode der Wahl.
R. Frank (Debreczen, Ungarn), Verschloß des Brnchsackes mit
antoplastiscbem Knoten. Zbl. f. Chir. Nr. 9. Technische Mitteilung.
Der Bruchsack .wird nach hoher Freilegung und Entleerung seines
Inhaltes bis zum Bruchsackhals in 2 Hälften gespalten; diese beiden
bandförmigen Teile des leeren Bruchsackes werden dann miteinander
in einen einfachen Knoten verschlungen, und dieser Knoten so fest als
möglich angezogen, um das Peritoneum parietale im Bereiche des
inneren Leistenringes gut anzuspannen.
F. Harth (Athen), Operationsmethodik des schrieen Leisten-
braches. Zbl. f. Chir. Nr. 9. Verfasser empfiehlt das im vorigen Jahre
von Merminga mitgeteilte Operationsverrahren.
Von der Becke (Buenos Aires*, Hämaturie und AppendizHis.
Zschr. f. Urol. 16 H. 2. Nach jahrelangen rechtseitigen Leibschmerzen
hartnäckige, mit Hämaturie und Pyurie einhergehende Blasenbe¬
schwerden. Entfernung der rechten Niere nach der Feststellung der
Einseitigkeit (Harnleitersondierung, Farbstoffprüfung), aber weder Kon¬
kremente noch Tuberkulose, ln der Folge schmerzhafter Tumor in
der Gallenblasengegend und Fieber. Bauchschnitt: Verwachsung des
verlängerten und entzündeten Wurmfortsatzes mit der in Narben ein¬
gebetteten Gallenblase. Nach Lösung und Abtragung des ersteren
Heilung. Einen sicheren Nachweis des appendizitischen Ursprungs
der Hämaturie gibt es nicht
C. Hammesfahr (Magdeburg), Schmerzende Nierennsrben.
Zschr. f. Urol. 16 H. 2. Nachweis an der Hand dreier eigener ge-
schildeter Fälle (Schußverletzungen bzw. Nephropexie), daß sehr
erhebliche kolikartige Schmerzen auch ohne die Nierenheckenschleim-
haut treffenden Reiz oder intrarenale Drucksteigerung lediglich durch
Narben im Bereich des Nierenparenctyms (Paranephritis fibrosclerotica)
Zustandekommen können. Erfolgreicne Entfernung der Narbenmassen
durch Resektion oder Dekapsulation.
Lotsy (Kairo), Bilharzlosis des Harnsvstem« und.ihre rdnireno»
lorische Diagnostik. Fortschr. d. Röntgenstr. 28 H. 6. Durch Ver¬
kalkungen der Eier von Bilharzia läßt sich die Krankheit auch rönt¬
genologisch erfassen. Bisher wurden nur brauchbare Bilder beim Sitz
in dem kaudalen Teil der Ureteren und der Harnblase erhalten.
P. Janssen (Düsseldorf!, Urologische Röntgendiagnostik. M.m. W.
Nr. 11. UebersicMsreferat über die moderne Technik und die erzielten
gesicherten Erfolge. Zur Pyelographie wird namentlich das 20°/„ Na¬
triumbromid empfohlen, Einspritzung unter ganz sanftem Druck nach
vorhergehender Eichung des Nierenbeckens mit Borlösung, niemals
gleichzeitig beide Becken mit dem Kontrastmittel füllen. Bei Luftfüllung
der Blase Gefahr der Embolie. Bei zweifelhaften Fällen Pneumo¬
peritoneum.
Friedrich Kraft (Wien), Rftntgenologie der Prostata. Fortschr.
d. Röntgenstr. 28 H. 6. Abgesehen von Steinen und Verkalkungen
können viele Erkrankungen der Prostata röntgenographisch zum Aus¬
druck kommen. Allerdings hande’t es sich hier nicht um eine direkte
Darstellung, da das Gewebe für Strahlen durchlässig ist, die Verände¬
rungen werden vielmehr an Aussparungen oder Veränderungen der
Konturen der künstlich sichtbar gemachten Harnblase erkannt (Füllung
mit Luft oder Kontrastflüssigkeit). So bringt die Röntgenuntersuchung
Vorteile bei Carcinoma, Hypertrophie der Prostata, auch für die pro¬
statanahen Teile der Blase (Balkenstruktur, Divertikel, Veränderungen
nach Prostatektomie). Für die verschiedenen Arten der Steine werden
Beispiele und differentialdiagnostisch wichtige Hinweise gegeben.
Sorge (Allenstein), Seltene Fraktur der WirhHsänfe. Fortschr.
d. Röntgenstr. 28 H. 6. Isolierter Querfortsatzreihenbruch der Lenden¬
wirbel (I—IV). Da kein Röntgenbild reproduziert ist, läßt sich nicht
entscheiden, ob hier nicht die — übrigens häufig vorkommende —
Täuschung infolge die Querfortsatze projektiv überkreuzenden Fett¬
gewebes vorliegt.
G. Hohmann (München), Aktiver und passiver Uehnngsaooarat
für den Varderfoß, bzw. die Zehen. M. m. W. Nr. 11. Kleiner
Widerstandsapparat zu aktiven Bewegungsübungen für Vorderfuß und
Zehen. Dauerschirm zur passiven Mobilisierung der Zehen, besonders
der Großzehe nach dem Schedeschen Prinzip (siehe Abbildungen).
Hersteller Stortz und Raisig, München.
Digitized by
Go gle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
502
LITERATURBERICHT
Nt. 15
Frauenheilkunde.
H. Hinselmann (Bonn), Entstehung der Trophoblast- und
Syncytiallatunen des menschlichen Eies. Zbl. f. Gyn. Nr. 5. Zu kurzem
Referate nicht geeignet.
F. Lichtenstein (Leipzig), Intra partum spontan entstandenes
Bauchdeckenhämatom. Zbl. f. Gyn. Nr. 5. Bei einer 32jährigen I.-para
traten unmittelbar im Anschluß an die Spontangeburt eines lebenden
Kindes heftige Schmerzen oberhalb der Symphyse auf. Es bildete
sich hier zu beiden Seiten der Mittellinie eine etwa 8 cm breite Ge¬
schwulst, die kammartig die Svmphyse überragte, sich nabelwärts in
. 4 Querfingerbreite ausdehnte und sich dann allmihlich abflachte. Die
Haut über der Geschwulst war abhebbar, die Geschwulst selbst war
unverschieblich und äußerst druckschmerzhaft. Es handelte sich dem
? anzen Krankheitsbilde nach um ein subfasziales Hämatom der Rekti.
9 Tage post partum war die Geschwulst — ohne Inzision — bis auf
einen queren Kamm hinter der Symphyse zurückgegangen.
Behrend (Frauendorf-Stettin), Schwere Schädigung der Unter-
teihsorrme iotra partum. Zbl. f. Gyn. Nr. 6. Bei der Ausräumung
eines Abortus mens. VI. hatte der behandelnde Arzt den Uterus aus
seiner Verbindung mit der Scheide und dem Parametrium vollständig
herausgerissen, sodaß dieser nur noch im Zusammenhang mit den
Adnexen vollkommen vor der Vulva lag. Exitus.
N. Louros (Athen), EchinoVokkeuzyste im Douglas als Geburts¬
hindernis. Zbl. f. Gyn. Nr. 5. Kasuistischer Beitrag.
F. Hein lein (Bochum), Behandlung der Placenta praevia (Me-
treuryse oder Kaiserschnitt?) Zbl. f. Gyn. Nr. 5. Verfasser be¬
trachtet die Metreuryse als Methode der Wahl in der Placenta praevia-
Behandlung und möchte den Kaiserschnitt nur für die Fälle mit rigider
Zervix und für die rigiden Weichteile alter Erstgebärender reserviert
wissen.
H. Reh (Frankfurt a. M.), Ffinfzigprnzentiger Alkohol zur Blut¬
stillung. Zbl. f. Gyn. Nr. 5. Verfasser empfiehlt für atonische Nach¬
blutungen Spülungen mit 50°/ n igem Alkohol. (Man läßt innerhalb
1—2 Minuten 150 ccm der Flüssigkeit langsam, ohne Druck, den Uterus
passieren.)
V. Hieß und F. Hirschenhauser (Wien), Behandlung des
Wocbenbettfiebera. Zbl. f. Gyn. Nr. 6. Verfasser berichten aus der ersten
Wiener Universitätsfrauenklinik über die Behandlung der septischen
Wochenbettserkrankungen mitkolloidalen Silberpräparaten, Caseosan und
Preglscher Lösung. Die Silbertherapie kann, in richtiger Dosierung,
den Körper im Kampfe gegen die eingedrungenen Keime wirksam
unterstützen und auch das Allgemeinbefinden günstig beeinflussen.
Es gibt aber auch Fälle, die keine Beeinflussung durch die Silber¬
therapie erkennen lassen. Bei schwerer Sepsis ist der Erfolg der
Silberpräparate fraglich. Das Caseosan kann bei leichten und
schweren septischen Erkrankungen im Wochenbett erfolgreich mit den
Silberpräparaten in Konkurrenz treten. Häufig kann auch ein rasches
Abklingen der Temperatur und ein prompter Rückgang von extrauterinen
Krankheitsherden beobachtet werden. Besonderes Augenmerk ist auf
die Dosierung des Caseosans zu richten, um anaphylaktischen Zufällen
aus dem Wege zu gehen. Die Preglsche Lösung ließ keinen deut¬
lichen Einfluß auf den Krankheitsverlauf erkennen und führte bisweilen
trotz richtiger Applikation zu schmerzhaften Thrombosen.
P. Esch (Marburg), Gegenwärtiger Stand der Elclampsiefrsge.
Kl. W. Nr. 12. Uebersichtsmitteilung. In neuer Zeit hat Zangemeister
ezeigt, daß die Eklampsie gleichsam das Endglied einer allgemeinen
chwangerschaftserkrankung darstellt, indem er den Hydrops gravi¬
darum als eine Erkrankung sui generis charakterisierte und seinen
Verlauf und seine Beziehungen zur Nephropathie und zur Eklampsie
aufdeckte. Auch ist es ihm gelungen, die Erscheinungen des prä-
eklamptischen Stadiums und die der eigentlichen Eklampsie als Hirn¬
druckfolge klarzulegen.
Bettina Neuer (Nürnberg), Virulenzorfifung der Streptokokken
nach Sigwarts Methode. Zbl. f. Gyn. Nr. 6. Die Virulenzprüfung
der Streptokokken durch Züchten auf erschöpften Nährböden (Sigwart)
führt nicht zu eindeutigen Resultaten.
A. Loeser (Berlin), Trichomonas vaginalis und Glykogengebalt
der Scheide in ihren Beziehungen zur Kolpltis und zum Fluor.
Zbl. f. Gyn. Nr. 6. Polemik. Zu kurzem Referate nicht geeignet.
J. Amreich (Wien), Primires Tobenkarzlnom. Zbl. f. Gyn. Nr. 6.
Kasuistischer Beitrag.
F. Klee (Bonn), Karzinom«arkoni des Ute^ns. Zbl. f. Gyn. Nr. 5.
58jährige Frau, die nach 6|ähriger, durch Röntgenkastration hervor¬
gerufener, Amenorrhoe 2mal in mehrwöchigen Intervallen eine 3—4Tage
anhaftende Blutung aus den Genitalien bemerkt hatte. Die durch
Probeabrasio gewonnene Uterus-Schleimhaut zeigte sarkomatöse Ver¬
änderungen. Totalexstirpation, Heilung. Die histologische Unter¬
suchung der Uterusgeschwulst ergab ein Karzinomsarkom.
P. v. Kubinyi (Szeged), Herabsetzung der Mortalität der Freund*.
Wertheimschen Karzinomoperation. Zbl. f. Gyn. Nr. 6. Verfasser hat
mit sehr gutem Erfolge bei der abdominellen Totalexstirpation des
karzinomatösen Uterus Wasserstoffsuperoxydspülungen verwendet.
Augenheilkunde.
E. A. Heimann (Berlin), Heilung des Augentrliieas durch die
Strikturotomie. Kl. W. Nr. 12. Bei über 30 Fällen von Tränenträufeln
infolge von Verengerung der Tränenwege und in einigen Fällen von
Dakryozystoblennorrhoe hat sich Heimann das Verfahren der Strik¬
turotomie sehr gut bewährt
Zahnheilkunde.
♦♦ B. Mayrhofer (Innsbruck), Lehrbuch der Zahnkrankheiten.
2. Aufl. Jena, G. Fischer, 1922. 359 Seiten mit 313 Abbildungen.
M. 60.—. Ref.: Pro eil (Königsberg).
Bei gleicher Einteilung des Inhalts sind zahlreiche Abschnitte der
Neuauflage völlig umgearbeitet und die meisten wesentlich vermehrt.
Besonders breit angelegt ist das Kapitel über die verschiedenen
Formen der Zähne und Zahnwurzeln. Daneben begegnen wir manchem
Neuen, was bisher noch unveröffentlicht ist. Durch gute Abbildungen
ist der Text vorzüglich ergänzt. Die Neuauflage ist guter Aufnahme
gewiß.
Haut- und Venerische Krankheiten.
V. Kusan (Wien), Bemerkungen zu Busaccas „Ueber eine
reine iotrakutane Reaktion bei Hanituberkulose.“ W.kl. W. Nr. 11.
A. Busacca (Wien), Erwiderung. W. kl. W. Nr. 11. In Nr. 47
der W. kl. W. 1921 hat Busacca angegeben, daß die intrakutane Injek¬
tion von Pferdeserum bei Lupus starke Reaktion verursacht und daher
zur Unterscheidung von anderen Hautkrankheiten dienen könne. Eine
Nachprüfung an 56 manifesten Lungentuberkulosen ergab in 27 Fällen
negatives, in 9 Fällen fragliches Resultat, von 26 Kranken ohne mani¬
feste Tuberkulose reagierten 9 positiv und 5 fraglich. Die Reaktion
ist daher nicht brauchbar. — In der Erwiderung ficht Busacca die
Beweiskraft des geringen Materials an. Es soll sich auch lediglich
um eine bei Hauttuberkulose verwendbare Reaktion handeln.
C. O. Herb eck (Berlin), Yatren in der Gonorrhoebehandlont.
M. m. W. Nr. 11. 5°/« Yatrenlösung intravenös, bei akuter Gonorrhoe
5 ccm alle 2 Tage, in chronischen Fällen 10 ccm. Je größer die
Flächenausdehnung des Prozesses ist, desto höher muß die Anfangs¬
dosis sein, ebenso bei den chronischen Erkrankungen. Die Ergebnisse
waren günstig.
Hygiene.
R. Graßberger (Wien), Hygiene im Denken, Urteilen und Aus¬
drücken. W. kl. W. Nr. 10 u. 11. An einem Gutachten über Wasser¬
versorgung und Typhusverbreitung wird in umständlicher Zergliede¬
rung auseinandergesetzt, wie ein solches kurz zusammengefaßt und
gemeinverständlich aussehen muß.
F. Pichler (Wien), Epidemiologische Verhältnisse in Osteuropa.
W. kl. W. Nr. 11. Beschäftigt sich mit dem Bericht der Gesundheits¬
kommission des Völkerbundes vom Januar 1922. Die Hungersnot
und das- Ueberhandnehmen von Fleckfieber und Cholera wird in den
nächsten Monaten für Mitteleuropa eine schwere Gefahr heraufbe¬
schwören, zumal der Sanitätskordon des Völkerbundes durchbrochen
ist und in Warschau, Posen und Bromberg schon Fleckfieber einge¬
schleppt worden ist.
Sachverstfindigentfltigkeit.
♦♦ Martin Reishardt (Würzburg), Einführung in die Unfall-
und Invaliditätshegutachtung. 2. Aufl. Jena, G. Fischer, 1921.
434 S. M. 54.—. Ref.: P. Frank (Berlin).
Bei der Neubearbeitung des bekannten Reichardtschen Buches
sind die Kriegserfahrungen in weitgehendem Maße berücksichtigt
worden. Entsprechend der Disziplin, die der Verfasser vertritt, gipfelt
der Zweck des Buches in der besonderen Betonung der medizinischen
Psychologie. Von diesem Gesichtspunkte aus ist besonders das Gebiet
der psychisch nervösen Erscheinungen, die noch immer trotz mancher
Kriegserfahrungen und trotz der Abwendung von der Oppenheim-
schen Lehre für den Unfallbegutachter eine überragende Rolle spielen,
abgehandelt und der Verfasser versenkt sich in der ihm eigenen
fesselnden Darstellungsweise auch in die Psyche des Begutachters
selbst. In dieser Beziehung ist besonders das Kapitel über das Gut¬
achten und dessen Aufbau, über die schädlichen suggestiven Einflüsse
auf den Gutachter, das ärztliche Wohlwollen und die zu rigorose
Begutachtung in jeder Beziehung lesens — und beherzigenswert. Aber
auch abgesehen von diesem besonders zu bewertenden Spezialinhält
des Werkes kann dasselbe im Ganzen als eine vollkommene Einführung
und ein durchaus ausreichendes Lehrbuch für jeden Arzt bezeichnet
werden, der genötigt ist, sich mit der Begutachtung Unfallverletztet
zu beschäftigen, — eine Aufgabe, die heute wohl in irgendeiner Form
an einen jeden Arzt herantritt.
Digitized by
Gck igle
Original fro-m
CORNELL UNfVERSITV
SOZIALHYOIENISCHE RUNDSCHAU Nr 1
Redigiert von Prof. Rott, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft sozialhygienischer Reichsfachverbände.
Allgemeines.
A. Fischer (Karlsruhe), Der Aufstieg der sozialen Hygiene.
Sozialhyg. Mitt. 1922 H. 1. um die Jahrhundertwende herum war das
Interesse für Fragen der Hygiene auch in Aerztekreisen, von den
Medizinalbeamten abgesehen, im allgemeinen sehr gering. Die von
einigen praktischen Aerzten durchgeführten sozialhygienischen Ar¬
beiten fanden dazu bei den Lehrern der Hygiene wenig Anerkennung
und Förderung. Die Fachhygieniker erkannten die Forderung der
sozialen Hygiene auch hinsichtlich der Selbständigkeit des neuen
Gebietes nicht an, aber man ließ die Sozialhygieniker doch unbe¬
helligt. Auf der Tagung der deutschen medizinischen Fakultäten
1920 haben von 23 nur 5 für, aber 15 gegen selbständige Vorlesungen
über soziale Hygiene gestimmt. Inzwischen ist in Preußen ein Ordi¬
nariat für soziale Hygiene an der Berliner Universität geschaffen
und au vielen anderen Universitäten und Hochschulen wurden Lehr¬
aufträge für soziale Hygiene erteilt. Dazu kommt die Einrichtung
von drei Sozialhygicnischen Akademien in Preußen. Im weiteren
geht der Verf. auf die Stellungnahme der einzelnen Ordinarien der
Hygiene ein. Die Beurteilungen der sozialen Hygiene von dieser
Seite lassen erkennen, daß die durchgeführten Arbeiten allmählich
gebührend gewürdigt werden. Für ungerechtfertigt hält Verf. den
Angriff Abels auf der letzten Tagung des Deutschen Medizinal¬
beamtenvereins.
A. Gottstein (Charlottenburg), Gesundheitsfürsorge und Wohl¬
fahrtsamt. Schriften d. Gesellsch.f. soz. Recht. H. 6. Verfasser weist
darauf hin, daß die Gesundheitsfürsorge keine Schöpfung der Medizin
allein ist. Sie verdankt ihre Entstehung nicht einmal der ausschlie߬
lichen Arbeit von Fachvertretern der Gesundheitspflege, sondern der
Zusammenarbeit von Aerzten und Hygienikern mit Verwaltungs¬
beamten und Sozialpolitikern, Trägern der Sozialversicherung und
Leitern von Wohlfahrtsvereinigungen. In der Gesundheitsfürsorge
handelt es sich um die sogenannte vorbeugende Behandlung, nicht
um die Verhütung der Berührung mit irgendeiner von außen drohen¬
den Gefahr. Die Gesundheitsfürsorge beabsichtigt, die Krankheits¬
bedrohungen in ihren ersten Anfängen festzustellen, aber die Be¬
kämpfung der Krankheit des Einzelnen geschieht nicht nur in dessen
Interesse, sondern ebensosehr in dem der Gesamtheit, welche durch
den Erkrankten gesundheitlich bedroht oder wirtschaftlich ernsthaft
belastet wird. Verf. teilt die Gesundheitsfürsorge vornehmlich in
zwei Gruppen, diejenigen, welche durch Alter, gesellschaftliche Lage
und Beschäftigung einer größeren Zahl an sich verschiedener Ge¬
sundheitsgefahren besonders ausgesetzt sind (Mutter-, Säuglings- und
Kleinkinderfürsorge, Schulgesundheitspflege und der hygienische Teil
der Wohnungsfürsorge), und diejenigen, welche durch Bedrohung
mit einer bestimmten Volkskrankheit sich selbst und ihre nähere
oder entferntere Umgebung mit einer ernsteren Schädigung gefährden
(Tuberkulöse, Geschlechtskranke, Alkoholkranke). Kleinere Gebiete
lassen sich leicht einfügen. Aus der Entwicklung und den Zielen
der Gesundheitsfürsorge ergibt sich zwingend, daß ihre Leitung in
der Hand eines ärztlichen Fachmannes liegen muß, auch dort, wo sie
nur eine Abteilung des Wohlfahrtsamtes bildet. Dem Arzt als Leiter
der Abteilung Gesundheitsfürsorge muß auch eine Mitarbeit an^ der
Gesamtverwaltung eingeräumt werden. Aber die Forderung des ärzt¬
lichen Uebergewichtes erstreckt sich lediglich auf die Gesundheits¬
fürsorge, nicht auf die anderen Zweige der Fürsorge.
Bevölkerungsbewegung.
Gebarten, Eheschließungen and Sterbefille im Jahre 1919. (End¬
gültiges Ergebnis.) Statistische Korrespondenz 1922 Nr. 5/6. Im Jahre
1919 wurden im Freistaat Preußen in seinem damaligen Umfange
827335 Geburten (einschließlich Totgeburten), 527172 Eheschließungen
und 640 980 Sterbefälle (einschließlich Totgeburten, jedoch ohne Mili¬
tärpersonen) beurkundet. Der Unterschied im Umfang des preußischen
Staates war in dem Uebergangsjahr 1919 nicht so groß, daß mau nicht
auch die absoluten Zahlen der standesamtlichen Statistik dieses Jahres
mit denen der Vorkriegszeit vergleichen kann. Während die Zahl
der Geburten im Jahr 1919 nur ungefähr zwei Drittel derjenigen
von 1913 betrug, war die Zahl der Eheschließungen 1919 um
mehr als die Hälfte größer als 1913. Die Zahl der Todesfälle war
in den Jahren 1919 (allerdings nur Zivilbevölkerung) und 1913 nicht
sehr verschieden. Schon im Jahre 1915 hatte der Krieg einen Sterbe¬
überschuß gebracht, der in den folgenden Jahren anschwoll (1918:
405000), gegenüber einem Geburtenüberschuß von 367000 im Jahre
1914. Im Jahre 1919 war wieder ein Geburtenüberschuß zu verzeich¬
nen, dessen Höhe (186355) aber noch stark unter dem Einfluß des
Krieges stand. Rund 52 v. H. der Geborenen waren Knaben. 10,3 v. H.
der Geborenen waren unehelich. Die Geburten verteilen sich auf die
einzelnen Kalendermonate des Berichtsjahres ziemlich ungleichmäßig.
Die Ffeiratskurve erreichte ihren Höhepunkt im Oktober und November.
Die Sterblichkeit war wie stets in den ersten Monaten des Kalender¬
jahres am stärksten. Von den Gestorbenen standen 96890 im ersten
Lebensjahre, 19446 im zweiten. Oie Zahl der Sterbefälle bis zum
15 . Lebensjahre einschließlich betrug 170104 = 27,6 v. H. der im
Berichtsjahre gestorbenen Personen (ohne Totgeburten).
Die Mehrlingsgeburten im Deutschen Reich 1901—1919. Wirt¬
schaft und Statistik 1922 Nr. 3. Die häufigkeit der Mehrlingsgeburten
zeigt während der letzten 20 Jahre nahezu den gleichen Verlauf wie
die Häufigkeit der Geburten überhaupt. Eine Ausnahme bildet nur
das Jahr 1919, in dem der Anteil der Mehrlingskinder an den Geborenen
überhaupt auf 2,68 v. H. ' steigt (früher fast durchweg unter 2,60
v. H.). Im Jahre 1919 fanden insgesamt 17333 Mehrlingsgeburten statt,
bei denen 34856 Kinder geboren wurden; 17144 waren Zwillings¬
geburten, 188 waren Drillingsgeburten; eine Vierlingsgeburt kam vor.
Gebiete geringer und hoher Sfludings«terblichkeit vor und nach
dem Kriege. Wirtschaft und Statistik 1921 Nr. 12. Frühere Berech¬
nungen der Säuglingssterblichkeit für alle kleineren Verwaltungs¬
bezirke des Deutschen Reiches für den Durchschnitt der drei Jahre
1909—1911 und 1904—1906 ergaben recht beträchtliche Unter¬
schiede. Während in einigen Bezirken nur der 15. Teil der Lebend¬
geborenen im ersten Lebensjahr starb, starb in andern Bezirken mehr
als ein Drittel aller Lebendgeborenen vor Vollendung ihres ersten
Lebensjahres. Die vom Statistischen Reichsamt neuerdings veröffent¬
lichte Uebersicht setzt die früheren Ergebnisse mit denen der Jahre
1919 und 1920 in Vergleich. Geringe Kindersterblichkeit
weisen in Preußen die Provinzen Hannover, Westfalen und Hessen-
Nassau sowie ein großer Teil des Rheinlandes auf, auch im Regierungs¬
bezirk Erfurt ist die Zahl der Säuglingssterbefälle gering. Von den
übrigen deutschen Ländern zeigen Hessen, Oldenburg, der größte Teil
von Baden sowie Waldeck und die beiden Lippe recht günstige Sterb¬
lichkeitsverhältnisse, während Sachsen, Württemberg und Mecklen¬
burg mittlere Werte für die Säuglingssterblichkeit ergeben. Un¬
günstige Verhältnisse weisen die bayerischen Regierungsbezirke
Oberpfalz, Oberbayern und Niederbayern auf, auch in Mittelfranken
und Schwaben kommen Bezirke mit recht hohen Ziffern vor, dagegen
ergeben sich für Unterfranken und die Pfalz verhältnismäßig günstige
Zahlen. In Preußen haben die Regierungsbezirke Gumbinnen, Breslau
und Liegnitz ungünstige Sterblichkeitsverhältnisse, in Sachsen .die
Amtshauptmannschaft Chemnitz, in Württemberg der Dönaukreis und
in Bader: der Landeskommissärbezirk Karlsruhe. Die Bezirke, welche
vor dem Kriege geringe Säuglingssterblichkeit hatten, weisen auch
nach dem Kriege geringe Sterblichkeit auf, und die Bezirke mit hoher
Säuglingssterblichkeit vor dem Kriege haben solche auch jetzt, aber
in der Größe der Zahlen ist manche Aeuderung eingetreten. Im all¬
gemeinen sind die geringen Sterblichkeiten auf der gleichen Höhe
geblieben, dagegen sind die großen Sterblichkeiten wesentlich herab¬
gegangen, soaaö der Unterschied zwischen den hohen und niedrigen
Ziffern vermindert worden ist.
Mutter-, Säuglings- und Kleinkinderffirsorge.
Hans Eitel (Charlottenbürg), Prinzipielles zur Schwangerenfür¬
sorge. Zschr. f. Säuglgsschutz 1922 H. 1. Verf. vertritt nachdrücklich
den Standpunkt, daß die Schwangerenfürsorge nicht dem Entbindungs¬
heim, dem Vormundschaftsamt, sondern der Säuglingsfürsorgestelle
angegliedert werden muß. In der „nachgehenden“ Fürsorge, d.h.
auf Hausbesuchen, kann die Säuglingsfürsorgerin viel mehr fürsorge¬
bedürftige Schwangere auffinden, als bisher der Fall ist. Ferner bleibt
nach der Geburt die Fürsorge in derselben Hand. Und schließlich
erfaßt nur die Säuglingsfürsorge die Frühschwangeren, jene Frauen
und Mädchen, die psychisch am labilsten sind, bei denen das Gefühl
der Mutterschaft noch gar nicht erwacht ist, während in die bisher
bestehenden Schwangerenfürsorgen nur Frauen in den letzten Monaten
der Gravidität, wo erwiesenermaßen schon die Freude am Kinde fast
ausnahmslos herrscht, kommen. Zur rationellen Schwangerenfürsorge
fordert Verf. aber dringend die Unterstützung der Vormundschaft,
Frauenärzte und Kliniken. Die Frage über die Mitarbeit der Heb¬
ammen hält Verf. noch nicht für spruchreif. Schur.
Hoff mann (Berlin-Grunewald), Das Arbeitsverbot der Wöchne-
rimieo. Die Deutsche Landkrankenkasse 1921 Nr. 18. Bisher besteht
ein Beschäftigungsverbot nur für die unter die Gewerbeordnung fallen¬
den Wöchnerinnen. Infolge der erheblichen Aufwendungen der Kran¬
kenkassen und des Reiches für Wochenhilfe und Wochenfürsorge ist
die Frage nach dem Beschäftigungsverbot der Wöchnerinnen in den
Vordergrund des Interesses gerückt worden. Der Reichsrat hatte die
Beschränkung vorgesehen, daß das Wochengeld in dem Augehblick
fortzufallen habe, in dem die Wöchnerin gegen Entgelt arbeitet.
Merkwürdigerweise hat der Reichstag diese Beschränkung wieder
gestrichen. In den Städten werden die weiblichen Personen schon
wegen ihrer geringeren Widerstandskraft von selbst das Bedürfnis
empfinden, sich längere Zeit nach der Niederkunft Ruhe zu gönnen.
Dagegen wird auf dem Lande bei den Frauen eher die Neigung
herrschen, bald nach der Geburt die Arbeit wieder aufzunehmen
Da aber gerade in ländlichen Verhältnissen die Verpflichtung der
Krankenkassen, einer gegen vollen Lohn arbeitenden Wöchnerin das
hohe Wochengeld zu zahlen, als widersinnig empfunden wird, rät
* Verf. den Landkrankenkassen, es sich angelegen sein zu lassen, eine
Aenderung der jetzigen Regelung herbeizuführen.
Erich Nassau (Berlin), Erfahrungen mit einer kontrollierten
AoBenpflege rekonvaleszenter und schwächlicher Sflnglinge. Zschr. f.
Saugigsschutz 1922 H. 2. Verf. versucht zum erstenmal an der Hand
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITÄT
504
SOZIALHYOIENISCHE RUNDSCHAU
Nr. 15
eines größeren Zahlenmaterials die Erfolge der Anstaltsbehandlung
mit der kontrollierten Rekonvaleszentenaußenpflege zu vergleichen.
Ergebnis: Die Kinder, welche erprobten, unter regelmäßiger (8tägiger)
Kontrolle stehenden Pflegefrauen übergeben wurden, nachdem sie
einige Zeit im Berliner Waisenhaus waren, zeigten bessere Resultate
in bezug auf Gewichtsansatz, Häufung der Infekte und Mortalität,
als die Kinder in Waisenhaus und Heim. Um aus den Zahlenbelegen
nur ein Beispiel herauszugreifen, so betrug der Index infectiosus
(1 Infekt in 100 Tagen = 1) im Heim mit geringem Wechsel der
Insassen 1,4, mit starkem Wechsel 2,4, in Außenpflege aber nur 0,77.
Trotz aller geschilderten Vorzüge fällt es Referenten doch auf, daß
von 284 Kindern 218 gesund aus der Rekonvaleszentenpflege ent¬
lassen wurden, dagegen 66 Kinder krank ins Waisenhaus zurück
mußten. Von diesen starben 15 im Waisenhaus, 8 in einer Pflege¬
stelle. Schur.
Schulkinderfürsorge.
Durch den Krieg ist die Erholungsfärsorge für Kinder aktuell ge'
worden. Sie hatte zunächst ausgesprochenermaßen den Zweck, die
Kinder aus den Städten zur besseren Ernährung in ländliche Gegen¬
den zu schicken. Nach dem Kriege wurde dieser Fürsorgezweig
außerordentlich erweitert, ja er hat jetzt einen Umfang angenommen,
der für die Planmäßigkeit der Durchführung Befürchtungen auf-
kommen läßt. Es fehlt sowohl für die mit diesem Fürsorgezweig
beschäftigten Vereine, als auch für die mit der Auswahl der Kinder
beauftragten Aerzte an festen Richtlinien. Nichts wäre aber falscher,
als wenn diese Fürsorge uferlos würde. Es ist Sache der Aerzte, hier
richtunggebend einzugreifen. Deshalb mögen nachstehend einige Ver¬
öffentlichungen referiert und so das Interesse der Aerzte für die Frage
der Erholungsfürsorge geweckt werden. Uebrigens dürfte cs not¬
wendig sein, die Frage zu erörtern, inwieweit aie teuere Kinderver-
schickung durch die billigere örtliche Erholungsfürsorge abgelöst
werden Kann.
Ad. Czerny (Berlin), Ueber den Landaufenthalt erholungabedfirf-
diger Großstadtkinder. Gutachten, veröffentlicht von der Deutschen
Kinderhilfe, Volkssammlung für das notleidende Kind. Czerny stellt
die Forderung auf, das bisherige Verschicken der Großstadtkinder
zweckmäßiger zu gestalten. Das Ziel darf nicht wie früher die mög¬
lichst große Zahl der Verschickten sein, sondern nach strengerer Aus¬
wahl die Gewährung eines Landaufenthaltes von einer Dauer, der
derit körperlichen Zustande oder Leiden angemessen ist. Es lassen
sich im wesentlichen vier Gruppen unterscheiden: Die erste und
größte Gruppe bilden die Neuropathen. Für die Mehrzahl dieser
Kinder, die sich außerhalb der Großstadt meist rasch erholen, sind
die bisher für die Verschickung üblich gewesenen vier Wochen meist
ausreichend, doch muß in einzelnen Fallen eine bedeutend längere
Erholungszeit gefordert werden. Die zweite Gruppe bilden die
Kinder mit exsudativer Diathese, für die der Aufenthalt in staub- und
rauchfreier Landfuft eine wichtige Vorbedingung der Besserung ist
Für die Kinder dieser Gruppe leistet ein Landaufenthalt von vier
Wochen nur wenig. Zur dritten Gruppe gehören die tuberkulose-
gefährdeteu Kinder, denen mit einem vierwöchentlichen Aufenthalt
auf dem Lande auf keinen Fall geholfen ist. Für die vierte kleinste
Gruppe der Kinder, die in relativ kurzer Zeit mehrere aufeinander¬
folgende Infektionskrankheiten gehabt haben, genügt fast ausnahms¬
los kurzfristiger Landaufenthalt. Hauptsächlich für die zweite und -
dritte Gruppe von Kindern muß mithin die Möglichkeit eines längeren
Landaufenthaltes geschaffen werden.
Theodor Hoffa (Barmen), Erholungsfürsorge und Heifstltten-
behandlung für Kinder, vöff. Mverwaltg. 1922, 14, H. 9.* Während die
Aufgabe der Heilstättenfürsorge Behandlung bestehender Krankheits-
f zustande ist, befaßt sich die Erholungstürsorge mit Krankheits¬
verhütung, Bekämpfung von Krankheitsfolgen und konstitutionellen
Minderwertigkeiten. In übersichtlicher Weise wird über Auswahl und
Verteilung der Kinder durch den Arzt, Auswahl der Heilstätte, deren
hygienische und klimatische Beurteilung, über Ueberwachung der Be¬
triebe und Schlußprüfung der Erfolge gesprochen. * Ausführlich be¬
handelt Verf. die Frage Tuberkulose und Heilstätte: Das Heraus¬
nehmen des Kindes aus seinem Milieu ist mit der wichtigste Heil¬
faktor in der Behandlung kindlicher Tuberkulose. t Schur.
Fischer-Defoy (Frankfurt a. M.), Neue Wege der Erholungsfür¬
sorge. Zschr. f. Schulgesdhtspfl. 1921, H. 11/12. Geschah die Auswahl
der in Landerholungsstätten zu schickenden Kinder bisher meistens
durch den Arzt nach voigeschriebenen, oft aber nicht zu verall¬
gemeinernden Gesichtspunkten, so schlägt Verf. in seiner Arbeit
einen neuen, bereits erprobten Weg vor. Ganze Schulklassen oder
gar Jahrgänge werden verschickt, für ihre Unterbringung werden
vorzugsweise Truppenlager vorgesehen. So hat Frankfurt a. M. alle
13- bis 14jährigen Kinder der städtischen Anstalten, also die, welche
demnächst gekräftigt in die Lehre kommen sollen, für vier Wochen
in den Spessart geschickt. „Das sehr gesunde Prinzip ist also, sich
nicht in der* Fürsorge für die Schwachen zu erschöpfen, sondern
auch die Kräftigung der Gesunden zu erstreben.“ Den Beschluß der
Arbeit bildet eine Beschreibung des zum Kinderheim (ungebildeten
Truppenlagers, der wohldiszipnnierten Beschäftigung und Lebens¬
weise der Zöglinge. Schur.
• Jugendpflege und -ffirsorge.
Lehrgang für praktische Leibesübungen. Die Zentralturnanstalt in
Spandau und die Akademie für Leibesübungen, Berlin, beabsichtigen,
im Juni ds. Js. vierzehntägige Lehrgänge für Aerzte abzuhalten, in
denen vor allem praktische Leibesübungen neben theoretischen Unter¬
weisungen auf diesem Gebiete veranstaltet werden. Der preußische
Volkswohlfahrtsminister wird einige beamtete Aerzte zu den Lehr¬
gängen abordnen.
Die Berufsvormundschaften nach den Kriege. Nach einer 6jährigen
Pause ist das Archiv Deutscher Berufsvormünder jetzt wieder in der
Lage, eine Uebersicht über die Berufsvormundschaften des Deutschen
Reiches zu geben. Krieg und Friedensschluß haben ganz erhebliche
Veränderungen verursacht. Die durch die Abtretung von Gebieten
entstandenen Verluste sind durch Gewinne an anderen Stellen kom¬
pensiert. Im Februar 1921 bestanden im Deutschen Reich 319 Berufs¬
vormundschaften mit 193186 Mündeln gegen 1915: 317 Berufsvormund¬
schaften mit 160 252 Mündeln. Diese Zahlen zeigen deutlich, daß
die Berufsvormundschaft ständig an Boden gewinnt; das Endresultat
wäre sicherlich noch weit günstiger gewesen, wenn nicht eine An¬
zahl von Berufsvormündern wegen Arbeitsbelastung verhindert ge¬
wesen wären, die nötigen Zahlen für die Zusammenstellung zu liefern.
Ernährungsffirsorge-
Kinderspeisung. Nachdem die Kinderhilfsmission der Religiösen
Gesellschaft der Freunde (Quäker! von Amerika die weitere Durch¬
führung der Kinderspeisung an den Deutschen Zentralausschuß für
die Auslandshilfe (Vorsitzender: Geh. Regierungsrat Dr. Bose im
Reichsernährungsministerium, Geschäftsstelle: Berlin NW. 7, Doro¬
theenstraße 2) übergeben hat, sind von der letztgenannten Stelle
neue Richtlinien für die sachliche Durchführung der Kinderspeisung
in Deutschland ausgearbeitet und sowohl in dem Auschuß für Kinder¬
speisung wie in einer Sitzung des Aerztlichen Beirats durchgesprochen
worden. Für die Speisung kommen wie bisher in erster Linie Schul¬
kinder in Betracht. Kleinkinder sind an der Speisung in der Regel nur
soweit zu beteiligen, als sie bereits in Kindergärten gesammelt sind.
Die Speisung von Jugendlichen hat sich grundsätzlich auf erwerbs¬
unfähige, in ihrer Erwerbsfähigkeit beschränkte oder noch nicht
vollerwerbstätige zu beschränken. Bei hoffenden und stillenden Mut¬
tem ist eine Abweichung von der Form der Massenspeisung und
die Verabreichung roher Lebensmittel ausnahmsweise gestattet, falls
d«y Ernährungsnot dieser Bevölkerungsgruppe nicht aus anderen
Mitteln gesteuert werden kann und geeignete Fürsorgeorgane eine
entsprechende Kontrolle gewährleisten. Für die Auswahl von Kindern,
Jugendlichen und Müttern zur Teilnahme an der täglichen Speisung
sind weiterhin die vom Aerztlichen Beirat der Religiösen Gesell¬
schaft der Freunde (Quäker) von Amerika im Dezember 1920 bzw.
im August 1921 aufgestellten Richtlinien maßgebend. Jedoch soll den
Veränderungen der gesamten Ernährungs- und Wirtschafts Verhältnisse
insofern Rechnung getragen werden, als die Speisungsorte (Ortsaus¬
schüsse) ermächtigt werden, die sozialen und wirtschaftlichen Ver¬
hältnisse, denen die Kinder usw. entstammen, stärker als bisher zu
berücksichtigen. So können die sozialen Verhältnisse in Zukunft
nicht nur entscheiden bei der Frage der engeren Auswahl von Kin¬
dern der Gruppe 3 — in der körperlichen Entwicklung erheblich zu¬
rückgebliebene Kinder, die eine Zusatznahrung dringend brauchen —,
wenn die zugewiesenen Portionen nicht ausreichen zur Speisung
aller dieser Kinder, sondern es können auch Kinder, die bei der
Musterung nach ärztlichem Untersuchungsbefund in Gruppe 2 —
Kinder, bei denen eine Zusatznahrung erwünscht wäre — eingeord¬
net worden sind, zur Speisung vor Kindern der Gruppe 3 zu¬
gelassen werden. Die Notwendigkeit zu diesem, von dem der
Quäker grundsätzlich abweichenden Vorgehen wurde auch im Aerzt¬
lichen Beirat anerkannt. Es würde jedoch zu bedauern sein, wenn
in Zukunft die Speisung der aus sozialen Gründen zuzulassenden
Kinder in stärkerer Weise auf Kosten der speisungsbedürftigen
kranken oder gebrechlichen Kinder geschehen würde.
Krfippelffirsorge.
Anzeige der Krüppelfülle bei dem Jugendamt Berlin. Laut Erlaß des
preußischen Volkswonlfahrtsministers vom 28. II. 1922 (Volkswohlfahrt
1922 Nr. 6) sind die in den §§ 3, 4 und 5 des Krüppelfürsorgegesetzes
vorgesehenen Anzeigen im Bereich des Landarmenverbandes Berlin
vom 1. IV. ab nicht mehr an den zuständigen Kreisarzt, sondern an das
Jugendamt der Stadt Berlin, Abteilung Krüppelfürsorge, Berlin SW 68,
Alte Jakobstr. 33/35, zu richten.
Die Deutsche Vereinigung für Krüppelfürsorge veranstaitet ihren
VII. Kongreß am 8. und 9. VI. 1922 in Dresden im Konzertsaal des
städtischen Ausstellungspalastes. Biesalski.
Psychopathenffirsorge. -
Bericht über die zweite Tagung über Psycbopatheafürsorce.
Köln a. Rh., 17. und 18. V. 1921. Berlin 1921. 98 S. Dem Bericht,
der die auf der Tagung gehaltenen Vorträge im Wortlaut enthält,
gibt Dr. F. Siegmund -Sch ult ze ein Vorwort, in dem er betont,
□ igitized by Gougle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
14. April 1922
SOZIALHYGIENISCHE RUNDSCHAU
505
daß mit diesem Kongreß in der Oeschichte der Psychopathenfürsoige
wieder ein Merkstein errichtet sei: Die Notwendigkeit einer besonderen
Fürsorgetätigkeit für jugendliche Psychopathen sei bei den Sach¬
verständigen der Psychiatrie sowohl wie der Wohlfahrtspflege eine
anerkannte Sache geworden, ln den größeren Städten müßten Spezial¬
bearbeiter der Psychopathenfürsorge einen Mittelpunkt der entspre¬
chenden Tätigkeit der Fürsorgevereine bilden, während im übrigen
alle städtischen Wohlfahrtspfleger die Grundbegriffe einer richtigen
Behandlung jugendlicher Psychopathen kennen müßten.
Aufnahme nervöser und schwer erziehbarer Kinder ln Arzftfamilien.
Der vor einigen Monaten vom. Organisationsamt für Säuglings- und
Kleinkinderschutz des Kaiserin Auguste Victoria Hauses erlassene
Aufruf zur Sammlung von Adressen von Aerzten, die gewillt sind,
nervöse Kinder zur Erziehung und Beobachtung in ihrem Hause auf¬
zunehmen, hat eine große Zahl von Meldungen gebracht. Diese
Meldungen stammen von praktischen Aerzten, Kinderärzten und Ner¬
venärzten aus allen Teilen des Reichs, sodaß eine individuelle Unter¬
bringung der Kinder ermöglicht wird. Anfragen zwecks Nachweises
einer geeigneten Unterbringung sind unter Beifügung des Rückportos
an das Orgauisationsamt in Cnarlottenburg, Mollwitz-Frankstraße (zu
Händen von Dr. Pototzky) zu richten. Pototzky.
Bekämpfung des Alkoholismus.
Im verflossenen Jahre haben sich die deutschen Alkoholgegner
der verschiedenen Richtungen zu einer Einheitsfront im Kampfe gegen
den Volksfeind zusammengeschlossen, die ihren äußeren Ausdruck in
der Deutschen Rdchshanptstelle gelten den Alkobolismns, Berlin-
Dahlem, gefunden hat. Gegenwärtig ist die Reichshauptstelle u. a. mit
der Vorbereitung des Zweiten deutschen Kongresses für alkohol¬
freie Jugenderziehung beschäftigt, der in der Himmelfahrtswoche in
Berlin stattfinden wird. Darüber, wie über die Tätigkeit der an¬
geschlossenen Verbände, wird später an dieser Stelle noch berichtet
werden. Oonser.
Seuchenbekämpfung.
Martin Hohlfeld (Leipzig), MaaeraveriHitong in Krippen. Kripp enztg
1922 H. 1. Wie allgemein üblich, fordert Hohlfeid bei Masern¬
ausbruch Schließung der Krippe. Nach seiner Ansicht beginnt die
Ansteckungsgefahr frühestens 4 Tage vor Ausbruch des Exanthems.
Er fordert nach Kasuistik von 4 Masernepidemien Schließung für
durchschnittlich 17 Tage nach der letzten Berührungsmöglichkeit mit
..dem ersten Fall. — Bedauerlich ist es, daß die Kinder in das häus¬
liche Milieu zurück müssen, aus dem heraus sie gerade wegen der
schlechten sozialen Verhältnisse genommen werden. Abhilfe könne
vielleicht geschaffen werden durch Behandlung der noch nicht durch¬
maserten Kinder mit dem Degkwitzschen Rekonvaleszentenserum,
das Verf. zur Einführung in den Krippen empfiehlt. Schur.
Tuberkulosefürsorge.
Gegenstand lebhaften Streites ist zurzeit die Frage, ob es besser
ist, PaBilientärsorgeriooen oder Spezialffirsorferiooen anzustellen.
Wenn auch bereits in früheren Jahren gelegentlich über den Uebel-
stand geklagt worden ist, daß von den einzelnen Zweigen der sozial¬
hygienischen Fürsorge ein jeder eigenes Personal unterhält, und daß
aus diesem Grunde ein und dieselbe Familie oft nicht nur von der
Säuglingsfürsorgerin, sondern von der Tuberkulosefürsorgeschwester,
vielleicht auch noch von einem Angestellten der Trinkerfürsorge
besucht wird, so ist diese Frage dodi erst durch die nach dem
Kriege eingetretene Finanznot und durch die in den letzten Jahren
lebhaft betriebene Einrichtung von Wohlfahrts- oder Gesundheits¬
ämtern in den Städten und Kreisen brennend geworden. Nachstehend
sei auf zwei einschlägige Aufsätze hingewiesen.
Ries (Kiel), Erfahrungen mit der Familienföraorge. Tub. Fürs.BI.
1921 Nr. 10. Verf. berichtet in einem im September vorigen Jahres in
Nürnberg gehaltenen Vortrage über die in Kiel seit dem 1. X. 1920
getroffenen Einrichtungen, bei denen es darauf ankam, die schon
länger bestehenden Fürsorgezweige der Säuglings- und Tuberkulose¬
fürsorge sowohl mit dem eben errichteten Wohlfahrtsamt, wie auch
mit der erst neu zu schaffenden Schul- und Jugendfürsorge in
organischen Zusammenhang zu bringen. Zugunsten der Einheitlich¬
keit und der Wirtschaftlichkeit bekannte man sich dabei grundsätz¬
lich zu dem System der Bezirksfürsorgerin, die für die ganze Für¬
sorgearbeit ihres Bezirkes verantwortlich sein soll und nur vorläufig
noch auf einigen Einzelgebieten von Spezialfürsorgerinnen unter¬
stützt wird. Die mit dieser neuen Organisation gemachten Erfah¬
rungen sind, wie Ries selbst zugibt, nicht durchweg günstige.
Die Leiter der Spezialfürsorgezweige, insbesondere der Tuberkulose¬
arzt, vermissen den engen Zusammenhang mit den ausführenden
Organen, da die 14 Bezirksfürsorgerinnen nicht sämtlich an der Für¬
sorgesprechstunde teilnehmen können, wie es bei den früheren
4 Tuberkuloseschwestern der Fall war. Demgegenüber werden aber
als erhebliche Vorteile die Ersparnisse an persönlichen und sach¬
lichen Kosten und die bessere Zusammenarbeit der einzelnen Für¬
sorgegebiete betont. In ersterer Beziehung werden einzeln genannt
die bessere Ausnutzung der Arbeitskraft der Fürsorgerinnen und die
Ersparung mehrfacher Besuche derselben Familie seitens verschiedener
Fürsorgeorgane und damit zugleich die Verminderung der heutzu¬
tage sehr beträchtlichen Fahrkosten, sowie die zweckmäßigere Ver¬
teilung von Unterstützungen und Spendemitteln infolge besserer
Kenntnis der Verhältnisse. Als Beweis für die erfolgreiche Zu¬
sammenfassung der verschiedenen Einzelgebiete wird angegeben, daß
es bereits im ersten Halbjahr gelungen sei, der Lungenfürsorgestelle
81 neue Kranke zuzuführen, die die Bezirksfürsorgerinnen gelegent¬
lich ausfindig gemacht haben. Nach der Ansicht des Verf. sind die
beobachteten Mängel der Einrichtung auf gewisse Uebergangsschwie-
rigkeiten zurückzuführen, im ganzen glaubt er das System der Fa¬
milien- oder Bezirksfürsorgerin empfehlen zu sollen.
Berghaus (Karlsruhe), Erfahrungen mit der Famllienförsorge.
Tub. Fürs. Bl. 1922 Nr. 2. Entgegnung auf vorstehenden Aufsatz. Verf.
macht darauf aufmerksam, daß in Kiel trotz der abweichenden An¬
sicht der Fürsorgeärzte die Neueinrichtung der Bezirksfürsorgerinnen
aufrechterhalten und womöglich noch ausgedehnt werden soll, daß
die Vielheit der Aufgaben, die diesen Fürsorgerinnen zugedacht
sind, an die Leistungsfähigkeit, hauptsächlich in geistiger Beziehung,
unerfüllbare Ansprüche stellt, und dadurch zu ungleichmäßiger oder
oberflächlicher Erledigung des Dienstes und zur Verflachung der
Fürsorge führen muß, und daß sich aus der Unterstellung der Für¬
sorgerinnen unter eine ganze Zahl verschiedener Vorgesetzten (Stadt¬
arzt, Lungenfürsorgearzt, Säuglingsarzt, Schularzt) im Laufe der Zeit
Reibungen und Unannehmlichkeiten ergeben müssen. Er warnt gleich¬
zeitig davor, die Fürsorgerinnen zu selbständig zu machen; andern¬
falls würde nur die bei vielen von ihnen bereits vorhandene Neigung
zur Kurpfuscherei bestärkt. Die Fürsorgerinnen sollen immer wieder
daran erinnert werden, daß sie Gehilfinnen des Arztes sind, aber
nicht selbst behandeln dürfen. Für die Tuberkulosefürsorge in der
Stadt sind ebenso wie für die Säuglingsfürsorge, auch wenn ein
Wohlfahrtsamt besteht, Spezialfürsorgerinnen notig, da nur so Höchst¬
leistungen erzielt werden können. Helm.
Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten.
Die Verhütung der Geschlechtskrankheiten darch Selbstschutz Pro¬
tokoll einer Sachverständigenkommission der Deutschen Gesellschaft
zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten. Verlag W. Fiebig. Berlin
1922. In acht Referaten ist durch Fachmänner die wichtige Frage des
Selbstschutzes erörtert worden. Manteufel (Berlin) beschäftigt
sich mit den experimentellen Grundlagen der persönlichen Prophylaxe
bei Geschlechtskrankheiten. Da die Einführung der mechanischen
Schutzmittel schwierig ist, müssen die chemischen Schutzmittel mehr
als bisher herangezogen aber auch auf ihren Wert genau geprüft
werden. Leider gibt es für die Untersuchung bei der Gonorrhoe keine
geeigneten Versuchstiere. Deshalb sind hier Versuche im Reagenz¬
glas nötig, am besten eignen sich Gonokokkenaufschwemmungen in
eiweißhaltiger Lösung. Bei der Syphilis liegen die Verhältnisse leich¬
ter, besonders seitdem wir den Erreger kennen. Es sind aber jetzt die
Versuche bei Affen zu kostspielig; deswegen müssen sie mit Rexurrens-
Spirochäten bei Mäusen angestellt werden. Die sich an das Referat an¬
schließende Diskussion ist sehr eingehend und bringt viele interessante
Einzelheiten. Schumacher (Berlin) geht auf die Technik der
Prophylaxe beim Manne ein, und zwar erstens auf die Wahl des
Mittels zur Prophylaxe und zweitens auf die spezielle Technik der
Prophylaxe. In der Diskussion wird eingehend, besonders von
Grotjahn (Berlin), der mechanische Schutz erörtert. Uthemann
(Berlin) gibt interessante Einzelheiten über die Erfahrungen bei der
Marine. Fritz Lesser (Berlin) behandelt in getrennten Referaten
die Technik der Prophylaxe bei der Frau und bei den Prostituierten.
Er geht näher auf die interessanten Beobachtungen und Einrich¬
tungen, die während der Besatzungszeit in Warschau gemacht worden
sind, ein. Blaschko (Berlin) erörtert die Organisation der Pro¬
phylaxe. Selbstschutz des Publikums durch käufliche Mittel oder
Desinfektion durch Sachverständige in besonderen Desinfektions¬
stuben sind keine Gegensätze, sondern beide Dinge sind auf das
eifrigste zu fördern, beide Verfahren haben ihre Vorteile und Nach¬
teile. Die Desinfektionsstuben haben sich in Berlin gut bewährt, wie
zahlenmäßig nachgewiesen wird. Je schneller die Desinfektion er¬
folgt, desto wirksamer ist sie. Genauere Angaben darüber sind durch
Merkblätter zu machen. Galewsky (Dresden) weist in seinen
Ausführungen über die Propaganda der Prophylaxe auf die Schwierig¬
keiten der Durchführung hin. Er führt in sehr interessanter Weise
aus, welche Schwierigkeiten bisher in gesetzlicher Beziehung be¬
standen haben, und wie wertvoll es ist, daß auf die Jugend die
nötige Rüdesicht genommen wird. Trotz aller dieser Schwierig¬
keiten ist die Propaganda unter der Jugend äußerst wichtig, sie
muß nur mit der nötigen Vorsicht durengeführt werden. Daß durch
eine stärkere Propaganda für die persönliche Prophylaxe die allge¬
meine Neigung zum außerehelichen Geschlechtsverkehr vermehrt wird,
ist kaum zu befürchten; es wird vielmehr dadurch immer wieder
auf die Gefahren des außerehelichen Geschlechtsverkehrs hingewiesen
und davor gewarnt. Röschmann.
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
506
SOZIALHYQ1ENISCHE RUNDSCHAU
Nr, 15
Fürsorge für Prostituierte.
Georg Loewenstein (Berlin), Färsorgebestrebongeii an Prosti¬
tuierten im Krankenhaus. Zschr. f. soz. Hyg. 1922 H. 9. Mit der Frage
der Einrichtung von Pflegeämtern (für Prostituierte), die selbständig,
ohne Abhängigkeit von Jugendämtern arbeiten sollen, ist auch die
Frage der Fürsorge für Prostituierte in den Vordergrund des
Interesses gerückt. Die Fürsorge für kranke Prostituierte ist zu
scheiden in eine solche, die vor und nach dem Aufenthalt im
Krankenhaus (Zwangsbehandlung) erfolgt, und in eine solche, die im
Krankenhaus selbst durchführbar ist. Der Fürsorgearbeit im Kranken¬
haus sind gewisse Grenzen gezogen, denn hier steht an erster Stelle
die Krankheitsheilung. Besonderes Augenmerk muß der Unterbringung
der Kranken im Krankenhause zugewandt werden. Es müssen ge¬
trennte Stationen eingerichtet sein für nicht unter Kontrolle stehende,
aber von der Polizei wegen Unzucht erfaßte Frauen, für erstmalig
seit der Inskription kommende oder erst seit kurzer Zeit inskribierte
Frauen, für jüngere, bereits einige Zeit Kontrollierte und für Vete-
raninnen der Prostitution. Eine besondere Abtrennung der der Für¬
sorgeerziehung unterstehenden Mädchen ist ganz besonders erstrebens¬
wert. Kleine Krankenzimmer mit 3—4 Betten sind erforderlich, ebenso
die Verhinderung des — jetzt in den meisten Zwangsstationen nicht
vermeidbaren — Verkehrs zwischen den einzelnen Stationen. Die
durch Arzt und Fürsorgerin im Krankenhaus erfolgende Fürsorge soll
sich besonders auf psychische Einwirkung und Gewöhnung an das
Arbeiten erstrecken. Wünschenswert ist ein inniger Konnex zwischen
Arzt und Fürsorgestelle. Eine Zentralisierung der Fürsorgestellen im
städtischen Pflegeamt ist notwendig. Die vom Verf. aufgestellten
Leitsätze lauten (auszugsweise): 1. Für eine Beseitigung der Regle¬
mentierung muß so schnell als möglich Sorge getragen werden. An
ihre Stelle soll eine gesundheitliche, rein ärztliche Ueberwachung mit
evtl. Zvvangsbehandlung treten. 2. Eine. Aenderung der bisherigen
Anwendung polizeilicher Strafmaßnahmen ist erforderlich. Die Strafen
sind durch andere — fürsorgerische — Maßnahmen und die Er¬
leichterung jeglicher Arbeitszuwendung zu ersetzen. 3. Schaffung
von vorbildlichen Anstalten mit Gartenland, Arbeitsräumen, Aufent¬
halts- und Eßsälen zur Behandlung geschlechtskranker Frauen.
4. Unterbringung der Kranken in kleinen Sälen mit wenig Betten
und einfacher, der Eigenart des Weiblichen Redinung tragender
Eihrjchtung. 5. Ausreichende Belehrung der Kranken durch Licht¬
bildervorträge über die Geschlechtskrankheiten, über Prophylaxe und
über die Bedeutung des Alkoholmißbrauches. 6. Schaffung einer Für¬
sorgestelle im Krankenhaus oder mindestens einer Sprechstunde.
7.'Bereitstellung von Unterkunftsräumen für arbeitswillige, der Für¬
sorge zugängliche Frauen, um nach der Entlassung aus dem Kranken¬
haus einem erneuten Anheimfallen zur Unzucht, einem Inverbindung-
treten mit Kupplern und Zuhältern entgegenzuwirken. 8. Strenge
Trennung der jugendlichen von den Aelteren, der Bestraften von
den Nichtbestrafteu, der Inskribierten von den Nichtinskribierten.
9. Fürsorge für Minderwertige durch eine das Leben über dauernde
fürsorgerische Beeinflussung. 10. Bereitstellung von Geldmitteln zur
Ermöglichung der Arbeitsgewöhiiiuig und zur Beschaffung von Ma¬
terial auch für unproduktive Arbeit. 11. Freie Arbeitsvermittlung
für die zu Entlassenden. 12. Bessere Jugendpflege auf dem Lande.
13. Die Fürsorge im Krankenhaus ist in erster Linie Aufgabe des
Arztes, in zweiter Linie der Fürsorgepflegerin. Der Arzt macht die
Fürsorgezugänglichen bekannt und wirkt aussöhnend auf Eltern und
Angehörige, pflegerisch auf Minderwertige. 14. Schaffung eines
Pflegeamtes mit weitgehenden Befugnissen unter völliger Lösung vom
Jugendamt. 15. Erschwerung der Inskription durch Fortfall der Wahl
zwischen Fürsorgeerziehung oder Kontrolle bei unter 21 Jahre alten
Mädchen, Ersetzung des inskribierenden Beamten durch eine pflege¬
amtliche Fürsorgerin, Fortfall der freiwilligen Inskription.
Versicherungswesen.
Alfred Korach (Berlin), Die Lefetuiigea der LandesYersicberungs-
anstalten im Jahre 1920. Ortskrankenkasse 1922 Nr. 5, Sp. 147—151.
Kritischer Bericht über die vom Reichsversicherungsamt veröffent¬
lichten statistischen Nachweisungen. Die Gesamtzahl aller Behan¬
delten stieg von 163846 im Jahre 1919 auf 221512 im Jahre 1922.
Die Zunahme verteilt sich ziemlich gleichmäßig auf alle Krankheits¬
gruppen. Der Gesamtkostenaufwand betrug rund 145V2 Millionen
Mark (1919 rund 48 Millionen Mark). Von den seit 1897 überhaupt
behandelten Personen waren 703771 = 34,2o/ 0 an Lungen- oder
Kehlkopftuberkulose erkrankt; auf ihre Behandlung entfielen über
36 Millionen Mark = 61 ®/o der ca. 583 Millionen Mark betragenden
bisherigen Gesamtausgaben der Landesversicherungsanstalten. Es muß
unbedingt gefordert werden, daß die LVA. eine andere Rangfolge
der verschiedenen Leistungen für Zwecke der Tuberkulosebekämp¬
fung eintreten lassen, und daß bei den Beratungen, die der Bewertung
der Wichtigkeit der einzelnen Aufgaben, der Beurteilung des Nutzens
der Heilmethoden und der Bestimmung der Höhe der Aufwendungen
in den Voranschlägen für die einzelnen Positionen des Haushaltplanes
gewidmet sind, vor allem sachverständige Aerzte und Sozialhygieniker
als Gutachter in erweitertem Umfange hinzugezogen werden. Für
die gesamte Kinderfürsorge (einschl. Schwangerenfürsorge) wurde
die verhältnismäßig geringe Summe von rund 8Vs Millionen Mark
verausgabt. Nach Ansicht des Verf. gilt es, eine rationelle Systematik
auf dem Gesamtgebiete der Gesundheitswirtschaft herbeizuführen
sowie unter steter Berücksichtigung der medizinischen und hygieni¬
schen Erfahrungen die Frage der Rangfolge der finanziellen Leistun¬
gen für die verschiedenen Aufgaben der Volksgesundheitspflege zu
erörtern und dann »m Interesse des Volksgänzen zu verwerten.
Berufshygiene.
Hartmann (Berlin-Steglitz), Gesundheitsschädliche EJsflüsse nach
den Jahresberichten der deutschen Gewerbeaufsicbtsbeamteu für das
Jahr 1921. Reichsarbeitsbl. 1922, Nr. 3 u. 4. Der durch mangelhafte
Kriegsernährung im Vorjahr noch so schlechte Gesundheitszustand hat
sich gebessert, gefördert wurde diese Besserung durch die Arbeitszeit¬
verkürzung. Eine neue Schädigung entstand durch das Bestreben der
Arbeiterschaft, ohne Pause oder mit möglichst kurzer Pause das täg¬
liche Arbeitsquantum zu erledigen. Durch die Feststellung, daß viel¬
fach die Diagnose Bleivergiftung zu Unrecht gestellt wird, gelangen
die Gewerbeaufsichtsbeamten zu der Anschauung, daß die Blei¬
vergiftung seltener sei, als man bisher oft angenommen. Dabei wird
einerseits die vollkommene Mangelhaftigkeit aller Meldungen, ander¬
seits der Umstand übersehen, daß durch die Feststellung zwar die
fälschlich gestellte Diagnose Bleivergiftung richtig gestellt, aber keine
Richtigstellung jener zahlreichen Fälle vorgenommen wird, bei denen
die Diagnose Bleivergiftung fälschlich nicht gestellt wurde. Von
den andern dort aufgczählten Vergiftungen seien Vergiftungen mit
Phosphorwasserstoff infolge unzweckmäßiger Lagerung von Ferro-
Silizium, mit Dinitrobenzol bei der Zerlegung von Geschossen, mit
Schwefelkohlenstoff (und Benzin?) bei Verwendung von „Rißzement“,
einem Klebemittel für Leder, genannt. Wurde mit manchen schlechten,
durch den Krieg verursachten Betriebsverhältnissen aufgeräumt, so
führte anderseits der Wohnungsmangel und Heizstoffmangel zur Ver¬
schlechterung mancher Betriebe, die hohen Kosten machten bauliche
Verbesserungen und die Anlage von Entstaubungsanlagen oft un¬
möglich. Wasch- und Badeeinrichtungen erfahren oft von seiten der
Arbeiter nicht die wünschenswerte Benützung und Schonung.
Teleky.
Wohnungswesen.
Wohnungsnot, Seuchenbekämpfung und Wohnungsämter^ H. Zie¬
rn ann (Charlottenbürg) ruft in der Berliner Aerzte-Correspondenz 1922
Nr. 12 die Aerzteschaft auf, durch eine Eingabe an den Reichstag
geschlossen für eine Sondergesetzgebung einzutreten, die mit dra¬
konischen Bestimmungen das jetzige Unwesen in bezug auf die
Wohnungsbeschaffung unmöglich macht. Er weist u. a. auf den
großen Anteil hin, den die Wohnungsnot auf die Ausbreitung
mancher Krankheiten, wie Tuberkulose, Rachitis, Geschlechtskrank¬
heiten, Ungeziefer, hat.
Allgemeine Volkswohllahrtspflege.
Ein Kongreß zur Förderung der Familie Im Einklaog mit den
Lebensgesetzen wird in Düsseldorf vom 2L IV. abends bis einschlie߬
lich den 28. IV. von der Vereinigung für Familienwohl im Regierungs¬
bezirk Düsseldorf veranstaltet. Eröffnungsvortrag: Wesen und Wert
der Familie. 1. Hauptteil: Gründung der Familie. 2. Hauptteil: Innerer
Aufbau der Familie. 3. Hauptteil: Wohnung und wirtschaftliche Siche¬
rung der Familie. 4. Hauptteil: Behütung der Lebenslage der Familie
vor den Volksseuchen. 5. Hauptteil: Sicherung der ethischen Ein¬
flüsse auf die Lebenslage der Familie. (Geschäftsstelle: Düsseldorf,
Cecilienallee 2. Anmeldungen an Dr. Schappacher, Düsseldorf, Aka¬
demiestraße 1.)
Wohlfahrtsamt und Familienfnrsorge. Gekürzter Bericht über die
Tagung des Fachausschusses für städtisches Fürsorgewesen in Nürn¬
berg am 13. und 14. IX. 1921. (Zu beziehen durch die Geschäfts¬
stelle des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge,
Frankfurt a. M., Stiftstr. 30.) Den Verhandlungen war die Aufgabe
gestellt, zu prüfen, ob und wie weit durch eine Vereinigung der ver¬
schiedenen Zweige des Fürsorgewesens die rationelle Ausnutzung der
Geldmittel und der Wirkungsgrad der Leistungen gesteigert werden
können. Das “Ergebnis der Tagung wird dahin zusammengefaßt, daß
trotz des Vielerlei von Einzelansichten und -wünschen sich drei Haupt¬
forderungen immer klarer herausstellten, nämlich Vereinheitlichung in
der Leitung des Fürsorgewesens, Vereinheitlichung in der praktischen
Ausübung der Fürsorge, Spielraum für die dazwischen liegende
Aemterorganisation. Hiermit würden die in bezug auf ökonomische
sowie auf wirklich pflegerisch-fürsorgerische Gestaltung der Wohl¬
fahrtspflege hinzielenden Forderungen erfüllt und doch kein Schematis¬
mus eingeführt, der organische Entwicklung hindert. Den örtlichen
und Entwicklungsverhältnissen könnte vielmehr-weitgehend Rechnung
getragen werden und auch die richtige Persönlichkeit am richtigen
Platze zur vollen Auswirkung ihrer Kräfte kommen. Mit Erfüllung
dieser drei Forderungen würde die Wohlfahrtspflege auch ohne dies¬
bezügliche gesetzliche Regelung zu dem notwendigen festen Rahmen
kommen und doch den Gemeinden ihre Bewegungsfreiheit verbleiben
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
VEREINS- UND KONGRESSBERICHTE
Redigiert von Ober-Reg.-Med.-Rat Dr. O. Strauß.
Berlin, Medizinische Gesellschaft, 22. III. 1922.
Fortsetzung der Besprechung über den Vortrag von Brugsch :
Zur Lehre von oer üient (nach gemeinsamen Untersuchungen mit
Rother). (Vgl. Nr. 14 S. 471.) -
Roth er: Alle Blutharnsäuremethoden beruhen auf der kolori-
metrischep Auswertung der Phosphor-Wolframsäurereaktion. Diese
ist oberhalb einer Harnsäurekonzentration von 12 mg in 100 ccm
völlig unbrauchbar, bis zu dieser Grenze hinreichend empfindlich.
Experimentell wurde weiterhin erwiesen, daß bei der Enteiweißung
stets beträchtliche Mengen Harnsäure in den Niederschlag hinein¬
gehen und deshalb am Schlüsse der Bestimmung zu wenig gefunden
wird. Von zugesetzter Harnsäure wurden durchschnittlich nur 50
bis 70o/o wiedergefunden. Die Annahme liegt nahe, daß auch ohne
künstlichen Harnsäurezusatz das Eiweißkoagulum Harnsäure enthält,
daß also die Blutharnsäurekonzentration höher ist, als die Analysen
angeben.
Gudzent lehnt die Brugsch-Schittenhelmsche Theorie
der Urikolyse und die Tannhausersche Theorie der funktionellen
Nierenschädigung ab und verteidigt seine Theorie der Uratohistechie.
Er glaubt, daß eine spezifische Gewebsfunktion vorliegt, die zur
Haftung der Harnsäure führt. Die Urate haben die Eigenschaft, zwei
Reihen von Löslichkeit aufzuweisen. Ueber die Erklärung dieser
Erscheinung wird noch gestritten, die Tatsache steht aber fest.
Durch die Uebersättigung der Gewebe mit Harnsäure bei der Gicht
fällt diese aus.
H. Ullmann hat in zahlreichen Fällen von Lebererkrankungen
hohe Werte von Harnsäure im Urin gefunden, dagegen keine Steige¬
rung des Harnsäurespiegels im Blut. Im Aszites dieser Patienten
war die Harnsäurekonzentration höher als im Blut. Es wurde ver¬
sucht, den Einfluß des vegetativen Nervensystems auf die Harnsäure¬
ausfuhr zu klären. Pilokarpin, Adrenalin und Kalzium vermehren,
Atropin vermindert die Harnsäure. Atropin hebt die Atophanwirkung
auf, Adrenalin ist auch nach Atophangaben noch wirksam. Cholin
verursacht eine Harnsäuredepression. Von Organpräparaten ver¬
mehren die Harnsäure Hypophysin und Thyreoglandol; Antithyreoidin
vermindert sie. Bei Basedowkranken ist die Urinharnsäure erhöht
Bei 3 Fällen von Addisonscher Krankheit waren die Ergebnisse nicht
eindeutig. '
Joel: Nach Fleischmahlzeit erscheint die Harnsäure schneller
im Urin als der Harnstoff. Während bei großen Fleischgaben nicht
alles Purin im Harn ausgeschieden wird, haben kleine Fleischgaben
eine größere Ausscheidung zur Folge, als der Fleischmenge entspricht.
Dies muß auf einer Aenderung der endogenen Harnsäure beruhen.
Nach längerer Atophanwirkung werden Purine aus Thymusmahl¬
zeiten zurückgehalten. Die Reize spielen bei der Gicht eine große
Rolle. Möglicherweise entstehen beim Gichtanfall Reizstoffe, die
die Niere zur Harnsäureausscheidung bringen.
Muskat: Goldscheider hat vollkommen recht, die Gicht
vom Gichtanfall zu trennen. Das mechanische Moment spielt eine
große Rolle. Hat ein Gichtiker noch keinen Anfall gehabt, so muß
für Entlastung des Gelenks Sorge getragen werden, um den späteren
Anfall zu vermeiden.
Tobias: Für die Diagnose der Gicht ist wichtig, daß es nach
kalten Bädern oft zu einer Provokation des Anfalls kommt, desgleichen
durch ein Trauma.
Koller: Man muß zwischen der Lösungsform der Harnsäure
und ihrer Ausscheidung unterscheiden. Der Uebersättigungszustand
und der kolloidale Zustand läßt sich durch Messung der Leitfähig¬
keit unterscheiden. Die Harnsäure im Blut befindet sich in über¬
sättigter und nicht kolloidaler Lösung. Die kolloidale Ausfällung findet
nur bei bestimmten Aziditätsgraden statt, die im Blute und Gewebe
nicht Vorkommen. Sie kommen bei der Gicht nicht in Frage.
V. Bock: Die verschiedenen Berufsklassen zeigen ihre Gicht
an verschiedenen Stellen. Dies weist darauf hin, daß die Harnsäure
dort ausfällt wo eine Gewebsschädigung vorliegt. Bock macht
dann noch einige therapeutische Bemerkungen. Er glaubt, daß das
Alkalischtialten des Urins wichtig für die Verhütung des Gichtanfalls ist
Loewenthal: Die Kolorimetrie ergibt bis zu 13 mg ausge¬
zeichnete Werte. Die Harnsäureausscheidung kann beim Gichtiker
die Tannhauser sehen Werte übersteigen. Das neue Boehringer-
sche Atophanpräparat macht eine gute Harnsäureausschwemmung,
wie an Kurven gezeigt wird.
(Die Fortsetzung der Aussprache wird vertagt.)
Dührssen: Oie neue Geburtshilfe und ihr Verhältnis zum Staate und
zur Bevftlkcruogspolitik. Dührssen teilt die Geburtshilfe in 4 Perioden
ein, die er kurz bespricht. Die letzte Periode betrifft den vaginalen
Kaiserschnitt. Er gibt einen ausführlichen historischen Rückblick
über die Entwicklung dieser von ihm angegebenen Operations-
methode. Desgleichen geht er des näheren auf die Dührssen-
sche Uterustamponade ein, insbesondere hinsichtlich der Behand¬
lung der Placema praevia. Die Empfehlung d^r frühzeitigen Entbin¬
dung bei Eklampsie durch Dührssen ist jetzt ebenfalls weitgehend
anerkannt. Auch die Metreuryse wurde in ihren Indikationen durch
Dührssen erkannt.
(Die Fortsetzung des Vortrages wird vertagt.) Dresel.
Berlin, Gesellschaft für Chirurgie, 9.1.1922.
Offizielles Protokoll.
Vorsitzender: Körte. Schriftführer: Rumpel.
Kleinschmidt: Zur Behandlung der Karzinome der Papilla Vater!.
Kleinschmidt berichtet über zwei von ihm beobachtete einschlä¬
gige Fälle: 1. 51jährige Ffau, kam unter den Erscheinungen eines
Choledochusverschiusses — ob durch Tumor oder Stein blieb zweifel¬
haft — zur Operation. Freilegung der Papille durch vordere Duodeno-
tomie. Es findet sich ein stecknadelkopfgroßes Ulkus in leicht ver¬
härteter Umgebung an der Choledochusmündung. Ovaläre Exzision
der Pupille mit dem Anfangsteil des D. choledochus und Wirsun-
gianus. Histologisch Zylinderzellenkrebs. Tod an Peritonitis infolge
Insuffizienz der Schleimhautnaht. 2. 41jährige Frau, operiert unter
der Diagnose Choledochusverschluß durch Tumor. Nach vorderer
Duodenotomie präsentiert sich die Papille als kirschgroßer Tumor
mit himbeerartig gewulsteter Oberfläche. Breite Umschneidung und
Exstirpation der Papille, Drainage des D. pancreaticus. Mikroskopisch
Adenokarzinom. Glatte Heilung, die jetzt 7 Monate anhält. Bezüg¬
lich der Technik der Papillenexzision ist es wichtig, um der Aetz-
wirkung. des Pankreassekretes zu begegnen, 1. zur Naht der Ex¬
zisionswunde nicht resorbierbares Material zu verwenden, 2. prin¬
zipiell den D. Wirsungiauus zu drainieren. — Die Diagnose der oft
nur sehr kleinen Tumoren kann selbst nach Eröffnung der Bauch¬
höhle Schwierigkeiten bereiten und ist durch Palpation allein nicht
immer zu stellen. In allen zweifelhaften Fällen ist die — zunächst
probatorische — vordere Duodenotomie angezeigt. In der Be¬
handlung konkurriert die retroduodenale oder intraduodenale Ex¬
zision der erkrankten Papille mit der Resektion des Duodenums, für
deren Ausführung Kausch die beste Methode angegeben hat. Die
Resektion ist das radikalste und theoretisch rientigste Verfahren,
stellt aber eine so eingreifende Operation dar, daß wir in leichteren
Fällen auf die schonenderen Exzisionsmethoden vorläufig noch nicht
verzichten können.
Besprechung. Kausch steht heute auf dem Standpunkte,
seine radikale Operationsmethode nur bei größeren bösartigen Ge¬
schwülsten der Papille, im übrigen solchen des Duodenums und
des Pankreaskopfes auszuführen. Auch er zieht die Verbindung der
Gallenblase mit dem Magen der mit dem Dünndarm vor.
Hey mann: a) Gutartiger Paokreasturaor. (Vgl. S. 4S4.) b) Vol-
vulus des gesamte! Dünndarms.
Besprechung. Körte: ln meinem Falle bestand ein größerer
Tumor, der zwischen Magen und Leber hinter der kleinen Kurvatur
hervorkam. Die Diagnose wurde ohne Röntgenuntersuchung gestellt.
Im Falle Heymanns scheint mir das Röntgenbild etwas irreführend
gewirkt zu haben.
Kausch zweifelt, ob man.in diesen Fällen von Volvulus sprechen
könne, da doch klinisch anscheinend kein Ileus bestand.
Cassirer und Krause: a) 2 Falle von Klemhirozysteo. b) Zysti-
zerkostf des Gehirns. (Bericht nicht eingegangen.)
Besprechung. Zeller: Ich habe 1890 als Assistent Sonnen-
b urgs einen Kranken mit einzelnem operablen Echinokokkus des Klein¬
hirns beobachtet. Ich hatte damals auf Grund von heftigen anfallswei£en
Kopfschmerzen, besonders im Hinterkopf, von mäßiger, aber zuneh¬
mender Herabsetzung des Sehvermögens ohne ausgesprochene Stauurigs
papille, von leichter Erweiterung der linken Pupille, von schwerfälliger,
lallender Sprache, von Schwindel und Gleichgewichtsstörungen, dann
Teilnahmlosigkeit, zeitweiliger Benommenheit, Pulsverlangsamung eine
Geschwulst im linken Kleinhirn diagnostiziert und, da der Kranke
vorher ein Echinokokkus-Aneurysma der 1. Art. axill. gehabt hatte,
die Wahrscheinlichkeitsdiagnose auf Kleinhirn-Echinokokkus gestellt.
Geh.-Rat Sonnenburg konnte sich nicht sofort zur Operation ent¬
schließen, sondern wollte erst noch einige Tage beobachten. Indes
ging schon nach lOtägigem Aufenthalt im Krankenhaus der bis dahin
außerhalb der Anfälle noch leidlich muntere Patient plötzlich in
tiefem Koma mit Atmungsstillstand, während das Herz noch weiter
schlug, zugrunde. Die Sektion 1 ) ergab, der Diagnose entsprechend,
eine einzelne, beinahe hühnereigroße Echinokokkuszyste in der linken
Kleinhirnhemisphäre, die sich bis zum Mittelhirn ausdehnte, den
Wurm frei ließ, aber die benachbarten Hirnteile einschließlich des
verlängerten Marks deutlich abgeflacht hatte.
Greifswald, Medizinischer Verein, 20.1.1922.
Offizielles Protokoll.
Vorsitzender: P ei per. Schriftführer: Roschke.
Buzello spricht an Hand eines in der hiesigen Chirurgischen
Klinik operierten Falles über die Parasitologie und Klinik des post-
dysenterischen Leberabszesses. Es handelt sich in diesem Fall um
einen Kriegsteilnehmer, der vor 3 Jahren in Syrien an Amöbenruhr
erkrankt war. Der Leberabszeß hatte sich erst jetzt, im Laufe von
3 Monaten entwickelt. Breite operative Eröffnung, Ablassen de?
charakteristischen bräunlichen, geruchlosen Eiters. Tamponade der
*) Präparat vonSonnenburg demonstriert in der Fr. Verein, d. Chir. Berlins am
10 . XI. 1890.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
508
VEREINS- UND KONORESSBER1CHTE
2 1 fassenden Abszeßhöhle. Der Nachweis der beweglichen Amöben
im Abszeßeiter gelingt leicht, wenn das Material frisch und bei nicht
zu niederer Zimmertemperatur untersucht wird (10—15°). Die im
frischen Präparat beweglich gesehenen Amöben werden sofort, noch
feucht, mit heißem Sublimatalkohoi fixiert und gefärbt mit Eisen-
hämatoxylin nach Heidenheim oder Boraxkarmin nach Gre-
n ach er. 'Die Kultur der echten Entamoeba hvstolytica ist bisher
noch nicht gelungen. Als Versuchstiere kommen hauptsächlich Katzen
in Betracht, bei denen durch Verimpfung von Leberabszeßeiter echte
darmdysenterische Erscheinungen hervorgerufen werden. Der Leber¬
abszeß ist ausschließlich eine Folgeerkranxung der Amöbendysenterie,
er tritt fast niemals nach bazillärer Dysenterie auf. Die Prognose
des operativ eröffneten Leberabszesses ist stets satis dubia. Mit
57o/o Mortalität ist zu rechnen. Einige Patienten sterben in den
ersten Tagen nach der Operation an nicht zu bekämpfender Herz¬
schwäche. Andere erholen sich nach Ablassen des Eiters sichtlich,
bald treten jedoch unter den Zeichen der Leberinsuffizienz und der
Sekundärinfektion der Abszeßhöhle erneute darmdysenterische Er-*
scheinungen auf, denen die Kranken dann bald erliegen. Thera¬
peutisch empfohlen sind neben der Abszeßeröffnung subkutane Emetin¬
injektionen.
W. Groß: Ueber experimentelle chronische Nierenerkrankunten
nach gemeinschaftlich mit Prof. Muckermann ausgeführten Ver¬
suchen. Chronische Vergiftungen mit Chrom, Uran, Hg und Kan-
thariden, allein oder zusammen mit Adrenalin oder Histamin, durch
Einführung der Gifte in einem Paraffindepot im Unterhautzellgewebe.
Man beobachtet schwere tubuläre Nierenerkrankungen, die eine hoch¬
gradige Regenerationsfähigkeit aufweisen, und glomeruläre Schädi¬
gungen, aber keine der menschlichen Krankheit entsprechende fort¬
schreitende Glomerulonephritis; manchmal tubuläre Scnrümpfniere.
Hamburg, Aerztlicher Verein, 17. 1. 1922.
Offizielles Protokoll*
Vorsitzender: Brauer. Schriftführer: Roedelius.
Glaß: rumor des weichen Gaumens (Mischgeschwulst). Demon¬
stration. Pflaumengroße, gut abgekapselte, solide, höckerige Ge¬
schwulst des weichen Gaumens bei einem 60jährigen Mann, vermutlich
eine Mischgeschwulst ähnlich denen der Parotis.
Lichtwitz demonstriert einen 21jährigen jungen Mann mit hypo¬
physärer Kachexie (Simmondsche Krankheit). Beginn mit Diabetes
insipidus. Rasch eintretende Abmagerung und Entkräftung. Interesse¬
losigkeit, Mißstimmung. Ausfall der Achsel- und Schamhaare. Auf¬
hören des Bartwuchses. Kleinerwerden der äußeren Genitalien.. Auf¬
hören der Libido und Potentia sexualis. Trockenheit der Haut.
Bitemporale Hemianopsie. Im Röntgenbild im Bereich des Vorder¬
lappens der Hypophyse, zum Teil auch über die Sella turcica reichend,
drei Kelkflecke. ln letzter Zeit kein Fortschreiten der Kachexie. Die
Diagnose wird daher auf einen mit Verkalkung geheilten embolischen
“oder einen verkalkten tuberkulösen Prozeß gestellt. Nach einer Rönt¬
genreizbestrahlung der Hypophyse und nach Anwendung von Pitu-
glandol und Hypophysenvorderlappenpräparat (Präphysormon) auf¬
fallende Besserung im objektiven Befinden.
Deutschmann stellt einen Kranken mit Karzinom beider Lider
und des Augapfels rechts vor, der ihm im Februar 1921 nach erfolg¬
loser Strahlenbehandlung zur operativen Entfernung der Augenlider
und des Auges zugeschickt war. Mit Hilfe eines neuen tierischen
Serums ist es ihm gelungen, den Prozeß bis jetzt aufzuhalten, so¬
gar zur teilweisen Rückbildung zu bringen. Wir wissen über die
Pathogenese des Karzinoms wenig oder nichts, haben noch keinen
Anhaltspunkt für eine rationelle Therapie. Auf irgendeinen Reiz hin
setzt eine maßlose zerstörende Zellwucherung ein. Es werden massen¬
haft junge Zellen gebildet, die den Keimzellen des normalen Organis¬
mus analog wachsen, sich teilen, immer neue Zellen erzeugen, aber
hemmungslos, ohne die vom normalen Organismus seinen Keimzellen
gesetzte Grenze. Letztere wird wohl bedingt teils durch rein physi¬
kalische Momente, teils und vielleicht hauptsächlich durch chemische
Umsetzungen und Einwirkungen auf den Zellstoffwechsel, wodurch
die Intenätät des Zellwachstums reguliert wird. Im Organismus, der
auf einen nach Virchow fermativen Reiz hin mit bösartiger Ge¬
schwulstbildung reagiert, müssen diese regulierenden Mechanismen
und Umsatzstoffe fehlen oder nicht genügend von ihm produziert
werden können. Daß ein alterndes Gewebe dem Ansturm der jungen
Zellen keinen genügenden Widerstand zu leisten vermag, ist leicht
erklärlich. Vielleicht lernen wir noch einmal die physikalischen Wachs¬
tumsgrenzen beeinflussen, wenn es uns gelingt, alterndes Gewebe
wieder jugendfrisch zu machen. Für diejenigen Stoffe oder Umsatz¬
produkte aber, welche für die Regulierung der Zellwachstumsenergie
in Frage kommen könnten, lag folgender Gedankengang nahe: Die
jungen, maßlos sich teilenden Krebszellen verhalten sich bis auf
eben diese Maßlosigkeit den Keimzellen analog, die den Organismus
aufbauen. Bringt, man einem tierischen Körper in geeigneter Weise
parenteral Keimzellen bei, so ist zu erwarten, daß das Tier hier¬
gegen Abwehrstoffe bildet, die sich zu gewisser Zeit im Blutserum
dieses Tieres angehäuft finden müssen. Ein derartiges mit Gegen¬
keimzellenstoffen gesättigtes Blutserum könnte dann vielleicht ge¬
eignet sein, der zügellosen Wucherung der Geschwulstzellen ent¬
gegenzuwirken. Hier mußte der Versuch entscheiden. Als Keim-
zelTenimpfmaterial konnte nur Ovarium oder Testikel oder beides
kombiniert in Frage kommen. Deutschmann wählte zunächst
Nr. 15
Ovarium. Damit wurde durch Verimpfung auf Kaninchen ein Serum
hergestellt. Mit diesem ist der vorgestellte Patient behandelt, und
zwar 30 , daß der Tumor lokal mit Serum unterspritzt wurde und
außerdem 2 ccm intravenös verabreicht- wurden, beides zweimal
wöchentlich. Der Lokaleinspritzung folgt eine Schwellung, die bald
wieder spurlos verschwindet. Ein zweiter Kranker mit Karzinom
des unteren Lides, das bei Bestrahlung an Ausdehnung zugenommen
hatte, wurde gleichfalls mit dem Serum behandelt. Das Karzinom
heilte in wenigen Wochen ab, und bis jetzt, nach sieben Monaten,
ist kein Rezidiv aufgetreten. Für Herstellung von Serum in größeren
Mengen ist natürlicn menschliches Impfmaterial nicht zu haben, und
so mußte zu tierischem gegriffen werden, das sich aber gleichfalls
als brauchbar erwies. Das berumlaboratorium Ruete-Enoch stellt das
Serum her, gewonnen aus kombinierter Verimpfung von Ovarium und
Testikel auf Pferde und zirka 3wöchigen Embryonen von Meer¬
schweinchen auf Kaninchen, letzteres in der Erwartung, daß die hier
sicher in voller Wachstumsenergie befindlichen Keimzellen, das Pro¬
dukt der Kopulation von Ovarium und Testikel, ein besonders wirk¬
sames Impfmaterial abgeben müßte. Deut sch mann betont dann
ganz besonders ausdrücklich, daß er nicht etwa der Ansicht ist,
die Serumbehandlung solle die Operation ersetzen. Davon könne
auch im günstigsten Falle keine Rede sein; was der Operation zu¬
gängig ist, muß auf alle Fälle operiert werden. Aber behufs Ver¬
hütung von Metastasen und Rezidiven sowie bei operativ nicht an¬
greifbaren Fällen dürfte der Versuch mit dem Serum sich empfehlen.
Deutschmann behauptet nun durchaus nicht etwa, ein Heilmittel
gegen bösartige Geschwülste gefunden zu haben; er trägt das Gesagte
nur vor, damit die Kollegen, denen mehr Material zur Verfügung
steht als ihm, dem Ophthalmologen, zu einer Entscheidung verhelfen
über die Wirksamkeit oder vielleicht Unwirksamkeit einer solchen
Therapie. Seine Ausführungen sollen nichts weiter bedeuten als
eine Anregung. Deutschmann bittet die Herren, die Versuche
machen wollen, bis auf weiteres von ihm persönlich Serum abzufordem.
Oehlecker demonstriert mehrere Danmenpla’stlkea. Bei einem
11jährigen Knaben, der die linke Hand» samt Handwurzel verloren
hatte, ist durch Ueberpflanzung einer großen Zehe eine vorzügliche
Greifklaue gebildet.
Biemann: Novokain-Alkohol-Injektionen bei Pertussis nach Spieß.
Von 12 Fällen (Kinder) 11 glatte Versager bei doppelseitiger, zum
Teil zweimaliger Injektion in den N. laryng. sup. Hustenanfälle oft
noch zugenommen an Häufigkeit und Intensität. Bei 2 Fällen link¬
seitige Sympathikuslähmung aufgetreten in Form des Hornerschen
Symptomenkomplexes (Ptosis, Miosis, Enophthalmus); erst nach meh¬
reren Wochen langsame Rückbildung desselben. Gedanke der Reflex¬
bahnunterbrechung gut, doch solange Technik der Injektion nicht
besser, Warnung vor dieser Therapie.
Fortsetzung der Besprechung über den Much sehen Vor¬
trag: Spezifische und unspezifische Reiztherapie (vgl. D. m. W. Nr. 12
S. 407 und Nr. 13 S.472).
Kümmell jr. berichtet über intrakutane Verimpfung von kon¬
zentrierten Blutkörperchen, die er am Spender des Blutes sowie an
möglichst vielen anderen kranken und gesunden Individuen anwaodte,
sodaß ausgedehnte Kontrolle der Resultate möglich war. Die Re¬
sultate bestanden in Infiltraten oder keinen Infiltraten an der Stelle
der Injektion. Es zeigt sich, daß die infiltratbildenden Kräfte der
Blutkörperchen einerseits und die infiltratbildenden Fähigkeiten der
Haut anderseits bei denselben Menschen im gesetzmäßigen Zu¬
sammenhänge standen und daß sie für Tuberkulose spezifisch waren.
Die systematische Impfung der Patienten gegeneinander erlaubte
so ejnen Einblick in ihren Immunitätszustand. Die Frage nach der
therapeutischen Verwertbarkeit von Eigensubstanzen liegt nahe, zu¬
mal in mehreren Fällen nach wiederholten diagnostischen Impfungen
ein günstiger therapeutischer Einfluß. festzustellen war. Es würde
sich in solchen Fällen um einen Reiz handeln^ der spezifisch durch
die als Tuberkuloseantigene gedeuteten; infiltratbildenden Stoffe wirkt,
unspezifisch durch die Blutkörperchen selbst und ihre chemische Zu¬
sammensetzung.
Diesing: Um eine wirksame Proteinkörper- oder Organreiz-
therapic ausüben zu können, ist es notwendig, die Chemie der
Eiweißkörper behufs richtiger Auswahl der zu verwendenden Stoffe
zu Rate zu ziehen. Die Eiweiße bauen sich nicht nur aus den Amino¬
säuren auf, sondern sind immer auch von Lipoiden begleitet. Gerade
diese Fett-Farbstoffkörper mit ihrem hohen Mineralgehalt an S, Fe,
P, J sind es, die dem Eiweiß seinen artspezifischen und organ-
spezifischen Charakter verleihen. Außer der Haut sind es besonders
die endokrinen Drüsen, welche starkwirkende und gutcharakterisierte
Lipoide führen. Sie werden durch Extraktion mit Alkohol, Aether,
Benzin, Chloroform gewonnen. Der Extrakt wird in ganz schwacher,
eben opaleszierender neutraler Seifenlösung 1:100 gelöst und ist
dann zur Injektion geeignet. Die praktische Anwendung dieser
Lipoide hat zum Teil sehr gute Resultate ergeben. So hat auf Grund
meiner ersten Veröffentlichung die Medizinische Klinik in Tübingen
das stark phosphorhaltige Lipoid der Hypophysis, das Hypophyso-
chrom, bei Rachitis angewandt, und Weiß berichtete von erstaun¬
lichen Erfolgen bei rachitischen Kindern, bei denen jede andere
Therapie versagt hatte. Ich selbst habe das Lipoid der Schilddrüse,
das Thyrochrom, bei Asthma bronchiale versucht. Einige Minuten
nach der Injektion expektorierten die Kranken massenhaft Schleim,
der asthmatische Anfall sistierte, und die Kranken blieben danach
wochen- und monatelang frei von Anfällen. Mit dem Liooid der
Digitized b'
Google
Original from
C0RNELL UNIVERSITY
14. April 1922
VEREINS- UND KONGRESSBERICHTE
509
Nebenniere, dessen hohen Schwefelgehalt ich zusammen mit Auf¬
recht festgestellt habe, ist ein großer Versuch bei Lungentuberkulose
im Zuge. Uebcr die ersten 170 Fälle «as item* Jähre 1920 werde ich
damkhst «ine Statistik r veröffentlichen.
- ' ’Weygandt: Die nichtspezifische Reizmethode spielt in der
Psychiatrie bei Beobachtung und Behandlung seit alters eine Rolle,
zurückgreifend in das 18. Jahrhundert. Heutzutage werden Erfolge
erzielt mit chemischen Mitteln, wie Natr. nuciein., Albumosen, Milch,
mit Bakterienderivaten, Vakzinen von Pyozyaneus, Streptokokken,
Typhus, Tuberkulin, und mit Uebertragung von Infektionserkran-
kungen, wie Rekurrens und Malaria tertiana, quartana, tropica. Die
besten Erfolge bringt Malariaimpfung bei Paralyse; in Friedrichsberg
sind ihr bei 150 Fällen mindestens 40»,o tiefgehende Remissionen zu
verdanken.
Much (Schlußwort): Die rege Aussprache zeugt für das Inter¬
esse an der Frage. Auf die große Mehrzahl der Zustimmungen oder
Erweiterungen brauche ich also nicht einzugehen. Da Vakzinetherapie
lediglich die Vakzinierung bei bestehender Krankheit bezeichnet, war
eine Besprechung der Schutzimpfung ausgeschlossen. Auch zu weit
dürften die Grenzen nicht gezogen werden, da ja gerade für die
innigen Zusammenhänge von imspezifischer und spezifischer Immuni¬
tät Beweise erbracht wurden. Hinweis auf den Unterschied zwischen
unspezifischer Immunität = Aktivitätszustand (Much) und Akti¬
vierung (Weichardt), der sich aber überbrücken läßt. Es wurde
versucht, eine allgemeine Basis zu schaffen. Die biologische Messung
ist nötiges Ziel. Niemals kann man die feinen Vorgänge histologisch
(Mutier) sehen, geschweige denn messen, z. B. kann man nicht
Lipasen (Lipoidantikörper) der Zellen sehen, wohl aber sie biologisch
nachweisen. Mit Müller stimme ich völlig überein in der Ab¬
lehnung von Tierversuchen als Grundlage für die menschliche Bio¬
logie. Sie sind zumeist unnütz oder irreführend. Lehnt man aber
die kleinen Tiere ab, dann auch folgerichtig die großen! Mensch¬
liche Biologie ist völlig anders. — Ebenso Uebereinstimmung in
der Auffassung in der Haut als Immunitätsorgan. Neben den Be¬
weisen am Menschen Hinweis auf die exanthematischen Krankheiten.
Die beste und eigentliche Immunität sehen wir, wo eine starke Be¬
teiligung der Haut vorhanden ist (Pocken, Scharlach, Masern).
Wichraanns negative Erfolge mit Hautbrei sind ebenso erklärlich,
wie seine Lymphdrüsenvakzine nicht gegen die Partigene sprechen.
Denn die Zellimmunität läßt sich nicht übertragen, und in den Lymph-
zellen sind eben die aufgeschlossenen Bazillenbestandteile (alias
Partigene) das Wirksame. Im übrigen war die Partigentherapie nie¬
mals als alleinige Tuberkulosetherapie ausgegeben. Schon 1915
wurde betont, daß die Partigene auch eine biologische Erkenntnis
der unspezifischen Tuberkulosemittel ermöglichten. Der Eingriff bei
Tuberkulose kann spezifisch und unspezifisch sein, der Einblick nur
spezifisch. Die Polemik ist also völlig verfehlt, da sic sich gegen
Unterstellungen richtet. Im übrigen ist der Name Proteinkörper¬
therapie irreführend, da auch ganz andere Reizmittel zum Ziele
führen, auch der Umweg über zerfallendes Körpereiweiß trifft nicht zu.
Bochum, Medizinische Gesellschaft, 18.1.1922.
Offizielle* Protokoll.
Vorsitzender: Lossen. Schriftführer: Tegeler.
Vor der Tagesordnung. Wilke: Pathologisch-anatomische
Demonstrationen, a) Abgelaufenc bzw. rückfällige Endokarditis an
allen vier Ostien mit fast vollständiger Atresie des Mitralostiums;
obturierende Thrombose des linken Vorhofs und der Lungenvenen,
b) Intrameningeale Blutung infolge Berstung eines Aneurysmas der
rechten vorderen Hirnschlagader, c) Dreilappigkeit der linken, Sieben¬
lappigkeit der rechten Lunre.
Johannes Richter (Annen): lieber seltenere traumatische Er¬
krankungen des Schldels und des Gehirns. An der Hand ausgewählter,
fast zur Hälfte zur FriedenschTfnrgie zuzurechnenden Fälle aus einem
reichen Material, das er in etwa 3jähriger Tätigkeit als Chirurg am
Kriegslazarett gewonnen hat, bespricht Richter 1. die Schädel-
verletzungen durch elektrischen Starkstrom, ausgehend
von dem Beispiele einer (selbstbeobachteten) kleinhandtellergroßen
Nekrose des Schädeldaches (mit günstigem Verlaufe). Entstehung
meist durch kurzdauernden Kontakt mit Leitungskabel von hoher
Spannung (Wechselströme von 3000—10 000 Volt), manchmal ledig¬
lich durch innere („Joulesche“) Wärmeentwicklung: dabei trotz Kopf¬
schwartennekrose Haare unversehrt oder nur angesengt. Manchmal
durch thcrmisch-elektrolytische Nachwirkung der Elektrizität nachträg¬
liches Weitergreifen der Weichteiluekrose "(ähnlich wie bei Röntgen¬
ulkus), Meningen und Gehirn auch bei tiefer Knochennekrose (die bis
zu ihrer erst nach 6—8 Monaten erfolgenden Demarkation exspektativ
zu behandeln ist) wenig lädiert. Im klinischen Bilde zuerst psychische
Erscheinungen von typischem Verlaufe im Vordergründe: a) tiefes
Koma durch künstliche Atmung in tiefe Bewußtlosigkeit übergehend;
b) maniakalischer Erregungszustand; c) Stadium der Erschöpfung bei
fortdauernder Bewußtlosigkeit; d) dann totale Amnesie. Prognose i. g.
nicht ungünstig. Nur 1 Fall von doppelseitiger Linsenkatarakt (Le¬
wis) 8 Wochen nach der Verletzung. 2. Die Frakturen luft¬
haltiger Höhlen des Schädels (Sinus frontales, Cellulae eth-
moidßle s und mastoideae); u. a. einen' Fall von (größtenteils) sub¬
kutaner Zertrümmerung der vorderen rechten Stirnhöhlemvand durch
.Hufschlag (Fissur an der Schädelbasis vom Orbitaldach ausgehend).
Nach breiter Freilegung günstiger Wundheilungsverlauf. Komplika¬
tion: psychisch, nach anfänglicher leichter Commotio bald Erschei¬
nungen der angeblich für Stirnfiirnbetefligiing bezeichnenden Witzel-
«ncht (vorübergehend). An sonstigen Komplikationen wurden bei sub¬
kutanen Frakturen besonders des Stirnbeins und der Wand der Cellulae
mastoideae von anderer Seite beobachtet: Zellgewebsemphysem der
Umgebung oder seltener: geschwulstartige Luftansammlurig «wischen
Periost und Knochen (Pneumatocele cranii externa), durch exspiratori-
schen Druck anschwellend, nach der Frakturstelle hin ausdrückbar.
Nach offenen Frakturen sehr selten und bisher nur nach Schu߬
wunden des Weltkrieges beschrieben: Die Pneumatocele cranii interna,
und zwar meist im Gehirn (intracerebralis), wo bis zu hühnereigroße
Höhlen — mit Luft und am Boden mit seröser Flüssigkeit gefüllt -
beobachtet wurden. Kennzeichen: Rasselgeräusche (Gurren, Schnarr-
ren) beim Kopfschütteln; röntgographisch: helle Stelle mit horizon¬
talem Flüssigkeitsspiegel an ihrem Boden, perkutorische Tympanie
(letztere bei großen Pneumatozelen). Behandlung: operativ. 3. Die
Meningitis serosa traumatica, im besondern aie zirkumskripte
externe Torrn (1 eigener Operationsfall) 1 ). 4. Die Compressio
cerebri durch a) extra-, b) subdurales Hämatom 1 ). 5. Das
Fernergebnis bei einem durch ihn operierten Fall von
Längsdurchschuß (Diametralschuß) des linken Hirn¬
schädels 1 ). (Zum Schluß: Hinweis auf den Wert derartigen kriegs¬
chirurgischen Materiales für das Gebiet der Unfallheilkunde.)
Besprechung. Lossen warnt davor, zur Differentialdiagnose
zwischen Meningitis serosa posttraumatica diffusa und traumatischen
Neurosen allzu leicht die Lumbalpunktion heranzuziehen, da sich
Neurosen im Anschluß an diese oft erheblich verschlimmern, wie er
besonders bei Militärrentenbewerbern wiederholt beobachten konnte.
r Wilke: Ein gerichtsärztliches Gutachten: Bestimmung der SchuB-
richtnag in'einem Falle von RompfdorchschuB.
Reich mann stellt vor a) einen Fall von peripherischer Fazialis¬
lähmung, welche im Anschluß an eine Aufmeißelung des rechten Ohres
entstanden war und schon 10 Jahre bestand. Wie in verschiedenen
anderen von ihm geprüften Fällen von jahrelang bestehenden Fazialis¬
lähmungen, so war auch hier das elektrische Verhalten des Nerven
wie seiner Muskulatur normal. Durch Elektrisieren, Massage und
Uebungen vor dem Spiegel gelang es, auch die funktionelle Lähmung
größtenteils zu beseitigen, b) Einen Fall von Fazlaliskontraktur. Hier
fand sich zwar eine quantitative, aber keine qualitative Aeuderimg der
elektrischen Erregbarkeit. Der Fall bot außerdem eine motorische
Sprachlähmung mit fast völliger Agraphie und Alexie. c) Einen Fall
von Fettsucht besonders des Bauches und der Oberschenkel ohne irgend¬
welche sonstige Zeichen endokriner Störung. Das Gewicht der Frau
betrug 360 Pfund (nackt). Es wird eine thyreogene Fettsucht an¬
genommen, obwohl sich der gleichzeitig bestehende Diabetes hiermit
nicht gut vereinen ließ.
Besprechung. Böhme: Durch Erkrankung der Hypophyse
kann Fettsucht entstehen, ohne daß gleichzeitig Genitalstörungen auf-
treten. Böhme berichtet über hochgradige Fettsucht bei einem
jungen Mädchen, die nach einer akuten, mit Krämpfen einhergehenden
Gehirnerkrankung in der Kindheit entstanden war. Durch Behandlung
mit Schilddrüsentabletten und Pituglandoleinspritzungen allmähliche
Gewichtsabnahme von 18 kg.
Reichmann: Zu einer Mitteilung von Butzon: Daß nach
Malaria und Schwarzwasserfieber Fettsucht entstehen kann, ist theo¬
retisch nicht unmöglich.
Köln, Wissenschaftlich-medizinische Gesellschaft,
13.1.1922.
Frangenheim: a) Traumatische Zwerchfellheraie. Frangen¬
heim stellt einen Patienten vor, der 1914 einen Brust-Bauchschuß
erhielt. Atemnot, Gewichtsabnahme und Erbrechen nach jeder Mahl¬
zeit waren die Hauptsymptome infolge dieser Verletzung. Im Rönt¬
genbild ist die Verlagerung des Magens in die linke Brusthöhle gut
sichtbar. Operation: a) Phrenikusdurchschneidung, b) Reposition des
Magens und der Flexura coli sinistra in die Bauchhöhle und Ver¬
nähen des Zwerchfelldefektes. Sofortige Besserung, Gewichtszunahme
um 30 Pfd. Bezüglich der Nomenklatur schlägt Frangenheim vor,
nicht Hernia diaphragmatica spuria zu sagen, sondern richtiger Pro¬
lapsus viscerum transdiaphragmaticus. In der Besprechung be¬
grüßt Dietrich den Vorschlag der-scharfen Trennung zwischen
Hernie und Prolaps. Beim Zwerchfellprolaps ist die Prognose meist
ungünstig, weil vielfach Einklemmungserscheinungen bestehen und
infolge der Bakteriendurchwanderung an geschädigten Wandstellen
eine Infektion vorliegt, b) Oesophagusplastik, Methode und Er¬
folge. Besprechung aller bisher bekannten Methoden zum Ersatz
der unwegsamen Speiseröhre mit Demonstration eines 6V*jährigeii
Patienten mit gutartiger rezidivierender Verengerung des Oesophagus,
der nach Roux in drei Sitzungen operiert wurde. Die Plastik war
in acht Wochen vollendet.
Die Ausführungen Siegmunds zum Vortrage Heß’ (vgl.
D. m. W. 1921 S. 1575) sind dahin zu berichtigen, daß er zur Ent¬
scheidung der Frage, wieweit die Monozyteuvermehrung durch Aus¬
schwemmung der Zellen des Milzapparates bedingt ist, Untersuchun¬
gen an karmin- oder kollargolgespeicherten Tieren empfiehlt. Fort¬
gesetzte Adrenalininjektionen führen zu einer Sklerose der Milzpulpa
und Bindegewebswucherungen in der Leber. Das Adrenalinreizblutbild
') Wird demnächst ausführlich veröffentlicht werden
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
□ igitized by Google
Original ftom
CORNELL UNIVERSITY
PRAEMEDICUS
Offizielle Mitteilungen der „Vereinigung Deutscher Medlzinalprektlkanten" und des „Verbandes Deutsoher Medlzlnersohaften“
VERLAG VON GEORG THIEME / LEIPZIG/ ANTONSTR. 15 '
Nummtf 6 Freitag, d#n 14. April 1922 2. Jahrgang
Bekarnltmachungen
des Verbandes Deutscher Mcdiainerschaffen.
Vorschlag zur Tagesordnung für die am 27., 28. und 29. IV.
1922 in Leipzig stattfindende Vertretertagung des Verbandes Deutscher
Medizinerschaften: 1. Jahresbericht; 2. Kassenbericht und Haushalt¬
plan; 3. Studienreform; 4. Luftgenfürsorge; 5. Verhältnis zu Asta und
Göttingen; 6. PolitischeErziehting— Studientage; 7. Erwerbsmöglichkeit
und Existenzsicherung nach dem praktischen Jahr; 8. Medizinalprak¬
tikanten-Bezahlung; 9. Bücher- und Instrumentenbeschaffung; 10. Aus¬
bau des Verbandes; 11 Propaganda; 12. Doktorarbeit; 13. Leibes¬
übungen; 14. Anträge; 15. Verschiedenes.
Die Einladungen und Tagesordnungen wurden zwecks Porto¬
ersparnis nur an die Klinikerschaften geschickt, die bitte umgehend je
1 Exemplar an die Vorklinikerschaften abgeben wollen. Die durch
die Schriftleitung des Praemedicus veranlaßten Rundschreiben zwecks
Ausbau der Zeitschrift, sowie die daraufhin erfolgten Anfragen und
Antworten werden gleichfalls auf dem Vertretertag erledigt werden.
Es erfolgt also vorläufig keine Antwort.
Bericht über die Mitgliederversammlung
des Verbandes Deutscher Medlzinal-Praktlkilfitfn
(Ortsgruppe Leipzig)
vom 22- MSrz 1922.
Tagesordnung:
1. Rechnungsbericht des bisherigen Kassierers Kozi-
nowski: Die Versammlung genehmigt den Bericht. Kozi-
no wski übergibt die Verbandskasse endgültig Herrn Martin.
2. Bericht des Schriftführers (Neumann):
a) Referat über die Eingabe an das Reichsministerium
vom 1. d. M.
b) Bekanntgabe eines neuen Schreibens des Rates der
Stadt Leipzig an den Verband: Der Rat hat die Frage
der Gehaltsaufbesserung der, an den städtischen Kranken¬
häusern arbeitenden Medizinal-Praktikanten nunmehr dem
„Sächsischen Gemeindetag" übergeben, angeblich um eine ein¬
heitliche Regelung dieser Angelegenheit für Sachsen zu erzielen.
Die Versammlung erblickt hierin eine Verschleppungspolitik des
Rates. Sie beauftragt den Vorstand, beim Rate erneut vorstellig zu
werden und sich auch an die Vertreter der Aerzteschaft im Stadtver-
ordneten-KolIegium zu wenden.
c) Bekanntgabe der unlängst erfolgten Gründung einer „Orts¬
gruppe Hamburg“.
d) Sonstiger Schriftwechsel. *
i. Entwurf des Vorstandes betreffs Aufstellung von Statuten
(Ref.: Krebs).
4. In der Diskussion zu Punkt 3 der Tagesordnung werden ■
noch mannigfache Anregungen gegeben, welche nach Möglich¬
keit Berücksichtigung finden sollen.
Anmerk.: Nach ihrer vorläufigen Fertigstellung werden die Statuten :
den einzelnen Ortsgruppen zugehen, um diesen Gelegenheit zu geben,
dazu Stellung zu nehmen.
5. Verschiedenes: u.’a/ Wahl eines Vertrauensmannes (Herr
Würzburger) für die Medizinische Poliklinik Leipzig.
AIsTermin für die nächste LeipzigerMitgliederversamm-
lurig wird vorläufig der 24. April festgelegt. Näheres wird noch be¬
kanntgegeben. • * Neumann, Schriftführer.
Aufgaben und Aussichten des Sportarztes.
Von Dr. med. Herbert Herxbelmer ln Charlottenburg.
Mehr und mehr wird in der Oeffentlichkeit anerkannt, daß die
Leibesübungen bei dem Wiederaufbau unseres Vaterlandes eine er¬
hebliche Rolle spielen müssen. Seit Kriegsende hat das Sport- und
Tunwesen einen großen Aufschwung erfahren, und die Zivilvereine
weisen täglich größere Mitgliederzahlen auf.
Diese Entwicklung hat auch der Aerzteschaft neue Aufgaben ge¬
bracht, auf die sie sich allmählich einzustellen bemüht ist. Deshalb
folge ich gern der freundlichen Aufforderung der Redaktion, den
Komplex dieser Fragen hier kurz zu erörtern.
Unter den neuen Aufgaben sind zwei voneinander zu trennen,
eine, die mehr für den Gelehrten, und eine, die mehr für den
Praktiker bestimmt ist. Die erstere ist die wissenschaftliche Er¬
forschung der Wirkungsweise der körperlichen Betätigung im all¬
emeinen und der einzelnen Betätigungsarten im besonderen auf
ie Gesamtheit des Körpers und auf die einzelnen Organe. Hiet
eröffnet sich dem Forscher ein weites Gebiet, das vielfach noch
unbearbeitet seiner harrt. Aus der großen Menge von Problemen
sei hier nur hervorgehoben: Die Wirkung der Leibesübungen auf
den Stoffwechsel, die Beeinflussung der Leistung durch unsere Ge¬
nußmittel und die alte Frage von dem Einfluß der Anstrengung auf
das Herz. Aber wohin man auch blickt, überall ergeben sich neue
Fragestellungen, deren Beantwortung praktisch von großer Bedeu¬
tung ist. Dies ganze Gebiet ist bisher recht treffend als das der
„Sportphysiologie“ bezeichnet worden.
Für den Praktiker dagegen ergeben sich andere Gesichtspunkte.
Mehr als bisher wird die Frage an ihn gestellt werden: „Bin ich
für den oder jenen Sport tauglich oder nicht?“ Ganze Vereine werden
mit dieser Frage an ihn herantreten und ihn mit fortlaufenden Kon-
trolluntersuchungen aller aktiven Sportsleute beauftragen. Daneben
werden mit der weiteren Ausbreitung der Leibesübungen auch die
unvermeidlichen kleinen Sportschädigungen (Unfälle und Ueber*
anstrengungen) ihn in steigendem Maße beanspruchen.
Hier ist das Feld des eigentlichen Sportarztes. Es wird zwar für
den Praktiker, der dafür Interesse hat, nicht allzu schwer sein, sich
auf diese Art der ärztlichen Tätigkeit einzustellen — so gibt es
schon heute eine Reihe Praktiker, die sich nebenher als „Sportärzte“
bezeichnen — aber es ist doch nicht unwahrscheinlich, dan sich mit
der Zeit und mit der fortschreitenden Beanspruchung eine neue
Spezialdisziplin herausbilden wird. Die Tätigkeit des Sportarztes
hat nämlich eine Eigentümlichkeit, welche weder die des Praktikers
noch die irgendeines Spezialisten aufweist: er beschäftigt sich großen¬
teils mit dem gesunden Individuum, wenn ich das Wort gesund hier
in landläufigem Sinne anwenden darf. Schon dies bedingt einen
gewissen geringen Grad von Spezialkenntnissen. Dann aber schneidet
seine Tätigkeit nicht nur in viele Gebiete der inneren Medizin
(Erkrankungen der Kreislauf-, der Atmungs-, Verdauungsorgane und
der Nieren) ein, sondern auch in die Chirurgie (Heilgymnastik, kleine
Chirurgie), in die Neurologie, Pharmakologie usf. Es sind vielfach
nur bestimmte kleinere Ausschnitte aus diesen Gebieten, die er be¬
herrschen muß; die Schwierigkeit besteht darin, daß es ganz ver¬
schiedene Spezialdisziplinen sind, denen diese Ausschnitte angehören.
Hieraus ergibt sich, daß die Ausbildung des Sportarztes keines¬
wegs einfach ist. Er muß die gesamte vegetative und animalische
Physiologie und das Gebiet der inneren Medizin beherrschen, je
nachdem er mehr wissenschaftlich oder praktisch eingestellt ist,
und daneben noch chirurgische Vorbildung besitzen. Hier muß aber
hinzugefügt werden, daß für eine erfolgreiche Tätigkeit sowohl des
Sportphysiologen wie des Sportarztes noch etwas weiteres Vorbe¬
dingung ist: nämlich praktische Erfahrung in den verschiedenen
Arten der Leibesübungen. Der Sportarzt, der selbst praktisch nichts
oder fast nichts betrieben hat, ist eine Unmöglichkeit. Er muß mög¬
lichst viele Zweige des Sports getrieben haben, und zwar nicht bloß
dilettantisch hie und da einmal, sondern sportsmäßig, am besten in
einem großen Sportverein. Nur dann kann er die Wirkung der
einzelnen Uebungen auf den Körper richtig beurteilen und eine
Kritik darüber ausüben, wie groß die Anstrengung sein darf, die
einem Körper zugemutet wird.
Diesen nicht gerade geringen Anforderungen, die an die Vor¬
bildung des Sportarztes gestellt werden müssen, stehen bisher nicht
sehr günstige Berufsaussichten gegenüber.
Die sportärztlichen Leistungen, die von privater Seite verlangt
werden, sind vorläufig noch gering und werden meist vom praktischen
Arzt miterledigt. Etwas günstiger scheinen die Aussichten für den
beamteten Arzt zu liegen. Viele Gemeinden gehen mit dem Plan
um," von Amts wegen Sportärzte anzustellen, die den Betrieb der
Leibesübungen an den Schulen überwachen und den Vereinen zur
Verfügung gestellt werden • sollen. In den meisten Fällen sind bis¬
her derartige Pläne, so lobenswert sie auch sind, an den finanziellen
Schwierigkeiten der Gemeinden gescheitert. Dies ist um so bedauer¬
licher, als die Förderung der Leibesübungen zweifellos zu den vor¬
nehmsten Aufgaben des Staates und der Gemeinden gehört. — Aehn-
lich ist die Lage bei den Universitäten, die ebenfalls zur Hebung
des Akademikersports, insbesondere bei Einführung des pflichtmäßigeu
Betreibens von Turnen und Sport, des Sportarztes bedürfen.
Augenblicklich erscheinen also die Aussichten, im ganzen ge¬
nommen, nicht in rosigem Licht. Immerhin aber besteht Aussicht
auf Besserung. Diese ist jedoch eng mit der Hebung der Finanz¬
kraft von Staat, Gemeinden und Vereinen und damit mit der politi¬
schen Lage unseres Vaterlandes verknüpft, was aus obigen Aus¬
führungen mit aller Deutlichkeit erhellt.
Deutsche Medizinische Wooheneohrlft Nr. 15
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
512
PRAEMEDICUS
Zur Frage des medizinischen Staateeiamens 1 ).
Von Dr. mcd. Th. Friedrichs.
Es sind schon von vielen Seiten, berufenen und unberufenen,
Vorschläge zu einer mehr oder minder weitgehenden Aenderung
des medizinischen Studiums gemacht worden. Ich möchte an eine
Frage herangehen, die von den meisten gar nicht oder nur flüchtig
gestreift worden ist.
Die Schlußprüfung, in welcher der Medizinstudierende Zeugnis
ablegen soll von den Erfolgen seiner zehnsemestrigen Studienzeit,
ist so unzweckmäßig, wie sie nur gedacht werden kann. Der
Kandidat bekommt einen Schein, meldet sich damit bei irgendeinem
Professor, den er möglicherweise noch nie gehört hat, bekommt
einen Kranken zur Untersuchung, von einem günstig gesinnten
Stationsarzt meistens auch noch das Krankenblatt, holt sein Vier¬
männerbuch aus der Tasche, schreibt ein Krankenblatt zusammen,
geht nach Hause, schreibt aus acht Lehrbüchern einen kritischen
Bericht ab, reicht diesen Bericht dem Professor ein, der ihn dann
klugerweise gar nicht durchliest; dann erfolgt eine kurze theoretische
Prüfung von längstens einer halben Stunde Dauer, es wird dann
noch ein poliklinischer Fall untersucht, wobei der Examinand natür¬
lich die Diagnose schon vorher weiß; damit hat er sein Fach
mit gut bestanden.
ln vielen Fällen trifft diese Schilderung wortgetreu zu, ich will
gern zugeben, nicht in allen, denn manchmal ist die Prüfung etwas
schwerer. Gewonnen wird mit dieser Art zu examinieren gar nichts,
denn erfährt zufällig der Kandidat die Diagnose nicht vorher und
stellt er diese, aus irgendeinem unglücklichen Zufall nicht selbst
(es soll nämlicji Vorkommen, daß im Examen Fälle gegeben werden,
von denen dje Kliniker selbst die Diagnose noch nicht wissen!),
dann ist schlimmstenfalls doch nur bewiesen, daß entweder der
Kandidat sehr aufgeregt ist, oder daß ihn, in gerade diesem Falle,
seine diagnostische Fähigkeit im Stiche läßt.
Ueber die allgemeine medizinische Ausbildung ist weder durch
die Farce einer Krankenuntersuchung, noch durch das kurze münd¬
liche Examen etwas ausgesagt. Aus ganz natürlichen Gründen ist
der Examinator auch gar nicht imstande, sich so lange mit dem
Examinanden zu unterhalten, bis er ein einigermaßen klares Bild
von seinem wirklichen Wissen hat.
. Daß diese Methode zu Fehlresultaten führt, erkennt man am
besten an der. schon an sich unglücklichen Zensierung; meist be¬
kommen nämlich die Examinanden in den Fächern, in denen sie
wirklich Erfahrung haben, eine schlechte Zensur und umgekehrt.
Soll das Staatsexamen wirklichen Wert haben, so muß eine grund¬
legende Aenderung in seiner Handhabung eintreten. Die Vorschläge,
die ich bringe, sollen keine detaillierten Pläne darstellen, sondern
nur eine Anregung geben, die vielleicht zu brauchbaren Resultaten
führen kann.
In den rein theoretischen Fächern kann die Prüfung trotz ihrer
Mängel so bleiben wie sie ist, da ich einen besseren Weg auch
nicht sehe, vielleicht hat ein anderer bessere Vorschläge. Die klini¬
schen Fächer würde ich mir aber folgendermaßen vorstellen: Der
Kandidat bekommt seinen Schein für eine Klinik oder ein Kranken¬
haus und wird von dem Krankenhauschef einer Station auf acht
Tage zugewiesen. In diesen acht Tagen hat er an allen Visiten
teilzunehmen, Laboratoriumsarbeiten auszuführen, Patienten zu unter¬
suchen, Krankenblätter zu führen, kurz, eine ähnliche Arbeit zu
vollziehen, wie sie etwa ein Medizinalpraktikant ausführt. Auf diese
Weise ist es den Stationsärzten sehr leicht möglich, sich ein aus¬
reichendes Bild von den tatsächlichen Fähigkeiten des Examinanden
zu machen und mit dem Chefarzt zusammen an der Urteilsbildung
teilzunehmen. Selbstverständlich muß bei dieser Art des Examens
eine Zensur in Fortfall kommen, diese Zensur ist auch das Ueber-
flüssigste was es gibt, ein Bestanden oder Nichtbestanden ist eine
vollkommen ausreichende Zensur. Es wird eine, während dieser acht
Tage leicht vorzunehmende kürzere oder längere mündliche Prüfung
dem Examinator unbenommen bleiben; als unbedingt erforderlich wird
sie aber kaum anzusehen sein, Fragen bei der Visite an den ver¬
schiedenen Krankenbetten, die Art zu untersuchen, wird es viel
leichter ermöglichen, die praktischen und theoretischen Kenntnisse
des Kandidaten zu erkennen.
Es wird diese Art des Examens sicher eine an sich nicht beab¬
sichtigte Erleichterung für den Examinanden bilden, aber sein fest-
fundamentiertes Wissen wird er doch haben müssen, um den an
ihn gestellten Anforderungen nachkommen zu können.
Medizinische Freisauf gaben:
— Gießen. 1. Für den akademischen Preis: Es soll bei Fällen
von Pseudologia phantastica untersucht werden, ob sich dabei Störungen
der optischen'Merkfähigkeit nach weisen lassen. 2. Für den Baiser-Preis:
Die pathogenen Hyphomyzeten in der Gießener Gegend.
** —JGöttingen. „Mit Hilfe der biologischen Methode ist zu unter¬
suchen, wie sich der Blutkalkgehalt bei Spasmophilie und Kalkzufuhr
verhält." Dieses Thema fand im Jahre 1921 einen Bearbeiter, dem
die Fakultät den halben Preis zuerteilte. Mit Rücksicht auf die nicht
1 ) Wir möchten betonen, daß wir uns den Schilderungen vom Ablauf des Examens,
die Herr Th. F. hier gibt, nicht ohne weiteres anschließen können. Die Red.
Nr. 6
ganz vollständige Auswertung dieses Themas wurde es noch einmal
zur Bearbeitung gestellt.
— Greifswald. „Der Zwischenkiefer des Menschen ist auf
Grund eigener Untersuchungen in seiner Entwicklung und in seinen
Beziehungen zu den Gesichtsspalten zu schildern." a) Für den Staat¬
lichen Preis: Wiederholung aus 1921: „Experimentell-klinische Unter¬
suchung über die Reaktionen auf spezifische bakterielle Substanzen
im Vergleich zu den unspezifischen." b) Für den Städtischen Preis-
„Es ist zu untersuchen, ob die Wirkung des Chinins auf Paramaecien
durch photodynamisch wirksame Substanzen beeinflußt wird."
— Halle: a) als außerordentliche die vorjährige: „Durch experi-
mentelle Untersuchungen soll festgestellt werden, ob die Wittmackschc
Theorie über die Entstehung der Otosklerose, nach welcher als Ursache
der Erkrankung eine starke venöse Gefäßerweiterung mit konsekutiver
Halisteresis d«s Knochens anzunehmen ist, zu recht besteht", b) neu:
„Ueber die Bedingungen eines übermäßigen Längenwachstums der
Röhrenknochen." Hierbei wird besonders bekanntgegeben, daß die medi¬
zinische Fakultät mit der Erteilung des Preises zugleich gebührenfreie
Promotion bewilligt, und zwar mit dem Zusatz: „falls die Bewerber im
Laufe von vier Jahren ihre Preisschrift zu einer Dissertation ausarbeiten
und diese die Genehmigung der Fakultät zur Annahme gefunden hat".
— Innsbruck. „Die während des Krieges geübten Methoden
der Herzuntersuchungen sind unter Zugrundelegung des Untersuchungs¬
materiales der medizinischen Klinik zu Innsbruck und anderer großer
Untersuchungsstationen in theoretischer und praktischer Hinsicht kritisch
zu beleuchten."
— Jena. „Mit Hilfe der interferometrischen Methode nach Hirsch
sollen in systematischer Weise quantitative Untersuchungen über Ab¬
wehrfermente im Blute des wachsenden Organismus angestellt werden."
— Köln. 1. Preisaufgabe für Studierende der Medizin an der
Universität Köln, aus den Zinsen der Hochhaus-Stiftung. Zurzeit
etwa 1500M. jährlich (teilbar). Preisaufgabe für 1921 (Preis im Mai 1922):
„Es soll untersucht werden, ob sich zahlenmäßige Aufschlüsse über
den Gewebsdruck unter normalen und pathologischen Verhältnissen
gewinnen lassen". 2. Bardenheuer-Preis: Zurzeit jährlich ungefähr
2100 M. (teilbar, aber auch durch zweijährige Anhäufung verdoppelbar)
für eine Arbeit über Volksernährung, Wohnungshygiene, Tuberkulose
und andere Infektionskrankheiten, Krebs, Alkoholismus oder Geschlechts¬
krankheiten. Zugelassen sind deutsche Aerzte mit deutscher staatlicher
Approbation und deutsche Medizin-Studierende an deutschen Hoch¬
schulen. Preisaufgabe für 1921 (Preis im Mai 1922): „Der Nahrungs¬
bedarf des gesunden Kindes mit besonderer Untersuchung seiner
Schädigung durch die Unterernährung als Folge der Kriegsblockade".
— Leipzig. „Ueber die Bildung und Differenzierung der Schwann-
schen Zellen der peripherischen Nerven". Die Preisbewerbabschriiten
sind spätestens am 15. September 1922 an die Universitätskanzlei ab¬
zuliefern.
— Marburg. Die medizinische Fakultät wiederholt ihre Preis¬
aufgabe vom vorigen Jahre: „Experimentelle Untersuchungen über
Regenerationsvorgänge am Rückenmark von Amphibien" und stellt
folgende neue Preisaufgabe: „Es ist genauer festzustellen, in welcher
Weise die Wirkung der regulatorischen Herznerven vom Zustand des
Herzens abhängt".
— München. „Die Verschiedenheiten des weißen Blutbildes in
verschiedenen Stadien der Tuberkulose und bei Tuberkulinanwendung
sind weiter zu verfolgen. Gleichzeitig sind das Verhalten der roten
Blutkörperchen des Blutfarbstoffes und vor allem die Blutflüssigkeit
hinsichtlich ihres Gehaltes an Wasser, Eiweiß, Reststickstoff, Zucker zu
studieren. Beziehungen zur Diazo- bzw\ Urochromreaktion des Harnes
zu beachten."
— Tübingen. „Ueber die Beeinflussung der Nachkommenschaft
durch Röntgenstrahlen".
Herr Ch., Externe des Höpitaux, übersendet uns M. 300.— mit
folgendem Begleitschreiben:
„Beigeschlossen werden Sie gefl. M. 300.— finden. M. 200.— sind
als Betrag meines Abonnements auf die „Deutsche Medizinische Wochen¬
schrift" zu betrachten. Die übrigen M. 100.— bitte ich Sie, zu brauchen
zum Absenden Ihrer interessanten Zeitung einem geldarmen deutschen
Studenten, möglichst einem früheren Kriegstcilrfehmer, wie ich es ge¬
wesen bin, was ich bedaure. Mit diesem Studenten wäre ich glücklich
in Briefverkehr zu treten, natürlich mit Postgebührenentgeltung."
Wir begrüßen diese Kundgebung und hoffen, daß eine derartige
Sinnesänderung recht bald allgemein den blindwütigen Haß gegen die
deutsche Wissenschaft verdrängen wird.
Der Verlag wird aus dieser Stiftung die D. m. W. zwei deutschen
Studenten liefern, die durch den Vorstand des „Verbandes Deutscher
Medizinerschaften" bestimmt werden.
Entsprechend der Anregung des letzten Vertretertages des Ver¬
bandes Deutscher Medizinerschaften betr. die Herstellung der Disser-
tationsauszüge, hat sich der Verband mit mehreren Firmen in Ver¬
bindung gesetzt. Der Verlag G. Thieme, Leipzig, Antonstraße 15 erklärt
sich bereit, die pflichtmäßigen 200 Auszüge der Doktorarbeit zu liefern
bei 2 Seiten Umfang für M. 276.50
„ 4 „ . 484.50
„ 6.. „ 710.-
„ 8 „ „ 995.-.
Diese Preise sind entsprechend der Wirtschaftslage Schwankungen
unterworfen.
PUr die Schriftleitung verantwortlich: Dr. Hana Hirschberg, Leipzig, Sldonienstraße 68,1V. — Druck von Oscar Brandstetter In Leipzig.
Digitized by
Gck igle
/
Origiral frem
CORNELL UNSVERSITY
Deutsche Medizinische Wochenschrift
Begründet von Dr. Paul Börner
HERAUSGEBER: VERLAO:
Geh. San.-Rat Prof. Dr. Schwalbe GEORG THIEME/ LEIPZIG
Berlin-Charlottenburg, Schlüterstraße 53 Antonstraße 15
Nummer 16
Freitag, den 21. April 1922
48. Jahrgang
Stoffwechselprobleme *).
Von Friedrich Müller.
Mit einem Gefühl dankbarer Bewegung trete ich lieute wieder vor den
Verein für Innere Medizin, dessen Mitglied ich vor 37 Jahren geworden bin,
als junger Assistent des eben nach Berlin berufenen Carl Gerhardt Freund¬
liche Erinnerungen an jene Zeiten steigen im Gedächtnis auf an die Männer,
welche damals im Verein versammelt waren, und vor allem an Leyden, zu
dessen Gedächtnis diese Vorlesungen geschaffen worden sind.
Es liegt nahe, ein Thema zu wählen, welches damals die Geister beschäftigt
hat, das sowohl an der Gerhardtschen, als auch an der Leydenschen
Klinik bearbeitet worden ist, und zu verfolgen, welche Entwicklungen diese
Anschauungen im Lauf der Zeit erfahren haben.
Im Jahre 1853 hat der spätere Münchner Anatom Theodor
Bi sch off zu Oießen ein Bucn herausgegeben: „Der Harnstoff
als Maß des Stoffwechsels“. Es klingt in diesem Titel die
Liebigsche Lehre an, welche unter Stoffwechsel allein den Eiwei߬
stoffwechsel verstand. Die Verbrennung der Fette und Kohlenhydrate
galt als nebensächlich und nicht als Quelle der Energie. Wir müssen
bedenken, daß zu jener Zeit und noch bis zur Mitte der 80er Jahre
die Gesetze der Thermodynamik, also der Erhaltung der Energie,
noch nicht in das Allgemeinbewußtsein übergegangen waren.
Die Fortführung der Stoffwechseluntersuchungen durch Bidder
und Schmidt und dann namentlich durch Carl Voit ergab in
den folgenden Jahren eine Reihe fundamentaler Tatsachen.
1. Es wird immer Eiweiß zersetzt, auch im Hunger und bei
eiweißloser Nahrung. Das Eiweiß ist also für den Körper notwendig.
Es ist kein Leben ohne Eiweißumsatz möglich.
2. Der Eiweißumsatz, gemessen an der Harnstoffausscheidung, ist
hauptsächlich abhängig von der Eiweißmenge in der Nahrung. So¬
bald der Eiweißgehalt der Nahrung über ein gewisses Minimum
hmausgeht, stellt sich der Eiweißumsatz genau auf die Eiweißzufuhr
ein; es stellt sich das Stickstoffgleichgewicht ein, welches in
geradezu rätselhafter Weise bis auf das Gramm genau dem Nah¬
rungseiweiß entspricht.
3. Ist die Eiweißnahrung geringer als der Bedarf, z. B. im Hunger,
90 wird durch Darreichung von Fett und noch in viel höherem Grade
durch Kohlenhydratnahrung eine Einschränkung des Eiweißumsatzes
erzeugt, sodaß dieser wesentlich niedriger wird als im Hungerzustand.
4. Bei Muskelarbeit tritt keine Steigerung des Eiweißumsatzes
ein (Voit, Fick und Wislicenus, im Gegensatz zu der Lehre
von Liebig).
Statt der Liebig sehen Harnstoffbestimmung wählte Voit sehr
bald die S t i c k s t o ff bestimmung im Ham und im Kot, und der
Satz galt demnach: Die Stickstoffausscheidung ist der Ma߬
stab des Eiweißumsatzes.
Voit war von einer rein stof fliehen, Betrachtung der Nahrung
und der Körperbestandteile ausgegangen, und er verteidigte diesen
Standpunkt auch bis an sein Lebensende. Er konnte den Weg zur
energetischen Betrachtung des Stoffwechsels nicht finden oder wollte
ihn nicht mitmachen.
Den Schritt zu der energetischen Betrachtung des Stoffwechsels
machte Max Rubner 1883, und er hat ihn zielbewußt durchgeführt;
er hat auch den Eiweißumsatz vom Standpunkt der Energielehre
aus berechnet. Unter anderem konnte er feststellen, daß bei eiwei߬
armer, aber kohlenhydratreicher Nahrung der Eiweißumsatz nur un-
efähr 5o/o des Gesamtumsatzes darbietet. Beim Menschen haben
iven und vor allem Landergren experimentell nachgewiesen,
auf welches Minimum sich der Eiweißumsatz, d. h. die Stickstoffaus¬
scheidung, herabdrücken läßt, wenn man eine nahezu eiweißfreie
Kost mit sehr viel Kohlenhydraten und Fetten darreicht. Siven
kam dabei ebenso wie Klemperer auf ungefähr 5 und 6, Lander¬
gren, wir und Thomas konnten beim gesunden, erwachsenen
Manne die N-Ausscheidung bis auf 3,6 und 2,5 g Stickstoff herunter¬
setzen, das entspricht also einem minimalen Eiweißumsatz von etwa
*) Leyden-Vorlesung, gehalten am 20. IIL 1922 im Verein für Innere Medizin und
Kinderheilkunde zu Berlin.
22g. Es soll nicht vergessen werden, daß Hoppe-Seyler schon
im Jahre 1856 den Nachweis geführt hat, „die Harnstoffausscheidung
wurde durch ausschließliche Zuckerfütterung auf ihr Minimum herab¬
gedrückt“ (Virch. Arch. 10, 168).
Während beim erwachsenen Mann im Hungerzustand die N-Aus-
Scheidung durch den Harn pro Tag 13—8 g oeträgt, wird sie bei
Fettnahrung auf etwa 8, bei N-ärmster und kohlenhydratreicjier Kost
bis auf 2,5—3 g vermindert. ?
Landergren faßte 1903 dieses Minimum der N-Ausscheidung
in der Weise auf, daß es jenen Eiweißumsatz bedeutet, welcher für die
Erhaltung der Lebensvorgänge unbedingt notwendig ist und welcher
durch Kohlenhydrate stofflich unmöglich ersetzt werden kann. Lan¬
dergren erkannte auch, daß dieser minimale Eiweißumsatz eine
brauchbare Grundlage darstellt, von der aus man die krankhaften
Anomalien des Eiweißstoffwechsels studieren kann.
Rubner bezeichnete diesen minimalen N-Umsatz als Abnüt¬
zungsquote, und unter Abnützung verstand er in erster Linie
den Verbrauch an Zellen. Aehnlich wie die Epidermiszellen der Haut,
die Haare usw. stets abgestoßen werden, so muß man auch bei den
innem Organen annehmen, daß ein fortwährendes Altern und Zu¬
grundegehen von Blutzellen, Leberzellen und überhaupt Organzellen
zustandekommt, und die Produkte dieses Zellzerfalls dürften im
Ham zur Ausscheidung kommen. Die Harnsäuremenge von etwa
0,2 g, welche bei purinfreier und eiweißärmster Kost im Harn be¬
obachtet wird, scheint darauf hinzuweisen, daß diese Zellabnützung
in der Tat nicht gering sein dürfte. Notabene, es handelt sich hier,
um Zellabnützung und nicht um ihren Wiederersatz. Aber
dieser Wiederersatz muß unter normalen Verhältnissen dem Verlust
entsprechen. Der Wiederersatz kann nach unsern Erfahrungen nicht
durch die gleiche Menge von Eiweißzufuhr garantiert werden, welche
dem Verlust entsprechen würde, d. h. wir bekamen ein niedrigstes
Stickstoffgleichgewicht bei reichlichster Fett- und Kohlenhydratzufuhr
erst bei einer Zufuhr von etwa 4—6 g N in der Nahrung.
Rubner hat diese Abnützungsquote, wie der Name sagt, in Be¬
ziehung gebracht zu dem Gesamtumsatz des Individuums, und zwar
zu dessen Ruhenüchtern wert, und er berechnete die Abnutzungs¬
quote am Eiweiß auf ungefähr 5o/ 0 des Gesamtkalorienumsatzes.
Es wird zu prüfen sein, ob diese Anschauung richtig ist und ob
die Abnützungsquote in der Tat in einer konstanten Beziehung zum
Gesamtumsatz steht.
Vergleichen wir die Kalorien des minimalen Eiweißumsatzes mit
den berechneten Ruhenüchternwerten unserer Versuche, so ergeben
sich dabei recht schwankende Werte zwischen 5 und l,5o/o. Lang¬
stein und seine Mitarbeiter haben die Abnützungsquote bei kleinen
Kindern bestimmt und sie sehr viel niedriger gefunden, zu 2 bis
l,2o/o; wenn man die berechtigte Annahme macht, daß der Ruhe¬
stoffwechsel des Kindes pro Kilogramm wesentlich höher ist als
derjenige des Erwachsenen.
Wir müssen aber im Auge behalten, daß dieser Ruhenüchternwert
des Stoffwechsels eine imaginäre Größe darstellt. Er wird nur er¬
reicht mindestens 12 Stunden nach der Nahrungsaufnahme und bei
absoluter Ruhe. Er könnte also normalerweise höchstens in den frühen
Morgenstunden vor dem Aufstehen und vor dem Frühstück zur Tat
werden. Der ganze übrige Tag steht nicht mehr unter dem Zeichen
des Ruhenüchtemstoffwechsels. Jene Steigerung des Stoffwechsels
aber, welche durch Muskelarbeit bedingt ist, übt keinen Einfluß
auf den minimalen N-Umsatz aus.
Auf unserer Klinik haben sich zwei junge, kräftige Aerzte im
Jahre 1913 bei einer fast eiweißfreien, aber kohlenhydratreichen Kost
auf das Stickstoffminimum gesetzt und dieses in wenigen Tagen bei
3,5 g erreicht. Sie haben dann bei der gleichen Kost den weiten
Weg rund um den Starnbergersee gemacht, wodurch der Stoffumsatz
um ungefähr 100<>/o gestiegen ist, also auf das Doppelte. Die N-
Ausscheidung stieg aber nur von 3,5 auf 3,8 g. Dieser Versuch be¬
stätigt ebenso wie ein Selbstversuch von Thomas nur die alte Lehre,
daß bei Muskelarbeit der Mehrbedarf an Energie ohne Steigerung
des Eiweißumsatzes gedeckt wird. Er zeigt aber ferner, daß wir
den minimalen N-Umsatz nicht in Beziehung setzen können zum
tatsächlichen wechselnden Energieverbrauch des tätigen Lebens,
und wir können somit den Ausdruck Quote, der gleichzeitig den Be¬
griff einer Konstante einschließt, nicht aneritennen, und zwar
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
514 DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT Nr. 16
besteht auch für den Ruhestoffvvechsel des Erwachsenen und des
Kindes, von gut und schlecht genährten Männern und Frauen keine
Konstante.
Nachdem wir den Ausdruck Quote als unzutreffend bezeichnet
haben, müssen wir ferner die Frage besprechen, ob der minimale
Eiweißumsatz in der Tat hauptsächlich auf die Abnützung ver¬
brauchter Zellen zurückzuführen ist. Bei der prinzipiellen Bedeutung,
welche die Abnützungsquote, also der minimale Eiweißumsatz, für
die Beurteilung pathologischer Vorgänge darbietet, mußten wir in
der Klinik bestrebt sein, diesen minimalen Eiweißumsatz nicht bloß
bei gesunden erwachsenen Männern, sondern auch bei Frauen, bei
Greisen und bei Kindern festzustellen, um daraus Vergleichszahlen
für krankhafte Fälle zu finden.
Man konnte z. B. die Vermutung hegen, daß die Abnützung ver¬
brauchter Zellen beim Kind, also bei dem „neuen“ Individuum, viel
geringer sein könnte als bei alten und verbrauchten Menschen. Die
Untersuchungen von Dr. Heyer haben ergeben, daß der minimale
N-Umsatz bei greisen Individuen bisweilen ein wenig höher ist
als bei Jugendlichen. Doch sind die Unterschiede minimal und in¬
konstant. Bei Kindern fand Dr. Lauter die minimale N-Ausscheidung
natürlich kleiner als bei Erwachsenen (etwa 1—2 g). Sehr niedrig
ist sie auch bei sehr heruntergekommenen und unterernährten In¬
dividuen (um 1 g). Wenn wir aber diesen minimalen N-Umsatz nicht
in Grammen pro Individuo betrachten, also sagen wir von 3,5 bis 1,0,
sondern ihn auf die Körpermasse, d. h. auf das Körpergewicht be¬
ziehen, tfie dies auch Rubner getan hat, so stellen sich ziemlich
gleichmäßige Zahlen heraus von 0,024 bis 0,053 g Stickstoff pro
Kilogramm bei Erwachsenen und beim Kind von 0,04 bis 0,08 g pro
Kilogramm im Tage.
Bemerkenswert ist auch, daß bei schwangeren Frauen der
minimale N-Umsatz pro Kilogramm Körpergewicht genau dieselbe
Höhe darbietet, wie im übrigen (Dr. Lauter, D. A. f. klin. Med. 139
S. 47). Da nun die schwangere Frau aus dem Eiweiß ihrer Nahrung
und, wo diese fehlt, aus ihrem eigenen Körpereiweiß die Frucht im
Uterus aufbauen muß, so sehen wir, daß ein derartiger Mehrbedarf
von Eiweiß nicht zu einer Einsparung an minimalem N-Umsatz
führt; der Organismus kann also seinen Eiweißumsatz normalerweise
nicht weiter einschränken.
Die Frage, ob dieser minimale N-Umsatz wirklich mit Zell-
abba'u, also durch das Zugrundegehen verbrauchter Zel¬
len bedingt sei, kann wohl am besten an pathologischen Fällen
studiert werden, denn ein Gesetz, welches allgemeine Gültigkeit be¬
ansprucht, muß natürlich auch unter krankhaften Verhältnissen Gel¬
tung haben. In der Pathologie ist ein Zugrundegehen größerer
Zcllmassen durchaus nicht selten. Bei der perniziösen Anämie muß
man gewaltige hämolytische Vorgänge annehmen, denn nach einer
großen Bluttransfusion verschwinden die hereingeschütteten roten
Blutkörperchen in wenigen Tagen wieder; Aehnliches gilt von der
Leukämie, bei welcher die massenhaft neugebildeten weißen Blut¬
körperchen ebenso rasch wieder zugrundezugehen scheinen, wie
die enorme Steigerung der Harnsäureausscheidung beweist. Bei der
Phosphorvergiftung und der akuten gelben Leberatrophie geht ein
großer Teil der Leberzellen in wenigen Wochen zugrunde. Das ent¬
zündliche Exsudat einer Pneumonie wird in ganz kurzer Zeit re¬
sorbiert und aufgebraucht. — Wir besitzen zwar über alle diese
Krankheiten bisher noch nicht genügend eigene Untersuchungen,
welche auf der Basis des minimalen N-Umsatzes aufgebaut wären,
aber aus unseren Untersuchungen und aus den Angaben der Literatur
ergibt sich doch schon jetzt, daß bei diesen Zuständen meist keine
oder wenigstens keine sehr bedeutende Erhöhung der N-Ausscheidung
beobachtet wird. Bei unsern Leukämiefällen z. B. konnten wir trotz
einer .hohen Harnsäureausscheidung von 0,9 g das Stickstoffminimum
bei 2,7 g erreichen. Bei perniziöser Anämie fanden die meisten
Autoren normalen N-Umsatz. Nur bei der Bothriozephalusanämie
fand T a 11 q u i s t den N-Umsatz erhöht und nach Abtreibung des
Wurmes wieder normal. Hier kommen toxische Einflüsse in Betracht.
Bei der akuten gelben Leberatrophie und bei Phosphorvergiftung
hat Senator niedrige N-Zahlen beobachtet.
Die Frage läßt sich aber auch im Experiment prüfen: Duxch
Röntgenbestrahlung lassen sich krankhaft vergrößerte Organe in
kurzer Zeit bedeutend reduzieren. Wir haben Leukämiker mit erheb¬
licher Milzvergrößerung auf das N-Minimum gesetzt und die Milz
energisch bestrahlt. Sie verkleinerte sich rasch unter unseren Augen.
Die N-Ausscheidung blieb niedrig, auf 3 bis 2,7 g, aber es trat eine
sehr bedeutende Vermehrung der Harnsäure auf (0,9 bis 0,99), die
gar nicht mehr im Verhältnis stand zur Gesamt-N-Ausscheidung. Daß
die Harnsäureausscheidung beim Menschen nicht in Beziehung steht
zum Eiweißumsatz, ist heutzutage eine allgemein bekannte Tatsache.
Die Harnsäureausscheidung ist abhängig vom Zerfall und Aufbrauch
der Kernsubstanzen der Zellen. Die Harnsäure ist ein wirkliches
Stoffwechselendprodukt in dem Sinne, daß es nicht weiter ver¬
wendet werden und anscheinend vom menschlichen Organismus nicht
mehr weiter abgebaut werden kann. Geht eine Zelle zugrunde, so
erkennen wir dies daran, daß zuerst ihr Kern zerfällt, aufgelöst
wird und schließlich verschwindet. Wenn also bei der Röntgen¬
bestrahlung eine leukämische Milz rasch an Größe abnimmt und
wenn dabei eine sehr große Menge von Harnsäure ausgeschieden
wird, aber nicht entfernt eine entsprechende Menge vom Gesamt-N,
so müssen wir schließen, daß zwar das Endprodukt der zugrunde-
K c ff a "ß en€n Zellkerne, nicht aber diejenigen des zugehörigen Zell-
eiweine» zur Ausscheidung gekommen seien. Das Eiweiß der Zellen,
welche doch ebenfalls zugrundegehen müssen, wenn ihr Kern ver¬
schwindet, ist also nicht gleichzeitig in die Verbrennung mit ein-
bezogen worden, sondern es muß dem Körper erhalten geblieben
sein in irgendeiner brauchbaren Form.
Würden beim Verbrauch der Zellen deren ganze Bestände an
Eiweiß- und Kernsubstanzen vollständig dem Zerfall bis zu den End¬
produkten anheimfallen, dann müßte, da jede Zelle ihren Kern hat,
ein ungefähr gleichbleibendes Verhältnis von Harnsäure zu Gesamt-
N-Ausscheidung eintreten. Das ist aber nicht der Fall, und während
z. B. beim gesunden Menschen im Eiweißminimum dieses Verhältnis
von Harnsäurestickstoff zu Gesamtstickstoff ungefähr 2,5:100 be-
trägt, steigt es bei der Leukämie, der Pneumonie, dem Erysipel und
andern Krankheiten nach unsern Versuchen auf 4—13o/o an. Der bei
diesen krankhaften Prozessen stattfindende Zellabbau erinnert uns
an die Vorgänge bei der Autolyse. Der bei der aseptischen Selbst¬
verdauung der Organe stattfindende Verdauungsprozeß der Eiwei߬
körper geht nur bis zur Stufe der Aminosäuren, also ähnlich wie bei
der Darmverdauung des Nahrungseiweißes. Eine Abspaltung der
NH 2 -Gruppe, also eine Ammoniakbildung, findet dabei nicht statt,
ja es ist interessant, daß die Desaminierung, wie es scheint, über¬
haupt nicht durch extrahierte Fermente erzielt werden kann, sondern
daß diese an die Tätigkeit lebender Zellen gebunden ist.
Wir kennen auch sonst noch Prozesse, bei welchen größere
Organmassen eingeschmolzen werden und bei denen die Einschmel¬
zungsprodukte, also das Eiweiß und seine Komponenten, nicht zer¬
setzt und als Harnstoff ausgeschieden werden, sondern wo sie alsbald
zum Aufbau neuer Gewebe Verwendung finden. Das ist erwiesen
bei dem berühmten Lachs von Miescher, der seine Muskelmasse
einschmilzt und daraus seine Ovarien und Hoden bildet, und Aehn¬
liches beobachten wir bei der unterernährten Schwangeren, bei welcher
sich die heranwachsende Frucht mit rücksichtsloser Lebensenergie
auf Kosten des mütterlichen Ernährungsbestandes entwickelt, wie
wir während der Hungerjahre des Kriegs gesehen haben.
Aus diesen Ueberlegungen ergibt sich eine Reihe von Schlüssen:
1. Wir dürfen nicht, wie dies bisher geschehen ist, die Gesamt¬
stickstoffausscheidung einschließlich der Harnsäure als Maß des Ei¬
weißumsatzes ins Auge fassen, sondern wir können vielleicht vorder¬
hand zu der alten Formel von Bischoff zurückkehren, daß der
Harnstoff ein Maß des Eiweißstoffwechsels sei.
2. Die minimale N-Ausscheidung ist jedenfalls in der Hauptsache
nicht durch die Abnützung verbrauchter, überalterter oder kranker
Zellen bedingt, sondern sie muß im wesentlichen eine andere Be¬
deutung haben.
3. Wir dürfen den Körper nicht, wie dies vielfach geschieht, als
einen Zellstaat von mehr oder weniger gleichartigen Zellen auf¬
fassen, sondern er besteht vielmehr aus sehr verschiedenartigen
Organen, die nicht nur sehr verschiedenen Aufbau zeigen, sondern
auch sehr verschiedene chemische Funktionen zu erfüllen haben.
4. Das Eiweiß der abgebrauchten Zellen und Gewebe wird zu
einem großen Teil der Wiederverwendung im Körper zugeführt,
anscheinend in derselben Weise, wie das Nahrungseiweiß — nicht
so das Endprodukt des Kernzerfalls.
Die Tatsache, daß auch bei reichlichster Ernährung mit Fett
und Kohlenhydraten immer eine gewisse Menge von N im Ham
erscheint, weist darauf hin, daß das Leben nur möglich ist unter
Verbrauch von Eiweißsubstanzen.
Wir haben uns mit der Frage zu beschäftigen, zu welchen
Zwecken der Organismus das Eiweiß der Nahrung notwendig hat
und wie der Abbau des Eiweißes im Stoffwechsel geschieht.
1. Es liegt auf der Hand, daß das Eiweiß notwendig ist zum
Aufbau der Organe und auch zum Ersatz der verbrauchten.
Das Kind im Mutterleibe, das wachsende Individuum, der Rekon¬
valeszent von schwerer Unterernährung oder von ernster Krankheit
kann seine Organe nur aufbauen, wenn er genügend Eiweiß in der
Nahrung erhält, und der Stoffwechsel solcher Individuen kann nicht
als normal angesehen werden, wenn er auf dem N-Gieichgewidit
steht, sondern es muß dabei der N der Zufuhr größer sein als
derjenige der Ausfuhr. Das Saugkalb kann 75o/o des gesoffenen
Milcheiweißes retinieren und zum Organaufbau verwenden, und die
klassischen Versuche von Rubner und Heubner haben Aehnliches
für den menschlichen Säugling dargetan. Unsere Versuche an Re¬
konvaleszenten (Svenson) und diejenigen von Heinrich v. Höß*
lin an unterernährten Kriegsgefangenen zeigen, mit welcher Avidität
ein heruntergekommenes Individuum das Eiweiß an sich reißt.
2. Das Nahrungseiweiß kann bei seiner Verbrennung im Körper
Verwendung finden zur Deckung des Energiebedarfes, also
zur Leistung von Wärme und Arbeit. Pflüger, Voit und Rubner
haben gezeigt, daß der Energiebedarf des Körpers mit Eiweiß allem
gedeckt werden kann. Allerdings sind dazu große Mengen notwendig
Auf Grund der neueren Untersuchungen können wir uns vorstellen
daß dabei das Eiweiß zunächst in seine Aminosäuren zerlegt wird
und daß diese dann abbrennen gewissermaßen wie ein Licht. Durch
Neubauer, Knoop, Embden, Blum und andere ist es wahr¬
scheinlich gemacht, daß dabei zuerst die Aminogruppe ausgebrochen
und durch Sauerstoff ersetzt wird und daß die dabei entstehende
Fettsäure durch weitere Oxydationen in der Betasteilung allmählich
abbrennt, genau in derselben Weise, wie wir dies bei der Oxydation
der eigentlichen Fettsäuren annehmen müssen. Die Verbrennung*-
Produkte sind dann Harnstoff, Kohlensäure und Wasser. — Werden
neben Kohlenhydraten und Fetten auch größere Mengen von Eiweiß
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
21. April 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
515
gereicht, als dem Minimalbedarf entsprechen würde, so wird be¬
merkenswerterweise immer zuerst das Eiweiß angegriffen, und zwar
in der Weise, daß die Aminogruppe der Aminosäuren ausgebrochen
wird, wie wenn sie ein Oiftzahn wäre, und sie erscheint als Harn¬
stoff im Harn; so erklärt 9ich ohne weiteres die früher rätselhafte
Tatsache, daß sich bei reichlicher Eiweißnahrung rasch immer wieder
das N-Gleichgewicht bis auf das Gramm genau einstellt. Diese Aus¬
brechung der Aminogruppe aus dem resorbierten Nahrungseiweiß
geschieht ungemein rasch. C. Voit, zusammen mit Feder und
Max Gruber, konnte nachweisen, daß nach einmaliger starker
Eiweißfütterung die Harnstoffausscheidung sehr rasch, schon in der
zweiten bis achten Stunde, ihr Maximum erreicht, während sich der
Umsatz des aus dieser Eiweißnahrung stammenden Kohlenstoffs (ge¬
messen an der Kohlensäureausatmung) viel langsamer und gleich¬
mäßiger über den Tag verteilt, daß ferner bei reichlichster ausschlie߬
licher Eiweißnahrung zwar der Stickstoff vollständig wieder erscheint,
daß aber der Kohlenstoff zum Teil im Körper zurückbleibt. Daraus
schloß Voit, daß das große Eiweißmolekül aus zwei ungleichen
Teilen bestehe, einem stickstoffhaltigen, welcher sehr rasch als Harn¬
stoff ausgeschieden werde, und einer stickstoffreien Gruppe, welche
als Fett zur Anlagerung komme. Doch mußte die Anschauung einer
Fettbildung aus dem Eiweiß später unter dem Einfluß der Diabetes¬
lehre verlassen werden zugunsten der Annahme einer Zuckerbildung
aus dem Eiweiß. Da im schweren Diabetes des Menschen wie auch
beim Phloridzin- und Pankreasdiabetes des Tierexperiments offenbar
sehr bedeutende Mengen von Zucker aus dem umgesetzten Eiweiß
gebildet werden, und zwar über 60 Gewichtsprozent, so mußte an¬
genommen werden, daß diese stickstofffreie Molekülgruppe im Eiweiß
sehr groß sei.
Die klinischen Erfahrungen am Diabetes des Menschen, ebenso
wie die Tierexperimente am Phloridzindiabetes, zeigten übereinstim¬
mend, daß aus 100 g Eiweiß ungefähr 64 Gewichtsprozent Zucker
sich bilden können.
Nachdem aber durch Emil Fischer das Eiweißmolekül in seine
Bausteine, nämlich die Aminosäuren, zerlegt worden und gezeigt
worden war, daß mindestens 80<y 0 und mehr vom gesamten Eiweiß
aus den bekannten Aminosäureu zusammengesetzt ist, blieb natür¬
lich für ein so großes stickstofffreies Molekül im Eiweiß unmöglich
mehr Raum. Ja, es mußte angenommen werden, daß das ganze Eiweiß
ausschließlich aus Aminosäuren, also aus N-haltigen Bausteinen auf¬
gebaut ist. Ueberdies ließ sich nachweisen, daß in den meisten
Eiweißarten überhaupt keine Spur eines kohlenhydratähnlichen Mole¬
küls enthalten ist. Es war mir deshalb 1899 ein leichtes, nachzu¬
weisen, daß im Eiweiß nicht das Zuckermolekül präformiert sein
könne, wie Pavy angenommen hatte, sondern daß die Zuckerbildung
aus den Aminosäuren des Eiweißes erfolgen müsse und deren Des¬
aminierung voraussetze; diese Desaminierung erfolgte also, ohne
daß dabei das der Stickstoffgruppe beraubte Molekül gleichzeitig in
der Verbrennung mit einbezogen wurde. Die ersten Versuche, den
experimentellen Nachweis einer Zuckerbildung aus Aminosäure zu
liefern, scheiterten, weil sie am untauglichen Objekt vorgenommen
wurden. Das Leuzin hatte wegen der Sechszahl seiner Kohlenstoffe
dazu verführt, gerade diesen wichtigen Eiweißbaukern herauszu¬
greifen. Aus dem Leuzin wird aber tatsächlich kein Zucker. Dagegen
konnte Lusk mit seinen Mitarbeitern am Phloridzintier den Nach¬
weis liefern, daß die Aminoessigsäure und die Aminopropionsäure,
also das Glykokoll und das Alanin, quantitativ, d. h. mit all ihren
Kohlenstoffen, in Zucker übergehen. Daß ferner auch die Glutamin¬
säure, die Asparaginsäure, das Prolin, das Serin, Zystin, Arginin und
anscheinend auch noch andere Aminosäuren tatsächlich Zucker liefern.
Dagegen konnte keine Zuckerbildung nachgewiesen werden aus
dem Leuzin und Tyrosin» Diese Zuckerbildung aus den Aminosäuren
geschieht ungemein rasch, sie erreicht im Tierexperiment ihr Maxi¬
mum schon wenige Stunden nach der Zufuhr der Aminosäuren bzw.
der Eiweißnahrung, also ähnlich wie die Harnstoffausscheidung,
welche die vollzogene Desaminierung anzeigt.
Mit dem Nachweis einer umfangreichen ZuckerbikJung aus den
Aminosäureu bzw. dem Eiweiß ist auch die Frage zu lösen, wie man
sich die Sparwirkung der Kohlenhydrate aus dem Eiweißumsatz
vorstellen kann; auch bei kohlenhydratfreier Kost und selbst im
Hungerzustand findet sich immer Traubenzucker im Blut, und zwar
in nicht geringer Menge, die nur innerhalb enger Grenzen, etwa
zwischen 60 und 100 mg pro 100 ccm Blut schwankt. Der Trauben¬
zucker muß also ein lebensnotwendiger Stoff sein, der durch einen
unerhört feinen Regulationsmechanismus immer auf der gleichen
Höhe von etwa 60—100 mg pro 100 ccm Blut gehalten wird. Sind
keine Kohlenhydrate in der Nahrung gereicht worden und ist der
Reservevorrat an Glykogen in Leber und Muskeln aufgebraucht, so
muß -der lebensnotwendige Blutzucker aus dem Eiweiß gebildet
werden (und dieses wird infolgedessen in den Stoffwechsel einbe¬
zogen). Wird dagegen in der Nahrung diejenige Menge von Kohlen¬
hydraten gereicht, welche zur Deckung des Zuckerbedarfs genügend
ist, so fällt die Notwendigkeit einer Zuckerbildung aus Eiweiß fort,
der Eiweißumsatz wird eingespart, und er stellt sich auf jenen
minimalen Bedarf ein, der eben nicht mehr durch Kohlenhydrate
stofflich gedeckt werden kann 1 ). Der lebensnotwendige Zuckerbedarf
i) Diese Erklärung für die Sparwirkung der Kohlenhydratnahrung auf den Eiweiß-
umsatx ist schon 1903 von Landergren klar ausgesprochen worden. Die schon viel
geringere Sparwirkung des Fettes, das den Eiweißumsatz nur wenig unter den Hunger-
umsatz herunterdrückt, muß dynamisch (energetisch) erklärt werden.
dürfte beim gesunden Erwachsenen ungefähr 40—60 g pro Tag
betragen. Im Fieber ist jedoch, wie K. May gezeigt hat, der
Glykogen- und Zuckerverbrauch entschieden höher.
Man sollte nun annehmen, daß ein solcher Mehrverbrauch an
Zucker nicht nur im Fieber, sondern auch vor allem bei starker
Muskelarbeit eintreten müßte und daß dementsprechend bei kohlen¬
hydratfreier und stickstoffärmster Kost sowie im Hungerzustand
eine Steigerung des Eiweißumsatzes durch Muskelarbeit ein¬
träte. Denn der Muskel bildet doch seine Energie, soviel wir wissen,
in erster Linie aus Zucker. Das ist nun überraschenderweise nicht
der Fall, und wir müssen schließen, daß bei kohlenhydratfreier Kost
nicht das aus dem Körpereiweiß bildungsmögliche Zuckerquantum,
sondern daß das Fett herangezogen wird. Unsere, wie auch die oben
erwähnten Versuche von Thomas bestätigen dies. Der erhöhte
Stoffumsatz, welcher durch die Muskelarbeit bedingt ist, ruft also
keine Mehrbildung von Zucker aus Eiweiß hervor.
Hier drängt sich uns der Vergleich mit einer andern Form der
Stoffwechselsteigerung auf, nämlich der von Rubner studierten
spezifisch dynamischen Wirkung.
Schon L a v o i s i e r hatte beobachtet, daß der Gesamtstoffwechsel¬
umsatz, gemessen am Sauerstoffverbrauch und der Kohlensäurepro-
duktien, nach Nahrungsaufnahme erheblich höher ist als im nüchter¬
nen Zustand. Bidder und Schmidt, Zuntz und seine Schule
haben die Erscheinung weiter studiert, vor allem hat Rubner in
seinem Buch über die Gesetze des Energieverbrauches die Steige¬
rung der Verbrennungsprozesse bei reichlicher Nahrungszufuhr unter¬
sucht, und cs stellte sich heraus, daß diese Steigerung sehr erheblich
ist bei reichlicher Eiweißnahrung. Sie kann vorübergehend bis um
60o/o gegenüber dem Nüchternwert ansteigen, und dabei tritt, wie
Rubner gezeigt hat, eine derartige Mehrproduktion von Wärme
ein, daß der Hund nach reichlicher Eiweißnahrung Schwierigkeiten
findet, seine Körpertemperatur auf der Norm zu erhalten, und daß
er einer richtigen Wärmedyspnoe verfällt. Bei reiner Kohlenhydrat¬
nahrung tritt dagegen nur eine geringe und bei reiner Fettnahrung
so gut wie keine Steigerung der Gesamtoxydationsprozesse auf. Rub¬
ner hat den bedeutungsvollen Nachweis geführt, daß diese Steige¬
rung der Verbrennungsprozesse, welche nach eiweißreicher Nahrung
auftritt, nur zu erhöhter Wärmeproduktion Veranlassung gibt, daß
sie z. B. vollwertig bei Abkühlung der Tiere zur Erhaltung der
normalen Körpertemperatur Verwendung findet. Dagegen kann diese
Steigerung der Verbrennungsprozesse nicht eintreten zur Leistung
von Muskelarbeit. Mit andern Worten, bei der Steigerung der Um¬
setzungsprozesse nach reichlichster Eiweißnahrung werden Zwischen¬
produkte gebildet, welche der Muskel nicht zur Leistung von Arbeit
verwenden kann, oder aber, wahrscheinlicher, diese Steigerung der
Verbrennungsprozesse geschieht nur in Organen, welche mit der
Muskelarbeit nichts zu tun haben, also vielleicht in den Unterleibs¬
organen. Anscheinend dürfte sie nicht mit einer Mehrbildung von
Zucker einhergehen, denn dieser müßte doch auch zur Leistung von
Arbeit Verwendung finden können. Man möchte vermuten, daß bei
den komplizierten Umbildungsprozessen, welche das Eiweiß der
Nahrung im intermediären Stoffwechsel erfährt (und welche viel¬
fach mit einer Aufnahme von Sauerstoff einhergehen), Wärme gebildet
wird, daß sie also exothermisch verlaufen. Dodi sind von Lusk
und anderen amerikanischen Forschern Bedenken gegen diese Er¬
klärung der spezifisch dynamischen Wirkung ausgesprochen worden.
Beim intermediären Kohlenhydratumsatz finden offenbar derartige
wärmebildende Prozesse in viel geringerem Umfang statt, beim Fett
fehlen sie anscheinend ganz, und so erklärt sich vielleicht deren
geringe spezifisch dynamische Wirkung. — Wie auch künftig die
Erklärung der spezifisch dynamischen Wirkung ausfallen möge,
die Tatsache steht fest, daß bei erhöhtem Eiweißumsatz eine
erhebliche, rasch vorübergehende Steigerung der Wärmebildung be¬
obachtet wird, und hier liegt der Vergleidi mit dem Stoffwechsel
im Fieber nahe. Auch bei diesem geht die erhöhte Wärmebildung,
also die Steigerung der Oxydationsprozesse, mit einem vermehrten
Umsatz von Eiweiß einher; es besteht also hier ein prinzipieller
Gegensatz zwischen dem Umsatz beim Fieber und bei der spezifisch
dynamischen Wirkung einerseits und demjenigen bei der Muskel¬
arbeit anderseits, denn die gewaltige Steigerung der Oxydations¬
prozesse bei der Muskelarbeit ist erwiesenermaßen nicht mit einer
Erhöhung des Eiweißumsatzes verbunden. Hier müssen also nicht
nur die Orte des erhöhten Umsatzes (Leber? — Muskeln?), sondern
auch die chemischen Vorgänge verschieden sein.
Nachdem die Bildung von Zucker, und zwar von großen Mengen
von Zucker beim Eiweißumsatz, namentlich durch Lüthjes Arbeit
erwiesen ist, wird man die Frage aufwerfen dürfen, ob diese Zucker¬
bildung aus Eiweiß obligat ist, d. h. ob beim Eiweißumsatz und
der Desaminierung stets jene große Menge von Zucker auftreten
muß, wie wir sie beim maximalen Diabetes der Tiere und Menschen
beobachten. Diese Frage kann mit Wahrscheinlichkeit dahin beant¬
wortet werden, daß die Zuckerbildung aus den Aminosäuren zwar
einer der Wege ist, auf welchem der Eiweißumsatz erfolgen kann,
daß aber die Aminosäuren sehr wohl auch auf anderem Wege ab¬
gebaut und verwendet werden können.
Nachdem schon bei der Durchströmung der überlebenden Leber
nachgewiesen worden war, daß aus manchen Aminosäuren, z. B. aus
Leuzin und Tyrosin, Oxybuttersäure, also eine N-freie Oxyfett-
säure werden kann, hat neuerdings Petrin in Lund energisch darauf
hingewiesen, daß im schwersten Diabetes die Azidosis durch eiwei߬
reiche Kost gewaltig und iebensbedrohend gesteigert wird, daß sie
Digitized by LjOi »öle
Original from
CORUELL UNIVERSITY
516
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 16
aber bei äußerster Beschränkung der Eiweißnahrung und bei kohlen¬
hydratreicher Kost auf ein erträgliches Minimum zurückgeschraubt
werden kann. Sicherlich kann die Oxybuttersäure, und damit die
Azetessigsäure und das Azeton, nicht bloß auf den Eiweißabbau ab¬
geleitet werden, und auch wir konnten bei schwerstem Diabetes
nachweisen, daß die sogenannten Azetonkörper in viel größerer
Menge im Harn erscheinen, als daß sie von dem gleichzeitig um¬
gesetzten Eiweiß abgeleitet werden könnten. Die Lehre von Mag¬
nus Levi bleibt also zu Recht bestehen, daß das Fett die haupt¬
sächlichste Quelle dieser Azetonkörper ist. Aber ebenso dürfte fest¬
stehen, daß auch das Eiweiß und dessen Bausteine in Azetonköiper
übergehen können. Natürlich kann eine Aminosäure nicht gleich¬
zeitig Zucker und Oxybuttersäure liefern.
Zu den N-freien Säuren, die sich aus den Aminosäuren herleiten,
und zwar aus dem Tyrosin und dem Phenylalanin, müssen wir ferner
die Homogentisinsäure rechnen, also jene Säure, welche bei der
Alkaptonurie den Harn und damit die Wäsche, ja selbst die Knorpel
braun färbt. Bei der Bildung der Homogentisinsäure tritt, nach der
üblichen Desamidierung unter Abspaltung der Karboxylgruppe, eine
Oxydation des Phenolkernes in der Parastellung ein.
Das Tyrosin ist aber nicht nur zu der vollständigen Verbrennung
im kalorischen Sinn oder der unvollständigen Verbrennung bis zur
Stufe der Oxybuttersäure oder der Homogentisinsäure fähig, sondern
es erweist sich auch weiterhin als Ausgangsmaterial für mannigfache
andere Produkte.
So konnte Thannhauser nachweisen, daß das Melanogen
der melanotischen Geschwülste ein Brenzkatechinderivat dar¬
stellt. Das Brenzkatechin ist aber ein in Orthostellung oxydiertes
Phenol, das sich offenbar nur aus dem Tyrosin und dem Phenyl¬
alanin herleiten kann, und zwar, nach Bloch, über die Stufe des
Dioxyphenylalanins (Dopa); aus diesem dürfte sich das schwarze
Pigment der melanotischen Geschwülste und vielleicht auch das Haut¬
pigment bei der Addisonschen Krankheit bilden. Die Oxydation des
Phenolkernes kann also je nach dem Bedürfnis sowohl in der Para¬
ais auch in der Orthostellung erfolgen, und die letztere Möglichkeit
muß auch angenommen werden, wenn die totale Verbrennung des
Tyrosins, wie Jaffd gezeigt hat, über die Mukonsäure erfolgt.
Wir kennen aber noch ein anderes Brenzkatechinderivat, das sich
offenbar aus dem Tyrosin herleiten muß, nämlich das Adrenalin,
bei dem auch an der Seiten kette ein ungewöhnlicher Weg ein¬
geschlagen wird; es wird nämlich hier nicht zuerst die Aminogruppe
abgespalten, sondern die Karboxylgruppe, die Aminogruppe bleibt
erhalten, und so entsteht ein Amin, das noch methyliert und in der
Alphastellung oxydiert wird.
Diese Bildung eines Amins aus der Aminosäure begegnet uns
auch sonst noch, z. B. bei dem Histamin, das freilich im menschlichen
Körper noch nicht nachgewiesen ist, das aber nach amerikanischen
Untersuchungen vielleicht eine wichtige Rolle spielt.
COOH
CHNH,
CH,
/\
V«
Tyrosin
COOH
COOH
CH.
CHOH
COOH
CH,
CHNH*
CH*
CH,
/\OH
/\
H0 Ü
ho Vh
ß Oxybutter¬
HomogentJ-
Dioxyphe-
nylafanin
säure
sinsäure
CH.-NH CH,
CHÜH
/\
»o'ö'h
Adrenalin
Nicht nur das Tyrosin, sondern auch das Tryptophan scheint
einer verschiedenartigen Verwendung fähig zu sein. Abgesehen von
seinem Abbau zum Indol bei der Darmfäulnis, kann es im Stoff¬
wechsel vollständig verbrannt werden, und es kann auch Zucker
daraus werden. Es dürfte ferner die Muttersubstanz sein für die
Ehrl ich sehe Diazoreaktion, indem es durch Oxydation und Des¬
aminierung in ein Kumaron übergeht, wie Hermanns auf unserer
Klinik gezeigt hat. Vor allem aber können wir das Tryptophan auch
in Anspruch nehmen als Ausgangspunkt für die Bildung des jod¬
haltigen Thyroxins, also des wirksamen Bestandteiles der Schild¬
drüse.
Das Zystin, also die einzige schwefelhaltige Aminosäure des
Eiweißes, kann, wie Lusk gezeigt hat, in Zucker übergehen, und
zwar unter oxydativer Abspaltung des Schwefels zu Schwefelsäure.
Es kann sich daraus aber auch das Taurin der Galle bilden, und
Thomass konnte nachweisen, daß im Stickstoffminimum sehr viel
weniger Zystein disponibel ist.
( /N j-.CH,CHNH,COOH
N/N nh
Tryptophan
Kumaron Thyroxin
CH,SH
CHNH,
COOH
Zystein
CH,SO,H
CH 2 NH,
Taurin
Unter den Stoffwechselendprodukten, die wir im Harn auch im
N-Minimum in beträchtlichen Mengen antreffen, sei noch das Krea¬
tinin erwähnt. Nicht nur seine Formel, sondern vor allem auch die
Leichtigkeit des Uebergangs des Kreatins in das Kreatinin, die erst
kürzlich von Hahn und ßrömser studiert worden ist, weisen auf
einen engen Zusammenhang der Kreatininausscheidung mit dem
Kreatin hin, das bekanntlich in den Muskeln der Menschen und der
meisten Tiere in großen Mengen angetroffen wird. Was cs dort
für eine Bedeutung hat, wissen wir nicht. Die willkürliche Muskel¬
arbeit führt jedenfalls nicht zur Vermehrung der Kreatininausschei-
dung, dagegen scheint die Größe der Muskelmasse im allgemeinen
in einer gewissen Parallele dazu zu stehen, und man hat die Ver¬
mutung ausgesprochen, daß das Kreatin oder seine Vorstufen in
funktioneller Beziehung stehen zur Muskelspannung, also zum Muskel¬
tonus; freilich fehlen für diese Annahme vorderhand noch ganz
die Beweise. In einem Fall von Tetanus auf unserer Klinik konnte
Kraus eine bedeutende Erhöhung der Kreatininausscheidung fest¬
stellen. Jedenfalls scheint das Kreatinin ein wichtiger Stoff zu sein,
es stellt bis zu 20°/o des gesamten N-Minimums dar, und wenn wir
uns. fragen, aus welchen Stoffen der Nahrung der Körper seinen
Bedarf an Kreatin aufbauen kann, so kommt eigentlich nur ein ein¬
ziger in Betracht, nämlich das Arginin, weil nur dieses die Guanidin-
gruppe enthält.
Gegen diesen Entstehungsmodus des Kreatins aus dem Arginin
könnte man einwenden, daß in der Leber ein Ferment existiert, die
Arginase, welche das Arginin hydrolytisch spaltet ln Harnstoff und
Ornithin. Auf diesem Wege kann natürlich kein Kreatin gebildet
werden, aber dieses Ferment, die Arginase, ist nicht in allen Organen
vorhanden, es fehlt z. B. gerade in den Muskeln, und dementsprechend
könnte hier das Arginin in der früher entwickelten Weise abbrennen,
indem zuerst die in der Alphastellun^ befindliche Aminogruppe ab¬
zuspalten und nach Abtrennung der COOH-Gruppe selbst durch die
Karboxylgruppe ersetzt wird. Es findet dann die weitere Oxydation
von dem übernächsten Kohlenstoff (y) statt, wodurch die Guanidin-
essigsäure entsteht, die dann am Stickstoff noch methyliert wird.
COOH
CHNH,
CH,
CH fl
CH 9 -NH
HN:
X NH,
Arginin
COOH
« CHNHfl
ß CH a
y CH,
_CH 2 NH a
NH,CO~
NH,
Spaltung des Arginins
durch die Arginase in
Harnstoff und Kieatinin
K
COOH
CH,
ricH,
NH,
Kreatin
(Methyl. Guani-
dinessigsäure)
/N-CH,
mtC <fUo
H
Ornithin
Es scheint sich somit im Muskel der Abbau in ganz anderer
Weise zu vollziehen als etwa in der Leber, und der Stoffwechsel
dürfte also in verschiedenen Organen verschiedene Wege einschlagen
und zu verschiedenen Produkten führen. Das Kreatinin ist ein
definitives Stoffwechsel e n d p rod ukt, es kann nicht weiter abge¬
baut werden, vielleicht deswegen, weil es durch die Ringbildung
stabiler geworden ist. Wenn man Kreatinin subkutan einspritzt, wird
cs vollständig durch den Harn wieder ausgeschieden (Neubauer).
Anders das Kreatin; spritzt man dieses ein, so wird cs merkwürdiger¬
weise nicht in Kreatinin umgewandelt und als solches ausgeschieden,
sondern es erscheint im Harn zum Teil wieder unverändert, zum Teil
aber wird cs verbrannt.
Während also das Kreatinin ein definitives, nicht mehr weiter
umsetzbares Endprodukt darstellt, werden andere lebenswichtige Stoffe
offenbar weiter verbraucht. So das Adrenalin und das Thyroxin,
deren Spuren nicht mehr im Harn erkennbar sind. Daß das Adrenalin,
ferner die wirksamen Substanzen der Schilddrüse, der Nebennieren und
anderer endokriner Drüsen bei ihrer Wirkung verbraucht werden,
dürfte daraus hervorgehen, daß wir sie therapeutisch in kurzen Inter¬
vallen weitergeben müssen, um ihre Wirkung aufrechtzuerhalten.
Die Wirkung des Adrenalins erstreckt sich nur auf ein bis zwei
Stunden, ähnlich diejenige der Hypophysenextrakte auf die Wehen¬
bildung oder die Harnsekretion. Vielleicht erscheinen die Endpro¬
dukte dieser lebensnotwendigen Stoffe als Harnstoff im Ham.
Mit diesen uns bekannten Stoffen, dem Adrenalin, Thyroxin,
Taurin, Tyrosin, Kreatin usw., ist aber die Fülle der lebens¬
notwendigen Stoffe, die wir aus dem Eiweiß ableitcn müssen, sicher
noch lange nicht erschöpft. Wir müssen u. a. auch an die Unzahl
der Fermente denken, welche in erheblichen Mengen von den
Drüsen sezerniert werden. Willstätter hat einige dieser Fermente
sehr hochwertig, aber man darf noch nicht sagen rein von Neben-
bcstandteilen darstellen können, und er hat sie als stickstoffhaltig
erkannt. Er weist darauf hin, daß diese Fermente offenbar besonders
labile Körpqr darstellen müssen und deshalb auch chemisch nicht
beständig, sondern leicht zersetzlich sein dürften.
Wir werden somit das Stickstoffminimum auffassen dürfen in der
Hauptsache nicht als das Produkt einer normalen oder pathologischen
Zellabnützung, sondern vielmehr als Ausdruck des Bedarfes des
Körpers an stickstoffhaltigen Substanzen, ohne die er seine Funk¬
tionen, also seine Lebensprozesse, nicht aufrechterhalten kann. Wir
verstehen es, warum dieser minimale Eiweißbedarf durch Kohlen¬
hydrate nicht vertreten werden kann und ebensowenig durch Leim
und leimgebende Substanzen, weil in diesen die wichtigen Bausteine
Tyrosin, Tryptophan und Zystin fehlen. Wir verstehen es, daß der
Leim das N-Minimum nicht vollständig, wohl aber zu einem Teil
(zu 40o/ 0 ) ersetzen kann und daß es, wie die schönen Untersuchungen
von Kaufmann beweisen, zu einem vollwertigen Eiweißstoff wird,
wenn man ihm Tyrosin, Tryptophan und Zystin zusetzt. Bei un¬
genügender Zufuhr von vollwertigen Eiweißstoffen, welche u. a.
Tyrosin, Tryptophan und Zystin, Arginin usw. enthalten, muß der
Körper diese lebenswichtigen Substanzen aus seinem eigenen Eiwei߬
bestand decken, d. h. er muß sein eigenes Eiweiß cinschmelzen, und
bei dauernd niedrigstem Eiweißgehalt der Nahrung geht das Tier
nicht etwa an der Abmagerung zugrunde, sondern unter Krankheits¬
erscheinungen einer Erschöpfung, ähnlich wie bei einer AVita¬
min ose. Vielleicht kann die Pellagra darauf zurückgeführt werden,
Go gle
c
Original from
CORNELL UNIVERSITY
21. April 1022
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
517
daß im Eiweißkörper des Maises, dem Zein, das Arginin fehlt und
daß aus diesem Grunde bei ausschließlicher Maisnahrung jene Avita-
minose entsteht. Wir haben in den Hungerjahrefi des Krieges,
namentlich in Gefängnissen und Irrenanstalten,, erlebt, welche Schwäche-
zustande schließlich bei dem Mangel an vollwertigen Eiweißstoffen
auftreten und wie sich eine allgemeine Widerstandslosigkeit des
Körpers gegen allerlei Schäden, gegen Infektionskrankheiten und
besonders gegen Tuberkulose usw. herausstellte.
Das Eiweiß dürfte die wichtigste Quelle für eine große Reihe
der lebensnotwendigen Stoffe und für die Spezialfunktionen der
einzelnen Organe darstellen. Das Eiweiß ist die wichtigste
Quelle der Vitamine, wenn wir unter Vitaminen diejenigen
Stoffe verstehen, welche der Körper zur Erhaltung seiner Organe
und seiner Funktionen, zum Wachstum und Wiederaufbau unbedingt
notwendig hat und welche der Organismus nicht selbst aus anderen
Grundstoffen aufbauen kann 1 ).
Natürlich ist das Eiweiß nicht die einzige Quelle der Vitamine,
auch fipoide Stoffe sind unbedingt notwendig. Nicht die eigentlichen
Fettsäuren, wohl aber die komplexen, cholin- und phosphorsäure¬
haltigen, fettähnlichen, also äther- und alkohollöslichen Stoffe, wie
z. B. die Lezithine. Es ist bemerkenswert, daß dem werdenden Hühn¬
chen im Ei neben verschiedenen Eiweißarten gerade auch diese
phosphorhaltigen Lezithine im Dotter mitgegeben sind, nicht aber
die Purinkörper, aus denen das Hühnchen seine Zellkerne aufbaut.
(Schluß folgt.)
Zur Punktionsprüfung der Niere.
Von Prof. Dr. Haas Schirokaaer in Berlin.
„Die funktionelle Nierendiagnostik der inneren Nierenkrankheiten
kann das hohe Ziel, das sie sich gesteckt hat, so lange nicht ganz
erreichen, als eine exakte Methode der Bestimmung der Nierenfunktion
und ein sicheres Unterscheiden der renalen und extrarenalen Faktoren
fehlt Vorläufig scheint sie auf einem toten Punkt angelangt, viel¬
leicht, daß die Untersuchungen von Schlayer hier neue Gesichts¬
punkte eröffnen.“
In diesem Schlußwort des ausgezeichneten Referats von P. F.
Richter (D.m. W. 1921 Nr. 15) liegt die resignierende Erkenntnis,daß
die große Arbeit der letzten Jahre auf dem Gebiete der funktionellen
Nierendiagnostik zwar unsere Einsicht in die inneren Nierenkrank¬
heiten sehr vertieft hat, aber doch in bezug auf das Endziel, aus dem
Ausfall der Funktion bestimmte Richtlinien für die Diagnose zu geben,
nicht unseren Erwartungen entsprochen hat. Das konnte auch nicht
sein, wie Richter sagt, solange eine sichere Unterscheidung der
renalen und extrarenalen Faktoren fehlt. Zu einer genaueren Defini¬
tion dieser letzteren, die den Angelpunkt der ganzen Frage bilden,
sind wir aber bisher noch nicht gelangt.
Ich stimme auf Grund anderer Ueberlegungen ganz der Ansicht
P. F. Richters bei, daß unsere bisherige Art der Funktionsprüfung
zu keinem das jeweilige pathologische Bild klärenden Ergebnis führen
konnte, weil wir immer nur eine Partialfunktion der Niere — hier
im weitesten Sinne des Wortes gedacht —, nämlich die exkretorische
Tätigkeit der Niere prüften. Wenn auch die Ausscheidung der Körper¬
schlacken sicherlich die wichtigste Funktion der Niere darstellt, so ist
es wohl schon teleologisch wahrscheinlich, daß der tierische Orga¬
nismus sich durch Sicherheitsventile gegen ein etwaiges Versagen des
einzigen Körperausflußrohres — wenigstens vorübergehend — wird
sichern können. Ich denke dabei an eine innersekretorische Tätigkeit
der Niere. Ob diese in der Tätigkeit der Zellen liegt, Retentions¬
produkte in weniger schädliche Körper abzubauen, ist noch Gegen¬
stand experimenteller Untersuchungen.
Zu diesen Ueberlegungen wurde ich veranlaßt durch Befunde
(D. m.W. 1920 Nr. 29) bei Diabetikern, bei denen im Laufe jahrelanger
Beobachtungszeit (an der III. Medizinischen Universitätsklinik) eine
Nierensklerose zu voller Entwicklung kam. Dabei zeigt sich, wie
schon älteren Autoren (Frerichs, Stokvis) bekannt war und
worauf vor allem v. Noorden (Die Zuckerkrankheit, Hirschwald
1912) hinweist, ein Verschwinden der oft jahrzehntelang bestehenden
Glykosurie. v. Noorden sagt über diesen wichtigen Punkt der
Pathologie: „Merkwürdig und interessant ist, daß Diabetiker, bei
denen sich Granularatrophie der Niere entwickelt, manchmal die
Glykosurie verlieren. Der Diabetes heilt.“
Ich bin nun der Ansjcht, daß hier, wie später genauer erörtert
wird, ein Trugschluß vorliegt. Der Diabetes ist doch nicht durch
das Vorhandensein einer Glykosurie charakterisiert und heilt nicht mit
Schwinden derselben. Sagt doch Noorden selbst, daß die Defini¬
tion des Diabetes, die nur das Svmptom der Glykosurie herausgreift,
recht oberflächlich ist, und definiert deshalb wie folgt: „Unter Dia¬
betes mellitus versteht man ein^ Krankheit, bei der die Fähigkeit des
Organismus, Zuckerbildung und Zuckerverbrauch in ordnungsmäßiges
Verhältnis zueinander zu bringen, krankhaft herabgesetzt ist.“ Infolge¬
dessen darf man nicht in jedem Fall mit dem Schwinden der Glykos¬
urie die Störung im Zuckerstoffwechsel als überwunden ansehen,
sondern muß vor allem stets die Funktion der Niere mit in den
Kreis der Betrachtung ziehen. So beobachtete ich im Jahre 1912 (I. c.)
>) F. M Aller, Eröffnungsrede der Deutschen Naturforscher- und Aerzteversamm-
Juög In Nauheim 1921«
einen Mann (E.), der schon vier bis fünf Jahre vorher in der Klinik
mit sichergestelltem Diabete* mellitus mit starker Glykosurie in Be¬
handlung stand. Zeichen einer Nierenerkrankung bestanden damals
nidit. Zur Zeit meiner Beobachtung fand sich eine Nierensklerose mit
erhöhtem Blutdruck (160 mm Hg) 'und starker Albuminurie (Vs bis
1 V4 0 /00)1 während im Harn dauernd kein Zucker (selbst mit den
schärfsten Proben) nachzuweisen war. Hingegen zeigte der Blut¬
zucker bei freigewählter Kost in zahlreichen Untersuchungen in langer
Beobachtungszeit eine dauernde starke Erhöhung bis zu 0,320°/o. Unter
diesen Umständen kann wohl von einer Heilung des Diabetes keine
Rede sein. Ein zweiter, ganz ähnlich liegender Fall wurde bis vor
kurzem von mir beobachtet; hier betrug der Blutzucker 0,190 0/0 bei
Fehlen von Harnzucker (Diagnose: Nierensklerose mit 190 mm Hgf
Blutdruck und etwa 0,75 °/oo Albumen; früher Diabetes mellitus mit
1 Vs®/o Harnzucker).
Es gibt somit Fälle sicherer klinischer Beobachtung, in denen
bei einer bestehenden diabetischen Hyperglykämie durch eine —
gleichgültig wodurch — hinzutretende Nierenunwegsamkeit bei be¬
gleitender Nephropathie der bisherige Zuckerabstrom verlegt wird,
während bei Fortbestehen der Zuckerstoffwechselstörung weiter Zucker
dem Blut zuströmt. Demnach müssen, um die völlige Zuckerüber¬
schwemmung des Organismus zu verhindern, neue Regulatoren in
Tätigkeit treten, die höchstwahrscheinlich in der Niere selbst zu
suchen sind.
Haben doch die Forschungen der letzten Zeit erwiesen, daß die
meisten Drüsen mit innerer Sekretion in einer Beziehung zum Zucker¬
stoffwechsel stehen. War die Leber schon seit Claude Bernard
als das diabetogene Organ kat’ exodiln bekannt, steht ferner das
Pankreas seit v. Me rings und Minkowskis Entdeckung im Vor¬
dergrund des Interesses, so wurde erst in den letzten Jahren der Ein¬
fluß der Schilddrüse, der Hypophyse und Epithelkörperchen auf den
Zuckerstoffwechsel besonders durch die Untersuchungen von Epp in -
ger, Falta und Rudinger (Zschr. f. klin. M. 1908/09, 66/67) u. a.
nachgewiesen. Nur für die Niere ist die Stellung im Zuckerhaushalt
trotz mancher Anläufe noch ungeklärt.
Schon Brown-S6quard (die Literatur ist nach Biedl, Innere*
Sekretion 1913, Wien und Berlin, zitiert) hat eine innere Sekretion
der Niere angenommen. In neuerer Zeit haben dann u. a. Oliver
und Schäfer einerseits, ferner Bingel und Strauß in dem Preß-
saft der Niere ein blutdrucksteigemdes Agens erkannt, das von
ersteren Renin benannt wird. Versuche von Timofeew ergaben
eine starke Erhöhung des Lymphstromes im Ductus thoracicus unter
dem Einfluß wäßriger Nierenextrakte, und in Bestätigung und Er¬
weiterung dieser Untersuchungen fand Tscheboksaroff unter
Biedls Leitung den Extrakt von Urannieren in der gleichen Weise
wirksam. Ferner konnte Biedl in eignen Versuchen Untersuchungen
von Bradford bestätigen, wonach nach Reduktion des funktionieren¬
den Nierenparenchvms auffällige Veränderungen im Stoffwechsel (Poly¬
urie, negative N-Bilanz) auftraten.
Daher ist die Möglichkeit gegeben, daß durch den Ausfall der
Nierenfunktion (auch der inneren Sekretion) andere Drüsensysteme
entweder die Oberhand bekommen oder vikariierend eintreten, oder
aber, daß hierdurch von der Niere ausgehende normale Reize im
ZuckerstoffWechsel fortfallen. Diese Reize könnten zweierlei Art sein:
einmal können sie in Beziehung zur Zuckerbildung, zweitens zur
Zuckerverbrennung stehen. Eine Beeinflussung der Zuckerbildung wird
in den in Frage stehenden Fällen von Nierensklerose und Diabetes
nicht anzunehmen sein, da der Blutzucker in diesem Falle im Laufe
der Zeit allmählich abnehmen müßte. Eine Erörterung scheint lediglich
in der Richtung des Zuckerverb rau «dis notwendig zu sein, in dem
Sinne, daß im vorliegenden Falle eine Steigerung der Zuckerverbren¬
nung statthaben muß. Dieser Umstand scheint mir ein Argument
mehr für die von v. Noorden (1. c.) und von Kolisch (Diabetes,
Berlin und Wien 1918) geforderte Ablehnung der Theorie vom ge¬
störten Zuckerverbrauch im Diabetes. In welcher Weise das wechsel¬
seitige Spiel der Drüsen stattfindet, ist zunächst undurchsichtig. Es
ist möglich, daß bei der Bedeutung, die nach Bang (1. c.) dem Pan¬
kreas vermutlich auch für die Glykolyse zukommt, von der Niere in
dieser Richtung Erregungen irgendwelcher Art ausgehen und auf
nervösem oder hormonalem Wege — etwa durch Vermehrung des
glvkolvtischen Ferments, das von namhaften Forschem trotz der
noch nicht völlig geklärten Anschauungen als Ursache der Glykolvse
angesehen wird — eine gesteigerte Zuckerzerstörung in den Geweben
bewirkt.
* Ich beabsichtige nicht, an dieser Stelle die schwierige Frage der
Glvkolyse (Lupine, Stoklasa, Cohnheim u. a. m.) aufzurollen,
möchte nur erwähnen, daß Oppenheimer (Fermente, 1909) die
heutige Auffassung dahin zusammenfaßt, daß die Glvkolvse auf einem
fermentativen Vorgang beruht, und daß Bang fl. c.) auf GruncI neuerer
Arbeiten von de Mayer, Vandeput, Edelmann die ma߬
gebende Bedeutung des Pankreas für die Glykolyse als sehr wahr¬
scheinlich ansieht. Auch B rüg sch (Ther. d. Gegenw. 1919 H. 8)
betonte erst kürzlich, daß möglicherweise dem insularen Pajikreas-
hormon neben der glvkogenbildenden Tätigkeit auch die Fähigkeit
einer Begünstigung der Zuckerverbrennung zukommt. Endlich erstreckt •
sich nach Biedl (I. c.) der Einfluß der Pankreashormone auf den
Zuckerverbrauch in den Geweben neben der Einwirkung auf die
Zuckerbildung und, wie ich früher (1. c.) erwähnte, vielleicht auch
auf die normale Zuckerdichtigkeit der Niere.
Anderseits wäre es denkbar, daß durch die Nierenerkrankung
das die Glykolyse fördernde Ferment in Blut und Geweben vermehrt
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNÜVERSrrf
518
DEUTSCHE MEDIZINISCHE «WOCHENSCHRIFT
Nr. 16
wird, wie auch Frieda Orkin (Inaug.-Diss., Berlin 1912) in Unter¬
suchungen, die sie auf meine Veranlassung anstellte, bei experimen¬
tellen Nephritiden eine Vermehrung der Leberdiastase feststellen
konnte.
In diesem Falle wäre die Vermehrung der Zuckerverbrennung
nicht an die Pankreasfunktion gebunden, wofür in der Literatur auch
Annahmen vorhanden sind. So fand Kausch (Arch. f. exper. Path.
u. Pharm. 1896, 37) in Versuchen, die er in anderer Richtung ver¬
wertet, daß bei pankreasexstirpierten Vögeln kein Zucker im Urin
bei gesunden Nieren ausgeschieden wird, trotz der audi hier vor¬
handenen Hyperglykämie. Es muß also hier noch ein Verbrauch des
Zuckers stattfinden, da er sich sonst, wie Kausch damals schon
erkannte, irgendwo ansammeln müßte. Auf Grund dieser bei Vögeln
gefundenen Tatsache und der von mir erörterten wahrscheinlichen
Zuckerverbrennung, worüber später noch Gaswechseluntersuchungen
Aufschluß geben müssen, ist es nicht wahrscheinlich, daß, wie
B rüg sch (1. c.) letzthin für das Wesen des Diabetes annimmt, „eine
abundante Zuckerausschüttung eine Zuckerverbrennung behindere bzw.
das System lähme, das die Zuckerverbrennung reguliert, aktiviert bzw.
vollbringt“. Oder daß, wie Baer (Mohr und Stähelin 1912, 4, Verlag
Jul. Springer, Berlin) angibt, auf Grund einer starken Hyperglykämie
eine ungünstige Beeinflussung der Glykolyse durch zu hohe Zucker-
konzentration im umgebenden Medium stattfinden könnte.
Es ist somit durch diese Beobachtungen eine Funktion der Niere
in den Kreis der Erörterungen gerückt, die über die bloße exkre-
torische Tätigkeit hinausgehf und die, wie hier für den Zuckerstoff¬
wechsel, so bei der Diskrepanz der bisherigen Ergebnisse der Funk¬
tionsprüfungen dort vielleicht für die Endprodukte des Eiweißwechsels
eine besondere Bedeutung besitzt. — Bis jedoch experimentelle Unter¬
suchungen, die im Gange sind, aber wegen der äußeren Schwierigkeiten
längere Zeit in Anspruch nehmen weiden, diese Frage weiter klären,
müssen wir vorläufig noch der exkretorischen Funktion der Niere
allein unsere Aufmerksamkeit schenken und die Methoden der Unter¬
suchung mit der nötigen Kritik prüfen und zu verbessern suchen.
.Da muß man in der Tat sagen, daß neben der Prüfung der Wasser¬
ausscheidung und Konzentrationsfähigkeit diejenige Funktionsprüfung
die größte Beachtung verdient, die die ausgeschiedenen Körper¬
schlacken zu den im Blut retinierten in Beziehung bringt, nämlich
die Ambardsche Konstante oder der hämorenale Index.
Diese Konstante hat von den verschiedenen Autoren eine recht
verschiedene Bewertung infolge der großen Abweichungen in den
Resultaten erfahren. Ich teile keineswegs den Optimismus von Gug-
genheimer (Zschr. f. exper. Path. it. Ther. 1920, 21/22 u. B. kl. W.
1920 Nr. 41) in bezug auf den Wert der Konstante, möchte aber auch
nicht der abfälligen Kritik Volhards folgen, der in der Sitzung des
Vereins für innere Medizin und der Urologischen Gesellschaft vom
7. bis 8. III. 1921 die Ambardsche Konstante ein halsbrecherisches
Rechenkunststück nannte. Vielmehr möchte ich auf Grund meiner
Erfahrungen eine vermittelnde Stellung in der Bewertung des hämo-
renalen Index einnehmen.
Bevor ich auf die nähere Besprechung der der Konstante zugrunde¬
liegenden Berechnungen Ambards eingehe, möchte ich an einem
prägnanten Beispiel einer größeren Reihe von Beobachtungen zeigen,
welche Ueberlegungen zu den folgenden Ausführungen geführt haben.
Patient J., 36 Jahre, hat im Felde mehrere infektiöse Krank¬
heiten durchgemacht, auch Lues; leidet jetzt häufig an Kopfschmerzen
und Mattigkeit. Ein positiver Organbefund liegt nur insofern vor,
als sich im Urin dauernd Spuren von Albumen und zahlreiche Erythro¬
zyten und mittlere Mengen von hvalinen Zylindern finden. Blutdruck
wiederholt um 120—125/80, Wa.R. positiv; keinerlei Oedeme.
Der während der Untersuchungswoche wiederholt angestellte Ver*
dünnungs- und Konzentrationsversuch zeigte einmal ein Zurückbleiben
der Wasserausscheidung, ein zweites Mal ein leichtes Ueberschießen.
während bis 1032 konzentriert wurde. Der Restharnstoff im Blut ist
40 mg bei einer Konstante von 0,129! Da dieser Befund im Wider¬
spruch zu dem gesamten klinischen Befund stand — nach Guggen-
he im er \Vürde dieser Erhöhung ein funktioneller Wert der Harnstoff¬
ausscheidung von etwa 37,5 °/o entsprechen —. wurde am folgenden
Tage dieselbe Untersuchung wiederholt. Es fand sich ein Blutrest¬
harnstoff von 37 mg bei einer Konstante von 0,065, also ein völlig
normaler Wert.
Es galt nun, der Ursache dieser Verschiedenheit der Ergebnisse
bei Einhalten der gleichen Untersuchungsbedingungen nachzugehen.
Bekanntlich lautet die Ambardsche Formel für den Fall, daß
die Harnstoffkonzentration im Blut und Harn variiert, wie folgt:
K = Ur
v''V r
(Zitiert nach Volhard, Handbuch von Mohr und Stähelin, 3.)
In dieser Formel, die an sich keine rechnerischen Schwierigkeiten
bietet, bedeutet der Faktor D die berechnete 24stündige Harnstoff¬
ausscheidung, gewonnen aus VxC, wobei V das 24stündige Harn¬
volumen und C die Harnstoffkonzentration im Versuch darstellt.
Ein Versuch erstreckt sich in der Regel auf 1— U? Stunden, die in
dieser Zeit gelassene Urinmenge dient durch Multiplikation mit 24
bzw. 16 zur Berechnung der 24stündigen Menge.
ln dem angeführten Beispiel des Patienten betrug die im ersten
Versuch (IV? Stunden) gelassene Urinmenge 50 ccm. die errechnete
24-Stunden-Menge demnach 800 ccm. Tatsächlich ließ aber der Pa-
«ent an diesem Tage 1760 ccm Urin. Am folgenden Tage betrug
die Urinmenge des Versuchs 35 ccm, die errechnete Tagesmenge
560 ccm; tatsächlich ließ der Patient an diesem Tage etwa 600 ccm.
In einem zweiten Falle betrug die aus der Versuchszeit von
I Stunde mit 300 ccm berechnete Menge 7200 ccm! (Index = 0,087),
während die an einer chronischen Urämie leichten Grades leidende
Patientin in längerer Beobachtungsreihe nur täglich etwa 2000 ccm
ausschied (Index — 0,11).
Ich glaube nun, daß in diesem Punkte die Hauptursache der so
wechselnden Konstantenwerte zu suchen ist. Setzen wir nämlich im
ersten Beispiel bei der Konstante von 0,129 nicht den «rechneten,
sondern den tatsächlichen 24-Stunden-Harmvert in die Formel (mit
1760 ccm) ein, so erhalten wir auch hier eine Konstante von 0,07,
die sowohl mit der am folgenden Tage ermittelten von 0,065 überein¬
stimmt, als auch dem gesamten klinischen Befund und seitherigen
Verlauf entspricht. Bei den in 24 Stunden wechselnden Harnstoff¬
konzentrationen — diesen wechselnden Verhältnissen trägt die Formel
in der genannten Gestalt ja eben Rechnung — im Urin stellt ja der
im Versuch ermittelte Wert sowieso nur einen Mittelwert dar, wir
vergrößern daher meines Erachtens nur den Fehler, wenn wir aus
der 1- bzw. Inständigen Harnmenge die Tagesmengc berechnen,
anstatt die tatsächliche 24-Stunden-Harnmenge mit diesem Versuchs-
Durchschnittswert in die Berechnung einzufügen.
Wenn wir diese Modifikation, deren Richtigkeit weitere Erfah¬
rungen bestätigen sollen, der Berechnung der Ambardschen Konstante
zugrundelegen, so werden vielleicht auch die Resultate eine größere
Konstanz als bisher aufweisen. Damit könnte sich vielleicht diese
Funktionsprüfungsmethode, die bisher noch der größten Skepsis be¬
gegnet, als die theoretisch aussichtsreichste den gebührenden Platz
unter den bisher geübten Nierenfunktionsprüfungen sichern. Solange
aber nur diese exkretorische Partiarfunktion der Niere ohne Berück¬
sichtigung anderer — vielleicht diesbezügliche Ausfälle kompensieren¬
der — Teilfunktionen im obenerwähnten Sinne der Betrachtung und
Beurteilung unterliegt, wird das Bild der Nierenleistung unvollkommen
bleiben müssen.
Nachtrag bei der Korrektur: Wie ich einer eben erschie¬
nenen Arbeit aus der Minkowskischen Klinik entnehme, werden
dort sogar die Grundlagen der Ambardschen Konstante beim Ge¬
sunden in Zweifel gestellt.
Ueber die Lokalisation und phylogenetische Grundlage der
Verfettungen und Sklerosen der Aorta und ihre Aeste').
Von Prof. Westenhöf er.
M. H ! Die Mehrzahl der Präparate, die ich Ihnen hier zeige,
stammt von Leichen aus der Friedrichstadtklinik für Lungenkranke
des Herrn Dr. A. Mayer. Sowohl Todeskrankheit (meistens
Tuberkulose) als auch das Alter der betreffenden Menschen
spielt eine nur nebensächliche Rolle. Höchstens insofern ist
das Alter von Bedeutung, als, je jünger die Menschen waren, um
so schöner und eigenartiger die Veränderungen in reiner Form ge¬
sehen werden und wir nur an möglichst reinen Formen ein Urteil
über ihre Entstehung gewinnen können. Die Präparate sind zu einem
großen Teil gewissermaßen noch „in situ“, d. h. die Aorta und,
soweit möglich, auch ihre Aeste mit der Wirbelsäule im örtlichen
Zusammenhang erhalten und in Formalin fixiert. Außerdem habe ich
eine Anzahl älterer Präparate unseres Pathologischen Museums mit¬
gebracht, die die Veränderungen und Lokalisationen besonders deut¬
lich darbieten. Ich halte mich lediglich an die makroskopischen
Erscheinungen und lasse die mikroskopischen Ergebnisse und
die Frage, wie im einzelnen der makroskopisch sichtbare Herd
entsteht, außer Betracht, indem ich diesbezüglich auf die früheren
Veröffentlichungen von Thoma und Jores und die neueren von
Hu eck verweise 8 ). Betonen möchte ich aber von vornherein, daß
ich auf Grund zahlreicher, immer wieder nachgeprüfter und wieder¬
holter Untersuchungen bis heute ein unbedingter Anhänger der
Virchow sehen Lehre bin, daß die Verfettung der Aortenintima
etwas anderes ist und nichts zu tun hat mit der Atheromatose oder
Endoaortitis productiva chron. deformans (der Atherosklerose oder
Skleratheromatose der Neueren) und daß die nach Virchow eigent¬
liche, und zwar reine senile Arteriosklerose, die Arteriosklerose
xat’ igozrjv (die Mediaverkalkung der Extremitätenarterien), mit den
vorgenannten Prozessen nichts zu tun hat, selbst wenn histologisch
manche Uebereinstimmungen gefunden werden.
Sehen wir die Präparate der Aorten aus einer gewissen Ent¬
fernung unbefangen an, so sehen wir sofort, daß die zarten, gelben
Flecke an der Hinter wand der Gefäße sich befinden, und
zwar ohne jegliche Beziehung zu den Abgangsstellen der Inter¬
kostalarterien; meistens liegen die Flecke in den Wandstellen unter¬
halb dieser Abgänge, und wenn sie bis in die Wand zwischen
den Abgängen reichen oder überhaupt dort lokalisiert sind, so haben
sie doch nichts mit ihnen selbst zu tun. Das ist wichtig hervor¬
zuheben, weil man in der Literatur oft der Angabe begegnet, die
Verfettung beginne an den Abgangsstellen der I. Arterien.
Wenn ich nun bei der Sektion eine solche Aorta vor mir habe,
so pflege ich häufig folgenden Versuch zu machen. Feh lasse irgend
1 ) Demonstratfonsvortrag im Verein für innere Medizin und Kinderheilkunde am
6 . VI. 1921. Bei der Redaktion eingegangen am 1. XII. 1921. — m. W. 1020 Nr. 19—21
Digitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSUM
21 . April 1Q22
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
519
einen anderen, der der Sektion beiwohnt, oder noch besser jemanden,
der eben ins Zimmer tritt, bei geschlossenen Augen mit dem Finger
über die in situ aufgeschnittene Aorta leise hinwegfahren, mit der
Aufforderung, innezuhalten, so oft er einen harten Vorsprung oder
eine besondere Unebenheit fühlt: der Finger wird sich dann fast
ausnahmslos gerade auf einem solchen Fettfleck befinden; diese
Flecke zeigen die leisesten Unebenheiten der unter der Aorta liegen¬
den Wirbelsäule an, die Aortenintima ist die reine „Prinzessin auf
Erbsen“. Dasselbe Experiment kann man in genau so erfolgreicher
Weise an den Karotiden anstellen, von denen ganz besonders deutlich
bekanntlich der Bulbus vor der Teilung und noch deutlicher und
regelmäßiger der Anfangsteil der Carotis interna die Verfettung
autweisen, die an dieser Stelle gerade über den Querfortsatz des
3. Halswirbels hinwegzieht, wobei besonders ins Gewicht fällt,
daß die Querfortsätze, wie schon He nie beschreibt, so stark vor¬
springen, daß sie vor der Frontalebene der Wirbelköroer liegen. Daß
aber nicht nur über festen knöchernen Teilen die Intimaverfettung
auftritt, sondern auch bei Verengerung des Gefäßkanals durch Weich¬
teile, sehen Sie sehr schön an einem Präparat, wo die Carotis comm.
zwischen einem gar nicht besonders großen Kropf und den Querfort¬
sätzen durchzieht, und das Gleiche sieht man oft genug bei Einschei¬
dung und Umwucherung der Arterien durch Geschwulstmassen. Auch
die Knorpel der Bronchien spielen bei Drucksteigerung im Gebiete
der A. pulmonalis für die Lokalisation der Fettflecke in der Lungen¬
arterie, z. B. bei Herzfehlern, die bestimmende Rolle, wie man bei
geeigneter Präparation manchmal sehr schön zeigen kann. Ja oft
genügt schon eine besondere Spannung der Gefäßhaut selbst, um
bei genügendem Innendruck des Blutes die Fettflecke entstehen zu
lassen, wie es z. B. am großen Mitralsegel schon lange bekannt ist.
Immerhin könnte es Leute geben, die diesen Präparaten und
ihrer Deutung noch nicht genügend Beweiskraft zubilligen. Für solche
habe ich nun gewissermaßen eine ganze Batterie mitgebracht, und
zwar handelt es sich hier um die unteren Hauptäste der Aorta, die
beiden Aa. iliacae communes. In sämtlichen Präparaten, die ich leicht
um viele vermehren könnte, sehen wir in der rechten A. iliaca
comm. einen meistens ziemlich (bis 2 cm und mehr) großen ovalen
graugelber. Fleck, und zwar an der Hinterwand des. Gefäßes, wah¬
rend die Vorderwand und die linke Iliaka gänzlich frei ist.
Betrachten wir ein solches Präparat im Zusammenhang mit der
Wirbelsäule, so ist das Rätsel sofort gelöst. Der Fettfleck entspricht
genau der Stelle, wo die rechte A. iliaca von links her über den
Körper des 5. Lendenwirbels nach der rechten Seite des Beckens
zieht, um sich zum rechten Bein zu begeben. Da die Aorta links
neben oder vor der Wirbelsäule liegt, muß die rechte Iliaka den un¬
nachgiebigen 5. Lendenwirbel kreuzen, und im Bereich der Kreu¬
zung tritt der Fleck auf.
Wenden wir uns jetzt zu einer zweiten Serie von Präparaten.
Da sehen wir etwas ganz anderes, nämlich die bekannten grauweißen,
sehnig glänzenden, mehr. oder weniger beetartig erhabenen und
ausgedehnten Verdickungen der Intima. Diese sitzen nun im deut¬
lichen Gegensatz zu den Fettflecken mit ausgesprochener Vorliebe
unmittelbar um die Abgänge der Interkostalarterien oft so, daß man
die Oeffnungen nur mit Mühe erkennen kann. An dieser Stelle ist
also, ganz objektiv gesprochen, eine Verdickung der Gefäßwand
eingetreten. Um diese Lokalisation und das Wesen dieses Vorganges
zu verstehen, ist nur notwendig, die Interkostalarterien freizulegen
und ihre Beziehung zur Aorta festzustellen, wie Sie es hier an drei
verschiedenen Präparaten sehen, von denen das eine ein neugeborenes
Kind, die beiden anderen Erwachsene betreffen, das eine Präparat
davon unbearbeitet, das andere mit einem fortlaufenden sagittalen
Längsschnitt durch sämtliche Abgänge der Interkostalarterien. Da
zeigen sich nun auffallende Unterschiede zwischen dem kindlichen
una den Erwachsenen-Präparaten, Unterschiede, die den Anatomen
und Physiologen (G. Schwalbe, Roux, Fuchs 1 )) schon lange
bekannt sind, die aber m. E. seitens der Pathologen und Kliniker
niemals genügend gewürdigt worden sind. Bei dem kindlichen Prä¬
parat gehen sämtliche I. Arterien senkrecht seitlich aus der Aorta ab
und veriaufen in fast mathematisch wagerechter Richtung (der alten
Segmentrichtung entsprechend) um den Körper herum nach vom. Bei den
Erwachsenen sehen wir die Interkostalarterie im spitzen Winkel schräg
nach hinten oben und seitlich aus der Aorta thoracica abgehen, im
Bauchteil wird der nach hinten oben spitze Winkel allmählich größer,
aber selbst die unterste A. interlumbalis vor der Teilungsstelle der
Aorta in die beiden Iliacae zeigt noch nicht die horizontale Richtung.
Ganz merkwürdig ist daher das Bild, das man gewinnt, wenn
man die Außenwand der Aorta betrachtet, nachdem man sie nicht
in der Mitte, sondern seitlich so aufgeschnitten hat, daß der Schnitt
zwischen dem Tripus Hallen und den Interkostalarterien durchgeht,
und die abgehenden Arterien kurz abschneidet, sodaß nur kleine,
klaffende Stümpfe bleiben: dann scheinen die Arterien, die doch
aus demselben Rohr kommen, in diametral entgegengesetzten Rich¬
tungen (auf- und abwärts) zu führen, und es könnte einer ebenso gut
■der Richtung der Stümpfe entsprechend den oberen Teil der Aorta
für den unteren und umgekehrt den unteren für den oberen halten.
Solche Zustände zeigen m. E. in ausgezeichneter Weise, daß bei
der Blutzufuhr zu den einzelnen Arterienbezirken weniger die Strö¬
mungsrichtung vom Herzen aus maßgebend ist, sondern von größerer
Bedeutung die Selbstregulierung der Arterien, wozu bei den Inter¬
kostalarterien mit ihrem steilen, rückwärtigen Verlauf die Thorax¬
>) Arch. f. Anat. u. Phys., Phys. Abt. 1900.
bewegung als wichtiges Bewegungsmittel hinzukommen dürfte, wie
ja wohl selbst bei geradlinig verlaufenden Arterien, z. B. denen der
Extremitäten, besonders der Beine, die beim Gehen und Laufen
abwechselnde Längsspannung (= Verengerung) und Erschlaffung
(= Erweiterung) nicht ganz ohne Bedeutung für die Blutfüllung der
Extremitäten sein dürfte, was man besonders schön an Hundeleichen
zeigen kann.
Das aber muß ohne weiteres einleuchten, daß jede in der
elastischen Aorta vorwärts getriebene Blutmenge nicht nur einen
Seitendruck auf ihre Wand ausübt, sondern auch einen Längszug.
Auf beide wird ja auch von fast allen Forschem die schon in der Kind¬
heit beginnende elastisch-bindegewebige Hyperplasie der Intima zu¬
rückgeführt. Am stärksten aber werden vom Längszug diejenigen Stel¬
len betroffen, an denen die Aorta fixiert ist und deswegen nicht oder
nur mangelhaft nachgeben kann, das sind in erster Linie die Abgangs¬
stellen der Interkostalarterien, in denen die Aorta hängt wie ein Pferd
im Zügel, dessen Drang nach vorwärts durch die Zügel gehemmt
wird. Die Interkostalarterien sind gewissermaßen solche Zügel der
Aorta. Und da ist es eine notwendige Folge dieser mechanischen
Behinderung, daß an den Stellen stärksten Rückzuges die Intima hyper¬
plastisch wird, es sind „Zugschwielen“, die sich an diesen Stellen
bilden, im Gegensatz zu den fettigen „Druckflecken“ über harten
Unterlagestellen. Ich bin sehr geneigt, die von Ernst 1 ) eingehend
untersuchten und beschriebenen Wellenlinien der Aorta, die
Virchow schon 1858 kannte und in seinem Museum unter der
Bezeichnung „Superficies undulosa aertae“ aufhob, ebenfalls auf die
Wirkung des Zugs zurückzuführen, den der Längsblutstrom auf die
bei manchen Menschen (Kindern) vielleicht besonders bewegliche
und nachgiebige Intima ausübt. Dafür spricht schon, wie Sie an den
Präparaten sehen, die allgemeine Lokalisation an der Hinter- und
Seitenwand der Aorta. Manchmal sind die Querleisten so stark, daß
man versucht ist, von einer Polyposis linealis elastica aortae zu
sprechen, besonders, wenn man mikroskopische Längsschnitte be¬
trachtet.
Die Längsfixierung der Aorta ist nun im Brustteil viel lockerer
und beweglicher, d. h. elastischer, eben dank den Zügeln der Inter¬
kostalarterien, während sie im ßauchteil viel fester, breiter und
weniger nachgiebig ist durch festere Fixierung der Hinterwand der
Aorta auf der Wirbelsäule, wie jeder Obduzent weiß, der die Aorta
herausnimmt. Die sklerotischen Platten brauchen daher in diesem Ab¬
schnitt durchaus nicht immer (obwohl auch hier meistens) an die In¬
terlumbalarterien gebunden zu sein.
So zeigen uns die aufgestellten Präparate mit aller nur zu
wünschenden Deutlichkeit einmal die Lokalisation dieser beiden Ver¬
änderungen der Verfettung und der Sklerose, und zugleich, daß
beide nichts miteinander zu tun haben, daß also Virchows An¬
schauung zu Recht besteht. Natürlich können nun sekundäre Ver¬
änderungen auftreten oder sich hinzugesellen, die das ursprüngliche
Bild verdecken und das Verständnis erschweren. Im besonderen ist
es ja bekannt und von niemand bestritten, daß die Sklerose fast
stets ihren Ausgang' im Atherom findet, während die Verfettung das
ganze Leben lang bestehen kann, ohne jemals sklerotisch zu werden.
Dabei soll nun nicht etwa dem toxischen Moment bei der Verfettung
jede Rolle abgesprochen werden; denn abgesehen von der mecha¬
nischen Disposition, die naturgemäß für beide Zustände durch Blut¬
druckerhöhung irgendwelcher Art verstärkt wird, ist wohl ohne
Zweifel die Blutzusammensetzung bezüglich Ernährung und Schädi¬
gung der Intima und bezüglich der Wirkung auf den Blutdruck nicht
ohne Bedeutung, wie ja aus zahlreichen Tierversuchen hervorgeht.
Ich komme nachher noch kurz auf diese und andere „Adjuyantia“
zurück.
Wenn ich Ihnen nun nicht noch mehr zu zeigen und zu sagen
gehabt hätte, als wie Sie bisher gesehen und gehört haben, würde
ich mich doch vielleicht besonnen haben, diese Demonstration hier
zu veranstalten, denn in ähnlicher Form ist das auch schon von
anderen gesagt worden. So viel mir bekannt, ist aber die Folgerung
noch nicht in die gehörige Beleuchtung gerückt. Ob die an der
Aorta und ihren Hauptästen gewonnenen Schlüsse auf die Entstehung
gleichartiger Veränderungen in den mittleren und kleinen Arterien
angewendet werden dürfen, ist nicht ohne weiteres sicher, obwohl
man zugeben muß, daß im großen und ganzen gleiche Bedingungen
ähnliche Folgen nach sich ziehen werden. Was mir aber aus den
Beobachtungen an der Aorta hervorzugehen scheint, ist, daß wir es
hier mit einer pathologischen Veränderung zu tun haben, die wir als
eine phyletische bezeichnen müssen, genau so, wie wir uns ge¬
wöhnen müssen, die Appendizitis, die Spitzentuberkulose und gewtee
Erkrankungen des Nierenbeckens als phvletische oder auf phylo¬
genetischer Grundlage entstandene Krankheiten zu betrachten. Sie
teilt in dieser Hinsicht auch insofern das Schicksal der genannten an¬
deren Krankheiten, als sie beim Tiere ebensowenig vorkommt wie
jene, daß sie eine ausgesprochen menschliche Erkrankung darstellt.
Sie ist der Spitzentuberkulose in diesem Sinne sogar so nahestehend,
daß beide zurückzuführen sind auf die gleiche Vorbedingung, nämlich
den aufrechten Gang des Menschen; beide entwickeln ihre Disposition
(wenn ich so sagen darf) aus der Kindheit her mit zunehmendem
Alter infolge der veränderten Wachstums- und Lageverhältnisse
des Thorax einer-, der Wirbelsäule anderseits; ja bei der Aorta wird
das Verhältnis noch ungünstiger dadurch, daß ein Mißverhältnis
eintritt zwischen Wachstum der Wirbelsäule und der Aorta, indem
*) Zieglers Beiträge 61
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSITV
520
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 16
erstere rascher wächst, wodurch die Verlagerung der Abgänge der
Interkostalarterien entsteht, sodaß das ursprüngliche Segmentvertiältnis
gestört wird, ganz ähnlich, wie innerhalb des Wirbeffcanate ein fast
gleichartiges Mißverhältnis zwischen Wirbelsäule und Rückenmark
entsteht, das aber nur bei Spina bifida occulta dem Träger ver¬
hängnisvoll wird.
Die Verfettungen aber finden in erster Linie ihre phyletische Er¬
klärung in den Krümmungszuständen der Wirbelsäule, besonders
deutlich am Promontorium, das ja auch sonst noch eine „gefährliche
Ecke“ darstellt, und an der Halswirbelsäule. Während beim Tier die
Wirbelsäule mitsamt der gewissermaßen vor ihr frei herabhängenden
Aorta einen sanft gekrümmten, nach hinten konvexen Bogen macht,
bei dem jede Druckwirkung von seiten der Knochen aut die Aorta
vollkommen ausgeschlossen ist, ist die menschliche Wirbelsäule bei
aufrechter Haltung im ganzen größeren unteren Abschnitt nach vorn
konvex. Auf diesen vorgewölbten, oft sehr unebenen Stab ist die
Aorta gewissermaßen angebunden, unter der Einwirkung des Blut-
stroms dauernd in die Länge und Breite gezerrt, mit der beschränkten
„gezügelten“ Möglichkeit, dem Längszug nachzugeben und dem Seiten¬
druck nur nach vorn auszuweichen, wahrend die Hinterwand gewisser¬
maßen zwischen Blutstrom und Wirbelsäule zusammengepreßt wird,
anz ähnlich etwa, wenn auch nicht ganz so schlimm, wie von dem
ie Speiseröhre hinabgleitenden Bissen die Hinterwand derselben gegen
die Wirbelsäule und die Vorderwand gegen die Bifurkation der Tracnea
gedrückt wird, worin wir ja oft genug, zumal bei starker Unebenheit
der Wirbelsäule (suprakartilaginäre Exostosen), die Grundlage zur
Entstehung von Dexubitalgeschwüren und Krebsen erblicken. Ja
nicht einmal im Schlaf wird sie immer entlastet hinsichtlich ihrer Lage,
da viele Menschen auf dem Rücken liegen, statt auf der Seite oder
dem Bauch. Je größer das Mißverhältnis zwischen Wachstum der
Aorta und der Wirbelsäule, um so längsgespannter muß sie werden,
aber auch um so enger und um so mehr muß sich jede Unebenheit
der Unterlage bemerkbar machen, um so früher müssen Fettflecke
auftreten; so entsteht vielleicht die Aorta angustior mit den charakte¬
ristischen Verfettungen (das Zeichen der Chlorotischen nach Vir-
chow). Kein Objekt kann uns das Verhältnis der Aorta zum Blut¬
strom über den Unebenheiten der Wirbelsäule besser vor Augen
führen, als ein über seine Steine dahineilender Gebirgsfhiß. Wo ein
Stein sich besonders stark vom Grunde erhebt, bildet sich ein Wellen¬
tal und -berg, oft sogar eine kleine Brandung, «hne daß der Stein
die Wasseroberfläche zu überragen braucht.
Genau so wenig, wie nun trotz der phyletischen Disposition der
Lungenspitze oder des Wurmfortsatzes Jedermann eine Spitzentuber¬
kulose (die ja eigentlich eine subapikale ist 1 )) oder eine Appendizitis
bekommen muß, genau so wenig eine Arteriosklerose, insbesondere
der Aorta, deren geringfügige oberflächliche Verfettungen und Ver¬
dickungen man wohl kaum als Arteriosklerose bezeichnen darf. Zu
dieser Disposition muß nun noch das Agens der Umwelt hinzutreten,
und wie fast ausnahmslos jeder vitale Vorgang ein sehr komplexer
ist, so nicht zum wenigsten in diesem Falle. Der Hauptsache nach
lassen sich die äußeren Schädigungen leicht auf eine Formel bringen,
die heißt: Erhöhung des Blutdrucks. Alles, was den Blut¬
druck dauernd steigert, ob das nun mechanische oder toxische
Schädigungen sind, ist geeignet, auf Grund der phyletischen Dispo¬
sition das anatomische und klinische Bild der Arteriosklerose her¬
vorzurufen. Ist diese aber erst einmal da, wird auch der Circulus
vitiosus geschlossen.
Wie ich mich bei der Erörterung der anatomischen Veränderungen
auf die Einzelheiten der Histogenese nicht eingelassen habe, so will
ich auch bei der Besprechung der Umweltschädigungen nicht auf
Einzelheiten eingehen, sondern nur die m. E. maßgebende allgemeine
Grundlage hervorheben, wie ich das im Gegensatz zu den landläufigen
einseitigen Ursachenaufzählungen bereits eindringlich genug früher
getan habe, als ich über meine pathologischen Erfahrungen aus Chile
berichtete, die leider viel zu wenig bekannt geworden sind *). Das
ist nun schon über 10 Jahre her, aber die inzwischen vergangene Zeit
hat mich nur immer me{ir in meiner Auffassung bestärkt, daß wir in
der Arteriosklerose eine ausgesprochene Zivilisationskrankheit
zu sehen haben, die auf phylogenetischer Grundlage durch eine in jeder
Richtung unzweckmäßige oder besser unnatürliche Lebensweise ent¬
steht. Die fast unausgesetzten körperlichen, geistigen, seelischen und
toxischen Strapazen, die wir unserem Körper im Gegensatz zu unzivili-
sierten Völkern und Rassen zumuten und die neben dem Zentralnerven¬
system kein anderes Gebiet mehr angreifen und belasten als das Zirku-
lationssvstem, lassen beide Systeme nicht zu den Ruhepausen kommen,
die zur Erhaltung der anatomischen und funktioneilen Intaktheit unbe¬
dingt notwendig sind. So sehen wir beim Zirkulationsapparat die
Arteriosklerose bei uns häufiger und bösartiger als bei jenen, und
am Zentralnervensystem eine Tabes imd Paralyse erscheinen, die
trotz gleicher und vielleicht sogar längerer Verbreitung und mangel¬
hafter Behandlung der Syphilis bei jenen weniger zivilisierten Völkern
»> Sie entsteht an der Stelle, wo aus der hinteren oberen Kante der trapezförmigen
kindlichen Lunge durch das Hinabsenken der oberen Thoraxapertur, d. h. der oberen
Rippen, sich allmählich die Spitze erhebt. Der hintere obere Spitzenbronchus läuft
genau auf diese Stelle zu. Die Tuberkulose an dieser Steile hänet aber mit einer
morphologischen Umwandlung de* Lunge zusammen. Der Druck der Rippen (S chmori¬
sche Furchei hat m. E. nichts damit zu tun. Die Umwandlung der breiten Trapezform
in die spitze Kegelform ist also wieder etwas Phyletisches und tritt bei manchen
Menschen Überhaupt nicht ein (Progonismus). Diese können natürlich auch keine
„Spitzentuberkulose“ bekommen. — •) Bericht Uber die Tätigkeit des Pathologischen
Instlt-its der Universität Santiago de Chile 1908—1909, ein Beitrag zur vergleichenden
menschlichen Pathologie. B.U. W. 1911 Nr. 23 -27 und Verb. Ver. f. Inn. JVL am 2. XII. 1913.
fast völlig fehlt. Die phyletische Disposition zur Arteriosklerose zu be¬
seitigen, ist unmöglich, die Umweltoedingungen, insbesondere unsere
Lebensweise zu ändern, liegt in unserer Hand. Sie zu ändern liegt
nicht nur im individuellen Interesse des Phänotypus, sie ist von
größter Bedeutung auch zur Erhaltung eines tüchtigen Genotypus
dem sie in gleicher Weise zugutekommen wird. Ob die zivilisierten
Menschen diesen Weg beschreiten werden, ist sehr fraglich, sie
werden lieber, wie bisher, mit Medizinen aller Art die Symptome
bekämpfen. Das Uebel an der Wurzel zu fassen, ist freilich nur mög¬
lich auf dem Weg über die soziale Hygiene und durch besondere Ma߬
nahmen auf dem Gebiete der Volkswohlfahrt.
Aus der Medizinischen Klinik (Direktor: Geh.-Rat Hirsch)
und dem Pathologischen Institut (Stellvertr. Direktor:
Prof. Dr. W. Fischer) der Universität in Bonn.
Zur Kenntnis der Lymphogranulomatose.
Von Dr. Hang y. Hecker und Prof. Walter Flacher.
(Schluß aus Nr. 15.)
In anatomischer Hinsicht bietet der Fall manches Bemerkens¬
werte. Das Befallensein von Pankreas ist bei Lymphogranulo¬
matose etwas Ungewöhnliches und bis jetzt erst in ganz wenigen
Fällen anatomisch festgestellt.
Ebenso ungewöhnlich ist der Milzbefund. Es fanden sich
nämlich hier gar nicht die gewöhnlichen Veränderungen, nämlich
die Durchsetzung der Milz mit zahlreichen Knoten, also das be¬
kannte Bild der Porphyrmilz, vielmehr lediglich ein großer anämischer
Infarkt, und zwar, wie die histologische Untersuchung ergibt, her¬
vorgerufen durch Uebergreifen des Lymphogranuloms vom Hilus
der Milz her auf die Milzarterie. Weder im infarzierten Gewebe,
noch sonst in der Milz deckte die mikroskopische Untersuchung
lymphogranulomatöse Herde auf. Das Ergriffensein von Venen
der Milz bildet auch Ziegler ab; den Befund nekrotischer Herde
in der Milz, umgeben von granulomatösem Gewebe, berichtet
Ewing; aber einen derartigen Befund, wie in unserem Falle, habe
ich sonst nirgends erwähnt gefunden.
Die Ulzera im Darm erwiesen sich bei mikroskopischer Unter¬
suchung als zerfallende Herde von Granulom. Derartige
Ulzera des Darms sind ja in neuerer Zeit einige Male beschrieben
worden, so von Hauck (Flexura coli sin.), von Part sch (im
Jejunum), von Schlagenhaufer (Magen, Dünn- und Dickdarm).
Durch das Fehlen käsiger Knötchen auf dem Grund der Geschwüre,
das Fehlen von Knötchen auf der Serosaseite ließen sich die Ulzera
gut von tuberkulösen unterscheiden.
Der interessanteste Befund im vorliegenden Falle ist zweifellos
die Affektion des Gehirns, nämlich die Granulomherde
im Centrum semiovale beiderseits. Die Lokalisation von Gra¬
nulom im Gehirn ist bis jetzt kaum bekannt geworden. Ziegler
sah eine Lokalisation im Stirnlappen, offenbar von der Pia aus¬
gehend. Besonders interessant scheint uns im Vergleich zu unserer
eine Beobachtung von Askanazy. Er fand bei einem Lympho-
granulom des Knochenmarks (Halswirbel) eine Infiltration der Dura
spinalis, und ferner in dem ödematösen, 1600 g schweren Gehirn
im Centrum semiovale beiderseits starke, umschriebene Rötung ohne
Konsistenzveränderung. Mikroskopisch fanden sich „in den stark durch
Oedem gedehnten subarachnoidealen Maschen vermehrte Zellen en¬
dothelialen Aussehens, massige Ansammlungen von Lymphozyten
und spärlichen Leukozyten. Schmale, aber dichte lymphozytäre Mäntel
von nicht sehr großer Ausdehnung umhüllten die einzelnen kleineren
Gefäße, besonders Arterien an der Basis, aber auch in der Hirn¬
substanz selbst, die ödematös, sehr hyperämisch erschien, einzelne
Ekchymosen, Wucherung der Gliazellen und stellenweise auch Neu-
ronophagic aufwies. Die Aderhautgeflechte waren wenig verändert.
Diese seröse Meningitis muß als Auftakt einer lymphogranulomatösen
Meningitis betrachtet werden, bei der es noch nicht zur Bildung
von Stembergschen Zellen gekommen war“. In unserm Falle sind
nun die Meningen verschont, der Prozeß spielt sich in der Hirn¬
substanz ab und stellt schon ein etwas älteres Stadium dar als in
dem Askanazyschen Falle.
- Hätte man in unserem Falle lediglich Schnitte von den Herden
des Gehirns untersuchen können, so wäre die Diagnose auf Lympho¬
granulomatose wohl kaum gestellt worden. Bei dem Fehlen der
eosinophilen Zellen kommt hier den kleinen Riesenzellen besondere
diagnostische Bedeutung zu. Auch aus den Leber Veränderungen
allein wäre die Diagnose kaum richtig zu stellen gewesen. Wie
schwer und oft unmöglich es ist, aus einer Probeexzision von
Lymphknoten die richtige Diagnose zu stellen, haben die er¬
fahrensten Untersucher wiederholt erlebt (vgl. Umber, Lubarsch,
Dietrich). Im vorliegenden Falle ging es uns anfangs ebenso.
Nämlich nach dem makroskopischen Befund wurde die Diagnose
bei der Sektion — vor allem wegen der Herde im Gehirn — zu¬
nächst auch nicht auf Lymphogranulomatose, sondern auf Sarkom
gestellt; und früher war, von einem anderen Untersucher, nach der
mikroskopischen Untersuchung des exzidierten Lymphknotens
die Diagnose ebenfalls auf Sarkom gestellt worden.
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UNiVERSITV
21. April 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
521
Ganz kurz.soll noch über einen zweiten Fall berichtet werden,
der kurze Zeit nach dem eben mitgeteilten Falle zur Beobachtung kam.
Dieser stand nur ganz kurz in unserer Beobachtung. Der Kranke
wurde in extremis eingeliefert, sodaß eingehende Untersuchungen
an ihm nicht mehr vorgenommen werden konnten.
Die Einweisung erfolgte wegen „Tuberkulose“. Es fanden sich
generalisierte Lymphdrüsenpakete sowie ein Pleuraexsudat mit blutig¬
serösem Inhalt. Die Drüsentumoren waren nicht verbacken, die
Haut über ihnen nicht verwachsen. Die Leukozytenzahl be¬
trug 14 200; das Hämoglobin 36 (Sahli). Im leider nicht ausge¬
zählten Blutbild sah man keine pathologischen Zellformen, man hatte
jedoch den Eindruck, daß die Lymphozyten vorherrschten.
Eine sichere Diagnose bezüglich der Natur der Lymphadenose
war infolge der erwähnten Momente nicht möglich. Erst die patho¬
logisch-anatomische Untersuchung ergab die Klärung.
Die Krankengeschichte ist folgende:
Patient Joseph W., 26 Jahre alt. Anamnese: Mit 6 Jahren
Masern. August 1920 traten Drüsenschwellungen unterhalb des linken
Schlüsselbeines und in der linken Achselhöhle auf. Die ersteren wur¬
den operativ entfernt, die letzteren mit Röntgenstrahlen behandelt.
Weitere Drüsenexstirpation Februar 1921 an der linken Halsseite. (Ein
Bericht über eine etwa erfolgte histologische Untersuchung der
Drüsen liegt nicht vor.)
März 1921 Stiche in der linken Brustseite mit lebhaftem Husten¬
reiz und Fieber. April 1921 wegen „Rippenfellentzündung“ punktiert
Später (im Juni 1921) erneut nochmals punktiert. Hatte damals starke
Atemnot. Seit März 1921 allmählich weiteres Anwachsen der Drüsen¬
schwellungen.
Status: Ist bei der Einlieferung in die Medizinische Klinik zu
Bonn äußerst hinfällig, sehr blaß, stark dyspnoisch, muß getragen
werden. Kopf o. B. An der linken Halsseite, vom Processus masioi-
deus bis in die linke Supraklavikulargrube hinein, reaktionslose Narbe.
Thorax: Linker hinterer Thoraxabschnitt stark voigewölbt. In
der linken Axilla ein, in der rechten zwei apfelgroße Drüsenpakete.
Von der rechten Axilla steigen etwa walnußgroße Knoten kontinuier¬
lich bis in die zugehörige Mohrenheimsche Grube. Auch links in
der Supraklavikulargrube deutliche Tumoren von etwa gleicher Größe
vorhanden. Leistendrüsen beiderseits perlschnurartig vergrößert.
Linke Seite bleibt beim Atmen deutlich zurück. Lungengrenzen:
Rechts hinten unten am 12. Brustwirbeldorn, wenig verschieblich.
Links hinten unten abwärts des 7. Brustwirbeldorns massive Dämp¬
fung mit abgeschwächtem Pektoralfremitus und gleichem Atem-
eräusch. Oberhalb der Dämpfung feinbfasiges, feuchtes, nicht
lingendes Rasseln sowie Reiben. Cor zeigt klinisch nichts Be¬
sonderes. Puls sehr weich, frequent (130 pro Minute). Abdomen:
Leber überragt perkussdrisch den Rippenbogen um 2 Querfinger.
Milzdämpfung scheint nicht vergrößert. Doch ist die Untersuchung
der Milzgröße nicht einwandfrei, da der Patient ständig in Zwangs¬
lage auf der linken Seite liegt, welche Lage er wegen sofort auf¬
tretender lebhafter Atembeschwerden möglichst wenig ändern wollte.
Urin: trübe, Albumen und Saccharum negativ.
Der Erkrankte ist äußerst matt, schlummert meistens, steht
unter Koffein und Kampfer. Tuberkelbazillen im Sputum negativ.
Durch Punktion der linken Pleurahöhle werden 750 ccm blutig-seröser
Flüssigkeit abgelassen. Wenige Stunden später tritt unter rapidem
Verfall der Exitus ein.
Die Sektion ergab im Wesentlichen folgenden Befund:
ln beiden Achselhöhlen wölben sich unter der Haut große
Knoten vor, anscheinend den axillaren Lymphknoten entsprechend.
An der linken Haisseite, vom Kieferwinkel schräg nach vom
median verlaufend, eine feine, lineare Narbe, ferner eine sehr
lange, ähnliche Narbe, vom Processus mastoideus bis zur Kla-
vikel reichend. Die Bauchdecken ziemlich dünn, Körpermuskulatur
nur mäßig kräftig. Das Gewebe über dem Sternum ziemlich stark
infiltriert. Muskulatur von guter roter Farbe. Im 1. Zwischenrippen¬
raum ein kirschgroßer, weißer Knoten in der Makulatur. Zwerch¬
fellstand links 7. Rippe, rechts 6. Interkostalraum. Die Därme ziem¬
lich gebläht, Serosa spiegelnd und glatt. Leber überragt den Rippen¬
rand um 3 Querfinger. Bei Eröffnung der Brusthöhle entleert sich
aus beiden Pleurahöhlen in erheblicher Menge klare, seröse Flüssig¬
keit. In der linken Pleurahöhle über 2 Liter, in der rechten etwa
1500 ccm Exsudat. An der Innenseite des Brustbeins sieht man
zahlreiche, teils flache, teils mehr vorspringende Knoten, meist kirsch¬
groß, von grauweißer Farbe. Die linke Lunge ist ganz zurück¬
gesunken, die Pleura übersät mit kleinen, weißlichen Knoten.
Im Herzbeutel etwa 20 ccm klare, seröse Flüssigkeit. Perikard
spiegelnd und glatt. Nahe der Umschlagstelle des Perikards, be¬
sonders auch an der hintern Wand der Pulmonalis, kleine und größere
(bis etwa kirschkemgroße) weiße Knoten. Rechtes Herz von ge¬
wöhnlicher Weite und Wanddicke. Endokard und Klappen dünn und
zart. Ziemlich viel Speckhaut im rechten Ventrikel. Linkes Herz
ebenfalls entsprechend weit, die Wanddicke die gewöhnliche, Endo¬
kard und Klappen o. B. Koronargefäße o. B. Schnitte durch die
Muskulatur des Herzens ergeben nichts Abnormes. Foramen ovale
geschlossen. Zunge groß, mit gut ausgebildeten Follikeln, Tonsillen
von mittlerer Größe, etwas derb. Speiseröhre o. B.
Schleimhaut des Larynx und der Trachea ziemlich dunkelrot,
viel Schleim. Bronchen weit.
Zwischen Oesophagus und Trachea, entlang der ganzen Wirbel¬
säule bis zum Zwerchfell, dann ferner weit hinauf an beiden Seiten
des Halses, und in beiden Achselhöhlen finden sich große Massen
von Tumor, der meist weiß aussieht. Seine Konsistenz ist meistens
recht weich, markig, an manchen Stellen jedoch auch etwas derber.
Die größten Knoten des Tumors erreichen die Größe eines Hühner¬
eies, die meisten sind aber nur etwa kirschgroß. Sehr große Knoten
finden sich nahe der Spitze und dem Hilus der linken Lunge. Auf
einem Durchschnitt erkennt man, daß die Tumorknoten vom Hilus
aus noch weit in das Lungengewebe hineindringen. Das Gewebe
der linken Lunge ist ziemlich luftarm, in den untersten Abschnitten
dunkelrot, etwas zähe. Der Überlappen ist ziemlich luftleer und ganz
durchsetzt von ganz dicht stehenden, fast reinweißen, meist nicht
über stecknadelkopfgroßen Knoten, das dazwischen liegende Lungen¬
gewebe etwas zähe, wenig anthrakotisch. Im Unterlappen ähnliche
Tumorknoten in der Lunge, die meisten dicht unter der Pleura,
diese etwas vorwölbend; einige sind bis kirschgroß, ln den Bronchien
etwas Schleim, Mukosa dunkelrot. An einigen Stellen sind auch
Tumorknoten in die Bronchialschleimhaut von außen her bis dicht
unter die Mukosa, diese etwas vorwölbend, vorgedrungen. Der¬
selbe Befund wird auch in dem Hauptbronchus der rechten Lunge
erhoben. Diese ist etwas gebläht und, abgesehen von den Tumor¬
knoten, überall lufthaltig. Am Hilus findet sich ein über kinds-
kopfgroßes Paket vergrößerter Lymphknoten, die fast reinweiß und
stellenweise etwas anthrakotisch sind. In der Lunge selbst viel
weniger Tumorknoten als links. Jedoch in der Pleura zahlreiche,
der Pleura oft kuglig aufsitzende Tumorknoten.
Im Mediastinum findet man in ödematöser Umgebung noch
Reste von Thymusgewebe, das jedoch vom Tumor nicht erfaßt ist.
Milz 12:5:2 cm, Kapsel nicht verdickt. Parenchym von gewöhn¬
licher Konsistenz, Trabekel dünn, Follikel nicht zu erkennen. Im
Parenchym mehrere, meist kirschkerngroße, weißliche Knoten, be¬
sonders in der Nähe der Milzkapsel.
Leber von gewöhnlicher Form und Größe, Konsistenz etwas
weich, azinöse Zeichnung deutlich, Venen mäßig weit, Pfortader o. B.
Gallenwege und Gallenblase ohne Befund. Pankreas sehr weich,
graurot, Läppchenzeichnung etwas undeutlich.
Vena cava und Vv. femorales o. B. In den retroperitoneaJen
Lymphknoten bis hinab zum kleinen Becken ebenfalls kleinere, weiche
Tumorknoten; die Lymphknoten, die von Tumor nicht ergriffen sind,
dunkelrot, sukkulent, ln der 6. Rippe links im Periost und in der
Knochensubstanz selbst ein über kirschgroßer Knoten; an vielen
anderen Stellen kleine Tumorknoten an den Rippen und den Wirbeln
sowie am Sternum, meist ganz an der äußern Oberfläche.
Schädeldach sowie Hirnhäute ohne pathologische Veränderungen.
Hirnarterien etwas weit, doch zartwandig.
Hirnsubstanz leicht ödematös. Ventrikel nicht erweitert. Nirgends
pathologische Befunde im Gehirn, insbesondere nirgends Tumorent¬
wicklung.
Die mikroskopische Untersuchung der Lymphknoten, der
Lungenherde und der Milz ergab überall übereinstimmende und
äußerst typische Bilder. Es handelt sich bei den Wucherungen um
Lymphogranulomatose, und zwar besteht das Granulations¬
gewebe aus Lymphozyten, Fibroblasten, Plasmazellen, eosinophilen
Zellen und Sternbeigschen Riesenzellen; stellenweise findet sich auch
etwas hyaline Umwandlung.
Es handelt sich also im vorliegenden Falle um
Lymphogranulomatose der zervikalen, axillaren, me-
diastinalen, tracheob ronch i alen, retroper i to n e a I e n
Lymphknoten, mit Uebergreifen auf Pleura, Lungen,
Muskulatur, Periost zahlreicher Knochen, auf Milz
und Perikard.
An dem Falle ist anatomisch einiges ungewöhnlich. Erstens
das Verhalten der Milz. Nur ganz wenige Granulomknoten fanden
sich in diesem Organ, und das „typische“ Bild der diffusen Durch¬
setzung fehlte völlig. Ein zweiter ungewöhnlicher Befund sind die
Granulomknoten im Perikard; dieser Befund ist nur selten er¬
hoben, z. B. von Palma (zit. bei'Ziegler) und von Schridde.
Endlich ist in einigen abdominalen Lymphknoten mikroskopisch
ein Befund erhoben, der besonders charakteristisch ist. Hier fanden
sich nämlich in einigen Knoten die Wucherungen fast ausschlie߬
lich aus Sternbergschen Riesenzellen bestehend: bei
starker Vergrößerung (Leitz-Obj. 7, Okular 1) habe ich in einem
Gesichtsfeld fast 200 Riesenzellen gesehen, stellenweise neben den
Riesenzellen auch viel eosinophile Zellen. Eine derartige Menge
von Riesenzellen habe ich bis jetzt noch in keinem Falle gefunden.
Düring hat das Gleiche gesehen: er teilt einen Fall mit, wo in
einem Lymphknoten etwa 60 Riesenzellen im Gesichtsfeld sich fanden,
ja, wo sie sogar die meisten Elemente darstellten.
Askanazy, Verh D. path. Qes. 1921 S. 7a - Max Düring. D. Arcb. f. klin. M.
191K 127, S.7& - James Ewing, Neoplastic diseases, Philadelphia 1919. - Gustav
Hauck, Zbl.f. Path. 1918 S. 225. — F. Kraus, B.kl.W. 1918 S.705 - 703. - Matthes,
Lehrbuch der Differentialdiagnose innerer Krankheiten S. 350. — O. Naegeli, Blut¬
krankheiten und Blutdiagnostik 1919(Lehrbuch). — Fr.Partsch, Virch. Arch. 1920,230.
S. 131 - Fr. Schlagenhaufer, Virch. Arch 1920,227, S. 74. - H. Schridde, in
Aschoffs Path. Anatomie. 5 Auflage 1921. — U m b e r, Diskussion zum Vortrag von Kraus-
Lubarsch. B. kl. W. 1918 S. 721. - K. Ziegler, Die Hodgkinsche Krankheit. Jena 1911;
Granulierende Pseudoleuklmie des lymphatischen Apparates usur. (aus Kraus-Brugsch:
Spezielle Pathologie und Therapie 1920, 8, S. 113—131.)
Digitized by
Gch igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
522
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 16
Die Größe des Knocheneinschusses, insbesondere am
Schädelknochen 1 ).
Von Prof. Nippe in Greifswald.
Durchmustert man die einschlägige Literatur, so drängt sich
ohne weiteres der Eindruck auf, daß es alle Autoren für selbst¬
verständlich erachten, daß ein Knochenschußbruch, wenn nicht durch
die verschiedensten Umstände der Einschuß selbst schon gewaltige
Zerstörungen aufweist, vielmehr es sich um eine einfache Locn-
fraktur handelt, diese dem Kaliber des sie verursachenden Geschosses
mindestens adäquat sei. Die allermeisten Autoren, und zwar nicht
nur die Gerichtsmediziner, sondern auch die Chirurgen und Patho¬
logen, bringen überhaupt nichts über das Verhältnis der Größe des
entstehenden Lochbruches zu dem Kaliber des Geschosses, und auch
hier wieder weder die älteren Veröffentlichungen noch die neueren.
Haberda sagt in der zehnten Auflage des v. Hof f mann sehen
Lehrbuches, S. 531, daß am Schädel das runde Einschußloch in der
Tabula externa annähernd der Breite des senkrecht auffallenden
Projektiles entspricht. Von allen Autoren wird nur die ja allseitig
bekannte kraterartige Beschaffenheit von Ein- und Ausschuß erwähnt.
Hoffmann sagt ausdrücklich in der fünften Auflage seines Lehr¬
buches, daß die Kugel in dem Augenblicke, in dem sie den Knochen
berührt, plattgedrückt werde, woraus es sich erkläre, daß die Schu߬
öffnungen am Schädelknochen fast immer größer als das Projektil
selbst seien. Er hat dabei allerdings wohl im wesentlichen reine
ßleigeschosse im Sinne.
Noch ganz neuerdings spricht Ernst Walkhoff S. 152 der
Pathologischen Anatomie der Handbüchersammlung der „Aerztlichen
Erfahrungen im Weltkriege 1914—1918“ aus, daß bei dem Loch¬
schuß in den Diaphysen der langen Röhrenknochen in der Regel der
Schußkanal dem Projektilkaliber entspräche. Er stelle eine durch den
Knochen durchgestanzte Röhre dar, die sich gewöhnlich nach dem
Ausschuß zu etwas erweitere und mit kleinsten Trümmerteildicn
angefüllt sei. Bei den kurzen und platten Knochen, zu denen auch
größtenteils die Knochen des Schädeldaches zu rechnen sind, ent¬
spräche der Durchmesser des Defektes entweder dem Kaliber des
Geschosses oder er sei größer als dieser, und zwar meint Walk hoff
in Uebereinstimmung mit den gerichtsärztlichen Erfahrungen, daß
dieser Defekt von der lebendigen Kraft des Projektils, vorzugsweise
von seiner Geschwindigkeit abhänge. Je geringer die letztere sei,
um so größer werde bei gleicher Energie des Angriffs das heraus¬
geschlagene Stück. Dementsprechend bricht ein mattes Geschoß,
zumal wenn es ein Querschläger ist, einen größeren Knochenbezirk
ein als eines, das mit größerer Energie, aber mit kleinem Querschnitt
versehen ist.
Die kriminalistische Bedeutung dieser, wie das aus dem Vorher-
gesagten hervorgeht, bisher unbestrittenen Tatsache liegt auf der
Hand. In all den Fällen, z. B. wo das Projektil bei einer Sektion
nicht mehr gefunden werden konnte, bei Durchschüssen etwa, mußten
wir annehmen, daß der kleinste Durchmesser der Lochfraktur am
Einschuß des Knochens auch dem größtmöglichen Kaliber ent¬
sprach, welches den Durchschuß hätte bewirken können. Die Haut-
und Weichteilschußkanäle können ja für die Bestimmung des Ka¬
libers nicht herangezogen werden.
Und doch ist dem nicht so, wie das folgender Fall beweist:
Es handelt sich um einen Selbstmörder im Alter von 20 Jahren, der
sich durch Kopfschuß tötete. Der Einschuß befindet sich in der
rechten Schläfenbeinschuppe, rund 2 cm oberhalb und hinter dem
vorderen Jochbeinansatz. Der Ausschuß, wie fast immer wesentlich
größer, sitzt im Gebiet der Kranznaht auf der linken Seite, 5 cm
vor dem Scheitelbeinhöcker. Das Projektil fand sich, nachdem
es den Knochen ganz durchschlagen hatte, in einem starken Häma¬
tom unterhalb der unversehrten Kopfschwarte daselbst. Die Aus¬
schußöffnung iin Schädeldach, welches dünn und leicht ist und nur
eine geringe Ausbildung der Spongiosa aufweist, ist länglich und
scheint durch das ogivale 9-mm-Geschoß in Querschlägerstellung
eschehen zu sein. Der Schußkanal bot nichts von dem üblichen
ilde Abweichendes, ebenfalls nicht das übrige Sektionsergebnis.
Nach der Mazerierung des Schädeldaches war ich nun recht er¬
staunt, als ich den Versuch machte, das Projektil wieder durch Ein-
und Ausschußöffnung im Knochen hindurchzuführen, daß dies bei
der Einschußöffnung nicht gelang. Die Einschußöffnung zeigte sich
kleiner als das Projektil. Es fehlt nicht sehr viel, aber die Bruchteile
von Millimetern, welche die fast kreisrunde Einschußlochfraktur am
Schädel als kleiner sich darstellte, genügen eben doch, um dem Pro¬
jektil den erneuten Durchtritt durch die Eintrittsöffnung im Knochen
auch unter Anwendung erheblicher Gewalt zu verhindern. Es hatte
ein absoluter Nahschuß Vorgelegen, d. h. die Mündung der 9-mm-
kalibrigen automatischen Pistole war angesetzt worden, wie aus
der Platzwunde an der Einschußstelle hervorging. Das Geschoß
selbst zeigt keine Deformierung. Es ist ein Nidcelmantelpistolen-
geschoß der gewöhnlichen 9-mm-Munition. Uebrigens zeigt auch
die Ausschußöffnung an der innem Tafel fast genau die seitliche,
also querschlägerartige Kontur des Geschosses, nur läßt es sich
da gerade eben quer hindurchschieben. Am Einschuß ist wie üblich
die innere, am Ausschuß die äußere Tafel stärker herausgesprengt.
*) Nach einer Demonstration auf der gerichtsärztlichen Tagung in Erlangen
September 1921.
Die genaue Bestimmung des Kalibers des Geschosses. ergibt mit dem
Nonius 8,9 mm in dem einen, 8,7 mm in dem andern Querdurchmesser.
Die Lehre, die aus diesem Fall zu ziehen ist, ist denkbar einfach:
Man darf aus lochförmigen Sdiußfrakturen nicht ohne weiteres aui
das Kaliber schließen. Der Fall zeigt unzweifelhaft, daß es einen
Entstehungsmodus dieser Lochfrakturen geben muß, der es bewirkt,
daß mindestens der Einschuß sich kleiner als das ihn bewirkende
Kaliber darstellt. Ich habe nach Kenntnis dieses Falles eine größere
Reihe von Leichenschußversuchen mit verschiedenen automatischen
Pistolen und auch ihren drei verschiedenen Kalibern angestellt, das
gleiche Resultat zu gewinnen, ist mir aber nicht gelungen. Wohl
aber konnte ich — nun einmal darauf aufmerksam gemacht — noch
ein zweites Mal ebenfalls bei einer 9-mm-kalibrigen Pistolenschu߬
verletzung, welche die Mitte des Oberkieferknochens als Einschuß
getroffen hatte, den gleichen Hergang noch einmal finden. Hier
handelte es sich um eine weitgehend verweste Leiche eines pol¬
nischen Schnitters, der mehrere Monate nach seinem Verschwinden
in einem Teiche gefunden worden war. Selbstmord schien hier nach
den ganzen Umständen des Falles ausgeschlossen zu sein, den in
Frage kommenden Täter konnte man nicht fassen. Die dünne Knochen¬
lamelle der Maxilla war weitgehend eingesplittert, an zwei sich gegen¬
überliegenden Rändern des sonst ausgesplitterten Lochschußbruches
konnte man aber ebenfalls durch Abmessen feststellen, daß das in
der Schädelhöhle gefundene, ebenfalls nicht deformierte Geschoß
ohne Ausbrechen der stehengebliebenen Ränder nicht wieder hindurdi-
geführt werden konnte.
Ich bin nun überzeugt, daß es im großen und ganzen daran
gelegen hat, daß solche in ihrer gerichtsärztlichen Bedeutung ganz
klare, unter Umständen folgewichtige Feststellungen nur deswegen
nicht schon gemacht worden sind, weil der Obduzent, wie ich das
früher auch getan habe, es unterlassen hat, das Projektil hinterher
versuchsweise durch den Einschußbruch wieder hindurchzuführen.
Fand man das Projektil, so war das ja auch im allgemeinen nicht
notwendig, und der von mir demonstrierte und dann der von mir
außerdem noch berichtete Fall sollen nur lehren, daß wir nicht ohne
weiteres aus der Größe des Schußlochbruches schließen dürfen, daß
nicht auch ein etwas größeres Geschoßkaliber diese Lochfraktur habe
verursachen können.
Auf die Deformierung des Geschosses läßt sich in dem hier
demonstrierten Falle, wie die Besichtigung und das Ausmessen des
Projektiles ergibt, dieses eigenartige Verhältnis nicht zurückführen.
Es ist schlechterdings unmöglich anzunehmen, daß das Geschoß
den Lauf und den Knochen an der Eintrittsstelle gewissermaßen
schlanker passierte, als es hernach bei der Sektion gefunden wurde.
Das ist nicht angängig, wo die Besichtigung des Geschosses ohne
weiteres ergibt, daß jede Deformierung daran fehlt. Auch auf das
Kochen una Präparieren des Knochens läßt sich das eigentümliche
Mißverhältnis nicht zurückführen. In dem von mir zuletzt erwähnten
Falle lag zwar erhebliche Fäulnis vor, aber keineswegs eine solche
durch die Hitze bewirkte Veränderung. Ueberdies habe ich durch
genaue Messungen an versuchsweise gesetzten Schußlochbrüchen vor
und nach dem Skelettieren irgendwie nennenswerte Unterschiede
nach der Richtung hin nicht nachweisen können, daß der Schußloch¬
bruch im Knochen sich durch das Kochen oder Präparieren in der
Kälte mit und ohne Anwendung von Fettextraktion und Bleidien
erweitert oder verkleinert hätte.
So bleibt als Erklärung nur die Annahme, daß bei dem Hinaus¬
stanzen dieser Schußlöcher im Knochen es sich eben nicht nur um
ein vollständiges Zerquetschen und Vorsichherschieben der betroffenen
äußeren Knochentafel handelt, sondern daß auch hierbei wieder die
bekannte Elastizität der Schädelkapsel insofern eine gewisse Rolle
spielt, als das auftreffende Geschoß neben dem Ausstanzen der
Knochensubstanz auch ein federndes Nachinnenbiegen verursacht,
wodurch eine trichterförmige Erweiterung zunächst bewirkt wird,
die dann nach dem Zurückfedem sich wieder verkleinert. Darauf
deuten auch in dem hier demonstrierten Falle kleine, radiär um den
Mittelpunkt des Schußlochbruches von der Peripherie des ausge¬
stanzten Substanzverlustes liegende Fissuren der äußern Schädel-
talel hin.
Freilich werden wir annehmen müssen, daß nur außerordentlich
rasante Geschosse die beschriebene Wirkung hervorrufen können.
Zo8ammenfasseod möchte ich noch einmal aussprechen, daß wir
uns hüten müssen, in den Fällen, wo uns das Projektil nicht zur
Untersuchung vorliegt, Schlüsse aus dem Verhalten des knöchernen
Schußkanales auf das Kaliber der benutzten Waffe zu ziehen; es
gibt Fälle, wo der Knocheneinschuß kleiner als das Kaliber des
Projektils ist.
Aus der Klinik für Magen- und Darmkrankheiten
von Dr. Emmo Schlesinger in Berlin.
Eine Methode zur quantitativen Bestimmung des Blutes.
Von Dr. Julius Gattner, Assistent der Klinik, und Dr. Emmo Schlesinger.
Bei den Auseinandersetzungen über die zweckmäßigste Methode
zum Nachweis okkulter Blutungen in den Fäzes und deren diagno¬
stische Verwertung wird besonders lebhaft die Frage erörtert, ob
die scharfen oder stumpfen Reaktionen zu bevorzugen sind.
Eine eindeutige Antwort hierauf zu finden, ist außerordentlich
schwer. Bei ganz empfindlichen Methoden wird der Einwand erhoben,
Digitized fr,
Gougle
Original from
CORNELL UNiVERSITV
21. April 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
523
daß sie leicht täuschen können. Anderseits blutet eine Anzahl tief¬
greifender Ulzera außerordentlich schwach, sodaß gerade die schärf¬
sten Methoden ausreichen und stumpfe Methoden in diesen Fällen
nicht brauchbar sind.
Um in dieser Richtung weiter zu kommen, reichen die Reaktionen,
welche nur die Abwesenheit oder das Vorhandensein von Blut an-
zeigen, nicht aus. Man muß in jedem einzelnen Falle auch über die
Stärke der Blutung eine klare Vorstellung bekommen.
Aus diesem Orunde haben wir versucht, eine Reaktion auszu¬
arbeiten, welche eine quantitative Vorstellung von dem Blutgehalt
gibt.
Zu diesem Zwecke gebrauchen wir ein Reagens zum Blutnach¬
weis, welches eine Anzahl Bedingungen erfüllt. Vor allem muß es
eine einwandfreie quantitative Gesetzmäßigkeit befolgen. Dann muß
es dabei doch empfindlich sein, um auch in den Fällen nicht zu
versagen, wo es einmal auf die Auswertung allerfeinster Blutungen
ankommt.
Als ein solches Reagens hat sich uns das Benzidin erwiesen. Wir
haben einen Teil unserer Arbeiten, welche in dieser Richtung sich
bewegen, schon veröffentlicht 1 ),*), 8 ). Das Ergebnis ist die Er¬
kenntnis, daß die Benzidinreaktion scharf quantita¬
tiven Verhältnissen folgt. Sie ist in allen ihren so wechsel¬
vollen Eigenarten strengen Gesetzen unterworfen, welche man fest
beherrschen kann, Farbe, Beständigkeit, Empfindlichkeit kann man
willkürlich verändern.
Diese Eigentümlichkeiten der Reaktion gaben uns die Möglich¬
keit, den gesamten Bereich der Blutungsstärke in eine große An¬
zahl von Stufen einzuteilen, von der feinsten Blutung angefangen
bis hinauf zu der allerstärksten. Wir gingen so vor, daß in einer
Reihte von Reagenzgläsern eine ganz bestimmte, von Glas zu Glas
immer stärker werdende Verdünnung des bluthaltigen Materials her-
gestellt wird. In jedem Glase wird unter genau feststehenden
Bedingungen, welche eine ganz bestimmte Eigenart der Reaktion
gewährleisten, eine solche angestellt. Durch den Grad der Ver¬
dünnung, bis zu welchem die Reaktion noch positiv wird, ist der
Blütgehalt des zu untersuchenden Ausgangsmaterials genau charak¬
terisiert. Geht die Reaktion z. B. bis zu der Verdünnung, welche
sich in dem 8. Reagenzglase befindet und welche bei allen Unter¬
suchungen hier immer genau dieselbe ist, so sprechen wir von einer
Blutung 8. Grades und haben damit die Stärke der Blutung ein für
allemal fest bestimmt. Welche absolute Blutmenge hierbei gemessen
wird, darüber berichten wir später.
Wir verfahren bei unserer Reaktion wie folgt:
2 g Fäzes werden mit 8 ccm destilliertem Wasser gut verrieben,
sodaß ein homogener Brei entsteht. Man tut dies zweckmäßig in
einer kleinen Abdampfschale aus Porzellan, sodaß man zuerst wenig,
etwa 1 ccm destilliertes Wasser, zu den Fäzes zusetzt und dieses
gut verrührt und nach und nach unter ständigem Verrühren die
ganzen 8 ccm destilliertes Wasser hinzusetzt. Darauf füllt man eine
Reihe von etwa 10 Reagenzgläsern mit je 2 ccm destilliertem Wasser,
nur das erste Glas bleibt leer, ln dieses und in das zweite tut man
je 2 ccm der Fäzesaufschwemmung; nachdem man sie gut durch¬
geschüttelt hat, damit sie nicht sedimentiert. In dem zweiten Glase
befinden sich nun 2 ccm destilliertes Wasser und 2 ccm der Fäzes¬
aufschwemmung. Man schüttelt dieses gut durch und gießt 2 ccm
hiervon in das nächste Glas, die man zweckmäßig mit einem
kleinen Meßgläschen oder einer Pipette abmißt. Dieses mische
man wieder gut durch und gieße wiederum 2 ccm hiervon in
das nächste Glasl So fahre man fort bis zum letzten Glase, in
welchem auf diese Weise 4 ccm bleiben. Dieses wird nicht zur
Reaktion verwandt, sondern aufgehoben. Es wird benutzt, um später
weitere Verdünnungen herzusteilen, falls dieses bei einem starken
Blutgehalt notwendig sein sollte. Dann stelle man sich ein Re¬
aktionsgemisch her aus 10 ccm einer 10o/ 0 igen Lösung von Benzidin
in Eisessig und 2 ccm Perhydrol und 8 ccm 1 /, 0 normal Schwefel¬
säure und 10 ccm destilliertem Wasser. Von diesem gut durchge¬
schüttelten Gemisch gebe man ie 3 ccm in jedes Reagenzglas. War
der Blutgehalt der Fäzes hoch, so wird noch eine weitgehende
Verdünnung eine positive Reaktion geben, war er gering, so wird
eine schwache Verdünnung ausreichen, um die Reaktion negativ
zu machen.
Die Farbe, mit weicher diese Reaktion auftritt, ist stets blau,
nicht grün. Die Reaktion bricht scharf ab, d. h., wenn z. B. das
6. Reagenzglas als letztes positiv ist, so ist eindeutig das 7. negativ.
Es bestehen praktisch keine Unterschiede der indivi¬
duellen Beurteilung. Die lOtysige Benzidinlösung ist mehrere
Tage unverändert haltbar, wenn sie in einem sauberen Glasgefäße
mit Glasstopfen aufbewahrt wird und mit Wasserstoffsuperoxyd auch
in Spuren nicht in Berührung gekommen ist. Mau kann sich die
Lösung bequem auf 3 Tage auf Vorrat herstellen. Die Zeit, in
weicher man bei einiger Uebung eine Reaktion ausführen kann, be¬
trägt etwa 15 Minuten.
Die eingehende chemische und physikalisch-chemische Begrün¬
dung der Methode sowie eine Reihe anderer Ergebnisse, welche
wir fanden, können wir hier aus Raummangel nicht bringen. Wir
werden uns an anderer Stelle darüber auslassen. In der hier be¬
») B. kl. W. 1919 Nr. 30. •) D. Arch. I. kün. M. 1920, 131, H. 3 u. 4.- •) D. m. W.
1320 Nr. 42 .
schriebenen Form wenden wir die Methode schon seit etwa 3 / 4 Jahren
täglich in mehreren Fällen an. Gleichzeitig benutzen wir zum Ver¬
gleich die Reaktion von Schlesinger und Holst und die von
Boas -empfohlene Gregersensche Reaktion. Wir müssen unsere Re¬
aktion als absolut zuverlässig bezeichnen. Sie gibt ein eindeutiges
Bild von der Schwere einer Blutung und ist in ihren feinsten Ab¬
stufungen im allgemeinen noch empfindlicher als die Methode nach
Schlesinger und Holst. Sie zeigt von Tag zu Tag, wie eine
Blutung verläuft, vor allem, ob sie sich bessert oder verschlimmert.
Wir haben durch diese Art des Vorgehens ein Mittel, um die
Eigenart von Blutungen bei den verschiedenen Krankheiten kennen
zu lernen und hierdurch weitere Anhaltspunkte für die Diagnose
zu gewinnen. Gleichzeitig gibt sie uns während der Beobachtungs¬
dauer einer Krankheit sichere Richtlinien für die Therapie.
Um zu zeigen, welchen Fortschritt die quantitative Methode
bedeutet, geben wir kurz einige Befunde aus den Blutungsprotokollen
wieder:
1. Ein Fall von Ulcus pepticum ohne tiefgehende Komplikationen:
Herr K., 54 Jahre alt, 10—12 Jahre magenleidend. Seit 14 Tagen
furchtbarer Druck und krampfhafte Schmerzen im Epigastrium
y* Stunde bis 2 Stunden nach dem Essen. Starke Gewichtsabnahme.
Diagnose: Ulcus ad pylorum. Nach mehrtägiger fleischfreier Kost
folgender Befund:
Dalum
Pos. bis Reagenzgl. ; Dalum
Pos. bis Reagenzgl.
0. X.
10. 1 20. X.
5.
8. X.
9. 23. X.
5.
11. X.
6. ! 26. X.
negativ
13. X.
5. 1 27. X.
negativ
15. X.
6. 30. X.
negativ
16. X.
5. !
Nach 20 Tagen Behandlung in der Klinik hatte der Patient also
für die Reaktion blutfreien Stuhl.
Von besonderem Interesse ist folgender Fall:
2. Herr B., 27 Jahre alt, krampfhafte Schmerzen in der Magen-
zegend, zuweilen Erbrechen. Rezidive besonders im Frühjahr und
Herbst. Diagnose: Ulcus ventriculi. Blutungsverlauf nach mehr¬
tägiger fleischfreier Kost:
Datum
21. X.
22. X.
23. X.
o. X.
27. X.
28. X.
Po?, bis Reagenzgl.
4.
4.
5.
4.
3.
II.
Datum
29. X.
30. X.
1. XI.
6. XI.
8. XI.
10. XI.
Pos. bis Reagenzgl.
11.
9.
6 .
6 .
5.
negativ
Det- Patient blieb weiterhin negativ.
Es zeigt sich hier ein wichtiges klinisches Bild,
welches man bisher auf keine Weise exakt gewinnen
konnte. Der Patient zeigte im Anfang nur eine schwache Blutung,
welche anscheinend im Abklingen war. Nach unseren bisherigen
Erfahrungen wäre der Patient wahrscheinlich in ganz wenigen Tagen
blutfrei gewesen. Da befiel ihn plötzlich am 27. X. Unwohlsein, und
es stellte sich Erbrechen aus einem äußeren Anlaß ein. Dieser Vor¬
gang hat anscheinend einen Reiz auf das in Heilung begriffene
Geschwür ausgeübt. Es trat ein heftiger Anstieg der Blutung ein
(siehe Tabelle), die erst nach weiteren 13 Tagen abgeklungen war.
Karzinome bluten in der Regel stärker und werden durch die
Therapie wenig oder gar nicht beeinflußt.
3. Herr S., 39 Jahre alt. In kurzer Zeit 24 kg Gewichtsabnahme.
Aszites. Im Röntgenbild ein großer Füllungsdefekt vor dem Pylorus.
Diagnose: Karzinom des Magens mit Metastasen auf dem Bauch¬
fell. Bei fleischfreier Kost bot er folgenden Blutgehalt der Fäzes.
Datum Pos. bis Reagenzgl. Datum Pos. bis Reagenzgl.
4. X. 12. 6. X. 14.
5. X. 13. II. X. 12.
Etwa zwei Wochen später ist der Patient gestorben.
Wir haben aber auch Karzinome gesehen, welche nur wenig
bluteten, sodaß die Reaktion bis zum 6. Röhrchen zurückging. Ganz
blutfrei wurden allerdings diese Fälle nicht.
Das hier mitgeteilte Ergebnis unserer Arbeit zeigt, daß wir
nunmehr in der Lage sind, durch eine ziemlich einfache, einwandfreie
Methodik das Steigen und Nachlassen einer Blutung von ihren
ersten Anfängen bis zu ihren letzten Ausläufern zu verfolgen und
jede Schwankung 'im Verlauf wahrzunehmen.
Der Untersucher ist in keiner Weise bevormundet, er erhält durch
die Reaktion eine einwandfreie Vorstellung von der Stärke der
Blutung und kann bei kritischer Beurteilung entscheiden, welche
Bedeutung ihr beizumessen ist.
Wir erwarten von der Methode für die Diagnose und Therapie
der Magen- und Darmkrankheiten einen namhaften Vorteil und
hoffen, durch sie in kurzer Zeit einen neuartigen, tieferen Einblick
in das Wesen der okkulten Blutungen gewinnen zu können.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
524
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
Nr. 16
Aus der Hydrotherapeutischen Anstalt der Universität in Berlin.
(Leiter: Prof. Schönenberger.)
lieber Eosinophilie bei Muskelrheumatismus.
Von Dr. Martin Kaufmann, Assistenzarzt.
Angesichts der differentialdiagnostischen Schwierigkeiten, welche
der Muskelrheumatismus bietet, ist die Suche nach neuen, für die
Diagnose verwertbaren Symptomen wohl berechtigt. Denn zur Auf¬
findung des einzigen objektiv wahrnehmbaren Krankheitszeichens, der
schmerzhaften Muskelhärten, gehört oft große Uebung und Geduld 1 );
manchmal sind sie trotz aller Mühe nicht nachweisbar, und man ist
allein auf die Angaben der Patienten angewiesen.
Ein für die Diagnose des Muskelrheumatismus verwertbares
Symptom wurde in neuerer Zeit «von Bittorf 2 ) angegeben. Er stellte
bei akuten schweren Fällen und bei akuten Nachschüben eine aus¬
gesprochene Eosinophilie des Blutes fest, die bei leichter Erkrankung
geringer war als bei schwerer und während der Heilung abnahm
und ganz verschwand. Eine Bestätigung dieses für Differential¬
diagnose und Pathogenese wichtigen Befundes konnten wir bisher in
der Literatur nicht finden.
Seit längerer Zeit haben wir das Blutbild einer Reihe von
Patienten mit sicherem Muskelrheumatismus geprüft. Das Ergebnis
dieser Untersuchungen ist in den beiden Tabellen wiedergegeben.
Tabelle I: Akute Pille.
Fall
Nr.
Diagnose
Poly¬
nukleären
Proz«
Lympho¬
zyten
intzahl d
! Mono¬
zyten
er
Eosino¬
philen
Mast¬
zellen
3
Muskelrheumatismus
Muskelhärten RB'zeps
65
31
1.5
2
0,5
7
Akuter Lumbago . . .
65
29
5
0,5
0,5
11
Muskelrheum. verschie¬
dener Muskeln seit 4
Woch**n.
52,6
38
6
3,4
15
Muskelrheum. seit 8Tg.
Muskelhärte R. Bizeps
69
28
2.6
0,4
16
Ak. Lumbago ....
57
34,5
3,5
5,0
—
17
Ak. Lumbago seit 3 Tg.
55
38
5
1
1
20
Tortikollis seit 14 Tg.
38£
55 J5
2,5
3,0
0,5
23
Muskelrheum mit Här¬
ten in verschiedenen
Muskeln seit 4 Wochen
63,0
54,5
19
9
8
1
29
Ak. Lumbago ....
32,5
9
3,5
0,5
Tabelle II: Chronische Fälle.
klinisch ganz gleichartige Krankheitsbüder (Fall 7, 17, 27) keine Ver¬
mehrung der Eosinophilen. Bei Fall 23 bestanden seit 4 Wochen
Muskelschmerzen mit deutlich fühlbaren, harten, schmerzhaften Stellen
in verschiedenen Muskeln, ln den übrigen sieben Fällen waren die
Werte der Eosinophilen normal. Bei drei Fatienten (11, 23, 29) wurde
eine Vermehrung der Monozyten gefunden. Die Werte der Poly¬
nukleären und Lymphozyten zeigen, wenn wir die erwähute Lympho¬
zytoseumstellung der Leukozytenformel berücksichtigen, keine Ab¬
normitäten.
Von den in Tab. II aufgeführten elf chronischen Fällen zeigen
drei (Fall 1, 2, 25) eine Vermehrung der Eosinophilen. Davon können
wir zwei Fälle (Nr. 1 und 2) nicht bedingungslos als beweisend an-
sehen. Es handelte sich nämlich um Feidzugsteilnehiner, die gerade
aus russischer Gefangenschaft zurückkehrten. Bei Kriegsteilnehmern
ist aber verschiedentlich eine Eosinophilie im Blut beouachtet, ohne
daß Muskelrheumatismus festgestelit wurde.
Eine Vermehrung der Monozyten zeigen sieben Fälle (1, 2, 4,
22, 24, 25, 26).
Ueber das Verhältnis der Polynukleären und Lymphozyten gilt
das bei Tab. 1 Gesagte.
Eine Reihe von Kontrolluntersuchungen ergab, abgesehen von
der erwähnten Lymphozytenvermehrung, ein vollständig normales
Blutbild.
Schluß. Nach diesen Untersuchungen können wir der Eosinophilie
beim Muskelrheumatismus eine diagnostische Bedeutung nicht zu¬
sprechen. Mehr fast als die von uns nur vereinzelt beobachtete Eosino¬
philie fällt besonders bei den chronischen Fällen die Vermehrung der
Monozyten auf. Auch in den meisten von Bittorf angeführten
Fällen ist diese Mononukleose vorhanden. Ueber ihre Bedeutung
sind wir jedoch noch ganz im Unklaren.
ln den wenigen Fällen von Muskelrheumatismus, in denen eine
Eosinophilie besteht, ist die Annahme Bittorfs, daß entzündlich
toxische Muskelveränderungen vorliegen, nicht von x der Hand zu
weisen.
Bei den Fällen mit normalem Blutbild müßte aber nach einer
anderen Erklärung des Krankheitsbiides gesucht werden. Wir glauben,
daß hier den Arbeiten Schades über die Myogeloso eine weit-
tragende Bedeutung zukommt.
Aus dem Hamburger Säuglingsheim. (Direktor: Prof. J. Bauer.)
lieber Nahrungszufuhr durch Dauertroplsonde
bei Pylorospastikern.
Von Dr. Q. Samson und Dr. L. Baare.
Fall
Nr.
Diagnose
Poly¬
nukleären
Proz«
Lympho¬
zyten
ntzahl d
Mono¬
zyten
er
Eosino¬
philen
Mast¬
zellen
1
Chron. Muskelrheuma-
tWmi s, in russischer
Gefangenschaft erwor¬
ben.
60
25,7
8,9
5
0,4
2
Desgl.
66,5
15,5
8,5
8,5
1,0
4
Chron. Muskelrheum. .
58
32
6,8
3,0
0,2
6
Chron. Muskelrheum. .
60,5
32,5
4,5
2,5
9
Chron.Muskelrheum. .
GSfi
24,5
4
\ 2,5
0,5
10
Chron. Muskelrheum. .
52
43,2
2,2
2,0
0,6
22
Chron. Muskelrheum.
m. verschiedenen Mus¬
kelhärten .
65,5
18
14,5
,0
24
Chron. Muskelrheum.
mit Muskelhärten im
Kreuz.
66,5
22,5
9,5
1
j 1,5
25
Chron. Muskelrheum. .
53£
27,5
11
1 6
2
26
Chron.Muskelrheum .
57
35
7,5 |
i 0,5
27
Chron. Muskelrheum. .
75,8
18,6
3,6
1 2
-
Bei der Beurteilung der Tabellen ist zu beachten, daß die von
verschiedenen Autoren als normal angegebenen Zahlenwerte der Leuko¬
zytenformen schwanken 3 ): bei den Polynukleären zwischen 60 und
75,°/o bei den Lymphozyten zwischen 20 und 25o/o, bei den Monozyten
zwischen 2 und 5 o/o, bei den Eosinophilen zwischen 1 und 4%. Wir
nehmen hier der Einfachheit halber die oberste und unterste Grenze
dieser Werte als normal an. Besonders muß noch erwähnt werden,
daß während des Krieges und auch in der Nachkriegszeit, .aus der
unsere Untersuchungen stammen, eine Vermehrung der Lymphozyten
auf mehr als 40o/o der Gesamtleukozyten und entsprechende Abnahme
der Polynukleären von einer Reihe Autoren 4 ) bei völlig Gesunden
festgestellt wurde.
Von neun akuten Fällen (Tab. I) war bei zweien (Nr. 16 und 23)
eine deutliche Eosinophilie nachweisbar. Einmal (Fall 16) handelte
es sich um einen akuten Anfall von Lumbago; dagegen zeigten drei
*) Manchmal sitzen diese Muskelhärten ln ganz anderen Muskeln als ln den von
den Patienten als krank bezeichneten. So konnten wir in einer Anzahl von Lumbago-
fälien die Beobachtungen W. Smitts (Dresden) bestätigen, wonach die für die RUcken-
achmerzen verantwortlichen Muskelhärten in der Bauchmuskulatur saßen. — ■) D. m.
^i!? l M Nr ' l3 \7 £ ei,ert und Möller, Brugsch und Schittenhelm, Hirsch-
berger^^w i 9 i 7 B 5 r C ^| lmann Und NaS8llu * B * U - W * 1918 Nr - l5 > Kliene-
lm November 1920 wurde uns ein vier Wochen altes Kind eiu-
geliefert mit typischer Anamnese und allen Zeichen eines echten
Pylorospasmus. Gesund und rechtzeitig geboren und von vornherein
an der Brust ernährt, sollte es von Anfang an nach jeder Mahlzeit
erbrochen haben und dauernd verstopft gewesen sein. Bei der Auf¬
nahme war es äußerst elend, abgemagert, hypertonisch und wies
schlechten Hautturgor und eine stark eingesunkene Fontanelle auf.
Der Leib war eingefallen, zeitweise deutliche, besonders durch Mas¬
sieren hervorzurufende, von links oben nach rechts unten fortschrei¬
tende Peristaltik sichtbar; ein Tumor war nicht sicher fühlbar, der
Stuhl zeigte den Typus des Hungerstuhls.
Wir unterwarfen das Kind unserer altbewährten Therapie: der Er¬
nährung mit eisgekühlter, abgedrückter Frauenmilch und roher Voll¬
milch (zu gleichen Teilen gemischt) in häufigen kleinen Mahlzeiten,
mit dem Löffel gefüttert. Trotzdem Erbrechen nach jeder Mahlzeit,
einige Male im bogen, wobei eine Vorbuckelung des Magens deutlich
sichtbar wurde. Nach wie vor Hungerstuhl und Gewichtsabnahme.
Wir schritten zur Duodenalsondierung (nach Heß), gaben Atropin
und suchten durch Tropfeinlauf und Kochsalzinfusionen der drohenden
Austrocknung zu begegnen. Nach 4 Tagen Gewichtsanstieg (Wasser¬
ansatz?) trat erneute Verschlimmerung ein. Das Kind wurde immer
apathischer, es traten rhythmische Zuckungen der Gesichtsmuskulatur
auf, das Sensorium war getrübt. Der Zustand des Kindes schien hoff¬
nungslos, die Therapie machtlos. Ein chirurgischer Eingriff bot bei
dem elenden Kinde keine Aussicht auf Erfolg. Es traten erneut
Krämpfe im Gebiete des Fazialis ein, die Wasserarmut ließ sich nur
zeitweilig durch Kochsalzinfusion beheben; das Kind lag benommen
da, brach nach jeder Mahlzeit, gleich, ob die Nahrungsaufnahme durch
den Löffel oder die Sonde erfolgte.
Dieser hoffnungslose Zustand des Kindes und die Unmöglichkeit
der Nahrungszufuhr brachte uns auf die Idee, dem Kinde die Nah¬
rung nicht nur in kleinen Mengen, sondern tropfenweise zukommen
zu lassen, also einen Milchtropfeinlauf in den Magen zu machen.
Wir setzten diese Idee folgendermaßen in die Wirklichkeit um:
Zuerst führten wir eine Nasensonde ein, was bei dem apathisch
daliegenden Kinde ohne Schwierigkeit gelang. Wir ließen diese
20 Minuten lang ruhig liegen; sie wurde gut vertragen und löste
keinerlei Brechreiz aus. Wir verbanden nunmehr durch Zwischen¬
schaltung eines Glasröhrchens den Nasenschlauch mit dem üblichen
Instrumentarium eines Tropfeinlaufs (Irrigator, Schlauch, Tropfglas),
füllten die eisgekühlte Vollmilch ein und ließen sie tropfenweise ein¬
fließen. ln etwa U/s Stunden waren 150 ccm Milch eingelaufen, ohne
daß das Kind während oder nach der Prozedur erbrochen hätte; zum
Digitized by
Google
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
21. April 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
525
ersten Male behielt es die eingeflößte Nahrung bei sich, die übrige
Nahrungsmenge wurde wie bisher mit Löffel oder Flasche verabreicht.
Am nächsten Tage war Gewichtsstillstand zu verzeichnen (gegenüber
einer Abnahme von 120 g am Vortage); keine Krämpfe mehr. Am
folgenden Tage legten wir erneut die „Tropfsonde“ an, nach voraus¬
gegangener Magenspülung. Das Kind, das bei der vorher versuchten
Fütterung mit dem Löffel erbrach, behielt die durch „Tropfsonde“
zugeführte Nahrung (etwa 150 g) bei sich und nahm bereits am fol¬
genden Tage 10 g zu. Der Stuhl wurde substanzhaltig; am 3. Tage
erfolgten 10, am folgenden Tage
30 g Zunahme. Die nächsten
vier Tage waren kompliziert
durch ein eitrigbelegtes Dekubi-
talgesdiwür auf dem Kreuzbein,
das von erhöhter Temperatur
und kollapsartigen Schwäche¬
zuständen des Kindes begleitet
war. Das Gewicht hielt sich
aber, trotz kleiner täglicher
Schwankungen, um dann erneut
langsam, aber stetig anzusteigen.
Seit dem 7. Tage wurde die
Sonde zweimal angelegt, einmal
in der Nacht, mit einer Füllung
von je 150 ccm, sodaß */ 5 der
Gesamtnahrungsmenge auf diese
Weise verabreicht und behal¬
ten wurden. Das Brechen legte
sich jetzt fast vollständig. Auch
Fieber infolge eines Kampfer¬
abszesses vermochte den Auf¬
stieg nicht zu beeinflussen. Nach
21 Tagen war das Kind so weit
bei Kräften, daß es anfing, sich
gegen die Einführung der Sonde
zu wehren. Wir versuchten, sie
ersten Tagen wieder und stand 3 Tage im Gewicht. Dann erfolgte
ein erneuter Gewichtsanstieg und ungestörtes Gedeihen bis zum
4. Monat. Es stellte sich jetzt leider eine Tbc. pulmon. heraus, die im
8. Monat zu miliarer Aussaat und Exitus letalis führte. Bei der Sek¬
tion fand sich noch jetzt der charakteristische Magen des Pyloro-
spastikers, mit 5 cm langer, verengter und hypertrophischer Pars
pylorica und einer im ganzen hypertrophischen Magenwand.
In diesem ersten Versuchsfall stellt die Anwendung der Tropf¬
sonde einen für den derzeitigen Beobachter des Kranken wie für den
nachprüfenden Betrachter von Kurve und Krankenblatt gleich deutlich
erkennbaren Umschwung, eine Rettung in extremis, dar: der prompte
Gewichtsstillstand und die Zunahme am 2. Tage darauf, das sofortige
Sistieren des Brechens und das Auftreten substanzhaltigen Stuhles
sind die unleugbar der Tropfsonde zuzuerkennenden Symptome dieses
Erfolges. Auch der anfängliche Gewichtsstillstand nach Absetzen der
Tropfsonde spricht für ihre Wirkung.
Leider liegt unser zweiter bisheriger Probefall, was die objektiven
Kriterien der Gewichtskurven usw. anbelangt, für die nachfol¬
gende Betrachtung der Aufzeichnungen weniger günstig, wenngleich
uns und den anderen Beobachtern seines Verlaufs der Erfolg der
Tropfsonde ebenso zweifelsfrei ist, wie im ersten Falle. Dieser uns
im Juli 1921 im äußerst elenden Zustande eingelieferte Fall rechnet
nach Art und Stadium unter die Kategorie jener Pylorospastiker, von
denen Aschenheim sagt: „Man muß zufrieden sein, wenn man wäh¬
rend dieser Zeit eine weitere Abnahme verhindern kann.“ Daß dies
bei dem äußerst elenden, erst 3 Wochen alten und nur 2600 g
schweren Kinde, das nach jeder Brustmahlzeit, ja schon bei Berühren
der Lippen mit dem Sauger, erbrach, mit der konservativen Therapie
nicht möglich sei, wurde uns in den ersten Tagen klar. Eine Röntgen-
bildseric, die wir nach Sondenfütterung mit Zitobaryumbrei anfertigten,
zeigte uns die erste Durchlässigkeit des Sphincter pylori nach 3 3 /*
Stunden an, ein Umstand, der uns von therapeutischen Maßnahmen
wie der Breifütterung (nach Birk und Hahn) oder auch der
Duodenalsondierung (nach Heß) als von vornherein aussichtslos Ab¬
stand nehmen ließ. Da wir bei der Jugend und dem elenden Zu-
stände des Kindes an einen chirurgischen Eingriff ebensowenig denken
konnten, brachten wir abermals die Tropfsonde zur Anwendung. An¬
fänglich 2 mal am Tage angelegt, wurde sie gut vertragen, und dies
ermutigte uns, sie vom 4. Tage an von vormittags 10 Uhr bis zum
anderen Morgen 6 Uhr dauernd liegen zu lassen, während welcher
Zeit wir dem Kinde die Gesamttrinkmenge von 600 g, abgedrückter,
eisgekühlter Frauenmilch bequem beibringen konnten. Der Erfolg der
Sonde zeigte sich in einer sofortigen Reduktion des Erbrechens, das
auf ein mehrmaliges Spucken am Tage beschränkt wurde oder höch¬
stens ein- bis zweimal in vermindertem Maße erfolgte. Hingegen ließ
die Regelung des Stuhles recht lange auf sich warten und stellte
ebenso wie die auf- und absteigende Gewichtskurve die Geduld von
Arzt und Pflegerin auf eine harte Probe. Eine stete Zunahme für
mehr als 3 Tage war nicht zu erzielen, — ein Verhalten, das auch
nach Absetzen der Tropfsonde noch anhielt und erst nach 4 Wochen
einem steten Anstieg wich. Dennoch fand während der An¬
wendung der Tropfsonde ein Erholen des Kindes statt, das sich in
besserem Turgor, rosigerer Farbe, frischerem Wesen und klarem
Blick zur Genüge manifestierte. Die Stühle waren noch sehr selten,
aber substanzhaltig und deutlich fäkulent. Nach 4 Wochen der Sonden¬
fütterung war das Kind genügend gekräftigt und die Spasmen des
Sphincters pylori so weit behoben, daß wir zur Breifütterung und
nach einer weiteren Woche zum Anlegen an die Brust übergehen
konnten. Das Erbrechen trat jetzt nur mehr ausnahmsweise ein, eine
stetige Gewichtszunahme war jedoch erst nach 4 Wochen nach Ab¬
setzen der Sonde zu erzielen. Eine neue Röntgenbildserie ergab jetzt
eine Durchgängigkeit des Pylorus nach bereits einer halben Stunde,
die Stühle waren goldgelbe Bruststühle. Die „klinische Heilung, d. h.
vor allem das Sistieren des Erbrechens und die Passage der Nah¬
rung durch den Darmkanal“ (Aschenheim) war erzielt.
Erinnern wir uns angesichts dieses zweiten Falles des Finkei¬
stein sehen Satzes: „So hängt denn das Leben des Kindes daran,
ob es gelingt, frühzeitig das Erbrechen so weit zu mildern, daß ein
gefahrdrohender Hungerzustand fern gehalten wird“, so können wir
auch hier, trotz fehlenden Gewichtsanstiegs, mit dem Erfolg der
Tropfsonde wohl zufrieden sein. Sie dürfte für diese bestimmten, so
besonders kritischen Fälle Finkeisteins Forderung nach „schneller
und sicherer wirksamen Methoden“ erfüllen, ohne doch eine derart
eingreifende Maßnahme wie die Rammstedtsche Operation darzu¬
stellen. Vor allem ist es auch eine Methode, bei der wir die Dosie¬
rung der Nahrungsmenge in der Hand haben und bei ausreichender
Ernährung dennoch sicherer als etwa mit der Breifütterung an der
drohenden Klippe der Ueberfütterung und Intoxikation vorbeisteuem
können. # ! *
Werfen wir noch einen Blick auf die Art der Wirksamkeit unserer
Tropfsonde, so zeigen schon die beiden angeführten Fälle durch die
Verschiedenartigkeit ihrer Reaktion auf diese, daß es sich hier um
eine komplexe Wirkung handelt und der Erfolg mehreren Umständen
zu verdanken ist. — Die Tropfsonde bringt die Erfüllung zweier
therapeutischer Forderungen: zum 1. stellt sie nichts anderes dar als
eine Outrierung des Ibrahimschen Prinzips der Fütterung in kleinen
Mengen, hier also tropfenweise. Somit ist nicht nur die bestmög¬
liche Erfüllung der der Ibrahimschen Methode zugrundeliegenden
Forderungen: „Schonung des Sphinkters durch Ausschaltung der
durch Füllungs- und Spannungszustand gesetzten Reize“ durch die
Anwendung der Tropfsonde gegeben, sondern es werden außerdem
die Gefahren, die diese Methode bisher mit sich brachte, mit Sicher¬
heit umgangen. Wenn Hertz die drohende Unterernährung bei der
Ibrahimschen Dosierung hervorhebt, da das Kind nur ganz wenig
zu sich nehmen könne und doch oft das Erbrechen unverändert be¬
stehen bliebe, so zeigt sich gerade in diesem Punkte die Bedeutung
der Tropfsonde mit ihrer gleichzeitigen Minderung des Brechreizes
bei dennoch ausreichender Zufuhrsmöglichkeit. Und wenn Hertz
fortfährt: „Ferner hat diese Methode den Mangel, daß das Kind auf
Grund der zahlreichen Mahlzeiten pro Tag des Schlafes und der
Ruhe beraubt wird, die es namentlich in der ersten Zeit der Krank¬
heit durchaus nötig hat“, so ist auch hierin die Tropfsonde der
alten Methode überlegen.
Die Ausschaltung des Brechreizes geschieht nun nicht nur — und
dies ist der 2. Punkt ihrer Wirksamkeit — auf dem direkten Wege
durch Vermeidung der Ueberfüllung des Magens, sondern auch da¬
durch, daß der auf reflektorischem Wege den Brechreiz auslösende
Saugreiz und Schluckakt umgangen wird, eine Tatsache, die Batten,
Wernstedt und Peyser bereits die Schlundsondenfütterung bei
Pylorospastikern anwenden ließ.
Als 3. unterstützendes Moment kommt hinzu der imponierende
Eindruck des Eingriffs als solchen, — ein gerade bei den in Frage
stehenden, neuropathischen Kindern nicht zu unterschätzender Faktor.
Gegenüber diesen Vorteilen fallen die zum Teil nicht unerheb¬
lichen technischen Schwierigkeiten nicht übermäßig ins Gewicht. Sie
ergeben sich besonders durch ein leichtes Verstopftsein des dünnen
Nasenschlauchs durch die sich im Magen bildenden oder noch vor¬
handenen Kaseinklumpen. Wir führten deshalb anfänglich stets vor
Anlegen der Sonde die Magenspülung aus, kamen aber im späteren
Stadium bei Besserung der Spasmen und schnellerer Durchgängigkeit
auch ohne diese aus. Ferner verwandten wir nach Möglichkeit Frauen¬
milch, da diese ja feiner ausflockt als die grobklumpende Vollmilch.
Von großem Einfluß auf das Gelingen der Tropfsonde war das Ver¬
halten des Kindes. Schlief es oder lag es ruhig, so floß die Milch
ungehindert ein, aber jedes Schreien oder Pressen führte leicht zu
Rückstauen und Hochkommen der Milch im Schlauch. Zuweilen blieb
dann nichts weiter übrig als ein zeitweiliges Entfernen der Sonde
und Wiedereinführung nach Beruhigung des Kindes. Auch ein Herauf¬
würgen der Sonde beim Kräftigerwerden des Kindes erlebten wir,
dem wir durch Befestigen des Nasenschlauches mit Heftpflasterstreifen
an Stirn und Wangen zu begegnen suchten. — Im ganzen aber wurde
die Tropfsonde gut vertragen, und die Kinder gewöhnten sich schnell
und ganz daran. Schädigungen irgendwelcher Art (z. B. Druckusur)
haben wir nicht beobachtet und halten sie für nicht wahrscheinlich.
Einer technischen Ergänzung des Instrumentariums sei noch gedacht.
Um die in den Irrigator eingefüllte, eisgekühlte Milch dauernd kühl zu
erhalten, ließen wir aus Gummistoff flache Beutel nähen, die mit Eis
gefüllt und dicht um den Irrigator herumgelegt wurden.
. Es sei noch bemerkt, daß wir eine Erweiterung der Indikations¬
breite — etwa zur Wasserzufuhr bei Intoxikationszuständen usw. —
durchaus für angezeigt erachten, aber leider noch über keinerlei Er¬
fahrungen in dieser Richtung verfügen. Ferner planen wir einen
Ausbau unserer Tropfsondenmethode zur D u o d e n a 1 - Dauertropf¬
sonde und werden nach Erprobung derselben über unsere Erfah¬
rungen berichten.
abzusetzen; das Kind spuckte in den
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
526
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 16
Persönliche Prophylaxe beider Geschlechter als Hilfsmittel
zur Sanierung der Prostitution.
Von J. Schereschewsky und W. Worms.
Unter diesem Titel veröffentlicht R. Habermann in Nr. 10
dieser Wochenschrift eine Reihe von Betrachtungen über die Frage
der Prophylaxe selbst, über bereits vorgeschlagene und geprüfte
Schutzmittel und insbesondere über ein von ihm empfohlenes Kresol-
präparat. Wenn nun solche Betrachtungen äußerst zeitentsprechend
una wertvoll sind und ihr Wert für das Schicksal der Geschlechts¬
krankheiten nicht hoch genug zu veranschlagen ist, so untermengt
sich den in Rede stehenden Ausführungen eine Reihe von mi߬
verstandenen Auslegungen vorhandener Tatsachen, die eine um¬
gehende Richtigstellung verlangen. Vor allem heißt es da, daß
„die Lösung dieses Problems (der Schutzmittelprüfung) im Tierexperi¬
ment dadurch besonders kompliziert ist, daß sowohl Tripper- als
auch Syphiliserreger sich in ihrer Pathogenität, dementsprechend
auch ihrer Haftungsfähigkeit bei der Uebertragung ganz anders im
Tierkörper verhalten als beim Menschen, wenn man von höheren
Affen absieht“. Was nun den Tripper betrifft, so ist durch die sehr
langen Jahre, in denen Silberpräparate zur Gonokokkentötung am
Menschen erfolgreich ausgeprüft wurden (Cred6; Gonorrhoepro¬
phylaxe und -therapie), die Frage der gonokokkentötenden Eigen¬
schaften der Silbersalze in endgültiger Weise im Menschenexperiment
gelöst, sodaß diese Trauer über den Mangel eines geeigneten Ver¬
suchstieres gar nicht besteht. Somit ist die Frage der Gonorrhoe¬
prophylaxe eine vollständig festgestellte Tatsache, und für den Volks¬
hygieniker bestehen keinerlei Zweifel, daß mit Silbersalzen, sei es
Albargin, Protargol oder Choleval, die Abtötung der eingedrungenen
Gonokokken im Laufe der ersten 12 Stunden in einfachster Weise
zu bewerkstelligen ist. Besser als die von Habermann vorge¬
schlagene „Wattestäbchenauswischung“ mit 5°/oiger Sagrotanlösung,
von der noch keine absolut beweisenden Versuche bekannt sind,
ist erfahrungsgemäß eine 21 / 30 /oige Cholevakmulsion, die trotz des
hohen Cholevalgehaltes reizlos ist und durch ihre Konstitution lange
in der Harnröhre verbleibt. Diese Emulsion ist neuerdings von
Schereschewsky auch zur abortiven Heilung der Gonorrhoe
mit gutem Erfolg verwandt worden — worüber in extenso an dieser
Stelle demnächst berichtet werden wird; außerdem ist genannte
Cholevalemulsion sehr zweckmäßig in kleinen elastischen Kapseln
luftdicht eingeschlossen, die, 1 ccm fassend, gleichzeitig als Spritze
verwandt werden. Bei dieser Anordnung ist Austrocknung und
Oxydation der Emulsion verhindert und die Verwendung unnütz
großer Mengen, welche erfahrungsgemäß zu schweren Katarrhen
führen können, vermieden.
Nun zur Syphilisprophylaxe. Auch hier können eigentlich die
erschwerten Prütungsoedingungen nicht beklagt werden. Beispiels¬
weise sind 10 Jahre Prüfungen der Schutzwirkung des Chinins in
so ausgiebiger und so gut kontrollierter Weise an Affen (vom
Schimpansen bis zum Macacus rhesus) in allen Konstellationen durch¬
geführt worden, daß bereits diese Versuche keinen Zweifel über
die Zuverlässigkeit der Chininsalbe zulassen. In letzter Zeit sind
von Verfassern als Ergänzung dieser Affertversuche und der Ver¬
suche an Säugling, Amme und in Truppenteilen noch Methoden aus¬
gearbeitet und nach verschiedenen Richtungen durchgeprüft worden.
Wenn Habermann die erste dieser Methoden, Prüfung der
Einwirkung der Desinfizientien auf das Verhalten der Spirochäten unter
dem Deckglas, mit Recht nur zur oberflächlichen Orientierung als
genügend ansieht, so ist seine Anschauung, daß diese Methode von
den Verhältnissen bei der natürlichen Infektion abweicht, eine Selbst¬
verständlichkeit Denn die Empfehlung dieser Prüfung ist von den
Verfassern gerade als orientierende Vorprobe empfohlen worden
mit der Begründung, daß Präparate, wie zum Beispiel die Met sch ni-
k off sehe Kalomeisalbe, welche auch hierbei kein Abtöten der Spiro¬
chäten bewirken, sich auch bei der Anwendung der übrigen Me¬
thoden als nicht genügend wirksam erweisen. Bei dieser Methode
sind als beweisend nur gut kontrollierte Resultate zu verwenden,
insbesondere diejenigen, welche keine Beeinflussung der Lebens¬
tätigkeit der Spirochäten zeigen. Hingegen sind alle anderen Re¬
sultate nur bei Ausführung geeigneter Kontrollen zu verwerten, da
nach den näheren Untersuchungen von W. Worms sich zeigen
ließ, daß eine Reihe unspezifischer Einflüsse an sich« schon die
Lebenstätigkeit der Spirochäten zwischen Deckglas und Objektträger
beeinflußt.
Die zweite Methode der Verfasser, das Aufträgen der betreffen¬
den Schutzmittel auf Syphilome, ist von Habermann gänzlich
mißverstanden worden. Vor allem werden nicht, wie er schreibt,
nässende Papeln dazu gewählt, sondern man bedient sich am zweck¬
mäßigsten primärer Erscheinungen, die reichlich Spirochäten auf¬
weisen, um nach 24 Stunden zu sehen, ob das fragliche Mittel im¬
stande ist, in der gleichen Weise, wie die Chininsalbe (Duanti,
E. Merck) konstant in vielen Versuchen zeigt, die Spirochäten
zum Schwund bzw. zur Abtötung zu bringen. Es versteht sich, daß
man in oberflächlichen Schichten untersucht, von denen man an¬
nehmen kann, daß sie mit den zu prüfenden Mitteln in Berührung
gestanden haben. Nun erzählt Habermann weiter von der Er¬
fahrung, daß „gelegentlich schon nach einem einfachen Bad die
Spirochäten zeitweilig aus den Sekreten ganz verschwinden können“,
und bemängelt daraufhin diese Methode. Demgegenüber kommt
Resultaten, die das entgegengesetzte Bild liefern, d. h. wo die Spiro¬
chäten nach Auftragung des Mittels keinerlei Veränderung weder an
Zahl noch an Bewegung erleiden, wie zum Beispiel in Versuchen
an Tier und Mensch mit dem von Habermann empfohlenen Sa-
grotanschleim, dem sogenannten Lysaldin von Schülke und Mayr
eine ganz eindeutige Rolle zu. Zur Kontrolle wurde an dem gleichen
SvphiTom Chininsaibe mit dem gewohnten Effekt aufgetragen. Diese
Methode ist erst von den Verfassern als Kriterium für die Aktivität
der zu prüfenden Schutzmittel angenommen worden, nachdem sich
konstante Abtötungswirkungen mit der Chininsalbe und konstante
Versager mit einer ganzen Reihe anderer Mittel gezeigt hatten.
Gerade dieser Methode, die sicherlich die größten Anforderungen
an die Aktivität des Mittels stellt, kommt sicherlich eine besondere
Bedeutung für die Prüfung der Schutzmittel für die Praxis zu, da
hier bequem am menschlichen Primäraffekt die Einwirkung des
Mittels auf menschliche Spirochäten unter Bedingungen geprüft
wird, die den Spirochäten die besten Lebensmöglichkeiten bieten,
indem bereits eine Anpassung an das Milieu vorhanden ist, die¬
selben Wärme- und Feuchtigkeitsverhältnisse bestehen, die weder
sonst am Tier noch in vitro nachzuahmen sind. Wenn nun trotz
dieser, wie gesagt, für das Schutzmittel sehr erschwerten Verhält¬
nisse dasselbe Phänomen zu beobachten ist wie mit der Chinin¬
salbe, so ist dadurch eine Voraussetzung für ein stark spirochätropes
Mittel gegeben, um, mit den weiteren Methoden geprüft, sich end¬
gültig als vollwertiges Syphilisprophylaktikum zu zeigen.
Ein weiteres Mißverständnis, das eine Entstellung der Versuche
Schereschewskys bedeutet, ist die Auffassung Habermanns,
daß die Resultate mit der Chininsalbenprophylaxe bei der originären
Kaninchensyphilis gewonnen worden sind. An dieser Stelle soll nicht
auf die Differenzierung der humanen und der originären Kaninchen¬
syphilis eingegangen werden, es sei nur wiederholt, daß diese Ver¬
suche an Affen und Menschen, wie oben geschildert, durchgeführt
worden sind und daß die weiteren Versuche an originärer Kaninchen¬
syphilis nur eine Bestätigung dieser Versuche abgaben. Im Anschluß
daran sagt Habermann in überraschender Weise: „Auffallend ist
jedenfalls, daß Fettsalben dabei besser wirken sollen als wäßrige
Lösungen“, und meint dabei, „bei Fettsalben als Konstituenten ist
es kaum möglich zu beurteilen, ob der Endeffekt mehr der chemischen
Desinfektion oder der mechanisch schützenden Wirkung des Fettes
zuzuschreiben ist“. Diese Bemängelung ist wiederum einem Mi߬
verständnis entsprungen, denn Schereschewsky hat nie Chinin¬
salben vor der experimentellen oder natürlichen Infektion angewandt
oder empfehlen und verlegt den Schwerpunkt der ganzen Pro¬
phylaxe auf die Anwendung bis zu 3 bis 5 Stunden nach der
Infektion. Dadurch sind alle Zweifel über die mechanisch schützende
Wirkung des Fettes gegenstandslos.
Die Verantwortung des Untersuchers bei der Empfehlung eines
Schutzmittels gegen Geschlechtskrankheiten ist so außerordentlich
groß, daß nur ein Mittel, dem eine Prüfungsserie im Uebermaße
zugrundeliegt, die am besten an der Affenstim durchzuführen ist,
das Anrecht hat, der Praxis übergeben zu werden. Außerdem ist
es absolut erforderlich, daß ein solches Mittel mit einem erheblichen
Ueberschuß an Aktivität versehen ist, sodaß bei den ungeheuer ver¬
schiedenen Bedingungen der Praxis noch immer die Chance einer
Abtötung besteht. Unter dieser Voraussetzung enthält die Duanti-
Chininsalbe 30o; 0 Chininum muriatic. mehr, als zur Abtötung von
Spirochäten genügt.
Es ist zu erwarten, daß durch die neue Gesetzgebung endlich die
g reifbarste Möglichkeit für den Volkshygieniker zur Bekämpfung der
leschlechtskrankheiten durch die Erziehung zur Prophylaxe und die
breiteste Einführung wirksamer Schutzmittel gegeben sein wird.
Aus Prof. Kromayers Poliklinik für kosmetische Hautleiden
in Berlin.
Die Beseitigung von Pigmentflecken in der Haut
(Sommersprossen, Lentigines, Lebermale usw.).
Von Dr. med. Gertrud Kromayer.
Diese Pigmenthypertrophien der Haut stehen im Mittelpunkt des
kosmetischen Interesses und bilden ein reiches, aber nicht immer von
Erfolg gekröntes Betätigungsfeld des Dermatologen. Es muß be¬
fremden, daß ihre Beseitigung so viel Schwierigkeiten macht, da
bei der oberflächlichen Lage der Anomalien eine erfolgreiche Behand¬
lung zunächst durchaus möglich zu sein scheint.
Das Pigment der Lebermale, Sommersprossen usw. befindet sich
in den untersten Schichten der Epidermis, in der es, wie jetzt allgemein
angenommen wird, durch langsame Umbildung aus dem farblosen
Protoplasma entsteht.
Aus dieser Entstehungsart erklärt es sich auch, daß das Pigment
temporär zum Verschwinden gebracht werden kann, wenn man durch
reizende und entzündungserregende Maßnahmen die Epidermis zu
rascherer Regeneration und Abschuppung anregt, weil hierdurch audi
die pigmentführenden Zellen mit abgestoßen werden. Da sich neues
Pigment erst allmählich wieder ausbildet, scheint während der pigment¬
armen Periode die Verfärbung schon beseitigt. Doch tritt mit Sicher-
Digitized b'
Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
21. Aprii 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
527
heit nach einer Zeitspanne, die individuell bedingt und verschieden
ist und zwischen 2—4 Wochen variiert (vom Aussetzen der Behand¬
lung an gerechnet), der alte Zustand wieder auf.
Entsprechende Vorgänge liegen der bekannten „bleichenden“
Wirkung der Quecksilberpräparate, des häufigsten Bestandteils vieler
Sommersprossensalben und des orientalischen Schönheitswassers, zu¬
grunde.
Im Gegensatz zu diesem rein symptomatisch und temporär wir¬
kenden Verfahren hat man versucht, durch Hitze (Paquelin) und
Elektrolyse eine direkte Zerstörung aller pigmentführenden Zellen
zu bewirken, um eine spätere Pigmentneubildung unmöglich zu machen.
Dies Ziel kann auch vollkommen erreicht werden. Da aber die Tiefen¬
wirkung der eben genannten Hilfsmittel nur annähernd bestimmbar
ist, werden in der Regel Teile der bindegewebigen Cutis propria mit
zerstört.
Bekanntlich ist aber die Entstehung einer Narbe in der Haut auf
eine Verletzung der Cutis propria zurückzuführen, die hierin eine
Sonderstellung einnimmt im Gegensatz zu der darüberliegenden Cutis
vasculosa, die selbst bei flächenhaft ausgedehnten Verletzungen stets
mit restitutio ad integrum ausheilt. So lassen sich bei der Anwendung
der erwähnten Maßnahmen Narben nicht mit Sicherheit vermeiden,
die das Endresultat in kosmetischer Hinsicht gefährden würden.
Der Weg, den die Bdiandlung einzuschlagen hat, ist mithin klar
vorgezeichnet. Es gilt, die Epidermis und mit ihr die pigmentführen¬
den Epithelien zu entfernen, ohne aber die Cutis propria zu verletzen.
Dies ist auf operativem Wege möglich und tatsächlich gut ausführbar
mit Hilfe des von Prof. Kromayer angegebenen Instrumentariums
(siehe „Rotationsinstrumente, ein neues technisches Verfahren der
dermatologischen Kleinchirurgie“, Derm. Zschr. 12 H. 1), das aus Rund¬
messern, Flachmessem, Fräsen und Bohrern besteht, die der Zahn¬
technik entlehnt und der dermatologischen Kleinchirurgie nutzbar
gemacht worden sind. Am besten und geeignetsten haben sich mir
zur Entfernung der Pigmentationen die Fräsen (siehe Figur) erwiesen.
Ich beschränke mich daher auf die Beschreibung des Operations-
Verfahrens mit diesen allein.
Zur vorbereitenden Lokalanästhesie wird bei kleineren Pigment¬
flecken ein Kohlensäurestift verwendet, der für wenige Sekunden
auf die zu operierende Fläche aufgedrückt wird, die Haut zur Er¬
frierung bringt und sie erhärtet, sodaß die Fräse in dem unnachgiebi-
en Gewebe sehr exakt und sicher arbeiten kann. Bei größeren
igmentflecken ist die Anwendung des Kohlensäureschnees wie auch
des Chloräthyls nicht bedingungslos zu empfehlen, da ihre erfrie¬
rende Wirkung oft zu schnell, a. h. vor Beendigung der Operation
nachläßt. Hier leistet die Infiltrationsanästhesie (Novokokain in einer
Verdünnung von 1:150 oder 1:200) bessere Dienste, da sie infolge
ihrer längeren zeitlichen Dauer ein ruhiges Arbeiten ermöglicht,
wenn auch die Führung der Fräse in dem nachgiebigen Gewebe eine
sichere Hand und ein exaktes Nachgeben auf jedes Ausweichen und
Sichverschieben der Hautschichten erfordert. Eine für die Größe des
Pigmentfleckes angemessen erscheinende Fräse wird unter Benutzung
der aus der Zahnheilkunde bekannten Apparate in rasche Umdrehung
versetzt und unter leichtem Druck strichförmig über die zu operierende
Fläche hinweggeführt. Die einzelnen schräggestellten Schneiden oder
Zähne der Fräse fassen das Gewebe der Epidermis und Cutis vasculosa,
„raspeln“ es „ab“, wie der technische Ausdruck dafür lautet, während
sie die derbere Cutis propria, die ja auch gerade verschont werden
soll, um eine Narbenbildung zu vermeiden, nur bei starkem Druck
mitzureißen vermögen. Es empfiehlt sich, bei dieser Operation au
der unteren Ecke des Feldes anzufangen und strichförmig nach oben
fortzuschreiten, tim nicht durch hervorsickerndes Blut und Trans¬
sudationsflüssigkeit im exakten Arbeiten gestört zu werden.
Die Nachbehandlung erstrebt eine Ausheilung „unter dem Schorfe“.
Sie ist infolgedessen einfach: Nachdem Blutung und seröse Trans¬
sudation, die der Operation folgen, aufgehört hanen, bedeckt man die
Wundfläche mit Wattefäserchen, die, zu einer ganz dünnen” Schicht
ausgezegen, sich auf der Wundfläche festsaugen, eintrocknen und so
einen künstlichen Schorf bilden. In 10—14 Tagen, bei kleineren
Defekten früher, löst sich der Schorf ab. Die pigmentlose, noch etwas
gerötete, aber schon überhäutete Fläche liegt zutage.
Nach 2 Monaten etwa haben sich die Cutis vasculosa und die
Epidermis mit ihrem Rete Malpighii in normaler Weise wieder aus¬
gebildet. Jede Spur des Eingriffes ist verschwunden, die operierte
Hautstellc ist von der umgebenden nicht zu unterscheiden.
Die narbenlose Beseitigung des Pigmentfleckes ist erreicht.
Auf diese Art und Weise wurde in der Poliklinik von Prof. Kro¬
mayer eine große Anzahl Sommersprossen, Pigmentflecke, insbeson¬
dere auch großer Lebermale entfernt, und mehrfache, längere Beob¬
achtung erwies die Tatsache einer narbenlosen, kosmetisch einwand¬
freien und dauernden Beseitigung der Anomalien.
Dies erscheint um so beachtenswerter, als Prof. Kromayer noch
in seinen Vorträgen über ärztliche Kosmetik der Haut (D. m. W. 1913
Nr. 45) die narbenlose Beseitigung großer Pigmentflecke auf instru-
mentellem Wege für „fast unmöglich“ erklärt hat. Es ist damit ein
nicht unwesentlicher Fortschritt erreicht, der um so höher zu be¬
werten ist, als nunmehr auch ein Leiden — die großen Leberflecke —,
das bisher überhaupt als unheilbar galt, mit sicherem Erfolge beseitigt
werden kann.
Chirurgische Ratschläge für den Praktiker.
Von G. Ledderhose in München.
XV.
Geschwüre der Lippen und der Mundhöhle.
Die Vielheit und große Mannigfaltigkeit der Erkrankungen der
Lippen und der Mundhöhle versteht man, wenn man sich vergegen¬
wärtigt, wie außerordentlich häufig diese Teile durch die Berührung
mit Fingern und allen möglichen Gegenständen, ferner durch die
Atmung und die Nahrungsaufnahme Verletzungen sowie Ueber-
tragung von Krankheitserregern ausgesetzt sind. Dazu
kommt, daß nicht selten Erkrankungen von Hals, Kehlkopf, Lungen,
Nase und Ohren auf die Mundhöhle übergreifen und daß in ihr auch
bei einer Reihe von Allgemeinkrankheiten auf dem Blutwege patho¬
logische Prozesse zur Entwicklung gelangen. So leicht Lippen und
Mundhöhle der Betrachtung und Betastung zugänglich sind, so be¬
stehen doch große Schwierigkeiten, um die verschiedenen hier vor¬
kommenden Entzündungen, Anschwellungen und Geschwüre ihrem
Wesen und ihrer Aetiologie nach richtig zu erkennen und ein zu¬
verlässiges Urteil über ihre Bedeutung zu gewinnen. Alle ernsteren
Erkrankungen der Mundhöhle bringen Störungen des Sprechens, des
Kauens, des Schluckens und auch gelegentlich des Atmens mit sich,
und bei allen infektiösen Prozessen besteht die Gefahr des direkten
Uebergreifens auf benachbarte Teile, der Uebertragung auf Kehlkopf
und Lungen sowie der Ansteckung anderer Personen. Septische Er¬
krankungen, Syphilis, Tuberkulose und Aktinomykose kommen in
dieser Richtung vorwiegend in Betracht Die Syphilis und Akti¬
nomykose der Mundhöhle nehmen insofern eine besondere Stellung
ein, als erfahrungsgemäß häufig von den untersuchenden Aerzten nicht
an sie gedacht wird, was Unterbleiben oder Verzögerung der richtigen
Behandlung oder auf Grund der irrigen Annahme, daß es sich um
maligne Neubildung handelt, die Vornahme unnötiger und gefähr¬
licher Operationen nach sich zieht. Auf der anderen Seite wird nicht
selten die zutreffende Diagnose des bösartigen Tumors oder
Geschwürs erst gestellt, wenn die Aussichten erfolgreicher opera¬
tiver Behandlung sehr gering geworden oder geschwunden sind.
Bei allen frisch entstandenen Indurationen und Geschwüren an
Lippen, Zahnfleisch, Zunge und Tonsillen soll man sich, auch wenn
die äußeren Umstände zunächst gar nicht dafür zu sprechen scheinen,
die Frage vorlegen, ob es sich nicht um einen syphilitischen
Primäraffekt handelt. Sehr zahlreich sind die Möglichkeiten seiner
Entstehung. Außer der direkten Ansteckung von syphilitischen Krank¬
heitsherden anderer Personen aus kommt namentlich die Uebertragung
der Spirochäten durch Eß- und Trinkgeräte, durch gewerbliche Ge¬
brauchsgegenstände (Glasbläser) oder durch Untersuchungsinstrumente
(Mundspatel) in Betracht. Zu beachten ist, daß der Primäraffekt
durchschnittlich 3 Wochen nach der Infektion sich zeigt, und daß
das ihm am meisten eigentümliche Merkmal — sei es, daß er die
Form einer kleinen oder größeren Papel, einer Erosion, einer
Sklerose oder eines flachen Geschwürs besitzt — die gleichmäßige
derbe, auffallend wenig oder gar nicht schmerzhafte Induration
darstellt. Als zweites, ungemein bezeichnendes Symptom der syphili¬
tischen Initialsklerose, auch an den Lippen oder in der Mundhöhle,
ist die etwa 1 bis 2 Wochen später auftretende Anschwellung
der zunächst gelegenen Lymphdrüsen, also der submentalen,
submaxillaren und zervikalen. Die Drüsen vergrößern sich schnell,
ohne daß Schmerzen auftreten, und dadurch, daß das paraglanduläre
Gewebe unbeteiligt bleibt, sind sie einzeln unter der unveränderten
Haut verschieblich abzutasten, auch wenn sie erhebliche Größe er¬
reicht haben. Gerade das frühzeitige Auftreten dieser indolenten
Drüsenbubonen am Hals unterscheidet die syphilitischen Primäraffekte
an den Lippen und innerhalb der Mundhöhle sehr bestimmt von allen
anderen hier vorkommenden ähnlichen Prozessen. Bei der Unter¬
suchung der den Verdacht frischer syphilitischer Infektion begrün¬
denden Erosionen und Geschwüre auf Spirochäten ist zu berück¬
sichtigen, daß Verwechslung mit nichtspezifischen Spirochäten des
Mundes möglich ist, die sich auf anderen Krankheitsursachen ent¬
stammenden offenen Stellen angesiedelt haben. Die Wa. R. pflegt
erst von der 4. bis 6. Woche nach der Infektion an positiv zu sein.
Weniger, praktische Bedeutung haben die im sekundären Sta¬
dium der Syphilis in der Mundhöhle zu beobachtenden Erytheme
und Papeln (plaques muqueuses), häufig gleichzeitig mit der Roseola
der äußeren Haut entstehend. Die Multifdizität, die kondylomartige,
nicht indurierte, schmierig belegte, ulzerierte, am Mundwinkel ein¬
gerissene Fläche weisen auf die syphilitische Aetiologie hin. Größeres
chirurgisches Interesse beansprucht die gummöse Erkrankung
der Lippen und der Mundhöhle im Spätstadium der Syphilis, also in
der Regel vom 10. bis 15. Jahre nach der Infektion an. Namentlich
an der Zunge kommt das oberflächliche oder tiefliegende Gummi
Digitized b'
Google
Original from
CORNELL UNiVERSITV
528
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 16
nicht selten zur Beobachtung. Bevorzugt sind die Mitte und die Spitze
der Zunge. Diese Lokalisation, das häufige Auftreten in der Mehr¬
zahl, die Wa.R. (öfter negativ; Spirochäten fast nie nachweisbar), das
Ausbleiben von Drüsenschwellung, die Anamnese, die Feststellung
anderer syphilitischer Prozesse sowie die Beobachtung des Verlaufs
ergeben in der Regel genügend Anhaltspunkte für die richtige Dia¬
gnose. Die aus den zerfallenen Syphilomen hervorgegangenen Ge¬
schwüre der Zunge sind durch scharfe Ränder, kraterförmige Ge¬
stalt mit mißfarbigem Grund und Neigung zu Vernarbung aus¬
gezeichnet. Induration, wie sie beim ulzerierten Primäraffeiet und
beim Krebsgeschwür beobachtet wird, fehlt. Bei der diffusen
ummösen Infiltration der Zunge entstehen zuweilen durch
chwielen und Narben tiefe Furchen; so kommt die sogenannte
Dopnelzunge (tiefer, narbiger Längsspalt) zustande. Gelegentlich greift
die Nasensyphilis auf den harten Gaumen über und verursacht
hier Knochennekrose und Perforation in die Mundhöhle. Der weiche
Gaumen ist häufig Sitz syphilitischer Schwellungen und Geschwüre.
Perforation des weichen Gaumens wird fast nur durch Syphilis hervor¬
gerufen. Die gummöse Erkrankung der Rachenwände führt nicht
selten zu weitgehenden Verwachsungen, in deren Gefolge ernste
Störungen der Atmung und des Schludcens auftreten können. Sie be¬
reiten der Behandlung zuweilen sehr große Schwierigkeiten.
Bei den syphilitischen Primäraffekten an den Lippen und in der
Mundhöhle kommt die Exzision in Frage, die zwar keinen Einfluß
auf den Verlauf der Allgemeinerkrankung erwarten läßt, aber der Ge¬
fahr der Uebertragung auf andere Personen vorbeugt und die lokale
Heilung wesentlich beschleunigt. Immerhin sollte an den fraglichen
Teilen die Exzision nur vorgenommen werden, wenn sich die ent¬
stehende Wunde durch die Naht schließen läßt und wenn keine
rößere Entstellung zu befürchten ist, als sie nach Selbstheilung der
klerose zu erwarten wäre. Gegen die probeweise, im Interesse der
Diagnose eingeleitete medikamentöse Behandlung von auf Syphilis
verdächtigen Geschwülsten und Geschwüren der Mundhöhle, ins¬
besondere der Zunge, bestehen gewisse Bedenken, indem es längere
Zeit dauern kann, bis deutliche Reaktion im Sinne der Heilung ein-
tritt, indem sie zuweilen auch bei sicherem Syphilom erfolglos bleibt
und indem sie bei Krebserkrankung durch den Zeitverlust die Aus¬
sichten auf operative Heilbarkeit vermindert. Bei den geschlossenen
oder aufgebrochenen Syphilomen der Mundhöhle sind zuweilen Spal¬
tung und Auskratzung angezeigt.
Die Leukoplakia buccalis und Iingualis verdient wegen
ihrer immer noch nicht völlig aufgeklärten Aefiologie und wegen ihrer
nahen Beziehungen zum Krebs besondere Beachhimg. Wir sehen an
der Schleimhaut der Wange und der Zunge, selten an der der Lippen
und des Gaumens, milchweiße, scharf begrenzte, unregelmäßige, oft
landkartenartig angeordnete Flecke. An der Oberfläche der Zunge
stellen sie schwartige, weiße Verdickungen dar, die ihr ein gerunzeltes,
gefenstertes Aussehen verleihen; schmerzhafte Rhagaden pflegen sich
zu bilden. Auch wenn zunächst die Ränder und die Unterfläche der
Zunge nicht beteiligt werden, 1 so bedingt doch schon die weitgehende
Erkrankung ihrer Oberfläche starke Beschwerden beim Sprechen,
Kauen undf Schlucken. Das Leiden befällt überwiegend häufig Män¬
ner, insbesondere Raucher. Ein großer Prozentsatz der an Leuko¬
plakie erkrankten Patienten sind Syphilitiker. Quecksilber pflegt
übrigens das Leiden nicht zu bessern. Verwechslung mit Schleimhaut¬
plaques, wie sie im sekundären Stadium der Syphilis beobachtet
werden, liegt nahe. Es wird angegeben, daß in mehr als 50o/o auf
dem Boden der Leukoplakie Karzinom zur Entwicklung komme.
Dies muß bei der Behandlung derartiger Kranker stets im Auge be¬
halten werden. Wegen der großen Schwierigkeit, die Leukoplakie
durch unblutige Verfahren zu beeinflussen, hat man sich gelegentlich
in besonders schweren Fällen zur Abtragung der erkrankten Zungen¬
oberfläche mit dem Messer oder dem scharfen Löffel entschlossen und
hat Verschorfung mit dem Thermokauter oder Aetzung nachfolgen
lassen. Schrundig und geschwürig gewordene leukoplakische Flecke
müssen unbedingt gründlich ausgeschnitten werden. In allen Fällen
von Leukoplakie ist das Rauchen streng zu verbieten.
Der in der Regel von der Nase aus auf die Mundschleimhaut fort¬
gewucherte Lupus ist als solcher leicht zu erkennen. Umschriebene,
flache Ulzerationen oder eine größere, teilweise mit Eiter oder Borken
bedeckte Geschwürsfläche, innerhalb deren und in deren Umgebung
kleine schuppende oder zerfallene Knötchen sichtbar sind, sowie der
Beginn im Pubertätsalter stellen die bezeichnenden Merkmale dar. In
vorgeschrittenen Fällen zeigt sich neben teilweiser Vernarbung Zer¬
störung der befallenen Weichteile. Praktisch wichtig ist die Kenntnis
von den geschwulstartigen und geschwürigen Formen
der Tuberkulose in der Mundhöhle, wie sie durch Infektion von
außen her, von der weitgehend erkrankten Lunge aus oder auf dem
Blutweg entstehen. Sind diese Prozesse mehrfach vorhanden, so ist da¬
durch die Zahl der diagnostischen Möglichkeiten schon wesentlich ein¬
geschränkt, da syphilitischer Primäraffekt, umschriebene Aktinomykose
und Karzinom in der Einzahl aufzutreten pflegen. Die tuberkulösen,
sich flächenhaft vergrößernden Geschwüre, z. B. am Rand der Zunge,
sind ausgezeichnet durch unterminierte, nicht selten in Form eines
Schlitzes, einer Rhagade sich einander nähernde Ränder, durch große
Schmerzhaftigkeit, durch entzündliche Nebenerscheinungen und durch
Tuberkelknötchen im Bereich der Ulzeration sowie in ihrer Umgebung.
Induration der Geschwürsränder und des Geschwürsgrundes fehlt. In
manchen Fällen läßt sich die Diagnose erst auf Gruncf mikroskopischer
Untersuchung von ausgeschnittenen Teilen des Krankheitsherdes
lien. Die Empfindlichkeit tuberkulöser Geschwüre der Mundschleim¬
Digitized by Google
haut kann so hochgradig sein, daß ohne vorheriges Bepinseln mit
anästhesierenden Mitteln die Nahrungsaufnahme äußerst erschwert
ist. Zur Behandlung stehen Milchsäure, Jodoformbrei, Bestrahlung,
Auskratzen und Kauterisieren sowie in geeigneten Fällen Exstirpation
(bei tuberöser und ulzeröser Form) zur Verfügung.
Wer sich daran gewöhnt hat, bei allen langsam, ohne aus¬
gesprochene entzündliche Erscheinungen entstehenden, derben An¬
schwellungen im Bereich des Halses, des Gesichts und der Mundhöhle
auf Aktinomykose zu fahnden, macht die Erfahrung, daß diese
Erkrankung nicht so selten ist, wie von manchen Seiten behauptet
wird. Wer Glück hat, findet wohl auch einmal in einem aktinomy-
kotischen Herd etwa der Zunge eine Gerstengranne oder ein Holz¬
splitterchen, die als Infektionsträger gedient hatten. Flächenhaft ver¬
breitete, harte aktinpmykotische Infiltration der Wange, des Mund¬
bodens oder der Zunge kann in bestimmten Graden der Ausbildung,
ebenso wie der umschriebene gleichartige Herd, nur sehr schwer von
einfacher chronischer Phlegmone, gummösen Geschwülsten und Ge¬
schwüren sowie den Produkten maligner Neubildung zu unterscheiden
sein. Bei zahlreichen entzündlichen und geschwürigen Prozessen der
Mundhöhle, namentlich wenn sie in der Wange ihren Sitz haben oder
auf diese übergreifen, bildet die begleitende Kieferklemme ein er¬
hebliches Hindernis für die Diagnose. Die durch Infektion mit dem
Strahlenpilz entstandene Infiltration läßt bei entsprechender Entwick¬
lung kleine Erweichungsherde erkennen, die nach spontanem
Aufbruch oder nach Einschnitt schlaffe Granulationen und geringe
Mengen von Eiter aufweisen, der die bezeichnenden Körner und bei
mikroskopischer Betrachtung die Drusen enthält. In vorgeschrittenen
Fällen beobachtet man Unterhöhlung der erkrankten Teile durch ver¬
zweigte Fistelgänge; aus erweichten, umschriebenen aktionmykotischen
Herden können Geschwüre hervorgehen. Ausgesprochene Misch-
infektion ist geeignet, das Krankheitsbild der Aktinomykose erheb¬
lich zu verändern und unkenntlich zu machen. Je länger die Krank¬
heit besteht, desto eher ereignet es sich, daß Körner, Drusen und
Pilzfädeu auch bei wiederholter Untersuchung nicht auffindbar sind.
Es ist nachgewiesen, daß manche Fälle von Aktinomykose allein durd
innerliche Darreichung von lodkalium zur Heilung zu bringen
sind. Zuweilen ist auf Grund der besonderen Lokalisation Exstirpa¬
tion des Herdes möglich. Meist kommen Spaltung und Auskratzung
in Frage. Neuerdings wurde von mehreren Seiten über sehr günstige
Beeinflussung der aktimokytischen Erkrankung durch die Röntgen¬
strahlen berichtet.
Eine an sich harmlose Geschwürsbildung hat schon häufig ernste
Besorgnisse bei Verkennen ihrer Entstehungsursache hervorgerufen;
es sind die auf länger dauernde Verletzung und Reizung durch schad¬
hafte Zähne zurückzuführenden einfachen Ulzerationen am
Zungenrand. Die Schmerzhaftigkeit, die entzündliche Induration,
die Hartnäckigkeit und mangelnde Heiltendenz bei foxtwirkender Ur¬
sache sowie der mißfarbige Belag der Geschwürsfläche (namentlich
bei schlechter Mundpflege) vermögen den Verdacht der krebsigen
Ulzeration wachzurufen. Ist die Ursache erkannt, so pflegt nach Ex¬
traktion des schuldigen Zahnes in kurzer Zeit Heilung zu erfolgen.
Abgesehen von den verhältnismäßig gutartigen, sehr harten, dun¬
kelblauroten Riesen z eilen Sarkomen (Epuliden) an den Alveolar¬
fortsätzen der Kiefer, kommen Sarkome in der Mundhöhle nur selten
zur Beobachtung. Sowohl in geschlossenem als ulzeriertem Zustand
geben die weichen Formen zu Verwechslung mit Syphilomen Anlaß.
Auch die mikroskopische Untersuchung ausgeschnittener Teile und
die probeweise antisyphilitische Behandlung lassen hier bezüglich des
diagnostischen Aufschlusses zuweilen im Stich. Nur sehr frühzeitige,
radikale operative Ausrottung der weichen Rundzellensarkome ver¬
spricht zuweilen guten Erfolg. Lymphosarkome der Tonsillen sah man
sich gelegentlich auf Einwirkung der Röntgenstrahlen zurückbilden.
Auch Behandlung mit Arsen kommt in Frage.
In Rücksicht auf den Verlauf und die Prognose hat man eine
oberflächliche, dem Plattenepithelkrebs der Gesichtshaut nahestehende
und eine durch Ulzeration aus tiefer gelegenen Krebsknoten hervor-
gegangenc Form des Karzinoms der Lippen und der Mundhöhle
(Wange, Zunge, Mundboden, weicher Gaumen, Tonsillen) zu unter¬
scheiden. Die Erkrankung kann an der Unterlippe in der Nähe des
Mundwinkels (überwiegend häufig bei Männern) als kleines, linsen¬
förmiges, hartes Knötchen beginnen, das näßt oder mit einem
trockenen, abblätternden Schorf bedeckt ist. Allmählich entwickelt sich
daraus ein flaches Geschwür mit wallartig aufgeworfenen Rändern,
das 'sich wie der Schild eines Petschaftes über die Umgebung erhebt;
häufig sieht man einzelne noch nicht zerfallene Krebsknoten am Rand
und am Grund des Geschwürs. Die Farbe des Geschwürsbodens ist
rot, gelblich bis braun, es finden sich nicht selten Einrisse, es besteht
Neigung zum Bluten, die stets vorhandenen Schmerzen sind öfter aus-
strahlend oder haben neuralgischen Charakter. Ungemein bezeichnend
ist das Austreten von gelbweißen Pfropfen (verfettete Krebszellen-
nesterf aus der Geschwürsfläche bei seitlichem Druck. Die tiefgreifen¬
den Plattenepithelkrebse etwa der Unterlippe und der Zunge sind durch
kraterförmige, zerklüftete, nicht selten jauchende Gescnwürsbildung
ausgezeichnet. Außer den bereits aufgezählten Eigenschaften der frag¬
lichen Krebse ist anzuführen, daß sie meist im Alter von 45 bis 65
Jahren auftreten und daß die regionären Lymphdrüsen regelmäßig
miterkranken, während Metastasen selten sind. Von den vorstehend
beschriebenen chronischen Geschwüren unterscheidet sich der ulze-
rierte Krebs hauptsächlich dadurch, daß er in der Einzahl auftritt und
harte, wallartige Abgrenzung besitzt. Im Bereich leukoplakischer Er¬
krankung der Mundschleimhaut entstehende chronische Geschwüre
Original fro-m
CORNELL UNIVERSITY
21. April 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
529
dürfen mit größter Wahrscheinlichkeit als karzinomatös angesprochen
werden. Hat einmal die Erkrankung weit um sich gegriffen, hat sie
die Knochen mitbeteiligt und haben sich die Drüsenmetastasen zu
roßen ulzerierten Tumoren entwickelt, so sind diagnostische Zweifel
aum mehr möglich.
Steht die Diagnose eines in Rücksicht auf die lokale Ausbreitung
der Neubildung und das Allgemeinbefinden des Kranken operablen
Karzinoms fest, so muß der Arzt seinen ganzen Einfluß aufbieten,
daß nicht durch untaugliche Mittel, vor allem auch nicht durch die
dem Mundhöhlenkrebs gegenüber in bezug auf Heilwirkung durch¬
aus unsichere Strahlenbehandlung, die beste Zeit für einen operativen
Erfolg verloren geht. Durch die weitgehende Verwendung der Lokal¬
anästhesie 1 ), durch die Halb-Mischnarkose, durch die vorausgeschickte
Unterbindung beider Linguales, durch die gründliche beiderseitige
Exstirpation der Halsdrüsen und Fortnahme der submaxillaren Speichel¬
drüsen sowie dadurch, daß man gelernt hat, auch vorgeschrittene
Zungenkrebse vom weitgeöffneten Mund aus, eventuell nach querer
Spaltung der Wange, radikal zu entfernen, sowie endlich durch ge¬
eignete Nachbehandlung ist die operative Prognose des Leidens wesent¬
lich gebessert worden. Die Karzinome der Lippen bieten zusamnftn
mit denen des übrigen Gesichts günstige Aussichten für dauernde
Heilung; man darf diese in 70 bis 80% der Fälle erwarten. Beim
Zungenkrebs beträgt die Mortalität der Operation trotz wesentlich
verbesserter Technik immer noch etwa 15%; bezüglich der Dauer-
heilung schwanken die Angaben der einzelnen Beobachter nicht un¬
beträchtlich. Nach Küttner kann man einen Prozentsatz von 13
annehmen.
Mit der Syphilis, der Tuberkulose, der Aktinomykose und der
malignen Neubildung der Lippen und der Mundhöhle sind die sich
hier abspielenden geschwürigen Prozesse lange nicht erschöpft, wenn
auch die vorstehend unberücksichsichtigt gebliebenen mit jenen nur
ganz selten in diagnostische Konkurrenz treten. In diesem Sinne ku
nennen wären etwa: die Abszesse des Zahnfleisches, der submaxillaren
Speicheldrüsen (Angina Ludwigii), des paratonsillären Gewebes, die
Stomatitis ulcerosa oder mercurialis, die Noma, zahlreiche Formen
gutartiger Geschwülste und Zysten (Ranula), endlich die Diphtherie
und die Stomatitis aphthosa.
Kursus der venerologischen Technik.
Von Prof. Dr. Max Joseph in Berlin.
II.
Gonorrhoe.
Es ist unbedingtes Erfordernis, jeden Harnröhrenausfluß auf
Gonokokken zu untersuchen. Deren Nachweis gelingt leicht. Je
weniger Sekret man auf einem Objektträger mit einer Platinöse
oder, wenn solche nicht zur Hand, mit einem Glasstäbchen oder
im Notfälle mit einem Streichholz verreibt, desto übersichtlicher
wird das Präparat. Man läßt das Präparat an der Luft trocknen oder
zieht es einige Male über die Flamme, färbt mit Löfflers al¬
kalischer Methylenblaulösung etwa eine Minute, spült mit Wasser
ab, trocknet mit Fließpapier oder erwärmt über der Flamme, unter¬
sucht ohne Auflegen eines Deckgläschens, indem man einen Tropfen
Zedemöl auf die gefärbte Stelle gibt, und untersucht mit Öelimmersion.
Bei einer eben beginnenden Gonorrhoe findet man die Diplokokken
von Kaffeebohnenform zu 4 bis 8 und mehr gelagert, vielfach noch
extrazellulär, bis sie nach kurzer Zeit einen ausschließlich intraleuko-
zytären Sitz einnehmen.
Stellen sich bei chronischer Gonorrhoe Zweifel ein, ob man es
mit Gonokokken oder unspezifischen Diplokokken zu tun hat, so
muß die Färbung nach Gram vorgenommen werden. Auch deren
Technik ist einfach. Man färbt eine Minute mit * dem käuflichen
Karbolgentianaviolett, trocknet mit Fließpapier ab, läßt eine halbe
bis eine Minute Lugolsche Lösung (Jod 1,0, Jodkalium 2,0, Wasser
300,0) einwirken*, trocknet wieder mit Fließpapier ab, entfärbt mit
Alcohol. absol., solange Farbwolken abgehen, bis das Präparat hell¬
grau erscheint, spült mit Wasser ab und nimmt eine Nachfärbung
mit verdünnter Karfcolfuchsinlösung (etwa 5 Tropfen auf ein halbes
Reagenzglas Wasser) vor, spült mit Wasser ab, trocknet mit Flie߬
papier ab, erwärmt über der Flamme und untersucht mit einem
Tropfen Zedernöl auf dem Objektträger. Man sieht dann mit einer
Öelimmersion die Gonokokken hellrot, sonstige Kokken dagegen
schwarzblau.
Mehr, als es bisher geschehen, sollte auch von dem praktischen
Arzte die Abortivbehandlung ausgeführt werden. Allerdings
gelingt sie weniger bei den zum ersten Male Infizierten als bei den
zum zweiten Male oder mehrfach erkrankt Gewesenen. Auch hier
ist die Technik verhältnismäßig einfach. Man nimmt, da wohl
meist kein Janetscher Spülapparat zur Hand sein wird, eine Janet-
sche Spritze von 100 ccm Inhalt, auf welche ein olivenförmiger
Gummiansatz aufgesetzt wird. Man injiziert bei dem Patienten,
welcher am ersten oder zweiten Erkrankungstage in Behandlung ge¬
kommen sein muß, eine gewöhnliche Tripperspritze von 12—15 ccm
Inhalt mit einer 2o/oigen Eukainlösung in die Harnröhre und läßt
den Kranken die Harnröhrenmündung 10 Minuten lang fest zu-
- , L
9 Im Aufcatz XI der D. m. W. 1921 Nr. 50 S. 1532; vorletzter Absatz, Zeile 2 ist zu
lesen 9 D /<» statt 9°/».
drücken. Unterdessen bereitet man sich 500,0 einer l°/ 0 oigen Albargin-
lösung mit Aq. dest. und injiziert 300,0 hiervon in die vordere Harn¬
röhre. Alsdann werden die Testierenden 200,0, da der Widerstand
des M. compressor urethrae infolge der Anästhesierung leicht zu
überwinden ist, in der Blase deponiert, und der Patient entleert
dieselben, sobald er Harndrang verspürt. Wenn möglich, wird diese
Prozedur zweimal täglich an drei aufeinander folgenden Tagen
wiederholt, und nach meinen Erfahrungen kann man in 50% einen
absoluten Heilerfolg hiermit erzielen.
Noch energischer geht H. Loeb vor. Er ließ sich eine konzen¬
trierte Vakzine „Arthigon extrastark“ herstellen und verwendet es
in folgender Technik: Zunächst werden 5 ccm einer 5%igen
Cocain-muriatic.-Lösung mit 5 ccm Aq. dest. verdünnt und dazu
5 ccm' einer 10o/ 0 igen Protargollösung zugesetzt. Damit wird, nach¬
dem vorher Glans und inneres Präputium mit 5%iger Höllenstein¬
lösung desinfiziert worden, wie oben die Urethra 10 Minuten lang
anästhesiert. Im Anschluß daran wird eine zweite Injektion mit der
unverdünnten 10%igen Protargollösung auf die Dauer von 10 bis
15 Minuten durch Zudrücken der Harnröhre darin belassen. Un¬
mittelbar im Anschluß daran wird dem Patienten eine intramuskuläre
Einspritzung von 1/2 ccm Arthigon extrastark verabreicht. Der Urin
soll erst nach 3—4 Stunden entleert werden, und der Patient nimmt
täglich 2 Urotropintabletten. Nach 5—8 Stunden, möglichst an dem¬
selben Tage, ebenso am Morgen des folgenden Tages, wird die
Hamröhrenbehandlung in gleicher Weise wiederholt. Obwohl die
meisten Fälle jetzt schon gonokokkenfrei sind, empfiehlt es sich,
zur Sicherung des Erfolges am Abend des 2. Tages, evtl, auch
noch am 3. Tage, dieselbe Behandlung in abgeschwächtem Maße
mit 5—2%iger Protargollösung fortzusetzen, bis zum Eintritt einer
serösen oder blutigserösen Schleimabsonderung, welche meistens nur
vereinzelte Leukozyten enthält. Am 3. Tage wird eine zweite In¬
jektion von Arthigon extrastark, 1 ccm, verabreicht und, wenn in¬
zwischen nicht vollständige Heilung eingetreten, am 6. bzw. 9. Tage
wiederholt. Der Kranke selbst spritzt, wenn keine starke Reizung
aufgetreten und Behandlung noch nötig sein sollte, einige Tage
eine V 2 —l%ige Protargollösung 2—3mal täglich ein.
Ist die Abortivbehandlung mißlungen oder der Kranke zu spät
in unsere Behandlung gekommen, so bleibt nichts übrig, als dem
Patienten eine 1— 2% 0 ige Albarginlösung zu verordnen, von welcher
er 200,0 täglich mit der Tripperspritze verwenden muß. Er erhält ein
Originalgläschen von 25 Albargintabletten ä 0,2 verordnet und kann
sich die Lösung selbst mit destilliertem Wasser herstellen. Es ist
aber notwendig, ein- bis zweistündlich die Einspritzungen zu wieder¬
holen, und so oft es die Zeit erlaubt, sogar 2—3 Spritzen hinter¬
einander je 5 Minuten in der Harnröhre zu belassen, während der
Arzt selbst mehrmals in der Woche in der oben angeführten Art
mit der Janetschen Spritze größere Spülungen vornimmt.
Da aber von den zur Abortivbehandlung geeigneten Männern im
Inkubationsstadium ihrer Erkrankung nicht selten Uebertragungen
auf die Ehefrauen erfolgen, so ist eine Präventivbehandlung
der Frau ebenfalls oft von Erfolg begleitet. Zu diesem Zwecke
nimmt H. Loeb Ausspülungen der Vagina und Vulva mit 2% 0 iger
Sublimatlösung vor, gründliche Ausreibung der Portio, Vagina, Vulva
und Instillation der Urethra mit 10o/ 0 iger Protargollösung sowie
Einlage eines Protargoltampons. Hierdurch gelingt es selbst bei
Schwangeren, die gonorrhoische Erkrankung zuweilen zu verhüten.
Ist es aber trotzdem auch bei der Frau zu einer gonorrhoischen
Infektion gekommen, so soll nach H. Albrecht und S. Funck
die Lokalbehandlung in folgender Weise vorgenommen werden: Nach
vorausgegangener Vaginalspülung unter Zusatz von 1 Eßlöffel von
30—50o/oiger Chlorzinklösung zu 1 Liter Wasser wird die Zervix
je nach der Weite des Zervikalkanales mittels einer mit Gaze ar¬
mierten Playfairschen Sonde oder dem Sängerschen Metallstäb¬
chen oder elastischen Hartgummisonde von Menge mit Argent.
nitgc. in 5—10o/ 0 iger Lösung, in hartnäckigen Fällen mit 10*-20%igem
Formalin ausgewischt und außerdem ein 10o/ 0 iges wasserlösliches
Protargolstäbchen eingeführt. Je nach der Reaktion der Schleim¬
häute wird die Vagina mit Protargol- oder Argonin-Argentamin ge¬
tränkter Gaze austamponiert, um das Abfließen des Sekretes und
etwaige Infektion der Bartholinischen Drüse, des Rektums oder des
Eingangs der Urethra zu vermeiden. Bei der Behandlung der
Urethra wird Argonin 2,5o/oig kombiniert mit Argentamin in, der
Konzentration von 0,5/200,0, außerdem Argentum nitricum und
Protargol in steigenden Konzentrationen benutzt. Die Lösungen
werden mit einer Tripperspritze oder einem gewöhnlichen Glas¬
katheter in Mengen von 10—15 ccm angewandt. Abwechselnd hier¬
mit werden 2—5%ige wasserlösliche Protargolbougies eingeführt.
Diese Lokalbehandlung ist zweimal täglich vorzunehmen.
Kehren wir aber wieder zur männlichen Gonorrhoe zurück, so
sehen wir leider oft genug ein Fortschreiten auf die hintere Harn¬
röhre eintreten. Wenn der Morgenurin, in 2 Gläsern enfleert, auch
in der zweiten Portion trübe bleibt, so muß der Arzt zur Lokal¬
behandlung schreiten. Solange die akuten Erscheinungen das Sym-
ptomenbild beherrschen, begnügen wir uns mit den Balsamika. Wenn
aber die zweite Portion trotzdem getrübt bleibt und Fäden ent¬
hält, so haben wir vor allem das Auftreten einer Epididymitis zu
verhüten. Zu diesem Zwecke empfiehlt Praetorius innerlich kleine
Morphiumgaben, besonders wenn Eisenbahnfahrten oder dergleichen
nicht vermieden werden können. Aber man soll auch den Kolli-
kulus vor jeder die Posterior berührenden Encheirese mit einer
2o/oigen Alypinlösung -f- Suprarenin mindestens 3 Minuten anästhe-
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTT
530
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 16
sieren, um antiperistaltische Wellen des Vas deferens zu verhüten.
Auch vor jeder Prostatamassage ist der Kollikulus zu anästhesieren.
Erst nach dieser Vorbereitung schreiten wir zur direkten Beein¬
flussung der Oonorrhoea posterior chronica. Dazu be¬
nutzen wir die Guyonsche Spritze mit einem elastischen Katheter
und knopfförmigem ‘Ende. Die Einführung des gut mit Glyzerin ein-
efetteten Instruments gelingt leicht; wo man eine schmerzhafte
teile fühlt, wird ein Tropfen einer Lösung von Cuprum lacticum
(1:50 Glyzerin) deponiert. Die Spritze ist leicht mit einer Hand zu
dirigieren, und bei dem Vorrücken des Stempels um einen Zahn
tritt immer je ein kleiner Tropfen aus der Spritze aus. Dem gleichen
Zwecke dient die Ultzmannsche Katheterspritze. Diese wird wie ein
gewöhnlicher Katheter bis in den hinteren Harnröhrenabschnitt ein¬
geführt, und dort wird die Aetzflüssigkeit, als welche man auch eine
5o/oige Lösung von Ammonium sulfo-ichthyolicum benutzen kann,
deponiert.
Sollte aber trotz aller dieser Bemühungen die zweite Urin¬
portion sowohl morgens wie im Laufe des Tages immer noch stark
getrübt sein, so ist dies ein Zeichen, daß die Komplikation mit
einer chronischen Prostatitis vorliegt. Alsdann müssen wir die
Vorsteherdrüse durch regelmäßige Massage von ihrem pathologischen
Inhalte entlasten. Zy dem Zwecke führen wir die mit einem kondom¬
artigen Ueberzug gut eingefetteten Finger in das‘Rektum ein und
führen eine kräftige Massage der Drüse aus. Danach erfolgt mit
der Janetschen Spritze eine Ausspülung. Solange Gonokokken in
dem exprimierten Sekret vorhanden sind, wird hierzu Albargin oder
Protargol benutzt, später nimmt man übermangansaures Kalium
(0,04:200,0) oder Höilensteinlösungen (1:4000 bis 1:2000). Leider
muß die Prostatamassage längere Zeit durchgeführt werden, und es
bedarf sowohl seitens des Patienten wie des Arztes großer Geduld.
Kommt es aber trotz aller Vorsichtsmaßregeln zu einer Epidi-
dymitis, so bewährt sich hier zuweilen die Vakzinetherapie. Tech¬
nisch bietet die Methode keine Schwierigkeit dar. Das Artnigon wird
mit sterilisierter Rekordspritze intramuskulär in die Glutäen ein¬
gespritzt. Man beginnt mit 0,5 Ärthigon; tritt Temperatursteigerung
ein, so wird noch 3—4 Tage die gleiche Dosis wiederholt. Bei
geringerer Reaktion wird nach weiteren 3 Tagen 1,0 Ärthigon ein¬
gespritzt und dann wieder um ie 0,5 gestiegen bis auf 2 ccm,
es werden nicht mehr als 5—6 Injektionen gemacht. Schneller wirken
intravenöse Arthigoninjektionen. Es wird 0,1 Ärthigon abpipettiert
und mit steriler physiologischer Kochsalzlösung auf 0,5 ccm ver¬
dünnt, die Kubitalvene wind mit einer Gummibinde gestaut und als¬
dann mit einer Rekordspritze injiziert. Nach der Injektion bleiben
die Kranken im Bett, und bereits nach einer halben Stunde stellt
sich leichter Schüttelfrost ein, die Temperatur steigt schnell an. Dazu
gesellt sich häufig Kopfschmerz, seltener Uebelkeit und Brechreiz,
dann erfolgt Schweißausbruch und Temperaturabfall. Nach Ablauf
der Reaktion wird 3—4 Tage später 0,2 injiziert, dann folgt je
nach der Höhe der voraufgegangenen Reaktion nochmals dieselbe
Dosis oder 0,3, und so wird in ungefähr dreitägigen Intervallen
unter Berücksichtigung der Temperaturkurve bis 0,5 gestiegen. Gleich
günstige Resultate kann man mit der täglichen intravenösen Injek¬
tion von Fulmargjn (einem kolloidalen Silberpräparate) erzielen. Außer¬
dem hört der Schmerz bei der Epididymitis sofort auf nach der
lokalen Injektion von 10—15 ccm physiologischer Kochsalzlösung,
welche nach Jodierung am unteren Pol zwischen Skrotum und Tunica
vaginalis erfolgt.
Oeffentliches Gesundheitswesen.
Zur Neuordnung des Desinfektionswesens in Preußen.
• Von Prof. Dr. Karl Sfipfle.
Die seit 1905 gültigen Desinfektionsvorschriften sind in Preußen
durch einen Erlaß des Min. f. Volks Wohlfahrt (I. M. III. 64 vom 8. II.
1921) geändert worden. Für die Desinfektion bei Tuberkulose, Di¬
phtherie, Scharlach, Genickstarre, Typhus, Ruhr, Körnerkrankheit sind
neue Vorschriften ausgearbeitet worden, die nach verschiedenen Rich¬
tungen hin einen Fortschritt gegenüber der bisher gültigen Desinfek¬
tionsanweisung bedeuten.
Sehr zu begrüßen ist, daß die neuen Vorschriften auf der einen
Seite eine Vereinfachung des ganzen Apparates erstreben, auf der
anderen Seite aber ihres früheren, mehr schematischen Charakters
entkleidet und mehr der speziellen Verbreitungsweise der einzelnen
Krankheiten sowie den Eigenschaften ihrer Erreger angepaßt er¬
scheinen. Ebenso ist es ein großer Vorzug der neuen Anweisung,
daß sie den Hauptnachdruck auf die so wichtige laufende Des¬
infektion am Krankenbett legt; ihre Ausführung bzw. ihre Ueber-
wachung soll womöglich einer Pflegeperson übertragen werden, die
in einer staatlichen Desinfektorenschule in der Desinfektion ausge¬
bildet wurde, nötigenfalls einem staatlich geprüften Desinfektor.
Wesentlich verkürzt worden dagegen ist der Umfang der Ma߬
nahmen bei der Schlußdesinfektion. Als Regel sieht die neue
Desinfektionsordnung vor, daß die Schlußdesinfektion von derselben
Person vorgenommen wird, die die laufende Desinfektion ausgeführt
oder überwacht hat, d. h. im allgemeinen von einer weiblichen Kraft.
Hierbei sollen mit einer Desinfektionslösung behandelt werden: Bett¬
wäsche, Bett, Matratzen (!), Nachttisch und andere im Bereiche des
Kranken befindliche Gegenstände, der Fußboden und die Scheuerleisten
des Krankenzimmers, die vom Kranken benutzten Waschgeräte, Eß-
und Trinkgeschirre, Spielsachen, Leibwäsche, Taschentüdier, Hand¬
tücher, Kleider. Nur für Sonderfälle ist es dem Arzt oder Kreisarzt
überlassen, weitergehende Maßnahmen für erforderlich zu erklären*
die amtliche Anweisung nennt als Beispiele: Krankheitsfälle in Pen-
sionaten oder in überfüllten und besonders unsauberen Wohnungen.
Als „weitergehende Maßnahme“ soll hierbei wohl vor allem die von
einem amtlichen Desinfektor auszuführende Schlußdesinfektion alten
Stils in Betracht kommen; die Anweisung formuliert: „Hier wird eine
Desinfektion des ganzen Krankenzimmers und der in ihm enthaltenen
Gegenstände, erforderlichenfalls unter Zuhilfenahme von Formaldehyd
und der Dampfdesinfektion, nicht zu umgehen sein.“ Dieser Satz findet
sich gleichlautend bei den neuen Desinfektionsanweisungen für Di¬
phtherie, Scharlach, Genickstarre; derselbe Satz, jedoch ohne Nennung
der Formaldehyddesinfektion erläutert das — ausnahmsweise — Vor¬
gehen bei Tuberkulose, Typhus, Ruhr.
Nach außen bringt die neue Vorschrift die Aenderung, daß die
Desinfektion während und nach der Krankheit künftig in den meisten
Krtmkheitsfällen in den Händen des Pflegepersonales liegt;
der „Desinfektor“ wird, namentlich nach Ablauf der vorgesehenen
einjährigen Uebergangszeit, nur noch selten in Funktion treten. Er¬
freulicherweise sollen die Kosten der Desinfektion möglichst aus
öffentlichen Mitteln bestritten werden.
Die Neuordnung ist offensichtlich von dem Wunsch getragen,
einerseits während und nach der Erkrankung die erforderlichen ües-
infektionsmaßnahmen unverzüglich herbeizuführen, anderseits bei der
Bevölkerung die Scheu vor der Desinfektion zu verringern. Wenn die
Pflegerinnen die ihnen zugewiesenen neuen Aufgaben gewissenhaft
und verständnisvoll erfüllen, können wir dem Ziel der lückenlosen
Durchführung der Desinfektionsmaßnahmen um einen bedeutenden
Schritt näher kommen.
Der Verzicht auf die ergänzende Formaldehyd-Raumdesinfektion
ist überall da zu billigen, wo angesichts der Hinfälligkeit der be¬
treffenden Erreger keine Gefahr besteht, daß die Erreger mit der
Luft, an Staubpartikelchen haftend, an die Umfassungsmauern, Ein¬
richtungsgegenstände des Raumes usw. lebend verschleppt werden
können. Zweifellos ist die Formaldehyd-Raumdesinfektion in der
Praxis gelegentlich wahllos auch bei Krankheitsfällen angeordnet wor¬
den, bei denen ihrer Natur nach eine Formaldehyddesinfektion über¬
flüssig war: die Entwicklung von Formaldehyd wurde gerne der Be¬
quemlichkeit halber generell als einzige Maßnahme angewendet, statt
als eine bei bestimmten Infektionen angezeigte Ergänzung der stets
erforderlichen „chemischen Schlußdesinfektion“.
Es ist durchaus gerechtfertigt, daß die neue Vorschrift die Formal-
dehyd-Raumdesinfektion bei Typhus und Ruhr gar nicht nennt, bei
Genickstarre nur als Ausnahme erwähnt. Anders dagegen steht es
bei Tuberkulose, Diphtherie, Scharlach: die Erreger dieser Krank¬
heiten ertragen das Austrocknen, können also im Bereich des Kranken¬
zimmers überall hin lebend verschleppt werden. Nun ist es aller¬
dings eine Frage, ob diese Gefahr besonders hoch einzuschätzen ist
und ob die Formaldehyddesinfektion überhaupt die Sicherheit bietet,
diese Erreger abzutöten. Diphtheriebazillen werden, wie ich
früher zeigen konnte, durch die Focmaldehyd-Raumdesirffektion nur
dann abgetötet, wenn man entweder die bisherige Zeitdauer von 31/2
Stunden aut 6 Stunden verlängert oder die in den Tabellen ange¬
gebenen Formalinmengen auf das 1 1/2 fache erhöht. Will man sich
zu dieser Verschärfung der Vorschriften nicht entschließen, so läßt
sich darüber diskutieren, ob man die Formaldehyddesinfektion bei
Diphtheri“ in der Regel überhaupt fallen lassen will, umsomehr, als
nach den neueren Erfahrungen Bazillenträger und Dauerausscheider
bei der Verbreitung der Diphtherie wohl* die ausschlaggebende Rolle
spielen. Dagegen hätte ich Bedenken, bei Scharlach, dessen re¬
sistenter Erreger durch seine „Flüchtigkeit“ bekannt ist, die For¬
maldehyddesinfektion auf Ausnahmefälle einzuschränken. Ebenso wird
man überlegen müssen, ob man nicht nach schweren Fällen offener
Tuberkulose mit erwiesener massenhafter Bazillenausscheidung
im Sputum die Anwendung von Formaldehyd, die in der Vorschrift
bei Tuberkulose nicht genannt wird, zum mindesten empfehlen soll.
* Eine der verläßlichsten Maßnahmen der Schlußdesinfektion alten
Stils war die Dampfdesinfektion, die für geeignete Objekte
im Bedarfsfälle vorgeschrieben war. Ich halte es' nicht für eine Ver¬
besserung, daß die wirksame Dampfdesinfektion nach der jetzigen
Ordnung im allgemeinen wegfällt und nur noch ausnahmsweise in Be¬
tracht kommt. Bei einer erforderlichen Desinfektion von Matratzen,
Kissen, Betten usw. wurde bisher immer der größte Wert darauf ge¬
legt, diese Objekte nicht nur an ihrer Oberfläche, sondern auch im
Innern überall mit der desinfizierenden Wirkung zu treffen. Da mit
einer Desinfektionslösung dieses Ziel nur so zu erreichen wäre,
daß man die Matratzen usw. mit der Lösung völlig durchtränkt, zog
man die Dampfdesinfektion vor, die bei sachgemäßer Ausfühnmg
nicht nur die denkbar größte Sicherheit der Wirkung garantiert*
sondern auch eine rasche Trocknung der Objekte ermöglicht.
Wenn in der neuen Desinfektionsordnung beschlossen worden ist,
in der Regel auf die Dampfdesinfektion zu verzichten und die Desinfek¬
tion der Matratzen usw. auf ein Abreiben oder Abbürsten der Ober¬
fläche mit einer Desinfektionslösung zu beschränken, so bedeutet dies
zwar eine Verbilligung der Schlußdesinfektion, aber eine Verbilli*
gung auf Kosten der Sicherheit!
Der Grundgedanke der neuen Vorschrift, möglichst auf die
Wünsche der Bevölkerung Rücksicht zu nehmen, findet auch dann
Digitized b'
Google
Original from
CORNELL UNfVERSITY
21 April 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
531
seinen Ausdruck, daß bei der Auswahl der empfohlenen Desinfektions¬
mittel danach gestrebt wurde, die Desinfektion vollkommen geruch¬
los zu gestalten. Für die Desinfektion der Wäsche wird daher mit
Recht das Auskochen empfohlen, für Entleerungen die Kalkmilch.
Nicht genannt ist die Desinfektion festen Exkremente mit Aetzkalk,
die M. Kaiser 1 ) angab; wir halten sie für eine wertvolle Maßnahme,
die verdient, in weiten Kreisen bekannt zu werden.
Zugegeben, daß die Geruchlosigkeit der Desinfektion in be¬
stimmten — nicht in allen — Fällen willkommen sein kann, so ist
doch zweifellos, daß bei der Desinfektion die Geruchlosigkeit nicht
die Hauptsache ist, sondern die Sicherheit der Wirkung. Diese
Sicherheit wird aber ernstlich gefährdet dadurch, daß mit Rücksicht auf
die erstrebte Geruchlosigkeit an Stelle der Kresolseifenlösung, die in der
alten Desinfektionsanweisung für die verschiedenen Zwecke mit gutem
Grunde eine hervorragende Stellung einnahm, in der neuen Vorschrift
Sublimat in erster Linie empfohlen wird, bei Tuberkulose in 0,5<>/o
Konzentration, sonst in 0,lo/ 0 iger Lösung. Sublimat wird dabei nicht
nur wegen seiner Geruchlosigkeit, sondern offenbar auch wegen seiner
Wirkung geschätzt, denn die Vorschrift spricht mehrmals davon, daß
nur dann, wenn Sublimat nicht vorhanden ist oder wegen besonderer
Empfindlichkeit der Hände nicht vertragen wird, „schwächer wirk¬
same Desinfektionsmittel, wie verdünntes Kresolwasser“ zu benutzen
seien. Allerdings wird in den Ausführungsbestimmungen ausdrücklich
darauf hingewiesen, daß nach Anordnung des Kreisarztes auch andere
bewährte Desinfektionsmittel angewendet werden dürfen. Es fragt
sich aber: War es überhaupt gerechtfertigt, das Sublimat zum Des¬
infektionsmittel der Wahl zu erheben? Ist das Sublimat tatsäch¬
lich ein verlässiges, rasch wirkendes Desinfiziens?
Nach dem heutigen Stand unserer Kenntnisse ist diese Frage auf
keinen Fall zu bejahen, vielmehr mit großer Wahrscheinlichkeit zu
verneinen.
Die dominierende Stellung, die Robert Koch dem Sublimat unter
den chemischen Desinfizientien einräumen zu dürfen glaubte, ist im
Laufe der Jahre mehr und mehr erschüttert worden. Hatte man schon
sehr früh erkannt, daß die Wirkung des Sublimats in eiweißhaltigen
Medien wesentlich geschmälert wird, so mußte seine abtötende Kraft
selbst in wäßrigen Lösungen um so geringer erscheinen, mit je
feineren Untersuchungsmethoden man die Lebensfähigkeit sublimat¬
behandelter Bakterien prüfen lernte.
Wir sind gewohnt, unsere Anschauungen über die Wirksamkeit
eines Desinfiziens auf die Ergebnisse des Experimentes aufzubauen;
die Resultate unserer Versuche aber sind wieder abhängig von der
Methodik. Die wichtigsten Verschärfungen, die die Methodik der Des¬
infektionsmittelprüfung erfuhr, sind die Entgiftung der Test-
bakterten und die optimale Nachkultur. Werden die Bak¬
terien, die der Wirkung eines Desinfiziens ausgesetzt waren, ohne
weiteres zur Prüfung ihrer Lebensfähigkeit in Nährböden („Nach¬
kultur“) überimpft, so werden geringe Mengen des Desinfektions¬
mittels mit übertragen, die, so winzig sie sind, je nach der Natur
des Desinfiziens die Vermehrung lebensfähiger Keime hemmen können;
aus dem Sterilbleiben des Nährbodens würde man dann unberechtigter¬
weise auf Abtötung schließen. Gerade beim Sublimat trifft diese Ge¬
fahr in besonders hohem Maße zu. Es ist daher begreiflich, daß
man im Experiment die Abtötungsfrist sehr hinaussenieben kann,
wenn man die Bakterien von den anhaftenden Sublimatspuren befreit,
entweder, indem man die Bakterien mit Sulfiden behandelt und da¬
durch das Sublimat in wasserunlösliches Quecksilbcrsulfid umsetzt
(G e p p e r t, M. v._G ruber), oder indem man das Sublimat durch
Kohle adsorbiert (Süpfle und Müller) oder durch gründliches und
langes Behandeln mit Wasser entfernt (Gegenbauer).
Weiter ist unser Urteil über den Desinfektionserfolg gebunden an
die Güte des zur Nachkultur benutzten Nährbodens. Nicht jedes Sub¬
strat, in dem überhaupt Bakterien gedeihen können, ist schon das
beste künstliche Nährmedium. M.v. Gruber hat bereits 1891 die
Forderung aufgestellt, Bakterien, die einer Schädigung unterworfen
waren, in so günstige Nährmedien zu überimpfen, daß auch ge¬
schwächte Keime zur Vermehrung kommen können. Wie wichtig
die Erfüllung dieser Forderung tatsächlich ist, ergibt sich aus Ver¬
suchen, denen ich mich seit mehreren Jahren widme. Ich habe syste¬
matisch ausprobiert, welche Zusammensetzung ein Nährboden haben
muß, um geschwächte, aber lebensfähige Keime zur Vermehrung
zu bringen. Es gelang mir und meinen Mitarbeitern (Dengler,
Alfr. Müller, Stade, Flesch) festzustellen, daß vor allem der
Zusatz von Traubenzucker den Nährwert der peptonhaltigen Fleisch¬
wasserbouillon erheblich steigert. Manche Bakterienarten verlangen
außer Traubenzucker noch die Zugabe von sterilem, unkoaguliertem
Serum. Ueberimpft man Bakterienmaterial, das einer bestimmt abge¬
stuften chemischen oder thermischen Schädigung ausgesetzt war,
vergleichsweise nebeneinander sowohl in gewöhnliche Bouillon, als
auch in optimale Nährböden, so erkennt man den großen Einfluß der
Nährbodenzusammensetzung: Keime des gleichbehandelten Testmate¬
riales vermehren sich in dem optimalen Nährboden ungemein üppig,
geben aber in der gewöhnlichen Bouillon keinerlei Lebensäußerung
mehr zu erkennen. Bei Benutzung optimaler Nährböden zur Nach¬
kultur stellt sich die Resistenz der Bakterien mindestens als doppelt
so groß heraus, wie man bisher annahm, sehr oft als mehrfach höher.
Prüft man die Wirksamkeit des'Sublimats unter den Bedingungen
der Entgiftung und der optimalen Nachkultur, so erscheint das Subli¬
mat als ein nur langsam wirkendes Desinfiziens: H. Engelhardt
*) Arch. f. Hygiene 78, S. 129.
fand unter meiner Leitung, daß sich Staphylokokken, die 8 Stunden
in 0,1 o/o Sublimat oder 2 Stunden in 1 o/o Sublimat lagen, durch bloßes
Auswaschen noch als lebensfähig erkennen lassen, ebenso Milzbrand¬
sporen, die 14 Tage in 5o/ 0 Sublimat bei 18° lagen; noch nach 72stän¬
diger Einwirkung einer lo/ 0 igen Sublimatlösung lassen sich Staphylo¬
kokken durch Sulfidentgiftung als keimfähig uachweiseu; bei An¬
wendung der Entgiftung mit Kohle oder mit Sulfiden erweisen sich
Milzbrandsporen als lebend, die 35 Tage in 0,1o/ 0 iger Sublimatlösung,
25—33 Tage in lo/ 0 iger, 13—20 Tage in 3°/oiger, 11—17 Tage in
5o/oiger Sublimatlösung bei 37° lagen.
Allerdings ist die Frage aufgeworfen worden, ob die derart ver¬
schärften Bedingungen des künstlichen Laboratoriumsexperimentes,
bei dem man mit einer geradezu raffinierten Technik das freie und
das von den Bakterien adsorbierte Sublimat entfernt, nicht eine Wir¬
kung des Sublimats ausschalten, die in der Praxis voll zur Geltung
komme. Und gegen die Anwendung optimaler Nährböden zur Nach¬
kultur wendet H. Reichenbach 1 ) ein, daß wir noch gar nicht
wüßten, wie weit der Tierkörper als optimaler Nährboden anzu¬
sehen sei. „Wenn es sich herausstellen sollte, daß Bakterien, die
durch ein Desinfektionsmittel so weit geschädigt sind, daß sie auf
unseren gewöhnlichen Nährböden nicht mehr, auf optimalen aber eben
noch zum Auswachsen kommen, daß solche Bakterien im Tierkörper
sich nicht mehr zu vermehren mögen, dann würde die Forderung,
daß die Desinfektion so weit getrieben werden müsse, daß auch auf
optimalen Nährböden die Bakterien sich als tot erweisen, eine ganz
unnütze und wegen ihrer wirtschaftlichen Nachteile schädliche Ver¬
schärfung der Anforderung bedeuten“.
Es ist richtig, daß wir nichts darüber wissen, ob unsere optimalen
Nährböden den empfänglichen Tierkörper in ihrer Eignung, ver¬
einzelte geschwächte Keime zur Vermehrung zu bringen, übehreffen
oder nicht. Ganz abgesehen von dem ungeheueren Tiermaterial, das
die Prüfung dieser Frage erforderte, würde die Beurteilung solcher
Versuche prinzipiell nicht ganz leicht sein, weil die individuelle, je nach
teils bekannten, teils unbekannten Bedingungen schwankende Emp¬
fänglichkeit des lebenden Organismus, die Art der Eintrittspforte usw.
in Rechnung gesetzt werden müßten. „Gefühlsmäßig“ möchte ich
allerdings erwarten, daß im allgemeinen unsere künstlichen Kultur¬
bedingungen, so günstig wir sie zu gestalten trachten, nie dem emp¬
fänglichen Tierkörper gleichkommen. Uebrigens hat M. v. O ruber
na<5 gütiger mündlicher Mitteilung im Jahre 1890 und in den
folgenden Jahren zahlreiche — nicht publizierte — Versuche mit Milz¬
brandsporen angestellt, die den Tierkörper als optimalen Nährboden
erscheinen lassen.
Jedenfalls hat für die Beurteilung der durch künstliche optimale
Züchtung gewonnenen Ergebnisse die Frage Reichenbachs, ob
denn wirklich der Tierkörper als optimaler Nährboden anzusehen sei,
lediglich den Wert einer Frage. Reichenbach selbst scheint zu
glauben, daß seine Frage ohne weiteres ein schlagendes Argument
gegen die Verwendung optimaler Nährboden sei; denn, ohne die von
ihm aufgestellte Frage zu beantworten, erledigt er die Angelegen¬
heit mit dem abschließenden Satz: „Ich erblicke in der kritiklosen
Ueberspannung des Abtötungsbegriffes, wie sie jetzt vielfach getrieben
wird, eine Gefahr für die gedeihliche Entwicklung der Desinfektions¬
praxis“.
Obwohl mein Name von Reichenbach flicht genannt wird,
kann der Vorwurf der Kritiklosigkeit nach dem ganzen Zusammen¬
hang nur mir zugedacht sein. Ich verdiene ihn wohl auch, da mir die
Kritik fehlt, einzusehen, daß man den „Abtötungsbegriff“ „über¬
spannen“ kann. Ich war und bin noch jetzt der Meinung, daß der
„Begriff“ der Abtötung völlig klar und eindeutig ist und überhaupt
nicht überspannt werden kann. Was nach meiner Meinung einer
Spannung, d.h. einer Steigerung fähig ist, das ist zwar picht
der Begriff der Abtötung, wohl aber unsere Fähigkeit, diesem
Begriff im Einzelfall gerecht zu werden. Und hierfür wollen
unsere Verbesserungen der Versuchstechnik ein Hilfsmittel liefern.
Mag der aus der Besorgnis „für die gedeihliche Entwicklung der
Desinfektionspraxis“ geborene Einwand, daß unsere Laboratoriums¬
bedingungen strenger seien als die natürlichen Verhältnisse, berech¬
tigt sein, oder nicht — praktisch^ liegt die Sache so, daß die
besprochenen Verfeinerungen der Desinfektionsmittelprüfung zwar
alle unsere Desinfizientien bei bestimmter Anwendungsweise als we¬
niger wirksam erscheinen lassen als bisher; aber gerade nur das
Sublimat ist es, das hierbei weitaus am meisten von seinem Nimbus
verliert. Die übrigen Desinfizientien, u. a. Formaldehyd, Chlor,
Phenol, Kresolseifenlösung und andere Kresolpräparate
dagegeu dürfen in gewissen, praktisch ohne jede Schwierigkeit durch¬
führbaren Konzentrationen auch nach den Ergebnissen der gegen¬
wärtig schärfsten Laboratoriumsansprüche als bakterientötend
angesprochen werden.
Unter diesen Umständen empfinden wir es als unhaltbar, daß in
einer amtlichen Anweisung das Sublimat an erster Stelle empfohlen
wird, als ob es das unanfechtbarste Desinfektionsmittel sei.
Wenn auch die verschiedenen Fortschritte lebhaft zu begrüßen
sind, die die neue preußische Desinfektionsordnung gegenüber der
früheren Anweisung nach verschiedenen Richtungen hin bringt, so
enthält sie manche Bestimmungen, deren baldige Neufassung dringend
geboten ist.
») H. Reichenbach, Desinfektion, 1921 H . 7.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
532
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 16
Feuilleton.
Allerlei aus dem Ausland.
Der Professor für technische Hygiene an der Harvard-Universi¬
tät, George P. Whipple, erörtert in den Public Health Reports
vom 21. X. 1921 die Vorbildung der irztlichen Gesondheitsbeamten
in den Vereinigten Staaten von Nordamerika. Die Bestallungen be¬
amteter Aerzte vermehren sich in den Städten und ländlichen Be¬
zirken rasch. Wir sehen das auch schon an der Gesundheits¬
statistik, deren Bereich sich stetig ausdehnt. Es ist zu beachten,
daß diese (ganz abgesehen von Hawaii) am 1. VII. 1920 nur erst
82,2o/o der geschätzten Bevölkerung mit 34 von den 48 Staaten,
einschließlich des Distrikts Kolumbia und 16 in sonst noch nicht
statistisch zu erfassenden Staaten liegenden Städten umfaßt, ins¬
gesamt 87486713 Einwohner. Für diese berechnete sich beiläufig
die Gesamtsterblichkeit auf 13,1 °/ 00 (1919 12,7°/o«). Ein Anstieg
war zu verzeichnen u. a. bei Pneumonie, Puerperalfieber, Appendizitis,
chronischen Herzerkrankungen (von 131 auf 141,5), Krebs (von 80,5
auf 83) und Automobilunfällen (von 9,4 auf 10,4 % 00 ). Eine Abnahme
zeigten dagegen u. a. Typhus abdominalis, Influenza, Selbstmord und
Tuberkulose (von 125,6 auf 114,2). Nun, jenem Mehrbedarf an be¬
amteten Aerzten gegenüber liegt es mit deren eigentlicher Aus¬
bildung noch sehr im argen. Whipple tritt dafür ein, daß sie
anfänglich die gleiche wie die der praktischen Aerzte sein müsse.
Zwar, die Mentalität beider sei schließlich eine ganz verschiedene.
Der beamtete Arzt arbeite gewissermaßen unpersönlich, rein sachlich.
Der Praktiker dagegen konzentriere alle seine Sorgfalt auf die
Individualität des Kranken. Ersterer müsse Gerechtigkeitssinn haben,
letzterer den der persönlichen Teilnahme. Aber persönliche Intakt¬
heit und weite allgemeine und medizinische Bildung sei grundlegen¬
des Erfordernis für beide. Eine gemeinsame Vorbildung gebe
auch die beste Gewähr für ein unbedingt zu forderndes gutes kol¬
legiales Veihältnis, dem eine ausreichende Besoldung des beamteten
Arztes entgegenkommen müsse. Geldverdienen und politischer Ehr¬
geiz dürfen seine Tätigkeit keineswegs beeinflussen. — In England
wird nach einjährigem Spezialstudium und viertägiger Prüfung von
den Universitätsfakultäten das Diplom des Medical officer of Health
verliehen. Die Sonderkurse mehrerer englischer und schottischer
Universitäten sind angeführt. Kanada una Indien stellen dieselben
Anforderungen. In Frankreich fordert Lyon, in Belgien Lüttich
für das Diplom des M£decinhygi£niste eine einjährige Sonderausbil¬
dung. Die Vereinigten Staaten haben bisher keine derartigen
Grundforderungen aufgestellt, diese beginnen aber schon sich aus
dem Gewohnheitsrecht herauszubilden. Whipple stellt dafür ein
ins einzelne gehendes Programm auf, aus dem nur kurz das Folgende
hervorgehoben werden kann. Wie überall, so soll auch hier die
völlige Erledigung des medizinischen Studiums und ein einjähriges
Sonderstudium Vorbedingung sein. Von letzterem sind 8 Monate
auf theoretischen, 3 Monate auf praktischen Unterricht zu verwenden,
1 Monat ist für Ferien gerechnet. Whipple befürwortet die Ein¬
richtung einer besonderen Lehranstalt, an der auch die technischen
Fächer, einschließlich der Statistik, besser als an einer Universität
gelehrt werden könnten. Der Dr. of Public Health (Dr. P. H.)
sollte dann nach einem zweiten Jahre unter fachkundiger Aufsicht
ausgeübter praktischer Tätigkeit, als höchster Grad verliehen werden.
Bei der Uebersicht erwähnt Whipple die deutschen Einrichtungen
nicht, nur der deutschen Literatur räumt er, etwas gezwungen, einen
ehrenhaften Platz gleich hinter der englischen ein. „In German
there are satisfactory books in most, but not all, of the subjeds.“
Auf diesem Gebiete sollte man sich international einigen, meint
Whipple. Das Zentralkomitee vom Roten Kreuz in Genf möge das
Clearing House für Auskünfte in Sachen der Ausbildung von Ge¬
sundheitsbeamten werden (? Ref.).
Die Erkrankungen an Milzbrand mehren sich in Großbritannien
auffällig. Vor einiger Zeit wurden, wie erinnerlich, solche auch auf
den Gebrauch von Rasierpinseln japanischer Herkunft zurückgeführt.
Japan hat nun zwar vom 1. IX. 1921 an die Ausfuhr von Bürsten
und Pinseln aus Tierhaaren ohne vorherige, amtlich als wirksam
anerkannte Desinfektion verboten. Immerhin hielt Großbritannien die
Frage doch für so ernst, daß es in einer Reichsversuchsanstalt in
Liverpool die Desinfektion aller eingeführten Wolle und Haare
rüfen ließ. Die Vorschriften zum Schutze der Arbeiter in den
etreffenden einzelnen Fabriken schienen nicht mehr zu genügen,
ln einer ausführlichen Denkschrift wird das Verfahren und dessen
Ergebnis eingehend beschrieben. Es beruht im wesentlichen darauf,
die bekanntlich sehr widerstandsfähigen Milzbrandsporen durch Be¬
handlung der Ware mit alkalischer Seifenlösung von 39° C während
3W der Einwirkung einer 2,5<>/oigen Formaldehydlösung zugänglicher
zu machen, die bei gleicher Temperatur 20' lang angewendet wird.
In 5 langen Wannen (1,20:10 m) wird das Material mit Walzen
durch die Flüssigkeit gepreßt, dann bei 90° C In 15—-20' getrocknet,
danach gekühlt und wieder in Ballen gepackt. Die Leistungsfähigkeit
der Anlage beträgt 1000 Pfund pro Stunde. Das Gebäude kostete
£ 66000.—. Die J<osten der Desinfektion werden auf 2,75 pence
prb Pfund berechnet. Eine Waschanlage reinigt die Arbeitskleidung
der Angestellten und etwaige Ballentücher. Das Fett wird in sinn¬
reicher Weise wiedergewonnen und wieder verwertet. — Wird so
vielleicht eine starke Quelle gefährlicher Ansteckung verstopft, die
Digitized by Go*, igle
wenigstens für Deutschland weit bedeutungsvollere Ansteckungs¬
gefahr durch TierfeHe und unreines Getreide wird damit nicht be¬
seitigt. (Publ. Health Reports 25. XI. 1921, 36, Nr. 47 S. 2893.)
Sieveking (Hamburg).
— Bern. Die Zahl der Tuberkulösen in der Schweiz
wird zur Zeit auf 80000 geschätzt. Auf 10000 Einwohner kommen
20 Tuberkulosetodesfälle (gegen 30 vor etwa 30 Jahren), sodaß man
mit 8000 Sterbefällen infolge Tuberkulose zu rechnen hat bei einer Ge¬
samtsterbeziffer von 50—55000. Es kommen also auf 7 Todesfälle
ein Tuberkulosesterbefall. Ein Gesetz zur Tuberkuloseabwehr war
in Vorbereitung. Die Kosten, welche hierdurch 'der Oeffentlichkeit
entstehen, wurden auf 15—16 Millionen Franken veranschlagt. Bei
der Höhe dieser Summe kann augenblicklich an die Vorlage des
Gesetzes nicht gedacht werden. Es soll dies in besserer Zeit dann
nachgeholt werden.
— Paris. Das Journal Officiel meldet, daß nach dem Ergebnis der
Volkszählung vom 6. III. v. J. die Gesamtzahl der französi¬
schen Bevölkerung 39209766 Einwohner betrug. Im Jahre 1911
lautete die Ziffer 39604992. Da indessen in der diesjährigen Ziffer
die Einwohner von Elsaß und Lothringen mit 1709749 mit enthalten
sind, ergibt sich, daß die Bevölkerung der 87 vor dem Kriege be¬
stehenden französischen Departements sich um 2104975 vermindert hat.
— London. Der Vorstand des London-Hospitals hat den
Beschluß gefaßt, keine Frauen mehr zum Medizinstudium
zuzulassen. Die augenblicklich am London-Hospital studierenden
Medizinerinnen, ungefänr hundert, können ihr Studium noch dort
beenden. Aber es finden keine Neuaufnahmen von Frauen mehr statt.
Dieser Beschluß hat große Entrüstung hervorgerufen. Auf eine
Anfrage der „Times“ erklärte der Institutsvorsitzende, Lord Knuts-
förd, daß die Ausschließung der Frauen nicht auf einem Versagen der
Medizinerinnen beruhe, sondern daß sich Unzuträglichkeiten in be¬
stimmten Kollegs ergeben hätten. Studenten wären ihnen fern ge¬
blieben, da sie nicht gemeinsam mit Frauen unterrichtet werden
wollten. Um Doppelkurse einzuführen, fehlten aber die Mittel. Des¬
halb würden im Interesse der Fakultät die Frauen wieder ausgeschlos¬
sen werden. Eine Umfrage der „Times“ an anderen Medizinischen
Fakultäten in Glasgow, Dundee, Leeds, Manchester ergab, daß dort
das gemeinsame Medizinstudium beider Geschlechter zu keinerlei
Schwierigkeiten geführt hat. — Die amerikanische Rockefeller-
Stiftung hat der britischen Regierung 2 Millionen Dollar über¬
wiesen für ein Hygieneinstitut in London. Das Institut wird
der Londoner Universität angegliedert und von einem besonderen
Komitee verwaltet. — Die SterblichkeitsZiffer in Etigland
und Wales stellt während des vergangenen Jahres mit 12,1 auf 1000
den niedrigsten Rekord dar. Auch die Kindersterblichkeit ist wieder
mit 83 von 1000 sehr gering. Einen starken Rückgang haben die
Geburtenziffern aufzuweisen. Es wurden etwa 850000 Geburten
verzeichnet, also rund 100 000 weniger als im Jahre 1920. Es ist
dies die niedrigste Geburtenziffer seit dem Jahre 1875 mit alleiniger
Ausnahme der Kriegsjahre von 1915—1918.
— Die englische koloniale Zeitschrift West-Africa führt Klage
darüber, daß Westafrika von den Engländern mit Alko¬
hol überschwemmt und dadurch die Afrikaner geradezu zu AI-
koholisten gemacht werden. England hat zu allen Zeiten in seinen
Kolonien einen schwunghaften Alkoholhandel getrieben, und das von
den Eingeborenen so bezeichnete Feuerwasser ist ein bleibendes
Denkmal für die Kulturwerte, die England seinen Kolonialvölkern ge¬
bracht hat. Bei dieser Gelegenheit sei auch an den berüchtigten
Opiumkrieg Englands erinnert. Aber alles natürlich nur zur Hebung
der Ethik, der Moral und des christlichen Glaubens! O.St.
— Manchester. Angeregt durch die Stiftung von 20000 Pfund
Sterling für ein wirksames Heilverfahren gegen Krebs durch
Lord Atholstan (vgl. d. W. Nr. 5 S. 170), hat Sir William Veno weitere
10000 Pfund für den gleichen Zweck bestimmt.
— Stockholm. Reichsbibliothekar Dr.Co11 ij n und die schwedi¬
schen Verleger haben einzelnen deutschen Bibliotheken
schwedische Literatur zur Verfügung gestellt Die hoch¬
herzigen Geber haben sich damit den allgemeinen Dank erworben.
— Christian ia. Ein angesehener hiesiger Arzt hat im Laufe
eines halben Jahres 17000 Rezepte auf Branntwein und schwere
Weine ausgestellt. Wegen Verstoßes gegen das Verbotgesetz wurde
er zu 90 Tagen Gefängnis und 40000 Kronen verurteilt, während sein
Assistent 60 Tage Gefängnis erhielt. Zu dem Aufsehen erregenden
Prozeß waren etwa 70 „Patienten“, von denen viele den sie be¬
handelnden Arzt nie gesehen hatten, als Zeugen geladen.
— Warschau. In Polen gibt es zurzeit fünf staatlicheUniversi-
täten und eine private, und zwar befinden sich die staatlichen in
Warschau, Krakau, Lemberg, Posen und Wilna, die Privatuniversität in
Lublin. In Posen und Wilna sind die Medizinischen Fakultäten noch
nicht völlig organisiert.
— Moskau. In der Bakteriologischen Zentrale des
Deutschen Roten Kreuzes in Moskau (Leiter Dr. H. Zeiß,
Hamburg, Tropeninstitut) ist ein Lesesaal eröffnet, in welchem
nachstehende deutsche medizinische Zeitschriften ausliegen: D. m. W.,
M. m. W., Zschr. f. ärztl. Fortbild., Aerztl. Rdsch., KI. W., M. Kl.
Das Lesezimmer erfreut sich bei den russischen Aerzten großer Be¬
liebtheit und wird stark besucht.
Original from
CORNELL UNIVERSUM
21. April'1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
533
— Sofia. Ein Gesetz über den Verkauf alkoholischer
Getränke befindet sich in'Vorbereitung.
— Washington. Gegen die amerikanischen Absti¬
nenzgesetze macht sich eine starke Opposition bemerkbar. Der
Vollzugsausschuß der amerikanischen Gewerkschaften fordert die
Freigabe von leichten Bieren und Weinen. Das Prohibitions¬
gesetz ist nach Ansicht der Gewerkschaften ein sozialer und morali¬
scher Fehlschlag. Es werde mißachtet und hintergangen.
Korrespondenzen.
Zu den Angriffen des Herrn San.-Rat Dr. Juliusburger.
Eine Erwiderung von Prof. L. Plate in Jena.
Auf S. 137 erhebt Dr. Juliusburger so schwere Vorwürfe
gegen mich wegen meines Verhaltens gegen meinen Amtsvorgänger
Ernst Haeckel, daß ich darauf kurz erwidern muß. Nachdem
diese Angelegenheit 3 Gerichtshöfe beschäftigt hat und sich 8 deutsche
Richter zu meinen Gunsten ausgesprochen haben, sollte man eigent¬
lich annehmen, daß die Sache erledigt ist. Juliusburger be¬
hauptet, ich hätte „durch meine Angriffe das Lebensende des großen
Meisters verbittert“. Er wiederholt also damit die Vorwürfe, wenn¬
gleich in milderer Form, welche mein Prozeßgegner erhoben hatte,
indem er sagte, ich hätte Haeckel ein „lOjähriges Martyrium“
und eine „Leartragödie unsäglicher Undankbarkeit“ bereitet. Das
Urteil sagt darüber: „Es kann also von einer 10jährigen Quälerei,
einem 10jährigen Martyrium keine Rede sein; auch von keiner Lear¬
tragödie“. Tatsächlich hat sich Haeckel selbst seinen Lebensabend
dadurch verbittert, daß er alle mir immer wieder mündlich und
schriftlich gegebenen Versprechen nicht gehalten hat. Er verlangte
von mir, ich solle freiwillig auf die Direktion des Phyletischen
Museums verzichten, das damals ein vollständig leeres Gebäude war
und zu dessen Schaffung ich in erster Linie den Ruf nach Jena
ang^iommen und meine pekuniär und in vieler anderer Hinsicht
weit bessere Berliner Stellung aufgegeben hatte. Das Gerichtsurteil
sagt in dieser Beziehung über die Ursachen des Konflikts: „Haeckel
ist es offenbar, nachdem sein Nachfolger eingetroffen, zu schwer
gefallen, diesem auf allen ihm ans Herz gewachsenen Tätigkeits¬
gebieten das Feld zu räumen (Zeuge Kurator Vollert). Er hat
deshalb versucht, Plate zu bewegen, wenigstens auf die Direktion
des Phyletischen Museums zu verzichten. Er hat dabei besonders
darauf hingewiesen, daß dieser doch mit dereitung des Zoologischen
Instituts-viel zu tun habe. Hierin erblickte nun Plate einen Bruch
der ihm vor seiner Berufung gegebenen Zusicherungen. Daher seine
Entrüstung gegen Haeckel.“ Also Haeckel hat den Streit vom
Zaun gebrochen. Mein Prozeßgegner ist nicht aus formaljuristischen
Gründen verurteilt worden, sondern weil er seine Behauptungen nicht
beweisen konnte; höchstens in Nebensächlichkeiten ist ihm dies ge¬
lungen. Das Urteil sagt darüber, daß „dem Angeklagten, soweit ihm
üble Nachrede vom Privatkläger zur Last gelegt wird, der Wahrheits¬
beweis nicht allenthalben, und zwar gerade in den Hauptpunkten nicht
geglückt ist“. Daher ist seine Schmähschrift auf Anordnung des Ge¬
richts vernichtet worden. Die neue Schmähschrift, welche Herr Dr.
luliusburger den Lesern dieser Wochenschrift empfiehlt, wieder¬
holt nur in milderer Form die früheren Angriffe. Darauf näher ein¬
zugehen, erübrigt sich wohl, nachdem die Angelegenheit durch die
Gerichte aufgeklärt ist. Daß aber Herr Dr. Juliusburger, um
mit seinen eignen Worten zu reden, in seiner Verblendung den
traurigen Mut hat, mir verletzende Vorwürfe zu machen, setzt mich
in Erstaunen. Dem Ansehen Haeckels erweist er dadurch keinen
Dienst, denn je mehr über den Streitfall bekannt wird, desto mehr
werden die großen Schattenseiten seines Charakters offenbar. Die
Prozeßakten werden, weil sie historischen Wert haben, in der Biblio¬
thek des Zoologischen Instituts in Jena aufbewahrt werden. Sie
stehen jedem zur Verfügung, der sich über Haeckels Benehmen
gegen seinen Amtsnachfolger unterrichten will. Leider ist die Frist
zur Einreichung, einer^ Klage schon verstrichen, sonst würde ich den
Verfasser der neuen Schmähschrift wegen ihrer vielen Unwahrheiten
und Verdrehungen belangen.
Abwehr.
Gegenüber den Aeußerungen von Prof. Plate halte ich meine
Bemerkungen in Nr. 4 S. 137 vollkommen aufrecht. Das Urteil der
Geschichte über Ernst Haeckel und Prof. Ludwig Plate wird
sich auf andere Tatsachen stützen als auf die Urteile der Gerichte, die
Plate für sich ins Feld führen zu können glaubt.
Otto Juliusburger (Berlin).
Alfred Blaschko f.
Am 26. März verschied nach langem, schwerem, heldenhaft ge¬
tragenem Leiden Alfred Blaschko, nachdem er vor kurzem noch
im Kreise seiner Familie im vollen Bewußtsein des kommenden Todes
seinen 64. Geburtstag gefeiert hatte. Mit ihm verliert nicht nur die
Dermatologie, Syphilidologie und die soziale Hygiene, sondern der ge¬
samte deutsche Aerztestand einen geistig hervorragenden Führer von
außerordentlicher Bedeutung. Mit unbeugsamer Zähigkeit, mit einer
außergewöhnlichen organisatorischen und ärztlichen Begabung und
einem hervorragenden Rcdnertalent, das er ebensowohl vor dem Volke
als in ärztlichen Kreisen entfaltete, war es Blaschko geglückt, ein
Führer zu werden, der uns allen vorbildlich sein mußte. Zu diesen
Eigenschaften gesellte sich ein glänzendes Lehrtalent, das diesen
Wissenschaftler und Arzt, der über eine außergewöhnliche Erfahrung
am Krankenbett verfügte, zu einem glänzenden Universitätslehrer ge¬
stempelt hätte, wenn ihm die Leitung eines Krankenhauses oder ein
Lehrstuhl anvertraut worden wäre.
Blaschko war 1858 in Freienwalde als Sohn des Sanitätsrats
Blaschko geboren. Er war nach Ablegung des Staatsexamens auf
der Chirurgischen Abteilung des Stadtkrankenhauses in Stettin tätig.
Im Jahre 1883 ließ er sich in Berlin als praktischer Arzt nieder, ar¬
beitete aber neben der Praxis wissenschaftlich in der Anatomie und
Physiologie weiter. Aus dieser Zeit stammen wissenschaftliche Ar¬
beiten, die sich insbesondere mit der Anatomie der Oberhaut -be¬
schäftigen. Bald zeigte sich bei ihm die Neigung zur praktischen
Betätigung, und aus seiner sehr gut besuchten Poliklinik kamen Ar¬
beiten über die Gewerbekrankheiten, über das Galvanisierekzem, die
Siderosis der Müller, die Erkrankung der Anilinarbeiter u. a. m. Es
gibt fast kein Gebiet der Dermatologie, auf dem Blaschko — ein
Autodidakt im wahrsten Sinne — in dieser Zeit nicht durch kleinere
Arbeiten und durch Vorträge in den Berliner medizinischen Gesell¬
schaften sein außergewöhnlich scharfes Auge und seine glänzende
Beobachtungsgabe gezeigt hätte. So stellte er z. B. im Jahre 1896 in
der Berliner Medizinischen Gesellschaft einen Fall von Lepra vor,
der, im Beginn selbst von Bergmann angezweifelt, sich später doch
als Lepra erwies. Kurze Zeit darauf ging Blaschko nach Memel,
um den kleinen endemischen Lepraherd, der sich dort gebildet hatte,
zu studieren. Sein Bericht auf der Leprakonferenz in Berlin im Jahre
1897 erregte damals Aufsehen, und seine Forschungsergebnisse und
Vorschläge fanden allgemeine Anerkennung. Genau wie N e i ß e r
erkannte Blaschko sehr bald als Sozialhygieniker die Bedeutung der
Geschlechtskrankheiten. Die Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten
und ihrer Hauptquelle, der Prostitution, wurde schließlich sein
Lebensziel, ln inm ging Blaschko auf, ihm widmete er bis in die
letzten Stunden vor seinem Tode seine ganze Kraft. Gemeinschaft¬
lich mit Neißer gründete Blaschko im Jahre 1902 die D.G. B.G.,
die er nach Neiöers Tod als Vorsitzender geleitet hat und die
— das kann man ruhig aussprechen — ohne ihn nie die Höhe erreicht
hätte, auf der sie jetzt steht. Neben der Leitung der D. G. B.G.
übernahm er die Herausgabe der „Mitteilungen“, die er ebenso wie
die „Zeitschrift zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten“ glänzend
redigierte. Mit Stolz konnte er erleben, daß die Organisation der
D.G.B.G. das Muster für viele ausländische und Tochterorganisa¬
tionen geworden ist. Daneben fand er immer noch Zeit, eine ganze
Reihe wissenschaftlicher Arbeiten auf diesem Gebiete zu schreiben.
Arbeiten wie „Geburtenrückgang und Geschlechtskrankheiten“, „Über
den Einfluß der Syphilis auf die Lebensdauer“ und viele andere, zum
Teil statistische Arbeiten auf diesem Gebiete, fallen in diese Zeit.
Die ganze Materie hat er in Weyls Handbuch der Hygiene, in
dem großen Handbuch der Staatswissenschaften das Kapitel über
Prostitution glänzend bearbeitet, ferner verdanken wir ihm die deut¬
sche Ausgabe von Flexners hervorragendem Werk über die Prosti¬
tution, zu dem er noch in den letzten Monaten eine Vorrede geschrieben
hat. Kurz vor seinem Tode vollendete er eine kleine Broschüre:
„20 Ratschläge für junge Männer.“
Zu seinem tiefsten Schmerze, wie er mir oft in der letzten Zeit
versicherte, hat er die Annahme des Gesetzentwurfes zur Bekämpfung
der Geschlechtskrankheiten nicht mehr erleben können. Die Vor¬
arbeiten zu diesem Gesetz hat er geleitet, man kann ihn mit vollem
Recht als den geistigen Urheber dieses Gesetzes bezeichnen.
Alfred Blaschko wird nicht nur bei uns, sondern auch bei
seinen Kranken, denen er nicht nur als Arzt, sondern auch als Mensch
besonders nahetrat, unvergessen bleiben. Galewsky (Dresden).
Kleine Mitteilungen.
— Berlin. Aus dem amtlichen Protokoll über die Verhand¬
lungen zwischen Aerzten und Krankenkassen im Reichs¬
arbeitsministerium tragen wir zu unserem in Nr. 13 S. 429
veröffentlichten Bericht noch folgende beiden wichtigen Ergänzungen
nach. Wie schon dort bekannt gegeben, war eine zentrale Verein¬
barung über Pauschgebühren in den Sitzungen nicht zu erzielen.
Indessen erklärte der Vorsitzende, Ministerialdirektor Sitzler, daß,
nachdem in der Vereinbarung die Höhe der Vergütun¬
gen für Einzelleistungen festgesetzt sei, diese Fest-
□ igitized by Gougle
Original from
CORNELL UNIVERSSTV
534
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 16
Setzung seiner Ueberzeugung nach auch ihre Wirkung
auf die Bemessung der Pauschalsätze haben müsse.
Gegen die Bemerkung des Vorsitzenden erhoben die Parteien keinen
Widerspruch. Bemerkenswert ist ferner die Feststellung, daß
die Vertreter der Krankenkassen eine wesentliche Er¬
höhung der Mitgliederbeiträge bei dem Unwillen, der
bei den Versicherten gegen die Lasten der reichsge¬
setzlichen Versicherung schon jetzt bestehe, für un¬
möglich erklärten. Diese Erkenntnis erscheint uns von be¬
sonderem Wert gegenüber den Bestrebungen auf sogenannte Soziali¬
sierung des Heilwesens, wobei die Schäaen { welche aus der reichs¬
gesetzlichen Versicherung ideell und materiell schon jetzt bei den
Versicherten eingetreten sind, noch bedeutend gesteigert werden
müßten.
— Der Hauptausschuß des Reichstags nahm beim Titel Reichs-
versicherungsamt u. a. eine Entschließung an, die eine Schaf¬
fung von Zweckverbänden der Versicherungsträger, ins¬
besondere der Landesversicherungsämter empfiehlt, um so eine ein¬
heitliche, vorbeugende Heilbehandlung zu ermöglichen.
Bei den Versorgungskrankenhäusern wurde ein weiterer
Abbau des Kriegspersonals verlangt. Eine dementsprechende Ent¬
schließung forderte, daß die Versorgungskrankenhäuser schleunigst
bis auf die unerläßlich notwendigen abgebaut und die Zahl der
Aerzte und des sonstigen Personals auf den bei anderen Kranken¬
häusern üblichen Stand herabgesetzt wird. Zu diesem Kapitel wurden
umfangreiche Streichungsanträge angenommen.
— Zwischen der Versicherungsabteilung des L. V. und dem All¬
gemeinen Deutschen Versicherungsverein in Stuttgart wurden fol¬
gende Teuerungszuschläge auf die noch laufenden Haft¬
pflichtversicherungen vereinbart: Der Allgemeine Deutsche
Versicherungsverein in Stuttgart berechnet auf sämtliche Haftpflicht¬
versicherungen, die vor dem 1. X. 1920 abgeschlossen sind, einen
Teuerungszuschlag in einer Höhe, daß die dadurch erreichte Prämien¬
summe nicht mehr als 75o/o der neuen Tarifprämien darstellt. Für
diejenigen Aerzte mit Röntgenapparaten, die infolge der Erhöhung
das Risiko von Röntgenapparaten nicht mehr zu versichern wünschen,
bleiben aber die alten Verträge unter Zahlung der entsprechenden
Zuschläge, aber ohne die besonderen Apparatzuschläge, in Geltung.
— Aerztlicherseits wurden mit den Vertretern der Preu¬
ßisch-Hessischen Eisenbahnbetriebskrankenkasse für
das 1. Vierteljahr 1922 folgende Sätze vereinbart: Be¬
ratung 10 M., Besuch 20 M., für die Sonderleistungen die Preuß.
Geb.-Ord. von 1920 mit 150 v. H. Zuschlag, auf Geburtshilfe 300 v. H.
Zuschlag. Auf die so aufgestellten Rechnungen soll vorläufig eine
Abschlagszahlung von 80 bis 90 v. H. erfolgen. Bei Pauchalbezahlung
wird provisorisch, vorbehaltlich etwaiger Nachzahlung, 100 v. H.
Zuschlag zu den alten Sätzen gewährt.
— Gegen die außerordentliche Seuchengefahr, die
uns t vom Osten her droht (vgl. Nr. 13 S. 428), hat die Re¬
gierung — nach den Ausführungen des Ministers für Volkswohlfahrt —
sich zu umfangreichen Abwehrmaßnahmen entschlossen.
So ist die Grenze von Ostpreußen dadurch geschützt worden, daß
bei Neidenburg und in Prostken Sanierungsanstalten und in Eydt*
kühnen ein 1200 Personen fassendes Lager mit großer Entlausungs¬
anstalt eingerichtet ist. Es stehen ferner zur Aufnahme sanierter
Flüchtlinge ehemalige Gefangenenlager sowie Rote-Kreuz-Lager zur
Verfügung. Auch am polnischen Korridor und an der Grenze der
ehemaligen Provinz Posen ist beabsichtigt, eine größere Sanierungs¬
anstalt zu bauen. In Schneidemühl besteht ein Entlausungs-Eisen-
bahnzug. Zur Ueberwachung der Strecke Posen—Bentschen, auf der
sich der Hauptverkehr von Polen nach Deutschland abspielt, ist in
Stentsch eine große Aerztestatiou eingerichtet. In gleicher Weise
ist einstweilen die Sicherung der schlesischen Grenze vorgesehen,
aber es war hier noch nicht möglich, wegen der Unsicherheit der
endgültigen Grenzfestlegung Entlausungsanstalten anzulegen. Zur
Unterbringung von Flüchtlingen steht für Schlesien das frühere
Gefangenenlager Neiße bereit.
— Harzburger Hotel- und Pensionsbesitzer haben
für die Sommerkurzeit folgenden Beschluß gefaßt: Es
werden angemessen gehalten für Wohnung und volle Tagespension:
für die erste Gruppe 200—250 M., für die zweite von 175—200 M.,
für die dritte 150—175 M., für die vierte 125—150 M., für die fünfte
100—125 M. Die unterste Preisgrenze von 75 M. müsse unbedingt
innegehalten werden. Auf deutsche Gäste scheint man nicht mehr
in sehr reichlicher Zahl zu rechnen, denn die Versammlung erklärte
sich einstimmig gegen jeden Valutaaufschlag, da bei dem Ausbleiben
der deutschen Kurgäste die Fremdenindustrie mehr denn je darauf
angewiesen sei, „den Ausländern entgegenzukommen“. —
Daß bei solchem völlig unberechtigten „Entgegenkommen“ deut¬
sche Kurorte mit Ausländern überfüllt und für die eigenen kur-
bedürftigen Landsleute kaum noch zur Verfügung stehen werden,
scheint den Harzburger Hotel- und Pensionsbesitzern nebensächlich
zu sein. Die deutschen Aerzte sollten aus dem Verhalten solcher
Kurorte die nötigen Folgerungen ziehen, und zwar nicht nur für
die traurige Gegenwart, sondern auch für die hoffentlich nicht allzu
ferne Zukunft, wo die deutschen Kurorte in erster Linie wieder für
die deutschen Kranken offenstehen werden. Ganz im Gegensatz zu
den Harzburger Hotelbesitzern sollten die Kurorte von den valuta-
starken Ausländern erhebliche Zuschläge verlangen und die dadurch
gewonnenen Ueberschüsse benutzen, ihren bedürftigen Landsleuten
die Unterkunft zu verbilligen. Die Ausländer werden gewiß durch
dieses Verfahren nicht geschädigt oder abgeschreckt werden. Denn
ein Amerikaner würde selbst bei dem täglichen Höchstpreise von
250 M. bei der jetzigen Valuta an 1 Dollar noch etwa 50 M. „ver¬
dienen“, und auch die Holländer, die erfahrungsgemäß die Harzer
Kurorte stark besuchen, würden mit ihren Oulden ein „gutes Ge¬
schäft machen“. J. S.
— Vom 8.—io. VI. tagt die Deutsche Ophthalmologische Ge¬
sellschaft ausnahmsweise nicht in Heidelberg, sondern in Jena. Meldungen
möglichst frühzeitig an den Wohnungsausschuß (Fräulein Biomeyer, Jena,
Forstweg 22 ). Vor allem gilt das für die Reichsausländer. Alles Nähere wird
seitens des Ortsausschusses (Vorsitzender Prof. Brückner, Berlin) mitgeteilt
werden.
— Das von Prof. Deutsch mann im Aerztlichen Verein in Hamburg am
17. L (siehe Nr. 15 S. 508 ) demonstrierte Karzinomserum wird von dem
Hamburger Serumlaboratorium Ruete-Enoch im’großen hergestellt. Die Firma
bittet uns bekannt zu '.machen, daß sie 'das Präparat allen Chirurgen und
Kliniken, die sich dafür interessieren,"'zur Nachprüfung kostenfrei liefert.
— Am 7. IV. feierte Dr. H. Neumanns Kinderhaus, Blumenstr. 97,
sein 25jähriges Bestehen. Das von dem verstorbenen hervorragenden
Kinderarzt und Sozialhygieniker H. Neumann aus eigenen Mitteln
gegründete Heim hat während der 25 Jahre reichen Segen gestiftet.
— Reg.-Rat Dr. Roesle, Mitglied des Reichsgesundheitsamts, is
zum Oberregierungsrat ernannt worden.
— Fleckfieber. Deutsches Reich (19.-25. III. mit Nachträgen) : 6. — -Qenick-
starre. Deutsches Reich (5.-11. III): 50. - Ruhr. Deutsches Reich (5.-11. III.): 63. —
Abdominaltyphus. Deutsches Reich (5.-11.III.): 140.
— Breslau. Das Deutsche Hygiene-Museum in Dresden und
die Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten
veranstalten im April eine Ausstellung zur Bekämpfung der
Geschlechtskrankheiten.
— Magdeburg. Ein zweiwöchiger ärztlicher Lehrgang der
Inneren Medizin findet hier vom 8. bis einschließlich 20.V. statt.
Die beiden medizinischen Kliniken (Direktoren: Prof. Schreiber
und Prof. Otten) werden für diese Zeit ganz in den Dienst der ärzt¬
lichen Fortbildung gestellt. Anmeldungen mit Rückporto an Prof.
Schreiber (Magdeburg-Sudenburg). Für preiswerte Verpflegung
und Unterkunft ist Sorge getragen. — Die hiesige Medizinische Ge¬
sellschaft nimmt in einer Erklärung dagegen Stellung, daß im Deut¬
schen Reich und in Preußen immer noch kein Gesetz oder Ministerial-
erlaß den Nichtärzten die Anwendung der Hypnose als
Heilverfahren verbietet.
— Hochgchulaachrichten. Bonn. Als Nachfolger Verworns auf
dem Lehrstuhl der Physiologie ist Geh.-Rat Hof mann (Marburg) in
Aussicht genommen. Prof. Trendelenburg (Tübingen) hat den Ruf
nach Bonn (vgl. Nr. 9 S. 300) abgelehnt. — Frankf urt a. M. Die Priv.-
Dozz. Goldschmid (Pathologische Anatomie), Jahnel (Neurologie)
und Jaffe (Pathologische Anatomie) haben die Dienstbezeichnung a. 0 .
Professor erhalten. — Göttingen. Prof. Wagen er, Direktor
der Poliklinik für Ohren-, Nasen- und Halskrankheiten in Marburg,
hat den Ruf als Nachfolger W. Langes (vgl. Nr. 5 S. 170) angenommen. —
Hannover. Dr. Messerschmidt, Priv.-Doz. für Soziale Hygiene
an der Technischen Hochschule, ist die Dienstbezeichnung a. o. Pro¬
fessor verliehen worden. — Königsberg. Prof. Meves (Hamburg)
hat den Ruf als Nachfolger Keibels angenommen (vgl. Nr. 12 S. 398).
— Marburg. Prof. Ruete, Leiter der Abteilung für Haut- und Ge¬
schlechtskrankheiten der Medizinischen Klinik, ist zum o. Professor
ernannt worden. — Wien. Dr. Hof bauer und Dr. Weltmann haben
sich für interne Medizin habilitiert
— Oestorben. Geh. San.-Rat Seeg er, früher Priv.-Doz. für
Dermatologie in Kiel, ebenda am 5. IV. im 92. Lebensjahr.
— Literarische Neuigkeiten. Der Deutsche Acrztebund für Sexual-
Ethik gibt eine neue Zeitschrift Ethik, Pädagogik und Hygiene des
Geschlechtslebens heraus, deren Schriftleitung Geh.-Rat Abderhalden
und Dr. Wehle (Halle) übernommen haben.
— Wir sehen uns veranlaßt, unsere Mitarbeiter wieder darauf
aufmerksam zu machen, 1. daß wegen unserer starken Ueberlastung
Aufsätze über 4 Druckspalten nur ganz ausnahmsweise ver¬
öffentlicht werden können, 2. daß unverlangten Manuskripten und
Anfragen von den Einsendern Rückporto beigefügt werden muß,
widrigenfalls unsere Antwort unfrankiert erteilt wird.
— Für diejenigen Leser, welche nach dem 1. IV. hinzugekommen
sind, wiederholen wir aus Nr. 13 S. 430 die Mitteilung, daß der
Verlag (Georg Thieme, Leipzig, Antonstr. 15) jedem
Abonnenten unserer Wochenschrift die Sonderausgabe
der zum 1. IV. erlassenen neuen Preußischen Gebühren¬
ordnung gegen Einsendung von 2 M. portofrei über¬
mittelt.
— Wegen der Feiertage ist diese Nummer bereits am 13. IV. abge¬
schlossen.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
LITERATURBERICHT
Redigiert von Prof. Dr. R. von den Velden.
Zeitschriften: Klinische Wochenschrift Nr. 13- — Münchener Medizinische Wochenschrift Nr. 12. — Zentralblatt für Bakteriologie Bd. 88 H. 1. —
Deutsches Archiv für klinische Medizin Bd. 138 H. 5-6. — Zeitschrift für Tuberkulose Bd. 35 H.6. — Zeitschrift für die gesamte Neurologie Bd. 72 . —
Bruns Beiträge zur klinischen Chirurgie Bd. 125 H. 1. — Zeitschrift für Kinderheilkunde B. 31 H. 5-6. — Archiv für Kinderheilkunde Bd. 7t H. l.
Geschichte der Medizin.
++ S. Seligmann (Hamburg). Die Zauberkraft des Auges
und das Berufen. Hamburg, Friederichsen 8t Co., 1921. 566 S.
M. 120.— geb. M. 150.—. Ref.: E. Holländer (Berlin).
Das groß angelegte Werk des Hamburger Augenarztes löst den
Begriff und das Wesen des „bösen Blickes“ restlos auf. Die un¬
geheure Verbreitung dieses Aberglaubens wird von dem Autor durch
alle Zeiten und alle Kulturen und alle Gegenden unserer Erde ver¬
folgt Die einzelnen Kapitel schließen mit einer Literaturangabe, die
den erstaunlichen Fleiß des Kollegen charakterisiert. Den Inhalt des
Werkes auch nur in der Andeutung in einem kurzen Referate wieder¬
zugeben, ist unmöglich. Aber allen Aerztcn und Forschern, deren
Arbeitsgebiet die Kultur und Medizinhistorie nur streift, dürfte diese
in ihrer Gründlichkeit echt deutsche Arbeit unentbehrlich sein.
Anatomie und Physiologie.
++ Martin Heidenhain (Tübingen), Ueber die teilungsfähigen
Drüseneinheiten oder Adenomeren. Berlin, 1. Springer, 1921.
178 Seiten mit 82 Abbildungen. M. 126.—. Ref.: Ettisch (Berlin).
Die analytisch arbeitende Histologie macht uns nicht verständlich,
was gewisse, ihrem morphologischen Wesen nach stets gleiche, struk¬
turelle Grundkomplexe im-Bau von Geweben und Organen für einen
morphogenetischen Sinn haben, jene Grundkomplexe, die eine Ein¬
heit darstellen und mit anderen gleichartigen zu Komplexen höheren
Grades in bestimmter Weise komponiert sind. Das Problem der Ge¬
staltung der Drüsen war für sie nicht lösbar. Verfasser konnte nun
feststellen, daß die serösen Endstücke, die Azini, als solche teilbar
sind. Diese Azini bilden ferner allein den sekretorischen Bestandteil
der Drüse. Der embryonal bereits vorliegende Azinus stellt demnach
das wesentliche embryodynamische Bauelement dar. Verfasser gibt ihm
den Namen Adenomere. Die Heidenhainsche Synthesiologie oder
Systemlehre hat es nicht mit physiologischen Systemen zu tun, sondern
mit morphogenetischen. Diejenigen Formen sind aufzuzeigen, die, „ge¬
setzmäßig bei Geschöpfen oder Teilen von ihnen vorkommend“, ein
Histosystem niederster Art darstellen. Aus diesen gehen dann, wie
bereits erwähnt, durch bestimmte Synthese die Systeme höherer Art
hervor. So ein Histosystem niederer Art ist für die Drüsen die
Adenomere. Unter dichotomischer und später sympodialer Wachs¬
tumsform kommt es zur Bildung des Histocorums, der ausgewach¬
senen Drüse. In vieler Beziehung wird man Verfasser beistimmen, so
vor allem seiner Grundforderung synthetischer Betrachtungsweise. Es
muß aber darauf hingewiesen werden, daß des Verfassers Synthesiologie
genau wie die, die sich gelegentlich bei deskriptiven Anatomen findet,
und die funktionell gerichtet ist, allein ein historisches Verständnis der
Gestaltungen vermittelt, daß wir aber zu vollständiger Erkenntnis der
kausalen Bestimmtheit einer Erscheinung bedürfen.
N. Chlopin (St. Petersburg), Io Vitro-Kulturen der embryonalen
Gewebe der Säugetiere. Kl. W. Nr. 13. Die Untersuchungen zeigen
die außerordentliche Plastizität der embryonalen Gewebe, ihren reichen
Bestand an prospektiven Potenzen und ihre ganz ungewöhnliche Emp¬
findlichkeit gegenüber äußeren Einflüssen.
H. Gottschalk (Frankfurt a. M.), Bedeutung der Kalorie in
der Medizin. Kl. W. Nr. 13. Die rein kalorische Betrachtungsweise
des tierischen und menschlichen Organismus hat zu der theoretisch
verhängnisvollen Auffassung geführt, das Werturteil über einen Nah¬
rungsstoff nach seiner Heizkraft, d. h. in Kalorien abzugeben. Es be¬
steht die Möglichkeit, daß große Teile der mit der Nahrung zu¬
geführten chemischen Energie nach Art eines chemodynamischen Sy¬
stems transformiert werden, d. h. in mechanische Energie übergehen,
ohne daß Wärme als Zwischenenergie auftritt. Die Muskelzelle
gleicht einem chemodynamischen System, in dem bei der Transforma¬
tion stets Wärme gebildet wird, als sehr erwünschtes Nebenprodukt
zur Aufrechterhaltung der Körpertemperatur beim Warmblüter. Die
Kalorie unterrichtet nur über den Wärmeumsatz im Körper, nicht
aber über das Verhältnis von chemischer Energie der Nahrungsstoffe
zu den Arbeitsleistungen. Die Gleichsetzung von Kalorienwert und
Nährwert ist unzulässig. Der Kalorienwert umfaßt nur den Betriebs¬
wert, während der Nährwert den Betriebswert und Baustoffwert und
Regulationswert umfaßt. Die Kalorie bezeichnet nur die energetische
Seite des Problems, während der Nährwert eng verknüpft ist mit
den energetischen, morphologischen und funktionellen Leistungen des
Körpers.
• O. Moog (Marburg a. L), Relative Luftfeuchtigkeit und nnmerk-
liebe Hautwasserabgabe. D. Arch. f. kl. M. 138 H. 5/6.' Die unmerk¬
liche Hautwasserabgabe ist kein einfacher Verdunstungsprozeß, sondern
ein komplizierter physiologischer Lebensvorgang. Diese Funktion steht
im Dienste der Wärmeregulation. Bei hoher relativer Feuchtigkeit ist
die Hautwasserabgabe größer als bei niedrigem Feuchtigkeitsgehalt
der Luft.
Ernst Christoph Meyer -und Herbert Knüpffer (Greifswald),
Nahrungsaufnahme und Bilirnbingehalt. D. Arch. f. klin. M. 138 H. 5/6.
Beim Menschen schwankt ständig entsprechend der Nahrungsaufnahme
der Blutbilirubingehalt. Nach der Nahrungsaufnahme tritt zunächst
Blutbilirubinabnahme ein. Bei Nahrungsenthaltung steigt der Bilirubin¬
gehalt. Milch, Milchreis, Bariumsulfat bedingen blutbilirubinabnahme.
Bei Leberschädigung — Urobilinurie — wurde öfters Zunahme des
Blutbilirubins beobachtet.
Allgemeine Pathologie und Pathologische Anatomie.
Z.Ernst und B. Szappanyos (Budapest), Bilirublobildong in der
überlebenden Milz. Kl. w. Nr. 13. Die überlebende Hundemilz bildet
Gallenpigment, wenn sie mit defibriniertem Blut, welches Hämoglobin
gelöst enthält, durchströmt wird. Die Menge des auf diese weise
ebildeten Billirubins kann ungefähr den siebenten Teil der durch
ie Leber eines Hundes von derselben Größe in derselben Zeit durch¬
schnittlich ausgeschiedenen Billirubinmenge erreichen.
Grütter, Encephalitis epidemica. Zschr. f. d. ges. Neurol.72, S. 29,
1921. Verfasser betont an Hand eigener pathologisch-anatomisch unter¬
suchter Fälle die Mannigfaltigkeit des klinischen und anatomischen
Befundes. Eine resüose Deckung «des klinischen und histologischen
Bildes gelingt in den akuten Fällen nicht Wichtig ist die Aehnlichkeit
extrapyramidaler Bewegungsstörungen mit sonst rein psychisch aus¬
gelösten Zustandsbildern. Auch bei rein amyostatischen Fällen finden
sich Veränderungen nicht nur im Linsenkern, sondern auch im Gro߬
hirn. Teilweise stehen klinisch und histologisch abgrenzbare toxische
Schädigungen im Vordergründe.
Dürck, Verkalkung von Hirogeflßen bei der akuten Encephalitis
lethargica. Zschr. f. d. ges. Neurol. 72, S. 175. 1921. Bei 15 im akuten
Stadium zur Sektion gekommenen Fällen fand sich 12mal Kalk in den
Ganglienzellen, frei im Gewebe und als Verkalkung von Gefäßen. Die
Begrenzung der Gefäßherde ist oft sehr scharf. Wahrscheinlich ver¬
sagt unter dem toxisch infektiösen Einfluß der physiologische Hem¬
mungsmechanismus gegen den biologisch notwendigen Verkalkungs¬
prozeß. Zwischen verkalkten und am meisten entzündlich veränderten
Partien schien ein gewisses Ausschließungsverhältnis zu bestehen.
Gewisse Gebiete: Striatum, Dentatus und Hippokampus wurden elektiv
befallen. Die Intima bleibt frei im Gegensatz zur Arteriosklerose.
Brunner, Verkalkung und Knochenbildung in Hirnnarben. Zschr.
f. d. ges. Neurol. 71, S. 193, 1921. In 3 Fällen wurden am Rande ver¬
kalkte und von derbem Bindegewebe umhüllte Detritusmassen gefunden.
Meist gliöse Reizerscheinungen. Auch im Hirngewebe um die Narbe
herum Kalkablagerung. In allen 3 Fällen metaplastisches Knochengewebe.
Witte, Anatomische Untersuchungen der Körperorgane bei De¬
mentia praecox. Zschr. f. d. ges. Neurol. 72, S. 308, 1921. Die Dementia
praecox scheint vermehrte Neigung zum Lipoidabbau (Nebennieren)
zu besitzen. Die Berücksichtigung der Körperorgane verspricht bei
der anatomischen Bearbeitung der Geisteskrankheiten Aufschlüsse. Die
Störung des Lipoidstoffwechsels ist für die Untersuchung des Gehirns
(Markscheiden) von Bedeutung.
Mikroben- und Immnnitltslehre.
A. Adam (Heidelberg), Ernflhrnngsphysiologie des Bacillus bifidus.
Zschr. f. Kindhlk. 31 H. 5/6. Zu seiner Entwicklung braucht der Bacillus
bifidus unbedingt Kohlenhydrate, am besten Milchzucker. Alkaliseifen
und Kaseinate besitzen wachstumfördernde Eigenschaften für den
Bazillus. Das regelmäßige Vorkommen des Bifidus im Darm des ge¬
sunden Brustkindes spricht für das Vorhandensein dieser Stoffe im
Dickdarm des Brustkindes. Bei Kuhmilchernährung hemmt vor allem
die Kalkseifenbildung die Entwicklung des Bacillus bifidus.
A. Klarenbeek (Utrecht), Kanlnchentrepooemose. 3. Mitt. Zbl. f.
Bakt. Abt. I. Orig. 88 H. 1. Im Gegensatz zu Lersey und Kuczynski
konnte Verfasser feststellen, daß mit Treponema cuniculi (Tr. pallidum
var. cuniculi) Infizierte Kaninchen nicht steril zu sein brauchen. Die
Kinder infizierter Eltern brauchen nicht immun zu sein und können
spontan oder experimentell infiziert werden. Die Infektion eines ge¬
sunden Kaninchens ist ohne Kohabitation sehr wohl möglich. Ebenso
sind Superinfektionen und Reinfektionen möglich. — Verfasser ist im
Gegensatz zuKolle, Ruppert und Möbus der Ansicht, daß die Art¬
verschiedenheit des Tr. pallidum und des Tr. cuniculi noch nicht
sicher bewiesen ist. Zur Klärung dieser Frage-seien noch weitere
Versuche erforderlich.
Strahlenkunde.
Erich Schempp (Tübingen), Dosierungsfehler in der Tiefen¬
therapie bei Verwendung des „Spannuagshlrtemesserg“ an In¬
duktorapparaten und ihre Verhütung. M. m. W. Nr. 12. Beim
Spannungshärtcmesser ist die Zeigerstcllung bei gleicher Selbst-
Di gitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNiVERSITV
536
LITERATURBERICHT
Nr. 16
induktionsspannung, jedoch verschiedener Frequenz der Unterbrechun¬
gen ganz verschieden. Es ist notwendig, die Tourenzahl des Unter¬
brechers unabhängig von der Netzspannung konstant zu erhalten,
was durch Vorschaltung eines Schiebewiderstandes vor den Unter¬
brecher erreicht wird.
Allgemeine Diagnostik.
++ Traugott Baumgärte! (München), Oie staatlichen Be¬
stimmungen über die Ausführung der Wassermannschen
Reaktion. München, J. F. Lehmann, 1922. 34 S. M. 7.50. Ref.:
E. Gildemeister (Berlin-Lichterfelde).
Verfasser hat sich der dankenswerten Aufgabe unterzogen, die
staatlichen Bestimmungen über die Ausführung der Wa.-R. zu erläutern.
Er hat dies mit grobem Geschick und mit großer Sachkenntnis getan,
so daß die Schrift allen Interessenten nur wärmstens empfohlen werden
kann. Verfasser begrüßt die staatliche Festlegung der Wassermann¬
schen Versuchstechnik; es gelte nun, an der weiteren Vervollkomm¬
nung der staatlich festgelegten Methodik zu arbeiten. An dieser Arbeit
beteiligt sich die vorliegende Schrift in wertvoller Weise.
++ J. A. Mandel (New York) und H. Steudel (Berlin), Minime¬
trische Methoden der BlutunterBuchung. Berlin-Leipzig,
Vereinigung wissenschaftlicher Verleger, 1922. 26 Seiten mit 4 Ab¬
bildungen. M. 6.—. Ref.: C. Neuberg (Berlin-Dahlem).
Es ist ein besonderes Verdienst der beiden hervorragenden physio¬
logischen Chemiker, die das vorliegende Büchlein verfaßt haben, daß
sie den deutschen Lesern die Kenntnis der außerordentlich wichtig
gewordenen Mikromethoden der Blutuntersuchung vermitteln, wie sie
namentlich in Amerika während des Krieges zu großer Vollkommen¬
heit ausgestaltet worden sind. Bti der Schwierigkeit, die ausländische
Literatur hier einzusehen, wird jeder Interessent die Arbeit von Man¬
del und Steudel lebhaft begrüßen. Hervorgehoben sei die einfach
klare und allgemeinverständliche Darstellung sowie die vorzügliche
Anleitung, die jedem die Einübung und Verwendung der Verfahren
gestattet.
Werner Zorn (Greifswald), Quantitative Ueberlegeoheit der
Leucht bildmetbode nach Hoff mann gegenüber der Hellfeldbetrach¬
tung von Tuberkelbazilien. Zbl. f. Bakt. Abt I. Orig. 88 H. 1. Die
Leuchtbildmethode erwies sich mehr als doppelt überlegen der Hell¬
feldbetrachtung.
A. Adler (Leipzig), Urobilin. D. Arch. f. klin. M. 138 H.5/6. Uro¬
bilinbestimmungen im Harn, Stuhle, Duodenalsaft unter Verwendung
der Schlesingerschen Fluoreszenzprobe und Bestimmung des Ver¬
schwindens der Fluoreszenz bei systematisch abgestufter Verdünnung
der untersuchten Proben.
W. Fornet (Saarbrücken), Tuberkulosediagnostikuin. D. Arch. f.
klin. M. 138 H. 5/6. Das Tuberkulosediagnostikuin stellt eine stabile,
ziemlich dichte Emulsion von Tuberkelbazillen dar, die infolge Auf¬
lockerung des Fettwachsmantels (Bearbeitung mit Aetherdampf bei
40°) einen Teil der Säurefestigkeit eingebüßt haben und erhöht durch
die spezifischen Immunstoffe tuberkulösen Serums beeinflußbar sind.
Das Tuberkulosediagnostikuin wird von dem Serum Tuberkulöser spe¬
zifisch agglutiniert, bis 1 : 500 und mehr. (Anlehnung an das Fickersche
Diagnostikum für Typhus, Beurteilung makroskopisch.) Die Unter¬
suchung ergab bisher bei 132 Tuberkulösen in 93°/ 0 positive, bei 44
Nichttuberkulösen in 95°| 0 negative Reaktion.
Edith Rosenkranz (Sommerfeld), Ist zur Anreicherung von
tuberkulösem Sputum Aotiformin nötig? M. m. W. Nr. 12. Das
Natriumhypochlorit ist ein sehr geeigneter, billiger Ersatz für Antiformin.
Bestätigung zu Lorentz in M. m. W. 1921 Nr. 35.
Roger Korbsch (Oberhausen), Technik und Grenzen der
Laparoskopie. M. m. W. Nr. 12. Das Pneumoperitoneum wird kom¬
biniert mit der Laparoskopie. Besonders deutlich kann man die Leber
und die Gallenblase zu Gesicht bekommen, aber auch Teile des Magens,
die unteren Dünndarmschlingen, das Netz und die Organe des kleinen
Beckens sind gut darstellbar. Sehr störend sind Verwachsungen.
Allgemeine Therapie. -
♦♦ Kowarschik (Wien), Die Diathermie. 3. Aufl. Berlin,
J. Springer, 1921. 16o Seiten mit 89 Abbildungen. M. 57.—.
Ref.: Otto Strauß.
Kowarschik war der erste Autor, der eine zusammenhängende
Darstellung der Diathermie veröffentlichte (1913). Als sein Buch 1M14
in zweiter Auflage erschien, fand es allgemeine hohe Anerkennung.
Neben dem Nagelschmidt sehen Buch war es das Beste, was über¬
haupt über Diathermie geschrieben war. Die physikalischen Grundlagen
der Diathermie waren in keiner Veröffentlichung so übersichtlich ge¬
schildert. Gerade hier nahm nun Kowarschik in der Neuauflage einige
Streichungen vor. Es geschah in der Absicht, Raum zu schaffen für
die Darstellung der Elektronentheorie, die ihm in ausgezeichneter
Weise gelungen ist. In der praktischen Anwendung der Diathermie
hat Kowarschik immer auf die allgemeine Applikation Wert ge¬
legt. Er machte früher einen dahingehenden Versuch mit einer Ver¬
wendung von 6 Elektroden. In der Neuauflage beschreibt Kowarschik
jetzt eine früher nur angedeutete Anwendungsweise mit Zuhilfenahme
einer von ihm ausgearbeiteten Drei-Plattenmethode, die einerseits
eine angenehme Hauthyperämie und andrerseits eine bis zum Schwei߬
ausbruch getriebene Durchwärmung ermöglicht.
A. v. Schrenck (St Petersburg), Rationelle Auswertung unserer
elnheimiscaen Arzoelilora. M. m. W. Nr. 12. Hinweis auf unsere
zahlreichen pharmakologisch verwertbaren Pflanzen. Anregung, auf
wissenschaftlicher Basis aus den einheimischen Drogen wirksame Tee¬
mischungen herzustellen. (Siehe Schulz, Deutsche Arzneipflanzen,
Leipzig 1919 bei Georg Thieme.)
Herbert Lubinski (Breslau), Sterilität des zur Pasteurscheu
Schutzimpfung verwendeten Kaoinchenruckeomarkes. Zbl. f. Bakt Abt
I. Orig. 88 H. 1. Nach den Untersuchungen des Verfassers liegt die
Gefahr einer häufigen bakteriellen Verunreinigung des zur Schutz¬
impfung gegen Wut benötigten Impfstoffes, wie sie von Kühne an¬
gegeben worden ist, bei sorgfältiger Technik nicht vor.
A. Hotz (Zürich), KrefelautWirkung des Adrenalins und Waad-
druck der Arterien, D. Arch. f. klin. M. 138 H. 5/6. Unter der Wir¬
kung des Adrenalins steigen der systolische Blutdruck und die Puls¬
frequenz meist an, während der diastolische Druck meistens sinkt.
Das Pulsvolumen zeigt fast regelmäßig eine Zunahme. An der Arteria
brachiaüs steigen nach Adrenalininjektionen systolischer Blutdruck und
Wanddruck, gleichzeitig tritt Vergrößerung des Pulsvolumens, d. h.
Gefäßerweiterung mit Senkung des diastolischen Blutdrucks ein.
Julius Bauer und Berta Aschner (Wien), Austauschvovgince
zwischen Blut und Geweben (1. Diuretika). D. Arch. f. klin. M. 138
H. 5/6. Eiweiß- (Refraktometrie) und Kochsalzbestimmungen des Blutes
nach intravenöser Verabreichung — Vorperiode — von Diuretizis: Die
Diuretika der Purinreihe beeinflussen den Austausch von Wasser und
NaCl auf extrarenalem Wege, ohne daß diese extrarenale Wirkung für
den diuretischen Effekt wesentlich in Betracht käme. Die einzelnen
Diuretika differieren weitgehend. Das aus dem Blute durch die Nieren
entfernte Material wird rasch vom Gewebe nachgeliefert. Die wirk¬
samen Stoffe scheinen die Kapillarendothelien oder ihre nervösen
Regulationsapparate zu beeinflussen.
E. Kulcke (Dresden), Novasurol als Diuretikum. Kl. W. Nr. 13.
Hauptindikation für Novasurol ist die kardiale Wasserretention. Zweck¬
mäßigerweise wird sie erst dann angewendet, wenn die bisher übliche
Herztherapic bzw. Entwässerung nicht zum vollen Erfolge führt. Nach
erreichter Novasurolwirkung empfiehlt sich ein Wechsel der Medi¬
kation wegen der Gefahr einer Intoxikation oder Gewöhnung.
Wöchentlich sollen nicht mehr als zweimal 1,5 ccfn gegeben werden.
Für diuretische Zwecke ist die intramuskuläre Anwendung das Ge¬
gebene. Als Vorbedingung jeder Novasuroldiurese: Funktionsmög¬
lichkeit der Nieren.
S. Hirsch (Frankfurt a. M.), Krampflösende Wirkuag der Pnriii-
derivate. Kl. W. Nr. 13. Ein Demethylxanthjngemisch (Theobromin
und Theophyllin) erwies sich als krampflösendes Mittel auf den
Tonus der Bronchialmuskeln. Als Hauptanwendungsgebiet für das
Spasmopuringemisch sind auf Grund der klinischen Beobachtungen zu
bezeichnende Zustände von Dyspnoe, die durch Spasmen der Bronchial¬
muskeln bedingt sind. Die Harmlosigkeit der Purinkörper im Gegen¬
satz zu starkwirkenden Alkaloiden gestattet bei geeigneter Dar¬
reichungsform (als Suppositorium) ihre Verwendung auch ?u pro¬
phylaktischen Zwecken und über längere Zeit hinaus (eventuell bei
gleichzeitiger Digitalismedikation).
Innere Medizin.
++ J. Sadger (Wien), Die Lehre von den Geschlechtsver-
Verirrungen aut psychoanalytischer Grundlage. Leipzig
und Wien, Fr. Deuticke, 1921. 458 S. M. 105.—. Ref.: P. Für¬
bringer (Berlin).
Es kann und darf aus nahen Gründen nicht meine Aufgabe sein,
hier auch nur über die hauptsächlichsten Erschließungen zu be¬
richten, die uns der erfahrene Nervenarzt in diesem für heutige
Verhältnisse auffallend dickleibigen Werke auf dem Gebiet der
Psychopathia sexualis dargeboten. Der Autor gibt als ältester Schüler
Freuds seine 1919 in einem Verein von Medizinern gehaltenen
Vorträge wieder, die viel Bekanntes, aber auch nicht wenig Neues
bergen, als Frucht vieljähriger Arbeit unter Wahrung eines guten
Teils selbständiger, von des Meisters Lehre abweichender For¬
schung. Er kargt nicht mit einer zum Teil scharfen Kritik, noch
weniger mit der Kasuistik: Ein einziger, einen Strichjungen be¬
treffender Fall von Inversion füllt 36 Seiten als „Fragment“! Die
Verwendung eines wesentlichen Bruchteils des Raumes für eine
umfassendere Berücksichtigung der Literatur dürfte mancher Leser
vorgezogen haben. Entschädigen muß ihn der gedanken- und sinn¬
reiche Inhalt in stilsicherer, reizvoller, freilich des Heiklen nicht
entbehrender Form. Wie weit sich der sachverständige Autor durch¬
setzen wird, bleibt abzuwarten. Wenn er u. a. meint, daß die
sychische Impotenz selten im Krankheitsbilde der Neurose fehlt,
ei niemals mangelnder Onanie die meisten Impotenten Hypochonder
sind, die Zergliederung als nie fehlende Lösung die Haftung an einer
Inzestperson ergibt und zum Zustandekommen der Störung die
Kastrationsangst gehört, so muß ich auf Grund meiner Erfahrung
solch radikaler Fassung widersprechen. „Noch wenig Aufklärung“
schreibt Sadger der Lehre von der inneren Sekretion zu. Die
Schlußfolgerungen aus den Stein ach sehen Tierexperimenten auf
den Menschen hält er für hinfällig. „Wer Homosexuelle kurieren
will, wird dies auch fürder lediglich erreichen durch die psycho¬
analytische Methode, nie durch Chirurgie.“ Ich glaube auf die
Stellungnahme Strümpells zur Psychoanalyse („ein guter Name
für keine ganz gute Sache“) im laufenden Jahrgang dieser Wochen-
Digitized b'
Google
Original from
CORNELL UNfVERSITY
21. April 1922
LITERATURBERICHT
537
schrift (S. 5) verweisen zu sollen, ohne deshalb die angelegentliche
Empfehlung der Kenntnisnahme von dem ansehnlichen Betrage des
wertigen Inhalts dieser Neuerscheinung zu versäumeh.
Hirsch, Klinik und Pathogenese des dystrophischen univer¬
sellen Infantilismos. Zschr. f. d. ges. Neurol. 72, S. 347, 1921. 12 Fälle
mit Verzögerung^ der Geschlechtsreife, Störung der allgemeinen Ent¬
wicklung, Herabsetzung der Urteilsfähigkeit, Labilität der Stimmung,
Störung des lymphatischen Apparats, des vegetativen Systems und der
endokrinen Drüsen. Das endokrine System spielt die Vermittlungarolle
für die Anpassung und veränderte Ernährungsbedingungen. Die Stö¬
rungen sind eine primäre Schädigung dieses Systems unter dem Ein¬
fluß der Kriegsernährung, die Fälle also letzten Endes als Blockade¬
krankheit zu betrachten.
Hans Curschmann (Rostock), Endocardltls chronica (lenta).
M. m. W. Nr. 12. Die jetzt beobachtete Zunahme der Fälle von
Endocarditis lenta ist nur scheinbar, die Krankheit wird nur häufiger
diagnostiziert. Aortenklappenfehler, die immer wieder Infarkte zeigen,
die zusehends schwer anämisch werden, die Symptome der Herd¬
nephritis aufweisen, müssen die Aufmerksamkeit darauf lenken. Der
Streptococcus viridans ist nicht der einzige Erreger, häufig finden sich
andere Streptokokken, namentlich hämolytische, manchmal bleibt die
Blutkultur auch bei wiederholter Untersuchung steril.
Otto Heß (Köln), Bndothelien im Blote bei Endocardltls lenta.
D. Arch. f. klin. m. 138 H. 5 6. Bei Endocarditis lenta fanden sich im
Ohrblut hohe, mit den Leukozytenzahlen des übrigen Körpers nicht
übereinstimmende W.-Zahlen. Regelmäßig fanden sich im strömenden
Blute Endothelien bei der chronischen Viridanssepsis. Für diese Er¬
krankung wird eine allgemeine Gefäßveränderung und hochgradige
Zellwucherung des gesamten endothelialen Systems supponiert. Die
intra vitam im menschlichen Blut nachgewiesenen großen phago-
zytierenden Zellen stammen vorwiegend vom Ort der Entnahme (z. B
Ohr).
Franz Herzog (Pozsony), Cbeyne-Stokes-Atmen. D. Arch. f. klin.
M. 138 H. 5/6. Das Verhältnis von Exspiration zu Inspiration verändert
sich von Anfang bis zum Ende der Periode. Im Anfang dauert die
Einatmung lange und die Ausatmung ist verhältnismäßig kurz, am
Ende der Periode wird die Einatmung kürzer und die Ausatmung
länger. Die periodische Verminderung und Verbesserung der Selbst¬
steuerung beim Cheyne-Stokes-Atmen ist eine primäre Veränderung
und erklärt ausreichend alle Eigenschaften des pathologischen Atem¬
phänomens.
Th. Brandes (Braunschweig), Vortlnschnog einer diphtherischen
Lnrynxstenose durch Fremdkörper in den oberen Luftwegen. Kl. W.
Nr. 12. Kasuistik.
G. Katz, Senkung der roten Blutkörperchen im ZItrat-Blot bei
Lungentuberkulose. Zschr. f. Tbc. 35 H. 6. Die Reaktion wurde nach
Westergren ausgeführt. Senkung der Roten ist keine spezifische
Reaktion. Sie ist hauptsächlich von dem Gehalt des Blutes an Fibri¬
nogen abhängig. Normal werte beweisen das Fehlen aktiver Tuber¬
kulose. Bei Ausschluß aller übrigen Erkrankungen, die mit Erhöhung
der S. R. einhergehen, kann das Verfahren als Hilfsmittel für Diagnose
und Prognose der Tuberkulose verwendet werden.
H. Frey, Entspannungs-Pneumothorax. Zschr. f. Tbc. 35 -H. 6.
Polemik gegen Gwerder. Der Name Entspannungspneumothorax
kann nur im Gegensatz zum Kompressions-Pneumothorax gebraucht
werden. Er ist kein neues Verfahren. Vor allem mahnt Frey gegen¬
über Gwerder zur Strenge in der Indikationsstellung des Pneumo¬
thorax, damit das Verfahren nicht zum medizinischen Sport wird, eine
Gefahr, die zur Zeit wohl hie und da droht.
Erich Gäbert (Leipzig), Epithelverhnrnung der Gaumenmandeln.
M. m. W. Nr. 12. Histologische Untersuchungsbefunde von 2 Fällen,
wo sich bei Erwachsenen intensive Verhornung des Oberflächen¬
epithels der Mandeln fand, mit Hornzapfen in den Lakunen. In den
tieferen Gewebsschichten Knorpeleinlagerungen. Ein ähnlicher Be¬
fund wurde bei einem totgeborenen Kinde erhoben. Es handelt sich
anscheinend um eine dysplastische Störung. Die Krankheit muß als
Keratosis tonsillaris bezeichnet werden.
K. Regensburger (Bad Kissingen), Reichmannscher Symptomen-
komplex bei Tabes doraalis. Kl. W. Nr. 13. Kasuistik. 1
Clza Hetgnyi (Budapest), Harostaffbildende Tfltigkelt der Leber
bei Leberkranken. D. Arch. t. klin. M. 139 H. 5/6. Bei Leberkranken
geht die Synthese eingeführter Ammonsabe zu Harnstoff nicht so rasch
wie bei Lebergesunden vor sich (48 bis 72 statt 24 Stunden!). Der
einfach mechanische Stauungsikterus geht ohne Funktionsabnahme
einher, während bei atrophischer Zirrhose, bei syphilitischer Hepatitis und
beim Icterus catarrhalis deutliche Funktionsabnahme nachweisbar war.
In der Diät Leberkranker ist Eiweißbelastung zu vermeiden.
H. Straub und Klothilde Meier (München), Blutreaktion und
Dyspnoe bei Nierenkranken. D. Arch. i. klin. M. 138 H. 5/6. Bei 21
Nierenkranken wurde gleichzeitig die Kohlensäurebinduneskurve des
Blutes und die Kohlensäurespannung der Alveolarluft festgestellt und
aus beiden Bestimmungen die aktuelle Reaktion des arteriellen Blutes
ermittelt (31 Bestimmungen). Ueberventilation kann die erniedrigte
Kohlensäurebindung des Blutes ausgleichen, sonst — Spätstadium der
Niereninsuffizienz — tritt „urämische Dyspnoe" ein.
Erich Krauß (München), Blntbarnsöurevebalt bei Nie^enerkran-
knogen im Vergleich zu Reststickstoff und Kreatinin. D. Arch. f.
klin. M. 138 H. 5/6. Nicht die Harnstoff-, sondern die Harnsäure¬
ausscheidung leidet am ehesten bei Nierenerkrankungen. Für die
Prognose chronischer Nierenleiden leistet die Blutharnsäurebestimmung
dasselbe, wie die Untersuchung auf Kreatinin und Indikan. Eine be¬
quem auszuführende Blutharnsäurebestimmung (modifizierte kolori-
metrische Methode: Folio und Denis) erübrigt für die Beurteilung von
Nierenerkrankungen die Bestimmung der übrigen N-Komponenten.
A. Hellwig (Frankfurt a. M.), Hyperthyreosen leichteren Grades.
Bruns Beitr. 125 H. 1. Wiedergabe von 10 Krankengeschichten und
des pathologischen Befundes. Die Bezeichnung Thyreose im Sinne
Kr ecke s, Basedowoid, Pseudobasedow, Formes irustes wird abgelehnt.
Zu den leichten Formen wären u. a. die monosymptomatischen Formen
z. B. das Kraussche Kropfherz zu rechnen. Unter den schweren
Hyperthyreosen sind die progredienten Formen erstens die mit und
zweitens die ohne Basedows Trias zu verstehen.
Gustav Deutsch (Rostock), Semmkonzentratlon und Blntvis-
kositlt bei Basedowscher Krankheit. D. Arch. f. kl. M. 138 H. 5/6.
Die Blutviskosität bei der Basedowschen Krankheit zeigt keine charak¬
teristischen Veränderungen. Die Serumviskosität zeigt entsprechend
den Stoffwechselstörungen Aenderungen, die denen des Lichtbrechungs¬
vermögens parallel verlaufen (verminderter Eiweißgehalt des Blut¬
serums!). Die viskosimetrische oder refraktometrische Untersuchung
des Blutserums bei der Basedowschen Krankheit gibt einen annähern¬
den Ueberblick über den Eiweißstoffwechsel.
E. Goldschmid und S. Isaac (Frankfurt a. M.), Endothelhyper-
plasle als Systemerkranknng des himatopoetischen Apparates. D. Arch.
r. klin. M. 138 H. 5/6. Kasuistische Mitteilung: Schwere Anämie bei
einer 54jährigen Frau mit großem Milztumor und Leberschwellung.
Perniziöse und hämolytische Anämie konnten ausgeschlossen werden,
ebenso Pseudoleukämie, Typ Gaucher, lienale Granulomatose, Banti.
Autoptisch fanden sich hochgradige Zellwucherung in Milz, Leber-
kapillaren und Knochenmark, Zellen, die weder als Lymphoidozyten,
noch als Myeloblasten, sondern als gewucherte Endothelien aufgefaßt
werden mußten (als Nebenbefund Riesenzellen). Die systematisierte
Endothelhyperplasie steht in naher Verwandtschaft zu den leukämischen
Erkrankungen. Röntgenbestrahlungen hatten zunächst geringe Ver¬
kleinerung der Milz veranlaßt.
M. J. Rössingh (Utrecht), KnochenmarksfankGon bei Anlmieo.
D. Arch. f. klin. M. 138 H. 5/6. Die Bestimmung der Sauerstoffzehrung
und der vitalen Tüpfelung sind wertvolle Methoden, um die erythro¬
zytenbildende Funktion des Knochenmarks zu beurteilen.
Ewald, Frehse, Hennig (Heidelberg), Akn»e Monozyten- und
Stammzellenleukämlen. D. Arch. f. klin. M. 138 H. 5 6. 3 Beobach¬
tungen akuter Leukämie: Weder die morphologische noch die histo¬
logische Untersuchung kann entscheiden, ob der formative Reiz in
den Blutbildungsstätten angreift oder aus den überall verbreiteten
Endothelien neue Blutbildungsherde schafft. Wahrscheinlich werden
ubiquitäre Fibroblasten und Endothelien zu indifferenten Stammzellen
umgewandelt und an diesen bald die Fähigkeit zur Weiterentwicklung
zu myeloischen, bald zu lymphatischen Zellen geschädigt. Zellen mit
allen Zeichen der Monozyten können eine Entwicklungsstufe von
Stammzellen sein (= sich nicht mehr entwickelnde Altersformen der
Stammzellen).
P. Caan (Köln), Wenen und Pathocenese der Ostitis deformans
(Paget). Bruns Beitr. 125 H. 1. Im Anschluß an zwei Beobachtungen
typischer Pagetscher Erkrankung wird die Pathogenese des Leidens
besprochen. Verfasser glaubt, daß die Dysfunktion mehrerer zuein¬
ander in Wechselwirkung stehender hypokriner Drüsen den ersten
Anstoß zur Entwickelung geben. Diese verschiedenen Hormone wirken
auf das Knochenmark entzündungserregend und bewirken so gewaltige
hyperplastische Wucherungen mit Blutungen und nachfolgenden dege-
nerativen Umwandlungsprozessen. Das Trauma oder ein anderer Reiz
treten in zweiter Linie als wirksame Faktoren auf. Auch wird eine
hereditäre Disposition angenommen.
E. Kretschmer (Tübingen), KoiMtltatioasproblem in der Psy¬
chiatrie. Kl. W. Nr. 13. Die Psychiatrie hat an den Konstitutions¬
fragen deshalb ein besonders großes Interesse, weil ein großer Teil
aller psychischen Erkrankungen und Regelwidrigkeiten konstitutionell
endogen bedingt sind. Die Dementia praecox vererbt sich nicht
dominant. Sogenannte schizoide Persönlichkeitsanlagen (autistische,
einspännige, verschobene, bald kalte und stumpfe, bald besonders
zarte, nervöse Menschen) scheinen den hereditären Mutterboden zu
bilden, aus dem bei ungünstigem Zusammentreffen der Erbmassen an
vereinzelten Stellen des Erbgangs da und dort einmal eine schizophrene
Psychose hervorspringt. Das manisch depressive Irresein scheint sich
vorwiegend dominant zu vererben. Endogene Psychosen sind auf alle
Fälle nichts selbständig in sich Abgeschlossenes, sondern ein unzer¬
trennlicher Entwicklungsbestandteil einer bestimmt gearteten Gesamt-
ersönlichkeit. Es bestehen gewisse Korrelationen zwischen Körper-
au des Menschen und seinen seelischen Apiagen. Bei manisch de¬
pressivem Irresein gehäuftes Vorkommen des sogenannten pyknischen
Körperbaues, der neben reichlichen, andersartigen Bildern doch als
einziger im zirkulären Formenkreis stark vorherrscht. Beim schizo¬
phrenen FormenkFeis finden wir körpermorphologisch eine ganze
Reihe von Typen und Einzelstigmen beteiligt, die in bunter Mischung
durcheinander greifen. Das Konstitutionsproblem in der Psychiatrie
fördert das Persönlichkeitsproblem bis zu einem Punkte, wo Soma
und Psyche in einen großen biologischen Gesamtkomplex zusammen¬
zuschmelzen beginnen.
Rittershaus, Klinische Stellung des manisch-depressiven
Irreseins. Zschr. f. d. ges. Neurol. 72, S. 320, 1921. Polemik über Mi߬
verständnisse, Einwände und Besprechung grundsätzlicher Fragen. Das
manisch-depressive Irresein ist ein Symptom, das bei der endokrinen
Digitized by LjCk »öle
Original from
CORNELL UNIVERSSTV
538
LITERATURBERICHT
Nr. 16
Affektpsychose, die eine Erkrankung ist, im Vordergründe stehen kann, |
aber nicht muß.
Wiersma, Psychologische Auffassung einiger Reflexe. Zschr.f.
d. ges. Neurol. 72, S. 254, 1021. Zwischen Reflexen und höheren
Willensäußerungen bestehen nur graduelle Verschiedenheiten. Die
Reaktionszeiten sind nur gradweise verschieden, die Reflexe lassen sich
auch aus willkürlichen Bewegungen entwickeln, sie sind zum Teil
zweckmäßig und vermögen sich veränderten Verhältnissen anzupassen.
Wie gleichzeitige Bewuntseinsvorgänge, so beeinflussen sich auch die
Reflexe gegenseitig hemmend. (Hemmung des ursprünglichen Babins-
kischen Reflexes durch den aus willkürliche» Bewegungen hervorge¬
gangenen Beugereflex).
Dahlström und Wideröe, Kommunikationsverhältnisse des
Liquor zerebrospinalfe bei sypbilogenen Geisteskrankheiten. Zschr. f.
d. ges. Neurol. 72, S. 75, 1921. Wa.R. fiel in Ventrikel- und Lumbal¬
flüssigkeit verschieden aus, ebenso Zellgehalt und Eiweißreaktion, und
zwar in den Ventrikeln oft negativer bei positivem Liquorbefund. Nach
Injektionen von Farbe in die Ventrikel war die Lumbalflüssigkeit nach
V* Stunde gefärbt, Luft drang immer aus dem Lumbalkanal in das Gehirn,
die Ausbreitung war verschieden (zahlreiche Röntgenaufnahmen). Prak¬
tische Schlüsse können aus den Versuchen noch nicht geschlossen werden.
Büchler, HypophysenverflnderuiiKen. Zschr. f. d. ges. Neurol. 72,
S. 207, 1921. Bericht über mehrere Fälle von funktionellen Verände¬
rungen der Hypophyse nicht geschwulstartiger Natur, mehrmals Syphilis,
einmal durch Sektion festgestellte Sklerose unbekannter Natur, trau¬
matische Veränderungen, Folge von Masern. Die Symptome entsprachen
den'bekannten Krankheitsbildern Kachexie, Hypopituitarismus, Dystro¬
phia adiposo-genitalis, Akromegalie.
E. Lewy, Gähnen. Zschr. f. d. ges. Neurol. 72, S. 161, 1921. Der
erste Zweck des Gähnens ist rein somatisch, dient zur Erhöhung
des Tonus. Es ist eine Parallelerscheinung zum Sich-strecken, mit
dem es oft zusammen vorkommt. Es ist ein subkortikaler Automatis¬
mus, dessen Sitz wohl im Striatum anzunehmen ist.
Trömner, Gehstottern und Rindenkrampf. Zschr. f. d. ges. Neurol.
72, S. 155, 1921. Mit Krämpfen einhergehende, anfallsweise Gehstörung.
Verfasser faßt es als dem Stottern parallele Intentions-Neurose auf, als
einen zwangsmäßig auftretenden Komplex von Hemmungen und
Krampfbildungen.
K. Magunna (Qöttingen), TrichlorStbylen bei Trigeminusneural¬
gie. Kl. W. Nr. 13. Das Trichloräthylen hilft bei vielen Fällen echter
Trigeminusneuralgie oder bringt wenigstens eine erhebliche Linde¬
rung der Schmerzen. Da Nebenwirkungen nicht beobachtet sind,
verdient es zweifellos weitere Beachtung.
H. Weskott (Aachen), Spina bifida occulta und Ischias. Kl. W.
Nr. 13. Bei 260 Ischiaskranken fand Weskott 6 mal neben der Ischias
eine Spina bifida occulta, doch ist der Prozentsatz zu gering (2,31 °/ n ),
um den Schluß nach einem kausalen Zusammenhang zu ziehen. Es
dürfte in den entsprechenden Fällen ein auf das Wurzelgebiet des
N. ischiadicus im Plexus sacralis (Lw4—Sw2) mehr oder weniger
drückendes oder an den Häuten des dort freiliegenden Rückenmarks
zerrendes Gewebe als die Ursache anzusehen sein. Die klinische und
röntgenologische Diagnose der Sp. b. o. versagt in vielen Fällen.
G r a ß h e i m, Aetlologiache Erklärung tabischer Skeletterkrankungen.
Zschr. f. d. ges. Neurol. 72, S. 119, 1921. Röntgenologisch ließen sich
bei Tabikern schon im präataktischen Stadium Knochenatrophien und
-porosen nachweisen. Diese, wie die folgenden Osteo- und Arthropa¬
thien führt er auf Veränderungen der Blutdrüsenfunktion zurück, die
toxisch zu erklären seien. Veränderungen der entsprechenden Nerven
fanden sich histologisch nicht. — Kalk, Lebertran und Strontium hatten
keinen Erfolg. Die innersekretorischen Störungen sind den übrigen
tabischen Erscheinungen gleichzustellen.
H. Fischer und Schlund, Faradlsatloo der quergestreiften
Muskulatur bei Krampfkranken und Gesunden. Zschr. f. d ges. Neurol.
72, S. 1, 1921. Krämpfe, aktive Muskelarbeit und Faradisation ergeben
dasselbe Blutbild (Zunahme der Lvmphozyten, Abnahme der Neu-
trophilen).BeimGesunden und Krampfkranken nach Nebennierenoperation
war das Blutbild atypisch, ließ sich aber durch Adrenalin und Faradi¬
sation wieder typisch erzielen. Beim Krampfanfall wie bei der Fara¬
disation sind das Wesentliche Reizerscheinungen mit starken Schwan¬
kungen im vegetativen Nervensystem und damit im Stoffwechsel. Der
Krampfanfall ist also eine Folge einer Schwankung im vegetativen
Nervensystem. _
Chirurgie.
++ Karl Niemy, Die Versorgung und Ausrüstung der Am¬
putierten In der Marine. Jena, G. Fischer, 1921. 38 S. Ref.:
Koenig (Berlin).
Die Marine hat schon im ersten Kriegsjahr für die Amputierten
eigne Lazarette geschaffen und damit begonnen, die derart Verwundeten
mittels Hilfsprothesen so frühzeitig wie möglich wieder auf die Beine
zu bringen. Dabei sind die von anderen Chirurgen — namentlich
Sauerbruch — gemachten Erfahrungen sorgfältig berücksichtigt,
aber auch eigene neue Wege beschritten worden. Ueber die Erfolge
berichtet der Chefarzt Dr. Niemy mit anerkennenswerter Selbstkritik;
zum Schluß liefert er einen bemerkenswerten Beitrag zur Psychologie
der Kriegsverwundeten.
O. Haberland (Köln), Experimentelle und klinische Unter-
snchoogenXmit'Cbelonln bei chirurgischer Tuberkulose. Bruns Beitr.
J25 H. 1. Es wurde kein Fall beobachtet, bei dem ein günstiger
Einfluß oder eine Heilung allein dem Schildkrötentuberkelbazillen¬
präparat zuzuschreiben war. Auch die Kombination mit dem Chelonin-
Tuberkulin brachte keine zweifelsfreien positiven Ergebnisse. Die
einmalige Injektion wurde gar bald verlassen, da sie kein Nutzen ver¬
sprach. Einzelne Fälle von günstiger Beeinflussung werden als nicht
spezifische Resistenzsteigerung oder Protoplasmaaktivierung gedeutet.
Verfasser hält es auf Grund der bakteriologischen Untersuchungen,
Tierexperimente und klinischen Beobachtungen für einen Kunstfehler,
eine prophylaktische oder therapeutische Vakzination mit lebenden,
wenn auch avirulenten, den menschlichen Tuberkelbazillen verwandten
Mikroben zu üben.
C. Roh de (Freiburg), Nachbehandlung Laparotomierter besonders
durch die Sitz- und Steillage nach Renn. Kl. W. Nr. 13. Schilderung
der in der Lexerschen Klinik schon seit Jahren geübten Nachbehandlung
Laparotomierter nach den Prinzipien der Sitz- und Steillage nach Reh n.
H. Altmeyer (Dortmund), Technik der Beseitigung von gut¬
artigen Stenosen der Papilla Vateri. Bruns Beitr. 125 H. 1. Ein¬
führung eines Kehrschen T-Drains nach Eröffnung des Duodenums in
den Cholodochus durch die Papille mit Hilfe eines Fadens. Der Drain
bleibt je nach der Schwere der Stenose 1—3 Wochen liegen. Von
6 nach dieser Methode operierten Fällen waren 5 erfolgreich.
E. Eichhoff (Breslau), Chirurrie des Rektums. Bruns Beifr. 125
H. 1. Das Material der Breslauer Klinik und der Küttnerschen Privat¬
klinik aus den Jahren 1879 bis Anfang 1920 umfaßt 1021 Fälle von
denen 221 nur für einige Zahlenangaben verwertet wurden. Von den
übrigen 800 Fällen wurden 610 in der Klinik behandelt, 516 operativ,
94 nur noch mit Bestrahlung. Radikal konnten 326, mit Anus praeter¬
naturalis 166, nur mit Palliativeingriffen 11 behandelt werden. In
13 Fällen mußte die Radikaloperation als technisch nicht ausführbar
aufgegeben werden, 16 Fälle wurden wegen Heus, davon 2 radikal, die
anderen mit Anus präternaturalis operiert Von den 326 radikal
Operierten sind 79 im Anschluß an die Operation gestorben, über 38
konnte keine Nachricht erhalten werden. Von den übrigen 209 waren
1920 noch 60 am Leben, 149 waren gestorben. Auf die Ausführungen
über die operative Technik, die Nachbehandlung, die funktionellen
Resultate, die Indikationen für Anlegung des künstlichen Afters kann
hier nicht eingegangen werden. Von den sakralen Operationsmethoden
haben das Kraskesche Verfahren der primären zirkulären Darmnaht und
die sakrale Verlagerung nach Küttner die geringste primäre Mortalität
und auch die günstigsten Dauerresultate ergeben.
G. Wolff (Breslau). Durch Muskelzu* entstandene AbriBfraktur
der unteren Hals- oder oberen Brustwirbeldorne. Bruns Beitr. 125
H. 1. Typisch ist entsprechend den anatomischen Verhältnissen be¬
sonders des M. trapezius, daß grade 7 Halswirbel2 Brustwirbel
betroffen werden. Die Verletzung entsteht bqim Arbeiten in gebückter
Stellung, bei der die Arme eine erhebliche Last zu heben haben,
während gleichzeitig die Wirbelsäule mehr oder weniger gestreckt
Fr. Kindt und H. Weskott (Aachen), Ist die Roser-Ndlatonsche
Linie für die Erkennung von nicht traumatischen Hüftgelenks-
erkrankuegen notwendig? M. m. W. Nr. 12. Auch bei Hüftgesunden
findet sich sehr häufig Trochanterhochstand. Für die Erkennung der
Arthritis deformans, der Coxa valga, Pfannenwanderung und anderer
nicht unmittelbar traumatischer Affektionen hat die Roser-N^laton-
sche Linie keine differentialdiagnostische Bedeutung, wichtig bleibt
sie für Luxationen im Hüftgelenk.
W. Altschul (Prag), Aetiologle der Schlatterschen Erkrankung.
Bruns Beitr. 125 H. 1. Die Ansicht Müllers und Frommes, daß
die Schlattersche Krankheit auf spätrachitischer Grundlage beruhe,
wird bestritten. Er hält auf Grund von 7 neuen Fällen, von denen
bei 2 ein autoptischer Befund aufgenommen werden konnte, daran
fest, daß es sich um eine Verletzung der Tibiaapophyse handelt, sei
es durch direkte, sei es durch indirekte manchmal recht geringfügige
Gewalteinwirkung. • 4
Ellen Lechner (Bonn), Hlmanglome- Bruns Beitr. 125 H. 1.
56 aus der Literatur gewonnenen Fällen wird eine weitere Beobachtung
hinzugefügt: 19 jähriger Mann mit faustgroßem Angiom im rechten
Schläfelappen mit Erweichung der umgebenden Hirnsubstanz, der
klinisch die Erscheinungen der Epilepsie zeigte.
A. Läwen (Marburg), Operationen an den Plexus chorloidei der
Selten Ventrikel und offene Fensterong des Balkens bei Hydrocepbalus
Internus. Bruns Beitr. 125 H. 1. Den Zugang in die Seitenventrikel
und ihre Plexus durch die Gehirnsubstanz hindurch, wie ihn Dandy
in seinen 4 Fällen und Verfasser in einem beschriebenen Falle gewählt
haben, ist nur bei sehr starken Ventrikelausdehnungen mit hoch¬
gradiger Wandverdünnung ratsam. Verfasser wählte daher als neuen
Weg die offene Fensterung des Balkens. Die mitgeteilten 4 Fälle
zeigen, daß die Operation technisch ausführbar ist, und daß sie ver¬
tragen wird. Sie läßt sich unter örtlicher Betäubung ausführen, und
eignet sich als Entlastungsoperation bei inoperablen Hirntumoren mit
Hydrozephalie. _
Frauenheilkunde.
♦♦ Walter Linderaann, Grundlagen der gynäkologischen
Ausbildung. Wiesbaden, J. F. Bergmann, 1922. 173 Seiten mit
186 Abbildungen. M.45.—, geb. M.57.—. Ref.: H.Freund (Frank-
furt a. M.).
Das mit offensichtlich großem didaktischen Eifer ^geschriebene
Buch stellt sich die Aufgabe, die Grundlagen der Gynäkologie dem
Studierenden, mit möglichster Vertiefung zugänglich zu machen. Dem-
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
21. April 1922
LITERATURBERICHT
539
entsprechend nimmt die Darstellung der Anatomie, Entwicklungsge¬
schichte und Physiologie die Hälfte des Leitfadens ein und gibt neben
instruktiven Abbildungen eine im allgemeinen zweckentsprechende,
wenn auch bezüglich der Ausführlichkeit nicht immer gleichmäßige
Darstellung. Die physikalischen Grundlagen der Strahlentherapie
werden auf 38 Seiten abgehandelt, und zwar so eingehend, daß es für
den Medizinstudenten fast zu viel erscheint. Weniger glücklich ist
„ein Ueberblick über die Genitalerkrankungen", weil hier nur einzelne
Affektionen summarisch berührt werden. Für ein Lehrbuch ist das
zu wenig, für „Grundlagen der Gynäkologie" entbehrlich. Auch die
„therapeutischen Grundlagen des Frauenarztes" verdienen eine breitere
Behandlung. Sehr sympathisch berührt die streng wissenschaftliche
Note in d$m Buche, das zur Gewinnung propädeutischer Kenntnisse
dem Studierenden empfohlen werden kann.
Franz Groedel (Frankfurt a. M.), Röntgenbehandlung klimakteri¬
scher Erscheinungen. M. m. W. Nr. 12. Vielleicht kann man durch
Röntgenreizbestranlung die innersekretorischen Zellen des Eierstocks
zu gesteigerter Tätigkeit anregen, wobei anscheinend die dazu nötige
Dosis gleich der Vernichtungsdosis für den Follikelapparat ist. Für
die Behandlung klimakterischer Beschwerden ist die Applikation je
einer Hauttoleranzdosis auf die Ovarien zur Zeit das beste Mittel,
auch der im Klimakterium erhöhte Blutdruck sinkt dann ab.
Haut- und Venerische Krankheiten.
Stephan Rothman (Gießen), Die Mischung der Salvarsan-
präparate. M. m. W. Nr. 12. Zwischen der Salvarsan-Sublimatmischuftg
und der Salvarsan-Novasurolmischung bestehen keine prinzipiellen
Unterschiede. Cyarsal spaltet das Hg sehr langsam ab und wirkt
schwächer. Die intravenöse Injektion entfaltet keine Depotwirkung
des Hg, die doch gerade anzustreben ist. Bei dem Linser-Verfahren
auffallend häufig Stomatitis. In der Wirksamkeit steht die Misch¬
spritzenbehandlung hinter den älteren Kombinationsmethoden zurück.
Kinderheilkunde.
Kurt Käding (Bonn), Alter und Fettpolsterdicke als alleiniger
Mißstab für den EraShrungszustand. M. m. W. Nr. 12. Neben dem
Nabel wird eine Hautfalte emporgehoben und die Dicke mittels
eines Bdckenzirkels gemessen. Die damit zahlenmäßig festgelegte
Dicke des Fettpolsters steht in engem Abhängigkeitsverhältnis von
Alter und Geschlecht und gestattet einen direkten Schluß auf die
Ernährungsverhältuisse der Schulkinder.
Eugen Neter (Mannheim), Idiosynkrasie gegen Kuhmilch.
M. m. W. Nr. 12. Die ausgesprochenen Fälle von Idiosynkrasie gegen
Kuhmilch sind anscheinend nur eine Steigerung der den meisten Säug¬
lingen eigenen Ablehnung der fremden Milch. In solchen Fällen wird
am besten Ziegenmilch als Ersatz genommen.
H. David so hn (Berlin), Künstliche Ernährung Neugeborener und
langer Säuglinge in Anstalten. Zschr. f. Kindhlk. 31 H. 5/6. Durch¬
fälle beim neugeborenen und jungen Säugling ohne beträchtliche
Störungen des Allgemeinzustandes sind „als durch Infekte oder äußere
Reize entstandene" katarrhalische Erscheinungen des empfindlichen
Dickdarmes dieser Kinder aufzufassen. Die Beseitigung dieser das
Gedeihen der Kinder hemmenden Darmstörung gelingt eher, als auf
dem Wege der Nahrungsentziehung, durch eine Erhöhung der
Kalorienzufuhr. Die Erhöhung des Brennwertes der Nahrung ist
möglich durch eine Steigerung der Trinkmenge oder bei den oft
schlecht trinkenden jungen Kindern durch eine Konzentrierung der
Nahrung (Zulage von Trockenmilch, 17°/ 0 Zucker, konzentrierter Eiwei߬
milch und 20°/ rt Zucker usw.) Für diese durch Nahrungsvermehrung
heilbaren, durchfälligen Störungen wird der Name „initiale Diarrhoe"
vorgeschlagen.
Toshio Ide (Wien), Tryptopbanaufnahme und Tryptophanbedarf
im Kindesalter. Zschr. f. Kindhlk. 31 H. 5/6. Tryptophan, das für
das Wachstum und das Stickstoffgleichgewicht des Organismus unent¬
behrlich ist, findet sich im Kolostrum etwa in siebenfacher Menge als
in der Dauermilch der zweiten Woche der Stillung. Gewichtszunahme
tritt beim Neugeborenen erst ein, wenn der Tryptophananteil der
Nahrung 0,05 g pro kg Körpergewicht übersteigt.
Luise v. Seht (München), Syntropie kindlicher Krankheltsznstände.
Zschr. f. Kindhlk. 31 H. 5/6. Die pathologische Fettsucht, meist im
Sinne der Dystrophia adiposogenitalis, zeigt ein häufigeres als zu¬
fälliges Zusammentreffen (= Syntropie) mit kongenitaler Syphilis, die
Erscheinungen am Nervensystem gemacht hat. Die Syntropie zwischen
impetiginösen Erkrankungen und Nephritis ist etwa die gleiche wie
zwischen Scharlach und Nephritis. Zystitis der Säuglinge und hämor¬
rhagische Diathese zeigt starke Syntropie.
O. Lade (Düsseldorf), Säkularkurve der Diphtherie und die
Brückoerscheu KHmaperioden. Arch. f. Kindhlk. 71 H. 1. Besonders
heftige und schwere Diphtherieepidemien zeigen die gleiche periodische
Wiederkehr in Abständen von 30—35 Jahren, die von Brückner für
die Niederschlagsmengen, die Gletscherbewegungen usw. aufgewiesen
werden konnten. In diesen Jahren ist die Möglichkeit des zumJAuf-
treten schwerer diphtherischer Erscheinungen günstigen,Wetters am
ehesten gegeben. Diese das Auftreten der Diphtherieerkrankungen
begünstigenden Tage sind solche, an denen sich die Luftfeuchtigkeit
nahe unter dem Sättigungspunkt hält, ohne daß es zu Niederschlägen
kommt (Nebelbildung). Die metereologischen Beobachtungen lassen
für die nächsten Jahre voraussichtlich ein Absteigen der Diphtherie¬
morbidität und -mortalität erwarten.
H. Rietschel (Würzburg), Zur Syphilisiofektiou iolra partum.
Zschr. f. Kindhlk. 31 H. 5(6. Die Infektion der kongenitalen Syphilis
erfolgt hämatogen wahrscheinlich sub partu oder intra partum. Die
hämatogene Infektion erklärt die Besonderheiten im klinischen Ver¬
lauf der kongenitalen Syphilis. Die wechselnde Massivität der In¬
fektion macht die verschieden lange Inkubationszeit und die wechselnde
Intensität der Symptome der Säuglingsysphilis verständlich.
B. Asal-Falk (Heidelberg), Kopliks bei Grippe. M. m. W. Nr. 12.
In der Kinderklinik wurden in 3 Fällen während einer Grippeepidemie
typische Kopliksche Flecke beobachtet, denen keine Erscheinungen
von Masern folgten.
St. Engel (Dortmund), Paravertebrale dystelektatische Pneu¬
monie der Säuglinge. Aren. f. Kindhlk. 71 H. 1. Die paravertebrale
Pneumonie hat ihren Sitz in der rechten Lunge nur im Oberlappen,
in der seltener befallenen linken Lunge im Unterlappen. Diese Lokalisa¬
tionen entsprechen den am schlechtesten durchlüfteten Partien der
Lungen. Daher ist für diese Lungenverdichtungen der Name der
„hypostatischen" Pneumonie abzulehnen und besser durch die Bezeich¬
nung „dystelektatische paravertebrale Pneumonie" zu ersetzen.'
L. Langstein und H. Langer (Berlin), Toxikose und Intoxikation
als Krankheitsbezeichnung. Zschr. f. Kindhlk. 31 H. 5/6. Die bald zur
Benennung eines Krankheitszustandes (Finkeistein), bald zur Kenn¬
zeichnung eines krankhaften Geschehens (Czerny-Keller) gebrauchten
Namen Intoxikation und Toxikose könnten zu besseren Verständigung
vielleicht durch die Bezeichnung als Dyspepsien mit drohender oder
manifester komatöser Reaktion ersetzt werden, wobei einmal der Aus¬
gangspunkt der Störung (d. i. ein Enterokatarrh) und dann das zum
Zustandekommen der Erkrankung notwendige konstitutionelle oder
konditionelle Moment (azidotische Konstitution) genügend Betonung
finden würde. %
Leo Hauschild (Berlin), Bakteriologie initialer Diarrhöen beim
Neugeborenen. Zschr. f. Kindhlk. 31 H. 5/6. Die initialen Diarrhöen
junger Säuglinge, die durch Nahrungssteigerung heilber sind, unter¬
scheiden sich von den alimentären, akuten Dyspepsien durch das
Fehlen einer Kolibesiedelung des Duodenums. Dieser Befund spricht
für die Annahme des Sitzes der Erkrankung im Dickdarm.
E. Freudenberg und P. György (Heidelberg), Pathogenetische
Beziehungen zwischen Tetanie und Rachitis. M. m. W. Nr. 12. Bei
Rachitis und latenter Spasmophilie besteht eine azidotische, bei mani¬
fester Tetanie eine alkalotische Richtung des Stoffwechsels, der
Umschlag wird durch hormonale Einflüsse herbeigeführt. Mit Salmiak
und anderen Maßnahmen, die zur Azidose führen, kann man eine
Phosphatdiurese auslösen und die Tetanie heilen, vielleicht wirkt
auch das Kalziumchlorid in diesem Sinne.
Plato (München), Urinaltherapie der Enuresis. M. m. W. Nr. 12.
Bei Enuresis und Pollakisurie Jugendlicher zeigte sich nach Anwendung
von Urinalen wesentliche Besserung. Der Erfolg wird durch die
suggestive Wirkung erklärt Empfohlen wird das Modell „Wota".
E. Friedberg (Freiburg), Chronische Bleivergiftung im Kindes¬
alter. Arch. f. Kindhlk. 71 H. 1. Bleivergiftung entstand durch jahre¬
langes Spielen mit Bleisoldaten, die sich beim Fehlen aller spezifischen
Symptome nur in Gelenk- und Muskelschmerzen und im Fehlen der
Patellar- und Achillessehnenreflexe äußerte.
Hygiene.
44 Veröffentlichungen aus dem Gebiete der Medizinalver¬
waltung. Bd. 14 H. 1. Berlin, R. Schoetz, 1921. 128 S. M. 24.—.
Ref.: Heisch (Frankfurt a. M.).
In der ersten Arbeit des Heftes wird von O. Peiper das
Fleckfieber in Ostpreußen in den Jahren 1918—1920 be¬
handelt und der damalige Stand der Läusebekämpfung. Im Jahre
1918 erkrankten (starben) in Preußen an Fleckfieber 659 (71) Per¬
sonen, 1919 3758 (327) und 1920 (bis einschließlich Mai) 248 (11).
Der Anstieg der Erkrankungsziffern im Jahre 1919 war auf die
Folgen der überstürzten Demobilisierung und die Unterlassung einer
gründlichen Entlausung zurückzuführen. — Will führ berichtet über
das Fleckfieber im Regierungsbezirk Potsdam wäh¬
rend der Jahre 1918 und 1919. — Klinische und serolo¬
gische Beobachtungen bei Fleckfieber werden von Pusch
mitgeteilt. Es wird für die Bekämpfung der Seuche in den Grenz¬
kreisen gefordert, daß bei der Anstellung der Desinfektoren grund¬
sätzlich „Fleckfieberfestigkeit“ verlangt werden, d. h. aus den zahl¬
reichen ehemaligen Heeresangehörigen Leute ausgesucht werden sol¬
len, die Fleckfieber überstanden haben. Alle Desinfektoren müssen
schleunigst in besonderen Kursen in den Entlausungsverfahren aus¬
gebildet werden Beamtete Aerzte, die während des Krieges besonders
ausgiebig bei der Fleckfieberbekämpfung tätig waren, sollten als
„Fleckfieberkommissare“ erforderlichenfalls auch für Nachbarkreise
mit herangezogen werden.
Digitized b'
Google
Original from
CORNELL UNfVERSITY
540
LITERATURBERICHT
Nr. 16
Aus der'ausländischen Literatur.
(Schweiz, Holland, Schweden« Spanien, Rußland, England, Frankreich, Amerika.)
F. Igea (Valladolid), Krebsprophylaxe. Castilla med. II 1922 Nr. 8.
Mehrere Beispiele für die Kontagiosität des Krebses werden angeführt
Für die Uebertragung kommt besonders das Trinkwasser in Betracht,
in dem sich die Krebsamöbe findet. Diese Krebsamöbe läßt sich durch
Jod, Quecksilber und Arsen beeinflussen, so daß eine Behandlung mit
diesen Mitteln in inoperablen Fällen angezeigt sein soll.
Maier (Zürich), Untersuchungen über die Wirkungen des Koffeins
und de6 Kaffees auf den Menschen. Schweiz. Arch. 1. Neurol. 9 H. 2,
10 H. 1. Ausführliche experimentelle Arbeit, die sich mit der Wirkung
des gewöhnlichen Kaffees und des koffeinfreien Kaffee Haag be¬
schäftigt. ln Dosen von 30/300 als Infus erzeugt der gewöhnliche
Kaffee eine meßbare Blufdrucksteigerung, in Dosen von 60/300 fehlt
diese, dagegen wird der Puls frequenter und häufig unregelmäßig, es
treten häufig Kongestionen, Händezittern, Druckgefühl in der Herz¬
gegend usw. auf. Die Wirkung der Schlafmittel wird aufgehoben,
ebenso bei Anwendung steigender Dosen die toxischen Lähmungs¬
erscheinungen nach Nikotinabusus. Bei Genuß von Kaffee Haag fallen
diese Erscheinungen weg. Trotzdem ist der koffeinfreie Kaffee nicht
als ein psysiologisch wirkungsloses Getränk aufzufassen, denn wie
durch die Kraepelinschen Additionsversuchfe gezeigt werden kann, wird
durch ihn in ebenso starkem Maße wie durch d&h koffeinhaltigen
Kaffee die geistige Arbeitsfähigkeit gesteigert. Diese Eigenschaft ist
nfcnt zurückzuführen auf das Koffein, sondern sehr wahrscheinlich
auf gewisse aromatische Röstprodukte.
Aksel O. Haneborg, Wirkungen lies Alkohols auf die Magen-
verdaonng. Acta medicascandinavica, Suppl.I. (Englisch!). Wie schon
frühere Untersucher fanden, erfolgt die Resorption genossenen Alkohols
fast völlig und sehr schnell aus dem Magen, wobei der Füllungsgrad
von Einfluß ist. Chronische Gastritis verhindert die Resorption nicht.
Im Körper oxydiert wird der Alkohol binnen drei bis vier Stunden.
Auf Proteolyse in vitro hat bei geringer Konzentration der Alkohol
kaum Einfluß; im Magen beschleunigt er sie in kleinen Dosen, wobei
er durch Sekretionsanregung und auch Verstärkung der Magenbe¬
wegungen wirkt. In dieser Weise kann Bier und Wein, nicht im
Uebermaß genossen, günstig wirken, so mitunter bei Magenkarzinom
schmerzlindernd; kontraindiziert ist dagegen Alkohol bei nervöser
Dyspepsie und wirkungslos bei völliger Achylia gastrica. Bei den
genannten alkoholischen Getränken wirkt übrigens der Extraktgehalt
an der Sekretionsanregung mit, ebenso bei Likören das Vorhandensein
flüchtiger Stoffe; im allgemeinen ist die Zuträglichkeit alkoholischer
Getränke bei Kranken durchaus individuell verschieden und vorsichtig
zu beurteilen.
W. Watkins-Pitchford (Lancet 1922 14.1.) gibt den Jahresbericht
über die Silikose der Bergarbeiter in Südafrika für 1920. Seit 1916
besteht eine Behörde zur Bekämpfung dieser Erkrankung in den Gold¬
minen Südafrikas, und jeder Arbeiter, der sich in die Gruben meldet,
wird vorher genau untersucht, es wurden in dem dem Jahresbericht
zugrundeliegenden Jahre 57% aller Arbeiter dauernd, 16% zeitweilig
zurückgewiesen. Seit 1916 wurden 3592 von der Behörde vorunter-
suchte Arbeiter angestellt, von diesen sind bisher 2 an Lungentuber¬
kulose und keiner an Silikose erkrankt. Es wird durch fortgesetzte
Untersuchungen alles getan, um alle der Tuberkulose verdächtigen
Personen aus den Gruben fernzuhalten. Pitchford ist davon über¬
zeugt, daß das Arbeiten in den Bergwerken nicht besonders zu Lungen¬
tuberkulose disponiert, wohl aber kommen immer noch Fälle von
Silikose vor. Das Durchschnittsalter, in dem sie entdeckt wird, ist
41,3 Jahre. Während der Typ der Erkrankung leichter geworden zu
sem scheint, hat die Silikose an Häufigkeit zugenommen, besonders
gilt dies für die an den Bohrmaschinen tätigen Arbeiter. Es ist merk¬
würdig, daß Leute, die früher jahrelang in Zinnbergwerken gearbeitet
haben, später als andere Arbeiter in den Goldgruben an Silikose er¬
kranken. Interessant ist auch, daß die Silikose lange Zeit völlig un¬
bemerkt bestehen kann, wenigstens findet man häufig, daß bei an¬
scheinend völlig gesund entlassenen Arbeitern, die lange^ dem Staub
entzogen waren (z. B. an Kriegsteilnehmern), sich erst später die Sili¬
kose ausgebildet hat.
Butler (Lancet 28.1. 1922) und R. Craske Leaning (ibid.) be¬
richten über loflaeflzabehaodlune. Butler hat mit der von ihm ange¬
gebenen Methode in mehreren Epidemien seit 1919 bei 800 aufeinander¬
folgenden Fällen nur 2 Todesfälle gesehen, und Leaning (der Kreisarzt
des Distriktes in dem Butler praktiziert) hat ebenfalls die günstigsten
Erfolge gesehen. Der Kranke erhält zuerst Kalomel oder Rizinusöl,
bis er gut abgeführt hat und von da an alle 4 Stunden 1,5 —2,0 Natir.
bicarb., sonst nur laue Abwaschungen, wenn die Temperatur über
39,5° C steigt. In den ersten 24 Stunden läßt er den Kranken fasten
und in den zweiten 24 Stünden gibt er pur wenig Nahrung, aber reich¬
lich Wasser.
W. S. Thomas (J. Am. Med. Ass. 1921 31. XII.) berichtet über die
Serwnhehaodltnir der Tyous^Pnemnonien. Er stellt zuerst fest, daß
die Sterblichkeit dieser Pneumonien sehr nach Ort und Zeit des Vor¬
kommens schwankt und daß sie vielleicht njcht so große Sterblichkeit
auf weisen, wie man im allgemeinen annimmt. Die Anwendung eines
spezifischen Serums vom Typus I schien die Krankneitsdauer in 4 von
4?n 50 behandelten Fällen herabzusetzen, in 8 einen kurz vorüber¬
gehenden günstigen Einfluß zu haben und in 38 ohne jede Wirkung
zu sein. 10 von den 50 behandelten zeigten anaphylaktische Störungen,
die durch Epinephrin beseitigt wurden. Man sollte in Jedem Falle der
Serumeinspritzung eine intrakutane Einspritzung mit Pferdeepidermis
und Pferdeserum vorausgehen lassen, um die Empfindlichkeit gegen
Pf^deserum zu prüfen. Serumexanthem folgte bei 36 von den 50 Fällen.
4 W. Barykin und E. Gerzyk (Rostow a. Don), Charakteristik
des Icterus infectiosus. Wratschebnoje Djelo 1922 Nr. 16—21. Im
Laufe der letzten 3 Jahre wurden in Rostow' a. D. und in den benach¬
barten Städten Massenerkrankungen an Ikterus beobachtet, die unter
dem Bilde der Weilschen Krankheit verliefen. Den Verfa^ern gelang
es bei mehr als 150 untersuchten Kranken in keinem einzigen Falle,
die von Inado und Ito beschriebenen Spirochäten direkt mikro¬
skopisch im Blut nachzuweisen, und nur in einem Falle gelang die
Züchtung der Spirochäte aus dem Krankenblute auf dem Nährboden
von Noguchi. Dagegen fanden sie bei der Untersuchung von 72 Fällen
in 25 Fällen (35%) die Spirochäten im Urin der Kranken. Der Urin
wurde sedimentiert, der Bodensatz mit Karbolfuchsin gefärbt, dann mit
Alkohol und Tannin bearbeitet. Frühestens ließen sich die Spirochäten
im Urin am 7.-8. Krankheitstage nachweisen. Der Nachweis der
Spirochäten im Blut mißlang wohl deshalb, weil die Kranken zu spät
zur Beobachtung kamen, meist schon bei Abfall der Temperatur. Die
Untersuchung der Kleiderläuse auf Spirochäten führte zu einem nega¬
tiven Ergebnis in allen Fällen.
D. Ni kitin, Darmverstopfanren im Befolge des Hmgers.
Wratschebnoje Djelo 1921 Nr. 16—21. Neben den Oedemen infolge
von Herzschwäche und Hydrämie und verschiedenen Störungen der
inneren Sekretion, bilden Magendarmstörungen eine der häufigsten
Folgeerscheinungen der Inanition. Die Verwendung von allerlei un¬
verdaulichen Stoffen und Abfällen, um nur den Hunger zu stillen,
führt zu schweren Obstruktionen im Dickdarm. Am häufigsten sitzt
die.Verstopfung im Mastdarm, oft ist auch die Flexur und das Colon
descendens durch Kotmassen vollständig verstopft. Die Krankheits¬
erscheinungen sind mitunter sehr schwer: quälende Schmerzen, blutiger
Stuhl, starke Auftreibung des Leibes. Als Surrogate von Nahrungs¬
mitteln kommen verschiedene Pflanzenteile: Blätter vom Wegerich, Plan-
tago, Moos, Kartoffelschalen, namentlich aber Kleie und die Schalen
von verschiedenen Kornarten in Frage. Diese letzteren rufen auch
Verletzungen der Darmschleimhaut hervor, die zu Blutungen führen.
Der Genuß von ungemahlenem Roggen, Buchweizen, Hanfsamen, die
unverdaut in den Dickdarm gelangen und dort stark quellen, ruft Auf¬
treibung des Darmes und Schmerzen hervor. Das Korn wird in den
Hungergebieten oft ungemahlen gegessen, weil die ausgehungerten
Menschen sich gleich bei der Ernte darauf stürzen und es zu Brot
und Fladen verbacken, ohne sich Zeit zu nehmen, es zu mahlen. —
(Alles Erscheinungen des weltbeglückenden Bolschewismus, den auch
unsere Kommunisten herbeisehnen. Ref.)
De Vrieze beschreibt die Rolfen der Steinachschen Operation.
Tijdschr. voor Geneesk. 1922 [I] S. 266. Es handelte sich um einen
Mann mit Prostathyperirophie, bei dem man wegen dieser Krankheit
die beiden Vasa deferentia unterband. Der Kranke, der vor der Ope¬
ration ganz energisch und aufgeweckt war, wurde nach dieser immer
ruhiger, ohne Appetit und Kachektisches. Nach dem Tode fand man
eine eitrige Pyelitis und eine doppelseitige Hydronephrose. Die
Testikel waren atrophisch mit kleinen Samenkanälchen. Keine Ver¬
mehrung der Zwischenzellen. Der Fall ist interessant, weil es der
erste ist, der mit Sektionsverschlag publiziert wird. Die Meinungen
Steinachs werden nicht bestätigt.
Jung (St. Gallen), Schwanferschaftshypertrophle der Hypophyse«
Schweiz, m. W. 1922 Nr. 3. Beschreibung einer jener äußerst seltenen
Fälle, wo die Hypertrophie der Hypophyse in der Schwangerschaft
so hochgradig ist, daß sie klinisch wahrnehmbare Störungen hervor¬
ruft Die typischen Erscheinungen der bitemporalen Hemianopsie,
durch Druck auf das Chiasma, verschwinden bald nach der künst¬
lichen Unterbrechung der 7 Monate alten Gravidität.
I. Fundell (Stockholm), Gemischte Kost im ersten Lebensjahr.
Acta Pädiatrica Vol. 1 Fase. 2. Empfehlung einer gemischten Kost im
ersten Lebensjahre vom 6. Lebensmonat ab. Die Häufigkeit von
grippalen Infekten und die Sterblichkeit war die gleiche wie bei den
mit Brustmilch oder Kuhmilch ernährten gleichaltrigen Säuglingen.
Levaditc und Sazerac, Wismutsalze als Syphilisprflventivmittel.
Academie des Sciences 1922 3. I. Kaninchen wurde Syphilisgift durch
Skarifikation eingeimpft und ihnen dann mehrere Stunden später Wis¬
mutsalze (weinsaures Kalinatronwismut) auf verschiedenen Wegen bei¬
gebracht. Diejenigen Tiere, welche 3 Stunden nach der Inokulation
das Wismutsalz intramuskulär erhalten hatten, bekamen keinen syphili¬
tischen Schanker, selbst nicht nach 60 und 63 Tagen, während die
V^rgleichstiere ihre spezifischen Erscheinungen 16 Tage nach der
Inokulation aufwiesen. Bei der Einverleibung des Wismutsalzes per os
waren die Erfolge weniger deutlich, es zeigte sich dabei eine Ver¬
zögerung im Auftreten der syphilitischen Krankheitserscheinungen. Die
vorbeugenden Einreibungen mit Wismutsalbe haben 4mal bei 6 Fällen
einen völligen Erfolg gehabt. Die Behandlung mit Wismutsalzen kann,
wie Milian und Perrin in der Soc. m£d. des Höp. am 13. I. 1922
mitteilten, eine schwere Stomatitis erzeugen, die aber durch Mundpflege
und Aussetzen der Behandlung zu beseitigen ist.
Digitized by Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
VEREINS- UND KONQRESSBERICHTE
Redigiert von Ober-Reg.-Med.-Rat Dr. O. Strauß.
Berlin, Medizinische Gesellschaft, 29. III. 1922.
Vor der Tagesordnung demonstriert Förster eine Patientin,
bei der eine Sklerodermie am Arm nacti Durchscbneldnng des peri-
arterielleo sympathischen Geflechts an der Arteria brachialis geheilt ist.
Tagesordnung. Schluß der Besprechung zum Vortrag von
Brugsch: Zur Lehre von der Gicht (nach gemeinsamen Untersuchungen
mit Rother). (Vgl. Nr. 14 S. 471 und Nr. 15.j
Keeser macht darauf aufmerksam, daß der Oehalt an Harn¬
säure in Exsudaten und Transsudaten nicht ohne weiteres mit dem
in Oeweben gleichzusetzen ist. Er warnt, aus der physikalisch-
chemischen Struktur der Harnsäure zu weitgehende Schlüsse zu ziehen.
Munk demonstriert zahlreiche Röntgenplatten und mikro¬
skopische Präparate von gichtischen Knochen und Gelenken. Er be¬
tont, daß die Harnsäure in der Synovia und im Knochen, nicht aber
im Knorpel ausfalle. Durch subchondrale Myelitis kommt es even¬
tuell zur sekundären Aufzehrung des Knorpels. Ankylosen sind sehr
selten. Der Knorpel weist auch, wenn stärkste Harnsäureablagerungen
auf ihm zu finden sind, kaum Schädigungen auf.
Brugsch (Schlußwort).
Czerny: Ueber die kntaoe Diphtberietoxlnreaktlon. Nach
Schick sollen kutane Diphtherietoxinimpfungen einen Wertmesser
für den Grad der Immunität ergeben. Czerny hat zwei Fälle mit
paradoxem Ausfall der Reaktion beobachtet. Es ist davor zu warnen,
Giftfestigkeit gegen das Toxin und Immunität gegen Diphtherie zu iden¬
tifizieren. Beide können natürlich nebeneinander Vorkommen. Unter
Kontrolle der Schickschen Reaktion haben amerikanische Autoren die
Behringsche Toxin-Antitoxin-Diphtherie-Schutzimpfung in weitestem
Maße ausgeführf. Diese Autoren kommen in bezug auf den Wert der
Reaktion zu dem Schluß, daß nur ihr positiver Ausfall eine schlechte
Immunität beweist, während der negative Ausfall nicht maßgeblich ist,
zumal Kinder in aen ersten 6 Monaten zu 60°/o negativ reagieren.
U. Friede mann: Zar Diphtherieserambeliandlanp. Ueber die
Dosierungsfrage bei der Diphtherieserumbehandlung ist eine völlige
Klärung noch nicht erzielt. Im Laufe der letzten Jahre hat man die
Dosen gesteigert und will dann bei rechtzeitig gespritzten Fällen
einen milderen Verlauf und Seltnerwerden eines Uebergreifens der
Rachendiphtherie auf den Kehlkopf gesehen haben. Je später die Be¬
handlung einsetzt, desto unsicherer ist die Wirkung, zumal wenn In¬
toxikationserscheinungen von seiten des Kreislaufes und der Nieren vor¬
handen sind. Einzeldosen von 70 000 I. E. bis zur Gesamtmenge von
200 000 I. E. sind in letzter Zeit vor allem von französischen Autoren
empfohlen worden. Bei einer sehr schweren Epidemie hat B i e auf diese
Weise die Mortalität auf i/s herabgedrückt. Trotz des ablehnenden
Urteils namhafter deutscher Autoren verteidigt Friedemann die
große Dosierung. Er wendet sich dagegen, daß die DÖnitzschen Tier¬
versuche auf den Menschen übertragen werden. Er weist darauf hin,
daß die Toxinbildung von reichlich in den Organen deponierten Ba¬
zillen diese Art der Therapie rechtfertigt. Bei leichten Fällen injiziert
Friedemann 3—4000 I.E., bei mittelschweren 6—8000, bei schweren
20 000 und mehr. Bei schwer intoxikierten Patienten schätzt er be¬
sonders die protrahierte Medikation, täglich 1000 I. E. bis zu drei
Wochen. Schäden irgendwelcher Art wurden bei der großen Dosierung
nicht gesehen. Nach Einführung der stärkern Dosen auch bei leich¬
teren Fällen hat er Spättodesfälle nicht mehr gesehen. Bei den
schweren Fällen unterscheidet er ödematöse und nekrotisierende
Formen. Das dankbarste Oebiet der energischen Therapie sind die
ödematösen Formen. Sie werden so in der Mehrzahl gerettet im
Gegensatz zu der Behandlung mit kleinen Dosen. Bei der nekrotischen
Diphtherie wurden anfangs keine Erfolge gesehen. Durch weitere
Steigerung der Dosen scheint man jedoch auch hier mehr erreichen
zu können. Ferner werden die ausgebildeten Lähmungen durch große
Dosen günstig beeinflußt. In den Jahren 1915—1922 hat Friede¬
mann bei 3421 Fällen nur 205 *= 6% Todesfälle gesehen. Dresel.
Königsberg I. Pr., Verein für wissenschaftliche Heilkunde,
23.1. 1922.
Offizielles Protokoll.
Vorsitzender: Winter. Schriftführer: Schütze.
Le p eh ne demonstriert ein Gliosarkom des Poo» mit multipler,
zumeist miliarer Aussaat von Metastasen in das Großhirn und mit
multiplen Gefäßthrombosen, das klinisch als Encephalitis epidemica
angesehen wurde und mit Fieber, linkseitiger Abauzensparese, link¬
seitiger Hypoglossusparese, Nystagmus, erschwerter Sprache und er¬
schwertem Schlucken einherging. Ein zweiter Fall wurde als
Typhus mit Fieber und Kopfschmerzen überwiesen und zeigte bei
völlig negativem klinischen Lungenbefund im Röntgenbild eine Durch¬
setzung beider Lungen mit kleinen, zum Teil konfluierenden Herd¬
schatten. Die Diagnose wurde auf chronische Miliartuberkulose ge¬
stellt und die Nervensymptome: linkseitiger Nystagmus, linkseitige
Abduzensparese, verwaschene Sprache, positiver Nonne im Liguor bei
lymphozytärer Zellvermehrung und Gerinnselbildung wurden als Folge
der Meningitis tuberculosa angesehen, womit nur eine geringe recht¬
seitige Parese und Schwindelerscheinungen niefet ganz in Einklang
standen. Die Autopsie ergab neben verkäsender Mesenterialdrüsen-
tuberkulose chronische Miliartuberkulose, aber keine Meningitis, son¬
dern einen 6 cm langen, daumendicken Solitärtuberkel in Ports
und MeduUa oblongata, der die nervösen Ausfallsymptome und
das positive Ergebnis der Spinalpunktion erklären mußte.
Rosenow: a) Salvarsandermatitis. Während einer reinen Neo-
salvarsankur trat bei einem Tabiker (2 Tage nach der 5. Injektion)
eine universelle Dermatitis mit hochgradiger entzündlich-ödematöser
Schwellung namentlich des Gesichts und der Extremitäten auf. Fieber,
äußerst quälender Juckreiz, Beteiligung auch der Mundschleimhaut.
Sehr starke Bluteosinophilie (bis 59°/o!). Die übliche Trockenpinse¬
lungsbehandlung war ohne Einfluß. Dagegen wurde das Jucken so¬
fort durch intravenöse Kalziuminjektionen (Afenil) beseitigt.
Die Wirkung hielt nach jeder Injektion etwa 5—7 Stunden an. Da¬
neben auffallend rascher Rückgang der entzündlichen Erscheinungen
an der Haut, völlige Wiederherstellung des Kranken innerhalb vier
Wochen. Die intravenöse Kalziumtherapie wird dringend bei Fällen
von Salvarsandermatitis. die Jetzt offenbar häufiger ist, empfohlen.
Die Behandlung muß aber möglichst bald nach Auftreten der ersten
Symptome einsetzen. b) ParapIejJe durch Karziaonuneta lasen in zwei
Brustwirbeln, deren Zerstörung röntgenologisch erkennbar ist. Röntgen¬
tiefentherapie ohne Erfolg, c) Kranke mit Morbus Addisonil Adre¬
nalin ruft auch beim Addisonkranken Hyperglykämie hervor, die Blut¬
zuckerkurve unterscheidet sich aber in verschiedener Hinsicht von der
eines Normalen. (Ausführliche Veröffentlichung in der Klin. Wschr.)
Es wird ferner ein Addisonkranker demonstriert, der seit 4i/a Jahren
in Beobachtung steht. Die Hautpigmentierungen sind etwas zurück¬
gegangen, die sonstigen Erscheinungen sind bisher nicht stärker ge¬
worden. Offenbar liegt eine langdauernde Remission vor.
Besprechung. Silberstein: In der Universitätshautklinik
haben wir bei keinem Patienten, den w'ir nach der von Scholtz an¬
gegebenen Serienkur behandelt haben, eine schwere Dermatitis ge¬
sehen. Wir halten die im Verlauf einer kombinierten antisyphilitischen
Kur auftretenden Dermatitiden für Salvarsandermatitisfälle, vielleicht
in einem Teil provoziert durch Hg oder eine andere Noxe.
Böttner: Demonstration eines 13jährigen Mädchens mit enorm
großem, nur in der linken Thoraxhälfte liegendem Herzen (kom¬
binierter Herzfehler). Folgeerscheinungen sind auf Grund der Rönt¬
genbilder, starke Ausweitung des linken Brustkorbes und Skoliose der
Wirbelsäule nach rechts. (Ausführliche Publikation erfolgt.)
W. Teschendorf demonstriert einen Fall von Akroasphyxia
chronica hypertrophlca (Cassirer). 19jähriges Mädchen mit blau¬
roter Verfärbung der linken Hand und des Unterarmes mit Weichteil¬
schwellung und handschuhförmig abschneidender Analgesie. Der Zu¬
stand trat anfangs in Raynaud-artigen Anfällen auf, ist jetzt chronisch,
jedoch psychisch bis zu gewissem Grade beeinflußbar.
Lepehne: Zur intravenösen Injektion in Oel gelöster Medikamente
(Menthol • Eukalyptolölinjektionen) and zar intravenösen Kampfer-
therapie. Von der Empfehlung der intravenösen Kampferölinjektion
beim Menschen durch Fischer und durch Schmidt ausgehend,
wird der Gedanke erwogen, Menthol-Eukalyptol in Oel gelöst intra¬
venös zu spritzen, um von den in den Lungenkapiilaren hängen-
bleibenden Oeltropfen aus vielleicht eine stärkere therapeutische Be¬
einflussung des Lungenparenchyms zu erreichen. Intramuskuläre
Menthol-Eukalyptol-Oelinjektionen waren von Berliner in die The¬
rapie der verschiedensten Lungenkrankheiten eingeführt und sollen
sich, wie zahlreiche Nachuntersucher bestätigen konnten (Strauß,
Technau, Cori u. a.), gut bewährt haben, wenn auch unsere Er¬
fahrungen mit intramuskulärer Injektion bei Lungengangrän nicht
überzeugend waren. Pohl zeigte experimentell den entzündungs¬
hemmenden Einfluß des Menthols auf die Schleimhäute. Bei einer
Reihe von Kaninchen, die vom Vortragenden mit Menthol- (5—10o/o)
Eukalyptol- (10—20 o/o) Oel intravenös gespritzt wurden, wurden Dosen
bis 0,2 ccm pro Kilogramm Körpergewicht gut vertragen, größere
Dosen erzeugten Taumeln, vorübergehende Lähmungserscheinungen
und einmal leichte Albuminurie. Bei der Sektion und der mikroskopi¬
schen Untersuchung der Organe wurde einerseits auf schädliche Wir¬
kungen des Medikaments, anderseits auf Gefahren der Injektion öliger
Flüssigkeiten überhaupt geachtet. Entzündliche oder andere schäd¬
liche Wirkungen der Medikamente konnten weder makroskopisch noch
mikroskopisch an den Lungen, den Nieren und anderen Organen sicher
festgestellt werden. Dagegen fanden iich bei allen Tieren als Fett¬
emboliewirkung je nach der Größe der Einzelgaben wenige oder zahl¬
reiche LungenDlutungen. Makroskopische und mikroskopische Blu¬
tungen in anderen Organen — besonders im Gehirn — wurden nur
bei den überdosierten Tieren gesehen. Fettembolie im Gehirn ohne
Blutungen fand sich aber auch bei einem Olivenöltier bei kleiner,
allerdings täglich injizierter Einzeldosis. Nur 2 Tiere, bei denen an
Stelle von Olivenöl aas zähere Rizinusöl angewandt war, schienen das
Oel ganz oder fast vollständig in der Ltftige zurückgehalten zu haßen.
Ob diese Therapie für die verschiedenen Lungenkrankheiten beim Men¬
schen, insbesondere die Tuberkulose und Gangrän, von Nutzen sein
und bei vorsichtiger Injektion kleinster Einzeldosen in Intervallen von
2—3 Tagen unter ständiger Kontrolle des Urins keinen Schaden ver¬
ursachen würde, muß vorläufig dahingestellt bleiben. Bei Anwendung
größerer Einzeldosen in kürzeren Abständen dagegen, wie sie die
intravenöse Kampferöltherapie fordern dürfte, ist die größte Vorsicht
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTy
542
VEREINS- UND KONGRESSBERICHTE
Nr. 16
geboten, eventuell ist sogar vor ihr zu warnen, da ja dann ein Uebcr-
treten von Üeltropfen in den großen Kreislauf, wie die Experimente
zeigen, nicht immer sicher vermieden werden könnte. Deshalb hat
der Vortragende im Tierversuch eine wäßrige Natriumkarbonat-
Cadechollösung und eine Perichollösung zur intravenösen und intra*
kardialen Injektion benutzt und, abgesehen von einer Entzündung und
Thrombose der kleinen Kaninchenohrvenen, eine schädliche Wirkung
auf das Befinden der Tiere sowie auf den makroskopischen und mikro¬
skopischen Organbefund nicht gesehen. Dagegen bringt die — durch
Blut zu entgiftende — Desoxycholsäurekomponente des Cadechols und
Perichols aas nach Langendorff isolierte, mit Ringerlösung ge¬
speiste Warmblüterherz zum systolischen Stillstand. Eine Entgiftung
der Lösungen durch Oelatine- oder Serumzusatz war nicht möglich.
Beim Menschen müßte erst gesehen werden, ob etwa die Gallen¬
säurekomponente die Kampferwirkung aufhebt. Vielleicht führt uns
die Herstellung einer kolloidalen Kampferlösung auf dem Wege der
intravenösen Kampfertherapie weiter.
Besprechung. Boit: Kampfer kann intravenös als Spiritus
camphoratus als Zusatz zur Kochsalz- und Traubenzuckerinfusion ge¬
geben werden — Spiritus camphoratus 3,5, Spiritus 2, Aq. dest. steril.
4,5 zu 1 Liter Infusionsflüssigkeit, Hösemann, D. m. W. 44, 1916—.
Im Felde hat sich mir die intravenöse Kampferinfusion besonders bei
Shok und septischen Wunden bewährt; sie kann täglich wiederholt
werden. Die Wirkung des intravenös verabfolgten Kampfers tritt so¬
fort ein und ist intensiver als bei der subkutanen Anwendung.
Matth es: lieber neuere Fnnktlonsprüfungen der Leber. 1. wird
die Widalsche Verdauungs-Hämoklasieprobe besprochen.
Sie ist nach den Untersuchungen an der Königsberger Medizini¬
schen Klinik durch Fräulein Erdmann als nicht brauchbar zu
bezeichnen. 2. Die von H. Müller angegebene Bestimmung
der Gallensäure bzw. der ihrer Menge entsprechenden Ober¬
flächenspannung des Urins mittels der Hayschen Probe. Bei
Leberkranken wird eine Verminderung der Oberflächenspannung ge¬
funden. Die Probe erwies sich bei Nachuntersuchung an der Königs¬
berger Klinik als zuverlässig. Auffallend war, daß die Probe bei
Stauungsikterus zwar positiv gefunden wurde, aber schon bei Ver¬
dünnung um die Hälfte die Probe negativ wurde. 3. Unter¬
suchungsmethoden, die Duodenalinhalt verwenden.
Rothmann (Mannheim) hatte angegeben, daß man aus dem Zell¬
gehalt der sogenannten Blasengalle und der Lebergalle diagnostische
Schlüsse auf aas Bestehen einer Cholezystitis oder Cholangitis ziehen
könne, daß ferner, falls man mittels der Steppchen Methode keine
Blasengalle erhielt, man einen Abschluß des Ductus cysticus annehmen
könne. Versuche von Fräulein Dr. Langanke in der Königsberger
Medizinischen Klinik bestätigten zwar, daß man mit der Steppschen
Methode dunklere und hellere Galle erhält, auch daß bei 2 Kranken,
denen die Gallenblase entfernt war, dieses nicht mehr gelang, im
Gegensatz zu Einhorns Angaben, sie zeigten aber, daß man aus dem
ZelTgehalt und der Zellform keinerlei diagnostische Schlüsse ziehen
darf. Die Zellformen sind außerdem häufig nur schwer sicher zu er¬
kennen. Dr. Lepehne versuchte durch gleichzeitige Farbinjektion
und Untersuchung der Blasengalle zu entscheiden, ob es sich wirk¬
lich um ‘Blasengalle handelte oder nur um höher konzentrierte Galle.
Die Untersuchung führte zu widersprechenden Resultaten. Dagegen
enthielt die dunklere Galle stets Urobilin, die hellere nicht immer.
Dr. Lepehne untersuchte weiter den Duodenalinhalt mit der Hay¬
schen Methode und fand namentlich bei bestehendem Ikterus, daß
Gallensäure bei beginnendem Ikterus sehr wenig ausgeschieden wurde,
nachher ausgeschwemmt wurde. Es wird noch kurz die im W. kl. Arch.
publizierte Methode von Beth erwähnt, die namentlich für die Frage
des Zusammenhangs des Cholesterins und der Gallensäure wichtig ist,
klinische Bedeutung aber noch nicht gewonnen hat 4. Die Me¬
thode der sogenannten Chromodiagnostik. Die älteste von
Roch besteht darin, daß per os 0,02 Methylenblau eingegeben wird,
es erscheint nur bei Leberkranken im Urin. Rosenthal und
v. Falkenhausen haben Methylenblaulösung subkutan gegeben und
bei Leberkranken eine verzögerte Ausscheidung in der durch die
Duodenalsonde gewonnenen Galle gesehen. Lepehne fand mit
fndigkarmiu und Kongorot das gegensätzliche Verhalten. Vorläufig
sind diese Verfahren diagnostisch nicht brauchbar. 5. Falta, Hög-
ler und Knobloch haben die Gallenprobe angegeben; Verabreichung
von 3 g Fel tauri siccum sollten bei Leberkranken zur alimentären
Urobilinurie bzw. Urobilinogenurie führen. Nachprüfungen an der
Königsberger Klinik ergaben, daß das offizielle Präparat erbrochen
wurde, von Merck gelieferte Rindergalle wurde vertragen, aber die
Methode erwies sich als klinisch unbrauchbar. Von allen diesen neuen
Methoden ist vorläufig nur die Haysche Methode als brauchbar
zu bezeichnen.
Wiirzburg, Physikalisch-medizinische Gesellschaft,
2. II. 1922.
Offizielles Protokoll.
Vorsitzender: Dimroth. Schriftführer: Süßmann.
L. v. Ubisch: Ueber die Aktivierung regenerativer Potenzen. Es
werden Experimente am Regenwurm (Lumbricus terrestris) bekannt
gegeben, welche dartun, daß die Einheilung jugendlicher kleiner Trans¬
plantate auf alte Tiere der gleichen Art ein mehrfach besseres Er¬
gebnis zeitigt als Autotransplantation selbst an jungen Tieren. Auf
Grund weiterer Experimente wird die Hypothese aufgestellt, daß dieses
Ergebnis auf einer Aktivierung regenerativer Potenzen durch stoff¬
liche Beeinflussung beruht. Es ist also experimentell ein Differen-
zierungsgefälle erzeugt worden, das aber auch normalerweise als
Folge der Entwicklung mehr oder minder in jedem Organismus vor¬
handen ist und von v. U bisch als die Grundlage für das Eintreten
regenerativer Vorgänge angesehen wird. Es besteht mithin die Aus¬
sicht, durch geeignete Wahl von Spender und Empfänger auch an
Säugetieren die Einheilung homoioplastischer Transplantate zu er¬
leichtern und vielleicht sogar typisches Regenerationsgeschehen zu
erzielen Hierfür werden aus der Literatur Belege gegeben.
Besprechung. Schleip nimmt Bedenken, ob die Vorgänge
bei der Anheilung eines Transplantates den eigentlichen Regenera¬
tionsvorgängen gleichgesetzt werden dürfen.
Hagemann: Im Widerspruch zu den Untersuchungen von
v. U bi sch steht die klinische Erfahrung beim Menschen, daß hier
nur die Autoplastik zur wirklichen Einneilung führt, während bei
der Homoioplastik das Transplantat allmählich durch Regeneration
substituiert wird. Insofern die homoioplastischen Gewebe die Rege¬
nerationsvorgänge anregen, kann man da wohl von einer Potenz¬
aktivierung sprechen.
Kniep fragt an, ob der bessere Ausfall der Transplantations¬
versuche Jung auf alt“ gegenüber „jung auf jung“ nicht von einer
besseren Ernährung des Transplantates im ersteren Falle beruhen
könne und ob die erblichen Differenzen der Individuen bei dem Ge¬
lingen der Transplantation eine Rolle spielen.
Vogt findet den Begriff „Differenzierungsgefälle“ nicht recht klar.
Der biologische Unterschied zwischen höher und geringer differen¬
zierten Teilen im gleichen Individuum ist offenbar von anderer
Natur als der zwischen jungen und alten Individuen; in jedem höheren
Organismus finden sien stark und wenig differenzierte Teile ge¬
mischt, ohne daß biologische Spannungen im Sinne eines Gefälles
zum Ausdruck kommen.
v.Ubisch (Schlußwort) erwidert auf die Einwände und An¬
fragen. Es sei hier auf die ausführliche Mitteilung, die im Arch, f.
Entw.Mech. 1922 erscheint, hingewiesen. Ueber den Einfluß erb¬
licher Differenzen innerhalb derselben Art auf die Transplantations-
möglichkeit sind keine besonderen Untersuchungen angestellt worden,
jedoch spricht der Ausfall von Parallelversuchen gegen einen solchen
Einfluß.
Freiburg, Medizinische Gesellschaft, 31.1. 1922.
Offizielles Protokoll.
Vorsitzender: Lexer. Schriftführer: Rominger.
Eden: Chirurgische Demonstrationen, a) Danmenersatz. Vor¬
stellung eines Patienten, welcher durch eine Verletzung durch eine
Sprengkapsel einen Verlust des 1., 2. und 3. Fingers erlitt. Vom
Metakarpus I war noch ein U/s cm langes Stück erhalten. Ersatz des
verloren gegangenen Daumens nach Nikoladoni aus Tibiaspau
und Bauchhaut. Guter funktioneller Erfolg, b) Zur]Behandlung des
Analprolapses kleiner Kinder. Eden hat die konservative Behand¬
lung des Analprolapses der Kinder dadurch mit gutem Erfolge unter¬
stützt, daß er um den Sphinkter und die prolabierende Rektum¬
schleimhaut nach Reposition 20—25 ccm Humanol in Narkose ein¬
spritzte. Die Wirkung des eingeführten Fettes besteht neben der
mechanischen Zurückhaltung des Prolapses vor allem darin, daß ein
Reiz auf den Sphinkter ausgeübt und eine leichte Entzündung aus¬
gelöst wird. Dadurch wird der Sphinkter zur Kontraktion und die
Schleimhaut zur Wiederbefestigung gebracht. In 8 Fällen gutes, zum
Teil bis zu einem Jahre nachkontrolliertes Resultat, auch in Fällen
von kinderfaustgroßem Prolaps, welche 1 Jahr lang bestanden und
bisher vergeblich behandelt wurden, c) Vorstellung eines Falles von
Radialislähmang, behandelt mit Sehnenverlagerung nach Perthes,
d) Ersatz eines gelähmten Trapezlns durch Verlagerung der vorderen
zwei Drittel des kräftigen Levator scapulae auf das hintere Akromion
und eines aus dem mittleren Teil des Rhomboideus mit Knochenperiost¬
spange gewonnenen kräftigen Muskelabschnittes nach lateral und
oben auf die Faszie des Infraspinatus. Dadurch wird die absteigende,
horizontale und teilweise auch die aufsteigende Portion des Trapezius
ersetzt, Zug- und Drehwirkungen nach Art der Trapezius-Serratus-
schlinge und Trapezius-Levatorschlinge erreicht. Der vorgestellte
Patient kann mit dem verlagerten Levatorteil die Schulter kräftig
heben, er kann ferner die Skapula der Wirbelsäule nähern. Die vor
der Operation vorhandenen starken Schmerzen im Plexusverlauf durch
Druck sind verschwunden, der Arm konnte wenige Wochen nach
der Operation bis über die Horizontale erhoben werden, e) Ein
Fall von schwerster Warzellschias, seit Monaten mit allen Mitteln
vergeblich behandelt, bei dem die Resektion der IV. und V. Lumbal-
und II. hinteren Sakralwurzel Heilung herbeiführte. Als Ursache
fanden sich bei der Operation feine Verwachsungen von den Wurzeln
mit den Rückenmarkshäuten, wahrscheinlich entstanden durch eine
Grippeinfektion, f) Bericht über 5 Fälle mit habitueller Sctralter-
Inxation mit Abriß am vorderen Pfannenrande, bei denen mit gutem
Erfolg eine Knochenhemmung am Pfannenrande aus der Tibia an¬
gelegt wurde.
Amersbach und Königsfeld: Zar Frage der inneren Sekretion
der Tonsillen ’). Die Untersuchungen beziehen sich auf die Fleisch-
mannsehe Annahme, daß die Tonsille eine Drüse mit innerer Sekre-
*) Erscheint ausführlich im Arch. f. Laryng.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNÜVERSSTV
21. April 1922
VEREINS- UND KONQRESSBERICHTE
543
tion sei. Auch die Fleischmannsche Auffassung von der physio¬
logischen Bedeutung der an den Speichel abgegebenen reduzierenden
Substanzen wird einer kritischen Betrachtung unterzogen. Es werden
1 . reduzierende Substanzen in den verschiedensten Organen (Leber,
Gehirn, Speicheldrüse, Fettgewebe, Niere, Darm usw. usw.) von
Mensch, Hund, Kaninchen und Meerschweinchen, nachgewiesen. Fer¬
ner das Fehlen derselben in Muskulatur, Nasenschleimhaut und
Glaskörper festgestellt. 2. nachgewiesen, daß der physiologische
Dextrosegehalt die Richtersche Reaktion nicht ergibt, daß diese sich
mittels einzelner Stoffwechselzwischenprodukte herbeiführen läßt, von
den meisten aber nicht gegeben wird. 3. Luftdurchleitungsversuche
angestellt, die beweisen, daß der Sauerstoff der Luft die reduzieren¬
den Substanzen der Organzellen erst nach weitgehendster Zertrüm¬
merung der Zellverbände oxydieren kann. Eine Reihe von klinischen
Tatsachen ist ebenfalls nur schlecht mit den Fleischmannschen
Anschauungen in Einklang zu bringen. Die Auffassung der Tonsille
als Drüse mit innerer Sekretion wird abgelehnt, und auch die Theorie
von der Entstehung atrophischer Prozesse in der Nase kann nicht
als zu Recht bestehend anerkannt werden.
Besprechung. Hahn: Es wundert mich, daß die auf so primi¬
tiven Versuchen basierenden Fleischmannschen Theorien über¬
haupt ernst genommen werden, aber es war wohl trotzdem nötig, sie
auch experimentell zurückzuweisen. Eine reduzierende Wirkung auf
Methylenblau z. B. üben wohl beinahe alle Gewebe und Körpersäfte
in frischem Zustande aus. Es ist nicht einzusehen, wie man auf der
reduzierenden Wirkung eines Organes allein eine Theorie über dessen
innere Sekretion aufbauen will. Dazu gehört zum mindesten, daß
man die reduzierende Wirkung auf eine bestimmte Komponente, mög¬
lichst auf einen bestimmten chemischen Körper zurückführen kann,
was hier nicht der Fall ist.
Berlin, 38. Balneologen-Kongre8, 15.—18. III. 1922.
Vorsitzender: Wirkl. Geh. Ober-Med.-Rat Prof. Dr. Dietrich.
Berichterstatter: Dr. Max Hirsch (Charlottenburg).
Franz Müller (Berlin): Balneologie und Stoffwechselfragen früher
und jetzt Die Stoffwechselbilanzversuche haben eine Anpassung der
Stoffwechselvorgänge an die Bedürfnisse des Organismus gezeigt.
Jeder Milieuwechsel, Klimareize und Hautreize durch Bäder wirken
auf die Stoffwechselvorgänge. Diese Beeinflussung des Stoffwechsels
ist entweder chemisch-hormonal, etwa über die Schilddrüse, .oder
kolloidchemisch durch Aenderung des Dispersitätsgrades der Plasma¬
kolloide oder der Kolloide der Zellgrenzschichten zu deuten. Nach
starken Hautreizen entstehen Zellzerfallsprodukte, die wie andere
unspezifische Reizstoffe beschleunigend auf die Fermentprozesse im
Köiper cinwirken. Außerdem wird der Stoffwechsel zentral (z. B.
psychisch) reguliert. — Trinkkuren verändern den physikalischen Zu¬
stand der Umgebung der Organzellen. Da Kalziumanreicherung wie
Sympathikusreiz, Kaliumanreicherung wie Vagusreiz wirkt, erfolgen
durch Verschiebung des Ionengleichgewichts Aenderungen im Stoff¬
wechsel; zwischen Blutflüssigkeit und Gewebe finden dauernd Ver¬
schiebungen des Quellungswassers, des Eiweißes und Chlors statt.
Bei der Muskeltätigkeit, dem Spiel der Hautkapillaren müssen diese
Verschiebungen verstärkt auftreten. Sie sind entweder osmotisch
oder durch die physikalische Wärmeregulation oder wiederum durch
die Sdiilddrüsentätigkeit bedingt, die auch den Wasserwechsel regelt.
— Die Balneologie wird von den neueren Forschungen aus dem
Gebiet der intermediären Stoffwechselvorgänge (Kohlehydratabbau,
katalytische Wirkung der Phosphorsäure, unspezifische Zellreizstoffe
u. ä.) und von der Kolloidchemie (Aenderung des Wasserverbindungs-
vermögens des Blutes) neue Anregungen erfahren.
Wiechowski (Prag): Mineralstotfwechsel and Balneologie. Die
wichtigsten Gesetzmäßigkeiten sind: 1. Der Organismus vermag die
Zusammensetzung des Blutes bei noch so verschiedener Salzzufuhr
aufrechtzuerhalten. 2. Auch im Hunger werden dauernd mineralische
Bestandteile ausgeschieden. 3. Die frei werdenden mineralischen
Bestandteile sina immer im Organismus wieder verwendungsfähig.
Das gilt besonders von der Phosphorsäure. (Jede Azidosis ist aber
mit vermehrter Phosphorausscheidung verbunden.) 4. Durch eine
entsprechende Kostform läßt sich einerseits weitgehender Ansatz
mineralischer Bestandteile unabhängig von Eiweißansätzen erzielen
und anderseits aber auch eine negative Mineralstoffbilanz unabhängig
vom Eiweißstoffwechsel herbeiführen. 5. Die,einzelnen mineralischen
Bestandteile werden nicht im Verhältnis ihres Angebots, sondern in
einem ganz anderen Verhältnis umgesetzt. Im Blut spielen sich
jedoch diese Veränderungen nicht ab. 6. Die Chlorionen im Blut
können durch das Bromion ersetzt werden, durch andere Anionen
aber nicht.
Bickel (Berlin): Physiologische Grundlage der Trinkkuren im*
Hinblick auf den Stoffwechsel. Für die physiologische Wirkung einer
per os aufgenommenen Lösung ist entscheidend: 1. die Gesamt¬
konzentration der Lösung, 2. die Art der gelösten Moleküle, 3. das
Mengenverhältnis der einzelnen Moleküle zueinander. Die Mineralien
erlangen für den Organismus eine Bedeutung als Katalysatoren für
die fermentativ-chemischen Vorgänge und als Regulatoren der Re¬
aktion der Körperflüssigkeiten. Für die Beurteilung der Trinkkuren
kommt in erster Linie die Feststellung, wie ein Plus von Mineralien
auf einen suffizient ernährten Organismus einwirkt, in Frage. Die
Beeinflussung des Mineralstoffwechsels durch Trinkkuren ist noch
wenig studiert; besser ist man über die Wirkungen auf den Gas¬
wechsel und auf den Purinstoffvvechsel unterrichtet. Von den in den
Wässern enthaltenen Gasen spielt die Kohlensäure kaum eine Rolle,
den radioaktiven Emanationen ist vor allem bei gestörtem Stoff¬
wechsel eine Bedeutung nicht abzusprechen. Eine weitere Erforschung
dieser für die Balneologie fundamentalen Fragen dürfte erfolgreich
sein, wenn in den Kurorten selbst von den Badeärzten in modern
ausgestatteten Laboratorien entsprechende Untersuchungen durch¬
geführt würden; desgleichen ist von dem zunehmenden Interesse für
die Balneologie seitens der Universitätslaboratorien eine Förderung
zu erwarten.
Strauß (Berlin): Physiologische Grundlage!, der Klima- und Bade¬
kuren im Hinblick auf den Stoffwechsel. Neben der baineologischen
und klimatologischen Behandlung von Stoffwechselstörungen muß
aber auch die diätetische Behandlung zu ihrem Recht kommen, und
es sind deshalb an den betreffenden Kurorten die für die Durch¬
führung von Diätkuren notwendigen Einrichtungen in ausreichender
Form bereitzustellen.
Kionka (Jena): Ueber die Resorption und den Geschmack von
Salzlösungen. Geschmacksprüfungen an 4 Versuchspersonen haben
ergeben, daß die Intensität des Geschmacks von Salzlösungen fast
ausschließlich durch die betreffenden Kationen bestimmt wird. Wohl
sind die Anionen auch von Einfluß, aber in weit geringerem Maße.
Die Qualität des Geschmackes scheint dagegen mehr von den An¬
ionen bestimmt zu werden. Jedenfalls handelt es sich aber auch
hier deutlich um ionale Einflüsse, nicht um Einwirkung des gesamten
Salzmoleküls. In gleicher Weise werden sich auch die Resorptions¬
verhältnisse im Magen-Darmkanal bei der Aufnahme von Salzlösungen
gestalten. Auch hier werden die Salze als Ionen, also dissoziiert zur
Aufnahme gelangen, ganz ebenso wie bei der Diffusion von Salz¬
lösungen durch tote Membranen es sich um Wanderungen der An¬
ionen und Kationen und nicht um Vorgänge, bei denen die ganzen
Moleküle beteiligt wären, handelt.
Schober (Wildbad): Ueber Neuorientierung im balneotfaera-
peutischen Denken.
v. Benczur (Budapest): Zur Behandlung der Stoffwechselkrank¬
heiten mittels Thermalwasser. Von den Diabetikern sind es die
fetten (nicht mageren), bei welchen ein geringer Erfolg von einer
Badekur, noch etwas mehr von einer laxierenden Trinkkur erwartet
werden kann. Von den Gichtikern eignen sich viele Fälle zur Trink¬
kur, zur Badekur jedoch nur die chronischen Fälle.
Hintz und L. Fresenius (Wiesbaden): Ueber Schwankungen in
der Zusammensetzung der*Mineralwässer. Für die weitere Entwick¬
lung der Balneologie ist eine sorgfältige Beobachtung aller an unseren
Quellen auftretenden Schwankungen von der größten Bedeutung.
Steuer (Darmstadt): Ueber Beziehungen des Süßwassers zum
Mineralwasser.
Kampe (Karlsbad): Die Mechanik gasführender Quellen.
Wagner (Salzbrunn): Ueber chemische und physikalische Beob¬
achtungen an Mineralquellen.
Minkowski (Breslau): Diabetes und Balneologie. (Vgl. Nr. 15
S. 475.)
Graul (Neuenahr): Erfahrungen über die Diabetestherapie durch
Diät und Mineralwässerkur. Graul ist Anhänger der vegetabilischen
Form als Grundstock der Ernährungsform. Die moderne Kolloid¬
chemie rückt die empirisch noch bezweifelte Heilwirkung der Mineral¬
wässer in wissenschaftliches Licht. Speziell hat die Therme von
Neuenahr einen günstigen Einfluß auf die Zuckerkrankheit, der nicht
nur während des Gebrauchs der Kur, sondern nachwirkend anhält,
wie die exakten Untersuchungen von Maase und Saalecker über
die Wirksamkeit der Neuenahrer Quellen bei Diabetes gezeigt haben.
Paul Mayer (Karlsbad): Ueber eine experimentelle Beeinflussung
des Kohlenhydrates durch Mineralwässer. (Erscheint als Original¬
artikel in dieser Wochenschrift.)
P. F. Richter (Berlin): Grandzüge der heutigen Pettsuchtbebandlung
unter Rücksicht auf die Balneotherapie. Die Anschauungen über die
sogenannte endogene Fettsucht haben viele Wandlungen erfahren;
heute steht ihre Abhängigkeit von der inneren Sekretion im Vorder¬
grund. Baineotherapeutische Maßnahmen werden in diesen Fällen
für unwirksam angesehen; indessen liegt auf Grund experimenteller
Untersuchungen kein Grund zu einer absolut negativen Kritik vor.
Viel mehr Objekt ist die exogene Fettsucht, wenn man nur in
richtiger, Weise die balneothcrapeutischen Methoden als Unterstützung
und nicht als Hauptsache auffaßt. Die Hauptbedeutung der Balneo¬
therapie liegt für die Fettsucht nicht in der Gewichtsentlastung, son¬
dern in der Erfüllung gewisser klinischer Indikationen, speziell der
Bekämpfung der Plethora. Vorsicht ist zu üben in der Anwendung
der Brunnenkuren bei den Komplikationen der Fettleibigkeit mit
vaskulären Nierenaffektionen.
Haug (Mergentheim): Zur Methodik der Entfettungskuren. Die
Prophylaxe ist bei Fettsucht und Anlage dazu hauptsächlichstes Er¬
fordernis. Bei Fällen ausgebildeter Fettsucht kommt bei Entfettungs¬
kuren der Diätetik die Hauptrolle zu; sie muß streng individuell
gestaltet werden und basiert auf der Grundforderung, daß die Ein¬
fuhr von Kalorien verringert, der Umsatz endogener mit Hilfe exo¬
gener Faktoren gesteigert werden muß.
Pflanz (Marienbad): Entfettungskuren mit Glanbersalzwässern.
Dengg (Kissingen): Die Behandlung der Fettsucht bei vorliegen¬
den Komplikationen. In solchen Fällen ist fast stets eine lange, unter¬
brochene, vorsichtige Entfettung angezeigt; so bei allen Herz-,
Nieren- und Gichtfällen. Es ist darauf zu achten, daß eine Schädigung
des Herzens möglichst vermieden wird.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
544
VEREINS- UND KONORESSBERICHTE
Nr. 16
Gudzent (Berlin): Oie Balneotherapie der Gicht. Entgegen der fahrimg. Denn viele Erkrankungen der innersekretorischen Drusen
früheren Anschauung ist die Oicht nicht als Störung des intermediären sind an Hautveränderungen charakteristischer Art zu erkennen. Nun
Purinstoffwechsels aufzufassen. Auf Grund seiner Befunde, daß die läßt sich aber nachweisen, daß auch die Haut eine innersekretorische
Bluthamsäure bei vielen anderen Krankheiten vermehrt, bei der Funktion besitzt. Hautextrakte rufen, unter die Haut gespritzt, ganz
Gicht nicht immer vermehrt ist und daß bei der Gicht injizierte charakteristische Reaktionen hervor, ähnlich jenen aus der Neben-
Harnsäure ins Gewebe wandert und dort festhaftet, kommt er zu niere hergestellten. So kann man also die Vermutung aussprechen,
der Anschauung, daß es sich bei der Gicht um eine spezifische Ge- daß der Reiz der kohlensauren Bäder direkt auf die innersekretorische
webserkrankung handelt, die zur Haftung der Harnsäure, zur Urato- Funktion der Haut einwirkend, indirekt die Funktion der innersekre-
histechie, führt. Er verweist auf die empirisch sichergestellten Erfolge torischen Drüsen zu beeinflussen und so deren Störungen zu be-
der Heilbäder bei Gicht und zeigt, wie die vergrößerte Diurese, die seifigen vermag. Darüber hinaus regt diese Hypothese zu einer
abführende Wirkung der Kochsalz- und sulfatischen Quellen, die auf Revision unserer Anschauungen über die Herzwirkung der kohlen¬
den Purinstoffwechsel spezifisch einwirkenden radioaktiven Sub* sauren Bäder an. Die spezifische Herzwirkung der kohlensauren
stanzen, die thermischen und mechanischen Reizwirkungen der Moor- Bäder würde unserem Verständnis durch die Annahme einer Anregung
und Schlammbäder, die kurgemäße Lebensweise günstig auf die ge- der innersekretorischen Hautfunktion wesentlich näher gerückt,
störte Gewebsfunktion ein wirken und so hervorragende Heilfaktoren Guhr (Tatra-Weszternheim): Klimabehandlung der Schilddrüsen-
für die Behandlung der Gicht in den Bädern abgeben. erkrankungen. Basedowkranke mögen ihren Lebensunterhalt an hoch-
Ed. Weisz (Pistyan): Mechanische Momente bei Entstehung und gelegenen Orten suchen.
Heilnng der Gicht. Fritz (Wildbad): Zar Kasuistik der Ostitis deformans (Pagetsche
v. Niedner (Salzbrunn): Die Bedeutung alkalisch-erdiger hypo- Krankheit),
tonischer Wässer für die Behandlung der Gicht. Für das Schicksal Polis (Aachen): Die Meteorologie und Kliinatolorie in den Kor¬
des Gichtikers von ausschlaggebender Bedeutung sind seine Nieren, und Badeorten, Aufgaben und Organisation. Die Arbeiten in der
Ein großer Teil der Gichtkranken neigt zur Schrumpfniere, sei es, daß Balneologie in den letzten Jahren haben sich weit mehr auf natur*
diese primär als Nierengicht die Harnsäureretention veranlaßt, sei es, wissenschaftlichem Oebiet wie zuvor bewegt, wobei nicht den ge-
daß sie erst sekundär die Stoffwechselgicht kompliziert. In der Pro- ringsten Anteil die Meteorologie hat, namentlich die ausübende
phylaxe und Therapie der Schrumpfniere ist die Durchspülung mit Witterungskunde und die Klimalehre, die in ihren modernen Bc-
cinem hypotonischen Wasser die beste Methode. Dasselbe gilt hin- Strebungen unmittelbar in die Balneologie selbst übergeht. Aus-
sichtlich der Verhütung der Steinniere, welcher bei der Gicht eine be- gehend von den Methoden der Bestimmung der Temperatur der
sondere Bedeutung zukommt. Außer der Diät und dem Atophan, Luft, ist zunächst das Zustandekommen der Wärmeerscheinungen
welche beide oft nur vorübergehend verwendbar sind, haben wir kein an der Erdoberfläche zu beobachten, weiter die Veränderungen,
Mittel, welches so zuverlässig und unschädlich ist wie die Verwendung welche das Klima in der Höhe gegen die Niederungen erleidet. Der
der genannten Wässer. Einfluß der Geländeverhältnisse und die Grundbedingungen für die
L. Schmidt und Ed. Weisz (Pistyan): Entscheidende Bedeutung Verschiedenheiten der Witterungsverhältnisse über Hochflächen und
er Temperataren bei gewissen Fällen von Gelenkrhenmatismns. Gipfellagen sind wichtig. Die Bearbeitung der klimatischen Verhält-
aro (Berlin): Zur Steinbildnag In den Hnrnorganen. nisse muß sich nicht allein auf die Ableitung der Mittelwerte be-
Mittenzwey (Oberschlema): Reaktionserschelnungen und Beda- ziehen, sondern es muß angestrebt werden, für die einzelnen Kur-
flnssnng der Wassermannreaktion durch radioaktive Bäder. und Badeorte einwandfreie Klimabeschreibungen herzuleiten. Die
Scnlay er (Berlin): Innere Sekretion and Balneotherapie. Schwere klimatischen Eigentümlichkeiten, ihr Vorkommen usw. müssen unter-
Fälle von Veränderungen der Epiphyse, der Epithelkörperchen, der sucht werden. Eine Organisation, um einheitlich die meteorologischen
Hypophyse und der Nebennieren und endlich auch bis zu einem ge- Beobachtungen in den Bädern durchzuführen, ist seitens der Balneo*
wissen Grade der Schilddrüse sind für die Balneotherapie unangreifbar. logischen Gesellschaft in Angriff genommen worden. Die einzelnen
Wohl aber könnte dies der Fall für leichtere Fälle sein. Wenn erst naturwissenschaftlichen Disziplinen sind soweit durchgearbeitet und
unsere Diagnostik uns ermöglicht, solche in Gestalt von Formes auf *ine Höhe gebracht, daß auch selbst tiefgründige Forschungen
frustes, z. B. Addisonoid und Tetanoid, zu erkennen, dürfte sich keine wesentliche Umgestaltung bringen können; anders hingegen
auch der Rahmen für baineotherapeutische Wirkungen erweitern. scheint es in den Grenzgebieten der Fall zu sein, da diese in ihrem
Die deutlichsten Einflüsse der Balneotherapie zeigen sich bei Hyper- Aufbau zurückgeblieben sind. So verspricht ein Zusammenarbeiten
thyreosen mäßigen und mittleren Grades. Das Hochklima und das medizinischer und naturwissenschaftlicher Zweige aucli für die Bai-
Seeklima spielen hierbei eine Rolle; differente Bäder werden ab- neologic eine nicht zu unterschätzende Förderung, insbesondere aber
gelehnt. Der Weg dieser Beeinflussung ist noch durchaus unbekannt. scheinen diese Arbeiten auch in den Grenzgebieten zwischen Medizin,
Auch Chlorose und Osteomalazie sind nach neueren Anschauungen Meteorologie und Klimatologie zu liegen.
vermutlich zu den Störungen der inneren Sekretion zu rechnen. Bei Kaßner (Berlin): Die Literatur über das Klima von Deutschland,
beiden, besonders bei der Chlorose, ist Balneotherapie von großem insbesondere der neue Klima-Atlas von Deutschland.
Wert; jedoch ist auch hier wieder der Weg der Beeinflussung dunkel, Siebelt (Flinsberg): Der Pflanzenwachs als Kennzeichen des 5rt-
in erster Linie, weil die Pathogenese noch unklar ist. Uchen Klimas.
Franz (Berlin): lieber innersekretorische Vorgänge bei der Frau. Strasser (Wien): lieber Spätfolgen von Kreislaufstörungen. Die
Menstruation und Ovulation sind völlig verschiedene Begriffe. Unter Zahl der Blutkörperchen zeigt eine auffallende Vermehrung bei Herz-
Ovulation versteht man die Eireifung bis zum Platzen des Follikels. kranken verschiedener Art. Sie geht mit derbem Wachstum der
Die Veränderungen der Schleimhaut vor der Menstruation sind nichts Milz und oft mit allgemeiner Verschlechterung des Zustandes parallel,
anderes als die Vorbereitungen zur Schwangerschaft. Die Schleim- Es entsteht ein schädlicher Ring durch Vermehrung der Blutzellen,
hautwucherungen sind ähnlich einem Entzündungsvorgang und sind durch Knochenmarkreiz und Verminderung der Blutzerstörung. Auf-
Folgen der innersekretorischen Eigenschaft des Ovariums. Röntgen* gäbe der Balneologie ist die prophylaktische Verhütung des Zu¬
bestrahlungen vor der Menstruation haben keinen Einfluß auf diese.; x standekommens durch Behandlung des Herzens, Regelung der Diät
die Blutung findet unumgänglich statt; wird jedoch nach der Men- und strenge Stellungnahme in der Alkohol- und Nikotinfrage,
struation bestrahlt, so bleibt die folgende infolge Zerstörung des Hahn (Nauheim): Hypertonie and Balneotherapie. Der Schwer-
Follikelgewebes aus. Von einer interstitiellen Drüse läßt sich beim punkt der Behandlung liegt in der genannten Abstufbarkeit der Reize,
Weibe überhaupt nicht reden. Während der Schwangerschaft findet die sich bei den natürlichen CO*-Bädern in ganz vorzüglicher Weise
eine Vergrößerung der Thyreoidea bis zu 90% statt, ebenso eine erreichen läßt, die dagegen den künstlichen Bädern stets abgehen
Hypertrophie des Vorderlappens der Hypophysis. Die Hypertrophie wird.
der Mammae ist nicht eine Funktion der Ovarialsekretion, ebenso Tobias (Berlin): Hypertonie und physikalische Therapie. Ueber
die Laktation. Diese findet überhaupt erst nach der Geburt statt, die Anwendung kohlensäurehaltiger Bäder gehen die Ansichten aus-
Ovarial- und Hypophysenpräparate der Patientin einzugeben, dürfte einander. Tobias hält sie bei exzessiver Hypertonie jedweder
nach den Untersuchungen von Zondek in der Franzschen Klinik Provenienz für kontraindiziert.
nutzlos sein. Nur das Ovoglandol hat therapeutische Wirkung, und Daniel (Olanesti) und Högler (Wien): Ueher Wasser- nnd Salz-
zwar wegen des zufällig in diesem Präparat enthaltenen Kalziums, proben bei normalen und bei nierenkranken Menschen.
Steinsberg (Franzensbad): Klimakterium and Balneologie. Weber (Nauheim): Ueber die Bedeutung des photographisch
Daude (Pyrmont): Ueber Wechselbeziehungen der Menstruation registrierten Venenpnlses für die Beurteilung der Herzfunktlön. Die
zu den einzelnen Organen. E9 bestehen bedeutende gegenseitige einzelnen Wellen des Venenpulses sind Folge von wechselnder Er-
Beziehungen zwischen Menstruation und Oesamtorganismus, mannig- schwenmg und Erleichterung des Abflusses in den herznahen Venen,
fache Wechselbeziehungen der Regel zu den einzelnen Organen des Bei Stauungszuständen aus irgendwelchen Gründen kommt es zu
weiblichen Körpers, welche vom Allgemeinpraktiker, vor allem aber ^vorzeitigem Ende des systolischen Kollapses, das normalerweise mit
vom Spezialisten bei der Behandlung der Frau nicht genug gewürdigt clem II. Ton übereinstimmt. Mit zunehmender Stauung wird der
werden können. Soll doch der Frauenarzt nicht nur das erkrankte systolische Kollaps mehr und mehr rudimentär; bei Kammervenen-
Organ, sondern das Weib als Ganzes behandeln. puls (Trikuspidalinsuffizienz) fehlt er. Auch aus dem diastolischen
Groedei (Nauheim): Die Wirkung der koblensanren ßldernnf Abfall lassen sich diagnostische Schlüsse auf die Herzfunktion ziehen,
die innersekretorische Funktion der Haut. Daß kohlensaure Bäder Bei Hypertrophie und guter Funktion der rechten Kammer ist der
auf die innere Sekretion wirken, hat die Erfahrung gezeigt. Basedow- diastolische Abfall oft vertieft, bei Schwäche der rechten Kammer
kranke werden durch solche Kuren wesentlich gebessert, Zucker- wird er rudimentär. Bei der Arhythmia absoluta läßt sich am Venen¬
kranke verlieren ohne innehaltung strenger Diät ihren Zucker; puls sehr gut erkennen, welche Folgen der Ausfall der Vorhofstätig-
sexuelle und andere Herzneurosen werden geheilt usw. Nicht geklärt keit für die Blutbewegung im rechten Herzen hat.
ist bis heute das Wie der Bäderwirkung bei Störungen der inneren Der nächste Baineologenkongreß wird im April 1923 in Aachen
Sekretion. Daß aber zwischen der Haut und den innersekretorischen stattfinden und als Hauptthema die Balneotherapie der Muskeln und
Dnisen ein Znsammenhang bestehen muß, lehrt die ärztliche Er- Gelenke umfassen. ___
Verantwortlicher Redakteur: Geh.San-Rat Prof. Dr. I. Sch w albe. — Druck von Oscar Brandstatter In Leipzig.
□ igitized by Google
Original fro-m
CORNELL UNIVERSITY
Deutsche Medizinische Wochenschrift
Begründet von Dr. Paul Börner
HERAUSOEBER: VERLAO:
Geh. San.-Rat Prof. Dr. Schwalbe GEORG THIEME / LEIPZIG
Berlin-Charlottenburg, Schlüterstraße 53 Antonstraße 15
Nummer 17
Fröitag, den 28. April 1922 48. Jahrgang
Stoffwechselprobleme.
Von Friedrich Müller.
(Schluß aus Nr. 16.)
II.
Wenn die vorgetragenen Ueberlegungen richtig sind, so ergibt
sich daraus, daß wir' den minimalen Eiweißumsatz nicht als einen
aliquoten Teil des Gesamtenergiehaushaltes auffassen dürfen, sondern
daß wir ihn nur vom Gesichtspunkt des stofflichen Bedürfnisses
aus verstehen können; wir* nähern uns also wieder der Voitschen
Anschauung, daß der Stoffwechsel nicht allein vom energetischen
Standpunkt aus betrachtet werden darf, sondern daß rein stoffliche,
also chemische Besonderheiten dabei eine maßgebende Rolle spielen.
Dementsprechend sind wir aber heute auch nicht mehr berechtigt,
die Stickstoffausscheidung als Maßstab des Eiweißstoffwechsels
schlechthin anzusehen, wir sind vielmehr gezwungen, die einzelnen
Komponenten des Harns getrennt zu betrachten, so z. B. die Harn¬
säure und das Kreatinin.
Aber, können wir vielleicht wesentlich bescheidener sagen: der
Harnstoff ist ein Maßstab für die Desaminierungsprozesse?
Die abgespaltene Aminogruppe, also das Ammoniak, verbindet sich
in der Tat mit der Kohlensäure des Blutes, und aus diesem kohlen¬
sauren Ammoniak wird durch Wasserentziehung der Harnstoff, also
das Diamid der Kohlensäure gebildet. Daß dem so ist, kann dadurch
bewiesen werden, daß die im Futter dargereichten Ammoniaksalze,
als Harnstoff im Harn wieder erscheinen. Ueberwiegen andere,
stärkere Säuren, also die Kohlensäure, so wird ein Teil des
Ammoniaks von diesem für ihre Neutralisation mit Beschlag belegt,
wie wir dies bei der Azidose der Diabetiker von der Oxybuttersäure
und der Azetessigsäure sehen. Sorgen wir aber dafür, daß dem
Körper große Mengen von Natronkarbonat zur Neutralisierung aller
Säuren zur Verfügung stehen, so geht die Menge der Ammoniak¬
salze im Ham auf einen minimalen Betrag zurück, wie dies Janney
auf unserer Klinik gezeigt hat. Harnstoff und Ammoniak des Harns
müssen also unter denselben Gesichtspunkten betrachtet werden.
Mit der Bildung von Harnstoff und den Ammoniaksalzen ist
aber die chemische Verwendung des aus den Desaminierungsprozessen
freigewordenen Ammoniaks jedenfalls nicht erschöpft: Nicht, nur die
Kohlensäure und Oxybuttersäure können sich mit dem abgespaltenen
Ammoniak verbinden, sondern anscheinend auch die Essigsäure und
die Propionsäure.
Wenn man einem Tier oder Menschen Benzoesäure einverleibt,
so erscheint diese vollständig wieder als Hippursäure, also gepaart
an die Aminoessigsäure, das Glykokoll. Bei großen Gaben von
Benzoesäure erscheinen so bedeutende Mengen von Hippursäure und
damit von Glykokoll im Harn, daß dieses Glykokoll unmöglich in
den gleichzeitig umgesetzten Eiweißköipern präformiert, vorgebildet
sein könnte. Das Glykokoll ist nämlich in den meisten Eiweißkörpern
der Nahrung und des Körpers nur in geringer Menge vorhanden, und
in manchen fehlt es ganz. Das Glykokoll muß aber im Körper leicht,
sagen wir billig und in großen Mengen zu haben sein, und da ist
es wahrscheinlich, daß es sich bei Bedarf synthetisch bildet, denn
bei der üblichen Aufspaltung der Aminosäuren kommt es überhaupt
nicht zur Bildung von Glykokoll. Wahrscheinlich ist somit eine
Synthese aus Ammoniak einerseits und aus Essigsäure oder von
Glykolaldehyd anderseits. Freilich sollten wir dann erwarten, daß
bei der Synthese von Ammoniak und Essigsäure Azetamid sich bilde.
Das geschieht aber nicht, sondern es tritt eine Amidierung in der
Alphagruppe ein, ganz analog wie bei der Desaminierung eine Keto-
gruppe an die Steile.der NHg-Gruppe tritt. Knoop sowie Embden
und ihre Schüler haben ferner eine Synthese von Alanin aus Ammoniak
und Milchsäure bzw. Methylglyoxal wahrscheinlich gemacht. Ja, es
ist nicht einmal ausgeschlossen, daß aus Phenylbrenztraubensäure
eine Synthese von Tyrosin zustandekommt. Der bei den Desaminie¬
rungsprozessen freiwerdende Ammoniakanteil wird also nicht immer
restlos im Harn zur Ausscheidung gebracht, sondern er kann unter
Umständen im Körper Zurückbleiben und offenbar zur Bildung von
Aminosäuren Verwendung finden. In diesem Sinne sind wohl auch
die Versuche von Grafe und Abderhalden zu verstehen, welche
bei N-ärmster und kohlenhydratreicher Kost nach Darreichung von
Ammoniaksalzen eine gewisse Retention, also eine Verwertung von
Stickstoff nachweisen konnten. Es kann also unter besonderen Um¬
ständen ein Teil des bei den Desaminierungsprozessen freigewordenen
Ammoniaks im Körper Zurückbleiben und zu Synthesen verwandt
werden, und somit ist die Harnstoffmenge des Harns auch nicht
einmal ein sicher zuverlässiger Maßstab für die Desaminierungspro¬
zesse beim Eiweißabbau. * .
Freilich dürften diese synthetischen Aminierungsprozesse, also
die Verwendung des Ammoniaks zur Neubildung von Aminosäuren,
nur in sehr beschränktem Umfahg und nur unter ganz besonderen
Verhältnissen stattfinden. Denn wenn der Amidierungs- und Des¬
amidierungsprozeß eine einfache reversible Reaktion wäre, so wäre
das Perpetuum mobile gefunden, und wir könnten den Körper des
Tieres und des Menschen auf seinem Eiweißbestand erhalten, indem
wir ihm Ammoniaksalze geben, wir brauchten zur Erhaltung seines
Stoffbestandes und seiner Funktionen nicht das teuere und kom¬
plizierte Eiweiß. Man könnte dann ein Tier auf seinem Eiweißbestand
erhalten, indem man ihm z. B. seinen eigenen Harn zum Saufen
gibt. Die chemischen Reaktionen des Stoffwechsels sind eben nicht
alle reversibel in dem Sinne, wie man etwa im Kino einen Film
ebensogut rückwärts, als wie vorwärts laufen lassen kann, und wenn
sie sich auch nach den Erfahrungen der experimentellen Chemie
als reversibel erweisen, so sind doch im lebenden Organismus meist
nicht jene Bedingungen gegeben, welche für eine Umkehrung des
Prozesses erforderlich wären. — Die synthetischen Fähigkeiten des
tierischen und menschlichen Körpers sind bescheiden, sie stehen
hinter denjenigen der Pflanze weit zurück. Die Pflanze, aber nicht
das Tier und der Mensch, ist befähigt, aus Ammoniaksalzen oder
Salpeter die verschiedensten Aminosäuren und das hochkomplizierte
Eiweiß auszubauen. Die Fähigkeit der Synthese, also des Aufbaues
höherer Verbindungen aus einfachen, fehlt doch auch im tierischen
und menschlichen Organismus nicht ganz. Ist doch schon die Bildung
der für jede Tierart spezifischen Eiweißkörper aus den ganz anders
zusammengesetzten Eiweißkörpern der Nahrung und ihren bei der
Darmverdauung frei werdenden Aminosäuren ein synthetischer
Vorgang feinster Art. Auch viel elementarere Synthesen N-haltiger
Körper kommen im Tierkörper vor. A. Kos sei hat z. B. nachge¬
wiesen, daß im Hühnerei die Puringruppe fehlt, und wir zählen
deshalb bei der Therapie der Gicht das Hühnerei mit Recht zu
den purinfreien Substanzen, aus denen sich keine Harnsäure bilden
kann. Wenn aber das Hühnerei bebrütet wird und das Hühnchen sich
entwickelt, so enthält es in seinen Zellen und Organen ganz ge¬
waltige Mengen von Nukleinen mit den entsprechenden Quantitäten
von Guanin, Hypoxanthin und Adenin, deren Puringruppe also syn¬
thetisch gebildet sein muß. Hier hat also der Organismus die
Fähigkeit erwiesen, selbst einen komplizierten Doppelring mit vier
N-Gruppen synthetisch aufzubauen. Das bebrütete Ei zeigt auch die
Bildung von Blut- und Gallenfarbstoffen. Diese sind aus amidierten
Fünferringen, den Pyrrolen, zusammengesetzt. Es erscheint sehr zwei¬
felhaft, ob sich diese Pyrrole aus dem im Eiweiß präformierten
Pyrrolidin, also einem hydrierten Ring, ableiten lassen. Vielmehr legt
die Leichtigkeit, mit der sich diese Pyrrole im Reagenzglas dar¬
stellen lassen, die Vermutung nahe, daß diese N-haltigen Pyrrol-
keme synthetisch aus geraden Ketten gebildet werden.
Lassen Sie uns^ zum Schluß den Eiweißumsatz unter krank¬
haften Bedingungen besprechen und dabei einige Beispiele her¬
ausgreifen :
Wenn man einem hungernden Tier Phloridzin einspritzt, so geht
seine N-Ausscheidung gewaltig in die Höhe, es findet also eine
hochgradige Steigerung des Eiweißumsatzes statt, aus dem Eiweiß
wird eine maximale Menge von etwa 60 Gewichtsprozenten Zucker
gebildet, dieser wird nicht verbrannt, sondern im Harn ausgeschieden.
Aehnlich verhält es sich beim Pankreasdiabetes des hungernden
Tieres. Es war nun zu erwarten, daß beim schweren Diabetes des
Menschen ebenfalls eine bedeutende Steigerung des Eiweißumsatzes
stattfinden müßte, und wir haben an unserer Klinik bei schweren
Diabetikern den minimalen Eiweißumsatz festzustellen gesucht. Um
diesen zu erreichen, gaben wir eine nahezu eiweißfreie Kost, welche
aber reichlich Fette und vor allem Kohlenhydrate enthielt, und zu
dieser letzteren Maßnahme waren wir berechtigt, weil unsere Pa¬
tienten in schwerer Gefahr der Säurevergiftung schwebten. Zu
unserer Ueberraschung hat sich nun herausgestellt, daß der minimale
N-Umsatz bei mehreren dieser Fälle ebenso niedrig war wie bei
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
546
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
Nr. 17
gesunden Individuen und zwei bis drei Gramm N nicht überschritt.
Aehnliches hatten schon Falta und Petrin bei ihren Diabetikern
beobachtet, wenn sie ihnen reiche Amylazeenkost darboten. In diesen
Fällen war ausnahmslos der Blutzucker erheblich gesteigert auf
170, ja bis auf 50J mg pro 100 ccm Blut. Es scheint also, als ob
die Anwesenheit von reichlich Blutzucker schon hinreichte, um eine
weitere Zuckerbildung aus dem Eiweiß des Körpers überflüssig zu
machen, und der Bedarf des Diabetikers an lebenswichtigen N-haltigen
Substanzen ist somit nicht gröber als beim gesunden Individuum.
Aber woraus wird denn ein solcher Diabetiker dann die genügende
Energiemenge gewinnen, um seinen Körper zu erwärmen und seine
Funktionen zu leisten, wenn er den Zucker nicht verbrennen kann
und kein Eiweiß einschmilzt? Lebt er etwa nur auf Kosten seines
Fettes? Der Vergleich der Kohlenhydratnahrung und der Zucker¬
ausscheidung im Harn hat uns ergeben, daß in diesen Fällen die
Zuckerausscheidung doch wesentlich, um 60—100 g, hinter der Auf¬
nahme zurückbiieb. Es wird also auch in diesen schweren Fällen
eine nicht unbeträchtliche Menge von Zucker der Oxydation anheim¬
gefallen sein. In einigen anderen Fällen von schwerstem Diabetes
vermochten wir jedoch nicht den Eiweißumsatz bis auf das üb¬
liche Minimum des Gesunden herabzudrücken, die Stickstoffausschei¬
dung blieb auch bei reichlicher Kohlenhydratzufuhr auf einer Höhe
von 4 bis 7 g. Es laßt sich also in der Tat in manchen Fällen von
Diabetes, bei denen anscheinend das Zuckerverbrennungsvermögen
so gut wie ganz verloren gegangen ist, ein höherer Wert des Stick¬
stoffminimums feststellen.
Aus Versuchen, die ich noch während meiner Assistentenzeit an
der Charite angestellt habe, glaubte ich schließen zu können, daß
beim Karzinom der Eiweißumsatz in manchen Fällen krankhaft
gesteigert ist. Ich gebe zu, daß diese Versuche nicht durchweg be¬
weiskräftig sind, weil die Nahrung nicht immer genügend reich an
Kohlenhydraten war. Wir haben nunmehr einige Krebskranke bei
stickstoftärmster und kohlenhydratreicher Kost untersucht und haben
dabei in einigen Fällen dieselben Zahlen der minimalen Stickstoff¬
ausscheidung beobachtet wie bei Gesunden, in einem Falle fanden
wir sie aber erhöht auf 0,07 g pro Kilogramm. Die Röntgenbestrah¬
lung des Karzinoms hatte keinen Einfluß auf die N-Ausscheidung.
Es ist eine allbekannte Tatsache, daß bei schwerem Fieber die
Hamstoffausscheidung ganz bedeutend gesteigertest, selbst wenn der
Patient wegen seiner Appetitlosigkeit nahezu vollständig hungert.
Diese Tatsache ist schon vor Jahrzehnten festgestellt worden. Unter
schwerem Fieber verstehen wir hierbei nicht etwa hohe Temperatur¬
steigerungen, sondern jene durch antifebrile Mittel wenig beeinflu߬
baren schweren Fieberzustände bei einer Pneumonie, einem Erysipel
oder in den ersten Wochen des Abdominaltyphus. Senator und
viele andere haben sich bemüht, diesen hohen Eiweißumsatz beim
Fieber zu erklären. Senator leitete die vermehrte Wärmebildung
des Fiebers von dem erhöhten Eiweißumsatz ab. Stähelin sowie
Friedrich Kraus und seine Schule zeigten, daß der Gesamt¬
umsatz bei schwerem Fieber um etwa 40—50% gegenüber der Norm
gesteigert ist. Grafe hat sich im Anschluß an Rubners Dar¬
legungen bemüht, nachzuweisen, daß die Steigerung des Eiwei߬
umsatzes, also der N-Ausscheidung, einfach parallel geht zur Steige¬
rung der Gesamtoxydationsprozesse und daß sie somit nur eine
Teilerscheinung des erhöhten Energieumsatzes bedeute. Richard
May, Grafe, Shaffer und andere konnten nachweisen, daß die
hohe N-Ausscheidung im Fieber nicht unwesentlich herabgedrückt
werden kann durch reichliche Kohlenhydratgaben in der Nahrung,
und man muß somit annehmen, daß im Fieber ein erhöhter Glykogen¬
umsatz und somit Glykogenbedarf besteht, der durch Zucker ersetzt
werden kann. Wenn aber Richard May und Grafe aus ihren
Versuchen glauben schließen zu können, daß die Erhöhung des
Eiweißumsatzes im Fieber nur durch den Glykogenmangel bedingt
sei, so muß auf den Widerspruch aufmerksam gemacht werden, der
darin besteht, daß bei der Muskelarbeit noch ein viel höherer
Glykogen bedarf und Zuckerumsatz besteht als im Fieber, daß
dieser aber erfahrungsgemäß nicht zu einer Steigerung des Eiwei߬
umsatzes führt. Die Frage konnte also dahin präzisiert werden, ob
es gelingt, auch im Fieber den erhöhten Eiweißumsatz (von etwa
20—30 g Stickstoff) durch Kohlenhydratnahrung auf dasselbe Minimum
herabzudrücken wie bei Gesunden. Diese Versuche sind an unserer
Klinik durch Kocher ausgeführt worden. Sie haben aber ergeben,
daß man bei schwerem Fieber auch bei reichlichster Kohlenhydrat¬
nahrung den N-Umsatz nur auf etwa 8—12 g und nicht wie bei Ge¬
sunden auf 2,5—3,5 g reduzieren kann. Es besteht also hier ein
großer und prinzipieller Unterschied gegenüber der Vermehrung des
Gesamtumsatzes bei der Muskelarbeit. Die Zersetzung von N-hal¬
tigen Substanzen, also von Eiweiß, ist im schweren Fieber bedeutend
höher als beim Nichtfiebernden, selbst bei kohlenhydratreichster Kost.
Der Eiweißumsatz im Fieber muß also etwas ganz Besonderes an sich
haben, und er beträgt 20o/ 0 , statt 5% des Gesamtkalorienverbrauchs
bei Gesunden. Die obenerwähnten Untersuchungen von Hermanns
über das Auftreten abnormer, durch die Diazoreaktion gekennzeich¬
neter Eiweißabbauprodukte weist darauf hin, daß der Eiweißumsatz
im Fieber auch qualitativ andere Bahnen einschlägt und daß
dabei sogar bei der Tuberkulose andere Eiweißabbauprodukte ent¬
stehen als im Typhus.
Die Fragen des Eiweißumsatzes im Fieber sind in den letzten
Jahren des weiteren bearbeitet worden durch Untersuchungen, welche
an der Krehlsehen Klinik durch Isenschmidt und Freund
und spater durch Freund und Grafe am Pharmakologischen In¬
stitut von Gottlieb ausgeführt worden sind und welche sich mit
der Wärmeregulation beschäftigen. Freund und Grafe konnten
nachweisen, daß bei Tieren nach Durchtrennung des Halsmarkes
oder auch nach Durchtrennung des Brustmarkes und der beiden
Vagi die Fähigkeit der Wärmeregulation verloren geht. Es stellte
sich heraus, daß nach diesen Eingriffen eine ganz bedeutende Stei¬
gerung der N-Ausscheidung bis auf das Vierfache der Norm auf-
trat, die in gar keinem Verhältnis stand zur Kohlensäureausscheidung
und Sauerstoffabsorption; es war nachgewiesen, daß der Eiwei߬
umsatz anderen Gesetzen folgt als die Gesamtoxydationsprozesse,
daß er in hohem Grade beeinflußt wird durch das Nervensystem,
offenbar durch sympathische und autonome Nerven, welche zu den
Bauchorganen ziehen. Durch Untersuchungen aus der Kraus sehen
Klinik von B rüg sch und Leschke wurde ferner erwiesen, daß
Verletzungen im Zwischenhirn, und zwar im Hypothalamus, gleich¬
falls zu einer Steigerung des N-Umsatzes Veranlassung geben.
Durch diese Erfahrungen ist in die Lehre des Stoffwechsels ein
neuer und bisher nicht beachteter Faktor hereingetragen worden.
Wir dürfen den Stoffwechsel nicht mehr einfach als eine autochthone
Funktion der lebenden Zellen und Organe und ihres vielseitigen
Bedarfes ansehen, sondern wir dürfen uns der Erkenntnis nicht mehr
verschließen, daß auch diese Lebensfunktionen des Stoffwechsels
unter der Herrschaft des Nervensystems stehen. Nicht nur des
Nervensystems, sondern, wie die Basedowsche Krankheit zeigt, unter
der Regulation der Drüsen mit innerer Sekretion.
Ueberblicken wir die Lehre vom Eiweißstoffwechsel in ihrer
historischen Entwicklung, so sehen wir, daß die alte einfache Lehre,
wie sie Bisch off, Bidder und Schmidt und Voit aufgestellt
haben, nicht mehr in allen Punkten zutreffend ist. Daß ferner der
Eiweißstoffwechsel nicht einfach als ein aliquoter Teil des Gesamt¬
umsatzes betrachtet werden kann, sondern daß wir den Anschauungen
von Voit und Hoppe-Seyler zustimmen müssen, welche auch
der stofflichen Betrachtung neben der energetischen ihr Recht wahrten.
Wir haben gesehen, daß die N-Ausscheidung im Harn nicht mehr
als zuverlässiger Maßstab des Eiweißhaushaltes gelten kann, ja daß
nicht einmal die Harnstoffausscheidung einen sicheren Rückschluß
auf die Desaminierungsprozesse zuläßt. Mit der fortschreitenden
Durchforschung des intermediären Stoffwechsels kommen wir auf
neue Probleme, welche weite Ausblicke eröffnen, und schließlich
ist es erwiesen worden, daß der Stoffwechsel vom Nervensystem
und den endokrinen Drüsen reguliert wird.
Ich bin mir dessen wohl bewußt, daß das Thema des heutigen
Abends recht weit entfernt ist von den täglichen Bedürfnissen des
praktischen Arztes, aber ein Festvortrag soll ja nicht ein populärer
Fortbildungsvortrag sein, er darf sich auch mit schwierigeren Fragen
beschäftigen. Die Anwendungen auf die Praxis der Ernährungslehre
ergeben sich von selbst, wenn man die Grundprinzipien des normalen
und krankhaften Stoffwechsels erkannt hat. Es ist klar, daß eine
Ernährung nur dann als vollwertig angesehen werden kann, wenn
sie alle die vielseitigen Bedürfnisse des Organismus restlos erfüllt,
im Sinne von Liebigs Minimumlehre. Es ist ferner klar, daß wir
den Diabetiker nicht mit Eiweiß überfüttern dürfen, wie dies noch
vor 20 Jahren gelehrt wurde, daß wir die febrile Selbstkonsumpticn
des hochfiebernden Kranken nicht eindämmen können, indem wir
ihm recht viel Eiweiß in der Nahrung geben, z. B. ihn in der jetzt
noch vielfach geübten Weise mit Eiern stopfen, sondern daß wir
ihm Kohlenhydrate in erster Linie geben sollen; daß wir der schwan¬
geren Frau und dem heranwachsenden jungen Menschen mehr Ei¬
weiß geben müssen als dem Bejahrten. Die Erfahrungen während
der Hungerjahre des Krieges haben gelehrt, daß ein gewisses Maß
an vollwertigen Eiweißstoffen unentbehrlich ist für die Erhaltung
der Gesundheit.
Die Absicht, welche der Wahl dieses Themas zugrundelag, war
nicht, Ihnen die praktischen Gesichtspunkte über die Ernährungs¬
lehre zu begründen, sondern es sollte in diesem Kreise von Aerzten
dargetan werden, daß die klinische Medizin tätigen Anteil genom¬
men hat an der Entwicklung der Lehre vom Stoffwechsel. Dem Arzt
eröffnen sich bei der Beobachtung krankhafter Zustände manche
Gesichtspunkte und Möglichkeiten, welche dem Physiologen nicht
zugänglich sind. In den Arbeiten der wissenschaftlichen Archive
tritt uns immer nur ein einzelnes Problem entgegen, welches der
Autor seinen mühseligen Untersuchungen zugrundegelegt hat. Eine
Zusammenfassung, wie sie heute beabsichtigt war, möge aber Zeug¬
nis dafür ablegen, daß diesen disjecta membra von klinischen Unter¬
suchungen doch gewisse leitende Ideen zugrundeliegen.
Die Aufgaben der Diätbehandlung in der Diabetestherapie')■
Von Prof. H. Strauß in Berlin.
Ueber die Behandlung der Diabetiker ist in den letzten Jahren
außerordentlich viel geschrieben worden. Speziell waren die unter
dem Einfluß der Kriegsernährung gemachten Erfahrungen Gegen¬
stand zahlreicher Betrachtungen. Die günstigen Wirkungen der durch
die Kriegsverhältnisse erzwungenen Unterernährung auf zahlreiche
Fälle von Diabetes haben sogar in manchen Kreisen fast schon zu
*) Mit diesem Aufsatz führt unser hochgeschätzter Mitarbeiter seine durch den Krieg
unterbrochene Reihe von Abhandlungen über die Diättherapie («iehe 1914 Nr. 36Hort-
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
28. April 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
547
einer Identifizierung der Schlagvvörter „Unterernährung“ und „Dia¬
betesdiät“ geführt. So wertvoll auch diese Erfahrungen für die
Ernährung der Diabetiker in grundsätzlicher Hinsicht geworden sind,
so haben sie doch nichts an dem Plan der Behandlung geändert,
den wir auch schon früher für die Ernährung der Diabetiker hatten.
Sie haben uns vor allem nicht der Verpflichtung enthoben, jeden
einzelnen Fall auf seinen individuellen Charakter genau zu
studieren. Im Gegenteil, die Erforschung der Individualität des Fal¬
les ist heute noch notwendiger als früher, weil wir die Bedeutung
der einzelnen in den verschiedenen Fällen von Diabetes ätiologisch
wirksamen Faktoren durch die wissenschaftlichen Arbeiten der beiden
letzten Jahrzehnte — und nicht zuletzt gerade unter dem Einfluß
der Kriegserfahrungen — genauer kennen gelernt haben als früher.
Nach wie vor haben wir für die Ernährung der Diabetiker zwei
große Gesichtspunkte ins Auge zu fassen: die Ernährung des Diabe¬
tikers so zu gestalten, daß einerseits seine Toleranz für Kohlen¬
hydrate und seine Fähigkeit zur Verbrennung der Azetonkörper auf
eine optimale Stufe gebracht wird und daß anderseits seine körper¬
liche und geistige Leistungsfähigkeit erhalten und womöglich noch
gehoben wird. Da die Wege zur Erreichung dieser beiden Ziele nicht
immer parallel laufen, sondern sich gelegentlich kreuzen, so ist
heute weniger als ie ein Schema für die Ernährung der
Diabetiker zulässig, sondern es ist auch jetzt noch — genau so wie
wir es seit den Vorschriften von Külz, Naunyn, v. Noorden
u. a. gemacht haben — für jeden einzelnen Fall vor Einleitung eines
„Heilverfahrens“ ein spezielles „Ermittelungs verfahren“
erforderlich, da wir uns erst durch letzteres ein richtiges Bild von
der Eigenart des Falles und von der speziellen Form der von der
Ernährungstherapie zu leistenden Aufgaben machen können.
Da es nicht in den Rahmen dieses Vortrages fallen kann, den
für den vorliegenden Zweck geeigneten Weg im einzelnen zu be¬
schreiben, so sollen hier nur die wesentlichsten Gesichtspunkte, und
zwar vorzugsweise nach der Richtung der Fortschritte beleuch¬
tet werden, welche auf dem vorliegenden Gebiete in neuerer Zeit
gewonnen sind. Immer mehr haben wir uns davon überzeugt, daß
für die therapeutische Betrachtung des Diabetes ein prinzipieller
Unterschied zwischen den Fällen mit und ohne Azidose zu
machen ist. Wir verstehen dabei unter Azidose die endogene
Azidose, im Gegensatz zu der meist nur geringfügigen alimen¬
tären Azidose, die als Folge der Kohlenhydratentzienung bei den
einzelnen Diabetikern — aber auch Nichtdiabetikern — in wechseln¬
der Häufigkeit und Intensität, aber stets nur in geringem Grade
zur Beobachtung gelangt. Ein grundsätzlicher Unterschied bei der
Betrachtung der mit und ohne endogene Azidose verlaufenden Fälle
ist deshalb notwendig, weil die Azidosebereitschaft den Heilplan
entscheidend beeinflußt. In grundsätzlicher Beziehung schenken
wir heute bei der Ernährung der Diabetiker dem Eiweißgehalt der
Nahrung eine noch größere Beachtung, als sie früher — namentlich
unter dem Einfluß von Naunyn u. a. — gefordert wurde. Haben
doch die Kriegserfahrungen die durch frühere Untersuchungen von
Weintraud u. a. und durch neuere Forschungen von Petrin er¬
mittelten Feststellungen bekräftigt, daß die Kontrolle, des Ei¬
weißgehaltes der Nahrung für viele Fälle eine ebenso
große und für manche Fälle sogar eine noch größere
Bedeutung besitzt als die Kontrolle der Kohlenhydrat¬
zufuhr. Aber auch die Untersuchungen des Kaloriengehaltes
der Nahrung haben heute in zahlreichen Fällen in anderer Weise
als in früheren Zeiten zu erfolgen, wo man vielfach auf eine be¬
sonders gute Ernährung der Diabetiker Wert gelegt hatte. Auch
hier haben gerade die Kriegserfahrungen manchen aus früherer Zeit
stammenden Mahnungen — so besonders denjenigen von Kolisch
u. a. —, welche nicht nur auf eine Reduktion des Eiweißquantums
der Nahrung, sondern auch auf eine Reduktion des Gesamtkalorien¬
gehaltes der Nahrung hinwiesen, eine wichtige Stütze verliehen.
Wenn wir aber auch weit entfernt davon sind, der früheren Devise
zu huldigen, die Diabetiker aufs beste zu ernähren, so können doch
auch wir hier nicht einer schablonenmäßigen Anwendung von Unter-
emährungskuren das Wort reden, sondern müssen als Leitmotiv
für die Ernährung des einzelnen Falles eine erst durch spezielle
Untersuchungen und individuelle Erwägungen festzustellende Er¬
nährung als beste anerkennen. Diese muß so beschaffen sein, daß
bei aller Tendenz einer Verhütung von Ueberernährung der Ge¬
sichtspunkt-herrschen muß, den Diabetiker so zu ernähren, daß seine
Kräfte und seine Leistungsfähigkeit nicht zu Schaden kommen. Er¬
scheint das hier erörterte planmäßige Vorgehen auch nach man¬
chen Richtungen hin etwas kompliziert und in manchen Fällen viel¬
leicht auch zeitraubend, so ist doch erfreulicherweise zu konstatieren,
daß in der Mehrzahl der Fälle das „Errtilttlungsverfahren“ gleich¬
zeitig auch ein „Heilverfahren“ darstellt, sodaß die für das Er¬
mittelungsverfahren aufgewandte Zeit und Mühe für den betreffen¬
den Patienten in der Regel schon einen mehr oder weniger ausge¬
prägten Kureffekt bedeuten. Das „Ermittelungsverfahren“ bat
gegen früher. insofern eine gewisse Aenderung erfahren, als wir
Bei den kohlenhydratfreien Tagen nicht mehr die großen Eiweiß-,
mengen von früher benutzen, sondern zunächst mit Eiweißmengen
beginnen, die etwa lg pro Kilogramm Körpergewicht betragen.
Diese Zahl, die selbstverständlich nur approximativ gehalten ist,
wird in ähnlicher Weise auch von anderen Seiten vertreten. So
empfehlen Lenne pro Kilogramm 1,2g, v. Noorden 1,5 bis .1,6,
aber nicht unter 0,9 bis 1,0; Petren und Falta sind noch etwas
niedriger gegangen.
Das „Ermittelungsverfahren“ beginnt man bei Fällen von Azidose
zwcckmüßigerweisc nicht direkt mit einer kohlenhydratfreien Er¬
nährung, Sündern mit bestimmten, für die Toleranzermittelung ver¬
wertbaren Kohlenhydratzulagen in fallender Form, z. B. mit 100, 50,
0 g Brötchen zu einer sog. „strengen Kost“. Bei Fällen, die sich
bei kohlenhydratfreier Ernährung renitent zeigen, studiert man dann
in weiterer Verfolgung des Ermittelungsverfahrens die Eiweißtoleranz
arn besten im Anschluß an Gemüse-Eiertage bzw. Eigelb-Gemüse-
tagc oder an reine Gemüsetage und läßt bei nicht ausreichender
Wirksamkeit diesen einen „Trinktag“ folgen. Steht aber eine Azidose
im Vordergrund, die auch auf „Triuktage“ keinen erheblichen Ab¬
fall erkennen läßt, so führt man die Toleranzdiagnostik durch Ge-
müse-Mehlsuppeutage weiter, wobei mau die Menge des verwandten
Mchles crescendo auf 50—100 und allenfalls mehr Gramm steigert.
Ich selbst pflege diese „Mehlsuppentage“ schon seit langem in der
Form durchzuführen, daß ich die Gemüsetage durch entsprechende
Mehlsuppenzulagen erweitere. Durch Zugaben von bestimmt dosierten
Mengen von Eigelb oder von Ganz-Ei sowie durch Substituierung der
Eier durch Fleisch kann man sich im Bedarfsfälle noch ein genaueres
Urteil über die Größe der „Eiweißempfindlichkeit“ und speziell der
„Fleischempfindlichkeit“ bilden.
Das hier erörterte ernährungsdiaguostische Vorgehen soll aber
nicht immer nach einer Schablone gehalten sein, und zw\ir weder in
bezug auf die Dauer noclv- in bezug auf die Folge der einzelnen
Probetage, sondern es soll sich an die Eigenart des einzelnen
Falles, insbesondere an das Ergebnis der vorausgegangenen Er¬
mittelungen anschmiegen. Erst wenn die Toleranzprüfungen, d. h,
die Funktionsprüfungen im konkreten Falle beendet sind, ist man
in der Lage, ein Programm für die Dauerernährung in bezug auf
den Gesramtkaloricn- und den Gesamteiweißgehalt, die Art der .zu
erlaubenden Eiweißträger der Nahrung sowie über die Menge und
Art der zu gestattenden Kohlenhydrate aufzustellen Und dem Pa¬
tienten entsprechende Vorschläge über den Wechsel der einzelnen
Diätformen zu geben. Leider lassen sich auch hier bestimmte
Schemata nicht aufstellen, weil sich eben die Verordnungen erst auf
Grund spezieller Untersuchungen und Erwägungen der Individualität
des Einzelfalles anpasseti müssen. Nur im Großen lassen sich folgende
Gruppen unterscheiden:
1. Fälle, welche auf mehrtägige Anwendung einer kohlenhydrat-
freien (im strengen Sinne des Wortes nicht absolut kohlenhydrat¬
freien, sondern nur eine minimale Menge von Kohlenhydraten ent¬
haltenden) Nahrung mit Aglykosurie mit oder ohne geringgradige
alimentäre Azidose reagieren;
2. Fälle, welche trotz länger dauernder kohlenhydratfreier Er¬
nährung nicht mit Aglykosurie reagieren;
3. Fälle, bei welchen die endogene Azidose im Vordergründe
steht und stehen bleibt.
Bei Gruppe 2 und 3 sind noch zahlreiche, graduell abgestufte
Unterarten und Mischforinen zu unterscheiden, und es sind bei den
Formen der Gruppe 2 und 3 bzw. unter den Mischformen grund¬
sätzlich solche zu unterscheiden, welche auf eine zielbewußte Diät¬
behandlung gar nicht oder nur wenig reagieren, und solche Fälle,
die durch systematische Ernährungskuren eine mehr oder weniger
günstige Beeinflussung erkennen lassen.
Die Ernährung von Gruppe 1 ist am einfachsten und hebt sich
aus dem Rahmen der früher üblichen Methodik der Diabetesdiät nur
insofern heraus, als man das bereits mehrfach beanstandete Ueber-
maß der Eiweißziifuhr zu vermeiden hat. Die Bemessung der Kohlen¬
hydrate richtet sich dabei nach der Toleranz des speziellen Falles,
und es sind — ähnlich wie man dies schon früher geübt hat — in
die Dauerernährung periodisch, d. h. alle paar Monate für die Dauer
von 1—2 Wochen strenge Kuren zur Schonung der beim Zuckerstoff¬
wechsel tätigen Apparate einzufügen. Schon bei manchen Vertretern
dieser Gruppe von „leichten“ Fällen läßt sich aber feststellen, daß
auch die Form der Darreichung der Kohlenhydrate nicht immer
gleichgültig ist. Alte Erfahrungen der Klinik und spezielle Unter¬
suchungen des Laboratoriums haben nämlich gezeigt, daß die Glykos-
uriebereifschaft des . Organismus nach mancher Hinsicht nicht ganz
unabhängig von der Darreichungsweise der Kohlenhydrate ist.
So gehen beispielsweise die gelösten Kohlenhydrate und von den
Mono- und Disacchariden die Dextrose und die Maltose (Bier!) leich¬
ter in den Urin über als die Polysaccharide, ferner zeigen sich noch
gewisse. Unterschiede insofern, als bei gleicher Glykosuriebereit-
schaft von den Monosacchariden die Lävulose langsamer als die Dex¬
trose und von den Polysacchariden das Inulin langsamer als die
Stärke in den Urin Übertritt. Ganz allgemein hat die Erfahrung ge¬
lehrt, daß Stärkesubstanzen in einer Form, welche erst durch be¬
sondere Einwirkungen seitens des Verdauungskanals zur Lösung ge¬
bracht werden muß, besser „toleriert“ werden, als wenn das gleiche
Quantum der betreffenden Substanzen in einer leicht angreifbaren
Form verabfolgt wird. So tragen z. B. die Zellulosehüllen, welche
die Amylumkörper bestimmter Gemüsearten umgeben, zu einer Ver¬
langsamung der Resorption bei. Deshalb erweist sich ein gewisser
vegetarischer Zuschnitt der .Nahrung auch schon für manche leichten
Fälle als zweckmäßig, wenn auch betont werden muß, daß es sich
hier nur um einen vegetarischen Zuschnitt einer in bestimmter Weise
nach den Ergebnissen der Toleranzprüfung zusammengestellten Nah¬
rung handelt. Aus denselben Gründen ist auch ein entsprechender
Fettzusatz für die einzelnen Mahlzeiten zu empfehlen, weil das Fett
die Verweildauer der Ingesta im Magen verlängert und hierdurch eine
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
548
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 17
Verlangsamung des Zuflusses im Darm löslicher Kohlenhydrate zu
den resorbierenden und assimilierenden Organen erzeugt.
Die hier genannten Gesichtspunkte bedürfen bei den Fällen von
Gruppe 2 und 3 einer noch stärkeren Beachtung. Es ist bei diesen
noch mehr als bei Gruppe 1 die Erfahrung zu berücksichtigen, daß
Reduktion der Eiweißkörper in vielen Fällen die Kohlenhydrattoleranz
steigert. Ganz allgemein bedarf bei den Fällen von Gruppe 2 und 3
nicht nur das Mengenverhältnis zwischen Eiweißkörpern und Kohlen¬
hydraten, sondern auch die Form, in welcher diese zugeführt werden,
einer weitgehenden, auf den Ergebnissen des Ermittelungsverfahrens
aufgebauten ärztlichen Regelung. Speziell für die Dauerernährung
der von stärkeren Graden endogener Azidose begleiteten Fälle ist
eine kohlenhydratfreie Ernährung (in obigem Sinne) in der Mehrzahl
der Fälle nicht zweckmäßig, sondern es ist hier meist eine nach
Maßgabe der Ergebnisse des Ermittelungsverfahrens mehr oder
weniger „gemischte“ Ernährung angezeigt. In vielen dieser Fälle
ist außerdem auch noch ein je nach der Schwere des Falles häufigerer
oder seltener durchzuführender Wechsel der Ernährung notwendig,
wobei die Absichten der verschiedenen Ernährungsformen in den
einzelnen Perioden das eine Mal mehr auf eine Bekämpfung der
Glykosurie, das andere Mal mehr auf eine Bekämpfung der Azidose
abzielen. Nach v. Noorden kann man eine solche Diät eine
„Wechseldiät“ nennen. In zahlreichen Fällen der vorliegenden Art
besitzt auch das Prinzip der Kohlenhydratdarreichung in Mehl-
suppenform eine besondere Stellung. Hierauf hat seinerzeit
v. Noorden besonders aufmerksam gemacht. Wenn auch heute an
den seinerzeit von v. Noorden geäußerten Vorstellungen manches
geändert worden ist, so bleibt ihm doch das Verdienst, die grund¬
sätzliche Bedeutung einer solchen Ernährung erkannt und in ihrer
diätetischen Tragweite propagiert zu haben. Auf Grund zahlreicher
Untersuchungen, die ich selbst dieser Frage gewidmet habe und
über welche ich an verschiedenen Stellen, so u. a. auch in einem
früheren in dieser Wochenschrift veröffentlichten Vortrage über
Kohlenhydratkuren bei Diabetikern berichtet habe, stehe ich dabei
selbst auf dejn Standpunkt, daß bei Verwendung von Mehlsuppen
die Wahl der betreffenden Mehlsorte nicht von entscheidender Be*
deutung ist, dagegen möchte ich eine individuelle Begrenzung des
Mehlquantums für den einzelnen Fall auf Grund der Ergebnisse des
Ermittelungsverfahrens durchaus empfehlen. Als Grundlage für die
Mehlsuppendarreichung wähle ich dabei meistens — wie bereits
erwähnt —, wenn auch nicht immer, so doch in der Mehrzahl der
Fälle die Zusammensetzung der Gemüse- bzw. Gemüse-Eigelb- oder
Gemüse-Eiertage und halte mich nicht streng an den Grundsatz, daß
an einem bestimmten Tage nur eine einzige Mehlsorte gereicht
werden darf. Dagegen habe ich mich noch nicht davon überzeugen
können, daß die Ausführungen von Falta, welcher von der Suppen¬
form abweicht und Reis, Nudeln, Makkaroni, gekochte Kartoffeln,
Schrotbrot, Linsen- und Erbsenpüree den Mehlsuppen in ihrer Wir¬
kung annähernd gleichsetzt, generell zutreffen. Wenn ich mich so¬
mit hinsichtlich der Zusammensetzung der Mehlsuppentage mehr
den Anschauungen Blums als den anfänglichen Anweisungen
v. Noordens anschließe, so habe ich doch den ursprünglichen Kat
v. Noordens, den Rahmen solcher Mehlsuppentage durch voraus¬
geschickte und nachfolgende Gemüse- oder Gemüse-Eiertage in eine
besondere Form zu bringen, stets hochgeschätzt und dauern# be¬
folgt, jedoch schon seit vielen Jahren die Gemüse-Eiertage und Ge¬
müsetage in bestimmten Fällen (schwere Azidose oder sehr renitente
Glykosurie) durch Hunger- bzw. Trinktage ersetzt. Für die Durch¬
führung des ganzen Prinzips habe ich dabei häufig die Form spezieller
„Kurwochen“ gewählt, indem ich auf zwei Gemüse- oder Gemüse-
Eigelbtage dTei Mehlsuppentage und dann wieder zwei Gemüse- bzw.
Gemüse-Eigelbtage folgen ließ. Schon seit den ersten Veröffent¬
lichungen von Blum habe ich dabei auf eine erhebliche Reduktion
des Eiweißquantums Wert gelegt. Dagegen möchte ich mich zur Zeit
noch nicht darüber Endgültig äußern, ob es für die Durchführung der
genannten Ernährungsperioden notwendig ist, die Fernhaltung des
animalischen Eiweißes so weit zu treiben, wie es Falta verlangt,
der auch Eier, Käse und Milch — als vom Tiere stammend — von
der Amylazeenkur ausschließt. Daß in renitenten Fällen die Durch¬
führung von Hunger- bzw. Trinktagen — wie sie seinerzeit von
CantCni und Naunyn empfohlen sind — oft besonders eindrucks¬
volle Erfolge zeitigt, habe ich schon seit Jahren betont, und es wird
dies auch von Umber, v. Noorden u. a. eindringlich hervorge¬
hoben. Besonders bemerkenswert ist die Erfahrung, daß Hunger-
und Trinktage, die nur eine weitere Steigerung des Karenzprinzips
darstellen, wie es in den Gemüsetagen gegeben ist, und die gleich-
falls nicht nach einer starren Schablone zusammengesetzt sein müssen,
sondern nur dem ihnen zugrundeliegenden Karenzprinzip entsprechen
sollen, sehr häufig eine ganz besonders energische Wirkung auf die
Azidose entwickeln. In neuerer Zeit haben Guelpa, Allen u. a.
das den Hunger- und Trinktageh zugrundeliegende Prinzip da¬
durch zu verstärken gesucht, daß sie protrahierte Hungertage
in Form einer Hungerkur anwandten. Meine eigenen Erfahrungen,
über welche ich schon früher berichtet habe, konnten mich nicht zu
einer uneingeschränkten Anerkennung dieser Kur veranlassen, weil
ich im Anschluß an die strenge Durchführung derselben einige Male
so starke Gewichtsstürze und Schwächezustände beobachtet habe,
daß ich mich in schweren Fällen meist mit der periodischen Durch¬
führung einmaliger Hungertage mit daran angeschlossenen mehr-
tägigen reinen Gemüsetagen begnügt habe. Andere Beobachter, so
z. B. Schmidt und — nach neuerdings aus der Minkowskischen
Klinik erschienenen Mitteilungen — auch Görke, sind dagegen zu
einer weniger eingeschränkten Empfehlung dieser Hungerkuren ge¬
langt. Bei Durchführung der reinen Gemüsetage und der Trinktage
scheint mir die reichliche Anwendung von Alkoholika besonders
wichtig, weil wir wissen, daß diese nicht nur als Kaloriensparer, son¬
dern auch im Sinne der Verminderung der Azidose zu wirken ver¬
mögen. Ferner habe ich — zum TeU bestärkt durch die bei den
Hungerödemen gemachten Erfahrungen — in den letzten Jahren
besonderen Wert darauf gelegt, daß bei der Durchführung der Ge¬
müse- und Gemüse-Mehlsuppentage die Verwendung von Kochsalz
auf das notwendigste Maß beschränkt wurde.
Die Frage, wie oft und für welche Zeitdauer die hier besprochenen
Trinktage oder Gemüsetage sowie überhaupt das ganze System der
Gemüse- bzw. Gemüse-Eigelb- oder Gemüse-Eier- oder Gemüse-Mehl¬
suppentage, die alle ja eigentlich nur spezielle Formen einer vege¬
tarischen Ernährung darstellen, in einzelnen Fällen durchzuführen
sind, läßt sich nicht mit einer bündigen, für alle Fälle zutreffenden
Formel beantworten, sondern hängt von der Eigenart jedes einzelnen
Falles ab. Man kann nur im allgemeinen sagen: je schwerer der
Fall ist, um so häufiger sollen solche Karenztage wiederholt werden;
es sei denn, daß das Ermittelungsverfahren gezeigt hat, daß es
sich um einen trostlosen, jedwedem diätetischen Eingriff gegenüber
renitenten Krankheitszustand handelt. In solchen Fällen soll man bei
wohlüberlegter Berücksichtigung der hier genannten Ernährungsprin¬
zipien doch den Grundton der Behandlung milder stimmen, da in
solchen Fällen gar häufig Resignation bewußte Humanität darstellt.
Bis jetzt war von den Fetten noch nicht die Rede. Da sie
— wenigstens in der Mehrzahl der Fälle —- die Glykosurie nicht
verstärken, soll und darf man von ihnen bei den Fällen von Gruppe 1
und 2 einen Gebrauch machen, der sich im Rahmen der weiter
oben gemachten Ausführungen über die Zumessung des Gesamt¬
kaloriengehaltes der Nahrung bewegt. Dagegen läßt sich über die
Frage, ob sie in Fällen von stark ausgeprägter Azidose ein gleich¬
gültiges Nahrungsmittel darstellen, diskutieren. Da es schon lange
bekannt ist, daß die niederen Fettsäuren Material zur Produktion
von Azetonkörpern liefern, und da weiterhin die Kriegserfahrungen
gezeigt haben, daß unter dem Einfluß maximaler Fettarmut der
Nahrung auch das typische Koma bei Diabetikern seltener geworden
ist als früher — nach meinen Erfahrungen hat es jetzt wieder begonnen,
häufiger zu werden —, so ist die Frage zu erörtern, ob nicht auch
die Einschränkung der Fette oder die Beschränkung der Nahrung auf
bestimmte Fettsorten im Kampfe gegen die Azidose Dienste zu
leisten vermag. Schon vor Jahren hat v. No orden empfohlen, die
Butter zur Entfernung niederer Fettsäuren mit Wasser auszukneten,
und vor einigen Jahren hat Uhl mann auf Grund von an meiner
Abteilung ausgeführten Untersuchungen die Forderung aüfgestellt,
die Butter bei schweren Fällen von Azidose möglichst weitgehend
aus der Nahrung zu entfernen und ganz allgemein in solchen Fällen
die Fettzufuhr einzuschränken. Um ein annähernd ausreichendes
Kalorienquantum zu erreichen, empfiehlt er, Mandelmilch, Eigelb und
Gelatine zu verabfolgen, und ich selbst habe schon seit Jahren bei
schweren Fällen von Azidose das zu verabfolgende Butterquantum
durch weitgehendste Darreichung pflanzlicher Fette, so z. B. Palmin,
Tomor usw., sowie tierischer Fette einschließlich des Eigelbes und der
Oele zurückgedrängt. Ein solches Vorgehen möchte ich auch weiter¬
hin empfehlen, soweit nicht eine besondere Empfindlichkeit des Ver¬
dauungskanales gegen die genannten Fettsorten zu einem anderen
Vorgehen Anlaß geben würde. Ueber die Bekämpfung der durch
die Azidose erzeugten bzw. drohenden Demineralisation haben
die Forschungen der letzten Zeit nichts Neues gelehrt. Infolgedessen
nimmt die reichliche Darreichung von Alkalien bei schweren Fällen
von Azidose auch heute noch diejenige Stellung ein, die ihr durch
die Naunyn sehe Schule eingeräumt worden ist. Allerdings hat man
bei reichlicheren Gaben von Natron, besonders bei gleichzeitiger
reichlicher Kochsalzdarreichung, mehrfach Oedeme auftreten sehen.
Es empfiehlt sich, in solchen Fällen ein Diuretikum, z. B. Diuretin,
Theozin usw. zu verabfolgen. Für die Bekämpfung schwerer Formen
von Azidose ist auch hier an die Zweckmäßigkeit einer entsprechen¬
den Kohlenhydratzufuhr — sei es in Form langsam resorbierbarer
Kohlenhydrate, so insbesondere Mehlsuppen, Inulin bzw. inulinhaltiger
Gemüse oder nach Gräfe in Karamelform gebrachter Kohlenhydrate
— sowie allenfalls an die rektale Darreichung von Zuckerlösungen
zu erinnern, da nach den Untersuchungen von Arnheim, Ör-
lowsky u. a., wie ich selbst bestätigen kann, die Zuckertoleranz auf
diesem Wege größer ausfällt als bei der peroralen Darreichung.
Ich selbst Devorzuge für den vorliegenden Zweck Tropfklistiere
von 5<>/oiger Lävuloselösung.
Bezüglich der Behandlung des Komas besitzt auch heute
noch die intravenöse Zufuhr von Lävuloselösungen (5<>/oig) und von
Natronlösungen (letztere am besten in Form der von Magnus-Levy
empfohlenen — durch Kohlensäureeinleitung hergestellten — Lösung
von doppeltkohlensaurem Natron) ihre alte Stellung. — Auch durch
die Wahl einer hochkonzentrierten (Lävulose-) Lösung kann man ein
Herauslocken toxischer Stoffe aus den Geweben ins Blut zu erreichen
suchen. Allerdings war auch in den Fällen, in welchen ich in der
letztgenannten Art vorging, der Verlauf de? Komas der übliche. —
Ueberhaupt muß leider auch heute noch gesagt werden, daß
das Problem der Komabehandlung in erster Linie in einer Verhütung
bzw. Hinausschiebung dieses hochbedrohlichen Zustandes besteht.
Ganz allgemein läuft die diätetische Behandlung des Diabetes über¬
haupt auf eine Verhütung des Fortschreitens der Krankheit und
Digitized by Google
Original fram
CORNELL UNiVERSlTV
28. April 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
549
des Eintrittes gefährlicher Komplikationen hinaus. Daß aber die
Diätbehandlung trotzdem auf dem vorliegenden Gebiete Hervorragen¬
des zu leisten vermag, haben u. a. auch die besonderen Erfahrungen
des Weltkrieges gezeigt. So habe ich in einer Statistik, über welche
ich in v. Schjernings „Handbuch der ärztlichen Erfahrungen im
Weltkriege“ berichtete, auf Grund von an über 1500 Diabetesfällen
gewonnenen Erhebungen feststellen können, daß der- Prozentsatz der
therapeutisch günstig beeinflußten Fälle der mittelschweren Form
erheblich größer war, als unseren Friedenserfahrungen entspricht.
Den Grund für diese Erscheinung suche ich darin, dal? die betreffen¬
den Fälle rasch in eine gründliche Behandlung gelangt sind. Ferner
hat sich bei den genannten Erhebungen gezeigt, daß die Zahl der
chirurgischen Komplikationen des Diabetes trotz der durch den Krieg
erschwerten Verhältnisse, insbesondere soweit Gangrän, Furunkulose
und Karbunkelbildung in Frage kommt, erheblich niedriger war.
Auch hieraus darf man meines Erachtens schließen, daß eine
rasche und gründliche Behandlung des Diabetes auch nach dieser
Richtung hin im Sinne der Vorbeugung und Verhütung bedeutende
Dienste zu leisten vermag.
Witterung und Krankheit. 1 )
Von San.-Rat Dr. Priaziog.
Der Witterung wurde von jeher ein großer Einfluß auf die Ge¬
sundheit des Menschen zugeschrieben; bei einer beträchtlichen Zahl
von Erkrankungen ist Erkältung als Krankheitsursache aufgeführt.
Eine Erkältung kann durch Witterungseinflüsse mannigfaltiger
Art veranlaßt werden; Nässe und Wind spielen dabei eine große
Rolle, trockene Kälte mit schwach bewegter Luft gilt für weniger
gefährlich, wohl aber rascher Uebertritt aus warmen Räumen, wie
Konzertsäien, Wirtschaftszimmern, in strenge Kälte, starke Durch-
nässung oder Schweißbildung im Sommer und nachheriger Auf¬
enthalt auf luftiger Höhe oder an dem Zug ausgesetzten Orten,
einseitige Zugluft in warmen Räumen, Liegen auf kaltem oder
nassem Boden u. dgl. Die Empfindlichkeit gegen derartige Ein¬
wirkungen ist bei den Einzelnen außerordentlich verschieden: der
eine kann alle diese Unbilden ohne Schaden ertragen, ein anderer
bekommt bei jeder Erkältung sein Rheuma, wieder andere eine
Angina, eine Bronchitis, eine Neuralgie. Die große Empfindlichkeit
der Kinder mit exsudativer Diathese gegen Erkältung ist bekannt.
Dagegen können die Eingeborenen im Innern Afrikas die starke
nächtliche Abkühlung auch bei leichtester Bekleidung gut ertragen;
allerdings sollen sie viel von Rheumatismen geplagt sein. Leute,
die sich andauernd im Zimmer aufhalten, sind mehr zu Erkältungen
geneigt als solche, die den ganzen Tag im Freien zubringen.
Das Wesen der Erkältung ist nicht geklärt (1). Bei Ein¬
wirkung größerer Kälte hat man bei Tieren Aenderungen in der
Gerinnungsfähigkeit des Fibrins gefunden, Schade (2) nimmt eine
Aenderung des Kolloidzustandes der Zellen und Gewebe an, eine
Annäherung an den Zustand der Kolloidausfällung, die er „Gelose“
nennt. Bei vielen Erkältungen ist aber von einer erheblichen Ab¬
kühlung der Eigenwärme des betreffenden Organs nicht die Rede;
der Ausdruck „ich habe mich erkältet“ bedeutet meist nur das Be¬
stehen einer Erkältungskrankheit, ohne daß über Zeit, Ort und Um¬
stände der Erkältung irgend etwas bekannt ist. Ein direkter Kälte¬
reiz der Schleimhaut der Rachen- und Atmungsorgane kommt sicher
vor, ist aber nicht die gewöhnliche Art der Erkältung. Meist handelt
es sich um eine Reflexwirkung des Kältereizes, welche Hyperämie
oder Absonderung an anderen Stellen erzeugt und die Abwehrkräfte
des Blutes herabsetzt, wodurch entzündliche Affektionen entstehen
oder zufällig anwesende Krankheitserreger zu Infektion führen
können. Krehl sagt in seiner Pathologischen Physiologie (3): „Die
Wirkung der Erkältung ist ärztlich so gut gestützt, daß füglich an
ihrer Bedeutung bei der Entstehung von Anginen, Bronchitiden,
Pneumonien nicht gezweifelt werden kann. Ein klares Verständnis
für die Wirkungsweise der Erkältung ist noch nicht gewonnen.“ Man
darf Kälteempfindung nicht mit Erkältung verwechseln; jeder weiß,
*vie stark diese bei windigem Wetter im Freibad ist, ohne daß
eine Erkältung folgt.
Der statistische Nachweis der Witterungseinflüsse,
der Temperatur, der Niederschläge, der Luftfeuchtigkeit, des Windes,
auf die Entstehung von Erkrankungen ist nicht voll zu erbringen,
Die Sterblichkeitsstatistik ist hierzu nicht geeignet, da der Tod oft
lange nach dem Eintritt der Erkrankung erfolgt. Die Methode, die
früher zuweilen angewandt wurde, die Sterbefälle an einer Krank¬
heit mit der Temperatur des Vormonats zu vergleichen, ist so will¬
kürlich, daß ein wissenschaftliches Ergebnis dabei nicht erzielt werden
kann. Die Monatsmittel der verschiedenen Witterungsfaktoren ver¬
wischen die großen Schwankungen von Tag zu Tag; nimmt man
aber kleinere Zeitabschnitte, fünf Tage oder Wochen, so wird das
Material viel zu sehr zersplittert. Wie andere, konnte auch Schade
bei seinen Erhebungen im Feld zwischen dem täglichen Zugang an
Erkältungskrankheiten und der mittleren Tagestemperatur keine
Uebereinstimmung nachweisen.
Kinder und Greise haben von Witterungseinflüssen viel
mehr zu leiden, die Kinder des 1. Jahres von der Winterkälte und
*) Auf Wunsch des Herausgebers.
Sommerhitze, die Greise nur durch erstere. Dies geht aus dem Ver¬
lauf der Sterblichkeit nach Monaten deutlich hervor. Nur in wenigen
Staaten wird die Sterblichkeit nach Monaten und Altersklassen mit¬
geteilt. In den Niederlanden ist dies der Fall (4). Für dieses Land
sind die folgenden Ziffern berechnet, wobei die Monatszahlen auf
30 Tage gebracht sind. Unter 1000 Sterbefällen jeden Alters er¬
folgten 1915—1920 mit Ausschluß des Jahres 1918 in den Monaten:
0-1J.
1 5 J.
’ö-MJ. 14
-30J.30
-50 J.j50-65J. 65-80 J.
80 u.
mehr J.
alle
Alter
Januar . .
95
97
90
86
89
9?
98
106
96
Februar. .
113
122
99
104
106
109
120
132
115
MMrz . . .
102
126
105
107
105
101
105
108
106
April . . .
91
116
99
103
96
94
! 96
94
97
Mai ....
74
1 92
96
94
87
82
I 80 i
76
82
Juni ....
68
78
87
86
78
74
1 71 !
64
73
Juli ....
66
60
76
75
72
70
63
57
66
August . .
75
55
67
70
65
68
i 59 ■
52
64
September
79
54
69
67
66
67
57
53
64
Oktober. .
78
55
65
65
71
| 71
69
65
69
November.
74
! 67
71
70
77
83
; 87
89
79
Dezember.
85
78
76
73
86
I 89
95
104
89
Die Monatskurve jeden Alters ist die Resultante aus mehreren
zum Teil ganz verschieden verlaufenden Kurven; um ein volles
Verständnis dafür zu bekommen, wäre die Auflösung dieser Kurven
und die der einzelnen Krankheiten oder Krankheitsgruppen nötig,
wofür die Grundlagen fehlen, da die Verteilung der Sterbefälle nach
Krankheit, Alter und Monat fast nirgends vorgenommen wird.
Für das erste Lebensjahr der obigen Tabelle ist zu be¬
merken, daß die Sommersterblichkeit der Säuglinge in den Nieder¬
landen wegen des fast allgemein üblichen Stillens nur wenig erhöht
ist. Trotzdem zeigt sich auch dort wie anderwärts die starke Zu¬
nahme der Sterbefälle an Darmkrankheiten im Sommer. Von den
Sterbefällen des 1. Lebensjahres, die von 1000 Sterbefällen auf jeden
Monat kommen, waren aurch Krankheiten der Atmungsorgane (a)
und durch Darmkatarrh (d) erfolgt in den Monaten:
Monate
a
d
Monate
a
d
Monate
a
d
I.
26
11
V.
14
12
IX.
6
31
II.
34
10
VI.
10
18
X.
8
24
III.
30
12
VII.
7
22
XI.
13
14
IV.
24
12
VIII.
6
30
XII.
19
12
Der große Anteil der Sterbefälle an Bronchialkatarrhen und
Lungenentzündung im Winter und ersten Frühjahr kann durch „Er¬
kältung“ allein nicht erklärt werden, da doch sicher viele der Säug¬
linge in der kalten Jahreszeit nicht außer Haus gebracht werden;
man muß daneben an die üblen Einwirkungen schlechtgelüfteter,
feuchter und überheizter Wohnungen denken.
Im Alter von 1—5 Jahren ist die Sterblichkeit im Winter und
ersten Frühjahr gegenüber der Sommersterblichkeit sehr groß. In
der Budapester Todesursachenstatistik, einer Fundgrube für manche
Fragen der medizinischen Statistik, werden die Zahlen für einige
Krankheiten nach Alter und Monaten mitgeteilt; von 1000 Sterbe¬
fällen des Alters von 1—5 Jahren kamen dort 1905—1909 auf die
einzelnen Monate Sterbefälle überhaupt (A), an Krankheiten der
Atmungsorgane (a) und an Masern und Masernpneumonie (m):
A .
a
m
A
a
m
Januar . .
. . 93
23
10
Juli.
. . 73
21
6
Februar .
. . 95
26
8
August . . .
. . 67
13
5
März . . .
. . 100
27
8
September .
. 63
8
4
April
. . 106
30
8
Oktober. . .
. . 67
11
4
Mal. . . .
. . 102
29
15
November .
. . 74
16
9
Juni . . . i
. . 83
16
11
Dezember
. . 77
19
9
Die Letalität der Masern (Sterbefälle auf Erkrankte) ist in Buda¬
pest in den Monaten Oktober bis Dezember kleiner als in den Früh¬
jahrsmonaten, doch ist eine größere Häufigkeit der Masernpneumonie
in dieser Zeit nicht festzustellen; von 100 Masernsterbefällen waren
durch Lungenentzündung bedingt im Winter 42<Vo, im Frühling 38°/o,
im Sommer 44 und im Herbst 47o/o.
In den folgenden Altersklassen ist die Winter- und
Frühjahrssterblichkeit nicht mehr so hoch; bei ihnen verursacht die
Tuberkulose einen großen Teil der Sterbefälle. In den Niederlanden
starben hieran beim Alter von 5—14 Jahren 31,7, bei 14—30 Jahren
55,4 und bei 30—50 Jahren 31,4<yo aller Gestorbenen. Die Tuberkulose-
Sterblichkeit erreicht im September ihren Tiefstand, steigt gleich¬
mäßig bis zum April, um danach langsam wieder bis zum September
zu fallen. Nimmt man an, was der Wahrheit annähernd entsprechen
wird, daß in den einzelnen Altersklassen die Verteilung der Tuber¬
kulosetodesfälle auf die Monate dieselbe wie bei der Gesamtheit ist, so
fallen im Alter von 14—30 Jahren von 1000 Todesfällen auf die
Tuberkulose (t) und auf alle andern Krankheiten (u) 1915—1920 in
den Niederlanden in den Monaten
Monate
t
u
Monate
t
u
Monate
t
u
I.
46
40
V.
57
37
IX.
35
32
II.
54
50
VI.
51
35
X.
35
30
III.
58
49
VII.
42
33
XI.
38
32
IV.
59
44
VIII.
38
32
XII.
41
32
Die hohe Tuberkulosesterblichkeit im Frühjahr hat mit der Wit¬
terung nur wenig zu tun, viel mehr ist hierfür der lange Auffcnt«
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
550
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 17
halt in geschlossenen, oft ungenügend gelüfteten Räumen anzu¬
schuldigen.
fm höheren Alter tritt die Winter- und Frühjahrssterbliehkeit
wieder stark hervor. Auch hier gibt die Budapester Todesursachen¬
statistik Zahlen für den Anteil der Krankheiten der Atmungsorgane.
Nach dieser kamen 1905—1909 auf 1000 üestorbene monatliche
Sterbefälle überhaupt (A) und solche au Lungenentzündung und
Bronchitis (a):
Monate A a Monate A a Monate A a
I. 108 16 V. 78 8 IX. 68 5
II. 103 12 VI. 78 6 X. 73 5
III. 92 12 VII. 68 4 XI. 91 9
IV. 92 11 VIII. 63 5 XII. 86 10
Die höchste Zahl der Sterbcfälle an Erkrankungen der Atmungs¬
organe im Januar beträgt das Vierfache der niedersten im Juli,
die Unterschiede sind viel erheblicher als in den mittleren Alters¬
klassen, aber nicht so groß wie im ersten Lebensjahre, in welchem
in den Niederlanden die höchste Zahl (im Februar) das Sechsfache
der niedersten (im August) beträgt.
Die große Rolle, die die Erkältung im Greisenalter spielt, geht
aus Zahlen hervor, die Westergaard (5) mitgeteilt hat. Er hat
in einer über 46 Jahre der englischen Bevölkerungsstatistik ausge¬
dehnten Berechnung die Jahre mit kaltem, mittlerem und strengem
Winter und mit kaltem, mittlerem und warmem Sommer in neun
Gruppen zusammengestellt, woraus die Lebensgefährdung alter Per¬
sonen durch kalte Winter hervorgeht; die Gruppe mit Durchschnitts¬
sommern sei hervorgehoben. Auf 10 000 Lebende hätten jährlich
erwartungsmäßige Sterbefälle kommen sollen und wurden tatsächlich
beobachtet:
im Alter von
kalte Winter
mittlere Winter
warme
Winter *
erw.
beob.
erw.
beob.
erw.
beob.
65 - 75 Jahren . . .
. . . 635
666
632
631
040
6?6
75 - 85 Jahren . . .
. . . 1389
1457
1397
1398
1397
1359
85 u. mehr Jahren .
. . . 2896
3049
2952
2965
2885
2826
Wir hatten
es bisher
nur mit
Sterbeziffern ;
zu tun; in
diesen
kann nicht zum
Ausdruck
kommen,
daß auch bei
den Widerstands-
fähigeren Altersklassen Erkältungen, die zu Erkrankungen der At¬
mungsorgane führen, sehr häufig sind, weil sie viel seltener zum
Tode führen. Nach den Sanitätsberichten des deutschen Heeres war
die Bronchitis und die Mandelentzündung eine sehr häufige Krank¬
heit, der Höhepunkt fällt bei beiden Erkrankungen auf Januar und
Februar; nach Schade geht der jahreszeitliche Verlauf in den
kalten Monaten parallel der Häufigkeit der Frostschäden, die auch
nicht immer bei starkem Frost allein, sondern viel häufiger bei gleich¬
zeitiger Nässe und Wind auftreten.
In Dänemark ist die Anzeigepflich t neben den Infektions¬
krankheiten auch auf Erkältungskrankheiten ausgedehnt,
es werden außer den Erkrankungen an Lungenentzündung und Grippe
auch die an „akutem Brustkatarrh“ (Tracheo-Brouchitis) und an
„gewöhnlicher Halsentzündung“ .(Angina tonsillaris) angezeigt. Die
Bronchitis capillaris ist mit der Bronchopneumonie vereinigt. Es ist
allerdings unbekannt, wie viele der leichteren Erkrankungen nicht
in ärztliche Behandlung kommen und daher überhaupt nicht ange¬
zeigt werden können, man darf aber annehmen, daß das Verhältnis
der Behandelten und Nichtbehandelten in allen Monaten ungefähr
dasselbe bleibt; der Pflicht zur Anzeige scheinen die dänischen Aerzte
gut zu genügen. Die Zahlen werden in den dänischen Medizinal¬
berichten (6) nach Monaten mitgeteilt, eine Trennung nach Alters¬
klassen findet nicht statt. Unter Umrechnung auf Monate von
30 Tagen erhält man für 1913—1917 die folgenden Zahlen. Von
1000 Erkrankungen jeder Art kommen auf die Monate:
In Dänemark (1913
-1917)
Kopenhagen
(1882—1911)
firinnp
Tracheo-
Lnngenentzilndung
Mandel¬
Mandel¬
VJI
Bronchitis
krup.
katarrh.
entzündung
entzündung
Januar . .
252
139
97
129
89
102
Februar. .
221
144
108
141
C0
95
März . . .
158
124
108
126
86
86
April . . .
96
112
117
121
81
80
Mal. . . .
46
84
118
93
73
78
Juni....
26
, 6 5
97
71
74
76
Juli ....
14
42
68
50
69
58
August . .
13
30
43
34
75
61
September
16
41
45
40
86
82
Oktober . .
27
61
61
54
91
89
November .
45
74
65
67
100
101
Dezember .
86
84
73
1 74
86
92
In den fünf Jahren hatte das Jahr 1911 keine größere Grippe¬
epidemie, in den anderen vier Jahren fiel das Maximum zweimal
auf den Januar, je einmal auf Februar und März^ bei Tracheo-Bronchitis
dreimal auf den Januar, je einmal auf Februar und März, bei der
katarrhalischen Lungenentzündung zweimal auf den Januar, je ein¬
mal auf Februar, März und April, bei der kruppösen Lungenentzündung
je rinmal auf Januar, März und April, zweimal auf den Mai, bei
der Mandelentzündung je einmal auf Januar, März und Oktober,
zweimal auf November. Den stärksten Wintercharakter haben die
Grippe, die Bronchitis und die katarrhalische Lungenentzündung,
weniger die kruppöse Lungenentzündung; während bei jener
das Maximum auf die eigentlichen Wintermonate fällt, liegt es hei
der kruppösen in den Monaten April und Mai. Verhältnismäßig gering
sind die jahreszeitlichen Unterschiede bei der Mandelentzündung.
Da in dem fünfjährigen Zeitraum Einzelepidemien die Verhältnisse
verschieben können, wurden die Zahlen von Kopenhagen für einen
dreißigjährigen Zeitraum beigefügt; auffallend ist die rasche Zu¬
nahme vom September an, während Grippe und Bronchitis erst vom
Dezember an mit höheren Zahlen einsetzen. •
Unter den Erkältungskrankheiten nehmen die Rheumatismen
eine weitere wichtige Stelle ein; sie entstehen noch viel weniger als
die Bronchitiden und Anginen allein unter dem Einfluß großer Kälte,
sondern mehr infolge von Durchnässung bei kühlem Wetter, Er¬
hitzung mit folgendem Aufenthalt in Zugluft und Aehnlichem.
Schade (7) hat in dem strengen Winter 1916/17 bei einer Infanterie-
truppc von 8000 Mann das Auftreten von Rheumatismus unter
dem Einfluß naßkalter Witterung und das der übrigen Erkältungs¬
krankheiten unter dem Einfluß von trockener Kälte und Wind fest¬
gestellt:
7a ui h<m . Tage der Kalte mit Tauwetter Tage der strengen Kälte
^ ani aer 0-11° (62 Tage) - 1 17« (28 Tage)
zusammen pro Tag zusammen pro Tag
Erkältungskatarrhe. 1145 18,4 527 20.4
Rheumatismen. 427 6,9 130 4,6
Länger dauernde und oft wiederholte Erkältungen führen zu
chronischen Rheumatismen der Muskeln und Gelenke. Eine sichere
statistische Erfassung dieser Krankheiten ist nur schwer möglich, da
unter dem Namen Muskelrheumatismus in den Krankmeldungen allerlei
Schmerzen zusammengefaßt werden und beim chronischen Gelenk¬
rheumatismus rein rheumatische Erkrankungen, Arthritis deformans
und Arthritis urica nicht immer auseinandergehalten werden können.
Beim Muskelrhcumatismus kommt hinzu, daß das Aufsuchen des Arztes
wegen desselben von vielerlei Umständen abhängt, die mit der
Krankheit nichts zu tun haben, von der Witterung selbst, von der
Art des Berufs, von der Arbeitsgelegenheit und anderen Dingen.
Soviel ist sicher, daß die Rheumatismen keine so großen Verschieden¬
heiten in der Häufigkeit zwischen kalter und warmer Jahreszeit wie
die Bronchitiden aufweisen.
Bei den meisten Infektionskrankheiten macht sich ein
jahreszeitlicher Einfluß geltend, der aber auf den verschiedenartigsten
Ursachen beruht, je nachdem das Gedeihen der Krankheitserreger
von der Lufttemperatur abhängig ist, Insekten als Ueberträger der
Krankheit in Betracht kommen oder mit der Jahreszeit zusammen¬
hängende Gelegenheitsursachen wirksam sind. Diese Dinge sind all¬
bekannt und haben eine reiche Literatur. Ausgesprochene Sommer¬
krankheiten sind die Cholera, die Ruhr, die Malaria und das Gelb¬
fieber, in der Hauptsache auch der Typhus, doch sind bei ihm,
entsprechend der Verschiedenartigkeit der Infektion, auch Winter-
epidemieu nicht selten. Die Pest ist wenig an die Jahreszeit ge¬
bunden, ebenso Scharlach. Mehr Winter- und Frühjahrskrankheiten
sind die Masern, der Keuchhusten und die Diphtherie; die Ursachen
der größeren Häufigkeit im Winter und im Frühjahr sind noch nicht
geklärt, für die größere Häufigkeit der Masern im April und Mai
wird der Schulbeginn verantwortlich gemacht. Auch Genickstarre
und akuter Gelenkrheumatismus treten nach diesem Typus auf, was
begreiflich ist, da bei der erstereu die Infektion in die • Nase, bei
letzterem in die Mandeln verlegt wird. Fleckfieber und Rückfall¬
fieber sind ebenfalls hauptsächlich Winterkrankheiten; es ist be¬
kannt, daß diese Krankheiten unter dem Einfluß wirtschaftlicher
Not ihre größte Verbreitung finden. Die Unreinlichkeit, die mit
dieser Not um sich greift, muß in den Wintermonaten bei dem
Mangel an Seife, der Schwierigkeit des Wäschetrocknens, der fehlen¬
den Lüftung ungesunder Wohnräume usw. die schlimmsten Folgen
haben.
Bei der Sterbefallstatistik ist es nicht möglich, die kruppöse
Lungenentzündung und die Bronchopneumonie zu trennen. Bei
der kruppösen Pneumonie ist es längst festgestellt, daß sie am
häufigsten in den Friihjahrsmonaten und im Winter auftritt. Mannig¬
fache Wittcrungsfaktoren wurden hierfür verantwortlich gemacht:
Kälte, Trockenheit der Luft, Temperaturschwankungen, rauhe, be¬
sonders Ost- und Nordostwinde. Die zahlreichen Versuche, die an¬
gestellt wurden, um den Zusammenhang der kruppösen Pneumonie
mit diesen Witterungsfaktoren nachzuweisen, sind ohne handgreif¬
lichen Erfolg gewesen und werden es immer sein, da die mensch¬
liche Natur verschieden ist, der eine gegen rauhe Winde, der andere
gegen Kälte, ein dritter gegen Nässe empfindlich ist und Lebens-
gewohnheiten und Wohnungsverhältnisse daneben von Einfluß sind.
Es ist nur das eine sicher, daß der Krankheitserreger der kruppösen
Pneumonie vorhanden sein muß und daß nun das Hinzutreten einer
„Erkältung“ diesen zu einer krankmachenden Entwicklung bringen
kann, die ohne diese ausgeblieben wäre. Man darf es nicht so
auffassen, daß die Erkältung eine Prädisposition geschaffen habe,
da das Auftreten dieser Krankheit meist so plötzlich ist, daß eine
vorbereitende Bronchitis nicht in Frage kommen kann. An einer
Tatsache nur aus dem Grunde zu zweifeln, weil sie statistisch nicht
nachgewiesen werden kann, wäre unrichtig.
Bisher war nur von den Erkältungskrankheiten die Rede, auch
die Sommerhitze kann schlimme Folgen haben, namentlich für
das 1. Lebensjahr. Dies ist so gut bekannt, das es keiner weiteren
Ausführung bedarf. Bevor man beim Fehlen der Brustnahrung eine
Ernährung der Säuglinge mit sterilisierter Milch kannte, hat man
Digitizec t GO glC
Original fram
CORNELL UNIVERS1TV
28. April 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
551
die hohe Sommersterblichkeit derselben auf die rasche Zersetzung
der Milch unter dem Einfluß warmer Temperatur zurückgeführt.
Daneben besteht aber eine weitere Einwirkung der Sommerhitze,
teils für sich, teils durch übermäßige Erwärmung der Wohnräume,
wie dies schon Me inert 1886 aussprach und später Finkeistein,
Rietschel, Liefmann und Lindemann u. a. bestätigten. Eine
kleine Zahl der Kinder stirbt im Hochsommer an Hitzschlag, die Mehr¬
zahl geht allerdings an Verdauungsstörungen zugrunde, die entweder
direkt durch Ueberhitzung bedingt sind oder infolge der Ueber-
hitzung einen unheilvollen Verlauf nehmen.
Die zahlreichen Sommerdiarrhöen der Erwachsenen haben iii
unseren Breiten selten einen tödlichen Ausgang; sie sind nicht ein¬
fache Folge der Hitze, sondern beruhen auf unzweckmäßiger Lebens¬
weise. Die infektiösen Darmkatarrhe, Cholera nostras, Brechdurch¬
fall, sind fast reine Sommerkrankheiten.
Eine direkte Einwirkung der Sommerhitze bei Erwachsenen sind
der Hitzschlag und der Sonnenstich; die bei uns eine verhält¬
nismäßig seltene, in den Tropen eine viel häufigere Todesursache
sind.
Die Einwirkungen der Witterung auf das Nervensystem sind
noch ungeklärt. Das Auftreten von Schmerzen bei Rheumatikern
und bei sensiblen Personen bei Witterungswechsel, vor Gewittern,
vor Schneefällen usw. gehören nicht bloß in das Reich der Einbildung.
Das Frühjahr und die ersten Sommermonate sind von besonderem
Einfluß auf das psychische Verhalten des Menschen; schon lange
ist die höhere Zahl der Selbstmorde in dieser Zeit bekannt, der
Selbstmord nimmt überall in der gemäßigten Zone vom April an zu,
erreicht die größte - Häufigkeit im Juni und geht im September
wieder auf die Zahl etwa des Monats März herab. G. v. Mayr
hält die zunehmende Tageswärme und die längere Dauer der Be¬
sonnung für bedeutsam, da die meisten Selbstmorde bei Tage aus¬
geführt werden. Gädeken (9) denkt dabei an einen Einfluß der
diemisch wirksamen Lichtstrahlen auf Zirkulation, Respiration und
die Erregbarkeit des Nervensystems. In den Irrenanstalten beob¬
achtet man eine Zunahme der Aufnahmen im Juni und November.
Sie wird vielfach auf soziale Einflüsse zurückgeführt (Aufnahmen vor
der Ernte, vor dem herannahenden Winter), Wilmans (10) fand
aber den Vorsommergipfel bei den 15—30jährigen am deutlichsten
und schließt daraus auf Einwirkungen des beginnenden Sommers
auf eine latente Brunstzeit mit Aenderungen der inneren Sekretion
und deren Einfluß auf das Seelenleben. In tropischen Ländern schei¬
nen psychische Störungen infolge großer Hitze häufiger zu sein.
Die Einwirkungen der Witterung im weiteren Sinne des Wortes
auf das Nervensystem sind noch sehr wenig bekannt und harren
weiterer Klärung; Untersuchungen in dieser Hinsicht können aber
nur Erfolg haben, wenn bei ihnen eine Trennung nach Geschlecht,
Alter und Art der Erkrankung vorgenommen wird.
Da der Einfluß der Kälte auf die Gesundheit eine sichere Tat¬
sache ist, so muß sich dies in verschiedenen Klimaten im
jahreszeitlichen Verlauf der Sterblichkeit geltend machen. Schon
Lombard hat dies mit unvollständigem Material nachzuweisen ge¬
sucht. Eine systematische Darstellung dieser Verhältnisse ist aber
zur Zeit nicht möglich, da hierzu eine Teilung der Sterbefälle
nach Alter, Jahreszeit und Todesursachen nötig ist und eine sorg¬
fältigere Erhebung der letzteren fast nur in Ländern der gemäßigten
Zone stattfindet. Soviel wissen wir aber, daß die Sterblichkeit des
höheren Lebensalters in der Tropenzone während des Jahres viel
gleichmäßiger verläuft und daß in ihr Erkältungskrankheiten auch
in der heißen sommerlichen Regenzeit unter dem Einfluß der ein¬
tretenden Morgenkühle nach starker Erhitzung des Körpers bei
Nacht nicht selten sind.
1. A. B i drei, Der jelzige Stand der Lehre von der Erkaltung. D. m. W. 1921 S. 780.—
2. M. m. W. 1919 Nr 36. - 3 . 8. Auflage. Leipzig 1914, S. 221. - 4 Maandcijfers en andere
periodieke npeaven 1915—1920. — 5. Die Lelre von der MorbidHSt und Mortalität Jena 1901 p
S.3^0.- 6. Carlsen und Hansen, Medizinalbereting for den danske Stat - 7. M.m.W,
1921S.95. — 8.Moralstatistik. Tübingen 1917, S.285. — 9. Ueber die psvrhn-phvsiologische
Bedeutung der atmosphärischen Verhältnisse, insbesondere de« Lichts. Zschr. f. Psychnther.
3, H. 4. — 10 Ueber die Zunahme des Ausbruchs geistiger Störungen in den Frllhjahrs-
und Sommermonaten. M. m. W. 1920 Nr. 7.
Die orthopädische Behandlung der rachitischen
Deformitäten 1 ).
Von Prof. Albert Wolleoberg in Berlin.
M. H.l Die Aufgabe meines heutigen Referates ist die. Ihnen
einen zusammenfassenden Ueberblick zu geben über die einzelnen
Behandlungsmittel und -methoden, die uns in der Verhütung und
Bekämpfung der rachitischen Deformitäten zu Gebote stehen, über
ihre Vorteile und Nachteile, ihre Indikation und ihre Anwendungsweise.
1. Physikalische Therapie, a) Massage. Dieses Mittel wird seit
langer Zeit zur Kräftigung der rachitischen Muskulatur benutzt, besonders
wenn die letztere erheblich von dem Krankheitsprozeß befallen ist. Gerade
bei infolge schwerer Rachitis bewegungsunfähigen Kindern vermag
_ ' rjr i
* )~Nach einem am~l6. I. 1922 in gemeinsamer Sitzung' der'Gesellschaft für innere
Medizin und Klnderheilkunde_und der Berliner orthopädischen Gesellschaft erstatteten
Referate.
methodisch angewandte Massage die letzteren zum Gebrauche ihrer
Gliedmaßen zu bringen. Als direktes Heilmittel der Rachitis wird die
Massage von Müller in München-Gladbach gerühmt, schnelles Ver¬
schwinden der nervösen Erscheinungen, sofortiges Einsetzen der Rück¬
bildung von Verkrümmungen, bedeutende Gewichtszunahme, Besserung
der aktiven Bewegungen sollen die Folge sein. Eine systematische
Nachprüfung dieser Methode dürfte sich empfehlen. Daß die Massage
in der Nachbehandlung nach Korrekturen eine große Rolle spielt,,
braucht kaum erwähnt zu werden.
bj Gymnastik. Die Gymnastik in Form von aktiven und passi¬
ven Bewegungen, auch von Widerstandsbewegungen, ist, ebenso wie
die Massage, in der Behandlung und Nachbehandlung der rachitischen
Bewegungsstörungen und Deformitäten ein unentbehrliches Mittel.
Bei schwerer Erkrankung ist sie zunächst natürlich ohne jede Be¬
lastung anzuwenden.
c) Elektrizität. Dasselbe gilt von der Elektrizität, gewöhn¬
lich in Form von Faradisicning angewandt. In der Spitzysehen
Klinik bedient man sich gerne in den Gipsverband, der nach Korrektur
angelegt wurde, eingesdilossener Elektroden, um während der Ver¬
bandperiode bereits die Muskeln zu kräftigen.
d) Hyperämie. Sie wird besonders für die in das Gebiet der
Rachitis gehörende sogenannte „Hungerosteopathie“ empfohlen, und
zwar in der Form von Heißluftbädern (Haß), von Teillichtbädem
und Diathermie (Hamei). Mit passiver Hyperämie (Stauung) hatte
letzterer Autor keine Erfolge.
e) Strahlentherapie. Huldschinsky berichtete über schnelle
Heilung der Rachitis nach methodischer Bestrahlung durch die Ultra¬
violettstrahlen der Quarzlampe; er konnte diese Heilwirkung durch
Röntgenbilder nachweisen. Es liegen bereits Bestätigungen seiner An¬
gaben vor (Langstein, Erlacher, Kuh, Lasch). Wie weit sich
die von Huldschinsky angezeigte prophylaktische Bestrahlung
wird durchführen lassen, welche Erfolge sie zeitigen wird, läßt sich
zur Zeit noch nicht ermessen; nach Mengerts Erfahrungen an 18,
zum Teile zu Rachitis disponierten Säuglingen scheinen die Aussichten
günstig zu sein. Elsner empfiehlt statt der Quarzlampe das Bogen¬
ficht, wittek die „große Lampe“, d. h. die Sonne. Seltsamerweise
fand Huldschinsky, daß die Kombination von natürlicher Sonnen¬
bestrahlung und Quarzlampenbehandlung hemmend wirkt.
Wenn wir in den Ultraviolettstrahlen ein sicheres Mittel besitzen,
um jede Rachitis in kurzer Zeit zur Heilung zu bringen, d. h. ge¬
nügenden Kalkgehalt und damit genügende Festigkeit der Knochen zu
erzielen, so wird man die Indikation zur orthopädischen Inangriff¬
nahme der Deformitäten aut eine andere Basis stellen können als
bisher; man ,braucht mit Eingriffen nicht zu warten, bis das Stadium
der Reparation eingesetzt hat, sondern man kann nötige Korrekturen
im florideu Stadium ausführen und durch gleichzeitige Bestrahlungen
die Knochenfestigkeit, welche zum Schutz vor Rezidiven unerläßlich
ist, während der Verbandperiode bewirken. So empfiehlt denn auch
Huldschinsky die Korrektur durch modellierendes Redressement
während des Erweichungsstadiums der Knochen und gleichzeitige
Fixation des Resultates durch Bestrahlung. Aehnlichen Standpunkt
vertreten Erlacher und Wehn er. Bei der Popularität, deren sich
die Strahlenbehandlung der Rachitis auch in Laienkreisen bereits er¬
freut, dürften einige warnende Worte vielleicht nicht unangebracht
sein; überall schießen die, vielfach von Laien geleiteten Bestrahlungs¬
institute wie die Pilze aus der Erde. Nur zu leicht kann eine kritik¬
lose Bestrahlung zur Schädigung des Patienten führen, da eine zu
früh, d. h. vor Korrektur der Deformität, erzielte Knochenfestigkeit
die Verwendung einfacher und harmloserer Methoden unmöglich
machen kann. Bei Beginn der St "ahlenbehandlung muß also nicht nur
die Rachitis, sondern vor allen Dingen auch die rachitische Deformität
berücksichtigt werden.
Die erwähnten physikalischen Heilmethoden werden natürlich
stets mit den bekannten und bewährten Mitteln kombiniert, die wir
in der Regelung der allgemeinen hygienischen Bedingungen,
der Diät und in antirachitischer Medikation besitzen. Be¬
züglich der letzteren spielt nach wie vor der Lebertran die größte Rolle.
Ludloff bedient sich besonders gerne der Adrenalinbehandlung bei
orthopädischen Korrekturen. Die bisher aufgeführten Behandlungs¬
mittel werden ihre höchsten Triumphe feiern in jenen Fällen, bei
denen infolge schwerster Rachitis die Kinder unfähig sind, ihre
Glieder zu bewegen, sich aufzusetzen oder zu gehen, bei denen es
also vor allen Dingen darauf ankommt, diese vitalen Funktionen
wiederherzustellen — selbst unter zeitweiser Vernachlässigung der
Deformitäten, die unter den Uebungen und der Belastung der Glieder
sich verschlimmern können. Denn die größeren Gefahren für die
inneren Organe, besonders die Lungen, erwachsen diesen Kindern
aus ihrem bewegungslosen Zustande.
2 Mechanische Therapie. Die mechanische Beeinflussung der rachiti¬
schen Verkrümmungen geschieht durch Verbände, Bandagen, Appa¬
rate. Ihr Wirkungsbereich ist beschränkt dadurch, daß sie als alleiniges
Mittel nur in der Periode der Rachitis anwendbar sind, in welcher die
Knochen noch weich und biegsam sind; ferner dadurch, daß diese Mittel
einer beständigen und sorgsamen Kontrolle bedürfen, wenn sie überhaupt
sinngemäß wirken, wenn sie nicht zu Marterwerkzeugen für die
Patienten werden sollen. Sie lassen sich daher am besten in statio¬
nären Abteilungen, unter ständiger Aufsicht des Arztes benutzen. Ihr
Nachteil besteht in ihrer, selbst bei zweckmäßigster Anordnung,
überaus langsamen und oft nur zu unsicheren Wirkung. Kein Wunder
ist es daher, wenn viele moderne Orthopäden einen großen Teil
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNÜVERSm 1
552
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 17
dieser Apparate in das historische Museum verbannt haben, zugunsten
der rascher und sicherer wirkenden, mehr aggressiven Methoden.
Allein, ganz werden diese orthopädischen Schienen und Apparate nie¬
mals von der Bildfläche verschwinden, denn sie sind einerseits in der
Nachbehandlung nach Korrektur der Deformitäten nicht zu entbehren,
anderseits werden sie in der Bekämpfung der Rumpf- und Wirbel¬
säulenanomalien stets die Hauptmittel darstellen.
Die mechanischen Apparate, deren Haupttypen wir bei den ein¬
zelnen Deformitäten kurz besprechen werden, zerfallen in Lagemngs-
und in portative Apparate, sie werden bald dauernd, bald nur zeit¬
weise angewandt. Krauß hat in einer lesenswerten Arbeit gezeigt,
daß es in der Tat gelingt, mit einfachen und billigen Schienen¬
verbänden, wie sie der Vater dieses Autors mit liebevoller Hingabe
ersonnen hat, Korrekturen zu erzielen, die hinter den durch Operation
erreichten nicht zurückstehen. Es ist nicht ganz unmöglich, daß man,
selbst in unserer operationsfreudigen Zeit, einmal wieder aut die ein¬
fachen mechanischen Korrekturen zurückkommen wird.
3« Die eingreifenderen orthopädischen Maßnahmen, a) Das
schonende Redressement. Dasselbe kann einzeitig oder
mehrzeitig, d. h. in Etappen, ausgeübt werden. Dieses „Gerade-
biegen<< verkrümmter Glieder ist natürlich nur möglich im Stadium
größter Knochenweichheit. Häufig genug wird es sich bei diesem
Manöver nicht um einfaches Biegen, sondern um ein Einbrechen, Ein¬
knicken des Knochens handeln, an einer oder an mehreren Stellen,
also .eigentlich um eine Osteoklase. Aus der Erfahrung, daß ein
längere Zeit ruhiggestellter Knochen rasch an Kalkgehalt und daher
an Festigkeit einbüßt, haben Anzoletti und Röpke empfohlen,
das verkrümmte Glied einige Wochen im Gipsverband zu fixieren
und dann durch schonendes Modellieren geradezubiegen, was leicht,
wie an einem Bleirohre, gelingen soll. Nach Röpke vollzieht sich
die Korrektur im epiphysären Teile des Knochens, eignet sich be¬
sonders für das Genu valgum und varum bei Hauptsitz der Krümmung
am Unterschenkel, ferner für die nach vorne konvexen Krümmungen,
deren Scheitel nahe der Apophyse liegt. Hohmeier berichtet über
günstige Erfahrungen mit dieser Methode, Hagedorn hat sie eben¬
falls benutzt, hat aber den Knochen nach der Fixierung nicht mit
einem Male, sondern in 3—4 Etappen mit mehrwöchigen Intervallen
gerade gebogen, er empfiehlt sie nur bis zum zweiten, höchstens
dritten Jahre, spricht ihr auch bei Sitz der Verkrümmung nahe dem
Kniegelenke die Wirksamkeit ab. Jacobsen wendet sie im.floriden
und ausgeheilten Stadium an, und zwar auch bei älteren Kindern,
bei denen er vorher bis zu 9 Wochen fixiert. Nach seiner Angabe
spürt man fast immer ein weiches Einbrechen des Knochens. Gramer
hat die erweichende Vorbehandlung bei Kindern von 2—7 Jahren
vielfach mit Erfolg benutzt; er hat sie in Fällen, bei denen mehrfache
Korrekturen nötig waren, zur Zeitersparnis öfters mit einer oder
mehreren Osteotomien eingeleitet. Preiser dagegen konnte sich von
den Vorteilen der das Redressement vorbereitenden Fixierung nicht
überzeugen. Das von Julius Wolff ausgearbeitete Etappen-
red resse me nt zur Beseitigung des Genu valgum und varum scheint
zur Zeit nur noch wenig, im Adoleszentenalter kaum noch angewandt
zu werden.
Im Ganzen können wir sagen, daß das einfache Redressement
rachitischer Verkrümmungen ein schonender, im richtigen Stadium
angewandt, wirksamer Eingriff ist, dem manche Nachteile der brüs¬
keren Verfahren fehlen. Ein nicht unerheblicher Vorteil besteht darin,
daß die modellierten Knochen im Gipsverbande bereits früh, eventuell
schon nach einigen Tagen, belastet werden können. Wir werden dem
einfachen Redressement noch bei einigen bestimmten Deformitäten,
z. B. bei der Coxa vara und valga, als wichtiger Behandlungsmethode
begegnen.
b) Osteoklase. Wie wir oben sahen, stellt das Redressement
häufig nichts anderes dar als eine schonende, meist nur partielle
Osteoklase. Die eigentliche Osteoklase sucht die Deformität durch
gewaltsame Durchbrechung möglichst im Scheitel der Verkrümmung
zu beseitigen. Sie wird entweder manuell oder maschinell aus¬
geübt. In letzterem Falle bedient man sich eines der zahlreich an¬
gegebenen Osteoklasten, unter denen ich nur den von Lorenz,
Riedinger, Schultze, Heusner, Möhring nennen will.
Als eine besondere Modifikation der Osteoklase müssen wir die
Methode von Schanz bezeichnen. Letzterer korrigiert das Genu
valgum in dem geeigneten Alter dadurch, daß er den inneren Tibia-
kondylus auf die scharfe, ungepolstcrte Kante eines Volkmannschen
Bänkchens legt, die Kniegelenksgegend mit fest übereinander ge¬
legten Händen umfaßt und nun mit der Last seines Körpergewichtes
den inneren Kondylus auf diese Kante drückt; dabei fehlt jede Hebel¬
wirkung. Es entsteht ein keilförmiger Eindruck in der Tibia, worauf
sich die Deformität ausgleichen läßt
Die Osteoklase ist in der Regel, bei nicht zu großer Knochen¬
festigkeit angewandt, ein ziemlich zuverlässiger Eingriff. Blanchard
berichtet über 1000 Fälle, die ohne Mißerfolg verliefen. Allein, neben
den Vorteilen der Osteoklase, die besonders in dem Fehlen der In¬
fektionsgefahr, in dem Mangel der Dislokationstendenz der Fragmente
und in dem schnellen Heilverlaufe bestehen, haften der Methode doch
auch Nachteile und Gefahren an. Zunächst kann gelegentlich die Kon¬
solidation des Knochens ausbleiben, sich also eine Pseudarthrose
entwickeln (Röpke, Klostermann). Sodann läßt sich der Punkt,
an welchem der Knochen gebrochen werden soll, nicht mit mathe¬
matischer Genauigkeit bestimmen. Und schließlich bildet die Mög¬
lichkeit einer Fettembolie eine direkte Lebensgefahr. Engel be¬
richtet über 3 Fettembolien unter 198 Osteoklasen, d. i. 1,5 Prozent;
darunter 2 letale Ausgänge.
c) Gewaltsame Epiphysenlösung. Die Methode ist unter
dem Namen „forciertes Redressement“ als unblutiger Eingriff be¬
sonders zur Korrektur des Genu valgum angewandt worden; sie
stammt von Delore und wurde nach der Modifikation von Tillaux
besonders in Italien vielfach benutzt In Deutschland hat sie sich in
dieser Form nicht durchzusetzen vermocht, dagegen hat Reiner,
der verstorbene Schüler Lorenz’, sich derselben unter Modifikation
ihrer Technik angenommen. Reiner rät, vor der Operation sich
stets durch das Röntgenbild zu überzeugen, daß die Epiphysenfugen
noch erhalten sind. Er führt den Eingriff nicht vor dem 8. und nicht
nach dem 17. Lebensjahre aus. Zur Erleichterung empfiehlt er, mit
einem spitzen Messer vorher an der Außenseite des Condylus femoris
einzugehen und das derbe Periost über der Epiphysenfuge zu durch-
trehnen. Die eigentliche Epiphysenlösung bewirkt Reiner dann in
einem Fixationsapparat, welcher die genaue Einstellung der ein¬
wirkenden Gewalt auf die Epiphysenfuge ermöglicht. Es ist diese
Methode also eine Kombination einer Art von Osteoklase mit einem
geringen subkutanen blutigen Eingriff.
Spitzy ist ein Anhänger der Epiphyseolyse zur Korrektur des
Genu valgum, er führt sie aber mit Hilfe eines Subkutanmeißels, also
eigentlich als eine Form der Osteotomie, die wir sogleich besprechen
werden, aus. Er verwendet die Methode in der Regel hach dem
3. bis 4. Lebensjahre.
Betrachten wir die Vor- und Nachteile der gewaltsamen Epi¬
physenlösung, so ist zunächst zu erwähnen, dan die vielfach befürch¬
tete Wachstumshemmung, also die nachträgliche Verkürzung der
Extremität nach dem Eingriffe, nicht eintritt. Bei experimentellen
Epiphysenlösungen am wachsenden Tiere (R i e d i n g e r u. a.) vermag
zwar eine vorübergehende Wachstumsstörung einzutreten, beim Kinde
kommt sie aber nient zum Ausdruck. Weder Codivilla noch Spitzy
beobachteten eine Störung dieser Art. Codivilla berichtet über
seine und Panzeris Resultate mit der Epiphysenlösung nach
Delore-Tillaux: unter 1031 Fällen wurden 34 Peroneuslähmungen
gesehen, darunter aber nur 2 bleibende. Fochessati konnte
öO Personen, an denen der Eingriff doppelseitig vorgenommen worden
war, nachurttersuchen: 4—10 Jahre nach der Operation waren 1 Rezidiv
bei Genu valgum adolescentium, 3 Rezidive bei Genu valgum rachiti-
ticum nachzuweisen. Spitzy beobachtete unter 140 Fällen seiner
blutigen Epiphyseolyse 90 Dauerheilungen, sonst Besserungen der
Deformität. Einmal war eine leichte Abknickung der Epiphyse nach
hinten entstanden, die sich aber leicht korrigiereen ließ.
Demnach erscheinen die Gefahren der Epiphyseolyse, besonders
bei genauer Einhaltung der Altersgrenzen und bei Benutzung der
schonenderen Methoden (Reiner, Spitzy), gering: Die Gefahren
der Infektion sind auch bei blutigem Vorgehen infolge der subkutanen
Natur der Eingriffe fast gleich Null zu setzen. Eine Dislokation der
Fragmente ist kaum zu befürchten, und Lähmungen treten bei
schonendem Vorgehen offenbar nicht ein.
Die Verfahren sind natürlich nur bei ganz bestimmten rachiti¬
schen Deformitäten anwendbar, wenn nämlich der Sitz der Ver¬
krümmung in der Höhe der Wachstumsfuge gelegen ist, also beim
Genu valgum und varum, und zwar nur an der unteren Femurepiphyse
Unter diesen Voraussetzungen aber hat der Eingriff den großen Vor¬
teil, daß die Korrektur in der Tat genau den Scheitel der Krümmung
angreift.
d) Osteotomie. Die Durchmeißelung des Knochens zum Aus¬
gleich rachitischer Verkrümmungen wird aurch gerade oder schräge
lineäre, zuweilen auch bogenförmige Osteotomie, ferner auch durch
Keilosteotomie, besser Keilresektion genannt, und durch plastische
Knochenoperationen bewirkt. Als Instrument dient in seltenen Fällen
die Stich-, Draht-, Kreis- oder Bogensäge, meistens der Meißel,
in der Regel der sogenannte Tischlermeißel.
Neuerdings haben Payr und Vulpius, besonders für plastische.
Operationen, den Messerschliff des Meißels empfohlen, Hellwig
einen sich stufenweise verjüngenden Tischlermeißel. Als Unterlage
für die Extremität dient gewöhnlich ein Sandsack. Schäfer emp¬
fiehlt zur Lagerung des Beines bei schrägen Osteotomien eine ver¬
stellbare schiefe Ebene, da das senkrechte Meißeln auf einem
schräg liegenden Knochen besser gelingt als das schräge Meißeln
auf einem horizontal liegenden Knochen. Bezüglich der Keilresektion
hat Debrunner geraten, nach dem Röntgenbilde durch mathema¬
tische Konstruktion die Größe des zu entfernenden Keiles vor der
Operation zu ermitteln.
Bezüglich der aueren Osteotomie gilt die technische Vorschrift,
daß man den Knochen nicht völlig durchtrennt, sondern einen Rest
stehen läßt, der schließlich eingebrochen wird.
Reiner hat einen Meißel konstruiert, welcher im Gegensatz zu
der queren Knochendurchtrennung nur die Kortikalis in der Zirkum-
ferenz des Knochens durchtrennt, da sich während des Meißelns
ein an dem einen Ende der Meißelschneide angebrachter Vorsprung
auf der Oberfläche des Knochens entlang schiebt, dadurch ein tieferes
Eindringen in den Knochen unmöglich macht. Während man gewöhn¬
lich von offener Wunde aus die Meißelung vornimmt, hat man zur
Verringerung der Infektionsgefahr versucht, durch möglichst kleinen
Einschnitt auf den Knochen vorzudringen (subkutane Osteo¬
tomie). Diese Methode ist schon sehr alt; sie wird von Reiner
mit seinem Zirkumferenzosteotom, von v. Aberle mit einem so¬
genannten Subkutanmeißel ausgeführt.
Digitized b 1
Gckgle
Original from
CORNELL UNSVERS1TV
28. April 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
553
Der Ort, an welchem osteotoiniert werden soll, richtet sich nach
dem Hauptsitz der Verkrümmung: gerade an ihrem Scheitel soll die
Korrektur erfolgen. Das kann aber unter Umständen aus verschie¬
denen Gründen nicht möglich oder nicht ratsam sein; dann soll die
Osteotomie wenigstens möglichst nahe.diesem Scheitelpunkte liegen.
Nun kommen aber gerade an den Diaphysen der unteren Ex¬
tremität häufig so vielfache, in mehreren Ebenen des Raumes ge¬
legene Krümmungen vor, daß man mit einer Knochendurchtrennung
nicht auskommt. Dann kann man sich mehrfacher, unter Umständen
vielfacher Osteotomien bedienen. Diese Mehrfachosteotomien
kann man einzeitig oder mehrzeitig vornehmen.
Stracker tritt für ersteres Vorgehen ein und wendet dann zum
Ausgleich der Krümmungen die Extension an (Draht- oder Klammer¬
extension mit 4—7 kg bei 4—8jährigen Kindern). Schanz ist für
mehrzeitiges Vorgehen und empfiehlt dabei, stets an der Hüfte an-
zufangen und von da nach abwärts zu gehen. Brüning ist — im
Gegensatz zu den gleich zu besprechenden Operationsvorschlägen —
für gleichzeitige mehrfache Durchtrennung des Knochens mit der
Giglisäge. Eingreifendere Vorschläge sind neuerdings gemacht von
Schepelmann, der die ganze Diaphyse subperiostal entfernt und
den Periostschlauch mit einer Jodoformplombe ausfüllt, von Löf Her,
der ähnlich vorgeht, nur statt der Plombe den in kleine Stücke zer¬
trümmerten Knochen wieder in den Periostschlauch einfüllt, und von
Springer, der das temporär ausgelöste Knochenstück im sterili¬
sierten Schraubstocke in einzelne Scheiben zersägt und darauf letztere
wieder in ihr Periostlager zurück verlegt.
Wenn wir nun zur Beurteilung der Osteotomie schreiten, so wollen
wir vorwegnehmen, daß die zuletzt erwähnten Methoden von Sche¬
pelmann, Löffler und Springer zu neuen Datums sind, als daß
man heute schon ein Werturteil über sie abzugeben vermöchte; ich
möchte nur sagen, daß die in den betreffenden Veröffentlichungen
wiedergegebenen Photographien und Röntgenbilder vortreffliche Kor¬
rekturen erkennen lassen, daß man sich aber trotzdem wohl nur in
den allerschwersten Fällen zu derartigeh Eingriffen entschließen wird
— und nur für solche Fälle sind diese Methoden ja auch ersonnen.
Bezüglich der Osteotomie läßt sich sagen, daß sie bei richtiger
Technik und guter Asepsis ein harmloser und sicherer Eingriff ist.
Vor der Osteoxlase hat sie den großen Vorteil der sicheren Lokalisa¬
tion der Knochendurchtrennung voraus, vor den mechanischen, ab-
wartenden Methoden den der schnellen Beseitigung der Deformität.
Was die Gefahren und Nachteile der Osteotomie betrifft,
so ist zunächst wieder die der Fettembolie zu erwähnen, doch
scheint diese, im Gegensätze zu der Osteoklase, nur sehr gering
zu sein, ja, kaum in Betracht zu kommen. Sodann die Gefahr der
Infektion, die ebenfalls nicht hoch eingeschätzt werden kann.
Immerhin liegt diese Gefahr im Bereiche des Möglichen. Bade er¬
lebte 2 Infektionen bei subtrochantärer Osteotomie, darunter eine
tödliche. Cramer hatte unter 316 Osteotomien 2 Infektionen mit
gutem Ausgang. Je einfacher und schneller die Operation ausgeführt
wird, desto sicherer ist der aseptische Verlauf. Zur Verringerung der
Infektionsgefahr dienen die erwähnten subkutanen Methoden.
Eine weitere gewisse Gefahr besteht im speziellen Falle in der
Verletzung des N. peroneus bei der Osteotomie der Tibia und
Fibula nach Schede. Cramer hatte dabei 7 Paresen, 2 Paralysen;
in 8 von diesen Fällen ging die Lähmung zurück, in 1 Falle ist der
Ausgang unbekannt. Seit diesen Erfahrungen durchtrennt Cramer
die Fibula einige Finger breit unterhalb ihres Köpfchens, ein Vor¬
gehen, das. sicher sehr empfehlenswert ist.
Eine dritte Gefahr der Osteotomie ist die nachträgliche Dis¬
lokation der Fragmente. Bei kleinen Kindern ist sie nicht
groß, bei älteren, besonders bei sehr fetten, bei Adoleszenten mit
schweren Knochen und kräftigen, schwer zu beherrschenden Muskel¬
massen dagegen erheblicher.
Mir selber sind früher bei der Operation nach Mc Ewen solche
Dislokationen gelegentlich vorgekommen; ich vermeide sie seit etwa
12 Jahren durch eine von der originalen Methode abweichende Füh¬
rung des Meißelschnittes. Auch nach subtrochanterer Osteotomie habe
ich einmal so erhebliche Verschiebung der Fragmente erlebt, daß ich
blutig refrakturieren mußte. Ein gewisser Schutz gegen so unlieb¬
same Ereignisse ist dadurch zu erzielen, daß man niemals den
Knochen völlig durchmeißelt, sondern den Rest einbricht, wodurch
eine gewisse Verzahnung der Fragmente eintritt. Machard emp¬
fiehlt die Schienenverschraubung des durchtrennten Knochens nach
Lambotte. Schanz schraubt vor der Operation beiderseits der
projektierten Frakturlinie je eine lange Bohrschraube durch den Mark¬
raum bis in die gegenüberstehende Kortikalis; sie dienen ihm nach
der Osteotomie als Anzeiger bezüglich etwa eingetretener Dislokation,
und, wenn eine solche eingetreten ist, als Handhaben zur Reposition.
Sie werden in den Gipsverband eingeschlossen und nach 14 Tagen
entfernt. Ich lege bei Gefahr der Dislokation gerne eine kräftige
Drahtnaht durch die Frakturenden, die natürlich weft genug sein muß,
um die Korrektur der Deformität noch zu gestatten. Da wohl die
meisten Verschiebungen während oder bald nach der Anlegung des
Verbandes eintreten, Kann man sie durch besondere Verbandmethoden
wirksam bekämpfen. So empfiehlt Deutschländer, das deforme
Glied nadi der Operation unkorrigiert einzugipsen und die Korrektur
erst nach 10 Tagen, wenn eine Verschiebung nicht mehr zu be¬
fürchten ist, vorzunehmen. Man kann auch, statt des einfachen Gips¬
verbandes, einen extendierenden Verband anwenden, welcher eben¬
falls der Fragmentverschiebung entgegenarbeitet. Ich bediene mich,
ebenso wie Guradze, dafür gerne des vorzüglichen Gipsextensions¬
verbandes nach Gocht.
Schließlich wäre noch die Gefahr zu erwähnen, daß nach der
Osteotomie nicht die möglichst vollendete Korrigierung dqr Ver¬
krümmung entsteht, sondern daß (Jas Resultat eine Unter- oder
Ueberkorrektur der Deformität darstellt. Diese Gefahr, die ziem¬
lich erheblich ist, da der Wund- und Watteverband während der
Anlegung des Gipsverbandes die Achsen des Unter- und Oberschenkels
verschleiert, läßt sich durch Röntgenkontrolle verringern.
Nachdem wir die orthopädisch-chirurgischen Behandlungsmittel
besprochen haben, wirft sich die Frage auf, welches Mittel wir im
einzelnen Falle benutzen sollen, d. h. die Frage der Indikation.
Zum Teil haben wir diese Frage bereits beantwortet, indem wir bei
einzelnen Methoden sagten, daß sie nur in bestimmten Altersgrenzen
verwendbar seien und daß jedesmal das Stadium der Rachitis zu
berücksichtigen sei. So wird denn allgemein gefordert, daß vor jedem
Eingriff durch Röntgenaufnahme dieses Stadium festgestellt wird.
Nun lehrt die Erfahrung, daß eine ganze Reihe rachitischer Ver¬
krümmungen sich von selbst zurückbilden kann, und wir müssen uns
daher bei jedem einzelnen Falle fragen, ob wir bei ihm überhaupt
eingreifen müssen, oder ob wir auf Spontanheilung hoffen dürfen.
Cramer hat die Ansichten der einzelnen Autoren über Spontan-
Streckung der rachitischen Deformitäten in einem ausführlichen
Referate zusammengestellt. Wir entnehmen diesem, daß diese An¬
sichten weit auseinandergehen. Bekannt sind die Arbeiten aus der
Tübinger Klinik von Honsell und Kamps, die bei Unterschenkel¬
verbiegungen 75<>/o Spontanheilungen feststellten. Hohmann hat
neuerdings diese Angaben kritisiert; er ist mit den als geheilt bc-
zeichneten Fällen nicht zufrieden, glaubt vielmehr, daß sich bei recht¬
zeitigem Eingreifen bessere Formen ergeben haben würden.
Sehr zweckmäßig ist der Vorschlag Spitzys und Langes, in
jedem Falle durch in bestimmten Intervallen angefertigte Kontur¬
zeichnungen festzustellen, ob eine Tendenz zur Besserung oder Ver¬
schlimmerung vorliegt. Demselben Zwecke können auch in Inter¬
vallen aufgenommene Röntgenbilder dienen; besonders bei der Coxa
vara habe ich von dieser Methode sicheren Aufschluß erhalten.
Die Indikationen. in der Behandlung rachitischer Deformitäten
weichen natürlich, je nach Temperament und Erfahrung der einzelnen
Autoren, hier und da ab, lassen aber doch im allgemeinen die gleichen
Richtlinien erkennen: Mayer (Joachimsthalsche Klinik) empfiehlt
bei Genu valgum und varum vor dem sechsten Lebensjahre Redresse¬
ment, nach diesem Osteotomie. Jedoch sei nicht nur das Alter, sondern
besonders das Röntgenbild zu berücksichtigen. Cramer ostcotomiert
nur, wenn die Rachitis nach dem Röntgenbefunde ausgeheilt ist; er
hat wiederholt anderweitig zu früh operierte Fälle osteotomieren
müssen, weil ein Rezidiv eingetreten war. Stracker präzisiert
Spitzys Standpunkt, nach welchem die Osteotomie bei eingetretener
Konsolidation erfolgen muß, während bei fortschreitendem Prozesse
konservativ verfahren wird. Lindemann (Langesche Klinik) emp¬
fiehlt im ersten bis zweiten Lebensjahre Schienenbehandlung, im dritten
bei fehlender Neigung zu Spontanheilung Osteoklase. Stoffel und
Hohmann stehen auf ähnlichem Standpunkte, letzterer rät aber, bei
sog. „Korkzieherbeinen“, ferner bei Genu valgum der einen, varum
der anderen Seite und bei sehr schweren X-Beinen von dieser Regel
abzuweichen und bereits früher zu korrigieren.
Daß diese Indikationen, nachdem in der Strahlentherapie ein
Mittel zu schneller Konsolidierung der Knochen gegeben ist, nicht
mehr die Wichtigkeit besitzen wie früher, wurde bereits im Eingang
dieses Referates gesagt. (Schluß folgt.)
Aus dem k. ungarischen staatlichen Bakteriologischen Institut
in Budapest. (Direktor: Prof. A. Aujeszky.)
Eine Reaktion der Kolloidlabilität des Serums bei Toxin¬
bildung im Organismus, besonders bei aktiver Tuberkulose.
Von Dr. J. v. Daränyi, Oberbakteriolog.
Schon vor der Verbreitung der Wa.R., d. h. bevor man sich
noch mit den kolloidalen Eigenschaften und der Zusammensetzung
des Blutserums eingehender befaßt hat, haben verschiedene For¬
scher, wie Langstein und Meyer, Erben, Morawitz, P. Th.
Müller, gefunden, daß sich das Verhältnis der Serumglobuline zu
den Albuminen, der sog. Eiweißquotient, bei Infektionskrankheiten und
bei Behandlung von Tieren mit Bakterien verändert, indem sich
die Globuline auf Kosten der Albumine vermehren. P. Müller hat
ferner gefunden, daß der Fibrinogengehalt des Blutplasmas bei vielen
Infektionen, besonders mit Pneumokokken, Strepto- und Staphylo¬
kokken, zunimmt. Nach Entdeckung der Wa.R., oei der Suche nach
einfacheren Methoden gaben Klausner, Elias, Neubauer, Herr-
man und Perutz, Porges, Torday und Wiener, Bruck
verschiedene Reaktionen an, die darauf beruhen, daß luischc Sera
infolge der Anwesenheit besonders labiler Eiweißkörper durch
physikalisch - chemische Einwirkungen leichter ausgeflockt werden.
Diese Reaktionen treten, außer bei Lues, wie bei nachheriger Unter¬
suchung festgestellt wurde, meistens auch bei solchen Krankheiten
auf, die den ganzen Organismus stark beeinflussen, so bei schwerer
Tuberkulose, Karzinom, Pneumonie usw., wo auch eine Vermehrung
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
554
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 17
von niedrig dispersen Eiweißkörpern, den hochmolekularen Globu¬
linen, im Serum vorhanden ist. j
Den Globulinreaktioncn im Liquor hat man bisher eine viel j
größere Aufmerksamkeit zugewendet und durch verschiedene Reak- I
tionen pathologische Globulinvermehrungen nachgewiesen (Lange,
Jakobsthal und Kafka, Nonne-Apelt, Pandy, Weich,
b ro dt).
In der letzten Zeit haben sich Sachs und Oettingen mit
der Kolloidlabilität des Blutplasmas eingehender befaßt. Sie haben
beobachtet, daß das Neugeborenenjilasma bei physikalisch-chemischen
Einwirkungen (Erhitzung auf 55° C, Alkohol, Ammoniumsulfat, Koch¬
salz) schwerer ausgeflockt wird, d. h. eine größere Kolloidstabilität
besitzt als das Plasma Gravider. Mit der Aenderung des Dispersitiits-
grades des Plasmas steht hauptsächlich die von Fahräus gefundene
Senkungsbcschleunigung der roten Blutkörperchen in Zusammenhang.
Nathan und Herold haben gefunden, daß bei Syphilis die Sen¬
kungsgeschwindigkeit ungefähr dem Grade der allgemeinen Durch¬
seuchung und der Höhe der reaktiven Vorgänge entspricht.
Ich habe nun die Kolloidlabilität des Blutserums in 130 Fällen
untersucht. Die Blutproben stammten von den Universitätskliniken,
vom Krankenhaus „Königin Zita“ und dem Lungensanatorium „Elisa¬
beth“. Den Leitern des Bakteriologischen Institutes und der obi¬
gen Anstalten, besonders den Proff. A u j e s z k y, Bärsony,
Basch und Szinnyei, spreche ich für die liebenswürdige Unter¬
stützung herzlichsten Dank aus. Unter den 450 Seren waren SS von
Tuberkulotikern, hiervon 22 von genesenen inaktiven Fällen. Neben
einer großen Zahl von gesunden Seren befanden sich 32 Sera von
Graviden. Die übrigen Fälle betrafen verschiedene bakterielle und
nicht bakterielle Erkrankungen. Der Kürze halber fasse ich hier nur
die wichtigsten Resultate meiner Untersuchungen zusammen.
Im allgemeinen geht aus meinen Versuchen hervor,
daß bei allen Zuständen, wo Toxinbildung und Zell¬
zersetzung in den Geweben stattfindet, eine Erhöhung
der Kolloidlabilität des Blutserums besteht, welche
mit der Ausdehnung des Prozesses ungefähr parallel
verläuft. Diese Sera flocken auf verschiedene Eingriffe, wie Er¬
hitzung, Ammonium-, Magnesiumsulfat, Alkohol, Karbol, Sublimat,
leichter aus als gesunde. Durch diese Eingriffe allein ist aber keine
genügende Schärfe und keine entsprechende Abstufung der Reaktions-
gradc gegeben. Ich habe deshalb eine Kombination zweier Eingriffe
angewendet, nämlich Alkohol und Erhitzung. Hierdurch wird eine
allmählich einsetzende, gleichmäßige und nach verschiedenen Zeit-
iutervallen leicht ablesbare Reaktion, ermöglicht. Die Reaktion drückt
den Kolloidlabilitätszustand des Blutserums aus und ist ein Maßstab
für die Toxinerzeugung und den pathologischen Gewebszerfall.
Ausführung der Reaktion. 0,2 ccm Serum wird mit 1,1 ccm
verdünntem Alkohol vermischt, gut aufgeschüttelt und 20 Minuten
in ein Wasserbad von 60° C getaucht. Dann werden die Röhrchen
bei Zimmertemperatur aufbewahrt und 1 / 2 » 1, 2, 3 und 24 Stunden
nach der Erwärmung mit freiem Auge, ohne zu schütteln, in schiefer
Lage gegen einen dunklen Hintergrund (Plafond) abgelesen. Dabei
wird eine in 1/2 und 1 Stunde auftretende Flockung mit ,,-j—f--{—r“,
eine in 2 Stunden mit eine in 3 Stunden mit „-f f“, eine
in 24 Stunden mit „ 4 -“, und wenn nach 24 Stunden die Reaktion
homogen bleibt, dann diese mit “ bezeichnet. Als Alkohol nehme
man 96"oigen, welchen man mit 2<Voiger Kochsalzlösung verdünnt,
da bei Verwendung von destilliertem Wasser keine Flockungen ent¬
stehen. Eine 2<’oige Kochsalzlösung kann man aus einer 10%igen
NaCl-Stammlösung, welche haltbarer ist, immer frisch Herstellen.
Die Alkoholverdünnungen müssen immer frisch gemacht werden.
Zu 1 ccm Alkohol nahm ich 4,1 ccm 2o/oige NaCl-Lösung. Ich arbeitete
mit geprüftem, genau 96 (yoigem Alkohol und mit einem Thermometer,
bei welchem der 60 0 C mit einem Präzisionsthermometer aus Jenenser
Glas verglichen wurde. Da aber nicht immer möglich ist, mit genau
96 ( Voigem Alkohol und mit Präzisionsthermometern zu arbeiten (ge¬
wöhnliche Thermometer zeigen manchmal auch eine Differenz von
2° C), ist es notwendig, die zu gebrauchende Alkoholverdünnung
einmal auszutitrieren. Es werden zu 1 ccm Alkohol steigende Mengen:
3,8, 3,9, 4,0, 4,1, 4,2 ccm -usw. 2o/ 0 iger NaCI-Lösung hinzugesetzt
und die Reaktion mit diesen Verdünnungen bei 4—5 negativen Kon-
trollseren ausgeführt. Bei den weiteren Versuchen ist die niedrigste
Verdünnung, wo die normalen Sera nach 24 Stunden alle noch negativ
reagieren, zu verwenden. Zu dieser Titrierung bewähren sich vor¬
züglich von gesunden weiblichen Individuen stammende Sera, da
diese auch physiologisch etwas höhere Serumlabilität haben als die
von Männern. Dieser Unterschied ist aber unbedeutend im Ver¬
hältnis zu der Erhöhung bei aktiven Krankheitsprozessen. Während
der Erwärmung und Aufbewahrung verdunstet der Alkohol einiger¬
maßen. Um dies zu verhüten, wählt man zur Reaktion lange (10 bis
12 cm) Eprouvetten mit engem Lumen (8—9 mm). Die Sera werden
nicht inaktiviert, weil sich die Flockung hierdurch deutlich abschwächt.
Diese dürfen auch keine Verunreinigungen (Blutkörperchen, bak¬
terielle Trübungen) enthalten. Manche Sera sind normalerweise etwas
opak. Dies stört aber die Reaktion nicht, da nicht Trübungen, son¬
dern nur der Agglutination ähnliche Flockungen als positiv gelten.
Aeltcre Sera als 24 Stunden nach der Blutentnahme untersuche man
nicht, weil infolge der Autolyse sich die Menge der Abbauprodukte
vermehrt, wodurch die Teilchen stabilisiert (Herzfeld und Klin¬
ge r) und die Reaktionen deutlich schwächer werden.
Was das Vorkommen der Reaktion im einzelnen be¬
trifft, so habe ich folgende Resultate zu verzeichnen. Bei Gesunden
tritt keine Reaktion auf. Gravide, ferner solche mit oberflächlichen
katarrhalischen Prozessen (26 Fälle), wie Zystitis, Bronchitis, Gastritis,
Conjunctivitis catarrhalis (weil Conjunctivitis tbc. als aktiver Prozeß
starke Reaktionen abgibt), Urethritis (auch gonorrhoica), Cholezystitis
(auch Cholelithiasis) weisen keine Reaktion auf oder manchmal höch¬
stens eine erst nach 24 Stunden auftretende, ganz schwache Reaktion.
Gegenüber den oberflächlichen Katarrhen zeigen tiefer ins Gewebe
dringende Prozesse, Eiterungen, z. B. Appendizitis mit Eiterung (zwei
Fälle), starke Reaktionen innerhalb 3 Stunden. Je mehr die Toxin¬
bildung und der Gewebszerfall Vordringen, desto stärker ist die Re¬
aktion. Geringfügige Eiterungsherde, wie Akne, Hordeolum, kleine
Follikulitiden, beeinflussen die Reaktion nicht. Gutartige stationäre
Neubildungen reagieren negativ, progrediente, zerfallende Tumoren
positiv. Während Ca. ventriculi stark positiv reagiert (3 Fälle), er¬
geben benigne Prozesse, wie Ulcus ventriculi (4 Fälle), negative oder
höchstens ganz schwache „4 “-Reaktionen. Neuralgische (Ischias
(2 Fälle]), neurasthenisehe (6 Fälle), hysterische, funktionelle Ver¬
änderungen ergeben die Reaktion nicht, im Gegensätze von organi¬
schen, besonders bakteriellen Veränderungen. Die Karzinomtherapie
(Uterus-) kann man in bezug auf die Heilung, die Metastasen durch
die Reaktion kontrollieren. Geheilte und latente Luesfälle reagieren
negativ, wenn keine Toxinproduktion mehr stattfindet. Die Stärke
dfr Reaktion wächst bei Lues mit dem Durchseuchungsprozeß. Aus
diesem Grunde könnte man die Reaktion neben den Luesreaktionen
für die Bestimmung der Aktivität des Prozesses gut gebrauchen.
Es gibt noch viele andere Verwendungsmöglichkeiten, z. B. in der
Diagnose von akuten und chronischen Infektionskrankheiten, in der
Kinderheilkunde, Psychiatrie usw. Diesbezüglich verfüge ich aber
über 211 wenige Erfahrungen.
Die meisten Versuche habe ich bei Tuberkulose gemacht, wo die
Reaktion ebenfalls die Stärke der Toxinbildung und des Gewebs¬
zerfalles anzeigt. Man weiß, wieviel man in der letzten Zeit die
Aktivität der Tuberkulose studiert hat, nachdem die Untersuchungen
von N a e g e I i, Hart, Franz usw. bewiesen haben, daß die meisten
Leute im Leben tuberkulöse Infektion durchgemacht haben. Bei der
Diagnose der Tuberkulose ist die Aktivität meistens wichtiger als
die pathologisch-anatomischen Veränderungen allein. Zur Bestimmung
der Aktivität wurden bisher verschiedene Methoden versucht. Hierzu
gehören Nachweis von Antikörpern, Blutbild, Eigenharnreaktion,
Tuberkulinreaktion, Veränderungen im Röntgenbild usw. (Marmorek,
Maragliauo, Debrc, Paraf, Hammer, Arnetn, Steffen,
Romberg, Curschmann, Wildbolz, Kn oll und Bau-
mann, Preiß, Watkins und Boynton). Fraenke! sagt
(D. m. W. 1921 Nr. 9 S. 235): „Erst wenn ein Abbau von Körper¬
gewebe und eine Giftwirkung gegeben ist, sprechen wir von Aktivi¬
tät. — Eine Tuberkulose ist aktiv, wenn wir entweder 1. auf physi¬
kalischem Wege die Bildung frischer Tuberkel und eine fortschreitende
Einschmelzung oder 2. eine Giftwirkung auf den Organismus nachzu-
weisen vermögen.“ Diesen 2. Weg des Nachweises gehe ich mit
meiner Reaktion.
Sicher inaktive Fälle, wo auch keine anderweitige Toxinbildung
im Organismus vorhanden war, gaben immer negative Reaktionen,
während sicher aktive Fälle (66 Fälle) (Blutung, Fieber, Bazillen¬
nachweis, ständige Rasselgeräusche, chirurgische Tuberkulose usw.)
immer positiv reagierten, wobei Fälle mit positivem Bazillenbefund
meistens sehr stark (,,-■—j -H “) positiv waren. Im allgemeinen war
der Reaktionsgrad der Ausdehnung des Prozesses fast mathematisch
proportional. Bei der Heilung wird die Reaktion negativ. Die Ab¬
schwächung und das Verschwinden der früher positiven Reaktion
wäre daher als objektive therapeutische Kontrolle zu gebrauchen. Bei
der Prognosestellung und bei der Trennung leichter und schwerer
Fälle leistet die Reaktion gute Dienste. Die Reaktion ist ferner brauch¬
bar für die Indikationssteflung der Schwangerschaftsunterbrechung bei
aktiver Tuberkulose. Da aber manchmal das Serum von Schwangeren
nach 24 Stunden schwach positiv reagiert, ist hier nur eine Reaktion,
die spätestens in 3 Stunden auftritt (-j— -j —|—|--F—{—), zu verwerten
oder noch mehr, wenn sich die Reaktion im Laufe der Schwangerschaft
verstärkt.
Schlußsätze. 1. Blutsera von Patienten, bei denen im Organismus
Toxinbildung und pathologischer Gewebszerfall stattfinden, werden
durch fällende Eingriffe (Erhitzung, Karbol, Sublimat, Alkohol usw.)
leichter ausgeflockt als normale Sera.
2. Diese sogenannte Erhöhung der Kolloidlabilität des Serums bei
toxinbildenden Prozessen läßt sich durch die angegebene, leicht aus¬
führbare Reaktion bestimmen und quantitativ angeben.
3. Sera von Gesunden ergeben die Reaktion nicht. Diese kann
verschiedene Anwendungen haben, z. B. in der Unterscheidung von
malignen Tumoren (z. B. Ca. ventriculi) von gutartigen, nicht toxoge-
nen Prozessen (z. B. Ulcus ventriculi); bei oberflächlichen Katarrhen
und Eiterungen; zur Unterscheidung bei akuten und chronischen
Krankheiten, ob noch Toxinbildung vorhanden ist; bei der Frage von
Heilung, Metastase nach Operation oder anderen Therapien usw.
4. Besondere Wichtigkeit erlangt die Reaktion bei der Aktivität
der Tuberkulose. I 11 keinem Falle sicher aktiver Tuberkulose fehlt
die Reaktion, deren Grad der Ausdehnung, Toxinbildung und Gewebs¬
zerfall proportional ist. Sie ist auch als therapeutische Kontrolle
brauchbar, da sie bei der Heilung der Krankheit verschwindet.
Digitized by Google
Original from
CORNELL UNiVERSITV
28. April 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
555
Aus dem Knappschafts-Krankenhaus II in Recklinghausen.
(Chefarzt: Dr. Steiner.)
Mycosis fungoides und Noma, zwei seltenere Krankheits¬
bilder.
Von Dr. Rüsing und Dr. Schulte.
Ende August 1921 kamen fast gleichzeitig zwei Krankheitsfälle
zur Aufnahme, die es uns aus verschiedenen Gründen wert erscheinen
lassen, sie der Oet'fentlichkeit mitzuteilen.
I. Mycosis fungoides.
Patient M. M. wurde am 17. VIII. 1921 aus dem Krankenhause
eines Nachbarortes wegen Defektes des dortigen Röntgenapparates
unserer Hautstation (Leiter Dr. O. Müller) zur weiteren Bestrahlung
überwiesen. Das ganze Krankheitsbild bot das Aussehen einer My¬
cosis fungoides dar, eine Diagnose, die uns der Pathologische Anatom
auf Grund seiner mikroskopischen Untersuchung bestätigte. Die Fälle
von Mycosis fungoides kommen relativ so selten vor, daß wohl stets
jeder erkannte in der Literatur beschrieben wird, pflegt doch meist
jeder seine Besonderheiten zu haben, deren eine oder andere viel¬
leicht gegebenenfalls zum frühzeitigen Erkennen dieses im Anfang
schwer zu diagnostizierenden Leidens beitragen und es damit der im
späteren Stadium aussichtslosen Therapie rechtzeitig zugänglich
machen kann. Unser Fall erscheint uns deswegen besonders mit¬
teilenswert, weil der Verlauf im Gegensatz zu den meisten beschrie¬
benen auffallend schnell war.
Die Anamnese (teils von dem Kranken selbst, teils, weil bei ihm
zeitweise getrübtes Sensorium, von seiner Frau erhoben) gibt uns den
September 1920 als Krankheitsanfang an. Patient ist früher stets ge¬
sund gewesen, Anzeichen einer ähnlichen Erkrankung in der Familie
nirgends zu finden. Venerische Infektion wird negiert. Beginn mit
einer Rötung auf der rechten Hand, die allmählich Fiinfmarkstück-
größe annahm, Intensität der Rötung wechselnd. Die rote Stelle hielt
sich in ihrer Größe ungefähr drei Monate, ehe weitere Veränderungen
eintraten. Dann bildete sich am rechten Unterarm ein roter Herd,
der auch allmählich fünfmarkstückgroß wurde; es folgten mehrere
kleinere rote Flecke am rechten Oberarm. Juckreiz soll damals wenig
oder gar nicht vorhanden gewesen sein. Nun zeigten sich auf dem
rechten Fußrücken ein handtellergroßer roter Fleck, weiterhin am
rechten Unterschenkel mehrere rote Ringe mit hellem Zentrum. Leib
und linker Unterschenkel folgten, dort wurden unregelmäßig be¬
grenzte, rote, teilweise mit Schuppen bedeckte Herde beobachtet, die
Kitzel- und Juckreiz hervorriefen („als ob Tiere über die Haut liefen“).
Letzteren Erscheinungen schloß sich allgemeine Ausbreitung des Aus¬
schlages an, der Kopf war am wenigsten befallen. — April 1921 suchte
der Kranke ärztliche Flilfe auf. Im Juni 1921 bildeten sich flache
Hügel, zunächst bis Dreimarkstückgröße, die ungefähr 1 cm das Ni¬
veau der Haut überragten. Diese flachen Geschwülste bildeten sich
nacheinander, und zwar hauptsächlich an den Stellen der früher zu¬
erst bestehenden roten Flecke, und zeigten eine mehr blaßrote Fär¬
bung, die allmählich in eine düsterrote überging. In der Mitte dieser
Wucherungen machten sich jetzt etwa markstückgroße, blauschwarze
Stellen („wie Rinderaugen“) bemerkbar, weiterhin starkes Nässen an
beiden Beinen mit nachfolgender erheblicher Schwellung, blaurote
Verfärbung der ganzen Haut, vor allem im Bereich der Ober- und
Unterschenkel, und quälender Juckreiz. Dazu gesellte sich eine eitrige
Konjunktivitis. Im Nachbarkrankenhause Trocken- und Salbenbehand¬
lung, außerdem Röntgenbestrahlung.
Status (8. IX. 1921): Der kleine, 58 Jahre alte Patient befindet sich
in schlechtem allgemeinen Kräfte- und Ernährungszustand. Wa.R. mehr¬
fach negativ. Die gesamte Hautdecke ist fleckig gerötet; es finden sich
blaßrote und bräunlichrote Verfärbungen, an beiden Unterschenkeln in ein
tiefes Blaurot, zum Teil Karmesinrot übergehend. Gesicht seborrhoisch
abschilfernd, fleckigrot, Kopf im allgemeinen frei bis auf Abschuppung
in den Haaren und einige kleinere Herde auf den Wangen. Daneben
finden sich bis flachhandgroße, ekzemähnliche Plaques (vor allem an
Brust, Bauch und an den Streckseiten der Extremitäten), die teils
trocken sind, teils infiltriert und schuppend, auch in großen Lamellen.
Einzelne größere Flecke sind ineinander übergegangen und haben
bogenförmige, unregelmäßige Grenzen. An den Extremitäten und auf
dem Rücken sieht man viele stärker infiltrierte Plaques von hellroter
Farbe, die eine derbere Konsistenz haben. Diese Stellen sind zum
Teil (vor allem deutlich an den Hohlhänden) im Zentrum resorbiert,
sodaß ein erhabener, papulöser Kranz zurückgeblieben ist. Haut im
ganzen verdickt, Falten stärker ausgeprägt. Ueber den ganzen Körper
zerstreut, am stärksten aber an Armen und Beinen, sicht man viel¬
gestaltige Tumoren von meist runder oder ovaler Form, die in der
Mehrzahl bereits erweicht und im Zentrum zerfallen sind. Hell bis
scharlachrot gefärbt, schwanken sie in der Größe zwischen einer
Bohne und einem großen Apfel. Es sind im ganzen wohl an die
zwanzig Geschwülste. Noch nicht zerfallene Tumoren (bis kleinapfel¬
große, 1 cm das Hautniveau überragend) finden sich in der Nähe
beider Hand- und Fußgelenke und am rechten Oberarm in Axillanähe.
Zerfallene werden besonders reichlich an der Beugeseite der Ober¬
schenkel, am Gesäß und an den Unterschenkeln beobachtet. Tief un¬
regelmäßig zerklüftet (die größeren Krater bis zu 4 cm tief), sind die
Tumoren schmierig belegt und sondern reichlich stinkendes, trübes,
sanguinolentes Sekret ab. Der Grund der ulzerierten Tumoren ist
entweder mehr steil oder flachmuldenartig. Die Geschwülste weisen
an ihrer Grenze gegen das Gesunde wallartige, hellrote, 1/2 cm breite
Ränder auf, sind an ihrer Basis deutlich eingeschnürt. Die beiden
größten, oval geformten Tumoren sitzen an der Innenseite des linken
Oberschenkels (im oberen Drittel) und am Kreuzbein (dort zum Teil
Dekubitus, das Os sacrum liegt frei). Beide zeigen einen Durch¬
messer von etwa 9:13 cm. Alle Tumoren sind auf ihrer Unterlage
gut verschieblich. Beiderseits finden sich starke Leistendrüsenpakete.
Im Munde folgender Befund: Zunge rissig, infiltriert, graurot, trocken,
von tiefen Längs- und Querfurchen durchzogen; am weichen Gaumen,
auf den Tonsillen und an der Uvula weißgelbliche, serpiginöse, papu¬
löse Gebilde. Histologisch sehen wir Folgendes: Die Tumoren, die
ihren Ausgang vom Korium nehmen, bestehen aus Lymphozyten,
Lymphoblasten, Mastzellen und Fibroblasten. Eosinophile Zellen nicht
vermehrt. Leukozyten nur in ganz geringer Zahl vorhanden. Riesen¬
zellen fehlen. Blutbild: 4 100 000 Erythrozyten, 20 000 Leukozyten,
26°/o Hämoglobin nach Sahli. Im gefärbten Blutbild keine wesentliche
Vermehrung der eosinophilen Zellen.
Verlauf: Der Patient machte einen schwerkranken Eindruck.
Dauernd Fieber bis 40 0 mit geringen Remissionen. Puls klein, von
geringer Spannung und Füllung bei einer Frequenz von 120—130
Schlägen. Meist Appetitlosigkeit, gelegentliche Durchfälle; infolge¬
dessen ständig zunehmende Abmagerung. Therapie: Arseninjektionen,
warme Kaliumbäder, Puderbett, Röntgenbestrahlung. Im Hals anti¬
septische Pinselungen und Spülungen. Durch die Kaliumbäder reinig¬
ten sich die Geschwüre gut; von Röntgenstrahlen sahen wir lokal gute
Wirkung, die Infiltrate und kleineren Gewebsdefekte schwanden sehr
schnell unter Hinterlassung weißbräunlicher, oberflächlicher Narben.
Immerhin war der Krankheitsprozeß zu weit vorgeschritten, um ihn
therapeutisch noch wesentlich beeinflussen zu können. Zunehmende
Somnolenz und Kachexie. Exitus am 12. IX. 1921.
Sektionsprotokoll: Hochgradige, allgemeine Atrophie. Brauner
Herzmuskel, braune Leber. Lymphangitische Abszesse am linken Arm.
Beiderseitige herdförmige Lungenentzündung mit fibrinöser Lungen¬
fellentzündung. Druckbrand der Kreuz- und Fußknöchelgegend. Sehr
geringe herdförmige Nierenentzündung. Geringe warzige Herzklappen¬
entzündung. Beiderseitige Lungen-Rippcnfellverwachsungen, Milz¬
kapselverwachsungen, Kohlenlunge. Glatte Atrophie des Zungen¬
grundes. Kleinerer mittlerer Lappen der Vorsteherdrüse; geringe
Balkenharnblase. Mikroskopische Untersuchung: Herz: Fragmenta¬
tionen; sehr viel Abnutzungspigment. Lunge: Anthrakose; Broncho¬
pneumonie; Oedem. Leber: starke braune Atrophie, breite Läppchen¬
randverfettung. Milz: o. B. Niere: Eiweißgerinnungsfiguren iri Harn¬
kanälchen und Kapselräumcn der Glomeruli; sehr zell- und kernreiche
Glomeruli. Haut: unter aus Eiterkörperchen, Fibrin und nekrotischem
Epithel zusammengesetzten Schorfen, aber auch unter fast vollkommen
unveränderter Epidermisdecke finden sich zumeist herdförmige, aus
Fibroblasten, Lymphozyten zusammengesetzte Infiltrate. Riesenzellen
und Nekrosen fehlen.
II. Noma.
Dieser Fall erscheint uns wegen des Auftretens und Ver¬
laufs der Krankheit erwähnenswert. Nach den bisherigen Veröffent¬
lichungen tritt Noma bei Kindern fast nur nach vorausgegangenen er¬
schöpfenden Krankheiten — wie Tuberkulose, DiphÜierie, Masern,
Scharlach, Pneumonie, Syphilis — auf, oder es war vorher durch un¬
günstige Wohnungs- und Nahrungsverhältnisse die Widerstandskraft
des Körpers geschwächt. Unser Patient war fast 6 Jahre alt und be¬
fand sich in sehr gutem Kräfte- und Ernährungszustand. Im Alter
von 2 Jahren hat er die Masern überstanden, war aber sonst von
ernsteren Krankheiten verschont geblieben. Insbesondere war er in
den letzten Monaten stets gesund. In der Famijie und in der Nach¬
barschaft waren keine Infektionskrankheiten vorgekommen.
Am 22. VIII. hatte das Kind plötz¬
lich beim Spielen über Zahnschmerz auf
der rechten Seite geklagt. Am nächsten
T f age war die Wange geschwollen und
das Kind unruhig. Am 24. und 25. VIII.
stellte sich ein Geschwür auf der Innen¬
fläche der Wange ein.
Aufnahmebefund: 25. VIII.
Schwer krank aussehendes Kind, Tempe¬
ratur 39,5 J . Die ganze rechte Wange
war geschwollen, hart infiltriert und
hatte an der Oberfläche eine blaßröt¬
liche Verfärbung. Die Schleimhaut zeigte
besonders in der Nähe des Mundwinkels
eine ausgedehnte brandige Zerstörung,
aus welcher sich stark übelriechendes,
I auchiges Sekret absonderte. Der Ober?
:ief erwar teilweise schwarz und n ekrotisch.
Verlauf: Behandlung bestand in der Entfernung der brandigen
'X eichteil- und Knochenpartien und Verschorfung der Grenzen mit
dem Thermokauter, ferner in Spülungen mit antiseptischen Lösungen.
Intravenös wurde 0,3 Neosalvarsan gegeben. In den nächsten 3 Tagen
deutliche Besserung. Die Wange hatte bis auf den Defekt normales
Aussehen. Die Temperatur war noch wenig erhöht; die Flüssigkeits¬
aufnahme war gut. Keinerlei Schmerzempfinden. Am 28. VIII. trat
wieder eine Verschlimmerung auf. Es zeigte sich wieder eine Infil¬
tration, und es setzte stark stinkende jauchige Absonderung von der
fortschreitenden Gangrän der Wange ein. Die erneute Abtragung und
Digitized b)
Gougle
’ Original from
CORNELL UNIVERSUM
556
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 17
weitgehende Verschorfung konnte dem Portschreiten der Krankheit
keinen Einhalt mehr tun. Auf eine intravenöse Infusion von 0,3 Alt-
salvarsan am 4. IX. schien sich am nächsten Tage der Prozeß zu
demarkieren. Aber schon am 6. trat erneut Verschlimmerung auf, und
die Krankheit ergriff auch die linke Wange. Der Anblick war jetzt
erschreckend. Oie ganze rechte Wange fehlte. Oben lag in der
Wunde der untere Rand der Augenhöhle, innen das Nasenbein und
unten der Unterkiefer mit den Zähnen frei. Es setzten infolge Ver
Schluckens von jauchigem Sekret stark stinkende Durchfälle ein. All-
gcmcinzustand wurde immer mehr septisch. Am 8. IX. Exitus.
Das Blutbild war bis auf eine leichte Vermehrung der Lympho¬
zyten nicht verändert. Der Urin war frei. Im mikroskopischen Prä¬
parat fanden wir sehr viele Spirillen, fusiforme Bazillen, Diplokokken,
Diplobazillen und Streptokokken. Den von Perthes beschriebenen
Fadenpilz konnten wir nicht feststellen.
Heilentzündung und Heilfieber im Lichteder Balneotherapie. |
Von Med.-Rat Dr. P, Schober in Wildbad. j
An Erklärungsversuchen für die Heilwirkung der Thermalbäder |
und Mineralwasser hat es nie gefehlt. Aber weder die Chemie mit j
ihren feinen Quellenanalysen, noch die Physik mit ihren Untersuchun- !
gen über Wärme, Osniose und elektrische Leitfähigkeit, noch die |
physikalische Chemie mit ihrer Lehre von der lonendissoziation und
konzentration, noch die Kenntnis des Radiums mitsamt seiner Emana¬
tion vermochten befriedigende Erklärungen zu geben. Dagegen hat
merkwürdigerweise die erst seit wenigen Jahren bekannte sogenannte
Proteinkörpertherapie, die mit der Balneologie von Hause aus gar
nichts zu tun hat, einen Anstoß zu aussichtsreicher Neuorientierung
des baineotherapeutischen Denkens gegeben. Krebs 1 ) in Aachen, i
Gerönne-) in Wiesbaden und mir selbst : ) war es aufgefallen, daß j
die Wirkungen der Proteiukörpertherapie, die als eine „omuizelluläre
Leistungssteigerung durch Protoplasmaaktivierung*- erklärt werden, j
mit der „Umstimmung des Ciesanitorganisinus“ durch die Thermal- |
bäder in ganz weitgehender W eise übereinstimmen, sodaß eine Wesens- j
Ähnlichkeit oder gar Wesensgleichheit zwischen den beiden Heil- ,
methoden bestehen muß. Es ist daun in der Folge erkannt worden, j
daß die Proteinkörpertherapie trotz ihres Namens keine pharmako-
dynamische Wirkung von Protein- oder Eiweißkörpern darstellt, son¬
dern ebenso durch Nichteiweißstoffe Zustandekommen kann, daß
es sich also bei der Proteinkörpertherapie nicht eigentlich um ein
Heilmittel, sondern vielmehr um ein Reizmittel handelt. Die Methode
wird daher jetzt als Reizkörpertherapie und auch als Schwellenreiz¬
therapie 4 ) bezeichnet.
Bei ihrer Wesensverwandtschaft mit den baineotherapeutischen
Verfahren stehe ich nun nicht au, auch für diese letzteren den
gleichen Schritt vorwärts zu machen und die Thermalbadekur, wie
sogar die Mineraltrinkkur, in ihren hauptsächlichsten Krankheitserfol¬
gen wenigstens, ebenfalls ins Gebiet der Reizmittel einzureihen und
den Satz aufzustellen, daß sie mcht Heilmittel im engeren Sinne des
Wortes sind, daß aus dem W'asser nicht etwa ganz besondere Kräfte
oder Stoffe in den Menschen übergehen, sondern daß das, was man
glaubt, daß die Thermal und Mineralwasser dem Menschen geben,
schon vorbereitet in ihm selbst liegen muß, wenn anders ihm soll
geholfen werden können. Das Thermal- und Mineralwasser wirkt
hauptsächlich als Reiz für die Erschließung von Kräften im mensch¬
lichen Organismus; es ist ein Entwickler, Aktivator oder, wenn man
so will, Katalysator. *
Diese im Menschen vorbereitet liegenden Kräfte, die der baineo¬
therapeutische Reiz entfesselt, sind die biologischen Abwehrvorrich-
tungen des Organismus. Sie sind äußerst zahlreich und verschieden¬
artig. Die sinnfälligste der Abwehrvorrichtungen, die allerdings mit
unserii balneologischen Betrachtungen nichts zu tun hat, ist beispiels¬
weise der Nießreiz, der auftritt, wenn ein Fremdkörper in die Nase
eingedrungen ist und nun eigentätig durch Luftdruckstöße daraus
ent lernt werden soll. Für die Sinne nicht erkenntlich, aber alltäglich
experimentell dargetan sind die Abwehrvorrichtungen und Abwehr¬
vorgänge, die im Blutserum in wahrhaft verwirrender Mannigfaltigkeit
unter dem Reiz eines Antigens durch Bildung von Antikörpern sich
offenbaren und die auf die Erzeugung von Immunität hinzielen. Früher
hielt man diese Schutzvorrichtung als immer nur auf ein Ziel gerichtet,
als spezifisch. Heute stellt man die gewaltig viel weiter ausgreifende
imspezifische oder uuabgestimmte Immunität in den Vordergrund und
betrachtet die spezifische Form nur als eine ihrer Abwandlungen.
Zu den unabgestimmteu Abwehrmittelu gehören besonders zwei
zusammengesetzte Vorgänge im Organismus, die durch ihre Häufig¬
keit wie durch ihre oft auffallenden äußeren, also klinischen Erschei¬
nungen eine Sonderstellung einnehmen, nämlich die Entzündung und
das l ieber. Es liegt mir hier gänzlich fern, auf den alten Streit
über die Heildienlichkeit von Entzündung und Fieber einzugehen,
ein uralter Streit, der wohl nie ganz ausgetragen wird, weil, wie die
menschliche Natur selbst, auch ihre Mittel unvollkommen sind, oft
über das Ziel schießen, manchmal dahinter bleiben, in einem licht- j
vollen Vortrag, den kürzlich Bier*) in der Berliner Medizinischen
Gesellschaft über „Heilentzimdiing und Heilfieber“ gehalten und
>) D. m. W. 1920 Nr. 31. - ») Allg. m. Zztg. 1921 Nr. 32 u. 33. - >) Ibidem Nr. 41. —
*)Zimmer, B. kl. W. 1921 Nr.43 - 45. - *) Bier, M.m. W 1921 Nr.OundB. kl. W. 1921 Nr.13.
an den sich eine lebhafte Erörterung angeschlossen, hatte er eine
kräftige Lanze zugunsten der Auffassung von der allgemeinen Zweck-'
mäßigkeii von Entzündung und Fieber gebrochen. Ich brauche daher
hier auf seine Anschauungen, denen ich mich völlig anschließe, nicht
weiter einzugehen. Fieber und Entzündung decken sich nicht etwa
mit den» Begriff der Reaktion auf den Reiz, sondern sie sind viel
umfassender; sie sind nicht eine Antwort, die im einfachen Verhältnis
zum Reiz steht, sondern sie besitzen Weiter- und Nachwirkung.
Das Fieber ist in seinem Wesen keineswegs hauptsächlich gekenn¬
zeichnet durch die Temperaturerhöhung, sondern durch die Stoff¬
wechselsteigerung. Schließlich müssen wir, und dies ist für die
baineotherapeutische Betrachtung von größter Wichtigkeit, Entzündung
und Fieber schon in ihren allerersten Anklängen in Betracht ziehen
und nicht erst, wenn sie klinisch deutlich wahrnehmbar sind. Bei
dieser breiten und weit nach vorne ausgreifenden Fassung der Begriffe
läßt sich, wie wir sehen werden, erkennen, daß die balneotherapeuti-
schen Wirkungen sich auf diesen beiden Selbstschutzvorrichtungen
der Natur aufbauen, daß also Entzündung und Fieber noch viel mehr
angewandte Selbstheilmittel der Natur sind, als schon vorher von
ihnen angenommen worden war.
Die balneotherapeutische Entzündung offenbart sich in der Bäder-
reaktiun. In den Thermalbädern, den einfachen wie den Kochsalz-
thermen, hat man nämlich von alters her die Wahrnehmung gemacht,
daß bei den meisten Patienten nach den ersten Bädern am Ort und
Sitz ihres Leidens ein Ziehen und Spannen, eine vermehrte Schmerz¬
empfindlichkeit und Hemmung sich einstellt, die auch mit Allgemein¬
störungen verbunden sein kann. In Wildbad z. B. tritt ein solches
vorübergehendes Wiederaufflackern in der Regel nach dem dritten
bis vierten Bade ein. Dieser durch den Bäderreiz aufgelöste Vor¬
gang ist eben die Bäderreaktion. Ihrer Erscheinung und ihrem Wesen
nach ist sie gleichzusetzen der Herdreaktion, wie sie bei der Protein¬
körpertherapie, wie sie nach Tuberkulinbehandlung beobachtet wird.
Die Herdreaktion ist aber nichts anderes als das akute Aufflammen
eines chronisch hiuschleichenden oder eines langsam abklingenden
Vorgangs, also eine einwandfreie Entzündung, die durch den baineo¬
therapeutischen Reiz zustandegekommen ist. Die Badeärzte legen
ihr gute prognostische Bedeutung bei, und die Kliniker, die die
Vakzine- und Proteiukörpertherapie ausüben, hegen ebenso die An¬
sicht, daß die im Herd erzeugten Veränderungen das Wesentlichste
für den Erfolg der Behandlung sind 1 ). Es ist damit die Kette des
Beweises geschlossen. Ich habe gezeigt, daß auf den Reiz des
Thermalbades die Bäderreaktion eintritt, daß die Bäderreaktion einer
Herdreaktion gleichzusetzen ist, daß die Herdreaktion das Wesent¬
lichste für den Behandlungserfolg ausmacht, daß diese Herdreaktion
eine Entzündung darstcllt, und damit ist wieder dargetan, daß sich
die Balneotherapie des Selbstheilmittels der Natur, der Entzündung
bedient, um ihre Ziele zu erreichen.
Ich komme jetzt zum andern Selbstheilmittel der Natur, dem
Fieber, von dem gezeigt werden soll, daß es ebenso im werktätigen
Dienste der Balneotherapie steht wie die Entzündung. Es ist nochmals
zu betonen, daß unter den Eiebererscheinungen nicht die Temperatur¬
erhöhung, sondern die Stoffwechselsteigerung im Vordergrund steht.
Diese Art des Fiebers stellt sich hauptsächlich im Gefolge der
Miueraltrinkkuren ein. Da ich als Arzt aus Wildbad, wo jeder Kranke
i badet, keine Erfahrungen über ausschließliche Trinkkuren besitze,
so muß ich fremde Beobachtungen sprechen lassen. So hat kürzlich
! Roth sch uh-) in Aachen nachgewiesen, daß bei einer Trinkkur an
! der dortigen Kaiserquelle, im Gegensatz zu Verglcichsversuchen mit
j gewöhnlichem Wasser, die Ausscheidung des Harnstoffs, der Harn¬
säure und der meisten andern festen Urinbestandteile zunimmt. Er
| notierte ferner eine Steigerung seiner Körpertemperatur um durch-
| schnittlich 0,2° bei dreimaliger täglicher Messung, eine Vermehrung
t von Puls und Respiration und eine Blutdrucksenkung. Diese objektiven
Ergebnisse, wie die subjektiven Beobachtungen des wohligen Wärme¬
gefühls, verglich Rothschuh selbst mit einem leichten Fieber-
zustand. Auch aus Wiesbaden 1 ) und Schwalbach 4 ), aus Spa 5 ) in
Belgien, aus den Schweizer Schwefelthermen von Schinznach 6 ) und
Baden 7 ) bei Zürich liegen ganz entsprechende Untersuchungen vor,
die eine fieberähnliche Stoffwechselsteigerung durch die Kur deutlich
dartun. An dem letzteren Orte hatte es sich allerdings nicht um
eine Trinkkur, wie bei den andern, sondern um eine Badekur gehandelt.
So glaube ich denn den weiteren Satz aufstellen zu dürfen, daß
die beiden Selbstheilmittel der Natur, Entzündung und Fieber, Ent¬
zündung nach dem Vorbild der Bäderreaktion, und Fieber mit dem
Hauptmerkmal der Stoffwechselbeschleunigung, auch die Werkzeuge
der Balneotherapie darstellen. Damit wird manches klar, was bisher
unverständlich und fast gar widersinnig erschien. Wenn da ein und
| dasselbe Bad Besserung verspricht bei so ganz verschiedenen Er-
i krankungen, wie etwa Muskelrheumatismus, Rückenmarksschwund und
Gelenkversteifung, so können wir mit Hilfe der Bäderreaktion, der
I baineotherapeutischen Heilentzündung, die Möglichkeit des Erfolgs
bei jeder dieser verschiedenen Krankheiten durch die gleiche Badekur
begreifen. Wenn dort ein und derselbe Brunnen sich rühmt, bei
Zuckerharnruhr, Frauenkrankheiten und Steinleiden gute Dienste zu
tun, so kann die Trinkkurstoffwechselbeschleunigung, das balneo-
therapeutische Heilfieber, dahin führen, zu verstehen, wie das gleiche
Mittel auf die verschiedenen Störungen einzuwirken vermag.
') Reiter, D. m. W. 1921 Nr. 12. — «) Allg. m Zztg. 1921 Nr. 43.— ») Pfeiffer, Die
Trinkkur in Wiesbaden. Bergmann, Wiesbaden 1881. — «) Qenth, D. tn. W. 1883 u. 1887.
-- 4 ) Van de Weyer und Wybauw, Zschr. f. physik. diät. Ther. 1907. - •> Dronke,
B. kl. W. 1887 Nr. 49.— 7 > Roethl isberger, Zschr. f. physik. diät Ther. 1901-1902.
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UNiVERSITV
28. April 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
557
Ich komme nochmal zum baineotherapeutischen Reiz. Entzündete
Gewebe besitzen eine erhöhte Reizbarkeit, wie schon Virchow
betont hatte. Die baineotherapeutischen Reize sind schwach. Während
sie am kranken Menschen ihre Reibefläche finden, finden sie sie am i
gesunden nicht. So erklärt es sich eben, daß im Gegensatz zu den
Arzneimitteln, etwa zu Morphin und Alkohol, die Thermalkur auf !
den ganz gesünden Menschen nicht einwirkt, während sie es auf den |
kranken tut. Als schwache Reize fachen sie, nach dem sogenannten j
biologischer Grundgesetz von Arndt-Schulz, die Lebenstätigkeit an;
zu starken, hemmenden Reizen können sie, iin Gegensatz zur Protein-
körpertherapie, im allgemeinen überhaupt nicht gesteigert werden.
Immerhin sind nicht alle baineotherapeutischen Reize gleich. Sie
können innerhalb gewisser Grenzen sich unterscheiden nach Stärke j
und nach Art und damit auch nach der Wirkung. Der Reiz der eigent- j
liehen Wildbäder ist stärker als der der Kochsalzthermen. Dies läßt ;
sich fast zahlenmäßig, mit Hilfe der Bäderreaktion als Indikator, fest-
steilen. Im Durchschnitt von sehr vielen und sehr verschiedenen Fällen
tritt die Bäderreaktion in Wildbad nach meiner Beobachtung 1 ) um
das dritte bis vierte Bad auf, in Wiesbaden nach Angaben von
Pfeiffer-) gegen das sechste bis siebente Bad. Auf die Reizlehre
übertragen, will dies besagen, das einzelne Bad von Wildbad, wie
von Wiesbaden, ist ein unterschwelliger Reiz, d. h. ein solcher, der
einmal angewandt nichts ausrichtet, der aber durch Wiederholung,
durch Summation, eine Höhe erreichen kann, in der er wirksam wird.
Dieser Höhepunkt, die Reizschwelle genannt, wird, wie wir gesehen
haben, in Wildbad meist mit dem dritten, in Wiesbaden mit dem sech¬
sten Bade erreicht. Demnach wäre, vorausgesetzt, daß diese Beob- 1
achtungen sich weiter bestätigen, die Reizstärke des Bades in Wildbad J
doppelt so groß als diejenige von Wiesbaden.
Neben diesen quantitativen Unterschieden gibt es auch qualitative.
Die einen Reize entfesseln mehr diese, die andern mehr jene Teil¬
erscheinungen der zusammengesetzten Abwehrvorrichtungen von
Fieber und Entzündung. Es ist wohl kein Zweifel, daß z. B. die thera¬
peutischen Reize von Kissingen, von Wildungen und von Nauheim
nicht ganz der gleichen Art sein können, denn langjährige Erfahrung
hat gelehrt, daß einem jeden dieser Orte eine Vorzugswirkung für
eine gewisse Krankheitsgruppe zukommt. Diese Unterschiede sind
aber wohl geringer, als man gemeinhin annimmt, wie denn auch die
Indikationen aller Kurorte einigermaßen ineinanderfließen. Ueber der
Art des Wassers und seines Reizes darf man aber auch dabei die Art
des Patienten und seiner Krankheit nicht vergessen.
Selbst zwischen Trinkkuren und Badekuren dürfte keine scharfe
Grenze zu ziehen sein. Wenn ich auch im allgemeinen geneigt bin-
anzunehmen, daß die Badekur mit ihrer Bäderreaktion mehr im Sinne
einer Entzündung und die Trinkkur mit* ihrer Stoffwechselbeschleuni¬
gung mehr in der Richtung des Fiebers wirkt, so bin ich doch weit
davon entfernt, scharf zwischen beiden zu trennen, zumal da einer¬
seits durch die oben erwähnten Versuche in Baden bei Zürich dar¬
getan ist, daß auch durch eine Badekur allein, also durch äußerliche
Mittel, die zum Fieber gehörige Stoffwechselbeschleunigung hervor¬
gerufen werden kann, während auf der andern Seite nachgewiesen
ist, daß es auch Stoffe gibt, wie das Yatren 3 ), die per os genommen
eine Herdreaktion, also Entzündung, zu erzeugen vermögen.
Zusammenfassung. Es werden balneotherapeutisch in
der Hauptwirkung dem Patienten weder Stoffe noch Kräfte
zu geführt, sondern nur Reize. Reize, auf welche der
Organismus mit seinen eigenen Mitteln antwortet.
Diese MitteT sind Abstufungen oder Teilstücke der
zusammengesetztenSymptomgruppen vonEntziindung
und Fieber, die ihrerseits die allgemeinsten und verbreitetsten
Abwehr- und Heilvorrichtungen des Organismus darstellen.
Die Behandlung der Hyperidrosis.
Von Prof. Dr. Max Joseph in Berlin.
Das übermäßige Schwitzen an den Handtellern, Fußsohlen und
Achselhöhlen gehört zu den Belästigungen, welche die davon Be--
troffenen zur Verzweiflung bringen können. In einem an die Re¬
daktion dieser Wochenschrift gerichteten Briefe beklagt sich eine
Patientin mit Recht darüber, daß man diesem Leiden in ärztlichen
Kreisen nicht mit der genügenden Energie entgegentrete. Man
tröstete sic damit, daß dieses Uebel sich doch ertragen lasse. In¬
dessen wird man der Patientin recht geben, daß diese Belästigung
sich schwerer ertragen läßt als manches andere, weil es ein dauerndes
Unbehagen auslöst, abgesehen davon, daß es unbequem, schädigend
für Wäsche und Kleidung und kostspielig ist, da immer wieder Schutz¬
mittel angebracht werden müssen, die völlig unzulänglich sind.
Fragen wir uns aber, ob denn wirklich ein derartiger Skeptizis¬
mus, wie er in manchen ärztlichen Kreisen zu herrschen scheint, in
diesem Falle berechtigt ist, so werden wir dies entschieden ver¬
neinen müssen. Ich möchte nach meinen Erfahrungen drei Gruppen
von therapeutischen Ratschlägen empfehleh.
Bei der Hyperidrosis milderer Form lassen wir zweimal täglich
einpinseln mit 5<>oiger Chromsäurelösung oder 1 feiger wäßriger
Tanninlösung oder einer Mischung von Tannin, Glyzerin ana 40,0,
^P. Schober, Wildbad und seine Heilquellen. Enke, Stuttgart 1920. — •) E. P f e i f f e r,
Oie Badekur in Wiesbaden. Bergmann, Wiesbaden t919.—*) Prinz, M. m.W. 1921 Nr.38.
Tinct. jodi 20,0 (Liebl) oder von Acidi trichloracetici, Balsam,
peruvian. ana 1,0, Acid. formicici 3,0, Chloralhydrat. 5,0, Spirit,
ad 100,0 (Heußner). Nachts lassen wir ein Pulver einstreuen von
Acid. salicyl. 5,0, Acid. boric., Acid. tartaric. ana 10,0, Zinci oxyd.,
Tale, praepar. ana 40,0 oder verwenden Tannoform.
Bei den mittelstarken Formen bewährt sich zweimal tägliches
Waschen mit dem Liquor antihidrorrhoicus Brandau oder zweimal
tägliches Einreiben mit 10<oigem Formalinspiritus. Wir steigern
denselben bis auf 20, 30, 40 und sogar 50°o, während wir nachts
die obigen Puder einstreuen lassen. Sollte aber hierdurch eine
Reizung erfolgen, welche auf Einfettungen mit Borvaseline oder
Zinkpaste sich nicht zurückbildet, so benutze ich, dem Vorschläge
von Herrn Priv.-Doz. Dr. Gern groß folgend, eine mildere wäßrige
Formalinlösung mit Zusatz von Soda (Formalin 2,0, Natr. carbon. 2,5,
Aqu. dest. ad 100,0).
In den schwersten Fällen aber bedienen wir uns der Röntgen¬
bestrahlungen. Wir folgen hierbei den Vorschriften Wettere rs,
welcher die Hyperidrosis für die Radiotherapie geradezu als eine
Indicatio primae classis gelten läßt. Da jedoch die Radiosensibilität
der Schweißdrüsen nicht viel höher ist als die der sie be¬
deckenden Gewebsschichten, so ist eine Aufhebung der Drüsen¬
funktion nicht ohne eine leichte Schädigung der Haut zu erreichen
Diese besteht in einer Rauhigkeit und Trockenheit der Haut mit
geringen atrophischen Veränderungen. Man verwendet große Dosen
hochfiltrierter Strahlen, welche eventuell in Abständen von fi bis
8 Wochen mehrmals wiederholt werden müssen.
Larvierte Barlowsche Krankheit und ihre Differential¬
diagnose.
Von Dr. Edith Alexander-Katz,
Leitende Aerztin der Charlottenburger Säuglings- und Kinderklinik.
Bei vollem Symptomenkomplex ist die Erkennung der Möller-
Barlowschen Krankheit auch ohne das charakteristische Röntgenbild,
das dem Praktiker nicht immer zur Verfügung steht, nicht schwer.
Indessen macht die unausgeprägte Form oft differentialdiagnostisch
Schwierigkeiten. Am häufigsten aber führen die monosymptomatischen
Fälle zu'lrrtümern.
Die oft als einzige Krankheitserscheinung auftretende Pseudo-
parese der unteren Extremitäten imponiert bald als syphi¬
litische Periostitis, bald, bei fehlenden Patellarreflexen (Vogt), als
Poliomyelitis.
Bei einseitiger Schwellung der Oberschenkel finden wir nicht
selten außer der naheliegenden Fehldiagnose „rachitische Fraktur“,
auch Osteomyelitis (Langstein), Gummen, tuberkulöse Abszesse,
tiefe Phlegmonen, ja sogar Osteosarkom (Epstein) diagnostiziert,
wodurch schon manches Kind dem Messer des Chirurgen zugeführt
worden ist.
Weniger folgenschwer für den Patienten, aber für die Heilung
ebenso verzögernd sind die Fehldiagnosen, die sich lediglich mit
den H a m o r r h a g i e n befassen. Fälle von Barlowscher Krankheit,
die unter dem Bilde einer hämorrhagischen Nephritis gingen, wurden
i von-Vogel und Siegfried Wolff beschrieben. Epstein be¬
richtet von einem Fall, bei dem die Diagnose zwischen Purpura
! fuhninans und Barlow schwankte.
I Es verdichten sich auch oft die klinischen Symptome: Fieber,
| Unruhe, blasse Hautfarbe, Abnahme infblge Eßunlust, fälschlicher¬
weise zu dem Bilde einer enteralen Störung, einer Pyelitis oder einer
Tuberkulose.
Ein Fall von Möller-Barlowscher Krankheit, bei dem die Diagnose
in ungewöhnlicher Weise Schwierigkeit machte, wurde mir kürzlich
in die Klinik eingewiesen.
Wolfgang K., 10 Monate alt, sechstes Kind von gesunden Eltern,
Flaschenkind. Ernährung bisher Vollmilch, ohne Gemüse, ohne Obst.
War vorher nie krank. Seit zwei Wochen ist es mißlaunig, setzt sich
nicht mehr und schont die Beine. In einer Poliklinik wurde eine
starke Verkürzung des linken Beines festgestellt, das Kind dem
Chirurgen überwiesen und von diesem wiederum zuin Röntgenologen
geschickt. Die Mutter ergab sich in das Schicksal, ein später hin¬
kendes Kind zu haben, und nur wegen der Verschlechterung des
Allgemeinbefindens brachte sie das Kind in die Klinik.
Status am 23. IX. 1921. Normalgroßes, gut entwickeltes Kind.
7000 g, Organe o. B. Leichte Kraniotabes und Rosenkranz, Reflexe
lebhaft. Ein Zahn unten links, Zahnfleisch nicht verfärbt, nicht auf¬
gelockert, zweiter Zahn unten rechts im Durchbrechen. Haut rein,
bis auf Ekzem in den Kniekehlen. An beiden Unterschenkeln und
Fußrücken leichte Oedeme. Kind macht einen ängstlichen Eindruck,
liegt still auf dem Rücken. Das rechte Bein in normaler Haltung,
während das linke Bein nach außen rotiert ist und maximal in Hüft-
und Kniegelenk flektiert gehalten wird, sodaß die Ferse auf dein
Schambeinbogen zu liegen kommt. Bei passiver Streckung der Beine
zeigt sich eine Verkürzung des linken Beines um lU» cm. Die linke
Kniescheibe steht U4 cm höher als die rechte. Beide Beine sind
im Hüftgelenk frei beweglich. Ebenso sind bei Bauchlage beide
Beine nach hinten gleich weit überstreckbar und federnd. Beide
Trochanteren werden durch die Roser-Nelatonsche Linie geschnitten.
Die linke Hüftgegend tritt stärker hervor als die rechte. Alle
□ igitized by Google
Original fram
CORNELL UNIVERSUM
558
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 17
Untersuchungen werden unter großer Schmerzäußerung des Kindes
\ örger.ommen. Der gerade Abstand vom Trochanter zum Sitzbein¬
höcker ist links schätzungsweise um 1 cm größer als rechts. Bei
Druck auf die Oberschenkel wird weniger Schmerz geäußert als bei
passiver Bewegung. Der Umfang der Oberschenkel differiert um
1 cm zugunsten des linken. Urin frei von Albumen und Zucker,
im Sediment keine Leukozyten, keine Erythrozyten. Temperatur 37.
Blutbefund: Hämoglobin 47f/ 0 , Erythrozyten 4 300000, Leukozyten
9000.
Anamnese, Unlust und Ruhigstellung des Beines ließen sofort an
Barlow denken. Ich zog aber die Diagnose bald zurück, weil am
Zahnfleisch des vorhandenen und des durchbrechenden Zahnes weder
Auflockerung noch Verfärbung zu sehen war, weil sich weder an
Schleimhäuten noch an äußerer Haut Petechien fanden, weil der
Urin frei von Blut war, und schließlich, weil das für Barlow typische
Hampelmann-Phänomen — blitzartiges Heraufziehen beider Beine
bei Druck auf die Epiphysengegend unter Mitbewegung beider Arme
— fehlte. Man konnte die Schmerzhaftigkeit genau in das linke Hüft¬
gelenk lokalisieren.
Bei der starken Verkürzung des Beines, deren Ursache auch im
Hüftgelenk zu suchen war, da der Schaft keinerlei Abweichungen
zeigte, konnte es sich auch um eine intrakapsuläre Schenkelhalsfraktur
handeln, wofür die starke Außenrotation des Beines gesprochen
hätte. Das Röntgenbild belehrte uns aber dahin, daß die Trochanteren
— eine geringe Schiefstellung des Beckens einberechnet — in gleicher
Höhe, standen und daß die Knochenkerne der Schenkelköpfe gleiche
Abstände von den Pfannen hatten. Hiermit fiel auch meine zweite
Wahrscheinlichkeitsdiagnose, nämlich die der Hiiftluxation. Wie
selten die angeborene Hüftgelenksverrenkung im Säuglingsalter er¬
kannt und wie oft die einseitige Verkürzung infolge der physio¬
logischen Flexionslagc der Beine übersehen wird, beschrieb Pelte-
sohn unter gleichzeitiger Angabe eines diagnostischen Hilfsmittels.
Er empfahl, bei dem auf dem Rücken liegenden Kinde die Hiift-
und Kniegelenke in maximale Beugung zu bringen, sodaß die Streck¬
seiten der Oberschenkel dem Bauche des Kindes anliegen. Betrachtet
man die Gesäßgegend von oben, so findet sich auf der Luxations-
seitc lateral vom Tuber ischii eine dellenartige Einsenkung. In
unserem Falle leitete dieses Diagnostikum eher irre, weil die Schwel¬
lung der Hiiftgegend eine Vertiefung zwischen Trochanter und Sitz¬
beinhöcker vortäuschte.
Das Röntgenbild, das uns nur in negativer Weise durch Aus¬
schluß einer Fraktur oder Luxation weiter half; gab uns für die
Barlow-Diagnose nichts Positives. Es fehlten sowohl Blutungen unter
dem Periost als auch die typischen Querschattenbänder am Ende
der Diaphysen. Eine Schiefstellung des Beckens ist bei der Schwierig¬
keit, Säuglinge während der Röntgenaufnahme zu fixieren, nichts
Außergewöhnliches. In unserem Falle veranlaßte sie mich, das
Augenmerk nochmals auf die Beckenhaltung des Kindes zu lenken.
Ich fand, daß trotz aller Repositionsversuche die Beckenschaufeln
nicht in gleiche Höhe zu bringen waren. Immer stand die Spina
ant. sup. sinistra höher als die dextra. Es bestand also ohne Zweifel
eine Schmerzkontraktur, wie wir sie bei der Coxitis älterer Kinder
kennen. Pathognomonisch für das Initialstadium einer Hüftgelenks-
entzündung ist die abduzierte, gebeugte und auswärtsrotiertc Stel¬
lung des Beines, wie wir sie vor uns hatten. Klinisch sprach nichts
für Coxitis tuberculosa. Pirquet nar negativ. Familienanamnestisch
nichts Belastendes.
Schmerzkontrakturen im Hüftgelenk kennen wir noch bei dem
Psoasabszeß. Abgesehen davon, daß das Kind keine Vermehrung der
weißen Blutkörperchen hatte und die Temperatur sich normal ver¬
hielt, konnte icn mich auch durch rektale Untersuchung überzeugen,
daß das Becken frei war.
So kam ich per exclusionem wieder zu meinem ersten Verdacht,
einen Barlow mit außergewöhnlicher Lokalisation vor mir zu haben,
zurück. Ich staute durch Umschnüren mit Daumen und Zeigefinger
den Oberarm des Kindes, analog dem sog. Rumpel-Leedeschen Phä¬
nomen bei Scharlach. Es trat nach etwa 2 Minuten in der Ellen¬
beuge eine Anzahl punktförmiger Hämorrhagien auf. Obwohl dieses
Symptom nicht gerade ausschließlich für Barlow spricht, sondern
auch bei einer Zahl anderer hämorrhagischer Erkrankungen vor¬
kommt, ging ich von dem Grundsatz aus, daß der Erfolg der anti¬
skorbutischen Therapie das sicherste Diagnostikum ist (Ibrahim),
und verordnete dem Kind Zitronensaft (Vt Zitrone pro Tag). Das
war am 6. Tag nach der Aufnahme des Patienten. Bis dahin hatte
ich versucht, durch Unterpolsterung des Knies und durch Sandsäcke
die Kontraktur schonend zu strecken und das Bein ruhigzustellen.
Das Kind war dadurch sichtlich schmerzfreier und zufriedener.
Am nächsten Tage berichtete die Schwester, daß das Kind un¬
ruhig gewesen sei und sich wahrscheinlich am Bettchen gestoßen habe,
denn es habe eine blauunterlaufene Stelle an der linken Wange. Es
befand sich unterhalb des linken Jochbeins eine etwa pfenniggroße,
blaue Stelle, von einem intramuskulären Hämatom herrührend. Ferner
fanden sich am Nacken und Hals noch zahlreiche stecknadelkopf¬
große Petechien, und am Arm waren die durch Umschnürung hervor¬
gerufenen Hautblutungen auch noch sichtbar. Im Urin waren zum
erstenmal zahlreiche rote Blutkörperchen vorhanden.
Nun wurde sofort das ganze Register einer vitaminreichen Er¬
nährung aufgezogen.
30. IX. 1921. Das Kind bekam zweimal 200 g rohe Vollmilch
mit 50.o Zucker, einmal 150 g rohen Mohrrübensaft, einmal Gemüse,
einmal Brei und täglich den Saft einer V-t Zitrone.
2. X. 1921. Frische, strichförmige Hautblutungen an der linken
Wange. Leichte Oedeme an beiden Unterschenkeln. Stimmung
schlecht.
6. X. 1921. Linkes Bein wird noch gebeugt gehalten, ist aber
nicht mehr schmerzhaft bei passiver Streckung. Die Verkürzung
des linken Beines hat sich vollkommen ausgeglichen!
8. X. 1921. Blutung an der Wange von blaugrüner Verfärbung.
Im Urin 5—7 Erythrozyten im Gesichtsfeld. Stimmung besser.
10. X. 1921. Stimmung sehr gut. Kind bewegt spielend die
Beine. Schwellung in der Hüftgegend verschwunden. Urin frei von
roten Blutkörperchen.
12. X. 1921. Absolutes Wohlbefinden. Kind krabbelt im Bett
herum. Gewichtszunahme.
18. X. 1921. Kind stellt sich im Bett auf; wird als geheilt ent¬
lassen.
Das kurz vor der Entlassung genommene Röntgenbild zeigte
im Gegensatz zu dem ersten deutliche Trümmerfeldzonen an den
Oberschenkeln.
Ich möchte nicht annehmen, daß es sich in meinem Falle an¬
fänglich nur um eine blutige Durchtränkung der Muskulatur der
linken Hiiftgegend gehandelt hat, viel eher glaube ich, daß wir den
seltenen Fall einer Blutung in die Kapsel hinein vor uns haben,
wodurch teils eine Schmerzkontraktur, teils eine Entlastungsstellung
des Beines bedingt wurde. Daß bei Barlow hämorrhagische Ergüsse
in die Gelenkkapsel Vorkommen, beweist ein von Reyher be¬
schriebener Fall (Das Röntgenverfahren in der Kinderheilkunde), der
einen blutigen Erguß in das Ellenbogengelenk zeigte.
Die späte Manifestation der Erkrankung betont nur wieder, daß
der kindliche Skorbut nicht als akute, sondern als eine schleichende
Erkrankung aufzufassen ist, die erst allmählich infolge Summation
negativer Faktoren — Aufbrauch von Vitaminen — sich zum vollen
Symptomenkomplex ausbreiten kann.
Die rasche Restitutio ad integrum nach eingeleiteter antiskorbu¬
tischer Kur bringt nichts Neues. Der Fall zeigt nur, wie schwer
es ist, Anfangssymptome bei abnormer Lokalisation richtig zu deuten.
Die Verkürzung einer Extremität infolge Schmerzkontraktur bei Barlow
habe ich in der Literatur der letzten 12 Jahre nicht finden können.
Ich glaube daher, daß die Veröffentlichung meines Falles zur Ver¬
minderung der Zahl von Fehldiagnosen dient und sich dadurch recht¬
fertigt.
Vogt, Jb. f. Kindhlk. 1920. — Langstein, Verein für innere Medizin und Kinder¬
heilkunde in Berlin 1911. — Epstein, Jb. f. Kindhlk. 1918. — Vogel, Münchner Gesell¬
schaft für Kinderheilkunde 1912. - Peltesohn, M. Kl. 1920 Nr. 17.
Ein Apparat für Pneumothoraxbehandlung.
Von Dr. Afda Hofvendabl in Stockholm.
Unter den verschiedenen Apparaten der Pneumothoraxbehandlung
gibt es — soweit mir bekannt — zwei hauptsächliche Typen. Bei
beiden bedient man sich kommunizierender Gefäße mit Flüssigkeit,
um das Gas in der Pleurahöhle auszutreiben. Bei dem einen Typ
„Fo rl an ini-Saugmann“ gelangt ein an dem oberen Ende des
Flüssigkeitsbehälters angekuppeltes Doppelgebläse zur Anwendung,
durch welches der Druck zum Austreiben des Gases herbeigeführt
wird. Bei dem anderen Typ „Brauer“ erhöht man den Flüssigkeits¬
behälter, um somit das öas auszütreiben. — Beide Methoden sind
jedoch nicht zufriedenstellend, insofern es mit großen Schwierigkeiten
verbunden ist, ein gleichmäßiges Ausströmen des Gases unter ge¬
eigneten Druckverhältnisseu zu erzielen. Diese Schwierigkeit ist bei
dem Brauerschen Apparat durch Lindhagen beseitigt worden,
und zwar durch eine Aufförderuugsanordnung. Durch diese Auf¬
förderungsanordnung wird ein gleichmäßiges und modifizierbares
Austreiben des Gases erzielt, während der Druck sehr genau reguliert
werden kann. Der Apparat „Lindhagen“ ist jedoch mit all seinen
Vorteilen ziemlich teuer und kann kaum in ambulatorischer Praxis
verwendet werden. — Ein von mir konstruierter Apparat scheint mir
die Vorteile des Apparates „Lindhagen“ zu besitzen, ist jedoch dessen¬
ungeachtet einfach in seiner Konstruktion, sodaß er sich relativ
billig in der Anfertigung stellt und dabei transportabel und sehr
bequem anzuwenden ist.
Wie aus nebenstehender Abbildung hervorgeht, hat mein Apparat
mit demjenigen von „Forlanini-Saugmann“ Folgendes gemeinsam,
die Manometer D sowie die Verbindungsanordnung zwischen dem
Gaszylinder B und der Kanüle.
Der Apparat ist auf einem eisernen Stativ montiert. Dieses ist
oben mit einer Platte versehen, welche ein Flüssigkeitsreservoir A
trägt. Der Fuß des Stativs ist breit und schwer, ungefähr 3 kg, um
gute Stabilität zu sichern. Das Reservoir hat die Form einer Flasche,
deren Hals mit einem Wattepfropfen verstopft ist. A kann sich nach
unten mittels eines Gummischlauches in einen Gasbehälter B ent¬
leeren, welch letzterer an dem Stativ mittels von diesem aus¬
gehenden ringförmigen Haltern angebracht ist. In die Leitung AB
ist ein Einwegshahn ab eingesetzt sowie ein Zweigrohr abc. Um
die Anordnung fest zu gestalten, ist der Hahn ab an einer Platte be¬
festigt, welche auf dem Stativ ruht. Der Horizontalschenkel des
Zweigrohres steht mittels Schlauch in Verbindung mit dem Hahn ab,
der vertikal mit einem Ablaßschlauch C, in dessen unterem Ende
ein Hartgummikran bc eingesetzt ist. Der gradierte Teil des
Digitized by
Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
28. April 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
559
Gasbehälters B faßt 1000 ccm, das Fliissigkeitsreservoir A ebensoviel.
Die Manometer D, ein Wasser- und ein Quecksilbermanometer, sind
an efner auf der anderen Seite des Stativs angebrachten Holzplatte
'befestigt. — Die Verbindung zwischen B und der Kanüle stimmt —
wie vorher erwähnt — mit derjenigen bei den alten Apparaten überein:
B verbindet nämlich nach obenhin durch einen Gummischlauch den
Anschluß zu einem Filter, bestehend aus einem Glasrohr mit Steril¬
watte. Dies Glasrohr steht durch Vermittlung eines Schlauches in
Verbindung mit einem T-Rohr, dessen Horizontalschenkel an den
Schlauch von den Manometern und dessen Vertikalschenkel an den
Schlauch angeschlossen ist, welcher zur Kanüle führt.
Wie der Apparat mit Gas
zu füllen ist. B wird von A
bis zum 1000-Striche mit Flüssigkeit
gefüllt. A ist leer, und die Leitung
A B steht andauernd offen. Danach
wird die Gasbombe in üblicher Weise
angekuppelt, z. B. bei dem Glas¬
röhre f, wobei zu beachten ist, daß
die Verbindung zwischen den Mano¬
metern durch die Klammer d abge¬
sperrt ist und die Klammern b uria e
offen sind. Man läßt das Gas ein-
treten, und zwar strömt es von oben
in B ein, wobei die Flüssigkeit nach
A hinauf zurückgetrieben wird. Wenn
das Flüssigkeitsniveau bis auf den
O-Strich gesunken ist, wird die Lei¬
tung BA durch den Hahn ab ab¬
gesperrt und die Gasbombe abgc-
kuppelt. Nun wird B in Verbindung
mit dem äußeren Luftdruck gesetzt,
wobei ein Teil des unter Ueberdruck
eingeführten Gases ausströmt, bis
der Druck in B mit dem äußeren
Drucke gleich wird, d. h. J - 0. Das
mit B wieder in Verbindung ge¬
brachte Manometer zeigt alsdann den
gleichen Druck an. Danach wird die
Klammerb geschlossen. Nur wird*
bei f ein kleiner Schlauch angekup-
pclt, in dessen anderem Ende die
Kanüle eingesetzt ist. *
Wie das Gas in die Pleura¬
höhle einzulassen ist. Der
Apparat ist, wie vorher beschrieben,
eingestellt. Die Leitung zum Mano¬
meter ist offen. Wenn man sich davon überzeugt hat, daß die
Kanülespitze in den freien Pleuraraum eingedrungen ist, öffnet man
die Klammer b, und danach läßt man nach Belieben Flüssigkeit durch
den Hahn ab ein, bis man den gewünschten Schlußdruck erhält. Durch
eine einfache Drehung des Hannes ab kann somit die Flüssigkeits¬
zufuhr, wie auch die Einführung von Gas in den Pleuraraum bzw.
der Druck äußerst gleichmäßig und genau reguliert werden.
Falls es, nachdem man den Druck in der Pleurahöhle von dem
Manometer abgelesen hat, als geeignet befunden werden sollte, mit
einem positiven oder negativen Druck zu beginnen, so kann dies auf
folgende Weise geschehen: Die Klammer e wird geschlossen, b und d
werden offengehalten. Wird positiver Druck gewünscht, so öffnet man
die Verbindung A B, sodaß die Flüssigkeit in B einströmt, bis der
gewünschte Druck, welcher vom Manometer abzulesen ist, erreicht
ist, und alsdann wird die erwähnte Verbindung wieder abgesperrt.
Wünscht man negativen Druck, läßt man dagegen, während ab ge¬
schlossen ist, die Flüssigkeit aus B durch den Schlauch C ausfließen,
bis der gewünschte negative Druck, welcher ebenfalls vom Mano¬
meter abzulesen ist, erreicht ist. Der größte positive Druck ist natür¬
lich bei Beginn der Behandlung erreichbar, wenn der Unterschied
zwischen dem Flüssigkeitsniveau in A und B am größten ist — etwa
60 cm —, jedoch kann man, sogar wenn B fast gasleer ist, einen posi¬
tiven Druck, ungefähr 20 cm Wassersäule entsprechend, erreichen. —
Der größte negative Druck dagegen ist erreichbar, wenn B mit Flüssig¬
keit gefüllt ist, jedoch auch, wenn das Flüssigkeitsniveau auf dem
O-Striche steht, kann man einen, dem Zwecke entsprechend großen
negativen Druck erreichen, wenn nur der Schlauch C lang genug aus¬
geführt ist. — Nachdem der gewünschte Anfangsdruck etabliert ist,
öffnet man die Klammer e, und danach fährt man fort, das Gas in
vorher erwähnter Weise einzuführen, und zwar nur durch Oeffnen
des Hahnes ab.
Bei der ersten Einblasung kann man mit Vorteil die Art,
den gewünschten Anfangsdruck im Gasbehälter zu etablieren, an¬
wenden. Mit dem Apparat „Forlanini-Saugmann“ wird diese von
einer Anzahl Aerzte nunmehr so ausgeführt, daß man den Patienten
aspirieren läßt, oder mit anderen Worten, daß man das Gas unter
einem Drucke, der nicht : 'j~ 0 übersteigt, einströmen läßt. Durch
ein an der Kanüle angebrachtes Ventil verbindet man den Gas¬
behälter mit dem äußeren Luftdrucke, wenn die Druckdifferenz
zwischen dem Gase in dem Pleuraraum und dem Gasbehälter aus¬
geglichen ist oder, allgemein ausgedrückt, wenn der Patient die
Flüssigkeitssäule in dem Gasbehälter nicht mehr weiter zu erhöhen
vermag. Mit meinem Apparat kann man — wie mir scheint — das
Einström.en des Gases besser regulieren: wenn der Druck in dem
Pleuraraume z. B. — 8 cm ist, etabliert man, wie vorher beschrieben,
— 8 in B. Ist dies geschehen, so preßt man das Gas allmählich aus B
in den Pleuraraum dadurch, daß man den Hahn ab vorsichtig öffnet
und die Flüssigkeit äußerst langsam in B einströmen läßt. Hierdurch
steigt der Druck sukzessive von —8 cm Wassersäule bis zu ^ 0,
ohne daß man irgendwelche Manipulationen mit dem Ventil an der
Kanüle vorzunehmen braucht, und demzufolge auch ohne störenden
Druckwechsel, der durch solche Manipulationen verursacht werden
würde.
Um beim Suchen nach dem freien Pleuraraum irgendwie das
Risiko von Gasembolie zu verringern, könnte man in der Mano¬
meterleitung einen negativen Druck etablieren, und zwar am ge¬
eignetsten etwas weniger negativ, als der Druck in der Pleurahönle
gewöhnlich ist. Dieser negative Druck wird auf vorher angegebene
Weise erzielt, nur mit dem Unterschiede, daß die Klammer e in un¬
mittelbare Nähe der Kanüle geschoben wird. Nachdem die Kanüle
eingeführt worden ist, öffnet man die Klammer e. Die Leitung zum
Gasbehälter ist vorher abgesperrt. Sollte man nun mit der Kanüle
eine Vene lädieren, so ist die Gasmenge, welche eingesaugt werden
könnte, ziemlich gering. Man kann sich auch denken, daß der Druck
in der Vene unter einer gewissen Respirationsphase höher ist als der
Drude in der Manometerleitung, und dadurch wird das Einsaugen
von irgendwelchem Gas überhaupt unmöglich gemacht.
Der vorliegende Apparat besitzt somit den großen Vorteil, daß
das Einführen von Gas in den Pleuraraum, wie auch der Gasdruck
äußerst gleichmäßig und fein reguliert werden kann, ohne daß irgend¬
welche mechanischen Anordnungen für die Erhöhung oder Senkung
des Flüssigkeitsbehälters oder für das Erreichen von Ueberdruck auf
dem Flüssigkeitsniveau erforderlich werden, und daß ein geeigneter
Anfangsdruck etabliert werden kann.
Der Apparat ist bei der Firma Windler, Berlin N. 24, Friedrichstraße 133a zu
beziehen.
Die Ergebnisse der Lehre von der inneren Sekretion für
die normale und pathologische Physiologie.
Von Arthur Weil in Berlin.
Wenn man aufmerksam die medizinische Literatur des .letzten
Jahrzehnts verfolgt, so erkennt man, wie die Lehre von der inneren
Sekretion immer weitere Spezialgebiete beeinflußt und befruchtet
und wie sie unsere bisherigen Vorstellungen über die wichtigsten
Funktionen des lebenden Köroers in ganz andere Bahnen drängt, als
wir sie bis jetzt, ausgehend von der „nervösen Korrelation“, zu
gehen gewohnt waren. Ich erinnere nur daran, wie der Begriff
der „Konstitution“ jetzt immer mehr als abhängig von einem be¬
stimmten Gleichgewichtszustand des endokrinen Systems erkannt wird,
wie die Gynäkologie, die Sexualwissenschaft sich diese Lehre zu
eigen gemacht haben, welche Fortschritte auf dem Gebiete der
Inneren Medizin durch die Einführung der Organotherapie der Schild¬
drüsenerkrankungen möglich gewesen sind, um nur einzelne Bei¬
spiele aus der großen Fülle anzuführen. — Die immer mehr steigende
Anerkennung dieser Lehre birgt aber die große Gefahr in sich,
daß sie jetzt einseitig zur Erklärung aller krankhaften Veränderungen
des Lebensablaufes nerangezogen wird, daß man dabei vergißt, daß
auch das Gehirn und das autonome Nervensystem regelnd in das
komplizierte Gefüge eingreifen. Diese Beobachtung kann man vor
allem in der Literatur der Vereinigten Staaten machen, sodaß in dem
führenden Spezialorgan für die Lehre von der inneren Sekretion,
der „Endocrlnology“, R. G. Hoskins selbst eindringlich vor dieser
„Pseudoendocrinology“ warnt, die z. B. die Neurasthenie einseitig
nur durch eine veränderte Funktion der Nebenniere und Schild¬
drüse erklären will, ebenso wie ein anderer Autor mit denselben
Vorstellungen eine Gallensteinkolik. Dieser Gefahr übertriebener Ein¬
seitigkeit Kann man wohl am besten dadurch begegnen, daß man
sich immer wieder die tatsächlichen Ergebnisse dieser Lehre ins
Gedächtnis zurückruft, die auf einwandfreie experimentelle Grund¬
lagen und sich wiederholende klinische Befunde gestützt sind.
Unter welchen Gesichtspunkten diese einzelnen Tatsachen zu¬
sammengefaßt werden sollen, ergibt sich schon aus dem Wortlaut
des Themas: Physiologie ist die Lehre von den Vorgängen im leben¬
den Köiper, von den Funktionen, die das Endergebnis der gemein¬
samen Tätigkeit der verschiedenen Organe darstellen. Die Diago¬
nale der Kräfte aus diesem Zusammenwirken schwankt nur wenig
um eine mittlere Gleichgewichtslage herum; das Versagen oder die
veränderte Tätigkeit eines Orjgans, in unserem Falle einer Drüse
mit innerer Sekretion, wird ein neues Gleichgewicht herbei führen,
das mit Bezug auf das ursprüngliche als verändert, pathologisch
zu bezeichnen ist. Von diesem Gesichtspunkte ausgehend, möchte
ich audi normale und pathologische Physiologie hier nicht trennen,
sondern beide von einer gemeinsamen Grundlage aus betrachten.
Diese soll die Definition des Begriffes innere Sekretion sein, wie
ich ihn bereits an anderer Stelle (Innere Sekretion, Berlin 1921) zu
geben versucht habe: „Drüsen von bestimmtem histologischen Auf¬
bau geben spezifische Verbindungen, welche eine für jedes Organ
eigentümliche Struktur haben, an das Blut und die Lymphe ab:
diese Inkrete beeinflussen die Funktion anderer Körperzellen in
kleinsten Mengen, ohne daß sie selbst als Material für den Zell-
Di gitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
5öO
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 17
aufbau dienen.“ Diese Definition schließt eine andere Betrachtungs¬
weise aus, wie sie besonders in neuerer Zeit wieder von Gley
vertreten wird, der in dem Adrenalin, dem spezifischen Inkret der
Nebenniere, nur das Produkt einer entgiftenden, antitoxischen Tätig¬
keit dieser Drüse sehen will, das nicht, wie es sonst angenommen
wird, aktiv regulierend in die Lebensvorgänge eingreift. Gegen
diese Auffassung sprechen schon die geringen Mengen von Adrenalin,
die eine Aenderung der Blutzirkulation herbeizuführen vermögen:
die intravenöse Injektion von 0,1 ccm einer 0,025°.oigen Adrenalin¬
lösung läßt nach Elliot den Blutdruck einer enthirnten Katze von
etwa 80 auf 120 mm Hg ansteigen, unter gleichzeitiger Zunahme der
Zahl der Herzschläge in der Zeiteinheit. Neben dieser positiven
Steigerung der Herzleistung wird gleichzeitig auch die Reizfähigkeit
und Leitungsfähigkeit der Nervenbahnen des Herzens und des sym¬
pathischen Nervensystems gesteigert, aber nicht dadurch, daß die
Substanz der Nervenbahnen verändert wird, sondern dadurch, daß
der Widerstand, der sich der Fortleitung des Nervenreizes an der
llebergangsstelle zwischen den feinsten Endausbreitungen und der
Zellsubstanz entgegenstellt, herabgesetzt wird. Bis jetzt nahmen wir
immer mit Brodle und Dixon an dieser Verbindungsstelle eine
besondere Schicht, das „myoneurale Gewebe“ an, das spezifisch durch
Adrenalin beeinflußt werden sollte, neuere Untersuchungen von Ful-
ton machen es aber wahrscheinlich, daß der Transformator, der zwi¬
schen Nervenbahnen und Zellprotoplasma eingeschaltet wird, der Kern
der Zelle ist, an dem das Adrenalin direkt angreift.
Einen ähnlichen Einfluß auf das Nervensystem übt auch das Inkret
der Schilddrüse, das Thyroxin aus, das vor einigen Jahren von
Kendall isoliert wurde und das seinem chemischen Aufbau nach
eine Indolpropionsäure ist, in die drei Jodatome eingclagert sind.
22 mg, einem Myxödematösen injiziert, sollen nach einigen Tagen
den gegen den normalen Durchschnitt herabgesetzten Gasstoffwech¬
sel um 20—30Oo wieder erhöhen und ihn etwa 10 Tage lang
auf diesem Niveau halten; tägliche Injektionen von 2 mg Thyroxin
sollen die Symptome der Schnddrüsemmterfunktion für die Zeit der
Behandlung verschwinden lassen, ähnlich wie wir es ja seit langem
nach der Verabreichung von getrockneter Schilddrüsensubstanz an
myxödematöse Kinder Kennen. Diese Steigerung des Stoffumsatzes j
ist auch die Ursache für die Temperatursteigerung der Basedow-
Kranken und den Temperaturanstieg winterschlafender Tiere, deren
Erwachen verbunden ist mit einer gesteigerten Tätigkeit der Schild¬
drüse, die sich nach Adler im histologischen Bilde durch Verände¬
rung der Färbbarkeit und Zunahme des Follikelepithels erkennen läßt.
Diese Anregung der Zelltätigkeit erklärt weiter auch den bei ge¬
steigerter Schilddrüsentätigkeit gesteigerten Umsatz der zugeführten
Nahrungsmittel, die Vermehrung der Stickstoffausscheidung um das
Doppelte, wie wir sic z. B. nach Verabreichung von Schilddrüsen¬
substanz, Injektionen von Thyreoglobin oder Thyroxin beobachten
können. Sie bedingt weiter auch die erhöhte Ausnützung der Fette
und Kohlenhydrate, die es beim Basedow-Kranken nicht zum Fett¬
ansatz in den Körperdepots kommen läßt und die wieder die Ursache
der gesteigerten Kalorienerzeugung ist. In enger Beziehung zum Stoff¬
wechsel stehen auch die Hypophyse und die Keimdrüsen; ihr Funk¬
tionsausfall oder -Verminderung führt ebenfalls zu einer Herabsetzung
des Grundumsatzes, zu einem verminderten Stoffverbrauch, sodaß die
zugeführten Nahrungsstoffe nicht in demselben Maße wie im gesunden
Organismus energetisch ausgenutzt werden, sondern als Reservestoffe
angehäuft liegenbleiben. Als Beispiel hierfür mögen die jüngsten
Versuche von Heymans an Hähnen und Kapaunen dienen, welche
ergaben, daß im Hungerzustandc pro Kilogramm Körpergewicht und
Minute vom Hahn 22,8 g Oo aufgenommen und 20,5 g CO? abgegeben j
wurden gegenüber 19,3 bzw'. 17,4 g beim Kapaun. Der erstere zeigte
gleichzeitig eine „Luxuskonsumption“, da er bei 193 g Körnerfutter
in 17 Tagen nur um 30 g zunahm, der gleichaltrige Kapaun dagegen bei
nur 152 g Futter um 65 g. Noch unentschieden ist die Frage, ob die
Keimdrüseninkrete hierbei direkt erregend auf die Körperzellen ein¬
wirken oder auf dem Umwege über bestimmte Hirnzentren oder
andere inkretorische Drüsen, z. B. die Schilddrüse. Für die letztere
Annahme sprechen die Versuche von Eckstein und Grafe, die
fanden, daß bei überreichlicher Ernährung mit Fetten und Kohlen¬
hydraten, aber einem das Minimum nicht deckenden Eiweißzusatz
der Stoffumsatz sich täglich proportional immer mehr steigerte, als
rechnerisch den zugeführten Energiemengen entsprechen mußte (Luxus¬
konsumption). Nach operativer Ausschaltung der Schilddrüse dagegen
sanken die Nüchternwerte um 20°/o, und das Körpergewicht stieg an.
Von spezifischem Einfluß auf die Ausnutzung der Kohlenhydrate sind
die Inkrete der Nebenniere und des Pankreas, die in bezug auf diese
Funktionen antagonistisch wirken. Nach dem Stande unserer heutigen
Erkenntnis können wir uns die Wirkung der ersteren so vorstellen,
daß vermehrte Adrenalinabgabe zu einer Erregbarkeitssteigerung des
gesamten sympathischen Nervensystems führt; in der Niere macht sich
diese, verbunden mit einem erhöhten Blutdruck, in einer Verminderung
der „Zuckerdichte“ bemerkbar, in der Leber führt sie zu einer ver¬
mehrten Abgabe von Glykogen und damit zu einer Uebersclnvemmung
des Blutes mit Glukose. Die Wirkung der Pankreasinkrete haben wir
uns dagegen als fermentativ vorzustellen, als synthetisierend, die
Glukose zum Glykogen aufbauend, dem Polysaccharid, das als Kolloid
in der Leber und in den Muskeln gespeichert wird. Es scheint, als ob
die letzteren die Glukose nicht direkt energetisch verwenden können,
sondern nur auf dem Umwege über das Glykogen. Hierfür sprechen
nach Crofton die Versuche am überlebenden Säugetierherzen, die
zeigten, daß die Abnahme des Traubenzuckers aus der Durchspülungs¬
flüssigkeit um das Dreifache gesteigert wurde, wenn gleichzeitig auch
die Bauchspeicheldrüse durchströmt wurde, oder wenn man deren
Extrakte hinzufügte.
Diese theoretischen Erkenntnisse geben eine gute Erklärung für
die Störung des Zuckerstoffw r echsels nach der „Piqüre“, dem Zucker¬
stich Claude-Bernards, und beim Diabetes mellitus. Im ersteren
Falle erklärt die Erregbarkeitssteigerung des sympathischen Nerven¬
systems auf dem Umwege über die Nebennieren den vermehrten
Glykogenabbau und die Glukosurie; im zweiten Falle ist der Ausfall
der Pankreasfunktion, die im histologischen Bilde nach Ce eil in 87o y
aller Fälle in einer Veränderung der Langerhansschen Inseln zum
Ausdruck kommt, die Ursache dafür, daß die von der Vena porta der
Leber zugeführte Dextrose nicht mehr zugi Glykogen aufgebaut wird,
sodaß sie das Blut überschwemmt und durch die Nieren, die regu¬
lierend eingreifen, mit dem Harn ausgeschieden wird.
Auch auf die Regelung des anorganischen Stoffwechsels haben
bestimmte Drüsen mit innerer Sekretion einen großen Einfluß, vor
allem die Epithelkörperchen und die Thymus. Der Ausfall
der ersteren bedingt das Krankheitsbild der Tetanie, die von den
meisten Forschern in Verbindung gebracht wird mit der gleichzeitig
gesteigerten Ausfuhr von Kalzium und Phosphor, auf eine Verarmung
des Organismus an diesen beiden Elementen, die im wachsenden
jugendlichen Organismus in Zahnschmelzdefekten zum Ausdruck
kommt und aut die wohl auch die gesteigerte Erregbarkeit des
Nervensystems zurückzuführen ist, da diese durch Injektion von Kal¬
zium- oder Magnesiumsalzen wieder zur Norm zurückgedämpft werden
kann. Andere Forscher wollen diese Störungen wieder auf eine Ver¬
änderung des Eiweißstoffwechsels zurückfünren, auf das Auftreten
von toxischen Zwischenprodukten, die nicht völlig abgebaut worden
sind. Gegen diese Auffassung würden die günstigen Erfolge der
Kalktherapie sprechen. — Die negative Kalziumbilanz tritt auch nach
dem Funktionsausfall der Thymus ein; die Folgen sind Störungen des
Knochenwachstums, mangelhafte Kalkablagerung in dem jugendlichen
Knorpelgewebe und dadurch bedingt verminderte Widerstandsfähigkeit
! gegen äußere Schädigungen, Frakturen, Verbrennungen usw. Gleich-
j zeitig wird aber auch mit dieser Verzögerung der Verknöcherung das
| Wachstum gehemmt. Bei thymektomierten Kindern war 6—7 Jahre
nach der Operation das Längenwachstum um 1 Vs—4 Jahre zurück¬
geblieben, und die Röntgenaufnahmen, besonders der Epiphysen, ent¬
sprachen 2—6jährigen Kindern rtUrcher). Physiologiscnerweise wird
die wachstumsföraernde Tätigkeit der Thymus gehemmt mit dem
Einsetzen der Pubertät, da jetzt die Keimdrüseninkrete durch Beschleu¬
nigung der Verknöcherung in den Epiphysenfugen das Längenwachs
tum zum Stillstand bringen. Ihr Ausfall läßt den hochaufgeschossenen
Eunuchentyp entstehen mit Standlängen von 190 cm und mehr, welche
in solchen Fällen auf eine Persistenz der Thymus, also einen partiellen
Infantilismus hindeuten, der aber auch durch eine übermäßig ge¬
steigerte Inkretion der Hypophyse bedingt sein kann. Wir wissen
nämlich, daß Vergrößerung dieser Drüse zu einer besonderen Art von
Riesenwuchs führt, der Akromegalie, für die charakteristisch das
übermäßige Wachstum der äußern Skeletteile ist, der Finger und
Zehen, der Nase, des Kinns usw., sodaß dieser Körperbautypus leicht
von dem thymogenen unterschieden werden kann. Der Ausfall der
Schilddrüse bedingt zwar auch ein Zurückbleiben im Längenwachstum
(myxödematöse Kretins) durch Störung in der Kalkassimilation, um¬
gekehrt ist aber ein direkter fördernder Einfluß auf die Körperlängc
noch nicht wahrscheinlich gemacht; auffallend ist nur bei der Basedow¬
schen Krankheit die Zartheit und Schlankheit der Röhrenknochen
gegenüber dem plumpen Skelett beim Myxödem. — Die Stoffwechsel-
| steigernden Eigenschaften der Schilddrüse sind flie Ursache fiir den
in den letzten Jahren von Gudernatsch u. a. nachgewiesenen
Einfluß auf die Metamorphose der Amphibien bei Verbitterung getrock¬
neter Drüsen, ihrer Extrakte oder des Thyroxins. Die beschleunigte
Umwandlung der Kaulquappe in den Frosch geht gleichzeitig einher
mit einer beschleunigten Umwandlung der inneren Organe, Verschwin¬
den der Hornzähne und Lippeupapillen mit gleichzeitiger stärkerer
Ausbildung des Unterkiefers und Umwandlung des Omnivoren Larven¬
darms in den mit einer stärkeren Muskularis versehenen Kamivoren-
darm des ausgewachsenen Frosches. Verfütterung von Thymussub¬
stanz oder eines nach Rom eis aus diesem dargestellten Nukleo-
proteids verzögert dagegen die Metamorphose und läßt Riesenkaul¬
quappen entstehen, welche nach zwanzigtägiger Verbitterung die Kon¬
trollen um etwa ifa der Körperlänge überragen. Die in den Fütte¬
rungsversuchen erzielte vermehrte Zufuhr von Schilddrüseninkreten
kann man auch durch direkte Anregung der Funktion der Thyreoidea
erreichen, indem man die Temporarialarven bei erhöhter Außen¬
temperatur mit einem Optimum von 25° aufzieht, und umgekehrt kann
man durch längere Einwirkung schädigender Temperaturen von etwa
30° erreichen, daß die Schilddrüse atrophiert und die Kaulquappen in
der Entwicklung Zurückbleiben. Im histologischen Bilde sieht mau
dann eine Veränderung des Kolloids mit Schrumpfung und ein Zu¬
sammenfallen der sonst glatten Wandungen der Follikel. — Diese
Tierversuche geben auch eine Erklärung für manche Fälle aus der
menschlichen Pathologie, für manche abnorme Wachstumshemmung
und -beschleunigung der Säuglinge, für den Einfluß schädlicher Außen¬
temperaturen auf das Körperwachstum, die auf dem Umwege über
die Schilddrüse als Transformator den Stoffwechsel der Zellen beein¬
flussen.
Der Einfluß der Schilddrüse erstreckt sich auf das absolute Längen¬
wachstum, aber nicht auf die geschlechtsspezifischen Unterschiede des
Skeletts in bezug auf die Verhältnisse der einzelnen Längen zuein-
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNSVERSSTY
28. April 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
561
ander. Wir finden z. B, daß beim Myxödem und beim Basedow das
Verhältnis der Schulter- zur Beckenbreite vollkommen entsprechend
den übrigen Geschlechtscharakteren ausgebildet ist; dagegen weicht
diese Proportion von dem großen Durcnschnitt erheblich beim Aus¬
fall der Keimdrüseninkrete ab. Im Tierexperiment ist dieser Einfluß
durch jahrtausendelange Erfahrung bei der Kastration einwandfrei
erwiesen, und ebenso wissen wir auch, daß beim Menschen der Keim-
drüsenausfall vor der Pubertät das Eunuchenskelett entstehen läßt,
das bei männlichen und weiblichen Individuen ähnliche Zahlen auf-
weist. Während beim normalen Durchschnittsmanne die Proportion
Schulter- zu Hüftbreite etwa 100:81, bei der normalen Frau etwa
100:97 beträgt, fand ich bei männlichen Eunuchoiden etwa 100:86,
bei weiblichen etwa 100:92. Beide treffen sich also auf einer Mittel¬
linie, die wir mit Lipschütz als eine asexuelle Embryonalform
bezeichnen können, wenn wir davon ausgehen, daß hauptsächlich
unter dem Einfluß der Keimdrüseninkrete erst das Soma seine ge¬
schlechtsspezifische Gestalt annimmt. — Die Wirkung der Ovarial-
hormone auf die Formen des weiblichen Beckens kann man nach Her¬
mann, Plaut u. a. durch Injektion von alkoholischen oder anderen
Extrakten mit. lipoidlöslichen Mitteln an jugendlichen Kaninchen nach-
weisen, deren kindliches Becken dadurch schneller die femininen
Maße annimmt als das der gleichaltrigen Kontrollen. Weiter regeln
die Keimdrüsen das Verhältnis der einzelnen Längenmaße zueinander.
Wie wir schon oben sahen, wirken sie antagonistisch zur Thymus;
ihr Ausfall bedingt Thymuspersistenz und damit eine Veränderung in
dem Verhältnis der Ober- zur Unterlänge. Während beim normalen
Manne die Entfernung vom Scheitel bis zum oberen Rande der Sym¬
physe etwa deren Differenz von der Standlänge entspricht, bleibt beim
EunucheH der Oberkörper absolut im Wachstum zurück, sodaß die
Unterlänge etwa 125 o/o der Oberlänge ausmacht; nur die Beine nehmen
absolut und relativ zur Standlänge zu, während die Arme in den
meisten Fällen das proportionale Verhältnis wie beim Durchschnitts¬
manne aufweisen (Standlänge : Armlänge = 100 : 44). Man kann um¬
gekehrt aus den Proportionen Schulter-: Hüftbreite und Ober-: Unter¬
länge wieder Rückschlüsse auf die endokrine Formel und damit auch
auf die gesamte Konstitution ziehen.
Außer den Geschlechtsunterschieden des Skeletts hängen auch
die übrigen akzidentellen Geschlechtsmerkmale in der Hauptsache von
den Keimdrüsen ab, so vor allem der Haarwuchs. Beim Eunuchoiden
fehlt die Körperbehaarung fast völlig, nur das weiche Flaumhaar
bedeckt spärlich Gesicht und Extremitäten, während die etwas stärker
entwickelte Pubesbehaarung dreiecksförmig wie bei der Frau ab¬
schneidet. Bei Hühnerkastraten entwickelt sich (z. B. in den Ver¬
suchen Morgans) das Gefieder des anderen Geschlechts, während
umgekehrt Implantation der Keimdrüsen auf jugendliche Meerschwein¬
chenkastraten die Behaarung des dem Implantat entsprechenden Ge¬
schlechts entstehen läßt. Die Anregung zu vermehrtem Haarwuchs
kann auch von den Nebennieren ausgehen, da wir bei Tumoren oder
Hyperplasie der Rinde dieser Drüse oft bei Frauen starken Bart¬
wuchs finden, der den männlichen an Stärke übertreffen kann; in den
meisten Fällen weichen die übrigen Geschlechtsunterschiede nicht
von der Norm ab, sodaß wir hieraus schon auf die Nichtbeteiligung
der Keimdrüsen schließen können. Nach Krabbe sind solche Neben¬
nierentumoren nur versprengte Reste der ursprünglichen Keimanlage,
und zwar des maskulinen Anteils des bisexuell angelegten Ovars,
sodaß die verstärkte Haarbildung auch nur ein Ausdruck vermehrter
Inkretion versprengter Keimdrüsenzellen darstellen würde. — Ebenso
unterliegen andere epidermoide Gebilde dem Einfluß der Keimdrüsen:
die Sporen- und Kammbildung der Hühnervögel, das Geweih der Cer-
viden, die Nägel des Menschen, die ebenfalls in der Stärke der Aus¬
bildung geschlechtsspezifische Unterschiede erkennen lassen, wobei
die Frage offenbleiben möge, ob hier ein direkter Einfluß auf die
ZelltätigKeit oder ein wahrscheinlicherer indirekter durch Beeinflus¬
sung anderer inkretorischer Drüsen anzunehmen ist.
Wie weit auch das äußere und innere Genitale abhängt von der
Inkretion der Keimdrüsen, sehen wir beim Menschen an den zwar
seltenen, aber einwandfrei festgestellten Fällen von Hermaphrodi¬
tismus, bei denen gleichzeitig eine doppelte Zwitterdrüse vorhanden
war, Fälle, die bei Tieren (Schweinen und Ziegen) weit häufiger
beobachtet worden sind. Solche Befunde deuten immer wieder auf
die bisexuelle Keimdrüsenanlage hin, auf den Einfluß des Keim-
epithels auf die Ausbildung der gemeinschaftlichen Ausgangsform
in die eine oder die andere Richtung. Experimentelle Ueberpflan-
zungen von Hoden auf weibliche Rattenkastraten lassen die Clitoris
sich zu einem penisartigen Gebilde entwickeln, und Bouin und Ancel
erzielten dieselbe Wirkung bei Meerschweinchenkastraten durch
längere Zeit fortgesetzte Injektionen von Glyzerinextrakten aus fri¬
schen Hoden; ein Versuch, den die Natur beim Menschen in Fällen
von sexueller Frühreife ausführt, sodaß z. B. bei einem 10 Monate
alten Knaben mit haselnußgroßeu Testes der Penis eine Länge von
5 cm besaß, bei einem Körpergewicht von 7,9 kg und einer Gesamt- j
länge von 72 cm. — Die experimentellen Befunde, welche den Ein¬
fluß der Entwicklung der Keimdrüsen auf die Entwicklung der sekun¬
dären Geschlechtsmerkmale beweisen, sind in neuerer Zeit von Knud
Sand noch weiter durch seine künstlichen Hermaphrodisierungen
ausgebaut worden, durch die experimentelle Erzeugung von Zwitter¬
drüsen, die, auf männliche Rattenkastraten verpflanzt, neben einem
männlich entwickelten Penis stark entwickelte Brustdrüsen entstehen
ließen. — Die noch nicht gelöste Streitfrage ist die nach dem histo¬
logischen Anteil, welchem die Erzeugung der Inkrete zufällt. Auf
der einen Seite vertreten Steinach, Bouin und Ancel, Lip-
| s c h ü t z u. a. die Auffassung, daß die Leydigschen Zellen des Hodens
und die Zellen der Corpora lutea des Eierstocks die Inkretbildner seien,
i während Kyrie, Stieve u. a. den Spermatogonien und der reifen¬
den Eizelle selbst diese Funktion zuschreiben. Die ersteren führen
experimentelle Untersuchungen, Falle von völlig ausgebildeten männ¬
lichen Geschlechtscharakteren bei fehlender Spermatogenese und Eu¬
nuchoidismus bei gut funktionierender Spermatozoeuerzeugung als
Beweise für ihre Theorien an, die zweite Gruppe stützt sich darauf,
daß die eigentliche Ausbildung der Geschlecntscharaktere zur Zeit
der Pubertät parallel geht mit Spermatogenese und Ovulation und
daß in der Tierreihe viele Fälle mit ausgebildeten Geschlechtscharak¬
teren vorhanden sind, bei denen die Zwischeiizellen völlig fehlen.
Biedl hat das ganze Problem auf eine neue Grundlage zu stellen
versucht, indem er den alten Virchowsehen Satz „propter ovarium
solum mulier est quod est“ ersetzte durch „propter functiones endo-
crinae mulier et vir sunt quod sunt“. Er nimmt an, daß das gesamte
endokrine System, nicht nur die Keimdrüsen, sexuelle Verschieden¬
heiten aufweist und daß die den Keimdrüsen zugeschriebene Mon¬
archie nicht zu Recht bestehe. Gegen diese Auffassung spricht aber,
daß die geschlechtsspezifischen Unterschiede der Schilddrüse, Hypo¬
physe usw. nur gradueller, nicht genereller Art sind und daß man in
Fällen von Pseudohermaphroditismus sehr häufig persistierende Ucbcr-
reste der andersgeschlechtlichen Keimdrüsenanlage (in bezug auf die
vorhandene ausgebildete Keimdrüse) findet. Die bei Pseudoherma-
hroditismus masculinus mit stark entwickelter, penisartiger Klitoris
äufig beobachteten Nebennierenhyperplasien werden nach K u u d
Krabbe als übermäßige Ausbildung ursprünglich männlicher Keim¬
zellen gedeutet, die mit den Ursamenzellen gemeinsam der Keim¬
leiste entsprangen. Dafür, daß die Keimdrüse in der Tat der endo¬
krinen Formel das geschlechtsspezifische Gepräge verleiht, sprechen
auch jene Fälle von angeborener Atrophie oder Funktionshemmung
; der Keimdrüsen, die in der weiteren Entwicklung jene Typen von
I männlichem und weiblichem Eunuchoidismus entstehen lassen, die in
ihrem somatischen und psychoscxuellen Verhalten so große Aehnlich-
' keiten aufweisen, daß man sie als gemeinsame Zwischenstufen zwi¬
schen den beiden äußeren Polen männlich und weiblich bezeichnen
kann.
Unbestritten ist der Einfluß der Ovarien auf die Regelung des
Schwangerschaftsablaufs. Unter dem Einfluß des reifenden Graafscheu
Follikels beginnt die Schleimhaut des Uterus bei stärkerer Durch¬
blutung zu schwellen, um so für die Nidation des Eies vorbereitet zu
I werden. Nach dem Follikelsprung bildet sich das Corpus luteum,
dessen Aufgabe jetzt wohl immer mehr dahin gedeutet wird, die
Menstruationsblutungen wieder zum Stillstand zu bringen. Als Be¬
weise für diese Auffassung kann gelten, daß nach Exstirpation des
Ovars, das ein Corpus luteum enthält, ohne Rücksicht auf den Men¬
struationsbeginn bei Frauen Blutungen cintreten und daß bei Tieren
sich das Corpus luteum erst nach der Brunstperiode ausbildet. Nach
Fraenkel soll das Corpus luteum die Ausbildung der Dezidua
regeln, die auch in den Versuchen Loebs, der durch Einführung von
Fremdkörpern in den Uterus deziduaähnliche Neubildungen erzeugte,
immer nur bei dem Vorhandensein eines gut ausgebildeten gelben
Körpers- entstand. Der sich bildende Embryo wird ebenfalls durch
die Inkretc der Mutter beeinflußt; Schilddrüsenerkrankungen, Pankreas¬
veränderungen zeigen sich auch bei ihm in Veränderungen des Stoff¬
wechsels und Störungen der somatischen Entwicklung. - Mit zu¬
nehmender Schwangerschaft tritt eine Vergrößerung der mütterlichen
Schilddrüse ein als Ausdruck des gesteigerten Stoffwechsels und
gleichzeitig eine vermehrte Zellbildung mit Volumenvergrößerung
bis um aas Zweieinhalbfache der Hypophyse, deren spezifisches
Inkret schließlich die glatte Uterusmuskulatur zu den Geburtswehen
anregt.
Während die Erkenntnis über die Zusammenhänge zwischen soma¬
tischer Entwicklung, physiologischer Funktion und innerer Sekretion
im Laufe der letzten Jahrzehnte immer mehr gesichertes Gemeingut
der medizinischen Wissenschaft geworden ist, werden die engeren
Beziehungen zwischen psychischen und endokrinen
Vorgängen noch nicht so allgemein anerkannt und vielfach schroff
zurückgewiesen. — Am auffallendsten ist die enge Wechselwirkung
zwischen der endokrinen Formel und dem psvchosexuellen Verhalten.
Dem geschulten Sexualforscher sind allmählich in der Sprechstunde
jene Typen von impotenten Männern geläufig geworden, die bis in
die dreißiger Jahre hinein ohne jeden stärkeren Drang zum Weibe, bei
sehr mäßiger, oft monatelang aussetzender Onanie oder Pollution
still und zurückgezogen sich selbst lebten, die den fehlenden Trieb
vernunftgemäß erklären wollen wie: „Ich fühle keinen sexuellen Trieb
zur Frau, weil ich sie nicht für vollwertig ansehe“, oder: „Ich hätte
wohl Gelegenheit genug zu sexuellem Verkehr gehabt, aber aus
moralischen Gründen habe ich mich zurückgehalten“. Wenn sie nun
aus ökonomischen oder sonstigen exogenen Gründen heiraten, treten
plötzlich die ehelichen Pflichten an sie heran, denen sie nicht nach-
Kommen können, und der Arzt soll ihnen jetzt raten, wie sie zu voller
männlicher Potenz kommen können, nur „um ihrer Frau willen, nicht
aus innerem Antriebe“. Betrachtet man sie genauer, so imponiert oft
die große Körperlänge, bis 180 cm und mehr über den normalen
Durcnschnitt herausragend; Haarwuchs und Stimmbildung zeigen dabei
vielfach ausgeprägten männlichen Charakter, und nur die zum eunu¬
choiden Typus verschobenen Proportionen, Verhältnisse von Ober-
zur Unterlänge von 100: 110—120 aeuten auf die veränderte endokrine
Formel hin. Aehnliche asthenische Typen mit eunuchoiden Propor¬
tionen und mangelhaft ausgebildetem äußeren und inneren Genitale
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNÜVERSm 1
562
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 17
findet man bei weiblichen Patienten, die mit 25 Jahren noch keine
oder spärliche und unregelmäßige Menses aufweisen und deren
Libido kaum entwickelt ist, oder deren sexuelle Psyche infantiles
Verhalten aufweist, Zusammenhänge, auf die in neuerer Zeit besonders
Hirsch feld und Krön fei d hingtwiesen haben. Solche eunuchoiden
Proportionen findet man auch bei der Abweichung des Sexualtriebes
auf das andere Geschlecht, bei der Homosexualität; ich konnte sie
beim Vergleich mit normalen Durchschnittsmaßen immer wieder in j
Hunderten von Fällen feststelleu. Geht man von der bisexuellen j
Anlage des Menschen aus, so wird man im Zusammenhänge mit der ,
bei diesen Typen in die Richtung des anderen Geschlechts ver- *
schobenen Proportion Schulter-: Hüftbreite hierin die Hemmung der !
einen (bei Männern der männlichen) und die stärkere Entwicklung
der sonst ganz unterdrückten zweiten Keimanlage sehen — somatische
Parallelbilder zu der von Freud, St ekel u. a. aus der Bisexualität
abgeleiteten rein psychischen Erklärung dieser Aenderung der Tricb-
ricntung.
In diesem Zusammenhänge möchte ich auch auf die neuere!) Arbei¬
ten Kretschmers über „Körperbau und Charakter“ hin-
weisen, seine Versuche, bestimmte psychische Reaktionstypen, l Über¬
gänge zu den beiden großen Gruppen der Psychosen,’ der Schizo- !
phrenie und dem manisch-depressiven Irresein, dem schizoiden und J
zykloiden, in Zusammenhang zu bringen mit dem rein empirisch bc- j
obachteten häufigeren Vorkommen des asthenischen und athletischen >
Körperbaus bei der ersteren, des pyknischen bei der zweiten Gruppe, j
Wenn man einen tieferen Einblick in das Getriebe der inneren i
Sekretion gewonnen hat, werden einem solche Zusammenhänge nicht i
mehr unverständlich bleiben, und man wird sie nicht einfach ohne I
Prüfung ablehnen, wenn man weiß, wie die Hyperfunktion der I
Thyreoidea gesteigerte Stoffwechselvorgängc, stärkeres Längenwachs- j
tum, gesteigerte Erregbarkeit des gesamten Nervensystems bedingt |
und wie ihre pathologische Hypersekretion, die Basedowsche Krank- !
heit, psychische Erregungsbilder erzeugt, die an rein manische Zu- j
standsbilder erinnern. Wenn mau weiter die Hemmung aller psychi-
scheu Funktionen mit dem herabgesetzten Stoffwechsel und den ver-
änderten Körperformen beim Myxödem kenuengelernt hat, dann wer- i
den einem solche Zusammenhänge zwischen Körperbau und Charakter
als selbstverständlich erscheinen. — Die organotherapeutischcn Er¬
folge bei Schilddrüsenstörungen durch Verabreichung von Thyrcoidin-
tabletten mit einer völligen Umgestaltung der gesamten Psyche, das
Wiedererwachen der Libido bei 34—36jährigen Eunuchoiden nach
Transplantation jugendlicher Hoden (Lichtenstern, Lydston)
schließen diesen Ring von Beweisen für die engen Zusammenhänge
zwischen psychischem Geschehen und endokrinen Vorgängen.
Umgekehrt müssen wir auch Wechselwirkungen zwischen psychi¬
schen Vorgängen und innerer Sekretion annehmen; wir können mit
unseren Kenntnissen sehr gut die Vorstellung vereinbaren, daß bei
gesteigerten seelischen Erregungen mit erhöhter Labilität des ge¬
samten Nervensystems auch die Innervation des endokrinen Systems
eine andere wird, daß, wie es Hopkins, Camion und La Paz
im Tierversuch bewiesen haben wollten, die dadurch bedingte stärkere
Herztätigkeit stärkere Durchblutung der Nebennieren und damit stär¬
kere Inkretion mit allen ihren Folgen hervorruft. Wir können uns
auch vorstellen, daß, ebenso wie mechanische und elektrische Reizung
der Schilddrüsennerven die Thyreoidea zu stärkerer Inkretion bringt
und dadurch weiter die Erregbarkeit des gesamten Nervensystems
gesteigert wird, auch exogen bedingte nervöse Erregungen die¬
selben Folgen auslösen; man spricht in diesem Zusammenhänge
von einem „psychogenen Basedow“, obgleich ich selbst nach den
praktischen Erfahrungen es vorläufig noch dahingestellt sein lassen
möchte, was das „primum movens“ dieses Zustandsbildes ist: die
gesteigerte nervöse Erregbarkeit als Folge der Schilddrüsenhyper-
tunktion oder umgekehrt. !
Schließlich möchte ich auch noch auf die Einwirkung ä u ß e - 1
rer Faktoren auf die innere Sekretion Hinweisen. Ich er- j
wähne die Anpassung der Schilddrüsenfunktion an die Außentempe- I
ratur, wie sie Adler in seinen Froschversuchen nachvveisen konnte,
und die dadurch bedingte sinnvolle Regelung des Sfofiumsatzes.
Gleichzeitig ist hiermit bei Temporarien auch eine Einwirkung auf das
Geschlecht verbunden, ein Ueberwiegen männlicher Tiere bei stark
entwickelter Schilddrüse der Mutter. — Ich erinnere ferner an die
Abhängigkeit des Menstruationsbeginnes und der somatischen und
psychosexueilen Entwicklung, an die Frühreife und das schnellere
Altern in tropischen Klimaten, welche die Geschlechtsunterschiede
gar nicht zu so scharfer Ausprägung gelangen läßt, wie es in kälteren
nordischen Gegenden bei langsamerer Entwicklung der Fall ist.
Schließlich verweise ich auf die Bedeutung der Ernährung für die
endokrinen Funktionen, auf die Zusammenhänge zwischen den in
neuerer Zeit erforschten Vitaminen (Nutraminen) und den Inkreten,
auf die Krankheitsbilder, die nach vitaminarmer Ernährung entstehen,
und die damit verbundenen Störungen der inneren Sekretion.
Wenn ich zum Schluß rückblickend alle diese Ergebnisse der
Lehre von der inneren Sekretion noch einmal zusammen fasse, so wird
man wohl kaum mehr die Bedeutung des endokrinen Systems für den
Ablauf der Lebensvorgänge leugnen können. Ich weiß mich frei
von der in der Einleitung erwähnten Einseitigkeit, die jetzt alle physio¬
logischen Funktionen nur als Ausdruck der inneren Sekretion gedeutet
wissen will und die alle Krankheiten aus der Veränderung des ur¬
sprünglichen Gleichgewichts ableitet; ich möchte aber auch das andere
Extrem zurückweisen, das nur die „nervöse Korrelation“ der Organe
im alten Pflügerschen Sinne gelten läßt. Versuchen wir doch, uns
den Fortschritten unserer .Erkenntnis anzupassen, und befreien wir
uns von der kurzsichtigen Anschauung, als ob man die mannigfaltigen
Beziehungen, welche die unendlich vielen Zellen des lebenden Kör¬
pers verbinden, nur von einem bestimmten Gesichtspunkte aus
erklären könnte.
Chirurgische Ratschläge für den Praktiker.
Von G. Ledderhose in München.
XVI.
Atmungsstörungen infolge chirurgischer Erkrankungen.
Jeder ernsteren Behinderung der Atmung gegenüber hat der
Praktiker eine große Verantwortung, indem es gilt, deren Ursache
sowie deren Bedeutung für das Leben des Kranken richtig und
rechtzeitig zu erkennen. Leichte und mäßige Grade von Erschwerung
der Atemfunktion, wie es bei den meisten Erkrankungen der Lunge,
des Brustfells und des Herzens zutrifft, werden bekanntlich durch
Beschleunigung der Atmung ausgeglichen. Reicht dies nicht
•ms, so kommt es zur Atemnot, der Dyspnoe. Inspiratorische
Dyspnoe tritt auf, wenn ein Hindernis für die Einatmung besteht.
D’ie Hilfsmuskeln des Gesichts (Nasenflügel), des Halses und der
Brust treten in Tätigkeit, und wenn das bestehende Hindernis nicht
genügend Luft durchtreten läßt, um die durch die Einatmung aus¬
gedehnte Lunge voll anzufüllen, so kommt cs zu Einziehungen
des Jugulums, der Supraklavikuiargruben, des Epigastriums, des un¬
teren Thoraxabschnittes und der Interkostalräume. Das klassische
Beispiel der exspiratorisehen Dyspnoe bildet das chronische
Lungenemphysem mit dem faßförmigen Thorax, der verlängerten Aus¬
atmung und der Inanspruchnahme der Bauchmuskeln, neben anderen
bezeichnenden Erscheinungen. Die gemischte Dyspnoe setzt sich
aus der inspiratorischen und exspiratorischen Form zusammen.
Den Verlauf hochgradiger, sich stetig steigernder Atemnot kann
man am besten — nicht selten innerhalb eines kurzen Zeitraumes —
an Kindern mit Kehlkopfdiphtherie studieren. Bei heiserer
oder aphonischer Stimme besteht starke Dyspnoe mit Einziehungen
sowie verlängertes und verlangsamtes Inspirium mit Stridor. Es folgt
Erstickungsangst mit großer Unruhe, und es kommt zu Erstickungs¬
anfällen, also zu bedrohlichem Sauerstoffmangel, der durch große
körperliche Anstrengung zu heben versucht wird. Häufen sich diese
Anfälle und reichen die Kräfte zu ihrer Ueberwindung nicht mehr
aus, so tritt Ermüdung und Kohlensäurevergiftung mit Somnolenz
und Lähmung der kompensatorischen Vorrichtungen ein. Beschleuni¬
gung und Schwäche des Pulses sowie Trachealrasseln leiten in den
Tod über. Wenn bei Atmungshindernissen nur spärliche Erstickungs¬
anfälle auftreten, so ist der Arzt nicht immer in der Lage, solche
selbst zu beobachten, ist vielmehr auf die Schilderung des Kranken
selbst und seiner Umgebung angewiesen. Dabei muß er sich hüten,
irrtümlich asthmatische Anfälle anzunehmen und entsprechend
die Bedeutung der Erkrankung falsch zu beurt.eilen. Beim bronchialen
Asthma sehen wir die Anfälle nach leichten Vorboten meist in der
Nacht auftreten, die sehr angestrengte Atmung ist mit weithin,
namentlich während des verlängerten Exspiriums hörbarem, pfeifen¬
dem Geräusch verbunden, die Lunge befindet sich im Zustand
akuter Blähung, gegen Ende des Anfalles wird spärliches, zäh¬
schleimiges Sputum (Spiralen, Kristalle) ausgehustet. Für das Urteil
über die Bedeutung eines ernsten, längere Zeit bestehenden Atmungs-
Hindernisses ist es wichtig, sich klarzumachen, daß nicht selten in
derartigen Fällen die Kranken es lernen, durch eine bestimmte
Haltung des Kopfes und, durch die Anspannung bestimmter Muskeln
etwa die hochgradig-verengte Trachea so zu beeinflussen, daß noch
eine gewisse Menge Luft durchzutreten vermag. Solche Kranke sind
aber häufig in großer Gefahr, indem durch Lageänderung, Fall,
Schreck oder Einleitung der Narkose plötzlich jene Kompensation ver¬
sagt und Erstickung eintritt.
Hohe Grade von Dyspnoe werden im Bereich der Mund¬
höhle, abgesehen von ungewöhnlich großen Geschwülsten, haupt¬
sächlich durch infektiöse Entzündungen ausgelöst. Als solche sind
zu nennen: die akute Phlegmone in der Umgebung der submaxillaren
Speicheldrüse oder innerhalb ihrer Kapsel (Angina Ludwig»), die
phlegmonöse Glossitis, die Paratonsillitis und etwa noch die retro¬
pharyngealen Eiterungen. Diese Prozesse bedingen gewöhnlich nicht
direkt schwere Atmungshindernisse, sondern durch Vermittlung des
sog. Glottisödems, also der ödematösen Schwellung des Kehl¬
kopfeingangs, der aryepiglottischen Falten und der Epiglottis selbst,
wie sie sich mit dem Kehlkopfspiegel und dem Finger nachweisen
läßt. Wenn es nicht gelingt, durch Einschneiden die primäre Eite¬
rung zu entleeren, oder wenn dieser Eingriff zu spät kommt, so
kann die Tracheotomie notwendig werden. Daß fast alle Er¬
krankungen des Kehlkopfs bei entsprechender Steigerung sowie
die aspirierten Fremdkörper imstande sind, Erstickung herbeizuführen,
ist angesichts der topographischen Verhältnisse, zumal im kindlichen
Alter, leicht verständlich. Am meisten praktische Bedeutung hat in
dieser Beziehung die Larynxdiphtherie, bei der nicht nur die
Membranen, sondern auch die Schleimhautschwellung und das auf-
gelagerte Sekret das Lumen verengern. Besonders gefährlich ist
die Verlagerung der Passage durch teilweise gelöste Membranteile.
Man soll die Indikation für Intubation oder Tracheotomie nicht von
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSITV
28. April 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
563
dem Auftreten einzelner lokaler Symptome, wie Stridor, Zyanose,
Einziehungen, abhängig machen, sondern den Allgemeinzustand
zum Maßstab nehmen. Starke Beschleunigung und Schwäche des
Pulses, verfallenes Aussehen und beginnende Somnolenz sind als
Zeichen gefährlicher Verschlechterung des Allgemeinbefindens infolge
der diphtherischen Kehlkopfstenose zu bewerten.
In allen Gegenden, wo der Kropf endemisch ist, bildet dieses
Leiden unzweifelhaft die häufigste Ursache von Atembeschwerden;
aber es ist nicht immer leicht, sich im Einzelfalle volle Klarheit
über die ursächlichen Verhältnisse zu verschaffen. Der nachteilige
Einfluß des Kropfes auf die Luftröhre kommt dadurch zustande,
daß sie seitlich ausgebogen, von beiden Seiten oder kreisförmig
zusammengedrückt und verengt wird, sowie daß unter der lang-
dauernden Druckwirkung Erweichung der* Trachealknorpel erfolgt.
Bei der Beurteilung des Einflusses, den ein derartiges regelwidriges
Verhalten der Luftröhre auf die Atemfunktion ausübt, sind stets
die im gleichen Sinne sich geltend machende chronisch-katarrhalische
Schwellung der Schleimhaut sowie sekundäre Störungen von seiten
des Herzens zu berücksichtigen. Wenn gleichzeitig mit Kropf
Pulsbesthleunigung und abnorme Herzerregbarkeit sowie Hyper¬
trophie des linken Ventrikels und Herzerweiterung bestehen (sog.
Kropfherz), so finden sich häufig auch ohne ausgebildeten Basedow
wenigstens einige dieser Erkrankung angehörende Symptome, wie
Abmagerung, Zittern, allgemeine nervöse Erregbarkeit. Auch die
laryngoskopische Untersuchung auf Stimmbandlähmung ist in jedem
Falle vorzunehmen. Die Erfahrung lehrt zwar, daß langsam ent¬
stehende, durch Struma bedingte, mechanische Behinderung der At¬
mung in weitgehendem Maße ausgeglichen werden kann, aber es
wird öfter nicht genügend beachtet, daß sich derartige Kranke in
einem labilen Gleichgewichtszustand befinden, welcher leicht durch
akute Schleimhautschwellung oder Trauma (Blutung in Kropfzysten)
in gefährlicher Weise gestört wird. Die unbedingte Indikation zur
Strumektomie ist bereits gegeben bei andauernden Atembeschwer¬
den infolge von Kropf, namentlich aber dann, wenn Verlagerung und
Kompression der Luftröhre sowie Veränderungen am Herzen nach¬
weisbar sind, oder wenn gar bei körperlichen Anstrengungen und
in der Nacht Erstickungsanfälle erfolgt waren. Die Tracheotomie, als
Notoperation beim Kropfkranken während eines asphyktischen An¬
falls indiziert, stellt immer einen aufregenden, schwierigen und ge¬
fährlichen Eingriff dar. Besonders hochgradige und ernste Störungen
der Atmung pflegen durch substernale Strumen veranlaßt zu
werden, und es ist oft schwierig oder unmöglich, diesen ursäch¬
lichen Zusammenhang klar zu erkennen. Verhältnismäßig einfach
gestaltet sich die Diagnose, wenn sich die Struma ein- oder doppel¬
seitig direkt in den Brustraum fortsetzt, oder wenn der durch eine
Brücke mit der Schilddrüse verbundene oder der isolierte retrosternale
Kropf über die obere Brustapertur hinausragt und hier tastbar ist,
ferner, wenn er sich beim Schluckakt zusammen mit dem Kehlkopf
verschiebt. Jedofch ergeben bei völlig intrathorakaler Lage die Per¬
kussion und die Röntgenstrahlen (Verschiebung des Kropfes beim
Schlucken im Gegensatz zum Aortenaneurysma) nicht immer ge¬
nügende Auskunft. Bezüglich der Erscheinungen und der therapeutisch
allein in Betracht kommenden Exstirpation stehen den substemalen
Strumen sehr nahe die seltenen Dermoid- und Flimmerepithelzysten
sowie die verschiedenen Formen der festen Geschwülste des Me¬
diastinums.
Nicht gleich hohe Grade von Atemnot pflegen diffus phlegmonöse
oder umschriebene Phlegmonen und Abszesse des Mittelfell-
raums hervorzurufen. Diese Diagnose wird ermöglicht durch das
Bestehen von Fieber, lebhaften Schmerzen hinter dem Brustbein oder
neben der Wirbelsäule, Dämpfung, Oedem im Jugulum oder in der
Sternalgegend, Verdrängungserscheinungen von seiten der Brust¬
organe, Schluckbcschvverden, entsprechenden Schatten auf der Rönt-
£enplatte. Durchbruch oberhalb oder zu Seiten des Brustbeins kann
ebenso wie in die serösen < Höhlen des Brustkorbs erfolgen. Aetio-
Iogisch kommen namentlich Phlegmone des Halses, Empyem, Er¬
krankung der Brustknochen und der mediastinalen Drüsen, ferner
Fremdkörper, perforierte Divertikel und Karzinom des Oesophagus
in Betracht. Durch Resektion des sternalen Teils eines Rippen¬
knorpels (evtl, nach Probepunktion), durch Trepanation des Sternums
ist das vordere Mediastinum zugänglich zu machen; das hintere kann
man von der vorderen Halsgegend aus oder durch Rippenresektion
zwischen Wirbelsäule und Schulterblatt erreichen.
Sind Fremdkörper in die Luftwege geraten, so steht der Arzt
solchen Fällen glücklicherweise heute, auf Grund der in bewunderns¬
werter Weise vervollkommneten Verfahren der Diagnose und der Ex¬
traktion, lange nicht mehr so ratlos gegenüber wie früher. Zu¬
nächst ist solcher Fälle zu gedenken, bei denen die akute hoch¬
gradige Erstickungsgefahr ohne weitere Ueberlegung den Luft¬
röhren schnitt notwendig macht, nachdem man sich vielleicht
schnell durch einen Griff mit dem eingeführten Finger davon über¬
zeugt hat, daß keine fremden Massen dem Eingang des Kehlkopfs
aufgelagert sind. Unter diesen Umständen müßte das Fremde mit
dem Finger oder der Zange entfernt werden. Große diagnostische
Schwierigkeiten können bei kleinen Kindern auftreten, wenn
Suffokationserscheinungen tatsächlich durch aspirierte Fremdkörper
ausgelöst sind, aber bestimmte Angaben darüber fehlen, daß diese
Ursache vorliegt. In allen nicht senr dringenden Fällen kommt es
zunächst darauf an, möglichst weitgehende diagnostische Klarheit
herzustellcn. Die Methoden der Laryngoskopie, der direkten Tracheo-
und Bronchoskopie, vom Mund oder von einer Tracheotomie wunde
aus angewandt, stehen zur Verfügung. Daß diese nur auf Grund
langer Einübung und reicher Erfahrung ausreichend beherrscht wer¬
den, ist allgemein bekannt. Im Vertrauen auf sie kann der Arzt von
den zweischneidigen Verfahren der Darreichung von Brechmitteln
oder des Umdrehens des Kranken mit dem Kopf nach unten Ab¬
stand nehmen. Für den Nachweis insbesondere metallischer Fremd¬
körper in den Luftwegen leisten die Röntgenstrahlen Vorzüg¬
liches; dabei muß man sich aber vor Verwechslung mit in der Speise¬
röhre festsitzenden Fremdkörpern hüten. Wenn in der Trachea
liegende, bewegliche Fremdkörper durch Hustenstöße gegen die
Stimmbänder geschleudert werden und dann wieder zurückfallen, so
läßt sich dies auskultatorisch an klappenden Geräuschen nach-
weisen. Ist ein Bronchus — meist der rechte — durch einen rund¬
lichen Fremdkörper größtenteils oder ganz verlegt, so ergibt dies
Abschwächung oder Fehlen des Atemgeräusches in dem entsprechen¬
den Lungenabschnitt.
Es hängt ganz von der Art, Größe und Verschieblichkeit des ein¬
gedrungenen Fremdkörpers ab, welche von den verfügbaren Ex¬
traktionsverfahren (ohne und mit Tracheotomie) zu wählen ist. Sind
breiige oder flüssige Massen in den Larynx oder tiefer eingedrungen
(Bewußtlosigkeit, Narkose), so muß zuweilen Ansaugen mittels
Nelatonkatheters zur Anwendung kommen, was gelegentlich vorerst
den Luftröhrenschnftt erforderlich macht. Es ist begreiflich, daß die
Gefahren, welche in die Luftwege aspirierte Fremdkörper bringen
(Wandverletzung, Dekubitus, Pneumonie, Lungenabszeß, Mediastinitis,
Empyem) schnelle Steigerung erfahren, je länger sich die Extraktion
verzögert. Daß bei fest eingekeilten Fremdkörpern direktes opera¬
tives Eröffnen der betreffenden Stelle der Luftwege angezeigt sein
kann, bleibe nicht unerwähnt.
Sind die Tuberkulose oder das Karzinom des Larynx in
ein unheilbares Stadium eingetreten, so ist es angezeigt, die Tracheo¬
tomie als das die Beschwerden lindernde Mittel zu empfehlen, be¬
vor die Atemstörungen bedrohlichen Charakter angenommen haben.
Besonders schwierige und oft langdauemdc Behandlung erfordern
narbige Strikturen des Kehlkopfs, wie sie nach direkter
Verletzung (Stich, Schuß), nach Verbrennung, Verbrühung und Ver¬
ätzung sowie nach Geschwürsbildung infolge Kanülendrucks, Di¬
phtherie, Syphilis und Tuberkulose entstehen. Dehnungskuren vom
Mund oder von einer Tracheotomiewunde aus sowie Spaltung und
Exstirpation von Narben erzielen auch in schweren Fällen Erfolg.
Die Fortschritte in der Erkenntnis des ursächlichen Zusammen¬
hangs zwischen krankhaften Zuständen des Thymus und gewissen
bedrohlichen Erscheinungen allgemeiner und lokaler Art machen es
dem Praktiker zur Pflicht, frühzeitig die zutreffende Diagnose zu
stellen und auf chirurgische Hilfe bedacht zu sein. Die Thymus¬
drüse zeigt bis etwa zum 15. Lebensjahr eine langsame, geringe Zu¬
nahme; von da an findet allmähliche Rückbildung statt bis zu dem
im Greisenalter noch vorhandenen kleinen thymischen Fettkörper.
Sowohl Hyperplasie des Organs als Persistenz über die Puber¬
tätszeit hinaus können, namentlich unter Mitwirkung plötzlich ver¬
mehrter Blutfülle, durch Druck auf Trachea und Herzbeutel bzw.
auf Herz, große Gefäße und Vagus bedrohliche Erstickungsanfälle
und den Tod herbeiführen. Erschwerend kommt dabei der gleich¬
zeitig vorhandene Status lymphaticus (Hypertrophie der Ton¬
sillen, der Zungengrunddrüsen, der mesenterialen Lymphknoten, der
lymphatischen Apparate des Darmkanals, Milzvergrößerung und
Leukozytose) sowie die durch ihn bedingte allgemeine Minderwertig¬
keit in Betracht. Die Thymushyperplasie macht sich am häu¬
figsten geltend bei Kindern zwischen dem 6. und 16. Lebensmonat.
Entweder besteht erschwerte Atmung mit Stridor, die sich, zu¬
weilen nach Gelegenheitsursachen, zur Suffokation steigert, oder
die Anfälle erfolgen ohne oder mit nur geringen Vorboten. Auch
schwere Schluckbeschwerden mit Nahrungsverweigerung können bei
den betreffenden Säuglingen auftreten. Namentlich beim Schreien
wird der hyperplastische Thymus oberhalb des Brustbeins sicht- und
tastbar. Im übrigen sind Perkussion und Durchleuchtung (Verdrän¬
gung der Trachea) für die Diagnose zu verwerten. In solchen Fällen
wurden durch die Operation sehr günstige Erfolge erzielt. An
dem freigelegten und vorgezogenen Thymus wird die Kapsel ge¬
spalten und die Drüsensubstanz in ausreichendem Grade entfernt.
Es folgt Befestigen der Kapsel an der Thoraxapertur. Mit den ge¬
schilderten Anfällen darf nicht der Spasmus glottidis verwechselt
werden, der, weil man ihn irrtümlich mit dem Thymus in ursäch¬
liche Beziehung brachte, auch als Asthma thymicum bezeichnet wurde.
Es handelt sich vielmehr hier um ein Symptom der sog. spasmo-
hilen Diathese (Spasmophilie), also einer krankhaft gesteigerten
rregbarkeit des Nervensystems (Tetanie, Eklampsie). Die Mehrzahl
der von Glottiskrampf befallenen Kinder leidet an Rachitis und ist
älter als ein Jahr, während der plötzlich einsetzenden, einige Se¬
kunden bis höchstens 2 Minuten andauernden Anfälle beobachtet
man Atemstillstand und hochgradigste Atemnot mit den bezeichnen¬
den Begleiterscheinungen. Nur ausnahmsweise besteht Lebensgefahr.
In welchem Umfang der Thymus bei dem Krankheitsbild des Base¬
dow beteiligt ist, wird verschieden beurteilt. Wenn ausgesprochene
Vergrößerung sowie Lymphozytose neben der Hypertrophie der
Schilddrüse bestehen, so ist es angezeigt, zusammen mit der Strum¬
ektomie auch den Thymus operativ anzugreifen. Es sei noch er¬
wähnt, daß in. einzelnen Fällen von plötzlichem Tod bei Kindern
und Erwachsenen (Fallen ins Wasser oder während der Narkose)
Persistenz oder Hyperplasie der Thymusdrüse (Hyperplasie ihres
Markes und Hypoplasie ihrer Rinde) mit gleichzeitiger Hypoplasie
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
564
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 17
des Nebennicrenmarkes und Dilatation des linken Herzventrikels ver¬
antwortlich- gemacht wurden.
Die Tracheotomie wird von manchen Seiten zu den opera¬
tiven Eingriffen gerechnet, welche auch der nicht speziell chirurgisch
vorgebildete Praktiker übernehmen darf. Dies ist nur mit starker
Einschränkung richtig. So leicht es sein kann, bei einem Erwachsenen
mit schwachem Fettpolster und nicht vergrößerter Schilddrüse den
Luftröhrer.schnitt auszuführen, so schwierig kann sich der Eingriff
bei Kindern gestalten, wenn bei mäßigem Fettpolster das venöse
Blut stark gestaut ist und wenn die Schilddrüse denjenigen Grad
von Vergrößerung zeigt, wie es in Gegenden, wo der Kropf en¬
demisch ist, die Regel zu sein pflegt. Im allgemeinen wird man
sagen dürfen, daß nur derjenige Arzt in nicht komplizierten Fällen
berechtigt ist, den Luftröhrenschnitt selbst auszuführen, welcher die
technischen Vorschriften, einschließlich der vorbereitenden Ma߬
nahmen, genau kennt und welcher das präparierende operative Vor¬
gehen und die Blutstillung gelernt hat. Dazu kommt, daß die
äußeren Bedingungen des Privathauses meistens nicht für die ver¬
antwortliche Vornahme dieser Operation ausreichen.
Feuilleton.
Allerlei aus dem Auslande.
Amerika, England, Spanien, Ungarn.
Vor einigen Tagen schrieb mir Dr. Rau, Spezialarzt für Ohren¬
krankheiten in Brasilien und beklagte sich über die Anfrage einer
deutschen Behörde, „ob in Brasilien Krankenhäuser und Kliniken
junge deutsche Aerzte als Assistenten gegen gute Bezahlung (Dollar!)
anstellen würden“. Dr. Rau beklagt sich über die Naivität dieser
deutschen Behörde und teilt gleichzeitig mit, daß in Brasilien As¬
sistentenstellen als Lernstellen angesehen und meist gar nicht be¬
zahlt werden. Vielleicht darf ich bei dieser Gelegenheit ein paar
Worte über die heute von manchen Kreisen in Deutschland ange¬
strebten Verträge zur Reziprozität der ärztlichen Examina mit frem¬
den Staaten sagen. Diese Bestrebungen halte ich für völlig aus¬
sichtslos; in Vorkriegszeiten, als Deutschland manchem Ausländer,
z. B. in den großen Badeorten, eine gute Praxis hätte gewähren
können, wären die deutschen Aerzte gewiß nicht ohne großes Wider¬
streben für eine solche Gegenseitigkeit zu haben gewesen, heute,
wo Deutschland seine eigenen Aerzte nicht mehr ernähren kann und
Tausende von Ausländsdeutschen und früheren Kolonialärzten ge¬
zwungen in die alte Heimat zurückkehren, heute bietet Deutschland
dem Ausland zu wenig, um durch die Gegenseitigkeit dem großen
Strom deutscher Auswanderer die Pforten zu öffnen. Dies aber ist
es nicht allein; wer im Ausland praktizieren und vorankommen will,
der muß nicht nur deutsche Medizin kennen, sondern er muß auch
gründlich mit den im Lande seiner Wahl geltenden medizinischen
Gepflogenheiten, Behandlungsmethoden usw. Bescheid wissen, und
diese Kenntnisse erwirbt er am besten, wenn er die im Lande vor¬
geschriebene Prüfung in der Landessprache besteht. Dies wird
manchen jungen Arzt auch von der so vielen Deutschen leider an¬
haftenden Ueberheblichkeit heilen und ihm zeigen, daß man auch
im Auslande etwas versteht und daß der Ausländer manches viel¬
leicht anders, darum aber durchaus nicht schlechter macht. Nur
so w'ird er auch den so überaus wichtigen richtigen Ton und Takt
gegenüber den im Lande geborenen und erzogenen Kollegen finden
und nidit jeden, der nicht gerade in Deutschland promoviert hat,
als „Bierarzt“ bezeichnen, wie das leider früher häufig genug ge¬
schah und wodurch wir im Auslande nicht beliebter wurden. Ich
würde es für außerordentlich wünschenswert halten, wenn recht
viele, aber nur völlig charakterfeste und vorzüglich ausgebildete
junge Aerzte ins Ausland gingen, denn kein anderer »Beruf kommt
so mit hoch und niedrig zusammen, wird so mit den Leuten ver¬
traut und hat dadurch die Möglichkeit, schon durch sein Beispiel
dem deutschen Ansehen draußen zu nützen. Wenn man diesen
jungen Leuten helfen will, so versuche die Regierung auf dem
Wege der Gegenseitigkeit die Anerkennung der Maturitätsprüfungen
und vielleicht der ärztlichen Vorprüfungen zu erreichen, die Schlu߬
prüfung sollte aber unter allen Umständen gemacht werden.
Das „Journal of the American Medical Association“, Amerikas
bedeutendste ärztliche Zeitschrift, hat in den ersten Dezember¬
wochen an 53 900 amerikanische Aerzte einen Fragebogen ausge¬
schickt, um die Stimmung der Aerzteschaft zur Alkoholfrage und zum
Alkoholverbot festzustellen. Die Fragen sind kurz folgende: Sind
Sie praktischer Arzt oder welche Spezialität üben Sie aus? Be¬
trachten Sie Whisky, Bier oder Wein als notwendige Mittel des
Heilverfahrens? (Whisky schließt auch andere Spirituosen ein.) Sind
in Ihrer eigenen Praxis Fälle vorgekommen, wo durch das Alkohol¬
verbot unnötiges Leiden oder gar der Tod verursacht wurde? Wie
oft im Monat haben Sie* seit dem Alkoholverbot Alkoholika ver¬
schrieben? Verbietet Ihr Staat das Verschreiben von Alkohol? (Die
einzelnen Staaten der Union haben ganz verschiedene Gesetze. Refer.)
Nach den jetzt bestehenden Gesetzen darf der einzelne Arzt in
3 Monaten 100 Verschreibungen von Alkohol ausfüllen. Halten Sie
es für richtig, daß der Arzt in dieser Weise beschränkt wird? Sollen
Aerzte Ihrer Meinung nach überhaupt in der Verschreibung von
Bier, Wein und Spirituosert beschränkt sein? Ich werde demnächst,
wenn sämtliche Antworten vorliegen und geordnet sind, näher dar¬
über berichten, bisher lagen nur 2141 Antworten aus Illinois und
966 aus Indiana vor. Etwa 55<>o der Aerzte haben geantwortet, Bier
und Wein wird von der Mehrzahl in beiden Staaten abgelehnt;
während in Illinois die Mehrzahl den Whisky für ein notwendiges
Heilmittel hielten, lehnte in Indiana die Mehrzahl auch den Whisky
ab. Aus den Nebenbemerkungen, die zahlreiche Aerzte dem Frage¬
bogen beigefügt haben, geht hervor, daß viele Aerzte (und wahr¬
scheinlich nicht die schlechtesten) die Einmischung des Staates, den
Paternalismus, noch mehr verabscheuen als den Alkohol und daß
eine ganze Anzahl gewissenloser Elemente des Aerztestandes aus
ihrem Sprechzimmer eine Art „Bar“ machen. In Kanada haben die
in Manitoba praktizierenden Aerzte im vergangenen Jahre nur 10«..
der ihnen zustehenden Alkoholrezepte (100 im Monat) ausgefüllt.
Die „American Medical Association“ hatte vor etwa 2 Jahren
eine Kommission ernannt, welche die Frage studieren sollte, wie
sich die hereditäre Blindheit am besten verhüten ließe. Die Ergeb¬
nisse dieser Untersuchungen liegen jetzt vor, und es hat sich ge¬
zeigt, daß die Gesamtzahl der Blinden in den Vereinigten Staaten
70—100 000 Menschen beträgt. Durch Vererbung blind sind etwa
7,5d. h. 5000—7500 Menschen. Die Kosten, die dem Lande aus
der Versorgung dieser hereditären Blinden erwachsen, belaufen sich
auf 2—3 Millionen Dollar jährlich. Eine Besserung ist nur durch Er¬
ziehung und Aufklärung des ganzen Volkes zu erwarten, und zwar
muß diese Erziehung schon in den Schulen einsetzen, wo eugenische
Stunden systematisch einzuführen sind. Die von manchen Seiten
geforderte zwangsweise Sterilisierung aller Personen, deren Kinder
hereditär gefährdet sind, kann bei der jetzigen Unwissenheit der
Bevölkerung nicht durchgeführt werden, ebensowenig zwangsweise
Trennung der Ehe, wohl aber ist es durchaus erlaubt, bei Männern,
die sich freiwillig dazu bereit erklären, eine doppelseitige Vasektomie
zu machen. Es wird empfohlen, neben der ausgiebigen Erziehung
und Aufklärung der Massen, ein Gesetz einzubringen, durch vrelches
Personen, die voraussichtlich blinde oder zur Erblindung neigende
Kinder in die Welt setzen werden, gezwungen werden können, von
ihrer Heirat abzusehen, wenn sie nicht eine Summe sicherstellen,
die den Unterhalt des etwa blindgeborenen Kindes für Lebenszeiten
sichert. Jede Person, die weiß, daß in den Familien, aus denen die
Verlobten stammen, vererbbare Augenkrankheiten herrschen, soll die
Pflicht haben, dies dem Richter anzuzeigen; der Richter und ein aus
einem Professor der Soziologie und einem Augenarzt bestehendes
Komitee untersucht die Verlobten und warnt sie gegebenenfalls vor
der Heirat oder zieht wenigstens die Sicherungssumme (14600 Dollar)
ein. So wünschenswert es auch wäre, wenn man die Heiraten aller
zur Erzeugung gesunder und brauchbarer Menschen ungeeigneten
Personen verbieten könnte, so dürfte doch das erwähnte Gesetz zu
den vielen Utopien der modernen Zeit gehören.
Zum ersten Male liegen jetzt für einen Teil der Bevölkerung
(53'Vn) der Vereinigten Staaten genaue Statistiken über die Säog.
ingssterblichkeit vor. Diese sind von Pearl (1915—1918) ge¬
sammelt und betreffen das ganze Gebiet, in dem eine genaue Melde¬
pflicht durchgeführt ist. Es hat sich herausgestellt, daß die Sterb¬
lichkeit in größeren Städten (über 25000 Einwohner) nicht höher
ist als in den kleineren, wohl aber ist die Sterblichkeit auf dem
Lande viel geringer als in den Städten. Die Sterblichkeit unter den
Säuglingen der farbigen Bevölkerung ist fast doppelt so groß als
unter denen der weißen, und zwar sowohl in den Städten wie auf
dem Lande.
Der als „Watson-Dyer Bill“ bekannte Gesetzvorschlag, der zur
Zeit dem amerikanischen Kongreß und Senat vorliegt, befaßt sich
mit der Vermehrung des dem Oesaodheltsdienst der Vereinigten
Staaten zur Verfügung stehenden Personals. Man will 550 Personen
des Reservedienstes *in den aktiven Dienst einstellen, darunter 50 Zahn¬
ärzte und 50 wissenschaftliche Kräfte im Range vom Assistenzarzt
bis zum Generalarzt. Anstellungen oder Beförderungen dürfen nur
auf Grund eines ad hoc vor einer Kommission von Beamten des
öffentlichen Gesundheitsdienstes abgelegten Examens erfolgen. Kein
Reserveoffizier (Arzt) darf in den aktiven Gesundheitsdienst über¬
nommen werden, der nicht vorher 3 Jahre zur Zufriedenheit in der
Armee, der Flotte oder im aktiven Gesundheitsdienst gedient hat;
ein Teil dieses Dienstes muß zwischen 26. IV. 1917 und 11. XL 1918
(amerikanische Teilnahme am Kriege) liegen. Zur Zeit zählt der
aktive Gesundheitsdienst 200 Angestellte, die in der Verwaltung,
in wissenschaftlichen Untersuchungen, in Fabrik- und Kinderhygiene,
in Neuropsychiatrie, im Quarantänedienst, im Einwandererdienst, in
der Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, im Aufkklärungsdienst
usw. beschäftigt sind. Außerdem sind 1000 Reserveärzte in diesem
Dienste angestellt, die für frühere Soldaten zu sorgen haben. Trotz¬
dem diese Reserveärzte unersetzlich sind, haben sie keine feste
Anstellung, sondern können jederzeit entlassen werden; die „Watson-
Dyer Bill“ will 550 dieser Reserveärzte zu festangestellten machen
und dadurch dem Gesundheitsdienst die nötige Beständigkeit geben.
In Spanien ist ein Arzt Dr. Jose Francos-Rodriguez zum
Minister für Religion und Justiz ernannt worden und hat seine
ministerielle Laufbahn mit einer Rede über Gefängnishygiene ein¬
geleitet. Dr. Francos-Rodriguez war früher schon einmal
Minister für Schulwesen und später außerordentlicher Gesandter in
Chile bei der Hundertjahrfeier dieses Landes.
Im englischen Parlament versprach der Minister des Inneren
auch im kommenden Sommer wieder die sog. Sommerxelt einzu¬
führen, die sich durchaus bewährt habe und von der großen Mehr¬
zahl der Bevölkerung gewünscht würde. Von 272 befragten Körper¬
schaften waren 158 für die Sommerzeit, 29 gaben keine bestimmte
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNÜVERSrrf
28. April 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Meinung und 85 glaubten, daß sie auch Schäden herbeiführe, die
aber meist leicht zu beseitigen seien, wenn die Eltern ihre Kinder
zeitiger zu Bett schickten.
Dann gab es wieder einige Anfragen wegen des Gesetzes zum
Schutze der sog. Schlüsselindustrien. Es handelt sich hierbei besonders
um den Ausschluß deutscher Chemikalien, Feingläser für optische
und technische Zwecke usw. Während die im Kriege zum großen
Teil auf die Fortnahme der deutschen Patente aufgebaute Indu¬
strie natürlich die deutsche Konkurrenz nach Möglichkeit ausschließen
will, da sie selbst noch wenig wettbewerbsfähig ist, wollen die
Verbraucher natürlich die viel besseren deutschen Chemikalien und
Glaswaren hereinbekommen. Diesmal handelt cs sich besonders um
eine Sendung von Eukain, das die Zollbehörden angehalten hatten,
sodaß angeblich in den Londoner Hospitälern keine Lokalanästhesien
mehr gemacht werden konnten. Derartige Klagen gehören zum täg¬
lichen Brot des englischen Parlamentes.
J. P. zum Busch (Kreuznach, früher London).
Korrespondenzen.
Fixation des Magens am Fundus uteri.
Von San.-Rat Dr. Wegele in Unna i. W.
Einen Parallelfall zu dem von Prof. Liepmann in Nr. 10 S. 326
als „Unikum“ angeführten Fall von Fixation des Magens am Fundus
uteri habe ich im Jahre 1903 (Deutsche Medizinal-Ztg. Nr. 44) unter
dem Namen „Adhärente Gastroptose“ beschrieben, bei welchem die
Operation (Prof. Mackenrodt) ergab, daß der Magen durch Ver¬
wachsung des Netzes dicht am Magen mit dem linken Eierstock derart
heruntergezerrt war, daß eine Gastroptose mit schweren Folgeerschei¬
nungen vorgetäuscht bzw. verursacht wurde. Gleich nach der Durch¬
schneidung der Fixation rückte der Magen in die Höhe, und Patien¬
tin verlor in den folgenden Wochen ihre bedeutenden dyspeptischen
und Motilitätsstörungen von seiten des Magens und nahm 25 Pfd.
an Körpergewicht zu! _
Nachtrag zu dem Aufsatz in Nr. 42, 1921.
Von Dr. Kratzeisen.
Nach Abschluß meiner kurzen Mitteilung wurde ich von Dr.
O. O. Fellner auf weitere Arbeiten von ihm aufmerksam gemacht,
die mir vorher nicht zur Verfügung gestanden hatten. Mein Zusatz,
daß O. O. Fellner von weiteren Versuchen abstehen mußte, trifft
nicht zu. ln weiteren Versuchen mit gereinigten Extrakten hat er
dieselben Erfolge am Uterus von Versuchstieren aufweisen können,
d. h. eine Verdickung der Wandung und eine Vermehrung der
Drüsen, besonders mit seinem zuletzt verwandten Extrakt, doch ohne
irgendwelche Nierenschädigungen bei Versuchstieren zu bemerken.
(Mschr. f. Geburtsh. 54, 1921 usw.)
Kleine Mitteilungen.
Berlin. Das Ministerium für Volkswohlfahrt hat unter dem
25. III. angeordnet, daß die gemäß Erlaß vom 4. II. 1921 verfügte
Berichterstattung betr. Ausbau der Tuberkulose¬
fürsorge zum 1. Juli eines jeden Jahres einzustellen ist. - Zur
Verminderung der Schreibarbeit hat das Ministerium für Volkswohl¬
fahrt weiterhin unter dem 30. III. 1922 verfügt, daß in Zukunft nur
bei Typhus, Paratyphus und Ruhr die praktisch wich¬
tigen negativen Untersuchungsergebnisse seitens der Me¬
dizinaluntersuchungsämter den Kreismedizinalrätcn mitzuteilen sind,
nicht aber bei Diphtherie und Tuberkulose. — Um die Anträge
auf Bewilligung von Beihilfen aus dem dem Ministerium für
Volkswohlfahrt zur Verfügung stehenden Tuberkulosefonds er¬
leichtert bearbeiten zu können, sind durch Erlaß vom 15. III. besondere
Formbogen aufgestellt. — Durch Erlaß vom 21. III. hat das Mini¬
sterium für Volkswohlfahrt die Verpflegungskosten für Wut¬
schutzpatienten vom 1. III. ab für Kinder unter 12 Jahren von
378 auf 630, für Erwachsene von 504 auf 840 M. erhöht.
— Der Reichsrat hat am 16. Februar d. Js. beschlossen, daß bis
auf weiteres Kriegsteilnehmern in geeigneten Fällen ein
Studiensemester, das nach teilweisem Bestehen der ärztlichen
Vorprüfung zurückgelegt ist, auf die gemäß § 24 Abs. 1 der Prüfungs¬
ordnung für Aerzte vom 28. Mai 1901 nachzuweisende Studienzeit
angerechnet werden kann, auch wenn die Vorprüfung in dem
betreffenden Semester nicht mehr beendet worden ist.
-- Zwischen dem L.V. und dem Verband der gewerb¬
lichen Berufsgenossenschaften wurden am 8. III. 1922 fol-
ende neue Vereinbarungen getroffen: Sämtliche ärztlichen
eistungen werden vom 1. IV. ab in doppelter Höhe der Mindestsätze
der Preußischen Gebührenordnung vom 15. III. 1922 bezahlt, soweit
in diesem Abkommen nichts anderes bestimmt ist. Diese Bestimmung
und die in diesem Abkommen getroffenen Sondergebührenabmachungen
gelten, solange und soweit nicht für einzelne oder alle Leistungen eine
andere Vereinbarung getroffen ist. Kommt eine solche Vereinbarung
nicht zustande, so sollen die Gebühren durch einen Schiedsspruch
festgestellt werden. Unabhängig von den Sätzen der Gebührenordnung
werden berechnet: Die Beratung in der Wohnung des Arztes mit
20 Mark, der Besuch des Arztes bei dem Kranken mit 40 Mark.
Außerdem werden die Gebühren für Gutachten besonders festgesetzt.
565
— Nach einer Vereinbarung des L.V. mit den Kranken¬
kassen für Post- und Telegraphen beamte erhalten die
Aerzte u. a. für das 4. Vierteljahr 1921: einen Teuerungszuschlag von
100 v. H. zu den bisherigen Sätzen; für das 1. Vierteljahr 1922:
pro Beratung 12 Mark, Besuch 24 Mark, nachts das Doppelte; für
das 2. Vierteljahr 1922: pro Beratung 12 Mark, Besuch 24 Mark, Nacht¬
besuch 48 Mark, dringlicher Nachtbesuch 60 Mark.
— Die Abgabe von.Laminariastiften (vgl. D. m. W. 1921,
S. 753) kann durch gesetzliche Verfügungen in Preußen, Bayern,
Württemberg, Braunschweig, Lübeck und Mecklenburg-Strelitz nur
auf ärztliche Anweisung (Rezept) hin erfolgen.
— Zur Zeit schweben Verhandlungen, die auf eine Wieder¬
einführung der Sommerzeit hinzielen. Das Preußische
Staatsministerium hat sich für die Sommerzeit ausge¬
sprochen. Die endgültige gesetzliche Festlegung ist Sache des
Reiches. Bei der gegenwärtigen Kohlennot dürfte die Wiederein¬
führung der Sommerzeit sehr begründet sein.
— Im Jahre 1920 wurden 4313 Tierkörper bakteriologisch
von 76 Laboratorien auf Bakterien untersucht. Bei 125 (— 2,9<>.>)
wurden Fleischvergiftungsbakterien gefunden. Bei Kälbern,
die erfahrungsgemäß am meisten Fleischvcrgiftungsbakterien auf¬
weisen, war die Milz die Hauptfundstelle neben intermuskulären
Lymphknoten, bei den übrigen Tiergattungen auch noch die Nieren.
— Einen Beitrag zu den augenblicklichen Entlohn ungs Ver¬
hältnissen bietet der am Karfreitag gefällte Schiedsspruch über
die Lohnforderungen der Berliner städtischen Arbeiter.
Ungelernte Arbeiter über 24 Jahre erhalten jetzt 14 bzw. 14,50 Mark,
gelernte 14,50 bzw. 15 Mark. Zu diesen Stunden löhnen tritt
vom l.V. an ein weiterer Zuschlag von 50 Pfennig. Und zu diesen
Bedingungen haben die Funktionäre der städtischen Werke eine ab¬
lehnende Haltung eingenommen. Von Interesse ist es, was diesen
Entlohnungsverhältnissen gegenüber eine Umfrage ergeben hat, die
unter den Assistenzärzten des Rheinisch-Westfäli¬
schen Industriebezirks veranstaltet wurde. Es gibt Kranken¬
häuser, wo die Assistenzärzte bei freier Wohnung und Verpflegung
im ersten Assistentenjahre 300—600 M. (also soviel wie eine bessere
Hausangestellte!), im zweiten Jahre 700—1200 M. monatlich beziehen.
Während die Pflegesätze fast überall um das 15- bis 20fache des
Friedenssatzes erhöht sind, ist die Barentschädigung der Assistenz¬
ärzte im Durchschnitt nur auf das vier-*bis achtfache erhöht. Infolge¬
dessen besteht die Gefahr, daß bei Fortdauer dieser Zustände ein
großer Teil der jungen Aerzte schon vor der Niederlassung erheb¬
lich verschuldet. Die notwendige Folge wird eiije allgemeine Meidung
des ärztlichen Berufes sein, deren Folgen dann die Zukunft zu tragen hat.
— Der Bayrische Landesverband Deutscher Demo¬
kratischer Jugendvereinigungen hat an die Reichs- und
Landesregierung, sowie an die demokratische Reichs- und Landtags¬
fraktion einen Protest gerichtet, in dem darauf hingewiesen wird, daß
seit einigen Monaten wieder das Stark bi er in Bayern strömt, „nicht
als ein glückliches Zeichen, daß die schönen Friedenszeiten wieder
zurückkehren, sondern als ein Zeichen, daß ein Volk in Not nicht
enthaltsam genug ist, sich einem seiner größten Feinde, der Trunk¬
sucht, auch w&terhin zu verschließen“. Seitdem sehe man wieder
Betrunkene durch die Straßen taumeln, und es kommen Meldungen
von im Rausche begangenen Verbrechen. Bei der heutigen Notlage
Deutschlands müsse das heimische Getreide dazu dienen, Brot für
unser Volk zu werden. (Bemerkenswerterweise hat sich auch der
bayrische Ministerpräsident Graf Lerchenfeld gegen die Unsitten
der Zeit [Starkbierfeste, Karneval usw.] ausgesprochen und gesetz¬
geberische Maßnahmen dagegen angeregt.)
— Wie die „Weserzeitung“ mitteilt, hat der Bürgermeister
des Nordseebades Juist (Lehmbruch) dem „französischen
Syndikat zu Wiesbaden“ auf seine Anfrage, ob es einigen franzö¬
sischen Fanr'lien vom 1. VII. bis 15. VIII. d. J. auf der Insel Juist
möglich sein würde, bei der Bevölkerung unterzukommen, bzw. wie
hoch die Preise in den Hotels und Fremdenheimen seien, geantwortet:
„Sämtliche hier befindlichen Hotel- und Pensioushausbesitzer lehnen
einmütig die Aufnahme französischer Familien ab. Jeder andere
Ausländer soll uns willkommen sein. Wir muten unseren deutschen
Kurgästen nicht zu, auch noch während ihres Erholungsaufenthalts
durch die Anwesenheit von Franzosen daran erinnert zu werden,
wie unbarmherzig besonders Frankreich unser armes Vaterland be¬
drückt hat. Sehr viele Deutsche aus dem besetzten Rheingebiet be¬
suchen unseren Badeort. Diese körperlich und seelisch erschöpften
Landsleute würden, statt Erholung zu finden, nur ernsten Schaden an
ihrer Gesundheit leiden, wenn sie auch hier täglich den Anblick der
Franzosen erdulden würden.“ Wir wünschten, daß zum mindesten
die Kurverwaltungen aller deutschen Badeorte soviel Nationalstolz
und Ehrgefühl beweisen würden wie die Einwohner von Juist und
ihr Bürgermeister.
- Der Deutsche Chirurgenkongreß wählte Geh.-Rat
Lexer (Freiburg) zum Vorsitzenden für das nächste Jahr. Zu Ehren¬
mitgliedern wurden die Pathologen Prof. Sundberg (Stochkolm)
und Marchand (Leipzig) sowie die Chirurgen Prof. Kehn (Frank¬
furt a. M.) und Prof. Küster (Berlin) ernannt. Die Zahl der Mit¬
glieder der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie ist auf 2370 gestiegen.
-• Am 20. April war der 100jährige Geburtstag des am
28. April 1895 verstorbenen Chirurgen Karl Thiersch.
— Die Stadtverordneten hatten im Juni v. J. den Magistrat um
eine Vorlage ersucht über die Einrichtung einer sog. „offenen Tür“,
d. h. einer Anstalt, in der jederzeit gefährdete Kinder aufgenommm
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
566
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
.Nr. 17
werden können, wenn sie nicht armenrechtlich hilfsbedürftig sind.
Der Magistrat hat für die „offene Tür“ das Klaraheim, das Land¬
haus eines Kaufmanns Schwarz in der Koloniestraße 22 im Norden
Berlins, auf 5 Jahre gemietet. Die für die erste Einrichtung, für
Instandsetzung und für die einmalige Abfindung der jetzigen Mieterin
erforderliche Summe beträgt 168000 M.
— In der Generalversammlung des Vereins für innere Medizin
wurde an Stelle von F. Kraus, der mit Rücksicht auf seine Stellung in der
Berliner medizinischen Gesellschaft aus dem Vorstande ausgeschieden ist, zum
. Vorsitzenden His, zum stellvertretenden Vorsitzenden Goldscheider gewählt.
Max Meyer hat aus Gesundheitsrücksichten seine Stelle als Bibliothekar, die
er mehr als ein Menschenalter mit großer Hingabe und Sachkenntnis innegehabt
hat, niederlegen müssen; als sein Nachfolger wurde Fleischmann gewählt. "
— Vom 18 . — 23 . IX. findet bekanntlich in Leipzig die Hundertjahr¬
feier der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Aerzte statt.
Von medizinischen Referaten interessieren besonders: Die Vererbungslehre
(Johannsen [Kopenhagen], Meisenheimer [Leipzig], Lenz [München]) und
Die Wiederherstellungschirurgie (Bier und Lexer).
— Der diesjährige Deutsche Gynäkologen-Kongreß findet am
6. VI. in Innsbruck statt.
— In Ergänzung unserer Veröffentlichung in Nr. 15 S. 495 werden wir
darauf hingewiesen, daß gegen den Rad-Jo-Fabrikanten Wasmuth
wegen seiner Annoncen in Sachsen ein Strafbefehl erlassen worden
ist, weil er in verbotswidriger Weise dem Mittel eine über seinen wahren
Wert hinausgehende Wirkung beigelegt und angepriesen hat (Verstoß gegen
die sächsische Bekanntmachung vom 14 . VI. 1913). Gegen seine Verurteilung
in einem Falle hatte der Angeklagte Revision eingelegt mit der von ihm oft
wiederholten Behauptung, daß das Rad-Jo von ihm nicht als Heilmittel an¬
gepriesen werde. Das Oberlandesgericht Dresden hat aber die Revision
kostenpflichtig verworfen. Der Auslegung der angezogenen Verordnung
durch die Strafkammer sei nicht entgegenzutreten. Wenn z. B. gesagt werde,
das Mittel verhüte bei seiner Anwendung die Bildung von Krampfadern, so werde
ihm eine übertriebene Bedeutung beigemessen und es als Heilmittel angepriesen.
Von Interesse dürfte weiter sein, daß die Staatsanwaltschaft in Ham¬
burg gegen Wasmuth Ende Januar wegen öffentlicher Beleidigung
der Direktoren der deutschen Universitäts-Frauenkliniken und des Herausgebers
der D. rm W. Anklage erhoben hat.
— Pocken. Deutsches Reich (2.-8. IV. mit Nachtrigen): 2. — Fleckfieber.
Deutsches Reich (19.—25. III.): 6. — Genickstarre. Deutsches Reich (12.—18. III.):
37. — Ruhr. Deutsches Reich (12.—^18. Hl.): 55. — Abdominaltyphus. Deutsches
Reich (12.-18. III.): 206.
— Braunschweig. Die hiesigen Aerzte liegen im Streit
mit der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte und
stellen keinerlei Gutachten für sie aus. Die Reichsversicheruugsanstalt
versucht daher, zeugnisbedürftige Angestellte zu Aerzten in den
anliegenden nicht braunschweigischen Grenzstädten zu schicken. Die
braunschweigische Aerzteschatt bittet dringend, jede Begutachtung
für die Reichsversicherungsanstalt in solchen Fällen abzulehnen.
— Düsseldorf. Vom 1. X. 1922 bis Ende 1923 findet an der
Niederrheinischen Frauenakademie ein sozialer NaChschullehr-
gang zur Vorbereitung von Wohlfahrtspflegerinnen
auf die staatliche Prüfung statt.
— Frankfurt a. M. Dr. Bausch, 1. Assistent-an der Geburts¬
hilflichen Universitätsklinik in Köln, wurde als Chefarzt der Geburts¬
hilflichen und Gynäkologischen Abteilung des St. Marienkrankenhauses
berufen. — Am Frauenseminar für soziale Berufsarbeit
findet vom 1. IX. bis Weihnachten 1922 ein sozialer Nachschul¬
lehrgang für Wohlfahrtspflege rinnen statt.
— Gießen. Der Hessische Landes-Ausschuß für ärztliche Fortbildung
veranstaltet vom Mai bis Juli einen Fortbildungskursus über das Mittel¬
gebiet zwischen Krüppelfürsorge, Kinderheilkunde und Neuro¬
logie. Vortragende : Prof. Brüning, Prof. Koeppe, Geh.-Rat Prof. Sommer.
Anfragen an Geh.-Rat Sommer, Psychiatrische Klinik.
— Mainz. Am 15. IV. ist im Neuen Städtischen Kran¬
ken hause ein starker Brand ausgebrochen. Auch ein Opera¬
tionssaal und ein Laboratorium wurden ein Raub der Flammen.
Das Krankenhaus war zum Teil mit Besatzungstruppen belegt.
— München. Die Zahl der Eheschließungen war im l.Viertel-
iahr 1921 beträchtlich niedriger als im Vorjahre und näherte sich der
Vorkriegszeit. Diesen Rückgang der Heiratsziffer begleitet ein Rück¬
gang der Geburtenzif.er, obgleich d.e Zahl der Ehesch.ießungen, die
auf die Geburtenzahl des 1. Vierteljahres 1921 von Einfluß waren
(2. Vierteljahr 1920), die höchste war, die bisher ermittelt wurde (30664).
Wenn den 51300 Geburten im 1. Vierteljahr 1914 nur 14719 Ehe¬
schließungen entsprachen, den 54 274 Geburten im 1. Vierteljahr 1921
aber 30 664, so muß bei einem Sinken der Heiratsfrequenz mit einem
weiteren Geburtenrückgang gerechnet werden. Ferner machte sich im
1. Vierteljahr 1921 eine erhöhte Säuglingssterblichkeit geltend,
die mit der Verschlechterung und Verteuerung der Milch in Zu¬
sammenhang steht. Die Folge des hohen Geburtenstandes und der
verhältnismäßig niedrigeren Sterblichkeit ist ein Geburtenüberschuß
von 23036, der den im 1. Quartal 1920 ein wenig übertrifft.
- Osnabrück. Geh.-Rat Pelz, der langjährige Chefarzt des
Stadtkrankenhauses, tritt am l.V. in den Ruhestand. Z 11 seinem
Nachfolger wurde Prof. Friind, Oberarzt der Chirurgischen Uni¬
versitätsklinik in Bonn, gewählt.
— Rostock. Im Hygienischen Institut ist eine besondere Abteilung
für die technische Untersuchung von Nahrungsmitteln eingerichtet worden.
— Stuttgart. Für Württemberg ist der Entwurf eines Ge¬
setzes über die berufliche Vertretung der württem-
bergischen Aerzte bekanntgegeben, der zunächst einer Vor¬
besprechung im ärztlichen Landesausschuß unterzogen werden soll,
worauf die Bezirksvereine nähere Nachricht erhalten werden. Im
wesentlichen soll nach dem Entwurf als berufliche Vertretung der
württembergischen Aerzte ein aus Abgeordneten der ärztlichen Be-
zirksvereinc bestehender Landesausschuß, als eine Körperschaft des
öffentlichen Rechts gelten. Jeder approbierte Arzt muß Mitglied
eines Bezirksvereins sein. Den Ehrengerichten sollen alle Aerzte,
also auch die beamteten Aerzte unterworfen sein, jedoch mit der
Einschränkung, daß die Dieustaufsichtsbehörde Einspruch gegen die
Ladung beamteter Aerzte vor den Ehrenrat oder in sonst gegen
sie getroffenen Anordnungen erheben darf.
-- Tübingen. Die medizinische Fakultät verlieh dem Dr. phil.
et rer. pol. h. c. Karl Emil Mafkel in London den Dr. h. c. wegen
seiner Verdienste um die Pflege der deutschen Gefangenen in England.
— Wiek (Rügen). Das Jugendamt Chemnitz hat hier durch
Umwandlung des früher der Marine gehörenden Barackenlagers ein
Kinderheim geschaffen. Dieses sächsische Kinderheim ist das zweit¬
größte in ^Deutschland und bietet 1100 Kindern gleichzeitig Unter-
kunttsmöglfchkeit.
— Genf. Die Opiumkommi§sion des Völkerbundes
ist zu ihrer zweiten Sitzung zusammengetreten. Daran nehmen teil:
Deutschland, China, Frankreich, England, Indien, Japan, Holland,
Portugal und Siam. Die Sitzung wird sich hauptsächlich damit be¬
fassen, die Ausfuhr von Opium nur auf Grund behördlicher Einfuhr¬
genehmigungen der Bestimmungsländer lediglich nach medizinischen
Gesichtspunkten zu regeln.
— Chicago. Die Deutschc'Medizinische Gesellschaft
hat beschlossen, in diesem Jahre zugunsten wissenschaftlicher Institute
Deutschlands und Deutsch-Oesterreichs auf ihr übliches Jahresessen
zu verzichten. Sie erließ an ihre Mitglieder einen beachtenswerten
Aufruf, in dem es heißt: „Gerade jetzt, wo alles mögliche von den
ehemaligen Feinden versucht wird und nichts ungetan bleibt, um unser
geliebtes altes Vaterland nicht nur politisch sowie wirtschaftlich zu
ruinieren, läßt man auch nichts unversucht, um der deutschen Wissen¬
schaft den Gnadenstoß zu versetzen. Wie schon früher mitgeteilt,
arbeitet die französische geistige Propaganda, von unaufhörlichen
Geldmitteln unterstützt und wohl organisiert, eifrig fort, dieses Ziel
zu erreichen. Dazu dürfen wir es nie und nimmer kommen lassen.
Diesem verwerflichen Unternehmen wollen auch wir deutsche Kol¬
legen hier in Amerika mit aller uns zu Gebote stehenden Macht uns
entgegenstemmen.“ Dem serologischen Institut der Münchner Psy¬
chiatrischen Klinik konnte bereits ein größerer Betrag von den deut¬
schen Kollegen zur Verfügung gestellt werden.
— Habana. In der Zeit vom 20 .— 25 . XI. findet hier der Sechste
Latein-Amerikanische Medizinische Kongreß statt. Der Fünfte
Kongreß hatte in Lima (Peru) getagt.
— hucbscbulnichricöten. Düsseldorf. Als Geschäftsführender
Professor der Akademie wurde für das laufende Studienjahr Prof.
Dr. Kraus, zum Stellvertreter Geh.-Rat Schloßmann ernannt. Geh.-
Rat Prof. Peretti ist zum Professor für Psychiatrie sowie der
Direktor des Hygienischen Instituts Prof. Bürgers zum Professor
für Hygiene ernannt worden. — Gießen, Persönlichkeiten, die sich in
hervorragendem Maße um die Universität verdient gemacht haben,
können jetzt vom Gesamtsenat zu Ehrenbürgern der Universität er¬
nannt werden. — Königsberg. Priv.-Doz. Müller-Hess hat einen
Ruf für Gerichtliche Medizin nach Bonn als Nachfolger von Geh.-Rat
Ungar erhalten. — Rostock. Priv.-Doz. Pol, Prosektor am Patho¬
logisch-anatomischen Institut, wurde zum a. o. Professor ernannt.
— Gestorben. Prof. Heineke, Direktor des Chirurgisch-poli¬
klinischen Instituts, im Alter von 49 Jahren. — Sir Patrick Manson,
namhafter Forscher auf dem Gebiet der Tropenmedizin in London. Man-
sons wichtigste Arbeiten lagen auf dem Gebiet der Malariaforschung und
-bekämpfung. — Geh. San.-Rat Dr. Moritz Kroner, einer der ältesten
Berliner Aerzte und sehr verdienter Praktiker, im 82. Lebensjahre.
— Literarische Neuigkeiten. Zeitschrift für Ohrenheilkunde und
für die Krankheiten der Luftwege, herausgegeben von Otto Körner,
Friedr. Siebenmann und Carl von Eicken wird mit dem Archiv
für Laryngologie und Rninologte, herausgegeben von G. Finder, zu
einer Zeitschrift für Hals-, Nasen- und Ohr nheiUunde verschmolzen.
O. Körner (Rostock) bleibt Herausgeber, Schriftleiter sind C. v. Eicken,
G. Finder und K. Wittmaack.
— Das Internationale Arbeitsamt Berlin NW, Scharnhorststr. 35, bittet
uns um den Abdruck folgender Aufforderung: Die Hygiene-Abteilung des
Internationalen Arbeitsamtes wird demnächst neben den „Biblio¬
graphischen Notizen“, die vom Amte herausgegeben werden, die
periodische Veröffentlichung einer Bibliographie organisieren, welche
sich auf Veröffentlichungen über die gewerbliche Hygiene und Pathologie
bezieht. Wenn auch offenbar nicht sämtliche Zeitschriften der medizinischen
und sozialen Presse beim Internationalen Arbeitsamt eingehen, ist die Hygiene-
Abteilung doch in der Lage, die Bearbeitung der wichtigsten Zeitschriften auf
diesem Gebiete durchzuführen. Das Internationale Arbeitsamt richtet an alle
Fachleute, welche sich mit den Fragen der gewerblichen und sozialen Medizin
befassen, die Bitte, der Hygiene-Abteilung (Internationales Arbeitsamt, Genf.
Hygiene-Abteilung) vollständige bibliographische Angaben über ihre Arbeiten
(Name des Verfassers, Titel des Werkes, Nummer und Datum der Zeitschrift,
in welcher die Arbeit erschienen ist), die zur Veröffentlichung gelangen, direkt
einzusenden und, wenn möglich, einen Sonderabzug der betreffenden Veröffent¬
lichungen beizufügen. Das Internationale Arbeitsamt wird seinerseits nicht
verfehlen, seinen Mitarbeitern seine Bibliographie der gewerblichen Hygiene
regelmäßig zuzustellen.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
LITERATURBERICHT
Redigiert von Prof. Dr. R. von den Velden.
Zeitschriften: Klinische Wochenschrift Nr. 14. — Münchener medizinische Wochenschrift Nr.' 13 . — Wiener medizinische Wochenschrift Nr. 12 - 13 . —
Archiv für die gesamte Physiologie des Menschen und der Säugetiere Bd. 193 H. 1 - 2 . — Zeitschrift für klinische Medizin Bd. 93 H. 4-6. — Beiträge
zur Klinik der Tuberkulose Bd. 49 H. 3 . — Kindertuberkulose Nr. 2 . — Zentralblatt für Chirurgie Nr. 10 . — Archiv für klinische Chirurgie Bd. 119
H. 1 . — Mitteilungen aus den Grenzgebieten der Medizin und Chirurgie Bd. 34 H. 3 . — Zentralblatt für Gynäkologie Nr. 7 - 9 ._
Anatomie und Physiologie.
O. Loewi (Graz), Humorale Uebertragbarkeit der Herznerven-
Wirkung, Pflüg. Arch. 193 H. 2. Herzinhalt (Frosch und Kröte, Salz¬
lösungsspeisung) aus Perioden, während welcher der Vagus-Akzelerans
gereizt wurde, wirkt entsprechend dem Reizerfolg auf andere Herzen
ein: hemmend, fördernd oder beides. Bei der Kröte wirkt unter Um¬
ständen der Inhalt aus Perioden hemmender Vagus-Akzeleransreizung
fördernd auf andere Herzen, ein Zeichen, daß die wirksame Substanz
primär produziert und nicht ein Stoffwechselprodukt gesteigerter
mechanischer Tätigkeit ist. Die Hemmung erzeugende „Vagussubstanz"
ist nicht das ständig in den Herzinhalt diffundierende Cholin. Die
„Akzeleranssubstanz“ wird beim Veraschen des Herzinhalts zerstört.
A. Scheunert und F. Kiok (Berlin), Magenverdauung bei Omni-
voreu. Pflüg. Arch. 193 H. I. Auch beim Schwein tritt die früher
von Ellenberger und Scheunert untersuchte und für andere Tier¬
arten grundsätzlich geklärte Schichtung des Mageninhalts auf, auch für
dünnbreiige Nahrungsportionen. Im übrigen ist die Art der Schichtung
von der Konsistenz, dem Mengenverhältnis der Nahrungsbestandteile
und der Richtung des Eintritts der Bissen abhängig.
Roth und Ernst (Röszahegy), Einfloß der Magenfunktion auf den
Kobleuhydratstoffwechsel. Zschr. f. klin. M. 93 H. 4'6. Die mitgeteilten
Versuche zeigen, daß die Magenfunktion in dem Verlauf der Kohlen¬
hydratverdauung eine bestimmte Rolle spielt, und zwar der Säuregehalt
des Magens wie dessen Motilität.
E. Rothlin (Zürich), Einfluß von Corpus luteum-Extrakt auf
die Ervthropoese. Pflüg. Arch. 193 H. 1. Extrakte von Corpus luteum
haben keinen Einfluß auf die Erythropoese bei künstlich anämisierten
Kaninchen. Trockensubstanz von Corpora lutea bei weiblichen Tieren
ebensowenig, bei männlichen schien günstiger Einfluß vorhanden. Eine
Verschiebung des Färbeindex findet durch die Behandlung nicht statt.
R. Ehrenberg und F. A. Karsten (Göttingen), Harneisen und
Nferenfunktioo. Pflüg. Arch. 193 H. 1. Die Harneisenmenge (nach
Selbstversuchen) ist ein Maß der Gesamtfunktion der Nieren. Bei
gleichförmiger Ausscheidung entspricht sie der Konzentrierungsleistung
der Nieren, sie wird daneben gesteigert durch jede Veränderung oder
Vermehrung der Ausscheidung. Als Ausscheidungsstoff wirkt auch
das Wasser bei größerer Harnflut.
Psychologie.
♦♦ Wilhelm Stekel (Wien), Das liebe Ich. Grundriß einer neuen
Diätetik der Seele. 2. Aufl. Berlin, Otto Salle, 1922. 212 S. M. 8.—.
Ref.: Th. Ziehen (Halle a. S.).
Wer geistreiche, nicht allzu tiefe Plaudereien liebt, wird diese
Abhandlung mit großem Interesse lesen. Die Einseitigkeiten und
Uebertreibungen der Neurosenauffassung des Verfassers mischen sich
nur hier und da störend ein. Auch viele treffliche, lebenswahre Be¬
merkungen sind allenthalben eingestreut. In den angehängten, z. T.
etwas trivialen Aphorismen „rund um die Psychanalyse" ist das „hvpo-
kratische" Gesicht der Philosophen wohl nur ein Druckfehler.
Allgemeine Pathologie und Pathologische Anatomie.
++ Elbberti Lehrbuch der Allgemeinen Pathologie und der
Pathologischen Anatomie. Herausgegeben von I. G. Möncke-
berg (Tübingen). 8. Aufl. Leipzig, F. C. W. Vogel, 1921. 819 Seiten
mit’860 Abbildungen. M. 100.—. Ref.: W. Groß (Greifswald).
Die neue von Mönckeberg besorgte Ausgabe des Ribbertschen
Lehrbuches ist zunächt noch wenig verändert; die Darstellung der Ent¬
zündung ist der Auffassung von Lubarsch angepaßt und die Weigert-
sche Lehre von der Bedeutung der primären Gewebsschädigung viel¬
leicht etwas zu streng durchgeführt. Es ist jedenfalls zu begrüßen,
das durch die Weiterführung des Buches die schönen Ribbertschen
Abbildungen erhalten bleiben und daß dem Studenten ein vollständiges
Lehrbuch der allgemeinen und speziellen pathologischen Anatomie aus
einer Hand und verhältnismäßig sehr preiswert zur Verfügung gestellt
wird. In späteren Auflagen würden wohl manche Abschnitte des all¬
gemeinen Teiles, z. B. die sogenannten spezifischen Entzündungen, etwas
eingehender behandelt werden müssen.
++ Veröffentlichungen aus dem Gebiete der Medizinal Ver¬
waltung. Bd. 14 n 6. Berlin, R. Schoetz, 1921. 95 S. M. 18 —.
W. V. Simon, Spätrachitis und Hungerosteopathie. Ref.:
Axhausen (Berlin).
Verfasser hat in dieser Arbeit das zur Zeit vorliegende TaU
sachenmaterial über die eigenartige Erkrankung des Knocnensystems,
die gegen Kriegsende in verschiedenen Gegenden Deutschlands ge¬
häuft zur Beobachtung gelangte, zusammengetragen und kritisch
durchgearbeitet. Die eine Gruppe dieser Kriegsosteopathien gehörte
dem Adoleszenzalter an; ihre Krankheitserscheinungen entsprechen
denen der Spätrachitis. Die zweite Gruppe betrifft das vorgerückte
Lebensalter; hier entsprechen die Befunde denen der senilen Osteo¬
malazie. Auf dem Boden der pathologisch-anatomischen Identität
von Rachitis und Osteomalazie läßt sich die Verschiedenartigkeit
beider Gruppen durch die nach dem Alter verschiedenen Lebens¬
vorgänge innerhalb der Knochen und innerhalb der endokrinen Drüsen
erklären. Die Beziehung der Spätrachitis zu den Belastungsdeformi¬
täten und zu manchen anderen krankhaften Zuständen der Knochen
und Gelenke (Schlattersche Krankheit, Perthcssche Krankheit usw.)
wird eingehend besprochen. Daß die Ursache des gestörten Knochen-
umbaus in einer nicht quantitativ, sondern qualitativ unzureichen¬
den Ernährung gesucht werden muß, ist kaum zu bezweifeln. Ueber
den Weg der Wirkung, insbesondere über die Bedeutung der endo¬
krinen Drüsen auf diesem Wege besteht noch keine Klarheit; ist
doch selbst die Aetiologic der einfachen Rachitis trotz aller Mühen
noch nicht völlig geklärt. Die Ausführungen des Verfassers geben
einen guten Ueberblick über die Fülle von Problemen, die auf dem
Gebiet der Knochenpathologie noch der Lösung harren.
D. Klinkert (Rotterdam), Entzündung, allergische Immunität und
Anaphylaxie. Kl. W. Nr. 14. Bei dem Entzündungsprozeß ist die nervöse
Gefäßreaktion das notwendige Vorspiel der Auswanderung der Phago¬
zyten. Es findet die Entzündungsreaktion bei der Reinfektion ihre Ur¬
sache in einer spezifisch erhöhten Reflexreizbarkeit des Gefäßnerven¬
systems gegenüber dem besonderen Virus oder Eiweiß (Gefäßallergie,
Tuberkulinreaktion). Die phagozytäre Immunitätät spielt die Hauptrolle,
die humorale ist nur eine Folge des Ueberflusses an Fermenten, wtlche
die Leuko-und Lymphozyten an das Blut abgeben. Die lokale Kongestion,
die Einleitung zur Emigration der Leuko- und Lymphozyten ist ein
nervöser Prozeß und die Allergie kann als die nervöse Komponente der
erworbenen Immunität aufgefaßt werden.
O. Störk (Wien), Gelaßsklerosen. W. m. W. Nr. 12 u. 13. Ver-
leicht man die Befunde der Gefäßveränderungen bei akuten Infektions¬
rankheiten mit den atherosklerotischen, so ergeben sich große Unter¬
schiede. Während diese wohl fast stets progredient sind, machen jene
den Eindruck des Reparablen, vielleicht mit Ausnahme der Bindegewebs-
proliferationsvorgänge in den Intimabercich hinein.
H. de Jong (Amsterdam), Bulbokapnin-Katalepsie. Kl. W. Nr. 14.
Auf Grund der Untersuchungen des Verfassers (Versuchsreihe mit
Katzen, denen per kg Lebendgewicht 30-40 mg Bulbocapninum hydro-
chloricum in einer 4°/ 0 wässerigen Lösung eingespritzt wurden) kann
man sagen, daß der durch Bulbokapnin erzeugte Zustand an Katalepsie
errinnert, aber in seinen Eigenschaften nicht mit psychotischer und
hypnotischer Katalepsie übereinstimmt. Myoelektrische Untersuchungen
ergaben stets intermittierende Aktionsströme. Die tetanische Kontrak¬
tion spielt die Hauptrolle. Erklärung des kataleptoiden Zustandes ent¬
weder durch eine Koordinationsstörung im Sinne der Babinsky sehen
zerebellären Katalepsie. Es besteht jedoch auch die Möglichkeit eines
Innervationsmechanismus, wie bei dem des Strychninkrampfes, wo An¬
tagonisten und Agonisten zugleich innerviert werden.
Strahlenkunde.
Uter (Heidelberg), Prinzipielle Bemerkungen zur Technik der
Großfeldlernbestrahlung Zbl. f. Gyn. Nr. 7. Die Großfeldfembestrah-
lung ist eine der besten therapeutischen Bestrahlungsmethoden. Sie
bringt aber gewisse Nachteile (lange Bestrahlungsdauer, Röntgenkater,
Schwierigkeit der Röhreneinstellung, Fehlen der Kompression u. a.).
Verfasser gibt sehr zweckmäßige technische Maßnahmen an, um diese
Nachteile zu vermeiden. _
Allgemeine Diagnostik.
Csäks (Budapest), Volnramessuog der roten Blutkörperchen. Zschr.
f. klin. M. 93 Hi 4/6. In allen Fällen geht der Hb-Gehalt mit dem
Volumen der roten Blutkörperchen parallel. Der höhere Färbeindex
bei perniziöser Anämie wird durch die Vergrößerung des Blutkörperchen¬
volumens verursacht. Die sekundären Anämien sind gewöhnlich
hypochrom und mikrozytär. Bei Nephrosen findet sich Mikrozytose.
Block (Berlin), Amylase-(Diastase-) Kesiimmung im Blut und
Urin. Zschr. f. klin. M. 93 H. 4 6. Die praktische Verwertbarkeit der
Amylasebestimmung für die Erkennung verschiedener krankhafter Zu¬
stände ist nicht groß. Aenderung der normalen Werte ist nur bei
hohem Grade von Bedeutung wegen der physiologischen Schwankungen.
Von praktischem Wert ist die Amylasebestimmung nur für Erkrankungen
oder Miterkrankungen des Pankreas.
Schemensky (Küstrin), Bedeutung der Stalagmone des Urins
für die Prognose innerer Erkrankungen. Zschr. f. klin. M. 93 H. 4 6.
Der stalagmomelrische Quotient ist der Ausdruck für die Menge
kolloidaler Substanz, die durch die Nieren ausgeschieden sich im Harn
vorfindet. An 9 Fällen wird die Uebereinstimmung der stalag-
mometrischen Säurequotienten-Kurve mit dem klinischen Verlauf gezeigt
und daraus der prognostische Wert hergeleitet. Vielleicht ist die
pathologische Kurve ein Anzeichen für einen noch nicht abgeschlossenen
Krankheitsprozeß, vielleicht kann sie auch zur Funktionsprüfung der
Nieren benutzt werden. _
Digitized b"
Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
568
LITERATURBERICHT
Nr. 17
Allgemeine Therapie.
♦♦ Q. Arends, Neue Arzneimittel und pharmazeutische
Spezialitäten. 6. vermehrte und verbesserte Auflage von O. Keller.
Berlin, J. Springer, 1922. 578 S. Oeb. M. 66.—. Ref.: Kochmann
(Halle).
Die schnelle Aufeinanderfolge der Auflagen, — 1919 V. Auflage,
1921 VI. Auflage — spricht für die Verwendbarkeit des Buches und
für das Bedürfnis der Interessenten, die sich über neue Arzneimittel
unterrichten wollen. Die einzelnen Arzneimittel (Drogen, Nährprä¬
parate, Sera, chemisch reine Substanzen) sind alphabetisch geordnet.
Bei jedem ist die Herkunft, Soweit möglich die chemische Konstitution,
die wichtigsten physikalischen Eigenschaften, die Dosierung, die Appli¬
kation und die Indikation angegeben. Auch der Name der Fabrik ist
genannt. Zum Schluß sind die gebräuchlichsten medizinischen Kunst¬
ausdrücke zusammengestellt. Soweit Stichproben ein Urteil gestatten,
stellt das handliche und gut ausgestattete Buch ein Nachschlagewerk
in kürzester Form dar, das seine Aufgaben in vollem Maße erfüllt.
Goldscheider (Berlin), Grundlagen und Bedeutung der
physikalischen Therapie für die innere Medizin. Kl. W. Nr. 14. Die
physikalische Therapie umfaßt im weitesten Sinne alle therapeutischen
Maßnahmen, die auf physikalischem Wege auf den Krankheitsvorgang
einzuwirken bestrebt sind. Ihre Bedeutung liegt in der Hauptsache
darin, daß sie Reaktionen auszulösen und zu fördern sucht, die in ge¬
wisser Begrenzung den Charakter von abwehrenden und ausgleichenden
Vorgängen (Naturheilungen) besitzen. (Hyperämiebehandlung, Thermo-
therapie, Hydrotherapie.) Man hat dabei an eine Reizwirkung (Neryen-
reizung) zu denken, die zu einer allgemeinen Funktionssteigerung führt.
Weiter kann man unter Umständen zu einer Bahnung der natürlichen
Abwehrprozesse kommen, analog der Wirkung der unspezifischen
Proteinkörpertherapie. Die physikalische Therapie setzt überwiegend
unspezifische Einwirkungen, doch gibt es immerhin eine spezifische
physikalische Therapie, z. B. Hyperämiebehandlung. Auch Erniedrigung
oder Erhöhung der Eigentemperatur (Bädertherapie), sowie psychischen
Einwirkungen (als Folge von Nervenreizungen) kommen therapeutische
Erfolge zu. Die Erfolge des physikalischen Eingriffes hängen in hohem
Maße auch von der Beschaffenheit des Organismus und der Dosierung
ab. Die physikalische Therapie kann die pharmakologische, chemische
nicht ersetzen, ergänzt sie jedoch.
Fr. v. Gröer und W. v. Jasinski (Lemberg), Beeinflussung der
Schmerzempfindlichkeit ddr Haut durch Quarzlampenbestrahluug.
Kl. W. Nr. 14. Untersuchungen mit der von Kaufmann angegebenen
Methode der Latenzzeitbestimmung der Schmerzempfindung nach An¬
wendung von Wärmereizen ergaben, daß sofort nach der Quarzlampen¬
bestrahlung eine Hypalgesie der bestrahlten Haut nachzuweisen ist,
die höchstens nach einer Stunde nach der Bestrahlung in eine sehr
starke Hyperalgesie umschlägt. Letztere tritt bereits vor dem Auftreten
des Erythems auf und ist auf der Höhe der Erythembildung am inten¬
sivsten ausgeprägt. Nach Abklingen des Entzündungsprozesses geht
sie wieder in eine zwar weniger ausgesprochene, aber länger andauernde
Hypalgesie über.
E. Moro (Heidelberg), Tuberkulosebehändlung auf perkutanem
Wege. M. m. W. Nr. 13. Abgetötete Tuberkelbazillen werden zu¬
sammen mit Tuberkulin in Salbenform unter Zugabe keratolytischer
Substanzen in die Haut eingerieben. Intervall 1—4 Wochen, etwa
6 Einreibungen in einem Turnus. Gute Erfahrungen an Säuglingen
und Kleinkindern. Hersteller der „Ektebinsalbe“ Merck, Darmstadt.
Kurt Gottlieb (Heidelberg), Tuberkulosebehandlung auf perku¬
tanem Wege. M. m. W. Nr. 13. Histologische Untersuchungen zu
Moro, M. m. W. Nr. 13. Durch die der Ektebinsalbe beigegebenen
keratolytischen Substanzen im Verein mit dem Tuberkulin wird an der
Einreibungsstelle eine Dermatitis hervorgerufen, die die Resorption
der Bazillenleiber begünstigt Etwa 24 Stunden nach der Applikation
finden sich in exzidierten Hautstückchen zahlreiche Stäbchen . und
Splitter in der Basalzellenschicht bis tief ins Korium hinein. Beim
Petruschkyschen Liniment dringen keine Bazillen ins Gewebe ein.
Lepehne (Königsberg), Intravenöse Injektionen in Oel gelöster
Medikamente (Menthol-Eukatyptolinjektlonen) und intravenöse Kampfer¬
therapie. Kl. W. Nr. 14. Lepehne stellte 6-Versuche an Kaninchen
an, denen er zum Teil eine Lösung von Menthol zu 5°/ 0 und Ol.
Eucalyptii zu 10°/ n in Olivenöl sowie Rizinusöl mehrere Tage hinter¬
einander in verschieden hohen Dosen intravenös injizierte. Schädliche
Wirkungen auf Lungen oder andere Organe (Gehirn-, Herz- und
größere Lungenblutungen) traten nur bei hohen Einzelgaben auf und
lassen sich anscheinend durch vorsichtige Dosierung und Einspritzung
vermeiden. Versuche zu einer intravenösen Kampfertherapie führten
Lepehne zu einer 2°/ n Kadechollösung, die er an 2 Tieren ohne
schädliche Folgen ausprobierte, außer einer stark entzündlichen Reaktion
an den rasch thrombosierenden Ohrvenen des Kaninchens (Gallen¬
säurewirkung). Weitere Untersuchungen müßten erst zeigen, daß bei
intravenöser Injektion von Kadechol nicht etwa die Kampferwirkung
durch die Gallensäurewirkung entkräftet wird.
Rudolf Oppenheimer (Frankfurt a. MJ, Jodnatriambehandlvog
entzündlicher Prozesse. M. m W. Nr. 13. Bis zu 5 ccm einer 50°/ #
Jodnatriumlösung intravenös. Günstige Erfolge bei Epididymitis. Lokale
Anwendung bei Gonorrhoe und in der Wundbehandlung.
Innere Medizin.
♦♦ Dithmar (Wiesbaden), Leitfaden der Alternkrankheiten.
Leipzig, Repertorienverlag, 1922. 89 S. M. 20.—. Ref.: M. Mosse
(Berlin).
Bei aller schuldigen Ehrfurcht vor dem selbst im hohen Alter
stehenden Veifasser muß gesagt werden, daß das Büchlein, das „zum
Gebrauch für Aerzte und Studierende' 4 bestimmt ist, wenigstens für
letztere als nicht geeignet bezeichnet werden muß. Enthält es doch
eine Reihe von Ungenauigkeiten und irrtümlichen Angaben. So wenn
von einer „Affektion des Hisschen Nervenbündels in der Kammer¬
muskulatur“ die Rede ist, wenn es vom Aneurysma heißt, daß die im
übrigen aussichtslose Behandlung in das Ge&iet der Chirurgie ge¬
höre, wenn als pathognomisch Tür die perniziöse Anämie das Auf¬
treten von Blutungen angegeben wird. Weniger Veranlassung zu Ein¬
wendungen gibt der allgemeine Teil. Ob allerdings die Auffassung
des Verfassers zu Recht besteht, daß die Abmagerung der älteren
Leute bei der Kriegskost zum Teil auf ungenügende Ernährung durch
Fleisch zu beziehen sei, dürfte zweifelhaft sein. Die Erwähnung der
Stoffwechsel- und Infektionskrankheiten als „Allgemeinkrankheiten“
im allgemeinen Teil ist wohl kaum angebracht. Immerhin bringt dieser
erste Teil eine Angabe von beachtenswerten hygienisch-diätetischen
Vorschriften, und die durchaus zutreffenden Bemerkungen über das
Schlafbedürfnis der Greise stehen im Gegensatz zu den Goetheschen
Worten: „Langer Schlaf verleiht dem Greise kurzen Wachens rasches
Tun. 44
♦♦ Emil Kugler (Gmunden), System der Neurose. Wien, Urban &
Schwarzenberg, 1922. 188 S. M. 42.—. Ref.: Reichardt (Würz¬
burg).
Das Buch bringt die Verarbeitung von 2000 Fällen. Verfasser
sucht die Quellen der Neurose zu finden, soweit sie im individuellen
Sein und Erleben, sowie in sozialen und völkerpsychologischen Mo¬
menten gegeben sind. Er bringt folgende ätiologische Einteilung.
I. Somatisch: Neurosen durch neuropathische Konstitution, durch Ano¬
malien der Blutdrüsen, durch Migräne, Anämie, Abmagerung, Er¬
krankung des Blutgefäßsystems, der Verdauungsorgane und durch
Toxikosen. II. Psychisch: Neurosen aus einem besonderen Verhältnis
zur Umwelt, durch Fehler der Erziehung, Sexualität des Jugendalters,
Ehe, Klimakterium, Ueberarbeitung, überstarke Krankheitsvorstellung
usw. Die symptomatische Einteilung nennt die Ermüdungsneurosen,
die vasomotorische Erregung, die Angstneurosen, Hypochondrie, De¬
pression, Hysterie. Den Schluß bilden die Krankheitstypen und die
gesetzmäßigen Beziehungen. — Das Buch hat Vorzüge und Nach¬
teile. Ein Vorzug ist der gesunde therapeutische Optimismus, der
durch das Buch zieht. Es sei besonders Sanatoriumsärzten empfohlen.
Bei aller psychopathologischen Einstellung soll die somatische Therapie
niemals zu sehr vernachlässigt werden. Die Nachteile liegen meines
Erachtens einerseits in der Zusammenfassung so zahlreicher, nach
Ursache und Wesen grundverschiedener Zustände und Vorgänge unter
dem Namen „Neurose“ (den man möglichst vermeiden sollte); und
anderseits darin, daß die Psychopathologie und besonders die indivi¬
duelle charakterologische und psychopathische Konstitution zu kurz
kommen. Es ist mehr die äußere Seite des Problems behandelt. Audi
Ausdrücke wie traumatische Neurose und traumatische Hysterie wer¬
den beibehalten. Es ist dem Verfasser nicht ganz gelungen, den Stoff
auf genügend einfache und klare Formeln zurückzuführen. Die Aus¬
führungen über die Psychopathie des Krieges (S. 178 ff.) müssen,
namentlich auch vom völkerpsychologischen Standpunkt aus, als Ent¬
gleisung bezeichnet werden.
Pletnew (Moskau), Flecktyphus. Zschr. f. klin. M. 93 H. 4/6.
Nach Beobachtungen während der Moskauer Epidemie 1917—1920
berichtet Verfasser über den klinischen Verlauf und die Behandlung
des Fleckfiebers. In pathogenetischer Beziehung erscheint der Fleck¬
typhus als eine diffuse anatomische Erkrankung der Gefäße und des
Nervensystems (zentralen und sympathischen).
J. Blum (Köln), Aoslöschphinomen und Scharlachdiagnose. M.m.W.
Nr. 13. Vom 7. Tage an kann die Auslöschfähigkeit beim Scharlach¬
serum wieder eintreten. Untersuchungen an unklaren scharlachähnlichen
Exanthemen, die sich an chirurgische Eingriffe anschlossen, ergaben
teilweise nicht eindeutige Resultate.
Max Reh (Berlin), Behandlung der Malaria. M. m. W. Nr. 13.
Durch zweistündliches Einnehmen kleiner Dosen für volle 60 Stunden
Tag und Nacht wird die wirksame Chininkonzentration im Blut aufrecht
erhalten. Zur Unterstützung Arsen.
K. Schirp, Phthisestatistik bei verschiedenen genauen Sektions¬
niethoden. Beitr. z. Klin. d. Tbc. 49 H. 3. Unter Anführung der
bekanntesten Statistiken wird erwiesen, daß die Genauigkeit des Ver¬
fahrens für die Höhe der Zahlen entscheidend ist. Und zwar steigt
durch sie vor allem die Zahl der aufgedeckten inaktiven Fälle. Unter
Berücksichtigung der letzten, ganz besonders genau untersuchten Fälle
kommt Verfasser auf 97%» fast genau die Zahl Nägelis (98°/ 0 ).
L. Lunde, Influenza bei Lungentuberkulose. Beitr. z. Klin. d.
Tbc. 49 H. 3. Berichte über eine schwere Hausepidemie in einem
Tuberkulose-Sanatorium. Die Ergebnisse sind von wesentlicher
Bedeutung, auch für die theoretischen Anschauungen über die immun-
biologischen Verhältnisse bei beiden^Erkrankungen. Günstiger Verlauf
bei den Fällen mit steil ansteigender Kurve, ungünstiger Verlauf bei
der asthenischen Form der Fieberkurve, langsamer unterbrochener
Anstieg. Hier trat unter 14 Fällen 13mal Pneumonie auf, 11 Todesfälle.
Erwägungen über die Deutungen der Reaktionsart des Organismus für
die Unterbrechung des Erreger wachstu ms.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSITV
28. April 1922
LITERATURBERICHT
569
C. Kraemer, Ausheilung der Tuberkulose — Tuberkulinempfiud-
licbkeit—Immunität. Beitr. z. Klin. d. Tbc. 49 H.3.Fortbestehende Allergie
ist und bleibt ein biologisches Zeichen fortbestehender Tuberkulose.
Biologisch negative Anergie ist ein Zeichen, daß die Tuberkulose
bakteriologisch und anatomisch ausgeheilt ist. Nach völliger Aus¬
heilung der Tuberkulose bleibt keinerlei Tuberkulinempfindlichkeit
zurück. Damit schwindet auch die relative Immunität. Eine Arbeit,
deren Studium ganz besonders empfehlenswert ist.
W. Kn oll, Blutbild bei Tuberkulose im Hochgebirge. Beitr. z.
Klin. d. Tbc. 49 H. 3. Nur große Reihen von Untersuchungen ergeben
zuverlässige Schlüsse. Zahl der R. und Hämoglobin findet sich im
Hochgebirge vermehrt, aber nicht in dem hohen Maße, das früher
berichtet worden ist. Entweder fand sich primäre Vermehrung der
R. und sekundäre Ziinuhme des HB. oder Gleichbleiben der R., mit
alleiniger Vermehrung des HB. Leichte Formen von Tuberkulose
reagieren wie Gesunde. Das weiße Blutbild des Gesunden ergibt
Verminderung der N., relative Vermehrung der Ly. Leicht-Tuber¬
kulöse reagieren ebenso. Schwer-Tuberkulöse zeigen eine Umkehrung
im Sinne der N.-Vermehrung und Ly.-Verminderung, die Ungünstiges
erwarten läßt.
G. Katsch und L. v. Friedrich (Frankfurt a. M.), Funktionelle
Bedeutung der Magenstraße. Mitt. Grenzgeb. 34 H. 3. Versuche an
magengesunden Menschen im Stehen und im Liegen ergaben zwar,
daß Speisen, besonders Flüssigkeiten, zunächst eine ganz kurze Strecke
der kleinen Kurvatur berühren, was durch deren vertikale Lage genügend
erklärt wird; dann aber verteilen sie sich schnell über die Magen wand
bis nach der großen Kurvatur. Die kleine Kurvatur ist also mindestens
nicht unter allen Umständen das Ausgangslumen. Der Canalis pylori
saugt als Saug- und Druckpumpe die Flüssigkeiten auf vielen Wegen
kleinsten Widerstandes an sich: so erklärt sich der raschere Abschub
von Flüssigkeiten und chymifizierten Speisen. Kann man die kleine
Kurvatur als Entfaltungsstraße und Vorzugsweg nicht anerkennen, so
fällt auch die A sch o fische Erklärung der Tatsache, daß sie, wie un¬
bestreitbar, der Prädilektionssitz des runden Magengeschwürs ist.
J. Am reich (Wien), Vereiterung eines Leberechinokokkus nach
Typhus abdominalis. Mitt. Grenzgeb. 34 H. 3. Die erste Entstehung
des Echinokokkus schloß sich anscheinend an ein Trauma an. Die
gallige Färbung des Zysteninhaltes wies auf den Weg der Infektion.
Pyogene Kokken konnten nicht gefunden werden; auch daß sie früher
vorhanden waren und inzwischen abstarben, scheint Am reich un¬
wahrscheinlich.
Backman (Jakobstad), Konstitutionelles Moment in der Aetiologie
der Appendizilis. Zschr. f. klin. M. 93 H. 4/6. Die mitgeteilten Be¬
obachtungen zeigen, daß in der Aetiologie der Appendizitis deutlich
ein konstitutionelles Moment erkennbar ist. Bei etwa der Hälfte der
Fälle lag eine nervöse oder tuberkulöse Belastung vor, noch häufiger
eine schwächliche Körperkonstitution, ferner häufig Gastropfose und
Dyspepsien. Bei einem Fünftel der Fälle fand sich Tonsillarhyper-
tröphie. Es handelt sich wohl um eine durch Asthenie, Lymphatismus
u. a. bedingte Herabsetzung der Widerstandsfähigkeit der Zellen in
den Geweben des Wurmfortsatzes.
Plesch (Berlin), Physiologie und Pathologie der Blutmenge.
.Zschr. f. klin. M. 93 H. 4/6. Blutmengenbestimmungen bei 9 Gesunden
ergaben einen mittleren Wert von 5,32°/ 0 = \/ 1fl des Körpergewichts.
Die Zahlen schwankten von 4,69 bis 6,05. Unter pathologischen Ver¬
hältnissen bezieht sich die Vermehrung oder Verminderung der Blutungen
auf das Blutwasser oder auf die anderen Bestandteile (Poly-, Oligämie,
Hydrämie). Auch normalerweise ist die Blutmenge keine feststehende
Größe. Die Arbeit enthält weiter die Resultate der Blutmengen-
besjimmungen bei Erkrankungen des Blutes, der Kreislauforgane, Nieren,
Bronchitis und Emphysem sowie der Versuche über die therapeutische
Beeinflussung der Bliitmenge. Diese ist auf verschiedenste Weise in
günstigem Sinne möglich. Für die verschiedenen Maßnahmen, welche
zu einer Reduktion des Blutvolumens führen (Diät, Aderlaß, Fasten),
bieten die^ Untersuchungen den Grund für eine gesicherte Indikations¬
stellung.
Hausmann (Moskau), Blutbild bei Skorbut mit Berücksich¬
tigung der Linksverschiebung. Zschr. f. klin. M. 93 H. 4 6.
Charakteristisch ist die Tendenz zur Verminderung der Neutrophilen;
cs besteht relative Lymphozytose, niemals Neutrozytose. Absolute
Lymphozytose ist selten. Eine — gewöhnlich unbedeutende — Links¬
verschiebung tritt nur zuweilen bei schweren Fällen auf. Vielleicht
weisen diese Befunde auf die nichtinfektiöse Aetiologie des Skorbuts hin.
Klotz und Hopfner (Lübeck), Vitamine und Diabetes. M. m. W.
Nr. 13. Sehr weitgehende Besserung eines Diabetes mellitus bei einem
42jährigen Mädchen bei Zulage von Mohrrübenpreßsaft und Hefe zu
der Dauerkost der Zuckerkranken.
Mayer (Marburg), Eiweißfreie Nephritis. Zschr. f. klin. M. 93
H. 4/6. Der mitgeteilte Fall zeigt, daß klinisch alle Zeichen einer
schweren Glomerulonephritis bestehen können ohne Eiweißbefund
ioi Urin.,
Litzner (Berlin), Prognostik der Nierenkrankheiten. Zschr. f. klin.
M. 93 H. 4/6. Von der akuten Glomerulonephritis ohne Oedem kam
nicht ganz die Hälfte der Fälle zur Heilung, die übrigen verliefen
ungünstig, von den Fällen mit Oedem gingen zwei Drittel zugrunde.
Von den chronischen Glomerulonephritiden ohne Oedem starb die
Hälfte, mit Oedem drei Viertel. Die Prognose der sekundären Schrumpf¬
niere ist absolut ungünstig. Bei der arteriosklerotischen Schrumpf¬
niere ist das Ende um so näher, je stärker Hyposthenurie ist. Bei der
blanden Hypertonie scheint sich die Prognose wesentlich nach dem
Ausfall der Nierenfunktionsproben zu richten.
Eugen Fraenkel (Hamburg), Chronische ankylosierende Wirbel¬
versteifung. M. m. W. Nr. 13. Zu Brennsohn in Nr. 4. Das Wesen
der Erkrankung ist eine Ankylosierung der kleinen Gelenke der Wirbel¬
säule auf Grund von ulzerösen Prozessen, die Verknöcherung des
Bandapparates ist sekundär. In einem Drittel der Fälle spielt das
Trauma eine Rolle. Die Trennung in einen Bechterewschen und einen
Strümpellschen Typ ist nicht berechtigt.
Karl Propping (Frankfurt a. M.), Mechanik des Liquor cere¬
brospinalis. Mitt. Grenzgeb. 34 H. 3. Auseinandersetzung mit den
Entgegnungen, die seine frühere Mitteilung (Bericht siehe D. m. W. 1909,
S. 168) namentlich von seiten Hallers (Bericht siehe D. m. W. 1918,
S. 1115) gefunden hat. Er betont die hydrostatischen Gesetze, gibt
aber zu, daß eine Liquorströmung in dem früher angenommenen Sinne
nicht besteht. Entscheidend ist die Mischung, die die zirkulatorischen
und Körperbewegungen zustande bringen.
Oloff (Kiel), Hemlanoplsche Pupillenreaktioo. M. m. W. Nr. 13.
Die hemianopische Reaktion ist ein wertvolles Hilfsmittel für die
Lokalisierung zerebraler Affektionen. Zum Nachweis sind besondere
Apparate erforderlich wie der Hemikinesimeter von Heß oder die
Untersuchungsvorrichtung von Behr. Auch eine herabgesetzte Reaktion
ist schon beweiskräftig.
E. Rehn (Freiburg), Myoelektrische Untersuchungen bei Striatum-
Erkrankungen. Kl. W. Nr. 14. Mittels Nadelelektroden wurden ver¬
gleichend myoelektrische Untersuchungen zwischen den Zuständen des
Tremors und der reinen Rigidität angestellt. Es sollen zwischen den
myoelektrischen Erscheinungen des Tremorzustandes mit 6er Rvthmus,
der eigentlichen Parkinsonschen Rigidität und dem Zustand bei Will¬
kürinnervation keine qualitative, sondern nur quantitative Unterschiede
bestehen. Wir sind durch das Herausarbeiten der feineren myoelek¬
trischen Erscheinungen dem Ziel näher gerückt durch einen noch zu
gewinnenden, wohlcharakterisierten myoelektrischen Typ extrapyra¬
midal bedingten pathologischen Muskelzuständen eine pyramidale Form
gegenüberstellen zu können.
E. Mendel (Berlin), Isolierte Lähmung des Nervus axillaris in¬
folge von Kohlenoxydvergiftung. Kl. W. Nr. 14. Kasuistik.
Eduard Melchior (Breslau), Klinische Studien zur Tetanie.
Mitt. Grenzgeb. 34 H. 3. Als Beitrag zur Konstitutionspathologie wird
der Zusammenhang der Epithelkörperchen mit Hungerosteopathie sowie
spontaner und postoperativer Tetanie an der Hand der Kriegserfahrungen
und eigener Fälle eingehend erörtert. Versagt die Behandlung mit
Kalk und Parathyreoidintabletten, so ist die homöoplastische Trans¬
plantation der Epithelkörperchen totgeborener oder bei der Geburt
abgestorbener Kinder geboten. Nicht selten scheint namentlich bei
Männern der Tod nach Epithelkörperexstirpation in der Form eines
Komas einzutreten, das ohne alle tetanischen Symptome Stunden bis
Tage dem Eingriff folgt, wofür eine Anzahl eigener und fremder Beo¬
bachtungen beigebracht werden; so scheinen sich auch manche Fälle
von Thymustod zu erklären. Schließlich wird noch die viszerale,
besonders die Magentetanie an der Hand einiger Fälle beleuchtet.
Chirurgie.
♦♦ E. Wossldlo (Berlin), Kystoskoplscher Atlas. Ein Grundriß
für Studierende und Aerzte. 2. Aufl. Leipzig, W. Engelmann, 1921.
98 Seiten mit 41 Abbildungen und 42 Tafeln. M. 160.—. Geb.
M. 195.—. Ref.: O. RumpeJ (Berlin).
Die 2. Auflage des Kystoskopischeu Atlas, die wenige Monate nach
dem 1. Erscheinen des Werkes vorliegt, bringt eine Vermehrung der
Abbildungen von praktisch wichtigen Krankheitszuständen der Blase.
Die Vielseitigkeit der Befunde und ihre naturgetreue Darstellung in
vorzüglichen Aquarellen ist für den Lernenden besonders wertvoll.
Textlich ist — abgesehen von einer Neubearbeitung der Theorie der
kystoskopischen Optik — nichts Wesentliches geändert.
F. Harth (Athen), Nene Geflßkiemme. Zbl. f. Chir. Nr. 10. Tech¬
nische Mitteilung.
K. Menschen (St. Gallen), Fortlaufende Instrumentensterilhation
bei Karzinomoperatiotten zum Schutz vor örtlichen Rezidiven.
Zbl. f. Chir. Nr. 10. Unter den Sicherungsmaßnahmen gegenüber
lokalen Karzinomrezidiven gehören neben bestimmten Forderungen der
pathologisch-anatomischen Topographie zwei wichtige technische Ge¬
bote. Einmal dürfen während der Operation keine Geschwulstteile
zertrümmert werden, daß sie nicht in Form einer Zellenemulsion in
die Wunde ausgesät, noch Geschwulstzellen tiefer in die Lymphwege
hineingepreßt werden. Noch wichtiger ist, daß nicht durch die Hände
des Operateurs und seiner Assistenten und namentlich durch die In¬
strumente lebens- und wucherungskräftige Geschwulstzellen in die
Wunde zurückgeimpft werden. Deshalb öfterer Handschuhwechsel
während der Operation, zum allermindesten jeweilen vor Inangriff¬
nahme der Unterbindungen nur einmaliger Gebrauch der Instru¬
mente, vor allem der Gefäßklemmen, Pinzetten, Scheren und Messer,
darum fortlaufende Instrumenten6terilisation.
K. Nather (Wien), Probeexzision bei malignen Tumoren in der
Chirurgie und im Experiment. Arch. f. klin. Chir. 119 H. 1. Eine
Probeexzision kann im allgemeinen nur dann zu dem gewünschten
Resultat führen, wenn sie am richtigen Ort, d. h. am Uebergang vom
krankhaften Gewebe in die gesunde Umgebung und dort nicht zu
sparsam nach beiden Richtungen angelegt ist. Die restlose Erfüllung
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
»
570 LITERATURBERICHT Nr. 17
dieser Forderung ist ohne Gefährdung des Patienten nur bei Anwen¬
dung des ganzen Operationsapparates gewährleistet. Gleichzeitig ist
uns in der Anwendung des Gefrierschnittverfahrens in entsprechend
eingerichteten Anstalten die Möglichkeit gegeben, das gefährliche Inter¬
vall zwischen Probeexzision und Operation praktisch auf Null zu ver¬
kürzen; ist doch jeder Versuch einer Radikaloperation nach Probe¬
exzision geradezu als Dringlichkeitsoperation anzusehen.
V. N. Schewkunenko (St. Petersburg), Faktoren, welche auf
die Topographie der Körperorgane einwirken. Arch. f. klin. Chir. 119
H. 1. Die Arbeit eignet sich nicht zu einem kurzen Referate.
Benjamin Chatzkelsohn (Dünaburg, Lettland), Wundbehandlung:
Berieseluog mit heifiem Wasser. M. m. W. Nr. 13. Zur Erzielung aktiver
Hyperämie wird die Umgebung der Wunde mit heißem Wasser berieselt.
Gerhard Düttmann (Gießen), Malignes Oedem im Anschluß
an eine Laparotomie. M. m. W. Nr. 13. Laparotomie wegen Heus
durch Meckelsches Divertikel. Patient litt an Ichthyosis. Es ent¬
wickelte sich eine Bauchdeckenphlegmone mit jauchigem Sekret. Starke
Dyspnoe, Exitus. Bakteriologisch malignes Oedem.
C. Pochhammer (Potsdam), Spättetanus. Zbl. f. Chir. Nr. 10.
Der von Brunzel mitgeteilte Fall eines ungewöhnlich lange hinaus¬
gezögerten Spättetanus gibt dem Verfasser zu Bedenken Anlaß. Der
Möglichkeiten einer nachträglichen Infektion mit Tetanuskeimen
sind jedenfalls mehrere gegeben. Der Ausbruch des Starrkrampfes ist
offenbar durch den unangebrachten Wundschluß begünstigt worden.
P. Ewald (Hamburg), Behandlung von Unfallverletzten. M. m.W.
Nr. 13. Vorschläge zum ziel bewußten Ausbau der Arbeitstherapie.
Keine lange Fixation verletzter Glieder. Der Patient soll bald wenig¬
stens einen Teil seiner gewohnten Arbeit wieder aufnehmen.
S. Schneller (Erlangen, Erkrankungen der männlichen Brustdrüse.
Arch. f. klin. Chir. 119 H. 1. Nach Bemerkungen über die Entwicklungs¬
geschichte und Anatomie bespricht Verfasser nacheinander die Ent¬
wicklungsstörungen — Polythelie, Polymastie, Pseudohypertrophie
(Gynäkomasten mit gut ausgebildeten und mit schlecht ausgebildeten
Geschlechtsteilen) —; Zirkulationsstörungen; Entzündungen — Thelitis
und Mastitis (Tuberkulose, Syphilis) —; Geschwülste: typische Ge¬
schwülste der Bindesubstanzreihe — Fibrom, Fibromyxöm, Lipom,
Chondrom, Haemangiom, Lymphangiom, Myom —; atvpische Ge¬
schwülste der Bindesubstanzreihe: Sarkome; typisch-epitheliale Ge¬
schwülste: Adenom, Fibradenom, Zystadenom, Fibropapillom, Atherom;
atypische epitheliale Geschwülste: Karzinome. Das Karzinom ist nicht
nur die bei weitem häufigste, sondern auch die klinisch wichtigste
Erkrankung der männlichen Brustdrüse. Am häufigsten ist derSzirrhus.
A. Szenes (Wien), Fissura sterni. Arch. f. klin. Chir. 119 H. 1.
Beobachtung einer Sternalfissur bei einem 8jähr. Knaben mit dünner
Narbenbildung über dem Defekte und Wammenbildung zwischen Brust,
Hals und Kinn. Operative Vereinigung in der Längsrichtung; guter
Erfolg. Verfasser erklärt die Entstehung der Mißbildung durch den
Druck des Kinns und Ausbildung von epithelialen Verwachsungen
zwischen Kinn, Hals und Brust in früher Embryonalzeit.
J. Joseph (Berlin), Totale und partielle Rhlnoneoplastik nebst
einem Vorschlag zur freien Hautüberpflanzung. KI. W. Nr. 14.
Chirurgisch-technische Arbeit.
K. Nather (Wien), Epignathus. Arch. f. klin. Chir. 119 H. 1. Ver¬
fasser berichtet über eine seltene Fehlbildung am harten Gaumen (Epi-
gnathus?) bei einem 66jähr. Kranken. Nach der allgemein üblichen
Begriffsfassung des Epignathus wären also jene Bildungen am harten
Gaumen oder in dessen nächster Umgebung, die auf eiwertiges oder
fast eiwertiges abnorm sich entwickelndes Keimmaterial zurückzuführen
sind, und nur diese, als Epignathi mit Recht zu bezeichnen. Ihr tera-
togenetischer Terminationspunkt liegt vor der Differenzierung der
Keimblätter.
W. Levy (Berlin), Resektion der Speiseröhre. Arch. f. klin. Chir.
119 H. 1. Eingehender Bericht über die bisher erzielten Resultate, mit
besonderer Berücksichtigung der zahlreichen experimentellen Unter¬
suchungen des Verfassers. Die Arbeit eignet sich nicht zu einem
kurzen Referate.
E. u. P. Melchior (Breslau), Intraneritnnealer Druck. Arch. f.
klin. Chir. 119 H. 1. Polemik gegen J. K epp ich.
Hans Dieterich (Marburg), Geographische Verbreitung und
epidemiologische Bedeutung der Appendizitis. M. m. W. Nr. 13.
Feststellungen am Material der Marburger chirurgischen Klinik. An
manchen Orten fehlte die Appendizitis, an anderen trat sie auffallend
häufig auf. Die Ursachen dafür ließen sich nicht feststellen.
A. H. Hof mann (Offenburg), Operation des 7ökaltnmors. Arch.
f. klin. Chir. 119 H. 1. Kasuistik. Verfasser berichtet über 10 eigene
Operationen: 5 Karzinome, 3 Tuberkulosen, 2 Invaginationen, einmal
bei Polypenbildung.
A. Szenes (Wien), Appen^ixinvagination. Arch. f. klin. Chir. 119
H. 1. 7jähr. Knabe mit partieller Invagination der Appendix ins Zökum.
Glatte operative Heilung durch partielle Zökumamputation. In der
Literatur finden sich im ganzen 55 Fälle von Appendixinvagination,
wobei die Appendix entweder in sich selbst oder ins Zökum oder mit
ihm in tieferliegende Darmabschnitte invaginiert gefunden wurde. Den
wichtigsten diagnostischen Anhaltspunkt der isolierten Appendixinva-
ginätion liefert die Anamnese, die über kurzdauernde anfallsweise all¬
mählich an Zahl zunehmende äußerst heftige Schmerzen mit freien
Intervallen berichtet, während der lokale Befund eine meist nicht
sonderlich hochgradige Bauchdeckenspannung in der Zökalgegend fest¬
stellen kann. In allen Fällen ist die Operation angezeigt und besteht
am besten in der Amputation des Zökums, bzw. mit vorhergehender
Desinvagination. Die Gesamtmortalität von 50 operierten Appendix¬
in vaginationen beträgt 6%.
C. Brunner (Münsterlingen), Traumatische, subkutane, isolierte
Verletzung der Chylusgefäße des Mesenteriums. Zbl. f. Chir. Nr. 10.
25jähriger Knecht mit schwerster Hufbeschlagverletzung des Bauches.
Nach Eröffnung des Bauches kein Gas, kein Exsudat, kein Darminhalt,
kein freies Blut, keine Darmverletzung u. a. Im Mesenterium der
obersten Jejunumschlinge von der Wurzel aufsteigend, etwa 5 cm vor
dem Darmansatz haltmachend, ein scharf, aber buchtig sich abgrenzen¬
der Bezirk weiß milchiger Ausfüllung zwischen den Blättern des Mesen¬
teriums. Am Mesenterium kein Riß; kein zerrissenes Chylusgefäß.
Der Bauch wurde mit Kochsalzlösung ausgespült und geschlossen.
Heilung. Epikritische Bemerkungen, namentlich auch über die trau¬
matische Entstehung von Chyluszysten im Mesenterium.
Lehmann und Eifel dt (Rostock), Wasser- und Kouzentrations-
versuche an chirurrisch Nierenkranken. Mitt. Grenzgeb, 34 H. 3. Der
von Kümmell festgelegte Grenzwert der GefrierpunkterniedTigung ist
nicht ohne weiteres für die Indikationsstellung zu chirurgischen Ein¬
griffen verwertbar: die Verfasser fanden ihn bei fast allen Fällen
durch Trockenkost nach unten verschoben bis zu Werten von* 0,63
bis 0,65. Sonst einseitig geschädigte Nieren verdünnen und konzen¬
trieren oft schlecht, auch die Pyelitis ergab meist Schädigung der
Funktion. Bei der Einschränkung der Leistung spielt das Fieber eine
geringe, die toxischen Prozesse eine größere Rolle. Nach Nephrotomie
war das Ergebnis alsbald wesentlich besser, meist normal, Nephrope-
xien brauchten zur Wiederherstellung normaler Verhältnisse viel längere
Zeit. Alle Prostatiker arbeiten hyposthenurisch. So wertvoll die Proben
im Rahmen der gesamten Nierenuntersuchung sind, so wenig sind sie
bisher bei der Stellung der Prognose und der Indikation für chirur¬
gische Eingriffe verwendbar.
Franz Rollwage (Braunschweig), Niereudekapsulation bei Sob*
llmatvergiftung. Mitt. Grenzgeb. 34 H. 3. 2 Fälle, bei denen die
doppelseitige Entkapselung 6 und 3 Tage nach der Vergiftung vor¬
genommen wurde und 14 und 9 Tage nach der Vergiftung der Tod
eintrat. Für die Regeneration, die spontan, aber erst nach 2 bis 3 Wo¬
chen einsetzt, kann von der Operation ein Erfolg nicht erwartet werden.
Nur die Druckentlastung kann wirken. Ueberzeugend nachzuweisen
ist nur eine lebenverlängernde Wirkung. Zur weiteren Klarstellung
schlägt Roll wage vor, in Zukunft die Dekapsulation nur einseitig
vorzunehmen, damit man post mortem die beiden Nieren genau ver¬
gleichen und daraus Schlüsse auf die Wirkung der Operation ziehen
könne.
A. H. Hofmann (Offenbach), Ablösung des Nebenhodens zur
Verlängerung des Snmenstranges. Zbl. f. Chir. Nr. 10. Die von Pölya
empfohlene Kombination von Ablösung des Vas deferens und des
Nebenhodens erscheint dem Verfasser für die Existenz des Hodens
gefährlich. Die Ablösung des Nebenhodens allein, die Verfasser 1921
zum erstenmal vorgenommen hat, ist an und für sich allein nicht aus¬
reichend und nur im Verein mit den sonst üblichen Verfahren emp¬
fehlenswert. Sicherlich vermag aber dann die Ablösung des Neben¬
hodens das Maximum der erzielten Verlängerung noch um pn paar
Zentimeter zu steigern.
Viktor Hantsch (Wien), Dura- und Schädefplastik. Mitt.
Grenzgeb. 34, H. 3. Bei Hunden und Kaninchen wurde zweimal der
Duradefekt durch Brucksack, sonst der ganze Defekt durch Zelluloid¬
platte gedeckt und nach 6 Tagen bis 8 Wochen untersucht. Der Bruch¬
sack wurde durch schwielige Massen ersetzt, stets bildeten sich breite,
lockere Adhäsionen mit der lädierten Hirnoberfläche.
W. Mintz (Riga), Weg zur Hypnphyais durch die Keilbelnhöble.
Arch. f. klin. Chir. 119 H. 1. Kasuistik.
H. Maaß (Berlin), Zur Frage der Scholskoliose. Kl. W. Nr. 14.
Knochenwachstum und räumlicher Knochenaufbau sind zweierlei. Die
physiologischen Bedingungen des räumlichen Knochenaufbaues sind
dem mechanischen Vorgang desselben entsprechend rein mechanische:
1. genügende Druck- und Zugfestigkeit der Bälkchen und Strebepfeiler
der Spongiosa, also schnelles Erstarren derselben zu kalkhaltigem
Knochengewebe. 2. unbehinderte, räumliche Entfaltung des wachsenden
Knochens. Nur die Wachstumsrichtung wird durch sie beeinflußt
Von mechanischen Störungen kommt vor allem die Fixation der Ge¬
lenke in pathologischer Stellung in Betracht (Intrauterine Belastungs¬
deformitäten, vestimentäre Deformitäten, neurogene und myogene
Gelenkkontrakturen, kongenitaler muskulärer Schiefhals). Ein beträcht¬
licher Teil aller Schulskoliosen soll lediglich dem rein mechanischen
Einfluß der fixierten skoliotischen Haltung auf die im übrigen völlig
gesunde Wirbelsäule ihre Entstehung verdanken. Diese echten Schul¬
skoliosen basieren vor allem auf einem vorzeitigen Versagen der
Rückenmuskulatur bei muskelschwachen oder muskelfaulen Individuen.
K. Zimmermann (Freiburg i. Br.), Ausführung der keilförmigen
Osteotomie. M. m. W. Nr. 13. Es ist vorteilhaft, den Meißel stets
senkrecht zur Achse des aus der Richtung abgelenkten Knochenabschnittes
einzutreiben, dann preßt der Zug der in der Längsrichtung anliegenden
Muskeln die Knochenwundflächen am festesten aufeinander (s. Abbild.).
E. Hesse (St. Petersburg), Oo<*nitive Mobilisierung versteifter
Fln*ergelenke. Arch. f. klin. Chir. 119 H. 1. Mitteilung von 14 eigenen
Fällen von Arthroplastik versteifter Fingergelenke. 7 mal handelte es
sich um knöcherne, 6mal um bindegewebige Ankylosen, 1 mal um eine
Pseudarthrose eines Metakarpophalangealgelenkes. In keinem Falle
darf man früher als 6 Wochen nach Ablauf der Eiterung zur Gelenk¬
plastik schreiten. Eine schwere Komplikation bildet die Verwachsung
der Fingersehnen mit den Knochen, doch sind diese Fälle von vorn¬
herein nicht strikt von einer Gelenkmobilisation auszuschließen.
□ igitized by Gougle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
28. April 1922
LITERATURBERICHT
571
“ W. Schulz (Leipzig), Komplette dorsofsterale Luxation im Meta-
tarso-Phalangealgelenk mit Subluxation im Tarso-Metatarsal-
gelenk und multipler Fraktur durch Ueberfahren. Arch. f.
klin. Chir. 119 H. 1. Kasuistik und übersichtliche Darstellung der
bisherigen Erfahrungen bei diesen Verletzungen.
Felix Franke (Braunschweig), Einfache Fingerschiene. M. m. W.
Nr. 13. Stahlschiene des Frauenkorsetts, die sich gut zurechtbiegen läßt und
deren Elastizität bei Kontrakturen ausgenutzt werden kann. Befestigung
mit Heftpflasterstreifen, (s. Abbild.).
H. Schäffer und S. Weil (Breslau), Elektrographische Uuter-
socbnngen über die Mnskelspasmen beim kontrakten Plattfuß. Mitt.
Grenzgeb. 34 H. 3. Auf Grund der Untersuchung ihrer Aktionsströme
sprechen die Autoren die Muskelspasmen als Dauertetanie an. Beri
schwacher Kontraktur ist nur Dehnungsreaktion nachzuweisen. Nach
erfolgreicher Behandlung zeigen die Muskeln — in erster Linie sind
die M. peronei, in geringerem Maße der M. tibialis anticus an der
Kontraktur beteiligt — wieder normales Verhalten.
Frauenheilkunde.
♦♦ A. Döderlein (München), Handbuch der Geburtshilfe ßd. III.
(Schluß). Wiesbaden, J. F. Bergmann, 1922. 171 Seiten und 4 Ab¬
bildungen. M. 30.—. Ref.: Esch (Marburg).
Weber erörtert treffend das Wider die Ausschabung, das Aus¬
bürsten und die Atmokausis der infizierten, puerperalen Uterushöhle,
ferner das Für und Wider die Exstirpation des septischen Uterus,
die Venenunterbindung und die operative Behandlung der Peritonitis.
Bei der Peritonitis empfiehlt er die Kolpotomia posterior. Eisenreich
behandelt in kurzen Worten gründlich die Hygiene und Diätetik der
Schwangerschaft, der Geburt und des Wochenbettes. Den Schluß
bildet ein Autoren- und Sachregister.
N. Ellerbrock (Celle), Einige Bemerkungen zu dem neuen
preußischen Entwarf eines Gesetzes über das Hebammenwesen.
Zbl. f. Gyn. Nr. 9. Für kurze Referate nicht geeignet.
J. Hofbauer, Alimentäre Glykosurie als diagnostische Probe.
Zbl. f. Gyn. Nr. 9. Sehr interessante, für kurzes Referat nicht geeignete
Arbeit.
M. Beckmann, Genese des Hydrops gravidarum. Zbl. f. Gyn.
Nr. 9. Entgegnung auf die Richtigstellung W. Geßners. Zbl. f. Gvn.
1921 Nr. 40.
E. Neumann (Leipzig), Kann die Prognose der Stirn- und Ge¬
sichtslagen durch die Kiellandsche Zange gebessert werden?
Zbl. f. Gyn. Nr. 9. Verfasser kommt in einer sehr ausführlichen und
reichhaltigen Arbeit zu dem Schlüsse, daß für manche Stirn- und
Gesichtslagen die Kiellandsche Zange ein wertvolles therapeutisches
Hilfsmittel ist. Allerdings ist, wie Verfasser ausdrücklich betont, die
Kiellandsche Zange kein Instrument für den praktischen Arzt.
Schultze-Rhondorf (Heidelberg), Hypnotischer Gebartsdämmer-
schlaf. Zbl. f. Gyn. Nr. 7. Verfasser schildert eingehend die an
der Universitäts-Frauenklinik geübte Technik der schmerzlosen Ent¬
bindung in Hypnose. Die Erfolge sind ganz ausgezeichnet, doch eignet
sich die Methode weniger für das Privathaus als für die Klinik.
H. v. Peham (Wien), Angebliche Gefahren des Dämmerschlafes
bei der Geburt. M. m. W. Nr. 13. Zu Opitz in Nr. 8. Der Dämmer¬
schlaf kann nicht als harmlos bezeichnet werden. Es kommen Todes¬
fälle des Kindes durch Vergiftung des Atemzentrums vor, vielleicht
läßt sich dies durch den morphinarmen Dämmerschlaf vermeiden.
Hellmuth (Hamburg), Refraktometriscbe Eiweifibcstimmungen
der Oedemflusrigkeit bei Schwangertchaftsnierenerkrankufigen und
Eklampsien. Zbl. f. Gyn. Nr. 8. Um das funktionelle Verhalten der
Hautkapillaren bei der Schwangerschaftsniere und der Eklampsie fest¬
zustellen, wurde die Oedemflüssigkeit quantitativ auf ihren Eiwei߬
gehalt untersucht (mittels des Pulfrichschen Eintauchrefraktometers). Da¬
bei zeigte sich, daß bei der Schwangerschaftsniere die Oedemflüssigkeit
nur einen sehr geringen Eiweißgehalt auf weist (etwa l,0-0,4°/ n ). Um¬
gekehrt fand sich bei der Mehrzahl der Fälle von Glomerulonephri¬
tis ein hoher Eiweißgehalt der Oedeme (etwa l,0°/ 0 ). Eine klinische Ver¬
wertung dieser Befunde zur Differentialdiagnose zwischen Schwanger¬
schaftsniere und chronischer Glomerulonephritis in Graviditate erscheint
möglich.
A. Mayer (Tübingen), Vorfall des divertikelartig erweiterten
Ureters durch die Harnröhre. Zbl. f. Gyn. Nr. 8. Bei einem 14jährigen
Mädchen war es im Anschluß an das Tragen eines Aehrenbündels zu
einer „Geschwulst" an den äußeren Genitalien gekommen. Bei der
Aufnahme in die Klinik ragte aus der Urethra ein eiförmiger, über
kastaniengroßer, gestielter mißfarbener Tumor hervor. Die zystosko-
pische Untersuchung ergab, daß es infolge von Atresie der rechten
Uretermündung zur Bildung eines Ureterdivertikels gekommen, und daß
dieses Divertikel durch die Urethra nach außen vorgefallen war. Der
Stiel wurde abgetragen, seine Basis mit der anliegenden Ureterwand
durch Nähte vereinigt, södaß eine neue Ureter-Blasenmündung ent¬
stand. Im Anschluß an diesen Fall wird durch sehr instruktive Abbil¬
dungen die Differential diagnose verwandter Erkrankungen besprochen.
O. Frankl (Wien), Adenomyosis. Zbl. f. Gyn. Nr. 7. Die Ade-
nomyosis uteri kommt häufiger vor als bis jetzt angenommen wurde.
Sie betrifft vor allem Frauen im Alter zwischen 45—56 Jahren. Kli¬
nisch manifestiert sich die Adenomyosis vor allem durch Menorrhagien.
Therapeutisch ist die Röntgenbestrahlung machtlos, sodaß in schweren
Fällen nur die Exstirpation des Uterus übrig bleibt.
E. Engelmann (Dortmund), Varikozele des Ligamentum lafom
und ihre klinische Bedeutung. Zbl. f. Gyn. Nr. 9. Die in den
breiten Mutterbändern befindlichen Venenplexus zeigen bei manchen
Frauen pathologische Veränderungen, die denen der Varikozele des
Mannes entsprechen. Für diese Erkrankung wird die Bezeichnung:
Varizokele des Ligamentum latum (tubo-ovarica oder pelvica) vor¬
geschlagen. Die Varikozele der Frau kann ähnliche Beschwerden
machen wie die des Mannes und zeigt in den ausgesprochenen Fällen
einen charakteristischen Symptomenkomplex. Sie ist häufig — wiederum
ähnlich wie beim Manne — von Veränderungen des Ovariums begleitet.
Therapeutisch kann die ein- oder beiderseitige Exstirpation der Adnexe
notwendig werden.
A. H. Hofmann (Offenburg), Invagination des Wurmfortsatzes
gelegentlich gynäkologischer Operationen. Zbl. f. Gyn. Nr. 9. Ver¬
fasser empfiehlt die Invagination des Wurmfortsatzes als Operation
der Wahl bei gynäkologischen Operationen.
Hornung (Kiel), Ureterknntung. Bei einer Frau mit vorge¬
schrittenem Uteruskarzinom mußte bei der abdominellen Radikaloperation
der rechte Ureter reseziert werden, da er ganz von karzinomatösem
Gewebe umwachsen war. Im Anschluß daran wurde die Ureterkno-
tung nach Stoeckel ausgeführt. 5 Wochen post Operationen! kam
die Patientin infolge von Karzinommetastasen in den Lungen ad exitum.
Verfasser zerlegte den Knoten in Serienschnitte und kommt auf Grund
der histologischen Untersuchung unter anderem zu dem Resultate, daß
die „Methode der Verknotung plus Ligatur" die sicherste Gewähr
für den momentanen wie für den dauernden Verschluß des durch¬
schnittenen Ureters gibt.
Wolff (Darmstadt), Beeinflussung der sogenannten Ausfallserschei¬
nungen durch Hypnose. Zbl. f. Gyn. Nr. 7. Verfasser konnte die
äußerst unangenehmen und therapeutisch refraktären Ausfallserschei¬
nungen (nach Röntgenkastration) bei einer 34jährigen Patientin durch
Hypnose weitgehend bessern. Die kurze Mitteilung soll zu einer Nach¬
prüfung an größerem Material an regen.
Haut- und Venerische Krankheiten.
44- Max Joseph (Berlin), Lehrbuch der Hautkrankheiten.
9. Auflage. Leipzig, G. Thieme, 1921. 258 Seiten mit 63 Abbil¬
dungen im Text und auf Tafeln. M. 34.—, geb. M. 43.50. Ref.:
Zieler (Würzburg).
Aus Gründen der Preisfestsetzung hat die 9. Auflage des Joseph-
schen Lehrbuchs der Hautkrankheiten erheblich (fast auf die Hälfte)
gekürzt werden müssen. Aus den gleichen Gründen sind wobl auch
einzelne ersatzbedürftige Abbildungen nicht durch neue ersetzt worden.
Ferner könnte die Besprechung der Tuberkulinreaktionen in ihrer Be¬
deutung für die Hauttuberkulose in späteren Auflagen mehr dem
jetzigen Stand der Frage entsprechend dargestellt werden. Der Wert
des beliebten Lehrbuchs wird aber durch diese kleinen Ausstellungen
nicht besonders beeinträchtigt. Auch in der kürzeren Fassung bietet
das Werk alles Wesentliche, so daß es bei seinen bekannten Vorzügen
wohl auch weiterhin neue Freunde erwerben wird.
Ludwig (Wien), Argocbromtherapie der Gonorrhoe. W. m. W.
Nr. 12. Durch intravenöse Argochrominjektionen wurde in den meisten
der 45 behandelten Fälle männlicher Gonorrhoe ein günstiges Ergebnis
erzielt. Vor allem wird eine günstige Wirkung auf die Schleimhaut
der harnabführenden Wege hervorgehoben. Nicht so deutlich war
der Erfolg bei der durch Komplikationen erschwerten weißlichen
Gonorhoe.
J. Voigt (Göttingen), Haut- und Schleimbautblutungen mit
Knochenmarksschädigungen und tödlichem Ausgang nach
Salvarsau-Hg-Knlfargolbehandlung. M. m. W. Nr. 13. Zu Vill in
M. m. W. 1921 Nr. 52. Die Kombination von Kollargol in so massiger
Dosierung mit Salvarsan-Hg-Behandlung ist gefährlich. Die Schädigung
hat in erster Linie die Nieren betroffen, die Veränderungen am Knochen¬
mark sind Reizerscheinungen.
Kinderheilkunde.
Erwin Thomas und Walter Arnold (Köln), Blaseninbaltsstoffe
über spezifischen Reaktionen (II) — 3. VarlzeUenscbutzimpfung.
M. m. W. Nr. 13. Auf Varizellenbläschen wird Kantharidenkollod'um
gebracht, es entsteht dann eine große Blase. Nach 24 Stunden wird
der Inhalt mit Spritze angesaugt und gesunden, der Infektion ausge¬
setzten Kindern prophylaktisch injiziert
L. Saathoff (Oberstdorf), Coofunktivifis graoularis lateralis.
M. m. W Nr. 13. Ohne erkennbare Reizung der Augen findet sich
sehr häufig eine Hyperplasie der Lymphfollikel der Augenbmdehäute
im unteren äußeren Augenwinkel. Es ist dies ein wichtiger Fingerzeig
für eine bestehende Tuberkulose bei Kindern, am meisten ausgeprägt
von 2—6 Jahren, das Zeichen tritt noch früher auf als der positive
Pirquet.
E. Rüscher, E pituberknlöse Infiltration der Lungen. Die Kinder¬
tuberkulose 2 Nr. 2. Bericht über 5 Fälle, die in das Gebiet der
epituberkulösen Infiltration gehören: Sie werden nach der klinischen
Eigenart, dem stets nachweisbaren Zusammenhang mit einem tuber¬
kulösen Herde, häufig einem Bronchialdrüsenherd, der Schnelligkeit
der Entstehung, der Symptomlosigkeit und Gutartigkeit — als ursächlich
spezifischer, pathologisch-anatomisch unspezifischer Vorgang aufgefaßt.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
572
LITERATURBERICHT
Nr. 17
Kritisches Sammelreferat über Novasurol als Diuretikum.
Von Prof. Dr. Nonnenbruch in Würzburg.
Das Novasurol gehört zu den löslichen Quecksilberpräparaten
(oxymerkurichlorphenoxylessigsaures Natrium mit Diäthylmalonyl-
harnstoff), wurde von der Firma Bayer & Co. zur Syphilisbehandlung
hergestellt und von Zieler als das bestverträgliche lösliche Hg-Salz
bezeichnet. Es kommt in Ampullen zu 2,2 ccm der lOo/oigen Lösung
(mit 0,068 Hg), neuerdings auch in Ampullen zu 1,2 ccm dieser
Lösung in den Handel. Seine starke diuretische Wirkung wurde
erstmals von Saxl als etwas Besonderes erkannt und betont. Außer
dem Kalomel, dessen diuretische Wirkung Jendrassik studierte,
hat sich bisher keine diuretisch wirkende Hg-Verbindung eingeführt.
Dies deutet darauf hin, daß nicht das Ion Hg flas Wirksame ist,
sondern daß es einer besonderen Struktur der Hg-Verbindung be¬
darf für die diuretische Wirkung (Biedermann). Durch die kom¬
plizierende Darmwirkung ist die Erklärung der Kalomeldiurcse schwie¬
rig und deshalb erschien das Novasurol, dem die Darmwirkung
in der Regel fehlt, besonders geeignet, Studien über die diuretische
Wirkungsweise von Hg zu machen (Mühling). Der Hg-Gehalt
des Novasurols ist minimal, weit geringer als der des KalomclSj
dessen oft unerwünschte Darmwirkung es auch deshalb nicht teilt,
weil es, wie Thannhauser und Mühling angeben, einzig und
zwar rasch durch die Niere ausgeschieden wird. Die diuretische
Wirkung des Novasurols dürfte auf dieser raschen Ausscheidung
beruhen. In Versuchen an Normalen fand ich eine meist * sehr
ausgesprochene Wasser- und Kochsalzdiurese nach Novasurol, die
1—2 Stunden nach Verabreichung des Mittels einsetzte und nach
ca. 6—9 Stunden wieder abklang. Dabei sank das Körpergewicht
oft weit mehr, als der Diurese entsprach, sodaß auf eine gleich¬
zeitige erhebliche extrarenale Wasserabgabe geschlossen werden
mußte. Mühling glaubt im Wesentlichen an eine Nierenwirkung.
Mir schien besonders der beobachtete starke extrarenale Wasserver¬
lust für die Gewebswirkung des Novasurol zu sprechen, sowie die
Aehnlichkeit, die in der Wirkung des Novasurols, des Schwitzens,
kochsalzarmcr Kost und der Wirkung einer Theocingabe auf die
Wasser- und Salzbilanz des Körpers besteht. Ebenso wie durch
kochsalzarme Kost ist der Körper bereit, auf eine Theophyllingabe
einen gewissen Wasser- und Salzüberschuß abzugeben. Ist aber
der Körper durch vorhergehende salzarme Kost schon reduziert in
seinem Wasser- und Salzbestand, so bleibt die Theophyllinwirkung
gewöhnlich aus. Novasurol vermag auch in diesem Zu¬
stand noch eine mächtige Wasser- und Salzausschei¬
dung hervorzurufen. (Ein gesunder Student verlor zuerst auf
kochsalzarme Kost 2,4 kg, auf eine folgende Novasurolinjektion ver¬
lor er nochmals 2,4 kg bei 1720 ccm Harn mit 16,6 g NaCI und
1400 ccm extrarenaler Wasserabgabe.)
Das Novasurol scheint besonders intensiv Wasser und Kochsalz
in den Geweben für die Diurese zu mobilisieren. Um was für einen
Vorgang es sich dabei handelt, ist vorerst nicht klar. Im Blut haben
sich keine regelmäßigen Schwankungen des Wassergehaltes gefunden.
Einmal fand man Verdünnung, ein anderes Mal Eindickung. Hydrämie
und Diurese sind jedenfalls weitgehend unabhängig voneinander
(Veil, Oehme, Nonnenbruch u. a.).
Wir müssen mit Ellinger die Wirkung der Diuretika
auf däs Blut wohl in einer Aenderung der Wasserbindung im Blut
und in den Gew f eben sehen. Ellinger fand, daß Serum, dem
Koffein in großer Verdünnung (1:40000) zugesetzt war, mehr Wasser
unter sonst gleichen Bedingungen durch das Ultrafilter abgab, wie
Serum ohne diesen Zusatz und ebenso, daß die Viskosität des Serums
nach Koffeinzusatz sank. Ellinger sieht darin den Ausdruck einer
Entquellung der Eiweißsole im Blutserum, wodurch Wasser für die
Diurese disponibel wird, ohne daß eine Veränderung des absoluten
Wassergehaltes im Blute nachweisbar ist, und er hat auch das Nova¬
surol in seiner Wirkung auf die Viskosität und Ultrafiltrierbarkeit des
Serums untersucht und keinen Einfluß gefunden, hält es aber nicht
für ausgeschlossen, daß in vivo eine solche Wirkung vorhanden ist
(was sich unterdessen bestätigt hat, laut mündlicher Mitteilung).
Die Wirkung des Novasurols auf den Reststickstoff im Blut, auf
die Harnsäure und Kreatininausscheidung hat Mühling beim Nor¬
malen untersucht und fand keinen Einfluß; ebensowenig wurde von
Saxl und Heilig eine Beeinflussung des Blutzuckers gefunden.
Durch Atropin erzielten sie eine Hemmung der Novasuroldiurese.
War schon beim Normalen die Wirkung des Novasurols auf die
Wasser- und Kochsalzausscheidung sehr intensiv, so erwies es sich
in der Klinik beim Oedematösen als ein ganz gewaltiges Diure¬
tikum. Bei den verschiedensten Zuständen ist es angewendet wor¬
den, oft mit entscheidendem Nutzen, oft auch ohne Erfolg und sogar
mit Schaden. Heute kann das Indikationsgebiet des Nova¬
surols folgendermaßen zusammengefaßt werden:
Novasurol soll dann angewendet werden, wenn die gewöhnlichen
Diuretika der Purinreihe versagen. Ganz besonders kommt seine
Anwendung bei allen kardialen Stauungs zu ständen in
Frage, wo Diät, Ruhe, Digitalis und Purinkörper keine ausgiebige
Entwässerung erreichen. Hier ist es das Diuretikum kat’ exochen,
das eine große Bereicherung der Therapie darstellt. Eine Stauungs¬
piere mit Eiweiß und auch Blutkörperchen im Harn ist keine Kontra¬
kt ka ** or V_«^' e Eppinger, sahen wir eine besonders gewaltige
Novasuroldiurese in einem Fall von sogenannter Myodegene-
o cordis mit allgemeinem Oedem, in dem auf Digitalis und
Purinkörper die Diurese nicht über 500 gestiegen wa^ und auf eine
Novasurolinjektion mehr als 4 Liter Harn entleert wurden unter
entsprechendem Gewichtsabfall.
Bei Leberzirrhose sind die Erfolge nicht so sicher. Müh¬
ling meint, daß bei Leberzirrhose mit Ikterus das Novasurol die
Leber schädigt und den Ikterus verstärkt, trotzdem die Diurese
steigt und der Aszites abnimmt. Hegler spricht von unsicherer
Wirkung bei Leberzirrhose. Hubert berichtet über einen Fall,-wo
Novasurol keine Wirkung hatte. Saxl und Heilig gaben Novasurol
bei Leberzirrhose mit sehr gutem Erfolg. In einem eigenen Falle
versagte es. — Bei Bauchfelltuberkulose sah Lange in
2 Fällen keine Wirkung. Jansen behandelte 4 Fälle von Poly¬
serositis (eine sehr gute Wirkung, ein Versager, zweimal Hämat¬
urie ohne Diurese, weshalb Jansen die Anwendung des Mittels
bei Polyserositis sehr einschränken möchte). Auch bei Pleuritis
exsudativa war es ohne Erfolg (Kollert). Bei den entzündlichen
Ergüssen in den serösen Höhlen ist das Novasurol also, ähnlich wie
es vom Kalomel bekannt ist, von sehr unsicherer Wirkung.
Streng abgelehnt wird das Novasurol von allen Seiten bei
der eigentlichen Nephritis. Thannhauser, der den renalen
Angriffspunkt des Novasurols besonders betont, sagt: Mit dieser
spezifischen Wirkung auf die Nierenfunktion im engen Zusammen¬
hang steht auch die Gefährlichkeit und strenge Kontraindikation des
Novasurols bei allen Erkrankungen des Nierenparenchyms. Schwere
Hg-Vergiftung pflegt die unmittelbare Folge seiner Anwendung bei
nicht rein kardialen Stauungen zu sein, und es kann nicht genug
gewarnt werden vor seiner unvorsichtigen Anwendung. Ebenso ist
das Novasurol kontraindiziert bei Enteritis und schwerer
Kachexie; auch bei fieberhaften Zuständen ist vorsichtige Dosierung
am Platze.
In der Nephrose sieht Saxl keine Kontraindikation.
Er hat hier, ebenso wie Haggeney, das Novasurol in einem Falle
mit sehr gutem Erfolg angewendet. Wir selbst haben noch keinen
Fall reiner Nephrose mit Novasurol behandelt.
Auch in der Nierensklerose sehen Eppinger und Saxl
keine Kontraindikation der Novasuroltnerapie. Eppinger
sagt: Auch hier erweist sich die Nierensklerose als. Krankneitsbild
sui generis, sodaß auch Fälle von arteriosklerotischer Schrumpf¬
niere keine Kontraindikation darstellen.
Die Schäden, die nach Novasurol auftreten können, sind die
bekannten Erscheinungen der Hg-Vergiftung. So berichtet Kollert
von Stomatitis, die ihn zum Aussetzen, des Mittels zwang. Durch¬
fälle wurden häufig beobachtet, sogar schwere Kolitiden, mit blutig
schleimigen Stühlen. Eppinger sägt, daß unangenehme Kompli¬
kationen zu den Seltenheiten gehören und sich meist nur dann
einstellen, wenn es nicht zur Diurese kommt. Wir selbst haben
auch nie schwerere Störungen gesehen und glauben, daß sich solche
bei vorsichtiger Dosierung des Mittels vermeiden lassen. Auf die
gesunden Nieren und auf die einfache Stauungsniere hat das Nova¬
surol in den therapeutischen Dosen nach den bisherigen Beobach¬
tungen keine schädigende Wirkung. Brunn fand in einem Fall, wo
im Laufe von 6 Monaten 46 ccm Novasurol injiziert worden waren,
die Niere autoptisch unverändert. Störungen des Herzens wurden
nicht beobachtet.
Für die Anwendung und Dosierung gelte, daß man Nova¬
surol nur dann als Diuretikum gebe, wenn Digitalis und die ge¬
wöhnlichen Diuretika versagt haben. Eine vorbereitende Digitalisie¬
rung wirkt nach Saxl una Heilig begünstigend. Als erste Dosis
gebe man nicht mehr als 1,0 ccm (auch wegen Ueberempfindlichkeit)
der in Ampullen zu 1,2 und 2,2 ccm käuflichen 10o/oigen Lösung und
injiziere diese intramuskulär (meist) oder intravenös (selten). Manch¬
mal ist die Injektionsstelle einige Stunden etwas empfindlidi. In¬
filtratbildung haben wir ebenso wie Saxl nie beobachtet. Tritt nach
1,0 ccm keine Wirkung ein, so kann der Fall als ungeeignet gelten,
und man mache, wenn überhaupt, vor Ablauf einer Woche Keinen
weiteren Versuch. Erfolgt eine deutliche Diurese, so kann man die
Novasurolbehandlung fortsetzen und wiederhole die Injektion jeden
2. Tag oder seltener (wir machten 4 Tage Pause), wobei bei ent¬
sprechender Mehrwirkung ein Steigen der Dosis auf 1,5 und 2,0 ccm
erlaubt ist. Wie lange die Behandlung fortgesetzt wird, muß sich
nach dem einzelnen Fall richten. Im allgemeinen wird man solange
mit der Behandlung fortfahren, als die entwässernde Wirkung anhält.
Das Neuanwachsen von Oedemen kann man verhüten, wenn man
nach dem Vorschlag von Saxl mehrmals im Jahre eine Novasurot-
kur von 4—6 Injektionen in 2tägigem Abstand oder dauernd jede
Woche einmal eine Injektion macht. Durch kochsalzarme Trocken¬
kost wird die Novasurohvirkung unterstützt.
Janos Biedermann, Gyogyaszat 1921 Nr. 6. — Brunn, M. m. W. 1921,48. -
Ellinger, Klin.ther. Wschr. 1922 Nr. 6. — Eppinger; Ther. d. Gegenw. Märe 1921. -
H a g g e n ey, M. Kl. 1922. — H e e 1 e r, Hamb. Wschr. f. Aerzte u. Krankenk. 1921. — Hubert,
M. m. W. 1921, 48. - Jansen, M. m. W. 1922 S. 255. - Kollert. Ther. d. Gegenw. Okto¬
ber 1920. — Lange, Ther. d. Gegenw. Juli 1920. — Mühling, M. m. W. 1921 Nr.45. -
Nonnenbruch, M. m. W. 1921 Nr. 40. — Ritter, Diss. Köln 1921. - Samet.W.m.W.
1921 Nr. 30. - S a x I, W. kl. W. 1920. Nr. & - S a x I und H e i 1 i g, W. Arch. f. inn. Med. 1921,
3, H. 1/2. — Saxl, W. m. W 1921 Nr. 30.-Thannhauser, M. m.W. 1922 S. 255. - Bur¬
winkel, M. m.W. 1922 Nr. 6 . -G «rönne,Ther. d. Gegenw. 1922Nr.2. - Hassenkamp.
Zbl. f. Inn. M. 1922 Nr. 6.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSITV
VEREINS- UND KONGRESSBERICHTE
Redigiert von Ober-Reg.-Med.-Rat Dr. O. Strauß.
Berlin, Verein für Innere Medizin und Kinderheilkunde
(Pädiatrische Sektion), 16.1.1922.
Offizielles Protokoll.
Vorsitzertder: Cassel. Schriftführer: L. F. Meyer.
Referatthema: Behandlung der Rachitis. Referenten: Hamburger
(vgl. Nr. 14 S. 454) und Wollenberg (vgl. S. 551).
Besprechung. Peltesohn tritt für frühzeitige Mitwirkung
des orthopädischen Facharztes bei drohenden rachitischen Defor¬
mierungen ein. Bei der Familienversicherung setzt wirksame Be¬
kämpfung rachitischer Verbiegungen bessere Entgeltung der Leistun¬
gen seitens der Krankenkassen voraus. Bei noch nicht ausgeheilter
Rachitis kommt der allgemeinen und der lokalen Massage und dem
Verbot der Belastung (Kinder ins Freie fahren!) hohe Bedeutung zu:
Hebung des Muskeltonus und Stillstand der Verbiegung wird so er¬
zielt. Die dem kindlichen Organismus von Natur innewohnende
starke Tendenz zum Selbstausgleich (wofür Beweise gegeben werden)
kann nunmehr einsetzen. Passive Korrekturen, kombiniert mit regel¬
rechter ärztlicher Massage, wirken sogar auf erheblichere Deformi¬
täten, selbst auf rachitische (mobile) Skoliosen sehr günstig ein.
Die Ueberweisung dieser letzteren an voii Laien unterhaltene sog:
orthopädische Turnzirkel sollte nicht mehr Vorkommen. — Das intra¬
artikuläre Redressement des kindlichen Genu valgum und das model¬
lierende Redressement nach Röpke-Anzoletti zeitigen gute Re¬
sultate.
Muskat weist darauf hin, daß er oft beobachtet hat, daß nach
aufgetretenem Ekzem bei vorher gesunden Kindern plötzlich Knochen¬
veränderungen rachitischer Natur auftreten. Natürlich wäre es mög¬
lich, daß durch die allgemeine Schädigung und Schwächung des Ge¬
samtorganismus auch das Knochensystem beeinflußt wird. Bei der
Behandlung der Skoliose dürften in Zukunft die operativen Methoden,
wie sie Sauerbruch (München) ausführt, und die Beckenfixierung
zur Selbstkorrektur nach Schede (München) in Betracht zu ziehen
sein. Großer Wert ist der vom Referenten erwähnten familiären
Prophylaxe beizulegen. Bei genauer Beobachtung von Familienreihen
wird sich stets feststellen lassen/ welche Familienmitglieder zur
Rachitis neigen. Es sind nicht alle Kinder derselben Familie be¬
troffen, sondern meist nur diejenigen, welche im Typ dem aszen-
dierenden Rachitiker ähneln. Es ist zu erwarten, daß bei Berück¬
sichtigung dieser Verhältnisse rechtzeitig prophylaktisch erfolgreich
eingegriffen werden kann.
Debrunner: Das Durchschnittsalter der bei uns operativ be¬
handelten kindlichen Rachitiker betrug 4 Jahre 3 Monate. Die
Osteoklasie wird beim O-Bein im früheren Alter bevorzugt. Sobald
eine Deformität das physiologische Maß deutlich überschreitet und
die Rachitis im Stadium der Abheilung begriffen ist, nehmen wir
die Stellungskorrektur (selbst im Alter von 2 Jahren) vor. Grund:
1. Wir wissen nie, ob ein Bein sich spontan bessern wird oder nicht.
Wir sehen keiner Deformität ihren Ausgang an. 2. Die Osteoklasie
ist einfach und schafft ideale Heilerfolge; die blutige Operation ist
komplizierter. (Beweis durch Diapositive.) — Zum Gipsbett: Der
Vorwurf, daß das Gipsbett die Bewegungsfreiheit des Kindes in
ungünstiger Weise hemme, ist unbegründet. Das Gipsbett ist vor
allem ein Schlafbett. Tagsüber werden die Kinder herausgenommen
zum Massieren, zum Kriechen (physiolog. Kriechperiode!), zum Liegen
in Bauchlage, die große Vorteile hat. Zudem lassen sich bronchitische
Kinder, die wegen der bedrohlichen Erscheinungen von seiten der
Lungen herumgetragen werden müssen, bequem im Gipsbett in halb¬
sitzender Stellung transportieren.
Frosch: Günstige Resultate bei der Behandlung der vorgeschrit¬
tenen floriden Rachitis wurden in der Orthopädischen Universitätsklinik
Berlin erzielt vor allem durch gründliche Massage, ferner Bäder mit
Zusatz mineralischer Salze, passive Redressionen, in geeigneten Fällen
auch aktive Gymnastik, jedoch möglichst unter Ausschaltung der Be¬
lastung. Das geschilderte Vorgehen, dessen Erfolge an Hand von
Radiogrammen der Handgelenke veranschaulicht werden, erweist sich
insofern der Bestrahlungstherapie überlegen, als es bedeutend weniger
Kosten, Zeitverlust durch den Transport zur Bestrahlungsstelle sowie
Möglichkeit der Infektion usw. verursacht. Die Angehörigen ver¬
mögen nämlich in den meisten Fällen die nötigen Maßregeln nach
vorheriger ärztlicher Unterweisung leicht im Hause des Kranken
selbst ohne große Kosten durchzuführen. Es bedeutet dies einen
wichtigen Faktor der in der Orthopädie bei allen chronischen Er¬
krankungen (vgl. Gelenktuberkulose) erstrebten ambulanten Behand¬
lung.
Böfcm zeigt an einer Statistik, daß die meisten sog. „Schul¬
skoliosen“ bereits« in die Schule mitgebracht werden. Er nimmt
an, daß derartige Wirbelsäulenverkrümmungen vielfach rachitischen
Charakters sindj und erklärt an Präparaten den Zusammenhang
zwischen „Schul-“ oder „habitullen“ Skoliosen und Rachitis. Der
Kampf gegen diese Wirbelsäulenverkrümmungen kann nur wirksam
geführt werden, wenn er nicht erst in der Schulzeit einsetzt, sondern
im Säuglings- bzw. im Kleinkindesalter mit allen Mitteln (Gipsbett
usw.) aufgenommen wird.
Kosenstern: Klinische Beobachtungen haben gezeigt, daß an
den Erfolgen der meist kombinierten Freiluft-Sonnenbehandlung der
Rachitis außer der Bestrahlung noch andere Faktoren beteiligt sein
müssen. — Die Rolle der Infekte bei der Rachitis ist noch nicht
genügend geklärt. Sicher ist, daß Erkrankungen der Luftwege einen
höchst nachteiligen Einfluß auf den Verlauf der Thoraxrachitis aus¬
üben. Vielleicht ist das nur eine mechanische Beeinflussung. Man
sieht nämlich auf der anderen Seite nicht selten schwere Kraniotabes
bei längerdauernden Infekten rasch abheilen, wobei allerdings die
gleichzeitige Reduktion des Ernährungszustandes von Bedeutung sein
könnte. — Massage und elektrische Behandlung leisten Gutes bei
den nicht seltenen Fällen vorwiegender Muskelrachitis, die bisweilen
überhaupt die wesentlichste Erscheinung darstellt, bisweilen als Rest
allgemeiner Rachitis zurückblcibt und durch Allgemeinbehandlung nur
langsam beeinflußt wird. — Die Frage, ob zurückbleibende Verkrüm¬
mungen der Beine eine Indikation zu künstlicher Beschränkung des
Gehens und Laufens bilden, erscheint noch nicht genügend geprüft.
Ihre Beantwortung ist erschwert durch die starke Tendenz des Kör¬
pers zu spontanem Ausgleich der Verkrümmungen.
Berlin, Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten,
13. II. 1922.
Bernhardt: Demonstration eines vor wenigen Stunden sezierten
Kleinhirnbrückenwiokeltumors (Cholesteatom).
Besprechung. Schuster: Der Fall bot skandierende, schon im
Leben auf das Kleinhirn bezogene Sprache.
Heinemann-Grüder: Bericht über in letzter Zeit operierte
Kranke mit Jacksonschen epileptischen Anfällen nach Schädel Verletzung.
Immer wurde eine kegelartige Verwachsung des Hirns mit der Narbe
gefunden. Regelmäßig Fettlappentransplantation, selten knöcherne
Deckung, gewöhnlich Schluß des Schädels durch Zurücklegen des
Galealappens. Abgesehen von einigen Todesfällen durch Meningitis
immer ein günstiger Einfluß wenigstens auf Zeit, Schwinden oder
Minderung der Anfälle und der Kopfschmerzen, günstige Beeinflus¬
sung des psychischen Zustandes. Wenn Krampfanfälle, deren örtlicher
Grund nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, bestehen,
ist Operation eventuell wiederholt indiziert, und zwar Lösung der
Verwachsungen und Verhütung neuer Verwachsungen, wozu das
Verfahren noch weiter zu entwickeln ist. Die Frage der Deckung ist
von Fall zu Fall zu entscheiden. Sachverständige Nachbehandlung ist
von größter Wichtigkeit.
Besprechung. Peritz: 10% der Hirnverletzten bekommen
Epilepsie. Zu operieren sind die mit Status und die stark unter den
Anfällen Leidenden. Von vier von Katzenstein operierten Fällen
Peritz’ ist nach 3 Jahren einer frei von Anfällen geblieben. Erst
nach Monaten ist ein Urteil über den Operationserfolg möglich.
Marx fragt, ob vorher mit Xifalmilch oder mit ähnlichen Mitteln
behandelt woraen ist.
Cassirer hat einen vom Vortragenden operierten und demon¬
strierten Kranken früher beobachtet. Nach einer von Bier vor einem
Jahr vorgenommenen Operation traten wieder Anfälle auf, ebenso hat
der Kranke jetzt schon wieder kleine Anfälle, sodaß von einem Erfolg
nicht gesprochen werden kann. Auch der Fettlappen wird wieder zu
Bindegewebe. Die Veränderungen gehen über die Verwachsungsstellen
hinaus. Kopfschmerzen wie aer psychische. Zustand werden günstig
beeinflußt. Die dauernde Wirkung ist aber nur sehr gering.
Henneberg: Bei der Deckung eines mäßig großen Schädel¬
defekts löste die Operation vorher nicht bestehende Epilepsie aus.
Luminal ist bei traumatischer Epilepsie weniger wirksam als bei
genuiner. Xifalmilch hat keine Wirkung.
Stier: Abgesehen von zw f ei guten Erfolgen hat Stier nie eine
günstige Wirkung gesehen. Er rät daher selten zur Operation, um
so mehr, als Luminal günstig wirkt.
Löwy-Hattendorf berichtet auch über nur wenig günstige
Erfahrungen.
Bonhoeffer fragt nach der Zahl der günstig verlaufenen Fälle.
Erfolge können erst nach mehreren Monaten beurteilt werden. Schon
die Fernhaltung von Schädigungen durch den Krankenhausaufenthalt
bewirkt oft ein Ausbleiben der Anfälle für lange Zeit. Auftreten von
Schwindelanfälleu nach der Operation zeigt schon eine Fortdauer
des epileptischen Habitus.
Heinemann-Grüder (Schlußwort): Interne Behandlung hat
immer vorher stattgefunden. Von 16 operierten Kranken sind 4 durch
mobilisierte Abszesse gestorben, die übrigen gebessert.
Bonhoeffer: Anatomischer Befand bei Rechts-Llnks-Störungen
and Agrammatismus. Demonstration der Hirnschnitte. Neben einem
kleinen Herd in der mittleren Partie der hinteren Zentralwindung fand
sich ein großer Herd, der die Supramarginalwindung und die hinterste
zur Fossa Sylvii absteigende Kante der ersten Schläfenwindung ein¬
schließlich der Heschelschen Windung erfaßt hat.
Besprechung. Schuster: Bei dem Befunde ist das Tehleu
von Apraxie auffällig, die aber vielleicht durch die Rechts-Links-Störung
angedeutet ist.
Bonhoeffer (Schlußwort). Kurt Löwenstein.
Digitized by Google
Original from
CORUELL UNIVERSITY
574
VEREINS- UND KONORESSBERICHTE
Nr. 17
Berlin, Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie,
10. III. 1922.
Fortsetzung der Besprechung über den Vortrag Siefarts: Zur
Indikation und Technik der Abortbehandlung.
Warnekros vertritt den aktiven Standpunkt der Universitäts-
Frauenklinik. Von 1110 in der Poliklinik aktiv behandelten Fällen
von Abort hat die Nachfrage bei 784 Frauen ergeben, daß 2 gestorben
und 11 längere Zeit krank gewesen sind. Von 230 bakteriologisch
untersuchten Fällen waren 91 septisch, darunter 43°/o mit Strepto¬
kokken infiziert. Bei konservativem Verfahren erlebt man häufig
eine Endometritis post abortum und mitunter Plazentarpolypen, die
dann nach der Ausräumung eine hohe Mortalität aufweisen. Die
Gesamtmortalität der Fälle betrug 0,9°/o. Spülungen werden nicht
angewandt. In letzter Zeit wird versucht, das Uteruskavum durch
Aetherdämpfe zu desinfizieren. Nach erfolgter Ausräumung kontra¬
hiert sich der Uterus, wodurch die Venen und Lymphspalten kom¬
primiert werden und so der Invasion der Bakterien Einhalt geboten
wird, während bei konservativem Verfahren die Bakterien weit über
die Dezidua und die Wand des Uterus Vordringen können, was eine
Anzahl von Mikrophotogrammen beweisen soll.
Nagel geht aktiv vor.
Meyer vertritt ebenfalls den aktiven Standpunkt.
Heyn bespricht die Therapie der fieberhaften Aborte in
der Charite-Frauenklinik, die er eine gemäßigt aktive nennt. Die
Arbeiten Winters haben auf jeden Fall gezeigt, daß man, ohne
wertvolle Zeit zu verlieren, einige Zeit abwarten kann. Es handelt
sich nicht mehr um die Frage, ob man ausräumen muß, sondern ob
man ausräumen kann;-und das kann man, wenn nach ein- bis
zweitägiger Beobachtung die Infektion auf das Uteruskavum beschränkt
gefunden wird. Brauchbare Vergleichsresultate für die einzelnen
Behandlungsarten kann mau bei der Verschiedenartigkeit der Methoden
und der Auswahl der Fälle nur bekommen, wenn man die Gesamt¬
resultate aller fieberhaften Aborte, der komplizierten und der
nichtkomplizierten, gegenüberstellt. Die Anzahl der Fälle, die wegen
lebensbedrohlicher Blutungen ausgeräumt werden müssen, ist selbst
mit 10 °/o zu hoch berechnet.
Hammerschlag polemisiert gegen Wa rnekros. Er hat früher
aktiv behandelt und ist jetzt zur konservativen Therapie über-
egangen. Die Anwesenheit von Streptokokken im Zervikalsekret be-
eutet noch keine Infektion.
Straßmann wendet die aktive Therapie an und verwendet
die Kürette. Nach Nichtausschaben will er häufiger Sterilität und
Endometritis post abortum beobachtet haben als bei konservativ
beobachteten Fällen.
Sachs steht auf dein Standpunkt der Winterschen Schule und
stellt die Indikation zur Ausräumung auf Grund der bakteriologischen
Untersuchung des Zervikalsekretes. Außerdem hält er die bakterio¬
logische Untersuchung für wichtig für die Therapie und die Prognose
eines fieberhaften Abortes. Allerdings geht Sieg wart zu weit, der
mit seinen Blutagargußplatten selbst vereinzelte Streptokokken nach¬
weist, die auch für ihn noch keine septische Infektion bedeuten.
Bumm betont, daß man mit der Anwesenheit von Streptokokken
nicht viel anfangen kann. Für den septischen Abort ist es wichtig, ob
die Infektion über die Dezidua hinausgegangen ist und die Plazentar¬
thromben infiziert sind. Dann ist die Prognose auf jeden Fall schlecht.
Franz betont die Schwierigkeit, zu entscheiden, ob die Infektion
lokalisiert ist oder schon über den Uterus hinausgegangen ist. Des¬
wegen befürwortet er eine kurze klinische Beobachtung.
Schlußwort: Siefart. Heyn.
Köln, Allgemeiner ärztlicher Verein, 6. II. 1922.
Thomas bespricht im wesentlichen die in der Literatur anschei¬
nend noch nicht berücksichtigte Wirkung des aus ökonomischen
Gründen viel verordneten Gemisches Schleim und Plasmon, ln der
Kölner Kinderklinik wurde verwendet ein 3o/ 0 iger Haferschleim mit
0,3o/o Kochsalz (Kochdauer % Stunde), für junge Säuglinge mit 2y 2 %,
für ältere mit 4o / 0 Plasmon. Bei Dyspepsien nach Rizinus sogleich
oder nach 6 Stunden Tee, Schleim und Plasmon 150—180 ccm pro
Kilogramm. Dieses wird höchstens 48 Stunden gegeben. Bessern sich
die Stühle,'so wird an jedem folgenden Tag je eine Mahlzeit durch
Milch-Mehlmischung ersetzt. Findet keine merkliche Besserung der
Stühle statt: umsetzen auf Eiweißmilch, mindestens in derselben Menge
als vorher Schleim und Plasmon, mit entsprechendem Zuckerzusatz.
Bei Dyspepsien an der Brust wird 1/3 der Gesamtmenge durch Schleim
und Plasmon ersetzt. — Ganz allgemein kommt es bei der Anwendung
des Gemisches 2 u einer Verminderung oder Aufhebung der bei der
üblichen Therapie regelmäßigen initialen Gewichtsabnahme, oft sogar
zu einer Zunahme. Treten z. B. bei 800 g Malzsuppe dyspeptische
Stühle ein, so kann man ohne jede Zwischentherapie 800 g Schleim
und Plasmon geben und nach 2 Tagen 800 g etwa Milch-Mehlsuppe,
ohne daß die Kurve einen der kalorischen Unterernährung ent¬
sprechenden Ausschlag nach unten zeigt. Solche Maskenkurven ver¬
raten nichts von den Umwandlungen, welche im Organismus während
dieser Zeit sich abspielen. Die Abnahme an Körpersubstanz wird ver¬
deckt durch Präödem oder Oedeme. Wird dann auf eine kleinere
Menge einer konzentrierten Nahrung umgesetzt, so erfolgt ein unter
Umständen katastrophaler Gewichtssturz. Deshalb muß immer auf
gleichere oder größere Mengen umgesetzt werden. Die hydropigene
Wirkung des Gemisches wird wohl weniger durch den Schleim her¬
vorgerufen. Die hydropische Form des Mehlnährschadens entsteht
wohl nie durch Mehlernährung allein. Das Hafermehlödem der Dia¬
betiker und die Versuche von Bischof und Voit werden be¬
sprochen. Da im ersten Trimenon nie ein ganzer Liter der Mischung
verordnet wird, dürfte selbst in dieser Zeit die Kochsalzmenge (0,3<yo)
zu klein sein, um Oedeme hervorzurufen. Man findet auch bei älteren
Säuglingen die hydropigene Wirkung des Gemisches, unabhängig von
Spasmophilie. Sie dürfte im wesentlichen durch das Ueberangebot au
Eiweiß bei gleichzeitiger kalorischer Unterernährung und genügender
Flüssigkeitsaufnahme bedingt sein. — Verfasser hält einen Versuch
bei leichteren akuten Ernährungsstörungen für angebracht, atrophische
Zustände erheblichen Grades bilden eine strikte Kontraindikation,
ebenso hydropische Konstitution.
Joseph stellt 2 Fälle von erfolgreicher Thorakoplastik vor.
H. F. O. Haberland.
Bonn, Niederrheinische Gesellschaft für Natur- und
Heilkunde, 16.1.1922.
Offizielles Protokoll.
Vorsitzender: Sobotta. Schriftführer: Hinselmann.
W. Fischer demonstriert eine Leber mit hämorrhagischer Infil¬
tration fast des ganzen rechten Lappens, infolge Thrombose der
Lebervenen, bei Thrombose'der Kava und Nierenvenen infolge Ein¬
bruchs eines Hypernephroms der rechten Niere in die Vene. Die
Pfortader war frei von Geschwulst und Thromben. Mikroskopisch
ist im rechten Lappen das ganze Lebergewebe im Bereich der Läpp¬
chen bis auf einen ganz schmalen Saum zunächst der Peripherie der
Azini vollkommen hämorrhagisch -infiltriert.
Leo: Neues über Kampfersol, p. Diketokampban und p. Oxy-
kampfer. (Vgl. Nr. 12 S. 377.)
Kantorowicz: Die zahnärztliche Sanierung der Schuljugend. Die
übliche poliklinische Behandlung,, wie sie traditionell in den Schul¬
zahnkliniken geübt wird, hat nicht die gehofften Erfolge herbei¬
geführt. Die Zahl der endgültig sanierten und unter zahnärztlicher
Kontrolle gehaltenen Kinder übersteigt auch in den besten Kliniken
selten 10°,o. Demgegenüber ist es in B<?nn durch die Methode der
Reihenuntersuchung gelungen, 96—98°/o der Schuljugend Bonns voll¬
ständig zu sanieren und saniert zu halten. Die hierzu notwendige
einfache Organisation ist bei weitem weniger kostspielig als die
frühere poliklinische Behandlung. Die Kontrolle erstreckt sich vom
6 . bis zum 18. Lebensjahre, dem Austritt aus der Berufsschule.
W. Fröhlich: Ueber eine Methode zur Messung der Empfin-
duagszeit. Fröhlich berichtet über eine Methode, welche es zum
ersten Male ermöglicht, die Empfindungszeit zu messen, d. h. jene
Zeit zu bestimmen, welche zwischen der Einwirkung eines Sinnes¬
reizes und dem Eintritt der damit verknüpften Empfindung vergeht.
Die Methode besteht im Prinzip aus einem Lichtspalt, der sich hinter
einem Schirm mit gleichmäßiger und meßbarer Geschwindigkeit be¬
wegt und in einem Zeitmoment am Rande des Schirmes hervortritt.
Der Lichtspalt wird erst empfunden, wenn er sich eine Strecke weit
von dem Rande des Schirmes entfernt hat. Aus dieser Strecke und
der Geschwindigkeit des Spaltes läßt sich die Empfindungszeit be¬
rechnen. Sie beträgt im Mittel für ungefärbtes Licht 70 o, während
die Reaktionszeit auf den Lichtreiz im Mittel 200 o ausmacht. Eine
kombinierte Untersuchung von Empfindungs- und Reaktionszeit er¬
möglicht einen tiefergehenden Einblick in den zeitlichen Verlauf der
Bewußtseinsvorgänge, als dies bisher möglich war. Die Empfin¬
dungszeit ist von einer größeren Reihe von Faktoren abhängig. Die
bisher beobachteten Werte bewegen sich zwischen 40—200 o.
G. Liebermeister (Düren): Nierensteine^uud Niereotuberkulose.
Liebermeister hat bei 3 Fällen in Kalkkonkrementen aus der
Niere säurefeste Bazillen nachgewiesen. Der erste Fall ist */* Jahr
später von Prof. Kümmell (Hamburg) wegen rechtseitiger Nieren¬
tuberkulose operiert worden. Von den beiden anderen Fällen, in
deren Konkrementen massenhaft säurefeste Bazillen gefun¬
den wurden, werden mikroskopische Schnitte mit typischerhisto-
logischer Tuberkulose der Nieren demonstriert. Bei einem
weiteren Fall von Nierenstein, bei dem auf Tuberkulin Organreak¬
tionen von seiten der rechten Niere aufgetreten waren, fand sich in
der exstirpierten Niere bei genauer Untersuchung vieler Schnitte
keine histologische Tuberkulose.* Es ist wenig wahrscheinlich, daß
das Zusammenvorkommen ein rein zufälliges ist. Auf der jpnderen
Seite erinnert sich Liebermeister nicht, sonst je bei seinem aller¬
dings kleinen Material an Nierentuberkulosen Steinbildung beobachtet
zu haben. Das Zusammenvorkommen ist wohl nicht sehr häufig; es
kann eintreten, wenn bei Nierentuberkulose mit erhaltener Konzen¬
trationsfähigkeit der erkrankten Niere örtliche Urinstauungen vor¬
handen sind. Dann können die tuberkulösen Käsemassen als organi¬
sches Gemisch für die Steinbildung dienen. Es ist aber auch im Einzel¬
fall denkbar, daß die durch ein Konkrement verursachte Urinstauung
bei einem tuberkulös Infizierten die Lokalisation der Tuberkulose in
der Niere bewirkt, wie bei der P. Baum garten sehen experitnen-
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSITV
28. April 1922
VEREINS- UND KONORESSBER1CHTE
575
teilen Nierentuberkulose durch Ureterunterbiudung. — In der Literatur
der Inneren Medizin findet Liebermeister keine Hinweise auf
tuberkulöse Nierensteine. Vielleicht gehören einige von L. Casper
anders gedeutete Fälle hierher. , Dr. Kursmaecker erwähnt den
radiologischen Nachweis von Steinbildung bei infektiösen und be¬
sonders tuberkulösen Nierenerkrankungen. Den Uebergang zwischen
der käsigen Pyonephrose und der echten Steinbildung bilden die von
Aschoff beschriebenen mörtelartigen Massen mit Linlagerung von
Kalksalzen in den tuberkulösen Käse. Sie werden wahrscheinlich
auch im Röntgenbild Schatten geben. Der eine Stein, den Lieber¬
meister chemisch untersuchte, gab keine Murexidprobe; bei Säure¬
zusatz bildeten sich reichlich Gasbläschen, es blieb ein erheblicher
organischer Kern zurück. Es handelt sich wahrscheinlich in der
Hauptsache um Steine von kohlensaurem Kalk. Vielleicht ist in alten
Steinniereu der Befund von Tuberkulose nicht so selten, wie es bisher
den Anschein hat. Zum Nachweis müssen zahlreiche Schnitte
aus verschiedenen Gegenden der Nieren mikroskopiert
werden.
Besprechung. Th. Naegeli: Gleichzeitiges Vorhandensein
von Nierentuberkulose und Nierenstein ist relativ selten. Der kausale
Zusammenhang beider Leiden ist nicht immer leicht festzustellen.
Meist waren die gefundenen Nierensteine die Folge von
der Tuberkulose; sie bildeten sich durch Inkrustation nekro¬
tischer tuberkulöser Gewebsbröckel (Frank, Wildbolz u. a.). In
einzelnen Fällen ist aus der Größe der Steine und der noch sehr
eringen Entwicklung der Tuberkulose zu schließen, daß die Stein-
ildung das Primäre ist und die tuberkulöse Infektion der Niere ihr
folgte. Zwei Beobachtungen von Wild bolz, wo nach Entfernung
der Steine die Tuberkulose sich zurückbildete, sprechen für einen sol¬
chen Zusammenhang, ebenso Sektionspräparate von F r e r i c h s
und Orth.
Gießen, Medizinische Gesellschaft, I. II. 1922.
Offizielles Protokoll.
Stellvertr.Vorsitzender: Kaeß. Schriftführer: Gundermann.
v. Jaschke: Karzinom und Gravidität. Demonstriert das durch
abdominale erweiterte Radikaloperation gewonnene Präparat eines
frisch puerperalen Uterus mit Zervixkarzinom. Die 14 Gebärende
war gebärend in die Klinik eiugeliefert worden. Die Diagnose auf
Karzinom konnte während der Geburt nicht mit Sicherheit gestellt
werden, da es bei dem fünfmarkstückgroßen Muttermund zweifelhaft
war, ob es sich um narbige Veränderungen des Muttermundes infolge
der vorangegangenen Geburten oder wirklich um Karzinom handelte.
Eine besondere Rigidität des Muttermundes bestand nicht: Ehe durch
mikroskopische Untersuchung eines exzidierten Gewebsbröckels die
Diagnose sichergestellt war, erfolgte die Spontangeburt. 10 Stunden
später wurde die erweiterte Radikaloperation vorgenommen. Mutter
und Kind sind gesund entlassen worden.
Seitz: Besprechung der geltenden Meinungen über die Physiologie
der Plazeot», besonders ihre Bedeutung für die Graviditätsveräode-
nmgen bei Mutter und Kind, für die Laktation, für das Wachstum und
die Entwicklung des Genitale und für den Geburtseintritt und ihrer
klinischen und experimentellen Grundlagen. — Therapeutische Ver¬
suche mit einem von Merck hergestellten Präparat Plazenta-
opton bezweckten vor allem die Prüfung der Wirkung auf Geburts¬
eintritt und Wehentätigkeit. Es gelang niemals, auch nicht bei hoher
Dosierung, die Geburt am errechneten Termin oder bei übertragener
Schwangerschaft in Gang zu bringen. Bei Wehenschwäche in der
Eröffnungsperiode wurde ein erkennbarer Erfolg fast stets vermißt.
Bei Wehenschwäche nach vor- und frühzeitigem Blasensprung traten
vereinzelt Wehen nach der Injektion des Mittels ein, doch sina gerade
solche Fälle für die Beurteilung eines Wehenmittels nicht verwend¬
bar. Auch bei Aborten war eine sichere Wirkung nicht feststellbar.
Im ganzen kann von einer sicheren und konstanten Wehenanregug
durch das Mittel in der bisherigen Dosierung und Applikationsweise
keine Rede sein.
Besprechung, v. Jaschke unterstreicht die kritischen Er¬
gebnisse der von Seitz durchgeführten Untersuchungen, die ganz
im Gegensatz zu dem glänzenden Erfolg von Puppel stehen. Er
warnt überhaupt ganz allgemein vor der in der Literatur vielfach
unangenehm auffallenden Kritiklosigkeit in der Beurteilung und Wer¬
tung der durch Organextrakte erzielten Reaktionen. Als besonders
krasses Beispiel wird die Pubertätsdrüse Steinachs angeführt,
ebenso die über die Funktion der sogenannten „interstitiellen Drüse“
aufgestellten Behauptungen.
E. Pribram: Ueber einige Grenzfälle der Chirurgie und Gynäko¬
logie. Pribram demonstriert das Präparat einer . kindskopfgroßen,
solitären Milzzyste, die in einer Wandermilz entstanden war und fast
das ganze Organ einnahm. Die Milz war mit den Adnexen verwachsen.
Pribram gebt dann auf die Schwierigkeiten ein, die sich, wie z. B.
in diesem Falle, der Differentialdiagnose zwischen Milztumor und
Adnextumor entgegenstellen können. Pribram spricht dann über
Krukenberg-Tumoren (Karzinommetastasen in bereits präexistierenden
Kystadenomen der Ovarien). Er demonstriert eine Patientin, bei der
vor 4 Monaten beide Ovarien und der Primärtumor der Gallenblase,
der bereits auf die Leber übergegriffen hatte, in einer Sitzung ent¬
fernt worden waren. Patientin hat seit der Operation 7 kg zugenommen.
Einen 2. Fall, Gallertkarzinom des Magens, Metastasen in beiden
Ovarien, konnte er 2 1/2 Jahre nach der Radikaloperation nachunter¬
suchen und sich dabei von dem vollkommenen Wohlbefinden und
der Arbeitsfähigkeit der Patientin überzeugen. I 11 2 weiteren Fällen
war die Radikaloperation nicht möglich. Auf Grund seiner günstigen
Erfahrungen ist Pribram der Ansicht, daß der Versuch der Radikal¬
operation eines primären Tumors des Magendarmtrakts oder der
Gallenblase mit Aussicht auf Dauererfolg noch unternommen werden
kann, wenn er bereits Metastasen in den Ovarien gesetzt hat. Sind
bereits Lymphdrüsen oder das Netz ergriffen, so ist eine Radikal¬
operation ausgeschlossen.
Besprechung. Haas betont die Bedeutung des Pneumo¬
peritoneums für die Difierentialdiagnose gerade zwischen Milztumoren
und Adnextumoren.
v. Jaschke betont unter Anführung von charakteristischen Bei¬
spielen die Unvermeidbarkeit mancher diagnostischer Irrtümer in dem
Grenzgebiet zwischen Chirurgie und Gynäkologie. So erwähnt er
einen vor Jahren operierten Fall einer über mannskopfgroßen Milz¬
zyste, die mit den linken Adnexen, diese verdeckend, verwachsen
war und dadurch der Betastung wie jedem sonstigen Nachweis ent¬
ging. Ebenso wird aus jüngster Zeit ein Fall von Stieltorsion eines
mit einem Appendix epiploicus der Flexura sigmoidea verwachsenen
Netzzipfels erwähnt, in dem nach Konsilium mit dem Chirurgen
unter der Annahme einer Stieltorsion der normalen Adnexe von
ihm labarotomiert wurde. Derartige Irrtümer sind unvereinbar,
v. laschke lehnt aber grundsätzlich Grenzüberschreitung der Gynä¬
kologie in chirurgisches Gebiet ab.
Gundermann warnt davor, die Operation metastatischer Ovarial¬
tumoren auch auf die Fälle von primärem Mammakarzinom auszu¬
dehnen. Da hier die Metastasen nur auf dem Blutwege Zustande¬
kommen können, muß mit weiteren Metastasen unbedingt gerechnet
werden. Bei Tumoren des Magendarmtrakts oder der Gallenblase
handelt es sich wohl meist um Implantationsmetastasen durch Ver¬
mittelung der Bauchhöhlenflüssigkeit. Hier ist die Möglichkeit eines
Dauererfolges eher gegeben, jedoch kann Gundermann eine gewisse
Skepsis auch hier nicht unterdrücken.
v. Jaschke bemerkt hierzu, daß die Operation der metastatischen
Ovarialtumoren nicht vorgenommen wird, weil man die Kranken
dadurch von ihrem Karzinom zu heilen hofft. Aber die durch der¬
artige Adnextumoren bedingten Beschwerden sind so groß-und ihre
Linderung durch die Entfernung der Tumoren so erheblich, daß er
aus Gründen der Humanität die Operation für indiziert hält.
Im Schlußwort verwirft Pribram ebenfalls die Operation
bei primärem Mammakarzinom.
Mönchen, Aerztlicher Verein, 22. II. 1922.
Thannhauser demonstrierte eine zirka 40 Jahre alte Frau mit
Melanose. Ursache: Melanosarkom, ausgehend von alten Naevi an der
Brust. In der linken Unterbauchgegend ist der große Tumor zu fühlen.
Die Melanogen- und Melanin-Reaktion positiv.
Rosenberger demonstriert einen Offizier, welcher 1916 ohne
schwere Erscheinungen beim Handgranatenwerfenüben in der Ruhe¬
stellung eine kleine Verletzung an der linken Schläfe beim Explodieren
einer Granate erhielt. Am nächsten Tag im Kampf ohne Beschwerden.
Seit der Verletzung etwa alle 6 Monate epileptoide Anfälle ohne
Zungenbiß und ohne Amnesie. Röntgenaufnahme ergibt im linken
Schläfenlappen, 4 cm von der Oberfläche, einen l 1 /* cm langen, 0,5 cm
breiten Granatsplitter. 'Für gewöhnlich macht der Splitter keinerlei
Beschwerden.
Oberndorfer zeigt Lichtbilder von SitnsbHdern der Banchbfthle,
die er in einem soeben erschienenen Handatlas (Band XIV der J. F. Leh-
mannschen Handatlanten) zusammengestellt hat. (Karzinome und Tuber-
kulose des Netzes, Sanduhrmagen, Ptosis des Magens, Ileus, Invagina-
tion, Dysenterie und Netzadhäsionen, Coecum mobile und verlagerte
Appendix, Wanderniere, eigenartige Schleifenbildung des Colon trans-
versum, Ovarialkystome, Myome, Dermoidkystome, leukämischer Milz¬
tumor und Graviditäten.)
Kämmerer: Beziehung des Bronchialasthmas zu anderen Erkran¬
kungen, neuere Anschauungen über seine Pathogenese und Therapie.
Asthma ist eine Reflexneurose und kann verschiedene Aetiologien haben.
Auf jeden Fall besteht dabei in den meisten Fällen eine Ueberempfind-
lichkeit gegen Proteine. Dafür sprechen auch das Heuasthma. Pferde¬
asthma, Bäcker-, Fellgerber-(Urosol) Asthma und die Erfahrung, daß manche
Menschen auf Eiereiweiß Anfälle bekommen. Sicher disponieren auch
vorhergegangene akute Infektionskrankheiten der Atmungsorgane.
Kämmerer bespricht englische und amerikanische Arbeiten, die sich
mit der Analogie zwischen Asthma und auf der anderen Seite mit
Neuropathie, Vagotonie, exsudativer Diathese und Arthritismus be¬
schäftigen. Der Zusammenhang zwischen Asthma und Lungentuber¬
kulose ist noch ungeklärt. Therapeutische Versuche mit verschiedenen
Vakzinen sind zu empfehlen. Abschließende Resultate konnten noch
nicht erreicht werden. Hoeflmayr.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
576
VEREINS- UND KONORESSBER1CHTE
Nr. J7
Heidelberg, Naturhistorisch-medizinischer Verein,
7. II. 1922.
v. Redwitz stellt u. a. einen 11jährigen Jungen vor mit öfter auf¬
tretenden kolikartigen Schmerzen in der Lebergegend, als deren Ur¬
sache Askariden im Choledochns und Hepatikns festgestellt wurden.
Immer wieder auftretende Rezidive machten 4mal Operation mit
Eingehen bis auf den Hepatikus erforderlich, in dem teils lebende
Askariden und bei der letzten Operation ein toter Askaris gefunden
wurden. — Es ist bekannt, daß bei Fieber und Dünndarmkatarrh und
auch durch Wurmmittel die Askariden zum Wandern gebracht werden
können. Sie sind nach aufwärts bis zur Tuba Eustachii beobachtet
worden. Sie sind imstande, die normale Duodenalpapille zu durch¬
wandern und Ikterus, Cholangitis und Leberabszesse zu verursachen.
In den Gallengängen sollen sie sich 10 Tage bis 9 Wochen lebend
halten können. Therapeutisch kommt operative Freilegung der Gal¬
lengänge, Entfernung der Würmer, Choiedochusdrainage und Zufüh¬
rung eines Wurmmittels durch den Drain in Frage.
Rost: Chronische Entzündung des Kniegelenks nach Verletzung.
Experimentelles and Klinisches. Unter 9000 poliklinischen Fällen waren
170 unspezifische, d. h. nicht tuberkulöse Kniegelenksentzündungen.
Die Patienten klagten über Schwellung durch Erguß, evtl, nach leich¬
tem Trauma, Bewegungsbeschränkung, geringe Schmerzen. Zeitweise
waren sie auch beschwerdefrei. Dieses Krankheitsbild beschrieb
Hoffa als Sklerose des vorderen Kniegelenkfettkörpers: der starke
entwickelte Fettkörper kann zur Einklemmungserscheinung, wie bei
Meniskusabsprengung, führen. Hoffa empfahl in allen diesen Fällen
die Operation, ging darin aber entschieden zu weit. — Rost beob¬
achtete eine Reihe solcher Fälle zwei Jahre hindurch; da ihm dieses
Material aber noch nicht ausreichend erschien, bestellte er 25 Patien¬
ten, die vor 10 Jahren an Kniegelenksentzündung gelitten hatten,
zur Untersuchung wieder und stellte fest, daß unter diesen keine
einzige Tuberkulose sich befand. — Zur Klärung der Entstehung
dieses Krankheitsbildes wurden Tierversuche angestellt: bei Mäusen,
Ratten und Katzen wurden die Kniegelenke verstaucht und dann
histologische Untersuchungen vorgenommen. An einer Reihe,histo¬
logischer Präparate werden die Veränderungen, die hierdurch gesetzt
werden, gezeigt, das Traufiia führt in einer Anzahl von Fällen zu
einem teilweisen Schwund des Fettkörpers und iin Anschluß daran
zur Exsudatbildung. Degeneriert der Fettkörper nicht, so bildet sich
auch kein Exsudat; entfernt man ihn operativ, so zeigt sich meist
gute Regenerationsfühigkeit; regeneriert er aber nicht, so besteht auch
Neigung zu Exsudatbildung. Ueber die physiologische Bedeutung
des Fettkörpers hat Rost festgestellt, daß er für den Stoffwechsel
bedeutungsvoll ist und daß z. b. bei Einspritzung von Bakterien in
das Kniegelenk diese in den Fettkörper ausgeschieden werden. Histo¬
logische Untersuchungen an den Kniegelenken von Leichen ergaben
bei einem großen Prozentsatz Knorpeldegeneraticm, ähnlich wie bei
Arthritis deformans, bei 20—40jährigen in 60%, bei über 40jährigen
in 90% der Fälle. Diese häufige Erscheinung zeigt schon, daß
sie' zur Feststellung eines eigentlichen Krankheitsprozesses allein
nicht genügt. Es kommt wahrscheinlich durch den rauhen Knorpel
zu Entzündungen des Oberschenkelfettpolsters, und dadurch, daß
die Patella über den entzündeten Fettkörper sich bewegt, entstehen
die Beschwerden. Als diagnostisch wichtiges Zeichen bei Gelenks¬
entzündungen ist zu verwerten, wenn bei gestrecktem Knie das
Bewegen der Patella Schmerzen verursacht. Die Beschwerden bei
diesen traumatisch entstandenen Arthritiden zeigen an, daß die Synovia
und das perisynoviale Gewebe erkrankt ist; bei Arthritis deformans
braucht das nicht der Fall zu sein, es kann sich dabei lediglich um
allgemeinere Knorpelveränderungen, wie sie vorher erwähnt wurden,
handeln. — Nicht nur Traumen, sondern auch Allgemeinerkrankungen
können zu Blutungen und Veränderungen im Fettkörper führen. Dies
wurde bei Endokarditis und progressiver Paralyse festgestellt. In
einem Fall von letzterer war nicht nur der vordere und hintere Körper
des Kniegelenks, sondern auch der um die Achillessehnen gelegene
mit Blutungen durchsetzt. Damit ist vielleicht auch ein Hinweis für
die bei syphilitischen Gelenken auftretenden Störungen und Beschwer¬
den gegeben. Therapeutisch wichtig ist, daß bei Arthritiden, die nach
Traumen auftreten, zunächst Ruhigstellung erfolgt und nach 10 bis
12 Tagen kräftige Oberschenkelmassage. Spätere Fixierung des Knie¬
gelenks ist nicht zweckmäßig. Mit der Operation, die teilweise oder
völlige Entfernung des Fettkörpers zum Ziel hätte, soll man zurück¬
halten.
In der Besprechung weist Moro darauf hin, daß es sich um
ein auch bei Kindern häufiges Krankheitsbild handelt, das gewöhnlich
in 3 bis 6 Monaten spontan ausheilt. Von Heißluft una Röntgen¬
bestrahlung hat er keine Erfolge gesehen.
Enderlen warnt vor Bewegungstherapien und hält die Ope¬
ration in der Mehrzahl der Fälle für nicht indiziert.
Kleinschmidt: Ueber Gallensteine. (Demonstration.) Während
Naunyn die Resultate seiner Arbeit über Gallensteine an getrock¬
neten Steinen, die dann geschliffen worden sind, gewannen hat, hat
Kleinschmidt eine Methode ausgearbeitet, um die Steine sogleich
nach der Entfernung aus der Gallenblase zu verarbeiten, er hat sie
dann mit dem Gefriermikrotom geschnitten. — Da der Stein als eine
permeable Membran anzusehen ist, wandert das Cholesterin nach
innen, das Bilirubin nach außen. So kann es zu einer Cholesterinisie-
rung kommen. Nachträgliches Umkristallisieren von Cholesterin aus
großen in kleine Kristalle wurde mehrfach gefunden. Die Form der
Steine führt man auf Druckwirkung in der Gallenblase zurück, tat¬
sächlich sind aber die Steine überhaupt nicht plastisch: der Stein
wächst in den ihm zur Verfügung stehenden Raum hinein. Auflösung
von Steinen in der Gallenblase wurde in 5°/o aller Fälle beobachtet.
Auf die Frage nach mehreren Generationen von Gallensteinen wurde
eachtet und in iedem 5. Fall mehrere Generationen gefunden. Es
andelt sich hieroei um eine häufige Erscheinung, die aber ohne
klinische Bedeutung ist. — An einer Reihe von Präparaten wird
gezeigt, daß man mit Hilfe der Gefriermikrotommethoue in der Er¬
kenntnis des feineren Aufbaues der Gallensteine fortschreiten kann.
Grünbaum.
Prag, Verein deutscher Aerzte, 3. il. 1922.
Bumba: Submuk&se Gaumenspalte. (Demonstration.) 28jährige
Patientin mit multiplen Hautgummen und auffallender Rhinolalia aperta,
als deren Ursache palpatorisch in dem normal aussehenden Gaumen
eine von rückwärts nach vorne sich verjüngende, etwa kleinfinger¬
breite, von Schleimhaut überzogene Spalte sich, nachweisen läßt. Die
Rhinolalia aperta, ähnlich der beim Wolfsrachen, ist auf eine Ver¬
kürzung des Gaumensegels, welches beim Phonieren die hintere
Rachenwand nicht erreicht, zurückzuführen.
Besprechung. Friedei Pick: Es wäre mit Rücksicht auf
die bisherigen Angaben daran zu denken, daß es sich bei der Patientin,
die Virgo ist und multiple Hautgummen hat, um eine Syphilis here-
ditaria tarda handelt.
G. A. Wagner (Demonstration): 39jährige Frau mit Karzinom der
Vulva und des Collum uteri, das ganz auf den Uterus beschränkt ist.
Histologisch: Plattenepithelkarzinome mit gewissen histologischen Dif¬
ferenzen. Hält es für ausgeschlossen, daß das Vulvakarzinom auf dem
Wege der Lymphbahnen entstanden ist oder daß es sich um eine Impf¬
metastase handelt, vielmehr scheinen zwei voneinander unabhängige
Neubildungen vorzuliegen.
R. Wagner: 3 Fälle von Hanttnberkulose ausschließlich mit Tuber-
kulomuzin (Weleminsky) behandelt a) Erythema induratum Bazin, in
7 Monaten mit 8tägigen Injektionen (0,003—0,008 g) geheilt. Rezidiv
nach 1 Monat (Halsdrüse) nach neuerlicher Behandlung in 3 Monaten
fast geheilt, die Drüse unverändert, b) Lupus erythematodes diss.
bei einer tuberkulösen Person, in 11 Monaten geheilt (0,003—0,02 g).
Nach 4 Monaten unter Sounenwirkung Rezidiv, das nach weiteren
4 Monaten unter derselben Behandlung schwindet, c) Nässender
Lupus, seit .12 fahren bestehend, des l.Ober- und Unterarms, durch
2 fahre mit Tuberkulomuzin behandelt (0,003—0,02 in 8tägigen Inter¬
vallen). Heilung mit schöner, glatter Narbe, in der nur noch an
drei Stellen vereinzelte Knötchen nachweisbar sind. Die gute Wir¬
kung bei dem sonst fast unbeeinflußbaren Erythematodes, die fast völ¬
lige Ausheilung des ausgedehnten Lupus berechtigen in ausgesuchten
Fällen das Tuberkulomuzin zur Unterstützung der sonstigen Heil¬
bestrebungen heranzuziehen. Unangenehme Nebenwirkungen wurden
niemals beobachtet.
Bumba: Larynxtuberkulose mit Tuberkulomuzin (Weleminsky)
behandelt. (Demonstration.) Tuberkulöse Laryngitis und außerdem
ausgedehnte Lungentuberkulose seit Mai v. J. mit Tuberkulomuzin mit
recht günstigem Erfolge behandelt. Gleichzeitig lokal mit galvano-
kaustischem Tiefenstich. Bei einem Falle nach zweimaligem Tiefen¬
stiche und 21 Injektionen Rückgang eines großen Infiltrates der
Hinterwand und Gewichtszunahme um 14 kg in 7 Monaten ohne
Landaufenthalt.
Guth (Außig): Menstruationsstörungen bei laogeukraukeo Frauen.
Der Beeinflussung des Krankheitsprozesses durch die Menstruations¬
vorgänge kann eine Beeinflussung dieser durch den Krankheitsprozeß
gegenübergestellt werden. Bekannt sind die Dysmenorrhoe und
Amenorrhoe der Lungenkranken, weniger studiert die Schwankungen
der Menstruationsdauer. Von 210 Frauen zeigten unter 136 sicher
tuberkulösen 69% verlängerte Menstruation, meist über 7 Tage,
normale Dauer 16,9%, verkürzte 13,2%. Die Fälle mit verlängerter
Menstruationsdauer sind entweder familiär belastet oder lassen ana¬
mnestisch Kindheitsinfektion erkennen und zeigen chronisch-progre¬
dienten Charakter, während die Fälle mit verkürzter Dauer der Men¬
struation keine Kindheitsinfektion nachweisen lassen, aber akut-pro-
gredienten Charakter zeigen. In den 125 „verdächtigen“ Fällen fin¬
det sich bei den Belasteten mit positivem Befunde in der Mehrzahl
verlängerte Menstruationsdauer, bei den mit negativem Befund nor¬
male. Von Nichttuberkulösen haben Herzfehler und Hysterie mit¬
unter verlängerte Menstruationsdauer. Differentialdiagnostisch ist also
dieses Symptom nicht verwertbar, wohl aber für die Bewertung der
Zustandsdiagnose und Prognose, insofern, als verlängerte Menstruation
auf chronischen gutartigen Prozeß schließen läßt, und normale,
zunehmend verkürzte auf akuten Verlauf hinweist (Spätinfektion? und
akute Exazerbationen). Bemerkenswerte Parallele zur Verlängerung
durch chronische Vergiftungen (Blei, Alkoholismus) und Abkürzung
resp. Amenorrhoe bei akuten Infektionskrankheiten (Scharlach usw.).
O. Wiener.
Verantwortlicher Redakteur: Qeh.San.-Rat Prof. Dr. |. Sch walbe. — Druck von Os|car Brandstetter In Leipzig.
Digitized b"
Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
Deutsche Medizinische Wochenschrift
Begründet von Dr. Faul Börner
HERAUSOEBER: VERLAQi
Geh. San.-Rat Prof. Dr. Schwalbe GEORG THIEME/ LEIPZIG
Berlin-Charlottenburg, Schlüterstraße 53 Antonstraße 15
Nummer 18 Freitag, den 5. Mai 1922 48. Jahrgang
Ejacttlatio deficiens inter congressum (Funktioneller
Aspermatismus).
Von Prof. Pfirbriofer in Berlin.
In D. m. W. 1913 Nr. 21 veröffentlicht Lißmann einen „außer¬
ordentlich seltenen“ Fall von „Impotenz durch — nervösen oder
psychischen — Aspermatismus“. Trotz achtjährigen ehelichen Ver¬
kehrs und bis zu beiderseitiger Erschöpfung fortgesetzter Friktionen
vermochte der gesunde, herkulisch gebaute, nunmehr 40jährige Pfarrer
keine Ejakulation zu erzielen. Im Knabenalter vereinzelte Selbst¬
befriedigungen, später seltene regelrechte Nachtpollutionen. Ueber
eine diesem Fall „durchaus ähnelnde“, einen 24jährigen etwas ner¬
vösen, sonst gesunden Bureaubeamten betreffende „seltene Potenz¬
störung“ berichtet 10 Monate später in D. m. W. 1914 Nr. 13 O. Fla-
tau. Auch hier frühere, nicht übermäßig betriebene Masturbation
und libidinöse nächtliche Pollutionen. Erektion stark und andauernd.
Behandlung in beiden Fällen erfolglos. Näheres über ihre Beurtei¬
lung seitens der Autoren siehe unten. Die Literatur betreffend finden
sich in den beiden Abhandlungen nur Moll, Orlowski und Roh-
leder neben meinem Namen erwähnt. Hiernach könnte es scheinen,
als ob nur wenige Fachärzte sich zu dem Leiden geäußert hätten.
Die Kenntnisnahme von den beiden einer bösen und praktisch
bedeutungsvollen Störung geltenden Aufsätzen hat mich zur Bekannt¬
gabe weiterer eigener einschlägiger Erfahrungen angeregt. Sie war
unter dem Zwange der vom Krieg und seinen Folgen gestellten
Aufgaben unterblieben. Dem ursprünglichen Zweck einer Vermehrung
der verhältnismäßig inhaltsarmen Kasuistik hat sich das Verlangen
angegliedert, einen — bislang vermißten — Ueberblick der Ent¬
wicklung des in unsern verbreiteten Wochenschriften wenig behandel¬
ten und vielen Praktikern kaum geläufigen Themas in Form eines der
Kritik nicht entbehrenden Referats zu geben.
Da fühle ich mich zunächst in unabweislicher Würdigung histo¬
rischer Gerechtigkeit gehalten, die lehrbuchmäßige Darstellung seitens
H. Curschmanns in seinen trotz bedauerlich geringer Beachtung
noch heute hohe Geltung beanspruchenden „funktionellen Störungen
der männlichen Genitalien“ in der 1878 erschienenen 2. Auflage des
Ziemssensehen Handbuchs der speziellen Pathologie und Therapie
(9. Band, 2. Hälfte) in Erinnerung zu bringen. Der Autor handelt
die Störung im Kapitel „Aspermatismus“ ab. Er lenkt die Aufmerk¬
samkeit und stützt sich, auf den bereits vor einem halben Jahrhundert
mit gebührendem Nachdruck erfolgten Hinweis durch B. Schulz
(W. m. W. 1862 Nr. 49/50) auf Grund eigener Beobachtungen. Der
Leser findet da alle die genannten Kriterien: Daß die mit intakten
Genitalien ausgestatteten Patienten, trotzdem sie bei normalem Trieb
und ausreichenden Erektionen dem Mechanismus des Geschlechts¬
verkehrs vollkommen zu genügen vermögen, es niemals im Leben
während des wachenden Zustandes zur Ejakulation gebracht, aber nicht
selten im Schlaf reichliche Samenergüsse unter spezifischen Sen¬
sationen haben. Endlich hat es schon Curschmann mit Bestimmt¬
heit ausgesprochen, daß mit diesen Formen die als temporärer oder
relativer Aspermatismus bezeichneten Fälle von nur zeitweiligem
bedingten Eiakulationsmangel vieles gemein haben und hier eine
interessante Verwandtschaft mit der Impotentia psychica besteht. In
einer beigefügten eigenen Beobachtung hatte sich nach Ueberwindung
der Flitterwochenimpotenz hartnäckiges Ausbleiben des Ejakulations¬
reflexes eingestellt und an dieses Ejaculatio retardata mit Uebergang
zur Norm angeschlossen.
Nur in lockerem Zusammenhänge mit unserem auf die lebens¬
längliche oder doch ungebührlich langfristige, jedenfalls chronische
Störung bei Abgang organischer una örtlicher Ursachen beschränkten
Thema stehen die 16 Jahre später von Peyer im 4. Bande des
Zülzer-Oberländerschen klinischen Handbuchs der Ham- und
Sexualorgane (Leipzig 1894) mitgeteilten Fälle: Aspermatismus nach
starkem Alkoholgenuß, bei Rückenmarkskranken (Tabikern) 1 ), infolge
Krampfs des Blasenschließmuskels*) und der der anästhetischen 3 ) oder
atonischer. Form zugezählte „Onanistenaspermatismus“.
*) U. a. auch von M. Bernhardt und Löwenfeld beobachtet — •) C. Posner
gedenkt ln der Noorden-Kaminersehen Darstellung .Krankheit und Ehe" (Leipzig
Z Aufl. 1916) der Verursachung von Aspermatismus durch hochgradigen Krampf der
Ductus ejaculatorii bei Neurasthenikern. Das Sperma fliefSt nach dem Abklingen der
Erektion träge aus dem Glied«. Ein wichtiges Kriterium 1 — ®) Vgl. den auch ander-
Hingegen hebt wieder Finger 1898 in seiner Pathologie und
Therapie der Sterilität des Mannes (Berlin und Leipzig) 1 ) im Gegen¬
satz zu diesen erworbenen Formen mit Bestimmtheit den sehr seltenen
angeborenen absoluten Aspermatismus mit völligem Mangel von Orgas¬
mus, Pollution und masturbatorischer Ejakulation als besondere Gruppe
der primären Unerregbarkeit des Ejakulationszentrums hervor, in
die Gruppe der Hemmung der Erregung des Zentrums durch psy¬
chische Impulse reiht er den angeborenen relativen Aspermatismus
mit libidinösen Pollutionen im Schlafe unter dem Hinweis ein, daß
Fälle dieser Art, von den obengenannten Autoren abgesehen, auch
Cockburn, Rouband, Ultzmann und Hammond bekannt
gewesen sind. In einem eigenen, der Cur sch mann sehen Be¬
obachtung ähnelnden Falle war eine geheilte psychische Impotenz in
Aspermatismus übergegangen, der schließlich abklang.
Ich habe dann •— vor nunmehr 20 Jahren — in der 2. Auflage
meiner „Störungen der Geschlechtsfunktionen des Mannes“ (Noth¬
nagels spezielle Pathologie und Therapie XIX, 3) über 6 einschlä¬
gige Fälle berichten können. Es handelte sich um Patienten in jungen
bis reiferen Jahren mit vorwiegend tadellosem Vorleben. In 4 Fällen
(Industrielle) war es der Partnerin gegenüber niemals zu einer Eja¬
kulation gekommen, in 2 (Arzt und Gelehrter) nur ein einziges Mal
im Leben bzw. Jahre zuvor zu einigen progressiv verzögerten Er¬
güssen. Zweimal mangelhafte Erektion (mit Hodenatrophie in einem
Fall). Sonst durchweg intakte Genitalien und normale Erektions¬
fähigkeit. Nervensystem teils gesund, teils im Zustand reizbarer
Schwäche. In einem Fall homosexueller Einschlag. Meist Gelingen
des onanistischen Aktes und regelrechte Schlafpollutionen. Ich habe
damals den Vergleich mit bedauernswerten Jägern geprägt, deren zur
Unzeit sich entladende Schußwaffe für das gewollte Ziel versagt.
In der«Folge hat, soweit mein Spähen in der Literatur reicht, die
Kasuistik, von den eingangs dieser Abhandlung erwähnten Beob¬
achtungen abgesehen, durch je eine Beobachtung von Orlowski,
V. Blum und Rohleder sowie einige von Magnus Hirschfeld
einen Zuwachs erfahren. Ob der vom erstgenannten Autor (Die
Impotenz des Mannes. 3. Auflage. Leipzig 1922) mitgeteilte Fall
von psychischem oder relativem Aspermatismus mit einer fast restlos
geheilten Epididymitis zu tun gehabt, hat der Autor selbst nicht ent¬
schieden. Blum berichtet in seiner Symptomatologie und Diagnostik
der urogenitalen Erkrankungen (Leipzig und Wien 1909) über einen
russischen Apotheker, der trotz „vollkommen normaler Potenz“ und
Libido in der Ehe niemals eine Ejakulation zuwegegebracht, aber
regelmäßig im Anschluß an den Akt eine reichliche Schlafpollution
erlitten habe. Heilung nach Morphiumbehandlung. Der von Roh-
leder im 3. Bande seiner Funktionsstörungen der Zeugung beim
Manne (Leipzig 1913) ausführlich mitgeteilte „klassische“ Fall betrifft
einen stark neurasthenischen Studenten, der es trotz guter Erektion
und häufiger Pollutionen beim Verkehr nie in seinem Leben zur
Ejakulation gebracht, bis er eine intensives sinnliches Begehren aus¬
lösende Partnerin gefunden. Hirschfeld (Sexualpathologie III, Bonn
1920) spricht von einer beträchtlichen Anzahl selbstbeobachteter Träger
der den Praktikern viel zu wenig vertrauten Sexualstörung, aber zu¬
gleich von Verwachsung und Spasmus der Ductus ejaculatorii. Für
die unserm Thema angehörigen, eingehend geschilderten, einen un-
gemein überanstrengten Norweger, einen Chemiker und einen gleich¬
falls verheirateten Redakteur betreffenden drei Fälle ist anzumerken:
1. Niemals Ejakulation inter, aber gelegentlich post coitum; 2. völlig
keusches Vorleben des psychisch sensitiven, sonst ganz gesunden Klien¬
ten, Schlafpollutionen; 3. gleichsinnige Verhältnisse, aber während
der Ehe masturbatorisch auslösbare Ejakulationen. Epikritisch wird
für die beiden letzten Fälle der Abspaltung des Ejakulationsmechanis¬
mus vom Erektionsmechanismus nach vieljähriger Totalabstiuenz und
die Verlegung des größten Lustgewinns in das Traumleben betont.
Auf die Stellungnahme Molls zur Pathogenese komme ich noch zu
sprechen. Von den durch St ekel in seiner „Impotenz des Mannes“
(Berlin und Wien 1920) unter der Marke Orgasmusstörungen sehr
ausführlich mitgeteilten 4 Fällen zählen die 3 ersten, da es an Eja¬
kulationen beim Verkehr nicht fehlte oder aber Impotenz im Vorder¬
weit zitierten Fall Curlings, in welchem durch narbige Zerstörung der Hautsensi¬
bilität des Penis syphilitischen Ursprungs die reflektorische Einwirkung auf das Eja¬
kulationszentrum au*geschaltet war. Er steht, weil durrh peripherische Veränderung
verursacht, abseits unserer Gruppe. — ») Die spätere Darstellung im 3. Bande des
Handbuchs der Urologie von Frisch und Zuckerkandl (Wien 1906) birgt keine
bemerkenswerte Veränderung.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
578
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
Nr. 18
gründe stand, nicht hierher; den vierten, einen wahren Casanova trotz
Verehelichung betreffenden beurteile ich als Grenzfall gegen die
Gruppe des nur episodischen Ejakulationsmangels. Zu dieser rechne
ich auch die u. a. von Fla tau (Sexuelle Neurasthenie. Berlin 1912)
hervorgehobenen, auch von mir nicht selten beobachteten Fälle der
Erschlaffung des immittierten Gliedes mit dem Zwang der Herbei¬
führung der erstrebten Ejakulation durch Masturbation. Eine gewisse
Verwandtschaft mit unserem Thema ist diesen Poteuzstörungen nicht
abzusprechen.
Ich komme nun, bevor ich mich zu den vorstehenden Erschließun¬
gen erfahrener Fachärzte ergänzend äußere, zur neuen eigenen
Zutat. Ich habe mich die Mühe und den Zeitaufwand nicht verdrießen
lassen, meine journalbücher seit der erwähnten Bekanntgabe der
6 Beobachtungen durchzusehen, und bin in der Lage, ihnen 18 Fälle
zuzufügen. Bei 15 derselben war es während des ganzen Lebens bzw.
bis zur Konsultation beim mehr oder weniger regelmäßigen geschlecht¬
lichen Verkehr niemals, in den 3 übrigen nur ganz gelegentlich in
jahrelangen Zwischenräumen zum Samenerguß gekommen. Den nun¬
mehr 24 einschlägigen Fällen, über die ich verfüge, steht der nach
meiner Schätzung mindestens doppelte Betrag von nur zeitweiliger
kurzfristiger Ejaculatio deficiens 1 ), eine wesentlich höhere Frequenz
von ungebührlicher Verzögerung des Reflexes (Ejacu.atio retardata)
und eine nach Hunderten zählende Fülle von krankhafter, störender
Ejaculatio praecipitata bis ante portas gegenüber. Man kann also
über die so verschieden beurteilte Frequenz des glatten Wegfalls der
Endpliase des geschlechtlichen Aktes rechten, ohne die beanspruchte
außerordentliche Seltenheit zuzugebeu. Natürlich entbehren die Gren¬
zen nicht einer gewissen, dem subjektiven Ermessen unterworfenen
Labilität. Es fehlt nicht an fließenden Uebergängen innerhalb der
genannten Gruppen.
Meinen Plan, über die 18 neuen Fälle der Reihe nach, wenn auch,
nur kurz und selbst im Telegrammstil zu berichten, habe ich wieder
autgegeben. Dies unter dem Zwange der Einhaltung des mir von dem
aus nahen Gründen selbst beengten Herrn Redakteur der D. m. W.
freundlichst gewährten Raums. Ich werde also summarisch verfahren
und midi im übrigen auf eine gedrängte Skizzierung einiger markanter
Fälle und Anmerkung wissenswerter Sonderheiten beschränken. Daß
ich um eine verläßliche Vorgeschichte bemüht gewesen, möge man mir
glauben. Volle Sicherheit darf, so wenig ich auch über Unglaub¬
würdigkeit der Klienten zu klagen habe, begreiflicherweise nicht ver¬
langt werden. Für den Befund als Ergebnis möglichst systematischer
Untersuchung stehe ich ein. Selbstverständlich ist auch er nicht
lückenlos.
Die bis auf drei Russen (und einen Internationalen) deutschen Pa¬
tienten standen bei der ersten — großenteils zugleich letzten — Kon¬
sultation im Alter von 24—51 Jahren. Sieben waren Juristen bzw.
Regierungsbeamte, fünf Kaufleute, zwei Pfarrer 2 ), die übrigen vier
J 'e ein Arzt, Gelehrter, Offizier und Schauspieler. Dreizehn waren ver-
leiratet, fünf ledig. Von zwei Fällen relativer Impotenz (s. u.) ab¬
gesehen, konnte am Zustandekommen leidlicher bis sehr kräftiger und
nachhaltiger, jedenfalls ausreichender Erektionen bei sämt¬
lichen Ratsuchenden nicht gezweifelt werden. Zwei Juristen im
Alter von 28 und 24 Jahren bekundeten häufige nächtliche priapistische
Zustände, der eine mit einem Einschlag von Satyriasis. Im übrigen
wurde der Geschlechtstrieb als regelrecht versichert, nur aus¬
nahmsweise als schwächlich zugestanden. Veranlaßt wurden die Kon¬
sultationen teils durch heiße Sehnsucht nach Kindern, teils durch die
bis zur Unerträglichkeit gesteigerte Qual des Nichteintritts der orga¬
stischen Befriedigung trotz selbst stundenlangen Bemühens mit
der gelegentlichen folge beiderseitiger Erschöpfung, teils durch beide
Defekte zugleich. Wiederholt ist trauriges Eheleben vermerkt. Fünf¬
zehnmal finde ich verhältnismäßig gutes bis tadelloses Vorleben,
darunter viermal vollkommene Keuschheit bis zum Eintritt in die
Ehe*) notiert, nur dreimal ausschreitende geschlechtliche Mißwirt¬
schaft, besonders wüste Masturbation, niemals Potatorium. In nicht
weniger als 14 Fällen wurden durchschnittlich mäßig häufige nächt-
*) Ich erinnere an die keineswegs seltenen Vorkommnisse einer unmöglichen
Emissio t-eminis aus Anlaß ge« isser Verstimmungen sowie die nach meiner Erfahrung
recht häufigen Falle, in denen die zur Entscheidung der Frage der Zeugungsfähigkeit
anheimgestellte Lieferung des Ejakulats in der Sprechstunde hartnäckiger psychischer
Hemmung halber nicht gelingt. Wie oft haben n-cht die ratsuchenden mit oder ohne
Gattin den Nebenraum unverrichteter Sache verlassen milssen I Diese Gruppe von
emporSrem Aspermatismus, die Gesunde wie Neurastheniker in sich schließt, darf
nicht mit dem relativen Aspermatismus zusammengeworfen «erden, der in Abhängig¬
keit von der Abneigung be'timmten Frauen gegenüber steht.
*1 Der eine von diesen, im lahre der Konsultation (1910) 38jährlg, aus den Rhein¬
landen stammend, im 6. Ehejahre stehend, bot eine so weitgehende Übereinstimmung
mit dem von Lissmann veröffentlichten, daß Mi zur Annahme der Identität neige.
Andernfalls müßte der Zufall ein gar zu wunderliches Spiel getrieben haben.
•) Ein geistig überanstrengter, schüchterner, tinrder 45jahriger Professor der
Philosophie hatte bei den ersten Versuchen des ehelichen Verkehrs aus Unkenntnis
die Friktionen unterlassen, aber auch in der Folge trotz solcher lange fortgesetzter
niemals einen Samenerguß erzielt. Bei d eser Gelegenheit glaube ich eines mit dem
Thema nicht in di ektem Zusammenhang stehenden, schier unbegreiflichen, von mir
zunächst verkannten Fähes vermeintlicher Ejaculatio defdens gedenken zu sollen.
Er ist lehrre ch genug, betrifft einen 30jährigen, seit 7 Monaten verheirateten Buch¬
halter. Vor der Ehe „nie verkehrt", aner normale Libido und mäßige Selbstbefriedigung *
bei guter Erektion und starkem Orgasmus Einigermaßen nervös geworden. Wundert
sich des ausbleibenden Samenergusses trotz regelmäßigen ehelichen Verkehrs. Befund:
Kräftig und wohlgenährt; alles regelrecht, auch das mitgebrachte Ejakulat. Laut Mit¬
teilung des die Gattin behandelnden Gynäkologen stellte sich einige Monate später
heraus, daß der unerfahrene Gälte die Friktionen unterlassen hatte und nach ihrer
Übung auf plötzliche Eingebung Ejakulation und Schwängerung erfolgt war. Das bei
eteem sonst vernünftigen Kaufmann, der mit Oenuß masturbiert hatl
liehe Pollutionen mit Orgasmus unter erotischen Träumen ohne
bemerkenswerte abseits liegende Richtung gemeldet, in 6 Fäden die
Erzielung on anistisch er Ejakulationen 2ugestanden, zweimal
vollständiger Mangel von unfreiwilligen wie gewollten (masturbato-
rischen) Samenergüssen versichert. Objektiv habe ich in der Regel
intakte, einige Maie ungewöhnlich stattliche Genitalien feststeüen
können. Nur ausnahmsweise sind als Abweichungen Kleinheit, stär¬
kere Atrophie der Hoden, hochgradige Hyperästnesie und Neuralgie
gebucht, ln 5 Fällen bestanden ausgesprochene krankhafte, mit den
geklagten Beschwerden im Einklaug stehende neurasthenische
Zeichen. Endlich je einmal depressive Psychose und ziemlich starite
sadistische Regungen (s. u.). Homosexuelle Neigungen wurden, wenig¬
stens als gegenwärtige, durchweg abgelehnt. Im übrigen war bis
auf je einen Fall von Basedowoid, Tuberkulose und alter Syphilis
keine greifbare Störung zu ermitteln, auch der Ham und, soweit unter¬
sucht, das Sperma als normal befunden worden.
Der vorstehenden Zusammenfassung habe ich noch einige be¬
merkenswerte Eigentümlichkeiten des einen und andern Falls zuzu¬
fügen. Bei den beiden Trägern gleichzeitiger relativer Impotenz,
einem 33jährigen Fabrikanten und 36jährigen Verwaltungsbeamten,
war die immissio nur gegenüber hocheleganten Frauenkleidern bzw.
schlanken Gestalten mit kleinen Füßchen und zierlichem Gang —
Gattin fettleibig — möglich. Im ersten Faile blieben die durch selost-
eigene Masturbation ausgelösten Ejakulationen bei mutueller konju¬
galer Onanie aus. Die Krankengeschichte des an ungewöhnlich
hartnäckiger genitaler Neuralgie leidenden Patienten, eines Juristen,
der sich mir in den letzten neun Jahren im Alter von 28—37 Jahren
öfters vorgestellt, habe ich bereits an anderer Stelle (Zschr. f. ärztl.
Fortbild. 1921 Nr. 14) kurz, ohne Erwähnung seines Aspermatismus
mitgeteilt und hebe hier nur heraus: Starke nervöse und psychische erb¬
liche Belastung; selbst arger, sinnlich veranlagter Neurastheniker und
Pollutionist. Priapistische Störungen. Onanie in schwankendem Maße,
meist ohne Benutzung der Hände durch straffes Anziehen und Locker-
lassen enger Hosen. Kleiderfurcht, da die Ergüsse die neuralgischen
Beschwerden steigern. Depression ob des Ausoleibens der Ejakulation
bei wiederholtem Verkehr mit einer Dime. Deshalb Ehefeind. Lebens¬
überdruß. Selbstmordversuch. Elender Ernährungszustand. Anämie.
Ziemlich kleine, stark hyperästhetische Genitalien, ungebührlicher
Hodendruckschmerz. Phimose. Erfolglose Operation und Sanatoriums¬
behandlung. Die erwähnten sadistischen Neigungen vertrat unter der
Form eines aktiven Flagellantismus ein junger, viel im Auslande
tätiger, anämischer und leicht gly kos urischer Schauspieler, Sportsmann
und starker Onanist mit regelrechten Ejakulationen. An Stelle der
ursprünglichen Bisexualität hatte sich schon in der Zeit der Reifung
durch Zurücktreten des Homosexuellen eine stärkere Neigung zum
weiblichen Geschlecht eingeleitet. Patient erlitt eine arge Enttäuschung
durch den ausbleibenden Samenerguß bei verschiedenen, zuerst im
19. Jahre unternommenen Kohabitationsversuchen und beim Schlagen
auf das Gesäß der Mädchen, „um sich zu befriedigen“. (S. Therapie.)
Betrachtung. Einigen Folgerungen und Erklärungsversuchen
auf Grund der Zusammen.assung der vorstehenden und sonstigen ein¬
schlägigen Kasuistik glaube ich kurz meine Stellungnahme zur Be¬
nennung unserer Störung voranschicken zu sollen. Die Meinungen
gehen auseinander. Moll will in seinem bekannten Handbuch der
Sexualwissenschaften (2. Auilage. Leipzig 1921) die Fälle unter Ab¬
lehnung eines „Aspermatismus“ zur lmpoteutia coeundi gezählt wissen,
während ich sie allerdings auch im Abschnitt Impotenz abgehandelt,
aber streng genommen zum Begriffe der Zeugungsunfähigkeit bzw. des
Aspermatismus gehörig beurteilt habe. Gleichermaßen habenCursch-
mann und Rohleder den von Güterbock geschaffenen Namen
Aspermatismus psychicus übernommen. Fiatau lehnt Aspermatismus
und eigentliche Impotenz ab. Meines Erachtens erübrigt sich für den
freier Denkenden der Streit. Gewiß ist „Impotenz“, richtiger ver¬
minderte Potenz zulässig, da zwei Bedingungen — Ejakulation und
Orgasmus (Akme) — in Wegfall gekommen sind und schon die so
häufigen Fälle von abnormer Verzögerung der Ejakulationen zu den
Störungen der Beischlafsfähigkeit gerechnet zu werden pflegen. Aber
die Hauptbedingung der Potenz, die Erektion, ist im Grunde erfüllt
Nicht mit Unrecht nebt Stekel hervor, daß die für sich impotenten
Männer der Frau gegenüber „sehr potent“ sind. Anderseits hat sich
der Sprachgebrauch längst der Bezeichnung „Aspermatismus“ da
bemächtigt, wo nur die mangelnde Entleerung des Spermas nach
außen in Betracht kommt, also auch für die Gruppe der organisch
bedingten Formen. Ist doch die Annahme einer Samenlosigkeit im
eigentlichen Sinne des Worts, als Einstellung der Tätigkeit seitens der
Keimdrüsen, wenn überhaupt, nur für seltene, rätselhafte Fälle von
Azoospermie auch im Hodenpunktat anwendbar. Für den der Herr¬
schaft des gegenwärtigen Sprachgebrauchs sich nicht willig Fügenden
schafft die Fiatau sehe Bezeichnung „ejakulatorische Impotenz“ einen
annehmbaren Ausweg. Die von mir gewählte Ueberschrift erachte
ich, weil nichts präiudizierend und sofort verständlich — nicht ein¬
mal der Pedant wird ernstlich an absichtlich verhinderte Ejakulationen
denken — als noch bedenkenfreier; dies zumal im Verein mit dem in
Klammer beigefügten, den organischen Ursprung ausschließenden,
aber den dunkeln angeborenen absoluten Aspermatismus (weder Pollu¬
tionen noch masturbatorische Ergüsse) in sich begreifenden Titel l ).
Bezüglich der Pathogenese unserer Störung habe ich bereits
einiges aus der Literatur beigebracht. Außerstande, auf die zum
*) M. Hirschfeld unterscheidet „Ejaculatio defidens" als unter allen Umstanden
ausbleibenden Samenerguß von der nur Inter cottum fehlenden „Ejaculatio sejuncta“,
also dem „vom Beischlaf abgetrennten Samenerguß oder der paradoxen Ejakulation“.
Digitized by »öle
Original fro-m
CORNELL LJNIVERSITY
5. Mai 1922
PEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
579
Teil in bemerkenswerten Systemen untergebrachten Möglichkeiten
(Finger, Flatau) einzugehen, verweise ich zunächst aut die Un-
erläßlichkeit der Annahme des Hauptsitzes des Prozesses im Eja¬
kulationszentrum, das mehr oder minder funktionsunfähig, unerregbar
g eworden. Das hat bereits vor Jahrzehnten B. Schulz, ja schon
toltz, der Hemmungswirkungen des Gehirns auf das Zentrum ver¬
treten, zu eindeutigem Ausdruck gebracht. Weiter hat sich die Ueber-
zeugung Bahn gebrochen, daß das Ejakulationszentrum weniger leicht
erregbar als das Erektionszentrum sein, nach diesem arbeiten muß.
Der nicht seltene Eintritt des Samenergusses bei der Masturbation
würde, darin ist Lißmann beizupflichten, eine Erklärung durch die
stärkere Leitung des zentripetalen Reizes zum Ejakulationszentrum
seitens der manuellen Friktion gegenüber der vaginalen finden.
Flatau ist auch geneigt, für die Nachtpollutionen einen gegenüber
dem Kohabitationsreiz größeren Reiz des erotischen Traums, also
für den Ejakulationsmangel eine relative Schwäche des Zentrums
verantwortlich zu machen. Die schlichte Fassung, daß im Schlafe
die Hemmungswirkung des Gehirns auf das Ejakulationszentrum in
Wegfall kommt, erscheint mir zwangloser. Einen gewissen Wert lege
ich trotz des bescheidenen Gesamtbetrags meiner Kasuistik auf den
hohen Prozentsatz (rund 80 auch bei Einrechnung der frühe r en Be¬
obachtungen) glaubhaften soliden, zum Teil bis zur völligen Keusch¬
heit geführten Vorlebens. Das widerspricht der mancherseits, selbst
von Curschmann vertretenen Meinung, daß die Mehrzahl der
Kandidaten sich aus Onanisten rekrutiere. An die hier und da aus¬
gegebene vollkommene Erschöpfung des Samenblasenvorrats für län¬
gere Fristen durch Exzesse glaube ich nicht, nachdem ich durch reiche
Erfahrung von der großen Seltenheit einer temporären Azoospermie
infolge arger sexueller Ausschweifungen belehrt worden bin. Auch
bei Ersdiöpfung aller Spermabestandteile schweigen weder die eia-
kulativen Stöße noch orgastischen Empfindungen ganz. Demgemäß bin
ich geneigt, bei einem nicht geringen Bruchteil unserer Fälle vielmehr
die Abstinenz, also den Nichtgebrauch für die Funktionsunfähigkeit
des Ejakulationszentrums mindestens mit ve r antwortlich zu machen.
Damit trete ich auf die Seite des Kollegen Moll, der mir in einer
brieflichen Mitteilung wieder zum Ausdruck gebracht hat, daß es
sich in den Fällen, wo die Träger unserer Störungen vollständig keusch
in die Ehe gingen, sicherlich um anerzogene Hemmungen handle.
Das schließt aber für einen andern Bruchteil die Wahrscheinlichkeit
eines kongenitalen Ursprungs, die ich bereits vor 20 Jahren für einen
Fall angenommen habe und für einige der neuen beanspruchen möchte,
nicht aus. Ueber die ätiologische Rolle der von mir in noch nicht
einem Drittel der Fälle (7:24 bei Einrechnung der früheren Beob¬
achtungen) notierten ausgesprochenen Neurasthenie, also krankhaften
allgemeinen Neurose wage ich kein Urteil. Hynothesen sind billig 1 ).
Vollends g’aube ich die Beurteilung der Beteiligung parverser Rich¬
tungen, derer ja auch meine Kasuistik nicht ganz ermangelt, dem
Sexualpsvchiater überlassen zu sollen. Es handelt sich da oft genug
um komplizierte seelische Vorgänge, deren Ergründung eine schwie¬
rige Aufgabe bleibt. Die auch von mir beobachtete Nichtheilung des
Aspermatismus in gewissen Fällen trotz Beseitigung der psycho¬
pathischen Störungen (s. Therapie) verbietet meines Erachtens die
allgemeine Wertung dieser als Vollursache. Beachtenswert, daß in
keinem meiner Fälle Alkoholismus eine Rolle gespielt hat. Durch
diesen erworbener chronischer Aspermatismus dürfte zu den großen
Seltenheiten zählen.
• Zum Schluß die Therapie, die ich als den schwächsten und
unerfreulichsten Punkt dieser Abhandlung in kurzer Zusammenfassung
bzw. unter spezieller Würdigung nur einiger weniger Beobachtungen
abtun muß. Ich bin nicht so glücklich gewesen, wie der und jener
Psvchosexuologe, einen annehmbaren Betrag von befriedigenden Er¬
folgen verzeichnen zu können, obwohl bei der Mehrzahl der Patienten
je nach Art und vermeintlichem Ursprung eine namhafte Summe von
Heilfaktoren aufgeboten worden ist: Hygienische, zumal roborierende
Maßnahmen, antineurasthenische Sanatoriumskuren ohne und mit elek¬
trischen Prozeduren aller Art, Aphrodisiaka (Yohimbin) 2 ), Muirazithin,
Testogan 8 ) und sonstige „Sexualhormone“, endlich spezielle Psycho¬
therapie, insbesondere Hypnose und Assoziationsmethode (Moll). Be¬
klagenswerterweise hat auch mich das Verhängnis der vorwiegend
auf Sprechstundenberatungen angewiesenen Fachärzte betroffen, das
Schicksal der Mehrzahl der Fälle weder durch eigene fortgesetzte
Beobachtung noch Benachrichtigung verfolgen zu können. Ich nehme
aber Nichtmeldungen für Erfolglosigkeit, wenigstens für den Löwen¬
anteil. Im übrigen vermag ich nur zwei richtige, hochbeglückende
Heilungen zu melden. Der eine geradezu bizarr anmutende, trotz der
eigenartigen Beziehungen der Tuberkulose zum geschlechtlichen Kön¬
nen schier unerklärliche Fall betrifft einen mehrfach beratenen jungen
Phthisiker (Oberleutnant), bei dem sich mit der Aktivierung des tuber¬
kulösen Prozesses zum ersten Male Kohabitationsejakulationen mit
Schwängerung der Gattin einstellten. Unter langfristiger Fortsetzung
einer erhöhten hygienischen Lebensführung mit zeitweiligem Klima¬
wechsel blieben die geschlechtlichen Funktionen voll erhalten. Im
zweiten, besondere Eigenheiten nicht aufweisenden Fall sind, wenn
ich nicht irre — Notizen leider unauffindbar — regelrechte Samen-
i) Hier sei nochmals unterstrichen, daß Krampf des Blasenschließapparats und
der Ductus ejaculatorii als Ursache von Aspermatismus außer dem Bereich unseres
Themas Hegt, dem ejakulative Stöße und schmerzgemischter Orgasmus im Verein mit
Nachfließen von Sperma fremd sind. — *1 Das Lissmannin seinem Faile zur Steigerung
der Reizbarkeit des Ejakulationszentrums epidural — vergebens — angewandt —
>) Von dem J. Bloch nach längstens Bericht (M. KI. 1922 Nr. 9) In zwei Fällen hart¬
näckigen Aspermatismus vollen Erfolgjjeaehen bet («endokrine Alterationen").
ergüsse beim Verkehr im Anschluß an hypnotische Behandlung zu¬
standegekommen. Hier wie dort früher mittelhäufige Pollutionen.
Weiterhin verdanke ich Geheimrat Moll einen Bericht über den ihm
meinerseits zugewiesenen erwähnten Schauspieler mit sadistischen
Neigungen Es gelang, ihn von diesen durcn Abraten von Koitus-
versuchen und durch Assoziationstherapie (Verbot der willkürlichen
Hingabe zu perversen Phantasien an Stelle normaler sexueller Vor¬
stellungen) zu befreien, desgleichen von der Gewohnheit der Selbst¬
befriedigung. Eine Heilung aber vom Ejakulationsmangel beim Ver¬
kehr hat der — wahrscheinlich im Felde gefallene — Patient nicht
bekundet. Das ist nach dem Bericht des Kollegen Warda in Blanken¬
burg in Thüringen auch nicht seitens eines von mir zugesandten
41jährigen feudalen neurasthenischen Amtshauptmanns beteuerten
tadellosen Vorlebens vor der Eheschließung geschehen, so erfolgreich
sich die im dortigen Sanatorium vorgenommene systematische hyp¬
notische Kur im Verein mit elektrischen und hydr atischen Maßnahmen
(zur Bekämpfung vermutlich ursächlicher Beteiligung krankhafter
Hemmung durch chronische Ueberarbeitung) bezüglich der allge¬
meinen Erschöpfungsneurose erwiesen hatte. Auch in einem früheren
Falle hatte sich nach Beseitigung homosexueller Regungen der
Aspermatismus weiter behauntet 1 ). Solche Erfahrungen begrün¬
den gewiß die schon angedeutete Unzulässigkeit der schlichten Er¬
schöpfung der Aetiologie unserer Störung durch die nervösen Grund-
leiden. Es kommt eben in so manchem Falle ein unbekannter Faktor
hinzu. Ich fühle mich aber, um einem etwaigen Pessinrsmus in dieser
Richtung zu steuern, zur Mitteilung gehalten, daß erfahrene Sexual¬
psvchiater eine wesentlich günstigere Prognose in Anspruch nehmen.
So bejaht Moll (briefliche Mitteilung) die Möglichkeit wahrer Erfolge
durch hypnotische Behandlung und zumal a'lgemeine psychische Ma߬
nahmen für eine Reihe von Fällen aus seiner Praxis „unbedingt“. Auch
in den Fällen von anerzogenen Hemmungen ist er „mitunter“ bei
geeigneter Mitwirkung der angelernten Gattin zum Ziele gekommen.
Selbstverständlich muß die Ejakulationsmöglichkeit, sei es durch
Masturbation, sei es durch nächtliche Pollutionen erwiesen sein.
Auch M. Hirschfeld berichtet von erfolgreicher Behandlung der Eja¬
kulationsimpotenz bei dem erwähnten Chemiker durch Hypnosen mit
imperativen Suggestionen. Bei dem Redakteur versagte die Ma߬
nahme. Soweit mir über die der unfreiwilligen und onanistischen
Samenverluste entbehrenden Fälle eine Kunde gekommen, besagte sie
glatte Mißerfolge. Ich vermag da Curschmann, Rohleder und
Casper (Lehrbuch der Urologie. 3. Auflage. Wien 1921), wenn sie
hier die Prognose als absolut ungünstig beurteilen, nicht zu wider¬
sprechen. Bei den durch Abusus sexualis erworbenen Fällen, deren
beanspruchte relative Häufigkeit ich, wie erwähnt, nicht zu bestätigen
vermag, hat selbstverständlich Abstinenz bzw. Zügelung der Begierde
als erster Heilfaktor zu gelten. Die Verquickung mit psychischer
Impotenz fordert das Rüstzeug gegen diese. Nie benehme man dem
Hilfesuchenden alle Hoffnung.
Auf besonderem Blatt steht die Bekämpfung der Zeugungs¬
unfähigkeit in den Fällen unentwegten Versagens der Ejakulation
beim Verkehr. Selbstverständlich ist bei Aspermatismus im strengen
Sinne, also dem Mangel von Pollutionen und der Unmöglichkeit
masturbatorischer Samenergüsse, jede Hoffnung aufzugeben. Andern¬
falls darf, zumal nach den gründlichen Erschließungen erfolgreicher
künstlicher Befruchtung seitens Rohleders, diese nicht als aussichts¬
los abgelehnt werden. Ich habe sie in der positiven Gruppe bei
schmerzlicher SehnsuchF nach Kindern des öfteren als eine gegen
die ärztliche Ethik nicht verstoßende Maßnahme dringend empfohlen,
bin aber bis auf zwei Fälle (Mißerfolg bei Benutzung des onanisti¬
schen Ejakulats bzw. Pollutionsoroduktes 2 ) ohne Nachricht geblieben.
Beachtung verdient die Empfehlung Li ß man ns, die Immissio un¬
mittelbar vor der masturbatorischen Ejakulation zu bewerkstelligen.
Bei konkurrierender Erektionsschwäche lege ich gemäß früheren
Ratschlägen die einfache direkte Ejakulation in den Scheidenspiegel
nahe. Die Vornahme hat nach meinen Erfahrungen bei Impotentia
coeundi gelegentlichen Erfolg gehabt. Daß Träger unserer Störung
sich nicht dazu bequemt zu haben scheinen, beklage ich. Die jammer¬
volle Unnatur beschaffbaren, aber das norma’e Ziel nicht erreichenden
befruchtungsfähigen Samens begründet genugsam die Empfehlung*).
Vorstehende Berichte und Erörterungen, deren Lückenhaftigkeit
niemand mehr bedauern kann als ich selbst, sollen zur fruchtbringenden
Mitarbeit an der weiteren Klärung des noch immer, zumal bezüglich
der Erschließung der Indikationen, lichtbedürftigen Gebiets und objek¬
tiven Nachprüfung anregen. Welchen Nutzen der Praktiker aus den
gegebenen Streiflichtern und Fingerzeigen für seine Bedürfnisse zu
ziehen vermag, beurteile er selbst. Daß er über dem Heiklen des
Stoffs die Pflicht, den unglücklichen Opfern des ejakulationslosen Ge¬
schlechtsverkehrs zu helfen, nicht zu vergessen hat, bedarf nicht der
besonderen Begründung.
i) Ob bei Beteiligung von Homosexualität eine Steinach*che Behandlung (Ge-
schlecMsumwandl'tng durch Kastration und Einpflanzung einer heterologen KefmdrOae)
für unsere Störung nutzbar zu machen ist, steht dah*n. Meines Wissens liegen keine
bzw. noch keine einschlägigen Versuche vor. Die theoretische Möglichkeit muß aner¬
kannt, die Berechtigung von Verheißungen auf breiter Basis schon mit Rücksicht auf
obige Erfahrungen bezweifelt werden. — *) Der sich in dem einen Falle trotz seltener
Beharrlichkeit des siebenmaligen — Versuchs mit regelrechtem Sperma behauptete.
— *) Zu denken wäre auch an die Verwendung des lebende Spermien einschließenden
Hodenpunktats, ein freilich auch unter der Voraussetzung eines gleichzeitigen die Vitalität
erhöhenden Zusatzes von Prostatasaft kaum aussichtsreiches Verfahren, von dem meines
Wissens noch niemand Überhaupt Erfolge gemeldet hat
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
580
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 18
Die Wirkung der Abführmittel und ihre Verwendung in
der ärztlichen Praxis.
Von Prof. Franz Müller in Berlin.
Das experimentelle Studium der Wirkung von Abführmitteln, d. h.
von Arzneistoffen, die die Beförderung des Darminhalts beschleunigen
oder herbeiführen, ist durch Verwendung der Röntgentechnik in ein
neues, ich möchte sagen der praktischen Verwendungsart mehr
entsprechendes Stadium getreten. Anschließend an Cannon, hat
R. Magnus mittels Röntgenstrahlen an mit Wismutbrei gefütterten
Katzen die Fortbewegung des Darminhalts sehr eingehend untersucht.
Es gelingt so, die Steigerung der Magenperistaltik, die Zahl der Oeff-
nungen des Pylorus, die Fortbewegung des Speisebreies im Dünn¬
darm, das erste Auftreten des Wismutschattens im Dickdarm und den
weiteren Weg des Darminhalts in dem Dickdarm zugleich mit dem
Auftreten von peristaltischen Wellen bis zum Uebertritt in den Mast¬
darm und bis zur Entleerung zu verfolgen.
Der normale Darm zeigt fortschreitende rhythmische Kontrak¬
tionen der Ring- und Längsmuskulatur, durch die der Darminhalt
durcheinandergemischt und fortbewegt wird, die Pendelbewegungen,
ferner reflektorische, durch Reize hervorgerufene Einschnürungen und
tonische Kontraktionen, die den Darminhalt weiterschieben und schlie߬
lich entleeren, die Peristaltik, und endlich plötzlich einsetzende, lange
Kontraktionswellen, die Rollbewegungen. Im proximalen Teil des Dick¬
darms sieht man auch ohne therapeutische Beeinflussung oder ohne
krankhafte Veränderungen antiperistaltische Bewegungen zur Bauhin-
schen Klappe und sogar darüber hinaus bis ins Ileum hinein. Der
zwischen Ring- und Längsmuskulatur liegende Auerbachsche Plexus
beherrscht die Darmbewegungen zusammen mit dem parasympathi-
scheu Vagus und Pelvikus, deren Reizung die Darmbewegungen an¬
regt, und dem sympathischen Splanchnikus, dessen Reizung die Darm¬
bewegungen hemmt.
Gemeinhin faßt man unter „Abführmitteln“ nach der von
Schmiedeberg stammenden Trennung die im ganzen Darm die
Resorption erschwerenden und damit den Kot flüssig erhaltenden
Stoffe, die abführenden Salze oder Kolloide, und die bestimmte
Darmabschnitte erregenden pflanzlichen Abführmittel zusammen. Wir
wissen aber durch die auch aus Magnus’ Institut stammenden Unter¬
suchungen von Le Heux u. A., daß der Darm selbst einen seine
Tätigkeit erregenden Stoff produziert, das Cholin. Es findet sich in
der Außenflüssigkeit eines überlebend in Tyrode-Lösung (einer modi¬
fizierten Kingerlösung) arbeitenden Darmstückes und gehört zur
Gruppe der parasympathischen Gifte, die die Vagusendigungen er¬
regen. Je nachdem der Darm Cholin enthält oder durch Auswaschen
von ihm befreit ist, wirkt das die parasympathischen Nervenendigungen
im allgemeinen lähmende, also gegenüber Cholin antagonistische Atro-
p i n beruhigend oder — da es auch den Auerbachscnen Plexus erregt
— anregend. Ein Teil der „DarmWirkung“ des Atropins ist demnach
eine indirekte, indem nur Erregungsgifte beseitigt werden.
Man verwendet bekanntlich Atropin in Form der Belladonna¬
präparate bei Darmspasmen und spastischer Obstipation, entweder in
Form der Suppositorien (0,02—0,05 Extract. Belladonnae auf 2,0 von
Ol. Cacao) oder per os, etwa als die Trousseauschen Pillen (Fol.
Bellad. et Extr. Beilad. ää 0,3, Succ. et pulv. Liquirit. q. s. ut f.
pil. 30) oder in Form der Gelonida stomachica mit je 0,005 oder
der Gelonida stomachica fortiora mit je 0,01 Extr. Belladonnae oder
kombiniert mit pflanzlichen Abführmitteln, wie Extractum Rhei com¬
positum. Auch die Kombination mit Papaverin in PiUenform hat
sich nach folgendem Rezept vielfach bei Mischformen von atonischer
und spastischer Obstipation bewährt.
Rp. Extract Belladonnae 0,3 oder 0,6
Papaverin, hydrocblor. 1,2
Radix et Saccus Liquir. aa 0,6
M. f. PU. 30.
S. 3 mal täglich 1 Pille zu nehmen.
Da die normale Automatie des Darmes durch Cholin und wahr¬
scheinlich andere, noch nicht im einzelnen bekannte Hormone reguliert
wird, müssen auf die parasympathischen Nervengebiete des Darmes
im Sinne der Beseitigung einer Muskelerschlaffung, d. h. tonusstei-
gemd wirkende Stoffe gelegentlich auch abführend wirken. Sie be¬
seitigen eben die „Atome“. Das ist neuerdings im Utrechter Institut
bei verschiedenen Arten von experimentell hervorgerufenen Darm¬
lähmungen für das Cholin im Röntgenogramm und am überlebenden
Darmstück nachgewiesen worden. Der Praktiker, besonders der Chir¬
urg, sucht seit langer Zeit nach einem Mittel, das die bei Bauch¬
operationen und schon nach der Chloroformnarkose auftretende Darm¬
lähmung sicher zu beseitigen gestattet. Man hat das von dem
„Hormonal“ und dem angeblich albumosefreien „Neohormonal“ be¬
hauptet, ohne daß darüber bisher Einstimmigkeit herrscht. Störend
ist, daß derartige Stoffe, die, um sicher zu wirken, intravenös in¬
jiziert werden, als allgemeine parasympathische Gifte durch Vagusrei¬
zung die Schlagfolge des Herzens meist verlangsamen und den Blut¬
druck oft vorübergehend bis zu gefährlicher Tiefe senken. Die neueren
Untersuchungen über die Wirkung des Cholins bei Darmatonie ver¬
sprechen in dieser Hinsicht einen Fortschritt. (Bei der Katze wirkt
intravenöse Injektion von 35 mg Cholinchlorid pro Kilogramm, wenn
sie nicht allzu schnell gemacht wird, nicht allgemein giftig und ver¬
mag dodi schon die postoperative Magendarmlahmung zu beseitigen.)
Wenden wir uns jetzt zu den eigentlichen „Abführmitteln“, so
wirken die die Peristaltik bestimmter Darmabschnitte anregenden
pflanzlichen Abführmittel meist auf den Dickdarm. Dagegen
erregt die nach Eingabe von Rizinusöl im Darm entstehendeRizinol-
säure den Dünndarm und gelangt kaum noch in den Dickdarm. Dem
entspricht die Erfahrung der Praxis, daß man bei Verdacht einer
Appendizitis sich hüten muß, Rizinusöl zu verordnen, da die Wirkung
eben hauptsächlich im Dünndarm und erst nach Verseifung zu Rizinol-
seife eintritt, und anderseits, daß man Rizinusöl bei Schwangeren ver¬
wenden darf, ohne Gefahr zu laufen, daß durch eine Dickdarmreizung
mit gleichzeitig eintretender Hyperämie in den Gebieten der Vena
mesenterica inferior auch der Uterus zu Kontraktionen gereizt und
Abort herbeigeführt wird — eine Gefahr, die bei allen auf den Dick¬
darm wirkenden Abführmitteln sehr wohl besteht. Sind doch der¬
artige, drastisch wirkende Stoffe Abortiva. Das Rizinusöl hat gegen¬
über den ähnlich, aber stärker wirkenden, den Dünndarm erregenden
Mitteln, wie Krotonöl, Jalappenharz, Koloquinten und Podophyllin,
außerdem den Vorzug, weder Gastroenteritis noch auch Nierenreizung
zu verursachen. Rizinusöl ist also für einmalige gründliche Entleerung
sehr zu empfehlen.
Die den Dickdarm erregenden Drogen enthalten sämtlich Anthra-
zenderivate, sogenannte Emodine, die aus in den Pflanzen enthaltenen
Glukosiden durch hydrolytische Spaltung und Oxydation im Darm ent¬
stehen. Da die Mittel erst nach Eintritt in den Dickdarm wirksam
werden, dauert es immer mehrere Stunden, bis die Peristaltik, oft
unter recht störenden Kolikschmerzen und Tenesmen, erregt wird und
flüssige Entleerungen erfolgen.
Das zur Zeit fast billigste derartige Mittel sind die Sennes-
blätter, von denen ein Teelöffel auf eine Tasse kalten Wassern,
12 Stunden stehen gelassen, einen stark wirkenden Tee abgibt. Sie
sind auch in den heute als veraltet zu bezeichnenden Species laxantes
und in dem Kurellaschen Brustpulver (Pulvis liquiritiae compositus)
enthalten. Der früher viel gebrauchte Sennainfus und das Electuarium
e Senna sind wegen der teueren Herstellungsart nicht mehr zu emp¬
fehlen. Sennesblätter verursachen außerdem oft recht starke kolik-
artige Sdimerzen.
Faulbaumrinde ist das einzige aus in Deutschland heimischen
Pflanzen stammende pflanzliche Abführmittel. Man ist dazu über¬
gegangen, die Rinde im großen zu kultivieren. Alle anderen, Oxy-
anthrachinone im Darm liefernden Drogen kommen aus dem Aus¬
land und sind daher entsprechend teuer geworden. Man wird daher
Faulbaumrinde vor Senna, Rhabarber, Aloe und Cascara sagrada
möglichst bevorzugen.
Viel gebraucht werden, wenn man nicht einfach Rhabarberpulver
geben kann, die Pilulae Rhei nach der Berliner Magistralformel
(Rhizoma Rhei pulv. 5,0, Glycerini 2,2 auf 30 Pillen). Nicht viel teurer
sind die Pilulae aloeticae FMB. (Aloes pulv. 3,0, Saponis
Jalap. 1,8, Spiritus 0,4 auf 30 Pillen), erheblioi teurer dagegen
die Pilulae laxantes fortes FMB. (Extract. Colocynthidis 0,24,
Extract. Aloes 2,4, Resina Jalap. et Sapo medic. ää 1,2, Spiritus 0,2
auf 30 Pillen).
Wie jetzt so häufig, ist ein künstlich, synthetisch hergestellter
Stoff billiger als das Naturprodukt. Das Istizin (Bayer) ist ein
derartiges Dioxyanthrachinon, das in Tablettenform zu 0,15 die gleiche
Wirkung entfaltet wie die genannten pflanzlichen Stoffe.
In zahlreichen abführenden Spezialitäten findet sich als wirk¬
samer Stoff Phenolphthalein, das zuerst als „Purgen“ in den
Handel kam. Es ist ein mildes und sicheres Abführmittel, hat aber
den nicht zu unterschätzenden Nachteil, daß es häufig Nierenreizung
hervorruft. Die zahlreichen Laxinpillen und Laxinkonfekte sind da¬
her, zumal bei dauerndem Gebrauch, durchaus nicht immer un¬
gefährlich.
Audi Eingabe von Schwefel erregt infolge Reduktion durch
die Darmbakterien und die Eiweißstoffe der Dünndarm- und Dick¬
darmschleimhaut die Darmperistaltik. Die Magenschleimhaut enthält
keine den Schwefel reduzierenden Stoffe, die Wirkung beginnt daher
bei fortdauernder Bildung kleiner Mengen von Schwefelwasserstoff
erst im Dünndarm. Da die hohe Kohlensäurespannung des Darm¬
inhalts die Bildung von Schwefelalkalien, die die Darmschleimhaut
anätzen und entzündlich reizen könnten, verhindert, kommt es nach
Eingabe von Schwefel niemals zu gefährlicher Reizung, nicht einmal
zu Diarrhoe. Die Darmentleerungen werden vielmehr nur breiig,
ohne daß der Patient durch Kolikschmerz belästigt wird.
Das nicht bloß in der Kinderpraxis mit Erfolg bei akuten Darm¬
katarrhen verwendete Kalo me I erzeugt in Mengen von 0,3—0,4
beim Erwachsenen, von 0,01—0,03 dreimal täglich fei Kindern starke
Beschleunigung der Dünndarmentleerung und Dickdarmpassage, wie
kürzlich im Magnusschen Institut gefunden wurde. Ob außerdem,
wie man bis vor kurzem annahm, eine Erregung der Drüsensekretion
und Hemmung der Wasserresorption aus dem Dünndarm mitspielt,
ist neuerdings fraglich geworden. Bekanntlich muß die Wirkung des
Kalomels prompt erfolgen, das Mittel darf nicht im Darm Zurück¬
bleiben, weil sonst die Gefahr der Quecksilbervergiftung besteht
Erwünscht ist die hohe desinfizierende Kraft gerade bei infektiösen
Darmerkrankungen. Man wird Kalomel aber, bei gleichzeitig be¬
stehender Nierenerkrankung oder bei Gefahr der Darmlähmung und
jeder Störung der Darmpassage zu vermeiden haben.
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
5. Mai 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
5S1
Die mineralischen Abführmittel, die abführenden Salze,
verdanken ihre Wirkung rein physikalisch-chemischen Erscheinungen.
Die durch tote Membranen (Schweinsblase, Gelatineplatten usw.)
schwer diffundierenden Salze werden auch vom Darm aus schwer
resorbiert. Sie haben ein hohes Wasseranziehungsvermögen und
halten das Lösungswasser im Darm zurück. Zu dieser Gruppe ge¬
hören von den Kationen Magnesium, von den Anionen vor allem
Phosphorsäure und Schwefelsäure. Trocken eingenommenes
Glaubersalz (Natriumsulfat) und Bittersalz (Magnesiumsulfat)
erzeugen Flüssigkeitsansammlung im Darm, Abwanderung von Wasser
aus den Geweben und dem Blut in den Darm. Die Entleerung er¬
folgt nach 8—10 Stunden. Die konzentrierte Salzlösung reizt gleich¬
zeitig die Darmdrüsen zu vermehrter Sekretion und bewirkt so auch
Zunahme der Gallenabsonderung. Die abführende Wirkung wird nach
Einnahme der festen Salze oder von konzentrierten Lösungen um so
stärker sein, je wasserreicher das Blut und die Gewebe sind. So er¬
klärt sich die günstige Wirkung beim Oedematösen.
Werden aber die Sulfate oder Phosphate in verdünnterer Lösung
getrunken (von 5o/o an abwärts), so wird ein Teil des Lösungs¬
wassers im Dünndarm resorbiert, erzeugt Diurese, und nur der nicht
resorbierte Rest gelangt schnell in den Dickdarm, wo er kraft seines
Wasserverbindungsvermögens die Eindickung des Darminhalts ver¬
hindert. Die Wirkung erfolgt in diesem Falle innerhalb der ersten
zwei Stunden und ist unabhängig vom Wassergehalt des Blutes und
der Gewebe. So haben wir uns einen Teil der Wirkung der ab¬
führenden Quellen zu erklären, bei der aber die Zunahme der Blut¬
fülle im Darm- und Pfortadergebiet und der Gallensekretion nicht zu
vernachlässigen ist.
Die Untersuchungen von Wiechowski und seinen Mitarbeitern
Starkenstein und Stransky über die Wirkung des Karlsbader
Wassers auf den Mineralstoffhaushalt haben ferner gezeigt, daß
wesentliche Aenderungen im Mineralbestand des Organismus beim
Kaninchen durch Ersatz des gewöhnlichen Trinkwassers durch Mineral¬
wasser herbeigeführt werden können. Nicht nur der absolute Ge¬
halt an Kationen, sondern auch das Verhältnis von Kalium und Na¬
trium zum Magnesium und Kalzium, sowie anderseits von Chlor zu
Phosphat wird hierdurch beeinflußt. Unter dem Einfluß des sulfat¬
reichen Karlsbader Wassers werden die Phosphate in höherem Maße
im Organismus zurückbehalten. Da wir wissen, eine wie große Be¬
deutung die Phosphorsäure für zahlreiche Fermentreaktionen des Or¬
ganismus hat, wird es verständlich, daß die mit Karlsbader Wasser
oder künstlichen Sulfatgemischen getränkten Tiere sich gegenüber
Entzündungen, Temperaturänderungen („Fieberbereitschaft“) und
anderem anders verhalten als zuvor. Es sei ferner andeutungsweise
— da nicht direkt hierher gehörig — darauf hingewiesen, daß Aende¬
rungen des Salzmilieus im Phosphatgehalt erhebliche Aenderungen
im Verlauf der Zuckergärung hervorbringen, wie Paul Mayer ganz
kürzlich gezeigt hat — ein Hinweis darauf, wie man vielleicht die
Wirkung der Karlsbader Kur bei bestimmten Diabetesformen zu
deuten hat. Wir befinden uns hier im Anfang von für die Erkennt¬
nis der Mineralwasserkuren bedeutungsvollen Forschungen, die zum
ersten Male einen exakten und der experimentellen Prüfung zugäng¬
lichen Beweis dafür geliefert haben, daß durch eine längere Trinkkur
mit sulfatreichen Quellen eine erhebliche Aenderung im Mineral¬
stoffwechsel und -gehalt des Organismus hervorgebracht wird. Leider
ist durch die Verteuerung des Transportes und der Flaschenpreise
die Beschaffung von Karlsbader Wasser nur noch wenigen Begüterten
möglich. Man wird sich mit dem Gebrauch des künstlichen
Karlsbader Salzes, einem Gemisch aus 44 Teilen Natriumsulfat,
2 Teilen Kaliumsulfat, 35 Teilen Natriumbikarbonat und 18 Teilen
Kochsalz, begnügen und durch Lösen etwa eines Eßlöffels in warmem
Wasser einen gewissen Ersatz für Mühlbrunnen oder Sprudel schaffen
müssen. Wie allgemein bekannt, trinkt man das Wasser früh morgens
nüchtern und nimmt nach Bewegung das Frühstück erst eine Stunde
später ein. Uebrigens wirkt oft schon das Trinken eines Glases reinen
Wassers auf nüchternen Magen abführend!
Einen Ersatz für die gleichfalls sehr teuer gewordenen „Bitter¬
wässer“ schafft man sich durch Auflösen von 1 bis 2 Eßlöffeln
Bittersalz in warmem Wasser. Auch Magnesiausta und Magne-
siumperhydrol (Tabletten Merck zu 0,5) wirken abführend. Das
früher viel gebräuchliche Seignettesalz, das in dem abführenden
Brausepulver und im Wiener Trank enthalten ist, ist
gleichfalls zu teuer geworden, als daß man es noch emp¬
fehlen sollte.
Neben den schwer resorbierbaren Salzen tritt die Verwen¬
dung von durch Quellung Wasser anziehenden Stoffen, wie Agar-
Agar, dem Hauptbestandteil der Regulinpillen, an Bedeutung stark
zurück.
Die Verordnung von Abführmitteln bei atonischer, chroni¬
scher Obstipation ist gegenüber der Regelung der Verdauung durch
zweckentsprechende Diät sehr mit Recht in den Hintergrund getreten.
Oft genügt die Umschaltung von zu konzentrierter Fleischnahrung,
zumal bei Weißbrotgenuß, auf ein vegetarisches Regime mit reichlich
zellulosehaltigen Speisen, wie Gemüsen, Salat, Obst und Schwarzbrot
oder Schrotbrot, um die Darmträgheit zu beheben. Oft ist auch die
Verordnung regelmäßiger Körperbewegung, Gymnastik, Sport, Mas¬
sige und Hydrotherapie empfehlenswerter als dauernder Gebrauch
von abführenden Medikamenten. Gerade bei der chronischen Obsti¬
pation muß der Arzt weitgehend individualisieren und den ganzen
Organismus, nicht bloß den Darmkanal behandeln.
Preistafel (15. April 1922):
1. Rezeptmäßig. M.
Fol. Sennae 10,0.—,60
Cort. Frangulae 10,0.—,70
AloS 10,0. 1,10
Extr. Casc. sagr. fluid. 1Q,0 ... 2,80
Rhi*. Rhei 10,0. 5,-
2. Handverkauf.
Bittersalz 50,0 in Tüte. 2^5
Kfinstl. Karlsb. Salz krist 100/) in
Tüte. 4,60
Gebrannte Magnesia in Tüte 10/) 2,60
Tartar, natron. 10,0 In Tüte . . . 5,50
Rizinusöl 50,0.13.50
Brustpulver 20,0 in Tüte .... 2,40
3. Spezialitäten. ^
IstizintabL 0,15 30 St.10,95
Magnes. Perhydrol 0,5 20 St. . . 3JBQ
Compr. Laxat veget. 25 St. . . . 13,80
Compr. Extr. Casc. Sagradae (ohne
Zucker) 0,15 25 St.12,30
Compr. Extr. Casc Sagradae (ohne
Zucker) 0,25 25 St.15£5
4. Magistrat! ormel-Rezepte.
PU. Rbei 30 St.11,20
Pil. aloüticae 30 St.13,60
PU. laxantes fortes 30 St.17,05
Lieber den Verlauf von Infektionskrankheiten bei dauernder
Unterernährung 1 ).
Von A. Steraberg in Petersburg.
M. H.! Einige Beobachtungen aus den letzten Jahren über den
Verlauf der Infektionskrankheiten in Petersburg dürften Ihrer Auf¬
merksamkeit wert sein.
Die Lebensbedingungen der Bevölkerung dieser Stadt von Ende
1917 bis Ende 1919 waren eigentümlich in doppelter Hinsicht: Alle
gesundheitschädigenden Einwirkungen hatten sich vereinigt und in
außerordentlichem Maße verdichtet. Das Leben der Einwohner verlief
in ungeheizten Wohnräumen bei einer Durchschnittstemperatur von
2—3° R, des Winters in überfüllten Räumen, denn die Kälte zwang
ganze Familien, und zuweilen auch mehrere, sich in einem Zimmer
einzurichten, es fehlten die primitivsten hygienischen Bedingungen
(Wasserleitung, Aborte, Hausbäder, öffentliche Badeanstalten, Seife),
und dazu kam dauernd gestörte Seelenruhe neben hochgradiger psy¬
chischer Depression. Damit ist aber die Reihe der schweren Lebens¬
bedingungen nicht erschöpft, denn über allen thronte der Hunger¬
zustand, tief einwirkend sowohl auf das leibliche als auch auf das see¬
lische Wohl der Bevölkerung. Bemerkenswert ist dabei der Umstand,
daß nicht etwa irgendein Teil, sondern buchstäblich die ganze Be¬
völkerung unter dem Hunger zu leiden hatte. Mit Ausnahme von
vereinzelten Personen, im ganzen einige Dutzend, konnte niemand
sein kalorisches Gleichgewicht aufrechterhalten, d. h. alle waren
mehr oder minder untergenährt. Zu den objektiven Anzeichen ge¬
hörten allgemeine Abmagerung, Massenfälle von Hungerödem und
zahlreiche Fälle von Hungertod, deren allein das Obuchowkranken-
haus für diese Periode über 300 zu verzeichnen hatte.
Nachdem schon 1917 klar geworden war, daß die Ernährungs¬
verhältnisse sich auch weiterhin verschlechtern würden, und als da¬
mals schon die Merkmale der anrückenden Epidemien sich gezeigt
hatten, standen wir vor der Frage, wie die Infektionskrankheiten bei
allgemeiner Unterernährung wohl verlaufen würden. Es bot sich die
Möglichkeit einer klinischen Beobachtung unter den Bedingungen
eines Experimentes in ungeheurem Maßstabe. Im allgemeinen war
das Resultat allerdings vorauszusehen, denn es war klar, daß dauernde
Unterernährung die Widerstandskraft des Organismus herabsetzen,
dadurch den Ablauf der Infektionskrankheiten verschlechtern und ihre
Mortalität erhöhen müsse. Es war zu erwarten, daß die akuten In¬
fektionen, z. B. die an die Reservekräfte der Kranken hohe Ansprüche
stellenden typhösen Infektionen und solche chronische Formen wie
Tuberkulose, wo die Ernährung gleichzeitig Heilmittel ist, einen
katastrophischen Verlauf nehmen müßten. Und diese Erwartung schien
darin eine Bestätigung zu finden, daß die allgemeine Sterblichkeit in
diesen Jahren ungeheuer angestiegen war, um 1919 die noch nir¬
gends in der Welt erreichte Höhe von 85 pro Mille zu erklimmen.
Gegenwärtig (1920—1921) haben sich die Lebensbedingungen zwei¬
fellos gebessert, besonders in alimentärer Hinsicht. Wenn die Ernäh¬
rung noch bedeutend zurückbleibt gegen die frühere satte Norm, wenn
wir auch noch von qualitativen Ernänrungsdefekten, von Unterernährung
einiger Bevölkerungsgruppen sprechen können, so kann von einer
Massenunterernährung nicht mehr die Rede sein. Die Periode all¬
gemeiner Unterernährung von Ende 1917 bis Ende 1919 kann so¬
mit als abgeschlossen betrachtet und die Resultate klinischer Beob¬
achtung können jetzt summiert werden.
Im Vordergründe des Interesses steht für uns nicht die Analyse
der Besonderheiten im Ablauf der Infektionskrankheiten für die ge¬
nannte Periode, sondern die Frage, soweit klinische Beobachtungen
und statistische Daten ausreichen, ob in diesen Jahren die Infektions¬
krankheiten tatsächlich einen besonders ungünstigen und im Vergleich
zu anderen Jahren abweichenden Verlauf genommen haben. Die de¬
taillierte Analyse des klinischen und statistischen Materials hat nun
ebenso unerwartete als biologisch und klinisch interessante Ergebnisse
geliefert.
Für die erwähnte Zeitperiode ist Petersburg von einer Reihe
mehr oder minder heftigen Epidemien befallen gewesen: Flecktyphus,
Unterleibstyphus, Rekurrens, Cholera, Dysenterie, epidemische Grippe,
Masern. Zur Beurteilung des klinischen Verlaufes dieser akuten Krank¬
heiten gibt die Statistik das sicherste Material. Trotz der Ver-
*) MitgetcLlt In der Versammlung der Aerxte de« Obucbowkrankenhauses.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
582
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 18
Wüstungen aus den ersten Revolutionsjahren ist der Apparat für
Sanitätsstatistik erhalten geblieben, das Rohmaterial ist verarbeitet
(mit Ausnahme von 1917) und gibt uns die Möglichkeit, die Frage
zu beantworten, in welchem Maße der Verlauf der Infektionskrank¬
heiten in der Hungerperiode sich verändert hatte.
Die asiatische Cholera, in Form bedeutender Epidemie,
herrschte in Petersburg 1918 und 1919. Die Mortalität betrug 43,4o/ 0
für 1918 und 35,5% für 1919. Im Vergleich zu früheren Epidemien
(fünfjährige Epidemie 1892—1896 und dreijährige 1908—1910) ist kein
wesentlicher Unterschied zu erkennen. Die Choleramortalität für
Petersburg schwankte immer zwischen 30 und 62.
Der Flecktyphus herrschte in Petersburg von Ende 1917.
Seine Mortalität betrug für Rußland von 40—60 o/o Dis 4— 5 o/o, und für
Petersburg nach den Hospitalstatistiken der letzten 30 Jahre war die
Mortalität 12,2o/ 0 . Wir finden nun für das Jahr 1918 9,4o/ 0 und 11,8oy 0
für 1919, somit keine Verschlechterung gegen früher. Dabei ist zu
erwähnen, daß auch das Verhältnis der Altersklassen sich nicht ver¬
schoben hatte, insofern die Altersklasse bis zu 16 Jahren (mit der
günstigen Mortalität), wie auch in früheren Epidemien, gegen 20 o/o
aller Erkrankten betrug.
Rekurrens hatte eine außerordentliche Ausbreitung 1918 und
1919 gefunden, und die unmittelbare Beobachtung hatte den Ein¬
druck eines ungeheuer schweren Verlaufes hervorgerufen, indem eine
ungewohnte Mortalität von 8^1 o/o für 1918 und 4,9o/ 0 für 1919 fest¬
gestellt wurde. Ein Vergleich mit den Angaben für die letzten
30 Jahre zeigt aber, daß wir einfach vergessen haben, wie diese
Krankheit früher verlaufen ist. Von 1890 bis 1916 hat Petersburg
18mal Rekurrensepidemien erlebt. Davon hatten nur vier Epidemien
eine relativ niednge Mortalität von 1,7o/ 0 für 1906, 2,8o/ 0 für 1908
und 2,5o/o für 1911. Die anderen 14 Epidemien gaben eine Durch¬
schnittsmortalität von 5,4 und 1900 sogar 14,21 o/ 0 .
Die epidemische Orippe gab 1918 und 1919 eine eminente Mor¬
talität, die mit den offiziellen Daten von 7,4o/ 0 für 1918 und 13,9o/o
für 1919 nicht erschöpfend charakterisiert ist, weil wahrscheinlich eine
große Anzahl Todesfälle als kruppöse Pneumonie rubriziert sind. Je¬
doch diese hohe Mortalität kann keinesfalls auf Unterernährung zurück¬
geführt werden, denn ein ebenso schwerer Verlauf ist in ganz Europa
und auch in Staaten mit normalen Emährungsverhältnissen festgestellt
worden. Charakteristisch ist auch der Umstand, daß in Rußland, so¬
weit sich aus Mitteilungen unserer Landärzte schließen läßt, die Epi¬
demie in Dörfern einen besonders schweren Verlauf hatte, obgleich
die Ernährungsverhältnisse dort nicht nur besser als in den Städten
waren, sondern sogar bedeutend besser als in Friedenszeiten.
Einen starken Anstieg zeigte die Mortalität bei Dysenterie
und Masern, besonders bei der letzteren. Die Dysenterie gab 1918
45,5o/o und 1919 29,5 o/o gegen die Mittelzahl von 22,2o/ 0 für die
letzten 30 Jahre. Die Masern hatten 1918 keinen epidemischen Cha-
raktef, und ihre Mortalität war relativ niedrig, und zwar 10,28o/o. Aber
1919 gaben 2058 Erkrankungsfälle eine Sterblichkeit von 667 Fällen,
d. h. 34,lo/o gegen 13,3«/o als Mittelzahl für die letzten 30 Jahre.
Von den chronischen Infektionen dürfte die Tuberkulose das
größere Interesse beanspruchen in Hinsicht ihres Verlaufes. Bekannt¬
lich ist die Morbiditätstatistik für die Tuberkulose ungültig. Aber
auch die Mortalitätstatistik läßt uns im Stich und gibt uns nicht die
Möglichkeit, den Charakter des klinischen Verlaufes tu klären, weil
die Zahlen hier von sehr vielen und komplizierten Gründen beeinflußt
werden, besonders in so wirrloser Zeit wie jetzt. So ergeben z. B.
die Krankenhausdaten für 1918 ein so starkes Absinken der Tuber¬
kulosekrankenzahl, daß in vielen Hospitälern die Frequenz auf 0
esunken war für diese Krankheitsform. Das war natürlich nicht
urch Abnahme der Tuberkuloseerkrankungen bedingt, sondern unter
anderem dadurch, daß die Beheizung und Ernährung in den Ho¬
spitälern schlechter war als zu Hause. Ein Anwachsen der Frequenz
trat wieder 1919 ein. Die Tuberkulosemortalität in Petersburg stieg
von 33,0 auf 10 000 Einwohner für Juli/Dezember 1911—13, bis zu
44,9 für Juli/Dezember 1919. Wollten wir auch diese Zahl erhöhen
im Hinblick darauf, daß ein Teil der Tuberkulosekranken unter an¬
deren Todesursachen rubriziert sein dürfte (z. B. Typhen), so muß
sie doch unerwartet klein erscheinen und kann nicht den Charakter
des klinischen Tuberkuloseverlaufes widerspiegeln, weil für den er¬
wähnten Zeitraum ein sehr wichtiger Umstand auf die Tuberkulose¬
mortalität einwirkte, und zwar so stark, daß andere Einwirkungen
dabei zurücktraten. Dieser Umstand ist eine Veränderung der so-
enannten mechanischen Bevölkerungsbewegung oder genauer der
estand der Bevölkerung von 1917 an.
In früheren Jahren reisten in Petersburg alljährlich gegen 300 000
Personen an, und zwar vorzüglich gesunde Personen, während Tuber¬
kulosekranke, besonders die schweren Fälle, in Massen die Stadt ver¬
ließen. Nicht allein die besser situierten Schichten, wo es beinahe
zum guten Ton galt, Tuberkulöse in Sanatorien, Kurorten oder auf
ihren Landgütern sterben zu lassen, sondern auch in Arbeiterklassen
war das Bestreben vorhanden, soweit meine Erfahrungen aus dem
Obuchowhospital mich lehren, bei schwerer Tuberkuloseerkrankung ins
Heimatdorf zu ziehen. Im Krankenhause starben hauptsächlich solche
Personen, die keinen Konnex mit ihrem Heimatdorfe mehr hatten.
Diese zwei Umstände, ständiger Zufluß gesunder Bevölkerung und
Abfluß schwerer Tuberkulosefalle, haben immer in hohem Maße die
Tuberkulosemortalität beeinflußt. Von 1917 an beginnen diese Ver¬
hältnisse sich in direkt entgegengesetzter Richtung zu verändern. Der
Zufluß von außen ging auf ein Minimum zurück, und die Ausreise
war behördlich verboten, eine Ausreisegenehmigung auszuwirken,
setzte viel Energie und Mühe voraus, und außerdem waren die Trans¬
portverhältnisse in so zerrüttetem Zustande, daß für Schwerkranke
das Reisen unmöglich war. Das alles brachte Petersburg in einen be¬
sonderen Ausnahmezustand, ähnlich einem Konzentrationslager
für Tuberkulöse. Da ist es verständlich, daß die Tuberkulose¬
mortalität hoch ansteigen mußte, ganz unabhängig von diesem oder
jenem Krankheitsverlauf. Ueber letzteren kann daner nur auf Grund
direkter Beobachtung geurteilt und können keine Schlüsse aus der
Statistik gezogen werden 1 ).
Der kapriziöse Verlauf individueller Tuberkulosefälle gestattet es
nicht, für derartige Schlußfolgerungen ein zufälliges Material zu be¬
nutzen, wobei ein Vergleich des Verlaufes jetzt und früher aus¬
geschlossen ist. Unter den gegebenen Verhältnissen ist auch das
Krankenhausmaterial als zufällig zu bezeichnen, weil sein Bestand be¬
einflußt wird von einer ganzen Reihe allgemeiner Lebensbedingungen.
Für gültige Schlußfolgerungen konnten einzig und allein solche
Krankheitställe genügen, die schon vor der Hungerperiode in Beob¬
achtung gestanden hatten, wobei der individuelle Erkrankungscharakter
festgestellt worden war. Nur auf diese Weise waren vergleichende
Beobachtungen ermöglicht.
In dieser Hinsicht befand ich mich in einer ausnehmend günstigen
Lage. Trotz Abnahme der Einwohnerzahl Petersburgs, fast um zwei
Dnttel, waren in meiner Beobachtung etwa 300 Kranke verblieben,
die ich von 1916 und läqger kenne. Viele davon stehen in meiner
Beobachtung jahrelang (die früheste Notiz ist 1910 eingetragen). Die
Mehrzahl der Kranken ist „tuberkulosediszipliniert“, d. h. sie notieren
Körpergewicht und Temperatur und kommen periodisch in die Sprech¬
stunde. Von Ende 1917 bis Ende 1919 haben sie alle, ohne Aus¬
nahme, stark an Gewicht verloren, viele haben 20 bis 30<>/o ihres
mittleren Körpergewichtes eingebüßt. Aus der Zahl weiblicher Kran¬
ken sind über 30o/o amenorrhoisch geworden. Alle waren derselben
Lebensweise unterworfen, wie auch aie ganze Bevölkerung. Mit Aus¬
nahme der Arbeitsunfähigen waren alle dienstlich angestellt, und alle
mußten schwere, ungewohnte Arbeit leisten (Lasten tragen, Holz sägen
und spalten usw.). wer sonst gewöhnt war, ein- bis zweimal im Jahre
Erholungsreisen zu machen, arbeitete durch Winter und Sommer ohne
Erholung. Kurz gesagt, wenn für die erwähnte Zeit die Lebens¬
bedingungen für die ganze Bevölkerung erdrückend waren, so waren
sie es in doppeltem Maße für an Schonung gewöhnte chronische
Tuberkulosekranke. Es war für mich von vornherein klar, daß bei
meinen Patienten der Krankheitszustand sich nicht nur verschlechtern,
sondern geradezu einen katastrophischen Verlauf hätte nehmen müssen.
Mein Krankenmaterial umfaßte verschiedene Krankheitsformen und
Fälle von verschieden graduierter individueller Widerstandskraft. Es
gehörten dahin: Fälle im Anfangsstadium, jedoch erblich schwer be¬
lastet, deren Zukunft Besorgnis erweckte; Chroniker mit ausgesprochen
günstigem Krankheitsverlauf und Chroniker mit Neigung zu häufigen
Verschlimmerungen und endlich Fälle mit tiefgehenden anatomischen
Veränderungen und bedeutender Toxämie. In diese Gruppe gehören
auch 40 Personen mit künstlichem Pneumothorax, bei denen auch die
andere, nicht operierte Lunge mehr oder minder hochgradig tuberkulös
affiziert war. Abgesehen von den nur längere Zeit und gut be¬
kannten Patienten, unterwarf ich alle neuen Chroniker einem genauen
Examen, um möglichst festzustellen, in welchem Orade, für die Periode
der Unterernährung, akutes Aufflackern und Temperaturveränderungen
sich gehäuft hatten.
Meine Beobachtungen an diesen beiden Krankengruppen im Be¬
ginn 1920 zusammenfassend, konnte ich den schon 1918 empfangenen
und mir paradox und unzutreffend scheinenden Eindruck bestätigen,
daß nämlich der klinische Verlauf der Tuberkulose in der erwähnten
Zeitperiode keine deutlich ausgesprochene Verschlechterung hat er¬
kennen lassen. Man hätte erwarten können, daß torpide, zu akutem
Aufflackern nicht neigende Prozesse einen aktiven Verlauf nehmen
würden, mit progressiver Verschlechterung des Lungenbefundes, so¬
wohl in qualitativer (Neigung zu Exulzeration, Zerfall) als auch^ in
ä uantitativer (Flächenausbreitung) Hinsicht. Sehr demonstrativ hätte
er Krankheitsverlauf an jugendlichen Personen, Kindern und Ado¬
leszenten, bei tracheobronchialer, mit subfebrilen Temperaturen und
akuten Schüben in Form von Pleuritis sicca, Peribronchitis der Lungen¬
spitzen usw. einhergehender Drüsentuberkulose verlaufen müssen. Bei
diesen Kandidaten der Lungentuberkulose hätte eine so lange Zeit
anhaltende Unterernährung in den Wachstumsjahren zu deutlichen,
dank dieser Krankheitsform in die Augen springenden Veränderungen
führen müssen. Man hätte erwarten sollen, daß Chroniker, die ein
Drittel und mehr ihres Körpergewichtes eingebüßf hatten und mit
Hungerödem behaftet waren, vollständige Dekompensation der Tuber¬
kulose mit Erwerbsunfähigkeit, Ueberspringen des Prozesses auf
andere Organe, bis zu allgemeiner Dissemination aufweisen würden.
Und diese Erwartungen schienen um so berechtigter, als zu Unter-
*) In Deutschland sind manche Autoren demselben methodologischen Fehler geneigt,
indem sie einen Schluß Ober den klinischen Verlauf der Tuberkulose aus der Statistik
der Tuberkulosemortalität ziehen wollen. Die erheblich angewachsene Mortalität an
Tuberkulose ist eine unbestreitbare Tatsache, aber im Grund dieser Erscheinung liegt
eine Reihe Ursachen, unter denen Veränderungen des Tuberkuloseverlaufes nur eine
geringe Rolle spielen dürfen. Wenn wir nicht außeracht lassen, daß während des
Krieges entschieden alle mehr oder minder gesunden Personen im Alter von 18 bis 40
der Bevölkerung entzogen wurden, wird es leicht verständlich, daß die verbliebene
Zivilbevölkerung, und geradezu damit beschäftigt sich die Statistik, abgesehen von
anderen Ursachen, eine eminente Vergrößerung der Tuberkulosemortalität zeigen mußte.
Dasselbe soll auch die Ursache der angewachsenen Tuberkulosemortalität in den Staaten
sein, die zwar am Kriege teilgenommen, aber an Hunger nicht gelitten haben (Frank¬
teich, England).
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
5. Mai 1922 DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT 583
emährung sich noch eine andere, nicht geringere Schädlichkeit gesellt
hatte, und zwar die epidemische Grippe, die zur selben Zeit iii
Petersburg herrschte.
Indem ich nun meine Eindrücke für diese Periode zusammenfasse,
muß ich feststellen, daß keine einzige von den erwähnten Kranken¬
gruppen eine katastrophische oder überhaupt eine deutlich wahr¬
nehmbare Veränderung im Sinne der Bösartigkeit hat erkennen
lassen. Akutes Aufflackern, Uebergang auf andere Organe, Exitus
wurden nicht häufiger beobachtet als in früheren Jahren. In vielen
Fällen war der Gegensatz zwischen dem Abmagerungsgrade und dem
Krankheitszustand geradezu auffallend. Bei enorm großem Gewichts¬
verlust war bei vielen Patienten während der ganzen Zeit nicht nur
keine objektive Verschlechterung festzustellen, sondern sie fühlten
sich wohler als früher. Auch der operative Pneumothorax verlief kaum
anders als in früherer Zeit. Es wurde der Eindruck wachgerufen, daß
neben den angeführten schädigenden Einflüssen, die Unterernährung
einbegriffen, irgendein anderer die Schädigung, hemm en-
der Faktor in Tätigkeit getreten war.
Diese überraschenden klinischen Schlußfolgerungen veranlaßten
mich, den an Hungerleichen konstatierten pathologisch-anatomischen
Befund einer Analyse zu unterziehen. Es war zu erwarten, daß der
Leichenbefund bei unmittelbar zum Tode führendem Hungerzustand
eine Anfachung latenter, bei den meisten Erwachsenen vorhandener
Herde, und bei tuberkulösen Chronikern deutlich nachweisbare akute
Schübe in Form von frischen Eruptionen usw., erkennen lassen würde.
Für den Zeitraum 1918/19 sind im Obuchowhospital etwa 300 Ob¬
duktionen mit der Diagnose Hungertod gemacht worden. Davon sind
200 Obduktionsprotokolle von Dr. W. Waldmann durchgesehen
worden. In 15 Fällen war die klinische Diagnose chronische Lungen¬
tuberkulose bei der Sektion bestätigt worden, wobei die Protokolle
keine Angaben über akute Schübe, frische Eruptionen enthalten. In
den übrigen 185 Protokollen über den Leichenbefund bei erwachsenen
Personen fehlen Angaben über tuberkulöse Veränderungen. Um
eventuelle auch bei pathologisch-anatomischen Obduktionen mögliche
Subjektivität auszuschließen, untersuchte ich die Obduktionsprotokolle
des Marienhospitals für ein Jahr (Prosektor Prof. S. Schueninow).
In der Mehrzahl von 31 Protokollen, alle erwachsene Personen be¬
treffend, ist Hungerödem notiert, in vielen Fällen pleuritische Ver¬
wachsungen, es fehlen aber Angaben über Tuberkulose 1 ).
Das Gesagte zusammenfassend, finden wir, daß die
große Gruppe akuter Infektionen sowohl nach klini¬
schen Eindrücken als auch nach statistischen Daten
zweifellos keinen schlechteren Verlauf gehabt hat als
in früheren Jahren; nur eine kleine Krankheitsgruppe
(Dysenterie, Masern) hatte eine bedeutend höhere Mor¬
talität. Von den chronischen Infektionen zeigte die
Tuberkulose (wenigstens die Lungentuberkulose) keine
wesentliche Neigung, unter der Einwirkung der Unter¬
ernährung schneller oder schlechter zu verlaufen. Die
letzte Schlußfolgerung läßt sich zwar statistisch nicht nachprüfen,
scheint aber deswegen überzeugend zu sein, weil sie einer fast drei¬
jährigen Beobachtung eines äußerst zutreffenden Krankenmaterials
entspringt. Diese Schlußfolgerungen entsprechen so wenig unseren
Vorstellungen über den Krankheitsverlauf bei entkräftetem Organis¬
mus, daß sie in unserem Bewußtsein einen psychologischen Widerstand
hervorrufen und uns unzutreffend erscheinen, obwohl sie auf gut fun¬
dierten Angaben beruhen. Zwei Umstände sind es, die den psycho¬
logischen Widerstand bedingen. Erstens der Widerspruch mit der
Tatsache des Aussterbens der Bevölkerung in diesen drei Jahren, was
ziffernmäßig nachweisbar ist, denn die Mortalität Petersburg,
in früheren Jahren nicht über 25 pro Mille, erreichte
1918 45 und 1919 85 pro Mille. Zweitens erscheinen die Schlu߬
folgerungen nicht akzeptabel vom Standpunkt des allgemeinen klinisch¬
biologischen Satzes: je schwächer der Organismus, desto geringer
seine Widerstandskraft gegen Infektionen, d. h. desto höher die
Mortalität bei Infektionen.
Der erste Widerspruch wird geklärt durch die Ueberiegung, daß
der Mortalitätskoeffizient (Zahl der Todesfälle pro 1000 Einwohner)
nicht in direktem Verhältnis zur Zahl der auf 100 Erkrankungsfälle
berechneten Mortalität steht, sondern mit der Morbidität in Zu¬
sammenhang steht. Bei hoher Sterblichkeit an Flecktyphus kann der
Koeffizient gering sein, wenn die, Erkrankungszahl gering ist, und
umgekehrt, der Koeffizient ist hoch bei einer Epidemie mit geringer
Mortalität, wenn die Epidemie stark ausgebreitet ist. In dem er¬
wähnten Zeitraum, war die Zahl der Erkrankungen an Infektions¬
krankheiten außerordentlich hoch. Es genügt, darauf zu verweisen,
daß allein der Flecktyphus, und zwar nur in Kranken¬
häusern, mit etwa 45000 Fällen registriert wurde bei einer
Bevölkerungszahl von 7- bis 800000 Personen. Nach den Angaben
der Krankenhäuser hat die Zahl der infektiösen Erkrankungen über¬
haupt für 1918 bis 1919 etwa 110000 betragen. Fügen wir noch
hinzu, daß die hohen Lebensalterklassen sich im Aussterbeetat be¬
fanden, daß eine bedeutende Anzahl infektiöser Erkrankungsfälle zu
Hause behandelt wurde und daß der Zustrom frischer Bevölkerung
vefsiegt war, so löst sich in einfacher Wei9e der Widerspruch
zwischen dem ungeheuren Anwachsen des Mortalitätskoeffizienten für
*) In der Diskussion zu vorstehender Mitteilung bemerkte Dr. O. v. Dehn, daß
bei Magen- und besonders Oesophaguskrebs, wenn die Kranken unter den Erscheinungen
des Hungertodes zugrundegehen, meistens, sowohl klinisch,, als auch pathologisch»
anatomisch ein torpider Verlauf tuberkulöser Prozesse nachzuweisen ist. '
die erwähnten Jahre und einer niedrigen Mortalität bei den meisten
Infektionskrankheiten.
Der zweite Einwand ist schwieriger zu widerlegen, jedoch muß
bei genauer Ueberiegung zugegeben werden, daß der Widerspruch
mit bekannten Tatsachen und auch theoretischen für die moderne
Klinik gültigen Vorstellungen nicht allzu groß ist. Durch Erfahrung
wissen wir und wundem uns nicht, daß das blühende Kind an Masern
oder Keuchhusten zugrundegeht, während selbst abgezehrte Per¬
sonen höherer Jahrgänge davon verschont bleiben. Die in der Jugend¬
periode der Bakteriologie aufgekommene Erklärung dieser paradoxen
Tatsache, nämlich daß fast alle Menschen seit ihrem Kindesalter mehr
oder minder mit den Infektionen des Kindesalters in Berührung ge¬
wesen sind und daher Immunität erworben haben, dürfte gegenwärtig
kaum jemand befriedigen. Dagegen sprechen unter anderem schon
solche gar nicht vereinzelte Tatsachen, wie z. B. die ganz minimale
Empfänglichkeit des Säuglings für Scharlach im Vergleich zu älteren
Kindern. Aber besonders deutlich läßt sich an der Tuberkulose er¬
sehen, daß es sich hier nicht um erworbene Immunität, sondern um
Konstitutionseigenheiten handelt, die vom Lebensalter abhängig sind,
und daß wir bei Infektionsempfänglichkeit und beim Verlauf der In¬
fektionen im verschiedenen Lebensalter mit dem Begriff einer
Lebensalterimmunität rechnen müssen. Die Tuberkulose gibt
uns ein treffendes Beispiel dafür, daß die Widerstandsfähigkeit des
Organismus nicht ausschließlich im Zusammenhang steht mit Er¬
nährungszustand und sogar mit sogenannter „Lebensfähigkeit“. Ge¬
rade das blühendste Lebensalter, wenn der Mensch sich auf dem
Höhepunkt der Entwicklung seiner körperlichen und seelischen Kräfte
befindet, das Alter von 18 bis 30 Jahren, ist, wie bekannt, am
wenigsten widerstandsfähig gegen die Tuberkulose. Eine bis dahin
in halblatentem Zustande befindliche Tuberkulose hat geradezu in
diesem Lebensalter die Neigung, aktiven Verlauf zu nehmen. Und
umgekehrt, in der Periode des Erlöschens, die mit dem hohen Alter
zusammenfällt, zeigt der Organismus seine größte Widerstandsfähig¬
keit dieser Krankheit gegenüber, und die Tuberkulose neigt zu
schlaffem Verlauf. Vom Standpunkt des obenerwähnten klinischen
Satzes müssen diese Tatsachen nicht weniger paradox erscheinen als
jene für die Hungerperiode festgestellten. Hier aber gibt die Er¬
fahrung volle Bestätigung. Die moderne Klinik sieht darin auch keinen
unlösbaren Widerspruch, weil sie von dem Satz ausgeht, daß In¬
fektionsempfänglichkeit und Widerstandsfähigkeit vorzugsweise von
der Körperkonstitution abhängig ist, d. h. von dem individuellen in¬
timen Chemismus des Körpers, der sowohl die physiologische Indi¬
vidualität überhaupt als auch die Lebensalterindividualität bestimmt.
Wenden wir uns zu einer Betrachtung der durch dauernde Unter¬
ernährung bei den Einwohnern hervorgerufenen Veränderungen, so
finden wir außer extremer Abmagerung eine Reihe funktioneller Organ¬
störungen, und zwar von seiten solcher Organe, deren Einwirkung
auf das, was wir Konstitution des Organismus nennen, wohl an¬
zunehmen ist, nämlich der Drüsen mit innerer Sekretion. Ganz all¬
gemein und sehr häufig ist in diesen Jahren Amenorrhoe beobachtet
worden, nach meinen Beobachtungen waren davon über 30 o/o aller
Frauen betroffen, alle Männer haben an sich ein bedeutendes Ab¬
sinken sexueller Bedürfnisse und Potenz festgestellt. Ebenso mußte
es auffallen, daß in diesen Jahren der Hyperthyreoidismus stark
abgenommen hatte bzw. fast geschwunden war. Erst 1920 wurde
dieser Zustand wieder etwas häufiger beobachtet. Ueber die anderen
der Untersuchung weniger zugänglichen Organe innerer Sekretion
können wir nur Indirekt schließen, daß diese mehr oder weniger
betroffen worden sind. So kann die für diese Zeit charakteristische
Sphinkterenschwäche und vielleicht auch die Polyurie auf Verände¬
rungen des Hirnanhanges bezogen werden. Die Experimentalforschung
über die Einwirkung des Hungerns auf Organe innerer Sekretion be¬
trifft vorzugsweise die Thymus. Schon Friedleben hat nach¬
gewiesen, daß diese Drüse stark an Umfang abnimmt bei hungernden
Tieren, und spezielle Untersuchungen Lewins (unter JoIIys Lei¬
tung) haben ergeben, daß nicht sowohl Nahrungsentziehung, als
dauernde Unterernährung besonders hochgradige Veränderungen her-
vorruft, indem die Drüse um 90o/ 0 an Gewicht verlor. Dabei war
nicht nur Abnahme des Gewichtes bzw. des Umfanges, sondern
Veränderungen bzw. Schwund der Gassaleschen Körperchen nach¬
gewiesen worden. Es ist bekannt, daß die Schilddrüse gegen alimen¬
täre Einwirkungen recht empfindlich ist. Was den Einfluß des
Hungerns auf die Schilddrüse anlangt, so hat Marfucci an hungern¬
den Tieren Kolloidschwund und Degeneration des Drüsenepithels fest¬
estellt. Auch darf die Tatsache nicht außerachtgelassen werden,
aß während der erwähnten Periode einige entschieden konstitutionelle
Krankheitszustände an Häufigkeit zugenommen hatten; hierher ge¬
hören Bronchialasthma und Ulcus ventriculi. Wenn wir aber den
einen nur nach Eindrücken beurteilen können, so liegen über den
zweiten ziffermäßige Angaben vor. Nach dem Bericht der Chirur¬
gischen Abteilung des Obuchowhospitals (Prof. I. Grekow) war das
Magenulkus 6mal häufiger.
Das alles veranlaßt uns, einen dauernder Unterernährung aus¬
gesetzten Menschen nicht nur als geschwächt und kraftlos aufzu¬
fassen, sondern als einen Organismus, dessen physiologische Indi¬
vidualität verändert ist, entsprechend der Funktionsschwäche dieser
oder jener Drüsengruppe mit innerer Sekretion.
In welcher Richtung sind nun diese Veränderungen zu suchen?
Ganz bestimmte Hinweise richten sich auf eine extreme Funktions¬
schwäche der zwei wichtigsten Drüsen, der Geschlechts- und der
Schilddrüse. Das sind gerade diejenigen Drüsen, deren maximale
Digitized by «sie
Original fro-m
CORUELL LJNIVERSITY
584
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 18
Leistungsfähigkeit mit der Blütezeit des Lebens, im Alter von
18—35 Jahren, zusammenfällt. Schon Horsley hat auf eine Ana¬
logie in den Erscheinungen des Hypothyreoidismus und des Al¬
terns hingewiesen, ferner ist der Zusammenhang zwischen Funk¬
tionsschwäche der Sexualdrüsen und dem Altern allgemein be¬
kannt. Und in der Tat ist nicht zu verkennen, wenn wir unsere
Eindrücke aus dem Leben und der Praxis der letzten Jahre zu¬
sammenfassen, daß die Einwohnerschaft seit 1917 stark gealtert
ist, sowohl körperlich als seelisch. Wir glauben somit Veran¬
lassung zu haben, die konstitutionellen Veränderungen bei Unter¬
ernährung als funktionelles Altern aufzufassen, bedingt durch Hypo¬
funktion der Geschlechts- und Schilddrüse. Das normale Greisen-
alter ist eine anatomische Erscheinung, indem der senile Organ¬
chemismus einerseits durch irreparable degenerative Veränderungen
einer Drüsengruppe mit innerer Sekretion bedingt ist und anderseits
selbst stabile anatomische Gewebsveränderungen (Ersatz der Zellen¬
elemente durch Bindegewebe, Gefäßveränderungen usw.) verursacht.
Int Gegensatz dazu können im unterernährten Organismus die Drüsen
mit innerer Sekretion selbst nach vollkommenem Funktionsverlust
wieder funktionsfähig werden (ich habe Wiederkehren der Menstrua¬
tion nach zweijähriger Hungeramenorrhoe gesehen), und anderseits
hat auch der veränderte Organchemismus noch nicht zu stabilen Ge¬
websveränderungen geführt. Darin besteht der Unterschied zwischen
normal-physiologischem und funktionellem Altern.
Von diesem Gesichtspunkte aus dürften viele mit dauernder Unter¬
ernährung im Zusammenhang stehende Erscheinungen eine neue und
etwas überraschende Beleuchtung erfahren. Es wird dann verständ¬
lich, daß Unterernährung nicht nur die bekannten banalen Folgen hat
(Schwinden der Fettschicht, Abnahme der Muskelkraft und psychi¬
schen Energie usw.), daß unter der Einwirkung dauernder und be¬
deutender Veränderungen der Ernährung der Mensch nicht nur
schwächer oder stärker wird, sondern daß er dem Wesen nach
anders wird, sich konstitutionell verändert. Dann werden auch
viele scheinbar paradoxe Tatsachen aus der Hungerperiode leichter
erklärlich. Wir können sagen, daß zugleich mit Widerstandsfähigkeit
verringender Abzehrung ein anderer wichtiger Faktor auf die Be¬
völkerung einwirkte, und zwar konstitutionelle Organveränderung im
Sinne einer funktionellen Seneszenz, die nicht ohne Einfluß auf den
Verlauf der Infektionskrankheiten sein konnte. Bei den einen In¬
fektionen (Typhus, Cholera, Tuberkulose) wurde offenbar die durch
den Hunger bzw. die Abzehrung gesetzte Schädigung abgeschwädit,
bei anderen (Dysenterie, Masern) wurde dadurch vielleicht der Krank¬
heitsverlauf bösartiger.
Es wäre natürlich ganz unberechtigt, aus dem Vorstehenden zu
folgern, daß dauernde Unterernährung nützlich ist. Wenn auch in
manchen Fällen ein eventuell günstiger Einfluß auf Seneszenz des
Organismus beruht, so ist der Nutzen zu schwer erkauft, und sicher
muß dauernde Unterernährung als ein psychische und körperliche
Degeneration fördernder Umstand aufgefaßt werden. Die vorge-
führten Tatsachen interessieren uns in anderer Be¬
ziehung. Ihre Bedeutung besteht darin, daß die land¬
läufige und primitiv einseitige Auffassung der Unter¬
ernährung als einer einfach schwächenden Einwir¬
kung durch einen richtigeren und, wie ich glaube, für
die wissenschaftliche Forschung produktiveren Ge¬
sichtspunkt ersetzt wird, indem in der dauernden Un¬
terernährung ein lconstitutionsändernder Faktor er¬
kannt wird. Der Biologe wird dadurch in den Kreis neuer Begriffe
und neuer Aufgaben experimenteller Forschung geführt, der Kliniker
eihält dadurch nützliche und vielleicht praktisch wichtige Anregung.
Aus der Universitäts-Hautklinik in Freiburg i. Br.
(Direktor: Prof. G. A. Rost)
Klinische Erfahrungen mit Neosilbersalvarsan.
Von Priv-Doz. Dr. A. St&hmer, Oberarzt der Klinik.
Das Neosilbersalvarsan wurde uns von KoIIe im Juni 1920 zur
klinischen Erorobung zur Verfügung gestellt. Wir haben es ins¬
gesamt bei 505 Kranken der verschiedenen Perioden der Syphilis
mit annähernd 7000 Injektionen angewandt und woHen im Folgenden
unsere Erfahrungen kurz zusammenstellen.
Es ist hier nicht der Ort, auf die Ueberlegungen einzugehen,
welche Ko Ile veranlaßten, nach dem Silbersalvarsan das Neosilber¬
salvarsan in die Behandlung der menschlichen Syphilis einzuführen.
Wir verweisen in dieser Beziehung auf seine eingenende Darlegung l ).
Es sei nur kurz hervorgehoben, daß es sich bei dem Präparat um e i n
durch die Einfügung der Silberkomponente biologisch
aktiviertes Neosalvarsan handelt, welches 6o/o Silber¬
und etwa 20o/o Arsengehalt besitzt. Dieser Arsengehalt ent¬
spricht dem von der Fabrik auch für das Neosalvarsan angegebenen
von 20o/ 0 . Wenn man aber berücksichtigt, daß die chemotherapeutische
Wirksamkeit des Neosilbersalvarsans dem Silbersalvarsan sehr nahe
steht und die des einfachen Neosalvarsans um etwa das Doppelte
übertrifft, so ergibt sich, daß bei den kleinen Dosen, mit denen
im Veihältnis zum Neosalvarsan dasselbe erreicht wird, wie mit
») D. m. W. 1922 Nr. I,
großen Neosalvarsandosen, die Arsenmenge, welche in der Zeit¬
einheit eingeführt werden muß, größer ist. Diese Tatsache allein
würde schon ohne weitere klinische Vorzüge dem neuen Präparat
den Vorrang vor anderen mit höherem Arsengehalt sichern.
Die Technik der Injektion unterscheidet sich in nichts
von der beim Silbersalvarsan von uns beschriebenen. Wir lösen
jede Menge in höchstens 10 ccm Wasser und injizieren mit der von
uns angegebenen Tropfenfängerkanüle 1 ). Wir haben mit
diesem Instrumentarium auch weiter die allerbesten Erfahrungen
gemacht und fanden die seinerzeit ausgedrückte Erwartung bestätigt,
daß besonders dem Anfänger durch unsere Technik ein sehr er¬
wünschtes Hilfsmittel gegeben wird, das ihn in den Stand setzt, die
dunkle, undurchsichtige Lösung ebenso sicher zu injizieren, wie die
durdisichtige Neosalvarsanlösung.
ln der Dosierung folgten wir den Angaben K oll es. 0,3 bei
Männern und 0,2 bei Frauen bildete die Anfangsdosis, welche wir
nach jeweils 4 injektionsfreien Tagen auf 0,4 und 0,5 bzw. 0,3 und
0,4 steigerten. Die vorzügliche Verträglichkeit des Präparates hat
uns dabei veranlaßt, auf die noch beim Silbersalvarsan für notwendig
gehaltene Einschiebung eines größeren Probeintervalls nach der
(.Injektion zu verzichten. Wir gaben auf diese Weise bei
Männern in 9 Injektionen 4,2g und bei Frauen in eben¬
soviel Einzelgaben 3,3 g. Nachdem wir uns von der-guten
klinischen Wirksamkeit in einer Reihe von ausschließlich mit Neo¬
silbersalvarsan behandelten Fällen überzeugt hatten, fügten wir durch¬
weg nach der 3. Injektion Hg hinzu, und zwar in der Form des
Hydrarg. salicyt. die ersten 5 Spritzen und dann Mercinol noch
4—5 Injektionen in der üblichen Dosierung von 0,05—0,1. In letzter
Zeit kombinierten wir das Präparat mit Erfolg in der Mischspritze
mit einem Hg-Präparat, über welches wir demnächst näher berichten
wollen 2 ). Was zunächst die Verträglichkeit angeht, so war sie,
wie oben schon erwähnt, als ganz vorzüglich zu bezeichnen,
nachdem einmal die jedem neuen Präparat anhaftenden Kinderkrank¬
heiten mit fortschreitender Fabrikationstechnik überwunden waren.
Bei einigen der ersten Operationsnummern häuften sich die Erschei¬
nungen des vasomotorischen Symptomenkomplexes in ähnlicher Weise
wie beim Silbersalvarsan. Nachdem aber jene Operationsnummern zu¬
rückgezogen und durch Präparate ersetzt worden waren, welche
hn Dunkelfeld eine vollkommen klare Lösung darstellten, blieben
diese beim Silbersalvarsan immer noch nicht überwundenen unan¬
genehmen Ereignisse aus, sodaß man heute sagen kann, daß wir
im Neosilbersalvarsan ein Präparat haben, bei welchem mit diesen
für Patienten und Arzt gleich unangenehmen Ereignissen nicht mehr
gerechnet zu werden braucht. Diesem Vorzug entspricht auch die
sonstige völlig reaktionslose Verträglichkeit des Neosilbersalvarsans.
Hatten wir beim Silbersalvarsan doch gelegentlich mit der Abneigung
der Patienten zu kämpfen, welche sich in ihrem Allgemeinbefinden
häufig durch die Injektionen deutlich beeinträchtigt fühlten, so ist
das bei dem Neosilbersalvarsan vollkommen in Wegfall gekommen.
Im Gegenteil tritt bei diesem Präparat die roborierende
Wirkung in gleicher Weise hervor, wie bei den früheren einfachen
Salvarsanpräparaten.
Die Einwirkung auf die syphilitischen Erscheinun¬
gen war durchweg vorzüglich. In einzelnen Fällen erinnerte sie an
jene „verblüffenden“ Rückbildungsvorgänge, wie wir sie im Anfang
der Salvarsanzeit bei dem Präparat 606 sahen. In anderen FäHen
wiederum schien auch zuweilen die Wirkung z. B. auf hypertrophische
Papeln etwas verzögert, ohne daß sich daraus aber irgend etwas
dem Präparat Eigentümliches hätte ableiten lassen. Die Spiro¬
chäten wurden in zahlreichen nachuntersuchten Fällen meist nach
21 Stunden nicht mehr gefunden. In 2 Fällen gelang es, durch
tiefes Auskratzen von Papeln am ersten Tage noch einige nachzu¬
weisen, die dann aber nach 48 Stunden ebenfalls beseitigt waren.
Im einzelnen verteilen sich unsere 505 Kranke in folgender
Weise auf die verschiedenen Krankheitsperioden:
Syphilis I (P. A., Blut negativ). 36
Syphilis II, Früh'Ille.178
Syphilis II, SpatfSUe. 31
Syphilis II, ohne klinische Erscheinungen.223
Syphilis ni. 20
Syphilis des Nervensystems (Spatperiode). 9
Syphilis congenita. 8
Es liegt in der Natur des außerordentlich wechselnden Kranken¬
materials, daß man leider nicht in der Lage ist, in der gewünschten
Weise vollständige Beobachtungsreihen von allen diesen Kranken
zu bekommen. Man muß sich deshalb immer darauf beschränken,
einen relativ kleinen Bruchteil für seine Beobachtungen heranzu¬
ziehen. Immerhin gelang es uns, bei allen 36 Syphilis I-Fällen
die Kuren vollständig durchzuführen. Wir haben dabei im Gegensatz
zu unseren Erfahrungen bei Silbersalvarsan in keinem Falle eine
sogenannte „positive Schwankung“ der Blutreaktionen gesehen. Wir
*) M. m. W. 1919 Nr. 43. — ■) Oanz allgemein sei an dieser Stelle gesagt, däB' Wir
vor der Anwendung der einzeitigen kombinierten Behandlung vorderhand noch wtfrtfl
müssen. Nur sehr eingehende Studien und die Erfahrungen einer längeren Beobach¬
tungszeit können Klarheit darüber bringen, ob das Verfahren gegenüber der alterprobten
kombinierten Behandlung wirklich Vorzüge besitzt. Wir halten jedenfalls die Oefahr für
vorliegend, daß wegen der Bequemlichkeit der Methode sich die Aerzte und Kranken za
früh daran gewöhnen. Sollte dann die Erfahrung zeigen, daß die Vereinfachung aal
Kosten der nachhaltigen Wirkung gegangen lat, so würde es spater schwer sein, zu
der alten Art der kombinierten Behandlung zurückzukehren.
Digitized by
Go gle
Original from
CORNELL UNfVERSITV
5. Mai 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
585
führen dies auf die gleichzeitige Gabe von Hg zurück, die wir
seinerzeit bei Silbersalvarsan vermieden hatten, und lassen es zu¬
nächst dahingestellt, ob auch die Eigenart der Neosilbersalvarsan-
Wirkung als Erklärung noch mit herangezogen werden muß. 7 von
diesen Fällen konnten wir nach Abschluß der von uns herkömmlich
gegebenen 2 Kuren noch längere Zeit nachbeobachten. Einmal V«
Jahre, zweimal 1 Jahr, zweimal 1 Va Jahr und zweimal IV« Jahre.
Alle diese Kranken behielten dauernd in ihrem Blute
negative Reaktion.
Von den mit oder ohne klinische Erscheinungen, aber mit stark
positiven Blutreaktionen in unserer Behandlung ein¬
getretenen 173 Kranken aller Krankheitsperioden waren am
Abschluß der Kur 128 negativ, 10 wurden zwar mit positiver Blut¬
reaktion entlassen, erwiesen sich aber bei der 6 Wochen später
erfolgenden Nachuntersuchung ebenfalls als negativ. Bei 4 Kranken
wurde die negative Blutreaktion erst nach 2 vollständigen Kuren
erreicht, und in einem Falle waren 3 Kuren notwendig. 34 blieben
in ihrer Blutreaktion unbeeinflußt. Und zwar waren das 8 Fälle
von zum Teil schwerer Syphilis HI, 2 Paralysen, 1 kongenitale Syphi¬
lis, 1 ausgedehnte papulöse Syphilis, und im übrigen 22 Fälle, die
auch bei späterer Nachbehandlung mit Natrium- und Neosalvarsan
sich als sehr hartnäckig und zu Serumrezidiven neigend erwiesen.
Der Umschlag der positiven in die negative Reaktion
wurde von den 128 Fällen 8 mal nach 4, 7mal nach 5, lOmal nach 6 ,
62ma! nach 7, 12mal nach 8 und 23mal nach 9 Einspritzungen er¬
reicht. Wir sind zwar weit davon entfernt, auf solche zahlenmäßigen
Zusammenstellungen allzuviel zu geben. Zufälligkeiten und bestimmte
Gewohnheiten bei der Häufigkeit der Blutentnahme können hier das
Bild allzusehr beeinflussen. Auch an die Mitwirkung des Hg muß
gedacht werden. Da wir aber den relativ frühen Umschlag der Re¬
aktionen ins Negative auch bei jenen Fällen beobachteten, welche
ausschließlich mit Neosilbersalvarsan behandelt waren, neigen wir
doch der Ansicht zu, daß das Neosilbersalvarsan die Blut¬
reaktionen etwas schneller negativ macht, als das bei
anderen Präparaten, insbesondere bei dem am stärk¬
sten spirillozid wirkenden Silbersalvarsan der Fall
war. Es soll damit nicht etwa behauptet werden, daß diese Tat¬
sache der Ausdruck wäre für eine gleiche oder stärker spirochäten¬
tötende Wirkung des Mittels. Lediglich der Eigenart der Einwirkung
des Neosilbersalvarsans auf den Krankheitsprozeß können wir die
Erscheinung zuschreiben, womit über die Bewertung dieser Art der
Einwirkung an sich noch nichts gesagt ist.
Klinische Rückfälle haben wir in 2 Fällen gesehen. Das
fine Mal trat 8 Wochen nach einer reinen Neosilbersalvarsankur von
insgesamt 2,8 g ein akuter Rückfall einer früher bestehenden link¬
seitigen Iritis auf, welche von augenärztlicher Seite für syphilitisch
gehalten wurde. Im 2. Falle wurde eine Frau mit P.A., Drüsen¬
schwellung und stark positiven Blutreaktionen mit insgesamt 3,2 g
Neosilbersalvarsan, 4 Hg salicyl.- und 1 Mercinolinjektion behandelt.
Die Blutreaktionen waren am Schluß der Kur negativ. 3 Wochen
später trat an der früheren Stelle des Ulkus eine reichlich Spirochäten
enthaltende Papel auf. An diesem Falle war besonders bemerkens¬
wert, daß der Ehemann, welcher V 4 Jahr zuvor mit einer Neosalvarsan-
Hg-Kur behandelt worden war und welcher sich gleichzeitig mit
seiner Frau einet Neosilbersalvarsan-Hg-Kur unterzog, während der
Behandlung bei fast negativen Blutreaktionen ebenfalls, und zwar
fast gleichzeitig mit der Frau, eine erodierte Papel am Präputium
mit einwandsfreien Spirochäten bekam. Leider blieb die Abimpfung
dieser Spirochäten auf Kaninchen erfolglos. Sonst hätte man der
Frage des bei beiden Ehegatten möglicherweise vorliegenden Sal*
varsan- und Hg-festen Stammes experimentell näher treten können.
Aehnfiche Verhältnisse fanden sich bei einem Fall, bei welchem eine
relative Unempfindlichkeit gegenüber Salvarsa n prä-
paraten schon bei Einleitung der Kur bekannt war, die sich
dann auch dem Neosilbersalvarsan gegenüber insofern zeigte, als
nach anfänglichem Rückgang der Erscheinungen unter der Behand¬
lung neue spirochätenhaltige Papeln auftraten. Es soll an dieser
Stelle nicht näher auf solche in letzter Zeit auch von anderen Autoren
insbesondere beim SaJvarsannatrium mitgeteilten Fälle eingegangen
werden 1 ). Wir verfügen über eine ganze Reihe solcher Beobach¬
tungen, welche noch weiterer Bearbeitung bedürfen. Für die Be¬
wertung des einen oder des anderen Salvarsanpräparates sind sie
wohl bedeutungslos, da die Unempfindlichkeit sich meist auf alle
bezieht und es dem Zufall überlassen ist, mit welchem Präparat die
Eigenschaft zuerst festgestellt wird. In 12 Fällen traten serologische
Rezidive auf, ohne daß andere klinische Erscheinungen sie begleiteten.
Weitere Injektionen machten die Blutreaktionen sehr schnell negativ.
Aus praktischen Gründen wurde dabei des öfteren das Präparat ge¬
wechselt.
Von Nebenerscheinungen wurde in 32 Fällen „Spiro¬
chätenfieber“ nach der 1. Injektion festgestellt. Sonstige
Fieberreaktionen blieben im allgemeinen aus. Nur in 8 Fällen
tfat unmotiviert Fieber auf, und zwar einmal nach der 3. Injektion,
an&.U. Tage nach Beginn der ganzen Kur; einmal 9 und einmal
J ) Die Annahme einer echten Salvarsanfestfgkeit erscheint uns fUr solche Palle
nicht ohne weiteres berechtigt, solange nicht der experimentelle Nachweis dafür erbracht
ist Bis dahin muß immer noch mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß es Menschen
gibt, bei denen auf Orund besonderer Veranlagung oder gewisser Schädigungen (Alkohol)
das eingebrachte Heilmittel nicht in der üblichen Weise verarbeitet und zur Wirkung
gebracht wird.
8 Tage nach der 1 . Injektion, in den übrigen Fällen bei späteren
Einspritzungen. Geringgradige Kopfschmerzen begleiteten die Fieber¬
erscheinungen, die in allen Fällen tags darauf wieder verschwunden
waren. Ueber den vasomotorischen Sympt omenkomplex
teilte ich oben schon mit, daß er bei den neuen Präparaten nunmehr
ganz fehlt. Von Exanthemen beobachteten wir 2 Fälle von
akuter vasotoxischer Salvarsandermatitis 1 ) in Gestalt
von urtikariellen Ausschlägen mit leichtem Fieberanstieg, die schnell
wieder verschwanden. In einem Falle trat eine subakute ana-.
phylaktoide Salvarsandermatitis am 9. Tage nach der
1. Injektion auf, welche mehr erythematös mit Fieber und Kopf¬
schmerzen einherging. In diesem Falle wurde ein zweimaliger Ver¬
such, die Kur mit kleinster Dosis fortzusetzen, jedesmal mit einem
Rückfall des Exanthems beantwortet. Nach Ablauf von 2 Monaten
jedoch konnte die Kur mit Neosalvarsan fortgesetzt werden. Unter
der Form der schweren chronischen Salvarsanderraatitis
erkrankte eine Patientin, welche nach 3 Injektionen aus der Be¬
handlung fortgeblieben, wie von einem auswärtigen Arzt uns später
gemeldet wurde. Es hatte sich bei ihr, soweit aus dem Bericht her¬
vorgeht, das typische Bild jener schweren universellen Dermatitis
entwickelt, welches leider auch in diesem Falle durch eine Kom¬
plikation mit einer Pneumonie zum Tode führte. Wir konnten fest¬
stellen, daß jene Patientin mit einem Präparat behandelt worden
war, welches den oben erwähnten nicht einwandsfreien Operations-
nummem angehörte. Sonst sind, im Gegensatz zum Silbersalvarsan,
bei welchem wir über eine recht hohe Zahl von Exanthemen und
Dermatitiden berichten mußten, beim Neosilbersalvarsan derartige
Erscheinungen von uns nicht beobachtet worden. Wir finden darin
eine Bestätigung unserer Ansicht, daß es Oxydationsprozesse sind,
welche in vitro oder in vivo hochgradig toxische Produkte ent¬
stehen lassen. Besonders die Arsenkomponente wird es nach dem
ganzen Charakter der Hauterscheinungen sein, welche die schädliche
Wirkung entfaltet. Der niedrige Arsen ge halt des Neo¬
silbersalvarsans gemeinsam mit der im Vergleich zu
allen anderen Salvarsanpräparaten auffallenden Wi¬
derstandsfähigkeit gegenüber den Einwirkungen des
Sauerstoffs wird für dieses günstige Verhalten des
Neosilbersalvarsans als Ursache herangezogen wer¬
den müssen (siehe Kolle I. c.).
Neurorezidive haben wir nicht gesehen. Die Einwirkung des
Mittels auf Tabes und Paralyse unterschied sich in nichts von
der anderer Präparate. Von 2 Tabikern wurde subjektive Besserung
lanzinierender Schmerzen angegeben. Für objektive Beobachtungen
war unser Material zu klein und die Beobachtungszeit zu kurz. So¬
genannter Spätikterus kam in 2 Fällen zu unserer Kenntnis,
jedesmal etwa 3 Monate nach Abschluß der Kur. Beide Fälle ver¬
tiefen, wie üblich, unter dem Bilde eines katarrhalischen Ikterus.
Alles in allem kann man zusammenfassend sagen, daß
nach unseren Beobachtungen das Neosilbersalvarsan
einen unzweifelhaften Fortschritt darstellt in derSal-
varsantherapie. Beim Silbersalvarsan mußte nach unseren Er¬
fahrungen*) die etwas energischere spirochätozide Wirkung mit einer
immerhin nicht unerheblichen Steigerung lästiger Nebenerscheinungen
erkauft werden. Das Neosilbersalvarsan zeigt diese Nachteile nicht.
Es ist ein Präparat, welches bei offenbar sehr energischer Wirkung
auf den syphilitischen Krankheitsprozeß jedenfalls bisher trotz fehlen¬
der Nebenerscheinungen auch eine ausreichende Dauerwirkung
gezeigt hat. Natürlich sind wir weit davon entfernt, gerade in bezug
auf die Dauerwirkung hier schon etwas Endgültiges sagen zu wollen.
Dazu ist die Beobachtungszeit noch viel zu kurz. Aber unsere bis¬
herigen Erfahrungen lassen erhoffen, daß das Mittel in dieser Be¬
ziehung weder dem Salvarsannatrium, noch dem Neosalvarsan und
dem viel vorsichtiger zu dosierenden Silbersalvarsan nachstehen wird.
Bei richtiger Handhabung wird das Neosilbersalvarsan sich mög¬
licherweise als das brauchbarste Salvarsanpräparat erweisen, da es
bei seiner energischen Wirksamkeit die geringste Gefahrchance zu
bieten scheint. Damit wäre dann das von jedem Praktiker der Sal-
varsantherapie ersehnte Ziel erreicht, ein Präparat zu besitzen, welches
allen billigen Anforderungen genügt und uns nunmehr gestattet, für
eine längere Zeit einmal die notwendige Ruhe in die
Salvarsanbehandlungsmethoden zu bringen. Denn
nichts schädigt auf die Dauer die Bestrebungen, auf
unserem Gebiete endlich einmal zu einigermaßen all-
gemeingültigen Vorschriften zu kommen, so sehr, wie
die häufige Ablösung des einen Präparates durch das
andere, wir müssen uns ferner zum Vorteil unserer
Kranken daran gewöhnen, daß wir nicht unsere Prä¬
parate nach dem aus der Erinnerung des Jahres 1910
stammenden konventionellen Begriff der Salvarsan-
wirkung beurteilen. Ich bin vielmehr überzeugt, daß
die aufmerksame vergleichende Beobachtung bei den
5 jetzt zur Verfügung stehenden Präparaten immer
mehr dazu führen wird, jedes einzelne als Individuali¬
tät zu erkennen. Wenn das tatsächlich der Fall ist, so
erwächst uns die Pflicht, erstens uns mit den beson¬
deren Eigenschaften jedes Präparates, der Art und
Dauer seiner Wirkung eingehend vertraut zu machen,
dann aber auch die biologischen Gesetze des Ablaufs
*) Siehe die von uns vorgeschlagene Nomenklatur. Denn. Zschr. 34, H. 5/6.
•) M. m. W..1920 Nr. 29.
□ igitized by Gougle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
586
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 18
der Syphilis soweit zu studieren, daß wir in jedem
Einzelfalle uns möglichst genau Rechenschaft abzu¬
legen vermögen von den Vorgängen im erkrankten Kör¬
per, wie das Rost kürzlich eingehend dargelegt hat 1 ).
Nur so kann es gelingen, die jüngst erhobene Forderung
auch für unser Gebiet in die Tat umzusetzen, daß näm¬
lich die ärztliche Kunst darin bestehen soll, die Er¬
krankung durch sorgfältig abgestimmte Eingriffe
•unter Berücksichtigung des Heilbestrebens der Natur
zum Guten zu lenken.
Aus der Abteilung für Hautkranke der Qraf Apponyi-Poliklinik
in Budapest. (Vorstand: Prof. L Török.)
Verhinderung von Intoxikationserscheinungen (Fieber,
Hautentzündung) nach Neosalvarsaninjektionen durch
gleichzeitige Verabreichung von Calcium bromatum
und Calcium chloratum.
Von Dr. Desider Keaedy, Assistent
In Nr. 7 berichtet E. Pulay über die Beseitigung unangenehmer
Nebenerscheinungen der Salvarsantherapie bei Syphiliskranken mit
Affektionen des Nervensystems und innerer Organe durch Salvarsan-
Kalzium-Mischspritzen. Dies gibt mir Veranlassung zu nachstehender
kurzer Mitteilung.
Im Vorjahre behandelte ich eine Patientin, bei der schon nach
geringer Dosis (0,15 bis 0,30) Neosalvarsan hochgradiges Oedem
und diffuse Hautentzündung des Gesichtes und der Extremitäten auf¬
traten, von heftiger allgemeiner Reaktion begleitet (40° Fieber), sodaß
ich gezwungen war, den weiteren Gebrauch von Salvarsan zu unter¬
brechen. Auf Grund der Erfahrungen, die wir auf unserer Abteilung
bei der Behandlung urtikarieller Anfälle mit Optokalcil machten (eine
hypertonische kalzinierte Calcium bromatum purissimum-Lösung) —
worüber wir demnächst ausführlich berichten werden —, gab ich
der Patientin Kalzium, und zwar vorerst sofort an die Salvarsan-
injektioii anschließend, später, nachdem ich mich von der Unschäd¬
lichkeit des in Optokalcil gelösten Salvarsans überzeugt hatte, in
diesem gelöst. Seither vertrug die Kranke Salvarsan ohne Be¬
schwerden.
Die Krankengeschichte der Patientin ist folgende: Hrau P. E.,
30 Jahre alt; ausgebreitetes papulös-krustöses syphilitisches Exanthem;
bis zum heutigen Tage erhielt sie 30 Hg-Spritzen von ihrem Haus¬
arzt, ohne daß sich die Hauterscheinungen rückgebildet hätten.
23. V. 1921. — 0,15 Neosalvarsan. Abends Kopfschmerzen, Pa¬
tientin fühlt sich fieberisch.
28. V. — 0,30 Neosalvarsan. Abends Schüttelfrost (Temperatur
40°). Extremitäten, Gesicht stark ödematös, Augen verschwollen.
Die Haut des Gesichtes und der Extremitäten, hauptsächlich aber die
der oberen Extremitäten, ist diffus lebhaft rot und faßt sich heiß an.
Im Urin kein Eiweiß vorhanden. *Am nächsten Tag ist Patientin
fieberfrei, am dritten Tag haben sich Oedem und Dermatitis zurück¬
gebildet.
9. VI. — 0,15 Neosalvarsan. Abends neuerdings 40° Fieber,
Oedem, Dermatitis. Dieser Anfall dauert auch nur drei Tage. Da
die Patientin stark abgenommen hat und die syphilitischen Haut¬
erscheinungen vollständig abgeheilt waren, unterbrach ich die Sal-
varsanbehandlung.
Am 29. X. 1921 meldete siclf die Patientin wieder. Ich versuche
0,15 Neosalvarsan wieder. Abends vollständig gleicher Krankheits¬
zustand. Fieber, Oedem, Dermatitis.
6. XI. — 0,15 Neosalvarsan und sofort anschließend 10 ccm Opto¬
kalcil (Marberger). Es zeigte sich weder Fieber, noch Oedem oder
Dermatitis. Die Patientin fühlte sich vollständig wohl.
11. XI. — 0,30 Neosalvarsan in 10 ccm Optokalcil gelöst.
Seither erhielt Patientin 16 Salvarsanspritzen ä 0,30 in Optokalcil
gelöst. Es zeigten sich keinerlei unangenehme Erscheinungen.
Später wandte ich statt Optokalcil eine 10<>/oige Calcium chloratum-
Lösung an, mit ähnlichem Erfolge.
Aus dem Pathologischen Institut des Städtischen Krankenhauses
in Danzig.
Aktinomykose des Ganglion semilunare und aktinomy-
kotische eitrige Leptomeningitis.
Von Hermann Stabr.
Aktinomykose ist in Danzig und seinem weiten Hinterlande mit
vorwiegender Landbevölkerung nicht gerade selten; aber ein Urteil
darüber kann sich nicht etwa allein auf dem hier zur Diagnose, ein¬
laufenden Materiale aufbauen, wie ich später noch ausführen werde.
Man muß anerkennen, daß die Praktiker fast in allen Fällen daran ge¬
dacht haben, ob wohl Aktinomykose vorliegen könnte, wenn irgend-
*) KI. W. 1922 Nr. 3 u. t.
welche Anzeichen darauf hinwiesen. Vielfach konnte ich aber diese
klinische Diagnose nicht bestätigen. Anderseits kommen auch Fälle
vor, wo umgekehrt der Nachweis des Strahlenpilzes seitens des Patho¬
logen zu den Ueberraschungen gehörte, und hier soll sogar ein Fall
mit eigenartiger Lokalisation beschrieben werden, wo von keiner
Seite, weder von Klinikern noch auch von mir bei der Sektion vor¬
erst an Aktinomykose gedacht worden war.
Ich lasse zunächst einen kurzen Auszug aus dem Krankenblatte
folgen:
Der 28 jährige Sergeant Ch. W., im bürgerlichen Berufe Schäfers¬
knecht, wurde im August 1918 wegen eines Geschwürs am Gaumen
in ein französisches Lazarett aufgenommen. Wa.R. war negativ. Vor¬
übergehend litt er noch an einer schweren Konjunktivitis des rechten
Auges. Nach einigen Wochen wurde er zur Genesungskompagnie
entlassen; am 21. XI. 1918 hier eingeliefert. Seit drei Wochen, lauten
die Angaben bei der Aufnahme, hat er Schmerzen an der rechten
Kopfseite, auch im rechten Auge und rechten Ohr. Die bis zu
Pflaumengröße angeschwollene rechte Parotisgegend zeigt keine Fluk¬
tuation. Das rechte Trommelfell ist aber gerötet und vorgewölbt. Die
Parazentese entleert dicken, rahmigen Eiter. Augenhintergrund ohne
Veränderung; Augenmuskeln im Gleichgewicht; Pupillen gleich weit,
die rechte reagiert träger als die linke; Kornealreflex aufgehoben.
Rechts besteht eine Kontraktur von Masseter und Temporalis; ferner
eine Lähmung des Gaumensegels. Die Sensibilität ist im Bereiche aller
drei rechten Trigeminusäste für alle Qualitäten gestört bzw. auf¬
gehoben. Sensibilität und Reflexe des Rumpfes und der Extremitäten
sind vollkommen normal. Die Röntgenplatte weist keine krankhaften
Abweichungen an den Schädelknochen nach. Ara 28. XI. wird starke
Ungleichheit der Pupillen festgestellt, von denen die rechte viel
enger ist. Am 3. XII. Stauungspapille. Patient zeigt eine Andeu¬
tung von Nackenstarre und ist benommen. 6. XII. Bei einer Lumbal¬
punktion wird dickrahmiger Eiter entleert, der Streptokokken ent¬
hält (kultureller Nachweis im Pathologischen Institut). 8. XII. Nacken¬
starre und Benommenheit nehmen zu; Puls schwankt zwischen 80
und 132. 9. XII. Erneute Lumbalpunktion. Exitus. Klinische Dia¬
gnose: Gehirnabszeß. Meningitis purulenta? Erkrankung des Ganglion
Gasseri, vielleicht in Form eines Abszesses, der wahrscheinlich mit
der eitrigen Mittelohrentzündung in ursächlichem Zusammenhang stand
und zu einer eitrigen Meningitis geführt hatte, und zwar auf Grund
folgender Symptome: Anästhesie im Bereich aller Aeste des rechten
Trigeminus, Fehlen des Kornealreflexes, Parese des Gaumensegels
durch Mitbeteiligung des Musculus sphenostaphylinus, Kopfschmerz,
Stauungspapille, Erbrechen, Benommenheit und eitriges Spinalpunktat. 1 )
Eine ordnungsmäßige Sektion durfte ich aus äußeren Gründen
leider nicht vornehmen; die Leiche wurde mir vorzeitig wegen Ab¬
transport entzogen, und ich konnte nur schnell den Schädel eröffnen
lassen. Hier fand sich Folgendes: S.-Nr. 282—18 (Militärsektion
Nr. 285). Der rechte Musculus temporalis ist sehr blaß, stellenweise
phlegmonös und mit Abszessen durchsetzt. Ebenso ist die rechte
Paukenhöhle, die aufgemeißelt wird, von schmutzig-eitrigen Massen
erfüllt.
An der Gehirnbasis beiderseits gelber, dicker, rahmiger Eiter;
doch links in der vorderen und mittleren Schädelgrube viel größere
Mengen; nirgends diffus, sondern hier und da abgesackt, manche
Stellen ganz frei davon. Konvexität der Halbkugeln trocken. Seiten¬
ventrikel ausgedehnt, enthalten etwas trübe, wäßrige Flüssigkeit,
die im linken Hinter- und Unterhorn eitrigen Charakter annimmt.
Kleinhirn und Brücke werden durchsetzt von etwa 8 kleinen, Erbsen¬
große erreichenden Abszessen. Das rechte große Trigiminus-Ganglion
(Gasseri) ist um das Vielfache vergrößert, fünf- bis sechsfach, und
anscheinend in einen Granulationstumor umgewandelt; am Schnitte
nicht ganz glatt, im ganzen grau und mit vielen kleinen gelben
Fleckchen versehen.
Anatomische Diagnose: Schwere eitrige Leptomeningitis basi-
laris, schwielig-eitrige Pachymeningitis an der Oberfläche des rechten
Felsenbeines; Pyo-hydrocephalus internus, Gehirnödem; Eiterung vor
dem rechten Ohr, im Musculus temporalis, Otitis media purulenta.
Multiple Abszesse im Kleinhirn und in der Brücke. Granulations¬
geschwulst des rechten Ganglion semilunare.
Mikroskopisch werden im Ganglion semilunare zahlreiche Drusen
des Aktinomyzes in kleinen eitrigen Herden nachgewiesen, wäh¬
rend das übrige Gewebe des Ganglion fibrös entartet ist. Weit¬
gehender Schwund der Ganglienzellen und der markhaltigen Nerven¬
fasern.
Hauptdiagnose: Aktinomykose. Granulationsgeschwulst des rech¬
ten Ganglion semilunare. Hirnabszesse. Eitrige Meningitis.
Niemand von uns hatte, wie eingangs schon gesagt, an eine
Strahlenpilzerkrankung gedacht, bevor diese Diagnose im Schnitt
aus dem Leichenmaterial gestellt werden konnte, zumal im eitrigen
Lumbalpunktate Streptokoxken nachgewiesen waren. Deshalb rief
denn auch die Diagnose einer so eigenartig lokalisierten Aktinomykose
allgemeine Ueberraschung hervor. Aktinomykose ist m. W. noch nie
an dieser Stelle nachgewiesen worden, weshalb ich nun etwas ge¬
nauer auf den anatomischen Befund eingehen will. Das stark ver-
rößerte Ganglion ist im ganzen sehr deri) und zeigt von außen
etrachtet eine graue Farbe mit rosa-roter Fleckung; am Schnitte
ist es in allen seinen Teilen von kleinsten Eiterherden durchsetzt,
») M. Corinth hat in der D. Zschr. f. Nervhlk. 65, 3—6 die klinischen' Symptome
und die Literatur über die Tumoren des Ganglion semilunare ausführlich besprochen*
(Heber einen Fall von Aktinomykose des Ganglion Gasseri, Aus der Inneren Abteilung
des Städtischen Krankenhauses in Danzig, Prof. A.Wallenberg)LD. Königsberg 1920 .
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
5. Mai 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
587
in denen sich regelmäßig kleine Strahlenpilz-Drusen nachweisen lassen.
Diese sind stets zerteilt tief eingekerbt und zeigen alle Eigen¬
schaften der Aktinomyzes-Druse schon im frischen Präparate. Die
Stellen, an denen sie liegen, sind viel lockerer als das übrige Gewebe
und reißen deshalb beim Schneiden leicht aus. Nach Paraffin¬
einbettung läßt sich der dichte Filz des Myzelgeflechtes besonders
deutlich nach Gram-Weigert färben und dabei auch feststellen,
daß sich die Keulen vielfach nicht mehr auf diese Art hervorheben.
Nach Herxheimer gelingt in Gefrierschnitten die Darstellung vieler
Fettkömchenzellen. Bei Markscheidenfärbung fehlen besonders die
feineren Bündel markhaltiger Fasern, welche an Kontrollpräparaten
eines normalen Ganglions die Ganglienzellen in Gruppen umfassen
und umspinnen; auch konnte dieses schon an Präparaten mit Fett-
färbung deutlich unterschieden werden. Die spärlich enthaltenen
Ganglienzellen und ihre Ueberreste werden nur in weitem Abstande
voneinander angetroffen. Messungen der kleinen Aktinomyzes-Drusen,
von denen mit bloßem Auge nichts wahrzunehmen war, weder an
den Schnittflächen des vergrößerten Ganglions noch an dem dick-
rahmigen Eiter der Meningen, ergeben in den Paraffinschnitten, daß
es sidi wirklich durchweg um sehr kleine Exemplare handelt, der
Durchmesser beträgt etwa 30 p.; wohingegen ich wiederholt, z.B. bei
einer tumorartigen Netz-Aktinomykose, welche aus Dirschau einge-
sandt wurde (St. 99—20), außerordentlich große Drusen gefunden
habe, bei denen vielfach ein Durchmesser von 900 p erreicht wurde.
Von histologischen Einzelheiten wäre weiter noch hervorzuheben,
daß die Eiterzellen, welche die Drusen selbst umgeben, größtenteils
neutrophil granuliert sind. Dann folgen nach außen sehr bald große
Lager von Plasmazellen mit deutlichem Radspeichenkern, die in einem
lockeren Granulationsgewebe liegen mit weiten Kapillarschlingen.
Hier finden wir dann auch Lymphozyten und Fibroblasten, die zu
einem stellenweise sehr wenig kernreichen fibrösen Gewebe über¬
leiten. Die Reste der Ganglienzellen liegen in allen diesen verschie¬
denen Gewebschichten, auch schon ganz in der Nachbarschaft der
Strahlenpilzdrusen selbst in eitrigem Granulationsgewebe, öfter aber
weiter davon entfernt. Vielleicht könnte man diesen Befund für das
schnelle und rücksichtslose Weiterschreiten der Strahlenpilzerkrankung
auch in diesem Substrat verwerten.
Was läßt sich nun aber überhaupt über die Ein¬
trittsstelle der Aktinomykose und über ihre weitere
Ausbreitung im Körper für den vorliegenden Fall aus¬
sag en? Ungezwungen müssen wir doch annehmen, daß die rahmige
Natur des Eiters an der Schädelbasis (Pia-Arachnoidea) für die Aktino-
mykose in Anspruch genommen werden darf, obgleich eine mikro¬
skopische Untersuchung leider nicht angestellt ist, weil ja eben von
keinem von uns an Aktinomykose gedacht wurde; der oben aus der
Krankengeschichte angeführte Nachweis von Streptokokken beim Le¬
benden aber muß m. E. als Sekundärinfektion aufgefaßt werden,
zumal auch dieses Lumbalpunktat aus dickrahmigem Eiter bestand.
Ebenso darf wohl mit einiger Sicherheit das in der Krankengeschichte
erwähnte und für nicht-syphilitisch angesehene Gaumenulkus (Pafat.
durum?) als die Eintrittspforte des Trichomyzeten angesprochen wer¬
den. Von hier aus könnte er längs der Nervenbahnen (Nn. palatini,
Ganglion sphenopalat.) das Ganglion semilunare erreicht haben — es
wird aber wohl eher der Prozeß durch die Tube demnächst zur
Paukenhöhle fortgeleitet worden sein. Allerdings wäre nicht ganz
auszuschließen, bei dem Befunde an der rechten Gesichtshälfte, daß ein
Weiterwandern zwischen Mundschleimhaut und Periost des Ober¬
kiefers nach der Außenseite des Schädels zum rechten Ohr, der
Parotis- und Schläfengegend stattfand; die Lymphwege kommen dabei
schwerlich in Betracht. Aber am nächsten liegt nach allen sonstigen
Erfahrungen das Auf steigen durch die Tube zum Mittelohr. Vom
Ohr aber kroch der Prozeß weiter in den Nervenscheiden durch die
Knochenkanäle des Felsenbeins zum großen Trigeminus-Ganglion. Da¬
neben bildeten sich metastatische Abszesse, auf dem Blutwege, im
Zerebellum und in der Pons aus, und schließlich kam es zur eitrigen
Meningitis.
In der mir zugänglichen Literatur habe ich vergeblich nach einem
Parallelfalle gesucht. Paul Ernst 1 ) kennt ja überhaupt nur ganz
wenige Erkrankungen des Nervensystems an Strahlenpilz: eine primäre
(?), haselnußgroße, grau-gelbe Geschwulst, an der Tela chorioides des
3. Ventrikels mit massenhaften Strahlenpilzkolonien und membranöser
Bindegewebshülle, wie sie B^ollinger beschrieb; zwei metastatische
Herde im HinterhauptslappefT neben dem primären Herd im präver-
trebalen Gewebe; ein Fall von sekundärem Uebergreifen vom Keil¬
bein auf Schläfen- und Stirnlappen von Ponfick; zwei Fälle von
Eduard Kaufmann: 1. Abszeß im Hirnschenkel, neben Erkrankung
des Unterkiefers, der Schädelbasis und der Meningen, und 2. Abszeß
neben Erkrankung der Lungen und beider Milchdrüsen bei einem
16jährigen Mädchen. Kaufmann 2 ) selbst erwähnt diesen zweiten
Fall in seinem Lehrbuche als Aktinomykose beider Mammae mit fistu¬
löser Verbindung zur Pleura; als Ausgangspunkt sieht er die Lunge
an; die linke Milchdrüse war stark, und zwar tumorartig vergrößert,
dabei derb, ihre Oberfläche bildete ein System von Brücken stehen¬
gebliebener Haut, dazwischen weiches, zundriges, blaß-rotes Granu¬
lationsgewebe, reichliche Strahlenpilz-Drusen. Weniger stark war die
rechte Milchdrüse ergriffen. Ein über hühnereigroßer Aktinomykose-
abszeß fand sich im Gehirn. — Der erste Fall Kaufmanns findet
sich in seinem Lehrbuche als ein Bericht über das Präparat der
*) Vgl L. Aschoff, Path. Anat 1911,2, S. 389.
•) Lehrbuch der apez. Path. Anat. 1907 S. 1036 u. S. lila
Baseler Sammlung: Abszeß im linken Hirnschenkel mit Aktino¬
mykose des Unterkiefers, Jochbeins, des retropharyngealen Gewebes,
der Schädelbasis, Dura und Meningen bei einer 34jährigen Frau.
Ernst beobachtete seinerseits Aktinomykose des N. opticus mit
Amaurose.
Das seltene Vorkommen von Aktinomykose im Ganglion semi¬
lunare, welches hier mitgeteilt wurde, veranlagte mich, meineBuchungen
der letzten 8 Jahre auf Aktinomykose durchzusehen. Von 1913 bis
1920 fanden sich unter 2671 Sektionen und 4546 Eingängen an
Operationsmaterial nur 21 sichere Fälle von Aktinomykose; sicher
deshalb, weil hier der Nachweis von Drusen gelang, wohingegen die
Zusammensetzung des Gewebes, die mit Wahrscheinlichkeit auf Akti¬
nomykose schließen ließ, für sich allein nicht maßgebend war und
derartige Fälle deshalb bei der Zählung unberücksichtigt geblieben
sind. Meinen eigenen positiven Diagnosen steht nun aber eine weit
größere Zahl negativer gegenüber, bei denen also, wie bereits zu
Anfang dieser Zeilen erwähnt, seitens der Aerzte an Strahlenpilz ge¬
dacht worden war, ein Verdacht, den ich aber nicht mit Sicherheit
bestätigen konnte. In solchen Fällen — es waren in den acht Jahren
noch 35 — konnte auf Grund der histologischen Untersuchungen der
pathologische Prozeß in der Mehrzahl anders erklärt werden, in
manchen Fällen jedoch mußte die Diagnose offen bleiben. Unter
diesen vermeintlichen Aktinomykosen stehen an Zahl obenan die
Streptokokken- usw. Mykosen, dann folgen fast ebenso viele
Tuberkulosen, schließlich 3 Syphilis, 1 Plattenepithelkrebs, 1 Lymph¬
angiom, 1 Kiemengangszyste. — Es wäre aber ganz verkehrt, wenn
jemand meinte, man könnte auf diese Weise ein wahres Bild von der
Verbreitung der Aktinomykose in Danzig und dem Gebiete der bis¬
herigen Provinz Westpreußen erhalten. Fällt doch allein schon jenes
Material ganz fort, bei dem einige stark beschäftigte Chirurgen die
Drusen selbst feststellen, ohne Hier einzusenden, wozu dann noch
manche Fälle kommen werden, die als Aktinomykose von den be¬
handelnden Aerzten gar nicht angesprochen werden. Wenn dies
auch nach meinen Erfahrungen, bei der Aufmerksamkeit der Praktiker
gerade auf Aktinomykose, nicht so viele sein können, so mußte uns
doch im ganzen eine große Zahl von Fällen vollständig entgehen.
Recht schwierig erscheint mir ferner zur Uebersicht eine Ver¬
teilung auf die verschiedenen Organsysteme: bei einiger Kritik wird
eine sichere Zuordnung dabei ganz unmöglich werden. Wo soll
beispielsweise bei dem Versuch einer derartigen Uebersicht der Fall
einer Beckenknochen-Aktinomykose mit gleichzeitiger Erkrankung des
Zökums untergebracht werden? Ich rechne ihn zur Knochen aktino¬
mykose, weil ich die Knochenerkrankung hervorheben will, zumal
der Fall auch so in die Erscheinung getreten ist. Wenn man aber
den Beginn des Prozesses hervorheben will, wenn man an die Ein¬
trittspforte denkt, so ist als der Sitz der primären Erkrankung das
Zökum ins Auge zu fassen (<j> 38; O. M. 75—16.). Ebenso habe ich
Muskelabszesse nicht unter Muskeln eingetragen, weil ich glaubte, daß
in den hier vorliegenden Fällen fast durchweg die Haut als Ein¬
trittspforte gedient hatte (tf 44; O. M. 94-16 und 36; O. M. 171
—17 u. a.). Ein einheitlicher Gesichtspunkt ist schon deshalb, falls
zwei oder noch mehr verschiedenen Systemen zugehörige Organe be¬
fallen sind, etwa nach dem primären Sitz, gar nicht durchzuführen, da
gerade dieser Sitz unklar und verborgen bleiben kann, geschweige daß
er im Bilde der ganzen Erkrankung prävalieren müßte. Ich führe den¬
noch an: 1. Haut (? und Muskulatur): 12 Fälle; davon 3 am Halse,
1 Rücken, 1 Lende, 1 Ileopsoas, 1 M. rectus abdom. 2. Mund; Zahn¬
fleisch, Zunge, Rachen mit Tonsillen: kein Fall. 3. Respirations-
traktus; Lunge mit Pleura: 4 Fälle, darunter 3 Thoraxwand (1
mit Fistelwunde und eitrigem Auswurf, 1 mit Abszessen in der Brust¬
wand, 1 mit Nachweis von Drusen im Lungengewebe). 4. Magen-
darmkanal; Ileozökalklappe usw.: 2 Fälle; darunter 1 Granu¬
lationstumor des großen Netzes (St. 99—20). 5. Knochen und Ge¬
lenke: 2 Fälle; 1 Kiefergelenk, 1 Beckenknochen und Zökum.
6. Nervensystem, Hirnhäute: 1 Fall (Ganglion semilunare, Gehirn,
Pia aradinoiaea).
Bei einer derartigen Aufführung in Systemen wird man, wie ge¬
sagt, bei einiger Peinlichkeit immer auf Schwierigkeiten geraten. Eule
wichtige Gruppe für die Aktinomykose, nämlich 2, enthält keinen
einzigen Fall; den vom Kiefergelenk habe ich absichtlich nicht hier¬
her gestellt, sondern zu 5, Knochen und Gelenke, — auch um zu
zeigen, daß die Stomatologen, sowie die Laryngo-Rhinologen (2, 3)
und andere Spezialisten wohl sehr viele Fälle beobachtet naben
können, die nicht weiter bestätigt wurden, wenigstens nicht im hie¬
sigen Pathologischen Institut. Obwohl ich mich also gegen eine
weitergehende statistische Verwertung meines noch dazu so kleinen
Materials sperre, gab ich der Vollständigkeit wegen an, was für
Fälle hier beobachtet worden sind. Unter meinen 21, durch den Nach¬
weis von Drusen ganz sichergestellten Fällen finden wir 16 Männer
und nur 5 Frauen, und ferner gehört ein großer Teil der Patienten
solchen ländlichen Berufen an, bei denen cfie Ansteckung durch Ge-
treidegiannen, Holzsplitter und andere Träger des Aktinomykose-Pilzes
besonders nahe liegt. Da unter unseren 16 Männern sich mehrere
Soldaten befinden, deren bürgerlicher Beruf trotz mehrfacher Rück¬
fragen nicht zu erkunden war, so konnte dies nicht durchweg belegt
werden; einige der Erkrankten sind mir aber genau bezeichnet worden
als Landmann, Fischer, Landwirt, einfache Frau vom Lande, Haus¬
mädchen vom Lande, Zimmermann. Auch der hier beschriebene Fall
von Aktinomykose des Ganglion semilunare betraf einen Sergeanten,
der im bürgerlichen Leben Schäferknecht gewesen war.
Digitized by LjOi »öle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
588
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Ni. 18
lieber die Kaupsche Modifikation der Wa.R.
Von Dr. Haas Langer in Charlottenburg.
Es gehört zu den größten Verdiensten von v. Wassermann,
daß er für seine Reaktion eine Methodik festgelegt hat, die in so
hohem Maße die Zuverlässigkeit ihrer Spezifizität gewährleistet, wie
sie von der Diagnostik nur selten erreicht wird. Der positive Aus¬
fall der Wa.R. besitzt, wenn man von einigen Ausnahmen wohl-
bekannter Zustände absieht, eine unbedingte Beweiskraft, solange
man die von Wassermann aufgestellten Forderungen in der Be¬
wertung erfüllt. Zu diesen Forderungen gehört die unbedingte Ab¬
lehnung einer Ausdeutung unsicherer Reaktionen.
Man wird dieser Forderung in allen Fällen folgen, in denen
die diagnostische Entscheidung ausschließlich der serologischen Unter¬
suchung aufgebürdet ist. Es ist aber genügend bekannt, daß bei
dieser Begrenzung der Auswertung die Empfindlichkeit der Reaktion
nicht selten hinter den klinischen Anforderungen zurückbleibt. Ganz
besonders tritt dies bei den latenten Spätformen hervor (Gefä߬
erkrankungen).
Die serologische Untersuchung hat nun aber neben der rein
diagnostischen noch eine zweite und, fast darf man sagen, wichtigere
Aufgabe zu erfüllen: sie ist ein entscheidender therapeutischer Indi¬
kator geworden. Hier treten nun die Einschränkungen, zu der die
Ausschaltung fraglicher Fälle führt, störend hervor. Hier handelt es
sich ja nicht um klinische Differentialdiagnostik, sondern darum, ob
eine tatsächlich vorhandene Syphilis ausgeheilt ist oder nicht. In diesen
Fällen darf man annehmen, daß selbst Andeutungen einer positiven
Reaktion nicht Ausdruck eines unspezifischen Hemmungsvorganges,
sondern Hinweise einer tatsächlich vorhandenen syphilitischen Reak¬
tion sind.
Während für die erste Einstellung die Forderung nach der un¬
bedingten Zuverlässigkeit der positiven Reaktion zu Recht besteht,
tritt für diese Fälle die große Bedeutung der negativen, d. h. der
imeingeschränkt negativen Reaktion hervor, und mit ihr das Bedürfnis,
die Andeutungsreaktionen der Originalmethode durch Modifikation
der Methodik schärfer zu erfassen. Unter diesem Gesichtspunkt be¬
sitzen die auf der Komplementtitration beruhenden Methoden eine
besondere Bedeutung. Durch die gründlichen Untersuchungen von
Kaup ist aus ihnen eine Methodik abgeleitet worden, die die
größte Beachtung verdient. Seit einigen Jahren habe ich die Kaupsche
Modifikation an mehreren tausend Untersuchungen durchgeführt, die
sich auf ein sehr verschiedenartiges Material beziehen. Ein großer
Teil bezieht sich auf venerologische Praxis, ein ebenso großer Teil
auf manifeste und latente Zustände des tertiären Stadiums und der
metasyphilitischen Erkrankungen, ein weiterer, nicht unbeträchtlicher
Teil auf die kongenitale Syphilis.
Die erste Bedeutung der Kaupschen Modifikation stellte
sich bei den vergleichenden Untersuchungen darin dar, daß die Aus¬
wertung geringfügiger Hemmungen der Hämolyse, die die Original¬
methode ergibt, erleichtert wurde. Darüber hinaus wurde aber eine
nicht unbeträchtliche Zahl von positiven Kaup-Reaktionen gefunden,
ohne daß auch nur eine Andeutung bei der Originalmethodik fest¬
gestellt werden konnte. Dabei ergab sich fast gesetzmäßig, daß der
bei weitem überwiegende Anteil der positiven Kaup-Reaktionen auf
behandelte Syphilitiker kommt. In diesen Fällen hat die Kaupsche
Reaktion nicht nur Wert als Anzeiger des völligen Verschwindens der
Wa.R. nach einer Behandlung, sondern auch als empfindlichste Prü¬
fung nach Behandlungspausen. Gerade in den Fällen, in denen
auf das rechtzeitige Erkennen einer wiederkehrenden
Blutreaktion Wert gelegt wird, hat sich die Kaupsche Modi¬
fikation bewährt. Bei diagnostischen Untersuchungen nichtbehan-
delter Menschen stimmt die Kaup-Reaktion fast ausnahmslos mit der
Originalmethodik überein. Nur in Fällen der Vor-Wassermann-Periode
findet man bisweilen die Kaupsche Reaktion bereits angedeutet. Es
werden aber diese Fälle nur mit großer Zurückhaltung diagnostisch
verwertet werden dürfen. (Ich verweise auf den nachfolgenden Auf¬
satz, in dem über einen Teil meiner Fälle von klinischer Seite be¬
richtet wird.)
Die Sicherung gegen überfeinerte Auslegungen der Kaupschen
Modifikation wird dadurch gewonnen, daß man ausschließlich kom¬
plette Hemmungen der Hämolyse verwertet und alle inkompletten
Formen der Hemmung ausschaltet. Die Technik in der von Kaup
angegebenen Form stellt an die Mühe des Untersuchers verhältnis¬
mäßig große Anforderungen. Sie ist bis zu einem gewissen Grade zu
vereinfachen, wenn man auf die vorherige Festlegung der Komple¬
menteinheit verzichtet und statt dessen die stufenweise Verminderung
der Komplementdosis, also 0,5, 0,4, 0,3 usf. ccm, vornimmt und sie
durch gleichzeitig mit den gleichen Komplementdosen ausgeführte
Kontrollen sichert.
Die Sachs-Georgi-Reaktion hat neuerdings eine erheb¬
liche Bereicherung der Syphilisdiagnostik nicht nur in der Rich¬
tung gebracht, daß in ihr eine erhebliche Vereinfachung geboten
ist, sondern auch in der gesteigerten Empfindlichkeit. Die Sachs-
Georgi-Reaktion wurde während der letzten 2000 Untersuchungen
regelmäßig mit angestellt. Dabei zeigte sich, daß zwischen ihr
und der Kaupschen Modifikation in der von mir hier angegebenen
Ausführung eine weitgehende Uebereinstimmung bestand, sodaß aus
u r * ?/ a ‘ le ‘ un tersuchung eine vorteilhafte Sicherung der Ergebnisse
abzuleiten war. Es spielt für die praktische Bewertung keine Rolle,
zahlenmäßig zu zeigen, ob nun die eine oder die andere Reaktion
in einigen wenigen Fällen mehr leistete, es genügt, die Ueberein¬
stimmung im großen und ganzen festzuhalten. Tatsächlich hat die
Kaupsche Reaktion bei meinem Material mehr geleistet als die Sachs-
Georgi-Reaktion; vor allem sind ihre Ergebnisse weniger von der
subjektiven Schätzung abhängig als die der Sachs-Georgi-Reaktion,
da die Hemmung der Hämolyse sinnfälliger ist als die in den
Grenzwerten sehr schwachen Sachs-Georgi-Präzipitationen.
Das Ergebnis der vorstehenden Erfahrungen steht in guter Ueber¬
einstimmung mit den Veröffentlichungen von Baumgärtel, der
ebenfalls an großen Untersuchungsreihen Vergleichsuntersuchungen
durchgeführt hat.
Für die Praxis der serologischen Syphilisdiagnostik ergibt sieh
hieraus, daß neben der Originalmethode, auf die in keinem Falle ver¬
zichtet werden soll, die Untersuchung nach Kaup (und die Parallel-
untersuchuug nach Sachs-Georgi) nicht mehr entbehrt werden
kann, wenu man der serologischen Diagnostik die Verfeinerung
geben will, deren sie für praktische, und zwar vor altem für thera¬
peutische Zwecke bedarf.
Der Wert der Kaupschen Modifikatioa der Wa.R.
für die Praxis.
Von Dr. Levy-Leux in Berlin.
Die Bestrebungen, sei es durch die Verfeinerung der Wa.R., sei
es durch einen anders gearteten Ersatz eine Verbesserung der Blut¬
diagnostik der Syphilis zu erzielen, kranken bekanntlich an der Tatsache,
daß mit zunehmender Empfindlichkeit der Reaktionen auch eine ver¬
größerte Nicht-Spezifizität einhergeht; und dieses geschieht gewöhn¬
lich nicht in dem Sinne des Versagens, sondern in der Weise, daß
sich positive Resultate auch in gesunden Fällen zeigen. Durch die
Freundlichkeit von Dr. Hans Langer wurde nun bei den — von
unseren Patienten stammenden — ihm eingesaudten Blutproben außer
der Original-Wa.R. auch die Modifikation nach Kaup ausgeführt
(vgl. vorstehenden Artikel), und es sei gestattet, über die diesbezüg¬
lichen Ergebnisse und Schlüsse ganz kurz zu referieren.
Abgesehen von den positiven Wa.R.-Fällen, in denen natürlich
auch der Kaup positiv war, war bei einer Gesamtzahl von ungefähr
2200 Untersuchungen die Kaupsche Reaktion 98 mal positiv, während
die Wa.R. negativ war. Von diesen 98 Fällen müssen 10 bei der
Beurteilung ausscheiden, weil sie wegen Fortbleibens der Patienten
nicht restlos geklärt werden konnten. Nur in 2 Fällen war, immer
natürlich bei negativer Wa.R.!, die Kaupsche Reaktion positiv, ohne daß
eine syphilitische Krankheit vorlag oder Vorgelegen hatte. Es handelte
sich in dem einen FaHe um ein nässendes Ekzem, das auf schlechtes
Oel zurückzuführen war, im anderen um ein Ulcus molle mit Bubo.
In allen anderen 86 Fällen zeigte die positive Kaup-Reaktion stets
entweder eine im Ausbruch begriffene oder eine behandelte Lues
bei negativer Wa.R. an. 8 mal war bei Lues I die Kaup-Reaktion
allein positiv, während die Wa.R. erst später umschlug. Bei den
übrigen 78 Patienten handelte es sich ausnahmslos um Leute, die
eine oder mehrere Kuren hinter sich hatten, klinisch völlig einwand¬
frei waren und als einziges Zeichen eben eine positive Kaup-Reaktion
zeigten. Daß diese positive Kaup-Reaktion ein sicheres Zeichen für
das Nichtgeheiltsein der Syphilis war, ist daraus zu ersehen, daß
in all den Fällen (18 an der Zahl), in denen die Patienten aus
dieser Gruppe eine neue Behandlung unterließen, nach kürzerer oder
längerer Zeit syphilitische Erscheinungen mit positiver Wa.R. auf¬
traten.
Zasammenfassend ist hiernach zu sagen, daß die Kaupsche Modi¬
fikation nur äußerst selten nicht spezifisch ist, daß sie in vielen
Fällen bei frischer Syphilis früher positiv wird als die Wa.R. (was aber
nicht als ausschlaggebend verwendet werden darf), daß sie dagegen
bei behandelter Syphilis ausschlaggebenden Wert haben kann. Es
empfiehlt sich daher, die Kaupsche Modifikation der Wa.R. bei all
den Patienten anzustellen, die man nach für genügend erklärter Be¬
handlung endgültig entlassen will.
Aus der Inneren Abteilung des Stubenrauch-Kreiskrankenhauses
in Berlin-Lichterfelde. (Dirigierender Arzt: Prof. Rautenberg.)
lieber Lebererkrankungen und Magensaftsekretion.
Von Dr. C. Moewes, Oberarzt der Abteilung.
Die gebräuchlichen Lehr- und Handbücher der Leberkrankheiten
behandeln die Beziehungen der Magensaftsekretion zu den Erkran¬
kungen der Leber nur kurz und unsicher, obwohl diese doch ebenso¬
sehr von theoretisch-wissenschaftlichem Interesse wie von praktisch-
diagnostischer Bedeutung sind. Gerade Berichte der Praxis, Publi¬
kationen einzelner Autoren berichten über gewisse, sich immer wieder
findende, charakteristische Befunde, die bedingt zu diagnostischen
Schlüssen und Vermutungen verwertet werden können. In diesem
Sinne ist in neuerer Zeit wiederholt das Verhalten des Magenchemis¬
mus zum Qallensteinleiden behandelt worden. Im allgemeinen stimmen
Digitized b'
Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
5. Mai 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
589
hierbei die praktischen Erfahrungen der einzelnen Autoren überein,
wenn auch die Erklärungen über Ursache und Wirkung auseinander'
gehen.
Hohlweg 1 ) kommt in einer die ältere Literatur berücksichtigen'
den Arbeit zu dem Schluß, daß man sehr häufig bei Gallenretention
eine Hyperazidität des Magensaftes findet, bei dauerndem Gallenabfluß
in den Darm hingegen, bei Sch rümpf blase, Zystikusverschluß, Zustand
nach Cholezystektomie Hyp- und Anazidität. Gut in Beziehung zu
setzen hierzu* ist die Arbeit von Siminfzky*), der bei Ikterus in
der Regel Hyperazidität feststellt, ebenso bei Choledochusverschluß,
auch bestätigende Tierversuche beibringt. Ebenso spricht Aldor 3 )
davon, daß man bei Cholelithiasis häufig Sub- und Anazidität findet
und daß diese wohl zum Teil auf den Funktionsausfall der Gallenblase
zu beziehen ist, zum Teil allerdings auch Ausdruck einer chronischen
Gastritis.
In einem, wenn auch nur teilweisen, Gegensatz hierzu stehen
Arbeiten aus jüngster Zeit, die vom Standpunkt des Chirurgen aus
das Verhalten der Magensaftsekretion bei Cholelithiasis vor und nach
Entfernung der Gallenblase behandeln. Die Untersucher (Rohde 4 ),
Rydgaard 5 ), Behm 6 )) finden in dem weitaus größeren Prozentsatz
ihrer Fälle Hyp- und Änazidität bei autoptisch bewiesenem Chole¬
dochusverschluß und bei fehlender Gallenblase. Die sogenannte Rov-
singsche Hypothese, daß die Achylie des Magens stets abhängig sei
von der Kontinenz bzw. Inkontinenz der Gallenblase, wird nicht
allgemein anerkannt, wohl aber läßt sich die Tatsache verminderter
Magensaftabscheidung bei Gallensteinleiden ätiologisch verwerten in
bezug auf die dadurch gegebene Infektionsmöglichkeit der Gallenwege,
worauf auch schon Aldor (I. c.) hingewiesen hatte. Ferner wird
auch betont, daß diese Befunde von nicht zu unterschätzender diffe-
rentialdiagnostischer Bedeutung sind gegenüber isolierten Prozessen
am Magen und Zwölffingerdarm. Ueber das Verhalten der Magensaft-
sekretiou zu anderen Erkrankungen der Leber, besonders solchen, die
mit Ikterus einhergehen und häutig differentialdiagnostische Schwierig¬
keiten bieten bei der Abgrenzung gegen Gallensteinleiden, sind in
der Literatur (Ewald-Umber) nur spärliche Hinweise enthalten.
Wir haben daher aus unserem Material interner Lebererkrankun-
gen die Magenbefunde zusammengestellt, um einerseits die bisherigen
Befunde der Literatur nachzuprüfen, anderseits um festzustclleu, ob
die Magensaftuntersuchung zu differentialdiaguostischen Schlüssen ver¬
wertbar ist. In einer großen Zahl unserer Fälle konnte die Diagnose
durch den tutoptischen Befund bei der Operation oder Sektion er¬
härtet werden.
Die folgende Zusammenstellung gibt eine Uebersicht über die
Resultate:
Magensaftbefunde p .„. Hyperaridltflt Normaziditat Hyperazidität Anazidltat
bei ™ Ie <über40fr.HCI) (20—40fr.HCl) (unter20fr.HCl) (fehlendeHCl)
Cholelithiasis . . . . 58 5 14 15 24
Icterus catarrhalis . 38 7 12 13 6
Leber- OaUenblasen-
karzinom.16 1 I 3 11
Leberzirrhose ... 10 — 4 1 5
Leberlues (Stad. ID). 6 14 1 -
Akuter gelber Leber-
atrophie.2 — — — 2
Wir finden also in Uebereinstimmung mit der Mehrzahl der an¬
deren Untersucher bei dem Gallensteinleiden in einem weitaus höheren
Prozentsatz (67o/ 0 ) Hyp- und Anazidität des Magensaftes als normale
oder hyperazide weile. Daraus läßt sich zwanglos die differential-
diagnostische Bedeutung folgern zur Abgrenzung gegen ulzeröse
Prozesse am Magen und Zwölffingerdarm.
Anderseits finden sich bei dem Icterus catarrhalis ungefähr ebenso
häufig normale und hyperazide Werte wie sub- und anazide, allerdings
hyperazide Reizwerte häufiger als bei der Cholelithiasis, wo wir
sie zum Teil operativ bestätigt an in etwa 9o/ 0 notierten.
Wir glauben nun hieraus entnehmen zu müssen, daß ein Zu¬
sammenhang zwischen Funktionsausfall der Gallenblase und Hyper¬
azidität einerseits und geregeltem bzw. kontinuierlichem Gallenaotluß
und Hyp- bzw. Anaziaität anderseits nicht besteht, da wir doch
sonst auf der Höhe des Icterus catarrhalis oder bei komplettem Stein-
verscbluß durchweg hyperaziden oder normaziden Magensaft finden
müßten.
Auch die Befunde bei Leber-Gallenblasenkarzinom, wo wir nur
die Fälle mit Ikterus berücksichtigten, lassen sich in diesem Sinne
verwerten: trotz verhinderten Gallenabflusses Hyp- und Anazidität.
Eine Erklärung für die unternormalen Magensaftwerte bei den
Gallensteinkranken erblicken wir viel eher in der individuellen Krank-
heitsbereitschaft, die einerseits zum Steinleiden führt, anderseits die
Infektion der Gallenwege begünstigt Hyperazide Werte sind wir
geneigt als Reizwerte aufzufassen, aie bei entsprechend disponierten
Individuen reflektorisch hervorgerufen werden.
So stellten wir z. B. bei einer im autonomen Nervensystem sehr
labilen Patientin vor und nacn der Operation hyperazide Werte fest
Daher ist auch das Verhalten des Magensaftes bei dem Icterus
catarrhalis so wechselnd und differentialdiagnostisch unverwertbar.
Bei dem Karzinom der Leber und Gallenwege fand sich vor¬
wiegend Hyp- und Anazidität, auch ohne daß eine primäre Beteiligung
des Magens nachweisbar gewesen wäre. Es handelt sich hierbei wohl
um eine Depression der Zellfunktion, durch die Karzinomtoxine be-
») Hohlweg, Arch. f klto.M. 1912S. 108.-*) Simintzky.B. kl. W. 1901 H.43.—
•) Aldor, W.kLW. 1914 H. 18. — *) Rohde, Arch. f. klin. Chlr. 115* S.3. -•) Rydgaard»
Arch, f. klin. Chlr. U5,S. 3. - •) Behm, D. m. W. 1921 Nr.34.
dingt. Wechselnd und unverwertbar sind die Befunde bei Leber¬
zirrhose, jedenfalls ist der chronische Magenkatarrh, der zur Ab¬
nahme der sekretorischen Funktion führt, keine Bedingung für die
Erkrankung.
Die wenigen Fälle von' Lebersyphilis zeigen ein normales Ver¬
halten, 2 Fälle von akuter gelber Leberatrophie Anazidität des
Magensaftes. Wir können somit auch dem Ikterus als solchem irgend¬
einen Einfluß auf die Magensaftabscheidung nicht zuerkennen.
Zusammenfasseod stellen auch wir als für die Praxis verwert¬
bares Resultat fest, daß bei der Gallensteinerkrankung in etwa a/ 4
aller Fälle eine sekretorische Insuffizienz der Magentätigkeit im
Sinne einer Hyp- bis Anazidität besteht. Es ist dabei gleichgültig,
ob Choledochusverschluß und Ikterus vorhanden sind oder nicht,
diese Befunde ändern sich auch nicht nach Entfernung der Gallen¬
blase. Diese Sekretionsstörung fassen wir als primäre auf.
Zwischen den übrigen Erkrankungen der Leber und der Magen¬
saftsekretion bestehen keine diagnostisch verwertbaren Beziehungen.
Aus der Chirurgischen Abteilung des Städtischen Krankenhauses
in Ulm a.D. (Chefarzt: Prof. Blaue!.)
Zur Entstehung der „peptischen“ Geschwüre
des Verdauungskanals 1 ).
% Von Dr. Paal F. Maller.
Vor einigen Jahren hatte ich Gelegenheit, einen Fall von Perfo¬
rationsperitonitis mit ungewöhnlicher Aetiologie zu beobachten. Es
fand sich nämlich bei einem 11jährigen Jungen nicht die erwartete
Appendizitis, sondern ein perforiertes Meckelsches Diver¬
tikel. Die stecknadelkopfgroße Perforationsöffnung und ihre Um¬
gebung hatten eine täuschende Aehnlichkeit mit der eines
perforierten Magen- oder Duodenalgeschwüres: kreis¬
rundes, wie ausgestanztes Loch, starre, verdickte Wand in der Um¬
gebung, Serosa mit Fibrin belegt. Die histologische Untersuchung
ergab, daß die Schleimhaut in diesem Divertikel ein seltsames Ge¬
misch von Darm- und Magenschleimhaut darstellte: sie enthielt
neben den Lieberkühnschen Drüsen reichlich Fundus- und ver¬
einzelt auch Pylorusdrüsen. Allerdings hatte die Magenschleimhaut,
darauf sei hier schon aufmerksam gemacht, nicht den geordneten
und regelmäßigen Bau, wie die normale Magenwand ihn besitzt.
Die Magengrübchen sowie die dazwischenliegenden Leisten und damit
die ganze Oberfläche waren ganz unregelmäßig geformt, die Drüsen
selbst teils verkümmert, teils unregelmäßig gebaut, sie standen viel
weniger dicht als in der Schleimhaut des Magens. Inmitten eines
solchen Bezirks von Fundusschleimhaut fand sich ein kleines, offenbar
frisch gebildetes Geschwür ohne Gewebsnekrose oder sonstige
spezifische Merkmale.
Der Zufall wollte es, daß nicht lange darauf wieder bei einem
11jährigen Knaben ein Ueberrest des persistierenden Dotteigangs,
diesmal außer einem kleinen Meckelschen Divertikel eine Dotter¬
gangzyste durch Operation entfernt werden mußte. Diese Zyste
war Kaum größer als eine Kirsche und enthielt nichts als einge-
trodenete Blutgerinnsel. Auch diese Gebilde wurden histologisch
untersucht; während das Divertikel ausschließlich Darmschleimhaut
enthielt, fand sich in der Zyste fast das gleiche Schleimhautbild wie
bei dem Divertikel des ersten Falles: Fundus- und Pylorusschleimhairt,
auch hier in der verkümmerten, unregelmäßigen Form, außerdem
vereinzelt Brunnersche Drüsen. Das im Lumen befindliche Blut
erweckte den Verdacht auf Geschwüfsbildung in der Schleimhaut, und
in der Tat fand sich nach einigem Suchen ein frisch epitheli-
siertes Schleimhautgeschwür.
Es besteht für mich kein Zweifel, daß diese 3 Ulzera, das per¬
forierte und die beiden mikroskopisch kleinen Geschwüre, zu der Art
von Geschwüren zu zählen sind, die man im Magen und Duodenum
als peptische Geschwüre bezeichnet 2 ). Dafür spricht schon
das makroskopische Aussehen des perforierten Geschwürs, sodann
aber die Tatsache, daß sich die Geschwüre auf dem Boden von
Magenschleimhaut gebildet haben und daß anderseits Nekrosen und
andere Merkmale für die sonst bekannten Geschwürsatten im Ver¬
dauungskanal vollkommen fehlen.
Wie soll man sich nun die Entstehung dieser weit
ab vom Magen liegenden peptischen Geschwüre denken?
Alle bekannten Theorien über die Entstehung der peptischen Ulzera,
die mechanische Theorie Aschoffs, die neurogene v. Bergmanns
usf., sie alle sind so sehr für die besonderen Verhältnisse des Magens
zugeschnitten, daß man sie schlechterdings zur Erklärung der pepti-
senen Geschwüre im persistierenden Dottergang nicht verwerten kann.
Ein Moment freilich, das in allen Erklärungsversuchen wiederkehrt,
wird auch hier herangezogen werden müssen, das ist die verdauende
Wirkung des Produktes der Magendrüsen, also Tiauptsächlich des
Pepsins; diese Wirkung hat ja der Geschwürsform ihren Namen
gegeben. Nun nehmen aber die meisten Theorien an, daß das Drüsen¬
sekret erst sekundär seine Wirkung entfaltet. Es wird vermutet, daß
irgendein Schleimhautbezirk durch eine außerhalb der Schleimhaut
*) Gekürzt vorgetragen auf der Tagung der Mktelrhetnlschen Chlrurgenvereinlgung
In Heidelberg am 30. VII. 1921. —*) Vgl. Müller, Bruns Beitr.z.klin.Chlr. 1919^ 115* H. 3 S.569.
Digitized by Google
Original from
CORUELL UNIVERSITY
590
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 18
liegende Ursache (Thrombose, Embolie, Arteriosklerose, Infektion,
mechanische Ursachen, Spasmen usf.) in seiner Lebensfähigkeit ge¬
schädigt wird und daß dieser Bezirk dann durch den im Lumen befind¬
lichen Verdauungssaft verdaut wird.
Diese Anschauung versagt beim persistierenden Dottergang, weil
es hier nach meinen Beobachtungen an einer entsprechenden, ins
Lumen entleerten Menge wirksamen Verdauungssaftes fehlt. Falls
nämlich in dem Meckelschen Divertikel die Magendrüsen über¬
haupt regelmäßig einen Saft absonderten, so hätte diese jedenfalls
sehr kleine Menge Saftes sofort durch den im Divertikel selbst produ¬
zierten und durch den vom Darm her ungehindert ins Divertikel
einströmenden Darmsaft in seiner Wirksamkeit mindestens stark ab¬
geschwächt werden müssen. Wäre,in der Zyste des zweiten Falles
regelmäßig Saft abgesondert worden, so hätte dies bald zu einer
Enveiterung und prallen Füllung der allseitig abgeschlossenen Höhle
führen müssen. Es fand sich aber darin, wie gesagt, nur eine kleine
Menge eingetrockneten Blutes. Eine nennenswerte Menge wirksamen,
in das Lumen abgeschiedenen Verdauungssaftes stand also wohl in
keinem der beiden Fälle zur Verfügung. Aus diesen Gründen vermute
ich, daß der pathologische Verdauungsvorgang, der zur Geschwürs¬
bildung führte, sich nicht an der Oberfläche, sondern im Innern der
Schleimhaut, in den Verdauungsdrüsen selbst abgespielt hat. Gestützt
wird diese Annahme durch den anatomischen Schleimhautbefund.
Ich habe schon hervorgehoben, daß die Schleimhaut und besonders
die Drüsen einen verkümmerten, minderwertigen Bau aufwiesen.
Daß diesem verkümmerten Bau eine abnorme Funktion der Drüsen
entspricht, ist ein naheliegender und wohl sicher berechtigter Schluß,
und das Abnorme der Funktion besteht, wie ich weiter annehme, darin,
daß das Drüsenprodukt nicht, wie es normaleijweise der Fall
ist, außerhalb, sondern schon innerhalb der Drüsen aktiviert
wird. Diese Aktivierung des Drüsensekretes schon innerhalb der
Drüsen muß zu einer buchstäblichen Selbstverdauung der
Drüsen und ihrer Umgebung führen, und damit ist die Grund¬
lage für die Bildung des peptischen Geschwüres geschaffen.
Nachdem ich also zu dem Schlüsse gekommen war, daß in den
Dottergangsresten das Ulcus pepticum in letzter Linie auf den ver¬
kümmerten Zustand der Drüsen, also auf eine Entwicklungs¬
störung zurückzuführen ist, lag es nahe, auch die Schleimhaut in
der Umgebung von Magen- und Duodenalgeschwüren daraufhin zu
untersuchen. Und tatsächlich fanden sich auch hier Anhaltspunkte, die
auf eine Entwicklungsstörung schließen lassen.
Bei der Untersuchung von Geschwüren des Magenkör-
E ers hatte ich mich anfangs auf kleine, vermutlich frischere Ulzera
eschränkt in der Annahme, daß sich hier histologische Verände¬
rungen, die mit der Entstehung der Geschwüre etwas zu tun haben,
am ehesten und am reinsten nachweisen lassen. Später zeigte sich,
daß auch die Verarbeitung größerer, älterer Geschwüre von Erfolg
sein kann. Bisher habe ich 8 Ulzera dieser Gegend genauer unter¬
sucht. In nicht weniger als 5 davon fanden sich in unmittelbarer
Umgebung des Geschwüres Darmschleimhautinseln,
und in allen 8 Fällen zeigte die Schleimhaut jenen verküm¬
merten Zustand, den ich auch beim persistierenden Dottergang
gefunden hatte, sodaß oft eine ganz auffallende Aehnlichkeit in dem
mikroskopischen Bild entsteht zwischen der Schleimhaut im Magen
und der des persistierenden Dottergangs. Beide Befunde, die Darm¬
schleimhautinseln wie der verkümmerte Zustand der Schleimhaut im
Magen, sind öfters beschrieben, aber meist als Umwandlungsprodukte,
vielfach als Folgezustände einer „Gastritis“ aufgefaßt worden. Dieser
Auffassung kann ich, wie ich in einer kürzlich erschienenen Arbeit 1 )
begründet habe, aus histologischen und entwicklungsgeschichtlidien
Gründen nicht beitreten. Ich möchte vielmehr den Befund von Darm¬
schleimhautinseln im Magen als entwicklungsgeschichtlich begrün¬
dete „Heteroplasien“ ansenen *) und glauben, daß auch der in solchen
Gegenden zu findende verkümmerte Bau der Magendrüsen Folge einer
Entwicklungstörung ist.
Es besteht also eine weitgehende Uebereinstimmung in dem
anatomischen Verhalten der Geschwürsumgebung im Dottergang und
im Magen. Deshalb nehme ich an, daß auch hier, wie im Dotter¬
gang, bei der ersten Entstehung der peptischen Ge¬
schwüre das Entscheidende nicht der im Lumen befind¬
liche Verdauungssaft ist, sondern das schon innerhalb
der Drüsen aktivierte Drüsenprodukt.
Wie man sich das Zustandekommen dieser Aktivierung innerhalb
der Drüsen denken soll, diese Frage muß zunächst unbeantwortet
bleiben. Dagegen glaube ich für die tatsächliche Existenz
von SelbstverdauungsVorgängen, die durch eine Aktivie¬
rung innerhalb der Drüsen bedingt sind, histologische Belege
zu haben. Es fand sich nämlich Tn Objekten, die nicht rasch genug
fixiert wurden — und nach meinen bisherigen Beobachtungen nur in
solchen —, ein ausgedehnter Zerfallvorgang in den Drüsenzellen,
hauptsächlich in den Hauptzellen der Fundusdrüsen. Diesen auch
von anderer Seite beschriebenen, aber anders gedeuteten Zustand
vermag ich mir nicht anders zu erklären als durch einen Selbst¬
verdauungsvorgang, der sich nach Loslösung aus dem Zusammenhang
mit dem lebenden Gewebe abgespielt hat. Wahrscheinlich hat die
Abtrennung vom lebenden Körper genügt, eine Aenderung im Chemis-
*) Bruns Beltr. z. klin. Chir. 1921, 123, H. 1 S. 1. — *) Schridde (Die ortsfremden
Epithelgewebe des Menschen, Jena 1909) faßt nur die im Cardia- und Pylorusteile des
Magens vorkommenden DarmdrUsen als heteroplastische Bildungen auf. Die von ihm
Gründe (S. 48), die hn Magen kör per vorkommenden DarmdrQsen anders
zn erklären, scheinen mir nicht beweisend zu sein.
mus der Drüsenzellen und damit eine Selbstverdauung der DriisenzeUen
herbeizuführen.
Ist meine Vermutung von der Entstehung der Geschwüre richtig,
so wird es ohne weiteres verständlich, daß sich im Magen Geschwüre
trotz bestehender Achylie bilden können. Weiterhin wäre es zu
verstehen, daß die Geschwürsbildung nicht selten schon im jugend¬
lichen Alter ihren Anfang nimmt. Es würde auch zu meinem Er¬
klärungsversuch passen, daß gerade in letzter Zeit mehrfach betont
wird, die Annahme einer „Disposition“ bei der Entstehung der pep¬
tischen Geschwüre sei nicnt zu umgehen. Die Disposition bestände
eben in einer mangelhaften Veranlagung der Magenschleimhaut.
Warum die Geschwüre gerade an bestimmten Stel¬
len des Magenkörpers mit Vorliebe sitzen und warum
sie hier so geringe Neigung haben auszuheiien, das
könnte man sich erklären, wenn man annehmen würde, daß an
solchen Stellen besonders umfangreiche Drusengruppen minderwerti¬
gen Charakters ihren Sitz haben und daß deshalb immer neue Drüsen¬
gruppen der Selbstverdauung unterliegen. Wichtig scheinen mir in
dieser Hinsicht zwei Beobachtungen aus jüngster Zeit: Bei einer
27jährigen Frau wurde 1919 ein ins Pankreas penetrierendes Ulkus
abgelöst, die Ränder exzidiert und die Oeffnung wieder vernäht.
Mai 1921 kam die Frau wieder mit einem penetrierenden Ulkus in
der gleichen Gegend. Der Magen wurde jetzt ausgiebig reseziert.
Histologisch fand sich an allen drei bisher untersuchten, weit von¬
einander liegenden Stellen ein Gemisch von Darmdrüsen und ver¬
kümmerten Magendrüsen. Es scheint mir denkbar, daß hier wegen
der großen Ausdehnung der minderwertig veranlagten Schleimhaut
immer wieder neue SeTbstverdauungsvorgänge stattfanden und daß
deshalb das Uikus ohne Neigung zur Ausheilung rezidiviert ist.
Das Gegenstück dazu bildet ein Fall, bei dem sich am Resektions¬
präparat außer einem Uikus am Pylorus ein offenbar ganz frisch
verheiltes Ulkus nahe der kleinen Kurvatur fand. . Nur die nächste
Umgebung dieses geheilten Geschwürs bot ein verkümmertes Aus¬
sehen, sie enthielt auch einzelne Danndrüsenschläuche, aber schon
wenige Zentimeter entfernt davon zeigte sich ganz normale Fundus-
schleimhaut. Hier war also das Gebiet minderwertiger Schleimhaut
sehr klein, infolgedessen bestand eine Neigung zur Ausheilung des
Geschwüres.
Außer diesen Geschwüren des Magenkörpers habe ich bisher
5 Ulzera der Pylorusgegend zu untersuchen Gelegenheit ge¬
habt. Bei der Durchsicht der hieraus gewonnenen Präparate habe
ich die Wahrnehmung gemacht, daß die Geschwüre alle auf oder
unmittelbar neben der Uebergangstelle von der Magen- in die
Duodenalschleimhaut saßen, selbst wenn sie nach dem makroskopi¬
schen Eindruck ausgesprochene Duodenalulzera zu sein schienen.
In einem Fall saß das Ulkus um Daumenbreite unterhalb der
Pylorusvene und des Pylorusmuskelringes, und trotzdem nahm es
mikroskopisch genau die Grenzstelle zwischen Magen- und Duodenal¬
schleimhaut ein. Fiel auch die morphologische Minderwertigkeit
der Drüsen bei den Geschwüren der Pylorusgegend weniger ins
Auge als beim Magenkörper, so wäre es doch ohne weiteres ver¬
ständlich, daß auch in dieser entwicklungsgeschichtlich bedeutungs¬
vollen Ucbergangszone Drüsen unvollkommener Bauart und deshalb
auch abnormer Funktion Vorkommen, die in ganz ähnlicher Weise
wie dort den Anstoß zur Geschwürsbildung geben würden.
Weiterhin kommen peptische Geschwüre in der Speise¬
röhre vor. Von dieser Art sind bisher erst 2 bis 3 Dutzend genauer
beschrieben, leider nur wenige davon histologisch untersucht worden.
Aber es scheint mir von großem Interesse zu sein, daß bei zweien
von den mikroskopisch untersuchten Fällen (Fränkel, Tileston)
in der Umgebung des Geschwüres Magenschleimhautinseln
gefunden wurden. Solche Magenschleimhautinseln kommen im Oeso¬
phagus ziemlich häufig vor, hauptsächlich im untersten Teil und in
Höhe des Ringknorpels. Daß diese ortsfremden Gewebsinseln einer
Entwicklungstörung ihr Dasein verdanken, ist von Schridde nach¬
gewiesen und meines Wissens bisher nicht bezweifelt worden. Sie
stellen meines Erachtens in ihrem Wesen nichts anderes dar als die
Magenschleimhautinseln im Dottergang und als die Darmschleimhaut-
inseln im Magen. Bestätigt es sich bei weiteren Untersuchungen,
daß die peptischen Geschwüre der Speiseröhre mit einer gewissen
Regelmäßigkeit auf dem Boden solcher Magenschleimhautinseln ihren
Anfang nehmen, so steht nichts im Wege, diese Geschwüre genetisch
ebenso zu erklären, wie es für die beiden anderen Organe ge¬
schehen ist.
Schließlich ist noch das jetzt vielbesprochene Ulcus pepti¬
cum jejuni zu erwähnen. Hier ist zunächst hervorzuheben, daß
nach den mir bekannten Statistiken (besonders van Roojen) offen¬
bar die Mehrzahl der Geschwüre die Vereinigungsstelle zwischen
Magen und Dünndarm einnimmt. Es ist also möglich, daß in diesen
Fällen das Geschwür in dem besprochenen Sinne von der Magen¬
schleimhaut seinen Ausgang genomm^/i hat. Die vorausgegangene
Operation würde dann lediglich die Rolle eines auslösenden Faktors
spielen. Es muß aber darauf hingewiesen werden, daß schon eine
ganze Anzahl von peptischen Jejunalgeschwüren mitgeteilt worden
ist, die sich gebildet hatten, ohne daß irgendein Eingriff voraus¬
ging. Für die Erklärung dieser spontan aufgetretenen Geschwüre
ist es von Wichtigkeit zu wissen, daß auch in der Jejunalschleirnhaut
Inseln ortsfremden Gewebes gefunden wurden, nämlich Inseln von
Magenschleimhaut (Poindecker 1 )) und namentlich von
*) Nach Herxheimer-Schwalbe, Die Morphologie der Mißbildungen des Men¬
schen und der Tiere, 3. Teil, 10. Lieferung. Gewebsmißbildungen, Jena 1913.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
5. Mai 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
591
Pankreasgewebe (Klob, Zenker u. a. 1 !). Man könnte sich
vorstellen, daß auch in solchen, einer Entwickluugstörung entstam¬
menden Pankreasinseln auf Grund einer vorzeitigen Aktivierung des
Drüsenproduktes Selbstverdauung stattfindet und damit der Anfang
eines diesmal nicht peptischen, sondern „tryptischen“ Geschwüres
geschaffen würde. Ebenso könnte vielleicht auch ein Teil der nach
Gastroenterostomie auftretenden Ulzera ihre Erklärung finden.
Ich bin mir wohl bewußt, daß die hier in Kürze vertretenen An¬
schauungen abweichen von den Theorien, die in weiteren Kreisen
Anklang gefunden haben. Allein meine Beobachtungen haben mich
zu der Ueberzeugung geführt, daß überall im Körper, wo
immer sich ein kleines Stückchen Magenschleimhaut
findet, unter gewissen Voraussetzungen auch ein
Ulcus pepticum entstehen kann und daß deshalb der
Keim für die Geschwürsbildung in der Schleimhaut sel¬
ber gesucht werden muß. Daraus glaube ich den weiteren
Schluß ziehen zu dürfen, daß es berechtigt ist, alle oder doch wenig¬
stens die meisten peptischen Geschwüre auf eine gleichartige primäre
Ursache zurückzuführen. In dem hier Vorgetragenen habe ich den
Versuch gemacht, eine solche einheitliche Erklärung aufzustellen.
Ob sie uns dem Ziele in der Erforschung des Ulcus pepticum näher
bringen wird oder nicht, darüber werden weitere, umfangreichere
Untersuchungen zu entscheiden haben.
Aus der II. Medizinischen Universitäts-Klinik in Tokio.
(Direktor: Prof. Irisawa.)
lieber die Hämoglobinbestiimnungen nach Sahli und Auten-
rieth-Königsberger.
Von Dr. Etsnzo Komiya und Dr. Tosbio Kataknra.
Es gibt zwei Arten von Bestimmungsmethoden, durch welche das
Hämoglobin in salzsaures Hämatin umgewandelt und gemessen wird.
1. Bestimmungsmethode nach Sahli: Man bringt in das
Untersuchungsröhrchen des Apparates 1 / 10 n-Salzsäure genau bis zur
Marke 10 (0,2 ccm) und trägt mit der Pipette des Apparates 20 cmm
Blut in die Säure ein. Nach % Minute geht die rote Blutfarbe in
eine dunkelbraune über; man wartet nun genau eine Minute und
fügt hierauf tropfenweise Wasser zu, bis man dieselbe Farbennuance
erreicht, die das Vergleichsröhrchen zeigt. Hierauf liest man sofort
die Skala.
2. Bestimmungsmethode nach Autenrieth-Königs-
berger: Das Prinzip dieser Methode ist der Sahlischen entnommen.
Man bringt in den Glastrog 2 ccm Vio n-Salzsäure und versetzt 20 cmm
Blut damit. Die Standardlösung wird in einen verschiebbaren Glas¬
keil gefüllt. Wenn die Probelösung im Trog eine braune Farbe zeigt,
wird der Glaskeil auf- und niedergeschraubt, bis Farbengleichheit er¬
langt ist. Hierauf wird die Skala gelesen.
Diese beiden Methoden sind leichter Verwendbarkeit halber weit
in der Praxis eingeführt, und insbesondere wird das Sahlische Hämo¬
meter am häufigsten für die Hämoglobinbestimmung verwendet.
Betreffs der Genauigkeit ihrer Schätzungen macht sich jedoch ein
Nachteil geltend, welcher im Jahre 1911 von Stäubli zuerst be¬
merkt wurde, und zwar handelt es sich dabei um ein Phänomen, wel¬
ches in dem Nachdunkeln des salzsauren Hämatins zum Ausdruck
kommt. Läßt man nämlich die 20 cmm Blut enthaltende Säure ohne
Wasserzusatz einige Zeit stehen, so dunkelt die entstehende braune
Lösung noch erheblich nach. Vergleicht man also die Probelösung
mit der Standardlösung das eine Mal sofort, das andere Mal erst
später, so kommt man zu recht verschiedenen Hb-Werten. Nach
Stäubli soll das Nachdunkeln auch von der Konzentration und
Menge der Salzsäure beeinflußt werden. Neuerdings hat Meulen-
grächt ferner bestätigt, daß die Temperatur auf das Nachdunkeln
einen nicht zu vernachlässigenden Einfluß hat.
Wenn die Bestimmung exakt ausfallen soll, so muß man deshalb
die korrekt hergestellte V 10 n-Salzsäure in genauer Menge brauchen
und das in die Salzsäure gebrachte Blut immer nach bestimmter Zeit
mit der Standardlösung vergleichen, und zwar muß dieses Verfahren
stets bei bestimmter Temperatur vorgenommen werden.
Da die Praxis gewöhnlich nicht so genaue Schätzung beansprucht,
so kauft man sich für klinische Zwecke an die Original Vorschrift
halten.
Allerdings wäre es um so besser, wenn der erwähnte Nachteil bei
diesen Methoden ohne umständliche Prozedur beseitigt werden könnte.
Wir haben uns mit dieser Frage beschäftigt und konnten fest¬
stellen, daß das Nachdunkeln durch die Erwärmung der zu prüfenden
Blut-Salzsäuremischung vollständig aufhörte. Es sei uns gestattet,
das Resultat unserer Untersuchung in Folgendem kurzfassend mit¬
zuteilen.
Das zeitliche Verhalten des Nachdunkeins und der Einfluß der
Konzentration der Säure auf das Nachdunkeln wurden von uns im
großen und ganzen mit den Resultaten von Stäubli und Meulen-
gracht übereinstimmend konstatiert.
Nach unserer Untersuchung hat die Intensität der braunen Farbe
der Probelösung je nach der Menge des Blutes und dem Hb-Gehalt
*) Siehe auch Ritter, Bruns Beitr. 1921, 124, H. I. S. 157.
desselben ein bestimmtes Maximum. Die Zeitdauer der Erreichung
dieses Maximums ist von der Menge und Konzentration der Salz¬
säure und von der Temperatur abhängig. Selbst wenn die Menge der
Salzsäure und die Temperatur mehr oder weniger variieren, so er¬
reicht das Maximum doch früher oder später dieselbe Höhe. Je
mehr konzentriert die Säure und je höher die Temperatur ist, um so
rascher tritt das Maximum ein. Dabei müssen aber zu stark konzen¬
trierte (über V 2*5 n-)Säure und zu hohe (über 60° C) Temperatur
vermieden werden, weil die Probelösung in diesem Falle trübe bleibt
Wie weit das Nachdunkeln von der Temperatur beeinflußt wird,
ist aus der nachstehenden Tabelle' ersichtlich.
Tabelle I.
Hb -Werte
V
2'
3'
F
5' !
all I
1221
21
20'
25'
30'
>'l 2 '
LL
Fall
0
21
20'
25'
30'
bei 60° C . . .
94
97
97
58
60
61
„ 50® C . . .
91
95
95
96
97
97
97
97
97
55 58
60
60
61
61
61
61
61
„ 30° C . . .
861
89
92
94
96
97
97
97
97
50 i 53
57
60
61
61
61
61
61
12-14® C .
77
80
82
85
86
88
93
94
95
48 !51
53
53
54
55
55
56
o
e
n
74 |
80
83
85
88
45 46
! 47
47
49
49
50
53
Blut und Salzsäure wurden nach der Originalvorschrift gemischt
und in ein Untersuchungsröhrchen eingefüllt, welches in Eiswasser
oder Wasserbad von bezeichneter Temperatur eingetaucht wurde.
Nach bezeichneten Minuten wurde der Wasserzusatz vorgenommen.
Wie in der Tabelle ersichtlich, ergibt ein und dasselbe Blut je
nach der Zeitdauer bis zum Wasserzusatz recht verschiedene Werte.
Nur wenn die Probelösung bei Temperatur von über 30° C mehr als
10 Minuten lang erwärmt wird, zeigt sie konstanten Wert.
Welcher Wert dürfte nun den echten Hb-Gehalt
darstellen? Theoretisch könnte die Deutung des Nachdunkeins
dies Rätsel lösen. Handelt es sich beim Nachdunkeln um einen pri¬
mären Prozeß (d. h. um eine nur allmählich vor sich gehende voll¬
ständige Umwandelung des Hämoglobins in salzsaures Hämatin) oder
um einen sekundären chemischen Vorgang? Im ersteren Falle sollte
man am besten möglichst lange warten, im zweiten Falle wäre es
besser, die Bestimmung unter möglichst geringem Zeitverlust vor¬
zunehmen. Selbst wenn <9er sekundäre Vorgang zutreffen würde, so
ist es doch in der Tat unmöglich, daß das frisch entstandene Hämatin
von einem Produkte der sich sehr rasch anschließenden sekundären
Veränderung getrennt gemessen werden kann, weil der Farbenton bei¬
der Substanzen ganz gleich ist. Um welche Deutung es sich auch
handle, kann man doch anderseits die maximale Intensität der braunen
Farbe als relativen Hb-Wert annehmen, falls sie mit dem Hb-Gehalt
des Blutes parallel geht. Letzteres wurde von uns bestätigt und in
der nächsten Tabelle bezeichnet.
Tabelle II.
Blut
Fall I
Hb -Werte
(1 Minute
bei 13® C)
Hb-Werte
(15 Minuten
bei 50® C)
!
Blut
Fall n
Hb-Werte
(1 Minute
bei 16® C)
Hb-Werte
(15Minuten
bei 50® C)
ohne Verdünnung
2fach verdünnt
56
66
ohne Verdünnung
2fach verdünnt
80
104
(mit Autoserum)
4facti verdünnt
29
34
(mit 0,85®/ o NaCI.)
4fach verdünnt
41
52
(mit Autoserum)
13
1 16
(mitO.85® oNaCI.)
19 |
26
Aus obenerwähnten Gründen dürfen wir wohl nun
mit vollem Rechte vorschlagen, daß die Blut-Salz-
säuremischung sowohl bei der Methode nach Sahli
als auch nach Autenrieth-Königsberger vor der Ver¬
gleichung mit der Standardlösung einmal bei Tem¬
peratur von 30 bis 60° Cüber 10 Minuten lang erwärmt
werdensoll.
Diese Prozedur, durch welche das Nachdunkeln vollständig um¬
gangen werden kann, ist in der Praxis sehr leicht ausführbar, aa die
Temperatur und Zeitdauer der Erwärmung nicht genau eingehalten
zu werden braucht. Geringe Variation der Konzentration und der
Menge der Salzsäure hat keinen Einfluß auf das Resultat. Ferner ist
es sehr bequem, daß man die Erwärmung nicht sofort nach dem Ein¬
blasen des Blutes in die Salzsäure folgen zu lassen braucht, sondern
daß sie nach der Entnahme anderer Blutproben folgerecht aus¬
geführt werden kann.
Welchen Wert bekommt man nun als normalen Hb-
Gehalt, jvenn die Sahlische Methode nach unserem
Vorschlag modifiziert wird?
Tabelle III.
(Untersuchungstag: 17.—20.1.1922. Zimmertemperatur: 12-14® C.)
Name u. Alter
A
B
Erythro¬
zytenzahl
Name u. Alter
A
B
Erythro¬
zytenzahl
T. K. 39 J. f
91
114
5218000
(3) K.K. 23 J. $
78
95
4730000
T. B. 371. J
7J
93
4584000
(4) H. F. 24 j. 9
70
82
4304000
T. O. 30 J. </•
70
88
4416000
(5) H.M.2I J. 9
68
87
4520000
(i) A.K. 28J.
86
107
5056000
N.N. 22 J. 9
68
90
4408000
(2) H. K. 32 J. f
89 ,
109
5300000
U.M. 23 J. 9
73
89
4624000
Durchschnittlich
81,8 |
100,2
4915000
| Durchschnittlich
71,4
88,1
4517000
□ igitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSITV
502
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 18
In der Tabelle sind die nach unserem obenerwähnten Verfahren
gemessenen Werte (B) neben den nach der Originalvorschrift ge¬
messenen (A) angegeben. Während die letztgenannten Werte mit der
Angabe von Sahli übereinstimmend durchschnittlich 80 für gesunde
Männer und 70 für gesunde Frauen zeigen und deshalb die gelesenen
Skalawerte in diesem Falle mit 100/80 bzw. 100/70 multipliziert
werden müssen, um den Hb-Gehalt in Prozenten darzustellen, so er¬
geben die ersteren durchschnittlich 100 für gesunde Männer und 90
für gesunde Frauen. Die Skala werte bei Männern stellen also als
solche bereits den Hb-Gehalt in Prozenten dar, was die Arbeit er¬
leichtert.
Zum Schlnfi geben wir noch ein Beispiel an, wie
weit die nach der Originalvorschrift gemessenen
Werte unter Umständen schwanken. Die in der Tabelle IV
bezeichneten Fälle wurden im vorigen Sommer gemessen. Die dabei
benutzten Apparate waren alle diejenigen, welche auch in den oben
angegebenen Winterfällen (Tabelle III) benutzt wurden. Während die
durschnittliche Erythrozytenzahl ebenfalls für gesunde Männer 5,0 Mil¬
lionen, für gesunde Frauen 4,5 Millionen beträgt, erweist sich der
Hb-Gehalt in den Sommerfällen deutlich höher als in den Winterfällen,
Wir gestehen, daß die Zeitdauer bis zum Wasserzusatz in den Sommer¬
fällen nicht ganz genau eine Minute, sondern etwas länger war.
Deshalb können wir nicht die gesamte Differenz des Hb-Gehaltes
zwischen dem Sommer und Winter als Folge des Temperaturunter¬
schiedes betrachten. Doch dürfte man wohl mit Recht behaupten,
daß die Temperatur dabei eine gewisse Rolle gespielt hat und daß
die Sahlische Methode, falls sie nach der Originalvorschrift ausgeführt
wird, eine Schwankung in dieser Höhe zeigen kann, wenn die Zeit¬
dauer und Temperatur nicht ganz genau bestimmt sind.
Tabelle IV.
(Untersuchungstag: II.—14. VII. 1921. Zimmertemperatur: 27—30® C.)
Name u. Alter
Hb-Werte
Erythro¬
zytenzahl
Name u. Alter
Hb-Werte
Erythro¬
zytenzahl
K. K 30J f
80
4632000
(3) K. K. 23 J. 9
77
4680000
(1) A. K. 28 J. #
89
5096000
(4) H. F. 24 |. 9
70
3944000
T. N. 31 j. f
80
4888000
(5) H.M. 211. 9
75
4544000
S. H. 32 J. #
80
4704000
T. I. 20J. 9
76
4768000
( 2 ) H.K. 32 J. f
»5
5244000
M.K. 22 J. 9
72
39U0000
Durchschnittlich
86,4
4913000
Durchschnittlich
74
4367000
Die mit eingeklammerten Zahlen (1)—(5) in der Tabelle III und IV versehenen
Anfangsbuchstaben betreffen einen und denselben Menschen.
Die orthopädische Behandlung der rachitischen
Deformitäten.
Von Prof. Albert Wellenberg in Berlin.
(Schluß aus Nr. 17.)
II.
Ich wende mich jetzt kurz zu den wichtigsten rachi¬
tischen Deformitäten, um die Anwendung der bespro¬
chenen Behandlungsmittel auf diese darzutun.
1. Rachitische Wirbelsänlendefonnitäten. a) Kyphose. Die ortho¬
pädische Beeinflussung wird meist durch Lagerungsapparate ausgeübt, von
denen die bekanntesten die Rauchfußsche Schwebe und das Reklinations¬
gipsbett darstellen. Es wird aber oft, bei desolatem Zustande der Kinder,
nicht ratsam sein, letztere in ständiger Rückenlage zu halten, sondern man
wird zweckmäßig mit anderen Methoden wechseln. Zu letzteren gehört das
von Schede konstruierte Lagerungsbrett, auf welchem die Kinder in Bauch¬
lage f es tgesch nallt werden und sich mit den Vorderarmen aufstützen können.
Neben dieser aktiven Lordosierung kann auch die passive in Bauchlage
verwendet werden, z. B. in dem von G o c h t angegebenen Apparat,
welcher aus der Kombination einer schiefen Ebene mit einer Kopf¬
extension besteht. Spitzy benutzt in seiner Anstalt gerne den Ep-
steinschen Schaukelstuhl, der bei seiner korrigierenden Wirkung den
Kindern eine gewisse Bewegungsfreiheit gestattet. Rückenmassage
und aktive Gymnastik sind von günstiger Wirkung. Häufiges Sitzen
und Getragenwerden ist nur zu gestatten, wenn der Allgemeinzustand
es dringend erfordert. Können die Kinder gehen, so gibt man ihnen
zweckmäßig ein lordosierendes Korsett oder eine ähnliche portative
-Vorrichtung, bei welcher der Brustkorb möglichst frei gelassen wird.
b) Skoliose. Dieselben oder ähnliche Mittel, wie die eben ge¬
nannten, finden mit Vorteil auch bei den seitlichen Abweichungen
der Wirbelsäule Verwendung. Das Gipsbett, welches ich verordne,
stelle ich unter seitlicher Abkrümmung her, je nach der Deformität
in einem oder in zwei entgegengesetzten Krümmungsbogen. Etwaige
Torsion wird durch untergelegte Filzstücke bekämpft. Von den zahl¬
losen Korsettkonstruktionen brauche ich keine einzelnen anzuführen;
ich verwende bei noch beweglicher Krümmung stets das von mir an¬
gegebene Segmentkorsett, meist nur ein das Becken und die Lenden¬
wirbelsäule umfassendes. Allgemein ist zu sagen, daß die rachitische
Skoliose gar nicht früh genug erkannt und behandelt- werden kann,
da sie zu frühzeitiger Fixierung neigt.
Bo .eckh empfiehlt zur Behandlung der
chittschen Thoraxdeformitäten die Anwendung einer Leib¬
binde, die von der Symphyse bis über die Rippenbogen reicht und
ihren Druck gleichmäßig auf den Leib verteilen soll. Er begründet
diese Maßnahme mit der Beobachtung der rein abdominalen Atmung
der Kinder bei Thoraxrachitis. Die Binde stützt die schlaffe Bauch¬
muskulatur, verhindert so die inspiratorische Ausdehnung der letzteren,
fixiert gleichzeitig die Rippenbögen und verhindert ihr seitliches Aus¬
weichen. Die Behandlung soll einsetzen, solange der Thorax noch
biegsam ist.
Die Behandlung der rachitischen Hühnerbrust zeitigt in der
Regel sehr schnelle und sichere Erfolge, wenigstens hat sic mir nie¬
mals versagt. Ich benutze ein nachts, höchstens auch einige Stunden
am Tage anzuwendendes Gipsbett mit elastischem Pelottendruck,
der aut die Höhe der sternalen oder thorakalen Ausbiegung einwirkt
Der Apparat ist ähnlich dem von Schanz konstruierten, unterscheidet
sich aber unter anderem von diesem dadurch, daß er die sich seitlich-
vorwölbenden unteren Rippen gleicnzeitig durch elastische Gurtpelotten
korrigiert. Die Atmung wird durch diese Anordnung nicht gestört.
Ich habe selbst ältere Kinder auf diese Weise rasch von ihrer De¬
formität befreit.
3. Obere Extremität. Sehr häufig sind Kurvaturen derVor-
derarmknochen, die ein Supinationshindernis darstellen (Bie-
salski, Kölliker, Cramer). Nach Biesalski heilen diese
spontan mit guter Funktion aus, sobald die Kinder auf die Beine
kommen, also nicht mehr der dauernden Stützung durch ihre Arme
bedürfen. Cramer hat durch Osteotomien an Radius und Ulna die
Störung beseitigt
4. Untere Extremität a) Coxa vara. Bei frischen Fällen können
Extension in Ruhelage, abduzierende Verbände oder Lagerungs¬
apparate von Nutzen sein. Am meisten wird zurZeit in geeigneten Fallen
wonl das unblutige Redressement verwendet, wie es von
Lorenz, Drehmann und Sprengel angegeoen worden ist. Dreh¬
mann geht so vor, daß er zunächst die Adduxtoren bei rechtwinkliger
Beugestellung der Femora dehnt, ähnlich' wie dies bei Einrenkung der
angeborenen Hüftluxation geschieht. Dann geht er mit dem Ober-
scnenkei in Streckstellung und führt ihn unter modellierenden Be¬
wegungen langsam in starke Abduktion und Innenrotation, gipst in
dieser Stellung bei leicht gebeugtem Knie bis zur Wadenmitte ein
und läßt nacn 8 Tagen den Patienten im Gipsverbande herumgehen.
Nach einer Verbanüdauer von 2 Monaten folgt ein zweiter Gips¬
verband, der das Knie frei läßt und b Wochen liegen bleibt. Schlie߬
lich wird noch für ein Vierteljahr eine abduzierende Hülse getragen.
Weitere Nachbehandlung ist nicht nötig. Die funktionellen Resultate
sollen gut und dauerhaft sein, in nicht zu alten Fällen läßt sich der
Schenkelhals auf diese Weise wiedernerstellen. Die günstige Wirkung
des Redressements wird von verschiedenen Seiten bestätigt; Pelte-
sohn empfiehlt es, die frische Coxa vara will er wie eine Schenkel¬
halsfraktur behandelt wissen. Frangenheim fürchtet allerdings
beim Redressement die Gefahr der Epiphysenlösung. Bei Coxa vara
trochanterica hält Drehmann die Methode nicht für geeignet, ebenso¬
wenig bei veralteten Fällen mit arthritischen Erscheinungen.
Für solche Fälle treten die blutigen Verfahren in Kraft; Helbing
empfiehlt in seinem Referate über Coxa vara am meisten die schräge
subtrochantere oder keilförmige Osteotomie nach Hoffa. Ich habe
bei Adoleszenten neben diesen Methoden mit besonderer Vorliebe
die plastische Treppenosteotomie v. Bayers (Prag) ausgeführt. Bei
kleinen Kindern mit hochgradigster Coxa vara, bei denen sich die
Fragmentstellung noch leicht beherrschen läßt, benutze ich nicht, wie
v. Bayer, einen frontalen, sondern einen sagittalen Treppenschnitt.
Die Osteotomien des Schenkelhalses in ihren verschiedenen Modifika¬
tionen sind in Deutschland, obwohl sie die Deformität in ihrem
Scheitelpunkt angreifen, aus verschiedenen Gründen verlassen, wurden
allerdings von Lauper wieder empfohlen, ln Italien ist die Scharnier¬
osteotomie von Codivilla an der Basis des Schenkelhalses offenbar
häufiger ausgeführt worden (Galeazzi).
b) Genu valgum. Zur mechanischen Behandlung seien zunächst
erwähnt die der nächtlichen Korrektur dienenden Lagerungs¬
apparate, die sog. Nachtschienen (z. B. die von Zülzer, Muskat).
Unter den portativen Schienen verdienen diejenigen den Vor¬
zug, bei welchen die Beugung des Kniegelenkes möglichst vollkommen
verhindert wird, da die Korrekturwirkung mit der Kniebeugung sofort
aufhört. Unter die zweckmäßigen Schienen rechne ich u. a. die Holz-
Gipsschiene von Kraus, die Heusnersehe und die bekannte BeeIy-
sehe Schiene, letztere besonders in der von Schanz modifizierten
Form. Natürlich können Genu valgum-Apparate auch in entsprechend
zugerichteter Form nach dem Typus der Ff e s s i n g - Apparate gegeben
werden.. Unter den Operationsmethoden des Genu valgum nimmt
die weitaus erste Stelle ein die suprakondyläre Osteotomie
nach Mc Ewen. Bei dieser Methode besteht bei älteren Kindern die
Gefahr der Dislokation des peripherischen Fragmentes nach hinten,
infolge des Zuges der Gastroknemii. Um diese Gefahr zu verringern,
führe ich den Meißelschnitt von vorne oben nach hinten unten. Aus
dem gleichen Grunde hat Röpke einen V-förmigen Meißelschnitt
angegeben, bei welchem die Spitze dieses V nach dem Knie zu ge¬
richtet ist. Die von Reiner und Spitzy verwendete Epiphysen¬
lösung, welche wir früher besprochen haben, kommt der Forderung
des Deformitätenausgleiches im Scheitelpunkte nach, sie deckt sich
bezüglich der Lokalisation des Eingriffes mit der für Erwachsene
durch v. Brunn angegebenen tränskondylären Osteotomie.
Gelegentlich kann das Genu valgum auch durch Osteotomie unterhalb
des Kniegelenkes korrigiert werden, aber nur selten befindet sich
hier der Hauptsitz der Deformität.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSITY
5. Mai 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
593
c) Genu varum. Die Schienen- und Apparatbehandlung des
Genu valguni kann mutatis mutandis auch auf das Genu varum über¬
tragen werden. So hat Pfeiffer die Beelysche Valgumschiene
für das Genu varum abgeändert. Zweckmäßig ist die Schanzsche
Nachtschiene. Gelegentlich kann die operative Korrektur des Genu
varum auch oberhalb des Kniegelenkes vorgenommen werden, in der
Regel aber hat sie unterhalb des letzteren zu erfolgen, indem hier
der Scheitelpunkt der Krümmung zu liegen pflegt. Die gebräuchlichste
Operation ist die infrakondyläre Osteotomie nach Schede,
bei welcher man zweckmäßig, wie oben gesagt, die Fibula, etwas
tiefer durchtrennt als die Tibia. Perthes hat kürzlich empfohlen,
mittels der Bohrlöchermethode Königs eine bogenförmige Osteo¬
tomie der Tibia auszuführen; dabei muß die Konkavität des Bogens
nach dem Knie zu gerichtet sein, widrigenfalls bei der Korrektur
Dislokation nach der Seite auftritt. Hueck begründet und empfiehlt
das Vorgehen Hülsmanns, welches darin besteht, daß, nach Durch-
meißelung der Tibia dicht unterhalb der Tuberositas und nach Resek-
Sektion der Fibula von 1—1,5 cm Länge aus ihrer Mitte, durch eine
starke laterale Bewegung des Unterschenkels das Ligam. interosseum
zwischen Tibia und Fibula im oberen Bereiche eingerissen wird,
worauf jeder Widerstand behoben ist und die Fragmente der Fibula
sich von selbst in eine Achse stellen.
d) Diaphysenverkrümmungen. Während die bogigen und
winkligen Verbiegungen des Oberschenkels, auch im Erweichungs¬
stadium, einer mechanischen Einwirkung weniger zugänglich sind,
für diese, soweit sie nicht der Möglichkeit einer SelbstheiTung über¬
lassen werden, also die Osteoklase, häufiger wohl die Osteotomie oder
Keilresektion in Betracht kommen, sind die Krümmungen des Unter¬
schenkels seit je das Lieblingsfeld der konservativen Behandlung mit
Schienen. Von letzteren nenne ich die Gips-Holzschiene von Kraus.
Diese besteht aus einem Holzstab, der oben mit einem keilförmigen
Filzkissen versehen, unten durch ein Scharnier mit einem kurzen,
filzgepolsterten Holzstabe verbunden ist. Die Schiene wird aut der
Innenseite des vorher eingewickelten Unterschenkels durch Gipsbinden
fixiert, durch deren Zug gegen diese Schiene gleichzeitig die Ver¬
krümmung korrigiert wird. Lange verwendet eine Zelluloid-Stahl-
drahtschiene für das Crus varum, die auf der Außenseite des Unter¬
schenkels angelegt wird.
An eingreifenderen Maßnahmen konkurrieren je nach dem Grade
der KnochenweiAheit Redressement, Osteoklase und Osteo¬
tomie, letztere in ihren Modifikationen, die wir erörtert haben.
Lindemann berichtet über die Resultate der Osteoklase, wie sie in
der Langeschen Klinik besonders zur Korrektur der rachitischen
O-Beine im Frühstadium angewandt wird. Sie wird maschinell durch
allmähliche Dehnung des Knochens bis über seine Elastizitätsgrenze,
bewirkt und scheint nach den Röntgenbildern fast stets nur mit einer
leichten Infraktion zu endigen. Nach v. Aberle sind die verhärteten
bogenförmigen Krümmungen besonders geeignet für die Osteoklase,
da es hier nicht allzusehr darauf ankomme, an welcher Stelle der
Knochen gebrochen werde. Bei stärkeren Verkrümmungen mit vorderer
Konvexität ist an die Knochendurchtrennung eine Verlängerung der
Achillessehne durch Tenotomie anzuschließen.
e) Rachitische Fußdeformitäten. Es kommt nur der Knick -
resp. Plattfuß in Betracht; dieser ist bei Rachitikem, ebenso, wie bei
der rein statischen Deformität, gewöhnlich mit Genu valgum, zuweilen
auch mit Genu varum kombiniert. Zur Behandlung dienen neben
Massage und Gymnastik fast ausschließlich mechanische Mittel, und
zwar Einlagen, zweckmäßiges Schuhwerk und Nacht-
schjenen. Bei der Herstellung der Einlagen, die ich für Kinder
nur mittels der Langeschen Zelluloid-Stahldrahttechnik machen lasse,
lege ich das Hauptgewicht auf die während des Abgußnehmens bereits
zu berücksichtigende Korrektur der Fersenvalgität. Da ein korrigierter
Knickfuß eine günstige Wirkung auf ein gleichzeitig vorhandenes Genu
valgum ausübt, begnüge ich mich bei allen leichteren Fällen dieser
häufigen Kombination lediglich mit der Verordnung von Einlagen. In
schwereren Fällen ist es gut, das Genu valgum vorher zu beseitigen,
da hierdurch wiederum der Knickfuß günstig beeinflußt wird.
Aus der Inneren Abteilung des evangelischen Krankenhauses
in Mülheim a. Ruhr.
lieber ikterische Hautschrift.
Von Priv.-Doz. Dr. Johannes Schürer.
Bei beginnender Gelbsucht kann man oft feststellen, daß der
Urin schon ausgesprochen ikterisch verfärbt ist, während an der
Haut und gelegentlich auch an den Skleren noch keine Spur von
Ikterus zu sehen ist. Besonders häufig beobachteten wir das bei
einer Epidemie von katarrhalischem Ikterus 1 ). Diese Erscheinung
läßt sich auf zweierlei Weise erklären. Erstens wäre es möglich,
daß der Gallenfarbstoff im Urin leichter sichtbar und leichter nach¬
weisbar ist als in der Haut. Zweitens könnte man daran denken,
daß die Nierengefäße für Gallenfarbstoff besser durchlässig sind
als die Hautkapularen. Auch eine spezifische, durch die sekretorische
Nierenfunktion bedingte Konzentrierung des Gallenfarbstoffs im Urin
müßte in Erwägung gezogen werden. Jedenfalls war der Gallen-
x ) Brugsch und Schürer, B. kl. W. 1919Nr. 26.
farbstoffgehalt des Urins bei einem Teil unserer Kranken schon bei
beginnender Gelbfärbung der Haut so intensiv, daß den Patienten
selbst die auffällig dunkel-bierbraune Verfärbung des Harns spontan
aufgefallen war. Die folgende Beobachtung spricht dafür, daß diese
Differenz in dem Gallenfarbstoffgehalt der Haut und des Urins
bei beginnender Gelbsucht tatsächlich durch eine verhältnismäßig
geringe Durchlässigkeit der Hautgefäße für Gallenfarbstoff zu er¬
klären ist.
Herr E. J., 53 Jahre, kommt mit der Angabe, ihm sei aufgefallen,
daß in der Haut gelbe Streifen zurückgeblieben seien, wenn er sich
gejuckt oder gekratzt habe. Er habe das zuerst am rechten Unter¬
arm gesehen, wo ihn ein leichtes Ekzem zum Kratzen veranlaßt
habe. Aber ganz die gleichen gelben Striche seien auch am
linken Unterarm beim Kratzen aufgetreten. Erst auf direktes Befragen
ibt der Kranke an, daß er seit etwa 14 Tagen fast täglich einen
rampfartigen Schmerzanfall in der Magengegend habe. Diese Schmerz-
anfällc sind meistens nachmittags aufgetreten und haben nie sehr
lange gedauert. Am Tage vorher seien die Schmerzen besonders
heftig gewesen.
Befund: Die Haut ist blaß ohne jede Spur von ikterischer Ver¬
färbung. An beiden Armen sieht man in der völlig intakten Haut
zahlreiche scharf begrenzte, nicht erhabene, hellgelbe
Streifen von etwa Vs cm Breite. Die Sklera des linken Auges ist
angedeutet gelblich gefärbt. Das rechte Auge fehlt infolge eines
Unfalls. Der Leib ist weich, in der Gallenblasengegend fühlt man
eine umschriebene, mit der Atmung verschiebliche Resistenz, die auf
Druck mäßig schmerzhaft ist. Keine reflektorische Muskelspannung.
Temperatur normal. Urin: klar, sauer, dunkelbraun mit gelblichem
Schüttelschaum. Jodprobe und Urobilinprobe positiv. Kein Eiweiß,
kein Zucker.
Wenn man die Haut unter mäßigem Druck mit dem Perkussions¬
hammerstiel oder dem Fingernagel bestreicht, so tritt zunächst ein
intensiv roter, stark erhabener Streifen mit blassem Rand auf (leb¬
hafter Dermographismus). Nach 2—3 Minuten verschwindet zunächst
die Rötung, und es bleibt dann ein stark erhabener, intensiv
gelber Streifen übrig, etwa von der Farbe eines dunkelgelben
Kanarienvogels. Nach 5—10 Minuten verschwindet auch die quaddel¬
artige Schwellung, und es bleibt nun in der glatten Haut ein lebhaft
elber Streifen zurück, der sich von der Umgebung auch auf weitere
ntfernung leuchtend gelb abhebt. Buchstaben, die mit dem
Fingernagel auf die Rückenhaut geschrieben wurden,
sahen mit ihrer intensiv safrangelben Farbe auf die
Entfernung eines großen Zimmers direkt wie die Sch ri ft
eines Plakats aus.
Diese äußerst eigentümliche Erscheinung erklärt sich bei unserem
Patienten zwanglos auf folgende Weise. Der Kranke litt an einer
Cholelithiasis mit beginnendem Ikterus. Außerdem bestand schon
von früher ein sehr lebhafter Dermographismus. Der Gallenfarbstoff
geht normalerweise nur relativ langsam durch die Hautgefäße hin¬
durch. Bei der akuten starken Erweiterung der Kapillaren, wie sie
bei der Dermographie stattfindet, kommt es zum beschleunigten Aus¬
tritt von Blutplasma, wodurch ja auch die quaddelartige Schwellung
entsteht. Bei der Resorption des Plasmas bleibt der Gallenfarbstoff
in der Haut liegen. Wir müssen also annehmen, daß der Gallenfarß*
stoff durch die akut maximal erweiterten Kapillaren leichter hin¬
durchgeht als bei normaler Zirkulation. Das steht in völliger Analogie
zu Tierversuchen, in denen sich zeigen läßt, daß rasche, starke Er¬
weiterung zur Stase mit Plasmaaustritt führt, der bei langsamer
Erweiterung fehlt. Bei derartiger akuter, experimentell erzeugter
Kapillarerweiterung gehen nach Krog und Harrop 1 ) Farbstoffe,
wie Vitalrot, durch die Kapillarwand hindurch, während sie sonsl
unter analogen Bedingungen zurückgehalten werden.
Eine Parallele zu unserem Fall bietet die Angabe von Stras-
burger 2 ), daß die urtikariellen Eruptionen bei der Weilschen Krank¬
heit stärker gelb gefärbt sind als die umgebende ikterische Haut.
Scharf zu trennen von diesen Beobachtungen ist das Vorkommen
eines latenten Ikterus. Der normale Bilirubingehalt des Blut¬
plasma beträgt nach Hymans van den Bergh 3 ) 0,3—0,5:200000.
Erst wenn die Bilirubinmenge etwa das lOfache des normalen Wertes
einige Zeit übersteigt, kommt es zur Entwicklung eines echten, sicht¬
baren Ikterus. Bei den dazwischenliegenden Werten kann man von
einer latenten Gelbsucht sprechen. Unsere Beobachtung illustriert,
was auch Hymans van den Bergh schon betont hat, daß die
zeitlichen Verhältnisse und die spezifische Durchlässigkeit der Gefäß-
endothelien neben der Konzentration des Bilirubins im Blutplasma
für das Sichtbarwerden des Ikterus eine erhebliche Rolle spielen.
Das Phänomen der ikterischen Hautschrift ist eine Folge
des Zusammentreffens eines lebhaften Dermographismus mit begin¬
nendem Ikterus. Es weist darauf hin, daß die Hautgefäße für den
Gallenfarbstoff bei normaler Zirkulation relativ schwer durchgängig
sind, während die akut maximal erweiterten Kapillaren das ikterisoie
Blutplasma schnell hindurchlassen. Die Tatsache, daß beim beginnen¬
den Ikterus der Urin oft früher stark ikterisch verfärbt ist als die
Haut, beruht nicht auf der noch zu geringen Konzentration des Gallen¬
farbstoffes im Blutplasma, sondern wahrscheinlich auf der relativ
geringen Durchgängigkeit der Hautkapillaren für Gallenfarbstoff.
x ) Cpt. rend. d. la soc. de biol. 1921,84, S 325. - *) D. Arch. f. klin. M. 1918,125, S. 123.
— s ) cit. n. Lepehne, Erg. d. Inn. M. 1921,20, S. 239.
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
594
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 18
Aus der Frauenklinik von Prof. A. Pinkuß in Berlin.
Zur Behandlung des Scheidenausflusses mit Levurinose.
Von Dr. Paal Steinweg, Assistenzarzt der Klinik.
Aus der großen Zahl der Behandlungsarten, die zur Behebung
des Scheidenausflusses angewandt bzvv. empfohlen werden, läßt sich
schön ersehen, daß wohl keine Behandlungsweise restlos befriedigte.
Die Ursache, weshalb so oft die eine oder andere Therapie versagt,
ist darin zu finden, daß häufig die 'Aetiologie nicht genügend berück¬
sichtigt wird. Gerade bei diesem so häufigen und die Frauen so
sehr quälenden Leiden rächt sich die kritiklose Anwendung einer
Therapie in allen Fällen. Die erste Forderung zum Zwecke der
richtigen Fluorbehandlung ist die genaue Eruierung des ätiologischen
Momentes. Ist diese Bedingung erfüllt, dann wird man bei all den
Fällen von Ausfluß, die z. B. durch genitale Lageveränderung, Er¬
krankung des Endometriums, konstitutionelle Störungen oder ovarielle
Dysfunktion bedingt sind, keinen dauernden Heilerfolg durch lokale
Scheidenbehandlung erwarten, sondern diese neben der Therapie
des Grundleidens höchstens zur Erzielung eines symptomatischen
Erfolges anwenden. Die Frage, ob Spülung oder Trockenbehandlung,
kann wohl weder in dem einen noch im andern Sinne kategorisch
entschieden werden. Es gibt eine Menge Fälle, in denen man mit
desinfizierenden oder adstringierenden Spülungen schnell eine Hei¬
lung erreicht. Viele andere Fälle wiederum trotzen dieser Behandlung,
während sie durch Trockenbehandlung allein oder kombiniert mit
Spülungen geheilt werden.
Ohne hier auf die verschiedenen Arten der Trockenbehandlung
näher einzugehen, haben wir an der Hand von zahlreichen Fällen,
die wegen Ausfluß zum allergrößten Teil poliklinisch von uns be¬
handelt wurden, den Wert der Trockenbehanalung mit Hefepräparaten
einer erneuten Nachprüfung unterzogen. Von Landau vor mehr als
20 Jahren zur Behandlung des weiblichen Fluors eingeführt, hat die
Hefebehandlung viele andere warme Fürsprecher gefunden, wenn
es auch Autoren gab, die keine besonders günstigen Resultate ver¬
zeichnen konnten. Auch in der hiesigen Klinik waren bereits
im Jahre 1904 Versuche mit einem Hefepräparat (Rheol) ge¬
macht und die Resultate von Cronbach (Zbl. f. Gyn. 1904
Nr. 45) veröffentlicht worden. Seine Ergebnisse waren in der Tat
keine gleichmäßig günstigen; mit Recht bezog Cronbach die
negativen Ergebnisse auf die verschiedenartige Aetiologie seiner
Fälle, auch erwartete er von einer Verbesserung des von ihm ver¬
wandten Hefepräparates günstigere Erfolge.
Bei unserer jetzigen Nachprüfung bedienten wir uns des von der
Firma Blaes & Co. zu Lindau hergestellten Hefepräparates Levuri¬
nose. Das ist eine durch kalten Luftstrom getrocknete Bierhefe, die
sich infolge dieses Verfahrens durch vollkommen intakte Hefezellen
und große Haltbarkeit von anderen Hefepräparaten auszeichnet und
daher eine besonders starke bakterizide Wirkung entfalten kann, was
von maßgebenden Autoren mehrfach festgestelFt wurde.
Bei unseren Fällen handelte es sich lediglich um Kolpitiden und
Erkrankungen an Fluor albus, die nicht gonorrhoischer Natur und
die durch keine anderweitigen Erkrankungen, vor allem auch
nicht durch Zervixkatarrh, kompliziert waren. Bei der Behandlung
gingen wir folgendermaßen vor: Im Milchglasspiegel wurde die Portio
eingestellt, diese sowie die ganze Vagina aurdi Wattetupfer von
dem anhaftenden Sekret gesäubert. Dann wurde etwa ein gehäufter
Teelöffel voll Levurinose in das Spekulum geschüttet, durch allmäh¬
liches Herausziehen desselben das Präparat über die ganze Scheide
verteilt und zum Verschluß ein Tampon vorne in die Vagina eingeführt.
Wir ließen die Patienten den Tampon nach 24 Stunden entfernen und
untersagten jegliche Scheidenspülung, um genau beurteilen zu können,
wie sitm der Heilerfolg bei reiner Levurinosebehandlung gestaltete.
Dabei mag betont werden, daß es sich sonst im allgemeinen in der
Praxis empfehlen dürfte, nach Herausnahme des Tampons jedesmal
eine Spülung mit einem indifferenten Mittel — z. B. Kamillenaufguß —
anzuwenden, um die Scheide von dem oft mit Sekret verbackenen
Pulver zu reinigen. Diese Behandlungsweise wandten wir je nach»
Art und Schwere des einzelnen Falles 2—3mal wöchentlich an und
verlängerten dann nach eingetretener Besserung das Intervall.
Mit dem Erfolge dieser Behandlung waren wir zumeist zufrieden.
In zahlreichen Fällen haben wir Heilung in relativ kurzer Zeit und,
wie wir weiter beobachten konnten, auch Dauerheilung erzielt. Irgend¬
welche lästigen Nebenerscheinungen oder gar Komplikationen von
dieser Behandlung Sahen wir nicht. Besonders augenscheinlich war
der Erfolg der Levurinosetherapie bei den stark purulenten Formen
der Vaginitis, die das Bild heftigster Entzündung boten: flammende
Röte — diffus oder in granulierender Form —, leicht blutend, mit
Gefühl starken Brennens. Bei diesen Fällen konnten wir fast nach
jedesmaliger Levurinosebehandlung einen Fortschritt zur Heilung fest¬
stellen. Zunächst blaßte die Scheidenschleimhaut immer mehr ab,
während der Ausfluß anfangs an Stärke wenig vermindert war, jedoch
dünnflüssiger und weniger eitrig wurde. Durchschnittlich waren diese
Fälle in 2—3 Wochen geheilt oder doch insoweit günstig beeinflußt,
daß alle subjektiven Beschwerden sowie die Entzündungserscheinungen
eschwunden waren und nur noch etwas weißlicher Ausfluß bestand,
er nach weiterer Levurinosebehandlung, evtl, kombiniert mit Scheiden-
snülung, schwand. Mikroskopisch beobachteten wir dabei, daß die
Vaginajflora, die anfangs durch starke Beimengung von Kokken
charakterisiert war, sich im Laufe der Hefebehandiung durch Ab¬
nahme der Kokken und Zunahme der Stäbchen der Normalflora
näherte. ; ; .,
Denselben günstigen Erfolg konnten wir auch bei mehreren
Fällen von Colpitis granulosa gravidarum beobachten. In diesen
Fällen schwand die übermäßige, die Patientin stark belästigende
Sekretion nach 2—3maliger Applikation, sodaß in wenigen Tagen die
granulierende Erscheinung beseitigt war und auch nach aussetzender
Therapie nicht wiederkehrte.
Ferner kamen Fälle von Fluor albus zur Behandlung, die an der
Vagina wenig oder gar keine sichtbaren Veränderungen aufwiesen,
bei denen außer vielleicht einer Rötung um den äußeren Mutter¬
mund auch sonst kein pathologischer Befund zu konstatieren war,
die also als einziges Symptom den Weißfluß und den durch diesen
an der Vulva verursachten Reiz darboten. Auch hier erzielten wir
in der größeren Zahl der Fälle prompte Heilung ohne Rezidiv.
Jedoch gab es auch einige Fälle darunter, bei denen der Aus¬
fluß bis auf einen geringen Rest geschwunden, ein völliges Ver¬
schwinden aber auch durch fortgesetzte Hefetherapie nicht zu er¬
reichen war. Setzten wir die Behandlung mit Levurinose aus und
ließen die Patientinnen adstringierende Spülungen machen, so kamen
wir auch hierdurch nicht weiter. Bei diesen wenigen Mißerfolgen,
die den sonst guten Resultaten gegenüberstehen, gehen wir wohl
nicht fehl in der Annahme, daß es sich hierbei um schwer beeinflu߬
bare Konstitutionsanomalien, wie Chlorose oder Ovariendysfunktion,
handelte. Solche Fälle trotzen ja oft jeglicher Therapie oder heilen
erst nach mehr oder weniger langer Zeit, sowie die Allgemein¬
behandlung die Konstitution bzw. Ovarienfunktion günstig beein¬
flußt hat.
In diesen Fällen soll ja die jüngst mehrfach empfohlene Bazillosan-
therapie besonders erfolgreich sein dadurch, daß diese auf die Vaginal¬
wand bzw. ihre Sekretionseigenschaft in biologischem Sinne günstig
einwirkt und so die Bedingungen für eine normale Scheidensekretion
herbeiführt. Wir haben ebenfalls in mehreren Fällen das Bazillosan
angewandt und können im allgemeinen seine günstige Beeinflussung
"bestätigen, wenngleich wir auch mehrfach Versager beobachtet haben.
Wir können auch solche von uns mit Levurinose behandelten Fälle,
in denen wir gute Erfolge erzielten, nur so erklären, daß auch die
Hefewirkung, abgesehen von ihrer bakteriologischen Wirkung, auf
die Vagina eine umstimmende Einwirkung auszuüben vermag.
Wenn also die Erfolge, die wir bei der strengen und begrenzten
Indikationsstellung zur Auswahl unserer Fälle mit der Levurinose¬
behandlung erreichten, so gute waren, so glauben wir eben, daß die
Fluorbehandlung mit geeigneten Hefepräparaten wegen ihrer relativ
schnellen und meist sicheren Wirkung sowie wegen ihrer einfachen
Applikationsweise bei verhältnismäßig geringen. Kosten gerade in
solchen Fällen, wo Spülungen versagen oder nicht indiziert sind,
durchaus empfehlenswert ist. Besonders wichtig will es uns erscheinen,
daß wir durch das angewandte Hefepräparat gerade die infektiösen
Entzündungsformen günstig beeinflussen können, bei denen ja oft
andere therapeutische Maßnahmen versagen.
Wir haben seit längerer Zeit Beobachtungen über den Einfluß
bzw. die Erfolge aller möglichen Behandlungsarten des Scheiden¬
flusses angestellt und setzen sie noch fort in der Absicht, später
eine eingehendere vergleichende Zusammenstellung zu veröffentlichen.
Wenn wir im Vorliegenden nur über die Resultate mit Hefetherapie
berichten, so geschah es, um diese Behandlungsart, welche scheinbar
etwas in Vergessenheit geraten ist, wieder gebührend hervorzuheben.
Ein neues Stethoskop zur Blutdruckmessung
nach Korotkow.
Von Dr. J. Bamberger in Bad Kissingen.
Die hohe Bedeutung, welche dem Blutdruck hinsichtlich Diagnose,
Prognose und Therapie zukommt, hat in den letzten Jahrzehnten bei
allen klinisch denkenden Aerzten bewirkt, daß der Riva Rocri-
Apparat ein unentbehrlicher Bestandteil des ärztlichen Instrumen¬
tariums geworden ist. Der Praktiker begnügt sich im allgemeinen
mit der Bestimmung des maximalen Druckes, und auch in Kranken¬
geschichten, die aus klinischen Instituten stammen,, liest man nur
selten etwas vom minimalen Drucke. Die Vernachlässigung des
diastolischen Blutdruckes rührt wohl in erster Linie daher, daß er
schwerer festzustellen ist als der systolische. „Die Werte des
diastolischen Druckes“, sagt Külbs in Mohr und^Staehelins Hand¬
buch, „haben praktisch nur sehr geringe Ergebnisse gezeigt“, doch
rührt dies vielleicht daher, daß die Klinik ihn zu stiefmütterlich
behandelt hat. Würde man in allen Fällen den diastolischen Blutdruck
ebenso häufig feststellen wie den systolischen, so wären vielleicht
unsere Kenntnisse über seine klinische Bedeutung viel weiter fort¬
geschritten.
Die wichtigsten Methoden der Blutdruckmessung sind die pal-
patorische, die auskultatorische und die oszillatorische. Alle drei
gestatten uns, sowohl den maximalen als auch den minimalen Blut¬
druck festzustellen; es würde jedoch zu weit führen, hier alle Me¬
thoden und ihre Unterarten erschöpfend zu behandeln. Nur auf die
auskultatorische sei etwas näher eingegangen. Sie stammt von dem
Russen Korotkow und bietet für das Ohr folgende physikalische
Erscheinungen. Bläst man die Manschette ungefähr bis zum Drucke
von 60—70 mm Hg auf und auskultiert die Arteria cubitalis, so
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNÜVERSrrf
5. Mai 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
595
hört man plötzlich einen lauten, paukenden Ton, dem einige Zeit
voitier schon ein feiner, leiserer Ton vorausgegangen ist. Mit dem
Erscheinen dieses Tones ist der Moment eingetreten, in dem während
der Diastole des Herzens durch das komprimierte Arterienstück
kein Blut mehr durchgepreßt wird, die Arterie also durch den äußeren
Druck geschlossen ist. Mit dem Auftreten des paukendes Tones
liest man den Manometerstand ab und erhält den Wert des diastoli¬
schen oder minimalen Druckes. Mit zunehmendem Drucke ist auch
die Systole nicht mehr in der Lage, Blut durch die komprimierte
Arterie hindurchzupressen, der systolische oder maximale Druck ist
erreicht, und der Ton verschwindet. Der erste Ton wird also von der
ersten Pultwelle erzeugt, welche die eben komprimierte Arterie durch¬
fließt, und der letzte von der Welle, welche die komprimierte Arterie
zuletzt passiert «hat. Auskultiert man vom hohen zum niedrigen
Blutdruck, nachdem man die Manschette über den Maximaldruck
aufgeblasen hat, kann man die Tonskala besser verfolgen; man hört
zuerst leise Töne (I. Phase), dann laute, manchmal von Geräuschen
begleitet (II. Phase), dann ganz laute (III. Phase) und zuletzt einige
ganz leise Töne (IV. Phase).
Von allen subjektiven Methoden der Blutdruckmessung scheint
die akustische noch die genaueste zu sein. Die Mangelhaftigkeit
des palpatorischen Weges geht schon daraus hervor, daß wir den
maximalen Blutdruck durch das Gefühl besser feststellen können,
wenn wir einen Ueberdruck erzeugen und beim Nachlassen des
Druckes das Wiederauftreten des Pulses beobachten, als wenn wir
bei ansteigendem Druck sein Verschwinden im Auge behalten. Sehr
kleine Pulsschläge können dem Gefühl überhaupt leicht ent¬
gehen, zumal bei einer fettreichen Haut, bei tiefliegender oder
abnorm verlaufender Arterie. Und je länger wir uns in einem
schwierigen Falle abmühen, desto leichter ermüdet das Gefühl. Noch
größer sind die Schwierigkeiten in subjektiver und objektiver Hin¬
sicht beim diastolischen Blutdruck. Der Umstand, daß der akustisch
ermittelte Maximaldruck 5—10 mm höher liegt als der palpatorisch
festgestellte und der Minimaldruck um 5—10 mm nach beiden Rich¬
tungen abweichen kann, zeugt eigentlich — wenigstens für zwei
von drei gegebenen Möglichkeiten — für die Ueberlegenheit des
Gehörs über das Gefühl. Die oszillatorische Methode erfordert eine
sehr teuere Apparatur und hat den Nachteil, daß eine gewisse Will¬
kür in der Bestimmung des Augenblickes liegt, in welchem die
Oszillationen größer oder kleiner werden. Dagegen braucht man
zur Bestimmung des Blutdrucks mit dem neuen Stethoskop nur ein
esundes Ohr zu haben, um den Blutdruck mit mathematischer
icherheit festzustellen. Eine Ausnahme gibt es, welche die aus¬
kultatorische Blutdruckbestimmung nicht zuläßt, nämlich die Aorten¬
insuffizienz, weil bei ihr in den peripherischeu Arterien spontane
Töne zu hören sind.
Nun war bisher die auskultatorische Messung mit dem ge¬
wöhnlichen Stethoskop sehr unbequem, weil man bei aufliegendem
Ohr kaum selbst in der Lage ist, den Manometerstand abzulesen, und
auch mit dem Schlauchstethoskop schwierig, weil es mit der einen
Hand auf der Haut gehalten werden muß und Verschiebungen auf
der Haut störende Nebengeräusche verursachen. Diesen Uebelständen
hilft das neue Stethoskop mit einem Schlage ab. Es wird, nachdem
man die Schläuche in den Ohren befestigt hat, zwischen Manschette
und Haut eingeschoben, sodaß di* Hand es nicht über der Arterie
zu halten braucht. Während die eine Hand das Gebläse bedient,
kann die andere den Blutdruck an der Radialis feststellen, sodaß man
die auskultatorische und palpatorische Methode gleichzeitig an¬
wenden und die gefundenen Werte miteinander vergleichen kann.
Bei Gebrauch des v. Recklinghausenschen Tonometers oder des
Modells von Bott und Walla kann man sogar auch den oszillatori-
schen Wert in einem Zuge ermitteln.
Der Bau dieses Stethoskopes weicht wesentlich von dem des
gewöhnlichen Schlauchstethoskopes ab. Es besteht aus einer runden
Metallkapsel von 5 cm Durchmesser und 0,7 cm äußerer Höhe. Im
Innern der Kapsel ist die Seitenwand ringsherum 2 mm von oben
ausgefräst. Auf diesem Widerlager liegt eine kreisrunde Scheibe
aus dünnem Kupferblech, die von dem eingeschraubten, mit einem
runden Fenster versehenen Deckel festgehalten wird. Die Membran
liegt vertieft, damit sie durch komprimierte Haut des Armes nicht
eingebeult werden kann. Durch die Seitenwand des Stethoskopes geht
eine Bohrung zur Aufnahme eines gabelförmig sich verzweigenden
Röhrchens, an welchem die Schläuche befestigt werden 1 ).
Was nun den Ort betrifft, wo das Stethoskop eingesthoben werden
soll, so muß auf diesen Punkt etwas ausführlidier eingegangen
werden. Ehret 2 ) gibt an, daß über der Arterie, soweit sie unter¬
halb der Manschette liegt, gerade wie oberhalb dieser Stelle, die
Töne nicht oder nur sehr leise zu hören seien. Das Punctum maximum
liege 2—3 cm unterhalb des unteren Manschettenrandes. Von da
abwärts nähmen die Töne ab und seien gewöhnlich bis zur Mitte
des Vorderarmes, manchmal auch noch leise über der Radialis zu
hören. Diese Angabe Ehrets stimmt, wenn man die Töne mit dem
auf die Manschette aufgesetzten Stethoskop zu hören versucht, nicht
aber, wenn man es nach meiner Methode zwischen Manschette
*) Die große Luftkammer im inneren des Stethoskopes scheint die Schallwellen
außerordentlich gut zu leiten, man hört mit diesem Modell Herztöne und Atemgeräusch
viel scharfer als mit dem gewöhnlichen Membran-Stethoskop. Vielleicht werden
die Töne deswegen besser gehört, weil zwischen Haut und Menschen sich auch eine
Luftkammer befindet. — •) Ehret, Ueber Blutdruck und dessen auskultatorische Be¬
stimmungsmethode. M. tn. W. 1012 Nr. 19.
und Haut einschiebt, v. Recklinghausen 1 ) glaubt die Erklärung
für das Entstehen der Töne darin zu finden, daß der peripherische
Teil der komprimierten Arterie sich leergepreßt hat und daß die
in leere Arterie einschießende neue systolische Welle den Ton er¬
zeugt. Diese Angabe wird von de Vries Reilingh bezweifelt.
Dieser Autor glaubt nicht, daß die Arterie solange abgeschlossen
bleibt, um sich .ihres Inhaltes zu entledigen, daß aber selbst bei voll- •
ständiger Entleerung durch Wirbelströme eher ein Geräusch als ein
Ton zu erwarten sei. Die bei jeder Blutdruckmessung eintretende
venöse Stauung verhindere, daß die Arterie sich leerpressen könne.
Er nimmt vielmehr an, daß die Blutsäule peripherisch von der kom¬
primierten Arterie bei erreichtem diastolischen Druck stillsteht. Wenn
nun gegen diese ruhende Blutsäule die folgende Systole eine neue
Blutwelle wirft, so könnte durch den Anprall ein Ton entstehen.
Diese Erklärung birgt viel Wahrscheinliches in sich, doch glaube
ich, daß man bisher ein Moment außerachtgelassen hat, welches für
die Entstehung eines Tones von Bedeutung ist. Wenn nämlich bei
eben erreichtem Minimaldruck das unter der Manschette liegende
Arterienrohr in 12 cm Länge — Breite der v. Recklinghausen¬
schen Binde — geschlossen ist und die nächste Systole durch die
aneinanderliegenden Arterienwände plötzlich eine blutsäule durch-
spritzt, so entsteht wohl auch durch diesen Vorgang ein akustisches
Phänomen. Daß dies tatsächlich der Fall ist, läßt sich durch das
neue Stethoskop beweisen. Legt man es unter die Manschette auf
die Arterie brachialis so, daß seine Peripherie gerade noch am
unteren Manschettenrand sichtbar ist, und komprimiert die Arteria
brachialis dicht peripherisch vom Stethoskop, so hört man trotzdem
einen leisen Ton zu Beginn des Minimaldru^kes, wenn auch von
geringerer Intensität als des über der Art. cubitalis hörbaren Tones.
Immerhin wird man nicht fehlgehen in der Annahme, daß dieser
Ton sich mit dem Kubitalton vereinigt, und ich glaube daher, daß
mit dem Auftreten des ersten leisen Tones und nicht des ersten
paukenden Tones der Wert des diastolischen Druckes abgelesen
werden muß. Wenn es auch möglich ist, den diastolischen Blutdruck
direkt über der Art. brachialis festzustellen, so empfiehlt es sich
doch auf Grund dieser Ueberlegungen, das Stethoskop in der Nähe
der Arteria cubitalis unterzubringen, sodaß es ungefähr am unteren
medialen Rande des Bizeps, an seinem Uebergang in die Sehne«
liegt. Es gelingt übrigens auch, den Blutdruck auskultatorisch an y
der Radialis festzustellen, wenn man das Stethoskop etwas oberhalb
der Stelle anbringt, wo man den Radialpuls fühlt. Auch ist es bei
der Messung des minimalen Druckes mit dem neuen Stethoskop
durchaus nicht nötig, die Manschette genau um die Mitte des Ober-
armes zu legen, da sie, zu tief angebracht, sonst mit ihrem harten *
Rand bei Beugung des Armes die Arterie abklemmen könnte (Ehret).
Selbst bei maximaler Beugung des Armes werden nach meiner Me¬
thode die akustischen Phänomene des Korotkow nicht gestört. Auch
die venöse Stauung scheint auf ihren Ablauf keinen Einfluß zu haben.
In einem Selbstversuch ließ ich die Binde bei einem Druck von
60—100 fast volle 5 Minuten liegen, und trotz der starken Stauung
konnte ich keine Aenderung im Ausmaß und in der Stärke der Töne
beobachten *).
Zum Schlüsse mag es auch ausgesprochen werden, obwohl dieser
Versuch es schon zeigt, daß man mit dem neuen Stethoskop seinen
eigenen Blutdruck auf auskultatorischem Wege bestimmen kann.
Das Stethoskop, wird voh der Firma B. Braun in Melsungen'hergestellt.
Aus dem Institut für Strahlen- und Elektrotherapie in Hamburg.
Zur Frage der Röntgenschädigungen.
Von Dr. S. Miller.
Die Antwort, die Liek in Nr.6 auf die Ausführung Kurtzahns
über Tod nach Röntgenverbrennung gibt, geht meines Erachtens an
den Hauptfragen vorbei. Diese Ausführungen sind geeignet, bei nicht
ganz mit der Materie vertrauten Lesern Mißverständnisse hervorzu¬
rufen. Es handelt sich doch darum, daß in den 3 Fällen Lieks
starke Röntgenverbrennungen aufgetreten sind, die in einem Falle so¬
gar zu Tode geführt haben, und ob diese Schädigungen der Methode
der Röntgentiefenbehandlung an sich zur Last gelegt werden können
oder nicht. Im ersten Falle hat Liek ja zugegeben, daß eine Ueber-
dosierung stattgefunden hat. Die Angaben L i e k s in Fall 2 sind
nicht ganz klar. Am 9.1.1920 wird von drei Stellen aus der ganze
Bauch mit 180 F. bestrahlt und die gleiche Bestrahlung nach 14 Tagen
wiederholt. Am 3. und 17. II. 1920 wird die obere Baudigegend wieder
bestrahlt. Wann trat das in der Krankengeschichte erwähnte erheb¬
liche Früherythem auf, das nach 10—14 Tagen zu einer dunkelbraunen
Verfärbung der Haut führte?
In Fall 3, der tödlich verlief, gibt Liek an, daß jeder Punktion
eine Röntgenbestrahlung folgte, und zwar 4 Bauchfelder bei Fokus-
Hautabstand 20 cm, Filter 3 AI., Strahlenmenge für je ein Feld 180 F.
Es kam, abgesehen von tiefer Bräunung der Haut, zu oberflächlichen
Verbrennungen, und trotzdem wurde das nächste Mal in gleicher Weise
*) Zitiert nach de Vries Reilingh, Die Blutdruckmessung/München 1918- —
*) Anmerkung bei der Korrektur: Zu dem glichen Resultat hinsiatitlich des ne¬
gativen Einflusses der venösen Stauung auf den Minimaldruck kommt auch Peiler in
seiner Arbeit, Zur Theorie des arter. Minimaldruckes und dessen Bestimmung (W. Arch.
f. inn. M. 1922, 3).
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
506
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 18
weiter bestrahlt, nur wurde die Nabelgegend, auf der einige recht
schmerzhafte Blasen und Schorfbildungen waren, mit einer Bleiplatte
abgedeckt. Die letzten Bestrahlungen fanden unter 3 Al. mit Coolidge-
Röhre statt. Vier Wochen später traten starke Verbrennungserschei-
nungen auf. Ich möchte hierzu nur noch bemerken, daß es sich nach
unseren Erfahrungen bei der Coolidge-Röhre um ein komplexes
* Strahlengemisch mit starker weicher Komponente handelt und daß
gerade hierbei starke Filterung mit Zn 0,5 zur Vermeidung der Ver¬
brennungen nötig ist.
Aus den Angaben, die Liek zu diesen drei Fällen macht, ist
nicht mit Sicherheit zu sagen, daß es sich hier um Patienten mit
überempfindlicher Haut handelt. Es muß trotz der Eüiwendungen
Lieks darauf hingewiesen werden, daß bei normal durchbluteter
Haut nach den Erfahrungen fast aller Röntgenologen Schwankungen
der Röntgenempfindlichkeit nur bis allerhöcnstens 20°/o Vorkommen.
Wenn Liek meint, daß, ebenso wie bei Nephritis, Syphilis usw.,
so auch bei den von ihm behandelten Fällen durch die Grundkrank¬
heit eine erhöhte Radiosensibilität der Haut bestehen könnte, so
sprechen die Erfahrungen aller Röntgenologen dagegen. Es sind
hier eben, bis auf ganz seltene Fälle, die Erkrankungen bekannt, bei
denen eine Ueberempfindlichkeit der Haut zu verzeichnen ist Ich
möchte u. a. wohl noch Morbus Basedowii erwähnen. In Fall 2 hat
infolge der Operation nachweislich narbig veränderte Haut Vorgelegen,
da hätte man bei der Dosierung Rücksicht auf diesen Zustand nehmen
können, wenn Liek, ebenso wie wir selbst und andere, durch die
Erfahrung wußte, daß eine derartig veränderte Haut besonders emp¬
findlich sei.
Doch ich möch% nicht auf alle Einzelheiten eingehen. Der
Hauptzweck meiner Ausführungen ist vor allem, dem Gedanken
entgegenzutreten, den Liek am Schluß seines Artikels in D. m. W.
Nr. 6 geäußert hat. Er behauptet, daß auch in geordneten und sach¬
verständig geleiteten Betrieben die Zahl* der Röntgen Verbrennungen
erschreckend groß sei, und will dies gewissermaßen der Methode an
sich zur Last legen. Dieser Ansicht kann auf keinen Fall zugestimmt
werden. Es kann ruhig zugegeben werden, daß in jedem größeren
Betriebe ab und zu Röntgenschädigungen Vorkommen, es werden auch
nicht alle Röntgenschädigungen publiziert, und ich glaube bestimmt,
daß der Vorschlag Lieks, eine umfassende Statistik aller Schädi¬
gungen aufzustellen, der im übrigen zu begrüßen ist, ihn eines besseren
belehren wird, daß nämlich die Zahl der Röntgenschädigungen in
einem gut geleiteten Betriebe nicht so groß ist, wie Liek annimmt.
Vor allem glaube ich, daß die Hautschädigungen in einem gut ge-
m leiteten Betriebe zu den größten Seltenheiten gehören müssen. Etwas
* anderes ist das Auftreten der Darm- und Blasenschädigungen, über
die die Akten, wie die Veröffentlichung Müllers und Fischers
in dem letzten Hefte „Strahlentherapie“ beweist, noch nicht abge¬
schlossen sind.
Hier ist noch vielerlei aufzuklären. Hinsichtlich der Haut möchte
ich hervorheben, daß nach unseren Erfahrungen die biologische
Eichung der Apparatur sowie jeder Röhre in der weitaus größten
Mehrzahl der Fälle genügen wird, um Schädigungen zu vermeiden.
Wenn man nur ein Fürstenaudosimeter zur Verfügung hat, so
darf dieses nur zur Kontrolle ein und derselben Apparatur bzw. Röhre
benutzt werden, um bei gleicher Einstellung eventuelle Veränderungen
der elektrischen Verhältnisse zu erkennen. Sonst ist aber möglichst
bei jedem neuen Rohr eine biologische Eichung auszuführen und
eine genaue Bestimmung der H.E.D. Auch ist zur Beurteilung der
Strahlenqualität die Bestimmung der prozentualen Tiefendosis am
Wasserphantom erforderlich.
Auf die Frage, ob man bei Tumorenbehandlung den Vorschlägen
von Seitz und Wintz folgen soll, oder ob man, wie Anschutz
z. B., bei Mammakarzinom mit den mittleren Dosen bessere Resultate
erzielt, bzw. mit Röntgenreizdosen, wie Manfred Fränkel und
Stephan usw., vorgenen soll, scheidet meines Erachtens bei der
Beurteilung dieser Frage vollkommen aus.
Was ieststeht, ist, daß bei genügender Beaufsichtigung des
Personals und bei genauer Einstellung und Eichung jeder Röhre und
Beobachtung jeder kleinsten Schwankung der ganzen Apparatur heute
eine Schädigung wohl so gut wie sicher zu vermeiden ist. Ein Früh¬
erythem oder eine tiefbraune Färbung des Bestrahlungsfeldes muß
zur Vorsicht bei der weiteren Bestrahlung mahnen, wie dies auch
Wette rer in Bd. 10 der „Strahlentherapie“ mehrmals ausdrücklich
ausgesprochen hat.
Die Gefahren der Röntgentherapie müssen gekannt und beachtet
werden, sie sind aber nicht derart, daß sie nicht in der weitaus
größten Mehrzahl der Fälle zu vermeiden wären.
Chirurgische Ratschläge für den Praktiker.
Von G. Ledderhose in München.
XVII.
Erkrankungen des Brustfells.
Erfahrungsgemäß bleiben pleuritische Ergüsse nicht selten
unerkannt, sobald ihre, physikalischen Eigenschaften wesentliche Ab¬
weichungen von dem regelmäßigen Verhalten zeigen. Dieses besteht
bekanntlich darin, daß die erkrankte Brustseite erweitert ist und ver¬
minderte Atmungsexkursion aufweist, daß die obere Grenze des Er¬
gusses von hinten oben nach vorn seitlich verläuft, daß im Bereich
seiner Ausdehnung der Klopfschall gedämpft (leise), die Resistenz
vermehrt, das Atemgeräusch und der Stimmfremitus abgeschwächt
sind, während sich oberhalb des Exsudates als Zeichen der Lungen¬
kompression tympanitischer Schall und Bronchialatmen finden. Dazu
kommen pleuritische Reibegeräusche, die allerdings vorwiegend bei
trockener Pleuritis (zusammen mit Schonung der betreffenden Seite
bei der Atmung, verminderter respiratorischer Verschieblichkeit des
unteren Lungenrandes und leichter Abschwächung des Klopfschalles)
auftreten. Sie werden im Zweifelsfalle dadurch von Rasselgeräuschen
unterschieden, daß sie nach Hustenstößen nicht verschwinden. Dia¬
gnostische Schwierigkeiten ergeben sich namentlich dann, wenn die
Ausbreitung des Exsudates durch Verwachsung der Lunge mit der
Brustwand bestimmt wird und Abkapselung stattfindet. If]fbesondere
werden umschriebene Empyeme in ungewöhnlicher Lage
(axillar, vorn oben oder interlobär) nicht selten übersehen. Für
linkseitige Ergüsse ist die Feststellung gedämpften Schalles anstelle
der etwa handbreiten Zone tympanitischen Schalles (Magen, Dick¬
darm) oberhalb des linken Rippenbogens (halbmondförmiger Raum)
besonders bezeichnend. Hämorrhagisches pleuritisches Exsudat
begründet, falls traumatische Ursachen auszuschließen sind, den Ver¬
dacht maligner Neubildung und wird in diesem Sinn am häufigsten
bei vorgeschrittenem Mammakarzinom beobachtet. Es kann die Ab¬
grenzung zwischen chronischer Infiltration der Lunge und pleuritischem
Erguß schwierig sein; ebenso sind bei dünnem, flächenhaftem Ex¬
sudat die physikalischen Symptome nicht immer klar ausgesprochen.
Daß endlich in den Pleuraraum eingedrungene Luft, also der
Pneumothorax, die Zeichen des gleichzeitigen Ergusses bis zur
Unkenntlichkeit zu verwischen vermag, ist ohne weiteres verständlich.
Man würde das zu späte Erkennen oder das Verkennen intra¬
pleuraler Flüssigkeitsansammlung weniger häufig zu bedauern haben,
wenn bei den Praktikern allgemein die Ueberzeugung sich durch¬
gesetzt hätte, daß die Probepunktion eines der wichtigsten und
unentbehrlichsten diagnostischen Hilfsmittel darstellt, das jederzeit in
Bereitschaft sein sollte. Die wissenschaftliche Offenheit verlangt, daß
auch die mit diesem Verfahren erlebten Schädigungen und Unglücks¬
fälle veröffentlicht werden. So besteht die Möglichkeit, bei nicht
streng aseptischem Vorgehen die Pleura zu infizieren; anderseits ist
die gleiche Gefahr gegeben bei Punktion einer subphrenischen Eite¬
rung (durch den Sinus pleurae) oder eines infektiösen Lungenherdes.
Das Anstechen der Lunge läßt sich bekanntlich, zumal wenn ein ver¬
mutetes kleines oder ein abgekapseltes Exsudat gesucht werden soll,
nicht vermeiden. Wenn dies auch fast stets ohne Schaden abgeht,
so ist doch auch mehrfach bei älteren Personen mit ungünstigem All¬
gemeinbefinden und Gefäßsklerose Erstickung durch Lungenblutung
beobachtet worden. Die gefährliche Verletzung der Mammaria interna
ist streng zu vermeiden, und die Interkostalarterie in ihrer ge¬
schützten Lage am unteren Rippenrand kann nicht getroffen werden,
wenn man sich beim Einstechen an den oberen Rippenrand hält Im
ganzen läßt sich sagen, daß die Gefahren der Probepunktion des
Thorax bei überlegtem Vorgehen fast sicher vermieden werden und
daß sie keinesfalls das Unterlassen des im einzelnen Fall als not¬
wendig erkannten kleinen Eingriffs begründen können. Die Pünk-
tionsnadeln müssen eine Länge von 6 bis 10 cm haben, damit
sie auch durch dicke äußere Weicnteile und Pleuraschwarten die ge¬
suchte Flüssigkeit erreichen. Die Nadel soll nach dem Stich durch
die mit Aethylchlorid anästhesierte Haut langsam tastend, unter
stetigem Anziehen des Spritzenstempels vorgeschoben und in der
gleichen Weise zurückgezogen werden.
Die Anschauungen über Aetiologie und Prognose der
serösen Pleuritis haben sich in neuerer Zeit wesentliai geändert,
indem offenbar der weitaus größte Teil dieser Erkrankung, zumal
wenn langsame und schleichende Entwicklung erfolgte, tuber¬
kulöser Natur ist, was schon daraus ziemlich bestimmt entnommen
werden kann, daß sich das Exsudat gegenüber den gewöhnlichen
Nährböden als steril erweist. Anders zu beurteilen sind die Fälle
von seröser Pleuritis, welche nach Trauma oder im Anschluß an
akut entzündliche Prozesse der Lunge entstanden sind. Große dia¬
gnostische Bedeutung haben Erscheinungen von trockener oder ex¬
sudativer Pleuritis, die durch subphrenische oder paranephritische Eite¬
rung bedingt sind und weiter ausblickend aut Erkrankungen der
Leber, des Wurmfortsatzes, des Magens und der Nieren hinweisen
(Pleuritis diaphragmatica). Auch bei zahlreichen anderen infektiösen
Prozessen vermag der Nachweis umschriebener trockener Pleuritis
oder eines zunächst geringen pleuritischen Ergusses die Diagnose
infektiöser Lungenembolie und damit die Annahme ernster
Allgemeininfektion zu begründen, auch wenn die bezeichnenden Sym¬
ptome der Embolie: plötzlicher Seitenschmerz, Dyspnoe, Hustenreiz
mit blutigem Auswurf, nicht beobachtet wurden.
Die entleerende Punktion seröser Pleuritiden sucht man im
akut entzündlichen Stadium zu vermeiden, wenn sie nicht durch be¬
drohliche Verdrängungserscheinungen von seiten der Brustorgane ge¬
fordert wird. Läßt im weiteren Verlauf die Resorption des Exsudates
zu lange auf sich warten, sodaß zu befürchten ist, daß die Fähigkeit
der komprimierten Lunge, sich wiederauszudehnen, mehr und mehr
schwindet, dann ist die Punktion angezeigt. Bei heruntergekommenen
Kranken, oder wenn infolge großen Ergusses die Gleichgewichts-
Verhältnisse der Brustorgane ernstlich gestört sind, läßt sich dem
Eintritt des Kollapses bei der Punktion dadurch Vorbeugen, daß man
sie in liegender oder halbsitzender Stellung mit gut gestütztem Rücken
ausführt; bei unruhigen und ängstlichen Kranken empfiehlt es sich,
eine Morphiumeinspntzung vorauszuschicken. Man wählt am besten
zum Einstich, wenn die Begrenzung des Exsudates keine andere Stelle
Digitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
5. Mai 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
597
vorschreibt, den 5. bis 7. Interkostalraum im Bereich der hinteren
Axillarlinie. Die Haut wird vorher durch 0,5o/oiges Novokain mit
Adrenalin infiltriert. Bei dicker Haut und dicker weichteilschicht er¬
leichtert ein kleiner Einschnitt die Punktion. Man verwendet die mit
einem längeren Schlauch verbundene, einfache, hinreichend weite
Hohlnadel. Der Schlauch taucht in ein mit steriler Flüssigkeit ge¬
fülltes Gefäß ein, das zur Entfaltung der Heberwirkung entsprechend
tief aufgestellt ist. Oder es wird ein Trokar benutzt mit seitlichem
Ansatz für den ableitenden Schlauch und mit einem Hahn, der nach
Zurückziehen des Stilets den Abschluß des Trokars nach außen ge¬
stattet. War die Aufsaugung des pleuritischen Ergusses dadurch ver¬
zögert oder gehemmt worden, daß die Flüssigkeit unter zu hohem
Druck stand, so genügt zuweilen das Ablassen von 200 bis 300 ccm
oder von nur geringen Mengen, um schnelle, vollständige Aufsaugung
des Restes einzuleiten. Im allgemeinen entleert man Vs bis 3 / 4 Liter
und unterbricht, wenn stärkerer Hustenreiz auftritt; 1 Vs Liter gelten
als die größte zulässige Menge. Es machen sich neuerdings Be¬
strebungen geltend, auch bei nicht tuberkulöser Pleuritis das mittels
Punktion entleerte Exsudat durch eingeblasenes Gas zu ersetzen.
Steigt der Erguß nach der “Punktion wieder an, so kann erneute oder
mehrfache Entleerung notwendig- werden. Eine besondere Stellung
nimmt bezüglich der Behandlung die tuberkulöse Pleuritis ein.
Während es bis in die letzte Zeit als Regel galt, ihr gegenüber mög¬
lichst zurückhaltend zu bleiben und nur bei ernsten Störungen in¬
folge großen Exsudates die entlastende Punktion vorzunehmen, wird
neuerdings empfohlen, frühzeitig zu punktieren und Luft oder
Stickstoff nachzufülfen. Man schafft auf diese Weise dem
künstlichen Pneumothorax zur Behandlung der Lungenphthise analoge
Verhältnisse und hat auch entsprechend günstige Erfolge erzielt.
Abgesehen von den offenen, infizierten Verletzungen der Brust¬
höhle ist bekanntlich besonders häufig bei kruppöser und Broncho¬
pneumonie Gelegenheit zur Entstehung von Empyem gegeben. In
f roßer Anzahl kamen postpneumonische Empyeme bei der großen
nfluenzaepidemie zur Beobachtung, meist hervorgerufen durch
Infektion der Pleura von seiten hochvirulenter, verflüssigter Strepto¬
kokkenherde der Lungenoberfläche und ausgezeichnet durch unge¬
wöhnlich schnellen Verlauf sowie zweifelhafte Prognose. Dann ist
zu erinnern an Empyeme, die auf Fremdkörpern, welche durch die
Brustwand oder die Atmungswege eingedrungen sind, ferner auf Fort¬
leitung oder Durchbruch im Anschluß an Abszesse und Gangränherde
der Lunge sowie an subphrenische Eiteransammlung oder Oesophagus-
krebs beruhen. Die während des floriden Stadiums der lobären Lungen¬
entzündung auftretenden sogenannten parapneumonischen Em¬
pyeme sind dadurch praktisch wichtig, daß sie nur geringen Um¬
fang zu erreichen und spontan zur Heilung zu kommen pflegen. Eine
besondere Stellung in diognostischer und prognostischer Richtung
nehmen die auf embolisch-metastatischem Wege bei den
verschiedenen Formen der lokalen und allgemeinen septischen Infek¬
tion zustandekommenden Empyeme ein, die entweder aus den oben
besprochenen, auf gleicher Ursache beruhenden serösen Ergüssen
hervorgehen oder als Eiteransammlung beginnen. Solche Empyeme
sind etwa bei Furunkel oder Prostatitis verhältnismäßig günstig zu
beurteilen, während sie bei puerperaler Sepsis eine ungünstige Pro¬
gnose bieten.
Es herrscht darin Uebereinstimmung, daß man die Natur des Brust¬
fellergusses — ob serös oder pitrig — nach dem Ergebnis der phy¬
sikalischen Untersuchung und den Allgemeinerscheinungen nicht zu¬
verlässig zu beurteilen vermag und daß dazu die Probepunktion
erforderlich ist. Es sei denn, daß Zeichen des bevorstehenden (Oedem,
Phlegmone, Abszeß) oder des bereits erfolgten Eiterdurchbruchs an
der Brustwand bestehen, oder daß reichlicher eitriger Auswurf sich
nur durch Perforation eines Empyems in den Bronchialbaum erklären
läßt. Zuweilen muß man mehrfach an verschiedenen Stellen die
.Punktionsnadel einsenken, ehe man den vermuteten Eiter findet, oder
man erzieh erst mit besonders weiter Nadel Erfolg, falls der Eiter
sehr dickflüssig ist. Handelt es sich auf Grund der physikalischen
Erscheinungen und der Röntgendurchleuchtung um die differentielle
Diagnose zwischen interlobärem Empyem, Lungenabszeß und Lungen¬
gangrän, so besteht die Gefahr, durch die Probepunktion die un¬
beteiligte ^Pleura zu infizieren. Entschließt man sich in solchen Fällen
zur Punktion, so muß man gerüstet sein, die Operation unmittelbar
folgen zu lassen.
Unzweifelhaft können kleine intrapleurale Empyeme, abgesehen von
den bereits erwähnten parapneumonischen, duren Resorption zur
Heilung kommen, anderseits werden gewiß auch Empyeme, die mit
den Bronchien in Verbindung stehen, allmählich scheinbar unter dem
Bilde selbständiger eitriger Bronchitis ausgehustet. Auch reichliche
pleurale Eiteransammlung kann auf dem Wege des Durchbruchs in
die Lunge restlos verschwinden; aber in diesen Fällen bringt die
plötzliche Ueberschwemmung der Bronchien durch große Eitermengen
die Gefahr der Erstickung mit sich. Deshalb darf man bei aus¬
gebildetem Empyem nicht auf die innere Perforation warten, sondern
muß für baldige Entleerung des Eiters nach außen sorgen, zumal
diese Perforation, wie übrigens auch der spontane Durchbruch durch
die Brustwand, meist für die Heilung nicht ausreicht, vielmehr noch
die Thorakotomie notwendig macht. Ausnahmsweise kann es bei
kleinem, interlobärem Empyem, dessen Diagnose nicht gesichert ist
und das sich mit der Punktionsnadel nicht erreichen läßt, berechtigt
sein, den Einbruch in die Lunge abzuwarten.
Die operative Behandlung des Empyems sollte nicht unter¬
nommen werden, wenn nicht die bekannten, für verantwortungsvolles
aseptisches Operieren zu verlangenden äußeren Bedingungen
erfüllt sind. Es besteht zuweilen die irrige Anschauung, als ob da,
wo bereits Eiter vorhanden ist, die Regeln der Aseptik nicht streng
befolgt zu werden brauchten. Dabei wird aber nicht bedacht, daß
die Prognose eines etwa durch Pneumokokken bedingten Empyems
ungemein verschlechtert würde, wenn bei der Operation eine wei¬
tere Infektion mit Streptokokken zustandekäme. Nur bei Kindern
bis zu 2 Jahren läßt sich regelmäßig und bei älteren Kindern häufig
Heilung des Empyems durch einmalige oder mehrmalige
Punktionsentleerung erwarten, aber nur dann, wenn es sich
um Pneumokokkeninfektion handelt, während die Mischinfektion von
Staphylo- und Streptokokken auch bei Kindern die Thorakotomie not¬
wendig macht. Wenn mit der Bülauschen Heberdrainage
auch bei Erwachsenen in einzelnen Fällen Heilung zu erzielen ist, so
gibt man doch auf chirurgischer Seite mit Recht dem Resektions¬
verfahren den Vorzug wegen seiner weitaus größeren Sicherheit des
Verlaufs und des Erfolgs. Bei den schweren Streptokokken¬
empyemen der Influenzaepidemie hat man es öfter, zumal in
den Lazaretten, erleben müssen, daß die Operation von den ge¬
schwächten und hochgradig dyspnoischen Kranken schlecht vertragen
wurde und Kollaps oder den Tod zur Folge hatte. Die Gefahr liegt
in der durch aie schnelle vollständige Eiterentleerung bewirkten
schroffen Aenderung des intrathorakalen Druckes und der Lagerung
der Organe, wozu noch der schädliche Einfluß des in der frischen
Operationswunde resorbierten Eiters auf das Herz kommt. Es zeigte
sich, daß die Prognose der Thorakotomie sich wesentlich günstiger
gestaltete, wenn das Exsudat einige Tage vorher durch ein- oder
mehrmalige Punktion entleert war (Sticn). Gerhardt empfahl, zu
punktieren, die Kanüle liegen zu lassen und erst nach 1 bis 2 Tagen
die Rippenresektion anzuschließen, ein Verfahren, das sich auch mir
in einer größeren Anzahl von Fällen bewährt hat. Nach lehn hat
es den Anschein, als ob bei freiem Exsudat der Pleura durch ein-
oder mehrmalige Punktion außerordentlich schnell Verklebungen beider
Pleurablätter eintreten und somit bei nachfolgender Thorakotomie ein
Totalpneumothorax vermieden wird. Daraus ergibt sich die Indika¬
tion, bei jeder Form von Empyem der Operation die Entleerung durch
Punktion vorauszuschicken.
Wenn die Gefahren der Narkose bei der Thorakotomie auch
durch die vorerst ausgeführte Punktion wesentlich vermindert sind,
so sollte jene doch, wenn es sich nicht um kleine Kinder handelt, mög¬
lichst vermieden werden. Bei der einfachen Rippenresektion läßt sie sich
unbedenklich durch die Lokalanästhesie ersetzen. Vorherige
Morphiumeinspritzung ist zu empfehlen; und wenn etwa beim Aus¬
lösen der Rippe Schmerzen auftreten, so kann durch Einatmen von
sehr geringen Mengen Aether wirksam nachgeholfen werden. Man
wählt zunächst etwa 2 Fingerbreiten oberhalb und unterhalb des zu
resezierenden Rippenstücks und in entsprechender seitlicher Entfernung
voneinander zusammen 4 Punkte und spritzt hier von der V 2 %igen
Novokainlösung mit Adrenalin geringe Mengen ein. Es folgt an den
gleichen Punkten Injektion von etwa je 5 ccm der Lösung senkrecht
in die Zwischenrippenmuskeln, wobei Beteiligung des äußeren Rippen¬
periosts zweckmäßig ist. Anschließend wird das Operationsgebiet
subkutan und intramuskulär (äußere Muskeln) infiltriert. Die volle
Anästhesie tritt nach etwa 10 Minuten ein. Der Kranke wird in halb¬
sitzende Lage gebracht, und es genügt in den meisten Fällen, von
einem 5 bis 8 cm langen Schnitt aus ein 3 bis 4 cm langes Stück
am besten von der 8. Rippe in der hinteren Axillar- oder Skapularlinie
subperiostal zu resezieren. Das Periost wird allseitig mit dem ge¬
bogenen Raspatorium abgelöst und die Rippe mit einer Rippen- oder
Knochenschere durchtrennt. Etwaige Blutung aus der verletzten Inter¬
kostalarterie wird durch Unterbinden oder Umstechen gestillt. Nach
vorausgeschickter Probepunktion durch das freiliegende hintere Rippen¬
periost wird der Stichkanal so weit erweitert, daß ein Drain ein-
f jeführt werden kann, durch den man den Eiter langsam abfließen
äßt. Mit dem in die Empyemhöhle eingeführten Finger oder der ge¬
bogenen Kornzangfc wird deren Ausdehnung, die Lage der Lunge
und das Vorhandensein von Fibringerinnseln oder von Schwarten fest¬
gestellt. Solche Fibrinmassen sind möglichst gründlich mittels Zange
oder Stieltupfers zu entfernen. Vor Ausspülung der frisch er-
öffneten Pleurahöhle ist zu warnen. Je nach der günstigen oder un¬
günstigen Beschaffenheit des Eiters wird die Wunde um den ein¬
geführten Drain vernäht oder neben dem Drain tamponiert.
Obwohl man ohne Zweifel mit den Erfolgen der soeben geschil¬
derten Art operativer Behandlung des Empyems im ganzen zufrieden
sein kann, macht sich doch mehr und mehr das Bestreben geltend,
während der Nachbehandlung den Zutritt der äußeren Luft zu der
Empyemhöhle zu verhindern und in dieser einen negativen Druck zu
unterhalten, damit die Entfaltung der komprimiert gewesenen Lunge
möglichst schnell und vollständig vor sich geht. Um dieses Ziel zu
erreichen, hat man den Drain auf verschiedene Weise gegen seine
Umgebung abgedichtet und einen fest abschließenden Veroand an¬
gelegt. Vielfache Nachahmung hat das Verfahren von Storch und
Perthes gefunden, nach welchem der Eiter ständig durch Flaschen¬
aspiration oder durch die Wasserstrahlpumpe entleert und in der
Pleurahöhle ein negativer Druck unterhalten wird. Neuerdings schil¬
dert Jehn die in der Münchener Chirurgischen Klinik gebräuchliche
operative Behandlung des Empyems, wie folgt 1 ). Am Abend vor der
Operation möglichst ausgiebige Entleerung der Pleura mittels Dieu-
lafoy. In der Nacht Morphium und Digalen. Am nächsten Tag
unter Druckdifferenz von 10 bis 12 cm Wasser in Lokalanästhesie
*> M. in. W. 1921, Nr. 12 S. 353 u. Nr. 35 S. 1114.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
598
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 18
breite Eröffnung des Thorax durch Resektion von 2 bis 3 Rippen.
Vollständiges Entleeren des Eiters und etwaiger Fibrinmassen, ge¬
naue Untersuchung der Empyemhöhle. Unter Aufrechterhaltung der
künstlichen Lungenblähung in dem Maße, daß ein gewisser Raum
zwischen beiden Pleurablättern übrigbleibt, wird in diesen ein großer
Mikulicz-Tampon eingeführt und mit einer Anzahl Streifentampons
beschickt. Es folgt ein großer, durch Mastix oder Zinkpaste fixierter,
abdichtender Billrothbattistverband nach Perthes. In den nächsten
Tagen wird weiter Morphium und Digalen gegeben. Der Verband
bleibt mehrere, mindestens 3 Tage liegen und wird dann unter Druck¬
differenz gewechselt, ein neuer Tampon wird eingelegt und die Pleura
luftdicht durch den Verband verschlossen. Nach etwa 21/2 Wochen
kann auf den abdichtenden Verband verzichtet werden. Bei schwerem,
traumatischem Pleuraempyem, bei Oasempyem oder bei Empyem,
welches im Anschluß an Durchbruch von Abszessen oder Gangrän¬
herden der Lunge entstanden ist, sollte zunächst nach Punktion für
die ersten Tage die Behandlung mit einfacher Thorakotomie statt¬
finden. Bei günstigem Verlauf darf dann am 3. oder 4. Tag mit lang¬
sam eingeleiteter Aufblähung der Lunge unter Anlegen eines ab-
dichtendeq, Verbandes begonnen werden. Die Eröffnung der Ab¬
szesse oder Gangränhöhlen erfolgt in einer zweiten Sitzung. Wo der
Apparat zur Behandlung mit Druckdifferenz nicht zur Verfügung steht,
sind Uebungen zwecks Ausdehnung der kollabierten Lunge an¬
gezeigt. Aufblasenlassen von Gummikissen ist besonders wirksam.
Bei dem rein tuberkulösen Empyem hat man mit der Thorako¬
tomie schlechte Erfahrungen gemacht, indem danach die Aussichten
der Heilung an sich ungünstig sind und durch von außen hinzu¬
tretende Infektion besondere Gefahren erwachsen. Bis in die neueste
Zeit war man der tuberkulösen Pleuritis gegenüber auch bezüglich
der Punktion sehr zurückhaltend und empfahl diese nur bei ernsteren
Verdrängungserscheinungen oder bei von der Lunge aus zustandege¬
kommener Mischinfektion. Nachdem es sich jedoch gezeigt hat, daß
dem Ersatz des tuberkulösen Pleuraeiters durch Luft geradezu eine
heilende Einwirkung auf die Pleura und selbst auf die erkrankte Lunge
beizumessen ist, sollte dieses Verfahren in den betreffenden Fällen an¬
gewandt werden.
Zieht sich die Ausheilung der Empyemhöhle sehr in die Länge
oder ist vollkommener Stillstand eingetreten, so läßt sich noch ln
zahlreichen Fällen durch das von Perthes im einzelnen ausgearbei¬
tete Absaugungsverfahren voller Erfolg erzielen. Immerhin
bleiben Fälle übrig, bei denen die Unmöglichkeit besteht, daß die
mit dicken Schwarten bedeckte Lunge sich weiter ausdehnt, die Brust¬
wand weiter einsinkt, die Wirbelsäule sich weiter skoliotisch ver¬
krümmt und das Zwerchfell sich weiter nach oben verschiebt. Dann
kommen größere operative Eingriffe in Betracht in der Ab¬
sicht, die Brustwand oder die Lunge zu mobilisieren.
Kursus der gynäkologischen Technik.
Von Prof. H. Freund in Frankfurt a. M.
I.
Die gynäkologischen Untersuchungen.
Die Behandlung der Frauenleiden ist teils wegen der Schwierig¬
keit einer eingehenden Diagnose, teils wegen der vielfach operativen
Erfordernisse mehr* und menr in spezialistische Hände übergegangen.
Das ist nicht überall wünschenswert, denn mit der Verminderung
der therapeutischen Betätigung geht gewöhnlich auch die Uebung im
Diagnostizieren und das Interesse an dem betreffenden Gebiet zu¬
rück, während anderseits eine Reihe von gynäkologischen Krank¬
heiten nur im Zusammenhang mit Allgemeinleiden richtig beurteilt
und angegriffen werden kann, Zusammenhänge, die dem Spezialisten
leichter entgehen. Es ist daher wichtig, immer wieder auf Zustände
und Kuren hinzuweisen, bei denen auch der nicht spezialistisch
ausgebildete Praktiker mit Erfolg gynäkologisch tätig sein kann.
Dabei handelt es sich in der Hauptsache um unkomplizierte
Fälle von Entzündungen im Becken, besonders solche chronischer
Art, um Gonorrhoe, Falschlagen und Erschlaffungszustände, immer
unter der Voraussetzung, daß der Behandelnde die Diagnostik so
beherrscht, daß er sich auf seine positiven und negativen Befunde
verlassen kann.
Ganz allgemein stelle ich den Grundsatz vornhin: selbst be¬
handeln. So zeitraubend und oft gleichförmig es sein mag, Tam¬
pons einzulegen, Injektionen zu geben u. dgl., ich selbst gebe das
nie aus der Hand, weil nur eine fortlaufende Kontrolle über das
Fortführen, Aendern oder Aufgeben eines Heilverfahrens entscheidet.
Die äußere Einrichtung zur gynäkologischen Untersuchung
und Behandlung unterscheidet sich von andern durch die häufige
Notwendigkeit eines UnteYsuchungsstuhls. Ein solcher schreckt viele
Frauen und Mädchen zurück und sollte, wenn irgend möglich, bei
den ersten Untersuchungen nicht benutzt werden. Im Sprechzimmer
genügt ein niedriges Ledersofa; ist der Stuhl notwendig, dann ist
ein zweites Zimmer wünschenswert, entweder im selben Hause oder
in einem Krankenhaus (Poliklinik), wo neben den erforderlichen
Hilfsmitteln geübtes Personal zur Assistenz bereit zu sein pflegt.
(Solche Einrichtungen dürfen demnach nicht unter den Begriff einer
„zweiten Sprechstunde“ gebracht werden.) Der Sdiröder-Veitsche
Stuhl hat sich mir immer bewährt, es genügt aber ein kurzer Tisch
mit horizontal angefügten Beinstützen. Ein festes, unter den Steiß
er Patientin zu schiebendes Lederkissen erleichtert das Untersuchen
oft erheblich. Bettlägerige können auf dem Längsbett, bequemer
aber auf dem Querbett untersucht werden. Fast allgemein bevor¬
zugen wir aber die Steißrückenlage; die Frau zieht die in den
Knieen flektierten Schenkel gegen den Bauch und verringert so durch
Erheben des Steißes die Beckenneigung. Selten nur erweist sich die
Steinschnittlage (Steißrückenlage mit halb aufgerichtetem Oberkörper)
als vorteilhaft. Dagegen erscheint die Knie-Ellenbogenlage für Be¬
obachtungen an der Portio, dem Mastdarm, auch an der Blase sehr
geeignet. Untersuchungen in Beckenhochlagerung erleichtern Tast¬
befunde im Becken, auch kann man bei besonders schwierigen Fest¬
stellungen — Nachweis von Stielen, mobilen Geschwülsten — die
Schenkel der am Boden liegenden Patientin von zwei Helfern stark
in die Höhe heben lassen, wobei das Becken sich ganz entleert. Hat
man Assistenz, so eignet sich die Seiten-Bauchlage für Spiegelunter¬
suchungen und die Betastung der seitlichen und hinteren Becken¬
wand. Für letztere habe ich auch die Untersuchung an der stehen¬
den Frau empfohlen, wobei mit der einen Hand per vaginam, mit
der anderen durch die Hinterbacke zugefühlt wird. Von der leicht
zu erkennenden Spina ischiadica ausgehend, verfolgt man das Lig.
spinoso- und tuberososacruin, fühlt die inneren Beckenmuskeln, den
Druckpunkt des N. ischiadicus direkt oberhalb der Spitze der Spina
ischii, alles Teile, deren abnormes Verhalten nicht selten Schmerzen
und Beschwerden sonst verborgener Natur aufklärt.
Die Untersuchung in Narkose ist nicht häufig indiziert
und für den Geübten meist nicht ergebnisreicher als eine planvolle,
eventuell wiederholte Exploration ohne Narkose. Kranke, die die
Bauchdecken stark spannen, kann man durch Geduld, Belehrung und
Ablenkung schließlich duldsamer machen, während man durch starkes
Eindrücken und Ungeduld den Widerstand nur vermehrt. Eine aus
dem Schultergelenk kommende halb drückende, halb kreisförmig
reibende Bewegung — wie bei der gynäkologischen Massage — ist
ein vorzügliches schonendes Mittel, die Spannung der Bauchdecken
zu überwinden. Zweifellos reizt die rektale Untersuchung
weniger zum Widerstand als die vaginale, insbesondere bei nervösen
Frauen und jungen Mädchen, welch letztere man überhaupt für ge¬
wöhnlich vom Mastdarm aus (mit Fingerling) tuschieren soll. Diese
Methode verdient in der Praxis größere Aufmerksamkeit, ist sie doch
vielfach ergebnisreicher als die Narkosenuntersuchung, jedenfalls bei
Adnexkrankheiten und retrouterinen Prozessen. Mitunter orientiert
man sich dabei bezüglich der einzelnen Organe, indem man gleich¬
zeitig den Daumen in die Scheide einführt, sodaß man z. B. die
Portio zwischen Daumen und Zeigefinger bekommt.
Die Röntgenuntersuchung kommt für gynäkologische
Zwecke im allgemeinen nicht in Frage, für komplizierende Erkran¬
kungen der Harnorgane eher einmal, für welche jedoch die Kysto-
skopie unentbehrlich geworden ist. Sie sollte viel häufiger, vor
größeren Operationen, jedenfalls beim Karzinom herangezogen wer¬
den. — Die Lufteinblasung ins Peritoneum ist in der Praxis nicht
durchführbar, im übrigen auch entbehrlich.
Im ärztlichen Behandlungszimmer muß vorhanden sein: flie¬
ßendes Wasser, Einrichtung für Heißwasser, für das Auskochen
von Instrumenten, Desinfektion, Aufnahme gebrauchter Stoffe usw.;
von Instrumenten: Uterussonde, eine vordere und hintere Platte
des Simonschen Spekulums, ein Satz Milchglasspiegel, Kornzange,
Kugelzange, Platinöse, Katheter und das Nötigste zum Urinunter¬
suchen, wenn möglich auch zum Mikroskopieren. Ferner ein voll¬
ständiges Instrumentarium zu Spülungen, Aetzungen, Dilatation, Aus¬
schaben, Ausstopfen, Massage, Belichtung und Erhitzung.
Gang der Untersuchung. Zur Aufnahme der Anamnese,
die hier, wie überall, voranzugehen hat, ist es wünschenswert, mit
der Kranken allein zu verhandeln. Hat man sie durch aufmerksames
Zuhören die erste Befangenheit überwinden und durch Interesse
zeigende Bemerkungen vielleicht schon Zutrauen gewinnen lassen,
so kann man seine Nachforschungen auf Dinge ausdehnen, die inr
Beisein Dritter peinlich empfunden, Ungenügend beantwortet oder
niedergeschlagen werden. Koitus und Versuche dazu, Abortus und
Abtreibung, heimliche Geburten, Masturbation* Perversitäten, Infek¬
tion, Impotenz, Brutalisierungen u. a. m. erfährt man nur unter vier
Augen. Auch eine Aussprache, die die Kranke an derlei Dinge knüpft,
kann nur ohne Zeugen erfolgen und oft schon direkt befreiend wirken.
Da die Mehrzahl der gynäkologisch Kranken an entzündlichen
Veränderungen leidet, erinnert man sich, daß ätiologisch drei Haupt¬
gruppen: die puerperalen, gonorrhoischen und tuberkulösen Formen
vorwiegend in Frage kommen, und richtet darauf zunächst seine
anamnestischen Nachforschungen. Es scheint mir aber, daß dem Ein¬
fluß der akuten Infektionskrankheiten, auch der der Kinderjahre, zu
wenig Gewicht beigelegt wird. Sie hinterlassen recht oft Verände¬
rungen im Genitalapparat. Aehnlich wirken schwere Darmkatarrhe
und chronische Stuhlverstopfung. Diese Momente sind noch spezieller
wichtig, wenn es sich um infantile Personen handelt, die aber auch
ohne solche Anamnese gewöhnlich wegen Dysmenorrhoe und Un¬
fruchtbarkeit Rat suchen. Schon deshalb, aber auch wegen Blutungen
und Ausflüssen ist die genauste Erfragung betreffs des ersten und
des weiteren Auftretens und Ablaufs der Menstruation unerläßlich.
Gewöhnt man sidh an einen planmäßigen Gang der Untersuchung,
so wird weniger vergessen und übersehen. Wir beginnen stets
mit der Inspektion der äußeren Geschlechtsteile, die
auch bei prüden und ängstlichen Kranken durchgesetzt werden muß.
Denn schon die Entwicklung der Teile kann uns wichtige Aufschlüsse
geben, so besonders beim Infantilismus, wobei wir die schledite
Behaarung, die Fettarmut des Mons Veneris und der schmalen Labia
Digitized by Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
5. Mai 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
599
majora, die die Labia minora und die Klitoris unbedeckt lassen, den
hohen rigiden Damm, die enge Urethra und Scheidenöffnung kon¬
statieren. Das lenkt uns auf einen möglichen Infantilismus der in¬
neren Genitalien, den wir an der schlecht entwickelten Vagina, dem
engen, grübchenförmigen Os extemum, dem relativ langen, resistenten
Kollum gegenüber dem zu kleinen, zu stark anteflektierten (manch¬
mal kongenital retroflektierten) Corpus uteri diagnostizieren, an den
hypoplastischen Eierstöcken, der Empfindlichkeit der Teile, auch
an Mißbildungen. Defloration, Verletzungen, Dammriß, Senkung und
Vorfall, Intertrigo von Ausflüssen, Blutung, Infektionsaffekte, Tu¬
moren, Parasiten, Oedem, Hyperämie, alles Veränderungen, die auf
den ersten Blick zur richtigen Diagnose zu führen vermögen, kann
man ohne Inspektion leicht übersehen. Vor allem ist sonst die
Gonorrhoe nicht nachweisbar, die wir aufsuchen, die wir in jedem
Falle, es handle sich um Kinder, Mädchen, Frauen jedes Alters
und Standes, ausschließen oder feststellen müssen, weil sie und
ihre Residuen ungeheuer verbreitet sind und eine große Zahl von
Erkrankungen verschulden. Es ist beklagenswert, daß dieser Grund¬
satz immer noch nicht regelmäßig beachtet wird. Die gonorrhoische
Infektion betrifft im akuten Stadium in 90—95<yo aller Fälle die
Harnröhre und ist dann leicht nachweisbar. Das gelbe, später grün¬
gelbe Sekret wird mit steriler Platinöse oder Glasstab dünn auf
den Objektträger ausgestrichen, über der Flamme fixiert, etwa
1 Minute mit Methylenblau oder Karbolfuchsin gefärbt, abgespült, mit
Fließpapier getrocknet und direkt ohne Deckglas mit Immersionsöl
unter dem Mikroskop untersucht. Wer das nicht selbst ausführt,
schickt das über der Flamme fixierte Präparat an ein Institut. Die
Gonokokken (Diplokokken) sind im frischen Stadium charakterisiert
durch ihre Kaffeebohnenform, ihre Lagerung im Innern der weißen
Blutzellen und in Häufchen außerhalb derselben. Die Diagnose der
chronischen Urethralgonorrhoe ist oft schwierig und erfordert unter
Umständen viele Präparate, Provokations- oder Kulturverfahren, letz¬
teres mit Pausen von wenigen Tagen zwei- bis dreimal, ersteres durch
1— 2malige intramuskuläre oder intravenöse Injektion einer käuflichen
Gonokokkenvakzine, am besten gleichzeitig mit lokaler Provokation.
Ist, wie häufig, wenig Sekret vorhanden, so muß man die Urethral¬
schleimhaut mit einem kleinen Löffel abschaben. Nie darf man die
Inspektion der paraurethralen Gänge vergessen, sie können nicht
nur abszedieren, sondern die Kokken lange Zeit voll virulent be¬
herbergen. — Die Kindergonorrhoe ist eine Vulvovaginitis und wird
mikroskopisch erkannt, bei Erwachsenen ist die Scheidenentzündung
selten. Häufig und hartnäckig dagegen die Zervikalgonorrhoe, die
anfänglich zur Hyperämie und Eitersekretion, dann zu den charak¬
teristischen Erosionen führt. Auch hier kann in späteren Stadien
die Diagnose schwierig und nur mit (s. oben) Provokation und
Kulturverfahren sichergestellt werden. Da im übrigen Reizungen
(Kohabitation) und die Menstruation eine Sekretvermehrung ver¬
anlassen, wird man die Untersuchungen vor und während der Menses
vornehmen. — Ungefähr 30<>/o der Infizierten leiden an Rektal-
gonorrhoc, die durchaus nicht immer bedeutendere Symptome macht,
als Jucken, Brennen, manchmal Schmerzen beim Stunl, und die man
bei kleinen Geschwüren, Fissuren und mit Blutfasern vermischtem
Schleimabgang als wahrscheinlich annehmen darf. Im Spiegel findet
man die Schleimhaut gerötet und leicht blutend. Selten kommt es
zur Periproktitis und Striktur.
Ist die Urethra frei von Sekret, was man durch Einführen des
Zeigefingers in die Scheide und Ausstreichen gegen den Schloßbogen
hin feststellt, so entleert man in jedem Fall bei der ersten Unter¬
suchung die Harnblase mit einem (gläsernen) Katheter. Zu allen
Eingriffen müssen die Hände desinfiziert sein, kann man doch
nie wissen, ob man nicht einen graviden, puerperalen Prozeß, eine
Verwundung antreffen wird, kann man doch mit gonorrhoischem
Material eine ganz gesunde, unverletzte Genitalschleimhaut infizieren.
Fingerlinge oder Gummihandschuhe müssen demnach bereit sein,
wenn man nicht sicher aseptisch ist. — Der frische Katheterharn,
der nur unvollkommen durch eine mitgebrachte Probe zu ersetzen
ist, vermag uns Schmerzen, Blutungen, Tumoren, Pseudotumoren
u. a. m. mit einem Schlage aufzuklären und uns vor beschämenden
Irrtümem zu bewahren. Der Nachweis einer Nephritis kann Amenor¬
rhoe, eines Diabetes den Pruritus der Geschlechtsteile erklären
lassen. Der Katheterismus erleichtert zudem die bimanuelle
Untersuchung, weil die Blase leer ist und weil er uns über die
Lage des Uterus, eventuell über die Kompression bestimmter Partien,
über die Beteiligung der Vesika an malignen Prozessen, über ihre
eigene Erkrankung Aufschluß gibt. Da das normaliter schüsselförmige
Organ mit seinem mittleren Zipfel mit der Cervix uteri verbunden
ist, folgt es den Lageveränderungen der Gebärmutter: aufwärts bei
Schwangerschaft und Myom, seitwärts bei Verdrängungen durch
einen einseitigen Tumor und bei Verzerrungen durch einen para-
metranen Schrumpfungsprozeß, während es von größeren Ovarial¬
tumoren von oben her eingedrückt wird, bei Prolapsen divertikel¬
artig heruntersinkt. — Sauberkeit und Desinfektion vorausgesetzt,
ist der Katheterismus unschädlich und ein gutes Hilfsmittel der
gynäkologischen Diagnostik.
Der Inspektion folgt die Austastung der Scheide, die auch
bereits bimanuell vorgenommen werden soll, weil man damit schmerz¬
hafte Stellen, Tumoren usw. sofort lokalisiert und in ihrem Verhältnis
zum übrigen Genitale bestimmt. Außer der ganzen Entwicklung wird
die Konsistenz geprüft, denn die Möglichkeit einer Schwangerschaft
soll man erwägen. Ein leichtes Ueberfahren der Schleimhaut weist
Körnung und Rauhigkeiten nach, so bei Katarrhen und Tumoren,
ferner Narben und Fremdkörper. Wichtig ist die Prüfung des Ver¬
schlußapparates, besonders des Levator ani, die man zwischen dem
Daumen, der außen am Damm, und dem Zeigefinger, der in der
Scheide liegt, fühlt, wenn man die Patientin den After einziehen
läßt; Insuffizienz, wie sie durch Geburten, gewerbliche Arbeit, all¬
gemeine Myasthenie hervorgebracht wird, kann man durch Gym¬
nastik, Roborieren und Regeln der körperlichen Leistungen beein¬
flussen. Scheidendammrisse bedürfen der größten Beachtung, sie
verursachen Schmerzen, Spermaabfluß, Klaffen der Vulva, rezidivie¬
rende Katarrhe und Prolaps.
Die nunmehr vorzunehmende Betastung der Portio vagi¬
nalis kann das spätere Aufsuchen des Gebärmutterkörpers erleich¬
tern, denn die Stellung der Portio im hinteren Scheidengewölbe
hinter der idealen Verbindungslinie der beiden leicht durchzufühlenden
Sitzbeinstacheln zeigt durchschnittlich eine normale Anteversio uteri
an. Ihre Stellung nahe der Symphyse weist auf Retroflexio, ihr
Hochstand auf Elevation der Gebärmutter oder auf einen retro-
uterinen Prozeß hin. Bei der Anteversion ist die Spannung der
hinteren Uteruswand naturgemäß größer als die der vorderen, daher
ist die hintere Lippe kürzer als die vordere; umgekehrt bei Retro¬
flexio. Je weiter das Corpus uteri nach dem Schambein hin abgelenkt
ist, um so direkter schaut das Os externum in die Kreuzbeinhöhlung.
Das alles konstatiert man fast momentan. Die Querspalte des Os bei
Frauen, die geboren haben, die Grübchenform bei Nulliparen, Schmal¬
heit oder Auftreibung, Glätte oder Rauhigkeit, Konsistenz, Risse
und Tumorbildungen weisen nach derselben Richtung, wie die gleichen
Zustände in der Scheide. Nur bei abnormen Befunden dieser Art
ist das Spekulum zu benutzen. Der normale Zervixschleim unter¬
scheidet sich von dem rahmigen Sekret der Vagina durch seine,
einen zusammenhängenden Tropfen bildende Glasigkeit. Eitrige,
blutige Färbung, vermehrte Menge und Fötor geben die Aufforde¬
rung zur minutiösen Aufmerksamkeit mit dem Verdacht auf ein
Karzinom.
Bezüglich der Untersuchung der Gebärmutter, ihrer
Anhänge und der Ligamente läßt eine Beschreibung keine
Vorteile erwachsen, hier bringt nur eine fleißige praktische Uebung
Erfolg. Ein Bild, wie das nebenstehende, sagt mehr als Worte.
Zum Schluß sei noch erwähnt, daß man die normalen yretgren
nahe an ihrer Blaseneinmündung oft fühlen kann, nämlich durch das
vordere Scheidengewölbe als kurze, seitlich divergierende Stränge,
besonders gut bei der Schwangerschaft. Sind sie hypertrophisch
oder gar höckrig, so ist der Verdacht auf Tuberkulose gerechtfertigt.
Noch einige Bemerkungen über Indikationen und Kontra¬
indikationen der gynäkologischen Untersuchung. Mäd¬
chen, deren Entwicklung die erreichte Geschlechtsreife erkennen läßt,
ohne daß aber die Menstruation auftritt, müssen sich einer Unter¬
suchung unterwerfen, besonders wenn etwa periodische Beschwerden
auftreten. Wie oft sind ferner nicht Frauen als magenkrank, als
nervös behandelt worden, bei denen es sich schließlich um eine
Schwangerschaft, eine Retroflexion usw. handelte! Ob schwer
Hysterische und Geisteskranke vaginal untersucht werden sollen,
ist in jedem Einzelfall nur bei guter Kenntnis des Gemütszustandes
und bei strikter Indikation zu entscheiden. Es gibt Gruppen solcher
Kranker, bei denen schon der Versuch oder ein einmaliges Tuschieren
neue ungünstige Ideenassoziationen oder ein neues Register variieren¬
der Klagen eröffnet. Bei Weigerung und Widerstand soll man
lieber davon abstehen, jedenfalls nur im Beisein Dritter und, wenn
eine Indikation vorliegt, am besten in der Narkose untersuchen.
Die Menstruation gilt im allgemeinen als Kontraindikation
gegen das Untersuchen; sauber und schonend vorgenommen, ist es
nicht schädlich, aber nur zur Diagnose intrauteriner Tumoren kann
es erwünscht sein, wenn sich der Uterus dabei unter Wehen öffnet.
— Beim Vaginismus (Krampf der Beckenbodenmuskulatur) soll
man das Einführen des Fingers oder eines Instrumentes nicht er¬
zwingen. Beim Fehlen lokaler Irritamente ist eine planvolle Psycho¬
therapie wirksam. (Fortsetzung folgt.)
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
600
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 18
Standesanjfelejjenheiten.
Standesfragen.
Von S. Alexander in Berlin.
Am 1. IV. ist die durch Bekanntmachung des Ministers für Volks¬
wohlfahrt am 18. III. d. f. erlassene neue Qeb&hrenordanof für ap¬
probierte Aerste i« PrenBeo in Kraft getreten. Damit ist der Streit
darüber, ob es überhaupt einer Gebührenordnung bedarf, bis auf
weiteres erledigt. Bis auf weiteres, denn in Anbetracht der vielen
Unzuträglichkeiten, die ein so verwickeltes Gebilde, wie die ärzt¬
liche Gebührenordnung, mit sich bringt, wird die Frage der Zweck¬
mäßigkeit auch in Zukunft nicht verstummen. Im Wesentlichen
zeigt die Gebührenordnung ihr bisheriges, den Aerzten nicht immer
freundliches Gesicht. Die Gebührensätze sind zvvar durchweg erhöht,
aber besonders die Mindestsätze nicht im Verhältnis zu den Kosten
der jetzigen Lebenshaltung. Dieser Defekt ist nicht etwa durch ein
mangelndes Verständnis der maßgebenden. Kreise für die wirtschaft¬
liche Not der Aerzte bedingt, sondern durch den Druck der Ver¬
sicherungsträger, die für die Verhandlungen mit den Aerzten von
höheren Mindestsätzen eine Rückwirkung auf den Tarif befürchten.
Auf den Einfluß der Krankenkassen ist auch die neue Bestimmung
zurückzuführen, daß in dringenden Fällen von den Versicherten
nur die Mindestsätze zu entrichten sind — ohne Rücksicht auf die
Vermögenslage des Hilfesuchenden. Diese und ähnliche Bestim¬
mungen über Vorzugssätze gegenüber den Trägern der sozialen
Versicherung werden unzweifelhaft eine Folge haben, die im Einzel¬
falle nicht immer dem humanitären Charakter des Standes entsprechen
dürfte, den der vorherigen Vereinbarung. Der durch die sprung¬
hafte Geldentwertung bedingten Notwendigkeit einer Anpassung der
Gebührenordnung an den Lebensindex soll durch eine neue Bestim¬
mung Rechnung getragen werden, wonach in jedem Vierteljahr durch
einen Ausschuß geprüft wird, ob die Gebührensätze dem jeweiligen
Teuerungszustand entsprechen. Der Ausschuß wird zusammengesetzt
sein aus Vertretern der Aerzte und der Kassen sowie aus vom
Minister bestimmten Mitgliedern. Der bei den Vorverhandlungen
gemachte Vorschlag, ein für allemal die Gebühren dem Teuerungs¬
index anzupassen, also eine gleitende Skala zuzulassen, wurde be¬
hördlicherseits abgelehnt.
Daß die Gebührenordnung einen maßgebenden Einfluß auf die
Entlohnung für kassenärztliche Tätigkeit ausüben muß, wie vorhin
bemerkt wurde, ergibt sich aus zwei Schied«sprüch n, die Ende
März gefällt wurden und von denen , der eine den Tarif auf Grund
des Berliner Abkommens, der andere die Honorarsätze für
die Kassenverbände Groß-Berlins betraf. Der Bericht über den
Schiedsspruch betreffs des Berliner Abkommens befindet sich in
Nr. 13 dieser Zeitschrift. Der Schiedsspruch für Groß-Berlin setzt
den Jahrespauschsatz für das Kassenmitglied auf das lOfache des
Mindestsatzes der Gebührenordnung, auf 100 Mark, fest, entsprechend
eingehender statistischer Berechnung, wonach etwa 10 Einzel¬
leistungen durchschnittlich auf jeden Versicherten fallen. Dieser
Schiedsspruch, der für beide Vertragsparteien zwingend ist, erstreckt
sich in Wirkung nur auf die Zeit vom 1. I. bis Ende März 1922,
für das laufende und die folgenden Quartale steht eine Lösung der
Honorarfrage noch aus. Die mit den Kassen eingeleiteten Ver¬
handlungen haben bisher zu einem Resultate nicht geführt, weil die
ärztliche Forderung — 120o/ 0 Pauschsatz und Teuerungszuschlag —
von den Kassen zurückgewiesen wird. In der Berliner Aerzteschaft,
insbesondere der der Vororte, herrscht eine nicht ungefährliche
Kampfstimmung, die in Anbetracht der sprunghaft gesteigerten Lebens¬
haltung nicht unberechtigt ist. Immerhin besteht noch immer die
Hoffnung, daß es zu dem ultimum refugium, dem vertraglosen Zu¬
stand, nicht kommen wird, weil beiden Parteien, Kassen und Aerzten,
an einem unübersehbaren wirtschaftlichen Krieg nicht gelegen sein
kann.
Daß die Mitarbeit der Aerzte an der Förderung der sozialen
Aufgaben des Gesundheitswesens auch behördlicherseits jetzt voll
anerkannt wird, ergibt sich aus den Ausführungen, die der neue
preußische Minister für Volks Wohlfahrt in seiner Jung¬
fernrede vor dem Landtag gelegentlich der Haushattsberatung ge¬
macht hat. Mit besonderer Betonung hob er hervor, daß er die
Aufgaben des heutigen Arztes, der nicht nur Heiler der Erkran¬
kungen, sondern Hüter der bedrohten Gesundheit sein soll, in den
Vordergrund nicht nur der Ausbildung zum Arzte, sondern auch
des Fortbildaogsuiiterrichts zu stellen gedenkt. Es ist wohl das
erstemal, daß ein Minister auch die Fortbildung der Aerzte
als eine staatliche Aufgabe hinstellt. Bisher waren alle Anträge von
Standesseite, die Fortbildung staatlich zu fördern, an einer vor¬
nehmen Geste des Finanzministers gescheitert, wonach die Fort¬
bildung lediglich Aufgabe des Standes sei und denselben Anspruch
auf staatliche Förderung auch andere Stände erheben könnten. Zu¬
gegeben muß werden, daß die Versprechungen des Ministers nicht
ganz theoretisch sind, insofern als in den Summen für Tuberkulose-,
Typhus- und Krebsbekämpfung auch Mittel für ärztliche Fortbildung
enthalten sind, aber für die „sozialhygienische Ausbildung und Fort¬
bildung der Aerzte und Zahnärzte sowie für die hygienische Volks-
belehrung“ sind alles in allem — 150000 Mark in den Etat gesetzt,
ein Tropfen auf einen heißen Stein. Man vergleiche hiermit das
geradezu trostlose Elend, mit dem das Zentralkomitee fürdas
ärztliche Fortbildungswesen in Preußen, das sich der Unter¬
stützung zweier Ministerien, der Volkswohlfahrt und der Kunst
und Wissenschaft, erfreut, zu kämpfen hat. Der Haushaltplan des
Komitees, der in diesen Tagen vorberaten wurde, schließt mit einem
Defizit von etwa 100000 Mark ab. Und dabei ist die Lehrtätigkeit
der Dozenten als Gratisarbeit vorgesehen. Der Staat Preußen hat
bisher etatsmäßig 40000 Mark zugesteuert, und ob im laufenden
Jahre von der Gesamtsumme von 150000 Mark für die ärztliche
Fortbildung wesentlich mehr abfallen wird, ist zweifelhaft. Audi
auf einen Rockefeller ist bei uns kaum zu rechnen. Dieser wichtigen
Standesangelegenheit droht deshalb ein Zusammenbruch, wenn nicht
auch die Beteiligten, nämlich die Aerzte und ihre Organisationen,
helfend eingreifen. Von den Aerztekammern gewährt bisher nur
die Berliner einen namhaften Beitrag, es wäre also an der Zeit,
wenn auch die andern preußischen Aerztekammern und die kassen-
ärztlichen Organisationen sich mehr als bisher an der Förderung
der ärztlichen Fortbildung materiell beteiligten.
Die ärztlichen Organisationen der süddeutsches Linder sind be¬
strebt, die berufliche Vertretung der Aerzte, soweit dies noch nicht
geschehen ist, zur Regelung zu bringen. Im M. Korr.Bl. für Württem¬
berg Nr. 7 ist der Entwurf eines Gesetzes für Württemberg ver¬
öffentlicht. Hinsichtlich der Bestimmungen über die Aufgaben, die
Deckung des Kassenbedarfs und die Ehrengerichte hat das preu¬
ßische Gesetz vom Jahre 1899/1904 zum Muster gedient. Der Landes¬
ausschuß versieht die Funktionen der preußischen Aerztekammer.
Ein fundamentaler Unterschied liegt jedoch in der Art des Aufbaus
der Einrichtung. Die preußische Aerztekammer geht aus einer Listen¬
wahl aller Aerzte des Kammerbezirks hervor, soweit ihnen nicht
das aktive und passive Wahlrecht durch das Ehrengericht oder die
bürgerlichen Ehrenrechte durch ein Strafverfahren entzogen sind.
Der württembergische Landesausschuß dagegen soll aus der Wahl¬
berechtigung nicht aller Aerzte, sondern nur aps der der Mitglieder
der Bezirksvereine hervorgehen, soweit diese eingetragene Vereine
im Sinne des BGB. sind. Von der Beteiligung an der Wahl sind
demnach diejenigen Aerzte ausgeschlossen, die nicht Mitglieder der
Bezirksvereine sind. Ein gesetzlicher Zwang zur Zugehörigkeit zu
einem Bezirksverein besteht nicht. Da jedoch nach dem Entwurf
alle Aerzte die Pflichten zur Deckung aes Kassenbedarfs und zur
Zeugenaussage haben und den ehrengerichtlichen Entscheidungen
unterworfen sind, so klafft hier ein Spalt zwischen Rechten und
Pflichten. Es ist verständlich, daß duren diese unterschiedliche Be¬
handlung ein Druck auf die Außenstehenden ausgeübt werden soll,
sich an dem Zusammenschluß der Aerzteschaft .zu beteiligen, aber
ob ein solcher Druck von Rechts oder Oesetzes wegen zulässig ist,
erscheint recht zweifelhaft.
Auch in Bayern besteht der Plan, die Standesorganisation fester
auszubauen. Den ärztlichen Bezirksvereinen ist der Entwurf einer
Standesgerichtsordnuog zur Begutachtung unterbreitet worden. Die
Frage der Ehrengerichtsbarkeit entbehrt in Bayern einer gesetz¬
lichen Regelung, obwohl bereits seit 1895 Aerztekammern existieren,
die mit Ehrengerichten verbunden sind. Infolgedessen fehlen diesen
die Zwangsbefugnisse. Im Jahre 1910 wurde von Staats wegen
eine Standesordnung erlassen, „bis auf weiteres und zur Erprobung
von den Aerztekammern und den ärztlichen Bezirksvereinen als
Grundlage, für die Rechtsprechung im ehrengerichtlichen Verfahren“.
Diese Halbheit ist bis heute geblieben. Anstatt nun aber den Ver¬
such zu machen, auf dem Wege des Gesetzes einen Ausbau der
Ehrengerichte in der Richtung von Zwangsbefugnissen zu erwirken,
beabsichtigt der Landesausschuß der Aerzte Bayerns, eine neue Stan¬
desgerichtsordnung zu schaffen, welche die Regelung der Standes¬
gerichtsbarkeit in den Bezirksvereinen zur Aufgabe hat. In
seinen 7 Hauptabschnitten mit vielen Unterabteilungen stellt der
Entwurf eine bis auf die subtilsten Kleinigkeiten durengeführte Ord¬
nung des Verfahrens dar, die einem Zivil- oder Strafprozeß alle
Ehre machen würde. Er unterscheidet streng zwischen schiedsgericht¬
lichem und ehrengerichtlichem Verfahren und setzt für beide In¬
stanzen von verschiedener Zusammensetzung ein. Es würde zu
weit führen, hier in Einzelheiten einzugehen, und es erübrigt sich
auch, da der Entwurf zum Teil den Bestimmungen über die ordent¬
lichen Gerichte, insbesondere denen des Reichsgerichtsverfassungs¬
gesetzes, nachgebildet ist. Worauf es hier ankommt, ist die Er¬
örterung der Frage, ob der im Verhältnis zu den Bezirks vereinen
roße und komplizierte Aufbau zu einem Nutzeffekt führen kann,
er der Mühe und den Kosten einigermaßen entspricht. Diese Frage
muß verneint werden. Was die Schiedsgerichtsabteilung betrifft, so
wird sie zweifellos von Nutzen sein, denn sie wird prophylaktisch
die Austragung des Streites vor dem Richter verhüten. Aber wozu
der große Apparat in einem Vermittlungverfahren, das sich einzig
und allein auf ein kollegiales Vertrauensverhältnis aufbaut? Die
preußischen staatlichen Ehrenräte und die Ehrenräte der Standes¬
vereine üben eine segensreiche Vermittlungstätigkeit sozusagen „im
stillen Kämmerlein“ aus. Nun aber die Ehrengerichtsbarkeit! Hier
müssen die Formen gewahrt und alle Maßnahmen für eine gerechte
Rechtsprechung getroffen werden. Sind aber die vorgesehenen For¬
men hierzu ausreichend? Man bedenke, daß die Vereinsehrengeridite
keine Befugnis zur Zeugenvorladung und Beeidigung besitzen, wie
will man ohne diese Zwangsmittel Beweis erheben? Die verhängten
Strafen, besonders Geldstrafen, binden die Parteien nur, wenn sie
Digitized by
y Google
Original from
CORNELL UNIVERSUM
5. Mai 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
601
Mitglieder der Bezirksvereine sind, und nur im Rahmen ihrer Satzun¬
gen. Der Austritt aus dem Vereine macht die Strafe illusorisch.
Das schlimmste aber ist: die Bösewichter, die man durch harte
Strafen treffen will, werden überhaupt nicht Mitglieder der Bezirks¬
vereine, weil eine Zwangsverpflichtung hierzu nicht besteht. Der
Grundfehler liegt also in dem Mangel einer gesetzlichen, alle
Aerzte, auch die Nichtmitglieder der Bezirksvereine treffenden Straf¬
befugnis, und dieser Fehler wird durch keine Standesgerichtsordnung
beseitigt. Deshalb ist es auch ohne Bedeutung, wenn man in dem
Entwurf die Frage aufwirft, ob der Eid durch eine ehren wörtliche
Erklärung ersetzt werden kann, eine vom Standpunkt des formalen
Rechts ganz unmögliche Lösung. Leider muß also die Frage des
Nutzeffekts im verneinenden Sinne beantwortet und damit die Zweck¬
mäßigkeit des Entwurfes in Abrede gestellt werden. Das einzig ge¬
rechte und verfassungsrechtlich zulässige System der beruflichen
Standesvertretung ist die aus freien, direkten Wahlen hervorge-
gangenc Aerztekammer mit behördlichen Befugnissen auf dem Ge¬
biete der Deckung des Kassenbedarfs und der Ehrengerichtsbarkeit
Feuilleton.
Brie! ans Japan.
Aus einem von Prof. Hata aus Tokio an die Witwe von Paul
Ehrlich gerichteten Brief geben wir mit gütiger Erlaubnis der
Empfängerin folgende allgemein interessierenden Ausführungen über
die Wirkung des Salvarsans bei Prambftsie wortgetreu wieder.
„Diesen Sommer tagte der Kongreß für Tropenmedizin in Batavia. Ich
ging dahin daran teilzunehmen und bin über China zurückgekommen. In Java
da sind noch sehr viele Fälle von Frambösie und dortige Regierung kämpfen
dagegen mit Salvarsan. Mit einer oder höchstens einigen Injektionen wird
das Leiden sofort beseitigt. Anfangs war es sehr schwer, die Wirkung des
Mittels die dortigen Eingeborenen sich einbürgem zu lassen. Jetzt aber drängen
die Leute bis kleinsten Kinder von selbst in die Krankenhäuser, um sich inji¬
zieren zu lassen. Als ich da war, wurde meinetwegen ein besonderer Ausflug
zur Besichtigung der Frambösiebekämpfung in einem Dorf Bandeglang vom
Kongreß geplant. Da sammelten sich viele Hunderte von Leidenden und
Geheilten unter Leitung von den Residenten, Regenten und Greisen von Dörfern,
um mich zu empfangen und ihren Dank auszusprechen. Nach Besichtigung
der Kranken sangen erst der Dorfschutz, dann die Schulmädchen, die schon
geheilt sind, ihre Danklieder. Dieser einfache aber herzliche Empfang bewegte
mich sehr tief und konnte ich nicht aushalten zu tränen, dabei war meine
erste Gesinnung „wenn Seine Exzellenz diese Szene persönlich sehen oder
wenigstens davon hören könnte“. Daher erlaubte ich mir, nun etwas darüber
Ew. Exzellenz hier mitzuteilen.
Ein Teil eines Liedes (Malaiisches Original):
4. „Wenn wir sahen Arzt, liefen wir weg, und wir verbargen uns, da wir
fürchteten eingespritzt zu werden; wir meinten, die Einspritzung uns schaden
könnte“.
5- „Durch das gütige Zureden des Regenten von Pandeglang, der den
Dorfbewohnern gab Rat“.
6. „Ließ man sich von Raden Hamimrer (Name des Arztes) einspritzen;
damach verschwanden die Krankheitserscheinungen innerhalb 4 Tagen“.
7- „Durch diesen Erfolg ist jedermann überzeugt von der guten Wirkung
des Mittels; jeder Frambösieleidende läßt sich nicht durch andere gezwungen,
sondern geht aus eigener Bewegung ins Krankenhaus“
Ein Teil anderes Liedes (Original holländisch):
3- „Menschen, deren Antlitz mit den Frambösieknoten bedeckt war,
wodurch sie täglich nur seufzen konnten, sind ohne Ausnahme durch den Ge¬
brauch des Neosalvarsans wieder gesund geworden, so daß sie wieder arbeiten
und Geld verdienen können“.
4 % „Früher hatte man viel zu leiden, wenn man durch die Krankheit
angesteckt war; man kopnte nur Gottes Willen walten lassen und mußte
schamvoll Antlitz und Körper bedecken usw.“.
Ich werde hiermit abschließen, um Sie Exzellenz nicht allzu lang
halten. Ich hoffe, daß Sie aber von beigelegten Photographien, die
Szene des Tages ungefähr vermuten könnten.
Hierbei sende ich Ihnen meinen herzlichsten Glückwunsch zum
Neuen Jahre, das Ihnen recht viel Segen bringe!
Ihr ganz treuer
gez. Dr. S. Hata.“
Kleine Mitteilungen.
— Berlin. Das vorläufige Reichsschiedsamt setzt sich
zusammen aus dem Senatspräsidenten Stein wan#, Oberregierungsrat
Happe, Regierungsrat weigert, Oberregierungsrat Zschimmer,
Prot. Kaskel, Regierungsrat Micke, dem ehemaligen Direktor
der Großen Berliner Straßenbahn, den Sanitätsräten Hartmann
und Kuhns sowie Geheimen San.-Rat Dippe, dem Präsidenten
der Landesversicherungsanstalt Sachsen, Fräßaorf, dem Handlungs¬
bevollmächtigten Heinemann und Verwaltungsdirektor Meyer.
— Die Dinslakener und die meisten Hildesheimer Kassen
haben es abgelehnt, die Vereinbarungen zwischen Kassen¬
haupt- und Aerzteverbänden vom 22./23.III. 1922anzuerkennen,
desgf die Allgemeine Ortskrankenkasse Schleiz und die dortige Land-
krankenkasse. Die Kassenunterverbände von Hagen i. Westf. suchen
auswärtige Aerzte aus demselben Grunde. Selbstverständlich ist es
ausgeschlossen, daß ein Arzt mit Standesgefühl eine solche Kassen¬
arztstelle übernimmt.
— Bei der Entlohnung des Arztes kann gespart wer¬
den. Das ist immer dasselbe Lied, wenn man eine Darstellung der
Krankenkassen zu Gesicht bekommt. So versendet eine Landkranken¬
kasse in Norddeutschland ein Rundschreiben, in welchem beweg-
lidie Klage über die gewaltigen Unkosten geführt wird. Es müßte
am Fuhrwerk für den Arzt gespart werden. Besonders inter¬
essant aber ist folgende amtliche Feststellung: „Im Winter oder doch
in Zeiten der Arbeitslosigkeit wird dem Arzt gegenüber oft Krank¬
heit vorgetäuscht, um in den Genuß von Krankengeld zu gelangen,
und wie sieht es dann zu Hause aus? Der kranke Mann arbeitet in
der eigenen Wirtschaft, und die kranke Frau versieht wie sonst ihr
Hauswesen. Dann muß die Krankenkasse Krankengeld zahlen, ohne
daß der Versicherte einen Pfennig Arbeitslohn eingebüßt hat.” —
Um den Ausfall für dieses zu Unrecht gezahlte Krankengeld zu decken
gibt es ja kein einfacheres Mittel als die Herabsetzung für die
Fuhrkosten des Arztes!
— Die Deutsche Vereinigung für Krüppelfürsorge hält ihren
VII. Kongreß am 8 . und 9 . VI. d. J. in Dresden ab. Auskünfte erteilt der
Kongreßvorsitzende San.-Rat A. Schanz, Dresden-A., Räcknitzstr. 13 .
— Die Tagung der Deutschen Tropenmedizinischen Gesell¬
schaft findet vom 17 .— 19 . VIII. dieses Jahres im Institut für Schiffs- und
Tropenkrankheiten in Hamburg statt. Vortragsanmeldungen usw. an den
Vorsitzenden Prof. Nocht, Hamburg 4, Tropeninstitut Wohnungen können
bei frühzeitiger Anmeldung durch das Institut vermittelt werden.
— Im Institut für Infektionskrankheiten Robert Koch findet
in der Zeit vom 1 . X. bis Weihnachten ein das Gesamtgebiet der Mikrobiologie
und die wichtigsten Gebiete der Hygiene umfassender Ausbildungslehr¬
gang für approbierte Aerzte statt. Am Unterricht beteiligen sich
H. A. Gins, J.Koch, G. Lockenmann, J. Morgenroth, R. Otto, O. Schie¬
mann, Q. Schilling, A. Schnabel, E. Zettnow. Die Teilnahme an dem
Lehrgang wird für die Kreisarztprüfung angerechnet. Anmeldefrist bis 1. IX. 1922.
Auskunft erteilt die Geschäftsstelle des Instituts, Berlin N 39, Föhrerstr. 2.
— Pocken. [Deutsches Reich (9.—15.IV. mit Nachtrigen): 16. — Genickstarre.
Deutsches Reich (19.-25. Ul.): 35. - Ruhr. Deutsches Reich (19.-25. III.): 06. —
Abdominaltyphus. Deutsches Reich (19.—25. III.): 140.
— Breslau. Die Tageszeitungen befassen sich eingehend mit
der Unterbringung des Medizinaluntersuchungsamts,
die man nach der veröffentlichten Darstellung als absolut unzu¬
länglich bezeichnen muß. Durch die vom Osten her drohende
Seuchengefahr hat das hiesige Medizinaluntersuchungsamt augenblick¬
lich eine besondere Bedeutung. Der Umfang seiner Untersuchungen
ist gegen die Vorkriegszeit auf das Sechsfache gestiegen. Nach den
Angaben des Institutsleiters Prof. Käthe ist die Raumenge in dem
Medizinaluntersuchungsamt aber eine derartige, daß es schon zu
häufigen Laboratoriumsinfektionen gekommen ist. Es ist
selbstverständlich, daß damit der Schutz gegen die Seuchengefahr
nur sehr gering sein kann, wenn, nicht einmal im Medizinalunter-
suchungsamt selbst Hausinfektionen verhütet werden können. —
Dr. Kindborg, Facharzt für innere und Nervenkrankheiten und Ver¬
fasser des Buches „Theorie und Praxis der inneren Medizin", hat
von der Universität Madrid eine Einladung erhalten, dort über funk¬
tioneile Organstörungen und deren psychische Behandlung zu
sprechen.
— Bad Ems. Das Genesungsheim für Gelehrte und
Künstler schloß sein erstes Wirtschaftsjahr mit einem Fehlbetrag
von 36000 Mark. Das Vermögen des Vereins ist, gemessen an der
Geldentwertung ein recht bescheidenes. Der Mitgliedsbeitrag be¬
trägt 50 Mark (für Gelehrte und Künstler 20 Mark), immerwährende
Mitgliedschaft 500 Mark. Die Stiftung eines Freibettes kostet
10000 Mark. Unter den Akademikern, die im Genesungsheim Auf¬
nahme fanden, war der ärztliche Stand, der ja von den augenblick¬
lichen Verhältnissen besonders hart betroffen wird, am stärksten.
— Hamburg. Vergiftungsfälle infolge Genusses von
Methylalkohol, die an die vor dem Kriege im Berliner Asyl für
Obdachlose aufgetretenen Massenvergiftungen durch Methylalkohol
erinnern, sind bei mehreren beim Löschen eines im Hafen liegenden
Dampfers beschäftigten Arbeitern aufgetreten. Bei vielen Aroeitern
stellten sich bald nach dem Genuß schwere Vergiftungserscheinungen
ein, denen bisher sechs zum Opfer fielen.
— Homburg v. d. H. Die Stadt hat mit den Chemisch-Pharma¬
zeutischen Werken einen Vertrag abgeschlossen, nach welchem diese
Gesellschaft von der Stadtverwaltung das alleinige Ausnut¬
zungsrecht der Bad-Honrourger Heilquellen auf die
Dauer von 25 Jahren erworben hat.
— München. Die Ergänzungsbestimmungen zum Ta¬
rifabkommen mit den Krankenkassen vom 22.111.1922 in
Berlin gelten vflm 1. IV. ab auch in Bayern, nachdem seit 1. IV.
j auch für Bayern die neue preußische Gebührenordnung in der Kassen-
| praxis Gültigkeit hat. Die Bestimmungen, welche sich auf das erste
Vierteljahr 1922 beziehen, treffen für Bayern nicht zu, sondern «nt-
1 sprechend der Münchener Vereinbarung vom 28. III. die Begrenzungs-
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
602
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 18
bestimmungen nach dem Kassenärztlichen Mantelvertrag. Die sog.
Münchener Vereinbarung vom 28. III. wurde durch einen Nachtrag
vom 11. IV. 1922 in Nürnberg dahin abgeändert, daß der 40o/ 0 ige
Zuschlag vom 4. Quartal 1921 nicht auf die geburtshilflichen Leistun¬
gen Anwendung findet. Die Abänderung gilt auch für diejenigen
Krankenkassen, welche bereits für das 1. Vierteljahr 1922 nach den
Münchener Vereinbarungen Verträge abgeschlossen haben..
— Nürnberg. Im hiesigen Krankenhaus sind gehäufte Fälle
von schwerem Skorbut beobachtet worden. Bereits 1911 war
gleichfalls ein vermehrtes Auftreten von Skorbut im Krankenhaus
festzustellen. i
— Stuttgart. Die Durchführung der Vollbesoldung der
Oberamtsärzte nahm in Württemberg einen ziemlich raschen
Verlauf. Es sind bald mehr wie zwei Drittel der Oberämter durch
vollbesoldete Oberamtsärzte besetzt. Diese Vollbesoldung wurde
auf sehr einfache und dazu sehr billige Weise durchgeführt durch
Bildung von Doppelbezirken unter Zusammenlegung von
2 bis 3 bisherigen Oberamtsbezirken. In einer Zeit, als noch bei¬
nahe jeder Oberamtsarzt sein eigenes Auto hatte, war dies noch mög¬
lich, heute ist es nicht mehr. Die Oberamtsärzte sind jetzt gezwungen,
Fußmärsche in weitestgehendem Umfange zu machen. Neuerdings
werden noch in jedem Oberamtsbezirke Tuberkulosefürsorgestellen
errichtet, deren Leitung ebenfalls der vollbesoldete Oberamtsarzt zu
übernehmen hat. Es wird daher in ärztlichen Kreisen Württembergs
einer Wiederzerlegung der Doppelbezirke das Wort ge¬
redet, zumal es sich nur um etwa 1 ö neue Stellen handeln würde.
— Wiesbaden. Der 34. Kongreß der Deutschen Ge¬
sellschaft für Innere Medizin stand wieder einmal vorwiegend
im Zeichen der klinischen Laboratoriumsarbeit. Von Krankenbeob¬
achtungen * und namentlich von Krankenbehandlung war nur wenig
die Rede. In den Kreisen der Praktiker wurde diese Gestaltung des
Kongresses mehr oder weniger lebhaft bedauert, viele der Aelteren
von ihnen führten lebhafte Klage über diese „Einseitigkeit“, und
von beachtenswerter Seite fand diese Klage auch in der offiziellen
Mitgliederversammlung einen beifällig aufgenommenen Ausdruck.
Una doch heißt es, den Dingen Gewalt antun und über das Ziel
hinausschießen, wenn man aus dem stark experimentellen Inhalt
der Tagung ein absprechendes Werturteil über sie ableitet. Wenn
gerade unter dem Vorsitz von Brauer (Hamburg), der wiederholt
in Wort und Schrift für die Berücksichtigung der Bedürfnisse 4er
Praktiker eingetreten ist, der Ablauf des diesjährigen Kongresses
sich anders entwickelt hat, als es sicherlich in den Absichten der Lei¬
tung gelegen hat, so muß man darin ein Zeichen der Zeit erblicken.
Mit der Krankenbeobachtung allein läßt sich eben heutzutage die
wissenschaftliche Forschung auf dem Gebiete der Inneren Medizin
nicht mehr bestreiten, die Empirie hat vielfach dem Experiment den
Voriang schon lange abgetreten, für die verfeinerte Diagnostik und
Therapie reichen die einfachen Methoden nicht aus. Es hieße vor
der Wirklichkeit die Augen verschließen, wenn wir verkennen würden,
welche großen Fortschritte in der Erkenntnis der pathologischen
Vorgänge wir auf diesem Wege gewonnen haben und welche
fruchtbaren Maßnahmen zur Krankheitsheilung mit solchen Mitteln
gefunden worden sind. Auch in den Ergebnissen der experimen¬
tellen Kleinarbeit, die auf diesem Kongreß bekanntgegeben wurden,
waren die. Grundlagen für klinisch-therapeutische Versuche mehr
oder weniger deutlidi erkennbar, und es ist zu wünschen, daß die
weitere Forschung zu einer Synthese der Einzelbeobachtungen, zu
einer Ausgestaltung klinischer Krankheitsbilder einschließlich ihrem
therapeutischen Abschluß gelangen wird. Die nächsten Kongresse
werden hoffentlich davon Zeugnis ablegen. Zu diesem Zweck mußten
allerdings die anerkannten Meister dies Fachs sich mehr an den
Verhandlungen beteiligen als diesmal. Gewiß soll den Jüngeren ein
breiter Raum für die Mitteilung ihrer Studienergebnisse gewährl
werden.* Aber der rauschende Beifall, der den Bemerkungen von
Minkowski folgte, sollte deutlich lehren, wie groß der Wert ist,
der von der jüngeren Generation der tätigen Anteilnahme ihrer
Lehrer an der Klärung der Probleme beigelegt wird. Von den beiden
Hauptverhandlungsgegenständen wurden die Leberkrankheiten am
ersten Sitzungstage durch das Referat von Prof. Eppinger (Wien)
über den Ikterus, die Innere Sekretion am dritten Tage durch das
Referat von Prof. Biedl (Prag) über die Hypophyse eingeleitet.
Beide Referate, vornehmlich das letztere, waren inhaltlich und red¬
nerisch ganz ausgezeichnet, wenn auch der Vortrag Eppingers
unter einem Mangel von stimmlichem und temperamentlichem
Aufwand nicht voll zur Wirkung kam. Zwar nicht im Programm
als Referate bezeichnet, aber nach Dauer und Gehalt den Wert von
Referaten beanspruchten am 2. Tage die vortrefflichen Vorträge von
Prof. Trendelenburg (Rostock, demnächst Bonn) über Pharmako¬
logische Grundlagen der Sympathiekotonieprüfung und von Prof.
EU in ge r (Frankfurt a. M.) über Zustandsänderungen von Serum¬
kolloiden und ihre Bedeutung für den Flüssigkeitshaushalt des Men¬
schen, sowie von Prof. Sch adej (Kiel) über die* Physikochemie
des Bindegewebes und ihre Bedeutung für die Lymph- und Oedem-
bildung. Mit diesen Vorträgen ist der wesentliche Inhalt der Ver¬
handlungen gekennzeichnet. Die meisten Mitteilungen schlossen sich
sachlich den Referaten an, gingen zum Teil, im einzelnen über ihre
Grenzen hinaus. Beschriften wurden wohl sämtlfche Gebiete der
Inneren Medizin, am wenigsten dasjenige der Infektionskrankheiten.
Daß die 135 Vorträge samt zum Teil ausgedehnten Besprechungen an
deqp3i/ 2 Sitzungstagen erledigt wurden, ist der mit Recht so genannten
„eisernen Disziplin“ des Vorsitzenden zu verdanken, und Brauer ver¬
dient für die Energie, Geschicklichkeit und Sachkenntnis, mit der er
seine Geschäfte von Anfang bis Ende durchführte, uneingeschränktes
Lob. Die Präzision, zu der die Redner durch die Kürze der Zeit ge¬
zwungen wurden, hat zu dem glücklichen Ablauf der Verhandlungen
sicher viel beigetragen: auch hier hat es sich wieder gezeigt, daß
durch eine weise Beschränkung des Umfangs der Mitteilungen ihre
Wirkung auf Zuhörer (und Leser) beträchtlich gefördert wird. Der
Besuch des Kongresses war mit mehr als 800 Teilnehmern wieder
sehr stattlich. Daß sich unter ihnen verhältnismäßig viel Ausländer,
insbesondere Holländer, befanden, verdient hervorgehoben zu werden.
Von den Direktoren der medizinischen Kliniken und Polikliniken
fehlten nur wenige. Im stärksten Gegensatz hierzu unerfreulich
wirkten die Folgezustände der politischen und wirtschaftlichen Aende-
rungen in dem äußeren Bilde Wiesbadens: es genügt zu erwähnen,
daß mich der Weg täglich von der Wohnung meines liebenswürdigen
Wirtes an einer wie ein Geßler-Hut aufgehängten Tafel mit der
Inschrift „Republique francaise, Gendarmerie nationale Brigades de
Wiesbaden“ vorüberführte! — Im nächsten Jahre findet der Kongreß
in Wien unter dem Vorsitz von Prof. Wenckebach statt. J.S.
— Wien. Im Gebäude der ehemaligen Josephinischen militär-
ärztlichen Akademie hat das dem Universitätsinstitute für Geschichte
der Medizin (Leiter Prof. Neuburger) angegliederte mediko-
historische Museum ein Heim gefunden.
— Marienbad. Mit Rücksicht auf die großen Valutaunter¬
schiede zwischen den einzelnen Ländern, haben die hiesigen Inter¬
essenkreise beschlossen, den Kurgästen aus den valuta¬
schwachen Ländern, also insbesondere aus Deutschland und
Oesterreich, einen 20<y o igen Nachlaß zu gewähren. (Die Harzburger
Hotelbesitzer [vgl. Nr. 16 S. 539J könnten sich die Marienbader Inter¬
essenten zum Vorbild nehmen!)
— London. In England ist ein offizielles, auf 12 Bände be¬
rechnetes Werk über den Sanitätsdienst im Kriege in Vor¬
bereitung, dessen erster Band vorliegt. Danach wurden auf allen
Kriegsschauplätzen 3Vs Millionen operativer Eingriffe vorgenommen;
die Höchstzahl der zur Verfügung stehenden Krankenbetten überstieg
die Zahl von 600000; in der Zeit von August 1914 bis August 1920
wurden etwa 23/ 4 Millionen Kranker oder Verwundeter zur Weiter¬
behandlung nach England überführt, zu diesem Zweck standen 75
Hospitalschiffe zur Verfügung. — Nach Londoner Berichten befinden
sich auch die dortigen Krankenhäuser, die bekanntlich
großenteils auf private Beihilfe angewiesen sind, in starker finan¬
zieller Krise. Die Ausgaben stiegen von 1913 bis 1920 von
1,2 Millionen Lstr. auf fast 3 Millionen, während die Beiträge nur von
1,5 Millionen auf knapp 1,9 Millionen stiegen und die Zahlungen
der Aufgenommenen nur um fast 100000 Lstr. sich erhöhten.
— Konstantinopel. Als erste Türkin hat sich die Tochter
des türkischen Dichters Aga Oglu an der Universität immatriku¬
lieren lassen. Bisher waren die Kollegs den Frauen verschlossen, und
die medizinische Fakultät hat als erste erreicht, daß
nunmehr auch Frauen als Hörerinnen zu gelassen werden.
— Neuyork. Das Alkoholverbot wird mit äußerster Strenge
angewendet, sodaß z. B. hier im Jahre 1921 4o/o der ganzen Be¬
völkerung wegen seiner Uebertretung verhaftet wurden. Trotzdem
haben sich die Todesfälle infolge von Alkoholismus gegen 1920 um
50o/o vermehrt, und auch die Fälle, in denen gegen Polizeibeamte
wegen ungenügender Nüchternheit eingeschritten werden mußte,
haben beträchtlich zugenommen. (Was an diesen Mitteilungen zu¬
treffend ist oder nicht, wird sich ja bei den vom Reichstag ange¬
regten amtlichen Ermittlungen [vgl. d. W. Nr. 15 S. 494J ergeben.)
— Baltimore. Die Rockefeller-Stiftung hat den Betrag
von 6 Millionen Dollars für eine Hygieneschule an der
hiesigen Universität ausgesetzt. Eine Million ist für den Bau, die
Zinsen der übrigen 5 Millionen sind für den Betrieb bestimmt.
— Caracas (Venezuela). Seit 1921 besteht eine gesetzliche Vor¬
schrift über die Anzeigepflicht für übertragbare Krank¬
heiten, sowie für Krebs und Pellagra. ,
— Hocbschulnachrichten. München. Geh.-RatKraepelin wurde
auf sein Ansuchen vom 1. V. 1922 an von der Stelle des Vorstandes
des Medizinalkomitees der Universität München enthoben und die
Stelle Geh.-Rat Döderlein übertragen.
— Gestorben. Obergcneralarzt a. D. Franz Stricker im
81. Lebensjahr in Berlin. Stricker war ein ausgezeichneter Internist.
Um die Einführung der Salizylsäure-Behandlung in die Therapie des
akuten Gelenkrheumatismus hat sich Stricker besonders verdient
gemacht. Mit hoher Anerkennung muß man auch seiner rein mensch¬
lichen Eigenschaften gedenken. Er war eine aufrechte Persönlichkeit
Eine seltene geistige Frische befähigte ihn, noch bis in sein hohes
Alter hinein tätig zu sein. Wenig bekannt ist es, daß Stricker noch
zu den wenigen preußischen Sanitätsoffizieren gehörte, welche 1877
den russisch-türkischen Krieg auf rumänischer Seite mitmachten. —
Geh.-Rat Gerhartzt der Begründer des Rheinbacher Sanatoriums,
Mitglied der Aerztekammer und Ehrenvorsitzender des Aerztevereins
Euskirchen-Rheinbach, am 13. IV. in Rheinbach im Alter von 73 Jahren
Difitized by
Google
Original from
CORNELL UNiVERSITV
LITERATURBERICHT
Redigiert von Prof. Dr. R. von den Velden.
Zeitschriften: Klinische Wochenschrift Nr. 15 . — Münchener medizinische Wochenschrift Nr. 14-15- — Wiener klinische Wochenschrift Nr. 12-13- —
Therapie der Gegenwart Nr. 3 . — Zeitschrift für Tuberkulose Bd. 36 H. 1 - 2 . — Zeitschrift für orthopädische Chirurgie Bd. 42 H. 4. — .Zentralblatt
für Chirurgie Nr. 11-13- — Zentralblatt für Gynäkologie Nr. 10 - 11 . — Klinische Monatsblätter für Augenheilkunde Januar-Februarheft. — Jahrbuch
für Kinderheilkunde Bd. 97 H. 5-6. —.Monatsschrift für Unfallheilkunde Nr. 1 - 2 ._
Allgemeines.
♦♦ Waldemar Schwelsheimer (München), Beethovens Leiden,
ihr Einfluß auf sein Leben und Schaffen. München, Georg
Müller, 1921. 209 S. M. 40.—. Ref.: Mamlock (Berlin).
Seit Moebius’ Pathographien von Goethe, Rousseau und
Schopenhauer ist dieser von Medizinern gepflegte Zweig biogra¬
phischer Forschung an Umfang und Bedeutung ständig gewachsen.
Mehr und mehr hat sich gezeigt, daß ein restloses Verstehen vom
Wesen und Wirken der Persönlichkeit bis zu einem gewissen Grade
geknüpft ist an die Kenntnis von ihren körperlichen Zuständen. Das
naben erst wieder die neusten Studien von Jaspers über Strindberg,
van Gogh, Swedenborg, Hölderlin, und A. Müllers Psycho-
graphien von Bismarck, Nietzsche, Scheffel, Mörike erwiesen.
Diesen Arbeiten reiht sich die vorliegende, durch Gründlichkeit und
gute Darstellung bemerkenswerte, an. Sie wird dem Arzt wie Beet¬
hoven-Verehrer eine Fülle von neuen Aufschlüssen geben: nicht nur
über das Gehörleiden, sondern auch die Lebererkrankung des
Meisters und die von diesen Zuständen ausgehende Wechselwirkung
auf den ganzen Menschen und sein Werk. Der göttliche Fuhke aber
wird davon, das-zeigt nun gerade diese sorgfältige Analyse, nicht
berührt, und der Sieg des Geistes über den Körper ist an Bedingungen
geknüpft, denen wir den letzten Schleier nicht entreißen zu können
scheinen. Gerade an Beethovens Geschick scheint sich Lessings Aus¬
spruch zu bewahrheiten: Raffael wäre der größte Maler geworden,
selbst wenn er ohne Hände zur Welt gekommen wäre.
Geschichte der Medizin.
F. Bruck (Berlin-Schöneberg), Semmelweis nicht Lister. Zbl.
f. Chir. Nr. 13. Beweisführung, daß Semmelweis zuerst, und
zwar 20 Jahre vor Lister, die Gefährlichkeit der an den Händen,
Instrumenten, Verbandstoffen usw. haftenden Keime in ihrer ganzen
Bedeutung klar erkannte und damit der Entdecker der Kontaktinfektion
wurde.
Naturwissenschaften.
♦♦ Eduard Färber (Mannheim), Die geschichtliche Entwick¬
lung der Chemie. Berlin, J. Springer, 1921. 312 Seiten mit
4 Tafeln. M. 78.—. Geb. M. 90.—. Ref.: Dr. phil. H. Herz (Berlin).
Verfasser hat sich der Aufgabe unterzogen, unsere heutigen
chemischen Theorien aus ihren Anfängen historisch zu entwickeln.
Auf die langsam sich mehrenden Kenntnisse qualitativer Art in den
ersten Anfängen der historischen Geschichte folgen die Anschauungen
der Alchemie, die für den Mediziner besonders interessanten Aufgaben
der Iatrochemie und das Zeitalter der Phiogistontheorie. Mit der
fruchtbaren Einführung der quantitativen Untersuchungsmethoden er¬
wirbt sich die Chemie die Grundlage zu einer exakten Wissenschaft.
Die theoretisch ausgebaute Chemie führt dann zu den großen Erfolgen
der Neuzeit auf anorganischem, organischem, physikalisch-chemischem
und biochemischem Gebiet. Verfasser hat leider die großen Erfolge
der technischen Chemie übergangen und auf die Schilderung der
Wechselwirkung zwischen theoretischer und praktischer Chemie ver¬
zichtet. Vielleicht gerade aus dieser Beschränkung heraus ist das Buch
für alle diejenigen Nichtchemiker von besonderem Wert und leichtem
Verständnis, die „mit nur allgemein-wissenschaftlichem, kulturgeschicht¬
lichem oder philosophischem Interesse an die Lektüre herantreten.“
Gründlichkeit der Darstellung, ^leichtflüssiger Stil und einige Tafel¬
illustrationen erhöhen die Freude an der Schrift.
♦♦ Köhler, Intelligenzprüfungen an Menschenaffen. 2. Aufl.
Berlin, J. Springer, 1921. 194 Seiten mit 7 Tafeln und 19 Skizzen.
M. 66.-, geb. M. 78.-. ßef.: Th. Ziehen (Halle a. S.).
Es handelt sich um einen Neudruck der Schrift in den Abhand¬
lungen der Akademie der Wissenschaft des Jahres 1917. Ein weiterer
Teil soll folgen. In dem vorliegenden ersten werden vorzugsweise
interessante Beobachtungen über das Verhalten von 9 Schimpansen der
Teneriffa-Station ih bestimmten optisch gegebenen Situationen (nach
Art der älteren Versuche von Watson, Yerkes u. a. bei niederen
Säugern) mit Bezug auf das Tatsächliche mitgeteilt. Manche Versuche,
z. B. der S. 124 mitgeteilte, würden sich auch bei Intelligenzprüfungen
von Kindern und Schwachsinnigen recht gut eignen. Auf die Theorie
soll erst im 2. Teil cingegangen werden, nur hier und da sind schon
jetzt kurze theoretische Ausführungen eingeflochten (Ablehnung der
„Zufallstheorie", „Entstehen der Gesamtlösung in Rücksicht auf die
Feldstruktur als Kriterium der Einsicht" usf.). Im allgemeinen folgert
Verfasser aus seinen Versuchen, daß die Schimpansen „einsichtiges"
Verhalten von der Art des beim Menschen bekannten zeigen, und er
hält es nicht für ganz unmöglich, daß auf dem Prüfungsgebiet der
anthropoide Affe auch an „Einsicht" dem Menschen nähersteht als
vielen niederen Affenarten (nicht an Intelligenz bereich). Zur defini¬
tiven Aufklärung sind nach Meinung des Referenten genetische Beo¬
bachtungen an heran wachsen den Tieren (von Geburt an) unerläßlich.
Leider sind die Aussichten auf solche — wenigstens bei uns in Deutsch¬
land — sehr gering. _
Anatomie und Physiologie.
♦♦ Winterstein (Rostock), Handbuch der vergleichenden Phy¬
siologie. 52. Lief. (Bd. II, 2. Hälfte). Jena, G. Fischer, 1921.
M. 20.—. Ref.: Boruttau (Berlin).
Diese Lieferung, die den Schluß des Abschnitts über Exkretion
bei den Wirbeltieren aus der Feder von A. Noll in Jena enthält, ver¬
dient deshalb gesonderte rühmende Besprechung, weil in ihr die ver¬
gleichende Physiologie der Niere und der Mechanismus der Harnab¬
sonderung bei Amphibien, Reptilien, Vögeln und Säugetieren mit einer
bisher nicht erreichten Ausführlichkeit und Vollständigkeit behandelt
wird, ein Gebiet, das auch für die menschliche Pathologie und Klinik
von größter Bedeutung ist. Ganz ausgezeichnete histologische Ab¬
bildungen aus den Originalarbeiten und ein Literaturverzeichnis von
nicht weniger als 626 Nummern erhöhen den Wert der Arbeit
W. Lehmann (Göttingen), Verlaufen sensible Fasern in den vorderen
Wurzeln? Zbl. f. Chir. Nr. 13. Polemik gegen A. W. Meyer. Verfasser
zählt die Tatsachen auf, die für die Annahme sensibler Fasern in den
vorderen Wurzeln sprechen.
A. Krogh (Kopenhagen), Respirationsapparat zur klinischen Be¬
stimmung des Energieumsatzes des Menschen. W. kl. W. Nr. 13.
Modifizierter Apparat von Fr€dlricq, der die Sauerstoffaufnahme
mittels Spirometer registriert. Beschreibung einiger wichtiger Resultate.
Allgemeine Pathologie und Pathologische Anatomie.
F. Plaut, P. Mulzer und K. Neu bürger (München), Anato¬
mische Veränderungen bei experimenteller Kaninchensyphilis.
M. m. W. Nr. 14. Siehe auch Plaut und Mulzer in Nr. 14. Der
Frankfurter Stamm bewirkt meist keine nervösen Veränderungen, der
Münchener fast regelmäßig. Die Pia zeigt stets zeitige Infiltration, die
Hirngefäße sind von dichten Zellmänteln umgeben. Am Rückenmark
Bilder der subkutanen Meningomyelitis. An der Leber herdförmige
Veränderungen, die ähnlich wie Kokkidienknötchen aussehen, mikro¬
skopisch sind es miliare Granulome. An der Aorta Mediasklerose.
F.Plaut und P.Mulzer (München), Liquor-Diagnostik im Dienste
der experimentellen Kaninchensypbilis. W. m. W. Nr. 14. Man
kann durch subdurale Injektion Kaninchen syphilitisch infizieren, das
Gift gelangt in die Blutbahn und dringt dann auf diesem Wege in die
Hirnsubstanz ein. Die Stämme verhalten sich biologisch verschieden,
manche sind stark neurotrop, andere fast gar nicht. Bei Verwendung
von Paralysematerial tritt Pleozytose des Liquors auf, die als syphilitisch
aufzufassen ist. Weiterimpfung von so infizierten Tieren aus führte
zu analogen Liquorveränderungen. Aeußere Zeichen von Syphilis
blieben aus.
R. Nissen (München), Pathologisch-Anatomisches zur
Pathogenese des chronischen Magengeschwürs. Kl. W. Nr. 15. Zu¬
sammenfassende Uebersicht der Ergebnisse makroskopischer und
mikroskopischer Untersuchungen und ihrer Beziehungen zu den Ent¬
stehungstheorien des Ulcus chronicum ventriculi.
W. Gorn (Mannheim), Fall von Thorakophagns. Kl. W. Nr. 15.
Kasuistik. _
Mikroben- und Innnunftitslehre.
R. Kraus (Butantan, Sao Paulo), 'Verschieden-heit der Eltor-
von den Choleravibrionen. M. m. W. Nr. 14. Eitorvibrionen erzeugen
akut wirkende Toxine, Choleravibrionen nicht. Eitorvibrionen wirken
auf der 10 / 0 igen Ziegen blutplatte hämolytisch, Choleravibrionen hämo-
digestiv.
Pfreimbter, Seil, Pistorius (Schwerin i. M), Nachweis des
, r d’ Herelieschen Virns“. M. m. W. Nr. 14. Eine geringe Menge des
Virus wird einer dünnen Bakterienaufschwemmung zugesetzt, dann
Aussäen auf Agarplatten nach verschieden langer Bebrütung. Die
Kolonien werden dann klein, spärlich, mit kraterförmigen Lücken oder
zeigen bizarre Zacken und Buchten. (Flatterformen, Gildemeister.)
Geprüft wurden Vertreter der Thyphus-Ruhr-Koligruppe. Das Platten-
verfahren ist objektiver und sicherer als die Beobachtung der Auf¬
hellung der Bakterienaufschwemmungen.
P. Uhlenhuth und W. Biber (Marburg), Wechselseitige Vakzine-
Manl-und Klauenseuche-Immunität bei Rindern und Meerschweinchen.
Kl. W. Nr. 15. Eine wechselseitige Beeinflussung der Vakzine-Maul- und
Klauenseuche-Immunität, die für die Praxis Bedeutung haben könnte, ist
in den Versuchen nicht nachzuweisen gewesen.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSITV
604
LITERATURBERICHT
Nr. 18
Strahlenkunde.
Qustav Welsch (Tübingen), Künstlich erzeugte Llcbtwlrknnf
auf die Htntkapillarea als Maßstab in der Rönigeotlefeiitheraple.
M. m. W.. Nr. 15. Gewisse Menschen mit scheinbar gesunder Haut
legen eine auffallende Ueberempfindlichkeit gegen Röntgenstrahlen an
den Tag. Zur Klärung dieser Tatsache unterwarf Verfasser die Haut
einer Anzahl gesunder, von vornherein mit pathologischen Kapillar¬
bildern und mit Allgemeinkrankheiten behafteter Individuen unter
gleichbleibenden äußeren Bedingungen der Bestrahlung mit Quarz¬
licht und erzeugte so bei den beiden letztgenannten Kategorien von
Patienten hochgradige Unterschiede in der Intensität des Erythems
gegenüber Gesunden mit besonders bei Vasomotorismus pathologischen
Veränderungen des Kapillarbildes. Besteht deshalb bei einem Kranken,
der der Röntgentiefentherapie unterzogen werden soll, der Verdacht
auf abnorme Lichtreaktion und wird dieser durch die Kapillarunter¬
suchung bestätigt, so soll vor Einleitung der Behandlung durch Ver¬
abfolgung eines kurzen Lichtreizes mit der Quecksilberlampe geprüft
werden, ob die Annahme berechtigt war.
M. Henkel und H. Gueffroy (Jena), Blatgeriaaung bei Röatreii-
tiefeotherapie. Zbl. f. Gyn. Nr. 11. Irgend eine „verwertbare Ver¬
kürzung oder Verlängerung der Blutgerinnungszeiten 1 ' gegenüber den
als normal erkannten Werten konnte nicht festgestellt werden. Das
Verhalten der Leukozyten nach der Bestrahlung steht in keinem nach¬
weisbaren Zusammenhang mit der Blutgerinnung.
Allgemeine Diagnostik.
♦ ♦ Schridde und Nfigell, Die hlmatoloclsche Technik.
2. umgearbeitete Auflage. 150 Seiten mit 28 Abbildungen im Text
und 3Tafeln. Jena, Gustav Fischer, 2921. M. 26.—. Ref.: A. Lazarus
(Charlotten bürg).
Aus der in letzter Zeit das Bedürfnis entschieden überbietenden
Zahl von Lehrbüchern der hämatologischen Methoden hebt sich vor¬
liegendes Bändchen dadurch hervor, daß es die Technik der histo¬
logischen Untersuchungen der bluibereitenden Organe und des Blutes
(Schridde) und die Technik der klinischen Blutuntersuchungen
(Nägeli) vereinigt. Die Namen der beiden Verfasser bürgen dafür,
daß die Auswahl nach eigenen reichsten Erfahrungen erfolgt ist. So
wird das Buch auch weiter dazu beitragen, daß die so oft zu beklagende
Vernachlässigung der einen Forschungsrichtung durch die andere
wesentlich seltener wird. Papier, Druck und Abbildungen sind wieder
mustergültig.
Karl Post (Halle a. S.), Verstärkung von Gewebsfirbvogea
mit Anilinfarben durch Znsatzmittel. M. m. W. Nr. 14. Die Färbe¬
kraft von Anilinfarben läßt sich durch Zusatz von Verbindungen, die
auxochrome Oruppen enthalten, erheblich verstärken. Geprüft wurden
Adrenalin, Phenazitin, Brenzkatechin, Phlorogluzin u. a.
R. Maresch (Wien), Nene Methode zur Darstellung der Gitter¬
fasern. W. kl. W. Nr. 12. Färbung mit Methylgrünpikrat (in methyl¬
alkoholischer Lösung).
J.deHaan (Groningen), Kolorimeter für klinische Zwecke. M.m.W.
Nr. T5. Beschreibung eines leicht herzustellenden Kolorimeters. Die
in verschiedener Verdünnung in einer Reihe senkrechtstehender mit
einem Kupfermantel umgebener Glasröhrchen befindliche Standard¬
lösung wird durch Betrachtung von oben mit der in einem gleichen
Röhrchen befindlichen Untersuchungsflüssigkeit verglichen. Die Be¬
trachtung in vertikaler Richtung ermöglicht noch die genaue Bestimmung
sehr kleiner Flüssigkeitsmengen.
F. Sc he llong (Kiel), Hochgradige Eosinophilie bei Tumoren.
M.m.W. Nr. 15. Bericht über einen Fall von Karzinom der Gallenblase
mit Lebermatastasen, bei dem wegen hochgradiger Eosinophilie die
Stellung der Differentialdiagnose maligner Tumor oder Echinokokkus
erst durch die Laparotomie möglich war.
J. Snapper und W. J. van Bommel van Vloten (Amsterdam),
Quantitative Indikaabestimmung i m Blutserum. Kl. W. Nr. 15. Mitteilung
der Indikanbestimmungsmethoaen von Haas und Rosenberg und
Besprechung derselben. Bei erhöhtem Ureumgehalt des Serums kann
ein normaler lndikangehalt gefunden werden, z. B. bei der akuten
Nephritis. Bei chronischen Nierenerkrankungen besteht zuweilen eine
Hyperindikanämie bei normalem Ureagehalt des Serums, ln diesen
Fällen zeigt eine Hyperindikanämie früher eine Niereninsuffizienz an
als der Ureagehalt des Serums. Mit der in der Arbeit beschriebenen
Grenzreaktion kann auf einfache Weise eine Erhöhung der Indikanämie
im Sinne einer Niereninsuffizienz nachgewiesen werden.
Allgemeine Therapie.
Paul Lazarus (Berlin), Radioaktivitlt als Heilfaktor. Ther. d.
Gegenw. H. 3. Je nach Natur der Erkrankung verhalten sich die Or-
5 ane hochradiosensibel, stark, medio- und mikrosensibei. Auf Orund
ieser Einteilung werden die physikalischen und biologischen Grund¬
sätze entwickelt, die für die Behandlung maßgebend sind.
Carl Lew in (Berlin), Nichtoperative Krebsbehandlung. Ther. d.
uegenw. H. 3. Auf Grund der wenigen uns bisher bekannten bio¬
logischen Vorgänge beim Krebs wird eine kritisch-vergleichende Dar¬
stellung der einzelnen Behandlungsverfahren gegeben. Die vielen,
verschiedenartigen Methoden (medikamentöse, Strahlen-, Proteinkörper¬
therapie usw.) werden abgehandelt.
E. Langes (Charlottenbürg), Kalktberapie mit Calcaooa. Zbl.
f. Gyn. Nr. 11. „Calcaona" (Chemische Fabrik Marienfelde) besteht
aus Kalziumchlorid und Kakao. Es hat vor anderen Kalk-Präparaten
den Vorteil, daß es gut schmeckt und wochen- und monatelang ohne
Störung genommen werden kann. Man gibt es morgens und abends
je 2 Teelöffel auf 2 Tassen Wasser.
K. Dresel und M. Jakobovits (Berlin), Theoretische Grundlugeu
und die Indikationen der Kaltiumtberapie. Kl. W. Nr. 15. Die akute
Wirkung der Kalziuminjektionen besteht in einer vermutlich periphe¬
risch bedingten verstärkten Reaktion auf sympathische Reize; die
Dauerwirkung der Kalziuminjektionen ist durch eine zentral bedingte
bessere Regulierung der vegetativen Funktionen gekennzeichnet, die
sich darin ausdrückt, daß das Gleichgewicht zwischen sympathischen
und parasympathischen Funktionen leichter aufrecht erhalten werden
kann. Benutzung der akuten Wirkung dort, wo uns an einer Stärkung
der sympathischen gegenüber der parasympathischen Erregbarkeit ge¬
legen ist (z. B. das Asthma bronchiale). Dauerwirkung der Kalzium-
injektionen ist bei Störungen des Regulationsmechanismus der vegeta¬
tiven Funktionen zu erwarten (Spasmophilie, Tetanie).
Ernst Edens (St. Blasien), Difitalis. Ther. d. Gegenw. H. 3.
Auf Orund des heutigen Standes pharmakodynamischer und klinischer
Kenntnisse wird die Wirkung und Wirkungsbedingung der Digitalis
kritisch, sowohl im Experiment wie am Kranken, dargestellt
Franz Groedel (Bad Nauheim), Hypnodooal. Ther. d. Oegenw.
H. 3. Das Präparat ist eine Aethylurethanverbinduilg. Man gibt
1 Stunde vor dem Schlafen 2—4 Tabletten in warmem Tee. Es
wirkt milde, angenehm, beruhigt und ist frei von Nebenwirkungen.
Nander (Kopenhagen), Oedem der Zunge nach Mirioniajektion.
W. kl. W. Nr. 13. Ein Fall.
O.H. Petersen (Dortmund), Totalamaprose nach Novokalnioiektioo
oder Luftembolie? Zbl. f. Chir. Nr. 12. Verfasser glaubt daß es sich
in dem im vergangenen Jahr von Vorschütz mitgeteilten Falle nicht um
eine Novokainvergiftung, sondern um eine Luftembolie gehandelt habe.
A. Dührßen (Berlin), Yatreu, das Antiseptikum der Wahl
in der Chirurgie, inneren Medizin, Geburtshilfe und Oynä-
kologie. M. m. W. Nr. 14. Das Yatren ist den anderen Antisep-
tizis überlegen. Sehr günstig wirkt es in der Geburtshilfe, es ist an
Stelle der Hollensteinlösung zur Verhütung der Ophthalmoblennorhoe
zu empfehlen, auch als Nabeldeckverband. Intravenös heilt es septische
und infektiöse Erkrankungen durch unspezifische Reizung der Körper¬
zellen zu erhöhter Abwehr. Für den Praktiker ist die intramuskuläre
und orale Anwendung am bequemsten.
Innere Medizin.
♦♦•Norbert Ortner (Wien), Klinische Symptomatologie Innerer
Krankheiten. 2. verbesserte Auflage. Bd. I. Teil 2. Wien, Urban
& Schwarzenberg, 1922. 421 S. M. 120.—. Ref.: A. Lazarus
(Charlottenburg).
Der vorliegende Band bespricht die Körperschmerzen mit Ausnahme
des Bauchschmerzes. Der außerordentliche Erfolg, der dem Werk in
der Presse, wie bei den Praktikern zuteil geworden ist und so rasch
eine Neuauflage nötig gemacht hat, erklärt sich daraus, daß hier mit
didaktischer Meisterschaft die Essenz einer ungewöhnlich reichen
praktischen Erfahrung am Krankenbett niedergelegt ist. Als Lehrbuch
und als Nachschlagewerk wird das Buch in gleicher Weise den Lesern
willkommen und ein zuverlässiger Führer in ihrer ärztlichen Tätigkeit sein.
M. Heitler (Wien), Beeinflassofic des Pulses resp. des Herzens
durch Nahrung«-, Genußraittel und Gewürze. Neue biologische
Tatsachen. W. kl. W. Nr. 12. Bringt eine Fülle von Tatsachen, die
die Beeinflussung der Herztätigkeit (ia erregendem oder depressivem
Sinne) durch Geschmacksempfindungen veranschaulichen.
K. Hitzenberger (Wien), Doppelbogen des Zwerchfells bei Re-
laxatlo diaphragmatica. W. kl. W. Nr. 13. Ein Fall.
H. Kämmerer (München), Bronchialasthma. M. m. W. Nr. 15.
Uebersicht über die neueren Anschauungen, nach denen das Asthma
als eine Ueberempfindlichkeitserscheinung gegenüber verschiedenen
Proteinen betrachtet wird.
Werner Schultz (Charlottenburg). Bronchial aAbma^und Lumbal¬
punktion. Ther. d. Gegenw. H. 3. Da möglicherweise die hydro¬
statischen Druckverhältnisse im Zentralnervensystem beim Bronchial¬
asthma mitsprechen, kann man, aber nur wenn alle übrigen
Behandlungsverfahren versagt haben, versuchen, durch Lumbalpunktion
den ungefähr normalen Lumbaldruck zu beeinflussen.
Robert Nußbaum (Leipzig), Diagnostik des Lanfeokrebses*
M. m. W. Nr. 14. Atemnot, Husten und Auswurf, rapide Gewichts¬
abnahme. Röntgenbild zeigte im rechten Oberlappen Veränderungen
wie bei Tuberkulose. Es traten Stimmbandlähmung und Schwellung
der Supraklavikulardrüsen auf. Die mikroskopische Untersuchung des
Sputums sicherte relativ früh die Diagnose Lungenkrebs. Die Obduktion
ergab noch eine Metastase in einer Nebenniere.
Digitized by Google
Original frorn
CORNELL UNIVERSUM
5. Mai 1922
LITERATURBERICHT
605
Teller, Neurotomle des Laryngens saperior bei fortgeschrittener
Kehlkopfphthlse. Zschr. f. Tbc. 36 H. 1. Mit der Avellisschen Operation
wurden 12 Fälle von schwerer Kehlkopfphthise behandelt. Die Wirkung
war vielfach Hebung des Allgemeinbefindens, des Appetits, der Nah¬
rungsaufnahme, Beseitigung der quälenden Beschwerden. Die Operation
ist zu empfehlen, wenn sie auch nur symptomatischen Wert hat.
Erhard Nehring (Königsberg), Tuberkuloseinfektion auf dem
Lande. M. m. W. Nr. 14. Die Bewohner einzelner Dörfer wurden
systematisch einer diagnostischen Tuberkulinimpfung unterzogen, intra¬
kutan nach Mendel mit 7 10 mg. Bei negativem Ausfall Wieder¬
holung mit 1 mg. Es ergab sich eine über alles Erwarten ausgedehnte
Durchseuchung, die sich mit zunehmendem Alter gleichmäßig steigert.
Salomon, Gelenkspaltbildung im verknöcherten ersten Rippen¬
knorpel. Zschr. f. Tbc. 36 H. 2. Die Erkrankungsmöglichkeit einer
Lungenspitze und ihre Heilungstendenz sind unabhängig von der Ge-
lenkoildung im ersten Rippenknorpel.
Kästle, „Röntgenologischer Beitrag zur Tuberkulose in den
Lungen/ 4 M. m. W. Nr. 14. Erwiderung zu Thomas. Verfasser halt
daran fest, daß das von ihm beschriebene (M. m. W. 1921 Nr. 50) Syn¬
drom in seiner charakteristischen Eigenart pathognomonisch für die
Primär-Sekundärtuberkulose ist bei Fehlen der an sich nicht häufigen
Lungenkrankheiten mit möglicherweise ähnlichen Röntgensymptomen.
F. Petz (Bozen), Pneumothorax und Höhenwechsel. M. m. W.
Nr. 15. Patient mit komplettem Pneumothorax erkrankte plötzlich und
starb unter Erscheinungen von Luftembolie, nachdem er mit einer
Zahnradbahn schnell 1000 m hoch gefahren war.
L. Kenez und G. Szegvary, Freiheit des Pleuraspaltes mit
Berücksichtigung des künstlichen Pneumothorax. Zschr. f. Tbc. 36
H. 2. Als Untersuchungsverfahren für die Messung des mediastinalen
Widerstandes wurde die passive Beweglichkeit der relativen Herzdämp¬
fung benützt, für die Untersuchung der Zwerchfellbeweglichkeit die
elektrische Reizung des Phrenikus. Wenn die physikalische und
Röntgenuntersuchung eine gute, die elektrische Untersuchung eine sehr
gyoße Beweglichkeit zeigt, läßt sich das Freisein des Spaltes beinahe
sicher annehmen. Aus einer großen Divergenz zwischen beiden Er¬
gebnissen läßt sich schließen, daß kostale oder andrerseits diaphragmale
Pleura verwachsen sind. Auf die Fixation des Mediastinums läßt sich
aus der stark verminderten Beweglichkeit der relativen Herzdämpfung
und der besonders mittels der elektrischen Untersuchung nachweis¬
baren Fixation des inneren Zwerchfellwinkels schließen.
Wilhelm Müller, Neues chemotherapeutisches Heilverfahren
bei Lungentuberkulose. Zschr. f. Tbc. 36 H. 1. Das von Müller unter¬
suchte Guajakoljodoform hatte im Versuch am künstlich infizierten
Meerschweinchen entschieden günstige Wirkung, es verlangsamte die
Entwicklung der Tuberkulose und schwächte sie ab. Das Präparat
wurde in verschiedener Verdünnung intravenös gegeben. Die Angaben
über die am Menschen erzielten Erfolge können nicht überzeugen.
Rudolf Schindler (München), Diagnostische Bedeutung der
Gastroskopie. M. m. W. Nr. 15. Die größte Schwierigkeit be¬
steht in der richtigen Deutung und Beurteilung der Bilder. Gründ¬
lichste pathologische anatomische Kenntnisse sind unerläßlich. Bei
strenger Beobachtung der Kontraindikationen ist sie für den Kranken
ungefährlich. Sie erlaubt häufig Differentialdiagnosen zu stellen, die
mit anderen Methoden unmöglich sind, besonders die verschiedenen
Formen der chronischen Gastritis und Polyposis ventriculi, des Ulkus
und des Ulkus der Gastroenterostomie. Die Frühdiagnose des Karzi¬
noms wird auf das entschiedenste gefördert werden können, wenn
über 35 Jahre alte Patienten, die über Magenbeschwerden und Ab¬
magerung klagen, gastroskopisch untersucht werden.
A. Gregory (Wologda, Ruß].), Neues diagnostisches Symptom bei
Appeadiiitis. Zbl. f. Chir. Nr. 12. Die Perkussion der Unken Bauch-
hafte, besonders in der Mitte zwischen Nabel und Spina ant. sup. sin.
wirkt bei Appendizitis schmerzerzeugend am Mc Burneyschen Punkte,
wahrscheinlich durch Fortbildung der Erschütterung auf den kranken
Wundfortsatz.
V. E. Mertens (München), Druckpunkte in der Blinddarmgegend
und „chronische Blinddarmentzündung 44 . W. kl. W. Nr. 13. Der Lanz-
sche Druckpunkt ist nicht mit dem ursprünglich von MacBurne an¬
gegebenen identisch. Beide liegen zirka 3,8 cm auseinander. Der
Lanzsche Punkt zeigt die wirkliche Lage des Wurmfortsatzes an. Er
ist 7mal so oft schmerzhaft als der Mc Burnesche Punkt.
Landgraf (Bayreuth), Appendizitis und Situs inversus. M. m.W.
Nr. 14. Bei unklaren Schmerzen in der linken Bauchseite muß auch
an Appendizitis bei Situs inversus gedacht werden. 2 Fälle.
D. King (Wien), Chronische Bazillenruhr und Colitis gravis.
W. kl. W. Nr. 11 u. 12. An 18 Fällen von Colitis gravis wird gezeigt,
daß diese nicht mit der chronischen Dysenterie identisch ist. Alle
Faktoren, die ein Kolitis hervorrufen können, können bei Darnieder-
liegen der Heilungstendenz oder anderen akzessorischen Momenten
eine Colitis gravis auslösen.
E. Joel (Berlin), Reizwirkung der Nahrung im Purinstoffwecbsel-
KL W. Nr. 15. Die Versuche des Autors haben ergeben, daß die
Purine, soweit sie als eigentliche Reizkörper in Betracht kommen, in
einen ähnlichen Zusammenhang rücken, wie ihn etwa der Harnstoff
als Diuretikum, die Gallensäuren als Cholagoga, die Eiweiß-Abbau-
rodukte als Stomachika und der Zucker als Mobilisator im Kohlen-
ydratsstoffwechsel einnimmt. Das kalorische Moment tritt bei all
diesen Stoffen ganz zurück hinter einem spezifisch chemischen.
A.Schittenhelm (Kiel), Gicht und Nuklelastoffwechsol im Lichte
neuerer Forschung. Kl. W. Nr. 15. Kritische Besprechung der
neueren Theorien über Nukleinstoffwechsel und Entstehung der Gicht.
Für Schittenhelm setzt sich dieOicht aus zwei Vorgängen zusammen,
einmal aus einer allgemeinen Stoffwechselstörung, die zu einer Erhöhung
des Harnsäurewertes im Blute und den Geweben führt, wobei gewisse
Gewebe als Depots bevorzugt werden, und andererseits aus dem akuten
Gichtanfall, bei dem eine physikalisch-chemische Aenderung gewisser
Gewebe zustande kommen muß, die zum Ausfallen der Harnsäure Ver¬
anlassung gibt. Zwischen beiden Vorgängen bestehen beim Gicht¬
kranken vielleicht engere Beziehungen. Auch die Beziehungen der
Gicht zum Nervensystem bedürfen noch weiterer Klärung.
Karl Westphal (Frankfurt a. M.), Kausale Psychotherapie bei
Organoeurosea. M. m. W. Nr. 15. Wesentlich ist es, das psychische
Trauma herauszufinden, das zur Organneurose geführt hat. Bei In¬
telligenten genügt oft schon der Hinweis auf die psychogene Ent¬
stehung des Leidens, eine tiefgreifende Psychokatharsis im Freudschen
Sinne ist dann nicht nötig. Krankengeschichten.
Gustav Hof mann (Bayreuth), Kleiahirnblataog. M. m. W. Nr. 14.
19jähriger kräftiger Patient erkrankt mit starkem Hinterhauptkopfschmerz,
Schwindel, Erbrechen, taumelnder Gang, keine Stauungspapille. Zu¬
nehmende Somnolenz, nach einigen Tagen Tod. Im rechten Klein¬
hirn taubeneigroßes Blutkoagulum. Patient hatte in letzter Zeit häufig
und sehr andauernd als Vorturner den Kopfstand geübt.
Arnold Josefsohn (Stockholm), Verschluß des Rückenmarks-
kaoals, durch Lufteinblasungeu in den Spinalkanal festgestellt,
und ein neues Absperrungssymptom. M. m. W. Nr. 15. Wenn bei
Lufteinblasung in den Zerebrospinalkanal der Liquor gar nicht mehr
oder gashaltig in das Manometerrohr zurückfließt, liegt eine totale
resp. partielle Absperrung des Kanals vor. Bericht über einen Fall
von Tumor des Rückenmarks, bei dem die Absperrung des Zerebro-
spinalkanals durch Röntgenographie nach Lufteinblasung festgestellt
wurde.
A. Schubert (Königsberg i. Pr.), Aetiologie der Geburtslihmung.
Zbl. f. Chir. Nr. 11. Die Geburtslähmung des Armes zeichnet sich wie
kaum eine andere Deformität durch häufige Kombination mit anderen
Mißbildungen aus und zweifellos ist sie auch vererbbar. Werden diese
häufig gleichzeitig vorhandenen Deformitäten — Schulterblatthochstand,
Schiefhals, Brustmuskeldefekte, Bildungsabweichungen am erkrankten
Arm — als koordinierte Hemmungsmißbildungen aufgefaßt, so erscheint
die Forderung nach einer gemeinsamen einheitlichen Ursache notwendig.
Das ganze Krankheilsbild kann nur durch die Annahme eines Vitium
primae formationis, durch einen primären Bildungsdefekt zentralner¬
vöser Teile erklärt werden.
W. H. Wirth (Frankfurt a. M.), Glühelseobehandliingspondylitischer
Llhmaogen. Kl. W. Nr. 15. Wirth hat das Glüheisen in einer Anzahl
von Fällen von Spondylitis mit Lähmungserscheinungen und auch
andrer Erkrankungen der Wirbelsäule und des Rückenmarks angewandt
und war von der Schnelligkeit, Größe und Nachhaltigkeit der Wirkung
überrascht. Die günstigen Erfahrungen Quinckes können nach den
gewonnenen Eindrücken bestätigt werden. Ein theoretischer Erklärungs¬
versuch der Wirkungsweise des Glüheisens ist zur Zeit nicht zu geben
möglich.
Fritz Brüning (Berlin), Bedeutung der Nervenllhmnng und
Nervenreizaag für die Entstehung trophischer Gewebsveränderungen.
Kl. W. Nr. 15. Die Nervenreizung spielt gegenüber der Nerven¬
lähmung in der Pathogenese der vasomotorisch trophischen Störungen
eine überragende Rolle. Es muß daher eine konsequente Behandlung
dieser Störungen die Beseitigung oder wenigstens Minderung des
krankhaften Reizzustandes zu erstreben suchen.
E. Hillenberg (Zittau), Doppelseitiger Herpes zoster. KL W.
Nr. 15. Kasuistik.
Petersen I (Düsseldorf), Zopfabschoelder. M. m. W. Nr. 14.
Schwere erbliche Belastung, dazu Unfall, große Strapazen im Kriege.
Der Kranke gibt an, seit seinem 8. Lebensjahre an dem Trieb zu leiden,
nachdem er oft beim Frisieren einer Blondinen zusah. Als 30jähriger
wurde er einmal so sehr von der Begierde überrumpelt, daß er auf
der Straße einen Zopf abschnitt. Seitdem ist er von der Perversion
frei. Zufriedene Ehe.
Chirurgie.
H. Meyer (Göttingen), Entspannung von NahtHaiea. Zbl. f. Chir.
Nr. 13. Technische Mitteilung.
H. Koetzle, Epilepsie bei postoperativer Tetanie. Zbl. f. Chir.
Nr. 11. Bei dem 22 jährigen Kranken, der vor mehreren Jahren durch
Sturz vom Pferde eine Gehirnerschütterung erlitten hatte, kam es nach
der Operation eines Kropfrezidivs — Kolloidstruma — außer zu Tetanie
auch zu echter Epilepsie. Parathyreoidintabletten; Erlenmeyersche Brom¬
mischung. Heilung. Therapeutisch zeigt der Fall, daß die Parathy¬
reoidintabletten in nicht zu schweren Tetaniefällen sehr wohl wirksam
sein können, und daß man daher nicht grundsätzlich auf Epithelkörper¬
implantation, die wegen Schwierigkeit der Materialbeschaffung nicht
einfach ist, angewiesen ist.
J. Kumaris (Athen), Abortive Erysipelbehaadtqag. Zbl. f. Chir.
Nr. 11. Verfasser macht von neuem auf sein Verfahren aufmerksam,
mit dem feinen Thermakautermesser in einer Sitzung und eventuell
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
606
UTERATURBERICHT
Nr. 18
in leichter Narkose eine minutiöse, punktförmige Kauterisation der
ganzen ergriffenen Hautlläche vorzunehmen, 6 günstig verlaufene Fälle.
M. Kirschner (Königsberg i. Pr.), Exzision der Magenstraße.
Zbl.J. Chir. Nr. 13. Als kausale Therapie des Magengescnwürs hat
Schmieden kürzlich empfohlen, die gesamte Magenscraue zu entfernen.
Nach Verfassers Ansicht rangiert die nach derhxzision der Magenstraße
entsprechend den Schmiedenschen Vorschlägen neugebiidcte kleine
Kurvatur hinsichtlich des Neuauftretens von (Jeschwüren in einer
höheren Gefahrklasse als die ursprüngliche prophylaktisch exzidierte
„Geschwürsgefahrzone", da sie regelmanig vorspringende Narben scnaift,
die ganz besonders zur Geschwürsbildung neigen, im Gegensatz zu
Schmieden fordert Verfasser bei jedem unkomplizierten Ulcus ventriculi
zunächst den Versuch einer internen Behandlung und greift erst dann
zum Messer, wenn die Hilfsmittel der inneren Therapie erschöpft sind.
A. Hübsch (Budapest), Chronischer Ikterus durch Kompression
einer tuberkulösen Lymphdrüse. Zbl. f. Chir. Nr. 13. 30jährige Frau.
Diagnose: Cholezystitis oder Choledocholithiasis? Bei der Operation
fand sich im supraduodenalen Teile des Lig. hepatoduodenale eine
nubgroße, zum Teil odematös geschwellte Lymphdrüse, die durch
Kompression den Ductus choledochus vollkommen verlegte. Entfernung
der Drüse, die sich als tuberkulös erwies, und der hühnereigroben,
prall gespannten, starrwandigen Gallenblase. Ikterus nach 10 Tagen
verschwunden, vollkommenen Heilung.
B. Heile (Wiesbaden), Technik der Appendektomie. Zbl. f. Chir.
Nr. 12. Technische Mitteilung. Verfasser hat bereits 1915 eine verein¬
fachte Technik zur Stumpfversorgung der Appendix beschrieben, ähnlich
der neuerdings häufiger empfohlenen lnvagination.
K. Furukawa (Himeji, Japan bzw. Berlin), Chirurgische Animie-
behandlung durch Autotranstusionen von blot. Kl. w. Nr. 15. Bei
Kaninchen und Hunden mit künstlich durch Phenylhydrazininjektionen
erzeugten Anämien wurde, nachdem die Anämie einen gewissen Grad
erreicht hatte, eine kleine Menge Blut entnommen, nach der Naswitis-
schen Methode hehandelt und dem Versuchstier teils subkutan, teils
intravenös reinjiziert Immer war eine günstige Beeinflussung durch
die Autobluttransfusion deutlich nachweisbar.
A. Fischer (Budapest), Neue Methode zur Operation der
Hypospadiasis und der Defekte der Pars pendula urethrae. Zbl. f. Chir.
Nr. 12. Technische Mitteilung.
Ph. J. Schmitz, Männliche Genital- und Urogenitaltuberkulose.
Zschr. f. Tbc. 36 H. 2. Bericht über 125 einschlägige Fälle unter einem
Sektionsmaterial von 14086 Fällen. 105mal war die Protasta betroffen,
bei 78 die Samenblasen, bei 66 die Nebenhoden. 23 mal kam isolierte
Prostatatuberkulose innerhalb des ganzen Urogenitalsystems vor. Die
Prostata ist dabei sicher hämatogen infiziert, sie kann aber auch urinogen
von der Niere aus infiziert sein. Von ihr aus rückt der Prozeß weiter
auf sämtliche Abschnitte des männlichen Geschlechtsapparates vor.
Eine renopetale Ausbreitung von der Prostata aus wurde 5 mal be¬
obachtet. Jedoch ging die Erkrankung nie bis über den Halsteil der
Blase hinaus. Beim Zustandekommen der männlichen Genitaltuber¬
kulosen spielt die Prostata eine Hauptrolle. Auf die Hoden geht die
Erkrankung fast ausnahmslos von der Vorsteherdrüse aus über.
A. Gregory (Wologda, Ruß!.), Neue operative Behandlungsmethode
der Varikozele. Zbl. f. Chir. Nr. 11. Technische Mitteilung.
J. F. S. Esser (Berlin), Strukftve Chirurgie. M. m. W. Nr. 14.
Die Bezeichnung „struktive" = bauende Chirurgie ist passender als
plastische oder Wiederherstellungschirurgie. Grundsätzlich sind die
gestielten Lappen der freien Transplantationen'vorzuziehen, bei ihnen
geht die Abfuhr giftiger Abfallprodukte leichter vonstatten. Abbildung
und Beschreibung eines Falles von ausgedehntem frischen Hautdefekt
an Ober- und Unterarm. Durchziehen des Arms unter einem Tunnel
der Brusthaut, der monatelang unterhalten wird. Muskeln und Gelenke
blieben dann ohne Bewegungsstörung.
H. Krukenberg (Elberfeld), Verwendung der Baucbfiwskulatur
in der orthopädischen Chirurgie. Zschr. f. orthop. Chir. 42 H. 4. Bei
schweren Skoliosen sucht Kruken berg eine Streckung zu ermöglichen
mittels Durchschneidung des Psoas und des M. obl. extern, abdo-
minis. Letzteren Muskel hat er auch zum Ersatz des Gluteus max.
und med. verwendet bei Lähmungen wie bei irreponibler kongenitaler
Hüftluxation (Samter). Ueberzeugende Spätresultate liegen wohl noch
nicht vor, es handelt sich zunächst um interessante Versuche.
M. Horväth (Budapest), Grandprinzipien der mechanischen Be¬
handlung der Spondylitis. Zschr. f. orthop. Chir. 42 H. 4. Die ambu¬
lante Behandlung auch im besten Stützkorsett kann niemals exakte
Fixation und Entlastung des Herdes garantieren. Die Liegekur (Oips-
bett, Wattekranz nach Finck) liefert die besten Ergebnisse, relativ
schnelle Heilung, Begrenzung oder Verhütung des Gibbus. Sie be¬
dingt keine Schädigung.
F. König (Würzburg), Kosmetischer Weichteilschnitt für die
temporäre Unterkieferdorchsägnng. Zbl. f. Chir. Nr. 11. Technische Mit¬
teilung. Wichtiges Erfordernis ist die Erhaltung des Mundwinkels.
August Schlegel (Ludwigshafen a. R.), Luxatio clavirularis
retrosternalis. M. m. W. Nr. 14. Der Kranke zog sich beim Ringen
eine retrosternale Luxation des Schlüsselbeins zu, das sternale Ende
stand 4 cm hinter dem Brustbein, es bestanden Drucksymptome auf
die Arteria anonyma, Puls an der Karotis sehr schwach. Resektion.
Heilung mit guter Funktion.
Frauenheilkunde.
♦♦ J. Schwalbe (Berlin), Diagnostische und therapeutische
Irrtümer und deren Vernutung, Geburtshilfe« Heft 3:
Heuling (Baden-Baden), Üiagnoatische und tuerapeuti»ciie
Irrtümer und inre Verhütung in der bchwaoptTschaft.
Leipzig, Georg Thieme, 1922. lu4 Seiten mit 12 Abbildungen.
M. 24.—. Ref.: H. Freund (Frankfurt a. M.).
Die diagnostischen und therapeutischen irrtümer und deren Ver¬
hütung in der Schwangerschaft hat Fehling genau im selben Umfang
wie die in der Geburt und mit derselben Kunst der Darstellung
bearbeitet Ueberall bemerkt man mit Befriedigung die weise Be¬
schränkung des umfänglichen Stoffes auf die wirklich praktischen
Fragen, überall die Objektivität und Kritik des erfahrenen Geburts-
heltcrs, selbst da, wo er, wie bei der Osteomalazie, eigenes Forschungs¬
gebiet betritt. Die Schwierigkeiten, die bekanntlich der frühzeiugen
Schwangerschaftsdiagnose entgegenstehen können, die manmgfacuen
Quellen der Blutungen, die Toxikosen, soweit wir heute Genaueres
davon wissen, sind ebenso rund und verständlich übermittelt, wie die
Infektionen, die örtlichen und Allgemeinkrankheiten in ihren Beziehungen
zur Schwangerschaft. Fehlings Beitrag wird der Lernende wie der
Fachmann mit Erfolg studieren.
H. Guggisberg (Bern), Arbeitsteilung im Eierstock. Zbl. f.Gyn.
Nr. 11. Kastrierte Kaninchen sind adrenalinüberempfindlich. Eine
unterschwellige Dosis von Adrenalin (U,05 mgj subkutan injiziert be¬
wirkt bei ihnen — 1 Monat nach der Entfernung der Ovarien — eine
vorübergehende Steigerung des Blutzuckers. Verfasser hat nun bei
röntgen bestrahlten Kaninchen, bei denen also der Follikularapparat
schwer geschädigt war, die gleiche Adrenalinüberempfindlichkeit ge¬
funden, wie bei den kastrierten Tieren. Daraus ergibt sich der Schluß,
„daß eine strenge Scheidung zwischen äußerer und innerer Sekretion
im Eierstock nicht vorhanden ist Der Foilikularteil besitzt auch
inkretorische Eigenschaften". ,
K. Fink (Königsberg i. Pr.), Hydrocephalus externns und die
Gebortsleitung bei Schädellagen hydrozephaliscber Kioder. Zbl. f. Gyn.
Nr. 10. Verfasser empfiehlt bei Hydrozephalus Punktion des Schädels
zu diagnostischen und therapeutischen Zwecken.
O. Polana (München), Vorderer oder hinterer zervikaler Kaiser¬
schnitt? Zbl. f. Gyn. Nr. 11. Das gegebene Verfahren für den intra¬
peritonealen Kaiserschnitt ist die Sectio cervicalis anterior. Bildet
aber ein im kleinen Becken befindlicher Tumor (Myom, Ovarialge-
schwulst) ein Geburtshindernis, dann ist der hintere zervikale Kaiser¬
schnitt mit anschließender Geschwulstentfernung vorzuziehen.
K. v. Oettingen (Heidelberg), Beitrag zur Aetiologfe und Thera¬
pie der Extranteringravidität. Zbl. f. Gyn. Nr. 11. Ausführlicher Be¬
richt über 164 Fälle von Extrauteringravidität aus der Heidelberger
Universitäts-Frauenklinik. Zu kurzem Referate nicht geeignet.
F. Martin (Elberfeld), Sopholprophylsxe. Kl. W. Nr. 15. Martin
hat keine Veranlassung in der Prophylaxe der Neugeborenen-Blenorrhoe,
die bewährte Hö.llensteinlösung zu verlassen zugunsten der Sophol-
lösung.
E. Schöning (Hamborn a. Rh.), Technik der Metreoryse.
M. m. W. Nr. 14. Um das Platzen und das Abreißen des Ballons an
seinem Uebergang zum Schlauch zu verhüten, wird ein feines Netz
ähnlich wie ein Ballnetz über den Metreurynter gestreift. An diesem
Netz wirkt der Zug und die Belastung.
C. Pasch (Leipzig), Die Beziehung des Glykogengebaltes zur
Reaktion des Scheldeosekretes beim Weibe und einigen Haustieren.
Zbl. f. Oyn. Nr. 10. In den Schleimhautepithelien des Meerschweinchens,
des Kaninchens und der Kuh ist kein Glykogen vorhanden; infolgedessen
finden die Döderleinschen Vaginalbazillen dort nicht den erforderlichen
Nährboden für Gedeihen und für eine dauernde Ansiedelung.
R. Keyserlingk, Scheidenbildnng nach Schobert Zbl. f. Gyn.
Nr. 10. Kasuistischer Beitrag.
F. Neugebauer (Mährisch-Ostrau), Dfinndarmschelde. Zbl f.Gyn.
Nr. 10. Die Dünndarmscheidenplastik nach Haeberlin ist in einer
mit d*r Darmchirurgie vertrauten Hand ein ungefährlicher Eingriff.
Es kommt manchmal zu Nekrosen am äußeren Rand des durchge¬
zogenen Darmes, welche aber für das Endergebnis nicht von Belang
sind. Es besteht eine starke Neigung zur Schrumpfung der künstlichen
Scheide, welche eine mehrwöchige fleißige Nachbehandlung erfordert
und es unrätlich erscheinen läßt, den Eingriff bei Individuen aöszu-
führen, welche keine Gelegenheit zum sofortigen geschlechtlichen
Verkehr haben. Das anfänglich bestehende Unbehagen beim Beischlaf,
sowie die störende Sekretion verlieren sich mit der Zeit völlig. Bei
Adipositas ist der Eingriff wesentlich schwieriger; das ausgeschaltete
Darmstück muß länger genommen werden.
W. Nußbaum, Schwellenreiztherapie bei der Behandlung des
fieberhaften Abortes. Zbl. f. Gyn. Nr. 11. Bei langer als 2% Tage
währendem Fieber 2 ccm latren-Kasein stark, jeden 2. Tag bis zum
Eintritt des Fieberabfalls, dann jeden 2. Tag 1 ccm latren-Kasein (stark)
oder 2 ccm (schwach) bis zur Entfieberung. Bei Fieber weniger als
2 l /„ Tage 5 ccm latren-Kasein stark (1 mal), dann jeden 2. Tag 2 ccm
latren-Kasein stark bis zur Entfieberung.
L. Seitz (Frankfurt a. M.), Karzinom statigtlk. Zbl. f. Gyn. Nr. 10.
Ausschlaggebend ist bei der Uteruskarzinomstatistik einzig und allein
die absolute Heilungsziffer. Jeder Abzug von Kranken ist verboten,
Digitized fr
G oogle
Original ffom
CORNELL UNfVERSITY
5. Mai 1922
LITERATURBERICHT
607
auch die Verschollenen, interkurrent Verstorbenen und die die Behand¬
lung verweigert haben, müssen mitgezählt werden. Die 5jährige
absolute Heilungsziffer ergibt die endgültige oder die Dauerheilung.
Die Statistik ist eine reine Mortalitätsstatistik ohne Berücksichtigung
der Rezidive. Die jährige absolute Heilungsziffer gibt die vorläufige
klinische Heilung. Bei ihr sind wegen der Häufigkeit ihres Auftretens
auch die Rezidive und die schlecht Aussehenden mitzuzählen. Der
Begriff der vorläufigen klinischen Heilung setzt uns in den Stand,
bereits nach Ablauf von 2 Jahren einen ungefähren Ueberblick über
die Leistungsfähigkeit einer Methode zu gewinnen. Der Vergleich
der operativen Fälle der einen Klinik mit den operablen, aber der
Strahlenbehandlung zugeführten Fällen einer anderen Klinik hat wegen
der Verschiedenartigkeit des Materials relativ geringen Wert.
R. Hinrichs (Kiel), Operabilität des Uternskrebses. Zbl. f. Oyn.
Nr. 10. Die durchschnittliche Operabilität der Kieler Universitäts-
Frauenklinik beträgt 67 °/ 0 , die Inoperabilität 33 °/ 0 . Die Korpuskarzi¬
nome bleiben sehr lange operabel, was seit langem bekannt ist. Der
Vergleich der Inoperabilität von 1913 und 1918 ergibt eine Zunahme
von 6,4°/ 0 , der Vergleich von 1910 und 1920 dagegen eine Zunahme
von fast 18°/ 0 !
Nägelsbach (Freiburg), Malignes Chorlonepitheliom mit Ver¬
blutung in die Bauchhöhle. M. m. W. Nr. 14. 47jährige Frau,
vor 15 Monaten Fehlgeburt, Auskratzung. Erkrankt plötzlich mit Kollaps.
Leib aufgetrieben, freie Flüssigkeit. Laparatomie zeigt am Uterus einen
bläulich schimmernden Höcker, aus dem Blut sickert. Supravaginale
Amputation. Exitus. Mikrosk. Chorionepitheliom.
W. Sigwart (Frankfurt a. M.), Aethertberapie und Prophylaxe
der Peritonitis. M. m. W. Nr. 14. Nach den günstigen Erfolgen der
Aethereingießung in die Bauchhöhle bei schon bestehender Peritonitis
ist Verfasser zur prophylaktischen Anwendung bei „unreinen" gynäko¬
logischen Operationen übergegangen. Adhäsionsbildungen wurden nicht
beobachtet. Shokerscheinungen traten wohl nur dann auf, wenn ein
Zuviel von Aetherdämpfen nicht durch ein Drainagerohr nach außen
entweichen kann.
Augenheilkunde.
♦♦ H. Wilbrand (Hamburg) und A. Sänger, Die Neurologie
des Auges. Bd. IX: Die Störungen der Akkomodation und
der Pupillen. Wiesbaden, J. F. Bergmann, 1922. 306 S. mit 2 Tafeln
und zahlreichen Textabbildungen. M. 130.—. Ref.: Groenouw
(Breslau).
Der vorliegende Band IX behandelt die Störungen der Akkom¬
modation und der Pupillen sehr eingehend und gründlich. Da Band X
nur noch das Gesamtregister enthalten soll, so ist damit ein Werk
über die Neurologie des Auges vollendet, dem sich kein zweites in
der Weltliteratur an Gründlichkeit, Vollständigkeit und Klarheit der
Darstellung, sorfältiger Verwertung der eigenen und fremden Beobach¬
tungen an die Seite stellen kann. Es ist für Augen- und Nervenärzte
ein wertvoller Führer geworden und wird es auch weiterhin bleiben
Der langjährige Mitarbeiter Wilbrands, Prof. Sänger, hat leider
den Abschluß des Werkes nicht mehr erlebt, er ist am 18. Mai 1921
gestorben.
W. P. Filatow (Odessa), Plastik mit roadem Stiel. Klin. Mbl.
f. Aughlk. 68 Januar-Februarheft. Es wird durch 2 parallele Schnitte
ein Hautband abgetrennt, das vom Processus mastoideus bis zum inneren
Schlüsselbeinende reicht und durch Vernähung seiner Ränder in einen
runden Stiel verwandelt wird. Nach etwa 3 Wochen wird das kranke
Lid entfernt, am unteren Ende des Stieles aus der Haut der Schlüssel¬
beingegend ein entsprechender Lappen genommen und in den Defekt
eingenäht. Nach Einteilung des Lappens wird der runde Stiel durch¬
trennt und eventuell reseziert.
Otto Triebenstein (Rostock), Rosazeaerkrankungen des Auges.
Klin. Mbl. f. Aughlk. 68 Januar-Februarheft. Das Auge kann ohne
gleichzeitige Erkrankung der Haut von Rosazea ergriffen werden.
Diese tritt auf als Blepharitis, Konjunktivitis mit Gefäßknäueln oder
Knoten in der Bindehaut und als Rosazeakeratitis, und zwar als Rand¬
keratitis, subepitheliales Infiltrat oder fortschreitende Hornhautentzün¬
dung, zu welcher wahrscheinlich auch das Ulcus rodens der Hornhaut,
gehört. Die wirksamste Behandlung ist Massage mit Zinkichthyolsalbe
eventuell auch Auskratzen mit dem scharfen Löffel.
K. K.K. Lundsgaard (Kopenhagen), Bedeutung der Finsenbehand¬
lung für Augenkomplikationen bei Lupus der Augen Klin. Mbl. f. Aughlk.
68 Januar-Februarheft. Unter den an Finsens medizinischem Lichtinstitut
behandelten Lupuskranken hat die Zahl der Augenkranken gegen früher
abgenommen. Ein Vergleich einer aus dem Jahr 1903 stammenden
und einer die letzten 17 Jahre umfassenden Statistik ergibt, daß die
Tränenkanalleiden von 13,5 auf 8,7%, die Hornhauterkrankungen von
14,1 auf 5,9% und die Narbenektropien von 3,1 auf 1,3% gesunken sind.
L. Pick (Königsberg), Operative Trachombehandlung. Klin. Mbl.
f. Aughlk. 68 Januar-Februarheft. Es wird die Exzision des Lidknorpels
empfohlen und die operative Methode genau beschrieben. Unter 210
vor mehr als 5 Jahren operierten Kranken waren 70% vollständig und
weitere 13% fast vollständig geheilt, letztere bis auf einzelne noch
bestehende Trachomkörner oder TrichiasisVeränderungen.
H. Heinemann (Petömbökan auf Sumatra), Behandlnnf der go¬
norrhoischen Infektion des Auges. Klin. Mbl. f. Aughlk. 68 Januar-
Februarheft. Bei den javanischen und chinesischen Arbeitern auf
Sumatra ist Augengonorrhoe nicht selten. Neben der bei der Indolenz
der Kranken nicht immer leicht durchführbaren örtlichen Behandlung
hatten intramuskuläre Injektionen von Kaseosan günstige Wirkung.
Max Baurmann (Aachen), Metaplastische Umwandlung der Horn¬
haut bei Forellenembryonen. Klin. Mbl. f. Aughlk. 68 Januar-Februar¬
heft Wurde bei ForeUenembryonen die Linse aus dem Auge entfernt,
so kam es, falls der Eingriff auch andere Störungen in der Entwicklung
des Auges herbeiführte, zu einer metaplastischen Umbildung der Horn¬
haut, indem diese der Haut des Tieres ähnlicher wurde. Als Grund
wird der Ausfall der innersekretorischen Tätigkeit der Linse und Netz¬
haut angesehen, wahrscheinlich auch noch physikalische Momente wie
Druck und Spannung.
R. G ree ff (Berlin), Achsenschema für Astigmatismus. Klin. Mbl.
f. Aughlk. 68 Januar-Februarheft. Das neue englische Achsenschema
für Astigmatismus stimmt mit dem von dem Deutschen technischen
Ausschuß für Brillenoptik (Tabo) aufgestellten überein, nur benutzt es
die untere Hälfte des Gradbogens, während das Schema der Tabo die
Zählung am linken Rande des horizontalen Meridians beider Augen
beginnt und links herum weiter führt, so daß 90 0 oben 180° am rechten
Ende des horizontalen Meridians stehen.
C. H. Sattler (Königsberg), Horohautschldiguogeo durch Per-
hydrol. Klin. Mbl. f. Aughlk. 68 Januar-Februarheft. Eine 2°| 0 ige
Lösung von Wasserstoffsuperoxyd bedingt an der normalen Hornhaut
nur unbedeutende Veränderungen, an der kokainisierten aber zuweilen
dauernde Trübungen. Es ist also bei der Anwendung dieser Lösung
als blutstillendes Mittel in der Nähe des Auges Vorsicht geboten.
F. W. Kruse (Freiburg i. Br.), Keratitis scrophulosa interstitialls.
Klin. Mbl. f. Aughlk. 68 Januar-Februarheft. Bei skrofulösen Personen
tritt zuweilen ein tiefes Hornhautinfiltrat auf, das in der Regel wieder
augesaugt wird, ohne daß es zu eiterigem Zerfall kommt. Es hat
Aennlichkeit mit der syphilitischen interstitiellen Keratitis.
A. Bielschowsky (Marburg), Abnorme Mitbeweguor der Papillen.
Klin. Mbl. f. Aughlk. 68 Januar-Februarheft Ein 49jähriger Kranker
mit vollständiger Okulomotoriuslähmung des linken Auges zeigte eine
Verengerung der gelähmten Pupille, sobald der Abduzens innerviert
wurde.
Soki Mar ui (Nagoya, Japan), Kombinations Wirkung von Eserin
und Pilokarpin. Klin. Mbl. f. Aughlk. 68 Januar-Februarheft Versuche
an den eigenen Augen des Verfassers ergaben, daß 2 Tropfen einer
Eserinlösung von 1 :5000 eben noch eine geringe Pupillenverengerung
bedingten, für Pilokarpin war die Minimaldosis ebenso groß. Wurden
beide Mittel gleichzeitig eingeträufelt, so ergab sich die stärkste Wirkung,
und zwar eine Potenzierung, keine einfache Addition, wenn beide zu
gleichen Teilen eingeträufelt wurden.
Inasaburo Naito (Nagoya, Japan), Kombinationswirkung von
Atropin und Kokain. Klin. Mbl. f. Aughlk. 68 Januar-Februarheft.
2 Tropfen einer Atropinlösung von 1:100000 oder einer Kokainlösung
von 1:50000 bewirkten an den Augen des Verfassers eine eben merk¬
liche Pupillenerweiterung. Werden beide Mittel kombiniert, so ist die
Wirkung erheblich stärker, als wenn jedes für sich allein benutzt wird,
und zwar dann am größten, wenn die Mischung beide Mittel in der
oben angegebenen Menge enthält
R. Scheerer (Tübingen), Röntgenbestrahlung bei Irlstuberkolose.
Klin. Mbl. f. Aughlk. 68 Januar-Februarheft. In einem Falle von schwerer
tuberkulöser Iridozyklitis wurde neben anderer Behandlung (u. a. Iri-
dektomie) auch zweimal eine Röntgenbestrahlung angewendet mit
gutem Erfolge.
Hanna Galetski-Olin (Helsingsfors), Erfahrungen über ver¬
schiedene Glankomoperationen. Klin. Mbl. f. Aughlk. 68 Januar-Februar¬
heft Von den vier besprochenen Operationsmethoden: Iridenkleisis,
Iridotasis, Sklerektomie und Trepanation der Sklera nach Elliot ist
die Iridotasis technisch am leichtesten ausführbar, durch sie wurde in
etwa 90% der Fälle der Druck normalisiert. Ebenso oft war dies der
Fall nach Elliots Operation, doch ist diese technisch schwierig und
gibt häufig Anlaß zu Komplikationen. Die beiden anderen Operationen
kommen weniger in Frage.
A. H. Marcotty (Freiburg i. Br.), Lymphadenome der Augenhöhle
eheilt durch Strahltntherapie. Klin. Mbl.f. Aughlk.68 Januar-Februar-
eft. Bei einem 78jährigen Mann mit beiderseitigen symmetrischen
aleukämischen Lymphadenomen der Augenhöhlen und der Tränendrüsen
wurde die eine Geschwulst zum größten Teil operativ entfernt und ihr
Rest, sowie die andere Geschwulst mit Röntgenstrahlen bzw. Meso¬
thorium bestrahlt, worauf die Tumoren vollständig verschwanden.
Eine Schädigung der Augäpfel trat nicht ein.
F. Candian (Zürich), Refraktlonsstörnngen bei retrobnlblrem
Tumor. Klin. Mbl. f. Aughlk. 63 Januar-Februarheft. Ein 27jähriger
Kranker mit rechtsseitiger Augenhöhlengeschwulst zeigte beim Buck
geradeaus eine Hypermetropie von 2,5 D, welche beim Blick nach ab¬
wärts verschwand. Daraus wird der Schluß gezogen, daß hinter dem
Augapfel eine Geschwulst sitze, welche bei Primärstellung des Aug¬
apfels dessen hinteren Pol komprimiere und so die Hypermetropie
erzeuge.
□ igitized by Google
Original from
CORUELL UNIVERSITY
608
LITERATURBERICHT
Nr. 18
Zahnbeilkunde.
♦♦ Ernst Seifert (Würzburg), Chirurgie des Kopfes und Halses
für Zahnärzte. München, J. F. Lehmann, 1922. 202 Seiten mit
147 Abbildungen. M. 50.—, geb. M. 62.—. Ref.: Pro eil (Königsberg).
Zu den bereits erschienenen Kompendien für Zahnärzte gesellt
sich heute das vorliegende Heft der Lehmannschen medizinischen Lehr¬
bücher, das die Chirurgie behandelt. Entsprechend den klinischen
Vorlesungen für Studierende der Zahnheilkunde, aus welchen es seinen
Ursprung hat und die es ergänzt, sollte die „Chirurgie des Kopfes
und Halses" nach dem Wunsche des Verfassers weniger vollständig
sein, als vielmehr typische Krankheitsfälle bringen und das Hauptge¬
wicht auf die Schilderung des klinischen Bildes und seine Deutung
gelegt werden. Die Absicht ist vollauf erreicht und so begrüßen wir
in der Neuerscheinung ein nützliches Nachschlagewerk, das sicher
einen großen Interessentenkreis finden wird. Die reiche Ausstattung
mit vorzüglichen Bildern fällt gegenüber anderen Lehrbüchern der
Jetztzeit auf, nur hätte zuweilen die Reproduktion (ich erwähne nur
das Bild der Epulis) deutlicher sein können. Auch der Text, der die
zahnärztlich-chirurgischen Gebiete streifenden Abhandlungen hätte besser
unter Mitwirkung eines Zahnarztes geschehen müssen, zur breiteren
Darstellung des für seine Fachgenossen besonders Wichtigen.
Haut* und Venerische Krankheiten.
44 Leo von Zumbusch (München), Atlas der Syphilis. Leipzig,
F.C.W. Vogel, 1922. 32 S. mit 31 Tafeln und 64 Abbildungen.
Geb. M. 120.—. Ref.: Max Joseph (Berlin).
Dieser Atlas soll dazu dienen, dem Studierenden und praktischen
Arzte die wichtigsten Erscheinungsformen meist in mehreren Bildern
vor Augen zu führen. Die Bilder sind nach dem Uvachromverfahren
emacht, und diese in Farbe hergestellten Photographien erreichen
en höchsten Grad der Vollendung. Kein Zweifel, daß hier ein wich¬
tiger Behelf für Studium und Praxis vorliegt.
Hermann Werner Siemens (Breslau), Heftpflasterdermatitis.
M. m. W. Nr. 14. Ein Fall zeigte starke Ueberempfindlichkeit gegen
Leukoplast, als schädigende Substanz wurde Dammarharz ermittelt.
Ein anderer bekam eine impetiginöse Dermatitis nach Heftpflaster, als
das reizende Agens fand sich hier Terpentin. Auch gegen Dammar¬
harz war dieser Kranke überempfindlich.
Gustav Stümpke (Hannover), Syphilis coogeaitalis. M. m. W.
Nr. 15. Fortbildungskurse für Aerzte, Hebammen und Schwestern sind
nötig, um möglichst frühzeitig die kongenital syphilitischen Kinder
feststellen zu können. Die Behandlung ist am besten kombiniert, Hg
als Schmierkur oder Sublimatinjektion und Neosalvarsan intramuskulär.
Zahlreiche Kinder gehen trotz ausgiebigster Medikation an ihrer Syphilis
oder an interkurrenten Krankheiten zugrunde.
Hugo Müller (Mainz), Behandlung der Syphilis mit Wismut.
M. m. W. Nr. 15. Bericht über günstige Erfahrungen bei Behandlung
der Syphilis mit weinsaurem Kalium-Natrium-Wismut (Trepol) besonders
bei 9 Fällen mit hypertrophischen Papeln, bei denen das Hg oft versagte.
G. Vill und H.Schmitt (Greifswald), Behandlung der Syphilis
mit Metallsplvarsan (Silber) -Novasurolgeraischen. M. m. W. Nr. 15.
An Hand zahlreicher Fälle weist Verfasser nach, daß die cinzcitigc
Behandlung mit Silbersalvarsan-Novasurol in ihrer augenblicklichen
Wirkung sowohl auf die klinischen Erscheinungen als auch auf die
Wa.R. zum allermindesten der zweizeitig kombinierten Methode gleich¬
kommt. Sie hat weniger Nebenwirkungen und ist deshalb, was die
Zahl der Kuren anbetrifft, vollkommener durchzuführen.
J. Klaar (Wien), Hg- bzw. Salvarsandermatitiden. W. kl. W
Nr. 12 u. 13. Der Studie liegen 34 Fälle zugrunde, die von 1916-1921
in der Klinik Finger beobachtet wurden. Davon traten 19 nach Hg-
Salvarsan auf, 2 nach Silbersalvarsan, 3 nach Neosalvarsan, 10 nach
Mirion-Neosalvarsan. Bemerkenswerte Exanthemformen: 3mal Purpura,
Imal Erythema nodosum, lmal Herpes iris, 7mal universelle Melanose
als Endausgang, lmal symmetrische, oberflächliche Hautgangrän vom
Typus der akuten multiplen neurotischen Hautgangrän. In schweren
Fällen Verlust der Nägel und der Haare (endokrine Störungen?),
7 Fälle endeten tödlich. Todesursache meist Herzschwäche. Ueberall
Milzschwellung. In einem Falle ausgedehnte nekrotisierende Entzündung
des Dünn- und Dickdarms. Keine Anhaltspunkte für Leberschädigung.
Daher Annahme einer spezifischen Reaktionsfähigkeit des Organismus
im Sinne Jadassohns als Ursache der Exantheme. 11 Fälle über
6 (bis 43) Monate rezidivfrei. Diesen stehen 3 gegenüber, in denen
sich die günstige Beeinflußung nicht feststellen ließ. Die günstige
Wirkung wird auf das begleitende Fieber bezogen.
Kinderheilkunde.
Margarete Zielaskowski (Breslau), Ausnutzung von Kohlen¬
hydrate! und Fett bei mit Battennehlaabrang ernährten Kindern. Jb, f.
Kindhlk. 97 H. 5/6. Die Ausnutzung von Kohlenhydraten war bei den
mit Buttermehlnahrung ernährten Kindern gut. Die Fettresorption war
in Anbetracht des honen Angebotes genügend.
E. Brunthaler (Neukölln), Grobes Mehl und Battermebluahrung
nach Czerny-Kleinschmidt. jb. f. Kindhlk. 97 H. 5/6. Verwendung
von groben Mehlen bei der Bereitung der Buttermehlnahrung führte
Digitized by Gougle
zu schweren Ernährungsstörungen. Um die im groben Mehl vorhan¬
denen „Extraktivstoffe" den Säuglingen mit Erfolg zuzuführen wird
empfohlen, grobes Mehl mit Wasser zu einem dicken Brei zu ver¬
rühren und diesen Brei etwa 2 Stunden bei 60° stehen zu lassen.
Nach Zusatz der nötigen Menge Butter und Abdunsten des überflüssigen
Wassers wird wie üblich die Buttermehlschwitze hergestellt
M. Hohlfeld (Leipzig), Intubation. Die Schluckstörung. Jb.f.
Kindhlk. 97 H. 5/6. Zur Ernährung des inhibierten älteren Kindes wird
eine breiige Kost, für die Ernährung des Säuglings die Sondenernah-
rung empfohlen.
Heile (Wiesbaden), Chirurgische Behandlung des Pylorospasmus
der Säuglinge. Jb. f. Kindhlk. 97 H. 5/6. Die palpatorische Fest-
Stellung des Pylorustumors ist für die Diagnose des Pylorospasmus
nicht ausschlaggebend, auch in operatione fehlte bei zwei von 20 ope¬
rierten Patienten der Pylorustumor. Durchschneidung der nicht hyper¬
trophischen Antrummuskulatur heilte auch hier die Erkrankung. Die
Mortalität bei Frühoperation, ehe akute Verschlimmerungen emtreten
— das ist etwa zwei Wochen nach Krankheitsbeginn — beläuft sich
auf 5°/ 0 . Der Pylorustumor ist angeboren; erst das Hinzutreten eines
Spasmus führt zum Verschluß des Magens.
Er. Schiff und E. Färber (Berlin), Icterus neonatorum. Jb. f.
Kindhlk. 97 H. 5/6. Zwischen der Stärke der beim Neugeborenen
physiologischen Bilirubinämie und der Intensität des Icterus neonatorum
besteht kein Parallelismus. Das Bilirubin im Blute der Neugeborenen
erweist sich als „indirektes Bilirubin". Der erhöhte Bilirubingehalt des
Blutserums der Neugeborenen ist auf eine gesteigerte Blutmauserung
zurückzuführen. Zum Zustandekommen des Gewebsikterus muß zur
Bilirubinämie noch eine erhöhte Durchlässigkeit der Gefäßkapillaren
für Gallenfarbstoffe hinzukommen.
K. Huldschinsky (Berlin), Einflnfi der Räntgenstrablen auf die
Rachitis. Zschr. f. orthop. Chir. 42 H. 4. Versuchsweise wurde ein
3jähriges rachitisches Kind mit weichen Röntgenstrahlen behandelt,
18 Sitzungen in 2 Monaten je 60 Sekunden. Erfolg im Röntgenbild
auffällig. Immerhin ist Quarzlicht ebenso sicher und unschädlich.
Hygiene.
♦♦ Q. Sobernheim (Bern), Leitfaden für Desinfektoren. 4. Auf].
Halle, Carl Marhold, 1922. 68 Seiten. M. 7.—. Ref.: K. Süpfle
(München).
Die vierte, erweiterte und neu bearbeitete Auflage des Sobernheim-
schen Leitfadens für Desinfektoren ist von E. Seligmann (Berlin)
unter Berücksichtigung der neuen Forschungsergebnisse und der preußi¬
schen Desinfektionsvorschriften vom 8. II. 1921 herausgegeben worden.
Es gibt eine ganze Anzahl guter Anleitungen für die praktische Aus¬
führung der Desinfektion. Was den Sobernheim - Seligmanns eben
Leitfaden vor vielen anderen ähnlichen Schriften auszeichnet, ist die
überaus klare, leicht faßliche, mit großem didaktischen Geschick ge¬
schriebene Darstellung. Der Verfasser bemüht sich, das zu erreichen,
was das wichtigste, aber auch das schwerste ist: bei den Desinfektoren
und Krankenpflegern Verständnis für die Desinfektionsmaßnahmen
zu entwickeln. Der vorliegende Leitfaden ist daher allen, die sich über
die Desinfektion im Privat- und Krankenhaus unterrichten wollen,
namentlich den Teilnehmern an Desinfektionskursen, wärmstens zu
empfehlen.
H. Herxheimer (Spandau), Wirkungen von Tarnen und Sport
auf die Kftrperbilduag erwachsener junger Männer. Kl. W. Nr. 15.
Unter dem Einfluß intensiv betriebener vielseitiger Leibesübungen war
bei ausreichender Ernährung eine durchschnittlich erhebliche Gewichts¬
zunahme nachzuweisen, zurückzuführen auf vermehrtes Wachstum der
Muskulatur. Auch der Brustspielraum stieg nach anfänglicher Ab¬
nahme rasch an. Der Effekt war bei ungeübten jungen Männern
größer, besonders bei grazil gebauten „Untergewichtigen". Männer
über 30 Jahre nahmen an Gewicht und Muskelumfängen ab. Keine
wesentlichen Verschiedenheiten in der Einwirkung verschiedener Arten
körperlicher Betätigung. Der stark fördernde Einfluß der Leibes¬
übungen auf die Entwicklung des Körpers im Alter zwischen 24 und
30 Jahren hat sich durch die vorliegenden Untersuchungen bestätigt.
H. Reichel (Wien), Gesundheitlicher Ehekonsens. W. kl. W.
Nr. 12. Forderung der gesetzlichen Einführung von Gesundheitszeug¬
nissen vor der Eheschließung. Da diese vorläufig noch nicht mit der
genügenden Sicherheit ausgestellt werden können, wird die Errichtung
rassenbiologischer Forschungsinstitute vorgeschlagen. Eine zweck¬
mäßige Aufklärung, Ausbildung von Aerzten und Lehrern in der Rassen¬
hygiene wird gleichfalls für notig erachtet.
Sachverst&ndigentttigkeit.
H. Bettmann (Leipzig), Zusammenhang von Unfall und Tuber¬
kulose. Mschr. f. Unfallhlk. Nr. 2. Zusammenfassender Vortrag vor
Beamten der Reichsversicherung.
H. Gr über (Mannheim), Kommen leichte Unfälle als Ursache
chirurgischer Tuberkulose in Frage? Mschr. f. Unfallhlk. Nr. 1. Die
Frage wird entschieden verneint. In 90*/,, der nachgeprüften Fälle von
angeblich posttraumatischer Tuberkulose mußte der ursächliche Zu¬
sammenhang abgelehnt werden.
Original from
CORNELL UNIVERSUM
SOZIAL HYGIENISCHE RUNDSCHAU Nr.2
Redigiert von Prof. Rott, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft sozialhygienischer Reichsfachverbände.
Allgemeines.
Zwischen dem Deutschen Roten Kreuz und der Arbeitsgemein¬
schaft sozialhygienischer Reichsfachverbände ist folgende Verein¬
barung getroffen worden: Die Arbeitsgemeinschaft der sozialhygie-
nischen Reichsfachverbände erklärt sich bereit, sich dem Deutschen
Roten Kreuz zur Durchführung seiner Aufgaben und Arbeiten auf
sozialhygienischem Gebiet als sozialhygienischer Beirat zur Verfügung
zu stellen. Das Deutsche Rote Kreuz bildet nach § 15 seiner Satzun¬
gen einen ständigen sozialhygienischen Ausschuß, dem das General¬
sekretariat des Deutschen Roten Kreuzes und die Vertreter der
fünf Mitgliedverbände der Arbeitsgemeinschaft sozialhygienischer
Reichsfachverbände angehören (Deutsche Vereinigung für Säugliugs-
schutz, Deutsches Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose,
Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten,
Deutsche Vereinigung für Krüppelfürsorge, Deutsche Reichshaupt¬
stelle gegen den Alkoholismus). Es ist in Aussicht genommen, ein
Mitglied der Arbeitsgemeinschaft in den Hauptvorstand des Deutschen
Roten Kreuzes hinzuzuwählen. — Die Zuziehung von Persönlich¬
keiten zum Ausschuß bei besonderen Fragen und Maßnahmen im
Benehmen mit der Arbeitsgemeinschaft bleibt dem Ausschuß Vorbe¬
halten. — Das Generalsekretariat des Deutschen Roten Kreuzes bildet
die Geschäftsstelle des Ausschusses (Cecilienhaus, Berlin-Charlotten¬
burg, Berliner Str. 137); sie hat die Aufgabe, die vom Ausschuß vor-
geschlagenen Maßnahmen im Einverständnis mit der zuständigen
Fachorganisation durchzuführen. Von Fall zu Fall wird entschieden,
ob die Ausführung eines Beschlusses durch Organe des Deutschen
Röten Kreuzes erfolgt oder der zuständigen Fachorganisation über¬
tragen wird, — Die Selbständigkeit der Arbeitsgemeinschaft der
sozialhygienischen Reichsfachverbände bleibt völlig unberührt. Die
Maßnahmen des Deutschen Roten Kreuzes haben zum Ziel, die Auf¬
gaben der Fachverbände zu unterstützen, ohne in ihre Arbeiten im
einzelnen einzugreifen.
Denkschrift über die cesandbeitlichen Verhältnisse des denfocben
Volkes Io Jshre 1926/21. Berlin, Reichsdruckerei, 1922. Das Reichs¬
gesundheitsamt berichtet über das Ergebnis einer Prüfung, wie
sich der Gesundheitszustand für die Zeit von Ende 1918 bis etwa
zum Ende des ersten Vierteljahrs 1921 gestaltet hat. Die Unter¬
suchung hat sich erstreckt auf die allgemeinen Geburts¬
und Sterblichkeitsverhältnisse, auf die Häufigkeit
der Sterbe- und Erkrankungsfälle bei einzelnen Kr an k-
heiten, insbesondere bei Tuberkulose, ferner auf die
Gesundheitsverhältnisse unter den Kindern, sowie auf
die fortdauernden Schwierigkeiten auf dem Gebiete
des Ernährungs-, Wohnungs- und Bekleidungs wes e n s.
Zusammenfassend ergibt die Untersuchung: 1. Seit dem zweiten
Viertel des Jahres 1920 beginnt eine fortgesetzte Abnahme der vor¬
dem erheblichen allgemeinen Sterblichkeit, bei der diejenige an
Tuberkulose, Grippe, Wochenfieber eine bedeutsame Rolle spielte.
Die Zahl der Geburten nimmt mit dem zweiten Halbjahr des Jahres
1919 zu, bleibt im Jahre 1920 aber noch hinter dem letzten Friedens¬
jahre 1913 zurück. 2. In den Berichtsjahren übertrafen die Typhus-
und Ruhrerkrankungen noch wesentlich die Ziffern der Friedenszeit.
Hauterkrankungen, Schädigungen der Bauchorgane, des Herzens und
der Gefäße, des Nervensystems waren noch weit verbreitet. 3. Die
allgemeine Sterblichkeit an Tuberkulose hat sich zwar seit dem
Jahre 1919 vermindert; es ist aber noch eine sehr wesentliche Stei¬
gerung der Ansteckungen mit Tuberkulose vorhanden, die sich vor¬
zugsweise auf das frühe Kindesalter erstreckt. 4. Für eine außer¬
ordentliche Zunahme der Geschlechtskrankheiten haben sich Anhalts¬
punkte nicht ergeben. 5. Der Gesundheitszustand der Kinder jenseits
des Säuglingsalters hat besonders unter dem Mangel an Milch
schwer gelitten und tut sich in gehäufter Skrofulöse, Rachitis und
Blutarmut kund. 6. An dem Tiefstand der Volksgesundheit ist vor¬
zugsweise der Nahrungsmangel schuld, der zu einer allgemeinen
Unterernährung führte. Wohnungs-, Bekleidungs-, Kohlen- und
Seifennot sowie die Teuerung verschärfen die Lage. — Die Gesamt¬
betrachtung läßt für die Berichtszeit, also nur bezüglich der Ver¬
minderung der Sterblichkeit und der Steigerung der Geburtenziffern
eine Besserung der Verhältnisse erkennen. Dieser stehen aber zahl¬
reiche schlimme Zustände gegenüber. Eine weitere Zunahme der
erwähnten Ernährungs- und Wirtschaftsschwierigkeiten, wie auch
etwaige Einbrüche von Seuchen können das sich mühsam behauptende
Gleichgewicht zerstören.
Der Deutsche Verein für öffentliche Gesundheitspflege hält seine
nächste Hauptversammlung vom io.—12. IX. 1922 in Frankfurt a. M. ab.
Als Verhandlungsgegenstand ist „Wohnungsnot und Volksgesundheit“ fest¬
gesetzt worden. _
Mutter-, Säuglings- und Kleinkinderffirsorge.
Leopold Moll (Wien), Zur Regelung des Anmeuwesem. W.m. W.
1922 Nr. 3. Verfasser macht Vorschläge für die gesetzliche Durch¬
führung der Forderung, daß eine stillende Frau sich nur dann zur
Stillung eines fremden Kindes hergeben darf, wenn sie nicht ge¬
zwungen ist» sich von ihrem Kinde zu trennen, sondern die Mög¬
lichkeit hat, solange ihr Kind auf die Ernährung durch die Mutter¬
brust angewiesen ist, im Hause des Dienstgebers mit dem Kinde
zu wohnen und es zum Teil an der Brust aufzuziehen. Für Oester¬
reich ist die Möglichkeit, die sich aus einer derartigen Regelung
für das Ammenkind ergebenden wesentlichen Vorteile gesetzlich zu
sichern — es muß verhindert werden, daß die Amme zwar mit Kind
aufgenommen, aber nach kurzer Zeit durch eine höhere Entlohnung
veranlaßt wird, ihr Kind in Pflege zu fremden Leuten zu geben —
durch das neue Ziehkindergesetz vom 4. II. 1919, das nur einer
kleinen Erweiterung bedürfte, gegeben. Der Erlaß eigener Bestim¬
mungen für die Ammenkinder scheint zwar bei ihrer relativ kleinen
Zahl auf den ersten Blick von keinem besonderen Einfluß zu sein; •
Verf. mißt einem solchen Gesetz jedoch in moralischer Beziehung
größte Bedeutung bei, weil damit auch die besitzenden Kreise
gezwungen werden, sich mit den Aufgaben der Fürsorge zu be¬
freunden.
Salomon (Berlin), Reichswochenhilfe und Ftnilieavereichentnr.
Zschr. f. soz. Hyg. 1922 H. 9. In Berlin muß die Mutter, nach Verein¬
barung mit den großen Krankenkassen, um Stillgeld zu erlangen,
ihre Brust auf Laktation in der Säuglingsfürsorgestelle prüfen lassen
und ist dabei gezwungen, ihr Kind regelmäßig dem Facharzt vorzu¬
stellen. Dieser letztere, unschätzbare Vorteil wird nach Einführung
der Familienversicherung fortfallen, die Mutter geht allein zur
Prüfung zu ihrem Familienkassenarzt, das Vorstellen des Säuglings
wird zur freiwilligen Leistung der Mutter; ein großer Teil fürsorge-
bedürftiger Säuglinge wird nicht mehr erfaßt werden. Verf. tritt
deshalb dafür ein, daß wie bisher die Ausstellung des Stillscheines
nur in den Säuglingsfürsorgestellen erfolgt. Schuh
Schulkinderfürsorge.
Der Deutsche Verein für Schulgesundfaeitspflege wird seine diesjährige
Jahresversammlung am t3. IX. in Verbindung mit der Tagung des Deutschen
Vereins für öffentliche Gesundheitspflege in Frankfurt a. M. abhalten. Als
Verhandlungsgegenstand ist bestimmt: „Wieweit läßt sich die auf kulturellem
Gebiet erforderliche Sparsamkeit mit den Forderungen der Schulgesündheits-
pflege in Einklang bringen?“ Als Berichterstatter sind Selter (Königsberg),
Geh. Baurat Hane und ein Schulmann in Aussicht genommen.
Die Jahresversammlung der Vereinigung deutscher Schul- und Fur-
sorgeflrzte wird am 9- IX., ebenfalls in Frankfurt a. M., stattfmden. Als
Beratungsgegenstand ist in Aussicht genommen: „Die Aufgaben und die
Grenzen der schul- und fürsorgeärztlichen Tätigkeit“. Berichterstatter werden
sein: für die Schulärzte Lewandowski (Berlin), für die Säuglingsfürsörge
Hoffa (Barmen) und für die Tuberkulosefürsorge ein noch zu bestimmen¬
der Arzt.
Jugendpflege und -ffireorge.
Denkschrift des Wörttembergischen Aerzteverbands über den ärzt¬
lichen Dienst bei der Durchführung des wurtt. Jugendemtsgesetzes.
(Geschäftsführender Arzt: Dr. Koebner.) M. Korr.Bl. f. Württ. 1922
Nr. 7. Der 1. Teil der Denkschrift behandelt die Stellung des Arztes
im württembergischen Jugendamtsgesetz vom 8. X. 1919. Es wird
als eine empfindliche Lücke bezeichnet, daß die Regelung des ärzt¬
lichen Dienstes auf dem Gebiete der Jugend Wohlfahrt und bei der
Durchführung des Gesetzes im Gesetze selbst nicht erfolgt ist. Die
vorgesehenen hauptamtlichen Bezirksfürsorgerinnen und hauptamt¬
lichen Geschäftsführer und Geschäftsführerinnen müssen unter stän¬
diger Aufsicht eines Arztes arbeiten, die Leitung der sozialärztlichen
Einrichtung muß dem Arzte anvertraut sein. Gefordert wird eine stär¬
kere Vertretung in der aus 12 Mitgliedern bestehenden Jugendkom¬
mission — jetzt ist nur der Oberamtsarzt, in den Städten der Stadt¬
arzt von Amts wegen Mitglied —, ferner die Vorschlagsberechtigung
für die Organisation der Aerzte in bezug auf die Zusammensetzung
der Kommission. Es wird des weiteren dargelegt, daß die Tätig¬
keit des Oberamtsarztes laut Gesetz vom 1Ö. VII. 1912 durchaus
als eine fürsorgerische gedacht ist; er ist Gerichts-, Impf- und
Schularzt. — Im 2. Teil werden die Beziehungen zwischen der Jugend¬
fürsorge und der medizinischen Wissenschaft und ärztlichen Praxis
dargelegt. Die verschiedenen Einrichtungen, wie Berufsvormund¬
schaft, Mutterberatungs- und Säuglingsfürsorgestellen, Stillstuben und
Krippen, Kleinkinder- und Schulkinderfürsorge, Tuberkulosefürsorge,
die Anstellung von Fürsorgerinnen u. a. m. sind von Aerzten ge¬
schaffen bzw. gefördert worden. Der Erfolg aller dieser Einrichtungen
ist abhängig von der ärztlichen Leitung. In Württemberg hat sich
die Bestellung des Oberamtsarztes zum Schularzt in den 9 Jahren
seit Erlaß des Oberamtsarztgesetzes auf das beste bewährt. Die
natürlichste und folgerichtigste Entwicklung ist, den Oberamtsarzt
zum Mittelpunkt der sozialen Fürsorge zu machen. — Im 3. TeH
der Denkschrift werden die Vorschläge des württembergischen
Aerzteverbandes für die Regelung des ärztlichen Dienstes zur Durch¬
führung des württembergischen Jugendamtsgesetzes genau formuh'eil
und die erforderlichen Aenderungen des Oberamtsarztgesetzes und
des Jugendamtsgesetzes im Wortlaut angegeben. Angefügt sind noch
die Leitsätze des Württembergischen Medizinalbeamtenvereins, der
sich mit deT Uebertragung der gesamten ärztlichen Fürsörgetät ig-
keit an die Oberamtsärzte grundsätzlich einverstanden erklärt.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UN1VERSITY
610
SOZIALHYGIENISCHE RUNDSCHAU
Nr. 18
Feisenberger (Leipzig), Der strafrechtliche Schatz der Kinder
aad Jugendlichen im besonderen Teil des Entwurfs zam StGB, von 1919.
Zbl. f. vormundschaftsw. 1922 Nr. 21. Verfasser bespricht die Para¬
graphen des Strafgesetzentwurfs, die für den Schutz von Kindern und
Jugendlichen von Bedeutung sind. Nach Definierung der Begriffe
„Kind" «= bis zum vollendeten 14. Lebensjahre und „Jugendlicher“
= wer über 14, aber noch nicht 18 Jahre alt ist, geht er auf den
Schutz gegen Körperverletzung ein. Er hebt die Paragraphen heraus,
die besonders geeignet sind, das Kind und den Jugendlichen vor
körperlicher Mißhandlung durch Personen zu schützen, deren Für¬
sorge oder Obhut sie anvertraut sind. Der Entwurf bedeutet gegen¬
über dem geltenden Strafrecht einen Fortschritt, insofern als frag¬
los auch eine einmalige, in grausamer Weise oder in der Absicht
zu quälen begangene Handlung als Körperverletzung aufzufassen ist
und unter die — gegen das geltende Recht erheblich erhöhten — Strafen
für Mißhandlungen von Kindern und Jugendlichen fällt. Seelische
Quälereien eines Kindes oder Jugendlichen sind nur dann zu be¬
strafen, wenn sie gesundheitsschädliche Folgen haben. — Weiter
wird über den Schutz des Kindes und Jugendlichen gegen unsitt¬
liche Angriffe referiert. Das Bestimmen eines Kindes zur Vornahme
oder zum Dulden einer unzüchtigen Handlung, besonders auch unter
Mißbrauch eines familienrechtlidien oder erzieherischen Abhängig¬
keitsverhältnisses, wird unter höhere Strafen als bisher gestellt. Die
strafrechtliche Verantwortlichkeit wird auf Eltern, Großeltern, Stief¬
eltern und Pfleger ausgedehnt. — Für die Verführung von Mädchen
unter 16 Jahren zum Beischlaf und von Jugendlichen zur Unzucht
unter Männern werden die Strafen im Vergleich zum geltenden Recht
erhöht. Auch hier wird der Mißbrauch eines familienrechtlichen
oder erzieherischen Abhängigkeitsverhältnisses besonders streng be¬
straft. Verf. verlangt, wenn die Ausdehnung der Strafvorschrift zu
unzüchtigen Handlungen überhaupt zu weitgehend erscheinen sollte,
Strafvorschriften wegen Verführung männlicher Jugendlicher zum
Beischlaf oder zu beischlafähnlicher Handlung mit Frauen durch
Volljährige, da die gesundheitlichen und moralischen Gefahren
des Beischlafs für Jugendliche groß sind. — Im dritten Teil der
Arbeit wird der Schutz des Kindes und Jugendlichen gegen Ver¬
bringung besprochen: Wer einen Minderjährigen dem entzieht, dem
die Sorge für die Person des Minderjährigen zusteht, wird mit Ge¬
fängnis- oder Geldstrafe, in besonders schweren Fällen mit Zucht¬
haus bestraft. — Der vierte Teil ist dem Schutz der Kinder und
Jugendlichen gegen Vernachlässigung durch die Fürsorgepflichtigen
gewidmet. Besonders von Bedeutung erscheint die ernönte Straf¬
barkeit dessen, der sich einer gesetzlichen Unterhaltspflicht ent¬
zieht, die Uebertretung des geltenden Strafrechts wird durch
eine als Vergehen ausgestaltete Vorschrift ersetzt. Das Lassen
eines Kindes oder Jugendlichen in hilfloser Lage, nicht nur — wie im
jetzt geltenden Strafrecht — das Verlassen (Kindesaussetzung), wird
unter Strafe gestellt. In besonders schweren Fällen wird Zuchthaus
angedroht. — Der letzte Absatz der Abhandlung behandelt den
Schutz des Vermögens. — Der Verf. äußert sein Bedauern, daß es
unterblieben ist, die Jugend gegen die Gefahren des Alkohols durch
ein Verbot des Verkaufs von Alkohol an Kinder und Jugendliche
zu schützen. Er erwägt die Durchführbarkeit eines Schutzes der
Jugend gegen die Gefahren des Tabakgenusses.
Merkblatt zor Schulentlassung von Kriegerwaisen and Kindern
Kriegsbeschädigter. Die Brandenburgische Hauptfürsorgestelle für
Kriegsbeschädigte und Kriegshinterbliebene (Berlin W. 10, Königin
Augusta-Str. 19) macht Kriegerwitwen, Kriegsbeschädigte und Vor¬
münder von Kriegervollwaisen darauf aufmerksam, daß die Gewäh¬
rung von Beihilfen zu einer der geistigen und körperlichen Veran¬
lagung der Kinder entsprechenden Berufsausbildung beantragt wer¬
den kann. Es können Beihilfen gewährt werden: zur Berufseinklei¬
dung, zur Beschaffung von Werkzeug und Lernmitteln, zum Lehr¬
geld, Schulgeld, Besuch von Fachschulen (bei Mädchen auch Haus-
n altungsschulen), zum Kostgeld (auch im Haushalt der Eltern). Die
Anträge auf Beihilfen für bereits laufende Berufsausbildung sind bei
der Fürsorgestelle für Kriegsbeschädigte und Kriegshinterbliebene
zu stellen. Sonst wird auf die örtliche Berufsberatungsstelle ver¬
wiesen.
Ernährungsfürsorge.
Milchversorajog der Großstädte. Mitt d. Deutschen Städtetages
1922 Nr. 6. Auf eine Rundfrage des Deutschen Städtetages berichteten
31 Großstädte nach dem Stande von Mitte Januar 1922. Die Fest¬
stellung des täglichen Notbedarfs ergab, daß von 26 Städten nur
10 den Notbedarf befriedigen konnten, während in 16 Städten die
Anlieferungsmenge hinter dem Notbedarf zurückblieb. Von den
31 Städten berichten 6 über eigene Abmelkestellen, 10 haben eigene
Sammelstellen oder Molkereien und nur 5 eigene Verkaufsstellen. —
Die Preisverhältnisse zeigen recht erheblicne Unterschiede, ent¬
sprechend dem Grundgedanken der jetzigen Milch Versorgung, wonach
der Abfluß der Trinkmilch in die Butter- und Käse Verarbeitung im
wesentlichen durch die Preispolitik gehemmt wird. Der Stallpreis
auswärts erzeugter Milch hatte Schwankungen bis zu 140<y 0 , der
Kleinhandelspreis solche bis zu 100o/ 0 aufzuweisen (von 3,80 bis
7,60 M. je Liter). Die Preisspanne zwischen Stall- und Ladenpreis (in
28 Städten) betrug 1 M. je Liter in 3 Städten, 1,50 M. in 10, 2 M.
l . n J-i ö *L er 2 M. in 4 Städten. Die Städte des Rheinlands hatten
fast durchweg die höchsten Preise und Preisspannen. Die Preis¬
bildung ist zumeist den Gesetzen des freien Marktes überlassen.
In Sachsen veranlaßt der Milchwirtschaftliche Landesverband die Preis¬
festsetzung. — Zu Zwecken der Milchverbilligung zugunsten einzelner
Bevölkerungsschichten werden teils Barzuschüsse gewährt, teils Gut¬
scheine ausgegeben. Die Mittel zur Verbilligung werden durch
städtische oder staatliche Zuschüsse oder in Form eines Aufschlages
auf den Preis der freien Milch aufgebracht (Ausgleichskassen). Da¬
neben besteht ein System unentgeltlicher oder verbilligter Milch¬
abgabe an Minderbemittelte unmittelbar auf Kosten der Stadt.
Zur Frage der Kinder-Eroübrnngsffirsorge in Landkreisen wird
von der Arbeitsgemeinschaft der freien Verbände der Mark Branden¬
burg und der Kreiswohlfahrtsämter der Ausbau örtlicher Erholungs¬
fürsorge — Walderholungsstätten (ohne Uebernachten), Soolbad-
kuren mit Liegekuren, Luft- und Sonnenbäder, Spaziergänge oder
Spiele im Freien — angeregt. Für diese Erholungsfürsorge besteht
die Möglichkeit, als Beihilfe Nahrungsmittel der Quäker zu bean¬
tragen. Zur Erfassung der wirklichen Bedürftigkeit und zur sach-
gemäßen Durchführung solcher Fürsorge ist die Abgrenzung mög¬
lichst kleiner Arbeitsbezirke notwendig. Die Ermittlung aer für¬
sorgebedürftigen Kinder, die Einreichungen von Vorschlägen für
eine zweckmäßige, den örtlichen Verhältnissen angepaßte Form der
Fürsorge sowie die Ueberwachiing der eingerichteten Fürsorge ist
unter der Leitung des Kreiswohlfahrtsamtes Vertrauenspersonen zu
übertragen.
Krüppelfürsorge.
St. Engel und Grete Katzenstein (Dortmund), Versoch elser
Morbiditätsstatistik der Rachitis. Arch. f. Kindhlk. 1921 H. 3. In den
letzten Jahren hat die Zahl der rachitischen Kinder, vor allen Dingen
derer mit schwereren Erscheinungen fast überall stark zugenommen.
Verf. stellen nach ihren Erfahrungen die Rachitis bei weitem in die
erste Reihe aller der Zustände, denen sich die fürsorgerische Aufmeik-
samkeit zuzuwenden hat. Um sich einen zahlenmäßigen Einblick in
die Verbreitung der Rachitis zu verschaffen, haben Verf. in Dort¬
mund besondere Erhebungen angestellt. Unterschieden wurden vier
Gruppen: leichte, mittelscnwere, schwere und sehr schwere Rachitis.
Beruf, Einkommen, Kinderzahl und Wohnverhältnisse wurden ein-
? ehend berücksichtigt. Die Untersuchungen umfaßten von den
0 000 Haushaltungen in Dortmund etwa den hundertsten Teil, näm¬
lich 750 Familien mit 4136 Menschen, von denen fast der dritte Teil,
nämlich 1384 Kinder, aus Kindern im Alter von 2—10 Jahren be¬
stand. 790, d. h. 57,2o/o waren frei von Rachitis (diese Angabe muß
jedoch mit Vorbehalt aufgefaßt werden, da von den untersuchten
1384 Kindern nur 433 im Alter von 2—4 Jahren, d. h. im Vorzugs¬
alter der Rachitis standen, während mehr als zwei Drittel sich auf
das 6. bis 10. Lebensjahr bezogen), 594 = 42,8o/ 0 waren an Rachi¬
tis erkrankt. Bei den mittleren Fällen sind die Kinder von 2, 3
und 4 Jahren ganz hervorragend beteiligt, doch bieten die späteren
Lebensjahre auch noch eine verhältnismäßig große Zahl. Die schweren
Fälle sind am häufigsten bei den 3jährigen. Nächstdem kommen die
2-, 4- und 5jährigen. Dann tritt ein Nachlaß ein. Die sehr schweren
Fälle treten am stärksten hervor bei den Kindern im 6. Lebensjahre
und sind im 7. und 8. Lebensjahre auch noch zahlreich. Die mittleren
Fälle, die bei Vernachlässigung leicht in schwere Formen übergehen,
die schweren und sehr schweren Fälle machen in der Erhebung 242
aus, stellen also von 594 insgesamt rachitisch Befundenen rund 40tyo
dar und von der Gesamtzahl der in den Familien vorhandenen Kinder
17,6o/o. — Bei Uebertragung dieser Ergebnisse auf die Gesamtzahl
der Dortmunder Kinder würde das heißen, daß von etwa 50 000 Kin¬
dern im Alter von 2—10 Jahren 8800 mit mittlerer, schwerer und sehr
schwerer Rachitis behaftet sind. (Die Fälle von schwerer und sehr
schwerer Rachitis allein gerechnet, würden immer noch fast 10°/o
ausmachen; das hieße, daß von 50 000 Kindern fast 5000 an schwerer
und sehr schwerer Rachitis leiden.) Mithin dürften sich zur Zeit in
Dortmund etwa 9000 Kinder befinden, welche allein wegen der
Rachitis fürsorgebedürftig sind. Etwa 5000 von ihnen sind in solchem
Zustande, daß mit energischen Mitteln eingegriffen werden muß.
Bei der Kontrolle der aulgestellten Statistik durch Erhebungen über
die Lauffähigkeit (Gegenüberstellung der 3 Kurven: 1. Kinder mit
Gehstörung, 2. Kinder mit Rachitis, 3. Kinder mit mittlerer, schwerer
und schwerster Rachitis) ergibt sich eine volle Bestätigung. Die
Wohnungsverhältnisse sind sehr trübe: 88,4o/ 0 der Familien hausen
in Zwei- oder Dreizimmerwohnungen; 3o/ 0 hatten gar nur ein Zimmer
zur Verfügung. Der Vergleich zwischen Wohndichte und Rachitis¬
häufigkeit ergibt: Je geringer der Raum ist, welcher dem einzelnen
Individuum zur Verfügung steht, um so stärker herrscht die Rachitis.
Psychopathenfürsorge.
Friedeberg (Berlin), Jugendliche Psychopathen- und Fürsorge¬
erziehung. Klin. Wschr. 1922 Nr. 10. Die Betrachtungen, die hier von
Ministerialrat Friedeberg angestellt werden, knüpfen an die Pro¬
bleme an, die nach dem Bericht des Kölner Kongresses (Mai 1921)
auf diesem eine besondere Rolle gespielt hatten. Zwei Gruppen von
Jugendlichen werden von der Fürsorgeerziehung besonders erfaßt:
Einmal die vernachlässigten Kinder minderwertiger Eltern und zwei¬
tens die Asozialen. — Es läßt sich nicht mit Sicherheit feststellen,
□ igitized by Google
Original fro-m
CORNELL UNIVERSITY
5. Mai 1922
S0ZIALHY0IEN1SCHE RUNDSCHAU
611
wie groß der Prozentsatz der Psychopathen unter den Fürsorge¬
zöglingen Preußens ist. Die Statistik gibt hier ein unklares Bild,
da die Psychopathen in verschiedenen Rubriken mitgezählt werden.
Jedenfalls ist die Prozentzahl so bedeutend, daß der Behandlung
jugendlicher Psychopathen in der Fürsorgeerziehung der größte Wert
beigemessen werden muß. Zunächst ist es wichtig, frühzeitig die
Diagnose zu stellen. Entsprechende Vorbildung der Schulärzte ist
hier vonnöten, ferner müßten allgemeine Schulgesundheitsbogen ein¬
geführt werden. Der Verfasser geht dann des weiteren auf die
Jugendgerichtsbarkeit ein und kommt auf den Entwurf des Jugend¬
gerichtsgesetzes zu sprechen, nach dem in geeigneten Fällen eine
ärztliche Untersuchung des Beschuldigten herbeigeführt werden soll.
Wenn im Augenblick der Unterbringung für die Wahl der Erziehungs¬
stelle die Unterlagen fehlen, so sollen zunächst die Beobachtungs¬
stationen herangezogen werden. Ueber diese Beobachtungsstationen
ergeht sich der Verfasser des weiteren, so besonders über die wich¬
tige Frage, ob diese Beobachtungsanstalten von Aerzten geleitet
sein müßten. Hier sind die Anschauungen verschieden. In einigen
Anstalten findet eine turnusweise Arbeitsteilung zwischen Arzt und
Pädagogen statt, andere Anstalten haben dagegen eine rein ärztliche
oder rein pädagogische Leitung. An manchen Plätzen sind diese
Beobachtungsanstalten mit Heilerziehungsanstalten verbunden. Wichtig
ist ferner die Frage, ob die psychopathischen Zöglinge von den
schwachsinnigen zu trennen sind, eine Frage, die aus verschiedenen
Gründen entschieden bejaht werden muß. Was die Methoden der
Erziehung in Anstalten anbetrifft, so ist zunächst die Beruhigung der
Zöglinge das Haupterfordemis. Hinsichtlich der Bestrafung sind
mildere Strafen vorzuziehen. Die Anstaltserziehung soll nicht zu
lange ausgedehnt werden. Ihr Erfolg ist in der Mehrzahl der Fälle
ein guter, in einer erheblichen Anzahl von Fällen ist aber jede Er¬
ziehung vergeblich. Zuletzt weist der Verfasser auf Entwürfe des
Strafgesetzbuches hin, nach denen asoziale Elemente, auch nach der
Strafverbüßung, in Heil- oder Pflegeanstalten unterzubringen seien.
_ Pototzky.
Soziale Psychiatrie.
Kroemer (Schleswig), Zur Frage der fachärztlichen Vertretung
bei den Behörden. Psych. neurol. Wschrift 1921 Nr. 39/40. Kroemer
gibt in dem vorliegenden Aufsatz eine Anregung, die von dem neu-
gegründeten Reichsverband beamteter deutscher Irrenärzte weiter ver¬
folgt werden soll. Die in Aussicht stehende Erweiterung der Befugnisse
in der Selbstverwaltung der einzelnen Provinzen bringt es für den
Psychiater mit sich, sich bei dieser Gelegenheit dem Gedanken zu¬
zuwenden, ob jetzt nicht der gegebene Zeitpunkt gekommen ist, die
Forderung nacn der Stellung von sogenannten Landespsychiatern zu
betreiben. In der Rheinprovinz, in Pommern und Brandenburg sind
die Anfänge zur Schaffung eines fachmännischen Dezernats bei der
Zentralbehörde der Provinz schon gemacht. Nachdem wir in den
letzten Jahrzehnten fast ausschließlich um die Verbesserung der An¬
staltspflege bemüht waren, dürfte die Aufgabe der Zukunft die sein,
nunmehr die Irrenfürsorge auch außerhalb der Anstalt zu verbessern.
Dieses wäre das dem Landespsychiater in erster Linie zufallende
Gebiet, dem in der Entlassenen- und Psychopathenfürsorge, der fach¬
männischen Beaufsichtigung und regelmäßigen Untersuchung der
Fürsorgezöglinge, auch der Durchmusterung der Gefängnisse, Arbeits¬
häuser und Strafanstalten nach Degenerierten und Geisteskranken,
ferner der Beaufsichtigung der Hilfsschulen ein reiches Feld der
Betätigung sich erschließen würde. Für die Besichtigung der privaten
und öffentlichen Irrenanstalten hätte die staatliche Aufsichtsbehörde
hier einen Fachmann zur Verfügung. Endlich würden ihm Zukunfts¬
aufgaben zufallen, die in den beiden folgenden Arbeiten vorgesehen
sind. Bratz.
Barr et (Michigan), Tfae state psychopathic hospitat. (Die Staats-
Irren- nod Nervenheilanstalt.) Am. journ. of insan. 1921 77 Nr. 3. —
H. Colin: Mental hygiene and propbylaxis in France. (Pflege der
seelischen Gesundheit und Vorbeusungsmaßnahmen in Frankreich.)
Jöurn. of ment, science 1921 67 Nr. 27. — Ab bot, The field of a state
society for mental hygiene. (Das Arbeitsgebiet eines Landesvereios
für seelische Hygiene.) Am. journ. of insan. 1921 77 Nr. 3. — North
(Ohio), Medical and administrative management of Ohios Institution»«
(Aerztliche Einrichtung and Verwaltung der Anstalten des nordameri¬
kanischen Staates Ohio.) Am. journ. of insan. 1921 77 Nr. 3. Vor dem
Kriege, angesichts unserer glänzenden sozialhygienischen Entwicklung,
konnten wir es uns leisten, viele fremde Einrichtungen zu übersehen.
Jetzt wird das verarmte Deutschland, das aus wirtschaftlichen Grün¬
den manchen Fortschritt nicht mitmachen kann, mit vermehrter Sorg¬
falt die fremden Neueinrichtungen prüfen müssen. Aus den oben¬
genannten amerikanischen Arbeiten sind drei Einrichtungen der Für¬
sorge für Geisteskranke für denjenigen, der nur europäische Ver¬
hältnisse kennt, neu und wichtig. Die Amerikaner haben das so¬
genannte extra mural work geschaffen, die Beaufsichtigung der Geistes¬
kranken, die außerhalb der Anstalt sind. Sie werden unter der Ober¬
aufsicht von Aerzten regelmäßig durch Fürsorgeschwestern (nurses)
besucht, ln Verbindung mit dieser Außenfürsorge wird der Irren¬
anstalt eine Poliklinik angegliedert. — Die zweite Einrichtung ist
die Angliederung von offenen Nervenabteilungen an die Irrenanstalten,
wie sie in Deutschland Referent seit Jahren erstrebt und Weber
(Chemnitz) für seine Anstalt verwirklicht hat. Alle von mir angeführten
Gründe, insbesondere auch das Schwinden des Mißtrauens gegen die¬
jenigen Anstalten, welche auch Nervöse auf offenen Abteilungen
behandeln, haben sich in Amerika als durchschlagend erwiesen. In
Zusammenhang mit dieser Einrichtung der offenen Abteilungen steht
die Möglichkeit einer freieren Gestaltung der Aufnahmen. So sind
in der Staatsirrenanstalt Michigan 53 (!) Prozent freiwillige Aufnahmen.
Für uns hat diese Entwicklung ein aktuelles Interesse. Denn der
soeben vom Deutschen Verein für Psychiatrie angenommene Entwurf
eines deutschen Irrengesetzes schlägt für unsere öffentlichen Irren¬
anstalten die gesetzliche Einrichtung von freiwilligen Aufnahmen
vor, wie sie für die preußischen Privatanstalten längst vorgesehen
sind. Das würde für die öffentlichen Irrenanstalten einen erheblichen
Fortschritt bedeuten in der Richtung der Minderung des jetzt den
öffentlicher Irrenanstalten entgegengebrachten Mißtrauens. — Die
dritte Einrichtung ist die Gründung von aus Laien und Aerzten zu¬
sammengesetzten Gesellschaften für die Fürsorge von Geisteskranken,
die sich je auf das Gebiet eines nordamerikanischen Staates erstrecken.
— Das amerikanische Vorbild ist besonders bezüglich der Einrichtung
der offenen Abteilungen und der Gründung einer staatlich unterstützten
Gesellschaf; behufs Behandlung und Vorbeugung der Geisteskrank¬
heiten in Frankreich tatkräftig aufgegriffen worden. Bratz.
Seuchenbekämpfung.
Seit einigen Jahren hat es die Stadt Berlin unternommen,
bei der Bekämpfung der akuten Infektionskrankheiten Fürsorgemaft-
nahmen zu treffen, welche über das Maß der gesetzlichen Vorschriften
hinausgehen. Sie hat zur einheitlichen Durchführung von Bekämp-
fungsmaßnahmen bei der Diphtherie Fürsorgeschwestern eingestellt.
Die Berichte, die das Berliner Medizinalamt bisher alljährlich über die
Tätigkeit dieser Schwestern veröffentlicht hat, bilden eine wertvolle
Quelle für die Diphtherieforschung in epidemiologischer und sozial-
hygienischer Beziehung.
F. v. Gutfeld (Berlin), Bericht über die Tätigkeit der Pfirsorte-
Schwestern des HauptgesundhHtsamtes der Stadtgemeinde Berlin im
Jahre 192t. Klin. Wschr. 1922 Nr. 12. Die starke Abnahme der
Diphtherieerkrankungen im Berichtsjahr hat eine wesentliche Ent¬
lastung der Fürsorgemaßnahmen gebracht. Die Zahl der Diphtherie-
erkrankungen weist im Jahre 1921 gegenüber den Jahren 1915/16
eine Abnahme um etwa 70o/ 0 auf. Die Fürsorgetätigkeit erstreckt
sich im wesentlichen auf Krankenbesuche, welche durch die polizei¬
liche Krankheitsmeldung veranlaßt werden. Demgegenüber spielt die
Ermittlung neuer nicht gemeldeter Fälle nur eine untergeordnete
Rolle. Die Mitwirkung der Schwestern stößt in der Regel auf keine
Schwierigkeiten. Sie wird von den behandelnden Aerzten gern und
verständnisvoll angenommen. Die Durchführung der laufenden Des¬
infektion wird durch die Tätigkeit der Schwestern gesichert, sodaß
in einem großen Teil die Ansprüche an die Strenge der Schlu߬
desinfektion gemildert werden konnten. Die statistischen Erhebungen
ergeben, daß noch immer ein nicht unerheblicher Teil von Diphtherie-
erkrankungen (4,9o/o) ohne Serum behandelt werden. */ 5 der Ge¬
storbenen ist ohne Serum behandelt worden. Die Letalität der
Diphtherie hatte in den vorangehenden Jahren eine deutliche Ab¬
nahme (von 9,4 im Jahre 1915 auf 5,9o / 0 im Jahre 1920) gezeigt.
Im Berichtsjahr ist die Letalität wieder angestiegen (auf 7,2«/o). Es
ist möglich, daß zwischen 6 und 7o / 0 Letalität die Grenze des mit
den heutigen Mitteln überhaupt Erreichbaren liegt. Langer.
Tuberkulosefürsorge.
Die im vorigen Jahre begründete Gesellschaft deutscher Tuberkulose¬
fürsorgeärzte hält ihre erste Tagung vom 15-— 16 . V. in Halle a. S. ab.
Die diesjährigen Jahresversammlungen des Deutschen Zentralkomitees
zur Bekämpfung der Tuberkulose finden vom 17 —19- V. in Bad Kösen
statt. 1 . Tag: Sitzung der Lupuskommission und des Lupusausschusses, sowie
Tuberkuloseärzteversammlung. 2 . Tag: Ausschußsitzung und Generalver¬
sammlung. 3 . Tag: Je eine Sitzung der Mittelstands- und Fürsorgestellen¬
kommission.
Vom 20 .— 22 . V. wird in Jena die Jahresversammlung der Vereinigung
der Lungenheilanstaltsärzte abgehalten. Helm.
Deszendenzhygiene.
Das ärztliche Heiratszeugnis, seine wissenschaftlichen und prak¬
tischen Grundlagen. Monographien zur Frauenkunde und Eugenetik,
Sexualbiologie und Vererbungslehre in einem Vorwort und 7 Aufsätzen.
Heft 2 . Leipzigs Kurt Kabitzsch, 1921.
1. Westenhöfer (Berlin]), Das Heiratszeugnis im Rahmen der
Eugenetik. Wer gesetzlich die Schaffung der Menschen fördern und
regeln will, muß für ihr Bestehen und Fortkommen sorgen. Die
Existenzbedingungen müssen für alle Volksgenossen möglichst gleich
gestaltet werden, jeder muß sich je nach seinen Fähigkeiten durch¬
setzen können, ohne daß er durch soziale und ökonomische Hindernisse
gehemmt wird, und ohne daß die Gründung einer Familie mit Nach¬
kommenschaft ihm den Kampf erschwert; sie muß ihm den Kampf
vielmehr erleichtern. Das muß das Ziel jeder positiven Deszen¬
denzhygiene sein, das allein geeignet ist, aem drohenden Verfall
mit Sicherheit entgegenzuwirken. Demgegenüber spielen die nega¬
tiven Mittel, unter ihnen dje ärztlichen Gesundheitszeugnisse bei
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
612
SOZIALHYGIENISCHE RUNDSCHAU
Nr. 18
Eheschließungen, nur eine untergeordnete Bedeutung. Aus den Ge¬
sundheitszeugnissen entwickeln sich Eheverbot, Zwangsasylierung und
Zwangssterilisierung. Oesetzesmaßnahmen in dieser Beziehung stehen
nur auf dem Papier, ihre Einführung ist nicht zu empfehlen, es sei
denn, daß auf Grund sogenannter bibliographischer Familienbücher
sichere Urteile möglich wären. Durch die Einführung der ärztlichen
Ehezeugnisse wird im Volke Nachdenken über die deszendenzhygieni¬
schen Fragen angeregt. Zwei Gruppen werden unter die Begutachtung
fallen: 1. die vererbbaren Krankheitsanlagen und Krankheiten und
2. die übertragbaren Infektionskrankheiten, vor allem die Geschlechts¬
krankheiten, dann die Tuberkulose und in Mittelstellung zwischen
den beiden der Alkoholismus. Bei der zweiten Gruppe kann ein
Zweifel nicht bestehen, viel schwieriger ist die Begründung der
ersteren; deshalb kann in dieser Beziehung auch noch kein Eheverbot
gefordert werden, wohl aber in der Gruppe 2 für die Zeitdauer der
Uebertragbarkeit der Geschlechtskrankheiten. Zur Zeit werden Merk¬
blätter für Eheschließende verteilt.
2. Czellitzer (Berlin), „Familie als Grnndlage für das Heirats-
zengflis“. Nicht der Hausarzt ist der ideale Eheberater, sondern nur
durch fortlaufendes Aufzeichnen aller gesundheitlich wichtigen Daten
von Geburt an durch den „Sanitätspaß“ können sichere Unterlagen
gewonnen werden. Ein Gesundheitszeugnis für Eheschlicßende ist
nur ein Notbehelf, die Familie muß dabei auf alle Fälle berücksich¬
tigt werden. Man kann nicht absoluten Ehekönsens oder Verbot, son¬
dern nur relativen fordern. Die Grundlagen für das Urteil des Ehe¬
beraters sind abhängig vom jeweiligen Stand der Vererbungsforschung.
3. Leppmann (Berlin), Das Heiratszengnis vom Standpunkt
des Neurologen nnd Psychiaters. Epilepsie, Hysterie oder Neurasthenie
sowie Geistesschwäche und Geisteskrankheiten der Eltern bedingen
für die Nachkommenschaft eine erhebliche Belastung. Vom nerven-
und seelenärztlichen Standpunkt sind Gesundheitsstörungen bei ein¬
maliger Untersuchung und bei Verheimlichungswillen des Unter¬
suchten schwer festzustellen, Ermittlungen über das Vorleben haben
große Bedenken. Vom neurologisch-psychiatrischen Gesichtspunkt aus
ist das obligatorische Ehezeugnis radikal abzulchnen als ungeeignet
die Züchtung einer wesentlich gesünderen Bevölkerung zu fördern.
4. Heller (Charlottenbürg), Ist ein vom Staat gefordertes Ehe-
zeognis ein brauchbares Mittel im Kampfe gegen die Geschlechtskrank¬
heiten? Nach den letzten Statistiken vor dem Kriege in Berlin und
Hamburg waren I 4 O 0 / 0 1 ) der erwachsenen Männer mit Tripper, 40%
Syphilis erkrankt. Einzelnen schwerkranken Volksgenossen können im
Interesse der Gesamtheit Beschränkungen auferlegt werden, aber nicht
einem erheblichen Bruchteil der Bevölkerung. Bei chronischen Tripper-
kranken und bei allen Syphilitikern kann man die völlige Heilung
nur mit der Einschränkung bestätigen, daß Aufflammen der alten
Erkrankung, Schädigung der nächsten Generation, Uebertragung auf
den Ehegatten zwar unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen ist.
Wenn ein Ehezeugnis gefordert wird, dann auch vom Manne und
der Frau, und zwar so lange vor dem ersten Geschlechtsverkehr der
Ehegatten, daß auch die Möglichkeit der Behandlung und relativen
Heilung gegeben ist (Verf. fordert etwa 4—5 Monate). In den
meisten Fällen beginnt aber der Geschlechtsverkehr vor der Ehe,
deswegen kommt das Ehezeugnis kurz vor der Ehe in der Regel viel
zu spät. Ein ärztliches Befundszeugnis kann nur für den Augenblick
der Ausstellung Geltung haben. Die Untersuchungsmethoden, die für
das Ehezeugnis in Frage kommen, sind äußerst schwierige. Sind
schon die Schwierigkeiten in der Stadt große, wieviel mehr noch auf
dem Lande. Das obligatorische Ehezeugnis wird pflichtbewußte relativ
Geheilte zum Verzicht auf die Ehe veranlassen, leichtsinnige Kranke nicht
abhalten können; dagegen ist ein freiwillig beigebrachtes Ehezeugnis zu
fordern, um Verständnis in allen Volksschichten dafür zu wecken.
5. Straßmann (Berlin), Die febartshilflich-fynlkologlscbenGrund¬
lage! des tleiratszengnisses. Es stößt auf große Schwierigkeiten,
grundsätzlich bei jedem jungen Mädchen eine gynäkologische Unter¬
suchung durchzuführen. Mädchen mit fehlender Regel Sollten nicht
heiraten, jedenfalls muß die Ursache erforscht werden. Bei Nicht-
funktionieren der Eierstöcke und Gebärmutter kann die Heirat ge¬
stattet werden, Voraussetzung ist aber die Mitteilung an den Ver¬
lobten, daß Kinder ausgeschlossen sind. Bei Beurteilung, ob Nach¬
kommenschaft zu erwarten ist, kann nur gesagt werden, daß nichts
gegen die Möglichkeit der Empfängnis spricht. Wegen Geburts- und
Wochenbettgefahren ist Kranken mit Lungentuberkulose, unkompen¬
sierbaren Herzfehlern, chronischen Nierenleiden oder schweren Nerven¬
erkrankungen von der Ehe abzuraten. Infolge der zwangsweisen Ein¬
führung des Ehezeugnisses ist eine Abnahme der Ehen zu befürchten;
ein freiwilliges Ehezeugnis ist dagegen zu befürworten.
6. Sonntag (Berlin), Das Heiratszengnis vom Standpunkt des
Jnristen. Es ist zu prüfen, ob eine lex perfecta, d. h. Nichtbefolgung
der aufgestellten Gebote oder Verbote mit Strafe zu bedrohen oder
die ihnen zuwider geschlossenen Rechtsakte für nichtig zu erklären oder
beides oder eine lex imperfecta geschaffen werden soll. Die Schwierig¬
keit der Durchbringung eines solchen Gesetzes liegt im Erfordernis
der ärztlichen Untersuchung; im Reichstag ist kaum auf Annahme zu
rechnen. In Amerika wie auch in Norwegen und im Terekgebiet des
Kaukasus (hauptsächlich gegen Lepra)' hat sich die dort eingeführte
gesetzliche Regelung nicht bewährt, es bliebe deswegen nur die lex
imperfecta, welche die Beibringung des Ehegesundheitsscheines ver¬
langt, die Unterlassung aber nicht bestraft. Dadurch würde das Ver¬
ständnis für die Notwendigkeit eines solchen Scheines ins Volk ge-
*) Dl« Prozetitzahl Ober 100 entsteht Infolge mehrfacher Erkrankung einzelner.
Digitized by Gougle
tragen, aber das Gesetz würde sich keiner Autorität erfreuen. Gesetze
dürfen nicht dem Volksempfinden und Volksverständnis vorauseilen.
7. Hirsch (Berlin), Heiratszenrais, Eheberatnug, Fortpflauzttfs.
pflere. Bei dem Heiratszeugnis handelt es sich weder um Eheerlaubnis
noen Eheverbot, sondern lediglich um den Zwang einer Musterung
der Ehekandidaten auf ihre Eignung zur Ehe, die Entschlußfreihen
der Kandidaten bleibt unberührt. Von der Freiwilligkeit des Heirats¬
zeugnisses ist nichts zu erwarten. Die gesundheitlichen Gefahren be¬
treffen zunächst die Eheschließenden selbst, sie sind die schwer¬
wiegendsten bei den Geschlechtskrankheiten. Ehezeugnis und Fort¬
pflanzungswarnung werden viel Unglück verhüten können, auch bei
den vererbbaren Krankheiten. Es ist ein Irrtum, bei der Betrachtung
der menschlichen Vererbung von den Mendelschen Regeln auszugehen;
die Erfahrung des Lebens kann nicht entbehrt werden, die Familien-
forschung muß durch Familientafeln und Stammbäume gefördert
werden. Die Bekämpfung der Gebrechen durch Fortpflanzungsauslese
hat auch eine große volkswirtschaftliche Bedeutung. In Deutschland
sind z. B. 30 000 jugendliche Vollidioten in Anstaltspflege. Es ist eine
mutvolle Tat, daß der Strafrechtslehrer B inding, unterstützt von
Hoche (Freiburg) die Freigabe der Vernichtung dieses lebens¬
unwerten Lebens und die gesetzlichen Voraussetzungen dafür ge¬
fordert hat. — Der Apparat, welcher durch das Heiratszeugnis in
Bewegung gesetzt wird, ist nicht übermäßig groß. Die Zahl der
Eheschließungen in Deutschland beträgt jährlich etwa 500 000. Für
die Untersuchung müssen genaue Bestimmungen ähnlich wie bei den
Lebensversicherungen erlassen werden. Der Heiratslustige hat beim
Standesamt mit den anderen Papieren die Bescheinigung vorzulegen,
daß die vorgeschriebene Untersuchung stattgefunden hat. Gesetz¬
geberisch wäre eine Aenderung des Gesetzes vom 6. II. 1875 Über
die Beurkundung des Personenstandes bei der Eheschließung nötig.
Roeschmann.
Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten.
Pinkus und Löwenstein (Berlin), Ein Entwurf von AnsfMruon*
beatlmmangen für das Schubartsche Ebezeagnis (betr. Geschlechts»
kraokhelten). Zschr. z. Bekämpf, d. Geschlechtskrkh. 20 H. 3 u 4. Die
Abhandlung zeigt die ungeheuren Schwierigkeiten, die gerade auf
dem Gebiete der Geschlechtskrankheiten mit dem Ehezeugnis ver¬
bunden sind. Die Frage, ob Zwang oder freiwillige Beibringung
dieses Zeugnisses angebracht ist und ob es auf beide Oeschlechter aus-
f gedehnt werden muß, soll nicht entschieden werden; den Verfassern
iegt nur daran, die Bedeutung des rein medizinisch-hygienischen
Teils — das sind die Ausführungsbestimmungen — und die große
Verantwortung, welche die Ausstellung eines derartigen Zeugnisses
für deii Arzt mit sich bringt, hervorzuheben. Auf Grund praktischer
Erfahrung kommen sie zu sehr strengen Forderungen. Die Erteilung
des Einheitszeugnisses ist von dem Untersuchungsergebnis abhängig
zu machen. Auf die Angaben des sich Bewerbenden ist kein Gewicht
zu legen. Bei der Gonorrhoe ist nicht nur das Fehlen der Ansteckung,
sondern auch das sozial schädlicher Folgeerscheinungen festzustellen.
Eine ganz systematische Untersuchung muß durchgeführt werden;
bei Männern nicht nur mikroskopische Untersuchung des Morgen-
sekretes vor dem ersten Urinlassen, sondern auch der Urinfäden des
Prostata-, Samenblasen- und Cowperschen Drüsensekrets; dann muß
auch die vordere Harnröhre auf infiltrierte Stellen (Sondeneinführung)
untersucht und alle provokatorischen Maßnahmen, also sowohl die
chemischen, mechanischen wie auch die biologischen angewandt wer¬
den. Bei Frauen ist die Untersuchung des Rektal-, Vaginal- und
Zervikalsekretes wichtig. An Reizmaßnahmen kommen bei Frauen
nur die biologischen in Betracht (Aufflammen alter Herde). Bei
negativem Ausfall aller Untersuchungen ist noch eine genaue Fest¬
stellung des Fehlens von sozial bedeutsamen Folgeerscheinungen der
Gonorrhoe erforderlich (Azoospermie und Nekrospermie und bei der
Frau Adnexerkrankungen). Bei der Syphilis wird die Ausstellung des
Zeugnisses stets sehr erchwert durch den Umstand, daß es bisher
unmöglich ist, nachzuweisen, ob ein Syphilitiker nach der Behand¬
lung noch Spirochätendepots in sich birgt. Es ist nicht nur auf Schutz
des Ehegenossen, sondern ganz besonders auch auf Schutz der Nach¬
kommenschaft Rücksicht zu nehmen. Der Ehebewerber muß syste¬
matisch untersucht werden, nicht nur auf das Freisein von äußeren
und inneren Erscheinungen, Blut und Liquor muß nach verschiedenen
Methoden und mehrfach geprüft werden. Bei früheren Syphilitikern
ist mehrfache Behandlung zu verlangen, bis eine dauernd negative
Wa.R. erreicht ist, außerdem ein Zeitraum von wenigstens 5 Jahren
vom Infektionstermin ab und von mindestens 2 Jahren seit dem Auf¬
treten ansteckender Erscheinungen. Der Ehebewerber hat eidlich
zu versichern, daß alle Fragen des Arztes wahrheitsgemäß und er¬
schöpfend beantwortet worden sind und nichts verschwiegen w'orden
ist, was für die Ausstellung dieses Zeugnisses von grundlegender
Bedeutung ist, und zu gestatten, daß Aerzte und die sonst in Betracht
kommenden Stellen (Krankenkasse usw.), mit denen er durch Krank¬
heit in Berührung gekommen ist, Aussagen über seinen damaligen
Zustand und über die durchgeführte Behandlung machen. Im Ein¬
heitszeugnis ist ausdrücklich zu vermerken, daß eine Gewährleistung
für das Freibleiben späterer syphilitischer Nachkrankheiten und bei
Frauen einer syphilitischen Nachkommenschaft durch das Einhejts-
Zeugnis nicht ausgesprochen wird. Die im Einheitszeugnis beschei¬
nigte Nichtinfektiosität gilt nur bis zum Augenblick der Ausstellung
desselben. Roeschmann.
Original fro-m
CORNELL UNiVERSITY
VEREINS- UND KONGRESS BERICHTE
Redigiert von Ober-Reg.-Med.-Rdt Dr. O. Strauß.
Berlin, Otologische Gesellschaft, 10. III. 1922.
Kühne zeigt einen Kranken mit Praktur der vorderen Gehörganfs-
wand. die durch Sturz auf den Hinterkopf — nicht wie sonst durch
Gewaltwirkung auf den Kiefer — zustandekam.
Katzenstein demonstriert einen von ihm konstruierten Magneten
zur Extraktion von Fremdkörpern aus Na*e. Larynx, Bronchien, eventuell
Oesophagus Er hat die Form eines Bronchoskops, ist also zum Durch¬
schauen und extrahiert, an die Endoskopie eines gewöhnlichen Panto-
staten angeschlossen, aus dem Larynx eines lebenden Hundes Nägel
usw. sehr prompt Erfahrungen am Menschen fehlen, späterer Bericht
soll folgen.
Halle bringt einen Fall von Ganmenplastik bei einem jungen
Mädchen, die früher chirurgisch ergebnislos operiert, nach den im
Kriege von ihm gemachten Erfahrungen mit recht gutem Spracherfolge
(gute K- und S-Laute) operiert wurde. Die gestielten Lappen vom
Rachendach sind zum Ersatz des weichen Gaumens und der Uvula
nach hinten genommen, der vordere Defekt ist durch eine vom Ober¬
arm gewonnene Plastik völlig geschlossen.
Blumenthal bespricht eine neue Methode zur Freilegung des
Meatns acnstkus internus bei einem infolge chronischer Labyrinthitis,
an akuter Meningitis erkrankten und von ihm mit Erfolg operierten
Knaben und demonstriert dies an einem Präparat.
In der Besprechung halten Jansen und Großmann dieses Ab¬
schlagen eines großen Knochenkeils unter der Dura des Kleinhirns für
gefährlich und die Freilegung des Meatus acusticus internus bei akuter
Meningitis für nicht nötig.
Beyer berichtet übereinen unklaren, zweimal operierten Fall eines
Diabetikers mit labyrinthären und leicht ataktischen Erscheinungen, bei
dem der Sektionsbefund keine Aufklärung gab.
Großmann hält ein Sacculus-Empyera für möglich. Lieschke.
Berlin, Röntgenvereinigung, 23. II. 1922.
Jaeekel: Technische Erfahrungen mit den modernen Tberapie-
apparaten der Universitltsklinik zu Berlin. Jaeekel zeigte zunächst,
die Unmöglichkeit, die modernen Röntgentherapieapparate theoretisch
zu vergleichen. Hierzu wäre erstens eine Erweiterung der Behnken-
schen theoretischen Arbeit über das kontinuierliche Röntgen¬
spektrum nötig, welche die Eigenstrahlung des Antikathodenmate¬
rials berücksichtigen müßte, zweitens der genaue Verlauf der Hoch¬
spannungskurve. Die Firmen geben aber entweder nur die Höchst¬
spannung am Transformator (Veifa) oder die mittlere Spannung am
Köntgenrohr (Koch & Sterzel) oder die Parallelfunkenstrecke an,
während über den wirklichen Verlauf der Hochspannungskurven keine
einwandfreien Vergleichsmessungen veröffentlicht sind. Auch die An¬
gaben des Dosenquotienten lassen sich nicht vergleichen, da diese
teils nach der lonisationsmethode, teils nach der photographischen
Methode von Dessauer und Vierheller gegeben werden, die
am gleichen Apparat bei weitem höhere Tiefenwirkungen ergibt als
die Ionisationsmethode. Jaeckel hat an den großen Therapie¬
apparaten der Universitätsfrauenklinik mit demselben Iontoquantimeter
unter den vorgeschriebenen Betriebsbedingungen Vergleichsmessungen
über Oberflächen- und Tiefenintensität ausgeführt mit dem Ergebnis:
Veifa Intensiv-Reform (200 KV. Höchstspannung am Transformator =
181 KV. Hödhstspannung am Coolidge-Rohr bei 2 Milliampere): Zeit
für H.E.D. 90 Minuten, Dosenquotient in 10 cm Tiefe 37,8o/o; Radio-
Silex mit Lilienfeld-Rohr (95 KV. eff. = 135 KV. Höchstspannung,
8 Milliampere): H.E.D. 27 Minuten, Dosenquotient 37,5%; Sanitas-
Hartstrahl-Apparat mit Elektronenrohr (40 cm Parallelfunkenstrecke =
3 Milliampere): H.E.D. 34 Minuten, Dosenquotient 39,3%. Sämtliche
Messungen bei 16 x16 cm Feldgröße, 50 cm Fokus-Hautabstand, Filter
0,8 mm Cu -j- 0,5 mm Al. Die modernen Therapieapparate stimmen
also in der Tiefenwirkung fast überein; die Oberflächenintensität
wird sich auf die Höhe des Radio-Silex bringen lassen, sobald die
Röhrenindustrie Röntgenröhren liefert, welche höheren Stromstärken
gewachseh sind. Bei den Messungen stellte sich als Nebenergebnis
heraus, daß Röhren des gleichen Typs unter den gleichen Betriebs¬
bedingungen bis zu 40% verschiedene Oberflächenintensität haben
können und daß die Angaben des Milliamperemeters — wahrschein-
lihc infolge zufälliger statischer Aufladungen — mit einem Fehler
von zuweilen 150% behaftet sein können. Das bietet eine Erklärung
für viele Mißerfolge und Verbrennungen in der Tiefentherapie, die
bisher der Methode zur Last gelegt wurden. Auf keiner Röntgen¬
station sollte daher die exakte Inteusitätsmessung der Röntgenstranlen
verabsäumt werden.
Besprechung. Szegö, Großmann, Jona, Behnken,
Strauß.
Levy-Dorn: Wie lange Durchfeuchtungen mit dem Fluoresienz-
schirm hintereinander dürfen einem Arzt zngemntet werden? Ueber
diese praktisch sehr wichtige Frage hat Levy-Dorn einen Frage¬
bogen ausgearbeitet, der weiteren Kreisen zugänglich gemacht wird.
Besprechung. Immelmann, Strauß, Frilc, Ziegler,
Jaeckel, Weinstein, Szegö, Jona. Otto Strauß.
Hamburg, Aerztlicher Verein, 31.1.1922.
Offizielle* Protokoll.
Vorsitzender: Brauer. Schriftführer: Roedelius.
Engel mann: a) Gebißteil, nach 5 Stunden im Darm, b) Draht¬
borste im Hypopharynx. Im Gegensatz zu anderen ist Engelmann
der Ansicht, daß Gebißplatten röntgenologisch immer nachweisbar
seien, wenn man die Blende benutzt bzw. kleinen Schirm. Kleinere
Fremdkörper sind durch Kontrastbrei sichtbar zu machen. Die Me¬
thode der Wahl ist die Entfernung vor dem Röntgenschirm mit
Hilfe geeigneter Instrumente, wie Engelmann ein solches vor
21 Jahren angab. Die Sonde ist zur Feststellung eines Fremdkörpers
zu verwerfen, da sie nicht mit Sicherheit pinen solchen ausschließen
und ihn zur Einkeilung bringen kann.
Fahr: Zur Frage des Morbus Addison. An dem Falle, der zunächst
mitgeteilt wird, war klinisch bemerkenswert, daß der Blutdruck sich
bis in die letzten Lebenstage auf normaler Höhe hielt (Herz dabei
nur 150 g schwer). Anatomisch: chronische, zur Schrumpfung führende
Entzündung der Rinde (sehr reichlicher Plasmazellengehalt der In¬
filtrate) bei erhaltenem Mark; bemerkenswert war positive Chrom¬
reaktion an einigen stark granulierten Rindenzellen. Es werden die
Gründe für den tödlichen Ausgang des Morbus Addison und für
das Versagen der Substitutionstherapie bei dieser Krankheit be¬
sprochen und dabei die Möglichkeit zur Diskussion gestellt, daß die
Muttersubstanzen des Nebennierenhormones, die bei einer schweren
Erkrankung des Organs nicht zum fertigen Produkt weiter ver¬
arbeitet werden können und sich infolgedessen anhäufen, eventuell
schädlich wirken.
Schottmüller: Ueber Lnngenabsteß bei Grippe. (Erscheint als
Original-Artikel in dieser Wochenschrift.)
Eug. Fraenkel: Seltene Komplikation eines starken Karbunkels
mit Staphylokokkimie. Nach Abheilung spinale Erscheinung, Paresen in
allen 4 Extremitäten. Unbeweglichkeit der rechten Zwerchfellhälfte.
Sektion: spondylitischer Prozeß in einem Halswirbel, schwere Infil¬
tration der Dura, Verdickung der Pachymeninx mit Vorwölbung in
den Wirbelkanal, Impression im Rückenmark. Lähmung erklärt durch
Pyramidenläsion, Zwerchfellähmung durch Schädigung von Zervikal
3—5. Bilder von Spond. infect. mit extraduraler Eiterung. Spond.
tbc., traumat. Markkompr., histol. Bilder von miliarer Osteomyelitis
bei Staph. spond. typhosa.
Julius Alsberg stellt ein Myosarcoma Jejuni eines 66jährigen
Mannes vor. (Erscheint als Originalartikel in dieser Wochenschrift.)
Bonne: Wie können wir Deutschlands Ernährung vom Auslaad
unabhängig machen? Der Hauptfehler in der Entwicklung des letzten
Jahrhunderts liegt für Deutschland darin, daß das Verhältnis der
Nahrungsmittel erzeugenden Landbevölkerung zur Nahrungsmittel ver¬
zehrenden Stadtbevölkerung sich einfach umgedreht hat. Früher 75%
Landbevölkerung und 25% Stadtbevölkerung, zur Zeit umgekehrt. Hi
gilt daher insbesondere bei dem hygienisch absolut empfehlenswerten
8 Stundentajr, dem städtischen Arbeiter die Möglichkeit schaffen, seine
freie Zeit für die Ernährung seiner Familie selbst fruchtbringend aus¬
zunutzen. Wir können rechnen, daß wir zu diesem Zwecke lür 6 Mil¬
lionen Familien in Deurschland, die noch nicht im Besitze von eigenem
Gartenland sind, wenn wir für jede Familie 500 qm rechnen, um in
der Freizeit die notwendigsten Früchte und Gemüse zu erzeugen,
300000 ha brauchen. Dieses Land ist, wenn nötig, durch Enteignung
durch die Stadtgemeinden im Umkreis der Städte zum Zwecke der
systematischen Dezentralisation derselben zu beschaffen. Die zu diesem
Zwecke enteigneten Landwirte sind neben einer Geldentschädigung
durch Zuweisung von Oedland (Heide und Moorland) zu entschädigen,
von dem wir in Deutschland im ganzen noch ungefähr 6 Millionen
Hektar besitzen. Auf diesen ursprünglichen Schrebergärten von
500 qm müssen im Laufe der Jahre kleine Arbeiterhäuser entstehen,
um die Dezentralisation der Städte und damit die Gesundung unseres
deutschen Volkes tatkräftig in die Wege zu leiten. In betreff aller
übrigen Punkte des großzügig bis in die kleinsten Details ausgearbeiteten
Programms zur Lösung der Frage: „Wie können wir Deutschlands
Ernährung vom Auslande unabhängig machen?" muß auf die Schrift
des Referenten verwiesen werden, die unter gleichem Titel bei Pahl
in Dresden erschienen ist
Leipzig, Medizinische Gesellschaft, 10. 1.1922.
Kleinschmidt stellt einen Patienten vor, bei dem er ein etwa
hühnereigroßes, von der Dura mater ausgehendes Fibrosarkom im
Bereich der motorischen Himrindenregion mit Erfolg exstirpiert hat.
Stauungspapille und Lähmungen im Zurückgehen begriffen.
Besprechung. Boström entwickelt die neurologisch-topische
Diagnose vorstehenden Hirntumors.
Payr spricht über eine keimfreie kolloidale PepsinlÖsnng zur
Narbenerwelchnng, Verhütung and Lösung von Verwachsungen- Als
narbenlösende Mittel sind bisher angewandt worden: Hyperämie
mit mechanischer Dehnung, Fibrolysin, Senfmehl und Cholin. Ad-
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
614
VEREINS- UND KONORESSBERICHTE
Nr. 18
häsionslösende Mittel sind besonders für die Bauchhöhlenchirurgie
erwünscht. Das eiweißverdauende Pepsin erschien hierfür verwen-
dungsmöglich. Die Aufgabe, eine wirksame, keimfreie, gewebsun-
schädliche Pepsinlösung herzustellen, wurde dadurch gelöst, daß es
nach Gewinnung eines hochwertigen Pepsins (Verdauungsindex
1:10000) gelang, dieses durch Zusatz von sogenannter Pregl-Lösung,
einer verschiedene Jodverbindungen enthaltenden, schwach alkali¬
schen Eiweißlösung, innerhalb 24 Stunden steril zu machen und
zu erhalten. Diese Pregl-Pepsinlösung ist eine kolloidale Lösung.
Durch Demonstrationen wird gezeigt, daß sowohl lod wie Pepsin
darin enthalten sind. Zusatz von Anästhetika und Adrenalin hat
keinen die Wirksamkeit beeinträchtigenden Einfluß. In zahlreichen
Tierversuchen ist der wundgewebsverdauende Einfluß der Pepsin-
Pregl-Lösung erwiesen, wie die vorgeführten Bilder zeigen. Die
Wirkung dieser Lösung ist dadurch zu erklären, daß sich im Wund¬
gewebe Säuren (Milchsäure, Oxalsäure und Phosphorsäure) vorfinden,
deren Anwesenheit für die verdauende Wirkung des Pepsins als
hysiologische Voraussetzung bekannt ist. Zugleich wird durch die
äure Jod frei. Indikationen: gonorrhoische Kniegelenksversteifungen,
Arthroplastiken, Sehnen- und Muskelverwachsungen, Narbenkeloide,
Röntgenverbrennungen, peritonitische Adhäsionen, Neurome, Strik-
turen der Harnröhre, des Oesophagus und Rektums. Besprechung
der Methodik der Injektion und Demonstration verschiedener, bis¬
her damit erfolgreich behandelter Kranker.
Payr: Demonstration eines exstirpierten, von der Fascia inter-
ossea des Vorderarms ausrebenden Rnndzeliensarkoms welches von
der Beugeseite mittels Lappenschnittes und von der Streckseite
mittels Spiralschnittes parallel zu den Daumenextensoren operativ
angegangen wurde.
Hohlbaum: a) Demonstration einer Kranken, bei der Beseitigung
eines 2 1 /«, Jahr bestehenden Anas praeternaturalis nach Lösung aus¬
gedehntester Darmverwachsungen und Mobilisierung des Colon des-
cendens durch Vereinigung der Sigmaschlinge mit dem Rektum ge¬
lang. b) Arterielle Nachblutung aus einem Aneurysma der Arteria
poplitea nach einer typischen Qenn valrnm-Operation; dieses war
offenbar infolge geringer Arterienwandschädigung durch das Periost-
elevatorium entstanden, c) Besprechung eines Falles von akuter,
schwerer Tetanie, geheilt durch präperitoneale Implantation von
Epithelkörperchen. Es wird auf die bisherigen Erfolge der Epithel¬
körperchenüberpflanzung näher eingegangen. Bei TetanieverdaCnt soll
keine Kropfoperation ausgeführt werden, wegen der Gefahr der
Auslösung tetanischer Anfälle.
Besprechung. Payr: Kurze Schilderung der an der Chirurgi¬
schen Universitätsklinik angewandten Methodik der Kropfe xstirpa-
tion, die eine Schonung der Epithelkörperchen unbedingt gewähr¬
leistet. Bisher ist hier kein postoperativer Tetanieanfall beobachtet
worden. Thomas (Eigenbericht).
Breslau, Schlesische Gesellschaft für vaterländische Kultur,
Januar 1922.
O
Medizinische Sektion.
(13. !.) v. Boeninghaus warnt vor Verwendung des Karbol-
paraffiss als Ersatz für Karbolglyzerin in der Ohrenheilkunde.
Kn ei er: Bei Schweißdrüsenahszessen wurde in vielen Fällen glatte
Heilung in 2—3 Wochen erzielt durch Exstirpation der ganzen unterminier¬
ten Haut. Diese Methode gibt bessere Resultate als die weitgehendere
Bunzels. Sonst kommt bei frischen Fällen Röntgenbestrahlung und
bei älteren Kombination dieser mit Stichinzisionen in Betracht.
Besprechung. Vogel empfiehlt grundsätzlich Kombination
beider Methoden, dazu noch Allgemeinbehandlung durch Protein¬
körpertherapie.
Coenen: Da die Rezidive nur durch Verreiben des Eiters ver¬
ursacht sind, hat sich Ruhigstellung auf einer Schiene als sehr er¬
folgreich erwiesen.
Severin spricht erst allgemein über Bedeutung und Lokalisation
der Headscheo Zonen und ihre sensible und motorische nervöse Ver¬
sorgung bei den verschiedensten inneren Erkrankungen, wie Chole-
lithiasis, Ulcus ventriculi, gastrische Krisen, Pleuritis diaphragmatica,
Herz- und Aortenerkrankungen und schließlich Nierenerkrankungen.
Selten ist das Auftreten eines Herpes zoster in diesen Bezirken; es
kann dieses Ereignis wichtige Hinweise auf eine innere Erkrankung
geben. Besprechung eines Falles von intermittierender Hydronephrose
rechts mit rechtseitigem Herpes zoster in D 11—12 und L 1 und 2.
Baron bespricht die klinischen und pathologisch-anatomischen
Befunde bei zwei Fällen von primärem Pankreasgcbwanzkarzioom.
Beide Fälle hatten reichlichste Metastasen in Milz, Leber, Lymph-
drüsen, einer auch in den Lungen. Mikroskopisch ist bei dem einen
Ausgang von den Langerhansschen Inseln wahrscheinlich.
Vogel bespricht eingehend Theorie, Technik und therapeutische
Anwendung der Poondorf«chen Kutanimpfang. Neben der spezifischen
Wirkung scheint noch allgemeine Protoplasmaaktivierung eine Rolle
zu spielen, daher ihr Erfolg auch bei verschiedensten anderen Er¬
krankungen (Psoriasis, Rheumatoide usw.). Er empfiehlt die Methode
mit den Worten Ponndorfs: „Versuchen Sie es, Sie werden Ihre
Freude daran haben.“
Mann: Demonstration eines Patienten mit Zeichen eines kleine"
Tumors an der Hirnbasis in der Nähe des Okulomotorlusaostrittes«
Frl. Kalinke berichtet über 3 Fälle von Fingerendgaii|?rlii.
Seifert zeigt eine 52jährige Frau mit schnell wachsendem Tumor
am harten Gaumen mit Knochenusur, Einbruch in die Nase und
Metastasen in den Lymphdrüsen. Resektion nach Unterbindung der
Carotis externa. Mikroskopisch: Kleinzelliges Lymphosarkom.
Groenouw demonstriert a) eine Patientin mit pseudonephritischer
Netzhautentzündung (Retinitis stellata), b) eine Patientin mit ein¬
seitiger Erblindung durch Stauungspapille bei Nierenleiden, die nach
großem Aderlaß erheblich gebessert wurde.
Becker: Zar Therapie der Peritonealtuberkulose. Früher bei
innerer Behandlung 33o/o Heilung. Bei adhäsiven Formen wird die
Laparotomie besser vermieden. Gut ist sie bei exsudativen zugleich
mit Injektion des Friedmannschen Mittels. Von 8 Fällen sind
4 zwei Jahre beobachtet und nahezu geheilt, von den übrigen 4 einer
tot an progressiver Phthise, einmal ist der erzielte Erfolg wegen
gleichzeitiger Röntgenbehandlung nicht eindeutig, die übrigen zwei
sind noch nicht lange genug beobachtet.
(20.1.) Spitzer: Nachdem kurz auf die bisherigen Veröffent¬
lichungen — insbesondere Buschkes — über die Wirkung (eine
lokale und spezifisch toxische) von Thalliumsalzeo auf Haarwachstaa
eingegangen ist, bespricht Spitzer ausführlicher eigene Tierver¬
suche. Er injizierte subkutan Th. aceticum Vs mg in 1% 0 iger*Lösung
bis zu 20 Injektionen (letale Dosis) bei Ratten und Kaninchen. Bei
erwachsenen Ratten trat nach 9 mg kurz vor dem Tode diffuser
Haarausfall auf, bei heranwachsenden dagegen schon nach 2,6 mg.
Bei diesen liegen demnach die letale und die epilatorische Dosis
weit genug auseinander, und zwar scheinen die feineren Haare
weniger als die gröberen geschädigt zu werden. Weiter wurde die
Wirkung auf die Nachkommenschaft an schwangeren Ratten geprüft.
Die jungen Ratten bekamen nicht oder nur sehr verzögert ihr echtes
Haarkleid, auch blieben sie ganz erheblich im Wachstum zurück. Die
erste Erscheinung wird erklärt durch Schädigung der Haaranlagen
durch die spezifische Thalliumwirkung; die zweite ist vielleicht auf
endokrine Störungen zurückzuführen (Epithelkörperchen — Haar¬
ausfall bei Tetanie). Diese Wirkung erstreckt sich nur auf den
ersten Wurf, nicht oder nur wenig auf die späteren. Der Uebergang
des Th. auf die Milch wurde bewiesen durch die Versuche an
Muttertieren während der Laktation. Auch hier trat bei den jungen
Tieren als Zeichen einer Toxikodermie Haarausfall auf.
Uhthoff berichtet über seine Erfahrungen über die Behandlung
des Glaukoms. Aetiologisch kommen Diabetes und Syphilis nicht in
Betracht, wohl aber Arteriosklerose, namentlich bei älteren Patienten.
Behandelt wurden über 1000 Patienten und an diesen 1750 Opera¬
tionen ausgeführt, und zwar 1405 Iridektomien, der Rest anders¬
artige Operationen, wie Trepanation, Zyklodialyse, Sclerotomia an¬
terior, niemals aber die Einklemmung der Iris in die Wunde. Miotika
sind nur selten und aus besonderen Gründen angewandt worden. Die
Erfolge daher gering. Die Iridektomie ist den übrigen Methoden
mindestens gleichwertig, wenn nicht wegen der Einfachheit und der
geringeren Gefahren überlegen. Gelegentlich wurde bei einer zweiten
oder späteren Nachoperation eine der anderen Methoden mit wech¬
selndem Erfolg angewandt. Die Zahlen sind etwas ungünstig, weil
sie zunächst nur bei schlechten Augen gewählt wurden. Von den
meist seltenen Komplikationen sind zu erwähnen 1. Verletzung oder
Luxation der Linse. 2. Ausbleiben der Restitution der vorderen
Kammer (besonders bei Gl. Simplex). Hier wird Sclerotomia posterior
oder Punktion mit nachfolgender Massage empfohlen. 3. Netzhaut-
und Glaskörperblutungen infolge der plötzlichen Druckverminderung
gehen meist spontan zurück. 4. Wundinfektionen in schwerer Form
sind niemals, in leichterer selten beobachtet. Sie gingen aber auch
fast stets bald zurück. Eine besondere Gefahr sind die bei der
Trepanation fast stets sich bildenden Wundfisteln, die bei Iridektomie
sehr selten Vorkommen (Fluoreszinprobe). Als Erfolg wird ange¬
sehen deutliche Besserung des Sehvermögens oder zum mindesten
Stillstand des Prozesses. Im einzelnen sind die Zahlen bei den ver¬
schiedenen Formen folgende: I. Ol. inflammatorium acutum: 95ty>
sehr gute Erfolge, doch sind meist mehrere Operationen erforderlich.
Mit Miotika nur 1 o/ 0 Heilung. II. Gl. infl. chronicum 80*/o Heilung
durch Operation, 0,5o/ 0 durch Miotika. III. Gl. fere simplex. als solche
werden die Fälle bezeichnet, bei denen keine entzündlichen Ver¬
änderungen nachweisbar sind, die aber früher über Nebel- und
Regenbogensehen zu klagen hatten. Heilung durch Operation (meist
mehrfach, oft 5—6) 79,3 0 / 0 . Miotika können hier häufiger angewandt
werden, Heilung 3<>/o. IV. Gl. simplex (schwierige Differentialdiagnose
gegenüber primären Sehnervenerkrankungen. Gesichtsfeld Prüfung).
Operationserfolg 75o/ 0 , Miotika 2q/ 0 . V. Hydrophthalmus congenitus
mit Drucksteigerung, geringe Operationserfolge. VI. Gl. haemor-
rhagicum: Operation bringt meist nur geringen und vorübeigehenden
Erfolg, ebenso Röntgenbestrahlung. Später wird Enukleation not¬
wendig sein.
(27. I.) Roesner berichtet ausführlich über“ den^ Entstebungs-
mechanismus der Osteochondritis dissecans. ~
Jendralski stellte aus dem Krankenmateriarder“letzten 10 Jahre
von der Universitätsaugenpoliklinik die Fälle von VntoxikatioasamhfyoDie
(Alkohol und Nikotin) kurvenmäßig zusammen. Der Kurve des Konsums
geht die der Zu- und Abnahme der Krankenzahl ziemlich parallel.
Mit der Abnahme des Alkoholverbrauchs bei Ausbruch des Krieges
(durch gesetzliches Eingreifen) und der allmählichen Einschränkung
Digitized by
Original fro-m
CORNELL UNSVERSITY
5. Mai 1922
VEREINS- UND KONORESSBERICHTE
615
im Rauchen fällt die Kurve steil ab und bleibt im allgemeinen ziem¬
lich niedrig. Nur 1917 bis Anfang 1918 zeigt sich ein kurzer Anstieg
und Wiederabfall, bis mit dem Kriegsende, dem Freiwerden der
Heeresbestände und der Ueberschwemmung mit alkoholischen Ge¬
tränken kl der letzten Zeit, ein neuer steiler Anstieg beginnt, fast
bis zu den Vorkriegswerten. Die Steigerung 1917/18 ist zurückzu¬
führen — wie getrennte Kurvenführung erwies — auf Zunahme der
Tabaksschäden und im besonderen wohl weniger auf vermehrten
Genuß als auf unzweckmäßigere Präparation der Tabake und vor
allem Schwächung der Körperkonstitution; die erschreckende Zunahme
in den letzten 2 Jahren aber nicht nur auf vermehrten Konsum,
als besonders auf die jetzt vielgeübte Verfälschung mit Methylalkohol
oder Brennspiritus. Hier müßte das Gesetz mit aller Schärfe ein-
greifen. Die Schwere der Erkrankungen hat sich gegen früher im
günstigen Sinn verändert. Was das Alter der Patienten betrifft,
so ist eine Verschiebung zugunsten des vierten und zuungunsten
des sechsten Lebensjahrzehnts eingetreten. Die Zahl der Erkran¬
kungen bei Frauen ist gegen früher erheblich zurückgegangen. Der
Höhepunkt im Jahre 1921 liegt innerhalb der Sommermonate, obwohl
gerade in dieser Jahreszeit im allgemeinen weniger konsumiert wird.
Besprechung. Uhthoff: Die Alkoholintoxikation überwiegt
gegenüber dem Tabak. Die Aegypter sind fast völlig verschont von
Erkrankungen dieser Art, obwohl sie unmäßige Raucher sind, aber
nicht oder nur wenig Trinker, und doch gibt es eine reine Tabak¬
amblyopie (Anstieg 1917/18 durch Tabakschäden bei Rückgang des
Gesunaheitszustanaes).
Rumbaur: Eine Erklärung für die Zunahme während der Som¬
mermonate 1921 ist vielleicht in der Schanzschen Auffassung, daß
beide Gifte die Netzhaut gegen ultraviolettes Licht sensibilisieren,
gegeben. — Jendralski: Die Art des Rauchens ist von Bedeutung.
Schädlich ist vor allem das feuchte Stummelkauen, wie es in Aegypten
niemals, wohl aber besonders in Deutschland und England geübt
wird. —* Kehrer empfiehlt Anlegen von Vergleichskurven von
Alkoholpsychosen und Alkoholamblyopien. Ein Zusammentreffen
beider bei derselben Person scheint selten zu sein. Steinbrinck.
Köln, Wissenschaftlich-medizinische Gesellschaft,
3. II. 1922.
Budde: Das schnellende Knie.
Cords stellt einen Fall mit mehrfachen Hemmaogsmißbildangen
vor. Es handelt sich um ein Mädchen von 10 Jahren, das an Wuchs
und Gewicht sehr zurückgeblieben ist. Außerdem findet sich bei ihm
eine linkseitige Hasenscharte, eine linkseitige Anomalie der Zahn¬
stellung des Oberkiefers, ein schwerer angeborener Herzfehler
(Septumdefekt, vielleicht Kommunikation der Aorta mit den Ventrikeln)
mit hochgradiger Zyanose und Trommelschlägelfitigern, schließlich
eine beiderseitige Membrana pupillaris perseverans in Form eines
quer über die Pupille hinüberziehenden Fadens, ein Konus nach unten
auf beiden Augen und ein großes, eiförmiges Brückenkolobom bei voller
Sehschärfe auf dem rechten Auge. Cords weist darauf hin, daß bei
Kolobombildungen, die auf einem ungenügenden Schluß der fötalen
Augenspaltc beruhen, gar nicht so selten andere Hemmungsbildungen
des Körpers Vorkommen und daß der Erblichkeit Beachtung zu
schenken ist
B. Kisch: Die Fnaktionspräfnng des Gehörorgans betreffende
Beobacht äugen. Den Ausgangspunkt der Untersuchungen bildete die
Prüfung, ob eine Stimmgabel vom Warzenfortsatz oder vom Ohr¬
muschelknorpel (bzw. vom Tragus) aus länger gehört wird. Für den
Normalhörigen ergab sich, daß C M (die Zahl oedeutet die Schwin¬
gungen in der Sekunde) und von beiden Stellen gleich lang,
die dazwischen liegenden geprüften Stimmgabeln (C 129 —*C 102 4 ) vom
Ohrknorpel deutlich länger und lauter gehört wurden als vom
Knochen fKr>Kch). Bei Mittelohrschwerhörigkeit war das Umgekehrte
der Fall (Kch>Kr). Es ließ sich aber in jedem Falle eine (nach der
Schwere der Erkrankung wechselnde) Grenze der Tonhöhe finden,
von da an das Verhalten der Knorpel- zur Knochenleitung für die
höheren Töne wieder normal war. In einzelnen (frisch abgeheilten
Fällen) ließ sich ein abnormes Verhalten für C 12S noch zu einer Zeit
feststellen, zu der der Rinnesche Versuch schon für alle geprüften
Stimmgaln normal war. Ferner wurde der Rinnesche Versuch bei
Prüfung verschiedener Stimmgabeln stets (bei Mittelohrschwerhörigen)
nur aufwärts bis zu einer gewissen Tongrenze negativ gefunden, wie
dies schon ältere Versuche Bezolds und seiner Schüler ergeben
hatten. Während aus dieser Tatsache bisher stets nur der Schluß ge¬
zogen wurde, daß zur Prüfung des Rinne demnach nur eine tiefe
Stimmgabel zu verwenden ist, schlägt der Vortragende vor, auf Grund
dieser Tatsache den Rinneschen Versuch in Zukunft zu quantitativer
Prüfung mit verschiedenen Stimmgabeln auszuführen und statt der
üblichen Angabe Rinne -f-, ^ oder —, stets die Tonhöhe anzugeben,
bei der der —Rinne + oder -j- wird. Da sich der Vergleich Knorpel-
Knochenleitung außerdem in manchen Fällen als empfindlichere In¬
dikation einer Funktionsstörung erwies als der Rinne, und ferner
den Vorteil hat, daß vom Knochen, wie vom Knorpel in gleicher
Weise der Stimmgabelstiel zur Prüfung verwendet wird, sollte stets
auch diese Untersuchung ausgeführt werden. Bei einem Mittelohr-
schwerhörigen ergäbe dann nach der Hördauer (absteigend) geordnet
der Befund, z. B. für C 12 « Kch>Kr>Lu, für C 25ö Lu ** Kch>Kr, für C 6l2
Lu>Kch = Kr, für C 1024 Lu>Kr>Kch. Durch diese quantitative Funk¬
tionsprüfung könnten auch Aenderungen im Krankheitsbild (z. B.
bei therapeutischen Maßnahmen) schärfer festgestellt werden. Der
Ausdruck Knorpelleitung ist nur der Kürze halber gewählt, da der
Schall beim Aufsetzen der Stimmgabel auf den Tragus doch nur bis
zu einer gewissen Tiefe des äußeren Gehörgangs im Knorpel geleitet
wird, die Schallwellen sich aber von diesem auf den Knochen und auf
die Luft des Gehörganges übertragen. Eine ausführliche Veröffent¬
lichung erfolgt an anderer Stelle.
Siegmund: Das Epithel in Zabnwurzelgranalomen and verwandten
Neubildungen. Siegmund berichtet unter Vorweisung von zahlreichen
Diapositiven und histologischen Präparaten über seine Untersuchungen
an Zahnwurzelgranulomen, Adamantinomen, Odontomen, Speichel¬
drüsen- und Gaumengeschwülsten und Hypophysengangstumoren. Das
diese Neubildungen charakterisierende Epithel ist eine Modifikation
des Plattenepithels, die als retikuliertes Epithel bezeichnet werden
kann. Es ist ausgezeichnet durch lange, miteinander zusammen¬
hängende Interzellularbrücken mit dicken Protoplasmafasern und
breiten Interzellularlücken, die sich leicht erweitern können, wodurch
die in den genannten Neubildungen zu beobachtende intraepithelial
entstehende Zystenbildung zu erklären ist. Von einer epithelialen Zell¬
situation kann nicht gesprochen werden, vielmehr erinnert das Epithel
an manche jugendliche mesenchymale «Stützgewebe. Der Begriff des
Epithels ist — wenigstens für die pathologische Anatomie — histo-
genetisch zu fassen. Die Epithelfasern entstehen intraplasmatisch und
sind keine mesodermal-mesenchymatischen Produkte. Die in Zahn¬
wurzelgranulomen zu beobachtende reaktive Epithelwucherung nimmt
ihren Ausgang von Resten des epithelialen Schmelzorgans, die auch
beim Erwachsenen ihren Zusammenhang mit der Mundhöhlenschleim¬
haut nicht verlieren. Die Zystenbildung in der normalen Schmelz¬
pulpa, den Wurzelgranulomen, Adamantinomen, Hypophysengangs¬
tumoren ist prinzipiell gleichartig. Schmelz wird in echten Adaman¬
tinomen nie gebildet, er entsteht nur beim Zusammentreffen von
Schmelzepithel mit dem mesenchymalen Dentin (Odontome). Die so¬
genannten Speicheldrüsengeschwülste sind Epitheliome, bei denen eine
besondere Legierung von epithelialen und bindegewebigen Bestand¬
teilen eintritt. Am Hypophysenstiel kommen bei chronischer Menin¬
gitis geringfügige reaktive Wucherungen der hier normalerweise vor¬
handenen Plattenepithelreste vor. Siegmund bespricht kurz die Be¬
deutung seiner Befunde für einige Fragen aus der normalen und
pathologischen Histologie und der Geschwulstlehre. Ausführliche Mit¬
teilung der Untersuchungen erfolgt in Virch.Arch. Haberland.
München, Aerztlicher Verein, 8. III. 1922.
Schlag in weit: Demonstration eines Falles von polyzystischer
Niereodegeneration. 30jährige Verkäuferin, die in den letzten Jahren
dreimal starkes Blutharnen hatte und nun eine besonders in der rech¬
ten Bauchseite deutlich sichtbare, beiderseits fühlbare Geschwulst
mit unebener, wie mit großen halben Erbsen besäter Oberfläche hat.
Aetiologie unbekannt. Prognose ungünstig. Vielleicht Versuch, den
Zustand durch Dekapsulation der Nieren zu bessern.
In der Aussprache zeigt Krecke ein Präparat und ein Farben¬
projektionsbild eines von ihm operierten Falles. Im ganzen mit seinen
zwei Fällen 24 bekannt, alle, mit Ausnahme der vier Fälle von Israel,
fehldiagnostiziert. Von den 24 Fällen, die operiert wurden, sind 7 an
Urämie gestorben.
Oberndorffer hält auf Grund seiner Erfahrungen als Pathologe
die polyzystische Nierendegeneration verursacht durch eine ange¬
borene Mißbildung.
Hoeflmayr: Aerite and Leibesäbangen. (Mit Lichtbildern.)
Hoeflmayr weist die Kollegen, besonders die jungen, darauf hin,
daß sie ihre Aufmerksamkeit mehr als bisher der immer mäch¬
tiger anschwellenden Sportbewegung und dem kommenden Sport¬
arzt schenken sollten. Sie sollten sich mehr als bisher aktiv und ver¬
waltungstechnisch an den Vereinen für Leibesübungen beteiligen,
damit nicht auch dieses aussichtsreiche Gebiet den Aerzten verloren
geht und vollkommen in die Hände der Tum- und Sportlehrer und
anderer, weniger als die Aerzte berufener Personen gerät. Hintennach
nütze das Klagen nichts. Hoeflmayr schildert dann Entstehung
und Arbeitsweise des Deutschen Reichsausschusses für Leibesübungen
und der Deutschen Hochschule für Leibesübungen, an welch letzterer
Bier, Du Bois-Raymond, Rubner, Mallwitz, Kohlrausch
usw. mitarbeiten. Die Lichtbilder zeigten Arbeitsbehelfe der Hoch¬
schule und Typen von verschiedenen Turnern und Sportlern.
Bacherach: Röntgeodiagnose des Ulcus veotrlculi. Bacherach
bespricht bekannte diagnostische Symptome, wie die Nischenbildung,
Magenstraße, Segmentschlinge, Spasmen, die vom Ulkus aus auf
Druck reflektorisdi ausgelöst werden (zeigender Finger), den Druck¬
schmerz, die Hyperperistaltik, Hypersekretion, den Pylorusspasmus,
die Verziehung des Magens, die Verkürzung der kleinen Kurvatur
und schneckenförmige Einrollung und den narbigen Sanduhrmagen.
Er zeigt eine Reihe von sehr schönen Lichtbiidern von Nischen¬
bildungen, Pylorusspasmen und Sanduhrmagen. Hoeflmayr.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
616
VEREINS- UND KONORESSBERICHTE
Nr. 18
Heidelberg, NaturhistoHsch-medizinischer Verein,
22. II. 1922.
Zar 100. Wiederkehr von Adolf Kafimaals Geburtstag.
Flein er: Gedenkrede auf Adolf KuOmaol.
Sauerbruch (München): Die chirurgischen Erkrankungen im
Brustfell der Speiserönre. Die Schwierigkeiten, denen die Brust¬
chirurgie begegnet, sind begründet in den anatomischen Verhältnissen
des Mediastinums. Enge Zusammenarbeit des Chirurgen mit den
Schwesterdisziplinen, der inneren Medizin, der Anatomie und Physio¬
logie ist erforderlich, um diese Schwierigkeiten zu verstehen und
nach Möglichkeit zu bekämpfen. Die Einführung des Oesophago-
skops, die wir Kuß maul verdanken, erweiterte nicht nur unsere
Kenntnisse der Krankheitsprozesse am Oesophagus, sondern brachte
auch die Möglichkeit, Fremdkörper aus demselben zu entfernen.
Diese Methode ist aber nur dann anwendbar, wenn in der Umgebung
der Fremdkörper noch kein Entzündungsprozeß eingetreten ist; an¬
dernfalls ist chirurgisches Vorgehen erforderlich. Das Freilegen des
Oesophagus ist einmal vom Halse aus möglich, bei tiefer sitzenden
Hindernissen legte man die Speiseröhre mediastinal frei, eingehend
vom Rücken her (Enderlen). Die Einführung des Röntgenver-
fahrens hat die Möglichkeit gegeben, pathologische Veränderungen
am Oesophagus und seine Funktion beim Schluckakt zu Gesicht zu
bringen. Durch das Druckdifferenzverfahren gelang es, den Brust¬
korb zu öffnen, ohne daß die Lunge kollabierte. —• Bei Stenose des
Oesophagus hat man operativ Hilfe gebracht, indem man die Speise¬
röhre oberhalb der Stenose mit dem Magen verband. Dieses Ver¬
fahren ist aber nur bei tiefem Sitz der Speiseröhrenverengeruog
möglich, bei hochsitzender Striktur hat man an Stelle der strikturierten
Stelle einen Hautschlauch gebildet und so eine extrathorakal laufende
Speiseröhre geschaffen. Man hat auch den ganzen Magen aus seiner
Verbindung gelöst und an Stelle der Striktur eingesetzt. Entscheidende
Vorteile dieses Verfahrens gegenüber der Bildung des Hautschlauchs
sind aber nicht vorhanden, dagegen bietet diese Operation eine er¬
heblich größere Gefahr. — Sauerbruch bespricht dann weiter die
Operation der Divertikel der Speiseröhre, die ihren typischen Sitz
am Uebergang des Pharynx in den Oesophagus, ferner oberhalb
der Kardia und in seltenen Fällen in der Nähe des linken Bronchus
haben. Die Operation dieser Divertikel mißglückte stets, weil die
Heilungsbedingungen am Oesophagus durch die fehlende Serosa
außerordentlich ungünstige sind und sich, von den Nähten aus-
ehend, in den meisten Fällen eine Mediastinitis entwickelt. Auch
eim Kardiospasmus ging Sauerbruch operativ vor, bis ihn die
Erfahrung bei einer Patientin, der er wegen Spasmen in der Kardia-
gegend die Vagi durchschnitt. und bei der bald nach der Operation
von Nonne Spasmen im höher gelegenen Teil der Speiseröhre fest¬
gestellt wurden, dazu führte, bei Neurotikern von operativer Be¬
handlung, sei es durch Nervendurchtrennung, sei es durch Dehnung
der Kardia, abzusehen. Gleichgültig, ob diese Patienten allgemein-
nervöse Symptome bieten oder als einziges Zeichen nervöser Er¬
scheinungen den Kardiospasmus aufweisen, ist in diesen Fällen kon¬
servative Behandlung am Platze. Für angezeigt hält Vortragender
die Operation in den Fällen, in denen der Kardiospasmus durch
mechanische Hindernisse entsteht. Das Bild, das Vortragender über
die chirurgischen Erfolge beim Oesophaguskarzinom entwickelt, ist
trübe; kein Patient hat bisher die Operation überstanden, und man
mußte aus den Ausführungen den Eindruck gewinnen, daß das Ver¬
ständnis der pathologisch-physiologischen Vorgänge den Chirurgen
lehren sollte, daß er hier an den Grenzen seines Könnens ange¬
kommen ist. Orünbaum.
Freiburg, Medizinische Gesellschaft, 21. II. 1922.
Offizien.« Protokoll.
Vorsitzender: Otto. Schriftführer: Rominger.
Stüber, Funck und Sano: W itere Untersuchungen znr Lehre
▼on der Blutgerinnung. Trennt man Thrombin und Fibrinogen durch
eine semipermeable Membran, so tritt trotzdem Gerinnung ein. Das
Thrombindialysat ist unwirksam. Es konnte nun gezeigt werden, daß
es sich beim Zusammenbringen von Thrombin und Fibrinogen um
eine reine Quellung des auf Grund seiner Darstellung nach Alex.
Schmidt dehydratisierten Thrombins handelt Durch diese Thrombin¬
quellung wird dem Fibrinogen sein Hydratwasser entzogen, es tritt
Gerinnung ein. Das Thrombin ist also kein Ferment, die Gerinnung
kein fermentativer Vorgang. Weiterhin konnte dargetan werden, daß
die Thrombokinase nur auf Grund der in ihr enthaltenen ober¬
flächenaktiven Substanzen die Oerinnnng beschleunigt. Es handelt
sidi also nicht um eine Kinase. In weiteren Versuchen konnte ge¬
zeigt werden, daß der Kalk nicht nötig ist für die Gerinnung. Beim
Zusatz des Oxalatsalzes zum Blut zur Vermeidung der Gerinnung
ist nicht die Ausfällung des Kalkes als Oxalat das Wirksame, sondern
die Bildung eines maximal ionisierten Oxalsäurefibrinogens. Das¬
selbe wird für die Nichtgerinnbarkeit des Zitratblutes nachgewiesen.
Stüber, Rußmann und Proebsting: Uefter Adrenalin. Nach
kurzem Ueberblick über die seitherigen Nachweismethoden des Adre¬
nalins wird über eine chemische Reaktion berichtet, die das Adre¬
nalin noch bis zu einer Verdünnung von 1 zu 100 Millionen nach¬
zuweisen gestattet.
. Amersbach: Elektro-physiologische Untersuchungen in der Kebl-
fcopimn»knl«tur. Mit jügenadazu konstruierter Elektrode, die eine
punktförmige Ableitung vom Muskel gestattet (vergoldete Nadeln),
werden die Aktionsstromrhythmen vom M. vocalis (Hund und Mensä)
und vom M. cricoarythaenoideus lateralis (Hund) zum Saitengalvano
abgeleitet. Am freigelegten Rekurrens wird durch Schließungsreize
zu den Aktionsstromrhythmen der natürlichen Innervation noch der
Effekt der künstlichen Reizung hinzuaddiert. Nach zentraler Unter¬
bindung des Rekurrens sistiert die natürliche Innervation. Der Re¬
kurrens wird mit Schließungsströmen von verschiedener Frequenz
und Stärke gereizt und jeweils vollkommen synchron mit den Reizen
ie ein doppelphasiger Aktionsstrom aus der Muskulatur abgeleitet.
Nachdem der Rekurrens nunmehr auch peripherisch der Elektrode
unterbunden ist, bleiben die Aktionsströme aus der Muskulatur auch
bei künstlichen Reizen aus, und es entstehen auch keine Strom¬
schleifen, und zwar weder vom Nerven, noch von der Umgebung
aus. — Zwei Monate nach der Unterbindung lassen sich von der
unterbundenen Seite keinerlei Aktionsströme mehr ableiten, während
die andere, intakte Seite die Ableitung von Aktionsstromrhythmen
sowohl von dem M. vocalis als vom M. lateralis aus erlaubt. Die
Befunde sind durch Kurven festgelegt. (Erscheint ausführlich in der
Zschr. f. d. ges. exper. M.)
Besprechung. E. Rehn: Die recht bemerkenswerten Befunde
Amersbachs gewähren Ausblicke, welche nicht nur für den La-
ryngologen, sondern auch für den Chirurgen bedeutsam sind. Es
ist ja wohl bekannt, daß die Stimmbandstörungen selten spontan, viel¬
mehr meist als Folge chirurgischer Manipulationen einzutreten pflegen;
bisweilen durch unser Verschulden, in der Regel aber ganz ohne
unser bewußtes Zutun. So geht aus Statistiken hervor, daß wir bei
einer größeren Reihe von Kropfexstirpationen mit einem recht er¬
heblichen Prozentsatz von Stimmbandstörungen oder, wie sich unser
Fachkollege auszudrücken pflegt, von mehr oder weniger ausge¬
sprochenen Paresen desselben zu rechnen haben, und zwar bis zu
13°/o. Ob es sich hierbei um eine aktive Dauerkontraktur oder um
einen passiven Verkürzungszustand oder schließlich um eine Paralyse
handelt, das konnte und kann bis heute noch nicht gesagt werden.
An diesem Punkte würde daher der klinische Teil der Untersuchungen
anzusetzen haben. — Des weiteren wissen wir aus der Statistik, daß
diese Stimmhandstömngen bei einer verschwindend kleinen Anzahl
der Fälle durch direkte Verletzung des N. recurrens gesetzt, meist
jedoch in ihrer Entstehung ohne iede brauchbare Erklärung geblieben
sind. Ob es eine Zerrung des Nerven während des Eingriffes ist,
welche die Stimmbandstörung bewirkt, ob eine postoperative Ver¬
ziehung des Nerven durch Narben oder seine Einmauerung in solche
dazu führen, ob wir durch Manipulationen am Kehlkopf selbst die
Störungen verursachen, oder schließlich durch die Massenunterbin¬
dung von Gefäßen in einzelnen Fällen eine Schädigung der Muskel¬
innervation setzen können, das alles ist uns unbekannt, und doch
sind es Fragen, deren Beantwortung dem Chirurgen sehr am Herzen
liegt. Nachdem wir durch die mitgeteilte Methode eine ausge¬
zeichnete Möglichkeit besitzen, auch den feineren Rekurrensstörungen
nachzugehen, eröffnet sich hier ein weites, und zwar experimentelles
Arbeitsfeld. Mit der Ermittlung der Ursachen der Stimmbandstönin-
gen wird diese Forschung auch die Vermeidung derselben zu be¬
rücksichtigen haben und hierdurch erhebliche klinische und speziell
chirurgische Bedeutung erlangen.
Prag, Verein deutscher Aerzte, 10. II. 1922.
Schloffer stellt einen operierten Fall von übergroßer Struma vor und
berichtet über mehrere einschlägige von ihm operierte Fälle. Kröpfe von
besonderer Größe, die wie ein zweiter Kopf dem Halse aufsitzen, hat
Schl o f f e r in Innsbruck häufiger als in Prag gesehen. Die Operation selbst
ist in diesen Fällen gewöhnlich technisch einfacher, als man denken sollte,
weil die Trachealkompression dabei oft keinen hohen Grad annimmt.
Erwin Popper: Chronisch gewordener Simrultus nach Grippe-
Enzephalitis. Februar 1920 Fieber, Unruhe und Schlaflosigkeit, dann
nach langsamer Erholung gesund durch % Jahre, Eintreten von
Singultus im Februar 1921, tagelang dauernd ohne Unterbrechung.
Dann Spontanremissionen bis zu einem Tage, gleichzeitige Entwick¬
lung von Monoparkinson. Besserung nach Skopolamin und Roboran-
tien. Künstliches Fieber in der Ruhepause ruft Singultus hervor, der
mit dem Fieber schwindet. Kein Erfolg der sonst gelungenen Hypnose.
Anfänglich guter Erfolg der Schlunasondierung, dann Gewöhnung.
G. Schönhof stellt j Fälle von Adnex- und Peritoneal-Tnberknlose
— 2 durch Darmaffektionen kompliziert — durch Röntgentherapie
geheilt, vor und streift dieIndikationsstellungzurRöntgenbehandlungder¬
artiger Fälle. Gleichzeitig wird der Versuch einer Erklärung der Wirkung
der genannten Therapie auf die tuberkulösen Adnexerkrankungen gemacht
imhofer: Anginöse. Imhofer bespricht die Lehre von der An-
ina, die von dem Laryngologen Fein ausgegangen ist und feststellt
aß die Angina den ganzen Waldeyerschen Schlundring in seiner
Gänze und in gleicher Intensität erfaßt, also nicht aul die Ton¬
sillen beschränkt ist. Es handelt sich bei dieser Erkrankung des
Schlundringes um eine Lokalisationsstelle neben anderen bei einer
Allgemeiuinfektion und wird deshalb der Name „Anginöse“ statt des
bisher üblichen „Angina“ vorgeschlagen. Es ist weder erwiesen noch
wahrscheinlich, daß die Tonsillen die Infektionseingangspforte dar¬
stellen. Imhofer kommt kritisch zu dem Ergebnisse, daß man dieser
Lehre nicht in allen Punkten beipflichten könne, daß sie sicher aber
Beachtung verdient und zu wichtigen Konsequenzen für das thera-
eutische Handeln bei der Angina selbst und in weiterer Folge auch
ei der chronischen Tonsillitis führen muß. O. Wiener.
Verantwortlicher Redakteur: LY. Ober-Reg.-Ma&-Rtt Dr.O. StrauS. - Druck von Oscar Brandstetter In Lelpsii.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
PRAEMEDICUS
Offizielle Mitteilungen der „Vereinigung Deutscher Medizlnalpraktlkanton“ und des M Verbandes Deutscher Medlzinersohaften 11
VERLAG VON GEORG THIEME / LEIPZIG/ ANTONSTR.15
Nummer 7 Freitag, den 5. Mai 1022. . 2. Jahrgang
Bekanntmachungen
des Verband Deutscher Medlzinalpraktikanten,
Sitz Leipzig, Krankenhaus St. Jakob, Liebigstr. 20.
Am 1. IV. erhielten wir folgendes Antwortschreiben des
Reichsarbeitsministeriums (aut unsere Eingabe vom 1. III. 22):
Berlin, den 29. März 1922.
Die Frage der Einbeziehung der Medizinalpraktikanten in die
reichsgesetzliche Sozialversicherung wird im Zusammenhang mit dem
Umbau der Reichsversicherungsordnung erneut geprüft werden. In
ihrer gegenwärtigen Gestalt eignet sich die Sozialversicherung nicht
zur Ausdehnung auf Medizinalpraktikanten.
I. A.: Im Entwurf gez. Grieser.
Mit diesem echt bureaukratischen Bescheid konnten wir uns
natürlich nicht zufrieden geben. Wir sandten deshalb dem Ministerium
folgende Erwiderung:
Leipzig, den 10. April 1922.
An das Reichsarbeitsministerium.
Die Antwort des Reichsarbeitsministeriums auf unsere Anfrage
vom 1. III. d. J. hat uns in jeder Beziehung enttäuscht.
Das Hohe Ministerium begnügt sich darin mit dem Versprechen,
die Frage der Versicherung der Medizinalpraktikanten gegen Krank¬
heit, Unfall und Haftpflicht solle erneut geprüft werden. Einen fast
gleichlautenden und für uns ebenso unbefriedigenden Bescheid er¬
teilte uns das Reichsministerium des Inneren bereits Mitte November
vorigen Jahres. Seitdem sind nahezu 5 Monate verflossen, ohne daß
die für uns äußerst wichtige Angelegenheit auch nur einen Schritt
vorwärts gebracht worden wäre.
Daß der ärztliche Beruf eine viel ausgedehntere, gesundheitliche
Gefährdung des Einzelnen mit sich bringt, als es bei den meisten
übrigen Berufsarten der Fall ist, steht außer jedem Zweifel. Ihnen
allen gewährt man heutzutage den weitgehendsten, sozialpolitischen
Schutz als etwas ganz Selbstverständliches. Uns dagegen vertröstet
man von dem einen auf das andere Mal.
Wenn auch eine Einbeziehung der ‘Medizinalpraktikanten in die
zur Zeit bestehende Sozialversicherung nicht möglich ist, so muß es
doch andere Mittel und Wege geben, um zu einer sofortigen, be¬
friedigenden Lösung dieser Frage zu gelangen.
Wir ersuchen hiermit das Hohe Ministerium, uns darüber auf¬
klären zu wollen, wie dieses Ziel auf eine praktisch gangbare Weise
umgehend zu erreichen ist.
Verband Deutscher. Medizinal-Praktikanten.
gez. Krebs, 1. Vorsitzender.
Die Gleichstellung der Akademischen Assistenten im Reich.
Von Priv.-Doz. Dr. V. Schilling,
1. Vorsitzender der Medizinischen Fachgemeinschaft des D.AJV.V.
An die alte Landkarte des Heiligen Deutschen Reiches erinnerte
eine Uebersicht der Assistentengehälter, wie sie der jüngste Ver¬
tretertag des Deutschen Akademischen Assistentenverbanaes am 25. III.
vor Augen führte. Preußen marschierte an der Spitze der Kultur;
in keinem Bundesstaate wird die wissenschaftliche Arbeit der Aka¬
demischen Assistenten so hoch — oder sagen wir besser —■ so ge¬
recht gewertet, wie jetzt in Preußen: der planmäßige Assistent
bezieht 5 Jahre das volle Gehalt eines Diätars der X. Gruppe
B. D. E. G., d. h. zur Zeit das Anfangsgehalt eines Beamten dieser
Gruppe im ersten Dienstjahre. Vom 7. Jahre ab steigt er mit den
üblichen Gehaltsstufen alle zwei Jahre. Dazu kommen die Ehe-
und Kinderzulagen; nur die Pension bleibt ihm vorenthalten.
Baden, Hessen, Württemberg dagegen gewähren nur 60, 70,
80 und 90o/ 0 , steigend von Jahr zu Janr; nur wenige „gehobene
Assistenten“ erreichen 95—tOOo/o ohne weitere Steigerung, d. h. der
Assistent hört günstigstenfalls mit dem auf, was der preußische
Assistent vom ersten Tage bekommt und vom 7. Jahre an über¬
schreitet.
Bayern läßt- es sogar nur bis 95 o/o bestenfalls kommen und be¬
willigt keine Ehezulage, wie die genannten; Braunschweig beab¬
sichtigt eine ähnliche Regelung mit nur 80<y<, des Ortszuschlages und
Befristung auf 2 Jahre. In Sachsen wird von 70o/ 0 an in 5 Jahren
zwar das volle Gehalt erreicht, aber nicht weiter gesteigert. Mecklen-
Deuteohe Medizinische WoehensohrHt Nr. 18
bürg unterscheidet sogar eine kleine Minderheit von Assistenten
1. Klasse, die etwa amuüiemd wie in Preußen stehen, läßt aber die
Mehrzahl als Assistenten 2. Klasse von 75 auf 95o/o und erst nach
6 Jahren endgültig auf 98«/o steigen.
Auch die außerplanmäßigen Assistenten, obgleich sie auch in
Preußen mit der Abfindung von 22000 M. jährlich z. B. hinter dem
17jährigen BergbauangestelTten ohne kaufmännische Bildung bleiben,
der noch dazu Hohe Zulagen erhält, stehen sich in Preußen bei weitem
am besten.
Was ist der Grund? Leistet der außerpreußische Assistent soviel
weniger? Leider können die Preußen diese unfreiwillige Anerkennung
der anderen Ministerien nicht gut annehmen, denn die Gleichartig¬
keit deutscher Universitätsbildung, die Freizügigkeit von Universität
zu Universität im ganzen Reich läßt eine derartige Verschiedenheit
nicht zu. Aber es droht hier in der Tat ein wichtiges Moment, wieder
einmal .ein deutsches Gut, um das uns das Ausland beneidet, zu
gefährden. Kann man es den Süddeutschen verdenken, wenn sie
die besseren Plätze an der preußischen Sonne- erstreben?
Kurz gesagt: es sind alte Zöpfe, die der ehrwürdigen Alma mater
anhängen und die dem Vernehmen nach nicht von den Senaten der
Universitäten, sondern von den sparsamen Ministerien geschont wer¬
den. Aber immer wieder fragt man erstaunt, warum in dem Heer
der Beamten gerade die kleine Gruppe der Akademischen Assisten¬
ten das Sparversuchskaninchen der Finanzminister ist. Eine merk¬
würdige Zwickmühle! Aus den Besten der Besten soll der Akade¬
mische Assistent als werdender Lehrer deutscher Hocfischüler, als
wachsender Vertreter deutscher Wissenschaft genommen werden;
er soll sich konzentrieren auf seine Wissenschaft, ohne Seitenblicke
auf die gut gelohnten freien Berufe, auf Privätpraxis, auf die hohen
Tantiemen der Industrie; er soll möglichst durch einige Volontär-
jahre seine besondere Geeignetheit erst auf eigne Kosten erweisen!
Und wem ebnete man bisher diesen Weg? Denen, die nicht anders
Unterkommen, die nicht den Mut zum Schritt ins Leben finden, den
Wohlhabenden, deren Väter voller Stolz die weiteren Universitäts¬
jahre bewilligen können, den „Gewandten“, die neben ihren eigenen
Pflichten Zeit und Sinn für lohnende Nebenerwerbe finden und
schließlich auch einigen hoffnungsvollen und unpraktischen Idealisten,
an denen gottlob aas alte deutsche Reich nie Mangel hatte, die
man sich gern dafür an ihren Idealen sättigen ließ. Heute aber
hungert der Idealist nicht nur, er verhungert! Seine Leistungen
für Staat und Volk verdienen sein Gehalt, das doch nur ein an¬
ständiges Existenzminimum ist.
Hoffentlich zeigen sich bald auch die außerpreußischen Ministerien
dem Gedanken zugänglich, die Wahl der Besten und die freie wissen¬
schaftliche Arbeit im ganzen Deutschen Reich zu fördern, damit das
böse Preußen nicht lange ein Muster bleibt.
Zur Besoldungsfrage der Medizinalpraktikanten.
Von W. Krebs. 1. Vorsitzender des V.D. M.-P.
Verhandlungen mit Ministerien, dem Leipziger Stadtrat und Nach¬
richten von auswärtigen Verbandsmitgliedern lassen erkennen, welche
Hindernisse einer gerechten und gleichmäßigen Besoldung den Me¬
dizinalpraktikanten im Wege stehen.
In erster Linie ist es die veraltete reichsgesetzliche Bestimmung
von 1908, welche die anstehenden Krankenhäuser berechtigt, uns als
Angestellte abzulehnen und nur als Lernende zu betrachten. Daß wir
Lernende sind, wird niemand anzweifeln können; aber auch nicht, daß
Aerzte ihr ganzes Leben lang Lernende bleiben müssen. Daß dieser
Standpunkt der Anstalten veraltet ist, bezeugt 1. daß an vielen
Stellen schon eine Bezahlung, oder sonstige Vergütung, besteht; sich
also als Notwendigkeit von selbst gestaltet hat; 2. daß Akademiker,
wie die Referendare, welche in ihrer Ausbildung genau so weit sind
als wir, schon längst eine gute Besoldung erhalten. (In Leipzig über
1200 M. monatlich.) Von unserer Seite sind die hier bekannt
gegebenen, Eingaben an das Reich und alle Ministerien gemacht
worden. Wir erwarten immer noch eine Antwort
Ein zweites Hindernis ist die fehlende, öffentliche Anerkennung
unserer Leistungen von seiten der Anstaltsdirektoren. Obwohl diese
— zumal an kleinen Krankenhäusern — wissen, welche selbständigen
und verantwortungsreichen Arbeiten, an vielen Stellen, von den Me¬
dizinalpraktikanten geleistet werden, wird dies, fast überall, nicht
laut anerkannt. Daß Medizinalpraktikanten häufig helfen eine Assi¬
stentenstelle zu erspareh, wird verschwiegen, Dadurch wird Stadt¬
räten und Besoldungsausschüssen gegenüber die Berechtigung einer
Vergütung unserer Arbeit untergraben.
Original from
CORNELL UNÜVERSITY
618
PRAEMEDICUS
Nr. 7
Ein dritter Stein auf dem Wege unserer wirtschaftlichen Sicher¬
stellung ist der Widerstand der Aerzte selbst. Ein Stadtratsmitglied
hat mir selbst berichtet, daß bei Verhandlungen über unsere Be¬
soldungsfragen in Berlin, an denen etwa 25 deutsche Städte teil-
nahmen, von seiten der beteiligten Aerzte eine Aufbesserung oder
Vergütung für uns glatt abgelehnt wurde und daß man von juristi¬
scher Seite viel mehr für uns eintrat. Dieser kleinliche Standpunkt
entsteht wohl aus der Ueberlegung, daß früher Medizinalpraktikanten,
in den meisten Fällen, nicht bezahlt wurden. Es ist zu bedauern, daß
Vertreter unseres Standes vergessen, in welch günstigen Zeiten sie
studieren durften und welch unerbittlicher Daseinskampf schon jetzt,
zumal den Kriegsteilnehmern, auferlegt ist.
Eine, weitere Hemmung bildet die augenblicklich noch bestehende
Ungeschlossenheit der deutschen Medizinalpraktikanten und ein un¬
verständliches Widerstreben gegen eine Zentralisierung von seiten
einzelner Gruppen. Ist es nötig darüber Worte zu verlieren? Es ist
falsch, wenn einzelne unter uns glauben, daß eine Arbeit ihrerseits
für die Allgemeinheit nichts für sie „herausspringen“ ließe. Im
gleichen Augenblick, in dem wir ganz geschlossen auftreten, er¬
reichen wir auch unser Ziel. Man sollte in dieser Beziehung einer
Verbandsleitung mehr Vertrauen entgegenbringen. Wir wissen nun,
was uns noch im Wege steht; ich fordere hiermit jeden Einzelnen
auf mitzuhelfen, soweit es nur möglich ist, daß die deutschen Me-
dizinalpraktikanten als geschlossene Organisation durchsetzen können,
was für sie Existenznotwendigkeit geworden ist.
Fürsorgeärzte zum drittenmal.
Von Dr. W. Hagen, Assistent am Kreiswohlfahrtsamt Lennep.
(Leiter: Dr. Fels, Kreiskommunalarzt.)
Wenn man den Streit um den Fürsorgearzt liest, kann man nur
den Kopf schütteln, falls man selbst als junger Fürsorgearzt die
Verhältnisse kennt. Die Ausführungen von Kruse und Gold mann
können die Frage nur verwirren. Beide berücksichtigen nicht die
Lage des jungen Arztes, der sich neu der Fürsorgetätigkeit zu¬
wenden will, so sehr sie für die bisherigen Verhältnisse zutreffen.
Als ich mich entschloß Fürsorgearzt zu werden, fragte ich mich:
Wo kannst du das lernen? Und da sitzt die Schwierigkeit. Weder
die Kinderklinik noch der Lungenspezialist ist dazu geeignet. Auch
der Fürsorge- und Schularzt ist ein Facharzt. Und Fürsorgearbeit
lernt man füglich am besten bei Fürsorgeärzten. Nun krankt der
„Markt“ hier zur Zeit an einem Ueberangebot von leitenden Stellen,
bei wenig Assistentenstellen. Da aber bisher lediglich Kinder- und
Lungenärzte für die Besetzung in Frage kamen, so ist die Folge,
daß der Kinderfacharzt und Lungenfacharzt das Feld beherrschen.
Aber das heißt nicht, daß das der ideale Weg ist. Früher war der
Hautarzt auch durch die chirurgische Fachausbildung gegangen, jetzt
denkt niemand mehr daran.
Allerdings bestehen einige Schwierigkeiten der diagnostischen
und therapeutischen Ausbildung, da bei der Fürsorgearbeit eine
fortlaufend klinische Beobachtung ja nicht möglich ist. ' Also muß
eine Vorbildung in der Kinder- und internen Klinik vorhergehen.
Dafür scheinen mir aber die von Teleky vorgeschlagenen Zeiten
ausreichend (ich mußte mich mit weniger begnügen). Denn der
Fürsorge- und Schularzt ist kein Kinderspezialist, da er keine Krank¬
heitstherapie beherrschen muß, und die Erfahrung in der oft so
schwierigen Aufzucht des künstlich ernährten Kindes bringt auch die
eigene Mütterberatungsarbeit. Ebenso kann sich die Fähigkeit der
internen Diagnostik beim Schularztdienst stets weiterentwickeln, und
die Anforderungen an sie sind allerdings hohe. Aber hier, wie bei
der Tuberkulosebeurteilung zeigt sich auch bald, daß man mit der
klinischen Wertung nicht auskommt, daß die prognostische und kon¬
stitutionelle Beurteilung viel schärfer sein muß als in der Klinik,
wo man den Menschen öfter zu sehen bekommt. Zudem ist das
Hauptarbeitsgebiet des Fürsorgearztes jene Menge von Nichtgesun¬
den und Nichtkranken, die man in der Klinik nicht zu sehen be¬
kommt.
Also: Kurs, Kinderklinik, interne Klinik, Lungendiagnose und,
was sehr wichtig ist, Orthopädie und Psychiatrie sind zuerst er¬
forderlich. Das kann meines Erachtens in U/s Jahren (außer dem
Praktikantenjahr) gut und gern erledigt werden, wenn man intensiv
arbeitet. Dann eine Fürsorgeassistentenstelle, um erst recht
Fürsorge zu lernen. Und, Gott sei Dank, sind hier die Assistenten¬
stellen im allgemeinen gut bezahlt. Und deswegen ist die Aus¬
bildung billiger. Abgeschlossenes Wissen kann ein junger Mensch,
der die erwähnte kurze Vorbildung hat, nicht besitzen, seine Aus¬
bildung folgt erst.
Wenn man freilich die Arbeit des Fürsorgearztes so verkennt,
wie Goldmann, der sie „Fort vom Individuum — hin zur Masse“
charakterisiert, so ist man auf dem Holzwege. Der Arzt, welcher
als Schularzt, Tuberkulosefürsorgearzt und Säuglingsfürsorgearzt der
Hausarzt einer Bevölkerung geworden ist (ich möchte sagen der
Familienfürsorgearzt), muß immer wieder die Arbeit am Individuum
in den Vordergrund stellen. Nicht Statistiken und Gesetze allein
sollen die soziale Umwelt des Volksganzen erfassen und gegebenen-
tajls^beeinflussen. Es kommt darauf an, die sozialen Faktoren im
Einzelfalle, bei einem Kind, einer Familie zu sehen, zu werten
und zu ändern. Ein gut Teil der Arbeit ist Pädagogik. Man lernt
Gesetze nicht zu überschätzen, und es wäre manchem Verwaltungs¬
arzt gut, er hätte von Fürsorge eine Ahnung.
Oewiß, das gute Herz tuts nicht, sondern Können und Ueber-
sicht. Aber eine besondere seelische Einstellung zum anderen Men¬
schen ist doch notwendig. Der Fürsorgearzt schreibt keine Rezepte
und gibt keine Anordnungen. Er berät mit den Menschen, was zu
tun ist. Manches bekommt er dabei zu hören, was dem anderen Arzt
verborgen blieb, und er hat ein recht gut Teil Seelsorge bei
seiner Arbeit. Wer sich aber der Aufgabe, fremde Lebensschwierig,
keiten zu verstehen, seelische Klippen zu überwinden, Aengstlichkeit
zu überzeugen, aber schließlich auch Herrschsucht und Trotz zu
brechen, nicht gewachsen fühlt, soll die Finger von einem Beruf
lassen, der nicht einfacher ist als die Praxis, weil er bald zu
„pensionsberechtigter Versorgung“ führt, sondern genau so beson¬
dere Eignung und Ausbildung erfordert, wie der eines jeden anderen
Facharztes.
Medizinische Botanik.
Von Dr. R. F. Weiß in Charlotten bürg.
Die dankenswerten Ausführungen des KoHegen Lehmann in
Nr. 5 des „Praemedicus“ geben mir Veranlassung zu einigen wei¬
teren Bemerkungen. Es ist sicherlich kein Zufall, sondern liegt im
Wesen der Sache begründet, daß sich bei der bevorstehenden Neu¬
regelung des medizinischen Studiums das Interesse in besonderem
Maße der Botanik zuwendet. Schon vor einiger Zeit (Praemedicus
1921 Nr. 2) machte ich auf einige Mißstände des bisher üblichen
botanischen Unterrichts aufmerksam. Wenn auch neuerdings die
Reform des medizinischen Studiums in ihren Grundzügen im wesent¬
lichen festgelegt ist, so ist doch damit eben nur ein Gerüst ge¬
schaffen, das erst durch verständnisvollen Ausbau dauernden Wert
erhalten soll. Im Prinzip ist man sich wohl einig, daß die botanische
Unterweisung des Mediziners nicht mehr in der bisherigen Form
stattfinden darf. Eine Verschmelzung der Zoologie mit der Botanik
zu einem Kolleg über „Allgemeine Biologie“, wie von einigen Seiten
vorgeschlagen wurde, würde den Wünschen des Mediziners in keiner
Weise gerecht werden. Die Grundzüge der allgemeinen Biologie
werden bereits heute in der Hauptsache in der zoologischen Vor¬
lesung übermittelt; der Mediziner hört sich, falls nicht ein speziel¬
leres Interesse vorliegt, wohl stets nur die Vorlesung über „All¬
gemeine Zoologie“ an, die das für Um Wichtige aus Anatomie,
Entwicklungsgeschichte usw. sowie die Grundzüge der Systematik
der Tiere und meist auch eine Besprechung der medizinisch wich¬
tigen Tiergruppen, zumal der menschlichen Parasiten, bringt. Hier
wird also den besonderen Bedürfnissen des Mediziners bereits weit¬
gehend Rechnung getragen. Ganz anders bei der Botanik. Von
dieser Wissenschaft interessieren den Mediziner nur die Grund¬
lagen der Anatomie und Physiologie, die er sich aber aus dem
großen fachwissenschaftlichen Kolleg nur schwer oder gar nicht
herauszuholen vermag. Eine Kenntnis der Grundzüge pflanzlicher
Systematik ist für den Mediziner zweifellos gleichfalls notwendig,
da von der alten Forderung, daß der Arzt auch in den Naturwissen¬
schaften wenigstens im Ueberblick Bescheid wissen muß, nicht gut
abgegangen werden darf. Weiter aber hat der Mediziner in billiger
Weise zu fordern, daß der botanische Unterricht auch den speziellen
Interessen seines Berufes Rechnung trägt. In den klinischen Se¬
mestern lernt der angehende Arzt nun eine ‘große Reihe von Medika¬
menten pflanzlichen Ursprungs kennen, ohne von den Pflanzen eine
Ahnung zu haben. Das Herumzeigen einiger mehr oder weniger
guter Abbildungen im pharmakologischen Unterricht kann diesem
Mangel nicht abhelfen. Im klinischen Studium ist zur Aneignung
derartiger elementarer Dinge erfahrungsgemäß keine Zeit mehr, ganz
abgesehen davon, daß die Aufmerksamkeit des Klinizisten in viel
stärkerem Maße durch die neuartigen Erscheinungen der Klinik
in Anspruch genommen wird. Hier kann der vorklinische Unterricht
Helfend eingreifen; er muß das tatsächliche Kennenlemen der wich¬
tigeren Arzneipflanzen, vor allem der heimischen, ermöglichen und
deren Vorkommen und arzneiliche Verwendung in den Grundzügen
darlegen. In diesem Sinne ausgestaltet, wird er eine bedeutungs¬
volle und dankenswerte Vorbereitung für das- klinische Studium
darstellen und dem Mediziner die ihm heute leider allzusehr ent¬
fremdete Botanik näher zu bringen vermögen.
Eine Frage von untergeordneter Bedeutung ist es, ob die bota¬
nische Vorlesung ein- oder zweisemestrig gehalten wird. Bei ge¬
schickter Anordnung des Stoffes dürfte eine einsemestrige Vor¬
lesung mit 3 Wochenstunden zur Erreichung des hier angedeuteten
Zieles völlig ausreichen. In der ersten Semesterhälfte könnten Ana¬
tomie und Physiologie besprochen werden, und in der zweiten
dann die Grundzüge der Systematik und vor allem die Arzneipflanzen.
Vorweisungen' von frischen und getrockneten Pflanzen sowie ge¬
legentliche Demonstrationen im Botanischen Garten werden den
Unterricht in vorteilhaftester Weise beleben und gegenständlicher
gestalten. So geht also die Forderung des Mediziners nach einer
Ersetzung des großen botanischen Kollegs durch eine besondere,
nur oder doch vorwiegend für ihn bestimmte Vorlesung über »Me¬
dizinische Botanik“. __
Pur dl« Schriftlettung verantwortlich: Dr. Hans Hlrichberg. Leipzig. SMotttestraße 08,1V. - Dtyck von Os
■tatter In
□ igitized by
Google
Original from
CORNELL UNIVERSSTV
Deutsche Medizinische Wochenschrift
Begründet von Dr. Paul Börner
HERAUSOEBER: VERLAG:
Geh. San.-Rat Prof. Dr. Schwalbe G EORG THIEM E / LEI PZIQ
Berlin-Charlottenburg, Schlüterstraße 53 Antonstraße 15
Nummer 19 Freitag,
Porphyrinurie mit und ohne Koliken.
Von Prof. Dr. I. Snapper in Amsterdam.
Hämatoporphyrinurie oder, genauer gesprochen, Por¬
phyrinurie, d. h. die Ausscheidung beträchtlicher Mengen Por¬
phyrin im Harn, ist ein Symptom, das bei verschiedenen Krankheits¬
zuständen Vorkommen kann. Günther hat in zwei ausgezeichneten
Monographien unsere Kenntnisse über diesen Gegenstand zusammen¬
gestellt und die Literatur berücksichtigt 1 ).
_ Wir kennen eine toxische Porphyrinurie, wie sie in bestimmten
Fällen von chronischer Sulfonal-Trional- und Bleivergiftung vorkommt,
und eine angeborene Porphyrinurie, mit Ueberempfindlidikeit für
Licht, mit Blasen- und Narbenbildung und mit Vornandensein von
Porphyrin im Skelett. Als verwandt mit dieser letzten ernsten Krank¬
heit ist die Hydroa aestivale anzusehen.
Neben diesen beiden Gruppen von Porphyrinurie findet man ein
anderes Syndrom, wozu die Porphyrinurie als wesentliche Erschei¬
nung gehört Bei Menschen, die wenig oder keine organischen Ab¬
weichungen zeigen, entstehen auf einmal, ohne daß ein bestimmter
Grund hierfür anzugeben ist, Anfälle heftiger Bauch- und Lenden¬
schmerzen mit Erbrechen und Obstipation; zu gleicher Zeit wird
ein dunkelroter Urin, der viel Porphyrin enthält, ausgeschieden. Oft,
aber nicht immer, wird eine Blutung im Magen- und Darmtrakt bei
dieser Krankheit beobachtet. Merkwürdigerweise sind diese Fälle
fast alle in der englischen Literatur beschrieben, sehr wenige in
der deutschen und französischen.
In etwa der Hälfte der Fälle sterben die Patienten nach mehreren
Anfällen unter Lähmungserscheinungen des zentralen und peripheri¬
schen Nervensystems; mit anderen Worten, diese Patienten zeigen
ein Bild, das sehr viel Aehnlichkeit mit der Sulfonalvergiftung hat,
ohilt daß sich in diesen Fällen etwas von Sulfonal- oder Bleivergif¬
tung nachweisen läßt. Günther hat dieses Krankheitsbild, wovon
nur ungefähr 15 Fälle beschrieben sind, akute Porphyrinurie
genannt. Charakteristischer wäre die Bezeichnung Porpnyrinkolik
(Colica porphyrinurica).
Ueber den dunklen Urin, der bei den Anfällen ausgeschieden
wird, kann noch gesagt werden, daß die Farbe nur zum kleinsten
Teil von dem vortianaenen Porphyrin verursacht wird; neben dem
Porphyrin ist nämlich in viel größerer Menge ein andrer Farbstoff
vorhanden, der nicht näher identifiziert ist, sondern wahrscheinlich
den Porphyrinen nähersteht. Immer war außer Porphyrin auch Uro¬
bilin vorhanden.
Ich hatte das Glück, drei Fälle dieser typischen akuten Porphyrin¬
kolik zu beobachten, die ich während längerer Zeit genau studieren
konnte, sowohl während der Zeit der Schmerzanfälle wie außerhalb
dieser. Zwei Fälle sind nach mehreren Poiphyrinkoliken unter den
Erscheinungen terminaler Polyneuritis gestorben und sorgfältig ana¬
tomisch untersucht*).
Sowohl die klinische als auch die anatomische Untersuchung
hat uns bei diesen Patienten mit heftigen Bauchkoliken und damit
verbundener Porphyrinurie sowie terminaler Polvneuritis nicht viel
weiter gebracht: organische Abweichungen wurden nicht gefunden.
Jedoch würde es von großer Wichtigkeit sein, das ursächliche Mo¬
ment dieser rätselhaften Krankheit zu kennen: die Patienten halten
sich zwischen den Schmerzanfällen für ganz gesund, während der
Arzt mit Schrecken und Furcht den folgenden Anfall erwartet, dem
sich vielleicht die unheilvolle Polyneuritis anschließen wird.
Bei dem Fehlen deutlicher anatomischer Abweichungen ist die
folgende Auffassung vielleicht wert geprüft zu werden. Die Schmerz-
anfalle haben eine Aehnlichkeit mit den Schmerzen mit Obstipation,
wie sie bei retroperitonealen Geschwülsten mit Druck auf die retro-
peritonealen Nervengeflechte entstehen. Auch dabei sucht man immer
nach einer mechanischen Störung der Darmbewegung, bis endlich
bei Operation oder Sektion der Druck auf die Nervengeflechte durch
die rctroperitoneale Schwellung sich als Grund der heftigen Schmerzen
und des trägen Stuhles eigibt Vielleicht darf man annehmen, daß
*) D. Arch, f. klin. M. 105 u. 135. — ») Die ausführliche Beschreibung und Be
sprechung dieser Fälle publizierte ich (Holländisch) im Tijdschrift voor Qeneeskunde
19P0 I Nr. 15. Ein eingehendes Referat dieser Fälle, quasi Uebersetzung, findet sich in
der Monographie H. Günthers über „Die physiologische und pathologische Bedeutung
der Hämatoporphyrine 11 (Verl. Bergmann, München 1022).
12. Mai 1922 48. Jahrgang
bei den Porphyrinkoliken eine krankhafte Entartung der retroperi-
tonealen Nervengeflechte besteht, die Anlaß gibt zu:
1. der abnormalen Funktion der Leberzellen, wodurch ein Teil
des Blutfarbstoffes zu Porphyrin statt zu Gallenfarbstoff abgebaut
wird;
2. den heftigen Koliken, die einigermaßen den Charakter der sog.
Nebennierenkoliken haben;
3. hämorrhagischere Erosion der Magenschleimhaut, wodurch die
okkulten Blutungen entstehen.
ln bestimmten Fällen geht diese Nervenentartung auf das ganze
peripherische Nervensystem über, sodaß der Tod unter Lähmungs¬
erscheinungen eintritt. Das ursächliche Moment für diese merk¬
würdige Krankheit des peripherischen Nervensystems und insbesondere
der retroperitonealen Nervenplexus bleibt in Dunkel gehüllt.
Es ist bekannt, daß Gifte imstande sind, derartige Symptomen-
komplexe zu veranlassen.
Auch bei der Bleivergiftung sieht man: 1. Porphyrinurie, 2. heftige
Koliken, 3. wiederholt Magengeschwür *).
Die Bleikoliken sind nach der allgemeingültigen Auffassung die
Aeußerung einer Reizung im viszeralen Vagus- und Sympathikusgebiet.
Das Magengeschwür, das wiederholt bei der Bleivergiftung beobachtet
zu sein scheint, würde in diesen Fällen ebenfalls von Aenderungen im
autonomen Nervensystem abhängig sein.
Ein gut bekanntes Gift ist also imstande, via Vagus und Sym¬
pathikus krankhafte Erscheinungen zu veranlassen, die in sehr vieler
Hinsicht übereinstimmen mit denen, die man bei den Patienten mit
Porphyrinkoliken beobachten konnte. Man kann darum die Möglich¬
keit nicht zurückweisen, daß in den letzten Fällen eine chronische
Vergiftung, vielleicht sogar eine Selbstvergiftung, die zunächst die
retroperitonealen Nervengeflechte, später das ganze peripherische und
zentrale Nervensystem beschädigt, diese merkwürdige Porphyrinurie
veranlaßt*).
Es ist sehr schwer, diese Hypothese zu prüfen. Wir kennen
nämlich keine Versuchstiere, bei aenen Porphyrinurie leicht aufzu¬
wecken ist Vielleicht ist es möglich, durch große Sulfonalgaben
bei Kaninchen Porphyrinurie zu erzeugen: mir ist es aber nicht ge¬
lungen, und andere Forscher leugnen ebenfalls, daß es möglich sei,
beim Kaninchen Porphyrinurie hervorzubringen. Bei Hunden mi߬
lingen diese Versuche ausnahmslos, und bei der experimentellen
Bearbeitung dieses Problems befinden wir uns also in sehr ungünsti¬
gen Umständen.
Merkwürdigerweise konnte ich zwei andere Fälle von Porphyrin¬
urie beobachten, bei denen die Natur gleichsam ein Experiment am
Menschen angestellt hatte.
Der erste Patient war ein Mann von 29 Jahren, der auf die
Innere Abteilung mit Klagen über Brustschmerzen, Husten und Er¬
müdung aufgenommen wurde. Bisweilen ist eine kleine Menge Blut
im Sputum beigemischt. Er fiebert und ist abgemagert, schwitzt viel.
Diese Klagen hat er seit einigen Monaten; früher war Patient immer
gesund. Allein 1914 hat er eine Bronchitis gehabt, die in einigen
Wochen geheilt war.
Patient hat nie heftige Koliken im Leib gehabt; er ist nicht
überempfindlich für Sonnenlicht. Wohl hat er immer viel geraucht
und in den letzten Jahren auch sehr viel Alkohol getrunken (20 bis
30 Schnäpse täglich).
Patient ist verheiratet, hat zwei gesunde Kinder.
Bei der Untersuchung fällt sofort die kongestive Gesichtsfarbe
auf. Patient hat ein eigentümliches Kolorit, ein flammen rotes Gesicht.
Keine Pigmentationen. Pupillen weit, Pupillenreflexe vorhanden. Die
Augenspalte etwas größer als normal; bei Bewegung des Auges
nach unten bleibt das obere Augenlid zurück; das Gräfesche Sym¬
ptom ist also vorhanden. An den Himnerven sind weiter keine
Abweichungen. Keine Struma, nirgends Lymphdrüsenschwellung. Der
Brustkorb ist paralytisch; leichte Dämpfung in der rechten Spitze
und auf dem rechten Schlüsselbein. Bei Auskultation diffuse Bron-
*) Siehe B. kl. W. 1918 S. 525. — *) Daß die Porphyrinurie hier primär sei und se¬
kundär unter Einfluß des Lichtes Vereiftungserschelnungen veranlasse, ist sehr unwahr¬
scheinlich. a) Fehlen bei meinen Patienten die Haulabweichungen, die bei den Patienten
mit Ueberempflndlicbkeit für Licht zufolge der Porphyrinurie die charakteristisch sind,
b) Fehlen bei den Patienten mit Ueberempfindlichkeit für Licht zufolge der Porphyrinurie
die Koliken und die Polyneuritis, c) Sieht man bei meinen Patienten die Porphyrinurie
erst entstehen, nachdem der Schmerzanfall an getan gen hat
□ igitized by Gougle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
620
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 19
chitis, rechts stärker als links. Ba'.chorgane normal. An den Glied¬
maßen keine Abweichungen, insb sondere kein Tremor.
Der Urin ist etwas dunkler als normal, hat aber keine rote
Farbe. Er enthält kein Eiweib oder Zucker. Urobilinreaktion schwach
positiv, Diazoreaktion negativ. Beim Betrachten mit dem Spektroskop
sieht man sofort zwei sehr starke Streifen, ähnlich wie beim Oxy-
hämoglobinspektrum. Bei Zusatz von Salzsäure ändert sich dieses
Spektrum gleich in das Spektrum des sauren Porphyrins. Auch die
anderen Porphyrinreaktionen sind stark positiv 1 ). Reaktionen auf
Blutfarbstoff negativ, sodaß das mit dem Oxyhämoglobin Spektrum
übereinstimmende Spektrum als das metallische Porphyrinspektrum
betrachtet werden muß.
ldi wiederhole nochmals, daß der Urin nur wenig dunkler als
normal war. Die in diesem Urin vorhandene große Menge Porphyrin
veranlaßte also keine Röte des Urins. Im Gegenteil konnte ich
später wiederholt wahrnehmen, daß dieser Patient zum Beispiel nach
Gebrauch von Tee oder Kaffee einen sehr leicht gefärbten Harn
ausschied, worin man sehr starke Porphyrinspektra
beobachten konnte. Dieser Fall ist also eine deutliche Bestäti¬
gung der im Anfang dieses Aufsatzes mitgeteilten Tatsache, daß das
Porphyrin den Urin absolut nicht dunkel färbt. Hell gefärbter Urin
schließt das Vorhandensein des Porphyrins nicht aus. Wohl ist por-
phyrinhaltiger Urin in der Regel dunkler, aber dies wird von an¬
deren Farbstoffen, die das Porphyrin begleiten, veranlaßt.
Im Sputum des Patienten werden im Anfang nicht, aber später
wohl Tuberkelbazillen gefunden. Der Hämoglobingehalt beträgt 95°/o,
die Anzahl roter Blutkörperchen 5300000, die Anzahl weißer Blut¬
körperchen 4600, die differentiale Zählung gibt normale Werte. Das
Blutserum des Patienten ist hell gefärbt. Es enthält nur Spuren
Gallenfarbstoffs, kein Lutein, kein Hämatin. Betrachtet man das
Serum in einer Schicht von 5 cm, nach Zugabe von einigen Tropfen
starker Salzsäure, so sieht man ein sehr schwaches Spektrum, das
mit dem sauren Porphyrinspektrum große Aehnlichkeit hat. Die
Streifen sind aber zu schwach, um dieses Spektrum mit Sicherheit als
ein Porphyrinspektrum zu identifizieren.
Sehr bald entstanden bedeutende Abweichungen in den Lungen.
An beiden Seiten entwickelte sich ein ausgebreitetes Infiltrat, das
Sputum wurde eitrig und enthielt, wenn audi nur wenig, Tuberkel¬
bazillen. Patient magerte schnell ab, hatte wenig Appetit und hektische
Temperaturen mit deutlichem Typus inversus. Trotzdem blieb immer
die rote Gesichtsfarbe bestehen.
Vier Monate nach der Aufnahme, nur wenige Tage vor dem
Tode zeigte die Blutuntersuchung noch immer 95°/o Hämoglobin mit
5000 000 roten Blutkörperchen. Es bestand also sicher eine Hyper¬
globulie, denn man sieht wohl nie, daß bei hektischem, tuberkulösem
Fieber der Hämoglobingehalt und die Anzahl rote Blutkörperchen
bis zum Tode unverändert und unvermindert bleiben. Auch die Por¬
phyrinurie blieb bis zum Tode unverändert und unvermindert be¬
stehen.
Bei diesem Manne waren in dem Stuhl sehr starke Porphyrin¬
spektra vorhanden, während die Blutreaktionen negativ waren. Dieser
Porphyringehalt des Stuhles stammte sicher von den Porphyrinen her,
welche die Galle dieses Patienten enthielt. Denn die Galle, die ich
während des Lebens mittels Duodenalsonde sammeln konnte, zeigte
deutliche Porphyrinspektra. In der Galle, die ich nach dem Tode
aus der Gallenblase erhielt, war sogar ein außerordentlich starkes
Porphyrinspektrum vorhanden. Wa.R. negativ. Nach Injektion von
1 mg Adrenalin entstand keine Glykosurie. Nach Injektion von 1 mg
Atropin wurde der Puls nicht abnorm stark beschleunigt. Nach In¬
jektion von 10 mg Pilokarpin entstand nach einer halben Stunde
deutlicher, aber nicht abnorm starker Speichelfluß. Patient schwitzte
danach ungefähr eine Viertelstunde. Bei diesen pharmakologischen
Versuchen zeigten sich also keine Abweichungen im vegetativen
Nervensystem.
Weder nach 100 g Glykose, noch nach 100 g Lävulose ist im
Urin Zucker nachzuweisen. Nach dem Gebrauch von 40 g Galaktose
reduziert der Urin stark, sowohl eine Stunde, wie zwei und drei
Stunden nach dem Gebrauch. Die Leberfunktion ist also gestört.
Nach einem langwierigen Krankenbette stirbt Patient ungefähr
4 Monate nach der Aufnahme.
Bei der Sektion wird gefunden: Ausgebreitete Lungentuberkulose
mit Verkäsung der Lympndrüsen am Huus, Aussaat von Tuberkeln
auf Herzbeutel, Zwerchfell und Milz. Die Milz ist ganz mit der Um¬
gebung verwachsen und im verdickten, mit Tuberkeln besäten Bauch-
*) Zum Nachweis von Porphyrinen wird der Harn mit einem Viertel Volum 10% NaOH
versetzt. Oie Fällung reitst die Porpbyrine mit und wird in salzsaurem Alkohol gelöst.
Eine saure Porphyrinlösung hat einen feinen Streifen zwischen Rot und Qelb A 600—595
einen breiten Streifen zwischen Oelb und OrDn A 570—550
Eine alkalische Porphyrinlösung hat einen feinen Streifen im Rot.A 630-620
einen breiten Streifen im Gelb.A 585-^56o
einen breiten Streifen im Grün ..... A 545—530
einen breiten Streifen im Blau.A 515—490
Das metallische Porphyrinspektrum hat einen breiten Streifen im Gelb . . . A 590-575
einen schwächeren Streifen im Grtln A 560—540
Lösungen von Porphyrin in einer organischen Säure, z. B. Essigsäure, zeigen das
alkalische Spektrum. An dieser Steile muß ich darauf aufmerksam machen, daß man
nicht das Vorhandensein von Porphyrinen im Urin ausschließen darf, weil man im Urin,
den man ohne weitere Vorbereitung vor das Spektroskop bringt, keinen Spektralstreifen
bemerkt. Nämlich gerade dann, wenn eine große Menge der begleitenden Farbstoffe
vorhanden ist, sind die Spektralstreifen des Porphyrins nicht oder sehr undeutlich zu
sehen, und darum ist das Fällen des Urins mit NaOH absolut notwendig um die Porphyrin¬
urie zu erkennen, besonders wenn die Möglichkeit einer Porphyrinogenurie besteht.
feil eingebettet. Von der Milz erstreckt sich das tuberkulöse Granu*
lationsgewebe längs der oberen Hälfte der hinteren Bauchwand nach
rechts und endet in einem Paket großer, käsiger Lymphdrüsen in der
Nähe der Porta hepatis.
Wie gesagt, in der Galle war sehr viel Porphyrin. Ich unter¬
suchte den Inßait des Ileums, des Colon ascendens, transversum und
descendens auf das Vorhandensein von Porphyrinen. Ueberall war
das Porphyrinspektrum deutlich nachzuweisen, im Kolon aber viel
stärker als im lleum. Hierbei muß aber damit gerechnet werden,
daß der Inhalt des dicken Darmes durch die Resorption des Wassers
stark eingedickt ist, daß also Stoffe, die nicht resorbiert werden,
im Kolon in stärkerer 'Konzentration gefunden werden müssen als
im dünnen Darm. Tatsächlich erwies sich der Porphyringehalt des
getrockneten Inhalts des Ileums ungefähr gleich dem des
getrockneten Inhalts des Kolons. Ich meine also, daß der Porphyrin¬
gehalt des Darminhalts bei diesem Manne aus den Porphyrinen, die
in großer Menge mit der Galle in den Darm ausgeschieden werden,
herstammt 1 ).
Warum hatte dieser Mann eine starke Porphyrinurie? Bei aus¬
gebreiteter Lungentuberkulose werden wohl öfter Spuren von Por¬
phyrin im Urin gefunden. Dies aber ist der Fall bei vielen fieber¬
haften Krankheiten und ist nicht mit der außerordentlich starken
Poiphyrinurie, die bei diesem Patienten beobachtet wurde, zu ver¬
gleichen. Auch der chronische Alkoholismus darf nicht als Grund
angenommen werden, denn bei chronischen Alkoholisten fand ich
keine Porphyrinurie, und auch in der Literatur ist hiervon nichts ge¬
meldet
Bei der Sektion fiel am meisten die Lokalisation des tuberkulösen
Prozesses im Oberleib um die Milz herum, hinter dem Magen und
| an der Porta hepatis auf. Daß diese Anhäufung des tuberkulösen
Gewebes auf die benachbarten retroperitonealen Nervenstämme Ein¬
fluß ausgeübt hat, steht für mich außer Zweifel. Denn auch das
tuberkulöse Gewebe, worin die Milz eingebettet war, hatte auf die
Milzfunktion Einfluß ausgeübt. Wir können die relative Hyperglo-
bulie, die dieser Patient zeigte, nicht anders erklären als durch
Annahme einer Analogie mit der Hyperglobulie, die in den Fällen
echter käsiger Milztuberkulose entstehen kann. Hier war die Mih
selbst nicht erkrankt, sondern nur die Kapsel und das umgebende
Gewebe. Gleich wie dieses tuberkulöse Granulationsgewebe die
Milzfunktion verändert hat, sodaß relative Hyperglobulie entstand,
meine ich, daß auch die tuberkulösen Drüsen, die im Oberleib lagen,
die benachbarten Nervengeflechte geschädigt haben; die geänderte
Funktion dieser Nervengeflechte kann dann vielleicht, wie ich es
oben dargelegt habe, Anlaß zur Porphyrinurie geben. Auf diese
Weise ist dieser seltene Fall mir eine wertvolle Stütze für meine
früher geäußerten Anschauungen.
Auch bei dem zweiten Fall von chronischer Porphyrinurie ohne
Koliken bestanden sehr erhebliche retroperitoneale Abweichungen im
Oberbauch-
Ein junger Manu von 21 fahren erkrankte Juni 1920 mit heftigen
Schmerzanfällen im Bauch, Erbrechen und Obstipation. Nach einigen
Tagen entwickelt sich eine sehr schmerzhafte Schwellung in der
linken Nierengegend. Die linke Bauchhälfte ist gespannt. Im Ham
kein Eiweiß, keine Glykose, kein Sediment, aber sehr viel Por¬
phyrin.
Es wurde ein paranephritischer Abszeß diagnostiziert. Bei der
Inzision kam aber kein Eiter, nur seröse Flüssigkeit. Gleich nach
der Operation war der Schmerz verschwunden. Die Temperatur blieb
subfebril. Nach und nach entstand links oben im Bauch ein großer
Tumor. Anfänglich meinte man, daß ein Milztumor vorlag, tatsächlich
hatte Patient zu gleicher Zeit eine Malariainfektion. Weil der Zu¬
stand des Patienten auch nach Chinintherapie sich nach und nach
verschlechterte, wurde der Patient in die Innere Klinik eingeliefert.
Bei der Untersuchung wird ein großes Exsudat in der linken
Pleurahöhle gefunden.
Der größte Teil der linken Bauchhälfte wird eingenommen von
einer Geschwulst, die sich offenbar aus dem linken Hypochondrium
entwickelt hat. Die mannskopfgroße Geschwulst hat eine höckrige
Oberfläche und ballotiert deutlich. Der Darm verläuft vor der Ge¬
schwulst. Wahrscheinlich besteht also ein Zusammenhang zwischen
Geschwulst und Niere.
Bei der Probepunktion in dem sogenannten pleuritischen Exsudat
wird eine rötliche Flüssigkeit gefunden mit 2%o Eiweiß, 6 g
Ureum pro Liter und sehr viel Porphyrin, also Urin. Die Exsudat¬
erscheinungen in der linken Brusthäifte werden offenbar wenigstens
teilweise vorgetäuscht durch das Heraufdrängen des Zwerchfells in¬
folge der großen Nierengeschwulst.
Bei der Zystoskopie ergibt sich, daß sowohl rechts als links
rötlicher, porphyrinhaltiger Urin abgesondert wird. Aus dem linken
Ureterkatheter spritzt der Urin aber förmlich in einem Strahl hervor.
Nachdem fast ein Liter Flüssigkeit durch den Ureterkatheter weg¬
geströmt ist, ergibt sich, daß der linkseitige Tumor erheblich kleiner
geworden ist. Der Tumor im linken Oberbauch ist also ein riesen¬
hafter hydronephrotischer Sack.
*) Hieraus geht also hervor, daß. während das Entstehen großer Mengen Porphy¬
rins Im Darm keinen Anlaß zur|Porphyrinurie gibt (siehe Snapper, B. kl. W. 1921S.800),
umgekehrt bei sehr (starker Porphyrinurie Porphyrinspektra im Stuhl vorhanden sein
können. Das letztere wird jedoch nur in allerscltensten Fällen beobachtet, ln der Ober
wiegenden Mehrzahl der Fälle ist die Anwesenheit von Porphyrinen im Stuhl der Beweis
einer okkulten Blutung. (Siehe Snapper. Arch. f. Verdauungskr. 25. und D. m. W. 1921)
□ igitized by Gougle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
12. Mai 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
621
Am nächsten Tage wird in beiden Uretern eine 25°/oige Bro-
metum natricum-Lösung eingespritzt. Gleich nachher werden Röntgen¬
aufnahmen angefertigt. Hierbei wird nicht nur links eine große
Höhle gefunden, sondern auch rechts wird eine beträchtliche Aus¬
dehnung des Nierenbeckens konstatiert.
Der Zustand des Patienten wird in den nächsten Wochen immer
schlechter. Die hydronephrotischen Nieren funktionieren offenbar
schlecht denn der Ureumgehalt des Blutserums steigt bis 1 g pro
Liter. Das Fieber steigt immer höher, und Patient stirbt 3 Monate
nach den ersten Symptomen unter septischen Erscheinungen.
Bei der Sektion wird eine Kommunikation zwischen dem link¬
seitigen hydronephrotischen Sack und der Pleurahöhle gefunden:
in der linken Pleura 2 Liter trübe, fibrinöse Flüssigkeit.
Beim Oeffnen des Bauches liegt die Milz in der Medianlinie.
Der Magen ist ebenso wie die Leber stark nach rechts verdrängt.
Die Ureteren sind bleistiftdick. An beiden Nieren wird eine
akzessorische Nierenarterie gefunden, die 2 cm unter der eigentlichen
A. renalis aus der Aorta abgeht und quer über den Ureter zum
Pol der Nieren verläuft Oberhalb der Stelle, wo der Ureter
von der Arterie überkreuzt wird, ist der Ureter stark ausgedehnt:
beiderseits große Hydronephrose mit Schwund des Nierengewebes.
Der linkseitige Hydronephrosesack verdrängt Magen und Milz
bis an die Medianlinie und dehnt sich weit nach oben und hinten
aus, wo er von mißfarbenen Muskeln begrenzt wird.
Auch in diesem Falle also eingreifende pathologische Verände¬
rungen retroperitoneal im Oberbauch lokalisiert.
Zusammenfassung. Für di£ Erklärung des merkwürdigen Krank¬
heitsbildes der akuten Poiphyrinurie, d. h. heftige Bauchkoliken mit
Porphyrinurie, wo nach mehreren Anfällen der Tod unter qeuritischen
Erscheinungen eintritt (Colica porphyrinurica), wird die Hypothese
aufgestellt, daß in diesen Fällen eine chronische Vergiftung zunächst
die retroperitonealen Nervengeflechte schädigt und hierdurch Koliken
und Porphyrinurie verursacht. Nachher ergreift diese Vergiftung
auch das übrige Nervensystem, und der Patient geht unter Erschei¬
nungen der Polyneuritis zugrunde.
Als Stütze für diese Annahme werden zwei Patienten mit kon-
tinueller Porphyrinurie ohne Koliken beschrieben, wo eingreifende
pathologische Veränderungen retroperitoneal im Oberbauch zu finden
waren. Im ersten Falle ausgedehnte Tuberkulose der retroperito¬
nealen Lymphdrüsen hinter dem Magen, nebst verkäsender Tuber¬
kulose der Milzkapsel, im zweiten Fall mannskopfgroße, infizierte
Hydronephrose, die, retroperitoneal sich hervorwölbend, alle Organe
des Oberbauchs nach rechts verdrängt hatte.
In allen Fällen konnten sowohl Sulfonal- bzw. Bleivergiftung
als Lichtüberempfindlichkeit ausgeschlossen werden.
Aus der weiteren Forschung wird sich ergeben müssen, ob auch
in anderen derartigen Fällen von kontinueller Porphyrinurie ohne
Koliken retroperitoneale Abweichungen nachzuweisen sind. *
Aus der Medizinischen Universitätsklinik in Heidelberg.
Ueber den Blutdruck bei der Dyspnoe der Herzkranken.
Von Stabsarzt Dr. Karl Frehse, kommandiert zur Klinik.
Sinn und Bedeutung der Höhe des Blutdrucks sind uns noch
verborgen; sie dürften aber erheblich sein, denn obwohl von den
verschiedensten Seiten aus (Gasgehalt des Bluts, seelische und sen¬
sible Einwirkungen) der Tonus der kleinen Arterien in den einzelnen
Gebieten in sehr wechselnder Stärke beeinflußt werden kann, sorgt
doch eine ungemein fein arbeitende Regulation für eine recht gleicn-
mäßige Einstellung des Blutdrucks nicht nur am gleichen Menschen,
sondern auch an verschiedenen Menschen.
Gewiß kommen im Verein mit Abweichungen der allgemeinen
Lebensverhältnisse veränderte Einstellungen des vasomotorischen
Tonus vor. Wir kennen z. B. bei zarten und schwächlichen Menschen
eine dauernde Höhe des Blutdrucks von 80 bis 100 mm Hg maximal.
Bei dieser Einstellung des vasomotorischen Tonus arbeiten die Or¬
gane dieser Menschen, soweit wir wissen, völlig normal. Ander¬
seits haben Menschen mit sehr starker körperlicher Tätigkeit im
Verein mit seelischen Erregungen zuweilen einen Blutdruck, der für
die Ruhe wesentlich höher eingestellt ist. Werte von etwa 160 mm
Hg maximal sahen wir nfcht selten im Felde bei Fliegern und bei
außergewöhnlich kräftigen Menschen, die sich zur Fliegertätigkeit
meldeten.
Am gesunden Menschen sind die innerhalb der gewöhnlichen
Lebensverhältnisse vorkommenden Schwankungen des Blutdrucks, so¬
weit wir wissen, sehr gering. Wie mir scheint, beschränken sie sich
auf Drucksteigerungen nach heftigen und ungeübten Muskel¬
bewegungen. Auch am Kranken ist die Gleichmäßigkeit des Blut¬
drucks höchst eindrucksvoll, namentlich in ihrer Unabhängigkeit von
der Güte des Kreislaufs. Denn nach wie vor besteht die vielfach
beobachtete Erscheinung zu Recht, daß selbst bei recht wenig gün¬
stigem Kreislauf, und zwar sowohl bei Störungen von seiten der
Gefäße wie bei Herzstörungen, der Blutdruck doch auffallend gut
reguliert wird.
Ganz anders ist das bei Menschen mit veränderter, und zwar er¬
höhter Einstellung des vasomotorischen Tonus, vor allem bei der
großen Gruppe von Menschen mit Erkrankungen der Nieren und
bei denen mit Veränderungen der kleinen Arterien sowie einer
Gruppe „Nervöser“. Auf Einzelheiten der hier in Betracht kommen¬
den Zustände sowie die näheren und entfernteren Veranlassungen
ist hier nicht einzugehen. Uns beschäftigt hier nur das Schwanken
der Höhe des Blutdrucks unter dem Einfluß der gewöhnlichen Ver¬
richtungen des Lebens: Art der Ernährung, Muskelbewegungen, see¬
lische Erregungen. Bei alle den Kranken der genannten Art be¬
steht zweifellos eine „Disposition“ zu Schwankungen, namentlich
zur • Erhöhung des Blutdrucks 1 ). Reichliche Nahrungsaufnahme,
Muskelbewegungen und seelische Erregungen und auch z. B. ein
schwerer, namentlich mit Dyspnoe verbundener Allgemeinzustand
vermögen leicht mehr oder weniger schnell vorübergehende Hyper¬
tonien hervorzurufen 2 ). Bei diesen Kranken sehen wir gewöhnlich
nach ihrer Aufnahme in die Klinik, einige Tage nachdem eine gleich¬
mäßige, ruhige Lebensweise eingerichtet ist, den Blutdruck sinken
und sich auf niedrigeren Höhen halten. Gerade bei diesen Kranken
steigert Herzinsuffizienz mit Atemnot nicht selten den Blutdruck.
Nach Besserung der Herzkraft und damit der Dyspnoe sinkt er dann
ab, z. B. gar nicht selten unter dem Einfluß des Digitalisgebrauchs.
Diese Tatsache hat wohl Traube zuerst hervorgehoben 3 ). Wie
bekannt, führt im Tierversuch die beginnende Erstickung zu heftigen
Erregungen der vasomotorischen Zentren. Traube sah sogar im
Gehalt des Blutes an Kohlensäure den adäquaten Reiz für ihre Er¬
regung. In der Klinik ist diese Traube sehe Anregung, man möchte
fast sagen, stillschweigend auf den Kranken übertragen worden. Bei
vielen besteht die Auffassung, daß kardiale Kompensationsstörungen
mit einer Erhöhung des arteriellen Drucks verbunden zu sein pflegen.
Das gilt aber keinesfalls allgemein. Vielmehr gibt es, wie schon
Sahli hervorhob 4 ), Stauungen mit niedrigem und solche mit hohem
Blutdruck. Letztere bezeichnete er als Hochdruckstauungen.
Uns scheinen viele Angaben der Literatur und verbreitete An¬
schauungen in einem Widerspruch zu stehen mit den tatsächlichen
Verhältnissen. Gewiß gibt es nicht wenig Fälle von Hochdruck¬
stauung, und gewiß vermag schwere Dyspnoe als solche den Blut¬
druck zu steigern. Dafür gibt es eine ganze Reihe Belege 3 ). Aber
wir können nicht zugeben, daß auch nur die Mehrzahl der Kranken
mit irgendwelchen Formen von Herzinsuffizienz oder mit erheblicher
Atemnot arterielle Drucksteigerungen bekommt. Die Angaben der
Literatur schwanken außerordentlich 6 ). Wir kommen darauf gleich
zurück.
Am bekanntesten sind die Hochdruckstauungen an Kranken mit
Nephritis und an solchen mit Arteriosklerose. An solchen hat
Fahrenkamp 7 ) erst jüngst in interessanten Beobachtungen die
häufig vorkommenden Schwankungen der Druckhöhe dargelegt. Alle
diese Kranken haben die von E. Frank als hypertonische Disposi¬
tion bezeichnete Eigenschaft: sie neigen zu druckerhöhungen und
Druck Schwankungen. Der Druck wächst unter dem Einfluß zahl¬
reicher und ganz verschiedener Einwirkungen, z. B. stärkster Muskel¬
bewegungen und Atemnot. Das sehen wir fast täglich. Will man
— umgekehrt — nicht von jener Disposition, sondern von der Dyspnoe
als dem wichtigsten Moment ausgehen, so müssen alle die Fälle aus-
elassen werden, bei denen ohnehin die Neigung zur Hypertonie
esteht. Das betrifft aber nicht nur Nephritiker und Arteriosklero-
tiker, sondern noch mancherlei andere Menschen. Bei ihnen kommt
es weniger auf die besonderen Ursachen der Herzinsuffizienz an als
auf den Zustand und die Erregbarkeit der vasomotorischen Zentren.
Jeder kennt die verschiedene Ansprechbarkeit der wärmeregulatori¬
schen Vorrichtungen und damit die verschiedene Fieberfähigkeit ver¬
schiedener Menschen. Für die Gefäßzentren wird das bisher nur
wenig beachtet. Und doch weisen die genannten Erfahrungen über
das Schwanken des erhöhten Druckes sowie die von Hochhaus
zuerst mitgeteilten und Seitdem vielfach bestätigten und mannigfach
variierten Beobachtungen über Druckschwankungen und Druck¬
steigerungen nervöser Menschen mit aller Deutlichkeit darauf hin.
ich habe seit D/a Jahren alle Herzkranken unserer Klinik auf
diese Verhältnisse hin untersucht sowie die Krankengeschichten der
letzten 5 Jahre studiert. Die Daten von 700 Herzkranken liegen
meinen Ausführungen zugrunde, namentlich von Kranken mit Herz¬
klappenfehlern und muskulärer Insuffizienz. Alle Grade, von leichtester
Stauung bis zur Stauung mit schwerster Dyspnoe, Zyanose, Oedem
und Transsudatbildung waren vertreten. Bei der großen Mehrzahl
dieser Kranken war der arterielle Druck auf der Höhe der Stauung
normal. 40 Kranke hatten einen Maximaldruck unter 100 mm Hg.
Bei 142 Kranken war der Maximaldruck erhöht auf 150 mm Hg und
mehr; in einigen Fällen erreichte er Werte von 230 mm Hg (Riva-
Rocci-Recklinghausen). Fast bei allen Kranken mit hohem arteriellen
Druck konnte als Ursache der Hypertonie eine allgemeine Arteriolo-
sklerose oder eine chronische Nephritis festgestellt werden. Mehr¬
fach waren schon vor dem Eintreten der Kompensationsstörung An¬
fälle von Angina pectoris oder leichte Apoplexien vorgekommen, oder
es war bei den Kranken schon früher ein hoher arterieller Druck
festgestellt worden, als sie gelegentlich anderer Erkrankungen in
unserer Klinik lagen. Bei anderen fand sich in der Anamnese chro¬
nische oder akute Nephritis. Störung der Nierenfunktion mit mehr
oder weniger reichlichem Gehalt des Harnes an Eiweiß, Zylindern,
*) Vgl. E. Frank, B kl. W. 1911 Nr. 14. — •) Vgl. Israel, Volkmannsche Vortrflge.
— a ) Traute, Die Symptome der Krankheiten des Respirations- und Zlrkutations-
apparats. Berlin 1867. — *) SalilJ, Kongr. f. inn. M. 1901 S. 49. — *) z. B. bei Hensen
Arch. f. klin. M.67, S.478. — •) Hensen, 1. c; Christeller, Zschr. f. klin. M. 3, S. 33*
Lang und Manswetowa. Arch. f. klin. M.94.S.455; Geisböck, Arch. f. klin. M 82’
S. 363. —») Fahrenkarap, M. Kl. 1921.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
622
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 19
roten und weißen Blutkörperchen und Epithelien fand sich in vielen
Fällen.
Die Diagnose „l^ephritis“ konnte, wie das vor allem Romberg
hervorhebt, aus der Vereinigung von Hochdruckstauung mit Ab-
sdieidung eines hellen, dünnen Harns sehr wahrscheinlich vermutet
werden. Wir warteten zu ihrer Präzisierung in der Regel erst den
Ablauf der Stauung ab. Für die Erörterung der uns hier be¬
schäftigenden Fragen mußten alle diese Kranken ausgelassen werden,
denn bei ihnen allen besteht jene „Disposition zu Hypertonie“. Auf
deren Orund entwickeln sich Drucksteigerungen, wie erwähnt, aus
den mannigfachsten Anlässen. Körperliche und geistige Ruhe, Rege¬
lung der Diät und Flüssigkeitsbeschränkung setzen fast immer den
Druck erheblich herunter. Auch Romberg hat das oft beobachtet.
Daß nicht die allmählich eintretende Kompensation das Nachlassen
der Hypertonie verursachte, erhellte aus der Tatsache, daß gelegent¬
lich auch der Blutdruck sank, ohne daß sich die Zirkulationsverhält¬
nisse besserten oder merklich verschlechterten. Besonders aber sprach
in diesem Sinne die Beobachtung, daß fast regelmäßig der Blutdruck
wieder bis zu seiner ursprünglichen Höhe stieg, wenn der Kranke
nach Behebung der Kompensationsstörung wieder längere Zeit außer
Bett war oder wieder seiner gewohnten Beschäftigung nachging.
Die Angabe Hensens, daß anhaltende Bettruhe, Wiederaufstehen
und Fortfall gewohnter Muskeltätigkeit den Blutdruck nicht ändern,
konnten wir nicht entfernt bestätigen. Sie widerspricht all unseren
Erfahrungen. Unter den Kranken unserer Klinik fanden sich nur
5 Kranke, bei denen der anfänglich erhöhte arterielle Druck nach
Wiedereintritt der Kompensation anscheinend dauernd niedrig blieb.
1. J. K. 57jährige Gärtnersfrau mit chronischer Myokarditis, die
in dekompensiertem Zustande mit einer Hypertonie von 170 mm Hg
aufgenommen wurde. Sie hatte Oedeme an den Unterschenkeln. Der
Harn war frei von Eiweiß. Nach etwa 4 Wochen wurde sie, ziem¬
lich gut kompensiert, mit einem Maximaldruck von 110 mm Hg ent¬
lassen. Sie war in den letzten 10 Tagen stundenweise außer Bett
gewesen. Die Nachuntersuchung nach 2 Jahren ergab bei leidlicher
Kompensation einen systolischen Druck von 185 mm Hg.
2. 22jähriger Fabrikarbeiter mit Aorten- und Mitralinsuffizienz
nach Polyarthritis rheumatica wurde mit leichter Stauungsleber und
einem Maximaldruck von 175 mm Hg aufgenommen; im Harn kein
Eiweiß; keine Oedeme, keine Zyanose, keine Dyspnoe. Bei ihm
war der Druck nach Besserung der Zirkulationsverhältnisse im Ver¬
lauf von 8 Tagen auf 120 mm Hg gesunken. Bei der Nachunter¬
suchung nach U/s Jahren betrug der maximale Druck 160 mm Hg
(und hier bestand eine Aorteninsuffizienz) bei völligem Wohlbefinden
und ging bei Bettruhe abermals auf 120 mm Hg zurück.
3. O. S. 49jährige^ Händler. Adipositas. Muskuläre Herzinsuffi¬
zienz. Deutliche Oedeme an den Unterschenkeln, geringer Aszites.
Größe 1,72 m, Körpergewicht 91 kg. Maximaldruck 200 mm Hg.
In 12 Tagen Gewichtsabnahme auf 78,8 kg. Der Blutdruck ging auf
150 mm Hg zurück. Der Harn enthielt bei der Aufnahme reichlich
Eiweiß und granulierte Zylinder, bei der Entlassung nur noch eine
Spur Eiweiß. Bei der Nachuntersuchung nach IV* Jahren betrug der
Blutdruck 120 mm Hg. Patient war wieder stärker geworden, batte
aber keine Kompensationsstörung.
4. E. R. 52jährige Landwirtsfrau. Adipositas, leichte Herzinsuffi¬
zienz. 1,50 m groß, Gewicht 78,7 kg. Leichte Oedeme an den Unter¬
schenkeln, keine Zyanose, kein Aszites, Leber und Milz wegen Adi¬
positas nicht zu tasten. Blutdruck 190 mm Hg. In 14 Tagen Ge¬
wichtsabnahme auf 76 kg. Der Blutdruck sinkt auf 140 mm Hg.
Entlassung nach 24 Tagen in gut kompensiertem Zustande. Bei der
Nachuntersuchung nach 5 Monaten bestand die Adipositas unverändert;
der Kreislauf war in Ordnung, der Blutdruck betrug im Maximum
145 mm Hg.
5. J. M. 53jähriger Arbeiter, hatte zweimal Gelenkrheumatismus;
jetzt Aorteninsuffizienz mit -stenose. Wa.R. negativ. Größe 1,68 m,
Gewicht 59,5 kg. Keinerlei Zeichen von Stauung. Urin frei von Ei¬
weiß. Blutdruck 160 mm Hg, nach 2tägiger Bettruhe 135 mm Hg,
bei der Entlassung nach 4 Wochen 120 mm Hg. Bei der Nach¬
untersuchung nach I 1/2 Jahren keine Kompensationsstörung; Blutdruck
maximal 125 mm Hg.
Bei einer sechsten Patientin, einer 68iährigen Arbeiterin mit
Arhythmia perpetua, betrug der Blutdruck bei guter Kompensation
am Tage der Aufnahme und einige Tage später 165 mm Hg, nach
4 Wochen, als Patientin entlassen wurde, 115 mm Hg. Nach 1 1/2 Jahren
konnte sie nicht zur Nachuntersuchung erscheinen, da sie schwer
dekompensiert war. Hier handelte es sich offenbar um eine Arterio¬
sklerose mit Beteiligung des Herzens, bei der während der klinischen
Behandlung (Bettruhe usw.) eine vorübergehende Senkung des er¬
höhten Maximaldrucks ^jngetreten war. Die gleiche Erklärung ist
für Nr. 1 zutreffend. Bei Nr. 2, 3, 4 und 5 blieb der Maximaldruck
in der Tat niedrig, keiner der Kranken litt aber zur Zeit des hohen
arteriellen Druckes an Dyspnoe, keiner war zyanotisch. Stauungs¬
erscheinungen bestanden nur bei Nr. 3 und 4, und auch hier nur
in mäßigem Grade. Die Leber war etwas vergrößert, und es be¬
standen leichte Knöchelödeme.
Es hat sich also bei näherem Zusehen unter unserer großen Zahl
von Herzkranken kein einziger Fall gefunden, bei dem Hochdruck¬
stauung durch Steigerung des Vasomotorentonus infolge vorf Dyspnoe
entstanden wäre. °
die T atsach $ daß man unter einer großen Anzahl von
erzkranken mit zum Teil stärkster Zyanose und Dyspnoe mühsam
nach Kranken suchen muß, die als Beispiele dieser Art von Hochdruck¬
stauung angesprochen werden könnten, muß berechtigte Zweifel daran
aufkommen lassen, ob es diesen Typ der Hochdruckstauung gibt;
denn wenn überhaupt die Kohlensäureintoxikation durch Steigerung
des Vasomotorentonus eine Hypertonie verursachen kann, die prak¬
tisch eine Rolle spielt, so müßte man annehmen, daß sie dies mit
einiger Regelmäßigkeit täte, weil dann ein normales Produkt des
Stoffwechsels den Reiz hervorrufen würde. Jedenfalls wäre es höchst
auffällig, wenn sie diese Wirkung nur so außerordentlich selten ent¬
faltete, daß man unter mehreren Hundert Herzkranken mit zum Teil
schweren und schwersten Stauungszuständen keinen derartigen Fall
fände. Das läßt doch wohl darauf schließen, daß die Stauung allein
nicht genügt, sondern daß noch andere Faktoren eine Rolle spielen,
deren Zusammenwirken für die Entstehung der Hypertonie erforder¬
lich, aber nur außerordentlich selten verwirklicht ist. Die Tatsache,
daß nach Traubes Veröffentlichung die Hypertonie infolge von
Stauung auch von zahlreichen andern Autoren beobachtet worden
ist, beruht wohl zum Teil darauf, daß bei dekompensierten Herz¬
kranken mit hohem Druck die Drucksteigerung auf Bettruhe und
Schonungsdiät sehr häufig beträchtlich nachläßt, zum Teil auch
darauf, daß die Druckschwankungen gerade bei Hypertonikern oft
sehr erheblich sind (Fahrenkamp), und daß bei der Entwicklung
der Hypertonie Perioden erhöhten Drucks von oft monatelangen
Zeiten mit normalem oder kaum erhöhtem Druck abgelöst werden
(Romberg). Damit soll nicht bestritten werden, daß bei Erstickung
(z. B. bei der Strangulation) eine Steigerung des arteriellen Drucks
bewirkt werden kann, obgleich auch -hier nicht leicht zu ermessen
ist, wieweit die Blutdrucksteigerung durch psychische Momente (Angst)
bedingt ist. Daß bei vorher normalem Blutdruck durch Stauung allein
eine Hypertonie entstanden wäre, haben wir nie gesehen.
Die Dyspnoe und die dadurch bedingte Kohlensäureintoxikation
scheint jedenfalls für die Entstehung der Hochdruckstauung prak¬
tisch keine Rolle zu spielen. Die experimentell sicher.festgestellte
Erstickungshypertonie tritt eben erst bei ganz anderen Graden der
Kohlensäureanhäufung ein, als sie die gewöhnlichen Kompensations¬
störungen begleitet. Und ob dann die Veränderungen der Blut¬
reaktion überhaupt das maßgebende Moment darstellen, ist vorerst
noch zweifelhaft.
Traube, Die Symptome der Krankheiten des Respirations- und ZirkuUtions-
apparats. Berlin 1867. — Sahli, Verh. D. Kongr. f. inn. M. 1901; Lehrbuch der klinischen
UnterMicbungsmethoden.—Hansen, Arch. f. klin M. 67. — Lang und Manswetowa,
Arch. f. klin. M.94.—Janowski, Zschr. f. klin. M. 1914,80. — J e 11 i n e k. Zschr. f klin. M.
1900,39. - Karr enstein, Zschr. f. klin. M. >903, 50 — Dunin, Zschr. f. klin. M. 1904,25.
— Krehl, Die Erkrankungen des Herzmuskels. Wien und Leipzig 1913; Pathologische
Physiologie. Leipzig 19 0. — Christeller, Zschr. f. klin. M. 3. — Tigerstedt, Physio¬
logie des Kreislaufs. 1003. — Geisböck, Arch. f. klin.M. 83. S.363. — Fellner, Arch.
f. klin. M. 88; 84. — Borger, Arch. f. klin. M. 56. — Romberg, Erkrankung der Kreis¬
lauforgane, 3. Au fl.. — Fahrenkamp, M. Kl. 1921. — Siebeck, Die Beurteilung und
Behandlung der Nierenkranken. Thübingen 1920. — Frank, B. kl. W. 1911 Nr. 14.
Aus der Chirurgischen Universitätsklinik der Charitö in Berlin.
(Direktor: Geh.-Rat O. Hildebrand.)
Das neue Wundstreupuder „Albertan“,
(ein Jodoformersatz).
Von Prof. Dr. Friti Brüning,
a. o. Professor der Chirurgie, ehern. Assistent der Klinik.
Vor etwa 2 Jahren wurde mir ein neuer Wundstreupuder „Alber¬
tan“ zur Begutachtung übergeben, den ich einer eingehenden klini¬
schen Prüfung unterziehen konnte.
Nachdem meine Beobachtungen auch von anderer Seite (Bachem,
Hartenscheidt) bestätigt sind, halte ich mich für berechtigt,
meine mit dem neuen Mittel gemachten Erfahrungen nunmehr auch
einem weiteren Kreise bekanntzugeben.
Das Albertan stellt sich chemisch als eine Verbindung von Alu¬
minium mit Phenolalkoholen dar und wäre demnach als ein Aluminium-
polyphenylat zu bezeichnen.
Das Präparat wurde in mehreren hundert chirurgischen Fällen als
Wundstreupuder benutzt, in einzelnen, chronischen, Fällen auch längere
Zeit hindurch und trotz ausgedehnter Anwendung bei allen mögiidien
Wunden wurde nicht in einem Fall auch nuj der geringste Schaden an
der Wunde, der Wundumgebung oder gar des Allgemeinbefindens
beobachtet. Somit darf das Albertan als ein Präparat bezeichnet werden,
das keinerlei schädliche Nebenwirkungen zeigt. Schon
hierin ist es also dem Jodoform überlegen, das doen öfters zu Ekzemen
und selbst allgemeinen Intoxikationserscheinungen Anlaß gibt
Im Gegensatz zum Jodoform ist es ferner geruchlos, sodaß es
in solchen Fällen angewandt werden kann, in denen Gewicht auf
ein geruchloses Wundstreupulver gelegt wird.
Anderseits besitzt das Albertan ausgesprochene desodorierende
Eigenschaften. Bei Wunden mit stinkendem Sekret schwindet der üble
Geruch unter Albertan schnell.
Der wertvollste Vorzug des Albertans liegt wohl in seiner sehr
großen Adsorptionsfähigkeit Diese ist bedingt durch seine besonders
große Feinkörnigkeit und die durch sie bedingte Oberflächenver¬
größerung. Vergleichende Untersuchungen, die auf meine Veranlas¬
sung von Diebel ausgeführt wurden, zeigten, daß die Adsorptions¬
kraft des Albertans der Adsorptionskraft der gebräuchlichen Wund*
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSITY
12. Mai 1022
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
623
streupuder fiberlegen ist. So sieht man denn auch, daß unter
Albertanbehandlung die Wunden trodcner liegen und daß abnorm
starke Wundsekretion schnell eingeschränkt wird.
Die Granulationsbildung wird unter Albertan ebenfalls gut be-
einflußt. Schlaffe, blasse Granulationen nehmen oft schon in wenigen
Tagen ein gesundes, kerniges, frischrotes Aussehen an. Entzündlich
erkrankte, zerfallene Granulationen reinigen sich auffallend schnell.
Auch die sogenannten tuberkulösen Granulationen werden günstig
beeinflußt. Ob das Albertan hierbei dem Jodoform gleichwertig ist,
müssen erst weitere Untersuchungen klären.
Die Epithelbildung geht ungestört vor sich, wenn auch eine
besondere Förderung dabei nicht zu beobachten war.
Entsprechend seiner guten sekretaufsaugenden Wirkung, bewährte
sich das Albertan besonders auch in der Behandlung von Brand¬
wunden. Seine stärkere Adsorptionskraft ermöglichte es, hierbei die
Verbände länger liegen zu lassen als bei Behandlung mit anderen
Mitteln.
Da nach den vorliegenden Untersuchungen von Diebel, Har-
tenscheidt, Bachem die bakterizide Wirkung des Albertans nicht
sehr groß ist, so dürfen wir seine gute Wirkung also wohl im wesent¬
lichen auf das Konto seiner ausgezeichneten adsorbierenden Wirkung
setzen.
Die gute Adsorptionswirkung eines Wundstreupulvers beschränkt
sich aber nicht lediglich auf eine Flüssigkeitsbeschränkung, sondern
durch sie werden sowohl Keime arretiert als auch Bakterientoxine
entgiftet (v. Gaza, Wassermann). So betont z. B. Wasser¬
mann, daß beim Gasbrand weniger die Bazillen als die giftigen
Stoffwediselprodukte zu bekämpfen sind und daß damit der Adsorp¬
tionstheorie ein klassisches Feld der Betätigung gegeben sei. Insofern
kommt also auch dem Albertan eine sagen wir einmal indirekte anti-
bakterielle Wirkung zu. Ebenso erklärt sich hieraus seine gute
desodorierende Kraft. Das Präparat „Albertan“ wird hergestellt von
den Chem. pharm. Fabriken Albert & Lohmann in Fahr (Rhld.) und
hat den großen Vorteil, daß es billiger ist als das Jodoform und seine
Ersatzpräparate.
Zosammenfasseod ist also zu sagen, daß das Albertan
ein billiges, unschädliches, geruchloses Wundstreu¬
pulver darstellt, welches sich wegen seiner aus-
ezeichneten desodorierenden und adsorbierenden
igenschaften besonders empfiehlt.
Bachem, M. nt W. 1922Nr. 9. — Diebel, Inaug.-Diss. Berlin 1920. — v. Gaza,
Grundriß der Wundversorgung und Wundbehandlung. J. Springer, Berlin 1911. —
Hartenscheidt, Inaug.-Diss. Bonn 1921. — v. Wassermann, M.Kl. 1916Nr. 17.
Aus der Gymnastischen Abteilung der Chirurgischen Universitäts¬
klinik in Berlin. (Direktor: Geh.-Rat Bier.)
Heilturnen mit schulturnbefreiten und asthenischen
Kindern.
Von Wolfgang Kohlraoscb, Assistent der Klinik.
Von seiten der Turnlehrer wird immer wieder geklagt, daß
gerade die Kinder, die nach ihrer Ansicht das Turnen am nötigsten
hätten, auf Orund eines ärztlichen Zeugnisses davon befreit würden.
Bei einer statistischen Durchsicht von Schulturnbefreiungsattesten
fällt die Angabe allgemeiner oder partieller Asthenie als häufigster
Grund zur Tumbefreiung auf. Die betreffenden Aerzte müssen also
— im Gegensatz zum Turnlehrer — unter dem Eindruck stehen,
daß diesen Kindern das Turnen schädlich ist. Die Beobachtung dieser
Kinder ergibt nun, daß die subjektiven Klagen über Kopfschmerzen,
Appetitlosigkeit, Müdigkeit usw. zwar besonders häufig im Anschluß
an die Turnstunde auftreten, daß sie aber auch nach Befreiung vom
Turnen und anderen „unwichtigen“ Fächern nur bei einer kleinen
Zahl der Tumbefreiten verschwinden. Es war also das Turnen nicht
die Grundursache, sondern nur eine der Teilursachen. Die Befreiung
vom Turnen verliert also in den meisten Fällen sogar den Wert
einer symptomatischen Beeinflussung und wäre als Therapie höchstens
dann zu rechtfertigen, wenn wir unser ganzes Leben auf eine ver¬
minderte Leistungsfähigkeit einstellen könnten.
Zur Behebung des Grundleidens (der Asthenie) dagegen müßte
es uns gelingen, eine allgemeine körperliche Kräftigung zu erzielen,
sei es durch das Schulturnen oder durch eine andere Art der
Körperschulung.
Daß das möglich ist, wurde vielfach betont. In besonders ein¬
drucksvoller Form zeigten es Dr. med. H. Roeder und Rektor
E. Wienecke 1 ). Durch regelmäßige Messungen und Wägungen an
Berliner unterernährten Kindern stellten sie als Folge wohldosierter
sechstägiger Wanderungen eine zum Teil gewaltige Entwicklungs¬
zunahme fest, die sich in Gewichts-, Brustumfangs- und Größen¬
zunahme deutlich ausdrückt. In den zweieinhalb der Wanderung
folgenden Monaten hatten die Kinder, die vorher weit unter den
Standardmaßen (Ca me rer) standen, diese zum Teil sehr wesentlich
überschritten. Auch zeigten sie in der Schule ein von den Lehrern
bestätigtes regeres Wesen — ein schöner Erfolg des einmaligen
starken Reizes.
>) Jugendwanderung und JugendkraftABeriin, Hirschwald*1912.
Wie 6tark die Körperentwicklung durch regelmäßige Leibes¬
übungen beeinflußt werden kann, haben Godin 1 ) und Matthias 1 )
zahlenmäßig bewiesen, indem sie Turner und Nichttumer verglichen.
Godin vergleicht 31/2 Jahre lang 50 tunende und 50 nicht-
tumende Alumnatsschüler vom 14V 2 .—18. Lebensjahr und zieht — um
dem Einwand, daß nur die an sich Kräftigen am Turnen teilgenom¬
men hätten, zu begegnen — nach U /2 Jahren sieben besonders
schwächliche Nichttumer zum Turnen heran, die nun noch in fast
allen Maßen die von Beginn an turnenden 50 Jünglinge erreichen.
Die beifolgende Tabelle möge dies veranschaulichen. Als Gruppe C
sind die Spättumer, als Gruppe D sieben besonders schwächliche
Nichttumer bezeichnet, die in Kontrolle mit Gruppe C gesondert
registriert wurden.
Lange
| Brustumfang |
| Körpergewicht
Wachstumszunahme im
Alter von.
144-16
16-1«
r
*es
'44-16
fö—18
ge».
144-16
16-18
ges.
Gruppe A. 5) Turner . .
10
11
21
7
8
15
6
16
22
Gruppe B. 50 Nichttumer
6
12
18
3
4
7
4
11
15
Gruppe C. 7 SpSttumer
6
15
21
1
14
15
1 |
17
18)
Gruppe D. 7 besonders
schwach!. Nichtturner.
7
13
20
1
3
4
4
6
10J
Ebenso ist die von verschiedenen Seiten (Kaup 8 ), Schlesin¬
ger 4 ), Hepner 5 ), Oschmann 8 )) gemachte Beobachtung, daß die
im Entwicklungsalter stehenden Knaben und Jünglinge während der
Kriegszeit trotz schlechterer Ernährung bessere Proportionen, vor
allem bezüglich der Schulterbreite und des Brustumfanges (Kaup)
zeigten, wie die Gleichaltrigen vor dem Kriege, auf die größere
Bewegungsfreiheit dieser Kinder zurückgeführt. Schlesinger be¬
richtet auch von Abnahme der Skoliosenhäufigkeit. Die genannten
Beobachter führen als Grund mit an, daß die Kinder nicht ge¬
zwungen waren, die gleich große Zahl von Stunden wie im Frieden
auf der Schulbank zuzubringen.
Daß wir durch entsprechende Uebungsreize den Astheniker
günstig beeinflussen können, ist außer Frage. Daß die Reizstärke
eine andere sein muß, wie für den Gesunden, ist freilich zu be¬
achten. Bier sagt in seinem Aufsatz „Reiz und Reizbarkeit“ (M.m.W.
1921 Nr. 47): „Die normalen Reize, die auf den Menschen einwirken,
sind die der Außenwelt: Temperatur, Luft, Licht, Wasser, körper¬
liche Tätigkeit; ferner von innen kommende, die sich der Körper
schafft, nämlich seine eigenen Zersetzungsstoffe, die ununterbrochen
gebildet werden, die Hormone und seelische Einflüsse. Diese natür¬
lichen Reize sind Lebensbedingungen für den Körper. Daß es ein
Optimum für ihn gäbe, wo er reizlos ist, und daß das Abweichen
von diesem Optimum erst den Reiz abgäbe, ist ein weitverbreiteter
Irrtum. Das richtige Reagieren auf die genannten Reize ist gleich¬
bedeutend mit Gesundheit. Sie ist nur aufrechtzuerhalten durch
dauernde Uebung der Reizbarkeit. Die Entwöhnung von diesen
Reizen schwächt den Körper und macht ihn anfällig für allerlei
Krankheiten.“ fr
Der stetigste dieser Reize ist der hormonale. Er wirkt als
formativer, und zwar im Wachstumsalter als Wachstumsreiz, in
späteren Perioden als Erhaltungsreiz. Der hormonale Reiz schafft
unter allen Umständen das Minimum an lebensnotwendiger Körper¬
bildung bzw. Erhaltung und bedarf der wesentlichen Unterstützung,
allenfalls auch Korrektur, durch die von außen kommenden Reize.
Unter diesen wirkt vielleicht am stärksten der funktionelle Reiz der
kömerlichen Tätigkeit. Er wirkt, wie alle funktionellen Reize, gleich¬
zeitig ernährend und formbiWend. Die Entwöhnung von ihm müßte
den Körper nach Bier anfällig für allerlei Krankheiten machen.
Dem asthenischen Körper müßten gerade diese Reize in der
für ihn günstigen Reizdosis gegeben werden.
Unter „Astheniker“ verstehe ich — unabhängig von der äußeren
Form — den Gewebsschwachen. Ich fasse r den Begriff also in
erster Linie funktionell. ^.
Die Notwendigkeit der Leibesübungsreize für diese Kinder ist
erst kürzlich wieder von Goldscheider 7 ) und ein Jahr friiher
von seinem Assistenten Kretschmer 8 ) betont. Auch ein Erlaß
des Ministeriums für Wissenschaft. Kunst und Volksbildung vom
24. I. 1970, Verfasser Geh. Oberreg.-Rat Hintze, enwfiehlt Sonder-
tumen für Tumschwnchlinge und Turnbefreite, in richtiger Erkennt¬
nis der außerordentlichen Wichtigkeit. Daß diese Kurse so selten
eingerichtet sind, liegt wohl hauntsächlieh im Fehlen von Richt¬
linien für dies Turnen. Für die Tumbefreiten übernimmt der Turn¬
lehrer auch wohl nicht gern die Verantwortung.
Hier helfend einzugreifen, erscheint mir eine dringende ärztliche
Aufgabe. Ich habe mich darum in letzter Zeit mit dem Turnen
asthenischer Kinder in der Gymnastischen Abteilung der Chirurgischen
Universitätsklinik — die von Geh.-Rat Bier zum Zweck der er¬
weiterten Einführung der Leibesübungen in die Theranle gegründet
wurde — beschäftigt. Neben dem Turnen mit Asthenikern, die
durch unsere und die Goldscheidersche Poliklinik zu uns kamen,
habe Ich mit Schulturnbefreiten einiger nahegelegener Schulen „Heil-
turnen“ betrieben.
») La croisssnce"pendant Faee scolalre 1913. Neuchatel. — •) Der Einfluß der
Leibesübungen auf das Körperwuchstum. Pascher & Cn., Zürich und Leipzig 1916 —
») M. m. W. 10. VI, 1921. — «) Zschr. f. KfndMk. 1919 S. 79-1*3. - «1 Zachr. ». Schul-
g*sdht«pfl. 1916 — •> Zschr. f. Schutze sdhtspfl. 1917. — ’) Zschr. f. physik. diSLTher.
Z XI. 1921. - ) Zschr. f. physik..difit Tfter.1920, 24, H. 11.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNÜVERSrn 1
624
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. IQ
Es handelte sich bei diesen Kindern zum großen Teil um
Anämische, solche mit funktionellen Herzstörungen, allgemeiner Ge-
websschwäche, Leistenbrüchen usw., die etwa zur Hälfte die ein¬
gangs erwähnten Klagen hatten (Kopfschmerz, Appetitmangel usw.).
Bei der Methodik des Heilturnens war für mich bestimmend, daß die
Kinder dadurch nicht geschwächt, sondern erfrischt wurden. Zu
starke Reize mußten als hemmend oder lähmend (Arndt-Schulzsches
Gesetz) vermieden werden. Ebenso sind aber auch zu schwache,
unter der Reizschwelle liegende Reize zu vermeiden. Lange 1 )
weist darauf hin, daß zu schwache Reize keinen Wachstumsreiz
geben, wohl aber das Organ ermüden. So erklärt er z. B., daß er¬
krankte Herzen sich bei der die Reizschwelle nicht überschreitenden
Beanspruchung des täglichen Lebens nicht kräftigen, sondern dauernde
Ermüdungserscheinungen zeigen, während der stärkere Reiz gym¬
nastischer Kuren (Oertel) das Organ funktionell kräftigt, sodaß es
nun den täglichen Anforderungen besser genügt.
Von diesen Gesichtspunkten ausgehend, habe ich die Dauer¬
übungen, die von den Asthenikern schlecht vertragen werden, einst¬
weilen zurückgestellt und lasse täglich nur kurze Zeit — 15—20
Minuten lang — kräftig üben, den Rest der Stunde lasse ich die
Kinder ruhen.
Beginnend mit einigen Atemübungen, lasse ich schnelle und
kräftige Rumpfübungen, Laufübungen mit Stil- und Steigerungsläufen,
Armstöße, die der Boxschule entlehnt sind, u. a. m. ausführen. Die
Uebungen werden durch Tiefatemübungen unterbrochen. Andere
Pausen gibt es in diesen 15—20 Minuten nicht. Jeder, der Gym¬
nastikbetrieb aus eigener Anschauung kennt, weiß, daß dies Pro¬
gramm warm macht. Und doch wird es von den Kindern besser
vertragen als die meist nach Kgmtr. viel geringere Arbeitsleistung
des Schulturnens, die eben eine von den Asthenikern schlecht ver¬
tragene Dauerleistung darstellt. Die Dauerleistung ganz zu vernach¬
lässigen, wäre zweifellos ein Fehler, denn die Entwöhnung von
Reizen schwächt den Körner (Bier).
Hier bewähren sich die Bewegungen in Vierfüßlerlage. Die als
Klappsches Kriechverfahren bekannte Rumpfgymnastik zur Sko¬
liosenbekämpfung ist die einzige, die als Dauerübung vertragen
wird. Die Zirkulation ist in dieser Lage wesentlich leichter, da sich
das Blut hauptsächlich horizontal und nicht vertikal bewegt, was
eine starke Entlastung des Venenkreislaufes bedeutet (Klapp 2 )).
Auch kann die Kraft, die bei aufrechter Haltung auf die Gleich¬
gewichtserhaltung verwendet wird, für die Rumpfgymnastik voll
zur Verwendung kommen (Klapp 2 )). Die Tatsache, daß der Vier¬
füßlergang Dauerbeanspruchung gestattet, wird durch die skolioti-
schen Astheniker unserer Kriechabteilung bewiesen, die täglich zwei
Stunden mit einer Stunde Unterbrechung üben und es vertragen.
Das haben wir uns bei jeder Gymnastik, nicht nur der der Schwäch¬
linge, vor Augen zu halten. Klapp hat deswegen aus seinen
Skoliosenübungen die symmetrischen Uebungen mit einigen Erweite¬
rungen als rein gymnastisches System zusammengestellt.
Die täglich zu gebende Heilturnstunde würde sich etwa folgender¬
maßen gestalten. An 4 Tagen vor Beginn der Uebungen (nach
dem Anmarsch) 10 Minuten Ruhe im Liegen, dann 15—20 Minuten
scharfe Gvmnastik im oben gezeichneten Sinne, zum Schluß wieder
10—20 Minuten Ruheliegen. An den zwei weiteren Wochentagen
3/ 4 Stunde Kriechübungen, am Sonntag eine Wanderung, steigend von
10—20 Kilometern. Daneben sind die Kinder in der Schule tun¬
lichst zu entlasten. Aus diesem Grunde habe ich das Heilturnen vor¬
mittags auf die letzten Stunden verlegt, in denen die Kinder vom
Unterricht befreit sein müssen.
Für vorschulpflichtige Kinder gelten im Prinzip die gleichen
Grundsätze. Die Schwierigkeit, mit den Kleinkindern fertig zu wer¬
den. ist freilich nicht klein. Das ist wohl der Grund, daß es so
wenige Gymnasten gibt, die sich die Kleinkindergymnastik, die wich¬
tig ist, angelegen sein lassen 3 ).
Um Erfolg oder Mißerfolg beurteilen zu können, bediente ich
mich folgender Hilfsmittel:
I. Befragen der Eltern und Lehrer nach Bestehen oder Aufhören
der Erscheinungen. Außer in einem Falle hatten sich Mattigkeit.
Appetitlosigkeit, Schlaflosigkeit, Unaufmerksamkeit usw. auffallend
rasch gebessert. In dem erwähnten einen Fall besserten sich diese
Beschwerden nach weiterer Herabsetzung der Uebungszeit unter
Beibehaltung des Prinzips.
IT. Beurteilung des Allgemeineindrucks. Dieses zwar subjektive
Verfahren darf wohl im Rahmen weiterer objektiver Zeichen mit
bewertet werden. Gestalt und Körperhaltung schien zwar nicht in
auffälliger Weise verändert, jedoch war die Zunahme der körper¬
lichen Leistungsfähigkeit an der Art der Beherrschung der Uebungen
und an der freudigen Art der Teilnahme deutlich erkennbar. Auch
schienen die Kinder in xler Gesichtsfarbe frischer zu sein.
III. Für die gebesserte Leistungsfähigkeit sprechen ferner Puls¬
zahlen und Qualität. Bei Beginn der Behandlung sind die Ruhepulse
und die Pulse nach der 15minutigen Gymnastik recht hoch, auch ist
die Zeitdauer der Rückkehr zur Norm lang. Nach yjähriger Uebung
sind die Ruhepulszahlen um etwa 1/3 geringer, auch is4 der Puls voll,
während er anfänglich häufig klein war. Die Pulszahlen nach der
*) Ueber funktionelle Anpassung. S. 31—33. Sprineer 1917. — •) Funktionelle Be¬
handlung: der Skoliose. — •) Für die Privatpraxis sei für Berlin die Kleinkinder-
gvmna«»tikschiile von Herrn Detlev Neumann-Neurode, Schfinebergerufer 24
empfohlen, dessen Name durch sein Buch „Kindersport“, Verlag H. Walther in Berlin,
bekannt wurde.
Gymnastik erreichen nicht dieselben hohen Werte wie zu Anfang
der Uebungszeit, und die Rückkehr zur Norm geschieht in etwa 2 / 3
bis der halben Zeit wie zu Anfang. Wegen der Schwierigkeit der
Objektivierung soll die Beobachtung der Umwandlung unreiner in
klare Herztöne unberücksichtigt bleiben. Bei einem Fall von Scharlach¬
herz, den Dr. Kretschmer von der Goldscheid ersehen Winik
mir überwies, ließ sich bereits nach 3 Wochen röntgenologisch fest¬
stellen, daß die Verbreiterung des Herzschattens nach rechts um
etwa V2— 3 A cm geringer geworden war. Fernzeichnung ausgeführt
von Kretschmer. Der 8jährige Knabe, der seit 2 Jahren unter
dauernden Beschwerden, vor allem schlechtem Schlaf litt, fühlt sich
seit der Gymnastik wohler, und die Mutter berichtet, daß er seitdem
fest und ruhig schliefe. An dem ursächlichen Zusammenhang ist
nicht zu zweifeln.
IV. wurden mit anthropologischen Methoden Körpermessungen
ausgeführt, um ein objektives Maß der Gestaltsveränderung zu haben.
Da es sich nicht, wie bei den Roedersehen Wanderkindern, um
in erster Linie Unterernährte handelt, sind auch die Maßverände¬
rungen im allgemeinen weniger große. Das konnte auch bei der
Periodizität des Wachstums im Winter nicht erwartet werden. Im¬
merhin wurden in mehreren Fällen Gewichtszunahmen von 2 und
2 V 2 Pfund in 10 Wochen festgestellt. Ueber die Ergebnisse der
Messungen soll später gesondert berichtet werden.
Zusammenfassend ist zu sagen: Aus den Ergebnissen dieses
ersten Vierteljahres scheint mir mit Sicherheit hervorzugehen, daß
die asthenischen Kinder, den theoretischen Ueberlegungen ent¬
sprechend, durch gymnastische Uebungen bestimmter Anordnung in
ihrer Körperbeschaffenheit zu beeinflussen sind. Es ist daher ein
grober Fehler, solche Kinder vom Schulturnen zu befreien, ohne
eine geeignete Gymnastik an dessen Stelle zu setzen.
Aus der Hautklinik der Städtischen Krankenanstalten in Elberfeld.
Ueber Alt- und Neosilbersalvarsan.
# Von Prof. Dr. Hübner, Chefarzt, und Dr. Marr, Assistenzarzt.
Die Literatur über das Silbersalvarsan ist in kurzer Zeit enorm
angeschwollen, sodaß wir, um Wiederholungen zu vermeiden, hier
nur von seiner Wirkung sprechen wollen.
Wir gaben Altsilbersalvarsan in Dosen bis 0,25 bei Männern und
bis 0,2 bei Frauen 2mal wöchentlich durchschnittlich 12—14 Injek¬
tionen. Insgesamt wurden 140 seropositive Fälle durchbehandelt und in
der Beratungsstelle kontrolliert, und zwar 20 nur mit Silbersalvarsan,
52 mit Silbersalvarsan und Quecksilber und 68 mit Silbersalvarsan
und Sulfoxylat. Von den 140 Fällen waren nach Beendigung von
einer Kur 94 Fälle Wa.-negativ, außerdem waren noch 13 Fälle bei
der Nachuntersuchung 3 Monate später negativ geworden, insgesamt
negativ nach 1 Kur 93 -f- 13 = 107 Fälle = 76%. 33 Kranke = 24 0/0
wurden nach der Kur Wa.R.-positiv entlassen. Dieser Prozentsatz hat
sich in der letzten Zeit durch Vermehrung der Silbersalvarsaninjek-
tionen noch verringert. Von den 107 seronegativ entlassenen Fällen
wurden 6—9 Monate später wieder seropositiv 14 Fälle. Die Art
der Behandlung geht aus folgendem Schema hervor.
Art der Behandlung
Zahl
der
Fälle
negativ
am
Schluß
der Kur
ain Schluß der 1
Kur positiv, aberi
bei Nachunter- j
suchung negativ,
am Schluß der 1
Kur negativ, 1
aher bei Nach- 1
Untersuchungen
6—9 Monate !
später positiv !
~ am
Schluß
der Kur
positiv
während länge¬
rer klinischer u.
serologischer
Beobachtung
negativ
geblieben
Silbersale.
20
13
h 1
—
6
9
S.S. + Hg.
52
14= 70%
32+2-1
9
9
10
S.S + Sulfoxylat Salv.
68
35 3
43 = '84%
10 + 5
18
36
8
11 .
w
Insgesamt.
140
80 4
13 -I
Ü|
33= 24%
55*=44<V»
107 = 76°/ 0
Von den am Schluß der Kur seronegativ gewordenen Fällen
sind 55 bis jetzt monatelang in serologischer Beobachtung sero-
negativ geblieben, und zwar waren in Beobachtung:
5 Fälle ... 6 Monate
9 Fälle ... 9 Monate
T Fälle ... 10 Monate
lO^Fälle ... 11 Monate
12 Fälle ... 12 Monate
4 Fälle ... 13 Monate
2 Fälle ... 14 Monate
4 Fälle ... 15 Monate
| 1 Fall . . 17 Monate
1 Fall . . 19 Monate
i 2 Fälle . 24 Monate
2 Fälle . mit Reinfektion
Von den seropositiven Fällen unterzogen sich bis jetzt 13 Fälle
weiteren Kuren und wurden negativ:
8 Fälle nach 2 Kuren
4 Fälle nach 3 Kuren
1 Fall nach 4 Kuren
Seronegativität wurde bei den mit Silbersalvarsan und Queck¬
silber behandelten Fällen in 84 0/0 erreicht, gegenüber 70tyo bei nur
mit Silbersalvarsan behandelten.
Digitized by
v Google
Original from
CORNELL UNiVERSITV
12. Mai 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
625
Vergleichen wir nun 182 gleiche mit Neosalvarsan und Queck¬
silber behandelte seropositive Fälle mit den 140, die mit Silber-
salvarsan behandelt wurden, so läßt sich der stärkere Einfluß
des Silbersalvarsans dem Neosalvarsan gegenüber
nicht leugnen. Bei reinen Silbersalvarsankuren blieb die
Wa.R. länger negativ als bei reinen Neosalvarsankuren.
Von 182 seropositiven mit Neosalvarsan und Quecksilber behandelten
Fällen wurde mit 1 Kur in 26 Fällen und von 140 seropositiven
Fällen mit Silbersalvarsan und Quecksilber behandelten in 55 Fällen
Symptomfreiheit erzielt. Es sind hier gleiche Fälle mit entsprechen¬
der Injektionszahl gegenübergestellt. Da das Silbersalvarsan 2mal
wöchentlich gegeben wird, so können bei gleicher Behandlungsdauer
entsprechend mehr Injektionen ohne Gefahr verabfolgt werden, sodaß
die Negativierung der Wa.R. schneller erzielt wird als mit Neo¬
salvarsan. Auch wir konnten, ebenso wie Gen ne rieh, die Er¬
fahrung machen, daß bei frischen Fällen von sekundärer Syphilis
bis zu einem Infektionsalter von 2 Monaten mit 1 Kur von etwa
14 Injektionen der Blut-Wassermann bis zu 2 Jahren negativ geblieben
ist. Wenn irgend möglich, lassen wir aber auch bei seronegativer
Syphilis 1 der ersten Kur noch eine Sicherheitskur nach 6 Wochen
folgen.
Seit Ende vorigen lahres wurden uns durch die Liebenswürdig¬
keit des Herrn Geh.-Rat Ko Ile größere Mengen zweier neuer
Silbersalvarsanpräparate zur Verfügung gestellt, die als Neosilber-
salvarsan und Neosilbersalvarsan hyperideal bezeichnet wurden. Leider
sind sie in der Literatur nicht scharf als solche unterschieden. Es
soll zunächst vom Neosilbersalvarsan die Rede sein. Die chemische
Konstitution des Neosilbersalvarsans wurde uns nicht bekanntgegeben.
Wir erfuhren nur, daß es sich im Tierversuch etwa ebenso wie das
Altsilbersalvarsan verhielt und sich von letzterem dadurch unter¬
schied. daß die Lösungen an der Luft sehr viel langsamer oxydierten
als alle bisher bekannten Salvarsanpräparate, mit Ausnahme des
Sulfoxylates. Selbst bei mehrstündigem Stehen an der Luft soll
sich die Toxizität des Präparates nicht erhöhen. Das Neosilber¬
salvarsan wird in Dosen von 0,2—0,4 gegeben. Es ist ein Pulver
von derselben Farbe wie das Altsilbersalvarsan. Bei der thera¬
peutischen Anwendung konnten wir zunächst konstatieren, daß der
vasomotorische Symptomenkomplex bei der Einspritzung sehr viel
seltener zustandekommt als beim Silbersalvarsan. Von Neben¬
erscheinungen sahen wir bei den jeden 2.-4. Tag wiederholten
Injektionen 2mal Albuminurie, Kopfschmerzen, einmal urtikarielles
Exanthem und einmal Arsenzoster auftreten. Aber diese Komplika¬
tionen sind weggeblieben, als wir den Zwischenraum auf 4 bis
6 Tage erhöhten. Wir können somit zusammenfassend sagen, daß
wir im Neosilbersalvarsan ein Präparat in der Hand
haben, bei dem die gefährlichen Seiten des Salvarsans
in den Hintergrund getreten sind. Bei der therapeutischen Be¬
wertung des Mittels müssen wir unterscheiden zwischen der Wirkung
auf die augenblicklich vorhandenen klinischen Erscheinungen der
Krankheit und der Spätwirkung auf die Wa.R.. Die Wirkung auf die.
spezifischen Erscheinungen schien im allgemeinen der des Neo-
salvarsans zu entsprechen, jedoch geringer als beim Altsilbersalvarsan.
Hinsichtlich der Wirkung auf die Wa.R. erscheint allerdings das
Altsilbersalvarsan dem Neosilbersalvarsan erheblich überlegen, denn
die serologischen und klinischen Rezidive waren bei Anwendung des'
Neosilbersalvarsans auffallend häufig und hach viel kürzerer Zeit
einsetzend als beim Altsilbersalvarsan.
Im ganzen wurden 70 Fälle mit Neosilbersalvarsan durchbehandelt
und erhielten 12 Injektionen = etwa 3 bis 3,5 g. Hiervon entfallen
67 Fälle auf sekundäre Syphilis und 3 auf seronegative Syphilis I.
Bei einem von den drei seronegativen Syphilis-I-Fällen stellte sich
2 Monate nach Schluß der Kur mit einem Behandlungsmaß von 8 NSS
= 2,4 g ein Neurorezidiv ein, obwohl die Behandlung 3 Wochen
nach der Infektion eingesetzt hatte. Von den 67 Fällen mit sekundärer
Syphilis wurden 30 ohne Hg, von denen 17 seronegativ und 13 sero¬
positiv nach Beendigung der Kur entlassen wurden, und 37 mit Hg
behandelt, von denen 18 seronegativ und 19 seropositiv waren.
Erst seit etwa 6 Monaten haben wir das 2. Neosilbersalvarsan-
präparat, genannt Neosilbersalvarsan hyperideal, in An¬
wendung genommen. Es hat alle Vorzüge des Neosilbersalvarsans.
Nebenerscheinungen wurden bis jetzt nicht beobachtet. Wir geben
es bei Frauen in Dosen von 0.2 bis 0.35 und bei Männern bis 0,45.
Zweimal wöchentlich in Mischspritze mit Cyarsal kombiniert. Durch¬
schnittlich bestand die Kur aus 12—14 Injektionen. Unter den 48
so behandelten Fällen waren 5 seronegative Fälle von Syphilis I
und 43 seropositive Fälle von Syphilis II, von welch letzteren 31
seronegativ entlassen werden konnten. Unter den 12 seropositiv
f ebliebenen finden sich zum Teil einige, deren Infektionsalter mehrere
ahre zurückliegt. Die seronegativen Fälle von Syphilis I, die ihre
Kuren vor ca. 4 Monaten beendet haben, sind bis jetzt frei von Er¬
scheinungen geblieben. Somit wurden beim Altsilbersal¬
varsan kombiniert mit Hg 84o/ 0 , gegen 72o/ 0 beim Neo¬
silbersalvarsan hyperideal, gegen 52»/o beim Neosilber¬
salvarsan seronegativ am Ende der Kur.
Das endgültige Urteil über jedes neue Präparat und so auch
über da 9 Neosilbersalvarsan wird allerdings erst abgegeben werden
können, wenn jahrelang Kontrolluntersuchungen der mit Neosilber¬
salvarsan behandelten Fälle zum Vergleich mit solchen von Alt¬
silbersalvarsan und Neosalvarsan vorliegen. Unsere bisherigen Er¬
fahrungen sprechen dafür, daß bei dieser Prüfung das Altsilber¬
salvarsan und Neosilbersalvarsan hyperideal besser abschneiden wer¬
den als das Neosilbersalvarsan.
Von nicht syphilitischen Erkrankungen wurde das hyperideale
Neosilbersalvarsan auf Wunsch eines Internisten bei einem Falle
von schon lange bestehender multipler Sklerose versucht. E9 trat
schon nach wenigen Spritzen eine Besserung des subjektiven Be¬
findens ein; ob inr auch eine Besserung des objektiven Befundes
entspricht, kann noch nicht gesagt werden, da der Fall sich noch
in Behandlung befindet und die Untersuchung noch nicht abge¬
schlossen ist.
Zusammenfassung. Aus den angeführten Statistiken können wir
ersehen, daß uns in den zur Verfügung stehenden Salvarsanprä-
paraten Mittel in die Hand gegeben sind, um die, Syphilis in ihrem
rrühstadium zu heilen. Während man früher auf das Neosalvarsan
und Salvarsannatrium angewiesen war, können bei Unverträglichkeit
dieser Präpaarte die neueren herangezogen werden. Hierdurch wird
die Zahl der Fälle, die infolge einer Idiosynkrasie gegen Neosalvarsan
früher nur mit Hg behandelt werden mußten, immer kleiner, da
sich in diesen Fällen, wie die Praxis lehrt, gerade unter den neueren
Präparaten geeignete finden lassen, die einen Umschwung in der
Therapie herbeiführen. Und zwar scheint uns nach jetzt 2jähriger
Silbersalvarsantherapie gerade das Altsilbersalvarsan und auch das
Neosilbersalvarsan hyperideal aus den dargelegten Gründen zu der
mehr und mehr in Anwendung kommenden prolongierten Kur be¬
sonders geeignet zu sein. Die Nebenerscheinungen, die an¬
fangs auch an unserer Klinik öfters beobachtet wurden, haben sich
in letzter Zeit bei Beachtung aller gegebenen Regeln
für die Salvarsantherapie sehr vermindert und sind
beim Neosilbersalvarsan hyperideal nicht mehr be¬
obachtet worden.
Immerhin darf nie vergessen werden, daß wir bei keinem der
Mittel imstande sind, die Krankheit in einem bedeutend kürzeren
Zeitmaß zu heilen. Bei der Salvarsantherapie bleibt unter genauer
Individualisierung in jedem Fall das Behandlungsmaß immer wieder
die Hauptsache. Ebenso wie Kohrs müssen auch wir vor der sym¬
ptomatischen Behandlung der Frühsyphilis an der Hand von zahl¬
reichen Beispielen warnen. Daraus, daß es so schwer ist, bei vor¬
ausgegangener mangelhafter oder sehr verspätet einsetzender Therapie
die Wa.R. negativ zu bekommen und zu erhalten, folgert die ernste
Notwendigkeit einer frühen und energischen ersten Behandlung.
Jeder Arzt sollte sich daher der Verantwortung bewußt sein, die
er bei der ersten Behandlung eines jeden Patienten mit Früh¬
syphilis übernimmt, und verzettelte, unzureichende Salvarsanbehand-
lung unterlassen. Nur zu oft werden Patienten ohne Aufklärung von
Aerzten, nach Abheilung der klinischen Erscheinungen, mit einer
Dosis von 1—2 g Neosalvarsan bei sekundärer Syphilis ihrem Schick¬
sal überlassen. In den Fällen mit primärer und sekundärer Syphilis,
bei denen das Virus noch wenig verankert ist, soll auf alle Fälle
ohne Rücksicht auf den Blut-Wassermann durch in kurzen Zeitab¬
schnitten zu wiederholende Kuren die Sterilisation des Körpers an¬
gestrebt werden. Untersuchungen der Lumbalflüssigkeit, die das
Urteil, ob Heilung eingetreten ist, zu fällen haben, beweisen, daß nur
bei sachgemäßer Durchführung der Therapie eine Heilung zu er¬
zielen ist. Anderseits beweisen die umfassenden Untersuchungen
von Gennerich zur Genüge, daß die symptomatische Behandlung,,
die in zu kleinen Einzeldosen bestand, oder bei der es an der not¬
wendigen Nachbehandlung gemangelt hat, auch die Nachkuren in
zu großen Zeitabständen oder auch in zu schwächlicher Weise er¬
folgt sind, durch die Reizwirkung des Salvarsans liquorprovokatorisch
wirkt und daher eine Zunahme der Nervensyphilis bereits bewirkt hat.
Diese Schäden werden sich, sofern sie nicht durch baldige sach¬
gemäße intravenöse Behandlung ausgeglichen werden, erst in Jahren,
analog dem gehäuften Auftreten der Syphilis nach dem Kriege
überhaupt, in einer Zunahme der Erkrankungen des Nervensystems
äußern. Und gerade diese Verschiebung der Krankheit nach dem
Zentralnervensystem wollen wir durch die richtige, planmäßige, indi¬
vidualisierende Zuführung der uns zur Verfügung stehenden spezi¬
fischen Heilmittel verhindern. Um diese ideale Forderung der
Syphilistherapie bei der großen Menge der Syphilitiker durchzu¬
führen, haben sich die von der Landesversicherung eingerichteten
Beratungsstellen als höchst segensreich erwiesen. Sie übernehmen
die hygienische Beaufsichtigung des einmal Infizierten. Trotz der
Schwierigkeiten, die einer dauernden Kontrolle infolge des Wohnungs¬
und Ortswechsels und anderer Umstände entgegenstehen, gelingt
es doch bei dem größeren Teil der Kranken, die Beobachtung
2—3 Jahre lang durchzuführen und ihnen dadurch die notwendige
Behandlung zu sichern. Es ist zu hoffen, daß mit der fortschreiten¬
den Aufklärung des Volkes und der Aerzte über die Notwendigkeit
dieser Kontrolle der Segen, der von diesen Einrichtungen ausgeht,
mehr und mehr in Erscheinung tritt und dadurch wieder für das
System wirbt.
Gerade das Neosilbersalvarsan hyperideal in der Form, in der
es jetzt in den Handel kommen wird, scheint berufen zu sein, die
Behandlung der Syphilis noch weiter zu verbessern, da es sich wegen
seiner Gefahrlosigkeit und des absoluten Fehlens von Nebenerschei¬
nungen zur ambulanten Behandlung am besten von allen neueren
Präparaten eignet.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
626
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 19
Aus der Dermatologischen Abteilung des Rudolf Virchow-Kranken-
hauses in Berlin. (Dirigierender Arzt: Prof. Wechselmann.)
Die klinische Bedeutung; der Weichbrodtschen „einfachen
Liquorreaktion“ (Subiimatreaktion).
Von Dr. Walter 05t*.
Seitdem Quinke die Lumbalpunktion in die klinische Praxis
eingeführt hat, ist die Beurteilung des Liquor cerebrospinalis von
größter Bedeutung für die Beurteilung der Syphilis geworden. Denn
die im Verlaufe der Syphilis auftretenden pathologischen Veränderun¬
gen des Liquors können für die Diagnose und auch Prognose ver¬
wertet weraen. Je nach dem Stadium der Krankheit und der spezi¬
fischen Behandlung der Syphilis zeigt der Liquor im allgemeinen ein
verschiedenes, vom Grade der meningealen Reizungen abhängiges Bild.
Abgesehen von der Zeitzahl, sind es die Eiweißreaktionen nach
Pandy und nach Nonne, die uns als Maßstab dienen. Als neue
Reaktion hat nun Weichbrodt die sogenannte „Sublimatreaktion“
eingeführt. Er benutzt eine l°/oige Lösung von Hydrarg. bichlorat
punssimum (Merck) und mischt zur Reaktion 3 Teile der Sublimat¬
lösung mit 7 Teilen Liquor. Pathologischer Liquor trübt sich sofort.
Die Lösung von Sublimat ist haltbar. Der Liquor kann, kühl auf¬
bewahrt, noch nach 2 Tagen zur Reaktion benutzt werden, doch muß
die Ablesung am gleichen Tage der Reaktion gemacht werden, denn
auch bei normalem Liquor treten 24 Stunden nach der Reaktion
Trübungen ein. Bluthaltiger Liquor muß vorher zentrifugiert werden.
Weichbrodt hat nur wenig Tabes- und Meningitisfälle be¬
arbeitet. Nach seiner Erfahrung ist die Sublimatreaktion bei allen
durch Syphilis bedingten Erkrankungen des Nervensystems positiv,
bei allen nicht durch Syphilis bedingen negativ. Die Lymphozyten¬
zahl spielt nach seiner Angabe keine Rolle; er gibt Fälle an, die trotz
starker Pleozytose negativ waren und umgekehrt. Einer positiven
Wa.R. entsprach meist eine positive Sublimatreaktion, wohingegen
negative Wa.R. mit einer negativen Sublimatreaktion übereinstimmte.
Er fand nur selten negative Sublimatreaktion bei positiver Wa.R.
Bei 5 Tabesfällen fand Weichbrodt 5mal positive Sublimat¬
reaktion, und zwar trat in 3 Fällen die Trübung erst nach wenigen
Minuten auf. Bei 3 Meningitisfällen (Tuberkulose) war die Sublimat-
reaktion in allen 3 Fällen negativ, Lymphozytenzahl sehr vermehrt,
Nonne positiv, die Wa.R. negativ.
Ob die Sublimatreaktion bei allen Meningitisfällen nejgativ ist,
kann Weichbrodt nicht entscheiden. Nach seiner Ansicht muß
man aber bei allen Meningitiserkrankungen Wa.R. machen, denn die
Wa.R. kann dabei auch positiv sein. So erwähnt Jahnel 4 Fälle
von Meningitis tuberculosa, die positiven Wa.R.-Befund im Liquor
hatten; bei diesen zeigten allerdings auch 2 Fälle eine positive
Wa.R. im Blute.
Weichbrodt sagt am Schlüsse seiner Zusammenfassung: „Die
Reaktion ist scharf und charakteristisch, denn sie brachte uns mit¬
unter auf Diagnosen, die aus dem körperlichen und psychischen Be¬
fund nicht zu ergründen waren. Manchmal fand er bei organischen
Erkrankungen ohne Syphilis auch positive Sublimatreaktion (multiple
Sklerose). Die durch syphilitische Erkrankung bedingte Trübung bei
der Reaktion hat bläulichen Schimmer.“
Bei funktionellen Nerven- und Geisteskrankheiten fand Weich¬
brodt niemals positive Sublimatreaktion. Nach seiner Ansicht hingt
die Reaktion nicht vom Eiweißgehalt ab und ist auch nicht durch
die Zellzahl bedingt.
K. Hupe hat sich mit der Sublimatreaktion beschäftigt und fand,
daß bei syphilitischer Erkrankung des Zentralnervensystems mit posi¬
tiver Wa.R. im Liquor häufig die Sublimatreaktion negativ oder
schwächer als Phase I ausfiel, daß ferner bei nicht syphilitischen
Gehimerkrankungen mit negativer Wa.R. im Liquor die Sublimat¬
reaktion positiv wör.
Eßküchen spricht der Reaktion keine spezifische Bedeutung zu,
hält sie jedoch für eine empfindliche Reaktion, fast so scharf wie die von
Pandv. Er fand bei positiver Phase I auch kaum negative Sublimat¬
reaktion. Was die Empfindlichkeit anbelangt, so stellt er sie zwischen
Phase I und Pandv. Bei nicht syphilitischen Meningitiden war die
Sublimatreaktion allerdings nicht immer negativ, wohl aber zeigte sie
im Verhältnis zur Phase I einen schwachen Ausfall. Nach Eß-
kuchens Ansicht kommen durch die Sublimatreaktion andere Eiwei߬
körper zur Ausfällung als bei Phase I. Er hebt die starke Empfind¬
lichkeit, einfache Technik hervor und empfiehlt sie zur Kontrolle
bei unsicheren Fällen.
Auf der Wechselmann sehen Abteilung werden die Liquoren
seit Jahren untersucht nach Pandy, Nonne, der Wa.R. und der
Goldreaktion. Unser Material besteht im wesentlichen aus Fällen
der Syphilis I und II. Auf diese beziehen sich in erster Linie unsere
Angaben der Nachprüfung, während die seitherigen Arbeiten sich meist
mit neurologisch-psvchiatrischem Material befaßten. In etwa 300 Fällen
haben wir die Reaktion nachgeprüft. Gearbeitet wurde in bezug auf
die Technik nach den oben angegebenen Vorschriften von Weich¬
brodt. Zur Untersuchung standen folgende Fälle:
10 x Tabes
238 x Syphilis I und II
11 x Paralyse
32 x Lues cerebri
5 x Apoplexie
4 X Meningitis tbc.
1 x f Hvsterle
3 xJPclyneuHti»
rx'AlkohoHsmus
3 xlTumor cerebri
3 x Multiple Sklerose
1 x Aortitis
Was den Grad der Trübung anbelangt, so beurteilen wir:
\ — Spürchen — opal — Spuren]
— opal
\\\ — leichte Trübung (Ausfüllung)
- \V\\ —.starke Trübung (Ausfüllung)
Den Farberfschimmer der Trübung, d. h. ob bläulich oder weißlich,
ließen wir außer Betracht, da dies doch eine recht persönliche Auf¬
fassung sein dürfte.
In 144 Fällen von Syphilis I war die Wa.R. im Liquor negativ.
In allen diesen Fällen war die Sublimatreaktion ebenfalls negativ.
Ebenso zeigten in den erwähnten 144 Fällen Pandy und Nonne
negativen Ausfall. In 60 Fällen von Syphilis mit positiver Wa.R. im
Liquor zeigten auch die anderen Reaktionen ein positives Ergebnis.
Was die Stärke der verschiedenen Reaktionen anbelangt, so sei hier
erwähnt, daß in dieser Gruppe Folgendes der Fall war:
Nonne = Sublimat.40 Fülle
Nonne = Pandy = Sublimat.10 Fülle
Pandy stärker als Nonne \ F «„
Pandy stärker als Sublimatreaktion / '
Bei Aortitis fanden wir:
Wa.R. \\W , Pandy - V\W . Nonne W, Sublimatreaktion
Bei Meningitis tuberculosa war:
2 x Pandy «= Nonne = Sublimat
1 x Pandy = Sublimat
Nonne dabei schwächer als Pandy und Sublimat
Bei Tumor cerebri war:
1 x Pandy stfirker als Nonne und Sublimat, dabei Nonne = Sublimat
1 x Sublimat *= Pandy, Nonne schwächer als beide
Bei multipler Sklerose:
1 X Pandy = Nonne *= Sublimat
2 x Pandy stärker als Nonne
1 x Sublimat stärker als Nonne
Bei Sepsis war:
Pandy — Nonne = Sublimat (negativ).
Bei Alcoholismus chron. war:
Pandy positiv, Nonne und Sublimat negativ
Bei Hysterie waren:
alle 3 Reaktionen negativ
Bei Tabes war folgendes Resultat:
3 x Nonne = Pandy = Sublimat (stark positiv)
5 X alle Reaktionen übereinstimmend negativ
2 x Nonne « Sublimat (schwach positiv)
In einem Palle waren Nonne und Sublimat positiv bei negativem Pandy.
Lues cerebri zeigte folgendes Bild:
9 x Pandy = Sublimat
3 x Pandy = Nonne = Sublimat (stark positiv)
7 x waren alle 3 Reaktionen übereinstimmend negativ
12 X Nonne = Sublimat
8 x Sublimat stärker als Nonne
2 x Nonne = Pandy
Sublimat war nie stärker als Pandy
Zusammenfassung. Da jeder normale Liquor bekanntlich in ge*
ringem Maße eiweißhaltig ist, hängt die Brauchbarkeit einer Liquor-
Eiweißreaktion davon ab, daß sie scharf die Grenze angibt, dh.,
daß sie normale Mengen Eiweiß nicht ausfällt, jedoch jede patho¬
logische Vermehrung anzeigt. Die Pandysche Reaktion ist wohl
als feinstes Eiweißreagens anzusehen, sodaß man gelegentlich auch
bei normalem Liquor ein positives Resultat findet, bei Fällen, die an
der Grenze des Normalen stehen. Ihre Bedeutung sehen wir daher
mit Eicke darin, daß ihr negativer Ausfall eine pathologische Eiwei߬
vermehrung mit Sicherheit ausschließen läßt.
Was die Sublimatreaktion anbetrifft, so kommt sie der Erfüllung
unserer Forderung wesentlich nahe, da wir sie nur in Ausnahme¬
fällen als einzige Reaktion neben Pandy positiv fanden. Sie kommt
hinsichtlich ihrer Schärfe der Phase I gleich, die sie an Empfindlichkeit
etwas übertrifft.
Von irgendeiner Spezifizität für eine syphilitische, noch für eine
andersartige Erkrankung des Nervensystems kann natürlich nicht die
Rede sein. Hier sind Goldreaktion und Wa.R. überlegen.
Immerhin lassen ihre leichte Anstellbarkeit, Ablesbarkeit, Kon¬
stantbleiben und Beschaffenheit des billigen Reagens die Sublimat¬
reaktion als eine Bereicherung der uns bisher zur Verfügung stehenden
Liquorreaktionen erscheinen. Die Angaben Weichbrodts, daß
sie bei nicht syphilitischen Meningitiden schwächer ausfällt als die {
übrigen Eiweißreaktionen, konnten auch wir gelegentlich bestätigen
Es scheint also dies für Eßkuchens Angaben zu sprechen, daß
mit ihr besondere Eiweißkörper zur Ausfällung kommen.
Weichbrodt, Mschr. f. Psych. 40, S. 349 und Zscbr. f. d. ges.'Neurol. 39. - Hope.
Zschr. f. d. ges. Neurol. M. — Eßküchen, M. m. W. 1918 Nr.45.
Digitized b
Go gle
Original from
CORNELL UNfVERSITY
12. Mai 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
627
Aut der Inneren Klinik der Städtischen Krankenanstalten
in Dortmund. (Leiter: Prof. Rindfleisch.)
Akut entstandene Pylorusstenose nach Benzolvergiltung.
Von Dr. Walter Hetzer, Sekundärarzt.
Die Diagnose einer Pylorusstenose zu stellen, hat der Arzt nicht
seifen Gelegenheit. Am häufigsten wird dieser Zustand wohl die
Folge eines Ulkus, einer Neuoiidung oder chronisch entzündlicher
Veränderungen in der Umgebung sein. Seltener schon kommen
Pylorusstenosen als Endausgange phlegmonöser ulzeröser Gastritis
nach Verätzungen vor, und inre Entstehung ist die Folge schrumpfen¬
der Narben oder entzündlicher Verwachsungen in der Nähe des
Magenausgangs. Hier hatten wir Gelegenheit, eine ganz seltene
Form der Pylorusstenose zu sehen, die sich innerhalb 13 Tagen bei
einer akuten Gastritis ohne Verätzungen herausbildete. Sie wurde
in 3 Wochen fast absolut, sodaß eine Gastroenterostomie angelegt
werden mußte.
Aus der Krankengeschichte gebe ich folgenden Ueberblick: Der
41jährige Patient F. stammt aus gesunder Familie und war nie ernst¬
lich krank, insbesondere nie magenkrank (konnte Kieselsteine ver¬
dauen). Er trank versehentlich aus einer Flasche einige Schluck
Benzol und wurde eine Stunde danach unter dem Bilde einer akuten
toxischen Gastritis mit häufigem Erbrechen eingeliefert und sofort
gespült. Keine Verätzungen, Magengegend leicht druckempfindlich.
Im Urin: Alb. -f* Sediment: reichlich Leukozyten, Erythrozyten,
Nierenepithelien und Zylinder.
Durchfälle mit Benzolgeruch, dauernd zunehmende Magenbe¬
schwerden. Flüssige Kost.
10. Tag Nierenreizung verschwunden, Stuhl Sang.
13. Tag Magenuntersuchung: nüchtern 200 ccm grobe Speise¬
reste (bei flüssiger Kost!), 1 / 5 flüssig. Säurewerte 0/105, Milch¬
säure Mikroskopisch viel Leukozyten und Milchsäurebazillen.
Probefrühstück 0/16 schlecht verdaut, Pepsin —, Milchsäure -|-.
Mikroskopisch: reichlich Milchsäurebazillen, Schleim, Erythrozyten,
Leukozyten.
17. Tag Röntgenaufnahme: Magenfundus: fingerdicker, treppen¬
förmig ansteigender, horizontaler Schlauch, Pylorusinsuffizienz, Pylorus-
spiel fehlt, keine Peristaltik. Nach D/a Stunden geringe Reste im
Fundus.
20. Tag: Zunahme der Magenschmerzen, Magen als Tumor sicht-
und fühlbar, sehr druckempfindlich.
25. Tag: Erbrechen von 500 ccm schwarzgrauen, groben Speise¬
resten. Saurewerte 0/90, Sang, -j-j-, Milchsäure ++» Leukozyten,
Erythrozyten, Schleim -f-f. Im Urin wieder Alb. +, Zylinder -f-.
31. Tag: 1 Liter erbrochen, viel Schleim, Spülung und Durch¬
leuchtung. Keine Magenentfaltung, Brei fällt sofort in Fundus, gleich¬
mäßige Füllung. Aussparung des Fundus mit Zapfenbildung, fast
absolute Pylorusstenose. Nach 6 Stunden fast unveränderter Fül¬
lungszustand.
32. Tag: Operation. Magen nicht vergrößert, Wand überall un¬
gleichmäßig verdickt, aufgehobene Falte gut fingerdick, Serosa
spiegelnd, im allgemeinen leicht, 3 1 /* Querfinger oberhalb des Pylorus
stärker gerötet. Hier einige breit aufliegende Verwachsungen mit
dem Ligament. Diese ganze Partie erscheint besonders stark ver¬
dickt und das Lumen hier erheblich eingeengt. Duodenum normal.
Vordere Gastroenterostomie 10 cm lang. Magenwand 1 cm dick.
Schleimhaut stark gerötet und wulstig geschwollen, ähnlich Balkcn-
blase, mit breiten Balken. Keine Ulzera, keine Narben.
Am 2. Tage nach der Operation Bluterbrechen.
Am 8. Tage steht Patient auf.
Bei Entlassung ist Magen noch als Tumor sicht- und fühlbar,
aber nicht mehr so druckempfindlich. Nahrungsaufnahme gut.
Was diesen Fall besonders bemerkenswert macht, das ist die
Milde der Resorptionsschädigung durch das genossene Benzol, die
Entstehung einer Pylorusstenose in der kurzen Dauer von 13 Tagen
und ihre Entwicklung aus einer einfachen akuten Oastritis. Gewöhn¬
lich pflegt nach Genuß von Benzol oder Benzin, wie auch hier an
anderen Fällen beobachtet wurde, nach 1—2 Stunden Bewußtlosig¬
keit und nach 1—2 Tagen der Tod unter Nerven- und Lungen¬
erscheinungen eiuzutreten. Hier aber war kein Zeichen einer Be¬
teiligung des Nervensystems zu bemerken. Ueberhaupt ist hier außer
den Magenerscheinungen und einer kurzdauernden Nierenreizung
keine andere Organerkrankung manifest geworden. Auch die Wir¬
kung des Benzols auf die blutbereitenden Organe, die Herabsetzung
der Leukozytenzahl, blieb aus. Gab man doch früher deshalb eine
Zeitlang Benzol bei Leukämie.
Aus den damaligen Veröffentlichungen geht nun hervor, daß
bei den therapeutischen Gaben von 3,0—5,0 g pro die nach einiger
Zeit Magenerscheinungen auftraten, die als Symptom einer leichten
Gastritis anzusehen sind. Wenn nun auch eine ätzende Wirkung
des Benzols bisher unbekannt ist, so ist es doch kein Wunder, daß
nach Aufnahme einer größeren Menge, wie hier, auch ohne die
Beimengung fremder Stoffe (chemisch untersucht: reines Benzol),
eine kräftige Reizwirkung auf die Magenschleimhaut hervorgerufen
wird, die sich natürlich an den Stellen der längsten und intensivsten
Berührung am deutlichsten zeigt, am Fundus und Pylorus. Die
Schleimhaut des übrigen Verdauungskanals hat kaum oder nur leichte
Veränderungen erfahren.
Wenn nun die Lokalschädigung des Benzols nur zu einer ein¬
fachen akuten Gastritis führt, wie Kommt daraus eine Pylorusstenose
zustande? Da wirken in diesem Falle verschiedene raktoren zu¬
sammen. Die vielleicht anfänglich unbedeutende Gastritis-Fyloritis
wird durch die trotz Verbotes dauernd fortgesetzte heimlicue un¬
zweckmäßige Ernährung des Patienten mit festen Speisen erneblich
verschlimmert. Es kommt nach Kosenheim zu dem üblichen
Schleimbelag der Schleimhaut und Versiegen der Salzsäuresekieiiun.
Der unveruaute, nicht saure Mageninhalt verliert die motorische
Reizwirkung auf den Entleerungsmechamsmus des Pylorus. Die so
entstandene Stagnation tünrt zur Milcnsauregärung, und diese beiden
wieder steigern im Circulus vitiosus die Gastritis, und zwar be¬
sonders im Fundus und Pylorus. Die stark hyperämisch geschwollene
Schleimhaut ist leicht verletzlich, blutet leient, ist zu ooerflachlichen
Ulzerationen geneigt, die der Entzündung den Weg in die tieferen
Schichten eröttnen, sodaß sie von der Schleimhaut zur Muskularis
übergreift und schließlich fast die ganze Magenwand infiltrierend
erfaßt. Es ist verständlich, daß ein so schwer erkrankter Muskel
starr und unbeweglich wird, vielleicht sich krampfhaft in einer mitt¬
leren Ruhelage erhält, wie wir das von der kranken willkürlichen
Muskulatur kennen. Zu der Insuffizienz der Schleimhaut kommt
die der Muskulatur, zu der reflektorisch chemischen die
mechanische Insuffizienz. Klinisch kommt das zum Ausdruck in
der Stagnation, im Erbrechen blutiger, gärender Massen, in der Ent¬
wicklung des schmerzhaften Tumors und in dem Fehlen der normalen
Magenentfaltung bei Aufnahme des Röntgenkontrastbreies und dem
Fehlen des peristaltischen Pylorusspiels, im starren Oflenstehen des
Pylorus, in der Pylorusinsuffizienz. Ein Röntgen- und klinischer
Befund ganz wie bei einem infiltrierenden Zirrhus des Pylorus.
Beim weiteren Fortschreiten des entzündlichen Prozesses und
seiner Nebenerscheinungen ist es dann hier zu einer Pylorusstenose
gekommen, die mancherlei Beziehungen zu der von Lebert als
„hypertophische Pylorusstenose“, von Tilger als „stenosierende
Hypertrophie des Pylorus“ benannten hat. Bei diesen Autoren handelt
es sich um Folgezustände einer chronischen Gastritis mit atrophischer
Schleimhaut, die zum Teil durch Granulationsgewebe ' ersetzt ist.
Die Muskulatur ist dann besonders in der Nähe des Pylorus von.
Infiltrationsherden durchsetzt. Ob nun dadurch ein spastischer Kon¬
traktionszustand des Muskels hervorgerufen wird, oder ob die In¬
filtration an sich die Stenose des Pylorus bedingt, oder ob beide
Momente Zusammenwirken, darüber sprechen sich die Autoren nicht
aus. Bei uns scheint letzteres der Fall zu sein. Jedenfalls hatte hier
eine akute Entzündung, besonders in der Pylorusgegend, fast sämt¬
liche Schichten der Magenwand durchsetzt und sogar zu allerdings
nicht stenosierenden Verwachsungen des Magens und des Ligaments
geführt. Daß grobe ulzeröse oder narbige Veränderungen infolge
Verätzung nicht in Betracht kommen, zeigte der Anblick der Magen¬
schleimhaut bei der Operation durch die sehr große Gastroentero¬
stomieöffnung. Für das nicht ganz sichtbare Pylorusgebiet jedoch
muß man wohl eine Pyloritis ulcerosa annehmen, um Blutungen und
Infiltrationen zu erklären. Die Schleimhaut war sonst hochrot,
sammetig und wulstig geschwollen. Die Stenose ist also hier die
Folge von Infiltration und Spasmus.
Nach der Operation fühlte sich der Patient erheblich besser, er
konnte wieder alles essen und war völlig beschwerdefrei. 10 Monate
später kam er wieder mit gastritischen Beschwerden, die sich unter
Diätbehandlung bald besserten.
Die nüchterne Ausheberung förderte 30 ccm schleimig wäßriger,
leicht galliger Flüssigkeit, Säurewerte 0/12, mikroskopisch o. B. Das
Probefrühstück war gut verdaut, Menge 220 ccm, Vi flüssig, Säure-
werte 0/10, mikroskopisch vereinzelte Leukozyten. Der Magen war
nicht mehr sicht- und fühlbar, leicht druckempfindlich. Er hielt beim
Aufblähen die Luft gut. Patient wurde nach 8 Tagen, als es ihm
besser ging, auf Wunsch entlassen, ohne daß eine Röntgenunter¬
suchung gemacht werden konnte.
Wie die'weitere Entwicklung sich gestalten wird, ist natürlich
ungewiß. Doch droht, da offenbar die Gastritis nach nicht völlig
abgeklungen ist, eine Weiterentwicklung im Sinne einer Brinton-
sehen Cirrhosis ventriculi oder im Sinne der Krompechersehen
gastrischen Sklerostenose; d. h. einer bindegewebig narbigen Um¬
wandlung der schrumpfenden Magenwand. K. nimmt zur Erklärung
seiner Fälle als Aetiologie die chronische Stauung durch Herz¬
insuffizienz bzw. fortgeleitete chronische Entzündung (Pleuritis —
Perihepatitis) an. Er denkt sich die Entstehung so, daß die chro¬
nische Hyperämie zu Oedem und dieses zur Induration führt, und
zieht zum Vergleiche die Entwicklung der Sklerodermie heran. Diese
Voraussetzungen sind ja für unseren Fall wohl gegeben, nachdem
die Oastritis wohl fast ein Jahr besteht und der Patient sie durch
seine Lebensweise unterhält.
Das unvernünftige Verhalten des Patienten jeder Diätbeschrän¬
kung gegenüber hat wahrscheinlich das ganze Krankheitsbild veran¬
laßt, zur Höhe entwickelt und wird vielleicht sein dauerndes Siech¬
tum herbeiführen. Es kann diese Beobachtung dem behandelnden
Arzte eine Mahnung sein, auf eine strenge Durchführung einer
Diätbehandlung in einschlägigen Fällen zu drücken, sonst wird die
anfänglich leichte Gastritis ment nur in ihren klinischen Erscheinungen,
sondern auch in der Prognose einer malignen zirrhotischen Neu¬
bildung ähnlich.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
628
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 19
Aus der Medizinischen Abteilung des Städtischen Allerheiligen¬
hospitals in Breslau. (Primararzt: Prof. Ercktentz.)
Ueber die Behandlung der hämolytischen Anämie mit
Elektroferrol *).
Von Dr. W. Steinbrinck, Assistenzarzt.
Die 46 jährige Patientin hat neben 8 normalen Geburten 8 Aborte
durchgemacht, sie ist seit 1916 wegen einer Metropathia haemorrha-
gica fast dauernd in ärztlicher Behandlung und wurde uns wegen
ihrer Blutarmut von der hiesigen Frauenabteilung übemiesen.
Die mittelgroße, ziemlich kräftige Frau, ist blaß und deutlich
ikterisch.
Beginnende Tabes dorsalis und Aortitis luica. Wa.R. -{-.
Links neben dem anteflektierten, derben, leicht vergrößerten
Uterus ein knolliger, derber, über walnußgroßer Tumor im Para-
metrium. Lymphdrüsen o. B. Die Milz ist derb, deutlich zu fühlen.
Die Leber um 4 Querfinger vergrößert, derb, nicht schmerzhaft.
Gallenblasengegend o. B. Im Urin Bi. —, Urob. -j-> Urobilinogen
Gallensäuren fehlen. Im Stuhl Hydrobilirubin -j—j-. Das Serum hell¬
ockergelb, enthält deutlich funktionelles oder retikulo-endotheliales
Bi., d. h. die direkte Diazoreaktion ist stark verzögert, bei stark
übernormaler indirekter. Absorption des Bi. durch das bei Alkohol¬
fällung entstandene Serumeiweißpräzipitat kaum nachweisbar (Le-
pehne, Rosenthal) 2 ). Bi.-Zahl nach Meulengrächt 2. Resi¬
stenz der R. gegenüber hypotonischen Kochsalzlösungen herabgesetzt:
Gewaschene R. 0,54—0,35. Ungewaschene R. 0,51—0,33. Auto- und
Isolysine und Autoagglutination sind zu Beginn und bei den späteren
Untersuchungen nicht nachzuweisen. Hgb. 14 o/o, R. 1,78, F. I. 0,4,
L. 4500, Thr. 160 000. Volumenprozente der R. 20.
Differentialzählung (nach Schilling). Poly. II 1 o o, III 4o/o,
IV 50 o/o. Ly. Gr. 8<yo, kl. 31°/o, Rf. 1 °/o. Eos. 3 ö /o, Bas. 1 °/n,
Uebgf. 2o/o. Aniso-Poikilozytose, keine ausgesprochene Mikrozytose.
Vereinzelte Makrozyten, keine Megalozyten, keine Ringformen oder
Jolly-Körper, aber vereinzelte freie Kerne und Normalülasten.
Blutungszeit 4' 50". Gerinnungszeit (nach Bürker) 2' bis 4' 50".
Rumpel-Leedesehe Stauung, die nach Stephan meist stark
positiv sein soll, ergab nur ganz geringe Aussaat von petechialen
Blutungen.
Magensaft subazid. Die Leberfunktionsprüfung mit Lävulose führt
zu geringer Ausscheidung von Lävulose im Urin, während die
Widalsche Probe (Crise hemoclasique) für den retikulo-endothelialen
Ikterus spricht.
Nach alldem haben wir einen Fall von typischer, erworbener,
hämolytischer Anämie vor uns. Aetiologisch ist wohl die Syphilis
zu beschuldigen. Damit war der Weg zur Behandlung zunächst ge¬
geben. Wir gaben anfangs kleine, später steigende Dosen Neo-
salvarsan, zumal es vielfach für die Behandlung schwerer Anämien
empfohlen ist, hier also als antisyphilitischc und zugleich intravenöse
As-Therapie, mit der wir selbst auch mehrfach sehr gute Erfolge
erzielt hatten. Eine Vermehrung der Hämolyse (Beckmann) habe
ich weder in diesem noch in einem früheren Falle feststellen können.
Weiter aber ließen wir uns bei der Behandlung von dem Gedanken
leiten, den ich schon in einem früheren, kurzen Bericht über die
Behandlung eines Falles von erworbener, hämolytischer Anämie mit
Kollargol besprochen habe 3 ). Die von Lepehne und Hollaender
empfohlenen Kollargolinjektionen sollen nach den kurzen Notizen
Lepehnes nicht den Erwartungen entsprochen haben. Mehr Erfolg
scheint Epp in ge r mit intravenösen Elektroferrolinjektionen gehabt
zu haben. Deswegen zogen wir in unserem Falle das Elektroferrol
vor und gaben alle 2—3 Tage 1 ccm unter Vermeidung höherer
Fieberreaktionen.
Von gynäkologischer Seite wurde in der ersten Zeit noch die
eingeleitete Röntgenbestrahlung fortgesetzt. Am 11. Tage der Be¬
handlung bei uns, am Tage nach einer Röntgenbestrahlung, stellten
sich heftige Schmerzen in der Milzgegend ein (Milzkrise?). Milz und
Leber waren gegen vorher nicht verändert, auch blieb die Intensität
des Ikterus die gleiche. Beim Defibrinieren des Blutes schieden sich
nur ganz geringe Fibringerinnsel ab. Aehnliche Beobachtungen (Ver¬
stärkung der Hämolyse) scheint Naegeli(Naegeli bei Schwalbe,
Diagn. u. therap. Irrtümer, Heft 10, und Jkurs. f. ärztl. Fortbild. 1921,
Märzheft) nach Röntgenbestrahlungen und nach Jodkalimedikationen
gemacht zu haben. Es scheinen die Röntgenstrahlen eine Milzkrise
B rovoziert und gleichzeitig den L.eukozytensturz bewirkt zu haben.
►ie Bestrahlungen wurden daraufhin ausgesetzt. Am 20. Tage war
die Milz noch eben fühlbar, die Leber nur noch 3 Querfinger ver¬
größert. Die ikterische Verfärbung hat deutlich abgenommen.
Am 29. Tage wurde die Patientin auf eigenen Wunsch ans
der stationären Behandlung entlassen. — Ikterus bestand nicht
mehr, Milz war nicht mehr fühlbar. — Sie kam dann zunächst ziem¬
lich regelmäßig zur ambulanten Behandlung. Dabei dauernde zu¬
nehmende Besserung des Allgemeinbefindens. Entgegen dem ärzt-
s ) Nach einer Demonstration in der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische
Kultur. — *) Tannhauser und Andersen (D. Arch. f klin. M. 137, S. 3 u. 4) lehnen diese
Deutung ab. Es erscheint ihnen durchaus unbegründet, aus dem Ausfall einer chemi¬
schen Reaktion aut den Ort der Bi.-Bildung zu schließen. Sie bringen entsprechende
Gegenbeweise. Beckmann, Kongreß für Innere Medizin 1921, wies Spektrum photo¬
metrisch nach, daß es keine zwei verschiedene Bi.-Arten gibt. - *) D.rn. W. 1921 Nr. 51.
liehen Rat begann sie aber bald mit schwerer Arbeit und vernach¬
lässigte die vorgeschriebenen Behandlungszeiten. Nun stellten sich
Zeichen einer Herzinsuffizienz ein, Oedeme der Beine (Hydräiriie?
R —2,25. Hgb. 25o/o). Geringer Aszites, Wiedervergrößerung der
Leber. Entsprechende, allerdings nicht stationäre Behandlung ließ die
Erscheinungen fast völlig zurückgehen.
Bei Abschluß der Kur (3,6 Neosalvarsan, 20 ccm Elektroferrol)
war das Aussehen und das Allgemeinbefinden erheblich gebessert.
Kein Ikterus mehr. Milz nicht mehr zu fühlen, die Leber seit der
Herzinsuffizienz wieder um 4 Querfinger vergrößert. Sonst derselbe
Befund wie früher am Herzen und Nervensystem. Wa.R. -f, Gerin¬
nungszeit 17—57", Blutungszeit V 52".
Es ist also ein unzweifelhafter Erfolg erzielt, erhebliche Besse¬
rung der Anämie und Schwinden der hämolytischen Erscheinungen
Der Erfolg scheint unseren Gedankengang zu rechtfertigen.
Nach Naegeli allerdings stellt die erworbene hämolytische
Anämie keine eigentliche Krankheit dar. Nach ihm handelt es sich
dabei „um beliebige Anämien, bei denen der Blutzerfall durch Gelb¬
sucht, Urobilinurie, Leber- und Milzschwellung deutlich hervortritt
Es fehlte in diesen Fällen jeder veränderte Bau der Blutzellen, wie
er bei der echten familiären hereditären hämolytischen Anämie in
der typischen Mikrozytose und in sonstigen Veränderungen der
morphologischen und chemischen Zusammensetzung der R (Rosen¬
thal) zum Ausdruck komme“.
Folgen wir diesem Gedanken, so können wir den Erfolg anders
deuten, nämlich, daß wir durch Bekämpfung der Syphilis die „Blut¬
gifte“ vernichteten und sowohl durch die intravenöse As-Gabe wie
durch das Elektroferrol als „Schwellenreiztherapie“ das Knochen¬
mark zu erhöhter Tätigkeit und zur Ausschüttung widerstandsfähigerer
R reizten.
Anderseits gibt Naegeli zu, daß auch bei der erworbenen hämo¬
lytischen Anämie familiäre und hereditäre Momente wenigstens als
Teilfaktoren mitspielen (also wohl auch möglicherweise-eine besondere
Empfindlichkeit des retikulo-endothelialen Apparates). Es erscheint
dies durchaus glaubhaft, seitdem wir in so vielen Fragen dem
konstitutionellen Gedanken einen weit breiteren Raum in der Patho¬
genese zusprechen. Eine solche Annahme würde auch sehr gut die
außerordentlich verschiedene Widerstandskraft verschiedener Men¬
schen gegenüber Blutgiften verständlicher machen.
Die rigorose Abführbehandlung der Dysenterie,
insbesondere durch medikamentös erzeugten osmotischen
Transsudationsstrom in den Darm.
Von Prof. Theodor Hausmann in Moskau.
Zu der Abteilung meiner Erfahrungen in der Dysenteriebehandhmg
werde ich durch den Umstand veranlaßt, daß in dieser Frage tot
uomia tot vota herrschen. Was die Serumtherapie anlangt, so
ist in einem Punkt wenigstens eine Einigung erzielt, und zwar darin,
daß die Dysenterie ein klinisch, nicht aber ätiologisch
umschriebenes Krankheitsbild ist; sie kann durch die verschie¬
densten bakteriellen Erreger verursacht werden. Daher kann nur ein
spezifisches, auf den im speziellen Fall aufgedeckten Erreger ein¬
gestelltes oder ein polyvalentes Serum wirksam sein. In vielen
Fällen ist aber der Erreger nicht zu eruieren, sodaß eine Serum¬
behandlung illusorisch wird. Einig ist man auch in dem Punkt,
daß trotz der Spezifizität des Serums letzteres in einer nicht ge¬
ringen Zahl von Fällen versagt, ebenso auch das polyvalente Serum.
Hatte doch schon Rosenthal (D. m. W. 1904) 5o/o Sterblichkeit bei
Anwendung seines spezifischen Serums bei Kruse-Dysenterie. Rosen¬
thal war mit diesem Erfolg wohl nur deshalb zufrieden, weil in
den anderen Moskauer Krankenhäusern die Mortalität etwa 10°/o be¬
trug. Seine bessere Mortalitätsstatistik beweist nun aber nicht Wirk¬
samkeit des Serums, da sie die Folge einer besseren pharmako-
therapeutischen Behandlung gewesen sein kann. Die Verschiedenheit
der Resultate der Autoren, die ihre Beobachtungen in den Kriegs¬
jahren in der deutschen Literatur niedergelegt haben, beruht ja
vielleicht auf einer Verschiedenheit der Sera, vielleicht aber mehr
auf einer Verschiedenheit der daneben angewandten therapeutischen
Maßregeln. Wenn wir Friedemann (D. m. W. 1917) Gehör schen¬
ken, so sind ceteris paribus die Heilerfolge oder Mißerfolge die
gleichen, ob wir Serum anwenden oder nicht. Persönlich habe ich
seit 1904 kein Serum mehr angewandt, aus dem einfachen Grunde,
weil die von mir seit dieser Zeit geübte Behandlungsweise der
Dysenterie eine Serumtherapie überflüssig macht.
Auf dem Gebiet der Pharmakotherapie der Bazillenruhr herrscht,
wie auch das Studium der seit 1914 erschienenen deutschen Literatur
und der Meinungsaustausch mit russischen Kollegen zeigt, eine Viel¬
gestaltigkeit der Meinungen, wie sie sonst kaum auf einem anderen
Gebiet der Therapie zu beobachten ist. Es scheint, daß die durch
die Kriegsepidemie gezeitigten Massenbeobachtungen auch dem sonst
klinisch geschulten Arzt nicht die Möglichkeit gaben, klinisch-thera¬
peutische Fragen sicher zu entscheiden; in dieser Beziehung bieten
aufmerksam und detailliert verfolgte Einzelfälle mehr Anhaltspunkte
zur Entscheidung mancher therapeutischer Probleme. Im zivilisierten
Deutschland hatten Kliniker und Aerzte nur ausnahmsweise Gelegen-
Di gitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
12. Mai 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
629
heit, in Friedenszeiten Erfahrungen über Dysenteriebehandlung zu
sammeln.
Meine Dysenterieerfahrungen erstrecken sich nun auf einen Zeit¬
raum von mehr als 25 Jahren. Ich verfüge sowohl über Massen¬
beobachtungen als auch über eine große Zahl von gut verfolgten
Einzelfällen. Die an Einzelfällen gewonnenen Eindrücke und Re¬
sultate konnten am Massenmaterial geprüft werden, und umgekehrt.
Wenn ich nun den Entwicklungsgang, die Evolution meiner thera¬
peutischen Grundsätze bei Dysenterie verfolge, so finde ich für
jede Etappe dieser Evolution eine entsprechende Vertretung in der
seit 1914 erschienenen deutschen Literatur, sowohl für die Anfangs¬
stufe als auch für die Mittelstufen meiner Evolution. Auch die End¬
stufe dieser Evolution finde ich, wenigstens im Prinzipe, in den
Arbeiten einiger weniger Autoren.
Der Beginn meiner ärztlichen Tätigkeit ist durch eine stopfende
Behandlung der Dysenterie mit Opium und Wismut und mit Tan¬
ninklistieren markiert. Der Erfolg befriedigte mich nicht. Todes¬
fälle waren keine Seltenheit. Der Ersatz des Wismuts durch Tann¬
alb in änderte nichts an der Sache. Mehr Befriedigung erhielt ich,
als ich die Tanninklistiere durch Amylumklistiere und besonders
Leinsamenklistiere zu ersetzen begann; doch war der Erfolg
mehr symptomatisch, ein wesentlicher Einfluß auf den Verlauf und
den Ausgang der Erkrankung konnte von mir nicht mit Sicher¬
heit konstatiert werden. Die Kombination der Tinctura opii mit
Tincturabelladonnae brachte dann den Kranken bedeutend mehr
Erleichterung als Opium allein. Doch alles das schien mir bloß
palliativ zu wirken.
Die zweite Hauptetappe in meiner Dysenterieerfahrung ist durch
die Verordnung eines Abführmittels zum Beginn der Be¬
handlung gekennzeichnet, worauf erst die von mir bisher geübte
Behandlungsweise einsetzte, ln der ersten Zeit gab ich Rizinus am
ersten Tag der Behandlung. Da danach die Besserung meist nur
kurzdauernd war, ging ich dazu über, bei Dysenteriekranken am
ersten Behandlungstage Kalomel zu verordnen. Ich gab morgens
früh 2 Pulver Kalomel ä 0,2 in einem Zwischenraum von zwei
Stunden und 2 Stunden nach dem 2. Pulver Rizinus. Der Erfolg
war ausgezeichnet, besonders als ich gleichzeitig eine abso¬
lute Nahrungsabstinenz einführte und den Kranken während
einiger Tage nur Tee mit Zucker zu trinken gab. Wurde diese Be¬
handlung in den ersten Tagen der Erkrankung eingeleitet, so wurde
sie meist prompt kupiert, sodaß ich anfing, auf Klistiere ganz zu
verzichten. Während ich anfangs glaubte, nach dem Kalomeltage wie¬
der Stopfmittel geben zu müssen, habe ich später auf diese voll¬
ständig verzichtet. Wenn aber nach einem Kalomeltage die Dys¬
enterie noch nicht behoben war, so wiederholte ich 1- bis 2mal
die Kalomel-Rizinusbehaudlung mit 1—2 freien Zwischen¬
tagen. Die Kalomelkur galt als gelungen, wenn durch
sie eine ausgiebige Abführwirkung erzielt wurde mit Abgang nicht
nur von Schleimmassen und Blut, sondern auch von reichlichen Kot¬
massen. Gelegentlich kam es mir aber vor, daß solch eine aus¬
giebige Entleerung nicht zu erzielen war, trotz Wiederholung der
Kalomel-Rizinusgaben. In solchen Fällen zog sich die Krankheit sicht¬
lich in die Länge. Dieser Umstand veranlaßte mich, das Rizinus, unter
Beibehaltung des Kalomeis, durch Glaubersalz zu,ersetzen. Ich gab
4 Stunden nach der 2. Kalomelgabe 15,0 Natrium sulfuricum
sic cum in 1 Glas Wasser. Schon der erste Versuch gab ein ge¬
radezu verblüffendes Resultat. Die kolossale wäßrige Entleerung
schaffte verflüssigten Kot und viel Schleim- und Gewebsfetzen heraus.
Die Entleerung war so ausgiebig und voll, wie ich sie vorher nie
gesehen hatte. Die Dysenterie wurde danach geradezu kupiert.
Seitdem wende ich bei jedem Dysenteriefall Glaubersalz in ge¬
häuften Mengen an. In letzter Zeit habe ich gelegentlich Glaubersalz
allein ohne vorhergehende Kalomelgaben verordnet mit gutem Er¬
folg. In frischen Fällen genügt meist eine einmalige Kalomel-Glauber-
salzverordnung und schafft ohne jede andere Verordnung Heilung. In
älteren Fällen muß das Glaubersalz in gleichen Gaben 1- bis 3mal
wiederholt werden unter Zwischenschaltung von freien Tagen.
Auch bei dieser Medikation halte ich das Einhalten von absoluter
Nahrungsabstinenz während einiger Tage unter Verabfolgung
von Tee mit Zucker und vielleicht Bouillon für durchaus notwendig.
Um so schneller können wir dann zu einer kräftigenden Ernährung
übergehen. Auffallend ist, daß die Tenesmen schon vor der
Ausleerung nach Glaubersalz nachlassen und nach der
Entleerung fortbleiben. Selbst dann, wenn in veralteten Fällen,
nach einer Glaubersalzentleerung dysenterische Schleimstühle noch fort-
bestehen, werden die Kranken meist nicht mehr von Tenesmen geplagt,
wodurch sich die Glaubersalzabführung vorteilhaft vor der Kalomel-
und Rizinusabführung unterscheidet. Wenn nach letzteren Mitteln
die dysenterischen Schleimstühle fortbestehen, so bestehen auch die
Tenesmen weiter.
Die Glaubersalzbehandlung wird auch sonst von einigen Autoren
empfohlen, jedoch unter Einhaltung einer anderen Technik; es wird
das Salz zu 3—4 g genau mehrere Male täglich durch einige Tage
hindurch verordnet. Bei dieser Verordnungsweise ist die Wirkung
eine ganz andere. Zwar erreichen wir dabei meist eine mehr oder
weniger gute Abführwirkung, doch nie erzielen wir eine so voll¬
kommene Entleerung und Reinigung des Dickdarmes, wie bei ein¬
maliger großer Dosis. Aber auch wenn das Salz refracta dosi ge¬
geben wird, zeigt sich eine günstige Einwirkung auf die Tenesmen
und den Stuhlgang. Diese werden seltener und schwächer. Bei
dieser Gelegenheit möchte ich auf eine nicht selten von mir beob¬
achtete Erscheinung bei enteritischen (nicht dysenterischen) Durch¬
fällen aufmerksam machen, wenn Glaubersalz in kleineren Dosen ge¬
geben wird: die Zahl der Entleerungen wird dabei nicht häufiger,
sondern seltener.
Wie dem auch sei, ich nehme mir das Recht, zu behaupten, daß
die einzige rationelle Behandlung der Dysenterie in
einer rigorosen, furchtlosen Abführung besteht. Ich
stütze mich auf eine große Zahl von Einzelbeobachtungen, die mir
diese Wirkung unmittelbar vor Augen führten. Auch meine Mortali¬
tätsstatistik gibt mir das Recht zu einer solchen These.
Bis zum Jahre 1904, wo ich mit Stopfmitteln, Adstringentien
und Klismen die Dysenterie bekämpfte, eventuell unter Verordnung
einer einmaligen Rizinusgabe zu Beginn der Behandlung, habe ich
eine ganz erkleckliche Zahl von Todesfällen erlebt. Auch bei
günstigem Ausgang währte das Leiden oft mehrere Wochen, um
nicht selten in ein chronisches Stadium überzugehen. Seit 1904, wo
ich zur Kalomel-Rizinus- bzw. Glaubersalztherapie
unter Nahrungsabstinenz überging, habe ich unter vielen
hunderten Fällen von typischer Dysenterie, die zu Beginn des Leidens
in meine Hände kamen, nicht einen einzigen Todesfall
gehabt. Die 3 Todesfälle, die ich seit 1904 erlebt habe, beziehen sich
auf Fälle, die ich nach längerer Krankheitsdauer in desperatem Zu¬
stande in die Hände bekam. Alle drei waren mit Stopfmitteln, Ad¬
stringentien und Klistieren vorbehandelt worden. Es gelang nicht,
diese Kranken zu retten, trotz zeitweiliger Besserung, die durch die
Abführung erzielt wurde. Die Todesfälle sind nicht aufs Konto der
Abführbehandlung zu setzen, sondern sie sind der Vorbehandlung zu¬
zuschreiben, welche durch Stopfmittel den toxischen und gewebs-
schädigenden Darminhalt durch Wochen hindurch dem Kranken er¬
halten hat, anstatt ihn hinauszuschaffen. »
Wenn wir von dem katarrhalisch-enteritischen Stadium absehen,
welches durch echte Diarrhöen charakterisiert ist, ist die typische, voll¬
entwickelte Dysenterie funktionell als Obstipation auf zu fassen, wie
aus Folgendem klar hervorgeht.
1. Es enthalten die schleimigen Entleerungen keine Kotteile,
daher sind sie geruchlos.
2. Bei der Palpation des Dickdarms, die nach den Prinzipien
der von mir geübten und in meinem Buche „Die methodische
Gastrointestinalpalpation, 2, Aufl. 1918, S. Karger“ beschrie¬
benen Methode der topographischen Gleit- und Tiefen¬
palpation ausgeführt werden muß, vermissen wir die Zeichen
einer Diarrhoe, d. h. die Palpation deckt keinen flüssigen Dickdarm¬
inhalt auf. Es läßt sich weder Plätschern, noch Quatschem, noch
großblasiges Gurren erzeugen. Die einzelnen Abschnitte des Dick¬
darms, der Flexura sigmoidea, des Colon transversum, erscheinen
gut kontrahiert und lassen teilweise, so besonders an der Flexura
sigmoidea, an der derben, wurstförmigen Gestalt erkennen, daß sie
feste Kotmassen beherbergen. Das Zökum ist im Anfangsstadium der
Dysenterie noch von flüssigem Inhalt erfüllt und weist dann akustische
Phänomene bei der Palpation auf; später aber läßt auch das Zökum
akustische Phänomene vermissen und erscheint stark kontrahiert. Ge¬
legentlich ist die Flexur frei von Kotmassen, leer, als kleinfinger¬
dicker Strang palpierbar, oft auch das Transversum.
3. Bei der Röntgenuntersuchung sieht man, daß der Wis¬
mutbrei den Dünndarm äußerst langsam passiert. Besonders lange
hält sich der Kontrastschatten vor dem Eintritt ins Zökum auf, ein
Zeichen, daß der Ileozökalsphinkter spastisch kontrahiert sein muß..
Wird dann das Zökum langsam gefüllt, so erscheint es von geringem
Durchmesser, also ebenfalls tonisch kontrahiert. 24 Stunden nach
Einnahme des Wismutbreies hat dieser den proximalen Abschnitt
des Dickdarms noch nicht verlassen. Weiter die Beobachtung am
Röntgenschirm zu führen, habe ich für unangebracht gehalten,
aus Gründen der therapeutisch notwendigen Maßnahmen, d. h. Ab¬
führung, um so mehr, als die gewonnenen Resultate hinlänglich be¬
weisen, daß bei der Dysenterie die Passage durch den Darm erheblich
verlangsamt ist.
Daraus ergibt sich, daß die Verordnung von Opium und
anderen Stopfmitteln bei Dysenterie direkt kontra-
indiziert ist, um so mehr, als Opium, Morphium und Kodein
(Pal, Poppert u. a.) die zirkuläre Darmmuskulatur zur Kontraktion
bringen und den bei Dysenterie ohnehin vorhandene Darmspasmus nur
verstärken. Da Opium den Defäkationsreflex hemmt (de Quervain,
Magnus), so kann das Opium nur symptomatisch wirken, indem es
zeitweilig die schmerzhaften Tenesmen mildert.
Die Dysenterie muß also mit Abführmitteln behan¬
delt werden 1 ). Nun hat mir aber die Erfahrung gezeigt, daß es
durchaus nicht gleichgültig ist, welch ein Abführmittel wir wählen.
Die experimentelle Pharmakologie zeigt uns denn auch,
daß die pharmakodynamische Wirkung der einzelnen Abführmittel
durchaus verschieden ist-
Das Ol. ricini, oder vielmehr die aus ihr durch Lipase¬
wirkung abgespaltene Rizinolsäure, erregt die Dünndarmperistaltik.
Der flüssige Dünndarminhalt entgeht der Resorption und über-
s ) Autoren alter Schule, so Heubner in ZiemBens Handbuch, heben mit Nach¬
druck die Abfuhrbehandlung der Dysenterie hervor. Auch StrUmpell spricht schon
in den achtziger Jahren in seinem Lehrbuch von der Behandlung der Dysenterie mit
Rizinus wie von etwas Alleemeinbekanntem. Diese Methode scheint aber, der neueren
und neusten Literatur nach zu urteilen, meistens verkannt oder vergessen worden zu
sein und mUBte sozusagen neu entdeckt, ihr Nutzen von neuem bewiesen werden.
Die guten alten Mittel werden hoffentlich Uber die modernen Produkte der Arznei¬
mittelindustrie verdienterweise einen Sieg davontragen.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
030
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
Nr. 19
schwemmt das Zökum und den Dickdarm, wobei die Antiperistaltik
im proximalen Kolon aufgehoben wird. Der flüssige Dickdarminhalt
gelangt nun schnell in den distalen Dickdarm und das Rektum, von
wo aus der Defäkationsreflex ausgelöst wird (Magnus).
Senna, Rheum, Cascara und andere Kathartinsäurederivate
enthaltende Drogen lösen einen Defäkationsreflex vom Zökum aus
unter Aufhebung der Antiperistaltik (Magnus, Stierlin). Dem
Rizinusöl wie der Sennagruppe ist das gemeinsam, daß der ein¬
gedickte Kot nicht verflüssigt wird, sondern er wird zusammen mit
dem flüssigen Kot ausgestoßen. Die Entleerung des Kolons ist nur
unvollkommen.
Die Mittelsalze (Natrium sulfuricum, Magesium sul-
furicum) regen nach den Untersuchungen von Best die Peristaltik
nicht nur des Dünndarms, sondern auch des Dickdarms an. Außer¬
dem erfolgt eine Flüssigkeitsausscheidung in das Darmlumen, und
zwar eine osmotische Transsudation einer eiweißarmen Flüssigkeit
(Ury). Da die Antiperistaltik nicht aufgehoben ist, wird das Salz
längere Zeit im proximalen Kolon aufgehalten, wodurch die Trans¬
sudation längere Zeit unterhalten wird. Der Dickdarminhalt wird
vollständig verflüssigt, der Dickdarm, wie auf dem Röntgenschirm zu
sehen ist, vollständig entleert (Padtberg).
Weniger erforscht ist die Wirkung des Kalomeis. Nach Bab-
kin reizt das Kalomel den Dünndarm zu stärkerer Sekretion an.
Nach Flexeder wird die Peristaltik angeregt und dabei die Re¬
sorption im Dünndarm gestört. Die Praxis lehrt, daß feste Kot¬
massen nicht verflüssigt werden. Beiläufig mache ich auf die kalk¬
fällende und dadurch erregungssteigernde Wirkung des Kalomels auf¬
merksam. Von allen erwähnten Abführmitteln haben Mittelsalze
die vollständigste entleerende Wirkung. Diese ist
mit einer Dauersptilung des Dickdarms zu vergleichen. Die Beob¬
achtungen bei der Dysenteriebehandlung entsprechen vollkommen den
Resultaten der experimentellen Pharmakologie. Bei der durch große
Glaubersalzdosen hervorgebrachten Dauerspülung wird der erkrankte
Dickdarm von Schleim, Eiter, Blut, Bakterien und Kot gut gereinigt,
wie eine eiternde Wunde der Extremitäten bei einem Dauerbad.
Daneben läßt sich eine sehr erwünschte, bisher noch nicht ver¬
merkte Nebenwirkung erkennen: gleichzeitig mit der Verflüssigung
des Darminhaltes, erkennbar an dem palpatorisch festzustellenden
Plätschern und Quatschern im Dickdarm, kommen wir durch Palpa¬
tion konstatieren, daß der vorher stark kontrahierte Dickdarm weit
und schlaff wird, der Tonus und die spastische Kontraktion lassen
sichtlich nach. Dadurch erklärt sich das Nachlassen der T e -
nesmen schon vor der Entleerung und das Aufhören der¬
selben nach der Entleerung. Die Kranken merken eine auffallende
Erleichterung schon bald nach der Einnahme des Glaubersalzes.
Manche geben an, es wäre ihnen, als würde ein die Därme zu-
schnürender Strang gelöst werden. Das Nachlassen der Spasmen
hat eine günstige Wirkung auf den Heilprozeß, denn der Darm¬
krampf, welcher durch den Entzündungsprozeß hervorgerufen wird,
unterhält und steigert den entzündlichen Zustand der Darmwand.
Wenn wir einen frischen Fall vor uns haben, so genügt oft eine
einzige große Glaubersalzgabe, um die Dysenterie zu kupieren, in
anderen, besonders älteren Fällen muß diese Medikation 2- bis
3 mal wiederholt werden. So kommen wir ganz ohne andere Medi¬
kamente und ganz ohne Klistiere aus. ln kurzer Zeit wird der
Stuhl fest, in schweren Fällen, die schon eine längere Krankheits-
* dauer hinter sich haben, in etwa 1 Woche, sonst aber nicht
selten schon in 3—4 Tagen. Kam der Kranke nach längerer Krank¬
heitsdauer in Behandlung und war der Prozeß ein schwerer, so
können neben dem festen Stuhl noch Schleimklumpen entleert werden.
Es ist in solchen Fällen angebracht, in längeren Zwischenräumen durch
große Glaubersalzdosen den Dickdarm auszuspülen. Daneben be¬
währen sich heiße Klistiere von 37°—38° R. V*— : V^/oiger Kali-
hypermanganicumlösung.
Ein Chronisch werden der Dysenterie wird bei der beschrie¬
benen Behandlungsart kaum jemals beobachtet.
Da eine starke Transsudation nur dann stattfinden kann, wenn
der Wassergehalt des Köipers und der Gewebe genügend ist
(Meyer-Gottlieb, Experimentelle Pharmakologie), und ganz aus-
bleiben kann, wenn dem Körper mehrere Tage keine Flüssigkeit zu¬
geführt worden ist, so muß die Regel gelten, den Kranken von dem
Moment an, wo man ihn in Behandlung bekommt, viel trinken zu
lassen. Bei augenscheinlicher Wasserarmut des Körpers, wie sie nach
längerem Krankenlager gelegentlich beobachtet wird, ist es ratsam,
vor und einige Zeit nach der Glaubersalzgabe Infusionen von physio¬
logischen Lösungen zu machen (Locke-Lösung). Letzteres ist auch
bei starker Herzlabilität angebracht, um es zu verhüten, daß die
Wasserentziehung die Gefänfüllung so weit herabsetzt, daß das
Pumpwerk des Herzens versagt.
Eine Kontrolle mittels des Rektoskops ist nicht vonnöten.
Doch ist es interessant, den Heilungsvorgang rektoskopisch zu ver¬
folgen. Während vor der ersten Glaubersalzgabe meistens das Ein¬
führen des Rektoskopes wegen des Sphinkterspasmus nur ausnahms¬
weise gelingt, ist dieses nach der Glaubersalzwirkung leicht möglich.
Das Rektoskop zeigt uns die vorsichgehende Reinigung der Dick¬
darmschleimhaut und bei wiederholter Rektoskopie den schnellen
Fortschritt derselben. Keine einzige andere Behandlungsmethode zei-
bgt solche Erfölge. Die Mittefsalze wirken geradezu spe-
n * c ^ lt nur durch physikalische Reinigung des
LMcküarms; der osmotische starke Strom ruft zweifel¬
los eine gewaltige heilbringende Umstimmung der
DarmwandT hervor. Der osmotische Transsudations¬
strom muß verständlicherweise die mechanische Los¬
lösung nekrotisierter oberflächlicher Schleimhaut-
schichten, welche massenhaft Bakterien enthalten,
bewirken. Mit dem Strom werden auch Toxine und
schädliche Stoffwechselprodukte ausgeschieden.
Schließlich ist der Umstand von Bedeutung, daß nach
den Untersuchungen von Holzinger (Berl. klin. Wschr.
1909, 3 und Protokolle des I. Baltischen Aerztekongres-
ses in Dorpat 1910) der osmotische Strom die Entwick¬
lung und Lebenstätigkeit der Bakterien hemmt, so-
daß die in den tieferen Schichten der Schleimhaut und
Submukosa befindlichen Bakterien (s. Zieglers Spez.
Pathologische Anatomie) durch den Strom nicht nur
ausgeschwemmt werden können, sondern auch bedeu¬
tend geschädigt werden. In einem von mir angesteli-
ten Versuch gelang es nicht, eine Katze mit der nach
Glaubersalz erfolgten Entleerung eines Dysenterikers
zu infizieren.
Hervorzuheben ist, daß nichtfiebernde Dysenteriker — zu
denen nicht selten gerade die schwereren Fälle gehören — nach einer
energischen Abführung mit kurzdauerndem Fieber reagieren. Das
ist ein Zeichen, daß die Abführung in innere Lebensvorgänge eingreift.
Nach allem ist die Verordnung des einen oder des anderen Ab¬
führmittels nicht nur Geschmackssache; sie wird durch die phar*
makodynamische Bedeutung der einzelnen Mittel vorgezeichnet. Die
Verordnung des Glaubersalzes bei Dysenterie ist also nicht nur em¬
pirisch erprobt, sondern auch durch pharmakologische Tatsachen
wohlbegründet.
Die Mittelsalzbehandlung der Dysenterie zeigt nun, daß bei
rechtzeitiger Anwendung ein Chronischwerden der Dysenterie
nicht vorkommt. Auch in anderer Beziehung macht sich ihr Einfluß
auf das Nachstadium bemerkbar. Bei der Dysenterie finden wir
meist eine Anazidität und oft eine vollständige Achylie, welche
jioch lange Zeit nach Heilung der Dysenterie fortbesteht. Die Mittel¬
salze rufen nun eine starke Transsudation auch in dem Magen her¬
vor. Dadurch ist es zu erklären, daß nach Mittelsalzbehandlung die
Sekretionsverhältnisse relativ schnell wieder zur Norm zurückkenren,
denn der osmotische Strom ruft auch in der Magenschleimhaut
eine Umstimmung hervor.
Somit ist die energische Abführbehandlung, speziell
die mit Mittelsalzen, wie Glaubersalz, die Methode
der Wahl bei Dysenterie. Auf sie zu verzichten, weil sie
den Kranken schwächen könne oder eine schon bestehende Schwäche
vergrößere (Salomon, W. kl. W. 1915), ist nicht richtig in
Anbetracht der großen Vorteile, die diese Therapie mit sich
bringt. Etwaigen Schädigungen kann durch Infusionen vorge¬
beugt werden (s. oben), eventuell mit Adrenalinzusatz.
Wird einmal mit Glaubersalz keine ausgiebige Entleerung erzielt,
so kombinieren wir es mit protrahierten Rizinusgaben (2mal täg¬
lich 1 Eßlöffel).
Von anderen sonst empfohlenen Mitteln — Wismut, Tann¬
abin, Bolus, Kohle usw. — hat keines mich befriedigt Doch eine Aus¬
nahme möchte ich machen, und zwar mit dem Atropin. Mit Umber,
Schwartze (beide Arbeiten s. D. m. W. 1917) halte ich das Atropin
für ein ganz vorzüglich auf die Schmerzen und Tenesmen einwirken-
des Mittel, da es die Spasmen behebt.
Mit dem Morphium, Opium, Pantopon oder ähnlichen
Präparaten (mit Ausnahme des Papaverins, welches ähnlich, aber
schwächer wirkt als Atropin) erreichen wir diesen Zweck nidit.
Zwar wird die Schmerzempfindung gemildert, doch wegen der kon¬
traktionsvermehrenden Wirkung der Opiumpräparate (Pal, Pop-
pert, Magnus) werden die Spasmen nicht gelöst.
Das Atropin unterstützt in nicht zu verkennender Weise den
Heilprozeß, sofern die Spasmen diesen hinderlich sind. Doch
muß ich sagen, daß wir bei der Glaubersalzbehandlung sehr wohl
ohne Atropin auskommen können, da die osmotische Transsudation
mit einem Tonusabfall der Darmwand einhergeht, welcher der Atropin¬
wirkung ziemlich gleichwertig ist.
Tatsächlich habe ich das Atropin neben dem Glaubersalz nur
selten anzuwenden brauchen. Seit vielen Jahren verordne ich aber
statt Opium die Tinctura belladonnae zu 10—20 gutt. mit zufrieden¬
stellendem Erfolg.
Von mancher Seite wird Adrenalin bei Dysenterie eöipfohlen.
Selbst habe ich darüber keine Erfahrung. Doch kann ich es mir
sehr wohl denken, daß das Mittel bei dem durch den Infektions¬
prozeß erschöpften Adrenalsystem substituierend wirkt und be¬
sonders dort angezeigt ist, wo der Zirkulationstonus gefallen ist.
Als splanchnikusreizendes Mittel muß es den krankhaft erregten
Tonus des Darmes mindern und daher antispasmodisch wirken.
Was die Diät anbetrifft, so habe ich mich an das Prinzip ge¬
halten, daß, je rigoroser innerhalb kurzer Zeit die Nahrungsentziehung
ist unter Zuführung von Flüssigkeiten (Tee mit Zucker), desto
schneller ein Zustand eintritt, der eine kalorienreichere Ernährung ge¬
stattet. Der Krankheitsverlauf wird dadurch wesentlich abgekürzt. Die
Gesichtspunkte, die beim Typhus uns veranlassen, den Kranken von
Beginn an gut zu ernähren, sind bei der Dysenterie nicht ma߬
gebend, denn beim Typhus hat das Hungern keinen Einfluß auf die
Digitized b'
Google
Original from
CORNELL UNiVERSSTV
12. Mai 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
631
Erkrankung des Darmes, wohl aber bei der Dysenterie, die vor
allem eine ideale Entleerung und Reinigung des Darmkanals er¬
fordert. Deshalb verzichte ich auf ein paar Hungertage auch in
allen in der Ernährung bereits herabgekommenen Fällen nicht. Wenn
dann später Inanitionsödeme eintreten, so sage ich mir erstens, daß
diese auch dann eingetreten wären, wenn ich die Hungertage
nicht eingeschoben hätte, da dann die Krankheit eben länger ge¬
währt hätte. Zweitens sage ich mir, daß ich die Inanitionsödeme
bald durch geeignete kalorien- und vitaminreiche Ernäh¬
rung fortschaffen kann, wenn erst die Verdauungsorgane eine
reichliche Ernährung gestatten. Das Hauptziel ist das, daß wir so
oder anders den Krankheitsprozeß am Darm beheben. Was hilft auch
eine allzufrüh begonnene kräftige Ernährung, wenn die Nährstoffe in¬
folge der meist vorhandenen vollkommenen Achylie und Apepsie der
Verdauungssäfte 1 ) nicht verdaut werden, sondern der Oärung und
Fäulnis anheimfallen und dadurch bloß heue Schädigungen des Ver¬
dauungskanals veranlassen.
Aus diesem Grunde wird ja erfahrungsmäßig selbst die Milch von
Dysenterikern so schlecht vertragen, denn das Kasein gerinnt nicht im
Magen und verfällt abnormen Spaltungsvorgängen. Der Milchzucker,
welcher überhaupt von Erwachsenen schwer invertiert wird, vergärt.
Ganz schlecht werden auch Eier vertragen, indem das Eigelb viele
Fäulnisprodukte liefert. Daß seit altersher Dysenterikern mit Vor¬
liebe aufgeschlossene Kohlenhydrate gegeben werden, hat seinen trif¬
tigen Grund, denn sie unterliegen am wenigsten der Gärung. Doch
das nur beiläufig, da es nicht meine Aufgabe war, das diätetische
Regime bei Dysenterie darzustellen.
Jetzt noch einige Worte zur Frage der Klismenbehandlung
der Dysenterie. Es gab eine Zeit, wo ich glaubte, das Heil läge in
der topischen Beeinflussung des Dickdarms durch medikamentöse
Klismen. Doch als ich mit Hilfe meiner Gleit- und Tiefenpalpation
systematisch den Dickdarm auch bei Dysenterikern zu untersuchen
begann, wurde es mir offenbar, daß in der Regel die Flüssigkeit
nicht in den Dickdarm gelangt, wie es sonst der Fall ist. In der
Flexur wie auch in den höheren Dickdarmabschnitten tritt nach dem
Klisma bei Dysenterikern kein Quatschem oder Plätschern auf — ein
Zeichen, daß die Flüssigkeit vor dem kontrahierten Sphincter recto-
romanus haltmacht und in der Ampulle verbleibt. Die Sachlage
ändert sich aber, wenn wir vorher Atropin einspritzen, oder wenn
wir eine Abführung durch Glaubersalz bewirkt haben. In beiden
Fällen ist der Sphinkter so weit erschlafft, daß die Klismenflüssig-
keit nunmehr auch in den Dickdarm gelangen kann, was palpatorisch
unschwer erkannt werden kann. Die gleiche Beobachtung können
wir auch auf dem Röntgenschirm machen. Kontrastflüssigkeit ge¬
langt gar nicht oder zu einem nur sehr geringen Teil in die Flexur.
Nach Atropin, besonders aber nach Glaubersalzabführung füllt sie
den Dickdarm. Ist der Sphinkterspasmus gelöst, so wende ich mit Vor¬
teil heiße (37—38° R) Amylumklismen mit Zusatz von 20 gutt. Jod¬
tinktur an. Tanninklistiere wende ich längst nicht mehr an.
Ergebnisse. 1 . Die einzig rationelle Behandlunsmethode der Dys¬
enterie ist die rigoros und systematisch abführende.
2. Die vollständigste Entleerung des Dickdarms wird durch ge¬
häufte Glaubersalzdosen (15,0—20,0 Natrii sulfurici sied) erzielt, die
1-, 2- bis 3 mal zu verabfolgen sind. Es wird eine gewaltige Trans¬
sudation in den Dickdarm und dadurch eine Dauerspülung desselben
erzielt, wobei der Spasmus der Darmmuskulatur aufgehoben wird.
Der ersten Glaubersalzgabe soll man eine kräftige Kalomelgabe
vorausschicken.
3. Stopfmittel sind kontraindiziert, da es bei der typischen Dys¬
enterie sich um eine Obstipation handelt. Besonders ist Opium zu
vermeiden.
4. Adstringenden sind überflüssig und helfen nichts.
5. Adsorbentien (Bolus, Tierkohle) sind in ihrer Wirkung un¬
sicher. Sie sind auch bei der energischen Abführbehandlung mit
Glaubersalz überflüssig.
6. Atropin ist ein vorzügliches symptomatisches Mittel bei Dys¬
enterie.
7. Der Krankheitsverlauf wird durch Einschaltung einiger Hunger¬
tage abgekürzt.
8. Medikamentöse Klismen sind im akuten Stadium zwecklos.
9. Wenn bei einer Behandlung der Dysenterie mit Stopfmitteln,
Adstringenden und Klismen in vielen Fällen die Krankheit schlie߬
lich glücklich überstanden wird, so beweist das nur, daß die Fähig¬
keit des Körpers zur Selbsthilfe groß ist.
10. Von der Serumtherapie dürfen wir bei der Abführbehandlung
absehen. Die Erfolge der ersteren sind unsicherer als die der
letzteren.
11. An Dysenterie darf ein Kranker, der nicht gerade zu spät in
Behandlung kommt, nicht sterben.
>)Uffelmann hat schon 1874 (Arch. f. klln. AU beobachtet, daß bei einer mit
einer Galleiiftste! behafteten Kranken wahrend einer Interkurrenten Dysenterie der
GaQenansfluß sistierte.
Entwicklungsmechanik und praktische Medizin.
Von Dr. Georg Ettisch in Berlin-Dahlem,
(früher Ober-Assistent am Anatomischen Institut in Halle).
I.
Seit etwa 40 Jahren ist das große Gebiet der biologischen Natur¬
wissenschaften um eine Disziplin erweitert, die für Theorie wie
Praxis, sodann aber auch in wissenschaftshistorischer Beziehung von
höchster Bedeutung ist, ohne daß ihr indessen bisher in Deutsch¬
land eine dieser Bedeutung entsprechende Verbreitung und An¬
erkennung beschieden war. Trotz dieser ihrer verhältnismäßigen
lugend verfügt aber die „Entwicklungsmechanik“ oder „Kausale
Morphologie“ bereits über einen Schatz von Ergebnissen, der ger
rade für den Arzt eine Fundgrube der wichtigsten Anregungen und
Hinweise darstellt. Dennoch ist sie in ihrem Wesen und ihren Er¬
gebnissen den meisten Praktikern oft kaum dem Namen nach be¬
kannt, und selbst unter den Theoretikern finden sich nicht wenige,
die mit ihrem Namen einen völlig unzureichenden Begriff verbinden.
Dieser Aufsatz setzt es sich zum Ziele, zur Kenntnis ihres Wesens
beizutragen. Es kann sich auf Wunsch des Herausgebers dieser
Wochenschrift hier allein darum handeln, dem biologisch interessierten
Arzt, der sich in Ausübung seines Berufes allmählich von der Theorie
entfernt hat, einen Begriff zu geben von der Art der entwicklungs¬
mechanischen Wissenschaft (Em.). Ihre Methoden sowie ihre wesent¬
lichsten Lehren werden kurz darzulegen und an charakteristischen
Beispielen zu erörtern sein. Aber auch dabei kann es sich allein um
eine Auswahl handeln, da ein Eingehen auf alle Zweige dieser
Wissenschaft ebenfalls den Rahmen dieses Aufsatzes überschreiten
würde.
Die „Kausale Morphologie“ wurde ins Leben gerufen von einem
Manne, der von Beginn seiner überaus reichen und bedeutungsvollen
wissenschaftlichen Tätigkeit an ein Führer zu neuen Zielen war.
Wilhelm Roux ist ihr Begründer. In seiner Habilitationsschrift:
„Ueber die Bedeutung der Deszendenzlehre“ 1880 finden sich be¬
reits die ersten Grundgedanken, die zu einer neuen Wissenschaft
führen sollten. Einen weiteren Baustein dazu trug er in seinem
berühmten „Kampf der Teile im Organismus“ herbei. Im Jahre 1886
tauchte das erstemal der Name „Entwicklungsmechanik“ oder „Kau¬
sale Morphologie“ auf. Roux arbeitete seiner Wissenschaft auch
die Methoden aus, bestimmte ihre wesentlichsten Begriffe und
schenkte ihr dazu auch noch die ersten fundamentalen, positiven Er¬
gebnisse. Er begründete fernerhin eine besondere Zeitschrift für
sein Forschungsgebiet, das Arch. f. Entw. Mech., das er heute noch
selbst herausgibt. Neben dieser Zeitschrift, die der speziellen Einzel¬
forschung dient, erscheinen seine „Aufsätze und Vorträge“, in denen
Zusammenfassungen und wichtige neue theoretische Abhandlungen
zur Veröffentlichung gelangen.
Der Gegenstand der Em. ist die Form des Organismus oder
seiner Teile bei Tier und Pflanze. In der Anatomie — der makro¬
skopischen wie auch mikroskopischen — besitzen wir indes schon
eine zum Teil jahrtausendealte Morphologie. Von dieser altehr¬
würdigen Wissenschaft unterscheidet sich unsere junge prinzipiell
durch ihre Ziele sowie ihre Methode. Dabei verdrängt sie jene
alte Morphologie keineswegs, macht sie durchaus nicht überflüssig.
Vielmehr bilden gerade deren riesiges gesichertes — soweit man
bei einer Naturwissenschaft davon sprechen kann — Tatsachen¬
material und deren noch heute und späterhin zutage zu fördernde
Ergebnisse erst die Grundlage, die Anregung und Leitung für die
kausale Problemstellung. Aber nicht nur dieses, die bisherige Morpho¬
logie ist auch ständig der Prüfstein für die Theorien, Arbeits¬
hypothesen und auch Ergebnisse der neuen. So darf der Em. keines¬
wegs den Anatomen alter Observanz mit seinen Arbeiten übersehen,
will er nicht in der Folge schwer dadurch gestraft werden. Es
besteht also notwendigerweise ein inniges Wechsel Verhältnis zwischen
beiden Disziplinen. Beide arbeiten an demselben Gegenstände, nur
ist ihr Standpunkt verschieden und, wie schon erwähnt, ihre Methode.
Die bisherige Morphologie, die auch die deskriptive genannt
wird, befaßt sich mit der elementaren Analyse des Organismus und
seiner Teile. Durch mehr oder weniger komplizierte Techniken,
die aber doch alle den Grundcharakter des Zergliederns bewahren,
sucht sie die Bauelemente der Organe, Gewebe und Zellen zu er¬
fassen. Auf dem Wege der Beschreibung und Klassifikation wird
das Gefundene dann dargestellt. Solange keine anderen physikalischen
Hilfsmittel vorhanden waren, geschah dies durch einfache makro¬
skopische Zergliederung, mit der Erfindung des Mikroskops, der Ent¬
deckung neuer physikalischer Erscheinungen (Polarisation, Doppel¬
brechung) und dem Ausbau der chemischen Wissenschaft hat auch
die Morphologie ihre Hilfsmittel zu jenem obigen Zwecke erweitert
und ihren Schatz der Ergebnisse damit um vieles Wertvblle ver¬
mehrt. Stets aber liegen die Elemente noch innerhalb des mit be¬
waffnetem oder unbewaffnetem Auge Wahrnehmbaren. Dennoch
würde man der deskriptiven M. nicht völlig gerecht, wollte man
ihr Wesen allein mit lener einfachen Zergliederung und Beschrei¬
bung charkterisieren. Der Anatom begnügte sich z. B. keineswegs
mit der Beschreibung der Gelenkformen, vielmehr erforschte er in
umfangreichem Maße die Bewegungen, die in diesen Gelenken mög¬
lich waren, und erforschte weiter die Gelenkbewegungen mit Rück¬
sicht auf die die Bewegung veranlassenden Muskeln. Der Anatom
begnügte sich fernerhin nicht mit der Feststellung der bez. Knochen¬
formen und -dimensionen, sondern ermittelte auch die Ursache ihres
□ igitized by Gougle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
632
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 19
Wachstums. Der Histologe beschrieb nicht nur die in den Samen¬
kanälchen des Hodens an den verschiedensten Stellen sich gerade
vorfindenden Elemente, vielmehr brachte er einen Zusammenhang
in die vielen verschiedenen Erscheinungsformen der Zellen an diesem
Orte und stellte somit den Vorgang der Spermatogenese fest. Er
beschrieb fernerhin nicht nur die vielartigen Zellen, die an den
drüsenartigen Organen sich finden, vielmehr erforschte er auch alle
diejenigen Vorgänge und Zusammenhänge im Innern der Zelle,
die zur Sekretbildung und Sekretausstoßung führen. Der Embryologe
beschrieb nicht nur seine gerade gefundenen Resultate, sondern er
suchte durch lückenlose Reihenuntersuchung über den historischen
Verlauf der Organbildung usw. usw. sich Aufklärung zu verschaffen.
So sehen wir auch in der sog. deskriptiven Morphologie neben der
Zergliederung bei den meisten Forschern auch das Bestreben nach
Synthese, den Zusammenhang unter den Elementen bei Berücksich¬
tigung der Physiologie, der Funktion des gerade zu Erforschenden,
aufzufinden, sehen neben der bloßen Beschreibung des bei der
elementaren Analyse Gefundenen auch schon die Bemühung, Zu¬
sammenhänge und Verläufe historischer Art darzustellen und
so zu einer Art von Erklärung zu gelangen.
Die Entwicklungsmechanik dagegen stellt sich eine ganz andere
Aufgabe. Sie fragt nicht nach dem „Wie“ der Form, des Baues,
sondern prinzipiell nach dem „Warum“, sucht also die Ursachen
festzustellen, die zu der bestimmten Form geführt haben. Daher
der Beiname „kausale Morphologie“. Ihr liegt das geistige
Bedürfnis zugrunde, eine Erscheinung in den Zusammenhang von
Ursache und Folge zu bringen; denn erst dann ist sie uns voll¬
kommen verständlich. Die Kenntnis ihrer kleinsten (deskriptiv er¬
mittelten) Einzelheiten ist dabei natürlich ebenfalls notwendig, reicht
aber zu einer vollkommenen kausalen Erkenntnis nicht hin, auch
genügt dazu nicht das Wissen um das rein historische Werden
jener in Betracht kommenden Erscheinung. So genügt die sog.
deskriptive Morphologie wohl unserem Verlangen nach Kenntnis
der Erscheinungen des Baues von Organismus oder seiner Teile.
Die Em. dagegen, indem sie auf jener Kenntnis fußt, vermag uns
Erkenntnis über jenen Gegenstand zu bringen. Was anderes aber
heißt Erkenntnis schaffen über Erscheinungen, als sie einordnen in
den ursächlichen Zusammenhang alles Geschehens, als: ihre be¬
dingenden Ursachen aufdecken? Ein Beispiel hierzu. Die Embryologie
gab uns in C. Rabls Werk eine mustergültige Darstellung von
„Bau und Entwicklung der Linse“. Dabei aber blieb die Frage un¬
beantwortet, was die Ursache der Bildung dieses Derivats des
äußeren Keimblattes sei, wovon ihr Entstehen, ihre Größe usw.
eigentlich abhängt. In einer Reihe von Arbeiten ermittelten ent¬
wicklungsmechanische Forscher, daß in jenem Teil der embryonalen
Augenanlage (primärer Augenbecher), aus dem dereinst die Netz¬
haut gebildet wird, die Ursache zur Linsenproduktion liegt. Legt
sich dieser Teil des Augenbechers nicht an das Ektoderm an, oder
unterbleibt gar seine Bildung, so liefert das äußere Keimblatt auch
keine Linse. Legt sich das Retinablatt des Augenbechers nur in
geringer Ausdehnung an das Ektoderm an, so entsteht eine ent¬
sprechend verkleinerte Linse. Eine ganze Reihe abnormer Bildungen
an diesem Teil des Sehorganes ist neben der normalen so in den
Bereich unseres Verständnisses gerückt. Vorher gab es hier einzig
ihre Konstatierung und Beschreibung. In ihrem entwicklungsmecha¬
nischen Zweige ist daher die Morphologie zu einer Wissenschaft ge¬
worden, die den am höchsten entwickelten anorganischen Natur¬
wissenschaften, der Physik und der Chemie, um ein Bedeutendes
nähergerückt ist.
Die bisherige Morphologie beschreibt Zustände, sichtbare Be¬
funde. Aus der Erkenntnis heraus aber, daß alles Organische wird,
hat auch die deskriptive Richtung versucht, mit ihren Mitteln dieses
Werden zu erfassen. Sie kann diesem Ziel nur dadurch nahekommen,
daß sie aus dem „Werde“gang — etwa eines Organes — möglichst
lückenlos aufeinanderfolgende Stadien der Ausgestaltung herausgreift
und beschreibt. So vermag sie in der Tat das historische
Werden zu erfassen, das sicherlich als eine Art der Betrachtung des
Werdens anerkannt werden muß. Allein dieses Werden ist völlig
beziehungslos, die einzelnen beschriebenen Stadien liegen dennoch
isoliert aufeinander wie die Blätter eines Papierstoßes. Aus dem
kontinuierlichen Prozeß des Werdens wird eine Folge von verhält¬
nismäßig groben Diskontinuitäten gemacht. Es bleiben daher die
zwei wesentlichsten Fragen hier unbeantwortet: 1. warum die Zu¬
stände gerade in der und keiner anderen Weise aufeinanderfolgen,
und 2. ob nicht in der Entstehung und Gestaltung der Teile eine
gegenseitige Abhängigkeit besteht — neben noch anderen wichtigen
Fragen. Ein Beispiel mag dies erläutern. Die deskriptive Morpho¬
logie gab uns ein vollkommenes Bild von dem historischen Werden
des Auges und seiner Teile, etwa der Kornea. Die Em. dagegen
vermochte zu zeigen, wie jene Korneabildung abhängt von der des
Augenbechers. Exstirpierte man (bei Rana palustris) die Augen¬
anlage, oder unterblieb die Augenbecherbildung, so formte sich auch
keine Kornea aus der äußeren Haut. Verpflanzte man dagegen den
Augenbecher unter eine beliebige Stelle der Körperhaut, etwa am
Bauche, so entstand hier aus der pigmentierten Haut eine Hornhaut.
An der ursprünglichen Stelle der Korneabildung unterschied sich die
Haut dann in nichts von der der anderen, soweit sie den Körper
bedeckte. Die Hornhaut ist also in ihrer Entstehung wie auch
Ausbildung ein von der Anwesenheit des Augenbechers abhängiges
Organ. Auf den Zusammenhang von Keimdrüsen und Gestaltung
der sekundären Geschlechtscharaktere sei nur hingewiesen. Wir
können also die seitherige, sog. deskriptive Morphologie in die
Kategorie der „Seins“wissenschaften setzen. Demgegenüber ist die
kausale Morphologie die „Werdens“wissenschaft. Sie sucht nach
den Ursachen, die jene Zwangsläufigkeit in der Entwicklung, im
Werden bedingen; sie lehrt uns, daß jene Ursachen in der be¬
fruchteten oder unbefruchteten (Parthenogenesis) Eizelle bereits de¬
terminiert sind und als Faktoren kontinuierlich bis zur vollendeten
Differenzierung wirken. Sie zeigt auch die mannigfaltigen Wechsel¬
wirkungen der Teile aufeinander — ist dieses doch mit eingeschlossen
im Begriffe der kausalen Erforschung. Aber nicht allein die Ur¬
sachen der Formbildung will die Em. ermitteln, sondern auch die
durch diese bedingten Prozesse, die zu den Gestaltungen führen.
Sämtliche sichtbaren wie unsichtbaren Bewegungsvorgänge gilt es
kausal darzulegen, die in der befruchteten Eizelle anheben und bis
zum ausdifferenzierten, vielzelligen Organismus führen. Damit er¬
strebt sie gleichsam eine grandiose Pnysikochemie der Form des
Organismus. Die Ueberzeugung waltet dabei vor, daß das gesamte
Entwicklungsgeschehen mechanistisch auflösbar ist, daß dieselben
Energieformen und substanziellen Elemente in den Verlauf des or¬
ganischen Werdens eingehen, die sich unserer Erkenntnis im An¬
organischen dargeboten haben und dort noch daroieten werden,
daß im Verlaufe der Organismendifferenzierung alle Vorgänge in
ihren Elementarprozessen nicht qualitativ eigenartig sind, nicht
andersartig als die das Gebiet der Physik und Chemie beherrschen¬
den, sondern daß allein ihre Verkettung eigenartig ist, daß sie
sowohl als die Größenordnung der sich abspielenden Reaktionen
die größten Komplikationen in der Erforschung des Organischen
bedingen. Aus dieser kausal-mechanistischen Interpretation der Ent¬
wicklungsvorgänge leitet sich der Name „Entwicklungsmechanik“ ab.
Um diesen hat sich ein vielfältiger Streit erhoben, da den meisten
Biologen seinerzeit und zum Teil auch noch heute bei -„mechanik“
allein die Vorstellung grober Massenbewegungen vorschwebte oder
noch anderes, für unseren Fall Unzutreffendes. Nicht um eine
Kinematik der Aufbauvorgänge handelt es sich, sondern um eine
Kinetik. Roux, der gemeinsam mit R. Heidenhain jene Be¬
zeichnung schuf, stellte sich auf den Standpunkt Kants, der jede
kausal eingestellte Wissenschaft als allein mechanistisch interpretier¬
bar bezeichnete. Der von anderer Seite vorgeschlagene und auch
bis heute beibehaltene Name Entwicklungsphysiologie (Driesch,
Herbst. Loeb u. a.) trifft nicht das Richtige; denn er kann zu
Verwechslung führen mit der Physiologie der Entwicklung. Zudem
beschäftigt sich die Physiologie mit den Funktionen, die den Betrieb
des Organismus oder seiner Teile aufrechterhalten, nicht aber
mit denen, die ihn aufbauen, gestalten. Sie nimmt vielmehr in
weitestem Sinne die Form als gegeben an und als stationär. Ver¬
änderungen kennt sie nur insofern, als es sich um reversible, zu
ihrem Ausgangspunkt wieder zurückkehrende Bewegungen handelt
(Kontraktion, Sekretion usw.). Ferner ist die Physiologie durchaus
nicht in allen Zweigen kausal gerichtet, enthält vielmehr weite
Gebiete rein deskriptiven Charakters. Driesch, der die Bezeichnung
Entwicklungsphysiologie bevorzugt, steht allerdings auch der prin¬
zipiellen kausal-mechanistischen Interpretation ablehnend gegenüber.
Da eine große Reihe von Erscheinungskomplexen gegenwärtig in
dieser Weise sich noch nicht auflösen läßt, dieser Forscher —
übrigens einer der scharfsinnigsten und erfolgreichsten der neuen
Wissenschaft — ferner der Ansicht ist, daß uns dieses auch in
Zukunft nicht gelingen wird, stellte er sich auf vitalistischen Stand¬
punkt, schreibt der zeit- und raumlosen und daher wissenschaftlich
nicht faßbaren Entelechie die bewußt zwecktätig den Organismus
formende Kraft zu. Der Physiologe wird sich hiermit aber kaum
einverstanden erklären. So wenig wie in der Chemie spielt in der
Physiologie jene rätselhafte „Kraft“ auch nur noch die geringste
Die Zielsetzung bestimmt in weitem Maße die Methoden einer
Wissenschaft. Auch hierin war Roux der Hauptförderer der Em.
Will man die Abhängigkeit irgendeiner Erscheinung von inneren
oder äußeren Ursachen notwendig und hinreichend bestimmen, so
müssen vor allem jene Erscheinungen, die es zu erklären gilt, klar
und scharf erfaßt werden. Dies führte dazu, daß gewisse, seit
langem gebräuchliche, aber in ganz verschiedener Weise verstandene
Entwicklungsvorgänge neben noch anderen eine präzise Fassung er¬
hielten und damit zu eindeutig definierten Begriffen wurden, wie sie
jeder exakten Wissenschaft unentbehrlich sind, wie solche im Funda¬
mente jeder exakten Wissenschaft ruhen (Kraft, Druck, Arbeit, Ion
usw. in Physik und Chemie). So schuf Roux die Begriffe der
Neoepigenesis und Neoevolutio, den Reizbegriff sonderte er von dem
der Auslösung, den des Gesetzes von dem der Regel u. a. m.
Die Ursachen des Entwicklungsverlaufes bieten sich aber dem
Forscher durchaus nicht so ohne weiteres dar. Sie sind vielmehr in
der Regel von großer Kompliziertheit, stellen sich als „Ursachen¬
komplexe“ (Roux) dar. Ist es nicht möglich, sogleich die ein¬
fachen Ursachen (Faktoren) zu ermitteln, so müssen jene Komplexe
aufgesucht werden. Ein Beispiel hierfür bietet jene ooen angeführte
Verursachung der Linsenbildung. Hier stellt die Anlegung des Retina¬
blattes an das Ektoderm einen solchen Ursachenkomplex dar. Bei
der Feststellung dieses Komplexes darf es aber nicht bleiben. Viel¬
mehr sind diese dann weiterhin Gegenstand der Forschung, indem
man versucht, in sie einzudringen, um sie in weniger komplizierte
zu zerlegen. Diese Zerlegung geschieht auf dem Wege der Analyse;
sie ist eine gedankliche. So hatte sich im Falle der Linsenbildung als
erstes Ergebnis gefunden, daß der Augenbecher dazu notwendig
Digitized by LjOi »öle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
12. Mai 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
633
war, und erst weiterhin stellte sich heraus, daß von diesem Komplex
das Retinablatt der engere, die Bildung bedingende war. Diese
Analyse ist aber von der elementaren der deskriptiven Morphologie
dadurch unterschieden, daß sie eine kausale zu sein hat. Der Weg
ist also der, daß von den komplizierten Ursachenverbindungen durch
immer weiter fortgesetzte Auflösung in einfachere vorzudringen ist,
bis mau zu ganz einfachen gelangt, die möglichst anorganische sein
sollen. Nur in relativ wenigen Fällen gelingt es, sogleich einfache i
Faktoren zu ermitteln — wo dies möglich ist, wird noch zu erörtern
sein — und von diesen einfachen zu den zusammengesetzten Ur¬
sachen fortzuschreiten. Demgegenüber ist es von Bedeutung, fest¬
zustellen, daß die Em. an diesen Weg nicht gebunden ist, daß sie
vielmehr — wie dargelegt — die Möglichkeit besitzt, den ent¬
gegengesetzten zu beschreiten, der von den komplizierten zu den
einfachen führt. Diese kausale Analyse bildet einen der wesent¬
lichsten methodologischen Bestandteile der neuen Morphologie. Hat
man nun durch gedankliche Analyse eine Reihe von Ursachen für
das Zustandekommen einer Erscheinung aufgefunden, so erhebt sich
die Frage nach der Bedeutung jedes einzelnen Faktors unter ihnen.
Diese kann dann dadurch festgelegt werden, daß man diesen Faktor
nach Größe, Richtung usw. variiert, während alle anderen konstant
gehalten werden. Will man etwa die Verkettung zweier oder meh¬
rerer Ursachen ermitteln, so kombiniert oder variiert man diese
und gelangt so zu exakten kausalen Ergebnissen. Alles dieses ist
aber nur möglich unter Vornahme von Eingriffen in den normalen
Entwicklungsverlauf. Die gedankliche Analyse allein vermag uns
keine Ergebnisse zu liefern, denn es bedarf der Bestätigung, daß
jene Analyse richtig und nicht irrig war. Diese Bestätigung nach
der kausal-analytischen Vorarbeit liefert aber das Experiment. Dieses
ist das zweite wichtige Forschungsmittel der Em. Es geht aus dem
Dargelegten klar hervor, daß die kausale Morphologie ein Experi¬
ment besonderer Art fordert. Es ist nicht wahllos und von ungefähr
vorzunehmen, vielmehr erfolgt es erst auf Grund der kausalen Ana¬
lyse oder in Gemeinschaft mit ihr, es hat ein kausal-analytisches
Experiment zu sein. Das ist als wesentlich festzuhalten; denn durch
diesen geschilderten Charakter unterscheidet es sich grundsätzlich
von dem deskriptiven Experiment, das nicht nach vorangegangener
Analyse vorgenommen wurde und dessen Ergebnis dann auch nicht
kausal ausgewertet wird und kausal auswertbar ist. Ein solches de¬
skriptives Experiment wurde z. B. an der Blastula vorgenommen.
Durch Anstiche schuf man Marken, an denen man dann später auf
höherer Differenzierungsstufe ablesen konnte, welche Substanzum¬
lagerungen im Differenzierungsvorgang stattgefunden hatten. Die
„Experimentelle Zoologie“ bediente sich schon vor Roux dieses
Forschungsmittels und tut es auch gegenwärtig noch. Der prinzipielle
Unterschied zwischen beiden Wissenschaftszweigen liegt eben in
der Art der Verwendung des Versuches. Das kausal-analytische
Experiment charakterisiert in der dargelegten Weise die Em. Die
Experimentelle Zoologie dagegen stellt allein die Erscheinungen an
Organismen und ihren Teilen fest, die sich nach Eingriffen physi¬
kalischer oder chemischer Art ergeben. Sie unterläßt eine kausale
Analyse. Gleichwohl gibt es hier naturgemäß Grenzfälle, Fälle,
wo aus dem deskriptiven Experiment sich ebenfalls ursächliche Fest¬
stellungen ableiten lassen. Aber das bleiben bestimmte, einfach ge¬
lagerte Grenzfälle, die den grundsätzlichen Unterschied beider Diszi¬
plinen nicht verwischen können. Von mancher Seite sind indes Sinn
und Bedeutung des Experiments in der Morphologie abgelehnt wor¬
den, da durch Eingriffe in den „Werdc“gang des Organismus Be¬
dingungen geschaffen werden, die dem normalen Entwicklungsgang
gänzlich fremd sind, die also pathologische darstellen, aus denen
man naturgemäß nichts für den normalen Gestaltungsprozeß Gültiges
folgern dürfe. Ohne näher auf diese Prinzipienfragc hier einzu- 1
gehen, muß doch festgestellt werden, daß dieser Einwand auf einem '
Irrtum beruht oder auf Unkenntnis der Verhältnisse in bezug auf I
die Em. Diese läßt ja ausdrücklich nur das kausal-analytische Ex- !
periment zu, ’d. h. nur dasjenige, das sich ergab aus der vorau-
gegangenen gedanklichen Analyse einer Erscheinung in ihre ur¬
sächlichen Elemente. Habe ich einen Faktor gedanklich als ver¬
ursachenden angenommen, so ist seine bloße Variation — natürlich
nur in sinngemäßer Weise! — ein Eingriff, durch den der normale
Gestaltungsverlauf durchaus nicht der Art nach geändert wird, viel¬
mehr „zwingen wir gleichsam die personifiziert gedachte sog. Natur,
auf unsere Fragen nach ihrem Wirken Antwort zu geben“ (Roux).
Die wichtigste Kontrolle aber bleibt das Ergebnis; denn stets muß
cs in einem bestimmten, diskutierbaren Verhältnis zum Eingriffe
stehen, wenn überhaupt ein Schluß von Folge auf Ursache voll-
ziehbar sein soll. Der Eingriff als solcher ist ein atypischer Vor¬
gang. Sein Effekt muß aber mit dem Typus in einer Beziehung stehen
Durch die analytisch-experimentelle Methode ist die Em. in die
Reihe der exakten Naturwissenschaften getreten. Freilich muß man
zugestehen, daß die Em. bisher den höchsten möglichen Grad der
Exaktheit, den Physik, Chemie und zum Teil auch Physiologie be¬
reits besitzen, noch nicht hat erreichen können, jenen Grad der
Exaktheit, der auf quantitativen Resultaten beruht. Bis heute muß
sich die kausale Morphologie noch in überwiegendem Maße mit rein
qualitativen Ergebnissen begnügen. Eine große Reihe von Nach¬
teilen bringt dieses mit sich, vielleicht aber ist die Zeit nicht fern,
wo mit weiterem Eindringen physikalisch-chemischer Arbeitsmethoden
in die Morphologie quantitative Bestimmungen prinzipiell Einzug
halten in diese Wissenschaft.
Chirurgische Ratschläge für den Praktiker.
Von G. Ledderhose in München.
XVIII.
Erkrankungen der Brustdrüse.
Der Besorgnis vieler Frauen, als würde jede im Wochenbett
innerhalb der Brustdrüse auftretende entzündliche Schwellung zu
Eiterung mit anschließender Operation führen, darf der Arzt mit dem
Hinweis darauf entgegentreten, daß dies durchaus nicht die Regel
ist. Zunächst soll man nicht die puerperale Milchstauung mit
beginnender Mastitis verwechseln. Gar nicht selten ereignet es sich,
daß in der ersten Zeit des Wochenbetts die reichlich abgesonderte
Milch durch Säugen nicht ausreichend entleert wird, oder daß infolge
mechanischer Hindernisse Stagnation in bestimmten Abschnitten der
Drüse stattfindet, was beides vermehrte lokale Härte, Spannung,
Schmerzhaftigkeit, vielleicht auch leichte Temperaturerhöhung und
Hautrötung hervorzurufen vermag. Die Erscheinungen pflegen schnell
rückgängig zu werden, sobald durch fleißiges Anlegen des Säuglings,
durch Anwendung der Milchpumpe oder der großen Saugglocke für
Entleerung der gestauten Milch gesorgt wird. Hochbinden der Brust
und leichte Kompression sind gleichzeitig zu empfehlen. Im Gegen¬
satz zur einfachen Milchstauung pflegt die infektiöse Mastitis
erst in der 3. oder 4. Woche des Puerperiums aufzutreten. Sie leitet
sich zuweilen durch Schüttelfrost ein und ist ausgezeichnet durch
Fieber mit entsprechenden Allgemeinstörqngen, durch schmerzhafte
entzündliche Infiltration, meist im unteren äußeren Abschnitt der
Drüse. Etwa in zwei Drittel der Fälle kommt die puerperale Mastitis
durch Resorption ohne Abszeßbildung zur Heilung (Winekel).
Andernfalls zeigt sich Oedem der Haut, entzündliche Rötung, und an
einer zunächst kleinen erweichten Stelle (Gewebslücke) erkennt man
den der Oberfläche zustrebenden Eiter. Schmerzhafte Schwellung der
axillaren Lymphdrüsen ist eine häufige Begleiterscheinung. So ge¬
staltet sich der typische Verlauf der StaphylokokkeninfeKtiou. Es
ist bemerkenswert und auch für die Grundsätze der Behandlung von
Bedeutung, daß, im Gegensatz zu den Armphlegmoncn, die Mehrzahl
der puerperalen Mastitiden durch Stapnylokokken verursacht
wird, was im allgemeinen umschriebener Entzündung und Eiterung
entspricht, während der Streptokokkeninfektion fortschreitend
infiltrierender Verlauf eigentümlich ist. In besonders schweren Fällen
führt diese zu Erysipel und zu Gangrän des Drüsengewebes. Äußerst
ernst ist die Prognose, wenn die puerperale eitrige Mastitis als Sym¬
ptom einer von den Geschlechtsteilen ausgehenden Allgemeininfektion
angesehen werden muß. Die durch offene Stellen der Warze und
des Warzenhofs eindringenden Kokken können ihre Einwirkung auf
das subkutane Gewebe der Umgebung beschränken und hier Eiterung
verursachen; anderseits beobachten wir retromammäre Abszesse und
Phlegmonen in Zusammenhang mit der puerperalen Mastitis.
Es hat Aerzte gegeben, die bei ausgesprochener Mastitis es als
notwendig ansahen, baldigst durch breite Spaltung der Ent¬
zündungsherde die Krankheitserscheinungen zu bekämpfen, dem
Fortschreiten des Prozesses Einhalt zu gebieten und dem Entstehen
einer Allgemeininfektion vorzubeugen. Ein solcher Standpunkt ist
nicht gerechtfertigt. Zunächst besteht die Hauptaufgabe der Behand¬
lung darin, den Rückgang der Infektion zu fördern, wozu am besten
Hochbinden der Brust, feuchte Verbände und Anwendung der großen
Saugglocke geeignet sind. Ist es an einer oder mehreren Stellen
zur Abszedierung gekommen, so sind in der Regel an Stelle größerer
Spaltungen stichförmige Einschnitte von Vs— 1 V* cm Länge
in radiärer Richtung ausreichend, in die bei weiterer Anwendung aer
Saugglocke weder Drains noch Gazestreifen eingeführt zu werden
brauchen. Klapp gibt nachstehende Vorschriften für die Saugglocken-
bchandlung während des ersten Verlaufs der Erkrankung oder nach
Eröffnung von Eiterherden. Die Glocke soll die ganze Brust umfassen
und wird einmal am Tag für etwa eine Stunde angelegt; ihre Ränder
sind gut einzufetten. Durch Auspumpen wird die Luft in der Glocke
verdünnt, sodaß nach ihrem Aufsetzen die Brust eingesaugt wird,
wobei diese blaurote Farbe annimmt. Schmerzen dürfen nicht auf-
treten, und sollten sie sich auch nur in geringem Grade geltend
machen, so muß das Ansaugen gemäßigt werden. Nach 5 Minuten
folgt eine Pause von etwa 3 Minuten, und dieser Wechsel zwischen
Eimeiten und Nachlassen der Stauung wird sechsmal wiederholt.
Feuchte Verbände ergänzen die Behandlung. Auch das Saugverfahren
muß ohne Voreingenommenheit und mit Kritik gehandhabt werden.
Fälle, welche die Eigenschaften der schnell fortschreitenden
Phlegmone mit heftigen Allgemeinerscheinungen darbieten, re¬
agieren in der Regel nicht günstig auf die Stauung und werden besser
mit breiter Spaltung behandelt. Anderseits soll man auch in
einfacheren Fällen mit lokalisierter Entzündung, wenn die subjektiven
und objektiven Symptome sich nicht bessern oder sich gar verschlech¬
tern, die Saugbehandlung abbrechen und operativ vorgehen. In
Narkose (Aetherrausch) wird auf die am stärksten erkrankte Stelle
radiär eingeschnitten. Mit dem Finger wird die Ausdehnung des
eröffneten Abszesses festgestellt, wobei sich die Notwendigkeit er¬
geben kann, trennende Gewebsschichten stumpf zu beseitigen oder
Gegenötfnungen anzulegen. In Rücksicht auf die spätere Funktion
der Drüse sind Einschnitte an Zahl und Ausdehnung auf das un¬
bedingt erforderliche Maß zu beschränken. Alle nicht mit der Saug¬
glocke weiter zu behandelnden Inzisionen sind zu drainieren. Bei
retromammärem Sitz der Eiterung ist die Eröffnung am unteren Rand
Digitized by LjOi »öle
Original from
CORUELL UNIVERSITY
634
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. IQ
der Drflsc vorzunehmen. Die Entleerung der Milch durch Anlegen
des Säuglings wird von den Kranken wohltätig empfunden, und
es besteht auch kein Bedenken gegen das Anlegen, solange es die
Empfindlichkeit der Brust zuläßt, die Allgemeinerscheinungen nicht
ernster Natur sind und kein Eiter der Milch beigemengt ist. Mitunter
hinterläßt die puerperale Mastitis hartnäckige Verhärtungen in der
Drüse, welche diagnostische Zweifel erregen und noch spät zu absze-
dieren vermögen. Zurückbleibende, Milch oder Eiter absondemde
Fisteln können ausgedehnte Spaltung mit Auskratzung, ja selbst die
Amputation der Mamma notwendig machen.
Als eine der wichtigsten Aufgaben der chirurgischen Diagnostik ergibt
sich wie an zahlreichen anderen Körpergegenden auch an der Mamma
die Unterscheidung zwischen den Produkten chroni¬
scher Entzündung und den echten Neubildungen. Hat die
Tuberkulose der Rippen oder des Brustbeins oder die Akti-
nomvkose der Lunge auf die Brustdrüse übergegriffen, so pflegt
das gesamte Krankheitsbild genügend Anhaltspunkte für ein richtiges
Urteil zu bieten. Anders, wenn eine dieser Infektionen primär in der
Mamma zur Entwicklung gekommen ist. Sind mehrere tuberkulöse
Herde vorhanden, so spricht dies von vornherein gegen Tumor,
jedoch gibt der isolierte tuberkulöse Knoten, selbst im Stadium der
Verkäsung und eitrigen Verflüssigung, namentlich bei tiefem Sitz,
bei starker Wandspannung und bei Anschwellung der Achseldrüsen,
erfahrungsgemäß nicht selten zu Verwechslung mit Karzinom Anlaß.
Wird rechtzeitig an Tuberkulose gedacht, so läßt sich die Diagnose
durjh die Tuberkulinreaktionen (mit Vorbehalt) und den Probeein¬
schnitt sicherstellen. War nach vorausgegangener Verdünnung und
Unterhöhlung der Haut Durchbruch nach außen erfolgt, hatte sich
dünnflüssiger, krümlicher Eiter entleert und zeigen die entstandenen
Fisteln unterminierte, angefressene Ränder sowie schlaffe, wuchernde
Granulationen, so legt dies ohne weiteres die Annahme tuberkulöser
Erkrankung nahe. Die Aktinomykose zeichnet sich wie sonst
auch in der Brustdrüse durch die chronisch-entzündliche Härte mit
kleinen Erweichungsherden aus, die wenig Eiter, schlaffe Granu¬
lationen, Drusen und Pilzfäden enthalten. Steht die Diagnose der
Mammatuberkulose fest, so dürfte ein therapeutischer Versuch
mit Sonnen- oder Röntgenbestrahlung und Tuberkulin berechtigt sein.
Dieser Behandlung nicht zugängliche Herde können im Gesunden
exstirpiert werden. Für kalte Abszesse ist zunächst Punktion mit
Einspritzung von Jodoformglvzerin geeignet. Bei weit vorgeschrit¬
tener tuberkulöser Erkrankung der Mamma und der axillaren Lvmph-
drüsen kommt Exstirpation sämtlicher beteiligter Gewebe in Frage.
Die Aktinomykose ist mit Spaltung, Auskratzung, Röntgenbestrah¬
lung und innerlicher Verordnung von Jodkalium zu behandeln; ge¬
gebenenfalls ist radikale Ausrottung mit dem Messer angezeigt.
Als wichtige Grundlage für die diagnostische Beurteilung aller
chronischen, in der Brustdrüse entstehenden Verhärtungen ist die
Kenntnis der sog. chronischen Mastitis unerläßlich. Es stellen
sich uns Frauen jenseits des mittleren Lebensalters, insbesondere
solche, die geboren und gestillt haben oder im Beginn des Klimak¬
teriums stehen, vor mit der Angabe, daß ihnen ein harter Knoten
in der Brust aufgefallen sei. Die Untersuchung ergibt, daß außer
dem fraglichen, leicht druckempfindlichen Knoten zahlreiche gleich¬
artige, svmmetrisch amreordnete Verhärtungen in beiden Brüsten
nachweisbar sind. Ihre Größe schwankt zwischen der einer Bohne und
eines Taubeneies, sie sind gegen die Umgebung nicht scharf ab¬
gegrenzt, sind allseitig verschieblich und haben derbe, lederartige
Konsjstenz. Besitzt keiner der Knoten Eigenschaften, die von denen
der übrigen wesentlich abweichen, so beweist dies die gemeinsame
Ursache und die gutartige Natur. Schwierigkeiten entstehen, wenn
in einem oder in mehreren Knoten sich Zysten entwickelt haben, die
durch gewölbte Oberfläche auffallen, aber bei tieferem Sitz und bei
erheblicher Wandspannung Fluktuation vermissen lassen. Kommt dazu
leichte Verlötung der Haut mit der Zvste oder gar Einziehung der
Brustwarze, so ist es zuweilen unmöglich, ohne Zuhilfenahme der
Punktion oder de9 Probeeinschnitts Karzinom auszuschließen. Es
scheint sich bei der chronischen Mastitis in dem vorgetragenen Sinne
um den Ausdruck der Involution der Drüse zu handeln. Be¬
zeichnend ist das Nebeneinander von Rückbildung und Neubildung.
Liegt das Krankheitsbild in reiner Form vor, so besteht keine Indi¬
kation zu operativem Vorgehen.
Wenn auch in der Brustdrüse eine große Anzahl verschieden¬
artiger Geschwülste vorkommt, wenn auch häufig Mischformen sowie
Uebergänge von gutartigen zu bösartigen Tumoren beobachtet wer¬
den, so empfiehlt es sich doch vom praktischen Standpunkt, zwecks
diagnostischer Beurteilung der Einzelfälle zwei Hauptgrupnen zu
unterscheiden: die Fibroadenome und die Karzinome. Werden
mit der Bezeichnung Fibroadenom auch die ihnen nahe verwandten
Formen der reinen Adenome, der Fibrozvstadenome, der Zystadenome
und der intrakanalikulären Fibrome umfaßt, so ergeben sich als
gemeinsame Eigenschaften die folgenden. Häufigste Entstehung im
2. oder 3. Lebensjahrzehnt, meist Schmerzlosigkeit, doch gelegentliä,
zumal bei jungen Mädchen, auch heftige Schmerzen. Überwiegendes
Vorkommen in der Einzahl. Sehr langsames Wachstum. Freie Ver-
schiebPchkeit innerhalb der Drüsensubstanz. Glatte, kugli^e, zuweilen
leicht höckerige oder gelappte Oberfläche. Harte bis knorpelharte
Konsistenz. Das Einsetzen schnelleren Wachstums muß, zumal bei
Frauen jenseits des mittleren Lebensalters, den dringenden Verdacht
der Malignität erwecken. Bei ausreichender Erfahrung läßt sich auf
Durchschnitt dieser Oeschwülste mit ziem-
tcher Sicherheit makroskopisch ihre Natur erkennen. Die Adenome
zeigen eine körnige, an Speicheldrüsen erinnernde Schnittfläche, bei
den Fibroadenomen überwiegt mehr oder weniger der weiße, derb¬
faserige Anteil, zvstische Spalten und Räume geben ein bezeichnendes
Bild, und bezüglich der intrakanalikulären Fibrome ist der Aufbau
der Gewebsschichten einem Kohlkopf vergleichbar. Bei Frauen, die
über die Mitte 30 hinaus sind, werden die Tumoren, auch wenn sie
bestimmt gutartig zu sein scheinen, am besten möglichst bald operativ
entfernt. Man legt sie unter Lokalanästhesie von einem radiären
Einschnitt aus frei und nimmt eine gründliche Ausschälung vor.
Bestehen oder ergeben sich bei dieser Operation irgendwelche Zweifel
an der Gutartigkeit der Geschwulst, so nat die Amputation der Brust
stattzufinden. Daß die Fibroadenome maligne Umwandlung erfahren
können, dürfte feststehen.
Die Sarkome der Brustdrüse treten an Häufigkeit und Bedeutung
gegenüber den Karzinomen sehr erheblich zurück; sie sollen deshalb
auch außerhalb dieser Besprechung bleiben.
Unzweifelhaft hängen die Aussichten auf operative Dauerheilung
des Brustkrebses in erster Linie davon ab, daß die Operation
in einem möglichst frühen Stadium der Geschwulstentwicklung statt¬
findet. Nach Steinthal ist darauf zu rechnen, daß Karzinome
der Mamma, die langsam wachsen, deren Größe einige Zentimeter
im Durchmesser nicht übersteigt, gegen die die Haut kaum fixiert
ist, und wenn außerdem in der Achselhöhle nur eine oder einige
Drüsen gefunden werden, in bis 3 /< der Fälle 3 Jahre nach der
Operation geheilt bleiben. Je weiter jedoch die Entwicklung des
Krebses — noch innerhalb der Grenzen der Operabilität — vor¬
geschritten ist, desto kleiner werden diese Zahlen. Hat erst Verwachsung
des Tumors mit der Haut oder der Unterlage stattgefunden und sind
außer den axillaren auch die supraklavikulären Lymphdrüsen ergriffen,
so ist nur ausnahmsweise noch dauernde Heilung zu erzielen. Daraus
ergibt sich, daß dem Praktiker die verantwortungsvolle Aufgabe
zufällt, frühzeitig den Brustkrebs zu erkennen oder wenigstens zu
vermuten und den ganzen persönlichen Einfluß dafür einzusetzen,
daß die operative Behandlung ohne Verzug vorgenommen wird.
Welche Handhaben ergeben sich für die Diagnose? Der Arzt
darf sich bei seiner Untersuchung von den beiden Erfahrungstatsachen
leiten lassen, daß nach dem 35. Lebensiahr iede als Neubildung er¬
kannte Verhärtung in der Mamma mit überwiegender Wahrscheinlich¬
keit als Karzinom anzusprechen ist und daß die Karzinome etwa
85°'o aller in der Mamma vorkommenden Geschwülste ausmachen.
Der Brustkrebs entsteht vorwiegend zwischen dem 45. und 55. Lebens¬
jahr. Stoß gegen die Brust wird von den Kranken in etwa 10% der
Fälle verantwortlich gemacht. Oertliche und ausstrahlende Schmerzen
machen gewöhnlich zuerst auf die Geschwulst aufmerksam. Bei der
Untersuchung ist stets auch von hinten her die vergleichende Be¬
tastung beider Drüsen vorzunehmen. Auf die obere äußere Drüsen¬
gegend ist vorwiegend die Aufmerksamkeit zu richten, weil hier
die Karzinome mit Vorliebe ihren Sitz haben. Steht die erkrankte Brust
mit der Warze höher als die gesunde, so weist dies auf Schrumpfungs¬
vorgänge innerhalb der Drüse oder auf Fixation des Organs gegen
die Unterlage hin. Einziehung der Brustwarze im Gegensatz zur
gesunden Seite ist ein häufiges, sehr bezeichnendes Svmptom des
schrumpfenden Brustkrebses. Das Entscheidende ist die palpatorische
Feststellung einer gleichmäßig harten, zuweilen höckerigen, nicht
druckempfindlichen Geschwulst innerhalb der Drüse, die ohne scharfe
Grenze in die Umgebung übergeht und auch bei geringer Größe
innerhalb der Drüse sich nicht verschieben läßt. Verminderte oder
fehlende Verschieblichkeit der Haut auf der Geschwulstoberfläche, als
Vorstadium der Ulzeration, stellt ein weiteres wichtiges Merkmal des
Brustkrebses dar. Die Feststellung, ob die gefühlte Geschwulst
mit dem großen Brustmuskel verwachsen ist, geschieht bei gespanntem
Muskel und erhobenem Arm. Zeigt sich Unverschieblichkeit bei er¬
schlafftem, hängendem Arm, so bedeutet es, daß die Geschwulst
bereits durch den Muskel auf die Brustwand übergegriffen hat.
Besondere Aufmerksamkeit verdient der äußere Rand der Drüse,
weil hier gelegentlich in einem nach der Achselhöhle zu verlaufenden
Zipfel oder in einem hier gelegenen, völlig abgeschnürten Mamma-
Abschnitt der Krebs zur Entwicklung kommt. Mit doppelseitiger
Erkrankung ist ausnahmsweise zu rechnen. In jedem Fall von Mamma¬
geschwulst ist die Achselhöhle bei gesenktem und erhobenem
Arm auf Drüsenschwellung zu untersuchen. Meist wird die erste
krebsig erkrankte Drüse hinter dem unteren Pektoralisrand in der
Höhe der 3. Rinne gefühlt. Weiter sind die Supraklavikulargrtiben und
die seitlichen Halsgegenden zu untersuchen. Haben karzinomatöse
Drüsen in der Achselhöhle oder oberhalb des Schlüsselbeins den
Nervenplexus oder die Axillarvene in Mitleidenschaft gezogen, so
äußert sich dies in neuralgischen Schmerzen und in Armschwellung.
Eine Form des Mammakarzinoms wird erfahrungsgemäß häufig
verkannt, nämlich die sogenannte Pagetsche Erkrankung,
die unter dem scheinbaren Bilde eines Ekzems des Warzenhofes zu
beginnen pflegt. Die anfangs ein gezogene Warze wird allmählich
zerstört, und unterhalb des geschwürig veränderten Warzenhofes
fühlt man die langsam wachsende eigentliche Krebsgeschwulst. Was
bedeutet die spontan oder auf Druck erfolgende seröse oder
blutige Absonderung aus einer oder beiden Brustwarzen? Zwei¬
fellos kann sie sogar jahrelang bestehen, ohne daß sich Zeichen
maligner Neubildung ergeben, anderseits ist namentlich bei Frauen
jenseits des mittleren Lebensalters sorgfältige Beobachtung angezeigt,
damit rechtzeitig die etwaige Ausbildung eines Karzinoms erkannt
wird. Bei der Untersuchung der an Brustkrebs leidenden Frauen ist
stets Im Auge zu behalten, daß die Ausbreitung der Erkrankung nächst
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
12. Mai 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
635
den Lymphdrusen auf Pleuren, Lungen, Leber, Gehirn und Knochen¬
system zu erfolgen pflegt. Spontanfraktur des Humerus oder Femur
sowie plötzliche ParapTegie sind nicht immer ohne weiteres als
Folge metastatischer Geschwulstbildung im Verlaufe des
Brustkrebses zu erkennen. Neuerdings wurde Polyurie als Symptom
einer solchen Metastase in der Hypophyse festgestellt. Ausgesprochene
Krebskachexie kommt gewöhnlich erst bei ulzerösem Zerfall des
Mammatumors zustande.
Für die Behandlung des operablen Brustkrebses soll der
Praktiker ohne Einschränkung nur die Operation empfehlen, da durch
Röntgenstrahlen, Radium und Mesothorium, geschweige denn durch
andere innerliche und äußerliche Mittel, bisher dauernde Heilungen
mit wissenschaftlicher Beweiskraft nicht erzielt wurden und da die
beim Uteruskarzinom mit der Strahlenbehandlung erreichten Erfolge
sich nicht auf den Brustkrebs übertragen lassen. Durchschnittlich
ergibt die Radikaloperation eine länger als 3 Jahre dauernde Heilung
in 30,5% der Fälle (in einzelnen Statistiken wesentlich mehr) bei
einer operativen Mortalität von 1—3%. Die Operation muß haupt¬
sächlich drei Bedingungen erfüllen. 1. Ist die Schnittführung allein
mit Rücksicht auf die möglichst gründliche Ausrottung der Krank¬
heit zu wählen, 2. ist in jedem Fall die sternale Portion des Pectoralis
major und, wenn nötig, auch der Pectoralis minor mit zu entfernen,
3. muß vollständige Ausräumung der Achselhöhle ausgeführt werden.
Daraus ergibt sich in bestimmter Weise, daß nur der chirurgisch aus¬
gebildete Arzt bzw. der Fachchirurg die Operation mit voller Ver¬
antwortung übernehmen kann. Inwieweit es berechtigt ist, den ope¬
rativen Eingriff durch Exstirpation der erkrankten supraklavikulären
Drüsen, durch Fortnahme der gesamten Hautbedeckung der Mamma
oder durch Resektion der krebsig durchwachsenen Brustwand zu
vergrößern, läßt sich nur von Fall zu Fall entscheiden.
Bei primärem oder rezidivierendem, nicht mehr operablem
Brustkrebs kann der umsichtige und erfahrene Arzt viel zur
Linderung der Leiden tun. Mittels der Röntgenstrahlen läßt sich,
wenn auch keine Heilung, so doch unter Umständen bedeutender
Rückgang der Geschwulstbildung erzielen, und jauchende Geschwürs¬
flächen sowie Schmerzen lassen sich mit ihnen günstig beeinflussen.
Auch die äußere Anwendung radioaktiver Substanzen und die Injektion
von radioaktiven Lösungen oder von 10°/oiger borsaurer Cholinlösung
können versucht werden. Arsenpräparate (innerlich oder subkutan) zeigen
zuweilen günstige Wirkung auf aas Allgemeinbefinden und verzögern
das Wachstum der Geschwulst. Die Jauchung des ulzerierten Tumors
läßt sich durch Spülen mit Wasserstoffsuperoxyd, durch Aetzen mit
starken Formalinlösüngen (10—30 o/o) sowie Aufstreuen von anti¬
septischeil und desodorierenden Pulvern bekämpfen. Große Erleich¬
terung wird den Kranken durch Punktion hämorrhagischer Pleura¬
ergüsse verschafft. Ehe man sich zur dauernden Morphiumdarreichung
entschließt, sind antineuralgische Mittel, z. B. Pyramidon, sowie ab¬
wechselnd und kombiniert die verschiedenen Opiate zu verordnen.
Kursus der gynäkologischen Technik.
Von Prof. H. Freund in Frankfurt a. M.
II.
Allgemeine therapeutische Technik.
Könnte man dem Publikum prpphylaktische Maßnahmen
gegen Frauenleiden einhämmern, wie vieles Unglück ließe
sich da vermeiden! Zu fordern ist schon in der Kindheit zweck¬
mäßige Ernährung und Gewöhnung, Erhaltung der normalen Darm¬
funktion, körperliche und geistige Hygiene, insbesondere später zu
den Zeiten der Pubertätsentwicklung, der Menstruation, der Schwan¬
gerschaft und des Wochenbettes, einschließlich der Aborte, schlie߬
lich auch des Geschlechtsverkehrs. Aufklärung über die venerischen
Krankheiten wird heute immer dringender. Aber auch den Aerzten
muß man immer wieder betonen, daß die aseptische, möglichst natur¬
gemäß ablaufende Geburt die Frau vor unendlichem Schaden be¬
wahrt.
In der Therapie soll man sich immer gegenwärtig halten, daß
der ganze Organismus einschließlich der Psyche an lokalen Er¬
krankungen teilnimmt, daß demnadi eine rein spezialistische Behand¬
lung in den seltensten Fällen zu einer vollkommenen Heilung ge¬
nügt. Ich kann hier nur auf die gute Bekanntschaft mit den physi¬
kalisch-diätetischen Heilverfahren, der Massage, Vibration, Gym¬
nastik und Hydrotherapie hinweisen, die ein gynäkologisches Heil¬
verfahren oft zu begleiten, auch einmal zu ersetzen haben. Soweit
man mit ihnen speziell gynäkologische Zwecke verfolgt, darauf
sei hier kurz eingegangen. Die Kaltwasserbehandlung, wenn
auch durchaus nicht das Allheilmittel, leistet vorzügliche Dienste bei
akuten und chronischen Entzündungen hinsichtlich der Schmerz¬
linderung, Beruhigung und Resorption. Im allgemeinen sind kurz¬
dauernde, nicht eiskalte Abreibungen und Abklatschungen des Körpers
sowie Prießnitzsche Einwickelungen des Unterleibs die brauchbarsten
Formen.' Duschen, die bei kräftigen Patientinnen manchmal von
auffälliger, wenn auch vorübergehender Wirkung sind, erweisen sich
bei geschwächten nicht als vorteilhaft; die kalten Güsse, Spülungen,
Bäder sowie das Liegen im Bett mit nassem, nicht abgetrocknetem
Körper sind meist verwerflich. Anämische, magere, auch kälteempfind¬
liche Frauen ersetzen die kalten Waschungen manchmal mit Vorteil
durch heiße oder spirituöse. Die Eisblase ist mehr und mehr außer
Gebrauch gekommen, kann aber bei zirkumskripten, schmerzhaften
Entzündungen wohltätig wirken. — Das warme oder heiße Bad be¬
dingt durch Erschlaffung der Hautgefäße vermehrten Blutandrang,
steigert die Temperatur, die Sauerstoffaufnahme und die Kohlensäure¬
ausscheidung. Die Steigerung des Stoffwechsels begünstigt die Re¬
sorption krankhafter Ergüsse und Reste. Das Sitzbad führt in
20 Minuten eine Temperaturerhöhung in der Scheide um einen
halben Grad herbei, unterstützt also resorbierende Kuren, was man
durch Zusatz von Salz und Sole noch steigern kann. Sicherlich
geschieht das am intensivsten in den Solbädern, wenn diese
auch die Behandlung entzündlicher und anderer Frauenleiden nicht
etwa völlig ersetzen. Am erfolgreichsten sind sie am Ende einer
Resorptionsbehandlung, ebenso die Moor- und Schlammbäder, be¬
sonders wenn sie lange genug und wiederholt gebraucht werden.
Ueber die Indikationen anderer, besonders auch der Seebäder, muß
ich mir versagen hier zu sprechen. — Eine Hyperämisierung
der Unterleibsorgane kann man (Bier) durch aufgesetzte
Glocken, einfacher nach meinem Vorgang durch die Konstriktion
der Taille mittels einer handbreiten elastischen Binde erreichen.
Die Schnürung muß so bedeutend sein, daß der Bauch unterhalb
des Nabels sich gründlich vorwölbt. Fast alle halten das zweimal
täglich 1—2 Stunden aus. Halb sitzende Stellung oder Erheben des
Kopfendes des Bettes unterstützen die Stauung, die sich durch
Temperatursteigerung und Injektion der Scheide zu erkennen gibt
und auch bei akuten und eitrigen Prozessen, die zum Durchbruch in
Mastdarm oder Scheide neigen, beschleunigend wirkt. Auch bei
chronischen Entzündungen kann man die Methode verwenden, vor¬
teilhaft auch in Verbindung mit der Belastungstherapie, bei
der ein mit Quecksilber, Flüssigkeit oder Luft gefüllter Kolpeuiynter
in die Scheide, ein schweres, schrotgefülltes Kissen auf den Bauch
gelegt wird. Eine Kolpeuryntermassage, die durch ein angesetztes
Gebläse bewirkt wird, scheint mir unnötig.
Ist diese wirksame Resorptionsmethode im Hause ohne viele
Umstände und Kosten durchzuführen, so bedürfen die Heißluft-
und Schwitzkuren besonderer Apparate. Der elektrische Licht¬
bügel (mit Stechkontakt) bringt, ohne das Herz zu belästigen, auf
der nackten oder durch eine dünne Leinwand geschützten Haut bei
genügend zahlreichen (6) und kräftigen Lampen sehr schnell eine
Temperatur bis an 100° hervor, wirkt demnach als reines Schwitz¬
bad. Das elektrische Licht besitzt chemisch wirksame Strahlen nur
in sehr bescheidenem Maße, man darf hier also nicht von einer Licht¬
therapie reden. Sie bilden dagegen den Hauptwert der Sonnen¬
bäder, die ich als eines der wohltätigsten Unterstützungsmittel bei
der Behandlung exsudativer Prozesse und ihrer Folgen empfehlen
möchte. Die „künstliche Höhensonne“ kommt am erfolgreichsten bei
tuberkulöser Erkrankung zur Anwendung. Thermophore, heute kaum
noch erhältlich, werden einfacher durch elektrische Wärmekissen,
auch durch das altbekannte Kataplasma ersetzt.
Lokale Therapie. Bei den akut entzündlichen, auch den
nicht oder wenig fieberhaften Krankheiten ist von aller lokalen
Behandlung im allgemeinen abzuraten, die damit verbundenen In¬
sulte machen Schmerzen, können durch Bewegungsimpulse den Pro¬
zeß verbreiten und stiften keinen Nutzen. Bettruhe, Diät, Abstinenz,
je nach den Bedürfnissen des Falles Antiphlogose oder Stauung, Be¬
kämpfung der Schmerzen, Vermeiden von Abführmitteln entspricht
gewöhnlich den Forcierungen. Eine Bekämpfung des Fiebers ist bei
nicht puerperalen Fällen durchschnittlich nicht indiziert, die Tempe¬
raturen gehen außer bei Tuberkulose und Eiterungen meist schnell
zurück. Geschieht das auch mit der Schmerzhaftigkeit und zeigt die
bimanuelle Untersuchung, daß kein Zustand besteht, der mechanisch
verschlimmert werden könnte (Eitersäcke, drohende Perforation,
Tubenschwangerschaft), so kann die lokale Therapie einsetzen.
Frischere und ältere Entzündungen im Oeschlechtsapparat pflegen
mit Ausflüssen verbunden zu sein, und gerade diese sind es,
die neben den Resultaten der Abtastung am schnellsten Aufschluß
über die Natur des Leidens zu geben vermögen. Man stellt zu¬
nächst fest, von welchem Abschnitt der Genitalien der Ausfluß pro¬
duziert wird, ob von Urethra, Vestibulum, Scheide oder Gebär¬
mutter, man untersucht Proben oder läßt sie untersuchen (s. oben
über Sekretentnahme und -Untersuchung). Bei älteren, weniger sezer-
nierenden Fällen kann es förderlich sein, ein paar Tage hindurch
einen Glyzerin- oder Ichthyolglyzerintampon in die Scheide zu legen,
der deren oberste Schleimhautschichten desquamiert und so die
Auffindung tiefer gelagerter Keime, auch in der Zervix, erleichtert.
Die lokale Behandlung der Gonorrhoe betrifft haupt¬
sächlich die Harnröhre und den Mutterhals und darf nach neueren
Erfahrungen eher einsetzen, als man früher wollte, weil man manch¬
mal die Infektion kupieren kann. Mittels einer Spritze (auch einer
solchen von Wolff, die einen Rückfluß der Flüssigkeit gestattet,
oder einer mit Janetsdiem Ansatz) injiziert man einmal täglich ein
Silbersalzpräparat sauber, vorsichtig und langsam in die Urethra:
2o/oiges Argent. nitric., das man später auf 3 und 5% steigert, wenn
die Schleimhaut sich dafür als tolerant erweist; 2—5—10%iges
Protargol, 3—5o/ 0 iges Argonin, 1—2o/ 0 iges Choleval, Argentamin
0,5/200. Der oft erteilte Rat, mit den Mitteln zu wechseln, ist
beherzigenswert. Bei erheblichen Reizzuständen werden Injektionen
von 5<>/oiger Antipyrinlösung oder Kokainstäbchen (0,03) empfohlen.
Chronische Urethritis verlangt oft eine Aetzbehandlung, so
z. B. Auswischen mit 2—5o/ 0 igem Argent. nitr. oder 2o/ 0 igem Ichthar-
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
636
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 19
gan; auch die Stäbchenbehandlung gibt gute Resultate (Choleval-
oder Protargolstäbchen, fertig käuflich, oder Jodoform, desodorat.
1,0, Kokain 0,2 mit Kakaobutter). — Gegen Vulvitis verordnet
man außer Sitzbädern und Puderungen Ichthyolsalben (10 auf 50
Vaseline), bei starkem Jucken 5<>oige Kokain- oder 10o/oige Anästhesin-
salbe. Bei Mastdarmgonorrhoe genügen manchmal Wasser¬
spülungen mit oder ohne Zusatz von Silberpräparaten.
Wenn wir bei gonorrhoischem Fluor Ausspülungen ver¬
ordnen, so müssen wir uns erinnern, daß derselbe gewöhnlich der
Zervix entstammt und daher durch den Flüssigkeitsstrom einfach
mechanisch entfernt wird. Auf eine keimtötende Wirkung ist weniger
zu rechnen als auf eine adstringierende. Man wählt aber zweck¬
mäßig ein Mittel, das beiden Aufgaben entspricht. Das ist in erster
Linie das Formalin (20o/oige Lösung, 1—2 Eßlöffel auf 1 Liter
Wasser), dann das Formalin enthaltende Lysoform (1 Teelöffel),
Lig. alumin. acetic. (2 Eßlöffel), Tannin-Salizyl (1 Teelöffel). Aus¬
spülungen, 1—2mal täglich, macht die Patientin selbst, sie muß aber
belehrt werden. Nur der Irrigator ist brauchbar, das Spülrohr am
besten gläsern, mit einer einzigen Oeffnung, die Temperatur der
Flüssigkeit möglichst warm (40—45°), die Menge 1 Liter. Nur,
wenn es sich um gleichzeitig anzustrebende Resorption handelt,
können bis zu 10 und mehr Liter versucht werden. Das Wichtigste
ist neben peinlicher Sauberkeit die Rückenlage, die ein Bespülen der
Scheidengewölbe und der Portio allein gewährleistet. Mitunter ist
es bei massenhafter Absonderung zähen Schleimes nötig, daß der
Arzt selbst die Spülung vornimmt, die dann mehr ein Auswaschen,
ein Dirigieren des Rohres mit zwei in die Scheide eingeführten
Fingern bedeutet. Wird der Irrigator von der Patientin sauberge¬
halten, nicht zu stark erhoben, wird die Luft vorher herausgelassen,
so passiert kein Schaden. Im allgemeinen gehen diese Ausspülungen
nur neben der eigentlichen Gonorrhoebehandlung her. Diese er¬
fordert ein Reinigen, Auswischen oder Actzen der befallenen Teile
durch den Arzt. Ich bin im allgemeinen von den käuflichen Aetz-
mitteln, wie dem Chlorzink, zurückgekommen und habe bessere Re¬
sultate mit längere Zeit konsequent angewendeten milderen Prä¬
paraten. Im Spekulum wird einmal täglich eingegossen: l°/oigcs
Formalin oder Lysoform, Choleval (5<yoig), Protargol oder Perhyuro!
(3<y.,ig), man bewegt das Röhrenspekulum, schiebt cs weit nach
hinten, allmählich wieder vor, damit alle Abschnitte der Scheide
befeuchtet werden. Noch wirksamer ist das Auswischen, besonders
der Muttermundslippen außen und innen mit Argent. nitric. in steigen¬
der Konzentration (1:3000 bis 1:500), 2'Voigem Alsol, manchmal
auch mit nicht zu dick aufgetrageuer Jodtinktur. Das geschieht mit
einer gaze- oder watteumwickelten Playfair- oder Stopfsonde oder
den elastischen Mengeschcn Stäbchen. Man reinigt zuerst mit Pro¬
targol oder Wasserstoffsuperoxyd, dann mit Argent. nitric. oder
2°/oigem Argentamin, zweckmäßig auch mit lOo/oigem Ichthyol, und
legt dann, was besonders bei der chronischen Zervikalgonorrhoe
in Betracht kommt, 5- oder 10u/oige Protargol- oder Cholevalstäb-
chen in den Zervikalkanal und verhindert ihr Herausfallen durch
trockene oder in eine antigonorrhoische Flüssigkeit getauchte Tam¬
pons. Die Serumbehandlung hat bisher, trotz mancher Empfehlung,
noch keine so überzeugenden Erfolge gebracht, daß sie schon aus
dem Bereich des Forschungsstadiums in die Praxis herausgelassen
werden dürfte. Dagegen sind gewisse harzige und ölige Substanzen
zweifellos als günstig befunden, so: Kapaivbalsam, Ol. santali (10—30
Tropfen in Kapseln), Gonosan 0,3, täglich 8—10 Kapseln, Gonorol u. a.
Nie soll man, insbesondere bei frischeren Fällen und Rezidiven,
vergessen, den Koitus, Alkohol und Gewürze zu verbieten und reich¬
liches Trinken von Mineralwasser, dünnem Tee und schleimigen
Getränken anzuordnen, bei Beteiligung der Harnorgane Salol (1,0 bis
8mal täglich), Urotropin, Hexal u. dgl.
Bei der Vulvovaginitis der Kinder sind protrahierte, mög¬
lichst heiße Sitzbäder mit und ohne Zusatz von Bleiwasser, reich¬
liches Trinken und genügend lange fortgesetzte Einspritzungen von
2—5o 0 igem Choleval oder Protargol, auch von schwachem (0,5 bis
lo/oigem) Argent. nitr. in die Scheide mittels einer kleinen Spritze
indiziert.
Ist die Gonorrhoe bei der Frau chronisch geworden, ist
sie in die Gebärmutter und Anhänge aszendiert, hat sie bedeutende
Veränderungen — Eiteransammlungen ausgenommen — hervorge¬
bracht, so unterscheidet sich ihre örtliche Behandlung im großen und
ganzen nicht mehr von der Behandlung anderer entzünd¬
licher Frauenleiden.
Auch die Behandlung der chronischen Formen beginnt man,
wenn irgend durchführbar, mit mehrtägiger Bettruhe, die entweder
durch Stauung (s. oben) oder öfter wiederholte Lagerung der
Patientin auf Knie und Ellenbogen unterstützt wird. Die
z. B. bei Parametritis chronica häufigen Venendilatationen, die viele
Störungen im Becken verschulden, entlastet man schnell, sodaß oft
schon nach 10 Minuten die Temperatur in der Scheide um 2—5,
im Uterus uin 2 Zentigrade sinkt und die Mukosa abblaßt. Alles,
was zur Blutüberfüllung führt, soll vermieden werden, so: enge
Kleidung, Arbeiten im Stehen, Kohabitation, Füllung von Darm und
Blase.
Die wichtigste Aufgabe ist die Resorption pathologischer
Sekrete und angestauter Lymphflüssigkeit; auch in sehr alten Fällen
besteht diese Aufgabe; denn je größer die Konstriktion der Becken¬
organe durch Stränge und Knoten, um so strotzender die Blut¬
end Lymphfüllung. Das verbreitetste Verfahren ist die Flüssig¬
keit sc n 1 1 \ ch u u g , und zwar durch den Glyzerintampon. Mit
Recht, denn das Glyzerin ist reichlich Wasser aufzunehmen imstande.
Nur muß der Tampon richtig angefertigt und eingelegt werden.
Ein harter, zu großer Wattepfropfen nimmt nicht genug Glyzerin
an und kommt mit den Scheidenwänden ungenügend in Berührung.
I Er wird am besten direkt vor dem Gebrauch aus sauberer Watte
sehr locker und nicht zu groß hergestellt und durch und durch mit
Glyzerin getränkt eingeschoben. Die mit Lymphapparaten gut aus¬
gestatteten Abschnitte resorbieren am besten, besonders wenn sie
breit ausgedehnt sind. Das Endometrium, das man zutreffend mit
einer ausgebreiteten Lymphdrüse verglichen hat, resorbiert vorzüg¬
lich. Der größte Teil der mit Plattenepithel überzogenen Scheide
tut das schlecht, nur das dünnwandige, bewegliche, dem großen
Lymphraum des Bauchfells benachbarte hintere Scheidengewölbe
besser. Es eignet sich daher als resorbierende Fläche und immer
günstiger, je mehr sein Epithel desquamiert ist. Darum ist nur der
Tampon richtig eingelegt, der hinter der Portio sich dem hinteren
Scheidengewölbe eng anschmiegt. Man bringt ihn in Rückenlage
oder besser in Seitenlage mit oder ohne Benützung einer Halbrinne
dorthin. Er erfüllt seinen Zweck nicht, wenn er von der Kranken
selbst eingeführt wird, weil er, wie oft auch vom Wartepersonal,
nicht ins Scheidengewölbe gebracht wird, auch nicht mit einer sog.
Tamponmaschine. Er soll 6—12 Stunden liegen, anfangs täglich,
später seltener, wenn die angeschwollenen Teile reduziert sind oder
wenig Flüssigkeit mehr entzogen wird. Nach dem Herausziehen
(an festem Faden) wird die Scheide ausgespült. — Die Gelatine¬
kapseln, Tampospuman und mit Medikamenten gefüllten Ovula sind
kein vollgültiger Ersatz.
Man hat nun dem Glyzerin verschiedene Stoffe zugesetzt,
j teils um seine resorbierende Kraft zu erhöhen, teils um gleichzeitig
| eine schmerzstillende, blutstillende oder spezifische Aktion zu er-
; zielen. Als schmerzstillender Zusatz hat sich mir besonders im Be-
I ginn der Kur bei empfindlichen Frauen und sehr schmerzhaften Leiden
j aas Chloralhydrat (1— 2<>.oig) bewährt. Schmerzstillend, kräftig
! resorbierend und gonokokkentötend wirkt das Ichthyol (10 auf
j 100 Glyzerin), das ich in die gynäkologische Therapie eingeführt und
durch kein konkurrierendes Sulfopräparat gleichwertig ersetzbar be-
I funden habe (Thiol in wäßriger Lösung 1:3 und Thigenol 10o/oig).
Daß man von der bekannten resorbierenden Kraft des Jods
und Jodkaliums hier in 2—5o/oiger Glyzerinlösung Gebrauch macht,
ist selbstverständlich. Manche Frau besitzt eine Idiosynkrasie da¬
gegen, daher beginnt man mit kleinen Dosen. Jodoformglyzerin¬
tampons sind vorzüglich bei tuberkulösen Affektionen angezeigt, sie
können die bekannten Nebenerscheinungen erkennen lassen. Bei
I hämorrhagischen Entzündungen sind Tampons mit Plumb. acetic.
indiziert (Plumb. acct. 5,0, Morph, acet. 0,2, Glyzerin 200). Ad¬
stringierend wirkt Alaun, pur. 2,0, Glyzerin 200. Neben den Spü¬
lungen, Bädern und Solbädern ist das heiße (auch das kalte)
Wasser ein mächtiges resorptionsbeförderndes, im übrigen auch
schmerzstillendes Mittel, gegebenenfalls in großen Mengen und
unter Verwendung eines Heißwasserspülers als Scheideninjektion.
Empfindliche Frauen vertragen es besser als Rektumeingießung, wie
man überhaupt resorbierende Mittel per rectum bequem
Verwender kann; Suppositorien (Ichthyol 0,2 mit Kakaobutter; Gly¬
zerin) sind weniger wirksam als kleine Eingießungen von Oel oder
Lebertran (2 Eßlöffel), die über Nacht behalten werden sollen.
Die Medikation per os spielt bei gynäkologischen Erkran¬
kungen eine bescheidene Rolle, bei den Entzündungen eigentlich
nur da, wo Blutungen und Schmerzen vorherrschen. Hier sei nur
daran erinnert, daß obstinate Formen der Metritis und Parametritis,
die allen Resorptionsversuchen trotzen und sich durch Schmerzen
I und unregelmäßige Blutungen auszeichnen, syphilitischer Natur ver-
dächtig sein können. Bei positivem oder negativem Wassermann ist
dann ein Versuch mit dem innerlichen Gebrauch von Jodkali ge-
! rechtfertigt, wenn man nicht Veranlassung zu einer antisyphilitischen
j Kur findet.
i Schleimabgänge, Blutungen und Schmerzen können auch durch
eine Kongestion der Genitalien bedingt sein, man erkennt diese
direkt im Spekulum und bekämpft sie wirksam durch regelmäßige
kleine Blutentziehungen, am besten vor der Menstruation. Der
Blutegel ist verabschiedet worden, aber Schröpfköpfe in die Kreuz¬
gegend gesetzt, und noch besser Stichelungen der Portio im Spe¬
kulum mittels eines Skalpells oder Skarifikators wirken wohltätig.
Lokale Resorptionskuren werden schließlich aufs glücklichste
durch Hitze Wirkung unterstützt, sowohl bei exsudativen wie
bei chronischen Entzündungen. Die eingangs genannten Lichtbügel
und die Diathermieapparate und Pelvitherme sind oft fast unentbehr¬
lich. Dasselbe gilt von Stauungen und Belastung (s. oben). Dagegen
ist die Verwendung der Röntgenstrahlen in dieser Hinsicht noch
problematisch, außer bei tuberkulöser Peritonitis, wofür, wie gesagt,
die natürliche Sonne oder die künstliche Höhensonne ihre Indikation
I gefunden hat. Letztere wirkt bei anderen Frauenleiden sonst haupt¬
sächlich suggestiv.
Die gynäkologische Massage (Thure Brandt) chronisch
entzündeter Organe kann in der Hand eines darin geübten Arztes
zweifellos Nutzen stiften, wenn es sich darum handelt, den Uterus
zur Kontraktion zu zwingen, ihn und seine Umgebung von Blut*
und Lymphüberschuß zu entleeren und geschrumpfte Partien, ver¬
kürzte Bänder zu dehnen, Adhärenzen auszuzerren und verlagerte
Organe zu redressieren. Es ist wichtig, sie durch Körpermassage
und Gymnastik zu unterstützen. Kontraindiziert ist sie bei frischen
Digitized by
Google
Original from
CORNELL UNiVERSITY
12. Mai 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
637
und subakuten Entzündungen, ebenso auch schon beim Verdacht
auf verborgene oder abgekapselte Ergüsse.
Bei frischen Entzündungen, Infektionen der Adnexe, des Becken-
bauchfells und der Parametrien sind in letzter Zeit Versuche mit
der intraglutäalen Injektion eines rektifizierten Terpentinöls „Ter-
nidiin“ (Ampullen mit 15<>/o Terpentinöl, 0,5 Chinin und Anästhesin,
o4 ü Ol. oliv.) gemacht worden, die mitunter bei guter Schmerz¬
stillung einen Rückgang der Infiltration herbeiführen. Man injiziert
eine Ampulle mit einer langen Kanüle in die Gesäßmuskulatur zwei¬
mal wöchentlich, muß aber auf örtliche Schmerzen gefaßt sein.
Von der chirurgischen Therapie entzündlicher Frauen¬
leiden sehe ich hier ganz ab, erfordert sie doch eine spetzialistische
Ausbildung, die allen Komplikationen gewachsen ist. Wer diese nicht
besitzt, soll auch Punktionen durch die Bauchdecken oder die
Scheide unterlassen, da diese Neben Verletzungen sowie Infektionen
verschulden können und eigentlich nur direkt vor einem größeren
Eingriff unternommen werden sollen. Dasselbe gilt von Inzisionen.
Oeffentliches Gesundheitswesen.
Gesetzgebung und Feuerbestattung; in Deutschland.
Von Oberreg.-Rat Dr. Bofosat in Berlin.
Seit den siebziger Jahren des verflossenenen Jahrhunderts findet
in Deutschland neben der Erd- die Feuerbestattung Verwendung. 1873
erbaute man die erste deutsche Feuerbestattungsanlage in Gotha.
Erst 13 Jahre später wurde die Feuerbestattung in einem zweiten
deutschen Staate, in Baden, und ein Jahr darauf in Hamburg zugelassen.
Seitdem ist sie in den meisten deutschen Staaten gesetzlich erlaubt
und geregelt worden. Zurzeit bestehen in Deutschland 55 Verbren¬
nungsanlagen, und zwar in folgenden Städten: Augsburg, Baden-
Baden, Berlin, Dessau, Dresden, Eisenach, Eßlingen, Frankfurt a. M.,
Freiburg i. Br., Friedberg i. H., Gera, Göppingen, Görlitz, Gotha,
Greifswald, Hagen i. W., Halle a. S., Hamburg, Heidelberg, Heil¬
bronn, Hirschberg i. Schl., Jena, Karlsruhe, Kiel, Königsberg i. Pr.,
Konstanz, Krefeld, Leipzig, Lübeck, Mainz, Mannheim, Meiningen,
München, Nürnberg, Offenbach a. M., Pforzheim, Plauen, Pößneck,
Reutlingen, Rudolstadt, Sonneberg i. Th., Stuttgart, Tilsit, Treptow-
Berlin, Ulm, Weimar, Wiesbaden, Zittau und Zwickau i. S. Seit der
Einführung der Feuerbestattung im Deutschen Reiche beläuft sich
die Zahl der Feuerbestattungen bis Ende 1921 auf rund 170000.
Allein im Oktober 1921 wurden 1587 Einäscherungen vorgenommen.
Eigentümer der Verbrennungsanlagen sind fast durchweg die Ge¬
meinden. Besondere Urnenhallen, Haine oder Felder, die ausschlie߬
lich der Aschenbeisetzung dienen, sind in vielen Gemeinden, auch in
solchen ohne Verbrennungsanlage, meist als Teil des allgemeinen
Friedhofs vorhanden. Landesrechtliche Bestimmungen über Feuer¬
bestattung finden sich gegenwärtig in folgenden Ländern:
1. Preußen. Gesetz, betreffend die Feuerbestattung. Vom
14. IX. 1911. — Anweisung des Ministers des Innern zur Ausführung
des Gesetzes, betreffend die Feuerbestattung, vom 14. IX. 1911. Vom
29. IX. 1911. — Erlaß des Ministers des Innern, betreffend Abänderung
der Anweisung zur Ausführung des Feuerbestattungsgesetzes. Vom
5. VI. 1919. — Erlaß des Ministers für Volkswohlfahrt, betr. die
Beibringung der amtsärztlichen Bescheinigung zum Zwecke der Feuer¬
bestattung. Vom 23. XI. 1921.
2. Bayern. Oberpolizeiliche Vorschriften des Staatsministeriums
des Innern über die Feuerbestattung. Vom 11. III. 1920. — Bekannt¬
machung des Staatsministeriums des Innern über die Feuerbestattung.
Vom 11. III. 1920.
3. Sachsen. Gesetz zur anderweitigen Abänderung des Gesetzes,
die Feuerbestattung betreffend, vom 29. V. 1906. Vom 30. XI. 1920. —
Bekanntmachung des Gesamtministeriums, betreffend Wortlaut des
Gesetzes über die Feuerbestattung. Vom 30. XI. 1920. — Verordnung
zur Ausführung des Gesetzes, die Feuerbestattung betreffend, vom
30. XL 1920. Vom 15. XII. 1920.
4. Württemberg. Bekanntmachung des Ministeriums des
Innern, betreffend die Zulassung der freiwilligen Feuerbestattung in
Württemberg. Vom 24. VI. 1921.
5. Hessen. Gesetz, die Feuerbestattung betreffend. Vom 19. VIII.
1899. — Bekanntmachungen des Ministeriums des Innern und des
Justizministeriums, betreffend die Ausführung des Gesetzes über die
Feuerbestattung vom 19. VIII. 1899. Vom 8. VII. 1913 und 7. V. 1919.
6. Hamburg. Gesetz über das Feuerbestattungswesen. Vom
13.1.1915.
7. Braun schweig. Gesetz über die Feuerbestattung. Vom
19. XII. 1910.
8. Anhalt. Gesetz, betreffend die Feuerbestattung. Vom
15. XII. 1920.
9. Lübeck. Gesetz, betreffend die Benutzung des Krematoriums
auf dem Vorwerker Friedhof. Vom 23. VI. 1909. — Verordnung zur
Ausführung des Gesetezs vom 23. VI. 1909. Vom 7. V. 1910. — Nach¬
trag der Verordnung vom 7. V. 1910. Vom 30. VI. 1915.
10. Mecklenburg-Strelitz. Verordnung des Staatsministe¬
riums über die Feuerbestattung. Vom 31.1.1919.
Es fehlen einschlägige Bestimmungen in Baden, Meckjenburg-
Schwerin, Oldenburg, Sachsen-Weimar, Sachsen-Meiningen, Sachsen-
Altenburg, Schwarzburg-Rudolstadt, Schwarzburg-Sondershausen, Wal¬
deck, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe und Bremen. In Baden und
Sachsen-Weimar ist das Feuerbestattungswesen in denjenigen Städten,
die entsprechende Einrichtungen besitzen, durch ortspolizeiliche Vor¬
schriften bzw. durch Ortsstatut geregelt. In Sachsen-Meinigen ist
die Feuerbestattung in Städten mit Krematorien in den betreffenden
Friedhofsordnungen berücksichtigt, ein Erlaß des Oberkirchenrats vom
16. IX. 1908 gibt dort außerdem Anweisung hinsichtlich der Mit¬
wirkung von Geistlichen bei Feuerbestattungen. Aehnliche Anweisungen
bestehen in Lippe — Rundverfügung des Konsistoriums, betreffend die
Stellung der Pfarrer zur Feuerbestattung. Vom 9. VII. 1917. — und
in Sachsen-Altenburg — Verordnung des sächsischen Ministeriums,
Abteilung für Kultusangelegenheiten, betreffend die Stellung der Geist¬
lichen zur Feuerbestattung. Vom 23. XII. 1909. In Bremen gelten die
für die Erdbestattung erlassenen Verordnungen auch für die Feuer¬
bestattung, ebenso in Reuß, wo indessen die Friedhofsordnungen der
Stadt Gera durch ein besonderes Ortsgesetz über die Feuerbestattung
und die Beisetzung von Aschenresten vom 27. VII. 1909 ergänzt wor¬
den sind.
' Von den in Rede stehenden landesrechtlichen Bestimmungen der
einzelnen Länder stimmt die in Mecklenburg-Strelitz erlassene Ver¬
ordnung über Feuerbestattung vom 31.1.1919 mit dem Preußischen
Gesetz vom 14. IX. 1911 fast wörtlich überein. Zusammenfassend ist
über die landesrechtlichen Bestimmungen der einzelnen Länder Fol¬
gendes zu sagen:
Die Einrichtung einer Feuerbestattungsanlage bedarf überall, wo
l in den betreffenden Verordnungen hierüber etwas gesagt ist, der
| Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde. Diese Genehmigung
wird in Preußen, Bayern, Württemberg, Mecklenburg-Strelitz und
Anhalt nur an Gemeinden erteilt. In Preußen und Mecklenburg
Strelitz bedürfen die Beschlüsse der Gemeinden über die Einrichtung
solcher Anlagen der Zustimmung einer Zweidrittelmehrheit der Ge¬
meindevertretungen.
Zuständig für die Genehmigung zur Vornahme von Feuerbestat¬
tungen ist wohl überall die Ortspolizeibehörde des Einäscherungsortes.
Die Genehmigung zur Einäscherung ist in Preußen und Mecklen¬
burg-Strelitz mindestens 24 Stunden vorher von der Ortspolizei¬
behörde des Verbrennungsortes einzuholen. In Hamburg ist jede
Feuerbestattung mindestens 24 Stunden vor der Einäscherung im
Friedhofsbureau, in Lübeck mindestens 30 Stunden vorher der Fried-
hofsbehördc anzumelden.
Unerläßlich für die Genehmigung zur Einäscherung ist in Preußen,
Bayern und Mecklenburg-Strelitz: 1. die amtliche Sterbeurkunde;
2. eine amtsärztliche Bescheinigung über die Todesursache des an einer
etwaigen Behandlung des Verstorbenen nicht beteiligten zuständigen
beamteten Arztes; 3. ein Nachweis, daß der Verstorbene eine Ver¬
brennung seiner Leiche angeordnet hat; 4. eine Bescheinigung der
Ortspolizeibehörde des Sterbcortes oder des letzten Wohnortes des
Verstorbenen, daß Umstände, die den Verdacht der Herbeiführung
des Todes durch eine strafbare Handlung begründen, nicht bekannt
sind. Liegen die Voraussetzungen des § 157 Absatz 1 der Strafproze߬
ordnung vor, so darf die ortspolizeiliche Genehmigung erst erfolgen,
nachdem die Genehmigung durch die Staatsanwaltschaft oder das
Amtsgericht erteilt ist.
Zuständig für die Ausstellung der Bescheinigung unter 2. ist in
Preußen derjenige beamtete Arzt, in dessen Amtsbezirk sich die Leiche
, zur Zeit der Anforderung der Bescheinigung befindet; für die in
I größeren Krankenhäusern Verstorbenen können von der Zentralbehörde
Aerzte der Anstalt zur Ausstellung dieser Bescheinigung ermächtigt
werden. In Bayern, Hessen und Anhalt ist der beamtete Arzt des
Sterbeortes zuständig, doch darf in Bayern „auf Ansuchen“ die
Bescheinigung auch von dem beamteten Arzt des Bestattungsortes
ausgestellt werden. In Sachsen ist die Bescheinigung von einem zur
Leichenschau zugelassenen Arzte auszufertigen. Zur Leichenschau
zugelassen sind hier beamtete Aerzte, die eine Prüfung in Gericht¬
licher Medizin mit Erfolg bestanden haben und in einer bei der
Kreishauptmannschaft zu führenden Liste der Leichenschauärzte ein¬
getragen sind. In Württemberg ist außer dem Zeugnis eines appro¬
bierten Arztes über die festgestellte Todesursache noch ein Zeugnis
des für den Sterbeort oder den Bestattungsort zuständigen beamteten
Arztes erforderlich darüber, daß auf Grund der von ihm vorgenom¬
menen Besichtigung der Leiche oder das Ergebnis der Leichenöffnung
der Verdacht eines nicht natürlichen Todes ausgeschlossen ist. Aehn-
lich wie in Württemberg ist auch in Sachsen, Braunschweig und
Anhalt eine Bescheinigung des behandelnden Arztes vorzulegen und
dessen Gutachten in das Zeugnis des beamteten Arztes aufzunehmen.
Fand eine Behandlung vor dem Tode nicht statt, so ist in Hessen
und Braunschweig ein approbierter Arzt zuzuziehen, in beiden Län¬
dern sowie in Württemberg auch dann, wenn der für die Ausstel¬
lung der Bescheinigung zuständige beamtete Arzt behandelnder Arzt
war. In Braunschweig ist neben den Bescheinigungen unter 1. bis 3.
diejenige unter 4. nur dann einzureichen, wenn der Bcstattungsort
nient der Sterbeort ist.
In Lübeck ist außer den Nach weisen unter 1. und 3. ein Zeugnis
des behandelnden oder eines beamteten Arztes über die Todesursache
vorzulegen, in dem erklärt wird, daß jeder Verdacht einer strafbaren
Handlung ausgeschlossen ist. Die Richtigkeit dieser Erklärung ist
vom Polizeiamt, bei auswärts Verstorbenen von der Polizeibehörde des
□ igitized by Gougle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
638
DEUTSCHE MEDIZINISCHE ^WOCHENSCHRIFT
Nr. 19
Sterbeorts zu beglaubigen.* Die Bescheinigung unter 4. fällt dem¬
nach fort. »
In Bremen sind ein Totenschein und eine Bescheinigung des
Standesamts über die Eintragung des Sterbefalles in das Sterbe register,
in Koburg dazu noch ein Leichenbestattungsschein einzureichen; an
Stelle des Nachweises, daß der Verstorbene eine Verbrennung seiner
Leiche angeordnet hat, genügt in beiden Ländern der schrift¬
liche Antrag der das Begräbnis ausrichtenden Angehörigen bzw.
Bestattungspflichtigen auf Vollzug der Feuerbestattung. Nur wenn
sich aus dem Totenschein oder aus anderen Umständen ergibt, daß
der Todesfall den Verdacht eines Verbrechens oder Vergehens erregt,
durch Selbstmord oder Verunglückung entstanden ist, wird in Bremen
noch die Bestattungserlaubnis von der Ortspolizeibehörde, in Koburg
die Einverständniserklärung des zuständigen Staatsanwalts oder Ge¬
richts angefordert.
Gotha verlangt ausschließlich einen Nachweis darüber, daß
entweder von dem Verstorbenen selbst die Feuerbestattung angeordnet
worden ist oder die Personen* die für die Bestattung zu sorgen haben,
die Feuerbestattung wählen. Dieser Nachweis bedarf keiner Be¬
glaubigung.
In Hamburg müssen die Leichen auswärts verstorbener Personen
von einer Sterbeurkunde und einem durch die zuständige Behörde
ausgestellten Leichenpaß, in Lübeck, Koburg und Gotha nur von einem
Leichenpaß begleitet sein.
In den Vorschriften für Preußen, Bayern, Sachsen, Württemberg,
Hessen, Braunschweig, Anhalt und Mecklenburg-Strelitz wird betont,
daß die Bescheinigung unter 2. nur auf Grund 1 einer voraufgegangenen
Leichenschau ausgestellt werden darf. Zu dieser Leichenschau ist in
Preußen, Bayern, Anhalt und Mecklenburg-Strelitz der behandelnde
Arzt zuzuziehen.
Sehr eingehende Vorschriften für die Ausführung der ärztlichen
Leichenschau zwecks Feuerbestattung sind in Preußen und Sachsen
erlassen worden; dem Sinne nach gleich, aber weniger ausführlich
als die vorgenannten sind die hessischen Vorschriften über denselben
Gegenstand.
Der Nachweis, daß der Verstorbene die Feuerbestattung angeord¬
net hat, ist in Preußen und Mecklenburg-Strelitz zu erbringen:
a) durch eine letztwillige Verfügung des Verstorbenen, b) durch
eine mündliche Erklärung des Verstorbenen, die vor einer zur Führung
eines öffentlichen Siegels berechtigten Person als in ihrer Gegenwart
abgegeben beurkundet ist; in Bayern, Württemberg, Hessen und
Braunschweig läßt sich dieser Nachweis auch noch erbringen durch
eine schriftliche, hinsichtlich der Unterschrift öffentlich beglaubigte —
in Württemberg nicht — Erklärung des Verstorbenen sowie durch das
öffentlich beglaubigte mündliche — in Bayern „eidesstattliche“ —
Zeugnis zweier glaubwürdiger — in Bayern „eidesfähiger“ — Per¬
sonen, daß der Verstorbene in ihrer Gegenwart den ausdrücklichen
und ernsten Wunsch geäußert hat, eingeäschert zu werden.
Der Nachweis, daß der Verstorbene eine Verbrennung seiner
Leiche angeordnet hat, wird nur dann anerkannt, wenn er diese
Anordnung nach Vollendung des 16. Lebensjahres — in Württemberg:
des 18., in Braunschweig: der Volljährigkeit — traf. In Braunschweig
können indes Minderjährige, deren Eltern verstorben sind, mit voll¬
endetem 16. Lebensjahre ihre Feuerbestattung anordnen. In Bayern,
Württemberg, Hessen, Braunschweig und Lübeck ist die Anordnung
des Verstorbenen nur gültig, wenn dieser zu der Zeit, in der er die
Verbrennung anordnete, geschäftsfähig war. Die in Rede stehende
Anordnung ist nach den Bestimmungen in Bayern, Braunschweig und
Lübeck bei Personen, die das vorgeschriebene Lebensalter nicht be¬
sitzen oder geschäftsunfähig sind, von dem Inhaber der elterlichen
Gewalt oder dem gesetzlichen Vertreter zu treffen. Falls der Ver¬
storbene über seine Bestattung nichts bestimmt hatte* so steht in
Sachsen in erster Linie den nächsten Angehörigen, soweit sie geschäfts¬
fähig sind, in zweiter Linie den sonst Bestattungspflichtigen das
Recht zu, die Art der Bestattung zu bestimmen. In Württemberg
genügt, falls eine entgegenstehende letztwillige Verfügung des Ver¬
storbenen nicht vorhanden ist, der Nachweis darüber, daß sämtliche
Bestattungspflichtige übereinstimmend die Feuerbestattung verlangen.
(Siehe auch Bremen und Gotha.)
Vereinzelte Angaben über die Beschaffenheit und die innere
Ausstattung der Särge, in denen die Leichen dem Verbrennungsofen
zu übergeben sind, linden sich in den Ausführungsbestimmungen für
Preußen, Hessen und in dem Ortsstatut von Koburg. Die einschlägi-
en Bestimmungen für Sachsen, Hamburg und Gotha enthalten nur
emerkungen über die Beschaffenheit de9 Sarges. Dieser muß aus
leichtem Holz — in Koburg aus Fichten- oder Pappelholz, in Sachsen
auch aus Zinkblech — hergestellt sein.
Die nachträgliche Feuerbestattung schon beerdigter Leichen kann
in Koburg verweigert, in Lübeck von dem Vorsitzenden der Fried-
hofsbehördc gestattet werden.
Die Aschenreste verbrannter Leichen sollen im allgemeinen in
einem behördlich verschlossenen Behältnis entweder in der Umen-
halle (Urnengrab) oder in einer andern behördlich genehmigten
Bestattungsanlage beigesetzt werden. Eine Aushändigung der Aschen¬
reste findet in Bayern an Verwandte nicht statt, in Preußen, Hessen,
Hamburg und Lübeck nur zum Zweck der ordnungsmäßigen Bei¬
setzung bzw. Aufstellung an einem behördlich genehmigten Bestat¬
tungsorte. In Sachsen steht die Bestimmung über die Aschenreste
ausschließlich den nächsten Angehörigen oder den sonst Beerdigungs-
Pflichtigen zu. In Koburg haben nur die Angehörigen die Verfügung
über die Asche; in Ootha wird sie denen verabfolgt, die für die
Bestattung gesorgt haben.
Zu seiner Kennzeichnung wird das Aschengefäß mit einem Schilde
versehen, auf dem angegeben sind:
a) in Preußen und Bayern: die mit dem Einäscherungsverzeichnis
und dem Tonschild in der Asche übereinstimmenden Einäscherungs¬
nummern, Vor- und Zuname, Stand des Verstorbenen, Ort, Tag und
Jahr der Geburt, Ort, Tag und Jahr — in Bayern nur Tag und Jahr —
des Todes und der Tag der Einäscherung;
b) in Lübeck: Registernummer, der volle Name des Verstorbenen,
Geburts-, Sterbe- und Einäscherungstag;
c) in Koburg: die Nummer der Eintragung in das Einäscherungs-
verzcichnis.
Ober die zur Einäscherung kommenden Leichen ist in Preußeo,
Bayern, Sachsen, Hessen, Bremen und Lübeck ein Register zu führen,
in das unter fortlaufender Nummer der volle Name des Verstorbenen,
Stand oder Beruf, Geburtstag, Geburtsort — nicht in Lübeck —,
letzter Wohnort — nur in Sachsen —, Todestag und Sterbeort —
nicht in Lübeck —, Religionsbekenntnis — nur in Lübeck —, Tag der
Verbrennung — in Sachsen und Lübeck auch Stunde —, Ort der
Beisetzung der Aschenreste — nicht in Sachsen und Lübeck — ein¬
zutragen sind. In Preußen kommt noch die Nummer des Sarges
hinzu. Dieses Register unterliegt in Sachsen und Lübeck der öffent¬
lichen Einsicht, in Preußen muß dasselbe mit einem gleichen, von der
Ortspolizeibehörde des Verbrennungsortes zu führenden überein¬
stimmen.
Es läßt sich nicht leugnen, daß die landesrechtlichen Vorschriften
über die Feuerbestattung in den einzelnen Ländern eine Fülle von
Verschiedenheiten aufweisen, man vergleiche nur die Bestimmungen,
die sich mit der Beibringung der Nachweise zur Erlangung der behörd¬
lichen Genehmigung der Feuerbestattung, der Unterbringung der
Aschenreste u. a. m. beschäftigen. Diese Vielgestaltigkeit der in Rede
stehenden Vorschriften, die sich in der Hauptsache aus den allmählichen
Fortschritten der Feuerbestattung in Deutschland erklärt, ist zweifel¬
los in einem einheitlichen Reiche wenig erwünscht, zumal sich aus
diesem Durcheinander in dem praktischen Leben nicht geringe Schwie¬
rigkeiten ergeben. Die in einer aus den letzten Jahren stammenden
Eingabe des „Verbandes der Feuerbestattungsvereine deutscher
Sprache“ an die gesetzgebenden Körperschaften des Deutschen
Reiches ausgesprochene Bitte, es möge ein Gesetz zur Verabschiedung
gebracht werden, durch das auf der Grundlage einer grundsätzlichen
Gleichberechtigung der beiden Bestattungsformen die zurzeit be¬
stehenden, in mannigfachen Richtungen voneinander abweichenden
einzelstaatlichen Gesetze und Verordnungen zu einem einheitlichen
Ganzen zusammengefaßt werden, kann man deshalb verstehen. Im
lahre 1919 hat denn auch die Verfassungsgebende Nationalversamm¬
lung eine Entschließung angenommen, durch die jene Petition der
Feuerbestattungsvereine der Reichsregierung zur Berücksichtigung
überwiesen wurde. Nachdem so die einleitenden Schritte zur Regdung
der Angelegenheit getan sind, dürfte die Schaffung eines Reichs¬
gesetzes betreffend die Feuerbestattung wohl in absehbarer Zeit zu
erwarten sein.
Feuilleton.
Allerlei aus dem Ausland.
Araerika^und England«
Auch in England ist zu Ende des vorigen Jahres wieder eine
weitverbreitete lofloeozaepidemie aufgetreten. Auffallend häufig sind
dabei eigentümliche Hautausschläge beobachtet worden, die an man¬
chen Orten mehr Masern und Röteln, an anderen mehr dem Scharlach
glichen; auch die gastro-intestinale Form war an manchen Orten
sehr häufig; Lumbago und Rückenschmerzen von ungewöhnlicher
Heftigkeit traten oft als Anfangserscheinungen auf und ließen an
Pocken denken. Pneumonien sind dagegen im Gegensatz zur vor¬
hergehenden Epidemie selten aufgetreten, besonders wurde die so
efürchtete heliotropfarbige Zyanose nur selten beobachtet, und die
eobachteten Fälle kamen meist zur Heilung, während sie bei der
vorigen Epidemie fast ausnahmslos starben. Das Gesundheitsministe¬
rium, das die Epidemie erwartet und Vorsorge getroffen hatte,
empfiehlt in einem Merkblatt die Anwendung von Vakzine; sie sei
zweifellos imstande, Komplikationen zu verhüten, einen Schutz vor
Ansteckung gewähre sie allerdings nicht. Gurgeln sei auch kein
gutes Schutzmittel, wohl aber Insufflationen.
Das englische Qesuodbeitsministeriuiii hat jetzt auch einen Be¬
richt des Dr. Monckton Copeman herausgegeben, der sich mit
der Schick-Reaktion und der aktiven Immunisierung gegen Diphtherie
befaßt. Copeman rät davon ab, in England, wie das z. B. in
Neuyork durchgeführt wurde, zwangsweise alle Personen, die der
Ansteckungsgefahr ausgesetzt sind, zu immunisieren. Er glaubt, daß
eine sorgfältigere Durchführung der jetzt üblichen Vorsichtsma߬
regeln dasselbe erreichen würde. Nur in bestimmten Fällen empfiehlt
er die Schick-Reaktion und die Toxin-Antitoxin-Immunisierung, z. B.
bei Krankenschwestern oder auch in Schulen. Copeman hält es
für falsch, den Meldezwang auch auf Bazillenträger auszudehnen, die
Bazillen dieser Träger sind oft nicht virulent, und die Behandlung
im Krankenhause nutzt niemandem. Steht die klinische Diagnose
Diphtherie fest, so ist Antitoxin anzuwenden, das Warten auf den
Digitized b'
Google
Original from
CORNELL UNIVERSUM
12. Mai 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
639
bakteriologischen Befund läßt nur kostbare Zeit verstreichen. Sehr
wünschenswert wäre es natürlich, keinen Fall aus dem Kranken¬
hause zu entlassen, ehe nicht durch mehrfache bakteriologische
Untersuchungen das völlige Freisein sichergestellt ist, hierzu ge¬
hören aber zahlreiche Hilfskräfte, die den meisten Krankenhäusern
nicht zur Verfügung stehen, man muß sich also in praxi damit be¬
gnügen, eine klinische Heilung des Rachens und der Nase festzu¬
stellen. (ln England nehmen die großen allgemeinen Krankenhäuser
keine Infektionskrankheiten auf, diese werden vielmehr den städtischen
Infektionsspitälern überwiesen, die natürlich bei größeren Epidemien
meist kaum ausreichen.)
Das englische Meldeamt gibt für das letzte Quartal 1921 an,
daß auf je 1000 Einwohner 22,5 Geburten und 10,4 Todesfälle kamen
(die Geburtenzahl ist gegen 1920 heruntergegangen). Die Säuglings¬
sterblichkeit betrug 83 pro 1000, 15 weniger als im vorigen Viertel¬
jahr. Interessant ist eine Statistik, die zeigt, daß die Säuglingssterb¬
lichkeit an Diarrhoe abhängig ist von der Erdtemperatur in 4 Fuß
Tiefe. Die Statistik reicht vom Jahre 1906—1921. Schon 1885 hatte
Ballard darauf hingewiesen, daß die Sommerdiarrhoe in London
beginnt, wenn die Erdtemperatur bei 4 Fuß Tiefe auf 13,3° C steigt.
1921 betrug in der am 9. VII. endenden Woche die Durchschnitts¬
temperatur der Erde in Greenwich bei London unter 13,3° C. In
dieser Woche starben in 96 großen Städten Englands 64 von
1000 Kindern unter 2 Jahren an Sommerdiarrhoe, in London nur 13.
In der folgenden Woche stieg die Erdtemperatur auf 14° C und die
Sterblichkeit auf 118 bzw. 30 in London. In der nächsten Woche
stieg die Erdtemperatur weiter an und mit ihr die Sterblichkeit auf
198 und 29, noch eine Woche später betrug die Erdtemperatur über
15°, die Sterblichkeit 300 in England, 52 in London. Aehnliche Zahlen
finden sich in allen Jahren von 1906—1921.
Die Zahl der Kriegsinvaliden, die ein Bein verloren haben, beträgt
in England 41000. Ein vom Pensionsministerium ernannter Ausschuß
hat jetzt dahin berichtet, daß die bisher für Oberschenkelamputierte
gelieferten Kunstbeine durchgängig zu schwer seien. Das Ministerium
hat daraufhin ein Musterbein fertigstellen lassen, das leicht ist und
alle neuen mechanischen Hilfsmittel in sich vereinigt. Dieses Holz¬
bein soll in der Zukunft geliefert werden, für besondere Fälle kann
auf Wunsch des Arztes auch ein leichtes, ganz aus Metall gefertigtes
Bein geliefert werden.
Das „Journal of the Americ. Med. Assoc.“, das, wie im vorigen
Bericht erwähnt, eine Umfrage an zahlreiche amerikanische Aerzte
wegen des Alkoholverbotes hatte ergehen lassen, hat die ange¬
gangenen Antworten jetzt zusammengestellt und in der Nummer
vom 21. I. 1922 veröffentlicht. Von 53900 Aerzten, d. s. 37o/o aller
in den Vereinigten Staaten registrierten Aerzte, die befragt wur¬
den, haben 31115 (58o/o) geantwortet, 83o/o von. ihnen sind prak¬
tische Aerzte, die übrigen Spezialisten. Auf die Frage, ob sie Whisky
(oder Kognak und ähnliche Spirituosen) für die Therapie für not¬
wendig halten, haben 51 o/o bejahend, 49o/o verneinend geantwortet,
unter den bejahenden befanden sich vor allem die Aerzte der
größeren Städte und die Bewohner der Küsten des Atlantischen
Ozeans. Die Anhänger des Whiskys benutzen ihn besonders bei der
Behandlung der Pneumonie, der Influenza und anderer Infektions¬
krankheiten; dann auch bei Alterskrankheiten, in der Rekonvaleszenz,
beim Diabetes, bei Herzschwäche und Shok. Bier wurde nur von
26o/o der Aerzte als ein notwendiges Heilmittel bezeichnet, sie ver¬
wenden es besonders während der Laktation, in der Rekonvaleszenz,
bei Anämien und im Alter. Wein halten nur 32o/ 0 der Aerzte für
notwendig. Von 1227 kalifornischen Aerzten (Kalifornien ist das
Hauptweinland Nordamerikas) haben sich nur 415 für den Wein aus¬
gesprochen. Im allgemeinen wird Wein ebenso verwendet wie Bier,
teilweise dient er als Ersatz des Whiskys. 1/4 der Aerzte gab an,
daß sie infolge der Prohibitivgesetze Gesundheitsschädigungen, ja
selbst Todesfälle gesehen hätten. (Diese Behauptung ist merkwürdig,
da die betreffenden Aerzte alle im Besitz von Whiskyerlaubnis¬
scheinen waren und auch in ihrer Praxis davon Gebrauch machten;
die vorgefaßte Meinung und der Unwille gegenüber der „Trocken¬
legung“ sprechen dabei sicher mit.) Zum Teil beziehen sich die
Saiädigungen auf den Gebrauch verfälschten Whiskys (Holzalkohol).
Viele Aerzte haben sich gegen jede Beschränkung der Aerzte in
der Verordnung der Alkoholika jeder Art ausgesprochen. Nur 2<>/o
aller Aerzte aber glaubt, daß die jetzt jedem Arzte freistehende Zahl
von 100 Whiskyrezepten (etwa 50 Liter) in 3 Monaten zu niedrig
sei, andere Aerzte glauben, daß das jetzt bestehende Gesetz keine
Vorsorge für Epidemien treffe und daß die Beschränkung auf 100
viele Aerzte veranlasse, diese ganze Zahl zu verbrauchen, ob es
nötig sei oder nicht. Eine große Majorität aller Befragten sprach
sich für die Notwendigkeit aus, den Aerzten eine Beschränkung in
der Zahl ihrer Alkoholrezepte aufzuerlegen; viele wünschen, daß
diese Beschränkung nach Art des Harrison-Gesetzes gegen den
Gebrauch von Narkotika durchzuführen sei. Am meisten würde es
sich empfehlen, wenn der Staat den Alkoholverkehr selbst über¬
nähme und nur versiegelte Flaschen von bestimmter Qualität und
Inhalt abgäbe. Ganz besonders erschwert wird die Frage in Amerika
noch dadurch, daß das neue Gesetz Bundesgesetz ist, daß aber
nebenbei noch jeder Staat seine eigenen Gesetze hat und vielfach
auch den Aerzten das Verschreiben von Alkohol absolut untersagt.
Es ist nicht uninteressant, die genaueren Listen, die das A. J. M. A.
aufgestellt hat, durchzusehen, es geht aus ihnen klar hervor, daß
die Bewohner der Großstädte, in denen ja auch der Sitz der Alkohol¬
interessenten und der von ihnen beeinflußten Presse zu suchen ist,
den Alkohol für nötig halten, während ihn die Aerzte des platten
Landes durchaus verwerfen. So zeigt denn auch diese große Rund¬
frage einmal wieder, wie sehr wir alle (auch wenn wir objektiv sein
wollen) Beeinflussungen jeder Art unterworfen sind, denn neben der
Beeinflussung durch die Presse spielt der Verkehr, der in Amerika
sehr verbreitete Puritanismus und die Parteizugehörigkeit gewiß eine
große Rolle bei der Beantwortung dieser scheinbar rein wissen¬
schaftlichen Fragen. Hoffen wir, daß auch für Deutschland einmal
die Zeit kommt, wo man der „Trockenlegung“ ernsthaft nähertritt;
man braucht kein eingeschworener Abstinenzler zu sein, um zu
sehen, daß in Deutschland für Gesundheit und Geldbeutel noch viel
zu viel getrunken wird und daß z. B. die Gerste weit nützlicher als
Graupen denn als Bier zur Verwendung käme. Wer Gelegenheit
hat, viel mit Ausländem in Berührung zu kommen, wird sich immer
von neuem schämen, wenn er hören muß: überall bittet ihr um milde
Gaben, laßt euch von Quäkern und anderen speisen, und dabei ver¬
geudet ihr Milliarden in Alkohol, Tabak und Kuchen. Der früheren
Regierung wirft man immer vor, sie habe das Volk belogen und
ihm eine trügerische Siegeshoffnung vorgegaukelt, der heutigen Re¬
gierung und den Führern der großen Massen ist es aber auch
nicht gelungen, dem Volke klarzumachen, daß die heutige Parole
nicht Genießen und Faulenzen, sondern Entbehren und Arbeiten
heißt, und beim Entbehren sollten schon aus gesundheitlichen Grün¬
den an erster Stelle Alkohol und Tabak stehen.
In Bulgarien steht zur Zeit ein Gesetz zur Beschränkung des
Alkoholgenusses zur Beratung. Darin wird u. a. eine gründliche
Belehrung aller Schulkinder über die Übeln Folgen des Alkohol¬
genusses verlangt; allen Personen unter 20 Jahren ist der Eintritt
in Plätze verboten, an denen Alkohol verkauft wird; alle solchen
Plätze müssen an Sonn- und Feiertagen um 5 Uhr mittags ge¬
schlossen werden. Alle Geschäftsabschlüsse, Zahlungen usw., die in
solchen Lokalen getätigt werden, sind ungültig. Tn Dörfern darf
eine Wirtschaft auf je 1000, in Städten auf je 2000 Einwohner
kommen. Die Steuer auf alkoholische Oetränke sowie ihr Transport
sind um 1000% zu erhöhen.
Dr. E. Meyer von der Röckefeller Foundation berichtet in einer
Arbeit über die Säuglingssterblichkeit in Neuyork, daß das Säug¬
lingsleben in Neuyork heute sicherer ist als in irgendeiner anderen
Großstadt der Welt. 1915 wurden 24000 Säuglinge mehr am Leben
erhalten als 1885. Es ist dies vor allem zurückzuführen auf die
bewundernswerte Arbeit des seit 1912 datierenden Bureaus für
Hygiene des Kindes mit seinen 7 Unterabteilungen. Außerdem ar¬
beiten noch 400 private Wohltätigkeitsanstalten auf diesem Gebiete.
1914 hatte Neuyork mit einer Säuglingssterblichkeit von 95 pro
Tausend die niedrigste Zahl unter allen Großstädten, dazu kommt
noch, daß die Herabminderung der Todesfälle der Säuglinge eine
ganz außerordentliche Herabminderung der Todesfälle der nächsten
4 Lebensjahre herbeiführt. 1919 konnten 30771 Säuglingsleben mehr
als 1885 gerettet werden, und zwar 2900 an Infektionskrankheiten,
10690 an Diarrhoe, 4377 an Krankheiten der Atmungsorgane, 1513
an angeborenen Erkrankungen usw. leidende Säuglinge. Zurückzu¬
führen ist die Verringerung der Säuglingssterblichkeit zum großen
Teile auf eine Verbesserung der Milchversorgung. Seit 1896 besteht
das Lizenzgesetz, wonach niemand ohne besondere Erlaubnis mit
Milch handeln darf; 1904 wurde bestimmt, daß der Milchtransport
nur bei einer bestimmten Maximaltemperatur erfolgen darf, 1908
folgte das Gesetz über Pasteurisierung und die Einteilung der Milch
in verschiedene Sorten. Seit 1914 muß alle Milch, mit Ausnahme
der von tuberkulosefreien Herden stammenden, pasteurisiert werden.
Hand in Hand mit diesen gesetzlichen Bestimmungen gingen private
Versuche, die Milchzufuhr zu verbessern, worunter besonders die von
dem bekannten Philanthropen Nathan Strauß eingerichteten De¬
pots für den Bezug pasteurisierter Milch zu nennen sind; in diesen
Depots wird den Müttern auch Belehrung über Säuglingspflege
egeben, und die dort stationierten Schwestern machen Hausbesuche,
ehr interessant ist der Rasseneinfluß auf die Säuglingssterblichkeit.
Von 1900—1910 ist die fremde Bevölkerung Neuyorks von IV 4 auf
2 Millionen gestiegen. 1915 betrug nun die Gesamtsterblichkeit der
Säuglinge 98 pro Tausend. Untersucht man die Herkunft dieser
Säuglinge, so kommt auf von schwedischen Eltern stammende Säug¬
linge nur eine Sterblichkeit von 65, auf russisch-polnische von 78,
auf Österreich-ungarische von 80, auf italienische 103, auf irische 119,
auf deutsche 116 und auf englische 138. Meyer glaubt, daß die
große Abnahme der Sterblichkeit zum Teil auf den gewaltigen Ein¬
strom slawischer Elemente zu setzen ist. In den Vereinigten Staaten
wird die Pockenschutzimpfung immer noch sehr lax betrieben, und
so herrschen denn überall Pockenerkrankungen. In den ersten
6 Monaten des Jahres 1921 wurden aus 7 Bundesstaaten allein
18000 Fälle gemeldet, 2 /s dieser Fälle waren niemals geimpft worden,
V 20 war vor mehr als 7 Jahren geimpft worden, von den übrigen
Fällen ließen sich meist keine genauen Angaben über Impfung er¬
halten, nur 2% der Erkrankten waren in den letzten 7 Jahren ge¬
impft worden.
In einer längeren Arbeit im Philipp. Islands M. A. J. Manila (Juli-
August 1921) verwirft Albert auf Grund seiner Beobachtungen
durchaus die bisher geübte Segregation der Leprosen in der CuFion
Leprakolonie. Die Zahl der Neuaufnahmen ist nicht gefallen, und
die Segregation aller Leprösen, mag es sich nun um gefährliche
oder ungefährliche Fälle handeln, an einem Ort hat sich nicht be¬
währt. Tuberkulose und Syphilis sind sicher gefährlicher für die
Umgebung als Lepra, da sie viel ansteckender sind. Es gelingt nicht,
Digitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
640
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 19
die Frischfälle zu isolieren, da man sie vielfach nicht erkennt, auch
werden viele Fälle von der Familie verheimlicht. Albert rät zum
norwegischen System überzugehen und nur die Fälle mit offener
Lepra zu isolieren, die nach Untersuchung durch einen Facharzt
wirklich eine Gefahr für ihre Umgebung bedeuten.
Dr. Caroline Ran so m Williams hat in der Bibliothek des
New York Historical Society einen medizini sehen Papyrus entdeckt
der nach. Untersuchung durch den bekannten Aegyptologen Prof
Breadsted den in Berlin und Leipzig (Papyrus Ebers) befindlichen,
sowie dem Hearst Papyrus in Kalifornien an Bedeutung gleichkomint.
Der etwa 1600 vor Christi Geburt geschriebene Papyrus umfaßt
500 Zeilen und beschreibt 47 Krankheitsfälle. Sehr genau wird
immer das befallene Organ bezeichnet, meist handelt es sich um
Erkrankungen des Kopfes; darunter wohl der erste Bericht über eine
Erkrankung der Stirnnöhle, dann eine Reihe von Stichverletzungen,
zum Teil penetrierender Natur. Selbst die schwersten, mit ausge¬
dehnten Knochenverletzungen einhergehenden Kopfverletzungen gelten
nicht als unbedingt tödlich. Der unbekannte Kollege beschreibt genau,
wie man den Verband anlegen soll, „um die Lippen der Wunde zu¬
sammenzubringen“. Auch ein Fall von Erkrankung des Mastdarms
ist beschrieben. Am Schluß des Papyrus hat Steinach einen
Vorgänger gefunden, indem eine Reihe von Winken gegeben wird,
um einen alten Mann zu verjüngen; der Erfolg wird wohl nicht viel
schlechter gewesen sein als der heute erzielte.
Das Conjoint Board of Scientific Societies in London will mit
Hilfe des Bibliothekars des Britischen Museums eine Liste «Iler
wissenschaftliche« Zeitschriften der Welt herausgeben. Der Preis
des mit unbedrucktem Papier (zur Nachtragung neuer Zeitschriften)
durchschossenen Bandes wird 2 £ betragen, und der Druck wird
begonnen, sobald genügend Subskriptionen vorhanden sind.
J. P. zum Busch (Kreuznach, früher London).
Kleine Mitteilungen.
— Berlin. Die vom Reichsgesundheitsamt angestellten Erhebun¬
gen über den Gesundheitszustand des deutschen Volkes
seit Ende 1918 bis zum ersten Vierteljahr 1921 ergab Folgendes: l.Seit
dem zweiten Viertel des Jahres 1920 beginnt eine fortgesetzte Abnahme
der vordem erheblichen allgemeinen Sterblichkeit, bei der diejenige
an Tuberkulose, Grippe, Wochenbettfieber eine bedeutsame Rolle
spielten. Die Zahl der Geburten nimmt mit dem zweiten Halbjahr
des Jahres 1919 zu, bleibt im Jahre 1920 aber noch hinter dem
letzten Friedensjahre 1913 zurück. 2. In den Berichtsjahren übertrafen
die Typhus- und Ruhrerkrankungen noch wesentlich die Ziffern der
Friedenszeit. Hauterkrankungen, Schädigungen der Bauchorgane, des
Herzens und der Gefäße, des Nervensystems waren noch weit ver¬
breitet. 3. Die allgemeine Sterblichkeit an Tuberkulose hat sich zwar
seit dem Jahre 1919 vermindert; es ist aber noch eine sehr wesent¬
liche Steigerung der Ansteckungen mit Tuberkulose
vorhanden, die sich vorzugsweise auf das frühe Kindesalter erstreckt.
4. Für eine außerordentliche Zunahme der Geschlechtskrank¬
heiten haben sich Anhaltspunkte nicht ergeben. 5. Der Gesund¬
heitszustand der Kinder jenseits des Säuglingsalters hat besonders
unter dem Mangel an Milch schwer gelitten und tut sich in ge¬
häufter Skrofulöse, Rachitis und Blutarmut kund. 6. An
dem Tiefstand der Volksgesundheit ist vorzugsweise der Nah¬
rungsmangel schuld, der zu einer allgemeinen Unterernährung
führte. Wohnungs-, Bekleidungs-, Kohlen- und Seifennot sowie die
Teuerung verschärften die Lage.
— Bei der Anrechnung des Besoldungsdienstalters für
Medizinalbeamte ist nach Erlaß des Ministers für Volkswohlfahrt
vom 20. III. anstatt der 3jährigen nur eine 2jährige praktische Beschäfti¬
gung in Ansatz zu bringen, wenn die Beamten ihre Zulassung zur
Kreisarztprüfung bereits nach zweijähriger Beschäftigung beantragt haben.
— Bei der Schutzpockenimpfung in Preußen wurde im
Jahre 1920 kein Todesfall als Folge der Impfung festgcstellt. Im
Regierungsbezirk Köln mußten wegen vorschriftswidriger Entziehung
der Kinder von der Impfung 2570 Bestrafungen verhängt werden.
— Die aus dem Freistaat Danzig zum Abtransport
gelangenden Russen haben nach Erlaß des Ministers des Innern
vom 2/. III. eine amtsärztliche Bescheinigung ihrer
Seuchenfreiheit bei der Einreise nach Deutschland zu erbringen.
— Der Stadtverordnetenausschuß hat folgenden Antrag einstimmig
angenommen: „Der Magistrat wird ersucht, mit den Ausschüssen und
Vorständen der Betriebskrankenkassen Fühlung zu nehmen,
um eine Auflösung der Kassen gemäß § 272 der Reichs¬
versicher ungsoranung herbeizuführen, damit die Mitglieder bei
der zuständigen allgemeinen Ortskrankenkasse der Stadt Berlin ange¬
meldet werden können. Die gleichen Schritte sind bei den einzelnen
Bezirksämtern zu unternehmen, die noch eigene Betriebskranken¬
kassen unterhalten.“ Ferner: „Bei der Reichsregierung vorstellig
zu werden, daß Vorkehrungen getroffen werden, das gesamte über¬
aus zersplitterte Krankenversicherungswesen im Interesse der Ver¬
sicherten zusammenzulegen und einheitlich zu gestalten.“
— In der Sitzung des Vereins für Innere Medizin und
Kinderheilkunde am 1. V. hielt E. Weber seinen Vortrag über
den praktischen Wert der plethysmographischen Funktionsprüfung
des Herzens. An der sehr temperamentvoll verlaufenen Aussprache-
hierüber beteiligten sich Kraus, Goldscheider, Reh fisch,*
G. Klcmperer, O. Strauß und Weber (Schlußwort).
— In der Westdeutschen Sozialhygienischen Akademie in
Düsseldorf wird im Juli d. J. ein vierwöchentlicher Sozialhygienischer Kurs
abgehalten. Das Sekretariat der Akademie erteilt nähere Auskunft.
— Der diesjährige Mittelrheinische Aerztetag findet am Sonntag,
den 11. VI. 1922 in Bad Soden a. Taun. statt. Eventuelle Vortragsanmel¬
dungen bittet man an den Aerzteverein Bad Soden a. Taun. zu richten.
— Im Monat Mai d. J. feiert die Universität zu Padua das Fest
ihres 700 jährigen Bestehens. Zur Mitarbeit an der Festschrift ist Julius
Hirschberg (Berlin) von Prof. G. Albertotti zu Padua eingeladen worden
und wird als seinen Beitrag eine Abhandlung über die Verdienste Morgagnis
um die Augenkunde liefern.
— Pocken. Deutsches Reich (16.-22. IV.): 1. — Pieckfieber. Deutsches
Reich (16.—22.IV. mit Nachträgen): 14. — Qenickstarre. Deutsches Reich (26. in.
bis 1. IV.): 44.- Ruhr. Deutsches Reich (26. HI.—1. IV.): 61. — Abdominaltyphus
Deutsches Reich (2& III.—1. IV.): 136.
— München. Der Sanitätsratstitel wird künftig in Bayern
wieder verliehen werden.
— Hoctischnlnacbrichten. Berlin. Prof. Leonor Michaelis ist
von der japanischen Universität Nagoya als o. Professor für Physio¬
logische Chemie für die Dauer eines Jahres berufen worden, gleich-
zeitig mit dem Auftrag, in anderen japanischen Universitäten Vorträge
zu halten. Michaelis hat die Berufung angenommen und wird sich
für das Jahr 1923 aus seiner Berliner Stellung beurlauben lassen. Er
wird voraussichtlich im November 1922 abreisen. — Bonn. Prof.
Heiderich, Abteilungsvorsteher am Anatomischen Institut, ist zum
Ordinarius ernannt worden. Priv.-Doz. Poppelreuter hat die Dienst¬
bezeichnung a. o. Professor erhalten. — Breslau. Prof. Dürken, Ab¬
teilungsvorsteher am Anatomischen Institut, ist zum o. Professor ernannt
worden. Priv.-Doz. Bossert wurde zum Chefarzt der Städtischen
Kinderklinik in Essen berufen. — Düsseldorf. Nach einem von der
Stadtverordnetenversammlung noch zu genehmigenden Abkommen
zwischen Magistrat und preußischer Regierung verpflichtet sich die
Stadt, die bisherige Akademie für praktische Medizin, die fortan.den
Namen Medizinische Akademie in Düsseldorf führen wird, so
auszugestalten, daß Studierende der Medizin, welche die ärztliche Vor¬
prüfung bestanden haben, an ihr die weiteren medizinischen Studien
bis zur ärztlichen Schlußprüfung vollenden können. Der Ausbau der
Akademie hat nach dem Maßstab der medizinischen Fakultät einer
mittleren Universität zu erfolgen und allen Anforderungen zu ent¬
sprechen, die sich für den medizinischen Unterricht aus der jetzigen
und künftigen Prüfungsordnung für Aerzte ergeben. Die einmaligen
Kosten, die durch diese Ausgestaltung der Akademie für praktische
Medizin der Stadt entstehen, sind auf rund 2 Millionen Mark, die
laufenden Mehrkosten auf 200000 M. veranschlagt. Prof. Beitzke
hat einen Ruf nach Graz erhalten. — Greifswald. Prof.Schönfeld,
Direktor der Poliklinik für Haut- und Geschlechtskrankheiten, und
Prof. Becker, Leiter des zähnärztlichen Instituts, sind zu o. Pro¬
fessoren ernannt worden. — Halle. Als Nachfolger von Prof.
Straub, der einen Ruf nach Greifswald angenommen hat (vgl. Nr. 4
S. 136), ist Prof. Grund als Leiter der Medizinischen Poliklinik in Aus¬
sichtgenommen. — Hamburg. Prof. Nonne ist von der Medizinischen
Fakultät in Buenos Aires eingeladen, eine Reihe von Vorlesungen zu
halten. Prof. Mühlens, der derzeitige Leiter der Hilfsexpedition des
Deutschen Roten Kreuzes für Rußland, w'urde von der Medizinischen
Fakultät in Barcelona eingeladen, daselbst Vorlesungen zu halten. —
Königsberg. Priv.-Doz. Rosenow erhielt die Dienstbezeichnung
a.o. Professor. — Marburg. Prof. Uffenorde (Göttingen) ist als
Nachfolger von Prof. O. Wagen er auf dem Lehrstuhl der Ohren-,
Nasen- und Halskrankheiten in Aussicht genommen. Die Fakultät hatte
in Vorschlag gebracht: 1. Marx (Heidelberg), 2. Uffenorde (Oöt-
tingen), 3. Grünberg (Rostock). — Graz. Priv.-Doz. Schrottcn-
bach w'urde zum a. o. Professor ernannt.
— Gestorben. Priv.-Doz. Rudolph Kolisch im 55. Lebens¬
jahr in Wien. Kolisch hat sich um die Diabetes-Forschung ganz
außerordentliche Verdienste erworben. Die von ihm angeregte
Kohlenhydratbehandlung der Zuckerkrankheit, die seiner Zeit der
herrschenden Auffassung diametral entgegengesetzt war, hat sich als
bedeutungsvoll für die Therapie erwiesen. Es ist nicht zu ver¬
stehen, daß ein Mann von der wissenschaftlichen Bedeutung wie
Kolisch bis an sein Lebensende Privatdozent (habilitiert 1896) blieb
und es nicht einmal zum a. o. Professor gebracht hat! — General¬
arzt Prof. Smitt, Direktor der Staatsanstalt für Krankengymnastik
und Massage, am 18. IV. in Dresden. — Dr. Heinrich Maxen,
Leitender Arzt des St Rochus-Hospitals in Telgte, am 1. V. —
Dr. Erika Thaer, Assistentin an der Medizinischen Klinik in Gießen.
— Literarische Neuigkeiten. Das Deutsche Rote Kreuz gibt seit
Januar 1922 eine monatlich erscheinende Zeitschrift „Blätter des
Deutschen Roten Kreuzes*' heraus. Aufgabe dieser Zeitschrift ist es,
alle nationale und internationale Rotkreuzarbeit zu berücksichtigen.
— Ramön v Cajal in Madrid, der bedeutende Anatom, beging
am 1. V. seinen 70. Geburtstag. Cajals Untersuchungen über den
feineren Bau des Nervensystems haben ihm internationale Anerkennung
verschafft. Seine Arbeiten über Degeneration und Regeneration der
peripherischen Nerven stellen ihn in die Reihe der ersten Forscher.
Cajal erhielt 1906 den Nobelpreis, 1915 die Friedensklasse des Ordens
r »our le m£rite, für einen Ausländer damals gewiß eine ganz ungewöhn-
iche Ehrung._
— Auf Seite 14 des Inseratenteiles ist ein Verzeichnis der bei der Redaktion
zur Rezension eingegangenen Bücher und Abhandlungen enthalten.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERS!T7
LITERATURBERICHT
Redigiert von Prof. Dr. R. von den Velden.
Zeitschriften: Klinische Wochenschrift Nr. 16-17- — Münchener medizinische Wochenschrift Nr. 16. — Wiener klinische Wochenschrift Nr. 14. — Zeit¬
schrift für experimentelle Pathologie und Therapie Bd. 22 H. 2-3- — Zentralblatt für innere Medizin Nr. 10-14. — Deutsche Zeitschrift für Chirurgie
Bd. 169. — Zeitschrift für Ohrenheilkunde Bd. 82.
Biographie.
♦♦ Emil Fischer, Aus meinem Leben. Herausgegeben von
M. Bergmann. Berlin, J. Springer, 1922. 199 Seiten mit 3 Abbil¬
dungen. M. 75.—. Ref.: Dr. phil. H. Herz (Berlin).
Emil Fischer hat die unfreiwillige Muße zweier Genesungsreisen
im Jahre 1918 zur Niederschrift seiner Lebenserinnerungen verwandt.
Aus seiner Jugendzeit am Rhein hebt sich besonders eindrucksvoll
die Figur seines Vaters hervor, der bis ins höchste Alter hinauf tätig
war. Gab er doch noch mit 84 Jahren seinen ständigen Wohnsitz in
Euskirchen auf, weil er der Gemeinde die neuen erhöhten Steuern
nicht gönnte, und lebte abwechselnd bei seinen Kindern zu Gast!
Leider hat Emil Fischer nicht die Gesundheit seines Vaters geerbt,
der noch mit 90 Jahren im Aufsichtsrat industrieller Unternehmungen
mitwirkte und noch mit 93 Jahren jagend Hasen erlegte. Wie ein
roter Faden zieht sich durch seine Studienzeit in Köln, Bonn, Stra߬
burg und München, sowie durch sein späteres Leben in Erlangen,
Würzburg und Berlin ein chronischer Magenkatarrh, der ihn wieder¬
holt zur Unterbrechung seiner wertvollen Arbeiten zwang. Mit der
echten Bescheidenheit eines großen Forschers erwähnt er nur kurz
seine grundlegenden Arbeiten über die Chemie der Harnsäure, Eiwei߬
stoffe, Kohlenhydrate und Gerbstoffe. Ausführlich schildert er seine
Lehrtätigkeit, sein Verhältnis zu berühmten Gelehrten aller Fakultäten
und aller Völker, und seine Verwaltungstätigkeit an der Universität, an
der Akademie der Wissenschaften und an der Deutschen Chemischen
Gesellschaft. Schaffensdrang, schlichte Ehrlichkeit und Humor sprechen
aus diesen Erinnerungen. So wird ihre Lektüre jedem Akademiker,
auch dem Nichtchemiker, zum Genuß.
Anatomie und Physiologie.
♦♦ Rudolf Krause (Berlin), Mikroskopische Anatomie der
Wirbeltiere in Einzeldarstellungen. I. Säugetiere. Berlin und
Leipzig, Vereinigung wissenschaftlicher Verleger. 1921. 186 Seiten
mit 75 Abbildungen. M. 48.—. Ref.: V. Haecker (Halle a. S.).
Als Hilfsmittel für den praktischen Unterricht und Selbstunterricht
in der mikroskopischen Anatomie der Wirbeltiere stand in deutscher
Sprache bisher in erster Linie das Lehrbuch K. C. Schneiders (J ena
1902) zur Verfügung. Doch sind hier besonders bei den Säugetieren
nicht alle Organe gleichmäßig behandelt und infolge der ausführlichen
Behandlung der Wirbellosen ist das verdienstvolle Werk für Medi¬
ziner wohl zu umfangreich. Nachdem neuerdings U. Gerhardt (Leip¬
zig 1909) die makroskopische Anatomie des Kaninchens monographisch
behandelt hat, gibt Krause als ersten Band eines vierbändigen Werkes
eine mikroskopisch-anatomische Darstellung desselben Objektes. Be¬
sonders willkommen dürfte das Kapitel über das Zentralnervensystem
sein, welches an der Hand von Querschnitten alle wichtigen Verhält¬
nisse in klarer Weise vorführt. Angesichts des weitverbreiteten Mangels
an eingehender gehirnanatomischer Schulung, der anerkanntermaßen
bis in die Kreise der psychiatrischen Forschung verbreitet ist, ist die
Möglichkeit, an einem leicht erhältlichen Objekt an der Hand des
neuen Leitfadens sich selbsttätig-praktisch zu informieren, sehr zu
begrüßen.
♦♦ Alfred Gottschalk (Frankfurt a. M.), lieber den Begriff des
Stoffwechsels In der Biologie. Berlin, Gebr. Bornträger, 1921.
51 S. M. 12.-. Ref.: H. Strauß (Berlin).
Historisch-kritische Betrachtung des Stoffwechsel begriff es mit
Eingehen auf das Wesen des Stoffwechsels bei Tier und Pflanze unter
Berücksichtigung der älteren und neueren Forschungen. Eine inter¬
essante von großen Gesichtspunkten geleitete Studie.
F. Laquer (Frankfurt a. M.), Die Leber im intermediären Stoff¬
wechsel. KL W. Nr. 17. Uebersichtsreferat.
Allgemeine Pathologie und Pathologische Anatomie.
44 Alexander Blttler (Scheidegg), Krankheit und Seelenleben
als Folgen gestörter Aequivalenz der Reizbeantwortung.
München, Verlag der Aerztl. Rundschau, 1921. 69 S. M. 12.—.
Ref.: W. Groß (Greifswald).
Bittier geht aus von der Anschauung, daß alle Reize, auch die
sogenannten physiologischen, grundsätzlich gleich und schädlich sind
und daß diese Reize durch eine Reaktion vollkommen aufgehoben
werden müssen und umgekehrt die Zweckmäßigkeit einer Reaktion
darin besteht, daß sie in der Bewältigung des Reizes vollständig aufgeht.
Die als allgemein gültig vorausgesetzten Grundlagen seiner Betrachtung
sind ferner das Arndt-Schulzsche Gesetz: daß geringe Einwirkungen
anregend, größere lähmend, maximale tödlich sind, und die Anschauung,
daß dieselben Gesetze, die Aufbau und Tätigkeit des Körpers beherrschen,
auch im Geistigen wirksam seien, so daß man Analogieschlüsse aus dem
einen Gebiet auf das andere machen kann. Mit Hilfe dieser Voraus¬
setzungen konstruiert Verfasser ein System übereinandergeordneter
Abwehrvorrichtungen und erörtert deren Störungen — übermäßige
und ungenügende Reaktion und ihre Behandlung. Auch wenn man
dem Verfasser in seinen Voraussetzungen nicht ohne weiteres beipflichtet
und manche seiner Beispiele zweifelhaft und ihre Deutung gewaltsam
findet, wird man aus der kleinen Schrift Anregungen zu einer von der
gewohnten abweichenden Betrachtung mancher Vorgänge schöpfen.
F. Orth ne r (Wien), Altern und Krebsbildunz. W. kl. W. Nr. 14.
Hinweis auf eigene Aufsätze über das Altern der Zellen in der W. kl. W.
Nr. 41 und 45 1907 in Verbindung mit dem Aufsatze Fr änkeis (W. kl. W.
1922 Nr. 5).
M. Pfaundler (München), Konstitution, Konstitntlonsanomalie
und Konstitutionskrankheit. Kl. W. Nr. 17. Kritische Uebersicht.
Versuch zur Schaffung einheitlicher Begriffe und Bezeichnungen.
W. Koch (Berlin), Der Habitus astbenicns in seinen Bezie¬
hungen zu den Brustorganen. Zschr. f. exper. Path. u. Ther. 22 H. 2 3.
LIngünstige Ventilationsverhältnisse, die naturgemäß von schlechten
Zirkulationsverhältnissen begleitet sind, lassen für einzelne Lungenteile
das Angehen einer phthisischen Infektion nach Eindringen der Keime
verstehen. Solche Verhältnisse sind beim Habitus phthisicus und
asthenicus gegeben, nicht nur an den Lungenspitzen, sondern auch an
anderen Stellen, wo die großen Gefäße und das Herz mechanisch
einzelne Teile der Lunge beengen.
M. Berliner (Berlin!, Beziehungen zwischen Thoraxform und
Gesamtorganisation. Zschr. f. exper. Path. u. Ther. 22 H. 2/3. Der pro-
portionelle Brustumfang (= und die Längen-
ausbildung des Thorax (Abstand von der Mitte der linken Klavikuia
bis zum unteren Rand der X-Rippe) in Relation gebracht zur vorderen
Rumpflänge wird besprochen. Die Exkursionsfähigkeit des Thorax
ist bei Schmalbrüstigen mit proportionell langem Thorax größer, bei
den Weitbrüstigen kleiner als bei den Normalbrüstigen. Für die
Schmalbrüstigen wird dies als eine adaptive Notwendigkeit aufgefaßt,
indem hier bei dem starken Längenwachstum die stark in die Länge
gewachsene bzw. gezogene Lunge sich eher in die Breite inspiratorisch
aufblähen kann als noch mehr in die Länge. Es folgen noch Betrach¬
tungen über den mittleren Brustumfang im Verhältnis zum forciert ex-
und inspiratorischen Brustumfang, über Zwerchfellstand und Bewegung.
Der Schmalbrüstige neigt zum thorakalen, der weitbrüstige zum ab¬
dominalen Atmungstyp, der körperlich Beste ist nach beiden Richtungen
gut versorgt. Der progrediente Verlauf der Lungentuberkulose bei
schmalbrüstigen Individuen ist durch die ständige Alteration bedingt,
denen die vorhandenen kleinen Herde dann ausgesetzt sind, wenn bei
schlechter Zwerchfellatmung die Haupttätigkeit der Lungen durch die
thorakale Atmung besorgt wird.
M. Berliner (Berlin), Habitus der Zwerge. Zschr. f. exper. Path.
u. Ther. 22 H. 2/3. Genaue Beschreibung und Ausmessung nach
anthropometrischen Gesichtspunkten von 8 Zwergen, von denen 4 dem
hypophysären Zwergwuchs eingereiht werden, der 5. wird als Chondro¬
dystrophia hypoplastica, der 6. als eine Nanosomia primordialis mit
Rachitis und Möller-Barlowscher Krankheit kompliziert aufgefaßt. Der
7. ist nicht genügend geklärt. Der 8. betrifft einen Grenzfall zwischen
proportioniertem Zwergwuchs und Kümmerform.
G. Haas (Gießen), Fragen zur Pathologie des menschlichen
Oedems. Zschr. f. exper. Path. u. Ther. 22 H. 2/3. Bei einigen Patienten
mit Oedemen, namentlich bei solchen, wo es sich um kardial bedingte
Transsudate handelt, geht der Eiweißgehalt ungefähr parallel mit der
Größe der Oedeme. Bei anderen Patienten (Glomerulonephritis,
Nephrose) war kein besonderer Zusammenhang zwischen Eiweingehalt
und der Größe der entwickelten Oedeme zu erkennen. Die Eiwei߬
zahlen der in Resorption befindlichen Oedeme gaben keinen Anhalts¬
punkt dafür, daß das in den Gewebsmaschen abgelagerte Eiweiß dem
Abfluß der Oedeme ein Hindernis in den Weg legt. Das spezifische
Gewicht der Oedeme stieg annähernd parallel ihrem Eiweiogehalt in
die Höhe, gleichgültig welchen Umfang die Oedeme zeigten. Für das
Zustandekommen der Oedeme ist allein „die vitale Funktion“ der Ka-
pillarendothelien von ausschlaggebender Bedeutung.
F. Kisch (Marienbad), Eiweißkonzeatration und Chloraatrium-
absorptionsvermögen des Blutserums Oedematöser. KL W. Nr. 17.
Der Eiweißgehalt des Blutserums liegt bei Nephrose unter der Norm;
bei Myxödem abnorm hoch. Der NaCI-Gehalt bei den verschiedenen
Oedemen schwankt in weiten Grenzen ohne erkennbare Beziehung zur
Stärke des Oedems oder zum Grade der Harneiweißausscheidung.
Die Absorptionsfähigkeit des Serums für NaCl ist bei allen Krankheits¬
zuständen mit intensiver Oedembildung herabgesetzt; nur bei Nephro¬
sklerosen und Myxödem finden sich normale Absorptionswerte.
H. Molitor und E. P. Pick (Wien), Der lebende Kaltblüter-
Organismus als Indikator kolloidaler Zustandsfluderunren. Kl. W.
Nr. 16. Die mitgeteilten Ergebnisse bestätigen die Brauchbarkeit der
Methode, kolloidale Systeme im lebenden Kaltblüterorganismus an den
Aenderungen seines Wasserhaushaltes zu prüfen. Aus den Versuchen
geht insbesondere der gewaltige Unterschied zwischen der Ringer¬
und Normosallösung hervor bezüglich ihrer Wirkung auf den Wasser¬
haushalt der Gewebskolloide.
Digitized by
Gck igle
i
Original from
CORNELL UNIVERSIT7
642
LITERATURBEftICHT
Nr. 19
E. Becher (Gießen und Halle), Methodik der Rest-N-Bestim-
muog in den Geweben; Bedeutung für die Klinik. Zschr. f. exper.
Path. u. Ther. 22 H. 2/3. Fällung des Eiweiß mit Zinksulfat und Uranyi-
azetat wird empfohlen. Durch Bestimmung des Rest-N im Leichen-
mnskel läßt sich noch nachträglich eine Niereninsuffizienz feststellen.
Sie war vorhanden, wenn auf 100 g Gewebe der Rest-N über 300 mg
beträgt (350—430 mg wurden gefunden).
N. Ellerbroek, Oesopbagusatresie. M. m. W. Nr. 16. Das Kind
starb gleich nach der Geburt. Es fanden sich zahlreiche Mißbildungen,
wie Atresie der Urethra, des Anus, Syndaktylie, Oesophagusverschluß
7 cm unterhalb des Pharynx, von hier führt eine Fistel in die Trachea.
Von der Bifurkation der Trachea führte ein mit Schleimhaut aus-
gekleidetes muskulöses Rohr in den Magen.
H. Schlecht und W. Weiland (Kiel), Ansphylaxieversuche am
überlebenden Darm. Zschr. f. Path. u. Ther. 22 H. 2/3. Die Wirkung
von Serum von Mensch, Pferd, Huhn, Kaninchen in frischem, abge¬
lagertem und inaktiviertem Zustand aur den überlebenden Kaninchen¬
darm ist inkonstant unter gleichen Versuchsbedingungen. Tritt sie ein,
so besteht sie in einer Tonuserhöhung mit Erhebung der Kurvenfu߬
punkte über das ursprüngliche Niveau oder in einer erheblichen Ver¬
größerung der Einzelausschläge. Diese Wirkung läßt nach einiger
Zeit nach.' Erneuter Zusatz bewirkt dann erneute Wirkung. Anaphy¬
laktisches Serum hatte diese tonussteigernde Wirkung auf normalen
Darm in allen diesbezüglichen Versuchen. Die Wirkung ist ganz un-
charakteristisch und unterscheidet sich in keiner Weise von der des
Normalserums. Anaphylaktisches Serum ist in seiner Wirkung auf den
überlebenden Darm des gleichen Tieres ebenso inkonstant wie das
normale Serum auf den normalen Darm.
E. Keller (Freiburg i. B.), Wirkung intensiver Röntgenbestrahlung
auf den Darm. Zschr. F. exper. Path. u. Ther. 22 H. 2/3. Meerschwein¬
chenversuche zeigen, daß intensive Bestrahlung Darmschädigungen,
teils funktioneller Art, teils eine bis zur Atrophie und totalen Nekrose
führende Gewebsalteration zur Folge hat. Intensität der Bestrah¬
lung und Art und Tiefe der Gewebsschädigung gehen nahezu parallel.
Die anatomisch erkennbare Epithelschädigung tritt erst nach einigen
Tagen klinisch und histologisch in Erscheinung. Sie entspricht einem
langsam nekrobiotisch verlaufenden Vorgang. Im Blute schwinden
nach vorübergehender neutrophiler Leukozytose die Weißen mehr und
mehr. Der Zellverarmung im Blute entspricht ein zunehmender Schwund
weißer Zellen des Knochenmarkes. Diese Verödung tritt nicht nur im
direkt bestrahlten Knochenmark auf, sondern auch in unbestrahlten,
strahlensicher abgedeckten Teilen. Bei Bestrahlung der Bauchorgane
ist auf möglichsten Schutz des Darmes zu achten. Leichte und schwerste
Durchfälle können die Folge unvorsichtiger Bestrahlung sein. Schwe¬
rere ausgedehnte Darmschädigungen können zu tiefgreifenden Nekrosen
mit Kolienteritiden und Bakteriämien oder durch Störungen der sekreto¬
rischen und resorptiven Leistungen zu tödlichen Ernährungsstörungen
führen.
R. Meißner (Berlin und Breslau), Analyse des Arsenwasserstoffes'
im Blute. Zschr. f. exper. Path. u. Ther. 22 H. 2/3. Gegenüber Joachi-
moglu wird erneut testgestellt, daß das Hämoglobin, in der Menge,
wie es im Blute vorkommt, den H.As viel — bis zu dreimal — ener¬
gischer bindet, wie die anderen olutbestandstcile und wie physiolo¬
gische Kochsalzlösung. Mit Kohlenoxyd gesättigtes Blut bindet H,As
in geringerem Maße wie reines Blut.
Mikroben- und Immunitltslehre.
R. Reitler (Wien), Wirkung des Sonnenlichtes auf Malariapara¬
siten. Zschr. f. exper. Path. u. Ther. 22 H. 2/3. Direktes Sonnenlicht
tötet Malariaparasiten in Kulturen ab, so daß deutliche morphologische
Veränderungen der Plasmodien beobachtet werden können. Durch
Zusatz von Chinin zur Kultur tritt die Vernichtung der Plasmodien
rascher ein als durch Belichtung ohne Chininzusatz oder Chininwirkung
ohne Belichtung (photodynamische Wirkung der Chininsalze). Hier¬
bei zeigt es sich, daß gerade die gegen spezifische Chininwirkung
resistenteren Entwicklungsstadien gegen diese Einflüsse empfindlicher
sind. An 5 Patienten konnte durch mehrmalige intravenöse oder
stomachale Zufuhr von lg Chin. mur. zur fieberfreien Zeit mit
anschließender intensiver Sonnenbestrahlung wahrscheinlich Heilung
erzielt werden. Ein sehr veralteter und ein scheinbar nicht energisch
genug behandelter Fall wurden rezidiv. Fünf andere Patienten, welche
gleicher Art mit Injektionen, aber ohne Bestrahlung behandelt wurden,
rezidivierten längstens 16 Tage nach der letzten Injektion.
Strahlenkunde.
E. Haeger (Loslau O/S.), Neue Belenchfunggeinricbtung für
Röntgenzlmmer. M. m.W. Nr. 16. Durch Filterung wird ein Purpur¬
licht erzeugt, das das Absorptionsspektrum des Schirmlichtes aufweist.
Die Klarheit des Bildes wird von diesem Licht nicht beeinträchtigt, es
kann während der Durchleuchtung weiterbrennen, wodurch bei der
Bedienung des Untersuchungsgeräts eine Orientierung durch das Auge
ermöglicht ist. Hersteller: Koch & Sterzei, Dresden.
H. Holthusen (Hamburg), Biologische Wirkung der Röntgen-
strahleo mit Berücksichtigung therapeutischer Fragestellung.
Kl. W. Nr. 16. Zusammenfassende Uebersicht über unsere Kenntnisse
und die neuesten Probleme der biologischen Wirkung der Röntgen-
Strahlen. Therapeutisch ist bemerkenswert, daß der Standpunkt, der
nur die unmittelbare Schädigung der Tumorzellen unter der Strahlen-
Wirkung ins Auge faßt, zu eng gewählt ist. (Rolle des Bindegewebes
und der Lymphozyten usw.)
F. Poos(Freiburgi.B.), Indirekte Strahlenschädigung des Organis¬
mus bei isolierter Organbestrahlung. Kl. W. Nr. 17. Junge Kaninchen
wurden partiell Röntgen bestrahlt, teils ausschließlich der Ober¬
schenkel, teils nur die Hypophyse. Untersucht wurde das Wachstum
aller Organe speziell des weiblichen Genitaltraktus. Die entwicklungs¬
hemmende Wirkung beider Bestrahlungsarten war nahezu gleich.
Eine spezifische Hypophysenwirkung erscheint demnach unwahr¬
scheinlich; vielmehr scheint jede Partialbestrahlung auf dem Blutwege
zu einer Allgemeinwirkung zu führen.
Allgemeine Diagnostik.
F. Haberlandt (Berlin), Das postmortale Auskultationsphiaomea.
Zschr. f. exper. Path. u. Ther. 22 H. 2/3. In drei Krankheitsfällen, in
denen anzunehmen war, daß das Herz bis ad exitum in relativ gutem
Zustande sich befand, war nach dem „klinischen“ Tode 5, 10 und
45 Minuten lang ein leises rauschendes Geräusch über der Herzspitze
hörbar. Es wird auf Herzflimmern zurückgeführt.
F. Kleinknecht (Leipzig), Hilfsapparat für Blutdruckmessung.
M. m. W. Nr. 16. Der Augenblick der Wiederkehr des Radialpulses
wird bestimmt mit Hilfe einer Anordnung nach dem Prinzip des
Frankschen Transmissionssphygmographen. (M. m. W. 1903 Nr. 42.)
Druckänderungen von 2 mm genügen schon, um die Kurve des
Sphygmogramms beträchtlich hochschnellen zu lassen. Hersteller des
transportablen Apparats F. Tornier, Leipzig.
J. Hickl und N. Jagic (Wien), Einfache und ökonomische
Methode der Blmfarbnug. W. kl. W. Nr. 14. 0,15°/ o ige Toluidin-
blaulösung. Färbung des lufttrockenen 12—24 Stunden alten Präparates
3—5 Minuten. Kernstruktur und Protoplasma sind gut differenziert
Auch zur Untersuchung der Blutplättchen und der Malariaparasiten
(dicker Tropfen) läßt sich die Methode verwenden.
K. Bürker (Gießen), Senknng'>gescbwiodigkeit der Erythrozyten
als diagnostisches Hilfsmittel. M. m. W. Nr. 16. Das Blut
wurde mit Hayemscher Lösung verdünnt. Die Senkungsgeschwindig¬
keit ist abhängig von der Größe und dem Hämoglobingehalt der
Erythrozyten.
H. Boeminghaus (Halle a. S.), Eigenharareaktion. M. m. W.
Nr. 16. Zur Zeit ist man noch nicht imstande, auf Grund der Wild-
bolzschen Eigenharnreaktion aktive und latente Tuberkulose zu unter¬
scheiden. Siehe Tabellen.
E. Silberstern (Wien), Modifikation der Jod-Gallenfarbstoffprobe
im Harn. Zbl. f. inn. M. Nr. 11. 2—4 ccm Urin -j- 1 ccm*Reagens
werden geschüttelt und abstehen gelassen. Grünfärbung entspricht
einem positiven Ausfall der Probe. Reagenz: Jodi puri 0,5, Aether.
sulfuric. 36,0 oder Jodi puri 0,5, Chloroform 76,5.
Allgemeine Therapie.
H.Braun (Frankfurt a.M.), Prfifangsmethoden der Wondaotlseptik«
im Tierexperlment. Kl. W. Nr. 16. Für die Prüfung der prophylak¬
tischen, präventiven und allgemein-therapeutischen Wirkung der Wund-
Antiseptika gibt es gut brauchbare, tierexperimentelle Prüfungsmethoden.
Auch die Prüfung der lokaltherapeutischen Wirkung ist möglich, doch
darf der Tierversuch nicht überschätzt werden, da die Bedingungen
desselben bei der Prüfung der lokaltherapeutischen Wirkung nicht ganz
genau denen gleichen, die wir bei Lokalinfektionen des Menschen vor-
Finden. Der Versuch muß so angelegt werden, daß er den natürlichen
Verhältnissen beim Menschen soviel wie möglich ähnelt. Dies ist am
besten ermöglicht bei den in der Arbeit beschriebenen Prüfungsmetho¬
den. Auch die pharmakologisch-toxikologische Prüfung und die histo¬
logische Untersuchung der behandelten Gewebe sind zur Bewertung
eines Wund-Desinfektionsmittels erforderlich.
H.Kleinm ann (Hamburg-Barmbeck), Körperhfiblenbebandfung mit
pharmakologisch wii kramen Gasen. Zschr. f. exper. Path. u. Ther. 22
H. 2/3. Ozon tötet an der Oberfläche liegende Bakterien, übt bei
kurzdauernder Einwirkung keine schädigende Wirkung auf Blasen-und
Dickdarmschleimhaut aus, entzündet Pleura und Peritonäum (Kaninchen,
Hund) und ergab keine schädigende Wirkung auf menschliche Vaginal¬
schleimhaut.
C. H. Lasch (Frankfurt a. M.), Röntgenologische Untersuchungen
über den- Einfluß des Atropins auf die Magenmotillilt. Kl. W.
Nr. 17. Peristaltik und Tonus des Magens blieben durch Atropininjek¬
tion unbeeinflußt, wenn beide an und für sich von normaler Stärke
sind. Deutlich herabgesetzt werden beide dagegen, wenn sie an und
für sich gesteigert sind.
W. Wiechowsky und H. Halphen (Prag), UtemsWirkung der
Capselia burgae pastoris. Kl. W. Nr. 16. Ergebnisse von Unter¬
suchungen über die uteruswirksamen Bestandteile der Capsella bursae
pastoris weisen darauf hin, daß Pilze an der Bildung der wirksamen
Stoffe beteiligt sind.
W. Jakobi (Jena), Intravenöse Injektionen hoher Dosen von
Natrium nucleioicum beim Menschen. Zschr. f. exper. Path. u. Ther.
22 H. 2/3. Intravenöse Injektionen von Natrium nucleinicum bei vier
Kranken mit progressiver Paralyse bewirkten Schüttelfrost, Fieber,
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
12. Mai 1922
LITERATURBERICHT
643
Hyperleukozytose und — wie die Sektion in einem Falle ergab —
Ueberschwemmung der Leber mit Leukozyten, Leukozytenarmut des
Gehirns, einmal hämorrhagische Nephritis. Der eigentliche Krank¬
heitsprozeß blieb unbeeinflußt. %
H. Potrz (Breslau), Physiologische Wirkungen des Nitroiso-butyl-
glyzerins. Zschr. f. exper. Path. u. Ther. 22 H. 2/3. Nitro isobutylgly-
zerin (NO,C (CH„OH.,), eine Verbindung von 3 Molekülen Formaldehyd
und Nitromethan) und Nitrotrimethylglykol (in Form des Natriumsalzes)
erzeugen, wenn subkutan injiziert (Kaninchenversuch), ein ausgebreitetes
lokales Oedem von eigenartigem Charakter. Beide Substanzen bewirken
resorptiv nervöse Allgemeinsymptome, hauptsächlich Ataxie, für die es
in der toxikologischen Literatur der aliphatischen Verbindungen keine
Analogie gibt. _
idnere Medizin.
44 Georg Klemperer und L. Dfinner (Berlin), Grundriß der
klinischen Therapie innerer Krankheiten. Wien, Urban &
Schwarzenberg, 1922. 237 S. M. 54.—. Ref.: Reckzeh (Berlin).
Der „Grundriß der klinischen Therapie innerer Kranheiten" ist im
gleichen Geiste verfaßt wie Georg Klemperers bekannte „Klinische
Diagnostik" und weist alle Vorzüge dieses diagnostischen Vademekums
auf, eine kluge Auswahl des Stoffes, gewandte, dem Bedürfnis des
Lernenden angepaßte Darstellung, klare, immer interessante Diktion.
Die wissenschaftlichen Grundlagen sowohl wie die Regeln der prak¬
tischen Ausführung der Behandlung sind unter Beschränkung auf das
für die ärztliche Praxis wirklich Notwendige und selbstverständlich
unter kritischer Benutzung aller Errungenschaften der modernen Klinik
dargcstellt. Die ursprünglich für die aus dem Kriege heimkehrenden
jungen Aerzte bestimmten Vorlesungen werden auch zahlreichen er¬
fahrenen Aerzten eine reiche Quelle der Belehrung und des Genusses sein.
44 Adolf Bacmeister (St. Blasien), Die hausärztliche Behand¬
lung der Lungentuberkulose. 3. neu bearbeitete Auflage. Jena,
G. Fischer, 1922. 58 S. M. 8.—. Ref.: H. Grau (Honnef).
Die kleine, empfehlenswerte Schrift Bacmeisters erscheint in
3. Auflage. Sie gibt auf neuzeitlicher Grundlage einen guten Ueber-
blick über die gesamte hausärztliche Behandlung der Lungentuber¬
kulose und berücksichtigt daneben auch mit kurzem Ueberblick die
Verfahren, die mehr für den Facharzt in Betracht kommen. Für eine
Neuauflage wäre es erwünscht, die Ausdrücke „progredient, stationär,
latent" durch das einfache „fortschreitend, stilistehend, ruhend" zu
ersetzen. Damit verschwände vor allem das „latent", das immernoch
zu Mißverständnissen Anlaß gibt.
Bleyer (München), Kronforophylaxe. M. m. W. Nr. 16. In ge¬
birgigen Ländern ist im allgemeinen das aus Salinen gewonnene
Salz weniger jodhaltig als in der Ebene. In kröpf reichen Gegenden
muß man bestrebt sein, den Kindern minimale Jodmengen regelmäßig
zuzuführen.
L. Kanner (Berlin), Die normalen Herztöne und ihre Be¬
ziehungen zum Elektrokardiogramm. Zschr. f. exper. Path. u. Ther.
22 H. 2/3. Kurven aufgenommen mit dem von Ohm modifizierten,
an den Edelmannschen Elektrokardiographen angeschlossenen Frank-
schen Kardiophonographen lassen an jedem der beiden normalen Herz¬
töne erkennen das mechanische Vorsegment, das akustische Hauptseg¬
ment und das mechanische Nachsegment. Der erste Ton hat im Mittel
15, der zweite Ton 11 Zackenschenkel. Der erste Ton dauert im
Mittel 0,16, der zweite 0,10 Sekunden. Die Schwingungsfrequenz des
ersten Tones beträgt im Mittel 47, die des zweiten Tones 55 Oszilla¬
tionen in der Sekunde. Die mittlere Gesamtamplitude des ersten Tones
verhält sich zu der des zweiten Tones wie 100:77. Das Verhalten
der Töne zu den einzelnen Zacken des Elektrokardiogramms wird
ausgemessen und berechnet.
L. Stein (Wien), Stottern und Asthma. Zbl. f. inn. M. Nr. 14.
Die von Sternberg behauptete Parallele ist nicht richtig. Die große
logopädische Literatur ist nicht genügend berücksichtigt
O. Burkhardt (Davos), Indikatioos«tellone f ür thorax-chirurrische
Maßnahmen bei Lnneentnbertalose. M. m. W. Nr. 16. Material des
deutschen Kriegerkurhauses Davos. Schwere einseitige Tuberkulosen,
bei denen die Pneumothoraxtherapie wegen Verwachsungen nicht
ausreichend durchgeführt werden kann, sollen grundsätzlich der
chirurgischen Behandlung zugeführt werden. Operationen nach Sauer-
bruch.
F. Rosenthal und M. v. Falkenhausen (Breslau), Chromodla-
fOoMik der Leberfanlrtion. Kl. W. Nr. 17. Die kranke Leberzelle zeigt
gegenüber der gesunden eine erhöhte Durchlässigkeit für Methylenblau.
Die Reaktion ist außerordentlich empfindlich. Technik: 3 ccm 2°/ 0
Methylenblau-NaCl-Lösung durch Duodenalsonde. Ausscheidung be¬
ginnt durchschnittlich nach 60—70 Minuten, bei Leberschädigung
nach 30—35 Minuten.
J. Müller (Berlin), Statistik der Lebererkrankungea von Januar
1914 bis März 1922. KI. W. Nr. 17. Konstantes Absinken der Leber¬
zirrhose auf*/, oder weniger des damaligen Standes. Rapide Zunahme
der akuten gelben Leberatrophie seit 1917 und vor allem seit Mitte 1921.
Enorme Zunahme des Salvarsan-lkterus seit 1920; er betrifft über¬
wiegend junge, kräftige, nicht etwa unterernährte Individuen. Fälle
von katarrhalischem Ikterus erreichten Mitte 1921 ihre'größte Häufigkeit.
(Material des städtischen Krankenhauses Moabit zu Berlin.)
A. Olronne (Wiesbaden), Pathogenese einiger Formen des
Ikterus. Kl. W. Nr. 17 Die neuerdings beobachtete'Häufung ikterischer
Erkrankungen in Deutschland dürfte auf Leberschädigung durch Unter¬
ernährung beruhen. Syphilis bzw. Salvarsanintoxikation spielen als
auslösendes Moment eine bedeutende Rolle. Ein großer Teil dieser
Erkrankungen verdient nicht den Namen „katarrhalischer Ikterus"; viel¬
mehr läßt das oft beobachtete Auftreten von Leuzin und Tyrosin im
Harn auf eine primäre Schädigung des Leberparenchyms schließen. Für
diese Fälle schlägt G£rönne die Bezeichnung „Hepatose" vor.
A. Mayer (Berlin), Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse bei
Tnberkolo«e. Zschr. f. exper. Path. u^ Ther. 22 H. 2/3. Bei 184 Fällen
von Tuberkulose konnten anatomisch lOmal tuberkulöse Erkrankungen
des Pankreas, 4mal Sklerose, Atrophie und fettige Degeneration, 9mal
chronische Pankreatitis festgestellt werden. Experimentell gelang es
nur nach vorangegangener Schädigung des Pankreas (Gangunterbin¬
dung) die Bauchspeicheldrüse zu infizieren. Es zeigte sich ferner, daß
das Wachstum und die Virulenz von Tuberkelbazillen durch die Pan¬
kreassubstanz gehemmt wird. Klinisch gelang es durch die Prüfung
der Pankreasfunktion bei Tuberkulösen in einzelnen Fällen Erkrankungen
des Pankreas (meist nur funktionelle Insuffizienz) festzustellen.
G. Maranon (Madrid), Hypertonie und Zuckerkrankheit. Zbl. f.
inn. M. Nr. 10. Bei manchen Fällen von Diabetes besteht ein prägly-
kosurischer Zustand, welcher gewöhnlich nicht bemerkt wird und sich
hauptsächlich in Blutdruckerhöhung äußert.
N. Roth, Wirkung der Mehltage bei Diabetes mellitus. Zschr. f.
exper. Path. u. Ther. 22 H. 2/3. Nach Versuchen am Gesunden, einem
leichten und zwei schweren Diabetikern ist der wirksame Faktor in
der Mehlsuppe die in ihr enthaltene Butter. Sie verlangsamt den
Stoffwechsel der Kohlehydrate und hemmt wahrscheinlich mit Hilfe
der entstandenen Seifen auch die diastatische Spaltung. Es ist mög¬
lich, daß bei langem Kochen die Stärke mit der Butter bzw. mit der
aus dieser entstandenen Seife eine Verbindung bildet, welche überhaupt
nicht diastatisch gespalten werden kann und, da sie trotzdem voll
ausgenutzt wird, durch Wirkung der Darmbakterien nicht als Zucker,
sondern als anderes Oxydationsprodukt in die Zirkulation gelangt.
Leopold Szondi und Ludwig Haas (Pest), Esseotielles Hant-
locken bei multipler Rlntdrüsenerkrankong. M.m. W. Nr. 16. Von
10 Kranken mit essentiellem Pruritus sechsmal typische pluriglanduläre
Insuffizienz, viermal Dysfunktion von mindestens zwei Drüsen Durch
pathologische Stoffwechselprodukte wird eine Hypersensibilität periphe¬
rischer Nerven hervorgerufen; diese manifestiert sich dort, wo ständige
lokale Reize einwirken. Opotherapie bisher ohne Dauererfolg, sympto¬
matisch Röntgenbestrahlung in kleinen Dosen.
J. E. Kayser und Ernst Schwab (Frankfurt a. M.), Nieren-
erkrankonren nach Angina. M. m. W. Nr. 16. Etwa in 7,5°/ 0 von
Angina treten Nierenerkrankungen auf, hämorrhagische Glomerulo¬
nephritiden mit Blutdrucksteigerung, Herdnephritis ohne Blutdruck¬
steigerung, leichte vorübergehende Nierenreizungen, einmal Urämie.
-Beginn der Erkrankung meist auf der Höhe der Angina. Bei sofort
einsetzender Behandlung ist die Prognose meist günstig.
H. Kriegerund J. Forschbach (Breslau), Pathologie der Ery-
thrlmle. Kl. W. Nr. 17. Kasuistische Arbeit. 1. Ein Fall von Erythrämie,
die vielleicht infolge Röntgenbestrahlung — in typische myeloblastische
Leukämie überging. 2. Ein Splenektomierter, bei dem bis ins kleinste
das Bild der essentiellen Erythrämie sich einstellte und während 13jähriger
Beobachtungszeit fortbestand.
O. H einem an n (Berlin), Skapolarkrachen. Kl. W. Nr. 16. Kasuistik.
W. Steiger (Wien>, Meningitis serosa im Verlaufe von Appeo-
dlcitis rsngraennga. W. kl. W. Nr. 14. 1 Fall.
A. Esch (Bonn), EmbollRcher Erwelchanrsherd oder otogener
HlrnabazeB im linken Schllfenlappen. Kl. W. Nr. 16. Mitteilung eines
Falles, bei dem in viro ein von einer Otitis media ausgehender
Schläfenlappenabszeß angenommen wurde. Die Sektion deckte einen
von einer Endokarditis ausgehenden embolischen Einweichungsherd
im Gebiet der linken Stauungsganglien, sowie multiple Abszesse im
linken Schläfenlappen auf. Die Fehldiagnose beruhte im wesentlichen
darauf, daß die Endokarditis klinisch nicht diagnostiziert werden konnte.
Karl Maver (Basel), Reklmnfung der Kokainvergiftnag. Zschr. f.
Ohrhlk. 82. Kalzium erwies sich im Tierversuch als Antagonist des
Kokain. Es ist bei beginnender oder entstehender Kokainintoxikation
als Kalzium-Chlorid (5—10 ccm einer 10°/.igen Lösung) intravenös
anzuwenden. Die Wirkung des Kalzium-Chlorids beruht auf dem
Oehalt von Kalziumionen. Es kann also auch durch andere Kalzium-
salze^ersetzt werden. Das von Hirsch empfohlene Calcium sulfuricum
ist ebenfalls giftig und steigert im Tierversuch die Giftigkeit des Kokains.
Morphium ist kein Antagonist des Kokain, wirkt im Gegenteil ebenfalls
lähmend auf das Atemzentrum.
Chirurgie.
Rainer Fiebach, Röntgensferengraphle als chirurgisch-dia¬
gnostische« Hilfsmittel. D. Zschr. f. Chir. 169 S. 399. Lenkt auf
Grund der Erfahrungen der Königsberger chirurgischen Klinik die
Aufmerksamkeit der Chirurgen auf d»e vielseitige diagnostische Ver¬
wendbarkeit des Verfahrens (Fremdkörper, Knochenbrüche, Gelenk¬
verletzungen, chirurgische Knochen- und Weichteilerkrankungcn).
A.Barbev,S«kral«nflRthe8ie. D.Zschr.f.Chir. 169S.341. DieSakral-
anästhesie nach Läwen ist eine reine örtliche Leitungsunterbrechung der
den Sakralsegmenten entstammenden Nerven im extraduralen Raume und
macht jedes andere betäubende Mittel, auch unterstützende Morphium¬
einspritzung entbehrlich Nie Hautnekrosen. Zubereitung der Lösung
genauestens nach Vorschrift Läwens. 0,9 g Novokain in 60 ccm.
146 verwertbare chirurgische Falle. Nur in 6,2 v.H. zweifelhafte, in
□ igitized by Google
Original from
CORUELL UNIVERSITY
LITERATURBERICHT
Nr. IQ
644
2 v. H. ausbleibende Wirkung. Meist Schmerzbetäubung bis etwas über
den Nabel. Selten unangenehme, 5mal ernstere Nebenerscheinungen;
kein Todesfall. Kranke über 60 Jahre, Nerven- und Rückenmarks-
leidende, Geschwächte ungeeignet. Der Hiatus sacralis muß verhältnis¬
mäßig regelrecht sein. Die Sakralanästhesie ist technisch einfacher als
die Leitungs-, ungleich harmloser als die Lumbalanästhesie.
E. Renn (Freiburg), Aaeurysmsoperation und Grenzen der
direkten Gefäßstumpfvereinigung. Kl. W. Nr. 16. Die Altersarterie
büßt bei mittlerer Belastung am wenigsten an Durchmesser und des¬
halb auch an Sekundenausflußvolumen ein. Bei jugendlichen Arterien
verringert sich der Gefäßdurchmesser mit der zunehmenden Längs¬
dehnung, während gleichzeitig das Sekundenausflußvolumen abnimmt.
Schon bei der Gefäßspannung mäßigen Grades (Elastizitätsgrenze und
Dehnungsmöglichkeit werden schon bei mittlerer Belastung erreicht)
ist mit erheblicher Durchmesserverkleinerung und entsprechender Beein¬
flussung des wichtigen Sekundenausflußvolumens zu rechnen. Berück¬
sichtigung dieses Umstandes bei der Aneurysmaoperation zur Ver¬
meidung sekundärer zirkula'orischer Störungen (eventuelle Nekrose)
durch das verminderte Sekundenausflußvolumen in dem versorgten
Gebiet.
A. W. Fischer (Frankfurt a. M.), Primärer Wandverschluß, be¬
sonders bei der operativen Behandlung des Pleuraempyems. Kl. W.
Nr. 16. Der Kernpunkt bei der Behandlung des Pleuraempyems ist
die Entfernung des Fibrins. Konservative Methoden sind nur in jenen
Fällen erfolgreich, in denen das Fibrin entweder dünnflockig ist oder
fehlt. Nach Beseitigung des Fibrins bildet es sich nicht wieder. Die
sicherste heilende Methode ist die Rippenresektion mit weiter Drainage.
(Nachteil: lange Behandlungsdauer bis zum Fistelschluß.) In einem
beträchtlichen Prozentsatz heilen Pleuraempyeme nach Rippenresektion,
gründlichster Entfernung der Fibrinmembranen und Flocken, Anwen¬
dung chemischer und physikalischer Antisepsis bei primärem Wund¬
verschluß aus.
P. Morawitz (Würzburg), Indikationen der Milzexstirpation.
Kl. W. Nr. 16. Indiziert gilt die Milzexstirpation nach Morawitz bei
allen Krankheitszuständen, bei denen eine abnorme Hämolyse besteht,
von der man annehmen kann, daß sie vorwiegend in der Milz und
durch die Milz stattfindet, so beim hämolytischen Ikterus. Jedoch
nur dann, wenn starke Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens besteht.
Bei perniziöser Anämie Indikation nur nach Erschöpfung aller anderen
therapeutischen Hilfsmittel und wenn die Hämolyse in der Milz im
Krankheitsb ; ld eine gewisse Rolle spielt. (Palpabler Milztumor ) Beim
Morbus maculosus ist die Milzexstirpation auf jene Fälle zu beschränken,
in denen Vorgeschichte und klinischer Befund einen Anhalt dafür geben,
daß man es mit der essentiellen und chronischen Art dieses Leidens
zu tun hat. Die schärfere Formulierung der Indikationsstellung der
Milzexstirpation bei den Megalosplenien wird erst nach einem besseren«
Ausbau der Diagnostik dieser Zustände möglich sein.
Emil K. Frey, Die Entetehung der Dorsatskoliose und Mög¬
lichkeiten ihrer chirurgischen Behandlung. D. Zschr. f. Chir.
169S.13. Eine aus Sauerbruchs Münch.chir. Klinik stammende um¬
fassende Arbeit über die anatomischen, physiologischen, mechanischen
Grundlagen der habituellen Dorsalskoliose. Darauf aufbauend, ferner
klinische Beobachtungen, z. B. über die Ausbildung von Brustfell- und
Lungenschrumpfungskoliosen, sowie von Skoliosen nach Rippen-
resektionen, und eigene Versuche der Skoliosenerzeugung am Tier
verwertend, kommt Frey zu folgendem Operationsplan: 1. Durch¬
trennung der konkavseitigen Rippen im Bereiche des skoliotischen
Bogens, möglichst nahe an der Wirbelsäule, 2. Durchtrennung der
konvexseitigen Rippen fern von der Wirbelsäule, 3. Druck auf die so
gewonnenen Rippenhebel durch redressierende Gipsverbände unter
gleichzeitigem Zuge am Kopfe. Hiernach hat Sauerbruch neuerdings ,
mehrere Jünglinge operiert. Die Spätergebnisse stehen noch aus.
Doch ist der Verlauf aussichtsvoll. Jedenfalls ist sicher, daß der !
skoliotisch verunstaltete eisenfest versteifte Brustkorb mit unblutigen
Mitteln nicht verbessert werden kann. Der starre Gewölbering muß
durch Rippentrennung an den richtigen Stellen gesprengt werden.
Dann erst wird die verbildete Wirbelsäule beeinflußbar. — Zahlreiche
Bilder. 591 Schrifttumbelege. j
C. ten Horn, Weitere Beobachtungen an Sauerbrncbschen
OperatinnFRtüinpfen. lieber Muskelgen«ibilität und Muskeldlssnzlation.
D. Zschr. f. Chir. 169 S. 175. Fortsetzung von Untersuchungen an ,
Armamputierten, deren Stumpfmuskeln nach Sauerbruch kanalisiert
sind (Unterschiedsempfindlichkeit für zu hebende Gewichte — als zu¬
verlässigster Maßstab für Muskelsensibilität —, Erkennen von in die
Kanäle gelegten Gegenständen). Die plastische Umgestaltung des
Stumpfmuskels für das Sauerbruch-Kunstglied schädigt die sensiblen
und motorischen Muskelempfindungen nicht. Nach längerem Tragen
des Ersatzgliedes wird die Haut der Muskelkanäle dicker und derber;
infolgedessen werden dann in die Kanäle eingeführte Gegenstände nicht
mehr so deutlich erkannt. Unsere Kenntnis der Lage, Haltung, Be¬
wegung beruht hauptsächlich auf der Muskelsensibilität. Funktionell
bevorzugte Muskeln haben feinere Empfindungen. Beobachtungen
über „Dissoziation" von vorher zusammenarbeitenden Muskeln.
C. ten Horn, Weitere Beobachtungen an Sanerbrnchscben
Operationg«tfimnfen. (3. Mitteilung.) D. Zschr. f. Chir. 169 S. 185.
Spannungs- und Dehnungskurven von nach Sauerbruch kanalisierten
Muskeln der Stümpfe Armamputierter. Bezeichnend sind der rasche
Anstieg, dann der flachere Verlauf der Dehnungskurven. Ferner
Kurven der Hubgröße bei steigender Belastung stärkst innervierter
Muskeln (rascher Anstieg, Gipfel bei 2—5 kg, allmählicher Abstieg),
uer wirkliche Hub kann durch Anbringen einer Anfangsspannung ver¬
größert werden. Der verwendbare Hub gleicht dem wirklichen, ver¬
mindert um die Muskeldehnung. Für die Betätigung der Prothese
werden Anfangsspannungen zwischen 150 und 400 g gebraucht
Hans Legal (Breslau), Schiene zur Behandlung von Oberarmfrak-
turen. M. m.W. Nr. 16. Der Oberarm wird in Abduktion, der Unter¬
arm in rechtwinkliger Beugung auf eine Schiene aus Drahtrahmen ge¬
lagert, die mit Stärkegaze bespannt sind. Mittels Flügelschrauben läßt
sich jede gewünschte Extension anbringen. Ambulante Behandlung.
Siehe Abbildungen.
F. Sauerbruch, Die Exstirpation des Femur mit Umldpp-Plastik
des Unterschenkels. D. Zschr. f. Chir. 169 S. 1. Sauerbruch zeigt
einen neuen Weg, um bei bösartiger Erkrankung des Oberschenkels
diesen zu entfernen und doch nicht zugleich auch den Unterschenkel
und den Fuß zu opfern. Bei einer 13 jährigen, die von einem kompli-
zierten Bruch einen erheblichen Oberscheokelknochendefekt und damit
ein gänzlich unbrauchbares Bein davongetragen hatte, sowie bei einem
41jährigen mit Spontanfraktur des Oberschenkels infolge bösartiger
Trochantergeschwulst wurde der Oberschenkelknochen bis zum Knie¬
gelenkspalt herausgeschnitten, sowie der über dem Fußgelenke ampu¬
tierte, am Oberschenkelweichteilschlauche hängende Unterschenkel um
180° proximalwärts umgekippt und eingepflanzt. So entstand ein neuer
Oberschenkelstumpf, an dem das Kunstglied guten Halt hatte.
S. Peltesohn (Berlin), Vorkommen und Bedeutung des Os tibiale
externom bei Faßschmerzen in den Wachstamsjahreo. Kl. W. Nr. 16.
Ein Os tibiale externum ist oft Ursache von Schmerzzuständen im Fuß
bei Adoleszenten (meist erste Hälfte des zweiten Lebensjahrzehnts).
Diagnostische Merkmale: Pes valgus, stark vorspringendes und Druck-
und spontan schmerzhaftes Kahnbein nach Fußdistorsionen. Therapie:
in frischen Fällen supinierende Heftpflasterverbände und individuell
herzustellende Stiefeleinlagen; in älteren Fällen genügen meist die Ein¬
lagen. Das Os tibiale externum disponiert möglicherweise in den
Wachstumsjahren zum Pes valgus.
Martha Hagenbuch, Osteochondritis deformaas coxae invenills
(Perthes). D. Zschr. f. Chir. 169 S. 289. 12jährige. Ein Hüftgelenk
gesund, das andere an Osteochondritis erkrankend, aber unter weit¬
gehender Wiederherstellung im Knochengebiete ausheilend. Nun er¬
krankt auch das erste Hüftgelenk ebenso und wird zur Coxa vara.
Das Wesen ist also eine mild verlaufende chronische Osteomyelitis.
„Osteochondritis" ist bezeichnend.
Hans Reh, Periostitis infectiosa. (Zur Frage der Periostitis
rheumatica.) D. Zschr. f. Chir. 169 S. 361. 19 Krankheitsfälle. Ein¬
teilung und Besprechung der infektiösen Periostitis, und zwar der
primären akuten, der primären chronischen, der sekundären akuten
und chronischen, sowie der nichtinfektiösen Periostitis durch Verletzung,
Druck, Ernährungs-, Kreislaufstörungen, leukämische, pseudoleukämi¬
sche, toxische Einflüsse.
Max Käppis, Die Arthrodese durch paraartikalire Knochenspan-
einpflanzung bei Oelenktaberkolose. D. Zschr. f. Chir. 169 S. 316.
Käppis berichtet über von August 1920 ab mit paraartikulärcr Span¬
einpflanzung behandelte 14 Fälle von tuberkulöser Koxitis. Ein Kranker
starb an Miliartuberkulose. Einmal mußte der Span wegen Späteiterung
entfernt werden. Die übrigen verloren ihre Hüftschmerzen und wurden
bald gehfähig. Technik und Anzeigen der Operation. — Sie kommt
dagegen bei Schultergelenkstuberkulose nur sehr bedingt in Betracht
F. Rost (Heidelberg), Chronische Entzündungen des Kniegelenks
nach Verletzungen. KI. W. Nr. 16. Rost hat in Tierversuchen nach¬
gewiesen, daß bei Gelenkentzündungen nach Verletzungen eine um¬
schriebene Erkrankung besonders im vorderen Fettkörper vorkommt,
während die benachbarte Synovialmembran histologisch vollständig
normal ist. Es handelt sich hier aber nicht um ein umschriebenes
Krankheitsbild, das nur am vorderen Fettkörper vorkommt, sondern um
eine besonders häufige Lokalisation einer chronischen unspezifischen
Gelenkentzündung. Ebenso könnten auch die anderen Fettkörper er¬
kranken. Prädisposition des vorderen durch seine oberflächliche Lage.
Kausal ist der größte Wert auf Veränderungen zu legen, die als normale
Abnutzung des Kniegelenks zu werten sind. (Primäre Knorpeldegenera-
tion, besonders an der Patella.) Therapie: Kuhigstellung, Kräftigung
der Oberschenkelmuskulatur.
Kurt Stromeyer (Jena), Der „Neulaadhandgriff“ für Protbesen-
triger. M. m. W. Nr. 16. Beinamputierte stützen sich gern mit der
in die Hosentasche eingeführten Hand auf den Rand ihrer Prothese.
Neuland hat dafür oben an der Prothese einen kleinen Handgriff
angebracht, der sich sehr bewahrt hat.
Frauenheilkunde.
Herrmann Gänßle (Tübingen), Die Fahrlnsscbe Schwanger*
schaflsreaktion. M. m. W. Nr. 16. Fahräus fand 1916, daß die
Senkungsgeschwindigkeit der Blutkörperchen bei Schwangeren größer
ist als bei normalen Frauen. Die Reaktion ergibt aber erst in der
zweiten Hälfte der Schwangerschaft immer gleichsinnige Werte, als
Frühsymptom der Schwangerschaft ist sic unbrauchbar.
P. Straßmann (Berlin), Sarggebart. W. kl. W. Nr. 14. Es handelt
sich um eine 24 cm lange, mazerierte Frucht
Bernhard Zondek (Berlin), Ticfenthermometrie. M. m. W.
Nr. 16. Versuche mit dem bis zu verschiedenen Tiefen der Bauchwand
und des Abdomens eingeführten Tiefenthermometer. Es zeigt sich,
daß die in der Gynäkologie üblichen Hitzeapplikationen tatsächlich so
wirksam sind, daß sie an Tube und Parametrium eine hyperämisierende
Wirkung entfalten. Wichtig ist lange Dauer der Hitzeeinwirkung.
Digitized by
■sie
Original from
CORNELL UNiVERSITY
12.Mai IQ22
LITERATURBERICHT
64 3
E. Mauthner (Wien), Individualisierende Behandlung des fieber¬
haften Abortes, W. kl. W. Nr. 14. 458 Fälle aus den Jahren 1892 bis
1919. 89,7°/ 0 glatte Heilung, 7°| 0 protrahierter Verlauf, 3,3% Todes¬
fälle. Von diesen 15 letal endigenden Fällen wurden drei wegen be¬
drohlicher Blutung, 1 mal trotz erkannter Adnexerkrankung ausgeräumt.
Die 4 Fälle belasten die Resultate. — 8 mal wurde nach Kolpohystero-
tomia anterior mit der Abortzange ausgeräumt. Durchwegs ausge¬
zeichneter Erfolg. — Unter 13 Fällen mit zweizeitigem Vorgehen (Me¬
treurynter, Laminariastift) sind 5 Todesfälle zu verzeichnen.
Krankheiten der Ohren und der oberen Luftwege.
Friedrich Müller (Heilbronn), Neue Spritze für submuköse
Injektionen. Zschr. f. Ohrhlk. 82. Die Braunsche Optimaspritze, deren
Vorteil besonders in ihrer Unzerbrechlichkeit liegt, ist mit zwei Finger¬
ringen am Zylinder und einer neuartigen Befestigung für Hohlnadeln
versehen, die eine absolut sichere und dichte Fixation der Hohlnadel
und gleichzeitig deren Befestigung in jeder gewünschten Stellung
ermöglicht.
K. Sakai (Basel!, Findet sich die Macula neglecta auch beim
Meoscbeo ? Zschr. f. Ohrhlk. 82. Eine ausgebildete Macula neglecta
existiert beim Menschen nicht, ebenso auch kein entsprechender Ast
des N. ampullaris posterior. Die Macula neglecta kommt beim Menschen
nur rudimentär vor. Sichere Otolithen oder Kristahaare konnten an den
Rudimenten nicht gefunden werden. Die Macula kommt als Rudiment
beim Erwachsenen in 85% der Fälle vor. Ist sie vollkommen ausgebildet,
so muß sie als eine Mißbildung „teratoider Natur" angesehen werden.
A. J. Cemach (Wien) und A. Kestenbaum (Wien), Mechanik
des Drehnystagmus. Zschr.f.Ohrhlk. 82. Die Untersuchungen ergaben,
daß ein Nystagmus, der hinter einer Brille von 20 Dioptrien schon bei
geringer Drehung auftritt, nicht vestibulären Ursprungs ist. Er wird
auch bei Labyrinthunerregbaren gesehen. Dieser Nystagmus ist be¬
dingt durch den Fixationsmechanismus, der vom Labyrinth gänzlich
unabhängig ist. Es ist ein optischer Nystagmus.
PauIManasse (Würzburg), Zur oto*klerotischen Frage. Zschr. f.
Ohrhlk. 82. Der schon lange eine besondere Auffassung hinsichtlich
der formalen Genese der sogenannten Otosklerose vertretende Autor
kommt auf Grund neuerer Untersuchungen zu dem Ergebnis, daß die
Otosklerose anscheinend keineswegs eine einheitliche Erkrankung ist,
sondern daß vielmehr durch anfangs verschiedenartige histologische
Prozeße ähnliche oder gleiche Veränderungen im Felsenbein entstehen
können. (Einzelheiten sind zum kurzen Referat nicht geeignet.)
J. Zange (Jena), Urobitinogeooachweis im Harn. (Ehr lieh sehe
Aldehydprobe) als Hilfsmittel bei der Erkennung von Hlrn-
blotfeitererkraflkong im Verlaufe eitriger Mittelohrentzündung. Zschr.
f. Ohrhlk. 82. Die Untersuchungen ergaben, daß im Gegensatz zur
gewöhnlichen akuten und chronischen Mittelohreiterung bei Hirnblut¬
leiterthrombose und perisinuösem Abszeß fast regelmäßig eine vermehrte
Urobilinogenausscheidung im Harn statthaft. Die bisherigen Ergebnisse
lassen erhoffen, daß der Nachweis vermehrter Urobilinogenausscheidung
sich bei Mittelohreiterung als diagnostisches Hilfsmittel für die Erkennung
von Sinuserkrankungen verwerten lassen wird. Der Nachweis des Uro-
bilinoge n im Harn erfolgt mittels der Ehrlichschen Aldehydprobe.
• Leichsenring (Hamburg-Heidelberg), Gefahren der onerativen
Freilegung des Sinus. Zschr. f. Ohrhlk. 82. Verfasser empfiehlt bei
operativer Freilegung des Sinus zur Vermeidung gefährlicher Kompli¬
kationen folgendes Verfahren: Bei Antrotomie wird auf eine ausgiebige
primäre Naht verzichtet, um die Uebersicht über die Höhle und ins¬
besondere den freigelegten Sinus frei zu halten. Bei Radikaloperation
ist darauf zu achten, daß der Plastiklappen den Sinus nicht deckt. Am
besten läßt man in der Nähe des Sinus den Schnitt hinter dem Ohre
offen. Verbandwechsel in solchen Fällen schon am zweiten Tage.
E. Bloedhorn (Rostock-Essen), Schußfraklur des Felsenbeines
mit Eiterverhaltung im Zusammenhang mit I andryscher Paralyse.
Zschr. f. Ohrhlk. 82. Es wird angenommen, daß die im Gefolge von
Eiterretention im Felsenbein nach Schußfraktur aufgetretene Landrysche
Paralyse im ursächlichen Zusammenhang mit dem Eindringen von
Bakterientoxinen stehe, die durch eine auf der Geschoßwirkung beruhende
Strukturveränderung des Felsenbeins begünstigt wurde. Die Auffassung
stützt sich im wesentlichen darauf, daß der Symptomenkomplex der
Landryschen Paralyse nach der Operation auffällig zu schwinden begann.
O. Muck (Essen), Anwendungsgebiet des Kehlkopf-Kogel verfahren«.
Zehr. f. Ohrhlk. 82. Das von dem Verfasser angegebene und anderweitig
ausführlich beschriebene Kehlkopfkugelverfahren eignet sich nicht nur
zur Behandlung der funktionellen Lähmung der Glottisverengerer, mit
perversen Kontraktionen der Hals-, Rumpf- und Bauchmuskulatur,
sondern auch für Fälle verlängerten Mutierens, und zur Behandlung
der Phonasthenie. Anführung charakteristischer Fälle. Polemische
Bemerkung gegen Gutzmann.
Haut- und Venerische Krankheiten.
♦♦ Josef R. Thim (Wien), lieber Urethritis protozoica und
den Erreger der Prowazekseben Körperchen. Wien, J. Safar,
1922. 12 Seiten mit 1 Tafel. Ref.: Fürbringer (Berlin).
Nachdem die Frage der 1906 von Prowazek in Batavia bei
Trachom entdeckten Chlamydozoenzelleinschlüsse als Erreger der Krank¬
heit und Umwandlungsform der Oonokokken (s. u. a. Halberstädter
und Prowazek, Greeff, Herzog in dieser Wochenschrift 1909 S. 517
und 764, 1910 S. 1076) ins Stocken geraten war, hat der Autor mittels
eigener ziemlich schwieriger, im Original einzusehender Färbemethode
1919 und 1920 einen Fall von katarrhalischer Urethritis mit massenhaften
Einschlußkörperchen ohne Mischinfektion 6 Monate lang eingehend
untersucht. Er spricht die — in schönen farbigen Abbildungen wieder¬
gegebenen — im Epithelprotoplasma sich festsetzenden Körnchen als
Protozoensporen an. Es gelang, den Parasiten in seiner ganzen Ent¬
wicklung morphologisch einwandfrei zu verfolgen. Der sichere Zu¬
sammenhang außerdem gefundener freier Formen mit den Prowazek-
schen bzw. den eigenen Parasiten war nicht feststellbar. Die letzteren
werden als echte vegetative, die Epithelzellen zerstörende, die katarrha¬
lische Urethritis (Epitheliose ohne Eiterbildung) erzeugende Schleim¬
hautschmarotzer beurteilt. Eine Freizüchtung, ueberimpfung und Er¬
zeugung eines Einschlußkatarrhs bzw. Trachoms stehen noch aus.
Der Autor selbst bezweifelt die Möglichkeit eines Kulturverfahrens.
Ludwig Simon (Ludwigshafen), Behandlung der Unterschenkel-
geschwfire. M. m. W. Nr. 16. Das Sekret des Geschwürs muß ständig
abgesaugt werden, die Granulationen dürfen nicht über das Niveau
der Haut emporwuchern. Auf das Geschwür daumendick Verbandgaze,
dann Watte oder Zellstoff, darüber wird unter mittlerer Kompression
ein Gummischwamm anbandagiert. Täglich Verbandwechsel. Ueber
Nacht feuchte Verbände.
Walther Krantz (Köln), Färbungsversnche an Syphilisspirochäten
mit Neosalvarssn. M. m. W. Nr. 16. Behandlung von lufttrockenen
Ausstrichen mit Neosalvarsanlösung -j- Silbernitrat ergibt überraschend
schöne Spirochätenbilder, namentlich die Endfäden sind gut darstellbar.
K.UUmann (Wien), Neosiibersatvornan. W.kl.W. Nr. 14. Günstige
Erfahrungen an 64 Fällen bei reiner Neosilbersalvarsanbehandlung ohne
Hg und Jod. Dosierung: 0,2—0,5 g, gewöhnlich 0,3 g pro dosi,
3—4 g gesamt. Unangenehme Nebenwirkungen sehr selten. In einem
Falle Salvarsanexanthem. 2 Neurorezidive. Günstige Erfahrungen bei
Abortivbehandlung, früh eintretender und nachhaltiger Einfluß auf die
Wa.R. bei sekundärer Frühsyphilis.
Fred Heß (Stettin), Eiozeitig — kombinierte Cyarsal-Neosalvarsan-
knr. M. m. W. Nr. 16. Die Erfolge sind wenigstens bei älteren Fällen
nicht ganz gleichwertig der Neosalvarsan — Sublimat* und der Neo-
salvarsannovasurolspritze. Doch wird das Cyarsal in der Mischspritze
außerordentlich gut vertragen.
Kinderheilkunde.
Arnold Sack (Heidelberg), Varizellen und ultraviolette Strahlen.
M. m. W. Nr. 16. Ein öjähriges Kind erkrankte an Windpocken in
außerordentlich heftiger Form. 3 Tage vor Ausbruch des Exanthems
war Patient mit Höhensonne bestrahlt, wodurch vielleicht die Haut
sensibilisiert wurde.
H. Müller (Berlin-Schöneberg), Akute gelbe Leberatrophie im
Kindesalter. Zschr. f. exper. Path. u. Ther. 22 H. 2/3. Beschreibung
eines Falles bei einem 8jährigen Kinde. Aetiologie unbekannt.
Sachverstlndigentätigkeit.
♦ ♦ P.A. Hoff mann (Leipzig), Die Reichsversicherungsordnung.
Nach der Vorlesung über soziale Medizin für Juristen und
Adrzte. Leipzig, F. C. W. Vogel, 1921. 65 S. M. 20.-. Ref.:
Mugdan (Berlin).
Das ist das fesselndste und unterhaltendste Buch, das bisher über
die Reichsversicherungsordnung geschrieben worden ist! Wie der
Verfasser den doch an und für sich recht trockenen Gegenstand zu
behandeln verstanden hat, ist staunenswert, zumal dabei alle Aus¬
führungen streng sachlich gehalten sind. Ueberall spürt man die ge¬
sicherte Erfahrung, die der Verfasser sich als Gutachter erworben hat,
und die abgeklärte Menschenkenntnis des hervorragenden Arztes und
Gelehrten. Das Buch ist nicht eine erschöpfende Erklärung der Reichs¬
versicherungsordnung, es berücksichtigt auch nicht die in den letzten
2 Jahren beschlossenen Abänderungen derselben, sondern es erörtert
nur das für den Arzt Allerwichtigste, darunter den Begriff der Krankheit
und Arbeitsfähigkeit, die zum Erkennen von Gesundheit, Krankheit,
Schmerz und Schwindel anzuwendenden Mittel, den Begriff des Be¬
triebsunfalls, Unfallhysterie und traumatische Neurose, Berufskrank¬
heiten, Rentenveränderung, Feststellung von Hergang und Art des Unfalls,
Begriff der Invalidität, Erlöschen und Wiederaufleben der Anwartschaft.
Die Ausführungen hierüber und über das, was hier nicht besonders
erwähnt ist, sind gleichmäßig vorzüglich'und enthalten alles Wissens¬
werte. Besonders hohen Wert hat das Buch durch die Kritik, die der
Verfasser an der Reichsversicherungsordnung und an der vielfach ge¬
wünschten Arbeitslosenversicherung übt. Seine Ausführungen über
die durch die Zwangsversicherung erfolgte Schädigung der Aerzte,
über die üblen Folgen der Geldentschädigung, über (jie Wirkung der
Zwangsversicherung auf den Charakter der Versicherten und über die
Gefahren einer Ueberspannung des Versicherungsgedankens verdienen
allergrößte Verbreitung und berallen, die — praktisch oder wissen¬
schaftlich — sozialpolitisch tätig sind, weiteste Berücksichtigung. Jeder,
der das Buch liest, wird dabei höchsten Genuß und reichste Belehrung
finden.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
646
LITERATURBERICHT
Nr. 19
Aus der ausländischen Literatur«
(Schweiz, Schweden, Norwegen, Spanien, Italien» England, Frankreich, Amerika.)
44 Edward Mellanby (London), Experimental Rickets. London
1921. 78Seiten und 129Abbildungen. 4 s. Ref.: L. F. Meyer (Berlin).
Mellanby, der um die Vitaminforschung verdiente englische
Pharmakologe, hat in vorliegender Studie seine zahlreichen tierexperi¬
mentellen Untersuchungen über die Rachitis zusammengefaßt. Bei
jungen Hunden rief ein aus Reis, Hafermehl und Milch bestehendes
Futter in 4—6 Monaten typische rachitische Veränderungen hervor.
Mit Hilfe dieser Standardkost wurde systematisch die rachitisfördernde
und rachitishemmende Wirkung bestimmter Nahrungsmittel untersucht
Rachitishemmend wirkte Fett, am meisten Lebertran und Butter, am
geringsten Oliven- und Leinöl, ferner Fleisch. Kalkzufuhr blieb ohne
Einfluß auf die experimentelle Rachitis. Rachitisfördernd wirkte Brot,
Kohlenhydrat überhaupt und saures Kaseinogen. Gegenüber der ali¬
mentären Aetiologie wird der Einfluß der Domestikation gering ein¬
geschätzt. Die Hypothese einer Infektiosität wird ebenso abgelehnt,
wie die der Heredität. Aus den interessanten Untersuchungen des
Verfassers geht hervor, daß eine Reihe von Bedingungen und nicht
eine einzelne Ursache für die Entstehung der Rachitis verantwortlich
zu machen ist.
Müller (Zürich), Bedeutung der Urlngal'ensMiire für Klinik und
Pathologie. Schw. m. W. 1922 Nr. 5. Die Untersuchungen an einem
großen Material ergeben, daß dem Nachweis der Uringallensäure, der
sich durch die Hay-Probe leicht bewerkstelligen läßt, eine große klinische
Bedeutung zukommt. Beim Icterus haemolyticus fehlen die Gallen¬
säuren im Urin, während sie beim Icterus catarrhalis, Leberzirrhose,
Cholelithiasis, Lebertumor und Stauungsleber konstanter Vorkommen
als Urobilinurie, Urobilinogenurie und Bilirubinurie. Bei Herzinsuffizienz
und Nephritis spricht die positive Hay-Probe für Leberstauung.
M. Brul£ (Paris), Urohilionrie. Arch. de med., cir. y espec. VI. 10
Nr. 40. Unter Ablehnung der übrigen Theorien über die Ursachen der
Urobilinurie, insbesondere der intestinalen und enterohepatischen
Theorie, wird ausgeführt, daß die Urobilinurie zustandekommt infolge
einer Zurückhaltung des Bilirubins im Organismus. Die Urobilinurie
als Symptom dieser Pigmentzurückhaltung kann auftreten bei Ikterus,
der infolge einer Störung der Leberzellen auf tritt, ferner bei Ikterus
infolge von Verschluß der Gallenwege und schließlich bei hämolytischem
Ikterus. Nur im ersten Falle kann also die Urobilinurie als Zeichen
einer Leberinsuffizienz gedeutet werden.
Hughson (J. Am. Med. Ass. 1921 Nr. 24) berichtet über die Be-
band fang des Kopfschmerzes mit NaCI. Schon Weed und McKibben
(Am. J. Phys. Mai 1919) hatten mitgeteilt, daß durch intravenöse Ein¬
spritzungen von hochwertigen NaCI-Lösungen der Hirndruck stark
herabgesetzt werden könne und Cushing und Foley (Proc. Soc. Exp.
Biol. and Med. 1920 Nr. 17) hatten gefunden, daß dieselbe Wirkung durch
starke hypertonische Salzlösung auch vom Magen aus zu erzielen sei.
Hughson hatte zuerst Schwierigkeiten, da der Magen die starke Salz¬
lösung wieder ausbrach. Er verwendet jetzt NaCI-Tabletten von 1 JO,
die mit Salol überzogen sind und sich erst im Dünndarm lösen. Er
läßt alle 5 Minuten eine Tablette nehmen mit möglichst wenig Wasser,
bis 8—10 Tabletten genommen sind. Bei sehr schwerem Kopfschmerz
muß man zuweilen bis 15 Tabletten geben; man kann bei sonst ge¬
sunden Menschen bis zu 30,0 NaCI geben, bei Nephritis, hohem Blut¬
druck und alten Leuten ist Vorsicht nötig. Die Wirkung auf die
meisten Formen des Kopfschmerzes ist überraschend und tritt nach
30—45 Minuten auf. Nach Messungen von Weed und Hughson
(Am. J. Phys. 1921 Nr. 54) kann man mit dem Einverleiben von */« g
NaCI per Kilo Körpergewicht den Druck der Zerebrospinalflüssigkeit
um 50mm herabsetzen. Foley (Surg.Gyn.andObstetr.Äug. 1921) hatte
sehr gute Erfolge bei dem durch Hirntumoren und Hydrozephalus be¬
dingten Kopfschmerz.
Pontano und Trenti, Menlngokokken-Sensta. 11. pol. 29 H. 1
S. 3. Bericht über einen 28jährigen Kranken, der unter allgemeinen
fieberhaften Erscheinungen eingeliefert wurde. Objektiv: positive Wa. R.
im Blut; kein Nervenbefund; hoher Lumbaldruck; angedeutete Nonne-
sche Reaktion. Blutkultur negativ. Makulo-papulöses purpurrotes
Exanthem aus linsengroßen Flecken, besonders an den Extremitäten,
nirgends konflurierend. ohne Desquamation, mäßige Leukozytose,
Milztumor. Später Meningokokken (kernig, Opisthotonus), sowie
Leukozytose im Liquor; schließlich fanden sich im Blute, jedoch nicht
im Liquor, Meningokokken. Exitus unter den allgemeinen septischen
Erscheinungen. Es fand sich eine septische Milz; nur an einer Stelle
der Pia am Kleinhirn fand sich etwas Eiter. Der Fiebertyp ähnelte
dem einer Perniziosa. Merkwürdig war, daß der Liquor selbst steril war.
Tn einer sehr ausführlichen, im einzelnen im Original nachzulesenden
Arbeit behandelt Carl Müller Die Messangen des Blutdrucks am
Schlafenden als klinische Methode. Act. med. Scandinav. Vol. LV,
Fase. IV u. V, 1921. Die Arbeit stützt sich auf Blutdruckmessungen
an schlafenden und ruhenden Menschen verschiedenen Alters, sowohl
an Oesunden wie an Patienten mit gutartiger Hypertonie und Glomerulo¬
nephritis. Bei erwachsenen normalen Männern und Frauen findet man
während des Schlafes einen Blutdruckfall, der durchschnittlich 24 mm
Hg beträgt Besteht bei Männern ein Tagdruck von 140 mm oder
darüber und bei Frauen ein solcher von 135 mm, so findet sich ein
stets erhöhter Nachtdruck, sodaß Verfasser diese Werte als pathologische
Erhöhungen des Tagdrucks ansieht. Liegt der Tagdruck unterhalb
dieser Grenzen, so kann der Nachtdruck normal sein; in anderen
Fällen kann er erhöht sein. Um daher zu entscheiden, ob hier eine
Blutdruckerhöhung vorliegt oder nicht, muß stets auch der Nachtdruck
gemessen werden. Bei akuter Glomerulonephritis, bei der im Verlauf
der Krankheit der Tagdruck unter 140 mm fällt, zeigte sich ein mehr
oder minder deutlich erhöhter Nachtdruck. Ein solches „latentes
Stadium der Hypertonie" ist auch bei chronischer Glomerulonephritis
mit und ohne Nierenin^uffizienz nachweisbar. Ein Symptom, das daher
von besonderer diagnostischer Bedeutung bei guter Nierenfunktion
ist. Bei ortholischer Albuminurie und Nephrose findet sich dagegen
keine Erhöhung des Nachtdrucks. Hieraus ergibt sich die Wichtigkeit
der Messung des Nachtdrucks für die Differentialdiagnose zwischen
diesen und anderen renalen und nicht renalen Albuminurien ohne
Blutdruckveränderung einerseits, den akuten und chronischen Glomerulo¬
nephritiden anderseits.
A. Chauffard, Das humorale Syndrom der Qfcht. Presse mldicale
1922, 24. Das Hauptcharakteristikum der Gicht ist der erhöhte Ham-
säuregehalt des Blutes und der Gewebe. Er wird bedingt durch ver¬
mehrte Purinzufuhr, Harnsäureretention infolge Nierenfunktionsstörung,
verstärkte Harnsäurefixation der Gewebe und verminderte Harnsäure-
Zerstörung in der Leber. Daß ein solcher fermentativer Abbau der
Harnsäure in der Leber normalerweise besteht, wird gefolgert aus einem
geringen Gefälle des Harnsäuregehaltes zwischen Portalblut und Leber¬
venenblut bei Hunden während der Purinverdauung. Die roten Blut¬
körperchen enthalten beim Gichtiker fast doppelt soviel Harnsäure wie
beim Normalen. In den Bauch- und Brustfellergüssen findet sie sich
in gleicher Konzentration wie im Blut, iji der Rückenmarksflüssigkeit
nur in Spuren. Neben der Hyperurikämie findet sich bei der Gicht
eine Hypercholesterinämie und Hyperbilirubinämie, die gleichfalls auf
eine Funktionsstörung der Leber hinweisen. Oertliche Anhäufungen
von Cholesterin konnten mehrfach in gichtigen Tophi nachgewiesen
werden. Für die Gichtanfälle müssen Störungen des kolloidalen Gleich¬
ewichts verantwortlich gemacht werden, verbunden mit einer „lokalen
ensibilation“, Zustände die sich in ähnlicher Weise beim anaphylaktischen
Shok wiederfinden. Die Ergebnisse der älteren und neueren deutschen
Gichtliteratur werden mit keinem Worte gestreift.
Saiz, Pseudosklerose. II pol. sez. med. 29 H. 2 S. 65. Bericht
über einen Fall von Pseudosklerose mit Amenorrhoe und alimentärer
Lävulorserie. Bei der Sektion fand sich eine leichte Atrophie des
Zerebellums; Gehirn sonst makroskopisch o. B. mikroskopisch primäre
Neuroglia-Wucherung, am deutlichsten im Corp. Striatum, aber auch
in anderen grauen Massen, bestehend aus Vermehrung der Gliazellen,
Auftreten abnorm-großer Kerne, bizarrer und Alzheimerscher Riesen¬
formen; in der weißen Substanz der Medulla oblongata und spinalis
sternförmige Glia-Anhäufung. Die Nervenzellen selbst zeigten eine
Verringerung und waren mehr oder minder verändert. Die Pseudo¬
skleroseentspricht vollkommen derWilsonschenKrankheit; Nebenbefund:
Leberzirrhose, Schwund der Ovarialfollikel mit fibröser Hyperplasie
R. de Montand (Madrid), Das Symptom der passiven zitteriges
Kontraktion in der Parslysisapitan«. La Medicina Ibera 7. I. 1922, 15.
Nr. 218 S. 1 12. In der Mehrzahl der Fälle von Paralysis agitans und Rarkin-
sonschem Syndrom nach Fncephalitis lethargica wurden folgende Er¬
scheinungen beobachtet: Wenn man langsame passive Bewegungen
mit den Extremitäten ausführt, verspürt man die Empfindung von einer
zitterigen Kontraktion, besonders während der Streckung. Man findet
es nur in Fällen von plastischer Muskelhypertonie.
O. Usland, Ski'Moferfraktarea. Beitrag zur Mechanik der Bein¬
brüche. Beih. zu Norsk Mag. f. Laegevidensk. 1921, 10. Christian»,
Steensche Buchdruckerei. 75 S. Norwegisch. In der Einleitung be¬
richtet Verfasser, daß die Skifrakbiren in den jüngeren Jahresklassen
an seinem Krankenhause den größten Anteil an der Gesamtzahl der
Frakturen überhaupt haben. Die plötzliche Fixierung des Skis an
einem Hindernis etc. bei schneller Fahrt auf schräger Fläche mit der
im Moment der Hemmung eintretenden Bedrohung des Gleichgewichts,
die zu hastigen Balanzierbewegungen veranlaßt, begünstigt die Häufigkeit
dieser Beinbrüche. Elastizität und Festigkeit des Knochens sind bei
dem Verständnis der Bruchmechanik ebenso zu beachten wie die Gesetze
der Bewegung auf schräger Fläche; gerade weil man beim Skiläufen
typische Formen der Bewegung und des Gleichgewichts hat, eignen
sich diese Verhältnisse gut zum Studium der Bruchmechanik. Nach
kurzer Uebersicht über die Mechanik der Brüche wird an der Hand
der Kasuistik die spezielle Entstehung der einzelnen Formen besprochen.
Zum Schluß wird die allgemeine Mechanik der Skifrakturen nach mathe¬
matisch-physikalischen Gesetzen abgehandelt. Bei Fixierung eines Skis
wird, wenn der Läufer sein Gleichgewicht nicht beherrscht, bei geringer
Schnelligkeit ein Torsionsbruch im oberen Teil des Schenkels, bei
rößerer Geschwindigkeit ein Rotationsbruch im unteren Teil des
chenkels eintreten. Versucht der Läufer sein Gleichgewicht zu be¬
wahren, so wird bei geringer Geschwindigkeit eine supramalleoläre
Biegungsfraktur, bei großer Schnelligkeit ein kombinierter Biegungs¬
und Rißbruch sich einstellen. Bei fixierter Skispitze gibt es einen
Torsionsbruch am Wadenbein.
Digitized b'
Google
Original from
CORNELL UNSVERSITY
VEREINS- UND KONQRESSBERICHTE
Redigiert von Ober-Reg.-Med.-Rat Dr. O. Strauß.
Berlin, Augenärztliche Gesellschaft, 26.1.1922.
Offizielles Protokoll.
Vorsitzender: Krückmann. Schriftführer: Wertheim.
Oreeff: Ueber Phakoüresis. Die Rhakoeresis oder Erisiphakie
ist eine neue, von Prof. Barraquer in Barcelona erfundene Opera¬
tion, um den grauen Star mit der Kapsel zu entfernen. Barraaue r
geht nach Anlegung eines großen Homhautschnittes mit einem Saug¬
näpfchen ein, aas er auf die Linse setzt. Dieses Näpfchen steht mit
einer Luftpumpe in Verbindung, die im gegebenen Moment durch einen
Motor in Wirksamkeit gesetzt wird. Dadurch wird die Linse angesaugt,
durch Vibrationen des Motors von der Zonuia abgerissen und extra¬
hiert. Die Methode hat den Vorteil, daß sofort ein reines, tief-
schwarzes Pupillargebiet vorhanden ist. Von Nadistar ist keine Rede.
Sie hat aber auch Nachteile, und zwar 1. daß sie technisch schwerer
ist, 2. daß der große Hornhautschnitt starken Astigmatismus hinter-
Iäßt, 3. daß offenbar die Verletzung des Auges eine erhebliche ist.
Einige Zeit nach der Extraktion setzt eine enorme Zellwanderung
mit Pigment von dem Corpus ciliare durch die tellerförmige Orube
ein, wie man mit der Spaltlampe sehen, kann. Es ist noch zu früh,
eine Statistik zu bringen oder ein definitives Urteil über die Operation
abzugeben. Demonstration der von Barraquer geliehenen Instru¬
mente. Demonstration eines nach Barraquer operierten Patienten.
Wnematographische Vorführung der Operation nach Barraquer
durch Prof. Adam.
Besprechung. Meesmann: Wenn man die bei der Bar-
raquer-Operation gewonnene Linse in der Kapsel an der Spaltlampe
untersucht, so findet man gelegentlich, daß am Aequator der Linse
keine Spur von Zonularesten trotz wohlerhaltener Kapsel zu sehen
ist. Aennliche Beobachtungen konnten auch bei Subluxatio lentis an
der Spaltlampe gemacht werden. Eine Erklärung für dieses eigenartige
Verhalten gab ein Fall von traumatischer Subluxation (von dem eine
Abbildung demonstriert wurde), bei dem die Linse (5 Monate nach
erfolgter Subluxation!) eine wohlerhaltene Kapsel, aber keine
Spur von Zonularesten zeigte. Oberhalb der Linse sah man ein
schmales, sichelförmiges, grauweißes Band, das bei maximaler Erweite¬
rung eben noch über den Pupillarrand hinausragte. An diesem Band
war eine deutliche konzentrische und radiäre feinste Faserung zu
sehen. Es wird die Ansicht ausgesprochen, daß es sich hier um die
von Becker vermutete Lamelle handelt, sodaß die Zonulafasem
nicht direkt an der Kapsel ansetzen, sondern an einem ringförmigen
Band, das um den ganzen Aequator der Linse herumzieht und wahr¬
scheinlich aus Verflechtungen der Zonulafaserenden besteht. Die
efährlichste Komplikation bei der Barraquer-Operation ist der Glas-
örperprolaps. Es fragt sich, ob dieser bei Anwendung aller Vor¬
sichtsmaßregeln und guter Technik immer zu vermeiden ist. Es
scheinen hier von Wichtigkeit die Verhältnisse des retrolentalen
Raumes, der an der Spaltlampe bei normalem Auge und bei normalem
Glaskörper so gut wie stets nachzuweisen ist. Er fehlt in allen
Fällen, selbst leiälter Glaskörperveränderungen, z. B. schon bei vielen
geringgradigen Myopien, leichten entzündlichen Veränderungen und
oft auch bei senil-destruiertem Glaskörper, sodaß jetzt nicht mehr
Linse und Glaskörper durch eine schmale Schicht Kammerwasser ge¬
trennt sind, sondern direkt aufeinander liegen. Bei dem jetzt vor¬
liegenden physikalischen Kontakt besteht die Möglichkeit, daß der
Glaskörper, zumal wenn seine Grenzschicht verändert ist, der Linse
sofort beim Herausziehen folgt, ohne daß ein besonderer Druck auf
das Auge ausgeübt wird. Bei einigen Operationen schienen uns die
Verhältnisse in der Tat so zu liegen.
Krückmann: Auch wir haben uns in der Klinik für den so¬
genannten retrolentalen Raum interessiert und uns beispielsweise bei
scheibenförmigen Blutungen auch literarisch geäußert (wirth, Zschr.
f. Aughlk. 1922, 47, H. 1). Nach den Mitteilungen Meesmanns glaube
ich die topographischen Verhältnisse so formulieren zu können, daß
die hintere Linsenkapsel dort, wo sie dem Glaskörper anliegt, ein
festgewebtes Netz berührt, das einen membranartigen Charakter trägt.
Dieses Netz würde vermutlich von den hinteren, bzw. den sich am
Aequator kreuzenden vorderen Zonularfasern herzuleiten sein und
prinzipiell von den Fasern der Ziliarkörperepithelien gebildet werden,
die ihrerseits aus dem Medullarrohr stammen. Diesen Epithelien und
und ihren Fasern könnte daher die Fähigkeit zuerkannt werden, ähn¬
liche Gliamembranen zu bilden, wie sie sonst als Limitans superficialis
und perivascularis die nervösgliöse Substanz gegen das mesodermale
Gewebe abgrenzen. Eine solche Glaskörpermembran wäre dann viel¬
leicht in ähnlicher Weise aufzufassen wie die sogenannte Membrana
hyaloidea. Da die Linse nur mit ihren hinteren Partien an den Glas¬
körper grenzt, so wäre ein derartiger Abschluß gegen den Glaskörper
sowohl embryologisch wie histologisch durchaus verständlich. Die
Zonulalamelle Bergers entspräche ebenfalls, aber in letzter Linie,
diesem Abschluß. Nur bildet sie bereits den Randteil der Linsen¬
kapsel selber, sodaß sie nicht ohne weiteres für die Begrenzung einer
Blutung glaskörperwärts in Frage kommen kann. Da nun weiter
die Linsenkapsel epithelialer Abkunft ist, so könnte man sich denken,
daß — zum Unterschied von der festen gjiösen Verbindung mit den
mesodermalen Bestandteilen — an dieser Stelle im Augeninnem auch
gelegentlich ein Raum zwischen den epithelialen Gebilden der Linse
einerseits und denen des Glaskörpers und der Ziliarkörperepithel-
fasern anderseits vorhanden sein konnte.
Fertig: Demonstration eines neuen Druckverbandes zur Behand¬
lung der Netzbautablösung mit Hilfe eines Gloria-Gummischwammes
Nr. 3. Dieser hat vor den alten Druckverbänden den Vorzug, daß
er einen gleichmäßigen, elastischen Druck auf das Auge ausübt und
daß die Binde nicht so fest angelegt zu werden braucht, daß dabei
der ganze Kopf mit eingepreßt wird, sodaß der Verband von den
Patienten gut vertragen und die Durchführung der Behandlung sehr
erleiditert wird.
Meisner stellt einen Fall von Dystrophia adiposogenitalis vor,
ein 15jiihriges Mädchen, 1,33 m groß, 41,3 kg schwer. Von seiten
der Augen bestanden ausgesprochene neuritisene Optikusatrophie und
vereinzelte peripherische chorioretinitische Herde. Die Sehschärfe
war auf Fingerzählen in 1—2 m Entfernung herabgesetzt, das Gesichts¬
feld konzentrisch sehr stark eingeschränkt. Eine bitemporale Hemi¬
anopsie ließ sich nicht feststellen. Wa.R. war negativ. Zwei Ge¬
schwister gesund. Mutter und ihre Schwester sollen ebenfalls als
junge Mädchen sehr korpulent gewesen sein, doch ließ sich bei diesen
jetzt weder anatomisch noch funktionell etwas Abnormes nachweisen.
Besprechung. Meesmann: Die Veränderung des Sehnerven
bei Dystrophia adiposogenitalis ist nur indirekt durch Störungen der
inneren Sekretion bedingt, da es sich um einen Druck von der Hypo¬
physe aus auf das Chiasma handelt. In unserer Klinik wurde vor
mehreren Jahren eine 21jährige Patientin mit eunuchoidem Riesen¬
wuchs behandelt, eine Veränderung, die ebenfalls auf Störungen der
inneren Sekretion zurückzuführen ist und die bei Einsetzen der Men¬
struation, die wenige Tage vor der Behandlung erfolgte, durch
Symptome eines akuten Basedows und einer beiderseitigen retrobul¬
bären Neuritis mit sehr großem zentralen Skotom kompliziert wurde.
Die Basedowsymptome gingen nach einigen Wochen zurück. Beide
Sehnerven wurden atrophisch, sodaß die Patientin mit einem Visus
von Handbewegungen entlassen wurde. Wir nahmen an, daß durch
das Einsetzen der Menstruation von den Ovarien aus innersekre¬
torische Stoffe in den Blutkreislauf geraten sind, die bei der mangeln¬
den Kompensation \on anderen Blutdrüsen von sich aus giftige
Wirkungen ausübten, sodaß hier von einer direkten Schädigung des
Sehnerven durch innersekretorische Stoffe gesprochen werden kann.
Berlin, Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie,
24. III. 1922.
Robert Meyer: Demonstration einer großen Steißgeschwnlst
an einem 5 monatlichen Fötus mit Hydrozephalus und allgemeinem
Sachs: Ueber vorübergehenden Verschluß von Körperbffnnngeo
mittels Hautknopflöcber nach Linbart. Sachs warnt vor dem von
Linhart angegebenen Verfahren, da er 3 Fälle nach dieser Methode
wegen vorgeschrittenen Totalprolapses ohne Erfolg operiert hat.
Weder ein Metallbügel noch ein Leinenband, das durch die Labien
gelegt wurde, konnte den Prolaps zurückhalten.
Bat he: Die alimentflre Scbwangerschaftsglykosnrie als Früh-
diagnostikum. Bathe hat das von Franke und Nothmann ange¬
gebene Verfahren, eine junge Schwangerschaft durch die Verab¬
reichung von Traubenzucker und die Bestimmung des Blutzuckers
festzustellen, an 80 Fällen nachgeprüft und spricht sich sehr vorsich¬
tig über die Verwertung dieser Methode aus. Die Methode soll
darauf beruhen, daß bei Schwangeren nach Verabreichung von 100 g
Traubenzucker der Blutzuckergehalt nicht über 0,19 o/o steigt (normal
höchstens 0,15o/o), während bei nichtschwangeren Personen der Blut¬
zuckergehalt mehr ansteigt. Es wird also der Zucker von den Nieren
Schwangerer so schnell ausgeschieden, daß es nicht oder kaum
wesentlich zu einer Hyperglykämie kommt. Den teuren Trauben¬
zucker hat Bathe in einer Anzahl von Fällen durch eine kohlen¬
hydratreiche Probemahlzeit ersetzt. Unter den 80 Fällen waren
7 Fehldiagnosen. Die alimentäre Glykosyrie ohne Hyperglykämie ist
nicht spezifisch für die Schwangerschaft und vor Operationen zur
Klärung der Diagnose nicht zu verwerten.
Besprechung. Zondek hat das von Franke und Noth¬
mann angegebene Verfahren auch nachgeprüft, aber wieder auf¬
gegeben, wen häufiger die Blutzuckerwerte 0,19o/ o überstiegen. Außer¬
dem ist die Methode schwierig und teuer. Er hat daher schon, bevor
Joseph und Kamnitzer Ihre Arbeit veröffentlichten, das Phlo¬
ridzin in einer Menge von 2 mg verwandt. Ein positiver Ausfall
der Reaktion im Urin beweist nichts. Ein negativer Ausfall spricht
mit großer Wahrscheinlichkeit gegen eine Schwangerschaft. Die
Methode ist überhaupt nur bei intaktem Ei zuverlässig.
Ha Hau er hat die Assimilationsgrenze bei Verabreichung von
100 g Rohrzucker sehr verschieden gefunden. Er hat bei seinen
Untersuchungen zum Teil 100 g Reis mit Zucker und Zimt am
Abend vorher gegeben und in 65o/o der Fälle einen positiven Zucker¬
gehalt im Harn gefunden. In der letzten Zeit gibt er 30—50 g
Zucker im Tee. Ein positiver Ausfall der Zuckerreaktion im Urin
spricht für Schwangerschaft. In keinem Fall hat er nach Verab-
Digitized by Google
Original fro-m
CORNELL UNIVERSUM
648
VEREINS- UND KONORESSBERICHTE
Nr. 19
reichung von höchstens 50 g Zucker bei Nichtgraviden eine positive
Reaktion erhalten. Daß das Phloridzin einen „renalen“ Diabetes
macht, wird in Zweifel gezogen.
Freund: Der Methode haften wie auch der Abderhalden -
sehen Methode alle Fehler der biologischen Untersuchungsmethoden
an, sie ist daher nur bedingt zur Feststellung der Schwangerschaft
zu verwerten.
Sachs hat ebenfalls nicht sehr günstige Resultate bei der Nach¬
prüfung der Methode von Joseph und Kamnitzer erzielt. Unter
50 Fällen hatte er 7—8 Versager. Heyn.
Berlin, Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten,
13. III. 1922.
Cassirer: Halsmnskelkrampf und Torsionsspasmus. Demonstra¬
tion eines Patienten, der außer Halsmuskelkrampf das Schreiben be¬
hindernde krampfartige Vorgänge im rechten Arm, Ruhezittern, der
Paralysis agitans ähnlich, aufweist, außerdem Sprachstörung. Der Fall
rechtfertigt die Auffassung, daß die Halsmuskelkrämpfe Teilerschei¬
nungen eines zu den striären Symptomenkomplexen gehörenden All¬
gemeinleidens sind. Therapeutisch kommt Sternokleidodurchschnei-
dung in Frage.
Besprechung. Schuster. — Förster und Maas raten auf Grund
eigener Fälle von der Operation ab. Cassirer (Schlußwort), ln
Maas’ Fall hatten Operationen lange Zeit genützt.
Minor (Moskau), Hereditärer Tremor. Minor berichtet über
44 eigene Beobachtungen des essentiellen Tremors mit ihren Stamm¬
bäumen. Er schließt sich der Meinung einiger Autoren, die den essen¬
tiellen Tremor wegen seiner symptomatologischen Unbestimmtheit
nicht für eine eigene Krankheit, sondern nur eine monosymptomatische
Form anderer Nervenkrankheiten oder als funktionellen Ausdruck einer
wahrscheinlich zerebral-anatomischen Mißbildung auffassen, nicht an.
Von 35 Fällen, in denen nur ein Elter Zittern aufwies, vererbten sich
17 gekreuzt, 7 homolog. Der geschlechtliche Faktor in der Vererbung
ist also ein charakteristisches Merkmal, dessen Ursache Minor in den
Eigenschaften der Gamete des gesunden Elters sucht. Weiter sind
charakteristisch für den essentiellen Tremor die außergewöhnliche
Kinderzahl und die Langlebigkeit in den Familftn der Zitterer, auch
dies weist auf den geschlechtlichen Faktor in der Pathophysiologie
des hereditären Tremors hin.
Besprechung. Liepmann. — Schuster berichtet über zwei ent¬
sprechende Erfahrungen. Möglicherweise hat auch der Alterstremor
eine hereditäre Begründung. Anatomisch könnten die Kleinhirnsysteme
mit dem Zittern in Verbindung stehen. K. Mendel: Auch bei der
Paral. agit. wird Langlebigkeit beobachtet. Poll: Interessant ist die
Korrelation von somatischen Merkmalen krankhafter Art mit der Ge¬
samtkonstitution. Die Lebensdauer scheint stark genotypisch bedingt
zu sein. Simons fand in einer Beobachtung Anhalt für Betriebs¬
störung im striären System. F. H. Levy: Die Lokalisation dürfte nicht
einheitlich, jedenfalls unter Beteiligung der extrapyramidalen Systeme
sein. O. Maas: Lewandowsky konnte bei einem organisch bedingten
Zittern keine anatomischen Veränderungen finden. P. Bernhardt. —
Minor (Schlußwort). Bei der Pathogenese muß man nicht nur an
anatomische, sondern auch an chemische Grundlagen denken.
Henneberg und Bielschowsky: Erblindung bei disseminierter
Enzephalitis (akute multiple Sklerose). Fall mit plötzlicher Erblindung
in einem Tage, dann nach und nach Parese des Arms, Beins, Sprach¬
störung, Fehlen der Bauchreflexe, Blasen-Mastdarmstörung. Exitus
nach etwa 9 Wochen. Anatomisch: großer, rechts den ülob. palli-
dus zerstörender, fast die gesamte rechte Hälfte des neutralen Pons¬
abschnittes einnehmender Herd. Mikroskopisch besteht das Bild
eines polysklerotischen Herdes, Körnchenzellen, Fibroblasten, kleine
Blutungen. In der Herdperipherie starke Gliaproliferation, reichlich
faserige Zwischensubstanz. Außer diesem stellenweise malazischen
zahlreiche kleine gliöse Proliferationsherde. Im Optikus im Scharlach¬
präparat viel rote Stellen, Körnchenzellen, spärliche Leukozyten, Zerfall
der Markscheiden. Achsenzylinder zum großen Teil erhalten. —- Es
handelt sich um akute disseminierte Enzephalitis (maligne multiple
Sklerose). Zugrundeliegt Markscheidenzerfall, z. T. auch der Achsen¬
zylinder ohne entzündliche Veränderungen als Folge lokaler Zirkula¬
tionsstörungen, Lymphstauung und direkter Toxin Wirkung. Die un¬
gewöhnlich schwere Optikuserkrankung ging der Gehirnerkrankung
vorauf, wie oft bei Scler. mult. Möglicherweise wandert der Erreger
aus den Nasennebenhöhlen in den Optikus. Die gliösen Proliferations¬
herde, die ähnlich bei Fleckfieber bestehen, entsprechen nicht der
typischen Scler. mult. Vielleicht handelt es sich um Mischinfektion. Weiter
berichtet Henneberg über einen günstig verlaufenen Fall von akuter
Scler. mult., der mit vorübergehender völliger Blindheit einherging.
Besprechung. Förster: Für die Fleckfieberherde sind ver¬
einzelte Leukozyten charakteristisch. H. Feilchenfeld: Echtes zentrales
Skotom ist für Scler. mult. differentialdiagnostisch entscheidend. Daß
Fälle, die nach Nebenhöhlenerkrankung Scler. mult. bekommen, nicht
bekannt sind, spricht gegen diese Aetiologie. Henneberg (Schluß
u'ort). Es könnte sich nur um spezifische Erreger, nicht die der
übrigen Katarrhe der Nebenhöhlen handeln. Nur die Möglichkeit des
Infektionsweges beweist das Vorkommen von -retrobulbärer Neuritis
bei Nebenhöhlenerkrankungen. Kurt Löwenstein.
Königsberg i. Pr., Verein für wissenschaftliche Heilkunde
6. II. 1922.
Offizielles Protokoll.
Vorsitzender i. V.: Schellong. Schriftführer: Schütze.
Streit: a) Fall von multiplen Fibroepithedomen der Uppen und
Mundschleimhaut. 11 jähriger Junge. Die Tumoren erstrecken sich
über beide Lippen und von den Mundwinkeln aus zwischen den
Zahnreihen etwa 4 cm weit .nach hinten. Sie sitzen teils breitbasig,
teils mehr gestielt auf. Aetiologie unbekannt, seit 2 Jahren allmählich
entstanden.
Besprechung. Adolf Stein: In der zahnärztlichen Literatur
sind solche Fälle nicht ganz unbekannt, so hat z. B. Moral in seinem
Buche: „Klinik der Zahn- und Mundkrankheiten“ diese Papillome
oder Fibroepitheliome erwähnt. Sie zeichnen sich histologisch da¬
durch aus, daß die verzweigten und verdickten Papillen im Gegen¬
sätze z. B. zu den Papillen der äußeren Haut einzeln von Epithel um¬
kleidet sind. Die Grenze zwischen neugebildetem Bindegewebe und
neugebildetem Epithel bleibt für gewöhnlich gewahrt, doch kommen
auch maligne Entartungen vor.
b) Fall von bochsitzendem Oesophaguskarzinom, bei dem es bei
der Einnahme von Kontrastbrei zum Einwandern des Breies in
die Lunge gekommen ist. Als Ursache wurde eine Oesophagus-
kehlkopffistel angenommen (wie sich bei der Obduktion herausstellte,
bestand jedoch keine Fistel, sondern der Brei war nach Füllung der
über der Stenose befindlichen Speisewege direkt von oben her in den
Kehlkopf hereingeflossen). Husten trat seit etwa 2 Monaten immer
sofort im Anschluß an die Einnahme von Speisen und Getränken auf.
Augenscheinlich war die Nahrung ähnlich wie der Kontrastbrei bereits
seit längerer Zeit zum Teil in die Lungen gelangt. Der Vortragende
weist auf die große Toleranz der Lungen gegenüber eingedrungenen
Fremdkörpern hin, zur Entstehung einer Komplikation gehört stets
noch eine ganz bestimmte bakterielle Invasion. Husten wird nur von
den oberen Luftwegen, Kehlkopf, Luftröhre, Bronchien — jedoch nicht
von den feinsten Bronchialverästelungen ausgelöst.
Besprechung. Telemann berichtet über einen Fall von
Oesophago-Bronchial-Fistel. Der Patient hatte ein Karzinom
des Oesophagus in der Gegend der Bifurkation. Die Röntgendurch¬
leuchtung ergab beim Schlucken des Kontrastbreis ein völlig reaktions¬
loses Abfließen des Kontrastmittels in die Bronchien. Auf der Röntgen¬
platte sind die abhängigen Partien* beider Lungen fast vollständig
mit dem Kontrastmittel angefüllt. Patient wurde dabei nicht dispnoe-
tisch, hustete nicht, wurde nicht zyanotisch. Während der nächsten
14 Tage hustete Patient einen Teil des Kontrastbreis aus. Der größte
Teil jedoch blieb in den kleinen Bronchien und Alveolen sitzen. Dieser
reaktionslose Verlauf der Bronchialfüllung gab Veranlassung, bei einer
Reihe von Versuchstieren durch Trachealpunktion größere Mengen
von Wismutbrei in die Lungen zu bringen. Es zeigte sich dabei, daß
eine Reaktion im Sinne des „Sich-Verschluckens“ vorzugsweise dann
auftritt, wenn die Kanüle dicht unterhalb des Kehlkopfes eingestoßen,
nicht weiter fortgeführt und dann Wismutbrei in die Trachea in¬
jiziert wmrde. Führt man die Kanüle dagegen bis zur Bifurkation
vor. so tritt eine Reaktion nicht ein. Wahrscheinlich ist das Ver¬
schlucken vorzugsweise eine Reaktion der oberen Luftwege bis zur
Bifurkation. Es gelang auf diese Weise, die Lungen von Versuchs¬
tieren im wesentlichen reaktionslos schätzungsw eise nach dem Röntgen¬
bilde bis zu */» anzufüllen. Röntgenoskopisoi scheinbar Totalanfüllung
des Bronchial-Alveolar-Systems wurde durch Einführen und Vor¬
schieben eines dünnen Sprays in die Trachea bis zur Bifurkation
mit nachfolgender langsamer Zerstäubung von dünnen Kontrast¬
mitteln erreicht. Einige der Versuchstiere starben nach *4 bis Vs Jahr.
Die Sektion ergab das Vorhandensein eines großen Teiles der ein¬
geführten Wismutkristalle in Trachea, Bronchien und Alveolen, eine
starke Anreicherung derselben in den Bronchiallymphgefäßen und
Drüsen und an einzelnen Stellen abgekapselte Abszesse mit verflüs¬
sigtem, Wismut enthaltendem Inhalt, die bakteriologisch steril waren.
Einige Versuchstiere überlebten den Eingriff etwa 1 Jahr lang. Die
Trachco-Bronchial-Fisteln sind wahrscheinlich häufigere Affektionen,
besonders gegen Ausgang der Oesophaguskarzinome, also in einem
Stadium, in dem die Diagnose bereits gestellt ist und in dem man
den Patienten röntgenoskopisch nicht mehr zu untersuchen pflegt.
Telemann hat inzwischen mehrere derartige Fisteln gesehen. Zu
beachten ist noch, worauf Weingärtner hingewiesen hat, daß in¬
folge hochsitzender Speiseröhrenkarzinome Scnluckparese eintreten
kann, bei der entweder durch Verschlucken oder durch einfaches
Ueberlaufen der Speiseröhre nach oben hin, also ohne Fistel, größere
Mengen von Kontrastbrei bzw. Fremdkörper in die Luftröhre ge¬
langen können.
Kurtzahn: Askarldenileus. Vorstellung eines 5jährigen Knaben
in Heilung, der wegen Ileus zur Operation kam. Bei Aufnahme in
die Klinik bestand seit 2 Tagen Stuhl- und Windverhaltung; seit
24 Stunden Erbrechen. Deutlidi tastbarer, walzenförmiger Tumor in
rechter Bauchseite. Stehende Darmschlingen. Gedacht wnirde zu¬
nächst an Invagination. Die Operation ergab ein Askaridenkonvolut
in einer mittleren Dünndarmschlinge. Eröffnung des Darms und Ent¬
fernung von 24 Askariden. Typische Naht des Darmes und der
Bauchdecken. Reaktionsloser Heilverlauf. Kurze Mitteilung eines
zweiten, gleich verlaufenden Falles, der im Oktober 1920 zur Opera¬
tion kam, wobei 64 Askariden entfernt wurden. Hinweis auf die
zunehmende Häufigkeit der Askaridenerkrankung. Kurzes Referat
Digitized by
Gck igle
Qrigiral frem
CORNELL UNIVERSSTV
12. Mai 1922
VEREINS- UND KONORESSBERICHTE
649
über verschiedene Meinungen, die Ursachen des Heus beim Vor¬
handensein von Askariden betreffend.
Rosinski hat zur Zeit 3 Fälle von Uternskarzinom mit Radium
und Röntgeostrahleo behandelt, die seit fünf Jahren und länger
rezidivfrei sind. 1. Fall Zervixkarzinom, abdominale Exstirpation;
Geschwulstteile mußten im Parametrium zurückgelassen werden.
2. Fall flaches Portiokarzinom, weit auf die vordere Scheidenwand
übergreifend. 3. Fall noch operables Korpuskarzinom; Kontraindi¬
kation für Operation Adipositas und Starrheit der Parametrien.
Rosin ski empfiehlt: 1. hohe Dosen, kürzere Bestrahlungsdauer,
2. immer Kombination von Radium und Röntgenstrahlen, 3. Jahre
lange, intermittierende Bestrahlung, auch Wenn nichts mehr von
Karzinom nachzuweisen.
Henke: Fremdkörper im Oesophagus. Aus der Reihe der von
Henke beobachteten Oesophagus-rremdkörperfälle werden demon¬
striert: l.Ein Blutegel, der sich an der Hinterfläche des Ring¬
knorpels im Oesophagusmund festgebissen hatte. Die Extraktion er¬
folgte unter Anwendung des Kehlkopfspiegels mit Hilfe einer Kehl¬
kopf-Fremdkörperzange. 2. Ein 2cm langer, ganz spitzer
Knochensplitter, der größtenteils in der vorderen Oesophagus-
wand verborgen war und nur mit der Spitze in das Lumen der
Speiseröhre hineinragte. (18 cm von der Zahnreihe entfernt). Bei der
Einführung des Oesophagoskopes war dieser Fremdkörper nicht ge¬
sichtet worden, erst beim langsamen Zurtickziehen des Oesophago¬
skopes wurde er sichtbar. Entfernung des Fremdkörpers durch aas
Oesophagoskop. 3. Eine Gebißplatte, welche 24 cm von der
Zahnreihe entfernt ganz fest eingekeilt war. Schleimhaut in der
Umgebung stark verletzt, zum Teil gefetzt. Die Platte lag dort vier
Tage. Patient hatte hohes Fieber, machte schwerkranken septi¬
schen (?) Eindruck. Der zuerst behandelnde Arzt hatte versucht, die
Platte in den Magen zu stoßen. Daher die feste Einkeilung und
Verletzung der Speiseröhre. Die Extraktion mit Oesophagoskop ge¬
lingt nicht. Das hohe Fieber, das schlechte Allgemeinbefinden er¬
lauben ein längeres Zuwarten nicht, es wird Oesophagotomie gemacht
und mit Hilfe einer langen Nasenzange der Fremdkörper extrahiert.
Patient hatte noch längere Zeit hohes Fieber, wurde aber geheilt
entlassen. Henke warnt bei verschluckten Fremdkörpern nicht nur
vor dem Gebrauch von Münzen- und Grätefängern, sondern auch
vor Anwendung von Sonden, die in der Hand des wenig Geübten
sehr viel Schaden stiften können. Fort mit allen blind im Dunklen
arbeitenden Instrumenten, sie gehören in die Rumpelkammer! Henke
verfährt bei Oesophagusfremdkörpern nach folgendem Schema: Ge¬
naue Anamnese, Palpation, Laryngoskopie, Hypopharyngoskopie,
Röntgendurchleuchtung bzw. Röntgenaufnahme in sagittaler, frontaler
und diagonaler Richtung (Fechterstellung), Oesophagoskopie. Nur
in den seltensten Fällen wird die Oesophagotomie notwendig sein.
Die meisten nicht sondierten Fremdkörper finden sich im Oeso¬
phagusmund. *
Sattler: Ueber die Verbesserung der Kosmetik nach Entfernung
des Auges. Bei Einpflanzung von Fett in den Skleralsack nach
Exenteratio bulbi tritt wegen ungenügender Ernährung starke
Schrumpfung ein. Dieser Fettzerfall konnte mit dem Hornhaut-
mikroskop bei Implantation nach diaskleraler Exenteration durch die
erhaltene, anfangs noch klare Hornhaut beobachtet werden. Bei
Implantation in die Tenonsche Kapsel nach Enukleation und guter
Blutstillung erfolgt nur geringe Schrumpfung und nur in den ersten
8—10 Wochen. Bei 30 länger als % Jahr beobachteten Fällen war
das Glasauge nur 0,8 mm zurückgesunken und 3o Grad beweglich,
dagegen nach einfacher Enukleation oder Exenteration 3,6 mm zurück¬
gesunken und nur 25 Grad beweglich. (Demonstrationen.) An der
Königsberger Universitäts-Augenklinik wird bei Patienten in jüngerem
und mittlerem Alter nach Enukleation oder Exenteration stets Fett
implantiert. Demonstration von Röntgenbildern, in denen bei Kindern
1—6 Jahre nach Enukleation die Orbita auf dieser Seite in beträcht¬
lichem Grade, nach Implantation in geringerem Grade im Wachs¬
tum zurückgeblieben ist. Nach vorausgegangener sehr schwerer Pan-
ophthalmie oder starkem orbitalen Bluterguß bei Enukleation ent¬
steht bisweilen eine tief eingezogene Falte am Oberlid. Sie ist
veranlaßt durch den bei der Organisation des peribulbären Exsudats
nach Panophthalmie und der Blutergüsse erfolgenden Zug auf die
Hinterwand des Bindehautsacks und den Levator palpebrae. Prophy¬
laxe durch frühzeitige Operation einer Panophthalmie und Vermeidung
unnötiger Blutungen bei Enukleation. Die entstellende Falte am
Oberlid läßt sich beseitigen mittels Hebung des Glasauges durch
Verkürzung eines etwa erschlafften Unterlids oder durch Fett¬
einpflanzung hinter und unter den Bindehautsack, ferner mittels Fett¬
einpflanzung unter den oberen Augenhöhlenrand. Nach Exenteratio
orbitae mit Erhaltung des Bindehautsacks kann nach Einpflanzung
von Fett in die Augenhöhle ein Glasauge getragen werden, ohne zu
tief eingesunken zu erscheinen. Mußte der Bindehautsack entfernt
werden, so ist es am besten, eine an einem Brillengestell befestigte
Orbitalprothese zu verordnen. (Demonstration.)
Schubert: Oie Aetiologie der Schiefhalserkrankung ist von
großem theoretischen Interesse. Folgende vier klinische Gesichts¬
punkte sind für die Aetiologie von Bedeutung: 1. Die primäre nar¬
bige Umwandlung des Sternokleidomastoideus, die sich nicht auf den
einen Muskel beschränkt; sehr häufig sind benachbarte Gebilde, wie
die Scheiden der großen Gefäße und selbst andere Muskeln ebenfalls
narbig umgewandelt. Z Die Asymmetrie der gleichen Gesichtshälfte,
die in keinem direkten Verhältnis zu der Verkürzung des Sternoklei¬
domastoideus und zu dem Grade der Kopfschiefstellung steht. 3. Die
sehr eigenartige Regeneration des bei der Operation entfernten
Muskels; fast regelmäßig entsteht kurze Zeit nach der Operation ein
neuer, dem exstirpierten narbigen Muskel sehr ähnlicher Narben¬
strang. 4. Die zweifellose Vererbbarkeit des Leidens und seine häu¬
fige Kombination mit anderen angeborenen Deformitäten; auch der
Schiefhals ist der Gruppe der angeborenen Deformitäten zuzurechnen.
— Die Theorie, die für die Entstehung des Schiefhalses traumatische
Einflüsse während der Geburt verantwortlich macht, ist abzulehnen.
Vor allem haben in neuester Zeit die Sippelsehen Röntgenbefunde
den sicheren Nachweis des bereits intrauterin vorhandenen Schief¬
halses erbracht. Aber auch die Entstehung der Schiefhalserkrankung
durch krankhaft gesteigerten intrauterinen Druck ist wenig wahr¬
scheinlich. Die regelmäßige falsche Regeneration des exstirpierten
Muskels spricht für eine Schädigung, die weit über das intrauterine
Leben hinausreicht. Am wahrscheinlichsten ist die Annahme einer
primären Keimesschädigung, die ihren Sitz in zentral-nervösen
Teilen hat.
Besprechung. Fink: Die Anschauungen des Vortragenden
von der Entstehung des Schiefhalses machen zwar einen überzeugen¬
den Eindruck, jedoch können die Geburtshelfer und Gynäkologen bei
dem heutigen Stande des Wissens die vorgetragenen Theorien nur
für Ausnahmefälle anerkennen. Die geburtshilfliche Disziplin erblickt
die ätiologischen Momente für das Zustandekommen des angeborenen
Schiefhalses in folgenden vier Gründen bzw. ihrem gemeinsamen
Einfluß: Lage der Frucht, Haltung der Frucht, pathologische Frucht¬
wasserarmut und Druckwirkung durch den abnorm geformten oder
abnorm dem Kinde anliegenden Uterus. Die Wa rnek ros sehen
Röntgenaufnahmen schwangerer Frauen haben erwiesen, daß der
Fötus im Uterus sehr häufig eine andere Körperhaltung hat, als man
bisher annahm, und daß speziell bei Steißlagen, bei denen man den
angeborenen Schiefhals verhältnismäßig häufig antrifft, der Kopf
nicht immer in Flexion mit dem Kinn an der Brust, sondern ge¬
streckt und bald nach der linken Schulter, bald nach der rechten
übergesunken zu finden ist. Diese Befunde rücken das Verständnis
für die Genese des Schiefhalses erheblich näher als alle bisher ge¬
äußerten Theorien. Auch die von Wa rnek ros gefundene Schief -
halsbildungen und Wirbelsäulenverkrümmungen nach vorzeitigem
Fruchtwasserabfluß und bei Querlage machen eine in der Mehrzahl
mechanische Entstehung des Schiefhalses nahezu zur Gewißheit.
Sattler erinnert an den bei Patienten mit angeborener oder
frühzeitig erworbener Lähmung des M. obliquus superior zur Ver¬
meidung von Doppelbildern eingetretenen Schiefhals, dessen okulare
Ursache gelegentlich zunächst nicht erkannt wird.
Schubert: Gegenüber Fink ist zu bemerken, daß in der Tat
eine große Anzahl von Schiefhalskindern in Steißlage geboren wer¬
den. Es darf aber daraus nicht der Schluß gezogen werden, daß es
die Steißlage ist, die zu der Schädigung des Koptnickers führt. Auch
bei anderen Deformitäten ist die Geburt in Steißlage nichts Seltenes.
Es ist auch durchaus möglich, daß sich Embryonen mit derartigen
Deformitäten besonders häufig in Steißlage einstellen, eine Ansicht,
die in früheren Jahren wiederholt von verschiedenen Forschern ver¬
treten wurde.
Kiel, Medizinische Gesellschaft, 19.1.1922.
Offizielles Protokoll.
Vorsitzender: Klingmüller. Schriftführer: Hoppe-Seyler.
Jo res demonstriert a) Anthrakose der Langen mit Höhlenbitdung
in den Lungenspitzen ohne Tuberkulose, daneben beginnendes Oeso¬
phaguskarzinom. b) Kleines stenosierendes Karzinom der Flexura
sigmoidea mit Pseudomelanose des Darms, c) Mageokarzinom mit
Metastasierung im D. thoracicus und diffuser Karzinose des Nieren¬
beckens. d) Senile Osteoporose, e) Sehr großes fibroplastisches Sar¬
kom am Oberschenkel mit sehr großer Leber und Milz, f) Sarkom
des Thymus mit Nierenmetastasen, g) Pseudomembranöse Bntzünduog
des Darms, h) Deutlicher Primiraifekt von Lungentuberkulose in
Gestalt eines kleinen Käseherdes.
Die Besprechung, an der sich Bürger, Jores, Anschütz,
Konjetzny beteiligen, betrifft zunächst die Frage der Osteoporose
und ihres Zusammenhangs mit Ernährungsstörungen, dann wird der
Fall von Thymussarkom, den v.Starck früher mit Röntgenstrahlen be¬
handelt hat, von ihm und Behn besprochen, Anschütz weist auf
pseudomembranöse Enteritis bei Magen- und Darmoperationen und
Pankreatitis hin, ebenso Bürger.
Jores: 2ur Frage des postrmbryonalen Geflfiwachstums. Jores
hat Anlaß genommen, noch einmal auf die Wachstumsvorgänge in
der Intima zurückzukommen, die sich nach der Geburt in der Aorta
descendens zuerst zeigen und die hier wie auch im übrigen Gefä߬
system bis in die späteren Lebensalter hinein sich fortsetzen. Jores
stützt sich dabei auf ein Material, das hauptsächlich schon vor
längerer Zeit gesammelt war und das zum Teil von Dr. Uyama
bearbeitet worden war. Im Hinblick auf die Untersuchungen Rankes
und Huecks über die Strukturen des Gefäßbindegewebes hält Io res
die strenge Unterscheidung einer elastischen Hyperplasie und einer
regenerativ-bindegewebigen Intimaverdickung nicht mehr aufrecht.
Die Untersuchung erstreckte sich auf vergleichende Betrachtung der
gjeichen Gefäßabschnitte an Fällen verschiedenen Alters. Legt man
hierfür die Befunde an der Aorta thoracica zugrunde, so zeigt sich,
daß eine Intimaschicht mit vorwiegend elastischer Grundsubstanz sich
nach der Geburt in wenigen Monaten bis zu einer gewissen Stärke
entwickelt, die dann annähernd konstant bleibt. Längsmuskuläre An-
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
650
VEREINS- UND KONORESSBERICHTE
Nr. 10
teile dieser Intimaschicht sind zwar in der Anlage schon beim Neu¬
geborenen vorhanden, bilden sich aber erst später aus und dann nur
gering. In der Regel wird die Längsmuskulatur durch starke Hyper¬
plasie elastischer Grundsubstanz verdeckt. Eine stärkere Zunahme der
Intima, insbesondere in Form kollagener Bestandteile, wird von Mitte
bis Ende des 2. Jahrzehnts an häufiger angetroffen. Aber ihr Vor¬
kommen ist nicht an ein bestimmtes Alter gebunden, auch ist die
Zunahme ungleichmäßig, sodaß eine mit dem Alter parallel gehende
Verstärkung der Intima nicht festzustellen ist. Reichliche Ausbildung
der elastischen Elemente fand sich zuweilen auch noch im 6. Jahr¬
zehnt, allerdings in einer Form, die die nachträgliche Elastin-
imprägnation in vorher überwiegend kollagen angelegten Schichten
als wahrscheinlich annehmen läßt. Rechnet man hinzu, daß im Alter
Elastinfasem in der Gefäßwand auftreten, deren Vorhandensein leicht
bei Elastinfärbung übersehen werden kann, so ergibt sich, daß der
Gefäßwand die Fähigkeit zur Bildung elastischen Gewebes auch im
Alter nicht abgeht. Die stärkeren Grade einer Intima, namentlich
so weit sie als kollagen imprägnierte Lagen und Schichten auftreten,
sind pathologisch und als Anpassungswachstum aufzufassen. Mit dem
Lebensalter können sie nicht direkt Zusammenhängen, aber ihr
häufiges und in späteren Jahrzehnten regelmäßiges Vorkommen ist
auf pathologische Schädigungen zurückzutuhren, von denen mit zu¬
nehmendem Alter so gut wie alle Menschen betroffen werden.
Schwieriger ist zu beurteilen, ob die bald nach der Geburt auf¬
tretende subendotheliale und vorwiegend elastische Schicht physio¬
logisch oder pathologisch ist. Ihr regelmäßiges Vorkommen spricht
gegen die letztere Annahme. Aber da Vortragender eine elastisch¬
hyperplastische Schicht bei einer 44 cm langen Frühgeburt vorfand,
die 9 Tage gelebt hatte, so scheint ein Zusammenhang zwischen der
Ausbildung der Schicht in der Aorta und dem Beginn des post¬
embryonalen Lebens zu bestehen. Anderseits können die namhaft
gemachten physiologischen Einflüsse, wie Wegfall des Plazentar¬
kreislaufes (Thoma), Dehnung und Spannung der Aorta durch
Längenwachstum (Aschoff), schon dewegen nicht in Betracht
kommen, weil die Entwicklung der Schichten bei den daraufhin unter¬
suchten Säugetieren, auch bei den domestizierten, fehlt. Somit ist
selbst für die erste Anlage der Intimaschichten nach der Geburt die
pathologische Entwicklungsweise nicht ganz auszuschließen. Be¬
mühungen des Vortragenden, über die Art derjenigen Schädigungen,
auf welche das Arteriensystem mit elastischen und bindegewebigen
Hyperplasien der Intima reagiert, näheren Aufschluß zu gewinnen,
haben nicht zum Ziele geführt. Aber Jo res glaubt der Vorstellung
entgegentreten zu können, daß das Arteriensystem einer physiologi¬
schen, über die allgemeinen Alterserscheinungen hinausgehenden Ab¬
nutzung unterliege.
Leipzig, Medizinische Gesellschaft, 24.1., 7. und 14. li. 1922.
(?4.I.) Sud ho ff verliest Marchands Gedächtnisrede zu Ehren des ver¬
storbenen Lfihieio , seine wissenschaftliche Laufbahn und die Erfolge
seiner Arbeiten auf dem Gebiete der Nierenkrankheiten, über Ruhr
und über fettige Entartung näher würdigend.
Wandel: a) Ueber die Zuckerbehandlung von Herzleiden. Nach
Besprechung der Methodik der'Bü dingen sehen intravenösen Trau¬
benzuckerinjektion (10—20o/oige Lösung von chemisch reinem Trau¬
benzucker Merck in frisch destilliertem Wasser in Mengen von
200—400 ccm) werden die Indikationsgebiete Umrissen: 1. dekompen-
sierte Herzfehler ergeben sehr befriedigende Erfolge; Digitalis hatte
vielfach erst danach günstigen Einfluß. 2. Myokarditiden wurden
ebenfalls günstig beeinflußt, auch die infektiös-toxischen Ursprunges.
3. Arteriosklerotische Herzstörungen (Koronarsklerosen) reagieren
vielfach ausgezeichnet. Kontraindikation: Apoplexia sanguinea und
Neigung hierzu wegen der nach Glykosetherapie beobachteten Blut¬
drucksteigerung. Wandel erörtert weiter den Chemismus und das
Schicksal des Traubenzuckers im Blute und in den Körpergeweben.
Der von Büdingen aufgestellte Krankheitsbegriff der Kardio-
dystrophia hypoglykaemica besteht nicht zu Recht. b) Ueber
Novasurol-Diurese. Nach Erörterung der chemischen Struktur des
Novasurols (kalomelähnlich) — als des zur Zeit vielleicht besten
Diuretikums — wird die Anwendungsweise besprochen. Intravenöse
Iniektion ist schmerzfrei, intramuskuläre mit Schmerzen verknüpft.
NaCl und Ca wird reichlich mit dem Ham (2—8 Liter) ausgeschieaen.
Kontraindikationen: a) bestehende Nierenreizung. Gefahr der Schä¬
digung durch Hg-Zurückhaltung. Wenn Diurese anfängt zu ver¬
sagen, Novasurol aussetzen; b) kachektische Oedeme und c) Anämie
(perniziöse).
Besprechung. Rolly steht der Traubenzuckertherapie und
insbesondere deren Begründung als Herzemährungstherapie skeptisch
gegenüber. Aenderungen der Osmose dürften neben anderen physi¬
kalisch-chemischen Momenten oder auch suggestive Einflüsse die
Ursache der Erfolge sein. Novasurol wirkt senr gut bei rein kar¬
dialen Oedemen und funktionstüchtigen Nieren; schon Stauungs-
nieren beeinträchtigen die Wirkung des Novasurols. Kontraindikation:
bestehende Enteritis und Nierenentzündung.
Pf e i f f e r hat ebenfal 1s gute Erfolge derTraubenzuckertherapie gesehen.
r Wandel: Demonstration von Enzephalogrammen nach dem Hingei-
schen Verfahren zur erleichterten topischen Diagnose von Hirntumoren.
Besprechung. Dorner hat in 2 Fällen von Hirnhauttuber¬
kulose nach Lumbalpunktion Sauerstoff in den Subarachnoidealraum
und die Ventrikel eingeblasen; kein Erfolg, keine Schädigung.
Sohn stellt einen Fall von geheilter Hernla dlapbragmatlca li*
carcerata sin. vor. Besprechung der Symptomatologie, Röntgenunter,
suchung und des Operationsbefundes und -Verlaufes.
(7. II.) Rolly stellt3 Patienten mit Arthropathien als Frubsymptoroe der
Tabes dursalis vor (2 mal Kniegelenk, lmal Fußgelenk erkrankt, Wa.R.
2 mal negativ, einmal positiv).
Schmidt demonstriert a) mehrere Kranke, bei denen der anyo-
statische Sympiomenkompiex in verschiedener Form festzustellen ist
(Paralysis agitans, Athetose), dabei auf Grund der neueren Forschungs¬
ergebnisse naher auf den pathologisch-anatomischen Sitz der einzelnen
Erkrankungsformen des. striären Symptomenkomplexes eingehend;
b) einen Kranken mit Halsmuskelkrämpfen und supinatorischen Arm-
bewegungen, welcher vermutlich der Gruppe des Torsionspasmas zu¬
zurechnen ist (nach Fall auf Hinterkopf vor 6 Jahren entstanden).
Rolly spricht über akzidentelle Herzgeränscrie, die fast nur als
systolische Geräusche an der Spitze und Basis auftreten, über der Pul-
monalis besonders deutlich sind, im Exspirium stärker hörbar als im
Inspirium und in ihrem Charakter verschieden sein können. Differen¬
tialdiagnostisch wichtig, daß dabei keine Herzvergrößerung festzu¬
stellen ist. Nach Anführung der verschiedenen bisherigen Erklärungs¬
versuche dieser akzidentellen Geräusche führt Verfasser aus, daß er den
Blutdruck dabei nicht selten vermindert gefunden habe. Gelang es,
diesen zu steigern, so verschwanden die akzidentellen Geräusche viel¬
fach. Sie sind z. T. extrakardial, meist aber endokardialen Ursprunges,
dabei ist die Blutdruckerniedrigung mit ein Hauptfaktor für deren
Entstehung.
Friedrich spricht unter Demonstrationen von Röntgenbildern aber
Oesophagu sstenosen, hervorgerufen durch Carcinoma oesophagi, Oeso-
phagospasmus und tiefsitzende Oesophagusdivertikel, deren Sympto¬
matologie, klinische und röntgenologische Diagnose und Differential-
diagnose erörternd.
Besprechung: Hübschmann: Bei Tabes dorsalis fällt die in
der Mehrzahl der Fälle negative Wa.R. bei Verwendung von aktivem
Serum nicht selten positiv aus.
Bahrdt fragt an, ob das Auftreten akzidenteller Herzgeräusche
von der Lage des Untersuchten abhängig sei.
Rolly: Es besteht kein Unterschied, ob im Stehen oder Liegen
untersucht wird, und somit ist hierdurch keine Unterscheidungsmöglich¬
keit zwischen organischen und akzidentellen Herzgeräuschen gegeben.
Dorner: Abplattung des Pulmonalringes im Exspirium dürfte auch
zur Entstehung der akzidentellen Herzgeräusche mit Anlaß geben.
Akute Blutverluste sind vielfach auch Ursache.
Bahrdt: Durch Schlundsondenernährung erzielte, anfängliche starke
Gewichtszunahmen bei Carcinoma oesophagi dürfen an der Diagnose
nicht irrewerden lassen.
(14. II.) Kohlmann: a) Zar Klinik and RSutgeadiagaose gedeckter
Magenperforaiionen, wobei K. än Hand von Tafeln je nach Ausgangspunkt
der Durchbruchsstellen verschiedene lokale peritonitische Abszeßherde
unterscheidet: 1. einen interhepatodiaphragmalen Abszeß (nach Pylorus-
und Duodenal-UIkusperforation), 2. einen interhepatorenalen Abszeß
(Duodenal-Ulkus-Durchbruch), 3. einen linkseitigen subphrenischen
Abszeß (Magenvorderwandperforation), 4. einen perisplenitischen
Abszeß (Kardia- und Fundus-Ulkusperforation, Milzerkrankung), 5. einen
retrostomachalen Abszeß (Magenhinterwanddurchbruch und Pankreas¬
erkrankungen), 6. einen interhepatostomachalen Abszeß (Perforation in
der Nähe der kleinen Kurvatur des Magens). Demonstration von
Röntgenbildern verschiedener, zum Teil selbst beobachteter hierher
gehöriger Fälle. Nähere Erläuterungen der röntgenologischen Diagnose
und der klinischen Hauptmerkmale dieser Erkrankungen, b) Demon¬
stration von Röntgenbildern eines Falles von Magen-Kolonfistel an!
Ksrelnombasls und eines anderen von Mageo-Je)ano-Kolonfistel nach
Gastroenterostomie unter Erörterung der Aetiologie (in */, Magenkrebs,
in Vs Magenulkus), der Symptomatologie und der Tnerapie dieser
Erkrankungen.
Schmoeger berichtet über mehrere Fälle von LvmphogranaloBa*
tosis, besonders die typhoide Form näher erläuternd. Je nach
Beteiligung und Ausbreitung der Lymphdrüsentumoren unterscheidet
man einen thorakozervikalen und einen abdominalen Typus. Demon¬
stration von mikroskopischen Präparaten lymphogranulomatöser Drüsen
vor und nach der Röntgenbestrahlung, welche letztere die sehr weit¬
gehende narbige Umwandlung des Gewebes beweisen. Eingehendere
Besprechung der Klinik der einzelnen Formen insbesondere des
abdominalen Typus (Fieber, meist uncharakteristisch beginnend, nicht
selten hoch,periodenweise und exazerbierend (chronisches Rückfallfieber),
Milztumor, an Größe kurz vor und im Fieber zunehmend wie die
Lymphdrüsentumoren, Wechsel zwischen Leukopenie und geringer
Leukozytose, Oberbauchschmerzen, Erbrechen), der Differentialdia¬
gnose rTyphus, Malaria, Kala-azar, tuberkulöse und syphilitische Drüsen-
schwellungen), der Aetiologie, Prognose und Therapie (Ars. in fieber¬
freier Periode, im übrigen Radium- und Röntgenbehandlung).
Jolowicz behandelt die Relativierung der Psychotherapie, aus¬
gehend von der verschiedenen Bewertung der geisteswissenschaftlichen
Betrachtungsweise in der Psychiatrie. Es wird der Krankheitsbegriff
der Neurosen näher charakterisiert unter kurzer Anführung der ver¬
schiedenen Auffassungen desselben. Psychotherapie erfolgreich anzu¬
wenden sind nur besonders geeignete ärztliche Persönlichkeiten mit
der Fähigkeit der besonderen Einfühlung in die Psyche des Kranken
in der Lage, wobei je nach Erfordernis der Fälle die verschiedensten
Methoden der Psychotherapie heranzuziehen sind.
Erich Thomas (Eigenbericht).
Verantwortflcbar Rad akteur : L V. Ober-Ref.-Med.-Rat Dr. O.Strauß. — Druck von Oscar Brandstetter ln
Digitized by Google
Original from
CORNELL UNiVERSITV
Deutsche Medizinische Wochenschrift
Begründet von Dr. Raul Börner
HERAUSGEBER: VERLAG:
Geh. San.-Rat Prof. Dr. Schwalbe GEORG THIEME/ LEIPZIG
Berlin-Charlottenburg» Schlüterstraße 53 Antonstraße 15
Nummer 20
Freitag, den 19. Mai 1922
48. Jahrgang
Aus der Universitäts-Kinderklinik in Berlin.
Die Vitamine in der Ernährungsbehandlung bei Kinder¬
krankheiten.
Von Priv.-Doz. Dr. Er. Schiff.
Außer den bisher bekannten Nahrungsstoffen gibt es auch solche,
die zwar ihrer Konstitution nach noch nicht aufgeklärt, zum normalen
Ablauf der Lebensprozesse aber unumgänglich notwendig sind.
Charakteristisch für diese Stoffe ist, daß sie bereits in so geringen
Mengen ihre Wirkungen entfalten, daß sie als Energiespender nicht
in Betracht kommen. Sie werden als Vitamine, Nutramine, Ergän¬
zungsstoffe usw. bezeichnet. Die experimentellen Forschungen er¬
gaben, daß der tierische Organismus weder die Fähigkeit hat, diese
Stoffe selbst aufzubauen, noch größere Mengen von Vitaminen zu
speichern. Er ist in dieser Hinsicht direkt oder indirekt auf die
Pflanzenwelt angewiesen. Im allgemeinen werden heute drei Grup¬
pen von Vitaminen unterschieden: Das antineuritische (Fak¬
tor B), das antirachitische (Faktor A) und das antiskor¬
butische Vitamin (Faktor C).
Daß die Kinderärzte ein ganz besonderes Interesse diesen For¬
schungen entgegenbringen, liegt auf der Hand. Die Nährschäden,
die durch einseitige Ernährung beim Säugling sich einstellen, die
Erkrankungen, die durch Zufuhr einer ganz bestimmten Nahrung
eine auffallende Besserung zeigen, sind ihnen längst geläufige Er¬
scheinungen. Nichts lag näher, als unter dem Einflüsse der Vitamin¬
lehre manche dieser Erkrankungen als eine Art Avitaminose auf¬
fassen. Vorbereitet und unterstützt wurden derartige Assoziationen
von C. Funk selbst, der bereits in seiner Monographie die Rachitis
den Barlow, den Milch- und Mehlnährschaden als Avitaminosen be¬
zeichnet hat.
Ich wurde von der Redaktion dieser Wochenschrift aufgefordert,
einen Aufsatz über den jetzigen Stand der „Vitamine in der Er¬
nährungsbehandlung der Kinderkrankheiten“ abzufassen. Wollte ich
mich streng an das vorgeschriebene Thema halten, so würden hierzu
bereits einige Zeilen genügen. Da eine jede zielbewußte Therapie
aber mit den ätiologischen Faktoren rechnen muß, so glaube ich, vor
der Besprechung der Therapie zunächst die pathogenetische Be¬
deutung des Vitaminmangels bei jenen Erkrankungen kritisch er¬
örtern zu müssen, die von manchen Seiten bereits als Avitaminosen
ausgesprochen wurden. Dies erscheint mir um so mehr erforderlich,
als auf diesem Gebiete Ansichten vertreten und als Tatsachen aus¬
gesprochen werden, die im besten Falle nur als Arbeitshypothesen v
betrachtet werden dürfen.
Diejenige Erkrankung, bei welcher die rechtzeitige Einleitung
einer entsprechenden Ernährungstherapie schon in wenigen Tagen
einen auffallenden Erfolg erzielt, ist die Barlowsche Krankheit. In
der Aetiologie dieser Erkrankung wurde seit jeher der Milch eine
ganz besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Man nahm an, daß die
schädliche Wirkung der Milch durch länger anhaltendes Erhitzen
hervorgerufen wird. Eine Begründung fand diese Vermutung in
der Beobachtung, daß mit roher Milch bei dieser Erkrankung günstige
therapeutische Erfolge zu erzielen sind. Bemerkenswert ist die Be¬
obachtung von Czerny-Keller, daß die Barlowsche Krankheit
auch mit gekochter Milch zu heilen ist, wenn sie nur von einer
anderen Provenienz ist als die, bei der das Kind krank wurde.
Tatsächlich scheint das antiskorbutische Vitamin durchaus nicht so
thermolabil zu sein, wie man dies nach den älteren Erfahrungen
vermuten möchte. So hat Nobel 7 Barlow Fälle mit einer Kuh¬
milch geheilt (in Form von Doppelnahrung), die in 5 Fällen 10 bis
35 Minuten lang, in 2 Bällen eine Stunde hindurch gekocht wurde.
Die Frage der Widerstandsfähigkeit des antiskorbutischen Vitamins
der Trocknung gegenüber hat insbesondere in der letzten Zeit ein
praktisches Interesse gewonnen, als Neuland und Peiper zur
Ernährung der Säuglinge die Trockenmilch empfohlen haben. Es
kann hier nur kurz darauf hingewiesen werden, daß hierbei die
Art der Trocknung die ausschlaggebende Rolle spielt. So konnten
Heß, Nobel und Wagner mit Trockenmilch allein Barlow zum
Heilen bringen. Dieselbe Beobachtung hat auch Karger in der
Berliner Kinderklinik gemacht. Daß in der getrockneten Mager¬
milch die Vitamine in hochwirksamer Form enthalten sind, hat
W. Stepp in Tierversuchen erwiesen. Ich selbst möchte immerhin
dem Vorschläge von Neuland und Peiper folgen, bei der Er¬
nährung von Säuglingen mit Trockenmilch Zitronensaft oder eine
ähnlich wirkende Substanz nebenbei zu verabreichen. Durch diese
Maßnahme wird doch am sichersten einer jeden Eventualität vor¬
gebeugt. Von ganz besonderer praktischer Wichtigkeit ist die starke
Alkaliempfindlichkeit des antiskorbutischen Faktors, weil es eine ziem¬
lich weitverbreitete Sitte ist, der Milch, besonders in den heißen
Sommermonaten, vor dem Aufkochen Alkali (NaHC0 3 , CaC0 3 ) hin¬
zuzufügen, um so die eventuelle Gerinnung zu vermeiden. Nach den
experimentellen Erfahrungen liegt es auf der Hand, daß durch diese
Prozedur die Milch ihrer antiskorbutischen Eigenschaften beraubt wird.
Neuerdings wird auch von einem latenten Barlow gesprochen.
Charakterisiert ist dieser durch den kardio-respirätorischen Sym-
ptomenkomplex (Heß), wie auch durch kleine, punktförmige, rezidi¬
vierende Haut- und Schleimhautblutungen beim Säugling (L.F.Meyer
und Nassau). Zur Behandlung wird von den Autoren die anti¬
skorbutische Therapie empfohlen.
Freise und unabhängig von ihm Freudenberg haben den
Nachweis erbracht, daß der Barlow-Schutzstoff mit Alkohol aus
frischen Vegetabilien zu extrahieren ist. Sie konnten mit solchen
Extrakten an Barlow erkrankte Kinder heilen. Ferner ist es Holst
und Fröhlich gelungen, durch einseitige Fütterung mit Hafer
bei Meerschweinchen Skorbut zu erzeugen und diesen durch Anti-
skorbutika zu heilen bzw. zu verhüten. So erscheint der Barlow
gewissermaßen als ein Paradigma einer typischen Avita¬
minose. Trotz der experimentellen Befunde und der therapeutischen
Erfolge glaube ich doch, hinsichtlich der Barlow-Aetiologie vor¬
läufig einen etwas reservierten Standpunkt einnehmen zu müssen.
Auch Olanzmann betont in seiner sehr lesenswerten Arbeit, daß
die Barlow-Aetiologie noch lange nicht als gelöst betrachtet werden
kann. Klinische Erfahrungen sprechen dafür, daß bei dem Entstehen
des Barlows außer der Ernährung auch noch andere Momente eine
ausschlaggebende Rolle spielen. Tatsächlich bekommen nur manche
Kinder den Barlow und oft bei einer Nahrung, die viele andere,
ohne an Skorbut zu erkranken, vertragen. Audi sind uns durch
Finketstein Fälle bekannt, die trotz jeder Prophylaxe doch an
Skorbut erkrankten. Sicherlich ist der Vitaminmangel ein wesent¬
liches Moment in der Barlow-Aetiologie. Es ist aber mit der größten
Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß dies allein noch nicht ausreicht,
um diese Erkrankungen hervorzurufen. Andere, prädisponierende
Momente (als korrelative Faktoren) sind dabei sicherlich ebenfalls
von Bedeutung. Diese zu erforschen, muß weiteren Untersuchungen
Vorbehalten bleiben.
Ich komme jetzt zu der Besprechung einer anderen Erkrankung
des Säuglings bzw. des frühen Kindesalters, in deren Aetiologie
der Vitaminmangel in der Nahrung zum mindesten dieselbe Rolle
spielt wie beim Barlow. Ich meine die Keratomalazie. Es ist
ein großer Fortschritt gewesen, als Freise, Goldschmidt und
Frank gezeigt haben, daß bei jungen Ratten, wenn diese mit
alkoholextrahiertem und auf 140 3 erhitztem Futter gefüttert werden,,
eine Augenerkrankung auftritt, welche klinisch und auch anatomisch
der Keratomalazie entspricht. Eingehend studiert wurde diese
Erkrankung beim Säugling von E. C. Bloch. Er fand, daß die
Xerophthalmie häufig bei Kindern vorkommt, die an Mehlnährschäden
leiden. Ferner bei solchen, die längere Zeit hindurch mit zentri¬
fugierter Milch genährt wurden. Das pathogenetische Moment ist
das Fehlen von biologisch wirksamen Fettsubstanzen. Diese Er¬
kenntnis zeigte den Weg einer rationellen Therapie und die Mög¬
lichkeit der Prophylaxe. Wir wissen jetzt, daß mit Vollmilch oder
Lebertran die Keratomalazie mit einer großen Wahrscheinlichkeit
verhütet und bei rechtzeitigem Einsetzen der Therapie günstig be¬
einflußt werden kann. Diese Beobachtungen stimmen vollkommen
mit jenen überein, die der Japaner Mori im Jahre 1904 veröffent¬
licht hat. Er hatte bereits erkannt, daß die Xerophthalmie — in
Japan Hikan genannt — mit dem Mangel an Fett in der Nahrung
zusammenhängt und durch Lebertran therapeutisch günstig beein¬
flußt wird.
Es wurde bereits erwähnt, daß das fettlösliche Vitamin — auch
A-Faktor genannt — in der Literatur vielfach als das antirachitische
Vitamin bezeichnet wird. Es soll hierdurch zum Ausdruck gebracht
werden, daß die Rachitis selbst eine Avitaminose ist. Diese
Ansicht wurde schon von C. Funk ausgesprochen, und besonders
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
652
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 20
Mellanby bezeichnet die Rachitis als Avitaminose. Auf die in
ihren Ergebnissen recht widerspruchsvollen Tierversuche kann ich
hier nicht eingellen. Es ist auch schwierig, zu diesen Stellung zu
nehmen, solange die Autoren in der Deutung ihrer histologischen
Befunde selbst nicht einig sind. Nun sprechen aber alle klinischen
Erfahrungen dafür, daß in der Pathogenese der Rachitis ein Vitamin¬
mangel in der Nahrung kaum eine besondere Rolle spielt. Die Tat¬
sache, daß man die schwersten rachitischen Symptome bei ein¬
seitiger Ernährung mit roher Vollmilch geradezu provozieren kann,
also mit einer Nahrung, die reich an „antirachitischem“ Vitamin
ist, beleuchtet genügend die tatsächlichen Verhältnisse 1 ). Was die
Rachitis ist, wissen wir nicht, was die Vitamine sind, ebensowenig.
Die Bedeutung aber, die gewisse „Lipoide“ in der Nahrung spielen,
die Rolle, die dem Lebertran in der Behandlung der Rachitis zu¬
geschrieben wird, war für manche Forscher ein genügender Anlaß,
die Lebertranwirkung als eine Vitaminwirkung aufzufassen und die
Rachitis selbst als eine Avitaminose anzusehen. Tatsache ist,
daß es bei der Lebertranbehandlung eventuell monatelang dauern
kann, bis man eine Besserung der rachitischen Manifestationen am
Skelettsystem wahrnimmt oder daß sich nach mehreren Wochen
Lebertranbehandlung die Thoraxrachitis entwickelt. Wenn nun der
Lebertran wirklich eine so ausgezeichnete Wirkung hätte, so wäre
die Begeisterung, mit der Huldschinskys Vorschlag — die
Rachitis mit ultravioletten Strahlen zu behandeln — aufgenommen
wurde, kaum zu verstehen. Hieraus ist nur zu ersehen, daß das
Bedürfnis für ein besser wirkendes Mittel in der Rachitistherapie
vorlag. Man kann auf diesem Gebiete nicht kritisch genug sein.
Insbesondere möchte ich keinen Wert auf jene Beobachtungen legen,
die die heilende Wirkung: eines antirachitischen Mittels allein aus
dem Verhalten der Kraniotabes ablesen wollen. Die klinische Be¬
obachtung zeigt, daß die Weichheit der Schädelknochen hinsichtlich
des Auftretens • und Verschwindens ein so eigenartiges Verhalten
aufweist, daß man manchmal über die rachitische Natur der Kranio¬
tabes den Zweifel kaum unterdrücken kann. Ich kann mich aber auf
diese Verhältnisse hier nicht weiter einlassen. Doch möchte ich
dieses Kapitel nicht verlassen, ohne eine Aeußerung Mellanbys
über die Massagebehandlung der Rachitis zu erwähnen. Seine Auf¬
fassung, daß man Rachitiker nicht massieren dürfte, weil hierdurch
der Faktor A aus dem Körperfett frei gemacht wird, ist kenn¬
zeichnend genug für das autistische Denken, das in manchen Vitamin¬
arbeiten leider zutagetritt.
Daß der Milch- und Mehl nähr schaden in die Gruppe der
Avitaminosen gehöre, ist eine Annahme, die gänzlich in der Luft
schwebt. Solange die Nahrung solche groben Mängel in der quali¬
tativen Zusammensetzung aufweist, ist es meines Erachtens mißlich,
die aufgetretenen Störungen auf einen Vitaminmangel zurückführen
zu wollen. Dasselbe ist auch von der alimentären Anämje zu
sagen.
H. A ron hat als Erster die Beobachtung gemacht, welche
eminente Bedeutung die Vitamine für die Ernährung des wach¬
senden Organismus haben. Diese Versuche sind vielfach wieder¬
holt und bestätigt worden. Man spricht geradezu von wachstums-
bzw. ansatzfördernden Vitaminen. Widersprechende Angaben liegen
hauptsächlich nur noch darüber vor, ob diese Eigenschaften auch
dem- fettlöslichen Vitamin zukommen. Die neueren Untersuchungen
von Aron und Gralka sprechen dafür, daß bei dauernd fettarmer
Ernährung oder bei Zufuhr von biologisch minderwertigen Fetten
trotz ausreichender Nahrungsaufnahme die Tiere an Gewicht ab¬
nehmen und schließlich sterben. Rechtzeitige Zufuhr biologisch hoch¬
wertiger Fette verhindert die Stoffwechselkatastrophe. Diese an¬
satzfördernden Stoffe dürften nun den Kinderarzt ganz be¬
sonders interessieren. Diese Verhältnisse aber objektiv zu beurteilen,
ist außerordentlich schwer, wenn wir nicht das Tierexperiment
— das mit bekannten und extremen Bedingungen arbeitet —, sondern
die klinischen Erfahrungen in Betracht ziehen. Zu solchen Versuchen
dürften eigentlich nur Kinder herangezogen werden, die bei quali¬
tativ und quantitativ entsprechender Nahrung nicht oder nur mangel¬
haft gedeihen und bei welchen eine vorübergehende Ansatzhemmung,
z. B. durch Infekte, ausgeschlossen werden kann. Wie schwer aber
in der Klinik diese Bedingungen auszuführen sind, liegt auf der
Hand. Denn nicht nur der Kalorienbedarf, sondern auch der Bedarf
an den einzelnen Nahrungsbestandteilen ist bei den verschiedenen
Säuglingen individuell verschieden. Ich möchte dies aus dem Grunde
hervorheben, weil trotz ausreichender Vitaminzufuhr kein reeller An¬
satz zu erwarten ist, wenn der Säugling eine Nahrung bekommt,
die den Kalorienbedarf nicht deckt oder die Nährstoffe nicht in der
geeigneten Korrelation enthält. Ueber günstige Erfahrungen in
dieser Richtung beim Säugling berichten Aron, sowie Aron und
Samelson. Durch tägliche Zufuhr von 5—15 ccm Mohrrübenextrakt
fanden sie eine deutliche Beeinflussung des Körpergewichtes, wobei
auch die Farbe und das Aussehen der meist elenden Atrophiker
sichtlich sich verbesserte. Glanzmann verabreichte künstlich er¬
nährten und im Wachstum zurückgebliebenen Kindern um die kri¬
tische Zeit der Halbjahrswende, obwohl die bisherige Nahrung keine
Anhaltspunkte für Vitaminmangel darbot, täglich 15—20 g Hefe¬
autolysat. An der übrigen Nahrung wurde nichts geändert. In
manchen dieser Fälle konnte er eine auffallende Besserung des
*) Ich möchte an dieser Stelle nur au! die kritischen Ausführungen von Klotz
hinweisen. Auch sei erwähnt, daß Heß und Unger bei A-Faktor reicher Nahrung
(Vollmilch, Butter, Lebertran) Rachitis nicht verhüten konnten und keine Häufung von
Rachitis bei A-Faktor armer Nahrung sahen.
Längen- und Gewichtswachstums beobachten. Lang stein und
Edelstein hingegen haben bei einigen schlecht gedeihenden Kin¬
dern, welchen sie täglich 2—6 g Weizenkleieextrakt zugeführt haben,
keine Wirkung auf das Gewichtswachstum beobachtet. Auch ich
konnte mich bisher von der ansatzfördernden Wirkung der Vitamine
beim Säugling nicht überzeugen. Auffallend ist, daß Forscher wie
Freudenberg, Langstein und Edelstein, die durch ihre
experimentellen Arbeiten unsere Kenntnisse auf diesem Gebiete ge¬
fördert haben, über ihre klinischen Erfahrungen mit den Vitaminen,
soweit ich die Literatur übersehe, sich nicht näher ausgesprochen haben.
Bereits in Tierversuchen wurde die Beobachtung gemacht, daß
Vitaminmangel in der Nahrung die Widerstandsfähig¬
keit Infekten gegenüber herabsetzt. Ich möchte hier nur
auf die Untersuchungen Mac Carisons hinweisen. Diese ergaben,
daß die Xerophthalmie beim Fehlen des A-Faktors in der Nahrung
ausbleibt, wenn den Versuchstieren der Konjunktivalsack täglich aus¬
gespült wird. So führt Mac Carison die Xerophthalmie auf die
herabgesetzte Resistenz des Organismus gegen sonst harmlose Keime
zurück. Ich möchte an dieser Stelle einen in der Berliner Kinder¬
klinik beobachteten Fall (Dr. Eliasberg) kurz anführen: Das
9 Wochen alte Kind H. M. wurde in die Klinik wegen eines Haut¬
ausschlages gebracht. Bei der klinischen Untersuchung wurde eine
Erythrodermie mit Oedemen und Keratomalazie festgestellt. Die
Anamnese ergab im wesentlichen Folgendes. Erstes Kind, Mutter
während der Gravidität gesund; sie hatte sich während der Schwan¬
gerschaft gut genährt und nahm unter anderem täglich 3/ 4 Liter
Milch zu sich, die nur kurz aufgekocht war und direkt von einer
Bauernwirtschaft bezogen wurde. Auch fehlte es in der Nahrung
nicht an Butter. Die Geburt des Kindes vollzog sich ohne Störungen.
Es bekam während der ganzen Zeit ausschließlich die Brust (täglich
5mal). Erst bei der Aufnahme in die Klinik wurde dem Kinde
neben 4 Brustmahlzeiten lmal die Flasche gereicht. Zwei Wochen
vor der Aufnahme in die Kinderklinik, also in der 7. Lebenswoche
des Kindes, fiel der Mutter die Hornhauttrübung beim Kinde auf.
Ich führe diesen seltenen Fall aus dem Grunde an, weil die Kerato¬
malazie dieses Brustkindes mit der größten Wahrscheinlichkeit auf
die stark gesunkene Resistenz und sekundäre Infektion zurückzu¬
führen ist. Wenn auch der biologische Versuch mit der Muttermilch
nicht angestellt wurde, so ist es doch kaum anzunehmen, daß es
sich in diesem Falle um einen Mangel am A-Faktor in der Nahrung
gehandelt hat.
Diese Verhältnisse sind für den Kinderarzt von einer ganz be¬
sonderen Bedeutung. Seit Czerny sind nämlich den Pädiatern jene
Beziehungen, die zwischen der Ernährung und der natürlichen Im¬
munität des Kindes bestehen, gut bekannt. Es sei an dieser Stelle
nur auf die Arbeiten der Breslauer Schule hingewiesen, v. Pfaund¬
lers Worte, daß die Kinder ex alimentatione erkranken und ex
infectione sterben, charakterisieren am besten die klinische Be¬
deutung dieser Verhältnisse. Auch wurde von Czerny daraufhin¬
gewiesen, daß diejenigen Stoffwechselalterationen, die starke Schwan¬
kungen im Wassergehalt des Organismus herbeiführen, die natürliche
Resistenz des Kindes ganz besonders gefährden. Bei fettreicher
Nahrung hingegen erweisen sich die Säuglinge Infekten gegenüber
resistenter. Ob auch noch gewisse Vitamine für die natürliche
Immunität des Säuglings von Belang sind, ist vorderhand nicht mit
Sicherheit zu sagen. Immerhin scheinen manche Beobachtungen da¬
für zu sprechen, daß Kinder, die mit ihrer Nahrung auch entsprechende
Mengen von Vitaminen zugeführt bekommen, Infekte besser über¬
stehen und sich ihnen gegenüber als widerstandsfähiger erweisen
(Aron, Heß, Glanz mann).
Wenn ich mich nun schließlich der Frage zuwende, welche
praktische Bedeutung der Vitaminlehre für die Ernährung des ge¬
sunden und kranken Kindes zukommt, so läßt sich hierüber kurz
Folgendes sagen: Diese Forschungen zeigten uns zunächst, daß die
rein energetische Betrachtungsweise in der Ernährungslehre nicht
mehr in der alten Form aufrecht erhalten werden kann. Denn nidit
allein der vom Organismus umsetzbare Energiegehalt ist entscheidend
für den Nährwert der organischen Nahrungsstoffe, sondern auch ihr
Gehalt an Ergänzungsstoffen, den Vitaminen. Mit voller Schärfe
hat Aron wiederholt darauf hingewiesen, daß außer dem Brennwert
auch der „Sond ernähr wert“ bei den organischen Nahrungs¬
stoffen mit berücksichtigt werden muß. So zeigten die experimen¬
tellen Forschungen, daß Kühe, die trocken gefüttert werden, eine
vitaminarme, solche, die Grünfutter bekommen, eine vitaminreiche
Milch produzieren. Wir lernten hieraus, daß man nicht schlechtweg
von Milch reden kann, denn der Vitamingehalt ist wechselnd und
von der Art der Fütterung der Kühe abhängig. Wir wissen ferner
— es sei hier nur auf die Untersuchungen von Aron und Gralka
hingewiesen —, daß auch zwischen den verschiedenen Nahrungs-
fetten hinsichtlich ihres Sondernährwertes große Unterschiede be¬
stehen. Butter, Lebertran, Eigelb sind biologisch hochwertige, Mar¬
garine, Schweinefett, Olivenöl usw. biologisch minderwertige Fette.
Ein und derselbe Nahrungsstoff kann also trotz desselben Brenn¬
wertes als Nährstoff eine verschiedene Wertigkeit haben, die durch
den Sondernährwert bedingt und für den Ernährungserfolg nicht
ohne Bedeutung ist. Dieselben Verhältnisse bestehen auch bei den
verschiedenen Gemüsen und Früchten. Da manche Vitamine bei
langdauerndem Kochen oder nicht geeignetem Trocknungsverfahren
ihre Wirksamkeit einbüßen oder gänzlich verlieren (Dörrgemüse),
insbesondere dann, wenn Alkali zugegen ist, so werden wir als
Nahrung möglichst die Rohsubstanzen verordnen. Als Antiskorbutika
Digitized fr
G oogle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
19. Mai 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
653
sind der Zitronen*, Apfelsinen- und Tomatensaft am wirksamsten.
Praktisch wichtig ist, daß auch Tomatenkonserven ein ausgezeich¬
netes Antiskorbutikum darstellen (Heß und Unger, zit. nach Ham-
burger-Stransky). So haben R. Hamburger und Stransky
mit einem 6 Monate alten Tomatensaft beim Barlow noch gute
therapeutische Erfolge erzielt. Die ansatzfördernden Stoffe sind nach
Aron in Gemüse-, Obst-, Malz- und Mohrrübenextrakt enthalten.
Auch im Zitronen- und im Orangensaft fehlen diese Stoffe nicht.
• Die grünen Gemüse enthalten auch das A-Vitamin. Alle diese Mo¬
mente müssen bei der Verordnung von Vegetabilien berücksichtigt
werden, entsprechend jenen Gesichtspunkten, die die Gemüseverab¬
reichung veranlassen. Therapeutisch haben die Antiskorbutika die
größte Bedeutung. Prophylaktisch können dem Kinde schon von
den ersten Lebenswochen an 5—10 ccm Apfelsinensaft oder Zitronen¬
saft verabreicht werden. Bei ausgebrochener Erkrankung sind diese
Mengen unter Umständen wesentlich zu steigern (bis 50, 60 ccm
oder noch mehr täglich). Hat doch bereits Aron darauf hingewiesen,
daß das Vitaminminimum durchaus nicht so tief liegt, wie man
dies nach den tierexperimentellen Befunden vermuten möchte. Die
klinischen Erfahrungen beim Barlow bestätigen diese Beobachtungen.
Die Indikation der Gemüseverabreichung beim gesunden Säugling
bleibt nach wie vor dieselbe. Es sei nur noch erwähnt, daß die
auffallend günstige Wirkung des (bei richtiger Indikation ange¬
wandten) Malzextraktes von Aron und Heim auf seinen Vitamin¬
gehalt zurückgeführt wird. Tierexperimentelle Beobachtungen
Glanzmanns ergaben, daß weder der A- noch der B-Faktor für
sich allein das Wachstum beeinflußt. Nur beide zusammen entfalten
eine günstige Wirkung. Aehnliche Angaben sind bereits von Lang¬
stein und Edelstein gemacht worden. Dies berücksichtigend,
sollte man den Kindern auch den A-Faktor prophylaktisch verab¬
reichen. Schwierigkeiten hiermit sind nicht verbunden. Man kann
schon dem Neugeborenen Lebertran in der üblichen Menge beibringen.
Sicher ist, daß durch die Verabreichung der erwähnten Substanzen
keine Schäden für das Kind angestiftet werden. So steht ihrer An¬
wendung nichts im Wege. Ueber die Erfolge, die hierdurch erzielt
werden, ist vorläufig nichts Sicheres zu sagen. Hierüber wird erst
die Zukunft entscheiden.
Die Bedeutung der Vitaminlehre für die Säuglingsernährung ist
zur Zeit gar nicht zu übersehen. Die ganze Forschung ist noch im
Flusse und aus den Kinderschuhen kaum herausgetreten. Die Iso¬
lierung der Vitamine ist bisher nicht gelungen. Wir schließen auf
ihre Gegenwart aus ihren Wirkungen. Merkwürdigerweise sind diese
bis in die letzte Zeit nur recht einseitig erforscht. So sind z. B.
die Stoffwechselwirkungen dieser Stoffe noch kaum untersucht. Die
wenigen Arbeiten, die hierüber vorliegen, führten zu keinen über¬
einstimmenden Resultaten. Die Untersuchungen von Fr eise und
Rupprecht, Hamburger und Stransky, Bickel scheinen da¬
für zu sprechen, daß manche Vegetabilien den Kalkansatz fördern.
Ob es sich hier um eine Vitaminwirkung handelt, ist noch nicht
entschieden. Immerhin könnte die günstige Wirkung der Gemüse¬
verabreichung bei der Rachitis und der Osteopsathyrose (Czerny)
auf die kalkansatzfördernde Fähigkeit mancher Vegetabilien zurück¬
geführt werden. Wenn es sich nun darum handelt, mit einer ge¬
wissen Wahrscheinlichkeit zu entscheiden, ob die Stoffwechselwirkung
z. B. eines Gemüses eine Vitaminwirkung ist, so ist hierzu die
exakte Anstellung der Stoffwechselversuche eine wesentliche Vor¬
bedingung. Wird in der Hauptperiode fast pfundweise das Gemüse¬
extrakt verfüttert und hierdurch sowohl die Kalorien wie auch die
Salzzufuhr wesentlich gesteigert, so kann eine eindeutige Beant¬
wortung der Fragestellung nach keiner Richtung hin erwartet werden.
Die weitere Entwicklung der Vitaminlehre ist zunächst von der An¬
wendung geeigneter und exakter Untersuchungsmethoden zu er¬
warten. So sind die Forschungen Abderhaldens und die von
Freudenberg und György als ein Fortschritt auf diesem Ge¬
biete zu betrachten.
Wer selbst Vitaminversuche im Tierexperiment gesehen und
mitgemacht hat, der wird kaum an der Existenz dieser Stoffe
zweifeln. Mit Recht wurde von Aron betont, daß die Vitamine
bei allen möglichen niederen und höheren Organismen wirksam
sind und es daher nicht annehmbar sei, daß der menschliche Säug¬
ling allein hierin eine Ausnahme bilden soll. Nun muß aber gesagt
werden, daß die Kinder in der Regel eine Nahrung zugeführt be¬
kommen, die man als vitaminfrei kaum ansprechen kann. So sagt
Oianzmann: „Die weite Verbreitung der Wachstumsfaktoren in
den verschiedenen Nahrungsmitteln, ihre Hitzestabilität bei der
Sterilisation, der Umstand, daß die in den Nahrungsstoffen ent¬
haltenen minimalen Mengen für gewöhnlich ausreichen, erklärt leicht,
daß eigentliche Avitaminosen im Kindesalter äußerst selten, nur
unter ganz extremen Bedingungen Vorkommen, wenn wir überhaupt
eingedenk der komplexen Natur selbst anscheinend reiner Ausfalls¬
erkrankungen den Ausdruck Avitaminose weiter gebrauchen dürfen.“
Ich kann meine Ausführungen nur mit folgenden Worten E. Ab¬
derhaldens schließen: „Daß man angefangen hat, jede Erkrankung,
wie die Rachitis, die Osteomalazie usw. usw., für die man eine be¬
stimmte Ursache nicht kennt, mit dem Fehlen bestimmter Stoffe in
der Nahrung in Zusammenhang zu bringen, ist erklärlich. Solange
nur die Frage aufgeworfen wird, ob eine solche Ursache vorliegen
könnte, handelt es sich um wertvolle Anregungen. Sobald jedoch die
bloße Fragestellung als bewiesene Tatsache hingestellt wird, ent¬
stehen Verwirrung und Unsicherheit.“
Aus der Chirurgischen Universitätsklinik in Göttingen.
(Direktor: Prof. R. Stich.)
Vererbung und Konstitution.
Von Dr. K. H. Bauer, Assistent der Klinik.
Die Aufforderung der Schriftleitung zu diesem Aufsatz gibt mir
willkommene Gelegenheit, drei im Zusammenhang mit den Begriffen
Vererbung und Konstitution stehende Grundfragen der jetzigen
Medizin anzuschneiden.
Eine grundsätzliche Wandlung unseres medizinischen
Denkens ist seit einiger Zeit unverkennbar. Was sich auf dem
Fundament der großen Gesichtspunkte der letzten Periode errichten
ließ, ist in den Hauptzügen wenigstens ausgebaut, die alten Methoden
der Forschung sind weitgehend saturiert, und so ist denn das Ver¬
langen nach umfassenden neuen Forschungsprinzipien ein allgemeines.
Die Konstitutionslehre gilt Vielen als der noch greifbarste
Ausdruck jener Wandlung, und so wäre die Frage zu beantworten:
inwieweit enthalten ihre Grundbegriffe Vererbung und Konstitution
ein neues Foischungsprinzip, inwiefern können sie als Weg¬
weiser in Neuland für die Medizin angesehen werden?
Die Einsicht, daß die Vererbung die Konstitution grundlegend
bestimmt, stammt nicht erst von gestern. Heute dreht es sich nicht
mehr um die Tatsache, daß, sondern darum, was und wie etwas
beim Zustandekommen der Konstitution vererbt wird. Daß wir den
Grundstock der Konstitution, die theoretisch zu postulierende Erb¬
masse, erst in ihrer Zergliederung und dann wieder in ihrer Wieder¬
zusammensetzung verfolgen können, daß sie streng mathematischen
Gesetzen folgt, daß damit Maß und Zahl und Experiment an die
Stelle vager Theorien treten, das ist der grundsätzliche Fortschritt,
den die neue Konstitutionslehre ihrer Ausgangsdisziplin, der experi¬
mentellen Vererbungsbiologie, als einer streng naturwissenschaft¬
lichen Methode, verdankt und der allein die jetzige Konstitu¬
tionslehre eine exakte Wissenschaft werden zu lassen
berufen ist.
Was für die Chemie oder Physik das Element, das Atom, das
Ion oder Elektron ist, das ist als letzter analytischer Einheits¬
und Grundbegriff für die Vererbungs- wie für die Konstitutions-
lehre das Id, Gen, der Erbfaktor oder die Erbeinheit. Auf letzte
Erbfaktoren führt die experimentelle Vererbungsbiologie alle Er¬
scheinungen, Eigenschaften, Merkmale, Anomalien usw. zurück. Aus
letzten Erbfaktoren baut sich die Konstitution auf, die Erbfaktoren¬
kombination nach der Eizellenbefruchtung ist der Ur-Repräsentant"
der späteren Konstitution.
Die Gesetze der Aufspaltung der einzelnen Erbeinheiten, ihre
Neukombination bei der Keimzellenvereinigun^, ihre Gruppenver¬
teilung auf die Chromosomen, ihre Koppelung innerhalb eines
Chromosoms, ihr Austausch zwischen sich entsprechenden Chromo¬
somen usw. sind weitgehend von der Vererbungslehre erforscht.
Bei einzelnen Organismen sind schon zahlreiche Erbeinheiten be¬
kannt, von der Taufliege allein bereits über 300. Bei letzterer
geht die Kenntnis bereits so weit, daß ihr Erforscher schon genaue
topographische Karten der Lokalisation der Erbfaktoren in den
Chromosomen dieser Tierart aufzeigen kann, ja, daß er jedes Tier
einer gewünschten Konstitution, man möchte sagen auf Bestellung,
experimentell uns zu liefern imstande ist.
Natürlich sind unsere Kenntnisse selbständiger Erbfaktoren
beim Menschen noch beschränkt. Immerhin kennen wir bereits
eine Reihe sicher, „mendelnder“ Erbfaktoren. Weiterhin können wir
durch vorsichtige Analogieschlüsse aus der Kenntnis der Erbein¬
heiten in der Örg^nismenwelt auch auf solche beim Menschen re¬
kurrieren. Endlich gestatten uns die Erbfaktoren krankhafter Anlagen
weitgehende Rückschlüsse auf die Erbeinheiten normaler Anlagen.
So weist z. B. eine Aufstellung, die einer größeren Abhandlung Vor¬
behalten sein soll, bereits weit über 100 solcher pathologisch ver¬
änderter Erbfaktoren auf, bei denen sogar schon für eine relativ
große Zahl ihre Lokalisation in einem bestimmten Chromosom, im
Geschlechtschromosom, wahrscheinlich gemacht werden kann.
So mannigfaltig auch die Methoden sein mögen, um konstitu¬
tionelles Tatsachenmaterial anzuhäufen, das Wesen der Beziehung
zwischen Vererbung und Konstitution liegt meines Erachtens letzten
Endes darin, daß uns die Erbfaktoreuanalyse allein den Schlüssel
nicht zur Konstitution schlechthin, sondern zur Konstitutions g e n e s e
verleiht. Genetik nennt Sich die Gesamtheit der vererbungsbiologi¬
schen Wissenschaften. Die Genetik der Konstitution aus der Erb¬
faktorenkombination, diese Konstitutionsanalyse, ist das Ziel der
heutigen Konstitutionslehre.
Der bisherige Gedankengang trifft nur Weg und Ziel, noch
nicht aber das Wesen der Wandlung unseres Denkens unter
dem Einflüsse der Konstitutionslehre.
Hier hilft uns die Betrachtung über die Natur der Erb¬
faktoren weiter. Entsprechend ihrem chemischen Charakter als
enzymartige Eiweißkörper, vielleicht ähnlich den Inkreten der endo¬
krinen Drüsen, sind sie der letzte Urquell aller späteren Funktionen
des Organismus, sind sie die letzten Grundfunktionen selbst.
Wie z. B. das Schilddrüsenhormon an den verschiedensten Organen
und Geweben sich manifestiert, so sind die Ide die letzten Determi¬
nanten der funktionellen Entwicklung des Organismus, die selten
nur an einer, fast stets an zahlreichen Stellen des Organismus zur
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
054
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 20
sichtbaren Entwicklung gelangen und Körperbau wie Habitus und
Temperament grundlegend bestimmen.
In dieser ihrer Eigenschaft als erste funktionelle Entwicklungs¬
ansätze, als Urfunktionen liegt meines Erachtens der Angelpunkt
der ganzen Bedeutung der Vererbungs- und Konstitutionslenrc für
die Wandlung unseres medizinischen Denkens.
Die Periode des „anatomischen Gedankens“ der Zellularpatho-
logie stand im Zeichen der „Form“, die erbbiologische Konstitu¬
tionslehre steht im Zeichen der „Funktion“, die Zellularpathologie
suchte nach den materiellen, die Konstitutionslehre nach den
funktionell-energetischen Unterlagen des Organismus; in
der Aera der Zellularpathologie war die Zelle „wirklich das letzte
Formelement aller lebendigen Erscheinung“, für die Konstitu¬
tionslehre ist die Erbeinheit wirklich das letzte funktio¬
nelle Element aller lebendigen Erscheinung.
Selbstverständlich gehören wie Masse und Bewegung, Stoff und
Energie, so auch Zelle und Funktion an sich untrennbar zusammen,
etwas anderes aber ist das Ding an sich, etwas anderes seine
Erscheinungsformen, etwas anderes das Objekt und dessen Betrach¬
tungsweisen.
So groß auch praktisch die Berührungsflächen sein mögen —
erkennen wir ja auch konstitutionell viele Funktionen erst an der
veränderten „Form“, und manche gleichen Formen verraten ihre
Unterschiede nur an der verschiedenen Funktion —, so kommt es
uns hier bei den Forschungsprinzipien nicht auf das Gemeinsame,
sondern auf das Unterscheidende an.
Zelle und Erbfaktoren sind analytische Begriffe. Das Wesen
einer Wissenschaft machen aber erst Analyse und Synthese, beide,
wie Goethe sagte, wie Ein- und Ausatmen zusammen, aus.
Zelle wie Erbfaktor sind aber nicht nur das Letzte einer Zer¬
gliederung, einer Analyse, sondern zugleich auch das Erste einer
Synthese. Während sich aber der Zeilbegriff als synthetischer Be¬
griff bereits beim Organ („Organizismus!“) und Gewebssystem er¬
schöpft, gestattet der Erbfaktorenbegriff allein die Synthese über
alle Zwischenstufen bis hinauf zur Totalität der Person, bis zur
Individualität, jenem naturwissenschaftlichen Problem, dem
niemals mit der Zellforschung und allein mit der erbgenetischen
Methode exakt beizukommen ist, denn die Urform der Individualität
ist identisch mit der Erbfaktorenkombination, diese aber ist bereits
mit dem Augenblicke der Keimzellenverschmelzung vollendet. Man
denke nur an die gleiche Individualität eineiiger Zwillinge, die ja
idiotypisch identische Konstitutionen besitzen, obwohl sie sich schon
vom Einzellenstadium an als gesonderte Organismen entwickeln.
Individualisieren ist ein alltägliches Schlag wort. Aber nie ist uns
etwas mit der Behauptung, daß ein individuelles Moment zu „be¬
rücksichtigen“ sei, gedient; worin das individuelle Moment im
Einzelfall besteht, das nachzuweisen und auch zu formulieren, sind
wir nur imstande auf dem Wege der Konstitutionsanalyse.
Daß wir trotzdem, so grundlegend und dominierend die Erb¬
faktorenkombination für die Konstitution auch ist, diese trotzdem
nicht mit dem Erbgut schlechthin identifizieren dürfen, daß wir eine
Konstitution nicht nur ererben, sondern auch erwerben können, da¬
von habe ich andernorts in einer Abhandlung über den Konstitutions¬
begriff (Zschr. f. Konstitutionslehre 1921, 8) ausführlich gesprochen.
Ist nun wirklich in der Konstitutionsanalyse ein neues Forschungs¬
prinzip gegeben, so müßte sich das auch in einer besonderen For¬
schungsmethodik erweisen. Es scheint allerdings noch Autoren
zu geben, die eine eigne konstitutionelle Methodik für unwesentlich
und die alten klinischen Untersuchungsmethoden für ausreichend
halten. Natürlich braucht der Konstitutionspathologe das ganze Rüst¬
zeug der klinischen Methodik, diese ist aber selbstverständlich Vor¬
aussetzung, nicht Inhalt einer konstitutionellen Methodik.
Darüber hinaus verlangt die völlig neu orientierte Untersuchung nach
all den Methoden, die irgendeinen Schluß auf Konstitutionelle Her¬
kunft einer Eigenschaft und deren Natur zulassen, Methoden, die man
vergeblich in einer klinischen Untersuchungsmethodik suchen würde.
So ist auch noch nicht entfernt genügend gewürdigt, welch eine
Fülle von als typisch konstitutionell zu bezeichnenden. Methoden
z. B. in der Anthropologie verborgen liegt. Ihre Maßmethoden, die
biometrische Verarbeitung ihrer Ergebnisse, die Uebernahme der
Hauptprinzipien der Variationsstatistik auch auf andere Gebiete der
Konstitutionslehre, die Gesetze des einfachen und sog. höheren
Mendelismus, die Erbgangsanalyse und Stammbaumforschung, die
genealogischen Methoden, klinisch vor allem auch die funktionelle
Diagnostik, die Sammlung unseres Beobachtungsmaterials nach ganz
neuen Prinzipien u. v. a., das alles sind, »nur angedeutet, Bahnen,
die eine konstitutionelle Methodik zu gehen hat, um zu einem
weiteren neuen Tatsachenmaterial zu gelangen.
Auch die Klage über die Unmöglichkeit planmäßiger Ver¬
erbungsexperimente beim Mertsdien ist nur zum Teil be¬
rechtigt, denn die Fülle der Experimente, die uns die Menschen
täglich mit jeder neuen Heirat, jeder Geburt darbieten, ist so ge¬
waltig, daß wir auch bei ihrer planmäßigen Erfassung zu bindenden
Schlüssen zu gelangen vermögen. Jeder Mensch, den wir konstitu¬
tionell untersuchen können, ist das Ergebnis eines Experimentes der
Natur, ist das Produkt einer Bastardierung im Sinne der Genetik.
Die Erfolge der Bastardforschung beim Menschen stempeln auch die
besagte Resignation zu einem fortschrittshindemden Vorurteil. Selbst¬
verständlich sind die Verhältnisse beim Menschen ungleich schwie¬
riger als im zoologischen Experiment, aber wo gäbe es überhaupt
eine Frage, die sich beim Menschen ebenso leicht nachprüfen ließe
wie beim Tier? Solche Schwierigkeiten sind eben dazu da, um nicht
beklagt, sondern gelöst zu werden. Zudem vermögen wir ja auch
aus Vererbungsexperimenten am Tier genau so Analogieschlüsse
auf den Menschen zu ziehen, wie in jeder andern experimentell an¬
gepackten Frage.
Die dritte Frage endlich betrifft die Nosologie. Nosologie
ist System der Krankheiten. Jedes System ist eine Denkökonomie
so eine Kraftersparnis und damit berechtigt.
Wenn heute ein Konstitutionspathologe das alte nosologische •
System der anatomischen Aera übernimmt, so ist das an sich nicht
logisch, immerhin aber noch begreiflich in Anbetracht der Lücken,
die eine konstitutionelle Systematisierung noch sehr er¬
schweren. Prinzipiell aber strebt die neue Konstitutionspathologic
ein System an, das aHe pathologischen Zustände nach ihrer erb¬
genetischen Zusammengehörigkeit einordnet.
Viel Vorarbeit hat hier die Lehre von der inneren Sekretion
geleistet; heute arbeitet die von zahlreichen Seiten in Angriff ge¬
nommene Typenkunde in gleicher Richtung. Allerdings kranken
die bisherigen Normaltypenlehren alle noch zu sehr daran, daß sie
bloß auf Häufigkeitsbefunde, also -auf rein statistische und auf bloß
grob-empirische Unterlagen aufgebaut sind und daß phantasie-
reiche Spekulation noch zu sehr nachzuhelfen gezwungen ist.
Auch hier dürften wir erst dann weiterkommen, wenn wir, wie
für die innersekretorisch bedingten Konstitutionstypen, die einheit¬
liche Quelle in dem betreffenden Hormon, so auch für die idiotypisch
(erbkonstitutionell) bedingten Konstitutionstypen in dem zugrunde¬
liegenden Erbfaktor (vielleicht Koppelungsgruppe) die gemeinsame
Wurzel nachweisen können. Denn dann erst hätten wir eine bio¬
logisch-kausale Vorstellung, die dann auch die so notwendigen Ab¬
grenzungen gestattete. Mein Optimismus in dieser Hinsicht gründet
sich vor allem auf meine Konstitutionsanalyse des Konstitutionstyps
des Osteopsathyrotikers (D. Zschr. f. Chir. 1920, 154, und 1921, 160)
und auf die noch nicht veröffentlichte eines weiteren alltäglichen
Konstitutionstyps im Sinne einer streng konstitutionellen Wesens-
erklärung und -abgrenzung. Eine konstitutionelle Systematik dürfte
sonach als Sammelbegriff die Gesamtindividualität, als Gruppen¬
begriff konstitutioneller Zustände die Typenbildungen und als eigent¬
liches Einteilungsprinzip die Erbfaktoren als Bindeglied erbfunktionell
zusammengehöriger Zustände zu wählen haben.
Eine kurze Bemerkung noch über das Theoretisieren in
der Konstitutionslehre. Der ganze papieme Streit um die
Frage, was Konstitution ist, hat, wenn überhaupt eines, so nur das
Resultat ergeben, daß Ergebnisse auf diesem Wege für die Medizin
nicht zu erreichen sind. Sicherlich ist es an sich etwas Herrliches
um das Denken über das Denken, auch in der Medizin, aber wie
für andere praktische Wissenschaften, so können auch für die
Medizin solche, wie ich a. O. (1. c.) gezeigt zu haben hoffe, nicht
medizinische, sondern rein philosophische Fragen, immer nur Sonn¬
tagsfragen sein, die den Werktag tätiger Forschung höchstens krönen,
nicht aber umgekehrt zu fundieren vermögen. Für die Errichtung
ihres Fundamentes kann ja auch tatsächlich die Konstitutionspathologie
der streng erkenntniskritischen Definition der Begriffe völlig ent-
rateu. Die Lösung wissenschaftlicher Probleme kann eberi wohl zu¬
nächst intuitiv erschaut, nicht aber erdacht, sondern schließlich
nur mühsam erarbeitet werden.
Wiederum also ist die Zeit der Detailuntersuchungen gekommen
Die Konstitutionsanalyse nach dem Prinzip der Erbeinheitsforschung
verspricht uns einen Weg zu einem großen Ziel der Konstitutions¬
synthese, zur Inangriffnahme des Problems der Individualität,
deren Wesenserkenntnis kein geringerer als Virchow als die letzte
Aufgabe der wahren Naturforschung bezeichnet hat.
Aus dem Institut für Infektionskrankheiten „Robert Koch"
in Berlin.
Ueberempfindlicbkeitsversuche an Bakterien 1 ).
Von Dr. Alfred Schnabel, Abteilungsleiter am Institut.
Die Lehre von den allergischen Phänomenen, zu denen sowohl
die Erscheinung der Ueberempfindlichkeit als auch die des Un¬
empfindlichwerdens gerechnet werden können, vermied es bisher,
das diesbezügliche Verhalten der Bakterien und der einzelligen Lebe¬
wesen im allgemeinen in den Kreis ihrer Betrachtung zu ziehen. Die
Gründe hierfür könnten darin liegen, daß die Zahl der ausgeführten
Versuche keine genügend große ist oder daß die erzielten Ergebnisse
nicht eindeutig die Zugehörigkeit der an Bakterien beobachteten
Erscheinungen zu den allergischen Phänomenen bewiesen haben, oder
schließlich darin, daß der Mechanismus einer so vielseitig bearbeiteten
Teilerscheinung der Allergie, wie es die Anaphylaxie höher organi¬
sierter Lebewesen ist, nicht vollkommen geklärt ist. Die seit jeher
strittige Auffassung, ob es möglich ist, höher organisierte Lebe¬
wesen gegen chemisch definierte „nichtantigene“ Substanzen über¬
empfindlich zu machen, mag auch dazu beigetragen haben. Man
geht sicher nicht zu weit, wenn man der Frage der Zugehörigkeit
der an Bakterien gewonnenen Erfahrungen zur Allergie eine aus¬
schlaggebende Bedeutung beimißt.
*) Efne ausführliche Mitteilung wird ln der Zschr. f. Hyg. erscheinen.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNÜVERSrrf
19. Mai 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
655
Aber gerade mit Rücksicht auf den zuletzt erwähnten Umstand,
ob höhere Lebewesen gegen nichtantigene Substanzen überempfind¬
lich zu machen sind, besitzt das Studium der allergischen Phänomene
an Bakterien und an einzelligen Organismen im allgemeinen eine
größere Bedeutung, und zwar in theoretischer und praktischer Be¬
ziehung. Die Wichtigkeit in theoretischer Hinsicht ist in dem Um¬
stand zu suchen, daß die einzelligen Organismen in erster Linie
dazu geeignet erscheinen, die Bedeutung der „Zelle 0 für allergische
Vorgänge in eindeutiger Weise kundzutun, ferner über die Be¬
ziehungen zwischen den „antigenen“ und „anaphylaktogencn“ Sub¬
stanzen einerseits und den „nichtantigenen“, die sich im Tierversuch
so verschieden verhalten, näheren Aufschluß zu geben. Die bei
höheren Organismen in erster Linie durch die besonderen physi¬
kalischen Umstände der Verteilung und Ausscheidung schwer kon¬
trollierbaren Versuchsbedingungen erscheinen bei Experimenten mit
Bakterien leichter zu handhaben und zu übersehen. Die praktische
Bedeutung des Studiums allergischer Erscheinungen bei Bakterien
liegt hauptsächlich auf chemotherapeutischem Gebiet, ferner in der
Möglichkeit des Bestehens eines Zusammenhanges zwischen den
allergischen Phänomenen und der Virulenz.
Daß Bakterien, ebenso wie andere Lebewesen, nach vorausge¬
gangener Vorbehandlung mit verschiedenen (chemisch definierten)
Substanzen anders als vorher reagieren, also im Sinne der Definition
allergisch werden können, ist eine bekannte Erscheinung. Die be¬
züglichen Versuche beschränken sich fast durchweg auf die Mög¬
lichkeit der Anpassung der Bakterien an solche Konzentrationen
verschiedener Substanzen, die sonst den ungestörten Ablauf der
Lebensäußerungen der Mikroorganismen mehr oder weniger beein¬
trächtigen. Diese Erscheinung der Festigung wurde an Bakterien in
mannigfaltiger Weise wahrgenommen, am häufigsten durch Feststel¬
lung jener Konzentrationen einer keimschädigenaen Substanz, die. die
sichtbare Vermehrung der Bakterien eben noch zu verhindern ver¬
mochten.
Die nahe Analogie mit gewissen aus der Immunitätslehre be¬
kannten Erfahrungen wurde noch durch die Tatsache einer manchmal
sehr weitgehenden Spezifizität dieser Festigung erhöht. Was jedoch
der Erscheinung eine Ausnahmestellung zu verleihen schien, war der
Umstand, daß ihr Gegenstück, das Ueberempfindlichwerden, nicht
beobachtet werden konnte. Es finden sich wohl in der Literatur ver¬
einzelte Mitteilungen, aus denen hervorgeht, daß Mikroorganismen
unter gewissen Umständen auf die zur Vorbehandlung angewendete
Substanz quantitativ stärker reagieren, mit anderen Worten über¬
empfindlich werden können (Neuschloß an Paramäzien, C. Mei߬
ner an Schimmelpilzen, Davenport und Neal an Protozoen).
Doch wurden weder die näheren Umstände geprüft noch auch die
Erscheinung als Ueberempfindlichkeit gedeutet. Ich selbst habe ge¬
legentlich der Ausarbeitung eines Verfahrens zur Bestimmung zell-
und keimschädigender Substanzen auf biologischen! Wege die Wahr¬
nehmung gemacht, daß Pneumokokken, die mit verschieden kon¬
zentrierten Optochinlösungen einige Zeit in Berührung waren, sich
in ihrer Empfindlichkeit OptoChin gegenüber verschieden verhielten,
vom Zustande erhöhter bis zu herabgesetzter Optochinempfindlich-
keit. In letzter Zeit hat Rieh et, dem die Mitteilungen der oben
erwähnten Autoren entgangen zu sein scheinen, im Verein mit
Bachrach und Cardot die Beobachtung machen können, daß
Milchsäurebazillen, die in verschieden konzentrierten Lösungen von
Thalliumnitrat oder Sublimat längere Zeit, bis zu mehreren Monaten
fortgezüchtet werden, je nach der Konzentration angewöhnt oder
überempfindlich werden, und zwar erwiesen sich die schwachen Kon¬
zentrationen als die überempfindlich machenden; doch kann auch
auf das Stadium der Festigkeit ein solches der Ueberempfindlichkeit
folgen. Die Autoren nennen die Erscheinung Anaphylaxie.
Meine Versuche, deren wichtigste Ergebnisse hier nur in allge¬
meinen Grundzügen und an anderer Stelle erst ausführlich mitgeteilt
werden sollen, entsprangen Erwägungen, die sich zum Teil an die
aus der Tierpathologie bekannten Tatsachen anlehnten. Bei der re¬
lativ kurzen Generationsdauer der Bakterien und mit Rücksicht auf
den raschen Ablauf der Lebensäußerungen derselben konnte ver¬
mutet werden, daß, wenn Bakterien überhaupt gegen eine zur Vor¬
behandlung angewendete Substanz überempfindlich werden können,
dies im Prinzip schon bei der üblichen Eintagskultur im entsprechen¬
den Medium möglich sein müßte, ja sogar, daß im Gegenteil eine
länger fortgesetzte Züchtung in demselben Medium den Zustand
der Ueberempfindlichkeit verschleiern könnte. Eine weitere Kon¬
sequenz dieser Erwägung müßte die Folgerung sein, daß der Nach¬
weis der Ueberempfindlichkeit an der eintägigen Kultur nicht durch
Prüfung der Vermehrungsfähigkeit (oder einer anderen auf Tage
ausgedehnten Lebensäußerung, wie Zuckerspaltung u. dgl.) in dem
die betreffende Substanz enthaltenden Nährmedium, sondern durch
Feststellung des momentanen Empfindlichkeitszustandes
der Kultur erfolgen müßte. Es kam also nur ein Verfahren in Be¬
tracht, welches bei quantitativem Arbeiten schon in Minuten oder
Stunden über den Empfindlichkeitsgrad der betreffenden Kultur Auf¬
schluß geben könnte. Die von mir 1 ) beschriebene Methode zur
Bestimmung keimschädigender Substanzen in dünnen Lösungen schien
hierzu in erster Linie geeignet. Dieses Verfahren, das auf der Eigen¬
schaft lebender Bakterien, Methylenblau und andere reduzierbare
Farbstoffe in farblose Verbindungen umzuwandeln, und auf dem
Phänomen der Hemmung dieses Reduktionsvorganges durch ver-
l ) Blochern. Zschr.MQS.
schiedene die Bakterien schädigende Substanzen beruht, bot außer
den in der zitierten Arbeit angeführten Vorteilen noch den der all¬
gemeinen Anwendbarkeit auf verschiedene Bakterien.
Mit diesem Verfahren wurde bisher eine Reihe verschiedener
Bakterien, wie Staphylokokken, Streptokokken, Pneumokokken, B. coli
u. a. m. untersucht. Die Prüfung ergab unzweideutig, daß es mög¬
lich ist, Bakterien gegen verschiedene Substanzen
überempfindlich zu machen, und zwar in erster Linie
gegen solche, gegen die Bakterien gefestigt werden
können. Der Grundversuch besteht darin, daß gleichgroße Mengen
eines geeigneten Nährmediums mit fallenden Mengen einer keim¬
schädigenden Substanz beschickt und mit einem beliebigen Bakterium
beimpft werden. Am nächsten Tage werden die einzelnen ausge¬
wachsenen Kulturproben auf ihre Empfindlichkeit gegen die betref¬
fende Substanz in der oben skizzierten Weise geprüft, ln der Regel
erweisen sich die in den stärkeren Konzentrationen der sie sonst
schädigenden Substanz gewachsenen Keime gegen diese Substanz
mehr oder weniger gefestigt, während die in den relativ schwachen
Konzentrationen gezüchteten einen quantitativ höheren Grad von
Empfindlichkeit aufweisen als die in den schwächsten Konzentrationen
oder in den Kontrollen gewachsenen Bakterien. Nicht selten er¬
weisen sich die Keime, die noch in den stärksten Konzentrationen
äußerlich wahrnehmbar üppig zur Entwicklung gelangt sind, empfind¬
licher als die Kontrollen. Während aber die Ueberempfindlichkeit
der in der schwächeren Konzentration gereiften Kultur eine deutliche
Spezifizität zeigt, entbehrt die scheinbare Ueberempfindlichkeit der in
den stärksten Lösungen noch gewachsenen Keime dieses Merkmals;
wie entsprechende Versuche beweisen, handelt es sich bei letzterer
Erscheinung um eine unspezifische Resistenzverminderung der Keime.
Die erwähnte Spezifizität der in schwächeren Konzentrationen gewach¬
senen Keime ist zweifellos nachweisbar, wenn auch recht plastisch.
Sie wird nicht allein durch chemisch ähnlich gebaute Substanzen,
sondern auch, soweit die bisherigen Versuche eine solche Folgerung
zulassen, durch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe von Substanzen
mit einem bestimmten Wirkungsmodus, wie z. B. Sublimat, Silber¬
nitrat, Kupfersulfat, durchbrochen.
Die durch verschiedenen Wirkungseffekt ausgezeichneten Kon¬
zentrationen der wirksamen Substanzen bewegen sich in einer ge¬
wissen, in erster Linie durch die individuellen Unterschiede der zum
Versuch herangezogenen Bakterienstämme begrenzten Brdite. So
kann z. B. bei einer bestimmten Pneumokokkenkultur die die un¬
spezifische Resistenzverminderung bewirkende Konzentration des On-
tochins 1:200000, die „festigende“ 1:500000 und die überempfindlicn-
machende 1:5000000, bei einer anderen wieder die resistenzvemiin-
demde 1:500000, die festigende 1:1000000 und die überempfindlich -
machendc Konzentration 1:20000000 betragen, während die Kon¬
zentration von 1:50000 000 oder eine höhere sich bereits als in¬
different erweist. Die durch die verschiedenen Konzentrationen ver¬
ursachten Empfindlichkeitsunterschiede kommen dann so zum Aus¬
druck, daß, während z. B. eine Staphylokokkenkultur, die als Kon¬
trolle in gewöhnlicher, sublimatfreier Nährbouillon gezüchtet wurde,
in ihrem Reduktionsvermögen Methylenblau gegenüber noch bei einer
Sublimatkonzentration 1:640000 behindert wird, diese hemmende
Konzentration für die in einer mit Sublimat 1:50000 versetzten
Bouillon gewachsene Kultur 1:1280000 (unspezifische Resistenzver¬
minderung), für die bei einem HgCL-Gehalt der Nährbouillon von
1:30000000 überempfindlich gewordene Kultur 1:2560000 und für
die bei einem HgÖ 2 -Gehalt der Nährbouillon von 1:100000 ge¬
festigte Staphylokokkenkultur 1:20000 beträgt. Beim gleichen Ver¬
such beträgt die hemmende Grenzkonzentration des zur Empfindlich¬
keitsprüfung derselben Kulturen herangezogenen Phenols für die bei
einem Sublimatgehalt der Nährbouillon von 1:50000 gewachsene
Kultur 1:800, für die übrigen in Sublimat gezüchteten- Kulturen, also
sowohl die gefestigte, als auch die überempfindliche und in sublimat-
freier Bouillon gewachsene, 1:400 Phenol. Die Erscheinung der
Festigung und des Ueberemptindlichwerdens kommt also nur dem
zur Vorbehandlung angewandten Sublimat, nicht aber dem Phenol
gegenüber zum Ausdruck; denn die höhere Empfindlichkeit der bei
einem Sublimatgehalt von 1:50000 gewachsenen Kultur dem Phenol
gegenüber ist beim Prüfen mit den verschiedensten Substanzen wahr¬
zunehmen und ist wohl nur als unspezifische Resistenzverminderung
zu deuten.
Davenport und Neal, Arch. f. Entw. Mech, 2. — C. Meißner, Akkomodations-
fähigkeit einiger Schimmelpilze. (Dissert Leipzig 1902.) — Neuschloß, PflQg. Arch.
1920,176, u. 178. — Richet, Bachrach und Cardot, Cpt. rend. d. I. Acad. d. Sciences
171 u. 172. — Schnabel, Biochem. Zschr. 1920,108.
Zwei Fälle von chronischem Hydrozephalus bei Kindern').
Von Prof. Cassel.
I. Hydrocepbalns chronicus Simplex.
Schon in seinen ersten Mitteilungen über die Lumbalpunktion
hat der Altmeister Quincke 2 ) 3 ) diesen Eingriff zur Heilung des
chronischen Hydrozephalus angeraten. Er führt aus: „Die Punktion
ist therapeutisch indiziert bei chronischen Exsudationen, um mög¬
licherweise eine Aenderung der Resorptions- und Abflußverhältnissc
*) Nach einer Demonstration in der Pädiatrischen Sektion des Vereins für innere
Medizin und Kinderheilkunde in Berlin, am 13. II. 1922. - «) B. kl. W. 1891 Nr. 38. —
») Verh. D. Kongr. f. inn. M. 1891 S. 322.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
656
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
Nr. 20
herbeizuführen. Freilich ist zu befürchten, daß letzteres nur in der
Minderzahl der Fälle erreicht werden wird; der Versuch aber kann
und soll gemacht werden, zumal wir über die Pathogenese des so¬
genannten einfachen Hydrozephalus noch ungenügend unterrichtet
sind und wir hier vielleicht schwerere und leichtere Fälle unter¬
scheiden lernen werden.“ Quincke berichtet dann selbst über zwei
Fälle dieser Art, bei denen er 4—5 Punktionen gemacht und 10 bis
66 ccm Flüssigkeit in einer Sitzung entleert hat. Hier in Berlin h^t
dann zuerst v. Leyden 1 ) die Anwendung der Lumbalpunktion bei
unserer Affektion auf Grund zweier Fälle aus der Privatpraxis warm
empfohlen. Namentlich bei einem vierjährigen Kinde will er nach
sechs Punktionen innerhalb dreier Monate ein günstiges Resultat er¬
zielt haben. In derselben Sitzung des Vereins für Innere Medizin,
in der v. Leyden diese Mitteilung machte, habe ich 2 ) — es wurde
damals von mir zuerst von deutschen Pädiatern über eine größere
Reihe von Lumbalpunktionen bei Kindern berichtet — auch zwei
Fälle von chronischem Hydrozephalus erwähnt, bei denen ich wenige
Punktionen ohne Resultat gemacht habe. Im Verlauf der Jahre ist
die Literatur über diesen Gegenstand recht reichlich geworden. Aber
erst durch eine Arbeit von v. Bökay 3 ), der in einem Falle im Ver¬
laufe von sechs Jahren 51 Lumbalpunktionen (im ganzen 1479 ccm
Flüssigkeit entleert) mit gutem Erfolge ausgeführt hat, bin ich er¬
mutigt worden, in dem vorgestellten Falle die Lumbalpunktion syste¬
matisch durchzuführen.
Werner Th., geboren am 8. I. 1918, wird am 3. V. 1918, vier
Monate alt, zum ersten Male vorgestellt. Patient ist das erste Kind
(nur eine Gravidität) gesunder Eltern. Die Mutter ist kräftig, der
Vater etwas schwächlich. Bei beiden ist weder Syphilis noch Tuber¬
kulose voriianden; auch sind die Eltern nicht blutsverwandt. Das
ausgetragenc, gut genährte Brustkind zeigt an den inneren Organen
keine Abnormitäten und weist auch äußerlich keine andern Mi߬
bildungen auf als den abnorm großen Kopf, dessen Umfang 50 cm
beträgt, während der Brustumfang 38 cm gemessen wird. (Normal
41:39 cm.) Die Fontanelle ist sehr groß und stark gespannt, die
Pfeilnaht und die Kranznaht klaffen, die Kopfvenen sind stark er¬
weitert und gefüllt. Die Blickebene ist nach unten gerichtet, das
Kind fixiert, die Pupillen sind gleichweit und reagieren auf Licht, es
besteht kein Strabismus oder Nystagmus. Der Augenhintergrund ist
normal. .Die Muskulatur der Extremitäten, namentlich der Beine, ist
deutlich spastisch, die Patelarreflexe sind erhöht, Fazialisphänomen
ist vorhanden. Die Wa.R. im Blut ist negativ: Da der im Felde
stehende Mann erst um Erlaubnis gefragt werden muß, wird die
1. Lumbalpunktion erst vier Wochen später ausgeführt und werden
25 ccm Flüssigkeit entleert. Die Lumbalflüssigkeit ist ganz klar und
ergibt kein Zentrifugat. Der Eiweißgehalt ist sehr gering (V*°/oo nach
Eßbach, Nonne-Apelt negativ), die ßiuretreaktion ganz schwach. Die
Wa.R. ist mit der Lumbalflüssigkeit fällt ebenfalls negativ aus. Nach¬
dem sich die Eltern einverstanden erklärt hatten, die Behandlung des
chronischen Hydrozephalus mit fortgesetzten Lumbalpunktionen zu¬
zulassen, sind im Verlaufe der nächsten 17 Monate vom 31. V. 1918
bis zum 14. X. 1919 im ganzen 41 Lumbalpunktionen von mir aus¬
geführt worden, und zwar im ersten Lebensjahre 22 und in den zehn
folgenden Monaten 19. Die Punktionen wurden meist im Sitzen, zu¬
weilen auch im Liegen gemacht, wobei Puls, Atmung, Spannung der
Fontanelle und das Allgemeinbefinden sorgfältig von einem Assistenten
kontrolliert wurden. Die beiden ersten Male wurden je 25 ccm ent¬
leert, alsdann sechsmal je 50 ccm. Später wurde auf 70 und 80 ccm
hinaufgegangen. Bei der 18. Punktion wurden sogar einmal 100 ccm
ohne Schaden entleert. Bei der 23. Punktion am 10. I. 1919 trat ein
Zwischenfall ein. Als wir über 20 ccm klarer Flüssigkeit entleert
hatten, wurde die Flüssigkeit langsam hämorrhagisch, sodaß die Punk¬
tion sofort abgebrochen werden mußte. Bei der folgenden Punktion,
zwei Wochen später, zeigte die Flüssigkeit noch eine schwachgelbliche
Färbung. Die Hellersche Probe fiel leicht positiv aus, und im Zentri¬
fugat wurden ausgelaugte Erythrozyten gesehen. Diese blutige Bei¬
mischung war bei der vierzehn Tage später vorgenommenen folgenden
Punktion, wobei 80 ccm entleert wurden, vollständig verschwunden.
Auch hat sich dieses unangenehme Ereignis nie wiederholt. Wir
nehmen wohl mit Recht an, daß die Blutung nicht an der Punktions¬
stelle im Rückenmarkskanal, sondern höher oben stattgefunden hat.
Bei der letzten Punktion, die am 14. X. 1919 stattgefunden hat,
wurden noch 60 ccm klarer Flüssigkeit abgelassen. Ihre Beschaffen¬
heit u’ar genau die gleiche wie bei der ersten Punktion.
Im ganzen sind in 41 Sitzungen 2560 ccm Lumbalflüssigkeit, also
über 2i,4 Liter entleert worden, im Durchschnitt jedesmal über 60 ccm.
Da der Kopfumfang sich jetzt nicht mehr vergrößerte, auch die
Fontanelle anfing kleiner zu werden, wurde mit den Punktionen
aufgehört, zumal auch die Eltern sich gegen die Behandlungsmethode
zu sträuben anfingen.
Die Entwicklung des Kindes, die ja noch heute außerordentlich
zu wünschen übrig läßt, hat sich nun in den vier Jahren folgender¬
maßen gestaltet. Dank der ausgezeichneten mütterlichen Pflege ist
der Knabe körperlich relativ gut gediehen. Rachitisch ist er nicht
geworden; interkurrente schwere Erkrankungen, abgesehen von einer
Grippe, sind nicht aufgetreten. Der Zahndurchbruch erfolgte un¬
gewöhnlich zeitig. Mit einem Jahre besaß er sämtliche Schneide¬
zähne, die allerdings jetzt fast sämtlich kariös zerstört sind. Mit drei
Jahren hatte er aas vollständige Milchgebiß. Der Thorax ist un-
*) Verh. d. Ver. f. inn. M. in BerHn 1897 S. 171. - 2 ) I. c. S. 17G u. Jh. f. Kindhlk. 47, S CO-
- 3 ) Jb. I. Klndlilk. 1915,81, S. 17.
gewöhnlich breit und ausladend. Die Muskulatur ist noch immer
etwas spastisch und an den unteren Extremitäten durch Inaktivität
deutlich atrophisch, obwohl die Glieder munter bewegt werden. Die
statischen Funktionen haben sich nur langsam entwickeln können, zu¬
mal ja der Patient den schweren, unförmlichen Kopf überhaupt erst
im Alter von 3 1 /* Jahren balancieren konnte. Daher lernte das Kind
auch erst spät mit Unterstützung etwas sitzen. Von Aufrichten kann
natürlich keine Rede sein. Krämpfe sind niemals aufgetreten. Der
Augenhintergrund blieb stets normal. — Die psychische Entwicklung
hat sich folgendermaßen gestaltet. Ich gebe hier die wesentlichsten
Daten nach der Reihe der Lebensmonate.
4 Monate alt: Kind fixiert, Sensibilität an der Hautoberflächc
deutlich herabgesetzt.
6 Monate alt: Nystagmus verticalis sinister. Sonst Status idem.
8 Monate alt: Kind greift nach Gegenständen, hört, kennt die
Mutter.
12 Monate alt: Nystagmus verticalis beiderseits, Sensibilität an
der Hautoberfläche herabgesetzt, Kind beißt und kaut feste Nahrung,
greift, spielt mit Spielsachen.
16 Monate alt: Sprachentwicklung hat begonnen (Mama, Papa,
Tante). Temperament heiter, lacht viel, kaut alle Speisen.
2 Jahre alt: Psychische Entwicklung schreitet langsam vorwärts.
Kind nimmt lebhaft an der Umgebung teil, spielt, lacht, kreischt und
vermehrt seinen Sprachschatz langsam. Meldet Harn und Stuhl
pünktlich an. %
4 Jahre alt: Zur Zeit ist der Zustand angesichts der schweren
Erkrankung als ein befriedigender zu bezeichnen. Die Intelligenz des
Kindes macht dauernd Fortschritte, er nimmt an der Umgebung leb¬
haften Anteil, bereichert seinen Sprachschatz zusehends und plappert
fortwährend, wenn auch die Sprache noch recht undeutlich ist. Den
Kopf balanciert er gut, kann sich aber, noch nicht auf richten und nur
mit Unterstützung sitzen. Auch macht er nur vergebliche Geh¬
versuche. Ich zweifele aber nicht, daß er in ein bis zwei Jahren
laufen lernen wird. Endlich kann man hoffen, daß er auch später in
der Schule oder wenigstens in der Hilfsschule bildungsfähig sein
wird. So kann man wohl zum Schluß die Meinung haben, daß die
aufgewendete Mühe nicht vergeblich gewesen, ist.
Tabelle des Kopf- und Brustumfanges.
Kopfumfang
Kopfumfang
Brust umfang
Brustumfang
des Patienten
normal
des Patienten
normal
4 Monate . . .
. . 50 cm
41 cm
38
39 cm
7 Monate . . .
. . 57 cm
43,5 cm
43 er»
43 cm
1 Jahr .
. . 62 cm
45,0 cm
45 enit
46 cm
IVa Jahre . . .
. . 63 cm
46,9 cm
48 cm\
45 ent
2 Jahre ....
. . 65 cm
48 cm
52 cm .
47 cm
3 Jahre ....
. . 66 cm
48 cm
52 cm ‘
47 cm
4 Jahre ....
. . 68 cm
50 cm
—
Zustand der Fontanelle
\
Länge
Breite ,
L^nge
Breite
11 Monate . .
. 8 cm
13 cm 3 Jahre
. 5 '.cm
8 cm
16 Monate . .
. 16 cm
11,5 cm | 4 Jahre
8 cm
1 Jahr 7 Monate
8 cm
11,5 cm j
\
II. Hydrocephalos chronicus syphiliticus. \
In dem zweiten vorgestellten Falle handelt es sich unn ätiologisch
anders zu bewertendes Krankheitsbild, um einen Hydrbcephalus
syphiliticus, eine Affektion, die besonders durch Hocto singer )
eine Bearbeitung gefunden hat. \ , ,
Käte S., zur Zeit 2 Jahre 6 Monate alt, ist von der dritten Lebens¬
woche in meiner Beobachtung. Sie ist das erste Kind der Kltern (nur
eine Gravidität), rechtzeitig geboren, war ausgetragen und gut ent¬
wickelt. Bei dem Brustkinde, das sich, wie aus der Gewi^tskurve
zu ersehen ist, gut weiter entwickelte, sind bei allwöchentlicher Kon¬
trolle niemals Symptome von Syphilis bemerkt worden. Im Alter von
sechs Monaten fiel der Assistentin die Größe des Kopfumfaißges aut
(46,5 cm, normal 42,7). Im Alter von 9 Monaten betrug def Kopt-
umfang 49 cm (normal 45,3 cm). Da stellte sich ohne besondere Vor¬
boten oder Begleiterscheinungen eine Lähmung der linken (oberen
Extremität ein. Der Status war damals folgender: Recht gpt ent¬
wickeltes Kind, Fontanelle noch offen, kein Zahn, geringe Epirthysen*
schwellung. Rechts besteht Strabismus internus. Pupillen gleich weit,
reagieren auf Licht. Die Muskulatur der linken oberen Extlremitat
ist im spastischen Zustande; der Vorderarm befindet sich in jProna-
tion, Fingerbewegungen werden ausgeführt, der Daumen ist Im
Hohlhand geschlagen, die übrigen Finger werden gespreizt! D ,e
Patellarreflexe' sind beiderseits erhöht, Babinski fehlt. Oflmtnai-
moskopisch: Beide Papillen sind etwas blaß. Wa.R. stark i*ositiv.
Beginn der antisyphilitischen Kur. 1
Mit 1 Jahr 2 Monaten wird konstatiert: Kind ist gut gedilp en
Kopf unförmlich, Umfang 54 cm (normal 46,2 cm). Oben und
zwei Schneidezähne, Kind sitzt allein, stellt sich aber noch nicht laut.
Keine Symptome von Syphilis. Linker Vorderarm noch spastilpi-
paretisch. Reflexe erhöht, Wa.R. negativ. Ophthalmoskopisch: Beicltf-
seits temporale Abblassung der Papillen und feinfleckige Pigmenlr
rung der Peripherie (wie typisch für Lues congenita). Ob der StrabiV
mus spezifisch ist, ist nicht zu entscheiden. Der Vater schielt auclf
Patientin hat sich nun im ganzen leidlich gut weiterentw'ickelfj
Mit etwa zwei Jahren fing sie an selbständig zu laufen, die Sprach-^
entwicklung ist gut fortgeschritten, auch die Intelligenz läßt nichts
zu wünschen übrig. Das Kind ist musikalisch recht veranlagt. Nur
l ) StudierTüber hereditäre Syphilis 1904..TI. 2.
Digitized b"
v Google
Original frorn
CORNELL UNIVERSUM
19. Mai 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
657
ist es sehr ängstlich und scheu, namentlich Aerzfen gegenüber.
Krampfe sind bisher nicht auftgetreten. Das Kind hat drei spezifische
Kuren durchgemacht und blieb frei von syphilitischen Symptomen.
Drei Kuren wurden vorgenommen, das erste Mal mit Hg und
Neosalvarsan, die beiden folgenden Male aus Abneigung gegen das
Spritzen nur mit Hg (Schmierkuren). Die Wa.R. blieb nach der
ersten Kur stets negativ.
Der Kopf mit seiner „olympischen Stirn“ ist groß und unförmig;
noch immer ist der Kontrast zwischen Hirn- und Gesichtsschädel auf-
fällig.
Maße des Kopfumfanges und des Brustumfanges.
Kopfumfang
der Patientin
Kopfumfang
normal
Brustumfang
der Patientin
Brustumfang
normal
6 Monate.
. . . 46,75 cm
42,7 cm
_
—
9 Monate .
. . . 49 cm
453 cm
45 cm
44 cm
14 Monate.
. . . 54 cm
46,2 cm
48 cm
45,9 cm
20 Monate.
. . . 54 cm
463 cm
51 cm
46 cm
29 Monate.
. . . 57 cm
483 cm
54 cm
47 cm
Körperlängc mit 27a Jahren: 88,5 cm (normal 88 cm).
Unter meinen Krankengeschichten befinden sich noch sechs Fälle
von Hydrocephalus syphiliticus, die ich hier ganz kurz im
Auszug wiedergebe. Sie sind sämtlich einwandfrei als Fälle syphili¬
tischer Provenienz anzusehen. Auch ist bei sämtlichen die ophthal¬
moskopische Untersuchung vorgenommen worden.
Fall I. Herbert Pr., 3 Monate alt. Im Alter von 7 Wochen
an Lues congenita aufgenommen und behandelt. Fontanelle groß.
Kopfumfang 38 cm. (Kind fixiert, Nystagmus verticalis, Blickebene
nach unten gerichtet, sehr enge Netzhautgefäße, Papillen sehr blaß,
leichter Spasmus in den untern Extremitäten, Patellarreflexe erhöht,
Babinski positiv.) 4 Jahre alt: Patient hat erst mit drei Jahren laufen
gelernt, Intelligenz stark herabgesetzt, Sprache sehr undeutlich. Pa¬
pillen beiderseits blaß, Netzhaut durch zahllose feinste Flecken ein
marmoriertes Aussehen darbietend (Retinitis specifica). 9 Jahre alt:
Kopfumfang 54 cm, Intelligenz sehr stark herabgesetzt, besucht die
Hilfsschule.
Fall II. Johann K„ 3 Monate alt. Im Alter von sechs Wochen
mit florider Syphilis aufgenommen und behandelt. Kopfumfang 38 cm,
Fontanelle gespannt, Kopfvenen injiziert. Beiderseits Neuritis optica
mit beginnender Abblassung der Papillen. Dauernd Krampfanfälle.
Patient verblödet allmählich und stirbt 1 Jahr alt.
Fall III. Herbert Kl., 4 Monate alt. Im Alter von 7 Wodien
wegen Lues congenita aufgenommen und behandelt. Letzte Nacht
ein Krampfanfall. Fontanelle gespannt. Gräfesches Symptom, Spas¬
mus in der Muskulatur der Glieder. Papillen beider Augen hyper-
ämisdi, Farbe rotgrau. Exitus am folgenden Tage.
Fall IV. Herbert Sch., 4Vs Monate alt. Vor zwei Wochen
wegen Lues congenita aufgenommen, Fontanelle gespannt, Blickebene
nach unten gerichtet. An beiden Augen Stauungspapille mit Uebergang
in Atrophie.
Fall V. Stephan P., 5 Monate alt. Kopfumfang 44 cm, Nähte
klaffen, Protrusio bulbi beiderseits, die unteren Extremitäten beider¬
seits spastisch, beiderseits Papillen ganz verwaschen, links einzelne
gelbe Flecken auf dem Augenhintergrund.
Fall VI. Willy B., 7 Monate alt. Früher an Lues congenita
behandelt, Kopfumfang 45,5 cm, Spasmus in den unteren Extremi¬
täten, beiderseits Neuritis optica. Im Alter von 7 Jahren Keratitis
interstitialis. Mit 14 Jahren ganz gut entwickelt. Intelligenz kaum
unter der Norm.
Der syphilitische Hydrozephalus wird gewöhnlich erst nach dem
Abklingen der ersten klassischen Erscheinungen beobachtet, seltener
tritt er gleichzeitig mit dem letzteren auf. Noch ungewöhnlicher ist
es aber wie bei dem vorgestellten Fall, daß die Affektion so spät (im
neunten Lebensmonat) vorkommt, ohne daß bei sorgfältiger Beob¬
achtung vorher Symptome von Lues congenita gesehen wurden. Hier
muß dann eine genaue Anamnese, die ophthalmoskopische Unter¬
suchung und die Wa.R. die wirkliche Natur des Leidens enthüllen.
Die Prognose des syphilitischen Hydrozephalus ist im allgemeinen
keine günstige. Ein Teil der Kinder geht, ohne daß auch eine
energische antisyphilitische Behandlung etwas ausrichtet, an den
zerebralen Erscheinungen zugrunde. Gänzliche Ausheilung ist selten.
Die meisten Patienten behalten zum mindesten dem Grade nach ver¬
schiedene Intelligcnzdefekte und werden starke Neuropathen, die für
ihre Familie eine große Last bilden. Niemals sollte aber nach der
Diagnosestellung eine langdauernde energische Kur verabsäumt wer¬
den, um zu retten, was zu retten ist.
Aus der I. Medizinischen Abteilung des Krankenhauses
München-Schwabing. (Direktor; Prof. Kerschensteiner.)
Zur Kropffrage.
Von Dr. Erwin Miesbach, Assistenzarzt.
Kürzlich wurde aus der Schweiz mitgeteilt, daß das Land kropf-
frei sei. Dabei wurde auf den Zusammenhang des Vorkommens
endemischen Kropfes in den einzelnen Kantonen der Schweiz mit
deren Salz Versorgung hingewiesen. Sämtliche Kantone, welche von
den Rheinsalinen mit Salz versorgt würden, seien verkropft, nur
der Kanton Waadtland sei frei, weil er wenig raffiniertes Salz aus
der stark jodhaltigen Salzquelle von Bex bezöge, wo der Liter Sole
0,011 g, der Liter Mutterlauge 0,201 g Jodmagnesium enthalte. Die
Enklaven des benachbarten Kantons Freiburg in Waadtland and
kropfreich, weil in diesen Enklaven Rheinsalinensalz konsumiert wird.
Kropf.arm trotz Bezuges von Rheinsalinensalz sei nur der Kanton
Genf, was aber damit zu erklären sei, daß die Mutterlauge der
Bexsaline in die Rhone gegossen werde und mit dieser in den
Genfer See gelange, aus dem Genf sein Trinkwasser schöpfe.
Diese Beobachtungen, welche vornehmlich von Dr. Heinrich
Hunziker in Adliswil gemacht worden sind, haben in der Schweiz
großes Interesse erweckt. Man hat sofort sein Hauptaugenmerk
auf das Jod gelenkt. Praktische Vorschläge, die man ausarbeitete,
hat man bald in die Tat umgesetzt und hat Schokolade-Jodosterin-
tabletten an Schulkinder verteilt. Eine schweizerische Kropfkom¬
mission, welche aus einem Kollegium von Medizinprofessoren und
praktischen Aerzten bestand, hat sich am 21. I. 1922 in Bern für
die Vollsalzprophylaxe ausgesprochen und sich auf eine Jodbei¬
mischung zum Salz geeinigt, welche einer Tagesdosis von einem
l /io mg Jod gleichkommt. Am 20. II. 1922 hat die Regierung von
Appenzell auf eine Petition von 4087 Einwohnern die ihr von der
Sanitätskommission vorgelegten Anträge angenommen und beschlos¬
sen, daß der Verkauf des jodisierten Vollsalzes gestattet sei und
auf dem Monopolwege zu erfolgen habe.
Bei uns in Bayern, das doch mit Kröpfen auch reich gesegnet
ist, scheinen diese Entdeckungen bisher wenig Beachtung zu finden.
Lediglich die Münchner Schulärztin Johanna Kraeuter ist mit
einem Aufsatz in der M. m. W. vom 13. I. 1922 hervorgetreten, in
dem sie die allgemein bei .Schulkindern durchgeführte Prophylaxe
mit kleinen Jodgaben empfahl.
Bildet nun wirklich das Kochsalz die ausschlag-
ebende und einzige Rolle bei der Entstehung des en-
emischen Kropfes, und sind die seit Jahren immer
wieder verfochtenen Boden- und Wassertheorien voll¬
kommen über Bord zu werfen?
Hinsichtlich der Salztheorie dürfte zunächst die Frage aufzuwerfen
sein. Wie steht es denn mit der Salzversorgung in anderen Ländern
als in der Schweiz, hat hier auch die Art und Menge des ge¬
nossenen Salzes einen Einfluß auf die Größe der Schilddrüse?
Es ist vielleicht nicht allgemein bekannt, welche Herkunft das
Salz in den einzelnen Ländern hat.
Salz ist ein Mineral, das in allen bewohnten Erdteilen vorkommt.
Nur das Innere Afrikas hat kein Salz. Dort gilt Salz als ein Luxus¬
artikel, findet es ausschließlich am Tische der Reichen und dort
nur bei festlichen Angelegenheiten. Ich konnte keine Angaben dar¬
über finden, daß die Neger Zentralafrikas mit Kröpfen besonders
behaftet seien. Alle anderen bewohnten Gegenden des Erdballes
werden ausreichend mit Salz versorgt. In Ländern mit Meeres¬
küste und hohen Lufttemperaturen wird das Salz aus dem Meer
gewonnen als Meersalz, fast in ganz Asien aus den vielen und
großen Salzseen als Seeensalz, in Indien zum Teil auch durch berg¬
männischen Abbau von unterirdischen Salzlagem als Steinsalz; Nord¬
amerika hat Stein- und Siedesalz. Letzteres wird durch Versieden
künstlicher oder natürlicher Solen gewonnen. Südamerika hat Meer-,
Seeen- und Steinsalz. In Europa wird in allen Ländern mit wärmeren
Küsten Meersalz produziert, Frankreich und Spanien beuten da¬
heben auch Steinsalzlager aus, England und das jetzige Oesterreich
dürften ausschließlich reines oder versottenes Steinsalz beziehen.
Deutschland nimmt sein Salz aus 3 großen Salzreservoirs. Das
nördliche liegt in Thüringen und der Provinz Sachsen und reicht von
Bayerisch-Mellrichstadt bis in die Gegend von Staßfurt; das west¬
liche zieht von Rheinfelden in der Schweiz mit seinen oben er¬
wähnten Rheinsalinen über Rotweil, Heilbronn, Hall in Württemberg
nach Kitzingen. Das dritte ist jenes von Berchtesgaden, welches
zum Salzkammergut gehört.
Norddeutschland wird versorgt mit Steinsalz von dem Staß-
furter Becken und daneben vorwiegend mit Siedesalz von den zahl¬
reichen Salinen der norddeutschen Tiefebene. Württemberg und
Baden mit Siedesalz aus seinen eigenen Salinen, welche aber künst¬
lich in den Steinsalzlagem bereitete Sole verwenden. In Bayern
sind zwar die Versorgungsgebiete nicht genau abzugrenzen, da ver¬
schiedene Orte nicht zu jeder Zeit mit einem und demselben Salze
versorgt werden, im großen und ganzen dürfte Südbayern und die
südliche Oberpfalz bayerisches Salz haben, welches durch Sinkwerk¬
betrieb in Berchtesgaden gefördert und dann in den Salinen Traun¬
stein, Reichenhall und Rosenheim versotten wird. In Mittel- und
Unterfranken wird hauptsächlich württembergisches, in Oberfranken
und der nördlichen Oberpfalz norddeutsches Salz konsumiert.
Haben wir in den verschieden mit Salz versorgten
Gegenden, Kreisen oder Bezirken Unterschiede in der
Häufigkeit der Kröpfe?
Wir wissen, in ganz Norddeutschland, in den skandinavischen
Ländern, in England, in den meisten Departements Frankreichs sehen
wir überall schlanke Hälse, in den fränkischen Kreisen Bayerns
haben wir wenig Kröpfe, dagegen sind Südbayern, Oesterreich, die
Schweiz und die gebirgigen Gegenden Frankreichs die Heimat der
Strumen. Aus anderen Ländern und Erdteilen stand mir kein ein¬
wandfreies statistisches Material zur Verfügung; es ist aber seit
altersher bekannt, daß Kröpfe in den gebirgigen Gegenden aller
Weltteile auftreten, und zwar meist um so stärker, je weiter diese
Gegenden von einem Meere entfernt sind.
Sollte das Salz aus Gebirgsformationen anders zusammengesetzt
sein als solches aus anderer Gegend? Die Formation, in der unser
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
658
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 20
bayerisches Salz lagert, wird als Haselgebirge bezeichnet und stellt
einen salzhaltigen Ton dar, in Württemberg kommt es im Muschel¬
kalk, ebenso natürlich in der Schweiz vor, in Thüringen im Zechstein.
Heutzutage ist kaum einer der Geologen im Zweifel darüber, daß
alle aufzufindenden Salzlager ihren Ursprung im Meerwasser haben.
Das uns interessierende Jod findet sich im Meerwasser, und zwar
in 1000 Teilen Meerwasser 0,0024 Jodnatrium und Jodmagnesium.
Bei Bildung der Salzlager muß aber berücksichtigt werden, daß die
verschiedenen Salze des Meeres, je nach ihrer Löslichkeit, sich in
verschiedenen Schichten absetzten, und zwar kamen auf das CINa
das schwefelsaure Mg, dann das Chlorkaii und ganz zil oberst die
Brom- und Jodsalze zu liegen. Diese leicht löslichen Sala sind aber,
nachdem der Mutterlaugenspiegel des durch eine Barre von der
offenen See abgetrennten auskrystallisierenden Salzsees die Barren¬
höhe wieder erreicht hatte, in ihrer Hauptmasse ins Meer wieder
zurückgeflossen.* Die übrigen, über dem CINa zurückgebliebenen
Salze werden als Abraumsalze bezeichnet und finden sich bekannt¬
lich in Staßfurt, nicht aber in den württembergischen, schweizerischen
und bayerisch-österreichischen Salzlagern.
Nach Ochsenius fehlt Jod selbst in diesen Mutterlaugen oder
Abraumsalzen, Henrv dagegen behauptet, daß fast jedes Steinsalz
Jod enthalte. Jedenfalls ist es hierin nur mehr in so geringen Spuren
voihanden, daß bis heute dem Jod im Steinsalz nur sehr wenig
Beachtung geschenkt wurde. Dazu kommt, daß das bißchen Jod,
welches allenfalls versprengt im Steinsalz vorkommt, durch das Ver-
sieden des Salzes noch mehr verringert, wenn nicht ganz entfernt
wird.
Ich habe versucht, in der Reichenhaller Sole und Mutterlauge
Jod nachzuweisen. Es wurde zunächst die Mutterlauge durch Ab¬
dampfen weiter konzentriert und ein Teil der Salze auskristalli¬
siert, der Rückstand wiederholt mit Alkohol ausgezogen, welcher
die evtl. Jodsalze lösen müßte. Die Lösung wurde bei mäßiger
Hitze abgedampft und etwas Wasser zugesetzt, sodaß die Salze
nach dem Verdampfen des Alkphols im Wasser gelöst blieben.
Schwefelsäure mit etwas Untersalpetersäure wurde zugesetzt und
Stärkekleister beigegeben. Es konnte keine Blaufärbung beobachtet,
Jod also auch nicht mit dieser empfindlichen Reaktion nadigewieseu
werden. Ich habe dieselben Untersuchungen angestellt mit ver¬
schiedenen Salzsorten aus dem thüringischen Becken, welche mir
von der hiesigen Firma Barbarino & Kilp in gütiger Weise über¬
lassen worden sind. Ich hatte auch hier ein negatives Resultat.
Jedenfalls handelt es sich hier im Steinsalz und der Mutterlauge
von künstlichen Solen um allerkleinste Jodmengen.
Liebig hat nach einem anderen Verfahren Reichenhaller Mutter¬
lauge eingedampft und im Extrakt 0,00065 o/o Jodnatrium gefunden.
Von anderer Seite wurden in salzhaltigen Siededämpfen von würt¬
tembergischen Solen Spuren von Jod nachgewiesen. In den meisten
natürlichen Solen ist Jod in geringen Mengen vorhanden, man kann
sie bald mit Jodkalium, bald mit Mg. gebunden bestimmen. Sie
bleiben bei ihrer leichten Löslichkeit zur Hauptmasse wohl in der
Mutterlauge, aus anhaftender Sole dürften aber doch geringe Mengen
ins Kochsalz kommen. Meersalz ist nach Chat in jodhaltig.
In Norddeutschland wird Steinsalz aus dem thüringischen Lager
oder Siedesalz aus natürlichen Solen konsumiert. Kleinste Mengen
von Jod dürften also bei dieser Art von Salzzufuhr dem Körper
einverleibt werden. Ob solche kleinste Mengen tatsächlich schon
enügen, um den Jodbedarf des Körpers und insbesondere der
chiladrüse zu decken, läßt sich heute schwerlich entscheiden. In
Norddeutschland stehen nämlich noch eine ganze Reihe von anderen
Jodspendern zur Verfügung. So ist zunädist das Wasser als ein
Jod zuführendes Element anzusprechen. Chatin hat angegeben,
daß am jodreichsten die Wasser aus vulkanischen Gebirgsarten,
dann die aus grüner Kreide und eisenhaltigen Oolithen, ärmer die
aus Steinkohlenformationen, sehr arm die aus Kalk- und Magnesia¬
formationen sind. Vulkanische Gebirgsarten haben wir meines Wis¬
sens in Deutschland im Bayerischen Wald, im Fichtelgebirge, in der
Rhön, im Siebengebirge, in der Eifel, am Vogelsberg; grüne Kreide
in der Gegend von Regensburg, in Sachsen und in Norddeutschland,
eisenhaltigen Oolith im fränkischen Jura, Steinkohlenformation im
Rheinland, Oberschlesien, Saargebiet und Pfalz, Kalk im fränkischen
und württembergischen Jura und zusammen mit Magnesia in unseren
nördlichen Kalkalpen.
Wir Südbayern würden also auch in dieser Beziehung am- schlech¬
testen abschnetden.
Chat in hat aber weiterhin festgestellt, daß die von Gletschern
und Schneefeldem gespeisten Flüsse arm an Jod sind. Das Flu߬
wasser enthält gleichmäßiger Jod als das Quellwasser, und in beiden
um so weniger Jod, je mehr Erden sie enthalten. Bekanntlich sind
unsere bayerischen Wasser südlich der Donau sehr hart. Mit Cha-
tins Feststellungen können verschiedene Beobachtungen in Einklang
gebracht werden, welche nach Enderlen über das Vorkommen der
Strumen gemacht worden sind. Der geringe Gehalt des Quellwassers
an Jod erklärt, daß manchmal der oberere Teil eines Wasserlaufes
kropfverseucht ist, während die flußabwärts gelegenen Siedelungen
frei sind. Eine reichlichere Speisung der Flüsse mit Gletscher- und
Schneewasser könnte im Frühling und Vorsommer einen Einfluß
auf das Auftreten und Zurückgehen des Kropfes haben.
. U er Hinweis Th. Kochers, daß Wirtskinder wenig oder keine
Kröpfe haben, besagt nichts anderes, als daß der Wein eben meist
aus einer anderen Gegend als das Wasser stammt.
Das berüchtigte sog. Kropfwasser macht Kröpfe, weit es der
Schilddrüse das notwendige Jod vorenthält. Nach den Versuchen
von Hartmann, Hirscnfeld und Klinger entstanden bei Ratten
nach Tränkung mit Kropfwasser in kropffreier Gegend keine Kröpfe,
im endemisdien Kropfgebiet bekamen sie einen Kropf, auch wenn
nur destilliertes Wasser verabreicht wurde.
Solchen Versuchsresultaten gegenüber dürfte die
Theorie von einem Kropfvirus endgültig verlassen
werden, anderseits kann das Wasser allein nicht die
Noxe sein.
Die Luft in Ländern, soweit in dieselben durch den Wind noch
Meeresluft getragen werden kann, ist jodreicher. Chatin fand, dafi
in 100 Liter Luft in Paris 0,0013 mg Jod, an der See 0,0167 mg Jod,
in den Alpenländern die Luft sehr arm an Jod war.
Die im Meer lebenden Tiere und Pflanzen assimilieren das Jod
in größerer Menge in Form von KJ, NaJ, CaJ 2 und MgJ 2 . Besonders
jodreich sind die Algen, von Tieren die Austern und dann der
Lebertran aus den Lebern der Schellfische, worauf vielleicht zum
Teil seine Heilwirkung beruht. Weiterhin ist zu berücksichtigen,
daß die Seefische, welche bei der Ernährung der nordischen Be¬
völkerung eine gewichtige Rolle spielen, meist mit Meersalz, also
mit jodhaltigem Salz, gesalzen werden.
Bei Seebädern soll eine Jodaufnahme direkt durch die Haut
erfolgen könpen. Gallard in Paris hat durch Versuche an Kanin¬
chen nachgewiesen, daß das Jod des Meerwassers durch die Haut
in den Körper eindringt und von den Eingeweiden, besonders vom
Gehirn aufgenommen wird, wobei vegetarische Kost diese Jod¬
aufnahme begünstigen soll.
Aber nicht nur in Meerespflanzen und -tieren, wir finden das
Jod auch in Landpflanzen, und zwar sind die Süßwasserpflanzen
und die darin lebenden Tiere, namentlich Krebse, jodreicher als die
reinen Landpflanzen. In waldigen Gegenden werde dem Wasser
durch die Pflanzen das Jod entzogen. Marchand behauptet, daß
auch dieses Jod in den Landpflanzen maritimen Ursprungs sei und
ihnen mit dem Wasserdampf vom Meere her zugeführt werde. Io
gebirgigen Gegenden ist der fodgehalt der Land- und Süß Wasser¬
pflanzen bedeutend geringer als an anderen Orten. So ist Nastur-
tium offirinale, die Wasserkresse, jodhaltig, jene aus dem Züricher
See aber nicht. Von Getränken und Nahrungsmitteln sind jodhaltig
Wein, Birnwein verschieden nach dem Terrain, auf dem sie wachsen,
dann Milch und Eier.
Zusammeafassend kann heute schon gesagt werden, daß alle
Länder abseits vom Meere mit gebirgiger Gegend, insbesondere
unsere Alpenländer, durch Jodarmut im Salz, in Wasser und Pflanzen
ausgezeichnet sind.
Diese Feststellung leidet keine besondere Beeinträchtigung durch
den Umstand, daß wir in Bayern ein paar stärkere Jodquellen be¬
sitzen. Diese Jodquellen treten ganz isoliert in bestimmten Gesteins¬
schichten auf, lind wie in Reichenhall dicht bei den Solquellen eine
stärkere Süßwasserquelle entspringt, so hat auch die Tölzer oder
die Sulzbrunner Jodquelle auf die dortige Trinkwasserbeschaffenheit
keinen Einfluß. Der Abfluß dieser Quellen muß freilich nach der
Isar bzw. dem Lech erfolgen. Bei den geringen Wassermengen dieser
Quellen aber findet in den Flüssen eine so reichliche Verdünnung
statt, daß nach den Untersuchungen von A. Schwager in 1000
Teilen Isar- bzw. Lechwasser kein Jod nachgewiesen werden konnte.
Alles spricht dafür, daß Jodmangel bei uns in
Bayern das häufige Vorkommen der Strumen bedingt.
Ob hier preußisch-thüringisches Salz mit seinem sicher auch nur
sehr geringen Jodgehalt Abhilfe schaffen kann, ist fraglich, und
ein solcher Nachweis könnte erst geliefert werden, wenn längere
Zeit in Gegenden mit ausgesprochen endemischem Kropf norddeut¬
sches Salz zur Verausgabung käme.
Gegen den Jodhunger sucht sich jedenfalls die Schilddrüse mit
einer Vergrößerung und Wucherung des ganzen Organs in unzu¬
länglicher Weise zu helfen.
E. Bau mann fand, daß in Freiburg mit seinen Kröpfen das Ge¬
wicht der Sphilddrüse das höchste und ihr Jodgehalt der niedrigste
war, während in Berlin und Hamburg mit seinen Schwanenhälsen
das umgekehrte Verhältnis sich herausstellte.
Nach den Experimenten von Kocher kann man in Wasser¬
behältern, in denen Fische kropfig geworden waren, die Kröpfe
durch Einbringen von geringen Jodmengen in diese Wasserbehälter
wieder zum Verschwinden bringen.
In gleichem Sinne sprechen die günstigen Resultate des Forschers
an der Reserve University in Cleveland in Ohio Marine und des
schweizerischen Hygienikers Klinger, welche in kropfverseuchten
Gegenden Schulkindern kleine Jodgaben verabfolgt haben.
Es ist daher höchst bedauerlich, daß der Vorschlag der Münchner
Schulärztin Kraeuter, auch in unseren bayerischen Schulen Jod
prophylaktisch zu geben, bei unseren Schulärzten bis jetzt keine
Aufnahme gefunden hat. Die empfohlenen Mengen sind so gering,
daß sie wirklich als unschädlich bezeichnet werden können.
Daß diese prophylaktischen Maßnahmen ein „Therapietreiben“
der Schulärzte in den Schulen bedeuten und werden könnten, solche
Bedenken dürften von ernsthafter Seite nicht erhoben werden.
Schließlich wäre der Frage nach Herstellung eines jodisierten
Salzes, welches die gleichmäßige Belieferung einer Bevölkerung ,n
jodarmer Gegend am sichersten garantieren würde, auch bei uns
in Bayern von fachmännischer Seite näherziitreten.
Digitized b'
Google
Original from
CORNELL UNiVERSITV
19. Mai 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
659
Die multiple Neuritis in und nach dem Kriege.
Von Dr. Albert Knapp m Düsseldorf.
Die Polyneuritis ist durch den Krieg und seine Folgen eine
häufige und interessante Krankheit geworden, die in dinerential-
diagnostischer Beziehung für den praktischen Arzt erheblich an Be*
deutung gewonnen hat. Früher haben wir sie bei einem großen
klinischen und poliklinischen Krankenstand selten diagnostiziert, wäh¬
rend und nach dem Kriege dagegen gehörte sie in der ambulanten
Lazarettpraxis, in den Kriegs- und Keservelazaretten und in der
Krankenkassenpraxis zu den häufigsten Erkrankungen.
Besonders sind es die abortiv verlaufenden Fälle und
die rudimentären Krankheitsbilder, die man sehr viel häufi¬
ger als früher zu Gesicht bekommt.
Als Hauptursache der Zunahme dieser früher seltenen und in der
Mehrzahl der Fälle toxisch bedingten Erkrankung ist die veränderte
und ungenügende Ernährung anzusehen. Unsere alten Hausärzte
hatten nicht so ganz unrecht, wenn sie meinten, daß man die Nerven
in Fett einwickeln müsse. Sicherlich ist es besonders der lange
dauernde und noch jetzt nicht völlig behobene Fettmangel ge¬
wesen, der zu Ernährungsstörungen und Substanzverlusten auch der
Nervenstämme geführt und eine Fettunterbilanz in diesen be¬
wirkt hat. Die Folge davon war, daß die während des Krieges in
reichem Maße dem Körper zugeführten Reizstoffe ihre toxische Wir¬
kung ungehemmter entfalten konnten.
1. Der Alkohol ist in seiner Rolle als ursächlicher Faktor für
die Ausbildung der Neuritis während des Krieges im allgemeinen
ganz erheblich zurückgetreten. Anderseits sind an der Front und
besonders auch nach der Revolution trotz des seltenen Alkohol¬
genusses wegen der Alkoholintoleranz des geschwächten Organismus
bei gesteigerter psychischer Spannung und Erregung und bei ver¬
mehrter psychischer Anstrengung nicht wenige einer Alkohol¬
neuritis zum Opfer gefallen.
2. Eine ganz ungeahnte Bedeutung für die Aetiologie
der Neuritis hat das Nikotin gewonnen. Es hat während
des Krieges und nach dem Kriege wegen des Rückganges der Alkohol¬
produktion vielfach an Stelle des unerreichbaren Alkohols die Rolle
des Reizmittels übernommen. Es ist also in erster Linie die quanti¬
tative Zunahme des Tabakgebrauches, was die Zunahme
der Nikotinneuritis verschuldet hat. In zweiter Linie ist die Ver¬
schlechterung der Qualität und der Zubereitung des
Tabaks daran schuld. An dritter und nicht unwichtigster Stelle
aber kommt eine Zunahme der individuellen Disposition
zu Nikotinvergiftungen in Betracht. Viele, die früher den
Tabak instinktiv abgelehnt hatten, haben in der Verzweiflung und
aus Hunger nach Reizmitteln nach diesem greifen gelernt, gerade
weil sie körperlich reduziert und nervös erschöpft oder überreizt
waren. „Je mehr aber ein Mensch sich geistig konsumiert, um so
gefährlicher für ihn sind Alkohol und Nikotin“ nach v. Frankl-
Hochwart Wie eine gewisse durch die Zivilisation und ihre
Einflüsse geschaffene Disposition zur Nikotinintoxikation gehört, so
ist diese Disposition durch die schwächenden und erregenden Ein¬
flüsse der Kriegs- und Nachkriegszeit nur erhöht worden. Sowohl
die akute, wie die chronische Nikotinpolyneuritis ist
mir häufig begegnet; die ätiologische Diagnose läßt sich durch den
Heilerfolg des Rauch- (und Kau-)Verbotes öfters absolut sicher er¬
weisen.
3. Von großer ursächlicher Wichtigkeit ist die Kohlenoxyd¬
gasvergiftung. Es lag für mich nahe, den Kohlenoxydneuri¬
tiden besondere Aufmerksamkeit zu schenken, weij ich selbst eine
derartige Vergiftung an der Front durchgemacht habe. Ich wurde in
einem nalbvenassenen Dorf an der Siegfriedfront von einem versteck¬
ten Franzosen besinnungslos aus meinem Quartier herausgeholt,
laubte aber die Gefahr nach einem scharfen Ritt in der Winter-
älte glücklich überstanden zu haben, da sich Kopfschmerzen, Schwin¬
del, Benommenheit und Uebelkeit völlig verloren hatten. 50 Stunden
später bekam ich den ersten Anfall einer Polyneuritis.
Bekanntlich ist unsere Gasmaske gegen Kohlenoxyd wirkungslos.
Audi wenn die Kohlenoxydwirkung nicht tödlich, sondern zunächst
gering und fast unmerklich war, kann sie die Nervensubstanz noch
schädigen. Noch jetzt kommen chronische Neuritiden oder Rezidive
von akuten Polyneuritiden vor, die durch Kohlenoxydvergiftung im
Feld verursacht oder wenigstens mit verschuldet sind. Möglicher¬
weise kommen auch noch andere Kampfgase als die Entstehung einer
Polyneuritis befördernd in Frage.
4. In mehreren Fällen habe ich nach Typhusschutzimpfun-
en, wie es auch nach Tollwutschutzimpfung vorkommt, Neuritiden
er Interkostales der zur Injektion gewählten Brusthälfte und des
Plexus brachialis beobachtet, auch wenn eine direkte Verletzung der
Nervenstämmchen durch die Nadel sicher auszuschließen war. Die¬
jenigen Fälle, welche ich zu behandeln und zu verfolgen Gelegen¬
heit hatte, haben sich nach anfänglicher beträchtlicher Schmerzhaftig¬
keit durch günstigen Verlauf ausgezeichnet.
5. Die ursächliche Rolle der Erkältung und Durch¬
näss ung für die multiple Neuritis hat im Krieg natürlicherweise
erheblich an Bedeutung gewonnen. Zufälligerweise bin ich von
Bielefeld aus 1909 von zwei Offizieren nach Oeynhausen und Han¬
nover zur Konsultation gebeten worden, die beide seit dem Jahre
1870 als Tabiker behandelt worden waren. Der erste hatte den
ersten Anfall seiner in Schüben verlaufenden Krankheit einem Ein¬
bruch durchs Eis der Loire zu verdanken und hat am Tag, nachdem
ihn seine Leute mit Hilfe der Bajonette aus Eis und Wasser gezogen
hatten, sich von der Beteiligung an einem zweiten Sturmangriff
nicht abhaiten lassen, obwohl seine erfrorenen Füße nur mit Stoff¬
resten umwickelt waren. Die sehr energische und temperamentvolle
Gattin hatte tapfer ihre Zweifel an der Diagnose mehrerer Bade¬
autoritäten aufrechterhalten, die wegen hochgradiger Ataxie, Fehlens
der Beinreflexe, Erblindung durch Optikusatrophie und psychischer
Störungen entschuldbar war, und es gelang in der Tat, durch partielle
Entartungsreaktion im Peroneusgebiet auch den zuletzt behandelnden
Badearzt von dem polyneui irischen Charakter des komplizierten Krank¬
heitsbildes zu überzeugen. Der Kranke hatte übrigens auch die bei
Polyneuritis seltene Akustikusneuritis und litt an psychischen Störungen,
aber nicht an Korsakowschem Syndrom.
Den zweiten Kranken fand ich in seinem Lehnstuhl vor, als er
einen Primaner auf das Abitur vorbereitete, eine Beschäftigung, der
er seit vielen Jahren aus Liebhaberei oblag. Er war Lehrern und
Schülern durch seine guten Erfolge bekannt, bei einem ööjährigen
Major a. D. eine von großer geistiger Frische zeugende Ruhmesquelle.
Auch bei ihm handelte es sich um eine Pseudotabes polyneuritica,
deren erster Anfall infolge einer hochgradigen Durchnässung und
Durchkältung bei einem Flußübergang im Winter zustandegekom-
men war.
Bei dem monate- und jahrelangen Aufenthalt in den feuchten
Unterständen an zahlreichen Abschnitten der Front war der Aus¬
bruch einer Durchnässungsneuritis nicht zu verwundern. Bei
meinem Bataillonsstab erkrankten außer mir zwei Offiziere, mein
Bursche und der Koch an einer multiplen Neuritis rheumatischer
Aetiologie. Häufig ist freilich „die Erkältung“ nur die auslösende
Gelegenheitsursache bei toxisch oder infektiös prädisponierten Indi¬
viduen. In den eben erwähnten Fällen kamen aber weder toxische
Einflüsse noch überstandene Infektionskrankheiten in Frage. Einer
meiner auf beide Peronei profundi beschränkten Anfälle trat akut
während stundenlangen WWtens auf den Bahnzug in strenger
Kälte auf.
Die ätiologische Rolle der Infektionskrankheiten
hat sich nur insofern geändert, als mit der Zunahme
gewisser Infektionskrankheiten auch die im Verlauf
und Gefolge derselben auftretenden Polyneuritiden
zugenommen haben. Für den Krieg kommt besonders der
Typhus und auch die Variola in Frage. Bei der Ruhr habe ich
Polyneuritis nie auftreten sehen, andere dagegen, wie sie mir erzählten,
nicht selten. Eine beträchtlichere Rolle für die Entstehung der Nerven¬
entzündungen hat dagegen die Malaria gespielt, und im letzten
Kriegsjahr und während der Revolutionsmonate war es besonders
die Influenza, die, wie auch augenblicklich wieder,
zahlreiche Polyneuritiden verschuldet hat.
In der Regel kommt die infektiöse Polyneuritis nicht durch eine
direkte bazilläre Invasion oder durch Einwirkung von Bakterien¬
toxinen zustande, sondern die Infektionskrankheit kommt nur als
schwächendes, den Boden für Nervenkrankheiten vorbereitendes
Moment in Frage.
Eine besondere Besprechung verdient das Verhältnis von
Polyneuritis und akutem Gelenkrheumatismus. Ich habe
den Eindruck, daß sich diese beiden Krankheiten jetzt häufiger ver-
schwistern, als es früher der Fall gewesen ist. In mehreren Fällen
konnte man sich der Ansicht nicht erwehren, daß bei beiden Krank¬
heiten dasselbe infektiöse Agens im Spiele sei. In einer Familie
erkrankte die Tochter an einer Pleuritis sicca, die bald von einer
multiplen Neuritis abgelöst wurde, der Bruder an einer Ischias mit
Fieber, die Mutter an Gelenkrheumatismus. In kurzer Zeit habe
ich bei mehreren Kranken den Gelenkrheumatismus
mit Beteiligung des Endokards einer typischen Poly¬
neuritis folgen, bei andern einer hartnäckigen Nerven¬
entzündung vorausgehen sehen. In andern Fällen sind es
Aequivalente des Gelenkrheumatismus, die mit der
Polyneuritis in Beziehung treten. Ein 20jähriges Mädchen
stellte sich erst mit Peliosis rheumatica vor, bekam dann 14 Tage
später neuritische Symptome im Gebiet beider Plexus brachiales und
mehrerer Interkostales und nach Besserung derselben einen Anfall
von Gelenkrheumatismus in beiden Knie- und Ellbogengelenken mit
einem nach 3 Wochen wieder verschwindenden Geräusch an der Mitralis.
Bei einer 54jährigen Dame, die vor 7 Jahren Gelenkrheumatismus
ehabt hatte, trat eine Erythema nodosum auf mit wiederholten Rezi-
iven, bis sie sich 10 Tage nach dem letzten mit einer verbreiteten
Nervenentzündung vorstellte. Eine 40jährige Frau aus meiner Kassen-
raxis litt außer an Lungenspitzenkatarrh an einer hartnäckigen Inter-
ostalneuritis, während der Mann an Gelenkrheumatismus und Myo¬
karditis, das einzige Kind an Chorea krank war.
Bei einem Kranken mit Polyneuritis der Arme und Beine, die an
ersteren von Atrophien und Entartungsreaktion gefolgt war, trat
zuerst ein Erguß in beiden Sternoklavikulargelenken, dann im rechten
EUbogengelenk auf mit Mitralinsuffizienz; ich habe an mir selbst
nach Ablauf einer schweren auf den rechten Arm beschränkten Attacke
Arthritis des rechten Handgelenks und der linken Intermetakarpal-
elenke beobachtet; bei einem Straßenbahnschaffner ging eine Arthritis
es rechten Knie-, Hüft- und Fußgelenkes einer Neuritis beider
Knirales und Tibiales antici voraus.
Wie die ätiologischen Verhältnisse sich verschoben
haben, so sind auch Aenderungen in der Intensität
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
660
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
Nr. 20
und im Verlauf der Erkrankung eingetreten. Im Felde
ist mir aufgefallen, wie häufig besonders bei jungen Individuen die
schweren i-ormen mit hohem Fieber und lebenbedrohenden
Vagussymptomen aufgetreten sind. Auch die Erkrankungen mit
unausstehlichen Schmerzen sind häufiger geworden. Ich habe
wiederholt schwere perityphlitische Attacken überstanden und weiß,
was Schmerzen heißen; aber während ich bei jeder Perityphlitis die
Schmerzen vor meiner Umgebung zu verbergen vermochte, habe ich
bei einem Anfall meiner Polyneuritis im Feoruar 1920, der fast aus¬
schließlich den rechten Arm in Mitleidenschaft zog und besonders
den Nervus axillaris ergriffen hatte, vor den Schmerzen kapitulieren
müssen. Einige Tage nalf kein Mittel, wie ich auch bei mehreren
jungen Soldaten alle üblichen Medikamente ohne den geringsten
Linderungserfolg durchprobiert habe.
Rätsel gibt öfters der Wechsel der Intensität der Be¬
schwerden auf. Beim ersten Anfall im Februar 1917 konnte bei
mir partielle Entartungsreaktion ohne deutliche Atrophie nur in der
mittleren Portion des rechten Deltoideus nachgewiesen werden; nach
dem vorletzten Anfall im Februar 1920 war monatelang eine Atrophie
und Entartungsreaktion im ganzen rechten Deltoideus nachweisbar.
3 Jahre lang wurde ich jede Nacht im Schlaf durch Schmerzen in
der rechten Schulter geweckt, nach dem vorletzten, mit unerträglichen
Schmerzen verbundenen Anfall verschwanden die nächtlichen bcnmer-
zen vollständig. Jahrelang konnte ich den Mantel nicht allein an-
ziehen, dabei war oft der sonst sich sehr unangenehm bemerkbar
machende Druckpunkt am Axillaris nur mit Mühe aufzufinden. Den
bekannten außerordentlichen Wechsel der Intensität der
Schmerzen unter barometrischen und hygrometrischen
Einflüssen habe ich an mir selbst in sehr eindrucksvoller Weise
beobachten können. Daß durch diese Ungleichheiten Schwierigkeiten
bei der Begutachtung entstehen, daß scheinbare Widersprüche sowohl
in der Befundaufnahme als in den Angaben der Militärrentenanwärter
das Urteil erschweren und häufig genug ein ungerechtfertigter Simu¬
lationsverdacht auftauchen kann, ist begreiflich. In meiner Tätigkeit
als fachärztlicher Beirat für Nervenkrankheiten und Gutachter bei
den Militärversorgungsgerichten habe ich mehr als einmal diesen
Verdacht zu widerlegen und den Beweis für eine chroriische Poly¬
neuritis zu erbringen gehabt.
Endlich sei noch darauf hingewiesen, daß die Neigung zu
Rezidiven und zu einem Verlauf in Schüben zugenommen
zu haben scheint Ich habe sie an mir selbst zu beobachten Gelegen¬
heit gehabt. Der erste Anfall am 12. II. 1917 ergriff besonders den
rechten Axillaris, der zweite die sämtlichen Interkostales der linken
Brusthälfte, der dritte gleichfalls nach 14tägigem Aufatmen die oberen
Interkostales rechts, der vierte am 28. V. 1917 wieder den rechten
Oberarm, der fünfte, leichteste 3 Monate später beide Ischiadici,
der sechste am 19. XII. 1917 beide Peronei profundi. Von dieser
Zeit an hatte ich bald leichtere, bald stärkere Beschwerden, besonders
in der rechten Schulter, an der Brust und zwischen 1. und 2. Zehe,
bis im Februar 1920 wieder ein heftiger Anfall den rechten Arm
ergriff mit monatelangen Atrophien des Deltoideus und der Oberarm¬
muskeln. Im Mai 192U hatte ich eine weniger starke und nur vorüber¬
gehende Paresen bedingende Neuritis am linken Ober- und Vorderarm.
Seither sind zwar häufig Schmerzen spontan und auf Berührung oder
Druck vorhanden, aber kein eigentliches Rezidiv mehr aufgetreten.
Sämtliche Anfälle, mit Ausnahme des fünften, sechsten und letzten,
waren mit Fieber verbunden. Charakteristisch war bei meinen sämt¬
lichen Anfällen der auch sonst beobachtete und auch von Oppen¬
heim bei Kohlenoxydvergiftung hervorgehobene streng lokalisierte,
auf einen oder mehrere Nerven einer Extremität oder einer Brust¬
hälfte oder symmetrische kleine Nervenäste beschränkte Charakter
der Neuritis. Ich habe ähnliche Wahrnehmungen häufiger gemacht.
Augenblicklich leide ich außer an einer Neuritis bei der Nervi
peronei profundi an einer symmetrischen schmerzhaften Hypästhesie
(Anaesthesia dolorosa) im Gebiet des die Innenseite der Großzehe
und den Zwischenraum zwischen 2. und 3. Zehe versorgenden Nervus
cutaneus dorsi pedis internus vom N. peroneus superficialis.
Wie sich die ätiologischen Momente in ihrer Bedeutung ver¬
schoben und bestimmte Verlaufstypen eine größere Bedeutung ge¬
wonnen haben, so sind auch Veränderungen in der Sym-
ptomenverteilung eingetreten und haben einzelne Sym¬
ptome an Häufigkeit zugenommen.
An die Spitze möchte ich ihrer differentialdiagnostischen Bedeu¬
tung und ihrer Häufigkeit wegen die Interkostalneuritiden
stellen. In unserer ambulanten Praxis litten zeitweise fast Vs a ^ er
Fälle daran, die wegen Phthise Verdachts uns zugesandt wurden oder
in der Befürchtung, lungenkrank zu sein, uns aufsuchten. Besonders
wenn neben den Erscheinungen der Brustnerventzündung noch Husten¬
reiz und Auswurf infolge eines Rachenkatarrhs vorhanden waren, war
die Angst vor einem Lungenleiden erklärlich. Nach meinen Erfah¬
rungen beim Versorgungsamt und beim Militärversorgungsgericht
hat die ungenügende Kenntnis der Interkostalneuritiden und ihrer
Häufigkeit manche Fehldiagnose und manches Fehlgutachten ver¬
schuldet. Für den praktischen Arzt ist die Interkostal¬
neuritis der wichtigste Paragraph aus dem Kapitel
der Polyneuritis.
Weitaus ihre häufigste Ursache i^t das Nikotin. Wahr¬
scheinlich aus klimatischen Gründen ist die Nikotinvergiftung in
Düsseldorf sehr häufig. In der Nachrevolutionszeit waren die Inter¬
kostalneuritiden durch Nikotineinwirkung, die mit besonderer Vor¬
liebe den fünften und sechsten linken Nerv ergreifen, noch häufiger,
solange der Schmuggel englischer Zigaretten blühte. Bei Frauen ist
die zu leichte Bekleidung der Brust eine wichtige Ursache.
Bald ist nur ein Interkostalis ergriffen, am häufigsten der fünfte
oder sechste der linken Seite, bald sind es mehrere oder gar alle
einer Seite, seltener beider Brusthälften. Ich selbst habe erst eine
linkseitige, nachher eine rechtseitige generelle Interkostalneuritis durch¬
gemacht. Bald sind Druckpunkte nur vorn neben dem Brustbein und
besonders unter dem Herzspitzenstoß vorhanden, bald ist der ganze
Verlauf des Nerven empfindlich, bald sind die drei bekannten Druck¬
punkte vorn, seitlich und auf dem Rücken deutlich, seltener ist, wie
bei mir, ein lästiges Wundgefühl bei leichtem Drüberstreichen mit
dem Finger oder beim Reiben des Hemdes auf der Brusthaut
wahrnehmbar.
Herpes zoster habe ich äußerst selten gesehen, dagegen verrät
sich die Interkostalneuritis häufig durch Hautschrift in einer
bandartigen Zone zwischen 2 Rippen. Es genügt oft schon
ein leichter Strich mit dem Finger die Rippe entlang, um die ge¬
steigerte vasomotorische Empfindlichkeit im Bereich des erkrankten
Nerven deutlich zu demonstrieren.
Selten ist eine fast kragenförmige Störung der Hautempfindung
über den Schultern, häufiger eine gürtelförmige unter den Schultern
vorhanden. Wiederholt lag eine Kombination mit einer Neuritis eines
oder beider Armnervengeflechte vor.
Bei tieferem Sitz der Entzündung fehlten wiederholt die
Bauchdeckenreflexe ein- oder doppelseitig. In einem meiner
Fälle war die Entzündung der Brustnerven mit Neuritis retrobulbaris
eines Auges, Verlust der Bauchdeckenreflexe, Herabsetzung der Knie¬
phänomene und Fehlen eines Fersenreflexes verbunden. Es handelte
sich um einen Mann, der früher starken Alkoholmißbrauch getrieben
hatte und dabei stark priemte und rauchte.
Erschwerung der Inspiration ist bei ausgedehnten Inter¬
kostalneuritiden keine Seltenheit. Bei mir watr die halbseitige Be¬
hinderung der Inspiration sehr deutlich. Längere Zeit war wegen
der enormen Schmerzhaftigkeit die Geradehaltung des Körpers nur
mit Aufbietung aller Energie möglich. (Schluß folgt.)
Ein geheilter Pall von Homosexualität durch Hoden¬
transplantation.
Von Dr. Ernst Pfeiffer.
Chefarzt einer Chirurgisch-urologischen Abteilung in Budapest
Die Meinungen über das Wesen der Homosexualität haben sich in
letzter Zeit bedeutend ändern müssen. Der Anteil der Pubertäts¬
drüse ist bei vielen noch immer etwas Hypothetisches, aber der
enge Zusammenhang zwischen der inneren Sekretion der Keimdrüsen
und den sexuellen Erscheinungen kann nicht weiter geleugnet wer¬
den, und die Bedeutung dieses Umstandes zum Verständnis der nor¬
malen wie auch der krankhaften sexuellen Erscheinungen bzw. bei
der Heilung der letzteren tritt immer mehr in den Vordergrund.
Gewiß, die lebhaften Erörterungen auf diesem Gebiete haben noch
zu keinem endgültigen Ergebnis geführt, und die Erfahrungen bei
den Tierversuchen, welche übrigens nur bei einzelnen Tierarten unter¬
nommen wurden, können auf die Verhältnisse des menschlichen
Organismus ohne Kontrolle nicht ohne weiteres übertragen werden;
beim Menschen soll die aus jedem einzelnen Falle entnommene Er¬
fahrung ausschlaggebend sein, und die folgende Darstellung soll
auch nur als ein diesbezüglicher Beitrag aufgefaßt werden.
Eines der interessantesten Kapitel der auf die Funktion der
Pubertätsdrüse aufgebauten Theorie ist die Frage der Homosexuali¬
tät oder, wie wir diese auch bezeichnen können: des psychischen
Hermaphroditismus. Zum genaueren Verständnis will icn nur kurz
auf die Funktion der Pubertätsdrüse bei der Entwicklung des Herrn*
aphroditismus hin weisen. Die Funktion dieser Drüse ist, wie be¬
kannt, in männlicher oder weiblicher Entwicklungsrichtung spezifisch
und ist sowohl für die psychische wie für die somatische Erschei¬
nung ausschlaggebend. Je nachdem nun beim einzelnen Individuum
die Pubertätsdrüse diese oder jene Entwicklungsrichtung genommen
hat, gestaltet sich bei dem ursprünglich in der Embryonalentwick¬
lung noch bisexuellen Individuum der Geschlechtscharakter. Dies
ist das sogenannte Gesetz des „Antagonismus der Sexualhormone“,
laut welchem die Pubertätsdrüsenzellen der einen Richtung die Ent¬
wicklung und Wirksamkeit jener der anderen Richtung verhindern.
So z. B. mißlingt die Implantation des Hodens oder Ovariums bei
solchen Individuen entgegengesetzten Geschlechtes, bei welchen die
Sekretion der entsprechenden Pubertätsdrüse zufriedenstellend ist;
dies lehrt uns die Erfahrung einer ganzen Reihe von Tierversuchen.
Bei Vorhandensein gut differenzierter Keimdrüsen entwickeln sich
also die Pubertätsdrüsenzellen nur in einer Richtung und wirken
auch dementsprechend. Es kann aber Vorkommen, daß einem Hoden
nebst den prävalierenden männlichen Pubertätsdrüsenzellen iin Laufe
der Entwicklung und infolge der unvollständigen Differenzierung
die Anlage der heterosexuellen Drüsenzellen auch anhaftet. Hier¬
durch entsteht die hermaphroditische Keimdrüse, bei welcher die
Pubertätsdrüsenzellen beider Richtung ihre somatische oder psychische
Wirkung ausüben können. Die Ursache der hermaphroditisdien Er¬
scheinungen ist daher die hermaphroditische Pubertätsdruse, in wel¬
cher Drüsenzellen beider Richtungen enthalten sind.
Digitized by
Google
Original fro-m
CORNELL UNiVERSITV
19. Mai 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
6b 1
Der Auffassung Bl ochs folgend, halten Steinach und seine
Anhänger die Homosexualität für psychischen Hermaphroditismus. |
Bei einem jeden homosexuellen Mann haben wir es mit einer herm-
aphroditischen Pubertätsdrüse zu tun. Infolge der prävalierenden
Wirkung der männlichen Pubertätsdrüsenzellen sind die somatischen
Erscheinungen annähernd, wenn nicht vollkommen, vorhanden. Es
kann sich aber ereignen, daß nach einer Krankheit oder vermöge
anderer Ursachen die Vitalität der männlichen Pubertätsdrüsenzellen
abnimmt und sodann nach „Aktivierung“ der heterosexuellen Puber¬
tätsdrüsenzellen die sekretorische Wirkung der letzteren auf den
Organismus beginnt. Der Erfolg dieser Wirkung hängt naturgemäß
von der Entwicklungstufe des betreffenden Organismus ab. Nach Ein¬
tritt der Pubertät sind die somatischen Erscheinungen im großen
und ganzen bereits vollendet, demzufolge die aktivierten hetero¬
sexuellen Drüsenzellen auf diese eine bei weitem mindere Einwirkung
ausüben werden als auf die leichter beeinflußbare Psyche.
Beim experimentell hervorgerufenen Hermaphroditismus gelingt
die Bekämpfung des Antagonismus der Hormone, indem das Ver¬
suchstier erst kastriert wird, worauf die Implantation des Hodens
und des Ovariums erfolgt. Hier wird also der Widerstand künstlich
vermindert, die Pubertätsdrüsenzellen beider Richtung entwickeln sich
unter gleichen Bedingungen und üben auch ihre heterosexuelle Sekre¬
tion aus. Wenn nun der Satz richtig ist, daß das homosexuelle In¬
dividuum eigentlich eine hermaphroditische Pubertätsdrüse besitzt,
in welcher jedoch die Funktion der Drüsenzellen, welche der Rich¬
tung seines Geschlechtes entsprechen, herabgesetzt ist, muß auch die
Folgerung richtig sein, daß durch Implantation einer der Geschlechts¬
richtung entsprechenden Keimdrüse, beim Manne also eines Hodens,
die Abänderung der Richtung der Libido bzw. die Restitution dieser
erreicht werden kann.
Lichtenstern versuchte den Nachweis der Theorie bei einem
30 Jahre alten homosexuellen Manne, dessen tuberkulöse Hoden ent¬
fernt werden mußten. Beim Patienten, der seit seinem 14. Lebens¬
jahre homosexuell war, bestand schwere passive Päderastie, gepaart
mit prägnantem femininen Typus. Obzwar er in kurzen Zwischen-
S ;rioden auch an Frauen Gefallen fand und manchmal auch den
eischlaf ausübte, hat er kein Wollustgefühl empfunden, später traten
Frauen gegenüber Ekelempfindungen auf, schließlich Impotenz. Nach
kompletter Kastration wurde Patienten ein kryptorchistischer Hode
in die Fasern des Musculus obliquus abdominis implantiert. Die
Operation hatte sowohl vom psychischen wie vom somatischen Ge¬
sichtspunkte vollen Erfolg. Besonders der Somatische schließt die
Annahme jeglicher Suggestion vollständig aus.
Nach dieser Einleitung möchte ich meinen Fall darlegen, welcher
in betreff der Operationsmethode vom soeben erwähnten etwas ver¬
schieden ist.
Im April 1921 wurde ein 33 Jahre alter Mann zur Beobachtung
seines Geisteszustandes einer Neurologisch-psychiatrischen Abteilung
übergeben; gegen den homosexuellen Mann war das Straf¬
verfahren wegen eines Sittlichkeitsverbrechens an¬
hängig.
Anamnese: Vater im 60., Mutter im 88. Lebensjahre gestorben.
Unter 8 Brüdern, die alle im Felde gestanden sind, ist er der einzig
Ueberlebende, die übrigen sind alle gefallen. Er hat die öklassige
Volksschule beendet und dann bei seinem Vater das Selchergewerbe
erlernt. In seinem 6./7. Lebensjahr ein Jahr lang an Schüttelfrösten
krank gewesen. Hat den Beischlaf mit Frauen 1909 in seinem
21. Lebensjahr begonnen und bis 1918 fortgesetzt, inzwischen —
1912 Gonorrhoe, seit 1918 Impotenz Frauen gegenüber. Dies war
ihm unverständlich, weil die Erektionen weiter bestanden. Zwei
Monate darauf wollte es der Zufall, daß er sein Bett mit einem
Manne teilte, und es bemächtigte sich seiner ein fast nicht unter¬
drückbares Wollustgefühl. Dieser Umstand hat auf ihn sehr nieder-
schlagend gewirkt, er taumelte, hatte Sausen im Kopf und das
Empfinden, als ob ständig Männergestalten um ihn herumwirbeln
würden. Seine Träume waren auch von solchen Männergestalten
belebt, er hat im Traume die Männergestalt umarmt, geküßt, und
das Traumbild endete mit einer Pollution. Sein Zustand wurde dann
noch ärger: der Anblick eines jüngeren, gutausschauenden Mannes
hat bei ihm Erektionen hervorgerufen, und er mußte sozusagen flüch¬
ten vor Furcht, daß er sich nicht werde beherrschen können. Eines
Abbilds im Juni 1919 zechte er in einer Männergesellschaft in der
Wohnung eines Freundes. Er übernachtete auch dort. Infolge Trun¬
kenheit kann er sich der Geschehnisse nicht entsinnen, aber, wie er
von seinen Freunden erfuhr, hat er sich, obzwar er ein separates
Bett bekommen habe, in das Bett eines seiner Freunde geschlichen
und gegen diesen ein unsittliches Attentat verüben wollen, an dessen
Vollführung er aber verhindert wurde. Mit Rücksicht auf die er¬
wiesene Volltrunkenheit wurde das Strafverfahren gegen Patienten
eingestellt.
In 1919 bildete .sich auf seinem Penis etwas Warzenartiges, das
später angeblich ulzerierte; in einem Provinzspital wurde er dagegen
mit Hydrargyuminunktionen und Injektionen behandelt.
St. presens: Mittelgroß, mager, Knochengerüst schwach, blaß.
Pupillen gleich, regelmäßig, mittelweit, auf Licht und Akkomodation
gut reagierend. Gesichtsinnervierung normal. Haut- und Sehnen-
reflfcxe lebhaft, mit Ausnahme des Kremasterreflexes, welcher nicht
auslösbar ist. Steht auch bei geschlossenen Augen sicher. Penis gut
entwickelt, Hoden groß, jedoch auffallend weich. Beiderseitig typisch
prägnante Varikozele. Prostata klein und weich. Genitalienbehaarung
schwach, spitzt sich mit einigen Haaren gegen den Nabel, ist aber
eher von femininem Typus.
Die Untersuchung seiner Psyche fordert keine wesentlichen Ver¬
änderungen zutage; Patient erweckt gegenwärtig den Eindruck eines
ruhigen, schamhaften und furchtsamen Menschen, der leicht errötet,
leise spricht, sich bescheiden, sogar unterwürfig benimmt.
Wir haben es mit einem Falle der nach der Pubertät
entwickelten Homosexualität zu tun, in welchem die
homosexuelle Libido vollen Zwang ausübt. Nach ein¬
gehender Rücksprache mit Prof. Camillo Reutter, Vorstand der
Neuro-psych. Abteilung, der die Freundlichkeit hatte, mir die chirur¬
gische Behandlung des Falles zu übertragen und auch den weiteren
Verlauf mit zu beobachten, haben wir beschlossen, die Homosexualität
mit der Transplantierung eines fremden Hodens zu bekämpfen. Es
kam uns eben gelegen, daß bei einem meiner Patienten wegen
eines Fibroms der Epidydimis die Resektion vorgenommen werden
mußte, wodurch ich eine zum Zwecke der Transplantation verwend¬
bare Hodenpartie gewinnen konnte.
Bei dem Eingriff mußten zwei Gesichtspunkte erwogen wer¬
den. Lichtenstern und seine Anhänger haben das Gesetz des
Antagonismus der Pubertätsdrüsen aufgestellt und zwecks Erhal¬
tung des fremden Hodens und seiner inneren Sekretionsfunktion
die vorgehende Kastration — „Neutralisation“ —- des Patienten für
notwendig erachtet. Sie haben aber außerachtgelassen, daß einen
absoluten Widerstand nur die vollkommen differen-
tierten Pubertätsdrüsen entfalten können — bei den
einschlägigen Tierversuchen haben wir es in der Tat mit solchen
Fällen zu tun — und daß in den Fällen von Homosexualität gerade
aus theoretischen Gründen die Forderung nach der Kastration über¬
trieben erscheint. Denn selbst wenn wir den Satz an nehmen, daß
der Eintritt der Homosexualität in der ursprünglich hemaphroditischen
Pubertätsdrüse durch die aus irgendeinem Grunde erfolgte Herab¬
setzung der Wirkung der bis dahin prävalierenden Hormone (in
diesem Falle männlicher Richtung) und vice versa durch die Steige¬
rung — Aktivierung — der Wirkung der Drüsenzellen entgegen¬
gesetzter Richtung verursacht wird, kann es nicht geleugnet werden,
daß die Funktion der früher prävalierenden und den
äußeren Geschlechtscharakter des Individuums ent¬
sprechenden Pubertätsdrüsenzellen männlicher Rich¬
tung nicht vollständig aufgehört hat, ihre Anlage
haftet noch an, infolgedessen auchderantagonistische
Widerstand nicht vollkommen zur Geltung gelangen
kann. Anderseits konnte bei solchen Individu en dieser
Widerstand selbst während des dem Anscheine nach
normalen Zeitraumes nicht absolut gewesen sein;
wäre dem nicht so, bliebe ja die unvollkommene Dif¬
ferenzierung unerklärlich. — Aus all dem folgt, daß die
Neutralisierung des homosexuellen Individuums zwecks Erhaltung
des fremden ‘Hodens und seiner inneren Sekretionsfunktion überflüssig
ist. Aus dieser Erwägung habe ich die Kastration mei¬
nes Patienten unterlassen.
Der andere Gesichtspunkt war die Ausschließung jeglicher Sug¬
gestion, weil diese die objektive Beurteilung solcher Versuche, ja
sogar den Erfolg entscheidend beeinflussen kann. Es ist 2war richtig,
daß die suggestive oder hypnotische Behandlung der Homosexualität
in der Regel erfolglos bleibt, und Magnus Hirschfeld und
Rohleder, die sich mit dieser Frage am eingehendsten befassen,
erklären die psychische Behandlung der Päderasten gegenüber für
ohnmächtig, aber nichts destoweniger aus dem Gesichtspunkte des
absoluten Versuchserfolges muß jegliche Suggestion ausgeschlossen
bleiben. Um dies zu erreichen, haben wir dem Patienten den
eigentlichen Zweck und die Art des Eingriffes verschwiegen; nach¬
dem wir bei ihm eine an und für sich belanglose Hernia festgestellt
haben, rieten wir aus allgemeinen Gesundheitsrücksichten zur ope¬
rativen Behandlung dieses Gebrechens, und auch nach der Operation
haben wir vor dem Patienten nichts anderes verlauten lassen, als
daß er an einer Hernia operiert wurde.
Zur Vermeidung irgendwelcher Berührung mit dem Manne, aus
dessen Hoden das zu transplantierende Stückchen entnommen wurde,
war dieser in einem entlegenen Pavillon des Krankenhauses unter¬
gebracht. Zur gleichzeitig vorgenommenen Operation wurden beide
bereits in Narkose in den Operationssaal geschafft und nach der
Operation ebenfalls noch in Narkose in ihre Krankenzimmer zurück¬
befördert. Sonach kann die Suggestion vollkommen aus¬
geschlossen werden.
Der Verlauf der Operation war der folgende: Beide Patienten
wurden auf nebeneinander aufgestellte Operationstische gelagert. Zu¬
erst wurde der Hodenabgeber operiert, indem nach ebiem kleinen
inguinalen Einschnitt der Hode und der Nebenhode herauspräpariert
und vorläufig mit einem sterilen Tupfer bedeckt wurden. Nun wird
die Operation am Homosexuellen in Angriff genommen. Auf beiden
Seiten der Linea alba, in einer etwa vierfingerbreiten Entfernung
von dieser, je ein ungefähr 8 cm langer Einschnitt durch die Haut,
das subkutane Gewebe bis zum Rektus. Die Scheide des Rektus
wird eröffnet, und wir dringen durch die stumpf gelockerten Muskel¬
fasern bis zur hinteren Wand der Rektusscheide vor. Sodann wird
der Nebenhode des Abgebers mit einem Stückchen unversehrten
Hodens reseziert Die weitere Erledigung dieses Patienten obliegt
nunmehi- einem Assistenten. Jetzt gehe ich zum Homosexuellen
zurück, löse das resezierte Hodenstückchen von der Epididymis los,
Digitized by
Gougle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
662
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
schneide dasselbe in zwei Teile, in der Weise, daß die Basis beider
konischen Hodenpartien von der Albuginea bedeckt wird. Ich skari-
fiziere die Tunica albuginea mit vieltacnen feinen Nadelstichen, bette
die Hodenpartien auf beiden Seiten zwischen die Fasern des Rektus
und befestige sie an diesem mit feinen Katgutnähten, welche sowohl
diese wie die Tunica albuginea durchsetzen. Oberhalb wird die
Rektusscheide mit Katgut vereinigt. Hautnaht. Verband; darüber
auf 24 Stunden Thermophor. Bei beiden Patienten Heilung per
primam. Nach 10 Tagen wird der hier in Betracht kommende
Patient beurlaubt.
Nach Ablauf von 6 Wochen meldet sich Patient, unserer Weisung
entsprechend, auf der Abteilung. Auffallend gute Gesichtsfarbe,
Turgor. Die Behaarung, besonders jene der Genitalien,
ist stärker, dichter, charakteristischer, hauptsäch¬
lich dort, wo sie sich gegen den Nabel zuspitzt. Penis
unverändert, Prostata scheint etwas elastischer zu sein. Am Skrotum
und an der unteren Fläche des Penis Papeln. Beiderseits der Linea,
entsprechend dem Rande des Rektus, zwei je 8 cm lange Linea¬
narben.
Die Wirkung der Operation auf die Psyche ist be¬
deutend. Patient meldet, daß ihm die Operationsnarbc keine
Schmerzen verursacht, und erzählt, ohne gefragt werden, mit Freude,
daß er bereits am 5. Tage seines Urlaubes ein reges
Verlangen nach Fraiien empfand; die Libido wurde
immer stärker und rrchtete sich nicht nur im wachen
Zustande, sondern auch im Schlafe auf Frauen. Er
hat den Beischlaf seit 2i/a Jahren zum erstenmal mit
Libido vollführt. Er hat sich bereits auch verlobt und
freut sich, eine Familie gründen zu können. Nur wegen
des Ausschlages am Skrotum ist er besorgt, fürchtet, sich infiziert
zu haben und aus diesem Grunde nicht heiraten zu können.
Diese Besorgnis des Patienten ist der schlagendste Beweis für
die Stichhaltigkeit seiner Angaben. Im übrigen ist sein ganzes
Wesen verändert. Auf Fragen antwortet er offen und aufgeräumt
Der somatische Einfluß der Operation auf die Behaarung ist noch
nicht ganz hervorgetreten, ist aber trotz des seit der Operation ver¬
flossenen geringen Zeitraumes entschieden bemerkbar.
Ich habe schon in der Einleitung hervorgehoben, daß wir über
die Heilung der Homosexualität durch Implantation eines fremden
Hodens nur an der Hand eines entsprechenden statistischen Materials
urteilen können. Unser Verfahren, welches die vorgehende Kastration
eliminiert, wird ähnliche Eingriffe zweifellos vereinfachen und so
die Möglichkeit geben, sich einer größeren Anzahl von Fällen be¬
dienen zu können.
Palliativverfahren bei Heufieber.
Von Dr. med. Carlo Dietsch in Tepic Nayarit (Mexiko).
Die Prophylaxe und Heilung des Heufiebers ist trotz der Tau¬
sende von Mitteln und Kuren, welche empfohlen und angewandt
worden sind, noch ein Desideratum geblieben, und obwohl manche
Heilungen Verfolgt sind, bleibt die große Mehrzahl ungeheilt. Da
muß man sich schließlich mit Palliativverfahren begnügen, und ein
solches habe ich an mir selbst 1 ) und einer Reihe meiner Patienten
ausprobiert. Es besteht in der Einstäubung einer mild reizenden
Flüssigkeit in die Nasenlöcher.
Unter den mannigfaltigen Symptomen des Heufiebers ist das
störendste und quälendste der Reizzustand der Nasenschleimhaut,
welcher seinerseits andere Symptome als Reflexe auslöst und in
einem fast unerträglichen Kitzeln, Brennen und Stechen in der Nase,
mit teilweisem oder vollständigem Abschluß der Passagen und kon¬
stanter Absonderung besteht.
Es ist die Erfahrung aller Heufieberleidenden, daß diese Sym¬
ptome nach einem tüchtigen Niesanfall sich bedeutend verringern,
die Nase allmählich frei wird und auch die Reflexsymptome, be¬
sonders das Asthma, auf einige Zeit verschwinden. Aber es dauert oft
viele Stunden, bevor der Niesanfall eintritt, und dazu, diese stunden¬
lange Qual zu verkürzen, dient das unten angegebene Verfahren.
Gewöhnlich machen sich die Heufiebersymptorae schon gel¬
tend, sobald der Patient am Morgen erwacht, oder er wird sogar
frühzeitig aus dem Schlafe gerissen, oder seine Nachtruhe ist von
vornherein, namentlich durch Asthma, gestört. Da tut der Zer¬
stäuber seine Dienste. Der durch ihn hervorgerufene Niesanfall
schafft dem Kranken die ersehnte Erleichterung — bis ein weiterer
Aufenthalt in der zellengeschwängerten Luft den Zustand wieder
verschlimmert und auf eine Wiederholung der Prozedur drängt,
welche beliebig oft vorgenommen werden kann. Zu empfehlen ist
auf jeden Fall, kurz vor dem Schlafengehen einzustäuben, um sich
einen ungestörten Schlaf zu sichern, und ferner, das Mittel in einem
Taschenapparat bei sich zu tragen.
Die Zusammensetzung der Flüssigkeit ist:
Guajacoli pur! 3,0
Olei Eucalypti 40,0
Paraffin! liquid! ad 60,0
Es soll nicht behauptet werden, daß ähnliche Zusammensetzungen
nicht denselben Dienst leisten. Worauf es ankommt, ist, daß die
») D. m. W. 1001 Nr. 7 S. 90.
Nr. 20
Flüssigkeit einen milden, nicht nachhaltigen Reiz ausübt, da sie ja
nur die bestehende Irritation über die obere Reizschwelle zur Aus¬
lösung des Paroxysmus bringen solL
Hierbei sind einige Dinge zu beachten, welche, trotzdem sie nur
„Kniffe“ darstellen, außerordentlich wichtig sind. Beide Nasenlöcher
(das stärker gereizte zuletzt) sollen bei leienter Vorwärtsbeugung des
Kopfes eingestäubt werden; dann soll der Patient den Kopi zurück¬
beugen und die Augen gegen eine hochstehende, möglichst grelle
Lichtquelle richten, also den hellen Himmel und glänzende Wolken,
eventuell direkt die Sonne, eine helle Mauer und elektrische Lampe.
Der Niesanfall wird dann nicht ausbleiben; die Einstäubung soll
fortgesetzt werden, bis kein Niesen mehr ausgelöst werden kann.
Unterstützt wird das Herbeiführen eines gründlichen „Ausniesens“
noch durch Aufschnaufen der Luft, bei abwechselndem Verschluß des
einen Nasenloches, leichtes Streichen des Nasenrückens, der Nasen¬
wurzel und der Stirnmitte, Wechsel aus warmer in kalte Luft und
umgekehrt, sowie andere thermische Hautreize, z. B. das Betreten
eines kalten Bodens mit warmen Füßen. Nach der Behandlung ist
eine Waschung des Gesichtes, Mundspülen und Gurgeln zu emp¬
fehlen. Die Flüssigkeit hinterläßt ein angenehm kühles Gefühl in der
Nasenschleimhaut. Ein Vorschlag zur Verbesserung des Geschmackes
der Flüssigkeit wäre sehr dankenswert.
Der Erfolg, welchen ich bei dieser rein mechanischen Behand¬
lung des Heufiebers erzielt habe, legt mir den Wunsch nahe, daß
sich die Spezialisten noch einmal die Frage vorlegen möchten} ob
das echte Heufieber nicht doch auf mechanischer Reizung durch
die Pollen beruht. '•
Entwicklungsmechanik und praktische Medizin.
Von Dr. Georg Ettfrch in Berlin-Dahlem,
(früher Ober-Assistent am Anatomischen Institut in Halle).
II.
In seiner „Terminologie“ bezeichnet Roux die Em. als „die
Lehre von den Ursachen, Faktoren der Gestaltung der Lebewesen
sowie von den Wirkungsweisen und Wirkungsgrößen dieser Fak¬
toren“. „Sie umfaßt die Bildung, Erhaltung und Rückbildung der
organischen Gestaltungen.“ Sie ist einzuteilen: I. in die ontogene-
tische, 2. in die phylogenetische Entwicklungsmechanik. Die onto-
genetische Em. konnte bisher bedeutsame theoretische wie prak¬
tische Ergebnisse erzielen. Infolge der Berührung mit der Experi¬
mentellen Zoologie haben so manche Resultate der Forscher dieser
Wissenschaft auch gleichzeitig eine kausal-morphologische Bedeutung,
sind von Einfluß auf den Fortschritt der Em. gewesen. Ihre Leistun¬
gen sind somit fest verwirkt in dem großen Gewebe der jungen
Wissenschaft, daher werden auch sie hier an manchen Stellen Er¬
wähnung finden.
Anders steht es mit der phylogenetischen Em. Hier stehen wir
vor fast unübersteigbaren Hindernissen. Die Em. ist doch offenbar
nur möglich unter der Voraussetzung, daß die Ursachen des ge¬
staltenden Geschehens uns überhaupt zugänglich oder zum mindesten
vorstellbar sind. Ist dieses aber nicht der Fall, liegen sie gänzlich
außerhalb der wissenschaftlichen Erfaßbarkeit, so kann auch ein
Abhängigkeitsverhältnis nicht hergestellt werden — die Abhängig¬
keit der Form von der sie bedingenden Ursache machte aber ge¬
rade das Wesen der Em. aus. Nun sind wir freilich in den Stand
gesetzt, von den Folgen auf die Ursachen zurückzuschließen, ein
Forschungsweg, der, in seinem logischen Grunde ein teleologischer,
in allen Wissenschaften, auch Physik und Chemie, eine große Rolle
spielt. Aber dieser Weg ist nicht ohne die soeben gemachte Ein¬
schränkung gangbar. Zudem liegt auf ihm eine wesentliche Schwie¬
rigkeit. Der streng kausale Gang wird eingehalten, wenn ich auf
irgendein System einen bestimmten Faktor einwirken oder einen
wirkenden fortfallen lasse und den Effekt dann beobachte und dis¬
kutiere. Dieser Weg kann auch als direkter bezeichnet werden.
Im obigen Falle, im Versuche aus dem Effekt auf die Ursachen zu
schließen, nehme ich gewissermaßen die „inverse“ Operation vor.
Allen inversen Operationen haftet aber die Schwierigkeit der Mehr¬
deutigkeit an. So ergibt 5 + 2 stets 7. Es finden sich aber unend¬
lich viele Zahlen, die addiert zu 7 führen! Ist mir der Effekt oe-
kannt, das Ergebnis, das Ziel, und will ich wissen, welche Ursache
dazu führt, so kann ich meistens nicht eine Ursachenreihe dafür
aufdecken, sondern deren mehrere. Den Biologen ist das wohl-
bekannt. Auf typischem Wege aus typischen Ursachen kommt es
im normalen Entwicklungsvenauf zur normalen Form. Diese Form
kann aber auch aus atypischen Ursachen, auf atypischem Wege er¬
reicht werden, z. B. bei allen Regenerationen. Atypische Ursache:
ich schneide dem Salamander ein Bein ab; auf atypischem Wege:
dem Regenerationswege; zur normalen Form: der Salamander nat
zum Schluß ein Bein, das von dem im normalen Entwicklungsverlaufe
erworbenen nicht unterscheidbar ist. So steht es bei allen biologischen
Prozessen. Nur begehen die meisten Forscher den Irrtum, zu meinen,
diese Tatsache wäre für das organische Geschehen spezifisch. Es
mag ein Beispiel aus der Physik genannt werden. Lasse ich auf ein
Gasvolumen eine Temperatur einwirken, die höher ist als die der
Umgebung, so resultiert eine Ausdehnung, wenn alle Außenbe-
dingungen unverändert bleiben. Dieser Versuch führt bei gleichen
Bedingungen stets zu dem gleichen Effekt. Gehe ich jetzt aber den
Digitized
Original from
CQRNELL UNIVERS1TY
19. Mai 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
663
„inversen“ Weg, gehe ich von der Volumvermehrung aus und frage
nach ihrer Ursache, so bekomme ich nicht wie oben eine ein¬
deutige Bestimmtheit; denn einmal kann die Ausdehnung durch
Einwirkung von Wärmeenergie erfolgen, zum anderen aber auch da¬
durch, daß jenes Ausgangsvolumen unter einen geringeren Druck
gebracht wird. Dieser Weg liefert also stets mehrdeutige Bestimmt¬
heiten, der kausale dagegen ist eindeutig. Nun sind wir aber — und
damit kehren wir wieder zu unserer besonderen Betrachtung zu¬
rück — bei der kausal-analytischen Phylogenese allein auf diesen
inversen Weg angewiesen, kennen aber die näheren Bedingungen
gar nicht, unter den Jahrmillioneh lang die Organismen lebten und
die als Ursachen überhaupt in Betracht kommen können. Sodann
kennen wir — außer den zur Erklärung der Einzelheiten unzureichen¬
den groben großen Katastrophen — auch die Veränderungen nicht,
unter die die organisierte Materie gelangte und die dann ändernd
auf die Form einwirkten. Was wir bei der ontogenetischen For¬
schung stets vermögen: die ermittelten Faktoren der Prüfung durch
das direkte Experiment zu unterziehen, das ist uns hier versagt;
denn wir haben keine Kenntnis von den einstmals wahrhaft ge¬
herrschten Verhältnissen. Die Möglichkeit, von den Effekten auf
die sie bedingenden Ursachen zurückzuschließen, ist also nur in
beschränktem Maße gegeben. Hier liegt eine bislang unübersteigbare
Schranke für die kausale Morphologie mit phylogenetischer Tendenz.
Pas eigentliche Gebiet der entwicklungsmechanischen Forschung
ist daher das der Ontogenie. Hier konnte sie sich in einer Gro߬
artigkeit intensiv wie extensiv entfalten, die der keiner anderen
Naturwissenschaft nachsteht. Eine Fülle von Sondergebieten, ge¬
wissermaßen Provinzen im Reiche der Em., eröffnete sich den
Forschern, sodaß bald auch in dieser jungen Wissenschaft Spezial¬
zweige sich bilden konnten. So sei die Richtung J. Loebs ge¬
nannt, die vorwiegend physikalisch-chemisch orientiert ist, ferner die,
welche mit der Frage der Restitutionen (Regenerationen usw.) sich
beschäftigt, die, welche den Vererbungsfragen sich zuwandte, sowie
die, welche sich den Wachstums- und Teilungsvorgängen widmete.
Andere studierten die Probleme der Organentwicklung, andere die
der Anpassungsvorgänge, wieder andere die Rückbildungen u. a. m.
So weitgehend sind die Mannigfaltigkeiten der Forschungsgebiete
der kausalen Morphologie bereits gediehen, daß kein Mann, aus¬
genommen vielleicht der Begründer selbst, gegenwärtig noch das
Gesamtgebiet vollkommen beherrscht.
Es mag nun, um mitten in das Getriebe dieser Wissenschaft zu
gelangen, die Frage erörtert werden: was wissen wir eigentlich
über die Ursachen der Formbildung, welche Gesetzmäßigkeiten,
welche Lehren haben sich bisher ableiten lassen?
Zwei große Ursachenkomplexe kommen — nach Roux — für
die Gestaltung im Reiche des Organischen in Betracht, Ursachen¬
komplexe von größter Verwickeltheit. Der eine ist der Komplex
der vererbten Faktoren, den anderen stellt die Funktion dar bzw.
der funktionelle Reiz. Diese beiden Gestaltungsprinzipien schließen
einander nicht etwa aus; sie gehen aber aucn nicht stets neben¬
einander her, vielmehr handelt es sich bei ihnen um Wirkungs¬
zeiten im Leben des Individuums, deren Anfangspunkte verschieden
liegen. Von ihren Wirkungsarten soll noch die Rede sein. So hebt
mit Beginn der Entwicklung der Einfluß des ersten Gestaltungs¬
komplexes an, der Einfluß der vererbten Faktoren. Diese sind im
Keimplasma der befruchteten Eizelle gelegen, „determiniert“. Dieses
Keimplasma, das Protoplasma der befruchteten Eizelle, ist eine
Mischung aus dem der Eltern. Es hat die Fähigkeit, einen neuen
Organismus aus sich hervorgehen zu lassen auf Grund von Vor¬
gängen, die zwangsläufig festgelegt sind. Diese Prozesse führen
stets zu ganz bestimmter Gestaltung. Diese Zwangsläufigkeit nun,
die bewirkt, daß aus einer bestimmten Eizelle ein Frosch hervorgeht
und kein Haifisch, ein Huhn und keine Gans, ein Individuum wei߬
häutiger Rasse und kein Neger usw., diese Zwangsläufigkeit stellen
die vererbten Faktoren her. Sie verursachen, daß die Nachkommen¬
schaft Gestalt und Eigenschaften derjenigen erhalten, von denen sie
gezeugt sind. Man muß sich vorstellen, daß die chemischen Prozesse
festgelegt sind, die zu einer Gestaltung führen und die einer vom
anderen abhängig und einer in den anderen greifend verlaufen.
Die große Gruppe dieser „determinierenden“ Faktoren (Determi¬
nationsfaktoren, Roux) wird zusammenfassend als Determinations¬
komplex bezeichnet. Er bestimmt nach Roux die Art des Ge¬
schehens, er ist verschieden je nach der Spezies, Klasse usf. des
Individuums, und zwar sowohl nach seiner Zusammensetzung als
auch nach der besonderen Art der einzelnen Glieder. Bestimmen
die Determinationsfaktoren die Art des Oeschehens, so können sie
allein das Determinierte noch nicht ausführen. Dazu bedarf es nodi
des Eingreifens der zweiten großen Faktorengruppe, der Ausfüh¬
rungsfaktoren (Realisationsfaktoren, Roux). Ueber sie wird noch
ausführlich zu reden sein. Von den Determinationsfaktoren haben
wir erst geringe spezielle Kenntnis. Wir werden von der Architektur
des Eies hören und den aus dieser sich ergebenden Folgerungen.
Sodann gehört zu ihnen auch das große Gebiet der Korrelationen.
Die Kinetik dieser Faktorengruppe ist gegenwärtig für uns noch
in absolutes Dunkel gehüllt. Experimentell kommen wir an dieses
Gebiet noch gar nicht heran. Durch vererbte Faktoren wird der
Eiffzelienzustand in den mit zwei Zellen übergeführt, wird Blastula,
Motula, Gastrula usw. gebildet, das Gefäßsystem, das Nervensvstem
und alles andere. Dabei ist an eine direkte Beteiligung der Funktion
nicht zu denken; denn allein die vererbten Faktoren gestalten vorder¬
hand. Dabei aber formen diese Faktoren Organe, die später einmal
/
funktionieren sollen, also von funktioneller Struktur sein müssen. So
werden Auge, Ohr, Lunge u. a. durch sie gebildet, und zwar so weit,
daß sie volle Funktionsfähigkeit erlangen. Somit kann in der Periode I
(Roux) der Ontogenese durch die vererbten, determinierenden Fak¬
toren der Organismus afunktionell und präfunktionell doch sohergerich- /
tet werden, daß er zu einer bestimmten Zeit in den Stand gesetzt ist,
seine Funktionen auszuüben. Diese kausale Periode I ist die wahr¬
hafte „embryonale“ Periode,, die Periode des afunktionellen Wachs¬
tums. Wie lange sie anhält, wird für jedes Organ verschieden zu
beantworten sein. Manche haben eine lange afunktionelle Periode,
z. B. die Lunge, andere eine recht kurze, das Blutgefäßsystem. Hier
greift sehr früh bereits das zweite gestaltende Prinzip ein: die
Funktion. Für die meisten Organe sind diese Verhältnisse aber erst
noch exakt festzustellen. Wesentliche Hilfe werden dabei jene
Charakteristika leisten, die nach Roux die Periode I kennzeichnen.
Als erstes fehlt ihr die Erscheinung der Inaktivitätsatrophie. Wir
kennen diese aus dem Leben des ausgewachsenen Individuums'ja
— leider — recht gut. Der Knochen, der Muskel, die Drüse usw., die
nicht gebraucht werden (von der hierbei zu beachtenden wichtigen
Gesetzmäßigkeit wird noch die Rede sein), ^eder also der Funktion
noch dem funktionellen Reiz unterliegen, schwinden. Dieser für die
späteren Lebensperioden so bedeutungsschwere Erscheinungskomplex
fehlt der embryonalen Gestaltungsperiode, in der Zeitspanne also
des Individuallebens, in der vererbte Faktoren den Aufbau leiten ohne
die Funktion.
Ferner ist diese Periode I ausgezeichnet durch eine besondere
Wirkung der Hyperämie. Während beim ausgewachsenen Individuum
diese keine besonderen morphogenen Folgen zeitigt, verursacht sie
in der Zeit der vererbten Gestaltung Hypertrophie. Zu den Ge¬
bilden, die ständfg in dieser ersten kausalen Periode sich befinden,
gehören die Tumoren.
Bevor wir auf die Darstellung der anderen kausalen Perioden
der Ontogenese eingehen, mag hier noch kurz einiges Wichtige
über die Determinationsfaktoren, soweit es in diese Zeitspanne ge¬
hört, Erwähnung finden.
In der Eizelle liegen alle die Differenzierung bestimmenden Fak¬
toren „determiniert“. Diese ist daher ein Gebilde der „Selbstdif¬
ferenzierung“, ein Oebilde, das alle die Art der Differenzierung be¬
stimmenden Ursachen in sich selber trägt. (Eine Frage besonderer
Art ist beispielsweise die nach der Zeit der Ausführung des
„determinierten“ und den dieses veranlassenden Faktoren!) Auf
dem Zweizellenstadium nun besitzt der Gesamtorganismus ebenfalls
die Fähigkeit der Selbstdifferenzierung, nicht mehr aber im allge¬
meinen seine im Zusammenhang sich befindenden Teile, die beiden
Furchungskugeln; denn jede von ihnen bildet einen halben Embryo.
(Die Ebene der ersten Furche wird zur Symmetrieebene des Körpers.)
Dieses kommt nun daher, daß die Furchungskugeln infolge ihres
Zusammenhanges einen Einfluß aufeinander ausüben in der Art,
daß eine gegenseitige Abhängigkeit (Roux) oder Korrelation (Dar¬
win) entsteht. Die Teile entwickeln sich weiterhin in weitaus größtem
Maße nach dem „abhängigen“ Differenzierungsmodus. Isolierte man
aber beide Furchungskugeln, so müßten jene Korrelationen aufhören.
Die getrennten Zellen würden sich bei geeigneten Bedingungen nun¬
mehr als_ Gebilde der Selbstdifferenzierung weiter entwickeln können.
Roux führte als Erster dieses Experiment auf Grund obiger ana¬
lytischer Erwägungen aus. Aus jeder der beiden Kugeln entwickelte
sich ein halber Embryo. Dieser Befund ergab sich bei den Eiern
der Ktenophoren, Nematoden, Anneliden, Mollusken und Aszidien.
Zu einem wesentlich anderen Ergebnis aber führten dieselben
Versuche bei den Coelenteraten, Echmodermen, Amphioxus, Tele¬
ostiern und urodelen Amphibien. Hier bildete sich nach der Tren¬
nung aus jeder der beiden isolierten Blastomeren ein ganzer, dafür
aber kleinerer Embryo. Die Deutung dieses frappanten Unterschiedes
gab ebenfalls Roux. Sie vermittelte uns einen wichtigen Aufschluß
über die Gruppierung jener Determinationsfaktoren bereits in der
Eizelle; sie zeigte uns, daß eine Architektur in dieser Zelle bestehen
muß, von der uns kein deskriptiver Anatom je etwas hätte mitteilen
können.
Für den ersten Fall, für die Eier der Ktenophoren, Nematoden usw.
muß angenommen werden, daß nicht allein die Zelle als Ganzes
ein Gebilde der Selbstdifferenzierung darstellt, sondern daß viel¬
mehr auch bestimmte Bezirke im Ei diese Fähigkeit besitzen. Bei
der Furchung werden jene Bezirke gesondert und gelangen in die
Tochterzellen, und jede von ihnen besitzt somit ebenfalls jenes Ver¬
mögen. Auf diese Weise lassen sich noch weitere Bezirke der Selbst¬
differenz selbst auf späteren Entwicklungsstadien feststellen. Dies
veranlaßt« nun Roux, den Eiern dieser Tiere eine Art Mosaik¬
struktur zuzuschreiben, wobei das Mosaik von den der Selbstdif¬
ferenzierung fähigen Teilen gebildet wird, die bei den Teilungen
getrennt werden. Die betreffenden Eier nannte er Mosaikeier.
Im anderen Falle nun, wo aus den isolierten Blastomeren zwei,
aber entsprechend kleinere, Ganzbildungen entstehen,’ lag in der
Tat jene oben angegebene abhängige oder korrelative Differenzierung
für jede der beiden Furchungskugeln vor, solange ihr Zusammen¬
hang noch bestand. Trennte mai} die Zellen, so störte man den
Zusammenhang, beseitigte man die Möglichkeit einer Wechselwir¬
kung beider Teile; jetzt trat die ursprüngliche Fähigkeit jeder der
Tochterzellen wieder hervor, die Fähigkeit, eine Ganzbildung hervor¬
zubringen. Dieses Vermögen findet sich bei den genannten Tieren
noch auf späteren Stadien der Furchung. Driesch, dem wfr diese
hochbedeutsamen Feststellungen verdanken, konnte noch aus i/ 4 Bia-
Di gitized by Google
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
664
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 20
stomer eine vollständige Larve (Pluteus) züchten. Auf dem 8-Zellen*
Stadium ergab jede der isolierten Kugeln noch eine Oastrula, V 16 Bla*
stomere eine unvollkommene Oastrula und 1 / S2 Blastomere nur noch
eine Blastula. Würde man aus einem derartigen Ei Teilstücke schnei¬
den, so würden sie sich alle als gleichwertig erweisen — falls sie
noch groß genug sind. Sie würden alle ganze Individuen liefern,
die nur entsprechend kleiner ausfallen würden. Diese Teilstücke
haben die Fälligkeit der „Regulation“ die Eier werden im Gegen¬
satz zu den Mosaikeiem „Regulationseier“ (Heider) genannt. Es
mag noch Erwähnung finden, daß Driesch an obige Erscheinungs¬
reihen die geistreiche Potenzenlehre angeschlossen hat. Er unter¬
scheidet „prospektive Potenz“ von „prospektiver Bedeutung“. Bei
den Regulationseiern ist z. B. auf dem Zweizellenstadium die pro¬
spektive Potenz doppelt so groß als ihre prospektive Bedeutung,
solange sie im Zusammenhänge bleiben. Kann doch aus jeder Zelle
ein ganzes Individuum entstehen, geht aber in Wirklichkeit doch
nur ein halbes daraus hervor. Auf die weiteren bedeutsamen Fol¬
gerungen aus jener Potenzenlehre, auf die Lehren von dem „har¬
monisch-äquipotentiellen System“ usw. kann hier leider nicht ein¬
gegangen werden, darüber geben Drieschs geistreiche und scharf¬
sinnige Werke dem Suchenden Aufschluß.
Die beiden Eiarten — Regulations- und Mosaikeier — sind aber
nicht als absolute Gegensätze zu denken, vielmehr gibt es zwischen
ihnen Uebergänge. Die der Urodelen bilden die Brücke zwischen
ihnen. Man Icann sich vorstellen, daß hier die Geschwindigkeit der
Regulation geringer ist, während dieser Prozeß bei den typischen
genannten anderen Regulationseiern schneller verläuft.
Je weiter nun die Differenzierung fortschreitet, desto beherr¬
schender wird der abhängige oder korrelative Differenzierungsmodus.
Diese Erkenntnis verdanken wir vor allem der kausalen Morphologie,
die gerade dadurch uns Einblicke in das Wesen der Gestaltungen
ermöglichte, die von der alten Forschungsrichtung niemals hätten
gegeben werden können, da dies außerhalb der Leistungsfähigkeit
ihrer Methoden liegt, da auch eine solche Fragestellung ihrem Wesen
fremd ist. Betrachtet doch die deskriptive Embryologie die Ent¬
wicklung so, als wenn alle Bildung allein durch Selbstdifferenzierung
entstünde. Die Em. dagegen bestrebt sich festzustellen, unter Mit¬
wirkung welcher Faktoren außerhalb des gerade betrachteten Kom¬
plexes die Gestaltung eines Organes zustandekommt. Eine große
Reihe wichtiger Beziehungen konnte hier aufgedeckt werden. Dür-
ken entfernte bei Larven von Rana fusca auf sehr frühem Stadium
die Anlage einer hinteren Extremität. Es zeigte 9ich, daß die dazu¬
gehörige Beckenhälfte nicht gebildet wurde. Die zu den Nerven
des Beines gehörenden Spinalganglien bleiben in der Ausbildung
und der Zahl nach zurück, gleichfalls die entsprechenden Teile des
Rückenmarks und sogar des Gehirns (Leitungsbahnen, motorische
Zellen, Mittelhirn usw!). Nahm er die Exstirpation auf noch früheren
Stadien vor, so war der Effekt noch weitergehend. Die Wir¬
kungen erstreckten sich sodann auch auf die Gliedmaßen der nicht-
operierten Seite. In einigen Fällen kamen diese gar nicht erst zur
Entwicklung. So zeigt sich also die Differenzierung des Zentral¬
nervensystems in weitem Maße abhängig von der der Extremitäten.
Hierbei sei aber darauf hingewiesen, daß diese Abhängigkeit
wechselseitig (echte Korrelation) ist, daß nämlich eine normale
Ausbildung der Extremitäten nur erfolgt, wenn auch das Zentral¬
nervensystem sich ungestört entwickelt. Ein weiteres Beispiel der
abhängigen Differenzierung ist in dem oben genannten Falle der
Linsenbildung gegeben, der für Rana fusca festgestellt wurde. Ein
anderes Ergebnis entsprang Speemanns Versuchen mit Rana escu-
lenta. Hier bildete sich eine Linse aus dem Ektoderm selbst nach
Zerstörung des Augenbechers oder Entfernen desjenigen Himteiles,
dessen Material die Augenanlage lieferte. Hier entsteht also die
Linse durch Selbstdifferenzierung.
Ergab das erste Beispiel eine wechselseitige Abhängigkeit (echte
Korrelation), so haben wir es im zweiten Falle mit einer „einseitigen
Korrelation“ (Roux) oder „echten Relation“ zu tun. Von der Auf¬
zählung noch weiterer Arten der Beziehungen zwischen den Teilen
des Organismus beim Aufbau mag hier Abstand genommen werden.
Die Lehre von der Eiarchitektonik sowie die von den Differenzie¬
rungsarten ließen einen ungefähren Einblick in das Wesen der
Determinationsfaktoren zu. Dieser Einblick ist freilich noch recht
oberflächlich, gilt er doch allein für große Komplexe. Auch ist
es uns bislang so gut wie vollkommen verwehrt, das Wirken dieser
Faktoren selbst beeinflussen zu können. Es ist uns nicht gegeben,
ihrem Lauf willkürlich eine Aenderung aufzuzwingen, infolge deren
auch eine veränderte Artgestaltung resultiert. Wagt man es jetzt
überhaupt noch, nach der Art der chemischen, biochemischen oder
physikochemischen Prozesse zu fragen, durch die doch ohne Zweifel
allein der Organismus aufgebaut wird? Gegenwärtig kann uns noch
kein Chemiker sagen, wie eine chemische Umsetzung möglich ist,
in deren Gefolge eine Form entsteht, die die Fähigkeit der Assimila¬
tion, der Selbstvermehrung, der Teilung, der Besserung im Ge¬
brauch usw. besitzt. Auch die „morphochemische Konstitution“, die
nach Ruczicka alle morphogenen Prozesse bewirkt und dirigiert,
die im besonderen Stoffwechsel, jedes Individuums besonders wer¬
dend, auch auf die Keimzellen übergeht, von hier aus als Träger
der Vererbungssubstanz sowie der vererbten Prozesse zusammen
mit denen des anderen Individuums wieder die gesamte Morpho¬
genese des neuen Organismus leitet, auch diese „morphochemische
Konstitution“ ist — so schön Gedanke wie Wort — doch im
Grunde ein Begriff ohne Inhalt; denn jede nähere Frage an sie
bleibt unbeantwortet. Sicherlich wird Ruczickas Gedanke von
Bedeutung werden, wenn die Physikochemie der Aufbauvorgänge
einmal über den ersten Anfang hinweg sein wird, sodaß eine ex¬
perimentelle Inangriffnahme derartiger Oedankengänge sich ermög¬
lichen läßt. Gegenwärtig dagegen bewegt man sich hier noch in
rein formalen Erwägungen, die keinen exakten experimentellen Unter¬
grund besitzen.
Chirurgische Ratschläge für den Praktiker.
Von Q. Ledderhose in München.
XIX.
Gallensteine und Magengeschwür.
Trotz der fast erschöpfenden Bereicherung unserer Kenntnisse
von den Gallenblasenerkrankungen, welche wir namentlich der opera¬
tiven Chirurgie verdanken, kommt es doch noch häufig vor, daß nicht
nur Laien, sondern auch Aerzte erstaunt sind, wenn man vermeintliche
hartnäckige „Magenkrämpfe“ als die Folge von Gallensteinen
deutet. Manche Aerzte glauben, bei Fehlen von Ikterus ein Gal¬
lenblasenleiden nicht annehmen zu dürfen, während tatsächlich
Ikterus bei der Cholezystitis die Ausnahme bildet. Verwirrend hat
wohl auch gewirkt, daß auf Grund bestimmter Erfahrungen als
Ursache der Kolikanfälle in der Hauptsache nicht die Wanderung
und Einkeilung der Gallensteine, sondern die Dehnung der Blasen-
wand durch entzündliches Exsudat verantwortlich zu machen ist.
Und wenn auch die Steine in erster Linie die Disposition zu dieser
Entzündung abgeben, so sind sie doch nicht unbedingtes Erfordernis
für sie. Die von der Gallenblase und vom Magen ausgehenden
Schmerzanfälle zeigen meist sehr deutliche Unterschiede. Gallen¬
blasenkrämpfe überfallen den Kranken in der Regel im Schlaf
während der Abend- oder Morgenstunden, nachdem keine oder nur
geringe Vorboten und Störungen vorausgegangen waren. Es ent¬
stehen sehr heftige, bisweilen zu Ohnmachtsanwandlungen führende,
zusammenziehende Schmerzen in der Oberbauchgegend, die nach den
Seiten oder nach der rechten Schulter ausstrahlen. Aufstoßen, Uebel-
keit und galliges Erbrechen treten auf. Der Kranke hat beschleunigten,
kleinen Puls; zuweilen besteht Frösteln oder Schüttelfrost, ferner
leichte oder auch erhebliche Temperatursteigerung. Die Oberbauch¬
gegend ist gespannt und die Gallenblasengegend lebhaft druckschmerz¬
haft; öfter läßt sich die vergrößerte Blase fühlen. Leberschwellung
fehlt meistens. Besteht ausnahmsweise Ikterus (Untersuchung der
Augenbindehaut), so ist dies für die Diagnose von großer Bedeutung.
Der Anfall dauert in der Regel Vs—1 Stunde, kann sich aber auch
auf mehrere Tage erstrecken. Nur selten lassen sich nach dem AnfaD
Steine im Stuhl nachweisen.
Starke krampfartige Magenschmerzen sprechen in der Mehr¬
zahl der Fälle für Ulkus. Auf dieser Grundlage entstehen sie, im
Gegensatz zu den Gallenblasenschmerzen, 1 / 2 , 1—2 Stunden nach der
Hauptmahlzeit. Sie werden als bohrend oder brennend in der Magen¬
grube empfunden und strahlen nach der linken Seite und nach dem
Rücken aus. Sitzt das ursächliche Geschwür an der hinteren Magen¬
oder Duodenalwand, so lokalisiert sich der Schmerz zuweilen allein
in der linken oder rechten Rückenseite. Für das Duodenal¬
geschwür werden als besonders bezeichnend die sog. Hunger¬
schmerzen, d. h. die bei leerem Magen, namentlich in der Nacht,
auftretenden Schmerzanfälle angesehen. Im ganzen pflegen die Ulkus-
schmerzen nur selten die Stärke der Krampfanfälle bei der Chole¬
zystitis zu erreichen.
Die Bedeutung der mit Koliken einhergehenden lithogenen
Cholezystitis ist abhängig von dem Grad der Infektion undden
dadurch bedingten Veränderungen der Gallenblasenwand. Als seröses,
eitriges oder jauchiges Exsudat, als Infiltration, Geschwürsbildung
oder Nekrose kommt die akute Entzündung der Blase zum Ausdruck.
Begrenzte Beteiligung des benachbarten Bauchfells (Perizystitis), die
zu Verwachsung (Kolon, Netz, Duodenum, Magen) und selten zu
Abszeßbildung führt, findet häufig statt. Ein besonders bedeutungs¬
voller Ausgang der Gallenblaseninfektion ist der, daß sich eine Ver¬
bindung zwischen der Blase und dem Verdauungskanal, überwiegend
häufig dem Duodenum, herstellt, welche den Durchtritt größerer
Steine gestattet (Gefahr des Gallensteinileus). Denn Konkre¬
mente, die Kirschsteingröße überschreiten, vermögen wohl nicht auf
natürlichem Wege durch die Gallengänge in das Duodenum zu ge¬
langen. Welcher Grad von Infektion der Blase vorliegt, läßt siai
meist, wenn auch nicht immer, aus der Stärke der lokalen und all¬
gemeinen Symptome entnehmen. Für die Würdigung der Gallenstem-
krankheit ist es von großer Bedeutung, daß sie nicht nur lange oder
selbst während des ganzen Lebens symptomlos bestehen, sondern
auch jederzeit nach einem oder mehreren Schmerzanfällen für ver¬
schieden lange Dauer latent werden kann.
Der Gallensteinkranke ist von zahlreichen Komplikationen
bedroht, die ihn in Lebensgefahr zu bringen vermögen. Zunächst
sei auf die Cholangitis, die infektiöse Entzündung der maßen-
gänge, auch derjenigen der Leber, hingewiesen, die sich öfter im
Anschluß an Cholezystitis (mit und ohne Steine), aber auch unabhängig
von einer solchen entwickelt. Schüttelfröste, hohes Fieber, ungün¬
stiges Allgemeinbefinden, schmerzhafte Schwellung der Leber'und
Gallenblase sowie Ikterus setzen das Krankheitsbild zusammen. Der
| Ausgang in diffuse eitrige Cholangitis, in Leberabszesse und schwere
I Allgemeininfektion (Pvlephlebitis) bedingt zweifelhafte oder ungün*
Digitized b'
v Google
Original from
CORNELL UNÜVERSSTY
19. Mai 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
665
stige Prognose. Kommen Gallensteine in Bewegung, so können sie
am _ Blasenhals festgehalten werden und als sog. Ventilsteine
vorübergehenden Abschluß der Blase mit entsprechenden Folgen ver¬
ursachen, ferner sich im Zystikus einklemmen (Anlaß zu Gallen-
blasenhydrops) oder im Choledochus liegen bleiben. Letzteres bedingt
Ikterus und im übrigen der akuten Cholezystitis verwandte Erschei¬
nungen. Bei chronisch verschließendem Choledochusstein kommt
es in der Regel zu Erweiterung des Ganges leberwärts, während die
Gallenblase geschrumpft angetroffen wird. Als Folge des länger
dauernden Ikterus kann sich die hämorrhagische Diathese
mit der Gefahr bedrohlicher Blutungen ausbilden. Von großer dia¬
gnostischer und prognostischer Bedeutung ist die Unterscheidung des
Rthogenen Choledocnusverschlusses von dem durch Karzinom ins¬
besondere des retroduodenalen Choledochusabschnittes oder des Pan¬
kreaskopfes hervorgeritfenen chronischen Stauungsikterus. In den
letzteren Fällen gründet sich die Diagnose, abgesehen von dem
Palpationsbefund darauf, daß der Ikterus stetig zunimmt und keine
Schwankungen wie beim Choledochusstein zeigt, daß Entziindungs-
erscheinungen (Koliken) fehlen und daß keine Schrumpfung der Gallen¬
blase erfolgt. Zuweilen muß wegen Unbestimmtheit der Symptome
die Diagnose in der Schwebe bleiben, und erst die Operation vermag
Klarheit zu bringen. Ein besonders gefährliches Ereignis bedeutet die
Perforation der infizierten Gallenblase in die freie Bauchhöhle.
Zu einem bestimmten Urteil darüber, ob im Einzelfalle ein Gallen¬
steinleiden und welche Form vorliegt, ist zunächst die genaue
Aufnahme der Anamnese und deren richtige Deutung erforderlich.
Die durch Uebung verfeinerte, eingehende Untersuchung ist in
Rücken- und Seitenlage des Kranken vorzunehmen. Durch flache
Lagerung, Anziehenlassen der Beine gegen den Bauch, tiefe Atmung
und Ablenkung der Aufmerksamkeit, vielleicht auch mit Hilfe des
wannen Bades muß die reflektorische Spannung der Bauchmuskeln
ausgeschaltet werden. Die Leber ist von der Lendengegend aus mit
der einen Hand der von vom untersuchenden anderen entgegenzu¬
drücken. Während tiefer Inspiration gelingt es dann häufig, die
erkrankte Gallenblase zu fühlen sowie ihre Verschieblichkeit durch
die Atmung und Einzelheiten der krankhaften Veränderungen fest¬
zustellen. Hat sich der untere Leberrand mit der vergrößerten Gallen¬
blase lappenförmig verlängert (Riedelscher Lappen), so bedeutet dies
einen wertvollen Teil des diagnostischen Palpationsbefundes.
Die Erfahrungstatsachen, daß auch zahlreiche und große Steine
sowohl in der Gallenblase als in den Gängen dauernd vollkommen
symptomlos ertragen werden, daß die überwiegende Mehrzahl der
infektiösen Erkrankungen des Gallensystems (abhängig oder unab¬
hängig von Steinen) spontaner Heilung fähig ist und daß selbst nach
wiederholten, auch schweren Anfällen das Eintreten eines langen,
i 'a dauernden Latenzstadiums nicht ausgeschlossen ist, haben vielfach
lemmend auf den Entschluß zu operativer Behandlung ein¬
gewirkt. Dazu kommt, daß sich das Gallensteinleiden durch zweck¬
mäßiges körperliches und diätetisches Verhalten sowie durch die
bekannten Trinkkuren in weitgehender und oft entscheidender
Weise günstig beeinflussen läßt. Da bei allen Gallensteinkrankcn die
Gefahr plötzlicher ernster Komplikationen besteht, und da die Steine
enthaltende Blase in gewissem Grade zu Karzinom disponiert ist,
konnte man dank der bedeutenden Vervollkommnung der Technik
neuerdings die Grenzen für die operative Behandlung immer weiter
ziehen. Mehr und mehr sind Stimmen zugunsten der Frühoperation
schon nach dem ersten ausgesprochenen Anfall von Cholezystitis laut
geworden (4% Mortalität nach Körte), und die Exstirpation der
Gallenblase ist fast ganz an die Stelle ihrer Eröffnung und Drainage
getreten. Allgemeine Uebereinstimmung besteht darüber, daß die
chronische Cholezystitis mit wiederholten Anfällen, wenn die
üblichen Behandlungskuren keine langdauemde Latenz herzustellen
vermochten, wenn die Arbeitsfähigkeit und der Lebensgenuß der
Kranken ernstlich in Frage gestellt sind, oder wenn diese gar bereits
Morphinisten geworden sind, die Radikaloperation indiziert. Das
Empyem der Gallenblase erfordert ohne weiteres Eröffnen der Blase
und, wenn keine Gegenanzeige besteht, die Ektomie. Bei infektiöser
Cholangitis ist Drainage der Gallenwege von der eröffneten
Gallenblase (Cholezystostomie) oder besser von dem eröffneten
Choledochus aus (Hepatikusdrain ige) angezeigt. Bei pyämischem
Charakter der Erkrankung oder bei multiplen Leberabszessen ist die
Operation aussichtslos. Hat der Steinverschluß des Zystikus
zu starker Vergrößerung und Hydrops oder Empyem der Gallenblase
geführt, so ist deren Exstirpation erforderlich. Gegenüber dem aku¬
ten Choledochusverschluß war man früher zurückhaltend in
der Erwartung, daß durch Einwandern des obturierenden Steines (oder
Spulwurms) in den Zwölffingerdarm schnelle, vollständige Erleichte¬
rung eintreten würde. In neuerer Zeit wird die frühzeitige Operation
(Choledochotomie mit nachfolgender Naht oder Hepatikus-
drainage) empfohlen. Beim chronischen Steinverschluß
des Choledochus wird leider nicht selten durch unberechtigt
lange fortgesetzte Kuren die Entwicklung derikterischen hämor¬
rhagischen Diathese heraufbeschworen, welche den Erfolg der
Operation ernstlich in Frage stellt (Blutungsgefahr aus der Wunde
oder etwa aus dem Magen). Dies ist zu befurchten, wenn erst später
als ungefähr 2 Monate nach Entstehen des Krankheitsbildes operiert
wird. Nur ganz ausnahmsweise ist es gelungen, den Krebs der
Gallenblase oder der Gallengänge frühzeitig radikal zu entfernen.
Wenn chronische Gallenstauung durch Hindernisse, wie Karzinom
oder Narben, bedingt ist, die sich operativ nicht beseitigen lassen, so
kommen die verschiedenen Verfahren der Anastomosenbildung
zwischen dem Gallensystem und dem Verdauungskanal in Betracht.
Es sollte nicht versäumt werden, jeden Fall von Erkrankung der
Gallenblase oder der Gallenwege durch den chirurgischen Facharzt
begutachten zu lassen.
Das sicherste objektive Zeichen des runden Magengeschwürs
ist zweifellos die im Röntgenbild erkennbare Niscne (Haudeksches
Divertikel), eine kleine, mit dem Kontrastbrei sich anfüllende Aus¬
buchtung des Magenschattens, entsprechend dem die Magenwand
durchsetzenden Grund eines chronischen, kallösen, penetrierenden
(Leber, Pankreas) Geschwürs. Fast ebenso bestimmt ergibt sich die
Diagnose des Ulcus ventriculi, wenn regelmäßig röntgenologisch an
einer bestimmten Stelle tiefe, quere Einziehung des Magens
beobachtet wird, deren Fußpunkt ein Geschwür zu bilden pflegt
(spastischer Sanduhrmagen im Gegensatz zum narbigen), weiter
rechtfertigt eine reichliche Magenblutung, wenn nicht besondere
Gründe dagegen sprechen (Leberzirrhose, hämorrhagische Diathese),
die Annahme des Magengeschwürs. Diese ergibt sich drittens in
bestimmter Weise aus den Merkmalen der narbigen Pylorus¬
stenose mit nachfolgender Erweiterung des Magens. Von den
übrigen Symptomen seien folgende genannt. Die in ihrer Eigenart
bereits eingangs erwähnten Schmerzen, die scharf begrenzte Druck¬
empfindlichkeit, Aufstoßen, Sodbrennen, Erbrechen saurer, bluthalti¬
ger Massen, Hypersekretion und Hyperazidität (vermehrte freie Salz¬
säure) des Magensaftes, Obstipation, okkultes Blut im Stuhl. Die
verlangsamte Magenentleerung infolge von spastischer oder narbiger
Pylorusverengerung läßt sich deutlich durch die Röntgenuntersuchung
erkennen. In vorgeschrittenen Fällen besteht reichliches Erbrechen,
die Perkussion und Aufblähung des erweiterten Magens ergibt Tief¬
stand seines unteren Randes bei Eingesunkensein des Epigastriums.
Es ist eine dem Magen entlang verlaufende peristaltische Welle zu
beobachten, Beklopfen des Magens bewirkt Steifung seiner Wand, und
Plätschergeräusche lassen sich mit seinem Inhalt hervorrufen. Der
früh nüchtern ausgeheberte Inhalt enthält noch Speisen vom Tag.
vorher. Narbige Pylorusstenose mit Mageninsuffizienz führt zu hoch¬
gradiger Abmagerung und Austrocknung des Körpers. Beim Duode¬
nalgeschwür wird ausgesprochene Periodizität, d. h. Abwechseln
von Zeiten mit und ohne Beschwerden, häufig beobachtet. Es zeichnet
sich gegenüber dem Magengeschwür durch größere Gefährlichkeit
der Blutungen sowie durch vermehrte Neigun? zu Perforation in die
freie Bauchhöhle aus. Bevor es bei ernster Blutung aus Magen¬
oder Duodenalgeschwüren zu Blutbrechen oder Blutstuhl kommt,
treten Gähnen, Ohrensausen, Schwindelgefühl, Uebelkeit und zuweilen
Ohnmacht auf. Auch bei schwerer Duodenalblutung bleibt das Er¬
brechen öfter aus.
Die nahe symptomatische Verwandtschaft zwischen Magen¬
geschwür und Gallenblasenerkrankungen bezieht sich in erster Linie
auf die Art und Lokalisation der spontanen und Druckschmerzen.
Bemerkenswert ist, daß vom Gallensystem ausgehende peritoneale Ver¬
wachsungen und Verhärtungen Magenbeschwerden zu verursachen,
den Magenausgang oder,das Duodenum zu verengern und Stauung
hervorzurufen vermögen. Die Symptome der selbständigen Magen¬
senkung (Gastroptose) lassen sich nicht immer leicht von den
Ulkuserscheinungen unterscheiden. Aber am wichtigsten und zu¬
weilen erheblich schwierig oder selbst unmöglich ist die diagnostische
Trennung des einfachen von dem krebsigen Magengeschwür.
Der Krebs tritt in der Ueberzahl der Fälle bei bis dahin magen-
gesunden Personen in die Erscheinung. Zuerst machen sich Schmer¬
zen und Störungen des Appetit? geltend, es folgen Aufstoßen, Er¬
brechen, Abnahme der Körperkräfte, kachektisches Aussehen. Die
Untersuchung weist in der Regel eine tumorartige Verhärtung am
Magen nach, die längere Zeit verschieblich bleiben kann; unregel¬
mäßig begrenzte Aussparung am Rande des Röntgenschattens, dem
Sitz der Neubildung entsprechend, ist häufig festzustellen. Der Magen¬
inhalt ist bluthaltig (kaffeesatzähnlich), ebenso der Stuhl; freie Salz¬
säure pflegt zu fehlen, Milchsäure, Hefe und sogenannte lange Bazillen
werden gefunden. Greift der Krebs in seinem weiteren Verlauf auf
das Baudifell über (Aszites), bilden sich Metastasen im Douglas, am
Nabel, in der Leber, in den Drüsen der linken Oberschlüsselbeingrube
oder in den Knochen (Spontanfraktur), werden Kachexie und Anämie
(bis 15o/o Hämoglobin) immer ausgesprochener, so müssen diagno¬
stische Zweifel mehr und mehr verstummen.
Im Gegensatz zur Choleiithiasis und Cholezystitis kann keine
Rede davon sein, etwa bei jedem Ulcus ventriculi oder duodeni die
Frühoperation zu empfehlen. Denn es darf als sichergestellt
angesehen werden (Vergleich von Operations- und Sektionsbefunden,
Röntgenuntersuchung), daß diese Geschwüre ausheilen können und
daß sie sich in einer großen Anzahl von Fällen durch diätetische und
medikamentöse Behandlung für längere Zeit oder dauernd in Latenz
überführen lassen. Wenn jedoch trotz wiederholten sogenannten
Ulkuskuren lebhafte Beschwerden fortbestehen, wenn es nicht gelingt,
den erreichten Erfolg aufrechtzuerhalten, weil der Kranke beruflich
oder wirtschaftlich verhindert ist oder nicht den Willen hat, die
notwendigen ärztlichen Vorschriften zu erfüllen, mit anderen Worten,
wenn der Kranke durch Beschwerden in seiner sozialen Betätigung und
Arbeitsfähigkeit ernstlich gestört bleibt, so ist operative Behand¬
lung angezeigt. Bei hochgradiger Magenstauung infolge von nar¬
biger Pylorusenge läßt sich zwar durch häufiges Aushebern
des Magens ein einigermaßen erträglicher Zustand erreichen, aber
gerade diese Fälle ergaben von jeher mit der Gastroenterosto¬
mie die besten operativen Erfolge, vorausgesetzt daß man nicht zu
lange gewartet und deshalb der ganz atonisch gewordene Magen die
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
666
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 20
Fähigkeit verloren hatte, seinen Inhalt durch eigene Kraft zu ent¬
leeren. Bei schwerer, lebensgefährlicher Ulkusblutung wird man
sich, nachdem die allgemeinen und lokalen (Eiswasserspülungen,
Adrenalin) Mittel erschöpft sind, wegen der wenig günstigen Prognose
nicht leicht zur Operation entschließen. Sich mehrfach wiederholende
Blutungen indizieren operative Behandlung.
Die Ansichten über den Wert der zunächst am häufigsten bei
Geschwür des Magens oder Zwölffingerdarms ausgeführten Operation,
der vorderen Gastroenterostomie (Wo! fl er 1881), haben
große Schwankungen durchgemacht. Während lange Zeit dieses Ver¬
fahren, namentlich mit Hinzufügen der Anastomose zwischen beiden
Darmschenkeln nach Braun, als Operation der Wahl gegolten hatte,
ging man dann fast allgemein zur hinteren Gastroenterosto¬
mie mit kürzester Schlinge über und verband mit ihr den Ver¬
schluß des Pylorus, fiir den verschiedene Methoden, als sicherste
die Pylorusausschaltung nach v. Eiseisberg, angegeben wurden.
Später traten die Bestrebungen in den Vordergrund, namentlich die
kallösen, penetrierenden, karzinomverdächtigen und pvlorusfemen Ge¬
schwüre durch die Resektion des Magens vollständig zu entfernen,
wofür eine größere Anzahl von Verfahren zur Verfügung steht. In
neuester Zeit wurde von mehreren Seiten die Indikation der Resektion
wieder zugunsten der Gastroenterostomie eingeschränkt, und es stellte
sich heraus, daß namhafte Autoren der vorderen Gastroenterostomie
seit langem treugeblieben und mit den Erfolgen zufrieden sind. Gegen
die Pylorusausschaltung als Hilfsoperation der Gastroenterosto¬
mie spricht, daß nach ihr verhältnismäßig häufig das Ulcus pepticum
jejuni beobachtet wurde. Als neueste, von mehreren Seiten ergangene
Empfehlung ist die Exstirpation des Ulkus zusammen mit der kleinen
Kurvatur (Magenstraße nachWaldeyer und A s c h o f f) zu nennen
in der Absicht, den am meisten zur Geschwürsbildung disponierten
Teil des Magens vollständig zu entfernen (Zbl. f. Chir. 1921 u. 22).
Bei der Auswahl der Methode zur operativen Ulkusbehandlung kommen
im Einzelfalle die Lage des Geschwürs, die größere und geringere
Schwierigkeit der Ausführung, das Alter und das Allgemeinbefinden
des Kranken sowie namentlich die persönliche Erfahrung des Chirurgen
entscheidend in Betracht. Beim Ulcus duodeni naben sich die
Gastroenterostomie mit Pylorusverengern und in geeigneten Fällen
die Exzision oder Resektion bewährt. Im ganzen läßt sich sagen,
daß die Frage, in welchem Umfang die interne Behandlung des
Magen- und Duodenalgeschwürs allem imstande ist, Heilung oder
Latenz herbeizuführen, noch weiterer Klärung bedarf und daß die
Zukunft eine schärfere Erkenntnis von der Leistungsfähigkeit und
den Indikationen der verschiedenen zur Verfügung stehenden Ope¬
rationsverfahren bringen muß.
Kursus der gynäkologischen Technik.
Von Prof. H. Freund in Frankfurt a. M.
III. .
lotrauterintechoik der Diagnose und Therapie.
Alle, auch die einfachsten Eingriffe ins Gebärmiitterinnere, z. B.
die Sondierung, erfordern schon eine besondere Geschicklichkeit und
Uebung, die Fähigkeit, Hand und Instrument, entsprechend den Er¬
gebnissen der voihergegangenen bimanuellen Untersuchung und der
anatomischen Vorstellung zu führen. Niemals darf man irgendwie
in die Uterinhöhle eingehen, bevor nicht die Diagnose gesichert
ist, sowohl hinsichtlich des Zustandes des Organs und seiner Um¬
gebung, als auch hinsichtlich seiner Lage im Becken. Es ist selbst¬
verständlich, daß man eine Schwangerschaft ausschließen muß, ehe
man zur Sonde greift, daß man bei gonorrhoischer, eitriger, syphiliti¬
scher, krebsiger Erkrankung der Vulva und Vagina, bei akut fieber¬
haften Prozessen in den Adnexen, den Parametrien und dem Bauch¬
fell jeden intrauterinen Reiz, alles Einschleppen infektiösen Materials
in das Cavum uteri vermeidet. Und wie selten ist überhaupt eine
Sondierung nötig! Wir bestimmen die Entwicklung und Lage
der Gebärmutter durch das Tastgefühl, wir schätzen ihre Länge ab.
Mit der Sonde wollen wir hauptsächlich die Durchgängigkeit und
Weite des Zervikalkanals und den Zustand der Korpusschleimhaut
bestimmen, ersteres bei der „mechanischen“ Dysmenorrhoe, die also
nicht durch Erkrankungen des Uterus oder der Adnexe bedingt ist,
und bei der daraus folgenden Sterilität, letzteres bei Endometritis
und Krebsverdacht. Wer anfangs nicht ohne Freilegen des Mutter¬
munds die Sonde einführen kann, benutze womöglich Fälle von Ge¬
bärmuttervorfall dazu, bei denen die Portio vor oder in dem In¬
troitus vaginae steht, immer nach guter Desinfektion. Ich verwende
am liebsten biegsame, nicht zu dühne Sonden, an Stelle der feststehen¬
den und winklig abgebogenen, die eher einmal verletzen könnten.
Die Sonde muß man wie einen Schreibgriffe! leicht zwischen zwei
Fingern, nie in der vollen Faust einführen, beim geringsten Wider¬
stand am inneren Muttermund und am Fundus anhalten und niemals
gewaltsam vorschieben. Perforationen kommen am puerperalen und
entzündeten Uterus ebenso leicht vor, wie am karzinomatösen, aber
auch bei fehlerhaftem Vorgehen am normalen Organ. Hat die Sonde
das Os internum überwunden, so läßt man sie planmäßig längs und
quer über die vordere, dann über die hintere Korpuswand weggleiten,
zuletzt unter seitlicher Drehung ihres Knopfes über die Tubenwinkel,
wobei man sich einen Eindruck von der Dicke und Konsistenz der
Wände, von etwaiger auffälliger Glätte oder Rauhigkeit zu verschaffen
trachtet und auf eine allgemeine oder umschriebene Schmerzhaftig¬
keit achtgibt. In eine normale Schleimhaut senkt sich der Sonden¬
knopf etwa wie in Sammet, über eine narbige Mukosa wie über eine
polierte Platte, bei hyperpiastischer Endometritis, Polypen, Eiresten
und malignen Wucherungen über unregelmäßige, bald weichere, bald
markige, bald derbere Erhebungen. Eine allgemeine Schmerzhaftig¬
keit im Uterusinneren mahnt zur Vorsicht, weil Entzündungen in
der Umgebung im Entstehen begriffen sein können, eine umschriebene
Empfindlichkeit ist der interstitiellen Endometritis eigen. Manchmal
macht die Sonde den Weg für zurückgehaltenen Inhalt frei, wenn
bei Entzündungen, bösartigen Tumoren oder Altersveränderungen
Verklebungen im Zervikalkanal gelöst werden; eine Eiteransammlung
wird damit manchmal erkannt (Pyometra). Den Schluß der Son¬
dierung bildet das Messen der Uteruslänge. Man bringt den Knopf
vorsichtig an die höchste Stelle des Fundus, legt die Kuppe des
Zeigefingers an Sonde und äußeren Muttermund zugleich und zieht
den Finger, der die fixierte Stelle an der Sonde nicht verlassen darf,
mit dieser heraus. Die graduierte Sonde gestattet das einfache Ab¬
lesen der Uteruslänge, die normal 7 cm mißt.
Ein weiterer energischer Schritt zur intrauterinen Diagnose und
gegebenenfalls zur Therapie ist die stumpfe Erweiterung des
Zervikalkanals, einschließlich des inneren Muttermundes, mit
dem Zweck der Austastung bzw. Ausräumung der Uterinhöhle. Das
kann man in einer Sitzung mittels der Hegarschen Stifte höchstens
bei graviden, abortierenden oder puerperalen Uteri, sonst nur mittels
eines Laminariaquellstiftes erreichen. Wenn man bedenkt, daß hinter
einem solchen, den Zervixwänden sich anschmiegenden Quellmeißel
alles Sekret sich stauen muß. so erkennt man darin ein gewisses
Bedenken und wird, da die Tuben besonders leicht durch Rückstauung
erkranken, bei bestehenden Infektionen, auch den gonorrhoischen,
von dem Verfahren abstehen. Im übrigen ist dasselbe einfach: Des¬
infektion, Einführen des in Alkohol aufbewahrten Stiftes in den im
Spekulum eingestellten Muttermund bis über das Os internum hinaus
Wählt man die Laminaria von vornherein nicht zu dünn und nur
eine solche, die von einem langen, festen Faden durchzogen ist,
so kann sie nach der Dilatation nicht völlig ins Cavum uteri ge¬
raten; legt man einen Gazetampon in die Scheide, so kann der
Stift nicht herausfallen. Man teilt der Patientin mit, daß leichte,
wehenartige Schmerzen auftreten müssen, läßt die Laminaria unter
guter Temperaturbeobachtung 6—12 Stunden liegen und tastet dann
unmittelbar nach ihrer Entfernung, eventuell im Aetherrausch, den
Uterus aus. Die Methode liefert bei unklaren Blutungsfällen, beim
Verdacht auf kleine, mit der Sonde nicht nachweisbare Polypen,
Eiresten, gutartigen oder bösartigen Neubildungen mitunter über¬
raschende Resultate, wenn sie auch nicht gerade häufig herangezogen
zu werden braucht. — Vor einer Auskratzung des Uterus zu
diagnostischen (Karzinom!) oder therapeutischen Zwecken ist sie
gewöhnlich unnötig. Hier genügt die extemporierte Erweiterung
mit Hegarschen Stiften oder Dilatationssonden (Schultze-Freund).
Die Auskratzung ist jahrelang die verbreitetste gynäkologische Ope¬
ration gewesen. Sauber, schonend und aus richtiger Indikation aus¬
geführt, ist sie unentbehrlich und erfolgreich, andernfalls stiftet sic
Schaden, gar nicht selten bleibenden Schaden. Sie ist lediglich in¬
diziert: als Probeausschabung bei begründetem Verdacht aui
Krebs und Tuberkulose; als entleerende Operation bei sicher
nachgewiesener interstitieller und hyperplastischer Endometritis, bei
Eiretention und unoperablen Wucherungen. Sie ist kontraindi¬
ziert bei Adnexerkrankungen, akuter und subakuter Entzündung
in den Genitalien, bei Dysmennorrhoe und Sterilität ohne nachweis¬
bare Veränderungen im Uterusinnern. — Ein Fehler ist das über¬
mäßige Wegkratzen der Schleimhaut, das zu energische Vor¬
dringen in die Tiefe und die Fläche. Ich habe langwierige Amenor-
thoe und unheilbare Sterilität nach solchen Eingriffen gesehen und be¬
ziehe manchen FaH von Abortus, Placenta praevia, accreta, manche
Schmerzhaftigkeit darauf. Es soll nur eine Abrasio mucosae, ein
„Rasieren“ sein, das übrigens nur im Krankenhaus nach guter Vor¬
bereitung mit Assistenz und Nachbehandlung vor sich gehen soll.
Gewiß kann es auch im Privathause geschehen, wie z. B. beim
Abortus, aber unglückliche Zufälle kommen dabei vor, und die Re¬
sultate sind nicht immer genügend. Die Wahl der Küretten schon
ist wichtig, sie müssen in verschiedener Breite zur Hand sein, am
besten biegsam und jedenfalls an ihrem äußeren Rand stumpf und
abgerundet. Die Operation selbst geschieht ohne Narkose bei nicht
allzu empfindlichen Frauen, weil eine Schmerzäußerung zur Vorsicht
zwingt und die nicht erschlafften Organe weniger leicht verletzlich
sind. Nach peinlicher Desinfektion werden die Dilatatoren unter
Anhaken der vorderen Muttermundslippe mittels Kugelzange oder
Muzeux im Spiegel langsam wie Uterussonden eingeführt, wobei
ein zu tiefes Vorschieben unnötig ist, weil doch nur Zervix und
innerer Muttermund erweitert werden soll. Eine Dilatation^ auf
8 — 81/2 mm Lichtung genügt für die gewöhnlichen Fälle. Die Kürette
fährt dann leicht und planmäßig über die vordere Korpuswand in
Tangen parallelen Zügen hinweg, dann über die hintere Wand, zu¬
letzt —- und da sitzt oft das wichtigste Material — in die beiden
Tuben Winkel. Die hyperplastischen und Tumorpartikel bringen dem
Abschaben keinen besonderen Widerstand entgegen und fühlen sic*
daher weich an. Sowie man auf der Uterusmuskulatur angelangt ist,
bekommt man das Gefühl derben Gewebes und kratzt hier nicht
weiter, Blutungen, Schmerzen, Narbenbildungen sind sonst die Folgen
Die Ausschabung bei weichem, großem Uterus nimmt man zweck¬
mäßig so vor, daß man eine Hand durch die Bauchdecken auf den
Uterusfundus legt, um Perforationen zu vermeiden. Der wenig
Digitized b'
Google
Original fro-m
CORNELL UNiVERSSTY
19. Mai 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
667
Geübte kann das auch in gewöhnlichen Fällen tun. Es folgt eine
Ausspülung des Uterus mittels eines Doppelrohres oder Fritschschen
Katheters unter den bekannten Vorsichtsmaßregeln: Hand auf den
Fundus uteri, kein starker Flüssigkeitsdruck, Herauslassen der Luft
vor dem Einführen des Katheters. Genügende, bei Blutungen hohe
(40—50° C) Temperatur des möglichst ungefährlichen Spülwassers
(i/ 2 _lo/ 0 iges Lysol, Lysoform, Solveol, Formalin). Stärker giftige
und ätzende Flüssigkeiten, wie Karbol, Sublimat, Chlorzink, ver¬
meidet man. Läuft schließlich das Wasser klar ab, so entfernt man
den Katheter und die Instrumente und drückt den Uterus bimanuell
mit mäßigem Druck einmal aus, um alle Flüssigkeit zu entfernen.
Tamponade desselben ist nur gerechtfertigt bei Blutungen, ein loses
Ausstopfen (im Spekulum mittels eines Uterusstopfers oder der
Sonde), wenn drainiert werden soll, also bei infektiösem oder zer¬
setztem Inhalt. Auch eine Scheidentamponade erübrigt sich gewöhn¬
lich. Kommen Schmerzen nach dem Eingriff, so verordnet man einen
Prießnitz und ein paar Tropfen Opium. — Zu einer indizierten Aus¬
schabung gehört das sichere Sammeln der entfernten Massen und
die mikroskopische Untersuchung derselben! Beginnendes Karzinom,
Chorionepitheliom, Tuberkulose kann sonst übersehen werden. —
Ein Ausstopfen des Uterus ohne vorherige Ausschabung setzt
ewöhnlich eine Dilatation voraus, kann mitunter an Stelle der
aminaria genügen und kommt als Behandlungsmaßnahme bei Tuber¬
kulose und stark sezernierender Endometritis in Frage, im ersteren
Fall mit Jodoform oder in Jodoformglyzerin getauchter Gaze, im
letzteren mit irgendeiner Gaze. — Gewöhnlich ist es mit der Abrasio
mucosae zu Heilzwecken nicht getan. Maligner Befund veranlaßt
die Radikaloperation oder Bestrahlung, Tuberkulose eine spezifische
Behandlung; Abortusreste und Fremdkörper erfordern keine Nach¬
behandlung, Endometritisfälle aber stets eine solche. Bettruhe
für wenigstens 5—6 Tage ist unerläßlich, ebenso das Aetzen der
kranken Schleimhaut. Dieses geschieht nicht mehr, wie früher, mittels
einer Braunschen Spritze, sondern entweder mit anfangs alle zwei
Tage, später täglich wiederholten, adstringierenden Ausspülungen
mit dem Fritschschen Katheter, oder besser mittels einer mit steriler
Watte umwickelten Playfairschen Sonde, die man in Jodtinktur oder
reines Ichthyol eintaucht. Auch hier sind zu stark ätzende Mittel,
wie Chlorziiik, zu vermeiden, weil sie die Schleimhaut zerstören und
eine Regeneration verhindern. Bei schlechter Zusammenziehung und
fortbestehenden Blutungen gibt man ein kontraktionsbeförderndes
Mittel, Hydrastis, Methylhydrastinin, ein Sekalepräparat.
Findet man tastend oder mit der Sonde intrauterine Po¬
lypen, so ist eine Operation mit guter Beleuchtung und Assistenz
vorzubereiten. Es gehört schon spezialistische Uebung dazu, den
Polypen unter Leitung des Fingers in der Uterushöhle mit einer
Hakenzangc ohne Nebenverletzung zu fassen, ihn, ohne den Uterus
zu invertieren, herabzuziehen, seine Kapsel zu spalten und ihn zu
enukleieren. Hängt er gestielt in die Zervix oder Scheide, so
ist seine Entfernung leichter. Man faßt ihn mit der Hakenzange
und zieht ihn vorsichtig an, bis der Finger an seinen Stiel kommt.
Ist dieser sehr dünn, so besteht er aus ausgezerrter Schleimhaut
und kann einfach mit einer gebogenen Schere durchtrennt werden.
Ist er derb, so besteht er aus Muskelgewebe, enthält oft ein Gefäß,
muß also erst durch- und umstochen werden, rettehiert sich aber
trotzdem manchmal nach dem Durchschneiden und verlangt dann
eine nicht immer bequeme Umstechung in der Uteruswana wegen
arterieller Blutung. Eine Abrasio mucosae ist oft nebenher indiziert.
Einfacher sind die intrazervikalen Eingriffe, die sich
selten auf Ausschabungen, meist vielmehr auf Auswischen, Aetzen
und Bepulvern erstrecken. Katarrhe und Erosionen, oft Lokalisa¬
tionen aer Gonorrhoe, werden mit Wattebäuschchen auf der Korn¬
zange oder mit der Playfairschen Sonde mit denselben Mitteln
g eätzt, wie oben von der Endometritis angegeben. Energischere
littet, wie Chlorzink, Lapis, Eisenchlorid, Salpetersäure, Ferrum
candens, 20o/ 0 iger Formalinalkohol, bringt man am besten nur außen
auf die Portio, weil sie innen leicht zu Verklebungen und Synechien
Veranlassung geben können. Die Trockenbehandlung mit
Bolus alba, Zinkpulver, Jodoform, Dermatol, Acid. tannic. mit Acid.
salicyl. ää, die im Spekulum nach guter Austrocknung mit dem
Spatel, Pulverbläser oder Sikkator ausgeführt wird, erzielt manchmal
raschere Besserung. — Intrauterin stifte, die man früher bei
Dysmenorrhoe und Uterusverlagerungen einlegte, verabscheut man
heute, weil sie das Endometrium reizen und infizieren. Aus dem-
I selben Grunde kämpfen wir gegen die Verwendung intrauteriner
Apparate als antikonzeptionelle Mittel (Sterilet).
Soziale Medizin und Hygiene.
Aus der Lungenheilstätte der Landesanstalt Zschadraß i. Sa.
(Anstaltsdirektor: Geh. Med.-Rat Dr. Brackmann.)
Ueber die Unterbringung der Lungentuberkulosen.
Von Reg.-Med.-Rat Dr. Georg Bartb, Leitender Arzt der Heilstätte.
Die ungeheure Ausbreitung der Tuberkulose durch den Krieg
bedingt es, daß die gesamte Front der Abwehrmaßnahmen gegen
diese Seuche eine ganz wesentliche Erweiterung und Verstärkung
erfahren mußte. Hatten die vor dem Kriege bestehenden Einrich¬
tungen zur Bekämpfung bei dem steten Rückgang der Tuberkulose
vor 1914 knapp genügt, so konnten sie gegenüber dem starken
Anschwellen der Erkrankungsziffern nicht im entferntesten mehr
ausreichend sein. Der Krieg mit seinen Folgen erschütterte auch
hier alles Bestehende, und wir mußten die vorher immerhin achtung¬
gebietend dagestandenen Fundamente der Tuberkulosebekämpfung
als nur schwache Stützpfeiler ansehen lernen. Wir sehen uns einer¬
seits vor die Notwendigkeit gestellt, mit allen Mitteln der Tuber¬
kulose entgegen zu treten, um ihr Zerstörungswerk an unserm
Volkskörper einzudämmen; anderseits müssen wir erkennen, daß uns
bei der furchtbaren wirtschaftlichen Not, unter der unser Volk
seufzt, die so nötigen Geldmittel nur in sehr bescheidenem Umfang
zur Verfügung stehen.
Inmitten der zur Zeit so arg verschlechterten allgemeinen Lebens¬
verhältnisse hebt sich die vielfach überaus trostlose Wohnungs-
bzw. Unterbringungsfrage der Lungentuberkulosen in ihrer ganzen
Bedeutung und Tragweite hervor. In seinen Leitsätzen beim Tuber¬
kulosekongreß in Bad Elster sagte Abel: „Die Hauptaufgabe liegt
in der Prüfung der Wohnungsverhältnisse und in der Einzelfür¬
sorge bei jedem Fall von Tuberkulose in übertragungsfähiger Form.
Die wirksamste Maßnahme ist die Entfernung des Kranken aus der
Wohnung. Ist sie nicht oder nicht dauernd erreichbar, müssen die
bewährten Mittel der Fürsorge angewendet und in ihrer Benutzung
überwacht werden." Wir erkennen hieraus, daß die Regelung der
Unterbringung des Tuberkulösen unser volles Interesse beansprucht
zu dem Endziele, 1. den Kranken einer Heilung bzw. Bes¬
serung zuzuführen, 2. aus hygienischen Gründen der
Gefährdung der Umwelt des Kranken entgegenzuar-
beiten.
Hiermit ist die Aufgabe derjenigen Organisationen umschrieben,
die jetzt die führende Stelle in der gesamten Tuberkulosebekämp¬
fung einnehmen. Es sind die Auskunfts- und Fürsorge¬
stellen für Tuberkulöse, die namentlich durch die Wohl¬
fahrtsgesetze von 1918 und 1919 aus ihrem vielfach embryonal ge¬
wesenen Dasein herausgehoben wurden zu der Bedeutung, die den
riesenhaften an sie erhobenen Anforderungen ungeschmälert ent¬
spricht. Die Fürsorgestellen sind das lebenswichtige Zentrum ge¬
worden, von dem aus alle Organe Impuls, Leitung und Zustrom
empfangen. Gleichlaufend mit der Ordnung der allgemeinen und
sanitären Verhältnisse des Kranken und seiner Umgebung erwächst
der Fürsorgestelle die Aufgabe, die richtigen Leute, denen geholfen
werden .soll, an die rechte Stelle zu bringen.
Die Aufgabe der Sichtung der einzelnen Kranken
für die jeweilig geeignetste Behandlungs- bzw. Unterbringungsart
ist aber rein medizinisch und bedarf strenger Indikationsstellung.
Nach welchen Gesichtspunkten sich die Auswahl der Lungentuber¬
kulosen für diese oder jene Form der Unterbringung regelt, sofern
die notwendigen Geldmittel bereitgestellt sind, wira in folgenden
Ausführungen dargelegt werden.
Es soll hier vorweggenommen werden, daß die Lungenheil¬
stätten nach wie vor diejenige Stelle beanspruchen dürfen, die
ihnen wegen ihrer weitestgehenden Behandlungsmöglichkeiten und
auf Grund ihrer unbestreitbaren Erfolge zukommt. Aber schon vor
dem Kriege war die Zahl der Heilstätten knapp. Dieser Uebelstand
ist zur Jetztzeit vervielfacht. Um ihm nach Möglichkeit zu be¬
gegnen, eröffnen sich zwei Wege; als erster derjenige, neue Heil¬
stätten zu bauen. Dies scheitert an unserer traurigen Finanzlage.
Immerhin ist es vielen Orts gelungen, durch Einräumung und be¬
helfsmäßige Umgestaltung ehemaliger Lazarette, Kasernen sowie
ganzer Abteilungen der im Kriege stark gelichteten Landesheil- und
Pflegeanstalten eine größere Anzahl Plätze für Heilstättenzweckc
zu gewinnen (bei uns in Zschadraß 280 Betten), ebenso durch die
Errichtung großer Tuberkulosekrankenliäuser. Der zweite Weg zur
Vermehrung der Heilstättenplätze für nachweislich Tuberkulöse ist
der, alle Kranken von der Heilstätte fernzuhalten, die nicht dorthin
gehören. - ;
Nicht ganz mit Unrecht wurde schon lange vor dem Kriege
den Heilstätten der Vorwurf gemacht, daß viele Kranke dahin ge¬
langten und dort auch belassen wurden, die gar nicht hineinge-
hörten, deren Anstaltskuren aber Kosten verursachten, die unnötig
waren. Wir gedenken der zahlreichen Anämischen, Magenkranken,
Schwächlichen, Neurastheniker und chronischen Bronchitiker, die als
sogenannte Prophylaktiker, Gefährdete oder „beginnende Spitzen¬
katarrhe" ihr Heilstättendasein führten und die Statistiken ver¬
schönern halfen. Es ist ohne weiteres klar, daß diese Art Kranker
zur jetzigen Zeit, wo viele Tausende wirklich Tuberkulöser auf
Einweisung warten und eine Kur eine große Geldsumme kostet,
in alle Wege nicht in eine Heilstätte gehören. Ihnen stehen genug
andere Möglichkeiten offen, die zur Wiederherstellung führen, wie
wir später darlegen werden.
Dem Verlangen, solche Lungenkranke, die eine aktive Lungen¬
tuberkulose nicht aufweisen, von der Aufnahme in eine Heilstätte
auszuschließen, tragen die Richtlinien Rechnung, die die Tuber¬
kuloseärzte der Rheinprovinz am 5. X. 1920 aufgestellt haben
und denen der Leitsatz voransteht:
„In Lungenheilstätten gehören nur aktive Lungen¬
tuberkulose unter Ausschluß der inaktiven, d. h. sol¬
cher Krankheitsfälle, die keine behandlungsbedürf¬
tigen Anzeichen von Lungentuberkulose aufweisen."
Wir können uns diesem Leitsätze im allgemeinen anschließen
mit dem Hinzufügen, daß wir als Maßstab bei Beurteilung der Eig¬
nung zur Aufnahme yi unsere Heilstätte den Begriff „besse-
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
668
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 20
rungsfähig“ als Mindestforderung zugrundelegen, ohne zu
verkennen, daß dieser, eingedenk der Unsicherheit aller Tuberkulose¬
prognostik, als dehnbar aufgefaßt werden kann. Wir können hierbei
die Feststellung nicht unterdrücken, daß die Art der Ausfüllung der
von uns absichtlich kurz und übersichtlich gehaltenen Formulare
zur Aufnahmebegutachtung von seiten der praktischen Aerzte und
auch vieler Fürsorgestellen leider nicht allenthalben der Tragweite
der Sache entspricht, namentlich wenn man erwägt, daß die Ein¬
leitung einer Heilstättenkur nicht nur eine sehr kostspielige, sondern
für den Kranken eine von äußerst weitgehender Bedeutung werdende
Angelegenheit ist. Wir haben es mehrfach erlebt, daß aus dem
Zeugnis eine fortschreitende Lungentuberkulose schwerer Form her¬
vorzugehen schien, während hernach bei dem Kranken überhaupt kein
Zeichen einer aktiven Lungenerkrankung aufzufinden war. Man stelle
sich vor, welche Einwirkungen besonders seelischer Art die Eröff¬
nung für einen Kranken nach sich zi$ht, wenn er als tuberkulosekrank
bezeichnet wird. Sehr treffend hat unlängst H. Aßmann in seiner
Antrittsvorlesung in Leipzig die enorme Schädigung solcher
nachweislich nicht Tuberkulöser geschildert, dergestalt, daß
er auf die Gefährdung Gesunder, vielleicht aber Schwächlicher und
Empfänglicher hinweist, die solchen Kranken in einer Anstalt für
Infektiöse droht, und welche ungünstigen seelischen Beeinflussungen
empfindsame Naturen erleiden in der falschen Ueberzeugung, an
einem chronischen Leiden erkrankt zu sein, das ihnen für ihr ganzes
Leben größte Schonung und vielerlei Rücksichten auferlegt.
In dieser Hinsicht muß ganz entschieden Abhilfe geschaffen
werden durch die Einrichtung einer größeren Zahl von Beobach¬
tungsstationen., die allgemeinen Krankenhäusern, Kliniken oder
Heilstätten anzugliedern wären und der Obhut erfahrener Tuber¬
kuloseärzte unterstehen müßten. Bereits im Jahre 1914 ist im Jahres¬
bericht des „Deutschen Zentralkomitees“ die Forderung der Er¬
richtung von Beobachtungs- und Durchgangsstationen erhoben wor¬
den. Neuerdings hat Büttner-Wobst seine sehr ermutigenden,
in Heidelberg gesammelten Erfahrungen mitgeteilt.
Diejenigen Kranken mit aktiver Lungentuberku¬
lose, die bei befriedigendem Allgemeinzustand ohne
Gefahr eines Fortschreitens ihrer Krankheit oder Be¬
drohung ihrer Familie unter ständiger ärztlicher
Ueberwachung sowie bei hinreichender Schonung das
nötige Verständnis für ihren Zustand besitzen, mögen
ruhig ambulant behandelt werden, unter Anwendung von
Liegekuren in Wald, Garten, in Lauben oder auf geschützten
Veranden, im Notfall bei geöffnetem Fenster im Zimmer, wenn mög¬
lich aber in Walderholungsstätten mit Liegehallen und Spei¬
sungsgelegenheit. Solche sind in letzter Zeit verschiedenen Orts mit
Vorteil in ehemaligen Garnispnschießständen eingerichtet worden.
Das Heer der auf diese Weise zu versorgenden Kranken ist sehr
groß. Wir können hier den Hinweis nicht unterlassen, daß Tempe¬
raturerhöhungen das wichtigste Kennzeichen des Fortschreitens der
tuberkulösen Erkrankung sind und daß jeder fiebernde Tuberkulöse
ins Bett gehört.
Erholungsbedürftige, aber inaktiv Tuberkulöse
können unter guten Voraussetzungen allermeist mit bestem Er¬
folg in ähnlicher Weise wie die aktiven Leichtkranken behan¬
delt werden, wenn nötig, machen sie für einige Stunden am
Tag Liegekur, sofern nicht für sie Einweisung in ein hrholungs-
oder Genesungsheim in Frage kommt. — Man erkennt, daß die
Zahl der ausschließlich für Heilstättenbehandlung Geeigneten bei
Wahrung obiger Indikationen eine nicht unerhebliche Einschränkung
erfährt.
Nach unserm Dafürhalten gehören unter Berücksichtigung des
prognostischen Begriffes der „Besserungsfähigkeit“ die¬
jenigen aktiven Lungentuberkulosen in Heilstättenbe¬
handlung, deren Zustand einer besonders sorgsamen
Beobachtung bedarf, also Kranke, die zu Temperaturerhöhungen
neigen, labiles Gewicht aufweisen, solche, die leicht bluten, kurz
diejenigen, bei denen man bei ambulanter Behandlung
eine Verschlimmerung erwarten muß und die in solcher
nicht vorwärts kommen. Dazu rechnen wir auch jene leichteren
Grade, die ein mangelhaftes Verständnis für das ihnen dienliche
Maß von Ruhe und Schonung an den Tag legen, bzw. andere, bei
denen mangels geeigneter häuslicher Verhältnisse kein Erfolg zu
erwarten oder aber wegen Gefährdung der familiären Umwelt eine
Uebertragung zu fürchten ist. — Die für die Heilstätteneinweisung
bisher geübte Stadien ein teilung nach Turban-Gerhardt
verliert mehr und mehr an Anhängerschaft. Uns hat sich die No¬
menklatur der Lungentuberkulose, wie sie Bacmeister vom
Standpunkt des Pathologen und Klinikers angegeben hat, als die
glücklichste bewährt, denn sie benennt den Grund Charakter und
Sitz der anatomischen Veränderungen, so wie ihn jeder Arzt mit
den ihm zu Gebote stehenden Mitteln feststellen kann; sie kenn¬
zeichnet ferner die Art des klinischen Verlaufs und gibt Aufschluß
über die Ausdehnung der Krankheit.
Besonders große Schwierigkeiten bereitete von jeher die Un¬
terbringung der sogenannten Schwertuberkulösen oder
siechen Schwindsüchtigen. Gerade diese Art Kranker ist es, die die
allergrößte Gefahr für ihre engere und weitere Umgebung darstellt,
also muß ihre Entfernung aus jeglichem Verkehr besonders nach¬
drücklich betrieben werden. Aber gerade hier tun sich uns unge-
ahnte Schwierigkeiten auf, zumal da die Zahl dieser schwer und
WS-, hoffnungslos Tuberkulösen jetzt sehr hoch ist. Von verschiedenen
Seiten ist der Vorschlag gemacht worden, auch den Schwerkranken
den Weg in die Heilstätten zu eröffnen. Dieser Gedanke hat zu¬
nächst etwas Bestechendes an sich, ist es doch für den Arzt eine
dankbare Aufgabe, auch bei fortgeschrittenen Fällen Besserung, viel¬
leicht sogar teilweisen Wiedereintritt von Erwerbsfälligkeit zu er¬
zielen. Auch wir haben uns während dreier Jahre von diesen Er¬
wägungen leiten lassen und sie in größerem Umfang durchgeführt.
Wir haben unsern Standpunkt — wie schon das Vorausgegangene
dartut — indes aufgegeben, weil trotz manches erfreulich^! Er¬
folges die gemachten Erfahrungen nicht günstig lauteten. Erstens
hat es sich uns erwiesen, daß man mit der Hospitalisierung Schwer-
kranker, insbesondere aus entfernteren Bezirken, auf Schwierigkeiten
stößt und zwar aus Gefühlsgründen. Die Kranken leiden unter
der Trennung von den Ihren oft unsäglich, da diese wegen der
weiten Entfernung und der teuren Bahnfahrt nur selten oder ‘nie
zu Besuch kommen können — Kranke sowie Angehörige drängen
nach Hause. Mit diesen Kranken ist also nichts Rechtes anzufangen,
sie fühlen sich nicht am richtigen Platze und sind unzufrieden;
jeder Beginn eines kleinen Fortschritts wird durch die ungünstigen
seelischen Auswirkungen zunichtegemacht. Wo zweitens der Pro¬
zentsatz Schwertuberkulöser in einer Heilstätte und gleichlaufend
damit auch die Zahl der Sterbefälle hoch ist, da geschieht es sehr
bald, daß in der Bevölkerung der Begriff des Sterbehauses Platz
greift. Es bereitet den einweisenden Behörden und Aerzten, nament¬
lich ängstlichen Gemütern gegenüber dann oft sehr bedeutende
Schwierigkeiten, selbst leichter Kranke in die betreffende Heilstätte
zu bringen. Wir vertreten deshalb nach den gemachten Erfahrungen
die Meinung, die übrigens auch von andern Seiten Bestätigung er¬
hält, daß eine Hospitalisierung Schwerkranker in Siechenheimen,
namentlich für größere, weitläufigere Bezirke, aber auch eine Be¬
legung größeren Umfanges von Heilstätten mit solchen Kranken
immer auf große Widerstände stoßen und die betreffenden An¬
stalten ernstlich in Mißkredit bringen wird. Nichts ist der Unter¬
bringung Schwertuberkulöser so abträglich als das Bewußtsein
dieser Leute, daß sie als Sterbekandidaten betrachtet werden.
Der Tuberkulöse nährt nun einmal bis zuletzt Hoffnungen. Dem
müssen wir Rechnung tragen, und wir können es auch. Man statte
demgemäß die bislang oft etwas stiefmütterlich behandelt gewesenen
Tuberkuloseabteilungen der allgemeinen Krankenhäuser mit allen Be¬
helfen zur Pflege und Besserung Tuberkulöser aus, lasse den Ge¬
danken der Siechenheime für aussichtslos Kranke fallen und belaste
den guten Ruf der Heilstätten nicht durch große Zahlen Schwer-
tuberkulöser! — Verschiedene Großstädte haben große Tuber¬
kulosekrankenhäuser für alle Formen der Krankheit
erbaut, die eine organische Vereinigung zwischen Krankenhaus und
Heilstätte darstellen. Die bisherigen Erfahrungen lauten vorwiegend
günstig. Trotzdem wird es immer noch sehr viele Schwertuber¬
kulöse geben, bei denen es nicht gelingen wird, sie in Anstalts¬
pflege zu bringen. Für sie muß als Notbehelf die neuzeitliche
Wohlfahrtspflege eintreten, um den Kranken auch in der eigenen
Wohnung die bestmögliche Pflege und Sauberkeit angedeihen zu
lassen und die Gefährdung der Umgebung tunlichst hintanzuhalten.
Wenn wir betonen, daß wir es als das erstrebenswerte Ziel an-
sehen, alle aktfven, für ambulante Behandlung ungeeigneten Lungen¬
tube rkiriöseti in Anstaltsbehandlung zu bringen, so wissen wir doch
sehr wohl, daß dies jetzt an der ungeheuren Zahl der Kranken
gegenüber der verhältnismäßig niedrigen Ziffer der Unterbringungs¬
gelegenheiten scheitert, vielfach aber auch, weil das Geld fehlt,
das zu einer Sanatoriums- oder Heilstättenkur nötig ist, die zur
Jetztzeit eine ganz erhebliche Summe kostet. An diesem Mangel
ist der Mittelstand in erster Linie beteiligt, dessen Front jetzt
einen sehr breiten Raum einnimmt, weil zu ihm alle diejenigen
zählen, die nicht sehr reich oder ganz arm sind. Am besten gesorgt
ist für die Versicherten. Nur wohlhabende Leute können jetzt die
trefflichen deutschen Privatsanatorien, nur ganz Reiche ausländische
Kurorte aufsuchen.
Für diejenigen der eben erwähnten Kranken, die nicht in der
Lage sind, sich in Anstaltsbehandlung zu begeben, oder auch in der
gewählten Heilanstalt nicht sogleich Aufnahme finden können, kommt
die Behandlung durch den Hausarzt in Betracht. Auch die häus¬
liche Behandlung der Lungentuberkulose vermag bei sachge¬
mäßer Leitung und verständnisvollem Verhalten von seiten des Er¬
krankten unendlich viel zu leisten und Schaden zu verhüten. Es
muß aber betont werden, daß in allen Fällen, wo häusliche Behand¬
lung nicht zur erhofften Besserung zu führen scheint, die Anstalts¬
kur mit allen Mitteln erstrebt werden muß.
Der ungeheuren Ausbreitung der Tuberkulose auch unter dem
heranwachsenden Geschlecht gemäß haben sich in gleicher Weise
wie für die Erwachsenen bedeutende Erweiterungen der Fürsorge-
und Unterbringungsmaßnahmen für die mit der Tuber¬
kulose mehr oder minder eingreifend in Berührung gekommenen
Kinder erforderlich gemacht. Kinderheilstätten wurden neu
gegründet, bestehende erweitert. Dank großzügigen Hilfsaktionen
kann eine nicht geringe Anzahl tuberkulöser Kinder der Vorzüge
der Schweizer klimatischen Kurorte teilhaftig werden, mit Hilfe ein¬
geleiteter Sammlungen konnte bei uns in Sachsen, namentlich aus
den armen, durch Krieg und Unterernährung entsetzlich heimgesuchten
Gegenden des Erzgebirges und Vogtlandes, eine beträchtliche Zahl
erkrankter Kinder in Heilstättenbehandlung kommen. Auch die
Krankenkassen und Landesversicherungsanstalten streben, der weit-
tragenden Bedeutung der Kindertuberkulose für das wirtschaftliche
19. Mai 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
669
Qedeihen unseres Volkes in der Zukunft gerecht zu werden durch
Bewilligung von Geldmitteln für erforderliche Bekämpfungsma߬
nahmen. Zahlreiche Erholungsheime, Kinderheime, Luft-
und Lichtbäder, Waldschulen, Ferienkolonien, Ho¬
spize in Solbädern oder an der See dienen den gefährdeten,
schwächlichen oder skrofulösen Kindern. In Halle hat v. Drigalski
für Gefährdete Schlaferholungsstätten eingerichtet, welche die
bedrohten Kinder für die Dauer der Nacht aus der Nähe der An-
steckungsnuellen entfernt. Die Unterbringung gefährdeter Kinder
in Familien auf dem Lande ist auch in Deutschland mit Er¬
folg versucht worden. Nicht zu verkennen ist, daß dabei auf seiten
der Eltern der unterzubringenden Kinder mancherlei gefühlsmäßige
Schwierigkeiten zu überwinden sind, gilt es doch, die Betreffenden
auf lange Zeit, evtl, auf Jahre von ihrer Familie zu trennen. — Für
nachweislich tuberkulös erkrankte Kinder muß, wenn möglich, die
Behandlung in einer Heilstätte als erstrebenswertes Ziel erachtet
werden, und zwar mehr noch als für die Erwachsenen für einen hin¬
reichend langen Zeitraum. Wir haben — wie anderwärts auch —
oft ganze tuberkulöse Familien, Eltern mit Kindern, in die Heil¬
stätte aufnehmen und so in großem Maßstab unter Mithilfe der
zuständigen Fürsorgeorgane ganze Ansteckungsherde aus ihrer Um¬
gebung radikal ausschalten können.
Die genannten Unterbringungsgelegenheiten sollen nun keines¬
wegs nur Behandlungs- oder Pflegestätten sein, vielmehr bezwecken
sie nicht minder eine erzieherische Wirkung, die vielfach
unterschätzt wird, die aber darin liegt, „daß die Kranken es ein
für allemal lernen, wie sie sich in allen äußeren Verhältnissen ein¬
zurichten haben. Sie erfahren da praktisch, wie die Pflege des
Körpers zu geschehen hat ... kurzum, sie lernen die ganze Zucht
einer gesunden, der Krankheit angemessenen Lebensweise, und das ist
ein Gewinn, den jeder einsichtige Kranke auch in das häusliche
Leben hinübernehmen und wovon er bleibenden Nutzen haben wird "
(Deycke). — Alle unsere Bestrebungen wären aber .umsonst, wenn
nicht gleichzeitig mit der Regelung der Unterbringungsfrage eine
umfassende Fürsorgetätigkeit einsetzen würde, welche die Ordnung
derjenigen Verhältnisse im Auge hat, in die der Kranke früher oder
später zurückzukehren genötigt ist. Wir verstehen darunter mit
an erster Stelle eine sorgsame WohnungsHygiene, deren voll¬
kommenes Ziel — die Schaffung reichlicher gesunder Klein¬
wohnungen — allerdings noch in weiter Ferne schwebt.
Bacmeister, Zschr. f. ärztl. Fortbild. 1919 Nr. 1; D. m. W. 1918 Nr. 13; Brauers
Beitr. Infekt. 46H. 1. — Blümel, Tbc.-Fürsorgeblatt 1919Nr. 121. — Bü ttner-Wobst,
Brauers Beitr. Infekt. 47 H. 1. — Deycke, Lehrbuch der Tuberkulose 1910; Jahresberichte
des Deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose 1914, 1921. -- Jckert.
Zschr. f. Tbc. 34 H. 3. — Jessen, Der Wiederaufbau Deutschlands 1919. — Kirchner,
Aerztliche Kriegs- und Friedensgedanken 1918. — Köhler, Zschr. f. ärztl. Fortbild. 1919
H.5. — Lentz, Zschr. f. ärztl. Fortbild. 1919 H. 1. — Ranke, Richtlinien der Tuberkulose¬
bekämpfung nach dem Kriege 1919.
Geschichte der Medizin.
Hippokratische Heilkunde 1 ).
Von Julias Hirschberg.
Erste Vorlesaog«
Meine verehrten Herren Fachgenossen.
„Wer nicht von dreitausend Jahren
Weiß sich Rechenschaft zu geben,
Bleib’ im Dunkeln, unerfahren,
Mag von Tag’ zu Tage leben.“
Der Dichter des West-östHchen Diwan, der diese Worte uns zu-
ruft, hat für die Darstellung der Geschichte der Wissenschaften mehr
geleistet, als manchen Schriftstellern unsres Gebietes bewußt ge¬
worden. Goethe*) möchte sogar behaupten, daß die Geschichte der
Wissenschaft fast die Wissenschaft selbst sei; „man kann dasjenige,
was man besitzt, nicht rein erkennen, bis man das, was andre vor
uns besessen, zu erkennen weiß“. Noch einen andren hieher ge¬
hörigen Weisheits-Spruch hat Goethe 3 ) uns tnnterlassen, nämlich
den folgenden: „Wird einer strebenden lugend die Geschichte eher
lästig als erfreulich, weil sie von sich selbst eine neue, ja wohl gar
eine Urwelt-Epoche beginnen möchte; so haben die in Bildung und
Alter Fortschreitenden gar oft mit lebhaftem Danke zu erkennen, wie
mannigfaltiges Gute, Brauchbare und Hülfreiche ihnen von den Vor¬
fahren hinterlassen worden.“
Dieser Spruch erfüllt mich mit einiger Hoffnung für die Vor¬
lesungen, die ich auf Wunsch des Vorstandes der Fortbildungs-
Kurse übernommen habe.
Ich will Ihnen offen gestehen, daß, als ich, zur Feier meines
50jährigen Dozenten-Jubiläums, im Sommer des Jahres 1920 an der
Universität Vorlesungen über Geschichte der Augenheilkunde an¬
kündigte und abhielt, zwar einige Professoren kamen, aber nur sehr
wenige Studenten erschienen. Es ist ja auch einleuchtend, daß in
unsren Tagen der Student der Heilkunde, wegen der gewaltigen
i) Acht Vorlesungen, im Auftrag des Zentral-Komitees für das ärztliche Fortbildungs¬
wesen In Preußen gehalten im Winter-Semester 1921 —1922. — *) Vorwort zur Farben¬
lehre { 40 , S. 66 der Jubil.-Ausg. — *) Mat. z. Oescb. d. Farbenlehre, Einleitung.
Ausdehnung, welche die Hauptfächer gewonnen haben, und wegen
der Angliederung so zahlreicher Nebenfächer für die Geschichte
nur sehr wenig Zeit übrig ,behalten kann.
Heute aber sehe ich vor mir eine Versammlung von Aerzten,
und nicht nur von angehenden, sondern auch von gereiften, er¬
fahrenen, die geneigt und entschlossen sind, mit mir vorzudringen
bis zu den Grundlagen, auf denen das Gebäude der Heilkunde
errichtet und im Laufe der Jahrhunderte immer weiter ausgebaut
und immer höher emporgeführt worden, bis es den heutigen, für
den Einzelnen, bei der Kürze des menschlichen Lebens, fast unüber¬
sehbaren Umfang erreicht hat.
Die Grundlagen der wissenschaftlichen Heilkunde, wie
die jeder Wissenschaft, sind von den Griechen erbaut worden, wenn¬
gleich es Heilkunst schon lange vor ihnen gegeben hat. Wiederum
sagen wir mit unsrem Goethe: „Es sind die Griechen.“ Mit
ihnen wollen wir also beginnen.
Die Geschichte der griechischen Heilkunde läßt sich zwanglos
in drei Perioden eintheilen.
1. Die erste ist die alte Zeit, vor Hippokrates. Ebenso,
wie Dichter vor Homer, so hat es auch Aerzte und Schriften über
Heilkunde schon lange vor Hippokrates gegeben. Aber keine
einzige von diesen Schriften ist uns erhalten geblieben. Nur wenige,
ganz winzige Bruchstücke und ferner ganz kurze Berichte aus späterer
Zeit sind bis auf unsre Tage gekommen.
2. Die zweite Periode umfaßt die Zeit des Hippokrates, des
berühmtesten Arztes der alten Griechen.
Die wichtigen und hochgepriesenen Sdiriften, welche das Alter¬
thum bereits als Werke des Hippokrates vereinigt hatte und
die wir heutzutage als Sammlung hippokratischer Schrif¬
ten bezeichnen — denn einerseits stammen sie von verschiedenen
Verfassern, und anderseits wissen wir gar nicht, was wir da¬
von dem Hippokrates selber zuschreiben könnten, — diese
Schriften dürften hauptsächlich in den Jahren 440 bis 340 vor dem
Beginn unsrer Zeitrechnung niedergeschrieben sein: sie sind in
jonischem Dialekt abgefaßt und stellen dar die ältesten Dokumente
einer wirklich wissenschaftlichen Heilkunde, weldie wir heutzutage
besitzen.
Diese zweite Periode der griechischen Medizin fallt also ganz
hinein in die attische Blüthezeit der griechischen Literatur, die wir
von Aischylos bis Platon, etwa von 484 bis 347 v. Chr., zu
rechnen haben.
3. Die dritte Periode der griechischen Heilkunde ist die hel¬
lenistische. Hellenismus ist das griechische Gepräge, wel¬
ches dem Morgenlande durch Alexander den Großen und seine Nach¬
folger aufgedrückt wurde. Vorder-Asien und Aegypten wurden der
griechischen Kultur und auch der griechischen Sprache unterworfen.
Das Griechische erhob sich zur Weltsprache.
Diese Zeit des Hellenismus umfaßt die nahezu tausendjährige
Epoche von der Weltherrschaft Alexanders bis zum Siege des Islams
um 650 n. Chr., durch den in Vorder-Asien und in Aegypten sowie
auch in Nord-Afrika die arabische Sprache an Stelle der hellenischen
als Weltsprache eingesetzt wurde.
Diese hellenistische Zeit muß aber für unsre Betrachtung noch
in drei Abschnitte gegliedert werden.
I. Der erste Abschnitt ist die eigentlich hellenistische
Zeit, vom König Alexander bis auf den Kaiser Augustus.
Diese Zeit können wir, mit Rücksicht auf die Heilkunde, auch
als die alexandrinische bezeichnen, da der Fortschritt haupt¬
sächlich von Alexandreia in Aegypten ausgeht, d. h. von den alexan-
drinischen Schulen der Heilkunde.
II. Der zweite Abschnitt umfaßt die hellenistisch-römische
Zeit, von Augustus bis auf Constantinus, also etwa die ersten drei
Jahrhunderte unsrer Zeitrechnung. In diesem Zeit-Abschnitt ist der
Schwerpunkt ärztlicher Forschung und Schriftstellerei nach Rom ver¬
legt. Griechisch ist selbstverständlich die Sprache der ärztlichen
Sdiriften geblieben. Galenos im 2. Jahrhundert n. Chr. ist die
hervorstechendste Persönlichkeit, wenn auch keineswegs das größte
Genie dieser drei Jahrhunderte.
III. Der dritte Abschnitt umfaßt die oströmische oder spät-
heilenistische Zeit, die ganz allmählich übergeht in die byzan¬
tinische 1 ), welche man von Justinianus (im 6. Jahrhundert) bis
zu der Eroberung Konstantinopels durch die Türken im Jahre 1453 zu
rechnen pflegt.
Aus dieser byzantinischen Zeit haben wir ärztliche Sdiriften, die
vom 6. Jahrhundert ab bis zum 14. hin verfaßt worden sind von
Männern, die zwar meistens keine sonderliche Selbständigkeit an
den Tag legen, aber das Erbe ihrer Altvordern benutzen und ver¬
walten und sich der altgrichischen Sprache bedienen. Auf dem
f anz späten Joannes runt noch der letzte Strahl der scheidenden
onne von Hellas.
Das oströmische Reich mit der Hauptstadt Konstantinopel hat
ein eigentliches Mittelalter überhaupt nicht erlebt, da hier die er¬
erbte Kultur mit größerem Glück als im weströmischen gegen die
anstürmenden Barbaren behauptet wurde; hier ist also der Zu¬
sammenhang nie ganz vollständig unterbrochen, während im
*) Karl Krumbacher, der Verfasser der berühmten Oeschlchte der byzantini
sehen Literatur (München 1897,1193 S.), findet allerdings den Anfang des neuen Zeitalters
nicht im Regierungs-Antritt des Justinianus (527), sondern ln dem des Constantinus (327)
□ igitized by Go gle
Original from
CORUELL UNIVERSITY
670
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 20
Abendland durch die Völkerwanderungen, durch die Zerstörung
des weströmischen Kaiserreiches, durch die Zurückdrängung der
römisch-griechischen Kultur, wenn es auch keineswegs zur völligen
Vernichtung derselben kam, ein wirklicher Abschluß des Alterthums
herbeigeführt worden ist, wonach dann eine völlig andre Zeit, das
Mittelalter, gefolgt ist. Während wirklichen Geschichtsforschern
didker Unterschied zwischen Abend- und Morgenland völlig ge¬
läufig ist, haben ihn einige ärztliche Schriftsteller der Gesdiichte
der Heilkunde noch immer nicht zu begreifen vermocht.
Nach dieser allgemeinen Uebersicht komme ich nunmehr zu der
Geschichte der ersten Periode griechisdher Heilkunde.
Wie bei den uralten Kultur-Völkern, den Aegyptern, den Assyrem,
den lraniem des Zend-Avesta, für die Heilung der Kranken drei
Dinge zur Verwendung kamen, die Beschwörung, die Arznei, die
Operation, und eigentlich die erstere für das wirksamste galt, so
finden wir auch bei den Griechen die Beschwörung in dem
ersten Anfang der Entwicklung.
So singt Pindaros (518—442 v. Chr.), in seinem dritten Pythi-
schen Gesang, vom Heilgott Asklepios, d. h. doch von ur¬
alten Zeiten: „Den pflag er mit milder Beschwörung, den mit
erquicklichem Trank, oder Kräuter rings um die Glieder fügend;
Andere richtete er auf durch den Schnitt.“ — Die Beschwörung heißt
inaoidrj, ixqjdrj.
Asklepios ist in der Ilias nicht ein Gott, sondern ein thessa-
lischer Fürst, bei dem berühmten Kentauren Cheiron erzogen und
daher im Besitz von Heilmitteln gegen Schußwunden, die er seinen
Söhnen Podaleirios und Machaon 1 ) vererbt hat.
Bei Hesiodos taucht die göttliche Herkunft des Asklepios
auf; er ist der Sohn des Apollon 2 ). Pindaros preist den Asklepios
als Heros und Urheber der Schmerzlinderung.
Aber Pausanias, der in der zweiten Hälfte des zweiten Jahr¬
hunderts n. Chr. seine Rundreise durch Hellas (* sgirjytjaie xrjg
f EUdSog) verfaßt und darin das Asklepios-Heiligthum bei Epidauros,
auf das ich gleich zurückkommen muß, ausführlich beschrieben hat,
versichert uns ausdrücklich, daß Asklepios von Anfang an für einen
Gott gehalten wurde.
In der That ist er auch seit uralten Zeiten als orakel-spendender
Erdgeist verehrt worden. (Daher sein Hund und seine Schlange.)
Durch das Eindringen des Apollon in den Asklepios-Kreis ist es
dann gekommen, daß der eigentliche Orakel-Gott seinem Sohne
die Heil-Orakel überwies.
Schließlich wurde Asklepios zum Heil-Gott, vielleicht zuerst in
Thessalien, und durch die der Dorischen voraufgehenden Wande¬
rungen nach Epidauros verpflanzt.
Der mildglänzende Gott wurde dem Zeus ähnlich von den Bild¬
hauern dargestellt. Zur Zeit des sinkenden Heidenthums war der
wunderthätige, menschenfreundliche Gott, der Erretter (oanijp), der
mächtigste von allen, — der letzte, welcher der neuen Religion
widerstand, dessen Tempel am längsten geblieben sind.
Die olympischen Spiele, das delphische Orakel, die beiden größten
und dauerhaftesten Einrichtungen der alten Hellenen, wurden, nach
tausendjährigem Bestand, um das Jahr 394 u. Z. durch das sieg¬
reiche Christenthum aufgehoben. Die Asklepios-Heiligthümer, deren
Wirksamkeit auf dem unzerstörbaren Heil-Aberglauben der
Menschheit beruht, bestanden länger. Gegen Ende des 4. Jahrhunderts
beklagt sich der heilige Hiemonymos über den Irrwahn der Menschen,
die noch durch Tempelschlaf in den Asklepios-Heiligthümern Ge¬
nesung von ihren Krankheiten zu erlangen suchten. Der Neu-Plato-
niker Proklos zu Athen (410—485) war ein begeisterter Anhänger
des Asklepios. Das Heiligthum des Retters zu Athen stand damals
noch unversehrt aufrecht, sogar noch am Ende des 5. Jahrhunderts,
alst bereits — christliche Heilige die Rolle des Asklepios über¬
nommen hatten. Noch heute kommt es in Griechenland vor, daß
Kranke zum Tempelschlaf sich in die Kirche begeben.
Die Priesterdes Asklepios bemächtigten sich frühzeitig der
Heilkunde und kurierten in den Heiligthümern ihres Gottes gegen
gute Bezahlung mit ebenso großer Keckheit wie Geschäftstüchtigkeit,
— 1 im geschichtlichen Zeitalter der Regel nadi durch Vermittelung
des Tempelschlafes (Jyxo///!?«?, incubatio).
Der Kranke schläft ein in dem Allerheiligsten, dem Abaton, mit
seinen Gebrechen; er träumt, daß während seines Schlafes der Gott
ihm nahe; er erwacht — und ist geheilt.
Der berühmte Geograph Strabon schreibt (um 20 n. Chr.): „Die
Stadt Epidauros ist ansehnlich und am meisten durch den Ruhm des
Asklepios, der das Vertrauen genießt, Krankheiten aller Art zu
heilen, und hier ein Heiligthum besitzt, das immer voll ist von
Leidenden und von Weihe-Tafeln, in denen die Heilungen ver¬
zeichnet sind, gradeso wie in Kos (Klein-Asien) und in Trikka
(Thessalien).“
Der neuerdings, wegen der Ausgrabungen, so berühmt gewordene
Reisebeschreiber Pausanias erklärt (um 160 n. Chr.): „Auf den
Tafeln <oxfjXai , eigentlich Säulen) des Asklepios-Heiligthums (deren
früher viele waren, zur Zeit aber nur sechs erhalten geblieben) sind
verzeichnet die Namen von Männern und Frauen, die geheilt wurden
*) Ein Scholion zur Ilias hat uns ein kleines Bruchstück aus dem kyklischen Epos
Aethiopis des Arkt'inos von Milet (aus dem 8. Jahrh. v. Chr.) erhalten, in welchem
Podaleirios als Wundarzt gepriesen wird, Ma'chaon als Arzt für innere Krankheiten,
„Unsichtbares zu erkennen und Unheilbares zu heilen".
•) All* den verschiedenen Sagen nachzugehen, würde unsfzu weit abführen.
von Asklepios, dazu auch die Krankheit, an der jeder litt, und das
Heilverfahren.“
Die moderne Alterthums-Forschung, die es versteht, in so glück¬
licher Weise die philologische Kritik zu ergänzen durch Hacke und
Schaufel, welche den Boden der alten, geheiligten Stätten wieder
aufbrechen und den Schutt der Jahrtausende forträumen, hat sich
auch des Asklepieion zu Epidauros bemächtigt. Der griechischen Alter-
thums-Gesellschaft ist es gelungen, unter der Leitung des ausgezeich¬
neten Gelehrten P. Kabbadias aus Athen in den Jahren 1881 bis
1888 (und später) diese höchst erfolgreiche Ausgrabung durchzuführen.
Zwei von diesen Säulen hat Kabbadias in dem Abaton aufgefunden,
abgebildet, veröffentlicht und erläutert Unsre gelehrten Philologen
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff zu Berlin und Jo¬
hannes Baunack zu Leipzig haben 1886 wichtige und wesentliche
Beiträge zum Verständnis dieser Inschriften geliefert. Die erste
Inschrift beginnt mit den Worten: Ge6s. Tvya äyaM. 'lä^iarn xor
AjioXÄcovos xat xov 'Aax/.tjmov.
„Der Gott. Zum Heil und Segen.
Heilungen des Apollon und des Asklepios.“
Wir besitzen also, in Stein gegraben, 44 Heilungs-Geschichten
(idfiaxa). Aus der Gestalt und der Anordnung der Schriftzeichen
folgt mit Sicherheit, daß sie gegen Ende des 4. Jahrhunderts v. Chr.
eingemeißelt worden sind, d. h. zur Zeit der Erbauung des Abaton,
— offenbar doch zu dem Zweck, das Vertrauen zu Asklepios bei den
Hilfesuchenden zu stärken. Aus sprachlichen Gründen schließen
wir, daß einige der Heilungen auf jene Gegenwart sich beziehen,
andre aber aus älteren Zeiten herrühren und in den Ueberlieferungen
der Priester lebendig geblieben waren, vielleicht auch ältere, un¬
leserlich gewordene Inschriften ersetzen sollten.
(Fortsetzung folgt.)
Münchner Brief.
Seit Jahren bemerken wir auf allen Gebieten des deutschen
Lebens, wie auch — ideelle Bewegungen zu reinen Lohnkämpfen
wurden. Nun sind wir Aerzte auch soweit; man kann zur Zeit kaum
eine Nummer eines Standesblattes zur Hand nehmen, ohne auf For¬
derungen über Erhöhung der Irxtlichen Gebühren zu stoßen, sei es
solche in der Privatpraxis oder in der Kassenpraxis oder bei Ver¬
sicherungsanstalten. Wenn wirklich ein Redner in einer Versamm¬
lung darüber hinaus den Blick auf prinzipielle Fragen lenken will,
etwa auf eine Aenderung des Kassen Systems, so wird {hm bald
bedeutet, daß er Doktorfragen behandelt und daß nur portemonnaie*
otrope Gesichtspunkte jetzt am Platze sind. Dabei ist natürlich
niemand mit dem Erfolge der Lohnforderungen zufrieden; einmal
bleibt das Erreichte stets hinter dem Gewollten zurück, und dann ist
die Teuerung weit vorausgeeilt, ehe ein neuer „Erfolg“ sich aus¬
wirkt. Auch ich habe meine Harfe heute im wesentlichen auf diesen
Ton zu stimmen. Der Bezirksverein München-Stadt hat sich zu den
Gebühren in der Privatpraxis nach gründlichem Referate geäußert
und zur Umschiffung juristischer und moralischer Fallstricke verein¬
bart, daß die Entlohnung — man hat mit Recht einmal dieses schöne
deutsche Wort angewenaet — der ärztlichen Leistungen in der Regel,
für Ausländer ausschließlich, nach freier Vereinbarung erfolgt. Wenn
diese — oft recht heikle — vorherige Vereinbarung nicht besteht,
werden die Sätze der bayrischen Gebührenordnung von 1901 mit der
jeweiligen Reichsteuerungsmdexziffer vervielfältigt. Bei Ausländern
wird dazu ein Aufschlag von 200o/ 0 geschlagen. Dabei soll den
Rechnungen für Ausländer die Umrechnung des Betrages in der
betreffenden Landeswährung beigefügt werden. Das hat den Zweck,
diesen fremden Besuchern einen Vergleich mit den Forderungen
ihrer heimischen Aerzte zu ermöglichen, da eine Forderung in Papier¬
mark auf den ersten Blick sehr hoch erscheinen könnte. Diese Be¬
schlüsse sind im Wartezimmer anzuschlagen und in der Tagesnressc
bekannt gegeben. Allmählich gewöhnen sich auch die Einheimischen
daran, daß der Arzt „aufgeschlagen“ hat. Die Forderung in der
fremden Valuta ist nicht nur juristisch anfechtbar, sie ist auch sach¬
lich nicht begründet. Natürlich paßt die Regelung nicht allen. Nament¬
lich wird, auch in auswärtigen Vereinen, eingewendet, daß oft schwin¬
delerregende Summen sich dabei errechnen ließen. Dagegen muß
immer darauf hingewiesen werden, daß die alte Gebührenordnung
Grenzwerte nach oben und nach unten enthält, daß also jede wün¬
schenswerte Differenzierung möglich ist. — Die Abrechnung für das
letzte Vierteljahr 1921 ergibt für die Ortskrankenkasse München
als Durchschnittszahl der Behandelten 4,2, als Betrag für die Einzel¬
leistung 5,55 M. Zwischen der Arbeitsgemeinschaft der bayrischen
Krankenkassenverbände und der Bayrischen Landesärztekammer sind
nach mehreren Sitzungen Vereinbarungen für das erste Vierteljahr
1922 zustandegekommen, sie haben in ihren zahlenmäßigen Ergeb¬
nissen zur Zeit nur mehr historischen Wert; die Verhandlungen
selbst waren nicht frei von Mißtönen; wegen der Zuschüsse zu den
Sonderleistungen und zu den Wegegebühren mußte lange gerauft
werden. Vom 1. IV. 1922 ab gelten auch in Bayern die Berliner
Vereinbarungen vom 22. III., vom selben Zeitpunkt an gilt audi
bei uns für die Kassenpraxis die neue preußische Gebührenordnung.
Auch mit der Landesversicherungsanstalt für Oberbayern wurde ein
neuer Vertrag geschlossen — und schon wieder gekündigt. Danach
werden Gutachten in Rentenangelegenheiten mit 45, solche für Heil¬
verfahren mit 30 M. bezahlt. Die Aerzte hatten natürlich mehr ge-
tized by Go igle
Original fro-m
CORNELL UNIVERSITY
19. Mai 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
671
fordert; bei diesen Verhandlungen wird immer von der Versiche¬
rungsanstalt geltend gemacht, daß manche ärztlichen Gutachten so
schlecht seien, daß die Bezahlung dafür immer noch zu hoch sei,
während die Aerzte behaupten, daß man für eine so schandbare Be¬
zahlung keine gute Arbeit verlangen könne.
Der Bezirksverein München-Stadt hat die Standesgerlchtsordoong
durchgesprochen, über die im letzten „Briefe“ ausführlich berichtet
wurde. Er hat sich für die Unzulässigkeit des Ehrenwortes ausge¬
sprochen, ein Standpunkt, den bisher auch die anderen Bezirks-
Vereine des Landes eingenommen haben. Ferner soll an den Landes*
ausschuü und an den Deutschen Aerztevereinsbund die Anregung
weitergegeben werden, eine Eingabe an die prov. Hygienekom¬
mission des Völkerbundes zu richten wegen der schwarzen Be¬
satzungstruppen als Infektionsgefahr. Die Veranlassung dazu gab
das Auftreten von Malaria tropica in Norddeutschland; die Schwarzen
kämen als Träger der Malariaerreger in Frage und stellten ebenso
wie in anderen Punkten eine Gefahr für die Europäer in gesund¬
heitlicher Hinsicht dar.
Schließlich besteht hier schon lange eine Animosität gegen die
Uiiiversitäispolikliniken, weil dort eine Menge zahlungsfähiger Pa¬
tienten umsonst behandelt würde. Die schon immer bestehende Poli-
klinikkommission des Bezirksvereins soll in verstärktem Maße dagegen
Sturm laufen. Bei den letzten Wahlkämpfen hat man aus diesen
Erwägungen heraus Stimmung gegen angesehene Aerzte, die zu¬
gleich Angehörige der Fakultät sind, gemacht, um sie nicht in pro¬
minente Stellen des Vereinsvorstandes zu bekommen. In hoc signo
errang man auch einen vollen Sieg. Es sei der Chronistenpflicht
ohne Kommentar genügt.
Der LaodesaustfChuß tagte Anfang April. Die Pensionsversiche-
rung soll in gutem Flusse sein, Einzelheiten können zur Zeit aber
nicht mitgeteilt werden. Es soll versucht werden, mit den Landes¬
versicherungsanstalten vom 1. X. ab zentrale Vereinbarungen für
ganz Bayern zu bekommen, und zwar unter Zugrundelegung der
überall siegreich durchdringenden „gleitenden Skala“. Dasselbe will
man mit den bayrischen landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften
erreichen, und dabei sollen die Abmachungen des Leipziger Ver¬
bandes mit den deutschen gewerblichen Berufsgenossenschaften zu-
rundegelegt werden. Im Juli wird der Bayrische Aerztetag seine
iesjährige Sitzung haben. Dabei soll die Bahnarztfrage behandelt
werden, die, wie berichtet, vor einiger Zeit wieder neuen Staub
aufgewirbelt hat. Der Landesausschuß hat kürzlich an den Landtag
eine Eingabe mit sozialhygienischen Forderungen gerichtet und dabei
8 Millionen Mark für laufende und die gleiche Summe für einmalige
Ausgaben für diesen Zweck als notwendig begründet. Näheres über
dieses Postulat ist nicht bekannt. Bei dieser Gelegenheit wurde im
Landesausschuß die Gründung eines sozialhygienischen Ausschusses
für wünschenswert befunden, der auf dem heurigen Aerztetag ge¬
gründet werden soll. Die Aufgabe dieses Ausschusses soll sein, der¬
artige Fragen, wie sie die Eingabe behandelt, gründlich vorzubereiten.
Er soll sich aus Vertretern des Landesausschusses, des Bayrischen
Medizinalbeamtenvereins und der bayrischen Fürsorge verbände zu¬
sammensetzen. Da Mitglieder der Fakultäten wohl in den ange¬
führten Kategorien enthalten sind, konnte anscheinend ihre besondere
Nennung unterbleiben.
. Unsere medizinische Fakultät wird mit dem 1. X. den Verlust
einer ihrer hervorragendsten Lehrkräfte erleiden. Kraepelin wird
sich von der Verpflichtung zur Abhaltung von Vorlesungen ent¬
binden lassen, um von jetzt ab seine ungebrochene Arbeitskraft aus¬
schließlich der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie zuzu¬
wenden, die ja seine Schöpfung ist. Die Fakultät hat an Bonhoeffer
(Berlin) den ersten Ruf, ergehen lassen; die weitere Vorschlagsliste
ist zwar bekannt, aber nicht offiziell veröffentlicht. Die Forderung,
die aus Universitätskreisen selbst erst im vorigen Jahre wieder
energisch vertreten wurde, die Vorschlagslisten jeweils der Oeffent-
lidikeit bekanntzugeben, setzt sich leider nicht durch. Abgesehen
davon, daß die gebildeten Kreise ein Recht darauf haben, wäre es
im Interesse der Hochschulen selbst gelegen, wenn dieser Brauch
allgemein würde. Er würde manches unberechtigte Mißtrauen be¬
seitigen, was, wie ich früher »erwähnte, bei jeder Landtagsbehandlung
von Universitätsfragen mit stereotyper Geistlosigkeit sich breit macht.
Zu diesem Punkte wäre noch zu bemerken, daß es nun zwei fahre her
ist, daß an Straub (Freiburg) ein Ruf zur Uebernahme der phar¬
makologischen Professur erging, ohne daß die Angelegenheit aus
dem Stadium der Hoffnung, er möchte bald kommen, herausrückte.
Um nun nach so viel Tragischem das erfrischende Satyrspiel
nach alter Weise nicht zu vergessen, sei noch einiges über die
Titelfrage angeführt Ich könnte eigentlich wörtlich wiederholen,
was kürzlich in dieser Wochenschrift der Verfasser des „Wiener
Briefes“ darüber schrieb. Aus Aerztekreisen kommen auch bei
uns bewegliche Klagen über das Ausbleibed der Titel für ältere,
Segen bringende Kollegen, sodaß schon die Witzblätter das Thema
aufgriffen, damit „kein Deutscher mehr im unnatürlichen Zu¬
stande der Titellosigkeit herumliefe“ (Simplicissimus 27, 1). Der
Anfang war gemacht mit dem Justizratstitel an „verdiente“ ^wo¬
durch?) Rechtsanwälte. Nun hat die Regierung an eine größere
Zahl beamteter Aerzte (Landgerichtsärzte und Bezirksärzte) die Be¬
zeichnung „Obermedizinalrat“ verliehen. Dieser Titel war früher
das, was heute der „Geheimrat“ ist, er wurde so an bedeutende
Fakultätsmitglieder verliehen. Der Geheimratstitel hatte früher 3 Kon¬
zentrationen bei uns: Geh. Sanitätsrat, Geh. Hofrat, K. Geheimer
Rat. Der letztere war mehr als der preußische Geheime Regierungs-
bzw. Medizinalrat, vulgo Geheimrat. Auch an Universitätsangehörige
ist in den letzten Jahren wiederholt der Geheimratstitel verliehen
worden; dabei stellte sich aber eine Schwierigkeit heraus: etwas
mußte man doch nach außen hin seinen Wünschen Zügel anlegen,
und so ging der Geh. Hof rat unmöglich. Man hat sich geholfen
und hat von Preußen eine geistige Anleihe gemacht und den bisher
bei uns bei solchen Gelegenheiten unbekannten Titel: Geh. Re¬
gierungsrat und Geh. Medizinalrat eingeführt und verliehen. Der
Anlaß war an sich durchaus begreiflich, man wollte berühmte Ge¬
lehrte feiern, zweimal als Dank dafür, daß sie einen Ruf nach aus¬
wärts ablehnten. Wenn dieses Bemühen überhaupt zu begründen ist,
so kommt es für Männer der Wissenschaft in Frage, da man gerade
für sie nichts Reales als Ersatz zur Zeit bieten kann. Außerdem sind
wir Deutsche so daran gewöhnt, daß man sich einen Gelehrten ein¬
fach nicht denken kann anders als unter „Herr Geheimrat“. Und
doch soll zitiert werden, was unser Friedrich Müller darüber
in seiner berühmten Rede zur Hochschulreform 1920 ausführte;
er spricht über den Professortitel für Privatdozenten und sagt:
„Man schaffe doch diesen Professortitel ab ..., dann aber auch gleich
den Geheim ratstitel. In der Schweiz kennt man diesen Titel .nicht,
und das ist, wie ich aus eigener Erfahrung bestätigen kann, sicher¬
lich nicht vorr Schaden.“ Worin besteht wohl der Unterschied
zwischen der Republik Schweiz und der Republik Deutschland? —
Wie gesagt, man kann das Bestreben eines Gemeinwesens, einen
bedeutenden Gelehrten und Künstler zu ehren, nur billigen. Welchen
Sinn aber hat es, einen Rechtsanwalt oder Arzt dafür auszuzeichnen,
daß er vor Ablauf von 25 Dienstjahren nicht gestorben ist? Man
sollte seiner Familie Glück wünschen; man sollte es gelehrtert Ge¬
sellschaften überlassen, die wissenschaftlichen Leistungen des Be¬
treffenden auszuzeichnen; das wäre billig. Alles andere aber ist nur
ein Opfer für eine der lächerlichsten menschlichen Eigenschaften:
die Eitelkeit. Taschenberg.
87. Versammlung (Hundertjahrfeier)
der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Aerzte, Leipzig
18.—24. IX. 1922 .
Für die Versammlung ist folgendes Programm in Aussicht genommen:
Sonnabend, den 16 . IX., 12 Uhr mittag: Offizielle Eröffnung der Ausstellung
im Ausstellungsgelände.
Sonntag, den 17 . IX., ab 8 Uhr abend: Zusammenkunft in den oberen
Sälen des Krystallpalastes.
Montag, den 18 . IX., 9 Uhr vormittag: Begrüßungsansprachen. I. All¬
gemeine Sitzung. Thema: Die Relativitätstheorie, a) Prof. Dr. Einstein
(Berlin): Die Relativitätstheorie in der Physik, b) Prof. Dr. Schick (Kiel):
Die Relativitätstheorie in der Philosophie. 2 Uhr 30 Min. nachmittag: Sitzung
der medizinischen Hauptgruppe. Thema: Die Wiederherstellungschirurgie.
a) Prof. Dr. Bier (Berlin): Ueber Regeneration, insbesondere beim Menschen.
b) Prof. Dr. Lexer (Freiburg i. B.): Transplantation und Plastik.
Dienstag, den 19 . IX., 9 Uhr vormittag: II. Allgemeine Sitzung. Thema:
Die Vererbungslehre, a) Prof. Dr. Johannsen (Kopenhagen): Hundert Jahre
der Vererbungsforschung, b) Prof. Dr. Meisenheimer (Leipzig): Aeußere
Erscheinungsform und Vererbung, c) Dr. Lenz (Herrsching-Oberbayem):
Die Vererbungslehre beim Menschen. 2 Uhr 30 Min. nachmittag: Gemeinsame
Sitzung der beteiligten Abteilungen beider Hauptgruppen. Thema: Ueber
Elektrolytwirkungen im Organismus. Berichterstatter: Prof. Dr. W. Ost-
wald (Leipzig), Prof. Dr. Höher (Kiel), Prof. Dr. Spiro (Basel). Außerdem
Abteilungs-Sitzungen.
Mittwoch, den 20. IX., 9 Uhr vormittag: Sitzung der naturwissenschaft¬
lichen Hauptgruppe: Geophysikalisch - geographische Themata. 9 Uhr vor¬
mittag: Prof. Dr. Walther (Halle): Fortschritt und Rückschritt im Laufe
der Erdgeschichte. 10 Uhr vormittag: Prof. Dr. Hellmann (Berlin): Deutsch¬
lands Klima. 11—11 Uhr 30 Min. Pause. 11 Uhr 30 Min. vormittag: Sven
Hedin (Stockholm): Das Hochland von Tibet und seine Bewohner. Nach¬
mittag und folgende Tage: Abteilungs-Sitzungen und gemeinsame Sitzungen.
Der Tagung geht die Abhaltung eines von Prof. Dr. Ambronri,
Dr. A. Koehler und Prof. Dr. Siedentopf geleiteten Kursus für wissen¬
schaftliche Mikroskopie voraus (7.—14. IX. im Pathologischen und Hygie¬
nischen Institut).
Gleichzeitig mit der Tagung findet eine Reihe von Ausstellungen statt,
vor allem eine Industrie-Ausstellung auf dem Gelände der Technischen Messe,
welche den gesamten Forschungs-, Unterrichts- und Betriebsbedarf der Natur¬
wissenschaften und der Medizin, einschließlich der Hochschulen, Kliniken,
Krankenhäuser, Heil- und Pflegeanstalten und Sanatorien umfaßt.
Im Anschluß an die Versammlung findet in der Zeit vom 25 . IX. bis
14. X. eine Reihe von Aerzte-Fortbildungskursen auf verschiedenen Einzel¬
gebieten der Medizin statt.
Von geselligen Veranstaltungen sind ins Auge gefaßt: Ein Gewandhaus¬
konzert, eine Motette in der Thomaskirche und ein Konzert im Völkerschlacht¬
denkmal, weiterhin Festvorstellungen im Theater, Abende im Palmengarten und
Zoologischen Garten. Am Schluß der Woche werden voraussichtlich Ausflüge
nach Meißen, Magdeburg, Bad Elster, dem Rochlitzer Berge u. a. stattfinden.
Die Erträgnisse der Trenkle- und Adelheid Bleichröderstiftungen werden
in diesem Jahre wieder vergeben werden. Die Bewerber um die Stiftungs¬
gelder des Jahres 1921 werden gebeten, mitzuteilen, ob sie ihre Anträge auf¬
recht erhalten. Bewerbungen um die Erträgnisse des Jahres 1922 sind in
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
672
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 20
4 Ausfertigungen an den geschäftsführenden Sekretär Prof. Dr. B. Rassow,
Leipzig, Nürnberger Straße 48, möglichst umgehend, spätestens bis Ende Mai
zu richten. Geschäftsordnungen der Stiftungen werden auf Wunsch sofort
übersandt.
Teilnehmer an der Versammlung kann jeder werden, der sich für Natur¬
wissenschaften oder Medizin interessiert Für die Teilnehmerkarte sind
M. 100.— (Ausländer entsprechend mehr) zu entrichten, wovon aber für die
Mitglieder der Gesellschaft der Jahresbeitrag in Abzug gebracht wird. Für
die Damen der Teilnehmer werden Karten zum Preise von M. 50.— aus¬
gegeben. Die Preise für den Katalog der Ausstellung und einen Führer durch
Leipzig sind im Preis der Teilnehmerkarte eingeschlossen.
Anmeldungen bei der Geschäftsstelle der Hundertjahrfeier der Gesellschaft,
Leipzig, Nürnberger Straße 48.
Da das im Juli erscheinende Programm die endgültige Zusammenstellung
aller Darbietungen enthalten soll, bitten wir Vorträge und Demonstrationen
bis spätestens Ende Juni den Einführenden der betreffenden Abteilungen
anmelden zu wollen. — Vorträge, die sich zur Verhandlung in gemeinsamen
Sitzungen mehrerer Abteilungen eignen, sind besonders willkommen.
Die Geschäftsführung
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. v. Strümpell, Geh. Rat. Prof. Dr. Wiener,
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Sudhoff, Prof. Dr. Meisenheimer,
Dr. Weigeldt, Schriftführer.
Kleine Mitteilungen.
— Berlin. Die Steigerung der Lebenshaltungskosten
hat sich im April weiter fortgesetzt. Die vom Statistischen
Reichsamt auf Grund der Erhebungen über den Aufwand für Ernäh¬
rung, Wohnung, He.zung und Beleuchtung einer fünfköpfigen Familie be¬
rechnete Reichsindexziffer für die Lebenshaltungskosten
ist im April auf 3175 (sonach fast das 32fache gegenüber 1913/14)
gestiegen. Die Steigerung beträgt von März auf April 20,3 v. H.
Die Kosten für die Ernährung sind im Reichsdurchschnitt von März auf
April um 20,9o/o gestiegen. Zu der Erhöhung haben mehr oder minder
fast alle Lebensmittel beigetragen. Nur Eier und Spinat sind, der
Jahreszeit entsprechend, überall etwas billiger geworden. Hier und
dort zeigt sich auch ein geringes Nachlassen der Preise für Fette
(Butter und Margarine) und Fische. Rindfleisch und Schweinefleisch
sind im ganzen um mehr als 25 o/o gegen den Vormonat gestiegen,
auch Kartoffeln haben weiter im Preise angezogen. Sehr bedeutend
ist die Erhöhung der Preise für Brennstoffe, nicht nur für Kohlen
und Briketts, sondern auch für Holz und Torf. Dagegen sind die
Gas- und Elektrizitätspreise ziemlich die gleichen geblieben. Wesent¬
lich trug auch die Erhöhung der Zuschläge zu den Wohnungsmieten
zu der Steigerung der Lebenshaltungskosten bei. Im grollen und
ganzen zeigt diesmal die Teuerung in den größeren Städten einen
stärkeren Steigerungsgrad als in den kleineren.
— Nach einer Bekanntmachung der Aerztekammer für die
Provinz Brandenburg und des Groß-Berliner Aerzte-
bundes ist, entsprechend dem Fortschreiten der Teuerung, bis auf
weiteres in der Privatpraxis nach folgenden Grundsätzen zu
liquidieren: 1. Für Minderbemittefte, Beratung 30 bis 40 M.,
Besuch 50 bis 75 M. 2. Für Patienten in mittlerer wirtschaftlicher
Lage, Beratung 40 bis 60 M., Besuch 75 bis 100 M. 3. Für Patienten
in gehobener wirtschaftlicher Lage, Beratung nicht weniger als
70 M., Besuch nicht weniger als 100 M.
— Die in Nr. 15 S. 495 veröffentlichte Mitteilung über das Um¬
satzsteuergesetz ist, wie wir auf verschiedene Anfragen be¬
merken, dahin zu ergänzen, daß in der Novelle zu dem Gesetz nur
eine klarere Fassung der betreffenden Bestimmung bezweckt worden
ist, daß ferner sich die Befreiung von der Umsatzsteuerpflicht nur
aufdie Krankenkassen erstreckt, also an dentatsächlichen
Verhältnissen nichts geändert wird. Ueber die für den
Arzt widitigen Bestimmungen des Umsatzsteuergesetzes siehe den
Aufsatz von Joachim in Nr. 5 S. 2167.
— In Bad Kreuznach fand vom 29. IV. bis 1. V. unter dem Vor¬
sitze von Geh.-Rat His die 1. Tagung der Deutschen Gesell¬
schaft für Strahlentherapie statt. Der erste Tag war der
Radiumemanationstherapie gewidmet. Prof. Becker (Heidel¬
berg) erörterte physikalische Fragen, demonstrierte sein verbessertes
Emanometer und erläuterte die Freiburger Beschlüsse betr. neuer
einheitlicher Meßmethoden. Prof. Gudzent (Berlin) gab in einem
Uebersichtsreferat ein Bild des heutigen Standes der Radiumemanations¬
therapie, wie sie sich nach mancherlei Schwankungen der Methodik
lind der Anschauungen über Biologie jetzt herausgebildet hat. Prof.
Strasburger (Frankfurt) ließ über neue Untersuchungen der Re¬
sorption von Radiumemanationswasser und emanationshaltigem Oele,
einem rationelleren Verfahren, vortragen. Prof. Sticker (Honnef)
konnte über interessante Einwirkung von Radiumemanation auf ver¬
schiedene Mineralien, insbesondere Diamant, berichten, die auf eine
Affinität der Kohlengruppe hindeuteten. Prof. Polis (Aachen) sprach
am ersten Tage über die Wichtigkeit von Strahlenmessungen der Luft.
Der zweite, hfaupttag, sah eine ungewöhnlich große Anzahl Vortragen¬
der, Diskussionsredner und Zuhörer versammelt. Die wichtigen Fragen
der Krebsbehandlung durch Radium wurden in erschöpfender
Aussprache der ersten Frauenkliniker und anderer Radiumtherapeuten
diskutiert. Die Referate stammten von dem Physiker Friedrich (Frei¬
burg), dem Krebsforscher Prof. Werner (Heidelberg). An den Ver¬
handlungen beteiligten sich u. a. v. Franqu6 (Bonn), Opitz (Frei¬
burg), Seitz (Frankfurt), v. Seuffert (München), Kupferberg,
Flatau, Zweifel, Siegel. Einen Ueberblick über den Stand
der Radiumfrage im Ausland gaben Tomanek (Prag) und
Holf elder (Frankfurt) nach eigenen Anschauungen. In Amerika wer¬
den vielfach die Radiumpräparate nicht selbst benutzt, sondern die ab¬
gesaugte Emanation in Glasröhrchen von verschiedenen Stellen aus
wirkend. Auch dort sind, wie in Deutschland, gute Erfolge nicht
allein bei Krebs, sondern auch bei gutartigen Erkrankungen, beispiels¬
weise Blutungen der Gebärmutter, beobachtet. Eine Kommission zur
Weiterprüfung vieler Fragen wurde gebildet. E.
— Der Deutsche Akademische Assistentenverband hat
in seiner Sitzung am 25.111. d. J. beschlossen, alle Kollegen davor zu
warnen, akademische Assistentenstellen in Süddeutschland und Braun¬
schweig anzunelimen, bis sich die Verhältnisse gebessert haben. Be¬
stimmend für diesen Beschluß ist die ungleichmäßige Behandlung, die
der planmäßige Assistent in Süddeutschland und Braunschweig gegen¬
über Preußen erfährt. Während in Preußen das Gesamteinkommen auf
45500 Mark festgesetzt ist, beträgt in den süddeutschen Staaten das
Gehalt zunächst nur 60°/o davon, um dann langsam auf 70, 80 und 90<yo
zu steigen.
— Die Polizeistunde für sogenannte Rummelplätze wird
durch eine Verfügung des preußischen Ministers des Innern einheitlich
auf 10 Uhr abends festgesetzt.
— Im Jahr 1920 wurden im Deutschen Reich 35 Milzbrand¬
erkrankungen festgestellt, von denen 9 einen tödlichen Verlauf nahmen.
— Die Jahresversammlung der Gesellschaft Deutscher Hals-,
Nasen- und Ohrenärzte findet am i., 2. und 3- VI. unter dem Vorsitz
von Panse (Dresden) in Wiesbaden statt. Anfragen an den Schriftführer
Prof. Kahler, Freiburg i. B.
— Die Deutsche Gesellschaft für ärztliche Studienreisen
hat für 1922 folgenden vorläufigen Plan in Aussicht genommen: Beginn des
I. Teils der auf 6—7 Tage veranschlagten Reise am 24. VIII. in Hamburg:
Besuch von Lübeck, Travemünde, Doberan, Warnemünde, Heiligendamm,
Brunshaupten, Arendsee, Saßnitz-Stubbenkammer. Der II.Teil soll am 31. VIII.
in Swinemünde beginnen. In Aussicht genommen ist der Besuch von Herings-
dorf, Ahlbeck, Misdroy, Kolberg (vielleicht auch Moorbad Polzin), Danzig,
Zoppot, Kahlberg, Marienburg, Allenstein, Masurische Seen, Königsberg, Cranz,
Rauschen, Palmnicken, Künsche Nehrung (wenn möglich Memel). (Gesamt¬
dauer 12—15 Tage.) Preis für die ganze Reise schätzungsweise 9—10000 M.,
für den zweiten Teil 6500 M. Anmeldungen bis zum 20. V. erbeten an die
Deutsche Gesellschaft für Aerztliche Studienreisen, Berlin W 9.
Potsdamer Str. 134B.
— An den städtischen Krankenanstalten zu Dortmund findet im Sommer
ein ärztlicher Fortbildungskurs statt, in dem alle klinischen Disziplinen
und die Pathologische Anatomie Berücksichtigung finden. Die Teilnahme ist
unentgeltlich. Nähere Auskunft erteilt der Leitende Arzt der Städtischen
Frauenklinik, Dr. Engelmann.
— Pocken. Deutsches Reich (23.-29.IV. mit Nachträgen): 62. — Qenickstarre.
Deutsches Reich (2.-8. IV.): 38. - Ruhr. Deutsches Reich (2.-8. IV.): 41. - Ab-
domlnaityphus. Deutsches Reich (2—8. IV.): 133.
— Karlsruhe. Die Badische Gesellschaft für soziale
Hygiene, der jetzt 558 Mitglieder angehören, hielt am 30. IV. ihre
Generalversammlung ab. Dabei sprachen u. a. Dörner (Etten-
heim) über soziale Mißstände und Tuberkuloseverbreitung.
— Hochschulnachrlchten. Berlin. Geh.-Rat Hahn (Freiburg i.B.)
hat den Ruf als Nachfolger Flügges angenommen (vgl. diese Wochen¬
schrift 1921 S. 570). (Es ist erfreulich, daß jetzt endlich diese Frage
ihre Lösung gefunden hat. Seit 1. IV. 1921 ist der Lehrstuhl für Hygiene
verwaist gewesen.) — Bonn. Prof. Pop pelreuter hat einen Lehrauf¬
trag für klinische Psychologie erhalten. — Breslau. Prof. Kuznitzky
hat einen Lehrauftrag zur Vertretung der Sexuellen Hygiene erhalten. —
Frankfurt a.M. Anläßlich der vom Wissenschaftlichen Institut der
Elsaß-Lothringer in Frankfurt a. M. veranstalteten Erinnerungsfeier an
die vor 50 Jahren erfolgte Neugründung der deutschen Universität
Straßburg wurde Geh.-Rat Naunyn (Baden-Baden, früher Straßburg)
zum Dr. phil. hat. h.c. ernannt. — Greifsw'ald. Prof. Vorkastner,
Oberarzt an der Psychiatrischen und Nervenklinik, wurde an Stelle von
Prof. M. Nippe zum Ordinarius für Gerichtliche Medizin ernannt —
Halle. Geh.-Rat Roux wurde von der Medizinischen Akademie in
Turin zum Ehrenmitglied ernannt Zahnarzt Dr. Sperling hat
einen Lehrauftrag für Zahnärztliche Orthopädie erhalten. — Königs¬
berg. Priv.-Doz. Böttner erhielt die Dienstbezeichnung a. o. Pro¬
fessor. — Graz. Priv.-Doz. Laker wurde zum a. o. Professor er¬
nannt. — Zürich. Prof. Hedinger (Basel) hat den Ruf als Nachfolger
Busses (vgl. Nr. 12 S. 398 und Nr. 13 S. 430) angenommen.
— Im Anzeigenteil der heutigen Nummer S.6 ist die auf Grund der
vierten Ausgabe der Deutschen Arzneitaxe neu berechnete Preis¬
tafel der Berliner Magistralforjneln abgedruckt.
— Auf Seite 16 des InseratenteDes tot ein Verzeichnis der bei der Redaktion
zur Rezension eingegangenen Bücher und Abhandlungen enthalten.
Digltlzed by
C o gle
Original from
CORNELL UNÜVERSrrf
LITERATURBERICHT
Redigiert von Prof. Dr. R. von den Velden.
Zeitschriften: Klinische Wochenschrift Nr. 18 . — Münchener medizinische Wochenschrift Nr. 17- ^^di^^anife^Physiologle des MenLhen
Medizinische Klinik Nr. 11 - 15 . - Fortschritte auf. dem Gebiet der Rön genstrahlen Bd..29 H 1 . -chivr für die geamte
Anatomie und Physiologie.
♦♦ Hans Tiedje (Freiburg), Die Unterbindung am Hoden und
die „Pubertätsdriiseniehre“. Jena, O. Fischer, 1921. 26 Seiten
mit 1 Tafel. M. 10.-.
♦♦ K. Goette (Freiburg), Beitrag zur Atrophie des mensch¬
lichen Hodens. Jena, O. Fiscner, 1921. 28 S. M. 7.50. Ref.:
Voß (Düsseldorf).
Tiedje hat zahlreiche Tierversuche angestellt, die in einseitiger
Unterbindung des Vas deferens mit gleichzeitiger anderseitiger Kastra¬
tion, isolierter einseitiger und beiderseitiger gleichzeitiger Unterbindung
bestanden. Es ergab sich, daß das Erhaltenbleiben und der Grad der
Ausprägung der Geschlechtsmerkmale, wie das ganze männliche Ver¬
halten, von dem spermatogenen Anteil des Hodens und seinen spe¬
zifisch zellulären Eiweißsubstanzen abhängt. Die Zwischenzeiten sind
als Stoffwechselapparat des Hodens anzusehen. Die mikroskopi¬
schen, nach der Unterbindung auftretenden Bilder sind recht kompli¬
ziert, sie können Steinachs Behauptung vom Bestehen einer besonderen
„Pubertätsdrüse" nicht beweisen. Somit wäre Steinachs Lehre un¬
zutreffend. — Im Anschluß an frühere Untersuchungen und Kriegserfah¬
rungen über Potenzstörungen hat Goette das Freiburger anatomische
Material geprüft. Es ergab sich, daß die Hodenatrophie durch eine Schädi¬
gung des Samenepithels bedingt wird, die durch toxische und physikalische
(Röntgenstrahlen) Einwirkungen, sowie durch akute und chronische
Krankheiten entsteht. Besonders stark wirken chronische Krankheiten
mit schlechtem Ernährungszustand. Ein Einfluß körperlicher und
psychischer Anstrengung auf die Spermiogenese ist nicht sicher zu
beweisen, aber auch nicht zu bestreiten.
Appelrath (Bremen), Doppelbildungen einzelner Gliedmaßen.
Fortschr. d< Röntgenstr. 29 H. 1. An der Hand 8 Finger und Meta-
karpin. Die Handwurzel besteht aus 12 Knochen. Fortsatz am late¬
ralen Epicondylus humeri.
S. S. Cho u und W. Dieter (Berlin), Kapillaren gesunder Personen.
Pflüg. Arch. 193 H. 3/4. Aus einer großen Zahl von Beobachtungen
und Messungen der Kapillaren am Nagel wall gesunder Personen und
besonders der Folgen der Einwirkungen von Chemikalien, Adrenin
usw. folgern die Verfasser, daß die aktive Kontraktilität der Kapillaren
bis jet/t nicht sicher erwiesen sei, wenn auch an den Schwankungen
ihres Lumens unter chemischen und thermischen Einwirkungen neben
dem Einfluß der Arteriolen direkte Vorgänge beteiligt sein mögen.
Fr. Binswanger (Frankfurt a. M.), Kohlensäure und Blutzucker.
Pflüg. Arch. 193 H. 3/4. Der Verfasser hat Versuchstiere Kohlensäure-
Luftgemische atmen lassen, wobei darauf geachtet wurde, daß ein
annähernd der Atmosphäre entsprechender oder überschüssiger Sauer¬
stoffgehalt stets vorhanden war und die vom Tiere selbst erzeugte
Kohlensäure durch gehörige Ventilation entfernt wurde. Mit ge¬
messenen CO a -Konzentrationen von 4 bis 40 v. H. und in Versuchen
von 5 Minuten bis 3 1 /* Stunde Dauer wurde bei Kaninchen und Katzen
stets starke Steigerung des Blutzuckers erhalten, der gelegentlich auch
von Zucker im Harn begleitet war. Durch besondere Versuche wurde
festgestellt, daß nicht der Säurecharakter der Kohlensäure als solcher
verantwortlich ist. Dagegen spricht die gleichzeitig oft beobachtete
Herabsetzung der Körpertemperatur für eine direkte Verminderung der
oxydativen Vorgänge in den Zellen. Die Befunde eröffnen interessante
Aussichten für die Beurteilung anderer Arten von Hyperglykämie.
E.Abderhalden (Halle a. S.), Substanzen mit spezifischer Wir¬
kung. VI. Mitteilung. Pflüg. Arch. 193 H. 3/4. Mit durch Schwefelsäure
hydrolysierter Hodensubstanz gelingt es, nicht schlagende Froschherz¬
präparate usw. in Tätigkeit zu versetzen. Durch Fermente hydrolysierte
besitzt diese Fähigkeit nicht, kann sie aber durch Schwefelsäurehydrolyse
nachträglich erhalten. Entfernung der alkohollöslichen Produkte ver¬
stärkt die Wirkung. Plazenta-Säurehydrolysat schwächt die Herzaktion,
während Fermenthydrolysat sie verstärkt. Am überlebenden Oesopha¬
gus des Frosches sind die Wirkungen etwas anders geartet; hier sind
auch Schilddrüsen- und Strumahydrolysate wirksam. Alle diese „Op-
tone" besitzen eine mehr oder weniger starke kapillar- und arterien¬
erweiternde Wirkung, auch hemmen sie die Adrenin-Vasokonstriktion.
Wahrscheinlich spielen die Produkte der inneren Sekretion als physio¬
logische Regulatoren des Kapillarmechanismus eine wichtige Rolle,
der in Zukunft auch bei der Beurteilung der Ausfallserscheinungen
bei Inkretionsstörungen Aufmerksamkeit zuzuwenden sein wird.
Psychologie.
♦♦ Ernst Kretschmer (Tübingen), Medizinische Psychologie.
Bin Leitfaden für Studium und Praxis. Leipzig, Georg Thieme,
1922. 305 Seiten mit Abbildungen. ’ M. 39.—, geb. M. 48.—. Ref.:
J.H. Schultz (Jena).
Kretschmer betont in der Einleitung seines Buches, daß er eine
Psychologie geben will, die „aus der ärztlichen Praxis entstanden und
für die praktischen Aufgaben des ärztlichen Berufes bestimmt ist" und
den Blick in weitere geistige Gebiete (Erkenntnistheorie, Ethik, Aesthetik,
Völkerentwicklung) ermöglicht; dieser zweite Gesicntspunkt komme
nur in Andeutungen zum Ausdruck. Als leitende Grundidee fuhrt das
Einzel- und Völker-Entwicklungsgeschehen, alles mit besonderem Hin¬
blick auf die Neurosen, von denen Kretschmer ganz in seinem
lebendigen Stil sagt: „die Psychologie der Neurosen ist die Psychologie
des menschlichen Herzens übernaupt". Es will kein Referat des jetzigen
Allgemeinstandes, sondern bewußt subjektives Lebendiges geben,
besonders Affektdynamik. Es ist ebenso unmöglich in der Kurze des
Referates den Vorzügen dieses glänzend gebauten Werkes voll gerecht
zu werden, als eine Diskussion einzusetzen, deren Hauptpunkte durch
die einleitenden Bemerkungen vorweggenommen sind. Vielleicht waren
aber im Interesse der Einführung des Mediziners m die Psychologie
außerhalb Kretschmer einige Wegweisungen zweckmäßig. Eine
medizinische Psychologie" ohne Erwähnung der Leistungspsychologie
(Ermüdung, Gewöhnung, Ueben, Lernen usw.) und üedacntmspsycho-
logie und ohne jeden Hinweis auf die neueren willens- und denk-
Dsychologischen Grundfragen usw. dürfte doch vielleicht gerade für
den Anfänger die Gefahr in sich bergen, ähnlich an vielem vorbei¬
zusehen und zu denken, wie wir es täglich in psychoanalytischen
Kreisen sehen. Es wird, dem Autor, wenn er geneigt ist, diese Ueber-
legungen zu teilen, sicher nicht schwer fallen, in der gewiß bald zu
erwartenden nächsten Auflage an irgendeinem Punkte zu ergänzen.
Denn selbst bei völliger Gleichsetzung von „medizinischer" und „Neu¬
rosen-" Psychologie — wie ihn Kretschmer nicht postuliert! —
würden u. E. wirklich wesentliche Gesichtspunkte, auch praktischer
Entstehung und Bedeutung, fehlen. Durch diese Vorschläge bleiben
die großen Vorzüge des Buches unberührt: das künstlerisch freie
Herantreten an größte Probleme, die ungemein originelle, klangvoll
geprägte Diktion, das stilisierende Erfassen eindrucksvoller Gemeinsam¬
keiten und überhaupt der schon früher von Jaspers erkannte „beinahe
klassische" Wurf. __
Allgemeine Pathologie und Pathologische Anatomie.
♦♦ Walter Koch (Berlin), Ueber die russisch - nimänUche
Kastratensekte der skopzen. Jena, O. Fischer, 1921. 38 Seiten
mit 12 Tafeln. M. 27.—. Ref.: Buschan (Stettin).
Koch fand während des Krieges in Bukarest Gelegenheit, 10 Skopzen
unbekleidet zu untersuchen und 3 weitere gesprächsweise zu beobachten
(im Alter von 50—94 Jahren); bei acht von ihnen waren Penis und
Hoden, bei den übrigen nur der erstere weggenommen worden. Er
konnte im allgemeinen die Ergebnisse früherer Beobachter bestätigen
und einige neue Gesichtspunkte hinzufügen. Soweit das geringe Unter¬
suchungsmaterial Schlüsse zuläßt, glaubt Verfasser drei Typen unter¬
scheiden zu dürfen: 1. Annähernd gewöhnlichen Typus von hagerer bis
mittelgroßer Figur mit langen Gliedmaßen, 2. Typus mit hagerem Riesen¬
wuchs und 3. Hypophysären Typus mit den Untergruppen a) akrome-
galischen Typus .und b) Typus mit hypophysärer Adipositas. Beim
ersten Typus läßt sich keine besondere Vergrößerung der 5>ella turcica
erkennen, beim zweiten scheint (unscharfe Röntgenplattenl aber eine
solche zu bestehen, und bei der dritten ist der Röntgenbefund sicher¬
lich ein pathologischer (Sella auffallend groß, vertieft). Von sonstigen
pathologischen Erscheinungen verzeichnet Koch durchweg Aplasie
des lymphatischen Rachenringes (vielleicht im Zusammenhang mit Thy¬
mus und Thyreoidea), hochgradige Kyphose, überhaupt regressive
Symptome im Stützgewebe, auffallend welke Beschaffenheit der Haut»
trotz ihres reichlichen Fettpolsters, und spärliche Haarentwicklung am
Körper bei langem kräftigen Haupthaar. Er vermutet, daß Kastration
in der Kindheit bis zum Beginne der Pubertät bestimmt den rein
hageren Riesenwuchs zur Folge hat, aber in besonderen Fällen wahr¬
scheinlich auch den hypophysären’Typus entstehen lassen kann, daß
Kastration während der Pubertät und solange das Längenwachstum
noch nicht abgeschlossen ist, ebenfalls hypophysäre Konstitutions¬
formen erzeugt, die aber mehr nach der Seite der Akromegalie aus-
schlagen, und daß schließlich eine Kastration im späteren Alter die
Entwicklung von Konstitutionsformen (Gesamtgröße und hypophysären
Einschlag) wenig beeinflußt Mit Recht betont Verfasser, daß es sich
beim Wachstum um das Zusammenspiel verschiedener endokriner
Drüsen handeln muß. — Die Folgeerscheinungen der Kastration kenn¬
zeichnen sich dadurch, daß einmal eine auffallende Verlängerung der
kindlichen Epoche, zum anderen eine vorzeitige Vergreisung stattfmdet.
Der Arbeit sind vorzügliche Abbildungen beigegeben.
A. Beck (Kiel), Röntgensarkom und Pathogenese des Sarkoms.
M m.W» Nr. 17. Beschreibung von 3 Fällen, in denen sich nach
Röntgenbestrahlung wegen Tuberkulose Knochensarkome entwickelten.
N A. Bolt und P. A. Heeres (Groningen), Bildung der Gallensteine.
Pflüg. Arch. 193 H. 3/4. 1. Bei Durchströmung der überlebenden
Froschleber
sekret g<
ein Kolloiu wie ^«« 1 »»., **r. * w •*—-&— _—»--- -
freien Produktes sezerniert. 3. Die Konkremente bestehen aus Chole-
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNÜVERSm 1
674
LITERATURBERICHT
Nr. 20
sterin und bilden sich durch „tropfige Entmischung" (Schade).
4. Wird der Salzgemischlosung Lezithin zugefügt, so wird dl? Erhaltung
der Bestandteile in Lösung unverkennbar gefördert. Diese Beiunde
können in Zukunft praktisch wichtig werden.
Heinrichsdorff, Zusammensetzung der sogenannten Gallen-
tbromben. Zbl. f. Path. 32 Nr. 12. Die Gallenthromben setzen sich
aus kugeligen stark lichtbrechenden Körpern zusammen, die verschieden
stark mit Bilirubin gefüllt sind. Vom Gallenfarbstoff befreit, geben
sie die Gramreaktion und einige Lipoidreaktionen; sie enthalten dem¬
nach fettartige Körper wahrscheinlich mit Eiweißkörpern gemischt
G. Th. Sklawunos, Echte diffuse Pankreashyperplasie. Zbl. f.
Path. 32 Nr. 10. Echte diffuse Pankreashyperplasie ohne Diabetes
und ohne Akromegalie bei einem 59 jährigen Manne mit Aortitis luetica
und Aorteninsuffizienz. _
Strahlenkunde.
♦♦ Aue. Laqueur (Berlin), Otto Müller (Halle) und Wilh. Nix*
dort, Leitfaden der Blektromedizin für Aerzte und Elektro¬
techniker. Halle, Carl Marhold, 1922. 243 Seiten mit 133 Abbil¬
dungen. M. 34.—. Ref.: O. Strauß (Berlin).
Das kleine Buch erfreut durch eine seltene Reichhaltigkeit seines
Inhalts, und nur Autoren, die ihren Stoff souverän beherrschen, sind
in der Lage, in Kürze alles Wesentliche so darzustellen, wie es hier
eschehen ist. Mit Ausnahme der Röntgentechnik, die noch in einem
esonderen Band behandelt werden soll, ist kein Zweig der Elektro¬
medizin unerwähnt geblieben, Licht, Franklinisation, Arsonvalisation,
Diathermie fanden eine ausgezeichnete kurzgefaßte Beschreibung, selbst
der Bergoniesche Entfettungsstuhl ist in dem Buch enthalten, ln einem
besonderen Anhang sind noch u. a. die Gefahren des elektrischen
Stroms in sehr anschaulicher Weise geschildert. Den Abschluß bildet
eine Darstellung der Elektrokardiographie. Hier würde ich bei einer
Neuauflage eine übersichtlichere Kurvendarstellung für zweckmäßig
halten, auch möchte ich im Interesse eines leichteren Verständnisses der
Zackenbezeichnung auch eine Angabe der Kraus-Nicolaische Nomen¬
klatur für angezeigt erachten.
R. G lock er (Stuttgart), Experimentelle Untersuchungen über die
physikalischen Grundlagen der Röntgendiagnostik. Fortschr. d. Rönt-
genstr. 29 H. 1. Für die photographische Wirkung der Röntgenstrahlen
gilt das Bunsensche Gesetz: die.Schwärzung ist gleich, wenn das
Produkt aus Intensität und Expositionszeit gleich bleibt; vorausgesetzt
ist gleiche Entwicklung. Im Gegensatz dazu gilt für Licht das Schwarz-
schildsche Gesetz, nach welchem die Reziprozität der genannten Faktoren
nicht besteht. Verfasser hat die Geltung des Bunsenschen Gesetzes für
homogene Röntgenstrahlen nachgewiesen. Auch sonst wurden über die
photographische Wirkung der Röntgenstrahlen genauere Feststellungen
gemacht, wie über die Abhängigkeit der Schwärzung von der Exposi¬
tionszeit und von der Wellenlänge der Strahlen. Die Studie erstreckt
sich auch auf die quantitative Wirkung der Verstärkungsschirme. Die
Verstärkung wächst mit der Strahlenhärte und Intensität. Die Ver¬
schiedenheit der mit den Folien und ohne sie gewonnenen Bilder er¬
klärt sich zum großen Teil aus dem verschiedenen Verhalten der
photographischen^ Schicht gegenüber dem Fluoreszenzlicht und dem
Röntgenlicht.
Felix Peltasohn (Würzburg), Schattensummation. Fortschr. d.
Röntgenstr. 29 H. 1. Die Erscheinung der sogenannten Schatten¬
summation auf Röntgenbildern, darin bestehend, daß Deckungsschatten
mehrerer schattengebender Gebilde eine größere Intensität zeigen, als
der Summe der einzelnen Schattenintensitäten entspricht, wurde bisher
als eine Art optischer Täuschung betrachtet Durch photometrische
Methoden und andere Mittel läßt sich indes der objektive Charakter
des Phänomens beweisen. Die Ursache liegt in der photographischen
Schicht (Steigerung der Gradation). Verstärkungsschirme lassen nichts
Aehnliches erkennen. An den beliebten „hart" arbeitenden Platten
tritt die Erscheinung besonders stark hervor. Sie sollten daher in
gewissen Fällen durch solche mittlerer Gradation ersetzt werden.
Friedrich Voltz (München), Sensibilität und Sensibilisierung
in der Strahlentherapie. Fortschr. d. Röntgenstr. 29 H. 1. Das
Problem der Sensibilität und Sensibilisierung wird durch die „ener¬
getische Betrachtungsweise" (nicht morphologisch oder chemisch¬
stofflich) erläutert. Zugrunde gelegt werden die Begriffe der Assimi¬
lation und Dissimilation, die unter anderen auch bei Tumoren den
Vorgängen gerecht werden. Mit Hilfe des Arndtschen biologischen
Gesetzes kommt man zu einfachen übersichtlichen Formeln. Die Ver¬
suche des Verfassers ergaben, daß für die Sensibilisation besonders
die Wärme und der galvanische Strom in Betracht kommen oder
wenigstens die besten Aussichten bieten. Die Wärme befördert die
Dissimilation, der galvanische Strom vermindert die Assimilation und
befördert zugleich die Dissimilation. Die galvanische Verkupferung
verdankt ihre Hauptwirkung der Galvanisation, die Einführung des
Kupfers in die Oewebe spielt hierbei keine wesentliche Rolle.
Holzknecht und Jahoda (Wien), Leacbtmarken. M.m. W. Nr.* 17.
Jahoda fand eine billige Phosphoreszenzfarbe, die mittels einer
schmiegsamen Folie sich auf alle Schalter und Handwerkszeuge für
die Röntgendurchleuchtung aufkleben läßt. Man kann sich das störende
Umhertasten ersparen. Zu beziehen durch das Allgemeine Kranken¬
haus in Wien, Röntgenlaboratorium.
Allgemeine Diagnostik,
Karl Hundeshagen (Freiburg i. Br.), Wie soll Meolngekokken-
material bis zur Untersuchung in den bakteriologischen An¬
stalten behandelt werden? M. m. W. Nr. 17. Für Rachenabstriche
sind Wärmekästen zum Transport ungeeignet, da die Keime in diesen
eintrocknen und leicht zugrunde gehen. Die Meningokokken sind gar
nicht besonders kälteempfindlich. Die Wattebäusche sollen in mög¬
lichst luftdicht schließenden Büchsen rasch zur UntersuchungsstelTe
ebracht werden. Kulturen und Lumbalflüssigkeit dagegen brauchen
eim Transport über weite Entfernungen den wärmekasten, weil die
Meningokokken hier einen Nährboden naben und sich bei der günstigen
Temperatur vermehren können.
Theodor Hausmann (Moskau), Beseitigung der die Palpa¬
tion störenden Baucbmnskelkontraktiooen. M. m. W. Nr. 17. Zu
Kelling in M. m. W. 1921 Nr. 49. Verfasser weist auf seine eigene
Methode hin (Methodische Gastrointestinalpalpation, 1918). Der einzig
geeignete Moment für die palpatorischen Manipulationen ist das Ex-
spirium, bei jeder exspiratorischen Phase muß man allmählich mit der
Hand tiefer eindringen. Kunstgriffe anderer Art sind nur bei patho¬
logischer Hypertonie der Bauchmuskeln nötig. Dann empfiehlt es sich,
die auf dem Rücken liegenden Kranken den Hinterkopf stark ins Kissen
pressen zu lassen.
H. Meyer-Estorf (Berlin), Himoklastische Krise und grüne
Bentaldebydreaktion im Harn. Kl. W. Nr. 18. In 10 von 65 Fällen
(15°/ 0 ) von sichern Leberschädigungen, in denen sich Leukopenie und
wider Erwarten ein digestiver Leukozytenanstieg fand, war regelmäßig
die grüne Benzaldehydreaktion des Urins zu beobachten. Trat sie erst
während des Verlaufs der Erkrankung auf, so fiel sie mit einer Zu¬
nahme des Ikterus und Verschlechterung des Allgemeinbefindens^ zu¬
sammen; zugleich Umschlag des vorher vorhandenen alimentären
Leukozytensturzes in den paradoxen Leukozytenanstieg. Die hämo-
klastische Krise scheint in zweifelhaften Fällen zur Sicherung der
Diagnose einer Leberschädigung ein brauchbares differentialdiagno¬
stisches Hilfsmittel zu sein.
Van der Reis (Greifswald), Darmpat'onenmethode (Untersuchnaf
des Dickdarms). KI. W. Nr. 18. Ausführliche Beschreibung eines
Verfahrens, die Patronen zum Ausgießen rektal bis ins Zökum einzu¬
führen und auf demselben Wege wieder zu entfernen. Oeffnung und
Schließung der Patronen durch einen Fernauslöser.
W. Dreyfuß (Heidelberg), Zur diagnostischen Bedeutung der
Blutk&rperchensenkuogsgeschwindigkeit (Myelitis nach Pneumonie).
Kl. W. Nr. 18. Kasuistik.
K. Traugott (Frankfurt a. M.), Blutxuckerspiegel bei wieder¬
holter und verschiedener Art enteraler Zackerinfnbr und dessen
Bedeotung für die Leberfuoktinn. Kl. W. Nr. 18. Ist vor der Zucker¬
zufuhr der Ernährungszustand der Versuchsperson durch Hunger ver¬
ändert, so findet man bei gleichen Versuchsbedingungen eine mehrfach
höhere Blutzuckersteigerung, als im normalen Ernährungszustand. Die
erste Dextrosegabe beeinflußt die Leberzellfunktion derart, daß eine
Mehrleistung der Zelle bezüglich der weiteren ZuckeiVermehrung
resultiert.
A. Lublin (Breslau), Neues Mikroverfabreo zur getrennten
quantitativen Bestimmung des Azetons und der l-Oxybuttersinre im
Harn. KI. W. Nr. 18. Genaue Beschreibung der Methode.
Ernst Sahlgren (Stockholm), Mastixreaktion im Liquor cere¬
brospinalis. M. m. W. Nr. 17. Für das Zustandekommen einer patho¬
logischen Mastixkurve sind von Bedeutung die Menge des Totalglobulins
und das quantitative Verhältnis der Olooulinfraktionen.
Allgemeine Therapie.
G. Liljestrand und R. Magnus (Utrecht), Wirkung des Kohlen-
Säurebades und Hochgebirges bei Gesunden. Pflüg. Arch. 193 H.5/6.
Die Höhe von 1800 m beeinflußt den Ruhestoffwechsel gar nicht, ver¬
mindert aber die alveolare Kohlensäurespannung und diejenige des
venösen Blutes. Das kühle Kohlensäurebad von 33° macht eine starke
Erweiterung der Hautgefäße mit Wärmegefühl, Erhöhung der Wärme¬
abgabe und Sinken der Körpertemperatur. Muskelzittern kann zugleich
mit der Wiedererwärmung nach dem Bade erfolgen, bei niedriger
Badetemperatur (29°) auch im Bade. Im Kohlensäurebade erfolgt deut¬
liche Zunahme der AtemgTÖße; Kohlensäure wird aus dem Körper
„ausgewaschen", der respiratorische Quotient kann über I steigen.
Die Versuche stellten die Verfasser in St-Moritz an sich selbst an.
Methodik siehe im Original.
Htiper (Berlin-Schöneberg), Intravendse Kampferö!in)ektion auf
Grund pathologisch-anatomischer Untersuchungen. M. Kl.
Nr. 12. Die Oelemboli sind bei Kindern und Erwachsenen gleich¬
mäßig über die ganze Lunge verteilt, fehlen stets in den atelektati-
sehen Partien. Oelmengen bis zu 5 ccm Einzeldosis langsam und nicht
zu oft eingespritzt sind nach den bisherigen Untersuchungen als unge¬
fährlich anzusehen; höhere Dosen sind gefährlich.
K. Arai (Utrecht), Cholin als Hormon der Darmbewegung. VI. Mit¬
teilung. Pflüg. Arch. 193 H. 3/4. Die durch intraperitoneale Ein¬
spritzung von 2°/ 0 iger Lugolscher Jodlösung zu 0,5 ccm pro Kilo Tier
bei Katzen erzeugbare Peritonitis, die nach 24 bis 48 Stunden am
ausgesprochensten ist und in 120 Stunden abklingt, läßt sich in ihrem
Hauptsymptom, der Magen- und Dünndarmlähmung, durch Einspritzung
Original fro-m
CORNELL UNIVERSUM
19. Mai 1922
LITERATURBERICHT
075
von 10 mg Cholinchlorid pro Kilo Tier ebenso sicher beseitigen, wie
die nach Laparotomie und Eventrieren auftretende „postoperative Darm¬
lähmung“. Dosen von 15 mg führen auch starke Steigerung der Dick¬
darmbewegungen hervor, wie in Korrektur früherer Angaben besonders
deutlich in Serien von Röntgen bildern gezeigt wird. Bei Einlaufs¬
geschwindigkeit von 1,3 bis 2,6 mg Cholinchlorid per Kilo Tier und
Minute kann man bis über 60 mg einverleiben, ehe die tödliche Dosis
erreicht ist. Bei 0,8 bis 0,9 mg per Minute ist das Cholinsalz ganz
ungefährlich. Borsaures Cholin wirkt genau gleich stark, nicht, wie
für das „Enzytol“ behauptet wurde, weniger giftig. Die Ergebnisse
liefern eine sichere Basis für die therapeutische Beeinflussung von
Magendarmlahmungen beim Menschen.
W. Pust (Jena), .Wärmebaitender, regulierbarer Infasionsapparat.
M. m. W. Nr. 17. Bei den bisherigen Infusionsapparaten tritt rasch
eine Abkühlung von 5—10° ein. Verfasser konstruierte eine doppel¬
wandige Vakuumbürette, die die Temperatur der Infusionsflüssigkeit
konstant hält. S. Abbild. Hersteller Koellner, Jena.
G. L. Dreyfus (Frankfurt a. M.), Verwendungsbereich des
„Ampollenwassers“. M. m. W. Nr. 17. Das sterile, dauernd haltbare
Ampullenwasser (M. m. W. 1920 Nr. 4) wird jetzt fabrikmäßig herge¬
stellt (Ampuwa) von Fresenius, Frankfurt a. M. Es ist hervorragend
geeignet für die rasche Zubereitung steriler Lösungen für subkutane
oder intravenöse Injektionen.
Krankenpflege.
♦♦ Robert Stigler (Wien), Lehrbuch der Physiologie für
Krankenpflegeschulen. 2. Aufl. Wien, A. Holder, 1921. 292 S.
M. 30.—. Ref.: P. Jacobsohn (Berlin).
Anatomie und Physiologie, die auch für die Krankenpflege den
Grundunterbau bilden, kommen in den größeren Lehrbüchern leider
zu stiefmütterlich weg, und wir sind dankbar, in dem vorliegenden
physiologischen Lehrbuche eine ausgezeichnete Ergänzung in dieser
Hinsicht zu besitzen. Verfasser, der als Lehrer an der vortrefflich
organisierten Krankenpflegeschule des Wiener Krankenanstaltsfonds
wirkt, hat aufs beste verstanden, das Gebiet der menschlichen Physio¬
logie in allen wichtigen Abschnitten mit hervorragender Anschaulichkeit
zu schildern und überall die unmittelbaren Beziehungen zur Kranken¬
pflegetätigkeit besonders ins Licht zu setzen. Vorführung einfacher
und überzeugender Grundversuche und Einstreuung zahlreicher ge¬
schickt ausgewählter Abbildungen erhöhen noch den Wert des sehr
empfehlenswerten, wohlausgestatteten Buches, das auch für die volks¬
hygienische Belehrung sich als ungemein nützlich erweisen wird.
Innere Medizin.
♦♦ Georg Schloss!er (Berlin), Leitfaden der klinischen Psy¬
chiatrie. 3. durchgesehefie Aufl. München, Müller & Steinicke,
1922. 237 S. M. 18.-. Ref.: R. Hirschfeld (Berlin).
Daß der vorliegende Leitfaden schon nach 6 Jahren in 3. Auflage
erscheinen konnte, ist ein Beweis dafür, daß er didaktisch brauchbar
ist. Schlomer hat sich in seiner Darstellung eng an die Kraepelin-
sche Schule als die führende angeschlossen. Dem Mediziner, der zu¬
gleich ein psychiatrisches Kolleg hört, welches im Sinne der Anschau¬
ungen Kraepelins orientiert ist, kann das Büchlein als Wegweiser
empfohlen werden.
Fränkel (Berlin), Behandlung des Erysipels mit hochprozentiger
Argentum nitricum-Salbe. M. Kl. Nr. 12. 12—16°/ 0 ige Arg. nitricum-
Salbe erwies sich als wirkungsvoll und hatte gewisse Vortqjle vor der
Pinselung. Meistens genügte eine einmalige Anwendung. *
Steiger (Wieden), Strumitis oosttyphosa. W. m. W. Nr. 14. Mit¬
teilung eines Falles von großem Strumaabszeß nach Typhus, welcher
Typhusbazillen fast in Reinkultur enthielt. Klinisch waren die Er¬
scheinungen einer Grippe vorhanden gewesen.
Fränkel (Berlin), Erfahrungen mit der intrakraniellen Serum-
tberapie beim Tetanus. M. Kl. Nr. 13. Die intrakranielle Zufuhr
hochwertigen Serums ist theoretisch wohl begründet und kann auf
Grund günstiger Tierexperimente, sowie der bisherigen günstigen
praktischen Erfahrungen durchaus empfohlen werden.
A. v. Beust (Zürich), Die Lichttherapie des Tetanus. M. m. W.
Nr. 17. Bestrahlungen von Tetanussporen in vitro mit der Quarzlampe
ließen keinerlei Hemmung des Wachstums erkennen.
H. E. Lorenz (Breslau), Röntgenologische Herzgrößenbestimmung.
Fortschr. d. Röntgenstr. 29 H. 1. Das orthodiagraphische Verfahren
kann ohne kostspieliges Spezialinstrumentarium ausgeführt werden.
Es genügt am Klinoskop die Mitte eines kleinen abgeblendeten Licht¬
kreises stets auf den Herzrand einzustellen. Man erhält sowohl für
die Herzgröße, wie Herzform brauchbare Ergebnisse.
Römheld (Hornegg a. N.), Herzbeschwerden bei sub- und ana¬
ziden Zuständen des Magens und ihre Behandlung. M. Kl. Nr. 11.
Im Vordergründe steht wohl das eine mechanische Moment (Unruhe
des Magens, Bildung einer großen Magenblase). In zweiter Linie
kommt es auf chronisch-toxischem und reflektorischem Wege zur Be¬
einflussung des Herzens vom anaziden Magen aus. (Bradykardie,
Extrasystolie und anfallsweiser Tachykardie.) Der Anazide klagt oft
über sehr heftigen schmerzhaften Druck auf der linken Brustscite und
hinter dem Brustbein. Dementsprechend soll die Behandlung also
vorwiegend eine diätetische und medikamentöse sein.
Hanns Alexander (Davos-Dorf), Nebengeränscb'e bei funktionell
geheilter Lungentuberkulose. M. m. W. Nr. 17. Infolge der narbigen
Schrumpfung können auch bei funktionell geheilten Lungen namentlich
nach Kollapstherapie jahrelang Rasselgeräusche bestehen bleiben.
Th. Naegeli und H. Cramer (Bonn), Röntgenstereoaufnahmen
zur Darstellung von intrapleuralen, intraabdominalen und dia-
phragmalen Veränderungen. Fortschr. d. Röntgenstr. 29 H. 1. Bisher
wurde die Erkenntnis des Zwerchfells, von Verwachsungen der Pleuren
und des Peritoneums durch das Stereogramm gefördert. Der mit
Kontrastbrei gefüllte Magen ließ sich hierdurch nicht vorteilhafter
darstellen.
Fr. H. Lorentz (Hamburg), Chlortagessterllisation von tuber¬
kulösem Sputum. M. m. W. Nr. 17. Das Sputum wird für 24 Stunden
in geschlossene Gefäße gebracht mit Natriumhypochlorit. Es tritt
rasoie Homogenisierung der Auswurfballen ein mit sicherer Abtötung
der Bazillen.
Crämer, Magen- und Zwölffingerdarmgeschwur. M. m. W. Nr. 17.
Uebersichtsreferat im Aerztüchen Verein München. Die in den Statistiken
angegebenen Dauerheilungen bei interner Behandlung ergeben ein zu
günstiges Bild, sehr viele Ulzera kommen nur in einen Latenzzustand.
Koväcz, Akute Leberatrophie. W. m. W. Nr. 14—16. Auf Grund
der mitgeteilten klinischen Beobachtungen kommt Verfasser zu dem
Schluß, daß es sich bei gewissen Fällen von Icterus catarrhalis um
eine akute, diffuse Hepatitis handelt, die sich bei besonderer Intensität
der Noxe oder verminderter Widerstandsfähigkeit zur akuten oder
subakuten Leberatrophie steigern kann. Wahrscheinlich handelt cs
sich um toxische Schädigungen aus dem Magen-Darmkanal. Thera¬
peutisch ist die Darmdesinfektion besonders wichtig.
H. Strauß (Berlin), Diabetesätiologie. Kl. W. Nr. 18. Die
Kriegserfahrungen des Verfassers umfassen 1. 70 Fälle von Diabetes,
bei denen als Ursache des Diabetes körperliche Einwirkungen ange¬
geben wurden, 2. 45 Fälle, bei denen vorausgegangene Infektions¬
krankheiten (30 mal d. h. in */, der Fälle infektiöse Darmerkrankungen)
angeschuldigt wurden, und 3. 10 Fälle, bei denen Shokwirkungen
(Granatexplosionen) als Ursache angegeben wurden (enge Zusammen¬
hänge zwischen psychischen Einwirkungen und Auslösung eines Dia¬
betes bestätigt). Die Ergebnisse der Behandlung waren sehr erfreulich
(53°/ 0 erhebliche Besserung). Chirurgische Folgeerscheinungen des
Diabetes waren selten.
H. Sieben (Bürstadt), Impetigo-Nephritis. Kl. W. Nr. 18. Kasuistik.
H. Engel, Mikroskoolsche Blutuntersuchung bei Bleiurbeitern.
M. m. W. Nr. 17. Zu Seiffert in M. m. W. 1921 Nr. 49. Die Färbung
unfixierter Ausstrichpräparate zur Darstellung basophiler Granula be¬
währte sich bisher nicht. Die dabei beobachteten Körnelungen scheinen
Kunstprodukte zu sein.
Hermann (Prag), Ungleichzeitiges Auftreten der Papillenstarre
bei epileptischen Anfällen. M. KI. Nr. 13. Bei einem Fall von Epi¬
lepsie trat die Pupillenstarre nicht gleichzeitig auf beiden Augen auf.
Dadurch ist bewiesen, daß der Eintritt der Pupillenstarre wenigstens
beim Rinden epileptischen Anfall nicht gleichzeitig auftritt. Auen ließ
bei zwei weiteren Fällen beim Lösen des Krampfes die Pupillenstarrc
ungleichzeitig nach.
Ernst Speer (Lindau i. Bodensee), Hypnoseverbrechen. M. m. W.
Nr. 17. Sonst gesunder junger Mann gibt an, im Zustande der Ueber-
müdung von einer Frau im Eisenbahnabteil hypnotisiert zu sein, sie
stahl ihm dabei die Brieftasche und suggerierte ihm Amnesie für den
Vorfall und einen fremden Namen. Erst nach mehreren Wochen gelang
die Ermittelung der wirklichen Persönlichkeitsbeziehungen durch Hyp¬
nosen in typischer Form.
Chirurgie.
A. Kortzeborn (Leipzig), Wellenschnitt. M. m. W. Nr. 17. Zu
Ritschel in Nr. 11. Der von Schlaepfer im Zbl. f.Chir. 1917 Nr.36
beschriebene Spiralschnitt nach Payr bietet noch größere Vorteile als
der von Ritschel angegebene Wellenschnitt. Dazu Erwiderung von
Ritschel.
W. Haubenreißer (Leipzig), Lymphdrainage bei Elephantiasis
cruris. Zbl. f. Chir. Nr. 14. Kasuisdk. Die Payrsche Lymphdrainage
kann mit vollem Recht als das bisher beste Operationsverfahren für
Beseitigung der Elephantiasis cruris bezeichnet werden.
F. Mocny (Lehnin), Neue Art der Versorgung von Qefäßver-
letzuogen und Aneurysmen. Zbl. f. Chir. Nr. 14. Verfasser ist durch
Haberland darauf aufmerksam gemacht worden, daß Brewer bereits
1904 die Verklebung von Gefäßwunden durch Gummistoff veröffent¬
licht habe. Der Unterschied zwischen diesem Verfahren und dem des
Verfassers liegt darin, daß Brewer durch eine Gummihüllc um die
Arterie das Auseinanderweichen der sich berührenden Wundränder
verhüten und ihr Zusammenheilen unterstützen will, während Verfassers
Verwendungsweise die Wunde als Ganzes in Angriff nimmt und einen
Gefäßwundersatz schafft. Dadurch wird ein ganz neues Moment be¬
dingt, nämlich das direkte Berühren des Gummiplättchens als Fremd¬
körper mit dem strömenden Blut.
J.Hohlbaum (Leipzig), Gastroenterostomie oder Resektion beim
Magengeschwür? Zbl. f. Chir. Nr. 15. In der Behandlung des Magen¬
geschwürs gelten an der Payrschen Klinik folgende Grundsätze: Kallöse
Geschwüre des Magenkörpers werden, wenn es der Zustand des Kranken
irgend zuläßt, quer reseziert. Auch bei den kallösen Geschwüren in
der Nähe des Pylorus wird die Resektion bevorzugt. Unbedingt wird
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTy
076
LITERATURBERICHT
Nr. 20
die radikale Entfernung auch bei diesen Geschwüren dann angestrebt,
wenn über ihre Gutartigkeit irgendwelche Zweifel bestehen, oder
wenn es sich um Geschwüre handelt, die bereits ein oder mehrere
Male zu stärkeren Blutungen Veranlassung gaben. Gerade gegenüber
den blutenden Geschwüren ist die Gastroenterostomie besonders un¬
zuverlässig. In solchen Fällen wird der Magen nach Krön lein rese¬
ziert. Ebenso wird bei den multiplen Geschwüren verfahren, voraus¬
gesetzt, daß sich ihre radikale Beseitigung ohne große Verstümmelung
des Magens durchführen läßt. Nur bei den vernarbten oder vernar¬
benden pylorischen oder präpylorischen Geschwüren wird nach wie
vor die hintere Gastroenterostomie bevorzugt.
J. Golpem (Tweer, Rußland), Entstehung von Ulcus pepticuni
jejuni nach Pylornsausschaltung nach von Eiselsberg-Doyen.
Zbl. f. Chir. Nr. 15. Verfasser macht auf die Pawlow-Popielskyschen
Experimente aufmerksam, die die Entstehung eines Ulcus pepticuni
jejuni als Resultat der Säurewirkung auf die Darmwand erklären.
A. Hübsch (Budapest), Gnmmidrainprotbese in der Gallenwege-
chirnrgie. Zbl. f. Chir. Nr. 15. Kasuistik. Die Anwendung des Drain¬
röhrchens in der Chirurgie der Gallenwege hat sich nur auf ganz be¬
sondere Fälle zu beschränken.
H. Kersten (Lewenberg, Schwerin), Ist die Nebennierenexstirpa¬
tion bei Epilepsie berechtigt? Zbl. f. Chir. Nr. 14. Polemik gegen
Specht.
J. Schwartz (Langendreer), Rezidive nach Bassini. Zbl. f. Chir.
Nr. 14. Friedemann hat bei seinen über 500 Leistenbruchoperationen
ohne jede Ausnahme die Bassinische Operation angewandt, mit nur
kleiner Modifikation. Von 207 zur Nachuntersuchung erschienenen
Operierten, hatten 11=5,3% Rezidive. Fast ausnahmlos handelte es
sich um schwer arbeitende Industriebevölkerung. 5,3% Rezidive halten
sich nahe der optimalen Grenze der großen Statistiken.
Rosenthal (Berlin!, Bestrebungen der Hodenverpflanzung. M. KI.
Nr. 12. Bekämpfung der Auswüchse, die bei der Hodenverpflanzung
sich zeigen, aus moralischen Gründen.
C. Hammesfahr (Magdeburg), Dilatation der Harnröhre ohne
Ende. Zbl. f. Chir. Nr. 14. Technische Mitteilung.
t *L r , itz Eisler (Wien), Röntgenologische Portschritte im Bereiche
der Physiologie, Pathologie und Diagnostik der Harnorgane*
durch vorwiegende und systematische Anwendung des
Durchleuchtungsverfahrens. Fortschr. d. Röntgenstr. 29 H. 1.
Die Beobachtung des Schirmbildes überholt an Wert bei weitem die
Aufnahme, deren zweifelloser Nutzen nicht bestritten wird. Mit dem
Schirm kann man die Kontrastfüllung kontrollieren, ob sie ausreicht oder
ergänzt werden muß (daher keine Bildnieten mehr). Die Lokalisationen
können genau durchgeführt, die Gestalt der Ausgüsse ermittelt werden,
ebenso ihre Ausdehnung. Die Kombination mit Palpation ermöglicht
bisweilen eine Differentialdiagnose zwischen renalem oder extrarenalem
Tumor oder dgl. Die respiratorischen, statischen und palpatorischen Be-
wegungserscheinungen können erkannt werden. Die Vorteile, welche
bisher für die Niere, Ureteren und Blase erzielt wurden, werden der
Reihe nach behandelt und durch lehrreiche Skizzen und Beispiele
erörtert
Heinrich Fischer (Gießen), Beziehungen der inneren Sekre¬
tion zur Genese einiger im Röntgenbilde praktisch wichtiger
Skelettvarietäten. Fortschr. d. Röntgenstr. 29 H. 1. Störungen des
Epiphysenschlusses sind allgemein die Folge des Hypogenitalismus
(Geschlechtsdrüsenausfalls), ein Symptom verschiedener Erkrankungen,
wie Eunuchoidismus, Infantilismus, Erkrankungen der Hypophyse usw.
Die Hypophyse, besonders ihr Vorderlappen übt auf das Wachstum
der akralen Körperteile einen ausschlaggebenden Einfluß aus. Die
Hypophyse wird durch Kastration der Geschlechtsdrüse zur Ver¬
größerung und Vermehrung der eosinophilen Zellen angeregt. Die
Kompaktinseln in Gegend der Epiphyse deuten ebenfalls auf Störungen
des Epiphysenschlusses, und zwar eines verlangsamten und unregel¬
mäßigen. Sie scheinen daher gleichfalls mit gestörter Geschlechts¬
drüsenfunktion zusammenzuhängen. Ein auffallend häufiges Vorkommen
überzähliger Karpalia und Tarsalia bei Akromegalie spricht dafür, daß
der zu ihrer Ausbildung notwendige Reiz gelegentlich auch von der
Hypophyse ausgehen kann.
Robert Kienboeck (Wien), Chirurgisch-radiologische Fehl¬
diagnosen bei Knochenkrankheiten. Fortschr. d. Röntgenstr. 29 H. 1.
Verfasser bringt 5 Fälle aus Rumpels Werk, Ueber Geschwülste usw.
im Röntgenbilde 1908, bei denen er auf Grund des mitgeteilten Radio¬
gramms zu einer wesentlich anderen Diagnose gekommen ist. Zum
Teil wurden hiernach Geschwulstarten miteinander, zum Teil mit ent¬
zündlichen Erkrankungen und umgekehrt verwechselt. Die verfeinerte
Diagnostik beruht auf verbesserter Ausarbeitung des Röntgenbefundes
durch das im vorigen Heft der Fortschr. angegebene Verfahren,
außerdem auf der Mithilfe tieferer Kenntnisse in der pathologischen
Anatomie. Eine Stellungnahme Rumpels zu den Ausführungen Kien-
boecks wäre sehr erwünscht.
Bruno Valentin (Frankfurt a. M.), Eine eigenartige, bisher
unbekannte Form multipler Epiphysenstömngeo. Fortschr. d.
Röntgenstr. 29 H. 1. Eine chronisch verlaufende schwere Affektion
der Knorpelfugen und Epiphysen an mehreren Gelenken (Knie, Fuß,
Finger), für die sich Aehnliches in der Literatur nicht finden ließ.
Ursache: Osteomyelitis?
F. Rehm (Hannover), Zentrale Luxation des Scbenkelkopfes.
M. m. W. Nr. 17. Ohne Röntgenbild ist die Diagnose nicht zu stellen.
Beschreibung eines Falles. Die Fraktur des Azetabulums trat bei einem
Fall bei Glatteis ein.
O. Stracker (Wien), Behandlung von Knieankyloseo in Beuge-
steiinnf. Zbl. f. Chir. Nr. 15. Technische Mitteilung aus der Spitzy-
schen Klinik.
K. Vo g e 1 (Dortmund), Eigenartige Mittelf oßerkranknng. Zbl. f. Chir.
Nr. 15. Nach Verfassers Erfahrung handelt es sich bei der von Deutsch¬
länder beschriebenen eigenartigen Mittelfußerkrankung sicher um eine
Fraktur der Mittelfußknochen durch leichte Gewalt, analog der Fu߬
geschwulst der Soldaten. Der starke Kallus entsteht durch die stete
Bewegung der Bruchstücke gegeneinander.
Frauenheilkunde.
Weber (Bonn), Röotgenographiscfae Beckenmeaanng. Fortschr. d.
Röntgenstr. 29 H. 1. Besprechung der verschiedenen Methoden. Die
beste, aber auch die kostspieligste ist die stereoskopische. Genügend
genau und dabei wesentlich leichter kommt man mit dem verein¬
fachten Drünerschen Gittermaßstabverfahren zum Ziel. Hierbei muß
auf die Lagerung der Frau große Sorgfalt verwendet werden, damit
die Beckeneingangsebene möglichst parallel zur Platte zu liegen kommt
E. Schilling und M. Goebel (Chemnitz), Schwangerachafta-
diagnoae mittels Phloridzininjektion. Kl. W. Nr. 18. Bei 10 Fallen
von Gravidität trat nach Injektion von 0,002 Phloridzin Glykosurie auf,
bei 70 Gesunden nicht. Von 11 hochfiebernden Patienten zeigten sieben
nach Injektion von 0,002 Phloridzin Glykosurie. Bei Fieber ist die
Probe nicht zu verwenden (da sämtliche Reduktionsproben positiv
waren). Bei positiver Nylanderscher Reaktion empfiehlt es sich, auch
andere Reduktionsproben anzustellen (in 3 Fällen war Nylandersche
Probe positiv, Trommersche und Heinesche Probe negativ).
A. Mahnert und K. Lund wall (Graz), Prüfung der Gefäflfuok-
tion bei Schwangeren. Kl. W. Nr. 18. Dem Verfahren kommt in
seiner gegenwärtigen Form keine Bedeutung für die klinische Beurteilung
hytropischer und eklamptischer Schwangeren zu.
Grumme(Fohrde), Subjektive und objektive Beeinflussung
der Laktation. M. m. W. Nr. 17. Zu Schoedcl in Nr. 4. Zulage
von gehaltvoller, besonders von eiweißreicher Nahrung vermehrt aie
Menge der gebildeten Milch. Nährmittel sind nicht, wie Schoedcl
sagt, unter die Laktagoga, d. h. milchtreibende Mittel, zu rechnen,
sondern unter die milchbildenden. Dazu Erwiderung Schoedcl:
Der Mehrbedarf an Stickstoff der Stillenden ist billiger und völlig
genügend mit den eiweißhaltigen Nahrungsmitteln des Marktverkehrs
zu decken als mit den teuren Eiweißpräparaten der Fabriken.
H. A. Dietrich (Göttingen), Notwendickeit einer allgemeinen
Statistik der Behandlung des Abortns febrilis. Zbl. f. Gyn. Nr. 12.
Die Frage, ob die aktive oder die konservative Behandlung des fieber¬
haften Abortus vorzuziehen ist, hat sich auf dem bisher beschrittenen
Wege der Einzelveröffentlichungen nicht entscheiden lassen. Nur eine
möglichst ausgedehnte Allgemeinstatistik, die aber nach genau fest¬
gesetzten und innegehaltenen Gesichtspunkten erfolgen muß, kann hier
eine definitive Klärung bringen. Verfasser schlägt nun ein sehr gutes
und ausführliches Schema vor, das allgemeinen Eingang zu finden
verdient.
W. Stemmer (Tübingen), Psychodiagnostik und Psychotherapie
in der Frauenheilkunde. Zbl. f. Gyn. Nr. 12. Verfasser bespricht in
sehr ausführlicher und klarer Weise 1. die Frage, welche gynäkolo¬
gischen Erkrankungen überhaupt psychotherapeutisch angegriffen werden
sollen und können, 2. die psychotherapeutischen Methoden, die dabei
in Betracht kommen.
A. May er (Tübingen), „Chirurgische“ Aera in der Gynäkologie
und die gynäkologischen Grenzgebiete. Zbl. f. Gyn. Nr. 12. Durch
die „chirurgische" Aera hat die Gynäkologie den Anschluß an die All¬
gemeinmedizin und die „Grenzgebiete" etwas verloren. Die ange¬
sehensten Führer des Faches haben aber die Grenzen des operativen
Könnens erkannt. Der wissenschaftliche und der therapeutische Ausbau
der Gynäkologie muß heute in der Richtung der „Grenzgebiete"
erfolgen. Verfasser, der sich selbst große Verdienste in dieser Hinsicht
erworben hat, bespricht dann ausführlich die verschiedenen Probleme,
die der modernen Gynäkologie aus dieser neuen Erkenntnis erwachsen.
A. Loeser (Berlin), Fluorbehandlong mit Bazillosou. Zbl.f.Gyn.
Nr. 12. Polemik gegen V. Jaschke und Salomon. Zbl. f. Gyn. Nr. 2.
Sigwart (Frankfurt a. M.), Seltene Verletzung des Uterna. Zbl.
f. Gyn. Nr. 12. Bei der Probeabrasio wegen Karzinomverdacht bei
einer 51jährigen Frau fühlte der behandelnde Arzt mit der Kürette
eine Unebenheit, die er als Polypen deutete und mit der Polypenzange
abdrehte. Das entfernte Stück erwies sich als ein etwa 2 cm langes
Stück der Arterie und Vena uterina. Laparotomie. Heilung.
Micholitsch (Wien), Operative Myombehandlung. W. m. W.
Nr. 15—17. Verfasser gibt auf Grund seiner Erfahrungen dem opera¬
tiven vor dem Röntgenverfahren bei der Myombehandlung den Vorzug.
Ein Hauptmoment des Erfolges liegt in der vaginalen Behandlung.
Röntgenbehandlung empfiehlt sich, wenn die Operation wegen
schwerer Allgemeinerkrankung nicht möglich und eine Stillung der
Blutung notwendig und sonst nicht erreichbar ist.
Digitized b’
Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
IQ. Mai 1922
LITERATURBERICHT
677
Augenheilkunde.
F. Best (Dresden), Schwimmbadkonjnoktivitis. M. m. W. Nr. 17.
10 Fälle, Erreger noch unbekannt. Das Leiden bleibt oft einseitig.
Therapeutisch am besten Argent. nitric.
F. Piertrusky (Breslau), Augen im Schlafe. Klin.Mbl.f.Aughlk. 68
Märzheft. Untersuchungen an 300 Schlafenden ergaben, daß die Augen
im Schlafe meist divergent nach oben stehen und sich bewegen, und
zwar die beiden Augäpfel oft einzeln und ungleichsinnig. Die Pupille
ist um so enger, je tiefer der Schlaf ist, beim Erwachen erweitert sie
sich. Sie ist bei Kindern unter 3 Monaten im Schlafe weiter als bei
Erwachsenen.
J. Ohm (Bottrop), Optischer Drehnystannus. Klin. Mbl. f.
Aughlk. 68 Märzheft Wird ein rotierender Zylinder mit parallel
zu seiner Achse gestellten Streifen oder eine rotierende Scheibe
mit aufgezeichneten Radien fixiert, so tritt bei jedem normalen Auge
Rucknystagmus auf (optischer Drehnystagmus oder Eisenbahnnystagmus),
dessen Verlauf vom Verfasser mittels eines am oberen Augenlide be¬
festigten Schreibhebels auf einer rotierenden Trommel aufgezcichnct
wurde. In pathologischen Fällen zeigen sich Abweichungen, welche
Schlüsse auf die Erregbarkeit der zentralen und peripherischen Netz¬
hautteile gestatten.
A. Elschnig (Prag), Kokain• Alkoholinjektionea am Ganglion
sphenopalatinom bei Glaukom. Mbl. f. Aughlk. 68 Märzheft Da die
Ausschaltung des Ganglion sphenopalatinum bei Glaukom möglicher¬
weise eine ähnliche Wirkung haben kann, wie die Exstirpation des
oberen Halsganglion des Sympathikus, so injizierte Elschnig Kokain
oder Alkohol in dieses Ganglion, aber nicht wie Post von der Nase,
sondern vom Gesicht aus durch Einstich ober- oder unterhalb des
Jochbogens. Es wurde zwar in einigen Fällen eine Herabsetzung der
Spannung des Augapfels beobachtet, doch läßt sich ein sicheres Urteil
über die Wirkung vorläufig noch nicht abgeben.
W. Uhthoff (Breslau), Indolentes Randfurchengeschwür mit trau¬
matischer Entbindung der Linse. Klin. Mbl. f. Aughlk. 68 Märzheft.
Bei einem 59jährigen Kranken mit indolentem Randfurchengeschwür
der Hornhaut beider Augen wurde vor 12 Jahren die rechte Linse
durch den Kranken selbst entbunden infolge Stoßes mit dem Finger
gegen das Auge. Vor kurzem trat dasselbe Ereignis auch auf dem
linken Auge ein.
Marquez (Madrid), Doppelkatarakt entfernt aus dem Auge.
Klin. Mbl. f. Aughlk. 68 Märzheft. Die fast schwarze Katarakt bestand
aus zwei plankonvexen Linsen, welche nacheinander extrahiert wurden.
Es sind nur zwei ähnliche Fälle bekannt.
Mellinghoff (Gütersloh), Neuritis optica wlhrend der Laktation.
Klin. Mbl. f. Aughlk. 68 Märzheft. Das Bemerkenswerte des Falles liegt
darin, daß trotz 14tägigen Bestehens völliger Amaurose auf dem einen
Auge sich doch wieder eine Sehschärfe von l / 4 einstellte.
R. Hanssen (Hamburg), Stumpfbilduug nach operativer Ent¬
fernung des Auges. Klin. Mbl. f. Aughlk. 68 Märzheft Es wird
empfohlen nach Enukleation oder Exentcration Knochen einzuheilen,
der am besten dem Fibulaköpfchen desselben Kranken entnommen wird.
Martin Goerlitz (Hamburg), Tuberkulin bei Erkrankungen des
Auges. Klin. Mbl. f. Aughlk. 68 Märzheft. Bei tuberkulösen Augenleiden
erwies sich die Behandlung nach Ponndorf mit 4vvöchigen Zwischen¬
räumen, in schwereren Fällen mit Tuberkulininjektionen, oft als recht
wirksam. Durch zeitweise Verschlimmerungen oder anfängliche Mi߬
erfolge soll man sich von der Fortsetzung der Behandlung nicht ab¬
halten lassen. Auch intravenöse Einspritzungen von Krysolgan sind
manchmal förderlich.
Zahnheilkunde.
R.Kronfeld(Wien), Oral-Sepsis und Warzelbehandluig. W.m.W.
Nr. 12—14. Es ist Pflicht der Zahnärzte, zur Lehre von der dentalen
Infektion des Organismus und der Oral-Sepsis Stellung zu nehmen
durch erhöhte Prophylaxe der Zahnkaries, Aufdeckung latenter Zahn¬
leiden als Ursache innerer Erkrankungen durch das Röntgenbild, Ab¬
warten für längere Zeit nach der Wurzelbehandlung, ehe Dauerfüllung
vorgenommen wird.
Haut- und Venerische Krankheiten.
Schweig (Wien), Wirkung des Trypaflavins bei der Tuber¬
kulose der Haut M. Kl. Nr. 15. Das Trypaflavin hat sich bei der
Hauttuberkulose (Lupus Vulg. und Scrophuloderma) nicht bewährt.
Histologisch ließ sich die angebliche bindegewebsmobilisierende Eigen¬
schaft, also die Bindegewebsneubildung, nur als Folge der hervor¬
gerufenen Entzündung erklären. Die 7 2 °/ 0 —V^/o »g en Trypaflavin-
lösungen erzeugten viel Nekrosen und entstellende eingezogene
Narben.
Fuchs (Breslau),Gefahrender Abortivbebandlnng der Gonorrhöe.
M. m. W. Nr. 17. Nach Injektion 4°/ ft Albarginlösung zur Abortiv¬
behandlung entwickelten sich in 2 Fällen in kurzer Zeit, einmal in
4 Monaten, das andre Mal in 3 Jahren, schwere Strikturen. Man soll
höchstens 2% Lösung nehmen. Später als 72 Stunden post coitum
darf die Abortivkur nicht angewandt werden.
Weißenstein, Chirurgische Behandlungsmethode desakuten Haro-
rdhrentrippers. W. m. W. Nr. 17. Einen unbedingt sicheren Weg betreten
wir, wenn wir im Initialstadium die Harnröhre in der Pars bulbosa
durchtrennen und erst nach der Heilung die Stümpfe wieder ver¬
einigen. Ein anderer Weg ist die Längsspaltung der Harnröhre auf
3—4 cm zwecks wirksamer Behandlung.
Walter Arnold (Koburg), Heilung der gonorrhoischen Prosta¬
titis mit Arthigon und Terpentin. M. m. w. Nr. 17. Intravenöse
Behandlung mit Gonokokkenvakzinen bewirkt eine wesentliche Ab¬
kürzung der Krankheitsdauer, noch günstiger wirkt intramuskuläre
Zuführung von Terpentin in steigenden Gaben. Gleichzeitige örtliche
Behandlung ist zweckmäßig, kann sich aber auf Spülungen beschränken.
Heermann (Essen), Verhütung der Stomatitis mercnrialis.
M. m. W. Nr. 17. Die wirksamste Behandlung der Syphilis ist die
Quecksilberschmierkur, beim Salvarsan und bei Quecksilberinjektionen
kommt es häufig später zu Tabes oder Paralyse. Die Stomatitis wird
vermieden, wenn man das Zahnfleisch nicht mit der Zahnbürste, sondern
mit Wattebäuschen reinigt, nachts wird der Mundboden zwischen Zunge
und Zahnreihe und Backe mit lockerer Gaze austamponiert, die den
ätzenden Speichel aufsaugen soll.
Kinderheilkunde.
Hovorkä (Gugging), Angenmenschen und Ohreamenschen. W.
m. W. Nr. 16. Verfasser klassifiziert die Menschen in intellektueller
Hinsicht in Augen- und Ohrenmenschen. Letztere stehen über den
Augenmenschen; sie sind unabhängig vom räumlichen Vorstellungs¬
zwang, von dem räumlichen Gedächtnis; ihnen steht aber ein logisches
Gedächtnis zur Verfügung. So ist auch bei der Behandlung schwach¬
sinniger Kinder strenges Individualisieren in der Wahl der Methoden
notwendig.
E. Lazar und F. Tremel (Wien), Klinisch-pädagogische Prüfungen
bei Hilfsschnlklndern. Zschr. i. Kindhlk. 32 H. 1/2. Ausführliche
Beschreibung der Untersuchungsmethoden zur Prüfung der Intelligenz
bei Hilfsschulkindern und Mitteilung einer Methode zur graphischen
Registrierung der Ergebnisse, die aber die Aufstellung von Typen d«
oligophrenen Krankheitsbildes nicht zuläßt, infolge des wechselnden
Ausfalls der Prüfung der einzelnen seelischen Funktionen bei den
einzelnen Individuen.
Hans Wimberger (Wien), Technische Erfahrungen aus der
Kinderröntgenologie. Forxschr. d. Röntgcnstr. 29 H. 1. Um die für
die Röntgenuntersuchungen nötige Ruhe bei Patienten in den ersten
Lebensjahren zu erzielen, sind einige Behelfe erprobt worden, die man
in solche zur Beruhigung und in solche zur Fixation teilen kann. Das
zweckmäßige Eingehen auf die Psyche des Kindes wird geschildert.
Mit Recht wird vor grobem Zwang gewarnt, weil er nur größeren
Widerstand auslöst. Die Fixation geschieht daher am besten durch
die Hände des Personals, welche durch einen leicht zu improvisieren¬
den „Handschutzstreifen" bedeckt werden. Für Durchleuchtungen
bewährte sich eine Holzkiste mit Armstützen als Sitz. Nicht unter¬
schätzt sollte eine exakte Zusammenarbeit der einzelnen Arbeitskräfte
werden.
R.Neurath (Wien), Hereditäre Ossifikationsdefekte der Scheitel¬
heine. Zschr. f. Kindhlk. 32 H. 1 /2. Die meist symmetrischen Knochen¬
fenster am hinteren Winkel der Scheitelbeine sind als Hemmungs-
mißbildungen aufzufassen, die sich nicht selten vererben, gehäuft in
Familien auftreten und mit anderen Kopfmißbildungen (Turmschädel)
einhergehen.
J. Bernheim-Karrer (Zürich), Klinische und radiologische
Beobachtungen an ruminierenden Säuglingen. Zschr. f. Kindhlk. 32
H. 1/2. Eine allgemeine Tonuserhöhung der muskulösen Magenwand,
vielleicht auch eine geringe Hilfe des Zwerchfells und der Bauchpressc
bringt die dem ruminierenden Säugling angenehm schmeckenden Speisen
aus dem Magen in die Mundhöhle; mit der ruminierten Nahrung
spielend, „fletschern“ die Kinder dann mit dem Wiedergekäuten.
Gurt Frankenstein (Berlin), Aktive Immunisierung im Sänglings-
alter. Zschr. f. Kindhlk. 32 H. 1/2. Die Pockenimmunität ist wahr¬
scheinlich eine zelluläre Immunität. Zur Bildung dieser zellulären Anti¬
körper ist auch der ganz junge Säugling befähigt. Eine erfolgreiche
Pockenschutzimpfung kann daher schon im ersten Quartal ausgeführt
werden.
Gertrud Rothgicßcr (Buch), Bekämpfung der Grippe in Kinder-
anstalten durch Freiluftbehandlung. Zschr. f. Kindhlk. 32 H. 1/2.
Langdauernde und häufige grippale Infektionen im Kindesalter werden
durch eine intensive Freiluft- und Sonnenbehandlung zum Schwinden
ebracht. In refraktären Fällen vermag die Kombination der Freiluft-
ehandlung mit einer Bestrahlungskur mit künstlicher Höhensonne noch
Gutes zu leisten. Ein Erfolg über die Zeit der Behandlung hinaus
tritt nicht immer ein.
H. Lehndorff und G. Leiner (Wien), Erythema annulare. Ein
typisches Exanthem bei Eodokarditits. Zschr. f. Kindhlk. 32 H. 1/2.
Beschreibung eines meist am Stamm sitzenden, aus zarten rosa oder
bläulichen Ringen bestehenden Exanthems, das sich nur bei EndZün-
dungsvorgängen an den Herzklappen einzustellcn pflegt.
A. Wetze 1 (Berlin), Wirkung des Kaliumionsauf die Spasmophilie
der Kinder. Zschr. f. Kindhlk. 32 H. 1/2. Zulage von Kaliumsalzen
(in Mengen, die dem Kaliumgehalt von 1—3 Litern Milch entsprechen)
zur Nahrung steigern bei Gesunden und bei latent und manifest teta-
nischen Kindern die nervöse Erregbarkeit nicht. Infekte und metereolo-
gische Einflüsse scheinen für die Manifestation der tetanischen Er¬
scheinungen von besonderer Bedeutung zu sein.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
678
LITERATURBERICHT
Nr. 20
Kritisches Sammelreferat über die Widalsche hämoklasische Krise als Leberfunktionsprfifung.
Von Priv.-Doz. Dr. Lepehne in Königsberg i. Pr.
Ueber die im Jahre 1920 von Widal, Abrami und Jan-
covesco (1) angegebene Funktionsprüfung der Leber mittels der
„digestiven Hämoklasie“ hat sich eine größere aus- und inländische
Literatur angesammelt. Widal glaubte, durch seine Probe einen
„latenten Hepatismus“, der sich durch kein anderes Symptom ver¬
rate, aufdecken zu können.
Die Patienten erhalten nüchtern 200 ccm Milch. Vorher sowie
in Abständen von 20 Minuten nach der Einnahme wurden die
Leukozyten gezählt, der Blutdruck gemessen, die Blutgerinnbarkeit
und der refraktometrische Blutwert bestimmt. Bei positivem Aus¬
fall ergab sich eine Leukopenie mit Lymphozytose (und
Eosinophilie nach Schiff [2]), die nach l 1 /* Stunden ihr Maxi¬
mum erreichte, ein Sinken des Blutdrucks und des refrakto-
metrischen Wertes, eine Zunahme der Blutgerinnungs¬
fähigkeit. Mitunter findet sich als sog. „dissoziierte Krise“ nur
Leukopenie oder nur Blutdrucksenkung. Beim Lebergesunden tritt
Leukozytose und Blutdrucksteigerung ein. Widal fand eine „posi¬
tive Krise“ bei allen eigentlichen Lebererkrankungen, nach Chloro¬
formnarkosen, nach Salvarsanbehandlung, bei Gravidität, bei ver¬
schiedenen Infektionskrankheiten, Diabetes und Nephritis mit schwerer
Azothämie. Als Ursache der Krise sieht Widal ein Uebertreten
unvollständig abgebauter Eiweißspaltprodukte in das Blut an, da
die Leber ihre „proteopexische Funktion“ — Zurückhaltung dieser
Peptone und Albumosen — verloren habe. Intravenöse Injektion
kleinster Peptonmengen oder von zur Zeit der Verdauung gewon¬
nenen Portalblutes erzeuge nämlich beim Hunde ebenfalls Leuko¬
penie und Blutdrucksenkung, Portalblut nüchterner Hunde dagegen
nicht. Widal zeigte weiter, daß Eingabe von 20 g Glykose, Sacharose
und höherer Dosen von Lävulose und Laktose beim Diabetiker eine
positive Krise erziele und daß bei Leberkranken auf 200 g Glykose
Leukopenie eintrete, bedingt durch einen Uebertritt von Fermenten
des Kohlenhydratstoffwechsels in die Blutbahn. Pagniez und
Plichet (3)’wiesen darauf hin, daß die 200 ccm Milch nicht lang¬
sam, schluckweise, sondern auf einmal getrunken werden müsse,
11 m falsche negative Proben zu vermeiden. Sömjen (4) betonte,
daß schon nach 40 Minuten ein Umschlag der Leukopenie in Leuko¬
zytose eintreten könne, daß also die entscheidende Zählung 20 Mi¬
nuten nach Beginn des Trinkens gemacht werden müsse. Troi-
s i e r (5) konnte ferner bei Leberkranken nach 40 g Pepton neben
Leukopenie noch eine Herabsetzung der Oberflächenspannung des
Blutes und des Urins feststellen; Lebergesunde reagieren auf Pepton,
Milch und Kohlenhydrate mit Leukozytose (Schiff und Stransky [6J,
Holzer und Schilling [7]).
Die weiteren Arbeiten über diese Leberfunktionsprüfung zeigten
nun, daß erstens mit einem regelmäßigen Auftreten der hämoklasi-
sehen Krise bei Leberkranken und einem regelmäßigen Fehlen bei
Lebergesunden nicht zu rechnen ist, und zweitens, daß auch andere
Stoffe als Eiweiß und Kohlenhydrate eine Krise erzeugen können
und daß die Erscheinung vielleicht auf ganz anderen Grundlagen
basiere. „Mauriac (8) erhielt bei Lebergesunden, Leberkranken und
Diabetikern völlig unregelmäßige Resultate, Jungmann (9) fand
Leukopenie bei Lebergesunden, V. Schilling (10) sah bei Leber¬
kranken in 15o/o, Adelsberger (11) in 20o/ 0 , Worms und Schrei¬
ber (12) bei Leberkranken und Diabetikern in 60<yb Versager.
Kisch (13) erhielt in 33o/o negative Resultate bei Cholelithiasis,
Erd mann (14) 45o/ 0 negative Ergebnisse bei Leberkranken und
3 positive Krisen bei sicher Lebergesunden. Stahl (15) sah sogar
bei 50o/o der Lebergesunden Leukopenie. Retzlaffs (16) Unter¬
suchungsresultate waren ebenfalls nicht einheitlich, und auch Kraus
(17) schätzt die praktische Bedeutung der Probe gering ein. Daß
Infektionskrankheiten meist mit Leukopenie reagierten, konnten
Friedemann (18) sowie Holzer und Schilling (7) nicht be¬
stätigen. Nur bei Scharlach soll der Widal sehen Untersuchung
nach Friedemann eine differentialdiagnostische Bedeutung zu¬
kommen, da sie empfindlicher als der Urobilinogennachweis sei.
Als ein weiteres wichtiges Argument gegen den diagnostischen
Wert der Probe ist die zuerst von Schiff und Stransky (6) er¬
hobene Tatsache zu verzeichnen, daß bei gesunden Säuglingen und
bei Kindern bis zur Pubertät (Glaser [19]) die Reaktion stets
positiv ausfällt. Schiff und Stransky glauben, daß der Ausfall
der Milchprobe von der Abspaltung und Resorption von Amino¬
säuren im Darm abhängc.
Gegenüber diesen zahlreichen Untersuchungen, die der Methode
den diagnostischen Wert abstreiten, seien die Arbeiten
angeführt, die die Probe als brauchbar betrachten. Crainiceanu und
Popper (20) sahen über 30°,o positiver Resultate bei Graviden in
den letzten Monaten der Schwangerschaft (Zeichen einer latenten
Leberschädigung?), ebenso Didier und Philipp (21) in 45o/o.
Bei Leberkranken mit Ikterus fanden R£non und Biamontier (22)
stets positive Krise, außer bei einem Fall von Ikterus durch Strang-
abknickung des Choledochus. Von deutschen Autoren meint Bauer
(23), daß ein wesentlicher Leukozytensturz nur bei Leberinsuffizienz
eintrete. Ebenso fanden Holzer und Schilling (7) bei allen
offensichtlichen Lebererkrankungen stets positive Krise. Sömjen (4)
hält die Beziehung der Reaktion zur Leber ebenfalls für spezifisch.
Audi Umber (24) konnte zusammen mit Haass ein Parallelgehen
des Ausfalls der Krise sogar mit der Intensität der Lebererkrankyng
feststellen. Er glaubt auch die theoretischen Vorstellungen Widals
bestätigen zu können, da die Einführung von 200 ccm Milch bzw.
20 g Zucker in das Rektum durch Umgehung des Pfortaderkreislaufs
auch bei Lebergesunden eine positive Krise erzeuge. Schließlidi
g lauben Dresel und Lewy (25) den positiven Ausfall für die
lifferentialdiagnose zwischen Wilsonscher Krankheit und Paralysis
agitans einerseits und multipler Sklerose anderseits verwerten zu können.
Nadi den oben angeführten, überwiegenden gegenteiligen Be¬
funden erscheinen die Angaben über den Ausfall und die Bedeutung
der Probe bei Graviden, bei Paralysis agitans usw. doch weiterer
Nachprüfung bedürftig. Daß die Differenzen in der Beurteilung
der Reaktion vielleicht durch schnelles oder zu langsames Trinken
der Milch (s. o.) oder durch verspätete Leukozytenzänlung (s. Söm-
j£n) zum Teil zu erklären sind, wäre möglich.
Außer durch Zufuhr von Eiweiß (Pferdeserum, peptische Spalt¬
produkte, Fleischzufuhr) und Kohlenhydraten kann aucn durch Fett¬
eingabe eine positive hämoklasische Krise erzeugt werden (Adels-
berger Oel, Sömjen, Didier und Philipp Butter, Schiff und
Stransky Lebertran). Sodann berichteten Jungmann und Blu¬
me nthal (27) über Leukopenie nach Harnstoff, Bittersalz und
Bolusaufschwemmung, und Kisch (13) sowie Mautner und
Cory (28) nach oraler Wasserzufuhr. Schließlich spricht gegen die
Auffassung Widals von der proteopexischen Funktion der Leber
als Ursache der hämoklasischen Krise, daß Sömjen (4) Leukozyten-
stürz in 5 Fällen von Leberschädigung nach leichter Massage der
Leber ohne Zufuhr irgendwelcher Nahrungsstoffe fand. In Parallele
hiermit steht vielleicht der Befund von Renon und Blamon¬
tier (22) von positiver Krise bei abdominalen, auf die Leber drücken¬
den'Tumoren. Jonesco und Nasta (29) erzeugten durch In¬
jektion von 0,5—1,0 mg Phloridzin eine hämoklasische Krise. Da
nach den bisherigen Anschauungen Phloridzin weder auf den Kohlen¬
hydrat- noch auf den Proteinstoffwechsel wirke, könne die Leber
hierbei nicht mit im Spiele sein. Auch bei zahlreichen anaphylak¬
tischen Zuständen konnte das Bild der Krise gesehen werden. (So
nach Einnahme von 0,5 g Antipyrin unter Auftreten urtikarieller
Erscheinungen, bei Heuschnupfen, nach Kältewirkung auf . die Haut
mit gleichzeitig einsetzendem Kälteschnupfen.) Sehr eigentümlich
war die Mitteilung von Oddo und Borie (32), daß bei einem
Leberkranken nach ötägiger Zufuhr von 2 g Leberpulver die vor¬
her positive Krise negativ wurde.
Hier setzen die interessanten Untersuchungen Glasers (19)
ein, der fand, daß bei Säuglingen und Graviden nicht nur Leber¬
pulver, sondern auch Nierensubstanz die Leukopenie nach Milch in
Leukozytose überführe, was auch durch Vorbehandlung mit Atropin
bzw. Adrenalin gelinge. Die Krise sei eine Art anaphylaktischer
Shok, ein vagotonischer Zustand, der durch das vaguslähmentle
Atropin oder das sympathikusreizende Adrenalin ausgeschaltet wer¬
den könne. Es bestehe bei Säuglingen und Kindern bis zum Puber¬
tätsalter eine physiologische Vagotonie. Vagotonische Erwachsene
reagieren ebenfalls positiv, was durch Atropin oder Adrenalin um¬
zuwandeln sei. Die Krise der Leberkranken sei vielleicht durch
Vagusreizung infolge Uebertritts von Gallensäuren in das Blut zu
erklären, die Leukopenie sei eine Verteilungsleukopenie infolge An¬
sammlung der Leukozyten in den durch Vagusreflex erweiterten
Bauchgefäßen. Auch V. Schilling (10), Worms und Schrei¬
ber (12), Schiff und Stransky (6) glauben an eine Verteilungs¬
leukopenie und nicht an einen Untergang von Leukozyten, da die
Differentialzählung keine Verschiebung nach links ergibt. Diese Be¬
funde dürften vielleicht einige Differenzen erklären. Bemerkenswert
ist noch die Beobachtung Bauers (23), daß es während des Ablaufs
der Krise zu einer Dispersitätsabnahme der Serumkolloide kommt,
die sich in einer Herabsetzung des Fällungsvermögens für die Gold-
sollösung äußert.
Fassen wir alles zusammen, so kann die Widalsche Probe als
diagnostisch eindeutige Funktionsprüfung der Leber
nicht angesehen werden. Ob sie für die Untersuchung Basedow-
kranker auf Vagotonie sowie für die Beziehung des spasmogenen
Ulcus ventriculi zur Vagotonie (siehe auch Noir, Richet fils und
J a c q u e 1 i n [33]) von Bedeutung sein könnte, wie Glaser meint,
müßten erst weitere Untersuchungen ergeben.
1. Cpt. rend. bebd. des sdances de I'acad. des Sciences 1920, 171, Nr. 2u.3; Presse
mdd. 1920 Nr. 91 u. 1921 Nr. 13. — 2. Cpt. rend. hebd. des sdances de la soc. de biol. 1921,85.
Nr. 21.-3. Bull, et mdm. de la soc. tndd. des höp. de Paris 1921 Nr. 23.-4 M. KL 1921 Nr. 40
5. Bull, et mdm. de la soc. des hop. de Paris 1921 Nr. 30. - 6. Jb. f. Kindhlk. 1921,95, S. 286
u. D. m. W. 1921 Nr. 42. — 7. Zschr. f. klin. M. 1922,93, S. 302 u. B. kl. W. 1921 Nr. 46. - & Journ.
de mdd. de Bordeaux 1921 Nr. 13. - 9. D. m. W. 1921 Nr. 44 S. 1345. - 10. D. m. W. 192t
Nr. 44 S. 1345. - 11. D. m. W. 1921 Nr. 44 S. 1345. — 12. Zschr. f. klin. M. 1922,93, S. 323. -
13. D. m. W. 1921 Nr. 46. - 14. M. KI 1922 Nr. 14. — 15. Med. Ges. Rostock. M. m. W. 1922
Nr. 10. — 16. D. m W. 1921 Nr. 44 S. 1345. - 17. D. m. W. 1921 Nr. 44. - 18. D. m. W.
1921 Nr. 44. — 19. M. Kl. 1922 Nr. 11. — 20. Spitalul. 1921 Nr. 5. - 21. Presse mdd. 1921
Nr. 48. - 22. Ga/., des höp civ. et mil. 1920 Nr. 109. — 23. D. m. W. 1921 Nr. 50. -
24. B. kl. W. 1921 Nr. 29 S. 810. - 25. Zschr. f. d. ges. exper. M. 1922, 26, S. 87. - 26. Cpt.
rend. hebd. des sdances de I’acad. des Sciences 1920, 171, Nr. 4. — 27. D. ra. \V. 1921
Nr. 44 S. 1345. - 28. KL W. 1922 Nr. 11. — 29- Cpt rend. des sdances de la soc. de biol.
1921,85, Nr. 27. - 30. Bull, et mdm. de la soc. mdd. des böp. de Paris. 1921 Nr.20. - 31 .Bull
et mdm. de la soc. mdd. des höp. de Paris 1921 Nr. 26. — 32. Cpt. rend. des sdances de la
soc. de biologie 1921 Nr. 11. — 33. Bull et mdm. de la soc. mdd. des höp. de Paris 1921 Nr 4
Digitized by
Google
Qrigsmal from
CORNELL UNIVERSITY
VEREINS- UND KONGRESS BERICHTE
Redigiert von Ober-Reg.-Med.-Rat Dr. O. Strauß.
46. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie,
Berlin, 19.—22. IV. 1922.
Berichterstatter: San.-Rat Dr. H. Stettiner (Berlin).
Erster Sitzungstag.
Eröffnungsrede des Vorsitzenden Hildebrand* (Berlin): Am 10. IV.
1S72, also vor beinahe genau 50 Jahren, fand die* Eröffnung
des ersten Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Chirur¬
gie unter Vorsitz von Bernhard v. Langenbeck statt. Damals
>tand, ähnlich wie heute, die Frage der Pyämie und Septikämie auf
der Tagesordnung. Ferner beschäftigte man sich hauptsächlich mit
der Chirurgie der Extremitäten, der Kniegelenksresektion und den
Unterschenkelfrakturen. Wegener sprach über die Wirkung der
Phosphorsäure, Stillin g über Harnröhrenstrikturen, Simon über
Hydronephrose, Julius wolff demonstrierte Präparate zur Knochen¬
anatomie und Pathologie, und Trendelenburg zeigte seine Tam¬
ponkanüle. Seitdem hat die Chirurgie große Fortschritte gemacht
und wagt sich heute an jedes Organ heran. Die plastische und
Wiedertierstellungschirurgie hat sich vervpllkommnet. Dieser Auf¬
schwung ist einmal den Fortschritten in der Kenntnis der Pathologi¬
schen Anatomie und zweitens der Ausbildung der diagnostischen
Methoden, der Einführung der Zystoskopie, Bronchoskopie, Rekto¬
skopie, der Einführung der funktionellen Nierendiagnostik, den Fort¬
schritten auf dem Gebiete der Nervendiagnostik und der Verwendung
der Röntgenstrahlen zu danken. Anderseits wird die mehr lokalistische
Auffassung der Krankheiten in letzter Zeit durch die neuen Lehren
von der Abhängigkeit der Organe und ihrer Produkte voneinander,
durch die Lehre von der inneren Sekretion und der Konstitutions¬
pathologie erschüttert. Droht der Chirurgie von dieser Seite eine
mehr ideelle Gefahr in ferner Zukunft, so droht ihr eine nähere von
der zu großen Spezialisierung. Ohne die Berechtigung des Chirurgen,
sich einem Spezialfach zu widmen, zu verneinen, meint Redner, daß
diese Spezialisierung erst nach Ausbildung in der allgemeinen
Chirurgie erfolgen dürfe.
Lex er (Freiburg): Die chirurgische Allgemeiaiofektion. Er
unterscheidet 2 Hauptgruppen, die allgemeine bakterielle und
die allgemeine toxische Infektion, welche zwar vielfach ineinander-
greifen, deren Trennung aber doch zweckmäßig ist. Beide Formen
haben je 3 Untergruppen. Die bakterielle Infektion wird eingeteilt
in die pyogene, die putride und die spezifische Form. Die Ver¬
breitung der Bakterien kann auf lymphogenem Wege oder durch
die Blutkapillaren stattfinden. Zwischen der ersten und zweiten
Untergruppe kommen Mischformen vor, welche man früher als
Septikopyämie bezeidinete. Fieber braucht nicht gleich der Ausdruck
für eine allgemeine Infektion zu sein, sondern kann auch toxischer
Natur, Resorptionsfieber sein. Eine Verschlechterung des klinischen
Bildes wird die Diagnose sicherstellen. Beweisend ist der Nachweis
von Bakterien im Blute, während ihr Fehlen für die toxische Form
spricht. Sind Bakterien im Blute vorhanden und vermehren sie sich,
so ist es ziemlich gleichgültig, ob diese Vermehrung im Blute statt¬
findet, oder ob stets neue Bakterien von einem Herde in das Blut
übertreten. Lexer hält die aktive Vermehrung im Blute für be¬
wiesen. Bemerkenswert ist, daß schwerste akute Formen bakterieller
AUgemeininfektion ohne Metastasenbildung einhergehen. Metasta¬
tische Formen sind oft weniger gefährlich. Es besteht eine Beziehung
der Metastasen zum Resorptionsfieber, zur Resorption von Bakterien.
Die allgemeine toxische Infektion kann man in eine solche durch
tierisdie Gifte, eine zweite durch Bakterientoxine und eine dritte
durch Gewebsgifte teilen. Ein Beispiel für die erste Gruppe bildet
der Schlangenbiß, für die zweite der Tetanus, für die dritte die
Verbrennung. Es wird eine Trennung der Bakterien- und Gewebs¬
gifte verlangt. Es finden auch hier Uebergänge statt. Nicht alle
Krankheitserscheinungen sind auf die Bakterientoxine zurückzuführen.
Wir kennen noch nicht für alle Bakterien die Toxine. Feststehen sie
für Tetanus und Diphtherie. So fehlt für den Milzbrand der Nach¬
weis der Toxine, ebenso für die Eitererreger. Wir wissen noch
nicht, worauf die Wirkung der Streptokokken beruht. Ihre Virulenz
ist verschieden. Sie wird durch Fäulnisherde gesteigert, aber man
weiß nicht, welche Wirkung dabei den im tarnenden Gewebe ent¬
standenen Giftstoffen zukommt. Mit der dritten Gruppe eröffnet sich
ein großes Gebiet, das auch auf di& Therapie befruchtend wirken
kann. Es tritt eine Anzahl Fragen auf, die noch ihrer Lösung harren,
ob die Gewebstoxine allein eine wichtige Rolle spielen, inwieweit
sie die Abwehrmaßnahmen des Organismus stören u. a. Oft wirken
sie wie artfremdes Eiweiß, rufen Ermüdungserscheinungen undAehn-
liches hervor. Injektion von Gewebstoxinen bei Tieren verursacht
lokale Entzündungserscheinungen. Oft erinnern die Erscheinungen
mehr an die anaphylaktischen Symptome. Vielleicht gehört hierher
auch die Erklärung der vasotonischen Wirkung, wie sie durch par¬
enterale Einverleibung von Eiweißstoffen‘zustandekommt. Auch die
Shockwirkung i£t vielleicht oft als Vergiftung mit Zerfallsprodukten
zu erklären (Toxinaemia traumatica). Jedenfalls müssen wir eine
Trennung der Gewebs- und bakteriellen Gifte erstreben.
Keysser (Freiburg) hat es verbucht, durch Elektrosmose die
Gewebsgifte rein darzustellen. Er benutzte dazu ein dreikammeriges
Gefäß, in welches der elektrische Strom geleitet wurde. Es wurden
dadurch das elektroneurale Euglobulin von den elektropositiven Para-
globulinen und den elektronegativen Albuminen gesondert. In der
Mittelkammer blieben nur das Euglobulin und Zellreste, welche noch
voneinander getrennt werden können.
Buzello (Greifswald): Diagnose, Prognose und Therapie der
pyogenen Blutiofektion. Zur Diagnose gehört der Nachweis von Mikro¬
organismen im Blut und ihre Vermehrung im Blute. Metastasen eines
Herdes berechtigen noch nicht zu der Diagnose, wenn nicht der Nach¬
weis der Bakterien im Blute erbracht ist. Klinisch zeichnet sie sich
durch hohes Fieber, meist mit Schüttelfrösten einhergehend, Hautaus¬
schläge usw. aus. Meist ist ein primärer Herd zu erimmetln, von
dem die Infektion ausgeht. Mitunter ist ein solcher nicht nachzu¬
weisen (kryptogenetische Sepsis). In den Organen mit verlangsamter
Blutströmung spielt sich der Kampf zwischen den Bakterien und
Zellen ab. Die Bakterien gelangen vom Blut aus zunächst in das
Mark der Wirbelkörper, dann in das der langen Röhrenknochen. Die
Prognose ist abhängig von der Virulenz und der Menge der Bakterien.
Klinisch führen die Infektionen bald zum Tode, oder sie ziehen sich
länger hin und führen zu Besserung und Heilung. Im allgemeinen
ist ihre Prognose besser als die der putriden und toxischen Blut¬
infektion. Die Behandlung ist eine allgemeine (Alkohol, Sauerstoff),
eine chirurgische und eine spezifische. Wir verlangen Mittel, welche
bakterientötend, entwicklungshemmend oder virulenzvermindernd sind.
Zur Prüfung wurden die Mittel in die eine Armvene eingespritzt,
dann nach einer viertel bis halben Stunde Blut aus der anderen
Armvene entnommen und diesem Bakterien zugefügt. Am besten er¬
wiesen sich Argochrom und Argoflavin.
Eden (Freiburg): Entzündliche Vorginge nnd Wundinfektion
im Bilde der physikalischen Chemie. Der Organismus ist be¬
strebt, Störungen durch vermehrten Blutzustrom auszugleichen
So schafft auch die Hyperämie im entzündeten Gebiete, in
welchem sich die physikochemischen Störungen z. B. in ver‘
mehrter Wasserstoffionenkonzentration und erhöhtem osmotische-
Druck äußern, einen Ausgleich. Daher soll man nicht mi
Hyperämie verhindernden Mitteln arbeiten, auch nicht, wenn sie
bakterizid sind. Wichtig für die Hyperämie ist die Erhaltung der
Nervenleitung, wie an Röntgenbildern von Heilung von künstlichen
Frakturen nach und ohne Durchschneidung des Ischiadikus gezeigt,
wird. Im letzteren Falle Hyperämie und Kallusbildung bereits nach
14 Tagen, im anderen Falle erhebliche Verzögerung. Man soll auch
Mittel anwenden, welche nicht Leukozyten abstoßend, sondern an¬
ziehend wirken, da wir zur Heilung der Wunden der Leukozyten
bedürfen. Auch hierbei spielen Elektrolyteneinflüsse und Verschie¬
bungen sowie osmotische Druckverhältnisse eine wichtige Rolle.
Im akut entzündlichen Gebiet mit starker Hypertonie, Oedemen und
behinderter Blutzufuhr dürfen wir nicht solche Mittel anwenden, welche
den Quellungsdruck der Eiweißkörper im Gewebe vermehren, den
Umsatz steigern oder den schädlichen Stoffwechselprodukten die
Abfuhr verlegen, selbst wenn sie bakterienschädigend sind. Hier
kann nur die Inzision Entspannung und Rettung der Gewebe herbei¬
führen. Bei chronischen Entzündungen führt dagegen die Steige¬
rung der entzündlichen Vorgänge zum Ausgleich der Störungen und
zur Heilung. Physikochemische Vorgänge sind auch bei der Ab¬
tötung von Bakterien und der Toxinbildung maßgebend. Nur mit
ihrer genauen Kenntnis und der ihres Ablaufes bei der Wundheilung,
der ein anderer in der frischen, ein anderer in der entzündeten
Wunde und ein anderer im Reagenzglase ist, wird es möglich sein,
ein klinisch brauchbares Desinfektionsmittel zu finden.
Besprechung. Clairmont (Zürich): Bei der bakteriellen
Infektion gelingt es nicht immer, die Bakterien im Blute nachzu¬
weisen, etwa nur in 10o/o der Fälle, rjie aber prognostisch sehr un¬
günstig sind. Man darf die Feststellung der Wirkung der Infektion
auf die anderen Organe nicht vernachlässigen. Auftreten von Eiweiß
im Ham, Zylindrurie sind sehr ungünstige Zeichen. Greifen wir dann
zur intravenösen Injektion von Mitteln, kommen wir meist zu spät.
Wir müssen, um zu einem Ziele zu kommen, diese Mittel, wie Kouar-
gol oder Farbstoffe, früh und in großen Dosen geben.
Rosenstein (Berlin): Es gibt kein Mittel, mit dem allein man
einer Allgemeininfektion Herr werden kann. Neben den chirurgi¬
schen Maßnahmen müssen Mittel 1 angewandt werden, welche auf die
Leukozytose wirken. Er hat mit Erfolg zu diesem Zwecke dos Arga-
toxyl benutzt. Auf der Höhe der Leukozytose wird dann ein des¬
infizierendes Mittel eingespritzt, früher Vuzin, jetzt Rivanol. Er
hat von 40 Fällen 30 zur Heilung gebracht, und zwar bei Anwendung
des Desinfektionsmittels allein von 25 Fällen 14, bei kombinierter
Behandlung von 14 Fällen 13.
Schottmüller (Hamburg), welcher den Begriff der Sepsis im
Gegensatz zu Lexer nicht ausschalten will, bezweifelt auch im
Gegensatz zu diesem und Buzello die Vermehrung der Bakterien
im Blute. Es findet eine Neueinwanderung von einem bestehenden
Herde aus statt, und alle Therapie ist vergeblich, wenn es nicht ge¬
lingt, diesen Herd zu entfernen. Mit inneren Mitteln kommen wir
dabei nicht zum Ziele. Sie können höchstens, wie vielleicht das
Vuzin, prophylaktisch wirken.
v. Uaza (Göttingen) betont die gegenseitige Wechselwirkung von
Bakterien und Körperzellen. Wenn Zellen zerfallen, brauchen die
Digitized by
Gck igle
Original frorn
C0RNELL UNIVERSUM
680
VEREINS- UND KONGRESSBERICHTE
Nr. 20
Zerfallsprodukte nicht giftig zu sein. Anders, wenn Bakterien dabei
sind. Die normale Autolyse wird gestört. Es fragt sich, ob die
Isolierung der Zerfallsprodukte auf dem von Keysser angegebenen
Wege zum Ziele führen wird. Besser gelingt dies vielleicht durch
Herstellung von Gewebsautolysaten.
Wolff-Eisner (Berlin) führt aus, daß die Gegenwart von Bak¬
terien im Blute nicht eine absolut schlechte Prognose bedeute. Trotz
Anwesenheit derselben kann sich ein solcher Krankheitsfall Monate
hinziehen. Als körperfremdes Eiweiß wirkt jeder Eiweißkörper, wenn
er aus dem Zusammenhänge mit dem normalen Gewebe heraus¬
gerissen wird (Sperma). Er macht ferner auf den von Lcxer nur
kurz gestreiften Unterschied zwischen Endotoxinen und Toxinen
aufmerksam und erläutert die anaphylaktische Wirkung.
Bier (Berlin) hebt den starken Einfluß der Nervendurchschneidung
auf das betreffende Organ hervor. Er legt auf die kolloid-chemischen
Vorgänge keinen so großen Wert und glaubt nicht, daß wir durch
sie der Auffassung der lebendigen Vorgänge viel näherkommen
werden. Durch Reizmittel können wir die chronische Entzündung
zur Heilung bringen. Das geeignete Testobjekt ist die gonorrhoische
Gelenkentzündung. Durch Einspritzung irgendwelcher Mittel können
wir sie bessern. Dasselbe wird durch die Hyperämie erreicht, ohne
daß man dabei eine neue Schädlichkeit setzt.
Lexcr (Freiburg) hebt im Schlußwort noch einmal hervor, daß
die Bakterien im Blute sich sowohl direkt als durch Zuströmen aus
einem Bakterienherde vermehren können.
Canon (Berlin): Behandlung chirurgischer Infektionen mit autogener
Vakzine. Trotz der unbestrittenen Wirkung der autogenen Vakzine, be¬
sonders bei Furunkulose und Kolizystitis, die sich in zahlreichen Fällen
bewährt hat, ist die Behandlung nicht Allgemeingut der Aerzte ge¬
worden. Dies liegt einmal an den Mißerfolgen mit den käuflichen
Vakzinen, die fälschlich auch auf die autogenen übertragen werden,
zweitens an einer gewissen Schwierigkeit der Herstellung. Diese
kann dadurch hervorgerufen werden, daß keine Bakterien zu er¬
langen sind, wenn man bei der ersten Eröffnung die Anlegung von
Kulturen versäumt hat. Hat man dies getan, so kann in jedem Bak¬
teriologischen Institute die Vakzine hergestellt werden.
Makai (Pest): Beeinflussung entzündlicher Prozesse durch sub¬
kutane Einspritzungen eigenen Eiters. Zuerst bei kalten Abszessen,
später auch bei warmen hat Makai aspirierten Eiter, zunächst er¬
wärmten, später auch nicht vorbehandelten, subkutan appliziert und
auf diese Weise durch 2—3 Injektionen Heilungen erzielt. Eine
Schädlichkeit wurde durch die Einspritzung, trotzdem der Eiter
Strepto- und Staphylokokken enthielt, nicht gesetzt.
Besprechung. Coenen (Breslau) bestätigt die gute Wirkung
der autogenen Vakzine bei Furunkulose.
Nordmann (Berlin) hat aus der Haut der Kranken Kulturen an¬
gelegt und diese ohne Schädlichkeit in einzelnen Fällen mit Nutzen
eingespritzt. Die Versuche sind noch nicht abgeschlossen. Er glaubt,
daß es sich dabei um die antagonistische Wirkung der verschiedenen
Bakterienarten handelt.
Neufeld (Berlin): Die experimentellen Grundlagen dar chemischen
Antisepsis. In den letzten Jahren hat sich ein Uebergang von der strengen
Asepsis zur Antisepsis vollzogen. Es ist eine Reihe neuer Mittel
entstanden. Wir befinden uns aber erst in den Anfängen. Die Haupt¬
sache ist die Prüfung der Mittel durch den Tierversuch. Bereits
Brunner, v. Gonzebach und Ritter brachten Gartenerde,
die Tetanus- und Oedemsporen enthielt, in eine Hauttasche von
Tieren und retteten sie durch jodhaltige Mittel, wie Jodtinktur,
Jodalkohol, Jodo- oder besser noch durch Isoform nach 3—6—16—18
Stunden. Unmittelbare Abtötung der Sporen kommt nicht in Betracht,
dagegen eine entwicklungshemmende und entgiftende Wirkung.
Ebenso auf Entgiftung beruhen Versuche von Feiler mit Trypa-
flavin bei Diphtherie. Man muß danach streben, Mittel zu finden,
die gleichzeitig auf Anaeroben und Streptokokken wirken. Versuche
mit Vuzineinspritzungen schlugen fehl; dagegen konnte Vuzinpulver
und auch Trypaflavin hier noch wirken. Morgenroth und seine
Mitarbeiter konnten nach Infektion mit Oedemsaft durch Umspritzung
mit Eukupin und Vuzin die infizierten Tiere retten. Sie haben hier¬
durch die experimentelle Grundlage für die bereits vorher von Klapp
geübte Tiefenantisepsis gegeben. Von den Chininderivaten ging
Morgenroth zu den Akridinfarbstoffen über und schuf aus dem
Trypaflavin das Rivanol, dessen Wirkung bedeutend stärker, als
die des Vuzins ist. Neufeld selbst machte im Verein mit Rein¬
hardt Versuche mit Hühnercholerabazillen und Pneumokokken. Bei
Verwendung von Trypaflavin in Lösung von 1:1000, von Sublimat
1:1000, von 10<yoigem Arg. nitricum gelang es noch nach 24 Stunden
beinahe die Hälfte der Tiere zu retten, während die Kontrolliere
in 2—3 Tagen starben. Mit dem Rivanol wurden durch Wreschner
besonders günstige Resultate bei Staphylokokkeninfektionen erzielt.
Die Wirkung dieser Mittel auf die Bakterien ist nicht etwa als eine
Reizwirkung aufzufassen. Besonders merkwürdig ist die starke Wir¬
kung der Spülungen. Wahrscheinlich wird das Mittel in den Wunden
aufgespeichert und kommt so noch später zur Wirkung. Jedenfalls
berechtigen die Versuche zu weiterer Anwendung besonders des
Trypaflavins und des Rivanols. Sie lehren ferner die Wichtigkeit
solcher Versuche und lassen die Forderung der Prüfung der Mittel
durch Tierversuche als gerechtfertigt erscheinen.
Klapp (Berlin): Tiefenantisepsfa. Die alte Antisepsis wirkte durch
Gewebszerstörung. Es bestand kein großer Unterschied zwischen
Antisepsis und Aetzung. Auf solche Weise wirkte auch die Dakin-
sche Lösung. Die während des Krieges inaugurierte neue Antisepsis
mit Vuzin ist jetzt durch das Rivanol vervollkommnet. Es gelang,
Abszesse und Gclenkempyeme zu heilen, auch bakteriologisch. Es
gibt kein Mittel, welches die Gewebe völlig intakt läßt. Die Schä¬
digungen durch das Rivanol sind aber sehr gering. Gute Erfolge
wurden auch mit dem Rivanol bei Umspritzung von gonorrhoischen
Gelenken erzielt (paraartikulpre Einspritzung einer Lösung von
1:1000). Die Indikationen für die Oberflächen-, Tiefen- und Höhlen¬
antisepsis sind nicht abgeschlossen. Kontraindiziert ist ihre Anwen¬
dung bei Zirkulationsstörungen, bei Lappenwunden, bei Plastiken,
Vorsicht bei entzündlich infiltriertem Gewebe, nicht anzuwenden ist
sie bei Blutleere. Dagegen kann sie verwendet werden prophylaktisch
bei aseptischen Operationen. Einkammerige Mastitiden heilen unter
Rivanolbehandlung. Die infiltrierenden, nekrotisierenden Formen
müssen chirurgisch behandelt werden. Erysipel ist nicht für die
Behandlung geeignet. Besonders gut werden Gelenkempyeme beein¬
flußt, wie die Erfahrungen an 8 großen Gelenken zeigen. Ueber
Pleura und Bauchhöhle hat Redner wenig Erfahrung. Nackenkarbun¬
kel, Panaritien sind geeignet.
Besprechung. Völcker (Halle) hatte ebenfalls mit Rivanol
gute Erfolge, so bei heißen Abszessen, obwohl cs ihm fraglich er¬
scheint, ob hier nicht eine Inzision mehr am Platze ist. Gute Er¬
folge hatte auch er bei Gelenkeiterungen (Knie- und Handgelenk).
Eine infizierte Beilhiebverletzung des Kniegelenkes wurde vernäht
und mit Erfolg mit Rivanol behandelt, desgleichen Furunkel, Perio¬
stitiden. Dagegen versagte das Rivanol bei Empyemen.
Schöne (Stettin) hat einzelne erheblich funktionelle Schädigungen
gesehen und mahnt daher zur Vorsicht. Bei der Beurteilung der
Resultate spielt auch die sonst gewohnte Wundbehandlung eine
Rolle. Es ist nicht mit Sicherheit fcstzustellen, ob Klapp nicht auch
ohne Vuzin dieselben guten Resultate gehabt hätte. Wir sind erst
am Anfänge der Verwendung des Mittels, mit dem wir weitere Er¬
fahrungen sammeln müssen, ehe wir zu definitiven Schlüssen kommen.
v. Kishalmy (Halle) berichtete über günstige Erfolge bei Para-
metritiden. 60 Fälle zeigten nach 3—5 Spülungen nach 5—12 Tagen
unter lytispher Entfieberung Heilung. 12 Gelenkmetastasen sind
geheilt. Nach der 5. Einspritzung bestanden noch subfebrile Tempe¬
raturen, welche erst nach Entfernung der Fibringerinnsel durch
Kochsalzspülungen schwanden. Bei offenen Wunden und Fisteln,
die nicht geschlossen werden konnten, keine Erfolge. 5 rezidivierende
Empyeme der Pleura kamen zur Heilung, welche vorher auf der
Inneren Abteilung mit Punktionen behandelt waren. Für urologische
Fälle ist das Rivanol nicht geeignet. Eine Gewebsschädigung konnte
in den Präparaten von Gelenkempyemen, die an Pyämie zugrunde-
gingenj nicht festgestellt werden. Die Vorteile des Verfahrens be¬
stehen in der schmerzstillenden Wirkung, der Abkürzung der Zeit
und der guten funktionellen Heilung.
Rosenstein (Berlin) betont, daß es sich um ein Desinfektions¬
mittel, kein im Sinne der Proteinkörper wirkendes Reizmittel handelt,
dessen Wirkungsweise er bei längerer Anwendung immer mehr
schätzen lernt. Auch bei fortschreitenden Phlegmonen, Mastitiden
hat er gute Erfolge gehabt. In einem Falle von Erysipel heilte das¬
selbe nach Umspritzung ab. Gute Erfolge hatte er auch bei einer
Holzphlegmone.
Wessely (Würzburg) hat die Reizwirkung an der Konjunktivs
des Auges durch Feststellung der anhaltenden Entzündung und des
Eivveißgehaltes des Liquors bestimmt. Er hat Sublimat 1:5000 und
Asterol 1:500 miteinander verglichen' und die Ueberlegenheit des
Asterols gegenüber dem Sublimat fcstgestellt. Auch zeigte sich
eine bedeutend geringere Reizwirkung nach Anwendung des Rivanols
als nach Vuzin.
Kausch (Berlin) hatte von Vuzin keine Erfolge gehabt, wohl
aber von Rivanol.
Hahn (Berlin) betont, daß die Desinfektionsmittel nicht die
Keime töten, sondern sie schädigen. Der Organismus tut dann das
seinige, um mit den Keimen fertig zu werden. In zahlreichen Ver¬
suchen hat er die Resistenz der Keime gegenüber den Antiseptika
nachgewiesen. Seidenfäden mit Kulturen wurden mit Sublimat, Kar¬
bolsäure, Trypaflavin u. a. behandelt, dann von dem Antiseptikum
befreit und auf Tiere verimpft. Sie zeigten sich trotzdem nach einiger
Zeit noch virulent. Wir müssen die Hoffnung auf eine Abtötung der
Keime aufgeben.
Bier (Berlin) hat seinerzeit über gute Erfolge mit dem Eukupin
und Vuzin berichtet, während ihm über das Rivanol keine Erfah¬
rungen zu Gebote stehen. Er empfiehlt auch die Behandlung des
heißen Abszesses mit dem Mittel, da es dem Kranken eine Narbe
erspart. Betreffs der Heilung des Erysipels ist er skeptisch, da
dieses nach Umspritzung mit allen möglichen Lösungen aufhört oder
weitergeht.
Morgenroth (Berlin) hebt noch einmal hervor, daß es sich
um keine Reizwirkung, sondern um eine reine Desinfektionswirkung
handelt. Bei den Versuchen von Wessely spiele außer dem Reize
auch die Druckwirkung eine Rolle. Er weist auch auf die Wirkung
des Rivanols gegenüber Staphylokokken hin. Er empfiehlt das Mittel
zur Wetterprüfung.
Müller (Rostock) hält die metastatisch erkrankten Gelenke nicht
für ein gutes Testobjekt, da sie sehr verschieden auf die Krankheit
reagieren. Auch er glaubt an die Wirkung der Präparate, will aber
noch zu keiner definitiven Beurteilung schreiten.
Digitized by
Google^
Original from
CORNELL UNIVERSITY
19. Mai 1922
VEREINS- UND KONGRESSBERICHTE
681
Stein mann (Bern) hat vor 8 Jahren die gasförmige Antisepsis,
bei welcher ein kontinuierlicher Strom von Sauerstoff in die Gewebe
geleitet wird, empfohlen. Man kann den Sauerstoff mit Jod oder
V'ormalin imprägnieren, indem man ihn durch eine entsprechende
Flüssigkeit leitet, und so die Wirkung noch verstärken.
Baumann (Wattwil) betont die günstigen Erfahrungen, die er
mit dem Pyoktanin gemacht, dessen Wirkung er auch dem Trypa-
flavin gegenüber für besser hält. Auch von der Tiefenantisepsis
mit Vuzin, selbst im klinischen Betriebe, ist er vollkommen wieder
abgekommen.
Fischer (Frankfurt a. M.) berichtet über günstige Erfahrungen,
hatte aber auch einzelne Vergiftungserscheinungen, wie Nieren¬
reizungen beobachtet. In einem Falle von hüftgelenkspunktion kam
es zu einer Epiphysenlösung.
Neufeld (Berlin): Schlußwort.
Lichtbilderabend.
Rost (Heidelberg): Die sogenannte traumatische Sklerose des
Fettkörpers am Knie (Hoffa). Es werden an einer Reihe von Bildern
die veränderten Fettkörper gpzeigt. Einklemmungserscheinungen sehr
selten. Oft ein geringfügiges Trauma die Ursache (Verstauchung,
häufiges Knien). Man findet die Prozesse außerordentlich häufig
im Knie. Bei Personen bis zum 40. Jahre in 35°/o, bei Leuten .über
40 Jahre sogar in 95<>/o. In einem Falle lag eine starke Blutung bei
Endokarditis vor. Die Therapie hat in Kräftigung der Muskulatur
nach vorheriger Ruhigstellung zu bestehen.
Kisch (Berlin): Seltene Röntgen bilder ans dem Qebiet der
Knochen- und Gelenkstnberknlose. Schwierigkeit der Differential¬
diagnose zwischen Ostitis fibrosa und Tuberkulose im Röntgenbild,
es sei denn, daß Abszeßschatten auf Tuberkulose hinweisen. Ebenso
kann die Differentialdiagnose zwischen Osteomyelitis und Tuber¬
kulose im Röntgenbild Schwierigkeiten bereiten. Die starke Ver¬
dickung des Periosts weist auf Tuberkulose hin. Neu Gelenksbildung
bei Hüftgelenkstuberkulose mit Bildung eines neuen Kopfes.
Löffler (Halle): Demonstration tuberkulöser Senkungsabszesse
im Röntgenbild. Entleerung der Abszesse durch Punktion und Fül¬
lung mit einer Bismut-Kodisalzlösung.
Klose (Frankfurt a. M.): Zur Cnirurgie der Karotlsdrusen. Dia¬
gnostisch kommt die gute laterale Verschieblichkeit, die schlechte
vertikale, ferner der Sitz auf der linken Seite und die Stimmband¬
lähmung in Betracht. Die Therapie soll nicht etwa in Röntgen¬
bestrahlung, sondern in Exstirpation bestehen. Von 70 Fällen zeigten
nur 3 örtliche Rezidive. Die Geschwülste sind meist gutartig. Sie
zeigen keine Abweichung von dem normalen Bau der Karotisdrüse.
Flesch-Thebesius (Frankfurt a. M.): Operativ bestätigte Ge-
schofiwanderung im Seiteoventrikel. Starke Kopfschmerzen veran-
laßten die erneute Röntgenaufnahme eines Kranken mit Schädel¬
steckschuß. Die veränderte Lage des Geschosses gegen früher ließ
die Wanderung im Seitenventrikel um 7 cm nach hinten wahrschein¬
lich machen. Um dies festzustellen, wurde in einem Leichenhirn in
den Ventrikel an den betreffenden Stellen je eine Kugel gelegt und
dann das Gehirn wieder in den Schädel gesteckt. Die Aufnahmen er¬
gaben den gleichen Sitz der Geschosse, wie bei der ersten und
zweiten Aufnahme. Die Operation bestätigte den Sitz des Geschosses
an der erwarteten Stelle.
Rosenstein (Berlin): Der Wert der Poeamoradlographle für
die Nierendiagnostik, ln Seitenlage werden 5—600 ccm Sauerstoff
in die Fettkapsel der Niere injiziert. Die Nadel wird senkrecht
unterhalb der 12. Rippe in der Höhe des ersten Lendenwirbels ein¬
gestochen. Man muß sich versichern, daß kein Blut und kein Urin
(Hydronephrose) aus der Nadel fließt. Dann wird der Sauerstoff
durch eine Vorrichtung, wie sie für den künstlichen Pneumothorax
v. Brauer angegeben, eingespritzt. Bei Schmerzen soll man auf¬
hören. Das klare Bild der Niere und Nachbarorgane wird an einer
Reihe von Bildern vorgeführt.
Besprechung. Boeninghaus (Halle) bedient sich eines
etwas anderen Apparates, aber im wesentlichen derselben Technik. Er
berichtet über einen Fall von plötzlichem Kollaps, der durch Herz¬
massage überwunden wurde. Er zeigte mehrere Darstellungen der
Nebenniere und betont die für die Diagnose oft wichtige Gleich¬
zeitigkeit der Pyelographie. Die Kranken klagen nach der Aufnahme
oft über einen anginaähnlichen Schmerz, der wohl dadurch hervor¬
gerufen wird, daß Luftblasen längs der Aorta bis in die Rachen¬
gegend steigen.
Mosenthat (Berlin) betont die Bedeutung der Methode für die
Darstellung des oberen Nierenpols und der Nebenniere. Letztere,
welche rechts kuppenförmig auf dem Nierenpole sitzt, links mehr j
sichelförmig neben der Niere sitzt, ist gut darzustellen. Ihre Ver¬
größerung in einem Falle von sexueller Umstellung wird im Röntgen¬
bilde gezeigt.
Oehlecker (Hamburg) zeigt mehrere operativ beseitigte Ver-
steifugea des Kniegelenks und eine gelungene Geaichtsplasiik, bei
der 33 operative Eingriffe, darunter 5 Auto- und 5 Alloplastiken
vorgenommen waren.
Eckstein (Berlin) zeigt eine gelungene Paraffinplastik bei Hypo¬
plasie des Unterkiefers. Er benutzt das von ihm empfohlene Hart-
parafftn mit einem Schmelzpunkt von 60°. Um das Zurücksinken des
Kinns zu vermeiden, mußte er in diesem Falle noch eine kleine
plastische Operation zufügen, einen Querschnitt, den er in Längs¬
richtung vernähte.
Axhausen (Berlin) demonstrierte mehrere Fälle von Köhler¬
scher Krankheit, in denen er die erkrankte Stelle resezierte und nun
die veränderten Teile demonstrieren konnte, die eine weitere Stütze
seiner Arbeiten auf diesem Gebiete ergaben.
Käppis (Kiel): Frakturen und Höhlenbildung in den Handwurzel¬
knochen. Diese oft zufällig gefundenen Höhlenbildungen sind ent¬
weder traumatischen Ursprungs infolge von Frakturen oder Reste
von Arthritiden, von denen das Handgelenk oft befallen wird.
Kotzenberg (Hamburg): Die Ausnutzung des Amputations-
Stumpfes. Kinematographische Vorführung des Sauerbruchschen
Armes unter Anwendung des Prinzips der Muskelsperrung und der
Kanalbildung.
Seifert (Würzburg): Pericolitis membranacea. Bau r der Mem¬
branen, die Gefäßverteilung spricht gegen entzündliche Bildungen.
Es handelt sich um embryonales Gewebe. Die Membranbildung ist
bei dem Deszensus des Zökums entstanden. Sie läßt sich ohne
Blutung vom Darm ablöscn.
Berlin, Verein für Innere Medizin und Kinderheilkunde
(Pädiatrische Sektion), 13. II. 1922.
Vorsitzender: Cassel. Schriftführer: L. F. Meyer.
Cassel: Fall von Hydrozephalus. (Vgl. S. 655.)
Besprechung. Japha: Einen früh entstandenen Fall von
Meningitis syphilitica habe ich einmal gesehen. Das erste Symptom
war eine übergroße Unruhe. Die Untersuchung des Augenhinter¬
grundes klärte die Aetiologie. Andere Symptome von Syphilis waren
nicht vorhanden. Eine antisyphilitische Kur brachte Heilung. Später
erkrankte dasselbe Kind an Meningitis cerebrospinalis epidemica.
Auch von dieser Krankheit genas das Kind und ist ein leidlicher
Schüler geworden.
Japha: a) Arthritis chronica infantum. Den jetzt 7jährigen Knaben
habe ich Ende 1920 schon einmal vorgestellt. Damals bestand eine
Steifigkeit aller Gelenke, sodaß selbst der Mund nur wenig geöffnet
werden konnte und die geringste passive Bewegung die lebhaftesten
Schmerzensäußerungen hervorrief. Die Extremitätengelenke waren
| spindelartig geschwollen, auch die Finger- und Zehengelenke. Die
! Röntgenuntersuchung ergab, daß die Schwellung nur die Weichteile
I des Gelenks betraf. Zur Schwellung der Gelenke bildete die Atrophie
| der Muskulatur einen erheblichen Kontrast. Periodenweise erheb-
| liches Fieber. Die Krankheit hatte im Alter von 2V t Jahren begonnen,
j Vielmonatige Sonnenbestrahlung in einer Tuberkuloseheilstätte und
I Bestrahlungen mit Höhensonne hatten keine Besserung gebracht,
auch Aspirin besserte höchstens die Schmerzen ein wenig. Nach der
zweiten Injektion von SanarÜirit trat zum erstenmal eine Besserung
der Beweglichkeit ein, gleicMÄtig schwanden die Drüsenschwellungen
plötzlich. In der Folge sindRäfelegentlich wieder periodische Fieber¬
steigerungen, für die sich sonst eine Ursache nicht fand, aufgetreten,
ebenso Drüsenschwellungen. Immerhin war eine fortschreitende Bes¬
serung der Beweglichkeit festzustellen. Zur Zeit sind nur noch die
Kniegelenke in leichter Krümmung versteift, sodaß ein richtiges
Gehen unmöglich ist. Dagegen klettert der Knabe auf Stuhl und
Tisch, kann schreiben, die Arme senkrecht erheben; Schmerzen sind
nicht mehr vorhanden. Im ganzen sind 10 Sanarthritinjektionen ge¬
macht worden, später wurden sie durch Caseosan- und Yatren-Kasein-
injektionen ersetzt, da diese keine intravenöse Einspritzung verlangen,
b) Knochen- nod Kehlkopfsyphilis. Bei dem 6 3 /« Jahre alten Knaben
war angeblich im Juni 1920 eine Drüseneiterung an der linken
Haisseite aufgetreten, später schloß sich eine Erschwerung der At¬
mung durch Verengerung des Kehlkopfs an, die allmählich so stark
wurde, daß eine Tracheotomie erforderlich wurde. Im August 1921
öwöchige Schmierkur, die aber keine Besserung brachte, sodaß die
Kanüle nicht entfernt werden* konnte. Auf der linken Halsseite eine
breite, unregelmäßige Narbe. Der linke Stirnhöcker stark geschwol¬
len, auf der Höhe der Schwellung 2 haselnußgroße, fluktuierende
Stellen. Periostitis der linken Tibia, Verdickung der untern Hälfte
des linken Oberarms. Wa.R. und Pirquet-R. positiv. Mutter hatte
vor der Verheiratung Syphilis durchgemacht. Wenn auch die syphili¬
tische Natur eines Teils der Krankheitserscheinungen sicher war, so
schienen doch die Narbe am Halse und die fluktuierenden Stellen
an der Stirn für Tuberkulose zu sprechen. Tatsächlich schwanden alle
Erscheinungen nach den ersten Neosalvarsaninjektioncn. Also ist
! wohl auch die Narbe am Halse der Rest eines syphilitischen Haut-
geschwürs. Auch der Kehlkopf ist wieder durchgängig, sodaß man
jetzt an eine Entfernung der Kanüle denken kann. Audi beim Kinde
ist eine energische Durchführung der antisyphilitischen Behandlung
notwendig, selbst eine hartnäckige Keratitis parenchymatosa weicht
der Salvarsankur. Ueble Folgen derselben wurden bei Hunderten
von intravenösen und intraglutäalen Injektionen von Japha nicht
gesehen, c) Myxödem nnd Kauffmannscbe Krankheit Drei Kranke
mit Myxödem, darunter ein 25jähriges Mädchen, das seit frühester
Kindheit mit Schilddrüse behandelt wurde, sollen die Erfolge der
Behandlung illustrieren. Nur das letztere Mädchen ist geistig sehr
leidlich entwickelt, nicht an fremde Hilfe gebunden und kann sich
seinen Unterhalt als Näherin verdienen. Die beiden andern, später
in die Behandlung cingetretenen Mädchen sind zwar erheblich ge-
Digitized b"
Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
682
VEREINS- UND KONGRESSBERICHTE
Nr. 20
wachsen, und der Habitus ist nur noch wenig myxödematös, doch ist
der Gang watschelnd, die Sprache zögernd, bei der älteren Patientin
zwar wortreich, aber nur für den Eingeweihten zu verstehen, die
geistige Entwickelung sehr mäßig. Gute Erfolge lassen sich nur
bei frühzeitiger Behandlung erzielen, abgesehen davon, daß viel¬
leicht nicht in allen Fällen eine vollständige Aplasie der Schilddrüse
vorliegt. Als Gegenstück zu den Myxödemfällen stelle ich noch
ein 9jähriges Mädchen vor, das durch seine geringe Größe von
98 cm, seine eigentümlich sattelförmige Nase und das spärliche
trockene Haar zur Verwechselung mit Myxödem führen könnte. Tat¬
sächlich ist aber der Körper nicht gleichmäßig klein, sondern nur die
Extremitäten sind von besonderer Kürze, sodaß der Nabel weit
unter der Körpermitte steht, die Arme nur bis zur Leistenbeuge
reichen. Die Haut der Extremitäten ist etwas faltig. Der Kopf er¬
scheint nicht so groß wie in manchen andern Fällen. Die Ellbogen
lassen sich nicht ganz beugen, die Hände sind tatzenförmig. Es
besteht Lordose, affe langen Knochen sind verkrümmt. Die Sprache
ist, wie in allen derartigen Fällen, rauh, die Intelligenz besonders
gut. Es handelt sich um Mikromelie durch Chondrodystrophie (Kauff-
mannsche Krankheit). Die Röntgenaufnahme ergibt allerdings in der
Handwurzel ein Zurückbleiben der Knochenkerne, ähnlich wie beim
Myxödem. Doch sind im Gegensatz zu der grazilen Gestaltung der
myxödematösen Knochen hier dieselben verkrümmt, verkürzt und
sklerosiert. Die Gelenkenden der Unterarmknochen sind pilzförmig
verbreitert, die Phalangen fast quadratisch.
Gehrt: 3 Fälle von Meningitis serosa mit Amaurose. Bei allen
3 Kindern in den Grundzügen das gleiche Krankheitsbild: akuter
Beginn mit Kopf- und Leibschmerzen, häufigem Erbreche^ und mehr
oder minder heftigen Krämpfen. Wenige Wochen danach völlige
Erblindung durch Optikusatrophie. Und zwar erblindete das erste
Mädchen von 6 V 4 Jahren vor 2 Jahren, das zweite von 7y* lahren
vor 5 Jahren, das dritte von D/s fahren vor 2»/ Ä Monaten. Intelligenz
der Kinder nicht herabgesetzt. Der akute Beginn und der Verlauf
mit Fehlen von Herdsymptomen, mit völligem Stationärbleiben im
ersten, mit ausgesprochensten Remissionen und Exazerbationen im
zweiten Falle und schlagartiger Besserung der meningitischen Sym¬
ptome im akuten Stadium des dritten Kindes sprechen für Men. ser.
und gegen Hirntumor, ebenso die starke Druckerhöhung und Ver¬
mehrung des Liquor cerebrospinalis ohne wesentliche Eiweiß* und
Zellvermehrung. Das erste Kind zeigt ausgesprochene hypophysäre
Symptome: Adipositas, Zwergwuchs, Haarausfall, bedingt durch Druck-
atrophie der Hypophyse.
Besprechung. Japha hat im Sommer 1920 einen Fall ge¬
sehen, den man wohl nur als Meningitis serosa deuten kann, mit
Klagen über Kopfschmerzen, verlangsamtem, unregelmäßigem Puls
und Andeutung von Nystagmus. Augenhintergrund ergab doppel¬
seitige, sehr starke Stauungspapille. Zeitweilige Verabreichung von
Jod schien die Kopfschmerzen zu vermehren. Im Verlauf von vielen
Wochen trat Heilung ein. Die Sehschärfe ist wieder normal geworden.
Müller und W. Rave demon^jjgren das Röntgenbild eines
Echinokokkus der Lange mit BesprechMg der Differentialdiagnose.
Besprechung. Martens: Die Behandlung der Lungenechino¬
kokken kann nur operativ sein, und wenn in diesem Falle noch nicht
operiert wurde, bedarf es besonderer Gründe. Ein Lungenechino¬
kokkus kann zwar spontan heilen durch Absterben und nachfolgende
Verkalkung oder durch Platzen und Entleerung durch die Bronchien.
Doch kommen dabei Erstickungen vor oder nachfolgende Eiterungen,
an deren Folgen die Kranken sterben können. 25 bis 64 0/0 gehen
bei exspektativer Therapie zugrunde (s. Gar re, Lungenchirurgie).
Viel bessere Resultate ergibt die Operation, nach der Sammel¬
statistik von Guimbellot (1910) sogar eine postoperative Heilung
von 87 0 / 0 . Ganz maßgebend sind diese Sammelstatistiken freilich
nicht, da mehr günstige Fälle veröffentlicht werden als ungünstige.
Von 5 in der Rostocker Klinik operierten Lungenechinokokken ster¬
ben nach Lehmann 3 (an Pneumonie, Verblutung und Empyem).
Die meisten, die geheilt wurden, saßen randständig, dagegen
liegt in unserem Falle die Zyste ganz zentral, wie Sie auf dem
seitlichen Bilde sehen, sodaß sie auch nur durch das Röntgeubild
nachweisbar ist. Irgendwelche Erscheinungen liegen nicht vor, keiner¬
lei Beschwerden. Solche Fälle will Deve (s. Garre) von der Ope¬
ration ausgeschlossen wissen. Wir haben im Einverständnis mit ver¬
schiedenen chirurgischen und internen Kollegen geraten, weiter zu
beobachten, bei gefahrdrohenden Erscheinungen (z. B. Vereiterung)
operieren zu lassen. Wächst die Zyste, so wird die Operation un¬
gefährlicher. Dringend zu warnen ist vor der Punktion,
durch die May dl 11 / von 16 Patienten verlor.
Lanter: Rektalschlelmhautbefunde bei kindlicher Gonorrhoe. (Er¬
scheint als Original-Artikel in dieser Wochenschrift.)
Huldschinsky: Znr Röntgenbehandlung der Rachitis. Huld-
schinsky berichtet über ein mit Röntgenstrahlen behandeltes 3jähriges
Mädchen. Die vorgeführten Röntgenbilder zeigen vor der Behandlung
einen sehr kalkarmen Knochen mit becherförmig ausgefranzten Epi¬
physengrenzen. Stadium: Rachitis gravis inveterata. Das 2 . Bild nach
18 Bestrahlungen in 2 Monaten läßt einen starken Kalksaum erkennen,
die Epiphysen der Metakarpalien sind fast ganz zur Norm zurück¬
gekehrt. Die Knochenkerne sind gewachsen, und ein neuer Kern im
Karpus ist aufgetreten. Das dritte, 4 Monate später angefertigte Bild
ergibt die völlige Ausheilung. Subjektiv war das Kind bedeutend
gebessert; während es zu Beginn der Behandlung nur mit Unter¬
stützung gehen konnte, lief es nach 2 Monaten frei. Es hat sich
also eine Ausheilung ergeben, wie sie stärker auch nicht durch
Ultraviolett erreicht wird. Da ohne Behandlung Rachitisfälle in diesem
Stadium überhaupt kaum Fortschritte in so kurzer Zeit, vor allem
aber nicht röntgenologische, zeigen, hält Huldschinsky diesen
einen Fall für einen hinreichenden Beweis der Wirksamkeit der
Röntgenstrahlen gegen Rachitis. Er glaubt aber nicht, daß die Rönt¬
genbehandlung geeignet ist, die Ultravioletttherapie zu verdrängen,
da bei der Gefährlichkeit ersterer für den 'kindlichen Organismus
ein Experimentieren nicht angängig sei. Huldschinsky selber hat
sich bei der Dosierung an die von Winkler bei partieller Be¬
strahlung von Rachitikern angegebenen Daten gehalten, ging aber,
da er Ganzbestrahlungen vornahm, noch weit unter dessen Dosen
Mit einer Diagnostikröhre von 21/2 Wehnelt wurden bei 50 cm
Fokusabstand 30—60 Sekunden dauernde Bestrahlungen vorgenonunen,
3mal in der Woche, somit die Gabe, die man ohne Bedenken bei
diagnostischen Röntgenaufnahmen anzuwenden pflegt, nicht über¬
schritten.
L F. Meyer: Syphilitisches Nabelgeschwnr. Bei einem Säugling
entwickelte sich in der 5. Lebenswoche ein Ulkus am Nabel mit
indurierten und wallartig erhabenen Rändern. Die Inguinaldrüsen
bohnengroß, hart, indolent. Zuerst wurde an eine diphtherische
NatUr des Geschwürs gedacht. Diphtheriebazillen waren negativ, da¬
gegen Spirochäten positiv. Wa.R. negativ. Nach ungefähr 3 Wochen
trockener Schnupfen, der allmählich blutig wurde, Kubitaldrüsen,
blaßgraue Hautfarbe. Wa.R. nunmehr -{-. Eine weitere Woche später
Milztumor, Heiserkeit und typische Koryza, die später zur sattel¬
förmigen Deformation des Nasenrückens führte. Tod an Broncho¬
pneumonie. Bei der Sektion: Perisplenitis fibrinosa, syphilitische
Ulzera auf beiden Stimmbändern, Osteochondritis zweifelhaft. Es
handelte sich also um ein bisher selten beschriebenes syphiliti¬
sches Nabelulkus. Ob das Geschwür als Primäraffekt einer
akquirierten Syphilis oder als erstes Symptom einer kongenitalen
Syphilis anzusprechen ist, kann nicht entschieden werden.
Kiel, Medizinische Gesellschaft, 2. II. 1922.
Offizielles Protokoll.
Vorsitzender: Klingmüller. Schriftführer: Hoppe-Seyler.
Grütz: lieber eine Mikrosporieepidemie n Kiel. Trotz sehr reich¬
lich in Kiel vertretener Dermatomykosen wurde bis 1921 keine Mikro¬
sporie beobachtet. Der erste Fall, der zur Beobachtung kam, betraf
ein Kerion Celsi, das in nichts den Verdacht einer Mikrosporie er¬
weckte, bis die Kultur überraschenderweise ein einwandfreies Mikro-
sporon Audouini ergab. Kurz darauf würde bei 4 Geschwistern einer
Familie typische Mikrosporie mikroskopisch und kulturell festgestellt,
die merkwürdigerweise ebenso wie der erste Fall keine weiteren
Infektionen verursachte. Dagegen wurde in einer Kinderzufluchtsstätte
in Kiel durch einen im September 1921 dort aufgenommenen, mit einer
„schuppenden kahlen Stelle“ am Kopf behafteten Knaben aus Lübeck
die Mikrosporie erneut zugeschleppt. Binnen zwei Monaten wurden
von den 48 Insassen des Kinderheims 29 infiziert, von denen 15 nicht
entzündliche typische Kopfherde, 9 mäßig entzündliche Hautherde und
5 gleichzeitig Kopf- und Hautherde aufwiesen. Bei sämtlichen Fällen
wurde derselbe Erreger, das Mikrosporon Audouini, nachgewiesen.
Behandlung mit Röntgenepilation und Anlegung von Zinkleimkappen
zur Verhütung der Sporenverstreuung.
Besprechung: Schirren, Grütz, Klingmüller weisen auf die
Wichtigkeit der Mikrosporieepidemien hin, die sich in Deutschland
allerdings, infolge größerer Reinlichkeit, rascher und besser zu ver¬
lieren pflegen als im Ausland.
Paulsen: Pygmäeneigenschaften der deutschen Bevölkerung. Die
Pygmäen und Buschmänner vereinigen in sich eine große Zahl an
anthropologischen Eigenschaften, die entwicklungsgeschichtlich als
primitive anzusehen sind. Vereinzelt finden sich diese Eigenschaften
rassemäßig, familiär oder individuell auch bei anderen Rassen und
Völkern. Die Häufung dieser Eigenschaften bei den Pygmäen und
Buschmännern ist das Charakteristische und erweist sie als die primi¬
tivste jetzt noch lebende Rasse. Sie sind anzusehen als verhältnismäßig
wenig differenzierte, primitive Form, die langschädeligen, großwüch¬
sigen, pigmentarmen Nordeuropäer als mehr spezialisierte Form der
Menschheitsentwicklung. Damit erweist sich eine Reihe individueller
Abnormitäten in unserer Bevölkerung als Erbgut von primitiven Vor¬
fahren.
GieBen, Medizinische Gesellschaft, 15. II. 1922.
Offizielles Protokoll.
Vorsitzender: I. V.: Kaeß. Schriftführer: Gundermann.
A. Weber: a) Eicbnngskurven von selbst hergestellten Aluminium-
Saiten für das Edelmannsche Saitengalvanometer. Die Empfindlichkeit
dieser Aluminiumsaiten ist 17mal größer als die gleich dicker Platin¬
saiten. Man ist jetzt imstande, ein einwandfreies Elektrokardiogramm
auch mit kleinen, relativ billigen Galvanometern zu zeichnen. — b) Me¬
thoden der Gefäfifnnktionsdlagnostik.
Verantwortlicher Redakteur: Geh.San.-Rat Prof. Dr.J. Schwalbe. - Druck von Oicar Brandstetter ln Leipzig.
□ igitized by Gougle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
PRAEMEDICUS
Offizielle Mitteilungen der „Vereinigung Deutsoher Medizinalpraktikanten" und dea „Verbanden Deutsoher Medlzlneraohaftan*
VERLAG VON GEORG THIEME / LEIPZIG/ ANTONSTR.15
• Nummer 8
Freitag, den 19. Mai 1922.
2. Jahrgang
Bericht über die Mitgliederversammlung
des Verb. Deutscher Medlz.-Prafctlkanten (Ortsgruppe Leipzig)
vom 25**April 1922.
Aus der Tagesordnung:
1. Die nach den Vorschlägen der letzten Mitgliederversammlung
umgearbeiteten Statuten werden vom 1 . Vorsitzenden verlesen und
dann von der Versammlung einstimmig angenommen.
2. 3) Der 1 . Vorsitzende berichtet über eine weitere Be¬
sprechung mit dem Leipziger Stadtrat (betr. Bezahlungs-
aufbesseruug der Med.-Prakt.): Der Rat erklärte, in dieser An¬
gelegenheit vorläufig nichts weiter unternehmen zu können, ehe
nicht eine Antwort des „Sächs. Gemeindetages“ vorliege. Wie diese
aber auch ausfallen möge, sie werde vom Rat anerkannt und befolgt
werden.
b) Die Versammlung beauftragt den Vorstand, für den Fall
einer ablehnenden Haltung des „Gemeindetages“, von neuem an die
Stadtverordneten heranzutreten. (Eine vorbereitende Besprechung mit
einem Vertreter der Aerzteschaft im Stadtverordnetenkollegium hat
auf Veranlassung des Vorstandes bereits stattgefunden, und zwar
durch Herrn Moltke.)
3. Bekanntgabe des bereits im Praemedicus Nr. 7 veröffentlichten
Schriftwechsels mit dem Reichsarbeitsministerium.
4. Es soll in Zukunft ein möglichstes Zusammenarbeiten
mit den übrigen ärztlichen Standesorganisationen
(Aerzteverband, Assistentenverband sowie auch Verband deutscher
Medizinerschaften) angestrebt werden, unter tunlichster Beseitigung
etwa vorhandener Gegensätze. (Zum Aerzteverband sind inzwischen
schon Beziehungen angeknüpft worden.)
5. a) Neuwahl eines Kassierers (wegen Weggang des
Herrn Martin aus Leipzig): einstimmig gewählt wird Herr Würz¬
burger (Med.-Poliklinik).
b) Die Versammlung beschließt, ab 1. VII. d. J. den Mitglieds-
b eit rag für Leipzig auf 20 Mark pro Vierteljahr zu erhöhen.
Voraussichtlicher Termin für die nächste Ver¬
sammlung: Dienstag, den 23. V. 1922, abends 8 Uhr.
Neu mann, Schriftführer.
Bekanntmachungen
des Verbandes Deutscher Medizinerschaften, Sitz Leipzig,
Med.-Klinik, Liebigstr. 20.
Vorstandsmitglieder für das Geschäftsjahr 1922:
I. Vorsitzender: cand. med. Horstmann,
II. „ „ „ Willgrod,
Schriftführer: „ „ Herzger,
I. Kassenwart: „ „ Schulz,
II. „ Fr!. „ „ Hecker,
Propagandaamt: „ ,, Seemann,
sämtlich in Leipzig.
Termine: -
1. Lungenfürsorge 15. VI.
2 . Namentliche Nennung der Staatsexamenskandidaten bis spätestens
15. X. 1922 und 15. 111. 1923.
3. Ergebnisse über die Nachforschungen betr. Medizinal-Praktikanten-
Besoldungsfrage an den V. D. M. bis 15. VI. erbeten.
4. Bestellung des Praemedicus bis spätestens 1. VI.
Wir weisen darauf hin, daß der*Verbandsbeitrag für das S.-S. 1922
auf M. 5.— festgesetzt ist. (Beschluß des Vertretertages.)
Freiburger Vorklinikerschaft.
Zusammensetzung des Vorstandes der Freiburger Vorkliniker-
schaft für das Sommersemester 1922: Erich Holzmann, stud. med.,
Rhemstr. 64, 1. Vorsitzender; Ilse Ehe 11 , stud.' med., Beisitzerin;
Hans Rhenisch, stud. med., Gießenstr. 12 , 2. Vorsitzender; Wil-
nelm Kaute, stud. med.,. Schriftwart; Fritz Ritter, stud. med.,
Ludwigstr. 1 , Kassenwart. Erich Holzma.nn, l.Vors.
Nach dem Vertretertage.
Von cand. med. W. Seemann in Leipzig.
Der Bericht über den Vertretertag vom 27.-29. IV. wird in
einigen Tagen den Medizinerschaften zugehen. So darf darauf ver¬
zichtet werden, hier im einzelnen über ihn zu referieren. Aber über
die Eindrücke, die die Tagung allgemein hinterließ, über das Er¬
reichte und über die Zukunftsaussichten mag einiges gesagt werden.
Um es vorweg zu sagen: der Verlauf der Tagung von Anfang
an gestaltete sich so sachlich und erfreulich, daß mir der General¬
sekretär des L. V., Herr Dr. Laut sch, seine lebhafte Befriedigung
und Anerkennung aussprach und, im Gegensatz zu seiner früheren
Absicht, wegen Zeitmangel nur zu Punkt 1, 7 und 8 zu erscheinen,
der ganzen Tagung bis fast zu Ende beiwohnte. Peinliches Be¬
achten der Geschäftsordnung, knappe und doch inhaltsreiche sach¬
liche Meinungsäußerung, das Gefühl, daß da junge Männer sprachen,
die die feste ernste Absicht, fruchtbare Arbeit zu leisten, mit prak¬
tischen Erfahrungen verbanden, ließen uns alle die famosen Schlu߬
worte des Herrn Kollegen Jahn (Würzburg) nachempfinden. Die
Vertreter werden durch ihre Berichte dafür sorgen, daß der Sinn
seiner Ausführungen auch unter der Allgemeinheit der Mediziner
richtig erfaßt und zum Leitmotiv für die Zukunft werden wird.
Mit unerschütterlichem Idealismus müssen wir vom ersten Semester
au an die Probleme herangehen, die sich aus der uneinheitlichen
Auffassung über den Wert der Ausbildung, über den unglücklichen
Zwitterbegriff „Medizinalpraktikant“, über das Verhältnis zwischen
den großen Berufsgruppen in der Medizin ergeben, und an die
Probleme, vor die uns die augenblicklichen verzweifelten wirtschaft¬
lichen Verhältnisse stellen. Noch ist die Kriegsgeneration nicht
sichergestellt, wenn wir auch vieles für sie durchgesetzt haben.
Kriegssemesteranrechnung', Erlaß des praktischen Jahrs zur Hälfte,
Befreiung von den Kolleggelderhöhungen, das Zwischensemester füT
Kriegsgefangene in Halle im Sommer 1921, das wir sogar nach
„definitiver“ Ablehnung noch durchsetzten, umfassende Maßnahmen
gegen die unerschwinglichen Bücherpreise durch Vermittlung anti-
3 uarischer Bücher und neuer zu wesentlich herabgesetzten Preisen,
as alles sind Erfolge, die jede weitere Diskussion über die Existenz¬
berechtigung des Verbandes Deutscher Medizinerschaften von vorn¬
herein abschneiden. Auch für die Zukunft liegt da ein großes Ar¬
beitsgebiet, an das sich der neue Vorstand energisch heranmacht
und das er auch auf Instrumentenbeschaffung unter günstigsten
Bedingungen ausbreiten wird.
Mit der Frage der Studienreform, über die sich die beteiligten
Fachverbände allmählich einig zu werden scheinen, stehen in ge¬
wissem Zusammenhang die brennenden Fragen der Medizinalprakti¬
kantenbesoldung und der Unfallversicherung. Sie sollten längst er¬
ledigt sein. Ihr alle, die es angeht, vor allem Ihr jüngsten Semester,
denkt immer daran, daß die, die heute ihre Arbeit diesen Fragen
widmen, die Erfolge nicht mehr genießen können, sondern daß sie
schließlich für Euch erarbeitet werden. Dankt es ihnen, indem Ihr
Euch fest zusammenschließt zu mächtiger Organisation, die ihre
Führer deckt. Ihr Aelteren, sorgt dafür, daß diese Fragen immer
und immer wieder allüberall angeschnitten werden und die breitere
Oeffentlichkeit Interesse und Verständnis für uns gewinnt! Bereitet
die Jüngsten rechtzeitig vor und bringt ihnen bei, worum es geht;
sie müssen beizeiten erfahren, mit welchen Schwierigkeiten unser
Beruf in wirtschaftlicher Beziehung verbunden ist. Laßt Eure Privat¬
interessen zurücktreten hinter der wahrhaft großen Idee einer macht¬
vollen, geschlossenen Einheit alles dessen, was Mediziner heißt!
Deutsch-ungarischer Studentenaustausch.
In den Monaten August bis September d. J. veranstaltet die
Deutsche Studentenschaft im Einvernehmen mit dem „Landesver¬
band ungarischer Studierender“ einen deutsch-ungarischen Studenten¬
austausch. Der Austausch vollzieht sich in der Form, daß jeder
deutsche Studierende, der nach Ungarn zu gehen wünscht, für die
gleiche Zeit einem ungarischen Studenten, möglichst in der eigenen
Familie, freie Verpflegung und Unterkunft zu gewähren hat. Die
Reise- und Paßkosten trägt jeder Teilnehmer an dem Austausch
selbst. Es wird jedoch möglich sein, diese auf ein Mindestmaß
herabzusetzen. Der Austausch empfiehlt sich besonders für Studierende
der Landwirtschaft. Meldungen sind unter Beifügung von Rückporto bis zum
15. V. 1922 an das Auslandsamt der Deutschen Studentenschaft, Göttingen.
Untere Maschstr. 15, unter dem Kennwort „Ungarnaustausch" zu richten,
Das Auslandsamt der Deutschen Studentenschaft
gez.: Zimmermann.
Deutsche Medizinische Wochenschrift Nr. 20
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UNfVERSITV
684
PRAEMEDICUS
Nr. 8
Zur Frage der geburtshilflichen Ausbildung des Mediziners«
Von Marine-Stabsarzt a. D. Dr. Kritzler, Frauenarzt in Erbach i. O.,
ehemaligem II. Assistenten der Hess. Univ.-Frauen-Klinik in Gießen.
Dr. Graf (Leipzig) veröffentlicht im „Praemedicus“ 1921 Nr.5 die
Eingabe Dr. Bondes an das Reichsministerium des Innern, „betref¬
fend Beschaffung besserer Ausbildungsmöglichkeiten in Geburtshilfe
und Gynäkologie“. In dieser Eingabe wird der Vorschlag gemacht,
daß in jedem Krankenhause, dessen Betten eine gewisse Anzahl über¬
steigen, eine eigene geburtshilflich-gynäkologische Abteilung zu schaf¬
fen wäre. Der Gynäkologe wird mit dem Vorschläge, die geburts¬
hilflich-gynäkologischen Krankenhausabteilungen zu vermehren und
auszubauen, nur einverstanden sein können; denn sein Fach hat bisher
nur in den größeren Krankenanstalten die notwendige Selbständigkeit
erlangt. Der Vorschlag hat nur die geldliche Frage gegen sich, die,
wenn auch in diesem Fall bei einigermaßen gutem Willen des Staates
bzw. der Gemeinden nicht unüberwindlich, in der Jetztzeit nicht als
Nebensache betrachtet werden darf.
Der Antrag Bonde läßt den für das geburtshilflich-gynäkologische
Fach Interessierten über die Fragen der Ausbildung in diesem Zweig
der Heilkunde nachdenken. Die gynäkologischen Ausbildungs¬
fragen möchte ich nur kurz streifen. Wie aus der von Stoeckel
dankenswert angeregten und eingehend bearbeiteten großzügigen Um¬
frage 1 ) hervorgeht, ist eine durchgreifende Aenderung des gynäko¬
logischen Ausbildungswesens nicht nötig. Einige Sonderwünsche, wie
Physiologie, Psychologie, Sexualogie der Frau, lassen sich im bis¬
herigen Rahmen und in den propädeutischen Lehrgängen leicht und
eingehend erfüllen. Das, was der Arzt technisch von der praktischen
Gynäkologie wissen muß, ist nicht allzuviel. Im Gegenteil wird von
vielen Fachleuten davor gewarnt, durch Erweiterung der therapeuti¬
schen Befugnisse des Praktikers eine mehr schädliche als nützliche
Polypragmasie und dadurch eine Vermehrung der psychogen unter-
leibsKranken Frauen hervorzurufen. Gesunae und seiner Klientel
zum Vorteil gereichende Anschauungen über Menstruationsstörungen,
Lageveränderungen, Gonorrhoe, Myom, Krebs, Eierstocksgeschwülste,
Entzündungen, über die Beziehungen der Genitalerkrankungen zu den
Harnwege-, Darm-, Drüsenerkrankungen und zur Konstitution kann der
angehende Arzt sich in hinreichendem Maße bei der jetzt möglichen
Ausbildung erwerben. Bei besserer propädeutischer Ausbildung und —
größerem Interesse des Studenten für die Propädeutik
und persönlich nun einmal nicht zu umgehende Studien über Ge¬
schlechts- und Seelenleben, Physiologie, Hygiene der Frau wird
er auch aus den naturgemäß mehr oder minder begrenzten Unter-
suchungsgelegenheiten mehr Nutzen ziehen, als das bisher nach
meiner Erfahrung — ich habe die ersten beiden Jahre nach dem
Kriege als Assistent an der Gießener Universitätsfrauenklinik erlebt —
der Fall war.
Wie ist es mit dem praktisch wichtigeren Fach der
Geburtshilfe? Eingehendere praktische Kenntnisse sind gewiß
mehr als erwünscht, aber ich habe den Eindruck aus mancherlei Er¬
fahrungen als ehemaliger, an den Kursen beteiligter Kliniksassistent
und als jetziger praktischer Gynäkologe, daß die Wünsche der
jungen Aerztewelt hier nicht den Nagel auf den Kopf tref¬
fen. Man übersieht über dem Drang nach dem Erlernen der Tech¬
nizismen die theoretische Beherrschung des Faches. Wer
gute theoretische Kenntnisse erworben hat, wird sich, wenn er nicht
ganz ungeschickt ist, auch technisch zurechtfinden. Gewiß soll nicht
geleugnet werden, daß jede praktische und technische Erkenntnis und
Erfahrung, die der junge Arzt vor seinem Eintritt in die Praxis er¬
wirbt, Goldes wert ist. Man beherrscht aber die Geburtshilfe nicht,
wenn man am Phantom, an der Lebenden die Technizismen der ge¬
burtshilflichen Eingriffe erlernt hat. Was ich an unangeneh¬
men Situationen bei Aerzten gesehen habe, entsprang
meist nicht technischem Ungeschick, sondern zu ge¬
ringer theoretischer Kenntnis über Indikation und
Folgen eines Eingriffes. Auch der Erfahrene hat trotz bester
Technik oft genug seine liebe Not, solche Fälle dann einigermaßen zu
Ende zu bringen. Die geburtshilfliche Ausbildung der Aerzte, die
ein oder zwei Generationen vor unserer Zeit studierten, war gewiß
nicht besser als die der Jetztzeit trotz des jetzt viel gewaltigeren
Andranges; der größte Teil der Anschauungs- und Lehrmittel der
modernen Klinik fehlte bei den früher so bescheidenen Verhältnissen.
Und doch gab es unter den alten Praktikern hervorragende Geburts¬
helfer, auch wenn sie nicht klinische Assistenten waren, und jetzt
gibt cs deren gottlob auch noch genug. Deren Geburtshilfe war und
ist aber nicht in der ausschließlichen Erlernung der Technik begründet,
sondern in der theoretischen Beherrschung der Geburtshilfe. Wer die
Gefahren und Folgen eines Eingriffes im allgemeinen kennt, sie mit
Hilfe positiver, nicht auf der Oberfläche gleitender Kenntnisse auf
den vorliegenden Fall prognostisch zu übertragen weiß, der wird nicht
in Situationen geraten, in denen er sich nicht zu helfen und zu raten
weiß und in denen er Falsches macht. Jener rein auf das Hand¬
werksgemäße gerichtete, amerikanische Zug, der in den Wünschen
der Mediziner zweifellos zu spüren ist* ist etwas Ungesundes; er läßt
das, was die Wirklichkeit von einem guten Geburtshelfer fordert,
nicht erfassen. Die Geburtshilfe verlangt dauernd und jederzeit sofort
zur Verfügung stehendes Wissen, mit seichter Routine kommt man
früher oder später sicher zu Fall. Sich solches Wissen zu erwerben,
*) Stoeckel, Zur Reform des geburtshilflich-gynäkologischen Unterrichts. Leip¬
zig. 1920. Verlag Barth. 103 Seiten. Geheftet (mit 20°/o +) M. 19,20.
verlangt eben Studieren. Der Universitätslehrer kann doch nui
den Rahmen, die Erläuterung, die Anleitung geben; das Studieren
ist Sache des Lernenden. Stumpfsinniges „Einpauken“ ist nicht die
Aufgabe der deutschen Universität und wird es hoffentlich nicht
werden. Wer zum Arzt gepaukt und gedrillt werden muß, ist nicht
wert und nicht geeignet, Medizin zu studieren.
Woher kommen aber nun die Klagen der Studierenden, die gewiß
nicht aus der Luft gegriffen werden? Manches liegt in dem enormen
Andrang zum medizinischen Studium, dem sich außer¬
dem zum Teil junge Menschen zuwenden, die über die Anforderungen
dieses Studiums gar nicht im klaren und ihm vielleicht geistig
infolgedessen nicht -gewachseli sind. Untermittelmäßige Intelligenzen
werden eben nur dürftigste Aerzte abgeben. Daß sich die Zahl
dieser Ungeeigneten von Jahr zu Jahr steigert, bleibt dem Auf¬
merksamen nicht verborgen. Dies ist um so folgenschwerer, als die
Heilkunde sich in den letzten Jahrzehnten so gewaltig erweitert hat,
daß die Jetztzeit mit ihren Anforderungen an Wissen und Können in
ihrer Vielgestaltigkeit die Zeiten unserer Väter und Großväter um ein
Mehrfaches überflügelt. Ich habe * selbst den Eifer und Fleiß
unserer jungen Mediziner nach dem Kriege miterlebt und bewun¬
dert, aber mich nie des Gedankens erwehren können, daß die An¬
forderungen der vielen Fächer zersplittern müssen und die Ver¬
tiefung in selbst die wichtigsten Hauptfächer unmöglich machen. Fs
mag gewiß manches in der geburtshilflichen Ausbildung zu bessern
und fortzuentwickeln sein (s. später meine Vorschläge), aber mit
erhöhter Möglichkeit technischer Ausbildung allein wird das Ucbe!
nicht behoben werden; sein Grund liegt tiefer, in der enormen Be¬
lastung und Ueberlastung des Mediziners. Ohne eigenes
Studium kann man nicht Medizin studieren; ein Student aber, der von
morgens früh bis abends spät von Kolleg zu Kolleg, von Kurs zu
Kurs stürzt, kann das Gehörte nicht verdauen; er wird von rechts
und links mit neuen Eindrücken und Tatsachen bombardiert, kann
das viele Gehörte gar nicht aufnehmen, geschweige denn verarbeiten.
Auch die Ferienarbeit kann das nicht ausgleichen. Hier gälte es,
bei der medizinischen Hochschulreform Wandel zu
schaffen.
Es herrscht unter den Studierenden eine gewisse Gereiztheit
wegen der zur Zeit schwierigen, aus der allgemeinen Ueberfüllung
entstandenen praktischen Fortbildung; sie stehen mit einer gewissen
Animosität dem akademischen Lehrer gegenüber. Wer sich mit den
Kandidaten der letzten Jahre näher befassen konnte, wird mir dis
bestätigen. Ich komme immer wieder darauf zurück, daß der Student
zu wenig „studiert“, daß der Hörer zu wenig mitbringt in die
praktischen Kurse. Dabei liegt es mir fern, nur den Studierenden
Vorwürfe zu machen. Sie sind fraglos weniger an diesen Verhält¬
nissen schuld als diejenigen verantwortlichen Stellen, die es zuließen
und veranlaßten, daß dem jungen Mediziner immer mehr aufgepackt
wurde. Wie oft war ich in den Phantomkursen ganz deprimiert, wenn
die grundlegendsten Anschauungen fehlten, wenn der Schüler stumpf¬
sinnig Handgriffe lernte, die er in zwei Tagen wieder vergessen
mußte, weil er ihre innere Entwicklung, die Ursachen und die Gründe
der gegebenen Regel gar nicht kannte. Wenn man 15 Hörer in
anderthalb Stunden an dem Phantom unterrichten sollte, war es gar
nicht möglich, auch noch jedem Einzelnen einen ganze Abriß der
wichtigsten geburtshilflichen Begriffe zu geben. Ich brauche hier
wohl nicht auf Einzelheiten einzugehen; jeder, der Phantomkurse
hält oder gehalten hat, kennt sie zur Genüge. Koblanck sagt in
der Umfrage Stoeckels 1 ) sehr richtig, der Student müsse schon
im vorklinischen Semester gelernt haben, daß das „selbständige Denken
überall in der Medizin, also auch in der Frauenheilkunde und Geburts¬
hilfe, sehr viel wichtiger sei, als noch so fleißiges Auswendiglernen
und noch so großes technisches Können“; er betont gerade das
Geistigfreimachen vom Schuldrill. Stoeckel, durchaus
reformbereit 2 ), will als Kernpunkt der ganzen Reform die praktische
Ausbildung betrachtet wissen. Er sagt aber ausdrücklich: „Den
Schüler zum eigenen praktischen Handeln und damit zu früh¬
zeitiger Selbstkritik zu bringen, ihn die Schwere der operativen
und exspektativen Verantwortlichkeit früh fühlen und seine eigene
Gewissensbedrängnis das Zwangsmittel zum Erwerben des nötigen
Könnens werden zu lassen, das scheint mir die notwendige Forderung
zu sein.“ (Fortsetzung folgt.)
Kurze Mitteilungen.
— Der Reichswirtschaftsminister hat Studierenden zur Erleich¬
terung der Eisenbahnfahrten zwischen Universität und Wohnort m
Beginn und am Schluß des Semesters oder bei größeren Ferien eine
Ermäßigung des Fahrgelds 3. und 4. Klasse-um die Hälfte gewährt
Der Kilometerpreis beträgt demnach 23 Pfg. in der 3. und 15 Pfg
in der 4. Klasse.
— Hochschulführer, Lebens- und Studien Verhältnisse in den
deutschen Hochschulstädten, herausgegeben im Aufträge des Vor
Standes der Deutschen Studentenschaft vom Wohnungsamt der Deut¬
schen Studentenschaft, Münster i. W., Universität, 5. Auflage, Sommer¬
semester 1922, VI, 32 S. M. 5.— (für das Ausland M. 10.—).
•) Es ist schade und bedauerlich, daß die akademische Jugend seine „Reform des
geburtshilflich-gynäkologischen Unterrichts“, diese Veröffentlichung mit ihrem ernsten
Wißen zum Bessern und Fortentwickeln und mit ihrem von akademischen wie prak¬
tischen Frauenärzten geäußerten großen Interesse für die Unterrichts- und Ausbildungs-
fragen, wohl auch selten in die Hände bekommt!
Für die Schriftleitung verantwortlich: Dr. Hans Hirschberg, Leipzig, SidonlenStraße 6&IV. — Druck von Oscar Brandstetter in Leipzig.
Digitized b'
Google
Original from
CORNELL UNiVERSSTY
Deutsche Medizinische Wochenschrift
Begründet von Dr. Paul Börner
HERAUSOEBER: VERLAO:
Geh. San.-Rat Prof. Dr. Schwalbe GEORG THIEME/LEIPZIG
Berlin-Charlottenburg, Schlüterstraße 53 Antonstraße 15
Nummer 21
Freitag, den 26. Mai 1922
48. Jahrgang
Aus der Klinik für Haut- und Geschlechtskrankheiten
der Universität in Würzburg.
Die Bedeutung der tuberkulösen Allergie für das Ent-
zündungsproblem und die Proteinkörpertherapie.
Von Prof. Dr. Karl Zieler.
Die Ausführungen von H. Selter in Nr. 2 lassen mir folgende
Bemerkungen notwendig erscheinen.
H. Selter faßt das Tuberkulin nur als einen „Reizstoff“ auf,
„der auf ein entzündungsbereites Gewebe einwirkt und es zur Ent¬
zündung bringt, ohne daß das Tuberkulin hierbei gebunden wird“.
Mit dieser Fassung, die in glücklicher Weise das Arbeiten mit un¬
bewiesenen Beziehungen zu theoretischen Begriffen der Immunitäts¬
lehre vermeidet, kann man einverstanden sein, wenn statt „Reiz¬
stoff“ gesetzt wird „spezifischer Reizstoff“. Denn das
Tuberkulin wirkt bekanntlich nur auf solches Gewebe ent¬
zündungserregend, das zu tuberkulöser Entzündung be¬
reit ist, aber niemals im gleichen Sinne auf tuberkulosefreie Men¬
schen, selbst wenn deren Gewebe sonst „entzündungsbereit“ ist.
Ich brauche hierbei z. B. nur an Syphilis oder Trichophytie, Lympha¬
tismus, Ekzem usw. zu erinnern.
Selter geht ferner auf die Beobachtungen Sorgos ein, der an
der Haut tuberkulöser Menschen mit einer Reihe von Giftstoffen
(Diphtherie-. Dysenterie-, Choleratoxin) die gleichen Reaktionen er¬
zeugt haben will, wie mit Alttuberkulin. Selter meint, daß es sich
hierbei „äußerlich betrachtet zweifellos um dieselbe Entzündungs¬
erscheinung“ handele, „die in derselben Zeit und Stärke auftritt“,
wie die Tuberkulinreaktion.
Das entspricht nicht den Tatsachen.
Selter selbst ist auch schon aufgefallen, daß derartige, an¬
scheinend gleichsinnige Hautimpfungen nach späterer subkutaner
Prüfung mit Tuberkulin, im Gegensatz zu der Behauptung Sorgos,
nicht erneut aufflammen, wie die Tuberkulinhautimpfungen. Er
möchte deshalb „mit Bessau annehmen, daß durch das Tuberkulin
in einem tuberkulinempfindlichen Organismus tuberkulöses Gewebe
entsteht, daß dagegen andere Körper nur in unspezifischer Weise
ein leicht zur Entzündung neigendes Gewebe'zur Entzündung bringen“.
Diese Frage habe ich in mehrfachen * Arbeiten durch vielfache
und vielseitige experimentelle Untersuchungen geklärt und in den
Jahren 1908—1910 1 ), 2 ) veröffentlicht. Es ist mir unerklärlich, daß
Selter diese Arbeiten entgangen sind, trotzdem er an anderer
Stelle 3 ! sich auf Untersucher bezieht, die die wichtigste dieser Ar¬
beiten*) ausdrücklich angeführt haben (Lüdke und Sturm, Bessau).
Was nun die Mitteilung von Sorgo anlangt, die sachlich schon
durch eine frühere Arbeit von mir 8 ) widerlegt war, so ist es noch
auffälliger, daß meine spätere, in dem gleichen Jahrgang dieser
Wochenschrift unter der gleichen Ueberschrift wie die Sorgos er¬
schienene Mitteilung*! Selter ebenfalls entgangen ist. Diese ent¬
hält nicht nur eine Bestätigung meiner früheren Feststellungen mit
neuer Technik (Intrakutanimpning) unter Heranziehung der von
Sorgo verwendeten Impfstoffe. Sie liefert auch den einwandfreien
Beweis, daß Sorgos Ergebnisse durch fehlerhafte Technik bedingt
sind bzw. daß sich die gleichen Ergebnisse auch ohne
Verwendung irgendwelcher Toxine allein mit physio¬
logischer Kochsalzlösung erzielen lassen, wenn man nur
nach den üblichen Vorschriften gründlich gereinigte Spitzen verwendet,
die aber früher für Tuberkulineinspritzungen benutzt worden sind!
Wegen-der Einzelheiten verweise ich auf meine damalige Arbeit 4 )
sowie auf eine ausführliche spätere Zusammenfassung der ganzen Frage 6 ).
Daß die tuberkulöse Allergie keine Antigen-Antiköiperreaktion
im gewöhnlichen Sinne, sondern eine zelluläre Eigenschaft (zelluläre
oder Gewebsimmunität) sei, habe ich bereits 1910 2 ) und in aus¬
führlicherer Weise 1914 5 ) betont bzw. nachgewiesen.
Die von mir festgestellte Tatsache, daß die Reaktion der Haut
tuberkulöser Menschen auf Tuberkulin und auf Giftstoffe, wie Di¬
phtherie-, Dysenterietoxin und dergleichen, durchaus nicht gleich¬
sinnig verläuft 4 ), wird auch durch Selter bestätigt
J ) M. m. W. 1903 Nr. 32. - •) Arch. f. Oermat. 1910,102. — *) Zschr, f. Immun.Forscb.
1921, (Orig.) 32. — 4 ) D. tn. W. 1911 Nr. 45. - •) Hnuttuberkulose und Tuberkulide, Prnkt.
Erp. d. Hautkrkh. 1914, 3.
Seine Schlußfolgerung scheint mir deshalb nicht berechtigt. Er
sagt: „Demnach kommen 2 Arten von Allergie beim
Menschen vor, die voneinander zu trennen sind, eine
natürlich vorhandene, unspezifische gegen Bakterien¬
protein und eine erworbene, spezifisch tuberkulöse,
welche in spezifischer Weise durch Tuberkulin, in un¬
spezifischer durch Bakterienproteine und andere Reiz-
Stoffe ausgelöst wird.“
Wie aus meinen ausführlichen Untersuchungen 1 ), 2 ) hervorgellt,
wird die erworbene spezifisch-tuberkulöse Allergie nur durch
Tuberkulin ausgelöst, nicht auch durch Bakterienproteine und
andere Reizstoffe, wie Selter annimmt. Die durch diese verur¬
sachten Reaktionen verlaufen bei Tuberkulösen nicht anders als bei
Nichttuberkulösen. Sie verhalten sich größtenteils auch histologisch
völlig abweichend, indem sie nicht, wie die Tuberkulinhautimpfungen,
das Bild der histologischen Tuberkulose erzeugen. Und sie reagieren
ferner niemals nach subkutaner Tuberkulinzuführung örtlich. Und
das müßte mindestens der Fall sein, wenn ein unspezifischer Stoff
eine spezifische tuberkulöse Reaktion ausgelöst hätte. Die strenge
Spezifizität dieser Impfungen bzw. der tuberkulösen Allergie — das
gilt auch für die Allergie bei chronischem Rotz, tiefer Tricho¬
phytie usw. — wurde von mir außer mit anderen Stoffen und bei
anderen Erkrankungen auch in folgender Weise erwiesen: Bei einem
an chronischem Rotz leidenden Kranken, bei dem gleichzeitig eine
chronische Lungentuberkulose bestand, hatten dementsprechende Haut¬
impfungen mit Tuberkulin bzw. Mallein zu klinisch völlig überein¬
stimmenden Reaktionen geführt. Hier sind nun bei mehrfach wieder¬
holter Prüfung nach subkutaner Tuberkulinzuführung stets nur die
Tuberkulinhautimpfungen, nach subkutaner Malleinzuführung allein
die Malleinhautimpfungen aufgeflammt 1 )!
Für die tiefe Trichophytie hat mein Assistent Markert 3 ) in
sehr ausgedehnten Untersuchungen die gleichen Eigebnisse und so¬
mit die strenge Spezifizität auch der Trichophytinhautimpfungen
bzw. ihr abweichendes Verhalten gegenüber Tuberkulin nachweisen
können. Hieraus ist zu schließen, daß die verschiedenen chronischen
Infektionen zu einer für jede streng spezifischen Gewebsimmunität
(Allergie) führen und daß diese verschiedenen Allergien beim selben
Kranken nebeneinander vorhanden sein und einzeln nachgewiesen
werden können.
Das, was Selter als natürlich vorhandene, unspezifische Allergie
gegen Bakterienprotein bezeichnet, beruht in der Hauptsache auf
einer primären Giftwirkung der betreffenden Proteine (s. meine
früheren Versuche mit Staphylolysinen, Typhustoxin 1 !, 2 ) usw.) und
findet sich in gleicher Weise bei Tuberkulösen und Tuoerkulosefreien.
Hierfür sollte man nicht die Bezeichnung „Allergie“, auch nicht reit
dem Zusatz „unspezifisch“ gebrauchen. Das führt zu unnötiger
Verwirrung. Unterschiede hinsichtlich der Stärke und Dauer der
Reaktion müssen natürlich auch bei Tuberkulosefreien wie bei Tuber¬
kulösen Vorkommen, da die unspezifische Reaktionsfähigkeit der Haut
von sehr verschiedenen Umständen abhängt. Ekzemkranke z. B.
reagieren ganz anders als solche mit Schuppenflechte, ein j,Lym-
phatiker“ anders als Gesunde, z. B. mit geringster Ichthyosis usw.
Hiernach scheinen mir die Schlußfolgerungen, die Selter aus
seinen Ergebnissen gezogen hat, nicht in jeder Hinsicht berechtigt.
Jedenfalls bieten Selters Ergebnisse auch keinen Anhaltspunkt für
die Annahme, daß die tuberkulöse Infektion bzw. Allergie die Re¬
aktionsfähigkeit der Haut gegenüber anderen Stoffen als Tuberkulin
wesentlich beeinflusse. Meine Ergebnisse sprechen unbedingt da¬
gegen, und Selter betont selbst, daß das vorübergehende Schwin¬
den der tuberkulösen Allergie nicht die Reaktionsfähigkeit z. B.
gegen Dysenterietoxin aufhebt
Die Erörterung der Frage, ob das Ausbleiben einer Intrakutan¬
reaktion auf 1 mg Tuberkulin schon genügt, bei sonst Oesunden
Tuberkulosefreiheit anzunehmen, würde hier zu weit führen.
Ebenso scheint mir die Frage noch nicht spruchreif, weder im
bejahenden noch im verneinenden Sinne, ob die Anwendung von
„Proteinkörpern“ bzw. eine sogenannte unspezifische Behandlung
bei der Tuberkulose nützlich oder schädlich ist. Selters Unter¬
suchungen sind wohl hierfür nicht ausreichend, und mir selbst
stehen genügende experimentelle Ergebnisse nicht zur Verfügung.
Ich möchte deshalb auf diese Frage nicht weiter eingehen.
») Arch. f. Dermal. 1910, 102. — ») D. m. W. 1911 Nr. 45. - *) M. m. W 1921 Nr <10
Digitized by
■v Google
Original from
CORNELL UNÜVERSrrf
686
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 21
Erwiderung auf Zielers Bemerkungen.
Von Prof. Dr. H. Selter in Königsberg i. Pr.
Zieler wendet sich an drei Stellen (außer in dem vorher¬
gehenden Aufsatz noch in der Zschr. f. Immun.-Forsch. und der Zschr.
f. Tbc.) gegen meine dort veröffentlichten Tuberkulosearbeiten. Da
die in der Zschr. f. Immun.-Forsch. aufgeführten Untersuchungen in
kurzem Auszug auch in der D. m. W. (1921, Nr. 11) mitgeteilt sind
und die von mir und Tancre in der Zschr. f. Tbc. veröffentlichte
Arbeit eine Fortsetzung der ersteren ist, will ich der Einfachheit
halber nur hier auf die Bemerkungen Zielers antworten.
Was den Vorwurf Zielers betrifft, daß ich seine Arbeiten nicht
berücksichtigt hätte, so muß ich gestehen, daß sie mir leider entgangen
sind; sonst würde ich sie sicher erwähnt haben, da sie eine wichtige
Stütze für meine Ergebnisse gewesen wären. Die Literatur über
Tuberkulin ist so überaus groß, daß es Mühe kostet, die ver¬
schiedenen Ansichten zu sichten und sie in einigermaßen zusammen¬
gehörige Gruppen zu bringen. Durch einen Doktoranden ließ ich
die wesentlichsten in der Literatur bekanntgegebenen Theorien über
Tuberkulin Wirkung zusammenstellen; in dieser Dissertation ist auch
auf die Untersuchungen Zielers eingegangen. Ich selbst suchte
mir vor allem die Arbeiten heraus, welche experimentelle Unter¬
suchungen an Tieren betrafen. Es kam mir in erster Linie darauf
an, die Versuche Bails über die passive Uebertragbarkeit der
Tuberkulinempfindlichkeit durch Ueberimpfung tuberkulösen Gewebes
nachzuprüfen, die von Bessau und A. v. Wassermann heute
noch als grundlegend angesehen werden. Ferner waren die Unter¬
suchungen von Matth es und Krehl über Albumosenwirkung und
von Sorgo über die Wirkung anderer Bakteriengifte auf den tuber¬
kulösen Organismus für mich wichtig, da sich hierauf die Theorie
von R. Schmidt von der Gleichartigkeit der Proteinkörper- und
Tuberkulin Wirkung stützt. Gerade die Verbreitung dieser Idee scheint
mir in der heutigen Zeit besonders gefährlich. Ich gebe zu, daß die
Beobachtungen Zielers bereits den Beweis für die spezifische Wir¬
kung des Tuberkulins gegenüber der unspezifischen Wirkung der
anderen Reizkörper erbracht und in einwandfreier Weise die Schlu߬
anwendung Sorgos widerlegt haben. Sorgo hat aber doch das
unbestreitbare Verdienst, daß er auf die Aehnlichkeit der Wirkung
der Bakteriengifte und des Tuberkulins aufmerksam gemacht hat.
Die Aehnlichkeit ist bei Anwendung entsprechender Mengen so groß,
daß es auch dem Fachmann schwer fallen dürfte, äußerlich die
beiden Reaktionen auseinanderzuhalten. Diese Erfahrung haben außer
uns noch Hollo und Amar 1 ) gemacht. Die Autoren sagen: „Intra¬
kutane Diphtheriereaktionen sind den Tuberkulinreaktionen überraschend
ähnlich. Es läßt sich im Einzelfall makroskopisch überhaupt nicht
unterscheiden, ob eine Diphtherie- oder eine Tuberkulinreaktion vor¬
liegt“, und an anderer stelle: „Es läßt sich also unleugbar fest¬
stellen, daß zwischen der Reaktionsfähigkeit verschiedener Personen
auf Tuberkulin und auf Diphtheriebouillon eine nicht zu vernach¬
lässigende Parallelität besteht.“ Moro und Stheemann 2 ) beob¬
achteten bei positiv auf Tuberkulin Reagierenden eine positive Reak¬
tion auf Atoxyl und sprechen von einem merkwürdigen Parallelismus
der beiden Reaktionen, der sich selbst auf den Grad der Reaktion
erstreckte. Schwache Tuberkulinreaktionen entsprachen im allgemeinen
schwachen Atoxylreaktionen und umgekehrt, ln ähnlicher Weise wie
ich fanden Ho 116 und Amar, daß die Diphtheriegiftreaktion mit
der Tuberkulinempfindlichkeit nichts zu tun hat, sondern auch bei
tuberkulosefreien Individuen auftritt. In meiner Arbeit in der D. m. W.
1922 Nr. 2 über die Bedeutung der tuberkulösen Allergie habe ich
in der Tabelle nur 10 herausgegriffene Fälle zusammengestellt, um
ein ungefähres Bild von den möglichen Verhältnissen zu geben.
Es sei mir gestattet, noch etwas näher auf diese Impfungen einzu¬
gehen. 94 Kinder im Alter von 3 bis 14 Jahren, die auf eine 1. Injek¬
tion von 0,1 mg Tubericulin (aufgeschlossene Tuberkelbazillen) negativ
reagiert hatten, erhielten 4 Tage später zu gleicher Zeit 1 mg Tuber¬
kulin, 1 mg Kolitoxin und 10 mg Pepton mit folgendem Resultat:
positiv negativ
Auf Kolitoxin reagierten.94 —
Auf Tuberkulin reagierten. 52 42
Auf Pepton reagierten. 28 66
Auf Kolitoxin reagierten demnach alle, auch die nicht Tuberkulin-
empfindlichen; bei den Tuberkulinempfindlichen waren die Koli-
reaktionen stets stärker als bei den nicht Empfindlichen und in
12 Fällen stärker als die Tuberkulinreaktion. Wenn man bedenkt,
daß hier von Tuberkulin und Kolitoxin gleiche Mengen (auf Bazillen¬
substanz berechnet) injiziert wurden, so ist die hohe Empfindlich¬
keit gegen Kolitoxin doch sehr auffallend 3 ). Auf Pepton reagierten
von den Tuberkulinempfindlichen nur 28; die Peptonreaktion war
stets sehr viel schwächer und am 2. Tage bereits aogeklungen. Von
den Tuberkulosefreien mit positiver Kolireaktion reagierte kein ein¬
ziger auf Pepton. Diese merkwürdigen Unterschiede in der Empfind-
lichkeit der einzelnen Menschen bedürfen noch der weiteren Auf¬
klärung. Das eine geht jedenfalls aus meinen Untersuchungen her¬
vor, daß der durch eine tuberkulöse Infektion allergisch gewordene
Organismus auch auf unspezifische Reizkörper empfindlicher reagiert
als der nicht tuberkulöse. Je größer die tuberkulöse Allergie, um so
l ) Beitr. z. Kilo. d. Tbc. 47, H. 3. - *) AL m. W. 1909 Nr. 28. - ») Es handelte sich
hier um klinisch gesunde Menschen, die verhältnismäßig wenig allergisch waren.
stärker auch die Empfindlichkeit gegen die anderen Reize. Diese
Untersuchungen könnten die experimentelle Grundlage für die Be¬
handlung der Tuberkulose mit unspezifischen Reizen bilden, wie sie
ja schon seit langem und anscheinend mit gutem Erfolg durch¬
geführt wird. Ich halte auch Röntgen- und Sonnenstrahlen für un¬
spezifische Reize, die in ähnlicher Weise wirken werden wie Protein¬
körper u. a. Das Tuberkulin als spezifischer Reizstoff wird aller¬
dings in seiner Wirkung wohl sicherlich den unspezifischen Reiz¬
stoffen überlegen sein.
In einem gebe ich Zieler recht, nämlich, daß man nicht vor.
einer natürlich vorhandenen unspezifischen Allergie gegen Bakterien¬
roteine sprechen kann, da wir Allergie als eine Veränderung des
is zur Infektion bestehenden Zustandes auffassen. Wir können
also die Reaktionsfähigkeit des tuberkulosefreien Organismus nur als
eine natürlich vorhandene Empfindlichkeit gegen solche Bakterien¬
proteine bezeichnen.
Die Behauptung Zielers in seiner Entgegnung in der Zschr. f.
Immun.-Forsch., daß von abgetöteten Tuberkelbazillen (die einem
tuberkulosefreien Organismus einverleibt werden) Stoffe in den Kreis¬
lauf übertreten und die Zellen des Körpers derart beeinflussen, daß
es an der Stelle einer Tuberkulinhautimpfung zu einer typischen allergi¬
schen Reaktion kommt wie beim tuberkulösen Menschen oder mi:
Tuberkelbazillen infizierten Tiere, glaube ich durch meine Unter¬
suchungen über die Wirkung abgetöteter Tuberkelbazillen (Zschr. t.
Hyg. 95 H.,2) widerlegt zu haben. Daß die Tuberkulinempfindlich¬
keit auf zellulären Eigenschaften beruht, ist wohl zuerst von Wasser¬
mann und Bruck und dann noch deutlicher von Bail 1910 aus¬
gesprochen worden. Auch der Gedanke, daß die Tuberkulinreaktion
keine Antigen-Antikörperreaktion im Sinne der Ehrlich sehen Theo¬
rie sein kann, ist außer von Zieler zu ungefähr gleicher Zeit noch
von mehreren anderen Autoren (Moro, Aronson, Sorgo,
F. Klemperer) betont worden. Durch meine Untersuchungen scheint
jedoch erst der Beweis für diese Ansicht erbracht zu sein.
Aus dem Ostkrankenhaus und dem Sanatorium am Kurfürsten¬
damm in Berlin.
Betrachtungen eines alten Praktikers über Salvarsan
und Quecksilber.
Von Prof. Kromayer.
Das Salvarsan hat sich neben dem Quecksilber als wichtigstes
Behandlungsmittel der Syphilis gehalten, trotz aller Anfeindungen und
trotzdem Ehrlichs Theorie, die Magna therapia sterilisans, sich für
die Salvarsanbehandlung der Syphilis als nicht zutreffend erwiesen
hat. Es vermindert auch den Wert des Mittels nicht, daß wir über
die Art seiner Wirkung auf die klinischen Erscheinungen der Syphilis
nicht mehr wissen als über die des Quecksilbers. Maßgebend für
seine Schätzung sind allein die klinischen Erfolge und Mißerfolge.
Für das Quecksilber, wie auch für das Salvarsan, stehen meines
Erachtens folgende klinische Tatsachen fest:
I. Beide bewirken schon in relativ geringen Dosen einen raschen
Rückgang der klinischen Erscheinungen der Syphilis, den man sehr
genau und sicher, besonders an der Haut beobachten kann.
II. Beide heilen, selbst in höchsten Dosen und durch lange Zeit
angewandt, nicht in jedem einzelnen Falle die Syphilis als solche
mit Sicherheit.
Das Quecksilber ist ein durch \Jahrhunderte bewährtes Sy¬
philismittel, von dem wir annahmen, dap es wenigstens in Vi aller
ut behandelten Fälle die Syphilis selbst: zur Heilung bringe. Aller-
ings fehlte uns für die Annahme der Beweis, denn in der vor-
salvarsanischen Zeit der reinen Quecksilberbehandlung gab es noch
keinen Wassermann, dessen dauernd negativer Ausfall eine Heilung
hätte anzeigen können. Wir wissen daher, auch heute nicht, in wie¬
viel Prozent der mit Quecksilber allein behandelten Fälle der Wasser¬
mann dauernd negativ wird oder werden kainn. Das ist eine bedauer
liehe Lücke in unseren Kenntnissen, die indessen keine Aussicht hat
alsbald und sicher ausgefüllt zu werden, da die Zahl der Aerzte
gering ist, die heute noch die Syphilis unter Ausschluß des $*V
varsans nur mit Quecksilber behandeln. Eine Statistik über einen
dauernd negativen Wassermann müßte aber auf ganz breite Basis
gestellt sein, um Vertrauen zu verdienen.
Das Salvarsan ist über ein Dezennium alt, etwas älter als die
Wa.R., die im ersten Jahre der SalvarsananWendung häufig schon
nach einer einzigen Injektion von der Posivität in die Negation um-
schlug und bei einigen Aerzten in 100o/o der Fälle negativ wurde,
nachdem einige Salvarsaninjektionen verabfolgt waren. Heute ist die
Wa.R. nicht mehr so gefällig, oder das Salvarsan nicht mehr so
wirksam, oder die Reaktion des Körpers eine andere geworden,
kurzum, jeder erfahrene Arzt dürfte wohl einige oder viele Syphilis¬
fälle zu registrieren haben, in denen trotz «Jusgiebiger Salvarsan-
anwendung die positive Reaktion positiv blieb und nicht negativ
wurde. ]
Nach unseren bisherigen Kenntnissen läßt Jich nicht entscheiden,
ob Salvarsan oder Quecksilber auf die Wa.Ry einen größeren Ein¬
fluß haben, und auch in Zukunft werden wir das nicht mit Sicher¬
heit beurteilen können, da Salvarsan und Quecksilber meist nicht
Digitized b
dGooglg,
Original from
CORNELL UNIVERSITY
J
26. Mai IQ22
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
687
allein, sondern zusammen angewandt werden, somit die Beurteilung
der isolierten Wirkung jedes einzelnen Mittels unmöglich ist.
Wenn somit aus den positiven Leistungen beider Mittel kein
sicherer Anhalt über die Entscheidung gefunden werden kann, wel¬
ches das wirksamere ist, so ist doch vielleicht aus den Neben¬
wirkungen eine Beurteilung möglich, welches das klinisch brauch¬
barere ist.
Das Quecksilber bewirkt oder kann bewirken: Stomatitis,
Enteritis (Durchfall) und fast stets eine mehr oder minder be¬
deutende Gewichtsabnahme. Todesfälle sind besonders bei Injektionen
unlöslicher Salze beobachtet worden.
Das Salvarsan macht weder Stomatitis noch Enteritis und ruft
zumeist eine Gewichtszunahme hervor, ist also in diesen Punkten
dem Quecksilber überlegen. Die zahlreichen Todesfälle bei Salvarsan-
behandlung sind meines Erachtens nicht ohne weiteres auf das
Konto „Salvarsan“, sondern wohl zumeist auf Konto „Magna thera-
pia sterilisans“ zu buchen, derzufolge möglichst große Dosen ge¬
geben wurden. Ich führe hierfür als Wahrscheinlichkeitsbeweis an,
daß ich in den beiden mir unterstellten Krankenhäusern unter den
vielen Tausenden Syphilitiker, die mit kleinen aber häufigen Sal-
varsandosen behandelt wurden, keinen Salvarsantodesfall zu beklagen
gehabt habe. Jetzt ist man von den großen Dosen ziemlich all¬
gemein abgekommen und verabfolgt kleine, aber häufige Dosen, wie
sie die bedächtigen Kliniker schon beim Beginn der Salvarsanära
gefordert haben, ohne natürlich im Sturm der Magna-therapia-steri-
lisans-Begeisterung sich Gehör verschaffen zu können.
Ebenso glaube ich, daß das Konto Salvarsan nicht mit den zahl¬
reichen Fällen der Neurorezidive zu belasten ist, die wir älteren
Aerzte bei der reinen Quecksilberbehandlung freilich nicht so kannten.
Ich glaube, daß auch hier die wenigen und großen Salvarsandosen
schuld sind, und führe wiederum als Wahrscheinlichkeitsbeweis dafür
an, daß ich selbst, der ich vom Anfang der Salvarsanbehandlung an
nie große Dosen, sondern stets kleine Dosen in häufiger Wieder¬
holung gegeben habe, kein „SaIvarsan“-Neurorezidiv in meiner
Klientel zu verzeichnen habe, und führe weiter dafür an, daß jetzt,
nachdem allgemein die großen Dosen verwarfen sind, wenig „Neuro¬
rezidive“ beobachtet werden.
Das Salvarsan weist außer den besprochenen noch einen weiteren
häßlichen klinischen Fleck auf, das sind die häufigen Dermatitiden.
In der Vorsalvarsanzeit gab es auch Quecksilbererytneme, sowohl bei
Schmierkuren wie auch bei subkutaner Applikation, und sie konnten
langwierig und recht unangenehm sein, aber sie waren selten. Jetzt
ist die Erythrodermia universalis ein häufiger und gefürchteter Gast
bei der Syphilisbehandlung. Auch für dieses glaube ich das Salvarsan
als solches nicht verantwortlich machen zu sollen, wenigstens nicht
allein, sondern mit ihm das Quecksilber, oder, wenn ich es genau
ausdrücken will, die zeitliche Kombination beider.
In den von mir geleiteten Krankenhäusern wurden durch eine
Reihe von Jahren hindurch die Quecksilber- und Salvarsaninjektionen
zeitlich zusammen gegeben, z. B. derart, daß in einer Woche an zwei
Tagen je eine Salvarsan- und an zwei anderen Tagen Quecksilber¬
spritzen appliziert wurden. Dermatitiden waren sehr häufig. Dann
wurde die Methode gewechselt. Zuerst wurde die Quecksilberkur
vorgenommen und nach einer kleinen Pause die Salvarsankur an¬
geschlossen, oder umgekehrt. Die Dermatitiden wurden selten, wenn
sie auch nicht völlig verschwanden. Ich nehme an, daß die Häufig¬
keit der Dermatitiden auf die gleichzeitige intensive Wirkung von
Salvarsan und Quecksilber zurückzuführen ist. Von vornherein sollte
man ja eigentlich eine Scheu davor haben, zwei stark wirkende Gifte
— wie es das Quecksilber und Salvarsan sind — gleichzeitig auf
den Körper loszulassen, wenn nicht aus allgemein theoretischen Er¬
wägungen, so doch aus dem einfachen Grunde, weil man bei ein¬
tretenden Schädigungen nicht weiß, welches der Mittel die Schä¬
digung veranlaßt hat, und infolgedessen auch nicht weiß, wie man
weiter therapeutisch Vorgehen soll. Ich halte daher die gleichzeitige
Anwendung von Quecksilber und Salvarsan für verfehlt. In dieser
Stellungnahme werde ich durch die zahlreichen Todesfälle bestärkt,
die im letzten Jahr, nach Anwendung der sogenannten Mischinjek¬
tionen, d. h. intravenösen Injektionen, bei denen ein Quecksilbersalz
und ein Salvarsanpräparat in einer Spritze gemischt werden, ein¬
getreten sind und die das Salvarsan von neuem zu diskretitieren ge¬
eignet sind, nachdem es in der Literatur von Salvarsantodesfällen
eine Zeitlang schon recht still geworden war.
Fasse ich das über das Salvarsan Gesagte zusammen,
so dürfte es dem Quecksilber nur unter der Voraussetzung als klinisch
überlegen anzusehen sein, daß alle die besprochenen Vorwürfe: Todes¬
fälle, Neurorezidive, Dermatitiden nicht dem Salvarsan selbst, sondern
seiner schlechten Anwendung zur Last zu legen sind. Wenn das der
Fall ist, so haben wir auch heute noch allen Grund, im Salvarsan
ein vorzügliches Syphilismittel mit Freude zu begrüßen, und können
es getrost der weiteren Zukunft überlassen, den Wert von Queck¬
silber und Salvarsan genauer gegeneinander abzugrenzen. Dabei
kann ich es allerdings nicht unterlassen, auf Folgendes hinzuweisen:
Die chemische Industrie hat das Bestreben, immer neue und bessere
Mittel zu finden, deshalb wird man dem Speyerhaus nicht verargen
wollen, daß von dort immer neue Salvarsanmittel herausgebracht
werden. Das Interesse des Arztes ist aber ein anderes. Er kann mit
seiner klinischen Erfahrung nicht so rasch der chemischen Erfindung
folgen. Wir Aerzte haben noch nicht Zeit gehabt, uns gründlich
mit dem Altsalvarsan, und nachdem dieses durch das Neosalvarsan
ersetzt worden war, mit diesem so zu beschäftigen und seine klini¬
schen Wirkungen und seine beste Anwendung zu erforschen, wie es
bei einem so differenten Mittel notwendig ist, und schon stürmt
eine Reihe neuer Salvarsanpräparate und neuer Anwendungsweisen
auf uns ein. Das nützt nicht, sondern verwirrt und schädigt nicht
nur unsere Sicherheit in der Behandlung, sondern vor allem unsere
Patienten.
Eine Quecksilberkur dauert etwa 4—5 Wochen, darüber hinaus
kann man bei energischer Applikation selten gehen, da der Kranke
hinfällig wird. Eine Neosalvarsankur, wie sie sich jetzt in weiten
Kreisen herausgebildet hat, wird auf 3—5 g Neosalvarsan als Ge¬
samtmasse gerechnet; 3mal zu 0,3 Neosalvarsan wöchentlich ge-
eben, bedingt sie ebenfalls 3—5 Wochen, wie auch die Quecksilber-
ur. Auch das Jod, das wir früher regelmäßig der Quecksilberkur
folgen ließen, wurde etwa 4 Wochen lang gegeben, desgleichen
dauerte die vorzüglich wirksame Zittmannkur etwa 4 Wochen. Diese
Uebereinstimmung in der Zeit scheint mir nicht zufällig zu sein.
Der Zeitraum von einigen Wochen genügt für eine energische
Einwirkung, wesentlich darüber hinaus versagt aber der Körper.
Wenn wir von so verschiedenen Maßnahmen, wie Quecksilber,
Salvarsan, Jod, diätetische Kuren, denselben klinischen Effekt auf
krankhafte Prozesse konstatieren können, so werden wir geneigt sein,
eine gleiche Art der Wirkung aller dieser Maßnahmen für wahr¬
scheinlich zu halten. Am auffallendsten ist die Wirkung der diäteti¬
schen Maßnahmen — Trink-, Schwitz-, Badekuren —, durch welche
Nieren, Darm, Hautsekretion und damit der ganze Stoffwechsel stark
gesteigert werden. Diese jetzt obsolet gewordenen Maßnahmen haben
eine sehr gute Wirkung besonders auf alte syphilitische Prozesse,
und ich erinnere mich mehrerer Fälle von Knochen- und Gelenk¬
syphilis, die auf Quecksilber und Jod nicht mehr reagierten, aber
durch die erwähnten Maßnahmen zum Rückgang gebracht wurden.
Hier kann natürlich von einer spezifischen Wirkung auf die Spiro¬
chäten nicht die Rede sein. Die Heilwirkung muß anders erklärt
werden.
Betrachtet man die Spirochäte histopathologisch, so ist sie ein
sehr unschuldiger Parasit im Vergleich zum Beispiel zu den Staphylo¬
kokken. Diese verursachen, sobald sie ins Gewebe eingedrungen
sind, eine heftige Entzündung, die zu Nekrose und Vereiterung führt
(Furunkel), während die Spirochäte wochenlang im Gewebe lebt und
sich vermehrt und erst dann eine schwache Gewebsreaktion hervor¬
ruft, die primäre Induration. Später benimmt sie sich noch be¬
scheidener, paßt sich dem Leben des Gewebes an, mit dem sie jahre¬
lang in Symbiose vereint ist, ohne häufig andere klinische Erschei¬
nungen hervorzurufen als den positiven Wassermann.
Damit stimmt gut überein, daß in vielen Fällen von Syphilis
Selbstheilung eintritt, ohne daß Quecksilber, Jod, Salvarsan an-
ewandt werden, und wir beobachteten denselben Vorgang der Selbst-
eilung bei den syphilitischen Veränderungen der Haut. Die Roseola
verschwindet fast regelmäßig ohne Kunsthilfe, aber auch das se¬
kundäre und tertiäre papulöse Exanthem heilt vielfach von selbst
ab, mit und ohne Hinterlassung von Narben.
Ist es da nicht verführerisch anzunehmen, daß die diätetischen'
Maßnahmen, durch die der gesamte Stoffwechsel beschleunigt wird,
als Unterstützung und Beförderung dieser schon vorhandenen Selbst¬
heilungstendenz wirken, und im weiteren Verfolg dieses Gedankens,
daß aas Quecksilber, das Jod, das Salvarsan ebenfalls in dieser
Richtung tätig sind.
Braucht man da noch eine spirochätozide Wirkung dieser Mittel,
und ist diese bei solchem Gedankengang nicht vielmehr überflüssig
und bei den eben besprochenen histopathologischen Vorgängen sogar
direkt unwahrscheinlich ?
Auch die histologische Struktur der syphilitischen Veränderungen
gibt zu denken. Sowohl in der Papel, wie im Gumma, wie besonders
im Primäraffekt ist die Lymphzirkulation äußerst gering, da alle
Bindegewebs- und Lymphspalten prall von dicht aufeinander ge¬
preßten neugebildeten Zellen ausgefüllt sind. Man kann sich nicht
gut vorstellen, daß irgendein Mittel in diese wohlverwahrten Spiro¬
chätennester in solcher Konzentration eindringen kann, daß diese
direkt abgetötet werden. Die Magna therapia sterilisans ist für die
Syphilis schon mit diesen pathologischen Befunden nicht gut vereinbar.
Die vorstehenden Erörterungen würde ich hier nicht angestellt
haben, wenn sie uns nicht einen Bedeutungsvollen Ausblick auf unser
therapeutisches Handeln gäben:
Wirken tatsächlich alle unsere antisyphilitischen Maßnahmen in
der Richtung, die schon vorhandene Selbstheilungstendenz unseres
Körpers gegenüber der Syphilis zu unterstützen, so kommt es gar
nicht so sehr darauf an, möglichst hohe Dosen eines Mittels zu
geben, sondern die Grenze einzuhalten, in denen erfahrungsgemäß
schon energische Wirkung eintritt, und diese Wirkung während meh¬
rerer Wochen möglichst gleichmäßig zu belassen.
Unter diesen Gesichtspunkten würden die subkutanen Injektionen
den intravenösen vorzuziehen sein, weil die subkutane Injektion all¬
mählich resorbiert wird, daher gleichmäßiger wirkt und eine längere
Remanenz im Körper verspricht; viele kleinere Injektionen werden
bessere Wirkung haben als wenige große, und die Schmierkur könnte
als das Ideal der Quecksilberapplikation gelten, weil sie die gleich¬
mäßigste Quecksilberresorption gewährt, wie sie auch, obgleich heute
obsolet, meines Erachtens doch noch die wirksamste ist.
Auf die Frage, ob durch die Einführung des Salvarsans der
Prozentsatz der geheilten Syphilisfälle vermehrt oder vermindert sei,
kann eine positive Antwort nicht gegeben werden, da, wie eingangs
auseinandergesetzt ist, in dieser Hinsicht der Wassermann nicht
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
688
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 21
herangezogen werden kann. Freilich haben wir noch einen anderen
Gradmesser: die spätsyphilitischen Erkrankungen der Gefäße, Nerven,
des Gehirns und Rückenmarks. Insbesondere dürfte die Paralyse,
deren Häufigkeit durch Irrenanstalten und Lebensversicherungen mit
derjenigen der Syphilisfälle in eine gewisse Korrelation zu bringen
möglich wäre, Rückschlüsse gestatten. Da die Paralyse am häufigsten
10—12 Jahre nach der syphilitischen Infektion auftritt, würden wir
für die Salvarsanbehandlung schon diese Zeit eingetreten sein. Da¬
bei wäre allerdings zu berücksichtigen, daß im Beginn der Salvarsan-
ära 0ie Anwendungsweise (einzelne möglichst große Dosen) denkbar
schlecht war, sodaß eine jetzt etwa festgestellte Vermehrung der
Paralysefälle nicht ohne weiteres dem Salvarsan als solchem, sondern
mit mehr Grund seiner schlechten Anwendung zuzuschreiben wäre,
wenn man überhaupt die supponierte Vermehrung der Paralysefälle
mit dem Salvarsan und nicht etwa mit anderen Ursachen, die doch
auch vorhanden sein können, kausal verbinden wollte.
Auf eine für diese Fragen brauchbare Paralysestatistik werden
wir aber wohl noch lange warten dürfen, entscheiden müssen wir
uns aber sofort, ob wir Salvarsan anwenden wollen oder nicht.
Mein Standpunkt ist folgender:
Das Quecksilber beseitigt die syphilitischen Erscheinungen schnel¬
ler und sicherer als einfache diätetische Maßnahmen, folglich ist es
ein Fehler, wenn man aus irgendwelchen unsubstanzierten theore¬
tischen Erwägungen heraus Quecksilber nicht verwendet; das Gleiche
gilt für das Salvarsan.
Ich will aus den vorstehenden Betrachtungen die
Konsequenzen für unser praktisches Handeln im Fol¬
genden ziehen:
1. In jedem Syphilisfalle sind — falls nicht etwa besondere
Kontraindikationen bestehen — sowohl Quecksilber wie Salvarsan
anzuwenden.
2. Quecksilber und Salvarsan sind in häufigen kleinen Dosen,
nicht in wenigen großen zu applizieren.
3. Quecksilber und Salvarsan sind nicht zeitlich gemeinsam,
sondern zeitlich getrennt voneinander anzuwenden, derart, daß die
Quecksilberkur der Salvarsankur vorangeht oder umgekehrt.
4. Es kommt nicht darauf an, möglichst viel Quecksilber oder
möglichst viel Salvarsan zu geben, sondern es kommt darauf an,
mehrere Wochen hindurch eine möglichst gleichmäßige Wirkung
beider Mittel zu erzielen in einer Stänce, die erfahrungsgemäß zum
raschen Verschwinden der syphilitischen Produkte genügt.
5. Aus diesem Grunde dürfte die Schmierkur die beste Queck¬
silberapplikation und die subkutane Injektion löslicher Quecksilber¬
salze der intravenösen vorzuziehen sein.
6. Die in letzter Zeit zur Mode gewordenen intravenösen „Misch-
injektionen“ sind kontraindiziert
Der Fortschritt unserer Erkenntnis geht in langsam steigenden
Spiralen, und häufig entfernen wir uns von einer schon gewonnenen
Wahrheit, um zu ihr auf einer höheren Erkenntnisstufe wieder zurück¬
zukehren. Die Entdeckung des Salvarsans hatte die klinische Beob¬
achtung und Beurteilung aus ihrem Geleise geworfen. Beide sollen
aber auch gegenüber einer noch so glänzenden chemisch-pathologisch-
experimentellen Forschung für den Arzt die alleinige Richtschnur
seines Handelns abgeben.
Aus der Medizinischen Universitätsklinik in Leipzig.
(Direktor: Geh.-Rät v. Strümpell.)
Anatomisch-physiologische Grundlagen der Bogenunter¬
teilungen des Zwerchfelles im Röntgenbilde.
Von Dr. Erich Thomas, Assistenzarzt.
Bei der Durchleuchtung der Brustorgane mittels sagittaler Röntgen¬
strahlen sind die beiden Lungenfelder unten von den Zwerchfell¬
wölbungen begrenzt, deren rechte in fast ganzer Breite zu übersehen
ist und in der Regel etwas höher steht als die linke. Bei der Atmung
bewegen sich die Bögen unter Beibehaltung ihrer regelmäßigen
Rundung ab- und aufwärts. Unter besonderen Umständen jedoch
kommt es an den Zwerchfellbögen zu Unregelmäßigkeiten ihrer
Schattenkonturen und ihres Bewegungsablaufes. Allgemein bekannt
sind die durch Verwachsungen des Diaphragmas mit der Brustwand
oder der Lungenoberfläche hervorgerufenen Kontur- und Bewegungs¬
störungen, die je nach ihrem Sitz und ihrer Ausdehnung verschiedene
Bilder auf dem Röntgenschirm machen (mindere Entfaltung der
Rippenzwerchfell- und Mediastinumzwerchfellwinkel, Zurückbleiben
oder Stillstand des ganzen Zwerchfelles oder von Teilen desselben bei
der Atmung, zuweilen in Form „zeltförmiger Ausziehungen“, Ver¬
ziehungen des Herzens usw., um nur die häufigsten Erscheinungen
zu nennen). Im Nachfolgenden möchte ich kurz über ein weiteres,
schon von anderer Seite mehrfach beobachtetes und beschriebenes
Zwerchfellphänomen berichten, dem man bei darauf gerichteter Auf¬
merksamkeit ziemlich häufig begegnet. Es ist dies eine Zwei¬
teilung oder in seltenen Fallen mehrfache Einkerbung der
Zwercnfellkonturen, insbesondere der rechten, in einen medi¬
alen, dem Herzschatten angelehnten, runderen Bogen und einen
flacheren, lateralen Bogen, die beide in der Regel etwa in der Mitte
des Gesamtbogens oder etwas weiter nach außen oder innen in
einem gegen das Abdomen zu einschneidenden, stumpfen Winkel an¬
einander stoßen. Meist lassen sich an dieser Stelle die Schatten¬
konturen beider Bogenhälften, sich gegenseitig überkreuzend, noch
eine Strecke weit in den Schatten des anderen verfolgen. Am linken
Zwerchfell läßt sich — wenn auch viel seltener una weniger deut¬
lich — die gleiche Einkerbung der Zwerchfellbögen wahmehmen.
Man begegnet diesen Bogenunterteilungen in sehr vielen Fällen,
hauptsächlich aber bei bestehender Tracheal- und Bronchostenose
verschiedener Aetiologie (syphilitische Narben, Tumoren), bei schrump¬
fenden Prozessen des Lungengewebes (chronisch zirrhotische Lungen¬
tuberkulose), bei Lungengangrän usw., aber auch ohne krankhaften
Befund an den Lungen oder Zwerchfell bei schnellen und tiefen In¬
spirationsbewegungen.
Ueber die Aetiologie dieses Phänomens bestehen verschiedene
Anschauungen. Teils wurden Verwachsungen zwischen Zwerchfell
und Herzbeutel und dadurch bedingte Verzerrungen angenommen,
teils wurde eine isolierte stärkere Vorwölbung des Centrum tendineum
an seinem Uebergang in die Muskulatur infolge erhöhter intrathora¬
kaler Ansaugung als Ursache angesehen, teils wurden Muskeleinflüsse
dafür verantwortlich gemacht, ohne daß jedoch eindeutige Angaben
über die Entstehung dieser Bogenunterteilung der Zwerchfell¬
wölbungen bestehen.
Auf Grund röntgenologischer Beobachtungen und anatomischer
Untersuchungen sehe ich in dem Prävafieren bestimmter
Muskelabschnitte die Ursache dieses Phänomens. Nach
meinen eigenen Messungen sind die von den 8. und 9. Rippenknotpein
entspringenden Muskelbündel der Pars costalis des Zwerchfelles die
längsten sämtlicher Muskeln, wie dies auch schon den Anatomen be¬
kannt ist (Eisler). Sie steigen von seitlich- vom — unten etw r a an der
Knorpelknochengrenze ziemlich schräg nach hinten — oben und medial-
wärts an (Keith), und ihre kurzen Sehnenfasern strahlen in die
Seitenlappen des Centrum tendineum dicht hinter dem Durchtritt der
Vena cava inferior, diese hinten umgrenzend, ein und verbinden sich
hier mit den Sehnenfasem der am kräftigsten entwickelten Muskel¬
abschnitte des Lendenteiles, dem Crus mediale (Eisler). Die von
dem 7. Rippenknorpel abgehenden Muskelfasern sind erheblich
kürzer, die von der 10. bis 12. Rippe sind etwas kürzer als die
der 8. und 9. Rippenportion. Außerdem findet sich im Zwerchfell an
der Grenze zwischen den Muskelfasern der 7. und 8. Rippenportion
sehr häufig eine deutlich ausgebildete, schmale, muskelfreie Lücke, in
welcher Blutgefäße und Nerven von dem Foramen quadrilaterum her
nach der Peripherie zu verlaufen. Etwa 1—2 Quertinger vom Zen¬
trumssehnenrand entfernt klafft diese Lücke am breitesten. Hinter
dieser muskelarmen Stelle des Zwerchfelles verlaufen die längsten
Muskelfasern der gesamten Pars costalis, die 8. und 9. Muskelportion.
In der Regel weisen diese untereinander keine wesentlichen Muskel¬
lücken auf, jedoch sind die Randabschnitte der Muskelbündel etwas
schwächer als ihre zentralen Züge.
Bei einer kräftigen Zusammenziehung von untereinander ver¬
schieden langen Muskeln ist die Verkürzung der längsten Fasern
gegenüber den kürzeren absolut am stärksten und deshalb am ein¬
drucksvollsten (Hofbauer und Holzknecht). Diese Tatsache fin¬
det auch am Zwerchfellgewölbe ihren Ausdrude, indem im Bereiche
des Muskelabschnittes der 8. und der sich ihr nach hinten an¬
schließenden 9. Rippe bei kräftiger Kontraktion der gesamten Zwerch¬
fellmuskulatur eine seichte, muldenförmige Eindellung des muskulären
Wölbungsbereiches entsprechend der eindrucksvolleren Verkürzung
dieser Fasern erfolgt. Die hierdurch entstehende flache Furche zieht
von der Knorpelknochengrenze der 8. Rippe vorn seitlich nach oben
und hinten gegen den hinteren Umfang der Vena cava zu. Bei der
gewöhnlich angewandten dorso-ventralen Durchleuchtungsrichtung des
Brustkorbs verläuft diese langgestreckte Eindellung somit schräg zu
den das Zwerchfellgewölbe sagittal tangierenden Röntgenstrahlen. Das
von vorn nach hinten längsovale, recht- bzw. linkseitige Zwerchfell-
ewölbe wird somit durch die dominierende Kontraktionswirkung
er Muskelbündel der 8. und bzw. der 9. Rippenportion und deren
Einsenkung unter die Wölbungshöhe in einen vorderen, medianen
kleineren Bereich und einen hinteren, unteren und etwas nach außen
verschobenen größeren Wölbungsbereich differenziert, wovon man
sich am Röntgenschirm leicht überzeugen kann, indem man bei Durch¬
leuchtung des Untersuchten im Vomübemeigen und bei tiefem Röhren¬
stande nur den letzteren Bereich in ganzer Breite als flachgewölbten
Bogen übersieht, während bei Rückwärtsneigen und hohem Röhren¬
stand der erstere, mehr steiler gewölbte Abschnitt vorn und medial
hervortritt. Von dem Bestehen eines vorderen, höheren und eines
hinteren, tieferen Wölbungsbereiches des Zwerchfelles kann man sich
auch bei frontalem Strahlengang überzeugen. Der nach vorn zu, also
im Herzschattenprofil gelegene Zwerchfellkuppelbereich ist auf kleiner
Basis stark aufwärts gerundet und macht im Inspirium nur geringe
Exkursionen nach unten im Gegensatz zu dem Profil des hinteren,
ausgedehnteren Zwerchfellbereiches, der inspiratorisch steil abfallend
nach unten und dabei auch etwas nach vorn beträchtlich tiefer
tritt. Bei genauer Beobachtung in frontaler Durchleuchtungs¬
richtung sieht man in ausgeprägten Fällen häufig hinter dem
Durchtritt der Vena cava inferior eine isolierte fladie Eindellung
des Zwerchfellschattenprofiles, die der Ausdruck der prävalieren¬
den Muskelkontraktion der 8. und bzw. 9. Rippenfasem einerseits
und des Zuges des staiicen, ihnen synergisch zugeordneten C*us
mediale der Lumbalportion anderseits ist. Man kann also in den
Muskelbündeln der 8. und 9. Rippenportion gewissermaßen den ko¬
stalen Zwerchfellpfeiler 9ehen in Analogie zu dem lumbalen Zwerch¬
fellpfeiler (Crus mediale).
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSITV
26. Mai 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
689
Die physiologische Voraussetzung für die Entstehung einer der¬
artigen Differenzierung in eine vordere, obere, mediane und in eine
hintere, mehr laterale, tiefere Zwerchfellwölbung ist eine Minderung
des bestehenden, negativen intrathorakalen Donderssehen Druckes
(Hofbauer und Holzknecht, Aßmann). Wie oben schon an¬
geführt, habe ich das Phänomen der Unterteilung der Zwerchfell-
bögen bei den verschiedenartigsten Erkrankungsprozessen, vor allem
bei Tracheal- und Bronchialstenosen, bei chronisch-zirrhotischen tuber¬
kulösen Schrumpfungsprozessen in den Oberlappen der Lungen, bei
Lungengangrän und ähnlichen Erkrankungen gesehen. In nicht ganz
seltenen Fällen kann man auch bei ganz gesunden Personen bei
tiefen, schnellen und kräftigen Inspirationsbewegungen die gleiche
Wahrnehmung machen. Der allen diesen verschiedenartigen Zuständen
gemeinsame Faktor ist die stärkere Herabsetzung des rfegativen
Donders sehen Druckes, zu dessen Ueberwindung kräftigere Atem¬
muskelarbeit notwendig ist. In einem Teil der Fälle (Tracheal- und
Bronchusstenosen) erfolgt die tiefere Senkung desselben hauptsäch¬
lich durch die im Inspirium erschwerte Füllungsmöglichkeit der Lungen
mit Luft. Die reflektorisch oder willkürlich vermehrten inspiratori¬
schen, sowohl von den Brustmuskeln wie von der Zwerchfellmuskulatur
beigestellten Kräfte erweitern die umschlossenen Lungen kräftiger und
stäncer. Infolge des erschwerten Lufteinströmens vermag „die Lunge
der durch die kräftige Inspirationsbewegung intendierten größeren
Thqraxkapazität nicht genügend schnell zu folgen“ (Holzknecht).
Die Folß^e dieser Binnendruckerniedrigung im Thorax ist eine erhöhte
Saugwincung, die auf sämtliche die Lungen, begrenzenden Flächen
einwirkt. Dies kann man schon äußerlich an den Einziehungen der
schwächeren Rippenzwischenmuskeln und der Jugulargrube feststellen.
Am Röntgenschirm findet diese in dem Zurückbleiben bzw. sogar in
einem geringen Nachobensteigen des vorderen medialen, muskel¬
schwächeren Zwerchfellabschnittes, insbesondere im Bereich der
Muskellücke zwischen 7. und 8. Rippenportion, ihren Ausdruck. Der
hintere, größere, allseitig von kräftigeren Muskelfasern herabgezogene
Zwerchfellteil hält dieser Saugwirkung nicht nur stand, sondern er
vermehrt sie sogar, da er als kräftiger Inspirationsmuskel die Thorax¬
höhe vergrößert. Bei Lungenschrumpfungsprozessen in den oberen
und mittleren Lungenpartien ist es wohl weniger der erschwerte Luft-
ausgleich wie bei Verengerungen der luftzuführenden Wege, sondern
das vom Lungengewebe selbst ausgehende erhöhte Retraktions¬
bestreben, das stärker ansaugend auf die Thoraxwandungen wirkt.
Die für gewöhnlich im physiologischen Gleichgewicht befindlichen,
elastischen Fasern der Lunge werden infolge von Schrumpfungs¬
vorgängen in einzelnen Absamitten derselben gedehnt und dadurch
bis nahe an die Grenze ihrer physiologischen Ausdehnungsfähigkeit
in Anspruch genommen. Bei tiefen Inspirationsbewegungen werden
diese nun noch mehr ausgezogen. Die Ueberwindung dieser schon
durch die Schrumpfungsvorgänge teilweise in Beschlag genommenen,
latent angespannten Retraktionskraft der Lungen erfordert im In¬
spirium stärkere Muskelanspannungen. Die kürzeren vorderen, me¬
dianen Zwerchfellabschnitte bleiben deswegen im Inspirium gegen¬
über dem kräftigen dorsalen Zwerchfellabschnitt zurück. Unter Um¬
ständen können sie sogar im Bereich von besonders muskelschwachen
Stellen (Lücke zwischen 7. und 8. Rippenportion) von der Retraktions¬
kraft der Lungen nach oben zurückgehalten oder angesogen werden.
Im Bereich der längsten Rippenmuskeln (8. bzw. 9. Rippenportion) und
der ihnen zugeordneten stärksten Lumbalmuskeln erfolgt dagegen
deren Ueberwindung am eindrucksvollsten. Dies kommt vor dem
Röntgenschirm in einer Abflachung (ganz leichte Fälle) bzw. in der
Ausbildung einer Einkerbung, lateral von der höchsten Bogenkuppel
am Zwerchfellbogen, zum Ausdruck. Als Beweis dieser stärkeren
Dehnung im Bereiche der Zwerchfelleinkerbung ist das Lungengewebe
vielfach heller als medial davon über dem stark gerundeten Kuppel¬
bogen, die Kontur des lateralen Bogens mitunter wenig scharf, aa er
weiter dorsalwärts verläuft als der mediane, plattennahe. Das Lungen-
erüst (Blutgefäße und Bronchien) hat keir\e näheren Beziehungen zu
er medianen Kuppelbildung,, sondern liegt größtenteils hinter ihr,
wie frontale Durchleuchtungen und Aufnahmen zeigen.
Der im sagittalen Röntgenbilde median neben dem Herzschatten
weit vom gelegenen Zwerchfellwölbungskuppel liegt in fast ganzer
Breite Muskulatur zugrunde, und nur in einem kleinen Bereich un¬
mittelbar neben dem Herzschatten wirkt das Centrum tendineum
selbst randbildend. Nur in ganz seltenen Fällen reicht das Centrum
tendineum auch etwas weiter lateralwärts, sodaß es auch über die
Höhe der Wölbungskuppel nach außen hinüberreicht. Die Ein¬
kerbung erfolgt jedenfalls stets im Bereich von Muskulatur und ent¬
spricht nicht der Grenze zwischen ihr und dem Centrum tendineum.
In zahlreichen Fällen konnte ich durch die horizontale Einführung
langer Nadeln an der sitzenden Leiche von vorn und der Seite in
verschiedenen Höhen des vermuteten Zwerchfellkuppelstandes fest¬
stellen, daß der vordere Diaphragma wölbungsbereich bis zur höchsten
Stelle hinauf fast immer von Muskulatur wie das übrige Zwerchfell-
gewölbe, das seitlich randbildend wirkt, gebildet ist. Die Zentrum¬
sehne selbst nimmt nur einen schmalen, direkt dem Herzen anliegen¬
den Abschnitt ein, der außerdem noch zum größten Teil auf der
dem Beobachter abgelegenen Wölbungsfläche des Zwerchfells bei
sagittalem Strahlengang für gewöhnlich zu liegen kommt. Denn der
fast allseitig von kräftigen Muskeln herabgezogene, hintere Zwerch¬
fellbereich zieht die seitlichen Teile des MittelTappens der Zentrum¬
sehne nach hinten und unten, sodaß die Zentrumsehne hierdurch
noch mehr dem Blicke von vorher entzogen wird und nicht in
größerer Ausdehnung randbildend wirken kann.
Bei dorso-ventraler Durchleuchtung des Brustkorbes hat man sich
immer gegenwärtig gehalten, daß die Zwerchfellbogenkonturen durch¬
aus nicht in einer Frontalebene gelegenen Wölbungspunkten ent¬
sprechen, sondern daß deren Kuppelhöhe etwa an der Grenze zwischen
7. und 8. Rippenportion ziemlich weit vorn und medial gelegen ist
und daß lateral sich anschließend weiter dorsal im Thoraxraum ge¬
legene Zwerchfellwölbungspunkte abgebildet werden. Die dem er-
öfrneten phrenikokostalen Winkel anliegende Zwerchfellpartie wird
von den schräg nach hinten oben ansteigenden Fasern der 10. Rippe
f ebildet, während die noch weiter dorsal ziehenden Muskelzüge der
1. und 12. Rippenportion bei sagittalem Strahlengang nicht rand-
bildend sichtbar sind. Dagegen werden sie bei schrägen und fron¬
talen Durchleuchtungen von den Röntgenstrahlen getroffen.
Begünstigt wird diese bei vermehrtem negativen intrathorakalen
Druck an der lateralen Zwerchfellwölbungsfläche sich ausbildende
Einkerbung noch durch den medianwärts und nach unten gerichteten
Zug des sehr starken lumbalen Zwerchfellpfeilers, der rechts be¬
sonders kräftig entwickelt ist und an den gleichen Fasern des Cen¬
trum tendineum wie die 8. und 9. Rippenportion inseriert. Hierdurch
wtfd das von vorn nach hinten verlaufende Längsgewölbe der rechten
Zwerchfellhälfte etwa in seiner Mitte hinter dem Durchtritt der
Vena cava inferior nach der Wirbelsäule zu verzogen und somit wohl
die Ausbildung einer Einsenkung an der Zwerchfeuaußenfläche weiter¬
hin begünstigt. Diese oben genannten Veränderungen der Zwerch¬
fellgewölbe durch Muskelkontraktionen sind auch von ursächlicher Be¬
deutung für die Entstehung der den Anatomen bekannten sogenannten
Zwerchfellfurchen der Leber. Es sind hierbei aber außer den an-
eführten noch andere komplizierte Verhältnisse zu berücksichtigen,
ie an anderer Stelle erörtert werden sollen.
Bei genauer Beobachtung der Zwerchfellbewegungen lassen sich
bei stärkerer Inanspruchnahme derselben — die bei jeder vertieften
Einatmungsbewegung unter den oben genannten pathologischen Be¬
dingungen in verstärktem Maße vorhanden ist — alle uebergänge
von zunächst nur geringem Zurückbleiben oder stärkerer Empor¬
wölbung der vorderen medianen Partien des Zwerchfelles bis zur
ausgesprochenen tiefen Einkerbung im Bereich der Bogenmitte ver¬
folgen. Es kommt somit zu einer deutlich sichtbaren Differenzierung
der Zwerchfellwölbung in eine vordere mediane und eine hintere
tiefere Zwerchfellpartie durch das Prävalieren der Muskelkräfte des
8. und anschließenden 9. Rippenabschnittes, welche rechts fast immer
deutlicher angeprägt ist als links. Dies beruht auf der kräftigeren
Entwicklung der Muskulatur rechts, besonders im Lumbalteile, ferner
auf der durch den Durchtritt der Vena cava inferior geschaffenen
Sehnenfasertrennung zwischen seitlichem und mittlerem Zentrum¬
lappen. Am linken Zwerchfell tritt die gleiche Einkerbung des Bogens
auf, doch ist sie weniger markant, da der mediane Bogenabschnitt
nicht so stark nach oben über den lateralen treten kann, denn es lastet
auf ihm in mehr oder minder großer Ausdehnung die Herzspitze. Die
Ausbildung dieser Unterteilung links wird noch dadurch unterstützt,
daß durch eine große Magenblase der unter dem Zwerchfell herr¬
schende Druck gesteigert wird, zu dessen Ueberwindung größere
Muskelanspannungen sich notwendig machen, die ja die Ursache für
die Entstehung der Einkerbungen bilden. Außer dieser markantesten
Einkerbung, die der 8. Rippenportion des Zwerchfells entspricht, sind
bisweilen auf beiden Seiten mehrfache Einkerbungen der Bogen¬
kontur sichtbar, die weiter lateral und dorsalwärts gelegen sind. Sie
entstehen in ähnlicher Weise wie die vorher genannten, durch iso¬
lierte Kontraktion der einzelnen Muskelabschnitte. Die in der Mitte
des Zwerchfellbogens gelegene Eindellung entspricht der Kontraktion
des 8. Rippenabschnittes, die zweite, nach der seitlichen Thoraxwand
tiefer und im Raume weiter hinten gelegene Einkerbung ist auf die
Zusammenziehung der Fasern des 9. Rippenabschnittes zu beziehen.
Für gewöhnlich jedoch kontrahieren sich die 8. und 9. Rippenportion
nicht voneinander isoliert, da sie gleicher Länge sind und zwischen
sich an ihrer Berührungsseite keine Lücken aufweisen.
Von der Richtigkeit dieser durch Muskelkraft hervorgerufenen
Einkerbungen konnte ich mich auf zwei verschiedenen Wegen über¬
zeugen. So gelang es in geeigneten Fällen, durch Reizung des
Zwerdifells mit faradischem Strom die gleichen Einkerbungen hervor¬
zurufen, wie dies auch schon Henszeimann beschrieben hat. Zum
anderen sah ich im Anschluß an eine Milzexstirpation, wo das linke
Hypochondrium frei zu überblicken war und auch der atmosphärische
Luftdruck auf dem Zwerchfell lastete, das schon durch die Retraktions¬
kraft des Lungengewebes nach oben emporgewölbt wurde, die ein¬
zelnen Muskelabschnitte sich kontrahieren. Ganz besonders stark ver¬
kürzten sich dabei die Fasern der 8. und 9. Rippenabschnitte. Sie
sprangen^ am stärksten gegen den Bauchraum in Form flachrunder
Muskelwülste hervor, wobei die Randpartien der aneinanderstoßenden
Muskelabschnitte stärker gegen den Thoraxraum angesogen wurden
und zurückblieben; der nach vom zu gelegene Muskelabschnitt der
7. Rippe machte nur ganz geringe Exkursionsbewegungen. Zweifache
Unterkerbungen an der rechten Zwerchfellkontur habe ich auch ver¬
schiedene Male bei Röntgendurchleuchtungen und auf Aufnahmen ge¬
sehen. Sie entsprechen dann, wie oben erörtert, den mehr von¬
einander isolierten, sich einzeln kontrahierenden Muskelbündeln der
8. und der 9. Rippenportionen. Verwachsungen der Diaphragmen mit
der Brustwand und der Lunge beeinträchtigen die Entstehung dieser
Wölbungsveränderungen.
Znsanunenfassiing. Abweichungen von der regelmäßigen Rundung
des Zwerchfellbogens im Röntgenbilde haben, abgesehen von den
durch pleuritische Adhäsionen nervorgerufenen Formveränderungen,
Digitized by
Gck igle
Original fro-m
CORNELL UNiVERSSTV
690
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 21
ihren Grund im anatomischen Bau des Zwerchfells und bestimmten
physiologischen Verhältnissen. Anatomisch ist hierfür besonders die
größere Länge einzelner Muskelfasern (8. und 9. Rippenportion) und
die durch ihre Kürze bedingte relative Schwäche der medialen und vor¬
deren gegenüber den stärkeren lateralen und dorsalen Muskelabschnitten
hervorzuheben. Eine besonders schwache Stelle findet sich am Dia¬
phragma im Bereiche einer fast regelmäßig vorhandenen Muskellücke
zwischen der 7. und 8. Rippenportion. Unter den physiologischen Zu¬
ständen, die das Auftreten der Bogenteilung begünstigen, ist besonders
eine weitere Herabminderung des negativen endothorakalen Druckes zu
nennen. Diese tritt schon unter normalen Verhältnissen bei schnellen
und tiefen Inspirationsbewegungen ein. Dementsprechend wird hierbei
nicht selten eine Bogenteilung beobachtet. Noch stärker ist die Er¬
niedrigung desselben und demzufolge noch tiefer die Bogenteilung im
Inspirium bei solchen pathologischen Zuständen der Luftwege und
Lungen, welche die Ausdehnung der letzteren beeinträchtigen, so bei
Tradieal- und Bronchusstenose, bei Schrumpfungsprozessen der
Lungen usw. Es ist nicht angängig, aus der genannten Bogenteilung
und einer stärkeren Hervorwölbung der medialen Zwerchfellbogen¬
abschnitte auf eine spezifische Erkrankung der Lungen zu schließen.
Assmann, Erfahrungen der Röntgenuntersuchung der Lungen. Arbeiten aus der
Medizinischen Klinik in Leipzig. Jena 1913; Die ROntgendiagnostik der inneren
Krankheiten. Leipzig, Vogel 1921. — De la Camp, Zschr. f. klin. M. 1903,49. —
Duken, M. m. W. 1920 Nr. 3. — Eisler, Zwerchfell. In Bardeleben, Handbuch der
Anatomie des Menschen, II, 2, 1. — Eppinger, Allgemeine und spezielle Pathologie
des Zwerchfells. Wien und Leipzig 1911. — Frick, D. m. W. 1921 S. 943. — Götze,
M. m. M. 1918 S. 1275. —Henszelmann, W. kl. W. 1914 S. 1103. — Hof bau er und Holz¬
knecht, Zur Physiologie und Pathologie der Atmung. Mitt. Lab. radiol. Diagn. H. 2.
Jena 1907. — Jamin, In Groedel, Röntgendiagnostik der inneren Medizin 1921. —
Keith, The Lancet. 1903S. 631.
Zur Behandlung der Lungengangrän mit besonderer
Berücksichtigung der Salvarsantherapie.
Von Dr. Fr. Peem&ller,
früher Assistenzarzt der Medizinischen Universitätsklinik,
zur Zeit Leitender Arzt des Instituts für physikalische Therapie
in Hamburg-Eppendorf.
Bei der rein internen Behandlung der Lungengangrän starben nach
früheren Statistiken mindestens Vs sämtlicher Patienten. Villip re
(zitiert nach Garre) berechnet bei der internen Therapie des Lungen¬
brandes eine Mortalität von 75—80%. Von den 20—25% Ueber-
lebenden verfielen die meisten dem dauernden Siechtum, und nur
ganz vereinzelte Fälle kamen zur vollständigen Ausheilung.
Eine Zusammenstellung der 1897—1900 in den Berliner Kranken¬
häusern intern behandelten Gangränfälle ergab bei einer Gesamtzahl
von 133 Kranken eine Mortalität von 64,6 o/o und Heilung bei 10%
(zitiert nach Mohr-Staehelin). Von den übrigen 25,4% der
Kranken, die zum Teil als gebessert oder als ungeheilt entlassen wur¬
den, wird sicherlich noch ein ganz erheblicher Prozentsatz später an
den Folgen des Lungenbrandes zugrundegegangen sein.
Was hat sich nun an diesen Zahlen bisher geändert? Dazu schreibt
Beitzke im Lehrbuch der pathologischen Anatomie von Asch off:
„Spontanheilungen einer Lungengangrän kommen nicht häufig und nur
bei nicht allzu großer Ausdehnung vor, gewöhnlich führt das Leiden
zum Tode“, und Kaufmann: „Meist führen Eiter und Gangränherde
in der Lunge bald zum Tode, selten zur Abkapselung und Umwand¬
lung in schrumpfendes Bindegewebe. Manchmal erfolgt Entleerung
eines Herdes in einen Bronchus.“
Noch pessimistischer drückt sich Strümpell durch folgende
Worte aus: „Vollkommene Heilungen sind, wenn sie überhaupt Vor¬
kommen, gewiß äußerst selten.“
Auch wir haben am Allgemeinen Krankenhause Hamburg-Eppen¬
dorf bei unserem großen Material die Erfahrung gemacht, daß
Spontanheilungen der Lungengangrän nur äußerst selten sind, daß da¬
gegen Lungenabszesse häufiger durch Perforation in einen Bronchus
in Heilung übergehen. Erst 1920 schrieb W. Weis in einer Arbeit
über die Salvarsanbehandlung der Lungengangrän, die ebenfalls der
Direktorialabteilung des Allgemeinen Krankenhauses Hamburg-Eppen¬
dorf entstammt: „Beim Lungenabszeß kann man sich eher abwartend
verhalten; denn gerade in letzter Zeit haben wir mehrfach außer¬
ordentlich umfangreiche Lungenabszesse spontan zur Ausheilung
kommen sehen.“
Auch H. Schulze und G. Klemperer sind der Ansicht, daß
Lungenabszesse oft in zahlreichen Fällen nach langwierigem, erschöp¬
fendem Verlauf durch Perforation spontan ausheilen.
Doch wenn diese beiden Autoren für die Lungengangrän wie für
den Lungenabszeß die gleiche Prognose stellen wollen, weil man ia
bekanntlich histologisch keine scharfe Grenze zwisdien diesen Affex-
tionen ziehen kann, was aus ihren kurzen kritischen Bemerkungen
gegenüber Fr. Hirsch nicht klar hervorgeht, so möchte ich noch¬
mals hervorheben, und in diesem Punkte kann ich mich vollkommen
Alsberg anschließen, daß nach unseren Erfahrungen die Prognose
quoad sanationem bei Abszessen unbedingt viel günstiger zu stellen
ist als bei Gangrän, weil die putride Infektion und Intoxikation mei¬
stens vom Körper viel schwerer mit seinen natürlichen Hilfskräften
überwunden wird als die einfache purulente Form. Auch Staehelin
ist der Meinung, daß die Prognose um so ernster wird, je mehr die
putride Zersetzung in den Vordergrund tritt.
Ferner wird die Prognose bei der bronchogenen Gangrän noch
weiterhin dadurch verschlechtert, daß sich hierbei oft überhaupt keine
Demarkationszone ausbildet und daß gerade diese Fälle von diffuser
Laennecscher Gangrän nach Beitzke und anderen zum Fortschreiten
neigen. Im Gegensatz hierzu sieht man bei der embolischen Gangrän
die diffuse Form nur äußerst selten, was vor kurzem K. Bingold
an dem außerordentlich reichhaltigen Abortmaterial der Schott¬
müll ersehen Klinik nachgewiesen hat. Allerdings wird hierbei wie¬
der die Prognose durch das Auftreten von multiplen Herden im un¬
günstigen Sinne beeinflußt.
Nach alledem kann man also wohl heute noch sagen, daß Spontan¬
heilungen der Lungengangrän äußerst selten Vorkommen und daß
Heilungen des Lungenbrandes mit den bis 1914 üblichen internen
Methoden (Plumb. acetic., Inhalationen von Terpentinöl, Karbolsäure¬
lösung usw.) nicht sehr häufig sind.
Ein Umschwung erfolgte erst, als Quincke, Garrfc und Len¬
ti a r t z auf der 73. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte
im Jahre 1901 in Hamburg für die chirurgische Behandlung der
Lungengangrän eintraten.
Garrfc und Sultan stellten damals aus der Weltliteratur eine
Statistik von 122 operierten Gangränfällen zusammen, von denen
34,42o/o starben. Ueber ähnliche Operationsresultate berichtete 1905
auch Kissling, der unter 75 Gesamtfällen eine Mortalität von37,33o/o
berechnete. Nach Abzug von 4 Tuberkulosen und derjenigen Fälle,
bei welchen es nach Anlegung eines Rippenfensters wegen hodi-
gradiger Schwäche der Patienten nicht zur Pneumotomie kam, blieben
62 Fälle mit einer Mortalität von 24,19% übrig. 5 Jahre später teilte
Kissling seine weiteren Operationserfahrungen bei der broncho¬
genen Lungengangrän unter Benutzung der alten Fälle mit und legte
eine Statistik über 105 operierte Kranke mit einer Mortalität von
32,5% vor. Andere Autoren berichteten dann später über ähnliche
Resultate.
So günstig nun diese Erfolge sind gegenüber denen der vor¬
operativen Aera, so birgt doch die Pneumotomie, selbst wenn sie von
den geschicktesten Operateuren ausgeführt wird, noch manche nicht
vorherzusehenden Gefahren für den Kranken in sich (starke Lungen¬
blutungen, Luftembolie, Pneumothorax, eventuell mit Ausbildung eines
sekundären Pleuraempyems). Die Statistiken würden sicherlich noch
viel günstiger sein, wenn man diese Gefahren mit absoluter Sicherheit
vermeiden könnte, was leider nicht immer der Fall ist.
Auch erlebt man es öfters, daß trotz glatten Operationsverlaufs,
wobei die Gangränhöhle breit eröffnet wurde, der Lungenbrand nicht
ausheilt, eben weil ein diffuser, zur Progredienz neigender Prozeß
vorliegt, und daß der Kranke dann schließlich doch nach langem
Siechtum unter zunehmender Kachexie zugrundegeht. Ganz trostlos
aber sind solche Fälle, denen man wegen ihres schweren kadiekti-
schen Zustandes eine Operation nicht mehr zumuten kann, oder die
noch vor Eröffnung der Gangränhöhle an den Folgen der putriden
Intoxikation ad exitum kommen.
Alle diese Umstände waren es in erster Linie, die den Kliniker
immer wieder darauf hinwiesen, nach neuen internen Behandlungs¬
methoden zu suchen, um einerseits die Operationsgefahren zu um¬
gehen und um anderseits bislang aussichtslose Fälle vielleicht doch
noch zur Heilung zu bringen.
Das Verdienst, als erste auf eine neue erfolgreiche interne Therapie
der putriden Lungenerkrankungen hingewiesen zu haben, gebührt
H. C. Plaut und Erich Becker. Plaut berichtete 1914 über Be¬
handlungsversuche mit Salvarsan bei einem Fall von Lungenneoplasma,
der kompliziert war durch eine Mischinfektion mit fusospirillärer
Symbiose. Da diese Versuche außerordentlich günstig verliefen, in¬
sofern, als die Mischinfektion vollkommen beseitigt und der Krank¬
heitszustand für den Patienten viel erträglicher wurde, empfahl Plaut
schon damals die intravenöse Salvarsanbehandlung bei fötiden Lungen¬
erkrankungen, besonders bei Lungengangrän, Neubildungen der Lungen
und Bronchiektasen, auch bei chronischer Bronchitis mit und ohne
fötiden Auswurf, wenn bei all diesen Krankheitsformen fusiforme
Stäbchen und Spirochäten in großer Menge im Sputum nachgewiesen
werden konnten.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch auf einen Irrtum hin-
weisen, der sich seit der letzten Auflage des „Mohr-Staehelin“ von
1914 in die Literatur eingeschlichen hat und fast in allen Arbeiten
über die Salvarsanbehandlung der Lungengangrän wieder auftritt, daß
nämlich Prof. L. Brauer nach brieflicher Mitteilung an Staehelin
die Salvarsanbehandlung bei der Lungengangrän inaugurierte. In¬
zwischen hat aber Prot. L. Brauer selbst durch eine schriftliche
Mitteilung an Prof. W. Stepp diesen Irrtum richtiggestellt und be¬
zeichnet seinen früheren Sekundärarzt E. Becker als den geistigen
Vater dieses Gedankens. Erich Becker selbst hat jedoch meines
Wissens darüber nichts veröffentlicht.
Seit diesen ersten Mitteilungen aus dem Jahre 1914 sind in¬
zwischen mehrere Arbeiten von verschiedenen Autoren (OskarGroß,
Alsberg, Stepp, Erwin Becher, Weiss und Fr. Hirsch) er¬
schienen, die zusammen 8 Fälle von solitärer Lungengangrän allein
durch intravenöse Salvarsaninjektionen. meist überraschend schnell zur
vollständigen Ausheilung gebracht haben. Ferner wurden 3 Fälle von
Lungenbrand durch die Salvarsantherapie erheblich gebessert (dar¬
unter 2 Fälle von O. Groß und 1 Fall von Erwin Becher). Ein
von W. Weiss beschriebener Fall rezidivierte leider wieder nach vor¬
übergehender Besserung. Außerdem beobachtete E. Becher noch
Digitized b'
Google
Original from
CORNELL UNfVERSITY
26. Mai 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
691
einen Fall von chronischer Bronchitis, der sich nach Salvarsan erheb¬
lich besserte, und Fr. Hirsch will sogar bei 2 Fällen von Lungen¬
abszeß und 2 Fällen von Bronchiektasen 3 mal Heilung und 1 mal er¬
hebliche Besserung gesehen haben. Nicht beeinflußt durch die Sal-
varsantherapie wurden im ganzen 5 Fälle von Lungenbrand (darunter
1 Fall von O. Groß, 1 Fall von Alsberg und 3 Fälle von Weiss,
von welch letzteren 1 Fall noch eine Lungentuberkulose hatte).
Ueberblickt man nun diese Zusammenstellung, so sehen wir, daß
trotz mehrerer überraschend guter und schneller Heilerfolge sich nodi
ein großer Teil dieser Fälle gegenüber Salvarsan vollkommen refrak¬
tär verhält, und man muß sich daher fragen, worin dies wohl be¬
gründet sein mag.
Auch Stepp hat sich scheinbar mit dieser Frage sehr eingehend
beschäftigt und gibt seinem Erstaunen darüber Ausdruck, daß bei
reinen Abszeßbildungen onne Fäulniserscheinungen das Neosalvarsan
gänzlich zu versagen scheint. Nach Erwähnung eines solchen Falles
schreibt er wörtlich: „Es ist schwer, sich diese Tatsache zu erklären.
Man könnte verstehen, wenn bei der Lungengangrän sich die Sal-
varsanwirkudg auf die Beseitigung der putriden Zersetzungsvorgänge
beschränkte. Das ist ja aber bekanntlich nicht der Fall“ usw.
Eine Amtwort auf diese Frage gibt uns wiederum H. C. Plaut,
indem er 1920 wörtlich schreibt: „Ich stehe also auf dem Stand¬
punkte, daß nur solche Fälle von Gangrän usw. mit Salvarsan be¬
handelt werden sollten, bei denen sich die Symbiose (Spirochäten,
fusiforme Stäbchen, Spirillum sputigenum usw.) im Sputum finden,
natürlich auch solche, wo nur die fusiformen Stäbchen oder nur die
Spirochäten vorhanden sind. Werden solche Fälle nicht schnell durch
Salvarsaninjektionen beeinflußt, so liegt der Verdacht nahe, daß ein
Fremdkörper die Symbiose unterhält.“ Denn das Salvarsan
nützt nur gegen die Gewebsinfektion, wie es Plaut in
seiner Arbeit über die Wirkung des Salvarsans auf Syphilisspirochäten
nachgewiesen hat. Er zeigte damals, daß selbst durch 5<>/oige Sal-
varsanlösungen die Spirochäten im Reagenzglase nicht abgetötet, son¬
dern nur langsam und wenig in ihrer Beweglichkeit beeinflußt werden.
Am Schlüsse seiner anfangs erwähnten Arbeit sagt Plaut: „Will man
ohne Nachweis der Symbiose wahllos bei jeder Lungengangrän usw.
Salvarsan anwenden, so möge man es versuchen, da dies ja auch
geholfen haben soll in Fällen, wo der Spirochätennachweis nicht ge¬
glückt ist. Aber man kann dann das Salvarsan nicht für die Mi߬
erfolge, die nicht ausbleiben werden, verantwortlich machen. Man
muß sich ganz besonders hüten, durch nutzloses Spritzen den rich¬
tigen Zeitpunkt zur Operation zu verpassen.“
Sieht man nun die Kasuistik der Salvarsantherapie bei Lungen¬
gangrän von diesen ätiologischen Gesichtspunkten aus durch, so
findet man in der Tat nur äußerst selten bakteriologische Sputum¬
befunde angegeben. In dem einen oder anderen Falle wird zwar er¬
wähnt, daß Spirochäten gefunden bzw. nicht gefunden wurden. Doch
werden die fusiformen Stäbchen und die übrigen Symbionten, die
ebenso prompt auf Salvarsan reagieren wie die Spirochäten, selbst
überhaupt nicht erwähnt, als seien sie keine pathogenen Keime, und
ich muß deshalb Plaut vollkommen beistimmen, wenn er sagt, daß
die für die Indikationsstellung der Salvarsantherapie so wichtige
Sputumuntersuchung bisher viel zu kursorisch und zum Teil ganz
oberflächlich behandelt worden ist.
Ueberlegt man sich nun weiter, bei welchen pathologisch-anatomi¬
schen Formen der Lungengangrän diese für die Salvarsanbehandlung
so außerordentlich günstige fusospirilläre Symbiose am häufigsten ge¬
funden wird, so muß man zunächst nach den ausgedehnten bakterio¬
logischen Untersuchungen von Bingold an dem großen Abort¬
material der Schottmüll ersehen Klinik die embolischen Formen
der Lungengangrän fast vollkommen ausscheiden. Denn nach Bin¬
gold ist als Haupterreger der embolischen Lungengangrän der
Streptococcus putridus aufzufassen. Auch Kolibakterien vermögen im
Lungengewebe fötiden Eiter zu bilden. Da jedoch das Bact. coli für
sich allein nur in sehr seltenen Fällen als Erreger der thrombo-
phlebitischen Sepsis in Betracht kommt, so gelten demgemäß nach
Bingold durch Kolibakterien erzeugte Lungenprozesse als seltene
Befunde. Spirochäten, fusiforme Stäbchen wurden von Bing old in
keinem einzigen Falle bei der embolischen Lungengangrän gefunden.
Ganz anders dagegen ist die Bakterienflora bei der bronchogenen
Form. Zwar behauptet wieder Bingold, daß der Streptococcus
putridus auch hierbei eine hervorragende Rolle spielt, was bei ein¬
zelnen Fällen wohl sicherlich der Fall ist. Dodi macht gerade Kauf¬
mann darauf aufmerksam, daß man bei der bronchogenen Lungen¬
gangrän als eigentliche charakteristische Mikroben neben vielen Kok¬
ken meist drei Anaerobier findet, und zwar 1. Bacillus fusiformis,
2. Kommabazillen (Spirillum sputigenum) und 3. Spirochäten, wie in
der Mundhöhle, besonders am Uebergange vom nekrotischen zum
gesunden Gewebe. Bei Formen mit scharfer Demarkationszone ist
dagegen der Bakterienreichtum geringer, und unter den Bakterien
überwiegen die Kokken (Buday, zit. nach Kaufmann). Auch
Beitzke äußert sich dahin, daß man bei der bronchogenen Form der
Lungengangrän meist eine etwas andere Bakterienflora vorfindet als
bei der embolischen Form, nämlich neben gewöhnlichen Eitererregern
auch allerlei Saprophyten und gewisse Mundbakterien, manchmal nur
spärlich, manchmal dagegen, und zwar gerade bei den zum Fort¬
schreiten neigenden Fällen ohne Demarkationslinie in vorherrschender
Anzahl, nämlich Leptothrixfäden, das Spirillum sputigenum, fusiforme
Bazillen und ihre Symbionten, lange, zarte Spirochäten. Die Spiro¬
chäten können nach Beitzke bei der diffusen Form der Lungen¬
gangrän sogar noch tief bis in das gesunde Gewebe Vordringen,
ähnlich wie es A. Groß für die fusiformen Stäbchen bei der Angina
Plaut-Vincent nachgewiesen hat.
Hieraus ergibt sich also, daß für die Salvarsanbehandlung des
Lungenbrandes zunächst einmal die embolischen Fälle fast vollkommen
ausscheiden, daß aber gerade diejenige Form des bronchogenen
Brandes, die diffuse Gangrän, die wegen ihrer Neigung zu Pro¬
gredienz für die operative Behandlung besonders ungünstig ist, im
allgemeinen am besten durch Salvarsan zu beeinflussen sein wird
unter der Voraussetzung, daß im Sputum die fusospirilläre Symbiose
oder einzelne Vertreter dieser Gruppe vorhanden sind und aaß sich
ferner keine festen aspirierten Fremdkörper im Lungengewebe finden.
Liegt diese Vermutung nahe, oder sind solche aspirierten Fremd¬
körper röntgenologisch bereits nachgewiesen, so bin auch ich mit
Plaut der Ansicht, daß man dann nicht mehr durch unnützes Spritzen
von Salvarsan den richtigen Zeitpunkt zur Operation verpassen darf.
Im übrigen können wir auch bei all denjenigen Lungenerkrankungen
durch Salvarsantherapie zu mindest eine Besserung (Abnahme der
Sputummengen und Verschwinden des fötiden Geruches) oder gar
oft eine Heilung erwarten, bei welchen im AuswuTf die fusospirilläre
Symbiose in größerer Menge auftritt.
Am Schlüsse meiner Ausführungen möchte ich nun noch kurz die
Krankengeschichte eines Gangränfafles mitteilen, der von mir erfolg¬
reich mit Salvarsan gespritzt wurde. Und zwar handelt es sich um
einen jungen Mann, dessen Familienanamnese keine Besonderheiten
bot. Als Kind war er erkrankt an Rachitis und Lungenentzündung.
Etwas später machte er eine Oberschenkelfraktur durch. Mitte März
1921 trat bei ihm eine Rachendiphtherie auf. Bald nach dem
Verschwinden des diphtherischen Belages stellten sich Schluck- und
Sprachlähmungen ein, sodaß der Patient sich dauernd verschluckte
und die Sprache fast tonlos wurde. Am 8. V. 1921 roch der eitrige
Auswurf des Patienten zum ersten Male fötide, und seit dieser Zeit
nahm der putride Geruch des Sputums und der Ausatmungsluft der¬
artig intensiv zu, daß die Angehörigen es in der Umgebung des
Kranken nicht mehr aushalten konnten.
Untersuchungsbefund: löjähriger, stark unterernährter, sehr
blaß aussehender junger Mann. Atemluft und Sputum sind aashaft
stinkend. Patient hustet von Zeit zu Zeit sehr heftig und langdauemd
unter Erbrechen, weil er anscheinend das Sekret nicht hochbringen
kann.
Augen, Ohren, Nase o. B. Beim Phonieren hebt sich das Gaumen¬
segel nur ganz wenig. Zunge stark belegt, feucht. Zähne rachitisch,
darunter mehrere kariös. Sprache fast tonlos. Brustkorb: Rachitischer
Rosenkranz angedeutet. Bei der Atmung bleibt die linke Seite etwas
zurück. Lungen: Ueber dem linken unteren Lungenlapoen kleinhand¬
tellergroßer Dämpfungsbezirk mit Atmung von bronchialem Charakter
und zahlreichen mittelgroßblasigen f. R. G. Ferner hört man über
beiden Lungen Brummen und Giemen. Sonstiger Organbefund o. B.
Sputum: Eitrig, dünnflüssig, aashaft stinkend. Makroskopisch sah
man im Sputum zahlreiche hirsekorngroße, weißliche Dittrichsche
Pfropfe, die bei mikroskopischer Untersuchung fast nur aus Spiro¬
chäten und fusiformen Stäbchen bestanden. Tuberkelbazillen wurden
selbst bei mehrfachen Untersuchungen auch mit dem Uhlenhuth-
schen Anreicherungsverfahren nicht nachgewiesen. Auch fanden sich
keine Lungengewebsfetzen oder elastische Fasern allein darin. Die
Temperatur betrug 38,2°. Urin und Stuhl o. B. Dieser Patient wurde
nun von mir mit 5 intravenösen Neosalvarsaniniektionen zu je 0,45 g
behandelt, wonach er sich auffallend schnell erholte. Bald nach der
ersten Injektion verschwand der fötide Geruch des Sputums fast voll¬
kommen, und die Temperatur sank zur Norm ab. Nach der letzten
Injektion waren im Sputum weder fusiforme Stäbchen noch Spiro¬
chäten mehr nachzuweisen. Die Tagessputummengen gingen bis auf
ganz geringe Spuren von schleimig-eitriger Konsistenz zurück. Der
fötide Geruch war vollkommen verschwunden. Inzwischen hat sich
nun Patient sehr zufriedenstellend erholt; er kann wieder reiten,
radfahren und macht bereits größere Fußtouren. Eine röntgenologische
Nachuntersuchung des Falles, die etwa 5 Monate nach Beginn der
Lungenerkrankung nötig wurde, weil die Auswtirfsmengen sich wieder
etwas vermehrten, ohne jedoch putriden Geruch anzunehmen, ergab
leichte Bronchiektasenbildung im linken Unterlappen, aber keine An¬
haltspunkte für Tuberkulose. Im Auswurf, den ich nun wieder
gelegentlich der Röntgenaufnahme untersuchte, konnten auch dieses
Mal weder Tubericelbazillen noch Angehörige der fusospirillären
Symbiose nachgewiesen werden.
J. Alsberg,D. ro W.19?0S 797 -Erwin Becher,M.KI.19?0S.337. — H.Beitzke,
Pathol. Anatomie von Aschoff 1911, 2. S.281. — K. Bingold, Virch. Arch. 1921. 232
S. 22 — C. Oarrfc und Quincke, Orundriß der Lungen Chirurgie, Jena 1903. — A. Groß
D. Arch. f. klin. M.79. - O. Groß, Ther. d. Gegenw. 1916 S. 441; M. m. W. 1919S. 869.—»
Fr. H1 rsch, Ther. d. Gegenw. 19°0 S. 55. — Kaufmann, Lehrbuch der speziellen Patho¬
logie 1911,1, S.264. — K. Kissüng,Jahrbücher d*r Hamburger Staatskrankenanstalten
1905,10; Erg. d. Inn. M. 1910.5. S. 38 - G. Klemperer, Ther. d Oe een w 19^0 S \n. -
H. C. Plaut, ZM.f Bskt. 1907 S. 310; O. m. W. 1910 S. 2?37; 1914 S. 115; 1920 Nr. 50.—
H. Schulze, Ther. d. Gegenw. 19?0 S. 127. — R. Staehelin, Hdb. d. Inn. M. 2, ST452. —
W. Stepp, Ther. Hmh. 1920 S. 161. — A Strümpell, Lehrbuch der speziellen Patho¬
logie und Therapie innerer Krankheiten 1919,1, S.363. — W. Weiß, Ther. d. Gegenw. 1920
S. 423.
Digitized by
Google
Original from
CORNELL UNÜVERSrrV
692 DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT Nr. 21
lleozökaltuberkulose mit Perforation in die Blase.
Von Dr. Reh, Chirurg in Frankfurt a. M.
Vorgeschichte: Im Frühjahr 1917 erkrankte eine Patientin,
ein 17iähriges Mädchen, plötzlich mit hohem Fieber und Durchfall.
Nach 14tägiger Behandlung trat eine geringe Besserung ein, sie stand
auf, fiel aber in wenigen Tagen stark ab und lag 14 weitere Tage
mit vereinzelten Schüttelfrösten, hohem Fieber, Durchfällen und
Schmerzen der linken Nierengegend zu Bett. Es wurden damals
festgestellt: Verbindung zwischen Blase und Darm, doppelseitige zahl¬
reiche Nierenabszesse, Ursache unbekannt, Prognose schlecht. Im
Juni 1917 übernahm ich die Behandlung.
Befund: Großes, fast zum Skelett abgemagertes, tiefblasses
Mädchen, nicht mehr imstande, einen Arm zu neben, den Unterkiefer
zu heben, Atmung fast röchelnd. Lungen: Eine leichte Verkürzung
der linken Spitze mit deutlichen trockenen Rasselgeräuschen, über
beiden Unterlappen Stauungsödeme. Puls klein. Leib: weich, Bauch¬
decken schlaff, kahnförmig eingezogen. Nierengegend beiderseits,
besonders links, druckempfindlich, Blasengegend im geringeren Grade
ebenfalls. Oberhalb der Blase, dreiquerfingerbreit unterhalb des Nabels
liegt eine perkutorische Dämpfung von etwa 5 cm Durchmesser, etwas
rechts von der Mittellinie (Darmkonvolut?). Kein Sputum. Im Urin
keine Tuberkelbazillen, keine Typhusbazillen, reichlich Leukozyten,
etwas Eiweiß, kein Blut, kein Zucker, keine Kotbestandteile, dagegen
reichlich Kolibazillen. Im Stuhl kein Blut. Bei der Untersuchung des
Blutes findet sich Anaemia gravis, 1300000 Erythrozyten, Leukozyten
vermehrt auf 12000, Blutfarbstoffgehalt 38 o/o. Temperatur morgens
zwischen 36—37 °, abends zwischen 40—41 °.
Diagnose: Anfangs ulzeröse Enteritis, später Colitis tuber-
culosa mit Perforation in die Blase, Cystitis gravis, Nephritis ascendens
purulenta.
Behandlung: Viel Milch, Fachinger Wasser, Diuretin, Uro¬
tropin, abwechselnd mit Salol, Digalen, wenig Breidiät.
Erfolg: Nach I 1/2 Monaten Temperaturabfall, Nieren frei, im
Urin weniger Leukozyten, massenhaft Kolibazillen. Nach 4 Monaten
Temperatur dauernd unter 37,5. Allgemeinbefinden bedeutend ge¬
bessert, das Darmkonvolut kaum mehr zu fühlen, nach einem halben
Jahr völlige Beschwerdefreiheit. Die Patientin steht auf. Im Urin
noch Kolibazillen in geringer Menge. Nach 3 /i Jahren verreist die
Patientin zur Kur in ein Sanatorium.
Im März 1918 Nachuntersuchung. Die Patientin hat sich sehr
gekräftigt, ist groß und stark geworden, nur noch die Jinke Niere
ist druckempfindlich, im Urin befinden sich keine Kolibazillen mehr.
Linke Lunge noch etwas schallverkürzt, Atmung rein.
Im Winter 1918/19 bemerkt die Patientin abnorme Luftansamm¬
lung in der Vagina, ich kann dort nichts finden. Im Urin traten
wieder Kolibazillen auf. Bis Ende Februar verhalte ich mich abwar¬
tend, nehme dann, da wieder Schmerzen in der Blasengegend und im
ganzen Unterleib auftreten, eine Zystoskopie vor. Dabei findet sich
rechts hinten oben in der Blase eine divertikelartige Ausziehung der
Wand, aus der bei längerer Beobachtung deutlich sichtbare Gasblasen
in Form feiner Perlen in das Blasenlumen aufsteigen. Der Befund
dieser Zystoskopie wurde von Dr. Rud. Oppenheimer bestätigt.
Es handelte sich hier um die Frage: „Liegt ein Blasendivertikel
mit später infolge irgendwelcher entzündlicher Vorgänge entstandener
Perforation vor oder eine in die Blase durchgebrochene Darmtuber¬
kulose?“ Letzteres erschien mir auch im Hinblick auf die Vorgeschichte
das Wahrscheinlichere. Unter allen Umständen hielt ich eine sofortige
Operation, um einer erneuten schweren Infektion der Nieren vorzu¬
beugen, für geboten.
Operation am 6. III. 1920. Medianschnitt zweiquerfingerbreit
oberhalb des Nabels beginnend bis zur Symphyse. Nach Oeffnung
der Bauchhöhle sieht man zahlreiche, teils frischere, teils ältere
Adhäsionen zwischen dem Netz einerseits, dem Peritoneum parietale
und der Blase anderseits, nach deren Lösung sich ein interessantes
Bild bietet. Die prall gefüllte Blase liegt kugelförmig vor, ihre Rück¬
seite ist mit derben Adhäsionen bedeckt und unsichtbar. In diese
bindegewebigen Massen an der Blasenhinterwand ist hineingezogen
und ziemlich fest adhärent auf der linken Seite das Colon descendens
am Uebergang in das Sigmoideum. In der Mittellinie sieht man den
Querdarm tief herabgezogen, fest verbacken mit den breiten Ver¬
wachsungsschichten, in denen ummauert auf der rechten Seite ein
Teil des Zökums, die Appendix und ungefähr 4 cm vom Dünndarm
liegen. Es wird mit der Lösung des Deszendens begonnen, dann der
Querdarm gelöst, immer dicht an der Serosa des Darms präpariert.
Ebenso wird in vorsichtiger Weise die Präparation des Ileozökums
vorgenommen, da man deutlich Hohlräume im infiltrierten Gewebe
durchfühlt. Diese Präparation ist äußerst schwierig und zeitraubend,
da dauernd mit der Eröffnung einer Fistel oder Abszesse enthaltender
Hohlräumc gerechnet werden muß. Während der Präparation hört
der Operateur plötzlich ein leises Pfeifen. Der Darm wird gründ-
lichst abgesucht, ist aber wenig gasgefüllt, und es gelingt nicht, eine
Oeffnung zu finden. Schritt für Schritt löse ich die bindegewebigen
Massen und stoße schließlich doch auf eine alte Abszeßnöhle; da
gut abgestopft war, durchtrenne ich nun, auf den Zusammenhang
des interessanten Präparates verzichtend, die daumenbreite Höhle
und löse nun mit raschen Zügen die rechtseitige Darmpartie von der
Blase, nach Anlegung einer Darmquetsche an die Fistelöffnung zur
Blase. Es folgt nun ovaläre Ausschneidung der Blasenvvand in der
l istelumgebung, und mit fortlaufender Katgutwand wird die Blase
geschlossen, eine Serosanaht darüber gelegt. Nun werden 12 cm des
Colon ascendens mit Zökum und etwa 8 cm Illum mit dem ad-
härenten Gewebe von der Bauchwand gelöst, das Mesenterium in
gleicher Ausdehnung durchtrennt und dann der Darm reseziert. Es
folgt eine End-zu-Seit-Anastomose nach Verschluß des blinden Endes
des Colon ascendens und nach Einlage eines schmalen Jodoformgaze¬
tampons zwischen Blase und Uterus. Bauchnaht in Etagen.
Verlauf: In den ersten 8 Tagen fieberfreier Verlauf, Wohl¬
befinden. Am 3. Tage Entfernung des Tampons. Vier Tage später
leichte Temperaturerhöhung; Entfernung der Nähte und Oeffnung
der ersten Muskelnaht beiderseits vom Tampon wegen Temperatur¬
steigerung, baldige Heilung der Wunde bis auf eine kleine Fistel,
aus der sich nach zwei Wochen kleine Gasblasen entleeren. Erst
nach einem halben Jahre völlige Ausheilung der Bauchwunde. Nadi
einem weiteren Jahr Kontrolle. Die Patientin ist außerordentlich
kräftig und gesund. Alle inneren Organe o. B. Die Wunde fest
vernarbt.
Es war also anfangs zweifellos gelungen, durch rein diätetische
Behandlung und Bettruhe ohne irgendwelche Spezialbefyandlung der
Tuberkulose diese in hohem Grade günstig zu beeinflussen durdi die
Hebung des Allgemeinbefindens, als von anderer Seite der Fall ah
trostlos aufgegeben war.
Durch Entfernung des erkrankten Gewebes wurde mit aller
Wahrscheinlichkeit eine Dauerheilung erzielt.
Das Präparat: Im Zökum finden sich drei flache Geschwüre mit
leichter Infiltration der Umgebung. Mit der Sonde gelangt man von
einem derselben, das dicht an der Dünndarmklappe liegt, in die Absze߬
höhle, die an der der Blase zugekehrten Seite ausgezogen ist und da¬
selbst querdurchschnitten (für einen Bleistift durchgängig). Das Stück
aus der Blasenwand ist ebenfalls für eine Sonde bequem durchgängig,
erweitert sich außerhalb der Blase und stellt daselbst ein i/s cm
breites und ungefähr ebenso langes Rohr dar, das aus entzündlichem
filtrierten Gewebe besteht. Der Schnittrand der Blasenwand stellt
gesundes Gewebe dar.
Mikroskopisch ist im Zökum und im Abszeßgewebe Tuberkulose
nachgewiesen.
Ich habe seinerzeit Gelegenheit gehabt, eine ausgedehnte Darm
resektion wegen lleozökaltuberkulose oei einer durch dauernde heftige
Durchfälle und hohes Fieber stark geschwächten lungenkranken Pa¬
tientin vorzunehmen. Diese Patientin hat sich damals überraschender¬
weise gut erholt, während andere Patientinnen — eine durch Laparo¬
tomie nachgewiesene Darmtuberkulose z. B. — mit Röntgentiefenbe¬
strahlungen behandelt wird und immer wieder Rezidive ihrer Durchfälle
erlebt und sich nicht erholen kann. Ich empfehle daher in allen Fällen
tuberkulöser Darmerkrankungen ohne fortgeschrittene Lungentuber¬
kulose, wenn Fieber und Durchfälle vorliegen, unverzüglioi einzu¬
greifen und ausgedehnt zu resezieren. Ich lege dabei auf möglichste
Abkürzung der Operationsdauer Gewicht. Einen Versuch mit der
Röntgentiefenbestrahlung würde ich nur für Fälle, die ohne hohes
Fieber verlaufen, auch bei starken Durdifällen wagen, eine Fort¬
setzung dieser Behandlung ablehnen, wenn nach zwei Bestrahlungen
die Durchfälle nicht sistieren und das Allgemeinbefinden sich nicht hebt
Die multiple Neuritis in und nach dem Kriege.
Von Dr. Albert Knapp in Düsseldorf.
(Schluß aus Nr. 20.)
Wiederholt ist eine ausgesprochene Entzündung beider Kru¬
ral es übersehen und die Erschwerung des Gehens und die leichte
Ermüdbarkeit als neurasthenisches Symptom gedeutet worden. Charak¬
teristisch für die leichteren Formen der Kruralneuritidenist außer
der Druckempfindlichkeit der Stelle, wo der Nerv unter dem Poupart-
sdien Band hervortritt, die oft unsymmetrische Herabsetzung oder
Aufhebung der Kniephänomene, seltener eine Steigerung
der Sehnenreflexe bei ungleicher Kontraktion der ein
zelnen Muskelpartien.
Die Neuritis des N. cutaneus femoris externus, frühe:
besonders bei Wäscherinnen vorkommend, ist unter den rheumac
sehen Einflüssen des Krieges häufiger geworden. So häufig die
Neuritiden der Peronei von jeher gewesen sind, so habe ich doch
eine doppelseitige isolierte Entzündung beider Peronei pro-
fundi nur bei mir selbst beobachtet. Als ich am 20. XII. 191»
stundenlang in strengster Winterkälte auf den Zug warten mußte,
der für unseren Abtransport bestimmt war, trat sie auf. Sie kündigte
sich mit einem Wundgefühl zwischen Großzehe und 2. Zehe an,
sodaß ich die Wirkung der gefrorenen Stiefel annahm, bis ich im
Quartier auch objektive Sensibilitätsstörungen bei anscheinend nor¬
maler Haut feststellen konnte. Zeitweise hatte ich empfindliche
Schmerzen beim Gehen auf dem inneren Teil der Zehenballen.
Auch die isolierte Entzündung eines Nervus axillaris
gehört zu den Seltenheiten; ich habe sie aber, außer bei mir, noch
in 2 Fällen unmittelbar nach Kriegsende diagnostizieren müssen. Die
stärkste Druckempfindlichkeit findet sich an der Stelle, wo der Nerv
sich um den Humerus schlingt, und an der Stelle, wo der Nervus
cutaneus humeri posterior abzweigt.
Das intermittierende Hinken der Beine, Erbs Dys-
basia intermittens arteriosclerotica, kommt in seltenen Fällen ohne
Digitized by
Go, igle
Original from
CORNELL UNfVERSITV
26. Mai 1.922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
693
nachweisbare Gefäßveränderungen in Verbindung mit neuritischen
Symptomen besonders bei Nikotinvergiftung vor. „Wir wissen,
daß das intermittierende Hinken nicht nur an den unteren Extremitäten
vorkommt, sondern auch den oberen, wie dies Nothnagel zuerst
beschrieben,“ was neuerdings v. Frankl-Koch erst wieder betont
und worauf auch Voß in der Düsseldorfer Medizinischen Gesellschaft
vor kurzem aufmerksam gemacht hat. Gerade dieses intermittierende
Hinken an den Armen aber, charakterisiert durch das Auftreten von
Parästhesien, Schwächegefühl und Schmerz bei der Anstrengung der
Hände, welches in der Ruhe bald verschwindet, kommt auch bei
jungen Leuten ohne Gefäßveränderungen vor, ist heilbar und auf
eine leichte Neuritis der Armnerven zurückzuführen. Selten ist, wie
bei dem intermittierenden Hinken der Beine meist, Nikotinabusus in
der Anamnese nachzuweisen.
Ein seltenes Beispiel von professioneller Neuritis sei hier erwähnt.
Ein 32jähriger Soldat wurde anfangs als Kompagnieschneider in
Rußland verwendet und hatte wochenlang Tag und Nacht an den
steifen Kragen der Offizieruniformen gearbeitet. Plötzlich, im Früh¬
jahr 1915, entfielt die lange Nadel seiner Hand und war er unfähig,
kleine Gegenstände zwischen den Fingern festzuhalten. Bei Regen-
wctter stellten sich Schmerzen und Parästhesien in der rechten Hand
ein; sonst waren ihm Empfindungsstörungen nicht zum Bewußtsein
gekommen.
Die Zwischenräume zwischen den rechten Mittelhandknochen,
besonders auch zwischen dem ersten und zweiten, waren eingesunken,
der Kleinfingerballen abgemagert. Sämtliche Interossei, die Klein¬
fingerballenmuskeln und der Adductor pollicis waren paretisch und
zeigten partielle Ea.R.; Gegenüberstellung des Daumens, Streckung
und Beugung des Daumens und der übrigen Finger waren nur wenig
geschwächt, das Daumengrundgelenk überstreckt. Während der rechte
Vorderarm um Vs cm stärker war, blieb der Handumfang rechts um
3 /< cm hinter dem linken zurück. Außer einer Hypästhesie des rechten
Handrückens bis zur Mitte und an dem Grundgliedrücken der drei
ulnaren Finger waren keine Empfindungsstörungen nachweisbar.
Es handelt sich um eine professionelle Neuritis, die hauptsächlich
den Ulnaris der rechten Hand, weniger die vom Medianus und Radialis
versorgte Handmuskulatur betroffen hatte. Sie ist bei zahlreichen
Berufen beschrieben, bei Schneidern bisher nie beobachtet.
Von besonders verhängnisvoller Bedeutung kann die Beteili¬
gung des Vagus an dem polyneuritischen Prozeß werden. Während
ich Kehlkopflähmungen sehr selten beobachtet habe, habe ich Störun¬
gen der Atmung und der Herztätigkeit, besonders eine hochgradige
Pulsbeschleunigung und Erbrechen sehr häufig und öfters in leben¬
bedrohendem Umfang begegnet. Mehrere unserer jungen Krieger sind
an Herz- und Atemlähmung gestorben.
Eine Beobachtung, die ich an mir selbst gemacht habe, gibt mir
Anlaß, noch über die trophischen Störungen ein Wort zu j
sagen. Zweimal sind bei mir Ernährungsstörungen an den Finger¬
nägeln einige Wochen einem neuen Anfall der Polyneuritis voraus-
egangen. Anfangs brachen die Nägel unter sehr unangenehmen
mpfindungen ab, später wurden sie rissig, brüchig, erhielten Quer¬
rillen, rissen ein und brachen ab, ohne daß ich es merkte, öfters
während der Nacht. An der linken Hand waren diese Ernährungs¬
störungen mehrere Wochen das einzige Symptom, bis eine mit Fieber
sich einleitende Neuritis der linken Armnerven sich einstellte. Daß
ich Sensibilitätsstörungen an den Fingern und an den Zehen hatte,
kam mir erst zum Bewußtsein, als mir ein Foliat auf diese
fiel, ohne daß ich es schmerzhaft empfunden hätte, und als mir
jemand auf die Zehen trat, ohne daß ich es unangenehm vermerkt
hätte. Es waren bei mir besonders Störungen des Druck¬
sinnes, des Raumsinnes und Ortssinnes vorhanden, außer¬
dem verlangsamte Empfindungsleitung, während die übri¬
gen sensiblen Qualitäten weniger beeinträchtigt waren. Bei einem
außerordentlich schmerzhaften Anfall meiner Polyneuritis am rechten
Arm zog ich mir ohne wesentliche Schmerzen mehrere, noch jetzt
nach 32 Monaten sichtbare Verbrennungen durch heiße Umschläge zu.
•Auch das Auftreten von Gelenkschwellungen, wie ich es an mir
selbst erlebt habe, ist wohl teilweise auf trophische Störungen zurück¬
zuführen, besonders wenn die Haut an den Händen und Füßen
gerötet ist und sich heiß anfühlt. Auch Oedeme kommen vor, sowohl
an den Enden der Extremitäten, als auch über den entzündeten
Nerven und Muskeln.
Eigenartige Wahrnehmungen habe ich an mir selbst über psy*
chiscne Veränderungen bei mehreren polyneuritisdien Anfällen
gemacht. In den frühen Morgenstunden des 10. II. 1917 hatte ich
eine Kohlenoxydvergiftung, am 12. begannen die Schmerzen am rech¬
ten Oberarm, die schließlich zu einer Parese besonders des mittleren
Deltoideus führten. Am 13. stellte ich Temperatursteigerungen bis
38,3 fest. Um dem mir im benachbarten Feldlazarett als unerläßlich
bezeichneten Rücktransport zu entgehen, versuchte ich mich mit Aspirin
zu behandeln. Ich nahm 12 Tabletten, ohne die Schmerzen ganz
unterdrücken zu können, und geriet in einen eigenartigen deliranten
Zustand. Die mannigfachsten szenischen Halluzinationen lösten sich
ab; dabei war ich mir des abnormen Zustandes einigermaßen bewußt.
Sobald mich der Sanitätsunteroffizier rief, war ich zur Stelle, ordinierte
auch trotz der Schmerzen richtig, versah den vollen Dienst; sobald
ich aber fertig war und mich mit einem Buch angekleidet aufs Bett
legte, versank ich trotz meines inneren Widerstrebens sofort wieder
in den Traumzustand. Dieser dauerte fast 2 Tage. Ich dachte anfangs
daran, daß das Aspirinpräparat nicht ganz rein gewesen sein könnte,
bis sich dieser Zustand in einer Nacht meines 6. Rezidivs zu Hause
wiederholte. An eine medikamentöse Ursache war diesmal nicht zu
denken, Fieberdelirien kamen auch kaum in Frage, da die rektale
Höchsttemperatur 38,9 war. Auch diesmal war ich leicht aus dem
Zustand zu erwecken; als ich meine Frau fassungslos fand wegen
der Aeußerungen, mit denen ich auf meine deliranten Erlebnisse
reagierte, tröstete ich sie mit monotoner, langsamer und leicht skan¬
dierender Stimme, um einen Moment wieder in den alten Zustand
zu verfallen. Ich habe weder damals noch an der Front auch nur
einen Tropfen Alkohol getrunken, auch nicht geraucht. Der Zustand
dauerte mit Unterbrechungen noch den nächsten Tag und einen Teil
der nächsten Nacht, nur reagierte ich später nicht mehr mit Reden
auf die inneren Erlebnisse.
Relativ viel häufiger als in normalen Zeiten waren in und nach
dem Krieg die differentialdiagnostischen Schwierig¬
keiten. Natürlich haben mit dem Krieg auch die Fälle von Pseudo¬
tabes polyneuritica (Nevrotabes p&ipherique Dejerines) absolut zu-
.genommen. Relativ betrachtet sind die ataktischen Störungen eher
seltener geworden. Namentlich ist die Entscheidung dann zeitweise
kaum sicher zu fällen gewesen, wenn die ataktische Form der
multiplen Neuritis bei einem früheren Luetiker auftrat. Zu¬
genommen haben auch die lanzinierenden Schmerzen bei
Polyneuritikern; ich bin ihnen, vielleicht zufällig, häufiger an den
Armen als an den Beinen begegnet. Bei mir war die Verlaufsrichtung
der durchstoßenden Schmerzen verschieden; bei und noch lange nach
dem ersten Anfall erfolgten sie in der Schaftrichtung des Oberarm¬
knochens, bei und nach dem 6. quer durch den Oberarm. Am ehesten
ausschlaggebend für die Entscheidung, ob es sich um Tabes oder
Pseudotabes polyneuritica handelt, sind leichte elektrische Verände¬
rungen und aas Fehlen von Blasen- und Potenzstörungen, während
eine Beeinträchtigung der Pupillenreaktion bei Polyneuritiden alko¬
holischer Aetiologie nicht so selten vorkommt.
Noch einige Beispiele für die großen differentialdia¬
gnostischen Schwierigkeiten bei der Polyneuritis.
1. Ein 37jähriges Fräulein E. W. kommt am 12. IV. 1920 aus einer
benachbarten rheinischen Stadt mit der Angabe, seit einer im Jahre
1917 durchgemachten Brustfellentzündung Schmerzen in der linken
Seite zu haben, seit 6—8 Wochen aber kontinuierlich an Schmerzen im
Nacken, über den Schultern und der Halswirbelsäule zu leiden. All¬
mählich haben sich auch Schwächeerscheinungen in Armen und Beinen,
besonders links, eingestellt. Bei gebeugter Kopfhaltung unerträgliche
Schmerzen in der linken Schulter, im Liegen Schwindel. Objektiv
ist außer einer Pleuritis sicca links seitlich unten nur eine außer¬
ordentliche Druckempfindlichkeit des Hinterhauptsnerven, des Plexus
brachialis links, des 5. und 6., 10. und 11. Interkostalis links und
vielleicht einer Hyperästhesie an der Wirbelsäule vom 7. Halswirbel-
bis zum 2. Brustwirbeldarmfortsatz, schwachen, später aufgehobenen
linkseitigen Bauchdeckenreflexen nichts Auffallendes festzustellen. Ich
befürchtete zuerst eine Pachymeningitis cervicalis hypertrophica in
ihrem neuralgischen Stadium. Nach 8 Tagen hatten Diaphorese und
Melubrin die Schmerzen wesentlich gebessert, waren aber beide
Krurales stark druckempfindlich, und nach einigen Monaten war die
Kranke geheilt.
2. Eine 18jährige Arbeiterin P. K. wird mir am 22. VII. 1921 von
einem Kollegen überwiesen. Bei dem Mädchen sei ganz plötzlich
ohne jede Schmerzen und ohne irgendeine Störung des Allgemeinbefin¬
dens eine doppelseitige Lähmung der Schultermuskulatur aufgetreten.
Das Mädchen war unfähig, die Arme im Schultergelenk zu bewegen,
die schlaff herabhängenden Arme nach vorn, seitlich oder nach hinten
vom Leib zu entfernen, nach außen oder innen zu drehen. Während
die Kukullares funktionierten, waren der Deltoideus und die Muskeln
der Ober- und Untergrätengrube sichtbar geschwunden. Die Stellung
des Schulterblattes war nicht abnoVm, Latissimus dorsi, pectoralis
major, Serratus und Oberarmmuskeln waren annähernd normal. In
den atrophischen Muskeln partielle, teilweise totale Ea.R. Die Sen¬
sibilität war normal. Ich dachte auch an eine Poliomyelitis acuta
etwa in der Höhe des 5. und 6. Zervikalsegmentes, nach Dampfbädern
und Jodvasogeneinreibungen trat rasch Besserung ein, am 16. VII.
nahm das Mädchen die Arbeit wieder auf, heute, Ende Oktober, sind
nur noch geringe Lähmungserscheinungen erkennbar.
3. Am 19. III. 1920 stellte sich mir eine Kaiserewerther Diako¬
nissin, E. G., im Alter von 34 Jahren vor, die wegen Schwäche in
beiden Armen und Beinen ihren Dienst nicht mehr verrichten konnte.
Dezember 1918 und Januar 1919 von einer hartnäckigen Grippe heim¬
gesucht, fühlte sie. nach anscheinender Wiederherstellung der Berufs-
Fähigkeit im Februar 1919 Parästhesien an den Schultern und Armen,
die oald von einer zunehmenden Schwäche und Abmagerung beider
Extremitäten, besonders im Bereich des Schultergürtels, abgelöst
wurden. Der September 1919 brachte eine wesentliche Verschlimme¬
rung mit sich, indem auch das rechte Bein so schwach wurde, daß
sie sich nur an dem Geländer mit den Armen die Treppe hochziehen
konnte. Bei solchen Anstrengungen trat bald ein schmerzhaftes Er-
mattungs- und^Taubheitsgefühl in den Armen, später auch im rechten
und endlich in beiden Beinen ein, das sich schließlich so steigerte,
daß nach wenigen Minuten Arme und Beine ihren Dienst übemaupt
versagten. Nach einem Ausruhen von mehreren Minuten konnten
die Extremitäten wieder gebraucht werden, soweit es die Atrophien
erlaubten.
Auffallend war eine hochgradige Abmagerung der Schultergürtel¬
muskulatur, weniger stark der Oberarmmuskulatur. In der ersteren
waren nur Bewegungsreste übrig; die grobe Muskelkraft wurde distal-
wärts besser, aber auch die Fingerbewegungen waren etwas paretisch.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
694
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 21
Doch waren Vorderarm und Hände frei von Atrophien. Das rechte
Bein über das linke zu legen, war nur mit Hilfe der Hände unter
großen Anstrengungen möglich. Die Gesäß- und Oberschenkelmusku¬
latur war besonders rechts, in geringerem Grade auch links, sehr
schwach. Die Unterschenkelmuskeln waren leistungsfähiger, aber auch
etwas geschädigt.
Die Kniescneibenreflexe waren gesteigert, die Fersenreflexe nor¬
mal, der rechte Trizeps- und Bizepsreflex minimal, die linken Arm¬
reflexe fehlten. Bauchdeckenreflexe waren vorhanden. Sensibilitäts¬
störungen fehlten. Abgesehen von einer Druckempfindlichkeit beider
Krurales. ließen sich Druckpunkte nicht nachweisen.
Die elektrische Reaktion war im rechten und linken Deltoideus
quantitativ herabgesetzt, die langen Fingermuskeln zeigten partielle
Ea.R., der rechte Trizeps war überhaupt nicht zur Kontraktion zu
bringen. Deltoideus, Bizeps, kleine Fingermuskeln, Glutaei wiesen
träge Zuckungen auf,-bei einer Reihe von Muskeln überwog die
A.Oe.Z. und kamen starke Stromschleifen zustande.
Die Entscheidung, ob es sich um eine multiple Neuritis oder
eine atypische progressive Muskelatrophie handle, konnte bis zur
Abreise aus der 4monatigen Behandlung nicht mit voller Sicherheit
getroffen werden.
In differentialdiagnostisch schwierigen Fällen
fahnde man beim Verdacht auf Polyneuritis beson¬
ders auf leichteste elektrische Veränderungen auch
in anscheinend nicht gelähmten Muskeln, auf Formi-
kationen und andere Parästhesien, auf Druckpunkte
besonders auch der Krurales und Interkostales, Schlaff¬
heit einzelner Muskeln, abwechselnde Steigerung und
Herabsetzung der S e h n e n r e f I e x e, kombiniert mit
Hypotonie.
Bezüglich der Behandlung nur einen kurzen Wink für den Prak¬
tiker. Die souveräne Therapie ist die Diaphorese, die
sich auch in der Privatpraxis in schweren Fällen, ohne das von
Vagussymptomen gefährdete Herz zu schädigen, mit Hilfe eines
knieförmig gebogenen, unter die Bettdecke geleiteten Rohrs, in dem
die Dämpfe einer Spirituslampe fortgeleitet werden, gut durchführen
läßt. Es ist merkwürdig, wie wenig diese dankbarste Methode an¬
gewandt wird. Während des Entzündungsstadiums ist die elektrische
Behandlung kontraindiziert. Sie ist meist schmerzhaft und häufig
schädlich. Ist die Entzündung abgelaufen, so tut sie gute Dienste.
Leichte Massage und besonders Einreibungen und Ein¬
pinselungen von leicht resorbierbaren Präparaten, wie Jodvasogen,
lchthyolvasogen, Rheumasan, Credesche Salbe, besonders auch Sali-
zylisapogen, können einen augenfälligen Nutzen bringen.
Der Zweck meiner Abhandlung war nicht, eine erschöpfende
Abhandlung über die Polyneuritis zu geben. Eine solche findet man
in jedem Lehrbuch und Handbuch der Neurologie. Für den prakti¬
schen Arzt halte ich die Darstellung von Cassirer in der Deu-t
sehen Klinik für besonders faßlich. Ich wollte nur auf die Modifi¬
kationen und Verschiebungen hinweisen,diedieAetio-
logie, die Symptomatologie, der Verlauf der Poly¬
neuritis durch die besonderen Verhältnisse in der
Kriegs- und Nachkriegszeit erfahren haben. Krankheits¬
bilder, wie ich sie bei meiner Schilderung im Auge hatte, sind immer
vorgekommen; aber jetzt kommen sie mit besonderer Häufigkeit vor,
Momente, die* früher wenig Beachtung verdienten, spielen jetzt eine
bedeutsame Rolle, und differentialdiagnostische Schwierigkeiten, denen
man früher selten begegnet ist, werden jetzt zur häufigen Klippe.
Es ist deshalb auch für den praktischen Arzt von großer Wichtigkeit,
sich mit dem Krankheitsbild und seinen mannigfachen Ausprägungen
bekannt zu machen.
Ganglion der Nervenscheide des N. ulnaris.
Von Dr. J. P. zum Bosch in Bad Kreuznach.
In Nr. 2 der D. m. W. beschreibt Deebs ein Ganglion des
N. ulnaris und weist auf die große Seltenheit dieser Zysten hin, die,
wie er glaubt, zum ersten Male von Hart well 1901 beschrieben
wurden. Ich habe nun 1894 einen solchen Fall gesehen und im
Arch. f. klin. Chir. 49, H. 2 beschrieben. Es handelte sich um
einen 30jährigen Mann, der 5 Wochen früher auf den rechten Arm
gefallen war und den Condylus internus gebrochen hatte (?). Patient
suchte mich wegen heftiger Schmerzen auf, die von einer gut wal¬
nußgroßen Geschwulst ausgingen, die ziemlich verschieblich war
und sich wie eine frisch geschwellte Drüse anfühlte. Sie lag 3 Finger
breit oberhalb des Condylus internus; etwas unterhalb derselben
fühlt man den N. ulnaris, der sich leicht hin und her rollen läßt und
in die Geschwulst überzugehen scheint. Die Geschwulst ist stark
druckempfindlich, besondere Schmerzen empfindet aber der Kranke,
wenn er sich in der Gegend des Condylus internus stößt. Die
Schmerzen strahlen nach abwärts bis in dien 4. und 5. Finger aus.
Es besteht außerdem eine völlige Lähmung aller vom Ulnaris ver¬
sorgten Muskeln. Ich nahm damals an, daß der angeblich erlittene
Kondylenbruch, von dem keine Spuren zurückgeblieben waren, in
Wirklichkeit eine Verletzung des N. ulnaris gewesen sei. Die kurz
darauf vorgenommene Operation ergab eine taubeneigroße, ovale,
durchscheinende Geschwulst, die wie ein Sehnenganglion aussah.
Man sah den Nerv in die Geschwulst ein- und austreten, die der
Geschwulst unmittelbar benachbarten Teile des Nerven waren (be¬
sonders peripherisch) geschwollen und infiltriert. Aus einem Ein¬
schnitt in die Geschwulst entleerte sich eine gelbliche, dicke Gallerte,
wie wir sie vom Sehnenganglion kennen. Die Zystenwand ist glän¬
zend, mit einigen flachen Leisten besetzt, der Nerv selbst ist fächer¬
förmig über die Wand ausgebreitet, die einzelnen nervösen Elemente
sind äußerst platte, dünne Bänder. Die Zyste wurde mit Subjimat
ausgewischt, ein Stück der oberen Wand entfernt und die Wunde
geschlossen. 2 Monate nach der Operation hatten sich die Lähmungs¬
erscheinungen soweit gebessert, daß Patient wieder als Möbel¬
polierer arbeiten konnte. Die Schwellung am Nerven war völlig
verschwunden.
In meiner kurzen Veröffentlichung des Falles habe ich die Ent¬
stehung dieser Zyste als eine traumatische Erweichungszyste zu er¬
klären versucht und glaube, seit ich noch einen weiteren Fall ge¬
sehen habe, auch heute noch, daß diese Erklärung richtig ist. Ob¬
wohl ich 1894 die Literatur auf das sorgfältigste studiert habe, fand
ich nur einen ähnlichen Fall, der von Bowlby bei einer Sektion
im Bartholomews Hospital in London zufällig gefunden wurde. Man
fand bei dieser Leiche außer einer Zyste im Ulnaris auch eine solche
im N. interosseus posterior des anderen Armes. Eine Erklärung für
die Entstehung wird nicht gegeben, sonst entspricht die Beschreibung
der Zysten und ihres Inhalts durchaus der oben von mir gegebenen.
Juni 1905 sah ich nun einen zweiten Fall in der Privatpraxis.
Dem 28jährigen, Kranken, einem sonst gesunden und sehr kräftigen
Manne, war ein Golfball, der mit großer Kraft geschleudert wird,
an den linken Arm geflogen. Er empfand sofort sehr heftige Schmer¬
zen und konnte eine Zeitlang keinen Sport mehr treiben. Als ich
ihn 11 Wochen später sah, bestand eine deutliche Atrophie aller
vom N. ulnaris versorgten Muskeln, aber keine Lähmung wie im
ersten Falle. Die Sensibilität im 4. und 5. Finger war herabgesetzt
Bei der Untersuchung des N. ulnaris fand man etwa 2 Finger breit
oberhalb des Condylus internus eine ovale, haselnußgroße Geschwulst,
die zweifellos dem N. ulnaris angehörte. Druck auf diese Schwel¬
lung wurde sehr schmerzhaft empfunden, die Schmerzen strahlten
blitzartig nach der Kleinfingerseite der Hand zu aus. Eine am fol¬
genden Tage vorgenommene operative Freilegung der Geschwulst
ergab dieselben Verhältnisse wie im ersten Falle. Oberhalb und
besonders unterhalb der Geschwulst ist der Nerv deutlich infiltriert;
die wie ein Ganglion aussehende Geschwulst wird inzidiert, wobei
sich hellgelbliche Gallerte (in meinen Notizen steht apfelgeleeartige)
entleert. Die Zystenwand wird, wie im ersten Falle, von der Nerven¬
scheide gebildet, die Nervenfasern sind flächenhaft über die Zysten¬
wand ausgebreitet. Behandlung wie bei dem ersten Fall, nur daß
diesmal die Wand nicht mit Sublimat abgerieben wurde. Auch hier
trat rasche Besserung und, wie ich mich nach längerer Zeit über¬
zeugen konnte, dauernde Heilung ein.
Ich glaube, daß man in diesen beiden Fällen mit Bestimmtheit
eine traumatische Entstehungsursache (Blutung, Erweichung! an¬
nehmen kann, ganz besonders scheint diese im zweiten Falle, wo
es sich um einen gebildeten Menschen handelte, der sich genau
beobachtet hatte, sicher zu sein.
Vereisung bei Staphylokokkeninfektionen 1 ).
Von Prof. Bockenheimer in Berlin.
Seit acht Jahren wende ich meine Methode der Vereisung für
Staphylomykosen (Furunkel, Karbunkel) an. Während früher täglich
einmal vereist wurde, vereise ich jetzt dreimal hintereinander in Pausen
von einer Minute. — Dann wird ein Salbenlappen aufgelegt, der mit
einer Binde, nicht mit einem Pflaster, festgehalten wird. — Die
Umgebung des infizierten Gebietes muß während der Vereisung
geschützt werden — z. B. durch einen umgelegten Wattekranz. Bei
Infektionen im Gesicht muß man Nase und Mund während der Ver¬
eisung zuhalten, damit kein Chloräthyl rausch entsteht. — Die Ver¬
eisung tritt schneller ein, wenn mit Hilfe eines geeigneten Gebläses
noch ein Luftstrom auf die infizierte Stelle geleitet wird. — An dem
schnelleren oder langsameren Eintritt der Vereisung kann man den
Grad der Infektion erkennen.
Die Untersuchungen eines meiner Schüler, N. Bloch, die der¬
selbe im Hygienischen Institute der Universität ausführte, haben
ergeben, daß die Abkühlung in den Geweben nach der Vereisung
nicht so hochgradig ist, um Bakterien abtöten zu können. — So haben
auch die Versuche von Zondek, der mit dem Tiefenthermometer
Hautmessungen vornahm, ergeben, daß bei der Vereisung nur eine
Temperatur von Null Grad erreicht wird. Die günstige Wirkung der
Vereisung auf infizierte Gewebe ist daher nadi unsern bisherigen
Kenntnissen lediglich auf die starke Hyperämie zurückzuführen, die
jedesmal nach dem Auftauen der Gewebe eintritt.
Bei den vielen im Laufe der Jahre beobachteten Fällen konnte
ich immer wieder Folgendes feststellen:
Im Anfangsstadium kann die Infektion kupiert werden. In fort¬
geschritteneren Fällen bildet sich schnell eine Nekrose, die von Eiter
umspült und vom gesunden Gewebe schnell losgelöst wird. Die Haut
platzt dann in der Mitte des Infiltrats auf, soaaß man die Nekrose
mit der Pinzette entfernen kann, ln anderen Fällen bildet sich gar keine
Nekrose, sondern ein Abszeß, der unter fortgesetzter Vereisung ohne
Inzision zurückgeht oder nach einer Stichinzision entleert wird.
*) Vortrag, gehalten In der Berliner Gesellschaft für Chirurgie am 13 . 1 L 1922.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNÜVERSITV
26. Mai 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
695
Die Vereisung kann auch nach der Inzision fortgesetzt werden
und beschleunigt die Heilung.
Selbst ausgedehnte Furunkel und Karbunkel mit Lymphdrüsen-
schwellungen und Thrombophlebitis sind von mir lediglich mit Ver¬
eisung behandelt worden, ohne jeglichen Mißerfolg. — In solchen
Fällen tritt zunächst eine starke Reaktion des Organismus (Fieber,
Schüttelfrost) auf und dann eine auffallend rasche Besserung. —
Macht man in diesen schweren Fällen große Inzisionen, so kann bis¬
weilen eine auftretende Allgemeininfektion zum Tode führen.
Als Vorteile meiner Vereisungsmethode ist zunächst die Einfach¬
heit hervorzuheben, da ohne Narkose und Assistenz die Vereisung
ausgeübt werden kann. Die Vereisung ist meist schmerzlos, während
bei überempfindlichen Patienten durch eine vorhergegebene Morphium-
injektion Schmerzlosigkeit erzielt werden kann. — Ein weiterer Vor¬
teil ist die schnellere Heilung. — Und der größte Vorteil, daß keinerlei
entstellende Narben Zurückbleiben, im Gegensatz zu den dicken, roten,
lange sichtbaren Narben nach Inzisionen in infiziertes Gewebe.
Bisher habe ich meine Methode nur bei zirkumskripten Staphylo¬
kokkeninfektionen angewandt, weitere Erfahrungen müssen noch
zeigen, ob sich auch andere Infektionen, wie z. B. Erysipel, Milzbrand,
Phlegmonen usw., mit der Vereisung bekämpfen lassen.
Aus der I. Medizinischen Abteilung des Krankenhauses
Schwabing in München. (Direktor: Prof. Kerschensteiner.)
Ueber die antipyretische Wirkung des Dulcin;.
Von Dr. Ernst W. Taschenberg.
Ueber die Notwendigkeit von Ersatzmitteln für Zucker besteht
wohl nirgends ein Zweifel. Dabei braucht man jedoch nicht nur an
die Behandlung des Diabetes zu denken, auch aus wirtschaftlichen
Gründen werden wir in der nächsten Zeit wieder mehr zu solchen
Mitteln greifen müssen. Leider bestehen auch bei den sog. Gebildeten
reichlich Vorurteile gegen Ersatzmittel des Zuckers in dem Sinne,
daß sie gesundheitsschädlich sein sollen. Es ist Aufgabe der Aerzte,
hierin aufklärend zu wirken. Außer dem Saccharin beansprucht
das von der Firma J. D. Riedel in den Jahren 1893—98 hergestelltö
Dulcin besonderes Interesse. Dieser Körper hat neben seinem an¬
genehmeren Geschmack vor dem Saccharin die Eigenschaft voraus,
daß er kochbeständig ist. Chemisch ist das Dulcin p-Phenetol-
0-C.H.
HC/\CH
Hck/CH
karbamid, mit anderen Worten: ein Körper, der außerordentliche
Verwandtschaft mit dem Phenacetin hat und sich von ihm nur da¬
durch unterscheidet, daß an der Amidogruppe an Stelle von CH 3
NH S sitzt. Es liegt in dem Dulcin also ein Paramidophenolderivat
vor. Die Paramidophenole sind, wie die Aniline, Methämoglobin-
bildner, also Blutgifte. Seuffert konnte nach weisen, daß das Dulcin
bei Hunden keine Einwirkung auf das Blut hatte; bei den zu Süßungs¬
zwecken am Menschen nötigen Dosen ist eine solche Gefahr von
vornherein ausgeschlossen. Das stellte auch Kobert fest (Zbl. f.
inn. Med. 1894, 16). Eine weitere unangenehme Nebenwirkung des
Dulcins, die sich aus seiner Formel ableiten läßt, könnte die Anti-
pyrese*sein. Stahl (Ber. d. Phys. Ges. 1893, 3, 141) fand in der
Tat nach 2 g Dulcin beim Kaninchen eine Herabsetzung der Tem¬
peratur von 38,5° auf 37,7° C, nach Genuß von 1 g Dulcin erfolgte
ein Abfall der Temperatur von 38,8° auf 38,5° C. Nun ist in diesen
Fällen den Tieren eine Menge der Substanz eingeflößt, die beim
Menschen praktisch nie in Frage kommt; entsprechen doch 2 g Dulcin
hinsichtlich ihrer Süßigkeit fast 1 Pfund Zucker. Ewald (Verh. d.
Phys. Ges. Berlin 1893, 11) fand beim Menschen keinerlei nachteilige
Wirkung des Dulcins. R. Kobert hat sich dann 1916 nochmals mit
der Einwirkung des Dulcins auf die Temperaturkurve beschäftigt
und stellte bei gesunden Individuen der verschiedensten Altersstufen
keine antipyretische Wirkung fest. Er verabreichte 0,1—0,2 g auf
• einmal.
Die Einwirkung des Dulcins auf die Körperwärme beim Menschen
haben wir nun auf Veranlassung des Vorstandes der Deutschen
Forschungsanstalt für Nahrungsmittelchemie, des Herrn Geh.-Rat
Paul, nochmals nachgeprüft. Wir benutzten zu unseren Versuchen
nur Kranke, und zwar solche mit und solche ohne Fieber. Anfangs
verabreichten wir 0,3 g Dulcin einmal am Tag und wiederholten
an spateren Tagen dieselbe Dosis. Spater gaben wir 0,5 g. Es ist
das Resultat ganz gleich gewesen. Dabei ist hervorzuheben, daß
Gaben von 0,3 und 0,5 g Dulcin auf einmal verabreicht eine Süßig¬
keitsstärke darstellen, die in Form von Zucker selten auf einmal genos¬
sen wird und somit fast nie im täglichen Leben zur Süßung benutzt
werden würde (75—125 g Zucker). Wenn also diese relativ hohen
Gaben selten oder nie eine Antipyrese machen, gestalten sich die
Verhältnisse bei den viel kleineren, wirklich praktisch verwendeten
Mengen noch günstiger. Die Temperaturen wurden meist rektal
ermittelt. Untersucht wurden Nervöse, Schwächliche, Infektions-
krankc, Tuberkulöse (letztere besonders zahlreich) und Darmkranke;
namentlich natürlich Fiebernde. Die Kurven wurden vorher und
nachher einige Tage aufgenonimen. Das Kurvenbild wurde durch
Dulcin fast nie beträchtlich beeinflußt, meist prägte sich die Gabe
in der Kurve gar nicht aus, nur bei Tuberkulösen ging die Tem¬
peratur in seltenen Fällen bis zu 3 Zehntelgraden tiefer als an
Tagen ohne Dulcin. Nur einmal drückte (0,5) Dulcin bei einer
Tuberkulösen das gesargte Tagesniveau, dessen Maximum um
8 Zehntelgrade hinter dem der anderen Tage zurückblieb. Beschwerden
wurden von den Kranken niemals angegeben oder Störungen be¬
obachtet. In der angewendeten Menge schmeckt Dulcin unangenehm
süß, aber, wie betont, würden solche Gaben auf einmal nie zur An¬
wendung kommen. Wir haben mithin gezeigt, daß eine irgendwie
ins Gewicht fallende antipyretische Wirkung dem Dulcin nicht zu¬
kommt und Bedenken gegen seine Anwendung nicht bestehen.
Aus der Universitäts-Kinderklinik in Würzburg.
(Vorstand: Prof. Rietschel.)
Ein einfacher, wenig bekannter Leukozytennachweis
im Harn.
Von Dr. Hugo Tannenbaom, Arzt in Langenschwalbach,
früher Volontär der Klinik.
Vor etwa 20 Jahren referierte in der Würzburger Physik, med.
Gesellschaft Johannes Müller „über einen bequemen chemischen
Nachweis von Eiter im Harn“. Die Probe stellt offenbar nur eine
Teilerscheinung der Öonneschen Eiterprobe dar, die darin besteht,
daß man zu dem Sediment eines eiterhaltigen Urins etwas Aetzkali
oder konzentrierte Kalilauge hinzusetzt. Hierdurch wird das Sedi¬
ment zu einer schleimig-gallertigen Substanz. Johannes Müller
empfahl nun zum Nachweis von Eiterkörperchen, dem Urin im
Reagenzglase — nicht dem Sediment — tropfenweise offizielle
Kalilauge hinzuzusetzen und nach jedem Zusatz tüchtig zu schütteln.
Bei einem eiterhaltigen Harn bleiben dann die Luftblasen, die bei
anderen Harnen sofort zur Oberfläche steigen, deutlich als perlen-
ähnliche Blasen in der Flüssigkeit stehen oder bewegen sich nur
sehr langsam aufwärts. Die Probe ist noch positiv bei einer kaum
sichtbaren Trübung des Urins durch Eiter und ist noch deutlich
nachzuweisen, wenn in einem Kubikmillimeter 1200 Leukozyten ent¬
halten sind. Die Probe ist nicht beständig, sondern muß sofort nach
dem KOH-Zusatz beobachtet werden. Urine, die durch Platten-
epithelien, Epithelien der Harnwege und Harnkanälchen, durch Harn¬
zylinder oder Bakterien getrübt sind, lassen die Luftblasenprobe
negativ ausfallen.
Vor einigen Jahren beobachtete ich durch Zufall bei einem
Zystitisham die gleiche Erscheinung. Da diese Reaktion nun in
allen Kliniken, in denen ich bisher arbeitete, unbekannt war, ver-
anlaßte mich Herr Prof. Rietschel, mich mit der Probe näher
zu beschäftigen. Erst nach Abschluß meiner Beobachtungen erfuhr
ich von der oben angeführten Veröffentlichung.
Natürlich lassen sich die Leukozyten stets, wenn auch wesent¬
lich umständlicher, mikroskopisch nachweisen, doch gibt die mikro¬
skopische Untersuchung des Harns auf Leukozyten gerade in den
schwersten Fällen von Zystitis oder Zystopyelitis oft* ungenaue
Anhaltspunkte, wenn nämlich durch die alkalische Reaktion des
Harns die Leukozyten sich zu der gallertigen Masse umgebildet
haben. In diesen Fällen empfehlen Neubauer und Vogel schon
die Donn£sche Eiterprobe, denn — um zu zitieren — „Eiter ge¬
rinnt dadurch zu der angeführten gelatinösen Masse, während Schleim
sich in eine dünne Flüssigkeit mit Flocken auflöst“. Ich fand eben¬
falls bei einem mikroskopisch relativ geringen Leukozytengehalt
im alkalischen Urin, manchmal auch ohne Kalilaugezusatz, die Luft¬
blasenprobe positiv. Nach meinen Versuchen war die Kali¬
lauge-Luftblasenprobe noch deutlich positiv in sauer reagierenden
Hamen oder Harnverdünnungen, die weit weniger als 1200 Leuko¬
zyten — oft nur 700 Leukozyten — in einem Kubikmillimeter ent¬
hielten. Das wären Fälle, die noch sehr leichten Graden von
Zystitis oder Pyelitis entsprächen. Nach Neuberg bewegt sich
nämlich die Zahl der Leukozyten bei leichten Graden um 5000, in
mittleren um 20000 in 1 cmm. Uebrigens empfiehlt derselbe zur
ungefähren Zahlbestimmung der Leukozyten die Transparenzmethode,
die aber nur dann Bedeutung hat, wenn man die Trübung des
Urins durch Salze oder Bakterien ausschließen kann, während die
Luftblasenprobe unabhängig hiervon sich nur nach dem Gehalt an
Leukozyten richtet und unter diesen Umständen sicherer ist als
die Transparenzmethode.
Obwohl die „Kalilauge-Luftblasenprobe“ den schnellsten, ein¬
fachsten und sichersten Nachweis von Leukozyten im Harn gestattet,
ist sie in den meisten üblichen Lehrbüchern nicht angeführt. Hoffent¬
lich tragen diese Zeilen dazu bei, die Probe weiteren Kreisen ge¬
läufig zu machen.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
696
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 21
Die Behandlung der Anginen mit Argaldon.
Von Dr. med. Schlesinger,
Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenkranlcheiten in Wiesbaden.
Die Behandlung der Anginen mußte sich bisher darauf beschrän¬
ken, Schädlichkeiten fernzuhalten. Die zu Gurgelungen angewandten
Medikamente dienten lediglich der besseren Reinigung der Mund- und
Rachenhöhle, eine irgendwie spezifische Wirkung kam keinem von
ihnen zu. Ich stand deshalb jedem noch so warm empfohlenen Präparat
mit großer Skepsis gegenüber und habe mich audi lange nicht ent¬
schließen wollen, Versuche mit dem mir von der Pharmazeutischen
Industrie übergebenen Argaldon zu machen. Erst ein sehr hartnäckiger
Fall von Rachendiphtherie bestimmte mich, das Präparat versuchs¬
weise anzuwenden, mit dem überraschenden Resultat, daß nach etwa
24 Stunden die Beläge verschwunden waren. Seither, d. h. seit nun¬
mehr etwa 2 Jahren, verwende ich das Argaldon in immer steigendem
Maße, vorzugsweise bei Angina, aber auch bei Stomatitiden und
Gingivitiden, seit einiger Zeit auch bei hartnäckigen Otitiden. Obwohl
das Argaldon, im Gegensatz zu anderen Silberpräparaten, sich in
Lösung unbegrenzt hält, benutze ich jetzt wegen der leichteren Dosie¬
rung die Argaldon-Tabletten (0,5 g).
Das Argaldon stellt eine synthetische Verbindung von Silber¬
eiweiß und Hexamethylentetramin dar, aus der bei der Berührung mit
dem alkalischen Mundspeichel Formaldehyd in statu nascendi frei
wird, sodaß sowohl das Silbereiweiß wie das Formaldehyd zur inten¬
siven Entfaltung und Wirkung kommt.
Arbeiten aus der Bakteriologischen Abteilung des Rudolf Virchow-
Krankenhauses (B. kl. W. 1916 Nr. 27) wie aus der Hautabteilung des
Allgemeinen Krankenhauses in Mannheim (Derm. Wschr. 1914, 48)
haben die bakterizide und besonders die keimhemmende und nähr-
bodenverschlechtemde Wirkung des Präparates im Laboratoriums¬
versuche ergeben. In neuerer Zeit hat Piorkowski diese Resultate
durch neue sorgfältige Untersuchungen bestätigen können. Ich will
hier auf die Untersuchungen nicht eingehen, zumal da derartige Labo¬
ratoriumsversuche für die Wirkung in vivo häufig wenig beweisend
sind, sondern nur in großen Zügen auf meine klinischen Erfahrungen
hinweisen. Von anderen klinischen Erfahrungen möchte ich nur die¬
jenigen des Städtischen Krankenhauses in Wiesbaden erwähnen, wo
das Argaldon sowohl in der Urologie als Antigonorrhoikum, wie auch
in der Inneren Medizin bei Septikämie in Form intravenöser Injektionen
mit sehr gutem Erfolg angewandt worden ist. Bei der Chirurgischen
Abteilung wurde das Argaldon zu antiseptischen Spülungen und
Umschlägen bei stark verunreinigten Wunden und jauchigen Eiterungen
angewendet.
Ich habe bisher das Argaldon in meiner Praxis in folgender Weise
angewandt:
1. die 10°/oige Stammlösung zur Behandlung in der Sprechstunde,
Betupfen und Pinselung;
2. in 0,3—0,5°/oiger Lösung als Gurgelwasser, von dem ich
stündlich 1/2 Glas ausgurgeln lasse. In letzter Zeit bin ich auch für
das Gurgelwasser zu den Tabletten, enthaltend 0,3 Argaldon, über¬
gegangen, und zwar lasse ich eine Tablette in einem halben Glas
Wasser, d. h. in etwa 100 ccm, lösen, sodaß ich eine etwa 0,3°/oige
Lösung erhalte.
Zu meinen Resultaten möchte ich von vornherein bemerken, daß
ich eine irgendwie schädigende Wirkung nie gesehen habe. Auch das
Verschlucken der Lösung ist gänzlich unschädlich. Ein unbestreitbarer
Vorzug für die Kinderpraxis und eine Bestätigung der Tierversuche
Piorkowskis, der Kaninchen bis zu 0,05g Argaldon per Kilo
Lebendgewicht schlucken ließ, ohne daß die Tiere irgendwelche
Krankheitssymptome aufwiesen.
Um mit der Wirkung des Argaldons auf seinem Hauptverwen-
dungsgebiet, der akuten und lakunären Angina, zu beginnen, so sind
die Klinischen Erfolge unleugbar, ja oft frappant, und zwar fiel vor
allem auf:
die rasche Entfieberung schon nach 1—2 Tagen;
das auffallend rapide Schwinden der Beläge, die oft schon nach
24 Stunden nicht mehr nachweisbar waren;
die wesentlich geringere Schädigung des Allgemeinbefindens.
Ich begnüge mich mit der Erwähnung dieser Tatsachen. Eine
Theorie über die Wirkungsweise des Argaldons aufzustellen, halte
ich für müßig, zumal ich mit einer Reihe anderer Autoren die Angina
nur als Symptom einer Allgemeininfektion auffasse.
Ich habe im Laufe der letzten 2 Jahre mehrere 100 Fälle von
Angina behandelt. Da die Krankheitsgeschichten stets die gleichen sind,
so erscheint mir eine Aufzählung überflüssig. Man kann ein Schema
aufstellen, das etwa lauten würde: Angina mit Belag, Temperaturen
von 38,5—40°, stündliches Gurgeln einer Lösung von einer Argaldon-
Tablette in einem halben Glase Wasser. 24 Stunden nach Anwendung
des Argaldons sind die Beläge fast verschwunden. Temperatur normal
oder höchstens subfebril. Allgemeinbefinden wesentlich gebessert.
Nach 2—3 Tagen völlige Heilung. Rekonvaleszenz scheint wesent¬
lich schneller zu verlaufen.
Aehnlich günstige Erfolge hatte ich bei Stomatitiden und be¬
sonders Gingivitiden, bei denen ich besonders das Argaldon-GIyzerin
an wandte, welches eine Mischung der 10°/oigen Ärgaldon-Stammlösung
mit gleichen Teilen Glyzerin aarstellt. Auch bei den mehr chroni¬
schen Fällen von Tojisillitiden leistete mir das Argaldon recht Gutes.
Ich habe in einzelnen’Fällen den Eindruck gewonnen, als ob beginnende
Abszesse sich unter dem Einfluß des Argaldons zurückbildeten, ohne
allerdings hierfür einen strikten Beweis führen zu können.
Argaldon ist meiner Ueberzeugung nach ein durchaus unschäd¬
liches Mittel, dessen starke Desinfektionskraft außer Zweifel steht. Sein
Anwendungsgebiet scheint mir noch erweiterungsfähig, besonders
wenn sich auch andere Gebiete der Medizin mit diesem befassen wollen.
Ueber einige Verwendungsmöglichkeiten von Quarzglas und
Bergkristall im bakteriologischen Laboratorium.
Von Dr. C. W. Jnngeblot in Charlottenburg.
Von den technischen Schwierigkeiten, die die industrielle Her¬
stellung von Geräten aus Quarz und Bergkristall 1 ) bietet, legt die
wechselvollc Entwicklungsgeschichte des patentierten Fabrikations¬
prozesses ein beredtes Zeugnis ab. Von den ersten Anfängen 54 ) zur
Bearbeitung von Quarz und Bergkristall, die nur ein theoretisches
Interesse verdienten, ist man heute dazu gelangt, ein auch praktisch
in jeder Beziehung einwandfreies Material herzustellen. Geräte aus
Quarz und Bergkristall, von denen die letzteren sich bloß durch ihre
Durchsichtigkeit von dem durchscheinenden Quarzglas unterscheiden,
bieten im Laboratorium ungefähr die gleichen Vorteile wie Platin.
Bei der heute allgemein gebotenen Sparsamkeit ist der billige Ersatz
von Platin ein nicht zu unterschätzender Faktor. Abgesehen von
seiner Billigkeit, sind die das Quarz für diesen besonderen Zweck
qualifizierenden Eigenschaften hauptsächlich: sehr hoher Schmelz¬
unkt (ca. 1700 5 C), absolute Resistenz gegen angreifende chemische
ubstanzen (mit Ausnahme der Fluorwasserstoffsäure) und unbegrenzte
Widerstandsfähigkeit gegen brüske Temperaturschwankungen. Wäh¬
rend die Chemie den erst- und zweiterwähnten Punkt schätzt und das
Quarzglas vorwiegend diesen Vorzügen seine Einführung in das
Chemische Laboratorium verdankt, ist für den Bakteriologen haupt¬
sächlich der letzte Punkt von entscheidender Bedeutung. Die Tem¬
peraturfestigkeit des Quarzglases, die durch seinen ganz geringen
Ausdehnungskoeffizienten (0,000 00059) bedingt ist, geht soweit, daß
man ohne Gefahr des Zerspringens rotglühende Quarzglasgegenstände
unter die laufende Wasserleitung bringen kann. Wenn man bedenkt,
mit wieviel durch Hitze zu sterilisierenden Instrumenten und Labora¬
toriumsgeräten der Bakteriologe täglich zu tun hat, so ergibt sich aus
dieser Eigenschaft des Quarzglases ohne weiteres seine mannigfadie
Verwendungsmöglichkeit. Im Folgenden will ich auf einige Möglich¬
keiten näher eingehen, die bereits in manchen Laboratorien zu zufrie¬
denstellenden praktischen Ergebnissen geführt haben.
Bei der Sterilisierung der Petrischalen durch trockene Hitze
ergibt sich durch Zerspringen der Glasschalen nach Herausnahme
aus dem Ofen ein ziemlicher Prozentsatz von Material, das dadurch
unbrauchbar wird. Petrischalen aus Quarz oder Bergkristall halten
ohne die geringste Gefährdung diesen Prozeß aus. Dabei wäre zu
berücksichtigen, daß für die vielen Fälle, in denen nur die Ober¬
fläche des Nährbodens von Bedeutung ist, die durchscheinenden
Quarzschalen vollkommen ausreichend sind, während für jene Fälle,
in denen man die Kolonien im durchfallenden Lichte prüft, zweck¬
mäßigerweise die klar durchsichtigen, allerdings etwas teureren Berg¬
kristallschalen anzuwenden wären. Ein weiterer Umstand, der unter
besonderen Verhältnissen von Wichtigkeit sein kann, ist, daß Quarz¬
schalen den darin befindlichen Nährboden hinsichtlich seiner Re¬
aktion ganz unbeeinflußt lassen. Für manche exakteren Versuche
wünscht man einen Nährboden von konstanter Alkaleszenz. Es ist
nun eine bekannte Tatsache, daß bei allen Glassorten, besonders
beim Einfüllen heißen Inhalts, mit der Zeit durch elektrische Leit¬
fähigkeitsbestimmung deutlich nachweisbare Spuren von Alkalisalzen
in den Inhalt übergehen und damit dessen eingestellte Reaktion ver¬
ändern; hingegen ist diese Möglichkeit bei Quarz und Bergkristall,
das aus reinem SiO, besteht und als solches keinerlei wasserlösliche
Bestandteile enthält, ganz ausgeschlossen. In diesem Zusammenhang
möchte ich noch darauf hinweisen, daß Ehrlich bei seinen Versuchen
zur Herstellung von Salvarsan, bei denen es ja auch wesentlich auf
das Vorhandensein von absolut reinem destillierten Wasser als
Lösungsmittel ankommt, Gefäße aus Bergkristall benutzt hat. Unter
dem Namen Hofdestillator kommt ein sehr kompendiöser kleiner
Destillationsapparat in den Handel, der in einem Stück aus Bergkristall
hergestellt wird und bei kontinuierlichem Betrieb in 4 Minuten etwa »
50ccni Aqpa destillata liefert. Erwähnen möchte ich schließlich noch
die allgemein bekannte Durchlässigkeit des Quarzglases für ultraviolette
Strahlen, die gelegentlich für Bestrahlungs- und Desinfektionsversuche
mit kurzwelligen Strahlen von Bedeutung sein dürfte.
Was für die Petrischalen gilt, ist auch ganz allgemein für alle
Schalen und Gefäße, die zu bakteriologischen Zwecken gebraucht
werden, zutreffend. Hier fällt hauptsächlich der Vorteil der schnellen
Sterilisierbarkeit auf. Hat man plötzlich, vielleicht nach Erschöpfung
des Vorrats an sterilem Material, Bedarf nach einer sterilen Schale,
so läßt sich jede Quarzschale mit oder ohne infektiösen Inhalt
durch Ausglühen in der Flamme und Erkaltenlassen (auch Beschleu-
*) v. HirsehberK, UUmanns Enzyklopädie der technischen Chemie fl.
•) E. Thomas, Technische Blätter, Wochenbeilage der Deutschen Bergwerks-
Zeitung 1914 Nr. 5, 7 u. 9.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITV
26. Mai 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
697
nigung durch Uebergießen mit kalter steriler Bouillon ist möglich)
binnen kürzester Zeit gebrauchsfähig machen.
Am deutlichsten sind aber wohl die Vorteile bei Gebrauch eines
Quarzdallis an Stelle der bislang üblichen Dallis aus Glas. Die
Dallis, rechtwinklig gebogene Glasstäbe von etwa 3 mm Durchmesser
und Schenkellängen von etwa 6—12 cm, werden allgemein ver¬
wandt zum gleichmäßigen Ausstreichen von infektiösem Material
auf einer Nährbodenoberfläche. Die Glasdallis, auch wenn man sie
langsam vorwärmt, springen erfahrungsgemäß beim Sterilisieren in der
Flamme sehr oft, und jeder Bakteriologe kennt wohl genugsam die
stückweise, immer mehr bis zur Unbrauchbarkeit abbröckelnden trau¬
rigen Reste von Glasstäben, die schließlich übrigbleiben. Diese
Nachteile fallen beim Quarzdalli vollkommen fort; außerdem ist er
aber noch dem Glasstab erheblich überlegen durch die Möglichkeit,
ihn sofort nach Ausglühen durch Eintauchen in kalte, sterile Bouillon
ebrauchsfertig zu machen. Bei Reihenuntersuchungen von ver-
ächtigen Stühlen, die auf Endo- oder Drigalski-Platten ausgestrichen
werden, fällt die damit verbundene Zeitersparnis sehr erheblich ins
Gewicht. In analoger Weise dürfte sich auch der Gebrauch von
Pipetten aus Bergkristall praktisch sehr gut bewähren, weil bei der
Bergkristallpipette kein Abbrechen der Spitze beim Durchziehen durch
die Flamme möglich ist. Die erste Erwähnung solcher Bergkristall-
ipetten findet sich in einer Arbeit von Geh.-Rat Prof. Dr.
h. Paul 1 ). Auf die Möglichkeit, die Zylinder von Spritzen aus
Quarzglas herzustellen und diese durch rascne Hitzesterilisatiou sofort
wieder injektionsbereit zu machen, will ich nur kurz hinweisen.
Während die bisher besprochenen Anregungen mehr fakultativer
Natur sind, ergibt sich eigentlich die Notwendigkeit des Gebrauchs
von Quarz überall da, wo es gut an Stelle des sehr teuren
Platins treten kann. Bei dem meist gebrauchten Instrument des
Bakteriologen, der Platinöse, fällt allerdings die geringe mecha¬
nische Widerstandsfähigkeit — hauptsächlich mangelnde Elastizität
und Biegsamkeit — derart zuungunsten des Quarzes ins Gewicht,
daß sich der allgemeine Gebrauch von Quarzösen nicht empfiehlt.
Hingegen sind diese Oesen vorteilhaft anwendbar für Desinfektions-
versuche, in denen immer gleich große Tropfen des Materials in
Bouillon verimpft werden sollen, wobei man also vorwiegend mit
Flüssigkeiten zu arbeiten hat und eine Deformierung der Oese durch
Ausstreichen über feste Agarflächen nicht in Betracht kommt. Der
Ausbau des gleichen Gedankens führt zum Ersatz des Platinlöffels,
wie er viel zu Sterilitätsprürungen bei Vakzinen usw. gebraucht
wird, durch einen Quarzlöffel. Rasche Abkühlung nach Ausglühen
ist auch hier möglich und macht den Quarzlöffel dem Platinlöffel
durchaus ebenbürtig. Angenehmer Begleitumstand ist ferner, daß
Quarz ein sehr schlechter Wärmeleiter ist, infolgedessen der Stiel
des Löffels ohne besondere Handhabe gefaßt werden kann, ohne eine
merkliche Erwärmung zu spüren.
Zum Schluß möchte ich noch erwähnen, daß die Anregung zur
Konstruktion der genannten Geräte aus Quarz und Bergkristall von
Frl. D. Blom (Bern) ausging, die sie im dortigen Bakteriologischen
Institut eingeführt hat und daselbst seit einiger Zeit mit großem
praktischen Erfolge benutzt. Die erwähnten Quarzglasgegenstände
werden durch die Firma: Deutsche Ton- und Steinzeug-Werke, A.-G.,
Charlottenburg, vertrieben.
Aus den angeführten Beispielen läßt sich leicht entnehmen,
welche Vorteile Quarz beim bakteriologischen Arbeiten in geeigneten
Fällen bietet, und es ist dessen allgemeinere Einführung in die
bakteriologische Laboratoriumstechnik, besonders mit Berücksichtigung
der Einsparung von teurem Platin, sehr zu wünschen.
„Neue Gedanken zur Therapie des Karzinoms“.
Von Prof. Dr. Jacob Wolff in Berlin.
Wenn ein Autor wie Wettere r in Nr. 15 dieser Wochenschrift
„Neue Gedanken“ über eine Krankheit oder über eine neue Behand¬
lungsmethode veröffentlicht, dann muß er sich erst davon überzeugen,
ob seine Gedanken wirklich neu und nicht schon früher gedacht und
praktisch verwertet worden sind.
In meinem Werke: „Die Lehre von der Krebskrankheit“ 2 ) habe
ich ausführlich die Bluttherapie des Krebses besprochen und besonders
auch (S. 557) darauf hingewiesen, daß die Annahme, daß im Blute
Krebskranker „gewisse Stoffe fehlen“, die dem Wachstum der Krebs¬
zellen Einhalt tun könnten, Stoffe, die in einem Normalserum
vorhanden sein müssen, dazu geführt hat, auch das Normal¬
serum zu therapeutischen Zwecken zu verwenden.
Ich erwähne nui; die Versuche von C. S. Engel 3 ), der ebenfalls
den Gedanken von Wetterer schon verwirklichte, von E. Vidal 4 )
und vielen anderen Autoren, über die ich mich in meinem Werke
ausführlich geäußert habe; ich nenne namentlich auch die Unter¬
suchungen von Krokiewicz 5 ), Paul L. Edel 6 ) (Plazentarserum),
Korbsch 7 ) (Serum von jungen Tieren) u. a.
1 _ Ich verweise den Leser insbesondere auf die von mir ausführlich
erörterte Behandlung des Krebses mit den verschiedenartigsten Blut-
M. m. W. 1916 Nr. 35. *) 3 b, S. 442 446 u. S. 548 559. (Gustav Fischer, Jena I
1914.) — a ) D. in. W. 1903 Nr. 48 (in meinem Krebswerk 3 b. S. 554). - *) Comptes. rend.
du 18i*me congrfcs franq. de Chir. Paris 1905. - *) W. kl W. 1912 Nr. 35 (in meinem
Krebswerk S. 446). - •) B. kl. therap. W. 1904 Nr. 10. — 7 ) Neue med. Presse 20. V. 1902.
seren, auf die aktive und passive Immunisierung und auf das natür¬
liche Immunserum, insbesondere auch auf die Experimente von
Bashford, Murray und Cramer 1 ), welche von dem Gedanken
ausgingen, daß im Serum des Körpers eines von einem
Spontantumor geheilten Tieres Immunkörper vorhanden
sein müssen, welche therapeutisch verwendet werden könnten.
Wie dieser Gedanke, der genau den Wette rer sehen „neuen“
Gedanken entspricht, weiter in die Tat umgesetzt wurde, möchte ich
der Raumersparnis wegen hier nicht weiter ausführen. Man findet
alles Nähere in meinem Werke.
Es ist bedauerlich, daß wieder in der Neuzeit so. viele neue
Gedanken über das Krebsproblem und die Krebsbehandlung auf¬
tauchen, ohne daß die Autoren sich die Mühe geben nachzusehen,
ob ihre neuen Gedanken wirklich neu sind. Gerade in der Krebs¬
therapie, die von jeher der Tummelplatz neuer Gedanken war, ist
es zur Zeit jedem Krebstherapeuten doch sehr leicht gemacht, durch
einen Blick in mein Werk sich davon zu überzeugen.
Ich wende mich nicht gegen die sonstigen Ausführungen Wet-
terers, die zwar objektiv und frei von Optimismus gehalten sind,
es ist mir aber nicht klar geworden, was er unter klinisch ge¬
heilten Fällen versteht, und diese unklare Ausdrucks weise könnte
vielleicht so ausgelegt werden, daß diese Methode imstande wäre,
den Krebs zu heilen. ^
Ich möchte nur zum Schluß hervorheben, was ich S. 555 meines
Werkes gesagt habe, daß bei allen passiven Immunisierungsmethoden
nach den ersten Injektionen eines künstlich her¬
gestellten Immunserums stets eine auffallende Be¬
einflussung der Krebsgeschwulst zu beobachten war, während
spätere Injektionen vollständig versagten.
Erwiderung auf den vorstehenden Artikel.
Von Dr. Josef Wetterer in Mannheim.
Gerne gebe ich zu, daß vor mir Versuche, das Karzinom auf dem
Blutwege zu bekämpfen, die den meinen ähneln, gemacht worden sein
mögen. Doch kannte ich die von Wolff angeführten Arbeiten nicht,
sonst wäre es mir eine Ehrenpflicht gewesen, an diese anzuknüpfen.
Das ganze Problem hat für mich seinen Ursprung in jenem
Frankfurter Vortrage im Jahre 1911 (also drei Jahre vor dem Erschei¬
nen des Wolff sehen Buches), bei dem ich, wie ich glaube, als Erster
öffentlich die Anregung gab, das Serum geheilter Karzinompatienten
zur Therapie des Karzinoms, insbesondere zur Prophylaxe, zu ver¬
wenden. Hätte ich Wolffs Arbeiten gekannt, so hätte ich sie auch
freimütig zitiert. Nichtsdestoweniger aber hätte ich mit gutem Rechte
betonen dürfen, daß meine Gedanken, namentlich bezüglich der Ver¬
wirklichung und des Ausbaues der Idee, neu sind, wenigstens, soweit
ich dies aus der Wolff sehen Erwiderung erkennen kann. Und zwar
aus folgenden Gründen:
1. habe ich auf das jugendliche und dazu auf das — wie ich es
im Gegensätze zu dem Outsiderserum nenne — strengart gl eiche
Serum hingewiesen. Dieses Serum habe ich in steigender Dosis, in
gewissen Zwischenräumen, unter planmäßiger Kontrolle des Blutbildes,
intravenös angewandt;
2. habe ich ebenfalls als Erster die, wie mich die Erfahrung an den
bereits beschriebenen und an meinen neuen Fällen lehrt, wertvolle
Kombination der Anwendung von jugendlichem Deszendenteoserum
und Röntgentherapie bzw. Chirurgie empfohlen. Die Anwendung der
Kombinationsmethode geschah u. a. aus dem Grunde, die Kraft des
Organismus, die im Blutbilde ihren Ausdruck findet, zu heben und
die allgemeine Schädigung, die jeder Eingriff, sei es in Gestalt
von chirurgischer Intervention, sei es in Form von Strahlentherapie,
bewirkt, zu paralysieren.
3. Die (mindestens temporäre) Beseitigung der Krebsanämie bzw.
-kachexie durch Injektion jugendlichen Deszendentenserums oder Reiz¬
bestrahlung 2 ) habe ich erreicht und demgemäß als Erster beschrieben.
Wie weit sich unsere Hoffnungen bezüglich der Serumbehandlung
des Krebses erstrecken dürfen, das wage ich gewiß heute noch
nicht zu entscheiden. Die strengartgleiche Serummethode wird m. E.
vor allem als wichtiger Faktor einer Kombinationsbehandlung des
Karzinoms, als den ich sie eingeführt habe, die Outsiderserumanwen¬
dung in der Bekämpfung anderer Affektionen eine Rolle spielen.
Wenn ich von „im klinischen Sinne geheilten Fällen“ sprach, so
konnte sich diese Bemerkung, wie aus dem Texte klar hervorgeht, un¬
möglich auf die Serumbehandlung beziehen. Es handelte sich hierbei
um einige Fälle von Karzinom, die, sei es durch Strahlentherapie
allein, sei es durch Operation mit nachfolgender prophvlaktisoier
Röntgen- und Radiumbehandlung geheilt und mindestens fünf Jahre
lang rezidivfrei geblieben waren.
l ) Third scientif. Report on the Investig.'of the Imp. Cancer Res. Fund, London 1908
S. 315. — *) Der Einfluß des menschlichen Serums und der Reizbestrahlung auf Anämien
verschiedenster Provenienz bei Tuberkulose, Chlorose, perniziöser Anämie,t bei Leuk¬
ämien findet seine Würdigung in einem kleinen Aufsatze, der demnächst in dieser Wochen¬
schrift erscheinen wird.
Digitized by
Gch igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
698
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 21
Chirurgische Ratschläge für den Praktiker.
Von 0. Ledderhose in München.
XX.
Akute Peritonitis.
Wer es öfter erlebt hat, daß Kranke mit akuter perforativer
oder traumatischer Peritonitis durch eine Morphiumein¬
spritzung auf den nächsten Tag vertröstet werden und daß dann
chirurgische Hilfe zu spät kam, wird geneigt sein, die durch solche
Erfahrungen ausgelöste Mißstimmung allein auf den erstbehandelnden
Arzt zu übertragen. Dies mag vielleicht berechtigt sein, wenn sich
nachweisen läßt, daß tatsächlich oberflächliche Untersuchung und
unzureichende Sachkenntnis auf einen diagnostischen Irrweg geführt
haben. Aber die erweiterte Erfahrung gemahnt zu vorsichtiger Be¬
urteilung der Verantwortung, denn sie lehrt, daß nicht selten in der¬
artigen Fällen somatische und psychologische Momente starke Hem¬
mungen für das ärztliche Urteil bilden und daß sich gelegentlich
Schwierigkeiten ergeben, die auch durch die Zusammenarbeit erfah¬
rener Internisten und Chirurgen nicht zu lösen sind.
Am häufigsten und dringendsten erhebt sich die Frage, ob die
Bedingungen für Entstehung der akuten diffusen Peritonitis gegeben
sind, bei Appendizitis, bei Perforation eines Magen¬
oder Duodenalgeschwürs und nach Bauchquetschung. Die
Dringlichkeit dieser Fälle liegt darin, daß so häufig die Aussicht auf
Lebenserhaltung überwiegend oder allein davon abhängt, ob frühzeitig
der operativen Indikation entsprochen wird. Zuwarten oder
operieren muß deshalb das Leitmotiv für die ärztliche Untersuchung
und Beurteilung des Einzelfalles sein. Stellt sich die Appendizitis
unter dem Bild der akuten diffusen Peritonitis dar, so besteht kein
Zweifel, daß baldigste operative Behandlung erfolgen muß. Im übri¬
gen wird aber bezüglich der Appendizitis auch von den Hauptver-
tretem der Frühoperation (als Verfahren zur Verhinderung der diffusen
Peritonitis) zugegeben, daß es eine große Anzahl dichtester und
leichter Fälle gibt, die in kurzer Zeit — vielleicht infolge Entleerung
des im Wurmfortsatz angesammelten entzündlichen Exsudates in das
Zökum — ablaufen. Es sollte deshalb zur Operation geschritten
werden, wenn die Appendizitis nach 12 oder längstens nach 24 Stun¬
den nicht abgeklungen ist, oder wenn Zweifel über den voraussicht¬
lichen weiteren Verlauf bestehen. Die Rechtfertigung dieser Indi¬
kationsstellung für die Frühoperation ergibt sich einmal aus der
besonderen Eigentümlichkeit der akuten Appendizitis, daß sich näm¬
lich häufig in den ersten Tagen kein bestimmtes Urteil über den
wahrscheinlichen weiteren Verlauf gewinnen läßt, ferner daraus, daß
nach spontanem Abklingen des Anfalls vielfach Veränderungen am
Wurmfortsatz selbst und in seiner Umgebung Zurückbleiben, die zu
neuen Anfällen oder zu chronischen Beschwerden Anlaß geben, end¬
lich daraus, daß die Mortalität der am ersten oder zweiten Tag aus-
geführteu Operation 2°/o nicht zu erreichen pflegt. Jedem Praktiker
sollten bei der Beurteilung Appendizitiskranker Fälle vorschweben,
bei denen erfahrene Aerzte sich für eine günstige Vorhersage aus-
sprachen und von der Frühoperation abrieten, wo dann aber die
Krankheit gegen alle Erwartung plötzlich eine gefährliche, nur schwer
oder nicht mehr zu beherrschende Wendung nahm. Der Chirurg ist
auf Grund seiner reicheren Erfahrung eher als der Praktiker berech¬
tigt, in nicht ganz klaren Fällen von. der Frühoperation abzuraten.
'Anders liegen die Verhältnisse, wenn Perforation eines
Magen- oder Duodenalgeschwürs in die freie Bauchhöhle
sicher oder sehr wahrscheinlich anzunehmen ist. Hier muß als
Richtschnur die Tatsache gelten, daß auf spontane Heilung überhaupt
nicht gerechnet werden kann und daß die Aussichten der operativen
Behandlung innerhalb der ersten 9 Stunden sehr günstig sind ( 6 , 669/0
Mortalität nach Demmer, Frankfurter Klinik), während nach dieser
Zeit die Prognose schnell ungünstig wird (Spätoperationen 64, 860/0
Mortalität). Somit ergibt sich aus der Diagnose frischer Perforation
des Ulcus ventriculi oder duodeni in die freie Bauchhöhle ohne Ein¬
schränkung die operative Indikation.
Sine nach Quetschung des Bauches die Zeichen zunehmen¬
der, bedrohlicher innerer Blutung oder beginnender akuter
Peritonitis infolge von Organverletzung aufgetreten, so kann
darüber keine Meinungsverschiedenheit bestehen, daß allein die Laparo¬
tomie imstande ist, wirksame Hilfe zu bringen. Die Hauptschwierig¬
keit für das Urteil besteht darin, zu entscheiden, ob die ersten sich
an das Trauma anschließenden Symptome allein als Wirkung der
Quetschung ohne eigentliche Organverletzung anzusehen sind und
ob Schmerz, Resistenz und Abschwächung des Klopfschalles Ver¬
letzungsfolgen innerhalb der Bauchwand oder innerhalb des Bauch¬
raumes darstellen. Der akuten Appendizitis wie der Magenperforation
und der traumatischen subkutanen intraperitonealen Organverletzung
ist eine Schwierigkeit für die Diagnose gemeinsam, nämlich die der
Abgrenzung der anfänglichen Shokerscheinungen von den
ersten Anzeichen der akuten Peritonitis. Nicht selten gehen beide
Symptomengruppen unmittelbar ineinander über; dann ist bei auf¬
merksamer Beobachtung ein Fehlurteil wenig wahrscheinlich. Aber
sehr häufig schiebt sich zwischen den anfänglichen Shok und die
nachfolgende Peritonitis ein Zeitabschnitt von mehr oder weniger
ausgesprochener Latenz ein, und darin liegt die Gefahr unberechtigt
optimistischer Beurteilung des Falles und des Unterlassens stetiger
weiterer Beobachtung.
Bezüglich der bisher besprochenen drei Hauptursachen der akuten
diffusen Peritonitis sind in diesem Zusammenhang noch nachstehende
Einzelheiten von Interesse. Wenn sich auch die appendizitische
diffuse Peritonitis in der Mehrzahl der Fälle an die Perforation des
geschwürig veränderten oder des gangränösen Organs anschließt,
so vermag doch auch schwere Infektion auf dem Lymphwege aus dem
Lumen des Wurmfortsatzes auf die freie Bauchhöhle überzugreifen.
Die dem Durchbruch vorausgehenden anatomischen Veränderungen
verlaufen gelegentlich durchaus symptomlos; öfter gehen Erschei¬
nungen unbestimmter Art voraus. In typischen Fällen leitet sich die
akute Appendizitis mit heftigen Schmerzen ein, die häufig von
den Kranken zuerst in die Magen- oder Nabelgegend verlegt werden,
früher oder später in der Ileozökalgegend sich lokalisieren oder bei
diffuser Peritonitis sich über den ganzen Leib verbreiten. Fieber,
öfter durch Schüttelfrost eingeleitet, tritt auf, entsprechend beschleu¬
nigt sich der Puls, es bestehen Blasenbeschwerden, Brechreiz oder
Erbrechen, die Atmung ist vorwiegend kostal, Stuhldrang und Abgang
von Flatus fehlen. Die Betastung ergibt tonische Spannung der
Bauchmuskeln, wesentlich oder allein auf der rechten Seite, und Druck¬
empfindlichkeit in der Blinddarmgegend, woselbst oft schon früh in
der Tiefe ein deutlicher Widerstand fühlbar ist. Die rektale und
vaginale Untersuchung zeigt, daß die Beckenorgane unbeteiligt sind,
daß sich aber vielleicht bereits Exsudat im Douglas angesammelt hat.
Schon oft hat man sich auf diese Frühsymptome oder auf einzelne
von ihnen zu sehr verlassen und, wenn sie fehlten, die Diagnose
Appendizitis zum Schaden des Kranken abgelehnt. Es muß besonders
betont werden, daß es Fälle von akuter, auch perforativer Appendizitis
gibt, bei denen die genannten Frühzeichen nicht festzustellen oder nur
wenig ausgesprochen sind. Am wertvollsten und regelmäßigsten ist
die Muskelspannung, welche jedoch nicht beweist, daß der Wurm¬
fortsatz perforiert ist und fehlen kann, wenn die akut erkrankte
Appendix hinter dem Zökum liegt oder in ausgedehnte Verwach¬
sungen eingeschlossen ist (Malcolm, Krecke).
Die klassischen Zeichen der akuten, diffusen appendizi-
tischen Peritonitis sind folgende. Hochgradige Schmerzhaftig¬
keit des ganzen Leibes, welche die Hauptursache der vorwiegend
thorakalen Atmung bildet. Im Vordergrund steht die Spannung der
Bauchmuskeln als Ausdruck der Entzündung des Bauchfells. Sie
betrifft in erster Linie die Rekti und pflegt auch bei ausgesprochen
diffuser Peritonitis auf der rechten Bauchseite vermehrt ausgebildet
zu sein. Durch wiederholte vorsichtige Betastung muß festgestellt
werden, ob es sich nicht um vorübergehende reflektorische Muskel¬
kontraktion handelt, die durch den Druck der untersuchenden
Hand ausgelöst wird, und ob vielmehr ein ununterbrochener
Muskel Spasmus vorliegt. Hatten die anfängliche Uebejkeit, Auf¬
stoßen und Erbrechen nachgelassen, so treten sie mit Ausbildung der
diffusen Peritonitis von neuem und in vermehrter Stärke auf. Zunächst
wird alles Genossene ausgeworfen, dann folgt Erbrechen von reich¬
lichen, flüssigen, gallig gefärbten Massen, was das außerordentlich
starke Durstgefühl der Peritonitiker erklärt. Der Kranke ist sehr
unruhig, appetitlos und schlaflos. Höheres Fieber ist nicht immer
vorhanden. Zuweilen beträgt die rektale Temperatur 2 bis 3° mehr
als die axillare. Stark beschleunigter Puls bei niedriger Temperatur
ist ungünstig zu beurteilen. Der anfangs flache oder gar eingezogene
Bauch treibt sich stark auf, die Ränder des Magens und der gefüllten
Därme sind nicht zu erkennen, jede sicht- oder fühlbare Darmbewegung
fehlt. Die Fortleitung des Darminhalts steht still. Nur reichlicher
peritonitischer Erguß läßt sich durch Perkussion und Palpation
nachweisen; frühzeitig füllt er die Douglastasche aus. Meteorismus
und Exsudat drängen das Zwerchfell in die Höhe, führen zu Kom¬
pression der unteren Lungenlappen und bedingen zusammen mit der
Giftwirkung auf das Herz (schneller, kleiner bis unfühlbarer Puls)
Atemnot. Die Blutuntersuchung ergibt Leukozytose; im Urin läßt
sich Indikanvermehrung und öfter Eiweiß nachweisen. Verfallener
Gesichtsausdruck, trockene, rissige Zunge, Zyanose, Kühle der peri¬
pherischen Körperteile, Ikterus gehen dem vollständigen Herzstillstand
voraus, während das Bewußtsein meist bis zum . Tode erhalten bleibt.
In zahlreichen Fällen bilden Netz und Colon transversum die Grenze
für die Ausbreitung der akuten diffusen appendizitischen Peritonitis,
was naturgemäß die Prognose wesentlich günstiger gestaltet. Erfreu¬
licherweise haben wir immer seltener Gelegenheit, das hoffnungslose
Spätbild der akuten diffusen Peritonitis als Folge von Appendizitis zu
beobachten, dank der stetig zunehmenden Erkenntnis von dem Wesen
dieser Erkrankung und von den Mitteln zu ihrer wirksamen Bekamp;
fung. Ungleich häufiger nimmt der appendizitische Anfall den bei
weitem günstigeren Verlauf der umschriebenen Peritonitis,
sei es, daß die zunächst diffuse Erkrankung größtenteils vom Bauch¬
fell überwunden wird und es nur in der Nachbarschaft des Wurm¬
fortsatzes zur Abszeßbildung kommt, sei es, daß ältere Verwach¬
sungen von vornherein die Ausbreitung de f Infektion verhindern.
Bei regelwidriger Lage des Wurmfortsatzes, aber auch unabhängig
von dessen Lage können umschriebene Eiterungen auch an anderen
Stellen des Bauchraumes sich entwickeln. Ihren Abschluß finden die
appendizitischen Abszesse in spontanem Durchbruch nach außen, in
den Darm, die Vagina, das Rektum oder durch operative Eröffnung.
Die spontane oder traumatische Perforation des Magen;
geschwürs betrifft weit überwiegend die vordere Magenwand bei
Männern. Ein außerordentlich heftiger, von der Durchb ruchstelle
ausgehender Schmerz, der nicht mit Magenkrampf oder Gallenstein¬
kolik verwechselt werden darf, pflegt das erste alarmierende Zeichen
zu sein und führt zuweilen zu ausgesprochenem Kollaps. Die lebhafte
Diqitize a by
Gocgle
Original from
CORNELLJJNIVERSITY_ _ J
26. Mai 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
699
Druckempfindlichkeit ist in der Regel zunächst auf die Oberbauch¬
gegend beschränkt. Erbrechen kann fehlen. Sehr wertvoll für die
Diagnose der Geschwürsperforation sind Bluterbrechen und blutige
Darmentleerung. In die Bauchhöhle ausgetretene Magenluft kann die
Leberdämpfung zum Verschwinden bringen. Fortgesetzte Beobachtung
der Temperatur, des Pulses und der abdominalen Symptome läßt die
beginnende akute Peritonitis erkennen, was ohne weiteres die drin¬
gende operative Indikation ergibt. Denn nur ausnahmsweise
nimmt die Magen- oder Duodenalperforation einen spontanen gün¬
stigen Verlauf, wen& nämlich der Durchbruch in Abschnitte des
Bauchraums erfolgt, die durch Verwachsungen enger oder weiter
begrenzt sind, oder wenn im Sinne Schnitzlers sofortige „Deckung“
des perforierten Geschwürs dadurch zustandekommt, daß sich Leber
oder Pankreas anlegen. Kam es nicht zum Einbruch in die freie
Bauchhöhle, so pflegen die ersten ernsten Erscheinungen bald rück¬
gängig zu werden, was die Aussicht auf weiteren günstigen Verlauf
eröffnet. Sekundär bildet sich nicht selten eine subphrenische Eite¬
rung aus.
Auch mäßig starke Quetschung des Bauches ist imstande,
hochgradig angefüllte Hohlorgane oder krankhaft veränderte Organe
zu zerreißen. Namentlich ist daran zu erinnern, daß die durch Malaria
oder Typhus vergrößerte Milz schon infolge von leichtem Anstoßen,
Fall oder auch Muskelwirkung, wie übrigens auch spontan, bersten
kann. Intraperitoneale Blutung nach Bauchquetschung aus dem Mesen¬
terium, der Leber, der Milz und etwa auch der Niere löst zunächst
Schmerzen und Shokerscheinungen aus. Es folgen die physikalischen
Zeichen der umgrenzten sowie der freien intraperitonealen Blut¬
ansammlung und die allgemeinen Symptome der Anämie. Von den
auf peritoneale Reizung hinweisenden Erscheinungen ist auch hier
die Bauchdeckenspannung am meisten bezeichnend. Für die
Diagnose der Organverletzung mit Austritt von entzündungerregendem
Inhalt in den Bauchraum (Anpressen des Darms gegen Wirbelsäule
oder Darmbein) ist* die Stelle der stumpfen Gewalteinwirkung (Schür¬
fung, Blutaustritte in der Bauchwand) zu verwerten, weiter der
lokalisierte erste Schmerz, ferner einzelne auf bestimmte Organe hin¬
weisende Erscheinungen (Blutbrechen, blutiger Urin, Urinverhaltung),
hauptsächlich aber die häufig erst 6 bis 12 Stunden nach dem Trauma
einsetzenden und sich mehr und mehr steigernden Aeußerungen der
akuten diffusen Peritonitis. Das vorstehend über die Folgen der
Bauchquetschung Gesagte hat in vielfacher Hinsicht auch Gültigkeit
für die penetrierenden Stich- und Schußverletzungen
des Bauches, auf die nicht näher eingegangen werden kann.
Außer den besprochenen, praktisch wichtigsten Ursachen der
akuten diffusen Peritonitis gibt cs noch eine größere Anzahl von
krankhaften, in gleichem Sinne das Bauchfell gefährdenden Zustän¬
den, von denen nachstehend einige nur namentlich aufgezählt seien.
Das perforierende typhöse Darmgeschwür, die spontane oder trauma¬
tische Ruptur der Gallenblase, die akute Pankreatitis, die intraperi¬
toneale Blasenruptur, die auf das Bauchfell übergreifenden infektiösen
Prozesse der weiblichen Geschlechtsorgane, die in die Bauchhöhle
durchbrechenden appendizitischen, subphrenischen, hepatischen, pel-
veoperitonealen Abszesse, ausnahmsweise auch Empyeme. Die pro¬
gnostisch sehr ungünstige postoperative Peritonitis gehört eben¬
falls hierher. Eine Form der akuten diffusen Peritonitis verdient noch
hervorgehoben zu werden, nämlich die Pneumokokkenperitoni¬
tis der Kinder, die unter Magendarmerscheinungen plötzlich auf-
tritt, Neigung zu abgekapselter Eiterbildung untenialb des Nabels
besitzt und meist günstig verläuft.
Bekanntlich hat v. Mikulicz zuerst 1884 einen Fall von akuter
Perforationsperitonitis mittels Laparotomie erfolgreich behandelt, nach¬
dem man vorher die operative Behandlung dieser Fälle wohl haupt¬
sächlich deshalb nicht gewagt hatte, weil man die „Desinfektion“
des erkrankten Bauchfells für notwendig, aber nicht für möglich hielt.
Heute besteht, abgesehen von den Spätfällen mit schwerer allgemeiner
Intoxikation, Verfall der Kräfte und Herzinsuffizienz, für alle Fälle
von akuter diffuser Peritonitis die unbedingte Indikation der
Laparotomie und der operativen Behandlung der Ur¬
sache. Schnittführung in der Mittellinie oder in den Bauchseiten,
Gegenöffnungen im Mastdarm oder im hinteren Scheidengewölbe dienen
zur Ableitung des peritonitisdien Exsudates. Die Mehrzahl der Chirur¬
gen hat sich für Spülung mit reichlichen Mengen von erwärmter
physiologischer Kochsalzlösung entschieden. Läwen empfiehlt Spü¬
lung des Beckens mit Kochsalz- und Dakinlösung (300—500 ccm)
mittels eines besonderen Spülapparates, der in eine kleine supra¬
symphysäre Laparotomiewunde eingeführt wird. Neuerdings wurde
von verschiedenen Seiten das Eingießen von etwa 100 ccm Aether in
die Bauchhöhle nach erfolgter Spülung gerühmt. In Fällen schwerer
Darmlähmung kann die Entleerung des Darms durch Punktion oder
Einschnitt bzw. die Enterostomie lebensrettend wirken.
Als Maßnahmen gegen die Ursachen der akuten Peri¬
tonitis kommen in Betracht: Abtragen des Wurmfortsatzes sowie
Naht der perforierten oder verletzten Organe. Für die Versorgung
des perforierten Magengeschwürs stehen zur Verfügung: das Ueber-
nähen, das Aufnähen eines Netzzipfels oder von freiem Netz, die
Exzision, die Querresektion (neuerdings von mehreren Seiten mit
Erfolg bevorzugt), die Gastroenterostomie als Hilfsoperation und im
Notfall die Ableitung der nicht verschließbaren Geschwürsstelle mittels
Drains oder Tampons nach außen. Die Exstirpation der weitgehend
verletzten Milz oder Niere kann notwendig werden. Die lokali¬
sierte Peritonitis erfordert Spaltung da, wo sie am besten zu¬
gänglich ist. Mit der Eröffnung appendizitischer Abszesse, bei der
Eingehen durch intakte Abschnitte des Bauchraumes nicht zu fürchten
ist (abschließende Tamponade), soll der Wurmfortsatz exstirpiert wer¬
den, wenn dies ohne schwierige Lösung fester Verwachsungen möglich
ist. Appendizitische Douglasabszesse werden vom Rektum oder der
Vagina aus eröffnet; meist darf ihr spontaner Durchbruch abgewartet
werden.
Wenn auch die operative Indikation alle bei der akuten Peritonitis
in Frage kommenden therapeutischen Maßnahmen an Bedeutung weit
überragt, so stehen doch auch zahlreiche Mittel für die sympto¬
matische Behandlung zur Verfügung. Die auf die Berührung
des Bauchfells mit fremden Massen eintretenden Shokerscheinun¬
gen können so erheblich sein, daß allgemeine Erwärmung angewandt
und Analeptika verordnet werden müssen. Ob der Leib äußerlich
mit Kälte oder Wärme behandelt wird, macht keinen prinzipiellen
Unterschied und ist von Fall zu Fall zu entscheiden. Solange die
Diagnose sich in der Schwebe befindet, ist die Darreichung von
Opiaten möglichst zu unterlassen, um das Krankheitsbild nicht
unkenntlich zu machen. Muß etwas gegen die Schmerzen geschehen,
so ist Einspritzung von Morphium oaer Pantopon wegen ihrer kürzer
dauernden Wirfymg dem Opium vorzuziehen. Gegen das Erbrechen
erweisen sich öfter Magenspülungen, vorausgesetzt daß man sie
dem Kranken zumuten darf, als sehr wirksam. Abführmittel dürfen
nicht verabfolgt werden. Der quälende Durst wird am besten durch
Tropfklistiere bekämpft. Besteht ausgesprochene Herzschwäche,
so vermögen größere, auf einmal subkutan oder intravenös beige¬
brachte Mengen von Kochsalzlösung Schaden zu bringen. Bei peri-
tonitischem Kollaps lassen sich durch die intravenöse Dauertropf-
infusiou von Kocnsalz-Adrenalinlösung (10 bis 20 Tropfen Adrenalin
[1:10001 auf 1 Liter Kochsalzlösung), 4 Liter in 24 Stunden, unter
Umständen bis zu 12 Litern in 3 Tagen, entscheidende Erfolge er¬
zielen (Läwen, Sohn). Medikamente zur Anregung der Herztätig¬
keit sind meist nicht zu entbehren.
Kursus der gynäkotherapeutischen Technik.
Von Prof. H. Freund in Frankfurt a. M.
IV.
I. Blutungen,
Kaum eine Störung im weiblichen Genitalapparat hat so ver¬
schiedene Quellen wie die Blutungen, von psychischen Einflüssen
an bis zum Karzinom; und kaum eine verlangt so viel Urteil und
Erkenntnis seitens des Arztes. Schon der Begriff der abnormen Blutung
steht nicht fest. Man sieht zu den regelmäßigen Menstruationszeiten
Verluste, die das Publikum im Gegensatz zu dem Arzt für übermäßig
erklärt, andere wieder, die wir für profus halten, während sie der Be¬
treffenden nebensächlich erscheinen. Da es ein Maß für den gewöhn¬
lichen menstruellen Verlust nicht gibt, müssen wir gegebenen¬
falls alle Binden und den gesammelten Urin persönlich ansehen und
dazu beobachten, ob der Verlust auf das Herz, die Kräfte, die Füllung
der Gefäße, auf Nervensystem oder Psyche schädigend ein wirkt. Cha¬
rakteristische Blutungen der Frau gibt es kaum, sie seien nun an
den Menstruationstypus gebunden (Menorrhagien) oder nicht (Me¬
trorrhagien). Darum muß selbstverständlich die Diagnose gestellt
sein, woher sie stammen, ehe man an eine Behandlung denken kann.
Die Menorrhagien geschlechtsreifer junger Mäd¬
chen rühren häufig von Bleichsucht her, wofür abnorme Vorgänge
in den Eierstöcken, die zu dauernder Blutüberfüllung im Uterus
führen, die Grundlage sein können. Daraus geht hervor, daß hier
weder mit styptischen Mitteln, noch gar mit Operationen, speziell
Ausschabungen, etwas zu erreidien ist. Da wir auf der andern Seite
Mittel, die die Eierstockfunktion beeinflussen, nicht besitzen, so sind
wir auf eine allgemeine Therapie angewiesen, die sich auf die Beob¬
achtung des einzelnen Falles gründet. Da wird man häufig den
Infantilismus (universalis oder genitalis) als Ursache erkennen, bei
dem man die ovarielle und uterine Dysfunktion durch Kräftigung
des Körpers, Klimawechsel, Aufenthalt an der See, vernünftige Hydro¬
therapie und Massage, Bäder und Badekuren, Regulierung der Lebens¬
weise, Diät und geistigen Beschäftigung ordnen kann. Gerade bei
den Infantilen besteht nicht selten auch eine nervöse Minderwertig¬
keit, sodaß man tatsächlich denen zustimmen muß, die lehren, daß
Pubertätsblutungen durch Psychotherapie anzuhalten sind. Der alte
Rat des Hippokrates, denselben Effekt durch große, auf die Brüste
esetzte Schröpfköpfe — jetzt Biersche Stauglocken — zu erzielen, ist
eherzigenswert. Wenn Schröpfköpfe, ins Kreuz oder an andere
Körperpartien gesetzt, erfolgreich sind, so ist neben einer schwach
blutentziehenden Aktion die Suggestion wohl entscheidend. Nur selten
sind die iuvenilen Menorrhagien so bedeutend, daß man nach Kuß-
mauls Vorgang zur trocknen Scheidentamponade seine Zuflucht
nehmen muß. Auch wenn man eine muskuläre Insuffizienz des
Uterus infolge mangelhafter Gefäßkontraktion als Ursache annimmt,
genügt die angegebene Therapie.
Da man hier zu einer lokalen Behandlung'fast nie eine Indika¬
tion hat, versucht man bei nicht blutarmen Mädchen hydrotherapeu¬
tisch in der Weise vorzugehen, daß man kurzdauernde (3—5 Minuten)
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
700
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 21
kühle, aber nicht eiskalte Sitzbäder verordnet, die alle zwei Tage
regelmäßig im Intervall zwischen zwei Perioden genommen werden
sollen. Einigen sind kühle, sogar kalte Güsse üoer den Unterleib
und die Schenkel angenehmer, doch soll man alle diese Prozeduren
nicht schablonenhaft, nicht bei entschiedener Abneigung der
Patientinnen und stets unter Kontrolle ihres Einflusses auf das All¬
gemeinbefinden, die Blutzusammensetzung und das Verhalten des
Nervensystems vornehmen.
Es gibt aber bei jungen Mädchen Blutungen von solcher Dauer
und Heftigkeit, daß der Zustand tatsächlich bedrohlich wird. Dann
muß man neben der festen Tamponade und heißen (45—50° C)
Scheidenspülungen zu einem die Blutgerinnung anregenden Ver¬
fahren greifen. Man gibt die 10—20<>/oige Gelatina sterilisata Merck
20—40 g intraglutäal oder angewärmt als Bleibeklistier; eine Tube
Sekakornin subkutan, auch, wenn ausführbar, als Injektion in die
Portio vaginalis. Sehr wirksam sind ferner kleine (5 ccm) intra¬
venöse Injektionen einer 5°/oigen sterilen Kochsalzlösung. In man¬
chen Fällen habe ich täglich 1— 2mal täglich wiederholte intra¬
muskuläre Einspritzungen von einer Tube Merckschem Methylhydra-
stinin bei den Menorrnagien junger Mädchen ausgezeichnete Enolge
gesehen. Nur bei kräftigen Individuen kann man ^rübergehend’von
einer einmaligen Scheidenspülung mit eiskaltem Wasser Gebrauch
machen.
Auch die klimakterischen Blutungen bezieht man auf
Störungen der inneren Sekretion beim Ausfall der Ovarialfunktion
und versucht mit einer Allgemeinbehandlung, ähnlich der eben ge¬
schilderten, mit Ovarialpräparaten und vielleicht Pituglandolinjektionen
ihrer Herr zu werden. Man muß aber hier nie vergessen, daß Herz-,
Nieren- und Lungenaffektionen, alle Zustände, die zur Stauung in
der unteren Körperhälfte führen, Fettsucht, Diabetes neben fehler¬
hafter Lebensweise Blutungen veranlassen. Vor allem muß dem
Arzt das Schreckgespenst des Uteruskrebses, der bekanntlich in den •
Wechseljahren seine Prädilektionszeit hat, vor Augen stehen, ihn
veranlassen, öfter innerlich zu untersuchen und beim geringsten
Verdacht die Probeausschabung vorzunehmen. Dies besonders, wenn
nach längerer Amenorrhoe wieder Blutabgänge sich zeigen. — Im
übrigen ist bei wirklich erschöpfenden Blutungen die Röntgenbestrah¬
lung das souveräne Mittel.
Bei den Menorrhagien und Metrorrhagien der ge-
schlechtsreifen Frau stehen die Veränderungen der Koipus-
und Kollumschleimhaut, die fast immer mit solchen des Myometriums
verbunden sind, voran. Endoriietritis ist aber keine erschöpfende
Diagnose mehr. Man muß feststellen, ob es sich um eine infek¬
tiöse Form — gonorrhoische, puerperale, tuberkulöse, enanthema-
tische Endometritis — handelt, um einen Reizzustand bei Lageverände¬
rungen des Uterus, Stenosen und Fremdkörpern, um Stauungs-
ersdieinungen oder um gesteigerte zyklische Veränderungen der
Schleimhaut im prämenstruellen Stadium. Die Endometritis
gonorrhoica beginnt in der Zervix, veranlaßt Schmerzen, Aus¬
fluß, unregelmäßige Blutungen, Erosionen und kann in die Uterus¬
höhle auf steigen, worauf oft eine Beteiligung der Adnexe folgt.
Bei der Kollumentzündung ist die oben geschilderte antigonorrhoische
Behandlung erfolgreich, styptische Mittel sind unwirksam. Diese gibt
man bei der Korpusgonorrhoe, in frischeren und mit Adnexentzündung
kombinierten Fällen als Styptizintabletten (0,025 bis 8mal täglich,
Styptol (0,05, 3—5 Tabletten) oder Styptisatum (Dialysat aus Hirten¬
täschel). Diese alle enthalten Kotarnin, welches als Opiumderivat
schmerzstillend und bei ähnlicher Zusammensetzung wie das Hydra-
stinin blutstillend wirkt. Die Hauptsache wird auch hier in der
antigonorrhoischen Behandlung liegen, wobei dem spezifisch wirk¬
samen Ichthyol (Tampons, Pinseln) besondere Aufmerksamkeit ge¬
bührt. Die oben geschilderten Hilfsmittel der Resorption kommen
dazu. Ausschabungen sind fast immer schädlich, wenn die Adnexe
beteiligt sind, im übrigen auch nicht imstande, die Krankheitserreger
sämtlich zu eliminieren.
Die Endometritis puerperalis soll hier nicht besprochen werden.
Die Endometritis post abortum verlangt die Entfernung der
zurückgehaltenen Eireste und der gewucherten Schleimhaut mit der
Kürette 1 ), wobei die histologische Untersuchung nicht vergessen
werden darf, da sich Blasenmolen und Chorionepitheliom finden
können. Kontraktionsanregung durch Sekalepräparate ist nur bei
ärztlicher Kontrolle zu gestatten, nämlich in den ersten der Aus¬
schabung folgenden Tagen frisches Pulv. secal. comut. 1,0, 1— 2mal
täglich, dies aber nur bei frischeren Fällen und starker Erschlaffung.
Das von der Firma La Roche vertriebene Sekakornin kann jetzt
durch ein gut gereinigtes Präparat Ergotamin der Chemischen Fa¬
brik Sandoz in Basel ersetzt werden (15—30 Tropfen pro dosi),
Tinct. haemostypt. Fritsch (mehrmals 20—40 Tropfen, auch bis
3mal täglich 1 Teelöffel) ist ein anerkanntes Styptikum. Schwächer,
aber gerade darum zu längerem Gebrauch geeignet sind die Hy-
drastispräparate. Das Fluidextrakt der Hydrastis canad. wird voll¬
wertig durch das synthetische Hydrastinin ersetzt: Hydrastinin. hydro-
chlor. 5o/oige Lösung J /2 — I Spritze subkutan. Ferner: Liqui¬
drast 2—3mal täglich 20—30 Tropfen; Methylhydrastinin Merck (Ta¬
bletten 0,025 2mal täglich oder Ampullen einer 2o/ 0 igen Lösung
subkutan). Noch schwächer und nicht immer wirksam ist Extract.
Viburni fluid. 1,06-4,0 mehrmals täglich, Extr. hamamelidis fluid.
') Technik siehe bei „Intrauterine Untersuchung“ in Artikel III Nr. 20 S. öööff.
1—2 Teelöffel, Extr. Bursae pastoris 3mal täglich eine Komprette
Acet. digital. 5,0 mit Liq. ammon. acetic. 10,0 2stündlich 15 Tropfen
u. a. m.
Die Blutungen bei der chronisch-hyperplastischen
und der interstitiellen Form der Endometritis weiden
durch eine Ausschabung, manchmal auch durch wiederholte Aus¬
schabungen in vielen Fällen günstig beeinflußt. Man darf den Haupt-
wert in der vorangehenden Erweiterung der Zervix erblicken, die
den Sekretabfluß erleichtert und eine bessere Kontraktion des Kor¬
pus zuläßt; dadurch wird wiederum die Blutzirkulation normal in
Gang gesetzt. Mit der Ausschabung allein ist es aber nicht getan,
die intrauterine Nachbehandlung gehört zum vollkommenen Heil¬
plan. Drei Tage nach der Abrasio soll die Patientin mit Prießnitz-
wickei um den Unterleib zu Bett liegen. Dann beginnt die Nach¬
behandlung mittels des Fritschschen Katheters oder eines Doppel¬
rohrs. Dazu genügt im allgemeinen 1 Liter heißes Wasser (50°),
größere Quantitäten sind unnötig und führen sogar nach anfänglicher
Kontraktion leicht eine Erschlaffung herbei. Man kann adstringierend¬
desinfizierende Zusätze machen, y«—l°/o Lysol, essigsaure Tonerde,
2 Löffel 20<yoige Formalinlösung, 1 Teelöffel Lysoform u. a. Besser
als diese Spülungen wirkt das Auswischen der Uterinhöhle mittels
der mit einer dünnen Lage steriler Watte umwickelten Playfairsonde
oder den Mengeschen Stäbchen. Als mildere Aetzmittel nimmt man
Jodtinktur, 5—20 0/0 Formalin, bei postgonorrhoischen Endometritiden
ein Silberpräparat (2o/ 0 Argent. nitric., Protrargol, Argonin, Argen-
tamin), bei infektiösen Prozessen Argochrom (Methylenblausilber).
Die verätzenden Stoffe, wie das 5—30<>/oige Chlorzink, Milchsäure,
reine oder alkoholische (20—50<>/o) Karbolsäure, Sublimat u. a. m.
verwende ich nie, weil sie die Driisenfundi zerstören, tief in die
Muskulatur, j‘a sogar durch diese hindurchdringen und peritoneale
Reizungen stiften und die Uterushöhle ganz oder teilweise veröden
können. Ganz besonders zu warnen ist vor dem intrauterinen Ein¬
legen von Aetzstiften und Pasten aus Chlorzink, aber auch vor der
Braunschen Intrauterinspritze, die schon bei mäßigem Druck einmal
die ätzende Flüssigkeit durch die Tuben in die Bauchhöhle treiben
kann.
Die Aetzungen nimmt man nur anfangs zweimal wöchentlich,
nach dem Eintritt schwächerer Menstruationen alle 14 Tage einmal
vor und ersetzt sie dann durch kontraktionsförderliche heiße Scheiden¬
spülungen, die man zur Schonung der Haut mit einem Heißwasser- y
spüler vornehmen läßt. Auch die gynäkologische Massage dient j
diesem Zweck. Kontraktionsmittel (Hydrastis, Methylhydrastinin) gibt /
man noch längere Monate stets schon acht Tage vor den fälligen J
Menses und während derselben. /
Die Behauptung einiger Röntgengynäkologen, daß es auf Grund (
einer besseren Dosimetrie möglich erscheint, die Heilwirkung der
Röntgenstrahlen so abzustufen, daß man je nach der Größe der ver¬
abfolgten Dosis eine normale Blutung bei der Regel, eine dauernde,
ja eine vorübergehende Amenorrhoe willkürlich erreichen könne, ist
noch nicht genügend begründet.
Bei den die Lageveränderungen begleitenden Hämor-
rhagien kann neben der Beseitigung der Falschlage eine Blut¬
entziehung, Styptika, allgemeine Therapie und eine Ausschabung
mit Nachbehandlung erfolgreich sein. Badekuren zu Hause oder in
Kurorten sind hier beachtenswert. Schließlich kann auch hier bei
Blutungen nervöser und heruntergekommener Personen, wenn eine
organische Veränderung nicht zu finden ist, die Psychotherapie
helfen. Eine sehr häufige Ursache unregelmäßiger, manchmal profuser
und schmerzhafter Menstruationen ist der ungeregelte und unnatür¬
liche Geschlechtsverkehr, weniger die Masturbation. Der
Coitus interruptus, reservatus, der zu häufig oder ungenügend aus¬
geführte Beischlaf wirkt in dieser Weise. Mit seiner Regulierung
verschwenden die Symptome.
2. Amenorrhoe.
Ueber die Amenorrhoe bei angeborenen Mißbildungen ist schon
früher gesprochen worden. Der verspätete Eintritt der ersten Menses,
dann das längere oder kürzere Ausbleiben derselben bei Chlorotischen
ist bekannt und wird durch die Behandlung der Bleichsucht beein¬
flußt. Unterernährung, Ueberanstrengung körperlicher wie geistiger
Art, psychische Depression und Erkrankung wirken oft im gleichen
Sinne auf die Menstruation, ihre Berücksichtigung, gewöhnlich ein
Vermeiden gynäkologischer Versuche ist dann das Gegebene. All¬
gemeine Adiposität oder eine schlechte Verteilung des Fettes (auf
die Bauchdecken und Unterleibsorgane) verschuldet oft eine
Oligomenorrhoe oder Amenorrhoe. Regulierung der Lebensweise,
Massage, Gymnastik, Hydrotherapie, Sport; bei Verheirateten
Th. Brandtsche Massage und nicht zu seltene Kohabitation, mi
übrigen warme Sitzbäder und aufsteigende Duschen, endlich sauberes
und vorsichtiges Sondieren des Uterus zur Zeit der fälligen Mense>
bringen nicht selten diese wieder in Gang. Die innere Medizin
muß aber auch festzustellen suchen, ob nicht eine Störung der j
inneren Sekretion einer endokrinen Drüse vorliegt; ein Versuch, sei 1
es mit Thyreoidin, Pituglandol oder einem Ovarialpräparat ist dann
bei guter Kontrolle gerechtfertigt. — Von den Emenagoga: Eumeuoi.
Menogen, Cholaktol, Ferratin usw. habe ich Erfolge nicht gesehen |
r
Digitized by QoOQIC
Original from
CORNELL UNIVERSUM
26. Mai 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE ,WOCHENSCHRIFT
701
Geschichte der Medizin.
Hippokratische Heilkunde.
Von Julius Hirschberg.
(Fortsetzung aus Nr. 20.)
M. H.! Um Ihnen ein eignes Urtheil über Art und Werth dieser
Heilungs-Geschichten zu ermöglichen, will ich Ihnen vier derselben,
als Beispiele, in wörtlicher Uebersetzung vorführen.
1. Ein $lann — (diese unbestimmte Bezeichnung deutet auf eine
weit zurückliegende Vergangenheit dieses Ereignisses) — kam hilfe¬
suchend zum Gott, so ganz und gar einäugig, daß er (auf der andren
Seite] nur die Lider besaß, aber nichts drin sich befand, sondern die¬
selben ganz leer waren. Einige von denen im Heiligthum erklärten
für Einfalt seinen Glauben, daß er wieder sehen würde, während er
nicht einmal eine Andeutung von Augapfel besaß, sondern nur die
Höhlung für einen solchen. Als er nun im Tempel schlief, erschien
ihm ein Traumgesicht. Es kam ihm so vor, daß der Gott ein Arznei¬
mittel kochte, darauf die Lider auseinanderzog und es ihm eingoß.
Als es aber Tag geworden, ging er auf beiden Augen sehend von
dannen.
2. Hermon aus Thasos. Diesen heilte der Gott von seiner
Blindheit. Als derselbe aber das Ärzte-Honorar ( ta iarga) nicht an
das Heiligthum zahlte, machte der Gott ihn wieder blind 1 ). Als er aber
kam und wieder in dem Tempel schlief, machte er ihn gesund.
3. Gorgias aus Herakleia. Dieser, in der Schlacht durch einen
Pfeilschuß in die Lunge getroffen, warf so viel Eiter aus in der
Zeit von U/ 2 Jahren, daß er 65 Schüsseln damit füllte. Als er aber
im Heiligthum schlief, sah er ein Gesicht. Es kam ihm so vor, daß
der Gott die Pfeilspitze aus der Lunge herausnahm. Als es aber
Tag geworden, ging er gesund von dannen, die Pfeilspitze in den
Händen tragend.
4. Aristagora aus Troizene. -Diese hatte einen Bandwurm (£X t iuöa)
im Leibe und schlief im Heiligthum des Asklepios zu Troizene und
sah ein Traumgesicht. Es kam ihr vor, daß die Söhne des Gottes,
da dieser selbst nicht dort verweilte, sondern zu Epidauros sich be¬
fand, den Kopf ihr abschnitten; als sie aber denselben ihr wieder
aufzusetzen nicht im Stande waren, Jemanden zum Asklepios schickten,
damit er käme. Inzwischen bricht der Tag an, und der Priester
sieht nun in Wirklichkeit -) den Kopf vom Leibe getrennt. Als aber die
Nacht [wieder] herannaht, sieht Aristogora ein [zweites] Traumgesicht.
Es kam ihr so vor, daß der Gott, der aus Epidauros gekommen
war, ihr den Kopf auf den Hals aufsetzte, danach ihren Bauch auf¬
geschnitten, den Bandwurm herausgenommen und wieder zugenäht
habe. Und danach wurde sie gesund/*
Diese Mär’ drastischer Bandwurm-Heilung hat auch, wie Kab-
badias sogleich erkannt, Ailianos (um 200 n. Chr., in seinen Thier-
Geschichten IX, 33), nach den Worten von Hippys aus Rhegion, der
z. Z. der Perser-Kriege wirkte, uns überliefert, und zwar in der fol¬
genden Fassung: „Eine Frau hatte einen Bandwurm, und sie zu
heilen, lehnten die tüchtigen der Ärzte ab. Also kam sie nach Epi¬
dauros und flehte den Gott an, geheilt zu werden von dem mit ihr
hausenden Leiden. Nicht war der Gott zugegen. Aber die Tempel¬
diener lagern das Weib dort, wo der Gott die Flehenden zu heilen
pflegte. Und das Weib hielt still, nach Befehl; aber die Diener des
Gottes thaten das zu ihrer Heilung [nöthige], und den Kopf schneiden
sie ab vom Hals. Hinein senkt [in die Brust] die Hand der Eine
von den beiden und holt den Bandwurm heraus. Es war ein ge¬
waltiges Ungethüm. Aber den Kopf wieder zusammenzufügen und in
die alte Fassung zu bringen, waren sie ganz außer Stande. Nun
kommt der Gott an und jene schalt er aus, daß sie sich an ein
Werk gemacht, das mächtiger war, als ihre Weisheit 3 ); er selbst
aber, mit unwiderstehlicher und göttlicher Macht gab er dem Leibe
den Kopf wieder und hieß die Fremde, sich zu erheben/*
U. von Wilamowitz-Möllendorff urtheilt, daß Hippys die
epidaurische Geschichte nicht verstanden und in ganz entstellter Form
aufgenommen habe.
In der That, erwägen wir den Inhalt der Inschrift, so sehen
wir sofort, daß die Priesterschaft von Epidauros der benachbarten
Tochter-Anstalt zu Troizene, die durch Wettbewerb lästig geworden,
in aller Biederkeit einen Dolch-Stoß zu versetzen beabsichtigte, durch
die folgenden Feststellungen: In Troizene weilt der Gott nicht so 4 ),
wie in Epidauros. In Troizene pfuschen seine Jungens. Sie schneiden
irriger und unnöthiger Weise den Kopf der Kranken ab, um in der
Brust den Bandwurm zu suchen; vermögen aber gar nicht, den Kopf
richtig wieder anzusetzen. Sie müssen nach Epidauros senden. Nun
kommt der Gott nach Troizene, setzt den Kopf wieder an, schneidet
den Bauch auf, holt den Bandwurm heraus, näht wieder zu und
heilt so die Kranke.
1 ) Diese Geschichte wird auch von einem russischen Star-Stecher erzählt. Der
reiche, aber undankbare Kranke sagte nach dem Star-Stich „Väterchen ich sehe nichts“.
Der Arzt nahm ihn bei der Hand und ließ ihn einen Stuhl besteigen und flugs herunter¬
springen, sodaß die niedergelegten Stare wieder emporstiegen. „O Väterchen, vorher
habe ich gelogen, jetzt aber sehe ich wirklich nichts“. So kam der Arzt zu seinem
Gelde. Vielleicht ist es auch nur ein — Mythos. — a ) r.rnn, im Gegensatz zu övoq, im j
Traume. — *) Goethes Zauberlehrling entstammt auch einem griechischen Märchen,
dasLukianos uns überliefert hat. — *) ov*. i'.ndauorvTo* ubxov. Der Ausdruck ist charak- '
teristisch: tmfhjuftü bedeutet „ich lebe in jneinem .Vaterlande“.
So wie die 4 Beispiele, sind alle die andren Geschichten. Der
Blinde lernt flugs sehen, der Lahme gehen, der Stumme sprechen;
flugs geht der Blasenstein heraus; der Kahlköpfige erhält üppigen
Haarwuchs, die Unfruchtbaren aber reiche Nachkommenschaft.
Also nicht Kranken-Geschichten nebst Art der Heilung finden wir
in diesen Weihe-Inschriften, sondern nur Heilwunder oder Wunder-
Heilungen. Kabbadias vergleicht sie mit den Wundern der
christlichen Heiligen-Geschichte, die ja auch ihre Gläubigen gefunden
haben. *
Die. klugen Priester zu Epidauros haben, um den Glauben ihrer
frommen Herde zu stärken, sogar selber in den Inschriften einige
Ungläubige erwähnt. Auch denen wird Gnade und Heilung zu Theil;
sie erhalten aber ihre Zurechtweisung. So muß Ambrosia aus Athen,
die Zweiflerin, welche einige von den Heilungsgeschichten als un¬
glaublich und unmöglich verspottet hatte, Nachts von dem Gotte
sich sagen lassen, daß er zwar ihr die Blindheit des einen Auges
heilen werde, daß sie aber als Honorar im Tempel ein silbernes
Schwein aufstellen müsse, zur Erinnerung an ihre Thorheit.
Köstlich ist die Schilderung der nächtlichen Tempel-Heilung, die
uns Aristophanes, der Liebling der Grazien, in seiner Komödie
„Plutos** (um 388 v. Chr.) geschenkt hat. Der blinde Gott Reich¬
thum fällt einem guten Alten in die Hände, der ihn durch seinen
Knecht in den Tempel des Asklepios bringen und dort in der üb¬
lichen Weise kuriren läßt. Nachts erscheint Asklepios im Tempel,
setzt sich nieder neben dem Reichthum, betastete ihm erst den Kopf
ringsum; dann nahm er ein reines Linnentüchlein und wnschte rings¬
um die Lider ab. Seine Tochter Allhcilerih ( Ilavdxem ) verhüllte mit
einem rothen Tuch dem Reichthum das Haupt und das ganze Ge¬
sicht. Darauf pfiff der Gott. Hervorsprangen aus der Tiefe des
Tempels zwei Schlangen von mächtiger Größe. Diese schlüpften
unter das rothe Tuch, und in aller Ruhe beleckten sie die Lider des
Kranken und, bevor du zehn Becherlein Weines austrinken kannst,
erhob sich der Reichthum und konnte sehen.
Der Spott der Gebildeten hat ja bis auf den heutigen Tag den
Heil-Aberglauben breiter Volks-Schichten, hoher wie niederer,
nicht auszurotten vermocht.
In kulturgeschichtlicher Hinsicht möchte ich aus der Zeit der
alten Griechen noch anführen, daß der so weise und so hoch-
berühmte Solon — dessen Geburt etw'a um 640 v. Chr., d. h.
180 Jahre vor der des Hippokrates angesetzt wird, — von den
Ärzten nicht gar viel gehalten hat, sondern nur auf den Heilgott
Apollon sein Vertrauen setzte. Denn in seinen Elegien kündet er
das Folgende: „Ihnen, die das Werk des arznei-reichen Erretters
inne haben, den Aerzten, ist der Erfolg nicht beschieden. Oft ent¬
steht aus geringem Schmerz große Quai, und keiner vermöchte den
Kranken daraus zu erlösen durch lindernde Arznei. Aber der Gott
berührt mit beiden Händen ihn, der von schlimmen und schweren
Krankheiten heimgesucht ist, und augenblicklich madit er ihn ge¬
sund.**
Im graden Gegensatz hierzu hat in der hippokratischen Zeit der
große Dichter Sophokles (496—406 v. Chr.) das gelassene Wort
verkündigt: „Nicht ziemt es dem weisen Arzt, Zaubergesänge an¬
zustimmen, wenn das Übel den Schnitt erfordert/* Dabei hat So¬
phokles um die Einführung des Asklepios-Kultes in seine Vater¬
stadt (um 420 v. Chr.) große Verdienste sich erworben.
Also im 4. und 3. Jahrhundert v. Chr. kurirte die Priesterschaft
zu Epidauros durch das Traum-Wunder: nachts erschien der Gott mit
seinen Schlangen und mit dem Hunde und machte den Kranken
augenblicklich völlig gesund. Als im Laufe der Jahrhunderte die Gut¬
gläubigkeit schrittweis sich verringerte, sahen die Priester sich zu
einer Aenderung ihres Verfahrens gezwungen. Zwar haben sie ihr
Asklepieion keineswegs in eine Heilanstalt umgewandelt, der Hilfe¬
suchende mußte nach wie vor den Tempelschlaf inne halten; aber
jetzt ertheilte ihm der im Traum erscheinende Gott Verordnungen
und diätetische Vorschriften, die der Kranke im Laufe längerer Zeit
auszuführen hatte.
Dies zeigt uns die Inschrift der Tafel, welche in der 2. Hälfte
des 2. Jahrhunderts nach Chr. der klein-asiatische Sophist Julius
Apeilas zu Epidauros aufgestellt hat und die ganz unversehrt durch
die Ausgrabungen zu Tage gefördert ist. Da steht verzeichnet, daß
der Gott ihm wiederholte Befehle gab, über die Diät, über Leibes-
Uebungen, über Abführmittel; daß er ihm dasselbe anbefahl, was in
unsren Tagen der Pastor Kneipp seinen Gläubigen auferlegt, nämlich
barfuß einherzuwandeln, — ferner die Kurkosten zu bezahlen und seine
Heilungs-Geschichte aufzuschreiben.
Mit Rücksicht auf dieses Zeugniß und einige andre ähnlicher
Art hat der Verfasser des Artikels Asklepios in der Real-Encydopädie
der klassischen Alterthums, von Pauly-Wissowa (1896), der gelehrte
Philologe Thrämer, eine theilweise Rettung der Asklepios-
Priester versucht, die wir seiner ungenügenden Kenntniß ärztlicher
Verhältnisse zu Gute halten wollen.
Aber ganz thöricht ist des atheniensischen Arztes Arabantinos
Unterfangen, alle die Wunder-Kuren jener Tafeln rationalistisch zu
erklären, — sogar das Bandwurm-Märchen. (’AoxXqmos xai 'Aaxlrjmüa,
Leipzig, Drugulin 1907, 221 Seiten, in neugriechischer Schrift-
Sprache, mit zahlreichen Abbildungen und Tafeln.) Prof. Pagel zu
Berlin, der die Werthlosigkeit des mit hübschen Bildern geschmückten
Buches nicht z t u erkennen vermochte, hat eine begeisterte Vorrede
dazu geschrieben. Ich mußte von Prof. Hermann Dicls die Vor-
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNiVERSlTV
702
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 21
würfe vernehmen, daß ein Kollege von mir so etwas schreiben
konnte.
In seiner Abhandlung vom Jahre 1888 hat Hermann Diels die
Thätigkeit der Asklepios-Prifcster als schnöden Mißbrauch des gött-
liehen Nimbus zur Bethörung der hilfesuchenden Kranken gebrand¬
markt.
1 Das Honorar — to ferpa 1 ) — spielte eine große Rolle bei
diesen Priester-Kuren in den Asklepios-Heiligthümern. Auf den zahl¬
reichen Weihe-Tafeln, welche zu Athen aus dem (am Süd-Abhang der
Akropolis erbauten) Asklepieion ausgegraben sind und im National-
Museum der Hauptstadt Griechenlands aufbewahrt werden, erblicken
wir in zierlichen Relief-Darstellungen den thronenden Gott, dem die
Familie des Hilfesuchenden mit diesem ehrfürchtig sich naht, und
zum Schluß immer den Sklaven, der auf seinem Haupt den großen
Koffer mit den Opfergaben deutlich zur Schau trägt.
Den Inschrift-Tafeln zu Epidauros ist deutlich der Grundsatz ein¬
gegraben, den ich 1887 zu Frisco in dem,, Sprechzimmer eines
Arztes aufgeschrieben fand: Absolutely n% free consultation.
Der von der Blindheit geheilte, der das Honorar nicht gezahlt, wird
wieder blind gemacht und erst nach Zahlung wieder geheilt. Dem
Hilfesuchenden wird von Gott selber anbefohlen, das Honorar zu be¬
zahlen. Aber, wo nicht mehr zu bekommen war, gab der Gott sich
mit wenig zufrieden, d. h. mit einer nur sinnbildlichen Zahlung. Das
lehrt die folgende (die achte) Heilungs-Geschichte der epidaurischen
Tafeln: Ein Knabe aus Epidauros, hamens Euphanes, der am Blasen¬
stein litt, schlief im Allerheiligsten. Es kam ihm so vor, daß der
Gott ihm nahe und ihn frage: „Was giebst du mir, wenn ich dich
gesund mache?“ „Zehn Spielwürfel“, erwiderte jener. Da lachte der
Gott und sagte ihm, daß er ihn gesund machen werde. Und, als es
Tag wurde, verließ der Knabe geheilt das Abaton.
Nun, Asklepios ist ein Grieche, er zeigt Anmuth und Menschen¬
freundlichkeit, trotz aller Geschäftstüchtigkeit. (Fortsetzung folgt.)
Feuilleton.
Amtliches aus Italien.
Die Sorgen der Nachkriegszeit spiegeln sich im ärztlichen Be¬
rufsleben und den hygienisch-sozialen Fragen, die das öffentliche
Leben bewegen, auch bei unseren südlichen Nachbarn aufs lebhafteste
wieder. Interessant ist in beruflicher Hinsicht das stärkere ge¬
schlossene Hervortreten der ärztlichen Berufsorganisationen, die ihren
Ausdruck in dem am 26.-28. XI. 1921 in Rom abgehaltenen Kongreß
ärztlicher Standesvertretungen fand. Es wird den Aerzten, zum Teil
auch von den Kommunalbehörden, der Kampf um die Existenz recht
sauer gemacht. Um nur eine Tatsache herauszugreifen, traten die
Munizipalärzte in Casale Monferrato in Streik, weil ihr Honorar vom
Präfekten herabgesetzt wurde; die an ihrer Stelle engagierten ehe¬
maligen Militärärzte konnten jedoch nicht durchdringen, sodaß die
Angelegenheit zugunsten der Aerzte beigelegt werden konnte. Die
sozialen Kämpfe greifen naturgemäß auch auf das Kranken pflege perso¬
nal über, sodaß in Parma wegen eines Streiks vorübergehend Sani¬
tätssoldaten den Dienst in den Kliniken und Krankenhäusern ver¬
sehen mieten. Die allgemeine Arbeitsunlust, welche durch die psy¬
chische ünd somatische Erschöpfung, die der Krieg bei allen Teil¬
nehmern mehr oder minder hervorrief, ausgelöst wurde, zeigt sich
sehr drastisch in den Morbiditätsziffern des Eisenbahnerpersonals.
Wer nach dem Kriege italienischen Boden betreten hat, dem fällt die
ungeheure Vermehrung dieser Beamten gegenüber 1914 ohne weiteres
auf. Anscheinend ist sie hervorgerufen durch Einführung des Acht¬
stundentages und die Schwierigkeit der Unterbringung der Demobi¬
lisierten und Kriegsinvaliden. Einem Artikel des „Policlinico“ ent¬
nehme ich, daß im Bezirk Neapel im Jahre 1920 auf 5718 Ange¬
stellte 41 Krankheitstage pro Kopf entfielen. Die mittlere Tages¬
leistung des Lokomotivpersonals beträgt dabei nur etwas mehr als
5 Stunden, die maximale Wochenleistung 48 Stunden; besonders auf¬
fällig ist, daß das Bureaupersonal nicht etwa eine geringere Krank¬
heitsziffer aufweist. So wurden 1920 bei 22 Lire (!) täglichem
Krankengeld in Neapel insgesamt 5 241 774 Lire Krankengelder ver¬
ausgabt. Aus diesem Beispiel sieht man, daß die gleichen Verhält¬
nisse wie bei uns mutatis mutandis auch in Italien herrschen. Es
wird wesentlich hier wie dort am sozialen Verständnis, der Aerzte-
schaft und gewissenhafter EinzeluntersuChung, die nicht nur dem
Willen des Kranken und dem Wunsche zahlreich zu registrierender
Konsultationen, sondern dem öffentlichen Interesse gerecht wird,
liegen, wenn Abhilfe geschaffen werden soll.
Eine sehr erfreuliche Veränderung sind die Fortschritte, welche
das ärztliche Fortbildungswesen genommen hat. An der Spitze der
ganzen Institution steht die Facoltä di medicina e chirurgia del
R. Istituto di studi superiori pratici e di perfezionamento, Firenze.
*) Dieses Wort der Inschriften findet sich nicht in den griechischen Wörter¬
büchern, natürlich nicht im Thesaur. 1. gr. IV, Paris 1841, aber auch noch nicht in
META AEE ., 1901, Athen; wohl aber richtig im Lex. graec. suppl. von H. v. Herwerden,
Lugd. Bat. 1901, I, 686.. Ta IntQua ist die Form, die wir bei späteren Schriftstellern
antreffen. (Poll., LXX.). — Einmal, bei der Geschichte der Ambrosia, steht in den
Inschriften das Wort nio&6e, Lohn, Belohnung Entlohnung, (urverwandt mit unsrem
Mlethe), das auch von Aristoteles (Polit. III, 16,17) für das. ärztliche Honorar ge¬
braucht wird.
Daselbst werden Kurse mit beschränkter Teilnehmerzahl, nur für
Graduierte, zur Ausbildung in Spezialfächern organisiert. Auch in
anderen Orten ist man in dieser Hinsicht rühng am Werke; so
werden in Mailand von Lehrern der Universität Pavia und von Mai¬
länder Aerzten gemeinsame Kurse in sozialer Gesetzgebung, Unfall-
lehre, Gewerbekrankheiten abgehalten. Das italienische Institut für
Hygiene und soziale Fürsorge in Rom, das demnächst ein eigenes
neues Heim in der Villa Celimontana bezieht, hält hygienische
Kurse, auch für Laien (Arbeiter, Soldaten, Studenten, Verwaltungs¬
beamte) ab. Daneben veranstaltet das Hygienische Institut in Rom
Fortbildungskurse; das italienische Rote Kreuz betätigt sich ebenfalls
in dieser Richtung, wobei die Kinderpflege in den Rahmen des Unter¬
richts gezogen wird. An anderen Universitäten finden^hnliche Kurse
statt, so z. B. an der Universität Genua für Gerichts- und Ver¬
sicherungsärzte.
Auch in anderer Weise ist man bestrebt, die medizinische Wissen¬
schaft zu heben. So wird in Rom neben der eigentlichen Psychia¬
trischen Klinik ein Lehrstuhl für Neurologie errichtet; diese Neuerung
bleibt zunächst auf Rom beschränkt, wo bereits 2 Institute existieren.
Es wäre sicher wünschenswert, wenn die Neurologie auch auf
unseren Akademien und Universitäten, zum mindesten in den Gro߬
städten, als selbständiges Hauptfach vertreten würde.
Erwähnt sei noch kurz, daß im Mai die Universität Padua ihr
500jähriges Bestehen feiert, zu dem alle Universitäten der zivilisierten
Länder eingeladen sind.
Unter den Personalien wird interessieren, daß der bekannte
Bologneser Kliniker Augusto Murri (Internist und Neurologe)
in den Ruhestand getreten und der frühere Neapolitaner Internist
De Renzi im 83. Lebensjahre verstorben ist.
Die wissenschaftlichen Gesellschaften sind wieder rege an
der Arbeit: Vom 9.—11. IV. tagt in Genua ein Kongreß für Schul¬
hygiene und Säuglingsfürsorge. Vom 1.—12. IV. findet in Rom ein
Kongreß der italienischen Gesellschaften zur Bekämpfung der Tuber¬
kulose statt, wo besonders die Fürsorgefragen diskutiert werden.
Im Oktober tagt nach langjährigen Pause durch den Krieg in Padua
die italienische Gesellschaft für Pathologie.
Dem im November v. J. gleichzeitig mit dem Kongreß für
Innere Medizin abgehaltenen Chirurgenkongreß in Neapel entsprang
die Anregung zur Gründung einer italienischen Gesellschaft für
Urologie.
Um die Wirkung der Strahlentherapie bei Malaria zu erforschen,
ist vom Ministerium unter Vorsitz von Grassi eine besondere
Kommission eingesetzt worden.
Ein Wort über die italienischen Bäder und klimatischen Stationen,
für deren Förderung eine besondere Kommission unter dem Vorsitz
des Senators Rava eingesetzt ist. Im allgemeinen haben sich die
Verhältnisse seit dem Kriege nicht wesentlich geändert, mit Ausnahme
derjenigen Faktoren, welche eine Folge der valutarischen Verschie¬
bung der einzelnen Länder sind. Betont sei, daß man bei nötigem
Takt als Deutscher nirgends auf Schwierigkeiten stoßen und selbst
in entlegeneren,'vom Fremdenverkehr wenig berührten Orten freund¬
liches Entgegenkommen und vielfach auch Verständnis für unsere
Lage finden wird. Erwähnenswert ist, daß überall in den Thermal¬
plätzen und Kurorten neben der allgemeinen Tassa touristica eine
besondere Tassa di soggiorno (Kurtaxe) eingeführt ist, von der
iedoch Aerzte -und ihre Familien (Art. 3 des Ges. v. 2. XII. 1920
Nr. 863,) befreit sind, worauf ich .die Herren Kollegen angesichts
der vielfach nicht unerheblichen Höhe dieser Taxe aufmerksam
machen möchte.
Im ganzen wäre es erwünscht, daß, wenn die Verhältnisse
es gestatten, auch die deutschen Kollegen für die klimatischen
und sonstigen physikalischen Heilfaktoren (Capri, Ischia, Monte
Catini, Bormio, Roncegno, Fango di Battaglia usw.), die vielfach
noch in den Kinderschuhen stecken und sehr entwicklungsfähig sind,
sich interessieren würden. Während des Krieges sind die Touristen¬
wege und die sehr bescheidenen Promenaden vieler Orte nicht re¬
pariert worden, sodaß naturgemäß bei den jetzigen hohen Löhnen
die Wiederherstellungsarbeiten geraume Zeit in Anspruch nehmen,
zumal durch die Nachkriegswirren viele Kur- und Badeorte unter
erheblichen wirtschaftlichen Depressionen leiden.
Große Aufmerksamkeit wird der Bekämpfung der Infektions¬
krankheiten zugewandt. Naturgemäß hat der Krieg mit seinen
Truppen- und Gefangenentransporten hier und da zu einem Auf-
flackem von Infektionskrankheiten geführt, namentlich bezüglich
Malaria und Typhus wird verschiedentlich eine Vermehrung der
Morbiditätsziffer festgestellt, wie persönliche Erkundigungen ergaben.
Um einen Begriff zu geben, wie stark die Infektionskrankheiten in
Italien verbreitet sind, sei die offizielle Statistik der Monate Oktober
und November angeführt, welche namentlich hinsichtlich der Typhus¬
frequenz uns interessante Aufschlüsse gibt. In diesen Monaten wur¬
den im ganzen Reiche 1373 Masern-, 1115 Scharlach-, 123 Variola-,
5574 Typhus- und 420 Dysenteriefälle gemeldet. Man geht wohl nicht
fehl, wenn man annimmt, daß die Zahl der wirklich Erkrankten das
mehrfache dieser Ziffern beträgt; diese letzte Tatsache zeigt, daß
wir namentlich in Deutschland hinsichtlich der Typhusbekämpfung
trotz alles Ungemachs, an dem wir nach dem Kriege leiden, in
hygienisch-sozialer Hinsicht noch manchen Lichtpunkt aufweisen.
Die Regierung ist nach besten Kräften bemüht, Abhilfe zu
schaffen. Man findet Anregungen in der medizinischen Presse für
die Bekämpfung der Malaria in den neu erworbenen Gebieten (Venezia
D igitized by Q OglC
Original from
CORNELL UNiVERSITY
26. Mai 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
703
Giulia); auch Sardinien, das Stiefkind Italiens, findet höhere Beach¬
tung. Hier sind für Zwecke der Bekämpfung der Malaria seitens
der Zivil- und Militärbehörden 450000 Lire für 1922 ausgesetzt
worden; außerdem stellt sich das Rote Kreuz in den Dienst der
Sache. Es sollen in den am stärksten befallenen Distrikten Ambula¬
torien eingerichtet werden mit unentgeltlicher Dispensation von
Chinin an Bedürftige. Auch sonst ist mancherlei geschehen, nament¬
lich in der Gegend von Rom, wo die Pontinischen Sümpfe trocken¬
gelegt wurden. Die Kasuistik der Infektionskrankheiten spielt in
der Tagesliteratur naturgemäß den Verhältnissen entsprechend eine
weit größere Rolle als bei uns. Besonders hingewiesen sei auf das
öftere Vorkommen der Amöbendysenterie in der Gegend von Catania;
daneben tritt öfter Maltafieber auf. Der Tuberkulose wird hohe
Beachtung geschenkt. Daß ihre Zahl nicht ganz unbeträchtlich ist,
geht aus folgendem Beispiel hervor: In Rom, bei einer Einwohner¬
zahl von 675445 betrugen die Todesfälle im Mai 1921 (höchste
Tuberkulosesterblichkeitsziffer) 221. In den verschiedenen Poli¬
kliniken für Tuberkulose wurden 4146 Personen untersucht, von
denen 530 für tuberkulös erachtet und 846 in Beobachtung genommen
wurden. Die Zugänge an venerischen Krankheiten in den Hospitälern
der Hauptstadt betrugen in demselben Monat 380. Es kann daher nicht
Wunder nehmen, wenn unter diesen Umständen die Frage nach der
Untersuchung von Ehekandidaten ärztlicherseits ventiliert wird
(Gasparini, II Pol. sez. prat., 21, H. 1, S. 12). Der Autor weist
darauf hin, daß Kliniken und Polikliniken für venerische Krankheiten
in verhängnisvollem Grade von jungen, in der Ehe mit Syphilis in¬
fizierten Frauen beansprucht werden, ebenso wie die Kinderspitäler
mit hereditär-syphilitischen Kindern überfüllt sind. Um zu schwere
Eingriffe in die persönliche Freiheit durch Verweigerung des Ehe¬
konsenses und eine Vermehrung der illegitimen Kinder zu vermeiden,
wird vorgeschlagen, allen Verlobten die Pflicht aufzuerlegen, sich
von einem qualifizierten Arzte untersuchen und sich ein der Minizipal-
behörde vorzulegendes Attest ausstellen zu lassen, das lediglich die
Tatsache der Untersuchung registriert, sodaß die Laienbehörde nicht
in Kenntnis des Gesundheitszustandes des Einzelnen gelangt, während
der Arzt die Pflicht hat, den Verlobten gegenseitig von seinem Be¬
funde Kenntnis zu geben. Man könnte sehr wohl derartigen An¬
regungen auch in Deutschland Folge leisten und diese Frage nicht
nur theoretisch zur Diskussion stellen. Es müßte sich dann aller¬
dings die Untersuchung nicht allein auf die venerischen Krankheiten,
sondern auch auf alle übrigen in Betracht kommenden Faktoren
(Tuberkulose, heredo-familiäre Nervenkrankheiten) erstrecken. Ganz
besonders wichtig erschiene mir, daß das Berufsgeheimnis den
Verlobten gegenüber aufgehoben und die Untersuchung nur von
qualifizierten Aerzten vorgenommen wird, wozu nicht ein Kreisarzt,
sondern am besten ein Dermatologe und ein Interner zu verwenden
wären. * .
Der aufmerksame Beobachter wird also manche Anregung aus
dem medizinischen Leben der Italia terza dankbar registrieren und
das ehrliche Streben einer aufsteigenden Nation anerkennen, die die.
hygienischen Mißstände, unter denen sie infolge jahrhundertelanger
Unbill leidet, beseitigen und in der medizinischen Wissenschaft ihren
alten Ruhm behaupten will. Jastrowitz (Halle).
Kleine Mitteilungen.
— Berlin. Angesichts der auch im Reichstag vorhandenen Be¬
strebungen, bei der gesetzlichen Bekämpfung der Ge¬
schlechtskrankheiten unapprobierten Krankenbehandlern das
Recht zur Behandlung von Geschlechtskranken zuzugestehen, war
vom Großberliner Aerztebund, der Landesversicherungsanstalt Berlin
und dem Verband der Krankenkassen Großberlins eine Versamm¬
lung von Vertretern ärztlicher, medizinisch-wissen-
schaftlicher und hygienischer Vereine sowie der Ver¬
sicherungsträger Berlins am 22. d. Mts. im Hygienischen
Institut einberufen worden. Berichterstatter: Geh.-Rat Kraus.
— Der Deutsche Verein der Naturheilkundigen hielt
während der Osterfeiertage seine Hauptversammlung in Leipzig ab.
Den wichtigsten Beratungsgegenstand bildete das in Aussicht stehende
Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten.
In einer Entschließung wurde der bevölkerungspolitische Ausschuß
des Reichstages gebeten, dem zur Beratung stehenden Gesetzentwurf
zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten seine Zustimmung zu
versagen. Die Naturheilkundigen erblicken in dem Behandlungsver-
' bot sämtlicher, auch nicht ansteckender Leiden der Geschlechtsorgane
für alle Nichtärzte einen gefährlichen Eingriff in die Rechte des
Kranken. In den nächsten Wochen sollen in allen Großstädten
Massenversammlungen von Naturheilvereinen einberufen werden, in
denen die Oeffentlichkeit auf die Nachteile des Gesetzes aufmerk¬
sam gemacht werden soll. Ferner soll die Bevölkerung durch Flug¬
blätter aufgeklärt werden. — Daß die „Naturheilkundigen“ in dem
Behandlungsverbot eine Benachteiligung ihrer Interessen sehen, ist
begreiflich. Um so begreiflicher ist der Nutzen für das Allgemein¬
wohl, insbesondere für die Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten.
„ Vorausgesetzt, daß die Anhänger der Naturheilmethode und ihre
zahlreichen Protektoren im Reichstag nicht das Behandlungsverbot
und damit einen wesentlichen Bestandteil des ganzen Gesetzes zu
Fall bringen.
— Nach einer Mitteilung der Deutschen Gesellschaft zur Be¬
kämpfung des Kurpfuschertums sucht auch der Verband für
Volksheilkunde, ein neues Deckschild für die bekannte Kur¬
pfuscherorganisation, Massenunterschriften unter seine Petitionen zu-
santmenzubringen, um das gefürchtete Gesetz gegen die Geschlechts¬
krankheiten zu Fall zu bringen.
— Der Bevölkerungsausschuß des Landtages nahm
nach langen Verhandlungen den Entwurf des preußischen
Hebammengesetzes an; Danach bleibt die „freie“, nur durch
Niederlassungsgenehmigung gebundene Hebamme für die Geburts¬
hilfe in den Städten. Für das Land sollen die Kreise Bezirkshebammen
anstellen, denen ein Mindesteinkommen und ein Ruhegeld für Alter und
Invalidität gewährleistet ist. Der (stilistisch wenig erfreuliche) Beschluß
hierüber lautet: „Bezirkshebammen sind Hebammen, die von einem
Stadt- oder Landkreise für räumlich abgegrenzte Bezirke (Hebammen¬
bezirke) auf Grund statutarischer Regelung durch Dienstvertrag ange¬
nommen werden. Eine Annahme von Bezincshebammen findet nur statt,
wenn das Bedürfnis eines Bezirks nach einwandfreier Hebammenhilfe
nicht gedeckt werden kann, weil für den Bezirk keine genügende Zahl
Hebammen die Niederlassungsgenehmigung besitzt.“ Die Altersversor¬
gung der Hebammen mit Niederlassungsgenehmigung wurde in der
Weise geregelt, daß der Staat die Hälfte der Versicherungsbeiträge bis
zur Höhe von 300 Mark jährlich zurückerstattet, wenn die Hebamme
sich selbst versichert. Den jetzt 65 Jahre alten Hebammen, die, durch
das neue Gesetz gezwungen, spätestens nach fünf Jahren ihren Beruf
aufgeben müssen, können auf Empfehlung der Kreishebammenstelle
staatliche Beihilfen gewähtt werden, wenn sie bei Inkrafttreten des
Gesetzes wegen Schwäche ihrer körperlichen und geistigen Kräfte
freiwillig auf die Ausübung ihrer Berufspflichten verzichten. Das
Gesetz soll, wenn möglich, am l.X. 1922 in Kraft treten und enthält
u. a. eine Staatsbeihilfe für die Kreise und Gemeinden in Höhe von
25 Millionen Mark.
— Ein Gesetzentwurf auf Erhöhung der Wochenhilfe
und des Stillgeldes wird vom Reichsministerium des Innern vor¬
bereitet.
— Das Ministerium für Volkswohlfahrt beschäftigt sich in einem
Erlaß vom 2. V. 1922 mit der Frage des Lateinnachweises für
die von Oberrealschulen abgehenden Studierendender
Medizin. Für Nichtkriegsteilnehmer wird die Forderung eines auf
Grund einer Prüfung ausgestellten Zeugnisses des Leiters eines
deutschen Gymnasiums oder Realgymnasiums beibehalten und das
Zeugnis der Leiter von Universitätskursen als Ersatz für ein Schul¬
zeugnis nicht angesehen. — Die Dienstanweisung für die
Gewerbemedizinalräte (vgl. Nr. 3*S. 103) in Preußen ist unter
dem 19. IV. 1922 bekanntgegeben worden.
— Nach einer Bekanntmachung der Deputation für das Gesund¬
heitswesen der Stadtgemeinde Berlin vom 7. III. 1922 ist der
Stadtarzt hauptamtlich angestellter Gemeindebeamter. Privatpraxis
ist ihm nicht gestattet. Er ist der Dienstvorgesetzte aller im Ge¬
sundheitsdienst des Verwaltungsbezirkes tätigen Personen, soweit
sie nicht unmittelbar dem Stadtmedizinalrat unterstehen.
— In einer gelegentlich des Chirurgenkongresses abgehaltenen
Versammlung von Krankenhausärzten wurde eine Resolu¬
tion (M ei sei [Konstanz]) gefaßt, in der verlangt wurde, daß den
Krankenhausärzten in kommunalen Anstalten die Anstellung in Ge¬
haltsklasse XII mit Pensionsberechtigung gewährt wird und daß die
Krankenhausärzte an privaten Anstalten ein entsprechend großes
Gehalt ebenfalls mit Pensionsberechtigung erhalten. Die Mittel für
die Besoldung sind durch Erhebung eines Verpflegungszuschusses
aufzubringen. Gehalt und Pensionsberechtigung gelten nur für die
Mühewaltung bei den Patienten III. Klasse, das Liquidationsrecht
in der I. und II. Klasse bleibt früheren Beschlüssen entsprechend
hiervon unberührt.
— Bei der Beratung einer Vorlage betreffend die Einstellung
neuer Krankenschwestern wurde in der Schöneberger Bezirksver¬
sammlung neulich die Frage des Achtstundentags im Kran¬
kenhausbetrieb erörtert. Ministerialdirektor a. D. Kirchner
sprach sich dagegen aus. Ein dreimal täglicher Wechsel des Pflege-
E ersonals sei für einen Schwerkranken durchaus unzweckmäßig. Der
lienst eines Fabrikarbeiters könne nicht mit dem einer Kranken¬
schwester verglichen werden; der Achtstundentag bedeute in diesem
Falle eine öde Gleichmacherei. Wenigstens dürfe nur eine unterbrochene
Arbeitszeit eingeführt werden. Prot. Nordmann (Dem.) sprach sich
gleichfalls für getrennte Arbeitszeit der Schwestern aus, sodaß
während der Hauptstunden vormittags und gegen Abend die
Schwestern tätig sein müßten, während nachmittags Hilfspersonal
zur Pflege der Kranken herangezogen werden könnte.
— Zur Erforschung der Sexualentwicklung des Kin¬
des nach seiner körperlichen und seelischen Seite hin nat sich das
Institut für Sexualwissenschaft in Berlin und das Institut für experi¬
mentelle Pädagogik und Psychologie, Abteilung des Leipziger Lehrer¬
vereins, zu einer Arbeitsgemeinschaft vereinigt. Eltern, Er¬
zieher, Aerzte u. a. werden von beiden Instituten gebeten, ihnen Ma¬
terial an eigenen Beobachtungen, an Erhebungen, Befragungen, Be¬
kenntnissen, Eigenberichten, Dokumenten, Niederschriften, Tage¬
büchern, kindlichen Dichtungen, Briefen, Zeichnungen, plastischen
Darstellungen u. dgl. zuzusenden. Auf Wunsch werden Auslagen
vergütet. Einsendungen erbeten an das Institut für experimentelle
Pädagogik und Psychologie in Leipzig, Kramerstr. 4II.
□ igitized by Gougle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
704
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 21
— Auf dem Markt der Drogen und Chemikalien und der
Arzneimittel ist eine ununterbrochene Verteuerung im Gange.
Interessant ist ein Vergleich der Vorkriegspreise mit den jetzigen. Die
Steigerung beträgt für Bismutpräparate das 80fache, Borpräpa¬
rate das 120fache, Brompräparate das 20fache, Chinin das |
180fache, Cocain das 240fache, Glyzerin das 56fache, Jodpräpa¬
rate das 105fache, Lebertran für medizinische Zwecke das
70fache, Morphium das 60fache, Quecksilberpräparate das
96fache, Salizylpräparate das 65fache.
— Als Nachfolger von Magnus-Levy ist Prof. P. F. Richter
zum Dirigierenden Arzt der Inneren Abteilung des Krankenhauses im
Friedrichshain, als Nachfolger von Prof. Rona (der seinerseits an
die Stelle von Geh.-Rat Salkowski getreten ist) ist Dr. Pincussen
zum Vorsteher der Biochemischen Abteilung des städtischen Kranken¬
hauses am Urban gewählt.
— Der neue von der Deutschen Röntgen-Gesellschaft festgesetzte Tarif
für diagnostische Röntgenuntersuchungen und -Bestrahlungen
ist bei Sanitätsrat M. Immel'mann, 1 Berlin W, Lützowstr. 72, gegen Erstat¬
tung der Portokosten erhältlich.
— In der Sitzung des Vereins für Innere Medizin und Kinder¬
heilkunde sprach E. Joßl über Die Reizwirkung der Purine im Harn¬
säure-Stoffwechsel. An der sich anschließenden Besprechung beteiligten sich
Brugsch, Goldscheider, G. Klemperer, Gudzent, Bergell, Mendel,
Ullmann und Jogi (Schlußwort). Hierauf hielt Eisner seinen Vortrag über
apoplektiforme Bulbärparalyse mit Adam-Stokes und Herzblock.
(Besprechung: Fleisch mann, His.) — ln der Generalversammlung der
Pädiatrischen Sektion am 8. V. hatte die Vorstandswahl folgendes Er¬
gebnis: E. Müller (I. Vorsitzender), Bendix (II. Vorsitzender), L. F. Meyer
und Oberwarth (Schriftführer), Herbst (Kassenführer), Czerny, Finkel-
stein, Cassel (Beisitzer).
— Am 11. VI. findet in der Universitäts-Kinderklinik in Heidelberg (Prof.
Moro) die 25- Tagung der Vereinigung südwestdeutscher Kinder¬
ärzte statt. Es sind 14 Vorträge angemeldet.
— Die X. Versammlung der Vereinigung Deutscher Schul- und
Fürsorgeärzte findet am 10. IX. 1922 im Römer in Frankfurt a. M. statt.
Referatthema: Die Aufgaben und Grenzen der schulärztlichen Tätig¬
keit. Berichterstatter: Th. Hoffa (Barmen), Lewandowski (Berlin),
Oxenius (Frankfurt a. M.).
— Die XV11I. Jahresversammlung des Deutschen Vereins für Schul¬
gesundheitspflege findet am 13- IX. 1922 im Römer in Frankfurt a. M.
statt. Referatthema: Wie weit läßt sich 'die auf kulturellem Gebiete
erforderliche Sparsamkeit mit den Forderungen der Schulgesund¬
heitspflege in Einklang ^ringen? Berichterstatter: Selter (Königsberg),
Hane (Berlin).
— Der nächste Kongreß der Deutschen Dermatologischen Ge¬
sellschaft findet Pfingsten 1923 in München statt. Das Referat-Thema
ist: Allgemeine Aetiologie und Therapie der Ekzeme. Referenten sind: Bloch,
Kreibich, Pinkus, Riecke. Der Vorstand bittet die Mitglieder, ihren
Beitrag für 1922 auf das Postscheckkonto: Karlsruhe 762 der Süddeutschen
Diskonto-Gesellschaft in Heidelberg mit dem ausdrücklichen Vermerk: „Zur
Gutschrift auf das Konto der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft“ ein¬
zuzahlen.
— Die vielen Debatten über die Karzinom - und Tuberkulose.behand-
lung sind von heute ab völlig überflüssig: das Krebs- und Tuberkulose¬
mittel ist jetzt gefunden. 5000 M. zahlt die Firma Krähe dem Arzte, der
wissenschaftliche Beweise bringen kann, daß man durch eine innere Desinfektion
des Körpers vermittels Magalia nicht imstande ist, Krebs-, krebsartige
Geschwüre, Lungen-, Haut-, Gelfenk- und Knochentuberkulose zu
heilen. Ganz ähnlich hat bereits Vollrath Wasmuth einen Preis von 5000 M.
dafür ausgeschrieben, daß jemand die Wertlosigkeit seines Rad-Jo beweist!
Aber zu seiner großen Freude habe sich niemand gemeldet. Immerhin wurde in
der Generalversammlung des Vereins hamburgischer Hebammen, wie uns
das Gesundheitsamt mitteilt, einstimmig folgende Entschließung angenommen:
Die Generalversammlung der Berufsorganisation hamburgischer Hebammen
erblickt in der Werbearbeit der Firma Vollrath Wasmuth in Hamburg für das
Präparat Rad-Jo ein marktschreierisches Vorgehen für ein Geheim¬
mittel, das erfahrungsgemäß in keiner Weise den in den Druck¬
sachen angepriesenen Wirkungen hinsichtlich der Erleichterung
der Geburt entspricht. Die hamburgische Hebammenschaft lehnt deshalb
jegliche Verwendung des Rad-Jo ab.
— Im Groß-Berliner Aerzteblatt wird vor einem amerikanischen Arzte
und Röntgenologen Dr. Robert A. Arens aus Chikago gewarnt. Er besucht
mit Vorliebe die Röntgeninstitute in deutschen Kliniken, um den technischen
Stand der Röntgenologie auszukundschaften, und versucht auch, mit solchen
Fabriken Beziehungen aufzunehmen, die Röntgenapparate herstellen.
- Pocken. Deutsches Reich (30.1V.—6. V. mit Nachträgen): 26. — Fleckfieber
Deutsches Reich(16.—22.IV.): 6. — Genickstarre. Deutsches Reich (9.— 15. IV.): 44. —
Ruhr. Deutsches Reich (9.—15. IV.): 61. — Abdominaltyphus. Deutsches Reich.
(9.-15. IV.): 120.
— Bendorf a. Rh. Der in weiten Kreisen bekannte verdienst¬
volle Neurologe Geh.-Rat Erlenmeyer hat vor einigen Wochen
sein 50jähriges Doktorjubiläum in völliger körperlicher und
geistiger Frische gefeiert.
— Dresden. Anfang März ist hier eine Sächsische Landes¬
haupt stelle gegen den Alkoholismus begründet worden,
welche die allen alkoholgegnerischen Organisationen gemeinsamen
Interessen vertritt und überall im Freistaat Sachsen für Ausbreitung
der Bewegung sorgt. An erster Stelle wird sie die Lehrgänge für Lehrer
und Erzieher ausbauen. Vorsitzender ist Dr. Vogel, Kustos am
Deutschen Hygienemuseum. Nähere Auskunft erteilt die Geschäfts-
stelle, Georgenstr. 3.
— Frankfurt a. M. Der nächste Röntgenkursus im Institut
für physikalische Grundlagen der Medizin findet vom 13 .— 27 . VI.statt.
— München. Nach einer Verordnung des Bayr. Staatsmini¬
steriums des Innern vom 30. III. 1922 sind für die ärztliche
Leichenschau folgende Gebühren festgesetzt: a) Gebühr für
die Verrichtung am Wohnort und außerhalb des Wohnorts 20 M.,
b) Entfernungsgebühr, wenn die Entfernung des Ortes der Leichen¬
schau vom Wohnorte des Leichenschauers mehr als 2 Kilometer
beträgt, für jeden Kilometer des Hin- und Rückweges 4 M.
— Uchtspringe. Dr. Bockhorn, Oberarzt der Landes¬
heil- und -pflegeanstalt Nietleben, ist zum Direktor der Landet
heilanstalt berufen worden.
— Hochschnlnachrichten. Erlangen. Prof. Kreuter wurde zum
Etatsmäßigen Oberarzt an der Chirurgischen Klinik, Prof. Brock an
der Klinik für Ohren-, Nasen- und Kehlkopfkrankheiten zum Oberarzt
ernannt. Priv.-Doz. Pflaum er, Oberarzt des Ambulatoriums für
Krankheiten der Harnorgane, wurde zum a. o. Professor ernannt Prof.
Brock erhielt einen Lehrauftrag für Behebung funktioneller Stimm¬
störungen. Dr. Hauenstein, Assistent an der Zahnärztlichen Poliklinik,
hat sich habilitiert. — Frankfurt a. M. Geh.-Rat Kolle war auf Ein-
ladung der spanischen Aerzteschaft nach Spanien gereist und hat dort
4 Wochen lang in verschiedenen großen Städten, u.a. in Madrid,Barcelona,
Toledo, sehr beifällig aufgenommene wissenschaftliche Vorträge gehalten.
— Freiburg. Prof. Bacmeister hat von der Universität Turin eine
Einladung erhalten, über die moderne Therapie der Lungentuberkulose
Vorträge zu halten. — Hamburg. Geh.-Rat Prof. Kümmell, Direktor
der Chirurgischen Abteilung des Krankenhauses Hamburg-Eppendorf,
derzeit Rektor der Universität, feierte am 22. V. seinen 70. Geburtstag.
(Festartikel folgt) — Königsberg. Die Medizinische Fakultät hat
dem Mathematiker Geh.-Rat Prof. Hilbert (Göttingen) die Würde
eines Dr. med. honoris causa verliehen. — Leipzig. Prof. Theodor
Kölliker, ein Sohn Albert v. Köllikers, Extraordinarius für Ortho¬
pädie, feiert am 28. V. seinen 70. Geburtstag. Kölliker war ursprüng¬
lich Anatom, wandte sich dann der Chirurgie zu und wurde 1885
Direktor der orthopädischen Universitäts-Poliklinik. Kölliker hat in
früheren Jahren besonders über Mißbildungen literarisch gearbeitet.
Dr. Oelze, Assistent an der Universitäts-Klinik für Haut- und Ge¬
schlechtskrankheiten, hat sich habilitiert. — Prag. An der Tschechi¬
schen Universität wurde eine II. Chirurgische Klinik errichtet und Prof.
Jedlicka zum Leiter ernannt. — Wien. Dr. Breitner hat sich für
Chirurgie habilitiert.
— Gestorben. Prof. La v er an, der Entdecker der Malariaplas¬
modien, im 77. Lebensjahr in Paris. Unter den zahlreichen späteren
Forschungen Laverans sind besonders seine Arbeiten über die Schlaf¬
krankheit zu nennen. — Prof. Louis Ranvier, der hervorragende fran¬
zösische Anatom, im Alter von 87 Jahren in Paris. Ran vier, der
bereits 1875 zum Professor des College de France gewählt war, wurde
1886 Mitglied der Academie de Medecine und 1887 der Academie
des Sciences. Seine Lehrtätigkeit hat er schon vor 20 Jahren ange¬
geben. — Prof. Julius Sch eff, früher Leiter des Zahnärztlichen Uni¬
versitätsinstituts, literarisch bekannt durch sein Handbuch der Zahn¬
heilkunde, zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen, Mitarbeit an
Ebstein-Sch walbes Handbuch der praktischen Medizin u. a., im
75. Lebensjahr in Wien. — Hof rat R o s a n e s, langjähriger Primararzt der
Chirurgischen Abteilung des Wiener Stephaniespitals, im 65. Lebensjahr.
Am 16. V., nur wenige Monate vor seinem 80. Geburts¬
tag, ist Wilhelm v. Leube unerwartet gestorben. Ein
Großer aus der großen Zeit der deutschen Medizin ist mit
ihm dahingegangen. Obwohl er sich vor nahezu 10 Jahren
nicht nur von seinem Würzburger Lehramt, sondern auch von
der Medizin selbst zurückgezogen hatte, um sich seinen kunst-
historischen Studien zu widmen, ist die Erinnerung an seine
Persönlichkeit auch bei denjenigen, die nicht in der Lage ge¬
wesen sind, ihn unmittelbar kennen zu lernen, lebendig geblieben.
Mit der Begründung der Verdauungspathologie und -therapie ist
sein Name vornehmlich verknüpft, aber an wievielen Schöpfungen
der modernen Medizin ist er überdies in hervorragendem Maße
beteiligt gewesen. Ein Bild seines Wirkens und eindrucksvollen
Wesens hat’in dieser Wochenschrift (1912 S. 1750) zu seinem
70. Geburtstage Dietrich Gerhardt entworfen; er ist noch
vor seinem Amtsvorgänger und väterlichen Freunde aus dem
Leben geschieden, und statt seiner wird ein anderer Kliniker an
dieser Stelle noch einmal alles das, was wir Wilhelm v. Leube
zu verdanken haben, zusammenfassen, in gleicher Weise, wie
Leube selbst hier seinerzeit seinem großen Lehrer v.Ziemssen
den Nachruf gewidmet hatte. J- s *
— Berichtigungen und Ergänzungen zum Verzeichnis der
und Kurorte sowie zum Verzeichnis der Heil-, Pflege- und Kur¬
anstalten für die neue Ausgabe des Reicbs-Medizinal-Kalenders erbitte
ich umgehend. J- Schwalbe.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNiVERSrTf
Anatomie.
♦♦ Sobotta (Bonn), Kurzes Lehrbuch der deskriptiven Ana¬
tomie des Menschen. I. Abt.: Regionen, Knochen, Bänder, Ge¬
lenke und Muskeln des menschlichen Körpers. II. Abt.: Die Ein¬
geweide des Menschen. 2. Aufl. München, J. F. Lehmann, 1921.
278 und 192 S. M. 40.— und M. 36.— Ref.: Eisler (Halle a. S.).
Das Buch ist aus des Verfassers „Grundriß" entstanden, der seiner¬
zeit als Text zur 1. Auflage des Atlas geschrieben war, und natürlich
nicht nur für Sobottas, sondern auch für andere Atlanten benützbar.
Durch die eingreifende Umarbeitung hat der Umfang wesentlich zu¬
genommen, obschon häufig von Kleindruck Gebrauch gemacht ist;
der Zuwachs beträgt für beide Abteilungen 128 Seiten. Die Schreib¬
weise ist einfach und flüssig. Die überall eingefügten, kurzen ent¬
wicklungsgeschichtlichen Bemerkungen werden dem Studierenden viel¬
fach erst etwas sagen können, wenn er die für die noch ausstehende
3. Abteilung vorgesehene Uebersicht über die Entwicklung kennt. Bei
der Muskulatur ist auf die Innervation und, manchmal etwas knapp,
auf die Funktion hingewiesen, bei den Eingeweiden auch die Gefä߬
versorgung berücksichtigt. Druck und Papier sind sehr gut; der Preis
ist mäßig.
W. Mayer-Groß (Heidelberg), Kretschmers Körperbanlehre und
die Anthropologie. M. m. W. Nr. 18. Zu M.m. W. 1921 S. 1653 und
1922 S. 121. Bei Kretschmer handelt es sich mehr um die intuitive
Erfassung seelischer Typen als um anthropometrische Messungen be¬
stimmter Psychosengruppen. Die Krets chm ersehe Körperbaulehre
hat enge Beziehungen zu der Ausdruckspsychologie.
Psychologie.
♦♦ Vera Strasser (Zürich), Psychologie der Zusammenhänge
und Beziehungen. Berlin, J. Springer, 1921. 591 S. M. 96.—,
geb. M. 110.—. Ref.: Th. Ziehen (Halle).
Der unsystematische Charakter und die allzugroße Ausführlichkeit
sind die Hauptfehler dieses Buchs, das eine synthetische Psychologie
geben will. Auch führt die Neigung zu geistreichen Bemerkungen —
Vergleichen usw. — oft zu gewagten Behauptungen, inexakten Defini¬
tionen und Uebertreibungen. Wertvoll sind für den Arzt viele Be¬
merkungen über die psychopathischen Konstitutionen („Beziehungs¬
unfähigkeit" des Nervösen, „Fiktionen" des Neurotikers wie Psycho-
tikers, „Ersatzaktivität" und vieles andere). Ein besonderes Kapitel
(S. 369—463) ist den „Beziehungskranken" gewidmet. So bestreitbar
und bedenklich gerade hier manche einzelnen Sätze sind, so findet
man doch anderseits eine Fülle richtiger und anregender Bemerkungen.
Aehnliches gilt von dem pädagogischen und therapeutischen Kapitel;
speziell sei auf die Erörterungen über die „Stellung des Beziehungs¬
kranken zum Arzt" aufmerksam gemacht (S. 475 ff.). Ueberhaupt ver¬
dient Anerkennung, daß die Verfasser die schier unerschöpflichen
Beziehungen und Zusammenhänge des neurotischen und psychotischen
Individuums mit der Umwelt in der umfassendsten Weise berück¬
sichtigt hat. _
Allgemeine Pathologie and Pathologische Anatomie.
W. Stepp (Gießen), Derzeitiger Stan d der Vitaminlehre. KI. W.
Nr. 18 u. 19. Uebersichtsmitteilung.
LAschoff (Freiburg i. B.), Eotzündniigsbegriffe und Entzüodasgs-
tbeorieo. M. m. W. Nr. 18. Fortbildungsvortrag.
Rößle (Jena), Hypertrophie und Atrophie. Jkurs. f. ärztl. Fortb.
Januarheft. Alle echte Hypertrophie ist Arbeitshypertrophie, ihr Gegen¬
bild die Inaktivitätsatrophie. Zwischen Hypertrophie und Atrophie
steht die Erhaltung. Ihr schenkt man viel zu geringe Beachtung.
Auch der Mangel an Erhaltungsreizen führt zur Atrophie. Bei
der ausführlichen Darstellung der Hypertrophien der einzelnen Organe
macht Rößle auf die bisher wenig beachtete Hypertrophie der
Mesenterialarterien bei länger dauernder Aorteninsuffizienz auf¬
merksam. Bemerkenswert sind die Angaben über hypertrophische
Prozesse bei endokrinen Drüsen. Herz- und Nebennierengewicht
verlaufen innerhalb physiologischer Verhältnisse parallel, hingegen findet
eine Zunahme des Nebennierengewebes bei Hypertrophie des Herzens
nicht statt. Wohl aber ist eine Massenkorrelation zwischen Hoden und
Nebenniere, sowie zwischen Thymus und Nebenniere feststellbar. Das
Hypophysengewicht geht der Körpergröße, dem Hoden, der Bauch¬
speicheldrüse und der Nieren parallel und verhält sich im allgemeinen
umgekehrt proportional dem Schilddrüsengewicht. Von der ganzen
Frage des Status thymico-lymphaticus bleibt nach Rößle nur die
Persistenz und Hypertrophie der Thymusdrüse im Gefolg von endo¬
krinen Erkrankungen und Stoffwechselerkrankungen übrig. — Die
häufig ausgesprodiene Ansicht, daß jede Atrophie mit Entartung
verknüpft sei, ist nicht begründet.
Lorenz (Breslau), Biologie und Pathologie der Glandulae para-
thyreoideae. Jkurs. f. ärztl. Fortb. Januarheft. Unter die parathyreoi-
dalen Erkrankungen ist der ganze Komplex der tetanischen Erkrankungen
(Säuglings- und kindliche Tetanie, idiopathische Tetanie, Matemitäts-
tetanie, gastrische Tetanie) zu rechnen. Die Pathogenese dieser Tetanie¬
formen ist eine einheitliche. Die Tetanie ist aber nicht eine Er¬
krankung, die sich lediglich auf die Glandulae parathyreoideae be¬
schränkt, sondern sie ist pluriglandulärer Art. Zwischen Rachitis und
Tetanie bestehen enge Beziehungen. Auch bei Rachitis, Osteomalazie,
Osteogorose, Osteogenesis imperfecta werden bisweilen Veränderungen
an den Epithelkörperchen gefunden, hingegen ist bei Paralysis agitans
eine pathologisch-anatomische Unterlage für eine parathyreogenen
Entstehung bis jetzt nicht gelungen. — Therapeutisch versagte die
Organ-Therapie, während die Erfolge der Homoiotransplantation
glänzend sind.
Rudolf Demel (Wien), Folgen der Hypertbymisation. Mitt.
Grenzgeb. 34 H. 4. 3 Wochen alten Ratten wurde Thymus von nor¬
malen Tieren, teils des gleichen Wurfs, teils von 2 und 8 Monaten in
eine Muskeltasche implantiert. Die deutlichsten Veränderungen setzte
der (sic!) Thymus der jüngeren noch nicht geschlechtsreifen Tiere.
Erzielt wurde reichlicherer Fettansatz, größere Kraft und Lebhaftigkeit,
stärkeres Längenwachstum der Knochen ohne Verlust an Festigkeit.
Mikroskopisch wurden deutliche Vergrößerungen und stärkere regel¬
mäßige Reihenbildung der Knorpelzellsäulen der Epiphysenfuge sowie
Vermehrung der Knochenbälkchen der Metaphysen festgestellt. Für eilte
Beeinflussung der Nebenniere, der Geschlechtsdrüsen und der Hypo¬
physe fand sich kein Anhalt. Bei Verfütterung von Thymussubstanz
blieben die genannten Wirkungen aus.
Ludwig Merk (Innsbruck), Körperfremde Zellgebilde im mensch-
1 leben Körper. Mitt. Grenzgeb. 34 H. 4. Merk beschreibt und bildet
ab: 1. Sporen von der Gestalt einer 5—6seifigen, in Kanten und Winkeln
abgerundeten Pyramide, die er in Blasen von Tabaksaftfarbe findet;
sie zeigen wackelnde Bewegungen, die Blasen umschließen viele Tausende
von solchen Sporen. 2. Rostzellen, die wohl mit den schon beschriebenen
„Kolloidzellen" übereinstimmen und schließlich 3. eiartige Zellen. Er
hält diese 3 noch nicht beschriebenen Gebilde mit überwiegender Wahr¬
scheinlichkeit für verschiedene Formen eines Protozoons. Alle sind
hellgelb. Untersuchung von frischen Präparaten ist unerläßlich.
Hans Holzweißig (Chemnitz), Duodenaldivertikel. Mitt.
Grenzgeb. 34 H. 4. Am häutigsten trifft man sie in der Umgebung
der Papilla Vateri. Die gleichzeitig gefundenen Gallensteine sind von
ursächlicher Bedeutung, doch besteht auch die Möglichkeit, daß das
Divertikel den Ductus choledochus komprimiert. In vielen Fällen hat
sich das Divertikel im Anschluß an ein Gefäß durch die Muskulatur
des Darmes gestülpt. Die mikroskopisch untersuchten Fälle erweisen
sich als reine Schleimhauthernien, der Grund frei von Muskulatur.
Häufig ist die Kombination mit Divertikeln anderer Darmabschnitte,
oft führt allgemeine venöse Stauung die Erweiterung der physiologischen
Gefäßlücken herbei; dann erleichtert oft der senkrechte Durchtritt des
Gefäßes das Zustandekommen. Auch Nebenpankreas und kleine Fibro¬
adenome geben Anlagen für das Divertikel ab.
Weltmann und Teuschert (Wien), Tagesschwankongen im Uro-
biliflogeogehalt des Harns bei Gesunden und Kranken. W.m.W. Nr. 18.
Normalerweise kann sich die Aldehydreaktion im Laufe des Tages bis
zur Verdünnung 1:8 erheben. Die Urobilinogenaüsscheidung erfolgt
in der Form einer Kurve mit der Basis in den Morgen-, dem Gipfel
in den Nachmittagsstunden. Zwecks klinischer Verwertung der Alde-
hydreaktion als Lebersymptom ist es daher notwendig, die Unter¬
suchungen in der Form des 2-Stundenversuchs vorzunehmen, wodurch
das Resultat zuverlässiger wird.
Nakajima (Tokio), Blasensteine. Zschr. f. Urol. 16 H. 4. Ein¬
gehende Auslassungen über die Arten der Blasensteine, ihre geographi¬
sche Verbreitung und Entstehung, vornehmlich auf Grund eigener
chemischer Erschließungen der einzelnen Schichten und besonders der
Kernteile unter Würdigung der Literatur. 20 Krankengeschichten;
10 Abbildungen. Fast für alle Steinarten sind Harnsäure und Kalzium
neben einer pathologischen, nephrogenen, eiweißartigen Substanz un¬
entbehrliche Entstehungselemente, zu deren Annahme auch der Ausfall
von Tierexperimenten zwingt. Eine wesentliche Rolle spielen regressive
Prozesse im Senium, Ernährung (schon im Säuglingsalter), Trinkwasser,
Schutzkolloide, Harnreaktion und pathologische Veränderungen an der
Blase.
Mikroben- und ImmunftStslehre.
♦♦ W. Kölle (Frankfurt a. M.), Arbeiten aus dem Staats!nstltut
für experimentelle Therapie und dem Georg: Speyer-Hause
zu Frankfurt a. M. Heft 14. Jena, G. Fischer, 1921. 77 Seiten.
Ref.: Reiter (Rostock).
Rudolf Jaffö, Ueber die durch säurefeste Bakterien im
SäUgetierorganisnTus erzeugten histologischen Ver-
□ igitized by Gougle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
706
LITERATURBERICHT
Nr. 21
änderungen: Die säurefesten Bazillen sind imstande f im Säugetier¬
organismus Veränderungen zu erzeugen, die von echter, typischer
Tuberkulose nicht zu unterscheiden sind. Abweichungen von typischen
Veränderungen kommen vor, doch ist dies auch bei echter Tuberkulose
der Fall. — H. Dold, Ueber die Beziehung der Syphilis ko mple-
m entbindungsreaktion zu den Syphilisflockenrea^tionen:
Bei beiden Reaktionen handelt es sich um einen gleichen Flockungs¬
prozeß, bei der Wa.R. wird die Stärke des Anfangsprolfesses, bei den
Flockungsreaktionen die Stärke des Endprozesses gemessen. — W.K olle,
und F. Leupold, H. Schloßberger und K. Hundeshagen. Ver-
leichende chemotherapeutische und serumtherapeutische
ntersuchungen beim experimentellen Schweinerotlauf der
weißen Maus: Bei Schweinerotlauf der Mäuse war durch Hexamino-
arsenobenzol sichere Heilwirkung zu erzielen, solange die Bazillen
noch nicht im Blute kulturell nachweisbar waren. Da in vitro keine
Beeinflussung eintritt, handelt es sich um eine echte chemotherapeutische
Wirkung. — Paul Niederhoff, Zur Frage der Herkunft der bei
den verschi edenen Fl ockungsreaktio nen auf tretenden Lipoid¬
flocken: Es wird nachgewiesen, daß die bei den Flockenreaktionen
entstehenden Flocken hauptsächlich aus Extraktlipoiden bestehen.
R. Doerr und W. Berger (Basel), Beziehungen zwischen Virulenz
und Vermehrungsgeschwindigkeit der Erreger. Zschr.f. Hyg. 95 H.3.
Am Beispiel der Naganainfektion der Maus wird das Wesen einer
Infektionsart erörtert, bei der das Schicksal des Wirtes von der Er¬
reichung einer bestimmten Erregerzahl und der zeitliche Ablauf der
Infektion ausschließlich von der Vermehrungsgeschwindigkeit (der
Qenerationsdauer) der Parasiten bestimmt wird.
H. A. Gins (Berlin), Variola und Vakzine. Zschr. f. Hyg. 95 H.3.
Das Verhalten des Virus im Hornhautepithel stellt sich der Autor
folgendermaßen vor: 1. Eindringen des Virus in die Epithelzelle und
Einwanderung in den Zellkern. Die von v. Prowazek gefundenen
Initialkörperchen stellen vielleicht das auf der Wanderung durch das
Protoplasma befindliche Virus dar. — 2. Entwicklung des Virus im
Kern zu einer dichten Masse größerer Körperchen, die den ganzen
Kern ausfüllen. — 3. Heraustreten dieser Körperchen aus dem Kern,
weiteres Wachstum in der allmählich verschwindenden Epithelzelle
(„Strahlzelle"), Auswanderung zwischen die Epithelien (extrazelluläre
Form der Variola-Vakzinekörperchen). — 4. Eindringen der Körperchen
in das Protoplasma der Epithelzellen (typisches Guarnierikörperchen).—
5. Reifung innerhalb der Zelle und Verfall in Elementarkörperchen
(Paschensche Körperchen), die dann in großen Massen aus den zer¬
störten Epithelzellen austreten, oder — 6. allmähliche Resorption in der
nicht durch den Parasiten zerstörten Zelle. Für die praktische Unter¬
suchung ist folgendes Verhalten zu empfehlen: Der positive Ausfall
des Paulschen Versuches sichert die Diagnose. Weniger erfahrene
Untersucher werden zweckmäßig die histologische Untersuchung an¬
schließen. Bei zweifelhaftem Ausfall des Paulschen Versuches ist in
jedem Falle die histologische Untersuchung durchzuführen, bei welcher
außer den Guarnierikörperchen auch die extrazellulären Gebilde und
die „Strahlzellen" zu verwerten sind.
J. Führt (Prag), Systematik der Paratyphns-B-Bakterien. W. kl. W.
Nr. 15. Nutzbarmachung der von Weil und Felix ausgearbeiteten
serologischen Untersuchung der Proteusstämme für die Differenzierung
von Paratyphus-B-Bakterien. Es gelingt mit ihrer Hilfe, die Paratyphus-
B-Gruppe auf eine festere Basis zu stellen. Hierfür werden einige
Beispiele angeführt.
Eduard Boecker (Berlin), Tnberkelbazillenwachstum in eidotter-
haltigen NIbrb&den. Zschr. f. Hyg. 95 H. 3. In der neuen Kultur¬
flüssigkeit nach Besredka liegt ein den Tuberkelbazillen sehr
zusagendes Medium vor. Das Schwimmrasenwachstum auf Glyzerin¬
bouillon (2°/ 0 ) erfolgt bedeutend rascher und ergiebiger, wenn man
die 50 ccm haltenden Kölbchen mit etwa 1 ccm Eidotter versetzt.
J. Skariö (Postire S. H. S.), Bac. melitensis und Bac. abortns
infect. bovis. Zschr. f. Hyg. 95 H. 3. Die Bazillen des seuchenhaften
Abortus der Rinder sind mit den Erregern des menschlichen Malta¬
fiebers, auch in serologischer Hinsicht, nahe verwandt, weit näher
sicher als Typhus- und Paratyphusbazillen. Die Frage nach der
Pathogenität des Bac. abortus infect. bovis für den Menschen ist aber
noch nicht geklärt Möglicherweise erwirbt er seine Menschen¬
pathogenität erst durch Anpassung an den Körper der Ziege, deren
Milch in den Mittelmeerländern bekanntlich die Infektionsquelle für
das Maltafieber ist.
Allgemeine Therapie.
Oskar Loew(München), Ernlhrongder Japaner. Zschr.f.physik
diät. Ther. 26 H. 2. Die Nahrung der Japaner wird auf ihren Genalt an
Kalk geprüft, und es werden die vielfachen einseitigen Berichte über
ausschließlich vegetarische, speziell Reisnahrung, auf das tatsächlich
richtige Maß zurückgeführt.
Sie beit (Flinsberg), Klimatoloffichea aus den schlesischen Kur¬
orten. Zschr. f. physik. diät. Ther. 26 H. 2. Allgemeine Angaben über
meteorologische, klimatologische, hygienische Verhältnisse der schlesi¬
schen Badeorte; die Besonderheiten der Temperatur, Luftbewegung,
Bewölkung, des Sonnenscheins werden dargestellt
W. Müller (Marburg), Reizkörperwirkuugeu als Folge des Zell¬
zerf alla nach Röntgenbestrahlungen. Bruns Beitr. 125 H.2. Es treten nach
Di,gitized Google
Röntgenbestrahlungen sehr rasch nach der Bestrahlung und je nach der
Stärke derselben in verschieden starkem Grade Stoffe im Blute auf, die sich
durch ihre vasokonstriktorische Wirkung nachweisen lassen, die etwa nach
36 Stunden ihr Maximum erreichen und dann im Laufe des dritten
und vierten Tage9 wieder verschwunden sind. Der Röntgenkater ist
eine Reizkörperwirkung im schädlichsten Sinne, die Folge eines Ueber-
maßes von schädlichen Eiweißstoffen im Blut. Auch die beschleunigte
Blutgerinnung nach Röntgenbestrahlung, scheint mehr eine Folge der
allgemeinen Reizkörperwirkung zu sein, als eine besondere Reizwirkung
auf bestimmte Zellkomplexe nach Stephan. Ueber die Natur der
Reizstoffe müssen weitere Untersuchungen Aufschluß geben.
K. v. Adlerspar re (Stockholm), Nachbehandlung von Kriemer-
letzten m i t schwedischer Massage und Heilgymnastik. Zschr. f. physik.
diät. Ther. 26 H. 3. An Röntgenbildern werden die Erfolge schwedi¬
scher Massage und Heilgymnastik gezeigt, und es werden die tech¬
nischen Einzelheiten dabei geschildert; allerdings so umständlich und
weitschweifig mit Hineinziehung von Momenten, die nicht zum Thema
gehören, daß man sich nur mühsam den Kern herausschälen kann.
Helwig (Stettin), Vereinfachte Methode der Tranbenzuckerinfuslon
mit Kalzinmzusatz. Zschr. f. physik. diät. Ther. 26 H. 2. Bei Herz¬
schwäche wendet Helwig intravenöse Saccharucalinjektionen (23%ige
Traubenzucker-Kalziuminfusionen mit Zusatz von je 1 ccm 10°/ 0 Chlor¬
kalziumlösung auf 10 ccm Zuckerlösung) an. Man beginnt mit 10 und
steigt auf 20 g, bei besonderem Tiefstand des Blutzuckerspiegels auch
auf 50 g. Die technischen Einzelheiten und Indikationen werden be¬
schrieben.
Zondek (Berlin), EinflnB der lokalen Kllteapplikation auf die
Qehlrntemperatnr. Zschr. f. physik. diät. Ther. 26. H 3. Thermische
Applikationen am Schädeldach beeinflussen in ausgezeichneter Weise
durch die Leitung des Knochens die Temperatur der Gehirnsubstanz.
Wenn auch die Experimente am Tier nur mit Vorsicht auf den Menschen
übertragbar sind, so ergibt sich doch, daß man die Temperatur und
damit die Zirkulationsverhältnisse im Gehirn beeinflussen kann.
G. Joachimoglu (Berlin), Elektlve Wirkung von Tellurver-
blnduogen auf die Bazillen der Typhus-Koligroppe und ihre prak¬
tische Bedeutung für die Urologie. Zschr. f. Urol. 16 H. 3. Die
vom Autor nachgewiesene genannte Wirkung bietet für die Behand¬
lung der Koliinfektion der Blase günstigere Bedingungen als für die
Typhustherapie. Empfehlenswert Spülungen mit l°/ 00 iger Lösung von
Natrium tellurosum.
Innere Medizin.
A. Lessing (Zwickau), Akuter Rotz. Bruns Beitr. 125 H. 2. Bei
den rumänischen Kriegsgefangenen fiel eine eigenartige bandförmige
Erysipelausbreitung auf dem Nasenrücken und die „Kokardenform*
des variolaartigen Pustelausschlages auf und gab Veranlassung zur
bakteriologischen und serologischen Untersuchung.
A. Gottschalk (Frankfurt a. M.), Influenzaagglutioioe und Klloik
der Grippe. Kl. W. Nr. 19. Untersuchungen bei 100 Patienten mit
klinisch sichergestellten Grippeerkrankungen ergaben in leichteren Fällf¬
einen mäßigen wenige Wochen währenden Anstieg des Agglutinatioosn
titers; bei schwereren Infektionen einen erheblicheren Anstieg von
längerer Dauer (Aetiologische Bedeutung des Pfeif ersehen Influenza¬
bazillus für die diesjährige Welle damit bestätigt.) Verfasser glaubt
auf Grund der Agglutinationsstudicn die Indikation für die therapeu¬
tische Verwendung des Grippeserums genauer präzisieren zu können.
Frühzeitige Anwendung bei allen ein irgendwie schweres Krankheits¬
bild darbietenden Grippepatienten (50 ccm intramuskulär empfohlen.)
Ueber sehr gute prophylaktische Erfolge mit Grippevakzine (abgetötete
Influenzabazillen) berichten amerikanische und englische Autoren.
S. Werboff (Petersburg), Veränderungen der Blase bei einem
Fall von Koiibazillensepsis. Zschr. f. Urol. 16 H. 4. Eigentümlicher
zvstoskopischer Befund bei einem Träger von Urethritis nongonor-
rnoica, der an Nierenschmerzen mit Durchfällen, hohem Fieber und
Schüttelfrösten erkrankt war: Nahe der linken Uretermündung drei bis
kirschenartige Hämatome neben dunkelroten Flecken. Hartnäckige
Pyurie trotz Blasen- und Nierenbeckenspülungen, sowie innerer Mittel.
Allmähliche Heilung nach Filakogenvakzineinjektionen.
H. Kogerer (Wien), Probe mit Natrium nucleinicnm bei der
Malariabehandluog der Paralytiker. W. kl. W. Nr. 15. In 25 Fällen
von Impfmalaria bei Paralyse leistete die intramuskuläre Injektion mit
Natrium nucleinicum zur Prüfung auf Abheilung gute Dienste. Von
22 schon mit Chinin und Neosalvarsan behandelten Kranken wurde nur
einer wieder positiv, von 3 Kranken, bei denen die Malaria spontan
wieder verschwunden war, reagierten 2 positiv, bei dem 3. kehrten die
Anfälle nicht zurück.
J. Havas (Pistyan), Thermalbldertherapie der Polyarthritis rhea-
matica. Zschr. f physik. diät. Ther. 26 H. 2. Thermalbadekuren zu
ungünstigem Zeitpunkt eingesetzt, können Rückfälle verursachen und
die Restitution gefährden. Nach dem Abklingen der akuten Form der
Krankheit ist vor dem Kurbeginn 2 bis 3 Wochen Karenz erwünscht.
Bel der subakuten Form entscheidet meist der Allgemeinzustand, ob
nicht trotz Bestehen der Krankheitserscheinungen die Badekur einsetzen
soll. Nach akuten Formen kommen 15—20, bei subakuten 25—35 Bade¬
tage in Pistyan in Betracht.
R. Lenk (Wien), Aortenaneurysma vortftuschender Fall von Lungen-
echlnokokkns röntgenologisch diagnostiziert W. kt W. Nr. 15.
Original from
CORNELLUNIVERSiTY
26. Mai 1Q22
LITERATURBERICHT
707
L. Raab (München), Behandlung der Kreislaofschwäche durch
das elektrische Bad. Zschr. f. physik. diät. Ther. 26 H. 3. Das elek¬
trische Bad steht bezüglich seiner Wirksamkeit auf die erkrankten
Kreislaufsorgane in keiner Weise hinter den kühlen kohlensauren Bädern
zurück. Die unberechenbaren Einwirkungen und Blutdruckschwankungen
abgekühlter Bäder kommen in Wegfall und damit die bei Kreislaufs¬
kranken so häufigen Frostgefühle. Raab behauptet, daß es das einzige
Heilmittel ist, welches das Ideal einer rein individuellen Dosierung
erreicht.
O. Moog und W. Ambrosius (Marburg), Mikrokapillarbeobach-
tnof über die Wirkung einiger Qefäßmittel. KI. W. Nr. 19. Unter
Adrenalin Verengerung der Arteriolen und Kapillaren; Kontraktion des
arteriellen Schenkels der Haargefäße mit konsekutiver körniger Strömung.
Konstriktion nur der Kapillaren, in denen Strömung besteht. Herab¬
setzung der Adrenalinansprechbarkeit bei durch Sauerstoffmangel
und Kohlensäureanhäufung geschädigten Gefäßen. Die Wirkungsstärke
des Adrenalins ist abhängig vom jeweiligen Zustand der Gefäße, sowohl
der des Gesamtkörpers als auch der an der Injektionsstelle. Adrenalin
wird im Gewebe nicht zerstört. Bei Papaverin, Nitroglyzerin und
Veronalnatrium konnte eine Erweiterung der Kapillaren nicht beobachtet
werden. (Bessere Gewebsdurchblutung durch vorübergehende Herab¬
setzung des Blutdrucks bei gewissen Hypertonien.) Atropin ruft in
therapeutischen Dosen keine sichtbaren Kapillarveränderungen hervor.
Karl Winkler (Nauheim), 15 Jahre lang unerkannt bestehende
Laagensyphilis. M. m. W. Nr. 18. Vor 17 Jahren syphilitische Infektion.
Seit 15 Jahren Lungenerscheinungen mit allmählich zunehmender Er¬
krankung der Aortenklappen. Langsam fortschreitender interstitiell
pneumonischer Prozeß, der durch Narbenbildungen zu Stenosen in den
Venae cavae führt. Guter Erfolg spezifischer Behandlung.
E. Grafe (Rostock), Differentialdiagnose der Lungentuberkulose
durch Bestimmung der Sedimentierzeit der Erythrozyten. Kl. W.
Nr. 19. 280 Untersuchungen bei ca. 180 Kranken unter Verwendung
der Fahraeusschen Methodik ergaben in allen Fällen, wo mit Sicherheit
ein aktiver Lungenprozeß auch ganz im Beginn vorlag, einen erhöhten
Senkungswert. In zweifelhaften Fällen Erhöhung des Senkungswertes
erst nach Injektion von 0,03 bis 0,1 mg Alttuberkulin. Bei Nichttuber¬
kulösen änderte sich der Titer auf kleine Tuberkulinreizdosen nicht.
Unverricht (Berlin), Einfluß der Kollapstherapie der Lungen¬
tuberkulose auf Form und Wachstum des Thorax. Kl. W. Nr. 19.
Es werden in eingehender Weise die Einflüsse der Kollapstherapie
(Pneumothorax und paravertebrale Rippenresektion) auf Form und
Wachstum des Thorax erörtert. Sie basieren alle auf Störungen der
die Form des Brustkorbes beeinflussenden Kräfte, Druck und Gegen¬
druck; Gewicht des Thorax, äußerer Luftdruck und Elastizität der
Lungen einerseits, Tonus der Inspirationsmuskulatur und Füllungs¬
zustand der Brust- und Baucheingeweide andererseits. Als allgemeines
Gesetz gilt daß auch am Thorax Korrelationen des Wachstums und
ein Zwang zur Harmonie bestehen, sodaß selbst bei künstlich gesetzten
Störungen die ursprüngliche Form möglichst wieder ersteht
A. Plenk (Wien), Zwerchfellberaie. W. kl. W. Nr. 15. 1 Fall.
Franz Schütz (Kiel), Gebiß und Verdauung. Zschr. f. Hyg. 95
H. 3. Die Bedeutung eines mangelhaften Gebisses scheint nicht so
sehr in der schlechten Kaufähigkeit und der durch sie bedingten
Herabsetzung der Ausnutzung der Speisen zu liegen, als vielmehr in
einer auf psychische Einflüsse zurückzuführenden Beeinträchtigung
der Speisenaufnahme, die im Laufe der Zeit zu einer allgemeinen
Schwächung des Ernährungs- und Gesundheitszustandes führen kann.
Hermann Meyer (Göttingen), Speiseröhreoerwelteroug und
Kardiospasmus. Mitt Grenzgeb. 34 H. 4. 8 eigene Fälle, die genau
beobachtet und analysiert sind. Der Kardiospasmus ist das Primäre,
die auslösenden Ursachen ungeheuer mannigfaltig. Ihm und der durch
ihn bedingten Speiseröhrenerweiterung liegt eine Störung des koordi¬
nierten Zusammenwirkens des Vagus- und Sympathikussystems beim
Schluckakt zugrunde. Die Therapie, insonderheit auch die chirurgische,
wird kritisch besprochen, die Suggestion warm empfohlen.
Werner Schemensky (Frankfurt a. M.), Wert des „stalagmo*
metrischen Quotienten“ für die Differentialdiagnose zwischen
bealgnem und malignem Tnmer, speziell des Magen- und Darm-
kaaals. Mitt Grenzgeb. 34 H. 4. Fortsetzung früherer Untersuchungen
(M. m. W. 1920 Nr. 27 u. 49, Bericht siehe D. m. W. 1920 S. 925 und
1921, S. 54). Unter 21 sicheren Karzinomen fand sich 16 mal eine
Erhöhung des stalagmometrischen Quotienten bzw. des Säurequotienten,
während die übrigen 5 normale Werte für den Säurequotienten ergaben.
Unter 19 klinisch zunächst zweifelhaften Fällen war bei 15 der Ausfall
in Uebereinstimmung mit der endgültigen Diagnose. Die Ursachen
der Versager werden erörtert.
Fritz Breuer (Köln), Subakute gelbe Leberatrophie mit Ileus.
M. m. W. Nr. 18. Ein 35 jähriger Patient, der mit Ikterus in völliger
Bewußtlosigkeit ins Krankenhaus eingeliefert wurde, ging an zunehmen¬
dem Meteorismus unter völliger Stuhl- und Windverhaltung zugrunde
trotz Anus praeter. Obduktion ergibt akute gelbe Leberatrophie.
Die Darmlähmung war wohl toxisch bedingt.
Zieler und Oeorg Birnbaum (Würzburg), Aknte gelbe Leber¬
atrophie nach intravenöser Anwendung von Yatren. M. m. W.
Nr. 18. 2 Todesfälle an akuter gelber Leberatrophie nach intravenösen
Yatreninjektionen; eine Patientin wurde damit behandelt wegen Gonor¬
rhoe, die andre wegen Syphilis mit hartnäckig positiver Wa.-Reaktion.
v. Bergmann (Frankfurt a. M.), Neuere Gesichtspunkte bei der
GallenblasenkrankheiL Jkurs. f. ärztl. Fortb. Märzheft. Sensibilitäts¬
veränderungen im Bereich des 8.—10. Dorsalsegments sprechen für
eine Erkrankung der Gallenblase. Bei Sitz des Steins im Choledochus
kann man gelegentlich einen wesentlich tiefersitzenden Schmerzpunkt
(11. Dorsalsegment) feststellen. Eine große Bedeutung besitzen die
Irradiationen. Ein Weg dafür nach oben zum Halsmark ist anatomisch
durch K. Westphal nachgewiesen. Die sympathischen Plexus von
Leber und Gallenblase anastomosieren reichlich mit dem rechten
Phrenikus und dieser hat Verbindungen zum Halsmark. Auch der
Vertigo e stomacho ist als Irradiation aufzufassen. Uebelkeit und Er¬
brechen sind als Symptom mehr für die Gallenblase als für den Magen
verwendbar. Für die gestörte Gallenentleerung sind nicht nur die
rein mechanischen Behinderungen als vielmehr beeinträchtigte physio¬
logische Fraktionen maßgebend (Krampfbildung am Sphinkter Oddi in
der Vaterschen Papille, krampfhafte Kontraktionen im unteren Chole¬
dochus-Abschnitt). In therapeutischer Hinsicht befürwortet v. Berg¬
mann sehr warm die Operation, wenn 3—6 internistische Kuren keinen
Erfolg gehabt haben. Die neuerdings von Rydgaard empfohlene
Cholezystotomie bekämpft v. Bergmann und tritt für die alte Chole¬
zystektomie ein. Von internen Mitteln ist die Diät das beste. Daß medi¬
kamentös Steine gelöst werden können, dafür fehlt jeder Anhaltspunkt.
Cholaktol ist nicht zuverlässig, Borovertin 0,5—1 3mal täglich emp¬
fehlenswert, desgleichen Hexamethylentetramin in Verbindung mi
Gallensäure als „Felamin-Sondez".
L Saathoff (Oberstdorf), Chronische Appendizitis und Leher-
erkranknar. M. m. W. Nr. 18. Beschreibung eines Falles, der den
von Lunckenbein in M. m. W. Nr. 1 angeführten Fällen entspricht.
Rheindorf (Berlin), Appendlzitisfrace. Mitt. Grenzgeb. 34 H. 4.
In polemischer Auseinandersetzung gegenüber den Forschern der letzten
Jahre, die seine Behauptungen nicht nachgeprüft, oft nicht einmal erwähnt
haben. (Rheindorf, Die Wurmfortsatzentzündungen, Berlin [S. Karger]
1920, Bericht D. m. W. 1920, S. 924) betont Rheindorf, daß die Oxyuren
die primäre Ursache der akuten eitrigen Appendizitis und, soweit nicht
Reste der akuten in Frage kommen, die einzige Ursache der „chronischen
Appendizitis" sind. Durch prophylaktische Kuren gegen die Würmer
kann man Tausende von Operationen vermeiden.
E. Frank (Breslau), Moderne Entwicklung der Therapie der
Zuckerkrankheit. Jkurs. f. ärztl. Fortb. Märzheft. Die erste und wesent¬
liche Aufgabe der Diabetestherapie besteht in der Schonung des
dem Zuckerkranken verbliebenen inkretorischen Pankreas¬
anteils. Daher ist Minderernährung als Einleitungskur indiziert.
Die vollständige Nahrungsabstinenz, der Cantani-Naunynsche Hunger¬
tag, steht im Vordergrund der Therapie. Beim schweren Diabetes
bleibe in den ersten 14 Tagen die Kalorienzahl niedrig (15—20 pro kg
Körpergewicht), die Menge der zugeführten Kohlenhydrate wird auf
etwa l /ft der bei der Kohlenhydrattoleranzprüfung verwerteten nor¬
miert, in der dritten Woche steigt man auf 22 —30 Kalorien pro kg.
Das wichtigste Prinzip der modernen Diabetestherapie besteht darin,
daß man niemals zugleich viel Eiweiß und viel Kohlenhydrat
gibt, Fett darf nicht beliebig zugemessen werden. Eiei schwerer
Azidosis anempfiehlt Frank nicht die intravenöse Zufuhr großer
Mengen von Natr. bicarb., sondern die 4%igen subkutanen Infusionen
nach Magnus-Levy.
Friedrich Bonhoff (Hamburg), Direkte Bluttransfusion nach
Oeblecker. M. m. W. J^r. 18. Die Oehleckersche Methode gestattet
das einfache Hinüberpumpen von venösem Blut ohne Zusatz von
Chemikalien. Gute Remissionen bei perniziösen Anämien, bei akuten
Blutverlusten oft lebensrettend.
Naegeli (Zürich), Ueber Bleichsucht und über Verwendung von
hohen Elsendosen bei Anämien. Jkurs. f. ärztl. Fortb. Märzheft. Bei
der Annahme der Chlorose als Konstitutionskrankheit ist es leicht ver¬
ständlich, daß das Eisen trotz glänzender Erfolge nicht dauernd wirkt
und Rückfälle eintreten. Das Eisen kompensiert die Anämie, greift
aber nicht so die Wurzel der Störung an, daß man von wirklicher
Heilung reden kann. Diese eigentliche Heilung tritt nur ein, wenn
die innersekretorischen Organe die Minderfunktion der Ovarien zu
kompensieren vermögen.
E. Joel (Berlin), Kolloidchemie des Harns. 21schr. f. Urol. 16
H. 3. Ausführliche Berichterstattung unter Berücksichtigung eigener
Erschließungen, besonders über Mengenbestimmung und den Dis¬
persitätsgrad der Harnkolloide (Goldzahl und Oberflächenspannung)
sowie ihre Bedeutung für die Litnogenese. 6 Kurven (Harnsäure- und
Kolloidausscheidung bei Kalbsmilchzufuhr, purinarmer Kost, Atophan-
darreichung, Stagonometeraufnahme), 2 Abbildungen (Zylindrurie nach
Atophanl. In therapeutischer Richtung könnte eine Vermehrung der
Harnkolloide, sowie eine Steigerung der natürlich vorhandenen in ihrer
Wirksamkeit in Geltung treten.
G. Dorner (Leipzig), Cholesteriaarie und ladifoarie. M. m. W.
Nr. 18. 1 Fall von Cholesterinurie bei Zystenniere, ein weiterer bei
Nierensteinen. Hier fand sich gleichzeitig Indikan. Patient” litt an Ob¬
stipation, der Urin war stark alkalisch.
H. Haebler (Berlin), Exstirpierte (hydronephrotischc?)
Schrompfaiere. Zschr. f. Urol. 16 n. 3. Nach langer Wundeiterung
(Beinamputation) und schwerer Grippe Nierenschmerzen, später be¬
drohliche Blutungen. Wasserausscheidung der zurückgebliebenen Niere
geschädigt, ihre Konzentration dagegen rast gar nicht.
Hermann Weskott (Aachen), Behandlung chronischer Geleak-
erkraakoagea mit Scbwcfel&l. M. m. W. Nr. 18. Die intraglutäalen
Injektionen von Schwefelölemulsion 1 °/ ft , sind anderen parenteralen Be-
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
708
LITERATURBERICHT
Nr. 21
handlungsmethoden nicht überlegen. Auch bei niedrigen Dosen,
0,3—1 ccm sind schwere Nebenerscheinungen, besonders tagelanges
Erbrechen, nicht zu vermeiden.
N. Skliar, Krieg und Geisteskrankheiten. Arch. f. Psych.65 H. 4/5.
Skliar war während des Krieges in einer russischen Irrenanstalt in
Cherson tätig. Er faßt seine Erfahrungen dahin zusammen, daß der
Krieg die Zahl der Geistes- und Nervenkrankheiten vermehrt habe,
allerdings erstreckte sich seine Beobachtung meist auf minderwertige
Leute. Hauptsächlich handelt es sich um psychogene Erkrankungen,
aber auch die Dementia praecox und das manisch-depressive Irresein
wurden durch den Krieg hervorgerufen. Ganz gesunde, geistig normal
veranlagte Individuen erkranken nur ausnahmsweise und infolge von
Granatexplosion und Verschüttung. Infolgedessen ist bei der Ent¬
stehung von Geistes- und Nervenkrankheiten der erblichen Anlage eine
besonders wichtige Rolle zuzuschreiben.
Schott, Epilepsie. Arch. f. Psych. 65 H. 1/3. Die Ursachenforschung
der Epilepsie an Hand von Krankengeschichten weist darauf hin, in
der Bewertung der einzelnen ursächlichen Beziehungen große Zurück¬
haltung zu üben. In rund 15% hat sich aus der Krankheitsgeschichte
eine Ursache nicht entnehmen lassen. In 40% waren eine, in 32% zwei,
in 12% drei und in etwas über 1% mehr als drei ursächliche Beziehungen
vermerkt. Von den alleinigen Ursachen steht die erbliche nervöse
Belastung an erster Stelle, dann kommt das Hirnleiden, weiterhin Infek¬
tionskrankheiten, Tuberkulose und Kopfverletzungen.
K. Schaffer, Histopathologie der infantil-amaurotischen Idiotie.
Arch. f. Psych. 64 H. 5. Auf Grund eigener sorgfältiger Studien kommt
Schaffer zu dem Ergebnis, daß die infantil-amaurotische Idiotie eine
elektiv ektodermale Erkrankung des Zentralnervensystems darstellt, die
außerdem eine sogenannte Segmentwahl zeigt. Anatomisch finden sich
markroskopisch Verhärtungen nebst Verflüssigung der Marksubstanz
der Großhirnhemisphären. Mikroskopisch zeigte *s sich, daß nicht
allein die Nervenzellen, sondern auch die Achsensylinder eine degene-
rative Blähung zeigen.
Charlotte Jakob, Erkrankungen mit amyostatiscbem Symptomen»
komplex. Arch. f. Psych. 65. H. 4/5. Ch. Jakob beschreibt zwei
interessante Fälle, von denen der eine als Torsionsdystonie, der andere
als Wilsonsche Krankheit aufgefaßt wird. Jakob will im Anschluß an
Strümpell diese beiden und ähnliche Krankheitsformen den extra-
pyramidal bedingten Störungen der myostatischen Innervation zusprechen.
P.Matzdorff (Hamburg), AmyostatlscherSymptomenkomplex nach
Salvarsan. Kl. W. Nr. IQ. Kasuistik.
N. Blatt (Wien), Meningitis tnbercnlosa discreta. W. kl.W. Nr. 15.
1 Fall.
Scharnke und Wiedhopf, Worzelschfldignog durch snbdnrale
Blutung nach Kopfverletzung, Heilung durch Lumbalpunktion. Arch.
f. Psych. 65 H. 1/3. Die Verfasser konnten zeigen, daß eine durch
subdurale Blutung hervorgerufene Taststörung, die als Astereognosie
hätte imponieren können, durch Wurzelerkrankung bedingt und somit
als Stereoanästhesie zu erkennen war.
F. Högl er (Wien), Technik der perineuralen ln|ektionen bei
Ischias. W. kl. W. Nr. 15. Die von Grünbaum (W. kl. W. Nr. 4)
empfohlene Einstichstelle eignet sich nur für solche Fälle, bei denen
die höheren Aeste des Ischiadikus (nach glutäeus superior, nach
clunium usw.) nicht mit erkrankt sind, da sonst nur ein Teil der
Beschwerden verschwindet. Die schräge Injektion wird abgelehnt.
M. Hollenderski, Alkoholstatistik in den Jahren 1917-1921.
Arch. f. Phsych. 65 H. 4/5. Hollenderski berichtet über seine Er¬
fahrungen an der Königsberger Klinik. Sie ergeben eine außerordentliche
Zunahme des Alkoholmißbrauches. Außerdem fällt der Beginn des
Alkoholismus heute in ein weit früheres Lebensalter als vor dem
Kriege. Hollenderski weist auf die in diesen Tatsachen liegende
große Gefahr für die Volksgesundheit hin, gegen die nur die kräftigsten
Zwangsmaßnahmen Schutz schaffen können, deren segensreiche Wirkung
sich während des Krieges klar erwiesen hat.
Chirurgie.
♦♦ H. Helferich (Eisenach), Atlas und Grundriß der trauma¬
tischen Frakturen und Luxationen. 10. neubearbeitete und
vermehrte Auflage. München, J. F. Lehmann, 1022. 475 Seiten mit
80 Tafeln und 427 Textabbildungen. Geb. M. 100.—. Ref.:
H. Stettiner (Berlin).
Mit Freuden ist die Neuauflage des altvertrauten Helfe rieh sehen
Werkes zu begrüßen, die durch eine Reihe von Tafeln und Textbildern,
besonders auch Röntgenbildern, vermehrt ist. Die Erfahrungen des
Krieges sind weitgehendst berücksichtigt. Wenn nicht alle Verbände
durch Abbildungen erläutert sind, so wird auf die im gleichen Verlage
erschienene H offa-Grashaysche Verbandlehre verwiesen. Ein gutes
Schlagwörterverzeichnis am Ende des Werkes erleichtert ein schnelles
Auffinden des gewünschten Abschnittes. So wird auch die Neuauflage
des guten alten Bekannten dem Praktiker wie dem Studierenden ein
wertvoller Ratgeber sein.
K. Brunner und Gonzenbach (Münsterlingen-Zürich), Oberflächen-
und Seifendesinfektion der Wunden und die Leistungsfähigkeit des
Tiefennntiseptiknms Vnzin. Brüns Beitr. 125 H. 2. Aus den Experi¬
menten ergao sich, daß daö Vuzin als Wundpulver eine stark operative,
Digitized by Gck >gle
weit über das Friedrich sehe Spatium von 6—8 Stunden hinaus wirkende
Desinfektionskraft entfaltet. Die Rettung gelang bis zur 18. Stunde,
die Wirkung kam nach den Münsterlinger Resultaten derjenigen des
isoform gleich, welch letzteres in früheren Pulverversuchen die besten
Resultate gab. Die übliche Vuzininfiltration entfaltete eine nützliche
mechanische keimeliminierende Auswaschung der Gewebe. Eine ab¬
tötende Wirkung auf Staphylokokken ist von den gebräuphliehen
Lösungen (1:10000—1:5000) nicht zu erwarten, dagegen ist es anzu¬
nehmen, daß auf Vuzin reagierende, wenig resistente, wenig ausgebrütete
vegetative Außenweltskeime in dem durchtränkten Gewebe von Lösung
1:1000 so stark getroffen werden, daß eine Schwächung der Lebens¬
und Vermehrungsenergie, ein Virulenzverlust erreicht wird. Doch hat
das Tierexperiment erwiesen, daß die Vuzinlösung auch bei mensch¬
lichen Verletzungen die gefährlichsten Infektionen mit Erd- und
Staubanaerobiersporen weder verhüten noch überwinden kann. Klinisch
wurden seit Beginn des Jahres 1921 neben der Oberflächendesinfektion
mit Vuzinlösung auch die Vuzininfiltration als Prophylaktikum bei nicht
operativen Wunden durchgeführt Die Erfahrungen sind nicht derartige,
daß durch sie ein Fortschritt durch Einführung des Vuzins bewiesen
werden kann, wie an einzelnen Beispielen ausgeführt wird. Das Vuzin-
ulver, das im Experiment sich gegenüber der Erdinfektion gut bewährt
at, wurde wegen der Giftigkeit nicht angewandt. Bei schon aus-
gebrochener Infektion konnte ein Vorzug des Vuzins gegenüber anderen
Mitteln nicht [konstatiert werden. Bei traumatisch nekrotisiertem infi¬
ziertem Gewebe wird der Dakinschen Lösung der Vorzug gegeben.
F. Verzär (Debreczen), Neue Untersuchungen über Isofels*
agglotinine. Kl. W. Nr. 19. Die Kenntnis der Isohämagglutinine wird
neuerdings in Amerika zur Vermeidung der Unfälle, die bei Transfusion
arteigenen Blutes immer wieder auftreten, in ausgedehntem Maße be¬
nutzt. Die merkwürdigen Gruppenunterschiede zwischen einzelnen
Menschen sind auf Rasseeigentümlichkeiten zurückzuführen. Bedeutung
dieser Feststellung für Anthropologie und Ethnographie.
Ernst Seitz (Frankfurt a. M.), Verhalten des Blutznckers bei
chirurgischen Erkrankungen. Mitt. Grenzgeb. 34 H. 4. In Fortführung
seiner Untersuchungen über die alimentäre Hyperglykämie (Arch. f.
klin. Chir. 112 H. 3/4, Bericht D. m. W. 1920 S. 25) findet Seitz dieselbe
deutlich bei Tuberkulosen. Karzinom zeigte keine, Ulcus ventriculi
geringe, chronische Gallenblasenerkrankungen deutlichere Erhöhung.
Vor allem weisen Basedow-Kranke dieses Zeichen erhöhten Reizzustandes
des sympathischen Nervensystems auf. 14 Tage nach der Operation
war der Befund normal. Diese Tatsache spricht gegen die Sympatftikus-
theorie des Basedow, aber für die Zweckmäßigkeit der chirurgischen
Behandlung.
J.F.S. Esser (Berlin), „Arterienlappen" und „Epithelelnlagen“.
M. m. W. Nr. 18. Hautlappen, die einen Stiel haben, der fast nur aus
einer Arterie mit den Begleitvenen und Nerven besteht, gewährleisten
einen besonders guten Zufluß von Nährmaterial und Abfluß von Zer¬
fallsprodukten. Diese Lappen können ohne Störung ihrer Vitalität fast
um 180° gedreht werden. Insellappen sind solche, bei denen die
Arterie von unten her in den zirkulär umschnittenen Lappen eintritt.
Epitheleinlagen werden gebildet durch Umhüllung von Modellen aus
zahnärztlicher Abdruckmasse, Stents, mit Thiersch-Lappen. Diese
werden in die Wunde versenkt.
H. Biedermann (Jena), Deckung großer Gaumendefekte nach
Scbußverletzang durch gestielte StTrohautlappen mit doppelter
Epithelbedeckung. Bruns Beitr. 125 H. 2. In beiden Fällen gelang
es, zwei durch Prothesen nur mangelhaft gedeckte Gaumendefekte voll¬
kommen zu decken, ohne daß bei kleinem Wangenschrägschnitt und
bei sofortiger Deckung des Stirndefektes mit Epidermis eine wesent¬
liche Entstellung eintrat. Die Nahrungsaufnahme ist völlig normal,
die Sprache gut. Bei der Nachuntersuchung nach 10 bezw. 12 Monaten
war die Haut im Munde äußerlich völlig unverändert, nur wenig
geschrumpft, in der Farbe der umgebenden Schleimhaut gleichend.
W. Boß (Breslau), Speicbelsteine. Bruns Beitr. 125 H. 2. 3 Fälle.
Durch die veränderte Ernährung während und nach dem Kriege ist
eine Vermehrung der Sialolithiasis eingetreten. Speichelkoliken sind
nicht immer vorhanden. Zur Diagnosenstellung ist die Sondierung, evtl.
Punktion erforderlich. Konsistenz und Konfiguration unterscheiden sie
vom Mundbodenkarzinom. Röntgenbild nicht immer entscheidend. Mit
Ausnahme von Parotissteinen empfiehlt sich die Mitentfernung der Drüse.
Adolf Ritter (Zürich), Neosalvarsanbehandlung von Mundh&feleo-
wooden. M. m. W. Nr. 18. Schwere Pfählungsverletzung von der
Mundhöhle aus nach dem Halse zu. durch einen Skistock. Gegen¬
inzision am Unterkieferwinkel. Mehrere intravenöse Neosalvarsan-
injektionen, danach glatter Heilungsverlauf trotz der ungünstigen Wund¬
verhältnisse.
C. H. Lasch (Jena), Stroma cyatica haemorrhagica. Bruns Beitr. 125
H. 2. 172 Fälle aus der Literatur, eine neue Mitteilung. . Gemeinsam
allen ist die Entstehung aus Nebennierengewebe und Blutungen in die
Zyste. Trotz der Schwierigkeit der Operation kommt therapeutisch
als Verfahren der Wahl nur die Totalexstirpation in Betracht, je nach
der Lage des Falles transperitoneal oder von einem Lumbalschnitt aus.
H. Schloffer (Prag), Kropfoperation im Erstickungsfalle. Bruns
Beitr. 125 H. 2. Refer., vergl. diese Wochenschrift 1921, S. 490.
N. Gulcke (Jena), Entlastende Mediastinotomie beim Aneurysma
des Aortenbogens. Bruns Beitr. 125 H. 2. Bei dem 53jährigen Arbeiter
wurde in der Annzdime, daß es sich um einen Tumor handele, die
Mediastinotomia anterior nach Sauerbruch gemacht. Es zeigte sich,
daß ein Aneurysma aortäe vorlag. Die 'resezierten Rippenknorpel
Original from
CORNELL UNiVERSITV
26. Mai 1922
LITERATURBERICHT
709
wurden in dem Sternalspalt implantiert und dadurch ein Auseinander¬
weichen der Rippenränder um etwa 1 cm erziehlt. Glatte Heilung.
Der vorliegende Fall zeigt, daß die entlastende Mediastinotomie auch
bei Aortenaneurysma einen sehr günstigen Einfluß ausüben kann. Der
Rückgang der quälenden Schmerzen und der Atemnot bestand noch
6 Monate nach der Operation unverändert fort.
K.Scheele (Frankfurt a. M.),Keimgehalt der Gallenwege und seine
Beziehungen zur Technik der Cholezystektomie. Bruns Beitr. 125
H. 2. Der Vergleich der Stumpfversorgung der Appendix mit der des
Zystikus ist nicht zutreffend, weil die Möglichkeit der serösen
Einstülpungsnäthe für die Zystusversorgung fehlt. Bei primärem Bauch¬
deckenverschluß nach Cholezystektomie können Komplikationen ent¬
stehen durch Insuffizienz des Zystikusstumpfes, Blut- und Gallenerguß
und durch Infektion. In 63°/ 0 der zur Operation kommenden Gallen¬
blasen lassen sich im Inhalt Keime nach weisen. Durch das Operations¬
trauma werden die ruhenden Keime mobilisiert und vermehren den
Keimgehalt der Wunde. Ferner ist die Gegenwart der Galle in der
Wunde ein begünstigendes Moment für das Bakterienwachstum. Die
Galle verhindert Verklebungen, zerstört Abwehrkräfte der Körper¬
flüssigkeiten und fördert das Wachstum einzelner Keimarten. Das
Zusammentreffen verschiedener, durch die Operation mobilisierter Keim¬
arten kann eine Virulenzsteigerung derselben zur Folge haben. Aus
allen diesen Gründen wird bei der Cholezystektomie in den meisten
Fällen die Drainage die Methode der Wahl sein.
H. Boit (Königsberg i. Pr.), Operative Dnrmentleerung beim
mechanischen und paralytischen Ilens. Bruns Beitr. 125 H. 2. Beim
Ileus ist bei übermäßiger Füllung der Därme außer der Beseitigung
des Hindernisses die sofortige Darmentleerung durch Einführen eines
dicken Glasrohres und Absaugung die Methode der Wahl (Verbindung
des Moynihanschen Rohres mit dem Perthesschen Saugapparat). Beim
chronischen Ileus durch Darmtumor gestattet die Absaugung die einzeitige
Tumorenentfernung und Naht. Bei diffuser Peritonitis mit hochgradiger
Kotstauung und bei mechanischem Ileus mit sekundärer Peritonitis ist
ebenfalls mit der Beseitigung des Hindernisses, resp. der Entzündungs¬
ursache bei nicht zu schlechtem Allgemeinzustand die Darmabsaugung
indiziert. Bei Herzschwäche und als sekundärer Eingriff ist das Ver¬
fahren zu eingreifend, dagegen die Enterostomie oder in ganz verzweifelten
Fällen multiple Darmpunktionen anwendbar. Bei begrenzter Peritonitis
mit Kotstauung ist das Absaugeverfahren wegen der Gefahr der Aus¬
breitung des Entzündungsprozesses meist kontraindiziert. Die Enterosto¬
mie kann manchmal von Nutzen sein, wird aber 'im allgemeinen bei
ntensiver Ausnutzung der konservativen Mittel entbehrt werden können.
O. Specht (Gießen), Ist die Nebeunlerenexstirpation bei Epilepsie
berechtift? Bruns Beitr. 125 H. 2. Die Tierversuche zeigten, daß nach
Herausnahme einer Nebenniere oder zugleich eines größten Teiles der
anderen eine vollkommene Beseitigung der durch Amylnitrit hervor¬
gerufenen Krämpfe überhaupt nicht erzielt werden konnte, daß eine
direkte Abhängigkeit der Krampfbreite von der Menge der reduzierten
Nebennierensubstanz nicht bestand. Nach Herausnahme der. einen
Nebenniere ist binnen kürzester Zeit mit einer Hypertrophie der anderen
zu rechnen, nach einer partiellen Resektion mit einer Hypertrophie
der zurückgelassenen Reste, ferner beim Menschen mit dem vikariieren¬
den Eintreten des sehr verbreiteten Interrenalsystems. Die bisher ver¬
öffentlichten praktischen Erfolge sprechen nicht für eine Verbreitung
der Operation.
H. Haebler (Berlin), Funktion der Nierenkelche. Zschr. f. Urol*
16 H. 4. Es gelang dem Autor, melkende Nierenkelche im Sinne der
von Wassink an einer hydronephrotischen Niere beobachteten peri¬
staltischen Bewegungen an freigelegten Katzennieren nachzuweisen und
an ganz frischen Säugetier- und Menschennieren bestimmte Muskel¬
verhältnisse in den Nierenkelchcn festzustellen. Abbildung des beim
Menschen in Betracht kommenden Sphincter papillae superior (Aus-
treibemuskel) und inferior (Abwehrmuskel).
H. Pinner (Charlottenburg), Nierenaktinomykose. Zschr. f. Urol*
16 H. 4. Sekundäre Entwicklung von einem aktinomykotischen Prozeß
aus nach dem Kauen von Gerstenkörnern. In der linken druck¬
empfindlichen Nierengegend faustgroße Resistenz. Zystoskop: Im
Blasengrund weißliche, frei umherschwimmende Körnchen, die sich
auch im leicht pyohämorrhagischen Harn finden und als Aktinomyzes-
drusen erkannt werden. Nephrektomie. Günstiger Verlauf, von der
progressiven Lungenaktinomykose abgesehen. Der Tumor über eigroß,
scharf abgesondert, von kleinen Blutungen und Abszessen mit Drusen
durchsetzt. Parenchymreste entartet.
H. Klose (Frankfurt a. M.), Chirurg Ische Behandlung der Sublimat-
niere. Bruns Beitr. 125 H. 2. Unter 15 Fällen, darunter 4 eigenen
2 Heilungen. Die Nierendekapsulation und Nephrotomie bei Sublimat¬
niere hat als lebensrettende Operation in der Mehrzahl der Fälle versagt
A. Lewin und Herzfeld (Berlin), Einseitige Nierenblutung auf
entzündlicher Grundlage. Zschr. f. Urol. 16 H. 3. Mitteilung dreier
einschlägiger Fälle bei sonst gesunden Menschen ohne klinische Zeichen
einer Nephritis. Erfolgreiche Exstirpation der Nieren, deren genaue
Untersuchung verhältnismäßig leichte, mit den schweren Blutverlusten
kontrastierende Entzündungsprozesse erschloß.
E. Hollaender (Berlin), Hydronephrosenfrage. Zschr. f. Urol. 16
H. 3. 1. Exstirpation eines kolossalen hydronephrotischen Sackes.
Anurie, Urämie, Tod am 11. Tage. Von der anderen Niere fand sich
nur ein zystischer funktionsloser Rest. Wahrscheinlich kongenitale
Hypoplasie beider Nieren. 2. Intermittierende Hydronephrose infolge
kongenitaler Bildung eines aberrierenden, in den untern Nicrenpol
mündenden Arterienstrangs und automatischer Kompression des inter¬
mediären Abschnitts des Harnleiters bei Füllung des Beckens.
G. Düttmann (Gießen), Prostatahypertrophie als Fehldiagnose
bei angeborener Harnr&hrenverengnng am Uebergange derPars
membranacea in die Pars prostatica. Bruns Beitr. 125 H. 2.
Das eigentliche Hindernis war nicht die Prostata sondern eine Blasen¬
halsklappe gewesen.
E. Pfister (Dresden), Schußverletzungen der untern Harnorcane.
Zschr. f. Urol. 16 H. 3. Zwei seltene Fälle von BtasenschußfoTgen:
1. Fest eingehaktes Granatstück am Samenhügel. Extraktion mittels
Urethrotomia ext. Danach äußerst enge Striktur, die erst nach intra¬
venösen Fibrolysininjektionen die erfolgreiche Urethrotomie int. ge¬
stattete. 2. Prostatastein (neben Blasenkonkrement) ohne Metallkern.
Sectio alta. Heilung.
W. Koro (Berlin), Terpichin bei entzündlichen Erkrankungen der
Harnorgaae. Zschr. f. Urol. 16 H. 4. (Siehe diese Wochenschrift 1921
S. 308 und 605.1 Weitere Bestätigung der günstigen Erfolge auch bei
Blasentuberkuldle nach Nephrektomie.
Frauenheilkunde.
G. Steiner, Psychische Untersuchungen an Schwangeren. Arch. f.
Psych. 65 H. 1/3. Steiner bestätigt das Vorkommen charakteristischer
seelischer Veränderungen, vor allem der Gelüste und der Geruchs-
überempfindlichkeit. Er läßt die Frage offen, welchen biologischen
Zweck diese Erscheinungen haben mögen. Am Schluß deutet er an,
ob die moderne Neigung, Geburten im Dämmerschlaf oder Hypnose
vollziehen zu lassen, nicht ein Schlag gegen die Natur ist, der unter
Umständen verhängnisvolle Folgen in den seelischen Beziehungen
zwischen Mutter und Kind haben könnte.
G. Dennecke und H. Rüberg (Greifswald), Sauerstoffzehrung
der roten Blutkörperchen bei Graviden. KI. W. Nr. 19. Untersuchungen
bei 10 Schwangeren mit der Methode der Sauerstoffzehrung von Mora¬
witz unter gleichzeitiger Kontrolle des Blutstatus zeigten, daß das Blut
der Schwangeren in den letzten Monaten sich dauernd im Zustande
lebhafter Neubildung befindet („labiler-' ist). Der ganze hämatopoetischc
Apparat ist empfindlicher eingestellt. Vermutlich besteht auch eine
lebhaftere Hämolyse. Die Ursache ist vielleicht in Veränderungen der
Korrelation der endokrinen Drüsen durch die Schwangerschaft zu suchen.
Carl Meyer (Hamburg-Barmbeck), Therapie derPlacenta praevia.
Zbl. f. Gyn. Nr. 13. Bericht über 125 Fälle von Placenta praevia aus
dem Staatlichen Institut für Geburtshilfe Hamburg-Finkenau. Zu kurzem
Referate nicht geeignet.
Hans Hegewald (Homburg v. d. H.), Sicheres Nabelschnur-
zeichen erfolgter PlnzentarablÖsung. M. m. W. Nr. 18. Solange die
Plazenta ungelöst ist, bewirkt leichter Fingerdruck auf den Fundus ein
deutliches Prallerwerden der abgeklemmten aus der Vulva heraus¬
hängenden Nabelschnur, dies verschwindet beim Nachlassen des
Druckes wieder. Der Cred^sche Handgriff soll erst angewandt
werden, wenn dies Zeichen negativ geworden ist, so vermeidet man
Quetschungen der ungelösten Plazenta mit Zurückbleiben einzelner
Zotten.
W. Walz (Stuttgart), Spontane Umwandlung einer Gesichtslage in
Hinterhauptslace in der Beckenhöhle. Zbl. 4. Gyn. Nr. 14. Der
beschriebene Fall zeigt, daß bei vorhandener Gebärunmöglichkeit
(Gesichtslage mit nach hinten rotiertem Kinn) eine Selbstentwicklung
möglich ist.
H. Polthier (Kiel), Seltene menschliche Doppelbildung (Rhachi-
pagus parasiticus), verbunden mit anderen Mißbildungen.
Zbl. f. Gyn. Nr. 13. Interessanter kasuistischer Beitrag.
Turau (Franzensbad), Klimakterium und Gicht. W.m. W.Nr. 18.
Die Koinpidenz von Ausfallserscheinungen mit neuralgisch-psychischen
Symptomen der Gicht läßt die Folgerung zu, daß das Klimakterium
die Entwicklung von gichtisch-arthritischen Symptomen bei hierzu ver¬
anlagten Personen begünstigt.
H. Fehling (Baden-Baden), Rettung der Alexander»Adams-Opera¬
tion. Zbl. f. Gyn. Nr. 13. Fehling wendet sich gegen die ablehnende
Haltung Doerflers in der Frage der Alexander-Adamsschen Operation.
Der Vorteil des Verfahrens besteht darin, daß der Uterus in normaler
Lage völlig beweglich bleibt. Dies ist nicht bei allen Fixationsmetho¬
den der Fall. Allerdings ist die Alexander -Adamssche Operation nur
indiziert für die mobile Retroflexio der Virgines und Nulliparä und
für die Fälle von einfacher Uterus-Scheidensenkung mit und ohne
Retroflexio im Verein mit Scheiden-Dammplastiken. In etwas über
400 Fällen hatte Fehling beim ersten Hundert 5°' 0 Rückfälle, später
nur noch 2—3°/ 0 .
G. Siefart (Charlottenbürg), Wert der Alexander-Adamsschen
Operation. Zbl. f. Gyn. Nr. 13. Die Ansicht von Do er fl er, daß die
Alexander-Adams sehe Operation aufgegeben werden müßte, läßt sich
nicht aufrecht erhalten. Bei richtiger Indikationsstellung und Technik
garantiert die Methode die beste Wiederherstellung der anatomischen
und physiologischen Verhältnisse.
L. Lederer (Prag), Diagnostische Ausschabung des Uterus mit
tödlichem Ausgang infolge endogener Infektion. Zbl. f. Ovn. Nr. 13.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
710
LITERATURBERICHT
Nr. 21
Fall 1: Abtragung eines Zervixpolypen. 4 Tage später Exitus an diffuser
eitrig-fibrinöser Peritonitis. Es handelte sich aller Wahrscheinlichkeit
nach um eine spontane endogene Infektion des Oenitals von einer
schon vorher bestehenden eitrigen Tonsillitis aus. Fall 2: Abrasio
bei klimakterischen Blutungen. Im Anschluß daran septische Metro-
Endometritis mit hämolytischen aeroben Streptokokken im Blut. Exitus.
Fall 3: Abrasio bei Sterilität. Im Anschluß daran eitrige Strumitis
ohne nachweisbare Veränderungen am Uterus. Heilung.
O.Linzenmeier (Kiel), Blutkörperchensenknngsgeschwindigkeit a 1 s
differentialdiagnostisches Hilfsmittel b e i Adnexerkrankungen. Zbl.f. Gyn.
Nr. 14. Der Hauptwertder Blutsenkung liegt darin, daß ihre Beschleunigung,
d. h. Senkungszeiten unter 30 Minuten, auf akute entzündliche Genital¬
prozesse hinweisen. Eine einzige Ausnahme machen die Tubenrupturen
mit großen intraabdominalen Blutungen. Die Senkungsbeschleunigung
tritt auch in Fällen auf, wo die Temperaturmessung im Stiche läßt
Bei der Differentialdiagnose zwischen vor kurzem gestörten ektopischen
Graviditäten und akuten Adnex- oder Peritonealafrektionen spricht die
langsame Senkung mit größter Wahrscheinlichkeit für Tubengravidität.
Für die Zeit des operativen Eingriffes bei fixierter Rftroflexio, chro¬
nischen Adnextumoren und ähnlichen Affektionen gibt die Blutsenkung
einen vorzüglichen Hinweis. Bei Blutsenkungszeiten unter 1 Stunde
können noch virulente Keime vorhanden sein, Verfasser rät in solchen
Fällen besser mit der Operation noch zu warten, bei langsamer Senkung
über 2 Stunden kann man mit großer Beruhigung laparotomieren, dann
sind sicher keine latenten Infektionen mehr zu befürchten.
Kj. v. Oettingen (Heidelberg), Aetiologie der Loteinzysteo.
Zbl. f. Gyn. Nr. 14. Das typische Bild der Luteinzystenerkrankung mit
den bekannten Veränderungen am Uterus, den Adnexeft und dem
Beckenbindegewebe ist nicht als rein entzündlicher Prozeß aufzufassen,
sondern als Folge ovarieller, innersekretorischer Dysfunktion einerseits,
vielleicht auch irgendwelcher Reizstoffe andererseits, die der Lutein¬
zysteninhalt bergen dürfte.
Winter (Königsberg i. Pr.), Neue Karzinomstatistik. Zbl. f. Gyn.
Nr. 14. Uebersichtliche Richtlinien für die Aufstellung von Karzinom¬
statistiken besonders auch einer vergleichenden Wertung der operativen
und Strahlenbehandlung.
C. S tan ca (Cluj, Rumänien), Primlres Tubenkarzinom. Zbl.f. Gyn.
Nr. 13. Kasuistischer Beitrag.
Krankheiten der Ohren und der oberen Luftwege.
++ L.Katz (Ludwigshafen) und P. Blumenfeld (Wiesbaden), Hand¬
buch der speziellen Chirurgie des Ohres und der oberen
Luftwege. 3. Aufl. Bd. 1. 2. Hälfte. Leipzig, Curt Kabitzsch,
1921. 785 Seiten mit 584 Abbildungen. M. 200.-. Ref.: Haike
(Berlin).
Der 1. der 8 Abschnitte dieses Bandes beginnt mit dem Kapitel
über allgemeine Anästhesie von Haecker. Die klare ausführliche Dar¬
stellung hebt die besonderen Maßnahmen hervor bei der Narkose zum
Zwecke von Operationen der oberen Luftwege, wie sie sich in den
letzten Jahren herausgebildet haben, mit dem praktisch wichtigen
Hinweis, daß bei diesen Eingriffen die Lokalanästhesie bis auf
besondere Fälle der Allgemeinnarkose vorzuziehen ist. Im 2. Kapitel
gibt die Behandlung der Lokalanästhesie an Hals und Nase (P. Hey-
m a n n) und am Ohr* (O. V o ß) die verschiedenen Methoden unter
kritischer Abwägung ihrer jeweiligen Verwertbarkeit. Im 2. Haupt¬
abschnitt erörtert Isemer die Stauungstherapie, deren gute Ergeb¬
nisse bei Erkrankungen der oberen Luftwege, sowie ihre Gefahren bei
denen des Ohres. Im 3. Abschnitt bespricht Röpke auf Grund reicher
Erfahrungen die Grundsätze der Begutachtung Operierter für die
Lebensversicherung wie für Kranken-, Unfall- und Invalidenversiche¬
rung; eingehend behandelt wird auch die Begutachtung Operierter
in Militärangelegenheiten, insbesondere der Kriegsdienstbeschädigten;
nicht weniger praktisch wichtig ist die Anleitung zur Begutachtung für
Berufszwecke sowie zu gerichtsärztlicher Tätigkeit. Im 4. Abschnitt
hat Thost die Pathologie der Stenosen der oberen Luftwege aus¬
führlich besprochen und die von ihm eingeführte Behandlung der¬
selben, deren Wert auch die Kriegserfahrungen bestätigt haben. Diese
sind auch im nächsten Kapitel, den kosmetischen Operationen, ge¬
bührend gewürdigt worden mit dem Ergebnis, daß gerade die Wieder¬
herstellungschirurgie große Fortschritte aus den Erfahrungen an
Kriegsverletzten gewonnen habe. Die Prothesen werden von Loos
auf ihre durch die Fortschritte der Chirurgie eingeschränkte Ver¬
wertbarkeit in den einzelnen Fällen geprüft, die korrektive Nasen- und
Ohrenplastik von J. Joseph aus der Fülle seiner Erfahrungen illu¬
striert, während Bockenheimer die übrige Gesichtsplastik unter
Beibringung reichen Bildermaterials anschaulich behandelt. Die Paraf¬
fintherapie beleuchtet Stein vom Standpunkte der Ergänzung der
plastischen Chirurgie. Im 1. Teil des 6. Abschnittes behandelt
W. Pfeiffer die Röntgendiagnostik unter Hervorhebung ihrer
dauernden Fortschritte; im 2. Teil wird das neu eingeführte Kapitel
der Strahlenbehandlung von ihrem erfolgreichen Erforscher Albanus
besprochen, der die reichen Erfahrungen anderer wie die eigenen
bis in die neueste Zeit hierbei kritisch verwertet. E. Meyer gibt im
7. Kapitel eine ausführliche Abhandlung der phlegmonösen Entzün¬
dungen der oberen Luftwege und ihrer chirurgischen Behandlung,
welche die praktischen Gesichtspunkte besonders klar hervorheW.
Den Abschluß des Bandes bilden die septischen Erkrankungen von
Kißling, der vor seinem Eingehen auf die speziellen Vorgänge die
Kontroverse allgemeiner Streitfragen, wie die der „Erkältung“, der
Funktion der Tonsillen, ob „Schutzorgane“ oder „physiologisch
wunde“ Stellen u. a. in anregender Form erörtert. Im Speziellen wer¬
den dem Praktiker klare Anleitungen zu bakteriologischen Unter¬
suchungen zur Therapie gegeben, mit allen Vorbehalten des kritischen
Beurteilers. — Das ganze Buch zeigt wieder gute Ausstattung, be¬
sonders im Druck und in der Reproduktion des reichen Bildermaterials.
Zahnheilkunde.
++ Otto Walkhoff (München), Deutsche Zahnheilkunde. H.53.
Leipzig, Georg Thieme, 1922. 47 Seiten mit 62 Abbildungen. M. 21.—.
Ref.: K. Cohn (Berlin).
Das Heft enthält 2 Aufsätze: 1. „Art und Befestigung des Zahn¬
ersatzes bis zur Einführung des Kautschuks mit besonderer Berück¬
sichtigung der Schnitzarbeiten" von Thomann. Verfasser gibt einen
historischen Ueberblick über den Ersatz von Zähnen aus früherer
Zeit, wo Gaumenplatten und Zähne aus Walroß geschnitzt und mit
Menschenzähnen kombiniert verwendet wurden. 2. „Ueber Extrak¬
tionen zu Regulierungen bei Stellungsanomalien der Zähne" von Anton
Klein. Verfasser zeigt an einer Anzahl von Fällen den therapeutischen
Wert der Extraktion einzelner Zähne, um eine gedrängte Zahnstellung
zu verbessern und die langwierige orthopädische Behandlung zu ver
meiden.
Haut- und Venerische Krankheiten.
♦♦ Hans Th. Schreus (Bonn), Röntgenbehandlung in der
Dermatologie. Bonn, Fr. Cohen, 1922. 99 Seiten mit Figuren und
Tabellen. Geb. M. 32.—. Ref.: O. Strauß (Berlin).
Das kleine Buch bietet eine hochwissenschaftliche Darstellung der
Strahlentherapie der Hautkrankheiten. Schreus tritt bei der
Behandlung oberflächlicher Dermatosen (Ekzem, Psoriasis, Lichen ruber)
für die Verwendung harterungef ilterter Strahlung ein. Eine schwache
Filterung (0,5-2 mm Aluminium) ist nur nötig bei starker Hornschicht
über den erkrankten Flächen. Mittelstarke Filterung empfiehlt er bei
Keloidakne, Lupus vulgaris und papillomatösen Wucherungen, stärkste
Filterung für Hypertrichose und übermäßige Schweißsekretion. Eine
Verwendung weicher Strahlen, die ja um 30°/ 0 wirksamer ist als die
harte (Holthusen), anempfiehlt Schreus nicht, da selbst die ober¬
flächlichen Dermatosen eine gewisse Tiefenwirkung verlangen, die bei
weicher Strahlung nicht gewährleistet ist. Sehr übersichtlich geschil¬
dert ist die Bestrahlungstechnik, desgleichen die Dosimetrie. Bei den
Angaben der Tabellen V und X bin ich nicht mit jeder Position ein¬
verstanden.
Franz Krömeke (Münster i. W.), Zweimaliges Neurorezidiv nach
kombiniert behandelter seronegativer Primirsyphill«. M. m. V.
Nr. 18. Nach unzureichenden Salvarsandosen bei Abortivkur traten
bei einem Patienten zweimal hintereinander akute meningitische Er¬
scheinungen auf.
Kinderheilkunde.
++ J. Schwalbe (Berlin), Diagnostische und therapeutische
Irrtümer und deren Verhütung. Kinderheilkunde H. 1:
J. Zappert (Wien), Krankheiten des Nervensystems im
Kindesalter. Leipzig, Georg Thieme, 1922. 152 Seiten mit 15 Ab¬
bildungen. M. 36.—. Ref.: H. Brüning (Rostock).
Das vorliegende Heft bildet den Anfang des pädiatrischen Teiles
des großangelegten Sammelwerkes und behandelt in 5 Abschnitten die
Hirnhautentzündungen, die Heine-Medinsche Krankheit, die chronischen
Gehirnkrankheiten (Hydrozephalus, Tumoren, zerebrale Kinderlähmung,
Schwachsinn), Epilepsie und Spasmophilie sowie endlich die psycho¬
genen Erkrankungen. Ueberall erkennt man an der gesamten Dar¬
stellung und zahlreichen, eigener Praxis entlehnten Fällen die reiche
Kenntnis des Verfassers, der es ausgezeichnet verstanden hat, auf alle,
auch die seltensten diagnostisch-therapeutischen Irrtümer bei den Affek¬
tionen des kindlichen Zentralnervensystems aufmerksam zu machen.
Die 15 Abbildungen, größtenteils bereits bekannten pädiatrischen Lehr¬
büchern entnommen, sind nur teilweise gut ausgefallen und sollten bei
Bedarf durch neue ersetzt werden.
Frosch (Berlin), Mechanische Behandlung der Rachitis. Kl W.
Nr. 19. Im Stadium der Deformitätenbildung soll die mechanische
Behandlung der Rachitis einsetzen. Sie vermag auf der Basis intern-
pädiatrischen Vorgehens eine energische Hebung des Gesamt- bzw.
Kalkstickstoffwechsels sowie des Allgemeinzustandes zu bewirken. Sic
trägt zur Besserung der Hautpflege und Hautatmung und Kräftigung
der meist hypotonischen Muskulatur bei. Von Vorteil ist auch die
Möglichkeit weitgehender ambulanter Therapie. An Hand von 5 Durch¬
schnittsfällen werden die Art der eingeschlagenen Therapie und die
erreichten Resultate veranschaulicht.
Digitized b'
Google
Original from
CORNELL UNfVERSITY
VEREINS- UND KONGRESSBERICHTE
Redigiert von Ober-Reg.-Med.-Rat Pr. O. Strauß.
XXXIV. KongreB der Deutschen Gesellschaft für Innere
Medizin, Wiesbaden, 24.-27. IV. 1922.
Referent: Dr. Dresel (Berlin),
Assistent der II. Medizinischen Klinik der Charite.
L. Brauer (Hamburg-Eppendorf): Eröffnungsrede.
Eppinger (Wien): Referat über Ikterus. Die Frage der Patho¬
genese des Ikterus ist verknüpft mit der Frage, ob die alte Lehre
zu Recht besteht, daß die epitheliale Leberzelle den Gallenfarbstoff
bildet. Die einfachste Form des Ikterus entsteht, wenn der Ductus
choledochus z. B. durch einen Stein verschlossen wird. Der Gallen¬
farbstoff nimmt im Blute zu, es wird Gallenfarbstoff im Harn aüs-
geschieden. Je länger der Ikterus besteht, desto weniger Gallen¬
säuren werden mit den übrigen Gallenbestandteilen im Ham ge¬
funden. Eine weitere Folge des Gallengangsverschlusses ist der
acholische Stuhl. Die Galle scheint, bevor sie ins Blut gelangt, sich
der Lymphwege zu bedienen. Das histologische Bild spricht eben¬
falls dafür. Auch beim rein mechanischen Ikterus hat man jetzt eine
funktionelle Störung für das Zustandekommen des Ikterus verant¬
wortlich gemacht. Demgegenüber ist darauf aufmerksam zu machen,
daß schwere Leberzerstörungen durch Metastasen nicht zum Ikterus
zu führen pflegen. So einfach das Problem bei dem Steinikterus ist,
so schwierig wird es bei den anderen Ikterusformen. Es werden die
zahlreichen Theorien, die zur Erklärung herangezogen worden sind,
auseinandergesetzt, insbesondere die hämatogene und hepatogeife
Theorie. Von Minkowski u. a. ist das funktionelle Moment in
die Pathogenese der nicht lithogenen Ikterusformen eingeführt worden.
Weiter kam man durch die Eppingersche Methode der Gallenkapil¬
laruntersuchung. Es zeigten sich die Gallenthromben und die Zer¬
reißung der Kapillaren. Die Beobachtung von Banti, daß die
Milzexstirpation bei manchen Formen von Ikterus eine günstige
Wirkung ausübt und daß nach Milzexstirpation Toluilendiamin nicht
mehr zum Ikterus führt, war äußerst fruchtbar. Sie führte zur Auf¬
stellung des Krankheitsbildes des hämolytischen Ikterus. Bei diesem
handelt es sich um vermehrtes Zugrundegehen von roten Blutkörper¬
chen, und er ist durch Milzexstirpation zu heilen. Asch off fand
bei solchen Fällen sehr große Mengen von Bilirubin und Eisen in
den Kupffer-Zellen der Leber. Dies führte zu der Auffassung
Aschoffs, daß die Kupfferschen Sternzellen die Bildung des Bili¬
rubins besorgen. Hijmanns v. d. Bergh konnte zeigen, daß die
aus dem Ductus choledochus gewonnene Galle eine andere Ehrlich-
sche Reaktion gibt als die aus Steinen. Es entstand die direkte und
indirekte Reaktion als Ausdruck für mechanischen und hämolytischen
Ikterus. Eppinger nimmt an, daß sicher unter pathologischen Um¬
ständen Bilirubin in den Kupfferschen Zellen gebildet wird. Ob dies
auch physiologisch der Fall ist, muß noch bezweifelt werden. Beim
hämolytischen Ikterus spielt sicher die Milz, aber auch die Leber
eine Rolle. Der Ikterus ist hepatolienal. Wie sich die Kupffer-Zellen
und die Leberzellen ihre Rollen teilen, steht noch nicht fest. Der
Icterus catarrhalis bedarf unbedingt endlich einer Klärung. Die ana¬
tomische Untersuchung von 5 Fällen dieser Ikterusform ergab lma!
eine Entzündung des Ductus choledochus, 4 weitere aber zeigten
schwere Parenchymschädigung. Aus einem harmlosen Icterus catar¬
rhalis kann immer eine schwere Leberatrophie entstehen, oder es
kann sich allmählich eine Leberzirrhose entwickeln. Schwierigkeiten
bietet die Frage, wie in diesen Fällen der Ikterus entsteht. Sollten
die Kupffer-Zellen die Bilirubinbildung besorgen, so könnte man an¬
nehmen, daß diese gegenüber den Leberzellen zu zahlreich werden.
Dies Moment kommt auch für die akute gelbe Leberatrophie in
Betracht. Aus diesen Gründen empfiehlt es sich, vorläufig nur
noch von dem „sog.“ Icterus catarrhalis zu sprechen. Eine einheit¬
liche Erklärung des Ikterus bei den Zirrhosen und den Herzfehlern
ist bisher nicht möglich. Sicher spielen bei letzterem die Gallen¬
thromben eine Rolle. Beim Ikterus der Pneumoniker liegen die
Verhältnisse ähnlich, wahrscheinlich ist auch hier die Leber das
exekutorische Organ, während in den anderen Organen die Prä¬
paration vor sich geht. Zusammenfassend kann man sagen, daß mit
wenigen Ausnahmen mechanische und funktionelle Momente eine
Rolle spielen.
L. jR Müller und Greving (Erlangen): Ueber die Anatomie und
Physiologie der Leberinnervation. Die Physiologie hat gezeigt, daß
das Glykogen in der Leber auch direkt sympathisch-parasympathisch
reguliert wird. Auch der Eiweißstoffwechsel steht unter der Herr¬
schaft von Vagus und Sympathikus. Dasselbe ist mit der Gallen¬
bildung der Fall. Ueber die anatomischen Grundlagen bestanden
keine Untersuchungen. Der Sympathikus geht nie direkt zur Leber,
sondern über die großen Ganglien zur Leberpforte. Umgekehrt ver¬
hält sich der linke Vagus, der den linken Leberlappen allein ver¬
sorgt, während der rechte zum Teil direkt, zum Teil indirekt zur
Leber zieht. In der Hauptsache hat die Leberinnervation vasomoto¬
rische Aufgaben. Aber auch die chemischen Vorgänge werden von
ihr reguliert, und zwar in der Hauptsache peripherisch.
Westphal (Frankfurt a. M.): Muskelinnervation der Gallenwege
und ihre Beziehungen zur Pathologie. Bei Vagusreizung am Halse
kontrahiert sich die Gallenblase, der Choledochus erweitert sich
etwas, und Galle wird herausbefördert. Der Gallendruck nimmt zu.
Bei stärkerer Reizung gibt es einen Krampf, der zur Abflußhemmung
führt. Atropin hebt dies sofort auf, das Gleiche ist bei Splanchnikus-
reizung der Fall. Das Bild ähnelt sehr dem, wie wir es vom Magen
her kennen. Bei Steinen führen starke Vagusreize zu den starken
Kontraktionen und zu den Schmerzen. Die Stauung kann durch
Vagus- und Sympathikusreizung hervorgerufen werden, einmal durch
Krampf, einmal durch Lähmung der Muskulatur.
Bieling und Isaac (Frankfurt a. M.): Untersuchung über die Be¬
deutung von Leber und Milz für die Entstehung des Ikterus. Dosiert
man die Seruminjektion zur intravitalen Hämolyse so, daß das Tier
10 Stunden und länger am Leben bleibt, so entsteht ein Ikterus.
Dies läßt sich weder durch Milzexstirpation noch durch Blockade
der gesamten Kupffer-Zellen durch Eisen verhindern. In diesen
Zellen ist die Produktionsstelle der hämolytischen Körper. Dafür,
daß aus dem hämolytischen Blut Gallenfarbstoff gebildet wird, sind
diese Zellen nicht mehr verantwortlich. Dagegen werden die Leber¬
zellen selbst geschädigt gefunden.
Brugsch und E. Fränkel (Berlin): Ueber funktionelle Hypocholie.
Es wurde die Einwirkung von Galle auf Seifen, besonders auf stearin¬
saures Natron untersucht. Die Galle ist imstande, die Seifen durch
Quellung, Emulgierung und Lösung resorptionsfähig zu machen.
Nach Verfütterung von Stearin beim normalen Hund wird die Seife
resorbiert, nach Unterbindung des Gallengangs wird sie restlos
wieder ausgeschieden. Ebenso ist es auch beim Menschen. Der
Gesunde resorbiert fast alles, bei völligem Gallengangsverschluß
wjrd alles ausgeschieden. Die Zwischenwerte zeigen Störungen der
Gallenwirkung, die bisher unter den Begriff der funktionellen Pan-
kreasachylie gefallen waren und die mit Brugsch als funktionelle
Hypocholie bezeichnet werden sollten.
K. Bingold (Hamburg-Eppendorf): Ueber Blutfarbstoffabban und
Ikterus sowie über die diagnostische Bedeutung des Hämatins im
strömenden Blote. Insbesondere bei der perniziösen Anämie sowie
bei verschiedenen Toxikosen findet sich Hämatin im Blute. Auch
bei durchgebrochener Tubargravidität kann es zu Hämatinikterus
kommen, der auf Resorption hämatinhaltiger Extravasate zurückzu¬
führen ist Hämatinbildung findet anscheinend im strömenden Blute statt
Retzlaff (Berlin): Experimentelle and klinische Beiträge znr Lehre
vom Ikterus. Retzlaff hat die Whipple-und Hoopersehen Versuche,
die eine wesentliche Stütze des anhepatogenen Ikterus bilden, nach¬
geprüft und kann sie nicht bestätigen. Bei Tieren, deren Leber
ausgeschaltet war, konnte er durch Vergiftung mit Phenylhydrazin
nie eine Bilirubinvermehrung im Blute feststellen. Wenn er Galle
ins Duodenum brachte, so stieg beim Menschen und Tier der
Bilirubingehalt des Blutes, und zwar sowohl bei Gesunden wie bei
Ikterischen nur das indirekte Bilirubin. Dasselbe trat nach Nahrungs¬
aufnahme und nach Einbringung von Pepton und Magnesiumsulfat
ins Duodenum ein. Diese Resorption der Galle aus dem Darm legt
den Gedanken nahe, daß das gesamte normale Bilirubin im Blute
durch Resorption aus dem Darm entsteht. Wenn aber bei Gesunden
und Kranken Gallefütterung das Blutbilirubin erhöht, so erscheint
es auch plausibel, den hämolytischen Ikterus auf eine vermehrte
Resorption von vermehrtem Bilirubin im Darm zurückzuführen. Die
klinischen Beobachtungen lassen sich damit sowohl wie die experi¬
mentellen in Einklang bringen. Der Icterus haemolyticus wäre aem-
nach ebenfalls ein hepatogener, aber verursacht durch einen ver¬
mehrten Blutzerfall und dadurch bedingte Bildung von pleiochromer
Galle (in der Leber) und Resorption des Bilirubins im Darm.
Nürnberger (Hamburg-Eppendorf): Ueber die Leberfnnktion in
der Schwangerschah. Normalerweise ist in der Schwangerschaft das
Bilirubin nicht vermehrt und die Reaktion verzögert. In anderen
Fällen tritt eine Vermehrung des Bilirubingehaltes auf, teils mit
verzögerter, teils mit direkter Reaktion. Ebenso zeigen viele Schwan¬
gere eine positive Lävuloseprobe, eine Störung der Leberfunktion,
Lävulose in Dextrose umzuwandeln.
Lins er (Tübingen): Ikterus and Salvarsan. In manchen Fällen
steigt nach der Salvarsaninjektion der Bilirubinspiegel des Blutes
an, während dies nach Hg niemals beobachtet werden kann. Die
Dosis scheint hierfür keine Rolle zu spielen. Fast 2 /s aller Fälle
von Syphilis hatte eine erhöhte Bilirubinämie, oft schon im sero-
negativen Stadium. Spezifische Behandlung hatte ein Absinken des
Bilirubingehaltes zur Folge. Dies beweist, daß die meisten Fälle
von Ikterus bei Syphilis auf Syphilis und nicht das Salvarsan zurück¬
zuführen sind.
Thannhauser, v. Miller, Schaber und Moncarps (München):
Der Cholesterinstoffwechsel und seine Beziehung zur Gallensänre-
ansscheidung. Es wurde eine Methode ausgearbeitet, Cholesterin und
Gallensäuren getrennt zu bestimmen. Es ließ sich feststellen, daß
der Körper auf die Zufuhr von Cholesterin angewiesen ist, das nur
zusammen mit Fett resorbiert werden kann. Einen Einfluß auf die
Gallensäureausscheidung hat die Cholesterinfütterung nicht. Die
Gallensäuren sind vermutlich kein Stoffwechselendprodukt.
A. Adler (Leipzig): Chemisch-physikalische Untersuchungen an
Gallenfarbstoffen und Cholesterin. Bei geeigneter Versuchsanordnung
und Auswahl geeigneter Adsorbentien zeigte sich in vitro, daß die
Adsorbierbarkeit des Bilirubins in Anwesenheit von Cholesterin oder
Lipoiden herabgesetzt wird. Ferner kann unter gewissen Bedingungen
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
712
VEREINS- UND KONQRESSBERICHTE
Nr. 21
das Urobilin vom Bilirubin von der Adsorption verdrängt werden.
Kataphoreseversuche an diesen drei Stoffen ergaben Resultate, die
in gleicher Richtung sprechen. Danach würde sich erklären, wieso
cs bei Stauungs- und katarrhalischem Ikterus zur Bilirubinurie kommt,
denn bei diesen ist Cholesterin im Serum stark vermehrt. Das
Fehlen von Bilirubin im Harne bei dem Icterus neonatorum und
haemolyticus wird damit zu erklären versucht, daß das Cholesterin
vermindert ist. Hier kommt es also leicht zu Urobilinurie, falls
Urobilin im Darm gebildet wird, wie beim Icterus haemolyticus.
Lepehne (Königsberg): Heber die Ausscheidung der Gallensüuren
beim Leberresunden, Leberkranken und Neugeborenen. Sogenannte
Blasengalle hat höhere, Leichengalle geringere Gallensäurezahlen, ge¬
messen mit der Schwefelblumenprobe. Icterus catarrhalis zeigt deut¬
liche Herabsetzung der Zahl bis 1:10. Auf der Höhe der Er¬
krankung scheint die Leber weniger Gallensäure zu bilden. Duodenal¬
saft beim Neugeborenen zeigt Pleiochromie ohne Zusammenhang
mit dem Icterus neonatorum in Verbindung mit einer Verringerung
der Gallensäurezahl.
F. Rosenthal (Breslau): Untersuchungen über die Topik der
Gallenfarbstoffbildung. Wenn in der Tat dem Sternzellensystem bei
der Gallenfarbstoffbildung eine überragende Rolle zukommt und eine
funktionelle Ausschaltung dieses Systems durch Kollargolblockade
möglich ist, dann muß sich nach intensiver Kollargolbehandlung die
normale Gallenfarbstoffbildung bzw. jede Art von Ikterus, auch der
mechanische Ikterus, kupieren oder abschwächen lassen. Es wurde
untersucht der Einfluß der Kollargolblockade auf die normale Bili¬
verdinausscheidung im Taubenkot, der Einfluß der Kollargolblockade
auf den Gallenfarbstoffgehalt im experimentellen Cholasgos nach
Zerreißung beider Gallengänge und der Einfluß der Kollargol¬
blockade auf den Blutikterus nach Unterbindung der Gallengänge.
In sämtlichen Versuchen an der Taube konnte eine nennenswerte Be¬
einflussung der Gallenfarbstoffbildung trotz histologisch gesicherter
Kollargolblockade der Kunfferschen Zellen nicht festgestellt werden.
Hieraus dürfte folgen, aaß die überragende Rolle der Retikulo-
endothelien bei der Gallenfarbstoffbildung nicht bewiesen ist. Hieran
schließen sich Beobachtungen über den mechanischen Ikterus bei
Vögeln, der gleichzeitig ein grüner und gelber Ikterus ist und
dessen Entstehungsmechanismus eine Stütze für die Minkowskische
Parapedeselehre darstellt.
l. Strauß und E. Adler (Frankfurt a. M.) UatersacbnBfea zum
Mechanismus der Bilirabinreaktion im Sentm bei Brkraakungei der
Leber und des Blutes. Im Hinblick auf die große Bedeutung der
H. v. d. Berghschen Reaktion wurden Untersuchungen angestellt,
die zunächst in vitro, dann in großen Serienüntersuchungen zeigen,
daß die Beschaffenheit des Serums selbst, d. h. ihre Kolloide und
Kristalloide, maßgebend für den Ablauf der Reaktion sind. Und
zwar bei fast allen Ikterischen eine Erhöhung des Na-Spiegels und
eine Verminderung der Globulinfraktion namentlich beim Icterus
catarrhalis auf der Höhe der Erkrankung und bei akuter gelber Leber¬
atrophie. Letztere weniger ausgesprochen bei Cholelithiasis und
dekompensierten Herzfehlern. Mutmaßung, daß die Störung im Ver¬
hältnis von Albuminen zu Globulinen mit einer mangelhafteren Syn¬
thetisierungsfähigkeit der in diesen Fällen meist pathologisch ver¬
änderten Leberzelle zusammenhängt.
Kämmerer (München): Zur enterogenen Urobiliabilduaf. Jede
Stuhlaufschwemmung vermag Bilirubin in Urobilin zu verwandeln.
Der Mechanismus ist durch Anaerobia nicht bedingt, da die Stuhlüber-
führung auch aerob geschieht. Erhöhung auf 60° bringt keine Ver¬
änderung, es müssen also sporentragende Erreger sein. Maßgebend
für diesen Mechanismus sind die Untersuchungen von Bienstock
über den komplexen Charakter der Eiweißfäulnis, wo Aerobe das
Wachstum der Anaeroben durch Wegnahme des Sauerstoffes ermög¬
lichen. Säurebildung (Koli usw.) hemmt die Urobilinbildung.
Rabe (Hambürg-Eppendorf): Zur Desinfektion der Gallenwege.
Mit einem Produkt, das erst durch Umsetzung in der Leber zur
Wirksamkeit kommt, konnte beim Hunde Steigerung der Gallenmenge
und Herabgehen der Keimzahl bis auf Vso gesehen werden. Nach¬
prüfung am Menschen ergab Ansteigen der Gallenmenge auf das
2—3fache und ebenfalls Verringerung der Keimzahl. In Fällen von
frischer, fieberhafter Cholangitis trat Entfieberung sowie subjektive
und objektive Besserung auf. Bei chronischer Cholelithiasis ist das
Präparat nicht zu empfehlen.
Gustav Singer (Wien): Zur Chemotherapie der Gallenwege.
In früheren Versuchen wurde die günstige Wirkung von Metallen,
besonders kolloidalen Silberpräparaten, bei Entzündungen der Gallen¬
wege klinisch erprobt. Es kam darauf an, solchen wirksamen Körpern
eine erhöhte elektive Affinität zum Lebergewebe zu verleihen. Hier
kamen vor allem die Gallensäuren in Betracht. Der Autor war
bestrebt, durch Kuppelung von Gallensäuren mit pharmakologisch
wirksamen Körpern zu Produkten mit elektiv auf die Leber ein¬
gestellter Wirksamkeit zu gelangen. Ein Teil dieser Untersuchungen,
die in Gemeinschaft mit R. Willheim ausgeführt sind, wird mit¬
geteilt, wobei eine Verbindung von Gallensäuren mit kolloidalem
Silber, das in der Gonorrhoetherapie bekannte Präparat „Chole*
val“ intravenös zur Anwendung kam. In mehr als 15 Fällen von
Cholangitis und Cholezystitis wurde mit intravenöser Applikation
von 10—20 ccm lo/oiger Lösung (manchmal zwei bis drei Tage
hintereinander) rascher Rückgang und Schwinden aller anderen Kranx-
heitserscheinungen auch bei vorher langwierigen Prozessen erzielt.
, 9 rafe (Rostock) [nach Untersuchungen mit H. Freund]:
Chemische Wärmeregulation and BiwelSstoffwechsel. Frühere Ver¬
suche hatten eine Steigerung des Eiweißstoffwechsels nach Aus¬
schaltung der Wärmeregulation mittels Durchtrennung des Hals¬
markes ergeben, während nach Brustmarkdurchschneidung, die nur
die physikalische Wärmeregulation ausschaltet, etwa normaler Eiwei߬
stoffwechsel vorhanden ist. Adrenalin verringerte im Gegensatz zu
den Angaben anderer Autoren den Eiweißstomvechsel. Trotz Steige¬
rung des Stoffwechsels sank beim nächtlichen Absinken der Thermo-
statentemperatur die Körpertemperatur.
K. Dresel und E. Wollheim: Physikalische and chemische Ver¬
änderungen des Blutserums nach Nahrungsaufnahme bei Gesunden nad
Leberkranken. Bei positivem Ausfall der Widalschen Leberfunktions¬
probe zeigte sich konstant eine Verdünnung des Blutserums, be¬
obachtet am Verhalten der Polarisation und des Rest-N. Leber¬
gesunde dagegen zeigten eine Eindickung des Blutserums nach
Nahrungsaufnahme. Die Verdünnung beim Lebergeschädigten ist
der Ausdruck eines parasympathischen Reizzustandes — ähnlich dem
anaphylaktischen Shok — während die Eindickung Symptom eines
sympathischen Reizzustandes ist. Diese Aenderung der Konzentration
des Blutserums erwies' sich als zuverlässiger tür die Beurteilung
der Leberfunktion als das Verhalten der Leukozytenkurve.
E. Reiß (Frankfurt a. M.) und H. Wörner (Weißenfels): Neuere
Untersnchnngen aber alimentäre Galaktosnrie bei Leberkrankheiteu.
Die akute gelbe Leberatrophie und der Icterus catarrhalis zeigen
eine ganz besondere Intoleranz gegen Galaktose. Wahrscheinlich
ist die Parenchymschädigung der Leber hierfür verantwortlich zu
machen. Die Prüfung auf alimentäre Galaktosurie ist daher nicht
eine allgemeine Leberfunktionsprüfung, sondern gibt uns Anhalts¬
punkte für bestimmte Schädigungen. (Fortsetzung folgt.)
3. Tagung für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten,
Homburg v. d. Höhe, 28. und 29. IV. 1922.
Berichterstatter: Dr. Friedrich Kauffmann (Frankfurt a. M.)
v. Noorden (Frankfurt a. M.) begrüßt als Vorsitzender die Teil¬
nehmer.
Lichtwitz (Altona): Aetiologle und Pathogenese der Gillensteis-
bildnng. Lichtwitz führt aus, daß die Oallensteinbildung nach den
Gesetzen der Oberflächenwirkung erfolgt: alle Stoffe, welche der sie
umgebenden Flüssigkeit (Galle) eine fremde Oberfläche bieten, können
zu einem Steinkern werden (Sediment, Schleim- und Blutgerinnsel,
Bakterien). Infolge irreversibler Kolloidfällung auf der Oberfläche
des Steinkerns kommt es zunächst zu den sog. Kolloidsteinen, welche
Erbsen- bis Kirschengröße erreichen können. Die Chirurgen sollten
auf das Vorkommen solcher Eiweißsteine fnehr achten. Das Wachs¬
tum Mer Steine durch Adsorption von Kolloiden erfolgt sehr rasch
und hört auf, sobald die Oberfläche inaktiv geworden ist. Sekundär
kommt es zur Ablagerung von Kalksalzen, besonders von Bilirubin-
kalk. Bei dem radiären Cholestearinstein fehlt die konzentrische
Schichtung, da das Cholestearin selbst sehr leicht adsorbierbar ist
und nach den Gesetzen der Oberflächenwirkung schon primär auf
der Oberfläche abgelagert wird. Nach der Adsorption kommt cs iu
kristallinischer Cholestearinfällung. Als Quelle des Cholestearins ist
die Galle und das Epithel der Gallenblase anzusehen; letztere spielt
zwar nur eine geringe Rolle, darf aber nicht vernachlässigt werden.
Die Bedeutung der „Cholestearindiathese“ für die Gallensteinbildung
im Sinne Aschoffs wird aus verschiedenen Gründen abgelehnt. Das
Cholestearin spielt für Gallensteinbildung und Gallensteinkrankheit
nur eine sekundäre bzw. untergeordnete Rolle.
Singer (Wien) bringt eine eingehende Darstellung von Klinik
and Behandlung der Gallensteinkrankbeit. Seine symptomatologischen
Ausführungen bringen im wesentlichen allgemein Bekanntes. Als
beste Cholagoga empfiehlt er die Gallensäure (Schiff) und tritt warm
für die Oelbeiiandlung der Gallensteinkrankheit ein.
F. W. Strauch (Halle) erörtert die Indikationen zur Galleisteii-
Operation vom Standpunkt des Internisten. Die interne Therapie
müsse vorläufig bescheiden sein, da immer Rezidivgefahr besteht. Bei
der Diagnose soll man sich nie festlegen, ob es sich um Steine oder
um Entzündung handelt. Nach der Operation wird die überwiegende
Mehrzahl der Patienten dauernd geheilt. In manchen Fällen bestehen
aber Adhäsionsbeschwerden, Kolikanfälle. Unter Umständen kann
es zur Bildung einer neuen Gallenblase kommen. Nach erfolgloser
interner Therapie von mindestens einem Jahr oder nach wiederholten
Attacken oder bei Abmagerung des Patienten soll man zur Operation
raten. Die Operation ist erforderlich bei Gefahr des Morphinismus
infolge gehäufter Schmerzanfälle. Dem chirurgischen Eingriff, welcher
im allgemeinen öfters angeraten werden sollte, als bisher üblich ist,
hat tunlichst eine internistische Behandlung vorauszugehen.
Völcker (Halle) erörtert die lodikatiooea zar Galleniteluoperation
vom Standpunkt des Chirurgen und gibt eine Uebersicht über die in
Frage kommenden Operationsmethoden. Er unterscheidet 1. einfache
Fälle: Steine ohne Abschluß des Zystikus und ohne schwerere entzünd¬
liche Veränderungen der Wand, fieberfrei; 2. Fälle mit Entzündungen;
3. Steine in den abführenden Gallenwegen. Ad 1: Relative Indikation
zur Operation, die nach Häufigkeit und Schwere der Anfälle und nach
der Arbeitsfähigkeit des Patienten zu stellen ist. Ad 2: Bei chronischem
Empyem absolute Indikation wegen Gefahr des Durchbruches. Bei
Fällen akuter Entzündung mit Abschluß des Zystikus besteht momen¬
tane Lebensgefahr, daher Frühoperation angezeigt. Ad 3: Bei beweg¬
en gitized b
Google
Original from
CORNELL UNSVERSSTY
26. Mai 1922
VEREINS- UND KONGRESSBERICHTE
713
lidien Steinen mit intermittierendem Ikterus Operation nicht so drin¬
gend, wie bei eingekeiltem Stein. Mortalität recht groß: 50o/o dieser
Gruppe oder 4,6°/o bei einer Gesamtzahl von 126 Gallenblasenopera¬
tionen. Rezidive früher nach Cholezystotomie häufiger. Jetzt nach
Cholezystektomie sehr selten. Kolikanfälle nach der Operation sind
in manchen Fällen vielleicht als Leberkoliken zu deuten.
Besprechung. Westphal (Frankfurt a. M.) berichtet auf
Grund eingehender tierexperimenteller Untersuchungen, daß faradische
oder durdn Pilokarpin hervorgerufene Vagusreizung bei schwacher
Reizung zu Gallenexpulsion durch Kontraktion der Gallenblase und
Eröffnung und Peristaltik des Oddischen Sphinkters des Choledochus
führt. Starke Reizung macht dagegen Dauerkontraktion des Sphinkter¬
gebietes mit Abflußhemmung der Galle. Vaguslähmung durch Atropin
upd Sympathikusreizung bewirken Erschlaffung der Gallenwege und
dadurch ebenfalls Abflußhemmung. Funktionsstörungen der Expulsion
der Galle könnten also durch beides Zustandekommen und dadurch auch
beim Menschen infolge von Cholestearinanreicherung in der gestauten
Galle zu aseptischer Konkrementbildung oder infolge von Bakterien-
aufwanderung aus dem unteren Choledochus zu Cholezystitis mit oder
ohne Steinbudung führen. Beim Gallensteinanfall spielen Krampf¬
zustände an den Gallenwegen auf Grund röntgenologischer Beob¬
achtung am Magen und Darm eine bedeutende Rolle. Von den dabei
auftretenden Reflexen erscheint neben den bekannten viszerosensiblen,
viszeromotorischen und viszeroviszeralen Reflexen besonders beachtens¬
wert ein über den Phrenikus verlaufender Reflex in Gestalt von Spon¬
tanschmerzen in der rechten Schulter und häufig einem auch in der
Latenzzeit der Steinkrankheit oder Cholezystitis an der rechten Hals-
seite vorhandenen differential-diagnostisch gut benutzbaren Phrenikus¬
druckpunktes.
Boas (Berlin) lehnt die Morphintherapie des Anfalls ab wegen
Motilitätsbehinderung der Gallenblase. Er verwendet Chloralhydrat
1—2 g. Kalomel wird als Cholagogum und Antiseptikum empfohlen.
v. Noorden (Frankfurt a. m) zieht Mercksches Pepton dem
Wittepepton als Cholagogum vor.
v. Friedrich (Frankfurt a. M.) fand in Untersuchungen am
Menschen mittels der Duodenalsonde, daß Hitzeapplikation auf die
Bauchhaut auf die Menge des Gallenabflusses ins Duodenum keinen
Einfluß hat, dagegen erwies sich der Trockensubstanzgehalt der Galle
in 'der Hälfte der Fälle, der Bilirubingehalt in vielen Fällen erhöht.
Jm Tierexperiment fand er ebenfalls keine Veränderung der Gallen¬
menge. Dagegen konnte Tonusnachlaß der Gallenblasenmuskulatur be*
obachtet werden.
Hasselmann (Frankfurt a. M.) untersuchte durch Duodenal¬
sondierung gewonnene Galle bei Schwangeren mittels einer neuen
im Emb den sehen Institut ausgearbeiteten kolorimetrischen Methode
auf ihren Cholestearingehalt. Er fand dabei Verminderung des Chole-
stearins in der Galle vom 4. bis letzten Schwangerschaftsmonat
Nach der Geburt schneller Anstieg zur Norm.
v. Bergmann (Frankfurt a. M.) betont die Bedeutung der
Stauung für die Erkrankung der Gallenblase. Diese wird nidit so
sehr durch Druck von außen (Korsett, Gravidität) auf die Oallenwege
als vielmehr durch das Spiel der Muskulatur der Gallenwege selbst
verursacht. Die Beschwerden nach Cholezystektomie habe er mehr¬
fach auf eine Colica mucosa und Kolospasmen zurückführen können.
In anderen Fällen handelte es sich vielleicht auch um einen Spasmus
des Sphinkter Oddi und Pylorospasmus. v. Bergmann empfiehlt,
abends vor dem Einschlafen Butter zu geben, damit der Sphinkter
nicht während der ganzen Nacht geschlossen bleibt, indem er auf die
Experimente der Pawloff-Schule verweist, nach denen Fett länger
Oallenabfluß bewirkt als Pepton.
Vollhard (Halle) weist auf die Analogie zwischen Gallenblasen-
und Hamblasenmuskulatur hin. — Abgekapselte Abszesse an der
Lebeipforte führen oft zu unstillbarem Erbrechen. Dieses sei ein
diagnostisch wichtiges Zeichen.
A. Hoff mann (Düsseldorf): Klinik der Beziehungen zwischen
Störungen des Kreislaufes und der Verdauungsorgane. Für die
Wechselbeziehungen kommen mehrere Wege in Betracht: mechanische,
nervöse, toxische und psychische Beeinflussung. Die bei Magen- und
Darmerkrankungen häufig beobachteten Extrasystolien werden auf
reflektorischem Wege ausgelöst. Dabei scheint ein bewegliches Herz
zu Arhythmien zu disponieren. In manchen Fällen muß auch an
toxische Wirkung vom Darm aus (Cholin oder Bakteriengifte) gedacht
werden. Das Krankheitsbild der Dyspraxia intestinalis arteriosderotica
Ortners kommt auch ohne arteriosklerotische Veränderungen der
Mesenterialgefäße vor und wird in solchen Fällen durch Gefäßspasmen
bedingt. Die Bradykardie bei Ikterus kommt durch Einwirkung der
Gallensäure auf zentralen Vagus und den Sinusknoten zustande. Er¬
folgreiche Therapie ist im Einzelfalle nur durch Beseitigung des Grund¬
leidens zu erwarten.
v. d. Velden (Berlin): Ueber die Pharmakologie der Beziehungen
zwischen Kreislauf nnd Verdauungsstörungen. Praktisch ist es oft
sehr schwierig zu entscheiden, ob die Therapie zunächst am Kreis¬
lauf oder am verdauungsapparat anzugreifen hat. In manchen Fällen
kommt man gleichsam mit zentraler, übergeordneter Therapie zum
Ziele. So bei Thyreotoxikosen durch Dämpfung der Schilddrüsen¬
funktion (Arsen, kleinste Jodgaben nach N e i ß e r), bei Veränderungen
der Generationsorgane in der Regel durch Anreiz derselben (Ova-
rialtabletten). Als peripherisch angreifende Therapie wird für den Kreis¬
lauf unter den Digitalispräparaten hauptsächlich das Verodigen emp¬
fohlen. Auch die rektale Digitalistherapie nach E. Meyer hat sich gut
bewährt. Scilla führt oft zu schönem Erfolg. Nach starken Ulkus¬
blutungen ist Infusionen von Normosallösung (Straub) am meisten
zu empfehlen. Oft genügt auch rektale Zufuhr. In vielen Fällen ist die
intravenöse Applikation hypertonischer Salz- oder Zuckerlösung sehr
zweckmäßig. Gegen Spasmen: Atropin, Papaverin, Kampfer, Diuretin,
aber keine Opiate.
Rosenfeld (Stuttgart) fand den kardioventrikulären Symptomen-
komplex in Süddeutschland ganz besonders verbreitet (bei 10°/o aller
Herzkranken).
Neukirch (Düsseldorf) untersuchte die Einwirkung von Organ¬
extrakten auf die Tätigkeit des isolierten Herzens: Herzextrakt hat
großen Einfluß auf die Hubhöhe desselben und setzt die Durchblutung
der Koronargefäße herab. Magenextrakt wirkt hemmend, solches vom
Pankreas fördernd. Leberextrakt hat keine konstante Wirkung. Am
isolierten Kaninchendarm haben wäßrige Extrakte in der Reget nur
geringen Einfluß. Alkoholische Extrakte dagegen von Herz, Muskel
und Milz wiiken erregend; alkoholischer Extrakt vom Pankreas zu¬
nächst lähmend, dann erregend, ätherischer Extrakt zuerst erregend,
dann lähmend.
Römheld (Gundelsheim): Der gastrokardiale Symptomenkomplex
läßt sich bei Anaziden duren Darreichung von großen Dosen Salz¬
säure prompt beseitigen.
Grothe (Halle) fand unter 153 schwer kardial-dekompensierten
Patienten wieaeiholt embolische Ulzera des Magen-Darmkanals. In
anderen Fällen chronische Diarrhöen. Kardiale Stauung hat keine
Störung der Kohlenhydratfunktion der Leber zur Folge.
Fuld (Berlin) betont die krampflösende Wirkung des Kampfers.
Strasourger (Frankfurt a. M.): Die Sklerose der Mesenterial¬
gefäße scheint zu wenig beachtet zu werden. Bei der Angina abdomi-
nis handelt es sich in seltenen Fällen um Syphilis, im Gegensatz zur
Koronarsklerose. Er empfiehlt Diuretin, besonders zur chronischen
Darreichung in mäßigen Dosen.
Lichtwitz (Altona) hat häufiger Sklerose der Mesenterial¬
gefäße auf syphilitischer Basis gesehen. Das Bauchaortenaneurysma
scheint vielfach übersehen zu werden. Diagnostisch wichtig ist das
Auftreten von Sdimerzen in Intervallen; bei beginnender Perforation
Schmerzen in den Adduktoren der linken Seite. Zunahme der Schmer¬
zen bei Husten und Pressen. Röntgenologisch findet sich eine Arrosion
an der linken Seite der Lendenwirbelsäule.
Die Tagung war besucht von 180 Aerzten des In- und Auslandes.
Die nächste Sitzung findet in zwei Jahren an gleicher Stelle statt. Zum
Vorsitzenden wurde gewählt Prof. v. Bergmann (Frankfurt), zum
zweiten Vorsitzenden Rosenfeld (Breslau). Es wurde beschlossen,
den Preis der Boas-Stiftung für 31. XII. 1923 auszuschreiben und die
Höhe des Preises zu 3000 Maik zu bestimmen. Das Thema lautet:
Ueber den Einfluß des Aderlasses auf den Stoffwech¬
sel. Es werden wiederum Richtlinien aufgestellt werden, welche von
dem Schriftführer, Prof. Fuld, Berlin, Ohlandstr. 157 seinerzeit zu
beziehen sind.
46. Versammlung der Deutschen Gesellschaft fOr Chirurgie,
Berlin, 19.-22. IV. 1922.
Berichterstatter: San.-Rat Dr. H. Stettiner (Berlin).
Zweiter Sitzungstag.
Stahl (Berlin): Die Bedeutung der histologischen Blntnntersnchnng
bei chirurgischen Erkrankungen. Die morphologische Zusammen¬
setzung des Blutes gesunder Erwachsener ist konstant, indem fort¬
dauernd Zellen untergehen und neu gebildet werden. Die Bildung
der Erythrozyten findet in Milz und Knochenmark statt. Nach Ent¬
fernung der Milz finden sich noch jahrelang Jolly-Körperchen im Blut.
Die Leukozyten werden in verschiedenen Organen gebildet. Die
Drüsen mit innerer Sekretion haben einen Einfluß auf ihre Zahl. Die
Ansichten Kochers über das Blutbild bei Basedow haben sich nicht
bestätigt. Wie vorsichtig man in der Deutung der Lymphozytose
sein muß, beweist ihr Auftreten bei Neurasthenie, bei Vagotonie u. a.
Bei Infektion mit Bakterien und anderen Parasiten sind vor allem
die neutrophilen Zellen vermehrt. Aber man darf nicht allein die
neutrophilen Zellen berücksichtigen, wie es Sonnenburg in der
ersten Zeit getan; es ist die ganze Verschiebung des Blutbildes
nach links, wie es Arneth gelehrt, oder wie es in einfacherer
Weise von Schilling angegeben. An einer großen Zahl von
Beispielen wird die Veränderung des Blutbildes bei den verschiedenen
Krankheitsformen besprochen und gezeigt, wie sie differential-
diagnostisch von großer Bedeutung sein kann und das Handeln des
Chirurgen beeinflussen wird. Die Veränderungen der Gesamtzahl,
der die geringste Bedeutung zukommt, die Veränderung des Prozent¬
gehaltes der einzelnen Formen und die Veränderungen der einzelnen
Zellen müssen dauernd beobachtet und die Zahlen am besten in einer
Kurve festgelegt werden. Sie gestatten einen Schluß auf die Prognose.
Die Veränderung des Blutbildes geht der Verschlechterung meist
voraus. Während das klinische Bild noch eine gute Prognose zu
geben scheint, zeigt bereits das Blutbild die zu erwartende Ver¬
schlechterung an. Bei einzelnen Krankheiten hat das Blutbild zur
Unterscheidung versagt, so bei Adenom und Karzinom der Prostata.
Die für Tuberkulose charakteristische Lymphozytose schwindet bei
Entstehung eines kalten Abszesses, der zur Vermehrung der neutro¬
philen Blutkörperchen führt, ähnlich bei Mischinfektionen. Bei
malignen Tumoren findet zunächst keine charakteristische Verände-
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
714
VEREINS- UND KONGRESSBERICHTE
Nr. 21
1
rung des Blutbildes statt; erst der jauchige Zerfall im Tumor führt
zur Vermehrung der Neutrophilen. Auch die Differentialdiagnose
zwischen Magenkrebs, bei dem meist eine Vermehrung der Neutro¬
philen, und Ulcus ventriculi, bei dem eine Lymphozytose zu kon¬
statieren ist, kann auf Grund des Blutbildes nur schwer gestellt wer¬
den. In anderen Fällen gab die Blutuntersuchung die Indikation
für ein operatives Eingreifen.
Besprechung. Hildebrand (Berlin) bestätigt die Bedeutung
der methodischen Blutuntersuchung, wie sie von Stahl an der
Chirurgischen Klinik geübt wurde.
Federmann (Charlottenburg): Die Bedeutung der Leukozytose
für Diagnostik und Prognose peritonealer Erkrankungen. Wenn auch
das Blutbild auf jede Infektion reagiert, so ist bei peritonealen Pro¬
zessen die Reaktion wegen der großen Oberfläche des Peritoneums
und der großen Resorptionskraft desselben bedeutender. Die Leuko¬
zytenkurve bei Peritonitiden zeigt einen typischen Verlauf: Starkes
Ansteigen je flach der Schwere der Infektion und allmähliches Ab¬
fallen. Das Auftreten ist nicht etwa ein Zeichen von Eiterung,
sondern der Ausdruck der Infektion. Leukozytose ohne Verschiebung
des Blutbildes nach links deutet auf eine leichte Infektion, bei der
ein operatives Eingreifen nicht dringend ist, Leukozytose mit Ver¬
schiebung nach links (40o/ 0 ) ist ein Zeichen schwerer Infektion und
mahnt zur sofortigen Operation. Von großem Wert ist die post¬
operative Beobachtung des Blutbildes. Ein erstmaliges Abfallen mit
folgendem Anstieg deutet auf ein Fortschreiten der Peritonitis.
Geringe Leukozytose bei weiterer Verschiebung nach links gibt eine
sehr schlechte Prognose.
Besprechung. Wendel (Magdeburg) betont die Wichtig¬
keit der Blutuntersuchung Entmilzter noch nach langen Jahren (10
bis 15), um festzustellen, wie lange noch kernrestehaltige rote Blut¬
körperchen gefunden werden.
Flörcken (Frankfurt a. M.) weist darauf hin, daß sich bei
Strumen (nicht bei Basedow) Hypoglobulie finde, bei malignen
Formen meist mit Erhöhung des Blutdrucks, der bei Eintreten der
Kachexie schwinde.
Schilling (Berlin) weist auf die Bedeutung des Blutbildes u. a.
zur Differentialdiagnose zwischen Stein und Cholangitis bzw. Leber¬
abszeß hin. Er betont, daß die einfache Feststellung der Leukozytose
nicht genüge, sondern daß es auf die Veränderung im Blutbild an¬
komme, wie das von ihm in Vereinfachung des Arnethschen Blut¬
bildes angegeben ist, eine Methode, deren Erlernung keine Schwie¬
rigkeiten mache. Die Jolly-Körperchen lassen sich oft, wenn sie sonst
nicht mehr nachweisbar sind, noch im dicken Tropfen auffinden.
Käppis (Kiel) hat einzelne Fälle gesehen, in denen der operative
Befund nicht dem Blutbilde entsprach. Er warnt davor, wenn andere
klinische Erscheinungen vorliegen, die Entscheidung für die opera¬
tive Indikation vom Blutbilde abhängig zu machen.
Heile (Wiesbaden): Zur Klärung der Peritonitisprognose durch
das mikroskopische Bild. Durch Stenosierung der Appendix beim
Hunde hat er eine Appendizitis hervorgerufen, dann Glasröhrchen
in die Bauchhöhle gelegt und von Zeit zu Zeit geöffnet und Sekret
abgenommen. Zunächst trat eine ausgesprochene quantitative und
S ualitative Lymphozytose auf, die sich auch im 3. Stadium, dem der
Reparation, wiederfindet. Auch bei chronischem Ileus ohne In¬
karzeration, wie bei Peritonealtuberkulose, findet sich Lymphozytose.
Bei den akut fortschreitenden Prozessen der experimentellen Ap¬
pendizitis trat dann eine Vermehrung der neutrophilen Zellen auf,
die ihren Höhepunkt im heißen Abszeß erreicht, während man beim
kalten Abszeß eine vermehrte Lymphozytose findet.
Löhr (Kiel): Ueber physikalisch-chemische Veränderungen des
Blutserums bei chirurgischen Erkrankungen. Löhr befaßt sich erneut
mit der Bedeutung der Blutkörperchensenkungsprobe. Bei den ma¬
lignen Tumoren gibt sie ein Spiegelbild der Größe des Zellzerfalls
und der Resorption der Zerfallsprodukte. Ebenso tritt nach jeder
sterilen Operation nach 24 Stunden eine Blutkörperchensenkungs¬
beschleunigung auf, welche in den nächsten Tagen noch zunimmt,
um dann allmählich zur Norm zurückzukehren. Ebenso tritt sie bei
parenteraler Einverleibung von fremden Eiweißstoffen auf. Sie leistet
in mancher Beziehung mehr als die Leukozytenzählung. So dient
sie z. B. zur Differentialdiagnose von tuberkulöser Erkrankung des
Hüftgelenkes und der Perthes-Calvöschen Erkrankung. Dasselbe gilt
von der Abgrenzung ähnlicher Krankheitsgruppen. Auch gewährt
sie Aufschluß über die Ausdehnung der Entzündung bei Bauch¬
erkrankungen, wie bei der Appendizitis.
Schramm (Berlin): Behandlung der perniziösen Anämie durch
Entmarkung eioes Röhrenknochens. In 12 Fällen, in denen die anderen
Behandlungsmethoden versagten, wurde das Knochenmark aus einem
Röhrenknochen entfernt, um dadurch einen Reiz auf das gesamte
Knochenmark auszulösen, der geeignet sei, eine Umstimmung im
günstigen Sinne zu bewirken. Zuerst wurde die Tibia, später der
Oberschenkel gewählt, an dessen Außenseite von einer kleinen Stelle
die Operation ausgeführt wurde. 5 Kranke leben. Es geht ihnen,
die vorher gar nicht mehr gehen konnten, besser. Bei einem wurde
die Operation zweimal ausgeführt. Man soll bei der Operation
sowohl Allgemeinnarkose wie Lumbalanästhesie vermeiden. Die Ein¬
griffe wuraen in Venenanästhesie ausgeführt. Es hatte den Anschein,
als ob nach der Operation die Arsenikbehandlung besser wirkte.
Besprechung. Mehlhorn (Hannover) hat vor Jahren bei
starker tburnisation der Röhrenknochen diese aufgemeißelt und die
Reste des Knochenmarks entfernt. Die betreffende Kranke blieb
jahrelang von den starken Schmerzen befreit. Er hat damals bereits
3 by Google
darauf hingewiesen, daß vom Knochenmark aus eine Einwirkung
auf schwere Anämien möglich wäre, und auch eine Beeinflussung
eines Milztumors gesehen.
Bier (Berlin) hält die Operation für nicht gefährlicher als die
Milzexstirpation. Es kommt nicht auf die Masse des Knochenmarks
an, die entfernt wird, sondern nur darauf, daß eine Umstimmung
erzielt wird.
Mühsam (Berlin) hat bei 16 Milzexstirpationen, von denen 1
jetzt über 7 Jahre lebt, wohl Besserungen, aber keine Heilungen
gesehen. Das Blutbild ist nie normal geworden.
König (Würzburg) hält die empfohlene Operationsmethode für
zu ungenügend begründet, um sie zu empfehlen.
Bier (Berlin) bemerkt, daß die Kranken, welche von den ersten
Berliner Klinikern vergeblich behandelt, durch die Operation ent¬
schieden gebessert seien.
Lotsch (Berlin): Der Einfluß der Röntgenbestrahlung der Mili-
regend bei operativ Entmilzten. Es ergab sich, daß viermal eine
Beschleunigung, sechsmal eine Verlangsamung der Blutgerinnunng
eintrat. Von den 6 zeigen 3 eine wesentliche, 3 eine unbedeutende
Verlangsamung. Genau dieselben Resultate wurden vom Vortragen¬
den bei Bestrahlung von Kranken mit erhaltener Milz erzielt. Die
Röntgenbestrahlung der Milz ist also nicht ein Mittel, die Blut¬
gerinnung zu beeinflussen, um bei Operationen Blutsparung zu
erzielen.
Gundermann (Gießen): Thrombozyten bei malignen Tumoren.
Beim Karzinom findet man im Gegensatz zum Ulkus eine stark
ausgesprochene Verminderung der Thrombozyten. Nach der Ope¬
ration eines Karzinoms kann die Thrombozytenzahl wieder zur Norm
ansteigen. Tut sie das nicht, besteht der Verdacht einer Metastase.
Die Verminderung der Thrombozyten kann durch eine geringere
Bildung oder vermehrtes Zugrundegehen von solchen bewirkt werden.
Da die Milz die Bildungsstätte derselben ist, müßte diese vergrößert
sein. Dies ist aber nicht der Fall, und vieles spricht dafür, daß
der Tumor selbst der Ort ist, an dem die Thrombozyten zugrunde¬
gehen, und daß es sich dabei um eine Schutzvorrichtung des Organis¬
mus handelt.
König (Königsberg): lieber das Verhalten des Blutdrucks währesd
operativer Eingriffe. Vor der Operation pflegt infolge der Erregung
eine Blutdrucksteigerung zu erfolgen. Während der Narkose ist
das Verhalten des Blutdrucks nicht von der Art des Narkotikums
abhängig (also auch keine Steigerung bei Aethergebrauch). Bei
tiefer Narkose tritt ein rasches Sinken auf und mahnt zur Vorsicht.
Bei der Lumbalanästhesie tritt ebenfalls eine Blutdrucksenkung ein,
um nach 10 Minuten wieder zu steigen, aber unter dem normalen
Blutdruck zu bleiben. Bei Lokalanästhesie tritt zunächst infolge der
Aufregung ebenfalls Blutdrucksteigung auf. Daß dieselbe nicht auf
das Adrenalin zurückzuführen ist, beweist die Blutdrucksenkung bei
Anwendung lokaler Anästhesie und Allgemeinnarkose. Der operative
Eingriff selbst beeinflußt im allgemeinen sehr wenig den Blutdruck.
Nur starke Blutung oder große Eingriffe, wie Eventration, führen
zu einem starken Sinken. Bei Sinken des Blutdrucks ist das beste
Mittel intravenöse Adrenalininjektion.
Besprechung. Wiemann (Würzburg) hebt ebenfalls die
Bedeutung der Kontrolle des Blutdrucks während der Narkose her¬
vor, welche eine Kreislaufstörung früher als der Puls anzeigt.
Brüning (Berlin) weist auf die Wirkung des Sympathikus auf
den Druck hin. Nach Sympathektomie durch Beseitigung der Ad-
ventitia des betreffenden Gefäßes tritt eine so starke Kontraktur
der Gefäßwand ein, daß der Puls nicht zu fühlen, der Blutdruck
auf Null sinkt. Dieser Zustand konnte in einem Falle 5 Stunden
lang festgestellt werden. Redner weist auf die günstige Beein¬
flussung von vasomotorischen Neurosen durch die Sympathektomie hin.
Axhausen (Berlin) berichtet über eine Einrichtung in Amerika,
wo die an die Wand projizierte Blutdruckkurve in jedem Augenblick
von Operateur und Narkotiseur kontrolliert werden konnte.
Auch Anschütz (Kiel) betont die Wichtigkeit der Blutdruck¬
kontrolle, besonders auch für Hirnoperationen. Der Einfluß opera¬
tiver Eingriffe auf den Blutdruck ist vielfach falsch eingeschätzt. Er¬
öffnung des Hüftgelenks, Durchschneidung des N. ischiadicus hat
keine Blutdrucksenkung zur Folge.
König (Würzburg) läßt ebenfalls den Blutdruck kontrollieren.
Oft haben verhältnismäßig kleine Ereignisse große Wirkungen zur
Folge. Er sah nach Unterbindung der Art. thyreoidea media starke
Blutdrucksenkung.
Schück (Berlin): Nene Plebertheorien und Ihre Bedeutung für die
Chirurgie. Zur Feststellung des Fieberzentrums hat Schück von
einer Trepanationsöffnung pharmakologische Präparate in das Ge¬
hirn eingespritzt und festgestellt, daß das Wärmezentrum in der
Gegend des dritten Ventrikels liegt. Unterbrechungen des Zentrums
machen den Warmblüter dem Kaltblüter ähnlich. So soll man auch
daran denken, daß der narkotisierte Kranke inmitten der ihn um¬
gebenden Warmblüter ein Kaltblüter ist. Er hat vor allem jede
Fähigkeit, sich vor Erkältung zu schützen, verloren.
Sauerbruch (München): Demonstrationen ans dem Gebiete der
operativen Chirurgie mit Projektionen von Bildern and Vorstell«»?
Kranker. Es wird eine Reihe von Kranken aus den verschiedensten
Gebieten der Chirurgie vorgestellt, so eine glänzend geheilte, jetzt
12 Jahre zurückliegende einseitige Lungentuberkulose, mit extra¬
pleuraler Thorakoplastik behandelt. Ein zweiter Fall zeigt an der
Narbenbildung die Fortschritte der Technik. 2 Kranke mit künst¬
lich bewegter Hand zeigen die gute Funktion derselben. De* eine
Original from
CQRNELL UNiVERSlTY
26. Mai'1922
VEREINS- UND KONORESSBERICHTE
715
ist als Arzt tätig und kann allen an ihn gestellten Forderungen ge¬
nügen, der zweite arbeitet mit einer Arbeitshand in vorzüglicher
Weise. Eine Rundfrage hat ergeben, daß 75 o/o der Operierten ihre
Prothese benutzen und daß 90o/ 0 von diesen in ihrem alten Berufe
tätig sind. Bei einem Kranken mit Sarkom der Hüfte ist Sauer¬
bruch so vorgegangen, daß er das Hüftgelenk reseziert und den
unterhalb des Knies abgesetzten Oberschenkel nach Fußamputation
durch den umgekehrten Unterschenkel ersetzt hat. Die Einheilung
ist gut erfolgt, und der Kranke geht mit einer Unterschenkelprothese.
Küttner (Breslau): Was erreichen wir mit der chirurgischen Be¬
handlung des Sarkoms? Von röntgenologischer Seite ist behauptet,
daß die Bestrahlung der Operation überlegen sei und daher das
Verfahren der Wahl sein müsse. Die Durcharbeitung des Küttner¬
sehen Materials, das 740 Fälle umfaßt, hat dies nicht bestätigt. Von
den 740 Fällen verweigerten 34 die Operation, 188 waren inoperabel,
132 hatten Metastasen (43 auf dem Blut-, 79 auf dem Lymphwege).
34 starben an den Folgen der Operation. 15 Fälle hatten ein lokales
Rezidiv, das wieder operiert wurde. Von diesen blieb einer 5y 2 Jahre
am Leben. Der längst zurückliegende Fall lebt heute 17 Jahre nach
der Operation. Es starben nach der Operation im ersten Jahre
45,5<>/o, und zwar von Knochensarkomen 39,9<>/o, von Weichteilsarkomen
49,5o/o; im zweiten oder dritten Jahre 14, 80 / 0 , Knochensarkome 15,2<yo,
Weichteilsarkome 14,6%; im vierten oder fünften Jahre 5,3o/ 0 , Knochen¬
sarkome 3,3o/o, Weichteilsarkome 6,5o/ 0 . Es sind 30o/ 0 Dauerheilungen
zu verzeichnen (94 von 326), denen 32—36°/b dreijährige Heilun-
en von röntgenologischer Seite gegenüberstehen. Man soll die
arkome in drei Gruppen teilen, solche die unbedingt bestrahlt, solche
die unbedingt operiert werden sollen und solche, die nur bedingt
operiert werden sollen. Zur ersten Gruppe gehören die inoperablen
Sarkome, die Lymphosarkome, auch die der Tonsillen, ferner die der
Schilddrüse. Zur zweiten Gruppe gehören alle außer den oben genann¬
ten, welche ohne Gefahr für den Kranken mit großer Wahrscheinlich¬
keit radikal entfernt werden können, und zwar sollen ebenso, wie beim
Karzinom, bei jeder Sarkomoperation auch die regionären Lymphdrüsen
entfernt werden. Zur dritten Gruppe gehören die Sarkome, welche
radikal nicht entfernt werden können, sei es wegen des Sitzes der Ge¬
schwulst, sei es wegen der Größe der Verstümmelung.
Besprechung. Anschütz (Kiel) fand unter 239 Fällen von
Sarkom noch 39 länger als 3 Jahre am Leben. Von 174 peripherischen
(periostalen) Knochensarkomen trat in 9°/o Heilung ein, von 65 zen¬
tralen (myelogenen) in 24<>/o. Eine besonders gute Prognose geben
die schaligen Riesenzellensarkome, aber ein Teil derselben sind
keine Sarkome, sondern Fälle von Ostitis fibrosa. Unter den ge¬
heilten Sarkomfällen befindet sich auch ein seit 4 Jahren geheiltes
Schilddrüsensarkom.
Demgegenüber betont Hildebrand (Berlin) die ungünstige
Prognose des Schilddrüsensarkoms.
Kotzenberg (Hamburg): Nene Gesichtspunkte zur Karzinom-
herapie. Die Operationsresultate mit nachfolgender prophylaktischer
Bestrahlung ergaben in der Hamburger Klinik eine Zunahme der
Rezidive. Es wurden dahier mit einem nach Prof. Deutschmann
hergestellten Serum Versuche angestellt. Die Beobachtung von
26 Fällen zeigt, daß diesem Serum, das sowohl äußerlich wie in Ein¬
spritzungen verwendet wurde, eine Wirkung zukommt. Diese spezi¬
fische Wirkung des Serums, welche sich einmal in einem Zurück¬
gehen der Geschwülste kundgibt, zeigt sich auch in einer Reaktion,
welche in Schmerzen und Fieber besteht. Die Schmerzen sind so
charakteristisch, daß allein durch sie mitunter bisher verborgene
Rezidive entdeckt wurden. Redner fordert zu einer Nachprüfung
des in Hamburg hergestellten Serums auf.
Mann in ger (Pest): Oie Izniexzision der Karzinome. DiePaquelin-
behandlung der Karzinome hat sich sehr bewährt. Er wendet sie
nicht nur für die Entfernung des Primärtumors, sondern auch zur
Entfernung der Drüsen an. Der Gang der Operation ist genau der¬
selbe, wie bei anderen Operationen. Die Gefäße werden zwischen
2 Klemmen gefaßt und dann mit dem Paquelin durchtrennt. Der
Wund verlauf ist ungestörter als bei den gewöhnlichen Operationen.
Nachblutungen wurden von ihm nur in 2 Fällen beobachtet. Von
513 so operierten Fällen erhielt er von 230 Antworten. Von 98 in
den Jahren 1900—1916 Operierten leben noch 41 (52o/ 0 ), von den in
den Jahren 1916—1919 operierten 136 leben noch 88 (62o/ 0 L
Besprechung. Georg Schmidt (München) berichtet, daß
in der Münchener Chirurgischen Klinik seit kurzer Zeit ein ähnliches
Verfahren wieder aufgenommen, dessen Einzelheiten einer späteren
Veröffentlichung Vorbehalten bleiben, dessen günstiger Eindruck aber
schon jetzt festgestellt werden kann. Die Wunden reinigen sich sehr
schnell und reagieren mit gesunden Granulationen, die Kranken
erholen sich bald. Die Verkohlung mit dem Glüheisen wurde nur
dann angewandt, wenn die blutige Operation mit dem Messer wegen
des Sitzes oder der Ausdehnung der bösartigen Geschwulst oder
wegen des hohen Alters der Kranken nicht angezeigt erschien. So
wurde von einer 81jährigen Kranken mit ausgedehntem Gesichts¬
krebs der Eingriff sehr gut vertragen.
v. Eiseisberg (Wien) hat das Verfahren mit Vorliebe bei
Unterlippenkrebs benutzt. Trotzdem der Defekt weit im Gesunden
gesetzt war, heilte er überraschend schnell zu.
Kadza(Wien): Zar Frage der Jodspeicherung in malignen Tumoren.
Bei Mäusen kann man durch Darreichung von hohen Joddosen eine
Dauerspeicherung der Tumoren mit Jod erreichen. Beim Menschen
ist das nicht möglich, weil man ihm nicht so hohe Dosen geben
kann. Aber die weiteren Untersuchungen ergaben, daß die Primär¬
speicherung größer war als die Dauerspeicherung. Allerdings hält
diese Primärspeicherung nur kurze Zeit an. Das Jod befindet sich
nicht in der Tumorzelle und nicht im Blut, sondern in dem Gewebs-
saft. Abgesehen von dem Wert für die Röntgenbestrahlung, kann
man diese Eigenschaft des Jods auch als Schiene für andere Medika¬
mente benutzen, um diese in den Körper zu den gewünschten
Zellen zu führen.
Payr (Leipzig): Praktische Erfahrungen mit der Pepsin-Pregllösung.
Erst die von ihm gefundene kolloidale Löslichkeit eines eigens her¬
gestellten hochwertigen Pepsins in der isotonischen, biologisch-anti¬
septischen Pregl-Lösung ergab die Möglichkeit der Anwendung. Die
Lösung, welche unter Wärme- und Lichtschutz in gut verschlossener
Flasche höchstens 8 Tage aufbewahrt werden darf, kommt in 1-
und 2°/oiger Lösung zur Anwendung. Milchsäurezusatz erhöht die
Wirkung. Erwünscht ist Novokain-Adrenalin-Zusatz. Die Technik
bei den verschiedenen Anwendungsweisen wird beschrieben. All¬
gemeinreaktion fehlt so gut wie immer, lokale ist sehr gering. Die
funktionsverbessernde Wirkung tritt manchmal schon einige Minuten
nach der Einspritzung ein. Die besten Erfolge wurden bei Tripper¬
gelenken erzielt nach monatelanger vergeblicher Behandlung (unter
8 Fällen 6 gute Erfolge). Ferner wurden erfolgreich behandelt Ge¬
lenkfrakturen, verklebte derbe Narben, verlötete Sehnen, Muskeln,
versteifte Finger nach Hohlhandphlegmone, Keloide, Röntgenver¬
brennungen, Elephantiasis, Verlötungen und Narbenumhüllungen ver¬
letzter Nerven, Neuralgien. Ferner wurden beobachtet Verkleinerung
von Fibromen, aseptische Verflüssigung von Lymphosarkom, Zurück¬
bildung einer Prostatavergrößerung, gute Erfolge bei Nachbehandlung
der Gelenkplastik. Unter 75 gespritzten Fällen (durchschnittlich
3 Einspritzungen) 22 sehr gute, 31 gute Erfolge, 19 gut abgeschlossen,
lOmal die Behandlung abgebrochen, 12mal Erfolg ungenügend. Zum
Schlüsse werden die Anzeigen, Gegenanzeigen, Gefahren und Fehler
besprochen.
Besprechung. Baetzner (Berlin) erinnert an seine Unter¬
suchungen mit Trypsin, welches ein eiweißspaltendes Ferment ist.
Es entfaltet seine Wirkung in alkalischem Gewebe, während Pepsin
Säure braucht. Es wurde von ihm erfolgreich bei Tuberkulosen an¬
gewendet, aber auch bei -Tumoren, Keloiden und Sehnenscheiden¬
entzündungen.
v. Eiseisberg (Wien) macht auf den günstigen Verlauf der
Magenperforationen aufmerksam, die er auf die Wirkung des salz-
sauren Pepsins zurückführt. Auch die experimentelle Peritonitis beim
Hunde wurde durch Pepsinlösung 1:3000 günstig beeinflußt. Infolge¬
dessen hat er diese Lösung auch in einigen Fällen von Peritonitis
nach Appendizitis mit anscheinend günstiger Beeinflussung verwendet.
Payr bevorzugte Pepsin vor dem Trypsin wegen der bei diesem
beobachteten Kapillarblutungen. Der Hauptvorteil des jetzigen Ver¬
fahrens liegt darin, daß es gelungen ist, die kolloidale Pepsin-Pregl-
Lösung darzustellen. (Fortsetzung folgt)
Generalversammlung des Deutschen Zentralkomitees zur
Erforschung und Bekämpfung der Krebskrankheit,
Frankfurt a. M., 23. IV. 1922.
Berichterstatter: Dr. Ernst Schwarz (Frankfurt).
Nach der Begrüßung der Versammlung durch Geh.-Rat Kraus
(Berlin) geht der Vorsitz an Geh.-Rat Kolle (Frankfurt a. M.) über.
W. Kolle (Frankfurt a. M.) weist zunächst auf die Bedeutung der
Aetiologie hin, die jetzt in vielen Punkten gefördert erscheint. Eine
frühzeitige Diagnose, für die bis jetzt keine sicheren Methoden be¬
stehen, wäre von großer Wichtigkeit. Bei der Therapie muß be¬
rücksichtigt werden, daß jede Schädigung der Tumorzellen, etwa
auf chemotherapeutischem Wege, auch den Körper schädigen kann;
es wäre deshalb zu überlegen, ob nicht durch besondere Methoden
der Gesamtorganismus vor solchen Einwirkungen geschützt werden
kann.
W. Caspari (Frankfurt a. M.): Betrachtaigen über das Krebs-
problem besonders vom Standpunkte der Immnnitlt. Caspari ging
aus von dem Gedanken, daß die experimentellen Tiertumoren zwar
an sich mit den Spontantumoren des Menschen so weit zu ver¬
gleichen seien, daß sie als Versuchsobjekt dienen könnten. Man
müsse aber dabei bedenken, daß der Entstehungsmodus ein ganz
anderer sei. Während der Spontankrebs aus einer oder einigen 21ell-
gruppen entsteht, ja, nach Meinung einzelner Autoren aus einer
einzigen Zelle entstehen kann, würde bei der Uebertragung durch
Impfung das Versuchstier mit Tumormaterial überschwemmt. Von
diesem Tumormaterial wird aber der bei weitem größte Teil nekro¬
tisch, und zum Tumor entwickeln sich auch in diesen Fällen nur
einzelne kleine Zellgruppen. Der Vortragende ist mm in Gemein¬
schaft mit seinen Mitarbeitern, besonders Dr. Schwarz, der Be¬
deutung dieses nekrotischen Materials nachgegangen und kommt
zu folgendem Schluß: Die Nekrose, die in mehr oder weniger aus¬
gedehntem Maßstabe bei jeder Ueberimpfung des Tumors statthat,
übt 4 verschiedene Funktionen aus: Sie bewirkt durch chemo¬
taktischen Reiz auf das Bindegewebe des Wirtstiers die
Kapsel- und Stromabildung und damit indirekt die Bildung der für
die Ernährung des Tumors notwendigen Blutgefäße. Sie dient den
anwachsenden Tumorzellen als adäquates Nährmaterial, löst
toxische Wirkungen aus und allgemeine Immunitäts¬
reaktionen von seiten des Organismus. Kolle und Caan
Digitized by
Gck igle
Original from
C0RNELL UNfVERSSTV
710
VEREINS- UND KONORESSBERICHTE
Nr. 21
hatten nachgewiesen, daß intravenös injiziertes Karzinom und Chon¬
drom in der Lunge in 80—100<>/o der Fälle angingen, während intra¬
venös injiziertes Sarkom niemals anging. Auf diese Weise konnte
die immunisierende Wirkung von im Organismus angehendem Tumor¬
material gegen eine Nachimpfung verglichen werden mit im Organis¬
mus zugrundegehendem. Der Vergleich fiel erheblich zugunsten des
letzteren aus. Da aber auch die Nekrose, als solche eingeführt, in
Uebereinstimmung mit den Versuchen von Königsfeld, immunisa¬
torische Fähigkeiten hat, so kann es nicht, wie vielfach angenommen
wurde, dabei auf die Uebertragung der lebenden Zellen ankommen.
Es müssen vielmehr chemische Substanzen sein, die bei der Nekrose
entstehen und direkt oder indirekt diese Wirkungen ausüben. Ca-
spari geht dann auf Versuche über das Wachstum von Impftumoren
ein, die er bereits vor dem Kriege begonnen hat, jetzt aber von
einem seiner Mitarbeiter, Dr. Piccaluga aus Rom, fortgesetzt
worden sind. Es ergab sich, daß auf im Emanatorium vorbehandelte
Tiere eine mäßige relative Immunität zeigen, vor- und nachbehandelte
Tiere eine weit stärker ausgesprochene Immunität, und solche, die
nur nach der Impfung im Emanatorium gehalten wurden, eher eine
Beschleunigung. Die Tumoren der Tiere, die vor und nach der
Impfung im Emanatorium gehalten wurden, boten bei der mikro¬
skopischen Untersuchung ein Bild ähnlich dem, wie es auch als
Folge direkter Tumorbestrahlung mit starken Dosen bekannt ist.
Wurden Tiere einer einmaligen Bestrahlung mit Röntgenstrahlen
nach der Methode der Röntgentiefenbestrahlung in der Dauer von
15 Sekunden unterworfen, so entwickelte sich nach 2—3 Wochen
eine kolossale Lymphozytose. In diesem Zeitraum geimpfte Tiere
erweisen sich in hohem Maße immun. Da der Lymphozytose ein
mehr oder weniger starker Leukozyten stürz vorhergeht, in all diesen
Fällen also primär Zellen zugrundegehen, sieht Caspari die Wir¬
kung dieser Vorgänge auch in einer spezifischen Wirkung des
Zellzerfalls. In Anlehnung an Versuche von Haberland und von
Freund, die von ganz anderen Gesichtspunkten und mit ganz
anderen Methoden ausgeführt wurden, kommt Caspari daher zu
dem Schluß, daß bei Zellzerfall hormonartige Substanzen entstehen,
die, auf den Gesamtorganismus wirkend, den Immunitätsspiegel heben.
Es handelt sich hier um eine unspezifische Immunität, ähn¬
lich, wie sie in ihrer Wirksamkeit bei zahlreichen Infektionskrank¬
heiten bereits nachgewiesen ist. Caspari erörtert dann kurz die
eventuelle Bedeutung für die Therapie des menschlichen Karzinoms.
Neben dieser unspezifischen Immunität scheint aber noch eine
spezifische zu bestehen. Versuche, die der Vortragende gleichfalls
in Gemeinschaft mit Piccaluga ausgeführt hat, ergaben nämlich,
daß das Serum von Kaninchen, die mit Mäusetumoren geimpft
worden waren, giftiger wird für Mäuse jeder Art, nur nicht für
Mäuse, die ein Sarkom tragen. Caspari schließt daraus, daß die
letzteren spezifische Antikörper gegen Sarkom enthalten. Zum Schluß
diskutiert Caspari die Bedeutung der atreptischen Verhältnisse.
E. Schwarz (Frankfurt a. M.); Tumorzellen und Tumoren. Aus¬
gehend von der Vorstellung, daß sich die einzelnen Körperzellen
vielzelliger Organismen als selbständige Artindividuen auffassen
lassen, wird angenommen, daß sie damit auch den Oesetzen der
Artbildung, Adaption (Lamarck), Mutation (de Vries) und Selek¬
tion (Darwin) unterworfen seien. Als grundsätzlich verschieden
wird die Reaktionsform angesehen, die nicht erblich ist. Granula¬
tionsgewebe wird mit der in freier Natur vorkommenden Reaktions¬
formen verglichen, die sich nur so lange erhalten, wie der aus¬
lösende Reiz dauert; Tumorzellen werden als erbliche Verände¬
rungen, Mutationen, betrachtet. Sie werden im Gesamtorganismus
als Fremdkörper empfunden und erzeugen Abwehrreaktionen; solche
Zellen sind ausgezeichnet durch erhöhte Proliferationskraft, starkes
Bedürfnis an Nahrung und die Fähigkeit, sie sich nicht nur aus
dem Kreislauf (expansives Wachstum), sondern auch auf Kosten
anderer Zellen (infiltratives Wachstum) zu verschaffen, erhöhte Re¬
sistenz (Metastasen, Transplantation) und Toxizität. Verschiedene
Theorien der Entstehung von Tumoren (Cohnheim, Ribbert,
Rotter) werden als Spezialfälle angesehen, die VirchowsChe Reiz¬
theorie ganz allgemein angenommen. Die Theorien von v. Hanse¬
mann, Aichel, Boveri und Levy, die einen veränderten Chro¬
matinbestand für die Entstehung von Tumorzellen verantwortlich
machen, werden als zu grobmeaianisdi angesehen, vielmehr ange¬
nommen, daß die Veränderung der Erbmasse, die Zellen zu Tumor¬
zellen macht, physiologischer und nicht histologischer Art ist. Nach
den Vererbungsversuchen von Slye und Loeb wird angenommen,
daß Tumorzellen als solche, ähnlich wie Organzellen, erblich sein
können. Die ererbte Tumorzelle tritt damit gleichwertig
neben die durch Reiz zu erwerbende (Virchow). Damit
Tumorzellen zu Tumoren werden, muß das humorale Gleichgewicht
im Körper zu ihren Gunsten verschoben sein; sie müssen selbst
von Anfang an die Resistenz des Organismus überwinden können,
oder diese muß sich im Laufe der Zeit (Alter) vermindern. Auch
die humorale Resistenz des Körpers kann erblich herabgesetzt sein.
Diese Art der Disposition läßt sich aber nach den Untersuchungen
von L. Loeb durch Beeinflussung des endokrinen Stoffwechsels oe-
kämpfen. Da Tumorzellen sich nur wenig von normalen Körperzellen
unterscheiden, ist die durch sie zu erzeugende spezifische Immunität
gering. Sie muß durch andere Methoden ergänzt werden.
Besprechung. Lewin (Berlin) hat ebenfalls durch verschie-
dene Substanzen Beeinflussungen von Tumoren gesehen, die in das
Gebiet der unspezifischen Immunität fallen; Nukleinsäure hat ihm
die besten Resultate ergeben.
Kudicke (Frankfurt a. M.) hat auch bei parasitären Krank¬
heiten Erfahrungen gesammelt, die dafür sprechen, daß die Krisis
z. B. bei Rekurrens nicht durch Antikörper, sondern durch die bei
dem der Krisis vorhergehenden fieberhaften Anfall entstehenden
Eiweißabbauprodukte hervorgebracht wird.
Weichbrodt (Frankfurt a. M.) hat gefunden, daß Serum von
Kaninchen, die höheren Temperaturen ausgesetzt waren, auf Mäuse
toxisch wirkte; die Toxizität verschwand bei Erwärmung des Serums
auf 55°.
Lenz (Berlin), Blumenthal (Berlin) behandeln kurz die Be¬
deutung des Traumas für die Entstehung von Tumoren, besonders
Sarkom; diese ist mit Sicherheit immer schwer zu beweisen.
Heidenhain (Worms) hat mit Reizdosen gelegentlich gute
Erfolge beim Menschen gesehen.
Fischer (Frankfurt a. M.) weist darauf hin, daß bis* jetzt
Tumorbildung mit Sicherheit nur auf regenerativer Basis oder aus
Gewebsmißbildungen beobachtet sei. Die Entstehung einer Geschwulst
sei ein völliges Analogon der Organbildung.
Sachs (Heidelberg) ist nicht sicher, ob die von Caspari ge¬
fundenen „spezifischen“ Körper wirklich spezifisch sind; es könnte
sich auch um unspezifische Gewebsreaktionen handeln.
F. Dessauer (Frankfurt a. M.): Physikalische Qedankea zur
Röntgentherapie der Karzinome. Dessauer bespricht zunächst das
Problem des physikalischen Medikaments der Strahlen. Er unter¬
scheidet ein lokal wirkendes Medikament, dessen Bestehen aus dem
histologischen Präparat hervorgeht und das raumgeometrisch im
erhellten Strahlenkegel wirkt, und einen zweiten Teil der Strahlen¬
wirkung, der nicht geometrisch, am bestrahlten Ort, sondern ähnlich
wie eine dem Kreislauf zugeführte Droge wirkt. Er geht dann auf
das spezielle Problem der Röntgen- und y-Strahlen als Medikament
ein, auf den Mechanismus ihrer Wirkung, soweit er physikalisch
verfolgbar ist, und auf die Frage, ob harte und weiche Röntgen¬
strahlen die gleichen Medikamente sind. Er zeigt, daß, soweit diese
Frage physikalisch angefaßt werden kann, alles dafür spricht, daß
wegen des verschiedenen Transformationsverlaufs und der ganz ver¬
schiedenen räumlichen Erstreckung der Einflußzone harter und weicher
Strahlung sie verschiedene Medikamente sind. Auch klinische Er¬
fahrungen scheinen dafür zu sprechen. Es wird schließlich die Frage
erörtert, ob Fehlschläge der Tiefentherapie auf physikalische Ur¬
sachen zurückgeführt werden können. Durch Verteilungsmessungen
der Strahlung kommt er zum Ergebnis, daß die heutige durchschnitt¬
liche Technik nicht mehr Erfolge bringen kann, als sie bisher hat.
Die Strahlungsverteilung im Wirkungsgebiet ist erst neuerdings zu
übersehen, und es zeigt sich, daß es schwer ist, sie nach einfachen
Grundannahmen überhaupt so zu gestalten, daß ein Erfolg möglich
ist. Daß dahinter noch große biologische Probleme sich aufbauen,
bleibt von diesem Ergebnis unberührt.
L. Seitz (Frankfurt a. M.): Erfahrungen mit der Strahlenbehai4*
lang von tJteraskarzinomen und von Sarkomen. Durch systematisch;
Erforschung der physikalischen und biologischen Grundlagen, durdi
Leistungssteigerung von Röhren und Apparaten, durch Vervollkomm¬
nung der Dosierung und durch Verbesserung der Einstellungstechnik
ist es gelungen, beachtenswerte Resultate mit der ausschlie߬
lichen Anwendung von Röntgenstrahlen beim Uteruskarzinom zu
erzielen. Eine größere Reihe von Beobachtungen hat Seitz zu¬
sammen mit Wintz an Uteruskarzinomen anstellen können, von
denen die einen kombiniert mit Radium- und Röntgenstrahlen, die
anderen ausschließlich mit Röntgenstrahlen behandelt wurden.
Die nunmehr 2 Jahre zurückliegenden Beobachtungen ergaben, daß
von den ersteren 56<>/o, von den letzteren 53o/ 0 , dabei sämtliche
Fälle, auch die ganz ungünstig gelegenen mitgerechnet, nach 2 Jahren
noch am Leben und gesund sind. Ueber die kombiniert mit Radium
und Röntgenstrahlen behandelten Fälle verfügt Seitz über nunmehr
5jährige Dauerheilungen. Von 58 Kollumkarzinomen sind nach
5 Jahren noch 12 am Leben. Es beträgt also die absolute Heilungs¬
ziffer 20,7o/o. Bei den Uterussarkomen konnten in 50o/o Dauer¬
heilungen erzielt weifen. Von 132 genitalen und extragenitalen
Sarkomen sind nach 2—5 Jahren noch 59 = 45o/o am Leben.
Besprechung. Kolle (Frankfurt a. M.) und Breßlau (Frank¬
furt a. M.) weisen im Anschluß an eine Frage Dessauers darauf
hin, daß Infusorien und andere Einzellige geeignete Objekte zur
Untersuchung der biologischen Strahlenwirkung seien.
Halberstädter (Berlin) demonstriert im Lichtbild eine Anzahl
durch fehlerhafte Bestrahlung ungenügend beeinflußter und rezidi-
vierter Tumoren.
Hirsch (Altona) hat durch kombinierte Behandlung mit Be¬
strahlung und einem Präparat aus verschiedenen endokrinen Drüsen
gute Wirkungen auf Tumoren wie auch Beseitigung des „Röntgen¬
katers“ erzielt.
Dessauer (Frankfurt a. M.) weist im Schlußwort darauf hin,
daß es gelingen müsse, Röntgenstrahlen von der Härte der Radium-
Y-Strahlen zu erzeugen; dazu wäre Spannung bis zu 1500000 Volt
notwendig. Die überall verwendeten Radiummengen seien zu ge¬
ring; wirklich wirksam seien nach ganz roher Schätzung erst etwa
10—12 g Radiumelement; auch dieses müßte mit den Methoden der
Röntgenbestrahlung angewendet werden. __
Verantwortlicher Redakteur: Qeh.San.-Rat Prof. Dr. I. Schwalbe. — Druck von Oscar Brandstetter (n Lelpzic-
Digitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSUM
Deutsche Medizinische Wochenschrift
Begründet von Dr. Paul Börner
HERAUSQEBER: VERLAO:
Geh. San.-Rat Prof. Dr. Schwalbe GEORG THIEME/LEIPZIG
Berlin-Charlottenburg, Schlüterstraße 53 Antonstraße 15
Nummer 22 Freitag, den 2. Juni 1922 4a Jahrgang
Ueber Hypertonien.
Von Prof. P. Kalbs in Köln.
Blutdruckerhöhungen auf Werte von 160—200 mm Quecksilber
sind in der Praxis nicht selten. In vielen Fällen findet man, auch
bei länger dauernden Beobachtungen, im Urin kein Eiweiß, im Zentri-
fugat keine Formelemente, am übrigen Organismus keine Symptome,
die die Diagnose Schrumpfniere rechtfertigen. Da die Ursache dieser
Hypertonien oft unbekannt ist und bleibt, oder da bei vielen dieser
Hypertonien eine Reihe verschiedener Faktoren als wichtig angeführt
werden kann, hat man neuerdings diese Gruppe als essentielle
Hypertonie bezeichnet. Die Zahl der Veröffentlichungen, die sich
mit dieser Hypertonie beschäftigen, ist nicht gering, aber bei den
meisten Autoren habe ich vermißt: 1. zahlenmäßige Unterlagen und
2. den Versuch, die Faktoren, die nach unseren übrigen klinischen
Beobachtungen als ätiologisch wichtig in Frage kommen, im Einzel¬
falle zu analysieren uncl danach die Hypertonien einzuteilen. Ich
will dies im Folgenden versuchen. Voraussetzung ist, daß es sich
um Blutdruckwerte nicht unter 170—180 mm Quecksilber handelte
und daß auch bei monate- und jahrelanger Beobachtung im Urin kein
Eiweiß und im Zentrifugat keine Formelemente gefunden wurden.
Der Blutdruck wurde stets im Liegen gemessen und war bei mehr¬
tägigen Wiederfiolungen konstant. Es handelt sich, wie unten näher
ausgeführt wird, um 288 Fälle, darunter 172 Männer und 116 Frauen.
Subjektive Beschwerden: Ein Teil dieser Fälle hatte keine sub¬
jektiven Beschwerden. Die Zahl mag 20°/o betragen. Die übrigen
klagten hauptsächlich über Herzklopfen, Kurzatmigkeit, Schlaflosigkeit,
über Druck im Kopf und Blutungen aus der Nase, aus Hämorrhoiden,
und ein kleiner Teil derer, die unter der Gruppe III und IV aufgeführt
sind, auch über stenokardische Anfälle.
Objektive Symptome: Der Allgemeindruck war nicht selten pletho-
rischer Habitus, gedrungene Figur, emphysematöser Thorax, hochrotes
Gesicht, fett. Im Röntgenbilde fand sich bisweilen, besonders in
Gruppe V, ein hochstehendes Zwerchfell. Das hochrote Gesicht oder
der auffällige Wechsel in der Gesichtsfarbe zwischen blaß und rot
wurde hier und da von den Patienten in der Anamnese angegeben.
Die Untersuchung def inneren Organe ergab au den Lungen durch¬
schnittlich nichts Besonderes, nur bei der Gruppe IX die für Asthma
typischen Erscheinungen. Die Leber war bei aer Gruppe III häufig
vergrößert. Der Puls war im allgemeinen etwas beschleunigt, aber
regelmäßig, die Gefäßwand bei der Gruppe I rigide, bei den übrigen
Gruppen nicht oder nur unbedeutend verändert. Bemerkenswert schien
mir, daß die Dorsalis pedis, die immer mit untersucht wurde, oft
stärker rigide war als die Radialis. Der Befund am Herzen ergab
in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle reine Töne, einen klappen¬
den zweiten Aortenton vorwiegend im Sitzen, seltener ein systolisches
Geräusch über der Aorta, sehr selten über der Spitze. Die Durch¬
leuchtung, die in ungefähr 2 /* der Fälle ausgeführt wurde, ergab ein
normales oder etwas übermittelgroßes Herz, häufig eine übemormal
breite Aorta, besonders bei der Syphilis (vgl. unten).
Gruppe I. Von den 288 Fällen möchte ich 75 dieser Gruppe un¬
terordnen. Von den 75 Fällen gaben 51 an, daß sie psychisch, besonders
während des Krieges, sehr stark alteriert worden waren. Ein Teil
dieser Fälle war in Gefangenschaft gewesen. Die Frauen betonten
besonders die psychischen Erregungen während der Fliegerangriffe
und durch Verluste in der Familie während des Krieges, aber
bei einem Teil wurde hervorgehoben die hereditäre Belastung mit
nervösen Erregungszuständen, Psychosen usw. Körperliche Arbeit
wurde als ätiologisch wichtiges Moment von 10 Männern angegeben,
die z. T. lange Zeit im Felde gewesen und bei 40 und mehr Jahren
körperlich außerordentlich viel geleistet hatten. Sechs Patienten gaben
an, viel Sport, und speziell Schwimmsport, getrieben zu haben.
In 33 dieser Fälle war die Dorsalis pedis stärker rigide. Der Puls
war in der Regel beschleunigt auf Werte von 80—90, 14mal waren
reichlichere Extrasystolen fühlbar. Das Herz war im Röntgenbilde
in 22 Fällen von 43 Beobachtungen übermittelgroß, d. h. verbreitert auf
einen Transversaldurchmesser von 13—15 cm. Die Aorta war 20mal
bei 43 Durchleuchtungen verbreitert auf Werte von 6—7,5 cm und
dreimal außergewöhnlich breit, 8—8,5 cm, sodaß man von einer aneu¬
rysmatischen Verbreiterung sprechen konnte. In 4 Fällen hörte man
über der Spitze ein systolisches Geräusch, in 11 Fällen über der Aorta
ein lautes systolisches Geräusch neben dem klappenden zweiten
Aortenton. Von diesen 75 Fällen sind 5 Fälle im Laufe der letzten
Jahre gestorben an Herzinsuffizienz unter den typischen Symptomen,
zumeist innerhalb kurzer Zeit.
In die II. Gruppe glaubte ich diejenigen Frauen unterbringen
zu müssen, bei denen nach den typischen subjektiven Beschwerden das
Klimakterium am meisten im Vordergründe stand. Es handelte sich
um 65 Frauen im Alter von 42—59 Jahren. Von diesen 65 waren 8
total exstirpiert, teilweise vor 10—20 Jahren, und waren 12 durch
Röntgenstrahlen sterilisiert, teilweise vor 5—6 Jahren. Die Pulsfrequenz
war auch in dieser Gruppe zumeist leicht erhöht, die Herztöne waren
rein, nur 5mal fand sich ein leises systolisches Geräusch über der
Aorta. In 6 Fällen von 36, bei denen Durchleuchtung vorgenommen
wurde, war der Transversaldurchmesser des Herzens ein wenig über¬
mittelgroß, d. h. auf 13,5—14 cm verbreitert, aber in 12 Fällen von 36
war die Aorta als breit zu bezeichnen, da der Durchmesser auf
6—7 cm vermehrt war.
Die Prognose bei dieser Gruppe möchte ich als gut bezeichnen,
da keine von diesen Patientinnen, die schon teilweise seit mehr als
5 Jahren in ärztlicher Beobachtung waren und eine wesentliche Blut¬
druckerhöhung hatten, gestorben ist. Ob die spezifische Therapie,
d. h. die Verwendung von Ovarialpräparaten, in diesen Fällen viel
ausgemacht hat, wage ich nicht zu sagen. Jedenfalls gelang es, bei
mehr als der Hälfte dieser Fälle die subjektiven Beschwerden erheblich
zu bessern oder ganz zu beseitigen, aber bei 34 Frauen von 48, bei
denen ich Aderlässe versuchte, wurde diese Therapie als besonders
wirkungsvoll angegeben.
Ueberraschend groß war die Zahl der Fälle, die als Gruppe III
von den übrigen abgesondert wurden und bei denen ich 50mat nach
der Entwicklung des Krankheitsbildes eine Syphilis als ätiologisch
am wichtigsten in den Vordergrund stellen mußte; es handelte sich
um 39 Männer und 11 Frauen. Die Infektion lag bei allen etwa
10—20 Jahre zurück. 36mal ergab die Blutuntersuchung eine stark
positive Reaktion, nur 7mal war die Untersuchung negativ, 7mal
wurde sie nicht ausgeführt. Die subjektiven Beschwerden bestanden
vor allen Dingen in Herzklopfen und Schlaflosigkeit, in allgemein
nervösen Beschwerden. Auffällig schien mir, daß ein Teil dieser
Fälle angab, diese Beschwerden erst seit einigen Wochen zu haben.
Objektiv fand ich, eine mäßige Pulsbeschleunigung 21 mal notiert, dar¬
unter 5ma! Extrasystolen, die Herztöne waren in 39 Fällen rein, in
7 Fällen lag eine typische Aorteninsuffizienz mit einer entsprechend
breiten Aorta im Röntgenbilde vor. Die Herzsilhouette im Ortho-
diagramm war mittelgroß oder untermittelgroß 21 mal, übermittelgroß
29mal mit einem Transversaldurchmesser von 13,5—15 cm. Die Aorta
war ini Röntgenbilde mittelgroß 16mal, im allgemeinen verbreitert
27mal, wesentlich verbreitert 7mal bei den erwähnten Fällen von
Aorteninsuffizienz.
Die Prognose war insofern ungünstig, als von den 50 Beob¬
achtungen inzwischen 13 gestorben sind, 3 unter den Erscheinungen
von Flemiplegie und Herzinsuffizienz, 6 unter Oedemen, Stauungs¬
symptomen usw. an Herzinsuffizienz und 4 im stenokardischen Anfall.
Meine Therapie mußte vorwiegend eine spezifische, dann aber auch
eine Herztherapie sein dort, wo Herzinsuffiziensymptome Vorlagen.
Die Venaesectio schien keinen Erfolg zu haben, nur vorübergehend
eine Besserung in bezug auf die subjektiven Symptome zu bewirken.
Die Gruppe IV umfaßt diejenigen Patienten, bei denen ein sehr
starker Nikotinmißbrauch zugegeben wurde. Es handelte sich um
39 Fälle, nur um Männer. Von den objektiven Symptomen möchte
ich die Rigidität besonders der Dorsalis pedis in 15 Fällen hervorheben.
Nur lOmal fand ich das Herz leicht verbreitert im Röntgenbilde auf
einen Transversaldurchmesser von 14—14,5 cm und nur 6mal eine
leichte Verbreiterung der Aorta. Von diesen Fällen starb bisher keiner.
Gebessert wurden hauptsächlich nach Aussetzen des Nikotins, auch
objektiv gebessert fast */? insofern, als die Blutdruckwerte, die um
180 betragen hatten, auf i50 oder 140 heruntergingen.
Unter der Gruppe V habe ich diejenigen Fälle untergebracht,
bei denen ein stärkerer langdauemder Alkoholabusus zugegeben
wurde. Bei einem Teil dieser Leute war ein plethorischer rlabitus
vorhanden. Objektiv fanden sich rigide Gefäße in 7 Fällen, ein
untermittelgroßer Transversaldurchmesser 5mal, eine breitere Aorta
im Röntgeimilde ömal, eine tastbare Leber lOmal. Von diesen 19 Fällen
ist bisher nur 1 an Herzinsuffizienz gestorben. Außer der allge-
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
718
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
meinen Therapie wirkte in etwa i/s der Fälle die Venaesectio auch
hier günstig.
In der nächsten Gruppe VI sind 16 Fälle untergebracht, 8 Minner
und 8 Frauen zwischen dem 32. und 65. Lebensjahre, bei denen eine
außergewöhnliche Adipositas und eine starke Hochdrängung des
Zwerchfells mich veranlaßten, diese für die Mehrarbeit des Herzens
und für den erhöhten Blutdruck in erster Linie verantwortlich zu
machen. Das Körpergewicht dieser Patienten bewegte sich zwischen
180 und 306 Pfuno. 13 Fälle untersuchte ich vor dem Röntgenschirm
und fand 12mal Werte von 14—16,5 cm im Durchmesser. Bei allen
Fällen fanden sich Pulsbeschleunigung, 11 mal reichliche Extrasystolen.
Die Prognose schien auch bei dieser Oruppe gut zu sein,
da gerade hier ein Teil der Patienten durch die ärztliche Kontrolle
wußte, daß seit 15 und mehr Jahren der Blutdruck erhöht war auf
abnorme Werte. Es gelang mir, bei einem Teil dieser Leute einen
Gewichtsverlust von 30—40 Pfund zu erzielen und damit den Blut¬
druck von 180—200 auf 140—150 herabzusetzen. Therapeutisch schien
mir hier das Entfetten das Wichtigste zu sein, aber auch hier wirkten
in 7 Fällen Aderlässe ausgezeichnet. Die Kontrolle vor dem Röntgen¬
schirm zeigte mir hier in 6 Fällen, daß mit dem Entfetten ein vorher
stärkerer Hochstand, besonders des linken Zwerchfells, zurückging.
Die Gruppe VII umfaßt 8 Fälle, bei denen die Lokalsvmptome
die Diagnose Gicht in erster Linie rechtfertigten. Die subjektiven
Beschwerden von seiten des Herzens und des Gefäßsvstems wurden
durch die allgemeine und spezifische Behandlung gebessert, aber der
Blutdruck ging in keinem dieser Fälle auf Werte unter 170 zurück.
Gestorben ist bisher kein Patient.
In der folgenden Oruppe VIII handelte es sich in 7 Fällen um
4 Männer und 3 Frauen mit organischen Herzkrankheiten. Viermal
um eine Mvodegeneratio cordis, 2ma! um eine Aorteninsuffizienz und
lmal um eine Mitralinsuffizienz. Warum in diesen Fällen, speziell bei
der Myodegeneratio cordis, der Blutdruck eine so außergewöhnliche
Höhe erreichte, vermochte ich nicht zu sagen.
Die Prognose war insofern schlecht, als von den Fällen inzwischen
•4 an Herzinsuffizienz gestorben sind
Bei 5 Patienten, 3 Frauen und 2 Männern im Alter von 44 bis
56 Jahren, stand im Vordergründe ein schweres Bronchialasthma. Bei
den Frauen hätte man den Einfluß klimakterischer Momente berück¬
sichtigen und die Patienten dann in der Gruppe II unterbringen können.
Die Herzsilhouette im Röntgenbilde war hier nicht vergrößert.
3mal gelang es, durch eine hauptsächlich mechanische Behand¬
lung die subjektiven Beschwerden zu bessern und auch den Blut¬
druck wesentlich herabzusetzen.
Die letzte Gruppe umfaßt 4 Fälle von Plethora, bei denen
Hämoglobinwerte von 110—120o/o und Erythrozytenzahlen von 8 bis
12 Millionen festgestellt wurden. Es handelte sich um 3 Frauen
und 1 Mann im Alter zwischen 47 und 59 Jahren. Der Transversal¬
durchmesser des Herzens war in allen Fällen als übermittelgroß zu
bezeichnen, da die Ausmessungen 14—16,5 cm betrugen.
Tabellarische Uebersicht Ober die ätiologisch wichtigsten Momente.
Zahl der
Jahr
1.
Falle
75
Psychische Erregungen . .
/ 57 mlnnl. I
\ 18 weibl.
140-50:16
51-60:39
161-70:20
2.
65
Klimakterium.
65 weibl. \
f 40-55 : 51
156 59:14
3.
50(t 11) Syphilis.
/3Ö mBnnl. J
\U weibl ]
f 40-50 :12
51-60:24
[61-63: 3
1
[40 50:12
4.
39
Nikotin.
39 mBnnl <
51-60:24
[61-63: 3
5.
19 (t 1) Alkohol.
19 mBnnl \
r40 - 50 : 6
151—60: 13
6.
16
Adipositas.
/ 8 mBnnl. I
l 8 weibl 1
(31-40: 2
41-50: 5
[51-63: 9
7.
8
Qicht. ..
/ 3 mBnnl /
41-50: 3
l 5 weibl 1
51-58: 5
8.
7 (f 4) Organische Herzkrankheit.
f 4 mBnnl. \
l 3 weibl. )
-41-56: 7
9.
5
Bronchialasthma.
( 2 mBnnl \
l 3 we bl. 1
-44-56 : 5
10.
4
Plethora vera.
/ 1 mBnnl \
\ 3 weibl /
► 47—59 : 4
Es drängen sich zunächst zwei Fragen auf: Welches ist die
Ursache dieser Hypertonie, und in welchem Zeitraum entwickelt
sich der Symptomenkomplex?
Ausgehend von dem eingangs erwähnten Gedanken, daß größere
kasuistische Beiträge zur Zeit vielleicht am ehesten geeignet sind, die
Aetiologie zu klären, habe ich meine Fälle nach den mir wichtig
erscheinenden toxischen Momenten. eingeteilt.
Diese Einteilung darf man vielleicht als willkürlich und gewagt
bezeichnen, da sicherlich bei einem Teil der Fälle verschiedene
Gifte nebeneinander oder nacheinander auf den Organismus eingewirkt
haben. Trotzdem schien es mir notwendig, je nach der Lage des
Falles das wichtigste Moment herauszuheben, um einmal an einem
größeren Material übersichtlich die wahrscheinliche Ursache hinzu¬
stellen. Das Ergebnis ist, daß mit dem größten Prozentsatz obenan¬
stehen psychische Erregungen, Klimakterium, Syphilis, Nikotin. Mit
der Einteilung beabsichtigte ich aber auch darauf hinzuweisen, daß
der Ausdruck essentielle Hypertonie, so wenig wir ihn auch momentan
Nr. 22
entbehren könnten, doch nur die Verschleierung eines Zustandes ist,
der offenbar in einer Weise, die wir näher nicht kennen, hervor¬
gerufen wird.
Als Ursache dieser Hypertonien kann man nicht anatomische Ver¬
änderungen am Gefäßsystem ansprechen. Wenigstens eine Reihe von
Autoren, u. a. F. Müller, Pal, John, vertreten den Standpunkt,
daß Blutdrucksteigerung ohne Sklerose der kleinen Arterien oder auch
ohne Beteiligung der Nieren vorkommt. „Wir dürfen also aus diesen
Untersuchungen den Schluß ziehen, daß hochgradige Hypertonien auch
ohne Nierenerkrankungen anatomischer oder funktioneller Art ver¬
kommen können/* (Müller, l. c. S. 70.) Man wird mir den Einwand
machen, daß die klinischen Beobachtungen in meinen Fällen nidit
genügen, um den obigen Standpunkt mit zu vertreten, demgegenüber
glaube ich aber doch betonen zu dürfen, daß ich alle Fälle, bei denen
vorübergehend oder dauernd Formelemente, insbesondere Zylinder,
oder auch nur Spuren von Eiweiß im Urin gefunden wurden, von
vornherein ausgeschaltet habe. Haarpuder nimmt wie Romberg
einen kausalen Zusammenhang zwischen Hypertonie und Nieren-
erkranjeung an, er stützt diese Annahme durch eine große Kasuistik
und zitiert u. a. Fischer, der von 300 Fällen mit einem Druck
von 160 mm Hg nur in 3,6% die Nieren klinisch gesund sah, der in
80% eine sichere und in 16,3<>/o eine wahrscheinliche Nierenerkrankung
feststellen konnte. Haarpuder selbst fand in 53% seiner Fälle
Eiweiß, oft nur in geringen Mengen, und in 18% Zylinder. Das
Wesentliche seiner Erfahrungen geht dahin, daß in fast allen Fällen
von dauerndem Hochdruck die Nieren klinisch als geschädigt er¬
kennbar waren, d. h. bei 490 von 504 Kranken (97,2%) mit einem
Blutdruck über 160 kg waren Störungen in der Nierenfunktion nach¬
zuweisen. Haarpu’aer bespricht an Hand von 1165 Fällen die Frage
arteriosklerotische Schrumpfniere und Blutdruck und fand in 69%
seiner Arteriosklerotiker eine dauernde Hypertonie. Ich will das
gut gesichtete und klinisch gut durchgearbeitete Material von Haar¬
puder voll anerkennen, möchte aber doch betonen, daß ich in rund
100 Fällen von Hemiplegie, die in den letzten 2 Jahren hier zur
Beobachtung kamen, Hemiplegien, die sicher aus einer Arteriosklerose
der zerebralen Gefäße entstanden waren, in ungefähr Vs der Fälle
einen normalen Blutdruck, in einem weiteren Drittel einen Blutdruck
zwischen 120—160 und nur in dem letzten Drittel einen Blutdruck mit
Werten über 160 mm Hg fand. Mit diesen Zahlen wird nicht viel
bewiesen, da es sich ja um anatomische Veränderungen an den mitt¬
leren und kleinen Oefäßen eines lokalen Gefäßabschnittes handeln
könnte. Auch weiß ich, daß von klinischer und anatomischer Seite
die Unabhängigkeit der Blutdrucksteigerung von dem Umfang der
histologischen Veränderungen hervorgehoben ist (Jores); trotzdem
darf man doch aus diesen Tatsachen den Schluß ziehen, daß die
essentielle Hypertonie ein Symptomenkomplex ist, der unabhängig
von der Orga'nsklerose sich entwickelt
Ob es richtig ist, bei der Beurteilung dieses wichtigen Symptoms
die Teleologie neranzuziehen, d. h. die krankhafte Steigerung des
Blutdruckes als etwas vom Organismus Gewolltes anzusehen (KreR
R o s i n u. a.), wage ich zu bezweifeln. Wir haben uns in den letzten
Jahren sehr daran gewöhnt, teleologisch zu denken, auf vielen Gebieten
der Medizin hat diese Richtung fruchtbare Ideen gezeigt, aber wanim
gerade diese enorme Erhöhung des Blutdruckes dem Organismus nütz¬
lich sein, von dem Organismus gewollt sein soll, kann ich nicht ver¬
stehen. Auch die Erfahrung in bezug auf Prognose und Therapie,
speziell die gute Einwirkung der Herabsetzung des Druckes durch
eine Venaesectio, sprechen in vieler Beziehung gegen diese teleo¬
logischen Anschauungen (vgl. u.).
Die zweite Frage, wieviel Zeit gewöhnlich vergeht, bis sich dis
volle Krankheitsbild entwickelt hat, ist audi mit Wahrscheinlichkeit
nicht zu beantworten. Wohl hatte ich bei einigen meiner Patienten,
u. a. auch bei Leuten aus der Syphilisgruppe, die Empfindung, daß
der Symptomenkomplex in relativ kurzer Zeit, d. h. in wenigen Mo¬
naten, sich ausgebildet haben mußte. Teilweise war das sogar mit
Sicherheit zu sagen, weil laufende Blutdruckmessungen in den letzten
Jahren gemacht waren. Auch bei einer Reihe von Fällen ausser
Gruppe 1 (psychische Momente). Leuten, bei denen ausgeprägte
klinische Symptome mir ein Urteil gestatteten, schien diese Annahme
zuzutreffen. Aber die Zahl derjenigen, bei denen keinerlei subjektive
Symptome auf die Hypertonie hinwiesen, bei denen die Erkennung des
Zustandes ein Zufallsbefund war, war nicht gering, ebenso wie die
Zahl derjenigen, bei denen ein Urteil nach den geringen subjektiven
Beschwerden sich zu bilden, unmöglich war. Erinnert wurde ich
allerdings häufig an meine früheren Beobachtungen, bei denen unter
gleichzeitiger Einwirkung psychischer Erregungen und Oenußmittem
akute Blutdrucksteigerungen sich akut entwickelt hatten und akut
abfielen (D. Arch. 1905).
Von Bedeutung bei dieser Frage scheint mir zu sein, daß das
fünfte Jahrzehnt als am meisten gefährdet anzusprechen ist Viel¬
leicht erklärt sich das dadurch, daß in diesem Alter der Organismus
noch genügend fähig ist, geistig und körperlich mit einer erhöhten
Spannkraft etwas zu leisten, daß aber gerade deshalb das durffl
Genußmittel oder andere toxische Momente, speziell auch durch
Syphilis, wenigstens funktionell geschädigte Gefäßsystem nicht m
der Lage ist, hier einen genügenden Ausgleich zu schaffen.
Neben den psychischen Momenten spielt offenbar das Klimak¬
terium eine wesentliche Rolle. Man muß hier freilich berücksichtigen,
daß die von der inneren Sekretion abhängigen Beschwerden man
immer parallel einhergehen mit dem Aufhören der Blutungen. Infolge¬
dessen ist auch die klimakterische Phase zeitlich sehr groß. Hier
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNÜVERSrn 1
2. Juni 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
719
ist es am meisten verständlich, daß an sich geringe exogene Schäd¬
lichkeiten (Erregungen, Genutimittel) mit den endogenen zusammen
die Hypertonie auslösen.
bei der Syphilisgruppe wird man wohl am ehesten an mechanische
Ursachen durch den Elastizitätsverlust denken dürfen, zumal da ein
Teil der Fälle nach den anamnestischen Angaben schlecht behandelt
war. Ein Teil der Fälle war mit Salvarsan genügend gut und lange
behandelt, und gerade bei diesen hatte man den Eindruck, dati die
Salvarsanbehandlung vielleicht deshalb nachteilig gewirkt hatte, weil
sie nicht genügend unterstützt worden war durch eine Quecksilber- und
Jodtherapie. Dati organische Herzkrankheiten (Gruppe VIII) mit einem
erhöhten Blutdruck prognostisch ungünstig waren, ist nicht weiter
verwunderlich. Anderseits fragt man sich gerade bei dieser Gruppe,
warum so relativ selten man bei organischen Herzerkrankungen, speziell
bei der Aorten- und Mitralinsuffizienz, Hypertonie findet, wenn das
teleologische Moment eine nennenswerte Holle spielen sollte. Auf¬
fällig vor allen Dingen war aber die große Zahl der in der Gruppe IV
unter Nikotin eingereihten Fälle gegenüber der geringen Zahl der in
der Gruppe V unter Alkohol angeführten. Hier dokumentiert sich
deutlich, daß der chronisch starke Tabakmißbrauch viel mehr zu einer
dauernder, erheblichen Bmtdruckerhöhung führt als der Alkoholmi߬
brauch, eine Tatsache, die bisher unseren allgemeinen klinischen
Erfahrungen entspricht. Bei der Gruppe VII (Gicht) liegt es nahe,
an die Entwicklung einer Gichtniere zu denken und aie Berechtigung,
diese Gruppe der essentiellen Hypertonie unterzuordnen, nicht anzu¬
erkennen. Bei der Gruppe IX und X dagegen handelt es sich um
Erfahrungen, die nur etwas Bekanntes bestätigen.
Daß die Blutdruckwerte ziemlich konstant waren, habe ich her¬
vorgehoben. Unter einer entsprechenden Therapie — im wesentlichen
Ruhe, salzarme Kost, Aderlässe, kleine Digitalisdosen, Kalium nitri-
cum — ging die Mehrzahl der Fälle allmählich auf Werte von 150 bis
160 mm Hg zurück, zumeist zugleich mit dem Nachlassen der sub¬
jektiven Beschwerden mit der Erhöhung der körperlichen und geistigen
Spannkraft.
Bei den klinisch unter Bettruhe längere Zeit beobachteten Fällen
war auffällig, daß das Wetter einen ausgesprochenen Einfluß hatte
insofern, als bei sonnigem, ruhigem Wetter der Druck wesentlich sich
erniedrigte.
Znsammeofcssend läßt sich aus den 288 Beobachtungen sagen:
Die Zahl der Hypertonien ohne klinisch nachweisbare Erkrankungen
der Nieren muß als relativ groß bezeichnet werden. Im Vergleich
mit früher (vor 1914) durchgeführten Untersuchungen scheint es mir
so, als ob die Hypertonien zunehmen. Man findet diese Hypertonien
erheblich mehr in den Kreisen der Gebildeten als in denen der Arbeiter.
Die ursächlichen Momente, die man für das Entstehen in erster Linie
anschuldigeu könnte, sind verschieden.
Offenbar sind hier ätiologisch am wichtigsten: psychische Er¬
regungen, das Klimakterium, Syphilis und Nikotin.
Haarpuder, D. Arch.! klin M. 1919,129. — A. Hoff mann, Jkurs. f. ärztl. Portbild.
1922 John, M. KL 1913 Nr. 24.-Jo re s, Vlrch. Arch. 178, und 221. - Krehl, Patho¬
logische Physiologie. - KUlbs, D. Arch. f. klin.M. 1905. — F. Müller, Vöff. Mllit.-
Sanitatsw. Nr 65. - Monakow, D. Arch. f. klin. M. 133. — Munk, B. kl W 1919 Nr.51
und Erg. d. ges. M. 2, S. 52a Pal, M. Kl 1909.— Rosin, D. m. W. 1921 Nr. 39,40,41.—
Rösberg, Kongreß für Innere Medizin 1904 und M. m. W. 1909.
Aus der Chirurgischen Universitäts- und Poliklinik im Luitpold¬
krankenhaus in Würzburg.
Zur Operation des Oesophagusdivertikels.
Von Prof. FriU König. *
Das Pulsionsdivertikel des Oesophagus an der bekannten Stelle
am Halsteil ist heute nicht mehr als seltene Kuriosität anzusehen,
v. Beck hat 9 operiert, Perthes 4, Kulenkampff 5 in ziem.ich
kurzer Zeit; ich sah 3 in U/s Jahren. Der Amerikaner Judd hat
52 Fälle operiert.
Die Diagnose wird durch das Röntgenverfahren leicht gemacht,
und da absolut eine chirurgische Hilfe notwendig ist, so sind Aerzte,
Internisten und Chirurgen in gleicher Weise an der Ausführung dieser
Operationen interessiert.
Die Gefahren liegen in zwei Dingen: einmal in dem als Folge
der Schluckbehinderung auftretenden Inanitionszustand, der höchste
Grade anuehmen kann. Meine letzte Patientin konnte selbst flüssige
Speisen nicht mehr schlucken, sondern mußte sie mühsam wieder nach
oben entleeren.
Die hierbei auftretenden Schwierigkeiten bedingen die zweite
Gefahr: die Patienten verschlucken sich mit dem zersetzten Inhalt des
Sacks — es droht die Aspirationspneumonie. Von v. Becks
Patienten ist einer an ihren Folgen gestorben. Der Nachweis broncho-
pneumonischer Herde muß den Eingriff ausschließen. Im übrigen kann
nur zu raschester Operation geraten werden, mit dem Endzweck, daß
der heruntergekommene Kranke sobald als möglich wieder Nah¬
rung schlucken kann.
Da treffen wir nun schon auf einen schwachen Punkt der meisten
gebräuchlichen Operationsverfahren.
Franz König, Lexer und Payr haben als Voroperation die
Gastrostomie empfohlen, damit die Ernährung durch die Operation
nicht gestört wird. Das ist ein umständlicher Weg, den man, wenn
irgend möglich, vermeiden wird.
Die Mehrzahl der Operateure verzichtet heute darauf. Dafür
aber wird nach der Operation auch einige Zeit auf die Ernährung per
os überhaupt verzichtet — und das gerade ist ein zweifelloser Oebel-
stand. Der Kranke wünscht nichts sehnlicher, als sofort schlucken zu
können. Die weiteren schwachen Punkte sind: Infektion der Wunde
durch Aufgehen der Oesophagusnaht mit nachfolgender, wenn auch
vorübergehender Fistel und Ausgänge mit Tod.
Die Todesgefahr ist heute zweifellos verringert, aber nicht be¬
hoben. Aus einer Zusammenstellung von 200 r allen der Literatur
berechnen wir 16 Exitus, d. h. 8«/o. Wohl sind wiederholt kleine
Reihen von den Operateuren ohne Todesfall mitgeteilt, aber auch
Judd mit seinen 52 Operationen hat 3 Exitus zu beklagen.
Die heute gebräuchlichen Verfahren bezwecken die
Entfernung des Divertikels. «Es kann dies nach der Methode
vonOoldmann geschehen, welcher den ringsum freiprapariertenSack
an der Basis abschnürte und mit der Kuppe in der Haut ringsum
einnähtc — in einer zweiten Sitzung wurde dann das Divertikel ab¬
getragen. Es wird berichtet, daß nicht nur Fisteln (in 65°/o), sondern
auch Eiterungen, Abszesse oder Phlegmonen die Wuudheilung kompli¬
zierten. Es ist daher nicht zu verwundern, wenn dieser Metnode auch
Todesfälle zur Last fallen.
v. Beck 1 ) hat sie zweckmäßig modifiziert. Er mobilisiert das
Divertikel, schnürt es an der Basis ab und tamponiert die Wunde
neben dem einfach vorgelagerten Sack. Letzterer stößt sich nach
8 bis 10 Tagen ab. Von 7 so operierten Kranken gingen leider 2 an
Pneumonie zugrunde; von den übrigen 5 überstand einer eine Fistel,
die vier anderen heilten glatt.
Einmal griff v. Beck wegen Breite des Sacks zur Einstülpung,
Uebernähung und Reffung.
Er nähert sich dem Verfahren Bevaus, welcher das Divertikel
abschnürt, abtrennt und durch Einstülpüngsnaht versenkt, im übrigen
bei stark heruntergekommenen Kranken auch die Gastrostomie vor¬
ausschickt.
Diesen Methoden steht die primäre Exzision und Oesophagus¬
naht gegenüber, die seit Kocher und Franz König in vielen
Fällen, auch von mir, mit Erfolg mit und ohne vorübergehende Fistel¬
bildung zu gutem Ergebnis geführt hat. Mit Hinzurechnung der Fälle
von Perthes, Kulenkampff tfhd v. Hacker zu den von Deis
zusammengestellten erhalten wir 100 Fälle von einzeitiger Exzision,
28 machten kürzer oder länger währende Fisteln durch, 10 starben.
Da wir in der alle bisher genannten Verfahren umfassenden Ueber-
sicht von 200 Fällen in 21,5 °/o Fisteln, in 8°/o Exitus fanden, so
schneidet, trotz der guten Erfolge einiger neuerer Mitteilungen, die
rimäre Exzision sowohl bezüglich der Mortalität wie der Fistel-
ildung immer noch schlechter ab.
Daß hiernach dem doch an und für sich gutartigen Leiden gegen¬
über offenbar eine entsprechend ungefährliche Operationsmethode
nicht gefunden ist, muß uns zum Nachdenken anregen. Die erwähnten
Uebelständc sind ersichtlich durch die zur Exstirpation notwendige
Eröffnung der Speiseröhre bedingt. Ist diese notwendig? Ist sie
absolut rationell und von sicherer Dauerwirkung?
Rationell ist sie gewiß, wenn das Divertikel ein entwicklungs-
gesdiichtlich begründetes rein lokales Leiden ist. Ist es das immer?
Wir wissen heute, daß Pulsionsdivertikel auch am unteren Ende des
Speiserohrs Vorkommen. Es gibt also wohl auch ein Nachlassen der
Wand, das nicht an eine bestimmte Oertlichkeit gebunden ist. Wenn
wir annehmen, daß vielleicht in dieser Hinsicht nicht einmal die Wand¬
teile sicher sind, die wir nach der Exstirpation zur Naht verwenden,
so verliert das Verfahren schon sehr an Boden. Ist die Heilung immer
dauernd? Stenosen und Rezidive sind schon nach der Exstirpation
beschrieben — eine Statistik über sehr späte Nachuntersuchungen an
größeren Reihen exstirpierter Divertikel ist leider nicht vorhanden.
Diese Zweifel addieren sich zu den erwähnten Mängeln und
erlauben die Frage, ob man nicht auch mit anderen Mitteln zum Ziel
gelangt. Sicher ist die Exstirpation gar nicht unbedingt notwendig,
wenn nur das Divertikel unschädlich gemacht, die Pas¬
sagestörung beseitigt werden kann.
Es genügt, das nach unten hängende Divertikel aufwärts neben
dem Speiserohr sicher zu fixieren.
Liebl (Zbl. f. Chir. 1910) hat zuerst den Gedanken praktisch
durchgeführt, ein Divertikel nach Lösung, ohne es abzubinden, in die
Hautwunde einzunähen. Es wuchs hier mit kleiner, eingezogener Narbe
fest. Der funktionelle Erfolg war durchaus befriedigend.
Der Zweifel, ob die Fixation dieser Art standhalten wird, ist
berechtigt. (Wie ich nachträglich erfahre,hatSchmied in derW.kl.W.
1912 auf Grund theoretischer Erwägungen vorgeschlagen, das Diver¬
tikel aufwärts an der Oesophaguswand zu fixieren.) Ich habe deshalb
eine bessere Fixation zu erreichen gesucht und bin jetzt in zwei Fällen
folgendermaßen vorgegangen:
Der Divertikelsack wird freigelegt und bis an seine Basis vor¬
sichtig gelöst, wird ausgedrückt, sodaß sein Inhalt sich magenwärts
entleert, der schlaffe, gefaltete Sack wird dann lateral aufwärts ge¬
zogen. Zur Annähung hielt ich das Periost des Zungenbeins
in seiner rückwärtigen Hälfte für geeignet. Um aber dieser Fixation
noch größere Sicherheit zu geben, nabe ich den schlaffen Sack unter
dem vorderen Teil des Musculus omohyoideus, welcher
also geschont werden muß, durchgezogen und ihn an diesen
*) Siehe Deis, Bruns Beitr. 1921,123, H. 3.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
720
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 22
Muskel ebenfalls durch ein paar Nähte angeheftet. Bei genügender
Länge des Divertikels erreicht man durch dieses Vorgehen eine sehr
ausgedehnte Fixation, und der Omohyoideus wirkt gleichzeitig ex-
primierend. Bei kürzeren Säcken muß das Durchziehen unter dem
Omohyoideus genügen, evtl, kann man hier eine Fixation in Schild¬
knorpelhöhe dazufügen.
Die Operation, die in örtlicher Betäubung verläuft, wurde bisher
in folgenden Fällen ausgeführt:
1. L. P., 60 Jahre alt. Seit 4—5 Jahren typische Beschwerden,
Steckenbleiben, Auswürgen. Feste Teile gehen nicht mehr durch.
Bei Nahrungsaufnahme Vorwölbung am Hals unten rechts bis hinter
den Kopfnicker. Röntgenologisch schön darstellbares Oesophagus-
divertikel im Jugulum etwas mehr rechts.
23. VII. 1921 Schnitt am rechten Sternokleido. A. und V. thyreoidea
sup. durchtrennt. Hinter dem rechten Schilddrüsenlappen gut hühnerei-
großer Sack, mit der Umgebung ziemlich verwachsen. Divertikel
sitzt breitbasig der Hinterwand des Oesophagus an, von der es aus¬
geht. Wird abpräpariert, isoliert, unter dem Omohyoideus durch¬
gezogen bis zum Zungenbein, an dessen Periost es mit Knopfnähten
befestigt wird. Vollständiger Wundverschluß.
25. VII. Guter Verlauf. Patient schluckt bereits alles, auch feste
Speisen, glatt hinunter.
31. VII. Heilung p. p. I. Beschwerdefrei entlassen.
Nachuntersuchung vom 22. XI. 1921. Patient ist gut genährt und
verträgt alle Speisen. Im Röntgenbild bleibt einmal ein haselnußgroßer
Teil des Kontrastbreies einen Augenblick an der Stelle des Divertikels,
wird aber dann durch kräftiges Schlucken sofort weiterbefördert. Bei
weiterem Beobachten gelang es nicht mehr, die Füllung herzustellen.
Alle Bissen passierten den Oesophagus ohne Hindernis.
2. Frau A. W., 72 Jahre alt. Seit 10 Jahren beginnende Schluck¬
hindernisse; seit Frühjahr 1921 kann sie keine festen Bissen mehr
schlucken, zuletzt auch keine breiigen und flüssigen Nah¬
rungsmittel. Es bildet sich ein „Säckchen“ mehr an der linken
Halsseite. Durch Husten, Würgen, Drücken wird es wieder entleert.
Nur kleine Nahrungsteile gelangen in den Magen; deshalb starke
Abmagerung. Herbst 1921 röntgenologisch (Dr. Dahl) Divertikel
festgestellt. Operation empfohlen. Von anderer Seite widerraten.
Alte Frau in mäßigstem Ernährungszustand ohne Fettpolster. Rönt¬
genologisch: Kontrastbrei füllt beim Schlucken sofort ein kleinapfel¬
großes Divertikel, ziemlich medial *bis weit ins Jugulum reichend.
16.11.1922 Operation: Schnitt am linken Sternokleidorand, Durch¬
trennung der unteren Schilddrüsengefäße. Große Aussackung zwei
Querfinger links den Oesophagus überragend, abwärts bis zum Brust¬
eingang reichend, rechts verschwindend. Durch Verwachsungen recht
erschwerte Auslösung, besonders am unteren Ende. Sack geht mit
breitem Stiel von der Hinterwand aus, ist kleinapfelgroß; wird hoch¬
gezogen, ausgedrückt, in Längsfalten gelegt und unter der vorderen
Hälfte des Musculus omohyoideus durchgezogen. Von da ab wird
auch noch eine Untertunnelung des Sternohyoideus angelegt und auf¬
wärts am Zungenbein und der tiefen Faszie der Fundus des Divertikels
befestigt. Völliger Wundverschluß. Fünf Stunden nach der Operation:
Patientin hat den Eingriff gut überstanden, schluckt bereits Flüssig¬
keiten glatt hinunter, was sie bis dahin nie mehr konnte.
Weiterer Verlauf durch Fieber beeinträchtigt, was die Schludc-
und Ernährungsmöglichkeit indessen nicht störte. Am 2. III. Eröffnung
eines jauchigen Abszesses in der Wunde (bakteriologisch Strepto¬
kokken und Proteus). Von da ab ungestörter Verlauf.
22. III. Beobachtung vor dem Röntgenschirm: der Kontrastbrei
fällt rapid in den Magen. Auch nach mehreren Schlücken bleibt kein
Schatten am Divertikel zurück.
Zwei Vorzüge dieses Verfahrens, das man als Divertikulo-
fixatio bezeichnen kann, liegen auf der Hand:
Zunächst die Möglichkeit sofortiger Ernährung per os,
Bei der außerordentlichen Entkräftung, wie sie z. B. unsere zweite,
72jährige Kranke zeigte, ist es gar nicht hoch genug zu schätzen,
wenn ein solcher Patient, der die dauernden Qualen des Hungers, und
in diesem Fall auch des Durstes, durchgemacht hat, alsbald hier sdion
wenige Stunden nach der Operation trinken kann. Während wir uns
hier auf flüssige Nahrungsmittel in den ersten Tagen beschränkt
haben, hat der erstoperierte, 60jährige Mann vom zweiten Tage ab
alles, auch Kartoffeln, geschluckt. Die Wirkung der Ope¬
ration war infolgedessen besonders blendend. Ich würde aber doch
raten, in den ersten 8—10 Tagen nur breiige Sachen zu gestatten.
Der zweite Vorteil ist der, daß der Oesophagus nicht aufbrechen
kann; Fistelbildung mit ihren Komplikationen ist aus¬
geschlossen. Ich habe geglaubt, unbedenklich die ganze Wunde
schließen zu können. Der erste Patient hat ja auch gerade dadurch
die Vorzüge des Verfahrens demonstriert, daß er in 8 Tagen glatt
geheilt das Krankenhaus verlassen konnte. Aber im zweiten Fall
schon kam die Warnung: eine bei der alten Frau ganz ohne äußerlich
sichtbare Reaktion sich entwickelnde Infektion, die erst nach Ent¬
leerung einer jauchigen Eiterung verschwand. Bei dem Nachweis von
Proteus ist es wohl sicher, daß diese Infektion durch die Divertikel¬
wand durchgewandert ist; es ist ja klar, daß die alte Aussackung eine
ganze Bakterienflora in sich beherbergen wird. Deshalb wird man
einmal für Entleerung derselben durch Ausdrücken sorgen vor dem
Einnähen und weiterhin doch auch auf ein paar Tage die Wunde
drainieren müssen.
Die Frage, ob nach der Divertikulofixatio Rezidive auftreten,
kann noch nicht 'beantwortet werden. Daß bei der Nachuntersuchung
des ersten Patienten einmal ein durch Schlucken rasch wieder ver¬
schwindender Schatten entstand, braucht nicht so ausgelegt zu werden
Das Divertikel besteht ja noch. Daß beim Schlucken etwas
Kontrastbrei in seine Einmündung gedrängt wurde und dort einen
Augenblick sitzen blieb, ist durchaus möglich. Die Hauptsache ist
daß es nicht stagniert, und das wird hoffentlich durch die steile
Fixation verhütet.
Ob das Verfahren durchweg anzuraten ist, das muß die Zukunft
zeigen. Auf jeden Fall vermeidet es die Gefahren der bisher gebräuch¬
lichen Methoden. Wenn wir bei elenden, heruntergekommenen Men¬
schen zu operieren haben, ist es deshalb sicher zu empfehlen.
Aus der Chirurgischen Universitätsklinik in Kiel.
(Direktor: Geh.-Rat Anschütz.)
2'/ 2 Jahre zurückliegende Heilung eines Oesophagus¬
karzinoms nach Radiumbestrahlung.
Von Dr. A. Beck, Assistent der Klinik.
Bei dem heutigen Stand der Strahlentherapie in der Chirurgie ist
es unter allen Umständen richtig, ein Karzinom, wenn ohne allzu
große direkte Gefahr oder zu weitgehende Verstümmelung noch Aus¬
sicht auf radikale Entfernung besteht, mit dem Messer zu entfernen,
aber ebenso richtig ist es, die Strahlenbehandlung in ihr bescheidenes
Recht treten zu lassen, wenn diese Voraussetzungen nicht oder nicht
mehr erfüllt sind. Und dies trifft sicher noch zu beim Oesophagus¬
karzinom. Es kann einem wohl kaum der Vorwurf mangelnden chirur¬
gischen Temperaments gemacht werden, wenn man sich mit einer
Methode wie der stumpfen Auslösung des Oesophagus von unten und
oben und der Hochziehung des Magens in das Mediastinum nicht ohne
weiteres anfreunden will. Damit soll nicht gesagt sein, daß es viel¬
leicht doch noch einen Weg gibt, dem Oesophaguskarzinom, wenig¬
stens in gewissen Regionen, chirurgisch beizukommen. Bis jetzt aber
muß als die Methode der Wahl beim Speiseröhrenkrebs die Strahlen¬
behandlung bezeichnet werden, und zwar die Radiumbestrahlung.
Als vor 3 Jahren Wittmack über einen 1 1/4 Jahr zurückliegenden
klinisch geheilten Fall von Oesophaguskarzinom berichtete, konnte er
schreiben, daß seines Wissens nodi kein ähnlicher Fall mitgeteilt
sei. Mittlerweile haben sich wieder mehrere Autoren zu der Radium¬
bestrahlung des Oesophaguskarzinoms geäußert, sie konnten aber nur
von mehr oder weniger kurz anhaltenden Besserungen oder günstigen
Beeinflussungen berichten. Werner läßt die Möglichkeit offen, daß
bei dem oder jenem seiner Fälle von Oesophagusstenose oder öso-
phagoskopisch festgestellte Ulkus, die nach Radiumbestrahlung längere
Zeit gebessert sind, sich es auch um ein Karzinom handelte. Er
warnt aber davor, jede solche Heilung als Karzinomheilung zu buchen,
wenn nicht der Beweis des Karzinoms durch eine Probeexzision ein
wandfrei erbracht sei.
In dem Fall, der im Folgenden mitgeteilt werden soll, ist das
Karzinom durch Probeexzision einwandfrei sichergestellt. Er liegt
nunmehr über 21/2 Jahre zurück, sodaß man einstweilen jedenfalls von
einer klinischen Heilung sprechen darf.
Die Krankengeschichte ist kurz folgende:
Sch. H., Arbeiter, 49 Jahre alt, aufgenommen 15. IX. 1919, ent
lassen 27. X. 1919. Anamnese: Früher immer gesund. Seit April
dieses Jahres bemerkt er beim Schlucken festerer Speisen einen Druck
bzw. Widerstand etwas oberhalb des Schwertfortsatzes in der Mitte
der Brust. In der letzten Zeit gehen feste Speisen kaum mehr durch
Er bevorzugt deshalb nur dünne Kost. Seit einigen Wochen starke
Abmageruug.
Befund: Mittelkräftig, abgemagert, Haut welk. Die Oesophago
skopie ergibt 38 cm hinter der* Zahnreihe ein Ulkus, aus dem eine
Probeexzision gemacht wird. Röntgenologisch ist hier ein deutliches
Hindernis festzustellen, nur dünner Brei geht leidlich noch durch
Mikroskopisch handelte es sich um ein sicheres Plattenepithel¬
karzinom. Behandlung und Verlauf: Anlegen einer Gastrostomie
in Lokalanästhesie. Nach 3 Wochen Heß man den Kranken eine kleine
an einen Seidenfaden angebundene Metallperle schlücken, der Faden
wurde mit einer häkchenartig umgebogenen Sonde aus dem Magen
herausgefischt und nun eine Radiumkapsel mit Hilfe dieses Fadens
durch den Mund an die Stenose heran- bzw. in die Stenose hinein¬
gezogen. Die Radiumkapsel blieb 72 Stunden liegen.
Am 31.X. 1919 wurde der Kranke aus der Klinik entlassen.
Die Radiumkapsel enthielt 20 mg Radiumbromid, das in eine Glas¬
röhre und eine 1/2 mm dicke Messingkapsel eingeschlossen war. Dieses
wieder wurde mit einer 1 mm dicken Bleikapsel umgeben, über die
ein dünner Gummischlauch gezogen wurde. An der Bleikapsel wurden
oben und unten durch kleine Löcher kräftige Seidenfäden angebunden
und der Gummischlauch an beiden Enden zugebunden.
Eine wesentliche Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens trat
nicht auf. Nach einigen Wochen konnte der Kranke wesentlich besser
schlucken, die Gastrostomie wurde 1/4 Jahr offengehalten und hat sich
nach Entfernung des Schlauches rasch spontan geschlossen.
Der Kranke wurde in der Zwischenzeit häufig nachuntersucht,
zuletzt Ende März 1922. Er klagte in der ersten Zeit ab und zu noch
über einen Druck über dem Brustbein, doch gehen alle Speisen ohne
Schwierigkeit durch. Er arbeitet seit 2 Jahren als vollwertiger Arbeiter,
sieht kräftig und wohlgenährt aus. Röntgenologisch passiert auch
dicker Brei ohne Schwierigkeit den Oesophagus bis zum Magen.
Digitized by L^ouQie
Original from
CORNELL UNIVERSUM
2. Juni 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
721
Die oben angegebene Art der Anwendung des Durchziehens
bzw. Hereinziehens des Radiumträgers mittels eines Seidenfadens in
die Stenose nach Anlegung einer Gastrostomie führen wir bei allen
Radiumbestrahiungen des Oesophaguskarzinoms durch. Gewiß wäre
es vielleicht in manchen Fällen, besonders solchen mit noch nicht
hochgradiger Stenose, angenehmer, auch ohne die Gastrostomie aus¬
zukommen. Jedoch stellt diese leicht in Lokalanästhesie auszuführende
Operation einen so kleinen Eingriff dar, daß man die Indikation dazu
schon aus diesem Grund sehr weit stellen darf. Daß er bei einem
sehr heruntergekommenen Kranken der Ernährung wegen angezeigt
ist, ist ja selbstverständlich. Doch unser Bestreben muß schließlich
sein, das Oesophaguskarzinom im Beginn zur Behandlung zu be¬
kommen. Da sind es zwei Punkte, die diese Methode jeder anderen
überlegen machen, das ist erstens die Möglichkeit des sicheren Her-
anbringens und Fixierens an der zu bestrahlenden Stelle, und dies
ohne irgendwelche auch nur einigermaßen ins Gewicht fallende Be¬
lästigung des Kranken, und zweitens die Fernhaltung von weiteren
Reizen, wie sie schließlich auch milde Speisen darstellen, und so die
Möglichkeit leichteren Ausheilens, vor allem,'wenn die Bestrahlung
nicht ohne leichte Verbrennung auszuführen ist. Dazu schließt sich
die Gastrostomieöffnung, wenn sie nicht mehr benutzt wird, meist
leicht und beschwerdelos.
Noch ein Vorzug ist schließlich erwähnenswert. Wenn die Stenose
bereits so eng ist, daß es nicht mehr möglich ist, den Radiumträger
direkt in die Stenose hineinzuziehen, man also von vornherein auf die
Wahrscheinlichkeit einer wirksamen Beeinflussung verzichten muß, ist
es gar nicht schwierig, einen zweiten Radiumträger durch die Ga¬
strostomie von unten ner dem oberen entgegenzuführen, indem man
einfach an einem zweiten Seidenfaden, der zunächst von oben mit dem
andern durchgeführt ist, über die Kuppe des in den Pharynx ein¬
geführten Fingers die zweite Radiumkapsel von unten her an die
Stenose heranzieht. Diese Methode wird sich überhaupt in allen
Fällen empfehlen, wo man über die Längenausdehnung des Oeso¬
phaguskarzinoms nicht sicher ist. Eine kleine Filtermodifikation, auf
die ich weiter unten noch eingehen möchte, ist dabei von Vorteil.
Bei der Filterung der Radiumstrahlen geht man im allgemeinen
über 1— 11/2 mm Messing oder ähnliches nicht gern hinaus, weil nach
experimentellen Untersuchungen eine weitere Erhöhung der Filterung
die Oekonomie der Strahlung, die schon mit diesem Filter nur noch
etwa 2<Vo der Gesamtstrahlung ausmacht, ohne die Strahlung wesent¬
lich zu verändern, noch weiter herabsetzt. Auf die ß-Stranlen muß
man trotz ihrer biologischen Wirksamkeit ihrer geringen Reichweite
wegen bei dem an sich schon recht ungünstigen Dosenquotienten
besser von vornherein verzichten, wenn man nicht eine schwere Ver¬
brennung leicht in Kauf nehmen kann. Wenn ich trotzdem einer
weiteren Filterung mit 1 mm Blei das Wort reden möchte, so geschieht
dies zunächst aus der Ueberlegung heraus, daß beim Radium jede
durch weitere Ausschaltung weicherer Komponenten erreichte Besse¬
rung des Dosenquotienten erwünscht ist und man zweifellos die
Tiefenwirkung durch entsprechend längeres Liegenlassen verbessern
kann. Dazu kommt die Erfahrung, daß man mit diesen kleinen, noch
aus dem Blei austretenden Energiemengen doch oft auffallend und
unverhältnismäßig große biologische Wirkungen erzielt und dies auf
eine Weise, bei der die entzündliche Reaktion auf ein Minimum oft
reduziert ist, wenn sie nicht überhaupt ganz fehlt. Und das ist doch
gerade beim Oesophagus nicht ohne Bedeutung. Daß man zum Ab¬
fangen der Sekundärstrahlen des Filters eine Gummihülle darüber zieht,
ist nicht unwichtig. Bei der Bestrahlung gleichzeitig mit zwei Kapseln
oberhalb und unterhalb der Stenose kann man dadurch, daß man die
einander zugekehrten Enden der Radiumkapseln nur mit einem dünne¬
ren Filter bedeckt, die Intensität weiter in der gewünschten Richtung
verhältnismäßig steigern.
Wie weit man mit der kombinierten Röntgen-Radiumbestrahlung
Besseres erreichen kann als mit der Radiumbestrahlung allein, darüber
haben wir keine größere Erfahrung. Die darüber mitgeteilten Resultate
weichen jedenfalls nicht wesentlich von den mit Radium allein Be¬
strahlten ab. Besonders wirksam dürfte die Röntgenbestrahlung bei
gleichzeitig liegender Radiumkapsel sein, eine Methode, bei der, wie
man sich leicht bei iontoquantimetrischen Messungen überzeugen kann,
wohl durch Auslosung der Sekundärstrahlung des Radiums und des
Filtermetalls die physikalische Dosis ein Vielfaches der Dosis ist, die
zur Verabreichung kommt bei aufeinanderfolgender Röntgen- und
Radiumbestrahlung derselben Stärke. Man muß sich diesen Faktor
vor Augen halten, da in diesem Fall die gewöhnliche Dosis eine nicht
unerhebliche Ueberdosierung darstellt.
Aus der Medizinischen Universitätspoliklinik in Würzburg.
(Vorstand: Prof. Magnus-Alsleben.)
Lieber die Vergleichbarkeit von Lungenröntgenogrammen.
Von Dr. Felix Peltason» Assistenzarzt.
Das Röntgenverfahren feierte seine ersten Triumphe auf dem
Gebiete der Inneren Medizin, wie bekannt, in der Untersuchung der
Lungen, ganz besonders aber bei der Lungentuberkulose, die ja der
gewöhnlichen klinischen Untersuchung so oft vieldeutige, oft keinerlei
deutliche Zeichen darbietet. Aber fast noch wichtiger erscheint uns
jetzt, da wir bereits gewohnt sind, überraschende diagnostische Auf¬
schlüsse auf diesem Gebiet zu erhalten, die Verwendung des Röntgen¬
verfahrens zur Kontrolle unserer Therapie und zur Prognose¬
stellung im einzelnen Fall. Hier gebührt natürlich der Röntgeno-
graphie der unbestrittene Vorrang vor der Schirmbeobachtung,
wenn mau bedenkt, daß es sich bei ordnungsgemäßer Verfolgung
eines Falles um eine in Abständen von Monaten bis mehreren Jahren
ß eriodisch erfolgende Röntgenuntersuchung handelt, deren einzelne
Resultate in oft minutiöser Weise miteinander verglichen werden
müssen. Hier gerade stellt sich indes eine dem photographischen
Verfahren leider anhaftende Schwierigkeit entgegen: die sehr wech¬
selnde, kaum gleichsinnig beeinflußbare Qualität des photo¬
graphischen Bildes als solchen. Liebermeister (Düren) hat
Kürzlich (1) in einer sehr lesenswerten Studie „Zur Beurteilung von
Heilungsvorgängen bei Lungentuberkulose im Röntgenbilde“ nach¬
drücklich darauf hingewiesen, daß die wechselnde Bildqualität bei
solchen Vergleichen zwischen zwei Lungenröntgenogrammen desselben
Patienten nicht stets ausreichende Beachtung findet und daß recht
erhebliche diagnostische Trugschlüsse durch rein zufällige Eigen¬
schaften des einen oder anderen Negativs befördert werden. Er
stellt deshalb als Regel auf, nur solche Negative überhaupt zu ver¬
gleichen, die insoweit gleich hergestellt sind, als sie einen mitphoto¬
graphierten Testkörper (Knochen, Leder, Metall) in genau glei¬
cher Weise wiedergeben.
Was folgt für die praktische Handhabung aus diesen Aus¬
führungen Liebermeisters? Jedenfalls scheint das Verlangen,
daß nur Negative miteinander verglichen werden sollen, die den mit-
aufgenommenen Testkörper in genau gleicher Weise wieder¬
geben, weil undurchführbar, zu weit zu genen. Denn es wird in praxi
kaum möglich sein, die Aufnahmebedingungen bei einer wiederholten
Aufnahme desselben Patienten jedesmal genau zu reproduzieren,
zumal mit gashaltigen Röhren, wegen deren nicht so genau einstell¬
barer Härte; ganz abgesehen davon, daß meist Platten verglichen
werden, deren Herstellung Jahre auseinander und in ganz verschie¬
denen Händen lag. Auch wenn die zu vergleichenden Platten sämt¬
lich in einem und demselben Betriebe hergestellt wurden, dürfte es
unmöglich sein, stets ganz genau gleiche Aufnahmebedingungen zu
schaffen; dazu kommen die Einflüsse der Entwicklung und cfie ver¬
schiedene Qualität des verwendeten Plattenmaterials.
Aber eine solche Gleichartigkeit der Herstellung ist auch gar nicht
unbedingt erforderlich; wir haben nicht nötig, Negative von nicht
identischer Beschaffenheit von der Vergleichung und damit von der
diagnostischen Verwertung auszuschließen, etwa weil das eine davon
etwas dünner oder dichter ausgefallen ist als das andere. Man muß
sich nur Rechenschaft über die im Einzelfall vorhandenen Unter¬
schiede zwischen den zu vergleichenden Platten ablegen. Es sind
nämlich nicht alle die wechselnden technischen Eigenschaften eines
Röntgenogramms im vorliegenden Sinne wesentlich.
wenn wir ein beliebiges Photogramm hinsichtlich seiner tech¬
nischen Qualitäten analysieren, so unterscheiden wir:
1. die Schärfe der Bildkonturen. Diese muß selbstverständlich
bei alleu zu vergleichenden Bildern ungefähr die gleiche, nämlich
möglichst gut sein, was auch ohne weiteres erreichbar ist. Sie
scheidet für unsere weitere Betrachtung aus;
2. die absolute Schwärzung homologer Plattenpartien. Ihr
entspricht die sogenannte „Dichte“ des Negativs im ganzen. Durch
etwas stärkere oder schwächere Belichtung bei gleicher Entwicklung
oder durch längere oder kürzere Entwicklung bei gleichen Aufnahme¬
bedingungen kann sie weitgehend verstärkt ozw. vermindert werden;
3. die relative Schwärzung einzelner Plattenpartien desselben
Negativs, d.h. das Verhältnis ihrer Schwärzungen zueinander.
Dieses bezeichnen wir als „Kontrast“. Die Breite des in einem Photo¬
gramm enthaltenen Kontrastbereichs bestimmt seine Gradation.
Auch diese ist sehr stark abhängig von der Dauer, Stärke und Art
der Belichtung (bei Röntgenplatten auch von der verwendeten Strahlen-
härte), sowie von der Art und Dauer der Entwicklung. Dabei stellt
gerade sie die wichtigste Eigenschaft der Röntgenogramme im
Hinblick auf den gegenseitigen Vergleich dar. Denn es kommt ja
hierbei offenbar ment auf die absolute Schattentiefe irgendeines
der dargestellten Gebilde, etwa eines tuberkulösen Herdes oder eines
E eribronchitischen Stranges, an, ebensowenig wie auf die absolute
lichtigkeit des geschwärzten (lufthaltigen) Hintergrundes, sondern
lediglich auf das IntensitätsVerhältnis beider; dieses wird
geregelt durch den größeren oder geringeren „Kontrast“ im Bilde.
Durch Aenderung desselben kann es allerdings gelingen, vorhandene
Schatten zum Verschwinden zu bringen (fälschlich sogenannte „Ueber-
strahlung“) bzw. ungebührlich hervortreten zu lassen.
Zwei Platten von verschiedener Dichte im ganzen, aber gleicher
Abstufung der Kontraste sind im allgemeinen sehr wohl vergleichbar;
man wird auf der einen sämtliche Einzelheiten relativ ebenso deutlich
abgebildet finden wie auf der anderen. Dagegen können zwei Platten,
die im ganzen gleiche Dichte zeigen, grundverschieden in der Wieder¬
gabe der relativen Intensität einzelner Schatten sein. Demnach können
auf einer Platte mit „gesteigerter Gradation“ (Holzknecht (21), also
übertriebenen Kontrasten, Schattenstränge wegen ihrer im Verhältnis
zum Hintergründe gesteigerten Dichte etwa als bindegewebig induriert
imponieren, während das auf einer Platte mit mittlerer oder abge¬
schwächter Gradation keineswegs der Fall ist. Umgekehrt kann aer
Fall eintreten, daß schwache Schattengebilde, die auf einer kontrast¬
reichen Platte noch eben als solche sich gegen den Hintergrund ab¬
heben, auf einer Platte mit geringerer Gradation von diesem nicht
mehr zu trennen sind, woraus irrtümlich auf das tatsächliche Ver¬
schwinden der betreffenden Gebilde geschlossen wird.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
722
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 22
Es reduziert sich also die Forderung, festzustellen, ob und in¬
wieweit zwei Platten vergleichbar sind, auf die Frage nach der
beiderseitigen Gradation. Es ist klar, daß dies eine wesentliche
Erweiterung der Vergleichsmöglichkeit an sich schon bedeutet; denn
es werden nun auch Platten miteinander vergleichbar sein, die etwa
einen Testkörper, wie sie Liebermeister verwendet, in verschie¬
dener Weise, nämlich einmal etwas heller, das andere Mal etwas
dunkler wiedergeben, dabei aber, was durchaus möglich ist, die gleiche
Gradation im obigen Sinne auf weisen. Es geht aus der kurzen Be¬
schreibung nicht klar hervor, ob Liebermeister nur menrteilige
(aus Abschnitten von verschiedener Durchlässigkeit zusammengesetzte)
Testkörper oder daneben einteilige verwendete. Im letzteren Falle
mußten solche Platten absolut unvergleichbar erscheinen, im ersteren
hätte man aus der in gleicher Weise bei beiden Platten erfolgten
Abstufung der verschiedenen Testkörperabschnitte erkennen können,
daß die Platten, obwohl sie den Testkörper nicht „in genau gleicher“
Weise Wiedergaben, doch zum Vergleich ganz geeignet waren.
Nebenbei sei bemerkt, daß es umgeKehrt sehr wohl Vorkommen
kann, wie auch dahingehende Versucne ergeben haben, daß zwei
Platten einen (einteiligen) Testkörper „in genau gleicher Weise“,
nämlich gleich heil wiedergeben, obwohl sie ihrer Bndqualität nach
grundverschieden, also eigentlich unvergleichbar sind. Dies tritt ein,
wenn etwa die eine der beiden kurz oder mit weicherer Röhre be¬
lichtet, aber stärker durchentwickelt, die andere stärker oder mit
härterer Röhre belichtet, aber kürzer entwickelt worden ist.
Aber noch mehr: Wenn es gelingt, die Gradation des einzelnen
Negativs mit einfachen Mitteln zanlenmäßig festzustellen, so
können wir möglicherweise dahin gelangen, Platten, die nicht einmal
die Grundbedingung der gleichen Gradation erfüllen, zum Vergleich
heranzuziehen, wenn wir uns nur genau klar sind, welche von beiden
zu vergleichenden Platten die stärker graduierte (diejenige steilerer
Kontrastabstufung) ist und um wieviei. Man wird unter Berück¬
sichtigung dieser Eigenschaft des Photogramms dann nicnt in den
Fehler verfallen, binuegewebige Induration oder Verkalkung an einer
bestimmten Stelle anzunehmen, wenn das betreffende Negativ eine
merkbar „steilere“ Gradation zeigt als das zum Vergleich vorliegende
aus früherer Zeit. Im umgekehrten Falle gewinnt dagegen jene An¬
nahme um so mehr an Wanrscheinlichkeit. Das Verschwinden zarter
Schatten, z. B. in Interkostalräumen, wird nur dann auf wirkliche
Resorption der betreffenden Gebilde zu beziehen sein, wenn das
betreflende Negativ stärker oder mindestens ebenso stark graduiert
ist wie das Vergleichsbild, andernfalls kann man ihm keinen dia¬
gnostischen Wert beilegen.
Wie erreichen wir es nun, die Gradation, d. h. die Kontrast¬
abstufung zahlenmäßig und möglichst unabhängig von subjektiver
Schätzung festzustellen?
Photometrische Methoden erlauben einen ziffernmäßigen Ver¬
gleich verschieden geschwärzter Stellen auf photographischen Platten
in höchst exakter Weise, etwa mit Hilfe des Hartmannschen Mikro¬
photometers oder des Martensschen Schwärzungsmessers; beides kom¬
plizierte und kostspielige Apparate, an deren allgemeine Verwendung
in Röntgenlaboratorien nicht zu denken ist, besonders, da auch das
große Format unserer Lungenplatten hierbei besondere Schwierigkeiten
bereiten dürfte. — Ich bediene mich seit einiger Zeit zu photometriscnen
Messungen der Kienböckstreifen. Die theoretisdie Begründung, wes¬
halb mir das Kienböckverfahren als photometrische Methode für rein
praktische Zwecke geeignet erschien, habe ich anderenorts (3) gegeben.
Mein Vorgehen ist, in Anlehnung an Liebermeisters Versuche,
folgendes:
Bei jeder Lungenaufnahme wird ein Testkörper mit auf-
genommer; (für den allgemeinen Gebrauch liefert die Firma Reiniger,
Gebbert & Schall, A.-ü., Erlangen, auf meine Veranlassung einen
solchen aus Aluminium mit zwei Stufen von 9 bzw. 6 mm Dicke mit
den Kienböckskalen). Er wird an einer objektfreien Stelle, also nahe
einer der oberen Ecken der Platte, oberhalb der Lungenspitze, auf der
Kassette befestigt, d. h. ein für allemal festgeklebt. Der Röhrenfokus
wird stets auf den 4. Brustwirbel eingestellt und selbstverständlich
auch stets möglichst genau in der gleichen Entfernung (60 cm) von
der Kassettenoberfläche gehalten. Aut dem fertigen Negativ entspricht
dem Abbild des quadratischen Testkörpers, durch die senräge Schatten¬
projektion bedingt, eine etwa rechteckige oder parallelepipedische
hellere Fläche auf dunklem Grunde. Man kann recht einfach nach¬
prüfen, ob ein zweites Negativ, das mit dem ersten verglichen werden
soll, in vorschriftmäßiger Weise mit der gleichen Einstellung und
Fokusdistanz angefertigt ist, indem man die Länge und Breite des
Rechtecks bzw. Parallelepipeds ausmißt. Zur Vergleichbarkeit der
Testkörperschatten ist zu fordern, daß diese Maße auf beiden Platten
bis auf den Millimeter übereinstimmen.
Jedes der beiden Negative wird nun in der Dunkelkammer mit
einem (seiner Hülle entnommenen) Kienböckstreifen Schicht an Schicht
an der Stelle des Testkörperschattens hinterlegt, dieser durch eine
sogenannte „schattenfreie“ Kopierklammer am Negativ festgeklemmt
und noch mit etwas schwarzem Papier oder dergleichen hinterlegt;
dann werden beide Negative gleichzeitig und in gleicher
Entfernung 1 ) einige Sekunden einer Lichtquelle ausgesetzt (ich
bevorzuge das Licht des zur Plattenbetrachtung dienenden Licht-
*) Diese Bedingung ist nicht einmal obligatorisch; nach Versuchen, die ich anstellte,
ist die Beiichtunssintensität Innerhain gewisser Grenzen ohne Einfluß auf die Gradation
des Kienbö« kstreifens, sodaß man bei sehr verschiedener Dichte der beiden Negative
den einen Streifen unbedenklich stärker bezw. schwächer exponieren kann, um für die
Ablesung brauchbare Schwäizungen zu erhalten.
kastens). Die beiden belichteten Kienböckstreifen werden zusammen
nach der Original Vorschrift entwickelt. Jeder Streifen zeigt ent¬
sprechend der dickeren Stufe des Testkörpers einen dunkleren und
entsprechend der dünneren Stufe einen helleren Bezirk. Nunmehr
werden an der Kienböckskala die Schwärzungswerte der beiden Be¬
zirke eines jeden Streifens abgelesen und miteinander in Form eines
Bruches in Beziehung gesetzt. Also etwa: Es zeige der dunklere Teil
des einen Streifens eine Schwärzung entsprechend 10 X, der hellere
eine solche von 3 X. Der Quotient aus beiden lautet dann 6/3 = 2,0.
Wenn nun der von dem Vergleichsnegativ gewonnene Streifen genau
dieselben Verhältnisse zeigt, so steht natürlich einem Vergleicn der
beiden Negative nichts entgegen; denn offenbar liegt dann der ideal¬
fall vor, daß der Testkörper wirklich in gleicher Weise auf beiden
Negativen erscheint. Sehr häufig ereignet es sich aber, wie oben
erwähnt, daß das Vergleichsnegativ, oowohl qualitativ sonst gleich¬
wertig, im ganzen dünner oder dichter ausgefallen ist. Der von ihm
gewonnene Kienböckstreifen zeigt dann zwar nicht absolut gleiche
Zahlenwerte, wohl aber das gleiche Verhältnis zwischen den
beiden Schwärzungswerten, etwa 4 X und 2 X, also einen Quotienten
4/2 = ebenfalls 2,0, oder 12/6 oder 9/4,5. Solange dieses Verhältnis
gewahrt bleibt, sind die zugrundeliegenden Negative noch ohne
weiteres vergleichbar, denn der Quotient der Schwärzungswerte auf
dem Kienböckstreifen wie bei jedem anderen photometrischen Ver¬
fahren ist je nur ein sinnfälliger Ausdruck für die Kontrastabstufung,
also die Gradation des Negativs, und solange der Quotient
den gleichen Wert behält, können wir uns darauf verlassen, daß
die zu vergleichenden Negative gleiche Gradation besitzen und damit
die grundlegende Vorbedingung der Vergieicnbarkeit erfüllen.
Ist aber selbst dies nicht der Fall, so können wir doch die
Differenz der beiderseitigen Quotienten recht genau zahlenmäßig
bestimmen und uns so Rechenschaft darüber abiegen, weiches von
den beiden Negativen das stärker, weiches das schwächer graduierte
ist, und in weichem Maße; durch den bloßen Augenschein lädt sich
eine solche Entscheidung selten treffen, ain wenigsten, wenn audi
noch die Gesamtdichte, wie oben gestreift, verschieden ist.
Es schützt also diese Methode auch in Fällen, wo an sich eine
Vergleichung zweier Röntgenbilder nicht möglich ist, vor diagnosti¬
schen Fehlschlüssen; in allen Fällen erseneint sie geeignet, das
Urteil über Verlauf und Prognose des einzelnen Falles auf eine siche¬
rere, von subjektiver Schätzung unabhängige Basis zu stellen; sie
erlaubt es aucn hie und da, ein solches Urteil bestimmter zu formu¬
lieren und es aus dem Bereich der Vermutung herauszuheben, indem
sie die Unsicherheit über die wechselnden technischen Eigenschaften
des Röntgenogramms bis zu einem gewissen Grade ausschaitet. Mög¬
licherweise konnte sie auch noch wertvoll sein bei anderen Lungen-
affektionen als der Tuberkulose, wenn es sich darum handelt, einen
Fall fortlaufend zu verfolgen und den Heilverlauf zu kontrollieren, wie
es etwa bei der Strahlenbehandlung der Lungentumoren erforderlich
ist; vielleicht auch bei der Röntgenkontrolle der HeilungsVorgänge
tuberkulöser Knochenherde usw. Wirklichen praktisenen wert könnte
sie allerdings erst erhalten, wenn sich der Gebrauch der Testkörper¬
aufnahme allgemein einbürgern ließe und allenthalben nach der
gleichen Vorschrift verfahren würde. Dies erscheint durchaus mög¬
lich, da ja das Kienböckquantimeter von früher her in den meisten
Röntgenlaboratorien eingebürgert bzw. samt dem angegebenen ab¬
gestuften Aluminiumblock jeuerzeit von der Herstellerin (s. o.) be¬
ziehbar ist und sonst keine besonderen Vorrichtungen erforderlich sind.
1. D. m. W. 1921 H. 38 S. 1128. — 2. Die photoebem. Grundlagen der Rßntgographie,
Fortschr.d Röntgenstr.6.-3. UeberSchattensummation, Fortschr.d. Röntgenstr.29, H. 1.
Aus der Therapeutischen Hospitalklinik (Direktor: Prof. M. Kont-
schalowsky) und aus dem Röntgenlaboratorium der Hospital¬
kliniken ^Leitender Arzt: Dr. Eisenstein) der II. Staatsuniversität
in Moskau.
Zur Röntgenbehandlung der Hypophysistumoren.
Von Prof. M. Kontschalowsky und Dr. A. Eisenstein.
Die Röntgenbehandlung der Hypophysistumoren ist eine Errungen¬
schaft des letzten Jahrzehnts. Dem ersten im Jahre 1939 mitgeteilten
Fall von Gram eg na folgten im Jahre 1913 4 Fälle von Be cle re.
In den nächsten Jahren erfolgte eine weitere Reihe von Mitteilungen
von günstig mit Röntgenstrahlen behandelten Fällen (Gunsett,
Krecke, Steiger, Strauß, Fleischer und Jüngling u. a.).
Nach der Zusammenstellung von Steiger fanden sich in der Literatur
bis zum Jahre 1920 insgesamt etwa 20 Fälle veröffentlicht, eine Zahl,
die besonders in Anbetracnt der mächtigen Entwicklung der Röntgen¬
tiefentherapie in den letzten Jahren als verhältnismäßig gering an¬
gesehen werden darf und weitere Veröffentlichungen auf diesem Ge¬
biete als zweckmäßig erscheinen läßt. Deshalb halten wir uns für
berechtigt, auch den von uns mit Röntgenstrahlen behandelten Fall
von Hypophysistumor mit Akromegalie mitzuteilen, um so mehr, als
unser rall einige Besonderheiten bietet, die die Frage der [Dosierung
der Röntgenstrahlen bei dieser Krankheit in einer bestimmten Rich¬
tung beleuchten.
Es handelt sich um eine 32 Jahre alte Hebamme, die im Mai
1920 aus der Universitäts-Augenklinik (Direktor Prof. Auerbach)
Digitized b'
Google
Original from
C0RNELL UNfVERSITY
2. Juni 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
723
mit Klagen über zunehmende Sehschwache, Kopfschmerzen, Ver¬
größerung des Gesichts und der Extremitäten der Therapeutischen
Klinik zugewiesen worden ist.
Anamnese: Vor 11 Jahren trat nach heftigen Kopfschmerzen Be¬
wußtlosigkeit, die 12 Stunden dauerte und von Krämpfen begleitet
worden war, ein. Man soll damals auch Eiweiß im Urin konstatiert haben.
Vor 3 Jahren, mit 29 Jahren, blieben die Menses ganz aus und
traten vor kurzem nach Ovarinbehandlung einmal wieder auf. Seit
dem gänzlichen Ausbleiben der Menses sind die Kopfschmerzen häu¬
figer und heftiger geworden. Seit etwa 6—7 Jahren merkte Patientin
eine immer zunehmende Vergrößerung des Gesichts und der Ex¬
tremitäten. Seit 2 Jahren stellte sich eine zunehmende Sehschwäche
ein, anfangs am rechten Auge, später auch am linken. Seit März 1921
kann Patientin mit dem rechten Auge überhaupt nichts mehr sehen.
Seit etwa 2 Jahren abnormes Durstgefühl (muß selbst nachts viel
trinken).
Status praesens: Eine etwas bleiche mit normal entwickeltem Fett¬
polster 87 kg wiegende Frau mit für Akromegalie typischer Vergröße-
75 Minuten bestrahlt. Was die Größe der dabei verabfolgten Dosis
anbetrifft, so konnte sie mangels jeglichen Dosimeters nicht genau
gemessen werden. Aus der Erfahrung bei anderweitigen Bestrah¬
lungen war uns bekannt, daß bei der oben erwähnten Technik die
Erythemgrenze bei einer Bestrahlungsdauer von etwa 3 Stunden zu
liegen kommt. Danach wird die auf beide Felder insgesamt in einer
Serie verabreichte Dosis etwa die Hälfte der Erythemdosis erreichen,
und trotz dieser nach modernen Begriffen mangelhaften Technik und
geringer Dosis war der Erfolg direkt frappant. Am 3. Tage nach Be¬
ginn der Bestrahlung, nach nur einer Sitzung, erklärte die Patientin,
daß die in der letzten Zeit fast ununterbrochenen Kopfschmerzen
gänzlich verschwunden sind. Dies Ausbleiben der Kopfschmerzen,
guter Schlaf und gutes Allgemeinbefinden hielten auch in den näch¬
sten Tagen an. Wir waren anfangs geneigt, diese Wirkung als eine
rein suggestive aufzufassen. Aber nun, 11 Tage nach Beginn der
Bestrahlung, nach 6 Sitzungen, erklärte die Patientin, daß sie mit dem
rechten Auge, das vollständig blind war, jetzt nach links sehen
könne. Die Augenuntersuchung ergab O. D.: Visus 0,1 (vor der
Fig. 1. Fig. 2. Fig. 3.
Vor der Könige.behandlung. Nachher Röntgenbehandlung. Nach der Röntgenbehandlung.
rung des Gesichts und der Extremitäten. Infolge Vergrößerung des
Unterkiefers sind die Zähne auseinandergerückt. Die Schilddrüse ist
etwas vergrößert. Herz nach links vergrößert, Aorta dilatiert.
Abdomen: Splanchnomegalie, Anteflexio et Atrophia uteri, eine kleine
Zyste am rechten Ovarium. Polydipsia (5 Liter Flüssigkeit täglich),
Polyuria. Im Urin kein Eiweiß, kein Zucker, im Sediment keine ab¬
normen Bestandteile. Wassermann negativ. Nervensystem: Normale
Psyche, Nerven (außer an den Augen, siehe weiter unten) und Re¬
flexe normal. Die Untersuchung auf Vagotonie mit Pilokarpin ergab
ein negatives Resultat. Lumbalpunktion: Erhöhter Druck von 425 mm,
der am Ende der Operation auf 190 mm sinkt. Die Röntgenunter¬
suchung des Schädels zeigt eine deutliche Erweiterung und Zer¬
störung des Türkensattels. Augenuntersuchung am 24. IV. 1920 (Prof.
Auerbach): O. D.: blasse Papilla N. optici, wobei die temporale
Hälfte blasser ist als die nasale. Gesichtsfeld ist auf der Außenseite
bis auf 20° eingeengt. Außerdem konstatiert man eine kleine konzen¬
trische Einengung des Gesichtsfelds für rot, grün und blau. O. S.:
Visus = 0,8. Ausfall der temporalen Gesichtshälfte.
Im Laufe der nächsten Monate wurden die Kopfschmerzen immer
schlimmer, die Sehschwäche nahm zu. Die Augenuntersuchung am
10. III. 1921 ergab: O. D.: Atrophia nervi optici. Visus fast gleich 0.
O. S.: Visus 0,5 mit Korrektion 0,7, Ausfall der temporalen Gesichts¬
hälfte.
Auf Grund der geschilderten Symptome und Untersuchungsergeb¬
nisse konnte kein Zweifel mehr bestehen, daß wir es hier mit einem
Fall von Akromegalie, hervorgerufen durch einen Hypophysistumor,
zu tun hatten. Die Augensymptome waren eine direkte Folge der
Kompression des Schismas durch den Tumor. Die Kopfschmerzen
hatten ihre Ursache in der Erhöhung des intrakraniellen Druckes.
Von anderen endokrinen Drüsen scheinen die Ovarien schon früh
beteiligt zu sein. In Anbetracht des raschen Anwachsens der Krank¬
heitserscheinungen, besonders der Augensymptome, war die Frage
einer operativen Entfernung des Tumors erwogen worden. Die Pa¬
tientin selbst drang darauf, trotzdem sie über die Gefahr der Opera¬
tion unterrichtet war. Bevor aber zur Operation als Ultimun refugium
geschritten wurde, beschlossen wir einen Versuch mit Röntgenbehand¬
lung zu machen, obwohl wir uns von einer derartigen Behandlung
bei den unvollkommenen röntgentechnischen Mitteln, die uns zur
Verfügung standen und die eine Röntgenbehandlung im Sinne der
modernen Tiefentherapie durchzuführen nicht erlaubten, nicht viel
versprachen. Die Technik war folgende: Gleichrichter, Müllersche
Wasserkühlröhre von 9—10 Wehnelt, Filter 3 mm Aluminium, Fokus-
Hautdistanz 22 cm, Belastung 1,0—1,5 MA. Bestrahlt wurden ab¬
wechselnd die rechte und linke Schläfengegend mit einem runden
Bleiglastubus von 5 cm Durchmesser. Zentralstrahl wie bei typischer
Aufnahme der Sella turcica. Jede^ Feld wurde in einer Sitzung
15 Minuten lang bestrahlt. Eine Serie bestand aus 10 Sitzungen, die
etwa 5—10 Tage in Anspruch nahmen. Nach jeder Serie 3—4 Wochen
Pause. Auf diese Weise wurde jedes Feld in einer Serie insgesamt
Behandlung fast =0). O. S.: Vergrößerung des Gesichtsfeldes. Die
Besserung des Sehvermögens schreitet immer fort. Vom Ende April
bis Oktober waren 5 Serien verabfolgt. Die Resultate der Behand¬
lung kann man aus den vorstehenden Gesichtsfeldtafeln vor und
nach der Behandlung ersehen. Während der ganzen Zeit erfreute
sich Patientin eines guten Wohlbefindens und litt nur selten an Kopf¬
schmerzen. Die akromegalischen Symptome blieben unverändert. Da
trat plötzlich am 13. Oktober — 11 Tage nach Beendigung der
letzten Röntgenserie — bei der Patientin ein Anfall auf, den ich
besonders hervorheben möchte. Nach äußerst heftigen Kopfschmerzen
traten im Laufe von wenigen Stunden 2 typische epileptische An¬
fälle auf: tonisch-klonische Krämpfe, begleitet von Bewußtlosigkeit,
Zungenbiß und unfreiwilligem Urinabgang. Die Störung blieb auf
diese zwei Anfälle beschränkt und wiederholte sich im Laufe der
nächsten Woche nicht mehr. Es stellte sich wieder gutes Allgemein¬
befinden ein. Auf die Augensymptome blieben diese Anfälle ohne
Einfluß. Die eingehende neurologische Untersuchung förderte nichts
Besonderes zutage.
Es drängt sich uns unwillkürlich der Gedanke- auf, ob nicht
diese Anfälle in irgendwelcher Beziehung zu der vor kurzem vor¬
genommenen Röntgenbehandlung ständen. Nun scheint die all¬
gemein herrschende Auffassung, daß die Nervussubstanz kaum radio-
sensibel ist, dagegen zu sprechen. Es sind aber in der letzten
Zeit in der Literatur Tatsachen veröffentlicht, die uns dazu zwingen,
die Auffassung von der Unempfindlichkeit des Nervensystems Röntgen¬
strahlen gegenüber einer Prüfung zu unterwerfen. Ich möchte erstens
auf die Arbeit von Lenk 1 ) hin weisen, der bei der Behandlung der
Epilepsie mit Bestrahlungen des Gehirns nach anfänglicher Besse¬
rung eine starke Verschlimmerung konstatierte und deshalb vor der
Röntgenbehandlung der Epilepsie direkt warnt. In zweiter Linie
kommen die experimentellen Ergebnisse von Brunner und
Schwarz 2 ) in Betracht, die bei Bestrahlungen des Gehirns bei jungen
Tieren regelmäßig das Auftreten von epileptischen Krämpfen konsta¬
tierten, an denen die Tiere zugrundegingen. Die Obduktion ergab
eine Hyperämie des Gehirns mit Erhöhung des intrakraniellen Druckes.
In seinem Vortrag auf dem letzten Röntgenkongreß 1921 meint
O. Strauß 3 ), der die Röntgenbehandlung der Epilepsie als Erster
empfohlen hat, daß bei der Verschlimmerung in den Fällen von Lenk
vielleicht auch eine Hyperämie des Gehirns eine Rolle spielen könnte,
wodurch eine verstärkte Krampfbereitschaft entstehen könnte. Strauß
vermutet, daß in den Fällen von Lenk die applizierten Dosen viel¬
leicht zu groß waren, und meint, man soll nur Dosen geben, die die
Reflextätigkeit des Krampfzentrums herabsetzen. Allerdings ist diese
Dosis noch nicht näher erforscht.
Wie wir sehen, ist der Satz von der Unempfindlichkeit des
Gehirns Röntgenstrahlen gegenüber mindestens noch zweifelhaft,
und das mahnt uns zur Vorsicht in bezug auf die Dosierung
1) M. m. W. 1920 Nr. 25. - •) W. kl. W. 1918 Nr. 21. - •) Verh. D. Röntg.-Oes. 12,
Digitized by
Google
Original from
CORNELL UNiVERSITV
724
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 22
in denjenigen Fällen, wo das Gehirn von Röntgenstrahlen ge- I
troffen wird. Wir leben jetzt in einer Zeit, wo Intensivtherapie |
das Losungswort ist. Aber man ist, wie es scheint, leicht ge¬
neigt, die Methode der Intensivtherapie, die speziell zur Bekämp¬
fung des Karzinoms ausgearbeitet worden ist, kritiklos auf alle
anderen radiotherapeutisch zu behandelnde Fälle zu übertragen. Es
häufen sich schon die Fälle, in denen diese unangebrachte Intensiv¬
therapie ungünstige Resultate ergab, und auf dem letzten Röntgen¬
kongreß mahnte Holzknecht 1 ) eindringlich zur Rückkehr zu den
mittleren und kleinen Teildosen bei nichtkarzinomatösen Affektionen.
Wenn wir die Literatur über die Röntgenbehandlung der Hypophysis¬
tumoren durchsehen, können wir auch hier das Bestreben, immer
größere Dosen zu verabreichen, konstatieren. Gramegna bestrahlte
1909 noch ohne Filter durch den Mund und erzielte, wenn auch nur
vorübergehenden Erfolg. Be eiere erzielte 1913 in 4 Fällen dauern¬
den Erfolg bei 4 Feldern mit nur 3 h durch 1 mm Aluminium gefil¬
terter Strahlen pro Feld. Mit der Zeit wachsen die Dosen. Strauß
gibt schon 15 H pro loco, und in der Publikation von Fleischer und
lüngling 2 ) (1918) haben wir schon vor uns eine typische Intensiv¬
bestrahlung: 37,5 parallele Funkenstrecke, 0,5 Zinkfilter, 3 Felder,
80—90°/o der Erythemdose pro Feld mit insgesamt 75o/o in der Tiefe.
Daß die Adenome der Hypophysis stark radiosensibel sind und daß
man deshalb mit kleinen Dosen auskommen kann, beweisen die Fälle
von Gramegna, Beclere und auch der unserige. In allen diesen
Fällen trat eine Besserung schon nach den ersten Sitzungen ein. In
Anbetracht dieser hohen Radiosensibilität einerseits und der Mög¬
lichkeit, durch Ueberdosierung eine Reizung des Gehirns hervorzurufen,
anderseits, halten wir die Intensivtherapie bei Hypophysistumoren für
unangebracht und sogar schädlich. Eine derartige Intensivtherapie
wäre nur imstande, die sonst bei dieser Affektion so erfolgreiche
Methode zu diskreditieren. Außer der Verkleinerung der Dosis wäre
es vielleicht auch empfehlenswert, nach den ersten Serien die Pausen
immer länger zu nehmen, denn wie in den Fällen von Lenk so
auch in unserem Falle traten die Reizerscheinungen erst nach
mehreren Serien auf. Im übrigen sind wir der Meinung, daß in
jedem Falle von Hypophysistumor, bevor man zur Operation schreitet,
unbedingt der Versuch mit Röntgenbehandlung gemacht werden soll.
Die Versuche der operativen Entfernung der Hypophysistumoren er¬
geben zur Zeit noch eine sehr hohe Mortalität, und sogar bei über¬
standener Operation sind Rezidive nicht selten, da es in vielen Fällen
überhaupt nicht gelingt, den ganzen Tumor zu entfernen. Daher
ist die Röntgenbehandlung, die bei vorsichtiger Technik ungefähr¬
lich ist und meistens gute Resultate zeitigt, vorzuziehen. Nur in den
Fällen, in denen die Röntgenbehandlung erfolglos bleibt (meistens
handelt es sich um Kolloidzysten) und die Augensymptome und die
heftigen Kopfschmerzen bedrohlich werden, soll als Ultimum refugium
zur Operation geschritten werden.
Aus der Hautklinik der Universität in Bonn.
(Direktor: Prof. E. Hoffmann.)
Vorkommen und Bedeutung der Qitterfasern bei syphi¬
litischen und anderen Hautkrankheiten 3 ).
Ein Beitrag zur Ei klärung der Härte des Primäraffektes.
Von Priv.-Doz. Dr. E. Zurhelle, Oberarzt der Klinik.
Die Zahl der neuen Befinde ist in der Wissenschaft jedesmal er¬
heblich angeschwollen, wenn es gelungen war, durch neue Unter¬
suchungsmethoden neue Wege zu eröffnen.
Es erschien deshalb reizvoll, die von Maresch (1) modifizierte
Versilberung des Bindegewebes nach Bielschowsky, wie sie von
Maresch und später von Kon (2) bei Untersuchungen der Gitter¬
fasern der Leber angewendet worden war, systematisch bei dermato¬
logischen Prozessen zur Anwendung zu bringen. Durch diese Me¬
thode gelingt es, die feinsten Bindegewebsfibrillen, die sog. Gitter¬
fasern, darzustellen, deren Vorhandensein sich bei Anwendung son¬
stiger Bindegewebsfärbemittel kaum erkennen läßt.
Die Natur der durch diese Versilberung darstellbaren Gitterfasern
ist noch nicht ganz geklärt.
Rößle und Yoshida (3) haben das Gitterfasergerüst derLymph-
drüsen unter normalen und pathologischen Verhältnissen an 140
Drüsen von 66 verschiedenen Fällen eingehend studiert. Ihre Ergeb¬
nisse seien zur Orientierung auszugsweise wiedergegeben:
In den Lymphdrüsen sind die im wesentlichen gitterförmig an¬
geordneten Fasern samt ihren Bildungszellen als eine Vorstufe des
leimgebenden Bindegewebes anzusehen. Sie bestehen wahrscheinlich
aus Hyalin und sind als ein Sekretionsprodukt der Gitterfaserbildungs¬
zellen anzusprechen. Uebergänge zu kollagenen Fasern sind schon
unter normalen Verhältnissen (in Trabekeln und Drüsenkapsel) fest¬
zustellen. Besonders reichlich treten sie bei entzündlichen Vorgängen
auf, wobei unter lebhafter Wucherung der GitterfaserbildungszeHen
von diesen Gitterfasern und infolge einer Metaplasie (Prosoplasie im
Sinne Schriddes) kollagene Fasern gebildet werden. Die ruhenden
*) Verb. D. Rönte.-Ges. 12. — •) Strahlentherapie 9 — *) Vortrag mit Demonstra¬
tionen, gehalten ln der Sitzung der Niederrheinischen Gesellschaft für Natur- und
Heilkunde am 31. X. 1921.
Retikulumzellen (Gitterfaserbildungszellen) sind von Endothelien der
Lymphräume nicht zu unterscheiden, die wuchernden sind identisch mit
den sog. epitheloiden Zellen (bei Tuberkulose) und mit Fibroblasten.
Wo im richtig behandelten Maresch-Präparat die Fasern braun
sind, müssen in Gieson-Präparaten rötliche Bündel vorhanden sein.
Von dem prächtigen schwarzen Gitterwerk der Gitterfasern dagegen
ist in Gieson-Präparaten ebenso wie im Hämatoxylin-Eosin-I J räpa-
raten nichts oder kaum etwas zu sehen.
Die Gitterfasern haben nichts mit elastischen Fasern zu tun. Das
Paradigma für die echte diffuse Sklerose der Gitterfasern sind die
verhärteten syphilitischen Lymphdrüsen, am meisten dann, wenn die
gewöhnlichen Bindegewebsfärbungen die bedeutende Konsistenz¬
zunahme nicht im mindesten erklären.
Solche diffusen Hypertrophien des Gitterfasergerüstes sind außer
bei Syphilis nicht häufig. Sie wurden von Rößle und Yoshida in
Mesenterialdrüsen bei lange verschlepptem Typhus, in Achseldrüsen
bei Sepsis gefunden.
Fig. 1. Fig. 2.
Ausschnitt aus einem Primäraffekt.
Maresch-Färbung. Vergr. 100 fach. Enges
Netzwerk vorwiegend konzentrisch ge¬
schichteter und perivaskulärer Gitterfasern.
Gitterfasernetz in der Umgebung einer
Arterie im Rande eines tertiär-syphi¬
litischen Geschwürs. Maresch-Fär¬
bung. Verg. wie bei Fig. 1. Man be¬
achte die zierliche Zeichnung der Git¬
terfasern, welche an Zahl, Dichte und
Stärke bei weitem hinter denjenigen
im Primäraffekt Zurückbleiben.
Besonders beachtenswert erschien mir folgende Zusammenfassung
in der Arbeit von Rößle und Yoshida: „Die Methode der Ver¬
silberung des feinsten Stützgewebes der Organe wird noch für andere
Organe angewendet werden können; insbesondere dürfte sie immer
von Nutzen sein, wenn es sich darum handelt, bisher dunkle Fälle von
Konsistenzzunahme und pathologischer Lockerung von Geweben auf¬
zuklären.“
In der Technik folgte ich Schmorl (4). Die in Formalin fixierten
Stücke werden in Paratfin eingebettet. Die möglichst dünnen, auf den
Objektträger aufgeklebten Schnitte wurden nach Entfernung des
Paraffins auf 24—48 Stunden in eine 2<y 0 ige Höllensteinlösung über¬
tragen und dann, ohne daß ich auf Einzelheiten näher eingehen will,
mit ammoniakalischer Silberlösung, Formalin, Goldchlorid, Fixier¬
natron nachbehandelt. Zwei Punkte erscheinen mir für die Technik
noch von großer Wichtigkeit.
Einmal die Angabe von Maresch, daß man auch Paraffinblöcke
von alkoholfixiertem Material verw enden kann, wenn man die Schnitte
zunächst auf einige Stunden in eine stärkere (etwa lOo/oige) Formol-
lösung überträgt. Ohne diesen Kunstgriff läßt sich bei alkonolfixiertem
Material eine Versilberung nicht erzielen.
Zweitens kombinierte ich, einer Anregung von Prof. Hoffmann
folgend, die Maresch-Färbung mit einer van Gieson- Nach¬
färbung. Die Gitterfasern bleiben dabei völlig schwarz, das kol¬
lagene Gewebe nimmt die Rotfärbung so gut an, als ob gar keine
Silberbehandlung stattgefunden hätte. Man hat eher den Eindruck,
als ob die Rotfärbung der Fasern noch distinkter wäre als ohne vor¬
hergegangene Silberbehandlung. Sehr prächtige Bilder ergaben bei
dieser Doppelfärbung Uebergänge von Gitterfasern in kollagene Sub¬
stanz, im Sinne einer Prosoplasie. Es findet sich an dieser Stelle ein
Nebeneinander von Schwarz und leuchtendem Rot.
Eigene Untersuchungen. Meine eigenen Untersuchungen
waren zunächst von dem Verlangen diktiert, die bisher nicht völlig er¬
gründete Härte des Primäraffektes mittels der neuen Methode auf¬
zuklären.
Nachdem der Gehalt an Gitterfasern bei Syphilis I in einer die
Erwartungen fast übertreffenden Weise festgestellt war, lag es nahe,
auf Untersuchungen von Syphilis II und III überzugehen. Da auch
diese infiltrativen Prozesse mit einer Vermehrung der Gitterfasern
einhergehen, richtete sich das Augenmerk auf andere chronische Er¬
krankungen infektiöser Aetiologie (Lepra, Lupus vulgaris) sowie chro¬
nische Dermatosen überhaupt (Psoriasis, Lichen ruber, Lupus ery¬
thematodes), ferner auf Erkrankungen, die mit auffallender Härte ein¬
hergehen (Sklerodermie, Keloide), chronische Wucherungen (Papillome,
Kankroid) und endlich allen diesen chronischen Prozessen gegenüber
auf akut eitrige Krankheitsprozesse (Furunkel, Karbunkel) und Ulcus
molle. Während ich die syphilitischen Effloreszenzen selbst exzidiertc,
Digitized by
Gck igle
Original ffofn
CORNELL UNIVERSUM
2 Juni 1Q22
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
725
wäre es mir nicht möglich gewesen, das gesteckte Ziel in der an*
gewendeten Zeit zu erreichen, wenn Herr Prof. Hoff mann mir
nicht in liebenswürdigster Weise gestattet hätte, für die Kontroll-
untersuchungen seine reichhaltige Paraffinblocksammlung zu benutzen.
Es wurde lediglich formalinfixiertes Material verwendet, außer der
Maresch-Färbung wurde nach van Oieson, mit Hämatoxylin-
Eosin, mit Weigerts Orcein und nach Pappenheim gefärbt.
Bei der Projektion meiner Bilder beginne ich mit dem Primär¬
affekt, dessen Härte bisher eine völlige Klärung nicht erhalten hatte.
Man wußte, daß zunächst eine perivaskuläre Infiltrat- oder Plas-
mom-, später auch Fibrombildung einsetzt. Es lag aber in den bis¬
her angewendeten Färbemethoden begründet, daß das Vorhandensein
eventuell vermehrter ganz feiner Bindegewebsfibrillen, der besproche¬
nen Gitterfasern, verborgen bleiben mußte. So kam es, daß eine Er¬
klärung für die Härte des Primäraffektes im Stadium der Infiltration,
vor Auftreten der bisher nachweisbaren fibrösen Prozesse ausstand,
sodaß eine besondere Beschaffenheit der Oedemflüssigkeit, ein spezi¬
fisches Verhalten des Exsudates hypothetisch herangezogen wurde,
um diese unerklärliche Härte zu deuten.
Die systematische Anwendung der Maresch-Fär¬
bung bei pathologischen Hautprozessen hat, wie ich es Ihnen zum
Teil durch 30 Photogramme belegen konnte, nach meinen Unter¬
suchungen zu folgenden Ergebnissen geführt: Die bisher un¬
bekannte Komponente der Härte des syphilitischen Primäraffektes wird
in erster Linie durch feinste Bindegewebsfibrillen (sog. Gitterfasern)
gebildet. Sie begleiten die syphilitische Infiltratbildung, finden sich
zunächst, wie die Infiltrate, perivaskulär und bilden sich in älteren
Schankern kollagen um; dieser Umwandlungsprozeß läßt sich beson¬
ders gut an solchen Präparaten studieren, bei denen an die Maresch-
Färbung eine Nachfärbung nach van Gieson angeschlossen wird.
Auch die Infiltrate bei sekundären und tertiären syphili¬
tischen Prozessen gehen mit Bildung von Gitterfasern einher, die
ganz besonders die Gefäße umgeben, hier aber bei weitem nicht die
Zahl, Dichte und Stärke erlangen, wie bei ihrem konzentrisch ge¬
schichteten Auftreten um die Oefäße des Primäraffektes. Ein Fall
von Lues maligna, bei der ja nicht selten auch sonst die Abwehr¬
reaktion des Körpers, z. B. in den Lymphdrüsen, versagt, zeigte einen
auffallend geringen Gehalt an Gitterfasern.
Die Gitterfaserbildung entspricht in ihrem Auftreten bei syphili¬
tischen Prozessen zeitlich der Plasmazellenbildung. In dem Maße, wie
die Plasmazellen in älteren Infiltraten schwinden, treten auch die
Gitterfasem unter Umbildung in kollagene Fasern zurück; diese Um¬
bildung nimmt im Papillarkörper dicht unterhalb der Enidermis ihren
Anfang. Die Gitterfasern stellen sehr läsible Gebilde dar, die in ge-
schwürigen (nekrotischen) Prozessen sehr frühzeitig ihren Untergang
finden und auch in der Mitte kleiner Infiltrate mitunter nicht mehr
nachweisbar sind. Bei einem Falle von syphilitischer Rezidiverkran¬
kung mit Riesenzellenbildung konnte das Eindringen einer Gitterfaser
in eine Riesenzelle festgestellt werden. Es besteht die Möglichkeit,
daß bestimmte Formen von Gitterfasern als Fremdkörper wirken und
neben anderen Faktoren die Riesenzellenbildung begünstigen.
Eine ähnliche Bildung von Gitterfasem konnte nachgewiesen wer¬
den bei experimenteller Syphilis (Kaninchen-Primäraffekt von einem
nach van Gieson scheinbar eigenartig ödematösen Bau, Keratitis
syphilitica) und in syphilitischen Lymphdrüsen; auch bei den Drüsen
zeigte es sich, daß die Gitterfaserbildung in der Primärperiode
diejenige der sekundären Periode bei weitem übertrifft, was
vielleicht Rückschlüsse erlaubt auf das Verhalten, innerer Organe, die
bisher nach Mare sch nicht untersucht wurden. Gitterfasern finden
sich ferner bei chronischen Infektionskrankheiten (Lepra,
Lupus vulgaris), bei chronischen Dermatosen (Lupus ery¬
thematodes, Psoriasis vulgaris, Lichen ruber), bei Papillom- und
Kankroidbildung und bei Ulcus molle elevatum. Hierzu sei
erwähnt, daß bereits Rößle und Yoshida die Metastasierung von
Karzinom in Lymphdrüsen als einen Anreiz zur Gitterfaserbildung fest¬
stellen konnten.
Es fehlen die Gitterfasern nach meinen bisherigen Unter¬
suchungen trotz abnormer Härte des klinischen Krankheitsprozesses
bei Sklerodermie und Keloiden. Hier handelt es sich lediglich
um eine Verdichtung des kollagenen Gewebes.
Bei akut eitrigen Prozessen findet sich trotz des Fehlens
von Plasmazellen eine starke Bildung von Gitterfasem in der infiltrativ
fortschreitenden Zone, während sie im Abszeß selbst, ähnlich wie bei
syphilitischen nekrotischen Prozessen, völlig fehlen.
Ueber das Wesen der Oitterfasern läßt sich nach meinen
Untersuchungen nicht viel Neues sagen. Wir wissen, daß sie sich
kollagen umwandeln können, und es ist wahrscheinlich, daß die Bil¬
dung der bekannten Abszeßmembran das Endstadium einer durch die
Gitterfasern eingeleiteten Schutzfunktion des Körpers darstellt. Wir
müssen ferner festhalten, daß ein Reiz, welcher eine Vermehrung der
Lymphozyten ziu* Folge hat, fast immer auch eine erhöhte Tätigkeit
der Gitterfaserbndungszellen mit sich bringt. Diese Prozesse sind also
koordinierte Abwehrreaktionen. In dem Maße, wie das Gitterfaser¬
netzwerk sich kollagen umwandelt und die Lymphozyten verdrängt,
tritt der rein bindegewebige Prozeß in den Vordergrund gegenüber
dem zellulären. '
Sicher ist, daß der Nachweis der Gitterfasern manche Fälle von
bisher dunkler Konsistenzvermehrung klären hilft, wobei jedoch zu
beachten ist, daß auch die als weich bekannten Lupusknötchen mit
einer Vermehrung von Gitterfasern einhergehen. Wie wir aber bereits
sahen, finden sie bei nekrotischer Umwandlung frühzeitig ihren Unter¬
gang; dies mag die Weichheit des lupösen Gewebes erklären.
Meine kurzen Ausführungen mögen Ihnen gezeigt haben, daß man
bei der systematischen Anwendung der Maresch-Färbung in der
Dermatologie ein Neuland betritt, das bei jedem Schritt dem Auge
und der Erkenntnis neue Perspektiven eröffnet hat und wohl auch
weiter eröffnen wird.
1. 7h1 f. Path. 1905,16. S. 641. - ?. Arch. f. Entw. Mech. 1906,25, S. 492. - 3. Zieglers
Beitr. 1909,45, S. 110 - 4. Untersuchungsniethoden 1914 7. Aufl.
Die ausführlichen Protokolle mit zahlreichen Photogrammen erscheinen in der
Denn. Zschr. 1922.
Aus der Chirurgischen Abteilung des Augusta-Hospitals in Berlin.
Volvulus des gesamten Dünndarms 1 ).
Von Dr. E. Hey mann. Dirigierender Arzt.
Bei der Ausführung von Laparotomien sind wir bisweilen erstaunt
darüber, ausgedehnte Verwachsungen, Verschlingungen und Verlage¬
rungen zu finden, ohne daß diese dem Kranken irgendwelche Stö¬
rungen verursacht zu haben brauchen. Ganz besonders betreffen
solche Veränderungen den Dünndarm. Daraus geht hervor, daß die
freie Beweglichkeit des Darmes und des Gekröses ohne Schaden
für die Darmwand in hohem Maße eingeschränkt sein kann. Es
ist bekannt, daß es zu Störungen nur dann kommt, wenn die Er¬
nährung der Darmschlingen infolge von Gefäßschädigung des Darmes
oder des Mesenteriums gefährdet wird.
Bei den beiden Kranken, die ich Ihnen nunmehr vorstellen
möchte, fanden sich Lageveränderungen des Dünndarmes ziemlich
erheblicher Art vor. So deutlich sie freilich bei der Laparotomie,
die aus anderen Gründen vorgenommen wurde, erschienen, so wenig
sind sie vorher vermutet oder gar erkannt worden. Mit der Ver¬
lagerung war eine Drehung verbunden, doch war eine Abschnürung
des Mesenteriums und der in ihm verlaufenden Gefäße nicht erfolgt,
sodaß es weder zum Ileus noch zu einer Schädigung der Dünndarm¬
wand gekommen war. Aber unzweifelhaft wäre dieser übliche Aus¬
gang der Darmverschlingung in Kürze zu erwarten gewesen.
Ueber den ersten Kranken, der wegen eines Ulcus duodeni
operiert wurde, enthält die Krankheitsgeschichte folgende Angaben:
Der 31jährige Bahnbeamte Z. erkrankte im Frühjahr 1915 im
Felde an Schmerzen in der linken Oberbauchgegend und an häufigem
Erbrechen. Er glaubte, daß er sich sein Leiden infolge von Ueber-
anstrengungen als Schaffner bei der Eisenbahn zugezogen hätte.
Er bezeichnet sich selbst als sehr nervös, hat sich viel geärgert
und war leicht aufgebracht und zornig. Wegen seines Magenleiaen9
wurde er damals und später wiederholt in Krankenhäusern behandelt,
nachdem er stets zwischendurch Besserungsperioden durchgemacht
hatte. Als er darauf aufmerksam gemacht worden war, will er
wiederholt im Stuhl Blut bemerkt haben. Nach einer Malariaerkran¬
kung im März 1918 verschlimmerte sich sein Leiden ständig, bis er
schließlich, da er arbeitsunfähig geworden war, auf Veranlassung
seines Arztes zur Operation ins Augusta-Hospital geschickt wurde.
Hier gab er an, niemals an Auftreibungen des Leibes oder be¬
sonders hartnäckiger Verstopfung gelitten zu haben. Nachts wären
die Schmerzen oftmals unerträglich; Nahrungsaufnahme hätte ihm aber
niemals Erleichterung, viel eher eine Zunahme seiner Schmerzen
gebracht. Den Hauptschmerz verlegte er stets nach links oberhalb
vom Nabel, häufig strahlte er nach dem Rücken und nach oben aus.
Die übrige Anamnese des aus gesunder Familie stammenden Kranken
war belanglos; seit seiner Kindheit wäre er niemals krank gewesen.
Die Untersuchung fiel ziemlich negativ aus; die Bauchdecken
waren etwas stärker als üblich gespannt, die Betastung der Ober¬
bauchgegend links empfand er schmerzhaft. Er war auffallend mager
geworden und wog nur mehr 108 Pfund. Aus dem nüchternen Magen
wurde ein Rest von 80 ccm Flüssigkeit, die zur Hälfte aus Speise¬
brei bestand, ausgehebert; die freie HCl betrug 35, die Gesamt-
aziditä-t 47. Im entnommenen Probefrühstück waren etwa 100 ccm
Flüssigkeit vorhanden, mit einer freien HCl von 41 und einer
Gesamtazidität von 59. Mikroskopisch fiel die Masse der Sarzine
auf. Blut konnte trotz wiederholter Untersuchungen niemals im
Stuhl nachgewiesen werden. — Vor dem Röntgenschirm und auf
dem Bilde zeigte sich ein steilstehender, ziemlich schmaler Magen
mit tiefen peristaltischen Wellen, offnem Pylorus, nach rechts oben
verzogenem Duodenum, Dauerbulbus und verzögerter endgültiger
Entleerung. ' y
Bei der Operation, die ich am 31. X. 1921 ausführte, fand ich
zunächst das erwartete Ulcus duodeni, das wie gewöhnlich an der
Narben- und Strangbildung am Ansatz des Ligamentum hepato-
duodenale deutlich erkennbar war. Um seine Resektion auszu¬
führen, begann ich wie immer mit der Mobilisierung des absteigen¬
den Duodenalteiles, dessen Spitze weit nach oben und nach rechts
verzogen war, wie dies häufig infolge von adhäsiven Vorgängen
beim Ulcus duodeni der Fall ist. Dabei fiel mir auf, daß das Colon
ascendens nicht sichtbar war, dagegen Dünndarmschlingen in großer
Zahl immer wieder ins Operationsgebiet eindrangen. Sie waren
stärker gebläht, als dies sonst, wenn die Kranken zur Vorbereitung
*) Vortrag mit Demonstrationen in der Berliner Qesellsefaaftf für Chirurgie am
9.1.1922.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNÜVERSrrf
726
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 22
der Operation genügend abgeführt haben, der Fall zu sein pflegt.
Während der Mobilisierung des Duodenums erwies sich das Vor¬
drängen der geblähten EXinndarmschlingen, die sich auch durch
Bindentamponade nicht zurückhalten ließen, so hinderlich, daß ich,
um weiter operieren zu können, zunächst die Ursache dieser un-
ewöhnlichen Störung beseitigen mußte. Dabei stellte sich heraus,
aß der gesamte Dünndarm an einem langen Gekröse
in die rechte, obere Bauchhöhle verlagert worden war.
Zökum und Colon ascendens waren zunächst nicht zu finden. Immer
wieder wurde das Querkolon, aber nie der Anfangsteil des Dünn¬
darmes hervorgezogen. Erst, nachdem ich mich entschlossen hatte,
den gesamten Dünndarm vor die Bauchwunde zu lagern, wurden
die anatomischen Verhältnisse klarer. Es zeigte sich zunächst, daß
der Dünndarm nicht allein verlagert, sondern an seinem langen
Mesenterium auch gedreht worden war; doch war diese Drehung
so locker vor sich gegangen, daß es nicht zu Störungen der Gefä߬
versorgung gekommen war. Das Mesenterium erschien im ganzen
etwas verdickt und lederartig, bot aber keine anderen Zeichen der
Ernährungsstörung oder Strangulation. Sobald nun der Dünndarm
entwickelt war, wurden auch das Zökum und Colon ascendens sicht¬
bar. Sie waren nach der Mitte des Bauches verlagert und besaßen
ein breites Mesenterium. Während sich aber für gewöhnlich ein
Zökum und Colon mobile beliebig verschieben lassen, saß hier die
Kuppe des Zökums mit dem Wurmfortsatz an der Gekrösewurzel,
g enauer am Treitzischen Ligament fest. Die derben Narben dieser
iegend sprachen für eine abgelaufene Perityphlitis, über die der
Kranke freilich nichts zu berichten weiß. Um nun den Dünndarm
an seine richtige Stelle nach der Mitte der Bauchhöhle zurückzu¬
bringen, mußten zunächst das Zökum und der Wurmfortsatz gelöst
werden, was durch Exstirpation des Proc. vermiformis und nach
Durchschneidung der festen peritonealen Stränge dieser Gegend er¬
reicht wurde. Das Zökum und Colon ascendens wurden sogar so
frei beweglich, daß sie an ihrem breiten Mesenterium nach oben
geschlagen werden konnten, worauf die Zurücklagerung des ge¬
samten Dünndarmpaketes nach der Mitte der Bauchhöhle keinerlei
Schwierigkeiten mehr bereitete. Bevor dies aber geschah, wurde
die eigentliche Operation, die Resektion des erkrankten Duodenal¬
abschnittes, nach der I. Billrothschen Methode der Magenresektion
beendet.
Die Annahme, daß die einfache Zurücklagerung des Dünndarms
und des Dickdarms an ihre richtigen Plätze genügen würde, um
sie dort zu halten, erwies sich als irrtümlich, denn in wenigen
Minuten wälzten sich Dick- und Dünndarm wieder in ihre fehler¬
hafte Lage zurück. Um die richtige Lage dauernd zu erreichen, war
es notwendig, Colon ascendens und Zökum mit einigen Nähten an
die laterale Bauchwand zu fixieren. Auf eine Raffung des Dünn¬
darmmesenteriums habe ich verzichtet.
Die Heilung verlief glatt und ungestört, sodaß der Kranke nach
etwa drei Wochen aus dem Krankenhaus entlassen werden konnte.
Nachher hat er im ganzen 23 Pfund, davon in der ersten
Woche 6, in der zweiten 5, in der dritten 7 und in der vierten
5 Pfund zugenommen. Er kann alles essen, auch die Menge stört ihn
nicht. Er ist vollkommen arbeitsfähig geworden und hat niemals
die geringsten Störungen wieder bemerkt. Stuhlgang erfolgt regel¬
mäßig, die Obstipation ist geschwunden.
Die Röntgennachuntersuchung am 3. I. dieses Jahres ergab einen
steilen, gut gefüllten Magen mit großem Fassungsvermögen, nicht
sehr tiefer Peristaltik und einem pylorusähnlichen Uebergang zum
Duodenum, in das der Brei erst nach etwa drei Minuten übertrat
und in dem er in großen Schüben peristaltisch weiterbefördert wurde.
Zwei Stunden später war ein schmaler, sichelförmiger Rest im
Magen vorhanden, der Brei im übrigen vollständig in den Dünn¬
darm übergetreten. Vor dem Schirm war deutlich zu sehen, daß
der Dünndarm sich in der Mitte der Bauchhöhle befand, also seine
normale Lage beibehalten hatte. Nach weiteren zwei Stunden waren
Zökum uncl Colon ascendens gefüllt. Beide Darmteile lagen seit¬
lich an der Stelle, wo sie am Ende der Operation angeheftet worden
waren. Der Dünndarm war zu dieser Zeit bereits leer und im Magen
lediglich ein schmaler Spalt mit Breirest geblieben. Sechs Stunden
nach der Breimahlzeit war auch dieser letzte Rest aus dem Magen
verschwunden; aber auch Zökum und Colon ascendens waren leer
und der gesamte Brei in das Querkolon und das Colon descendens
übergetreten.
Nach dem Gesetz von der Duplizität der Fälle war es nicht er¬
staunlich, daß ich wenige Tage später bei einem anderen Kranken
sehr ähnliche Verhältnisse in der Bauchhöhle vorfand. Es handelte
sich um einen 20jährigen Mechaniker, den Herr Dr. Bochynek
mit der Diagnose Duodenalstenose ins Krankenhaus geschickt
hatte und bei dem gleichfalls eine Verlagerung des Dünndarms in
die rechte obere Bauchhälfte und ein beginnender Volvulus als
Nefcenbefund bei der Operation gefunden wurde.
Die wichtigsten Daten aus der Krankengeschichte sind folgende:
Seit einem halben Jahr fühlte sich der sonst kräftig entwickelte
junge Mensch matt und litt oft an unbestimmten Brust- und Bauch¬
schmerzen. Etwa drei Wochen vor der Aufnahme erkrankte er plötz¬
lich an lebhaften Schmerzen in der linken Oberbauchgegend und
rechten Leistenbeuge. In der linken Achselhöhle bildete sich eine
schmerzhafte Drüse, die aber wieder zurückging. Das Allgemein¬
befinden war sehr elend, er klagte damals über Kopfschmerzen und
Frost, war völlig appetitlos und verstopft. Es kam niemals zum
Erbrechen, aber es bestand häufig Uebelkeit während vieler Stunden.
Dr. Bochynek fand den Leberraud geschwollen und druckempfind¬
lich. — Die Temperatur war stets normal, der Urin dunkel, seine
Reaktion neutral. Morgens enthielt er stets Albumen, abends nicht.
Urobilin und Indikanproben fielen wiederholt stark positiv aus. Im
Zentrifugat fanden sich reichlich Leukozyten. Die Stuhluntersuchung
ergab weder Blut noch Wurmeier. — Im nüchtern ausgeheberten
Magensaft fiel die Kongoreaktion positiv aus, es waren reichlich
Reste der Abendmahlzeit vorhanden. Nach dem Aushebern ließ sich
deutlich Plätschern und Gurren im rechten Epigastrium nachweisen.
Die Röntgendurchleuchtung des Magens zeigte, trotzdem viel von
dem eingenommenen Brei erbrochen worden war, eine gute Fül¬
lungsfigur, mit tiefer Peristaltik und gut funktionierendem Pförtner.
Der Anfangsabschnitt des Duodenums blieb aber dauernd gefüllt.
Als der Kranke anfing sich ikterisch zu verfärben, erfolgte seine
Aufnahme ins Augusta-Hospital am 31. X. 1921. Der Befund war
vollkommen gleich geblieben, nur die Gelbfärbung nahm schnell zu.
Vom After aus konnte nichts Krankhaftes gefühlt werden; der Mast¬
darm war, obgleich der Kranke tagelang nicht abgeführt hatte, leer.
Im rechten Epigastrium waren luftgefüllte Därme vorhanden. Es be¬
standen jetzt Abendtemperaturen bis 37,4 bei rektaler Messung. Die
erneute Röntgenuntersuchung ergab einen sichelförmigen Zehn-
Stunden-Rest im Magen und eine walzenförmige Dauertüllung im
oberen Duodenalteil, dies auch noch zu einer Zeit, als der Brei be¬
reits ins Querkolon und Colon descendens übergetreten war. Außer¬
dem waren an vielen Stellen Breireste im Dünndarm zurückgeblieben;
die Schatten fanden sich auffallenderweise fast alle im rechten
Epigastrium, in der Gegend der Flexura coli hepatica.
Unter der Diagnose Duodenalstenose wurde der Kranke dann
am 2. XI. von mir operiert. In den medianen Laparotomieschnitt
wälzten sich unmittelbar nach Eröffnung der Bauchhöhle von der
rechten Seite her Dünndarmschlingen hervor. Nachdem diese nach
abwärts und nach rechts, von wo sie kamen, zurückgestopft waren,
ließ sich das Duodenum übersehen. Es erschien nicht besonders
gebläht, fühlte sich aber in seinem absteigenden Teil wie ein ent¬
zündlich infiltrierter Darm an. Namentlich in . dem der Papille ent¬
sprechenden Abschnitt war die Wand auffallend starr. Unmittelbar
neben der unteren Hälfte des absteigenden Duodenalteiles lag Dick¬
darm fest angewachsen. Es ließ sich zunächst nicht entscheiden, ob
dies die Flexura hepatica war. Um Klarheit zu schaffen, mußte
der Medianschnitt durch einen queren Schnitt parallel zum Rippen¬
bogen ergänzt werden. Es zeigte sich nun, daß, ähnlich wie bei
dem zuerst vorgestellten Kranken, sich fast der gesamte Dünndarm
an seinem ausgezogenen Gekröse in der rechten oberen Bauchhöhle
verschlungen hatte und daß das Ileum nahe an der Spitze des nach
oben umgeschlagenen Zökums einmiindete. Auch hier bestand neben
der Dünndarmverlagerung eine Drehung des Zökums und des Colon
ascendens um ihre quere Achse. Nach Vorlagern und nach Ent¬
wirrung des Dünndarmpaketes stellte es sich heraus, daß der Pro¬
cessus vermiformis dorsal hinter dem Duodenum festgewachsen war.
Nach Mobilisierung der starr infiltrierten Duodcnalwand ließ er sich
lösen und abtragen. Mit seiner Spitze haftete er in eingedicktem
Eiter und abszeßhaltigen Schwarten. Der letzte Anfall war also noch
nicht abgeklungen. Nunmehr ließ sich auch das Zökum leicht lösen
und gemeinsam mit dem Colon ascendens an ihrem langen Mes¬
enterium beliebig verlagern. Die Dünndarmschlingen wurden in die
Bauchhöhle zurückgebracht und Zökum sowie Colon ascendens mit
einigen Nähten an die hintere Bauchwand fixiert. Auch bei diesem
Kranken zeigten die Dünndarmschlingen immer von neuem das Be¬
streben, in die verkehrte Lage zurückzugleiten, bis sie schließlich,
nachdem die durch Dickdarm- und Bauchwand geführten Fäden
geknüpft worden waren, endgültig daran verhindert werden konnten.
Zosammeofasseiid möchte ich noch einmal betonen, daß bei dem
zuerst vorgestellten Kranken eine fast vollkommene Verlagerung des
Dünndarmes in die rechte Oberbauchhälfte stattgefunden hatte, wäh¬
rend bei dem zweiten Kranken dies nur von dem größten Teil des
Dünndarmes nachgewiesen werden konnte. Bei beiden Kranken war
eine Drehung des Dünndarmes um sein Mesenterium, ferner eine
Verlagerung des Anfangsteiles des Dickdarmes in entgegengesetzter
Richtung erfolgt. Bei beiden Kranken ließ sich die Verlötung des
Wurmfortsatzes und der umgeschlagenen Zökumkunne in der Nähe
des Duodenums an der Gekrösewurzel nur mit Hilfe des Messers
lösen. Die Folgen waren beide Male Veränderungen im Duodenum,
einmal ein seit geraumer Zeit bestehendes Ulcus duodeni, das andere
Mal eine entzündliche Stenose und Insuffizienz dieses Darmteiles.
Dabei soll es vollkommen offen bleiben, wie weit diese Folgezu¬
stände als rein zeitlich oder als ursächlich durch die Verlagerung
bedingt anzusehen waren.
Bei dem zuerst vorgestellten Kranken standen die Erscheinungen
des Ulcus duodeni im Vordergrund. Hätte man die Röntgenunter¬
suchung zweistündlich wiederholt, wozu freilich keine Veranlassung
vorlag, so wäre die Dünndarmverlagerung wohl vor dem operativen
Eingriff erkannt worden. Ob bei dem Fehlen fast* aller klinischen
Erscheinungen die Diagnose auf Volvulus des Dünndarmes gestellt
worden wäre, erscheint mir trotzdem zweifelhaft; denn bei der
Durchleuchtung des zweiten Kranken, die gerade ausgeführt wurde,
als die Operation des ersten unsere Aufmerksamkeit auf solche
Zustände hingelenkt hatte, zeigten sich in der rechten Oberbauch¬
gegend noch nach zehn Stunden die dafür typischen Veränderungen
in Form von fleckförmigen Schattenresten im Dünndarm. Trotzdem
wurde auf den Zehn-Stundenrest im Magen und im Duodenum und
auf den Ikterus das entscheidende Gewicht gelegt und die Diagnose
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
2 Juni 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
727
auf eine Duodenalstenose gestellt, ohne den übrigen Röntgenbefund
genügend zu beachten und zu würdigen.
Wir sind gewohnt, mit dem Begriff Volvulus das Vorhandensein
eines Ileus zu verbinden und aus den Symptomen des Ileus die Diagnose
auf Volvulus zu stellen. Bei dem zuletzt vorgestellten Kranken waren
Anzeichen der Passagestörung im Darm vorhanden, aber es ist
fraglich, ob diese Zeichen, die Uebelkeit, Verstopfung und Indikan-
urie, auf die Insuffizienz des Duodenums oder auf einen beginnenden
Dünndarmverschluß zurückzuführen waren. Da durch den operativen
Eingriff sowohl die Dünndarmverlagerung wie die Duodenalstenose
beseitigt wurden, so sind aus dem Verschwinden der Symptome nach
der Operation Schlüsse nicht zu ziehen. Die Vorzeichen eines Darm*
Verschlusses waren also bei dem zweiten Kranken angedeutet, bei
dem ersten fehlten sie vollkommen. Und doch erscheint es mir
nicht zweifelhaft, daß bei beiden ein echter Volvulus mit allen üblen
Folgen entstanden wäre, wenn bei der aus anderen Gründen er¬
folgen Operation nicht die Anlage dazu zufällig aufgefunden und be¬
seitigt worden wäre.
Auch die allgemein anerkannten Grundbedingungen für das Zu¬
standekommen eines Volvulus waren bei beiden Kranken erfüllt.
Wir wissen von dem am häufigsten beobachteten Volvulus, dem der
Flexura sigmoidea, daß einmal ein freibewegliches Mesokolon vor¬
handen sein und daß zweitens eine Annäherung der beiden Fu߬
unkte dieser Schlinge infolge von narbigen Vorgängen stattgefunden
aben muß. Die mechanische Behinderung der Entleerung, die Ueber-
dehnung und die vermehrte Peristaltik einer in ihrer freien Beweg¬
lichkeit behinderten Schlinge führen schließlich Achsendrehung und
Verschluß herbei. Ein abnorm langes und bewegliches Mesenterium
war bei beiden Kranken vorhanden, bestand doch für Dünn- und
Dickdarm ein Mesenterium commune, wie es bis zum fünften Monat
des fötalen Lebens die Regel, in späterer Zeit dagegen eine Aus¬
nahme ist. Neben dem Coecum mobile war bei beiden ein Colon
mobile vorhanden, während eine Flexura hepatica fehlte.
Die zweite Vorbedingung für das Entstehen eines Volvulus, die
Fixierung der Fußpunkte des beweglichen Mesenteriums, fehlte
gleichfalls nicht, denn der Proc. vermiformis und mit ihm das Zökum
war bei einem Kranken an der Radix mesenterii und bei dem anderen
hinter dem Duodenum fest angewachsen, sodaß die Peristaltik der
Dünndarmschlingen und des beweglichen Kolon-Zökums dort ihren
Widerstand und toten Punkt fand. Die vollkommene Abschnürung
hätte wohl nicht lange auf sich warten lassen.
Man könnte ferner den Einwand erheben, daß bei den beiden
Kranken kein Dünndarmvolvulus, sondern vor allem ein Zökum-
Colon ascendens-Volvulus bestanden hätte. Allein diese Ansicht wäre
irrtümlich. Wenn sie entstanden sein sollte, so ist dies nur auf
Grund der mangelhaften Abbildungen, die ia schematisch entworfen
und nach Abschluß der Operation angefertigt sind, und meiner un¬
vollkommenen Schilderung der anatomischen Verhältnisse möglich,
denn obgleich das Zökum und Colon ascendens aus ihrer richtigen
Lage herausgebracht waren, lag dennoch keine Verlagerung im Sinne
einer Achsendrehung oder Knickung vor. Auch befindet sich beim
Volvulus des Blinddarmes und des aufsteigenden Dickdarmteiles der
Drehpunkt an der Uebergangsstelle zum nächst höheren Dickdarm¬
abschnitt, also meist an der Flexura coli dextra. Adhäsionen,
Knickungen oder andere krankhafte Vorgänge führen zu dieser
Drehung und vollenden sie im Sinne des Wilmsschen Wringver¬
schlusses. Bei den vorgestellten Kranken fand sich dagegen die
Fixation nicht an einem höher oben gelegenen Darmabschnitt, sondern
am Anfang, nämlich am Proc. vermiformis, während das Zökum und
das Colon ascendens sich an ihrem Mesenterium frei bewegen konnten.
Fixiert waren also Anfang und Ende des Dünndarmes, nämlich Wurm¬
fortsatz und Gekrösewurzel, und diese so nahe aneinander, daß
sich der Dünndarm in geblähtem oder gefülltem Zustand mit seinem
Gekröse um diesen Punkt und um das frei bewegliche Colon
ascendens gedreht haben muß.
Frakturheflung undPseudarthrose 1 ).
Von Prof. Dr. M« Zoodek.
Für die Behandlung von Knochenfrakturen ist die Kenntnis der
Regenerationsvorgänge bei der Heilung von praktischer Bedeutung.
Während die Knochenbildung histiologisch von Waldeyer.Gegen-
baur, Schmidt u. a. und makroskopisch an Frakturen nach voll¬
endeter Heilung von Julius Wolff eingehend studiert war,
sind die Strukturveränderungen während der Entwicklung des Kallus,
vom Beginn bis zur Beendigung der Frakturheilung, bis vor wenigen
Jahren nicht beschrieben worden. Auf meine einschlägigen Unter¬
suchungen 2 ) gehe ich hier nur insoweit ein, als sie unter Berück¬
sichtigung einiger neuerer Arbeiten von Botanikern für
die vorliegenden Betrachtungen über Knochenfrakturen und Pseud-
arthrose von Bedeutung sind.
An experimentell erzeugten Frakturen an der Extremität der
Maus hatte ich seinerzeit u. a. Folgendes festgestellt:
% Die Kalluspiasse ist auf der konkaven, auf Druck beanspruchten
Seite größer als auf der konvexen, auf Zug beanspruchten. Der
*) Vortrag, gehalten In der Berliner Gesellschaft für Chirurgie am 13. II. 1022.
•) M. Zondek, Zur Transformation des Knochenkallus. Verl. Aug. Hirschwald,
Berlin 191(X
Kallus ist um so größer, je größer die Dislokation der Fragmente
zueinander ist. 1
Die verschiedenartigen Gewebe des Kallus zeigen eine bestimmte
Anordnung und Transformation, die von der Fraktur abhängig sind.
(Bei einer sechs Tage alten Fraktur ist in der Umgebung der Bruch¬
enden stark gekörntes Rundzellengewebe. Distalwärts nach oben
wie nach unten folgen der Reihe nach Knorpel und osteoides Ge¬
webe.) An der Bruchstelle, der Stelle der größten Druck- oder Zug¬
entlastung, liegt also das weichste Gewebe. Von der Bruchstelle
aus nadi oben und nach unten hin, wo Druck- bzw. Zugentlastung
allmählich abnimmt, wird der Kallus immer fester und widerstands¬
fähiger.
Die weitere Umbildung des Kallus geht in folgender Weise vor
sich. Das Rundzellengewebe, das zwisdien und neben den Bruch¬
enden gelegen ist, wird Knorpel, und das distalwärts gelagerte
Knorpelgewebe wird osteoides Gewebe. Bei der weiteren Entwick¬
lung wird der Knorpel, der in der Umgebung der Bruchenden war,
ebenfalls osteoides Gewebe. Dieses weist noch in den Bälkchen,
besonders in der Nähe der Bruchstelle, eine Zeitlang Knorpelspuren
auf. Schließlich schwinden auch diese Knorpelreste.
Die Umbildung des Kallus zu osteoidem Gewebe erfolgt also
vom Bruchende aus in zentrifugaler Richtung, nach oben wie nach
unten. Ferner auf indirektem Wege; das Rundzellengewebe wird
Knorpel, und dieser wird osteoides Gewebe. Am obersten und unter¬
sten Ende des Kallus dagegen entsteht osteoides Gewebe direkt aus
dem Periost und wächst in zentripetaler Richtung weiter.
Die Umwandlung neben dem oberen Bruchende vollzieht sich
schneller als die neben dem unteren Bruchende.
Der Kallus ist von einem osteoiden, im allgemeinen glatten
Mantel umgeben.
Die gesamte Kallusmasse ist, solange sie im wesentlichen noch
aus ganz dünnen osteoiden Bälkchen besteht, sehr umfangreich. Mit
der Erhöhung der Widerstandsfähigkeit wird der Kallus aber immer
kleiner. Zahlreiche osteoide Bälkcnen schwinden, und die für die
Dauer bleibenden werden immer stärker. Schließlich hat die Fraktur
eine im Verhältnis zur Lage der Fragmente sehr geringfügige Ver¬
dickung erreicht.
Wie bei den geheilten Frakturen, so ist auch während der
Kallusentwicklung die rechtwinklige Kreuzung der Bälkchen zumeist
zu erkennen, ein Befund, in dem J. Wolff eine „Identität des
Knochenbälkchenverlaufs mit dem Verlauf der Spannungstrajektorien
im Sinne der Culmanschen Lehre erblickt“.
Das Bruchende ist, soweit es frei vorsteht, mit einer osteoiden
Schicht überlagert.
Die Wand der Bruchenden ist um so schmäler, je größer die
Druck- bzw. Zugentlastung ist.
Kausalität der Rdgeneratioosrorgliige.
Nach Feststellung der angegebenen Regenerationsvorgänge in
morphologisch-anatomischer Beziehung liegt es nahe, nach ihrer Kau¬
salität zu suchen. Durch die Fraktur des Knochens und die Zerreißung
der umliegenden Gewebe wird ein ganzer Komplex von Einzelbedingun¬
gen für die Regenerationsvorgänge geschaffen, sodaß es unmöglich sein
dürfte, die in Betracht kommenden Reize einzeln in ihrer Wirkungs¬
weise zu erkennen. Begnügen wir uns daher damit, die Reiz¬
vorgänge in einzelne Gruppen zu scheiden und diese ge¬
sondert hinsichtlich der Auslösung und hinsichtlich des Verlaufs des
Regenerationsgeschehens zu betrachten. Zunächst kommt in Betracht
der Wund reiz, die Gruppe von Reizwirkungen, die durch die
Verletzung der Oewebe verursacht werden. Haberlandt 1 ) hat
an isolierten Gewebsstücken pflanzlicher Organe (Kohlrabiknollen,
Kartoffeln usw.) festgestellt, daß die auf die Wundgewebsbildung
hinzielenden neuen Zellteilungen nur dann reichlich auftreten, wenn
die Reste der zerstörten Zellen noch vorhanden sind. Er deutet
dies so, daß von dem verwundeten Protoplasma bestimmte Stoffe
gebildet werden (er nennt sie Hormone, eine Bezeichnung, die
erstmals Bier in seinen grundlegenden Untersuchungen über Re¬
generation eingeführt hat. Bei Knochenfraktur handelt es sich nun
ebenfalls um Verletzung von Zellen, und zwar sehr verschiedenartiger
Gewebe. Die von diesen gebildeten Hormone dürften zur Aus¬
lösung von Zellteilungen und zum Eintritt der Regenerationsvorgänge
führen. Am tierischen Gewebe treten nach Verletzung neben der Zell¬
teilung besonders die verschiedenen Entzündungserscheinun¬
gen auf. Ich will hier nicht darauf eingehen, inwieweit diese den durch
Verletzung verursachten Veränderungen an pflanzlichen Geweben
entsprechen. Bemerkt sei nur, daß am tierischen Gewebe bisher der
ganze Komplex der Entzündungserscheinungen im Zusammenhang
mit den Regenerationsvorgängen betrachtet wurde.
Von einigen Autoren wurde behauptet, daß die Entzündungs-
erscheinungen neben der Knochenregeneration einhergehen, ohne
diese zu beeinflussen. Näher liegt aber, auch im Hinblick auf die
eben erwähnten Untersuchungsergebnisse Haberlandts, die Auf¬
fassung, daß die Entzündung auf die Knochenregeneration einwirkt.
Sie dürfte jedoch meines Erachtens nur den Anstoß zur Knochen¬
neubildung geben, denn die entzündlichen Veränderungen des Periosts
treten in unmittelbarem Anschluß an die Fraktur auf, nach einigen
Tagen ist nichts mehr davon zu sehen; die Wucherung der osteo-
*) Ueber Auslösung von Zellteilungen durch Wundhormone. Sitzungsber. d. preuß.
Akad d. Wissen sch. 1921; Beiti z. allg. Botanik 1921.
□ igitized by Google
Original from
CORUELL UNIVERSITY
728
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 22
genen Schicht des Periosts aber beginnt erst 20 bis 30 Stunden
nach Einsetzen des Traumas, und die gesamte Kallusentwicktung
erstreckt sich über mehrere Wochen hin.
Die Kallusentwicklung geht auch in einer bestimmten Regelmäßig-
keit vor sich. Wir haben gesehen: Die Größe des Kallus hängt von der
Größe der Dislokation ab. Je größer diese ist, desto größer ist der Kallus.
Der Kallus ist auf der Druckseite größer als auf der Zugseite, und
die verschiedenartigen Gewebe zeigten während der ganzen Ent¬
wicklung bis zur Heilung der Fraktur eine bestimmte Anordnung und
Transformation. Man könnte nun diese in qualitativer, quantitativer
und topischer Hinsicht gesetzmäßige Anordnung und Umbildung der
Gewebe als funktionelle Wirkungen ansehen 1 ). Wenn man
diese analysiert und auf physikalische Bedingungen zurückfuhrt, könnte
man der Einwirkung der Muskelkontraktionen, die auch bei Fixation
der Fraktur im Gipsverband und bei Bettruhe nicht aufhören, ferner
der Spannung der übrigen Weichteile in der Umgebung der Fraktur
eine richtunggebende Bedeutung für den Kallus beimessen. Dies
dürfte auch in gewissem Maße der Fall sein. Sicherlich kommt
aber dabei auch anderes in Betracht. Denn die osteoiden Bälkchen
sind bereits an der Stelle des größten Drucks bzw. Zugs zu einer
Zeit ausgebildet, wo das übrige Kallusgewebe noch sehr weich ist.
Ich möchte daher glauben: Nicht allein die funktionelle Inanspruch¬
nahme verursacht diese ganze, den statischen Verhältnissen ent¬
sprechende Anordnung und Umbildung der Kallusmasse während ihrer
Entwicklung, sondern es sind Wirkungen innerer Kräfte, d. h. der
zwischen den einzelnen Geweben bestehenden kor¬
relativen Beziehungen, die auf Anlage und Umwandlung des
Kallus bis zu seiner schließlichen Verknöcherung in einem Sinne ein¬
wirken, der den Gesetzen der Statik und der höchsten Zweckmäßigkeit
entspricht. Ferner ist das frei vorspringende Bruchende mit einem
zunächst rundzelligen, dann osteoiden Dach überzogen. Auch dessen
Richtung und Anordnung ist sicherlich nicht allein durch die Muskel¬
wirkung und Spannung der Haut bedingt. Hier sind vielmehr auch
Wirkungen eines bisher nicht definierbaren Reizes anzunehmen, der
von dem Knochenstumpf selbst ausgeht.
Aus der Menge der Reize, die die Regenerationsvorgänge bei
der Frakturheilung verursachen, dürfte noch eine besondere Gruppe
von Reizen abzutrennen sein. Bei der Fraktur werden verschieden¬
artige Gewebe in der Umgebung der Bruchstelle zerrissen, und die
aus ihnen sich ergießenden Säfte verursachen eine Stauung von
Nährsubstanzen. Diese Stoffstauung dürfte bei der Aus¬
lösung und Ausgestaltung der Regenerationsvorgänge mitwirken. Nach¬
dem dies die Botaniker Sachs, Goebel u. a. für pflanzliche Gewebe
in einer Zahl von Fällen vermutet hatten, hat S. V. S i m o n *) an den
Blattstengeln von Sinningia nachgewiesen, daß durch experimentelle
Stauungen von Kohlenhydraten (Glykose) Neubildungen verursacht
werden können.
Wie aber bei der Neubildung von pflanzlichen Organen nicht
allein das Vorhandensein derNänrsubstanzen entscheidet,
sondern es häufig in erster Linie innere Bedingungen sind, die
die Herstellung der gestörten inneren Ordnung (Vöchting) be¬
wirken, so wird wesentlich die Bildung und Umwandlung des Kallus
bei Knochenfraktur durch innere Kräfte veranlaßt, die soweit wie
möglich auf die Herstellung des morphologischen Gleichgewichts
uncT der Funktion der Extremität gerichtet sind. Die Umbildung
des Rundzellengewebes in Knorpelgewebe, weiter in osteoide Bälk-
chen und ihre Verknöcherung gehen wohl sicherlich im wesentlichen
unter dem Einfluß der inneren Bedingungen der Zellen vor sich,
nachdem ihre regenerative Wachstumsfähigkeit ausgelöst worden ist.
Zu den genannten inneren Bedingungen dürfte dann noch eins
hinzutreten. Wie nämlich bei der normalen pflanzlichen Organbildung
die Nährstoffe dahin strömen, wo Organbildung statt¬
findet, dürften auch hier dem Kallus Stoffe zufließen, die zu seinem
Aufbau bis zur Verknöcherung beitragen.
Klinische Bedeutung.
Aus den vorliegenden Betrachtungen ergibt sich in klinischer
Hinsicht:
Je größer die Dislokation, desto größer der Kallus, desto un¬
günstiger und langsamer die Heilung. Ein stark entwickelter
Kallus weist zumeist auf eine hochgradige Dislokation der
Fragmente hin, während früher vielfach nach der Größe des Kallus
der Vorzug einer Behandlung bemessen wurde. Auf der anderen
Seite beobachtet man nach guter Einrichtung der Fraktur, die um so
besser gelingt, je früher sie nach der Fraktur ausgeführt wird, eine
verhältnismäßig sehr kleine Kallusmasse und gute und schnelle Heilung.
Ich habe dies vielfach durch methodisch in mehrtägigen Zwischenzeiten
ausgeführte Röntgenuntersuchungen bestätigen können.
An etwa zwei Wochen alten Frakturen besteht der Kallus im
ganzen aus osteoidem Gewebe, nur an seiner Grenze, zwischen dem
oberen und unteren Bruchende ist Knorpel vorhanden. Dies erklärt
die Tatsache, daß, wenn auch der Kallus in diesem Stadium sich schon
ziemlich fest anfühlt, schiefgerichtete Fragmente noch geradegerich¬
tet werden können. Wenn Zuppinger und Henschen sagen:
„Repositionsversuche in der zweiten und dritten Woche verschlim¬
mern durch Lockerung und Wiederlösung der im Gange befindlichen
geweblichen Reparation meist die Stellung und verzögern die Aus-
») D.m. W. 1914 Nr. 3: Vgl. Ernst Wehncr, Bruns Beitr. z. klfn. Chlr. 1931,23, H. 3.
•) Zschr.J. Botanik.1920,12, S. 593-633.
härtung der Kallusmasse, die Konsolidation“, so kann ich diese
Auffassung auf Grund der experimentell erhobenen Befunde und
klinischer Erfahrungen nicht teilen. Allerdings werden bei der Ge-
raderichtung im Kallusgewebe einige Läsionen erfolgen und in Kon¬
solidation begriffene Schichten gelockert oder selbst zerrissen bzw
frakturiert. Dennoch dürfte im allgemeinen die Heilung der Fraktur
nicht verzögert, sondern eher beschleunigt werden. Denn durch die
bessere Lagerung der Fragmente zueinander werden um so günstigere
statische Verhältnisse für die weitere Entwicklung des Kallus ge¬
schaffen, welche die durch die Reposition verursachten Läsionen
mehr als wettmachen. Der Kallus wird bald kleiner, und die ringsum
liegenden Weichteile, besonders die Muskulatur, dürften weniger
geschädigt und in der Funktion behindert werden.
Weiterhin erklären uns die vorliegenden Untersuchungsergeb¬
nisse die Lehre, daß wir früher die Heilung von Knochen¬
brüchen an der unteren Extremität oft viel zu früh für
vollkommen beendet angesehen haben. Sobald der Kallus
sich vollkommen fest anfühlte, ließ man oft den Patienten aufstehen
und umhergehen. Wenn bei der Entlassung des Patienten das Bein
nur sehr wenig verkürzt war, war nach Jahresfrist die Verkürzung
oft recht erheblich geworden. Die Betrachtung einer 32 Tage aßen
Fraktur zeigt uns nun, daß zwar die ganze Kallusmasse bereits
aus osteoidem Gewebe besteht, daß aber die osteoiden Bälkchen
an der Bruchstelle noch Knorpelreste in ihrem Innern aufweisen und
noch nicht genügend widerstandsfähig geworden sind. Kein Wunder,
wenn in einem solchen Stadium erhebliche Körperbelastung die Frag¬
mente zusammendrückt oder verschiebt. Ich lasse daher das Irak-
turierte Bein verhältnismäßig lange nicht stark belasten, bei Fraktur
der Fibula oder Tibia nach 6—7, beider Unterschenkelknochen 7
bis 9, des Femurs 9—11 und des Schenkelhalses 11—13 Wochen,
und empfehle, insbesondere bei letzterer, das Bein noch längere
Zeit danach zu schonen. Im Einzelfalle richte ich mich hierbei nach
der Lage der Bruchenden zueinander, der Größe der Rückbildung
des Kallus bzw. dem Zeitpunkt, von dem an man, auch unter Be¬
rücksichtigung des Allgemeinzustandes des Patienten, eine voll¬
kommene Konsolidation der Fraktur annehmen kann.
Bei allen Frakturen mit noch so großer Dislokation war in den
vorliegenden Untersuchungen der Kallus von einem mehr oder
weniger gebogenen, aber glatten osteoiden Mantel umhüllt. Zu
frühe und zu starke Belastung dürfte m. E. zu Frakturen
der osteoiden Hülle und bei häufiger Wiederkehr zur Bildung
stalaktitenartiger Fortsätze in die Muskulatur führen.
In gleicher Weise dürften starke Muskelkontraktionen, ins¬
besondere bei schwach entwickeltem osteoiden Mantel, wirken. So
habe ich kräftige Kallusbildung mit stalaktitenartigen Fortsätzen bei
andauernd bettlägerigen, stark muskulösen Individuen beobachtet,
trotzdem die Fraktur fixiert worden war. Die frühere Auffassung,
daß ein umfangreicher Kallus mit stalaktitenartig in die Muskulatur
eindringenden Fortsätzen als Zeichen des parostalen Kallus anzu¬
sehen ist, dem überdies ein erheblicher Anteil an der Fraktur¬
heilung zugesprochen wurde, trifft also meines Erachtens zum min¬
desten für eine Reihe von Fällen nicht zu.
Weiterhin dürften die vorliegenden Befunde für die Lehre der
Pseudarthrose von Interesse sein. Bei Pseudarthrosen, die nach
Schußverletzungen mit Zersplitterung des Knochens auftreten, hat
man feststellen können, daß fast immer kurze Zeit nach der Ver¬
wundung die Knochensplitter operativ radikal entfernt
worden waren.
Haberlandt hat nun gezeigt, daß, wenn an einer verletzten
Knolle die Schnittfläche mit einem Wasserstrahl abgespült wird, sich
das Vemarbungsgewebe bedeutend langsamer bildet, als wenn die
Reste des Zellinhalts an den Wunden verbleiben. Haberlandt hat
dies damit erklärt, daß die Hormone, die sich an den verwundeten
und absterbenden Zellen bilden und damit die tiefer liegenden un-
verwundeten Zellen zu lebhafter Zellteilung anregen, durch das Ab¬
spülen mit entfernt werden.
Für die in Rede stehenden Fälle von Pseudarthrose könnte man
also in gleicher Weise annehmen, daß mit der Entfernung der
Knochensplitter eine Quelle der Wundhormone beseitigt
worden sei, die für die Heilung der Fraktur hätte von Nutzen sein
können.
Auch durch die Beseitigung des Blutes bei operativer
Naht von Knochenfrakturen werden offenbar die Stoffe (Wund¬
hormone) entfernt, die sich aus den sich zersetzenden Blutzellen
bilden und anregend auf die Regeneration wirken. Wir sehen dies
daran: Trotzdem durch die operative Naht der Bruchenden anein¬
ander sehr günstige statische Verhältnisse herbeigeführt sind, geht
die Frakturheilung viel langsamer als bei konservativer Behandlung
vor sich, auch wenn die Bruchenden weniger gut aneinander liegen.
Wenn nun durch die Entfernung der Knochensplitter so oft nicht
nur eine Verzögerung der Heilung, sondern Pseudarthrose entsteht,
so müssen auch noch andere Ursachen dabei mitwirken. Man könnte
dies darauf zurückführen, daß mit den Knochenstückchen auch da«
ihnen anhaftende Periost öder Endost entfernt wird. Verwiesen sei
auf die Experimente von Axhausen über die Art der Einheilung
implantierter Knochenstücke. Meines Erachtens heilen die Knochen¬
stückchen entweder wie implantierte autoplastische Knochen beim
Aufbau des Kallus ein, oder sie werden total oder partiell chemisch
aufgelöst, und die frei gewordenen Stoffe wirken entweder aktiv
anreizend auf das Regenerationsgeschehen oder werden passiv als
Digitized by
Original from
CORNELLUNIVERSiTY
j
2. Juni 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
729
Nährsubstanz beim weiteren Aufbau des Kallus verbraucht. Diese
für den Knochenaufbau spezifischen Nährsubstanzen werden offen¬
bar andauernd gebildet, und zwar über längere Zeit hin. Die Nähr¬
stoffe dürften allerdings allmählich verbraucht und immer geringer
werden. Dies kann aber die weitere Heilung der Fraktur nicht
beeinträchtigen. Denn nach den Feststellungen von Simon i) 1 ) ist für
die Auslösung des Neubildungsvorgangs (Knollenbildung) eine stär¬
kere Zuckerkonzentration als für ihre Aufrechterhaltung notwendig.
Bei dieser Betrachtungsweise können wir in gewissem Maße die
häufige Erfolglosigkeit der bisherigen Behandlungsmethoden bei
Pseudarthrose mit Injektion von Jodtinktur, Milchsäure, Karbolsäure,
Terpentin oder andern, ähnlich wirkende Substanzen verstehen. Denn
dadurch wird nur eine verhältnismäßig kurz dauernde Entzündung
verursacht, die im wesentlichen nur eine die Regeneration aus¬
lösende Bedeutung hat.
Wir dürften dagegen meines Erachtens eine bessere Wirkung
erwarten, wenn Folgendes gelänge: Die Entzündung in möglichst
kurzen zeitlichen Intervallen zu erneuern, ohne daß dabei die bereits
eingetretene Regeneration besonders beeinträchtigt würde, und zwar
muß dies längere Zeit geschehen. Ferner der Bruchstelle die für die
Kaflusentwicklung notwendigen Nährsubstanzen zuzuführen. Die Er¬
neuerung der Entzündung an der Bruchstelle in möglichst kurzen
Zwischenzeiten erreicht man meiner Ansicht nach dadurch, daß man,
was vielfach schon geschieht, die Pseudarthrose nicht fixiert. Die
Bruchenden werden dabei fast andauernd aneinander gerieben, und
die Entzündung wird immer wieder angefacht. Wie andere habe
auch ich gelegentlich bei Nichtfixation der Pseudarthrose nach längerer
Zeit Heilung beobachtet. Was die Zufuhr der Nährstoffe an die
Bruchstelle betrifft, so werden diese offenbar in erheblichem Maße,,
durch das Knochenmark herangebracht. Denn bei Pseudarthrose ist
gewöhnlich das Knochenmark pathologisch verändert. Ferner gelingt
es in der Regel, durch Resektion der Bruchenden bis in das normale
Mark und darauf folgende Befestigung der Fragmente an den
Schnittflächen aneinander, die Pseudarthrose zu heilen. Die An¬
frischung der Bruchenden bis in das gesunde Mark ist daher eine
rationelle und schon bekannte Maßnahme bei jeder Operationsmethode
der Pseudarthrose.
Die Methode Biers, Blut in die Bruchstelle zu injizieren, er¬
scheint ebenfalls in gewissem Maße rationell. Durch das sich zer¬
setzende Blut dürften einerseits Wundhormone, anderseits Nährsub¬
stanzen für die Kallusentwicklung gebildet werden. Sie reichen aber
oft offenbar nicht aus.
Alle bisherigen Behandlungsmethoden, selbst gelegentlich die
Resektion der Bruchenden und ihre Vereinigung, sind erfolglos bei
denjenigen Fällen von Pseudarthrose, deren Entstehungsweise man bis¬
her nicht gut hat erklären können. Das sind die Fälle, bei denen die
Bruchenden nicht durch dazwischen gelagerte Weichteile getreimt sind
oder weit voneinander entfernt liegen, sondern nur durch einen schma¬
len Spalt voneinander geschieden, gut übereinander liegen oder nur
wenig verschoben sind. Der Kallus in der Umgebung der Bruchstelle
ist zwar reichlich entwickelt, zwischen der Kallusmasse des oberen und
unteren Bruchendes ist aber keine Konsolidation eingetreten. Dieser
Befund entspricht, wie meine Experimente gezeigt haben, einem
Stadium der normalen Frakturheilung, nämlich demjenigen, in welchem
nur das Gewebe in der unmittelbaren Umgebung der Bruchstelle
noch nicht fest osteoid geworden ist. Wir können demnach diese
Pseudarthrose als ein Stehenbleiben der normalen
Frakturheilung in dem angegebenen Stadium ansehen. Es be¬
steht jedoch zwischen diesem und der Pseudarthrose folgender
Unterschied: In dem Stadium der normalen Kallusentwicklung sind die
Bruchenden nur insoweit von osteoiden Massen überlagert, als sie frei
vorstehen und nicht einander berühren. Bei der Pseudarthrose da¬
gegen sind die Bruchenden, auch wenn sie vollkommen gegeneinander
liegen, durch Knochenmassen verschlossen. Wir dürfen vielleicht
diesen Befund bei der Pseudarthrose damit erklären, daß die Reiz¬
wirkung, die bei der Heilung von dem einen Fragment zu defrn
andern ausgeht, nicht vorhanden oder erschöpft ist und sich danach
das Bruchende wie nach einer Amputation knöchern abgeschlossen
hat. Es fragt sich nun: Wodurch ist das Ausbleiben der Reizwirkung
verursacht, sodaß das Fortschreiten der Kallusentwicklung auf dem
Wege zur Konsolidation unterbrochen wird? Es ist bekannt, daß bei
Diabetes und nach syphilitischer Infektion eine Fraktur gelegentlich
nicht heilt und Pseudarthrose entsteht. Es müssen hier meines Er¬
achtens allgemeine oder lokale Stoffwechselstörungen
vorhanden sein, welche die Vollendung der Knochenregeneration im¬
möglich machen.
Auf Grund der vorliegenden experimentellen Untersuchungsergeb-
nissc ist wohl auch folgende Tatsache zu erklären. Nach Resektion
der geschlossenen Stumpfenden bis in das anscheinend normale
Mark hinein heilt oft das implantierte Knochenstück, das beide
Fragmente miteinander verbindet, am oberen Fragment fest ein,
bleibt aber am unteren beweglich. Diese Beobachtung dürfte mit der
eben geschilderten Tatsache übereinstimmen, daß am oberen Bruch¬
ende die Entwicklung des Kallus bis zur Verknöcherung schneller vor
sich geht als am unteren Bruchende.
i) l. c.
Kieferankylosen und ihre Behandlung 1 ).
Von Prof. Bockenheimer in Berlin.
Während man die Kieferankylosen bis zur Mitte des vorigen Jahr¬
hunderts ausschließlich konservativ behandelt hat, teils durch Künstlich
eschaffene Zahnlücken, teils durch gewaltsame Dilatationen mit
piegeln und Keilen, wodurch fast nie irgendwelcher Erfolg erzielt
wurde, ist man dann allmählich auf die operative Behandlung der
Ancylosis ossea der Unterkiefergelenke gekommen. Wirkliche Heilungen
sind erst auf blutigem Wege nach Resektion des ankylosierten Gelenkes
und Schaffung eines neuen Gelenkes zu verzeichnen. Perard,
Esmarch, Rizoli, Bottini, König, Helferich, Kraske,
Borchardt u. a. haben Operationsmethoden angegeben, wie sie
sowohl für die angeborene wie die erworbene Ankylose in Betracht
kommen. — Gewöhnlich haben wir es mit erworbenen Ankylosen zu
tun, für deren Entstehung Erkrankung der Weisheitszähne, Entzün¬
dung in der Nähe der Kiefergelenke oder in den Kiefergelenken selbst,
Erkrankungen von Mund, Rachen, Ohr, Parotis, Tonsillen, Lymph-
drüsen, Ostitis und Periostitis namentlich nach Verletzungen, Syphilis,
Tuberkulose, Noma, Skorbut, Infektionskrankheiten wie Typhus, Schar¬
lach, Variola, Diphtherie, Keuchhusten, Allgemeininfektionen, Puerperal¬
fieber, Gonorrhoe, Rheumatismus, Arthritis deformans in Betracht
kommen.
Auch heute noch werden Versuche einer konservativen Behand¬
lung gemacht, namentlich, wenn an dem einen Kiefergelenk entweder
gar keine oder nur eine fibröse Ankylose besteht, sodaß der Unter¬
kiefer noch etwas bewegt werden kann. — Aber auch in diesen
Fällen und natürlich erst recht, wenn auf beiden Seiten eine knöcherne
Ankylose besteht, ist die konservative Behandlung zwecklos. Sie
verursacht dem Patienten eine langwierige schmerzhafte Behandlung
ohne sicheren Enderfolg, sodaß er sich meist der Behandlung entzieht
und einen andern Chirurgen aufsucht.
Obwohl das Operationsgebiet klein ist, ist doch eine große
Reihe von Schnittführungen angegeben worden, die ich Ihnen hier auf
den Tafeln habe aufzeichnen lassen.
Der vertikale Schnitt, horizontale Schnitte, bogenförmige, zungen¬
förmige Schnitte, T-Schnitte, Winkelschnitte, Kreuzschnitte und die
Schnitte von Kraske und Borchardt, welch letzterer einen Zenti¬
meter oberhalb des Jochbogens seinen Schnitt beginnt, ihn bis zum
vorderen Rand des Tragus führt und ihn dann rechtwinklig dem
Tragus entlang nach unten leitet.
Alle Schnittführungen sind von dem Gesichtspunkte aus erdacht,
in erster Linie den Nervus facialis zu schonen, weiter auch eine
Verletzung der Parotis zu vermeiden und endlich eine genügende
Uebersicht über das ankylosierte Gelenk zu geben.
Sehen wir uns aber einmal den Verlauf des Nervus facialis an,
wie ich ihn zusammen mit Frohse an Hand einer großen Anzahl von
Präparaten ungefähr festgelegt habe (Projektionsbild), so ist nach allen
diesen Schnittführungen eine sichere Vermeidung des Nervus facialis
und der Parotis unmöglich, zumal der Faziahs oft unregelmäßig
verläuft. — Bisweilen wird auch der ursprünglich angelegte Schnitt
zur besseren Uebersicht über die Ausdehnung der Ankylose erweitert
und dabei der Fazialis getroffen. Denn in fortgeschrittenen Fällen
ist nur ein breites, dickes, oberes Ende des aufsteigenden Unterkiefer¬
astes vorhanden, beide Fortsätze und die Incisura semilunaris werden
vermißt, der so veränderte Unterkiefer ist mit der Gelenkgrube, dem
Arcus zygomaticus und der Schädelbasis knöchern verwachsen. End¬
lich kann ja auch bekanntermaßen schon durch den Druck und Zug
eines Hakens der leicht lädierbare Fazialis geschädigt werden.
Aus der Arbeit von Orloff geht hervor, daß der Nervus facialis
außerordentlich häufig bei allen bisherigen angegebenen Schnittfüh¬
rungen verletzt worden ist. Allerdings trat die Verletzung nicht
immer bei der Durchschneidung der Weichteile, sondern oft erst bei der
Knodhenresektion auf. ln einer ganzen Reihe von Fällen ging aller¬
dings die Fazialisparese wieder zurück, während in andern Fällen
die Patienten entstellt blieben. ;
Auch über die Verletzung der Parotis und über auftretende Fisteln
wird häufiger berichtet.
Folgender Fall veranlaßte mich, mich mit der Frage näher zu
beschäftigen. Die jetzt 15jährige Patientin, die ich Ihnen nachher
vorstellen will, bekam in Anschluß an Scharlach neben andern meta¬
statischen Gelenkerkrankungen auch eine doppelseitige Kiefergelenk¬
entzündung, die auf der einen Seite zu einer knöchernen, auf der
andern zu einer fibrösen Ankylose führte. Die Zahnreihen konnten
nur 2 mm voneinander entfernt werden, die Nahrungsaufnahme war
dadurch sehr erschwert, und die Patientin litt mit zunehmendem
Alter an psychischer Depression. Eine von anderer Seite empfohlene
unblutige Behandlung war ohne Erfolg und wurde wegen der starken
Schmerzen aufgegeben. — Der Vater der Patientin, der schon eine
größere Anzahl Chirurgen konsultiert hatte, war über die Gefahr der
Operation genau orientiert und hegte den Wunsch, daß nicht nur
der Nervus facialis geschont werden solle, sondern daß bei seiner
Tochter auch keine im Gesicht sichtbaren Narben entständen. —
Da mir eine Operationsmethode, die diese Forderungen erfüllen konnte,
nicht bekannt war, mußte ich zunächst einen abschlägigen Bescheid
geben, erklärte jedoch, daß ich mich mit der Sache näher beschäftigen
und ihm dann eventuell Nachricht zukommen lassen würde. — Nach-
l ) Vortrag, gehalten in der Berliner Gesellschaft für Chirurgie am 13. II. 1922.
Digitized by
Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
730
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
dem ich an Leichenpräparaten noch einmal die bisher angegebenen
Schnittführungen durchpräpariert und mich davon überzeugt hatte,
daß bei allen diesen Schnittführungen Nervus facialis und Parotis
verletzt werden konnten, fand ich eine neue Schnittführung, die Sie
hier auf dem Bilde sehen (Projektionsbild).
Der Schnitt wird hinter dem Ohre angelegt; er darf weder zu weit
nach oben gehen, da sonst die das Onr versorgenden Blutgefäße
verletzt werden, noch zu weit nach unten geführt werden, da dann
der Stamm des Nervus facialis in den Schnitt fallen kann. Es folgt die
Durchschneidung des Gehörgangs dicht am Austritt aus dem Scnädel.
Das Ohr kann jetzt mit dem aogescnnittenen Gehörgang weit nach
vorn gezogen werden, sodaß das Gelenk in größerer Ausdehnung frei
liegt. (Projektionsbild und Moulage.)
Es gelang, von diesem Schnitt aus eine ausgedehnte Knochen¬
resektion auszuführen, teils mit der Doyenschen Eräse, teils mit
Hammer und Meißel. Der rechte Gelenkfortsatz war mit Schädel¬
basis und Jochbeinbogen knöchern verwachsen. Auch vom auf¬
steigenden Unterkieferast wurde noch, um Rezidive zu vermeiden,
ein Stüde entfernt und dann ein dem Oberschenkel entnommener
Fettfaszienlappen in die Wundhöhle eingepflanzt. Auf der linken
Seite wurde das Gelenk in derselben Weise freigelegt, doch war hier
nur eine Lösung der fibrösen Verwachsungen erforderlich. Der
Mund konnte nach den Eingriffen in fast normaler Weise geöffnet
werden. Um die abgeschnittenen Gehörgänge besser zur Anheilung
zu bringen, wurden, nachdem die Ohren durch exakte Hautnähte am
Kopf fixiert waren, Drainröhren in beide Gehörgänge gelegt, um die
noch Tampons gelagert wurden. Der Ruhigstellung halber wurde
sodann ein Gipsverband gemacht. — Nacn 10 Tagen war eine
Primärheilung erfolgt, ohne daß sich eine Verengerung der Gehör¬
gänge nachweisen ließ. — Patientin ist imstande, jetzt, U /4 Jahr nach
der Operation, ihren Mund genau so weit zu öffnen wie kurz nach
der Operation, d.h. in normaler Weise; sie hat keinerlei Beschwerden;
der Nervus facialis und die Parotis sind unverletzt, während im
Gesicht keinerlei Narben zu sehen sind, da sie hinter den Ohren
liegen. ,
Als Vorteile meiner Schnittführung, die nicht nur zur Beseitigung
der knöchernen Ankylose, sondern auch für Operationen bei Meniskus¬
verletzungen in Betracht kommt, führe ich Folgendes an:
1. Der Nervus facialis und die Parotis werden mit Sicherheit
geschont, da man sich hinter diesen Gebilden befindet.
2. Durch den Schnitt wird genügender Raum für ausgedehnte
Resektionen und plastische Operationen geschaffen.
3. Es entstehen keine im Gesicht sichtbaren, entstellenden Narben,
was bei Frauen vom ästhetischen Standpunkt aus wichtig ist.
4. Die Nachbehandlung ist einfach, der Heilungsverlauf ist ohne
Komplikationen.
Aus dem Kaiserin Auguste Viktoria-Haus, Reichsanstalt zur Be¬
kämpfung der Säuglings- und Kleinkindersterblichkeit, in Char¬
lottenburg. (Direktor: Prof. Langstein.)
Die Kampfertherapie der Enuresis.
Von Dr. Carl Pototzky,
Leiter der Poliklinik für nervöse und schwer erziehbare Kinder.
Die Therapie der Enuresis gestaltet sich deshalb so schwierig,
weil die Enuresis kein Leiden sui generis, sondern nur ein sym¬
ptomatisch zu bewertendes Krankheitsbild darstellt. Man muß daher
versuchen, den einzelnen Enuresisfall zu analysieren: nach dem Er¬
gebnis hat dann die Wahl der therapeutischen Methode einzusetzen.
Das Streben nach einer individualisierenden Therapie geht auch aus
den neueren Enuresisarbeiten (Bossert-RoIIett {1J, A. Lipp-
mann [2], Pototzky [3], Zappert [4]) hervor, doch kann man bis¬
her nur von Anfängen sprechen. Vom erstrebten Ziel, für den einzelnen
Enuresisfall ohne langes Herumprobieren (denn dieses macht meist
bereits von vornherein die therapeutische Wirkung illusorisch) die
jeweilig geeignete Therapie nach feststehenden Grundsätzen zu be¬
stimmen, von diesem Ziel sind wir leider noch weit entfernt. All¬
mählich lernen wir aber doch differenzieren. So wird Langer aus
der Poliklinik unseres Hauses an anderer Stelle über Fälle berichten,
bei denen eine Kombination von Tuberkulose und Enuresis vorlag
und bei denen eine Tuberkulinkur die Enuresis, die vorher allen
Behandlungsarten getrotzt hatte, beseitigen konnte. Jeder einzelne
Enuresisfall stellt eben eine diagnostische und therapeutische Auf¬
gabe für sich dar, und wir müssen daher immer wieder unsere dies¬
bezüglichen Erfahrungen austauschen und auf diese Weise ver¬
suchen, dem schwierigen Problem näher zu kommen. Doch es ist
hier nicht beabsichtigt, einzelne interessante Sonderfälle zu be¬
sprechen, sondern es sollen kurz die Behandlungsmethoden ange¬
führt werden, die sich bei strenger Sichtung der Fälle für eine
große Zahl derselben eignen dürften.
Wie aus der Arbeit von Pototzky (5) hervorgeht, wurde
neben der in keinem Falle zu unterschätzenden Psychotherapie ver¬
sucht, die medikamentöse Therapie durch die Heranziehung des
Kampfers für bestimmte Fälle auszubauen. In der Tat hat uns
diese Kampfertherapie seitdem gute Dienste geleistet. Zuerst hatten
wir, wie aus der damaligen Veröffentlichung hervorgeht, Camphora
monobromata bevorzugt. Um den Anteil des Kampfers näher zu
Nr. 22
studieren, haben wir später — zumal nach einer Anfrage von
Löwe «(Dorpat), ob nicht die Wirkung jenes Präparats auf die
Bromkomponente zu setzen sei — reinen Kampfer verabreicht. Es
stellte sich nun heraus, daß sich mit diesem reinen Kampfer die
gleichen günstigen Resultate erzielen ließen wie mit dem Brom-
kampfer. Bei unseren weiteren Versuchen bevorzugten wir dem-
zufolge den reinen Kampfer, da wir die Möglichkeit einer un¬
günstigen Bromwirkung auf die bei vielen Enuretikern bereits be¬
stehende abnorme Schlaftiefe ausschließen wollten. Störend wurde
allerdings bei dieser Medikation der unangenehme Kampfergeschmack
empfunden, der den Patienten oft noch stundenlang belästigte (Auf¬
stoßen!). .Auf der Suche nach einem besser bekömmlichen und doch
reinen Kampferpräparat haben wir in den letzten Monaten das
Cadechol (Boehringer [Ingelheim]) für die Enuresisbehandlung her¬
angezogen.
Das Cadechol ist eine Verbindung von reinem Kampfer mit einer
Gallensäure, der Desoxycholsäure. Diese Verbindung löst sich in
alkalischen Medien, also auch im alkalischen. Dünndarmsaft, während
sie bei saurer und neutraler Reaktion — Magensaft — ungelöst
bleibt. Es fällt daher das lästige Kampferaufstoßen fort. Jede Tablette
Cadechol enthält 0,15 g wirksame Substanz, und da der Kampfer
gehalt 15o/o beträgt, demnach 0,015 g Kampfer. Bei unseren Ver¬
suchen kamen wir zu dem Ergebnis, daß wir uns mit relativ kleinen
Kampferdosen begnügen konnten, die weit niedriger waren als
die früher von Pototzky angegebenen. In der Regel geben wir
jetzt bei Kindern 4 Tabletten Cadechol täglich* und zwar morgens
und mittags je 1, abend 2 Tabletten nach den Mahlzeiten. Nur in
besonderen Fällen gaben wir abends 3 Tabletten. Die Kur wurde
2 Wochen täglich durchgeführt und eventuell nach einer mehr-
wöchentlichen Pause wiederholt.
ln den Fällen, in denen eine besondere allgemeine Reflexüber-
erregbarkeit vorlag, gaben wir zur Einleitung der Kur — oder auch
gleichzeitig — Kalk in der Form von Calcium lacticum, wie ja auch
in der oben erwähnten Arbeit von Pototzky eine Kombination
von Kampfer und Kalk bereits vorgeschlagen war.
Der Erfolg von Cadechol war in einer Reihe von Fällen sehr
gut. Wir haben Besserungen und Heilungen in Fällen gesehen, die
nach anderen Medikamenten — denn nur solche gleichartig behan¬
delten Fälle können, um die Suggestion möglichst auszuschließen,
zum Vergleich herangezogen werden — keine Aenderungen auf¬
gewiesen hatten.
Wenn wir eine Deutung der Kampferwirkung bei der Behand¬
lung der Enuresis versuchen wollen, so scheint die pharmakologische
Wirkung nach 3 Richtungen zu erfolgen. Erstens hat nach Pouls-
son ( 6 ) der Kampfer eine sedative Wirkung bei Irritationszuständen
der Harn- und Geschlechtsorgane. Diese sedative Wirkung auf die
Blasensphäre scheint uns auch in gewissen Enuresisfällen eine Rolle
zu spielen.
Neben dieser lokalen sedativen Wirkung steht doch aber die
bekannte allgemeine erregende Wirkung auf das Zirkidationssystera
im Vordergründe. Es ist daher wahrscheinlich, daß in einer Reihe
von Enuresisfällen, und zwar in solchen, bei denen Zirkulations¬
störungen für die Auslösung des Bettnässens verantwortlich zu
machen sind, die Zirkulation durch die Darreichung von Kampfer
gehoben und daß dadurch auch zentral die Störung günstig beeinflußt
wird. Das werden die Fälle sein, die aus der Breslauer Universitäts-
Kinderklinik Bossert-RoIIett (7) beschrieben hat, in denen die
Verfasserin die Enuresis auf Kreislaufstörungen zurückführt. Sie
stellte fest, daß bei vielen Bettnässern, ähnlich wie bei Herzkranken,
eine quantitative Umkehrung der ausgeschiedenen Tages- und Nacht
harnmengen zu beobachten war und daß die Kinder nur dann nor¬
male Mengenverhältnisse aufwiesen, wenn sie tagsüber im Bett ge¬
lassen wurden. Wenn wir auch das von Bossert-RoIIett als
pathognomonisch angesehene „Zeichen des ersten leisen Herztons“
bei unseren Nachprüfungen nicht zu bestätigen vermochten, so haben
doch auch wir den Eindruck, daß sich unter den Enuretikern viele
Zirkulationsinsuffiziente befinden und daß bei diesen die Kampfer¬
therapie eine günstige Wirkung hatte. Ganz besonders möchten wir
aber als dritte Kampf erwirkurig die erregende Wirkung auf das
Gehirn zur Erklärung des Erfolges der Kampfertherapie bei der
Enuresis heranziehen. Wie kürzlich der Pharmakologe Leo ( 8 )
anläßlich der Besprechung der Wirkungen der intravenösen Kampfer¬
ölinjektion betont, wirkt eine Kampferdarreichung auf den festen
Schlaf, wenn er sogar durch starke Schlafmittel beeinflußt ist, der-
ärt ein, daß z. B. bei intravenöser Darreichung des Kampfers der
durch ein Schlafmittel vertiefte Schlaf völlig aufgehoben würde
Diese reine Kampferwirkung kam ebenfalls bei den per os ange-
stellten Versuchen von Gott lieb (9), auf die Leo hinweist, zum
Ausdruck. Diese Versuche scheinen uns für die Behandlung der
Enuresis bedeutsam, und zwar gerade für die Fälle, die sich durch
besondere Schlaftiefe auszeichnen. Bei diesen scheint der Kampfer
durch seine erregende Wirkung auf die Großhirnrinde die Schlaf¬
tiefe ausgleichend zu beeinflussen und somit ein für die Auslösung
des Bettnässens bestimmendes Moment auszuschalten.
Zusammen fassend möchten wir betonen, daß wir eine Analysie-
rung und Individualisierung der Enuresisfälle zwecks individuell ein¬
zuleitender Behandlung für das erstrebenswerte Ziel der Enuresis¬
behandlung halten. Als Behandlungsart werden wir je nach dem
Fall an wenden:
I. Die Suggestionstherapie (z. B. als Milieusuggestions¬
methode [10]) bei allen rein psychischen Fällen.
Digitized b'
Google
Original from
CORNELL UNIVERSUM
2. Juni 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
731
II. Die Kalktherapie bei den neuropathischen, allgemein über-
erregbaren Kindern.
III. Die Kampfertherapie analog den 3 oben angeführten
Kampferwirkungen:
a) bei der lokalen Uebererregbarkeit der Blasensphäre,
b) bei Anzeichen von Zirkulationsstörungen,
c) bei abnormer Schlaftiefe.
Naturgemäß wird- vielfach eine Kombination der einzelnen Me¬
thoden eintreten müssen.
Zum Schluß möchten wir betonen, daß wir in keinem Fall die
— zur Zeit beliebten — Methoden der Blasenirrigationen u. a. in
Anwendung zu bringen brauchten, zumal da wir sie auch aus psychi¬
schen Gründen zu vermeiden suchen.
I. D. m. W. 1921 Nr. 17. - 2.D.m. W. 1921 Nr. 27. - 3. D. m. W. 1920 Nr. 7. - 4. Kl. W. 1922
Nr. 1 u. 2. — 5 a. a. O. — 6. Lehrbuch der Pharmakologie 1915. — 7. a. a. 0. — 8. D. M. W.
1922 Nr. 5. — 9. Arch. f. exper. Path. u. Ther. 1892 Nr. 39. — 10. Zschr. f. Kindhlk. 1919, 21.
Zur Technik der intravenösen Salvarsan-Novasurol-
mischung.
Von Dr. Martin Bab in Charlotten bürg.
Die intravenöse Novasurol-Salvarsanbehandlung hat sich sehr
schnell große Beliebtheit verschafft, und besonders bei der Behand¬
lung syphilitischer Herzkranker scheint sie wegen der diuretischen
Wirkung des Novasurols außerordentlich wertvoll zu sein. Als Uebel-
stand wird jedoch vielfach empfunden, daß die Mischung undurch¬
sichtig ist, wodurch die Vermeidung von schmerzhaften Infiltraten
sehr erschwert wird. Winkler empfiehlt daher in dieser Wochen¬
schrift 1922 Nr. 15 Doppelspritzen herzustellen oder das Novasurol so
zu verändern, daß es sich mit Salvarsan nicht trübt. Dieser Schwierig¬
keit entgehe ich durch folgenden kleinen Kunstgriff. Nachdem das
Gemisch in der Spritze aufgesogen ist, aspiriere ich etwas Luft,
die als kaum linsengroße Luftblase am oberen Ende der aufwärts
gerichteten Spritze bleibt. Steche ich jetzt in die Vene und sauge
das Blut an, so kann man durch die Luftblase hindurch bequem
das Blut eindringen sehen. Nach dieser Feststellung injiziere ich
die Lösung in die Vene; die Luftblase hält sich in der Spritze und
dringt erst ganz zum Schlüsse in die Kanüle, sodaß man vorher
die Injektion abbrechen kann. Dringt jedoch einmal diese kleine
Luftblase in die Vene, so hat dies nach hundertfältiger Beobach¬
tung gar keinen Schaden für den Patienten.
Entwicklungsmechaoik und praktische Medizin.
Von Dr. Georg Ettisch in Berlin-Dahlem
(früher Ober-Assistent am Anatomischen Institut in Halle).
HL
Nachdem wir so einiges über die Art der Determinationsfaktoren
erfahren haben, die die Gestaltung in der ersten kausalen Periode
der Ontogenese beherrschen, können wir uns wieder den großen
umfassenden Ursachenkomplexen zuwenden, die den Körperaufbau
leiten.
Bei einer Reihe von Organen setzt relativ zeitig, noch während
des embryonalen Lebens, der formende Einfluß der Funktion neben
dem der vererbten Faktoren ein. Zu diesen Organen bzw. Organ¬
systemen gehört vorzugsweise das Blutgefäßsystem, das sehr früh
seine Funktion aufnimmt. Von diesem Zeitpunkte ab, dem Beginn
des Funktionierens oder kurz nach ihm, wird die Ausübung der
Funktion in immer steigendem Maße von Bedeutung für die Aus¬
gestaltung sowie Erhaltung des Körpers. Die Wirksamkeit der ver¬
erbten Faktoren beginnt zurückzutreten. In dieser Periode, der II-
kausalen Periode Roux’, die eine Uebergangsperiode darstellt,
wirken beide Gestaltungsprinzipien nebeneinander, das der vererbten
Faktoren neben den* der Funktion. In dieser Zeit ist also die Form
jedes Organes in doppelter Weise bestimmt. Es wird der Fortfall
eines von ihnen, etwa der Funktion, nicht bewirken, daß das be¬
treffende Organ schwindet (wie dieses für die nächste Periode sich
ergeben wird), sondern nur, daß das Organ im Wachstum zurück¬
bleibt, daß Inaktivitätsaplasie eintritt. Seine relative Unab¬
hängigkeit von der Funktion sichert noch der Anteil des Gestaltungs¬
prinzips der Periode I an der Periode II, also der vererbten Faktoren.
Die Selbstdetermination des Wachstums ist noch vorhanden, nur ihre
Größe ist verringert, da ja die Funktion bzw. der funktionelle Reiz
bereits Anteil am Zustandekommen der Gestaltung besitzt. Wird
dagegen in dieser Periode II an einem Organe Funktionssteigerung
hervorgerufen, oder wird es unter Hyperämie gesetzt, so tritt bereits
Aktivitätshypertrophie ein. Der Beginn dieser Periode II ist für
die Organe bislang nur formal bestimmt, eine exakte zeitliche Fixie¬
rung steht noch aus. Hier würde die Erfahrung der Praktiker, vor
allem der Chirurgen und Orthopäden, von größter Wichtigkeit für
die theoretische Wissenschaft wie auch für die Weiterbildung der
Praxis sein. Eine wesentliche Hilfe leisten dabei eben jene von der
Theorie gegebenen Kennzeichen der Periode.
Diese Zwischenperiode leitet dann über zu derjenigen, m der
die Wirkung der im Keimplasma determinierten Faktoren wenn
auch nicht geschwunden ist, so doch zurücktritt gegenüber dem
gestaltenden Effekt der Funktion bzw. des funktionellen Reizes.
Es ist die kausale Periode III, die des „Vorherrschens der funk¬
tionellen Gestaltung“. Auf sie muß etwas näher eingegangen
werden.
Bei dem Funktionieren der Organe handelt es sich vorzugsweise
um einen geordneten Synergismus der sie zusammensetzenden Ge¬
webe. Jedes dieser aus gleichartigen Elementarindividuen sich auf¬
bauenden Gewebe hat sein eigenes Reizleben. Der Knochen als
Organ enthält Bindegewebe, Knorpel, Nerven und eigentlichen
Knochen, der Muskel außer dem Muskelgewebe noch Bindegewebe
und Nerven. Die Gewebe müssen mit Rücksicht auf das Ganze Zu¬
sammenarbeiten, soll das Organ seine Aufgabe erfüllen können. Jedes
dieser Gewebe aber reagiert auf Reize verschieden. Roux macht
nun einen Unterschied zwischen aktiven und passiven Geweben;
zwischen solchen, die aktiv tätig sind, wie Muskulatur, Epithel, und
solchen, die beansprucht werden, die Stützsubstanzen. Jene üben
wahrhaft eine Funktion aus, diese haben keine aktive Funktion. In
der Periode III nun verursacht eine ganz bestimmte, noch zu er¬
örternde Art der Ausübung der Funktion Hypertrophie, der Fortfall
Atrophie. Wie steht es aber mit jenen Gewebsarten, die keine
aktive Funktion besitzen, die nur beansprucht werden? Hier stellt
nach Roux eben die Beanspruchung den Reiz dar, der den „pas¬
siven“ Geweben den zu ihrer Erhaltung usw. notwendigen Impuls
vermittelt. Liegt also auch für diese Gewebe keine Funktion vor,
so tritt doch die Beanspruchung an ihre Stelle. Von allen Reizen,
die das Gewebe treffen können, ist die Beanspruchung einer von
besonderer Art. Roux nannte ihn den „funktionellen Reiz“ mit
Rücksicht darauf, daß hier Widerstandsleistung gegen Beanspruchung
gleichbedeutend mit Funktion ist. Auch die näheren Qualitäten des
„funktionellen Reizes“ sind von Roux für die großen Gewebegruppen
der Stützsubstanzen erforscht worden. So stellte sich der Zug als
funktioneller Reiz für das Bindegewbe im engeren Sinne heraus,
Schub oder Verschiebung als funktioneller Reiz für den Knorpel, und
Druck oder Druck abwechselnd mit Zug als der für das Knochen¬
gewebe. Der Roux sehe Gegensatz von aktivem und passivem Ge¬
webe scheint näherer Analyse wenig standzuhalten. Letzten Endes
handelt es sich bei allen allein um Arbeitsleistung. Jede der ein
Gewebe aufbauenden Zellen stellt ein arbeitsfähiges und arbeit¬
leistendes System dar. Bei den sog. aktiven Geweben, wo sowohl
der Reiz zur Funktion,, als auch in besonderem Maße die Ausübung
der Funktion das Organ erhält und gestaltet, wie auch bei den
passiven, allein dem funktionellen Reiz unterstehenden, handelt es
sich um Antrieb der Zellen zur Arbeit. Die Leistung besteht aber
das eine Mal aus physiologisch noch weiter verwertbarer Substanz,
aus einer, die von der Zelle nach außen geworfen wird (Sekret,
Exkret), oder in physikalisch ausnutzbarer Leistung (Muskelkontrak¬
tion). Neben diesen spielt die morphologische Leistung hier an¬
scheinend eine geringere Rolle. Sie besteht in neugebildeten Zellen,
Fibrillen usw. Bei den passiven Geweben nun herrscht allein die
morphologische Arbeitsleistung vor (Neuproduktion von Zellen, von
Interzellularsubstanz in allen ihren Mannigfaltigkeiten). Es äußert
sich also das eine Mal die Zelltätigkeit vörwiegend in physiologischen
Effekten, das andere Mal in morphologischen. Darin liegt der ein¬
zige Unterschied, der noch dazu allein relativ ist; also tätig sind
die Elemente beider Gewebsarten. Für unsere Betrachtung kommt
es zudem allein auf die morphologische Arbeitsleistung an, handelt
es sich doch um Hypertrophie und Atrophie! Die morphogenen
Prozesse stehen im Vordergründe, nicht die physiologische Leistung.
Behalten wir aber aus didaktischen Gründen die Rouxsche Be¬
zeichnungsweise bei, so ergibt sich für die Periode III eine Aus¬
gestaltung der aktiven Gewebe vorwiegend durch die Funktion,
der passiven vorwiegend durch den funktionellen Reiz. Gleich zu
Beginn dieser Darlegungen soll ein häufig sich erhebendes Mi߬
verständnis unmöglich gemacht werden. Es hat sich die Auffassung
gebildet, daß durch die Funktion oder dert funktionellen Reiz neue
Organe gebildet werden könnten, daß jene die Ursache zur Ent¬
stehung abgegeben hätten. Davon kann gar keine Rede sein. Die
Funktion oder der funktionelle Reiz bringen keine Organe hervor,
lassen keine Organe entstehen, vielmehr gestalten sie nur bereits
vorhandene in einer Weise, von der gleich die Rede sein wird.
Hierin liegt ein wesentlicher Unterschied-zwischen den beiden Haupt¬
gestaltungsprinzipien der Ontogenese. Auch auf ihn wird noch näher
einzugehen sein.
Von seiner Periode I her bringt ja der Organismus, durch ver¬
erbte Faktoren hervorgerufen, eine funktionsfähige Form auch in
allen seinen Teilen mit. Die Grundlage, das Substrat, ist also bereits
vorhanden, ja ihre Struktur ist sogar schon funktionell. Was bleibt
aber dann noch der Funktion bzw. dem funktionellen Reiz als Wir¬
kensmöglichkeit übrig? Die Erfahrung zeigt, daß die Periode I die
funktionellen Strukturen nur in groben, großen Zügen liefert, daß
ihr feinerer Ausbau dann in der funktionellen Periode besorgt wird.
Das Studium der Knochenspongiosa lieferte dafür schöne Belege.
Ferner zeigte sich, daß das Volumen eines in bestimmter Weise
unter erhöhte Funktion gebrachten Organes sich infolge dieser Ge*
brauchsart in ganz bestimmter Weise vergrößern kann, schwinden
dagegen, wenn die Funktionsgröße in bestimmter Weise herabgesetzt
ist. In Periode III nun vermag — im Unterschied zu Periode I —
Hyperämie keine Hypertrophie mehr hervorzurufen, geringe Ver-
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
732
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
minderung der Blutzufuhr keine Atrophie. Die Frage könnte wohl
aufgeworfen werden: wie groß denn noch das Ausmaß der ge¬
staltenden Wirkung der Funktion sei, da doch fast den gesamten
Anteil am Aufbau das Wirkungsprinzip der Periode I trägt. Der
Beitrag des zweiten Prinzips ist in der Tat gering, sobald man
ihn mit dem des ersten vergleicht. Für Nerven und Epithel liegen
noch so gut wie gar keine exakten Beobachtungen vor, gut studiert
aber ist die Wirkung von Funktion und funktionellem Reiz beim
Muskel und beim Knochen. Hier hat uns Roux’ berühmtes Theorem
der funktionellen Anpassung Aufklärung gebracht. Von ihm soll
noch die Rede sein. Es fragt sich schließlich, ob nicht zwischen
beiden Prinzipien ein Zusammenhang besteht, ob nicht gewisse Tat¬
sachen einen solchen vorstellbar erscheinen lassen. Auch darauf wird
noch eingegangen werden, und dabei der Umstand ein wesentliches
Moment bilden, daß das Wirken der vererbten Faktoren auch in
Periode 111 erfahrungsgemäß nicht gänzlich aufgehört hat. Will
maü den Charakter des 2. Prinzips gegen den des ersten näher fest¬
legen, so kann man jenes vorzugsweise als erhaltendes, dieses da¬
gegen als in überwiegendem Ausmaße gestaltendes bezeichnen, wenn¬
gleich dem zweiten die gestaltende Komponente durchaus nicht fehlt,
sie ist nur weitaus geringer als bei dem ersten. Legt man nun aber
den Hauptwert auf die Gestaltung, so können beide Prinzipien weder
qualitativ noch quantitativ als einander koordiniert betrachtet werden,
vielmehr ist als Hauptgestaltungskomplex das erste anzusprechen —
was sich auch bei den folgenden Darlegungen noch mehr heraus-
stellen wird. Der Funktion und dem funktionellen Reiz ist dem¬
gegenüber nur eine Bedeutung zweiten Grades beizumessen. Wir
werden davon noch hören.
Mußten wir gestehen, daß sich der Komplex der vererbten Fak¬
toren unserem Zugriff noch so gut wfe gänzlich entzieht, so kann
sich wohl die Frage erheben, wie es sich damit beim Funktions¬
prinzip verhält. Sind wir diesem gegenüber in der gleichen Lage?
Hier sind wir nun nicht in demselben Maße an die Peripherie der
Erscheinungen gebannt. Weit davon entfernt, an den Kern der Er¬
scheinungen auf diesem Gebiete gelangt zu sein, können wir doch
so viel sagen, daß es uns dank der Theorie der „funktionellen An¬
passung“ Roux' gelungen ist, so weit vorzudringen, daß wir
diesem Problemenkomplex experimentell zu Leibe gehen konnten,
daß es uns ermöglicht wurde, tiefer in den Mechanismus dieses
Prinzips einzudringen.
Im „Kampf der Teile“ vom Jahre 1881 findet sich bereits das
vollständige Theorem. Nur kurz sei hier darauf eingegangen.
Nach Roux bedeutet funktionelle Anpassung: „Anpassung eines
Organs an seine Funktion durch Ausübung derselben.“ Anpassung
nennt er dabei jede „Veränderung des Organes, durch die dessen
Dauerfähigkeit erhöht wird“.
ln Uebereinstimmung mit dem oben Dargelegten ist also für den
Eintritt der gestaltenden Wirkung der Funktion das Organ selbst
Voraussetzung. Durch Wirkung der vererbten Gestaltungsursachen
ist es entstanden, und diese haben ihm auch bereits eine funktionelle
Struktur gegeben. An einem so ausgestalteten Organ greift die
Funktion (bzw. der funktioneile Reiz) modellierend an, paßt es
den besonderen Verhältnissen an. Das Prinzip der funktionellen An¬
passung läßt also — um es noch einmal zu betonen — keineswegs
Organe oder Gewebe neu entstehen. Diesem Irrtume sind aber so
manche erlegen. Oft hat man gegen Roux geltend gemacht, er setze
die Funktion zeitlich vor das funktionierende Organ. Dieser Vorwurf
ging also aus einem Mißverständnis hervor. Im übrigen müßte man
eine derartige Lehre doch wohl als widersinnig bezeichnen, wollte
jemand sic aufstellen.
Nur für die spezielle Ausgestaltung eines Organes also tritt die
Funktion in Wirksamkeit. Was kann sie leisten?
Versieht ein Gewebe fortdauernd ein gewisses mittleres Arbeits¬
maß in der Zeiteinheit, so erhält es seinen Status. Wird diese
mittlere Arbeitsgröße jedoch erhöht, so hypertrophiert es, gleich-
g ültig, ob es sich dabei um „aktive“ oder „passive“ Gewebe handelt.
»er Wirkung der im Mittel gesteigerten Funktion ist dieser Effekt
zuzuschreiben. Auch hieran knüpfte sich mancher Irrtum. So konnte
man in diesbezüglichen Ausführungen eines hervorragenden Biologen
vor kurzem lesen, daß „Gebrauch eines Muskels ihn dauernd ver¬
größere“. Wohin würde das wohl führen! Es müßte unsere Mus¬
kulatur ja ständig wachsen. Derartiges zu behaupten lag aber
Roux vollkommen fern. Nur die im Mittel gesteigerte Funktion
vermag dies zu bewirken. Leistet etwa ein Muskel fortdauernd in
der Minute eine Arbeit von 5 mkg, so wird sein Volumen dauernd
das gleiche bleiben. Hat der Muskel diese Arbeit pro Minute an
einem Tage 3 Stunden lang ausgeführt und gelingt es ihm, die¬
selbe Leistung durch Uebüng nach einer Reihe von Tagen 4 Stunden
lang auszuführen, so leistet er immer noch die Arbeit von 5 mkg
pro Minute. Er hypertrophiert also nicht. Wird der Muskel dagegen
gezwungen, eine Arbeit von 6 mkg in der Minute zu leisten, dann
erst vermehrt er sein Volumen durch Neuproduktion von Myo¬
fibrillen. Die 5 mkg pro Minute stellen das mittlere Arbeitsmaß in
einer bestimmten Zeit dar; wird dieses überschritten, so hyper¬
trophiert er, wird es dagegen unterschritten, so atrophiert er. Noch
heute besteht vielfach die Ansicht, daß die Hyperämie bei erhöhter
Arbeitsleistung diese Volumenzunahme bewirke. Das ist unzutreffend.
Es gibt keine Tatsache, die die Annahme rechtfertigen könnte, daß
in Periode III Hyperämie eine moiphologische Wirkung ausüben
könnte. Nicht die Hyperämie ist bei diesen Gestaltungsvorgängen das
Primäre, sondern die erhöhte Zelltätigkeit. Auf diese erst folgt die
Nr. 22
erhöhte Blutzufuhr, sie ist etwas Sekundäres. Die neusten Forschungen
auf dem Gebiete der bei der Muskelarbeit entstehenden Verbrennungs-
rodukte sowie des Mechanismus ihrer Beseitigung bestätigen diese
ehre. Dazu kommt aber noch ein anderer Grund. Er liegt in der
„dimensionalen Beschränkung“ der Hypertrophie im Anpassungsvor¬
gang. Wird nämlich der Muskel in seinem Querschnitt vermehrt be¬
ansprucht, so tritt Volumenvergrößerung nur durch Querschnitts¬
vergrößerung auf. Wird er dagegen in seiner Längsrichtung ver¬
mehrt beansprucht, also gedehnt, so hypertrophiert er allein in dieser
Richtung. Die Hyperämie, die sich hierbei in allen Dimensionen vor¬
findet, vermag keine Rechenschaft zu geben über solche Art der
Gestaltung.
Die Deutung der Vorgänge ist bei der Anpassung folgende. Die
Muskelzelle enthält eine bestimmte Anzahl von Muskelfibrillen, die
ja, nach Ansicht der meisten Histologen, die kontraktilen Einheiten
darstellen. Macht man nun die Annahme, daß sie auf ein bestimmtes
mittleres Arbeitsmaß eingestellt sind, so wird jede Mehrarbeit den
Zellorganismus zur Neuproduktion von Fibrillen anregen, und zwar
in dem Maße, als die mittlere Arbeitsgröße gewachsen ist. Kommt
die Fibrillenproduktion zum Stillstand, so hat eine jede von ihnen
wieder allein ihr ursprüngliches mittleres Arbeitsmaß zu verrichten,
d. h. auf die Querschnittseinheit kommt wieder dieselbe Arbeits¬
größe, der Gesamtquerschnitt aber ist, der erhöhten Leistung ent¬
sprechend, vergrößert worden. Seine Einheit aber behält die ein¬
mal vorhandene Arbeitsfähigkeit. Nach Roux stellt sich bei jeder
erhöhten mittleren Leistung schließlich „Gleichgewicht zwischen Ge¬
stalt und Funktion“ her.
Nun ist aber aus alltäglicher Erfahrung bekannt, daß der eine
mit einer großen, der andere mit einer geringeren Muskelmasse auf
die Welt kommt. Jedes Individuum hat seinen besonderen „Muskel¬
bildungskoeffizienten“. Aber auch die Anpassungsgröße, das Ver¬
hältnis der Volumenzunahme bei Erhöhung der Leistung ist ein ganz
bestimmtes, durch den „Muskelanpassungskoeffizienten“ geregeltes.
Dazu gesellt sich noch der Umstand, daß auch die Qualität der
Muskeln eines Individuums von Gruppe zu Gruppe verschieden sein
kann, sowie vor allem auch die der entsprechenden Gruppen ver¬
schiedener Individuen. Alle diese drei Momente, die beiden „Koef¬
fizienten“ sowie die Qualitäten aber sind bestimmt durch — ver¬
erbte Faktoren. Wir sehen, wie dieser Komplex auch noch auf das
zweite Gestaltungsprinzip bedeutungsschwer übergreift.
Die mögliche Größe der Hypertrophie ist aber beschränkt; die
Masse eines Organes ist in nicht sehr großem Ausmaße vermehrungs¬
fähig. Je länger der AnpassungsVorgang bereits dauert, je älter
ferner das Individuum ist, desto geringer wird jenes Maß. Es hat
demnach den Anschein, als ob hier in funktionellem oder sub¬
stantiellem Sinne ein Verbrauch stattfände, als ob jeder Produktion
im Anpassungsvorgang ein Fortnehmen von Bausubstanz aus einem
Reservoir entspräche, als ob jene Baumaterialien oder bestimmte Teile
davon nicht nur aus der Nahrung stammten. Aber auch jene Mög¬
lichkeit wäre denkbar, daß der Zellmechanismus, je länger der An¬
passungsvorgang schon währt, oder je älter die Zelle ist, desto
langsamer arbeitet. Die Erörterung dieser Frage gehört jedoch
nicht in den Plan dieses Aufsatzes.
In dieser Periode herrscht nach Ansicht Roux’ die Funktion
als gestaltendes Prinzip vor. Immerhin ist aber zu betonen, daß sie
nicht alles Geschehen bestreitet; denn nicht nur — wie wir ja
sahen — innerhalb des Funktionsprinzips walten auch noch vererbte
Faktoren mit — die „Koeffizienten“, sondern auch neben, außer der
Wirkung der Funktion äußert sich die der vererbten Faktoren.
Dies kommt unzweifelhaft in der Tatsache zum Ausdruck, daß längst
erwachsene Kinder in Körperbildung und Haltung um diese Zeit erst
den Eltern besonders ähnlich werden.
Allmählich aber verliert die Funktion ihre Vorherrschaft bei den
Gestaltung^ Vorgängen, und die Wirkung der vererbten Faktoren tritt
wieder stärker hervor. Wir gelangen damit in das Alter der Rück¬
bildungsvorgänge, des Seniums. Roux faßt die Gesamtheit der Er¬
scheinungen, die das von Krankheit freie Greisenalter kennzeichnen,
als in der Organisation durch Vererbung festgelegt auf. Wohl findet
sich noch formender Einfluß der Funktion, so Aktivitätshypertrophie
wie auch Inaktivitätsatrophie, jedoch vermag dadurch der Effekt
nicht beseitigt zu werden, den die durch Vererbung der Zeit wie
der Art nach festgelegten Prozesse hervorbringen. So eben kommt
es zu den typischen Erscheinungen des Greisenalters. Im Determina¬
tionskomplex ist also bestimmt, um welche Zeit etwa die Alters¬
erscheinungen bei einem bestimmten Individuum auftreten, und nur
wenig vermag hieran die Zeit des Vorherrschens der Funktionsge¬
staltung oder die Funktion überhaupt abändernd zu wirken. Hier¬
mit stimmt Ribberts Angabe überein, daß das Senium eintritt un¬
abhängig von der Art des funktionellen Lebens, d. h. ob Tätigkeit
Vorgelegen hatte oder Untätigkeit. Dabei ist selbstverständlich von
jeder Einwirkung pathogener Prozesse abgesehen.
Treten nun auch in dieser Periode IV die Wirkungen der ver¬
erbten Faktoren wieder stärker hervor, so ist, wie bereits erwähnt,
das Funktionsprinzip doch noch von Bedeutung. So findet Roux,
daß die weniger beanspruchten Teile zuerst dem Altersschwunde
verfallen, die stärker beanspruchten dagegen noch der Hypertrophie
— wenn auch in geringem Umfange — fähig sind. So zeigt das
Epithel an stark gebrauchten Körperstellen noch relativ hohe Re¬
generationsfähigkeit. (Hand- und Fußfläche.) An allen Gewebs-
arten finden wir die bekannten Zeichen des Alterns; in den Zellen
selbst sowohl als auch in der Interzellularsubstanz. Alle diese Vor-
Digitized by _Go gle
Original from
CORNELL UNiVERSITV
2. Juni 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
733
gange sind nicht im wesentlichen durch äußere Einwirkungen ver¬
ursacht, vielmehr sind sie zum weitaus größten Teile als im Keim¬
plasma determiniert anzusehen, einen nur geringen Beitrag liefert
die Funktion, wie schon Erwähnung gefunden.
Für den Praktiker, vor allem den Chirurgen und
Orthopäden, ergeben sich aus dieser Periodenlehre
wichtige Folgerungen, sei es für Inangriff nah m e von
Operationen, sei es für die Nachbehandlung. Es soll an
dieser Stelle nicht im Speziellen auf sie eingegangen werden — aus
den mitgeteilten Charakteristika sind sie ja leicht abzuleiten. Es
muß aber Erwähnung finden, daß bislang diese Lehre bei nur
wenigen Praktikern Beachtung gefunden hat. Gerade Roux weist
immer wieder darauf hin, wie sehr sie noch der Bestätigung und
des Ausbaues durch die Beobachtungen und Erfahrungen der prak¬
tischen Aerzte bedarf. Sie ist weit davon entfernt, definitiv abge¬
schlossen zu sein, wird doch noch manche Modifikation sich als
notwendig erweisen. Nur durch Zusamamenarbeiten von Theorie
und Praxis aber kann uns ein tieferer Einblick in das Wesen der
Gestaltungsvorgänge ermöglicht werden. Liefern die Praktiker ihr
umfassendes Erfahrungsmaterial, so können die Theoretiker die
wesentlichen Grundsätze daraus ableiten und der Praxis damit wieder
wichtige Hinweise und Anregungen übermitteln. Auch hierin würden
dann die biologischen Naturwissenschaften und die medizinische
Praxis jenen aussichts- und erfolgreichen Weg betreten, auf dem
ihnen die exakten, anorganischen und die Technik mit so großem
gegenseitigen Nutzen seit einer Reihe von Jahren vorangegangen sind.
Wir lernten zwei die Gestaltung des Organischen beherrschende
Ursachenkomplexe kennen, den der vererbten Faktoren sowie die
Funktion. Wir erkannten auch, daß der umfassendere der der Ver¬
erbung ist. Als neues schaffendes Prinzip konnte nur dieses ange¬
sehen werden. Die Funktion dagegen stellte sich als ein Prinzip
2. Ordnung dar. Bei seinem Wirken handelte es sich stets nur um
Verfeinerung schon vorhandener funktioneller Strukturen oder um
Vermehrung bzw. Verminderung der funktionierenden Masse eines
Organes in relativ engen Grenzen, wobei ebenfalls noch der andere
Komplex mit eingriff. Jede morphologische Leistung geschah hier
nicht aus einem allgemeinen indifferenten Anfang heraus — wie
dieses bei jenem Prinzip 1. Ordnung der Fall ist —, vielmehr ist
stets ein schon differenzierter, funktionsfähiger Gewebekomplex Vor¬
aussetzung seiner Wirkensmöglichkeit. Damit kommt klar zum Aus¬
druck, daß die Funktion ein funktionierendes Etwas voraussetzi
Dieses Gestaltungsprinzip bleibt somit an die Gewebsart gebunden,
seine Produktionsmöglichkeiten sind also nicht frei. Es können am
Epithel Zellen vermehrt oder vermindert, am Muskelgewebe Fibrillen
oder Querscheiben produziert, am Bindegewebe die unterschiedlichen
Interzellularsubstanzen, am Nervengewebe nur die — hypothetischen! —
komplizierten Metastrukturen gebildet werden. Nie findet sich eine
Bildung neuer Art, eine Produktion größerer Mannigfaltigkeit, wie
dieses doch bei den Prozessen der Ontogenese, bewirkt durch die -
vererbten Faktoren, notwendig angenommen werden muß. Die Funk¬
tion kann nur das von dem Gewebe typisch — morphologisch —
Leistungsmögliche steigern oder verringern oder das Gewebe in
seinem Zustand erhalten. Man kann somit sagen: die Funktion er¬
hält aufrecht, steigert oder mindert herab das Ausmaß von Prozessen,
die der Art nach durch vererbte Faktoren festgelegt, typisch de¬
terminiert sind. Sie leitet die Größe der Substanzvermehrung sowie
deren Anordnung gemäß dem Theorem der funktionellen Anpassung.
Der hervorstehende Charakter der Periode III ist also der der Reiz¬
gestaltung gegenüber dem der Bildung von Mannigfaltigkeiten durch
die Determinationsfaktoren vorwiegend in Periode I und IV.
(Ein Schluß-Artikel folgt.)
Chirurgische Ratschlage für den Praktiker.
Von Q. Ledderhose in München.
XXI.
Akuter Darmverschlufi.
Wollte man zehn chirurgische Gebote für den Praktiker auf¬
stellen, so dürfte die Mahnung nicht fehlen, welche Stromeyer
seinen Schülern zu geben pflegte: „Wenn Ihr am Tage zu einem
eingeklemmten Bruche gerufen werdet, so laßt die Sonne nicht
untergehen, und wenn Ihr nachts gerufen werdet, so laßt sie nicht
aufgenen, ehe Ihr denselben befreit habt.“ Diese Mahnung ist des¬
halb voll berechtigt, weil bei jedem Falle von eingeklemmtem
Bruch die Gefahr plötzlicher bedrohlicher Verschlimmerung be¬
steht, und sie hat sich durchaus nicht überlebt, indem auch heute
noch gar nicht so selten verhängnisvolle Irrtümer bei der ärztlichen
Beurteilung dieser Fälle Vorkommen. Genau das Gleiche gilt für
diejenigen Formen des Ileus, welche auf innerer Einklemmung oder
Darmabschnürung beruhen. Bei eingeklemmtem Bruch wird in der
Regel der Arzt von dem Kranken, dem sein Bruchleiden bekannt
war, darauf hingewiesen, daß der Bruch plötzlich vorgetreten, emp¬
findlich sowie hart geworden sei und sich nicht mehr zurückdrücken
lasse. In anderen Fällen wird angegeben, daß ein bisher irreponibler
Brudi plötzlich größer, schmerzhaft und stärker gespannt geworden
sei. Aber es kommt auch vor, daß der Arzt wegen der allgemeinen
Folgen der Brucheinklemmung zu Rate gezogen wird und daß dem
Kranken das Bestehen eines Bruches, zumal eines eingeklemmten,
nicht bekannt ist. Dies kann sich insbesondere dann ereignen, wenn
der betreffende Bruch klein ist und wenn von vornherein starke
Schmerzen im ganzen Leib das Krankheitsbild beherrschen. Auch
für den Arzt besteht unter solchen und ähnlichen Verhältnissen die
Gefahr, zumal bei fettleibigen Personen, namentlich einen kleinen
eingeklemmten Nabel- oder Schenkelbruch zu übersehen. Man soll
keine Diagnose auf akute Magendarmerkrankung einschließlich der
Appendizitis und erst recht nicht auf inneren Darmverschluß stellen,
ohne die äußeren Bruchpforten untersucht zu haben.
Die Einklemmung des einfachen Leisten-, Schenkel- oder
Nabelbrudies gestaltet sich etwa wie folgt. Ohne klare Ursache
oder nach Heben, Pressen (Stuhlgang) oder Husten tritt der Bruch
lötzlich vor und zeigt starke Spannung und Schmerzhaftigkeit;
hockerscheinungen, wie Schwindelgefühl, Ohnmachtsanwandlung, Er¬
brechen, machen sich geltend. Durch den ganzen Leib ziehen kolik¬
artige Schmerzen, lebhaftes Kollern ist wahrnehmbar, doch gehen
Winde und Stuhl nicht ab. Darmentleerung nach Einlauf bringt keine
Erleichterung. Geht die Einklemmung nicht zurück oder wird sie
nicht beseitigt, so nehmen Schwellung (Bruchwasser) und Empfind¬
lichkeit des Bruches zu. Es stellt sich Meteorismus ein, vOn neuem
tritt Erbrechen auf, das in Ausschütten (ohne Würgen) kotiger Flüs¬
sigkeit übergeht. Die Resorption des gestauten, zersetzten Darm¬
inhalts bewirkt allgemeine Vergiftungserscheinungen: kleinen, be¬
schleunigten Puls, subnormale Temperatur, verfallenes Aussehen,
Zyanose und Kühle der peripherischen Körperteile, kalten Schweiß.
Die Harnabsonderung ist stark beschränkt. Die Haut über dem Bruch
wird ödematös, sie rötet sich als Zeichen dafür, daß die geschädigte
Darmwand durchgängig geworden oder perforiert ist. Peritonitis
oder äußere Kotphlegmone treten auf (embolische Pneumonie). Nur
in sehr vereinzelten Fällen wird auf dem Wege des Durchbruchs
nach außen, der Abstoßung des brandigen Darmabschnitts, unter
Bildung eines widernatürlichen Afters oder einer Darmfistel die
Hauptgefahr der Einklemmung spontan überwunden.
Von' dem typischen Bild der Bruchinkarzeration sind zahlreiche
Abweichungen zu verzeichnen. Ist mit dem Darm Netz vor-
efallen, oder fand Austritt und Einklemmung des Darms in einen
ruchsack mit vorgelagertem, verwachsenem Netz statt, so vermag
dieses die Darmwand vor der Wirkung des einschnürenden Ringes
zu schützen und mildere Anfangssymptome sowie milderen Verlauf,
aber auch erhöhte Schwierigkeit für die Beurteilung zu bedingen.
Besonders irreführend kann es wirken, wenn während der Einklem¬
mung die Darmfunktion zunächst erhalten bleibt, wie es bei inkar-
zeriertem Darmwandbruch (divertikelartig ausgebuchteter Teil
des Darmrandes) oder reinem Netzbruch der Fall ist. Bei
alleiniger Einklemmung eines Netzstücks, die bis zu dessen Nekrose
vorschreiten kann, pflegt auch das Allgemeinbefinden wenig zu leiden,
während beim eingeklemmten Darmwandbruch infolge meist schnell
eintretender Gangrän das Gegenteil die Regel ist. Kotstauung und
Koteinklemmung in lange bestehenden, großen, irreponiblen
Brüchen alter Leute vermögen zu einem schweren, dem Okklusions¬
ileus verwandten Symptomenbild zu führen und geben, wie schon
an dieser Stelle bemerkt sei, ungünstige Aussichten für operative
Behandlung. Diagnostische Irrtümer ereignen sich auch in Fällen,
wo Entzündungen im Bereich der Bauchdecken oder des Bauchfells
auf einen Bmchsack übergegriffen haben. Ein nicht immer leicht
zu deutendes Krankheitsbild entsteht bei Appendizitis innerhalb eines
Leistenbruchsacks.
Der Praktiker hat nicht immer die Möglichkeit und die Macht,
bei frisch eingeklemmten Brüchen die Behandlung streng nach
wissenschaftlichen Grundsätzen und unabhängig von den äußeren
Verhältnissen in die Wege zu leiten. Grundsätzlich stelle er sich
auf den Standpunkt, daß die unblutige Reposition, die Taxis, zu
gewaltsam und verspätet ausgeführt, mit erheblichen Gefahren ver¬
bunden ist, im Gegensatz zur Herniotomie, zu deren Gunsten auch
noch spricht, daß sie sich mit der Radikaloperation des Bruches
verbinden läßt, wodurch die Notwendigkeit des weiteren Tragens'
eines Bruchbandes sowie die Gefahr weiterer Einklemmung in Fort¬
fall kommen. Daß es für den Kranken mit Brucheinklemmung am
besten und aussichtsreichsten ist, wenn er möglichst bald chirur¬
gischer Krankenhausbehandlung anvertraut wird, läßt sich
nicht bestreiten. Im Krankenhaus wird man, wie übrigens auch im
Privathaus, bei nachweisbar frischer, erst vor einigen Stunden (ohne
schweren Shock begonnener) Einklemmung, namentlich bei weiter
Bruchpforte, bei kleinen Kindern und bei älteren, heruntergekom¬
menen oder sonstwie kranken Personen, vorausgesetzt, daß keine
Zeichen von traumatischer oder entzündlicher Reizung am Brudi
bestehen, den Versuch der Taxis machen dürfen. Vorher war etwa
durch die Eisblase, durch Aetheraufgießen (viertelstündlich 1 E߬
löffel während 1 bis 2 Stunden unter Schutz der umgebenden
Haut mittels Oels) durch Magenaushebern, Einlauf oder warmes
Bad spontaner Rücktritt des Bruches angestrebt worden. Bei Schen¬
kelbrüchen ist wegen ihrer besonderen Neigung zu schnell auftreten¬
der, schwerer Schädigung des eingeklemmten Darmes am besten
ganz von der Taxis Abstand zu nehmen.
Die Taxis wird so ausgeführt, daß man nach Entleerung von
Blase und Mastdarm bei erhöhtem Becken mit den Spitzen der einen
Hand an der Bruchpforte drückende, schiebende und ziehende Be¬
wegungen ausführt, während die andere Hand den Bruch im ganzen
umfaßt und von seiner Basis her einen gleichmäßigen Druck aus¬
übt; auch schiebender Druck oberhalb des Leistenbandes ist zuweilen
wirksam. Größere Gewalt darf dabei nicht zur Anwendung kommen,
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
734
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 22
da sie die Gefahr der Darmverletzung, der Verschiebung des ganzen
Bruches (Bruchsack mit Inhalt) oder des Darms mit dem abgerissenen,
einschnürenden Ring gegen die Bauchhöhle zu setzt, ohne die Ein¬
klemmung zu beseitigen. Länger als 5—10 Minuten sollen die Taxis¬
versuche nicht fortgesetzt werden. Entschließt man sich zur Nar¬
kose, so muß vorher alles für die nötigenfalls sofort anzuschließende
Hemiotomie vorbereitet sein. Nach gelungener Taxis soll der Finger
in den Bruchkanal eingeführt werden, um festzustellen, ob nicht
scheinbare oder unvollständige Reposition stattgefunden hat. Ist
alles in Ordnung, so wird ein komprimierender Verband oder ein
Bruchband angelegt. Auch der nicht chirurgisch ausgebildete Prak¬
tiker kommt öfter, namentlich auf dem Lande, in die Lage, die
Herniotomie selbst ausführen zu müssen. Er ist dazu zweifellos
berechtigt, vorausgesetzt daß er mit den Regeln der Aseptik ver¬
traut ist, daß er die anatomischen Verhältnisse der Hernien und
die Technik der Operation kennt sowie den vorhandenen oder etwa
auftretenden Komplikationen gegenüber die richtigen Wege einzu¬
schlagen weiß. Liegt Veranlassung vor, statt der meist ausreichen¬
den Lokalanästhesie die Allgemeinnarkose einzuleiten, so muß
unbedingt vorher der Magen ausgehebert werden. Als Nebenver¬
letzungen, vor denen man sich besonders zu hüten Jiat, sind zu
nennen die der Art. epigastrica inf., des Samenstranges, der Schenkel¬
vene (bei Kruralbruch) und des Darms, insbesondere wenn dieser
verwachsen ist. Der kritischste Zeitpunkt bei der Operation ist ge¬
geben, wenn nach Beseitigung der Einschnürung beurteilt werden
muß, ob der Darm ohne Bedenken in die Bauchhöhle zurückverlagert
werden darf, oder ob die durch die Einklemmung bewirkte Schädigung
der Darmwand dies verbietet. Ueberraschungen können sich dabei
durch das Bestehen sog. retrograder Einklemmung ergeben.
Immer mehr hat sich die Anschauung durchgesetzt, daß die Re¬
sektion des durch die Inkarzeration teilweise oder ganz lebens¬
unfähig gewordenen Darms als das Normalverfahren zu gelten hat.
Nur wenn es die äußeren Verhältnisse und der Allgemeinzustand des
Kranken erforderlich machen, wird man sich zur Vorlagerung
des gangränverdäditigen oder gangränösen Darms entschließen. Im
Bruchsaoc verwachsenes oder eingeklemmtes Netz ist in der Regel
zu resezieren. Besondere Indikationen ergeben sich, wenn bereits
Entzündung des Bruchs, Phlegmone, Perforation des Darms oder gar
akute Peritonitis vorliegen.
Für den inneren Darmverschluß hat die Einteilung in
Okklusions- und Strangula tionsileus nicht nur theoretische,
sondern auch eminent praktische Bedeutung. Wir verstehen unter
Okklusion (Obturation) das Unwegsamwerden des Darms infolge
lokaler Hindernisse, ohne daß zunächst die Ernährung der Darmwand
Schaden erleidet, dagegen handelt es sich bei der Strangulation um
Abschnürung kleinerer oder größerer Darmabschnitte, wobei der Ver¬
schluß der mesenterialen Blutgefäße notwendigerweise zum Absterben
des Darms führen muß. Schon aus dieser Gegenüberstellung ergibt
sich die hohe Dringlichkeit und Gefährlichkeit des Strangulations-
ileus. Als Ursachen der Darmokklusion seien genannt: Fremd¬
körper (Klumpen von Fruchtschalen oder -kernen, Gallensteine,
Würmer [Kinder]). Strikturen nach tuberkulösen, dysenterischen
(Dickdarm) oder typhösen Geschwüren sowie nach Darmoperationen.
Verengerung und Abknickung durch peritoneale Verwach¬
sungen und Stränge (Druck und Zug), wie sie nach Bauchfell¬
entzündung aus den verschiedensten Ursachen, namentlich aber nach
Appendizitis, nach Erkrankungen des Gallensystems, nach Magen¬
geschwür und nach entzündlichen Prozessen der weiblichen Becken¬
organe Zurückbleiben. In dieser Richtung ist der Dickdarm an
seiner lienalen und hepatischen Flexur besonders empfindlich, indem
schon nicht gerade erhebliche peritonitische Adhäsionen ein schweres
Hindernis für die Fortbewegung des Darminhalts (Verwachsung
nach Art einer doppelläufigen Flinte) und' Ileus zu bedingen ver¬
mögen. Geschwülste, vorwiegend das Karzinom des Dickdarms
in dessen verschiedenen Abschnitten, wie auch des Mastdarms.
Druckwirkung auf den Darm von außen her durch große Zysten
und Geschwülste (Ovarium, Uterus, Niere). Als Ursachen des
Strangulationsileus kommen im wesentlichen folgende in Be¬
tracht. Darmeinklemmung in präformierte peritoneale
Taschen: Bursa omentalis (auch nach hinterer Gastroenterostomie),
Fossa duodeno-jejunalis (Treitzsche Hernie), Fossa subcoecalis,
Zwerchfellbrüche. Abschnürung durch innerhalb der Bauchhöhle ge¬
bildete Ringe: angewachsene Netzstränge, Meckelsches Divertikel
(verschiedene Möglichkeiten). Volvulus, d. h. Drehung der Flexura
sigmoidea, des Zökums oder des Dünndarms um die Ansatzstelle des
Mesokolons oder des Mesenteriums als Fußpunkt nach rechts oder links
um 90, 180 oder 270°, ferner Knotenbildung des Darms (Darmver¬
schlingung). Eine Mittelstellung zwischen dem Okklusions- und
Strangulationsileus nimmt der Darmverschluß durch Invagination
ein (am häufigsten bei kleinen Kindern in der ileozökalen Form).
Den beiden besprochenen Arten des mechanischen Darm Verschlusses
sind die auf Darmlähmung beruhenden Fälle von sog. dynami¬
schem Ileus gegenüberzustellen, wie sie die akute diffuse Peritonitis
liefert; hierher gehört auch der nervös-hysterische, spastische Ileus.
Die Symptome der einzelnen Formen des Ileus weisen be¬
zeichnende Unterschiede auf, welche meist die differentielle Diagnose
ermöglichen. Der Okklusionsileus tritt nur selten unvorbereitet,
plötzlich in die Erscheinung; in der Regel steigern sich die Sym¬
ptome allmählich entsprechend der zunehmenden Darmverengerung.
Anfälle von Kolikschmerzen mit lebhaften kollernden Geräuschen
sowie mit Brechreiz und Erbrechen treten auf. Zeiten hartnäckiger
Obstipation und reichlicher Diarrhöen wechseln ab, Entleerung von
plattgedrückten und kleinknolligen Fäzes, von Schleim und Blut
(Verdacht auf Karzinom) wird beobachtet. Ist der Abschluß voll¬
ständig geworden, so hört der freiwillige Abgang von Winden
und Kot auf, es besteht Erbrechen, das sich bis zum Kotbrechen
steigert. Der oberhalb der verschlossenen Stelle gelegene Dann¬
abschnitt ist erweitert und bedingt häufig eine sicht- und fühlbare,
begrenzte Vorwölbung der Bauchwand. Lebhafte, schmerzhafte peri¬
staltische Bewegungen und Steifungen werden an ihm wahrgenom¬
men, metallisch klingende (Auskultation) und sog. Poltergeräusche
sind festzustellen. Die Stauung des Darminhalts erstreckt sich auf
die gesamten, oberhalb des Hindernisses gelegenen Abschnitte. Je
höher die abgeschlossene Stelle sitzt (Röntgenstrahlen), desto mehr
beschränkt sich der Meteorismus auf die Oberbauchgegend. Dann¬
verschluß im unteren Abschnitt des Dünndarms führt zu Auftreibung
der Bauchmitte, während die Seiten ihre Form nicht verändern. Je
tiefer dagegen das Hindernis im Dickdarm sitzt, desto deutlicher
prägt sich der „Flankenmeteorismus“ aus. Die Aufblähung des Zö¬
kums ist besonders deutlich wahrzunehmen. In keinem Fall von
Darmverschluß darf die Untersuchung vom Rektum oder von der
Vagina aus verabsäumt werden. Die Ueberlegenheit des längeren
Fingers zeigt sich zuweilen in der Auffindung eines hochsitzenden,
obturierenden Krebses des Mastdarms. Bei Fortbestand der Okklu¬
sion verschlechtern sich das Allgemeinbefinden und die Herztätigkeit
immer mehr; Zeichen von Peritonitis weisen darauf hin, daß der
Darm oberhalb des Hindernisses (Distensionsgeschwüre) durchgängig
geworden oder daß Perforation an der stenosierten Stelle erfolgt ist.
Der Strangulationsileus ist dadurch ausgezeichnet, daß er
meist ohne Vorboten mit heftigen Schmerzen, Erbrechen und kollaps¬
artigen Erscheinungen einsetzt. Der Leib treibt sich zunächst nicht
auf, kann sogar eingezogen sein; Darmbewegungen und Geräusche
sind nur wenig ausgesprochen oder fehlen ganz. Von hervorragend
diagnostischem Werte ist es, wenn der abgeschnürte, strangulierte
Darmabschnitt aufgetrieben und bewegungslos sicht- und fühlbar
(rektale Untersuchung) wird. Der Darm ist undurchgängig; die
Bauchdecken zeigen reflektorische Spannung. Die Abschnürung des
Mesenteriums oder Mesokolons bewirkt hochgradige venöse Stauung
oder arterielle Anämie; damit zusammenhängend entstehen blutige
Exsudation in das Darmlumen und in die Bauchhöhle, hämorrhagische
Infiltration der Darmwand und Gangrän. Das anfängliche Erbrechen
hatte bald aufgehört, tritt aber von neuem auf und entwickelt sich
zum Kotbrechen. Die Resorption des zersetzten, fauligen Darminhalts
(Indikanurie) verursacht toxische Schädigung des Herzens und des
Allgemeinbefindens bei erhaltenem Bewußtsein. Peritonitis bleibt
nicht aus. Wie sich aus dem Vorgetragenen ergibt, spielt die Ana¬
mnese eine entscheidende Rolle für die Diagnose des Ileus und
namentlich für die diagnostische Trennung der beiden Hauptformen.
Die Kenntnis von dem Wesen des Ileus, seinem Verlauf und
seiner außerordentlichen Gefährlichkeit, insbesondere aber die Er¬
fahrung, daß sich das Schicksal des Kranken häufig innerhalb ganz
kurzer Zeit entscheidet, rechtfertigt die Forderung, die Kranken
sobald als möglich chirurgischer Behandlung zuzuführen. Es
ist ohne weiteres klar, daß Abführmittel bei Heus nicht ver¬
ordnet werden dürfen, da man befürchten muß, daß sie schädlich
auf die mechanischen Ursachen des Darm Verschlusses sowie auf deren
Folgen einwirken. Auch die Darreichung von Opiaten ist nicht
ohne Bedenken. Man hat zwar danach in vereinzelten Fällen Wieder¬
herstellung der Darmpassage beobachtet, auch vermag das Opium
das stürmische Andrängen des Darminhalts gegen das okkludierende
Hindernis zu mäßigen; aber da es das Zustandekommen der Darm-
lähmurig begünstigt, wirkt es namentlich bei noch teilweiser Durch¬
gängigkeit des Darms ungünstig, außerdem, was sehr wichtig ist,
verschleiert es das Krankheitsbild und hemmt die diagnostische Er¬
kenntnis sowie den rechtzeitigen Entschluß sämtlicher Beteiligten
zur Operation. Für die Bekämpfung hochgradiger Schmerzen sind
wiederholte kleine Morphiumeinspritzungen, welche gegenüber
dem Opium den Vorteil kürzer dauernder Wirkung haben, nicht zu
umgehen. Vereinzelte günstige Erfahrungen, die bei unklaren Fällen
von Ileus mit Belladonnapräparaten (Atropin) oder Physo¬
stigmin gemacht wurden, können deren allgemeine Anwendung
nicht rechtfertigen. Jedenfalls ist unbedingt daran festzuhalten, daß
beim Strangulationsileus jeder innerliche Behandlungsversuch zu
unterbleiben hat. Aushebern des Magens bringt den Ileus-
kranken große Erleichterung, es bildet die notwendige Vorbereitung
zur Operation und hat auch gelegentlich schon die Ileussymptome
vorübergehend oder dauernd zum Rückgang gebracht. Hohen Ein¬
läufen, auch mit Seifenwasser oder Oel, hat man von jeher ziem¬
lich großes Vertrauen bei Ileusfällen entgegengebracht, obwohl eine
wirkliche heilende Wirkung doch nur unter ganz besonderen Ver¬
hältnissen (frische Invagination, beginnender Volvulus) denkbar ist.
Haben Anamnese, Untersuchung und Beobachtung des Ileus-
kranken ein bestimmtes Urteil über Art und Sitz des Hindernisses
ergeben, so wird man auf dieses operativ eingehen, vorausgesetzt
daß das Allgemeinbefinden des Kranken es zuläßt, und wird die
Dyrehgängigkeit des Darmes wiederherzustellen suchen. Es kommen
beim Okklusionsileus in Betracht: die Eröffnung des Darmes
zur Beseitigung von Fremdkörpern, die Lösung oder Trennung peri¬
tonealer Verwachsungen und Stränge, die Resektion von Darmab¬
schnitten, die durch Narben oder Geschwülste stenosiert sind, die
Enteroanastomose zur Umgehung solcher Hindernisse, als Vorbe¬
reitung für die spätere Resektion oder als Notoperation das Anlegen
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNÜVERSrrf
2. Juni 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
735
einer Darmfistel oder eines künstlichen Afters. Liegt Strangu-
lationsileus vor — die Dringlichkeit sofortiger Operation bei
dieser Diagnose sei nochmals betont —, so ist die Ausgangsstelle
freizulegen und bei innerer Brucheinklemmung der einschnürende
Ring, wenn nötig, zu spalten, oder es sind abschnürende Stränge zu
durchtrennen, Verdrehungen zu beseitigen (Annähen des befreiten
Darmes) und ganz frische Invaginationen zu reponieren.
Hat der Darm noch keine ernste Schädigung erfahren,
so ist die Prognose dieser Eingriffe durchaus günstig.
Leider kommt es häufig erst zur Operation, wenn der
Darm nicht mehr lebensfähig ist oder bereits Peritonitis
und allgemeine Intoxikation bestehen. Es hängt dann
von den näheren Umständen ab, ob die Resektion des
betreffenden Darmabschnittes noch zulässig erscheint,
oder ob man sich etwa auf Vorlagerung des Darms
und Behandlung der Peritonitis beschränken muß.
Daß in Fällen von Ileus, bei denen Sitz und Art des
Hindernisses unklar sind und der ungünstige Allgemein¬
zustand eine Laparotomie verbietet, das Anlegen einer
Darmfistel fast nur bei Okklusion und vielleicht bei
Volvulus nützlich sein kann, bedarf keiner besonderen
Begründung. Gelingt es ausnahmsweise, auf diesem
Wege die schweren Erscheinungen zunächst zum Rück¬
gang zu bringen, so kann in einer zweiten Sitzung die
Beseitigung des Hindernisses in Angriff genommen
werden.
Das Studium der Lehre von der Brucheinklem¬
mung und dem inneren Darmverschluß ergibt, daß
hier mit sehr mannigfaltigen und komplizierten Ver¬
hältnissen gerechnet werden muß und daß sich in
zahlreichen Fällen nur auf Grund eingehender Kenntnisse und reicher
Erfahrung bezüglich Diagnose und Behandlung das Richtige treffen
läßt.
drängen des Corpus uteri vom hinteren Scheidengewölbe her (Fig. 1),
2. im Fassen des Uterus durch die Bauchdecken hindurch (Fig. 2),
Zurückschieben der Portio vaginalis (Fig. 3) und gleichzeitiges (Fig. 4)
Niederdrücken des Korpus nach der Symphyse zu.
Die Aufrichtung eines retroflektierten Uterus kann schwierig
sein und auch dem Geübten nicht immer sofort gelingen. Frucht-
Flg. 4.
Fig. 3.
Kursus der gynäko-therapeutischen Technik.
Von Prof. H. Freund in Frankfurt a. M.
V.
Technik der Behandlung der Lageverflnderungen.
Da Lageveränderungen der Genitalorgane, wenn sie nicht etwa
durch Bauchtumoren oder Aszites verschuldet werden, nicht selten
eine Teilerscheinung allgemeiner Enteroptose sind, sei an deren
Behandlung hier nur erinnert: Beseitigung von Schäden des Be¬
rufes, der Lebensführung, der Kleidung; Kräftigung des Gesamt¬
organismus und der Bauchdecken, Sorge für geregelten Stuhl; Ban¬
dagen, Bäder usw. sind Voraussetzungen jeder weiteren Heil¬
bestrebung. — Die gewöhnlichste Lageveränderung, die Retro-
flexio uteri, macht, wenn sie beweglich ist, fast nie Symptome
und bedarf im allgemeinen der Behandlung nicht. Verursacht sie
aber Kreuzschmerzen, Dysmenorrhoe und Fluor, Sterilität, Blasen¬
störungen und nervöse Beschwerden, so ist die Aufrichtung
und Pessarbehandlung die gegebene und ausreichende
Therapie. Es trifft nicht zu, was die Anhänger einer ausschlie߬
lich operativen Flexionsbehandlung behaupten, daß der Mehrzahl der
Frauen das Tragen eines Fremdkörpers, ja oftmals schon der Ge¬
danke daran unerträglich wäre. Die allermeisten haben, wenn sie
Fig. i.
Fig. 2.
ihrer Beschwerden ledig und an das Pessar gewöhnt sind, nichts
dagegen einzuwenden. Nicht selten jedoch fürchten die Frauen,
nach der Kur leichter schwanger zu werden, ein Gedanke, der bis
zu einem gewissen Grade richtig ist; aber das betrifft schließlich
jede Art von Lagekorrektur.
Zur Aufrichtung des Uterus bedarf es vierer Handgriffe,
die man sehr oft geübt haben und beherrschen muß, ehe man an
die Pessarbehandlung gehen darf, denn das bloße Einlegen eines
Ringes ohne vorherige Richtigstellung des Uterus ist ein Fehler
und zwecklos. Die vier Handgriffe bestehen 1. im Aufwärts¬
3. Akt.
lose Versuche machen die Kranke nervös und veranlassen sie, will¬
kürlich und unwillkürlich die Bauchpresse in einer Art Verteidigung
anzuspannen. Der Ungeübte versucht dann wohl, den Widerstand
durch noch größere Gewalt zu überwinden. Das ist ganz unzweck¬
mäßig und vereitelt alles. In solchen Fällen soll man zur Narkose
greifen, aber nie vergessen, daß diese unvorbereitet ist und an
einer erregten Patientin vorgenommen wird; gerade dabei kommen
unerwartete Zufälle vor! — Ist der Uterus beweglich, so gelingt
seine Reposition in der Narkose oft überraschend leicht, auch da,
wo der Anfänger vielleicht Adhäsionen vermutet hat. Das Pessar
wird nun sofort eingelegt. — Sind Adhäsionen da, so soll
man sich daran erinnern, daß sie Produkte und Folgen einer peri¬
tonealen Entzündung darstellen, die in der Mehrzahl aller Fälle
von den Adnexen ausgegangen ist. Dann handelt es sich also um
eine Beckenperitonitis, oft noch mit entzündlichen Residuen in den
Adnexen, zu denen eine Rückwärtsverziehung des Corpus uteri
sekundär hinzugekommen ist. Demnach ist mit resorbierenden Mitteln
die Adnex- und Beckenbauchfellentzündung zunächst anzugreifen.
Ist alles Resorbierbare resorbiert, dann kann man bimanuell und
planmäßig wiederholt die Dehnung übriggebliebener Stränge vor¬
nehmen (nach Art der Thure-Brandtschen Massage). Dieses Vor¬
gehen ist dem brüsken Zerreißen der Stränge (nach Sch ultze)
bei weitem vorzuziehen. Dieses geschieht in Narkose, nachdem man
entweder zuvor den Uterus mit Laminaria so weit dilatiert hat, daß
man einen Finger in ihn einzwängen kann, oder indem man den
nicht erweiterten Uterus bimanuell packt und ihn so energisch nach
vorn, rechts, links, nach oben zerrt, daß „alle Stränge reißen“. Ent¬
gegen dem Beifall, den einige diesem Verfahren spenden, rate ich
entschieden davon ab. Erfahrene Gynäkologen haben schwere Ver¬
letzungen dabei gesehen, ebenso Shok, der jedenfalls
durch kleinere oder größere Blutaustritte in den Douglas
veranlaßt wird. Man soll nur eine Dehnung der Stränge
in Narkose vornehmen, wenn die Uterusaufrichtung nicht
gelingt, und soll operieren, wenn auch das nicht gelingt
und die Beschwerden ein operatives Vorgehen rechtfertigen.
Ein weiteres Hindernis der Aufrichtung kann in einer
abnormen Weichheit und Schlaffheit der Gebärmutter
liegen, sie drückt sich dann beim bimanuellen Vorgehen
zusammen, läßt sich schwer umgreifen, weicht seitlich aus
und bietet mit einem Wort dem mechanischen Bemühen
keine Angriffsfläche. Auch wenn man sie schließlich
antevertiert hat, bleibt sie im Pessar nicht liegen, sondern
sinkt über oder unter demselben wieder in die alte
Falschlage. Hier wird man erst längere Zeit tonisierend
vorgehen, die Kontraktion systematisch durch aufsteigende
Duschen, Hydrastispräparate, Massage anregen und dann
erst die Reposition vornehmen. Drängt man einen Uterus
stark aufwärts, sodaß die Scheidengewölbe sich anspannen,
so löst man dadurch eine prompte Zusammenziehung aus.
Das macht man sich auch hier zunutze. Die fettreichen und die
straffen Bauchdecken, voller Darm und volle Blase können die
Uterusaufrichtung erschweren. Die Patientin muß demnach richtig
vorbereitet sein und eventuell eingeschläfert werden. Dem Geübten
genügt dann oft der Aetherrausch. Schnellt der Uterus nach ge¬
lungener Reposition wieder zurück, so ist eine Adhäsion, viel häu¬
figer aber eine chronische Ligamentverkürzung der betreffenden
Seite schuld.
Die Aufrichtung des Uterus aus beweglicher Rückwärtsverlage¬
rung kann man, wenn sie in der geschilderten Weise nicht gelingt,
in Knie-Ellenbogenlage vornehmen, man kann die Portio vaginalis
mit einer Hakenzange fassen, die eine Hilfsperson langsam und
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
736
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 22
schonend anzieht, sodaß dann der oben abgebildete dritte Handgriff
sofort möglich wird. Das Aufrichten mittels der in die Uterinhöhle
cingeführten Sonde ist nicht ohne Gefahr der Perforation und soll
von Nichtgeübten jedenfalls unterlassen werden. Wer seiner Diagno¬
stik ganz sicher ist, sodaß er eine beginnende Schwangerschaft,
eine entzündliche Beteiligung der Adnexe und des Peritoneums
auszuschließen vermag, der kann unter Beachtung aller aseptischen
und sonstigen Kautelen bei fetten oder empfindlichen Frauen in
einen sonst nicht bequem zu adressierenden Uterus die Sonde
so einführen, daß der Knopf nach hinten gleitet, sie dann langsam
im Cavum uteri umdrehen, sodaß der Knopf nunmehr nach vom
zeigt, und unter Senkung des Griffes bei guter Benutzung der auf
den Bauchdecken liegenden Hand das Korpus anteflektieren.
Die Behandlung der Retroflexio uteri gravidi kann hier nicht
besprochen werden. Ein zu ihrer Behebung früher verwendetes
Verfahren, nämlich einen Kolpeurynter in die Scheide zu legen,
könnte man bei einer schwierig auszugleichenden Rückwärtslage der
nichtschwangeren Gebärmutter einmal versuchen.
Wenn man liest, daß Fieber und große Schmerzhaftigkeit gegen
fortgesetzte Bemühungen der bisher genannten Art eine Kontra¬
indikation darstellen, so ist dazu zu bemerken, daß das Fieber ge¬
wöhnlich von einer Entzündung in der Umgebung des Uterus her¬
rührt, die an und für sich Aufrichtungsversuche verbietet. Das kann
auch auf die große Schmerzhaftigkeit Bezug haben; aber ein Er¬
fahrener richtet nicht selten den Uterus ohne wesentliche Schmerz¬
bereitung auf, wo ein Unerfahrener weh getan hat. An den Schluß
dieses Abschnitts möchte ich ein Wort H. Fritschs setzen: „Er¬
innert man sich, daß man selbst viele lange Jahre braucht, um die
Pessarbehandlung zu erlernen, so werden auch andere nicht nach
der Lektüre eines Kapitels über Lageveränderungen sofort Meister
sein. Anfänger aber werden bei der Reposition in der Narkose
sehr vieles lernen.“
Ist der Uterus aufgerichtet, so wird er durch ein Pessar in
richtiger Lage fixiert. Die Auswahl eines solchen erfordert ebenfalls
Erfahrung und Aufmerksamkeit. Alle vorangegangenen Bemühungen
sind umsonst, wenn die normale Anteversion nicht garantiert ist.
Dazu muß man sich klar machen, was man mit einem Stützapparat er¬
reichen kann und wie ein solcher wirkt.
Die Vorwärtslage des in der Höhe des inneren Muttermundes
durch die Ligamenta lata mitten im Becken gehaltenen Uterus wird
weniger durch die aus der vorderen Korpuswand entspringenden
und in den großen Schamlippen verankerten Ligg. rotunda, als durch
die Lgg. sacro-uterina innegehalten. Letztere ziehen die hintere
Zervixwand, in der sie inserieren, nach hinten und aufwärts, sodaß
das bewegliche Korpus vornüber sinken muß. Ihre Aktion also gilt
es bei einer Retroflexion nicht bloß zu stärken, sondern, wenn sie
erschlafft sind, zu ersetzen. Das geschieht durch eine Ausspannung
des hinteren Scheidengewölbes in querer Richtung und durch eine
Streckung der Vagina. Daher sind die früher fast ausschließlich
verwendeten runden Ringe im allgemeinen unzureichend, liegen sie
doch nicht im Scheidengewölbe, sondern hauptsächlich in der Scheiden¬
mitte und Sind sie doch nicht imstande, das Vaginalrohr wesentlich
zu strecken. Diese Aufgaben erfüllen am besten die länglichen
Pessare, und zwar die Hodgeschen und die Thomasschen.
Fig. 5. Fig. 7.
Hodgepessar. pessar.
Allgemein kann man über das Material, aus dem die „Ringe“
hergestellt werden, sagen, daß der Hartgummi den Vorzug ver¬
dient, Zelluloid muß von guter Qualität sein, man kann ein solches
Pessar in kochendes Wasser werfen und dann nach den Bedürf¬
nissen des Falles biegen; in kaltem Wasser bleibt darauf die ge¬
gebene Form bestehen. Dasselbe Verfahren kann man auch bei
Hartkautschuk an wenden. Alle Gummi- und gummiüberzogenen Mo¬
delle lösen sich an der Oberfläche auf, reizen die Schleimhaut und
verursachen riechenden Ausfluß. Die Zinn- und Aluminiumprothesen
sieht man nur noch selten, sie werden oberflächlich schnell rauh
und sind darum nicht empfehlenswert. Solche aus Porzellan und
Vollglas sind schwer, in letzter Zeit werden Hohlglaspessare emp¬
fohlen.
Was die Form anlangt, so sind die wenig gebogenen Hodge
zwar am leichtesten einzulegen, spannen aber den Fornix nicht
immer so genügend, wie die stärker gebogenen. Man wähle sie
nicht zu dünn, besonders soll der quer im Scheidengewölbe liegende
Bügel möglichst dick sein, er beschädigt dann die Wand am wenigsten.
Die achterförmigen Schultzeschen Pessare haben die Aufgabe, die
Portio selbst in einem der Halbringe zu fixieren, was aber zur
Herstellung einer Anteflexion nicht ausreicht. Beim. Einlegen
eines Pessars muß man sich des Baues der Scheide erinnern.
Die mediane Vorwölbung der vorderen und hinteren Wand sind als
Columna rüg. ant. (Harnröhrenwulst) und Columna rüg. post, be¬
kannt. Sie bedingen eine H-förmige Durschschnittsfigur der Vagina.
Man wird daher einen Ring niemals senkrecht — von der Symphyse
abwärts — einzubringen versuchen, sondern am besten im schrägen
Durchmesser des Introitus. Dazu führt man zuerst zwei Finger ziem¬
lich tief ein, legt den breiten hinteren Bügel auf deren Volarfläche
schräg in den Introitus und dirigiert ihn dann mit denselben Fingern
unter einmaligem, mastdarmwärts gerichtetem Druck so in das hin¬
tere Gewölbe, daß er 1. quer in demselben liegt und 2. hinter die
Portio vaginalis gerät, sodaß diese mitten in der Lichtung des Ringes
steckt. Die äußere Hand hält inzwischen die vordere Spitze des¬
selben, ^bringt ihn nunmehr in den geraden Beckendurchmesser und
drängt ihn aufwärts hinter die Schoßfuge. Der hintere Bügel muß
mit seiner vorwärts gerichteten Fläche auch in der Scheide vor¬
wärts gerichtet sein, der Portio also anliegen.
Ein zu großer Ring ist nur unter
Schmerzen einzubringen und verur¬
sacht Druck und Beschädigungen, ein
zu kleiner fällt entweder heraus oder
lagert sich irgendwie in der Scheide,
sodaß er eine neue Retroflexion nicht
verhindert Es heißt also hier richtig
abschätzen bzw. probieren, weshalb
man eine Auswahl verschiedener Num¬
mern bereithalten muß. Man läßt die
Patientin angeben, ob sie den Rin*
überhaupt spürt (was am besten nicht
der Fall sein soll), läßt sie sitzen,
herumgehen, sich bücken und unter¬
sucht dann wieder. Besteht ein Fremdkörpergefühl, so kann das nach
einigen Tagen verschwinden. Tägliche reinigende Ausspülungen und
eine regelmäßige ärztliche Kontrolle, bei der das Pessar alle 1—2 Monate
herausgeholt und, wenn nötig, wieder eingelegt wird, ist geboten,
andernfalls können Katarrhe, Einwachsen des Ringes, ja sogar Kar¬
zinom entstehen. Daß beim jedesmaligen Einlegen nicht bloß Sauber¬
keit, sondern Desinfektion nötig ist, versteht sich von selbst.
Bei jüngeren Frauen kann man nach etwa 8—12 Monaten den
Versuch machen, das Pessar zu entfernen, weil sich bei ihnen
erfahrungsgemäß der Utems dann nicht selten allein in Anteversion
hält. Hört nämlich die Ueberdehnung des Bandapparates durch den
hyperämischen, zu schweren retroflektierten Uterus auf, und wirkt
der intraabdominale Druck monatelang in physiologischer Weise
auf die hintere Wand des im Pessar richtig liegenden Organs, so
sind für dieses die Bedingungen, sich in Anteversion zu halten, um
so eher gegeben, als es, regulär vom Blut durchströmt, auch seine
ute Form, Größe und Kontraktion wiedergewonnen hat. Geschieht
as nicht, so muß die Pessartherapie fortgesetzt werden. In beiden
Fällen ist aber eine wiederholte Kontrolle für längere Zeit geboten
Bei der schwer beweglichen oder fixierten Retroflexion
müssen die entzündlichen Exsudatreste oder Adhärenzen in den
Adnexen, dem Peritoneum oder dem Bandapparat erst nach den oben
eschilderten Prinzipien resorbiert sein, ehe man an die Aufrichtung
es Uterus gehen darf. — Operationen bei der Retroflexion
sind weit seltener wirklich indiziert, als man nach der Publikation
massenhafter Methoden und Resultate annehmen könnte. Meist han¬
delt es sich um Adnexentzündungen mit adhäsiver Peritonitis, bei
der die Falschlage der Gebärmutter sekundär ist, wenn schwerere
Symptome auftreten, die Pessarbehandlung nicht zum Ziele führt
und die Patientin selbst einen radikalen Eingriff verlangt. Die
rein fixierenden Operationen, insbesondere die von Alexander-
Adams, sind nur bei unkomplizierten, beweglichen Flexionen am
Platz; diese aber machen nur ausnahmsweise nennenswerte Be¬
schwerden. Der Arzt kann daher nur folgende Indikationen zu lage¬
verbessernden Operationen aufstellen: 1. Die Pessarbehandlung ver¬
sagt oder wird nicht ertragen. 2. Es handelt sich um eine Virgo
oder um eine Frau mit sehr enger Scheide. 3. Es bestehen ad
nexielle oder sonstige Komplikationen, insbesondere auch ein Pro¬
laps. 4. Es wird aus irgendeinem sonstigen Grund ein Bauchschnitl
gemacht.
Die angeborene Anteflexio uteri gehört oft zum Bilde des
Infantilismus (s. oben) und macht mitunter Störungen, die rein
funktioneller Art sind, nämlich Dysmenorrhoe und Sterilität. Auch
hier soll man mit aller Ausdauer versuchen, der störenden Symptome
ohne Operation Herr zu werden.
Da bei den Infantilen ein mehr oder minder hoher Grad von
Psychasthenie zu bestehen pflegt, gelingt es tatsächlich dem ärzt¬
lichen Einfluß oft und anhaltend, mit psychischer Behandlung die
Furcht vor den Schmerzen der Menstruationstage zu beseitigen
und diese selbst erträglich zu machen. Nervina, die häufig zu
wechseln sind, Valerianapräparate, ein Tee, Schröpfköpfe ins Kreuz
oder auf die Brüste gesetzt, Wärmeapplikation, heiße Einläufe in
den Darm wirken meist suggestiv, kausaler vielleicht das Pinseln
des Septum narium und der Spitze der unteren Muschel mit einer
schwachen Kokain- oder Adrenalinlösung, Zäpfchen von 0,02 Dionin
oder ebensoviel Opium mit oder ohne Zusatz von Belladonna.
Die Uterusdilatationen oder gar Inzisionen und das Ausschneiden
von Portiostücken bei jungen Mädchen sind nicht gerechtfertigt
und verschulden leicht die dauernde Suggestion eines Unterleibs¬
leidens. Bei sterilen Frauen mit engem Zervixkanai können Sonden¬
dilatationen, auch mit seichten Einkerbungen des äußeren Mutter¬
munds, indiziert erscheinen. — Die erworbene Anteflexion
kommt, wie die Retroflexion, als Teilerscheinung der Enteroptose und
entzündlicher Prozesse im Becken vor und verlangt die primäre
Fig. a
Digitized by
Google
Original from
CORNELL UNIVERSUM
2. Juni 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
737
Behandlung der genannten Zustände vor der Richtiglagerung. Nach
derselben kann dann unter Umständen ein Pessar gute Dienste
leisten, hier aber eher ein rundes, weil dann das vordere Scheiden¬
gewölbe zur Aufrichtung des zu tief nach vorwärts gesunkenen
Corpus uteri besonders gespreizt werden soll. Das Einlegen von
Intrauterinstiften ist mit Recht verlassen. Die Alexander-Adamssche
Operation ist nur ausnahmsweise indiziert, bei Nulliparen gar nicht,
und bei Komplikationen wird sie besser durch peritoneale Ein¬
griffe ersetzt.
Der Scheidenvorfall (oft fälschlich Gebärmuttervorfall ge¬
nannt) soll durchschnittlich möglichst frühzeitig operiert werden,
sicherlich dann, wenn er auch ohne Aktion der Bauchpresse im
Introitus vaginae oder vor ihm liegen bleibt, wenn Harnblase, Mast¬
darm oder Abschnitte der Gebärmutter beteiligt sind. Aber auch
ohne solche schon mechanisch irritierende Providenzen können ander¬
weitig kaum zu beseitigende Beschwerden zur Operation drängen,
so der dauernde, manchmal riechende Ausfluß, der Intertrigo,
Ekzeme, Jucken und Blutungen veranlaßt, Dekubitusgeschwüre, Harn¬
verhaltung, nervöse Symptome u. a. m. Die von manchen Frauen
aus Furcht vor der Plastik geforderte Pessarbehandlung kann eigent¬
lich nur die mechanischen Störungen des Prolapses beim Gehen, beim
Geschlechtsverkehr, bei der Stuhl- und Urinentleerung beschränken,
wirkt aber ungünstig, weil die Scheide sich erweitert. Runde oder
gebogene Ringe kann man jedoch neben guten Bauchbandagen bei
jungen Frauen probieren, wenn ein mäßiger Descensus vaginae nach
dem Wochenbett auftritt, der bei zunehmenden Körperkräften
Aussicht auf einen spontanen Rückgang gestattet.
Bei Greisinnen und Frauen, denen man aus irgendeinem Grunde
eine Operation und ein Krankenlager nicht zumuten darf, kann man
ebenfalls zu Ringen, bei Kolossalprolapsen zum Mengeschen Keulen¬
pessar oder einem Hysterophor seine Zuflucht nehmen. Im übrigen
ist es überraschend, wie manchmal selbst voluminöse und nicht zu¬
rückzubringende Prolapse sich verkleinern, wenn man die Frauen
einige Tage mit leicht erhöhtem Steiß und mit Glyzerinumschlägen
um den Prolaps, später mit Glyzerintampons liegen läßt. Man kommt
dann manchmal mit Pessaren aus, doch soll die Plastik immer
dringend befürwortet werden.
Zum Schluß nur die Mahnung, die wirksame Prophylaxe
des Vorfalls nie zu vergessen: Gewöhnung an regelmäßigen
Stuhl bei Mädchen, Naht jedes Dammrisses in der Geburt, Pflege
der Bauchdecken im Wochenbett!
Oeffentliches Gesundheitswesen.
Beiricht über die Sitzungen
des vorläufigen Hygiene - Ausschusses des Völkerbundes.
Paris, 20.-22. X. 1921.
1. Opiumunterausschuß: Die Schweiz, Neuseeland und Skandi¬
navien haben bereits über den Verbrauch der Opiate berichtet; der
englische Vertreter erklärt, es sei unmöglich, für England genaue
Verbrauchsziffern anzugeben; ebenso in Belgien, dessen Vertreter
einen Aufsichtsbeamten für die deutschen Fabriken empfiehlt! Die
belgischen Besatzungstruppen schmuggeln beträchtliche Mengen ein.
2. Bericht des Dr. Rajchman, ärztlicher Direktor des Aus¬
schusses, über einen ötägigen Aufenthalt in Moskau. Die amt¬
lichen Statistiken müssen nach Aussage des Volkskommissars für das
Gesundheitswesen mit einer Unterschätzung von 25o/o, nach der
Ansicht des Prof. Tarassewitsch von 50o/o rechnen. — Alle
Epidemien schreiten nach Westen vor. — 1,5 Millionen Menschen
sind aus ihren Wohnstätten abgewandert und müssen jetzt dahin
zurückgebracht werden; 240 Posten vermitteln diese Rückwanderung.
Für kranke Kinder sind 200000 Betten eingerichtet worden. — Ein
Hospital erhält sich vom Verkauf einer Kartoffelpflanzung im An¬
staltsgarten. Ein Universitätsprofessor, der 14 verschiedene Aemter
übernommen hat, bringt ca. 400000 Rubel zusammen, kann aber
seine Familie nicht davon erhalten. Die wissenschaftliche Arbeit
der Aerzte hat niemals völlig aufgehört; die Zahl der Bakterio¬
logischen Laboratorien z. B. in Moskau ist sogar unverhältnismäßig
roß. Deutsche Bücher und Zeitschriften kommen in steigender
ahl herein. Nach der Revolution waren die ärztlichen Prüfungen
abgeschafft worden, jetzt führt man sie wieder ein; die „wilden“
Aerzte müssen sie nachmachen. In der öffentlichen Gesundheits¬
pflege arbeiten die besten Männer der vorrevolutionären Zeit. Die
wichtigsten Posten sind den Anhängern der gegenwärtigen Regie¬
rung Vorbehalten, alle technischen Stellen aber sind mit tüchtigen
Kräften besetzt. °Fremdes ärztliches Personal wird nicht benötigt,
dagegen Arzneimittel u. ä. jeder Art, Seife! — Es werden zwei
Kommissionen zur Erforschung der drohenden Infektionskrankheiten
ausgesandt werden, eine nach der Mandschurei und Sibirien, eine
nach dem Schwarzen Meer und der Levante. — Zahlreiche Kurven
und Tabellen, die aber vielfach nicht übereinstimmen.
Pest im Kaukasus, Mortalität 32o/o; im europäischen Rußland
ist nicht ein einziger Fall zur Kenntnis der Behörden gekommen.
Cholera: im April 688 Fälle, im Juli 76645, im August plötzlicher
Fall auf 37254, ohne nachweisbaren Grund, September 12163, Ok¬
tober 4037. Fleckfieber: 7,5 Millionen Fälle in Alt-Rußland 1919-20
gemeldet, wahrscheinlich 15—20 Millionen richtig geschätzt, 10 bis
15 o/o Mortalität. 1921 im April allein 400000 Fälle offiziell gemeldet.
Rückfallfieber schätzungsweise 20—26 Millionen Fälle. Dysenterie¬
epidemie in Petersburg, 22o/o Mortalität bei Erwachsenen, 40o/o bei
Kindern. Typhus abdom.: heftige Epidemie in Moskau. Alle Kurven
der Infektionskrankheiten zeigen im August 1921 einen plötzlichen,
rapiden Fall, an den der Berichterstatter nicht glaubt. Malaria hat
im Saratowbezirk 80o/ 0 der Bevölkerung befallen, mit 50o/ 0 Mortalität;
Malaria tropica; Archangel ist, trotz seiner nördlichen Lage, ein
gefährlicher Malariadistrikt. C. Schilling (Berlin).
Soziale Medizin und Hygiene.
Halbtägige Luftbadkuren für Kinder 1 ).
Von Anna Edinger in Frankfurt a. M.
Seit 15 Jahren wird in Frankfurt a. M. eine besondere Art der
Sommerpflege ausgeübt, die Lichtluftbadkuren für kränkliche und
schwächliche Kinder. Von kleinen Versuchen ausgehend, hat sie sich
zu einem bedeutsamen Teil der allgemeinen Erholungsfürsorge aus¬
gebildet und bei verhältnismäßig geringen. Unkosten gute Erfolge
gebracht.
Ihre Eigenart besteht darin, daß cs sich im allgemeinen nicht um
Sonnenbäder, sondern um Luftbäder handelt. Ferner darin, daß
die Kuren nicht einem Krankenhaus oder Kinderheim angeschlossen
sind, sondern daß die Kinder im Hause ihrer Eltern wohnen und
sich vormittags oder nachmittags auf drei Stunden an einen frei-
gelegenen Platz begeben und dort unter guter Aufsicht spielen und
ruhen, je nach Wetter und Eingewöhnung kürzere oder längere Zeit
ausgekleidet. Zuerst wurden nur die bestehenden Luftbäder benutzt,
seit einigen Jahren auch Anstaltsgärten, Privatgärten, Sportplätze,
Parks in allen Stadtteilen. Die Kinder erhalten eine nahrhafte Mahl¬
zeit — in den letzten Jahren meist die Quäkerspeisung —, sie werden
abgewaschen und, soweit die Möglichkeit und keine Gegengründe
vorhanden, geduscht. Die Länge der Kurzeit ist verschieden. Für
Schulkinder ist eine normale Dauer von vier Wochen angenommen;
am Ende der dritten Woche untersucht der Vertrauensarzt und ordnet
die notwendigen Verlängerungen — jeweils um 14 Tage — an. Klein¬
kinder bleiben, bis der Arzt, der sie vorgeschlagen hat, die Kur für
beendet erklärt; oft den ganzen Sommer hindurch.
In bezug auf die Wirkung fiel in den ersten Jahren außer der
körperlichen und seelischen Belebung nur die Gewöhnung an die
verschieden temperierten Luftströmungen, die Abhärtung, auf.
Noch im Oktober luftbadeten Schulkinder, die wir zu Beobachtungs¬
zwecken den ganzen Sommer hindurch kommen ließen, stundenlang,
ohne zu frieren, und die Verminderung der Winterkatarrhe wird von
den Eltern rühmend hervorgehoben. Später beobachteten wir die
Wirkung des Lichtes auf Rachitis, Skrofulöse, Knochen- und Drüsen¬
tuberkulose. Kinder, die monatelang ohne nennenswerte Besserung
im Krankenhause behandelt worden waren — Luftbäder und Beson¬
nung waren damals an den hiesigen Anstalten noch nicht ein¬
geführt —, zeigten deutliche Besserung, ja anscheinende Heilung.
Verdickte Lippen, rote Lider, entzündete Ohren wurden normal,
Drüsen verkleinerten, Wunden schlossen sich. Ein kleiner Junge
mit einer schweren Tuberkulose des Fingerknochens sprang ohne
besondere Beaufsichtigung einen Sommer hindurch um die eine Ruhe¬
kur gebrauchende Mutter in einem Privatgarten umher; am Ende
des Sommers hatte der Finger ein normales Aussehen. Rachitische
Kleinkinder, die im Frühjahre mit Unfähigkeit zu sitzen oder zu
stehen von Müttern oder Geschwistern gebracht werden, laufen am
Ende des Sommers fröhlich umher, auch die Verbildungen zeigen
deutliche Besserung. Die Rachitiker sind unsere größte Freude,
weil die Erfolge dauernd sind. Die Skrofulösen und Tuber¬
kulosebedrohten muß man im Auge behalten und dadurch, daß
man sie zum Luftbaden erzieht oder zu weiteren Kuren herauholt,
vor Rezidiven zu schützen suchen.
Eine erfreuliche Nebenwirkung des Spielens mit von Kleider¬
druck befreitem Oberkörper sehen wir — gefördert durch zweck¬
mäßige Atemgymnastik und andere Freiübungen — in einer meßbaren
Erweiterung des Brustkorbs. Wir haben, ebenso wie Jeanneret*),
Ausdehnungen von 2—5 cm beobachtet. In großer Zahl schickt uns die
Schule die sogenannten Blutarmen. Auen da wirken unsere Kuren.
Nach 10—12 Tagen haben sich diese Kinder mitunter physisch und
psychisch so verändert, daß Inspizierende uns fragten: Warum werden
bei euch Gesunde ausgewählt? Es zeigt sich da ein deutlicher Unter¬
schied zwischen den aus Mangel an Nahrung Unterernähr¬
ten, denen wir mit unsern Dreistundenkuren und einer Mahlzeit
nicht helfen können, und den schlechten Essern, die bei uns
zugreifen und, was nicht ohne Bedeutung ist, auch ordentlich kauen
lernen.
Wir haben im ganzen keine starken Körperzunahmen aufzu¬
weisen, der Durchschnitt ist ein knappes Kilo. Aber was angesetzt
wird, bleibt, vermehrt sich oft noch nach der Kur, weil es nicht
aus Mästung, sondern aus einer Veränderung der Assimilations¬
fähigkeit, einer Belebung des ganzen Stoffwechsels hervorgegangen ist.
*1 Wir freuen uns, wieder einmal einen Aufsatz der auf dem Gebiete der prak¬
tischen Sozialhygiene verdienstvollen Witwe des hervorragenden Neurologen ver¬
öffentlichen zu können. D. Red.
f ) Comment prot6ger l’enfance contre la tuberculose. (La eure de soleil präventive
et la gymnastique respiratoire). 1915 1916, Librairie Th. Sack, Lausanne.
Digitized by Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
738
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 22
Wir waren am Anfang vorsichtiger als jetzt mit der Auswahl,
konnten es auch sein, weil die Fälle alle damals an einer Stelle
vorgeschlagen und von einem Vertrauensarzt geprüft wurden, wäh¬
rend jetzt die städtische Erholungsfürsorge und die Kleinkinder¬
beratungsstellen zu den Kuren entsenden. Wir schlossen früher ner¬
vös erregte, herzleidende oder augenleidende, rheumatische und blasen¬
leidende Kinder ganz aus. Jetzt können wir durch individualisierende
Behandlung, durch Vermeiden der grellen Sonne bei den einen, der
Kälte und Feuchtigkeitbei den andern, durch zweckmäßige Anwendung
von Bewegung und Ruhe fast alle aufnehmen. Sogar "bei den Bett¬
nässern — den Schmerzenskindern jeder Erholungsfürsorge — haben
wir, wohl durch die Hebung des Allgemeinbefindens, durch Ein¬
wirkung der Wärme, durch erziehliche Beeinflussung Erfolge gesehen.
Es sind, obwohl ständige ärztliche Ueberwachung nicht statt¬
findet, keine Schädigungen festgestellt worden — abgesehen von
zwei Fällen ernsten Sonnenbrandes in der ersten Zeit. Jetzt werden
die Pfleglinge allmählich ah Licht und Luft gewöhnt.
Die Gutachten von drei Schulärzten und drei Kinderärzten (sie
liegen, wie auch Anweisungen für Leiter und Eltern, in Flugblatt¬
form vor) gehen dahin, daß die Luftbadkuren in der bei uns aus¬
geübten Form eine empfehlenswerte Heilpflege bei Rachitis, Skrofu¬
löse, Knochen- und Drüsentuberkulose sowie der sogenannten Blut¬
armut (allgemeine Körperschwäche) sind. Verschiedene Schulrektoren
berichten, daß die Kinder durch die Luftbadpflege deutlicher und
«lauernder gefestigt erscheinen als durch andere Kuren. Uns scheint,
daß viele kränkliche Kinder, auch solche, die ärztlicher Behandlung
bedürfen, in unseren Kolonien besser aufgehoben sind als auf dem
Lande.
Hoffentlich wird dieser Bericht Aerzte veranlassen, sich mit der
Frage der ambulanten Lichtluftbadpflege zu beschäftigen — ins¬
besondere die Abgrenzung gegenüber den anderen Arten der Sommer¬
pflege weiter zu Klären*).
Geschichte der Medizin.
Hippokratische Heilkunde.
Von Julias Hirschberg.
(Fortsetzung aus Nr. 21.)
M. H. Ich kann diesen Gegenstand nicht verlassen, ohne Ihnen
in Kürze mitzutheilen, was ich selber in dem bei Epidauros belegenen,
hochberühmten Heiligthum des Asklepios beobachten konnte.
Drei Mal, 1890, 1909 und 1912, habe ich diese Ruinen-Stätte be¬
sucht. Schon bei meiner ersten Besichtigung war mir klar geworden,
daß dereinst hier eine antike Verschmelzung von Lourdes und Karls¬
bad bestanden hatte.
Vielleicht wollen Sie aber zunächst von mir vernehmen, was ich
in Lourdes gesehen habe. Ich besuchte diesen Wallfahrts-Ort im
Frühjahr 1911 und fand neben den mächtigen neuen Kirchen-Bauten
auch ein neues Krankenhaus und ersuchte, als Professor der Medizin,
den Vorgesetzten Priester um die Erlaubniß, dasselbe zu besichtigen.
„Mein Herr“, sagte der Geistliche, „unser Krankenhaus ist
leer. Kommen Sie wieder zur Zeit der Wallfahrten. Wenn die Be¬
geisterung der Hunderttausende in einen mächtigen Strom zusammen¬
fließt, — dann ereignen sich die Heil wunder.“
ln Epidauros sieht man die Überreste herrlicher Propyläen, einer
Laufbahn zum Wettrennen (Stadion), eines Ringer-Palastes, eines
Rundgebäudes (Tholos), das vom jüngern Polykletos im 4. Jahrhundert
v. Chr. erbaut worden und nach den im Museum wieder aufgebauten |
Resten zu den herrlichsten und geschmackvollsten Gebäuden Griechen¬
lands gerechnet werden muß und das einst mit Gemälden und Dank-
Inschriften geschmückt gewesen; ferner ein herrliches Theater mit
12000 Marmor-Sitzen und mit einer wunderbaren Akustik.
Allenthalben sieht man bequeme Sitze für die Kranken, wie in
unsren Bade-Orten, wie denn auch geneigte Bahnen für Sänften oder
für Rollstühle in einen Tempel führen. Das wichtigste der Heilig-
thümer ist die Doppel-Halle für den Tempelschlaf, das Abaton oder
Allerheiligste; ferner der dem Asklepios geweihte Tempel, wo die
Gold-Elfenbein-Bildsäule des Gottes gestanden hatte. Er war dar¬
gestellt auf dem Thron sitzend, in der einen Hand einen Stab, die
andre über dem Haupte der Schlange haltend, während der Hund zu
seinen Füßen lag, — ein Werk des Thrasymedes aus Paros. Ferner
finden wir Reste eines Tempels der Artemis, eines späteren der
Aphrodite.
Wir entdecken Reste griechischer und römischer Bäder und eine
Heilquelle, deren Wasser salz- und schwefelsaures Natron enthält.
Man sieht, der Ort für das Asklepieion war von den Priestern gut
gewählt und mit allem, was das Herz der Hilfesuchenden begehrte,
vortrefflich ausgestattet.
Ein gediegenes und prachtvolles Werk in griechischer Sprache
über das Asklepios-Heiligthum zu Epidauros hat der berühmte Alter-
thums-Forscher P. Kabbadias 2 ) zu Athen im Jahre 1900 veröffent¬
licht. (To iegov zov A. iv E.xidavgcg. ’A&rji'ijaiy 1900, 302 S., mit zahl¬
reichen Tafeln und Abbildungen.)
*) Ausführlicherer Bericht: Tuberkulose-Fürsorge-Blatt Nr. 8, 6. Jahrgang.
*) Ich kann die Gelegenheit nicht unbenutzt lassen, um auch an dieser Stelle dem
großen Gelehrten und liebenswürdigen Menschen meine Dankbarkeit auszusprechen
-ür die Freundlichkeit, dieser mir für meine Reisen ins Innere von Hellas erwiesen.'; M 1
Über das Asklepieion von Kos war zunächst (1886) das Ur-
theil von Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff etwas
günstiger ausgefallen; aber später (1905) hat derselbe der Ansicht
von Kabbadias sich angeschlossen, daß auch dort der nämliche
Betrieb von Wunderheilung geherrscht habe, wie zu Epidauros.
Die Angabe von Plinius, daß Hippokrates die Tafeln des
koi'schen Heiligthums für sein Studium und seine Schriften benutzt
habe, verliert jede Spur von Glaubwürdigkeit durch die einfältige Zu¬
gabe, Hippokrates habe nach Benutzung jener Tafeln den Tempel
in Brand gesteckt und durch Feuer vertilgt.
Die Asklepiaden zu Kos galten zwar für* Abkömmlinge des As¬
klepios, aber sie waren Aerzte, nicht Priester des Gottes, und wirkten
auch nicht in seinem Heiligthum.
Nicht-priesterliche Asklepiaden werden ja seit uralter Zeit er¬
wähnt. In der Ilias werden (II, 732, 733) Podaleirios und Machaon
gepriesen, die Söhne des Asklepios, die als Völkerhirten ohne priester-
liches Amt vor Troja fochten und dabei die Arzneikunst ausübten.
Als Menelaos durch einen Pfeilschuß verwundet worden, da zog ihm
Machaon das Geschoß aus dem Leibgurt und legte ihm lindernde
Salbe auf. (IV, 190—219.) Und, als Machaon selber durch Pfeilschuß
von Alexandros an der rechten Schulter getroffen war, da gebietet
Idomeneus dem Nestor, hurtig in seinem Wagen den Verwundeten zu
i den Schiffen zu bringen.
„Denn ein heilender Mann ist werth für Viele zu achten,
Welcher die Pfeil' ausschneidet und auflegt lindernden Balsam.“
Den Satz itjxgog yao avr t g jtokl&v avzagios äUcov, den wohl jeder
Arzt, der durch das Gymnasium gegangen, mit Stolz im Munde führt,
bezieht sich eigentlich nur auf die Wundarzneikunst, deren offen-
! baren Leistungen gegenüber die innere Medizin in jenen alten Zeiten
j noch nicht genügend hervortrat.
j Sehr bemerkenswert!! ist die Tatsache, daß in der Iliade Be-
: sprechungen und Beschwörungen nicht Vorkommen, während in der
| (jüngeren) Odyssee der Blutsegen erwähnt wird; ferner bei He-
| siodos Besprechungen, Amulete, heilbringende Träume eine große
Rolle spielen. Der gelehrte Gomperz 1 ) hat daraus geschlossen, daß
die Aufklärung auf die Adelskreise beschränkt geblieben.
In der Odyssee kommt also die Besprechung vor, wenigstens
an einer Stelle (I, 457), bei der Eberjagd auf dem Parnassos. Der
Eber hatte dem Odysseus eine Fleischwunde im Oberschenkel ge¬
rissen. Die Söhne des Autolykos verbanden die Wunde verständig,
aber mit einer Beschwörung hemmten sie das Blut — exaotdfi V aha
xekaivov eoxeOov. Also, wie Odins Runen-Zauber in der Edda!
Beiläufig möchte ich noch bemerken: in diesem jüngeren der
beiden epischen Gedichte (17, 384) werden auch die Aerzte erwähnt,
die umherziehen und als Volks-Arbeiter (drjftiovgyoi) —
ebenso, wie die Wahrsager, Baumeister, Sänger — in’s Haus ge¬
rufen werden, um gegen Entgelt ihren Beistand zu gewähren. Diese
umherziehenden Ärzte finden wir als eine bemerkenswerthe Erschei¬
nung in der klassischen Zeit der Griechen. Auch Hippokrates, der
Vater der Heilkunde, soll seinen Wohnsitz öfters gewechselt haben.
Dasselbe gilt von andren berühmten Ärzten jener Zeiten, la, in
der hippokratischen Schrift „das Gesetz“ (vö/nog) wird dies als das
Gewöhnliche hingestellt: „wenn die Aerzte die Städte durchwandern“,
ItjTQol tpoixtvvzes xac .t 6kia$. Und dies ist in der Folgezeit geblieben,
jtegioöevxrjs , der Reisende, wird später gleichbedeutend mit Arzt.
(Athanasios; im 4. Jahrhundert u. Z.) Das hat sich fortgesetzt bis
auf unsre Tage. Ich habe selber zu Olympia 1886 einen wandernden,
sehr vielseitigen Heilkünstler angetroffen, der sich und seinen Arznei¬
kasten von Dorf zu Dorf durch die Peloponnes schleppte.
Jetzt verlassen wir die Praxis der Priester und alles, was sich
daran angeschlossen, und wenden uns zu den ärztlichen Lei¬
stungen der ersten vor-hippokratischen Epoche.
Fünf alte Schulen der Heilkunde vor Hippokrates wer¬
den in der späteren Literatur der Griechen uns bezeichnet. Auf der
Insel Kos und auf der benachbarten Halbinsel von Knidos im süd¬
lichen Theil der klein-asiatischen Westküste, auf Rhodos, zu Kroton
in Unter-Italien, im nord-afrikanischen Kyrene befanden sich die
ältesten und berühmtesten Pflanzstätten der Heilkunde. Weder At¬
tika wird genannt noch die Peloponnes. Wir müssen auch auf diesem
Gebiet uns mit dem Begriff von Groß-Hellas befreunden.
Die koi'schen und knidischen Ärzte sollen Asklepiaden, Nach¬
kommen des Podaleirios, gewesen sein: diese Nachricht wird uns
aber erst aus dem 9. Jahrhundert n. Chr. von dem Patriarchen Pho-
tios zu Konstantinopel, in seiner „Bibliothek“, überliefert.
Von einzelnen Ärzten dieser Zeit sind uns gelegentliche Nach¬
richten überliefert worden, z. B. bei Herodotos (III, 125, 129—137)
über Demokedes aus Kroton, der erst von dem Gemeinwesen zu
Aegina, dann zu Athen, endlich von dem Tyrannen Polvkrates auf
Samos als Arzt angestellt wurde, mit stets wachsegdem Jahres'gehalt,
von 8000, 10 000, 16 400 Drachmen oder Silber-Franken: das sind ge¬
waltige Beträge bei der damaligen Kaufkraft des Geldes gewesen.
Nach dem Sturze des Beherrschers von Samos gelangte Demo-
kedes als Sklave nach Susa. Da er den König Dareios (521—485 v. Chr )
von einer schmerzhaften Verrenkung des Fußes zu heilen verstand,
was dessen ägyptischen Leibärzten nicht gelungen war, so wurde er
bald Tischgenosse und Vertrauter des Königs. Übrigens zeigte er
sich auch menschenfreundlich und amtsbrüderlich: er rettete jene
ägyptischen Ärzte vom Kreuzestode, zu dem sie, wegen der mi߬
lungenen Behandlung, schon verurtheilt gewesen.
») Griech. Denker, I, 229, 1901
Digitized b"
Google
Original from
CORNELL UNÜVERSITY
2. Juni 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
739
Solche Bemerkungen gehören ja mehr zur allgemeinen Geschichte
der Kultur. Aber in der besonderen Geschichte der Heilkunde muß
aus jener Zeit ein hervorragender Forscher erwähnt werden, der von
den Philosophen, Alterthumsforschern und Aerzten vielfach behandelt
worden ist und dem auch ich selber in letzter Zeit meine Aufmerk¬
samkeit zugewendet habe. j
Alkmaion, jüngerer Zeitgenosse sowie Schüler des Pythagoras,
Arzt und Physiologe, wirkte um 525 v. Chr. zu Kroton in Unter-
Italien und hat ein Buch . t sqi <pvaec»s (über die Natur) geschrieben,
welches als das erste ärztliche Werk in griechischer Sprache, von
dem wir Kunde haben, angesehen wird, aber schon sehr früh ver¬
schollen ist, sodaß daraus nur sehr wenige, ganz kurze Bruch¬
stücke auf unsre Tage gekommen sind. j
Von Einigen wird Alkmaion als Vater der Heilkunde gepriesen.
Als erster hat er in dem Gehirn das Central-Organ der Geistes- |
thätigkeit erkannt. Das war eine gewaltige Leistung, die wir heute,
nachdem sie durch 24C0 Jahre, d. h. durch nahezu 80 Generationen,
gültig geblieben, kaum noch in ihrer ursprünglichen Wucht und Be¬
deutung zu empfinden vermögen. Uebrigens verdient angemerkt
zu werden, daß Platon diese Ueberzeugung des Alkmaion und
der Pytbagoräer zu der seinigen machte Aristoteles hingegen
sie nur als „die Ansicht von Einigen“ 1 ) anführt.
Aber bezüglich der Verdienste des Alkmaion um die Augen¬
kunde finden Sie die widersprechendsten Ansichten bei unsren i
Philosophen, Alterthums-Forschern und ärztlichen Geschichts-Schrei¬
bern. Die Haupt-Quelle unsrer Kenntnisse ist die Schrift des christ¬
lichen Philosophen Chalcidius aus der ersten Hälfte des vierten
Jahrhunderts, der, in seinem lateinischen Kommentar zu Platons
Timaios, von Alkmaion das Folgende aussagt: primus exsectionem
adgredi est ausus; „als erster hat er es gewagt, zur Ausschneidung
zu schreiten“.
Ein Alterthüms-Forscher meint, daß dies Herausnahme des
menschlichen Augapfels bedeute. Das ist völlig unannehmbar. Denn
in der ganzen ärztlichen Literatur der Griechen, welche von Alk¬
maion bis zu dem letzten Byzantiner Joannes Aktuarios (im
14. Jahrhundert n. Chr.) nahezu zwei Jahrtausende umfaßt, ist nie
und nirgends die Rede von dieser Operation, die zuerst ja von
unsrem Landsmann Georg Bartisch aus Dresden im Jahre 1583
beschrieben worden ist.
H. Haeser, ferner der Philosoph A. Döring, sodann Robert
Ritter von Töply und endlich Max Neuburger erklären:
„Alkmaion gilt als Erster, der Sektionen anstellte.“ Dieser Satz
ist in seiner allgemeinen Fassung völlig unannehmbar. 0 Sektionen
menschlicher Leichen kann Alkmaion nicht vorgenommen
haben, da die Pythagoräer ja die Berührung von Leichen verab¬
scheuten. Zergliederung menschlicher Leichen haben im griechischen
Alterthum zuerst und allein die Alexandriner ausgeführt.
Betrachten wir die beiden Hauptsätze des Chalcidius. Der
erste lautet: „Die Aerzte und Physiker, welche, um der gesunden
(d. h. normalen) Natur Erfindsamkeit zu begreifen, die Organe des
menschlichen Körpers durch Ausschneidung von Theilgliedern er¬
forscht haben“ ... Der zweite lautet: „Alkmaion, der zuerst die
Ausschneidung in Angriff zu nehmen gewagt hat.“
Nach meiner Vermuthung hat Alkmaion zuerst gewagt,
am lebenden Thier die Verbindung zwischen Auge und Gehirn
durch- oder auszuschneiden; und gezeigt, daß nach dem Schnitt Er¬
blindung des Auges eintritt. Das Wort wagen bezieht sich auf
das neue Verfahren der Forschung. Eine Thier-Lei che aufzu¬
schneiden, war kein Wagnis und gewiß nichts Neues. Durch Aus¬
schneidung an der Thier-Leiche konnte die Fortleitung der Seh-
Empfindung zum Gehirn auch nicht erforscht werden.
Wer den Alten solche „Experimente“ nicht zutraut, der be¬
herzige die Durchschneidungen des Sehnerven und des die Augen¬
bewegungen beherrschenden Nerven, welche G a 1 e n o s vorgenom¬
men, — allerdings in einer viel späteren Zeit.
Zahlreiche Entdeckungen des Alkmaion werden in den späteren
Schriften der Griechen uns angedeutet. Er fand in den Thier-
Leichen den Unterschied von blutführenden Adern und von leeren,
also von Venen und Arterien. Er behauptete, daß die Ziegen durch
die Ohren athmeten; hatte also wohl eine gewisse Kenntnis von
der „Eustachischen“ Röhre, deren Entdeckung Aristoteles sich
selber zuschreibt. Vor allem aber ist er der Urheber der Lehre
von der richtigen Mischung der Säfte als der Ursache der Gesund¬
heit und von der Dyskrasie als Ursache der Krankheit, einer
Lehre, welche ja die hauptsächlichen der hippokratischen Schriften völlig
beherrscht, ln der späten, fälschlich mit dem Namen des Plut-
archos 2 ) geschmückten Schrift „Von den Meinungen der Philo¬
sophen“ wird dem Alkmaion der folgende Satz zugeschrieben:
„Das, was die Gesundheit aufrecht erhält, ist die gleiche Vertheilung
der Qualitäten (dw&neis), des Feuchten, des Warmen, des Trocknen,
des Kalten, des Bittren, des Süßen und der andren. Die Vorherr¬
schaft einer einzigen von ihnen bewirkt die Krankheiten.“
_ (Schluß folgt.)
>) „Einige nehmen an, daß die Sinnes-Empfindungen den Thieren durch das Gehirn
vermittelt werden“. (£3,460a, 71. Ausg. d. Berl. Akad.) In der mittelmäßigen, von den
Gelehrten für ein Erzeugnis der knidischen Aerzte-Schule angesehenen Schrift der hippo¬
kratischen Sammlung, welche den Titel „Von den Drüsen“ tragt, wird das Gehirn als
die grOßte der Drüsen bezeichnet, von der sieben Arten der Flüsse ausgehen.
*) Es ist ein Auszug aus dem Auszug, den AOtios im 1. oder 2. Jahrhundert u. Z.
gemacht, wie H. Diels nachgewiesen.
Standesangelegenheiten.
Rechtsfragen aus der ärztlichen Praxis.
Von Obcrreichsanwalt Dr. Ebermayer in Leipzig.
33.
Das Reichsarbeitsministerium hat vor einiger Zeit den Entwurf
eines Gesetzes zur Regelung der Beziebuogeu zwischen den Kranken¬
kassen und Aerzten veröffentlicht, der Leipziger Verband hat mit
einem Gegenentwurf geantwortet. Der Regierungsentwurf scheint
in der Aerzteschaft keine besondere Begeisterung ausgelöst zu haben.
Geh.-Rat S. Alexander hat wiederholt in dieser Wochenschrift
sich zu Entwurf und Gegenentwurf geäußert. Seine Ausführungen
sind den Lesern dieser Zeitschrift bekannt, und es erübrigt sich des¬
halb, näher auf sie einzugehen. Nur das eine möchte ich dazu be¬
merken: Die Ausführungen Alexanders zeichnen sich durch ganz
besondere Objektivität sowohl gegenüber dem Entwurf als dem
Gegenentwurf aus und verdienen deshalb um so mehr ernstliche
Beachtung. Eine eingehende Kritik an dem Regierungsentwurf übt
Dr. Ritter in der Berliner Aerzte-Correspondenz 1922 S. 94. Er
kommt zu dem Ergebnis, daß die beabsichtigte gesetzliche Rege¬
lung der Beziehungen zwischen Aerzten und Krankenkassen nicht
erfolgversprechend erscheint, sondern eher geeignet ist, die noch
in der Entwicklung begriffene natürliche Gestaltung dieser Be¬
ziehungen zu stören, indem sie vor Abschluß dieser Entwicklung
bereits ständige Verhältnisse zu schaffen sucht. Im einzelnen wendet
er sich vor allem dagegen, daß der Entwurf, obwohl in der Be¬
gründung selbst anerkannt wird, daß das Verhältnis zwischen Kassen
und Aerzten ein rein privatrechtliches Arbeitsverhältnis ist, hier
besondere gesetzliche Bindungen eines Vertragsteiles schaffen will,
indem er Zwangsregistrierung der Arbeitswilligen ohne Anrecht auf
Arbeitsmöglichkeit, Zwangsschiedsinstanzen mit bindender Spruch¬
kraft und die Wahl zwischen Arbeitszwang oder Haftung bei Ab¬
lehnung aufgezwungener Arbeitsbedingungen einzuführen beabsich¬
tigt. Letzteres schließt er aus § 371h des Entwurfs, der die endgültigen
Entscheidungen des Schiedsamtes und des Reichsschiedsamtes als
für beide Teile bindend erklärt und den in das Aerzte Verzeichnis
eingetragenen und zur Kassenpraxis zugelassenen Arzt, der sich
weigert, den Vertrag mit der Kasse gemäß der endgültigen Ent¬
scheidung zu schließen, oder der ihn bricht, der Kasse gegenüber
als haftbar erklärt für den der Kasse durch sein Verhalten ent¬
standenen Schaden und dem Schiedsamt die Befugnis_ zuspricht,
den Arzt auf Antrag der Kasse für eine Dauer bis zu fünf Jahren
von der Zulassung bei Krankenkassen auszuschließen. Ritter meint,
diese Bestimmung bedeute nicht mehr und nicht weniger, als Ab¬
erkennung der jedem Staatsangehörigen nach §§ 626, 627 BGB. zu¬
stehenden Rechte, unter bestimmten Voraussetzungen Verträge vor¬
zeitig beenden zu können, zum mindesten aber des Rechtes, daraus
entstandene Streitfälle im ordentlichen Rechtsverfahren zur Ent¬
scheidung zu bringen, sondern mittelbaren Arbeitszwang durch Auf¬
hebung der Entscnließungsfreiheit des einzelnen über seine Arbeits¬
kraft und endlich Auferlegung von Pflichten gegenüber einem Dritten
aus einem noch nicht bestehenden Rechtsverhältnis. Zum gleichen
Ergebnis kommt Dr. Joachim in seiner an gleicher Stelle (S. 97)
veröffentlichten juristischen Nachprüfung der Ritt er sehen Kritik.
Er weist darauf hin, daß ein Arzt, dadurch, daß er sich in das in
§ 370 des Entwurfs vorgesehene Aerzteverzeichnis eintragen läßt,
nur seine Bereitwilligkeit erklärt, an sich kassenärztlich tätig zu
werden, damit aber keineswegs eine Blankoofferte zum Abschluß
irgendeines ganz beliebigen Vertrages macht. Das letztere ist richtig,
und man wird das Gegenteil auch nicht aus der Bezugnahme des
§ 370 auf § 371 b herauslesen können. Es heißt zwar in § 370: In
das Verzeichnis sind die Aerzte einzutragen, die sich bereit er¬
klären zur Uebemahme der ärztlichen Behandlung bei den Kranken¬
kassen „unter den nach § 371b vereinbarten Bedingun¬
gen“. Der § 371b geht aber von der Vertragsfreiheit für Kasse
und Arzt aus und bestimmt lediglich, daß der zwischen ihnen verein¬
barte Vertragsentwurf dem Vertragsausschuß vorgelegt werden muß,
daß die Beteiligten aber die Aufstellung des Vertrages auch von
vornherein dem Vertragsausschuß überlassen können, nirgends aber
sagt er, daß der in das Verzeichnis eingetragene Arzt gezwungen
sei oder durch Androhung bestimmter Nachteile gezwungen werden
könne, einen Vertrag mit der Kasse abzuschließen, und es kann
deshalb auch keine Rede davon sein, daß der Arzt dadurch, daß er
sich in das Verzeichnis eintragen läßt, sich vertraglich solchem
Zwange und den im § 376 h vorgesehenen „Sanktionen“ unterwerfe.
Eben deshalb wäre aber auch nicht abzusehen, wie der Entwurf im
§ 371h dazu kommen könnte, den Arzt, schon deshalb, weil er sich
weigert, einen Vertrag mit der Kasse zu schließen, den im
§ 371b angedrohten Folgen zu unterwerfen, wie Ritter und mit
ihm Joachim anzunehmen scheinen. Meines Erachtens will das
§ 371h aber auch gar nicht, denn er sagt nicht, der Arzt, „der sich
weigert, den Vertrag zu schließen“, sondern: „der sich weigert,
den Vertrag mit der Kasse gemäß der endgültigen Ent¬
scheidung zu schließen“, m. a. W. er läßt auch dein in das
Verzeichnis eingetragenen Arzt die Freiheit, ob er mit der Kasse
einen Vertrag überhaupt schließen will; vereinbart der Arzt aber
nach § 371b einen Vertragsentwurf mit der Kasse, der dem Ver-
tragsaüsschuß vorzulegen ist, oder überlassen er und die Kasse die
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
740
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 22
Aufstellung des Vertrags dem Vertragsausschuß und kommt es dann
nach § 371b Abs. 2, § 371 d Abs. 3, § 371 f Abs. 1 zu einer end¬
gültigen Entscheidung des Schiedsamts oder Reichsschiedsamts, so
soll der Arzt bei Vermeidung der im § 371h vorgesehenen Folgen
gehalten sein, den Vertrag zu schließen. So verstanden, verliert
meines Erachtens der § 371h eines der hauptsächlichsten von Ritter
und Joachim gegen ihn geltend gemachten Bedenken. Bestehen
bleiben aber die Bedenken, daß im Falle des § 371h die Entschei¬
dung ganz generell den ordentlichen Gerichten entzogen wird, be¬
denklich erscheint ferner die Zusammensetzung der Schiedsinstanzen
und die Neuregelung, die 8 370 RVO. über den Ersatz der ärzt¬
lichen Behandlung durch Barleistungen und über den Ersatz der ärzt¬
lichen Bescheinigungen durch andere Nachweise erfahren soll. Hier
liegt, worauf schon Alexander hingewiesen hat, eine Verschlechte¬
rung insofern vor, daß, während die RVO. die Anordnung der Bar¬
leistung durch das Oberversicherungsamt vorsieht, dieses Recht auf
den Kassenvorstand übergeht. Diese Bestimmung des Entwurfs ist
übrigens überholt durch das jüngst im Reichstag angenommene
Gesetz vom 21. III. 1922 betr. Sicherung ärztlicher Versorgung bei
den Krankenkassen, wonach der Reichsarbeitsminister im Fall eines
Bedürfnisses Bestimmungen darüber treffen kann, wie über die Vor¬
schriften der §§ 370, 371 RVO. hinaus die Krankenkassen ermächtigt
werden, statt der Krankenpflege oder sonst erforderlichen ärzt¬
lichen Behandlung eine bare Leistung zu gewähren. Die Ermäch¬
tigung der einzelnen Kasse erfolgt jetzt also nicht mehr durch das
einzelne Oberversicherungsamt, sondern durch die Reichszentralstelle,
die auch über das Vorliegen eines Bedürfnisses zu entscheiden hat.
Der Gegenentwurf des L. V. stellt den Kassen und Kassen¬
verbänden überall die ärztliche Organisation gegenüber, wogegen
von Alexander und Ritter nicht ohne weiteres von der Hand
zu weisende Bedenken erhoben werden, setzt als Arztsystem die
freie Arztwahl fest, will für größere Bezirke Landesausschüsse ein¬
gesetzt wissen, fordert mit Recht für die Besetzung der Schieds-
stellen die Mitwirkung richterlicher Beisitzer und macht die Ab¬
lösung der Krankenpflege seitens der Kasse durch eine Barleistung
von der Ermächtigung der Aufsichtsbehörde abhängig. Man sieht,
es bestehen noch weitgehende Meinungsverschiedenheiten zwischen
dem Entwurf und weiten Kreisen der Aerzte über die Regelung des
Verhältnisses zwischen Krankenkassen und Aerzten, und man möchte
wohl denen Recht geben, die eine gesetzliche Regelung dieses
Verhältnisses wenigstens zur Zeit überhaupt ablehnen und es vor¬
ziehen, die Gestaltung dieses Verhältnisses der natürlichen Entwick¬
lung zu überlassen.
In der 11. Hauptversammlung des Deutschen Medizinalbeamten¬
vereins, die im September 1921 in Nürnberg stattfand, berichtete
Reh.-Rat Dr. Schuitze über den Entwurf 1919 zu einem Deutsches
Strafgesetzbuch vom Standpunkt des Irrenarztes aus, Med.-Rat Dr.
Lochte vopi Standpunkt des Gerichtsarztes. Dr. Schuitze billigt
im wesentlichen die Begriffsbestimmung der Unzurechnungsfähigkeit
(§ 18) und erblickt darin, ebenso wie in der vorgesehenen Verwah¬
rung freigesprochener geisteskranker Verbrecher in einer öffentlichen
Heil- und Pflegeanstalt, einen Fortschritt. Für die Verwahrung ver¬
mindert Zurechnungsfähiger, deren besonderer Berücksichtigung im
Entwurf Schuitze beitritt, fordert er besondere Zwischenanstalten
und hat hier, wie bei den Unzurechnungsfähigen, beachtenswerte
Bedenken gegen die zu weit gehenden Befugnisse der Polizei bei
der Entlassung. Bei der Behandlung der Trunkenen und Trunk¬
süchtigen im Entwurf bemängelt Schuitze das Moment des „Selbst¬
verschuldens“ und die Bemessung der Höchstdauer bei der Unter¬
bringung auf 2 Jahre. Die Bestimmungen über Kinder und Jugend¬
liche billigt Schuitze und meint, man könne vom psychiatrischen
Standpunkt aus dem Entwurf beipflichten, erkennt auch den modernen
Geist an, der den Entwurf durchweht.
Dr. Lochte hat durchaus richtig erkannt, daß nadi dem Ent¬
wurf der zu Heilzwecken lege artis vorgenommene
ärztliche Eingriff unter keinen Umständen mehr als vorsätz¬
liche rechtswidrige Körperverletzung angesehen werden kann, und
teilt erfreulicherweise die von anderer Seite gegen den § 313 (Straf¬
barkeit eigenmächtiger Heilbehandlung) erhobenen Bedenken nicht.
Um so bedenklicher erscheint ihm der § 291 Entw., der Strafe an¬
droht, wenn jemand unterläßt, einen anderen aus Lebensgefahr zu
retten, obwohl er ihn ohne erhebliche Gefahr für sein eigenes Leben
oder seine eigene Gesundheit retten kann. Lochte sieht in dieser
Bestimmung. eine schwere Gefahr für den Arzt. Ich vermag diese
Bedenken nicht zu teilen. Die sittliche Verpflichtung zu solcher
Rettung bestand schon bisher, und kaum ein Arzt wird sich ihr
entzogen haben. Trifft dies zu, so ist nicht abzusehen, wiefern in
der gedachten Bestimmung für die Aerzte eine besondere Gefahr
liegen soll. Die Bestimmung über die Strafbarkeit der Anpreisung
von Abtreibungsmitteln billigt Lochte und ist gleich mir der An-
schauung, daß die wissenschaftliche Arbeit des Arztes, der sich
mit Abtreibungsmethoden beschäftigt, nicht unter die Bestimmung
fällt. Die sachliche Regelung der Unterbrechung der Schwangerschaft
durch den Arzt zur Rettung des Lebens der Mutter billigt Lochte,
wünscht aber eine andere Fassung. Durchaus irrig ist die von ihm
vertretene Anschauung, daß nach der jetzigen Rechtsprechung „der
Arzt berechtigt ist, eine Schwangerschaftsunterbrechung dann vor¬
zunehmen, wenn eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit der
Mutter vorhanden ist, die durch kein anderes Mittel abgewendet
Solche Berechtigung steht dem Arzt nur dann zu,
wenn die Schwangere zu seinen Angehörigen gehört (§ 54 StGB.).
Erst der Entwurf erweitert den Kreis der Personen, denen im Not¬
stand Nothilfe gebracht werden darf, über die Angehörigen hinaus.
Gegen die übrigen, die Aerzte interessierenden Bestimmungen des
Entwurfs erhebt Lochte keine Bedenken. Die Versammlung gab
schließlich einstimmig folgende Erklärung ab: 1. Die Unterbrechung
der Schwangerschaft aus nicht ärztlichen Gründen darf in keinem
Zeitpunkt straffrei bleiben (was dem Standpunkt des Entwurfs durch¬
aus entspricht); 2. eine Unterbrechung der Schwangerschaft aus
ärztlichen Gründen darf nur durch approbierte Aerzte vorgenommen
werden; sie ist anzeigepflichtig zu machen — zwei ohne Zweifel
sehr beachtenswerte Anregungen. Es ist überaus erfreulich, daß der
Entwurf gerade in Aerztekreisen so lebhaftem Interesse begegnet
und im wesentlichen Zustimmung findet — bedeutet er ja auch
gerade für die Aerzte eine erhebliche Verbesserung ihrer straf¬
rechtlichen Stellung. (Fortsetzung folgt.)
Bund Deutscher Assistenzärzte.'"!
1. Nachdem der Vorstand des L. V. die Kosten bewilligt hat wird
nunmehr ein nebenamtlich beschäftigter Kollege als besoldeter Ge¬
schäftsführer des B. D. A. angestellt.
2. In der am 1. IV. in Cassel abgehaltenen Vorstandssitzung des
V. d. F. D., zu der der Unterzeichnete als Vertreter des B. D. A. ein¬
geladen war, wurden folgende für die Assistenten wichtige Fragen
behandelt.
a) Die definitive Ausarbeitung der Richtlinien zur Anerkennung
von Fachärzten und zur Zulassung zur kassenärztlichen Tätigkeit
wurde einer Kommission übertragen, in die neben den Vertretern der
verschiedenen Interessentengruppen (Fachärzte, Universitätsprofes¬
soren, L. V., Aerztevereinsbund, prakt. Aerzte, Privatheilanstaltsbe¬
sitzer usw.) der Unterzeichnete als Vertreter des B. D. A. gewählt
wurde.
Auf diese Weise ist eine Vertretung der Assistenzärzte in dieser
für sie so überaus wichtigen Angelegenheit gewährleistet.
b) Eine längere Aussprache mit den Vorstandsmitgliedern des
V. d. F. D., dem Vertreter der Universitätsnrofessoren und dem Vor¬
sitzenden des Vereins der Privatheilanstaltsbesitzer gab Gelegenheit,
Ziele und Wünsche des B. D. A. darzulegen sowie die Ansichten
dieser Kreise über die Assistentenfragen kennen zu lernen.
c) Ueber die Grundzüge eines mit dem V.d. F. D. abzuschließen¬
den Kartells wurde eine Einigung erzielt. Der inzwischen vom
V. d. F. D. eingetroffene Kartellvertragsentwurf geht binnen kurzem
den Beiratsmitgliedern zur Begutachtung zu.
Näheres vgl. nächstes Rundschreiben.
3. Von dem von Reg.-Rat Flatow im Reichsarbeitsministerium
ausgearbeiteten Gutachten über „Die Stellung der Assistenzärzte im
neuen Arbeitsrecht“ werden den Ortsgruppen einige Exemplare kosten¬
los zugesandt. Weitere Exemplare sind gegen Entrichtung von 4 M.
pro Exemplar von der Geschäftsstelle zu beziehen. Das Gutachten
eignet sich vorzüglich als Orientierung über das bei Verhandlungen
mit den anstellenden Behörden einzuhaltende Verfahren.
4. Es wird erneut darauf hingewiesen, daß die Mitglieder einer
Ortsgruppe des B. D. A. in allen Assistentenangelegenheiten zunächst
ihre Ortsgruppe anzurufen haben.
5. Die zur Zeit als angemessen geltenden Gehaltssätze sind:
a) für Oberärzte (Sekundärärzte) Klasse XI, für Assistenzärzte
Klasse X.
Wo keine Einreihung in eine Besoldungsklasse statthat, ein ent¬
sprechendes Gehalt.
Existenzminimum: 1500 M. und freie Station.
Abzüge für die freie Station sollen 33V3°/o vom Bargehalt nicht
überschreiten.
Sämtliche Zuschriften sind unter Beifügung von 2 M. für Rück¬
porto zu richten an die Geschäftsstelle des B. D. A., Leipzig, Dufour-
straße 1811. Dr. Kort^eborn, 1. Vorsitzender.
Feuilleton.
Allerlei aus dem Ausland.
Frankreich.
Die medizinische Fakultät in Paris hat sich um eine chirurgische
Klinik bereichert, die sich Klinik für Chirurgische Therapie neimt
und somit etwas anderes zu sein scheint als die schon bestehenden vier
Chirurgischen Universitätskliniken. Tatsächlich rührt diese Sonder¬
benennung nur davon her, daß die seit Jahrhunderten in Paris be¬
stehende Lehrkanzel für „Operationen und Apparate“, deren Inhaber
über kein klinisches Material verfügte und nur theoretische Vorlesun-
f en, vor meist leeren Bänken, hielt, nun endlich zeitgemäß m eine
linische Professur umgewandelt worden ist. Die Veranlassung dazu
gab die Auflösung des brasilianischen Lazarettes, welches die Kriegs¬
zeit über in dem früheren Jesuitenkollegium der Rue Vaugirard in
Paris in Tätigkeit gestanden hatte. Die gesamte Einrichtung desselben
war von der brasilianischen Regierung der Pariser medizinischen
Fakultät als Geschenk überlassen worden. Der französische Staat
kaufte nun das Gebäude und den sehr ausgedehnten Grund und Boden,
Digitized b"
Google
Original from
CORNELL UNiVERSITV
2. Juni 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
741
der dazu gehört, auf dem in den nächsten Jahren noch ein Hygienisches
und ein Biologisches Institut und eine Medizinische Klinik und eine
Klinik für ansteckende Krankheiten errichtet werden sollen. Am
Ende Dezember ist die neue Klinik für Chirurgische Therapie ein¬
geweiht worden. Der französische Staatspräsident mit Gemahlin war
persönlich dazu erschienen, ebenso wie der brasilianische Botschafter
und zahlreiche Vertreter der medizinischen Wissenschaft, der staat¬
lichen und städtischen Behörden. Die neue Klinik besitzt 163 Betten,
mehrere Operationssäle und Laboratorien. Der bisherige ordentliche
Professor für „Operationen und Apparate“, Pierre Duval, ist
ihr Vorstand und Leiter.
Während des Krieges hatte sich das Institut Pastenr in Paris
völlig auf die Kriegsbedürfnisse eingestellt, wie aus einer kürzlich
erschienenen Abhandlung hervorgeht. Im Juli 1914 besaß die Ab¬
teilung für Serotherapie 280 Pferde und erzeugte monatlich 80000 Fla¬
schen verschiedener Sera. Während der vier Kriegsjahre stieg die Zahl
der Pferde auf 1462 an, und es wurden 6 Millionen Dosen Sera für
Frankreich, 1 Million für Italien und das amerikanische Heer und
einige Hunderttausend für Belgien, Serbien und Rumänien geliefert.
Es waren dies in der Hauptsache Sera gegen Diphtherie und Tetanus,
daneben gegen Meningitis cerebrospinalis und Bazillenruhr. Von der
Abteilung für Vakzine wurden über 1 Million Dosen Typhusimpf¬
stoff und fast ebensoviel Mallein (Rotzbazillenkulturenextrakt), be¬
sonders auch für die verbündeten Heere, geliefert. Im Laboratorium
für Mikrobenforschung wurde ebenfalls sehr fleißig gearbeitet. Als
daselbst Ende 1915 die Anilinfarben, die bisher ausschließlich von
Deutschland bezogen worden waren, zu Ende gingen, gelang es,
SO verschiedene Ersatzfarben zu fabrizieren. Es wurde hier auch ein
Serum gegen den Gasbrand und gegen den exanthematischen Typhus
fiergestellt. Von hier aus wurde eine methodische Impfung der
schwarzen Truppen gegen den Pneumokokkus ins Werk gesetzt.
Die Abteilung für Hundswut war sehr stark in Anspruch genommen,
4588 Personen wurden geimpft, die Sterblichkeit der Gebissenen blieb
unter 2° /oo .
Wie man aus dem Artikel weiter als sehr bemerkenswerte Tatsache
erfährt, wandte sich im Institut Pasteur der Prof. G. Bertrand,
schon vom August 1914 an, dem Studium der erstickenden und
reizenden Gase zu, „von denen man fürchten konnte, daß die Feinde
sie verwenden würden“. Er erfand ein Verfahren zur Herstellung
von Chloropikrin und Yperite und ersann Modelle für Gasgranaten;
man verdankt ihm auch „nützliche Entdeckungen“ über künstlichen
Rauch und Rauchgranaten. Wenn Pasteur selbst noch leben würde,
so wäre er wohl — wenigstens in dieser Hinsicht — stolz auf seine
Nachfolger. Denn Pasteur war ein politischer Heißsporn gewesen;
er hatte einst, ums Jahr 1880, eine preußische Ordensauszeichnung,
die ihm in Anerkennung seiner hervorragenden wissenschaftlichen
Leistungen erteilt worden war, in beleidigender Weise, als für einen
Franzosen unannehmbar, zurückgeschickt.
Frankreich besitzt kaum eben halb soviel Universitäten wie
Deutschland, dafür sind sie aber größer und meist auch älter. So
konnte im August letzten Jahres die Medizinische Fakultät von Mont¬
pellier einen höchst seltenen Gedenktag begehen, nämlich die 700-Jahr-
reier ihres Bestehens. In Deutschland kann ihr in dieser Richtung keine
an die Seite gestellt werden, sie ist auch die älteste in Frankreich und
wohl die Zweitälteste in Europa überhaupt. Nachdem die Medizin
lange ausschließlich eine Klosterwissenschaft gewesen, enstand vor
etwa 1000 Jahren in Salerno in Italien, am Meere südlich von Neapel
gelegen, eine die griechische Ueberiieferung lehrende ärztliche Laien¬
schule, aus der sich die erste medizinische Fakultät und die erste
Universität entwickelte. Im 10.—12. Jahrhundert stand sie in be¬
sonderem Ansehen, ln dem das Mittelalter kennzeichnenden Kampf
um die Welthegemonie zwischen Kaiser und Papst wollten beide Teile
ihre Hand auf diese Stätte der Wissenschaft legen, um durch sie für
ihre Zwecke zu wirken und zu weiben. Als unter dem deutschen
Kaiser Friedrich II., der zugleich König von Neapel und somit der
Herr von Salerno war, der Streit für die Kirche aussichtslos erschien,
verlieh der Papst durch eine Bulle vom 17. VIII. 1220 der ärztlichen
Laienschule in Montpellier die Rechte einer medizinischen Fakultät.
Montpellier, im äußersten Süden des heutigen Frankreichs, dicht am
Golf von Lyon, gerade in der Mitte des Weges von Spanien nach
Italien, also an aer Berührungsgrenze der beiden größten Kulturen
jener Zeit gelegen, gehörte zu einer dem Papste zustehenden Graf¬
schaft. In dieses verhältnismäßig gastfreundliche und duldsame
Landchen hatten sich aus dem damaligen in Glaubenssachen so äußerst
untoleranten Spanien zahlreiche jüdische und arabische Aerzte ver¬
zogen und erteilten da, wohl schon über ein Jahrhundert lang, medi¬
zinischen Unterricht, in welchem die Lehren des Avicenna, des ara¬
bischen Galenus und der Schule von Alexandria herrschten, um
allmählich von den Einflüssen von Salerno und den hippokratischen
Ideen verdrängt zu werden. Aus Spanien, Italien, Frankreich und
Deutschland kamen nun die den Doktorhut begehrenden Studenten
nach der neuen Fakultät gezogen. Ihre Zahl soll ungefähr 1000 be¬
tragen haben, teils wohnten sie in den Mönchsklöstern, teils frei in
der Stadt, häufig dabei durch niedere Arbeit ihren Lebensunterhalt
sich verdienend. Ein Jahrhundert später fiel Montpellier an die Krone
des Königs von Frankreich. Lange spielte Montpellier die erste
Rolle unter den französischen medizinischen Fakultäten, besonders
auch zur Zeit Ludwigs XIV. Alle Leibärzte des Sonnenkönigs waren
Professoren aus Montpellier.
Jetzt freilich ist Montpellier langst von der Pariser Universität
in den Schatten gestellt, gegen die es trotzdem stets eine gewisse
Eigenart und Unabhängigkeit im wissenschaftlichen Denken aufrecht¬
zuerhalten verstanden hat. Montpellier, früher die Hochburg des
Vitalismus und der Humoralpathologie, ist den rein naturwissenschaft¬
lichen, pathologisch-anatomischen und bakteriologischen Gedanken¬
gängen in der Medizin gegenüber stets zurückhaltend geblieben und
hat den Faden mit ihrer Vergangenheit nie ganz abgescnnitten. Prof.
Virfes von Montpellier schloß kürzlich seine Festrede bei jener
Feier stolz mit den Worten: „Wir nehmen jeden Fortschritt in der
Medizin an, aber ihre Beziehungen zum Leben vergessen wir nie,
wir sind wie vor Jahrhunderten vom hippokratischen Gedanken durch¬
drungen, nämlich daß das lebende Wesen, in seiner Gesamtheit be¬
fallen, die Krankheit macht und in seiner Gesamtheit gegen die Ursache
reagiert, um die Gesundheit, d. h. um den früheren üleichgewichts-
und Harmoniezustand wiederherzustellen. Jahrhundertealte und neu¬
zeitliche Arbeiten ergänzen sich. Bei der Gleichgewichtsstörung, die
die Krankheit ist, stellen sie gemeinsam auf die erste Linie das
Reaktionsbestreben, das Heilbestreben, die Natura medicatrix.“
Ein für französische Verhältnisse ungewöhnliches Ereignis hat
sich eben an der Pariser medizinischen Fakultät zugetragen. Zum
erstenmal, seit sie besteht, ist ein Arzt, der nicht vorher Privat¬
dozent (Agr£ge) gewesen, zum ordentlichen Professor an ihr ernannt
worden. Freiwillig hat die Fakultät dies natürlich nicht getan, sondern
unter dem Druck des Stadtrates von Paris, der sich üöerhaupt sehr
gerne in die Angelegenheiten der medizinischen Fakultät einmischt.
Er kann es auch sehr leicht tun, da eigentlich alle großen Kranken¬
häuser städtisch sind, Hörsäle und Laboratorien besitzen und teils
von der Stadt an die Universität als Fakuitätskliniken überlassen sind,
teils von den städtischen Hospitalärzten, die Lehrtätigkeit in ihrem
Krankenhaus ausüben dürfen, geleitet werden. Für die Stadt ist es
also nur eine Form- und Namensänderung, wenn sie, wie es im
vorliegenden Fall geschah, der Universität eine neue Klinik stiftet
und auch ihre Kosten trägt. Etwas andres ist es für die Fakultät,
die mit der neuen Klinik einen neuen ordentlichen Professor in den
Fakultätsrat aufnehmen muß, denn die Stadt knüpft stillschweigend
an ihr Geschenk die Bedingung, daß der von ihr vorgeschlagene Mann
für die neue Professur „erwählt“ werde. So ist es auch ergangen,
und Dr. Serge nt ist einstimmig von der Fakultät zum „Professeur
de M£decine propedeutique“ erkürt worden und leitet als solcher
die innere Krankenabteilung, die er bisher als städtischer Hospitalajzt
versehen und an der er frei doziert hatte. Das Schönste an der Sache
ist aber, daß Dr. Sergent einst von dem gleichen Professoren¬
kollegium, daä ihn jetzt mit offenen Armen empfängt, bei dem Kon¬
kursexamen, das man in Frankreich ablegen muß, um Privatdozent zu
werden, und zu dem er sich einst gemeldet hatte, als ungenügend
abgelehnt worden war. Man sagt in Frankreich: „II y a des accom-
modements avec le Ciel“ (Es gibt Abmachungen mit dem Himmel).
Warum sollte es anders mit der Pariser medizinischen Fakultät sein?
Zum Schluß noch einiges von Frankreichs jüngster Universität,
von Straßburg. In das nächste Jahr fällt die 100. Wiederkehr von
Pasteurs Geburtsjahr. Zur Verherrlichung von Pasteur kann in
Paris fast nichts mehr geschehen, da ist ja das weltberühmte
Institut Pasteur, da gibt es ein mächtiges Pasteurmonument, eine
Avenue Pasteur usw. In Straßburg dagegen, wo Pasteur einige
Jahre vor dem Kriege von 1870/71 als Professor an der naturwissen¬
schaftlichen Fakultät tätig war, soll dieses Ereignis zu einer gro߬
artigen Propaganda für die französische Wissenschaft ausgenützt
werden, sodaß die Augen aller Welt nach dieser«Universität gerichtet
und daß Leben und Bewegung in die Stadt gebracht werde. Eben
ist dem französischen Parlament ein Gesetzesvorschlag eingereicht
werden, nach welchem nicht weniger als 2 Millionen Franken dem
Organisationskomitee der PasteurfiHern in Straßburg zur Verfügung
gestellt werden sollen. Die erste Nummer der Feste wird die Ein¬
weihung eines Pasteurmonuments in Straßburg sein, das aus „pri¬
vater Initiative und privaten Spenden“ hergesteilt wird. Daß solcner
privater Edel- und Opfersinn auf dem Boden der Aussichten auf
Vergünstigungen und Ordensauszeichnungen besonders gedeiht, braucht
wohl nicht besonders betont zu werden. Dann soll eine Ausstellung
von „Hygiene pasteurienne“ eröffnet und fünf Monate lang zugäng¬
lich bleiben. Während dieser Zeit sollen mehrere Kongresse für
Hygiene und verwandte Gebiete in Straßburg abgehalten werden.
Schließlich, um alle Mittel der Massenanziehung nach Straßburg zu
erschöpfen, muß Pasteurs 100-Jahrfeier noen zur Veranstaltung
von Sportsfesten herhalten. Pasteur wird dabei dann wohl als
der Vater aller Hygiene und somit als der Schutzherr 'der Radler,
Fußballspieler usw. ausgerufen werden, was ihm im Leben so gänz¬
lich ferngestanden und worüber er sich, wenn er es hören könnte,
in seinem Grab wohl noch drehen würde.
Schober (Wildbad, früher Paris).
Kleine Mitteilunjren.
— Berlin. Der Reichs rat hat am 26. V. verschiedene Aende-
rungen zum Krankenversicherungsgesetz beschlossen. Den
Krankenkassen wurde gestattet, die Grundlöhne abermals erheblich
zu erhöhen, wobei das Selbstverwaltungsrecht der Kassen insoweit
verstärkt wurde, als ihnen die Möglichkeit gelassen wird, durch
Satzungsänderungen noch über den Höchstbetrag hinauszugehen,
der gesetzlich festgelegt ist, falls dieser Höchstbetrag nicht zureicht.
Die Grenze für die Versicherungspflicht (jetzt 40000 M.)
ist auf 60000 M. erhöht worden. Die Vorschläge auf noch
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
742
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 22
weitere Erhöhung fanden in den Ausschüssen keine Mehrheit, da man
befürchtete, daß eine allzu große Erhöhung der Versicherungsgrenze
eine Kriegserklärung an die Aerzte bedeuten würde (!). Die Melde¬
frist wurde von acht Tage auf vierzehn Tage erweitert. Wochen¬
hilfe und Wochenfürsorge soll in je einem besonderen Ge¬
setz geregelt werden. Zur Wochenhilfe ist der einmalige Beitrag zu
den Entbindungskosten von 100 M. auf 250 M. erhöht. Das Still-
geld hat durchweg eine Erhöhung auf 6 M. erfahren. Bezüglich der
Wochenfürsorge wurde die bisherige Einkommensgrenze zwar nicht
erhöht, aber die Kinderzuschläge bis auf 1500 M. erhöht, womit be¬
sonders kinderreiche Familien begünstigt werden.
— Im Reichstagsausschuß für Sozialpolitik wurde ein
Gesetzentwurf über Erhöhung der Zulagen in der Un¬
fallversicherung beraten. Regierungsseitig wurde der Entwurf
mit der erheblich gestiegenen Teuerung begründet. Für die Zeit
vom 1. VII. 1922 ab sollen die Zulagen im allgemeinen so erhöht
werden, daß der Zulageberechtigte an Rente und Zulage zusammen
um die Hälfte mehr als bisher bezieht. Nach längerer Debatte wurde
beschlossen, daß die Zulage zu einer Verletztenrente schon dann
gewährt wird, wenn die Rente 33V3 oder mehr Prozent der Voll¬
rente beträgt (bisher mußte sie mindestens 50o/o der Vollrente be¬
tragen). Weiter wurde beschlossen, daß als Jahresarbeitsverdienst
gelten soll bei Berechnung der erhöhten Verletztenrente der Betrag
von 15000 M., bei Berechnung anderer erhöhter Renten der Betrag
von 24000 M. Bei Beratung eines Gesetzentwurfs über teilweise
Umgestaltung der Angestelltenversicherung wurde angenom¬
men ein Antrag des Unterausschusses, der die Versicherungs¬
grenze von 30000 M. auf 1000CO M. heraufsetzt unter ent¬
sprechender Aenderung der Gehaltsklassen und Beiträge; ferner soll
grundsätzlich das Markenverfahreu eingeführt werden.
— Das preußische Wohlfahrtsministerium hat den Entwurf des
Tuberkulosegesetzes (vgl. Nr. 1 S. 36) fertiggestellt.
-i- In der gemeinsam vom Großberliner Aerztebund, der Landes¬
versicherungsanstalt Berlin und dem Verband der Krankenkassen Gro߬
berlins einberufenen Versammlung, die den Bestrebungen der
Kurpfuscher, ihr B e h a n d 1 u n g s r e cht für die Ge¬
schlechtskrankheiten gesetzlich aufrechtzuerhalten,
entgegentreten sollte (siehe Nr. 21 S. 703), erstattete nach einer Be¬
grüßungsansprache des Vorsitzenden Prof. R. Lennhoff Geh.-Rat
Kraus in einer ausgezeichneten Rede seihen Bericht über den Ent¬
wurf des Gesetzes zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten und
wies dabei überzeugend nach, daß durch Zulassung der Kurpfuscher
der Sinn des Gesetzes in sein Gegenteil verkehrt werden würde. Der
Vorsitzende der Landesversicherungsanstalt Berlin, Geh.-Rat Dr.
Freund, berichtete über die großzügige Einrichtung, die die Landes¬
versicherungsanstalt zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten ge¬
troffen hat, und betonte: „Wenn uns die Gesetzgebung mit den Kur¬
pfuschern in den Rücken fällt, sind alle unsere Anstrengungen ver¬
geblich.“ Aehnlich äußerte sich Albert Kohn, Direktor der All¬
gemeinen Ortskrankenkasse der Stadt Berlin, ln einem Telegramm
erhob der Verband der Landesversicherungsanstalten Deutschlands
schärfsten Einspruch gegen die Zulassung der Kurpfuscher. Eine in
diesem Sinne gehaltene Entschließung wurde einstimmig angenommen.
— Mit Rücksicht auf die Angriffe, die in letzter Zeit wieder
gegen das Salvarsan sehr zugenommen haben, aber auch im Hin¬
blick darauf, daß wegen der unzweifelhaft zeitweise häufiger gewor¬
denen Schädigungei# mehrfach geraten worden ist, den Gebrauch
des Saivarsans mehr oder weniger einzuschränken, hat der Aus¬
schuß der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft
ihren Mitgliedern folgende Erklärung zur Abstimmung vorgelegt:
„Wir sind der Ueberzeugung, daß die Salvarsanpräparatc die wert¬
vollsten Mittel im Kampf gegen die Syphilis als Einzel- wie als Volks¬
krankheit sind. Sie sind bei dem augenblicklichen Stand unseres
Wissens in allen überhaupt beeinflußbaren Formen und Stadien der
Syphilis mit wenigen Ausnahmen außerordentlich wirksam und durch
die älteren antisyphilitischen Mittel wohl zu ergänzen, aber sehr oft
nicht zu ersetzen. Wenn bei der Fabrikation, Prüfung und Verwendung
der Salvarsanpräparate mit der unerläßlichen Sorgfalt vorgegangen
wird, so sind die Gefahren bei der Salvarsanbehandlung nicht größer
als bei jeder anderen energisch wirkenden Behandlungsmethode. Da
diese Gefahren in letzter Zeit in unseres Erachtens übertriebener Weise
dargestellt worden sind, halten wir uns für verpflichtet, zu erklären,
daß die mit Vorsicht und Sachkunde angewendete Salvarsanbehandlung
ohne großen Schaden für die Volksgesundheit nicht eingeschränkt
werden kann.“ Diese Erklärung ist mit 487 Stimmen gegen 58 an¬
genommen worden.
— Bei der Tagung der Freien Vereinigung für Mikrobiologie am
3. —10. VI. 1922 in Würzburg werden folgende Referate erstattet: Desinfektion
(einschließlich Schädlingsbekämpfung). Referenten: Hailer (Dahlem), Rei¬
chenbach (Göttingen), Neufeld (Berlin), Nöller (Berlin) (Schädlings¬
bekämpfung). Theorie und Praxis der Proteinkörperwirkung. Referent:
Schiftenhelm (Kiel). Angekündigt sind 45 Vorträge.
— Die Sozialhygienische Akademie in Charlottenburg beabsichtigt vier¬
wöchige Kurse in der Sozialen Zahnheilkunde anzugliedern. Der erste
Kursus wird vom 12. VI.—8. VII. abgehalten werden. Die mit Beteiligung
der Mundhöhle verlaufenden Krankheiten des Kindesalters sollen besonders
berücksichtigt werden. Anfragen an das Sekretariat der Sozialhygienischen
Akademie, Charlottenburg 9, Spandauerberg 15,16 (Krankenhaus Westend).
— Pocken. Deutsches Reich (7.-13. V.mit Nachträgen): 4. — Genickstarre.
Deutsches Reich (16.—22. IV.): 56. — Ruhr. Deutsches Reich (16.—22. IV.): 60. —
Abdominaltyphus. Deutsches Reich (16.—22. IV.): 151.
— Hamburg. Im Februar starben im ganzen 1409 Personen
(ohne die Totgeborenen), gegen 1488 im Vormonat und 1026 im
vorjährigen Februar. Die allgemeine Sterbeziffer (auf 1000 Ein¬
wohner und das fahr berechnet) belief sich auf 16,83. Einen recht
ungünstigen Stand zeigte sie gegenüber der Februarziffer des Vor¬
jahres, die nur 12,26 ausmachte; auch gegenüber dem zehnjährigen
Februardurchschnitte 1904 bis 1913 (15,41) war sie gestiegen um 1,42).
— Osnabrück. Nach Beschluß des Provinziallandtags
wird die hiesige Hebammenlehranstalt geschlossen.
Statt der Hebammenlehranstalt soll hier nur eine Entbindungsanstalt
für 25—30 Betten und zwar in Verbindung mit dem städtischen Kran¬
kenhause errichtet werden, auf Kosten der Provinz (4 Millionen Mark),
welche auch die Unterhaltung trägt. Die Hebammenlehranstalt Han¬
nover soll mit einem Kostenaufwand von 4 1 / 9 Mill. M. erweitert werden.
— Westerland. Franzosen, die eine möglichst billige
Aufnahme in der Badezeit hier anstrebten, haben ähnlich
wie jüngst in Juist (vgl. Nr. 17 S. 565) einen ablehnenden
Bescheid erhalten. Das Antwortschreiben lautete: „Auf die gefl
Anfrage vom 6. d. Mts. erwidere ich ergebenst, daß uns der Be¬
such französischer Kurgäste nicht erwünscht ist.
Gäste sollen willkommen sein, wir vermögen aber nicht Franzosen
willkommen zu heißen, dffe als unversöhnliche Feinde unser
Volk bedrücken und in den besetzten Gebieten unsere
Volksgenossen zur Verzweiflung treiben. Die nicht be¬
setzten Gebiete unseres deutschen Vaterlandes sollen wir möglichst
rein von unseren Bedrückern erhalten ...“
— Hochschulaachrichteo. Berlin. Geh.-Rat Bonhoeffer hat
den Ruf nach München als Nachfolger von Kraepelin abgelehnt
A. o. Professor Citron hat einen Lehrauftrag zur Vorlesung über
Innere Medizin für Zahnärzte erhalten. — Halle. Prof. Grund ist
zum Direktor der Medizinischen Poliklinik (vgl. Nr. 19) ernannt —
Leipzig. Dr. W. Oelze hat sich für Haut- und Geschlechtskrank¬
heiten habilitiert. — München. Auf den neuerrichteten Lehrstuhl für
Hygiene ist a. o. Prof. Süpfle berufen. Prof. Capelle hat einen Ruf
als Ordinarius der Chirurgie nach Asuncion (Paraguay) angenommen.
— Tübingen. Prof. Reich, Oberarzt an der Chirurgischen Klinik,
wurde die Leitung der Chirurgischen Abteilung des Josephs-Hospitals
in Bochum übertragen. — Würzburg. Prof. Ackermann sind für
seine Untersuchungen über die Extraktstoffe der wirbellosen Tiere
2000 M von der Physikalisch-mathematischen Klasse der Preußischen
Akademie der Wissenschaften bewilligt worden; der Priv.-Doz. für
Zoologie Dr. Paula Hertwig (Berlin) zur Fortsetzung ihrer Ver¬
erbungsexperimente 1000 M. — Wien. Die Priv.-Dozz. Prof. Eisler
und Prof. Knaffl-Lenz wurden zu a. o. Professoren ernannt.
Nur wenige Tage nach W. v. Leube haben wir auch
Heinrich Quincke in Frankfurt a. M. verloren. Auch er
einer der hervorragendsten Kliniker der verflossenen Generation,
er wie Leube ein Führer auf den von ihm geschaffenen neuen
Bahnen, seine Arbeitsgebiete wohl noch umfassender. Das
akute umschriebene Oedem, die Pneumotomie, die Meningitis
serosa und vor allem die Lumbalpunktion knüpfen sich als
bedeutendste Leistungen an seinen Namen. Darüber hinaus
hat er als Assistent von Frerichs und als Ordinarius in Bern
sowie in Kiel glänzende Arbeiten auf fast allen Gebieten der
Inneren Medizin, in vielen Fragen der allgemeinen Pathologie
geschaffen. Auch er war an der Schwelle der achtziger Jahre;
aber bis zum letzten Atemzuge nahm er lebhaftesten, tätigen
Anteil an unserer Wissenschaft. Nun ist auch dieser Mund
verstummt. J. S.
— Literarische Neuigkeiten. Gotthold Mamlock (Berlin), Das
medizinische Berlin. Ein Führer für Aerzte. 10. völlig umgearbeitete Auf¬
lage. Berlin. S. Karger, 1922. 124 S. M. 15. -• Der von dem verstorbenen
Kollegen Wolf Becher seinerzeit verfaßte Führer ist seit dem Jahre 1913
nicht wieder neu bearbeitet worden: jetzt hat sich G. Mamlock dieser Auf¬
gabe unterzogen. Mit den medizinischen Verhältnissen Berlins seit Jahrzehnten
wohl vertraut, war er völlig geeignet, für die fremden — gewiß auch für
viele einheimische Mediziner — einen Wegweiser durch die medizinischen Ein¬
richtungen und Anstalten Berlins zu schaffen. Der Zweck ist gut erreicht.
Die Angaben über die Auskunftsstellen, die Fakultätspersonalien, die ver¬
schiedenen medizinischen Institute, die Medizinalbehörden, den Fortbildung?
unterricht, die sozialhygienischen Einrichtungen und vieles andere werden selbst
für den Kundigen zeitweilig zum Nachschlagen nutzvoll sein. J. S-
— Berichtigungen und Ergänzungen zum Verzeichnis der Bade-
und Kurorte sowie znm Verzeichnis der Heil-, Pflege- und Kar-
anstalten für die nene Ausgabe des Reichs-Medizinal-Kalenders erbitte
ich umgehend. . _ J. Schwalbe.
— Druckfehlerberichtigung, ln dem Aufsatz von Friedrich
Müller über Stoffwechselprobleme in Nr. 16: Auf Seite 516, Spalte 2
muß die Unterschrift unter die Formeln lauten: 1. Arginin, 2. Spaltung des
Arginins durch die Arginase in Harnstoff und Ornithin, 3. Kreatin und
4. Kreatinin. Ferner muß es auf S. 545 der Nr. 17, Spalte 1 heißen: Ueber-
wiegen andere stärkere Säuren als die Kohlensäure, so wird ein Teil des
Ammoniaks von diesen für ihre Neutralisation in Beschlag gelegt.
Digitized b'
Google
Original from
CORNELL UNiVERSiTV
LITERATURBERICHT
Redigiert von Prof. Dr. R. von den Velden.
Zeitschriften: Klinische Wochenschrift Nr. 20 . — Münchener Medizinische Wochenschrift Nr. 19. — Wiener medizinische Wochenschrift Nr. 19. — Zeit¬
schrift für orthopädische Chirurgie Bd. 42 H. 5. — Zeitschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie Bd. 84 H. 3. — Zeitschrift für Ohrenheilkunde Bd. i
H. 1/2. — Monatsschrift für Kinderheilkunde Bd. 22 H. 5 - — Zeitschrift für Hygiene Bd. 96 H. 4 .
Geschichte der Medizin.
++ Max Neuburger (Wien), Die Wiener medizinische Schule
Im Vormärz. Wien, Rikola-Verlag, 1922. 312 Seiten mit 6 Abbil¬
dungen. Ref.: F. Dörbeck (Berlin).
Das Buch enthält Schilderungen des medizinischen Wien vor dem
Erblühen der zweiten Wiener medizinischen Schule, die Tagebüchern,
Reisebeschreibungen und Memoiren zeitgenössischer Aerzte und Laien
entnommen sind. Wenn auch manches davon bekannt sein mag, da
diese Quellen schon im Druck erschienen sind, so war es doch eine
dankenswerte Mühe, der sich der Herausgeber unterzog, indem er in
geschickt zusammengestellten Auszügen aus dem Nachlaß einer längst
vergangenen Zeit die Bilder so mancher Vertreter der Wiener medi¬
zinischen Fakultät vor dem Auftreten Skodas und Rokitanskys und
unter dem Regiment des allgewaltigen k. k. Leibarztes Stifft wieder
ans Tageslicht zog, die sonst leicht der Vergessenheit anheimfallen,
da sie, nach dem Maß ihrer Epigonen gemessen, nicht für bedeutend
genug erachtet werden können. Und doch bietet auch ihr Leben und
Wirken viel interessantes und läßt die Originalität nicht vermissen,
wenn e% auch nicht bahnbrechend war. Ebenso beanspruchen unser
Interesse die Schilderung der ersten Choleraepidemie in Wien 1810
mit der Instruktion für Sanitätsbehörden sowie die Beschreibung der
Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte 1832 mit den glän¬
zenden Festen und Empfängen am Kaiserlichen Hof und bei dem
allmächtigen Minister Metternich. Wertvoll sind die in zahlreichen
Fußnoten enthaltenen historischen Bemerkungen und Erläuterungen
des Herausgebers. Die Bildnisse sind gut ausgeführt.
Physiologie.
R. Ege (Kopenhagen), Osmotisches Verhalten der BlntkSrperchen.
KI. W. Nr. 20. Das Volumen der Blutkörperchen ist abhängig von
der Wasserstoffionenkonzentration der äußeren Flüssigkeit. Die Blut¬
körperchen schwellen in einer sauren und schrumpfen in einer basi¬
schen Flüssigkeit Diese Volumänderung ist bedingt durch eine Ver¬
mehrung der Anzahl der osmotisch aktiven Komponenten im Innern
der Blutkörperchen infolge des Säurezusatzes.
Psychologie.
♦♦ Charlotte Buhler, Das Seelenleben des Jugendlichen.
Versuch einer Analyse und Theorie der psychischen Pubertät. Jena,
Q. Fischer, 1922. 103 S. M. 16.—. Ref.: Stier (Charlottenburg).
Die Verfasserin, die als Privatdozentin der Psychologie an der
Technischen Hochschule in Dresden tätig ist, bringt in der an Um¬
fang kleinen, an Inhalt reichen Arbeit nicht mehr und nicht weniger
als eine einheitliche Gesamtdarstellung der Pubertätspsyche, und zwar
eine Darstellung, die, ohne die biologischen Fragen zu vernachlässigen
und ihre Bedeutung zu übersehen, doch grundsätzlich psychologisch
orientiert ist. Schon die einprägsame Definition der seelischen Pubertät
als „seelische Ergänzungsbedürftigkeit" zeigt uns die Richtung und
Einstellung ihrer Betrachtungsart. Was Verfasserin dann im einzelnen
bringt an Betrachtungen über die allgemeine Struktur der seelischen
Pubertätserscheinungen, über Instinkt und Gefühl, Entwicklung des
Willens, des Intellekts, über Ethik und Religion, sowie über das Kunst-
und Literaturverständnis des Jugendlichen, zeugt nicht nur von großer
Belesenheit und Kritikfähigkeit, sondern — was mehr ist — von einer
Fähigkeit des Miterlebens und der Einfühlung in die Seele der
jugendlichen Knaben und Mädchen, wie wir sie sonst kaum je an-
treffen, und die allein schon, selbst wenn der Titel es nicht sagte, den
Rückschluß auf eine Verfasserin gestattet. — Allen Aerzten, besonders
denen, die beruflich viel mit der Jugend zu tun haben oder selbst
Heranwachsende Kinder haben, sei das Büchlein aufs wärmste empfohlen.
Allgemeine Pathologie und Pathologische Anatomie.
H. E. Hering (Köln), Funktioneller Begriff Disposition und
morphologischer Begriff Konsumtion. M. m. W. Nr. 19. „Dispo¬
sition" sollte vom funktionellen, „Konstitution" vom morphologischen
Standpunkt gebraucht werden. Dazu können dann die Attribute ererbt
und erworben gesetzt werden.
P. Math es (Innsbruck), Das Wesen der Kon«titntionsanomalien
M. m. W. Nr. 19. Statt aes zu weiten Begriffes Infantilismus setzt
Verfasser jetzt Hypoplasie und Status hypoplasticus im Sinne von
Barthel. Bemerkungen zu Zitaten von Bauer und Martius aus
dem Buch des Verfassers „Der Infantilismus, die Asthenie usw." 1912.
W. Witthauer (Breslau), Hypophysärer Zwergwuchs. KI. W.
Nr. 20. Kasuistik.
B. Fischer (Frankfurt a. M.), Abriß eines Papillarmoskels im
linken Ventrikel durch Korooarsklerose. Kl. W. Nr. 20. Genaue
Besprechung eines Falles, bei dem es zu einem spontanen Abreißen
eines ganzen hinteren Papillarmuskels gekommen war. Pathogenese:
thrombotischer Verschluß gerade der beiden Aeste der Kranzarterien,
die den hinteren Papillarmuskel des linken Ventrikels versorgen; konse¬
kutive isolierte Nekrose dieses Muskelteils.
En der (Wien), Veränderungen der Respirationsorgane bei Leu¬
kämie. W. m. W. Nr. 19. Neben den Drusenschwellungen standen
im mitgeteilten Fall die Lungenveränderungen im Vordergrund. Leu¬
kämische Infiltration der Hauptbronchien, diffuse katarrhalisch-eitrige
Bronchitis mit starker Verdickung der Bronchialwände, welche ihre
Elastizität vollständig verloren hatten.
Mikrobeo- und Immunitfltslehre.
R. Otto (Berlin), Anaphylaxie und Ikberempflndlichkeit. Zschr. f.
Hyg. 95 H. 4. Aus den Versuchen ergibt sich in Uebereinstimmung mit
früheren Experimenten von Ehrlich sowie von Ehrlich und H ü b e ner,
daß die Nachkommen gegen Toxine immunisierter Mäuseväter nicht
immun sind, sondern im Gegenteil giftüberempfindlich sein können.
Auch die Jungen immunisierter Mütter können giftüberempfindlich sein,
wenn sie erst nach Abklingen der Immunität der Mutter geboren sind
oder nach dem Verlust ihrer eigenen Antitoxine (die sie von der Mutter
erhielten) geprüft werden. Bei der Serumanaphyl^xie konnte der sichere
Nachweis einer Vererbung vom Vater nicht erbracht werden.
Fritz Ditthorn (Berlin), Typhnsbazilien in Butter. Zschr.f.Hyg.
95 H. 4. Beim Nachweis von Typhusbazillen in Butter ergibt die An¬
reicherung mit Galle bedeutend günstigere Resultate als der direkte
Ausstrich. Die Nachweismöglichkeit kann bei diesem Verfahren auf
annähernd 6 Monate angenommen werden.
Strahlenkunde.
Karl Frik (Berlin), Dosierunggfehler in der Tiefentherapie bei Ver¬
wendung des „Spadonngshärtemessers“ an Induktorapparaten.
M. m. W. Nr. 19. Zu Schern pp in Nr. 12. Der Motor ist auch bei
gleicher Betriebsspannung gewissen Schwankungen in der Tourenzahl
unterworfen. Verfasser kontrolliert die Umdrehungszahl durch einen
auf die Achse des Unterbrechers aufgesetzten geeichten Glyzerin¬
tourenzähler.
Allgemeine Diagnostik.
Hans Rock (Troppau), Uebergaag vom Dankei- zum Hellfelde
mit dem Spiegelkondensor für Dunkelfeldbeleuchtung. M.m.W.
Nr. 19. Beschreibung einer einfachen Methode, ohne Entfernung des
Leitzschen Spiegelkondensors vom Dunkelfeld in Hellfeldbeleuchtung
überzugehen, um rasch hinter einem Spirochätenpräparat ein Gonokokken¬
präparat untersuchen zu können.
K. H. Lasch (Frankfurt a. M.), Kapillaraoalyse des Magensaftes
nach Holmg'eo. M. m. W. Nr. 19. Siehe Holmgren, D. m. W. 1911
Nr. 6 und Arch. f. Verdauungskr. 1911. Auf ein mit Kongorotlösung
getränktes Löschpapier wird ein Tropfen Magensaft gebracht. Wenn
freie Salzsäure vorhanden ist, entstehen dann 2 Kreise, ein blauer und
um diesen herum eine nicht gebläute Randzone. Nach einer einfachen
Formel läßt sich dann mit einer Tabelle der Salzsäuregehalt errechnen.
Die Methode ist für den Praktiker zur Orientierung geeignet.
Allgemeine Therapie.
♦♦ Fr. Dessauer (Frankfurt a. M.), Zur Therapie des Karzinoms
mit Rdntgenstrahlen. Dresden, Th. Steinkopff, 1922. 70 Seiten
mit 30 Abbildungen. M. 12.—. Ref.: Otto Strauß (Berlin).
Dessauer hat hier in kurzen Zügen die physikalischen Grund¬
lagen der von ihm geübten Tiefentherapie niedergelegt. Unter den
vielen Veröffentlichungen des Verfassers kenne ich keine, in welcher
in solch vorbildlicher Kürze die schwierige Materie der Bestrahlungs¬
technik zur Darstellung gebracht ist, wie in der vorliegenden. Selbst
die gewiß nicht einfache Wiedergabe der zentralen und peripheren
Intensitäten innerhalb des Strahlen Kegels mit ihren zahlreichen Kurven
erfreut durch eine Uebersicht, die es auch dem mathematisch weniger
versierten Mediziner ermöglicht sich schnell hierüber zu informieren.
Während man sonst im allgemeinen der Auffassung ist, daß augen¬
blicklich die Bestrahlungstechnik zu einem gewissen Abschluß gelangt
ist — was begrifflich sicherlich auch zutrifft — ist Dessauer der
Ansicht, daß die bisherigen Bestrahlungsmethoden erheblicher Ab¬
änderung in Zukunft unterliegen werden.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
744
LITERATURBERICHT
Nr. 22
O. Schiemann und Wreschner (Berlin), Antiseptika gegen
Streptokokkenwundinfektion. Zschr. f. Hyg. 95 H. 4. Aus einer ziem¬
lich großen Zahl von Antiseptika, die bei Wundinfektionen mit hoch¬
virulenten Streptokokken im Tierversuch geprüft wurden, erwies sich
das Trypaflavin als besonders wirksam. Für die Praxis wird bei der
Behandlung von Wunden, die der Infektion mit Streptokokken ver¬
dächtig sind, die Anwendung dieses Mittels zu Spülungen sowie be¬
sonders in Pulver- und Salbenform empfohlen. Der nihilistische Stand¬
punkt, wie er noch neuestens, z. T. unter Berufung auf die alten
Schimmelbuschschen Versuche von Bier, Finger, Kaiser, Döder-
lein vertreten wird, erscheint heute nicht mehr haltbar.
H. Weber (Zittau), Luminal und Lumioalexaothem. Kl. W. Nr.20.
Kasuistik.
A. Buschke und B. Peiser (Berlin), Wirkung des Thallium auf
das endokrine System. Kl. W. Nr. 20. Nach den Untersuchungen
schein^ eine bedeutende Störung in der inneren Sekretion durch Thallium¬
fütterung bei Ratten ohne Zweifel zu sein.
Krankenpflege.
44 Erich Krasemann (Rostock), Säuglings- und Kleinkinder»
pflege In Frage und Antwort. 2 . verbesserte Auflage. Leipzig,
Georg Thieme, 1922. 90 S. M. 15.—. Ref.: G. Tugendreich
(Berlin).
Das Büchlein, das schon ein Jahr nach seinem Erscheinen neu auf¬
gelegt werden mußte, beweist schon dadurch, daß es trotz der großen
Zahl populärer Schriften seine Daseinsberechtigung hat. Ursprünglich
als Repetitionsbuch für Säuglingspflegeschülertnnen gedacht, wird es
auch in Hebammen- und Mütterkreisen mit Nutzen gelesen werden
können. Die Neuauflage ist gut durchgearbeitet und enthält mancherlei
Verbesserungen.
Innere Medizin.
44 Franz Xaver Mayr (Karlsbad), Fundamente zur Diagno¬
stik der Verdauungskrankheiten. Wien, Braumüller & Sohn,
1921. 332 Seiten mit 26 Tafeln. M. 43.— Ref.: Rosen heim (Berlin).
Der Untertitel gibt den Inhalt des Buches: Wie kann man ohne
Anamnese und ohne chemische und instrumentelle Hilfsmittel, nur
mit den unbewaffneten fünf Sinnen sich ein möglichst zutreffendes Bild
vom Zustand und der Funktion der einzelnen Abschnitte des Ver¬
dauungsapparates verschaffen? Also zweifellos ein verdienstliches
Unternehmen, ein Buch für den Praktiker, der Laboratorium und
Apparatur nicht zur Verfügung hat, obwohl nicht recht einzusehen ist,
warum er auch auf die so wertvolle Anamnese verzichten soll. Aber
das wäre ohne Belang, wenn uns der Verfasser eine exakte erschöp¬
fende Darstellung dessen böte, was Inspektion, Auskultation, Perkus¬
sion und Palpation für die Diagnose der Krankheiten des Verdauungs¬
apparates zu leisten imstande sind. Aber diese Erwartung erfüllt
Verfasser nicht, er ist ein Mann eigner selbständiger Ideen, die oft
fesseln, manchmal bestechen, aber wo es sich um wissenschaftliche
Begründung vorgetragener Auffassungen handelt, da hapert es. Be¬
geisterung des Autors für seine Sache, Schwung der Darstellung können
über ungenügende sachliche Grundlage an verschiedenen Stellen nicht
hinwegtäuschen. Dabei ist anzuerkennen, daß Verfasser manches richtig
sieht und wertet, das von anderer Seite vielfach lange nicht genug
gewürdigt worden ist. Zutreffend ist, daß man die Vorgänge bei der
chronischen Obstipation sich viel zu sehr an die Dysfunktion des Dick¬
darms gebunden denkt und daß der Dünndarm, mehr oder weniger
mitbeteiligt, die Symptomatologie stark beeinflußt. Wohlbegründet
jst ferner die starke Betonung der Zusammenhänge zwischen den Ver¬
dauungsprozessen und der Leistungsfähigkeit entfernterer Organe (ins¬
besondere äußere Haut, Schleimhäute, Leber, Herz). Aber es ist denn
doch viel zu einseitig, fast alle Fernwirkungen auf Autointoxikation
zu beziehen und es wirkt geradezu grotesk, immer wieder zu hören,
daß die Fuselfabrik im Bauche so ziemlich alles verschulde. Beachtens¬
wert erscheint mir, wie Verfasser Zwerchfellstand, Form des Abdomen,
Körperhaltung für die Diagnose nutzbar zu machen sucht; hier ist mit
künstlerischem Auge manches gut beobachtet. Aber im ganzen sind
doch die für den Arzt brauchbaren Ergebnisse dieses umfangreichen
Buches sehr bescheidene: mir scheint der große Aufwand von Mühe
und Arbeit bedauerlicherweise zum Teil unnütz vertan, mangels ge¬
nügender Selbstkritik und schärferer Präzisierung der eigentlichen
Aufgabe — weniger wäre mehr.
Martin Mayer (Hamburg), Orale Behandlung und Prophy¬
laxe der Trypanosomenkranktieiten mit „Bsver 205“. M.m. W. Nr. 19.
Ein mit Trypanosoma rhodesiense schwer infizierte Ziege wurde durch
orale Verabreichung von im Ganzen 50 g „Bayer 205" geheilt, eine
andere durch 20 g gegen eine Infektion geschützt, es traten nur vor¬
übergehend spärliche Trypanosomen auf.
Brinkmann (Jena), Periareriitls nodosa. M.m.W.Nr. 19. Subakut
verlaufender Fall, der an Landrysche Paralyse erinnerte. Dazu Durch¬
fälle, Schweiße, Nierenentzündung, chlorotischer Marasmus. Obduktion
zeigt* zunächst nur auffallend bunte Zeichnung der Organe und Ver¬
schmälerung der großen peripheren Nerven. Mikrosk. Periarteriitis
nodosa.
H. Borchardt (Berlin), Vorkommen von Gallenslnren beim
Ikteros und Icteras dissociatog. Kl. W. Nr. 20. Nur der dynamische
Ikterus hämolyticus ist dissoziiert, der mechanische Ikterus ist nie
dissoziiert.
Fülleborn (Hamburg), lofektionsweg bei Askaris. Kl. W. Nr. 20.
Ergebnisse eingehender Versuche an Meerschweinchen und Kaninchen
über die Wanderung der Askarislarven. Die im Darmkanal (unterster
Teil des Dünndarms und Zökum) den Eiern entschlüpften Askaris¬
larven (Askaris lumbricoides) setzen sich nicht direkt dort fest, sondern
bohren sich erst in die Darmvenen ein, werden mit der Vena portarum
zur Leber und weiter auf dem Blutwege zur Lunge getragen, wo sie
sich aus den Kapillaren in die AlvecHen bohren, die Trachea in
die Höhe steigen, um mit dem Speichel verschluckt wieder zum Dünn¬
darm zu gelangen und hier erst zu den geschlechtsreifen Tieren aus¬
zuwachsen. Ein Teil passiert aber den ganzen Lungenkreislauf, dann
den großen, um eine Zeitlang im Blutgefäßsystem des ganzen Körpers
zu kreisen —■ z. B. auch im Gehirn, bis endlich auch diese Larven,
soweit sie nicht im Gewebe stecken geblieben sind, ebenfalls durch
die Trachea zum Munde und so zum Darmlumen gelangen.
Chirurgie.
Georg Schmidt (München), Schmerzbetänbnng in der Chlrnnrie.
M. m. W. Nr. 19. Uebersicht. Bei der Allgemeinnarkose bewährt sich
am meisten der Aether nach vorhergehender Morphium-Atropin¬
einspritzung.
Stich (Göttingen), Bluttransfusionen. Kl. W. Nr. 20. Kritische
Uebersicht.
H. Brütt (Hamburg), Intravenöse Normosalinfnsion in der Chirurgie.
M. m. W. Nr. 19. Man erreicht mit Normosalinfusion mehr als mit der
gewöhnlichen physiologischen Kochsalzlösung. Vor der Ringerlösung
hat das Normasol den Vorzug der Isoviskosität mit dem Blut Es ist
ganz konstant und unbegrenzt haltbar. Eine Bluttransfusion kann durch
Normosal allerdings niclit ganz ersetzt werden.
Karl Nather(Zürich), B'asendrainag* mitdem Troikart. M.m.W.
Nr. 19. Alter dekrepider Patient starb einen Tag nach Blasenpunktion
mit dem Troikart an schwerer Urininfiltration des perivesikalen Gewebes.
Wenn die Blase lange Zeit überdehnt und die wand entzündlich ver¬
ändert ist, kontrahiert sie sich nicht so, daß die Punktionsoffnung um
den Troikart herum dicht abgeschlossen ist ln solchen Fällen sollte
die Zystostomie durch Sectio alta gemacht werden.
Mosenthal (Berlin), Die „Forßmann-Masse“ bei der Her*telloag
von künstlichen Gliedern. Zschr. f. orthop. Chir. 42 H. 5. Der Flug¬
zeugingenieur Forßmann hat durch chemische Beeinflussung das Holz
derart umgewandelt, daß es sich zur Herstellung orthopädischer Appa¬
rate, künstlicher Glieder und mancher medizinischer Gebrauchsartikel
weit besser eignet als natürliches Holz.
A. Wollenberg (Berlin), Operative Behandlung der Arthritis
deformans. Zschr. f. orthop. Chir. 42 H. 5. Die Resektion des Hüft¬
gelenkes gibt gute Resultate, sie ist bei hochgradiger Funktionsstörung
und starken Schmerzen angezeigt. Für Knie- und Fußgelenke sind die
Erfahrungen noch gering.
A. Saxl (Wien), Bedeutung der Anfimrollung in der Symptoma¬
tologie der Hüftgelenkserkrankungen. Zschr. f. orthop. Chir. 42 H. 5.
Die Kombination von Außenrollung mit Adduktion bei Hüfterkrankung
weist auf eine Erkrankung des zentralen Femurendes hin. Insuffizienz
an Glutaeus med. und min. bedingen bzw. fördern beide Stellungs¬
abnormitäten.
E. Petco (Wien), Aktive Hebung des Fußgewölbes bei Pes planes.
Zschr. f. orthop. Chir. 42 H. 5. Bei noch erhaltener aktiver Beweglich¬
keit kann das Fußgewölbe sowohl durch faradische Muskelreizung
wie durch willkürlirhe Kontraktion wiederhergestellt werden. Fu߬
abdrücke zeigen den Umfang der Korrektur.
W. Th. Schmidt (Fürstenberg, Meckl.), Pfropfung des Nervus
byonglossuff auf den Nervus facialis. M. m. W. Nr. 19. Russischer
Kriegsgefangener mit Unterkieferschußbruch und Fazialiszerreißung.
Pfropfung des durchschnittenen Hypglossus, der durch einen mit Korn-
zange hinter den hinteren Digastrikusbauch gebohrten Kanal gezogen
wurde, auf den peripheren Stumpf des Fazialis. Guter funktioneller
Erfolg. _
Frauenheilkunde.
44 O. Polano (München), Oeburtshilfllch-flrynakolourische Pro¬
pädeutik. 3. und 4. Auflage. Leipzig, C. Kabitzsch, 1921. 195 Seiten
mit 96 Abbildungen. M. 40.— geb. Ref.: Jolly (Berlin).
Das mit einer großen Anzahl guter Abbildungen versehene kleine
Werk erscheint zur Einführung in das Studium der Geburtshilfe und
Gynäkologie sehr geeignet.
A. Lab har dt und P. Hüssy (Basel), Meastroatino und Wellen¬
bewegung. Zschr. f. Geburtsh. 84 H. 3. Durch biologische Unter¬
suchungen ließ sich eine extragenitale Wellenbewegung nachweisen,
die mit den Sexual Vorgängen synchron verläuft. Der Höhepunkt der
Welle liegt im prägraviden Stadium oder im Beginne der Menstruation.
Die Wellenbewegung hat ihre Ursache in der monatlich sich neu
vorbereitenden Gravidität. Es erfolgt ein Aufbau, für den erhöhte
Organwirkungen notwendig sind. Sobald das Ei nicht befruchtet wird,
erfolgt der Abbau und damit das Abflauen der gesteigerten Aktivität
im Gesamtorganismus.
F. Ahlfeld (Marburg), Früchte und Samenkörner. Zschr. f. Ge¬
burtsh. 84 H. 3. Rückblick über Ergebnisse der wissenschaftlichen
Tätigkeit des Verfassers. Das Fruchtwasser muß ein Absonderungs¬
produkt der Amnionfläche und der fötalen Bekleidung sein. Auf der
Digitized by
Google_
Original from
CORNELL UNIVERSUM
2. Juni 1922
LITERATURBERICHT
745
Innenfläche des Amnion finden sich häufig Kratzeffekte von seiten der
Fingernägel des Fötus* Folge kann sein, Aufsaugung von Fruchtwasser
egen die Uteruswand und Uebergang fötaler Ausscheidungsstoffe in
ie mütterlichen Gefäße. Die äußere Untersuchung Schwangerer soll
durch sanftes Palpieren mit den drei Mittelfingerspitzen und kurze
Stöße gegen die Gebärmutter ausgeführt werden. Die Auskultation
d*T Herztöne gelingt am besten durch direktes Auflegen des Ohres.
Alle Bewegungen der Frucht, also auch die Atemtätfgkeit der Thorax¬
muskulatur, werden bereits im Mutterleib geübt. Das wirksamste
Desinfektionsmittel der Hand ist der Alkohol.
H. Hinselmann, H. Nettekoven und W. Silberbach (Bonn),
SchwangerFctiaf'saiigiaspa'nitts. Zschr. f. Geburtsh. 84 H. 3. Zur
Entscheidung der prinzipiellen Frage, ob die Schwangerschaft einen
Einfluß auf die Kapillarströmung hat im Sinne von Strömungsunter¬
brechungen wurden die Nagelfalzkapillaren am Finger beobachtet. Es
hat sich dabei ergeben, daß durch die Schwangerschaft die Gewebs-
durchblutung beeinflußt wird, auch an Körperstellen, die nicht mecha¬
nisch durch die Schwangerschaft in Mitleidenschaft gezogen sind.
B. Bauch (Köln), Kaiserschnitt an der Toten und Sterben 1»a bei
Eklampsie. Zschr. f. Geburtsh. 84 H. 3. Mitteilung zweier Fälle von
Kaiserschnitt bei toten und eines Falles bei einer sterbenden Eklamp-
tischen mit Erzielung lebender Kinder, sowie in der Anmerkung eines
Falles von Kaiserschnitt bei einer an Tuberkulose und Herzerkrankung
gestorbenen Schwangeren, ebenfalls mit Erzielung eines lebenden Kindes.
E. Clemenz (St. Petersburg), Die weißen Nekrosen der Plazenta.
Zschr. f. Geburtsh. 84 H. 3. Der vom Verfasser vor vielen Jahren für
den weißen Infarkt der Plazenta vorgeschlagene Name weiße Nekrose
der Plazenta ist in jedem Fall der sinn-, fach- und zeitgemäße, gleich¬
gültig, ob das Primäre in den Veränderungen des Zottenepithels oder
in den Thrombosen der intervillösen Räume oder in Blutextravasaten
in der Dezidua liegt Es handelt sich bei den Nekrosen der Plazenta
im Endstadium um Degenerationsvorgänge, um Produkte einer regres¬
siven Metamorphose, wobei eine Verwandlung der Zellen in eine dem
f eronnenen Fibrin ähnliche Masse, die dem v. Recktinghausenschen
lyalin nahesteht, eintritt.
H. A. Dietrich (Göttingen), Placenta accreta (incretat Zschr. f.
Geburtsh. 84 H. 3. Die Ursache der Placente increta ist primäre par¬
tielle oder totale Atrophie der Uterusschleimhaut und sekundär mangel¬
haft ausgebildete oder fehlende Dezidua infolge Schädigungen des
Endometriums. Infolgedessen Vordringen der Chorionzotten bis an
und in die Muskulatur mit Schädigung oder Zerstörung derselben.
Die vollkommene manuelle Lösung der Placenta increta ist unmöglich
und die abdominale Totalexstirpation des Uterus frühzeitig zu erwägen,
da sonst wie in einem vom Verfasser beobachteten und genau be¬
schriebenen Fall Verblutung eintreten kann.
H. Schultheiß (Basel), Toxische Leberentartunf und akute gelbe
Leberatrnphie in der Schwangerschaft Zschr. f. Geburtsh. 84 H. 3.
Eingehende Beschreibung eines Falles von akuter gelber Leberatrophie,
der im zweiten Monat der Schwangerschaft tödlich auslief. Da sowohl
ein exogenes Gift als auch Bakterientoxine als ätiologische Faktoren
ausgeschlossen werden müssen und keine andere Ursache aufzufinden
war, muß der Fall als eine Schwangerschaftstoxämie angesprochen
werden.
A. M. Marx (Prag\ Differentialdiamose zwischen Ahertun,
Schwangerschaft und Erkrankung. Zschr. f. Geburtsh.84 H. 3. Tod durch
Sepsis im Anschluß an einen Abortus im 3.-4. Monat. Infektionserreger
gTampositive Kokken und Stäbchen. Diese hatten innerhalb der Gebär¬
mutter zur Gasentwickelung geführt, wodurch es in der Gebärmutter¬
wand zur Bildung von Hohlräumen kam, welche an einigen kleinen
Stellen an der Oberfläche des Fundus zur Ruptur gelangt sind. Durch
bakterielle Einwirkung war es in dem blutigen Erguß im Douglas und
Im blutigen Harn zur Umwandlung des Oxyhämoglobin in Methämo«
globin gekommen.
H. Küster (Breslau), Bakteriologie des abfallenden Nabefgtranges
bei verschiedenen Behandlungsmethoden. Zschr. f. Geburtsh. 84 H. 3.
Vergleichende bakteriologische Untersuchungen ergaben, daß die Vor¬
bedingungen für eine Infektion beim gebadeten Kind weit häufiger
vorhanden sind, als beim Nichtgebadeten. Außerdem liegt eine Gefahr
darin, daß eine Hebamme, die das Kind badet, mit Keimen in Berührung
kommt, die sie nacher bei einer Entbindung weitertragen kann. Der
Nabel des Kindes soll daher trocken behandelt und das Baden des
Neugeborenen unterlassen werden.
Paul Klein (Prag), Unerwartete Wiederbelebung eines schein¬
bar tntrrhorenen Kinde«. M. m. W. Nr. 19. Rachitisch plattes Becken
ersten Grades. Vorfall der Nabelschnur, pulslos. Keine Herztöne.
1 V 4 Stunde später Geburt des Kindes, Asphyxia pallida. Das Kind
wird für tot angesehen, macht aber plötzlich einen schnappenden
Atemzug. Jetzt eine Stunde lang energische Wiederbelebungsversuche
mit vollem Erfolg.
Rob. Zimmermann (Jena), Erfahrungen mit der Kiellandschen
Zange. M. m. W. Nr. 19. 6 Fälle. 1 mal guter Erfolg bei hochstehen¬
dem Kopf bei plattem Becken, in den übrigen Fällen, Hochstand des
Kopfes bei verengtem Becken, tiefer Querstand, war die neue Zange
der Nägeleschen nicht überlegen. Die Indikationsbreite für die hohe
Zange darf durch das Kiellandsche Modell nach der Seite des engen
Beckens hin nicht erweitert werden.
Josef Frigyesi (Pest), Loka'snlslhrsi* bersämtlichen gynä¬
kologischen Operationen. M. m. W. Nr. 19. Sämtliche gynäkologischen
Operationen sind in Lokalanästhesie ausführbar, in Betracht kommen
Anästhesie der Bauchwand, sekundäre Infiltration der Ligamente und
Parametrien, bei größeren Eingriffen die Braunsche Parasakralanästhesie.
Nur in seltenen Fällen sind kurzdauernde Narkosen im Verlauf der
Operation notwendig. Auch in der Geburtshilfe genügt meist die
Lokalanästhesie.
Nürnberger (Hamburg), Klinik und pathotofI«che Physiologie
der k •n-ervativeo Adn »Operationen. Zschr. f. Geburtsh. 84 H. 3.
Entzündliche Adnextumoren sind zunächst stets systematisch konservativ
zu behandeln. Größere Douglasabszesse sind durch vaginale Inzision
zu entleeren. Läßt sich trotz längerer Behandlung keine Heilung er¬
zielen, so ist Laparotomie indiziert. Nur bei isolierter Erkrankung
einer Seite darf man sich mit Entfernung dieser begnügen. Doppel¬
seitige Pyosalpingen sind radikal zu entfernen. Wenn bei jugendlichen
Personen funktionierendes Ovarialgewebe zurückgelassen werden kann,
kann man sieh mit Entfernung beider Tuben und transversaler Keil¬
exzision des Uterus begnügen. In allen anderen Fällen kommt Total¬
exstirpation in Betracht. Stets ist die Appendix zu kontrollieren und
eventuell ebenfalls zu entfernen.
Krankheiten der Ohren und der oberen Luftwege.
H. Sternberg (Wien), Agglutination bei Ozlna. Zschr. f. Ohrhlk.
1 H. 1'2. Tritt auf Grund weiterer serologischer Versuche für die
ätiologische Bedeutung des Perez-Bazillus bei der Ozäna ein.
A. Seiffert (Berlin), Perseptate Naht bei Ozänaoperation. Zschr.
f. Ohrhlk. 1 H. 12. Seiffert durchsticht mit einem selbstkonstruierten
Instrument — einer starken Nadel, deren etwa 3 1 ', cm langes vorderes
Ende gegen den Griff rechtwinkelig abgebogen und mit einer häkel¬
nadelförmigen Spitze versehen ist — laterale Nasenwände und Septum
und zieht einen kräftigen Seidenfaden von Kieferhöhle zu Kieferhöhle
und wieder zurück. Durch den (gegebenenfalls durch mehrere solcher
Nähte) Faden werden die dem Septum angenäherten lateralen Nasen¬
wände in ihrer Lage erhalten. Der Faden bleibt lange — bis zu einem
halben Jahre — liegen.
W. Anthon (Berlin), Plantsche Angina und ihre Behandlung.
Zschr. f. Ohrhlk. 1 H. 1/2. In 94% der Fälle von Plautscher Aggina
bestand gleichzeitig Gingivitis marginalis (beobachtet wurden im Ver¬
lauf eines halben Jahres 98 Fälle). Die Gingivitis ist zumeist auf der
Seite der Tonsillitis am stärksten und geht dieser stets voraus. Die
Plautsche Angina beginnt meistens im Rccessus palatinus oder sonst
an versteckter Stelle. Die druckschmerzhafte Lymphdrüsenschwellung
im Kieferwinkel fehlt nie und ist schon bei beginnendem Ulkus nach¬
weisbar. Als exquisites Mittel zur Behandlung der Plautschen Angina
erwies sich die 5°/ 0 ige Chromsäurelösung. Großstadt, Kleinstadt und
Land sind von der Plautschen Angina ziemlich gleichmäßig befallen.
J. Fein (Wien), Angina der I arvnxtonsIHe. Zschr. f. Ohrhlk. 1
H. 1/2. Fein beschreibt eine auf den oberen Teil des Kehlkopfs
beschränkte, regionäre Laryngitis, die die Stimmbänder freiläßt. Die
Lokalisation ist Begrenzt im wesentlichen auf die Einlagerungen lympha¬
tischen Gewebes in der Umgebung des Ventriculus Morgagni. Diese
Larvngit's ist als Teilaffektion der entzündlichen Erkrankungen des
Rachenkomplexes bei der Anginöse aufzufassen. Es wird deshalb die
Bezeichnung Laryngitis anginosa vorgeschlagen. Heiserkeit fehlt zu¬
meist, dagegen sind regelmäßig Schluckbeschwerden vorhanden.
H. Brunner und V. Frühwald (Wien), Stimmwerkzeuge und
Stimme von Taubstummen. 1. Kehlkopf bei Taubstummen. Zschr.
f. Ohrhlk. 1 H. 1'2. Bei 03 taubstummen Kindern fand sich in etwa
60% unvollkommener Schluß der Glottis bei Phonation. In 30% stand
die Pars cartilaginea, in 30°/ o der Pars ligamentosa offen. Als Ursache
des ungenügenden Schlusses war stets die unvollkommene Adduktion
des linken Stimmbandes nachweisbar. Ein Zusammenhang zwischen
abnormer Labvrinthfunktion und Stimmbandnarese ist beim Menschen
zwar nicht ausgeschlossen, wegen der starken Einwirkung des Zentral¬
nervensystems auf die quergestreifte Larynxmuskulatur, aber nicht
direkt nachweisbar. 60% der taubstummen Kinder zeigen habituelle
Lähmungen der Kohlkopfmuskulatur. Die deutsche Methode des
Taubstummenunterrichtes, bei der durch die Pflege der Lautsprache
die Inaktivitätsatrophie der Kehlkopfmuskeln hintan gehalten wird, ist
dem französischen Verfahren der Gebärdensprache zweifellos überlegen.
K. Wittmaack (Jena), Technik, Komplikation und Indikation der
Radikaloperation Zschr. f. Ohrhlk. 1 H. 1 /2. Eine der wesentlichsten
Ursachen mangelhafter Ausheilungsergebnisse nach Radikaloperation
des Mittelohrs ist das Offenbleiben des Tubenkanals. Um einen sicheren
Verschluß zu erzielen, wird von der Nase her mit Hilfe einer, entweder
von der Operationshöhle oder von der Nase aus eingeführten Tuben-
bougie ein Katgutfaden, der mehrere verschieden dicke Knoten enthält,
in die Tube hineingezogen. Der dickste Knoten soll dann im Isthmus
liegen bleiben. Unter den operativ bedingten Komplikationen spielt die
Labyrin'hinfektion mit nachfolgender Meningitis bei weitem die Haupt¬
rolle. Die Entstehung dieser Komplikationen beruht aber sehr selten
nur auf bewußter od*r unbewußter Verletzung der Labvrinthkapsel,
bzw. der Fenstermembranen, sondern vielmehr auf Dialvsevorgangen,
durch die Membran des runden Fensters. Das beste prophylaktische
Mittel dagegen ist gründlichste Kürettement des Paukenbodens und
der Nische des runden Fensters, wobei selbst eine Verletzung der
Fenstermembran nicht sehr tragisch zu nehmen ist, wenn sie auch
natürlich nach Möglichkeit vermieden werden muß. Zweckmäßiger¬
weise wird jede Tamponade unterlassen, da sonst durch sie leicht
eine Labyrinthaffektion begünstigt werden kann.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTy
746
LITERATURBERICHT
Richard Cords, Nystagmusprobleni. M. m. W. Nr. 19. Ueber-
sichtsreferat. Zur weiteren Klärung sind genaue Untersuchungen des
einzelnen Falles nötig. In Frage kommen dabei namentlich auch der
Einfluß des Verdeckens eines Auges (latenter Nystagmus), die Dunkel¬
heit, die Labyrinthreaktionen, der optomotorische (sogenannter Eisen¬
bahn-Nystagmus) Nystagmus, die exakte Aufzeichnung der Augen¬
bewegungen.
Zabnheilkunde.
++ Julius Misch (Berlin), Lehrbuch der Grenzgebiete der
Medizin und Zabnheilkunde für Studierende, Zahnärzte
und Aerzte. 2 Bde. Leipzig, F. C. W. Vogel, 1922. 691 und 671 Seiten
mit 237 und 351 Abbildungen. M. 400.—, geb. M. 475.—. Ref.:
Konrad Cohn (Berlin).
Die vorliegende 2. Auflage des Lehrbuches zeigt eine erhebliche
Vermehrung des Stoffes. Der Herausgeber und seine Mitarbeiter sind
bemüht, alle Beziehungen der Allgemeinmedizin zur Zahnheilkunde und
umgekehrt zur Darstellung zu bringen. Es werden ausgewählte Kapitel
der Inneren Medizin von Ernst Fuld und Ernst Herzfeld, der Kinder¬
heilkunde von Gustav Tugendrefch, der Nervenkrankheiten von
Herrmann Krön, der Syphilis von Hans Mühsam, der Hautkrank¬
heiten von Reinhold Ledermann, der Frauenkrankheiten von Otto
Büttner, der Hals-, Nasen- und Kehlkopfkrankheiten von Finder,
der Ohrenkrankheiten von Fritz Großmann, der Augenkrankheiten
von Adolf Gutmann und der Gewerbekrankheiten von Koelsch
gebracht und in die Abhandlungen die speziell zahnärztlichen Ergeb¬
nisse vom Herausgeber Julius Misch eingefügt. Damit wird ein
einheitliches Bild der Wechselbeziehungen geschaffen, das durch zahl¬
reiche Abbildungen und erschöpfende Literaturangaben vervollständigt
wird.
Haut- und Venerische Krankheiten«
♦♦ H. Finkelstetn (Berlin), E. Galewski (Dresden) und L. Halber-
staedter (Berlin), Hautkrankheiten und Syphilis im Säug¬
lings- und Kindesalter. Berlin, J. Springer, 1922. 77 Seiten
mit 56 Tafeln. Geb. M. 260.—. Ref.: L. F. Meyer (Berlin).
Die Hautkrankheiten im Kindesalter stellen erfahrungsgemäß ein
recht schwieriges Gebiet dar, das mannigfachen Irrtümern ausgesetzt
ist. Um nur ein Beispiel herauszugreifen, so darf darauf hingewiesen
werden, daß einerseits die ersten Manifestationen der kongenitalen
Syphilis auf der Haut nicht selten übersehen und daß anderseits harm¬
lose Formen der Intertrigo für Syphilis gehalten werden. Es ist des¬
halb besonders dankbar zu begrüßen, daß ein Triumvirat hervorragend
fachkundiger Aerzte einen A las der Hautkrankheiten und Syphilis im
Kindesalter geschaffen hat, durch den der Student, aber auch der
schon erfahrene Arzt, eindringlicher als es durch das geschriebene
Wort geschehen kann, über die Besonderheiten dieser Affektionen
belehrt wird. Eine große Reihe vorzüglicher Abbildungen von Mou¬
lagen zeigen das Typische der Krankheitsbilder in der bildlichen
Darstellung fast so lebhaft wie am Krankenbett. Die Auswahl der
Tafeln darf als glücklich bezeichnet werden, bringt sie doch alle
wesentlichen Erkrankungen, die prakt'sch in Betracht kommen. Dem
Atlas vorangestellt ist ein zusammenhängender Text, der einen Ueber-
bl'ck über das ganze Gebiet in einfacher und prägnanter Darstellung
gibt und einen kurzen Hmweis auf die Behandlung enthält. — Das
schöne Werk wird für Klmiken und Krankenhäuser bald ein unent¬
behrlicher Ratgeber sein. Aber auch der Praktiker wird bei der relativ
niedrigen Preisgestaltung den Atlas als Rüstzeug zu seiner Arbeit
anzuschaffen in der Lage sein.
W. Scholz (Königsberg), Intrakutane Behandlung besonders
von Hanttnherkulose. Kl. W. Nr. 20. Bei Trichophytie waren die
Behandlungserfolge mit Trichophitin recht günstig. Heilung meist
noch rascher al« bei subkutaner Behandlung; auch Ausbleiben starker
allgemeiner Reaktionserscheinungen Bei Lupus war eine weitgehende
Ueberlegenheit der intrakutanen Tuberkulinbehandlung gegenüber der
subkutanen Behandlung nicht festzustellen.
Seidl (Wien), Pelloron, ein neues Bal c amikum für d«e interne
Onnorrhnebehandlunp. W. m. W. Nr. 19. Pellogon (ol. Cubeharum
cum ol. Succini) hat den Anforderungen voll entsprochen. Es ist gut
verträglich, wohlfeil und entfaltet eine sekretionshemmende, anästhe¬
sierende und desinfizierende Wirkung.
G. V. Frank (Köln), Heiz«ofidenb*handlun? der weiblichen Gonor¬
rhoe. Zschr. f. Geburtsh. 84 H. 3. Zur Heizsondentherapie wurden
seit I 1 /, Jahren die von Stanger in Ulm konstruierten Heizsonden benutzt,
in Verbindung mit dem Pantostaten. Temperaturen bis 55 Grad wurden
gut vertragen. Bei höheren Temperaturen können Verätzungen auf-
treten. Jede Sitzung dauerte 20—30 Minuten. Je nach Lage der Fälle
wurden 10—50 Sitzungen angewandt. Ständige Ueberwachung ist dabei
notwendig. Außer der Heizung wurden auch noch Desinfizientien
benutzt. Die Heizsonde befördert in hartnäckigen Fällen die Heilung,
dient zur Feststellung einer versteckten Gonorrhoe und kann stärkeren
Ausfluß aus der Zervix zum Schwinden bringen. Bei bestehender
Schwangerschaft ist die Anwendung auch nur der Harnröhrenheizung
streng verboten.
Siegfried Löber (Fulda), Behandlung der weiblichen Gonor¬
rhoe mit Zelbiloidkapseln nach Post. M. m. W. Nr. 19. Zu M. m. W.
1921 Nr. 42. Bel der gonorrhoischen Infektion des Zervikalkanals haben
Nr. 22
die Zelluloidkapseln sich nicht bewährt, bei nichtgonorrhoischen
Katarrhen gute Erfolge. *
Förster (Buer*, Entsteht bei der Mfechsj) ritze nach Lisses
kolloidale« Hg? M. m. W. Nr. 19. Bei mikroskopischer Untersuchung
der Niederschläge in den Mischspritzen zeigt es sich, daß es sich dabei
nicht um kolloidales Hg handelt (Rothmann in Nr. 12), sondern um
metallische Hg-Partikelchen. Am kleinsten sind diese beim Cyarsal.
Hier sind Infarkte durch Kapillarverstopfung nicht zu befürchten.
Kinderheilkunde«
P. Lindig (Freiburg i. Br.), Glykosorie des Neugeborenen. Kl. W.
Nr. 20. Von einer regelmäßig oder auch nur häufigen nach Zangen-
gebürten eintretenden traumatischen ephemären Glykosurie kann keine
Rede sein.
G. Bessau, S. Rosenbaum und B. Leichtentritt (Marburg)
Das alimentire Fieber. Mschr. f. Kindhlk. 22 H. 5. Zwischen dem
Verhalten der Temperatur (Fieber, Untertemperatur, normale Tempera¬
tur) im Zustande der Intoxikation und der Reaktion der Temperatur
auf Nahrungszufuhr oder Hunger bestehen keine einfachen und gesetz-
mäßigen Beziehungen. Am Zustandekommen der Intoxikationserschei¬
nungen ist wesentlich die Exsikkose der Darmzelle beteiligt, die den
giftig wirkenden Endotoxinen der in die oberen Darmabschnitte ein¬
gedrungenen Bakterien den Uebertritt in den Kreislauf gestattet.
E. Thomas und J. Kochenrath (Köln). SHuvHng««tridor. Zschr.
f. Ohrhlk. 1 H. U2. Der sogenannte Schrei-Stridor der Säuglinge wird
als ein fibendes Inspirium von verschiedener Stärke und Häufigkeit
während des Schreiens definiert. Zu dem Stridor inspiraturius congeni-
tus bestehen zahlreiche Uebergänge. In vielen Fällen liegt eine Hirn-
Schädigung vor. Für diese Fälle kann eine Reizung des kortikalen
Kehlkopfzentrums (Krause) angenommen werden. Es wird hierfür die
Bezeichnung „zerebraler Stridor" vorgeschlagen. Im frühen Kindesalter
soll, im Gegensatz zum Erwachsenen, Stridordisposition bestehen. Die
Aetiologie des Stridor congenitus ist unklar. Vereiterung tiefliegender,
schwer palpierbarer Drüsen kann kollaterales Oedem des Kehlkopf¬
eingangs verursachen. Thymusstridor wird durch Bestrahlung behandelt.
F. X. Cieszvnski (Warschau), Bedeutung von Laboratoriums-
methodeo für die Prognnsestelxing bei Kindertnberknlose. Mschr. f.
Kindhlk. 22 H. 5. Ansteigen des refraktrometrischen Index im Blut¬
serum und Ansteigen der Lymphozyten im Blut sprechen für einen
günstigen Ablauf der Tuberkulose. Sinken des Index, der Lympho¬
zyten und Schwinden der Eosinophilen finden sich bei prognostisch
ungünstig zu beurteilenden Erkrankungen.
C. Noeggcrath (Freiburg), Die diagnostische Bedeutung des
Gofdooschen Patettarreflexes für die Chorea minor. Mschr. f. Kindhlk.
22 H. 5. Der Gordonsche Reflex, das ist ein gebremstes Herabsinken
des nach Beklopfen der Quadrizepssehne gehobenen Unterschenkels,
findet sich nicht nur bei Kindern, die an Chorea minor leiden, sondern
bei einem nicht unbeträchtlichen Teil gesunder Kinder. Der Gordon¬
sche Reflex ist als eine Mitbewegung zu deuten.
Hygiene.
++ Hartwig Klut (Berlin-Dahlem), Untersuchung de« Wassers
an Ort und Stelle 4. neubearbeitete Aufl. Berlin, J. Springer,
1922. 189 Seiten mit 34 Abbildungen. M. 45.-. Ref.: Korff-
Petersen (Berlin).
Die wohlbekannte Schrift von Klut hat in ihrer 4. Auflage manche
Erweiterung gefunden, die teils aus den Erfahrungen des Krieges, teils
aus Anregungen aus Ingenieurkreisen hervorgegangen sind. So ist ein
Abschnitt über Härtebestimmung hin/ugekommen, in welchem der
Bestimmung nach Clark vor dem Kaliumpalmitat-Verfahren der Vor-
zug gegeben wird. Die Bestimmung der Radioaktivität wird kurz mit-
geteilt. Eingehend behandelt sind die angreifenden Wässer, besonders
wird auf die Bedeutung der Mörtel angreifenden „aggressiven" Kohlen¬
säure hingewiesen. Auch die chemischen Einwirkungen d*»s Grund¬
wassers und gewisser im Boden enthaltener Stoffe auf den Mörtel von
Baulichkeiten, mit denen sie in Berührung kommen, sowie Maßnahmen
gegen die dabei entstehenden Schädigungen werden eingehend be¬
sprochen. Ebenso ist der Abschnitt über Prüfung des Geschmackes
vermehrt. Das ganze Buch ist außerordentlich klar und einfach ge¬
schrieben und wird sich auch in der erweiterten Form sicher neue
Freunde erwerben, zumal auch die äußere Ausstattung eine gute ist.
Walther Schwarz (Königsberg i. Pr.), I.nftbeschaffenheit und
geistige LetstungsfihigkHt. Zschr. f. Hyg. 95 H. 4. Die physikalischen
Faktoren der Luft sind von ausschlaggebender Bedeutung für die
geistige Arbeit. Dieser Einfluß tritt bereits klar zutage, wenn von
körperlichen Störungen noch keine Rede ist. Die sogenannten Wärme¬
stauungssymptome konnten selbst bei hoher Temperatur (25,4°), ver¬
bunden mit hoher Feuchtigkeit, niemals, weder bei Lehrern noch
Schülern beobachtet werden. Während die Herabsetzung der geistigen
Leistungsfähigkeit mit über 19° steigender Temperatur zunimmt, ist
ein hoher Feuchtigkeitsgehalt der Luft bei Temperaturen unter 19 a
von geringerem Einfluß, bewirkt aber bei höheren Temperaturen eine
außerordentlich starke Verminderung der Arbeit, wie sie durch die
Temperatur allein nicht annähernd erreicht wird.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
2. Juni 1922 LITERATURBERICHT 747
Kritisches Sammelreferat über Arbeiten aus dem Gebiete der akuten Ernährungsstörungen
des Säuglings.
Von Prof. Dr. St. Engel in Dortmund.
An erster Stelle sind die Untersuchungen Moros und seiner Mit- spiele. Mit Hilfe der Duodenalsonde hat er sich präzise Vorstellung
arbeiter über das Wesen des sogenannten alimentären über den Bakteriengehalt dieses Darmabschnittes und den des Magen9
Fiebers zu besprechen. Diese von Finkei stein und seinen Mit- während des Lebens verschafft. Von Moro (auch durch Tissier)
arbeiten! aufgedeckte und beschriebene Erscheinung, daß nach Ein- war schon sehr viel früher festgestellt worden, daß die Bakterien¬
spritzungen von Kochsalzlösungen, nach Verfütterung von Salz oder besiedlung des Darmes normalerweise so ist, daß der gesamte Dünn-
Zucker Fiebererscheinungen auftreten können, aber nicht müssen, darm mit Ausnahme der alleruntersten Teile nur ganz vereinzelte
hatte eine Reihe von Autoren zur Nachprüfung veranlaßt. In der Bakterien enthält. In Erkrankungsfällen dagegen findet man auch die
Frage des Salzfiebers schien ein gewisser Abschluß erreicht obersten Abschnitte mit Bakterien erfüllt. Diese Erscheinung war von
zu sein, als sich herausgestellt hatte (Sammelson), daß auch hier, Moro als „endogene^Infektion“ bezeichnet worden. Ihre besondere
ähnlich wie bei den Salvarsaneinspritzungen, der wasserfehler eine Bedeutung war ihm nicht sicher, wiewohl er sich über das Bedeut¬
beträchtliche Rolle spiele. An dieser Stelle setzten die Untersuchungen same seines Befundes durchaus im klaren war. Bessau konnte mit
Moros ein. Er fand die bisherigen Resultate im großen und ganzen seiner Methode die Befunde bestätigen und erweitern. Er fand in
bestätigt, erhielt aber auch bei sorgfältigster Zubereitung der Salz- pathologischen Fällen wesentlich Bakterien aus der Coli-lactis-aero-
lösungen bei einer Anzahl von Kindern Reaktionen. Bedeutungsvoll genes-Gruppe und zwar an Zahl im allgemeinen der Stärke der Er-
war, was übrigens auch schon vor ihm bekannt war, daß mit diesen krankung entsprechend. So festigte sich in ihm die Anschauung, daß
Reaktionen regelmäßig Glykosurie (Dextrosurie) verbunden war. Diese die pathologische Gärung durch die Verlegung von den unteren
Erscheinung wurde von vornherein von Moro in Zusammenhang mit Darmabschnitten in die oberen bedingt sei. Unten sei die Gärung kein
Störungen des autonomen Systems gebracht. Das Salzfieber erklärt Reiz, oben dagegen ein sehr starker. Das von ihm im Gegensatz von
sich als eine Erschütterung im Gleichgewichte des autonomen Moro als „endogene Invasion“ bezeichnte Heraufsteigen der Bak-
Systems. Vermutlich hängt die Unregelmäßigkeit seines Auftretens terien bringt er mit Stauungen der Ingesta in Zusammenhang. Er
mit dem jeweiligen Zustande der vegetativen Nerven zusammen. Auch vertritt die Ansicht, daß normalerweise sich im oberen Darm Bakterien
die orale Verfütterung von Salz bringt eine Reihe von Fieberreaktionen, deswegen nicht ansiedeln können, weil der rasche Strom der Ingesta
gleichfalls mit Zuckerausscheidung, doch wurde diesmal Milchzucker (Kah n) dies nicht zuläßt. Treten jedoch Stagnationen auf, so wandern
gefunden — ein grundsätzlicher Unterschied zwischen den beiden Re- die Bakterien nach oben und es entstehen die schädlichen Folgen. Moro
aktionen. Im letzteren Falle muß angenommen werden, daß nach einer hat demgegenüber darauf hingewiesen, daß der Zucker voraussichtlich
Schädigung der Darmwand Milchzucker zur Resorption kommt und für Bakterien stark anlockend wirke. Eine besondere Rolle kann auch
gleich einem Fremdkörper ausgeschieden wird. die Hitze spielen, welche geradezu Lähmung des Darmtraktus herbei-
Weiterhin prüfte Moro das sogenannte Zuckerfieber, wo- führt. Er stützt sich dabei auf Tierversuche der Art, daß mit Zucker
bei sich ergab, daß Temperaturen nur auftreten, wenn Zucker in gefütterte junge Kaninchen oder Hunde in den Wärmofen gesetzt
Kombination mit Molke gegeben wird, nicht aber in Wasser oder werden und dann nach wenigen Stunden schon alle Zeichen der endo-
Salzlösung. Wurde die Molke ihres Eiweißes auf kolloidalem Wege gegen Infektion aufweisen. Wahrscheinlich bestehen beide Anschau¬
beraubt, so war sie unwirksam. Er zog daraus den Schluß, daß ungen zu Recht. Wie die Stagnationen auch immer auftreten, voraus-
nicht die Salze der Molke es seien, welche das Zuckerfieber erzeugen sichtlich werden sie zum Zustandekommen der endogenen Invasion
bzw. begünstigen, sondern daß es am Eiweiß liegen müsse. Das notwendig sein, und dann entstehen die von Bessau geschilderten
Zuckerfieber macht in der Regel nur niedrige Temperaturen, welche Übeln Folgen der Entstehung von Gärungssäuren an hierfür empfindlicher
Moro grundsätzlich von den hohen steilen Temperaturen trennt, Stelle. Der Hinweis von Moro auf die Hitzewirkung ist besonders
wie sie oei Toxikosen vorhanden sind. Das Zustandekommen stellt wichtig für die Auffassung vom Zustandekommen der Sommcrdurchfälle.
sich Moro so vor, daß der Zucker bakterienanlockend wirkt und die Die Frage der schädlichen Wirkung der Gärungssäuren im oberen
von ihm schon früher festgestellte „endogene Infektion“ des Darmes Dünndarm steht und fällt mit der Voraussetzung, daß die Gärunprs-
hervorruft. Das „Zuckerfieber“ ist nach seiner Auffassung das Fieber säuren in der Tat eine verhängnisvolle Rolle für den Darm spielen
der „endogenen Infektion“ (was von Bessau bestritten wird). Die können, eine Voraussetzung, der bisher experimentelle Grundlagen
Rolle, welche das Molkeneiweiß bei dem Zustandekommen des Zucker- nur in sehr bescheidenem Umfange zur Verfügung standen. Es ist
fiebers spielt, war von vornherein nicht klar. Zunächst wurde die daher von ausschlaggebender Bedeutung, daß gerade in den letzten
Frage erörtert, ob nicht die Verzögerung der Resorption des Milch- Jahren sehr sichere Grundlagen hierfür geschaffen worden sind. Es
zuckers durch heterologes Eiweiß (Freudenberg) von Bedeutung ist nämlich festgestellt worden, daß als darmerregendes Mittel das
sei. Diese Möglichkeit wird abgelehnt. Dann wurde unter Bezug- Cholin hervorragend in Frage kommt. Des weiteren ist dann fest-
nahme auf die Feststellungen Blühdorns diskutiert, ob das Eiweiß gestellt worden, daß die Wirkungsweise des Cholins nach seiner
als Stickstoff träger das Wachstum der Gärungserreger begünstige. Bindung sehr verschieden ist. Besonders bedeutungsvoll ist das Ver-
Auch diese Frage mußte verneint werden, da z. B. Frauenmagermilch halten des Cholins in seiner Bindung mit Gärungssäuren. Sie ver-
plus Zucker keine Reaktion gab. Es bleibt also nach Moro nur stärken seine Wirkung, und gerade die Bindung mit Essigsäure, das
übrig, anzunehmen, daß irgendeine Reizwirkung des artfremden Ei- Azetylcholin, entfaltet ganz hervorragend starke Wirkung. Damit
weißes im Spiele sein müsse. Die ganze Frage ist noch nicht bis ergibt sich in der Tat die Wahrscheinlichkeit, daß die Bildung von
zum Ende geklärt, da bisher nur indirekte Schlüsse vorliegen. Gärungssäuren, insbesondere von Essigsäure, in den oberen Abschnit-
Die schon erwähnten Temperaturzacken steilerer Art sucht Moro ten des Darmes mit der dort reichlich vorhandenen Möglichkeit der
im Verfolg anderweitiger Ueberlegungen so zu erklären, daß fremd- Kuppelung mit Cholin zu sehr schweren Reizungen führt,
artige, Fieber erregende Substanzen durch die geschädigte Darm- Durch all die beschriebenen Arbeiten sind unsere Kenntnisse über
Schleimhaut ins Blut dringen. In diesem Sinne dachte er in erster die Vorgänge im Darm des akut gestörten Säuglings stark bereichert
Linie an die Spaltprodukte des Eiweißes, deren fiebererregende und worden, wir wissen danach, daß die Erregung von Gärungen im
toxische Wirkung ja bekannt ist. Er stellte Versuche mit Pepton- oberen Dünndarm als starker Reiz empfunden wird. Dieser Reiz kann
Witte und später auch mit abgebautem Kasein an und erhielt jedesmal sich dahin auswirken, daß die Darmschleimhaut geschädigt wird und nun
einwandfreie Reaktion, wenn die Darmwand geschädigt war oder toxisch wirkenden Substanzen Durch laß gestattet. Nötigist die Durchlässig¬
gleichzeitig geschädigt wurde. Die Reaktion war so stürmisch und keit nicht einmal, wenn man die „Amintheorie Moros“ zugrundelegt, da
den Erscheinungen bei den Toxikosen so ähnlich, daß nur wenige dieseKörperanscheinendauchdenungeschädigtenDarmpassierenkönnen.
Versuche angestellt werden konnten. Das eine Präparat Moros, In die Diskussion über die Pathogenese und Symptomatologie ist
welches Reaktion hervorbrachte, war bis zum Verschwinden der von Bessau dann noch die besondere Bedeutung der Exsikkation
Biuretreaktion gespalten, sodaß der Schluß gezogen wurde, daß gezogen worden. Als Symptom und schwere Schädigung hat sie schon
nicht nur die gröberen Spaltprodukte des Eiweißes, sondern auch immer Beachtung gefunden. Bessau ist aber geneigt, sie in den
die abiureten Peptide fiebererzeugend bzw. toxisch wirken. Nach Mittelpunkt des pathologischen Geschehens zu stellen und auch eine
dem Erscheinen des Buches von Guggenheim über „Die biogenen Reihe von Symptomen neu daraus herzuleiten. Nach Bessau kommt
Amine“ (Springer 1921) hat Moro seine Auffassung dahin modifiziert, es erst zur Exsikkation und dann zur Intoxikation. Die wasserraubenden
daß es von den Abbauprodukten des Eiweißes die Amine seien, welche Durchfälle gehen nach ihm den toxischen Erscheinungen voraus,
giftig wirken. Die Amine entstehen aus den Aminosäuren und sind Durch den Wasserverlust werden vor allem die nervösen Zentral-
z. T. sehr giftig, namentlich das aus dem Histidin entstehende Histamin. organe geschädigt. So sollen die nervösen Begleiterscheinungen zu
Die Vorbedingung für die Entstehung und Wirkung von giftigen erklären sein, und auch das Fieber faßt er als exsikkatorische Ein-
Aminen ist dadurch gegeben, daß Aminbildung durch Bakterienwirkung Wirkung auf die zentrale Regulierung der Temperatur auf. Bis dahin
(auch durch Bacterium Coli commune) entsteht und die vorhandene kann man Bessau folgen. Wenn er aber weiter das toxische Syn-
Darmdurchlässigkeit den Durchtritt gestattet. Diese Anschauungen drom: Benommenheit, Koma, Erregungszustände, katalepsieartige Zu -
Moros sind nicht unwidersprochen geblieben. Bessau neigt der stände, Krämpfe, Erbrechen usw. auf urämische Einflüsse und diese nicht
Anschauung zu, daß es Koliendotoxine seien, welche toxisch wirken. auf Nierenschädigung bezieht, sondern eine, wie er allerdings zugibt,
Der positive Beweis hierfür ist ihm bisher nicht gelungen. nicht bewiesene exsikkotische Hirnschädigung annimmt, so erscheint
Weitere sehr wichtige Erkenntnisse knüpfen sich an die Arbeiten das doch zu einseitig in der Auffassung. Die Exsikkation spielt gewiß
von Bessau und seinen Mitarbeitern (Bossert, Rosenbaum, eine große Rolle, wie ja ex juvantibus schon hervorgeht, aber es sei
Leichtentritt). Bessaus Verdienst ist es, dem Begriff der doch daran erinnert, daß der pathologisch-anatomische Befund auf
pathologischen Darmgärung Gestalt und Inhalt dadurch eine so schwere toxische Schädigung lebenswichtiger Organe hin¬
gegeben zu haben, daß er die These auf stellte, es sei pathologisch, weist, der Leber und Niere vor allem, daß damit schon der Stoff¬
wenn die Gärung statt im Dickdarm sich im oberen Dünndarm ab- wechselzusammenbruch meist irreparabel wird. Ob die Nierensdiädi-
Digitized by sie
Original fro-m
CORNELL UNiVERSITV
748
LITERATURBERICHT
Nr 22
gung an dem Zustandekommen urämischer Erscheinungen beteiligt
ist, läßt sich nicht ohne weiteres sagen. Im Gegensatz zu Bes sau
hat sie der Referent aber in langjährigen Untersuchungen fast nie vermißt
Von den klinischen Erscheinungen der akuten Ernährungsstörungen
sind neuerdings Störungen im Gebiete des vegetativen Ner¬
vensystems in den Vordergrund der Betrachtung getreten. Vor
Jahren wurde schon von Behrend und seinen Mitarbeitern, auch
von Hanna Hirschfeld auf Störungen im Gebiete des Sympathi¬
kus aufmerksam gemacht. Durch Engel konnte dann gezeigt werden,
daß dazu noch Störungen im Bereich der Vagusinnervation bestehen.
Im Gegensatz zu den Reizerscheinungen im Sympathikus machen die
des Parasympathikus einen nicht unerheblichen Teil des klinischen
Bildes aus, wenn man eine solche Trennung überhaupt vornehmen
darf: Hypersekretion von Magensaft, übermäßige Schleimbildung im
Magen, Erosionen des Magens mit Blutungen fHämatinerbrechen) ge¬
hören zu den gewöhnlichen, bisher aber kaum beachteten Erschei¬
nungen. Das unstillbare Erbrechen mancher Fälle gehört wohl auch
ins Gebiet der Innervationsstörungen.
Inwieweit der gesamte Verlauf der akuten Ernährungsstörungen
durch die Reiz- bzw. Lähmungserscheinungen des autonomen Systems
efärbt wird, wird noch näher zu untersuchen sein. Wichtig ist schon
eute, daß es sich nicht nur um terminale Erscheinungen handelt,
sondern daß auch schon in leichteren Fällen die Zeichen der Inner¬
vationsstörung nachweislich sind. Durch Erna Fürstenau wurde
auch nachgewiesen, daß Blutungen im Digestionskanal sich regelmäßig
(bei jüngeren Säuglingen) durch kleine Gaben von Pilokarpin er¬
zeugen lassen.
Moro, Arch. f. Kindhlk. 43; M.m.W. 1919; Moro und Mitarbeiter: Jb.f. Kindhlk. 8 V- 94 ;
Referat Ober „Enterale Infektion“, Mschr. f. Kindhlk. 22 H. 2, — Bessau-Rosserti
Jb. f. Kindhlk. 89; Bessau, Rosenbaum, Leichtentritt, Mschr. f. Kindhlk 22 H. 1
u. 5; Jb. f. Kindhlk. 95; Bessau, Referat über „Enterale Infektion“, Mschr. f. Kindhlk.22
H.2. — Leichtentritt. Jb. f. Kindhlk.94. - Weiland, Arch.f.d.ges. PhysioL 147.
— Le Heux, Arch f.d.ges. Physiol. 173 u. 190. — v.KQhleweln, Arch. f.d. ges.
Physiol. 191. - Aval, Arrh. f. d. ges. Physiol. 193. — Scheer, Jb f. Kindhlk.91 u.92. —
Behrend undTetzner. Mschr. f. Kindhlk. 10. - H. Hirschfeld, Jb. f. Kindhlk 78.-
Engel, Zschr. f. Kindhlk. 3a Fürstenau, Zschr. f. Kindhlk.30. — Hainiss, Mschr
f. Kindhlk. 21. - Kahn, Zschr. f. Kindhlk.
Kritische therapeutische Rundschau.
Schittenhelm, Proteinkörpertheraple. M.m.W. 1921 S. 1476. —
Weichardt, Proteiokörpertheraple. Ebenda 1922 S. 107. — v. Gröer,
Ergoirope Therapie und ergotrope Wirkungen. Ther. Hmh. 1921
S. 732. Es soll hier weder über die praktischen Ergebnisse der Protein¬
körpertherapie noch über die Erklärungsversuche dieser Wirkungen
referiert werden, die diese hier genannten Arbeiten mit der großen
Zahl anderer ähnlicher Untersuchungen gemeinsam haben, sondern
es soll hier eine Frage, die diesen Arbeiten gemeinsam zugrunde
liegt, einer kritischen Beurteilung unterzogen werden: nämlich die,
ob die Proteinkörtherapie als eine spezielle therapeutische Anwen¬
dungsform von Eiweiß- und Eiweißabbauprodukten, eine
Therapie sui generis darstellt, oder ob sie mit den vielfach behaup¬
teten unspezifischen therapeutischen Wirkungen von definierten Kör¬
pern, von Salzlösungen, von Zuckerlösungen usw. gemeinsame Grund¬
lagen besitzt. Auf Grund zahlreicher experimenteller sowie klini¬
scher Erfahrungen erscheint die zuletzt genannte Annahme gerecht¬
fertigt, im Gegensatz zur Aeußerung Schittenhelms, der es für
bedenklich hält, den Wirkungsmodus solcher definierter Körper dem
der Proteinkörpertherapie gleichzustellen. Dasselbe gilt von der For¬
derung Weicnardts, weiter nur Proteinkörpertherapie zu
treiben, die im Gegensatz steht zur Forderung v. Gröers und der
anderer Autoren, Proteinkörpertherapie mit der unspezifischen Reiz¬
wirkung anderer definierter Körper zu identifizieren. Dieses Bedenken
Schittenhelms und die Forderung Weichardts könnten von
der Voraussetzung aus gerechtfertigt sein, daß durch eine derartige
Verbreiterung dieser Therapie, d. h. durch die erwähnte Gleichstellung
von Proteinkörpertherapie einerseits und der Wirkung von Injektionen
von Farbstoffen, Salz- und Zuckerlösungen höherer Konzentration, sowie
von der Beeinflussung des Flüssigkeitsaustausches der Gewebe ander¬
seits die unbedingt notwendige Feststellung der Bedingungen dieser
Therapie erschwert werden könnte. Diese Voraussetzung scheint aber
deswegen nicht gegeben zu sein, weil jeweils die gleiche Methode,
die zur Aufklärung der Wirkung der Eiweißkörper angewendet wird,
auch zur Aufklärung der Wirkung der anderen Stoffe angewendet
werden sollte. Man kann wohl im Gegenteil hierzu behaupten, daß die
Erklärung der gleichen Wirkung des einfacher gebauten definierten
Körpers früher zu einer Klärung der ganzen Frage führen wird, als
wenn man erst für die komplizierteren Körper und ihre Wirkungen
Aufklärung sucht. Das allzu strenge Festlegen einer Therapie hin¬
sichtlich ihres Wesens und ihrer Anwendung auf eine einzige
theoretische Grundlage ist in letzter Hinsicht der Therapie selbst,
ganz besonders aber ihrer Erklärung nicht allzu förderlich; das be¬
weist wohl der derzeitige Stand der Immun- und Serumtherapie, bei
der schließlich die reichen theoretischen Erfahrungen für die Therapie
selbst keine oder nur beschränkte Anwendung finden konnten. Um so
gerechtfertigter aber ist die allgemein aufgestellte Forderung nach
endlicher Festlegung der näheren Bedingungen dieser The¬
rapie, die nicht nur durch experimentelle, sondern besonders durch
klinische Erfahrungen, durch systematische Untersuchungen am Kran¬
kenbette gewonnen werden müssen. Es dürfte nach dieser Richtung
hin ein Vergleich mit den Mitteln der parasympathisch erregenden
Gruppe der Arzneimittel gestattet sein. Sowohl für das Muskarin uni
Cholin als auch für das Arekolin, Physostigmin und Pilokarpin ist eine
gleichartige Grundlage der Wirkung gegeben, und doch wird
kein Kliniker diese pharmakologisch im ganzen und großen gleichartig
wirkenden Mittel einander derart gleichsetzen, daß er sie für irgend¬
eine hier in Frage kommende Indikation wahllos anwenden würde.
Die allgemeine Grundlage der pharmakologischen Wirkung be¬
stimmt hier das allgemeine Anwendungsgebiet, die individuelle Indi¬
kation aber ist jeweils durch die näheren Einzelheiten der Wirkung
eines jeden einzelnen dieser Mittel gegeben. Ganz das Gleiche gilt
von den vielen Mitteln, für die hier in Rede stehende Therapie. Sie
alle können wohl eine gemeinsame letzte Ursache der Wirkung be¬
sitzen, doch werden sich jeweils für die verschiedenen Indikationen
viel feinere Unterschiede feststellen lassen, die erst den pharmakolo¬
gischen Wert dieser Körper für eine eng umschriebene Indikation
bestimmen lassen. Daran mitzuarbeiten, ist die Aufgabe aller jener,
die praktisch diese Therapie, sei es als Proteinkörpertherapie oder
als Reiztherapie, als Kolloidtherapie oder als ergotrope Therapie oder
unter sonst einem Namen betreiben. Sn.
Erich Meyer, Rektale Digivalistherapie. Kl. W. 1922 S. 57. Es
ist hier (D. m. W. 1922 S. 42) vom Referenten gelegentlich daran erinnert
worden, daß man die Digitalispräparate, zumal bei längerem Gebrauch,
vorteilhaft per Klysma geben könne. Erich Meyer erklärt die günstige
Wirkung der rektalen Zufuhr gegenüber der oralen damit, daß bei
hepatischer Stauung die Resorption vom Magen aus verzögert sei, da¬
gegen vom Rektum aus gut sein könne, und betont die gleiche Indi¬
kationsstellung der rektalen und intravenösen Anwendungsform gegen¬
über der oralen. Er gibt das flüssige Digipurat und zwar pro dosi
1 ccm in 10 ccm Wasser mit einer kleinen Glyzerinspritze 2 -3mal
täglich. Nach den Erfahrungen des Referenten kann man auch das
Infus mit Haferschleim verdünnt längere Zeit rektal anwenden. Jeden¬
falls wird in der Praxis die rektale Anwendungsart leichter als die
intravenöse durchführbar sein. M.
Mit der Frage „Rftnt?eiiolojrl«che oder chlrorfIsche Behandlung
der Basedowschen Krankheit" haben sich in letzter Zeit verschiedene
Arbeiten befaßt (Pauchet, Paris Chirurg. 1921, 13. — Vaughan,
Joum. of Lab. and Clinic. Medic. 1921, 6, 281. — Liek, D. Zschr. f.
Chir. 1921, 166, 144 und M. m. W. 122, 1662). Sämtliche Autoren
lehnen die Jodkalium- und Röntgenbehandlung der Base¬
dowschen Krankheit im Gegensatz zu den Erfahrungen vieler Rönt¬
genologen als nur vorübergehend ab; sie empfehlen Individualisierung
der einzelnen Fälle. Der letztere rät vor allen Dingen zu frühzeitiger
Operation noch während der ersten sechs Monate, ausgiebiger doppel¬
seitiger Resektion der Schilddrüse mit Unterbindung der vier Haupt¬
arterien in totaler Narkose. Abzulehnen ist die Thymektomie und
die Operation sehr nervöser Patienten. — Die Röntgenbestrahlung
kommt erst nach dem Versagen der Operation in Frage, da sie, vor¬
her angewandt, zu ausgedehnten bindegewebigen Verwachsungen
führt, welche die chirurgische Behandlung sehr erschweren. W.
P. Wolff, Beinfiucgoiiff der sogenannten Ao^fallserscheinaageo
durch Hypnose. Zbl. f. Gyn. Nr. 7. Wolff berichtet von einer
34jährigen Patientin, die nach Röntgenkastration stark unter Ausfalls¬
erscheinungen zu leiden hatte. Die übliche Behandlung (Arsen-, Brom-
und Ovarialpräparate, auch ein Aderlaß) war erfolglos. Es gelang schlie߬
lich, durch posthypnotische Beeinflussung die Beschwerden auf ein er¬
trägliches Maß herabzusetzen. Interessant an diesem Erfolg ist die
hypnotisch erzielte Suggestiveinwirkung auf den Vasomotorenkomplex.
Scheer, Beeinflußbarkeit der Spasnwphilie durch Salzsflorenlldi.
Jb. f Kindhlk. 97. Chlorkalzium in angemessener Dosis ist ein zu¬
verlässiges Mittel gegen tetanische Uebererregbarkeit. Der Verfasser
ging von der Idee aus zu prüfen, ob nicht das Chlor allein eine ähn¬
liche Wirkung ausübe. Zu diesem Zweck stellte er sich eine Salz-
sä u rem i Ich in der Weise her, daß er zu 740 ccm ungekochter Voll¬
milch 260 ccm N'10 Salzsäure zusetzte. Dabei bildet sich erst ein
zäher Käseklumpen, der sich bei Erhitzung wieder vollständig löst
Der Erfolg war ganz auffallend, insofern die elektrische Erregbarkeit
schlagartig beeinflußt wurde. Auch die Zeichen der menachischen
Uebererregbarkeit gingen schnell zurück. Die Versuche sind durchaus
überzeugend. Die theoretische Erklärung ist noch nicht ganz sicher.
Es handelt sich hier um durchaus verheißungsvolle Ansätze einer neuen
Therapie, doch empfiehlt es sich, weitere Prüfungen noch abzuwarten. E.
Zimmern (Hamburg), Neosilbersalvarean. M. m. W. Nr. 2.
U/sjährige Prüfung des neuesten Kolleschen Salvarsanpräparates,
des Neosilbersalvarsans, läßt Zimmern zu dem Schlüsse kommen,
daß es gleich wirkungsvoll ist als das Altsilbersalvarsan, aber dabei
— wenigstens in den letzten Operationsnummern, also wie es jetzt
in den Handel kommt — weniger Nebenerscheinungen zeitigt wie
dieses. Da aber diese auch schon bei dem Altsilbersalvarsan recht
selten gesehen wurden, muß man wohl sagen, daß sich ein wesent¬
licher Unterschied in der Güte beider Präparate zunächst kaum fest¬
stellen läßt Erst die Weiterbeobachtung der mit ihnen behandelten Fälle
wird ergeben, ob dem einen von ihnen eine wesentlich bessere Dauerwir¬
kung etwa zukommen sollte. _ H.H.
Digitized by LjO QIC
Original frorn
CORNELL UNIVERSITY
SOZIALHYGIENISCHE RUNDSCHAU Ne.3
Redigiert von Prof. Rott, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft sozialhygienischer Reichsfachverbände.
Allgemeine?.
Die Frage Kreisarzt und Kommanalarzt steht seit einigen
Jahren bei den einschlägigen ärztlichen Organisationen im Mittelpunkt
der Erörterung. Mit der wachsenden Bedeutung der öffentlichen
Gesundheitsfürsorge haben bekanntlich zahlreiche größere Städte be¬
sondere Stadtärzte und eine Reihe von Landkreisen Kreiskommunal¬
ärzte hauptamtlich eingestellt und diesen die Leitung der Gesundheits¬
fürsorge übertragen. Es konnte nicht ausbleiben, daß diese Entwick¬
lung bei den staatlichen Medizinalbeamten, den Kreisärzten, große
Beunruhigung hervorrief. Sowohl von kommunalärztlicher als auch
von kreisärztlicher Seite sind Vorschläge gemacht worden, die eine
Lösung des Problems anstreben. Krautwig (Köln) stellte auf dem
41. Deutschen Aerztetag, Eisenach, September 1919, die Forderung
auf, an die Stelle des staatlichen Kreisarztes den Kreiskommunalarzt,
den Stadtarzt treten zu lassen; die Vorbildung solle die Reichsbehörde,
die Wahl die Ortsbehörde bestimmen. Dohrn (Hannover) betonte
auf der Hauptversammlung des Deutschen und Preußischen Medizinal¬
beamtenvereins, Weimar, Oktober 1919, die Notwendigkeit, einen Weg
zu finden, um die Interessen des Staates und der Kommune hinsicht¬
lich der Förderung der Gesundheitsfürsoige zu vereinen. Er schlug
vor, bei der Neubesetzung von Kreisarztstellen den Kommunen, die
einen Kommunalarzt einstellen wollen, ein gewisses Vorschlagsrecht
einzuräumen, und aus den von ihnen vorgeschlagenen Kreisärzten oder
kreisärztlich approbierten Aerzten dann den Staat wählen zu lassen.
Ehe Frage wurde von neuem angeschnitten auf dem 1. Deutschen
Gesundheitsfürsorgetag, der im Juni 1921 in Berlin von der Ver¬
einigung der Kommunalärzte in leitender Stellung und der Vereini¬
gung deutscher Schul- und Fürsorgeärzte einberufen wurde. Anläßlich
der Beratungen über die Organisation und die Aufgaben der Gesund¬
heitsämter sprach sich Grotjahn (Berlin) dahin aus, daß der not¬
wendigen Verselbständigung der Gesundheitsfürsorge innerhalb der
Gesamtverwaltung zunächst der Dualismus im Wege stehe, der darin
besteht, daß neben der staatlichen Gesundheitspflege sich eine be¬
sondere kommunale ausgebildet hat. Da eine Verstaatlichung der
Kommunalärzte nicht möglich sei, müssen die Kreisärzte kommunali¬
siert werden; die Verallgemeinerung der Gesundheitsämter würde da¬
durch außerordentlich gewinnen. Krautwig erklärte, daß in kleineren
Städten und Kreisen für die Leitung des Gesundheitsamtes in erster
Linie der Kreisarzt in Frage komme, in größeren Kreisen und Städten
die Bestellung eines Kreiskommunalarztes oder Stadtarztes zur Lei¬
tung des Gesundheitsamtes notwendig sei, und zitierte anschließend
die von ihm in Eisenach aufgestellten Leitsätze. Die in der Dis¬
kussion einsetzende Kontroverse wurde in der Zschr. f. M.Beamte
weitergeführt. Auf der letzten Hauptversammlung des Deutschen und
Preußischen Medizinalbeamtenvereins, Nürnberg, September 1921,
traten abermals die Gegensätze scharf hervor; immerhin war zu er¬
kennen, daß auf beiden Seiten der Wunsch nach einem Ausgleich
stärker geworden ist. In einer Diskussionsbemerkung hob Kraut¬
wig'hervor, daß im öffentlichen Interesse ein beiderseitiges freund¬
schaftliches Arbeiten zwischen Kreisärzten und Kommunalärzten
dringend erwünscht sei, und Bundt (Halle) betonte in seinem Schlu߬
wort, daß er ebenfalls in einem engen und friedlichen Zusammen¬
arbeiten mit den von den Kommunen angestellten beamteten Kollegen
durchaus das Heil sehe; der Vorstand des Deutschen Medizinal¬
beamtenvereins hätte schon oft erwogen, wie man unter Ausschaltung
aller politischen Interessen zu diesem Zusammenarbeiten kommen könne.
Die gleiche Tendenz verfolgt auch ein kürzlich erschienener Artikel
von Krautwig (Köln), Kreisärzte und Kommunalärzte.Zschr.
f. M.Beamte 1922 Nr. 8. Beiden amtsärztlichen Gruppen gemeinsam
ist der Wunsch, im Dienste der Oeffentlichkeit das Beste zu leisten.
Gemeinsam ist beiden Teilen die Klage, daß die Bedeutung der öffent¬
lichen Gesundheitspflege noch nicht genügend eingeschätzt wird und
weder die Zentralbehörden noch die lokalen Instanzen die not¬
wendige Selbständigkeit der Organisation erhalten haben. Der Tat¬
sache, daß viele Kreisärzte an der neuerdings als wichtigste Aufgabe
der öffentlichen Gesundheitspflege anerkannten Gesundheitsfürsorge
mit den im Dienste der Kommune sich betätigenden Vertretern der
sozialen Hygiene gemeinsam an den neuen Zielen gearbeitet haben,
stellt Verfasser die andere Tatsache gegenüber, daß viele Kreisärzte
sich mit den praktischen Aufgaben der sozialen Hygiene nur wenig
beschäftigt haben. Durch die notwendig gewordene Ausdehnung des
fürsorgeärztlichen Dienstes in Stadt und Land, besonders in den
Städten, ist es gekommen, daß den Kreisärzten überwiegend die polizei¬
lichen und vertrauensärztlichen Attestaufgaben verblieben sind. Die
Unruhe vieler Kreisärzte ob der Zukunft ihres Standes angesichts der
Entwicklung der kommunalärztlichen Tätigkeit ist verständlich. Ge¬
rade im Interesse der öffentlichen Gesundheitspflege ist die Frage
einer zweckmäßigen Organisation ihrer Organe für die Zukunft zur
Diskussion zu steilen. — Verfasser geht des weiteren auf die Vor¬
schläge zur Kommunalisierung der Kreisärzte, zur Uebertragung der
Fürsorgeaufgaben auf die Kreisärzte durch die Gemeinde und die da¬
mit zusammenhängenden Bedenken in bezug auf ihre Bewegungs¬
freiheit, ihre politische Unabhängigkeit und ihre unparteiische Tätig¬
keit als öffentliche Sachverständige ein. Der Weg der besten und
wirksamsten organisatorischen Gestaltung der öffentlichen Gesund¬
heitspflege in der Lokalinstanz muß noch gesucht werden, am besten
in gemeinsamer Arbeit der Kreisärzte und Kommunalärzte.
Die „Vereinigung der Kommunalärzte in leitender Stellung** und
die „Vereinigung deutscher Schul- und Fürsorgeärzte“ beabsichtigen
eine Verschmelzung zu einer gemeinsamen Organisation. Auf Grund
des im September 1921 in Nürnberg erzielten prinzipiellen Ein¬
verständnisses soll die Entscheidung in der diesjährigen Jahres¬
versammlung getroffen werden.
Bevölkerungsbewegung.
Die Bewegung der Bevölkerung in Oesterreich während der Jahre
1914 bis 1920. Statistisches Handbuch für die Republik Oesterreich.
Herausgegeben vom Bundesamt für Statistik, Jg. 2, Wien 1921. Die
hier gemachten Veröffentlichungen sind berufen, die vielfach irrigen
Anschauungen über die Sterblichkeitsverhältnisse in Oesterreich
während der Kriegsjahre zu klären. Diese Angaben können mit den
diesbezüglichen Angaben aus der bereits für das Jahr 1920 vor¬
liegenden österreichischen Todesursachenstatistik, die im Volksge¬
sundheitsamte bearbeitet wird, ergänzt werden, wobei allerdings
zu bedenken ist, daß die Angaben des Volksgesundheitsamts über
die Eheschließungen, Geburten und Sterbefälle nicht mit denen des
Bundesamt für Statistik übereinstimmen, wie dies bisher bei den
entsprechenden deutschen, ebenfalls doppelt bearbeiteten Angaben
des Statistischen Reichsamts und des Reichsgesundheitsamts all¬
jährlich der Fall war. Die Bevölkerungszahl Oesterreichs nach
seinem jetzigen, nur noch 79663 qkm — d. i. etwas mehr als der
Flächeninhalt Bayerns — umfassenden Gebietsstande hat sich von
6354919 am 31. XII. 1910 auf 6131445 am 31.1.1920, also um
3,52<y<> vermindert. Diese Abnahme beschränkte sich in der Haupt¬
sache auf Wien (9,36o/o) und Vorarlberg (8,39o/ 0 ), während Ober¬
österreich und Tirol eine geringe Bevölkerungszunahme aufzuweisen
hatten. Die Zahl der Eheschließungen, die im Jahre 1916
mit 27879 ihr Minimum während der Kriegsjahre erreicht hatte, ist
im Jahre 1919 auf 75822 und im Jahre 1920 sogar auf 83575 an¬
gestiegen. Bemerkenswerterweise hat sich allein die Zahl der
jüdischen Eheschließungen in keinem Kriegsjahr wesentlich verändert.
Eine viel geringere Zunahme als die Zahl der Eheschließungen läßt
die Zahl der Lebendgeborenen in den Nachkriegsjahren er¬
sehen. Letztere Zahl fiel von 151763 bis auf 87385 im Jahre 1917
und stieg dann wieder auf 110822 im Jahre 1919 und auf 137782
im Jahre 1920 an. Der Geburtenausfall während des Krieges war
verhältnismäßig geringer als im Deutschen Reich, dagegen war im
letzteren der Wiederanstieg der Zahl der Geburten viel größer
als in Oesterreich. Die Angaben über die Sterbefälle umfassen
nur die im Hinterland Gestorbenen, da die österreichischen Sterbe¬
register keinen Aufschluß über die außerhalb des Landes Gestorbenen
zu geben vermögen. Infolgedessen kommen die eigentlichen Kriegs¬
verluste in der Sterbezahl fast kaum zum Ausdruck. In Oesterreich
ergab sich bereits im Jahre 1915 eine bedeutsame Zunahme der
Zahl der Sterbefälle, nämlich von 118178 im Jahre 1914 auf 137370
im Jahre 1915. Diese Zunahme betraf in der Hauptsache die Sterbe¬
fälle der Kleinkinder, deren Zahl von 6686 auf 12013 während
der gleichen Zeit anstieg. Die Ursache hiervon ist in dem stärkeren
Auftreten der akuten Infektionskrankheiten des Kindesalters im
Jahre 1915, namentlich der Masern, des Scharlachs, der Diphtherie
und der Pocken zu suchen. Im Jahre 1916 verminderte sich die
Zahl der Gestorbenen auf 133343, allein verursacht durch den Aus¬
fall der Sterbefälle im ersten Lebensjahre, deren absolute Zahl,
entsprechend dem Ausfall der Geburten, bis zum Jahre 1917 fort¬
schreitend «bnehmen mußte. Im Jahre 1917 stieg die Zahl der
Gestorbenen auf 144367 und erreichte im Jahre 1918 mit 164736
ihr Maximum. Wie viele Sterbefälle hiervon auf die im letzteren
Jahre herrschende Influenzapandemie entfielen, läßt sich nicht fest--
stellen, da das äußerst mangelhafte österreichische Todesursachen¬
verzeichnis diese wichtige Krankheit nicht namentlich aufzählt. Es
läßt sich nur nachweisen, daß die Zahl der Sterbefälle an Lungen¬
entzündung von 11205 im Jahre 1917 auf 21065 im Jahre 1918
und die Zahl der Sterbefälle an den „anderen Infektionskrank¬
heiten**, zu welchen die Influenzasterbefälle gerechnet werden, von
612 auf 15305 während der gleichen Zeit angestiegen ist. Wie
im Deutschen Reiche, trat bereits im Jahre 1919 ein Rückgang
der Zahl der Sterbefälle ein, indem sich diese Zahl auf 125449
im Jahre 1919 und auf 117 025 im Jahre 1920 verminderte. Damit
war die Zahl der Sterbefälle im Jahre 1914 unterschritten. Im
Verhältnis zur Bevölkerungszahl war der Verlauf der Bewegung der
Bevölkerung in Oesterreich während der Jahre 1914 bis 1920 fol¬
gender: Auf je 1000 der mittleren Bevölkerung trafen
I» den Ehe- Lebend-
jehren .cblfebungen geboren. S ;'“j.h£
19,21
1914
1915
1916
1917
19)8
1919
1920*)
7,21
4,54
4,37
4.76
635
12/29
13,63
23,28
18,42
14,67
13ß5
14,06
17,96
22,47
18,13
21,30
20,90
22,88
26,40
2033
19,09
2332
22,78
25.66
27,63
20,73
weibl.
17,06
1935
19,11
2035
25,24
1935
17,17
21,81
19,23
1836
19,29
15,64
15,75
E. Roesle.
9 Vorläufige Angaben.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTY
750
SOZIALHYOIENISCHE RUNDSCHAU
Nr. 22
Mutter-, Säuglings- und Kleinkinderfürsorge.
Ida Winternitz (Prag), Erhebungen and betracht nagen über
StHIiahigkelt. Arch f. Kindnlk. 1922 H. 2. Untersuchungen über die
Stillfähigkeit von 150 Frauen, die als „gute Amme“ bezeichnet
werden, wenn sie 6 Monate ausreichend stillen. Aus den Ergeb¬
nissen sei hervorgehoben, daß Frauen, welche selbst nicht gestillt
wurden, doch stillfähig sind, es also keine erbliche Stillunfähigkeit
(Bunge) gibt. Tuberkulose und Alkoholismus in der Aszendenz
beeinträchtigen wohl die Stillfähigkeit ungünstig, führen aber nicht
zur Agalaktie. Aus dem Zustand eines schlechten Gebisses lassen
sich keine Schlüsse auf die Stillfähigkeit ziehen. Es gibt nationale
Unterschiede der Stillfähigkeit; z. B. überragen die Tschechinnen
die Deutschböhminnen. Die Stillfähigkeit ist abhängig vom Ge-
sundheits- und Ernährungszustand der Fraii, wie das Kriegsmassen¬
experiment bewiesen hat. Schur.
Meta Kraus-Fessel (Berlin), Schwangeren*, Mütter- und Kinder*
schätz als Aufgabe der Jnsiiireform. Die neue Generation 1922 H. 3.
Verf. weist auf die Notwendigkeit des Schutzes der Schwangeren
und Mütter in der Strafvollstreckung hin. Sie bespricht die ein¬
schlägigen Paragraphen der Reichsstrafprozeßoidnung vom 1.11.1877,
nach denen an schwangeren Personen Todesurteile nicht voll¬
streckt werden sollen und die Bestimmungen des Aufschubs
der Vollstreckung von Gefängnis- und Zuchthausstrafen auch auf
Schwangere und säugende Mütter Anwendung finden können.
Die Vorgänge, die sich bei Beratung dieser Bestimmungen im
Reichstag abgespielt haben, werden erwähnt; in diesen Be¬
ratungen wurden weitergehende Forderungen für den Mutter- und
Säuglingsschutz abgelehnt, ln der preußischen Gefängnisordnung
vom 21. XII. 1898 und der Dienstordnung für die Zuchthäuser und
größeren Gefängnisse vom 14. XI. 1902. sind einschränkende Be¬
stimmungen für die Aufnahme von Schwangeren und stillenden
Müttern in die Anstalten sowie Bestimmungen für die zeitweilige
Entlassung zur Entbindung, für die Vornahme von Entbindungen bei
Frauen mit längerer Gefängnisstrafe in der Anstalt oder die Ueber-
weisung an Entbindungsanstalten getroffen. Auch wird die Mit¬
aufnahme von Säuglingen gestattet, wenn die Kinder von der
Mutter gestillt werden. Die Kinder sind nur so lange im Gefängnis
zu belassen, wie es notwendig ist. Sodann geht Verf. auf die all¬
gemeinen Bestimmungen der genannten Dienstordnungen ein, so¬
weit diese für die Schwangere besonders wichtig sind. Nament¬
lich sind die Bestimmungen, die den Verkehr der Gefängnis¬
insassen mit der Außenwelt regeln, für den seelischen Zustand der
Schwangeren von großer Bedeutung. Verf. fordert vor Fertigstel¬
lung einer neuen Dienstordnung für die Gefängnisse eine Auf-
rollung der Frage des Mutter- und Säuglingsschutzes in der Straf¬
vollstreckung. Ihrer Meinung nach sollte eine Mutter während der
Zeit der Schwangerschaft* und während der Stillperiode zur Ver¬
büßung ihrer Strafe überhaupt nicht herangezogen werden können,
für Untersuchungsgefangene seien die weitestgehenden Erleichte¬
rungen zu gewähren, von Strafaufschub und Begnadigung sei aus¬
giebig Gebrauch zu machen, Richter, Arzt, Seelsorger und Sozial¬
fürsorgerin müßten sich den Schutz der straffällig gewordenen
Schwangeren und Mutter dringend angelegen sein lassen. Ferner
tritt Verf. dafür ein, daß der bisher ausgeübte, allerdings gegen die
Vorschrift verstoßende Brauch, Kinder auch längere Zeit, als un¬
bedingt des Stillens wegen nötig, ja bis zum schulpflichtigen Alter,
bei der Mutter im Gefängnis zu belassen, beibehalten und auf gesetz¬
liche Grundlage gestellt werde. Die schädlichen Einflüsse, denen
die Kinder im Gefängnis ausgesetzt sein könnten, die aber immer
noch einer gänzlichen Entfernung von der Mutter vorzuziehen seien,
müßten durch entsprechende Versorgung der Kinder innerhalb der
Anstalt ausgeglichen werden. Es wäre Aufgabe der neuen lustiz-
reform, diesen Forderungen nachzukommen und damit dem Mutter*
und Säuglingsschutz im Strafvollzug Geltung zu verschaffen.
Schulkinderffirsorge.
Poelchau (Charlottenbürg), Oie Entwicklung des deutschen Schul¬
arztwesens in den letzten 25 Jaferen. Oeffentl. Gesdhtspfl. 1922 Nr. 3.
Im Jahre 1895 wurden in Wiesbaden drei Aerzte mit der Ueberwachung
des Gesundheitszustandes der dortigen Gemeindeschulkinder beauf¬
tragt. Seitdem ist die eigentliche Schülerhygiene immer weiter aus¬
gebaut worden. Statt der ursprünglich nur einmal stattfindenden
systematischen Untersuchung der Schulanfänger — weitere ärzt¬
liche Ueberwachung durch die alle 14 Tage abgehaltenen Sprech¬
stunden — wurde , mit der Zeit eine jährliche Untersuchung der bei
der Einschulungsuntersuchung nicht gesund befundenen Kinder ein¬
geführt; schließlich wurden die Kinder vielenorts drei- bis viermal
während ihrer Schulzeit untersucht. Als besonders wichtig wurde
die Untersuchung im 3. Schuljahre bei Beginn des Turnunterrichts
und die Untersuchung vor dem Verlassen der Schule angesehen.
An diese letztere schließt sich neuerdings oft noch eine Berufs¬
beratung. Verf. hält die seit 1913 in Charlottenburg eingeführten
alljährlichen Reihen- (Kontroll-) Untersuchungen für unbedingt er¬
forderlich. Wohl an den meisten Orten hat sich jetzt der Gesund¬
heitsschein für alle Kinder eingebürgert. Im Reichsgesundheitsamt
ist zur Zeit ein neues, für ganz Deutschland einheitliches Formular
in Bearbeitung. Die vom Schularzt jetzt vorzunehmenden Unter¬
suchungen und Begutachtungen für besondere Zwecke (Auswahl für
Sonderklassen, Ueberwachung der Schulkindergärten, Auswahl für
Digitized b'
Go ogle
die Schulspeisung, für Fußwanderungen, Schwimmunterricht, neuer¬
dings für die Quäkerspeisung usw.) sind charakteristisch für die
Entwicklung des Schulwesens einerseits und des Fürsorgewesens
anderseits. Für die Behandlung der Schulkinder haben größere
Gemeinden Spezialärzte angestellt. (Oebbecke unterscheidet zwi¬
schen Ueberwachungsschularzt und Behandlungsschularzt.) Der Grund¬
satz der Nichtbehandlung wurde zuerst durchbrochen durch die
Begründung von Schulzahnkliniken. — Verf. schildert des weiteren
die Organisation in Charlottenburg. Die im letzten Jahrzehnt ein¬
geführte Ueberwachung auch der höheren Schulen durch Schul¬
ärzte bedeutet einen beträchtlichen Fortschritt. Die nur vereinzelt
bestehende schulärztliche Versorgung der ländlichen Schulen ist
noch auszubauen. — Der erste hauptamtliche Schularzt wurde 1904
in Charlottenburg angesteilt; die große Mehrzahl der Schulärzte ist
nebenamtlich tätig. Schulschwestern wurden zuerst in Stuttgart
(1906), dann in Charlottenburg (1908) angestellt, hier sind sie 1915
durch sozialpädagogisch vorgebildete Schulpflegerinnen ersetzt worden.
Der „Verband deutscher Kinderhorte“ (Geschäftsstelle
Charlottenburg, Goethestr. 22) hat in seiner 6. Mitgliederversammlung,
Anfang April, beschlossen, von nun an den Namen „Deutscher
Verband für Schulkinderpflege“ zu führen.
Krüppelfursorge.
Walter Schasse (Berlin-Dahlem), Oie Zusammenarbeit der Krüppel-
Heime mit der ambulanten Krüppdiür»orge. Zschr. f. Krüppelfürs. 1922
H. 3/4. In der Krüppelfürsorge besteht kein scharfer Unterschied zwi¬
schen geschlossener (Anstalts-) und offener (ambulanter) Fürsorge, viel¬
mehr kann der einzelne Fall bald in die eine, bald in die andere Art
der Versorgung gehören. Da für die geschlossene Fürsorge die Land¬
armenverbände, tür die offene die Kreise und Ortsarmenverbände die
Kosten zunächst zu tragen haben, müssen beide Stellen verständnis¬
voll Zusammenarbeiten. Anstaltsbedürftig sind solche Krüppel, die ent¬
weder wegen der Schwere ihres Leidens, das aber noch besserungs¬
fähig ist, ambulant nicht versorgt werden können, oder solche, bei
denen ambulante Behandlung wegen der häuslichen Verhältnisse nicht
durchzuführen ist, zum Beispiel: die Eltern sind tagsüber auf Arbeit,
können oder wollen sich nient um die Behandlung kümmern, oder die
ambulante Fürsorgestelle ist zu weit entfernt. Auch Unmöglichkeit
des Schulbesuches kann einen Krüppel heimbedürftig machen, da
den Landarmenverbänden die Erwerbsbefähigung, worunter haupt¬
sächlich die Schulausbildung zu verstehen ist, pflichtmäßig obliegt.
Anstaltsbehandlung bis zur Erwerbsfähigkeit ist erstrebenswert, aber
wegen der Kosten unmöglich. Sie ist auf die allerkürzeste Zeit zu
beschränken, doch muß sie so lange stattfinden, bis der Krüppel, ohne
Schaden zu nehmen, entlassen werden kann, immer unter Berück¬
sichtigung des Leidens und der sozialen häuslichen Verhältnisse. Die
Aufgaben der ambulanten Versorgungsstelle (Poliklinik) sind 1. rein
ambulante Beratung und Behandlung; 2. Ueberwachung und 3. Nach¬
behandlung der aus den Anstalten entlassenen Krüppel; 4. gemischte
Behandlung. Bei letzterer kommt der Krüppel zur Operation einige
Tage in die Anstalt, die Nachbehandlung übernimmt die Poliklinik
bzw. Fürsorgestelle. Die Kosten für diese gemischte Behandlung
hätte zweckmäßig der Landarmen verband zu tragen, der zur ambu¬
lanten Behandlung den Krüppel „beurlaubt“. Diese Behandlung findet
dann bei der Fürsorgestelle zu Lasten des Landarmenverbandes statt.
Jeder Fürsorgestelle stehen Fürsorgeschwestern, die mit den je¬
weiligen Erfordernissen der Behandlung bekannt sind, zur Verfügung;
sie suchen die Krüppel zu Hause auf, revidieren Apparate, veranlassen
Wiedervorstellung beim Arzt, falls es erforderlich erscheint. Hier ist
die Mitwirkung der praktischen Aerzte von größter Bedeutung, da
sich nicht überall leichterreichbare Fürsorgestellen einrichten lassen.
Damit die Nachbehandlung einheitlich geschieht, empfiehlt es sich,
die praktischen Aerzte zu den Untersuchungstagen, die der Landes¬
krüppelarzt an der Kreiskrüppelfürsorgestelle abhält, vom Leiter dieser
Stelle einzuladen. Der Untersuchung der Krüppel schließe sich dann
eine Besprechung allgemeiner Fragen über Behandlung, Organisation
usw. an. — Sehr schwierig ist die Frage der Erwerbsbefähigung. Dem
Gesetz nach kann man darunter verstehen möglichste Enflcrüppelung
und angemessene Schulung. Dies genügt aber nicht in allen Fällen.
Die Berufsausbildung macht die größten Schwierigkeiten, weil sich
außerhalb der Heime kein Meister findet, der den, wenn auch „ent*
krüppelten“ Krüppel bis zum Ende der Lehrzeit behält unter Rück¬
sichtnahme auf die jeweils vorhandene körperliche Behinderung. Zur
Zeit ist die Frage nicht akut, da die Landarmenverbände „Dispens“
für die Unterbringung von Krüppeln im Alter von 14—18 Jahren haben.
Fällt diese Dispenszeit fort una tritt das Gesetz voll in Kraft, sodaß
alle anstaltsbedürftigen Krüppel unter 18 Jahren versorgt werden
müssen, so wird man die Berufsausbildung mit unter die Fürsorge¬
maßnahmen rechnen müssen, da nur so die Absicht des Gesetzes, aus
almosenempfangenden Mitgliedern der Gemeinde selbst erwerbsfähige
Steuerzahler zu machen, zu erreichen ist. Menckhoff.
Blindenfürsorge- ,
Strehl (Marburg), Die Kriegsblindenfürsorge. Ein Ausschnitt aus
der Sozialpolitik. Berlin, J. Springer, 1922. 165 Seiten mit 8 Tabellen.
39 M. Das Buch von Strehl unterscheidet sich von der bislang vor¬
handenen Literatur über Kriegsblindenfürsorge dadurch, daß die Frage
vom wissenschaftlich sozialpolitischen Standpunkt aus eingehend be-
Original from
CORNELL UNIVERSITY
2. Juni 1922
SOZIALHYOIENISCHE RUNDSCHAU
751
handelt wird. Außerdem wird die gesamte Blindenfürsorge in ihren
geschichtlichen Entwicklungsphasen erörtert und die Kriegsblinden-
türsorge als ein Teil des Ganzen betracntet. Es interessiert hier aus
dem ersten Abschnitt des Buches die wissenschaftliche und praktische
Definition der Biindneit überhaupt und der Kriegsblindneit insbeson¬
dere: „Kriegsblinde sind diejenigen, deren Augenlicnt so weit ge¬
sunken ist, üah der verbliebene Rest keine wesentliche Berufsbedeutung
mehr besitzt, sodaß auch bei Zuhilfenahme bester optischer Hilfs¬
mittel und bei Annäherung ihnen das Lesen in irgendwie verwert¬
barer Weise unmöglich geworden ist. Ein Arbeiter, der durch Unfall
auf beiden Augen öis auf diese Sehschärfe herabsinkt, ist bis auf
weiteres völlig erwerbsunfähig*' (Axenfeld). Silex verzichtet auf
eine strenge, allgemein gültige Definition der Blindheit und stellt
folgende 5 Gruppen auf, bei denen Kriegsblindheit angenommen wer¬
den kann, die auch auf andere Blinde zutreffen: „1. Verletzte, die
keinen Lichtschein mehr wahrnehmen, das sind die Stockblinden;
2. Verletzte, die nur hell und dunkel und nur Handbewegungen unter¬
scheiden; 3. Verletzte, die S. = 1 / 3 0 (Bingerzählen 2 m) und weniger
haben, gleichgültig, ob das Gesichtsfeld frei oder beschränkt ist;
4. Verletzte mit S. von 1 / 30 herauf bis A / 20 ^ ei geschädigtem Gesichts¬
feld. Diese 4 Gruppen gelten für uns, die wir das Praktische im
Auge haben, als unzweifelhaft blind. 5. Verletzte mit S. mehr als
1 / so herauf bis A / 20 bei freiem Gesichtsfeld stellen Grenzfälle dar, bei
denen wir uns nach Nebenumständen umsehen, zum Beispiel ob das
Resultat mittels eines Starglases oder mit freiem Auge erreicht wird,
ob Nachtblindheit besteht usw." Ausführungsbestimmungen zum
Reichsversorgungsgesetz § 29: „In Anbetracht der durch eine Er¬
blindung bedingten Schwere der Beschädigung wird allen Blinden
ohne Rücksicht auf ihre Erwerbsfähigkeit die Vollrente gewährt. Als
,blind' im Sinne dieser Vorschrift gelten alle Beschädigten, deren
Sehvermögen so gering ist, daß es wirtschaftlich wertlos ist. Wenn
noch a / 5(? bis A / 25 der normalen Sehschärfe, d. h. der mit gewöhn¬
lichen Hilfsmitteln zu erreichenden Sehleistung, erhaden ist, liegt im
allgemeinen, soweit die Erwerbsfälligkeit in Betracht kommt, Blindheit
vor (praktische Blindheit), obwohl der Beschädigte meist imstande
sein dürfte, sich ohne fremde Hilfe auf der Straße zurechtzuiinden.“
Nach Entscheidung des Reichsversicherungsamtes und der sozialen
Unfallversicherung (vgl. von Ohlshausen-Dorn) liegt vöhige Er¬
werbsunfähigkeit vor, „wenn der Verletzte um mehr als 90 v. H. in
seiner Erwerosfähigkeit beeinträchtigt oder üoerhaupt zu jeder Arbeit
unfähig ist, wenn bei der Wiederaufnahme der Erwerbstätigst auch
unter Beobachtung der erforderlichen Vorsicht unmitteloare Gefahr
für den Körperzustand oder eine Verschlimmerung des Leidens ge-
wärtigt werden muß". Für den Grund der Erwerbsunfähigkeit ist
wesentlich, ob der Verletzte einen besonders erlernten Beruf infolge
der Gesundheitsstörung nicht mehr ausüoen kann und ob der Ver¬
letzte in diesem Falle sich auf Grund der Vorbildung auf anderen
Gebieten des wirtschaftlichen Lebens einen Erwerb verschaffen kann.
Bei den Blinden liegt in jedem Falle völlige Erwerbsunfänigkeit vor.
Der Anspruch auf eine lebenslängliche Rente ist daner dem Kriegs¬
blinden nicht abzusprechen. Fraglich bleibt es jedoch, ob die An¬
nahme einer Erwerbsunfähigkeit von 100o/o im Sinne des Gesetzes
ein für alle Mal gerechtfertigt ist. Die Blindenfürsorge muß darauf
hinwirken, daß den Blinden die Möglichkeit des Umlernens und des
eigenen Erwerbs gegeben wird. — Neben der Zusammenstellung der
für Blinde möglicnen Beschäftigungsarten findet sich in dein Buche
auch eine Uebersicht über die Blindenanstalten und Blindenfürsorge¬
einrichtungen und die statistischen wie praktischen Ergebnisse der
Kriegsblindenfürsorge. _ N i e p e 1.
Taubstummen-, Schwerhörigen- und Sprachheilwesen.
Kinderganea and Vorschule lär Taubstumme. Neben der allge-
gemeinen erziehlichen und fürsorgerischen Aufgabe haben die Kinder¬
gärten für Taubstumme noch eine ganz besondere Bedeutung. Die
Spracherlernung bei taubstummen Kindern beginnt gewöhnlich erst
mit dem sechsten oder siebenten Lebensjahre, da die bestehenden Ge¬
setze die Schulpflicht erst von diesem Zeitpunkte an festsetzen. Man
hat indessen neuerdings an verschiedenen Stellen, besonders im Privat¬
unterricht, erfolgreiche Versuche mit einem wesentlich früheren Be¬
ginn der Sprachentwicklung gemacht, und es hat sich herausgestellt,
daß man bei regelrecht begabten und gesunden taubstummen Kindern
schon im dritten und vierten Lebensjahre mit der Einführung in
unsere Lautsprache beginnen kann.
Adolf Freunthaller (Wien), Sprachunterricht im Kindergarten
and io der Vor^cnnle lär T«ub8!uaune. Mschr. Schulreform (geleitet
von Fadrus und Linke, Schulwissenschaftlicher Verlag A. Haase,
Wien III) (als Sonderdruck erschienen). In der Vorschule der Staat¬
lichen Taubstummenanstalt zu Wien sind in zwei Abteilungen 15 taub¬
stumme Kinder im Alter von 3—6 Jahren vereinigt. In der ersten Abtei¬
lung werden Uebungen in der Sprachvorbereitung ausgeführt: a) optische
Uebungen, Erkennen und Unterscheiden von Farben, Formen, Be¬
wegungen; b) taktile Uebungen, Erkennen und Unterscheiden von
Dingen nach Form, Größe und Oberfläche; c) akustische Uebungen,
sofern und soweit noch Hörreste vorhanden sind. An die optischen
Uebungen schließen sich Uebungen im Absehen einfacher Wörter
und Sätze vom Munde. Daran schließen sich Nachsprechübungen,
die durch Absehen und Ertasten des Vorgesprochenen am Kehlkopfe
sich immer erfolgreicher gestalten. — Durch einen in dieser Hinsicht
zeitlich nach unten vorgeschobenen Sprachunterricht werden die Taub¬
stummen künftig geistig und sprachlich wesentlich weitergeführt wer¬
den können, als es bis jetzt geschehen ist. Auch im Berliner Kinder¬
garten für Taubstumme werden taubstumme und frisch ertaubte
Kinder schon vom dritten Lebensjahre an aufgenommen werden, so¬
bald erst einmal die räumliche Notlage der Städtischen Taubstummen¬
schule behoben sein wird. Schorsch.
Soziale Psychiatrie.
E. Dittmer (Berlin), Soll die Ausbildung des Irrenpflege-
Personals auf eme völlig neue Grand.age gestellt werden? Sanitats-
warte 1922 Nr. 12. — Ausbildung des Filegepersooals io den Provinzial«
irrenanstaiien der Provinz naonuver. Irrenpflege 1921 Nr. 7. Im
letzten Jahrzehnt vor dem Kriege waren in den meisten deutschen
öffentlichen Irrenanstalten Bestrebungen dahin im Gange, die beruf¬
liche Ausbildung des Pflegepersonals und damit den ganzen Stand zu
heben, ln sachlicher, nicht überall sonst in gleicher Weise zu
findender Uebereinstimmung der Arbeitgeber und Arbeitnehmer waren
sowohl die Irrenärzte und unter ihrer Beratung die Vorgesetzten Be¬
hörden wie die in Verbänden zusammengeschlossenen Irrenpfleger be¬
müht, auf diesem Gebiete Fortschritte zu erzielen. Dabei arbeitete
nicht nur jede Provinzialverwaltung — Berlin stellt im Sinne des
Preußischen Gesetzes über die Irrenpflege einen Provinzialverband
dar — für sich; fast jede einzelne Anstalt schlug eigene Wege ein.
Aber überall wurden Lehrgänge für das Irrenpersonai eingerichtet. —
Nach dem Kriege nahm das- Preußische Wohlfahrtsministerium sich
der Ausbildung des Pflege- und Schwesternpersonals an. Zuerst ging
die Richtung dahin, unter Beiseitesetzung der in langsamer Entwick-.
lung in den Irrenanstalten gewonnenen Lehrgänge eine staatliche
Prüfung für alle Krankenpflegepersonen und entsprechende staatliche
gemeinsame Lehrgänge für Irren- und Krankenpflegepersonen zu
fordern, ln diesen Tagen ist eine andere und, wie Referent aus¬
sprechen muß, zweckmäßigere Ministerialentscheidung dahin ge¬
troffen, daß eigene Lehrgänge von einjähriger Dauer in den Irren¬
anstalten eingerichtet und mit einer förmlichen Prüfung unter Zu¬
ziehung des zuständigen Regierungs- und Medizinalrats als Staats¬
kommissar abgeschlossen werden. Nach Eingang der für 1923 er¬
forderten Berichte über die ersten Erfahrungen in den Lehrgängen
ist eine endgültige Regelung in Aussicht genommen. Die nach den
hier beschriebenen Richtlinien ausgebildeten Irrenpflegepersonen er¬
halten alsdann die staatliche Anerkennung als geprüfte Krankenpflege¬
personen, ohne daß sie noch die staatliche, für Krankenpflegepersonen
vorgeschriebene Prüfung abzulegen brauchen. — Referent ist der
Ansicht, daß die vorgesehenen, sehr zu begrüßenden Lehrgänge erst
dann den Irrenanstalten einen Stamm guter Pflegepersonen sichern
werden, wenn gleichzeitig im Einvernehmen der.. Behörden und des
Personals geregelte Vorsorge getroffen wird, die nach ihrer Persön¬
lichkeit für den Krankendienst ungeeigneten Pflegepersonen rechtzeitig
auszuscheiden. _ Bratz.
T uberk ulosefürsorge.
Haustein (Berlin), Milchbelitfernng und wahrscheinliche Zahl der
tuberkulösen, kraokeo und unterernährten Kinder ln deutschen Urofi-
städten mit aber 100000 Einwohnern. Rundschreiben der Abteilung
„Mutter und Kind" des Deutschen Roten Kreuzes, vom 15. II. 1922.
Diesem Bericht sind zwei gleichartige (15. II. 1920 und 15. II. 1921)
vorangegangen. Er stellt das Ergebnis einer im November 1921
eingeleiteten Fragebogenforschung dar; an der Beantwortung waren
die verschiedensten Dienststellen der einzelnen Magistrate (statistische
Aemter, Milchämter, Gesundheitsämter, Stadt- und Schulärzte, Jugend¬
ämter, Tuberkulosefürsorgestellen) beteiligt. Es ist hier der Versuch
emacht worden, die Kindernot und insbesondere die Ausbreitung
er Tuberkulose unter den Kindern statistisch zu erfassen. Daß einer
solchen Statistik sehr große Mängel anhaften, liegt in der Natur
der Sache. Wer die Schwierigkeiten der Feststellung der Tuber¬
kulose kennt, weiß genau, wie schwer es in vielen Fällen ist, zu
sagen, ob eine tuberkulöse Erkrankung besteht oder nicht. Die
Verschiedenheiten in der Häufigkeit des Vorkommens von Tuber¬
kulose in den einzelnen Städten sind demnach sicher wenigstens
zum Teil auf verschiedenartige Beurteilung zurückzuführen. Ander¬
seits wird auch die mehr oder weniger gründliche Durchuntersuchung
der Schulkinder, die von der Zahl der damit betrauten Acrzte, dem
Maß ihrer Fachkenntnisse auf dem Gebiete der Tuberkulose und
der ihnen zu Gebote stehenden Zeit abhängt, manche Verschieden¬
heit erklären. Es soll aber durchaus nicht in Abrede gestellt werden,
daß die großen Unterschiede, die sich hinsichtlich der Tuberkulose¬
häufigkeit zwischen den einzelnen Städten ergeben haben, nicht
auch bis zu einem gewissen Grade tatsächlich vorhanden sind. Die
Angaben über die Zahl der tuberkulosekranken Schulkinder schwan¬
ken zwischen 0,47<yb (Mülheim) und 21,59°/o (Karlsruhe), die über
lungentuberkulöse zwischen 0,05o/o (Aachen) und 2,6 °/o (Erfurt), die
über lungentuberkuloseverdächtige zwischen 0,18<>/o (Mülheim) und
3,76o/o (Dortmund). Die Zahl der Fälle von echter Skrofulöse schwankt
zwischen 0,04o/o (Nürnberg) und 14,7o/o (Erfurt) bzw. 20,15°/o (Karls¬
ruhe), die der Knochen- und Gelenktuberkulose zwischen 0,01 o/ 0
(Aachen) und 0,84 o/o (Essen). Aus den ausführlichen Angaben ein¬
zelner Städte ist zu entnehmen, daß die Tuberkulosehäufigkeit in
den Volksschulen 3,3- bis 16mal so hoch war wie in den höheren
und Mittelschulen (Erfurt) und daß die Zahl der Fälle von Lungen¬
tuberkulose und Lungentuberkuloseverdacht im 1. und 3. Schuljahr
geringer war als im achten (Volksschulen Chemnitz). Die Unvoll-
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
732 SOZIALHYOIENISCHE RUNDSCHAU NF22
ständigkeit der Zusammenstellung infolge der doch noch recht
lückennaften Fragebogenbeantwortung erlaubt leider nicht eine Be¬
rechnung der Gesamtzahl der tuberkulösen Schulkinder und des
Verhältnisses der tuberkulös erkrankten zu den nicht tuberkulösen
Kindern. — Hinsichtlich des Ernährungszustandes wird allgemein eine
gewisse Besserung gegenüber dem Vorjahre festgestellt. Die sonstigen
Ergebnisse (Milchmenge und Milchpreis, sowie Kosten der allge¬
meinen Lebenshaltung) können hier außer Betracht bleiben. Für die
Fortsetzung dieser Statistik im nächsten Jahre wäre zu wünschen,
daß die Untersuchungen in allen Städten auf Grund einheitlicher
Richtlinien vorgenommen und die Ergebnisse überall mit der gleichen
Vollständigkeit gebucht würden, um etwas wirklich Befriedigendes
zusammenstellen zu können.
Köffler (Graz), Lieber die Tuberknloseinfektion ln der Familie.
Oesterreich. Tuberkulose-Fürs. Blatt 1921 Nr. 4/5. Verf. fand bei
seinen Untersuchungen, daß Lungentuberkulose mit reichlichem Ba¬
zillenbefund ihre sämtlichen Kinder infizieren, während solche mit
seltenem und spärlichem Bazillenbefund für ihre Angehörigen weit
weniger gefährlich sind. Bazillenfreie Kranke mit schwerer klinischer
Tuberkulose und zeitweise blutigem Auswurf scheinen jedoch für
ihre Kinder sehr gefährlich zu sein. — Diese Feststellungen decken
sich mit der Auffassung zahlreicher deutscher Fürsorgeärzte, die am
liebsten die Unterschiede zwischen „offener“ und „geschlossener“
Tuberkulose ganz beseitigt wissen möchten, weil der Kranke mit
„geschlossener“ Tuberkulose von heute auf morgen infektiös werden
kann. Ausschlaggebend ist für die Beurteilung der Ansteckungsgefahr
jedenfalls niemals das Ergebnis der Auswurfuntersuchung allein;
der klinische Befund muß vielmehr mit berücksichtigt werden (be¬
sonders reichliche feuchte Rasselgeräusche und Kavernensymptome).
Möckel (Wiesloch), Heber den Einfluß uer Unterernährung anf
die Sterblichkeit an Tuberkulose. Sozialhyg. Mitt. 1921 H. 4. Verf.
hat an den Pfleglingen einer Irrenanstalt Erfahrungen gesammelt,
durch die die ältere gleichartige Veröffentlichung von Hummel
bestätigt wird. Der Prozentsatz der Tuberkulosesterblichkeit, der
1915 nur 18o/ 0 betrug, stieg in den nächsten Jahren auf 37 und 45<>/o
und erreichte 1918 mehr als 50o/ 0 aller Toten. Mit dem Wieder¬
eintritt besserer Ernährungsverhältnisse ließ auch die Tuberkulose¬
sterblichkeit wieder nach. Bei den Sektionen ergab sich, daß die
so schnell gestorbenen Tuberkulösen meist neben ausgedehnten alten
Herden ganz kleine, sehr frische Herde zeigten. Möckel nimmt
an, daß diese Kranken im wesentlichen der Giftwirkung erlegen
sind. Daß der Nahrungsmangel dieses eigenartige pathologisch¬
anatomische Bild und den abnorm schnellen Verlauf bedingt hat,
ging überzeugend aus der Beobachtung hervor, daß Kranke der I.
una II. Verpflegungsklasse, die auch in den schlechtesten Zeiten
des Krieges immer noch Nahrungsmittel von Hause erhielten, wenn
sie schließlich doch an der Tuberkulose gestorben waren, viel aus-
edehntere Krankheitsprozesse in den Lungen zeigten; ihre Tuber-
ulose war chronischer und mehr dem gewohnten Bilde entsprechend
verlaufen. Helm.
Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten.
Der Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten
wurde auf der 1. Tagung der Deutschen Vereinigung für Gefährdeten-
hilfe, die am 10. Mai 1922 in Berlin stattfand, behandelt. Einleitend
wies der Vorsitzende, Pfarrer Stein weg, darauf hin, daß alle in der
Gefährdetenfürsorge Tätigen das größte Interesse an dem Gesetz¬
entwurf hätten, der in mancher Beziehung sicherlich einen Fortschritt
bedeute, vom Standpunkt der Fürsorge aus aber noch sehr vieles ver¬
missen lasse. Diesen Standpunkt vertrat dann eingehender Frau
M. d. R. Neuhaus, während der Unterzeichnete den Gesetzentwurf
vom hygienischen, Dr. Levin vom polizeiärztlichen und Geh.-Rat
Kahl, M. d. R., vom juristischen Standpunkte beleuchtete. — Frau
Neuhaus hat in ihrer praktischen Tätigkeit wertvolle Zusammen¬
arbeit mit der Sittenpolizei leisten können, sie verwirft das jetzige
System der Reglementierung, glaubt aber, daß alle diejenigen, die
gewerbsmäßig Unzucht treiben, einer polizeilichen Aufsicht sowohl
auf der Straße, in zweifelhaften Lokalen wie auch in der Wohnung
unterworfen werden müssen; sie verlangt einen getrennten Gesund-
heits- und Fürsorgedienst, letzteren möchte sie den Pflegeämtern an¬
vertrauen. Geh.-Rat Kahl weist in einem interessanten geschicht¬
lichen Rückblick nach, daß gesetzliche Maßnahmen im Kampfe gegen
die Prostitution bisher versagt haben, aber der Gesetzgeber darf die
Dinge nicht laufen lassen, wie sie wollen. Es ist ein Wahnwitz zu
behaupten, daß der Mensch eine völlig freie Verfügungsgewalt über
seinen Körper hat, er hat sie nicht, wenn aus dem Mißbrauch eine
Gefahr für die Allgemeinheit wird. Der Staat hat nicht nur das
Recht, sondern die Pflicht hier einzuschreiten. Das Kurpfuscherei¬
verbot ist vom juristischen Standpunkt aus durchaus begründet und
zu unterstützen. Es muß Sorge getragen werden, daß aus der
Wohnungsfreiheit sich nicht wieder eine Kasernierung der Prosti¬
tution entwickelt. Die Prostitution ist unausrottbar. Strafrechtlich ist
ein Nichtahnden noch keine Erlaubnis dazu. Der § 3 muß prägnanter
gefaßt werden. In der Bekämpfung der Prostitution müssen Arzt,
Polizei und freie Liebestätigkeit zusammen arbeiten, die wirtschaft¬
lichen Verhältnisse müssen gehoben werden. — Außer der Fassung
des §3 wurde hauptsächlich der neue zum § 184 vorgeschlagene Zu¬
satz beanstandet, der das Ausstellen, Ankündigen oder Anpreisen von
Gegenständen, die zur Verhütung von Geschlechtskrankheiten dienen,
straflos läßt. Man muß zugeben, daß diese Fassung eine sehr dehn¬
bare ist und Beunruhigung hervorrufen kann. Wenn auch ein Ver¬
treter der Naturheilkunde versuchte, gegen das Kurpfuschereiverbot
Einspruch zu erheben, so drang er doch mit seiner Ansicht nicht
durch. Im allgemeinen zeigte der Verlauf der Tagung, daß die
Gegensätze, die früher auf diesem Gebiete sehr stark waren, sich
mehr und mehr ausgleichen, und daß alle Kreise sich zusammen*
finden werden, um diese gefährliche Seuche zu bekämpfen.
_ Roeschmann.
Berufshygiene.
Reichert (Erfurt), Bernfsschidigungen bei Glasbläsern in der Mud-
höhle und im Zahn«ysteni. Zbl. f. Gewerbehyg. 1922, H. 1. Verf.
bringt hübsche Abbildungen und Beschreibungen: Veränderungen der
Wangenschlcimhaut und der Wangen selbst, Pneumatozele des Ductus
Stenonianus, charakteristische Abschleifung der Schneidezähne.
Lehmann (Würzburg), Der Gesundheitszustand der Arbeiter io
den Bleifarbenfabriken und der Maier in Deutschland im Jahre 1920
und 1921 Zbl. f. Gewerbehyg. 1922, H. 2. Ueber manches wird
die angekündigte ausführliche Veröffentlichung vielleicht Klarheit
bringen, so über den äußerst wichtigen Punkt, wie lange die unter¬
suchten Arbeiter nach dem Kriege bereits in Arbeit standen. Immer¬
hin kann man schon daraus, daß 22<>/o Bleisaum „deutlich bis stark“
24o/o stark vermehrte granulierte Erythrozyten, 25<>/o Hämoglobin
deutlich, 11 o/o stark vermindert, 20<y<> ffämatoporphyrmurie, 21 o/o die
Kräfte unter dem Durchschnitt, 32o/ 0 „Aussehen und Farbe“ unter
dem Durchschnitt hatten, auf recht wenig befriedigende Verhältnisse
schließen; wenn Verf. von diesen Verhältnissen ziemlich be¬
friedigt zu sein scheint, so wohl nur deshalb, weil er sich die Ver¬
hältnisse viel ärger vorgestellt. Die Befunde bei den Malern be¬
rechtigen weder nach der Zahl der Untersuchungen noch der Art
der untersuchten Betriebe zu irgendwelchen Schlüssen auf den „Ge¬
sundheitszustand der Maler in Deutschland“, weshalb sich Referierung
erübrigt.
Beyer (Berlin), Gewerbeaufsichtsbeainter und Gewerbearzt Volks¬
wohlfahrt 1922, Nr. 5. Beyer, Referent im preußischen Ministerium
für Volkswohlfahrt, legt die Aufgaben des Gewerbearztes unter starker
Betonung der individualprophylaktischen Seite seiner Tätigkeit dar.
Teleky (Düsseldorf), Die Stellung des Gewerbea^zies. Zschr.f.
soz. Hyg. 1922, Nr. 7. Verf. wendet sich gegen jene Stimmen aus den
Kreisen der technischen Gewerbeaufsichtsbeamten, die dem Gewerbe¬
arzt ein möglichst engbegrenztes Tätigkeitsgebiet einräumen wollen,
und verlangt für ihn volle Unabhängigkeit und Bewegungsfreiheit.
_ Teleky.
Allgemeine Volkswohlfahrtspflege.
Heymann (Berlin), Snziale RSreorre anf fremde Rechoonf. Soz.
Prax. u. Arch. f. Volkswohlf. 1922 Nr. 12. Verfasser erörtert die Nach¬
teile des mit der Kriegswohlfahrtspflege eingeführten sogenannten
Dotationssystems, d. h. der Gewährung von besonderen Reichs- und
Staatszuschüssen zu einzelnen, den Gemeinden übertragenen Fürsorge¬
aufgaben. Nachteile dieses Systems sind: die Ueberorganisation der
Behörden durch die Schaffung besonderer Dienststellen für die in
Frage kommenden Fachgebiete (Kriegswohlfahrtspflege, Kriegsbeschä¬
digten- und Kriegshinterbliebenenfürsorge, Reichsversorgungsrentner,
Kapitalkleinrentner, nächstens auch Jugend Wohlfahrtspflege) und die
dadurch entstehenden Verwaltungskosten; das sich aus der Trennung
der Behörden ergebende Nebeneinanderarbeiten, das Reibungen, Ver¬
langsamungen und unwirtschaftliche Doppelarbeit mit sich brachte;
ferner — als eine der schlimmsten Wirkungen — die Minderung der
Selbstverantwortlichkeit der unteren Verwaltungsstellen, da infolge der
Gängelung durch Verordnungen und Richtlinien das eigene Interesse
der Gemeinden beeinträchtigt und von der Sache stark abgelenkt
wurde auf den ganz bestimmt zugewiesenen Geldanteil, und schließlich
die Tatsache, daß nicht einmal annähernd richtige Maßstäbe für die
Verteilung der Reichs- und Staatsmittel gefunden werden konnten,
sodaß der Ausnutzungsfaktor der öffentlichen Mittel sehr ungünstig
wird. — Von den Freunden des Systems ist als Haupteinwand erhoben
worden, daß auf andere Weise als durch Zentralisation rückständige
Gemeinden und Gebiete nicht zum Fortschritt bewogen werden können.
Tatsächlich ist eine Hebung der sozialen Fürsorge in breiterer Aus¬
dehnung, als es sonst der Fall gewesen wäre, erreicht worden. Verf.
hebt jedoch demgegenüber den Wert der freien Entwicklung hervor.
Die Reform des jetzigen Zustandes würde nach seiner Ansicht darin
zu suchen sein, daß die Gemeinden und Geraeindeverbände die not¬
wendigen Mittel für die soziale Fürsorge durch Aenderuug der Steuer¬
gesetzgebung im ganzen erhalten, daß sie sich unter der öffentlichen
Kritik ihrer Organe hiermit einrichten müssen, daß sie aber wie früher
selbstverantwortlich zu bestimmen haben, für welche Zwecke und
in welcher Weise sie ihre Steuereinnahmen ausgeben wollen.
Bericht der Verhandlungen de* Bevölkerungspolitischen Kongresses
der Stadt Köln. Pfingstwoche vom 17.—21. V. 1921. 475 S. Das
umfangreiche Programm der fünftägigen Verhandlungen zerfällt in
folgende Hauptteile: I. Eröffnungsvorträge (1. Bevölkerungsprobleme
als Weltanschauungsfrage; 2. Die sozialen Einflüsse auf die Familien¬
bildung). II. Erblichkeitsforschung. III. Das keimende Leben. IV. Ge¬
schlechtskrankheiten. V. Prostitution. VI. Sonstige bevölkerungs¬
politische Gesetzesmaßnahmen.
Digitized by GOOSlC
Original fro-m
CORNELL UNIVERSUM
VEREINS- UND KONQRESSBERICHTE
Redigiert von Ober-Reg.-Med.-Rat Dr. O. Strauß.
Berlin, Medizinische Gesellschaft, 3. V. 1922.
Fortsetzung und Schluß der Besprechung über die Vorträge von
Czerny: Ueber die kutane DiphtherietoxinReaktion (vgl. Nr. 16 S.541)
und Friedemann: Zur Diphtherieserumbehandiung (ebenda).
Ritter weist darauf hin, daß manche Autoren den hohen Dosen
bei Lähmungen ablehnend gegenüberstehen. In der Privatpraxis
genügen meist mittlere Dosen. Intra vitam werden nie Diphtherie-
Bazillen im Blute gefunden. Deshalb wäre es möglich, daß die
Bazillen in Leichenorganen postmortal eingewandert sind.
Morgenroth: Der Befund von Diphtheriebazillen in Leichen¬
organen wird nicht, wie Ritter annimmt,. auf ein postmortales
Ein wandern zurückgeführt. — Frühere Experimente rechtfertigen die
Anwendung hoher Dosen. Die Bindung von Antitoxin verläuft um
so rascher, je mehr davon in der Blutbahn kreist. Die rascheste
Anreicherung des Blutes mit Antitoxin wird durch intramuskuläre,
wenn nicht intravenöse Injektion erzielt. Subkutane Injektion zu
therapeutischen Zwecken wird für unerlaubt gehalten.
Braun: Vergleichstabellen sind nur sehr schwer heranzuziehen.
Das Material ist immer sehr verschieden. Augenblicklich kommen
in der Hauptsache nur leichte Fälle von Diphtherie in Berlin zur
Beobachtung. Am wichtigsten ist die Schutzbehandlung der Um¬
gebung der Kranken und die Frühbehandlung der Patienten selbst.
Wolff-Eisner behandelt die Frage der primär und sekundär
toxischen Stoffe. Die primären werden durch Antikörper neutralisiert,
die sekundären durch die Antikörper umgekehrt bedingt. Die Schick-
sche Reaktion steht nicht im Zusammenhang mit dem Antitoxingehalt
des Serums, wie seine Versuche beweisen, daß positiver Schick in
etwa 50o/ 0 von ihm bei Kindern beobachtet wurde, welche kurz vor¬
her 3000—5000 A. E. erhalten hatten. Die wichtigen theoretischen
und klinischen Schlußfolgerungen dürften nur aus wirklichen Anti-
toxmtitrationen, in denen nicht, wie bei der kutanen oder intra¬
kutanen Schickschen Probe, mehrere Unbekannte in Tätigkeit sind, ge¬
zogen werden.
Friedländer fragt, ob die Einverleibung großer Dosen nicht
vielleicht Herz- und Nierenerscheinungen macht und oh weniger
Lähmungen und Rezidive danach beobachtet wurden. Die Diphtherie¬
antitoxine müßten billiger abgegeben werden.
W. Schultz bezweifelt, ob man mit mehrfach wiederholten Anti¬
toxingaben jeden Patienten vor dem Herztod retten kann. — Es
läßt sich nicht beweisen, daß alle Erscheinungen, die im Spätstadium
der Diphtherie auftreten, auf Toxinwirkung zurückzuführen sind. —
Bisher ist noch nicht festgestellt, daß leeres Serum nicht ebensogut
wirkt, wie Diphtherieserum.
Czerny (Schlußwort): Kleine und große Dosierung muß näher
definiert werden. Unter großer Dosis sind 500 I. E. pro Kilogramm
Kind zu verstehen. Die Beweisführung, daß extrem hohe Dosen
wirklich noch mehr leisten, ist nicht erbracht. Es läßt sich bei der
Verschiedenheit der Krankheitsfälle dieser Beweis zahlenmäßig kaum
führen. Schwere Fälle sind jedenfalls auch so nicht zu retten. Der
Herztod beruht wahrscheinlich auf einer individuellen Empfindlich¬
keit gegen die Toxine. Vielleicht sind das die Kinder, deren Herz-
muskdfasem lange auf einer embryonalen Stufe stehen geblieben sind.
U. Friedemann (Schlußwort): Um die in der Leiche ge¬
fundenen Bazillenherde herum finden sich pathologisch-anatomische
Veränderungen, die nicht postmortal entstanden sein können. —
Schädigungen als Folge von großen Dosen wurden nie beobachtet.
Rezidive nach Ablauf einer gewissen Zeit sind natürlich nicht zu
verhindern. Die nekrotischen Fälle von Diphtherie sind oft aifch mit
greßeu Dosen nicht zu retten. Dresel.
Berlin, Gesellschaft für Chirurgie, 13. II. 1922.
Offizielle« Protokoll.
Vorsitzender: Körte. Schriftführer: Kausch.
Schäfer: Ueber die funktionelle Behandlung der Radlusfrakfuren
Zu den Gelenken, die bei Radiusfrakturen durch den Verband mit
immobilisiert werden, .gehört die Artic. intercarpalis. Dieses Gelenk
beansprucht deshalb eine besondere Aufmerksamkeit, weil sich in
ihm, besonders nach Ficks Untersuchungen, die Hauptbewegungen
der Hand abspielen. Bei dieser Bedeutung des distalen Hand¬
gelenks ist die Forderung berechtigt, es während der Fixation im
Verband funktionell zu behandeln. Das ist auf folgende Weise mög¬
lich: Bei Flexionsbewegungen der Hand finden Umkippbewegungen
der 1. Karpalreihe unter Führung des Os naviculare statt. Dieselben
Bewegungen der 1. Karpalreihe gehen bei Abduktionsbewegungen
der Hand vor sich. Aus dieser gelenkmechanischen Tatsache ergibt
sich die praktische Folgerung, daß es durch Freigabe der Abduk¬
tionsbewegungen im Verband gelingen muß, das distale Handgelenk
funktionstüchtig zu halten trotz Ausschaltung der Flexionsbewegungen
der Hand im Verband. Die Verbandstechnik gestaltet sich sehr ein¬
fach. Der Spielraum für die Abduktionsbewegungen wird durch
2 Korkkeile gewonnen, von denen der eine an der radialen, der andere
an der ulnaren Seite der Hand mit eingegipst werden, um sie nach
dem Erhärten des Verbands zu entfernen, sodaß die Hand unter ab¬
soluter Ausschaltung der Flexionsbewegungen wie in einer Führung
radial- und ulnarwärts gleitet. Die Abduktionsbewegungen sind
schmerzlos und werden vom Patienten vom 1. Tage ab ausgeführt.
Bezüglich der Stellung der Hand gilt an der Bore ha rat sehen
Klinik Folgendes: 1. Schwere Frakturen, d. h. solche mit durch die
Blutergüsse bedingten pathologischen Muskelkontrakturen, werden
bis zum Abklingen der Kontrakturen in der alten volaren Flexions¬
stellung fixiert, da diese durch den Zug der Hand in volarer Rich¬
tung allein eine Reluxation der Bruchfragmente verhindert. 2. Mittel-
schwere Frakturen, d. h. solche mit geringen pathologischen Muskel¬
kontrakturen, und leichte Frakturen ohne pathologische Muskelkon¬
trakturen werden in einer der Zuppingerschen Stellungen in leichter
oder stärkerer Dorsalflexion fixiert. In allen Stellungen aber werden
die Abduktionsbewegungen der Hand zur funktionellen Behandlung
des distalen Handgelenks während der Fixation freigegeben. (Er¬
scheint im Arch. f. Orthop.)
Besprechung. Klapp: Wenn Schäfer seine Behandlung als
funktionell bezeichnet, so muß ich diese Bezeichnung auch für
mein Verfahren beim Radiusbruch in Anspruch nehmen. Ob die
seitliche Ausladung in dem Gipsverbande zweckmäßig ist, halte ich
für zweifelhaft, da wohl dem dorsalen, nicht aber dem radialen Ab¬
weichen des distalen Fragments Widerstand entgegensteht. Die
Beibehaltung der alten Volarflexion bei schwereren Fällen stellt eine
unnötige Erschwerung der Nachbehandlung dar. Vor der 2—3 Wochen
langen Fixation in der physiologischen Mittelstellung braucht man
sich nicht zu scheuen, da die Gelenke nach der Befreiung vom Ver¬
bände sofort auffallend beweglich sind.
Bockenheimer empfiehlt bei der Behandlung der Radius¬
fraktur die Reposition in Narkose und die Anlegung einer Gips¬
schiene, die vom 4. Tag ab täglich abgenommen wird, damit aas
Handgelenk bewegt und massiert werden kann.
Paul Rosenstein weist auf die Vorzüge des alten Storp-
schen Heftpflasterverbandes hin; dieser ist ein wirklich funktioneller
Verband, der bald alle Bewegungen in dem Gelenk gestattet und
güte Resultate gibt; der Verband stammt aus der Klinik Eiseisberg.
Kausch: Man kann bei der Radiusfraktur mit den verschie¬
densten Methoden gute Resultate erzielen. Kausch ist der extremen
Volarflektion und Ulnarabduktion nach Reposition in Narkose treu
eblieben, besonders in den schwereren Fällen. Die Fixation auf
er Carrschen Schiene darf nicht länger als höchstens 8 Tage
dauern, handelt es sich doch um einen Gelenkbruch.
Carl Hirsch mann: Komplikationen bei der totalen Oesophago-
plastik, ihre Beseitigung and Verhütung 1 ). Typische Komplikationen
sind Bildung von Defekten in der vorderen Wand des Hautschlauchs.
Ihre plastisch-operative Beseitigung erfolgt auf 2 Arten, 1. nach
dem Typus der Hautschlauchbildung mittels Umschneidung, 2. durch
Deckung mit einem durch Epitheleinlage nach Esser epithel*
unterfütterten Lappen. Beide Arten der Beseitigung dieser Defekte
werden durch Lichtbilder gezeigt. Die so vorzüglich bewährte Me¬
thode der Epitheleinlage wurde auch bei einer andern Komplikation
angewandt, nämlich zur Wiederherstellung der Schlauchkontinuität
nach Resektionen einer Stenose zwischen Hautschlauch und Darm¬
schlauch. — Zur Vermeidung dieser sich leicht einstellenden Defekte
im Hautschlauch wird vorgeschlagen, mit der isolierten und aus¬
gedehnten Hautschlauchbildung zu beginnen. Erst wenn er voll¬
kommen fertiggestellt, vollkommen geheilt ist, sollen die andern
Akte vorgenommen werden. Für diese bietet der fertige, möglichst
lange Hautschlauch besondere Vorteile. Es wird ferner Wert gelegt
auf die Herstellung der zervikalen Oesophagusfistel mit querer
Durchtrennung des Oesophagus in einem besonderen Akt. Erst wenn
eine unveränderliche Weite der Fistel vorhanden ist, soll zur Ver¬
bindung mit dem oberen Ende des Hautschlauchs geschritten werden.
Besprechung. Axhausen: Hirschmann betont auch heute
wieder, daß er es für besonders wichtig halte, die Darmschlinge, die
den untersten Teil des neuen Speiserohres bilden soll, möglichst
kurz zii nehmen, sodaß es als möglichst grades Rohr aus dem Magen
zum unteren Ende des Hautschlauches führt. Ich halte dies ganz im
Gegenteil für durchaus unzweckmäßig und warne dringend davor.
Das kurze, gestreckt verlaufende, klaffende Rohr muß zum Re-
gurgitieren von Magensaft führen. Es ist daher kein Wunder,
daß Herr Hirschmann über den störenden Magensaftfluß, wie
in seinen früheren Arbeiten, so auch jetzt Klage führt. Der Magen¬
saftfluß ist aber unheilvoll für das Gelingen der plastischen Bildung
des Hautschlauches; daher die großen Dehiszenzen in den vor¬
gestellten Fällen und daher die Notwendigkeit, immer neue, um¬
fangreiche und komplizierte Lappenplastiken zur Deckung djeser
Lücken auszuführen. Nimmt man den Darm, wie ich es in meinen
4 Fällen stets getan habe, länger, sodaß er nicht gerade, sondern
in Schlängelungen, ja selbst in leichten Schlingen vom Magen zum
Hautrohr führt, so tritt überhaupt kein Magensaftfluß auf, und es
entfällt daher jede Störung der Hautschlauchbildung. Diese Schlänge-
*) Erscheint ausführlich in Bruns Beitr. z. klin. Chir.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSITV
754
VEREINS- UND KONORESSBERICHTE
Nr. 22
lung beeinträchtigt die spätere Funktion des Speiserohres in keiner
Weise; selbst ein kleiner Blindsack des Darmes unterhalb der
Anastomose zwischen Darm und Magen schadet erfahrungsgemäß
gar nichts. Dementsprechend habe ich auch in meinen Fällen die
von Hirschmann hier beschriebenen großen und komplizierten
Lappenplastiken, die zum mindesten zeitraubend und in ihrer kos¬
metischen Wirkung unschön sind, den Patienten ersparen können.
Bockenheimer: Kieferankylose and Ihre Bebaadlaog. (Vgl S. 729.)
Bockenheimer: Vereisung bei Staphylokokken -Infektion. (Vgl.
Nr. 21 S. 694.)
Besprechung. Klapp: Das Verfahren der Vereisung ist mir
aus der Chirurgischen Klinik bekannt. Aehnliche Beobachtungen
haben wir bei andern hyperämisierenden Verfahren gemacht. Die
im Auslande übliche Behandlung frischer Furunkel mit der Ignipunktur
ist entbehrlich.
Joseph: Eine neue Methode snr Frfihfeststellnng der extra- and
intrauterinen Gravidität. In der Absicht, eine sichere Methode zur
Feststellung der intra- und extraunterinen Frühgravidität zu finden,
stellten Joseph und Kamnitzer Versuche mit Phlorizin an, das
in Dosen von 0,01 g bei jedem Menschen eine renale Olykosurie
macht. Es kam zunächst darauf an, die bei Normalen eben noch
wirksame Phlorizindosis zu finden und zu sehen, ob diese Dosis
einen Unterschied in der Reaktion bei Schwangeren und Nicht-
schwangeren machen würde. Die gelegentlich bei Graviden spontan
auftretende Glykosurie spricht für eine erhöhte Durchlässigkeit der
Nierenepithelien für den Zucker des Blutes während der Gravidität.
Sie tritt jedoch nicht immer in Erscheinung, weil wahrscheinlich
meist zu gering, müßte es jedoch tun, wenn zu dem vorhandenen
Reiz ein zweiter verstärkter, durch Phlorizin bedingter, hinzutritt.
Die Versuche ergeben, daß diese Ueberlegung richtig war. In¬
jiziert man Graviden bis einschl. des 3. Monats nüchtern 0,002 g
Phlorizin intramuskulär, so tritt nach i/*—1 Stunde eine Glykosurie
auf. Es wurden im ganzen 300 Fälle untersucht, davon 67 Gravide,
17 Aborte, 3 Tubargraviditäten und 213 Kontrollfälle. Bei ersteren
kam es stets zur Glykosurie — auch bei den Fällen, bei denen die
Menses erst 8—10 Tage ausgeblieben waren. Aborte reagierten nur
dann, wenn noch frische Plazenta im engen Zusammenhang mit
dem Uterus stand. Sämtliche Kontrollen — bis auf 6 — blieben
negativ. Die Probe ließ bisher nie im Stich, wenn es sich darum
handelte, eine Diagnose zu stellen.
Zondek: Koochenfraktareo and Pseadarthrosen. (Vgl. S. 427.)
Besprechung. Martin wendet sich auf Grund von Beobach¬
tungen aus der menschlichen und tierischen Pathologie und auf
Grund seiner Versuche gegen die Auffassung, daß die Pseudarthrose
durch mechanische Ursachen, besonders zu frühzeitige Inanspruch¬
nahme erklärt werden könne. Ueber die Rolle des Periostes betont
er seinen schon früher dargelegten Standpunkt, daß zwischen den
Periost junger, im Wachstum befindlicher Knochen und solchen,
deren Wachstum bereits abgeschlossen ist, streng unterschieden wer¬
den müsse. Allerdings haben schon früher Autoren gesagt, daß das
Periost im Alter einen guten Teil des knochenbildenden Vermögens
einbüße, Redner betont dagegen seine Ansicht, für welche er auch
neuerdings wieder Beweise gesehen hat. Auch Lexer habe das
jetzt zugegeben, indem er empfahl, Periost bei Erwachsenen vorher
zu reizen, dann bilde es wohl Knochen. Redner lehnt diese Auf¬
fassung ab, weil es sich dann um pathologisch verändertes, aber
nicht mehr um unter physiologischen Bedingungen stehendes Ge¬
webe handelt. Redner weist dann auf die Beobachtungen, daß
Pseudarthrosen, die man als stationär angesehen hat, doch nach Jahr
und Tag heilen können. Das zwingt zur vorsichtigen Beurteilung
einer Pseudarthrose. Es gibt neben der anatomischen Heilung auch
eine funktionelle Heilung, bei der wohl die Unterbrechung der
Knochenkontinuität noch besteht, das Zwischengewebe aber so derb
und sklerotisch ist, daß das Glied gebraucht werden kann. Dabei
bestehen aber dann Schmerzen, die Redner als Zeichen für eine
noch bestehende Pseudarthrose ansieht.
GieBen, Medizinische Gesellschaft, I. III. 1922.
Offizielles ProtokolL
Vorsitzender: Olt Schriftführer: Gundermann.
Der Vorsitzende gedenkt zunächst des auf den heutigen Sitzungs¬
tag fallenden Geburtstages des früheren Anatomen und Physiologen
Eckart
Dann stellt Oundermann je einen operativ geheilten Fall von
Pyelonephritis und von Mil/ruptor vor. An der Aussprache beteiligen
sich v. Jaschke, Voit, Bürker, Huntemüller, Haas, Olt
Specht: Tierexperimentelle Untersuchungen über den EmfluB endo¬
kriner Drüsen naf die KrampffibigkeJL (Bericht nicht eingegangen.)
Besprechung: Fischer, v. Jaschke, Poppert, Olt, Hunte¬
müller, Henneberg, Voit
XXXIV. KongreB dar Deutschen Gesellschaft fOr Innere
Medizin, Wiesbaden, 24.-27. IV. 1922.
Referent: Dr. Dresel,
Assistenzarzt an der II. Medizinischen Klinik der Charitl (Berlin).
(Fortsetzung aus Nr. 21.)
V. Schilling (Berlin): Ergänzungen zur Leberdiirnostik durch
das Blutbild. Bei der Schwierigkeit klinischer Leberdiagnostik hat
die symptomatische Verwertung des Blutbildes große praktische Be¬
deutung. Die gestörte Leberfunktion an sich wirkt Kaum auf das
Blutbilck Dagegen verändern alle blutwirksamen Prozesse, auch in
der Leber lokalisiert, das Blutbild in einer oder mehreren seiner
Komponenten (rotes Blutbild, L.-Zahl, Differentialverhältnis, Kern*
Verschiebung). Cholangitis und Leberabszeß sind diagnostisch, sym¬
ptomatisch und prognostisch durch leukozytäre Bilder gegen Gallen¬
steine und Tumoren zu sondern; hämolytischer Ikterus zeigt starke
rote Blutmauserung im „dicken Tropfen“, infektiöser Ikterus infek¬
tiöses Leukozyten- und toxisches rotes Blutbild, katarrhalischer und
sonstiger Stauungsikterus sehr geringe Veränderung.
Besprechung der vorangegangenen Vorträge.
Frank (Breslau) sucht aus dem unklaren Gebiet der hyper¬
trophischen Leberzirrhose eine besondere klinische Form herauszu¬
schälen, die durch großen Milztumor, Anämie, Leukopenie und
Thrombopenie charakterisiert ist und die schwere Schädigung der
Leber durch funktionelle Prüfung sehr gut erkennen läßt. Der bei
dieser Krankheit bestehende Ikterus wird durch die Milzexstirpation
beseitigt, diese bedeutet offenbar eine maximale Schonung der Leber,
der nunmehr die beim Zerfall der Erythrozyten entstehenden Stoffe
nicht mehr oder viel verzögerter zufließen.
Grunenberg (Berlin): Das direkte und indirekte Bilirubin läßt
sich durch seine Chloroformlöslichkeit trennen. Das indirekte Bilirubin
ist in Chloroform löslich, das direkte nicht. Zusatz von Alkali zum
chloroformlöslichen Bilirubin macht es chloroformunlöslich, Zusatz
von Säure zum chloroformunlöslichen Bilirubin macht dies chloroform-
unlöslich. Unterschiede im spektrophotometrischen Verhalten lassen
sich nicht finden.
Schiff (Berlin): Bei größeren Kindern mit Ikterus ließen sich
2 verschiedene Typen unterscheiden. Bei allen bestand Urobilinurie
und Gallensäureausscheidung im Urin, Bilirubinämie, osmotische Re¬
sistenzerhöhung und Hypercholesterinämie. Die Differenz bestand
allein im Ausfall der Diazoreaktion. Während 3 Monate hindurch nur
indirekte Reaktionen zur Beobachtung kamen, änderte sich das Bild
dann insofern, daß die direkte Reaktion prompt ausfiel. Das Serum¬
bilirubin kann also auch beim Stauungsikterus die indirekte Reaktion
p;cben, und es kann durch den Harn auch zur Ausscheidung ge¬
langen. Der verschiedenartige Ausfall der Diazoreaktion zeigt wahr¬
scheinlich nur eine verschiedenartige Lokalisation des zum Ikterus
führenden pathologischen Prozesses an.
Plaut (Hamburg): Es ,wurde die Wärmeregulation nach Zer¬
störung des Plexus coeliacus untersucht und gefunden, daß die
chemische Wärmeregulation durch die angegebene Operation ge¬
stört wird.
Schnabel: Bei Pneumokokkeninfektion läßt sich in geeigneten
Fällen Hämatinbildung nachweisen.
Naegeli (Zürich): In der Ikterusfrage müssen wir vor allem die
klinische Basis erweitern. Die Hämoklasieprobe sollte in allen Fällen
durchgeführt werden, desgleichen die Probe auf Gallensäure. Nur
aus der überragenden Mehrzahl der Fälle können Schlüsse gezogen
werden. Beim katarrhalischen Ikterus sind Dannstörungen oft nichi
vorhanden. Oft stellen sich nach einigen Jahren Milzvergrööerungeii
usw. ein.
V. Schilling (Berlin): Die Rolle der Sternzellen ,ist durch
Aschoff zu sehr bei der Bilirubinbildung in den Vordergrund gerückt
worden. Die Sternzellen sind ein Netz, durch das alle Stoffwechsel-
Produkte hindurchgehen. Sie haben eine Schutzwirkung.
Westphal (Frankfurt a. M.): Im Duodenalsaft von Ikterus-
fällen finden sich häufig Protozoen (Lamnia intestinalis). Desgleichen
im Stuhl. Die Lamnien können in die Galle eindringeti. Es scheinen
Beziehungen zwischen dem Auftreten von Lamniä und Ikterus zu
bestehen.
Lichtwitz (Altona): Das Ulcus duodeni geht sehr häufig mir
vermehrtem Bilirubin im Blute einher, solange es Beschwerden macht
Wörner (Frankfurt a. M.) macht noch einmal auf die Bedeutung
der Galaktoseprüfung für die Beurteilung der Leberfunktion auf¬
merksam. Einige Beispiele werden hierfür gegeben.
Leschke (Berlin): Die hämoklasische Krise beruht wahrschein
lieh auf einer mangelnden synthetischen Funktion der Leber. Amino¬
säuren bewirken, intravenös injiziert, einen Leukozytensturz. Per os
verfüttert, machen sie beim Normalen keine Krise. Ueber die extra¬
hepatische Bilirubinbildung ist zu sagen, daß man immer 24 Stunden
nach der Einverleibung von Hämoglobin Bilirubinbildung extra¬
hepatisch beobachten kann.
Semmler (Berlin) demonstriert Kurven über die Einwirkung
der Aminosäuren auf den Blutbefund und deutet sie als anaphylak¬
tischen Shok.
G. Klemnerer (Berlin): Man unterscheidet am besten leichten
Ikterus und Icterus gravis. Dann umgehen wir den Ausdruck Icterus
catarrhalis. Sehr wichtig wären bestimmte Anhaltspunkte für di f
Schwere eines Falles. Diagnostische Unterstützung kann die Unter-
Digitized b 1
Google
Original from
CORNELL UNfVERSITY
2. Juni 1922
VEREINS- UND KONORESSBERICHTE
755
suchung des Duodenalsaftes geben. Insbesondere ist der Befund
von Eiterkörperchen von Wichtigkeit. Erhält man mit Pepton keine
Galle, so kann man eine Schrumpfung der Gallenblase vermuten.
Für die Funktion der Leberzellen empfiehlt sich die von Amerikanern
angegebene Farbmethode. Das feinste Reagens bildet aber die kli¬
nische Allgemeinuntersuchung, insbesondere auf zerebrale Erscheinungen.
Stepp (Gießen): Durch Witte-Pepton wird nicht eine vermehrte
Gallenbildung, sondern eine Kontraktion der Gallenblase erzielt. Der
Beweis hierfür wird auf verschiedenen Wegen geführt. Lamnia in¬
testinalis hat auch er häufiger gefunden.
Schade (Kiel): Die Methoden der Gallensäuremessung beruhen
auf Aenderungen der Oberflächenspannung. Diese Werte sind aber
für die Konzentration der Gallensäuren nicht zu verwerten.
Bürger (Kiel): Die Veresterung des Cholesterins verhält sich
verschieden beim mechanischen und funktionellen Ikterus. Die Gründe
hierfür werden besprochen. Sind Gallensäuren vermehrt im Blute,
so findet man das Fett gelöst im Serum nicht als Hämokonien. Die
Vermehrung des Rest-N fand sich auch in Fällen, die sicher keine
akuten gelben Leberatrophien waren.
Volhard (Halle): Bei dem in letzter Zeit beobachteten, epi¬
demisch aufgetretenen Ikterus hat Grote einen sehr starken Blut¬
zerfall bei einem Kranken beobachtet. — Sicher gibt es Fälle von
echtem Icterus catarrhalis. — Oft findet der Chirurg bei langer
Stauung keine Galle in den Gallen wegen. Hier muß die Leberzelle
für den Ikterus verantwortlich gemacht werden.
Oundermann (Gießen) weist auf Zusammenhänge zwischen
Gallensekretion und Urinmenge hin.
Fischer: Es ist nicht ausgeschlossen, daß die Blutfarbstoffe erst
vollständig abgebaut werden und dann eine Synthese der verschie¬
denen Farbstoffe beginnt.
Embden (Frankfurt a. M.): Untersuchungen des Cholesterin¬
gehaltes der verschiedenen Organe bei Avitaminosen ergaben eine
sehr starke Cholesterinvermehrung im Blut, Muskel usw.
Gottschalk ^Frankfurt a. M.): Viele Schwangere zeigen• eine
Schädigung ihres Zuckerstoffwechsels als Ausdruck ihrer Leber¬
schädigung.
Beckmann weist auf Verschiedenheiten in der Ausscheidung
des direkten und indirekten Bilirubins in der Niere hin.
v. Friedrich (Frankfurt a. M.): Bei verschiedenen Ikterusformen,
abgesehen vom mechanischen Ikterus, wurde der Cholesteringehalt
des Blutes und des Duodenalsaftes bestimmt. Es zeigte sich bei den
verschiedensten Ikterusformen, daß im Duodenalsaft Cholesterin nicht
nachzuweisen war, im Blut waren teils Hypercholesterinämie, teils
normale Werte. Nach Ablauf des Ikterus kehren in den meisten
Fällen normale Verhältnisse wieder, aber in einigen bleibt eine ver¬
zögerte Cholesterinausscheidung. Die Untersuchungen geben einen
Hinweis, daß die Leber auch beim sog. Ict. catarrh. geschädigt ist,
ferner, daß man die Partialfunktionen der Leber unterscheiden muß.
Weitz (Tübingen) weist auf die Wichtigkeit von Farbintensität
und Farbton im Urin und Serum bei Leberkranken hin und demon¬
striert einen Apparat zur Untersuchung dieser Dinge.
Bittorf (Breslau): Beim mechanischen Ikterus ohne Leberzell¬
schädigung steigt der Sekretdruck in den Zellen durch Stauung in
den Kapillaren, sodaß durch die Leberzelle auch an den nicht
präformierten Stellen Galle durchtritt. Beim hämolytischen Ikterus
steigt der Sekretdruck durch die Sekretbildung in der Zelle selbst.
Bei allen Ikterusformen mit Parenchymschädigung muß die Min-
kowskische Lehre von der Parapedese herangezogen werden. Der
große Unterschied in dem klinischen Bilde des hämolytischen Ikterus
und des mechanischen Ikterus weist auf verschiedene Bindung des
Bilirubins im Blute hin, entsprechend der direkten und indirekten
Reaktion.
Lohr (Kiel): An Oallenfisteln nach Operationen wurden die ver¬
schiedenen Chemotherapeutika' ausprobiert und festgestellt, daß sich
die Bakterienflora unterdrücken laßt; sobald die Mittel aber ab¬
gesetzt werden, treten die Bakterien wieder auf, weil sie in den
Wandungen der Gallenblase angesiedelt sind.
Heß (Köln): Es wurden bei ultramikroskopischer Untersuchung
des Serums von Ikterischen eigenartige Gebilde gefunden, die sich
von den roten Blutkörperchen herleiten und nur selten bei Nicht-
ikterischen gefunden werden.
Herxheimer (Wiesbaden) warnt vor Ueberschätzung der ana¬
tomischen Befunde. Zentrale Läppchennekrose wird sehr häufig ge¬
funden. Es muß doch eine funktionelle Störung hinzukommen. l5as
retikuloendotheliale Gewebe darf nicht überschätzt werden.
Retzlaff (Berlin) wendet sich gegen die Ansicht Stepps,
daß durch das Witte-Pepton nur die Gallenblase entleert wird.
Adler (Leipzig): Wichtig ist die Untersuchung des Quotienten
des Stuhl- und Urinurobilins, die mehrere Tage nacheinander vor¬
genommen werden muß.
Lepehne (Königsberg): Das letzte Wort ist auch durch die
heute von Rosenthal, Retzlaff usw. vorgetragenen Ansichten
über den retikuloendothelialen Apparat nicht gesprochen. Auf ver¬
schiedene Fehlschlüsse wird hingewiesen.
Minkowski (Breslau): Eppinger hat sich seinen Ansichten
sehr genähert. Die heutige Diskussion hat ergeben, daß das retikulo¬
endotheliale Gewebe in seine ihm gebührenden Schranken gewiesen
werden muß. Schon in einer sehr alten Arbeit mit Naunyn wurde
gezeigt, daß Bilirubinbildung extrahepatisch möglich ist, daß aber
die Hauptmenge in der Leberzelle entsteht — Auch das mechanische
Moment ist in der Auffassung Eppingers zurückgetreten. Schon
vor vielen Jahren hat Minkowski den Vergleich zwischen Schädi¬
gung der Leberzelle und Bilirubinämie und Schädigung der Nieren¬
zelle und Albuminurie gezogen. Auch die Benennung des Icterus
Simplex als „sog.“ Icterus catarrhalis ist von Minkowski schon
im „Mehring“ erfolgt und auf die Vielgestaltigkeit dieser Krankheit
hingewiesen. Die Milz scheint bei dem Untergang der roten Blut¬
körperchen eine Rolle zu spielen. Auch den hämolytischen Ikterus
aber macht die Leberzelle. Schließlich wird auf die Bedeutung der
Untersuchung der Duodenalgalle hingewiesen.
Hijmanns v. d. Bergh (Amsterdam): Es ist sehr schwer, die
Frage zu entscheiden, ob aas Bilirubin in den Sternzellen entstehe
oder nicht. Das ist aber gar nicht so wichtig. Daß der Ikterus
durch extrahepatische Bilirubinbildung entstehen kann, ist nicht wahr¬
scheinlich. Dies kann höchstens zu einer gering vermehrten Bilirubin¬
ämie führen. Die Milz spielt sicher eine große Rolle. Die Frage,
ob es mehrere Arten von Bilirubin gibt, ist noch nicht entschieden,
aber unwahrscheinlich. Vermutlich sind physikalisch-chemische Aen¬
derungen für die verschiedene Reaktion verantwortlich. — Klinisch
sind wir Jedenfalls durch die Forschung der letzten Jahre weiter¬
gekommen, was an Beispielen gezeigt wird.
Eppinger (Wien): Schlußwort.
Claudius (Kopenhagen): Eine Methode zur Mikrobestimmung des
Chlors im Blute and anderen. albuminbaitigen Medien. Die Losung
wird mit Vioo AgN0 3 versetzt, einige Tropfen HN0 3 zugefügt, ge¬
kocht, Kaliumpermanganat zugesetzt, nach Kochen absoluter Alkohol
hinzugefügt und schließlich nach Zusatz von Eisen als Indikator mit
Vsoo Rhodankaliumlosung titriert.
Roth er (Berlin): Mikrobestimmnng der Harnsäure im Blote. Eine
Kritik der analytischen Methodik ergab, daß Phosphorwolframsäure¬
cholorimetrierungen nur bis zu einer gewissen Grenze ausreichend
exakt sind. Darüber hinaus sind die Kolorimeterwerte viel zu gering
im Vergleich zu den tatsächlich vorhandenen Harnsäuremengen. Es
ibt bisher keine Methode, welche Eiweißkörper aus Blut oder
erum quantitativ entfernt, ohne beträchtliche Harnsäuremengen mit
auszufällen. Hydrolyse des gesamten Blutes und nachherige Harn¬
säurebestimmung verspricht bessere Resultate. Als Ersatz für die
unbeständige Harnsäurestandardlösung wird Verwendung einer wä߬
rigen Hydrazinsulfatlösung empfohlen, die auch an der Luft unver¬
ändertes Reduktionsvermögen nehält.
Gehrig (Hamburg-Eppendorf): KohlenhydratreicheNahrungsmittel
and Giykämie. Kohlenhydratreiche Nahrungsmittel zeigen^eine ziemlich
konstante Kurve der Hyperglykämie. Bei Diabetikern steigt der
Blutzucker höher an und fällt langsamer ab.
Haas (Gießen): (Jeher die Millonsche Reaktion Im Blnte nnd deren
quantitativen Ablauf. Bei entsprechendem Vorgehen gelingt es, die
Millonsche Probe im Sinne der Weißschen Modifikation auch auf
das Blut zu übertragen und im enteiweißten Blutserum die mit der
Millonschen Probe reagierenden Stoffe nicht nur qualitativ, sondern
auch quantitativ zu bestimmen. Aus der Summe der die Millonsche
Reaktion gebenden Substanzen gelang es ferner, einzelne Fraktionen
abzutrennen. Erhöhte Werte der ätherlöslichen und hitzeunbestän¬
digen Fraktion sprechen für vermehrte Eiweißeinschmelzung unter
bakteriellem Einfluß, während die wasserlösliche, hitzebeständige
Fraktion für die akute gelbe Leberatrophie von Bedeutung ist.
E. Krauß (München): Die Ausscheidung der harnfftbigm Stoffe,
insbesondere der Harnsäure, unter dem Einfluß von subkutanen
Adrenaliogaben. Bei der essentiellen Hypertonie wird meist, trotz
erhöhter Harnsäure im Serum ein niedriger endogener Harnsäure-
wert im Urin gefunden. Bei Gesunden ist in einer künstlich durch
Adrenalin erzeugten Hochdruckperiode die Stickstoff-, Harnstoff-,
Kreatinin- und Kochsalzausscheidung meist gesteigert, die Harnsäure-
ausscheidung verringert, sobald sich ein stärkerer Anstieg des Blut¬
drucks geltend macht. Die Wasserausscheidung ist meist verringert,
kann aber auch erhöht sein. Im Serum staut sich die Harnsäure
während der Hochdruckperiode. Der Grad der Hamsäureverminde-
Hing im Urin scheint zum großen Teil abhängig von der Reaktion
des Blutdrucks zu sein. Es gibt demnach in der Niere eine Partial¬
funktion, die isoliert geschädigt werden kann. Als Spätwirkung der
Adrenalininjektion ist eine vermehrte Hamsäureausscheidung, be¬
dingt durch vermehrtes Angebot, zu beobachten.
Wilhelm Stepp und Behrend Behrens (Gießen): Darf Brenz-
tranbensäure als Quelle des Azetaldehyds im menschlichen Körper
angesprochen werden? Wenn man steril entnommenes Blut mit Brenz¬
traubensäure versetzt und nach Beigabe von Dinatriumsulfat 12 Stun¬
den bei 37° hält, so wird aus der Brenztraubensäure Azetaldehyd ab¬
gespalten. Im menschlichen Blute kommt also ein Fer¬
ment vor, das Brenztraubensäure in Azetaldehyd und
Kohlensäure zerlegt (Carboxyläse). Der von Stepp und
Feulgen als normales intermediäres Stoffwechselprodukt erkannte
Azetaldehyd stammt also aus der Brenztraubensäure. Der Zucker¬
abbau geht beim Menschen ebenso über die Brenztraubensäure-
Azetaldehydstufe, wie das für die alkoholische Hefegärung von N e u •
berg gezeigt wurde.
5. J. Thannhauser und St. Weiß (München): Ueber die Vor¬
stufe des Pigmentes bei melanotischen Tumoren. Aus den Nieren
zweier Kranker konnte ein Melanogen isoliert werden, welches die
Untersucher als Brenzkatechinessigsäure (Homoprotokatechinsäure)
identifizierten. Durch diesen Befund ist es wahrscheinlich, daß in
der Pigmentzelle und in der Nebenniere ein Ferment vorhanden ist,
das aus Eiweißspaltstücken, die einen Phenylrest enthalten, Brenz¬
katechinderivate zu bilden imstande ist (Brenzkatechinase). Der Zu-
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
756
VEREINS- UND KONORESSBERICHTE
Nr. 22
sammenhang zwischen Nebenniere und Pigmentbildung dürfte nicht
in dem Produkte der inneren Sekretion der Nebenniere, dem Adrenalin,
zu suchen sein, sondern in der Anwesenheit eines gleichartigen Fer¬
mentes (Brenzkatechinase) in der Nebenniere und Pigmentzelle.
O. Adler (Karlsbad): Ueber das Melanin. Das Melanin ist kein
einheitliches Produkt. Tumormelanin und Melaninsäure sind zu unter¬
scheiden. Die Melaninsäuren zeigen Säurenatur, sind gegen Reduk¬
tionsmittel sehr resistent, von Oxydationsmitteln werden sie leicht
verbrannt. Die Gerinnung des Blutes wird gehemmt. Es gelingt,
eine große Zahl von MeTaninsäuren darzustellen. Dies ist nur aus
aromatischen Stoffen möglich.
Offenbacher (Fürth): Oie allmentlr-gly klinische Reaktion and
ihre diagnostische Bedeutung. 50 g Dextrose werden in 300 ccm
Flüssigkeit verabreicht und Blutzucker und Harnzucker verfolgt.
Diese Methode wird als Methode der Wahl vorgeschlagen, da mit
ihr gleichmäßige Resultate gewonnen werden, wie an zahlreichen
Beispielen gezeigt wird.
Ullmann (Berlin): Oie Bedeutung der endogenen Harnsflure-
anssebeidong bei Lebererkrankungen. Bei einer Reihe von Er¬
krankungen mit Ikterus wurde die Harnsäureausscheidung bei purin-
freier Kost fortlaufend untersucht. Dabei wurde Folgendes gefunden:
Fälle von subakuter Leberatrophie zeigen in den mehr akuten Stadien
eine große Harnsäureausscheidung. Sie kann Werte von 1,5—2 g
täglich erreichen. Schwerere Fälle von katarrhalischem Ikterus be¬
dingen Werte von 400—800 mg.' Keine Erhöhung der Harnsäure-
werte wurde bei leichten Fällen von katarrhalischem Ikterus, Leber¬
zirrhose, primärem Leberzellenkarzinom und Cholelithiasis festge¬
stellt. Bei der subakuten Leberatrophie geht das allmähliche Ab¬
sinken der Harnsäurewerte mit der zunehmenden Gesundung der
Kranken parallel. Die Höhe der endogenen Harnsäurewerte scheint
von Bedeutung zu sein für die Differentialdiagnose zwischen den
leichteren Fällen von katarrhalischem Ikterus und den Uebergängen
in akute Leberatrophie und von prognostischer Bedeutung für den
Verlauf der Erkrankung. Ein Teil der vermehrten Harnsäureaus¬
scheidung wird auf die zugrundegehenden Kernsubstanzen der Leber
zurückgeführt. (Fortsetzung folgt.)
46. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie,
Berlin, 19.—22. IV. 1922.
Berichterstatter: San.-Rat Dr. H. Stettiner (Berlin).
(Fortsetzung aus Nr. 21.)
Nötzel (Saarbrücken): Zar Handhabung der Aseptik. Bezüglich
der Händedesinfektion stehen wir im wesentlichen auf dem gleichen
Standpunkte, wie ihn Küttner auf dem Chirurgenkongreß 1911
zum Ausdruck gebracht. Die reine Alkoholdesinfektion leistet min¬
destens das Gleiche wie die ältere Fürbringersche Methode. Wunde
Punkte sind der Unternagelraum und die stark behaarten Stellen.
Nachdem die Gummihandschuhe wieder besser geworden, ist man
auch zu ihrer Verwendung wieder zurückgekehrt. Wegen ihres
hohen Preises werden sie oft nur zur Behandlung infizierter Wunden
und Operationen benutzt. Redner hat die Empfindung, daß der
Gummi noch mehr klebrig ist wie früher und zieht daher über die
Gummihandschuhe Zwimhandschuhe. Die Desinfektion des Opera¬
tionsfeldes mit Jodtinktur hat sich bewährt. Wo man ihre An¬
wendung vermeiden will, hat sich der gefärbte, von Kirschner an¬
gegebene Tanninalkohol bewährt. Von den Nahtmaterialien wird
immer mehr das resorbierbare Katgut bevorzugt.
Besprechung. Pels-Leusden war durch eine Furunkulose
gezwungen, lange Zeit das Waschen mit Seife zu vermeiden. Er
hat sich nur mit essigsaurer Tonerde desinfiziert und dann mit
Gummi- und Zwirnhandschuhen operiert, ohne eine Aenderung in
der Wundheilung bemerkt zu haben. Zur Desinfektion des Opera¬
tionsfeldes benützt er den von König empfohlenen Thymolalkohol,
der auch für die Schleimhautdesinfektion sehr geeignet ist. Er be¬
tont erneut die Wichtigkeit des von dem älteren König so ge¬
nannten „fingerlosen Operierens“.
Kausch (Berlin) bevorzugt ebenfalls die Alkoholdesinfektion der
Hände und hebt die Wichtigkeit kurzer Nägel hervor. Wegen der
teueren Preise ist er von den Gummi* zu Zwirnhandschuhen über¬
gegangen und damit zufrieden. Infolge eines Falles von Tetanus
nach Katgutbenutzung bevorzugt er Seide als Nahtmaterial.
Kirschner (Königsberg) empfiehlt die gefärbte Tanninalkohol¬
lösung. Er warnt davor, das Operationsgebiet noch einmal kurz vor
der Operation mit den Fingern abzutasten, und empfiehlt, die Lage
des Hautschnittes vor der Desinfektion durch einen farbigen Strich
anzuzeichnen, sodaß bis zu diesem die aseptische Abdeckung des
Operationsfeldes erfolgen kann.
Eich hoff (Breslau): Ist das d’Hdrellesche Phänomen von Be¬
deutung für die Chirurgie? Er hat in der Küttnerschen Klinik und
im Hygienischen Institut zu Breslau eine große Reihe von Versuchen
angestellt, um festzustellen, ob das Phänomen auch bei akut ent¬
zündlichen chirurgischen Erkrankungen beobachtet und evtl, thera¬
peutisch verwertet werden kann. Die Versuche haben ergeben, daß
man aus dem Stuhl oder dem Eiter der Kranken im akuten Stadium
der Erkrankung und. in der Rekonvaleszenz ein Filtrat gewinnen
kann, welches auf die eigenen Erregerstämme (Streptokokken und
Staphylokokken) in vitro eine mehr oder weniger zerstörende Wir¬
kung ausübt, die sich durch weitere Passagen steigern läßt. Auch
heterogene, für Ruhr wirksame Filtrate besitzen mitunter eine stark
zerstörende Wirkung für Strepto- und Staphylokokken. Die Filtrate
sind unschädlich. Redner hat bis zu 3 ccm beim Menschen subkutan
eingespritzt, ohne eine schädliche Wirkung gesehen zu haben. Diese
Unschädlichkeit berechtigt zu therapeutischen Versuchen, mit denen
bereits begonnen wurde.
Vorschütz (Elberfeld): Das Wesen der Hflm- uid Bakterien-
agglutloaiion und ihre klinische Bedeutung. Bei der Agglutination
handelt es sich um elektrisch-chemisch-physikalische Vorgänge. Sie
ist abhängig von der Vermehrung des Globulins, nicht der Lipoide,
das bei den verschiedenen Krankheiten verschiedene Werte zeigt.
Zur Diagnostik läßt sich die Agglutination bei allen subakuten und
chronischen Prozessen und den malignen Tumoren verwenden (evtl,
unter Zuhilfenahme der Phosphorbestimmung im Blute). Sie ent¬
scheidet die Differentialdiagnose zwischen Magenkarzinom und -ulkus,
malignen Tumoren und entzündlichen Prozessen am Darm, malignen
Tumoren des Mediastinums gegenüber Struma und Aneurysma. Ihr
Vorkommen zeigt, daß die Gruber-Widal-Reaktion nicht nur an
spezifisches Typhus- oder Ruhrblut gebunden ist. Globulinvermehrung
tritt auch bei der Proteinkörpertherapie und in noch höherem Qrade
bei Eigenbluteinspritzungen auf, deren Heilwert bei akuten Prozessen,
besonders der Lunge und des Rippenfells, aber auch bei Sepsis
und anderen akuten Prozessen empfohlen wird.
v. Gaza (Göttingen): Qewebsautolyse und regenerativer Reh.
Erst die Zerfallsprodukte der Gewebe geben den Anreiz zur Re¬
generation, wie an Fettgewebe, Nerven, Muskeln und anderem ge¬
zeigt wird. Auch bei der Pflanze fand Haberland dieses bestätigt.
Wenn er Wunden an Knollen setzte und die Zerfallsprodukte sorg¬
fältig entfernte, blieb die Wundheilung aus, während bei Hinzu¬
fügung von Zerfallsprodukten Regeneration eintrat. Redner hat an
Kaninchen Versuche angestellt, indem er auf der einen Seite Auto¬
lysate intravenös einspritzte, auf der anderen Seite nicht und nun
eine 'Muskelschädigung hinzufügte. Auf der Seite, in der die Ein¬
spritzung erfolgt war, trat exquisite Regeneration ein.
Besprechung. Bier (Berlin) bezweifelt die Notwendigkeit
der Anwesenheit der Zerfallsprodukte zur Anregung der Regeneration
Er erinnert an die Regeneration der Sehnen. In einem Falle von
Zwergwuchs hat er Teile aus den Knochen mit Umgebung sorg¬
fältig reseziert, dann die betreffenden Glieder extendiert, darauf die
Wundflächen für einige Tage aneinandergebracht und wieder ex¬
tendiert. Es fehlte jede Spur von Periost. Das Röntgenbild zeigt
die Regeneration der entfernten Knochenteile.
Lexer (Freiburg) meint, daß es sich um einen Wettstreit zwischen
spezifischem Knochen- und unspezifischem Bindegewebe handelt, das
überall hereinwuchere.
Sauerbruch (München) sah in einem Falle von Aktinomykose,
in dem er Rippen, Schlüsselbein und Muskulatur radikal entfernt
hatte, eine völlige Regeneration.
Bier (Berlin) bezweifelt, daß es sich um echte Regeneration
und nicht vielmehr um Narbengewebe gehandelt.
Kirschner (Königsberg) bestätigt dies für die Entfernung des
Sternokleido wegen Caput obstipum. Aeußerlidi könnte man an die
Wiederherstellung des Muskels glauben; es handelt sich aber um
Narbengewebe.
v. Gaza betont noch einmal den innigen Zusammenhang zwischen
De- und Regeneration.
Bier (Berlin) erinnert an die schlechten Erfolge der Sehnennihte.
v. Eiseisberg (Wien) betont demgegenüber die guten Resul¬
tate, die er bei primärer Heilung mit Sehnennähten erzielt.
Ritter (Züricn): Die Bedeutung der Leberfunktionsprfifnng für die
chirurgische Diagnose. Ritter betont die Wichtigkeit der Unter¬
suchungsmethoden, welche manchen jjostoperativen Todesfall auf¬
geklärt und vor allem auch die schädliche Wirkung der Narkose
auf die Leberfunktion festgestellt haben. Als beste Methode emp¬
fiehlt er die Widalsche Probe, in zweiter Linie die Ninhydrinreaktion
(Aminosäurenbestimmung nach Abderhalden).
Clairmont (Zürich): Biologische Methoden zur Dianose der
Aktinomykose. Während die Diagnose der äußerlich liegenden Herde
keine Schwierigkeiten bereitet, können dieselben zur Diagnose von
inneren Herden sehr groß sein. Er erzählt von einem Falle, der
lange Zeit unerkannt als Lungentuberkulose in Sanatorien gewesen,
bis die richtige Diagnose gestellt wurde. Die Versuche wurden mit
dem milden Stamm der Actinomycosis odorifera, aeroben und an¬
aeroben, vor allem dem Stamm Wolff-Israel angestellt. Nach Ueber-
Windung mancher Schwierigkeiten gelang es, zu einem Resultate zu
kommen. Bei weiteren günstigen Nachuntersuchungen hofft er die
Darstellung des mühsam gewonnenen Präparates einem Chemisch¬
bakteriologischen Institute zu allgemeinem Gebrauch übertragen zu
können.
Magnus (Jena): Daratellnng der Lymphwnrzeln an serftseo Mit« j
und ihre Bedentung für die Pathologie. Die Lymphgefäße werden
durch Wasserstoffsuperoxyd mit Sauerstoff gefüllt und zeigen sich,
wie aus den projizierten Präparaten hervorgeht, in klassischer Schön-
heit und Deutlichkeit dem Auge dar.
Pust (Jena): Demonstration eines wlrmehalteadeo, regulierbar«
lofnsionsapparates. Der sinnreich konstruierte Apparat soll dem
großen Nachteil der Abkühlung der Lösung abhelfen und ist gleich¬
zeitig mit einem Tropfhahn versehen, der durch Umstellung das Em-
strömen verschieden temperierter Lösungen ermöglicht.
__(Fortsetzung folgt.) __, ,
Verantwortlicher Redakteur: Geh. San-RstProf. Dr.J. Schwalbe. - Druck von Oscar Brandstetter In Leiptig.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNiVERSITY
PRAEMEDICUS
Offizielle Mitteilungen der „Vereinigung Deutscher Medizinslpraktt kanten“ und des „Verbandes Deutsoher Medizlnersohaften*
VERLAG VON GEORG THIEME / LEIPZIG/ ANTONSTR.15
Nummer 9
Zur Frage der geburtshilflichen Ausbildung des Mediziners.
Von Marine-Stabsarzt a. D. Dr. Kritzler, Frauenarzt in Erbach i. O.,
ehemaligem II. Assistenten der Hess. Univ.-Frauen-Klinik in Gießen.
(Fortsetzung aus Nr. 8.)
Wer in der Praxis steht, weiß, wie nötig die Selbstkritik des
jungen Arztes ist. Die Geburtshilfe scheint geradezu vogelfrei zu
sein. Mancher, der Knochenpanaritien in vielleicht richtiger Selbst¬
erkenntnis ins Krankenhaus zu schicken pflegt, Radiusfrakturen dem
Chirurgen überweist, sich gern eine Kippenresektion vom Halse
schafft usw., wagt sich an geburtshilfliche Operationen, die an tech¬
nischen Schwierigkeiten manche Laparotomie weit übertreffen, in
ihren Folgen viel bedeutungs- und gefahrvoller sind und in Dia-
nosen- und Indikationsstellung nicht nur positive Kenntnisse, son-
em auch ein gerütteltes Maß Erfahrung verlangen. Ich zweifle
nicht, daß die Geburtshilfe den Praktiker oft vor ein eisern forderndes
„Es muß gehen!“ stellt, aber oft genug ist die Indikation bei den
schwereren Eingriffen nicht richtig gestellt, ihre Folgenschwere ganz
unbekannt, der Eingriff oft nur deshalb schwer und voller Gefahr
für Mutter und Kind, weil er im falschen Moment einsetzt. Dann
schwierige Situationen auf zu geringe technische Ausbildung zu
schieben, das ist m. E. nur zum Teil gerechtfertigt. Zwei Fehler werden
da gemacht. Dem Studenten ist die Mechanik der normalen und der
pathologischen Geburt, die Theorie der Geburtshilfe viel zu lang¬
weilig; er sieht nur auf das Operieren, auf das technische Können.
Will er ein guter Geburtshelfer sein — und dies ist bei unserem
schönen dankbaren Fach wohl der ehrliche Wille des größten Teiles
der angehenden Aerzte! —, so liegt der Grundton auf dem
Wissen, dann erst auf dem technischen Können. Den
anderen Fehler macht der junge Arzt in der Praxis: er will schon
alles wissen, alles allein können. Wie selten hört man von * Konsilien
mit einem älteren Arzt, der dem jüngeren, noch so gut ausgebildeten
immer eines voraus hat, nämlich die goldene Erfahrung; es braucht
gar kein Facharzt zu sein! Wie mancher übereilte Eingriff würde
vermieden werden. Aber Konsilien scheinen ganz überlebt zu sein.
Nun genug des Negativen; der ehrlich Strebende wird mir man¬
ches, was wie Vorwurf klingt, nicht übelnehmen. Zu den Vorschlägen!
Noch einmal betone ich: Dem Studenten die Ellbogen frei
von nebensächlichen Anforderungen, damit er sich an
die wichtigsten Aufgaben seines Faches frisch und
stark heranmachen kann.
Für die Geburtshilfe ist die Kenntnis des Normalen das erste
Gesetz. Viel mehr noch wie sonst in der Heilkunde; denn die Ge¬
burten verlaufen in gut neun Zehntel normal. Die Tatsache, daß
der junge Arzt zu wenig vom Verlauf der normalen Geburt kennt,
ist eine wichtige, vielleicht die wichtigste Wurzel allen Uebels. Hier
fehlt es natürlich nicht an dem dauernden und dringlichen Hinweis
und der Ausbildung durch die akademischen Lehrer, die die Wichtig¬
keit der Kenntnis der Normalgeburt ja immer wieder mündlich und
schriftlich betonen, aber es fehlt an der praktischen Seite, nämlich
auf der der Schüler!
Wir brauchen eigentlich gar keine Neuerung in der geburtshilf¬
lichen Ausbildung. Die alte Bestimmung, so und so viel „Kreißende
selbständig entbunden“ zu haben, sagt schon alles. Das Prakti¬
zieren auf dem Kreißsaal könnte gebessert werden. Dem —
natürlich propädeutisch vorgebildeten — Studierenden wird
eine Kreißende zugewiesen; er schreibt das Krankenblatt, er unter¬
sucht und stellt die Diagnose und die Prognose, er katheterisiert, er
sitzt von Anfang bis Ende dabei, er leitet den Dammschutz und die
Nadigeburtsperiode, er besorgt das Kind. Er darf das machen,
nachdem er an zwei Geburten als Zuschauer und Zuhörer teil-
genommeu hat. Alles geschieht unter Aufsicht eines Assistenten.
Wird so viel von dem Kreißsaalpraktikanten verlangt, dann wird er
mit der Verantwortung das Streben bekommen, nicht ahnungslos seinen
Kreißsaaldienst anzutreten. Als Grundlage seines theoretischen Wis¬
sens wird die Kenntnis des Hebammenlenrbuches, von dessen unbe¬
dingtem Beherrschen das Examensbestehen abhängig gemacht wer¬
den soll,. verlangt. Theoretische Besprechungen mit den Assistenten
sollen den Schüler während des Kreißsaaldienstes, deren Zeit nicht
in einem gemütlichen Praktikantenzimmer totgeschiagen werden soll,
fördern.
Den Grundstock meiner geburtshilflichen Kenntnisse habe ich mir
1009 in der Olshausenschen Poliklinik geholt. Es war eine vorzüg¬
liche Einrichtung. Man mußte den Besuch von — glaube ich —
2. Jahrgang
zwei Phantom- bzw. Tuschierkursen nachweisen, wurde von einem
älteren Praktikanten mehrere Male zur Einführung mitgenommen und
ging dann selbständig zu normalen Entbindungen. Daß es meist
„Sitzfälle“ waren, zu denen die Hebammen nur riefen, um selber mal
nach Hause oder auf Wochenbettsbesuche zu gehen, hat nichts
geschadet. Ueber jeden Fall mußten wir genau berichten und lernten
bald die normale von der pathologischen Geburt zu unterscheiden.
Ich habe damals in drei Monaten wohl 120 Geburten oft anderthalb
Tage beobachtet, vielleicht ein halb Dutzend Zangen, ein halb Dutzend
Wendungen, eine Perforation, einen Kaiserschnitt (nach Ueberführuug
in die Klinik) gesehen; „gemacht“ habe ich keine Zange, eine Wen¬
dung im 7. Monat, eine bei einem reifen Kind. Also „operativ kläg¬
lich“, würde die Mehrzahl der jetzt „bessere“ Ausbildung fordernden
Studierenden sagen; aber, was ich dort gelernt habe, möchte ich
nicht missen. Die Ol sh ausensche Einrichtung dürfte sich nicht
überlebt haben. Zahlung einer Prämie an die Hebamme, an der sich
Vielleicht der Praktikant beteiligen könnte, würde die Hebammen
veranlassen, zu normalen Geburten Praktikanten zu rufen. Die Poli¬
kliniken, die, wie aus Stoeckels Rundfrage mehrfach hervorgeht,
an dem wohlverständlichen und berechtigten Widerstand der prak¬
tischen Aerzte zu scheitern scheinen, wären auf diese Weise doch
möglich. Nach Meldung an die Klinik bzw. in eiligen Fällen selb¬
ständig, veranlaßt der Praktikant die Zuziehung eines Arztes nach
dem Wunsch der Kreißenden, hilft dem Arzt bei etwaigen Operationen
und wird, da die Klinik ja ab und zu kontrollieren kann, nicht indi¬
kationslose Eingriffe sehen. Auch wird die Hebamme, wenn sie einen
„Vertreter“ am Gebärbett hat, nicht so wie sonst auf die Abkürzungs¬
zange drängen, sondern sich mit der klinischen Indikation besser ab-
finaen. Gegen diese Art Poliklinik, in der der Praktikant
nur Hebammendienste tut, werden die Praktiker nichts ein¬
wenden können. Ich halte diese „normale“ praktische Ausbildung
für wichtiger als die operativ-technische (s. u.).
Es wird von vielen Seiten eine Krankenpflegeausbildung des
Mediziners verlangt. Sippel 1 ) lehnt sie ab; der Student solle sie in
einer gut geleiteten Klinik nebenher lernen. Könnte man nicht diesen
Kurs etwa 4—6 Wochen lang (aus aseptischen Gründen: 2—3 Wochen
Kreißsaal, 2—3 Wochen Wochenbett) in einer Hebammenlehranstalt
abhalten lassen und so zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen? Auf
diese Art Ausbildung sind die Hebammenanstalten besser eingerichtet,
als wenn sie auf „Aerztefortbildung“ umgestellt werden sollen.
Die Heranziehung der Hebammealehranstalten zur ge¬
burtshilflichen Ausbildung der Aerzte wird ja lebhaft in Erwägung
gezogen (vgl. bei Stoeckel: Rißmann, Stumpf, Poten, Mar¬
tin u. a.). Ich halte die etwa dem Hebammenwissen entsprechende
Grundlage für so wichtig, daß ich sie der operativen Ausbildung
weit voranstelle. Ich freue mich, bei Poten (Hebammenlehranstaft
Hannover) den gleichen Gedanken zu finden. Also ein praktischer
Kurs der Hebammenkande und Krankenpflegerin] einer Heb¬
ammenlehranstalt!
Nach meinen oben niedergelegten Anschauungen sollen die klini¬
schen Semester unter den vorherrschenden Auspizien von Innerer
Medizin, Chirurgie und Geburtshilfe stehen. Die Geburtshilfe, deren
positive Kenntnisse durch die Eigenart dieses Zweiges der Heilkunde
besonders fest und stets bereit sein sollen, wird aus diesem Grunde
am besten in das neunte und zehnte Semester gelegt, also
möglichst nahe an den Eintritt in die Praxis.
Im Examen, sei nochmals betont, muß von von dem ein¬
wandfreien Beherrschen des Hebammenlehrbtiches an*
bedingt das Bestehen abhingig gemacht werden. Diese dem An¬
fänger eine sichere Grundlage gebende Kenntnis wird außerdem der
Stellung des Arztes gegenüber der Hebamme von ganz bedeutendem
Vorteil sein.
Wenn man im praktischen Jahr, das wohl bestehen bleiben
wird, drei Monate Geburtshilfe durchführen kann (genügend geburts¬
hilfliche Medizinalpraktikantenstellen wären wohl erst nach Ver¬
wirklichung des Bondeschen Vorschlages zur Verfügung), so wäre
das für alle Beteiligten, nicht nur für die jungen Aerzte ein Segen.
Man könnte vielleidit — ein Vorschlag, der seine zwei Seiten hat —
den Titel „und Geburtshelfer“, der bekanntlich recht oft das Publikum
irreführt, von einer mindestens dreimonatigen geburtshilflichen Medi¬
zinalpraktikantenzeit abhängig machen. Zur Diskussion stelle ich audi
den sachlich sicher nicht unberechtigten Vorschlag, daß die Standes¬
vereinigungen das praktische geburtshilfliche Dritteljahr
als Vorbedingung für die Niederlassung auf dem Lande
und in der Kleinstadt, d. h. in Gebieten, wo rasche fachärztliche
Hilfe fehlt, verlangen.
Freitag, den 2. Juni 1922.
Deutsche Medizinische Wochenschrift Nr. 22
□ igitized by 1
Gougle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
758
PRAEMEDICUS
Die direkte Eingabe Bond es an das Ministerium des Inneren ent¬
hält, dieses Eindruoces kann ich mich nicht erwehren, einen gewissen
Vorwurf gegen die geburtshilflichen Akademiker. Der Zweck meiner
Zeilen ist, zu zeigen, daß die Klagen des Nachwuchses über zu geringe
geburtshilfliche Ausbildungsmöglichkeit nur zum allerkleinsten Teil
in Unzulänglichkeiten des geburtshilflichen Unterrichtes ihre Berech-
tigung finden, daß vielmehr diese Schwierigkeiten, die fraglos vor¬
handen und energisch zu bekämpfen sind, allergrößtenteils aus Ver¬
hältnissen herauswachsen, auf die unsere geburtshilflichen Lehrer
allein nur mittelbaren Einfluß ausüben können, und die nur unter dem
Gesichtspunkt der allgemeinen medizinischen Reform beurteilt
werden dürfen. So umwälzend, wie es gerade für Geburtshilfe viel¬
fach von den Jüngeren und ganz Jungen gefordert wi^d, brauchen
die etwaigen Neuerungen in der geburtshilflichen Disziplin meiner
Ansicht nach nicht zu sein. Sie hängen in erster Linie von einer
vernünftigen Rationierung des gesamtmediziiiiscbeii Lehr¬
stoffes und von dem Eifer des Studenten selbst ab.
Erfreulich ist das Interesse auf beiden Seiten, aber wenn sich
neben dem Lehrer auch der Schaler „nicht redlich abplagt
dann bleibt jede Reform auf dem Papier (Stoeckel)!“. —
Zur Frage des medizinischen Staatsexamens.
Von Paul Herszky (Berlin).
Unter diesem Titel schildert Herr Dr. Friedrichs im Prae-
medicus Nr. 6 den Ablauf der Prüfung meines Erachtens nach in
nicht ganz richtiger Weise. Er nennt die Krankenuntersuchung eine
„Farce“. Nun, es gibt sicherlich Examinatoren, die schon daraps,
wie der Kandidat die Anamnese erhebt, wie er den Kranken unter¬
sucht, wie er eine Diagnose begründet, sich schon ein verhältnis¬
mäßig richtiges Urteil bilden können.
Hat der Examenskandidat von hilfreicher Seite die Diagnose
dagegen schon vorher erfahren (was ja nach Herrn Friedrichs’
Schilderung fast immer Vorkommen soll), dann sagt die richtige
Diagnose noch gar nichts. Denn es wird doch wahrscheinlich mehr
Wert auf die richtige Begründung der Diagnose gelegt, als auf
diese selbst. (Natürlich nur im Examen.) Nach diesem ersten prak¬
tischen Teil der Prüfung hat der Prüfende doch schon einen Ein¬
blick in die Kenntnisse und Fähigkeiten des Kandidaten genommen.
Schließt sich noch eine theoretische Prüfung an „von längstens einer
halben Stunde Dauer“. Selbst wenn die Prüfung nur die Hälfte
dieser Zeit dauern würde — ich glaube, daß man in dieser Zeit
viel Falsches und auch viel Richtiges sagen kann. Allerdings kann
hier große psychische Aufregung des Kandidaten das Gehirn mit
einem Schlage hohl und leer machen. Aber, wird der im Examen
Aengstliche je ein guter Arzt werden, der doch in ganz anderen
Situationen seine ganze Ruhe und Kaltblütigkeit bewahren muß? —
Nun zu den Vorschlägen, die Dr. Friedrichs macht. Anstatt
dieser Untersuchungsfarce soll der Prüfling 8 Tage an einer Klinik
„famulieren“. Diesem Vorschläge stellen sich unüberbrückbare
Schwierigkeiten entgegen. Zunächst: jeder Examenskandidat wünscht
aus begreiflichen Gründen sein Examen so schnell wie möglich zu
beenden. Wie würde es aber sein, wenn die Vorschläge von Dr.
Friedrichs verwirklicht würden? An 6 Kliniken je 8 Tage
= 48 Tage = 2 1 /} Monate. Da aber bekanntermaßen zwischen jedem
Termin eine Pause von mindestens 8 Tagen eintritt, kann man ge¬
trost das Doppelte, also 5—6 Monate rechnen. Dazu kommen noch
die rein theoretischen Prüfungsfächer, dazu kommt noch die Patho¬
logische Anatomie, sodaß also i/* Jahr Prüfungsdauer noch viel zu
wenig gerechnet ist und wobei noch vorausgesetzt ist, daß alle
Fächer bestanden werden.
Dann ist es -bei dem Andrang, der augenblicklich zum Staats¬
examen herrscht, sicher keine Kleinigkeit, alle Kandidaten auf die
zugehörigen Kliniken zu verteilen. Es müßte dazu ein ungeheurer
Apparat von Arbeitskräften vorhanden sein, der nur damit beschäftigt
wäre, die Ueberweisung der Examenskandidaten zu regeln.
Nun denke man sich den Betrieb in der Klinik, alle 8 Tage
ein anderer Examenskandidat! Und dieser soll die Arbeiten ver¬
richten, die ein Medizinalpraktikant gewöhnlich tut. Und die Medi¬
zinalpraktikanten? Nun, die wären ja dann vollständig überflüssig.
Es wäre dann auf jeder Station ein Examenskandidat, der schon
sehr, sehr fleißig sein würde.
Ich möchte den Betrieb sehen, wenn jede Woche ein neuer
Kandidat erschiene. Kaum hat der sich vertraut gemacht, steht schon
der andere vor der Tür. Undenkbar!
Also ist es schon besser, es bleibt wie bisher. Es ist gewiß
schwer, es allen recht zu machen. Die jetzige Prüfungsordnung
macht es wenigstens vielen recht — und bessere Vorschläge sind
vorläufig nicht vorhanden.
Für die Schriftleitung verantwortlich: Dr. Hans Hirschberg, Leipzig,
Medizinische Preisaufgabe:
— Königsberg. Es sollen die Gesundheitsstörungen durch
Alkoholmißbrauch — mit besonderer Berücksichtigung der psycho¬
tischen und nervösen Erscheinungen —, die seit Ende des Krieges in
Deutschland und anderen Ländern beobachtet sind, unter Beziehung
auf die Kriegs- und Vorkriegszeit untersucht werden und gleichzeitig
die zum Zwecke ihrer Beseitigung geltenden und geplanten gesetzlichen
und anderen Maßnahmen bei uns und in anderen Ländern geprüft
werden.
Kurze Mitteilungen.
— Die Wirtschaftshilfe der deutschen Studentenschaft, die ihren
Sitz in Dresden hat, richtet einen bemerkenswerten Aufruf an die
Abiturienten der höheren Schulen, nicht das Hochschulstudium zu
ergreifen. Unser Volk habe für eine breite Schicht geistiger Arbeiter
nicht mehr Brot genug. Der Staat fange an, die höheren Beamten¬
stellen zu vermindern. Auf diejenigen Berufe, die heute noch ge¬
wisse Aussichten bieten, stürze sich die Masse der jungen Studieren¬
den. Trotzdem ist in den meisten akademischen berufen eine voll¬
kommene Ueberfüllung zu verzeichnen. Die Kosten des akademischen
Studiums sind gewaltig gestiegen. Selbst für das billigste Studium
müssen nach den heutigen Verhältnissen 35000 bis 40000 M. ge¬
rechnet werden. Das medizinische Studium dürfte unter 100 OOO M.
kaum noch durchzuführen sein. Der Aufruf wendet sich dann an die
Schüler der höheren Lehranstalten und fordert sie auf, in die prak¬
tischen handarbeitenden Berufe hineinzugehen. Wer eine ganz be¬
sondere Begabung für wissenschaftliche Arbeit mitbringt, möge dann
später Werkstudent werden, damit er sich in den Ferien nebenbei
Verdienstmöglichkeiten schaffen kann.
— Hk. Beschlüsse des Schulausschusses des Ver¬
bandes der Deutschen Hochschulen. Der Verband der
Deutschen Hochschulen hat auf Grund eingehendster Beratungen des
Schulausschusses in Göttingen am 24. und 25. IV. 1922 folgende
Beschlüsse über die gegenwärtig wichtigsten Schulfragen gefaßt
und den zuständigen Behörden der Länder unterbreitet. 1. Bei aller
Anerkennung des in der Reichsverfassung vorgesehenen Zusammen¬
wirkens von Reich, Ländern und Gemeinden auf dem Gebiete der
Jugendbildung (§ 143) warnt der Verband der Deutschen Hoch¬
schulen, sowohl im Sinne der Freizügigkeit, wie der gleichförmigen
Vorbildung zu den Hochschulen, dringend vor derartig einschneiden¬
den örtlichen und einzelstaatlichen Umgestaltungen oder Differen¬
zierungen des höheren Schulwesens, daß die in einigen Ländern des
Reichs vorherrschenden in anderen Schulformen fast verschwinden
2. Insbesondere fordert der Verband der Deutschen Hochschulen die
Erhaltung einer genügenden Zahl humanistischer Vollgymnasien in
allen Teilen des Reichs. 3. Im Gegensatz zu dem bisher anerkannten,
zur Hochschulreife führenden Schulen bleibt die geplante deutsche
Oberschule nach den vorgesehenen Lehrplänen sowohl in sprach¬
licher wie in mathematisch-naturwissenschaftlicher Hinsicht so weit
hinter den unerläßlichen Forderungen zurück, daß die von ihr ver¬
mittelte Bildung nicht als geeignete Grundlage für das Hochschul¬
studium anerkannt werden kann. 4. Die Hochschulen können ihren
Zielen nach auf die gründliche Ausbildung in mindestens zw r ei Fremd¬
sprachen, ebenso auf eine gründliche mathematisch-naturwissenschaft¬
liche Schulung nicht verzichten. In bezug auf die Bedeutung der
einzelnen Sprachen für den Aufbau der Vorbildung bezieht sich der
Verband der Deutschen Hochschulen auf seine früheren Beschlüsse,
wonach in erster Linie eine alte und eine neue Fremdsprache und
unter ihnen das Lateinische als grundständige Sprache, das Eng¬
lische als nächste Fremdsprache empfohlen werden. 5. Die Förde¬
rung von Begabten durch Förderklassen oder Aufbauschulen mit
den Lehrzielen der bisher anerkannten höheren Schulen, wird vom
Verband der Deutschen Hochschulen willkommen geheißen, unter
der Voraussetzung, daß durch entsprechende Auslese von Lehrern
und Schülern in verkürzter Zeit das Ziel der Hochschulreife wirk¬
lich erreicht wird. Dagegen kann eine Aufbauschule vom Typus der
geplanten deutschen Oberschule nach dem oben Gesagten als Weg
zur Hochschule nicht in Betracht kommen. 6. Der Verband der
Deutschen Hochschulen weist nachdrücklich auf seine durch die
Erfahrung bestätigten Bedenken hin, eine unzugängliche Vorbildung
innerhalb der akademischen Semester zu ergänzen. 7. Der Verband
der Deutschen Hochschulen fordert, daß die gesamte schulmäßige
Vorbereitung zu den Hochschulen die Zeit von 12 Jahren nicht
überschreitet, nötigenfalls unter Differenzierung der Grundschule
8. Der Verband der Deutschen Hochschulen betrachtet es für not¬
wendig, daß auch für Mädchen die Hochschulreife nicht unter ge¬
ringeren Bedingungen erteilt wird als für Knaben. 9. Endlich bringt
der Verband der Deutschen Hochschulen sein lebhaftes Bedauern
darüber zum Ausdruck, daß im Gegensatz zu einigen größeren
Ländern die meisten Unterrichtsverwaltungen in den Fragen der
höheren Schulen das erforderliche Zusammenwirken mit den dafür
vor allem zuständigen Hochschulen vermissen lassen. Er richtet
deshalb die dringende Bitte an die Regierungen, daß bei allen diesen
Fragen künftig das Urteil der Hochschulen rechtzeitig gehört und
beachtet wird.
SidonJenstraße 66,IV. — Druck von Oscar Brandstetter.in Leipzig.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNiVERSSTV
Deutsche Medizinische Wochenschrift
, Begründet von Or. Paul Börner
HERAUSOEBER: VERLAO:
Geh. San.-Rat Prof. Dr. Schwalbe GEORG THIEME/ LEIPZIG
Berlin-Charlottenburg, Schl&terstraße 53 Antonstraße 15
Nummer 23
Freitag, den 9.Juni1922
48. Jahrgang
Die Verhütung des Kindbettfiebers.
Von Prof. Dr. Zweifel in Leipzig.
Die Geburtshilfe hat von der Antisepsis nicht den Gewinn zu
ziehen vermocht, den man erwartet hatte und den die Chirurgie
und die operative Gynäkologie in reichstem Maße erreichten. Es
ist heute leichter, mit vollster Zuversicht auf glatten, fieberfreien
Verlauf die Exstirpation eines beweglichen, gutartigen Kystoms zu
unternehmen, als eine Oeburt. Das klingt paradox, denn die Ge¬
burt ist ein physiologischer Vorgang, der ungefährlich sein soll
und es auch bei den freilebenden Tieren ist, während jeder Bauch¬
schnitt ein Eingriff ist, der noch vor 60 Jahren furchtbar gefährlich
war. Wenn jedoch die Wissenschaft und Technik es fertig gebracht
haben, die Bauchschnitte zu so großer Lebenssicherheit zu bringen,
muß es auch gelingen, dieselbe Sicherheit für gesundheitgemäße
Geburten zu erreichen. Daß e9 bis jetzt noch nicht so ist, beweist
allein die Tatsache, daß im Deutschen Reiche vor dem Krieg jähr¬
lich 5000—7000 Frauen am Kindbettfieber starben.
Die Absicht dieses Aufsatzes ist, Mittel und Wege zu zeigen,
auf denen man dem ersehnten Ziele näherkommt, und zwar an
der Ausgestaltung der Verhütung in der Klinik, die 34 Jahre meiner
Leitung anvertraut war.
Während meiner Assistentenzeit war die Semmelweissche Des¬
infektion mit Chlorwasser in voller Uebung, und sie brachte eine
wesentliche Verbesserung gegenüber den vorausgegangenen Jahren,
soweit die Sterblichkeit in Betracht kam. Aber der Gesundheitszustand
ließ sehr zu wünschen übrig, wochenlanges Fieber war sehr häufig,
wurde indes damals noch nicht so beachtet wie jetzt. Das Chlor¬
wasser wurde bald durch die Karbolsäure von 21 / 2 —3o/oiger Lösung
ersetzt, ohne daß sich der Zustand änderte, ja es kamen schwere
Epidemien von Fieber mit allen nur denkbaren Komplikationen vor.
Im Jahre 1886 war die Fürbringersche Desinfektion vorge¬
schlagen worden mit Wasser und Seife, Alkohol und Sublimat von
l°/oo- Man hatte in den 80er Jahren sehr viel an dem früheren
Verfahren gerüttelt und bekrittelt, die Fü rbringersche Methode
als einen großen Fortschritt bezeichnet. Sie wurde voller Hoff¬
nungen angenommen, weil sie theoretisch besonders gut empfohlen
war. Doch hat auch sie nichts geändert.
Ich will aber die Erörterungen über Desinfektionsverfahren und
die Anpreisung von neuen Mitteln vermeiden, weil ich den Wider¬
willen gegen solche Vorschläge kenne und auch den Orund dafür
begreife. Jeder Arzt hat sich sein Verfahren gewählt, fährt mit ihm
im allgemeinen gut und will sich in seiner Gewohnheit nicht stören
lassen. Das ist anders bei einem Anstaltsbetrieb, weil da der
kleinste Fehler die größten Schäden bringen kann und das alte
Gesetz bestätigt: durch Schaden wird man — zum Nachdenken ge¬
zwungen. Es ist keine angenehme Erinnerung, an die erlebten
Schäden zurückzudenken. Ein ehrliches Bekennen führt aber auf
den Weg der Besserung, und man soll bekennen, um die Gruben
und Fallen, die das Schicksal den Aerzten stellt, zu kennzeichnen
und andere davor zu warnen. Wer die Wahrheit kennet und saget
sie nicht — also seine schlechten Erfahrungen vertuscht und ab¬
leugnet, ist wie ein Mann, der eine gefährliche Grube offen laßt
und mit verschränkten Armen zusieht, wie andere hineinfallen.
Bei meiner Bearbeitung des Abschnittes „Kindbettfieber“ im
Handbuch von Döderlein erhob sich die Notwendigkeit ganz von
selbst, mit den theoretischen Erörterungen die klinischen Erfahrungen
zu vergleichen, und diese haben mich, obwohl ich alljährlich von
den Abteilungsärzten Bericht erstatten ließ und soviel als möglich
mich auf dem Laufenden zu halten suchte, höchlichst überrascht. Zwar
einzelne der bitteren Erfahrungen waren in Erinnerung geblieben,
z. B. eine Epidemie von 2 oder 3 Todesfällen nach einer Operations¬
übung an *der Leiche vom Jahre 1878, wo mir eine an Pyämie ge¬
storbene Frau zur Verfügung gestellt wurde. Die Frauen erkrankten
und starben, obwohl ich eigene Verletzungen auf das gründlichste
mit verdünnter Essigsäure ausgeätzt, mit Karbolsäure desinfiziert
und erst am vierten Tag operiert hatte. Ebenso die Epidemie, dio
seinerzeit Döderlein (Arch. f. Gyn. 1890, 40) beschrieben hat,
wo 5 fieberten, 3 Kindbettfieber bekamen und 1 starb, trotz außer¬
ordentlicher Desinfektion nach Fürbringer, weil unter diesen
5 eine Schwangere ein Glasauge trug, das einen fortwährenden Eiter¬
fluß unterhielt.
Bei der ersten Epidemie war noch die Berührung von
Leichen vorgekommen, also ein Beispiel für die Lehre von Sem¬
melweis gegeben, bei dieser zweiten Endemie sah man sehr deut¬
lich die erschreckend große Gefahr von frischem Eiter,
und es wurde damals im Vordruck der Geburtsgeschichten die Frage
eingereiht: „Befinden sich am Körper eiternde Stellen
und wo?“, um die Aufmerksamkeit der Assistenten auf das Vor¬
kommen von Eiter zu lenken und gegebenenfalls solche Schwan¬
gere und Kreißende abzusondern, sowohl aus den gemeinsamen
Schlafsälen als auch aus den gewöhnlichen Entbindungssälen. Der
spezifische Kampf gegen den Eiter und die besondere
Betonung dieser Gefahr begann also für mich schon im Jahre 1890.
Ich muß leider gestehen, daß beim Durchstudieren der sämtlichen
Wochenbettprotokolle noch viele Endemien aufgedeckt wurden, bei
denen der Ausgangspunkt nicht mehr aufzufinden war.
Aber eine Epidemie aus dem Jahre 1893 ist bedeutsam genug,
um hier erwähnt zu werden. Ich führe einfach die Buchnummem des
Kreissaalbuches mit Angabe der Geburtstage an:
155 f aufgenommen am 21.1. Oeburt am 5.11. nicht tuschlert
1581 aufgenommen am 31.1. OeburTam 6. II. tuschiert
150 aufgenommen am 7. II. Oeburt am 7. II. tuschiert
1761 aufgenommen am 27.1. Geburt am 10. II. tuschiert
2181 aufgenommen am 25.1. Geburt am 19. II. nicht tuschiert
2381 aufgenommen am 22. II. Oeburt am 23.11. nicht tuschiert
Es hatten 155, 153, 176 und 218 im Institut als Hausschwangere
zusammengewohnt, während 159 und 238 kreißend eintraten. Diese
Endemie machte einen furchtbaren Eindruck auf alle Beteiligten
und ein Hin- und Herraten nach der Ursache. Der Stationsassistent
wurde nach allen denkbaren Fehlerquellen gefragt. Er wußte nicht
Bescheid. Beim Durchsehen der sämtlichen Geburtsgeschichten fand
ich in dem Protokoll der 218 nach der Frage: Befinden sich am
Körper eiternde Stellen und wo? die Bemerkung einge¬
tragen: „ja, am linken Unterschenkel ein fünf markstück¬
großes Geschwür“. Und diese hatte der Assistent doch im
allgemeinen Schwangerensaal mit den anderen belassen!
Von den 5 Gestorbenen sind 3 überhaupt nicht tuschiert
worden. Da kann ja die Uebertragung nur im Schwangerensaal von
einer auf die andere erfolgt sein, und zwar gewiß nicht direkt auf
die äußeren Genitalien — auf die inneren ist selbstverständlich
ausgeschlossen — sondern nur durch gegenseitiges Händereichen
und durch Geschirre und Gegenstände, und dann durch unbewußtes
Uebertragen der Streptokokken auf die äußeren Genitalien von den
infizierten Händen aus. Alle hatten Streptokokken.
Die 238. konnte nicht von der 218. angesteckt sein, weil sie
kreißend eintrat, sofort niederkam, nicht tuschiert wurde und auf
Befragen angab, auch zu Hause nicht innerlich untersucht worden
zu sein. Die Aufklärung fand sich aber auch für diesen Todesfall
in der Krankengeschichte, denn da stand vermerkt: „hat auf dem
Kopf eine über fünfmarkstückgroße Brandwunde“, die
natürlich eiterte.
Es ist selbstverständlich, daß wir nach Kenntnis dieses Ver¬
säumnisses nicht mehr bei der Frage stehen blieben: „Sind am
Körper eiternde Wunden?“, sondern zu der Anordnung übergingen:
„Bejahenden Falls müssen die Wunden verbunden und
die Kranken abgesondert werden.“
Diese Epidemie ist in vielfacher Richtung bemerkenswert: Zunächst
zeigte sie, daß die Unterlassung der inneren Untersuchung
völlig versagt hat, zweitens, daß die Eiterkeime, wenn
sie erst an die äußeren Qenitalien gebracht sind, den
Weg auch zu den inneren finden, sobald ihnen der Nähr¬
boden günstig wird, und das beginnt mit dem Blasensprung und
wird besonders begünstigt im Wochenbett.
Das ist die Selbstaufwänderung der Keime oder Spon-
tanaszension, ein anderes Wort, aber auch ein etwas anderer
Begriff, als die Selbstinfektion war.
Dieses letztere Wort ist eines der meist umstrittenen Themen
vieler gynäkologischer Versammlungen gewesen, wo die Redner
oft aneinander vorbeigeredet haben. Wir wollen nicht auf diese
Lehre in ihrer Entwicklung eingehen, weil dies sehr ausgedehnt
würde und heute die Frage endgültig geklärt ist. Das Wort stammt
von Semmelweis, und nach seinen Beispielen verstand er dar¬
unter die Zersetzung von zurückgebliebenen Blutgerinnseln, Plazentar-
stüdeen und Eihäuten. Man wird aus seinem Buche nicht klug,
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
760
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 23
aber möglich ist es, daß er die Selbstinfektion nur da annahm, wo
überhaupt nicht tuschiert wurde, weil er an vielen Stellen wieder*
holte: „die Exploratio obstetricia interna ist conditio sine qua non
für die Infektion* 1 . Anderseits weiß man nicht, ob er die Zuver¬
lässigkeit der Desinfektion so hoch einschätzte, daß er annahm,
„ich habe mich desinfiziert, also konnte ich nicht mehr infizieren,
und eine Krankheit, die darauf folgt, ist eine Selbstinfektion“. Man
findet keine Stelle in seinem Bucne, wo er sich eindeutig in der
letzteren Richtung ausgesprochen hat. Sicher ist jedoch diese letztere
Fassung von Späteren aufgestellt worden, und sicher haben sich
diese späteren Autoren dann schwer geirrt.
Dagegen ist selbst von den Fachärzten, welche die Selbst¬
infektion nicht anerkannten, niemals die von selbst entstehende
Fäulnis eines toten Kindes, einer zurückgelassenen Plazenta usw.
bestritten worden. Das klingt ganz paradox und hat auch manche
Hörer und Leser gründlich verwirrt. Die Verneiner der Selbst¬
infektion legten die Betonung auf das Wort „Infektion“ und ver-
neinteii, daß spezifisch ansteckende Keime, insbe¬
sondere Streptokokken, von selbst in die Scheide und
von da in den puerperalen Uterus gelangen könnten.
Diese Möglichkeit ist jedoch durch Krönig, Natvig und Wege-
lius* einwandfrei bewiesen worden, inuem wohicharakterisierte
Keime, die vor der Geburt nur an den äußeren Genitalien nacnweis-
bar waren, sowie der Nährboden sich günstig gestaltete, aus eigenem
Vermögen durch Flächenwachstum in die beneide und in die Ge¬
bärmutter sich hinaufzuseniehen vermochten, und zwar sowohl Fäul¬
nis- als Eitererreger, hochvirulente und inaggressive Keime. Be¬
sonders einleuchtend sind für diese Spontanaszension auch die Ver¬
suche von Pankow.
Wir haben dies aus den klinischen Erfahrungen, die oben an¬
geführt sind, lange vorher geschlossen und den Namen der Spon¬
taninvasion vorgeschlagen, doch fand der Ausdruck nicht Bei¬
fall, sondern wurde in Anlehnung an die aszendierende Gonorrhoe
anders gefaßt. Diese Spontanaszension spielt in der Pathologie
des Wocnenbettes eine große Rolle, und sie ist bei einer voll¬
kommen gesunden Frau jederzeit imstande, ein tödliches Kindbett¬
fieber zu erregen, selbst wenn die Streptokokken nur an die äußeren
Genitalien verschleppt werden, gleichviel ob durch die eigenen oder
durch fremde Finger.
Bisher ist immer von einem Import die Rede gewesen, und
das ist in die einfachen Worte gefaßt worden: -die Gefahr kommt
immer von außen, oder die Schwangere ist immer a
priori aseptisch, die helfenden Personen als sep¬
tisch zu betrachten, und dergleichen Redensarten mehr.
ln der Zeit dieser klinischen Erlebnisse war die theoretische
Forschung eifrig am Werk, die Desintekiionskraft der einzelnen
Mittel mit immer besser ausgebildeten Metnoden zu bestimmen. Die
Zahl der geprüften Mittel ist sehr groß, die Zahl der Arbeiten
noch größer und über den Alkohol, für den Ahlfeld lebhaft ein¬
getreten war, die größte Zahl vorhanden. Das Ergebnis ist kurz
zu fassen; denn es heißt, daß- gegen die getährheuen Eiterkeime
kein einziges Arzneimittel mit Zuverlässigkeit in
einer kurzen, praktisch angängigen Zeit und in einer
Stärke der Lösungen, die für die Haut noch erträglich
ist, Keimfreiheit bei Streptokokken erzielen kann. Und
das kann auch der Alkohol nicht. Wer also seine Hände mit
Streptokokken- und Staphylokokkeneiter in Berüh¬
rung gebracht hat, kann durch kein Desinfektions¬
mittel seine Hände so reinigen, daß er bald darauf eine
geburtshilfliche oder gynäkologische Operation un¬
ternehmen darf. Gegen die Fäulmserreger und Schimmelpilze
helfen viele Mittel. Es kommt also in der Praxis und in der Theorie
der Satz zur Geltung, daß die Antisepsis noch nicht eine Anti-
pyosis ist, was man im Zeitalter der allmählich sich bessernden
Ergebnisse hoffte und lehrte, sondern daß man gegen den Eiter
noch weitergehende Vorsichtsmaßregeln nötig hat, deren erste sein
muß: Eiter gar nicht zu berühren (Noninfektion), oder jede
Operation nur mit Gummihandschuhen auszuführen.
Da deren Oberfläche völlig glatt ist und sie sich in wenig Minuten
vollkommen keimfrei machen lassen, schien der Stein der
Weisen gefunden und damit jede Uebertragung von Keimen durch
die untersuchenden Personen verhütbar zu sein.
Mit dem größten Enthusiasmus wurden die Gummihandschuhe
aufgenommen und als Verheißung ausgesprochen, daß es von da
an kein Kindbettfieber bei vorner gesunden Frauen mehr
geben könne, natürlich auch für die gynäkologischen Operationen
die größte Sicherheit gewährt werde.
Die Vorschläge der dünnen Gummihandschuhe fallen in das
Jahr 1898, und bald bürgerten sie sich ein, erst für die Operationen,
dann auch allmählich für die Untersuchungen. Vom Jahre 1901 an
wurden sie in der hiesigen Frauenklinik allgemein eingeführt.
Als nach 10 Jahren die Probe auf das Exempel gemacht und
zuerst in der Gynäkologischen Klinik die Ergebnisse gemustert
wurden, gab es eine bittere Enttäuschung, denn wir hatten über¬
raschend oft Reihen von 3 und 4 aufeinander folgenden Todesfällen
aus dem Operationsbuch ersehen, und aus der Bearbeitung der
sämtlichen Geburtsprotokolle seit 1887 habe ich erfahren, daß auch
die _ Gummihandschuhe vor . vielen schweren Endemien nicht ge-
haben. Die Fieberendemien hörten auf, die schweren Kind¬
bettfieber wurden nicht ausgeschaltet.
Die große Hoffnung auf völlige Vermeidung des Kindbettfiebers
bei aseptischen Personen war nicht in Erfüllung gegangen und
erwies sich als ein Irrtum. Aber diese Erfahrung bewies, daß die
Aetiologie des Kindbettfiebers nicht mehr allein auf die eine Formel
gestellt werden könne: die Gefahr kommt immer von außen. Man
mußte unentwegt nach anderen Ursachen fahnden und hat noch
andere gefunden.
„Irrtum verläßt uns nie.
Doch zieht ein höher Bedürfnis
Immer den strebsamen Geist
Leise zur Wahrheit hinan 4 *.
Nicht erst seit diesen Enttäuschungen im Jahre 1910, sondern
schon 2 Jahrzehnte früher war die Frage aufgestellt worden: „Sind
denn die Genitalien der Frau immer aseptisen?“ Man frug zuerst
anno 1883, ob sie keimfrei seien. Doch sobald die Herstellung der
Ausstrichpräparate eingeführt war, konnte man sich überzeugen,
daß von Keimfreiheit der Scheide keine Rede sein könne, sondern
sie im Gegenteil immer reich mit Keimen besiedelt sei.
. per Erste, der die Mikrotiora systematisch erforschte und da¬
nach'das Scheidensekret in normales und patnologisches unterschied,
war Döderlein. Da er gleich anfangs bemerxte, daß im patho¬
logischen Sekret viel Eiterzellen Vorkommen, es auch vermehrt vor¬
handen ist und den gelben oder weißen Fluß kennzeichnet, war
es leicht, .dies als pathologisch zu erklären, in diesem letzteren fand
er ein Mischmasch von bakterien, vorwiegend Kokken und darunter
viele Diplokokken und in seltenen Ausnahmefäßen auch Strepto¬
kokken. Je stärker der Ausfluß ist, um so eher fließt er rein
eitrig, und um so größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß er gefähr¬
lich ist
Diese Lehre hat uns immer zur Warnung gedient und wir haben
schon jahrelang Schwangere mit eitrigem Ausfluß von den Unter¬
suchungen ausgeschaltet. Als im' Janre 1898 eine Frau in die
Privatabteilung kreißend eintrat die gleich ihren starken Ausfluß
meldete und dessen Spuren in der Wäsche deutlich zu sehen waren,
erging sofort die Weisung, diese Frau innerlich nicht zu unter¬
suchen, selbst nicht mit Handschuhen, sondern die Kindeslage nur
per rectum festzustellen und die Dammstützung mit gummibeaeckten
Händen und einem um die Hand geschlagenen, in Sublünaßösung
getränkten Tuche vorzunehmen.
Und es kam wie geahnt: am 4. Abend ein heftiger Schüttel¬
frost, dann schrittweise das Bild der stürmisch verlauienden puer¬
peralen Peritonitis, der sie am 10. Tag erlag.
Hier war nun der Fall, wo die Sepsis sicher nicht von außen
kam und zugetragen wurde, sondern in der Frau latent war; die
Streptokokken lagen im Scheidensekret, zunächst unfähig, die un¬
verletzte Schleimnaut zu infizieren, auf der Lauer, bis die zur Auf¬
nahme günstige, frisch entleerte Gebärmutter den denkbar besten
Nährboden bot.
Es ist wohl richtig, daß die gesunde Frau a priori aseptisch
ist — es kommt nur darauf an, weiches die Merkmale des Gesund¬
seins für die Schwangere sind. Das ist nicht ihr Befinden, das ist
im besonderen für inren Umstand der gesunde Scheiden-
inhalt, der Zeugnis ablegt für die Abwesenheit einer krank¬
machenden Mikroflora.
Wir hatten schon seit dem Jahre 1909 im Krankendienst der
Frauenklinik die Praxis eingeführt, daß jede Schwangere bei ihrer
Aufnahme auf die Beschaffenheit ihres Scheideninhaltes untersucht
wurde, indem die aufnenmende Hebamme in ein dünnes Könren-
spekulum immer 50 ccm Wasser eingoß, das Spekulum etwas hin
und her schob und die Spülflüssigkeit in einem wasserhellen Glase
auffing. Je nachdem die Farbe weiß-milchig oder gelblich-flockig
war, wurde Notiz im Protokoll gemacht, die ersteren gesund ge¬
schrieben, den zweiten eine Spülbenandlung verordnet, täglich einmal
mit einer Lösung der offizineüen Milchsäure zu 0,5<yo. Trat daun
im Wochenbett Fieber auf, so wurden die Protokolle nachgesetien,
ob die Betreffende in der Schwangerschaft einen normalen oder
pathologischen Scheideninhalt gehabt hatte und wie oft sie gespült
worden war. Das Ergebnis einer jahrzehntelangen Erfahrung ist,
daß die Hälfte der schweren fieberhaften Erkranxun-
gen des Wochenbettes bei solchen Frauen vorkamen,
die in der Schwangerschaft ein pathologisches Se¬
kret gehabt hatten und nicht menr genügend lange
prophylaktisch gespült werden konnten, daß dagegen
diejenigen, welche rechtzeitig in die vorbeugende
Spülbehandlung eingetreten waren und mindestens
10 Tage lang, noch besser 17 Tage, diese Spülungen
bekommen hatten, in 90—93o/ 0 sowohl in Beziehung auf
den Verlauf des Wochenbettes, als in Beziehung auf das
Aussehen der Ausstrichpräparate, als auch in der Kulturprobe den
normalen Schwangeren gleichkamen.
Es ist diese Spülbehandlung also ein wichtiges Prophylaktikum
gegen Kindbettfieber, und darum stimmten die Ergebnisse von
B. Schweitzer und Thaler und Zuckermann überraschend
gut zusammen. Sicher kommt das pathologische Sekret in der Mehr¬
zahl der Fälle vor als Abklingen einer chronisch gewordenen gonor¬
rhoischen Infektion, welche die iiatürliche Schutzkraft mindert, denn
bei den Schwangeren mit gelbem Ausfluß war der natürliche Gehalt
an freier Säure in der Scheide bis auf ein Minimum herabgesetzt, ■
sodaß manchmal ein einziger Tropfen der ~ Normalalkalilösung den
Digitized by
Gck igle
i
Original from
CORNELL UNiVERSITV
9. Juni 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
76 t
Umschlag der Farbe gab, während man beim Normalzustand mehrere
Kubikzentimeter, also mehr als 50—100 Tropfen derselben Lösung
brauchte. Bei einer solchen Herabsetzung des Säuregehaltes ist
der Nährboden geebnet für die Aufwanderung pathogener Bakterien.
Seitdem wir vom 1. I. 1909 an die Vorsichtsmaßregeln so ver¬
schärft hatten, daß alle Schwangeren in Beziehung auf Eiterungen
an ihrem Körper, Furunkel u. dgl. ausgefragt, ferner alle mit gelbem
Sekret gespült wurden, niemand, der EiteF angefaßt hatte, gleichviel
ob mit oder ohne Handschuhe, 8 Tage sich bei geburtshilflichen
oder gynäkologischen Operationen weder ausführend noch assistie¬
rend beteiligte, sind die Mortalitäts- und Morbiditätsverhältnisse
der Klinik bedeutend besser geworden, auf »A abgemindert gegen¬
über der bisherigen, auf l / x0 derjenigen im ehemaligen Königreich Sachsen
Wir wollen, um die Verbesserung zu zeigen, nur 2 Tabellen 1 )
hier kurz anführen.
Oie Kindbettfiebersterblichkeit in der Universitäts-Frauenklinik in Leipzig.
Jahre
Zahl der
Qeburten
insgesamt
Sterblichkeit
| nach Abzug der infiziert
Eingelieferten
Zahl
1887-1900
11654
29
1901 -1908
11592
26
1909-1917
12818
10
•/• Zahl
0,198 14
0,224 j 12
0,078 I 3
•/.
0,0955
0,1035
0,0234
Die Häufigkeit der Kindbettfieber-Todesfälle in den einzelnen Jahren war die folgende:
Jahr
Zahl
der
Ge¬
bur¬
ten
Zahl
der
Falle
von
Puer¬
peral¬
fieber
Zahl der Fälle. 1
bei denen e>ne |
Schuld der An- |
statt möglich ist. 1
Jahr
Zahl
der
Ge¬
bur¬
ten
Zahl
der
Fälle
von
Puer
peral-
riebet
Zahl der Fälle. |
bei denen eine j
Schuld der An¬
statt möglich ist.'
Jahr
Zahl
der
Ge¬
bur¬
ten
Zahl
der
Fälle
von
Puer¬
peral¬
fieber
Zahl der Fälle, |
bei denen eine
Schuld der An¬
stalt möglich ist.;
1887
467
0
0
1897
1248
0
0
1907
1352
4
2
1888
675
2
1
1898
1507
6
1
1908
1436
8
4
1889
787
1
0
1899
1494
3
0
1909
1455
I
1
1890
740
3
2
I9U0
1499
1
0
1910
1480
1
0
1891
856
2
2
1901
1501
3
1
1911
1451
2
1
1892
914
2
2
1902
1496
0
0
1912
1552
1
0
1893
1025
2
1
1903
1419
1 1
1
1913
1654
1
0
1884
1(07
3
2
1904
1422
1
0
1914
1755
2
1
1895
1130
1
1
1905
1490
7
3
1915
1498
1
0
1896
1239
3
2
1906
1474
2
1
1916
1114
1
0
1917
859
0
0
Diese 3 Zeiträume können wir kurz kennzeichnen von 1887
bis 1900 als Desinfektion der Hände nach der Fürbringer-
Methode, 1901—1908 die obligatorische Anwendung der Gummi¬
handschuhe, 1909—1917 diese letztere und dazu die strengste
Antipyosis, besonders gegenüber dem Eiter aus of¬
fenen Wunden, Fisteln usw. als auch gegen den eit¬
rigen Ausfluß der Schwangeren. Daß im Eiter selbstver¬
ständlich nur die schwervirulenten Bakterien, wie Streptokokken,
Staphylokokken, üasbrandbazillen u. dgl., die Hauptursacne des ge¬
fährlichen und oft tödlichen Kindbettfiebers sind, ist durch die
Zusammenstellung sehr wahrscheinlich gemacht. Ueberzeugt wurden
wir aber von dieser riesig großen Gefahr durch die Erfahrungen
der gynäkologischen Operationen, wo wir Epidemien von je 3 bis
4 Todesfällen auf einander folgenden Operationen erlebten, wenn
ein Operateur oder Assistent einige Tage vor der
ersten Operation mit Eiter zu tun gehabt hatte, obwohl
er und alle assistierenden Aerzte und Schwestern ausnahmslos
Gummihandschuhe, Operationskleider und Gesichtsschleier trugen und
sowohl ihre Hände als auch die Kranken vorher auf das strengste
desinfiziert wurden.
Es ist rätselhaft, wie da die Uebertragungen zustandekamen,
aber die Tatsachen beweisen eindringlich, daß die Eiterchirurgie
und alte großen Höhlenoperationen nient zusammen betrieben wer¬
den können. Wir überlassen der Phantasie oder späteren feinen
Untersuchungen die Aufklärung dieser unglaublich klingenden An¬
steckungen. Natürlich muß man an die Luft denken, aber die
Bakteriologen behaupten übereinstimmend, daß die betreffenden
Kokken keine Eigenbewegung haben und an einem feuchten Nähr¬
boden festhaften, geben aber zu, daß sie auch Austrocknung über¬
stehen, also durch die Luft verbreitet werden können und an¬
steckungsfähig bleiben.
Wir haben noch eine Anomalie des Geburtsverlaufes zu er¬
wähnen, welche die Disposition zur Aufwanderung der Keime auch
bei ganz gesunden Kreißenden bildet, nämlich den vorzeitigen
Blasensprung. Das Fruchtwasser reagiert alkalisch; sobald es
abfließt, bindet es die freie Milchsäure vollständig, der Nährboden
für die auf schwach alkalischem Nährboden wachsenden Keime ist
gegeben, und so ist es kein Wunder, daß auch nach dem vor¬
zeitigen Blasensprung die Spontanaszension einsetzt; und wenn die
Zeit lang genug ist und das Unglück will, daß an den äußeren
Genitalien stark virulente Keime hausen, gelangen diese bis in die
frisch entleerte Gebärmutterhöhle und können je nach ihrer Virulenz
mehr oder weniger schweres Fieber erregen.
Dabei ist nun hauptsächlich die Zeit zu berücksichtigen, die
vom Blasensprung bis zur Vollendung der Geburt verstreicht. 6 oder
l ) Aus dem Abschnitt von P. Zweifel Uber Kindbettfieber im Handbuch der
Geburtshilfe von Döderlein 3, 5.406.
8 Stunden werden kaum schon Gefahr bringen. Dauert jedoch die
Geburt nach dem Blasensprung über 24 hinaus, so wird die Lage
von Stunde zu Stunde gefänrlicner, und es kommt selbst ohne innere
Untersuchung früher oder später zu Fieber.
Ich habe meinen Aufsatz mit der Tatsache begonnen, daß die
Erfolge der Kindbettfieberverhütung über die ganzen Länder keines¬
wegs mit den Ergebnissen der Entbindungsanstalten Schritt gehalten
haben. Zu Semmelweis’ Zeiten hatten die Hebammen viel bessere
Ergebnisse als die Aerzte, und hundertfach ist es ausgesprochen
worden, daß die Gefahr in den Anstalten viel größer sei als in
der Praxis der Hebammen, weil diese viel weniger in die Lage
kommen, sich mit Ansteckungsstoffen zu beschmutzen, als die Aerzte.
Das ist doch nur zum Teil richtig, denn auf die Bettunter¬
lagen fließt in den späteren Tagen des Wochenbetts
sehr oft Eiter, selbst bei ganz fieberlosen Wöchnerinnen. Wenn
bei der Geburt der Damm oder die Scheide gerissen ist und eitert,
'so bekommt die Wöchnerin kein Fieber, weil der Eiter ungehemmt
abflieht, und die Hebamme, welche die Unterlagen wechselt, fängt
Eiterkeime mit ihren Fingern auf, mit denen sie, wenn bald eine
Entbindung folgt, die betreffende Frau ansteckt. Doch, weil die
Wöchnerin nicht fiebert, ist die Hebamme zur Anzeige nicht ver¬
pflichtet.
Es entsteht nun die Frage: Wie kann man dieser Uebertragungs-
gefahr Vorbeugen? In erster Linie ist an Gummihandscnune zu
denken, dann würde die Hand keimfrei bleiben. Aber diese Hand¬
schuhe müssen unbedingt so eingerichtet sein, daß mit ihnen eine
innere Untersuchung nicht möglicn ist, sonst wäre gar nients ge¬
wonnen. Auf das Auskochen der Handschuhe kann man sich nicht
bei allen Hebammen verlassen. Deswegen bin ich auf den Ge¬
danken gekommen, daß die Hebammen zur Wochenpflege Faust¬
handschuhe bekommen sollen, mit denen sie die üblichen Ver¬
richtungen bei den Wöchnerinnen ausführen, womit sie aber nicht
tuschieren können. Die Fausthandscnuhe könnten dicker sein, wo¬
durch sie länger halten und das Auskochen öfter vertragen. Zum
Tuschieren kamen dann gewöhnliche oder zweifingerige Gummi¬
handschuhe in Frage. Die letzteren sind von Littauer nir 2Finger
in einem Schlauch, von Döderlein mit 2 getrennten Fingern
empfohlen worden, zunächst der Billigkeit wegen. Sie sind aber
auch viel rascher und bequemer anzuziehen als die gewöhnlichen.
Beide Modelle werden von der Gummiwarenfabrik Zieger Öt Wiegand
in Leipzig hergestellt, mit weiter, schlafter Handumnülluug nach
Döderlein ouer mit enger, geschlossener Manschette als neues
Modell.
Es ist bei diesem Vorschlag bemerkenswert, daß sowohl Walt-
hard in dem Lehrbuch der Geburtshilfe von Stoeckel, als ich
im Handbuch der Geburtshilfe von Döderlein gleichzeitig und
unabhängig voneinander zu dem ganz gleichen Vorschlag gekom¬
men sind.
Gewiß gibt es noch andere Möglichkeiten, die Grundsätze der
Noninfektion durchzuführen, und icn kenne selbstverständlich die
langen Pinzetten und gekreuzten Zangen zum An fassen der Unter¬
lagen. Doch würden diese Instrumente die Noninfektion nicht eben¬
sogut wahren als Fausthandschuhe aus Gummi, weil doch immer
das Berühren der eiterabsondernden Wöchnerin mit unbedeckten
Händen bleiben würde.
Bei der Empfehlung der Gummihandschuhe sind einige Worte
zu deren Schonung wonl angebracht, weil sie sehr hoch im Preise
stehen. Am besten zieht man sie trocken an, nachdem sie
und die Hände mit sterilen Pulvern eingestreut sind. Zum Sterili¬
sieren ist das Kochen am besten, maent jedoch die Handschuhe
bald schlaff und weit. Das Einlegen in konzentrierte Desinfektions¬
lösungen schont sie besser und ist bei genügend langer Zeit in
Bezienung auf Keimfreiheit ebenso sicher. Während des Krieges
sind wir immer so verfahren und haben die Handschuhe danach
getrocknet, eingepulvert und bis zu ihrem Gebrauch staubdicht auf¬
gehoben. Auen die oben genannten Faust- und zweifingerigen
Gummihandschuhe halten bei dieser Behandlung lange aus.
Es kommt auch die Exploratio per rectum in Frage,
natürlich immer mit gummibedecktem Finger. Aerzte und Heb¬
ammen werden zum Erkennen der Lage gewiß in den meisten
Fällen auskommen, dagegen ist die Erweiterung des Muttermundes
schwer, Stehen oder Gesprungensein der Blase in vielen Fällen gar
nicht zu erkennen. Das schadet ja nichts, wenn dann, wo man im
Unklaren bleibt und doch zur genauen Feststellung noch per vagi-
nam untersuchen muß, andere, frisch sterilisierte Hand¬
schuhe anzieht oder den per rectum benützten Hand¬
schuh gewissenhaft auskocht. Ob man dies der Mehrzahl der Heb¬
ammen Zutrauen kann, ist eine Frage, die ich nicht zu entscheiden
vermag.
Selbstverständlich können diese Maßnahmen nur allmählich ein¬
geführt werden, und zuerst müssen sie in den Hebammenunterricht
und die Wiederholungskurse aufgenommen sein, ehe ihre allgemeine
Einführung möglich ist. Und noch vorher ist der Widerspruch zu
-überwinden, dem jede Neuerung im Hebammenwesen von vielen
Seiten ausgesetzt ist.
Ich halte jedoch allen Opponenten die Tatsache entgegen, daß
bisher alljährlich mehrere Tausend Mütter an einer
verhütbaren Krankheit sterben, weil die Vorschriften
für die Hebammen die häufigste Gelegenheit zum An¬
stecken unbeachtet lassen.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSITV
Aus der Universitäts-Frauenklinik in München.
(Direktor: Oeh.-Rat Döderlein.)
Ucber Erfolge der Strahlenbehandlung des Uteruskollum-
karzinoms 1 ).
Von Priv.-Doz. Dr. Erwin Zweifel.
Nachdem icli an anderer Stelle 2 ) zur Indikationsstellung und Me¬
thodik für die Strahlenbehandlung des Uterushalskarzinoms Stellung
genommen habe, will ich im Folgenden über die Resultate berichten.
Die statistischen Ergebnisse sollen nur kurz Berücksichtigung
finden, dafür möchte ich einige besondere Fälle besprechen, bei denen
der Verlauf, wie es scheint, bemerkenswerte Anhaltspunkte für die
Wirkung der Bestrahlung gibt. •
Was die Statistik der Münchener Universitäts-Frauenklinik an¬
langt, so verweise ich auf die früheren Arbeiten von Döderlein
und von v. Seuffert, vor allem auf den im Aerztlichen Verein
München am 16. Dezember 1921 gehaltenen Fortbildungsvortrag von
Döderlein. In dieser Statistik wird über die bis 1916 erzielten
Erfolge berichtet, also über die Dauerresultate.
Das Endergebnis der operativen Behandlung der Jahre 1908 bis
1912 betrug auf 265 Kollumkarzinome (167 Operationen) 20,4o/ o ab¬
solute Heilung, 1913 bis 1916 mit Radiumbehandlung auf 500 Kollum-
karzinome 13,8<>/o absolute Heilung.
Diese Zahlen ergeben aber ein ganz falsches Bild, wenn man
nicht in Berücksichtigung zieht, daß infolge deF Strahlenbehandlung
eine Reihe vollkommen aussichtsloser Fälle der Klinik zugeschickt
wurde. Infolgedessen hat die Operabilität sehr abgenommen, und das
Endresultat der Jahre 1913 bis 1916 muß schlechter aussehen als
das der vorangegangenen Jahre. Die Operabilität betrug 1908 bis 1912
63,02o/o gegen nur 33,9 o/ 0 in der Zeit von 1913 bis 1916, das be¬
deutet also eine enorme Verschlechterung des Beobachtungsmaterials.
Nach der bekannten Gruppeneinteilung von Döderlein 8 ) er¬
gibt sich für die
L Gruppe ( 77 Ffllle) 48*/« Heilung Ober 5 Jahre
II. Gruppe ( 90 Fälle) 20% Heilung über 5 Jahre
III. Gruppe (214 Fälle) 6,07% Heilung Uber 5 Jahre und aogar
IV. Oruppe (119 Fälle) noch ein geheilter Fall
Wenn also die immerhin beträchtliche Zahl von Heilungen bei
inoperablen Fällen ein sehr erfreuliches Ergebnis bedeutet, so muß
uns doch anderseits die Tatsache zu denken geben, daß von den
operablen Fällen nur etwa die Hälfte geheilt ist. Wenn wir den
Ursachen dieses Mißerfolges nachgehen, so finden wir als wesent¬
lichsten Grund dafür die Indolenz und Unfolgsamkeit unserer Pa¬
tienten, von denen sich ein großer Teil trotz aller Mahnungen der
Behandlung vorzeitig entzogen hat. Oewiß erschwerten die Verhält¬
nisse während des Krieges den Patienten das pünktliche Wieder¬
kommen, ebenso wie es heute die teuren Fahrpreise tun; ebenso geht
die eine Folgerung daraus hervor, daß wir bei der Strahlenbehandlung
auf die Mitarbeit der praktischen Aerzte rechnen müssen. Es ist also
unbedingt notwendig, auch den praktischen Aerzten und den Stu¬
denten die Grundbegriffe für das Wesen und die Wirkung, nicht aber
für die Technik una Methodik der Bestrahlung zu lehren.
Ganz anders sehen die Erfolge aus, wenn wir aus der ersten
Gruppe die Fälle ausscheiden, bei denen die Behandlung bis zu
Ende durchgeführt worden ist Das waren 43 an der zahl, von
diesen sind 35 »81 o/o geheilt. Von 50 Fällen der zweiten Gruppe
wurden 18 = 36o/o, und von 121 der dritten Gruppe wurden 13 «10,4o/ 0
dauernd geheilt.
Auch in anderer Hinsicht sind diese Zahlen lehrreich; sie zeigen
uns genau wie bei der Operation, daß auch bei der Strahlenbehand¬
lung die Heilungsaussichten um so günstiger sind, j'e früher die
Karzinompatientin in Behandlung tritt. Mit anderen Worten, es
kommt auch hier auf die Frühdiagnose an, und das wird wohl immer
so bleiben. Bei den besprochenen Zahlen handelt es sich um Dauer¬
resultate mit mindestens 5jähriger Beobachtung. _
Seit 1917 sind wir dazu übergegangen, die Mesothoriumbestrah¬
lung regelmäßig mit Röntgenbehandlung zu kombinieren, und zwar
haben wir die mehrzeitige Bestrahlung des Tumors und der Para-
metrien nach der Erlanger Methode von Seitz und Wintz, also
unter Anwendung von Konzentrationsfeldern, ausgeführt. Die Beob¬
achtungszeit ist noch zu kurz, um über die Erfolge berichten zu
können; wir wollen nur so viel sagen, daß wir von dieser kom¬
binierten Behandlungsmethode, wie auch andere Autoren, manche
recht günstige Erfolge gesehen haben. Sobald die Kranken lange
genug, also mindestens 5 Jahre, beobachtet sein werden, werden wir
die statistischen Ergebnisse mitteilen.
Der Mangel unserer bisherigen mehrzeitigen Bestrahlungsmethode,
daß viele Patienten sich durch Fernbleiben der Behandlung vorzeitig
entziehen, läßt sich durch Verabreichung der Großfernfelderbestrah-
lung bis zu einem gewissen Grade umgehen, da es bei dieser Me¬
thode möglich ist, in einer Sitzung das ganze Becken homogen zu
durchstrahlen, also überallhin die Karzinomdosis zu verabreichen.
Diese Dosis wird, wenn auch viele Karzinome nicht darauf reagieren,
*) Nach einem Vortrag, gehalten auf der Radlumtagung ln Kreuznach am 30. IV. 1922.
- ") St-abientherapfe 1922. - •) Die atatiatisclien Zahlen aind der Arbeit von Dftder-
ln, M- m. W. UB2 Nr. 7 entnommen.
so lange unser Standardmaß bleiben, bis wir bessere Kenntnisse über
das Wesen und das biologische Verhalten des Karzinoms besitzen
werden.
Insbesondere sei darauf hingewiesen, daß diese Dosis nicht nur
nach unten, sondern auch nach oben hin ein ungefähres Höchstmaß
darstellt; denu es wurde ganz allgemein bei der Radiumtagung in
Kreuznach bestätigt (Werner, Flaskamp u. a.), daß sowohl nach
ungenügender Bestrahlung als auch besonders nach zu starker Be-
Strahlung die Karzinome oft anfangen, wild zu wachsen. Wir sehen
mitunter, wie sich dann unmittelbar im Anschluß an die Bestrahlung
das Allgemeinbefinden verschlechtert, ein Zustand, der schon früh,
zeitig richtig beobachtet und gewöhnlich als Strahlenkachexie be¬
zeichnet worden ist.
Die Großfernfeldermethode ist zuerst von Warnekros, dann
auch von Friedrich, Opitz, Gauß u. a. empfohlen worden und
hat ohne Frage eine Reihe von Vorteilen, vor allem, wie schon ge¬
sagt, daß man in einer Behandlungsserie das ganze Becken durch,
strahlen kann; man kann also innerhalb eines Tages die Röntgen¬
bestrahlung des Karzinoms einschließlich der Parametrien ausführen,
ln letzter Zeit haben wir die Bestrahlungen je nach Lage des Falles
öfters verändert und sind auch mehr und mehr zur Großfeldermethode
übergegangen, besonders seit wir die infolge des größeren Ab¬
standes sehr langen Bestrahlungen durch Verwendung des Strahlen¬
sammlers von C h a o u 1 abkürzen können. Die dadurch erzielte Zeit¬
ersparnis beträgt etwa 40 o/o der sonst notwendigen Bestrahlungszeit
Allerdings dürfen wir uns nicht verhehlen, daß bei der Gro߬
feldermethode ein weit größerer Körperraum durchstrahlt wird als
bei der Konzentrationsfeldermethode, ein Faktor, den wir keineswegs
als gleichgültig bezeichnen möchten. Jedenfalls haben wir bei einem
Mammakarzinom bei Großfelderbestrahlung in letzter Zeit eine aus¬
gesprochene Kachexie erlebt, bei der die Patientin sich von der
Bestrahlung ab überhaupt nicht mehr erholen konnte.
Nach diesen Ausführungen werden wir vorläufig jedenfalls an der
kombinierten Radium-Röntgenbehandlung des Uteruskollumkarzinoms
festhalten. Je nach Lage des Falles wird dann zwischen den ver¬
schiedenen Methoden der Röntgenbehandlung zu wählen sein, ein
starres Schema für die Bestrahlungstechnik gibt es bis heute nicht
Welche der Bestrahlungsmethoden sich als die erfolgreichste im Kampfe
gegen das Karzinom erweisen wird, darüber können erst weitere Er¬
fahrungen entscheiden.
Zur Aetiologie der Psoriasis.
Von Prof. Dr. Bettmioa in Heidelberg.
„Was Psoriasis ist, weiß bis heute noch kein Mensch“ (Auspitz).
Der vielzitierte Satz von Auspitz besteht auch für uns noch zu
Recht; die Aetiologie der Psoriasis stellt uns vor eine Fülle ungeklär¬
ter Probleme. Im wesentlichen gehen dabei die Meinungen dahin aus¬
einander, daß die einen die Schuppenflechte auf einen Erreger zurück¬
führen möchten, während andere in ihr den Ausdruck einer Besonderen
Veranlagung oder Diathese erblicken wollen. Mit keiner der beiden
Annahmen lür sich gelangen wir zu einer völlig befriedigenden und
ausreichenden Erklärung. Weder aus einer erwiesenen Disposition
zur Psoriasis noch aus dem glücklichen Funde eines spezifischen Er*
regere wäre das Wesen dieser alltäglichen Hautkrankheit erschlossen.
Der mangelnde Ueberblick über die Gesamtbedingungen des Leidens
kann leicht dazu verführen, daß der einzelne, der sich mit diesen
Fragen beschäftigt, bei der Abmessung des Verhältnisses zwischen
Disposition und Exposition einseitiger Betonung verfällt Das braucht
aber nicht den Versuch zu hindern, zu prüfen, wieweit bestimmte
Hypothesen mit den Tatsachen der Beobachtung und Erfahrung in
ungezwungenem Einklang stehen. So lassen sich Richtungslioien für
weitere Untersuchungen gewinnen.
Die Argumente zugunsten der Annahme eines Psoriasiserregers
brauchen hier zunächst weder aufgezählt noch systematisch diskutiert
zu werden. Auf Einzelheiten kommen wir in den folgenden Ausein¬
andersetzungen zurück, die sich unter bestimmten Voraussetzungen mit
der Frage der Psoriasisdisposition beschäftigen.
Köoner hat seine Lehre dahin formuliert, daß die Psoriasis aus
einer in der Haut selbst gelegenen, meist nachweisbar hereditären,
zuweilen allerdings auch erworbenen Disposition zu erklären sei, die
jahrelang latent bleiben kann und auf die verschiedensten innerlichen
und örtlichen Reize gerade in dieser chronischen Form der Entzün¬
dung antwortet. Köoner hat also in dieser Fassung den größten |
Nachdruck auf angeborene Eigentümlichkeiten des Organs selbst,
nicht etwa auf entferntere oder allgemeinere Bedingungen von seiten
des Gesamtorganismus gelegt, aber er schränkte doch bereits die
generelle Gültigkeit dieser Annahme ein. Anderseits ist die Be-
Häuptling fragwürdig, daß die Psoriasis zumeist den Nachweis heredi- |
tärer Voraussetzungen gestatte. Das sei um so mehr hervorgehoben, ,
als damit die nächste wesentlichste Stütze der Anschauung Köbneri
angefochten werden konnte. , I
Jedenfalls aber lohnt es sich, bei der Wertung, die der „Theorie <
Köbners gewahrt blieb, die Gesichtspunkte und Tatsachen zu dis¬
kutieren, die nach dem heutigen Stande unseres Wssens geeignet <
erscheinen, jene Hypothese auf festeren Boden zu stellen.
An und für sich steht zunächst der allgemeinen Annahme nients |
im Wege, daß angeborene anormale Eigentümlichkeiten der Haut.sich i
io erkennbare Veränderungen umsetzen oder bei solchen mitwire» j
□ igitized by Gougle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
9. Juni 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
763
können. Das weitreichende Oebiet der Mißbildungen der Haut liefert
dafür umfassendes Material. Ohne auf die Frage einzugehen, ob und
wieweit an normal angelegtem Hautgewebe durch ensomatische und
eksomatische Exposition während der intrauterinen Entwicklung Mi߬
bildungen entstehen können, dürfen wir sagen, daß in großer Breite
Mißbildungen der Haut sich nur auf Grund genonomer, d. h. in der
Erbmasse selbst gelegener besonderer Gegebenheiten erklären lassen,
und wir verdanken wesentliche Fortschritte in der Lehre von den
Hautmißbildungen dem unerschrockenen Versuche, die zunächst an
wesentlich einfacheren Bedingungen studierten Ergebnisse der moder¬
nen Vererbungswissenschaften in ihrer Anwendbarkeit auf das Gebiet
der krankhaften Hautveränderungen zu prüfen. Bei solcher Bearbeitung
ergibt sich die Unmöglichkeit scharfer Abgrenzungen zwischen Mi߬
bildungen, Anomalien und Hautvarietäten, die wohl seltenere, aber
darum nicht ohne weiteres als abnorm zu bezeichnende Typen be¬
deuten. Schließlich kann man auch gar nicht davon Ioskommeif, auch
rein funktionelle erfaßbare Eigentümlichkeiten den Mißbildungen an¬
zugliedern. „Mißbildung“ ist unter Umständen etwas nur Potentielles,
immer aber etwas anlagemäßig an das Organ oder an Organteile Ge¬
bundenes.
Die Naevi tardi zeigen, daß die angeborene Eigentümlichkeit der
Haut keineswegs sofort nach der Geburt in Erscheinung zu treten
braucht, vielmehr unter Umständen eines hervorlockenden Anstoßes
bedarf. Solche Auslösungen sind bei den tardiven Naevusformen
keineswegs regelmäßig analysierbar. Immerhin scheint mir zureichen¬
des Material zur Rechtfertigung der Annahme vorzuliegen, daß bei
bestimmten multiplen Naevusformen ganz verschiedenartige Aus¬
lösungskomplexe in Betracht kommen.
Diese hier kurz entwickelten Sätze sind bei der Frage genonomer
Bedingungen für das Zustandekommen der Psoriasis mit zu verwerten.
Die Mißbildungen stellen etwas Zustandsmäßiges dar. Im Hin¬
blick auf ihre Abhängigkeit von genonomen Bedingungen bezeichne ich
sie als Genodermien und stelle ihnen als Genodermatosen
solche komplexe, extrauterin entstehende Hautkrankheiten gegenüber,
bei denen eine nähere oder entferntere Beziehung zu genonomen Grund¬
bedingungen angenommen werden muß. Auch wenn sich praktisch
eine Abgrenzung zwischen solchen „idiotypischen“ und „idiosym¬
ptomatischen“ Hautveränderungen schwer-durchführen läßt, ist
sie grundsätzlich auseinanderzuhalten. Darüber habe ich mich an
anderer Stelle ausführlicher geäußert. Die Psoriasis wäre eine Geno-
dermatose, wenn anders bei ihr die Annahme genonomer Grund¬
bedingungen berechtigt ist.
Auf welche Gründe könnte sich nun diese Annahme stützen?
Die Abhängigkeit normaler wie pathologischer Eigentümlichkeiten
von Qualitäten der Erbmasse scheint bei einer gesetzmäßigen
familiären Häufung gesichert. Die menschliche Pathologie ist aber
ein Gebiet, das im großen und ganzen der Entschleierung der Erb-
gesetzlichkeiten nur sehr bedingte und wenig günstige Voraussetzungen
liefert. Undurchsichtige Verhältnisse widerlegen bei einer Erkrankung
durchaus nicht die Annahme genonomer Grundbedingungen, und es
ist mehr als genug darüber gestritten worden, wieweit familiäre
Leiden überhaupt einfache Vererbungsregeln widerspiegeln können.
Tatsächlich kennen wir aber gerade an der Haut eine große Zahl
von krankhaften Veränderungen, die auf Vererbungsmodi verweisen
(s. S i e m e n s), und zwar handelt es sich dabei nicht nur um reine
Genodermien, bei denen in erster Linie zu erwarten ist, daß ihre
familiäre Häufung sich erkennbaren Regeln fügt. Beachtenswert bleibt,
daß allerdings in verschiedenen Reihen eines und desselben Krankheits¬
bildes verschiedene Arten der Vererbung (dominante, rezessive, ge¬
schlechtsgebundene usw. Vererbung) zum Ausdruck kommen können.
Was ergibt sich nun bei der Psoriasis, bei der schon in An¬
betracht der statistisch erwiesenen familiären Häufung das Suchen
nach Gesetzmäßigkeiten nicht aussichtslos erscheinen darf?
Im Verhältnis zur Häufigkeit des Leidens ist das gesammelte
Material erstaunlich wenig ergiebig. Das kann an sehr verschiedenen
Gründen liegen, vor allem schon an Ermittlungsschwierigkeiten, die
auch bei regerem Interesse für diese Einzelfrage der Familienfor¬
schung systematische Nachweise gewaltig erschweren. Man kommt
nur selten in die Lage, mehr als eine beschränkte Zahl der kranken
wie gar der- gesunden Familienmitglieder selbst zu untersuchen oder
einer sachverständigen Untersuchung zuführen zu können. Auf ge¬
ringfügige und lokal wesentlich eingeengte Erscheinungen der Pso¬
riasis wird wenig geachtet. Auf negative Angaben der Kranken und
Ihrer Angehörigen ist schon deshalb kein rechter Verlaß. Aber
auch positive Angaben können irreführen, da oft verschiedenartige
Hautkrankheiten zusammengeworfen werden. Ist der Patient zur Zeit
der Untersuchung symptomfrei, so werden Fälle als negativ gerech¬
net, die zu einem anderen Zeitpunkte sich als positiv erweisen
könnten.
Marcuse hat gelegentlich der Publikation eines besonders sorg¬
fältig studierten Psoriatikerstammbaums, an dem er keine einfachen
Vererbungsregeln bestätigt fand, auf solche Schwierigkeiten ausführ¬
lich hingewiesen.
Ich habe mir im Laufe der Jahre reichlich Mühe gegeben, mög¬
lichst zuverlässiges Material zu sammeln, speziell mit Unterstützung
Interessierter Patienten der Privatpraxis und mit Hilfe von Kollegen,
die selbst erkrankt waren oder aus Psoriatikerfamilien stammten. Das
Ergebnis lehrt, daß isolierte Fälle von Psoriasis seltener sind als die
ersten, eine Familienerkrankung ablehnenden Angaben vermuten lassen
möchten, aber darüber hinaus finden sich doch nur wenige eindrucks¬
volle Resultate. Wohl möchte man das eine oder andere Mal eine
dominante Vererbung eikennet! wollen, die mindestens durch drei
Generationen läuft, in manchen Familien auch eine geschlechtsgebun¬
dene Vererbung, aber solche „klare“ Reihen sind Ausnahmen, und
zumeist ist die Zahl der Befallenen viel zu gering, um die Bestätigung
von Vererbungsregeln zu bringen. Eine eindrucksvolle Häufung er¬
gab sich mir in zwei Reihen bei der Deszendenz blutsverwandter
Eltern; im einen Falle litten beide Eltern an Psoriasis, im anderen
nur der Vater, der übrigens den ersten ermittelbaren Psoriasisfall
der Familie darbot.
Im ganzen wäre also wohl zu sagen, daß die vererbte Potenz
für sich zur Entstehung der Schuppenflechte nicht genügen kann.
Beachtenswert ist daneben die Tatsache, daß innerhalb einer
Familie ein Wechsel zwischen Psoriasis und anderen Hautkrankheiten
vorkommt, speziell mit Ekzemen.
Neben typischen Ekzemen und typischer Psoriasis habe ich in
einzelnen Familien auch Grenzfälle gesehen, die Verlegenheiten be¬
reiten konnten, ob sie der einen oder der anderen Dermatose zuzu¬
rechnen wären. Ferner fand ich auch bei Blutsverwandten von
Psoriatikem Ichthyosis, Lichen ruber und Lichen chronicus simplex.
Interesse verdient wohl der folgende leider unvollständige Stammbaum:
?
Will man solche Ermittlungen für die Annahme einer gemeinsamen
vererblichen Sondereigentümlichkeit der Haut verwerten, so bleibt
nur eine sehr verschwommene und unbestimmte Fassung übrig,
dahingehend, daß es sich um eine nicht scharf umschreibbare Eigenart
des Organs handelt, die eine Geneigtheit für eine ganze Gruppe von
Erkrankungen, aber nicht die enge Einstellung auf ein einzelnes Haut¬
leiden bedeutet. Die Frage liegt dabei nahe, ob zwischen den hier in
Betracht kommenden Dermatosen eine nähere Verwandtschaft ange¬
nommen werden dürfte.
Ist für das Zustandekommen der Psoriasis eine eigenartige Kon¬
stitution der Haut notwendig, so wäre diese aus ihrer besonderen
Reaktionsfähigkeit („Idioergie“) zu erweisen. Die Krankheit als
solche könnte für diese Beweisführung nicht genügen. Weit wichtiger
sind im gegebenen Zusammenhänge die Erscheinungen, die als Pso¬
riasis factitia bezeichnet wurden. Man kann am Psoriatiker die
Beobachtung machten, daß die verschiedensten örtlichen, zufällig oder
experimentell gesetzten Reize an der beeinflußten Hautstelle psoriati-
forme Veränderungen zur Folge haben. Eine besondere Reagibilität ist
aus dieser Erscheinung zweifellos erschließbar, aber es handelt sich
nicht um ein sofort eintretendes Phänomen, sondern um die erst
allmählich an der Reizstelle sich herausbildende Lokalisation typischer
Psoriasis selbst. Ein besonderes Verhalten könnte höchstens darin
g efunden werden, daß solche Herde mitunter eigenartige, der Aus-
ehnung und genaueren Gestalt des gesetzten Reizes angepaßte
Formen besitzen, die von den Konfigurationen der „spontanen“ Pso¬
riasis abweichen.
Diese Psoriasis factitia ergäbe ein wesentliches Argument zu¬
gunsten der Annahme einer psoriatischen Disposition, wenn sie mit
genügender Regelmäßigkeit bei dem Patienten zu jedem beliebigen
Zeitpunkte der ruhenden oder aktiven Erkrankung auslösbar wäre.
Das ist aber nicht der Fall. Sie läßt sich nicht mit zureichender
Sicherheit hervorlocken, was ja immerhin an technischen Bedingungen
gelegen sein könnte, aber sie kommt in der Regel auch nur wäh¬
rend eines aktiven Stadiums der Krankheit zustande, sodaß man sie
dann vielleicht weit mehr als eine Folge, denn als eine Bedingung der
Dermatose auffassen könnte. »Aber es bleiben doch Fälle übrig, in
denen ein Patient auch in einer Zeit, in der er vollkommen frei von
seiner Psoriasis ist, auf einen Zufallsreiz oder auf einen experimentell
gesetzten örtlichen Reiz hin rein lokal mit der Psoriasis factitia ant¬
wortet, ohne daß sich an ihm in längerer Beobachtung irgendwelche
anderen Manifestationen der Hautkrankheit einstellten, sodaß man also
nicht behaupten könnte, die örtliche Reaktion sei nur deshalb ein¬
getreten, weil sich der Patient sowieso gerade vor dem Ausbruch
eines Psoriasisschubes befunden habe. Ich wage nach mehreren immer
wieder kontrollierten Fällen zu behaupten, daß es Menschen gibt,
die durch viele Jahre hindurch nur gelegentlich eine solche Psoriasis
factitia aufweisen, ohne jemals sonst Schübe der Psoriasis selbst zu
erleben.
Solche Fälle lassen sich gewiß im Sinne einer besonderen dauern¬
den Reaktionsfähigkeit der Haut verwerten, ohne allerdings etwas über
die Voraussetzungen zu besagen, die den spontanen Ausbruch der
Psoriasis bedingen.
Nun existieren reichlich Fälle, in denen das exanthemartige Auf¬
treten der Psoriasis und unter Umständen seine Begleiterscheinungen
oder das Fortschreiten der Krankheit von einem Primärherd aus die
Annahme einer Infektion fast zur Gewißheit machen. Hier erhebt sich
die entscheidende Frage, ob die Psoriasis einen spezifischen Er¬
reger besitzt Solange wir einen solchen nicht anzuerkennen haben
□ igitized by Google
Original from
CORUELL UNIVERSITY
764
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 23
und vielmehr damit rechnen müssen, daß etwa die banalen Staphylo¬
kokken (wie von Hammer, Samberger u. a. angenommen wird)
oder gar verschiedenartige Mikroorganismen Psoriasis hervorrufen
können, mögen sie nun von außen her oder auf dem Blutwege in die
Haut gelangen, bleibt die primäre Reaktionsart der Haut obligate
Bedingung für das Zustandekommen der Psoriasis. Die durch eine
derartige Infektion hervorgerufene Hautkrankheit wäre gewisser¬
maßen nichts anderes als eine besondere Form der Psoriasis factitia.
So wäre zu erklären, daß die Haut des Psoriatikers Staphylomykosen
zwar keineswegs ablehnt, aber sie meist schnell im Sinne der Pso¬
riasis „umbaut“, und ebenso könnten die Fälle gedeutet werden, in
denen beim Psoriatiker etwa ein Lupus psoriatiform wird oder bei
ihm im Sekundärstadium der Syphilis papulosquamöse Exantheme
herauskommen, deren einzelne Herde von einer disseminierten Pso¬
riasis kaum zu unterscheiden sind.
Diese Betrachtungsweise ist schon deshalb weiter verfolgbar,
weil analoge Beobachtungen bei Erkrankungen der Haut gemacht
werden können, deren Auffassung als Genodermatosen kaum in
Zweifel zu ziehen ist, wie beispielsweise bei der Darierschen Krank¬
heit. Es ist ein wesentlicher Unterschied, ob auf einen örtlichen
Reiz hin Krankheitserreger von außen her in die Haut geraten oder
aus der Blutbahn angelockt werden und ihre spezifischen Wirkungen
entfalten, oder ob auch bei solchen Vorgängen, bei denen Mikro¬
organismen mit im Spiele sind, eine idioergische Reaktion zustande¬
kommt.
Um aber einwandfrei die besondere primäre Reaktionsfähigkeit der
Haut des Psoriatikers erfassen zu können, müßten wir zuverlässigere
und einfachere Prüfungsmethoden besitzen, die eine qualitative „Idio-
ergie“ oder eine quantitative „Hyperergie“ und „Hypergie“ gegenüber
Reizen dartun könnten, die sich experimentell wählen und nach ihrer
Stärke stufen ließen. Für einzelne besonders günstige Voraussetzun¬
gen existieren solche Reaktionen. So verrät sich die Eigenart des
Kranken bei der Epidermolysis bullosa an ihrer Fähigkeit, auf mecha¬
nische Reize mit Blasenbildung zu antworten. Oder: der ausgespro¬
chene Dermographismus gestattet nach seinem zeitlichen Auftreten
und Ablauf wie nach der Stärke der Reaktion innerhalb gewisser
Grenzen zahlenmäßige Festlegungen.
Wir hätten uns in der Dermatologie zu bemühen, ein ganzes
System von Reaktionen zu finden, von denen zwar nicht ein einzelnes
Glied, wohl aber die ganze Reihe ein Individuum im Sinne der Bereit¬
schaft für eine bestimmte Hauterkrankung genügend charakterisieren
könnte. Davon sind wir aber noch weit entfernt. Es handelt sich
nicht nur um die Verwendung und den Ausbau vorhandener Prüfungs¬
methoden, sondern mehr noch um den Fund neuer Methoden.
Aus solchen Funktionsprüfungen wäre ein Urteil zu schöpfen,
ob tatsächlich die Haut des Psoriatikers eine ihr eigentümliche gono-
nome Sonderart besitzt. Ueber die praktische Lösbarkeit der Aufgabe
zu streiten, wäre müßig. Anzustreben ist sic nidit nur mit Rück¬
sicht auf die Psoriasis, sondern in viel weiterem Umfange für die
Klärung der Organdisposition der Haut, die bei einer großen Reihe
von Erkrankungen in Frage steht.
«
Aus der I. Medizinischen Universitätsklinik in der Charite zu Berlin.
(Leiter: Geh.-Rat His.)
Atypische Fälle von eitriger Peritonitis, festgestellt zuerst
durch ihr Blutbild 1 ).
Von Priv.-Doz. Dr. Victor Schilling, Assistent der Klinik.
Unter Bezugnahme auf meine früheren Mitteilungen 2 ) über die
praktische Bedeutung einer prinzipiellen Verwertung des
Blutbildes möchte ich kurz über zwei besonders eindrucksvolle
Fälle von eitriger Peritonitis berichten, bei denen infolge abnormen
klinischen Verlaufes die erste Diagnose allein durch das Blutbild
gestellt werden konnte. Beide Fälle sind im Rahmen von Univer¬
sitätskliniken unter Zuziehung namhafter Chirurgen genügend lange
und wiederholt untersucht worden, um den Einwand sonstiger mangel¬
hafter klinischer Beobachtung vollkommen auszuschließen.
1. Fall. K., Peritonitis nach Hernienoperation. Am 2S. XI. wurde
ich um innere Untersuchung eines Privatpatienten des Chirurgen
Herrn Prof. Dr. Lot sch gebeten, der am 19. XI. eine Leistenhernien¬
operation (Bassini) durchgemacht hatte. Nach der Anamnese waren
am Tage der Operation ganz vorübergehend Einklemmungserschei-
nungen aufgetreten; der eingeklemmte Darmteil konnte durch einen
herbeigerufenen Arzt jedoch sogleich reponiert werden; die Operation
war lediglich vorbeugend. Die Wunde war per prim am ohne
Fieber geheilt.
Bei der Untersuchung gibt Patient an: er habe sich am gestrigen
Tage (27. XL) nicht wohl gefühlt, Uebelkeit und Brechreiz gehabt;
heute sei er wieder vollkommen wohl. Die Konsultation
sei nun einmal bestellt gewesen, obgleich sie jetzt wesenlos
sei. Er habe aber die Absicht, sich in etwa 14 Tagen ohnehin
wegen eines älteren Magcnleidens innerlich untersuchen zu lassen,
wozu die heutige Untersuchung als Einleitung dienen könne.
*) Auszug au 1 ? meinem Vortrae: „Einiee überzeugende Fälle praktischer Wutbild-
verwertung*. Verein für Innere Medizin in Berlin. Sitzung vom 20 II.B922.
•) D m W. 1921 Nr. 27; Zschr. f. klin. M. 1920,89.
Befund: Blasser, etwas hagerer Mann von 41 Jahren. Reaktions¬
lose Operationsnarbe in der rechten Leiste; keine besondere Druck¬
empfindlichkeit. Magengegend etwas gebläht und diffus druckemp¬
findlich. Zunge: besonders im hinteren Teil weißlich belegt. Puls 82,
kräftig, regelmäßig. Temperatur dauernd unter 37°. Blutentnahme
(Ausstrich, dicker Tropfen) ohne besondere Indikation.
Als Ergebnis der klinischen Untersuchung wird dem Patienten
mitgeteilt, daß ein Magenleiden wahrscheinlich und spätere
Untersuchung erwünscht sei.
Die am 29. XI. vorgenommene Auszählung der Präparate ergab
überraschenderweise schwere Blutbildveränderung: Neutro-
philie mit sehr erheblicher jugendlicher Kernverschiebung, Lympho-
zytopenie, Aneosinophilie, Monozytose. Der dicke Tropfen zeigte
keine Polychromasie.
Blutcliagnose: unzweifelhaft schwerer infektiöser Prozeß man¬
gels ffcder anderen Erklärung.
Auf Grund dieses unvorhergesehenen Ergebnisses wurde die
Chirurgische Station sofort telephonisch benachrichtigt, daß Patient
wegen sicherer Komplikation nicht entlassen werden dürfte. Patient
war jedoch bereits bei bestem Befinden entlassen. Dar¬
aufhin wurde um Uebermittlung der Blutdiagnose an den Patienten
gebeten.
Am 1. XII. morgens bat die Frau des Patienten um seine so¬
fortige Aufnahme auf meine Station, da sich das Befinden zu Hause
plötzlich sehr verschlechtert hätte und sie innere Erkrankung an¬
nahm.
Wiederaufnahme: Patient sieht blaß, aber sonst durchaus
wie früher aus. Zunge belegt. Leib etwas gebläht, allgemein sehr
wenig druckempfindlich; am empfindlichsten ist die Magengegend
Patient klagt über Brechreiz, ohne daß es zum Erbrechen kommt;
Stuhlgang und Winde vorhanden. Befinden gegen den gestrigen
häuslichen Zustand schon sehr gebessert. Wunde o. B. geheilt.
Temperatur: unter 37°. Puls: 80, kräftig.
Blutbild: ähnlicher Befund wie am 28. XL Die Kernverschie¬
bung ist nicht ganz so jugendlich. Leukozytenzahl etwa 8000.
Diagnose: trotz klinischen Befundes wird entzündlicher
Teilileus bzw. Peritonitis vermutet, da das Blutbild sonst
unerklärlich ist.
Die sofortige Konsultation mit Prof. Lot sch ergab Ablehnung
der Diagnose Peritonitis wegen des klinischen Befundes.
Am 2. XII. nachmittags wurden vereinzelte Myelozyten im Blul
gefunden; am 3. XII. morgens war bei 8500 Leukozyten die Neutro-
philie auf 91V2°/o gestiegen und die Kernverschiebung wieder stärker
und jugendlicher geworden. Klinisch bestanden jetzt seit 12 Stunden
ilcusartige Erscheinungen (Indikanurie; keine Winde; ab und zu
gesteifte Dünndarmschlingen fühlbar). Temperatur und Puls voll¬
kommen regelrecht. Allgemeinbefinden gut; etwas Brechreiz.
Trotz erheblicher Bedenken von chirurgischer Seite gegen die
Annahme einer wirklichen Peritonitis wird auf Grund des Blut¬
befundes auf sofortiger Operation bestanden.
Mediane Laparotomie (Prof. Lot sch): Diffuse, entzünd¬
liche Reizung des Peritoneums; Abszeß im kleinen Becken. Entzünd¬
licher Ileus. Kollaps während der Operation, die schleunigst beendigt
werden mußte. Drainage. Die Revision der alten Operationsteile
ergibt keinerlei Entzündung oder Verwachsung.
Tabelle I
Fall K., Peritonitis nach Hernie.
Datum
Zahl
B. | E.
Neutrophile
M. J. St. S.
L
Mon.
Bemerkungen
28. XI.
Iiochn.
_! _
- 20 26 ; 33«/*
11
9*/ a
1 Reizt. Entlastung
1. XII.
hochn.
- V.
- 6V, ! 33V, 1 44
9*/,
6
1 Reizt. Wiederaufnahme
3. XII.
Iiochn.
- V«
— 12 1 /, | 30 49
3
5
Operation
21. XII.
8500
3
- 5 18 51
16
7
Rückfall
22. XII.
8500
1 2
- 13 13 48
15
8
25. XII.
8000
I
— 1 17V, 55V»
18
7
Besserung
28. XII.
norm.
V* 4
- - 10*/, 6?
18
5
Rekonvaleszenz
Kurve l. Nach der Operation
trat schnelle Besserung
ein; Stuhl und Winde
setzten sehr bald ein.
Patient erholte sich sicht¬
lich von dem Kollaps,
sodaß von weiteren Blut¬
untersuchungen aus äuße¬
ren Gründen abgesehen
wurde. Nach zwei mä¬
ßigen Fieberzacken bis
37,ö trat vom 10. XII. ab
tägliche Temperatur zwi¬
schen 37,2-37,6 abends
(morgens unter 37°) auf.
Am 18. stieg sie auf 37,S'
morgens; Puls 92. Da
h wieder Stuhlverhaltung einsetzte, wurde am 21. ein Rückfall
■ogen, evtl, neue Operation. Das Blutbild ergab sehr be
igend: sehr viel geringere, obwohl am 22. noch etwas steigende
•nverschiebung, Lymphozyten ziemlich erholt; Eosinophile etwa
vorhanden.
non,
ifSfd,
ES
i£—
30.1.
O]
rq
rn
□ffl
mm
pi
[SS]
r
t?
:]
£
£
(Blut
i.
»?ßpnno h1 ’
&
S s
erro
ge*
nur rn
'senj
II
L
!
1 #
£
S-
§L
r f
i
1 1
“v|
\
> t
1
' m " mm
_
_
_
_
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNiVERSITY
9. Juni 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
765
Diagnose: entzündliche Reizung leichteren Orades anzunehmen;
bezüglich Operation abwartend; Prognose bis jetzt günstig.
Die Beschwerden besserten sich bis zum 23. unter Lichtbügel und
Atropin. Am 25. XII. zeigte sich nach fieberfreiem Intervall vom
19.—24. zweitägige Temperatur bis 37,4°. Das Blutbild zeigte
aber dauernde Besserung an (s. 28. XII.).
Der weitere Verlauf ergab noch einige Male vorübergehende
lleuserscheinungen (Verwachsungsbeschwerden) ohne Blutbildbeteili¬
gung. Am 21. II. 1922 ist Patient geheilt mit fast normalem Blutbild
entlassen worden.
Epikrise: Eine augenscheinlich nicht sehr virulente Bauchfell-
infelction, wahrscheinlich im Anschluß an die Darmeinklemraung
(DurchWanderung?), war allein im Blutbild in ihrer bedrohlichen
Bedeutung erkennbar und wurde operativ geheilt, nachdem auf Grund
der Blutbilddiagnose noch eben rechtzeitig genu^ die bestimmteste
Indikation zur Operation, entgegen dem subjektiven Zustande des
Patienten und dem klinischen Befunde, gestellt war.
2. Fall. Am 28. XII. mittags wurde ich zu dem am 27. XII.
6 Uhr morgens plötzlich mit Leibschmerzen erwachten Patienten Br;
in seine Dienstwohnung in der Charite gerufen, da sich sein Zu¬
stand trotz einiger Hausmittel nicht bessern wollte; er hatte einmal
galliges Erbrechen, dann wiederholt Durchfälle und Fieber gehabt.
Befund: Hagerer Mann von 65 Jahren. Trockene, an den Rändern
belegte Zunge. Durstgefühl. Leib etwas aufgetrieben und mäßig
empfindlich. Blinddarm- und Gallenblasengegend nicht
besonders schmerzhaft; am meisten empfindlich noch die
Nabelgegend. Temperatur: 38,8°. Puls 82, sehr kräftig, voll, regel¬
mäßig. Gesicht stark gerötet.
Patient glaubt an Gallensteinanfall, da er öfter Gallenbeschwerden
verspürt hat, oder an Fischkonservenvergiftung.
Diagnose: Gastroenteritis acuta. •
Blutbild, prinzipiell festgestellt, ohne klinisch dringende Indi¬
kation, ergab nachmittags ganz auffallend starke Kernverschiebung
bei etwa 12—15000 Leukozyten und Neutrophilie von 85,5«/o. Im
dicken Tropfen fand sich deutliche zerrissene Polychromasie; Aneo¬
sinophilie.
Diagnose: schwere akute Infektion; Peritonitis?
Als am 29. XII. trotz gleichen klinischen Befundes das Blutbild
morgens sogar Myelozyten bei sehr jugendlicher Kernverschiebung
ergab, bat ich einen Assistenten der Chirurgischen Universitätsklinik
zum Konsilium wegen Verdacht auf Peritonitis. DdV Bericht
lautete sehr günstig: Peritonitis bei absinkendem Fieber, starkem,
guten Puls von 80, subjektivem Wohlbefinden ohne Erbrechen, funk¬
tionierendem Darm abgelehnt.
Am 30. XII. befand sich Patient sehr wohl, trotz bleibender
mäßiger Leibblähung. Temperatur 37,2; Puls 82, sehr gut. Er lehnte
dringend gewünschte Verlegung in die Klinik ab. Die verordneten
Mittel (kleine Dosis Rizinusöl; erst nach Wirksamkeit Kalomel in
kleinen Dosen; WärmeappWration) hatten sich gut bewährt; Patient
wollte Morphium nicht an nehmen.
Der chirurgische Assistent fand ebenfalls das Befinden weitgehend
gebessert und lehnte noch einmal Peritonitis absolut ab.
Wegen eigener Grippeerkrankung unterblieb die Untersuchung
des Blutbildes vom 30. bis zum 31. XII.
Am 31. XII. fand ich den Gesichtsausdruck des Patienten ver¬
schlechtert, trotz subjektiver Euphorie des Patienten Zunge stark
belegt, trocken. Leib wie früher, aber empfindlicher, ohne be¬
stimmte Lokalisation. Klagen über Stuhldrang ohne Erfolg;
Winde standen. Temperatur: 36,2. Puls 72, wie früher.
Gegen den Einspruch des Patienten wurde sofortige Verlegung auf
die Innere Station zwecks Ueberwachung durchgeführt. Patient
konnte, allerdings unter starken Schmerzen, mit Hilfe aufstehen, sich
an- und auskleiden zum Transport. Kein Erbrechen!
Blutbilder vom 30. und 31. sofort untersucht: Leukozyten 12500.
Neutrophilie am 30. etwas zurückgegangen; Lymphozyten gebessert.
Kern Verschiebung eher noch jugendlicher. Am 31. höchst
bedenkliches Blutbild: Myelozyten, enorm viel jugendliche Kerne,
keine weitere Neutrophilen; Lymphozytopenie; Aneosinophilie.
Sofortige Beratung mit wachthabenden Assistenten der Chirur¬
gischen Klinik, der schwere innere Erkrankung (Gastritis?) anerkannte,
aber Peritonitis auf Grund des Puls-, Fieber- und Palpationsbefundes
ablehnte.
Am 1. I. 1922 morgens war das Blutbild mit 5,5o/o Myelozyten
so unabweisbar ernst, daß trotz des Feiertages und trotz andauernden
Fehlens wirklicher Peritonitissymptome die sofortige Operation dring¬
lich erbeten wurde.
Operation (Prof. Lot sch): Die Voruntersuchung des Patienten
ließ nach Ansicht des Operateurs die Diagnose Peritonitis als höchst
unwahrscheinlich ansehen. Puls sehr kräftig, fast Digitalispuls
(gegeben am 31. Imal 1 Ampulle Digipuratum). Palpationsbefund
nicht ausreichend; Rektum frei. Alle Differentialdiagnosen innerer
Ericrankungen wenden chirurgischerseits erwogen, doch unter Hin¬
weis auf Blutbefund abgelehnt. Befund ergab diffuse, ziem¬
lich trockene eitrige Peritonitis, in der Zökalgegend gangränös be¬
legte Dünndarmschlingen, etwas kolihaltiges Exsudat von jauchigem
Charakter. Als Ausgangspunkt wurde in der Tiefe eine alte Appen¬
dizitis mit Gangrän der Spitze und Perforation entdeckt. An der Ap¬
pendix frische und ältere Verklebungen.
Am folgenden Tage morgens wurde der klinische Zustand für
noch günstig angesehen. Auf Grund des Blutbildes wurde bei
17,5 Myelozyten und sinkender Zahl die Prognose als völlig in¬
faust bezeichnet. Der Tod trat abends nach geringfügiger Tem¬
peratursteigerung bis 37,5° und Pulsbeschleunigung bis 105 ein.
Epikrise: Die Infektion des Peritoneums ist wahrscheinlich
am 28. XII. morgens bereits erfolgt. Aus unbekannten Gründen ließ
trotz oder vielleicht wegen der Schwere der Infektion das klinische
Bild sehr bald im Stich. Dagegen zeigte die Blutbildkurve in kon¬
stantester Weise über alle subjektiven Täuschungen hinweg den
zunehmend ungünstigen Verlauf. Gutes Aussehen und Puls des
Patienten waren wahrscheinlich auf Hypertonie zurückzuführen. Die
Diagnose der Appendizitis war, vielleicht durch Ueberlagerung mit
verklebten Darmschlingen, nicht gelungen.
Tabelle II.
Fall B., Peritonitis.
[Datum'
Zahl
B.
E.
M.
Neutrophile
i- I st
S
L.
Mon.
Bemerkungen
28. XII. 1921 2. Tag
hoch
V.
_
_
13
33V.
39
10V,
3V,
P+ +
29. XII. 1921 3. Tae
hoch
—
—
V,
32V*
15»/.
32
14
5V*
2. Konsilium
30. XII. 1921 4. Tag
hoch
—
—
—
36
17»/,
14
25V.
7
31. XII. 1921*5. Tag
12500
— j
—
2 1
56
9
13
9V,
10V.
2. Konsilium
1.1. 1922 6. Tag
15.000
— |
—
5V,i
64
8
6
4
12*/,
Operation
2.1. 1922 7. Tag
Exitus
tiefer
"j
17V*
64
1 «v.
V,
6
10V,
2 Relzf. 1 Norm
Kurve 2.
Die vorstehend eingehen¬
der beschriebenen Fälle,
denen ich zahlreiche ähn¬
liche 1 ), seit mehr als 10 Jah¬
ren beobachtete anreihen
könnte, mögen als besonders
schlagende Beispiele den
Wert eines prinzipiellen
Gebrauches des Blutbildes
in meiner einfachen Formel,
die sich in wenigen Minuten
festlegen läßt, erläutern.
Arneth u. a., vor allem die
Sonnenburgsche Schule
(Kothe,Kohl,Schultze
u. a.) haben zuerst m i t a 11 e i -
niger Beachtung des
neutrophilen Kernbil¬
des nacn der umständlichen
Arneth sehen Originalmethode und nach der Sonnenburg-
Kot he sehen Vereinfachung (Verhältnis Unsegmentierte: Segmentierte)
ähnliche praktische Erfolge aufgezeigt. Die obige Formel gestaltet die
Ergebnisse durch die Einführung der Klasse der „Jugendlichen“ noch
instruktiver, da diese bei Fehlen von Myelozyten den mehr oder
weniger akuten Charakter des Prozesses und seine Verschlimmerungen
gut illustrieren und durch die Mitbeachtung der anderen Zellklasscn
noch wechselvoller und diagnostisch breiter, da auch die Lymphozyten,
Eosinophilen, Monozyten und Erythrozyten das Ihre zur diagnostischen
und prognostischen Wertung mit beitragen können.
Aus der Universitäts-Frauenklinik in Freiburg i. Br.
(Direktor: Geh.-Rat Opitz.)
Ueber Temperatur und Schlaf.
Von Prof. Dr. Paul Lludig, Oberarzt
Beziehungen zwischen Steigerung der Körperwärme und Schlaf
hat vor einiger Zeit Lust in einer interessanten Veröffentlichung
in dieser Wodienschrift 2 ) behandelt. Der Konstruktion dieser Zu¬
sammenhänge lag die Beobachtung einer einschläfernden Wirkung
parenteraler Milch-, Molke- und Kaseininjektionen zugrunde, die
gleichzeitig zu Temperaturerhöhungen führten. Lust kam es darauf
an, die postenzephalitischen Schlafstörungen im Kindesalter zu be¬
kämpfen, und er bediente sich dabei der Erfahrungen, die bereits
die Heidelberger Kinderklinik bei denselben Störungen mit der
gleichen Methode gemacht hatte. Das besondere Interesse, das ich
an diesen Feststellungen nehme, liegt zunächst darin, daß hier die
therapeutische Bedeutung der schlafmachenden Wirkung parenteraler
Eiweißzufuhr, auf die ich mir seinerzeit hinzuweisen erlaubte, als
solche berücksichtigt und bestätigt worden ist. Das, was damals als
Begleiterscheinung auffiel, ist nunmehr zum Selbstzweck erhoben
worden. Meine Beobachtungen, die sich seitdem bedeutend ver¬
mehrt haben, bestanden darin, daß sich bei einigen kaseinbehandelten
Patientinnen als prompte Reaktion auf die einzelnen Injektionen
eine mehr oder weniger ausgesprochene Schläfrigkeit einstellte. Das
war manchmal so hervorstechend, daß von Kranken, die diese Wir¬
kung als einzig wahrnehmbaren Effekt bemerkt hatten, nach der
Kaseinspritze als Schlafmittel verlangt wurde. Auch v. Jaschke
sah häufig Schläfrigkeit nach Kaseininjektionen, sogar einen Fall,
in dem es nach jeder derartigen Injektion zu einem ausgesprochen
*) Zahlreiche praktische Beispiele dieser Art sind in die jetzt erscheinende 2. Auf-
laue meines Leitfadens „Das Blutbild und seine klinische Verwertung* (Fischer, Jen«)
aufgenommen. — •) D. m. W. 1921 Nr. 51.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTT
766
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 23
tiefen Dämmerschlaf kam. Im übrigen sind diese Wahrnehmungen
in ihren Grundzügen durchaus nicht neu. Denn es Ist schon älteren
Autoren, die sich der Bluttransfusion bedienten, aufgefallen, daß
sich danach wohltuender Schlaf einstellte. Es ist da9 Verdienst
Biers, diese Tatsache der Vergessenheit entrissen zu haben. Aller¬
dings war unseren Vorfahren die Einsicht in das ursächliche Ge¬
schehen versagt, von Proteinkörperwirkungen wußten sie eben noch
nichts. Aber so geht es ja vielen Dingen in der Heilkunde, daß ihnen
bewußt oder unbewußt erst dann zu einer Auferstehung verholten wird,
wenn der Fortschritt der wissenschaftlichen Forschung in der Lage
ist, dem nackten Resultat der Beobachtung den schmückenden Mantel
der Erklärung mit auf den Weg zu geben. So ist es der Flüssig¬
keitsfüllung der Plazentargefäße als einem, wenn auch nur ver¬
meintlichen oder beschränkten Mittel zur Lösung der Nachgeburt,
so der artefiziellen renalen, durch Gravidität bedingten Glykosurie
im Hinblick auf ihre diagnostische Verwertbarkeit ergangen. Und
so wird es, und ich fürchte, nicht immer zum Nutzen des End¬
zwecks aller medizinischen Bestrebungen, noch vielen anderen rein
klinischen Wahrnehmungen, so weit sie noch nicht oder nur un¬
vollkommen erklärbar sind, beschieden sein.
Für Lust lagen nun die Verhältnisse dadurch besonders kom¬
pliziert, daß in seinem Fall pathologisch-anatomische Veränderungen
des Großhirns Vorlagen. Er macht sich deswegen auch selbst den
Einwand, es könnte durch die erwähnten Injektionen eine Reiz¬
wirkung auf das geschädigte hypothetische Schlafzentrum erfolgt
sei*, sodaß die regelmäßig als Begleitsymptom des Schlafeintritts
beobachtete Temperaturerhöhung lediglich als Indikator für den Reiz¬
erfolg anzusehen wäre. Lust meint aber, daß seine therapeutischen
Wecnselversuche im Widerspruch zu dieser Möglichkeit ständen, und
folgert aus ihnen ein kausales Abhängigkeitsverhältnis zwischen
Schlafeintritt und Temperatursteigerung. Ich gebe zu, daß die Be¬
weisführung Lusts mit aller Kritik vorgenommen ist, und will auch
nicht unberücksichtigt lassen, daß seine Beobachtungen ein Kind,
und zwar ein enzephalitisch erkranktes, die meinigen Erwachsene
betreffen. Aber der Umstand, daß seinen Folgerungen nur ein
einziges Beobachtungsobjekt zugrundeliegt und daß meine Erfah¬
rungen dafür sprechen, daß Fieber und Schlaf zwei isolierte Reak¬
tionen auf den gleichen Reiz darstellen, legt doch die Vermutung
nahe, als ob auch die Stützen anfechtbar seien, auf denen Lust
seine Anschauungen aufbaut. Will man Beziehungen zwischen zwei
nach parenteraler Proteinkörperzufuhr auftretenden Reaktionen auf¬
decken, dürfte es empfehlenswert, ja sogar notwendig sein, zu¬
nächst der Ursache der Einzclreaktion nachzugehen. Die Zusammen¬
hänge zwischen Fieber und Eiweißabbau sind seit langem bekannt,
eine restlose Erschöpfung der Fieberursachen umfassen sie aber
nicht. Es ist auch noch nicht einmal sicher, welche Rolle der Zer¬
fall des zugeführten Eiweißes in dieser Hinsicht spielt. Vielerlei
Erfahrungen sprechen dafür, daß darin nur der Anstoß liegt zum
Abbau von körpereigenem Eiweiß und zur Zerstörung vorher ein¬
gedrungener infizierender Mikroorganismen. Das zugrundegehende
körpereigene Eiweiß kann zirkulierender, nativer und korpuskulärer
Natur sein, es kann aber auch aus Herdinfekten stammen. Es ist
allen, die Proteinkörpertherapie treiben, eine geläufige Beobachtung,
daß fiebernde Individuen schon auf eine kleine Menge von parenteral
zugeführtem Eiweiß mit Erhöhung der Körperwärme reagieren, die
von gesunden ganz reaktionslos aufgenommen werden. Jene sind
als sensibilisiert zu betrachten. Es ist denkbar, daß unter dem Ein¬
fluß lebhafter Fermentsekretion, die ja bei Fiebernden und zumal
dann, wenn ihnen Eiweiß parenteral zugeführt wird, in Erscheinung
tritt, Zelleiweiß hydrolytisch aufgespalten wird und daß so die
pyrogenen Substanzen gebildet werden. Eine derartige Anschauung
stimmt mit einer schon früher von Matth es und Krehl vertretenen
Vorstelluhg überein. Ueber die Beschaffenheit der eben erwähnten
Substanzen und die Art, wie sie die Temperaturregulation beein¬
flussen, wissen wir noch nichts Sicheres. Daß auch mancherlei
andere Stoffe von Nicht-Eiweißcharakter bei parenteraler Zufuhr
Fieber erzeugen, widerspricht nicht der Auffassung, daß die tem-
peraturauslösenden Produkte vom Organismus selbst geliefert wer¬
den. Zu dieser Gruppe wären das Natriumion, ferner Metallsalze
zu rechnen. Da Kalksalze den pyrogenen Effekt der Kochsalzzufuhr
aufheben, ist an der ursächlichen Bedeutung der Ionengleichge¬
wichtsstörung für die Entstehung des Fiebers nicht zu zweifeln.
Nur ist zu beachten, daß das keine unmittelbare Wirkung zu sein
braucht, sondern daß auch hier wieder die Schädigung von Körper¬
zellen als ausschlaggebendes Zwischenglied sich einschieben dürfte.
Daß nach den Versuchen von Finkeistein, Moro und Hirsch
Kochsalz bei peroraler Einverleibung im kindlichen Organismus sehr
viel häufiger zur Erhöhung der Eigenwärme führt als bei parenteraler
Zufuhr, ist meines Erachtens dadurch zu erklären, daß durch das
Natriumion der enterale Epithelverband im Sinne einer Eiweißdurch¬
lässigkeit beeinflußt wird. Es summieren sich dann die beiden Fak¬
toren Natriumion und das in die Zirkulation gelangende körper¬
fremde Eiweiß. Ich erblicke darin nur Analogien zu den Unter¬
suchungen von Ganghofner und Langer und zu meinen eigenen
über Kaseinfieber (transitorisches Fieber) beim Neugeborenen.
Von diesem Standpunkt gesehen, kämen orale Kochsalzzufuhr
und Proteinkörperinjektion letzten Endes — sofern es sich um
durch sie als Reizmittel ausgelöste Wirkung auf zirkulierende Zellen
und Organelemente handelt — auf das Gleiche hinaus.
- ir U8 i h ? t «t nun in seinem durch diese enterale Kochsalz-
zufuhr ebenfalls neben Fieber auch Schlaf erzeugt. Für unsere
Digitized by Gck igle
Fragestellung mag es zunächst von untergeordneter Bedeutung sein,
worin die pyrogenen Substanzen bestehen und wie sie hervorgerufen
werden. Wesentlich ist, daß die Ausgangsstoffe sowohl zu einer
Erregung oder Erregbarkeitssteigerung des wärmeregulierenden Ap¬
parates führen, als auch einschläfernd wirken können. Ich komme
damit zu der zweiten, der Erörterung hier unterliegenden Reaktion
und zu den Vorstellungen, die man sich über ihr Zustandekommen
bilden kann.-
Ich hatte gelegentlich einmal in Erwägung gezogen, ob nicht die
Abbauprodukte des eingeführten Eiweißes, in meinen Fällen also
des Kaseins, als schlaferzeugend berücksichtigt werden müßten.
Dabei hatte ich an die Untersuchungen von Gaglio, Pohl u. a.
gedacht, die die narkotische Wirkung von Alanin und Essigsäuren
nachweisen konnten. Bei den geringen Mengen jedoch, die bei der
Spaltung des Kaseins im Organismus frei werden, dürften diese
Zusammenhänge wohl nicht sehr wahrscheinlich sein. Ich stimme
mit Lust dann überein, daß die von ihm herangezogenen Beobach¬
tungen Kahns imstande sind, auf die komplizierten und dunklen
Beziehungen zwischen temperatur- und schlafregulierenden Hirn¬
zentren ein gewisses Licht zu werfen. Wenn Kahn durch Ueber-
wärmung des Karotisblutes einen beruhigenden, ja sogar narkoti¬
schen Einfluß auf seine Versuchstiere ausüben konnte, so liegt darin
der Ausdruck einer Schutzorganisation des Organismus gegen Ueber-
hitzung.
Es erfolgt dann nicht nur eine Herabsetzung der Erregbarkeit
des Wärmezentrums, sondern auch die benachbarten Regulations¬
zentren werden von diesem Reize betroffen, und das Tempo der von
ihnen ausgehenden Impulse verlangsamt. Es muß demnach der
adäquate Reiz für das Wärmezentrum die in der unmittelbaren Um¬
gebung herrschende Temperatur sein, und die Regulierung tritt
nun derartig automatisch ein, daß schon die drohende Ueberhitzung
paralysiert wird, ehe sie überhaupt an entfernten Körperstellen me߬
bar zum Ausdruck kommt. So betrachtet, und in der Voraussetzung
von der innigen Verknüpfung der eben erwähnten Zentren bekom¬
men sowohl Lusts als auch meine Beobachtungen ein durchaus
anderes Gesicht.
Meine Wahrnehmungen betreffen überwiegend infizierte und teils
fiebernde Individuen, bei denen erfahrungsgemäß schon kleine par¬
enteral zugeführte Eiweißmengen zu erheblichen Temperatursteige¬
rungen fyhren können. Der Gesunde reagiert selbst aut weit höhere
Gaben lange nicht in dem Maße. Das Auftreten des Ermüdungs¬
gefühles und Schlafes bei der ersten Oruppe könnte also als Aus¬
druck einer zentralen Schutzreaktion des Organismus aufgefaBt wer¬
den und wäre damit lediglich ein Beweis für die Zweckmäßigkeit, mit
welcher Regulationsvorgänge im hochorganisierten und selbst kranken
Zellstaat sich abspielen. Die Schlafwirkung wäre dann nur als Indikator
für die zentrale Beeinflussung durch Kaseininjektionen anzusehen.
Ein interessantes Gegenstück, das ebenfalls das innige Abhängig¬
keitsverhältnis der sympathischen Zentren untereinander und soweit
es die Nachbarschaft des thermogenetischen Zentrums betrifft, be¬
leuchtet, liegt in der Beobachtung, daß bei urämischen Zuständen
infektiöse eitrige Prozesse fieberlos verlaufen können. Wir wissen
ferner vom Adrenalin, daß es als typisches Sympathikusgift die Tem¬
peratur erheblich steigern kann, beim Hungertier und in der Narkose
dagegen wirkungslos ist. Ebenso sind Kalksalze imstande, das
Adrenalinfieber zu unterbinden. Von starken Reizen, die den schlaf¬
regulierenden Zentralapparat treffen, wird demnach auch die zerebrale
Nachbarschaft in Mitleidenschaft gezogen und ihre Erregbarkeit in
ähnlicher Weise vermindert, als wenn sie einem ihnen adäquaten
Reiz unmittelbar ausgesetzt wäre. Etwas anders liegen nun die
Dinge bei Lust. Die von ihm angewendeten pyrogenen Dosen
waren relativ hoch, und selbst darauf reagierte sein kleiner Patient
nicht immer mit Fieber. Anscheinend hängt es auch von dem
jeweiligen Zustand ab, ob diese den vegetativen Zentren mitge¬
teilten und verhältnismäßig starken Reize ausreichen, um Wärme
und Schlafzentrum — das letztere wohlgemerkt immer in hypo¬
thetischer Konstruktion — zu beeinflussen. Man mag daran denken,
daß bei dem frühgeborenen kranken Säugling die funktionelle Rück¬
ständigkeit des wärmeregulierenden Apparates noch in das eigen¬
tümliche Verhalten gegenüber den pyrogenen Substanzen mit hinein¬
gespielt haben mag. *
Aber das erscheint wohl nebensächlich gegenüber der zweifellos
vorhandenen Dysfunktion des Schlafzentrums und der daraus re¬
sultierenden Disharmonie zwischen den vegetativen Zentren über¬
haupt. So ist es verständlich, daß die in diesen Sphären der Gro߬
hirnrinde sich abspielenden Regulationsyorgänge in durchaus atypi¬
schen Rahmen zum Ablauf kommen, crenn sonst müßten die fieber¬
haft erregten Zentren, die nach allgemeiner Erfahrung gleichzeitig
auch ermüdbar sind, der narkotischen Wirkung des von Lust an¬
gewandten Antipyrins verfallen sein.
Diese Ausführungen beanspruchen, zum Teil lediglich als Vor¬
stellungen gewertet zu werden. Ich glaubte $ie dem Bericht über
eigene Erfahrungen zur Klärung der Sihiation voranstellen zu müssen.
Ich wollte damit zeigen, welche Summe von Möglichkeiten und
Gesichtspunkten berücksichtigt werden muß, wenn man Wahrneh¬
mungen zu Schlüssen verarbeiten will. Warum diese bei mir anders
ausfallen mußten, als die von Lust, liegt schon in dem Umstand
begründet, daß unsere Beobachtungen auseinandergehen.
Seit der Veröffentlichung Lusts lag mir daran, das, was mir
seit Jahren bezüglich der einschläfernden Wirkung von Kasein-
Original from
CORNELLUNIVERSiTY
0. Juni 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
767
Injektionen aufgefallen war, zahlenmäßig festzulegen. Die Resultate
stellen sich folgendermaßen dar:
Von 105 caseosaninjiziertem Patientinnen hatten 35 vor der In¬
jektion Fieber, die übrigen 70 normale Temperatur. Für Stärke
und Art der eintretenden Reaktionen ist natürlich die Menge der
injizierten Kaseinlösung nicht belanglos. Sie ist es aber zweifellos
bei der Beurteilung des Wesens dieser Reaktionen und bleibt daher
außer Betracht. Die betreffenden Kranken wurden post injectionem
stündlich gemessen. Vou den 35 Fiebernden zeigten 31 Temperatur¬
reaktionen (= 89°/o), von den 70 Nichtfiebernden 52 (= 74o/ 0 ). Alle
Fiebernden mit Temperaturreaktionen reagierten auch mit Schlaf¬
bedürfnis (= 31 = 89 o/o). Dagegen fand sich bei den nichtfiebern¬
den 70 nur 24mal Schlafbedürfnis (= 34<y<>). Sie alle hatten auch
eine Temperaturreaktion. Von den 55 Patientinnen, die mit Schlaf¬
bedürfnis auf die Spritze ansprachen, wiesen 27 einen Temperatur¬
anstieg bis zu einem halben Grade, 25 bis zu einem Grade und nur
3 eine zwischen 1 und 2° liegende Steigerung auf. Von der Ge¬
samtzahl kaseinbehandelter Personen reagierten demnach 79°/o mit
Temperatursteigerung und 52<>/o, die insgesamt den vorstehenden
790/0 angehören, mit Schlafbedürfnis. In der Relativität dieses Be¬
griffes liegt naturgemäß gegenüber der objektiv meßbaren Tempe¬
raturreaktion ein die Beurteilung erschwerendes Moment. Auf die
Unbefangenheit des Untersuchers kommt also sehr viel an.
Es ergab sich danach, daß Schlafbedürfnis nur dann ein¬
trat, wenn nach der Injektion auch eine Temperatur¬
erhöhung vorhanden war. Daraus könnte zunächst zweierlei
gefolgert werden, nämlich: 1. daß das Schlafbedürfnis durch die Tem¬
peratur erzeugt würde und 2. daß der Temperaturanstieg lediglich
das allgemeine Reaktionsvermögen des Organismus anzeigt und somit
die Reaktion, die in der Skala der Reaktionserscheinungen am leich¬
testen zum Ausschlag kommt, unbedingt registriert werden muß, wenn
eine schwerer auslösbare, in diesem Falle die Ermüdung, sich bemerk¬
bar macht.
Zur Entscheidung über diese beiden Möglichkeiten und damit
zur Klärung der Frage, ob und wie weit eine kausale Abhängigkeit
des Schlafbedürfnisses von der Temperaturreaktion besteht, war
eine genaue Prüfung des zeitlichen Ablaufs beider Reaktionen not¬
wendig. Die Temperaturreaktion tritt im allgemeinen innerhalb der
ersten 2 Stunden auf, um meist nach 4—6 Stunden abzuklingen.
Der Eintritt der Schläfrigkeit machte sich bei der Mehrzahl inner¬
halb der ersten Stunde bemerkbar, recht oft vor dem Anstieg der
Temperaturkurve. Es hat den Anschein, als ob bei den stärker mit
Temperatur (über 0,5°) reagierenden Personen der Eintritt des Schlaf¬
bedürfnisses etwas weiter hinausgeschoben wird (unter 26 Fällen
20mal). In den 3 Fällen mit lebhafter Temperaturerhöhung setzte die
Schläfrigkeit erst nach dem Abfall der Temperatur ein. Die Stärke
des Schlafbedürfnisses richtig abzuschätzen ist nicht immer ganz
einfach. Ich kann deswegen nur sagen: wir hatten den Eindruck,
als ob sie sich proportional der Höhe des Temperaturausschlages
bewegte (in Uebereinstimmung mit Lust). All diese Beobachtungen
veranschaulichen zunächst, daß von einem einheitlichen zeitlichen
Zusammenhang zwischen der durch parenterale Eiweißzufuhr aus¬
gelösten Temperatur und der gleicherweise erzeugten Schlafreaktion
keinesfalls gesprochen werden kann, geschweige denn von einer
zeitlichen Koinzidenz, wie sie sich in dem Lustschen Falle dar¬
stellte. Bei Lust wurde der Schlaf immer durch die ansteigende
Temperatur eingeleitet, in meinen Fällen war das Schlafbedürfnis
meist die erste merkbare Reaktion. Lusts Fall erwachte nach
dem Abfall der Temperatur, meine stark temperaturreagierenden
Patientinnen fingen dann erst an. zu schlafen. Wenn Lust mit
seiner Bemerkung, daß anscheinend schon eine Erhebung der Tem¬
peratur auf 37,5—37,8° schlaffördernd bzw. beruhigend zu wirken
imstande sei, zum Ausdruck bringen will, daß der sedative Erfolg
von der absoluten Temperaturhöhe abhänge, so lauten auch darin
meine Erfahrungen anders. Wohl scheint, wie schon hervorgehoben,
die Höhe der Temperaturreaktion zur Stärke der Schlafreaktion in
f ewisser Parallele zu stehen. Es reagierten aber mit ausgesprochenem
chlafbedürfnis Patientinnen, die eine Temperaturhöhe von 37,5 gar
nicht erreichten. Aus der Art nun, wie diese beiden Reaktionen
zeitlich verknüpft sind, ergibt sich weiter, daß sich unmöglich die
kausale Abhängigkeit des Schlafbedürfnisses von dem Fieber kon¬
struieren läßt. Das von Lust angestellte Experimentum crucis mit
Antipyrin erschiene danach für meine Fälle eigentlich überflüssig,
zumal ich den positiven Ausfall im Falle Lusts, so bestechend er
dort zunächst erscheinen mag, nicht für beweisend halte. Denn die
temperaturherabsetzenden Antipyringaben könnten doch auch die
Reaktionsfähigkeit des Organismus im Sinne einer Erschwerung oder
eines völligen Ausbleibens der Schläfrigkeit beeinflussen. Es würde
uns das besonders einleuchten, wenn bei dem postenzephalitischen
Kind der durch den unspezifischen Reiz ausgelöste Schlaf doch eine
Herdreaktion darstellt. Einen derartig antipyretisch behandelten Or¬
ganismus möchte ich in Gegensatz stellen zu einem fiebernden, der
auf einer ganz anderen, nämlich sehr hohen Reaktionsstufe steht
und darum auf relativ geringe Gaben von Proteinstoffen mit leb¬
haften Reaktionen anspricht. Der durch die Eiweißzufuhr ausge¬
löste pyrogene Effekt kann durch die entgegengesetzte, der Beruhi¬
gung des pathologisch erregten, wärmeeinsparenden Zentrums
dienende Wirkung des Antipyrins aufgehoben werden. Verhalten
sich diese beiden Substanzen gegenüber dem schlafregulierenden
Zentrum bei gröberer Betrachtung auch gleich oder ähnlich, so
wäre doch wohl möglich, daß der Mechanismus ihrer Wirkung
durchaus verschieden ist und daß bei ihrem gleichzeitigen Vor¬
handensein im Organismus ein Antagonismus zustandekommt. Auf
der anderen Seite — wenn man nicht voreingenommen ist durch
die Lu st sehe Erfahrung oder seinen Fall, als besonders gelagert,
ausschaltet — müßte bei Verwendung von Antipyrin neben paren¬
teraler Eiweißzufuhr an eine Summation von Schlafimpulsen gedacht
werden. Das würde eigentlich am nächstliegenden erscheinen. Ich
erinnere in diesem Zusammenhänge daran, daß man bei der Vakzina¬
tion die leicht narkotische Wirkung des Aspirins oft und mit Erfolg
dazu verwendet, um unangenehme Reaktionen zu verhüten.
Gegenüber all diesen Unklarheiten schien es mir nun doch er¬
wünscht, nach dem Vorgang von Lust das Reaktionsverhalten kasein¬
behandelter Personen nach Darreichung von Antipyretika zu studieren.
Ich verfüge über 25 Einzelbeobachtungen, die die verschiedensten
Variationen umschließen. Es wurde entweder Antipyrin oder Aspirin
verwandt, von beiden immer 1 g. Ich will mich hier nicht in
Einzelheiten verlieren, sondern lediglich als Resultat mitteilen, daß
zunächst einmal eine nennenswerte Beeinflussung der Temperatur¬
kurve nicht erfolgte. Sie unterschied sich prinzipiell nicht von der
Kurve einer nur kaseingespritzten Patientin. Ebensowenig wurde
eine Beeinträchtigung der Müdigkeitsreaktion wahrgenommen, aller¬
dings auch keine Verstärkung. Wurde erst im Verlauf der Reak¬
tionsphase Aspirin und Antipyrin gegeben, so blieb auch das ohne
Einwirkung. Ebenso war aer zeitliche Ablauf der verschiedenen
Reaktionen der gleiche wie in den Fällen, die nur Kasein bekommen
hatten. Auch hier wieder sehr oft zuerst die Müdigkeit, die dann
und wann in Schlaf überging (am Tage!), und danach erst eine
deutliche Erhebung der Temperaturkurve.
Auf Grund meiner nun doch sehr vielfältigen Er¬
fahrungen muß ich demnach eine kausale Verquickung
von Temperatur und Schlaf, wie sie als Reaktionen
durch parenterale Eiweißzufuhr ausgelöst werden, in
dem Sinne ablehnen, daß der Schlaf durch die Tem¬
peratur bedingt würde. Beide Erscheinungen sind als
selbständige, einmal neben-, einmal nacheinander¬
ablaufende Proteinkörperreaktionen zu betrachten.
Aus der Universitäts-Hautklinik in Berlin.
(Direktor: Prof. Arndt.)
Zur Frage der Salvarsandermatitis.
Von Dr. Wilhelm Heyn, Assistent der Klinik.
Wenn die Anwendung des für die Behandlung und Heilung der
Syphilis so wertvollen Salvarsans zuweilen lebensgefährliche Ver¬
giftungen im Gefolge hat, so darf man sich darüber nicht mit dem
wort von den „unvermeidlich zu bringenden Opfern“ hinwegtrösten.
Die Folgen sind zu schwer, und besonders ist auch die immer größer
werdende Gefahr vorhanden, daß das Salvarsan in Mißkredit gerät.
So ist man denn von jeher bemüht gewesen, die Zusammensetzung
der Salvarsanpräparate weiter zu verbessern und namentlich die
Regeln für ihre Anwendung so zu vervollkommnen, daß Unglücksfälle
vermieden werden. Die Tendenz ging bei der Mehrzahl der Autoren
dahin, erstens die Behandlung vorsichtig mit kleinen Dosen zu be¬
ginnen, um der sogenannten Salvarsanidiosynkrasie aus dem Wege
zu gehen, zweitens die Abstände zwischen den Einspritzungen lang
genug zu wählen sowie die Höhe der Dosis und die für eine Kur zu
verwendende Gesamtmenge des Mittels so zu begrenzen, daß eine
Kumulation und die absolute Ueberdosierung vermieden wurden, und
drittens eine genaue Beachtung der absoluten und relativen Kontra¬
indikationen gegen die Salvarsananwendung zu fordern.
Leider hat es sich aber gezeigt, daß immer wieder Unfälle ein¬
traten, und seit dem Kriege hat sich deren Zahl sogar in beunruhigen¬
der Weise vermehrt. Zum Teil liegt das ja sicherlich an der gegen
früher sehr viel größeren Zahl der behandelten Fälle und einer viel¬
fach kritiklosen Anwendung des Mittels sowie an der Verschlechterung
des allgemeinen Kräftezustandes der Bevölkerung und auch an einer
ungenügenden Befolgung der unerläßlichen, allgemeinen Vorsichts¬
maßregeln. Gewichtige Gründe veranlassen ferner nicht wenige objek¬
tive Beurteiler, den Salvarsanpräparaten hinsichtlich ihrer exakten
chemischen Zusammensetzung bzw. Reinheit nicht mehr so unbedingt
wie früher zu vertrauen. Aber diese Dinge sind nicht allein verant¬
wortlich zu machen, vielmehr ist es in erster Linie erforderlich, daß
Klarheit herrscht über die Grundlagen unserer Dosierung, welche sich
aus der richtigen Deutung der an den Kranken gemachten Beobachtun¬
gen ergeben. Da ist zunächst zu betonen, daß es — ganz abgesehen
von den bereits erwähnten Fällen von Ueberempfiudlichkeit gegen
Salvarsan — eine praktisch verwertbare „mittlere Toleranz“ und
damit eine schematisch gültige Einzel- oder gar Gesamtdosi9 wirk¬
samer Höhe streng genommen überiiaupt nicht gibt. Trotzdem in
Lehrbüchern und Abhandlungen auf die bei jeder und selbst bei der
vorsichtigsten Behandlungsweise einzuhaltenden Kautelen hingewiesen
wird, hat sich allmählich in der Anwendung des Salvarsans vielfach
ein verhängnisvoller Schematismus entwickelt. Wir behandeln Indi¬
viduen, und diese haben gegenüber dem Salvarsan durchaus keine
enerelle, sondern eine individuelle Toleranz, deren Höhe
em Arzt in jedem einzelnen Falle von vornherein unbekannt ist und
die ferner bei einem und demselben Patienten wiederum durchaus
Digitized by Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSSTV
768
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
keine konstante Größe darzustellen braucht, sondern nicht selten
zeitlichen Schwankungen unterworfen ist. Unsere Aufgabe muß es
demnach sein, bei Anwendung der Salvarsanpräparate derart zu indi¬
vidualisieren, daß wir auch eine relative Intoleranz möglichst
in jedem Falle rechtzeitig erkennen und so wenigstens schwerere
Schädigungen nach Möglichkeit vermeiden. Die Getahr der relativen
Ueberdosierung wird um so größer, je intensiver die Salvarsan-
darreichung gestaltet wird. Daraus ergibt sich die Folgerung: Einzel-
und Gesamtdosis müssen um so niedriger und die Zwischenräume
zwischen den Gaben um so länger gewählt werden, je weniger ein
Arzt mangels Erfahrung und Schulung oder infolge Ueberlastung in
der Lage ist, die oft nicht leicht zu deutenden Anzeichen drohender
Intoleranz früh genug zu bemerken und richtig zu werten, und je
schlechter der allgemeine Gesundheitszustand des jeweiligen Kranken¬
materials (Großstadt!) ist.
Wir werden Ehrlichs großes Erbe am besten verwalten, wenn
wir, wie die Dinge heute liegen, mit größter Sorgfalt darüber wachen,
daß vor allem andern niemandem aus der Salvarsananwendung Schaden
erwächst, sei es selbst, daß wir das Endziel der Therapia magna
sterilisans dabei, gewiß nicht für immer, aber jedenfalls bis auf
weiteres, aus dem Gesichtskreis verschwinden sehen. Jede Sal-
varsanschädigung ist die Folge einer relativen Ueber¬
dosierung.
Aber ist es denn überhaupt möglich, das drohende Unheil recht¬
zeitig zu erkennen? Ueber diesen Punkt sind die Ansichten sehr
verschieden. Vielfach wird behauptet, die schweren Erscheinungen
pflegten schlagartig einzusetzen, wie ein „Blitz aus heiterem Himmel“,
sie zu vermeiden wäre demnach, da keine Dosierungsmethode gänzlich
davor schütze, im Prinzip unmöglich. Solchen Anschauungen —
jedenfalls insoweit, als die Salvarsandermatitis in
Frage kommt — entgegenzutreten, ist der Hauptzweck
dieser Zeilen.
Selbst wenn es zuträfe, daß auch der Erfahrene dem Eintritt
schwerer Salvarsanzwischenfälle zur Zeit stets hilflos ausgesetzt ist,
wäre es m. E. von höchst nachteiliger Wirkung, wenn ein derartig
fatalistischer Standpunkt weitere Verbreitung finden würde. Es er¬
scheint vielmehr von der größten Wichtigkeit, den Kreis der absoluten
und namentlich auch der relativen Kontrarndikationen mehr und mehr
zu vervollständigen und durch strengere Fassung der Indikationen
das Anwendungsgebiet des Salvarsans auf das notwendige Maß zu
beschränken, sowie ferner besonders die Vorsichtsmaßregeln auszu¬
bauen und der ärztlichen Allgemeinheit näher zu bringen, die uns
die Vermeidung der Schädigungen erleichtern können. Angesichts der
z. Zt. bestehenden tatsächlichen Verhältnisse muß festgestellt wer¬
den, daß der Arzt bei der noch vielfach gebräuchlichen, sehr weit¬
gehenden Anwendung des Salvarsans zum mindesten vor seinem
eigenen Bewußtsein ebenso schwer mit der unabweisbaren Verant¬
wortung für eine Schädigung durch die Behandlung belastet ist, wie
etwa ein Chirurg, der eine das Leben unter Umständen gefährdende
Operation ohne lndicatio vitalis vomimmt.
Unter den schweren Salvarsanschädigungen spielen neben dem
in seiner Pathogenese noch nicht einwandfrei aufgeklärten sogenannten
Salvarsanikterus die universellen Dermatitiden praktisch die wichtigste
Rolle. Hinsichtlich der Häufigkeit des Vorkommens stehen sie nach
dem Ikterus an zweiter Stelle. Und wenn auch ein großer Teil
schließlich in Genesung ausgeht, so sind doch Todesfälle keineswegs
die Ausnahme. Stets aber bedeutet eine derartige Erkrankung monate¬
langes, schwerstes und qualvollstes Siechtum, und daran anschließend
eine meist bis zum Eintritt der Erwerbsfähigkeit wiederum Monate
beanspruchende Rekonvaleszenz, sodaß der Patient oft neben der
gesundheitlichen auch schwere wirtschaftliche Einbuße erleidet.
Wie sieht es nun mit den Vorboten bzw. der eventuellen Vermeid¬
barkeit solcher schweren Zufälle aus? Darüber geben einige Kranken¬
geschichten, die ich im Folgenden mitteile, vielleicht einigen Auf¬
schluß. Hervorheben möchte ich, daß es sich bei meinen Fällen durch¬
weg um „reine“ Salvarsandermatitis handelt, sodaß also diejenigen
Einwände, welche sich bei voraufgegangener kombinierter Behandlung
aus der vollkommenen klinischen Analogie der universellen Hg-
Dermatitis mit der Hautentzündung durch Salvarsan ergeben, hier
ohne weiteres entfallen.
Ich darf mich bei der Schilderung meiner Beobachtungen hinsicht¬
lich der oft und genau beschriebenen dermatologischen Details des
im ganzen ja ziemlich einförmigen Krankheitsbilaes kurz fassen und
werde den Schwerpunkt der Darstellung auf diejenigen Daten der
Vorgeschichte verlegen, auf die es im Zusammenhang der vorliegenden
Arbeit hauptsächlich ankommt.
1. Fall. F. R., 19jähriger Mann, bekam seiner Angabe nach
wegen eines „verdächtigen Geschwürs“ innerhalb von vier
Wochen 8 Injektionen zu je 0,6 Neosalvarsan. 14 Tage
nach der letzten Einspritzung trat ein Ausschlag auf, der sich innerhalb
der nächsten Woche so verschlimmerte, daß Patient die Klinik aufsuchen
mußte. Bei der Aufnahme am 15. IV. 1920 bestanden eine schwere,
universelle, mit Nässen und Krustenbildung einhergehende Dermatitis,
hohes Fieber, schwere Prostration, heftige subjektive Beschwerden,
völlige Schlaflosigkeit. Die inneren Organe boten keinen krankhaften
Befund. Urin frei von Eiweiß und Zucker. Nach drei Wodien waren
die akuten Erscheinungen zurückgegangen. Starker universeller Haar¬
ausfall. Während der zwei Monate beanspruchenden Rekonvaleszenz
bestand noch lange Zeit Rötung und Schuppung. An den Händen,
namentlich an den Streckseiten der Finger und an den Handtellern,
entwickelte sich eine diffuse Hyperkeratose mäßigen Grades. Ausgang
in Heilung.
Wir haben hier also einen Fall vor uns, welcher, falls die Angaben
des Patienten zutreffen, aus einer relativen Indikation — die syphili¬
tische Natur des Schankers war nicht sicher festgestellt — einer
Abortivkur mit Salvarsan unterzogen wurde. Was die Dosierung
anbetrifft, so kann nach meiner Ansicht kaum bestritten werden, daß
die Einzelgaben absolut zu hoch, die Zwischenräume zwischen den
Einspritzungen (2—3 Tage) absolut zu kurz waren. Aus den Angaben
des Kranken ergibt sich nichts darüber, daß während der Behandlung
Anzeichen schlechter Verträglichkeit (Fieber, Gewichtsverlust) auf¬
getreten wären. Hervorzuheben ist das späte Einsetzen der Dermatitis,
die erst 14 Tage nach Beendigung der Kur begann.
2. Fall. H. B., 48jähriger Mann, starker Raucher, sehr nervös,
aufgenommen am 29.1.1921, gibt an, daß am 29. XII. 1920 durch seinen
Arzt wegen eines syphilitischen Primäraffekts eine Salvarsankur ein¬
geleitet worden sei. Bis zum 18.1.1921 sei jeden 2.— 3. Tag eine
intravenöse Salvarsaneinspritzung (unbekannt, welchen Präparates)
gemacht worden. Er habe insgesamt 7 Einspritzungen von je 0,2 bis
0,4 g, im ganzen 2,0 g des Mittels erhalten. Die Kur sei ihm von
Anfang an schlecht bekommen, er habe dauernd, besonders im un¬
mittelbaren Anschluß an die Einspritzungen, bis über 39° Fieber
gehabt und wiederholt Bedenken geäußert, besonders, als er am 12.1.
einen Ausschlag zunächst an den Beinen bemerkte, der sich allmählich
unter Zunahme des Krankheitsgefühls über den ganzen Körper aus¬
breitete. Seit 21.1. liegt Patient zu Bett, ist völlig ohne Schlaf, appetit¬
los, von zunehmenden Beschwerden geplagt. Befund: Schwere uni¬
verselle exfoliierende, zum Teil hämorrhagische Erythrodermie und
Dermatitis. Starke Schwellung, Nässen, Krustenbildung, namentlich
der Haut des Gesichts, der Ohrmuscheln, Unterarme, Unterschenkel,
Genitalgegend. Schwellung und Rötung auch der Mundschleimhaut,
besonders des Zahnfleisches; sehr defekte Zähne, starker Foetor ex
ore. An den inneren Organen, abgesehen von einer diffusen Bron¬
chitis, kein krankhafter Befund. Urin frei von Zucker und Eiweiß
Temperatur: 39°. Während der vierwöchigen Beobachtung (Behand¬
lung: Zinktrockenpinselung, Verbände mit weicher Zinkpaste, Bäder)
ließen die heftigen Fieberbewegungen allmählich nach, und die Derma¬
titis bildete sich langsam so weit zurück, daß die immer noch dunkel
gerötete Haut größtenteils nur noch trocken schuppte. Gleichzeitig
entwickelte sich ein übermächtiger Juckreiz, und infolge des Kratzen*
traten zahlreiche Furunkel auf. Es bestand anhaltende quälende Schlaf¬
losigkeit, zunehmende Hinfälligkeit. Am 24. II. verließ Br. gegen
unsem Rat die Klinik und suchte eine Dermatologische Privatklinik
auf, wo er einige Tage später an einer Pneumonie zugrundeging.
Bei der Beurteilung dieser Krankheitsgeschichte wäre zunächst
die Frage zu beantworten, ob sich die Schädigung eventuell hätte
vermeiden lassen. Und da muß gesagt werden, daß bei einem
48jährigen Mann, bei dem Alkohol- und Nikotinmißbrauch vorlag, eine
besonders vorsichtige Dosierung (Beginn mit kleinsten Dosen, allmäh¬
liche Steigerung, genügende Intervalle zwischen den einzelnen Ein¬
spritzungen) am Platze gewesen wäre. Die Zwischenräume zwischen
den Salvarsaninjektionen waren auch hier viel zu kurz. Diese ohne
Rücksicht auf die relativen Kontraindikationen unternommene Behand¬
lung und unvorsichtige Dosierung wurde trotz ständiger, von Anfang
an den Kranken und seine Angehörigen beunruhigender Temperatur¬
steigerungen und sonstiger ungünstiger Allgemeinerscheinungen und
trotz mehrfachen Einspruchs von seiten des Patienten Wochen Hindurch
mit einem geradezu unbegreiflichen Schematismus durchgeführt. Auch
durch das Auftreten eines zunächst banal aussehenden, ekzemähnlichen
Ausschlags an den Unterschenkeln in seinem Vorgehen nicht stutzig
gemacht, setzte der Arzt seine Einspritzungen so lange fort, bis der
Patient durch die mittlerweile universell gewordene Dermatitis bett¬
lägerig geworden und an dem weiteren Erscheinen in der Sprech¬
stunde verhindert war.
3. Fall. K.S., 22jährigetf Mann, der im Verdacht stand, seine
Braut infiziert zu haben, wurde lediglich, weil die einmal angestellte
Wa.R. ein positives Resultat ergeben hatte, ohne daß sonstige An¬
zeichen von Syphilis vorhanden waren, von privatärztlicher Seite einer
Salvarsanbehandlung unterzogen, ln der Zeit vom 12. II. bis 7. III. 1921,
in Abständen von 2—3 Tagen, bekam Patient 11 Einspritzungen von
je 0,2 Sulfoxylatsalvarsan. Nach der 10. Gabe, am 6. III., bemerkteer
einen juckenden Ausschlag an den Händen und zeigte diesen dem
Arzt, der ihm trotzdem am 7. III. die 11. Einspritzung verabfolgte.
Am Abend desselben Tages trat hohes Fieber ein. Am 8. III. trat ein
Ausschlag am Rumpf auf, der vom Hausarzt, einem Nichtdermatologen,
für Scharlach gehalten wurde. Bei der Einlieferung in die Universitäts-
hautklinik am 11. III. bot der Kranke, neben einem fast universellen,
teilweise noch skarlatiniformen, an den Beinen hämorrhagischen Ery¬
them, an Händen und namentlich Füßen ausgedehnte, bis hühnerei¬
große Blasen mit teilweise hämorrhagischem Inhalt, solche geringerer
Größe auch im Gesicht und am Halse dar. Die Schleimhaut der Mund¬
höhle, insbesondere der Zungenrücken und die Innenflächen der Lippen
und Wangen zeigten auf geröteter und geschwollener Basis dicht¬
stehende, stecknadelkopfgroße Bläschen bzw. Erosionen und punkt¬
förmige Hämorrhagien. Innere Organe ohne Befund. Temperatur 39,5
Verlauf: Hohes, fast kontinuierliches Fieber, völlige Schlaflosigkeit
große Schmerzhaftigkeit der Haut, besonders im Bereich der Blasen.
In den ersten Beobachtungstagen kommt es zur ausgebildeten Derma¬
titis: namentlich in den Beugen und auch am Rumpf zeigt die Haut
ödematöse Durchtränkung, Bläschenbildung. In der Folge gingen die
akut entzündlichen Erscheinungen unter Behandlung mit Kalkwasser
Digitized b
Google
Original from
CORNELL UNfVERSITY
9. Juni 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE.WOCHENSCHRIFT
769
liniment und Bädern zurück. Nachdem schon am 16. III. Schmerzen
und neuerdings hohes Fieber aufgetreten waren, wurde am 18. III.
inmitten einer diffus geschwollenen Hautpartie auf eine walnußgroße
Resistenz in der linken Axilla, die für einen Abszeß gehalten wurde,
inzidiert. Bei der Inzision fand sich jedoch kein Abszeß, sondern eine
Drüse von trocken nekrotischer Beschaffenheit. An den folgenden
Tagen nahm die Schwellung weiter zu, das Allgemeinbefinden ver¬
schlechterte sich rasch, eine am 26. III. noch angelegte, breite Inzision
in die erkrankte Partie ergab eine tiefgreifende eitrige Infiltration
der Weichteile. Eine halbe Stunde später trat der Exitus ein. Aus
dem Sektionsbefund (Prof. Ceelen): Phlegmone der linken Achsel¬
höhle und Umgebung, beiderseitige eitrige Pleuritis, eitrige Peritonitis,
Mediastinalphlegmone, septische Parenchymcfegeneration. Bakterio¬
logisch: Hämolytische Streptokokken im phlegmonösen Gewebe und
steril entnommenen Venenblut.
Auch in diesem Falle ist der Forderung, eine energische Salvarsan-
behandlung nur auf Grund ausreichender Indikation vorzunehmen,
nicht genügend Rechnung getragen worden. Die Einzeldosis war zwar
nicht übermäßig hoch, jedoch waren auch hier die Zwischenräume
(2—3 Tage) viel zu kurz, ganz besonders für Sulfoxylatsalvarsan, das
sich bekanntlich durch eine besonders lange Remanenz im Organismus
auszeichnet und bei dem also die Gefahr der Kumulation besonders
nahe liegt. Auch hier dokumentierte sich das Herannahen der schweren
Hauterscheinungen bereits nach der 10. Einspritzung durch das Auf¬
treten eines geringfügigen, banal aussehenden Ausschlags an den
Händen, und wenn auch nicht mit Sicherheit behauptet werden kann,
daß durch sofortige Unterbrechung der Kur das Eintreten schwerer
Erscheinungen ganz vermieden woraen wäre, so hat doch ohne Frage
die unter Nichtbeachtung der erwähnten Warnungszeichen verab¬
reichte 11. Einspritzung noch weiter erheblichen Schaden gestiftet.
4. Fall. P. R., 34 Jahre alt, 1908 wegen sekundärer Syphilis mit
mehrwöchiger Schmierkur, 1909—1913 außerdem viermal mit je 12 In¬
jektionen von Hydrargyrum salicylicum behandelt, erkrankte 1920 mit
Drüsensdiwellung am linken Kieferwinkel. Wa.R. ++++• Einleitung
einer Schmierkur. Eine Salvarsaneinspritzung hatte
14 Tage lang Abgeschlagenheit und Kopfschmerzen
im Gefolge. Weitere Zunahme der Drüsenschwellungen, die auch
auf Röntgenbestrahlung nicht wichen. Nunmehr wurden 20 Injektionen
von Hydrargyrum salicylicum verabreicht, ohne daß sich die Drüsen¬
veränderungen zurückbildeten. Nach kurzer Pause wurde eine Salvar-
sankur begonnen. Es wurde wöchentlich eine Einspritzung von 0,6 g
gemacht 1 ). Nach der 6. Einspritzung empfand der Patient sofort ein
kurz dauerndes Gefühl von Prickeln am ganzen Körper. Zwei Tage
später trat eine Anschwellung des einen Armes und ein juckender Aus¬
schlag hinter den Ohren und an den Fußknöcheln auf. Der Arzt
meinte, diese Erscheinungen hätten mit dem Salvarsan nichts zu tun,
und machte eine 7. Einspritzung. Nun verschlimmerte sich der Aus¬
schlag rasch und breitete sieb unter Fieber, Appetitlosigkeit und
uälender Schlaflosigkeit über den ganzen Körper aus. 14 Tage nach
er 7. Einspritzung wurde der Kranke am 24. V. aufgenommen. Der
große, kräftige, wohlgenährte Mann bot eine diffuse, universelle, im
Gesicht und an Händen und Füßen mit Exsudation einhergehende,
im übriger, in Rötung, Schwellung und reichlicher Schuppung be¬
stehende Dermatitis dar. Das Allgemeinbefinden war bis auf die
quälende Schlaflosigkeit nicht besonders schwer gestört. Der Fall
verlief günstig. Als der Kranke Ende Juli als bis auf weiteres arbeits¬
unfähiger Rekonvaleszent entlassen wurde, bestand noch eine gewisse
Spannung und Trockenheit der Haut. Auf dem behaarten Kopf Schup-
* penbildung. Handteller und Fußsohlen waren Sitz einer flächenhaften,
hochgradigen Hyperkeratose. Am Nacken-, Hals- und Rumpfhaut
hatte sich eine schmutzig-graubräunliche, verwaschene Pigmentierung
entwickelt.
Man könnte sich fragen, ob das Vorhandensein einer Drüsen¬
schwellung, deren syphilitische Natur zudem, trotz der positiven Wa.R.,
keineswegs über jeden Zweifel erhaben war, genügend Anlaß zur
Einleitung einer Salvarsanbehandlung mit derart massiven Dosen sein
konnte. Um so mehr, als der Kranke einmalaufeineSalvarsan-
einspritzung mit wochenlanger Störung seines Wohl¬
befindens reagiert hatte. Der entscheidende Fehler war aber
wiederum die Außerachtlassung der prämonitorischen
Haut Veränderungen, welche infolge ihres scheinbar banalen
Aussehens sehr mit Unrecht für ein akzidentelles Ekzem gehalten
wurden. —
In sämtlichen angeführten Fällen traten die schweren Störungen
nicht gleich im Anfang, sondern erst einige (2—6) Wochen nach Beginn
der Kur auf, sodaß eventuell Gelegenheit gewesen wäre, allerleichteste
Anzeichen schlechter Toleranz bei genügend sorgfältiger Beobachtung
der Kranken wahrzunehmen.
Abgesehen vom ersten Fall, ließ sich bei sämtlichen Kranken das
Vorhergehen gröberer Störungen nachweisen. Sie hätten zur sofortigen
Unterbrechung der Kur Veranlassung geben müssen, wodurch wahr¬
scheinlich der schwere Verlauf vermieden worden wäre.
Die universelle Dermatitis trat sowohl nach Neosalvarsan wie
nach Sulfoxylatsalvarsan auf. Gerade in letzter Zeit ist betont worden,
daß bestimmte Präparate, namentlich Silbersalvarsan und Sulfoxylat¬
salvarsan, vorwiegend Salvarsandermatitis machen und daß im Ver-
>) Trotzdem der Patient vor Einleitung der Salvarsanbehandlung auch Hg be¬
kommen hatte, ist doch ein Zweifel an der ätiologischen Bedeutung des Salvarsans
für die Entstehung der Hautentzündung nicht angängig, da diese mindestens 6 Wochen
nach der letzten Hg-Injektion aufgetreten ist.
gleich dazu das Neosalvarsan in dieser Hinsicht mehr oder weniger
harmlos sei. Aus meinen Beobachtungen geht hervor, daß auch nach
Anwendung von Neosalvarsan, wie überßaupt wohl nach jedem
Salvarsanpräparat, die erwähnten schweren Schädi¬
gungen auftreten können. Daß sie in einem Teil der Fälle
vermieden werden können, ist höchst wahrscheinlich und geht auch
aus anderen in der Literatur niedergelegten Beobachtungen hervor
Und auch in denjenigen Fällen, in denen die Katastrophe schlagartig
einzusetzen schien, ist das Voraufgehen leichter Warnungszeichen
natürlich sehr schwer auszuschließen, besonders, wenn es sich um
ambulant behandelte Kranke handelt. Temperatursteigerungen,
die bei klinisch behandelten Patienten zur Vorsicht mahnen und unter
Umständen eine vorübergehende Unterbrechung oder doch Abschwä¬
chung der Kur zur Folge haben würden, können von poliklinischen
Kranken sehr leicht übersehen werden, wenn man diese nicht anhält,
wie dies sehr wünschenswert wäre, regelmäßig oder doch mindestens
am Tage vor jeder Einspritzung und am Tage der Einspritzung selbst
ihre Temperatur sorgfältig zu messen. Gewichtsabnahme wird
von ambulant behandelten Patienten sehr oft nicht genügend beachtet,
und doch kann sie der einzige Indikator der schlechten Verträglichkeit
sein. Es ist unbedingt erforderlich, das Gewicht mindestens einmal
in der Woche festzustellen und bei stärkeren Einbußen die Behand¬
lung zu unterbrechen oder zu modifizieren.
Vor allem ist auf starken Kopfschmerz, Erbrechen,
Durchfälle sorgfältig zu achten.
In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, daß manche Kranke,
in dem an sich sympathischen Bestreben, die Kur, auf deren Wirkung
sie große Hoffnungen setzen, nicht zu stören, ihre Beschwerden hart¬
näckig verheimlichen.
Jede Hautveränderung, die während der Kur auftritt und
bei der auch nur die Möglichkeit eines Zusammenhanges mit der
Salvarsanmedikation besteht, ist eine Indikation zur sofortigen Unter¬
brechung der Kur. Es kann nicht genug betont werden, daß die
ersten Erscheinungen von seiten der Haut absolut harmlos und banal
aussehen, eine gewöhnliche Dermatitis, ein Ekzem usw. Vortäuschen
können und daß die Verkennung gerade in solchen Fällen die schwer¬
sten Folgen hat. In einem unserer Fälle von Salvarsandermatitis
wurde der Beginn der letzteren als Pruritus der Fußsohlen auf
Schweißeinwirkung zurückgeführt* in einem andern Fall wurden
die ersten ekzemähnlichen Veränderungen an den Fingern als
Krätze aufgefaßt. Daß uns die sorgfältigste Beobachtung aller der¬
artigen, im Verlauf einer Salvarsankur auf tretenden Veränderungen
an die Grenzen dessen führt, was man als krankhafte Störung erkennen
kann, ist natürlich kein Grund dagegen, an der Verfeinerung unserer
Beobachtung weiterzuarbeiten, wenn man bedenkt, daß man dadurch
unter Umständen großes Unglück verhüten kann.
Es ist sehr verhängnisvoll, sich damit abzufinden, daß die Sal¬
varsandermatitis quasi ein notwendiges Uebel wäre, das in einem
mehr oder weniger hohen Prozentsatz der behandelten Fälle eintreten
müßte. In einer großen Zahl von Fällen ist sie höchstwahrscheinlich
durch sorgfältigste Beobachtung der erwähnten Störungen, die als
Vorläufer auftreten können, zu vermeiden.
Aus der Dermatologischen Universitätsklinik in Breslau.
(Direktor: Geh.-Rat Jadassohn.)
Versuche mit Rivanol bei Gonorrhoe und Pyodermien.
Von Hans Biberstein.
Im Zusammenhang mit Untersuchungen über die Hautdiphtherie,
insbesondere die ekzematoide Form, haben wir über therapeutische
Erfolge mit Eukupin und Vuzin berichten können, die es uns nahe¬
legten, auch das neueste von Morgenroth angegebene Chemo¬
therapeutikum, das Rivanol, auf seine Wirkung als Oberfiächen-
desinfiziens zu prüfen. Unsere Untersuchungen sind etwa im Sep¬
tember vorigen Jahres begonnen worden. Inzwischen ist die theo¬
retische und experimentelle Grundlage für das Rivanol von Morgen-
roth. Schnitzer und Eva Rosenberg 1 ) veröffentlicht worden,
und Rosenstein 2 ), Klapp 3 ) und Haertel und Kishalmy 4 )
konnten über sehr gute therapeutische Erfolge •berichten, insbeson¬
dere Klapp 5 ) über solche bei gonorrhoischen Gelenkentzündungen.
Wir haben das *Mittel bei Gonorrhoe, Ulcus molle und Der¬
matosen angewendet und möchten, trotzdem unsere Erfahrungen
sich über einen verhältnismäßig kleinen Zeitraum erstrecken, die
Ergebnisse in aller Kürze veröffentlichen.
Bei der Gonorrhoebehandlung mußten wir vorsichtig
tastend Vorgehen, da Versuche darüber noch nicht Vorlagen. Schlie߬
lich kamen wir dahin, daß für die männliche Urethra Konzentrationen
von 1:2000 bis 1:500 erträglich sind, wenn man allmählich steigend
vorgeht. Frühzeitige Anwendung der starken Konzentrationen bei
frischer Gonorrhoe bewirkte mitunter Brennen, zweimal sogar blu¬
tiges Sekret. Konzentrationen von etwa 1:800 wirken kaum reizend
und scheinen bakterizid genug zy sein, um die Gonokokken zu be¬
seitigen; die Injektionen ließen wir viermal täglich in der Weise
vornehmen, daß erst eine Reinigungsinjektion und dann die eigent-
*) D. in. W. 1921 Nr. 44. - •) D. m. W. 1921 Nr. 44. - ») D. in. W. 1921 Nr. 46.
*) D. m. W. 1921 Nr. 48. — *) Fortschr. d. M. 1922 Nr. 1.
Digitized by Google
Original from
CORNEIL UNIVERSUM
770
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
lieh therapeutische appliziert wurde, die 5—10 Minuten zuruckgehalten
wurde. Die Posterior wurde mit Guyonschem Katheter (1:1500 bis
1:500) behandelt in täglichem Wechsel mit Spülungen der gesamten
Harnröhre 1:5000 bis 1:1000. Bei diesem Vorgehen wurden außer
den oben erwähnten keine Reizerscheinungen, geschweige denn In¬
toxikationen irgendwelcher Art gesehen. Die Behandlung mit Ri-
vanol hat allerdings, speziell für die ambulante Behandlung, den
Nachteil der Gelbfärbung der Wäsche; jedoch gehen die Flecke mit
der Zeit wieder aus. Die Vorschrift, nur frisene Lösungen zu be¬
nutzen, ist dadurch auch ambulant leicht durchführbar, daß durch
Rivanoltabletten die frische Herstellung auch kleiner Tagesmengen
ohne Materialverlust erleichtert wird l ).
Wir haben 27 Patienten, von denen 5 nur eine Gonorrhoe der
Pars anterior, 4 anterior und posterior ohne Komplikationen hatten,
mit Rivanol behandelt und nach Aussetzen der Behandlung und An¬
wendung von provozierenden Methoden — Gonokokkenvakzine, Bou¬
gierung, Heizsonde, Aolau (meist mehrere Methoden beim gleichen
Fall) — gonokokkenfrei aus der Beobachtung entlassen können. Als
gonorrhoische Komplikationen der übrigen 18 fanden sich: Prostatitis,
Epididymitis, Funikulitis, Infiltrate der Urethra, Phimose. Vorbehan¬
delt waren außerhalb der Klinik oder bei uns 13; soweit feststell¬
bar war, handelte es sich dabei um die Anwendung verschiedener
Silberpräparate, zum Teil in Verbindung mit interner Darreichung
von Antigonorrhoika. Von den mit Erfolg behandelten Patienten
konnte bei einem der Termin des Aussetzens der Therapie nicht mit
Sicherheit festgestellt werden; er scheidet für die Beurteilung aus.
Die übrigen 26 wurden durchschnittlich 35,2 Tage behandelt und
waren durchschnittlich nach 9,1 Tagen gonokokkenfrei. Unter der
Behandlung blieben die Gonokokken, nachdem sie einmal verschwun¬
den waren, definitiv fort bei 18; diese waren durchschnittlich nach
5,4 Tagen gonokokkenfrei und wurden 32,7 Tage behandelt. Bei 8
erschienen sie unter der Behandlung noch vorübergehend wieder;
diese wurden endgültig gonokokkenfrei am 18. Tage; ihre Behand¬
lungsdauer betrug 40,7 Tage.
Zu diesen 27 Patienten kommen hinzu 9, bei denen die Behand¬
lung mit Rivanol wegen vorzeitiger Entlassung unterbrochen werden
mußte (meist komplizierte Fälle mit Vorbehandlung — Verschwinden
der Gonokokken nach 4,7 Tagen). Ferner 6 mit Prostatitis oder
Epididymitis, paraurethralem Gang, periurethralem Infiltrat kompliziert,
bei denen die Gonokokken wohl zeitweise, aber nicht endgültig ver¬
schwanden, sodaß wir zu anderweitiger Behandlung übergingen.
Ich habe diese Zahlen nur angeführt, um eine objektive Grund¬
lage für meinen Eindruck zu geben, daß das Rivanol ein brauch¬
bares Mittel bei der Behandlung der Urethralgonorrhoe beim Manne
ist. Die Zahl der Fälle mit frühzeitigem endgültigen Verschwinden
der Gonokokken ist relativ groß, der Zeitpunkt des Verschwindens
früh, die durchschnittliche Gesamtdauer aer Behandlung ist nicht
besonders kurz — dabei ist aber zu berücksichtigen, daß wir, wie
bei jedem neuen Mittel, im Interesse der Patienten nicht wagten,
mit der Behandlung zu zeitig auszusetzen, weil das ja immer ein
Risiko darstellt. Erst weiterhin, besonders bei unkomplizierten Fällen,
wird man versuchen können, zur Abkürzung der Behandlung über¬
zugehen. Der Umstand, daß die Resultate bei den komplizierten
Fällen weniger gut waren, unterscheidet das Rivanol nicht von
allen andern lokalen Gonorrhoemitteln. Für das Rivanol spricht vor
allem auch die Tatsache, daß von unsern erfolgreich Behandelten
etwa die Hälfte Wochen bis Monate vergeblich vorbehandelt worden
war und unter unserer doch recht vorsichtigen Rivanolbehandlung
durchschnittlich in 5,7 Tagen endgültig negativ wurde.
Bei Behandlung der weiblichen Gonorrhoe erscheinen uns
unsere Resultate noch zu unsicher.
Beim Ulcus molle haben wir das Rivanol in lo/oiger, in ge¬
sättigter Lösung und in Salbenform verwendet; mit den Lösungen
wurde das Ulkus wie bei der Aetzung mit Karbolsäure ausgewischt
und dann ein Umschlag oder die l°/oige Salbe appliziert, ln allen
5 Fällen gelang es uns nicht, den Prozeß günstig zu beeinflussen.
Außer bei den genannten venerischen Erkrankungen haben wir
das Rivanol bei Dermatosen infektiösen Ursprungs an¬
gewendet, und zwar in Form lo/oiger Salben und Pasten und 1- und
10o/oiger Trockenpinselung (Zinc. oxyd., Tale, venet. ää 20,0, Glycerin.
Aqu. ää ad 100,0). Als bemerkenswert seien folgende Beobachtungen
mitgeteilt. Vier Ulcera cruris varicosa, die teils mit Schwarz¬
salbe, teils mit 10°/oiger Kochsalzlösung in Behandlung waren, wiesen
Pyozyaneusinfektionen auf; unter lo/oiger Rivanolvaseline wurden 2 in
24 Stunden, eins nach 3mal 24 Stunden, eins nach 5mah 24 Stunden frei
von Pyozyaneus; auch in dem letzten Falle war der Gehalt an Pyo-
zyaneus schon nach 24 Stunden wesentlich geringer. Die 4 Ulcera
cmris zeigten vor Auftreten des Pyozyaneus gute Heiltendenz: der
Pyozyaneus schien diese nicht nur zu hemmen, sondern einen Rück¬
schlag zu bewirken. Nach seiner Beseitigung heilten sie sämtlich
unter Rivanolpaste ab. So wenig wir auch von der Bedeutung de$
Keimgehaltes für die Heilung des Ulcus cruris wissen, man wird
jedenfalls die Kombination der keimtötenden und irritierenden Wir¬
kung (Klapp) gerade bei dieser Krankheit als einen Vorteil des
Rivanols ansehen müssen. Bei der bakteriologischen Beobachtung
der Pyozyaneusinfektion wurde nicht nur die Beseitigung der Pyo-
zyaneusbazHlen, sondern auch die Verminderung der Staphylokokken
verfolgt. Schon nach 24stündiger Applikation des Rivanols gingen,
*) Nach einer Mitteilung von Horn Geh.-Rat Morgenroth ist die Lösung in
brauner Flasche einige Tage haltbar.
Nr. 23
wenn wir nach der Lewandowskysehen Methode (einmalige
Materialabnahme mit spitzer Platinnadel und Verimpfung in ei n .
zelnen Strichen, fortlaufend auf mehrere Agarröhrchen) vergingen,
dort, wo vorher reichliches Kokkenwachstum festgestellt war, nur
noch vereinzelte Kolonien an. Diese Tatsache ließ uns die Rivanol-
therapie als besonders aussichtsvoll bei den Pyodermien er¬
scheinen. Wir haben von diesem Gesichtspunkte ausgehend behandelt:
Streptogene und staphylogene Impetigo*) conta¬
giosa, und zwar in der Art, daß wir bei starker Verkrustung für
24 Stunden 3<yoige Salizylvaseline zwecks Abweicnung der Krus.en auf¬
legten; dann oder, falls die Verkrustung nicht erheblich war, wurde
sogleich abgeimpft und mit lo/oiger Rivanolsalbe und nach wei¬
teren 24 Stunden mit 1 °/oiger Rivanolpaste verbunden. Die Impetigo
des behaarten Kopfes wurde nur mit l*>/oiger Rivanolvaseline behandelt.
Die kontrollierenden Abstriche wurden jedesmal vor dem Verband¬
wechsel ausgeführt; dabei zeigte sich, daß regelmäßig nach 24stün-
diger Rivanoleinwirkung Streptokokken nicht mehr gezüchtet werden
konnten und auch die Staphylokokken, falls sie noch wuchsen, ganz
wesentlich vermindert waren. Wenngleich die Wirkung auch auf
diese stark genug war, um die Herde zu sterilisieren, so haben wir
doch den Eindruck, daß sie auch auf der Haut gegen das Rivanol
nicht ganz so empfindlich sind wie die Streptokokken. Das steht im
Einklänge mit den experimentellen Feststellungen Morgenroths,
Schnitzers und Rosenbergs und den chirurgischen Erfah¬
rungen Klapps.
Die Mitübertragung des Rivanols auf den Nährboden wird gerade
bei diesem Mittel, dessen Wirkung im Wundsekret, wie wir wissen,
nicht gehemmt wird, wohl keine wesentliche Bedeutung haben — (die
3<>/oige Salizylvaseline hat keine Keim Verminderung ergeben) — vor
allem, da dem bakteriologischen auch der schnelle klinische Effekt
entsprach. Einzelne Fälle von (wie bisher immer streptogenem)
Ekthyma der Füße und Unterschenkel behandelten wir in gleicher
Weise wie die Impetigo und mit demselben sehr guten Erfolge.
Unsere Resultate sind auch hier darum als recht günstig zu be¬
werten, weil unsere Fälle vielfach vor dem Einsetzen der Rivanol-
therapie von uns und anderweitig erfolglos behandelt worden waren.
Impetigo contagiosa und Ekthyma sind eben, wie jeder Erfahrene
weiß, oft, aber keineswegs immer mit den gewöhnlich gebrauchten
Methoden schnell zu beseitigen.
Auch die postskabiösen Pyodermien wurden mit Rivanol-
trockenpinselungen behandelt. Die 10<>/oigen wandten wir bei be¬
sonders ausgedehnten Fällen an, ohne eine Reizung zu beobachten;
im allgemeinen aber war die Wirkung der lo/oigen ausreichend, um
selbst ausgedehnte und hartnäckige Erkrankungen dieser Art ohne
jede andere Therapie in 3—4 Tagen zur Abheilung zu bringen.
Schluß. Wir können also das Rivanol empfehlen 1. zur Behand¬
lung der Gonorrhoe der männlichen Harnröhre (Injektionen, Irriga¬
tionen, Guyonsche Einspritzungen); 2. bei verschiedenen Pyodermie¬
formen (Impetigo contagiosa, Ekthyma, auch post scabiem, und bei
der Pyozyaneusinfektion der Ulcera cruris.
Aus der III. Medizinischen Universitätsklinik in Budapest
(Direktor: Prof. Baron A. v. Koränyi.)
Zum Kohlcnhydratstoifwechse! der Leberkranken.
Von Dr. G6ia HettnyL
II.
Die alimentäre Hyperglykämie und Glykosurie.
Die Häufigkeit der alimentären Glykosurie bei Leberkranken,
insbesondere bei der Leberzirrhose, wurde zuerst von Cduturier
behauptet. Nach ihm haben sich zahlreiche Autoren mit dem Vor¬
kommen der Glykosurie bei Leberkrankheiten beschäftigt. Während
die ersten Nachuntersuchungen geeignet waren, diese Annahme zu
unterstützen, lehnen die späteren Autoren die Spezifizität, einzelne
sogar die Häufigkeit der alimentären Glykosurie bei Leberkranken
entschieden ab.
Worauf wurde Couturiers Annahme basiert? Nach der per-
oralen Zufuhr von 100 g Dextrose wird die Leber mit Zucker über¬
schüttet. Eine intakte Leber kann diese Menge von Zucker noch
bewältigen; sie arbeitet ihn in Glykogen um und hält ihn in dieser
Form zurück, sodaß in die Zirkulation (in den Urin) kein Zucker
gelangt. Ist aber die Leberfunktion herabgesetzt, so tritt eine In¬
suffizienz der Glykogenfixation ein; ein Teil des Zuckers gelangl
in die Zirkulation und wird durch die Nieren ausgeschieden; ft
kommt eine alimentäre Glykosurie zustande.
Gegenüber der alimentären Glykosurie wurde in der neueren
Zeit auch der berechtigte Einwand erhoben, daß an ihrem Zustande*
kommen ein Faktor beteiligt ist, welcher nichts mit der Funktion
der Leber zu tun hat: das ist der Zustand der Nieren. Um diesen
Faktor eliminieren zu können, haben die neueren Untersucher die
Veränderungen des Blutzuckergehaltes bei alimentärer Zufuhr
von Dextrose beobachtet. Mitteilungen dieser Art stammen von
Bang, Tachau, Bing-Jakobsen, Eisner-Forster usw. Ihre
*) Vgl.Lewandowsky. Kongreß der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft
in Hamburg 1921; Dora Fuchs, Arch. f. Denn. u. Syph. 139.
□ igitized b
Original from
CORNELL UNiVERSITV
9. Juni 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
771
Ergebnisse will ich nicht gesondert besprechen. Ich lasse kurz die
Ergebnisse meiner diesbezüglichen Untersuchungen folgen.
Ich bediente mich folgender Methodik: Bei den Versuchspersonen
wurde morgens nüchtern der Blutzucker bestimmt. Sodann bekamen
sie 100 g Dextrose in zwei Schalen zuckerfreiem Kaffee. Nach 50 Mi¬
nuten wurde eine neuerliche Blutzuckeruntersuchung vorgenommen,
und nun wurde der Urin durch 6 Stunden 2stündlich auf Zucker
untersucht Das Verhältnis der beiden Blutzuckerwerte: ist der
D ante
sogenannte „hyperglykämische Quotient“.
Insgesamt habe ich 47 Patienten einer Untersuchung unterzogen.
Darunter waren 14 Lebergesunde (Neurasthenie, Catarrhus apicum,
Bronchitis putrida, Sclerosis multiplex, Syphilis ohne Organbefund).
Der nüchterne Blutzuckerwert war durchschnittlich 0,093oft; der hyper¬
glykämische Quotient schwankte zwischen 1,04 und 1,44, in einem
Falle betrug er 1,62. Glykosurie in 2 Fällen.
Wenn ich die in der 1. Mitteilung 1 ) gebrauchte Einteilung bei¬
behalten will, folgen nun zuerst diejenigen 14 Fälle von Leber¬
kranken, die keinen Ikterus aufweisen (Cirrhosis atrophica, Lues
hepatis, Stauungsleber). Der Quotient schwankte zwischen 1,46 und
1,74, zeigte also ausgesprochene Erhöhung. Olykosurie in 11 Fällen.
Bei den 19 FäHen von Ikterus (Cardnoma hepatis, Cholelithiasis,
Icterus catarrhalis) bewegten sich die Quotientwerte zwischen 1,44
und 2,65 (!). Olykosurie in 6 Fällen.
Wie aus diesen Daten ersichtlich, tritt nach peroraler Zufuhr
von 100 g Dextrose immer eine Erhöhung des Blutzuckerspiegels
ein, die Erhöhung bei Leberkranken ist jedoch im allgemeinen stär¬
ker. — Noch auffallender als bei der Betrachtung der Blutzucker¬
werte (siehe 1. Mitteilung) ist der Unterschied im Verhalten der
nicht ikterischen und der ikterischen Leberkranken. Bei letzteren
erreichen die Quotientenwerte die höchsten Grade (über 2). Dies
dürfte seine Ursache unzweifelhaft in der das Glykogenfixations¬
vermögen herabsetzenden Wirkung der Gallenstauung haben.
Was nun das Verhalten der Glykosurie betrifft, so ist es vor
allem auffallend, daß wir auch 2 Lebergesunde finden, bei denen auch
sonstige Faktoren, die eine alimentäre Glykosurie hervorzurufen im¬
stande sind, wie Fieber, thyreogene oder pankreatogene Einflüsse,
ausgeschlossen werden konnten. Auch eine entsprechende Erhöhung
des Blutzuckers war dabei nachzuweisen (0,080—0,112% bzw. 0,093
bis 0,151%). Auf diesen Befund kommen wir noch zurück. In der
2. Groppe geht das Auftreten der Glykosurie mit der Größe der Blut¬
zuckererhöhung ziemlich parallel. In der Gruppe der Ikterischen ist
dagegen das häufige Fehlen der Glykosurie trotz Hyperglykämie be¬
merkenswert. Die Erklärung hierfür dürfte in einer Nierenreizung
gefunden werden: auch sonstige Reizsymptome, wie Albuminurie,
Anwesenheit von gallig gefärbten Zylindern, sind manchmal vorhanden.
Die Ueberlegenheit der alimentären Hyperglykämie über die Gly¬
kosurie liegt also auf der Hand; nehmen wir 1,4 als Grenzwert für
den Quotienten, so liegen die Zahlen bei Leberkranken in jedem
Falle höher. Ein negativer Ausfall spricht also ent¬
schieden gegen das Vorhandensein einerLebererkran-
kung.
Wo liegt aber die Ursache für positive Befunde bei Leber¬
gesunden?
Zur Erklärung dieser Frage könnte man sich vorstellen, daß die
Toleranz der Leber für Traubenzucker durch die bekannten Kriegs¬
verhältnisse gelitten habe. Analogien an anderen Organen (z. B.
Verminderung der Magensaftsekretion) und Hinweise auf Leber¬
schädigung (wie gehäuftes Auftreten von Icterus catarrhalis, Salvarsan-
Schädigungen der Leber usw.) fehlen ja nicht. Die Toleranz für
Dextrose liegt nach dem Handbuche von v. Noorden (1917) um
150—180 g; unter diesem Werte verstellt man diejenige Menge des
Zuckers, welche bereits eine Ausscheidung durch die Nieren zustande¬
bringt. Ich habe nun bei 20 Lebergesunden (überwiegend Fälle von
beginnendem Lungenspitzenkatarrh) die Assimilationsgrenze bestimmt
und diese, wie folgt, gefunden:
1*0— KS0 g........ .. 3 Personen
140—150 g..6 Personen
130— 140 g..7 Personen
120-130 g. 1 Person
110—120 g. 2 Personen
100-110 g.1 Person
Natürlich sollte ja hier, wie überall, auch das Körpergewicht be¬
rücksichtigt werden, da ja die Toleranz sicherlich von diesem ab¬
hängt; sie müßte eigentlich „pro Kilogramm Körpergewicht“ ausge-
drückt werden. Aber auch bei Vernachlässigung dieses Faktors
sehen wir, daß von einer bedeutenderen Abnahme der Toleranz
nicht gesprochen werden kann. Eine mäßige Erniedrigung ist jeden¬
falls zu verzeichnen, doch können aus der geringen Zahl der Unter¬
suchten keine weitlaufenden Folgerungen gezogen werden, um so
mehr, als ja das Auftreten von Zucker — wie wir gesehen haben —
weitgehend vom Zustande der Nieren abhängig ist. Wie sich die
alimentäre Hyperglykämie in der Vorkriegszeit verhalten hat, kann
infolge Fehlens von diesbezüglichen Untersuchungen nicht ent¬
schieden werden.
Es bleibt noch eine andere Möglichkeit zu erwägen, d. i. der
individuell verschiedene Funktionsgraa der Leber. Wir wissen doch,
daß Organe gesunder Personen auf gleiche Reize, wenn auch im
allgemeinen qualitativ gleichmäßig, so doch quantitativ verschieden-
*) D. m. W.
artig reagieren. So entstanden ja die verschiedenen Konstitutions-
typen. Nun ist die Leberfunktion, wie jede Drüsentätigkeit, von der
Intensität der im Organismus einhergehenden Vitalprozesse abhängig
und paßt sich einem Niveau an, welches für den betreffenden Organis¬
mus charakteristisch wird. Die Menge des Zuckers, welche in das
Glykogenreservoir der Leber gefüllt werden kann, und die Ge¬
schwindigkeit, mit welcher dies geschieht, muß gleichfalls individuell
verschieden sein. Physiologisches und Pathologisches kann also nicht
scharf voneinander getrennt werden, und es ist eine Sache der
Empirie, die Grenze, wo das Pathologische beginnt, zu bezeichnen.
Man sollte eigentlich den Grad der ursprünglichen Leberfunktion
kennen, um in exakter Weise eine Erniedrigung derselben feststellen
zu können. Das können wir aber nur in vereinzelten Fällen, und
ähnliche Beobachtungen fehlen auch — meines Wissens — in der
Literatur. Ich verfüge über einen Fall, den ich aus diesem Grunde
hier mitteilen will:
A. D., Wirt, 37 Jahre.alt. Aufnahme in die Klinik am 3. III. 1921.
In der Anamnese: Alkoholmißbrauch. Seit 3—4 Monaten Druck -
und Völlegefühl im Magen, Atembeschwerden. Objektiver Befund:
Mäßige Ektasie der Aorta. Dortselbst ein leises systolisches Geräusch.
Probefrohstückwerte: Freie HCl = 0, Gesamtazidität = 1. Unterer
Leberrand bei tiefer Inspiration eben tastbar. Im Harn Urobilinogen
= 0. Diagnose: Gastritis chronica alcoholica. Achylia gastnea.
Hyperglykämischer Quotient: 1,10. Glykosurie: 0.
Wiederaufnahme nach 7 Monaten. Unterer Leberrand 3 Finger
breit unter dem Rippenbogen. Unterer Milzpol deutlich erreichbar.
Geringer Aszites. Im Ham Urobilinogen: . Bilirubin: 0.
Diagnose: Cirrhosis hepatis. Hyperglykämischer Quotient:
1,66. Glykosurie: +.
Merkwürdigerweise fand ich bei vier Fällen von Icterus catar¬
rhalis nach Abklingen der Gelbsucht keine nennenswerte Aenderong
des Quotienten. Doch dürfte die durch äußere Umstände bedingte
kurze Nachbeobachtungsdauer sicherlich die Ursache hierfür sein.
Zusammenfassung. 1. Die perorale Zufuhr von 100 g Dextrose
führt auch beim gesunden Menschen zu einem Anstiege des Blut¬
zuckers. Bei den verschiedenen Leberkrankheiten ist diese Erhöhung
viel stärker.
2 . Ein geringer Anstieg des Blutzuckers (unter 40%) spricht
entschieden gegen eine Lebererkrankung.
3. Die positiven Fälle bei Gesunden können teilweise auf eine
durch den Krieg verursachte Toleranzschädigung, teilweise auf den
individuell verschiedenen Funktionsgrad der Leber zurückgeführt
werden.
4. Beim Zustandekommen der alimentären Glykosurie ist auch
der Zustand der Nieren von eminenter Wichtigkeit. Sie ist also als
spezifische Methode der Leberfunktionsprüfung zu verwerfen.
Bane, Der Blutzucker 1913. — Bing, Arcb. f. klin. M. 113. — Couturier, Thtse
de Paris 1875. - E i s n e r - F o r s t e r, B. kL W. 1921 Nr. 30. - J a c o b s e n, Blochern. Zschr.
56, S. 471. — v. Noor den, Die Zuckerkrankheit — Tachau, Arch. f. klin. M. 104.
Aus der Inneren Abteilung des Krankenhauses der Jüdischen
Gemeinde in Berlin. (Direktor: Geh.-Rat Strauß.)
Zur Frühdiagnose der Fistula gastro-colica.
Von Dr. Hel« Areas, Volontärassistent.
Während ausgeprägte Fälle von Fistula gastro-colica ein scharf-
umrissenes klinisches Bild darbieten, in welchem Koterbrechen ohne
charakteristische Ileuserscheinungen im Vordergrund stehen, entgehen
Fälle mit nur wenig ausgeprägten Symptomen häufig der Diagnose.
Auf ein wichtiges Symptom zur Feststellung solcher Fälle hat vor
kurzem H. Strauß 1 ) die Aufmerksamkeit gelenkt, indem er über
2 Fälle von Fistula gastro-colica berichtete, bei welchen die Auf¬
merksamkeit auf das Bestehen einer Fistula gastro-colica durch das
Vorhandensein von Fettstühlen gelenkt wurde.
Da auf der Strauß sehen Abteilung ein weiterer Fall dieser Art
auf gleichem Wege festgestellt worden ist, welcher die Bedeutung des
Symptoms der Fettdiarrhoe besonders deutlich illustriert, so möchte
ich mit Rücksicht auf die Bedeutung dieses Symptoms für die Dia¬
gnose des vorliegenden Zustandes über diesen Fall in Kürze be¬
richten.
Es handelte sich um einen 30 jährigen Kanzleidiener, dessen
Familienanamnese und Vorgeschichte ohne besonderes Interesse ist.
Seit seinem 16. Lebensjahr litt Patient zeitweise an Aufstoßen,
an Magenschmerzen und Magendruck, die von Art, Menge und Zeit
der Nahrungsaufnahme unabhängig waren. Aufstoßen und Erbrechen
sollen anfangs nicht bestanden haben, der Stuhl immer braun ge¬
wesen sein. 1913 soll Patient wegen eines Nabelbruchs operiert
worden sein. Irgendein für Magengeschwür sprechender Befund soll
sich bei dieser Operation nicht ergeben haben. 1915 wurde Patient
in der Charite gastroenterostomiert. Aus dem uns gütigst über¬
lassenen Krankenblatt ist zu entnehmen:
Operationsbericht (Prof. Axhausen): Pylorus weit, Pars
superior duodeni durch Adhäsionen mit Gallenblase und Leber breit
verwachsen, in denen die Gallenblase vollständig eingebettet ist.
1) B.kL W. 1921 Nr. 25 S. 662.
□ igitized by Gougle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
772
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nach deren Lösung fühlt man im Duodenum, dicht unterhalb des
Pylorus eine zweipfennigstuckgroße harte Stelle. Pylorusausschaltung
nach Eiseisberg. Darauf Gastroenterostomia retrocolica posterior.
Bauchnaht. — Patient erbricht nach der Operation Blut. 12 Tage
nach der Operation war Patient frei von Beschwerden, fühlte sich
wohl, jedoch will Patient alsbald wieder ein Gefühl von Völle
14 Stunde nach der Nahrungsaufnahme verspürt haben.
Im Sommer 1916 litt Patient wieder an von Art und Menge des
Essens unabhängigen Magenschmerzen und an Uebelkeit nach der
Nahrungsaufnahme. Anfang November 1916 will Patient eine Blutung
aus dem Magen gehabt haben. Patient wurde ohnmächtig, auf den
Stuhl achtete Patient nicht dabei, er arbeitete auch weiter; Patient
fühlte sich leidlich, hatte selten Magenschmerzen.
Anfang Juni 1917 hatte Patient wieder Magenschmerzen un¬
abhängig von der Nahrungsaufnahme. In der Nacht vom 11. zum
12. Juni brach Patient wieder Blut, danach Ohnmacht. Der Stuhl
danach war schwarz. Patient suchte darauf am 13. Juni 1917 zum
ersten Male unser Krankenhaus auf. Damals war der Stuhl schwarz,
und die Benzidinprobe +++. Das Körpergewicht betrug 95 Pfund.
Nach strenger Ulkusdiät erholte Patient sich sehr bald, und der Stuhl
wurde blutfrei.
4 Jahre später kommt Patient wieder zur Aufnahme. Nach
seiner Entlassung fühlte er sich anfangs sehr wohl und konnte sechs
Wochen später die Arbeit wieder aufnehmen. Bald traten jedoch
wieder Schmerzen zwischen Brustbein und Nabel auf.
Im Sommer 1920 hatte Patient eine Magen- und Darmblutung,
der Stuhl soll dunkel gewesen sein. Patient begab sich in ein Kranken¬
haus. Seit Herbst 1920 leidet Patient an Durchfall (6— 7x pro die),
der Stuhl soll hell wie Erbsensuppe ausgesehen haben. Anfang dieses
Jahres traten die oben bezeichneten Leibschmerzen wieder auf. Zur
Zeit klagt Patient über Durchfall, der ihn besonders des Nachts sehr
quält und stört, übelschmeckendes Aufstoßen, Uebelkeit, sodaß Pa¬
tient zur Erleichterung den Brechakt künstlich einleitet. Bisweilen
sollen auch Leibschmerzen bestehen.
Status: Mittelgroßer schwächlich gebauter Mann in mäßigem
Ernährungszustand. Haut und Schleimhäute sind blaß. Ganz geringe
Oedeme beider Knöchelgegenden. Zunge wenig belegt, Rachen o. B.
Körpergewicht 91 Pfund.
Thorax: Außer einer Erweichung am Processus xiphoideus
Brustorgane ohne pathologischen Befund.
Abdomen: In der Leibmittellinie ein 10 cm lange Operations¬
narbe, etwas aufgetrieben, man fühlt in der Magengegend Plätschern,
nirgends Druckschmerz. Leber und Milz nicht palpabel. Stuhl dünn-
breiig, milchkaffeefarbig, ohne Blut, ohne Schleim.
Ausheberung nach Probefrühstück ergibt normale Aziditätswerte
(freie HCl 28, Gesamtazidität 59).
Trotz Stopfdiät vermindert sich die ZahL der Entleerungen nicht.
Auch die Konsistenz und Farbe ändert sich nicht. Es werden hierbei
unverdaute Muskelfasern und mäßig viel Fettropfen
gefunden.
19. VI. Nach Proßedarmdiät ist der Stuhl hellgelb, er ent¬
hält reichlich Muskelfasern und viel Neutralfett.
20. VI. Bei wiederholter Untersuchung findet sich im Stuhl
stets auffallend viel Neutralfett, ebenso unverdaute Kartoffelzellen.
28. VI. Patient wird blasser und zeigt einen fahlen, aschgrauen
Farbenton im Gesicht. Im linken Hypochondrium und Epigastrium
wölbt sich zeitweise eine armdicke Prominenz vor, die als das
aufgeblähte Colon transversum gedeutet wird.
29. VI. Der Röntgenbefund gibt keinen sicheren Hinweis auf
eine Kommunikation zwischen Magen und Dickdarm. Seitdem Pa¬
tient hier ist, zeigt er dauernd Gewichtsabnahme und fetthaltigen
Stuhl von gelbgrauer Farbe.
30. VI. Bei nüchternem Aushebern finden sich fäkulente Massen
im Magen.
1. VII. Ausheberung nach Kohleneinlauf: Es zeigen sich
im Mageninhalt ganz wenig Kohlenpartikel.
7. VII. Es bestehen auch weiterhin reichlich Durchfälle, die milch¬
kaffeefarbig sind und beim Stehen wie von einer fettigen Schicht
überzogen aussehen.
10. VII. Bei Bestimmung des proteolytischen Ferments im Stuhl¬
filtrat ist Kasein in keinem der Röhrchen angegriffen.
21. VII, Röntgenuntersuchung mit Kontrastbreieinlauf und Becken¬
hochlagerung. Durchleuchtung zeigt den Brei im Rektum, im Deszen¬
dens und einem Teil des Transversums. Bei der nachfolgenden
Ausheberung des Magens findet sich kein Röntgenbrei im Magen¬
inhalt.
27. VII. Patient bekommt um 1,15 Uhr 3 Eßlöffel Tierkohle
in Wasser suspendiert per os. Der um 2,30 Uhr abgesetzte Stuhl
enthält schon Kohlenteildien.
28. VII. Baryumbrei wird per os verabreicht. Vi Stunde danach
bekommt Patient einen Einlauf, im darauffolgenden Stuhlgang reich¬
lich Baryumbrei.
1. VIII. Patient hat heute über starke Leibschmerzen geklagt,
der Stuhlgaifg ist häufiger und andauernd dünner. Da Patient dauernd
weiter abnimmt, wird er am 4. VIII. mit der Diagnose Kolon -
Magenfistel auf die Chirurgische Abteilung verlegt.
Die Operation (Geh.-Rat Karewski) bestätigte die
Diagnose. Bei der Operation fanden sich sehr ausgedehnte Ver¬
wachsungen der Bauchdecken mit dem Netze, sowie dieser mit dem
Qucrkolon und den Dünndannschlingen. An der Stelle der Anastomosc
fand sich ein großer Tumor, der gebildet wurde von der Anastomose
einerseits sowie einer Schwiele, die alle diese Teile miteinander
verband. Nach Resektion des zu- und abführenden Teils des Quer¬
kolons sowie des zu- und abführenden Jejunumschenkels im Zu¬
sammenhang mit der dazu gehörigen Partie des Magens, wunde
nach Herstellung einer Y-Verbindung von Duodenum und Jejunum
mit dem Magen die ganze krankhafte Partie entfernt.
Das Präparat (Dr. Proskauer) zeigte eine breite Verwach¬
sung der Dickdarm- mit der Magenmukosa in der Art, daß man einen
direkten leistenförmigen Uebergang des Magens in die Dickdarm-
schleimhaut vor sich hat. Diese geht über in ein zehnpfennigstück¬
großes hartes Ulkus, welches in den abführenden Dünndarmsdienkel
nihrt, sodaß auch dieser in das Kolonlumen übergeht. Der zuführende
Schenkel ist auffallend eng.
Die Stellung der Diagnose im vorliegenden Fall wäre
kaum möglich gewesen, wenn dieser Fall nicht mit den beiden
von Prof. Strauß früher beobachteten Fällen große Aehnlichkeit
besessen hätte. Anamnestisch war hier — wie auch in den zwei auf
Ulkus beruhenden früheren Fällen — eine Gastroenterostomie vorauf¬
gegangen. Danach hatte sich, wie auch bei den anderen Fällen, wieder¬
holt eine Magenblutung eingestellt. Ferner war infolge der Diarrhöen
eine starke Blässe mit fahlgrauer Haut und Neigung zu Oedemen
aufgetreten. Zu diesen Symptomen gesellte sich noch der charak¬
teristische Stuhlbefund, der uns veranlaßte, den auch in
einem früheren Falle von Strauß angestellten Kohlenversuch
per os und per rectum vorzunehmen. Nachdem auch dieser positiv
ausgefallen war, war die Diagnose mit ziemlicher Sicherheit ge¬
geben. Leider war der Ernährungszustand bei dem vorliegenden
Patienten so schlecht, daß er eine so schwere Operation, wie die
vorliegende es sein mußte, nicht mehr aushielt. Da aber die Fälle
der vorliegenden Gruppe ohne Operation einer progredienten Kachexie
erliegen, so ist es besonders wichtig, frühzeitig bzw.
rechtzeitig die Diagnose zu stellen.
Als Hinweis auf die Diagnose hat sich nunmehr das Sym-
P tom der Fettstühle derart bewährt, daß in allen Fällen von
ettstuhl, in welchen keine der bisher bekannten Ursachen sidier-
estellt ist und Magenerscheinungen mit. anamnestischen Daten, wie
ie oben bezeichneten, vorliegen, an eine Fistula gastro-colica zu
denken ist. Die Diagnose wird gestützt durch den Kohlenversuch,
der selbstverständlich auch mit irgendeiner anderen leicht erkenn¬
baren Substanz, so z. B. Karminpulver oder ähnlichem, in gleicher
Anordnung vorgenommen werden kann. Möglicherweise bewährt
sich für die Diagnose auch noch der von Einhorn 1 ) jüngst beschrie¬
bene verlängerte Duodenalschlauch, wenn dessen am Ende be¬
findliche Metallkugel schon nach einer kurzen Entfernung von
der Zahnreihe im Rektum oder außerhalb desselben erscheint Viel¬
leicht ist die eigenartige, mit diesem Schlauch gemachte Beobach¬
tung von Palefski auch in dieser Weise zu erklären.
Zur Serumbehandlung primärer und sekundärer Anämien.
Von Dr. J. Weiterer in Mannheim.
Die Beobachtungen und Versuche, wie ich sie in Nr. 15 be¬
schrieben habe, führten mich weiter, als ich ursprünglich angenommen
hatte. Die außergewöhnlich prompte Beeinflussung des roten Blut¬
bildes und die damit verbundene Hebung des Aligemeinzustandes
bei meinen mit Serum behandelten Karzinompatienten legten es mir
nahe, auch bei Erschöpfungszuständen anderer Genese die Serum-
injektion versuchsweise anzuwenden.
Es war vor allem die Tuberkulose, bei der eine günstige
Beeinflussung des Allgemeinbefindens, besonders der den Krankheits¬
prozeß begleitenden Anämie, durch die Serumbehandlung erhofft wer¬
den konnte; aber auch von der Wirkung des Serums auf den
Krankheitsprozeß selbst durfte man sich einiges Gute versprechen.
Bei der Tuberkulose stehen wir, was unsere Kenntnis von den
Ursachen der Immunität gegenüber dieser Erkrankung anbelangt, auf
besser fundiertem Boden als beim Karzinom. Es dürfte wohl kein
Zweifel mehr darüber bestehen, daß die verschiedene Widerstands¬
fähigkeit gegen die Tuberkulose bei den verschiedenen Individuen
zum größten Teil durch eine individuell verschiedene chemische
Beschaffenheit des Blutserums bedingt ist. Daß dem so
sein muß, zeigen die bekannten Versuche von R. Koch, von Beh¬
ring u. a. über die Agglutinationswirkung des Serums von tuber¬
kulösen und nicht tuberkulösen Personen auf Kulturen von Tuberkel¬
bazillen, die deutliche Unterschiede in dieser Richtung erkennen
lassen. Wahrscheinlich hängt auch die Vererbung der Disposition
zur Tuberkulose zum Teil wenigstens mit derartigen Verschieden¬
heiten der Beschaffenheit des Serums zusammen.
Diese Minderwertigkeit des Serums der Tuberkulösen gegenüber
dem Serum Gesunder mußte geradezu zur Anwendung der Serum¬
übertragung auffordern. Indessen müssen wir b$j Auswahl der thera-
eutischen Sera hier von anderen Gesichtspunkten ausgehen als
eim Karzinom. Zunächst ist die Tuberkulose nicht wie das Kar¬
zinom eine Erkrankung des reiferen Lebensalters, sondern sie be¬
fällt Jugendliche und Erwachsene, erstere sogar noch in höherem
Maße als letztere. Das Krankenmaterial wird sich daher aus allen
*) Arch. f. Verdauungskr. 1921,28.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
9. Juni 1Q22
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
773
Lebensstufen rekrutieren, sodaß wir allein schon aus diesem Um¬
stande auf das Prinzip der Anwendung von Deszendentenserum
verzichten müßten.
Der eigentliche Grund aber liegt darin, daß wir bei der Tuber¬
kulose nicht analog den Verhältnissen beim Karzinom im jugend¬
lichen Serum als solchem einen spezifischen Antikörper erwarten
können, sondern daß im Gegenteil angenommen werden muß, daß
K 'e das Serum der mehr als die Erwachsenen gefährdeten Jugend-
, insbesondere das Serum von Deszendenten Tuberkulöser, arm
an derartigen Stoffen, also zur Uebertragung ungeeignet ist. Aehn-
liches gilt im allgemeinen auch vom Serum der Eltern und Ge¬
schwister des Kranken, wenn auch zuzugeben ist, daß es Fälle
gibt, in denen eine familiär-tuberkulöse Disposition als ein die
Infektion begünstigendes Moment nicht in Betracht kommt. Trotz¬
dem scheint es geboten, bei der Tuberkulose auf das streng art-
gleiche Serum zu verzichten und nachweislich gesunde und kräftige
Outsider als Blutspender auszuwählen.
Was meine praktischen Erfahrungen betrifft, so sind sie vorerst
an Zahl noch sehr beschränkt, indessen zeigte sich mir auch bei
der Tuberkulose deutlich jene rasch eintretende Hebung des All¬
gemeinzustandes, wie wir sie bei den beiden Karzinomfällen sahen.
Ebenso scheint eine günstige Einwirkung auf den Krankheits¬
prozeß selbst stattzufinden 1 ). Worin diese im einzelnen besteht, und
in welchem Umfange sie möglich ist, läßt sich vorerst noch nicht
sagen.
Als Beispiel einer derartigen Einwirkung führe ich den ersten
beobachteten Fall kurz an. Die Patientin, eine an Lungentuberkulose
des II. Stadiums und einer tuberkulösen Gonitis. leidende 46jährige
Frau, mit hochgradiger Erschöpfungsanämie, erhielt intravenöse In¬
jektionen des Serums ihres außergewöhnlich kräftigen 15jährigen
Sohnes 2 ). Am ersten Behandlungstage erfolgte außerdem eine Rönt¬
gentiefenbestrahlung (Fernfeld, 4 Strahlenkegel) des erkrankten Knie¬
gelenks. Die Frau sieht heute, etwa 5 Wochen nach Beginn der
Behandlung, wesentlich besser aus, ihre ehedem fahle Gesichts¬
farbe ist frischer geworden, Schlaf und Appetit haben sich gebessert.
Der Umfang des Kniegelenks hat um mehrere Zentimeter ab¬
genommen, das Gelenk an Beweglichkeit gewonnen. Diese Wirkung
ist sicherlich nicht allein auf die Röntgenbestrahlung zurückzuführen,
deren Effekt gerade bei chirurgischen Tuberkulosen nicht so rasch
in Erscheinung tritt, sondern zum Teil sicherlich auch auf die Serum¬
behandlung.
Ueber diesen sowie die anderen Fälle, namentlich über die Dosie¬
rung des Serums wird erst nach vorläufigem Abschlüsse der Er¬
fahrungen in extenso berichtet werden.
Sollte sich die Serumbehandlung bei tuberkulösen Erkrankungen
bewähren, so dürfte sie wohl als unterstützender Faktor der Liege¬
kuren, klimatischen Behandlung usw. in Betracht kommen. Vermut¬
lich wird die Dosierung des Serums, die selbstverständlich unter fort¬
laufender Blutkontrolle zu geschehen hätte, um so vorsichtiger ge-
handhabt werden müssen, je hinfälliger der Kranke ist, im Gegen¬
sätze zum Karzinom, bei aem von vornherein eine energische und
rasch ansteigende Dosierung ratsam erscheint.
Endlich seien noch einige Bemerkungen über die Serumanwendung
bei Anämien verschiedener Art summarisch angeführt. Einige
Fälle von Erschöpfungsanämie im Gefolge von Syphilis und nach
anderen schweren Erkrankungen, von Chlorose, wurden ebenfalls
mit Serum, jedoch nicht dem streng artgleichen, sondern mit Out¬
siderserum, behandelt. Die Erfolge waren in allen Fällen, was die
Behebung der Anämie und die damit verbundene Besserung des
Allgemeinbefindens anlangt, ganz vortrefflich. Es sei übrigens her¬
vorgehoben, daß auch die im vorhergehenden Aufsatze besprochene
Reizbestrahlung in' derartigen Fällen, besonders bei jugendlichen
Patienten, geradezu glänzend wirkte. Hier können wir sie ohne
Bedenken anwenden, da bei diesen leichteren Fällen, zumal bei
Jugendlichen, eine Wiederauffüllung der Reserven dem Organismus
keine Schwierigkeiten bereiten dürfte.
Wahrscheinlich ist das Anwendungsgebiet der Serumbehandlung
nicht auf die vorerwähnten Erkrankungen beschränkt. Es wäre daran
zu denken, die Serum in jektion (Outsiderserum) auch bei Blutkrank¬
helten, insbesondere bei der perniziösen Anämie und den chronischen
Leukämien, vielleicht auch bei der akuten Leukämie zu versuchen.
Bei den chronischen Leukämien könnte sie neben der Röntgen¬
behandlung ihren Platz finden. Als Blutspender kämen in der Haupt¬
sache gesunde, kräftige Erwachsene in Betracht.
Eigene Erfahrungen fehlen mir bis jetzt. Indessen ist es noch
ein weiter Weg von den ersten tastenden Versuchen einer neuen
Methode bis zur Ausbildung einer geregelten, allen Spielarten und
Erscheinungsformen einer bestimmten Erkrankung angepaßten Thera¬
pie. Dieser Weg kann nur zurückgelegt werden durch Zusammen¬
gehen der experimentellen Forschung mit der praktischen Tätigkeit
*) Anmerkung bei der Korrektur: Soeben »ehe ich einen Fall wieder, der
vor drei Wochen mit Serum behandelt worden war. Es handelte sich dabei um ein
bandtellergroßes tuberkulöses Geschwür am Vorderarme bei einer 4519hr)gen Frau.
Das Geschwür war fünf Jahre lang mit allen möglichen Mitteln vergeblich behandelt
worden. Nach nur einmaliger Seruminjektion und Anwendung einer indifferenten
Salbe ist es restlos mit schöner Narbe abgeheilt. — •) Bezüglich der Wahl des Blut¬
spenders waren damals andere Verhältnisse maßgebend gewesen, und sie hatte sich
glücklicherweise in diesem Falle nicht als Mißgriff erwiesen. Doch sehe ich zur Zeit,
wie oben ausgeführt, von der Anwendung des Deszendentenserums ab.
und Beobachtung am Krankenbette. Vielleicht werden wir dann
einmal so weit kommen, daß wir durch strengste Indikationsstellung,
fortlaufende Kontrolle der Blutbilder und Auswahl der Sera unter
ganz bestimmten Gesichtspunkten auf dem hämatopoetischen Appa¬
rate des Kranken —- man verzeihe mir den kühnen Vergleich —
zu spielen vermögen, da dämpfend und dort anregend, da zurück-
drängend und dort hervorrufend, zu spielen wie auf einer Klaviatur.
Aus dem Knappschaftskrankenhaus in Carlsfeld.
Röntgenologische Fortschritte mit der Radio-Silex-
Apparatnr.
Von Dr. Herbert Schoen, Chefarzt.
Kochs Gedanke, durch Aenderung der Periodenzahl einen Ein¬
fluß auf die Strahlenhärte auszuüben, bewährte sich in der Praxis bei
dem von ihm konstruierten Radio-Silex-Apparate. Er benutzte bei ihm
für die Speisung der Röntgenröhre einen 500-Perioden-Strom. Mit
ihm gelingt es, mit relativ geringer Spannung, z. B. 90000 Volt, einer
Parallelfunkenschlagweite von 28—30 cm entsprechend, härteste Rönt¬
genstrahlen bei größter Intensität zu erzeugen. Die Strahlung ist
durch Messung mit der Ionisationskammer als praktisch homogen
gefunden. Der biologische Effekt bestätigte auch uns die große
Leistungsfähigkeit des Apparates. Wir erhalten bei 90 Kilovolt acht
Milliampere und 0,5 Zinkfilterung unte* Verwendung eines Einfall¬
feldes von 6x8 bei 24cm Fokushautabstand die HED. in 13,8 Minu¬
ten. Dem entspricht in 5 cm Tiefe ein Nutzeffekt von 42,3<>/o und in
8 cm ein solcher von 21 o/o, nach Fürstenau gemessen. Wird zu 0,5 Zink
noch 1,0 Aluminium gefiltert, so wird die HED. in 15 Minuten erreicht.
Unsere therapeutischen Erfolge waren gute. Wir sahen karzinoma-
töse Geschwüre sich rasch reinigen und überhäuten, die dazu gehörigen
Tumoren sich schnell verkleinern bzw. schwinden. Ueber Dauer¬
erfolge können wir wegen Kürze der Zeit nicht berichten. Wir
betrachten es als einen großen Vorteil, daß es mit Hilfe des Radio-
Silex-Apparates gelingt, die Bestrahlungszeiten gegenüber andecen
Instrumentarien wesentlich herabzusetzen, was bei der stundenlangen
ßestrahlungszeit tiefer gelegener Tumoren für die Patienten und das
Bedienungspersonal eine wesentliche Erleichterung bedeutet. So sind
wir bei der Verabreichung der Seitz-Wintzschen Karzinomvolldosis
stets ohne die übliche Narkotika ausgekommen. Für das Kranken¬
haus selbst ergibt sich durch Herabsetzung der Bestrahlungszeit eine
wesentliche Betriebserspamis. Mit der für den Radio-Silex-Apparat
f ebauten Lilienfeld-Röhre hatten wir zunächst erhebliche Schwierig-
eiten. Der Schutzkasten der Röhre lud sich auf. Die Röhren selbst
zeigten alsbald Sperrerscheinungen, die trotz Wechseln der Sonden,
Einschaltung von Ruhepausen nicht beseitigt werden konnten. Die
letzten uns gelieferten Ersatzröhren zeigen diese Erscheinungen nicht
mehr. Ein Versagen fiel bis jetzt völlig fort. Sie springen leicht an,
sind rasch auf die gewünschte Spannung und Intensität zu bringen;
zwei von ihnen haben schon eine erhebliche Brennstundendauer auf¬
zuweisen. Auch zu diagnostischen Zwecken eignet sich der Radio-
Silex-Apparat vorzüglich. Die Lilienfeld-Röhre ermöglicht es, wie alle
Elektronenröhren, mit einer einzigen Röhre, nur durch Aenderung
der Betriebsbedingungen jede Aufnahme zu machen und durch Her¬
stellung derselben Betriebsbedingungen von ein und demselben Patien¬
ten Bilder zu Vergleichszwecken zu erhalten. Da die für den Radio-
Silex-Apparat zuständige Lilienfeld-Röhre, welche für den Dauerbetrieb
mit 8 Milliampere belastet werden kann, für Momentaufnahmen weit
höhere Belastung verträgt, ist sie den gewöhnlichen Glühkathoden¬
röhren überlegen. Es ist uns gelungen, ohne Schädigung der Rphre
scharfgezeichnete Aufnahmen des Magens mit 85000 Volt Spannung
und 30 Milliampere in 2 /, 0 Sekunden zu erhalten. Von gleicher Güte
lassen sich demnach aucn Herz-Fernmomentaufnahmen und Lungen-
Momentaufnahmen erzielen. Dadurch dürfte der Radio-Silex-Apparat
für diagnostische Zwedke allen an ihn gestellten Anforderungen
gerecht werden und verbunden mit seinen Vorzügen als Therapie¬
instrumentarium der Apparat des größeren und mittleren Kranken¬
hauses sein, besonders des letzteren, das nicht in der Lage ist, bei den
heutigen teuren Anschaffungspreisen sich zwei Apparate zu ertauben.
Entwicklungsmechanik und praktische Medizin.
Von Dr. Georg Ettlsch in Berlin-Dahlem,
(früher Ober-Assistent am Anatomischen Institut in Halle).
IV. (Schluß.)
Damit sind wir einem neuen wichtigen Ideenkreise der ent¬
wicklungsmechanischen Betrachtung nahegekommen. In der be¬
fruchteten Eizelle liegen die Dfcterminationsfaktoren vor. Sie
allein genügen aber nicht zur Hervorbringung des Organismus,
zur Einleitung der Entwicklung. Diese muß durch besondere Fak¬
toren erst in Gang gebracht, ausgeführt, realisiert werden. Es
stehen also den Determinationsfaktoren die meist außerhalb des
Organismus bzw. des gerade betrachteten Organes gelegenen
Realisationsfaktoren gegenüber. Diese nun bestimmen die Zeit der
Bildung, die Richtung, die Größe, die Geschwindigkeit u. a. m. Die
Determinationsfaktoren stellen — um ein einfaches physikalisches
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
774
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
Nr. 23
Bild zu gebrauchen — ein System dar, das zur Arbeitsleistung be¬
fähigt ist, etwa einen See mit gegen die Umgebung hochgelegenem
Spiegel. In ihm liegt mannigfaltige Arbeitsfähigkeit determiniert
Besondere Faktoren erst — in der Sprache des täglichen Lebens —,
besondere Umstände bewirken die zeitliche Inangriffnahme der Ver¬
bindung des Seespiegels durch einen Abflußweg mit einem niedriger
gelegenen Niveau, wodurch allein eine Arbeitsleistung ermöglicht,
der Energievorrat arbeitleistend mobilisiert wird. Besondere Um¬
stände veranlassen auch den Ort der Leitungsanlage, ihren Verlauf,
die Größe des Gefälles, die Menge des in der Zeiteinheit herabfließen-
den Wassers usw. Diesen Möglichkeiten entsprechen auch die Charak¬
tere der Realisationsfaktoren. Die bloß auslösenden beseitigen
entweder eine vorliegende Hemmung und bewirken so die Ingang¬
setzung eines determinierten Vorganges, oder sie fügen zu dem vor¬
handenen Energievorrat eine kleine Menge zu, die das Ganze da¬
durch in Bewegung bringt. Haben Faktoren dagegen durch ihre
Größe auch noch einen Einfluß auf die Größe, die Intensität,
die Geschwindigkeit eines determinierten Geschehens, so liegt keine
bloße Auslösung mehr vor, sondern bereits ein Reiz. Im Entwick¬
lungsablauf handelt es sich meist um Einwirkung von Reizfaktoren,
nur auslösende sind selten. Wesentlich für die Art der Realisations¬
faktoren ist der Umstand, daß sie den artgemäßen usw. Gang der
Entwicklung nicht beeinflussen; denn das, was bei der Realisation
geschieht, ist im Innern des Eies festgelegt, determiniert. Es ergibt
sich somit die wichtige Lehre, daß es zum Eintreten oder Ablaufen
eines organischen Prozesses keineswegs genügt, daß er bis in seine
feinsten Differenzierungen, ,bis an sein — relatives — Ende hin
determiniert ist. Erst durch die Realisationsfaktoren kommt das
ganze Reaktionsgefüge, die ganze Reaktionskette in Gang.
Ein äußerst interessantes, wenn auch schwer auflösbares Problem
bildet die Frage, wie greifen, wann und wo die beiden Faktoren¬
arten an? Wie sind sie trennbar und erkennbar, was wissen wir von
ihnen? Während die Determinationsfaktoren vollkommen im Innern
der Zelle gelegen sind, können die Realisationsfaktoren äußere sein,
von außen her an die Zelle herangebracht werden. Hier ist nun
ein weiteres, großes Gebiet experimenteller Untersuchung gelegen,
während, wie schon oft erwähnt, die Determinationsfaktoren uns
darin noch so gut wie unzugänglich sind. Sind die Realisations¬
faktoren beschränkt an Zahl, etwa gleich der möglichen Energie¬
formen, wie wir sie aus Physik und Chemie her kennen, so sind
Determinationsfaktoren ungeheuer mannigfaltig und kompliziert, di6
Realisationsfaktoren dagegen einfach. Wir kennen bisher nur große
Komplexe von ihnen (vgl. Linsenbildung, Korrelationen), deren weitere
Auflösung uns noch nicht gelang.
Nun darf aber nicht angenommen werden, daß in der Frage
der ausführenden Faktoren, bereits vollkommene Kenntnis und Klar¬
heit der Wirkung herrscht. Nur stellenweise ist das große Gebiet
der Bearbeitung unterzogen worden, auch hier türmen sich Schwie¬
rigkeiten an vielen Orten auf. Wir wissen so gut wie gar nichts
über die Bedeutung der elektrischen Energieform für die Gestal¬
tungsvorgänge. Dies ist um so verwunderlicher, als diese in der
Physiologie eine so eminente, ja, man kann sagen, die Hauptrolle
spielt, als die Physikochemie elektrischer Phänomene in der Physio¬
logie so weitgehend studiert ist, als. kolloidchemische und Adsorp¬
tionserscheinungen in immer weiter gehendem Maße elektrisch ge¬
deutet werden. Auch die Frage nach der Wirkung der Wärme¬
energie ist noch wenig geklärt. Es sei nur auf Drieschs Versuche
hingewiesen. Setzte er Seeigeleier einer erhöhten Temperatur aus,
so erhielt er u. a. unregelmäßige Furchungen, Isolierung der beiden
ersten Furchungskugeln und in der Folge zwei Individuen. Ein ander¬
mal ließ er 18 Stunden lang 30° auf die Eier ein wirken. Es stülpte
sich # bei der Gastrulation sodann der Urdarm nicht ein, sondern aus
und* bildete damit gleichsam einen Anhang der Larve (Exogastrula).
Blieb in einigen Fällen dieses Gebilde erhalten, so verfiel es in
anderen der Rückbildung, und es resultierten darmlose Larven (An-
enteria). Kol Im an n konnte durch Einwirkung erhöhter Temperatur
auf Hühner- und Enteneier Spina bifida bei diesen Tieren erzeugen.
Dasselbe konnte O. Hertwig am Frosch hervorrufen. Weisen
diese Versuche auch auf eine Verschiedenheit der Wärmespezifizität
der Gewebe hin, so ist doch noch jeder nähere Zusammenhang
zwischen Faktor und Effekt absolut dunkel.
Dasselbe ist bei den meisten Einwirkungen chemischer Mittel der
Fall, wenn auch durch Loebs glänzende Arbeiten über Partheno-
genesis durch derartige Substanzen (Elektrolyte und Nichtelektrolyte)
ein Zusammenhang mit den aus der physikochemischen Physiologie
bekannten Erscheinungen der Permeabilitätssteigerung usw. festge¬
stellt ist. Hierdurch sind das erstemal Prozesse aufgedeckt, die
gleicherweise der Morphologie wie der Physiologie angehören, ein
gewiß wichtiger Umstand. Dafür ist uns aber wieder kausal absolut
unverständlich der bestätigte Effekt des Zusatzes von MgCl 2 zum
Wasser — bei Fundulus, — der in Zyklopie besteht. Zahlreiche andere
Erscheinungen ließen sich hier noch anreihen, wie Herbsts Lithium¬
larven, seine Beobachtungen über die Wirkung des Kalziums u. a. m.
Es kann jedoch darauf hier nicht eingegangen werden. Bei allen
diesen Versuchen handelt es sich um große Schwierigkeiten der
Problemstellung, der Methoden und vor allem der kausalen Deutung.
Eine andere Gruppe von Realisationsfaktoren ist darum schwer
angreifbar, weil sie gewissermaßen mit Determinationsfaktoren ge¬
kuppelt ist. Die Besamung stellt hierfür ein Beispiel. Bislang sah
man den vorzugsweisen Sinn der Befruchtung in aer Entwicklungs-
erregung, da diese bei den meiste« Organismen unmittelbar auf
das Eindringen des Spermiums erfolgt. Die neuste Forschung abet
widerlegte diese Ansicht. Wohl vermag der Samen Entwicklungs¬
erregung auszulösen, nicht aber ist das seine wesentliche Funktion,
noch ist er dazu unbedingt erforderlich. Er tut dies gewissermaßen
nur nebenamtlich; denn bis zu den Wirbeltieren hinauf (Frosch) ist
es gelungen, durch chemische oder physikalische Mittel das Ei zur
Entwicklung anzuregen und lebensfähige Tiere zu erhalten, und
mit Recht ist man der Ansicht, daß dieses auch — die passende
Methode vorausgesetzt — bei den Säugetieren bis hinauf zum Men¬
schen prinzipiell möglich ist. Der natürlichen Befruchtung kommt
allein der Sinn zu, durch Kernverschmelzung zu der mütterlichen
Erbmasse in der Eizelle die des Vaters, die im Spermium liegt, hinzu-
zubririgen. So erhält der neue Organismus von beiden Eltern seinen
Erbanteil. ,
Aus unseren Darlegungen ergibt sich die Gleichwertigkeit männ¬
licher und weiblicher Geschlechtszellen. Muß dann nicht aber ebenso
wie aus einer Eizelle durch Parthenogenesis, aus einem Spermium
durch Ephebogenesis ein Organismus hervorgehen können? Als
eigentlicher Träger der Erbmasse ist der Kern, und zwar die
Chromosomen in ihm, durch wiederholte Versuche stets wieder
von neuem bestätigt worden. Durch Radiumbestrahlung nach be¬
stimmter Methode vermag man nun den Kern der Eizelle zu töten,
während das Protoplasma noch lebensfähig bleibt. Besamt man so
vorbehandelte Eifragmente von Triton (P. Hertwig), so gehen
aus einer großen Zahl von ihnen Larven hervor, die eine Lebens¬
dauer von bis 67 Tagen besaßen. Die Versuche vermochten bisher
jeder Kritik standzuhalten. Die Larven zeigten Zwergwuchs — wie
die parthenogenetischen —, ihre Kerne besaßen nur die Hälfte der
Chromosomenzahl • normal besamter Larven, die Kerngröße betrug
ebenfalls nur die Hälfte von der der normalen. Somit geht aus
diesen Versuchen klar hervor, daß die Kerne der Larven allein
herstammten von dem Kerne des Spermiums. Von einer Reihe von
Forschern sind aber Organismen beschrieben, die trotz derartiger
Vorgeschichte nicht mehr haploide — halbe — Chromosomenzahl
aufwiesen, sondern diploide (Bataillon, D ela ge, Hertwig).
In diesem Falle hat Autoregulation stattgefunden, über deren nähere
Bedingungen wir indes noch gar nicht unterrichtet sind. Bei allen
diesen Versuchen bleibt noch zu ermitteln, welche Bedeutung dem
Protoplasma der Eizelle zukommt, enthält dieses doch sicher nicht
nur Nährmaterial. Sodann weisen die Angaben von Delage doch
darauf hin, daß man jene ephebogenetischen Versuche bei manchen
Tieren erst nach „Reifung“ des Protoplasmas der Eizelle vornehmen
kann. Immerhin ergibt sich aus alledem die prinzipielle Möglichkeit
der Ephebogenese, die Möglichkeit der Entwicklung eines Lebe¬
wesens allein aus einem männlichen Kerne in grundsätzlich der¬
selben Weise, wie dieses bei der Parthenogenesis allein aus einem
weiblichen der Fall war. Es kann hier auf weitere Diskussion von
sich noch erhebenden Einwänden nicht eingegangen werden. So viel
sei nur noch erwähnt, daß die relativ kurze Lebensdauer der ephebo¬
genetischen Larven zurückzuführen ist auf sekundäre, mit der prin¬
zipiellen Frage nicht zusammenhängende Umstände, wie: stetig ab¬
nehmende Kerngröße, mögliche Radiumschädigung des Eiprotoplas-
mas und seine Uebertragung auf den Spermakem u. a. m.
Infolge der Besamung findet also im allgemeinen neben der
Befruchtung — der Kemverschmelzung —- noch Entwicklungserregung
statt durch Einwirkung realisierender Faktoren des Spermas.
Eine wichtige Petitio principii ist hier noch stellbar. Nämlich
die: wirken die Determinationsfaktoren in anderer Weise als die
Realisationsfaktoren? Die in jenen niedergelegten Gestaitsbestim-
mungen werden explizite Gestalt durch bestimmte Prozesse. Diese
sind naturgemäß von unübersehbarer Mannigfaltigkeit. Es fragt
sich aber: ist der Charakter dieser Vorgänge — die für uns noch
absolute Rätsel darstellen — andersartig als der der physikalisch¬
chemischen Prozesse, die wir aus den anorganischen Naturwissen¬
schaften her kennen, d. h. haben wir es bei den Aufbau Vorgängen
mit physikochemischen Reaktionen zu tun, die nur in ungeheuer
komplizierter Verkettung und im quantitativ sehr Kleinen ablaufen,
oder sind die am werdenden Organismus sich abspielenden Vor¬
gänge solche sui generis, von jenen anderen von Grund aus ver¬
schieden? Diese Frage wird innerhalb der kausalen Morphologie
in der Tat verschieden beantwortet. Dem Mechanismus Roux’,
der sich den Aufbau von physikochemischen Gesetzmäßigkeiten ge¬
leitet vorstellt, steht die vitalistische Ansicht Drieschs gegenüber,
der die Vorgänge von der zeit- und raumlosen Entelechie diri¬
gieren läßt.
Damit hat sich aber das von der kausalen Morphologie erforschte
Gebiet der Aufbauvorgänge bei den Organismen bei weitem noch
nicht erschöpft. Nicht nur im normalen Entwicklungsgänge leistet
der Organismus Aufbauarbeit, sondern auch bei den Restitutionen
(Regeneration und Reparation). Diese umfassen die Wiederbildung
verloren gegangener Teile, besorgen die Wiederherstellung der ge¬
störten Organisation. Wird bei der normalen Entwicklung der Typus
auf typischem Wege durch normale Ursachen gebildet, so wird bei
den Restitutionen der Typus wiederhergestellt nach Störung durch
atypische Ursachen (Eingriff usw.) auf atypischem Wege (dem Rc-
stitutionsweg). Dabei handelt es sich nicht um einen Umbau des
Somas, bei dem für den verloren gegangenen Teil ein Teil eines
anderen Organes eintritt, vielmehr umfassen die Restitutionsvorgänge
wahrhafte Neubildungen. Bei dem ungeheuren Umfang, den dieses
Forschungsgebiet bereits besitzt, kann an dieser Stelle unmöglich
auf Einzelheiten eingegangen werden, soviel wichtige und inter
D i g itize-d Q Q 1C
Original from
CORNELL UNIVERSITY
9. Juni 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
775
essante Ergebnisse und Lehren es auch enthält. Beim Blick über das
Gesamtgebiet läßt sich feststellen, daß bei den Wirbellosen das
Restitutionsvermögen im weitesten Umfange besteht, daß es bei
steigender Höhe der Differenzierung stetig abnimmt. Fische und
Amphibien besitzen es noch in weitem Maße. Viele Organe sind bei
ihnen regenerationsfähig, vor allem aber die Extremitäten. Geringer
schon wird cs bei den Reptilien (Schwanz), um bei Vögeln und
Säugern allein in der Wundneilung sich zu äußern.
Eine Erklärung dieser Vorgänge, eine Darstellung'des Mechanis¬
mus der Restitutionsvorgänge würde hier zu weit führen; steht
sich doch eine ganze Reihe von Theorien über diesen Gegenstand
egenüber (Weißmann, Hertwig, Roux, Driesch), von denen
ie mechanistischen durch Weißmanns, Hertwigs und Roux’
Lehren, die vitalistischen durch die Drieschs und seiner Anhänger
repräsentiert werden. Läßt Driesch auch hier wieder bewußt zweck¬
tätig die Entelechie walten, so läßt Roux jeder Körperzelle einen
Reservevorrat des Keimplasmas zukommen (Reserveidioplasma). Von
der Eizelle her erhält jedes Gewebselement bei jeder Teilung der¬
artiges embryonales Plasma mit auf seinen Weg. Bei der normalen
Differenzierung wird es nicht angegriffen. In inm liegen im Ruhe¬
zustand wiederum die Determinationsfaktoren. Durch einen Eingriff
werden aber diese Determinationen realisiert (etwa beim Salamander
durch Abtrennen einer Extremität) und bilden in bestimmt festge¬
setzter Weise eine neue Extremität. Hier hat der Vitalismus an der
mechanistischen Deutung schwere Kritik geübt. Es muß zugestanden
werden, daß die mechanistischen Auflösungen dieser Vorgänge gegen¬
wärtig noch weiterer Festigung und Vertiefung bedürftig sind, daß
aber schließlich auch dieses Geschehen, wie so viele schon vor ihm,
der eindeutigen mechanistischen Interpretation einmal zugeführt wer¬
den wird.
Auch zur Wiederbildung von Teilen des Organismus müssen also
mindestens jene beiden Faktorenarten wirksam sein; dieselben, die
sich auch im normalen Entwicklungsgang betätigen. Es herrschen
also für Entwicklung wie Restitutionen in dieser Beziehung die
gleichen Erfordernisse. Entsteht nun ein Gebilde lediglich aus der
Wirkung dieser beiden in seinem Innern gelegenen Faktoren heraus*
so sprechen wir von einem solchen der Selbstdifferenzierung (Roux).
Dieser Begriff ist selbstverständlich cum grano salis zu verstehen.
Müssen die Determinationsfaktoren im Inneren des betrachteten
Systems gelegen sein, so können von den Realisationsfaktoren solche
— wie es in weitaus der Mehrzahl der Fälle vorkommt — auch
außerhalb liegen. Man spricht auch dann noch von Selbstdifferen¬
zierung, da jene absolute so gut wie gar nicht vorkommt. Ferner
müssen auch stets die Systemgrenzen angegeben werden, innerhalb
deren die Selbstdifferenzierung statthat; denn es gilt dieser Differen¬
zierungsmodus nicht auch für die Teile des Systems, vielmehr ist
dieser ein anderer. So ist auf dem Zweizellenstadium der Gesamt¬
organismus ein Gebilde der Selbstdifferenzierung, jede Furchungs¬
kugel aber (s. oben) in der Regel keines. Bei ihnen liegen die
determinierenden Faktoren zum Teil außerhalb der Zelle. In anderen
Fällen ist dieses sogar ganz der Fall. Diese Systeme sind solche von
„abhängigem“ oder „korrelativem“ Differenzierungstyp. Dieser lag
bei dem mitgeteilten Linsenversuch sowie bei den Dürkensehen
Experimenten an der Froschextremität vor. Es fragt sich nun: wie
ermitteln wir die vorliegende Art der Differenzierung? Die Methoden
der Explantation und Transplantation liefern hierbei wertvolle Hilfen,
jene liegt vor, wenn ein Teil eines Organismus in ein Medium ge¬
bracht wird, das es gestattet, die „eigenen Leistungen dieses dem
erhaltenden, regulierenden und differenzierenden Einflüsse der anderen
Teile bzw. des Ganzen entzogenen Teiles kennen zu lernen“ fRoux).
Wir sprechen dagegen von Transplantation, wenn die Ueberpflanzung
auf eine andere Körperstelle desselben Individuums erfolgt (auto¬
plastische) oder auf ein anderes Individuum gleicher Art (homoio-
plastische) oder schließlich auf ein solches fremder Art (hetero¬
plastische Transplantation).
Die ersten Versuche über Explantation sind wohl die Gustav
Borns. Er fand bis millimetemeine Teilstückchen von Frosch¬
keimen noch lebensfähig. Born ging aber zunächst von seinen ersten
Ergebnissen aus einen anderen Weg. In neuster Zeit erst drang man
auf diesem in den neunziger Jahren bereits angebrochenen, vielver¬
sprechenden Forschungsgebiet erst wieder weiter vor. Weit bekannt
sind hier die CarreIschen Versuche mit Hautstückchen verschie¬
denster Herkunft. Dabei ergab sich, daß Gewebsteile von raschem
expansiven Wachstum, wie die der Geschwülste, eine kürzere Lebens¬
dauer besitzen als gereifte. Besonders erwähnenswert aber sind die
Harrisonsehen Versuche. Aus dem noch undifferenzierten Me-
dullarrohr der Larven von Rana palustris schnitt er kleine Stücke
heraus und brachte sie auf eine sog. Deckglaskultur. Diese Präparate
hatten eine Lebensdauer von bis zu 5 Wochen. Aus den Zellen
wuchsen lange, neuritenartige Ausläufer hervor, die an ihren Enden
Verdickungen aufwiesen. An der Art der Heilungsvorgänge des
Korneaepithels konnte Oppel feststellen, daß die Gewebselemente
aktiv die Wunde überwandem und sich danach erst zur Deckschicht
formen. Von anderen wurden spinale Ganglienzellen untersucht und
dabei Beobachtungen gemacht, die denen Harrisons entsprechen.
Goldschmidt explantierte Hodenfollikel von Schmetterlingen. Mit
seiner Methode, grund deren er noch andere Vorgänge beobachten
konnte, gelang es ihm, die vollständige Spermatogenese am Ex¬
plantat zu beobachten und festzustellen, daß sie mit der der ge¬
färbten histologischen Objekte übereinstimmte. Ein weiterer äußerst
interessanter Versuch wurde von Ekman auf Braus’ Veranlassung
unternommen. Aus dem lebenden Embryo der Unke wurde die
Herzanlage herauspräpariert und in Kulturflüssigkeit verbracht. Es
bildete sich ein von einer feinen Bindegewebsmembran überhäutetes
Kügelchen. Innerhalb dieses Säckchens entwickelte sich das Herz.
Unter dem Mikroskop beobachtete man seinen Schlagrhythmus, die
Einwirkung verschiedener chemischer Substanzen u. a. m. Bereits
im Jahre 1912 hatten Car reis Schüler einen ähnlichen Versuch
am Hühnerembryo vorgenommen. Noch nach 7 Jahren lebte und
schlug das Explantat in alter Frische.
Zeigen demnach die Zellen und Zellkomplexe in diesen Versuchen
ein relativ hohes Maß von Selbständigkeit in bezug auf Lebensfähig¬
keit, so wird man mit einem Schluß auf die Uifferenzierungsart
vorsichtig sein müssen. Gegenüber dem normalen Entwicklungs¬
verlauf handelt es sich ja bei der Explantation um Teile, die „dem
differenzierenden und regulierenden Einflüsse der anderen Teile so¬
wie des Ganzen entzogen“ waren. Das Medium, wie auch immer
beschaffen, stellte doch eine andere Umwelt für den verpflanzten
Teil dar, bei dem etwa der Einfluß der inkretorischen Drüsen usw.
fehlte. Auch die funktionelle Prüfung fällt hier fort. Es kann daher
von vornherein — etwa bei den Harrison sehen Versuchen —
nicht behauptet werden, daß die neuritenartigen Ausläufer der Zellen
des Explantats wahrhafte Nervenfasern gewesen sind. Vielleicht
waren es andersartige Differenzierungsprodukte.
Den normalen Verhältnissen näher kommt man indessen mit den
Methoden der Transplantation. Die ersten Versuche Braus’, die
dann von Harrison nebst Schülern aufgenommen wurden und
von ihnen einen weiteren Ausbau erfuhren, gingen von embryonalen
Anlagen aus. Den als Extremität noch nicht erkennbaren Teil eines
Embryos verpflanzten sie auf eine andere Körperstelle bzw. ein
anderes Tier der gleichen Art. Es bildete sich eine regelrechte
Extremität. Speemann vertauschte bei Triton taeniatus auf dem
Gastrulastadium ein Stück des äußeren Keimblatts, das ein Stück
Bauchhaut gegeben hätte, mit einem solchen der künftigen Medullar-
platte. Jenes wurde zu einem Stück der Medullarplatte, dieses zu
einem Stück Bauchhaut. Im Sinne dieser Methode liegt es nun aber
auch, eine künstliche Vereinigung zweier Körper, eine Komposition,
vorzunehmen. Wohl die interessanteste Bildung dieser Art rührt
von Speemann her. Er vermochte einen Molch zu züchten, dessen
eine Ivörperhälfte von Triton taeniatus stammte, die andere dagegen
von einer Kreuzung von Triton taeniatus und Triton cristatus. Jede
Körperhälfte behielt hierbei die arteigentümlichen Kennzeichen bei,
wie Kopfform, Beinhaltung und Beingestalt u. a. m.
Das Transplantat bleibt gegenüber dem Explantat im Zusammen¬
hang des Organismus. Es steht unter der Wirkung des Ganzen und
bildet sich auch weiter mit Rücksicht auf das Ganze. Hier werden
es auch die Produkte der inkretorischen Drüsen treffen. Immerhin
muß doch Beachtung finden, daß die Aenderung in der Umgebung
infolge der Verpflanzung auch irgendeinen Einfluß auf das Trans-
f riantat ausüben wird. Gelingt es aber, zu demselben Effekt zu ge¬
angen, wie er sich im normalen Entwicklungsgänge einstellte — ich
weise auf die Korneabildung hin, die oben erwähnt wurde —, so
sind wir zu einem Schluß auf den Differenzierungsmodus wohl be¬
rechtigt.
Es mag noch die Beobachtung mitgeteilt werden, daß die auto-
lastische Transplantation in der Regel ohne besondere Schwierig¬
eren vollzogen werden kann. Nicht so ohne weiteres gelingt dieses
mit der homoiplastischen, der heteroplastischen aber begegnen schon
große Hemmungen, die wohl biochemischer Art sind. Sie gelingen
nur bei Wirbellosen und dann nur für kurze Dauer.
Bei allen diesen Vorgängen fragt die Em. aber auch nach dem
Substrat, das alle diese Bildungen hervorbringt. Nach dem Wesen
derjenigen Substanz, in der die Determinationsfaktoren ruhen. Zweifels¬
ohne liegen sie in dem Plasma der Eizelle bzw. des Kernes. Welches
ist aber ihr Schicksal, was geschieht mit dieser ererbten Substanz bei
der ersten Teilung, was wird aus ihr bei der Differenzierung und
während des Betriebes und während der Rückbildung? Und steht
nicht vor und über allen diesen Fragen und Problemen die eine
große Anfangsfrage nach der Herkunft, dem Entstehen des Organi¬
schen überhaupt? Allmählich kommen wir bei diesen Dingen aus
dem Gebiet des vorläufig exakt Ermittelbaren hinaus und streben
auf Hypothesenbildung und auf prinzipielle Anschauungsfragen zu.
Einige davon sind oben bei der Behandlung der Rcstitutionserschei-
nungen eben gestreift worden. Es kann auf sie an dieser Stelle
nicht näher eingegangen werden. Nur sei erwähnt, daß sich eine
anze Reihe der bedeutendsten Forscher zu ihnen geäußert hat. Ueber-
Ückt man diese Theorien, so treten die beiden großen Pole biologi¬
scher Weltanschauung hier in besonders starkem Maße hervor: Mecha¬
nismus und Vitalismus. Jener in seinem Hauptvertreter W. Roux,
dieser repräsentiert durch den als Philosoph wie Forscher gleich
bedeutenden H. Driesch. Ihre Anschauungen vermitteln weite
Zusammenhänge unter den Einzeltatsachen im Reiche des Organischen,
doch muß man der Roux sehen Lehre unbedingt die größere Tiefe
zuerkennen, da sie darauf ausgeht, die anorganische Wurzel alles
Belebten freizulegen. Sind wir aber zu der Annahme berechtigt, daß
dieses überhaupt möglich ist? Wir haben in der Morphologie eine
Reihe rein physikochemischer Gesetzmäßigkeiten kennen gelernt, wir
kennen die Vorgänge rein anorganischer Art aus der Physiologie,
wir wissen auch, daß in die Bausteine des Lebewesens nur Elemente
eingehen, die uns aus dem Anorganischen her bekannt sind, wir sehen
im Verlaufe des Fortschritts unserer Wissenschaft, wie der Vitalis¬
mus immer weiter und weiter durch die exakte kausale Forschung
Digitized by »o le
Original fro-m
CORUELL LJNIVERSITY
776
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
zurückgedrängt wird, sollen wir aus alledem nicht die Berechtigung
herleiten, daß die vis vitalis sich einst im ganzen Gebiete des
Organisierten als überflüssig erweisen wird? Vor etwa 100 Jahren
mußte der Vitalismus im Bereiche der anorganischen Wissenschaften
seine letzte Position dem strengen Mechanismus überlassen und
hat, obwohl es auch dort noch viele ungelöste Probleme gibt, in
sie nicht wieder eindringen können. Auch das Gebiet der Physiologie
ist ihm verloren gegangen. So ist es denn die feste Ueberzeugung
wohl der meisten Morphologen, daß es nur eine Zeitfrage ist, wann
der noch gähnende Abgrund zwischen den anorganischen und orga¬
nischen Wissenschaften seine Ueberbrückung finden wird.
Kursus der gynäkotherapeutischen Technik.
Von Prof. H. Freund in Frankfurt a. M.
VI. (Schluß.)
Technik der Behandlung der sekretorischen Störungen.
Sekretionsstörungen sind das häufigste aller von den Geschlechts¬
organen ausgehenden Symptome, beruhen ebensowohl auf genitalen,
wie auf extragenitalen Prozessen, sind höchst vielgestaltig und nicht
immer bequem zu behandeln. Wenn der Vagina auch die Schleim¬
drüsen fehlen und sie in ihrer Zusammensetzung der äußeren Haut
ähnelt, so fehlt ihr doch die Hornschicht, und so kann bei Kongestion,
Ernährungsstörungen und Infektion ihre Oberfläche wie eine kranke
Schleimhaut sezemieren. Wir dürfen daher von Katarrhen der Scheide
sprechen.
Gehen wir direkt auf die Behandlung der abnormen Sekretion
ein, so dürfen wir nicht vergessen, daß letztere auch das Scheiden¬
rohr einfach passieren und doch nicht von ihm selbst, sondern von
höher gelegenen Organen — Zervix, Uteruskörper, Tuben — ge¬
liefert sein und daß abnorm ausmündende Organe (Ureter, Blase,
Darm), Fisteln und Perforationen den Austritt von Schleim und
Flüssigkeit veranlassen können. Das Volk faßt diese alle, sie mögen
nun eitrig, blutig, fötid sein, unter dem Namen: „weißer Fluß“ zu¬
sammen. Man würde aber gründlich fehlgehen, wenn man sich ohne
eigene Untersuchung von einer solchen Bezeichnung leiten ließe.
Somit gilt auch hier selbstverständlich als erste Vorbedingung jeder
Behandlung die Feststellung, was denn eigentlich aus der Vagina ab¬
geht und woher das Material stammt. Dabei macht es einen ge¬
waltigen Unterschied, ob es von kranken oder gereizten Genital¬
abschnitten geliefert wird oder ob es das Produkt einer allgemeinen,
bzw. extragenitalen Organerkrankung ist.
Der bei Bleichsucht, Tuberkulose und Skrofu¬
löse, bei Diabetes und Schwächezuständen auftre¬
tende Fluor, der also auch bei Virgines und Kindern sich störend
bemerkbar machen kann, wird durch lokale Prozeduren gewöhnlich
nicht beseitigt, weil eben seine Ursache in allgemeinen Störungen
liegt. Man behandelt die Bleichsucht, die Tuberkulose usw., warnt
vor allem, was die Hypersekretion vermehrt, wie enge Kleidung,
Maschinennähen, Tanzen, Erregungen, sorgt für regelmäßige Darm¬
und Urinentleerung und beugt beizeiten dem Intertrigo und den
Ekzemen vor, die infolge der dauernden Benässung der Vulva und
ihrer Umgebung leicht entstehen. Hier ist den üblichen Waschungen
mit essigsaurer Tonerde oder hypermangansaurem Kali ein Trocken¬
verfahren mit Bolus alba, Dermatol, bzw. eine Salbenbehandlung I
vorzuziehen (Lanolin, Lcnizet, Zink). Ist das Hymen weit genug, so
kann man auch Spülungen versuchen, bei denen sehr warmes Wasser
mit oder ohne Zusatz eines Adstringens ausreicht. Ein paar Kristalle
von Kali hypermangan., 1—2 Eßlöffel essigsaurer Tonerde auf einen
Liter Wasser, Alaun, Soda, Essig, ein Aufguß von Tee oder Eichen¬
rinde sind dann zweckmäßig. Zweifellos haben bei den Ausflüssen
jugendlicher Personen mit Anämie, Skrofulöse usw. die Solbäder
einen nicht zu unterschätzenden Einfluß, nur müssen sie lange genug
und gegebenenfalls wiederholt gebraucht werden. Auch Scheiden¬
spülungen mit einer Tasse Mutterlauge auf einen Liter Wasser wird
man oft mit Vorteil geben, während man betreffs eines Aufenthaltes
an der See mit und ohne Baden besonders genau individualisierend
entscheiden soll. Klimawechsel und Höhenaufenthalt bringen ge¬
wöhnlich einen raschen und günstigen Umschwung.
Man darf hier nicht vergessen, daß bei infantilen Personen
eine abnorme Mikrobenwelt in der Scheide lebt, was sich aus einer
minderwertigen lokalen Konstitution derselben erklärt. Nicht nur ein
meist unschuldiges Geißeltierchen, Trichomonas vaginalis, sondern
auch zufällig eingedrungene kräftigere Mikroorganismen können dann
unbehindert sich vermehren und eine Vaginitis mit Fluor veranlassen,
der sich oft als reichliches, weiß-gelbliches, scharf riechendes,
manchmal ätzendes Sekret zu erkennen gibt. Ob der Tricho¬
monas tatsächlich als ein Erreger der Kolpitis angesehen
werden darf, oder ob er sich mit andern Eindringlingen gleichzeitig
vermehrt, ist noch nicht sicher. Jedenfalls gedeiht er im sauren
Scheidensekret und kann durch alkalische Spülungen beseitigt werden.
Gewisse Keime, die den Stäbchenformen der normalen Scheidenflora
nahe verwandt sind, wie z. B. die langen echten Milchsäurebakterien,
sollen, in die Vagina gebracht, die Stäbchen in ihrem Kampf gegen
fremde Eindringlinge (Kokken, Anaeroben) unterstützen. Darauf be¬
ruht ein . Bakterienpräparat „Bacillosan“, das man bei frischen
Fällen reiner Kolpitis mit Aussicht auf Erfolg verwenden kann. Man
bringt es in Tabletten- oder Pulverform im Spekulum zweimal wöchent¬
lich möglichst tief in die Scheide und vermeidet dabei alle Aus¬
spülungen, während äußerliche Waschungen gestattet sind.
Auf ähnlichen Ueberlegungen beruht die Empfehlung von Hefe-
räparaten, zum Beispiel der Levurinose, einer haltbaren Hefe,
acn genauer Reinigung der Scheide und Zervix im Milchglasspekulum
schüttet man alle zwei Tage einmal einen Teelöffel des Mittels ein
und fixiert es durch einen Tampon, der abends wieder entfernt wini.
Die Resultate sind nicht immer sicher, es ist daher geraten, mit einem
adstringierenden Mittel, zum Beispiel Zinc. chlorat, Aq. dest. ää, nach¬
zuspülen.
In Folgendem gebe ich eine Uebersicht über die gebräuch¬
lichsten desinfizierenden und adstringierenden Spül¬
mittel, die bei zeitweiliger Abwechselung vielfach mit vollem Er¬
folg bei Scheidenkatarrhen Verwendung finden dürfen und das Urteil
begeisterter Anhänger des Trockenverfahrens, daß sie zwecklos
oder sogar schädlich seien, bestimmt nicht verdienen: Karbolsäure
2 o/o, Borsäure 3o<>, 20o/ o Formalinlösung 1—2 Eßlöffel (stets auf
1 Liter Wasser bezogen), Wasserstoffsuperoxyd 3o/b, Salizyl 0,5»«,
Lysol und Lysoform, Seifenkresol 1 Teelöffel, Kal. hypermang. wenige
Kristalle. Adstringierend: Alaun oder Tannin 1 Teelöffel, von einer
10o/oigen Cupr sulfur.-Lösung 10 ccm auf 1 Liter Wasser, Plumb.
acetic. 1,0/500, Alsol lo/o, Liq. alum. acetic. 1—2 Eßlöffel, Holzessig
5 Eßlöffel.
Zuckerlösungen habe ich besonders bei Ausflüssen, welche dem
Wochenbett oder Aborten folgen, mitunter für wirksam befunden.
Der Zucker verwandelt Keime, die sonst alkalische Produkte bilden,
in Säurebildner um und hat autibakterielle Eigenschaften. Da heute
größere Mengen kaum zu beschaffen sind, kann man sich mit Tam¬
pons, die in eine 20 0 /oige Lösung getaucht werden, behelfen, sie bis
24 Stunden liegen und gegebenenfalls von Spülungen mit 2 Eßlöffeln
Zucker auf 1 Liter heißes Wasser gefolgt sein lassen. — Mit der
Milchsäure, die man für ähnliche Fälle empfohlen hat, rate ich zur
Vorsicht. Jedenfalls soll man keine zu konzentrierten Lösungen ver¬
wenden, .i/s%ige genügen, l%ige ätzen schon zu stark. Man nimmt
also nur 1 Teelöffel auf 1 Liter Wasser.
Die Trockenbehandlung des Ausflusses kann bei
Scheidenkatarrhen ebenso gute und unter Umständen bessere Re¬
sultate erbringen wie die Spülungen, ähnlich wie man bei Affek¬
tionen der äußeren Haut bald mit Puderungen, bald mit Feuchtig¬
keit befriedigendere Erfolge erzielt. Man wird wohl meist mit den
Spülungen beginnen und erst, wenn diese versagen, Rezidive nicht
verhüten oder aus äußeren Gründen schlecht durchführbar sind, mit
dem Nassauerschen Sikkator vorgehen. Die Patientin lehrt man
das Einführen des Glasbirnenendes und die durch ein Gebläse be¬
wirkte Einstäubung des eingefüllten Bolus, was ein- oder mehrmals
am Tage erfolgen kann. Die Austrocknung ist hierbei das Ent¬
scheidende, die Keimtötung fraglich. Man kann dem Bolus 20<fo
Zuckerpulver zusetzen („Bolus-Biozyme“), Zibosal-, Lenizet-, Per-
genol-, Jod-Bolus und andere austrocknenden Mittel, wie Noviform,
nehmen. Ich verwende fast ausschließlich Cholevalpuder, weil
derselbe auch bei gonorrhoischem und postgonorrhoischem Fluor
wirkt. Einige empfehlen eine Kombination von Trocken- und Spül¬
behandlung, die sich insofern manchmal aufzwingt, als der in der
Scheide angehäufte Bolus mit dem Schleim zusammen Brocken bildet,
die von Zeit zu Zeit herausgeschwemmt werden müssen. Die Aus¬
trocknung erreichen wir auch in vorzüglicher Weise durch eine
Gazeausstopfung. Dermatolgaze ist dazu wenig empfehlenswert,
weil sie bei längerem Liegen sich schnell zersetzt und riecht, besser
ist schon lOo/oige Xeroformgaze, am besten die 10<>/oige Yatrengaze
(Yatren, ein Jodderivat des Benzol-Pyridins, besitzt bakterizide Eigen¬
schaften.) Man stopft die Scheidengewölbe rings um die Portio
vaginalis mit langen Streifen sorgfältig aus und füllt auch die mitt¬
leren und vorderen Abschnitte der Scheide. Die Gaze kann 2- bis
3mal wöchentlich 24 Stunden liegen bleiben.
Das Jod hat man selbstverständlich zu Pinselungen der Vagmal¬
schleimhaut schon früher herangezogen. Im übrigen besorgt der
Glyzerintampon mit oder ohne Zusatz der im Abschnitt über
die Behandlung entzündlicher Leiden aufgeführten Resorbentien die
Aufgabe der Austrocknung recht oft in aller Vollkömmenheit. —
Der Ausfluß der fetten Frauen beruht, wie die bekannte
Bronchitis derselben, auf dauernden Kongestionen. Er verfangt eine
Diätkur und dieselbe lokale Nebenbehandlung wie die eben be-
zeichnete. Bei dieser Gruppe aber kann, wenn es das Hymen ge¬
stattet, eine Trockenbehandlung der Zervix und Scheide den Spü¬
lungen den Rang ablaufen. —
Von Parasiten als Erregern von Kolpitiden kommen beson¬
ders bei Kindern Oxyuren, seltener Askariden und andere Würmer
aus dem Mastdarm in Betracht. Eine anthelmintische Kur und die
gewöhnlichen Waschungen und Spülungen bringen diese Formen,
zu denen sich häufig auch eine Vulvitis gesellt, schnell zur Heilung.
Der Soorpilz gedeiht in dem sauren Sekret und dem Platten¬
epithel der Vagina sehr gut, man findet die weißen, anhaftenden
Herdchen, die oft auch die Vulva besiedeln, im ganzen Bereich der
geröteten Schleimhaut, vielfach überdeckt von einem reichlichen,
weißen, bröckligen Schleim. Natr. bicarb.-Lösung und Bepinseln mit
Boraxglyzerin vertreibt den Pilz rasch, der übrigens wie gewisse
Leptothrixarten bei Diabetikerinnen günstige Wachstumsbedingungen
findet, weshalb man die Untersuchung des Harns auf Zucker nie ver¬
gessen soll.
Digitized b'
Google
j
Original from
CORNELL UNIVERSITY
9. Juni 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
777
Diphtherie der Scheide ist weit seltener, kommt aber bei
Kindern und Erwachsenen vor, ist im Anfang, solange Beläge noch
nicht deutlich sind, nicht ganz leicht zu erkennen, später aber mit
nichts zu verwechseln. Daraus folgt, daß man insbesondere bei
Schwangeren und Wöchnerinnen auffällige Abscheidungen ungesäumt
der bakteriologischen Untersuchung unterwerfen soll. In unserem
Falle wird man den Loefflerschen Bazillus finden. Ich habe zwei
Fälle von Colpitis diphtherica bei Puerperen beschrieben, bei beiden
verschwand die lokale Affektion prompt auf Behringsches Heilserum,
in dem einen Fall aber hielten sich die Bazillen elf Monate lang
lebendig und virulent bis in die folgende Schwangerschaft. Eine
schwache Lösung von Liquor ferri sesquichlorat. brachte endlich
Heilung.
Von weiteren Scheidenausflüssen erwähne ich nur noch die durch
bösartige Neubildungen hervorgerufenen. Bei diesen kann
man der stets zu wiederholenden Spülungen, Tamponaden, Aetzungen
und Austrocknungen entraten, wenn man mit der Strahlentherapie
vorzugehen in der Lage ist, beim Karzinom am schnellsten mit dem
Radium, während bei den Sarkomformen die Röntgentiefentherapie
mehr gerühmt wird.
Von den gonorrhoischen Ausflüssen ist in den früheren
Kapiteln ausführlich gesprochen, ich verweise hierauf. Im ganzen
kann man bei allen abnormen Scheidensekretionen den Rat geben,
diese den Patientinnen als ernst zu nehmende darzustellen, die
nicht leicht zu vertreiben sind, die auch nach vorübergehender Besse¬
rung leicht wiederkehren und nicht immer nach derselben Methode
mit dem gleichen Mittel geheilt werden. Alles, was schädlich wirkt,
was zur Kongestion und Reizung beiträgt, enge Kleidung, Ueber-
anstrengung, geschlechtliche Ueberreizung, mangelnde Körperkultur,
Obstipation usw., muß. vermieden werden. Der Patientin soll man
Selbstkontrolle und Verantwortung zuweisen, denn kaum bei einem
andern gynäkologischen Leiden wird so schief geurteilt und so viel
herumkonsultiert, wie bei den Störungen der Sekretion der Scheide.
Stammt die abnorme Sekretion aus dem Oebärmutterhals,
so liegt eine Endometritis oder Metritis colli mit oder ohne Ektropium,
spezifischer oder nicht spezifischer Art vor, worüber oben ge¬
sprochen wurde. Ich verweise ebenso auf die Besprechung des ab¬
normen Sekretionsmaterials aus dem Uteruskörper. Ich muß nur
darauf hinweisen, daß Fälle, deren Natur nicht ohne weiteres klar
wird, viel häufiger, als man gewöhnlich annimmt, aus der abnormen
Erregung bei der Masturbation, dem Coitus interruptus und frustra-
neus sich erklären und mit der Abstellung der Schädlichkeiten in
Heilung ausgehen. Bei Hypersekretionen, die nur ab und zu plötz¬
lich in großen Quantitäten nach vorausgegangenen Unterleibs¬
schmerzen und Koliken auftreten, handelt es sich am häufigsten um
einen Hydrops tubae profluens, eine oft gonorrhoische Salpingitis,
bei der sich der Inhalt der Tuben unter heftigen Kontraktionen in
das Cenitalrohr ergießt. Wenn hier die konsequente antigonorrhoische
und resorbierende Behandlung nicht zum Ziele führt, ist die Opera¬
tion indiziert.
Standesangelegenheiten.
Die rechtlichen Beziehungen des Privatarztes zu dem gegen
Krankheit Versicherten nach der Gebührenordnung vom
15. III. 1922.
Von Dr. Heinrich Joachim.
In der Gebührenordnung vom 15. V. 1896 wurde zum erstenmal
das Privileg der Mindestsätze für die reichsgesetzlichen Kranken¬
kassen ausgesprochen — daß sie fast ausnahmslos diese Sätze nicht
zahlten, sondern auf dem Wege der Vereinbarung viel niedrigere
Honorare den Kassenärzten für die Behandlung ihrer Mitglieder ge¬
währten, sei nur nebenbei erwähnt. Nahm dagegen ein Kassenmitglied
in einem dringenden Fall einen nicht angestellten Arzt in Anspruch
— in diesem Fall hat die Krankenkasse dem Mitglied die Arztkosten
zu erstatten —, so hatte der Patient an den Arzt den mit Rück¬
sicht auf seine Verhältnisse angemessenen Satz zu zahlen, konnte
aber von der Kasse diesen Betrag zurückverlangen. Nach einer
neueren Entscheidung des Reichsversicherungsamts wurde die Höhe
des von der Kasse zu erstattenden Honorars auf die Mindestsätze
der jeweilig geltenden Gebührenordnung beschränkt, sodaß das
Kassenmitglied einen Teil des verauslagten Honorars aus seiner
Tasche tragen mußte. Da sich hieraus gewisse Unzuträglichkeiten
ergaben, strebten die Kassen danach, das ihnen gewährte Privileg
der Mindestsätze auch auf die einzelnen Mitglieder auszudehnen —
eine Forderung, die bei ihrem großen Einfluß in der Gebühren¬
ordnung vom 1. IX. 1920 vom Minister erfüllt wurde: nach § 2
Abs. 1 Satz 3 dieser Gebührenordnung waren „in dringenden Fällen
von den gegen Krankheit nach der RVO. Versicherten nur die
Mindestsätze zu entrichten“. Wie weit allerdings diese Bestimmung
rechtswirksam war; kann hier unerörtert bleiben.
Die neue Gebührenordnung vom 15. III. 1922 ist noch einen
Schritt weiter gegangen: den gegen Krankheit Versicherten
— Versicherungspflicntigen wie Versicherungs¬
berechtigten — ist, unabhängig vom Einkommen, man¬
gels Vereinbarung das Privileg der Mindestsätze zu¬
gestanden worden. Diese Bestimmung ist von grundsätzlicher
Bedeutung. Wenn der Arzt bei Versicherten nur die Mindestsätze
liquidieren darf: wie will er dann bei Angehörigen des Mittelstandes,
die zwar nicht versichert, aber nicht selten kaum einen Bruchteil des
Einkommens der Versicherten haben, einen höheren als den Mindest¬
satz begründen?
Der § 2, der das Privileg der Mindestsätze behandelt, unter¬
scheidet zwei Fälle, die streng voneinander zu trennen sind:
1. Ein gegen Krankheit Versicherter sucht einen Nichtkassenarzt
auf und weist sich bei der Inanspruchnahme durch eine Kassen¬
bescheinigung aus. In diesem Falle ist der Versicherte Privatpatient
des Arztes; der Arzt erwirbt aus der Behandlung keinen Anspruch
an die Kasse, es sei denn, die Kasse hätte dem Arzt den Auftrag
zur Behandlung gegeben oder hätte für ausreichende ärztliche Be¬
handlung nicht gesorgt. Uebernimmt der Arzt die Behandlung, ob¬
wohl er wußte, daß der Kranke „bei einer Krankenkasse versichert“
ist, ohne Widerspruch, so kann er von dem Patienten —■ auch wenn
dieser noch so vermögend ist — nachher nur die Mindestsätze der
Gebührenordnung beanspruchen (die Kasse kann der Arzt direkt
nicht in Anspruch nehmen). Dieses Privileg des Versicherten kann
der Arzt durch Vereinbarung ausschalten; es genügt dazu schon die
Erklärung des Arztes, daß er Kassenmitglieder nicht zu den Mindest¬
sätzen der Gebührenordnung behandelt. Ist das geschehen, und hat
der Kranke trotzdem die Behandlung des Arztes angenommen, so
kann er sich später auf das ihm sonst zustehende Privileg der
Mindestsätze nient berufen: das steht ihm nur mangels Vereinbarung
zu. Eine — stillschweigende — Vereinbarung auf Ausschluß des
§ 2 aber ist durch die Erklärung des Arztes und die widerspruchslose
Hinnahme seitens des Kassenmitgliedes zustandegekommen: der Ver¬
sicherte hat an den Arzt das für seine Verhältnisse angemessene
Honorar zu zahlen. Die von Dietrich (Kl. W. 1922 Nr. 18 S. 907)
geäußerte Ansicht: „wenn der Arzt aber die Behandlung eines durch
eine Kassenbescheinigung als versichert nachgewiesenen Kranken
übernimmt, so kann er nur die Mindestsätze beanspruchen, gleich¬
gültig, ob er erklärt, daß er zu den Mindestsätzen nicht behandele“,
ist durchaus abwegig. Denn die Bestimmungen der Gebühren¬
ordnung gelten nur „mangels Vereinbarung“. Den Bestimmungen der
Gebührenordnung zwingendes Recht beizulegen, ist zwar ein Wunsch
der Kassen; der Wunsch scheitert aber an den entgegenstehenden
reichsgesetzlichen Bestimmungen.
2. Praktisch wichtiger ist §2 Abs. 3 der neuen Gebührenordnung:
„In dringenden Fällen sind von den gegen Krankheit nach der RVO.
Versicherten nur die Mindestsätze zu entrichten, und zwar auch
dann, wenn die Kassenbescheinigung (Abs. 1) nicht beigebracht
wird“ — der sogenannte „dringende“ Fall. Ob ein dringender
Fall vorliegt, ist Tatfrage. Wie weit im übrigen diese Bestimmung
rechtsgültig ist, werden die Gerichte zu entscheiden haben (vgl.
hierzu Berlin. Aerztekorr. 1922 S. 142). Dort ist die Auffassung ver¬
treten worden, daß der Kranke oder dessen Angehörige, die den
Nichtkassenarzt in einem dringenden Fall rufen, die Verpflichtung
haben, den Arzt auf die Zugehörigkeit des Kranken zu einer Kasse
vor der Inanspruchnahme aufmerksam zu machen. Wird das unter¬
lassen und damit dem Arzt die Möglichkeit der Honorarvereinbarung
genommen, so ist die Vorschrift des § 2 Abs. 3 rechtsunwirksam: der
Arzt kann dann auch von dem gegen Krankheit Versicherten, wie
von jedem andern Privatpatienten, den Honorarsatz beanspruchen,
der seinen Verhältnissen angemessen ist.
Wenn Dietrich (1. c. und neuerdings in seinem Kommentar)
I den gegen Krankheit Versicherten in einem dringenden Fall sogar
„absoluten“ Mindestsatzzwang zubilligt, d. h. ein Ueberschreiten des
Mindestsatzes auch dann ablehnt, wenn „besondere Schwierigkeiten
der ärztlichen Leistung oder das Maß des Zeitaufwandes einen
höheren Satz rechtfertigen“, so wird diese Auffassung durch den
Wortlaut des § 2 Abs. 3 (vorausgesetzt, daß diese Bestimmung rechts¬
gültig wäre — was unseres Erachtens ja nicht der Fall ist) nicht
gestützt. Der Versicherte würde damit ein Privileg erhalten, das
über das der Krankenkassen noch hinausgeht. In einem dringenden
Fall kann der Arzt bekanntlich die Kosten für die Behandlung des
Kassenmitgliedes von der Kasse direkt beanspruchen. Sie hätte
nach § 2 Abs. 1 Satz 2 unter gewissen Voraussetzungen einen höheren
als der. Mindestsatz zu zahlen. Würde aber der Arzt von dem
Versicherten das Honorar beanspruchen, so wäre nach Dietrich
unter denselben Voraussetzungen nur der Mindestsatz, und nicht
mehr, zu zahlen. Wollte der Gesetzgeber diese Ungeheuerlichkeit, so
hätte er das in der Gebührenordnung klipp und klar zum Ausdruck
bringen müssen. Da das nicht geschehen, für das erweiterte Privileg
auch nicht der geringste sachliche Grund vorliegt — das Gegenteil
wäre eher verständlich —, so ist der „absolute“ Mindestsatzzwang
des Versicherten abzulehnen.
In dem oben angeführten Artikel („Die Preußische Gebühren¬
ordnung für approbierte Aerzte und Zahnärzte vom 15. III. 1922“,
Kl. W. Nr. 18) bespricht Dietrich die Prinzipien der neuen Ge¬
bührenordnung. Im Anschluß an Ausführungen über den Mindestsatz¬
zwang vertritt er folgende befremdliche Auffassung, die
unter den Kollegen lebhaften Unwillen erregt hat, auch
der eigentliche Grund für diese Betrachtung gewesen ist:
„Es darf hier auch darauf hingewiesen werden, daß die ärzt¬
lichen Ehrengerichte darüber zu entscheiden haben, ob es mit der
ärztlichen Standesehre vereinbar ist, die Behandlung eines Kranken
unter bestimmten schwierigen Verhältnissen, z. B. in einem dringen¬
den Krankheitsfalle oder wenn er der einzige in der Gegend ist.
Digitized by
Gck igle
Original frorm
CORNELL UNIVERSUM
778
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
abzulehnen, weil nur Kassenbezahlung zu erwarten ist. Wenn aber
ein Arzt, wie es vorgekommen ist, bei Unbemittelten nur dann zu
einer Entbindung zu gehen erklärt, wenn ihm eine über den Mindest¬
satz hinausgehende Gebühr vorher ausgezahlt oder wenigstens zu¬
gesagt worden ist, während er bei Zahlungsfähigen seine Hilfe ohne
diese Voraussetzung gewährt, so ist in der Tat zu erwägen, ob hier
nicht eine Nötigung (auch im Original durch Druck hervorgehoben)
und zwar in bedenklicher Form vorliegt.“
Während die vertretene Auffassung hier als eigne Ansicht des
Verfassers hingestellt wird, ist in der Einleitung zum Kommentar
zur neuen Gebührenordnung desselben Autors die gleiche Auffas¬
sung fast mit denselben Worten als Aeußerung der Vertreter der
Krankenkassen bei der Beratung über die neue Gebührenordnung
im Wohlfahrtsministerium wiedergegeben. Es erscheint notwendig,
auf diesen Unterschied besonders aufmerksam zu machen.
Was die Frage der Nötigung betrifft, so wird dabei die
Rechtslage vollkommen verkannt. Der Arzt hat das
Recht, die Behandlung eines Kranken abzulehnen oder
die Uübernähme von bestimmten Voraussetzungen ab¬
hängig zu machen. § 144 der Gewerbeordnung bestimmt:
„Inwiefern, abgesehen von den Vorschriften über die Entziehung
des GewerbebetriÄs (§ 143), Zuwiderhandlungen der Gewerbetrei¬
benden gegen ihre Berufspflichten außer den in diesem Gesetz er¬
wähnten Fällen einer Strafe unterliegen, ist nach den darüber be¬
stehenden Gesetzen zu beurteilen.
Jedoch werden aufgehoben die für Medizinalper-
soncn bestehenden besonderen Bestimmungen, weiche
ihnen unter Androhung von Strafen einen Zwang zu
ärztlicher Hilfe auferlegen.“
Danach ist es in das Belieben des Arztes gestellt, ob und unter
welchen Bedingungen er Hilfe leisten will; ein Zwang zu ärztlicher
Hilfeleistung besteht jedenfalls nicht. Der Versuch, einen Arzt, der
aus irgendeinem Grunde seine Hilfe verweigert, wegen Nötigung
strafrechtlich zu verfolgen, würde eine Umgehung des § 144 Abs. 2
der Gewerbeordnung bedeuten und darum ohne weiteres abzu¬
lehnen sein.
Wenn danach auch der Arzt, ohne befürchten zu müssen, des¬
wegen mit dem Strafgesetzbuch in Konflikt zu geraten, berechtigt
ist, seine Hilfe zu verweigern oder nur unter bestimmten Voraus¬
setzungen zu leisten, so kann unter Umständen die allgemeine oder
bedingungsweise Ablehnung der Hilfe einen Verstoß gegen die ärzt¬
liche Standesehre bedeuten. Es handelt sich dann aber nach den Ent¬
scheidungen des Preußischen Ehrengerichtshofes für Aerzte um be¬
sondere Ausnahmefälle, nicht, wie es nach den oben angeführten
Aeußerungen Dietrichs scheinen könnte, um jede Hilfe Verweige¬
rung in einem dringenden Fall. Denn was wird nicht alles von den
Kranken als dringender Fall angesehen? Ob ein Verstoß gegen die
ärztliche Standesehre vorliegt, ist von Fall zu Fall zu entscheiden.
Wer sich über diese Frage eingehender unterrichten will, sei auf die
Entscheidungen des genannten Gerichtshofes verwiesen (Bd. 1 S. 81
bis 83; Bd. 2 S. 135-139; Bd. 3 S. 102, 111, 118). Die dort aufge¬
stellten Grundsätze können hier nur auszugsweise wiedergegeben
werden.
Die Verweigerung ärztlicher Hilfe in Fällen dringender
Lebensgefahr — so sagt der Ehrengerichtshof — begründet einen
Verstoß gegen die ärztlichen Standespflichten. Es ist zwar davon
auszugehen, daß es grundsätzlich von der freien Entschließung des
Arztes abhängt, ob er die Behandlung eines Kranken im Einzelfall
übernehmen will, und daß ein Zwang zur Uebernahme einer Be¬
handlung für den Arzt rechtlich nicht begründet ist (vgl. auch
§ 144 Abs. 2 der Reichsgewerbeordnung), daß es aber ausnahmsweise
Fälle geben kann, die so schwer und dringlich sind, daß der Arzt
seine Hilfeleistung nicht verweigern darf, ohne mit den Gepflogen¬
heiten und Auffassungen seines Standes in Widerspruch zu geraten.
Es ist von den Angehörigen des ärztlichen Berufs stets jus eine
Ehren- und Standespflicht erachtet worden, in Fällen drtagender
Lebensgefahr ihre ärztlichen Dienste bereitwilligst und bedin¬
gungslos zur Verfügung zu stellen. Ob ein Fall dringender Lebens¬
gefahr vorliegt, ist Tatfrage, die in jedem Einzelfalle besonders zu
prüfen und festzustellen ist (Bd. 1 S. 81).
Es ist nicht angängig, die eng begrenzte Ausnahme so weit
auszudehnen, daß der Arzt verpflichtet sei, jedem Ruf zu folgen,
wenn es sich um eine Entbindung handelt. Daß bei Entbindungen
allgemein der Fall dringender Lebensgefahr vorliege, kann nicht an¬
genommen werden. Anders aber liegt der Fall, wenn die Hebamme
den Arzt bei einer Entbindung zur Hilfe ruft. „Daß ein Arzt, welcher
in einem solchen Falle, dazu nach den Mitteilungen der Hebamme,
in klarer Kenntnis der Gefahr, die ärztliche Hilfeleistung ablehnt,
seinen Beruf nicht gewissenhaft ausübt und sich ehrengerichtlich
strafbar macht, hat der Vorderrichter zutreffend ausgefünrt (Bd. 2
S. 135 ff., Bd.3 S.115).“
Der Ehrengerichtshof hält nicht in jedem dringenden Fall den
Arzt für verpflichtet, Hilfe zu leisten, sondern nur im Fall drin¬
gender Lebensgefahr. Er hat einen Arzt, dessen Hilfe wegen
Abwesenheit des Kassenarztes dreimal in kurzen Zwischenräumen
vergeblich begehrt wurde — es handelte sich um einen Laufburschen,
der vom Eisenbahnwagen überfahren und am linken Bein schwer
veiletzt worden war —, mit der Begründung freigesprochen, daß
es sich hier nicht um einen Fall dringender Lebensgefahr gehandelt
hat. Es hat vielmehr lediglich ein Knochenbruch Vorgelegen, der
Digitized by
Gck igle
Nr. 23
weder dem Leben des Verletzten Gefahr bringen konnte, noch be¬
sonders eiliger Behandlung bedurfte, weil er nätte lebensgefährlich
werden können (Bd. 2 S. 139).
Das Ergebnis dieser Betrachtung läßt sich dahin xasanmenfaivei;
1. Ein Arzt, der einen gegen Krankheit Versicherten, welcher sich bei
der Inanspruchnahme durch den Krankenschein ausweist, in Behand¬
lung nimmt, kann später von dem Kassenmitglied nur die Mindest¬
sätze beanspruchen.
2. Erklärt der Arzt dem Versicherten bei der Inanspruchnahme,
daß er Kassenmitglieder nicht zu den Mindestsätzen der Gebühren¬
ordnung behandelt, und nimmt das Kassenmitglied diese Erklärung
widerspruchslos hin und unterwirft sich der Behandlung, so ist der
Arzt berechtigt, von dem Kranken wie von jedem andern Patienten
angemessene Sätze zu liquidieren.
3. In einem dringenden Fall hat der Versicherte oder dessen
Angehörige dem Arzt unmittelbar bei der Inanspruchnahme von der
Kassenzugehörigkeit Kenntnis zu geben. Unterläßt er es, so geht
er des Privilegs der Mindestsätze verlustig.
4. Ein Arzt, der die Behandlung eines Kassenmitgliedes in einem
dringenden Fall bedingungslos übernimmt, obwohl inm bekannt ist,
daß es sich uin einen gegen Krankheit Versicherten handelt, hat
nur Anspruch auf die Mindestsätze.
5. Ein Zwang zur Uebernahme ärztlicher Behandlung besteht
nicht. Der Arzt kann seine Hilfe verweigern oder die Behandlung
von gewissen Bedingungen abhängig machen. Die strafrechtliche
Verfolgung des Arztes wegen Hilfe Verweigerung oder wegen Nöti¬
gung Ist rechtlich nicht begründet.
6. Ausnahmsweise, in Fällen dringender Lebensgefahr,
darf der Arzt seine Hilfe nicht verweigern, sondern hat seine
Dienste bedingungslos zur Verfügung zu stellen. Ein Verstoß da¬
gegen zieht ehrengerichtliche Bestrafung nach sich.
7. In dringenden Fällen ist der Arzt nur ausnahmsweise zur Hilfe¬
leistung verpflichtet, nämlich wenn er weiß oder wissen mußte,
daß dringende Lebensgefahr vorliegt. Daß bei Entbin¬
dungen allgemein der Fall dringender Lebensgefahr vorliegt, kann
nicht angenommen werden.
Geschichte der Medizin.
Hippokratische Heüknade.
Von Julias Hirschberf.
(Schluß aus Nr. 22.)
II. Nun kommen wir zu der hippokratischen Zeit und zu
nächst zu dem großen Manne, der inr den Namen gegeben.
Hippokrates wurde um 460 v. Chr. geboren, auf der Insel
Kos, welche nahe der Südwest-Ecke von Klein-Asien gelegen ist
Er soll gegen achtzig Jahre gelebt haben.
Platon hat ihn ausnehmend gerühmt 1 ), und Aristoteles 1 )
wählt ihn als Beispiel, um einen großen Arzt zu kennzeichnen.
Aber genaue zeitgenössische Mittheilungen über sein Leben und
sein Wirken sind uns leider gar nicht überliefert.
Nach den Mittheilungen der Späteren war er edel und einfach,
geistreich und menschenfreundlich, durchdrungen von der Würde
seiner Kunst, ein vorzüglicher Beobachter und äußerst geschickter
Wundarzt, der Vollender der Schule von Kos, Vater der wissen¬
schaftlichen Heilkunde, die er sowohl von den Priestern als auch
von den Philosophen gelöst und auf Erfahrung begründet hat.
Dem ganzen Alterthum hat er als Vorbild des vollendeten Arztes
und äßftlichen Schriftstellers gegolten. Sein Ruhm überstrahlte den
aller seiner Berufsgenossen.
Seit mehr als zwei Jahrtausenden ist der Name Hippokrates
im Munde der Aerzte, aller Griechen und ihrer römischen
Schüler, ferner der Araber, sogar der Aerzte des europäischen Mittel¬
alters, und so fort bis zu unsren Tagen.
Die dogmatische Darstellung des Galenos, welche die Jahr
hunderte überdauerte, aus der wir so viele Namen und Begriffe in
die heutige Heilkunde übernommen haben, beruhte zu einem ßfroßw
Theil auf hippokratischen Schriften: als ihr Verfasser galt dem
Galenos der „göttliche“ Hippokrates. Mit Hilfe der hippo
kratischen Schriften sind im Beginn der Neuzeit die Fesseln mittel
alterlicher Scholastik zerbrochen worden.
Der Einfluß hippokratischer Schriften ist bis heute lebendig gr
blieben: die treue Natur-Beobachtung, die Betonung natürlicher Ur¬
sachen aller Krankheiten sowie der Heilkraft der Natur, die edle
Auffassung der ärztlichen Kunst und Thätigkeit, das sind die
hervorstechenden Eigenschaften, welche diesen ältesten Urkimd»
unsrer Wissenschaft und Kunst ihre dauernde Bedeutung verticher,
haben.
Jetzt komme ich zu der Erörterung der hippokratischen
Schriften. Schon die alexandrinische Schule besaß eine Sammlung
von (31) Schriften, welche sie als Werke des großen Hippokrates
betrachtete, und dazu noch einige von seinen unmittelbaren Nach
folgern und von andren Schulen aus seiner Zeit, eine Sammlung
die im Großen und Ganzen mit derjenigen übereinstimmt, die
*) Protag. 311 B — *) :n, 431326a lä-JKAusg. d. Bert. Akad.)
Original from
CQRNELL UNiVERSlTY
9. Juni 1922
.DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
779
heutzutage besitzen. Dies folgt auch aus der Liste, welche der Gram¬
matiker Erotianos aus der zweiten Hälfte des ersten Jahr¬
hunderts n. Chr., in seinem hippokratischen Wörterbuche uns über¬
liefert, das, wenn auch verstümmelt, bis auf unsre Tage gekommen ist.
Wir ersehen aus Erotianos und aus dem um ein Jahrhundert
späteren Galenos, daß die Alten, wenn sie auch schon den Ver¬
such gemacht, durch Kritik die sogenannten hippokratischen Schriften
zu sondern, doch auf diesem Gebiet noch nicht sehr weit vorge¬
drungen sind.
Die 53 in jonischem Dialekt verfaßten Schriften, welche in
griechischen Handschriften unter dem Namen des Hippokrates
uns überliefert worden und uns heute zur Verfügung stehen, sind
von ganz verschiedener Art und Werthigkeit. Denn darunter sind
einerseits vortreftliche Abhandlungen über chirurgische Hauptstücke,
über Diät, über Klimatologie; anderseits weniger gute Schriften,
auch Bruchstücke, Krankengeschichten, Auszüge, Entwürfe, Notizen.
Ja es sind sogar thörichte Dinge, Zahlen-Mystik, Traumdeu¬
tungen, in die Sammlung hineingekommen. Brauchbare Abhandlungen
haben alberne Zusätze und Anflickungen erhalten, wie sie einem
Praktiker, der das Buch besaß, beliebten und fürderhin von den
Abschreibern beibehalten wurden: so die Schrift von der Luft und
den Wassern und die von der heiligen Krankheit.
Auch die Anhängsel von Recept-Sammlungen, z. B. an die Schrift
von den Frauenkrankheiten, sind so zu begreifen 1 ).
Seit dem 16. Jahrhundert, d. h. seit der Drucklegung so¬
wohl der griechischen Texte selber als auch der alsbald angefertigten
lateinischen Uebersetzungen, wurden die hippokratischen Schriften
nach der wahrscheinlichen oder vermeintlichen Echtheit in vier
Klassen eingetheilt, von denen die erste die für echt gehaltenen
Schriften des großen Hippokrates umfassen sollte, die zweite
aber die Werke seiner unmittelbaren Schüler und Nachfolger ent¬
hielt, die dritte Schriften de^ knidischen Schule brachte, die vierte
15 kleinere Abhandlungen, die zur Zeit der Gründung der großen
Büchereien (in Alexandreia und Pergamon) von den Buchhändlern
ein- oder untergeschoben seien.
Aber die neuere Philologie hat mit Ueberlieferungen und Vor¬
urteilen gründlich aufgeräumt und das Folgende festgestellt. Was
uns handschriftlich überliefert ist als Sammlung der hippokratischen
Schriften, umfaßt einen großen Theil der ärztlichen Literatur des
fünften und der ersten Hälfte des vierten Jahrhunderts v. Chr. Die
Schriften gehören verschiedenen Verfassern an, die auch ver¬
schiedene, z. Th. sogar entgegengesetzte Anschauungen vertreten;
die ferner in Stil und Ausdrucksweise sich wesentlich von einander
unterscheiden. Aber es ist z. Z. noch ganz unmöglich, die Schriften
nach den Verfassern zu sondern. Die von den vereinigten
Akademien zu Berlin, Leipzig und Kopenhagen in Angriff genommene
Herausgabe des Corpus medicorum Graecorum ordnet die
hippokratischen Schriften nach dem Inhalt.
Als vorläufiges Ergebniß möge man betrachten, daß von den
Voikskrankheiten das erste und das dritte Buch, ferner das Pro-
nostikon, die Aphorismen, die Lebensweise bei den akuten Krank-
eiten, die Schriften von den Gelenken und von den Kopf-Ver¬
letzungen sehr wohl dem bedeutendsten Arzt des fünften Jahr¬
hunderts v. Chr. zugeschrieben werden können. Das wäre ja aller¬
dings Hippokrates. Aber wir haben keinerlei sichere Be¬
weise.
Das einzige Zeugnis eines (wenn auch jüngeren*)) Zeitge¬
nossen ist das Lob, welches Platon im Phaidros der Natur-
Spekulation des Hippokrates gespendet hat. Hierauf gestützt, könnte
man dem Hippokrates jedenfalls mehrere Schriften der Samm¬
lung absprechen, nämlich solche, die sich gegen Natur-Philosophie
und Hypothesen aussprechen, wie z. B. die merkwürdige Schrift über
die alte Heilkunde. Weit schwieriger ist die Frage zu entscheiden,
welche Schriften man nach dem Wort des Platon dem Hippo¬
krates zuschreiben könnte. Beiläufig möchte ich erwähnen, daß
unser Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff die beiden be¬
rühmten Schriften von der Luft und den Wässern sowie von der
heiligen Krankheit dem Hippokrates abgesprochen hat.
Die Zahl der Ausgaben der hippokratischen Schriften ist be¬
deutend. Mit der „Editio princeps“, der Aldina vom Jahre 1526
zu Venedig, sind zwölf Gesamt-Ausgaben der griechischen Texte
erschienen. Dazu kommen zahlreiche Theil-Ausgaben und die Ueber¬
setzungen. sowohl ins Lateinische wie auch in moderne Sprachen,
ins Französische, Englische, Spanische, Deutsche, Schwedische.
Diejenigen Ausgaben, die man Aerzten unsrer Tage empfehlen
könnte, wenn sie Zeit und Lust haben, einen Blick zu werfen in
diese ältesten Urkunden unsrer Wissenschaft, sind die folgenden:
1. Die Ausgabe von Anutius Foesius. Anuce Foes
(1528—1595) aus Metz ist dfem Gedäditniß des heutigen Geschlechtes
der Aerzte schon fast völlig entschwunden. Der Mann hat aber zu
seiner Zeit eine große Aufgabe mit bewunderungswürdigem Fleiße
und Scharfsinn gelöst. Damals hatten die Schriften der griechischen
Aerzte, namentlich die unter dem Namen des Hippokrates und
2 ) Ich besitze die photographische Wiedergabe alter arabischer Handschriften
über Augenheilkunde (aus dem Escorial), auf deren freiem Titelblatt hebräische
Rezepte verzeichnet sind. Hier ist das Sachverhältnis beim ersten Blick zu erkennen —
durch die Verschiedenheit der beiden Sprachen, der Schriftzüge, auch der Tinte.
*) Um das Jahr 400 v. Chr. war Platon etwa 27 Jahre alt, Hippokrates viel¬
leicht 60jMhrig.
dem des Galenos überlieferten, nicht blos, wie für uns heuzutage,
einen geschichtlichen, sondern auch noch einen didaktischen Werth.
Somit erhellt die Bedeutung unsres Anutius Foesius, der in
40jähciger Arbeit die erste brauchbare Ausgabe der hippokrati¬
schen Schriften geschahen, die nicht blos die seiner Vorgänger 1 )
weit überragte, sondern auch alle seine Nachfolger übertrotfen hat,
bis im 19. Jahrhundert E. Littr6 eine neue Lebensarbeit dem
Hippokrates gewidmet.
Im Jahre 1596, dem Todesjahr 2 ) von Foes, erschienen zu Frank¬
furt a. M. die beiden gewaltigen Folianten, die zusammen etwa
1800 Seiten umfassen und die genau durchzulesen freilich kein be¬
schäftigter Arzt des 20. Jahrhunderts mehr die Zeit finden dürfte
Aber für den Geschichts-Forscher und Liebhaber ist diese Hippo-
krates-Ausgabe eine reiche Fundgrube der Belehrung, besonders
auch durch das beigefügte, ausführliche Hippokrates-Lexikon
(Oeconomia Hippocratis), in welchem alle wichtigen Aus¬
drücke und Begriffe erklärt und durch Anführung aller Stellen aus
der hippokratischen Sammlung (und vieler aus den andren Schriften
der Griechen und Römer) noch weiter erläutert werden.
Uebrigens war Anuce Foes ein ausgezeichneter Prak¬
tiker, und den meisten philologischen Aerzten jenes Zeitalters,
welche die Herausgabe der ärztlichen Schriften des Alterthums zu
ihrer Lebensaufgabe gemacht, durch eigene Erfahrung bedeutend
überlegen. Aus der Widmung seiner Oeconomie „an den Praetor und
den Senat seiner Stadt Metz“ erfahren wir, daß Foes im Jahre 1587
bereits seit 35 Jahren das öffentliche und besoldete Amt eines
Stadt-Arztes „mit Fleiß, wie er hoffe“, verwaltete.
Als ich im Sommer 1912 das Museum der Stadt Metz besuchte,
entdeckte ich die schöne Alabaster-Büste des Anuce Foes, die
in den achtziger Jahren des sechzehnten Jahrhunderts nach der
Natur gearbeitet worden und einstens die Grabes-Kapelle des be¬
rühmten Gelehrten geschmückt hatte. Herrn Prof. Keune, Direktor
des Museums, verdankte ich eine Photographie der Büste, deren
Wiedergabe ich im Anfang des Jahres 1913 in der B. kl. W. den
Fachgenossen vorgelegt habe und die auch den Beifall unsrer Philo¬
logen gefunden.
Das Bild des großen Hippokrates, das Foesius vor dem Titel
seines Werkes uns vorführt, ist gewiß unecht und byzantinischen
Ursprungs.
2. Als zweite nenne ich die Ausgabe von Emil Littr£, 1839
bis 1861 zu Paris, mit französischer Uebersetzung, mit Text-Kritik
und werthvollen Erläuterungen, — man möchte sagen, ein Lebens¬
werk, wenn dieser ebenso geniale wie fleißige und vielseitige
Forscher nicht noch außerdem sein fünfbändiges Wörterbuch der
französischen Sprache und vieles andre von höchster Bedeutung
geschaffen hätte.
3. Die Ausgabe von C. G. Kühn, in drei Bänden, Leipzig 1825
bis 1827, mit lateinischer Uebersetzung, literatur-geschichtlicher Ein¬
leitung und ausführlichem Index, war wohlfeil, in Deutschland ziem¬
lich verbreitet; sie bringt aber einen mittelmäßigen Text.
4. Gleichfalls wohlfeil, aber mit trefflichem Text, war die kri¬
tische Ausgabe von Hugo Kühlewein, Leipzig 1894 und 1902.
Sie bringt auch Prolegomena von J. Ilberg und von Kühle-
wein, ist aber nicht vollendet worden.
5. Die kritische, moderne Ausgabe, welche wir als eines der
Hauptstücke des Corpus medicorum graecorum von seiten
der vereinigten Akademien zu erwarten hatten, war durch die trau¬
rigen Verhältnisse in unsrem Vaterland ernstlich in Frage gestellt;
doch hat letzthin ein hochherziger berliner Kaufmann, der seinen
Namen nicht genannt wissen will, durch eine großartige Spende das
Erscheinen gesichert.
Eine kleine Bemerkung möchte ich Ihnen nicht vorenthalten.
Während die berühmte Ausgabe von Foesius aus dem Jahre 1595
den Titel führt: Hippocratis opera omnia quae exstant;
und die gleichfalls so berühmte Ausgabe aus dem 19. Jahrhundert,
die von Emil Littrö die Ueberschrift zeigt: Oeuvres compl&tes
d'Hippocrate: hat unser Goethe bereits 1814 eine richtigere
Bezeichnung gefunden, nämlich „die Schriften, die uns unter
dem Namen des Hippocrates zugekommen sind“*), —
geradeso wie die kritische Ausgabe des Philologen Kühle wein
vom Jahre 1894 sich betitelt: Hippocratis opera quae fe-
runtur omnia.
Thomas Burnett, Mitglied des Königlichen Collegs der Aerzte
zu Edinburg, hat durch seinen Hippocrates contractus vom
Jahre 1685, einen kurzen, lateinischen Auszug aus den hippokratischen
Schriften (8°, 261» S.), den Dank seiner Zeitgenossen erworben. Das
Büchlein ist sogar noch 1765 zu Straßburg neu herausgekommern
Aber den heutigen Aerzten giebt dasselbe in einer. Hinsicht zu
viel, nämlich den Auszug aus allen, auch den unbedeutenden
Schriften; in andrer Hinsicht zu wenig, nämlich von den wichtigen
nur ein dürres Gerippe.
*) Des Calvus, Rom 1525: des Franc. Asulanus, Venedig 1526; des Janus
Cornarius, Basel 1538; des Hleronym. Mercurialis, Venedig 1588.
*) Haeser hat irriger Weise sowohl in seiner Geschichte der Medizin (1881, II,
S.20) als auch iin biographischen Lexikon von A. Hirsch (HI,S.394) 1591 als Todes¬
jahr angegeben. — Weitere Neudrucke der Ausgabe von Foesius sind erfolgt Frank¬
furt a. M. 1621, 1625; Genf 1657. Die Oeconomia Hippocratis war um 1588 (zu
Frankfurt a. M.) gesondert erschienen.
*) „gaben uns das Muster, wie der Mensch die Welt anschauen und das Gesehene,
ohne sich selbst hineinzumischen, überliefern sollte. 44 Dichtung und Wahrheit, III, XV;
Jubil.-Ausg., XXIV, S. 254.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
780
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Schließlich will ich noch erwähnen, daß für diejenigen, welche
sich mit dem Inhalt hippokratischer Schriften vertraut machen möch¬
ten, denen aber das Griechische unbequem, das Lateinische nicht ge¬
nehm ist, eine vollständige und neue deutsche Uebersetzung mit
Erläuterungen vorliegt, in 3 Bänden (1780 Seiten), 1890—1900, ver¬
faßt und herausgegeben von Prof. Dr. phil. Robert Fuchs, dem¬
selben Gelehrten, der auch in Puschmanns Handbuch (1901) die
Geschichte der griechischen Heilkunde geschrieben. Ich möchte
Ihnen aber den Rath geben, auch die französische Uebersetzung von
Littr6 oder die von Daremberg (Oeuvres choisies d’Hippocrate,
Paris 1855) zu versuchen, wenigstens denjenigen meiner Lands¬
leute, welchen das Französische keine Schwierigkeiten bereitet.
Kleine Mitteilungen.
— Berlin. Die in Nr. 22 S. 741/42 gemeldeten Gesetzentwürfe
über Erhöhung der Grenzen für die Versicherungspflieh t
im Kranken-« Unfall- und Angestelltenversicherungsgesetz
sind vom Reichstag am 31. V. angenommen worden, mit der
Abänderung, daß die Krankenversicherungspflicht sogar bis zu einem
Jahreseinkommen von 72000 M. (an Stelle von 60000 M. des Regierungs¬
entwurfs) ausgedehnt wird. Ebenso sind die Gesetzentwürfe über
Erhöhung der Leistungen der Wochenhilfe und Wochenfür¬
sorge (s. S. 742) angenommen worden.
— Der Magistrat hat beschlossen, daß in den städtischen
Krankenhäusern für neugeborene gesunde und kranke Kinder
in den ersten 10 Tagen Gebühren nicht erhoben werden. Für Ent¬
bindung Einheimischer und Auswärtiger sowie von Hausschwangeren
dürfen außer dem tarifmäßigen Verpflegungskostensatz besondere
Entbindungsgebühren in keiner städtischen Anstalt erhoben werden,
von Ausländern sind für Entbindungen neben den Kurkostensätzen für
jede Entbindung 3000 M. zu erheben. Bei Bedürftigen kann eine Er¬
mäßigung oder eine Nachzahlung stattfinden.
— Nach einer Mitteilung des Ministers für Volkswohlfahrt vom
15. V. 1922 an die Groß-Berliner Vertragskommission der Aerztekammer
ist das Impfhonorar bei Massenimpfungen von 2 M. auf 5 M.
erhöht worden.
— Auf der in Unna-Königsborn Mitte Mai abgehaltcnen Ver¬
sammlung des Verbands westfälischer Krankenkassen
wurden drei Entschließungen angenommen, in denen u. a. gefordert
wird: die baldige Durchführung der angekündigten Reform der
Reichsversicherungsordnung, die gesetzliche Einführung obligatori¬
scher Kassenverbände, die Verhinderung der Errichtung weiterer Be¬
triebskrankenkassen, die Prüfung des Steigens der Honorarforde¬
rungen der Aerzte, wodurch die Leistungsfähigkeit der Kassen er¬
schüttert wird, die gesetzliche Regelung der Apothekerfrage, beson¬
ders wegen der vielfach spekulativen Steigerung der Arzneimittel,
die Zurückführung der Pflegesätze auf ein erträgliches Maß, eventuell
Aufhebung der Krankenhauspflege durch die Kassen und die Durch¬
führung der Krankenhauspflege durch die Gemeinden. U. a. betonte
das Vorstandsmitglied, Reichstagsabgeordneter Ziegler, daß man
sich dagegen wehren müsse, daß viele Kassenmitglieder wegen jeder
Kleinigkeit zum Arzte liefen. Es sei ratsam und dringend erforderlich,
wenn man wieder zu den alten Hausmitteln greife.
— Nach einer Mitteilung der politischen Presse sind bis zum
23. vorigen Monats in Moskau 4578 Cholerafälle vorgekommen.
— Unter den Arzneimittelfälschungen war es bis jetzt
besonders das kostspielige Salvarsan, das man durch Gips und
Ziegelmehl imitierte. Daneben wurden Kokain und Santonin ver¬
fälscht. NeueTdings hört man Aehnliches auch vom Aspirin. Es
existieren dem Aspirin täuschend nachgemachte Tabletten aus Natrium¬
bikarbonat oder aus Zucker, die hauptsächlich nach Holland ihren
Weg nehmen sollen.
— Im Verein für Innere Medizin und Kinderheilkunde sprachen
am 29 . V. (Vorsitz: Goldscheider) vor der Tagesordnung J u ngmann
und H. Zondek zur „Pathologie des Wasser- und Salzhaushalts“, Guggen-
heimer über einen Fall von Skorbut in Berlin. An der Besprechung be¬
teiligten sich Simons, Brugsch, Magnus-Levy, Leschke, Goldschei¬
der, His, Rosenberg, ln der Tagesordnung hielt F. Hirschfeld einen
Vortrag über „Ueberlastungssymptome der erkrankten Niere" (Besprechung:
Goldscheider).
— Vom 2.-5- VIII. findet in den Räumen der Psychiatrischen Klinik
zu München ein Kongreß für Heilpädagogik statt. Mit Rücksicht auf
den Wohnungsnachweis sind Teilnehmermeldungen von Heilpädagogen (Hilfs¬
schullehrern, Taubstummenlehrem usw.), Aerzten, Psychologen, Lehrern, Für-
soigeerziehem, Geistlichen, Jugendrichtern, unter Beifügung von 50 M. Kon¬
greßgebühr auf „Postscheckamt München Nr. 21209, Bayer. Hilfsschulverband"
möglichst bald erbeten.
— Prof. Flatau veranstaltet vom 19 .—24. VI. in der Phonetischen
Abteilung der 1 . Universitätsklinik für Hals-, Ohren- und Nasenkrankheiten
einen Lehrkurs über Stottern, Stammeln und Stimmstörungen in
der Schule. Anfragen an das Zentralinstitut für Erziehung und Unterricht,
Berlin W 35 , Potsdamer Str. 120.
— Am 24. und 25 . VI. findet im großen Hörsaale der Akademischen
Krankenanstalten zu Düsseldorf eine Zusammenkunft der rheinisch¬
westfälischen Kinderärzte mit Mitgliedern des Niederländischen
Vereins für Pädiatrie statt. Am 24. VI. sprechen u. a. Salge (Bonn) und
Nr. '23
Engel (Dortmund): Die moderne Behandlung der Ernährungsstörungen am
25 . VI. Kleefisch (Essen): Die seelische Entwicklung des Kindes. Anmeldunp
weiterer Vorträge an Dr. Hoffa (Barmen, Wertherstraße).
— Eine eintägige volkstümliche Tagung Rassenhygiene und Volks
gesundheit veranstaltet der Leipziger Verein für Volksbelehrung in
Säuglings-, Kindes- und Mutterpflege in Gemeinschaft mit einigen
anderen gleichgesinnten Vereinen sowie der Fichtegesellschaft und der Medi¬
zinerschaft am 1 . VII. d. J. in der Aula der Universität Leipzig. Es sprechen
u. a.: Prof. Philaletes Kuhn (Dresden): Die Bedeutung der Rassenhygiew
für Deutschland; ferner Prof. Weule (Leipzig): Rassenhygiene bei den Natur
Völkern, Geh. Med.-Rat Prof. Bumke (Leipzig): Nervöse Entartung und
Rassenhygiene. Eintrittskarten zu 10 M. (Porto beifügen!) bei den Geschäfts,
führern: Stadt-Ober-Med.-Rat Dr. Poetter und Kinderarzt Dr. Weide, Leipzig,
Neues Rathaus.
— An der Preußischen Hochschule für Leibesübungen in Span
dau findet vom 8 .— 18 . VIII. unter der Leitung von Med.-Rat* Prof. Müller
ein Fortbildungskurs in Leibesübungen für Aerzte statt (Beginn
8 . VIII. 1922 , morgens 9 Uhr). Außer einigen von der Medizinalverwaltung
einberufenen preußischen Medizinalbeamten können daran Schulärzte, Stadt
ärzte und praktische Aerzte (auch Assistenten) aus Preußen und anderen
Bundesstaaten teilnehmen. Preußische Teilnehmer erhalten die Fahrkosten
3- Klasse für Hin- und Rückfahrt sowie eine tägliche Beihilfe von 30 M.
einschl. der Reisetage. Eine entsprechende Vergütung an außerpreußische
Teilnehmer richtet sich nach der beantragten geldlichen Beteiligung des
Reiches. Ausreichendes Mittagessen zum Preise von 7 M. (außer Sonntags)
wird von der Volksküche Spandau in die Räume der Hochschule geliefert.
Unterkunft zu mäßigen Preisen wird von der Hochschule nachgewiesen, wo
sich die Teilnehmer am besten am 7 . VIII. im Laufe des Nachmittags oder
Abends melden. Preußische Aerzte wollen ihre Meldungen an den zustän
digen Regierungspräsidenten einreichen, außerpreußische Aerzte unmittelbar an
-das Preußische Wohlfahrtsministerium in Berlin.
— Pocken. Deutsches Reich (14.-20. V. mit Nachträgen.) 27. - Flecklieber
Deutsches Reich (30. IV.- 6. V.) 5. — Oenickstarre. Deutsches Reich (21-29. IV)
58. — Ruhr. Deutsches Reich (23.—29. IV.) 69. — Abdominaltyphus. Deutsches
Reich (23.- 29. IV.) 128.
— München. Aerztlicher Fortbildungskursus über Säug
lings- und Kleinkinderfürsorge vom 19 . bis 23- VI. für Bezirksärzte
und praktische Aerzte.
— Hochschulnachricbten. Frankfurt a. M. Geh.-Rat Kolle hat
auf Einladung der Medizinischen Fakultät in Budapest unter starker
Beteiligung (darunter auch Vertreter der Staatsregierung) einen sehr
beifällig aufgenommenen Vortrag über den gegenwärtigen Stand der
Chemo- und Serotherapie gehalten. — H eidelberg. Priv.-Doz. Gräff
hat einen Lehrauftrag für Pathologische Anatomie der Mundhöhle und
einen Pathologisch-histologischen Kurs für Studierende der Zahnheil-
künde erhalten. — Karlsruhe. Geh.-Rat v. Kries (Freiburg) wurde
von der Technischen Hochschule zum Ehrenbürger ernannt. — Leipzig.
Die Stellvertretende Oberleitung der Chirurgischen Poliklinik ist nach
dem Tode von Prof. Heineke einstweilen Geh.-Rat Payr übertragen;
mit der Abhaltung von Vorlesungen, Prüfungen sowie der Leitung
des inneren Betriebes der Poliklinik wurde a. o. Prof. E. Sonntag
betraut. — München. Der in Nr. 22 S. 742 erwähnte Lehrstuhl für
Hygiene, auf den Prof. Süpfle berufen ist, ist an der Tierärztlichen
Hochschule errichtet. — Würzburg. A. o. Prof. Köllner ist zum
Etatsmäßigen Oberarzt an der Augenklinik ernannt. — Graz. Priv.-Doz.
Schottenbach ist zum Extraordinarius für Neurologie und Psychiatric
ernannt. — Dr. Otto Rösler ist als Priv.-Doz. für Interne Medizin zuge¬
lassen. — Basel. Prof. Siebenmann, der ausgezeichnete Ordinarius
für Oto- und Laryngologie, feierte am 22. Mai seinen 70. Geburts¬
tag. Siebenmann, der fast ausschließlich auf deutschen Universi¬
täten studiert hat, war 1885/86 Assistent an der Chirurgischen
Universitätsklinik in Bern, 1887/88 Volontärarzt an der Otiatrischen
Klinik in München unter Bezold. 1888 habilitierte er sich in Basel
und wurde dort 1892 zum Extraordinarius ernannt. Außer zahlreichen
Beiträgen zur Pathologie und Therapie des Ohres hat er auch die
Anatomie des mittleren und inneren Ohres im „Handbuch der Ana¬
tomie“ von Bardeleben, ferner das Kapitel Ohr in Schwalbes
„Handbuch der therapeutischen Technik“ bearbeitet. Die Schweizer
medizinische Wochenschrift widmet ihrem langjährigen hochverdienten
Mitarbeiter zu seinem Jubiläum eine stattliche Festnummer, in der
sich Beiträge von v. Eicken (Berlin), Nager (Zürich), Oppi-
k o f e r (Basel) u. a. befinden.
— Gestorben. Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Schlange, Chefarzt
der Chirurgischen Abteilung des Städtischen Krankenhauses in Han¬
nover, ausgezeichneter Chirurg, früher Schüler und Assistent von
Esmarch und namentlich von E. v. Bergmann, 66 Jahre alt, am
27. V. —- E. Solvay, bedeutender Chemiker, Erfinder eines besonderen
Herstellungsverfahrens für Soda, hervorragender Förderer wissenschaft¬
licher Aufgaben, insbesondere Stifter von Instituten für Soziologie,
Physiologie, Naturwissenschaften, für Aufgaben der Sozialen Fürsorge.
84 Jahre alt, in Brüssel.
— Auf Seite 14 des Inseratenteiles ist ein Verzeichnis der bei der Redaktion
zur Rezension eingegangenen Bücher und Abhandlungen enthalten.
— Wegen der Feiertage mußte diese Nummer bereits am 2 . VI. ab¬
geschlossen werden.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
LITERATURBERICHT
Redigiert von Prof. Dr. R. von den Velden.
Zeitschriften: Klinische Wochenschrift Nr. 21. — Münchener medizinische Wochenschrift Nr. 20. — Wiener klinische Wochenschrift Nr. 16-17- — Zeit
schrift für physikalische und diätetische Therapie einschließlich Balneologie und Klimatologie H. 4. — Therapie der Gegenwart H. 4. — Virchows
Archiv Bd. 236. — Deutsches Archiv für klinische Medizin Bd. 139 H. 1-2. — Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie Bd. 78 H. 1-2. — Zentralblatt
für Chirurgie Nr. 16-17. — Zeitschrift für Kinderheükunde Bd. 32 H. 3-4.__
Geschichte der Medizin.
++ Walter von Brunn (Rostock), Von den Qilden der Barbiere
und Chirurgen in den Hansestädten. Leipzig, J. A. Barth,
1922. 80 S. M. 12.—. Ref.: Mamlock (Berlin).
Für Leute, die immer von der guten alten Zeit reden, ist diese
Abhandlung eine empfehlenswerte Lektüre. Was man hier von
den Wundärzten, hauptsächlich aus dem mittelalterlichen Stralsund,
Rostock, Wismar und anderen Ostseestädten hört, lehrt die alte Wahr¬
heit, daß die Menschen sich mit ihren Sorgen und Kämpfen, Schwächen
und Eigentümlichkeiten gleich bleiben. Die sorgfältige Quellenstudie
wäre lesbarer, wenn der Text nicht immerfort mit Literaturangaben
durchsetzt wäre. Anderseits dürfte es kaum ein Verlust, aber doch
bemerkenswert sein, daß der jetzige Obermeister der Wismarer Barbier-
Innung dem Verfasser die Einsichtnahme in ein Zunft-Dokument ver¬
weigert hat. Der gute Mann hütet diesen Nibelungenschatz in seiner
Wohnung. So muß denn die Wissenschaft auf dies geheimnisvolle
Zeugnis der Barbier-Innung leider verzichten.
A. Martin (Nauheim), Die Reilsche Badeanstalt in Halle mit
ihrem Kar- und Badebetrieb. Zschr. f. physik. diät. Ther. 26 H. 4.
Ein Beitrag zur Qeschichte der Solbäder und «der hydrotherapeutischen
Anstalten. Der Schilderung des Reilschen Bades in Halle liegen im
wesentlichen Wilhelm Grimms Briefe zugrunde; daß Goethe das
Bad kannte und schätzte, ist hier 1913 Nr. 46 mitgeteilt.
Biologie.
♦♦ Oskar Hertwlg (Berlin), Zur Abwehr des ethischen, des
sozialen, des politischen Darwinismus. 2. Auf!. Jena,
O. Fischer, 1921. 121 S. M. 14.—. Ref.: Th. Ziehen (Halle).
Der Titel dieser äußerst lesenswerten Schrift, deren 1. Auflage 1917
verfaßt wurde, würde richtiger lauten: „Zur Abwehr des ethischen,
sozialen, politischen Ultradarwinismus“; denn die vom Verfasser be¬
kämpften ethischen, sozialen und politischen Lehren sind größtenteils
nur Auswüchse und Uebertreibungen der darwinistischen Lehre. Ver¬
fasser hält an seinem bekannten Standpunkt fest, daß „Arbeitsteilung
und Differenzierung, auf denen die Stände- und Gruppenbildung in
der menschlichen Gesellschaft mit. ihrer höheren Kultur beruht, ....
weder mit dem von Darwin gelehrten Prozeß der natürlichen Auslese
und Zuchtwahl noch mit der Formel vom Kampf ums Dasein irgend
etwas zu tun haben“ (S. 86), was Referent allerdings für eine Ueber-
treibung des Richtigen in der entgegengesetzten Richtung hält. Im
übrigen sind die Argumente des Verfassers zu einem großen Teil über¬
zeugend (z.B. gegen den „Züchtungsstaat" von Ehrenfels, Ploetz u. a.).
Seine eigenen positiven Reformvorschläge im Sinne einer „christlich
humanen, sozialen Weltanschauung" bedürfen freilich noch einer viel
präziseren Bestimmung. Als „politischen" Darwinismus bezeichnet
Verfasser die Lehre, daß der Krieg für den Fortschritt der Völker
notwendig ist; er selbst nimmt demgegenüber einen pazifizischen
Standpunkt ein, wonach die Einschränkung und Vermeidung der Kriege
nur eine Frage der internationalen Organisation ist, und meint, daß im
Laufe der uns bekannten etwa 3000jährigen Geschichte der Kampf aller
gttren alle in immer engere Grenzen eingeschränkt worden ist.
Wirklich? Vielleicht der Faust- und Messerkampf der einzelnen, aber
der Kampf überhaupt? Ich fürchte, daß Verfasser hier zu optimistisch
denkt (vgl. meine Schrift über den Krieg und die Gedanken vom
ewigen Frieden).
R.Gaupp (Tübingen), Homosexualität. KL W. Nr. 21. Die haupt¬
sächlichen Theorien von Wesen und Entstehung der Homosexualität
werden in der kurzen Uebersicht kritisch erörtert. Die Aufgabe der
Therapie gilt der Hebung der Widerstandskraft gegen homosexuelle
Handlungen; nur selten der Beseitigung der Homosexuellen Fühl weise
selbst. Der Möglichkeit der operativen Behandlung der Homosexua¬
lität (Kastration des Homosexuellen und Implantation des Hodens eines
sexuell Normalen) steht Gau pp skeptisch gegenüber.
Psychologie.
Bychowski (Wien), Antismns und Regression in modernen Kunst-
beatrebnngen. Allg. Zschr. f. Psych. 78 H. 1—2. Verfasser verurteilt
scharf die modernen Kunstbestrebungen, die infolge ihrer Realitäts-
unentsprochenheit zu unserm Schauen und Vorstellen keine Beziehung
haben und es uns unmöglich machen, das Erleben des Künstlers nach¬
zuempfinden.
Allgemeine Pathologie und Pathologische Anatomie.
A. Hartwich, Rolle der Epithelkörperchen in der Pathologie.
Virch. Arch. 236. Verfasser untersuchte die Epithelkörperchen in Fähen
von Tetanie und Spasmophilie der Kinder, Tetania gastrica, Gravidität,
Eklampsie, Chorea minor und Paralysis agitans, Ostitis fibrosa, Rachitis
und Möller-Barlowscher Krankheit. Bei Graviden fand sich reichlich
Kolloid, bei Rachitis stets Vergrößerung; bei den übrigen Erkrankungen
keine eindeutigen Befunde. Außerdem zahlreiche Kontrolluntersuchungen
bei den verschiedensten Erkrankungen mit deutlichen Veränderungen
der Epithelkörper (Blutungen usw<). Zahlreiche Uebersichtstabellen
ergänzen die wertvolle Arbeit.
M. Dubois, Hämosiderosis bei den Ernährungsstörungen der
Säuglinge. Virch. Arch. 236. Bei systematischer anatomischer Unter¬
suchung von 18 atrophischen Säuglingen wird eine hochgradige Hämo¬
siderinpigmentierung besonders der Leber und Milz festgestellt. Zur
Erklärung dieser Veränderungen wird in der Hauptsache eine intra¬
vaskuläre Hämolyse angenommen; dazu kommt eine Schädigung der
Zellfunktionen, vor allem in Leber und Milz. Der Gallenfarbstoff wird
dabei in normaler Weise gebildet und ausgeschieden.
Kolodny, Verfettung der willkürlichen Muskulatur« Virch.
Arch. 236. Auf Grund systematischer Untersuchung der Muskulatur
(Zwerchfell, Damm, Zunge, Psoas) von 250 Fällen aus dem Patho¬
logischen Institut der Universität Berlin kommt Verfasser zu etwas
weitgehenden Schlüssen. In einem Nachwort stellt Lubarsch drei
Tatsachen als gesicherte Ergebnisse der Untersuchungen hin: 1. Daß
das Vorkommen von Fett in der willkürlichen Muskulatur nichts
Physiologisches ist; 2. daß die einzelnen Muskelgruppen und in diesen
wieder die einzelnen Fasern in sehr ungleichmäßiger Weise befallen
und 3. daß die tätigsten Muskeln am regelmäßigsten und ausgedehn¬
testen Sitz der Verfettung sind.
O. Beck (Frankfurt a. M.), Aetiologie der Ischämisches Muskel¬
kontraktur. Kl W. Nr. 21. Die ischämische Muskelkontraktur ent¬
steht durch Milchsäureanhäufung im Muskel bei fehlenden Sauerstoff
(rein myogene Kontraktur). Alterationen der Nerven können sekundär
aas Krankheitsbild komplizieren, haben aber keinen ursächlichen Ein¬
fluß auf die ischämische Muskelkontraktur. Die Hypothese Denuc£s
(Störungen in den sympatischen Fasern) ist ohne jeden Beweis. Die
CO, führt nicht zur Kontraktur und Vernichtung der Muskelfasern.
J. Oberzimmer und L Wacker, Postmortale Sänrebildung und
Totenstarre im Herzmaske! menschlicher Leichen und ihre Be¬
ziehungen zur Leistungsfähigkeit des Herzens unmittelbar
vor dem Tod. Virch. Arch. 236. Auf Grund systematischer Unter¬
suchungen an Menschen und Tieren ergibt sich unter anderem: Die
postmortale Säurebildung tritt im Herzmuskel früher auf als im Sklelett-
muskel. Dem entspricht der frühzeitige Eintritt der Herztotenstarre.
Bei Krankheiten, die mit Kachexie einhergehen, wird in Skelett- und
Herzmuskulatur sehr wenig Säure gebildet; am meisten noch im linken
Ventrikel. Mit Hilfe der postmortalen Säurebildung kann unter be¬
stimmten Bedingungen mit Sicherheit auf eine Insuffizienz des be¬
treffenden Ventrikels geschlossen werden. Ein Einfluß der braunen
Atrophie auf die postmortale Säurebildung ließ sich nicht feststellen.
Die Untersuchungen bedeuten einen weiteren Fortschritt in der Frage
der Herzinsuffizienz, die auf Grund rein anatomischer Untersuchungen
leider so häufig ungeklärt bleibt
R. Adelheim, Pathologische Anatomie und Pathogenese der
Kampfgasvergiftnng. Virch. Arch. 236. Die Arbeit stellt eine erweiterte
und umgearbeitete Auflage der ausführlichen in russischer Sprache
1917 erschienenen Studie des Verfassers dar. Der Untersuchung liegen
16 Fälle von tödlicher Kampfgasvergiftung bei russischen Soldaten
zugrunde; 14 von ihnen waren Opfer der Uexküllschen Gasattacke.
In dem zunächst vorliegenden ersten Teil der Arbeit werden aus¬
führlich die Veränderungen der Respirationsorgane besprochen unter
kritischer Verwertung auch der experimentell gewonnenen Ergebnisse
in der Literatur.
A. Fröhlich und E. Zak (Wien), Kreislaaf an der Froschzinge
unter pathologischen Bedingungen, KL W. Nr. 21. Kurze wissen¬
schaftliche Mitteilung über Beobachtungen, die Verfasser beim Studium
des Kreislaufs in der Froschzunge nach Exstirpation von Leber, Niere,
nach Zerstörung der Nebenniere, sowie nach Phosphorvergiftung
machen konnten.
R. Thoma, Die Elastizität der Arterien und die Angiomalazie.
Virch. Arch. 236. Thoma wendet sich in ausführlichen Auseinander¬
setzungen gegen Strasburger und bleibt bei seiner Anschauung, daß
der Angiosklerose ein Stadium der Angiomalazie vorangeht.
Toshio Ide (Wien), Qefäßveränderongen bei der Möller-Barlow»
sehen Krankheit Zschr. f. Kindhlk. 32 H. 3/4. An den mittelgroßen
Arterien barlowkranker Kinder fanden sich Veränderungen im Sinne
einer Endarteriitis (Wucherung der Intima). Bei experimentell an Meer¬
schweinchen erzeugtem Skorbut fehlten diese Veränderungen.
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
782
LITERATURBERICHT
Nr. 23
Th.Geußenheimer (Göttingen), Blutkalkgehalt bei Spasmnphilie
und Kaikznfnbr mit Hilfe der biologischen Methoden. Zschr. f.
Kindhlk. 32 H. 3/4. Als Test zur Prüfung des Blutkalkgehaltes wurde die
Wirkung der Durchströmung des Frosch herzens mit Serum auf die
Kontraktionshöhe des Muskels benutzt. Das Optimum der Wirkung
lag bei einem Kalkgehalt, der dem der Ringerlösung entsprach. Das
Serum mit Kalk behandelter spasmophiler Kinder setzte die Kontraktions¬
höhe herab. Mit steigenden oralen Kalkgaben nahm die hemmende
inotrope Wirkung des Serums zu. Erneute Prüfung mit dem Serum
eines vor 24 Stunden mit Kalk behandelten Patienten zeigte, daß die
Kalk Wirkung bereits erloschen war.
Paul Holzer und Erich Schilling (Chemnitz). Blutkoarnla-
tionsgeaeratoreo bei Gesunden und Kranken. D. Arch. f. klin. Med. 139
H. 1/2. Studie zur Blutgerinnungstheorie von v. Woolridge und
Nolf: In der Methodik wurden die Vorschriften von Schultz und
Scheffer innegehalten: etwa 30 Untersuchungen an 25 Fällen. — Bei
allen mechanisch bedingten Ikterusformen liegt eine deutliche Verzö¬
gerung und meist auch eine Verminderung der Gerinnung vor, ohne
Herabsetzung der Gerinnungssubstanzen. Eine veränderte Ionisation
der Salze — wahrscheinlich der Ca-Ionen — ist für verzögerte und
verminderte Gerinnungsfähigkeit bei bestimmten Krankheiten, vielleicht
auch bei einzelnen Menschen und immer bei ikterischem Blut verant¬
wortlich zu machen.
W. Berger (Basel), Hyperprotelnimie nach Ei weißin jektionen.
Kl. W. Nr. 21. Die pathologische Proteinvermehrung nach Protein¬
injektionen hält eine ganz bestimmte Reihenfolge ein: zuerst Fibrin-
globulinvermehrung, dann Serumglobulinvermehrung, schließlich Serum¬
albuminvermehrung. Uebereinstimmung mit den Proteinverschiebungen
bei Infektionskrankheiten, beim Hunger und zahlreichen anderen patho¬
logischen Reaktionen des Organismus. Erklärung: vermehrte Abgabe
von Protein seitens gewisser, vorderhand nicht näher umschriebener
Zellverbände.
H. Bohnenkamp, Frace der Nephrosen. Virch. Arch. 236. Auf
Grund genauer histologischer Untersuchung mehrerer Fälle kommt
Verfasser zu der Auffassung, daß die tubulären Schädigungen bei dem
Beginn der Nephrose nicht einfache Degenerationen, sondern parenchy¬
matöse defensive Reaktionen im Sinne Aschoffs darstellen. Insbeson¬
dere ist die trübe Schwellung, die Sublimat-Chrom-Uran-Niere u. a.
als eine defensive Reaktion vorwiegend am Epithel der gewundenen
Kanälchen, als eine Nephritis tubularis aufzufassen.
E. Mayor, Verhalten der Nieren bei akuter telber Leberatropble.
Virch. Aren. 236. In 31 Fällen akuter bzw. subakuter Leberatrophie
wurden die Nieren histologisch und zum Teil auch chemisch unter¬
sucht. Dabei wird eine meist diffuse Verfettung der Hauptstücke fest-
gestellt, sonst keine deutlichen Veränderungen außer Albuminurie und
Gallezylindern. Aus der chemischen Bestimmung geht hervor, daß
der Nierenverfettung eine erhöhte Zufuhr von außen, ein Mehrangebot
von seiten des Blutes zugrunde liegt. Dieser Vorgang wird durch
den Nachweis der Lipämie verständlich. Danach ist die Nierenverfet¬
tung als der Ausdruck einer allgemeinen (nicht lokalen) Stoffwechsel¬
störung anzusehen.
Mikroben- und Immunitfltslehre.
♦ ♦ Alberto Aacoll (Pavia), Grundriß der Serologie. 3. ver¬
besserte und vermehrte Auflage. Wien, J. Safar, 1922. 272 Seiten
mit 8 Tafeln und 29 Textabbildungen. M. 52.50, geb. M. 66.—. Ref.:
Reiter (Rostock).
Die deutsche Uebersctzung der dritten Auflage des bekannten
Grundrisses berücksichtigt die Erfahrungen des Weltkrieges. Anordnung
und Durcharbeitung des Stoffes ist bis auf Kleinigkeiten gut. Ein breiter
Raum ist der Technik gewährt, sodaß das Buch auch für den Labora¬
toriumsgebrauch geeignet ist. Eine ausführliche Darstellung der prak¬
tischen Anwendung der Immunitätslehre und ihrer Ergebnisse würde
den Wert des Buches noch steigern. Es sind einige neue Begriffe und
Anschauungen aufgenommen, die mir noch nicht reif genug für den
Grundriß erscheinen. Ein Auszug der amtlichen deutschen Anleitung
für die Ausführung der Wa.R. ist als Anhang beigefügt. Das Buch
kann Aerzten und Studierenden warm empfohlen werden.
A. Belai (Mödling), Neuer Erreter des Flecktyphus? W. kl. W.
Nr. 16. Ein russischer Arzt fand im Blute von Exanthematikuseruptionen
bei Dunkelfrlduntersuchung Spirochäten (?), die von den Erythrozyten
ausgingen (!). (Es dürfte sich wohl um uncharakteristische optische
Erscheinungen handeln, die ja in ähnlicher Weise schon häufig an dem
Blute einzelner Tierarten beobachtet sind. Referent.)
M. Klimm er und H. Haupt (Dresden), Corynebakterium abortus
infectiosi Bang. D. Arch. f. klin. Med. 139 H. 1/2. Die natürliche
Uebertragung des Abortusbazillus auf die Rinder geht vorwiegend auf
dem Verdauungswege vor sich. Erst in zweiter Linie kommt bei den
Kühen die vaginale Infektion in Frage. 20% aller Kühe aus abortus-
verseuchten Beständen, 41% aller Kühe, die verkalbt haben, scheiden
mit der Milch Abortusbazillen aus. Bei der ungeheuren Verbreitung,
die das ansteckende Verl«alben z. Zt. gewonnen hat, ist anzunehmen,
daß mit der rohen Kuhmilch und ihren Produkten der Abortusbazillus
Bang von Menschen in großem Umfang aufgenommen wird. Die bei
allen untersuchten Säugetierarten festgestellte Vorliebe des Abortus-
bazillus für das Gewebe des graviden Uterus ist auch beim Menschen
als vorhanden anzunehmen. Es bestehen nahe Beziehungen des Erregers
des Maltafiebers zum Bangschen Abortusbazillus.
O. Bail und T. Watanabe (Prag*,- Spezifische Bakteriophareo-
wlrkung. W. kl. W. ,Nr. 16. Viele, möglicherweise alle natürlichen
Bakteriophagen sind nicht einheitlich, sondern sind Mischungen von
Teilbakteriophagen, die sich durch geeignete Behandlung rein gewinnen
.und weiterzüchten lassen. Die Schwierigkeiten bei der Auffindung der
Teil- oder Elementarbakteriophagen und die zurzeit noch große Un¬
sicherheit in der sicheren Erkennung derselben mahnt zur Vorsicht
bei Schlüssen über spezifische Wirkungen und Anpassung von Bakterio¬
phagen. Für die Wirkung und Vermehrung der Bakteriophagen ge¬
nügen nicht allein lebende Bazillen. In Kochsalzaufschwemmungen
läßt sich z. B. weder das eine noch das andere demonstrieren. Es ist
vielmehr erforderlich, daß die Bakterien „generativ tätig" sind. Die
Annahme der Verfasser, daß die Bakteriophagen Bakteriensplitter sind,
erweitern sie dahin, daß sie notwendigerweise aus Anteilen des genera¬
tiven Anteiles des Bakterienleibes bestehen müssen. Sie denken dabei
in Analogie bekannter Zellvermehrung an „in Aktivität geratenes
Chromatin", das die Fähigkeit hat, den vegetativen Kernanteil aufzu¬
lösen, während ihm die Fähigkeit zum Wiederaufbau aus irgend einem
Grunde abgeht.
J. Froßmana (Lund), Aetberempftadlichkeit von Antikörpers.
KI. W. Nr. 21. Gegenüber einer in der kurzen Mitteilung angegebenen
Aether-lnaktivierungsbehandlung verhielten sich Normal- und Immuno-
hämolysine und Normal- und immunagglutinnie verschieden. Die WaS
(Substanz die -f- Wa macht) und Hämolysine wurden zerstört; jedenfalls
liegt hierbei ein Adsorptionsprozeß vor.
*Strahlenkunde.
E.Szegö (Berlin), Lefatnsgsliideraiiff der Tiefentherapie-Apparate.
KI. W. Nr. 21. Bei längerdauernden Bestrahlungen sinkt die Rontgen-
strahlenleistung gemessen an der Ablaufzeit des lontoquantimeters
und Etektroskops. Die Ursache wird in der Erwärmung der Wider¬
stände im Primärkreis vermutet. Die Berücksichtigung dieses Umstandes
in der Praxis wird empfohlen.
Allgemeine Diagnostik.
♦♦ J. M. Kotthoff (Utrecht), Der Gebrauch von Farbenindi¬
katoren. Berlin, J. Springer, 1921. 144 Seiten mit 7 Abbildungen
und 1 Tafel. M. 45.—. Ref.: L. Michaelis (Berlin).
Die zuletzt erschienene Monographie auf diesem Gebiete ist das
Buch von Bjerrun, die Theorie der azidimetrischen und alkalimetrischen
Titration (Stuttgart 1914). Seit dieser Zeit ist auf dem Gebiete der
Farbindikatoren so viel gearbeitet worden, daß eine neue Monographie
schon wieder manches Neue bringen kann. Besonders die Arbeiten
der amerikanischen Schule sind hinzugekommen. Das ganze Gebiet
ist in dem Buch von Kolthoff in ausgezeichneter Weise dargestellt.
Der Verfasser hat das Buch zu einem Zeitpunkt abgeschlossen, wo er
die neuesten Fortschritte aus Deutschland noch nicht vollständig bes
rücksichtigen konnte, abgesehen hiervon aber kann die Darstellun-
als vollständig angesehen werden. Eine Reihe eigener Versuche deg
Verfassers vermehrt die Nützlichkeit des Buches noch weiter.
Schaefer (Dösen), Neues Schema zur Aufnahme des geistige«
Inventars. Allg. Zschr. f. Psych. 78 H. 192. Das Schema weist 78
gruppenweise angeordnete und Schulwissen und Lebenswissen um¬
fassende Fragen auf und soll zur Aufnahme des geistigen Inventars
bei Erwachsenen dienen. Innerhalb der einzelnen Gruppen sind die
Fragen soweit wie möglich nach ihrer Schwierigkeit gestaffelt. Das
Schema bewährte sich sowohl bei der Untersuchung gesunder wie
geisteskranker Personen. Von normalen Versuchspersonen wurden im
Durchschnitt 86% der Fragen richtig beantwortet, während alle unter¬
suchten Geisteskranken, abgesehen von einem Psychopathen, diesen
Wert nicht erreichten.
Paul Martini (München), Parkassion und Auskultation. 1. Mitt
D. Arch. f. klin. Med. 139 H. 1/2. Studien vergleichender Perkussion:
Zur Registrierung wurde eine O. Franksche Glimmerkapsel verwandt
Verglichen wurden die an Modellen gefundenen Kurven zunächst
mit den an Einzelsystemen gewonnenen Konstanten (eingestochener
Pneumothorax einer Leiche und Anblasen, Schwingung von angeschlage¬
ner Brustwand+Hohlraum, Eigenschwingung der isolierten Lunge usw.).
Allgemeine Therapie.
♦♦ J. H. Schultz (Jena), Psychotherapie und Erziehung. Jena,
G. Fischer, 1921. 19 S. M. 3.—. Ref.: Voß (Düsseldorf).
Ein kurzer und gehaltvoller Ueberblick über die Bedeutung der
Psychotherapie auch für die Erziehung, den Schultz benutzt, um
eindringlich auf die Gefahren der Hypnose, wenn sie durch Laien
ausgeübt wird, hinzuweisen. Er konnte über hundert Fälle ernster
Gesundheitsstörungen, darunter einen Fall von 17 jähriger Blindheit, aus
den letzten Jahren sammeln. Es waren besonders zahlreich schwere
Digitizea by_
Go. ’gle
Original from
CORNELL UNiVERSITV
9. Juni 1922
LITERATURBERICHT
783
Geistesstörungen, Angst- und Erregungszustände, Kopfschmerzen und
Lähmungen. Wichtiger ist die Wachssuggestion, deren Studium
dem Pädagogen wird nützen können. Am Schluß wendet sich Schultz
der Psychoanalyse zu, deren wissenschaftliche Bedeutung er fast
zu sehr betont; aber mit Recht warnt er vor ihrer Anwendung bei Kindern.
Wilhelm Wiechowski (Prag), Pharmakologische Grundlagen
der Adsorptionstherapie. Ther. d. Gegenw. H. 4. Auf Orund sehr
eingehender experimenteller Untersuchungen und klinischer Beobach¬
tungen und unter Berücksichtigung besonderer pathologisch-physio¬
logischer Fälle kommt Verfasser zu dem Ergebnis, daß durch Beigabe
geeigneter Adsorbensmengen die Resorption von Ar2neistoffen im
Magendarm-Kanal verzögert und ihre Wirkung daher milder ge¬
staltet wird.
H. Molitor und E. P. Pick (Wien), Wirkung der Gewebsdiuretlka.
W. kl. W. Nr. 17. Versuche an Winterfröschen zeigen, daß Novasurol,
Kalomel und Harnstoff den Quellungszustand der Gewebe ändern.
Während bei den Winterfröschen nur die 1. Phase, die Wasserfixation
durch die Gewebe in die Erscheinung tritt, bildet sich bei steigender
Temperatur die 2. Phase, der Wasserabtransport aus den Geweben in
das Blut, allmählich aus. Koffein übt keinen Einfluß auf die Gewebs-
kolloide des Frosches aus.
W. v. Noorden (Bad Homburg), Adonigen. M. m. W. Nr. 20.
Digitalisartig wirkendes Herzmittel aus Adonis vernalis, in zuverlässiger
Dosierung hergestellt von dem chemisch-pharmazeutischen Werk Hom¬
burg v. d. H. Gute Erfolge bei oraler Verabreichung und bei Injek¬
tionen. Als Luxus-Arzneimittel ein Adonigen-Kola-Sekt.
A. Sigl (München), Albnsol zur Protelakörpertherapie. M. m. W.
Nr. 20. S. Aman, M.m. W. 1921 Nr.24. Das von Salz befreite Milch¬
eiweißpräparat Albusol ist nicht unschädlich, es wurden 2 Fälle von
anaphylaktischem Shock beobachtet, von denen einer zum Exitus kam,
leichte Störungen häufig.
W. May (Bad Kreuth), Apocbln. M. m.W. Nr. 20. Kombination von
Azethylsalizylsäure und Chinin. Sehr wirksam zur Bekämpfung von
Schmerzen, besonders bei Anginen, Neuralgien, Menstruationsstörungen.
J.Kelemen (Humennl, Ost-Slowakei), IntravenöseKalziumtherapie.
Ther. d. Gegenw. H. 4. Hinweis auf die erfolgreiche Anwendung von
10 ccm einer 5°lr,igen Kalziumchlorid-Lösung bei langen und hart¬
näckigen Subfrebilitäten; namentlich bei Sympathikotonikern.
W. Zemann (Wien), Verstärkung der Kokainwirkung durch
hypertonische Tranbenzuckerlösnng. W. kl. W. Nr. 17. Bei Anwendung
einer Mischung von Koka'mlösung und I0%iger Traubenzuckerlösung
tritt die Anästhesie (sowohl bei Oberflächenanwendung als auch bei
Infiltrationsanästhesie) bei geringeren Konzentrationen ein. Der Beginn
der Anästhesie wird verzögert, die Dauer verlängert. Oberflächen¬
anwendung von Kokain nach intravenöser Zuckerinjektion führte zu
schweren Vergiftungserscheinungen. Bei vasomotorischer Rhinitis
wirkte intravenöse hypertonische Traubenzuckerinjektion sekretions¬
beschränkend. Bei chronischen Kieferhöhleneiterungen konnte eine
Sekretionsverminderung dagegen nicht erreicht werden.
J. Brock (Berlin-Weißensee), Hämorrhagische Kolitis als einzige
Störung nach Novasurolinjektion. Kl. W. Nr. 21. Nach den Erfahrungen
an 4 Patienten, bei denen im Anschluß an die Injektion eine hämorr¬
hagische Kolitis auftrat (renaler Befund bei allen 4 negativ) kann der
Arzt beim Auftreten einer solchen mit einem raschen Rückgang der
Affektion rechnen und braucht dieser Zwischenfall die weitere An¬
wendung des Mittels bei dem betreffenden Patienten nicht unbedingt
auszuschließen (Kaute bei Nierenkranken).
H. Freudenthal (Wien), Sekoin, ein neues Sekaleprflparat.
Ther. d. Gegenw. H. 4. Das Präparat (als Fluidextrakt, Tabletten, In¬
jektion) ist den anderen Sekalepräparaten mindestens gleichwertig; auch
ist es beträchtlich billiger als die ausländischen Sekalepräparate. (Her¬
steller; Chinoin-Fabrik A.-G. Wien I.)
Ernst Herzfeld (Berlin), Intravenöse Salizyltheraple. M. m.W.
Nr. 20. Attritin ist eine 17 0 / o ige Natriumsalizylikumlösung. Einzel¬
dosis 4 ccm intravenös, täglich oder alle 2 Tage bei akutem Gelenk¬
rheumatismus, bei veralteten Fällen chronisch intermittierende Behand¬
lung. Der innerlichen Darreichung weit überlegen. Auch bei Ischias
und bei den Schmerzen der Arthritis deformans oft erfolgreich.
Innere Medizin.
♦♦ Gustav Geley (Paris), Materiallsatlonsexperlmente mit
M. Franek-Kluskl. Herausgegeben mit Anhang von Schrenck-
Notzing (München). Leipzig, O. Mutze, 1922. 115 Seiten mit
15 Tafeln. M. 25.—. Ref.: J. H. Schultz (Jena).
Schrenck-Notzing gibt die Uebersetzung eines Berichtes des
Pariser Arztes Geley über Materialisationserscheinungen bei einem
47 jährigen Warschauer Schriftsteller und Dichter (Leuchtphänomene,
Materialisationen von menschlichen Gliedmaßen, Abdrücke in Gips und
Paraffin, Telekinese) und fügt einige Schlußbemerkungen sowie einen
polemischen Anhang hinzu. Sommers sachlicher Vorschlag, die Be¬
wegungserscheinungen der Medien in seiner Klinik zu registrieren,
wird auffällig affektvoll zurückgewiesen: „verlockende Einladung des
Oeheimrats", „Freiplatz in der Irrenklinik"... bis jetzt kein Medium be¬
reit, „sich in einer Irrenklinik einer Vivisektion zu unterwerfen, die
doch offenbar nur den Zweck haben kann, für die Sommerschen
Doktrinen über Ausdrucksbewegungen neues Material zu beschaffen M .
Patzig (Heidelberg), Meningitis durch Infektion mit Streptokokkus
vlridans. D. Arch. f. klin. Med. 139 H. 1/2. Kasuistische Mitteilung:
primäre Meningitis bei einem 18jährigen Manne, mit akutem Beginn,
meningitischen Symptomen, trübem Liquor mit dem Streptokokkus
viridans und Rückgang der Erscheinungen im Anschluß an die Lumbal¬
punktion.
A. Hauer (Wien), Oralsepsis und von Zahaleiden abzuleitende
Fernerkranklingen. W. kl. W. Nr. 16. Uebersicht über die zahnärzt¬
lichen Verrichtungen zur Vermeidung der Oralsepsis. Fernerkrankungen
sind bei Zahnlciden selten. Zu ihnen gehören Trigeminusneuralgien,
Hypochondrie, Manie, Melancholie, Hvsterie, Ekzem (? Referent), Akne (?),
Erytheme, pemphigoide Eruptionen, Herpes, Furunkulose (?), Ergrauen
der Haare, Alopecia areata (?) u. a.
Rudolf Neumann (Berlin), Protelnkörpertheraple bei akuten
Infektionskrankheiten, insbesondere Pneumonie. Ther. d. Oegenw.
H. 4. Von vereinzelten Fällen von Pneumonie und Erysipel abgesehen,
erhielt Verfasser mit Caseosan im allgemeinen ein negatives Resultat.
Daher muß einer allgemeinen Anwendung in der Praxis widerraten
werden.
M. Großmann (Zagreb), Angina pectoris. W. kl. W. Nr. 16.
Nach Ansicht des Verfassers werden die subjektiven Symptome durch
einen Spasmus im Anfangsteil der Aorta bedingt, der in schweren
Fällen auf die Koronargefäße übergeht Hiermit läßt sich die gute
Wirkung der Nitrite am besten erklären.
L. Stein (Wien), Behandlung der verschiedenen Formen des Sig¬
matismus. W. kl. W. Nr. 16. Die Sondenbehandlung versagt manch¬
mal, leistet dann aber als Nachbehandlung bei Verwendung aktiver
Methoden Gutes. Von diesen ist in leichten Fällen das Pfeifen in ein
Glasröhrchen mit breitgezogenem Munde genügend. Sonst erreicht
man mit der Fröschelschen Plattenmethode Gutes.
Richard Prigge (Frankfurt, Main), Intravenöse Zufuhr großer
NaCI-Mengen bei Pneumonie und beim Ge«unden. D. Arch. f. klin.
Med. 139 H. 1/2. Bei intravenöser Einverleibung hochkonzentrierter
Chlornatriumlösungen (20 bis 38 g) verschwindet der weitaus größte
Teil des eingebrachten Chlors unmittelbar aus der Blutbahn, ohne im
Urin wieder zu erscheinen. Bei Gesunden wird die retinierte Menge
NaCl etwa in 2 Tagen mit dem Urin ausgeschieden, während sie bei
der Pneumonie während der ganzen Erkrankung retiniert bleibt. Nach
Injektion großer Kochsalzmengen tritt Hydrämie auf z. T. durch Flüssig¬
keitsabnahme der ßlutkörper (gelegentlich Quellung der R. durch eine
abnorme Reaktion der R.).
W. Förster (Suhl), Kontrasfspelse im Broncbialbanm. M. m.W.
Nr. 20. Seit einigen Wochen Schluckbeschwerden, bei jedem Bissen
erstickende Hustenanfälle, die viel Eiter und die genossenen Speisen
herausbefördern. 32 cm hinter der Zahnreihe im Oesophagus ein
Hindernis. Bei der Röntgendurchleuchtung sieht man den Kontrastbrei
plötzlich in den Bronchialbaum stürzen, der Brei wird sofort durch
starke Hustenstöße entleert. Schluckpneumonie trat nicht auf. Sonden¬
fütterung. Nach etwa 1 Monat Exitus an Entkräftung. Keine Autopsie.
A. Müller (Rostock), Spezifische (v. Pirquet) und »(spezifische
Haotreaktionen nach v. Groer-Hecht. Kl. W. Nr. 21. Aus den
Versuchen des Autors ergab sich eine Parallelität zwischen der Stärke
der Pirquetschen spezifischen tuberkulinogenen und der von Groer-
Hechtscnen unspezifischen Hautreaktionen (auch bei 6 völlig Gesunden,
wo sehr starke Reaktionen sowohl auf die Groer-Hechtsche als auch
die Pirquetprobe auftraten). Möglichkeit der Kontrolle der Tuber¬
kulinreaktion durch die unspezifische Hautreaktion.
Wagner-Jauregg (Wien), Behandlung undProphylaxe des ende¬
mischen Kropfes. W. kl. W. Nr. 16. Empfiehlt für Kropfgegenden
jodhaltiges Kochsalz als Prophylaktikum.
N. Roth und G. Hetdnyi (Budapest), Hflmoklastsche Krise. Kl. W.
Nr. 21. Die Spezifität der hämoklasischen Krise zur Leberfunktion ist
unzweifelhaft; bei der heutigen Methodik kann aber aus dem negativen
Ausfall der Probe das Vorhandensein einer Leberläsion nicht aus¬
geschlossen werden.
L. Lichtwitz (Altona), Bluttransfusion und Anlmiebehandlong.
Kl. W. Nr. 21. Bei perniziöser Anämie ist die Transfusion großer
Blutmengen im allgemeinen nicht erforderlich. Sie ist nur angezeigt,
wenn in einem extremen Falle ein Blutersatz indiziert ist Sonst soll
g ewöhnlich die Bluttransfusion bei perniziöser Anämie nur als Reiz«
lerapie in kleinen Mengen (nicht über 150 ccm) Anwendung finden.
Bei schwerer Vergiftung mit Kohlenoxyd, chlorsaurem Kali und ähn¬
liches kann die Notwendigkeit einer großen Transfusion gegeben sein.
Bei einer langsam entstandenen sekundären Anämie ist ein Blutersatz
entbehrlich; dagegen erscheint auch hier eine Reiztherapie mit kleinen
Blutdosen oft zweckmäßig. Bei sekundärer Anämie nach plötzlichem
starkem Blutverlust ist vor allem zunächst nur Flüssigkeitsersatz indi¬
ziert (am zweckmäßigsten durch Normosal).
K. A. Heiberg (Kopenhagen), Diabetes. M. m. W. Nr. 20. Der
augenblicklich vorliegende Stärkegrad des Diabetes ist nicht pro¬
portional der Neigung zur Progredienz. Setzt man einen angegriffenen
Zuckerkranken auf ein hohes Kostniveau, so erfolgt leicht ein Zu¬
sammenbruch. Man soll lieber eine stärkere Einschränkung der Kost
durchführen als es bisher üblich war.
S. J. Thannhauser und M. Weinschenk (München), Blntharn-
slurekonzentritlon und Gicht D. Arch. f. klin. Med. 139 H. 1/2. E«
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
784
LITERATURBERICHT
Nr. 23
ist unstatthaft, allein aus dem Bestehen einer Urikämie Oicht zu dia¬
gnostizieren. Zur Diagnose Oicht gehört vor allem die Berücksichtigung
des klinischen Bildes, die intermittierende oder chronische Erkrankung
von Gelenken und Knorpeln. Bei Gelenkerkrankungen kann der große
differentialdiagnostische Wert der Feststellung einer bei purinfreier
Kost bestehenden Urikämie durch die Untersuchungen Gudzents nicht
als erschüttert gelten. Man ist nicht berechtigt, eine allgemeine Urato-
histechie des Gewebes als einheitliche Krankheitsursache für die Patho¬
genese der Gicht anzusehen und die Urikämie als sekundär, für die
Pathogenese der Uratablagerungen unwesentlich aufzufassen. Die
Pathogenese des Arthritismus ist nicht einheitlich (lokale Ueber-
empfindlichkeit gegen verschiedene exogene und endogene Stoff¬
wechselprodukte).
H. Strauß (Berlin), Wirkungswege der physikalischen, speziell
balneo-und klimstoloeischen Therapie bei Stoffwechselerkrankungen.
Zschr. f. physik. diät. Ther. 26 H. 4. Vortrag auf dem Balneologen-
Kongreß, Berlin 16. III. 1922. (Ref. siehe diese Wochenschrift Nr. 16
S. 543.)
van Hauth (Köln), Psvchotische Bilder der Urämie. Allg. Zschr.
f. Psych. 78 H. 1—2. Verfasser berichtet über 17 einschlägige Fälle.
Akute deliriöse Verwirrtheit und mitunter auch paranoide und kato-
tonische Symptome fanden sich in den meisten Fällen. Bei gleich¬
zeitiger Arteriosklerose zeigte sich mehr chronischer Verlauf. Neuro-
pathische Konstitution begünstigt bei Urämie das Auftreten psychotischer
Symptome.
Goldscheider (Berlin), Muskelrheumatismus. Zschr. f. psysik.
diät. Ther. 26 H. 3 u. 4. Eine außerordentlich gründliche Arbeit, die
ausgehend vom Wesen der Erkrankung, unter Berücksichtigung der
Aetiologie, Symptomatologie, Physiologischen Pathologie die Behand¬
lung eingehend erörtert. Es werden die wichtigsten bisher vorliegenden
Arbeiten kritisch gewürdigt und unter Zugrundelegung experimenteller
und umfassender klinischer Beobachtungen alle in Betracht kommenden
Behandlungsmethoden dargestellt.
W. Weinberg (Stuttgart), Vererbunrsstatistik, besonders in der
Psychiatrie. M. m. W. Nr. 20. Zu v. Economo in Nr. 7. Die Qe-
schwistermethode des Verfassers ist vorläufig noch unentbehrlich, sie
ist auf ein weit größeres Material anwendbar. Später muß sie durch
die direkte Deszendenzforschung ersetzt werden.
Löw (Bedburg-Han), Verhalten der Körpergewichte von Geistes¬
kranken während der Kriegszeit. Allg. Zschr. f. Psych. 78 H. 1—2.
Verfasser bringt genauere Angaben über das Verhalten des Körper¬
gewichtes von 166 männlichen Geisteskranken während der Kriegszeit.
An der Hand einer kurvenmäßigen Darstellung oder Gewichtsbewegung
unterscheidet er die prognostisch ungünstige sturzweise Gewichts¬
abnahme von der günstiger zu beurteilenden schrittweise allmählich
erfolgenden. Einzelne Fälle reagierten überhaupt nicht auf die schlechte
Ernährung.
F. Herzog und A. Roscher, Klinik und Pathogenese der
Kollargollntoxikatiofl beim Menschen. Virch. Arch. 236. Klinische
und pathologisch-anatomische Beschreibung von zwei Fällen von
Kollargolvergiftung bei kräftigen jungen Patientinnen. Das Krankheits¬
bild war aber kompliziert durch Syphilis, Gonorrhoe, Quecksilber und
Salvarsanbehandlung. Es entwickelte sich eine Purpura haemorrhagica.
Histologisch fanden sich Knochenmarkveränderungen mit Nekrosen
und schwerere Veränderungen in zahlreichen anderen Organen.
Chirurgie.
♦♦ W. Körte (Berlin), Verletzungen und chirurgische Krank¬
heiten der Leber, der Gallenblase, des Pankreas und der
Milz. — Aus Schwalbe: Diagnostische und therapeutische
Irrtümer und deren Verhütung. Chirurgie Heft 3. Leipzig,
GeorgThienie, 1922. 55 Seiten mit 12 Abbildungen. M. 15.—. Ref.:
Garrfc (Botin).
Die praktischen Erfahrungen zeigen, wie leicht der Tastbefund bei
Leber- und Gallenblasenerkrankungen zu Täuschungen führt; Körte
bringt einige prägnante Beispiele. Bei Besprechung der akuten und
vor allem der chronischen Cholezystitis wird auf das vielgestaltige und
durchaus nicht eindeutige Krankheitsbild hingewiesen und die gelegent¬
lichen Fehldiagnosen gegenüber Perityphlitis, Magen- und Duodenal¬
geschwüren, Darmaffektionen (hier wäre die Colitis spastica mit zu
erwähnen gewesen) und den Pankreasaffektionen. Bei diesen letzteren
in besonderen Kapiteln besprochenen Erkrankungen muß auch Körte
ungeachtet seiner großen Erfahrung immer wieder die Unsicherheit
der Diagnose hervorheben. Im Abschnitt Milz sind die Verletzungen
und der Abszeß ausführlicher behandelt. Die ganze Darstellung zeichnet
sich vorteilhaft durch Kürze und präzise klare Darstellung aus, die im
Hinblick auf die sehr großen und kritisch verarbeiteten Erfahrungen
des Verfassers erhöhten Wert gewinnt
.H. F. O. Haberland (Köln), Alfoolastik bei Gefäßwänden mittels
Klebemethode. Zbl. f. Chir. Nr. 16. Verfasser hat bereits 1914 versucht,
seitliche Gefäßdefekte der Arteria femoralis und carotis beim Hunde
durch Pflaster oder aufgeklebte Gummistückchen zu ersetzen. Sämtliche
Versuche schlugen fehl. Angeregt durch die neueste Veröffentlichung
von Mocny hat sich Verfasser dieser Frage von neuem gewidmet.
Auch dte^neuen Versuchsergebnisse waren vollkommen negativ. Der
Organismus ist bestrebt, jeden Fremdkörper abzustoßen. Das Risiko
bei einem alloplastischen Gefäßverschluß mittels Klebemethode liegt
auf der Hand, auch wenn man einen Sicherungsmantel darüber näht.
Das geschilderte Verfahren ist abzulehnen.
K. Fritsch (Cassel), Wird bei der Strahleabehaudhnig der
Rlastome die heutige Dosimetrie aufrechterhalten werdenkönnen.
Zbl. f. Chir. Nr. 16. Technische Mitteilung.
E. Seifert (Würzburg), Tracheotomie inferior bei kindlicher
Larynxdlphtberle. Zbl. f. Chir. Nr. 17. Verfasser glaubt, daß seine
Erfahrungen mit der Tracheotomia inferior bei diphtheriekranken
Kindern zugunsten der Methode, wenigstens in der Klinik, sprechen.
Denn bei einwandfreier Technik und sachgemäßer Nachbehandlung
lassen sich die der Tracheotomia inferior zugeschriebenen Nachteile
auf ein wirklich ungefährliches Mindestmaß einschränken und die
der Methode anerkannterweise innewohnenden Vorzüge in erfreu¬
lichem Umfange zur Geltung bringen. Von 139 Operierten starben 33
= 23,7°/ ft .
Karl Zehner (Frankfurt a. M.), Zuogeastruma. M. m. W. Nr. 20.
Frau von 30 Jahren verspürt nach einer Schreckneurose Fremdkörper¬
gefühl im Halse und Schluckbeschwerden. Es findet sich eine walnu߬
große Oeschwulst am Zungengrund, Probeexzision zystische Kolloid¬
struma. Am Halse keine Schilddrüse festzustellen.
Theodor Köhler (München), Operation des Mastdarmkrehses.
M. m. W. Nr. 20. 154 Fälle, davon 123 radikal operiert, 31 mal künst¬
licher After. 90 konnten 3 Jahre nach der Operation nachuntersucht
werden, davon 25°/» geheilt. Operiert wurde nach Kraske, in den
letzten Jahren nach Völcker.
Pflaum er (Erlangen), Urologie. M. m. W. Nr. 20. Uebersicht
über Aufgaben, Hilfsmittel und Erfolge der Urologie an der Hand von
1000 Fällen aus dem Material der Erlanger chirurgischen Klinik.
H. Hartung (Eisleben), Behandlung pyogener NlerenprozeBe mit
intravenösen Urotronininiektionen. Zbl. f. Chir. Nr. 16. Auf Grund
der Mitteilung von E. Vogt hat Verfasser in einem Fall von doppel¬
seitiger schwerster Pyonephrose intravenöse Urotropininjektionen ge¬
macht. Der Urinbefund besserte sich sichtlich, die Temperatur ging
zur Norm zurück, um dann kurz vor dem nicht mehr aufzuhaltenden
letalen Ausgang wieder in die Höhe zu gehen.
J. Oehler (Hannover), Prostatectomia mediana. Zbl f. Chir. Nr. 16.
Die ungünstigen Drainageverhältnisse bei der Prostatectomia supra-
pubica veranlaßten den Verfasser, die von Berndt und Praetorius
empfohlene Prostatectomia mediana zu versuchen. Auf Grund der
Erfahrung von 8 Fällen wird er ihr auch weiterhin treu bleiben. Sie
ist viel ungefährlicher als die Prostatectomia suprapubica. Im allge¬
meinen erfolgt rasche Ausheilung und Erholung und ein gutes funk¬
tionelles Resultat. Die Frage der Drainage des Prostatalagers nach
unten ist durch die Methode glänzend gelöst.
E. Kreuter (Erlangen), Hodetitransplantation und Homosexualität-
Zbl. f. Chir. Nr. 16. Nach den Erfahrungen des Verfassers muß man
zu der Ueberzeugung kommen, daß die Transplantation von Hoden,
in der Absicht ein funktionierendes Organ mit innersekretorischer
Wertigkeit einzuverleiben, beim Menschen kaum mehr eine Berechtigung
hat. Dagegen mag sie als suggestive Maßnahme vielleicht in einzelnen
Fällen mehr leisten, als mit irgendeiner anderen Methode zu erzielen ist
J. V^ieting (Sahlenburg bei Cuxhaven), Primäre Geleokolastik
bei Tnberkolnse. Zbl. f. Chir. Nr. 17. Verfasser hat seine früheren
Versuche wieder aufgenommen’, bei der tuberkulösen Kniegelenk¬
entzündung durch sorgfältige Arthrektomie alles Krankhafte’aus Knochen
und Knorpel zu entfernen und dann sofort eine Fasziengelenkplastik
anzuschließen. Wenn auch die Anzeige zu dieser primären Faszien-
plast'k nicht gerade häufig ist, so glaubt Verfasser doch, daß man unter
dem Zwange der jetzigen sozialen Verhältnisse sich doch manchmal
eher dazu entschließen wird als bisher. Jedenfalls gibt Verfasser die
schonenden Verfahren immer mehr auf zugunsten der radikaler,
Methoden.
F. Bähr (Hannover), Amputation nach GrJttl. Zbl.f. Chir. Nr. 16.
Es ist zweckmäßig, die Amputation nach Gritti so auszuführen, daß
das untere Femurende und die Patella annähernd gleiche Flächengröße
haben. Die Kürzung des Stumpfes ist demgegenüber der geringere
Nachteil.
H. Eckstein (Berlin), Pbalengonresektion zur Beseitigung von
Plngerkontraktur. Zbl. f. Chir. Nr. 16. Technische Mitteilung.
J. Fischer (Sachsenberg bei Schwerin), Experimeotelle Stadiea
zur Frage, ob Nebeonierenexstlrpation bei Epilepsie berechtigt
sei. Zbl. f. Chir. Nr. 17. Nochmalige genaue Beschreibung seiner
Amylnitritkrämpfe. Polemik gegen Specht.
Frauenheilkunde.
Bl um berg (Berlin), Hypopbyseabestrablnogen bei Hypophyse«-
tumoren und bei gynäkologischen Erkrankungen hypophysären llp
Sprungs. M. m. W. Nr. 20. Ein Mesothoriumpräparat, gefiltert mit
1 mm Messing und einem Gummifingerling, wird an eine Sonde an¬
geschraubt und durch die Nase in den Nasenrachenraum cingeführt
Die Lage der Sonde wird durch Bindentouren fixiert Kontrolle durch
hintere Rhinoskopie. Günstige Erfolge bei einem Hypophysentumor
und bei 2 Dysmenorrhöen hypophysären Ursprungs.
Digitized by
Gck igk
Original from
CORNELL UNIVERSITY
9. Juni 1922
LITERATURBERICHT
785
H. Weitgasser (Graz), Einfache konservative Behandlung der
eitrigen Bartholinitis mit wegsamem Ausfubrnogsgang. W. kl. W.
Nr. 17. Injektion einer 5 0 /„igen Cholevalpaste mit Analspritze. In
3—5tägigen Abständen 0,1—0,2 g. Das Verfahren ist fast schmerzlos
und kann ambulant durchgeführt werden.
Haut* und Venerische Krankheiten.
P. G. Unna (Hamburg), Pyrogallol, Cignolin und der antipsoria¬
tische Effekt W. kl. W. Nr. 17. Die reduzierenden Phenole (Karbol¬
säure-Resorzin-Pyrogallol) sind wegen der Kombination von redu¬
zierender und schälender Wirkung indiziert bei akanthotischen Prozessen.
Die Gruppe der Anthranole (Cignolin-Chrysarobin) haben vor ihnen
den Vorzug, daß sie sich nicht mit dem Zelleiweiß verbinden, daher
niemals nekrotisierend und toxisch wirken. Ihr Reduktionsvermögen
ist nur Nebenwirkung, sie bewirken dagegen eine starke Entzündung.
Der Transport des Cignolins in die Tiefe der Haut geschieht durch die
überall in der Haut vorhandene Oelsäure. Das Cignol greift nun,
den Sauerstoff der Oelsäure aktivierend, rasch und stark zugleich, in
den Krankheitsprozeß ein. Seine „explosionsartige“ Wirkung steht in
keinem Verhältnis zu der geringen zugeführten Menge. Rezidive sind
bei Cignolin kaum zu vermeiden, während Pyrogallol in dieser Be¬
ziehung radikaler wirkt.
F. Luithlen (Wien), Intravenöse Kieselsäuretherapie bei Pruritus
senilis. W. kl. W. Nr. 17. Bei einigen Fällen günstige Wirkung von
intravenöser Injektion von 1—2 ccm einer l°/ 0 igen Lösung von Natrium
silicicum. Es genügten 6 Injektionen. Auf tadellose Injektion ist be¬
sonderer Wert zu legen.
Gottfried Trautmann (München), Pepsinbehandlung bei Leuko"
plakie. M. m. W. Nr. 20. Injektionen von 1 ccm des Unnaschen
Pepsin-Salzsäuregemisches unter die affizierten Stellen hatten teilweise
uten Erfolg bei verhornenden Prozessen in der Mundhöhle, so bei
eukoplakie und Hyperceratosis lacunaris. Es ist auch geeignet für
den Transport von Anästhetizis, so von Kokain für die Paragentese.
E. Schardon (Nürnberg), Extragenitale Syphilis. M. m. W. Nr. 20*
1 Primäraffekt an der Mamilla, 2 mal an der Lippe. Die Fälle waren
sehr lange verkannt und deshalb ganz unsachgemäß behandelt.
Karl Zeller (Erlangen), Behandlung der Syphilis mit Neo-
sifhersalvarsan. M. m. W. Nr. 20. Gute Ergebnisse. Vasomotorische
Störungen seltener als beim Silbersalvarsan, die Wirkung ist dem
Neosalvarsan gleichwertig, dem Silbersalvarsan wohl etwas unterlegen.
Meta Oelze-Rheinholdt (Leipzig), Zyarsal-Mischspritze in der
ambulanten Pranenpraxis. M. m. W. Nr. 20. Ein großer Vorteil der
Zyarsalmischspritze liegt darin, daß die Lösung klar bleibt. Auch in
der ambulanten Praxis keine wesentlichen Nebenerscheinungen. Sehr
gute Erfolge.
Kinderheilkunde.
E. Schur (Charlottenbürg), Statisches Organ normaler Säuglinge
und Kinder. Zschr.f.Kindhlk.32 H. 3/4. Eine Prüfung des statischen
Organes im inneren Ohre durch den Drehversuch, durch kalorische
Reize und durch Galvanisierung ergibt ein dem Erwachsenen analoges
Verhalten von der Zeit an, zu der das Kind seine statischen Funktionen
erlernt. Vor dieser Zeit treten Erscheinungen auf, die als Dysfunktion
der retrolabyrinthären Nervenbahnen zu erklären sind. Während der
f anzen Kindheit ist der Vestibularapparat übererregbarer als beim
rwachsenen. ,
I. Rostenstern (Berlin), Frühgebartenstigmata. Zschr. f. Kindhlk.32
H. 3/4. Bei frühgeborenen, unreifen Kindern, viel seltener bei zur Zeit
eborenen, untermassigen Kindern, stellen sich mit großer Regelmäßig¬
st vom 3. Lebensmonat an eine Reihe „sekundärer Störungen" ein.
Ein im Verhältnis zur Schädelkapsel zu rasches Wachstum des Gehirns
führt zum „Megazephalus“, das Wachstum des Schädelumfanges ent¬
spricht nicht mehr dem Längenwachstum. Das gelblichblasse Gesicht
erhält durch die stark entwickelten Saugpolster, die im Verhältnis zum
Gesicht zu große Zunge und zu großen Augen Glotzaugen) und durch
den auffallend kleinen Rachen ein besonderes Gepräge. Die in Bezug
auf Rumpf- und Kopflänge zu kurzen Beine bedingen die besonderen
Proportionen des Körpers. Auf nervösem Gebiete entwickelt sich bei
den Kindern eine Hypertonie; im 2.-4. Monat stellen sich nicht selten
Wutanfälle mit Zyanose ein. Eine Deutung dieser Besonderheiten
bei den frühgeborenen Kindern ist in einer temporären Störung, vielleicht
in einer Hypofunktion der Drüsen mit innerer Sekretion zu suchen.
S.Lau tc r (München), Abnutzungsquote bei Kindern und Schwängern.
D. Arch. f. klin. Med. 139 H. 1/2. Der Mittelwert für die gesamte
Abnützungsquote beträgt bei einem gesunden 70 kg schweren Individuum
2,66 g Ham-N 4- 1,05 g Kot-N, d. h. 0,053 g N pro kg. Auch beim
Kinde bewegten sich die Zahlen der Abnützungsquote innerhalb der
gleichen Grenzen, wie beim Erwachsenen (0,035—0,045 g N pro kg),
waren also überraschend niedrig. Als Ergebnis der Untersuchungen
bei Schwangeren ergab sich, daß ihre Abnützungsquoten (pro kg 0,031
bis 0,048 g N im Harn) durchaus den normalen Werten entsprechen.
K.Blühdorn und F.R. Loh mann (Göttingen), Späteres Schicksal
schwer ernäbrungsgestörter Säuglinge. Kl. W. Nr. 21. Aus der kleinen
Zusammenstellung ergibt sich, daß die Ernährungsstörungen des Säug¬
lings für seine spätere Entwicklung .von keiner oder doch meist nur
geringer Bedeutung zu sein brauchen.
F. Goldstein (Berlin-Buch), Gewichts- und Längenwachstum unter¬
ernährter schulpflichtiger Kinder bei Wiederauffütterung. Zschr. f.
Kindhlk. 32 H. 3/4. Bei den Berliner Waisenkindern, die in der Kinder¬
heilanstalt Buch aufgenommen wurden, fand sich ein Zurückbleiben
der körperlichen Entwicklung in Bezug auf Länge (50\/ o der Kinder)
und auf Gewicht (89°/ 0 ), gegenüber den dem Alter entsprechenden
Normalmaßen. Für die Schädigung des Längenwachstums kommt als
wesentliche Bedingung die Rachitis in Betracht. Bei kalorisch reich¬
licher und kompletter Ernährung fand rasch ein Ausgleich des Gewichts¬
defizits statt, während das Längenwachstum zögernder nachfolgte.
Gewichtszunahmen ließen sich fast bei allen Kindern erzielen. Der
Gewichtsansatz war zunächst reversibel. Durch Muskelübungen und
Bewegungen kann er vielleicht stabilisiert werden.
EugenS transky (Wien), Ernährungsprobleme bei Lues congenita.
Zschr. f. Kindhlk. 32 H. 3/4. Prodromal und in der Eruptionszeit der
angeborenen Syphylis entwickelt sich bei den Kindern ein dystrophisches
Stadium, zu dessen Behebung bei einem Teil der Patienten die Ein¬
leitung der spezifischen Therapie genügt, während in anderen Fällen
die Ernährungsstörung unaufhaltsam zum Tode führt. Neben dieser
durch den Infekt bedingten Dystrophie wird ein Nichtgedeihen bei
den Kindern vielfach durch eine kalorische Unterernährung hervor¬
gerufen, da der Kalorienbedarf des antisyphilitisch behandelten Kindes
150—190 Kalorien^betragen kann.
K. Peyrer (Wien), Befundstelle für Kindertuberkulose. W.kl. W.
Nr. 16. Die an der 2. Kinderabteilung der allgemeinen Poliklinik in
Wien eingerichtete Befundstelle hat ihre Existenzberechtigung erwiesen
(innerhalb 4 Monaten sind unter 260 Kleinkindern 11 Tuberkulose¬
infektionen sicher konstatiert). Nachahmung wird empfohlen.
K. Klare und O. Budde (Scheidegg), Kieselsäuretherapie der
kindlichen Tuberkulose. M. m. W. Nr. 20. 2— 3mal täglich 10 Tropfen
Silistran (Leverkusener Farbenfabriken) lange Zeit hindurch genommen,
ist ein brauchbares Adjuvans in der Therapie der kindlichen Tuber¬
kulose, namentlich bei den produktiven Formen.
K. Scheer (Frankfurt!, Vereinfachte Technik zum Nachweis
der endogenen Infektion aes Duodenums. Zschr. f. Kindhlk. 32 H. 3/4.
Zur Umgehung der schwierigen Duodenalsondierung wird versucht
aus dem bakteriologischen Befund und der Azidität im Magen auf die
Zustände im Duodenums zu schließen. Zur Bestimmung der Magen¬
azidität wird die Anwendung von Indikatoren empfohlen. Niedere
Magenazidität und Fehlen von Kolibazillen im Magen läßt auch eine
Kolibesiedelung des Duodenums ausschließen. Kolibazillen im Magen
lassen auf die Anwesenheit von Koli im Duodenum schließen. Hohe
Azidität und Anwesenheit von Koli im Magen spricht für eine Koli¬
besiedelung des Dünndarmes. Vieldeutig ist nur der Befund von hoher
Magenazidität und negativem bakteriologischen Befund im Magen.
Hygiene.
Uberg (Sonnenstein), Sterblichkeit der Geisteskranken in den
sächsischen Anstalten während des Krieges. Allg. Zschr. f. Psych. 78
H. 192. In den sächsischen Irrenanstalten starben während der vier
Kriegsjahre über den' erfahrunggemäß festgestellten Prozentsatz 7480
Geisteskranke.
Sachverständigentfitigkeit.
Paul Dittrich (Prag), Lehrbuch der gerichtlichen Medizin
für Aerzte und Juristen. 2. Aufl. Prag, A. Haase, 1921. 3Ö0 S.
M. 58.-. Ref.: P. Fraenckel (Berlin).
Dittrichs Lehrbuch ist in der ersten Auflage in Deutschland
kaum bekannt geworden. Dies dürfte seinen Grund darin haben, daß
es, wie das Vorwort ergibt, mehr als ergänzende Anweisung für die
Studierenden geschrieben war, die zur praktischen Uebung gezwungen
werden sollten, denn als ein abgeschlossenes Lehrbuch. Dies Ziel ist
auch in der jetzigen ausführlicheren Ausgabe offenbar leitend ge¬
wesen. Etwas abweichend von den anderen Kompendien wird eine
rein beschreibende, Erfahrung an Erfahrung reihende Darstellung des
Stoffes gegeben, die nach praktischen Fragen gegliedert ist, fast jede
theoretische Bemerkung unterdrückt, aber doch aas „geistige Band“
zwischen den Zeilen enthält. Bedachte Wahl des einzelnen Wortes in
der äußerst knappen Sprache zeigt dem Eingeweihten die eigene Er¬
fahrung und die Kritik anderer. So bietet das Buch bei genauerer
Prüfung mehr Anregung und Neues, als es zunächst vermuten läßt.
Die Psychiatrie ist absichtlich ausgeschlossen; nur die österreichische
Gesetzgebung ist berücksichtigt. Die über 100 sehr hübschen, klaren
Zeichnungen sind besonders zu rühmen, die sie aber ums Vielfache
übertreffende Schar stehengebliebener Druckfehler um so mehr zu be¬
klagen.
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
786
LITERATURBERICHT
Nr. 23
Aus der ausländischen Literatur.
(Schweiz, Holland, Spanien, Rußland, Italien» Frankreich, England, Amerika.)
♦♦ M. D. Horst, Vibrio und Leberabszeß. (Zur Kenntnis der
für Mensch und Tier pathogenen Vibrionen.) Dissertation, Leiden
1921. Ref.: Eisenhardt (Königsberg).
Aus einem Leberabszeß wurde bei der Operation Eiter gewonnen,
der nach Ueberimpfung in Bouillon und auf Agar eine Reinkultur von
stark beweglichen Bakterien lieferte, die als Vibrionen gedeutet wurden.
Das Serum des Patienten agglutinierte eine Suspension einer 18 Stunden
alten Agarkultur bis zu einer Verdünnung von 1:800, während nor¬
males Menschenserum diese Suspension nicht agglutinierte. Die Reak¬
tion von Bordet und Gengou mit einer derartigen Suspension als
Antigen und Serum des Patienten als Antikörper gab einen positiven
Ausfall, während normales Menscfcenserum negativ reagierte. Da
auch nach der Operation die Temperatur hoch blieb, wurde aus einer
18 Stunden alten Kultur eine Vakzine bereitet, mit der Patient be¬
handelt wurde. Es trat eine Besserung bereits wenige Tage nach der
ersten Einspritzung ein und nach einigen Wochen verließ der Patient
das Krankenhaus geheilt.
Bei dem zunehmenden Verbrauch von Magermilchpalver ist es
von Wichtigkeit, zu wissen, ob die daraus durch Beimischung von
Wasser und Butterfett gewonnene Kunstmilch auch die im Wasser
löslichen Milch Vitamine enthält, oder ob diese beim Trockenvorgang
zerstört werden. J. M. Johnson und C. W. Hooper (Publ. Health
Rep. 26. VIII. 1921, 36 Nr. 34 S. 1037 ff.) versuchten diese Frage so zu
lösen, daß sie bei Tauben diejenige Menge von Magermilchpulver
bestimmten, die nötig war, um bei Genuß von poliertem Reis die
Entstehung von Polyneuritis zu verhindern. An roher Vollmilch
kommen nach anderen Experimentatoren dafür 100—200 g täglich in
Frage, an Magermilchpulver wurden hier 6—7 g, entsprechend 75 ccm
flüssiger Milch oder 30°/„ der Gesamtkost, als nötig ermittelt. John¬
son allein stellte an weißen Ratten vergleichende Wachstumsversuche
bei Ernährung mit der erwähnten Kunstmilch, mit roher und mit pa¬
steurisierter Vollmilch an und fand alle drei gleichwertig, wenn sie im
richtigen Verhältnis zur festen Kost gegeben wurden. Als solches
stellte er 2,5 Teile Milch zu 1 Teil fester Nährstoffe fest. Die ver¬
wandte Trockenmilch war nach dem neueren Versprengungsverfahren
getrocknet. Die Versuche scheinen also den Nährwert solcher Trocken¬
milchpulver zu erweisen. Immerhin werden wir weitere Untersuchungen
abwarten müssen.
Nach Snapper, Rijkens und Terwen (Tijdschr. voor Geneesk.
1922 [I] S. 1168) kann ein lymphatisches Blutbild bei akuten Infektions¬
krankheiten Vorkommen, ohne daß eine lymphatische Leukämie vor¬
liegt. Das Blutbild ist nicht vom Bilde bei der lymphatischen Leukämie
zu unterscheiden. Einige dieser Kranken genesen. Bei anderen, wo
die Infektion sehr schwer ist, findet man nach dem Tode kleine
lymphämische Veränderungen. Man muß an diese, allerdings sehr
seltenen Fällen denken, um die Prognose nicht sofort infaust zu stellen.
Remo Monte Leone, Behandlung der M'lzbrandpostel beim
Menschen. II Pol.sez. prat. 28 S. 1613. Die Inzision der Milzbrandpustel,
die Exzision mit dem Messer oder mit dem Thermokauter öffnen nur die
Wege für eine Septikämie. 36 Fälle wurden in 4 Monaten beobachtet,
33 zeigten nur eine Pustel (in 2 Fällen Spontanheilung); in 26 Fällen war
das Glüheisen außerhalb des Krankenhauses angewandt worden, mit
dem Resultate, daß die dringliche Aufnahme daselbst nötig wurde. Die
einzige Behandlung bestand in Milzbrandserum, das in 5 ccm 15001. E.
enthielt. Es wurden gewöhnlich 10 bis maximal 50 ccm pro die, insge¬
samt bis zu 180 ccm, im allgemeinen intramuskulär, in dringenden Fällen
intravenös eingespritzt, die Pustel selbst wurde mit desinfizierenden
Umschlägen behandelt. Nur ein Exitus bei schwer vorgeschrittener
Septikämie, die übrigen Fälle heilten, besonders dort, wo schon sep¬
tische Erscheinungen aufgetreten waren, war der heilsame Effekt des
Serums zu konstatieren. Die schwersten Formen waren solche, in
denen das Oedem schon fortgeschritten war. Jede lokale chirurgische
Therapie ist zu verwerfen, nur die spezifische ist von Wert.
A. Navarro Blasco (Madrid), Tnberknloselnfektlon durch Greise.
Uniön med. VIII. 1 Nr. 214. Mitteilung eines beweiskräftigen Falles
von Uebertragung der Tuberkulose auf Kinder durch einen alten an
offener Tuberkulose leidenden Verwandten. Die fibröse Form der Lungen¬
erkrankung hatte bei diesem einen außerordentlich langdauernden Verlauf.
E. Sergcnt (Madrid), Schilddrüse und Rheumatismus. Arch.de
med., cir. y espec. VI. 13 Nr. 43. In den meisten Fällen von Gelenk¬
rheumatismus findet sich eine mehr oder weniger schmerzhafte, schnell
vorübergehende oder auch längere Zeit andauernde Anschwellung der
Schilddrüse. Beim Fehlen dieses Schilddrüsenzeichens versag die
Salizylbehandlung, wenn man nicht gleichzeitig Thyreoidin gibt und
dadurch die Schilddrüseninsuffizienz ausgleicht. Chronischer Gelenk¬
rheumatismus stellt sich ein, wenn auch andere Anzeichen von Schild¬
drüsenstörung vorliegen (Psoriasis, Sklerodermie, Myxödem, Meno¬
pause). Eine Steigerung der Schilddrüsenfunktionen, wie sie bei
Basedow und in der Schwangerschaft vorkommt oder durch Thvreoidin-
behandlung herbeigeführt werden kann, geht einher mit Rückbildung
der rheumatischen Erscheinungen.
Mario Montagnani, Hämoklasische Krise und paroxysmale
Hämoglobinurie. Presse mdd. 1921 S. 1017. Bericht über einen aus¬
gesprochenen Fall von paroxysmaler Hämoglobinurie mit vollkommen
positivem Ausfall der hämoklasischen Krise; die gelb-rötliche Farbe des
venösen Blutes, wie sie von französischen Autoren in der akuten Phase
der Krankheit beobachtet wurde, wurde hier nicht gesehen. Anti¬
syphilitische Behandlung war erfolgreich; nach ihr fiel der Widalsche
Symptomenkomplex negativ auf.
w. A. Oppel, Das Hungern vom chirurgischen Standpunkt Arch.
f. klin. u. exper. M. Moskau-Petersburg Nr. 1, März 1922. Oppel unter¬
scheidet den Einfluß der qualitativen und quantitativen Veränderung
der Nahrung beim Hungern. Die qualitativ veränderte Kost, die grobe
Kost ist schuld an dem gehäuften Auftreten des runden Magen-
eschwürs. Oppel ist der Ansicht, daß die grobe Kost rein mechanisch
ie Magenschleimhaut lädiert und es weiterhin zur Bildung des Ge¬
schwürs kommt. Andererseits reizt die grobe Kost den Dickdarm,
deshalb gibt es keine chronisch verstopften mehr. Die quantitativ
veränderte Nahrung bedingt durch ihren großen Wasserreichtum einen
vermehrten Harndrang. Es kommt sogar zu unwillkürlichen Urin¬
entleerungen, namentlich nachts. Zur Wirkung des Hungers kamen
noch hinzu die Wirkung der Kälte und des Schmutzes. Sehr häufig
tritt der Karbunkel auf. Die Exzision der karbunkulösen Infiltration
ist die beste Behandlungsmethode, die gute Erfolge ergab. Oppel
beobachtete oft das Auftreten von Noma bei Kindern. Ucberrascnend
häufig waren die Panaritien, die bei Hungernden schleichend verlaufen.
Lymphadenitis war meist durch Bakterien schwacher Virulenz verur¬
sacht. Infolge der Oedemkrankheit sah man häufig Unterschenkel-
g eschwüre. Die starke Abmagerung führte zu Hernienbildung und
egünstigte das Auftreten von Hämorrhoiden und Rektumprolaps.
Labhardt (Basel), Rektale Untersuchung in der Geburtshilfe.
Schweiz, m. W. 1922 Nr. 8. Auch die rektale Untersuchung schließt
die Gefahr der Infektion der Gebärenden als Folge der Untersuchung
nicht vollständig aus und gibt deshalb in Bezug auf Temperatur¬
steigerungen im Wochenbett weniger günstige Resultate als ausschlie߬
lich äußere Verfahren. Die Infektion erfolgt durch Eigenkeime, indem
beim Einführen des Fingers, der vorderen Rektalwand entlang, durch
den Druck, der auf das Vaginalrohr ausgeübt wird und sich sukzessive
von unten nach oben fortsetzt, das bakterienhaltige Sekret der untern
Partien nach den relativen keimfreien oberen Abschnitten gepreßt
wird. Bei der Abtastung des Muttermundes wird dann die hintere
Vaginalwand mit den daran haftenden Sekretmassen in den Zcrvikal-
kanal eingestülpt. Die Infektion mit den gefährlicheren exogenen Keimen
wird durch die rektale Untersuchung vermieden.
A. Aschkinasi-Swatikowa, Zur Frage der Therapie der Jungen*
erkrankungen mit heterogenen EiweiBstoffen. Arch f. klin. u. exper.M.
Moskau-Petersburg Nr. 1, März 1922. Aschkinasi-Swatikowa sab
gute Erfolge bei der parenteralen Anwendung von Milch bei Augen¬
erkrankungen (228 Fälle). Besonders gut waren die Resultate bei
Iritiden infolge von Rüclcfallfieber. 100 Fälle mit 92 Heilerfolgen in
halb so kurzer Zeit als bei anderer Therapie. Auf Hornhauttrübungen
hat die Laktotherapie einen guten Einfluß, namentlich bei Trübungen
infolge von Rekurrens (12:16). Sehr gute Dienste leistet die Therapie
bei Ulkus (23:28). Wertvoll ist der schmerzstillende Einfluß bei
spezifischer parenchymatöser Keratitis.
N. G. Javine (J. Am. Med. Ass. 1921 Nr. 21) berichtet über US Fälle
von Syphilis, die er 5 Jahre nach der Infektion genau nntersneheo
konnte. Die Behandlung bestand aus abwechselnden Serien von Sal-
varsan und Quecksilbereinspritzungen mit dazwischenliegenden Jod¬
kuren und war die vielfach übliche chronisch-intermittierende. Die
besten Erfolge wurden erzielt, wenn die Behandlung möglichst früh¬
zeitig einsetzte, selbst eine im allgemeinen für ungenügend gehaltene
Behandlung erzielt dann oft Dauererfolge. Es ist also vor allem darauf zu
sehen, daß schon beim ersten Verdacht und gleich beim ersten Besuch die
richtige Diagnose gestellt und eine energische Behandlung eingeleitel wird.
Neave Kingsbury (Lancet 1921 15. X) hat vergleichende Unter¬
suchungen über die Zuverlässigkeit der Formalin- und der Sachs-
Georgi-Reaktion bei Syphilis angestellt Die von Gald und Papa-
costas gefundene Reaktion, bei der dem Serum (0,25 ccm) 1 Tropfen
Formalin zugefügt wird, wodurch das Serum der Syphilitischen ge¬
rinnen soll, ist ganz unzuverlässig; die Sachs-Georgi-Reaktion dagegen
ist, abgesehen von der Bestimmung, ob es zu einer Ausflockung
überhaupt gekommen ist leichter anzustellen als die Wassermannsche
Probe; eine deutliche Flockung spricht sicher für Syphilis, eine sehr
schwache ist dagegen verdächtig, da auch gewisse negative Sera ganz
schwache Flockung zeigen können. C. Suffern (Lancet 1921 26. XI.)
hält die Formalinprobe für durchaus zuverlässig und erwähnt daß
Mackenzie (Brit. med. Journ. 1921 (I] 854) in 100°j 0 der Fälle eine
ebereinstimmung mit der Wassermannschen Probe feststellen konnte.
M. B. Parounagian (J. Am. Med. Ass. 1921 Nr. 22) hat „ameri¬
kanisches“ (d. h. durch Patentraub hergestelltes) Silbersatvsr«ai
bei 756 Kranken und in 4920 Einspritzungen verwendet und über¬
raschend selten und auch dann nur ganz unbedeutende Nebenwirkungen
erlebt. Argyrie trat nie auf, wohl aber wird ein eigenartiges, dunkel-
rotes, perifollikuläres Hautexanthem mit dem Silbersalvarsan in Ver¬
bindung gebracht. Sonst vertrugen selbst Kranke, die gegen andere
Arsenpräparate intolerant waren, das Silbersalvarsan auffallend gut;
es wurde 0,15 als Anfangsdosis und später 0,2 bis 0,25, im ganzen
1,55 gegeben, doch glaubt Verfasser, daß man auch etwas größere
Mengen unbedenklich anwenden kann. Die Erfolge waren sehr gut,
die Krankheitserscheinungen verschwanden rascher als bei anderen
Arsenpräparaten und das Serum wurde gut beeinflußt. Am besten ist
es, gleichzeitig Quecksilberkuren vorzunehmen.
Digitlzed by Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
VEREINS- UND KONGRESSBERICHTE
Redigiert von Ofaer-Reg.-Med.-Rat Pr. O. Strauß.
Berlin, Medizinische Gesellschaft, IO.V. 1922.
Vor der Tagesordnung demonstriert Buschke die biologische
Wirkung des Thalliums an Ratten. Es tritt ein starker Haarausfall und
Katarakt auf. Bei jungen Tieren wird das Wachstum eingeschränkt
und hört schließlich ganz auf. Der Geschlechtstrieb wird.aufgehoben.
Pathologisch-anatomisch finden sich Veränderungen in allen endo¬
krinen Drusen.
Besprechung. Kraus weist darauf hin, daß das Gegenstück
der Hirsutismus ist, der auf einer adenomatösen Veränderung der
Nebennierenrinde beruht.
Rosenberger fragt, ob auch die Hypophyse untersucht wor¬
den ist.
Buschke (Schlußwort): Die Hypophyse wird wie alle anderen
endokrinen Drüsen genau untersucht werden.
Paderstein demonstriert einen frischen Fall von Schwimmbad-
koojonktlvitis.
Tagesordnung. Fortsetzung des Vortrages von Dührssen:
Oie neue Geburtshilfe und ihr Verhältnis zum Staate und zur Bevölke-
rongspolltik. Durch die verschiedenen Dilatationsmethoden von
Dührssen gelingt es, den Geburtskanal von Primiparen so zu er¬
weitern, daß er dem von Mehrgebärenden entspricht. Die Methoden
werden ausführlich besprochen. Das enge Becken spielt bei den
Todesfällen eine viel geringere Rolle als die Enge der Weichteile.
Bei Anwendung seiner Methoden könnten demnach viele 1000 Kinder
gerettet werden. Der ventrale Kaiserschnitt wird in diesen Fällen
durch die Methoden überflüssig gemacht — Jede Geburt sollte in
der Klinik stattfinden, eventuell könnten die Wöchnerinnen 2 Tage
nach der Geburt in ihre Wohnung zurücktransportiert werden.
J. F. S. Esser: Ueber Arterienlappen, Epitheleinlagen, verschlie߬
baren Anus praeternaturalis, Reserveknorpel in der struktiven
Chirurgie. Die Hautlappen werden entsprechend dem Stromgebiet
der Gefäße geschnitten, wobei der gute venöse und Lymphabfluß
noch wichtiger ist als der arterielle Schenkel. Diese Auffassung wird
eingehend begründet. Der Stiel, in dem die Gefäße verlaufen, soll
möglichst schmal sein, damit er gut gedreht werden kann. Nur eine
dünne Bindegewebsschicht muß die Gefäße umgeben. Der Lappen
kann dann bei der Ausheilung kranker Hautabschnitte mitwirken. —
Zwecks Epitheleinlagerung wird ein Abdruck von der Wandfläche
genommen, der Abdruck mit Thierschschem Epithellappen umwickelt,
in die Wunde eingelagert und die Haut darüber unter Spannung ver¬
näht. Diese Methode ist im Ausland weitgehend anerkannt. An¬
schließend werden zahlreiche Photographien und Patienten gezeigt,
die den Erfolg der Methoden demonstrieren. Dresel.
Berlin, Verein fOr Innere Medizin und Kinderheilkunde,
20. II. und 6. III. 1922.
Offizielle, Protokoll.
(20.11.) Vorsitzender: Kraus. Schriftführer: Jürgens.
V. Schilling: Einige fiberzengende Beispiele von praktischer
Blntbildverwertaog. (S. 764.)
P. Lazarus: Radiothorium. (Vgl. Nr. 14/15.)
(6. III.) Vorsitzender: Fürbringer. Schriftführer: H. Brugsch.
Lu barsch: Demonstration im Anschluß an den von Oudzent vorgetra-
B men Pall vonTuberkulose mit leukämischem Bl u i befund (vgl. Nr. 12 S.405).
aich verhindert war, der Sitzung am lö.I.beizuwohnen, möchte ich etwas
ausführlicher meine Ansicht über den Fall vom allgemein-pathologi¬
schen Standpunkt darlegen. Der Fall war, weil bei einer in meinem
Institut vorgenommenen bakteriologischen Blutuntersuchung in einem
von 10 Röhrchen der Streptococcus viridans gefunden worden war,
als Endocarditis lenta gedeutet worden und kam mit dieser Diagnose
•auch auf den Sektionstisch. Freilich war ein abnormer Blutbefund
bereits in der letzten Zeit festgestellt worden — bis 17000 weiße Blut¬
zellen, wovon 62% als Myeloblasten angesehen wurden. Die Sektion
ergab einen unerwarteten Befund: keine Endokarditis; dagegen eine
ausgesprochene chronische Allgemeintuberkulose mit besonders starker
Beteiligung der Lymphknoten der Bauch- und Brusthöhle und der Milz.
Mit Ausnahme des Knochenmarks, das im Oberschenkel weich und
von grauer bis graurötlicher Farbe war, kein für Leukämie sprechen¬
der anatomischer Befund. — Ein Zweifel darüber, daß es sich um
typische Allgemeintuberkulose handelte bei dem 18jährigen Jüngling,
konnte überhaupt nicht bestehen, und ein Impfversuch an Meer-
schweinchen wurde nur deswegen vorgenommen, weil das Aussehen
der tuberkulösen Herde in den Lungen etwas abweichend war und
deswegen die Möglichkeit in Betracht gezogen wurde, daß es sich um
eine Typ. bovinus-Infektion handeln könne. Der Versuch ergab jedoch
bei dem nach 6 Wochen gestorbenen Tier die Anwesenheit von Typ.
humanus. Daß einige der Lymphknoten, besonders der stärker
verkästen, einen etwas grünlichen Farbenton darboten, wurde als
nichts Besonderes angesehen, da das oft genug in käsigen Herden
beobachtet wird. Es ist auch kein Zweifel, daß die in der letzten
Sitzung von Schilling geäußerte Auffassung, daß es sich um eine
sogenannte Chloroleukämie handle, nicht zutrifft Ganz abgesehen
davon, daß cs überhaupt nicht zweckmäßig erscheint wegen der wenig
beständigen und nicht auf Anwesenheit eines besonderen Farbstoffs, son¬
dern lediglich auf physikalischen Verhältnissen beruhenden Grünfärbung
eine besondere Gruppe von Leukämien abzutrennen, ist die sogenannte
Chloroleukämie ausgezeichnet durch eine rein leukämische Erkrankung
der Lymphknoten, die hier fehlte, sondern meist rein tuberkulös war.
Wenn in einem Lymphknoten, den Schilling untersucht hat, reichlich
oxydasehaltige Zellen vorhanden gewesen sind, was in den von mir
untersuchten nicht der Fall war, so berechtigt dieser Befund noch
längst nicht zur Diagnose der Chloroleukämie. Daß im übrigen der
Blutbefund ein besonderer und dem leukämischen ähnlicher war, ist
ohne weiteres zugegeben. Freilich decken sich meine Befunde nicht
mit denen Schillings, der sowohl im Knochenmark, wie in Milz,
Lymphknoten und Leber reichlich oxydasehaltige Zellen gefunden hat,
die er, wie es scheint, ausnahmslos für Myeloblasten halt, ln neuen
Präparat&n war eine reichliche Ansammlung von oxydasehaltigen Zellen
nur in den Leberkapillaren vorhanden, im interlobulären Gewebe
fehlten sie, wie überhaupt Zellinfiltrate, in der Milz waren sie in ge¬
ringer Zahl, ebenso wie im Knochmark, das daneben Pleurazellen und
Lymphozyten enthielt. Auch nach den klinischen Angaben war der
Fall ja so abweichend von einer Leukämie — ganz besonders hoch¬
gradige Abnahme der roten Blutkörperchen bis 180000 in Kubik¬
zentimeter und durchschnittliche Vermehrung der Leukozyten bis nur
durchschnittlich 13500 —, daß man dem Fall nicht gerecht wird, wenn
man ihn schlechthin als eine Myeloblastenleukämie bezeichnet und
eine zufällige Kombination von Tuberkulose und Leukämie annimmt.—
Ich bin vielmehr der Meinung, daß es sich hier um eine eigenartige,
durch die chronische Allgemeintuberkulose herbeigeführte, schwere
Schädigung des hämatopoetischen Apparats handelt, die zu einer leuk¬
ämieähnlichen Veränderung des Blutes geführt hat, die man vom
Standpunkt des Hämatologen vielleicht als Leukämie bezeichnen mag,
die aber vom allgemeinpathologischen Standpunkt ebensowenig
schlechthin als Leukämie bezeichnet werden sollte, wie man die
durch Bothriozephalus oder Karzinose bewirkte schwere Anämie als
„perniziöse Anämie" bezeichnet. Ich begründe diese Anschauung
damit, daß derartige leukämieähnliche Veränderungen bei chronischer
Allgemeintuberkulose, besonders Jugendlicher, gar nicht so selten Vor¬
kommen, wenn auch höchstens ausnahmsweise in so hohem Maße,
wie in vorliegendem Falle. Ich habe erst in den letzten Tagen
wieder einen Fall seziert, der 10 Jahre in genauer ärztlicher
Beobachtung stand, wo der Blutbefund — 2—2,5 Millionen rote
Blutkörperchen, 5000 weiße mit 15°/ 0 Myelozyten — fast durch die
§ anze Zeit ein ständiger, gleichartiger war und bei der Sektion
es schließlich an akuter allgemeiner Miliartuberkulose zugrundege¬
gangenen Mannes sich eine chronische Allgemeintuberkulose Tand, und
sowohl Milz, wie Knochenmark und Leber großartige Veränderungen
zeigten, die in einer ungewöhnlich starken Zunahme der Megakaryozyten
und Myelozyten in den vorgenannten Organen bestanden. Ebenso
fand ich in einem Fall von Krebs mit Knochenmetastasen, bei dem auch
während des Lebens die Zahl der Myelozyten- und Myeloblasten bis
auf über 2 9°j 0 gewesen war, in den blutbereitenden Organen Verän¬
derungen, die denen bei der myeloischen Leukämie ähneln. — Es scheint
mir wichtig, gerade solche Fälle zu sammeln und unter denselben
Gesichtspunkten als „sekundäre Myelosen und Myeloblastosen" abzu¬
sondern, wie man die sekundären fortschreitenden Anämien von den
kryptogenetischen (sogenannten „idiopathischen") schon getrennt hat.
Besprechung. Victor Schilling zeigt an Diapositiven die
vollkommene myeloblastische Umwandlung des Knochenmarkes, der
Milzpulpa und myeloblastische Herde in den Leberkapillargebieten
des fraglichen Falles. Auch die Drüsen enthielten in der Kapsel
Myeloblasten. Am frischen Material, Tupfpräparaten und Gefrier-
sennitten, waren alle diese Zellen, besonders auch die Milz, bis auf
die verkleinerten und verminderten Follikel stark oxydasepositiv. Die
Oxydase-Reaktion war im Pathologischen Institut am Paraffinschnitt
sogar im Knochenmark negativ ausgefallen, war also mißlungen.
Der Blutausstrich zeigte bei Lebzeiten 12—20000 Leukozyten und bis
zu 62o/o Myeloblasten, bis über 90o/o myeloische Zellen insgesamt. Es
bestand schwerste Anämie von zuletzt 700000 Erythrozyten, ver¬
minderter Hb-Index und thrombopenisdie hämorrhagische Diathese.
Sämtliche Befunde lassen keinen Zweifel, daß der Fall, unbeschadet
der gleichzeitigen Tuberkulose, als Myeloblastenleukämie zu
bezeichnen ist; die Veränderungen gehen sehr weit über die stärksten
„infektiösen“ Blutbilder hinaus und sind mit den Befunden bei Knochen¬
marksinfektion und Karzinose des Markes hämatologisch nicht zu
vergleichen.
Westenhöfer erklärt das Referat über seine Diskussionsbemer¬
kungen in der Klin. Wschr., auf das sich Lu barsch beruft, für falsch
und verweist deshalb auf das Protokoll der Sitzung in der D. m. W.,
dem er nichts hinzuzufügen habe. Was die grüne Farbe bei den
Chloromen und Chloroleukämien angeht, so kann er sie nicht deswegen
für etwas Gleichgültiges halten, weil wir nichts über ihre Entstehung
wissen. Sicher ist es keine echte Farbe, d. h. Pigment, sondern eine
Interferenzerscheinung, die natürlich mit dem Protoplasma der Zelle
etwas zu tun hat und nicht etwa nur von der Dichte abhängt, in der
das Material liegt Schützt man das Material vor Licht und Lun, kann
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSITV
788
VEREINS- UND KONGRESSBERICHTE
Nr. 23
man die Farbe lange Zeit erhalten, wie er es z. B. durch Aufbewahrung
des Materials in einem Esbach-Rönrchen in seiner Holzhülse vor vielen
Janren gemacht hat. Westenhöf er vergleicht das Verschwinden
dieser haroenerscheinung etwa mit dem Aurtreten von Säurespuren in
reinem ulyzenn unter der Einwirkung von Sonnenlicht, eine 1 atsache,
die Neuberg auf Westenhöfers Veranlassung vor langer Zeit fest¬
gestellt hat
Lubarsch (Schlußwort): Die Unterschiede in den Befunden von
Schilling und mir beruhen sicher zum Teil auf der verschiedenen
Methode. Schilling benutzt ausschliehlich die ursprüngliche Schultze¬
sche oder v. üierckes Metnode, während ich die von meinem früheren
Assistenten Dr. Loele ausgearoeitete benutze, die nach meiner Mei¬
nung klarere und eindeutigere Bilder gibt. — Die Hauptsache ist
aber, daß ich nach wie vor daran festhalte, daß es sich in dem Falle
nicht um eine typische Leukämie gehandelt hat, auch wenn das
Blutbild diese Deutung gestattet — Westenhöfer gegenüber möchte
ich bemerken, daß icn nochmals unterstreiche, dab die grüne Farbe
der Chlorome nicht etwas Spezifisches ist und nicht auf Ablagerung
eines besonderen Farbstoffs oeruht Das ist trotz der Untersucuungen
von Ernst und Kossel durch die Ergebnisse der auf meine Veran¬
lassung vorgenommenen von Brahn gesichert.
Besprechung zu dem Vortrag von Schilling: Einige überzeu¬
gende Beispiele von praktischer Bin iDild Verwertung.
Stahl (a.G.): Demonstration von Blutbefunden bei drei Fällen
chirurgischer Erkrankungen, bet denen der Blutbefund von ausschlag¬
gebender Bedeutung war in einem Fall für die Verieinerung der Dia¬
gnose, in emem anderen für die Ditferentialidiagnose, im dritten für
die Prognose. (Material der Chirurgischen Klinik der Charite.)
O. Strauß: Strahlenbehandlung des Krebses. (Vgl. Nr. 12 S. 385
und Nr. 13 S. 416.)
XXXIV. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Innere
Medizin, Wiesbaden, 24.-27. IV. 1922.
Referent: Dr. Dresel,
Assistent der 11. Medizinischen Klinik der Charite (Berlin).
(Fortsetzung aus Nr. 22.)
Zweiter Verhandlungstag.
Trendelenburg (Rostock): Pharmakologische Grundlagen der
Sympathikotonicprulung. Die Erregbarkeit des peripherischen Organes,
die zum Feil den Etiekt der sympathischen Wirkung bedingt, ist
nicht zu dem Tonus in den sympathischen Nerven zu rechnen. Aen-
derungen im sympathischen Fonus können durch Aenderungen der
zentralen Erregbarkeit usw. bedingt sein. Ueber die Ganglienstationen
ist klinisch nients bekannt. Eigentlich müßte getrennt die peripheri¬
sche und die zentrale Erregbarkeit und die Größe der von den
Zentren ausgesandten Impulse gemessen werden. Wir kennen Sub¬
stanzen, die die Zentren des sympatnischen Systems erregen, aber
die Wirkung ist nicht spezifisch und daher ist die Verwendung für
klinische Zwecke nicht geeignet. Für das parasympathische System
ist es möglich, durch Atropin die Größe der von den Zentren aus¬
gesandten Impulse zu messen. Die Dauer der Atropinwirkung gibt
keine genauen Anhaltspunkte, da es verschieden scuftell zerstört
wird. Das sympathische System könnte mau durch Apokodein und
durch Ergotoxin blockieren. Apokodein ist nicht spezifisch, auch
Ergotoxin ist nicht das Atropin des Sympathikus, da es nur die
sympathisch fördernden Nerven lähmt. Die peripherische Reizung
des sympathischen Nervensystems ist mit Adrenalin möglich. Adre¬
nalin ist streng spezifisch, da es entwicklungsgeschichtnch als ver¬
flüssigte postganglionäre sympathische Faser betrachtet werden muß.
Durcn kleinste Dosen Adrenalin kann man bei Fleischfressern eine
Gefäßerweiterung beobachten. Worauf dies beruht, steht noch nicht
fest. Diese Wirkung läßt sich durch Atropin nicht aufheben. Man
kann mit Adrenalin exakte Reizdosen setzen, insbesondere wenn es
gelingt, eine konstante Konzentration im artenelleu Blute zu erreichen.
Die subkutane Injektion ist deshalb nicht zu empfehlen, weil die
Resorption sicher sehr verschieden ist und durch die verschiedensten
Dinge beeinflußt wird. Durch intravenöses Einlaufenlassen von
Adrenalinlösung kann man eine regelmäßige Wirkung erzielen. Zum
Schluß bespricht Referent die Möglichkeiten, die Endorgane der
parasympathischen Nerven zu reizen. Das Pilokarpin ist nicht so
gut wie das Adrenalin. Die Derivate des Cholins sind noch nicht
genau genug klinisch und pharmakologisch untersucht.
Frank, Nothmann und Hirsch-Kauffmann (Breslau): Ueber
die parasympathikotonische Innervation der quergestreiften Muskulatur
des Säugetieres und ihre humoral-bormonaie Nachahmung durch Azetyl-
cholio und uuanidin. Frank hat vor 2 Jahren eine dreifache Innervation
der quergestreiften Muskulatur gefordert, ohne zu wissen, daß B o e c k e
schon vorher zu denselben Resultaten gekommen war. Der Para¬
sympathikus steigert, der Sympathikus setzt den Tonus in der Musku¬
latur herab. Durch Azetylcholin lassen sich tonische Kontraktionen
nach Durchtrennung der motorischen Innervation erzielen. Diese Wir¬
kung läßt sich durch Atropin unterdrücken. Adrenalin hemmt, ebenso
Novokain. Das Guanidin entspricht etwa dem Azetylcholin. Der
Tonusnerv wird durch die spinalmotorische Innervation gehemmt.
Schreiber und Platz (Magdeburg): Nach Pilokarpin beobachtet
man nach intravenöser und subkutaner Injektion verschiedene Wir¬
kungen, die auf verschiedene Resorption zurückgeführt werden. Nach
Adrenalin ist das Gleiche der Fall. Nach intravenöser Injektion treten
oft starke Wirkungen ein, die bei subkutaner Injektion vermißt werden.
Nach kleinen Dosen Atropin sient man eine Vaguserregung. Die
subkutane Prüfung wird daher verworfen.
Biliigheimer (Frankfurt a. M.): Einfluß der Ernährung anf Funk¬
tionen des vegetativen Nervensystems. Kohienhydratreiche und eiwei߬
reiche Ernährung haben Einfluß auf die Aarenalinblutzucker- und
Adrenalinblutdrucxkurve. Eiweißreiche Kost hat einen höheren An¬
stieg des Blutdruckes zur Folge, kohlenhydratreiche höheren Anstieg
der Blutzuckerkurve.
Schottmüller (Hamburg-Eppendorf): Zur Behandlung der Zystitis
und Zystupyelitis. 100 ccm einer 2 u / 0 igen Arg ent nitr.-Lösung werden
in die Blase eingespritzt und dort 5 Minuten belassen. Es folgt eine
Spülung mit steriler physiologischer Kochsalzlösung. Sehr empfind¬
liche Kranke haben Morphium nötig. Schon nacn 2 Tagen zeigt
sich auch bei ambulanter Behandlung ein Erfolg, manchmal ist dann
schon Heilung eingetreten. 3—5 Spulungen genügen meist, nur die
wenigsten Kranken reagieren nicht auf diese Benandlung. Auch das
Nierenbecken kann mit der 2«/oigen Lösung gespült werden, doch
heilt die Pyelitis meist auch nach der Desinfektion der Blase allein.
Straub (Greifswald): Jahresschwankungen der Atmungsregnlation.
Das Verhalten der Konlensaurebindungskurve wurde bei versemedeoen
Personen fortlaufend geprüft. Es zeigte sich, daß deutliche Jahres¬
schwankungen vorhanden sind. Die Komensäurespannung der Alveolar¬
luft ändert sich gleichsinnig, doch folgt sie nicht bei allen Personen
gleichmäßig stark der Aenuerung der Kohlensäurebindungskurve.
Le Blanc: Gasanalytiscne Untersuchungen des Blutes hei Zyanose.
Bestimmungen der arteriellen Sauerstoff- und Kohlensäurewerte nach
der Barcroftsehen Methode. Untersucht wurden in dieser Weise
krankhafte Zustände der Atmungsorgane aller Art mit und ohne
Zyanose. Maßgebend für das Auitreten einer Zyanose ist die Dicke
der kapillären Blutschicht. An reduziertem Hämoglobin reiches
Blut erscheint bei normaler Kapillarweite noch rot. Bei Zunahme des
kapillären Querschnittes erscheint auch an reduziertem Hämoglobin
armes Blut schon blau. Ein Rückschluß aus dem Auftreten der
Zyanose auf die Größe der Störung des respiratorischen Gaswechsels
durch den krankhaften Zustand der Atmungsorgane ist nicht ohne
weiteres möglich. Sie ist ein Zeichen der Scnädigung von Herz oder
Vasomotoren.
Beckmann (Greifswald): Ueber das Säure-Blasengleicbge wicht
hei experimentellen Nierenveränderungen. Im Tierexperiment zeigt
sich, bei Verkleinerung der Nieren bis auf Vs des Gewebes einer
Niere, eine völlige Abnängigkeit des Säure-Blasengleichgewichts von
der Ausscheidungsfähigkeit der Niere. Bei Nierenveränaerungen, die
durch Gifte oder tiakterientoxine hervorgerufen sind, kommt zu
dieser renalen Störung noch eine endogene Säurebildung hinzu, die
durch primäre üiftwirkung auf die Gewebe bedingt ist.
Veil (München): Marnazidität und CÜ S - Spannung im arterielles
Blote. CÖ 8 -Spannung der Alveolarluft und Harnazidität wurden ver¬
glichen. Die Mahlzeiten führen zu einer Alkalose, wenn nicht Ana¬
zidität besteht. Der Schlaf führt zur Alkaliurie und einem Anstieg
der C0 8 -Spannung. Digitalis hat einen Anstieg der Azidität des Harns
und einen Abfall der Kohlensäurespannung zur Folge.
Tallqvist (Helsingförs): Ist das hy poplas tische Merz einer kom
pensaturischen fiyperiruphie fähig? Unter normalen Verhältnissen
zeigen die Herzen von Hypoplastikern mit zunehmendem Alter immer
größere Abweichungen von dem normalen Gewicht. Es findet also
keine nennenswerte Entwicklung statt. Auch unter pathologischen
Verhältnissen, zum Beispiel bei Blutdrucksteigerung und Mitraltehiern,
bleibt die kompensatorische Vergrößerung häufig aus. Ob dies immer
der Fall ist, das müssen größere Untersuchungsreihen beweisen.
Koch (Köln): Oie Stromgeschwindigkeit des Blutes bei Gesunden
und Krankeu. Es wird eine tluoreszinhaltige Flüssigkeit in die Vena
cubit. eingespritzt und die Stromgeschwmdigkeit verfolgt Bei In¬
suffizienzen Verzögerung, ebenso bei Oedemen aufs Doppelte, des¬
gleichen bei Hypertonie. Bei der Anämie Beschleunigung über das
Doppelte der Norm, ebenso bei der Hyperglobulie und im Fieber.
Bei Pneumonie Verzögerung, bei Pleuritis Beschleunigung, bei Ik¬
terus und Diabetes Verzögerung ohne Veränderungen des Blutdrucks
und Herzens. Nach Adrenalininjektionen keine Verlangsamung. Eine
dynamische Insuffizienz des Kreislaufs wird durch dieses Fluoreszin-
verfahren offenkundig.
B. Kisch (Köln a. Rh.): Die Beeinflussung der Funktion der extra¬
kardialen tterznerven durch Aenderungen der Blutzirknlation im Gehirn.
Arterielle Blutdrucksteigerung und hierbei vorhandene Hyperämie der
Hirngefäße führt nicht nur zu Vagustonussteigerung, sondern auch
zu einer Akzeleranstonusherabsetzung. Hypämie der von den Karo¬
tiden versorgten Hirnteile führt zu Vagustonusherabsetzung und
Akzeleranstonussteigerung. So wirken Blutdrucksteigerung bei weg-
samen Hirngefäüen und Karotidenverschluß bezüglich der extra¬
kardialen Herznerven antagonistisch. Die beobachtete Steigerung der
Wirkung elektrischer Vagusreizung bei Hyperämie, ihre Herabsetzung
bei Hypämie des Gehirns am nomotop schlagenden Herzen werden
auf Grund dieser Beobachtungen verständlich.
Hering (Köln): Ueber neurogene ilemmnng heterotoper Reiz-
bildung im tlerzen. Durch Vagusreizung kann man heterotope Reiz¬
bildung hemmen. Eine andere Möglichkeit, dasselbe zu erreichen, ist
die Reizung des Depressors nach durch Karotideuverschiuß bedingtem,
auf erhöhtem Akzeleranstonus beruhendem Auftreten von Extra¬
systolen. Die Beziehungen zur Diagnose und Therapie werden be¬
sprochen.
Digitized b 1
Google
Original from
COR NELL UNJVER5JTY
9. Juni 1922
VEREINS- UND KONGRESSBERICHTE
789
H. Schäffcr (Breslau) [z. Z. Köln a. Rh.J: Der Nachweis des Herz-
moskeltottus aut elckiregraphischem Wege. Unter Benutzung eines
hochempfindlichen Saiteugaivanometers laßt sich zeigen, daß jedes
Herz beim Uebergang aus der Ruhe zur rhythmiscnen Schlagtolge
in einen Zustand tonischer Dauererregung gerät, der erst nach Aus¬
setzen der Kontraktionen ganz ahmanlicn spontan verschwindet, in
der elektrographischen Kurve kommt diese Dauererregung als nega¬
tive Dauerschwankung (im Gegensatz zum Aktionsstrom!) des Längs¬
querschnittsstromes aes Herzens zum Ausdruck.
Mobitz (München): Zur Frage der atrioventrikulären Automatic.
Häufiger als zu der extrem seltenen andauernden atrioventrikulären
Schlagtolge des Gesamtherzens führt eine gesteigerte Automatie des
Asctioftscnen Knotens zu eigenartigen Dissoziationen zwischen Vor¬
hof und Kammer. Zum Unterschied zu dem gewöhnlichen Herz¬
block schlägt hierbei die Kammer rascher als der Vorhof. Dies wird
an zahlreichen Beispielen demonstriert.
J.Citron (Berlin): Weitere elektrokardiographische Untersuchungen
bei Anwendung verschiedener Herzmittel. im Prinzip führen alle Herz¬
mittel der Digitalisgruppe zum Herzstillstand, im Elektrokardiogramm
machen sich jedoch Unterschiede in der Wirkung der einzelnen
Mittel geltend, wie an Beispielen auseinandergesetzt wird.
Klewitz (Königsberg): Beiträge sur Brnanruogsphysiologie des
iberlebenden Warmoiuiernerzens. Das überlebende Herz braucht
keinen Zucker zu verbrennen, und das runende Herz kann Zucker
verbrauchen. Dies beweist, daß das Herz in seiner Ernährung nicht
auf Kohlenhydrate angewiesen ist. Der N einer Nährflüssigkeit wird
im Herzen retiniert. Aminosäuren haben einen günstigen Einfluß auf
die Tätigkeit des Herzens. Bei stillstehendem Herzen wird kein
Stickstoft retiniert. Es wird angenommen, daß der Stickstoff zum
Aufbau der abgenutzten Gewebe verwandt wird.
Boden und Neukirch (Düsseldorf): Ueber die Wirkung von
Organe*trakten auf das isolierte Warmbiiiterhen. Es wurden Leber-,
Nieren-, Magen-, Pankreas- und Herzextrakt in ihrer Wirkung auf
die Tätigkeit des überlebenden Warmblüterherzens geprüft. Ins¬
besondere Herzextrakt hat eine starke fördernde Wirkung, deren Natur noch
unbekannt ist. Magenextrakt hemmt, wohl infolge seines Cholingehaltes.
E. Wiechmann (München): Zur Theorie aer Kalziumwirkung am
Herzen. Chinin, Chinidin und Arsen lähmen das isolierte Froschherz
in bestimmten Konzentrationen. Durch Kalzium wird das stillgestellte
Herz wieder zum Schlagen gebracht. Das Kalzium kann hierbei immer
nur durch die anderen Erdaikaiien, das Strontium und das Baryum
vertreten werden. Andere zweiwertige Kationen können die Herz-
lähmung nicht kompensieren. Danach ist offenbar die chemische
Natur des kompensierten Ions viel entscheidender als der physiko¬
chemische Charakter. Dementsprechend muß man auch annehmen,
daß die lähmende Wirkung des Chinidins, Chinins und Arsens auf
das Herz viel eher ein chemischer Vorgang als ein physiko-chemischer
ist. Auf das durch Chinidin gelähmte Herz üben die Digitaliskörper
eine ähnliche Wirkung wie das Kalzium aus. Das stillgestellte Herz
beginnt wieder zu scnlagen. Auf Grund der mitgeteuten Versuche
wird es sich für die Klinik empfehlen, wenn es einmal zur akuten
Herabsetzung der Kontraktionstähigkeit des Herzens durch Chinidin
kommen sollte, diese durch Digifoiin und Strophanthin zu beheben.
Solche Schädigungen lassen sicn fast immer vermeiden, wenn man
nur kompensierte Herzen mit Chinidin angeht. Wird der Kalium¬
gehalt der Ringerlösung um eine nicht wirxsame Menge erhöht, so
sind schon sonst sicher unterschwellige Chinindosen imstande, das
Froschherz zu lähmen. Da die Dämpfung einer extremen Hyper-
kinesie Endzweck jeder Chinidintherapie ist, ist damit die theoretische
Orundtage für die schon empfohlene Kombination der Chinidin¬
medikation mit einer Kalianreicherung des Organismus geliefert.
Weitz (Tübingen): Zur Aetioiogie der Hyperteosion. ln sehr
vielen Fällen findet sich in der Aszendenz ebenfalls Hypertension.
Es wird angenommen, daß es sich um eine endogene Schädigung
handelt, die dominant mendelnd vererbt wird.
E. Adler (Frankfurt a.M.): Klinische experimentelle Studien über
die üefättfnnktion bei Hypertensionen. Nach intravenöser Injektion
stark konzentrierter Traubenzuckerlösungen zeigte sich bei manchen
Formen von arteriellem Hochdruck eine längerdauernde Blut¬
verdünnung. Nach Wasserzufuhr war die Hydrämie länger zu beob¬
achten als nach Durst bzw. Wasserverlust durch Arbeit. Gelatine-
und Gummiarabikumzusatz zur Traubenzuckerlösung hatten keinen
Einfluß. Koffein, Jodkali, manchmal auch Thyreoglandol und Digi¬
talis verkürzen die Blutverwässerungszeit. Als Ursache für die lang¬
dauernde Hydrämie wird ein pathologischer Zustand der Serum-
kolloide bei Hypertonikern angenommen.
Besprechung. Heubner (Göttingen) macht einige Bemer¬
kungen zu der Wirkung des Physostigmins auf den Muskel.
Hering (Köln): Tonusänderungen und Erregbarkeitsänderungen
sind nicht dasselbe. Die Nomenklatur ist daher irreführend.
Borchardt (Königsberg): Die Schwierigkeiten bei der Prüfung
des vegetativen Nervensystems werden größer, wenn man indivi¬
duelle Momente berücksichtigt.
Freund (Heidelberg): Unspezifische Reizkörpertherapie hat
einen großen Einfluß auf die Wirkung der vegetativen Pharmaka.
Er nimmt an, daß Veränderungen des Blutes hierfür verantwortlich sind.
Knoop (Freiburg): Die leichte Zerstörbarkeit des Adrenalins ist
günstig für seine Verwendbarkeit zu den vegetativen Prüfungen. Diese
Zerstörbarkeit sollte als Postulat für alle diese Pharmaka erhoben werden.
Heß (Köln): Eine verminderte Resorption kann eine geringe
Reaktion auf Adrenalin Vortäuschen.
Bauer (Wien): Auch in der Klinik ist es bekannt, daß das
Adrenalin gefäßerweiternd wirken kann. In manchen Fällen kommt
es zu einer primären Hyperämie der Konjunktiva nach Adrenalin-
einträufelung. Häufig wurde diesbei ovarieller Hypoplasie beobachtet.
Högl er (Wien) macnt auf" die adrenalinännücne Wirkung des
venösen Hirudinplasmas aufmerksam.
Moog (Magdeburg): 1m gestauten Arm kontrahieren sich die
Kapillaren nach Adrenaiininjektion nicht. Massiert man die Injek¬
tionsstelle, so tritt eine andere Blutdruckkurve auf.
Heyer (München): Beim Studium der nervösen Phosphaturie
zeigte es sich, daß in tiefer Hypnose bei Anbringung eines schweren
psychischen Shoks eine vermenrte Phosphorausscheidung zu beob¬
achten ist
Wessely (Würzburg): Es gibt Ausnahmen von der Regel, daß
sympathische und parasympathische Fasern am selben Substrat an¬
greifen. Dies ist zum Beispiel bei der Iris der Fall. Es konnte die
Tätigkeit des Dilatators experimentell nachgewiesen werden.
Morawitz (Würzburg) warnt .vor .intravenöser Adrenaiininjektion.
Ebb ecke macht Bemerkungen über die gefäßerweiternde Wir¬
kung des Adrenalins.
Lichtwitz (Kiel): Man kann Adrenalin intravenös injizieren,
wenn man es stark verdünnt hat. Asthmatiker, die sich dauernd
Adrenalin injizieren, können schwere Schädigungen davontragen, ln
einem Falle sah er starke Verkalkung des Herzens.
Trendelenburg: Schlußwort.
Ellinger (Frankfurt a. M.): Zustandsänderungen von Serum-
kolloiden und ihre Bedeutung für den Fiussigkeitshaushalt des Men¬
schen. Je mehr Eiweiß in einem bestimmten Volumen vorhanden ist,
je weniger Wasser ist verfügbar. Die Viskositätsbestimmung ist keine
Eiweißbestimmung. Durch tonen wird der Quellungszustand des Ei¬
weißes geändert, ebenso auch durch organische Suostanzen. Koffein
bewirkt in einer Konzentration von 1: J200Ü—1:40UÜ ein Ansteigen
und dann ein starkes Absinken der Viskosität des Serums. Aehnliche
Vorgänge werden bei zahlreichen anderen Substanzen, wie Chloral-
hydrat, Strophanthin, Chinin usw., gefunden. Histamin und Adrenalin
wirken nach einem etwas anderen Typus. Morphium und Atropin
zeigen keinerlei Wirkung. Besonders frappant sind die Einflüsse ver¬
schiedener Schwermetalle in sehr großen Verdünnungen. Ebenso
Brom und Jod. Bei der Prüfung von Präparaten aus verschiedenen
Drüsen mit innerer Sekretion zeigte sich eine große Verschiedenheit
der einzelnen Präparate aus den verschiedenen Fabriken. Quellungs¬
steigernde Wirkung haben auch kleinste Mengen von Kobragift,
Diphtherie- und Tetanustoxin. Manche Sera zeigen derartige Reak¬
tionen nicht. Einer Herabsetzung der Viskosität um 5°/o entspricht
eine Eiweißänderung um 10<yo. Ein praktisches Interesse gewinnen
diese Beobachtungen dadurch, daß auch beim Menschen nach thera¬
peutischen Dosen die gleichen Verhältnisse gefunden wurden, wie sie
nach den Ergebnissen im Reagenzglas erwartet wurden. Novasurol
bewirkt die Diurese durch Abspaltung kleinster Hg-Mengen und eine
dadurch veranlaßte Verdünnung des Serums. Auch die Thyreoidea¬
diurese scheint in ähnlicher Weise zustande zu kommen. Man muß
nach den Untersuchungen zwei Arten von Diurese unterscheiden,
einmal die direkte Wirkung auf die Niere, dann die Eiweißzunahme
im Serum und die darauf erfolgende Anziehung von Wasser. Die
Indikationen können daher für die einzelnen Mittel genauer bestimmt
werden, doch muß man den Kolloidzustand des Serums hierzu fest¬
stellen. (Fortsetzung folgt.)
XIII. Tagung der Deutschen Röntgen-Gesellschaft,
Berlin, 23.-25. IV. 1922.
Berichterstatter: Dr. K. Imraelmann (Berlin).
I.
F. Groedel (Frankfurt a. M.) begrüßt als Vorsitzender die Teil¬
nehmer.
v. Bergmann (Frankfurt a. M.): Ueber die Funktion des operier¬
ten Magens im Röntgenbild. Die Erfahrung hat gelehrt, daß die
Gastroenterostomie, die wegen Ulkus vorgenommen wurde, häufig
nicht von dauerndem Erfolg begleitet ist. Man kann als fast sicher-
stehend annehmen, daß es sich um ein Ulcus pepticum jejuni handelt,
wenn man bei der Durchleuchtung findet, daß der Schmerzpunkt der
Gastroenterostomiestelle entspricht. Es ist ratsam, den ganzen Pylorus
zu entfernen, da dann erst die Beschwerden schwinden. Die Tatsache,
daß beim Fehlen der distalen Magenhälfte die Anfangsentleerung eine
sehr schnelle ist, ist lediglich Folge des Säuremangels, also ohne
diagnostische Bedeutung.
Goetze (Frankfurt a. M.).: Röntgenologische Untersuchungen am
gastroenterostomierten Magen haben erwiesen, daß die operierte Stelle
immer höher liegt, als bei der Operation angenommen wurde; bekannt
ist ferner, daß am operierten Magen oft sehr schwer zu erkennen ist,
welche Operation gemacht wurde. Am operierten Magen besteht der
systolische Austreibungstyp. Es ist Aufgabe des Chirurgen, möglichst
eine normale Magenform wiederherzustellen.
Lossen (Frankfurt a. M.) referierte über gatartige Tumorea des
Msgens im Röntgenbild. Bericht über einen Fall. Röntgenologischer
Befund: Gutartiger Tumor. Kreisrunder, wie ausgestanzter Defekt
regelrechter Tonus bei normaler Peristaltik, im Bild Gefühl des ballo-
tierenden Fremdkörpers, keine Symptome für Zerstörung der Magen-
muskulatur. Differentialdiagnose: Schleimhautpolyp, Äpillom oder
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
790
VEREINS- UND KONGRESSBERICHTE
Nr. 23
Fibrom röntgenologisch nicht zu stellen. Klinische Diagnose lautete:
Ca. ? Operation ergab kleinapfelgroBes Fibromyom. Ferner berichtete
Lossen über seine Röntgenbetrachtungen des Schicksals verschieden
großer Darmeingießungen: Eingießungen von 50—250 g bleiben durch¬
weg in Rektum und Ampulle liegen. (Geeignet für Medikamente, die
durch die Vena haemorrhoidalis dem Organismus zugeleitet werden
sollen.) Solche von 350—500 g füllen die unteren und auch die oberen
Dick darmteile an (Nährklistiere, Traubenzuckerklistiere usw.). Solche
von 1000g und mehr können eventuell die Bauhinische Klappe sprengen
(medikamentöse Beeinflussung des Dünndarms).
Krause und Käding (Bonn) haben, veranlaßt durch angebliche
Vergiftungsfälle, eine erneute Prüfung des Baryumsulfats als Kontrast«
mittel für Röntgeozwecke vorgenommen. Sie haben auf Grund einer
Anfrage an andere Kliniken und auf Grund eigener Erfahrungen eine
zufriedenstellende Statistik von 150000 Fällen erhalten. Die in der
Literatur angeführten Fälle waren auf Verwechslung mit ungereinigtem
Baryumsulfat zurückzuführen. Auf Veranlassung von Krause ist jetzt
das Baryum sulfuricum purissimum in das neue Arzneibuch 6. Auflage
aufgenommen. Baryumsulfat wird jetzt auch noch als Deckmittel bei
Bestrahlungen und von Lorey zur Anfertigung von Schutzwänden,
ferner als Decksalbe für die röntgenographische Darstellung der Finger¬
linien in der Kriminalistik verwendet.
Palugyay (Wien) setzte die Vorzüge der Untersuchung des unteren
Teils der Speiseröhre und der Kardia in Beckenhochlagerung gegen¬
über der im Stehen oder Rückenlage ausführlich auseinander und be¬
wies an Hand eines Falles die Möglichkeit der genauen Diagnose des
beginnenden Kardikarzinoms.
Gaß mann (Berlin) hat durch eine Methode, bei der mittels zweier
an den Rippenbogen anzubringender Bleimarken die Lage der Wirbel¬
säule fixiert wird, ermöglicht, bei Lagewechsel in die linke Seite die
Bewegung des Bulbus in Beziehung auf die Wirbelsäule genau zu
beobachten und durch Pausen festzuhalten. Aus dem Grade der Be¬
wegung können Sch lüsse auf die Ver wachsung des Py lorus gezogen werden.
Schlesinger und Gattner (Berlin) setzten an Hand von Röntgen¬
aufnahmen die Gründe dafür auseinander, daß die Qottsteinsche Sonde
hei Dehnuogsversocheu der Kardia, auch wenn man sie unter allen
erdenklichen Kautelen selbst vor dem Röntgenschirm einführt, dennoch
häufig ihren Zweck verfehlt
Kohl mann (Leipzig) sprach über gedeckte Perforationen des
Magens, die fast stets von einem Oeschwür ausgehen. Er erläuterte
das Zustandekommen verschiedenartiger Abszesse in den entsprechen¬
den Taschen: recht- und linkseitige interhepatodiaphragmatisene (sub¬
phrenische), perisplenische retrostomachale (in der Bursa omcntalis),
mterhepatostomachale und interhepatorenale Tasche. Es wird an
Diapositiven der Wert der Röntgenuntersuchung gezeigt, die oft für
eine frühzeitige, erfolgreiche Operation ausschlaggebend ist. Darauf
besprach Kohl mann noch zwei Fälle von Magen-Kolon-Fistel nach
Karzinom und einen dritten von Magen-Jejunum-Kolon-Fistel nach
Oastroenterostomia posterior.
E. Vogt (Tübingen) berichtet über den weiteren Ausbau der
Röntgendiagnostik für die Anatomie nnd die Physiologie der Neu¬
geborenen. Die röntgenologische Lebensprobe hat sich weiterhin
bewährt, nur nicht für Frühgeburten und Mißbildungen. Ueber das
Herz- und Gefäßsystem, sowie über die Lungenzeichnung brachte die
Injektion des Nabelschnurkreislaufs neue Aufschlüsse.
Lossen und Kirst (Frankfurt a. M.): Der Magen beim Fötus ver¬
läuft in derselben Weise wie beim Erwachsenen. Winkelform; Haken¬
form erst angedeutet. Die Syphonform wird erst intra vitam ausge¬
staltet, diese ist die physiologische Form, der auch in der modernen
Magenchirurgie Rechnung getragen wird.
Bucky und Fuld (Berlin) berichten über typische Bilder des Gas¬
gehaltes der Flexura dextra bei Adhäsionen zwischen Kolon, Duodenum
und Gallenblase (Cholezystitis); die Gasblase liegt etwa in der Mitte
zwischen Spina il. ant. sup. und Wirbelsäule. Der letztere wies in
einem anderen Vortrage auf die Wichtigkeit der Röntgenuntersuchung
in der Kriminalistik z. B. bei Fälschungen, Tötungen durch Schuß,
Rekognoszierungen aufgefundener Leichenteile usw. hin.
Seine Erfahrungen mit der Pneumoradiographie des Nierenlagers
nachRosenstein schilderte Ziegler (Berlin). Er besprach die Technik
des Verfahrens. Abgrenzung gegen die bisherigen Methoden der
Darstellung der Niere. Wert des Verfahrens für die Durchleuchtung.
Aufstellung von Indikationen.
Teschendorf (Königsberg i. P.) gab eine kurze Demonstration
des Röntgenbiides eines riesigen zystischen Lebertumors nach Anlegung
eines Pneumoperitoneums, bei dem sich Echinokokkus klinisch mit
größter Wahrscheinlichkeit ausschließen ließ, nebst technischer Be¬
merkung zur Anlegung eines Pneumoperitoneums mittels Stickoxydul.
Die Sonntagnachmittagsitzung eröftnete auf Einladung der Deutschen
Röntgen-Gesellschaft Otten (Magdeburg) mit einem Vortrag: Zur Dia¬
gnose der Lungengeschwulste. Die früher allgemein geltende, auch in
jüngster Zeit noch vielfach vertretene Anschauung, daß primäre Ge¬
schwülste im Bereich der Lungen ein seltenes Vorkommnis seien, ist
nach den Erfahrungen der letzten 10 Jahre nicht mehr aufrechtzuerhalten.
Daraus ergibt sich auch für den Kliniker die Notwendigkeit, dem
Vorkommen dieser Geschwülste mehr Aufmerksamkeit als bisher zu
widmen und ihre Erkennung am Lebenden möglichst frühzeitig
und sicher zu erstreben. Otten verfügt heute über ein eigenes Beob¬
achtungsmaterial von insgesamt 74 Fällen, darunter 64 primäre Karzi¬
nome und 2 Sarkome, sowie 3 metastatische Lungentumoren. Auf
Grund dieses Materials und unter Berücksichtigung der in der Literatur
niedergelegten Erfahrungen gibt Otten in kurzen Umrissen zunächst
eine eingehende Beschreibung der für primäre Karzinome typischen
Röntgenbefunde unter Vorführung einer großen Zahl einschlägiger
Lichtbilder. Es werden zwei Haupttypen unterschieden, die uns mit
großer Regelmäßigkeit im Röntgenbilde entgegentreten. 1. Die Lappen,
tümoren, die in der überwiegenden Mehrzahl einen Oberlappen, in
selteneren Fällen einen Unterlappen oder mehrere Lungenlappen um«
fassen. 2. Die im Röntgenbild vom Hilus ausgehenden, meist ein-
seitig, seltener doppelseitig sich in das Lungenfeld ausbreitenden
Geschwülste. Wie bei den primären Karzinomen liefert die Röntgen*
Untersuchung auch bei den metastatischen Lungengeschwülsten
sehr charakteristische Bilder. Man kann dabei die solitäre und die
multiple, groß- oder kleinknotige Form der Schattenbildung
unterscheiden. Gewöhnlich sind die Herdschatten peripherisch in den
Unterlappen, seltener nahe dem Hilus oder auf der Zwerchfellkuppe
^ en, meist doppelseitig. Daran schließt Otten eine ausführliche
echung der Differentialdiagnose, wobei Erkrankungen er¬
örtert werden, die auf der Röntgenplatte den Tumoren ähnliche oder
fast gleichartige Bilder hervorrufen.
Kohlmann (Leipzig) führte zur Frage des Lungenhifarktes aus,
daß er im Röntgenbild deutlich erkennbar ist, wenn er im mittleren
Lungenfelde gelegen, randständig und noch ziemlich frisch ist; er zeichnet
sich oft in scharf abgegrenzter Dreiecksform oder in mehr rundlicher
Form ab. Er bevorzugt die mittleren und unteren Lungenpartien,
meistens zuerst der rechten Lunge. Technik muß sehr schonend sein,
Aufnahme im Bett. Nur zur Klärung der Diagnose, nicht bei klinisch
sicherer Diagnose. Differentialdiagnose: peripher beginnende Pneumonie,
randständiger tuberkulöser Käseherd; bei rundlicher Form: Echinokokkus
oder Tumor (Sarkom).
Kautz (Hamburg) berichtete über das Röntgenbild der Strepto-
trichose der Lungen, Lorey (Hamburg) über einen Fall von ebarak-
teristiseber Militartuberknlose, der nach 1*/* Jahren klinisch und
röntgenologisch ausgeheilt war; Herrn heiser (Prag) demonstrierte
zwei Fälle einer umschriebenen, im Sinns costomediasiinalis posterior
lokalisierten Schwarte, mir kurzer Besprechung der anatomischen
Verhältnisse der Symptomatologie und Diagnose.
Frik (Berlin) zur Deutung des Röntgenoildes im ersten schrlgea
Durchmesser: Kritik der in der deutschen Literatur allgemein verbreiteten
Beschreibung und Deutung des Schattens der großen Gefäße im ersten
schrägen Durchmesser. Mitteilung der neuesten in Deutschland kaum
bekannten Deutung von Vaquez und Bordet. Kritik der Bordet-
sehen Auffassung. Mitteilung der mit eigener Untersuchungstechnik
gewonnenen Ergebnisse, ihrer Deutung und Bedeutung für die Praxis.
Ko hl mann (Leipzig) teilte die differentialdiagnostischen Symptome
zwischen Pericardilis exsudativa und Pleuritis mediastioaiis anterior
und posterior bei der Röntgenuntersuchung mit, z. B. ist das Herz als
Kernschatten meistens bei der Pleuritis mediastinalis zu sehen, bei der
Perikarditis nicht Ferner ist die Pleuritis meist einseitig, die Perikar¬
ditis ist doppelseitig. Bei zweifelhaften Fällen kann zur Sicherung der
Diagnose auch die Einblasung einer entsprechenden Menge Luft vor¬
genommen werden; bei Perikarditis zieht sich der Flüssigkeitspiegel
quer über den Herzmuskel hin, bei Pleuritis läßt er sich vom Herzen
abgrenzen.
Strä ter (Aachen) demonstrierte seltene Röntgenbefunde: Phleboliten,
Steinhauerlunge, Chondromatosis unilateralis et bilateralis, Osteogenesis
imperfecta, maligner Beckentumor.
Hintze (Berlin) hielt einen Vortrag über die pathologischen
Formen der Verknöcberungslücken an den Verschlußbögen der Wirbel.
Normales Durchgangsstadium der kindlichen Entwicklung, als Variation
auch bei Erwachsenen; sie haben pathologische Bedeutung, wenn Bruch
des Rückenmarks oder der Rückenmarkshäute besteht, oder wenn aus
anderen klinischen Merkmalen auf eine Entwicklungsstörung in der
Lumbosakralgegend hingewiesen wird; sie zeigen dann meist eine
Verschlußform, wie sie normal nicht vorkommt, bisweilen allerdings
kann die Verknöcherungslinie nicht als Beweismittel herangezogen werden.
Haenisch (Hamburg) weist nach, daß die Differentialdiagnose
zwischen Ostitis fibrosa und Sarkom röntgenologisch schwierig und
oft unmöglich ist. Nach Haenischs Ansicht besteht die Gefahr, daß
diese Fälle nach beiden Richtungen verwechselt werden können.
Lossen und Kirst (Frankfurt a. M.) halten den Vorschlag, die
Röntgen Photographie als Lebensprobe zum Nachweis des Longen*
luftrehaltes von Neugeborenen heranzuziehen, nicht für angängig. Be¬
sonders bei Frühgeburten sind die Ergebnisse mit Vorsicht zu verwerten.
Munk (Berlin) demonstrierte Röntgenbilder mit Merkmalen zur
Diffenzierung der verschiedenen chronischen Gelenkerkrankungen:
1. Arthritis exsudativa, 2. genuine Arthritis sicca, 3. Arthritis auf
tuberkulöser Basis, 4. öicht mit anatomischen histologischen Bildern
zur Erklärung der für die Gicht charakteristischen röntgenologischen
Befunde.
Eisler (Wien) zeigt Bilder eines Patienten mit posttraamitischer
Totaldekalzioation des Radius, der zwei Monate später den typischen
Befund der Ostitis deformans Paget aufwies, die im Laufe der nächsten
6 Jahre Fortschritte gemacht hat. Erklärung für die Entkalkung w
einer durch die anatomischen Verhältnisse des schon vorher bestandenen
Paget begünstigten Verletzung eines für die Ernährung des Knochens
wichtigen Nerven oder Blutgefäßes.
O. Strauß (Berlin-Charlottenbürg): Die röntgenologische Feststen*
barkeit der Staublunge. Die Anthrakose gibt wechselnden Röntgen¬
befund; ausgesprochen ist die Siderose, die mit Miliartuberkulose ver¬
wechselt werden kann. Bei Porzellanarbeitern in richtig geleiteten
Betrieben entsteht keine Staublunge, wohl aber bei Steinbrucharbeitern.
(2. Teil folgt).
VerantwortUcher Redakteur: Oeh.8an.-Rat Prot Dr.I Schwalbe — Druck von Oacer Brandstetter tu Lelpdc-
Digitized by
Original from
CORNELL UNIVERSITY
Deutsche Medizinische Wochenschrift
Begründet von Dr. Paul Börner
HERAUSGEBER: VERLAG:
Geh. San.-Rat Prof. Dr. Schwalbe GEORG THIEME/ LEIPZIG
Berlin-Charlottenburg, Schlüterstraße 53 Antonstraße 15
Nummer 24 Freitag, den 16. Juni 1922 48. Jahrgang
Aiis dem Pharmakologischen Institut der Universität in Freiburg i. B.
Ueber Digitalisstoffe und Digitalismedikameote 1 ).
Von Walther Straub.
Durchblättert man den Anzeigenteil unserer Wochenschriften, so
findet man mit Leichtigkeit ein Dutzend Anzeigen von neuen und
alten Herzmitteln der pharmakologischen Digitalisgruppe; der Kenner
merkt aus den geschraubten Textausführungen der Anzeigen, daß es
selbst den gewiegten Propagandachefs großer Firmen schwer fällt,
etwas Besonderes zu behaupten, und wenn man etwa von einer ganz
neuen Neuerung mitgeteilt bekommt, „um der modernen Therapie
Redmung zu tragen, haben wir unser Herztonikum dem Verkehr
übergeben“, so bewundert man die Resignation, die in solcher lako¬
nischen Kürze steckt.
Dem praktischen Arzt macht so etwas Beschwerden, er fühlt sich
hilflos so vielen Qualitäten gegenüber und möchte sich doch gerne
ein eigenes Urteil bilden, denn' seine Kranken sind verschiedenartig
und könnten wohl verschieden abgestimmte Mittel benötigen. Von
der pharmakologischen Wirkungsqualität der Digitalisstoffe ist mehr
als genug geschrieben worden, ich will diese Seite des Digitalis-
problems hier ganz übergehen und nur von chemischen Dingen han¬
deln, um so mehr, als gerade von dieser Seite allerlei Praktisches
sich ergeben hat.
Die Digitalisstoffe sind Olukoside, Zuckeräther, wie sie im
Pflanzenreich außerordentlich zahlreich Vorkommen, eine Unter¬
abteilung der Saponine, die man als technische Waschmittel aus¬
gedehnt verwendet. Als eine Spezies des Genus Saponin haben sie
alle noch mehr oder weniger Saponincharakter; zum Beispiel schäumen
ihre wäßrigen Lösungen sehr stark, und der Schaum ist sehr be¬
ständig. Im Schaum steckt mehr Saponin als in der Lösung, aus
der er entstanden ist, denn Saponine sind außerordentlich ober¬
flächenaktiv. Darum kann man auch mit ihnen waschen, denn sie
eben so gründlich an feste Oberflächen, daß sie unter den Schmutz
er Oberfläche kriechen und ihn so entfernbar machen.
Wenn sie mit der Oberfläche, auf der sie sitzen, chemisch
reagieren können, so verändern sie diese, und ist die Oberfläche eine
lebende Zelle, so wird diese gestört, meist getötet. Saponine sind
zytolytische Substanzen, sie lösen Blutkörperchen auf, im Magen
machen sie mindestens Appetitsstörungen, man denke an die saponin¬
haltigen Kriegsbiere; unter die Haut gespritzt, bewirken sie die
schwersten Abszesse und Nekrosen usw. Bringt man si» in ein
ausgeschnittenes überlebendes Herz, so töten Saponine auch dieses,
und zwar genau unter denselben Erscheinungen wie ein Digitalis¬
stoff, Schrumpfen des Herzens durch maximalen Tonus. Also ist
kein Unterschied zwischen Digitalisstoffen und Saponinen bezüglich
der Herzwirksamkeit im Prinzip, der Unterschied ist nur ein prak¬
tischer. Saponine sind nicht resorbierbar und nicht spezifisch, d. h.
herzfern appliziert, in den Magen vielleicht, laufen sie nicht auto¬
matisch zum Herzen, um erst dort unter Wirkung liegen zu bleiben,
sondern sie stecken eben schon vorher überall fest und kommen
nicht weiter. Also kann man auch sagen, umgekehrt sind Digitalis¬
stoffe eben Saponine, die von allen ihren Haftfähigkeiten nur mehr
die für den Herzventrikel erhalten haben.
Das ist keineswegs ohne praktische Bedeutung, denn leider haben
die sogenannten echten Digitalisstoffe ihre Saponin-Erbsünde noch
mehr oder weniger in Resten an sich. Der Praktiker weiß, daß Digitalis-
infusum den Magen verdirbt, daß die Strophanthustinktur Darm¬
störungen macht und daß ein Patient, der etwa eine Spritze Stro¬
phanthin unter die Haut statt in die Vene bekommen hat — zum
andern Arzt geht!
Die Herzspezifizität ist letzten Endes ebenfalls eine Folge der
saponinartigen Oberflächenaktivität; es scheint allerdings, daß zur
Entwicklung einer therapeutisch brauchbaren Qualität noch ein
zweites dazukommen muß, nämlich eine sekundäre feste Verankerung
des Glykosides, diese erfolgt nicht unmittelbar beim Kontakt von
Glykosid und Herzmuskelzelle, sondern erst langsam nach einer ge¬
wissen Inkubation, also als Folge einer chemischen Sekundärreaktion.
Bringt man nämlich in ein ausgeschnittenes Froschherz, das nur mit
einem Kubikzentimeter Salzlösung arbeitet, eine Orenzdosis Digitalis-
*) Nach einem Aerztefortbüdungskurs. Wiesbaden, Ostern 1922.
glykosid, so kann man kurze Zelt nach Eintritt einer Endwirkung das
Gift wieder auswaschen und damit das Herz wieder normal machen;
hat es länger eingewirkt, so hilft meist auch das intensivste Waschen
nichts mehr, das Herz stirbt ab. Diese Reversibilität ist bei den
verschiedenen Digitalisstoffen ganz verschiedenen Orades, man kann
die Stoffe in dieser Hinsicht in zwei ungleich große Oruppen teilen,
von denen die eine die Stoffe der Blätter von Digitalis purpurea
bilden, die andere — alle anderen Digitalisstoffe. Es ist klar, daß
die haftfähigsten Stoffe die längst anhaltenden therapeutischen Effekte
machen werden, die weniger haftfähigen die flüchtigeren. Es folgt
aber weiter aus diesen Eigenschaftsdifferenzen, daß man in der
Praxis mit den haftfähigen Stoffen der Digitalisblätter in wieder¬
holten kleinen Einzeldosen allmählich im Laufe von 1—2 Tagen das
Herz bis zu einem gewünschten, an der bessern Funktion kenntlichen
Grade mit Digitalisstoff anfüllen kann, um es dann sich selbst zu über¬
lassen, während man anderseits von den weniger haftfähigen auf einmal
die richtige Volldosis ohne Verzettelung durch Nebenwirkung zur
Wirkung bringen muß. Da nun aber leider diese weniger herzhaft¬
fähigen anderen Digitalisstoffe mehr Nebengelegenheiten haben, wird
deren ideale Applikation die intravenöse Injektion sein. So verordnen wir
als Extreme auf der einen Seite 3mal täglich zwei Eßlöffel Infusum
Fol. Digitalis zwei Tage lang fortzugeben, und auf der anderen Seite
die Strophanthinspritze intravenös! Dazwischen sind unter der großen
Zahl der weiteren Digitalisstoffe reichliche Uebergänge vorhanden,
aber leider mit nur sehr geringer Annäherung an die Qualitäten der
Folia Digitalis. Daraus sind für die Praxis ohne weiteres allgemeine
Verwendungsregeln abzuleiten; man wird beim gewissermaßen kur-
mäßigen Gebrauch, wo lange anhaltende Zustandsänderungen des
Herzens nötig sind, die Folia Digitalis oder ihre Reinglykoside geben,
wo aber etwa nur ein Circulus vitiosus durchschlagen werden muß,
wird die einmalige Strophanthinspritze angezeigt sein. Dies richtig
abzuwägen, die erwarteten Effekte mit der Dosis zu beherrschen, ist
dann die „ärztliche Kunst“ der Digitalisbehandlung.
Die Hafteigenschaften bestimmen nun auch die Kumulation der
Digitaliswirkung. Ueber den Begriff der Kumulation herrschen bei
den Aerzten noch nicht genügend klare Vorstellungen, sie gilt im
allgemeinen als wenig wünschenswerte Eigenschaft des Medikamentes,
und die Fabrikanten beeilen sich, von ihren Produkten empfehlend zu
behaupten, sie kumulierten nicht. Es ist zu sagen, daß es bei den
Digitalisstoffen keinen einzigen gibt, der im Vergleich mit andern
Medikamenten, wie etwa Moiphin und selbst Atropin, nicht kumu¬
lierende Eigenschaften hätte. Die Kumulation wird am ehesten klar,
wenn man ihre ziffernmäßige Messung kennt.
Die tödlichen Dosen pro Kilo Gewicht eines Versuchstieres sind
außerordentlich scharfe Größen. Gibt man einer Katze Vi der be¬
rechneten tödlichen Dosis eines anerkannt stark kumulierenden Digi¬
talisstoffes, zum Beispiel des Digitoxins aus den Digitalisblättern, so
überlebt sie. Gibt man einer so vorbehandelten Katze nach einigen
Stunden das letzte Viertel der tödlichen Dosis, so stirbt sie den
charakteristischen Digitalistod. Man hat nun gemessen, wie groß die
tödliche Supplementaosis nach verschiedenen Zeiten sein muß, wenn
man Katzen vorher mit 3 / 4 -tödlidier Dosis vorbehandelt hat. Dabei hat
sich herausgestellt, daß mehrere Tage nach der Vordosis die töd¬
liche Supplementdosis erst etwa Va der tödlichen Dosis für eine
normale Katze ist, daß also von der Vordosis nach Tagen noch etwa
*/s> also die halbe tödliche Normaldosis, im Herzen enthalten sein
muß. Speziell vom Digitoxin ergab sich, daß letzte Reste noch
nach Wochen im Herzen enthalten sein müssen, denn es dauerte
3—4 Wochen, bis erstmals wieder die volle berechnete tödliche Dosis
wirklich die. Orenzdosis war. Eine Digitalissubstanz kumuliert also
um so mehr, je länger sie im Herzmuskel gespeichert bleibt, es
handelt sich hier um rein materielle Magazinierungsvorgänge. Alle
Substanzen der Digitalisstoffe im weiteren Sinne, speziell aas Stro¬
phanthin, sind in derartigen Versuchen schon nach wenigen Tagen
restlos aus dem Herzen verschwunden, aber immerhin sind sie doch
für eine merkliche Zeit im Herzen vorhanden. Somit ist Kumulation
eine wesentliche Generaleigenschaft aller Digitalisstoffe. Sie ist die
Grundlage einer mehr oder weniger dauerhaften Wirkung. Der Arzt
muß über den Grad der Kumulationsfähigkeit unterrichtet sein, dann
braucht er sie nicht zu fürchten. Bei Nichtkenntnis dieser Möglich¬
keiten können schwere Schädigungen des Patienten erfolgen, so zum
Beispiel, wenn man einem mit Folia-Digitalis-Stoffen etwa nur mehr
zu */4 der therapeutischen Notwendigkeft digitalisierten Herzen intra-
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
792
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
venös eine therapeutische Volldosis von Strophanthin injiziert. Der
Erfolg muß notwendigerweise eine akute Digitalis- und Strophanthin-
vergittung sein, aucn wenn von der ursprünglichen Digitaiiswirkung
nicnts mehr von Effekt zu merken war. %
Eine wirklich nicht kumulierende Digitalissubstanz wäre aller¬
dings ein therapeutisches Desiderat, es wäre dies dann das Herz¬
mittel, das man unausgesetzt nacn der Schablone: xmal täglich eine
Dosis, ohne die sonst nötige genaue und zeitraubende ärztliche
Kontrolle verwenden könnte. Eine nicnt zu unterschätzende Bequem¬
lichkeit! Nach den Beobachtungen Mendels mit der Meerzwiebel
hat es den Anschein, als ob in ihr ein so gearteter Stoff steckte.
Von den rein-chemischen Eigenschaften der Digitalisstoffe ist im
Vergleich zu anderen Medikamenten recht wenig bekannt. Von prak¬
tischer Wichtigkeit ist besonders ihre leichte Zersetzlichkeit. Sie
macht sich bemerkbar einmal in der Richtung, daß die Zuckerhälfte
des Moleküls sehr leicht abgespalten wird, besonders bei saurer
Reaktion. Die dazu nötige Saure braucht gar nicht stark zu sein,
es genügt schon die in der Pflanze neben den Glykosiden ent¬
haltene Pflanzensäure; alle Digitalisinfusc sind sauer genug, um in
kurzer Zeit den wesentlichsten Anteil der wirksamen Innaitsstoffe in
dieser Richtung zu zerstören und damit praktisch unwirksam zu
machen. Man kann sagen, daß ein etwa für drei Tage verordneter
Vorrat an Digitalisinfus schon vom 2. Tage an ziemlich wertlos ist.
Aber auch die Reinsubstanzen, in destilliertem Wasser gelöst, sind nicht
absolut gefeit gegen Zersetzung, denn Wasser und Zeit sind für alle
chemischen Stoffe gefährliche Reagenzien. Diese Zersetzung läuft
in etwas anderer Richtung, der Effekt ist der gleiche, nämlicn Ent¬
wertung. Praktisch hat diese Zersetzungsmöglichkeit wäßriger Lö¬
sungen von Reinsubstanzen wenig Bedeutung, da die Fabrikanten
der Lösungen es verstehen, durch gewisse Zusätze, wie Glyzerin u. a.,
ihrer Ware die nötige Lagerfähigkeit zu geben.
Eine chemische Konstitutionsformel ist noch für keine Digitalis¬
substanz aufstellbar, es deutet nur alles darauf hin, daß die Konstitu¬
tion dieser Stoffe sich sehr weitgehend der der Gallensäure nähert,
eine pathologisch interessante Erscheinung, wenn man an die Herz¬
erscheinungen beim Ikterus sich erinnert.
Aus der konstitutiven Unklarheit der Stoffe folgt die Unmöglich¬
keit einer quantitativen analytischen Bestimmung des Gehalts einer
Droge oder eines galenischen Präparates an wirksamer Substanz, wie
sie für andere Drogen, wie Opium, Belladonna, mit Leichtigkeit durch?
zuführen ist. Dieser Uebelstand war lange Zeit ein großes Hinder¬
nis der konstanten Dosierung und damit sicheren Therapie mit gale¬
nischen Präparaten. Er wurde auf zweierlei Weise beseitigt. Einmal
dadurch, daß man aus dem Rohmaterial die wirksame Reinsubstanz
fabrikmäßig im Großen herstellte und dann diese mit der Wage
dosierte. Da die Drogen meist mehrere Reinsubstanzen enthalten,
war man sich nicht immer im Klaren, ob die chemisch am ele¬
gantesten erhaltbare Reinsubstanz wirklich auch die therapeutisch
beste ist.
Therapeutische Differenzen in der Wirkung von Reinsubstanz und
Rohdroge ließen die Sehnsucht nach einem zuverlässigen Präparat
aus Rohdroge mit möglichst allen wirksamen Bestandteilen nicht
schlafen.
Das Bedürfnis konnte durch die Pharmakologie befriedigt wer¬
den. Es hat sich nämlich gezeigt, daß die Größe der tödlichen
Dosis von Digitalissubstanzen für den Frosch, bei dem als Kalt¬
blüter die Zerstörung der Substanzen durch Nebenreaktionen mini¬
male sind, fast den Wert einer Naturkonstanten hat. So ist die
Konstante für Digitoxin = 0,000004 g pro Gramm Frosch, für k. Stro¬
phanthin = 0,0000009 pro Gramm Frosch, für Gitalin (Verodigen) =
0,0000065 pro Gramm Frosch usw. — Diese Werte sind dann Ein¬
heiten F.D. (Froschdosen). Um den Wirkungswert einer galenischen
Digitaliszubereitung zu ermitteln, braucht man also nur festzustellen,
wie viele Froschdosen in der Gewichtseinheit des Galenikums ent¬
halten sind, und hat damit die Fähigkeit zu messen, die uns die
chemische Analyse versagt. Diese pharmakologische Wertbestimmung
oder biologische Titrierung, wie der besonders reklametechnisch be¬
liebtere Ausdruck lautet, hat nun auch die galenischen Präparate (und
selbst die Digitalisblätter — Fol. Digital, titrata) zu zuverlässigen
gemacht, sie bedeutet einen großen praktischen Fortschritt.
Der Arzt sollte diese Wettbestimmungen indessen
nicht überschätzen. Sie gehen nämlich viel mehr den
Fabrikanten an wie den Arzt. Der Arzt will in erster Linie
ein immer konstant stark wirkendes Mittel haben, das liefert ihm
der Fabrikant, indem er zur Erntezeit der Droge diese gleich
waggonweise verarbeitet und die Dosierung der zu verkaufenden
Einzeldosis pharmakologisch auf Froschdosen von bestimmter Menge
normiert. Konstanz der Ware ist also der springende Punkt, und
das genügt auch fürs erste. Froschdosenzahl und therapeutischer
Wirkungswert gehen nämlich nur dann streng parallel, wenn es sich
um Lösungen von Reinsubstanzen handelt. Diese werden aber viel
bequemer mit der Wage dosiert. Es hat infolgedessen nur den Sinn
eines Reklamebluffs, wenn jemand sich einfallen ließe, Ampullen mit
Lösungen reinen Strophanthins nach Froschdosen zu verkaufen.
Die Galenika der Folia Digitalis enthalten mindestens drei ver¬
schieden stark wirkende Reinsubstanzen von verschiedenem thera-
eutischem Werte. Die pharmakologische Auswertung des Galenikums
ann nur einen Bruttowert ergeben, die Summanden kommen nicht
zur Darstellung. Diese Summanden können aber je nach der Ernte
stark wechseln, und die wirkliche Konstanz liegt eben dann in der
Waggon-Charge, die auf einmal verarbeitet wird.
Nr. 24
Es ist eine Art Gewohnheit geworden, die pharmakologisch ein
gestellten Handelsgalenixa auf etwa 100—150 Froschdosen einzustellen
weil eine bestimmte Bezienung zum Wirkungswert der Foiia IW
talis in Infusiorm angenommen wird. Dazu muß man aber im Auge
behalten, daß gleiche F. D.-Zahlen verschiedener Ausgangsmaterialien
keineswegs veitretoare Werte sind; es wäre grundfalsch, anzunehmen
daß etwa 100 F.D. innerlich gegebenes Digipurat das Gleiche sind
wie 100 F.D. intravenös gespritzten Strophanthins, ja es ist auch gar
nicht gesagt, daß etwa 100 F.D. Digititrat therapeutisch gleich-
wertig sein müssen mit 100 F.D. Digipurat, wenn auch hier die
möglichen Differenzen nicht mehr praktisch in Wirkung kommen
müssen. Man behalte älso im Auge, dab diese Werteinsteilüngen
mehr pharmazeutische wie therapeutische Bedeutung haben und daO
sie den Arzt keineswegs von der münsamen Notwendigkeit der ge¬
nauen Beobachtung des Kranken und der eventuellen Variation du
Dosen befreien.
Die therapeutisch verwendbare^ Digitalisstoffe sind sehr zahl¬
reich, es existieren viel mehr, als gehandelt werden. Sie nach prak¬
tischen Gesichtspunkten zu kritisieren, soll nunmehr versucht werden.
Wenn eine Pflanze gewissermaßen das Rezept hat, Digitalisglykoside
zu machen, so macht sie meistens gleich vielerlei und die einzelnen
von meistens ganz verschiedenen therapeutischen Eigenschaften. Das
ist ein großer Nachteil und kann manche an sich brauchbaren Drogen
von der praktischen Ausnutzung ausschalten 1 ).
Da die Folia Digitalis in ihren therapeutischen Eigenschaften un¬
erreicht dastehen, ist die Kenntnis ihrer inneren Zusammensetzung
nicht ohne praktische Bedeutung. Sie enthalten an Reinsubstanzen
Digitoxin, Digitalein und Gitaiin (Verodigen). Das sind Namen, die
zum Begriff werden, wenn man ihre Eigenschaften kennt. Digitoxin
ist wasserunlöslich, als Molekül sehr fest gegen Zersetzung, von
außerordentlich großer Haftfähigkeit an Gewebe, Digitalein ist sehr
leicht wasserlöslich, sehr zersetdich, besonders beim Erwärmen, Gi¬
talin ist mäßig wasserlöslich, mäßig zersetzlich, aber sehr hitze¬
empfindlich. (Das sogenannte Digitalinum verum ist ein Samen
glykosid, also in Blättern überhaupt nicht enthalten.) Die mitgeteilten
Eigenschaften der drei Bestandteile müssen bestimmend sein für die
Zusammensetzung der galenischen und magistralen Digitaliszuherei
tungen. So wird das mit Hitze behandelte Infus sehr wenig des
kaum löslichen Digitoxins, kaum Digitalein und nur abgeschwächtes
Gitalin enthalten, er wird vergleichsweise viel weniger wirksam sein,
als die entsprechende Menge Digitalispulver innerlich gegeben. Ander¬
seits wird ein mit kaltem Wasser unter Erschöpfung der Droge her-
gestellter Extrakt, kein Digitoxin, alles Digitalem und alles Gitalin
enthalten. Er würde vermutlich eine Idealform eines Galenikums aus
Folia Digitalis darstellen, leider ist er nicht haltbar und erliegt bald
den zwei schädlichen Faktoren Zeit und Wasser. Endlich wird die
Digitalistinktur, also der alkoholische Auszug (ein normiertes Pri-
parat der Art ist das Digititrat), so ziemlich alles an Wirksamem ent¬
halten, was das Blatt bietet, jedenfalls alles Digitoxin. Ob aller¬
dings ein hoher Gehalt an Digitoxin wünschenswert ist für die
Therapie, darüber gehen die Meinungen auseinander. Das reine
Digitoxin, das seit Jahrzehnten im Handel ist, hat sich jedenMs
nicht eingeführt.
Ueber die Zusammensetzung der Galenika des Handels bezüglich
der darin enthaltenen Reinsubstanzen läßt sich Bestimmtes nicht an¬
geben, da die Fabrikationsverfahren nicht zugänglich sind. Für den
Arzt mag es genügen zu wissen, daß Galenika, also Mischungen der
wirksamen Bestandteile mit anderen Ballaststoffen der Droge, braun ge¬
färbt sind, Reinsubstanzen oder Mischungen mehrerer Reinsubstanzen
dagegen in fester Form rein weiß, in Lösung wasserklar sind. Im
allgemeinen gelten die Reinsubstanzen als innerlich bekömmlicher
und intravenös oder intramuskulär harmloser zu applizieren, für sub¬
kutane Injektion sind sie aber auch nicht zu gebrauchen.
Von den Digitalisglvkosiden der zweiten Kategorie, also den
rasch aber flüchtig wirkenden, sinpl vor allem die Strophanthine
zu nennen. Man unterscheidet hauptsächlich zwei Strophanthine,
das k. Strophanthin (Kombö-Str.) von Böhringer (Mannheim), das
Frankel für die intravenöse Therapie besonders geeignet fand, und
das g. Strophanthin (Gratus-Str.), das jetzt zweckmäßigerweise Puro-
strophan genannt wird. Es ist natürlich ebenfalls für intravenöse
Zwecke benutzbar, nur m anderen Dosen. Man muß das wissen, weil
ein Wechsel von einem zum anderen Strophanthin nicht ohne weiteres
angängig ist. Innerlich werden die Strophanthine als schlecht be¬
kömmlich und sehr schwer resorbierbar vermieden. Jedenfalls ist das
Vielfache der intravenös wirksamen Strophanthindosis vom Mage*
aus ganz unwirksam; ob die neuerdings empfohlene rektale Appli¬
kation der Digitalisstoffe hier die Brücke schlägt, bleibt noch ab¬
zuwarten.
Cymarin aus Apocynum cannabinum ist etwa genau so zu be¬
urteilen wie Strophanthin, das haben auch hier weitgeförderte rein-
chemische Untersuchungen bestätigt, die eine äußerst nahe Verwandt¬
schaft zwischen k. Strophanthin und Cymarin aufdeckten. Aus Adonis
und Convallaria sind Galenika im Handel, aber keine Reinsubstanzen;
*) So untersuchte z. B. Verfasser mit K. Jaff4 vor Jahren die Oleanderblätter auf
ihre mögliche therapeutische Brauchbarkeit, da Anzeichen bestanden, daß s ! e in ih f£f
Herzwjrkung eine gröbere Annäherung an Digitalis purpurea erlaubten als die sonstig
bekannten Ersatzstoffe. Die gleichzeitige rein chemische Aufarbeitung im wissenschaft¬
lichen Laboratorium von C. F. Böhringer in Mannheim lieferte aber mindestens 8 herz¬
wirksame Stoffe von den verschiedensten Wirksamkeitsgraden, und zwar je nach der
Abstammung de»- Blätter in ganz verschiedenen quantitativen Mischungsverhältnissen,
sodaß für diese Droge jedenfalls kein BedUfnis besteht, sie «der Therapie zuzufiUiren .
Digiti zed b
Google
Original from
CORNELL UNIVERSiTY
16. Juni 1922 *
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
793
Abschließendes über einen etwaigen prinzipiellen Unterschied gegen
Strophanthin läßt sich noch nicht sagen, immerhin scheinen sie vom
Magen aus viel leichter ertragen zu werden als Strophanthin. Das
sind aber vermutlich nur formale Unterschiede. Scilla maritima, die
alte Meerzwiebel, das Volksmittel gegen Hydrops zirkulatorischer
Provenienz, wird in England konsequent mit Digitalis zusammen mit
anscheinendem Erfolge benutzt. Durch Mendel ist die Droge als
therapeutischer Selbstzweck rehabilitiert worden und anscheinend sehr
der Beachtung wert. Die Meerzwiebel macht vermutlich nur ein
einziges Glykosid in ihren chrorophyllfreien fleischigen Zwiebel¬
blättern. Das inzwischen dargestellte Reinglykosid (Scillaren) hat
ein Minimum von Kumulationsvermögen, wird anscheinend vom Or¬
ganismus leicht bewältigt, sodaß große Dosen nötig sind in ganz
anderer Applikationsweise als bei anderen Digitalisstoffen. Nach
Mendel soll der Scilla eine besondere diastolische Wirkung zu¬
kommen, daraus würden sich wertvolle Spezialindikationen ergeben.
Solche therapeutische Spezialindikationen sind es aber, die einem
neuen Mittel erst die Existenzmöglichkeit im Arzneischatz sichern.
Noch ein ‘Wort über Kombinationen der verschiedenen Digitalis¬
stoffe unter sich. Kombination von Arzneimitteln ist zur Zeit große
Mode, darum sind fertige Kombinationsmedikamente auch ein Ge¬
schäft, und deshalb gibt es viele. Wie stellt sich der Arzt zu Kom¬
binationen in der Digitalisreihe?
Kombinationen von Mitteln der zweiten Kategorie,
also der nicht aus Digitalis purpurea stammenden
Stoffe unter sich, haben wenig Sinn, da die einzelnen
Stoffe zu wenig wirkungsverschieden sind. Eine Kom¬
bination Digitalis und Strophanthus wäre aber an sich klinisch denk¬
bar. Liegt ein Fall von dekompensiertem Klappenfehler zum Beispiel
vor, wo rasche Hilfe not tut, so ist es therapeutisch richtig gedacht,
zunächst eine Spritze Strophanthin intravenös zu geben und gleich¬
zeitig mit 'der innerlichen Darreichung von Digitalis zu beginnen;
dann wird nach 24 Stunden die Strophanthinwirkung abgeklungen und
die Digitalisanreicherung des Herzens vollendet sein. Dagegen ist
nichts einzuwenden. Wenn man aber gleichzeitig Digitalis und Stro¬
phanthin etwa in einer fertigen Handelsmischung innerlich gibt, so
wird das schlecht resorbierbare Strophanthin nur seine Verdauungs¬
störungen machen, und die Absicht, Zeit zu gewinnen, ist vereitelt.
Spritzt man die Mischung intravenös, so wirkt auch Digitalis rascher,
und Strophanthin könnte wohl ebensogut wegbleiben. Man wird also
die Kombination wohl am besten und richtigsten unter Berück¬
sichtigung der allgemeinen Eigenschaften der Teilmittei vornehmen. *
Diese Ausführungen scheinen mir die wesentlichsten Quintessenzen
der Chemie, der Digitalisstoffe zu sein, deren Kenntnis für den prak¬
tischen Arzt von praktischem Wert sein könnten.
Aus dem Hygienischen Institut der Universität in Freiburg i. B.
Ueber die Aufnahme von Quecksilberchlorid und Trypa-
flavin durch Bakterien und Körperzellen.
Von M. Hahn und E. Remy.
Trotz der großen Zahl von Arbeiten, die über die Abtötung von
Bakterien durch chemische Desinfektionsmittel erschienen sind, ist
eine genauere Kenntnis dieses Prozesses noch immer nicht erreicht.
Vor allen Dingen bleibt es in den meisten Fällen noch unentschieden,
ob es sich um eine wirkliche Aufnahme der betreffenden chemischen
Substanz in den Bakterienleib bzw. chemische Bindung handelt oder
nur um Adsorptionserscheinungen. Neuere, sehr wichtige Arbeiten
aus dem Hygienischen Institut München, namentlich von Süpfle
und seinen.Mitarbeitern 1 ), machen es ebenso wie frühere
Arbeiten von Chick und Martin 2 ), Bechhold und Ehrlich 3 )
wahrscheinlich, daß jedenfalls die Adsorption eine viel größere Rolle
spielt, als man vielfach angenommen hat. Namentlich durch die
Untersuchungen, die Engelhardt 4 ) unter Süpfles Leitung mit
Sublimat an verschiedenen Bakterienarten und unter Verwendung
verschiedener Entgiftungsmethoden vorgenommen hat, wird für das
Sublimat bei der üblichen Verwendung die Adsorption wieder in den
Vordergrund gestellt. Bestimmungen, wieviel von einer desinfizieren¬
den Substanz aus einer Lösung von bestimmter Konzentration von
den Bakterien adsorbiert werden, kann, liegen, soweit wir es über¬
sehen können, eigentlich nur bei Chick undMartin sowie Gegen*
bauer 5 ) vor, dessen gründliche Untersuchungen anscheinend zu
der Annahme einer chemischen Verbindung geführt haben. Und doch
müssen gerade diese Bestimmungen von einer gewissen Wichtigkeit
erscheinen, denn einmal kann auf diese Weise vielleicht der Unter¬
schied in der Wirksamkeit des gleichen Desinfektionsmittels auf
verschiedene Bakterienarten erklärt werden bzw. verschiedener Des¬
infektionsmittel auf die gleiche Bakterienart. IJann aber wird man
vor allem durch solche Versuche auch vielleicht Klarheit darüber
ewinnen können, in welchem Maße aus einer Lösung von
estimmter Konzentration die Körperzellen im Gegen¬
satz zu den Bakterien die betreffende chemische Sub¬
stanz aufzunehmen vermögen, und damit auch ein ge-
*) Arch. f. Hyg. — *) Journal of Hygiene 1908 Nr. 5. — *) Zschr. f. physiol. Chem.
1906; Zschr. f. Hyg. 1909. - *) Diss, München. — •) Arch. f. Hyg. 90.
wisses Urteil darüber gewinnen, ob bei Einführung
einer bestimmten Menge der Substanz in die Blutbahn
überhaupt Aussicht besteht, ohne wesentliche Schä¬
digung der Körperzellen, aber in Konkurrenz mit ihnen,
eine solche Menge von Substanz an die Bakterien her¬
anzubringen, daß ihre Abtötung bzw., was wahrschein¬
licher, nur ihre Entwicklungshemmung erfolgt. Zum
mindesten aber wird es schon von Wert sein, festzustellen, ob die
Bakterien aus der betreffenden Lösung überhaupt mehr auf¬
nehmen als die Körperzellen. Die nachfolgenden Unter¬
suchungen stellen gewissermaßen nur einen Versuch dar, dieser
Frage näherzutreten, wobei wir uns wohl bewußt sind, daß die
Versuchsanordnung noch als eine etwas rohe betrachtet werden muß
und die hierbei benutzten Körperzellen ebenso wie die Bakterien
und Desinfizientien nur einen Fall repräsentieren von fast un¬
zähligen, die hier in Betracht kommen.
Als Desinfektionsmittel wurden von uns Trvpaflavin und
Quecksilberchlorid benutzt, als Körperzellen Meerschwein¬
chenleber und als Mikroorganismen Bacterium coli. Die Leber
war stets frisch aus dem Körper entfernt, die Kolikulturen wurden
nach ISstündigem Wachstum auf Agar verwandt. Die Konzentration
des Trypaflavins, das in Kochsalz- oder Ringerlösung oder Rinder¬
serum gelöst war, betrug 1:1000, die des Quecksilberchlorids 1:100.
Diese starke Konzentration des Quecksilberchlorids war für die
Zwecke einer sicheren chemischen Bestimmung notwendig: das Queck¬
silber wurde als Sulfid gefällt und die gefundene Menge HgS auf
HgCL durch Multiplikation mit dem Faktor 1,164 umgerechnet. Das
Trypaflavin wurde mit dem Kolorimeter von Autenrieth bestimmt
unter Zugrundelegung von Skalen, die für Kochsalz-, Ringer- und
Serumlösung besonders aufgestellt waren. Die Bakterien wurden
mit Kochsalzlösung abgeschwemmt, zentrifugiert, die Reste der Flüs¬
sigkeit durch vorsichtiges Absaugen mit Fließpapier soweit als mög¬
lich entfernt und die feuchte Masse gewogen. Ein bestimmter Teil
davon wurde zur Trockensubstanzbestimmung verwandt, das übrige
wurde mit der Desinfektionslösung versetzt und nunmehr bei 37°
bestimmte Zeiten hindurch geschüttelt. Ebenso wurde mit der Meer¬
schweinchenleber in den meisten Versuchen verfahren. Durch ein¬
faches leichtes Zerreiben im Porzellanmörser wurde ein Zellbrei
hergestcllt, der mit physiologischer Kochsalzlösung aufgeschwemmt,
abzentrifugiert, gewogen und teilweise zur Trockensubstanzbestim-
mung verwandt, dann mit dem gleichen Desinfiziens überschichtet
und unter Schütteln bei 37° digeriert wurde. Nach Ablauf einer
bestimmten Zeit wurde die über den Bakterien bzw. dem Leberbrei
stehende Lösung durch Zentrifugieren abgetrennt und nunmehr ihr
Oehalt an Trypaflavin bzw. Quecksilberchlorid nach den oben an-
egebenen Methoden bestimmt. Die von Zellen aufgenommene Menge
es Desinfektionsmittels wurde durch Subtraktion der nach Ablauf
des Versuches vorhandenen von der ursprünglichen Konzentration der
Lösung berechnet. Die Trockensubstanzbestimmung ermöglichte es,
die aufgenommene Menge auch auf Trockensubstanz zu berechnen.
Die nachfolgende Tabelle umfaßt je 4 Versuche mit Leberbrei
und mit B. coli, die verschieden lange Zeit mit Trypaflavin bei 37°
durchgeführt wurden.
Substrat
Versuch
Dauer der
Einwirkung
100 g frische I 100 g Trocken¬
substanz absorbierten Gramme
Trypaflavin
Wasser¬
gehalt
•/•
Leber
1
120'
1,23
' 6£1
8134
9
2
00'
1.06
1 10,02
89,41
3
10'
1,28
8,9?
85,76
9
4
15'
1,93
14,77
86,94
Koll
1
120'
2,06
1338
8537
m
2
15'
2ßJ
20,4t
8636
9
3
10'
2,76
10,20
85,63
„
4
15'
3,29
1 2538
87.14
Die erhaltenen Resultate zeigen untereinander beträchtliche Dif¬
ferenzen, die es wenig wahrscheinlich erscheinen lassen, daß es
sich hier um eine chemische Bindung handelt, sondern eher,
daß eine Adsorption vorliegt. Diese würde von der Größe der
Grenzflächen, also Zahl und Form der Bakterien abhängig sein, und
eine Berechnung auf das Gewicht müßte Differenzen in der Menge
des aufgenommenen Stoffes bedingen, wie sie hier eben äuftreten:
die Gewichtsberechnung ist auch nur als Notbehelf anzusehen, da
die Oberflächenbestimmung wohl kaum einwandfrei durchzuführen
sein dürfte, wenngleich sie von Gegenbauer versucht wurde.
Die Zeit scheint hier keine beträchtliche Rolle zu spielen, jedenfalls
nicht zu einer viel größeren Aufnahme des Trypaflavins zu führen.
Da die Differenzen im Wassergehalt keine sehr erheblichen sind, so
ergibt die Berechnung auf Trockensubstanz ebenso große Unter¬
schiede wie die auf feuchte Substanz. Ein Resultat ergibt sich
aber wohl aus diesen Untersuchungen mit Sicherheit, nämlich daß
von den Bakterienleibern erheblich mehr Trypaflavin
adsorbiert wird als von den Leberzellen. Bei einem
Versuche, durch Auswaschen mit der 130fachen Menge physiologischer
Kochsalzlösung das Trypaflavin aus den Bakterienleibem zu ent¬
fernen, konnte nur etwa ein Drittel der von den Bakterien aufge¬
nommenen Trypaflavinmenge wieder herausgeholt werden. Indessen
ist anzunehmen, daß bei längerer Fortsetzung des Versuches auch
noch ein höheres Resultat zu erhalten ist.
Digitized by
Gck igle
Original fro-m
CORNELL UNfVERSSTV
794
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
!4
Die Versuche mit einer lo/oigen Quecksilberchloridlösung hatten,
unter den gleichen Bedingungen angestellt, die nachstehenden Re¬
sultate:
Substrat
Versuch
Dauer der
Einwirkung
Minuten
100 g frische | 100 g Trocken¬
substanz absorbierten Gramme
Quecksilberchlorid
Wasser¬
gehalt
*/o
Leber
1
60'
8,54
66,05
87,07
2
15'
8,12
62,17
86,94
Koli
1
60'
12,49
86,91
85,63
•
2
15'
10,82
84,13
87,14
Sie sind gleichmäßiger ausgefallen als die mit Trypaflavin und
zeigen im übrigen aber auch, daß die Leberzellen nicht un¬
erheblich weniger aufzunehmen vermögen als die Bak¬
terienleiber. Berechnet man die von Gegenbauer mit Hefe
und Quecksilberchlorid angestellten Versuche auf die Trockensubstanz
der Hefe, so ergeben sich übrigens teilweise noch viel beträchtlichere
Differenzen.
Dabei ist immer zu bedenken, daß durch die Zerkleinerung der
Leber wesentlich günstigere Verhältnisse geschaffen sind, wie sie
etwa im Organismus bei der Konkurrenz eines kompakten Organs
mit den Bakterien gegenüber den Desinfizientien vorliegen. In einem
allerdings etwas rohen Versuch zeigte sich, daß, wenn man einer¬
seits ein Stück Leber, anderseits Bakterienleiber, ohne zu schütteln,
bei 37° einer Trypaflavinlösung von 0,1 o/o aussetzt, von 100 g Leber
in 15 Minuten 0,046 g, in 24 Stunden 0,09 g Tiypaflavin aufgenommen
werden, während 100 g Koli nach 15 Minuten schon 0,63 g, nach
24 Stunden 1,05 g Trypaflavin aufgenommen hatten, also mehr als
das lOfache. Beweisender aber war in dieser Richtung hin noch ein
Versuch, bei welchem wir nach dem von Hahn und Skramlik
wiederholt benutzten Verfahren 0,lo/ 0 jge Trypaf lavin - Ringer¬
lösung durch eine überlebende Meerschweinchenleber
strömen ließen. Die Leber färbte sich schon nach wenigen Mi¬
nuten stark gelb, zeigte ödematöse Schwellung und tropfte stark,
sodaß man annehmen muß, daß das Trypaflavin jedenfalls für die
Zellen der Leber keine gleichgültige Substanz darstellt. Die Auf¬
nahme betrug in 15 Minuten auf 100 g feuchte Leber berechnet
0,213 g, also wesentlich weniger, etwa nur y 6 bis 1 / 6 dessen, was
die Versuche mit Leberbrei ergeben hatten. In den bisher erwähnten
Versuchen war das Desinfiziens den Bakterien und Körperzellen stets
in Ringer- bzw. Kochsalzlösung dargeboten worden, was den Ver¬
hältnissen im Tierkörper nicht entspricht. Hier ist das Des¬
infiziens in Eiweißlösung wirksam, und die Untersuchungen
von Chick und Martin sowie von Bechhold und Ehrlich
haben gezeigt, daß schon die Serumzusätze zu wäßrigen Lösungen
von Phenol, Kresol, Substitutionsprodukten und Derivaten des Naph-
thols die Desinfektionswirkung wesentlich zu hemmen geeignet sind,
daß in der Regel eine höhere Konzentration zur Abtötung erforder¬
lich wird. In Uebereinstimmung mit diesen Ergebnissen zeigte sich
schon in dem Leberdurchspülungsversuch, daß die Ad¬
sorption des Trypaflavins aus einer Lösung in Rinder¬
serum langsamer erfolgte (nach 10 Minuten 0,16 gegen 0,204
aus Trypaflavin-Ringerlösung, nach 15 Minuten 0,18 gegen 0,213)
und jedenfalls nach 15 Minuten, wo der Versuch wegen starken
Tropfens abgebrochen werden mußte, keine so hohen Werte erreichte
wie bei der Ringerlösung.
Aber auch bei der ersten Versuchsanordnung mit Leberbrei und
Koli ergab sich bei Verwendung einer Trypaf Iavin-Rinder-
serumlösung eine wesentlich geringere Aufnahme so>-
wohl durch die Körperzellen wie durch die Bakterien,
und das gleiche Resultat zeigte sich, wenn Quecksilberchlorid in
Rinderserum gelöst wurde.
Aufnahme ln 15 Minuten:
HgCl t (lVo) Trypaflavin 0
in NaCl in Serum in NaCl in Serum
100 g feuchte Leber. 8,12 6,25 1,93 0,33
100 g feuchte Koli. 10,82 8^8 2^96 1,88
Der Unterschied freilich in der Aufnahme der beiden Desinfi¬
zientien durch Leberbrei einerseits und Koli anderseits bleibt auch
bei Anwendung von Serumlösung bestehen.
Soweit die hier gewählte und, wie erwähnt, noch etwas grobe
Versuchsanordnung ein Urteil zuläßt, läßt sich zasammenfassend Fol¬
gendes sagen:
1. Bringt man einerseits Leberbrei und anderseits Bacterium coli
mit Trypaflavin- bzw. Quecksilberchlorid-Kochsalzlösung unter Schüt¬
teln bei 37° in Kontakt, so erfolgt eine durch kolorimetrische bzw.
chemische Untersuchung deutlich feststellbare Abnahme der Kon¬
zentration der Lösung, und zwar hauptsächlich in den ersten 15 Mi¬
nuten.
2. Bei der vorliegenden Versuchsanordnung nahmen im Durch¬
schnitt 100 g feuchter Kolisubstanz 2,69 g Trypaflavin und 11,65 g
Quecksilberchlorid, 100 g feuchter Leberbrei dagegen nur 1,37 g
Trypaflavin und 8,34 g Quecksilberchlorid auf.
3. Die Aufnahme durch die Körperzellen ist aber nicht nur bei
Lösungen der Verbindung in Kochsalz- bzw. Ringerlösung beträcht¬
lich geringer als bei den Bakterien, sondern dieses Verhältnis blieb
auch bestehen, wenn die Desinfektionsmittel in Rinderserum gelöst
wurden, wodurch die Adsorption für beide Zellarten an sich be¬
trächtlich herabgesetzt wird.
4. Auch bei Berechnung auf Trockensubstanz sind diese Unter
schiede deutlich nachweisbar.
5. Das gleiche Resultat ergab ein Versuch, bei dem die Leber
mit Trypaflavinlösung (Serum bzw. Ringer) durchspült wurde.
Aus dem Pathologischen Institut der Universität in Freiburg.
Ueber die „lipoidspaltende“ Funktion der Lymphozyten 1 ).
Von L. Aschoff und H. Kamiya.
In seiner Monographie über die Lymphozytose bezeichnet es
Bergei 2 ) als einen wesentlichen Fortschritt der Erkenntnis, daß
wir nunmehr wissen, daß die einzelnen Komponenten der „Ent¬
zündung“ differente biologische Eigenschaften besitzen und daher
auch verschiedene Wirkungen entfalten. Für die Pathologischen Ana¬
tomen ist diese Differenzierung der einzelnen bei der Entzündung
beteiligten Komponenten, besonders bezüglich der zelligen Elemente,
seit Metschnikoffs 3 ) grundlegenden Untersuchungen etwas Selbst
verständliches. Unterschied doch dieser Forscher schon streng funk
tionell zwischen den Mikrophagen (den Leukozyten) und den Makro¬
phagen (den Zellen der „lymphatischen“ Reihe). Die letzteren waren
in erster Linie an der Bildung der fermentativ wirkenden Antikörper, an
der Phagozytose von Bazillen usw. beteiligt. Daß sich die phagozytäre
Tätigkeit nicht nur gegen schwer verdauliche Mikroorganismen und
andere Zellen, sondern auch gegen Nahrungssubstanzen aller Art, zum
Beispiel auch gegen die Lipoide richtete, ist ebenfalls seit Metschni
koff bekannt und durch Untersuchungen von Briscoe 4 ) (Auf
nahmen von Milchkügelchen seitens des großen Lymphozyten!) be
stätigt worden. Seitdem wir aber gelernt haben, die im Blut und
besonders die im Gewebe vorkommenden Zellen genauer zu trennen
ist die einfache Scheidung von Leukozyten und Lymphozyten, von
Mikrophagen und Makrophagen nicht mehr erlaubt. Zunächst wissen
wir, daß es sehr verschiedene Leukozyten gibt und daß die eitrigen
Entzündungen, an denen die Leukozyten besonders stark beteiligt sind,
je nach der Art des Erregers bald mehr neutrophil, bald mehr eosino
phil abgestimmt sind. Ueber diese Spezifizität der Eiterung liegen
schon aus älteren Zeiten so viele Untersuchungen vor, daß es hieße,
Eulen nach Athen tragen, wenn wir sie hier genauer diskutierten
(Helly ö )).
Anders steht es mit den Lymphozyten. Schon Metschnikofi
trennt seine Makrophagen von den eigentlichen Lymphozyten. Er
betont ausdrücklich (S.81), daß die gewöhnlichen Lymphozyten nie¬
mals Fremdkörper inkorporieren. Trotzdem hat sicn die irrige Be¬
hauptung, daß die Lymphozyten Freßzellen wären, bis auf den
heutigen Tag erhalten. Schon Metscjhnikoff sagt, daß nur
die großen Lymphozyten, die er allerdings von den kleinen oder
echten Lymphozyten ableitet, Makrophagen wären. Er identifiziert
mit ihnen bereits die Kupfferschen Sternzellen und andere Zellen,
die wir heute als retikulo-endotheliale Elemente oder weitergehend
als Histiozvten zusammenfassen. Diese Zellen, die unter den mannig¬
faltigsten Namen fKlasmatozyten Ranviers, odoentitielle oder leuko-
zytoide Wanderzellen Marchands, Polyblasten Maximows) bekannt
sind 6 ), haben seit Anwendung der intravitalen Färbungen (R/bbert,
Goldmann, Kiyono 7 ), v. Möllendorff 8 )) ihre Selbständigkeit
so weit erweisen lassen, daß jeder, der sie mit den Lymphozyten
identifizieren oder sie von ihnen ableiten will, den Beweis dafür
besonders erbringen muß.
Je schärfer nun die Trennung der echten Lymphozyten von den
Histiozyten wurde, um so schwieriger wurde die Beantwortung der
Frage, welche Funktion denn nun den Lymphozyten zukäme. Alle
Autoren, die sich eingehender mit ihnen beschäftigten, von Me-
tschnikoff angefangen bis zu Kiyono, konnten nur ein nega¬
tives Merkmal angeben. Die Lymphozyten beteiligen sich
nicht an der Aufnahme geformter Elemente, Seien es
Bakterien, Zellen, Nahrungsmittel (Eiweiß, Fette)
oder dergleichen 8 ). Um so eifriger war man bemüht, die un¬
bekannten positiven Funktionen der Lymphozyten zu finden. Einer:
der wichtigsten Fortschritte auf diesem Wege bedeutet der Nachweis,
daß sich die Lymphozyten auffallend häufig und anscheinend sehr
leicht in Plasmazellen umwandeln, bzw. daß diese ausnahmslos von
Lymphozyten abstammen. Wer also über die Funktion der Lymphozyten
etwas aussagen will, muß sich auch mit der Plasmazelle beschäftigen |
Nun haben zahlreiche Untersuchungen gezeigt, daß die Lymphozyten
und die Plasmazellen überall dort auftreten, wo eine langsame Ein¬
schmelzung von Gewebsbestandteilen statthat (Lit. b. Kuczynski lö ))_
Sie gelten daher schon lange als Elemente, die an der Verdauung, und
zwar der Eiweißverdauung, beteiligt sind (Enderlen und Justi 11 )
Ueber den chemischen Aufbau des bei der Umwandlung der Lympho¬
zyten in Plasmazellen auftretenden Gramiloplasmas haben Unna 1 -)
>) Vortrag in der Freiburger Medizinischen Gesellschaft am 9. V. 1922 . — *) D |e
Lymphozytose. Berlin 1921.— *) Llmmuniti Paris 1901.— *) Festschrift f. Orth. Ber¬
lin 1903. - *) ZIegters Beitr. 37, 1905. - •) s. Marchand, Verh. D. path. Gel. 16. W
u. Zieglers Beitr. 69, 1921. — ’) Die vitale Karminspeicherung. Jena 1914. — •) E r S- f
Physiol. 1920, 43. — •) Die seltenen ln der Literatur berichteten Ausnahmen (i. B. die
Aufnahme von Rinosklerombazfllen-Schrldde) bedürfen sehr einer erneuten Prüfung
»•) Virch. Arch. 234, 1921. — ll ) D. Zschr. f. Chir. 62. - **) Virch. Arch. 1921,23!
Digitized b'
Google
Original from
CORNELL UNSVERS1TY
16. Juni 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
795
und seine Mitarbeiter genauere Angaben gemacht. Demnach müssen wir
annehmen, daß es sich um eine Akroalbumose handelt. Das ist bis
jetzt der einzige sichere Befund über funktionelle Aenderung des
Lymphozytenprotoplasmas. Daß bei dem Zerfall fetthaltigen Gewebes,
zum Beispiel des Gehirns, die Fettkörnchenzellen nicht, wie Bergei
(S. 118) sagt, aus Lymphozyten, sondern ausschließlich aus Gliazellen
bzw. adventitiellen Zellen entstehen, daß auch die Cholesterinfette
nicht von Lymphozyten, sondern von besonderen histiozytären Zellen
des Bindegewebes, den Pseudoxanthomzellen, aufgenommen werden, ist
so bekannt, daß sich Bergei leicht darüber hätte orientieren können.
Wir wissen ferner, daß bestimmte Infektionen, wie zum Beispiel die
Gonorrhoe, geradezu spezifisch auf die Lymphozyten und ihre plasma-
zellulären Abkömmlinge wirken, indem diese vorwiegend an der defen¬
siven Reaktion beteiligt sind (Schridde, Amersbach 1 )). Wir
sind dadurch bis zu einem gewissen Grade in den Stand gesetzt, die
Streptokokkeninfektion der weiblichen Adnexe von der Gonokokken-
infektion zu trennen, da das eitrige Exsudat der letzteren besonders
reich an lymphozytär-plasmazellulären Elementen zu sein pflegt
(Wätjen 2 )). Auch bei der Syphilis spielt die Iymphozytär-plasma-
zelluläre Reaktion in gewissen" Stadien derselben eine große Rolle,
ebenso beim Trachom, beim Frühlingskatarrh usw., während das
für. die Phthise nicht gilt. Für diese ist vielmehr ein spezi¬
fischer Reiz auf die histiozytären Elemente das Charakteristische.
Die Lymphozyten und Plasmazellen spielen nur eine Begleit¬
rolle. Auen bei akuten Krankheiten kann die lymphozytäre Reaktion
ungewöhnlich deutlich sein, so zum Beispiel bei der Streptokokken¬
infektion, welche den Scharlach oder den Gelenkrheumatismus zu be¬
gleiten pflegt. Man hat deswegen den Ausdruck „lymphozytär-
exsudative Nephritis“ für die Scnarlachnephritis geprägt. Nehmen
wir schließlich die bekannte, schon oben erwähnte Erscheinung hinzu,
daß bei allen chronischen destruktiven Prozessen Lymphozyteninfiltrate
aufzutreten pflegen, so wäre in kurzen Strichen das gezeichnet, was
wir über die lymphozytäre Reaktion im Bindegewebsgerüst der Or¬
gane kennen (s. bes. Marchand I. c.). Die Veränderungen der lympho-
zytären Reihe des Blutes lassen wir außer acht, ebenso die Affektion
der Lymphozyten innerhalb der Iympathischen Organe unter dem Ein¬
flüsse der Bestrahlung, der Vergiftung mit Rizin, mit Arsen (Wät¬
jen) usf. Auch gehen wir nicht weiter auf die topographischen Be¬
ziehungen der Lymphozyten zu dem gesamten Verdauungskanal ein,
die ja so eindringlich auf irgendwelche Beziehungen der Lympho¬
zyten zu den Verdaungsvorgängen hinweisen. Denn hier handelt es
sich überall um Vermutungen, nicht um Beweise. Höchstens wären
die bemerkenswerten Versuche von Stheemann 3 ) und Rößles
Leitung anzuführen, welche zeigen, daß bei der Fettresorption aus
dem Darm und der weiteren Fettverarbeitung zwar die Retikulo-
endothelien der mesenterialen Lymphknoten in großartiger Weise
beteiligt sind, daß aber für die Lymphozyten eine solche Beteiligung
in irgendwie nachweisbarer Form nicht festgestellt werden konnte.
Gegenüber allen diesen den Pathologen geläufigen Tatsachen
mußte es in der Tat als eine „neuartige Auffassung“ erscheinen,
als Bergei auf Grund einer größeren Reihe von experimentellen
Untersuchungen die Hypothese aufstellte, daß „die Antigene Iipoiden
Charakters von den Lymphozyten abgebaut werden, während die
polymorphkernigen Leukozyten sich gegen eiweißhaltige Entzündungs¬
erreger richten (S. 29)“.
Da die Arbeiten Bergeis unter den Augen Wassermanns
entstanden sind, so wird man „ den Worten des letzteren um so
größere Bedeutung beilegen, wenn er sagt, daß Bergei „völlig
neue Gesichtspunkte für die ungemein wichtige Rolle der Lympho¬
zyten bei biologischen und pathologischen Vorgängen eröffnet hat“.
Leider können wir uns dieser Anschauung nicht anschließen. Wir
sehen uns vielfach genötigt, den Ausführungen Bergeis, wie sie
jetzt in der erwähnten Monographie vorliegen, so weit entgegen¬
zutreten, als wir uns als Pathologen ein eigenes Urteil gestatten
dürfen. Ueber die hämatologischen und klinischen Auffassungen des
Autors steht uns kein Urteil zu. Wir überlassen es den hier be¬
wanderten Fachkollegen.
Die Beweise, welche Bergei für seine Auffassung bringt, be¬
stehen einmal in seinen Bebrütungsversuchen von Wachsplatten mit
„lymphozytenreichem“ Material, das andere Mal in Bauchhöhlen¬
versuchen mit Injektion von Lipoiden in dieselben. Was die ersteren
anbetrifft, so ist nur kurz zu sagen, daß sie keinen Beweis dar¬
stellen, weil das Milzgewebe vorwiegend aus nichtlymphozytären
Zellen besteht, der tuberkulöse Eiter eine bunte Mischung von
Histiozyten, Lymphozyten und Leukozyten darstellt, das Lymph¬
knotengewebe noch genügend andere Zellelemente enthält, um alle
diese Versuche als widersprechend oder als unrein bezeichnen zu
müssen. Die Fortschritte, welche in der Trennung der Milzpulpa¬
zellen von den echten Lymphozyten seit langem angebahnt sind,
werden in den Berge Ischen Darstellungen einfach übergangen.
Als Beweise bleiben also nur die Bauchhöhlenversuche, welche eine
genauere Differenzierung und Auszählung der einzelnen Zellarten
und eine Kontrolle ihrer Tätigkeit im einzelnen gestatten. Die Ver¬
suche, den Zellen des Organismus auf diese Weise die verschieden¬
artigsten Substanzen zu „fressen“ zu geben, sind alt und besonders
von Metschnikoff, Mesnil, Bordet ausgearbeitet worden. Die
gesetzmäßigen Phasen der Reaktion, der primäre Schwund der nor¬
malerweise in der Bauchhöhle vorhandenen Zellen, das Auftreten der
») Zieglers Beitr. 1909,45.- Zieglers Beitr. 1917,'50. - *) Zieglers Beitr. 1910,48.
Leukozyten, die zunehmende Vermehrung der großen Lymphozyten,
die Phagozytose der eingebrachten fremden Substanzen und der all¬
mählich zerfallenden Leukozyten durch die Makrophagen, wie sie jetzt
Bergei schildert, sind bereits durch die verschiedenen Autoren ein¬
gehend studiert worden (s. Marchand I. c.). Endlich hat Briscoe
auch die zeitlichen Gesetzmäßigkeiten dieser Reaktionen und ihren
gesetzmäßigen Ablauf bei den verschiedenartigsten Fremdkörpern so¬
wohl flüssiger, wie fester Form nachgewiesen. Insbesondere ist die
Aufnahme von Fetten in Gestalt von Milchkügelchen seitens der großen
Lymphozyten bereits durch Bordet, Briscoe u.a. aufgedeckt wor¬
den. Allerdings ist es diesen Autoren nicht eingefallen, darin eine
„spezifische Tätigkeit“ der „großen Lymphozyten“ zu sehen. Das tut
nur Bergei, und zwar auf Grund seiner Versuche mit Injektionen
reiner Lipoide. Gegen die Verwendung von Milch konnte man immer
noch den Einwand erheben, daß es sich um Fetttropfen mit Eiwei߬
hüllen handelt. Er fand nun bei Injektion reiner Lipoide eine typi¬
sche Phagozytose derselben seitens der „Lymphozyten“. Darunter
versteht er alle in der Bauchhöhle vorkommenden Zellen mit Aus¬
nahme der Leukozyten und etwaiger Serosaepithelien. Auf Grund
dieser Versuche erklärt er die Frage der prinzipiellen Trennung dfcr
Lymphozyten und der Leukozyten für nunmehr endgültig gelöst.
Metschnikoffs Makrophagen entsprechen seinen lipolytischen
Lymphozyten, also Lymphozytenabkömmlingen. „Auch die kleinen
und mittleren Lymphozyten haben, was Metschnikoff und Ehr¬
lich nicht erkannten bzw. leugneten, phagozytäre Eigenschaften.“
Die von Metschnikoff angeführten Unterscheidungsmerkmale für
die Mikro- und Makrophagen erkennt Bergei nicht an, sondern sieht
sie darin, daß die Makrophagen, soweit sie den lymphozytären Ele¬
menten entsprechen, „gegenüber Iipoiden Antigenen in Aktion treten,
während die Mikrophagen die Reaktionszellen gegen eiweißartige
Erreger sind“.
Der von Wassermann so stark betonte große Fortschritt, den
die Berge Ischen Untersuchungen gebracht haben, besteht also im
Wesentlichen darin, daß die grundlegende Beobachtung Metschni¬
koffs und Ehrlichs über die nichtphagozytäre Eigenschaft der
Lymphozyten als irrig erklärt und statt dessen den Lymphozyten
eine spezifische phagozytäre Tätigkeit, nämlich Iipoiden Antigenen
gegenüber, zugesprochen wird. Wer einigermaßen die Literatur über
die Phagozytose kennt, muß über die Kühnheit dieser neuen Be¬
hauptung erstaunt sein. Zergliedern wir die Berge Ische Hypothese,
so besteht sie aus zwei Hauptteilen: 1. Die Makrophagen der
Bauchhöhle stammen von den kleinen Lymphozyten ab; 2. die
kleinen Lymphozyten und die von ihnen abstammenden Makrophagen
sind spezifisch auf lipoide Antigene eingestellt.
Mit seiner ersten Behauptung könnte sich Bergei auf Me¬
tschnikoff selbst, wie auch auf Hel ly u. a., berufen. Damals be¬
stand eben noch keine Möglichkeit, diese beiden Zellarten genauer
zu trennen. Heute wissen wir aber, daß die Makrophagen in dem
Bindegewebe eines ausgewachsenen Säugetieres, zu dem unsere
Experimentiertiere gehören, eine Zellart für sich darstellen, die mit
Hilfe der verschiedensten vitalen Färbungen ganz different von den
Lymphozyten gefärbt werden kann. Bis jetzt ist es noch keinem
Forscher gelungen, echte Lymphozyten intravital zu färben, was bei
den Histiozyten spielend gelingt. Ebensowenig ist es jemals ge¬
lungen, die sicher von den Lymphozyten abstammenden Plasma¬
zellen intravital zu färben. Endlich ist der positive Beweis eines
Uebergangs von Lymphozyten in Histiozyten (Makrophagen) nirgends
erbracht worden. Wie vorsichtig man mit sogenannten „Ueber-
gangsbildern“ sein muß, ist ja bekannt genug. Es muß daher
unseres Erachtens in der Tat als eine neuartige Auffassung wirken,
daß Bergei, ohne im Geringsten neue Beweise zu bringen, die
Abstammung der Histiozyten von den Lymphozyten als selbst¬
verständlich hinstellt. Wenn er dabei auf frühere entwicklungs¬
geschichtliche Stadien zurückgreift, so ist das unerlaubt, denn schlie߬
lich stammen alle Zellen von gemeinsamen Mutterzellen ab. Wir
haben es aber nur mit dem fertigen Organismus zu tun.
Da sich nun seine Beobachtungen so gut wie ausschließlich auf
die sogenannten Makrophagen der Bauchhöhle beziehen, diese aber
gar keine Lymphozyten, sondern von ihnen scharf zu trennende, zum
Beispiel im Blut nur ganz vereinzelt vorkommende Histiozyten sind,
so fallen alle Schlüsse, die Bergei aus seinen Versuchen auf die
Natur der Lymphozyten gezogen hat, dahin. Er wird freilich
einwenden, daß er auch an den kleinen Lymphozyten Phago¬
zytose von Fettröpfchen beobachtet habe. Das steht schon im Wider¬
spruch mit den Beobachtungen eines so ausgezeichneten Forschers
wie Metschnikoff. Aber wir haben die Versuche, die der eine
von uns 1902/03 mit Briscoe durchgeführt, wieder aufgenommen.
Und wir können nur sagen, daß wir in keinem unserer vielfach
variierten Versuche (siehe später) eine Phagozytose seitens echter
Lymphozyten gesehen haben. Wo ganz ausnahmsweise ein Fett-
tröptehen in einer lymphozytenähnlicnen Zelle zu liegen schien, da
war es nach dem Aussehen des Kernes und des Protoplasmas wahr¬
scheinlicher zu machen, daß eine besonders kleine Form von Histio¬
zyten vorlag. Aber selbst, wenn man diese Zellen als Lymphozyten
ansprechen wollte, so ist die Zahl dieser „fettphagozytierenden
Lymphozyten“ so verschwindend gering gegenüber den fettaufnehmen-
den Histiozyten, daß von einer besonderen Bevorzugung der Lympho¬
zyten gar keine Rede sein kann. Wir glauben aber das Vorkommen
solcher fetthaltiger echter Lymphozyten aut Grund unserer Versuche
an vitalgefärbten Tieren, besonders an solchen, bei welchen eine
Difitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
796
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
intravitale Färbung des Bauchhöhleninhalts durch direkte Injektion
des Farbstoffes in die Bauchhöhle ermöglicht war, ausschließen oder
für ganz seltene Ausnahmen erklären zu müssen. Nur diejenigen
Zellen, die auf Farbstoffspeicherung hin als histiozytäre Elemente in
der Regel ohne weiteres zu erkennen sind, speichern auch Fett. Eine
Ausnahme machen nur die Leukozyten, welche ebenfalls nicht so
selten Fetttröpfchen aufnehmen können. Jedenfalls ließen sich aus
unseren Beobachtungen irgendwelche Beweise, daß echte Lympho¬
zyten Fett aufnehmen, nicht erbringen. Alle als solche erkennbaren
Zellen waren frei von Fett. Wir können also die Angaben von
Metschnikoff ünd Ehrlich über den Mangel phagozytierender
Eigenschaften bei den Lymphozyten nur bestätigen. Wir müssen von
Bergei positive Beweise verlangen, ehe wir in seiner Lehre wirklich
einen Fortschritt und nicht vielmehr einen Rückschritt erkennen
sollen. Der Beweis kann nur dadurch erbracht werden, daß man in
den phagozytierenden Zellen die in Lage und Form charakteristischen
Altmannschen Granula der Lymphozyten (Schridde, Naegeli)
nachweist. Bis jetzt ist das nicht geschehen. So lange darf man aber
solche charakteristische Elemente, wie zum Beispiel die Epitheloid-
z'ellen des Tuberkels, nicht mit Lymphozyten identifizieren.
HuKntftiuitiss.
Eidotter
Lymphocyten
Aber selbst, wenn bewiesen oder auch nur wahrscheinlich ge¬
macht werden sollte, daß sich die Lymphozyten leicht und ohne
weiteres im erwachsenen Säugetierkörper in Histiozyten um wandeln,
bleibt die weitere Frage zu erörtern, ob denselben eine spezifische
verdauende Wirkung auf Lipoide zukomme. Wenn das richtig wäre,
so müßte man nur bei Injektion von Lipoiden in die Bauchhöhle
die charakteristische-Veränderung in dieser, wie sie Bergei ge¬
schildert hat, bekommen. Nun zeigt aber schon ein Blick in die
vorliegende Literatur, besonders in die Arbeit von Briscoe, daß
diese Reaktionen bei Injektion aller möglichen Substanzen in prinzi¬
piell gleicher Weise auftreten. Um ganz sicher zu sein, haben wir
diese Versuche von Briscoe, der bereits Milch, Bouillon, Pepton¬
wasser usw. injizierte, aber die Trennung der Lymphozyten und der
Histiozyten nach dem Stand der damaligen Kenntnisse nicht durch¬
führen konnte, wiederholt und sie in Rücksicht auf die Berge Ische
Hypothese erweitert. Wir benutzten zur Injektion: Milch, Olivenöl
(10o/oige Emulsion), Eidotter (5fach mit Kochsalzlösung emulgiert),
Lezithin (10<>/oige Emulsion), Hühnereiweiß, 10°/oige Zuckerlösung,
5o/oige Glykogenaufschwemmung. Wir geben aus den verschiedenen
Versuchen und Zählungen, über welche an anderer Stelle genauer
berichtet werden wird, nur zwei Kurven wieder, die wohl genügend
beweisen, daß die Bauchhöhle auf Eiweiß genau so reagiert wie auf
Fett. Und diese Kurven stimmen wieder mit denjenigen prinzipiell
überein, welche nach Injektion physiologischer Kochsalzlösung ge¬
wonnen werden. Für alle diese Versuche ist das vermehrte Auftreten
der „großen Lymphozyten“, d. h. der Makrophagen oder Histiozyten,
charakteristisch. Es handelt sich also stets um eine ausgesprochen
histiozytäre, weniger lymphozytäre Reaktion. Aber, selbst wenn man
die Histiozyten mit den Lymphozyten identifizieren wollte, so müßte
man anerkennen, daß von einer Spezifizität dieser Reak¬
tion auf lipoide Antigene gar keine Rede ist. Freilich
kann man den Nachweis der korpuskulären Aufnahme der ein-
gebrachten Massen seitens der Makrophagen nur bei den Lipoiden,
nicht dagegen bei den Eiweißlösungen und Kohlenhydratlösungen
führen. Aber wir wissen aus Untersuchungen früherer Autoren, daß
rote Blutkörperchen, abgetötete Bazillen, Aleuronat usw. ganz die
gleichen zelligen Reaktionen mit Makrophagie auslösen (siehe auch
Briscoe), daß also auch hier keine Spezifizität für Lipoide besteht.
Nun wäre freilich noch die Möglichkeit gegeben, daß die Mengen¬
verhältnisse der an der Reaktion beteiligten Zellen (neutrophile bzw.
azidophile Leukozyten, Histiozyten, Lymphozyten, gegebenenfalls auch
Peritonealepithelien) je nach der eingebrachten Substanz wechseln.
Das ist nun in der Tat der Fall. Die Reaktion ist, wie auch Berge!
richtig hervorhebt, eine sehr komplizierte, insofern zunächst die Leuko¬
zyten auf dem Plane erscheinen und dann erst die Histiozyten, welch
letztere wiederum die Leukozyten als Beute in sich aufnehmen. Nun
Nr. 24
wechselt aber die Zahl der auftretenden Leukozyten in der Tat nach
der eingebrachten Substanz, was wir nach den Gesetzen der Chemo¬
taxis, wie sie uns Leber aufgezeigt, gar nicht anders erwarten
konnten und wie es seit Met sch n ikof f für die Bauchhöhle bekannt
ist. Darnach wechselt auch die Zahl der untergehenden Leukozyten
die nun ihrerseits wieder einen Reiz auf die Makrophagen ausüben
Auf den bunten Wechsel dieser Bilder bei Injektion der verschiedenen
Substanzen hat besonders Briscoe aufmerksam gemacht. Er be¬
tont dabei auch, daß Milch und Karminpulver (nicht das zur vitalen
Färbung benutzte gelöste Lithionkarmin) von Leukozyten und
„Lymphozyten“, dagegen die roten Blutkörperchen nur von den
„Lymphozyten“ aufgenommen werden. Auch macht Briscoe be¬
reits auf den Wechsel in der Reaktion bei wiederholten Injektionen
aufmerksam.
Will man also eine Spezifizität der „Iymphozytären“ Reaktion (im
Sinne Berg eis) gegen lipoide Antigene beweisen, so müßte man
durch Auszählen feststellen, daß nach Injektion von Lipoiden die
Zahl entweder der „echten Lymphozyten“ allein oder, wenn man an
eine Identität der echten Lymphozyten und der Histiozyten glaubt,
der beiden Zellarten zusammen viel größer ist als nach Injektion
anderer Substanzen. Solche Auszählungen stoßen freilich auf große
Schwierigkeiten, weil man bei Entnahme der Bauchhöhlenflüssigkeit
mittels Pipetten aus den einzeln gezählten Deckglaspräparaten noch
keinen ganz sicheren Schluß auf das Verhalten der ganzen Bauchhöhle
wagen kann. Man ist also auf Schätzung aus den Zählungen an¬
gewiesen. Aber man darf jedenfalls diese Zählungen nicht unter¬
lassen, wenn man die stärkere. Reaktion der Lymphozyten auf lipoide
Antigene gegenüber'Eiweißinjektionen — ich will nicht sagen be¬
weisen —, sondern überhaupt nur wahrscheinlich machen will. Solche
Zählungen sind aber von Bergei nicht vorgenommen, jedenfalls
nicht mitgeteilt worden.
Ueber unsere Versuche, durch Injektion der verschiedenartigsten
Antigene (Eiweißkörper, Lipoide, Kohlenhydrate) unter die Haut
spezifische Reaktion auszulösen, werden wir an anderer Stelle be
richten; doch sei schon jetzt gesagt, daß auch hier nichts ge
funden wurde, was irgendwie für eine spezifische
lymphozytäre Reaktion auf lipoide Antigene spräche
Diese Versuche ergänzen wegen der gleichzeitigen Uebersicht über
den Inhalt der Gefäße sehr glücklich die Versuche an der Bauch¬
höhle. Unsere Versuche stehen, wie wir schließlich noch hervorheben
möchten, mit den Ergebnissen einer von ganz anderen Gesichts¬
punkten aus geführten Untersuchungsreihe Reschs 1 ), am Liquor
cerebrospinalis in vollem Einklang. Auch Resch konnte bei seinen
Untersuchungen keinen Zusammenhang zwischen Lipase und Lympho¬
zyten finden. Ebenso zu werten sind die Nachprüfungen, die
Nees 2 ) über die Verdauung von Wachsplatten mit verschiedenen
Eiterarten angestellt hat. Wenn auch hier die gleichen Einwände
gegen den rein Iymphozytären Charakter der so bezeichneten Eiter¬
arten gelten, wie bei Bergel, so zeigen doch die Versuche in Be¬
stätigung aller pathologischen Errahrung, daß auch Leukozyteneiter
Fettsubstanzen anzugreifen vermag. Die neuesten Angaben von
Nakahara 3 ) über eine durch Injektion von Olivenöl hervor¬
gerufene Immunität gegen Krebs unter gleichzeitiger Wucherung des
lymphatischen Gewebes sind insofern nicht beweisend, als sie nur
zeigen, daß diese Wucherungen durch die verschiedensten physika¬
lischen und chemischen Mittel hervorgerufen werden können. Um
so wichtiger sind die Befunde vor} Ziegler 4 ), der bei der ente-
ralen wie paraenteralen Einverleibung von Fetten den Weg derselben
und ihre Ablagerung genau verfolgte und dabei immer wieder be¬
tont, daß die echten Lymphozyten der Lymphknoten und der Milz¬
follikel im Gegensatz zu den Retikuloendothelien und Pulpazellen
frei von Fettkörnchen bleiben. Morphologie und Klinik sind also
vorläufig zur Ablehnung der Berge Ischen Hypothese gezwungen
Wir kommen zu dem Schlosse: 1. Die Voraussetzung von Wasser¬
mann und Bergei, daß die Makrophagen von den echten
Lymphozyten abstammen, ist bis jetzt nicht bewiesen. 2. Die An¬
nahme der gleichen Autoren, daß den echten Lymphozyten eine phago¬
zytäre Fähigkeit zukäme, läßt sich in keiner Weise stützen. Vielmehi
müssen die Anschauungen von Metschnikoff und Ehrlich
welche solche Phagozytose ablehnen, als vorläufig zu Recht bc
stehend anerkannt werden. 3. Auch wenn man die Makrophagei
(Histiozyten) ohne weiteres mit den Lymphozyten identifizieren dürfte,
wie es Wassermann und Bergei tun, so ist doch, wenigstens
nach den von ihnen angewandten Bauchhöhlenversuchen, von einer
spezifischen Reaktion derselben auf lipoide Antigene keine Rede. Die
Reaktion tritt in ganz ähnlicher Form auch bei Benutzung eiweiß-
artiger oder kohlenhydratartiger Antigene auf. 4. Der Beweis be¬
sonderer, d. h. nur für die Lymphozyten charakteristischer Verdauungs¬
fermente gegen Lipoide ist bisher nicht erbracht.
1) Zschr. f. klin. M. 1921,92. - *) Biochem. Zschr. 1921, 124. — >) The Journal 0!
exper, Med. 1922, 35. +) Zscbr. f. d. ges. exper. Med. 1921, 24.
Digitized b"
< Goo gle
Original from
CORNELL UNSVERSiTY
16. Juni 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
797
Aus der Serodiagnostischen Abteilung des Instituts für
experimentelle Therapie „Emil v. Behring" in Marburg a. L.
(Direktor: Geh.-Rat Uhlenhuth.)
Ueber die Möglichkeiten weiterer Vereinfachungen meiner
Trübungsreaktion.
Von H. Dold, Abteilungsleiter.
In früheren Arbeiten 1 ) habe ich über eine vereinfachte,
frühzeitig makroskopisch ablesbare Syphilisdiagnose, die
sog. Trübungsreaktion, berichtet, ein Verfahren, welches außer¬
dem den Vorteil hat, daß es ohne weiteres auch noch die Ablesung
als Flockung gestattet und so Einblick in den ganzen Ablauf des
Präzipitationsvorganges gewährt (Kurvenreaktion).
Die Trübungsreaktion gründet sich auf folgende Beobachtungen:
1. Wenn man normale klare Sera mit den opaleszenten Verdün¬
nungen geeigneter Organextrakte vermischt und die Mischungen,
welche einen geringen Grad von Opaleszenz aufweisen, einige Zeit
im Brutschrank stehen läßt, so beobachtet man teils ein Unver¬
ändertbleiben des optischen Zustandes der Mischung, teils
eine Aufhellung.
Aus dieser Beobachtung ging hervor, daß viele (aber nicht alle)
Normalsera die opaleszierende Extraktverdünnung aufhellen, mit
andern Wprten, daß viele Normalsera auf die Extrakt Ver¬
dünnung dispergierend wirken.
2. Mischt man normale, trübe Sera in gleicher Weise mit
geeigneten Extraktverdünnungen und läßt sie im Brutschrank stehen,
so beobachtet man teils eine Aufhellung des zunächst ge¬
trübten Gemisches, teils ein Unverändertbleiben des im
Augenblick der Mischung resultierenden Trübungszustandes.
Aus dieser Beobachtung ergab sich, daß der Extrakt auf
viele (jedoch nicht auf alle) Trübungen normaler Sera auf¬
hellend, also dispergierend einwirkt.
3. Mischt man Sera von Syphilitikern in der gleichen Weise
mit geeigneten Extraktverdünnungen, so tritt — bala rascher, bald
langsamer — eine Trübung des Gemisches auf. War das zugesetzte
Serum an sich schon trübe, so kommt es zu einer Trübungszu¬
nahme.
Diese unter 3. beschriebene Beobachtung ist das Anfangsstadium
der durch Syphilisserum im Extrakt erzeugten Präzipitation (vgl.
Eppstein und Paul, Niederhoff u. a.). deren Endstadium den
grobdispersen Flocken der Sachs-Georgi- bzw. Meinicke-Reaktion
entspricht.
4. Auch bei Seren von Nichtsyphilitikern (z. B. Seren von Tuber¬
kulösen) treten mitunter Trübungen auf, jedoch mit dem Unterschied,
daß diese vorübergehend (reversibel) und nach 4 Stunden 37° C
meist wieder verschwunden sind.
Diese Beobachtung zeigte, daß das Trübungsphänomen als solches
ebensowenig wie das Flockungsphänomen eine für Syphilis streng
spezifische Erscheinung ist.
Das bei sehr vielen Normalseren zu beobachtende Auf¬
hellungsphänomen ist nicht minder interessant als das bei den
Syphilisseren zu beobachtende Trübungsphänomen. Dieses
Aufhellungsphänomen, bei dem man 2 Arten unterscheiden
kann, nämlich a) die Aufhellung trüber Normalsera durch die Extrakt¬
verdünnung, b) die Aufhellung stark opaleszenter bis trüber Extrakt¬
verdünnungen durch Normalsera, liefert — unter der Voraussetzung
eines Zusammenhangs zwischen Komplementbindung und Trübungen
— eine einfache sichtbare Erklärung für die bekannten Erfahrungs¬
tatsachen, daß a) Eigenhemmungen normaler, getrübter Sera im
Hauptversuch (infolge der Gegenwart des dispergierend wirkenden
Extraktes) mehr oder weniger verschwinden und b) daß auch etwaige
Eigenhemmungen des Extraktes im Hauptversuch (infolge der Gegen¬
wart des dispergierend wirkenden Normalserums) nicht zur Geltung
kommen.
Würden einerseits alle normalen (nicht syphilitischen) Seren
mit dem Extrakt unter Aufhellung und anderseits nur die syphi-
I Hi sehen Seren mit dem Extrakt unter Trübung reagieren, so
hätten wir die denkbar einfachste Syphilisreaktion. Man brauchte
dann nur die zu untersuchenden Sera mit geeigneten Extraktver¬
dünnungen zu vermischen: nach Ablauf der Versuchszeit wären
dann die trüb aussehenden Proben als positiv, die klaren als negativ
zu betrachten.
Leider liegen aber die Verhältnisse, wie aus dem oben
Gesagten hervorgeht, nicht so einfach. Es gibt gewisse Trü¬
bungen normaler Sera, welche nach Zumischen von Extrakt nicht
verschwinden, ferner gibt es gewisse klare Normalsera, welche die
Opaleszenz der Extraktverdünnung nicht aufzuhellen vermögen, und
es. gibt gewisse nicht syphilitische Sera, welche einen — wenn auch
zeitlich beschränkten — TrübungsVorgang zeigen.
Daraus folgt, daß die Trübungsreaktion nur unter Berück¬
sichtigung des optischen Verhaltens a) des Extraktes (Extraktkon¬
trolle), b) des Serums (Serumkontrolle) und c) unter Berücksichtigung
des zeitlichen Verlaufes der auftretenden Trübung im spezifisch
diagnostischen Sinne zu verwerten ist. Nur wenn in dem Serum¬
extraktgemisch unter dem Einfluß des zu untersuchenden Serums
eine Trübung bzw. bei schon vorhandener Trübung eine Trü-
») H. Dold, Arb. Inst. exper.JTher.|Frankf. 1921 H.J14; M. Kl. 1921 Nr.ßt ; 1922 Nr.'J.
bungszunahme auftritt und wenn diese Trübungsreaktion nicht
flüchtiger Natur ist, sondern bei der Ablesung nach 4 Stunden
(37° C) noch besteht, kann erfahrungsgemäß die Trübungsreaktion
als für Syphilis in hohem Maße charakteristisch gelten.
Wenn man bedenkt, daß die Präzipitationsvorgänge im Extrakt,
welche der Trübungsreaktion und den Flockungsreaktionen zugrunde¬
liegen, kurvenmäßig verlaufen und daß hierbei, wie ich in meiner
Arbeit: Zur Kenntnis meiner Trübungs-Flockungsreaktion, M. Kl. 1922
Nr. 7 gezeigt habe, neben einem regulären Verlaufstypus auch
abnorme Verlaufstypen zur Beobachtung kommen, zwischen denen
auch alle möglichen Uebergänge, z. B. Uebergänge zwischen
den in der genannten Arbeit in Fig. III und V abgebildeten Typen,
Vorkommen, so wird man begreifen, daß die 4stündige Ablesungs¬
zeit bis zu einem gewissen Grade willkürlich ist. Sie
ist lediglich der praktischen Erfahrung entnommen.
Es ergibt sich daraus, daß die Trübungsreaktion bei der zuerst
angegebenen Ausführungsform (DI) nur dann als positiv ange¬
sprochen werden kann, wenn nach 4 Stunden Aufenthalt im Brut¬
schrank das Versuchsröhrchen (Serum -j- 1/11 Extraktverdün¬
nung) trüber erscheint als die Extraktkontrolle (Kochsalz¬
lösung -f- 1/11 Extraktverdünnung) und als die Serumkontrolle
(Serum -f 1/11 Alkoholverdünnung) oder, anders ausgedrückt, wenn
von den 3 Röhrchen (Versuchsröhrchen, Extrakt- und Serumkontrolle)
das Versuchsröhrchen entweder die einzige oder die stärkste
Trübung zeigt.
Später konnte ich durch Vereinigung der Serum- und
Extraktkontrolle zu einer kombinierten Kontrolle
(Formolko nt rolle), wie an anderer Stelle (D. m. W. 1922 Nr. 8)>
mitgeteilt worden ist, eine weitere technische Vereinfachung
erzielen. Bei der Ablesung der Resultate dieser vereinfachten
Trübungsreaktion (D II) handelt es sich nur noch darum, festzustellen,
ob die Versuchsprobe trüber ist als die Kontrolle oder
nicht. Im ersteren Falle liegt eine positive Reaktion vor, in
allen anderen Fällen eine negative.
Die Frage, ob etwa noch weitere Vereinfachungen der
Trübungsreaktion möglich sind, ist entschieden wert, erörtert
zu werden, namentlich in der gegenwärtigen Zeit, wo jede Ersparnis
an Zeit, Arbeit und Material dringenste Notwendigkeit geworden ist.
Was zunächst die Zeitfrage anlangt, so halte ich im Interesse
der Sicherheit der Resultate eine weitere Verkürzung der Ver¬
suchsdauer (4 Stunden 37° C) nicht für angängig. Denn
wenn auch, worauf ich schon in früheren Arbeiten hingewiesen habe,
in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle eine viel frühere Ab¬
lesung möglich ist (in vielen Fällen tritt die Reaktion in wenigen
Minuten, in den meisten Fällen innerhalb der ersten halben bis
1 Stunde auf), so muß doch immer bedacht werden: 1. daß sich die
Reaktion gelegentlich auch langsamer entwickelt und 2. daß auch
unspezifische, vorübergehende Trübungen mitunter Vorkommen. Mit
Rücksicht auf diese selteneren Fälle, die nicht außerachtgelassen
werden dürfen, ist eine weitere Verkürzung der Versuchsdauer und
eine frühere Ablesung als nach 4 Stunden zu widerraten. Wenigstens
gilt dies für die bisher für meine Trübungsreaktion gebräuchlichen
Extrakte. Es ist selbstverständlich nicht ausgeschlossen, daß Ex¬
trakte 1 ) gefunden werden können, welche eine noch frühere Ab¬
lesung der Resultate, ohne Verlust an Zuverlässigkeit, ermöglichen.
Dabei ist aber zu bedenken, daß bei zu starker Beschleunigung
des Präzipitationsablaufes *die individuellen Verschieden¬
heiten des Reaktionsvorganges weniger deutlich zum Ausdruck
kommen, womit das, was ich als einen wesentlichen Vorzug
meines Verfahrens betrachte, nämlich die Möglichkeit, Ein¬
blick in die Art des Präzipitationsablaufes zu gewinnen,
mehr oder weniger wieder verlorengeht.
Anders und günstiger liegen die Verhältnisse hinsichtlich der
Materialfrage. Wenngleich ich das Arbeiten mit einer Serum¬
dosis von 0,4 ccm und einer Extraktdosis von 2,0 ccm des 1/11 ver¬
dünnten Extraktes als Norm, welche meiner Erfahrung nach die
besten Resultate liefert und die günstigsten Bedingungen beim
Ablesen der Resultate bietet, empfohlen habe, so kann man, wo der
Fall und die Lage es erfordern, doch auch mit kleineren Dosen,
sowohl was das Serum als auch was den Extrakt betrifft, auskommen.
Um den Extraktverbrauch einzuschränken, könnte man — bei gleich
bleibender Serumdosis — die Extraktdosis auf 1,5 ccm, evtl, sogar
auf 1,0 ccm verringern. Durch die Verkleinerung der Flüs¬
sigkeitsmengen wird allerdings meiner Erfahrung
nach die makroskopische Ablesbarkeit der Resultate,
namentlich der schwachen Reaktionen, entsprechend erschwert.
Aber da die Ablesung der Trübungsresultate ja auch Uebungssache
ist, ist es denkbar, daß man bei wachsender Uebung trotz Ver¬
wendung kleinerer Extraktmengen die Ergebnisse noch genügend
deutlich ablesen kann.
Eine wesentliche Vereinfachung und Materialersparnis würde es
bedeuten, wenn man auf die Kontrollen verzichten könnte, wie
dies Mein icke (D. m. W. 1922 Nr. 12) bei Verwendung von „Bal¬
samextrakten“ empfehlen zu können glaubt. Ich habe aber schon
ausgeführt, daß ein genereller Verzicht auf die Kontrollen
meines Erachtens nicht möglich ist, 1. weil gewisse
trübe Normalsera durch den Extrakt 2 ) nicht aufgehellt werden
>) Nach der MHteUunifMein ickes (D. m. W. 1922 Nr. 12) würde diese Eigenschaft
den von ihm empfohlenen „Balsam extrakten“ zukommen.
») Dies gilt meiner Erfahrung nach auch für die von Mel nicke empfohlenen
Balsam-Cholesterin-Extrakte.
Digitized b'
Google
Original from
CORNELL UNIVERSUM
798
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
und 2. weil bei trüben syphilitischen Seren eine positive Reaktion
sich in einer Trübungszunahme äußert, welche mit Sicherheit
nur durch einen Vergleich mit der den ursprünglichen Trü¬
bungszustand zeigenden Kontrolle ermittelt werden kann. Höch¬
stens ließen sich, namentlich an größeren Untersuchungsstellen, Zeit-
und Materialersparnisse dadurch erzielen, daß man die jeweils an
einem Tag zu untersuchenden Serumproben in 2 Gruppen teilt,
nämlich in eine Gruppe von völlig klaren Serumproben
und in eine andere Gruppe, welche die mehr oder weniger
trüben Seren umfaßte. Bei der Gruppe der völlig klaren
Sera könnte man — eine nur leicht opaleszente Extraktverdünnung
vorausgesetzt — vielleicht auf das Ansetzen von Kontrollen ver¬
zichten. Bei dieser Gruppe würden dann beim Ablesen nach 4 Stun¬
den (37° C) alle getrübten Röhrchen als positiv, alle klaren oder
nur leichte Opaleszenz zeigenden Röhrchen als negativ zu bezeichnen
sein.
Bei der Gruppe der trüben Sera dagegen müßte, wie bis¬
her, für jeden Versuch eine Kontrolle (Formolkontrolle) an¬
gesetzt werden, und es wären bei der Ablesung (nach 4 Stunden
37° C) nur diejenigen Proben als positiv zu bezeichnen,
welche gegenüber den Kontrollen getrübt erscheinen.
Auf diese Weise ließen sich — man kann wohl sagen ohne Be¬
einträchtigung der Sicherheit der Ergebnisse — Ersparnisse an Zeit,
Arbeit und Material erzielen. Aber ich möchte ausdrücklich betonen,
daß ich ein solches Verfahren nur als Notbehelf, nicht als
Norm betrachte. Als Norm möchte ich nach wie vör die Aus¬
führung meiner Reaktion mit 2 Kontrollen fDI) oder noch besser
mit der kombinierten Formolkontrolle (DII) empfehlen.
Zusammenfassung. 1. Eine frühere Ablesung der Trübungs¬
reaktion als nach 4 Stunden (bei 37° C) ist wegen des Vorkommens
unspezifischer vorübergehender Trübungen nicht angängig —
wenigstens nicht bei Verwendung der bisher gebräuchlichen Trübungs-
extrakte.
2. Eine Verkleinerung der Flüssigkeitsmenge der Proben ist
möglich, erschwert aber meiner Erfahrung nach die makroskopische
Ablesbarkeit der Resultate, namentlich bei schwächeren Reaktionen.
3. Mit Rücksicht auf die trüben Normalsera, welche durch den
Extrakt nicht aufgehellt werden, sowie mit Rücksicht auf die
trüben Syphilissera, bei denen eine positive Reaktion in einer (nur
durch Vergleich mit der Kontrolle zu ersehenden) Trübungszunahme
sich äußert, ist ein allgemeiner Verzicht auf die Kontrollen
nicht angängig. — Die Arbeit enthält Angaben, wie unter Um¬
ständen gewisse Vereinfachungen und Ersparnisse erzielt werden
können.
Appendizitis und Gonorrhoe, die beiden häufigsten Ursachen
der chronischen Entzündungen der Tuben und Ovarien
Von Dr. Arthur Mueller in München.
Im Jahre 1915, kurz vor seinem Tode, schrieb der Entdecker des
Gonokokkus, Neißer (M. KI. Nr. 18):
„Die meisten Frauenärzte stehen auf dem Standpunkte: Wenn
eine bisher gesunde Frau im Laufe des ersten oder der ersten Ehe¬
jahre, oder nach der ersten Entbindung, eine aszendierende Endo¬
metritis und Adnexentzündung bekommt, so wird, falls der Mann früher
eine Gonorrhoe gehabt hat, der Krankheitsprozeß eo ipso als gonor¬
rhoische Infektion angesehen, selbst wenn es trotz häufig und mit allen
provokatorischen »Schikanen' wiederholten Untersuchungen des Man¬
nes nicht gelingt, bei ihm Gonokokken nachzuweisen.“ „Gegen diesen
Standpunkt möchte ich Stellung nehmen usw.“
„Oft werden Fehldiagnosen gestellt, indem harmlose Kokken
für Gonokokken gehalten werden.“ „Ja, es wird nach meinen per¬
sönlichen Erfahrungen leider oft auch nicht einmal der Versuch ge¬
macht, durch mikroskopische Untersuchung den Tatbestand festzu¬
stellen.“
„Vielleicht beruht der häufig berichtete Mißerfolg der Arthigon-
therapie bei den sogenannten ,gonorrhoischen' Adnexerkrankungen
darauf, daß es gar keine gonorrhoischen Affektionen waren.“
„Vielleicht wird es durch die gemeinsame bakteriologische Arbeit
(der Gynäkologen) sogar gelingen, die klinisch jetzt noch einheitlich
erscheinenden Prozesse in verschiedene Gruppen, je nach der fest¬
stellbaren Aetiologie, zu trennen.“ —
Es ist mir nicht bekannt, daß diese ernste Mahnung und An¬
regung Neißers Gehör gefunden hätte. Der Krieg mit seiner ver¬
derblichen Ausbreitung der Geschlechtskrankheiten, besonders auch
der Gonorrhoe, deren Bekämpfung eine der wichtigsten Aufgaben der
Spezialärzte für Geschlechtskrankheiten geworden ist, hat die Auf¬
merksamkeit von dieser Warnung abgelenkt. Der Boden schien mir
daher gerade jetzt für eine nüchterne Kritik der Gonorrhoefrage nicht
geeignet. Wenn ich in verschiedenen Kriegslazaretten der Etappe in
ruhigen Zeiten den jüngeren Kollegen meine schon wiederholt publi¬
zierten Anschauungen über den häufigen Zusammenhang zwischen
Appendizitis und Adnexentzündungen usw. vortrug, fand ich meist
absolute Ablehnung. Ein tüchtiger junger Chirurg erklärte mir, „er
habe auf verschiedenen der angesehensten Hochschulen und lOiniken
gelernt und davon nichts gehört“. Wenn ich dann erzählte, daß
Neißer, dem ich auf Grund vorerwähnter Veröffentlichung brief¬
lich meine Ansichten mitgeteilt hatte, mir schrieb: „Ich freue mich.
Nr. 24
endlich einen Frauenarzt kennenzulernen, der meiner Ansicht ist,“
so wurde mir entgegnet: „Neißer ist ja veraltet!“
So hielt ich die Zeit noch nicht für reif für meine Ansichten zu
deren Veröffentlichung ich mich verpflichtet fühlte, um dem Schaden
welcher durch die wohlgemeinte, aber m. E. übertriebene Verall¬
gemeinerung der Gonorrhoediagnose und durch die auf dieser auf¬
gebaute und daher m. E. zum Teil unrichtige Aufklärung angerichtei
wird, beschränkend entgegenzutreten. *
In der Hoffnung, durch eine einfache Erklärung des bisher
schwer verständlichen Zusammenhanges zwischen Appendizitis und
Salpingooophoritis, besonders auch sinistra, meine Auffassung zu
größerer Anerkennung zu bringen und zur Nachprüfung anzuregen,
schrieb ich einen kurzen Artikel: ^,Das Douglasexsudat bei Appendizitis
und Adnexerkrankungen“ (Zbl. f. Gyn. 1920 Nr. 4).
In einer Sitzung des Aerztlichen Vereines in München am 18.111.
19121) hatte ich schon früher an der Hand von 300 Operationen
meine Erfahrungen über den Zusammenhang zwischen Appendizitis und
Adnexerkrankungen dargelegt. Ich hatte die Appendizitis nach meinen
Erfahrungen für ein in der Regel eminent chronisch verlaufendes Leiden
erklärt, während damals die meisten Chirurgen, welche ja gewöhnlich
nur die schwersten akuten Anfälle zu sehen und zu behandeln haben,
die Appendizitis für eine akute Krankheit, eine Infektion, oft aus¬
gehend von den Mandeln, hielten. Ich hatte aber auch schon damals
ein bei allen appendizitischen Reizungen bei der Operation in der
Bauchhöhle, am reichlichsten natürlich an der tiefsten Stelle, im
Douglas, vorhandenes Exsudat als Ursache der bisher schwer erklär¬
baren Fernübertragung der Entzündung bezeichnet (Vgl. I. c. S. 687):
„Dieser bei chronischer Appendizitis ungemein näufigen serösen
Exsudatbildung und deren langdauernder und im Laufe von Jahren
immer wieder, besonders während der Menses, wiederholter Einwir¬
kung auf alle Bauchorgane verdanken nach meiner Auffassung die
meisten Beschwerden und sekundären Erkrankungen bei Appendicitis
chronica ihre Entstehung.
Hierauf beruhen die häufigen, scheinbar rein nervösen perito¬
nitisdien Reizerscheinungen, Magenbeschwerden, Sympathizisra^
Splanchnizismus, Neurasthenie und vor allem die entzündlichen Ver¬
änderungen der Ovarien: die Verdickung der Rindenschicht und
Zystenbildung (kleinzystische Degeneration) sowie die Salpingitis
chronica und acuta.“
Ich verglich dieses Exsudat mit dem Bruchwasser bei eingeklemm¬
ten Hernien.
Der einzige Erfolg meiner Mitteilung, von dem ich erfuhr, war
der, daß ich hörte, daß Prof. Krömer (Greifswald) zu Beginn des
Krieges mein Exsudat einer genauen chemisch-bakteriologischen Unter¬
suchung unterziehen lassen wollte, an deren Vollendung er durch
seinen leider zu früh erfolgten Tod verhindert wurde.
_ Um so erfreulicher war es mir, daß neuerdings Prof. Dr. H.
Kumm eil (Hamburg-Eppendorf) auf Grund von nahezu 9000
Blinddarmoperationen, denen ich jetzt etwa 600 entgegenstellen kann,
sich in zwei Artikeln voll und ganz auf meine Seite stellt und erklärt,
daß auch er schon lange meine Ansichten geteilt und gelehrt habe')
Audi Kümmell erklärt die Appendizitis für ein in den meisten
Fällen eminent chronisches Leiden, welches oft bis in das Säugling-
alter zurückzuverfolgen ist. Aber während Kümmell glaubt, daß
die Appendizitis — schon im Säuglingsalter — das Primäre, die
Obstipatio chronica die Folge ist, glaube ich in den meisten Fällen
B efunden zu haben, daß die Darmerkrankung, bisweilen beginnend mit
äiiglingsdurchfall oder später mit Obstipatio, durch sitzende Lebens¬
weise, Unterdrückung des Stuhldranges in Schule, Pensionat, Ge¬
schäft usw., oder auch akut im Anschluß an Ruhr, Typhus usw. und
die hierdurch entstehende Colitis chronica, das Grundleiden ist.
Bei dem eminent chronischen Verlauf ist es schwer, über den
Anfang zuverlässige Angaben zu erhalten. Es dürften wohl beide
Wege Vorkommen, sowohl von der Appendix und vom Typhlon ab¬
steigende Erkrankung des Kolons, als von Sigmoiditis zur Appendix
aufsteigende. Die erfreuliche Beobachtung Kümmells, daß meist mit
der Operation alle Beschwerden schnell verschwinden, habe ich leider
nicht sehr oft gemacht. Ich rechne meist ein halbes Jahr Nach¬
behandlung der Kolitis, bis das Allgemeinbefinden sich völlig ver¬
ändert, besonders wenn die Beschwerden schon jahrelang bestanden
haben; oft dauert es wesentlich länger. Dies ist auch erklärlich, wenn
man die Veränderungen berücksichtigt, welche allein oberflächlich auf
dem Typhlon, am Mesenteriolum und in der Umgebung desselben
zu finden sind. Die charakteristischen Pseudomembranen, mit feiner»,
quer verlaufenden, parallelen Adern auf dem Typhlon und Colon
ascendens, welche als organisierte entzündliche Exsudate die Reste
der abgelaufenen Entzündungen sind, behindern die Beweglichkeit
des Darmes, und dürften die entzündlichen Veränderungen, wenn auch
nicht makroskopisch sichtbar, sich auch auf die tieferen Gewebs-
schichten der Darmwand erstrecken.
Im Sigmoid und Colon descendcns sind ja entzündliche Infiltrate
der Muskularis und der Ganglien bei Kolitis nachgewiesen, wodurch
die „Darmatonie“ ebenso wie Spasmen erklärt werden; sie werden auch
im Typhlon Vorkommen. Ebenso sind die Schrumpfungen und Ver¬
wachsungen des Mesenteriolums mit Zökum, Colon ascendens, Bauch¬
wand und der Umgebung jedem Operateur bekannt genug. Durch
die Operation werden dieselben nicht oder nur zum Teil beseitigt
Ebenso ist das Zökum und Colon ascendens in großer Ausdehnung
l ) Veröffent!ichtiin;der T M. in. W. 1912 Nr. 52 und ausführlich' in der Zschr.f. tat'.
Fortbild. 1913JNr.23. - ») D. m. W.' 1921 Nr. 21]u. 22JS/622 u. M.Im.*W.-1921]Nr. 41
S. 1328-1330.
Digitized by
Go» igle
Original from
CORNELL UNÜVERSrrf
16. Juni 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
799
oft fixiert, und ich halte es für einen Vorzug des Pfannenstielschen
Querschnittes, den ich — aus anderen Gründen — stets anwende,
wenn kein Eiter zu erwarten ist, daß das Zökum mobilisiert werden
muß, um die Basis des Vermis hervorzuziehen. Ebensolche entzünd¬
lichen Veränderungen im Verlaufe der Lymphbahnen mit Bindegewebs¬
bildung und Schrumpfung müssen aber in dem retroperitonealen
Gewebe der Umgebung im Laufe der Jahre sich bilden. Besonders
häufig fand ich — wie andere Operateure — einen beim Anziehen des
Typhlons sich spannenden, violinsaitenartigen, festen Strang, welcher
sich nach der Wirbelsäule oder über diese hinweg bis nach links
schräg nach oben zog. Meist hatten in solchen Fällen ausstrahlende
Schmerzen nach der Magengegend zu oder bis zum linken Rippen¬
rande bestanden. Solche Veränderungen retroperitonealer Art können
ebensowenig mit der Operation verschwinden, wie durch jahrelange
Verstopfung entstandene Veränderungen der Mukosa, Submukosa und
Muskularis. Darum fängt — leider — nach der Operation die Be¬
handlung erst an. Der Blinddarm war das Hindernis für die Heilung
des Dickdarmkatarrhs, nach der Operation ist die Heilung desselben
leichter oder überhaupt erst möglich.
Daß die chronische katarrhalische Appendizitis einen schwer¬
wiegenden, schädigenden Einfluß auf die ganze Konstitution, ja bei
jüngeren Individuen auf die Entwickelung haben kann, hat meines
Wissens vor K ü m m e 11 und V. E. Mertens 1 ) noch niemand in so
scharfer und klarer Weise zum Ausdruck gebracht. Mertens
schreibt <vgl. S. 566):
„Noch eine Gruppe von Kranken muß erwähnt werden. Das
sind jene Kinder, die trotz aller Mühe nicht gedeihen wollen. Sie
klagen eigentlich über nichts, außer etwa über Kopfschmerzen, haben
gewöhnlich keine geschwollenen Lymphdrüsen; von einer Blinddarm¬
entzündung ist meist nichts zu erfragen. Häufige Untersuchungen
fördern den schmerzhaften Wurmfortsatzpunkt (Lanzschen Punkt)
zutage, oft mit deutlichen Ausstrahlungen. An solchen Kindern
wirkt die Entfernung des Wurmes geradezu Wunder.“
Den schädigenden Einfluß einer nur leichten chronischen Appen¬
dizitis konnte ich bei einem Verwundeten beobachten. Als ich 1914
eine neue Chirurgische Station übernahm, fand ich einen Verwundeten
vor, der, abgemagert zum Gerippe, mit Dekubitus über jedem Dorn¬
fortsatze, den Schulterblättern, dem Becken usw. schon seit drei
Monaten tagsüber im Wasserbade lag. Er hatte einen Durchschuß
der Beckenschaufel links erlitten, der eine Peritonitis und anschließend
Thrombose im linken Beine, Vereiterung des Hüftgelenkes und Knie¬
gelenkes zur Folge gehabt hatte. Das Bein stand abduziert, nach
außen rotiert steif ab. Ich hielt den Fall für verloren. Nach einigen
Tagen trat ein Rezidiv der Peritonitis ein — aber beim Abklingen
derselben zog sich die Schmerzhaftigkeit nach rechts, nach der Blind¬
darmgegend zurück. Nach längerem Ueberlegen wagte ich in Lokal¬
anästhesie die Operation des Vermis. Schon während der Wund-
heiiung besserte sich das Allgemeinbefinden schnell, und es heilte
der Dekubitus, ohne daß der Kranke wieder ins Wasserbad kam.
Nach einigen Monaten war der Kranke so weit hergestellt,, daß zuerst
der vereiterte Schußkanal und später die falsche Stellung des Beines
erfolgreich beseitigt werden konnte. Hier hatte offenbar eine leichte
chronisch katarrhalische Appendizitis genügt, um die Heilung und
Kräftigung zu verhindern.
Dies kann nur durch eine allgemeine Intoxikationswirkung zu
erklären sein, wie sie, selbst ohne Bazillenverschleppung, von faulen
Zahnwurzeln Tonsillenabszessen, vereiterten Lymphdrüsen oder an¬
deren abgeschlossenen Eiter- oder Jaucheherden ausgehen kann.
Man könnte aber auch mein Exsudat für diese allgemeine Ver¬
giftung zum Teil wenigstens mit in Betracht ziehen. Dieses Exsudat,
welches sich naturgemäß infolge der Kapillarität im ganzen Abdomen
zwischen und auf den Därmen und allen anderen Organen verteilt,
kann durch Berührung und Resorption auf alle diese Organe schädi¬
gend — auf den Darm speziell lähmend — einwirken. Dies würde
Kümmells Ansicht von der primären Schädigung durch Appendizitis
entsprechen. Es wird durch dies Exsudat aoer auch eine Reizung
aller von ihm berührten Peritonealnerven und der sympathischen
Nerven und Ganglien auf chemisch-toxischem Wege, sowie durch
Resorption eine Intoxikation des ganzen Körpers denkbar sein. Leider
sind die diesbezüglichen Untersuchungen Prof. Krömers durch
seinen Tod abgebrochen worden. — Nicht wenige Patientinnen blühten
kurze Zeit nach der Operation auf, ohne daß der Vermis schwer
krank gewesen wäre, wie dies Kümmell (M.m.W. S. 1330) und
Mertens so eindrucksvoll schildern. Hier kann bei noch nicht
weitgehenden Veränderungen nur Intoxikation Vorgelegen haben, und
manche Patienten äußern sich auch, daß sie sich früher immer „wie
vergiftet“ gefühlt hätten. Ganz besonders wichtig aber ist dieses
sich, der Schwere folgend, im Douglas besonders reichlich ansam¬
melnde, bei katarrhalischer Appendizitis seröse Exsudat für die weib¬
lichen Unterleibsorgane. Besonders in den Fällen, bei welchen jede,
oder fast jede, Menstruation eine neue Blinddarmreizung auslöst und
dadurch das Exsudat unterhält, schwimmen die Adnexe jahrelang
fast dauernd darin. Auch wenn keine Bazillen in dem Exsudate
enthalten sind, muß rein chemisch eine Schädigung der Serosa der
betroffenen Organe eintreten, welche sich nicht nur auf den Peri¬
tonealüberzug, sondern bei jahrelanger Dauer durch Resorption auch
auf die tieferen Gewebsschichten erstrecken kann.
Bei der Follikelberstung dringt das Exsudat in diese ein und wirkt
auf die Follikelhöhle. Die Verhärtung der pergamentartig festen,
1 ) Mitt Grenzgeb. 1921.
weißen Rindenschicht der Ovarien mit zystischer Degeneration scheint
mir auf dieser Exsudat Wirkung zu beruhen. Durch rein seröses
Exsudat werden, meiner Beobachtung nach, die Tuben nicht stark
verändert und schließt sich die Tubenöffnung in diesen Fällen nicht.
Dagegen glaube ich beobachtet zu haben, daß das Exsudat durch
die Tuben und den Uterus abfließen und einen serös-schleimigen Aus¬
fluß bewirken kann, der erklärlicherweise jeder vaginalen Behandlung
widersteht. Mit der Dauer kann hierdurch auch die Uterusschleim¬
haut und sogar die Muskulatur geschädigt werden. Zwischen klein¬
zystischer Degeneration und Zysten des Ovars und Parovars besteht
kein prinzipieller Unterschied, und ich habe bis faustgroße Tumoren
bei Fällen, die lange die Operation verweigerten, heranwachsen sehen.
Ott (Petersburg) hat einmal gesagt: In 25jähriger Praxis habe
ich beobachtet, daß Myome dann entstehen, wenn jahre- bis jahr¬
zehntelange chronische Stauungs- und Entzündungszustände bestanden
haben. Ich habe wiederholt Metritis, Myome und Korpuskarzinom
bei Frauen beobachtet, welche jahrzehntelang an Appendicitis chronica
gelitten hatten. Ich möchte den Zusammenhang aber vorläufig nur
als möglich hinstellen.
Dali auch „das so überaus empfindliche Peritoneum der Douglas-
schen Falte“, wie es vor kurzem genannt wurde, an sich nicht emp¬
findlicher ist als irgendeine andere Stelle des Bauchfelles, dürfte
einleuchten; oft aber ist es durch das Exsudat entzündlich verändert.
Douglasitis, Perimetritis und die hierdurch bedingten Verwachsungen
sind fast immer Folgen von Appendizitis.
Kümmell schreibt (M.m.W. S. 1330): „Diese schon im frühen
Kindesalter einsetzende Appendizitis findet ihre Fortsetzung in Unter¬
leibsbeschwerden der Virgines, wie wir sie nach Eintritt der Men¬
struation zu beobachten Gelegenheit haben. Die Appendizitis spielt
bei weiblichen Individuen, besonders bei Virgines, bei denen gonor¬
rhoische Infektion ausgeschlossen ist und negative pathologische Be¬
funde der Genitalorgane erhoben werden, eine weit größfere Rolle, als
im allgemeinen angenommen wird.“
Dasselbe trifft natürlich ebenso auf die verheirateten Frauen zu,
die ja oft vor der Ehe schon blinddarmkrank waren; und auf solche,
die zu ihrem Blinddarmleiden noch gonorrhoisch infiziert werden.
Häufig scheint mir die schwere Heilbarkeit der Gonorrhoe auf Kom¬
bination mit Appendizitis zu beruhen.
Viele scheinbar unerklärliche und wiederholte Aborte sind durch
Appendizitis bedingt. Eine kräftige Frau hatte zweimal abortiert.
Obgleich sie und der Mann von einer Ansteckung nidits wußten,
ließen sie sich genau, aber negativ, untersuchen. Auch das dritte
Mal trat Frühgeburt ein. Diesmal schöpfte ich Verdacht auf den
Vermis, der empfindlich war. Die Frau war zur Operation bereit,
wollte sich aber erst im Gebirge erholen. Hier trat ein akuter
Appendizitisanfall auf, der an Ort und Stelle zur sofortigen Operation
zwang. Ein Jahr darauf hatte sie ein gesundes Kind.
Oft ist die Diagnose zwischen Appendizitis mit Abortus imminens
und Extrauteringravidität schwer. Da aber die Operation für beide
Fälle das einzig Richtige ist, ist dies nicht praktisch wichtig.
Ebenso sind „Wochenbettfieber“, wie ich in früheren Arbeiten
schon geschildert habe, oft durch die Geburt hervorgerufene Appen¬
dizitiden. Hier ist Fehldiagnose oft verderblich. Während der
Schwangerschaft habe ich bis zum sechsten Monate — wenn nicht
Eiterung vorhanden war, stets mit Erhaltung des Kindes — operiert.
Extrauteringravidität sowohl wie auch Sterilität sind durch Tuben¬
erkrankung häufig die Folge der Appendizitis.
Wenn das wäßrige Exsudat der leichten Anfälle auch keine
festen Adhäsionen verursacht, so tun es doch die trüb serösen, mit
Fibrinauflagerung oder gar mit Eiterbildung einhergehenden schwere¬
ren Anfälle. Bei diesen bilden sich an einzelnen Stellen oder aus¬
gedehnte Verklebungen der Beckenorgane untereinander und mit den
Därmen: Rektum-Sigmoid-Dünndarm, mit dem Netz, zwischen Uterus
und Blase, Uterus und Adnexen, zwischen diesen Organen und dem
Beckenperitoneum und der Beckenwand. Die schwerste Form der
lokalen Peritonitis ist der Douglasabszeß, der mit oder ohne Perforation
nach Scheide oder Rektum stets mit festen Verwachsungen oder Ein¬
hüllung der Organe in Pseudomembranen ausgeht. Die Tuben suchen
sich durch Verschluß des Ostiums zu schützen; ist aber schon Eiter
eingedrungen, so entsteht Pyosalpinx und dauernder Tubenverschluß
und damit Sterilität.
Meiner Erfahrung nach kann man schon bei der Operation an
der Form der Tuben makroskopisch die Pyosalpinx ex appendicitide
von der gonorrhoischen unterscheiden.
Die gonorrhoische Pyosalpinx ist, von der Uterusecke an be¬
tonend, dick, S-förmig gewunden oder mehr gerade, wurstförmig,
isweilen ist das Ostium tubae noch frei. Ich erlebte einmal bei
einer nachweislich gonorrhoisch infizierten Kellnerin, daß ich diese
erst an einer Tubengravidität links operierte und hierauf an einer
solchen im distalen Drittel der rechten Tube, während die zentralen
zwei Drittel typische gonorrhoische Eitertuben waren. — Der Eiter
der Gonorrhoe ist meist rahmig eitrig. Bei Salpingitis ex appendicitide
ist die Tube keulenförmig, das Ostium tubae ist geschlossen und am
meisten aufgetrieben, die Basis am Uterus dagegen ist nicht ver¬
dickt. Der Eiter ist meist dünn, oft jauchig. Die Tubenwand ist
nur mäßig verdickt.
Die Ovarien zeigen bei chronischer Appendizitis fast immer klein¬
zystische Degeneration, seltener bindegewebige gyriforme Entartung,
bisweilen Follikelabszesse und entzündlich veränderte Corpora lutea.
Sehr häufig sind feste Adhäsionen, und bisweilen ist ein Ovar in
Pseudomembranen so eingehüllt, daß es dadurch vor erneuter Infek-
□ igitized by Google
Original fram
CORNELL UNIVERSSTV
800
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 24
tion geschützt ist. Die Menge des Exsudates im Douglas schwankt
je nach der Stärke des Anfalles von wenigen Tropfen bis 10 bis
12 Tupfern und mehr und ist je nach der Heftigkeit des Anfalles
wäßrig, trüb-serös, blutig-serös, bis eitrig. In letzteren Fällen sind
die Tubenostien blutrot geschwollen oder schon geschlossen.
Für charakteristisch für chronische Appendizitis
halte ich die Verlagerung des Uterus und Verwachsung
desselben mit den Adnexen nach rechts hinten in der
Gegend der rechten Articulatio sacroiliaca.
Allein auf Grund dieses Befundes operierte ich auf Wunsch
wegen Sterilität eine junge Frau. Ich fand.den Vermis bis zur Niere
verlagert, fest verwachsen, im rechten Ovar einen Abszeß. Es entstand
nachträglich ein Douglasabszeß, der per vaginam eröffnet wurde.
Erst nach der Operation erinnerte sich die Dame, daß sie vor
17 Jahren eine schwere Bauchfellentzündung durchgemacht hatte.
Ein Jahr nach der Operation gebar sie ein Kind.
Es ist dies zugleich ein Beispiel dafür, daß der Eiter sehr lange
virulent bleiben kann und daß die Patientinnen ihre früheren Krank¬
heiten sehr oft vergessen, was bei Aufnahme der Anamnese zu
berücksichtigen ist.
Nach der Ansicht von Kümmell, Mertens'und
meiner eigenen ist also die Appendicitis chronica
ein eminent langwieriges, oft aus der ersten Lebens¬
zeit stammendes Leiden, welches alle Bauchorgane
schädigen und das ganze Allgemeinbefinden in
schwerster Weise beeinträchtigen, ja sogar die Ent¬
wicklung der Kinder hemmen und die Heilung anderer
Krankheiten erschweren kann.
Nach Kümmells und meiner Meinung jst die Appendizitis nur
ein Teil eines großen Krankheitskomplexes. "Nach Kümmell geht
von primärer Wurmfortsatzerkrankung die Erkrankung des Dickdarmes
mit Obstipatio chronica einerseits, die der Unterleibsorgane anderseits
aus und ferner Schädigungen in der näheren und weiteren Umgebung
aller Bauchorganc. Nach meiner Ansicht beginnt die Erkrankung
meist durch Obstipatio chronica oder Ruhr, Säuglingsdiarrhoe usw.
im S romanum und dringt als Kolitis durch Querdarm und Colon
ascendens ins Tvphlon und in den Vermis vor, worauf durch das
Exsudat die Verbreitung der Entzündung auf alle Bauchorgane erfolgt.
Nach Kümmell ist also die Appendizitis der Ausgangspunkt, nach
mir der Mittelpunkt des gleichen mannigfaltigen Symptoinenkomplexes.
Wenn eine dieser beiden Ansichten oder beide
nebeneinander richtig sind, so stehen wireinem großen
Krankheitsbilde gegenüber, und nicht, wie bisher, ein¬
fach der lokalen Entzündung eines entbehrlichen, wenn
auch vielleicht nicht ganz funktionslosen Organes,
welches gelegentlich gefährlich werden kann. Wir
haben alsdann in der chronischen Appendizitis in den
meisten Fällen eine dauernde Schädigung des gesam¬
ten Körpers zu erblicken und sehen iji dem akuten
Anfall nur eine lebensgefährliche Steigerung der an
sich stets ernsten Erkrankung.
Mit dieser Auffassung gewinnt die chronische Appendizitis eine
viel größere Wichtigkeit, als ihr bisher zuerkannt wurde. Die recht¬
zeitige Diagnose der Appendicitis chronica, welche so oft nicht oder
erst sehr spät gestellt wird, ist daher von größter Wichtigkeit, wie
dies Kümmell und Mertens so eindringlich betonen. Es ist daher
jede Verbesserung der Diagnose sehr zu begrüßen, da alle sogenannten
klassischen Symptome im Einzelfall fehlen können.
Mertens untersucht den Mc. Burnayschen und den Lanzschen
Punkt, von denen der erstere über dem Typhlon, welches ja oft
deutlich entzündet ist, liegt, während der Lanzsche Punkt, den er
daher Wurmfortsatzpunkt nennt, dem Abgänge des Vermis entspricht.
Beide Stellen brauchen aber nicht in jedem Falle druckempfindlich zu
sein. Ich beobachtete das Fehlen der Empfindlichkeit einerseits,
wenn der Vermis durch schwere alte Entzündungen in dicke Schwarten
eingehüllt, also so unbeweglich war, daß keine Zerrungen am Peri¬
toneum stattfinden konnten. Anderseits fand ich Schmerzlosigkeit,
wenn der Vermis vollkommen frei ohne Adhäsionen zwischen den
Dünndarmschlingen lag. In solchen Fällen dürfte der von Kümmell
2 cm unter und etwas rechts vom Nabel festgestellte Schmerzpunkt,
der Kümmellsche Punkt, die Diagnose sichern. Es dürfte sich
hier wohl um Reizung des Truncus sympathicus handeln, dessen
Reizung meines Erachtens auch oft die Ursache von Schwangerschafts¬
erbrechen ist. Ich habe den Kümmellschen Punkt seit seiner Bekanntgabe
mehrmals, allerdings bisher nicht allein, sondern mit einem oder beiden
anderen Druckpunkten gleichzeitig feststellen können. Kümmell
erwähnt auch den Druckpunkt 2 Querfinger über dem Nabel, Vs Quer¬
finger links von der Mittellinie, für welchen ich schon lange nach
Aufschluß suche. Ich halte ihn für charakteristisch für Kolitis mit
Koprastase und erkläre mir ihn dadurch, daß hier wohl an der
Radix mesenterii die durch die resorbierten Toxine gereizten Lymph-
bahnen Zusammentreffen und die Plexus des Splauchnikus reizen.
Dieser Punkt hätte demnach auch für Appendizitis eine, wenn auch
indirekte, Wichtigkeit.
Bei mageren Frauen und weichen Bauchdecken kann man in
anfallsfreien Zeiten bei wiederholten Untersuchungen nicht selten
das Colon ascendens und auch den Vermis getrennt als empfindliche,
verschieden breite Stränge durchfühlen und die Lage des Vermis
nach innen oben, außen oben usw. bestimmen. Man kann m. E.
sagen, daß jeder Druckschmerz in der rechten unteren
Bauchgegend verdächtig auf Appendizitis ist, ebenso
w i e j e a e Oophoritis.
Weshalb wird nun, wie Kümmell hervorhebt und direkt als
Grund für seine erste Veröffentlichung angibt, die Appendicitis chro¬
nica so häufig selbst von erfahrenen Spezialisten und Bliiddarm
Operateuren lange Zeit nicht erkannt? Kümmell macht hierfür allein
die Schmerzlosigkeit der klassischen Druckpunkte geltend. Ich möchte
außerdem das Ueberwiegen der Schmerzen in den empfindlicheren
Adnexen, besonders bei der Periode, in erste Reihe stellen, und
den Umstand, daß die Aerzte von der Schule her geneigt sind, immer
nur eine Erkrankung feststellen zu wollen. Wenn ich zur Differential¬
diagnose Appendizitis oder Oophoritis gerufen werde, kann ich ge¬
wöhnlich beide Krankheiten, die ja für mich meist nur eine sind,
nachweisen.
Wird die von Kümmell und mir vertretene Anschauung von der
weittragenden Schädlichkeit auch der scheinbar leichten katarrhalischen
chronischen Blinddarmreizung Anerkennung finden, dann wird auch
der Hausarzt stets daran denken und sich bemühen, die chronische
Appendizitis mit Hilfe der drei Schmerzpunkte möglichst frühzeitig
zu entdecken und zur Operation zu führen, ehe weitgehende, schwer
heilbare Schäden entstanden sind.
Aus dem Krankenstift Zwickau i. Sa.
(Chefarzt: Geh.-Rat Prof. Braun.)
Darmruptur bei Selbstreposition eines eingeklemmten
Bruches 1 ).
Von Dr. Fritz Schmidt.
Wenige Wochen nach der Mitteilung von Gutzeit über Darm¬
zerreißung durch eigenhändiges Zurückbringen eines Schenkelbruches
in Nr. 36 der M. m. w. wurde uns ein gleicher Fall eingeliefert, dessen
Beschreibung ich folgen lasse:
Der 77 jährige Patient R. hatte seit 1905 einen rechtseitigen
Schenkelbruch, dessen Reposition ihm immer leicht selbst gelang. Am
24. IX. 1921 nachts \ 2 12 Uhr Wiederaustritt des Bruches. Nach län¬
geren Bemühungen Repositionsversuch gelungen. Sofort verspürte
Patient heftige Schmerzen in der rechten Bauchseite, die an Heftig
keit Zunahmen. Nach der Reposition Wind- und Stuhlverhaltung so¬
wie Erbrechen. Der 3 Uhr nachts gerufene Arzt ordnete sofortige
Ueberführung ins Krankenhaus an. Bei Eintreffen des Patienten
am 25. IX. morgens 9 Uhr ergab sich folgender Befund: Puls 70.
Temperatur: 36,4. Kein Aufstoßen, kein Erbrechen. Patient liegt
jammernd mit angezogenen Beinen da. Gesicht eingefallen. Augen
irren ängstlich umher. Atmung oberflächlich. An Herz und Lunge
kein besonderer Befund. Leib bretthart. Jede Berührung äulierst
schmerzhaft. Unter dem rechten Leistenband eine kleinapfelgroße
Geschwulsf, die keine Tympanie zeigt und deren Palpation nicht
schmerzhaft ist. Es wurde zunächst an eine Reposition en bloc ge¬
dacht, sodann an Darmperforation nach gewaltsamer Reposition.
Patient erhielt 0,02 Morphium und ein Lichtbad. Da daraufhin keine
Aenderung des Zustandes erfolgte, in örtlicher Betäubung Hermo-
tomie. Der Bruchsack ließ sich leicht präparieren. Bei Eröffnung
desselben entleerte sich trübseröse, nicht stinkende, neutral reagierende
Flüssigkeit, ln Narkose Erweiterung des Schnittes über das Leisten¬
band hinaus. Es floß reichlich trübseröse Flüssigkeit ab. Die vor¬
liegende Dünndarmschlinge wurde heruntergeholt und wies Zeichen
einer frischen Peritonitis auf. Auf dem höchsten Punkt der Kuppe
wurde eine längs zur Darmachse laufende Rißstelle von etwa 3 cm
Länge gefunden. Kein Schleimhautprolaps. Aus dem Loch Entleerung
von etwas Darminhalt. Uebernähung. 3 querfingerbreit oberhalb der
Rißstelle eine düsterrot verfärbte Schnürfurche. Spülung der Bauch¬
höhle mit physiologischer Kochsalzlösung, wobei weitere Speisereste
herausgespült werden. Radikaloperation der Hernie. Drain. Lichtbad.
1000 ccm Adrenalin-Kochsalzlösung subkutan. Patient reagierte aut
den Eingriff mit Pulserhöhung von 70 auf 120 und erbrach. Wind-
und Stuhl Verhaltung trotz Darmrohr und Magenschlauch. Leib stark
aufgetrieben und druckempfindlich. Häufiger Singultus. Unter pen-
tonitischen Erscheinungen am 27. IX. Exitus. Die Autopsie ergab
fibrinös-eitrige, diffuse Peritonitis mit Eiteransammlung im kleinen
Becken. Rißstelle 25 ccm oberhalb der Valvula Bauhini. Keine Naht¬
insuffizienz.
Einer Anregung von Geh.-Rat Braun folgend, sah ich die nur
zugängliche Literatur durch und fand noch folgende 9 Fälle über
Ruptur des inkarzerierten Darmes bei der Reposition, die in 6 Fällen
durch den Patienten selbst, in den 3 übrigen durch den Arzt er¬
folgte 2 ).
Sechsmal handelte es sich um Frauen, dreimal um Männer, fünfmal
um Schenkelbrüche, viermal um Leistenbrüche. Fünf Kranke wurden
durch Operation geheilt, zwei starben. In zwei Fällen ist der Ausgang
unbekannt.
Die Darmruptur bei gesundem oder durch die Inkarzeration sehr
wenig geschädigtem Darm ist vielleicht gar nicht so selten, als es
scheinen möchte. Denn die Fälle der allgemeinen Praxis, wo die
*) Nach einem Vortrag in der Zwickauer Medizinischen Gesellschaft am 4. X
») R. Frank, W. m. W. 1692; B. Kraf ft, Beltr. z. klm. Chir.31, H. 2; F. Scbni1 1 1eir.
W. kl. W. 1899Nr. I; O. Kappeier, D. Zschr. f. Chir. ICO; R. Gutzeit, M. m. W. I»i
Nr. 36.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNiVERSSTY
16. Juni 1922
Diagnose vielleicht nicht immer gestellt, ein weiterer Eingriff unter¬
lassen und eine Sektion nicht gemacht wurde, sind wohl von vorn¬
herein von der Veröffentlichung ausgeschlossen. Die beobachteten
Fälle von Darmzerreißungen sind ein beredtes Zeugnis dafür, daß
die Repositionsversuche bei eingeklemmten Hernien keineswegs eine
ungefährliche Manipulation sind. Jeder, auch kunstgerecht vorge¬
nommene Repositionsversuch schädigt den Darm und verschlimmert
mehr oder minder die Prognose des operativen Eingriffs. Von den
entstehenden Schäden seien genannt: Blutungen in den Bruchsack,
ins Darmlumen, ins Mesenterium (von der einfachen Sugillation
bis zum Hämatom), Reposition en bloc, Quetschung des Darmes mit
Gangrän, schließlich die Darmperforation.
Wie die Anschauungen über die Indikation der Taxis bei ein¬
geklemmten Hernien keine einheitlichen sind — diese beschäftigen
uns hier nicht —, so sind auch die Ansichten über die Frage, ob
ein gesunder oder jedenfalls durch Ulzeration oder Gangrän nicht
geschwächter Darm einreißen könne, geteilt. So sagt z. B. Lin hart
in seinen Vorlesungen über Unterleibsnernien, Wiirzburg 1866: „Daß
ein Bersten des Darmes beim Zurückbringen operierter Hernien mög¬
lich ist, habe ich selbst schon einige Male gesehen; daß aber ein
gesunder Darm durch die Haut hindurch bei der Taxis zum Bersten
kommt, ist ungemein selten, er müßte bereits in einem gewissen
Ulzerationsstadium sich befinden oder durch fibinöse Exsudationen
brüchiger geworden sein. Ist eine große Menge Serum vorhanden,
so ist das Bersten vollends unmöglich, und nur, wenn man den Darm
zusammendrückt, kann es geschehen, daß eine weit hinunterreichende
Darmschlinge einer Ruptur ausgesetzt sein kann. Von manchen
Aerzten wird eine solche Kraft angewendet, daß sie sich mit den
Knien gegen den auf der Erde liegenden Patienten stemmen. Denn
man findet manchmal die Spuren der Nägel der Chirurgen, Haut¬
abschürfungen, Sugillationen, und doch tritt keine Berstung ein;
dagegen kann eine forcierte Taxis, besonders wenn sie ungeschickt
ausgeführt wird, Quetschung des Darmes hervorrufen.“ Nach
May dl. Die Lehre von den Unterleibsbrüchcn, kann man die Mög¬
lichkeit einer Darmruptur durch Taxis zugeben, wenn zuerst der
Bruchsack cinreißt und dann erst durch weitere Manipulationen auch
die durch den Riß vorgedrängten Därme gewissermaßen zerwühlt
werden.
Heute verfügen wir jedoch über zahlreiche sichere Beobachtungen
über Darmruptur bei gesundem oder durch die Inkarzeration sehr
wenig geschädigtem Darm. Es ist auch gar nicht eine große Ge¬
waltanwendung nötig, um den Darm zu verletzen. Von den von
Linhart erwähnten Gewaltmaßregeln werden sich heutzutage die
Aerzte wohl fernhalten, und daß bei Selbstrepositionen übermäßige
Gewalt angewendet wurde, ist wohl erst recht nicht anzunehmen.
Bei 7 von den 10 Beobachtungen handelt es sich um Hernien, die schon
längere Zeit bestanden und die wiederholt reponiert wurden. Es
wäre daher möglich, daß durch die mannigfachen vorausgegangenen
Taxisversuche Veränderungen am Darm zustandegekommen sind, die
die Elastizität und überhaupt die Konsistenz der Darmwand beein¬
trächtigten. Bei einem Falle ist diese Annahme ausgeschlossen,
denn e$ wird ausdrücklich erwähnt, daß es sich bei diesem Fall
um Zerreißung gines bisher offenbar gesunden Darmstückes handelte,
wobei man annehmen konnte, daß die Abwesenheit von Bruch¬
wasser, das sonst nach hydrostatischen Gesetzen den Druck auf die
gesamte Darmoberfläche verteilt, in diesem Falle es bewirkt hat,
daß der am zentralen Teil der Bruchgeschwulst gepreßte Darm an
der periphersten Stelle auseinanderriß.
Was die Untersuchung der übrigen Fälle nach dieser Richtung
betrifft, so ist darüber zu ßagen, daß bei einem Fall 4y 2 Stunde vor der
Taxis die elastische Einklemmung begann und daß in dieser Zeit
sehr wohl durch Druckstauung, die zu venöser Hyperämie, Gefä߬
zerreißungen und konsekutiver Darmlähmung führte, die Widerstands¬
kraft der eingeklemmten Schlinge herabgesetzt sein konnte. Bei einem
anderen Fall bestand die Hernie noch nicht lange und wurde durch
ein Bruchband so gut zurückgehalten, daß sie nicht austrat und nie
Beschwerden machte. Die Einklemmung bestand vor der Taxis nur
2 1/2 Stunden und wurde angeblich sehr schonend vorgenommen. Bei
der Operation fanden sich an der perforierten Darmschlinge mit
Ausnahme der Perforation keine krankhaften Veränderungen, und bei
der Naht zeigte die Darmwand normale feste Konsistenz. Die Ein¬
klemmung war überdies keine sehr enge. Auch hier ist kein Grund
vorhanden, eine Erkrankung des Darmes, die eine besondere Brüchig¬
keit seiner Wandungen zur Folge gehabt hätte, anzunehmen. Es
ist daher nicht daran zu zweifeln, daß auch bei kurzer Dauer der
Inkarzeration und bei einem durch die Inkarzeration wenig geschä¬
digtem Darm eine Ruptur durch Taxis möglich ist. Der Mechanismus
der Darmruptur liegt offen zutage: Im Bruchsack findet sich ohne
schützendes Netz eine mit Gas und Flüssigkeit gefüllte Darmschlinge,
die nach beiden Seiten hin abgeklemmt und festgehalten ist. Wird
nun durch Taxisversuche auf den Darm und das in ihm befindliche
Gasflüssigkeitsgemenge ein starker Druck ausgeübt, so platzt der Darm
an der Stelle, wo der geringste äußere Widerstand ist, d. h. ge¬
wöhnlich an der Kuppe, die durch venöse Stauung am meisten gelitten
hat (Kappeler). Die Folgen der Perforation sind verschieden: ent¬
weder entleert die rupturierte Darmschlinge ihren Inhalt nur in
den Brustsack, was nur möglich ist, wenn auch nach der Berstung
die Abschnürung noch bestehen bleibt, oder es findet ein Durchtritt
in die Bauchhöhle statt. Dann kommt es zu fäkulenter Peritonitis,
während im ersten Falle die Inkarzerationserscheinungen unvermindert
anhalten.
801
Die Prognose der sich selbst überlassenen Darmruptur durch
die Taxis ist sehr schlecht.
Therapeutisch kommt im ersten Falle Naht der Darmlücke
und Reposition der Schlinge, bei Gangrän Resektion in Frage.
Zosammenfassend sei gesagt, daß die unblutige Reposition einer
eingeklemmter. Hernie ein therapeutisches Verfahren ist, das im all¬
gemeinen mit u'eit größeren Gefahren verknüpft ist als eine recht¬
zeitige Hcrniotomie und deshalb besser unterlassen werden sollte.
Aus dem Knappschaftskrankenhause Hohenmölsen.
(Chefarzt: San.-Rat Hügelmann.)
Ein Beitrag zur primären Lungenaktinomykose.
Von Assistenzarzt Dr. Lichterfeld.
Am 15. III. 1921 wurde in unserem Krankenhause der 56jährige
Bäckereibesitzer Adolf H. unter der Diagnose eines rechtseitigen
Pleuraempyems eingeliefcrt. Die Anamnese ergab, daß der Patient
in den ersten Tagen des Dezember 1920 an Husten, Stichen in der
rechten Seite und im Rücken erkrankt war; seit Weihnachten 1920
befand er sich in ärztlicher Behandlung.
Der Aufnahmebefund ergab eine handbreite intensive Dämpfung
über dem rechten Unterlappen, dicht oberhalb der Dämpfung ver¬
schärftes Atmen und kleinblasiges Rasseln, links ließen sich verstreut
Rhonchi und verschärftes Atmen naclnveisen. Die mangelnde Atmungs¬
exkursion, die Atemnot und die Aufnahmetemperatur von 38,3° sow r ie
das längere Bestehen eines Lungenleidens sprachen durchaus für die
eingangs erwähnte Diagnose eines Empyems. Nicht ohne weiteres in
Einklang zu bringen mit dieser Diagnose war der Nebenbefund einer
mäßigen, teigigen, alabasterw f eißen Schwellung der rechten Brustdrüsen¬
gegend in der Ausdehnung eines Handtellers, die nicht schmerzhaft
war, nicht fluktuierte, dagegen derbe Infiltration aufwies. Auffallend
war ferner der sehr stark beeinträchtigte Allgemeinzustand, der einer
Kachexie bei malignem Tumor entsprach.
Die am nächsten Tage vorgenommene Probepunktion und an¬
schließende Punktion ergab über ein Liter einer triibscrösen Flüssig¬
keit im rechten Pleuraraum. In der nächsten Woche nahm die
Schwellung des Brustw'andtumors zu, die Interkostalräume verschwan¬
den rechts, die Haut wurde glänzend und gespannt. Da die Durch¬
suchung des Auswurfs keine Tuberkelbazillen ergeben hatte, der
Verdacht auf ein Sarkom oder Karzinom oder bei der brettharten,
panzerartigen Infiltration auf Aktinomykose w r ach w'urde, schien eine
Probeexzision ratsam: der Tumor zeigte beim Einschneiden schwam¬
miges, teilweise unterminiertes Granulationsgewebe mit einzelnen
kleinen Eiterherden. Die pathologisch-mikroskopische Untersuchung
.ergab: zellreiches Granulationsgewebe mit kleinen Abszeßchen, welche
im Zentrum Aktinomyzesdrüsen enthalten.
Die kleine Operationswunde fistelte zunächst, schien sich dann
zu schließen, um alsbald -wieder aufzubrechen; zugleich bildeten sich
an anderen Stellen kleine Abszesse, die sich allmählich öffneten und zu
Geschwüren mit buchtigen Rändern umbildeten.
Eine eingreifende, radikale Operation mit Ausschneidung alles
Kranken, w r ie sie Karewski mit Erfolg ausgeführt hat, schien in
Hinblick auf den äußerst schlechten Allgemeinzustand und die Aus¬
breitung des Prozesses an der Brustwand sowie in der linken
Lunge nicht angezeigt. 3 Wochen nach der Aufnahme wurde eine
zweite Pleurapunktion vorgenommen, die über 1V 2 Liter serösen
Exsudats ergab. Auffallend war die sonst selten beobachtete reich¬
liche Expektoration von täglich etwa 100 ccm schleimig-eitrigen Spu¬
tums. Das Fieber hielt sich remittierend um 38°. Anfangs Mai zeigte
sich als Zeichen der Kreislaufstörung Oedembildung an den Beinen
und am Hodensack, die sich durch keinerlei dahinzielende Maßnahmen
beseitigen ließ. Im Sputum konnten nunmehr auch einzelne Aktino-
myzesdruseu und sehr zahlreiche Pilzfäden nachgewiesen werden.
Bei einem nochmaligen operativen Eingriffe wurden die neuen Ab¬
szesse gespalten, der Prozeß hatte jetzt auch auf die Interkostal¬
muskulatur übergegriffen. Zahlreiche Fistelgänge unterminierten die
Haut, sodaß diese wie auch das Unterhautzellgewebe und Muskulatur
brüchig zerriß.
Bei gutem Appetit und ungestörter Verdauung erholte sich der
Patient auch von diesem Eingriffe wider Erwarten, bis ein in der
17. Woche der hiesigen Beobachtung auftretendes Erysipel am Ober¬
schenkel den Tod herbeiführte.
Aus dem Obduktionsprotokoll sei Folgendes hervorgehoben:
Die rechte Lunge ist in der Gegend der rechten Mamille in etwa Hand¬
große mit Pleura und Brustwand derartig fest verwachsen, daß sie
nur unter Zerreißung von Lungengewebe sich lösen läßt; ferner ist
das Mediastinum, der Herzbeutel und die linke Lungenwurzel so völlig
miteinander verlötet, daß die Brustorgane nur zusammen heraus¬
genommen werden können. Im rechten Pleuraraum finden sich noch
etwa 250 ccm Exsudat. Der rechte Unterlappen faßt sich hart und
knollig an, ist brüchig und sklerotisch, auf der Schnittfläche grau;
er besteht hauptsächlich aus einem bindegewebigen Granulations¬
gewebe mit zahlreichen Eiterkanälen, das Bindegewebe hat das Lun¬
genparenchym in schwielige, harte Klumpen verwandelt, einzelne
Eiterherde haben sich zu kavernenähiilichen Hohlräumen umgebildet,
der größte von ihnen befindet sich sternalwärts vom Hilus des rechten
Unterlappens, hier glaubte ich auch die Eintrittspforte des Erregers
suchen zu. dürfen. Völlig aufgehoben ist das Cavum pericardii, die
beiden Blätter sind miteinander verklebt, ebenso ist das Mediastinum
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
802
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 24
mit rechter Lunge und Herz zu einem nicht differenzierbaren Konglo¬
merat verbacken; schließlich ist auch der rechte Unterlappen mit
Zwerchfell und Leberoberfläche fest verwachsen. Speckleber. —
Metastasen nicht nachweisbar.
Aetiologisch dürfte es von Interesse sein, daß der Patient be¬
sonders gern Kornähren in den Mund steckte und daran kaute. An¬
dererseits lag auch die Möglichkeit der Aspiration von Aktinomyzes
beim Umgang mit Mehl bei einem Bäckereibesitzer besonders nahe.
Hervorgehoben seien ferner die auch sonst beobachtete geringe
Schmerzhaftigkeit und die mäßigen, Beschwerden trotz des schweren
Krankheitsbildes und schließlich das langsame Hinsterben, der schritt¬
weise, aber unaufhaltsame Verfall trotz Jod-, Arsen- und Röntgen¬
bestrahlungstherapie.
Aus der Chirurgischen Abteilung des St. Joseph-Hospitals in
Elberfeld. (Chefarzt: Dr. J. Vorschütz.)
' Weiterer Beitrag zu Novokainschäden.
Von Dr. Aloys Decker, Assistenzarzt.
Trotz des großen Verwendungsgebietes des Novokains in der
Chirurgie sind Vergiftungserscheinungen bislang selten beobachtet
worden.
Von solchen Mißerfolgen bei Novokainanästhesien finden sich in
der zahnärztlichen Literatur zwei Fälle berichtet, die zu Tode kamen,
deren Deutung als alleiniger Novokainschaden jedoch nicht ganz ein¬
wandfrei ist, da keine Sektion des Materials erfolgte. Schwere Ver¬
giftungserscheinungen, die ebenfalls den Tod zur Folge hatten, sahen
Löwen und Käppis nach epiduralen Novokaininjektionen. Der Um¬
stand, daß es sich in diesem Falle um einen Tabiker handelte, legt
ihnen die Vermutung nahe, daß bei derartig Erkrankten das er¬
krankte Oehirn eine Ueberempfindlichkeit für Novokain besäße.
Neuerdings berichtet in der augenärztlichen Fachliteratur Kraupa
über Vergiftungserscheinungen nach Anästhesierung der Augenhöhle,
die unter dem Bilde eines epileptiformen Anfalles auftraten. Nach
Mayer sind diese jedoch auf eine Einspritzung in eine Vene zurück¬
zuführen, während die Möglichkeit einer Einspritzung in den Seh¬
nerven und so eine direkte Beeinflussung des Gehirnes nicht aus¬
geschlossen sei.
In der übrigen Literatur finden sich nun noch ähnliche Berichte,
wo nach Novokaininjektionen derartige Krampfzustände erfolgten.
Viele dieser Novokainschäden mögen auf die Technik der Injektionen
zurückzuführen sein. Manche aber, die trotz einwandfreier Technik
und geringster sonst nicht tödlicher Dosen Vergiftungserscheinungen
zeigten, bedürfen der Erklärung.
Als Beitrag für diese Novokainschäden veröffentliche ich einen
hier beobachteten Fall, bei dem nach Einspritzung von 50 ccm einer
lo/oigen Novokainlösung Totalamaurose auftrat, die nach fünf
Tagen verschwand, ohne irgendwelche spätere Sehstörung zu hinterlassen.
Ich lasse die Krankengeschichte im Auszug folgen: Junger Mensch
von 18 Jahren erlitt 1918 bei einer Explosion eine Schädelverletzung,
und im Anschluß daran zeigte er Erscheinungen einer traumatischen
Epilepsie. Operation (Dr. Vorschütz) August 1918: Trepanation
der rechten Schläfengegend, Ausräumung eines Blutergusses zwischen
Gehirnbasis des rechten Stirnhirnes und Dura. Seitdem anfallsfrei.
Im Sommer 1920 verschluckt Patient bei Feldarbeiten eine Kornähre,
darauf folgen Lungenentzündung, Lungenabszeß. Operation in Lokal¬
anästhesie mit 50 ccm einer lo/oigen Novokainlösung (Operateur:
Dr. Vorschütz). Resektion der 8. und 9. Rippe in Länge von 6 cm
vom Erector trunci an. Im unteren Teile ist die Pleura costalis und
pulmonalis verwachsen, im oberen werden, um einen Abschluß gegen
die .übrige Brusthöhle zu erhalten, Pleura costalis und pulmonalis
durch Nähte vereinigt. Der voHiegende Abszeß wird gespalten, mit
Preglscher Lösung ausgewischt und tamponiert. Hustenreiz am
Ende der Operation, wodurch die Haltefäden der Pleura einreißen.
Nach Anlegen des Verbandes in sitzender Stellung des Patienten:
Plötzliches Blaßwerden, tonische Schreckkrämpfe. Pupillenreaktion -f,
Lidreflex -f-» Babinski zweifelhaft. Nach 3 Stunden Totalamaurose
beiderseits, Temperatur abends 39,3°.
Spezialärztlicner Augenbefund (Dr. Koll [Elberfeld]) am Ope¬
rationstage, 3. III.: Visus-Lichtperzeption, Augenhintergrund normal,
Pupillen maximal weit, reflektorische Pupillenreaktion stark herabgesetzt.
4. III.: Pupillen enger, Reaktion beiderseits besser, Visus-Hand¬
bewegung direkt vor dem Auge. Linkes Auge steht in leichter Kon¬
vergenzstellung.
5. III.: Fingerzählen in nächster Nähe, Pupillenreaktion prompt,
beiderseits Ausfall des linken, unteren Quadranten im Gesichtsfeld;
linkseitige Abduzensparese, Augenhintergrund normal.
6.111.. Fingerzählen in 2 m Entfernung, Gesichtsfeldgrenzen nor¬
mal, Doppelbilder geschwunden, beiderseits Auftreten eines zen¬
tralen Skotoms.
10. III.: Visus normal, Augenhintergrund normal. Nach, eini¬
gen Tagen Kopfschmerzen, Krämpfe im rechten Arm, nach drei
Tagen völlige Lähmung der linken Körperhälfte. Diagnose: Ab¬
szeß in der rechten motorischen Region im Armzentrum, der durch
Operation in Lokalanästhesie entleert wird. Beide Abszesse zur Zeit
ausgeheilt Es besteht noch leichte Parese der linken oberen Körper¬
hälfte, sonst beschwerdefrei.
Zuerst lag für uns die Annahme einer organischen Erkrankung,
Blut- oder Luftembolie nahe, um so mehr, da es sich um
einen operativen Eingriff an der Lunge handelte, wo derartige
Störungen, die die Prognose der Pneumotomie so schwer be¬
lasten, schon oft erwähnt wurden. Reich berichtet neuerdings
auf Grund zweier von ihm beobachteter Fälle über solche üblen
Zwischenfälle bei Eingriffen an der Pleura und der Lunge, die unter
dem Bilde eines epileptischen Anfalles verliefen mit tonisch-klonischen
Krämpfen, Pupillenstarre usw. und führt mit Brauer dies auf eine
arterielle Gasembolie zurück, d. h., es tritt Luft in die Lungenvenen
ein, gelangt ins linke Herz, von dort in die Arterien des großen
Kreislaufes, um dann in der Peripherie als Embolus zu wirken. Als
zwingenden Beweis für seine Annahme stützt er sich auf den Unter¬
suchungsbefund des Augenhintergrundes, bei dem sich die Venen
hochgradig erweitert und gefüllt zeigten, die Arterien der
Papille und Netzhaut zuerst gar nicht, dann nur als dünne, blutleere
Gefäße sich zu erkennen gaben. Dieselben Veränderungen am Augen-
hintergrunde nach Luftembolie fand Brauer in seinen Tierversuchen.
Die sofort in unserem Falle vorgenommene spezialärztliche Augen-
untersuchung bot keinerlei Anzeichen einer Blut- oder Luftembolie,
keine Trübung der Netzhaut, kein Netzhautödem, keine Verenge¬
rungen der Arterienästchen, keine Anämie der Papille; Verände¬
rungen, die sich, wenn auch nur vorübergehend, bei gestörter Zu¬
fuhr des ernährenden Blutstromes hätten zeigen müssen. In unserem
Falle zeigte der Augenhintergrund ein völlig normales Bild.
Bei einer Embolie hätte es sich ferner um die gleichzeitige
Schädigung beider Zentralarterien handeln müssen, für die die ana¬
tomischen Verhältnisse doch keineswegs sprechen. Dies, dann die
schnelle Restitution des Sehvermögens und vor allem, das beider¬
seitige Auftreten eines zentralen Skotoms sprechen wohl mit Sicher¬
heit für eine toxische Affektion des Sehnerven.
Toxische Wirkungen des Novokains, wie Nierenreizung (Thory,
Morian), Kollapserscheinungen, Krämpfe (Denk, Braun), sind ja
schon oft beschrieben, namentlich bei Operationen am Kopf, und
es wird vor Anwendung des Novokains ausdrücklich bei diesen Ope¬
rationen gewarnt (Läwen, Käppis).
Plötzliche Amaurosen nach Vergiftungen sind schon öfters beob¬
achtet; wir können unterscheiden: 1. plötzliche Erblindungen infolge
von Genußmitteln (Alkohol, Tabak, Pilze); 2. plötzliche Erblindung
bei gewerblich verwandten Giften (Blei, Arsen, Kohlenoxyd); 3. plötz¬
liche Erblindungen nach dem Gebrauch von Arzneimitteln (Chinin,
Antipyrin, Salizylsäure, Filix mas, Karbolsäure, Bromkalium u. a.).
Bezüglich der Wirkung der Gifte spielt die zeitweilige Dispo¬
sition (Sdiwächezustände, Lieber, Infektionen) eine große Rolle, und
sind die auftretenden Vergiftungserscheinungen wegen der besonderen
individuellen Widerstandsfähigkeit des erkrankten Organes nicht immer
die gleichen. Bei allen Intoxikationsamaurosen ist der Charakter der
Sehstörung meist flüchtig, sodaß nachträglich neuritische Verände¬
rungen am Sehnerven nicht auftreten, obwohl sich nach Lewin
die Wirkung wohl auch nicht anders abspielen kann, als daß das
an die zentrale oder peripherische Nervenmasse gelangende Gift
deren chemischen Bau ändert, ohne Formstörungen zu veranlassen,
wohl aber Funktionsstörungen erwirkt.
Allen Intoxikationsamaurosen ist ferner gemeinsam das Auf¬
treten eines doppelseitigen zentralen Skotoms und die in den meisten
Fällen wieder völlige Restitution des Sehvermögens nach allerdings
sehr wechselnder Erblindungsdauer. Die Amaurose entwickelt sich
mit mehr oder weniger heftigen und zahlreichen Funktionsstörungen
in wenigen Stunden zu einer solchen Höhe, daß selbst direktes
Sonnenlicht nicht mehr von absoluter Finsternis unterschieden wer¬
den kann.
Bei fast allen Fällen finden sich die Pupillen maximal erweitert,
lichtstarr, stets kommen später Doppelbilder vor. Auch in unserem
vorliegenden Falle beherrschen diese Erscheinungen die Szene.
Die schon obenerwähnte Ansicht Läwens, daß bei einer Schädi¬
gung des Gehirnes die Gefährlichkeit des Novokains bedeutend
größer ist, kann ebenfalls auf unseren Fall Anwendung finden: denn
eine Schädigung des Gehirns war wohl in unserem Falle gegeben
durch die früher bestandene Epilepsie. Wohl war diese operiert und
Patient seit Operation anfallsfrei, ob sie jedoch tatsächlich aus¬
geheilt, hätte erst eine Beobachtungszeit von etwa 5 Jahren ergeben
müssen. Dann brachte wohl ferner die nachfolgende Infektion des
Gehirnes auf embolischem Wege, die den späteren Gehimabszeß
bewirkte, eine weitere schwere Gehirnschädigung, die besondere Emp¬
fänglichkeit und Ueberempfindlichkeit des Gehirnes für die Giftwir¬
kung des Novokains dann schuf.
Zusammenfassung. 1. Der vorliegende Fall einer beiderseitigen
vorübergehenden Totalamaurose ist wohl einwandfrei auf eine toxische
Schädigung des Novokains zurückzuführen, da das zentrale Sko¬
tom, der normale ophthalmoskopische Befund, die schnelle
Wiederherstellung des Sehvermögens und die Unwahrschein¬
lichkeit einer Embolie beider Art. centrales keine andere Deu¬
tung zulassen.
2. Bestehende oder frühere Gehirnerkrankungen bedingen eine
erhöhte Gefährlichkeit des Novokains, die wohl Lokalanästhesie nur
gestatten dürfen, wenn strikteste Indikationen gegen Allgemein¬
narkose sprechen.
Braun, Die Lokalanästhesie, Leipzig 1921. — Läwen, Käppis, zitiert nach
Braun. — Kraupa, Zschr. f. Aughlk. 1920 S. ?50. —- Reich, Brauer, zitiert nach
Verh. D. Ges. f. Chir. 44. Kongr., Berlin 1920 S. 40ff. — Mo r ian, Zbl. f. Chir. 1915 S. 494ff.
- Thory, D. Zschr. f. Chir. 1918 S. 217. — Denk, Zbl. f. Chir. 1921 S. 228. — Meyer,
Lewin, zitiert nach Wilbrand und Säenger: Die Neurologie des Auges, Wiesbaden
1906 S. 923 ff.
Diqitize o by
Original from
CORNELL UNiVERSlTT
6. Juni 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
803
Aus der Chirurgischen Abteilung des Städtischen Krankenhauses
in Bielefeld. (Vorstand: Prof. Momburg.)
Rivanol als granulationshemmeodes Mittel.
Von Dr. Otto Blaß, Assistenzarzt.
Seit der Veröffentlichung der Erfolge mit dem neuen Morgenroth-
Antiseptikum Rivanol haben wir das Mittel bei den verschiedensten
chirurgischen Fällen angewandt. Wenn auch die Therapia magna
sterilisans nicht erreicht "ist, so haben wir doch manchmal nach den
Worten ubi pus, ibi sterilisa mit Erfolg gehandelt. Bei dem Reich¬
tum an vorhandener Literatur über das Rivanol (Morgenroth,
Klapp, Härtel, Katzen st ein, v. Gaza, Siebrecht, Uihelyi,
Rosenstein, Fischer) sehen wir von der Schilderung unserer
Einzelerfahrungen ab. Sie stimmen im allgemeinen mit den ver¬
öffentlichten überein.
Es scheint uns aber wichtig, auf eine Eigenschaft des Rivanols
hinzuweisen, die auf der einen Seite als störende Nebenwirkung
seinen therapeutischen Effekt schmälert, auf der andern Seite aber
wertvolle Aussichten verspricht. Wir haben bei der Behandlung
offener Wunden mit Rivanol bald die Beobachtung gemacht, daß ein
Aufhören der Eitersekretion erfolgte und die Wunde trocken wurde,
daß aber keine Oranulationsbildung eintrat. Die trockene
Wunde machte einen leblosen Eindruck. Es wird also das pathogene
Agerrs in seiner Entwicklung geschädigt, aber auf das Körpergewebe
ein zur Wachstumshemmung führender Effekt ausgeübt. Diese hem¬
mende Wirkung führt nicht, wie bei den meisten unserer Antiseptika,
durch Eiweißbindung zur Nekrose, sondern schafft ein gewisses
Indifferenzstadium, das wir am besten durch „leblos“ wiedergeben
können. 1
Es erklärt sich so, daß das Rivanol bei längerer Wundbehandlung
das nicht leistet, was man nach seiner ersten Anwendung erwartet.
Wir haben, um eine Gewebsaktivierung im Sinne einer Reizung zu
erzielen, als Nachbehandlung nach Rivanol zu anderen granulations¬
anregenden Mitteln gegriffen und dabei beispielsweise Günstiges
vom Chloramin-Heyden gesehen. Aehnlich, wie es bei der offenen
Wundbehandlung hervortrat, ging es bei Abszessen, die nach Punk¬
tion mit nachfolgender Injektion von Rivanol zur Abheilung gebracht
werden sollten. Es trat keine oder eine verzögerte Verklebung der
„sterilisierten“ Abszeßmembranen ein.
In dieser Eigenschaft des Rivanols liegt der große Vorteil, daß
man es da mit Erfolg anwenden kann, wo es sich darum handelt,
entzündliche Verwachsungen und Verklebungen zu verhindern. So
sehen wir neben der vorübergehenden Wundbehandlung ein Haupt¬
indikationsgebiet in der Behandlung infizierter seröser Höhlen. Die i
bisher erzielten Erfolge, soweit es sich um Streptokokken- oder
Staphylokokkeninfektionen handelte, berechtigen zu Weiterversuchen.
Eitrige Sehnenscheidenphlegmonen, die wir durch Einstechen zweier
Kanülen proximal und distal mit Rivanol ausspülten und weiter¬
behandelten, heilten ohne Inzision mit voller Funktion aus. Auf¬
fallend war die relative Schmerzlosigkeit der ersten Bewegungs¬
übungen — ein Beweis, daß keinerlei bindegewebige Verwachsungen
eingetreten waren. Wie weit das Rivanol geeignet ist, durch seine
granulationshemmenden Eigenschaften bei Peritonitiden und nach
Operationen Verwachsungen zu verhindern, wird erst die Zukunft
ergeben. Wir wenden Rivanol bei eitriger Peritonitis ausgiebig
und erfolgreich an. Ueber sehr gute Erfolge wurde von Katzen-
stein und Schulz in der KI. W. Nr. 11 berichtet. Auch die Erfolge,
die Klapp beschreibt, bei Gelenkempyemen sowie bei der Gonorrhoe
der Gelenke, die besonders zur bindegewebigen Verwachsung der
Gelenkflächen neigt, sind sicherlich neben der sterilisierenden Eigen¬
schaft auf die granulationshemmende Wirkung des Rivanols zurück¬
zuführen. Auch Pleuraempyeme wurden mit Rivanol behandelt.
Unser Material ist zu gering, um etwas Sicheres sagen zu können,
jedoch lauten die Berichte von der Schmieden sehen Klinik bei
Streptokokken-Pleuraempyemen günstig, während die Erfolge von
anderer Seite (Härtel) weniger günstig dargestellt werden.
Irgendwelche Schädigungen nach Rivanolspülungen oder Injek¬
tionen haben wir nie beobachtet. Es erscheint durchaus des Ver-
suchs wert, die in das Gebiet der Inneren Medizin fallenden, zu
schnellen Verklebungen und Verwachsungen neigenden Pleuritiden
oder Perikarditiden durch Rivanolbehandlung anzugreifen.
Ueber ungewöhnlich lokalisierte extragenitale
Primäraffekte.
Von Dr. 0. Müller, Hautarzt in Recklinghausen.
Wenn auch extragenitale Syphilisinfektionen infolge unserer bes¬
seren diagnostischen Methoden (Spirochätennachweis, Wa.R. usw.) nicht
mehr zu den Seltenheiten wie früher zählen und jeder Dermatologe
dzw. Syphilidologe sie in einem gewissen Prozentsätze seiner Fälle
esic ™ e bekommt, so dürften die im Folgenden beschriebenen
alle von extragenitaler Syphilisinfektion wegen ihrer seltenen Lokali-
atiop wohl von allgemeinem Interesse sein. Ist es doch gerade für
en praktisdien Arzt, der die extragenitalen Primäraffekte meist
j Cn bekömmt, weil die betreffenden Patienten mit ihren
>,wunden oder „Geschwürchen“ ja keine Ahnung von der Art ihrer
Erkrankung haben, so wichtig, daß er bei unbestimmten, schlecht
heilenden Wunden oder Geschwürchen auch an Ulcus durum denkt
und durch die frühzeitige Diagnosestellung evtl, unter Zuhilfenahme
eines Facharztes und durch frühzeitiges therapeutisches Eingreifen
verhindert, daß es zur Allgemeinsyphilis kommt; denn es ist eine
bekannte Tatsache, daß gerade extragenitale Syphilisinfektionen einen
viel schwereren Verlauf nehmen, ja daß die infolge zu spät ein¬
setzender Behandlung entstandene Allgemeinsyphilis einen geradezu
malignen Charakter annehmen kann. Hinzu kommt noch ein nicht
zu unterschätzendes soziales Moment, das die Frühdiagnose beim
extragenitalen Primäraffekt so wichtig und wertvoll macht, nämlich
daß die Erwerbsfähigkeit der betreffenden Patienten — wie wir
bei den folgenden Fällen sehen werden — auch schon im Früh¬
stadium der Erkrankung auf Monate hin beeinträchtigt werden kann,
während anderseits bei einsetzender spezifischer Behandlung das
vorher schwer zu beeinflussende Ulkus wie mit einem Zauberschlagc
abheilt. Leider war es bei drei der Patienten schon zum Ausbruch
der Allgemeinsyphilis gekommen, ehe sie mir zur Diagnosestellung
und Behandlung zugeführt wurden. Es liegt mir natürlich fern, irgend¬
welche Kritik an dem Verhalten der praktischen Aerzte, die sie
vorher behandelt hatten, zu üben, ich erwähne dies und veröffent¬
liche die Fälle gerade, um zu zeigen, wie ungewöhnlich der Sitz
eines Primäraffektes sein kann, sodaß der praktische Arzt, falls er
nicht schon Aehnliches gesehen oder gelesen hat, zunächst gar nicht
auf den Gedanken einer syphilitischen Infektion kommt.
Der erste Fall betrifft eine 23jährige verheiratete Frau, die mich
Ende April v. J. aufsuchte uhd folgendes Krankheitsbild bot: Die
Nase war in toto stark verdickt und entzündlich gerötet, die Nasen¬
spitze wurde von einem etwa markstückgroßen, runden, fast schwarzen
Ulkus eingenommen, das in der Mitte flach mit einer nekrotischen
Schicht überzogen war und an den Seiten einen frischroten, wall¬
artig erhabenen und verhärteten Saum zeigte. Das ganze Bild er¬
innerte an eine Verbrennung 3. Grades, die Nase sah aus, als
wenn sie genau an der Spitze mit einem runden Siegel gebrannt
worden wäre. Obwohl zunächst das Krankheitsbild gar nichts mit
einem typischen harten Schanker gemein zu haben schien, wurde
doch sofort der Verdacht auf syphilitische Infektion durch das Her¬
vorspringen der stark geschwollenen Submentaldrüsen, die mir schon
beim Eintritt der Frau ins Zimmer auffielen, hingelenkt. Dieselben
waren vollkommen indolent, im Gegensatz zu sonstigen Driisen-
schwellungen in der Nachbarschaft eines entzündlichen Prozesses,
wo sie ja meist sehr schmerz- und druckempfindlich zu sein pflegen.
Die Wahrscheinlichkeitsdiagnose „Ulcus durum“ wurde durch den
Nachweis der Syphilisspirochäten in dem von der Randpartie ent¬
nommenen Reizserum bestätigt. Aeußere Zeichen sekundärer Syphilis
waren noch nicht vorhanden, Wassermann zeigte jedoch schon posi¬
tive Reaktion (-f--f-). Während man nun bei den meisten extra-
genitalen Primäraffekten, wenn sie nicht gerade an den Lippen
lokalisiert sind, betreffs des Ansteckungsmodus nur auf Vermutungen
angewiesen ist, glaube ich denselben hier ausfindig gemacht zu
haben. Der Mann dieser Frau war nämlich Anfang v. J. wegen
Ulcus durum am Penis in meiner Behandlung, beendete die Kur
infolge der schnellen Heilwirkung des Salvarsans nicht und bekam
infolgedessen nach 6—8 Wochen Sekundärerscheinungen in Form
eines papulösen Exanthems und nässende breite Kondylome. Zur
gleichen Zeit hatte die Frau genau auf der Nasenspitze einen
schmerzenden „Pickel“ — offenbar einen kleinen Talgdrüsenabszeß
oder ein Furunkelchen —, der von ihrem Manne wiederholt aus¬
gedrückt worden ist. In seiner schon bei der Behandlung fest¬
gestellten Indolenz und Unsauberkeit hat also der Mann wohl sicher
mit seinen beschmutzten Fingern die Spirochäten direkt in die kleine
Nasenwunde eingepreßt, wodurch cs zur Infektion und dem oben
geschilderten Krankheitsbild kam. Bemerken will ich noch, daß die
Frau, welche vorher kolossale Schmerzen an der ganzen Nase hatte,
diese schon nach einer Neosolvarsaninjektion vollständig verlor,
daß sich das Ulkus sofort reinigte und der nekrotischen Partien
entledigte. Nach 3 Neosalvarsan- und 6 Hg salicylic.-Injektionen
war es gänzlich abgeheilt, was zur Folge hatte, daß auch die Frau
trotz eindringlichster Warnung die Behandlung abbrach, wodurch
nun wahrscheinlich auch sie der Allgemeinsyphilis nicht entgehen wird.
Die beiden anderen Fälle sind deshalb wohl besondere Raritäten,
weil es sich um zwei Brüder handelt, die genau an derselben Stelle,
nämlich am Daumen, der eine rechts, der andere links, ihren Primär¬
affekt hatten, der fast genau zu derselben Zeit entstanden, die gleiche
Beschaffenheit und den gleichen Verlauf zeigte und an den sich
später genau dieselben syphilitischen Allgemeinerscheinungen an¬
schlossen. Hier ist es mir — um es gleich vorwegzunehmen m
nicht gelungen, die Entstehungsursache ausfindig zu machen, denn
die Angabe des einen der Patienten, er habe die essigsaure Tonerde¬
lösung seines Bruders mit zu Umschlägen für seine Daumenwunde
benutzt und sich hierdurch möglicherweise angesteckt, dürfte ätio¬
logisch nicht verwertbar sein, weil die Schankergeschwüre ja fast
genau gleichzeitig auftraten. Zudem wäre dadurch auch nur der
Ansteckungsmodus des einen Kranken geklärt. — Es handelt sich
um zwei 30 bzw. 33 Jahre alte Bergleute, von denen der
eine verheiratet, der andere ledig ist. Beide haben angeblich
früher nie eine Geschlechtskrankheit gehabt, äußere Zeichen einer
solchen (Narben usw.) sind nicht wahrzunehmen. Die genau unter¬
suchte Frau des einen der beiden Patienten weist keinerlei auf
Syphilis verdächtige Erscheinungen auf, Wassermann ist negativ.
Sie geben nun an, bei der Häuerarbeit eine kleine Quetschung bzw.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
804
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 24
Abschürfung am Daumen bekommen zu haben, die sie zunächst kaum
beachteten. Erst als die Wunde nicht heilen wollte, ging der eine
zum Arzt und bekam Umschläge mit essigsaurer Tonerde verordnet,
die der andere — wie schon erwähnt — dann mit benutzte. Später
wurden auch Salben angewandt, ohne daß eine Besserung der in¬
zwischen größer gewordenen Wunden eintrat. Als nach etwa sechs¬
wöchigem Bestehen bei beiden ein Ausschlag am Körper hinzutrat,
wurden sie mir von den behandelnden Aerzten überwiesen und
boten folgendes, fast genau gleiches Krankheitsbild t Im einen Fall
rechts, im andern links w>ar der Daumen im Bereiche des ersten
Gliedes leicht geschwollen und zeigte an der Innenseite, etwa in
Höhe des Nagelbettes, ein uncharakteristisches Geschwür, das, seit¬
lich am Nagelbett sitzend und teilweise auf dieses übergreifend, den
Eindruck machte, als wenn wildes Fleisch aus dem Nagelbett hervor¬
wuchere, wodurch in dem einen Fall der Nagel etwas abgehoben
wurde. Das leicht (—) zu bekommende Reizserum (von der Wund¬
fläche) zeigte einwandfrei die Spirochaeta pallida in großer Anzahl.
Neben einseitiger starker Schwellung der Lymphdriisenpakete in der
Achselhöhle bestand Polyadenitis. Der Körper war nun bei beiden
von einem braunroten, makulopapulösen Syphilid bedeckt, das auch,
das Gesicht mit ergriffen hatte. Bei dem einen Patienten war das
Exanthem auch in der Hohlhand zu sehen und hatte hier den
Charakter einer Psoriasis luica. Außerdem waren noch teilweise
pustulöse Eruptionen auf dem Kopf und nässende Papeln am Skrotum
und After vorhanden, wohingegen sich die Mundschleimhäute merk¬
würdigerweise frei zeigten. Wassermann war bei beiden stark positiv
(-H —!— B- Die sofort einsetzende spezifische Behandlung (Neo-
salvarsan gemischt mit Novasurol) hatte das sofortige Aufhören der
vorher starken Schmerzen in der Daumenwunde zur Folge, sodaß
beide Patienten schon nach der ersten Injektion ihre Arbeit, die sie
mehrere Wochen einstellen mußten, wieder aufnehmen konnten. Nach
3 weiteren Mischinjektionen war eine vollständige glatte Abheilung
des Ulkus und Schwinden des Exanthems bis auf einige Pigment¬
fleckreste erzielt. Beide Patienten sind noch in meiner Behandlung
und unterziehen sich dankbar und willig der nötigen intensiven Kur.
Nach Abschluß der Arbeit kommt noch ein Patient mit maligner
Syphilis im Krankenhaus in meine Behandlung. Da auch hier mit
großer Wahrscheinlichkeit eine syphilitische Fingerinfektion in Frage
kommt, welche die eingangs aufgestellte Behauptung von dem meist
schwereren Verlauf extragenitaler Syphilisinfektionen besonders gut
illustriert, sei dieser Fall noch kurz angeführt.
Der 45jährige verheiratete Bergmann kommt in sehr elendem
Zustand und hoch fiebernd zur Aufnahme. Der ganze Körper, ein¬
schließlich des Gesichts und der Kopfhaut, ist mit einem gro߬
papulösen, teils pustulo-krustösen, schmutzig-braunem Exanthem über¬
sät. Die Mundschleimhäute, sind frei, die Rachenschleimhaut dagegen j
ist stark gerötet und zeigt an der hintern Wand, tief nach unten :
reichend, flache Ulzerationen, die an zerfallene gummöse Prozesse
erinnern, aber eben als Begleiterscheinung der malignen Syphilis
aufzufassen sind, bei der die einzelnen Krankheitsstadien so schnell
durchlaufen werden, daß es schon sehr frühzeitig zu Geschwür¬
bildungen kommt. Es besteht Polyadenitis, außerdem ist aber noch in
der linken Achselhöhle eine kleinapfelgroße, nicht schmerzhafte Lymph-
drüsengeschwulst vorhanden, die Wa.R. ist stark positiv (H—I—|—J-).
An der linken Hand, am Grundgelenk des Zeigefingers, befindet sich
eine noch nicht völlig geschlossene Wunde, die von der Amputatjon
des linken Zeigefingers herrührt. Wegen einer angeblich im An¬
schluß an eine Verletzung entstandenen, schlecht heilenden Wunde
mit hinzutretender fieberhafter Lymphangitis und Lymphadenitis war
die Absetzung des Fingers, da Uebergreifen des Entzündungspro¬
zesses auf das Grundgelenk zu befürchten stand, von dem behandeln¬
den Arzte vorgenommen worden. Nach vorübergehender Besserung
im Allgemeinbefinden und Nachlassen des Fiebers trat aber schon
kurze Zeit darauf ein Exanthem am Körper auf, das zunächst
„purpuraartigen“ Charakter gehabt haben soll und sich dann unter
Wiederauftreten von hohem Fieber zu dem oben geschilderten Krank¬
heitsbild entwickelte.
Da anamnestisch absolut nichts zu eruieren war, w r as auf eine
genitale Infektion hindeutete, und an den Geschlechtsteilen auch
keinerlei Narben oder Schankerreste festzustellen w r aren, dazu die
Untersuchung der Ehefrau negativ ausfiel, anderseits aber in der
Nachbarschaft der früheren Wunde noch starke indolente Lymph-
drüsenpakete vorhanden waren und die Haut- und Schleimhaut¬
erscheinungen jenen eigenartig malignen Charakter hatten, so dürfte
der Schluß, daß es sich auch in diesem Falle um eine syphilitische
Extragenitalinfektion an dem verletzten Finger handelte, wohl be¬
rechtigt erscheinen.
Aus dem Dermatologischen Stadtkrankenhaus II in Hannover.
Ueber „Sulfobadin“, ein neues Schwefelpräparat zur Her¬
stellung von Bädern.
Von Dr. Gustav Stumpke,
Direktor der Anstalt und Privatdozent an der Tierärztlichen Hochschule
Seit längerer Zeit habe ich mich mit dem Gedanken beschäftigt,*
ein neues Sdwefelpräparat zur Herstellung von Bädern zu erhalten,
das die bekannten Nachteile der bisher gebräuchlichsten diesbezüg- i
liehen Schwefellösung, der Solutio-Vlemingkx, die hauptsäch- I
lieh in ihrem Geruch, der Verunreinigung der Wannen usw\ bestehen, I
vermeidet. Die Solutio-Vlemingkx enthält den Schwefel bekanntlich
als Kalziumsulfid, also in anorganischer Bindung. Hierzu kommt noch,
daß durch den hohen Kalkgehalt das Badewasser außerordentlich hart
wird.
Auf meine Anregung stellte nun die Chemische Fabrik Helfenberg
A.-G. ein Schwefelpräparat her, welches die Nachteile der Solutio-
Vlemingkx vermeidet. Ich habe mit diesem Präparat an dem meiner
Leitung unterstehenden Städtischen Krankenhaus II in Hannover aus¬
gedehnte Versuche angestellt, die nach jeder Richtung hin, sowohl
subjektiv, wie auch objektiv, durchaus zt> meiner Zufriedenheit ver¬
liefen. Das von der Firma Helfenberg hergestellte Präparat, das
unter dem Namen „Sulfobadin“ in Kürze in den Handel gebracht
wird, enthält den Schwefel zu einem großen Teil in organischer Bin¬
dung. Das „Sulfobadin“ enthält in einem sehr schwefelreichen
Lösungsmittel ein geschwefeltes Oel, welches infolge des besonderen
Herstellungsverfahrens mit dem Lösungsmittel in chemische Verbin¬
dung tritt.
Aus diesem Grunde ist der im „Sulfobadin“ enthaltene Schwefel
in weit höherem Maße resorptionsfähig als der rein anorganische
Schwefel der Solutio-Vlemingkx. Die Hauptwirksamkeit des „Sulfo-
badins“ beruht auf seiner Eigenschaft, nach der Resorption
kolloidalen Schwefel abzuscheiden. Man kann sich von
dieser Eigenschaft durch einen einfachen Versuch überzeugen. Gießt
man einige Tropfen „Sulfobadin“ in ein Becherglas mit destilliertem
Wasser, so entsteht zunächst beim Umrühren eine klare, leicht gelb¬
liche Lösung, welche vollkommen durchsichtig ist, also den Charakter
einer echten Lösung hat. Nach einigem Stehen beginnt jedoch be¬
reits die Lösung eine Fluoreszenz zu ziehen, die allmählich stärker
wird und schließlich nach einigen Stunden eine deutliche Trübung
von feinstem kolloidalen Schwefel bildet.
Der Versuch erklärt die in den klinischen Anwendungen beob¬
achtete starke Wirkung des neuen Präparates, die darauf beruht, daß
der kolloidale Schwefel offenbar erst in den tieferen Schichten der i
Haut abgeschieden wird und hier dann in der feinsten Verteilungsform
zur Wirkung gelangt. Während in anderen Präparaten, die von vorn*
herein kolloidalen Schwefe! enthalten, stets damit zu rechnen ist, daß '
die Teilchengröße bei längerem Lagern des Präparates zunimmt, und *
eine erhebliche Tiefenwirkung derartiger Präparate daher nicht zü
erwarten steht, kommt bei dem „Sulfobadin“ immer der erst in
einer gewissen tieferen Hautschicht entstehende kolloidale Schwiefel
unmittelbar zur Wirkung.
Bei der klinischen Prüfung hat sich das „Sulfobadin“ nach jeder
Richtung hin glänzend bewährt. Einmal wird es von allen Kranken
subjektiv sehr angenehm empfunden. Zweitens ist kein stö¬
render Geruch damit verbunden, wie bei der Solutio-Vle¬
mingkx und bei dem geschwefelten Terpentinöl, mit dem wir auch
zahlreiche Versuche anstellten. Drittens besteht keine wesentliche
Wannenbeschmutzung, bzw. ist diese leicht zu entfernen.
Viertens sind die« therapeutischen Effekte so, w'ie man sie
von guten Sclnvefelpräparaten gewohnt ist. Fünftens endlich wird
sich das Präparat wahrscheinlich verhältnismäßig billig her-
stellen lassen.
Als Indikationen möchte ich, nachdem ich im ganzen etwa 250
bis 300 Bäder verabfolgt habe, in erster Linie empfehlen: Postskabiöse
Ekzeme, chronische Ekzeme, Impetigo-Affektionen, ausgedehnte Akne¬
fälle, Pruritus in jeder Form, Psoriasis, Lichen ruber, Dermatitis
herpetiformis, Pemphigus.
Wie milde das Präparat ist und wie angenehm es von den
Kranken empfunden wird, geht ganz besonders aus der letzten In¬
dikation hervor: Wir haben in letzter Zeit 2 schwere Pemphi-
gusfälle mit ausgedehnten Blaseneruptionen und teilweise sehr
gestörtem Allgemeinbefinden mit „Sulfobadin“ dreimal,
wöchentlich bis täglich baden lassen.
Selbstverständlich wird es noch andere Indikationen geben:
ich hebe die genannten besonders hervör, weil wir hier im Kranken-*
haus gerade über diese Affektionen die meisten Beobachtungen
machen konnten.
„Sulfobadin“ verteilt sich im Wasser sofort; das letztere be¬
kommt eine seifenartige, lysoformähnliche Beschaffenheit.
Für einen Erwachsenen nimmt man eine ganze Packung,
für ein Kind ein Drittel bis die Hälfte.
Die Nebenwirkungen des Neosalvarsans und ihre
Bekämpfung unter besonderer Berücksichtigung
des Suprarenins.
Von Dr. Hans Reinhard-Eichelbaom.
So segensreich sich auch das Neosalvarsan in der Bekämpfung
der Syphilis gezeigt hat, so kann es doch in einer Reihe von Fällen
Nebenwirkungen und Nebenerscheinungen, ja sogar Schädigungen
veranlassen. Studiert man die jetzt vorhandenen Statistiken, wie
besonders die Kölner Salvarsanstatistik, so muß man allerdings zu
der Ueberzeugung kommen, daß ernsthafte Schädigungen, wie Haut-,
Nieren- Leber- und Nervenerscheinungen, Neurorezidive, Frühtabes
und Paralyse relativ selten sind. Ja, zieht man nur die Todesfälle
nach Injektionen von Salvarsanpräparaten in Betracht, was für Neo¬
salvarsan besonders günstig ist (ein Todesfall auf 162800 Injektionen),
Digitizea by
Google
Original from
CORNELL UNIVERSUM
16. Juni 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
805
so muß man durchaus zu der Ueberzeugung kommen, daß dieser
Ausgang absolut selten ist, die Unsicherheitsquote 1 zu 162800
äußerst gering ist und das Neosalvarsan bezüglich seiner Schädigung
in keiner Weise den Vergleich mit irgendeinem anderen stark wir¬
kenden Arzneimittel, wie etwa Extract. filic. mar. oder Chloroform,
zu scheuen braucht (vgl. Lewin, Nebenwirkungen der Arzneimittel).
Erweitert man aber die Beobachtung auf alle Nebenerscheinungen,
vom leichten Fieber und Unbehagen, bis zu den ernsteren Vor¬
gängen, zu denen ein fließender Uebergang besteht, so tritt eine
ungleich größere Zahl von Fällen in den Kreis der Beobachtung,
deren jeder einzelne für den aufmerksamen Therapeuten eine War¬
nung vor späteren schwereren Erscheinungen sein muß.
Im Folgenden sollen nun die häufigsten Nebenerscheinungen nach
Injektionen von Salvarsanpräparaten auf Grund eigener Beobachtungen
geschildert werden.
Die Sal varsanpräparate haben mitunter uner¬
wünschte Nebenwirkungen, die wir nach dem Grad
ihrer Gefährlichkeit, der Zeit ihres Eintrittes und
ihrer Dauer teils als N ebe n e rsch e i n u n ge n , teils als
Schädigungen bezeichnen. Die Nebenerscheinungen
sind unerwünschte Nebenwirkungen des Arzneimittels, die während
oder kurz nach der Injektion auftreten, von kürzerer als dreitägiger
Krankheitsdauer, nicht lebensbedrohlich und bis zu einem gewissen
Grade vermeidbar sind. Die Schädigungen verursachen entweder
längere Krankheit, dauerndes Siechtum und Invalidität oder baldigen
Tod. Die Nebenerscheinungen sind natürlich ungleich häufiger als
die Schädigungen. Die Nebenerscheinungen, die uns zunächst be¬
schäftigen sollen, können örtliche oder auch allgemeine sein.
Durch mangelhafte Technik kommt es mitunter zur Bildung des
bekannten Infiltrates. (Trotz, aller Kautelen wird dieses Unglück
schon jedem Praktiker passiert sein.) Der Arm ist gerötet, geschwol¬
len und äußerst schmerzhaft. Am ersten Tage und zur Nacht
gebe man
Meconin mur.0,015
Sacch. lact.03
M. f. pulv.Nr. III
und beginne sofort mit heißen Armbädern, die eine vorzügliche, re¬
sorbierende Wirkung haben und mehr als die kalten Umschläge mit
essigsaurer Tonerde zu empfehlen sind. Nach 2 Tagen ist gewöhn¬
lich die Schmerzhaftigkeit gewichen, es besteht nur noch eine ge¬
wisse Behinderung der Beweglichkeit und ein etwas druckempfind¬
licher Knoten. Sollte dieser Knoten besonders groß sein und wider
Erwarten unter dem Gebrauch der heißen Armbäder nicht resorbiert
werden — im Verlauf von 8—10 Tagen —, so beginne man mit
Heißluftbehandlung und Massage. Die Erfolge sind überraschend.
Ferner kann es, wenn man mit stark angespitzten oder zu dünnen
Injektionsnadcln arbeitet, leicht dazu kommen, daß die Venenwand
infiltriert wird, obgleich man das sichere Gefühl hatte, das Lumen
der Vene erreicht und auch Blut aspiriert zu haben. Die Folge
ist eine Periphlebitis und obliterierende Phlebitis. Der Patient
empfindet tagelang starke Schmerzen, die bis in die Schultern aus¬
strahlen, die Vene ist schmerzhaft, hart und geschwollen, federt
nicht mehr, sondern rollt strangförmig unter den Fingern. Eine
nochmalige Injektion gelingt in den meisten Fällen nicht, das Lumen
ist obliteriert. Die Therapie ist die des Infiltrates. Am besten ver¬
meidet man diese Erscheinung durch den Gebrauch geeigneter Ka¬
nülen. Diese seien ziemlich lang, mit starkem Lumen, die Spitze
rund abgeschliffen. Kleine, dünne Morphiumkanülen vermeide man
(oder benutze sie nur im Notfall bei außergewöhnlich dünnen Venen,
bei denen aber die Gefahr der Thrombose in erhöhtem Maße be-
steht). Die übrigen örtlichen üblen Zufälle, wie etwa Lähmungen
durch Infiltrationen der Nerven, der Ellbeuge, gehören zu den Selten¬
heiten.
Während diese eben geschilderten Erscheinungen Fehler sind,
die man bis zu einem gewissen Grade vermeiden kann, ist das
Salvarsanfieber, das man zu den Nebenerscheinungen allgemeiner
Natur rechnet, in manchen Fällen überhaupt nicht zu vermeiden.
es länger als 3 Tage, so muß man es zu den schwereren
Schädigungen rechnen.
Nach der ersten Neosalvarsaninjektion bei manifester Syphilis II,
besonders aber bei vorhandenem Exanthem, tritt stets nach 6 bis
8 Stunden ein starkes Fieber, oft verbunden mit Schüttelfrost, auf.
Dieses Fieber ist offenbar von der Krankheit als solcher abhängig
und unvermeidbar. Die Höhe der Temperatur hängt oft von der
angewandten Salvarsandosis ab. Da es nach Vorbehandlung mit
vuecksilberpräparaten meist fehlt, kann man mit Lesser, der es
als Spirochätenfieber bezeichnet, nicht uühhiti, es als eine Begleit¬
erscheinung der Heilwirkung anzusehen, aber es geht nicht an, das
rieber als solches als Heilfaktor zu betrachten. Man bekämpfe es
am besten durch kleine Dosen Chinin (2— 3 mal täglich 0,2 Chinin
mur.), mit denen man schon vor der Injektion beginnen läßt. Auch
Pyramidon 4mal täglich 0,2 von Nutzen. Neben diesem Fieber
a “ er auch häutig bei dazu disponierten Personen Fieber-
K ™ e . f]° s * »njectionem auf. Durch vollkommen steriles Arbeiten
escnrankt man diese Fieber auf ein Minimum. Auch den Wechsel-
*2 Wasserfehler kann man aufs äußerste redti/ie r en. wenn
in a d,c Neosalvarsanmenge in etwa 2 ccm Aq. dest. auflöst und dann
aer 10 ccm-Spritze während des Injektionsaktes die Flüssigkeits-
fi n £. e [* ur< J aufgesogenes Blut auf 10 ccm verdünnt. Fieberanfälle, j
trotz dieser Maßnahmen immer \\;ieder auftreten, muß man :
i durch Chiningabe bekämpfen. Falls dies unerwünscht ist, so gibt
es auch häufig Fälle, bei denen nach einem Wechsel der Medikation
(Salvarsannatrium) das Fieber post inject, prompt sistiert.
Ebensowenig hat man es in der Hand, die provokatorischen
Eigenschaften der 1 . Salvarsaninjektion, die unter dem Namen der
Herxheimerschen Reaktion und der Gennerichschen Provokation des
negativen Wassermanns bekannt sind, zu vermeiden.
Nächst dem Salvarsanfieber ist eine der häufigsten Nebenerschei¬
nungen der Aethergeruch in der Nase, ein besonderer, knoblauch¬
artiger Geschmack im Munde, der besonders intensiv beim Silber-
salvarsan aufzutreten pflegt. Diese Reizungen der Endorgane des
Olfaktorius und ülossopharyngeus zeigen an, daß ein gewisser Teil
des im Kreislauf befindlichen Salvarsans zersetzt und durch die Ex¬
spirationsluft ausgeschieden wird. An und für sich ist beides un¬
bedenklich und zeigt im Gegenteil das Gelingen der Injektion an.
Bei empfindlichen Patienten ließen wir jedoch während der Injektion
rauchen oder ein Pfefferminzplätzchen zerkauen.
Dann treten an sonstigen Störungen, die durch Neosalvarsan
hervorgerufen werden, am häufigsten solche auf, die auf elektiver
Schädigung der Gefäße beruhen. (Hierbei kann nicht unerwähnt
bleiben, daß die zur Zeit im Handel befindlichen Neosalvarsan-
präparate hinsichtlich des Gefäßsystems ganz ungleichmäßig wirken.
Während bei bestimmten Serien fast keine Injektion ohne Neben¬
erscheinung verlief, gehörten diese bei anderen zu den Ausnahmen,
was auf eine ungleichmäßige Fabrikation schließen läßt.) (Wie mir
von den Höchster Farbwerken zur Zeit berichtet wird, sind die Prä¬
parate mit merklich stärkerer Nebenwirkung aus dem Handel gezogen
worden.) Immerhin bleibt auch noch eine Reihe von Fällen, die
trotz alledem mit Störungen verlaufen, mögen diese Störungen nun
auf stärkerem Nitritgehalt beruhen, der an sich imstande ist, Ge¬
fäßerweiterungen hervorzurufen, oder auf Niederschlagsbildungcn in
der Intima; es bleibt die Tatsache einer unerwünschten peripherischen
Gefäßschädigung durch Neosalvarsan übrig, die bekämpft werden
muß. Da das Neosalvarsan in häufigen Fällen eine Lähmung der
Gefäßmuskulatur und Gefäßdilatation hervorruft, ist sein gegebener
Antagonist vermöge seiner rein peripherischen Wirkung als Erreger
der Gefäßmuskulatur das Adrenalin, wie es zuerst v. Romberg
vorschlug.
Alle Nebenerscheinungen dieser Art bekämpften wir sowohl pro¬
phylaktisch wie therapeutisch mit dem Suprarenin. synthetic. der
Höchster Farbwerke in 1:1000 Lösung mit bestem Erfolg. Die töd¬
liche Suprarenindosis für den Menschen würde nach dem Tierexperi¬
ment etwa 0,2 mg pro Kilogramm, also etwa 7 mg betragen, eine
Dosis, welche die therapeutische erheblich übersteigt. Die akute, im
Experiment erzeugte Adrenalinvergiftung führt unter Krämpfen,
Opisthotonus, Lähmung und Erscheinungen des Lungenödems zum
Tode. Die chronische Adrenalin Vergiftung zeitigt angiosklerotische
Veränderungen der Gefäße. Diese Erscheinung würde eine thera¬
peutische Anwendung verhindern, träte sie etwa schon nach wenigen
Injektionen auf (was zwar behauptet, aber nicht bewiesen wird).
Jedenfalls beherrscht das Suprarenin schon heute mit gutem Recht
ein so weites Indikationsgebiet in der Dermatologie, z. B. bei
Pruritus, Urtikaria und Verrucae, von anderen Gebieten ganz zu
schweigen, und zeitigt solchen Nutzen, daß der Erweiterung seiner
Indikation bezüglich der Salvarsantherapie nichts im Wege stand.
Wir gaben cs prophylaktisch vor der Injektion, 5—10 Minuten,
1/2 bis 3 / 4 ccm der Lösung 1:1000 subkutan. Wegen der Gefä߬
kontraktion tritt hierbei eine sehr verlangsamte Resorption, gleich¬
zeitig aber auch eine Dissimilation des Suprarenins ein, das im
Gefälle zwar nicht so intensiv, aber dafür andauernder wirkte.
Als Antidot nach der Injektion wird es zwar auch subkutan ge¬
geben, aber intensiver 1/4 ccm intravenös, jedoch nicht ganz un¬
gefährlich.
Ueble Nebenwirkungen traten in einigen Fällen auf. Diese be¬
trafen Vasotoniker und bestanden in Schwindel, Erbleichen, stärksten
Herzpalpitationen und etwa nach einer Stunde einsetzendem unwill¬
kürlichen, sehr grobschlägigem, krampfartigem Tremor der Kiefer
und der Arme und Hände, etwas Atembeschwerdeh. Ich halte diese
Anzeichen einer beginnenden akuten Adrenalinvergiftung für unbe¬
denklich und auch leicht vermeidbar bei individuellem Ausbalancieren
der Suprarenineinzeldose, zumal wenn man sich daran gewöhnt,
das Medikament schon prophylaktisch und stets subkutan zu verab¬
folgen.
Nebenerscheinungen des Neosalvarsans, die man mit größter
Wahrscheinlichkeit auf eine unerwünschte Gefäßwirkung zurückführen
kann, sind nun intensive, nach der Injektion auftretende Kopfschmerzen
und Ohnmächten. Diese könnten auf Exsudation aus den Piagefäßen
und leichtem Piaödem beruhen. Sie wurden bei längerer Dauer
stets als eine Warnung vor weiteren Injektionen mit gesteigerter
Dosis angesehen, da evtl, ein Neurorezidiv zu befürchten. Gerade
hier wirken die subkutanen Suprarenininjektionen segensreich. Ge¬
wöhnlich hören die Kopfschmerzen nach 1—2 subkutanen Suprarenin¬
injektionen auf. Sistieren sie nicht, so kann immerhin der Ver¬
dacht auf einen aktiven syphilitischen Prozeß an den Meningen wach
werden, wie es sich in einem unserer Fälle auch bestätigte. Dann
sei man vorsichtig mit dem Gebrauch des Neosalvarsans, man gebe
intravenös dreimal wöchentlich Novasurol, worauf solche Prozesse
sich prompt zu bessern pflegen. Ferner schlossen wir einige Male
an eine beendigte Neosalvarsankur bei bestehenden heftigen Kopf¬
schmerzen eine Htägige Suprareninkur mit vollem Erfolge an: 3ma!
wöchentlich 1/2 ccm 1:1000 subkutan.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
806
DEUTSCHE MEDIZINISCHE «WOCHENSCHRIFT
Nr. 24
So erweist sich das Suprarenin wertvoll zunächst therapeutisch
zur Beseitigung des Kopfschmerzes post injectionem, wenn andere
Mittel, wie Antipyrin und Antipyret. comp., im Stich ließen; dann aber
gibt es auch bei der Differentialdiagnose syphilitischer Kopfschmerzen
mitunter Hilfe. — Auch das Flimmern vor den Augen und Ohren¬
sausen nach der Injektion haben ähnliche Ursachen. Die Therapie
ist die gleiche. Die Steigerung und der Gipfel all dieser Erschei¬
nungen ist aber der vasomotorische Symptomenkomplex, der in seiner
schlimmsten Form geradezu lebensbedrohlich sein kann. Dieser tritt
als Frühwirkung wenige Minuten nach der Injektion auf. In den
leichtesten Fällen wird die Gesichtshaut brennend rot, der Puls klopft
in den Schläfen, und deutlich hört der Patient seinen eignen Puls¬
schlag. Dazu tritt Schwindelgefühl und Schwäche. Legt man den
Patienten lang auf ein Sofa, bei gesenktem Kopf und erhobenen
Beinen, so gibt sich der Zustand in einiger Zeit; aber schlagartig
wird er durch eine Suprarenininjektion beendet. Von diesen Sym¬
ptomen besteht nur ein gradweiser Uebergang bis zu den bedroh¬
lichsten des angioneurotischen Symptomkomplexes: fliegender Puls,
Herzpalpitationen, Atemnot, Gesichts- und Handröte können sich bis
zur tiefsten, minutenlangen Ohnmacht, verbunden mit Pupillenerweite¬
rung, Oedem des Gesichtes, der Lippen, der Zunge und des Re-
spirationstraktus, Zyanose der Lippen, Atemnot, ja bis zum Kollaps
steigern. Mitunter bleibt nach der Erholung eine tagelange Heiser¬
keit bestehen. Alle diese Erscheinungen können sich, zuerst un¬
merklich beginnend, besonders bei Erhöhung der Dosen, derartig
steigern, daß sie eine Fortsetzung der Neosalvarsankur durchaus
unmöglich machen würden, wenn wir nicht das ausgezeichnete Mittel
der prophylaktischen, subkutanen Suprarenininjektion hätten. Diese
ist in allen Fällen indiziert, wo sich als Vorbote der Angioneurose
Kapillarerweiterungen, Pulsbeschleunigung schon bei der ersten In¬
jektion zeigen, um bei jeder folgenden sich zu wiederholen.
Ferner ermöglichen die prophylaktischen Suprareningaben un¬
bedenklich eine vom therapeutischen Standpunkt aus erwünschte
Dosensteigerung, sodaß man ohne weiteres als Norm für Frauen
Dosis III, für Männer Dosis IV geben kann. Man kann sich also im
Verlauf der Kur auf wenige, aber starke und daher wirksame Dosen
beschränken und braucht keine Giftfestigkeit der Spirochäten zu be¬
fürchten. Man kann sogar, falls es die Kur oder die Umstände er¬
fordern, ohne Schaden auf 3 Injektionen wöchentlich steigern. Er¬
leichtert wird dadurch die Abortivbehandlung mit 4 Injektionen
wöchentlich und die Anwendung des Scholzschen Schlages. Sollten
die Patienten die Suprareninenjektionen — was aber kaum zu be¬
fürchten ist — nicht vertragen, so muß man das Präparat wechseln
und Silbersalvarsan oder Salvarsannatrium geben. Endlich wären
noch die Gefäßwirkungen, die das Neosalvarsan auf den Magen-
darmtraktus bisweilen ausübt, zu erwähnen. Sie treten gewöhn¬
lich zeitlich etwas später ein als die Angioneurose. Es ist unklar,
ob die Uebelkeit und das häufig sehr stark belästigende Erbrechen
zerebralen Ursprungs ist, oder ihnen ein Oedem der Magen¬
schleimhaut oder Exkretion von Neosalvarsan in den Magen zu¬
grundeliegt. Auch hier wirken Suprareningaben gut. Doch versagt
auch das Opium und folgendes Rezept selten seine Wirkung:
Rp. Anaestesini
Sacch. lact. aa 0,3
M. f. pulv, Nr. 6
Ds. 1—2 Pulver täglich.
Bei Durchfällen nach Neosalvarsan verabfolgt man am besten
Tinct. opii.
Es kämen noch als Früherscheinungen Hautschädigungen in Be¬
tracht. Die vasomotorischen, flüchtigen Erytheme und Urtikaria be¬
ruhen auf einer individuellen Idiosynkrasie. Man hat Gelegenheit,
toxische Urtikaria, Erytheme und fixe Exantheme zu beobachten.
Auch entsinne ich mich eines Falles, bei dem nach der 2. Neosalvar-
saninjektion dicke Knoten im Unterhautzellgewebe der unteren Ex¬
tremitäten nach Art eines Erythema induratum auftraten; diese
bildeten sich etwa in 17 Tagen zurück. Es ist hier das Gegebene,
jede Therapie auszusetzen und unter indifferenter Puderung bis zur
Heilung zu warten; wenn man dann zum Gebrauch des Silber-
salvarsans übergeht, hat man in der Regel kein Rezidiv zu be¬
fürchten. Vielleicht würden auch hier Suprareningaben wirken, da
die Wirksamkeit derselben bei der gewöhnlichen Urtikaria angegeben
ist und diese Hauterscheinungen in gewisser Beziehung auch Ge¬
fäßschädigungen sind.
Die schwerste Erscheinung bietet die universelle Salvarsanderma-
titis dar; diese beginnt mit morbilliformen Effloreszenzen an den
Extremitäten, die häufig stark jucken. Beachtet man diese leichten
Vorboten nicht, oder verwechselt man sie gar, ohne eine mikro¬
skopische Untersuchung, mit einer Skabies, womit sie immerhin ent¬
fernte Aehnlichkeit haben können, so tritt nach der nächsten In¬
jektion sicherlich eine ausgebreitete Dermatitis auf, die wegen der
Gefahr der septischen Infektion tödlich endigen kann. Man soll auch
hier abwarten und sich der Puderung bedienen. Einige Autoren
wollen günstige Erfolge mit der Terpentinbehandlung gesehen haben.
Da in gewisser Beziehung bei den Hautschädigungen der Gefä߬
apparat mitangegriffen ist, so wäre vielleicht auch hier, was wir
aber noch nicht versucht haben, eine Suprarenintherapie am Platze.
Vielleicht ist das prophylaktisch gegebene Suprarenin auch imstande,
manche Dermatitis zu verhindern.
Hiermit sind die häufigsten Nebenerscheinungen der Salvarsan-
medikation erörtert. Neben anderen Medikamenten hat sich uns das
Suprarenin erfolgreich in ihrer Bekämpfung erwiesen, wobei es da¬
hingestellt sein mag, ob die Wirkung rein symptomatisch ist oder
nicht. Wir sind der Ansicht, daß es sich sowohl prophylaktisch
und therapeutisch, wie auch differentialdiagnostisch und als Mittel
zur unbedenklicheren Dosensteigerung als wertvoll erwiesen und be¬
währt hat. Wir halten uns daher berechtigt, die von Romberg
getroffene Indikation beträchtlich zu erweitern.
Der Vollständigkeit halber sei es mir noch vergönnt, mit einigen
kurzen Worten die direkten Salvarsanschädigungen zu erwähnen.
Daß anfänglich auftretende vasomotorische Erytheme, Urtikaria
und flüchtige Exantheme bei weiterer Medikation zu erheblichen
Krankheitserscheinungen, ja zum Tode führen können, ist schon
berichtet. An den inneren Organen treten noch vielfache andere
Schädigungen auf. Da ist zunächst der Ikterus, der seltener im
Verlauf einer Neosalvarsankur, häufiger Monate nach Beendigung
der Kur auftritt. Der Zusammenhang mit der Salvarsantherapie wird
von den meisten Autoren geleugnet und der Ikterus für eine Er¬
krankungsform der Syphilis gehalten, der Frühikterus für eine Herx-
heimersche Reaktion, der Spätikterus für ein Syphilisrezidiv ange¬
sehen. Ferner kann ja auch der so häufige katarrhalische Ikterus,
dessen Differentialdiagnose hier schwierig ist, damit konkurrieren.
Zunächst pausiere man auf jeden Fall einige Zeit mit der Salvarsan¬
therapie und behandle den Ikterus exspdctativ mit fettloser Diät,
Atropin und Karlsbader Salz. Ist der Ikterus nach 8 bis 12 Tagen
verschwunden, so war es ein katarrhalischer, und man kann jetzt die
Neosalvarsantherapie fortsetzen. Im anderen Falle, beim Bestehen¬
bleiben des Ikterus, besonders wenn noch andere Zeichen florider
Syphilis vorhanden sind, gebe man vorsichtig intramuskulär Kalomel
oder Ffydragyr. salicyl. Bei Rückgang der Symptome, was für die
syphilitische Natur des Ikterus beweisend wäre, kann man auch hier
mit der Salvarsantherapie beginnen. Die Beziehungen der akuten
gelben Leberatrophie zum Salvarsan und der Syphilis sind noch un¬
bekannt. Hiermit sind wir zu den schwersten Folgen, die das Sal-
varsan hervorrufen kann, gekommen. Das sind alle die Erscheinungen,
die durch die provokatorischen Eigenschaften des Neosalvarsans in¬
folge der Empfänglichkeit und Exponiertheit des Gewebes am Nerven¬
system Zustandekommen. Hier an den Nerven, im Rückenmark oder
Gehirn kommen alte, örtliche, syphilitische Herde durch die Reiz¬
wirkungen des Salvarsans zur Entzündung und schaden durch Kom¬
pression lebenswichtiger Teile. So kommen die bekannten Neuro-
rezidivc (Erblindungen, Augenmuskellähmungen, Ertauben, myeli-
tische Lähmungen) zustande.
Die lebensgefährlichste Erscheinung ist die Encephalitis haemor-
rhagica, die in der Mehrzahl der Fälle tödlich endet. Man faßt sie
als akute meningitische Reizung mit Hirnödem auf. Nach Milian
aber hat sich auch gerade hier die Anwendung von Nebennieren¬
extrakt neben der Lumbalpunktion, dem Aderlaß und der Kochsalz¬
infusion als lebensrettend erwiesen.
Salvarsan bei chirurgischen Eingriffen in septischen
Wunden.
Von Dr. Geyer, Hautarzt in Zwickau.
Seit vielen Jahren übe ich die Exzision syphilitischer Schanker,
namentlich, wenn sie größere Ausdehnung haben und entstellende
Narbenbildungen und langdauernde Heilung erwarten lassen, soweit
sie ohne wesentliche kosmetische Nachteile entfembar sind. Aus
der Vor-Salvarsanzeit ist mir bekannt, daß derartige Versuche viel¬
fach sehr w^nig befriedigend ausfielen. Ich habe dabei namentlich
auch einige Fälle in Erinnerung, wo auf Grund falscher Diagnosen
extragenitale Schanker an Kinn, Wangen und Fingern exzidiert wor¬
den waren, die ich später in einem trostlosen Zustande zu sehen
bekam, als die Diagnose nach Hinzutreten der Sekundärexantheme
leichter geworden wac. Seit der Salvarsanzeit exzidiere ich alle
leicht erreichbaren Schanker mit Rücksicht darauf, daß trotz bester
makroskopischer Heilung dieser Stellen immer noch Narbenbildungen
mit Krankheitsherden Zurückbleiben, von denen später Reinfektionen
des Körpers ausgehen können (rückfälliger Schanker, Riesenpapeln).
Es ist mir dabei aufgefallen, daß alle diese Wunden unter primitivstem
Verschlüsse mit Nahtklammern und einfachsten Verbändchen in einer
Woche völlig primär zur Heilung kommen, auch wenn die Opera¬
tionswundfläche noch so sehr verschmiert war, wenn gleichzeitig
Salvarsan gegeben wurde. Ich übe dieses Verfahren jetzt auch bei
Mischschankem mit dem gleichen Erfolge, habe halbhandtellergroße
Schankerwundflächen exzidiert, auch wo schon abszedierende Bubonen
vorhanden waren, die ich früher nicht anzurühren gewagt hätte.
Nach einer Woche war statt des großen Geschwüres, welches
Monate zu seiner Heilung erfordert hätte, eine glatte, Iineäre, feste
Narbe. Die Primärheilung trat nicht ein, wenn die Salvarsanbehand-
lung erst einige Tage nach der Operation vorgenommen worden war.
Diese Tatsache verdient jedenfalls weitere Prüfung von chirurgi¬
scher Seite.
16. Juni 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
807
Chirurgische Ratschläge für den Praktiker.
Von G. Ledderbose in München.
XXII.
Erkrankungen des Mastdarms.
Alle Bearbeiter der Erkrankungen des Mastdarms betonen die
große Häufigkeit falscher Diagnosen infolge unterlassener oder un¬
genauer Fimgeruntersuchung. In zahlreichen Fällen würden
die Aerzte die durch Gründe der Aesthetik und Aseptik bedingte
Hemmung überwinden, wenn sie stets, namentlich bei häuslichen
Besuchen, Fingerlinge aus Gummi oder Papier oder Gummihand¬
schuhe bereit hätten. Man muß die Forderung aufstellen, daß der*
Arzt immer wenigstens Fingerlinge mit sich führen soll. Damit die
Fingeruntersuchung des Mastdarms den Kranken möglichst wenig
belästigt und ein möglichst sicheres Ergebnis liefert, sind gewisse
Regeln zu befolgen. Das Einführen des mit gut eingefettetem
Fingerling bedeckten Zeigefingers — die übrige Hand ist mit einem
Gazestück zu umgeben — wird wesentlich erleichtert, wenn man
auch die Afterhaut einfettet und wenn man langsam und allmählich
den Widerstand des Schließmuskels überwindet. Noch weiter als
bei Seiten- oder Steißrückenlage läßt sich im Darm Vordringen, wenn
man den Kranken im Stehen mit etwa über eine Stuhllehne vorge¬
beugtem Oberkörper, und während er preßt, untersucht. Zu be¬
achten ist, daß der anale Teil des Mastdarms in der* Richtung
nach vorn und der pelvine in der Richtung nach hinten oben ver
läuft.
Die durch die ernsteren Erkrankungen des Mastdarms bedingten
wichtigsten Erscheinungen und Beschwerden sind: Schmerzen, Stö¬
rungen der Stuhlentleerung, Stuhlzwang, Entleerung von Schleim,
Blut, Eiter oder Jauche. Besonders hochgradige Schmerzen pflegen
durch die Afterfissur und den damit verbundenen Sphinkterkrampf
ausgelöst zu werden; sie treten nicht nur während der Defäkation
auf, sondern dauern oft noch stundenlang nach ihr fort. Bei den
Hämorrhoiden entstehen in der Regel erst dann bedeutende Schmer¬
zen, wenn phlebitische Entzündung eines Knotens erfolgt ist. Die
akute Paraproktitis zeichnet sich durch verbreitete, echt entzünd¬
liche, klopfende Schmerzen aus, die namentlich bei der Stuhlent¬
leerung große Stärke erreichen. Die teilweise sehr erhebliche
Schmerzhaftigkeit der übrigen Erkrankungen des Mastdarms ist ins¬
besondere beim Krebs von diagnostischer Bedeutung, da sie nicht
selten im Kreuz oder im Verlauf der Hüftnerven empfunden wird
und so die Aufmerksamkeit von dem ursächlichen Leiden ablenkt.
Die mit sämtlichen Erkrankungen des Mastdarms verbundenen Stö¬
rungen der Stuhlentleerung sind nicht nur direkt durch die
entzündlichen, geschwürigen und krebsigen Veränderungen der
Darmwand und die von innen abhängige Verengerung bedingt, son¬
dern stellen sich vielfach als die Folge bewußten Vermeidens regel¬
mäßiger Defäkation dar. Der zurückgehaltene Stuhlgang verursacht
Austrocknung und Verhärtung des Kots, was entzündliche Reizung
der Schleimhaut oder Steigerung der schon bestehenden entzünd¬
eten oder geschwürigen Sekretion nach sich zieht. Unter diesen
Umständen kommt es dann gern, zumal wenn ein wesentlicher Grad
von Verengerung des Darmrohrs gegeben ist, zu abwechselnder
Obstipation und Diarrhoe. Für die geschwürigen und malignen
Prozesse sind besonders die nach der Defäkation sich geltend
machenden schmerzhaften Tenesmen bezeichnend, ohne oder mit
nachfolgender Entleerung von verschiedenartiger Absonderung der
erkrankten Schleimhaut. Sie wird öfter von den Kranken als Durch¬
fall angesprochen und verleitet dann wohl zur unzweckmäßigen
Verordnung von Opiaten. Schon bei Gesunden kann der Durchtritt
harter Kotmassen schmerzhafte Dehnung und oberflächliche, leicht
blutende Einrisse am Afterrand verursachen. Ausgebildete Fis¬
suren bluten schon etwas mehr beim Einreißen. Die Hämorrhoidal¬
blutungen gehen von den inneren Knoten aus; häufige Wieder¬
holungen vermögen einen bedenklichen Grad von Anämie hervor¬
zurufen. Wie verschiedenartige Geschwüre und die ulzerierte Ober¬
fläche von Mastdarmpolypen oft Blutaustritt bewirken, so trifft dies
auch namentlich für die ulzerierten malignen Neubildungen zu. Ab-
gäng größerer Eitermengen läßt auf hochgradige Entzündung
der Schleimhaut (Gonorrhoe bei Frauen) oder auf weitgehenden
geschwürigen Zerfall schließen. Das ulzerierte Karzinom führt zu
eitriger, blutiger und jauchiger Sekretion.
Afterfissuren pflegen sich aus Einrissen zu entwickeln, ins¬
besondere wenn diese zwischen stark ausgeprägten Falten oder
zwischen Hämorrhoidalknoten liegen und deshalb der Reinigung
schwer zugänglich sind. So entsteht ein lineares Geschwür mit un¬
nachgiebigen Rändern und fehlender Heiltendenz. In diesem Stadium
C S chm £. rzha ftigkeit am größten. Bei der Untersuchung sind
raiten oder Knoten gut auseinanderzuziehen, um etwaiger Fissuren
ansichtig zu werden. Hämorrhoiden verlaufen häufig ohne alle
Beschwerden. Tritt schmerzhafte phlebitische Entzündung auf, so
oiKiet sie sich meist nach kurzer Zeit zurück, worauf die ent¬
standenen Thromben schrumpfen, resorbiert werden und schlaffe
nautanhange außen am Afterrand zurücklassen. Kommt es zu
vererterung, so kann sich nach erfolgtem Einschnitt oder Aufbruch
" e , °herflachliche Fistel — die harmloseste Form der Masfdarm-
“o bllden * Die inneren Knoten verursachen Schleimhautkatarrh
na außer den bereits erwähnten Blutungen heftige Beschwerden,
wenn sie beim Stuhlgang vorfallen. Anfangs treten sie von selbst
wieder zurück oder sind leicht zu reponieren. Bleiben sie längere
Zeit prolabiert, so leiden die Kranken sehr, namentlich wenn es zu
Einklemmungserscheinungen oder gar zu Gangrän kommt. Zwischen
dem Vorfall nur der Mastdarmschleimhaut oder der ganzen Darm-
wand gibt es keine scharfe Grenze. Am häufigsten beobachten wir
den Prolaps bei durch Durchfälle sehr geschwächten kleinen Kindern.
Der Grad des Leidens bestimmt sich nach der Größe des Vorfalls
und insbesondere danach, ob die Reposition leicht, schwer oder
gar nicht möglich ist. Dauernde Vorlagerung des Mastdarms ver¬
ursacht bedeutende Schmerzen, bedingt Störung der Stuhlentleerung,
und es kommt zu lebhafter Absonderung infolge von Entzündung
und Geschwürsbildung sowie zu Blutungen. Der eigentliche Mast-
darmvorfall beginnt in der Regel mit Senkung der Douglasfalte; es
können größere Abschnitte des Dickdarms nach außen verlagert
werden. Tritt Dünndarm in die gesenkte Bauchfelltasche ein, so
nimmt der vorher wurstförmige Vorfall mehr kuglige Gestalt an
(Hernia recti). In allen Fällen von Prolaps muß festgestellt werden,
ob nicht eine Neubildung (Polyp, Krebs) — zunächst in Form von
Invagination — die Vorlagerung verursacht hat. Die im ganzen
leicht zu erkennende akute Paraproktitis entsteht überwiegend
häufig durch Verbreitung der Infektion von der durch Fremdkörper
(Knochen oder Fischgräten im Kot, Klistiervorrichtungen) verletzten,
entzündeten oder geschwürig erkrankten Mastdarmschleimhaut aus.
Die Diagnose wird gesichert durch den plötzlichen Beginn, die ent¬
zündlichen Allgemeinerscheinungen, die nach außen oder nach dem
Rektum vortretende Schwellung, an die sich Oedem, Rötung oder,
wenn nicht eingeschritten wird, spontaner Eiterdurchbruch nach außen
oder innen anschließt. Hochsitzende paraproktitische Abszesse ver¬
mögen sich längere Zeit der Feststellung zu entziehen.
Neuere Untersuchungen haben die ältere, zeitweise bestrittene
Auffassung bestätigt, daß eine große Zahl, wenn nicht die Mehrzahl
der chronischen Mastdarmfisteln tuberkulösen Ursprungs ist.
Von spezifischen Schleimhautgeschwüren aus (geschlucktes tuber¬
kulöses Sputum) wird das paraproktale Gewebe infiziert, oder benach¬
barte Lymphdrüsen kommen zur Verkäsung und Vereiterung. Durch¬
bruch nach außen und in den Darm ist die Folge. Mischinfektion
liefert ein der akuten Paraproktitis verwandtes Krankheitsbild.
Aeußere unvollständige, vollständige (gleichzeitig äußere und innere
Oeffnung) sowie unvollständige innere Fisteln werden unterschieden.
Treten durch eine äußere Fistel Darmgase aus, so ist damit der
Beweis gegeben, daß es sich um eine vollständige Fistel handelt.
Bei rektaler Eiterentleerung muß an innere unvollständige Fistel
gedacht werden. Mittels der Sonde, des in den Darm eingeführten
Fingers, des Mastdarmspiegels oder des Rektoskops werden Ver¬
lauf und Art der bestehenden Fistel festgestellt. Eine Erkrankung,
die bei hochgradiger Entwicklung Störungen und Beschwerden ver¬
ursacht, welche in ihrer Stärke an die außerordentlichen Leiden der
inoperabeln Krebskranken heranreichen, ist die verbreitete ge-
scnwürige Entartung und Strikturierung der Mastdarm¬
wand. Aetiologisch kommt hier in erster Linie die Spätsyphilis
in Betracht. In der Regel sind die aus der gummösen Infiltration
hervorgehenden Geschwüre und Narben in dem Darmabschnitt ober¬
halb des Sphinkters lokalisiert; sie erstrecken sich aber zuweilen
weiter nach oben bis in das S romanum. Schleim, Eiter und Blut
werden mit dem Stuhl entleert. Fistulöser Durchbruch neben dem
After, in die Beckenorgane (Rektovaginalfistel) oder selbst oberhalb
des Leistenbandes kann erfolgen. In besonders schweren Fällen
wird der Mastdarm in ein unnachgiebiges, starres Rohr verwandelt,
das nach hinten verzogen und zuweilen mit dem Kreuzbein fest
verlötet ist. Differentialdiagnostisch sind Folgen von Gonorrhoe,
Tuberkulose, Aktinomykose und Karzinom zu berücksichtigen. Die
Erfahrung lehrt, daß bei langem Bestehen der verschiedenen zu
Mastdarmverengerung führenden mykotischen Erkrankungen zuweilen
sowohl die spezifischen anatomischen Veränderungen als die ur¬
sächlichen Mikroben nicht mehr nachweisbar sind. Die besonders
schweren Fälle sind namentlich bei Prostituierten beobachtet worden.
Die Schleimpolypen des Mastdarms (Adenome) stehen
durch ihre Neigung zu Vorfall, Geschwürsbildung an ihrer Ober¬
fläche und Blutung den inneren Hämorrhoiden nahe. Wenn sie nicht
prolabieren, entziehen sie sich leicht der Diagnose, sofern nicht
rechtzeitig rektale Untersuchung stattfindet. Bei den seltenen Kan-
kroiden am After ist Verwechslung mit syphilitischem Primär¬
affekt oder mit breiten Kondylomen möglich. Der eigentliche Mast-
darmkrebs beginnt in der Regel oberhalb des äußeren Schlie߬
muskels im vorderen Abschnitt der Ampulle als harte, in das Lumen
vorragende Platte; diese ulzeriert bald und hat große Neigung zu
zirkulärer Ausbreitung. Hauptsächlich handelt es sich um Adeno¬
karzinom neben SLirrhus und infiltrierendem Gallertkrebs. Wenn
auch das Alter zwischen 40 und 70 Jahren überwiegend disponiert ist,
so darf doch bei 20- bis 30jährigen Personen Karzinom des Rek¬
tums durchaus nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Ferner
spricht selbst sehr günstiges Allgemeinbefinden nicht gegen Krebs,
da erst bei ausgesprochen geschw'ürigem Zerfall der Neubildung
mit starker Absonderung die Zeichen der Kachexie aufzutreten pflegen.
Schmerzen, unregelmäßige Stuhlentleerung, als Folge der Stenosie-
rung, Tenesmen sowie Abgang von Schleim, Blut oder Jauche müssen
den Verdacht des Karzinoms wachrufen und zwingen zu sofortiger
eingehender Untersuchung. Um die höheren Abschnitte des Rek¬
tums zugänglich zu machen, empfiehlt sich Gegendruck mit einer
Hand von der Bauchwand aus; auch kann Einführen zweier Finger
Digitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
808
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 24
in Narkose oder Anwendung des Rektoskops notwendig werden. Das
Entscheidende des Untersuchungsbefundes sind die aufgewor¬
fenen, harten Geschwürsränder, in denen einzelne, noch
nicht zerfallene Krebsknoten fühlbar sind. Selbst bei den weicheren
Formen, dem Adenoma majignum und dem Carcinoma gelatinosum,
erlaubt die Beschaffenheit des Geschwürsrandes die Unterscheidung
von anderen Ulzerationen, insbesondere von den gummösen. Ein eigen¬
artiger Befund ergibt sich, wenn ein ringförmiges, strikturierendes
Karzinom, namentlich hochsitzender Skirrhus, sich innerhalb des Darm¬
rohrs nach abwärts verschoben hat, der Portio vaginalis vergleich¬
bar. Dieser Vorgang kann sich bis zu einer nach außen vortreten¬
den Invagination steigern. Eine wesentliche Aufgabe der Unter¬
suchung ist es, etwaige Beziehungen des Geschwürs zu der Um¬
gebung sowie seine Verschieblichkeit festzustellen. Das Einlegen
eines Metallkatheters erleichtert die Prüfung, ob Verwachsung mit
der Harnröhre, der Prostata oder der Harnblase besteht; weiter ist
auf Verbindungen mit der Vagina und dem Uterus, namentlich auch
auf solche mit dem Kreuzbein zu prüfen.' Die Feststellung weit¬
gehender krebsiger Infiltration im Becken sowie infizierter Drüsen
ist von großer prognostischer Bedeutung. Endlich muß insbesondere
die Leber auf Metastasen untersucht werden. Wenn diagnostische
Zweifel gegenüber dem syphilitischen oder tuberkulösen Geschwür
bestehen, so kann die Probeexzision am Geschwürsrand mit
nachfolgender mikroskopischer Untersuchung angezeigt sein. Der
Verlauf des Mastdarmkrebses erstreckt sich, entsprechend seiner
wechselnden Bösartigkeit, auf einen Zeitraum von etwa 1—5 Jahren;
die fibrösen Formen verlaufen mitunter wesentlich langsamer. Am
ungünstigsten sind die Gallertkrebse bei jüngeren Personen. Als
Todesursachen kommen in Betracht: fortgesetzte Blutungen, chro¬
nische Sepsis, Perforation in die Bauchhöhle oder die Blase, peri¬
toneale, hepatische oder sonstige Metastasen.
Was die Behandlung der vorstehend besprochenen verschie¬
denen Erkrankungen des Mastdarms angeht, so lassen sich in der
Regel frische Einrisse und Schrunden am Afterrand, ehe sie
sich zu eigentlichen Fissuren entwickeln, durch regelmäßige Waschun¬
gen nach dem Stuhlgang (mit Watte oder Gaze), durch Sitzbäder,
Aufträgen von Salben oder Einlegen von Salbenläppchen während
der Nacht zur Vernarbung bringen. Hat sich der chronische Zu¬
stand der Fissur ausgebildet, so helfen mitunter noch die gleichen
Maßnahmen neben Regulierung des Stuhlgangs. Zuweilen erweist
sich als sehr wirksam das ein- oder mehrmalige Bestreichen der
Fissur mit dem Höllensteinstift nach vorausgegangencr äußerlicher
Kokainisierung. Die sichersten Mittel sind die Dehnung des
Schließmuskels und die Spaltung der Fissur, was am
besten zusammen in Infiltrationsanästhesie oder im Aetherrausch zur
Ausführung kommt. Mittels der hakenförmig gekrümmten Zeige¬
finger oder Daumen wird die allmähliche Dehnung soweit ge¬
trieben, bis der elastische Widerstand des Sphinkters aufhört. Ueber
ein gewisses Maß soll diese Dehnung nicht stattfinden, um länger
dauernde Insuffizienz zu vermeiden. Die Fissur wird dann in ganzer
Länge etwa 1 cm tief eingeschnitten, wodurch der Schließmuskel
eine teilweise Durchtrennung erfährt. Etwa vorhandene äußere
Hämorrhoidalknoten werden gleichzeitig entfernt. Auch leichtere
Grade der durch Hämorrhoiden bedingten Störungen und Be¬
schwerden lassen sich mittels passender Diät, Sorge für regelmäßigen i
Stuhlgang, Vermeiden zu langen Sitzens sowie gründlicher Waschun- j
gen nach jeder Entleerung verhindern oder beseitigen. In manchen I
Fällen tun Hantelpessare oder Anusolzäpfchen gute Dienste. Die I
Injektionsbehandlung (einige Tropfen Karbolglyzerin 1:5 oder !
1:2 [Einfetten der Stichumgebung], 96<Voiger Alkohol oder Adrenalin) |
vvird von einigen Autoren gerühmt. Unzweifelhaft ist die opera- :
tive Indikation gegeben bei häufigen, schwächenden Blutungen j
sowie bei oft sich wiederholendem oder dauerndem Prolaps der
inneren Knoten, zumal mit Einklemmung. Starke Blutung kann so¬
fortige Unterbindung, Umstechung oder Tamponade notwendig
machen. Als Methode der Radikalbehandlung hat w'ohl das Ab-
brennen der Knoten auf der v. Langenbeckschen Blattz-ange die
größte Verbreitung behalten. Die gründliche Entleerung des Darms
soll mehrere Stunden vor Beginn der Operation beendet sein; an¬
schließende Darreichung von Opium ist zweckmäßig. In der Regel
reicht Infiltrationsanästhesie aus. Strenge Asepsis ist erforderlich.
Man beginnt mit Dehnung des Sphinkters, welche die inneren
Knoten zugänglich macht und nachträgliche schmerzhafte Krämpfe
verhindert. Die mittels Zangen vorgezogenen Knoten werden unter
Vermeiden der äußeren Haut in Längsfalten mit der Blattzange
gefaßt und abgebrannt (Thermokauter). Zwischen den Brandschorfen
müssen breite Streifen der Schleimhaut erhalten bleiben. Unbedingt
zu empfehlen ist fortlaufendes Uebernähen der Schorfe mittels Kat-
guts, um Nachblutung zu verhindern, die lebensgefährlich werden
kann. Zum Schluß wird ein mit Jodoformgaze umwickelter Drain
eingeführt. Der Stuhlgang bleibt in den nächsten Tagen auch
ohne Darreichung von Opium angehalten. Nach einigen Tagen wird
mit Rizinus abgeführt. Außer verschiedenen Arten der Ligatur¬
behandlung der Hämorrhoiden ist die blutige Exstirpation
des ganzen, den After umgebenden Knotenkranzes nach white-
head zwischen 2 kreisförmigen Schnitten zu nennen. Die meist
beträchtliche Blutung wird durch zahlreiche, die beiden Schnittränder
vereinigende, tiefgreifende Nähte gestillt. Mißlingen der primären I
Heilung verzögert den Verlauf sehr und kann Anlaß zu hoch- i
gradiger Striktur werden, was starke Einschränkung des Verfahrens I
bewirkt hat. Leichte Fälle von M a s t d a r m p r o I a p s bei Kindern '
werden vielfach nach Beseitigung der ursächlichen Durchfälle rück¬
gängig. Um das Vorfällen zu verhindern, ist es zweckmäßig, die
Kinder auf der Bettpfanne liegend defäzieren zu lassen. Im gleichen
Sinne wirkt Zusammenhalten der Gesäßbacken mittels Heftpflaster¬
streifen, die jedesmal einige Tage liegen bleiben können, günstig.
Versagen diese einfachen Mittel, so kommt subkutanes Einlegen eines
Rings aus Silberdrafht (Thiersch), eines Faszienstreifens oder eines
dünnen Gummischlauchs am Afterrand in Betracht. Von den größeren
operativen Eingriffen seien erwähnt: die zirkuläre Exstirpation der
Schleimhautdecke des Vorfalls mit nachfolgender Najtvereinigung
und Raffung der entstandenen Wundfläche, das Annähen des hoch¬
gezogenen Rektums an das parietale Peritoneum oder mit 3 Seiden¬
fäden an das Ligamentum longitudinale anterius in der Gegend des
Promontoriums nach Kümmell, endlich die Totalresektion des
Prolapses.
Sind nach Aufbruch oder Spaltung paraproktitischer Eiterungen
Fisteln zurückgeblieben, bei denen sich unblutige Behandlungs¬
verfahren als wirkungslos erweisen, so hat Spaltung in örtlicher
oder allgemeiner Betäubung stattzufinden. Bei vollständiger oder
unvollständiger äußerer Fistel wird eine biegsame Hohlsonde durch
den Fistelgang in den Darm geführt oder vom Ende der Fistel
in den Darm durchgestoßen; es folgt Umbiegen des Sondenendes
zum After heraus und Spalten der zwischen Soudenanfang und -ende
gelegenen Weichteile, am besten mit dem Messer. TeiUveises Durch¬
trennen des äußeren Schließmuskels ist bei tieferen Fisteln von ent¬
scheidender Bedeutung für die Heilung; seine vollkommene Spaltung
soll wenn möglich vermieden werden. Die Wunde ist auseinander¬
zuhalten, und etwaige Buchten und Nebengänge sind, zumal bei
Verdacht auf Tuberkulose, gründlich auszukratzen (Tamponade mit
Jodoformgaze). Hochgelegene innere Fisteln werden mit dem Spiegel
zugänglich gemacht; Spaltung innerhalb der Mastdarmwand kann aus-
reichen.
Bei syphilitisch-ulzeröser Erkrankung sind Spülungen
und lokale medikamentöse Behandlung der Geschwüre neben inten¬
siver Allgemeinbehandlung anzuwenden. In sehr veralteten Fällen
bleibt mitunter die spezifische Therapie erfolglos. Gegen die Ver¬
engerungen und Strikturen stehen zur Verfügung: allmähliche, lange
Zeit fortzusetzende Dehnung mittels Bougies, ferner Spaltung von
Narbensträngen mit dem Messer oder dem Thermokauter, lokale
Behandlung oder retrograde Erweiterung hochsitzender Strikturen
von einem Anus iliacus aus und endlich die Resektion oder Ampu¬
tation des erkrankten Darmabschnittes. In besonders schweren Fällen
hat man sich zum Anlegen eines bleibenden künstlichen Afters
genötigt gesehen.
Bei der Exstirpation von Mastdarmpol vpen ist der Stiel
gut gegen Blutung zu sichern durch Abbinden oder Umstechen. Für
die Behandlung des Mastdarmkrebses kann nur die Opera¬
tion iij Frage kommen, da durchaus kein Beweis dafür vorliegt,
daß sich durch Strahlentherapic (Radium, Mesothorium, Röntgen)
oder durch andere Verfahren Heilung erzielen läßt. Die operative
Mortalität beträgt im ganzen 10—25<y 0 . Aus zahlreichen Statistiken
ergibt sich, daß etwa 33 V;; °<> der operierten Fälle (die infolge
der Operation Gestorbenen mitgerechnet) über 3 Jahre, bis 28,5 fl o
über 5 Jahre geheilt blieben. 3 Hauptmethoden kommen zur An¬
wendung: die Amputation (Exstirpation des erkrankten Abschnit¬
tes samt dem analen Teil, einschließlich Sphinkter), die Resek¬
tion (Vereinigung des durch die Exiision entstandenen oberen
und unteren Darmlumens mit Erhalten des Sphinkters oder Durch¬
ziehen des oralen Teils durch den aboralen Stumpf und Annähen
am After nach Hochenegg) und die Kombination dieser Verfahren
mit der abdominalen Mobilisierung oder Durch sch neidung
des Darms. Die im Laufe der Zeit erzielten Fortschritte beziehen sich
hauptsächlich auf das bessere Zugänglichmachen der Neubildung. Der
älteren Exstirpation des Steißbeins folgte das sakrale Verfahren, bei
dem an der linken Seite des Kreuzbeins unter Spalten der Bänder
und unter Abtragen von Knochenteilen (nur wenn erforderlich) ein¬
gegangen w'ird. Das abdominale Verfahren verfolgt den gleichen
Zweck; auch die vaginale Methode verdient erwähnt zu werden.
Bedeutende Erleichterung für die perineale und sakrale Operation
bietet die Bauchlage mit erhöhtem Becken sowie die prinzipielle
Eröffnung der vorderen Bauchfelltaschc. Die größte Sicherheit
in bezug auf radikales Entfernen des Mastdarms ist offenbar gegeben,
wenn man so vorgeht, daß zunächst der Darm von der Bauchhöhle
aus isoliert wircL daß dann seine Durchtrennung folgt, worauf man
das orale Ende als bleibenden Anus iliacus in die Bauchwand ein¬
näht, während man das aboralc Ende verschließt und unter das ge¬
schlossene Bauchfell versenkt. Anschließend oder besser erst nach
etwa 3 Wochen wird dann der ganze distale Darmabschnitt samt der
Neubildung exstirpiert. Ueberein6timmung bezüglich der Wert¬
schätzung der verschiedenen Verfahren herrscht zur Zeit noch nicht.
Neuerdings wird mehrfach für Fälle, bei denen der Schließmuskel
geopfert weiden mußte, der iliakale Kunstafter für vorteil¬
hafter angesehen als der perineale oder sakrale. Als inoperabel
sind diejenigen Fälle von Rektumkarzinom anzusehen, wo breite
Verwachsung mit dem Kreuzbein, der Prostata oder der Blase be¬
steht; Verwachsungen mit Vagina oder Uterus sind nicht ganz so
ungünstig zu beurteilen. Ferner wird man auf die Radikaloperation
verzichten bei ernster Erkrankung der Blutgefäße, der Lungen oder
Nieren. Fettleibige, Diabetiker und selbstverständlich auch hoch¬
betagte Kranke geben eine wenig günstige Prognose. Bei » n *
Digitized by
Google
Original fro-m
CORNELL UNiVERSITY
16'. Juni 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
809
operabel» Fällen ist der Versuch mit Strahlenbehandlung in sym¬
ptomatischen Sinne gerechtfertigt. Das Anlegen eines Anus praeter¬
naturalis ilicus kann auch angezeigt sein, wenn keine hochgradigen
Stenosenerscheinungen direkt dazu auffordern, weil sich dadurch
häufig wesentliche Besserung der lokalen Erscheinungen und Be¬
schwerden sowie Verlängerung des Lebens erzielen lassen.
Standesangelegenheiten.
Rechtsfragen aus der ärztlichen Praxis.
Von Oberreichsanwalt Dr. Ebermayer in Leipzig.
(Fortsetzung aus Nr. 22.)
Wie scho'n eingangs dieses Berichtes erwähnt worden ist, hat
der Reichstag jüngst ein „Gesetz zur Sicherung der ärztlichen Ver-
soffong bei den Krankenkassen* 4 erlassen, das die Bestimmungen der
§§ 370, 371 RVO. dahin abändert, daß es den Reichsarbeitsminister
ermächtigt, im Fall eines Bedürfnisses Bestimmungen darüber zu
treffen, wie über die Vorschriften der §§ 370, 371 RVO. hinaus die
Krankenkassen ermächtigt werden, statt der Krankenpflege oder sonst
erforderlichen ärztlichen Behandlung eine bare Leistung zu gewähren.
Diese Bestimmungen sind dem Reichstag alsbald zur Kenntnis zu
bringen ond auf sein Verlangen 'aufzuheben. Gegenüber dem bis¬
her geltenden Recht enthält das neue Gesetz insofern eine wesent¬
liche Aenderung-, als bisher nur die Beschlußkammer des Oberver¬
sicherungsamtes die Kassen ermächtigen konnte, an Stelle der ärzt¬
lichen Behandlung usw. Barleistungen treten zu lassen und die näheren
Bestimmungen über Nachweis der Krankheit usw. zu erlassen, während
das neue Gesetz diese Ermächtigungsbefugnis in die Hand des
Arbeitsministers legt und lediglich eine Nachprüfung durch den
Reichstag vorsieht. Mit scharfen Worten wendet sich Geh.-Rat Dr.
Hartmann (Königshütte) in den „Aerztlichen Mitteilungen“ vom
13. V. 1922 gegen das neue Gesetz, das nach seiner Meinung eine
bet dem dermaligen Gesundheitszustände doppelt gefährliche Ver¬
schlechterung der Krankenversorgung durch die Kassen bringt, da
befürchtet werden müsse, daß das Reichsarbeitsministerium weit eher
als die rein objektiv urteilenden, durch politische Rücksichten nicht
gebundenen Oberversicherungsämter geneigt sei, die Kassen zu er¬
mächtigen, an Stelle der Krankenbehandlung die minderwertige Bar¬
leistung treten zu lassen. Würde diese Befürchtung zu¬
treffen, so wäre allerdings das Interesse der Kranken
erheblich gefährdet, denn daß die Gewährung einer
baren Beihilfe, mit der sich der Versicherte die er¬
forderliche Krankenhilfe zu verschaffen hat, eine Ver¬
sicherungsleistung von minderem Werte darstellt,
kann keinem Zw eifei unterliegen und wurde schon im
Entw'urf der RVO. mit Recht hervorgehoben und eben
deshalb auch dort bemerkt, daß die Barleistung an
Steife der ärztlichen Versorgung stets auf Notfälle
i u beschränken sei, die nur durch ein der Billigkeit nicht ent¬
sprechendes Verhalten der Aerzte hervorgerufen werden könne.
D)en deshalb wurde die Entscheidung den von allen Partei¬
rücksichten unbeeinflußten Oberversicherungsämtern über¬
tragen. Es kann und muß aber erwartet werden, daß
hier, w'o es sich um die Gesundheit gerade der breiten
Massen des Volkes handelt, alle nicht rein sachlichen
Erwägungen zurücktreten und daß auch das Reichs¬
arbeitsministerium niemals daran denken wird, von
der in seine Hand gelegten Ermächtigung einseitig
zugunsten der Kassen und auf Kosten der Volksge-
sundheit Gebrauch zu machen.
In der W. m. W. vom 11. III. 1922 S. 469ff. erörtert Haberda
in ebenso klaren wie interessanten Ausführungen die Stellung des
Arztes im letzten Oesterreicbischen und im Deutschen Strafgesetz-
entwarf von 1919. Er zeigt, daß beide Entwürfe den lege artis
zu Heilzwecken erfolgenden ärztlichen Eingriff grundsätzlich nie¬
mals als Körperverletzung ansehen und ihn nur als Vergehen gegen
die persönliche Freiheit bestrafen, wenn 1 er gegen den Willen des
Kranken oder seines gesetzlichen Vertreters vorgenommen wird,
daß ferner auch die aus reih medizinischer Indikation erfolgende
Unterbrechung der Schwangerschaft in beiden Entwürfen im wesent¬
lichen gleich geregelt ist. Das Gleiche gilt für die Schweigepflicht,
die nach beiden Entwürfen bei entgegenstehenden höheren Inter¬
essen entfallen kann. Einen Berufszwang für Aerzte kennen beide
Entwürfe nicht, wohl aber verpflichten sie den Arzt wie jeden
anderen zur Lebensrettung; doch hat der Justizausscnuß des früheren
Herrenhauses diese auch von Lochte angegriffene Bestimmung
(s. o.) gestrichen, wozu Haberda, meiner Ansicht folgend, mit
Recht bemerkt, ein Arzt werde sich ohnehin aus ethischen Gründen
einer solchen Verpflichtung nicht entziehen. In seinen weiteren
Ausführungen weist Haberda hin auf die in beiden Entwürfen
den Aerzten* auferlegte Pflicht, keine inhaltlich unrichtigen Zeug¬
nisse auszustellen. Nach geltendem österreichischen Strafgesetz ge¬
nießt der Arzt weitgehenden Schutz bei Kunstfehlern und kann
wegen Unwissenheit oder Nachlässigkeit nicht verfolgt werden, wenn
kein oder nur ein unerheblicher Schaden entstand. Der Entwurf
straft gleich dem deutschen wegen fahrlässiger Körperverletzung
f und Tötung, außerdem aber juch wegen fahrlässiger Gefährdung, die
j ohne Folgen blieb oder nur von geringfügigen Folgen begleitet
war. Der Kurpfuscherei geht der österreichische Entwurf schärfer
j zu Leib als der deutsche; in der neuen Zeit scheint aber auch in
Oesterreich der Wind für. die Kurpfuscher günstiger zu wehen.
Ein interessantes Urteil über die Haftbarkeit des Arztes für
Fehler, die ein zweiter zugezogener Arzt begangen hat, hat der
3. Zivilsenat des Reichsgerichts am 3. VI. 1921 erlassen, abgedruckt
in Entsch. f. Zivilsachen 102 S. 230. Der erste Arzt hatte schuld^
hafterweisc eine Hüftverrenkung als Rheumatismus behandelt. Sein
fahrlässiges Verhalten machte die Zuziehung eines zweiten Arztes
nötig, der mit Röntgenstrahlen die Verrenkung feststellte und sich
nach vergeblichem Einrenkungsversuch auf Massage beschränkte,
statt die mögliche und nach ärztlicher Erfahrung notwendige Zurück¬
führung des Gelenkkopfes vorzunehmen. Das Urteil, ausgehend von
I dem in der Rechtsprechung stets festgehaltenen Standpunkt der
adäquaten Verursachung, macht den ersten Arzt für die Fehler
des zweiten verantwortlich, da nach dem gewöhnlichen, erfahrungs¬
mäßigen Verlauf der Dinge mit einem derartigen, nicht besonders
fahrlässigen Verhalten des zweiten Arztes gerechnet werden mußte
und deshalb die Fehler des infolge des Verschuldens des ersten
Arztes zugezogenen zweiten Arztes durch das Verschulden des
ersten Arztes adäquat verursacht worden seien. Anders würde die
Sache nur dann liegen, wenn der zweite Arzt gegen alle ärztliche
Regel und Erfahrung schon die ersten Anforderungen an ein ver¬
nünftiges, gewissenhaftes ärztliches Verfahren in gröblichster Weise
außerachtgelassen hätte. Nur dann sei das ungewöhnlich grobe
Verschulden des zweiten Arztes als alleinige Ursache des dadurch
bewirkten Schadens zu erachten.
Ein Operationswärter in einem Krankenhaus hatte den Auftrag
1 erhalten, bei einer Patientin eine Röntgenbestrahlung der rechten
| Wange vorzunehmen. Die Bestrahlung sollte 10 Minuten dauern.
1 Nach Einstellung der Lampe wurde der Wärter zu einer Operation
abgerufen, dort lang über die Zeit aufgehalten, sodaß die Be¬
strahlung weit über eine Stunde dauerte und die schwersten Ver¬
brennungen hervorrief. Es trat eine allgemeine Nervenzerrüttung
und schließlich der Tod ein. Der Wärter machte geltend, er habe
keine Anweisung über Röntgenbestrahlung gehabt, habe geglaubt,
die Bestrahlung w'irke nur 10—15 Minuten und habe auch nicht
annehmen können, daß er bei der Operation so lange aufgehalten
werden würde. Er wurde wegen fahrlässiger Tötung zu einem
Monat Gefängnis verurteilt. Mit Recht. Er durfte die Patientin
nicht verlassen, mußte mit der Möglichkeit längeren Wegbleibens
rechnen, w f ar in der Röntgenbehandlung ausgebildet und konnte
deshalb die Möglichkeit des eingetretenen Erfolges voraussehen.
In der Deutschen Strafrechtszcitung 1921 S. 338 ff. teilt Prof.
Dr. Reichel einen Fall mit, an den er bemerkenswerte Ausführungen
über die Auslegung des § 300 StGB. (Schweigepflicht) knüpft. Jemand
verlangt, um militärfrei zu werden, ein Arzt solle ihm wahrheits¬
widrig bestätigen, daß er bei ihm eine Blinddarmoperation vorge¬
nommen habe. Der Arzt teilt dies Personen, die amtlich mit der
Aufklärung der Sache beschäftigt waren, mit. Reichel erachtet
wohl mit Recht den Tatbestand des § 300 StGB, gegeben. Das zu
wahrende Privatgeheimnis ist nicht nur der objektive Tatbestand
l (der Befund), sondern auch der Bericht des den Arzt in Anspruch
Nehmenden und die Schlußfolgerung des Arztes (die Diagnose). Ob
der Bericht zutreffend, die Diagnose richtig war, ist gleichgültig.
■ Ist ein Arzt von einem Patienten überhaupt einmal konsultiert worden
und macht er über den Inhalt der Konsultation indiskrete Mit- .
• teilungen, so ist er strafbar, und zwar, wie Reichel annimmt,
ohne Rücksicht darauf, ob die Mitteilungen des Arztes objektiv
und subjektiv w r ahr sind oder nicht. So weit zu gehen, erscheint mir
doch in hohem Maße bedenklich. Teilt der Arzt bewußt Unwahres
mit, so kann doch nicht gesagt w ? erden, der Arzt habe etwas offen¬
bart, was ihm anvertraut worden sei. Es kann Beleidigung und so
weiter vorliegen, aber nicht Geheimnisbruch. Beizutreten aber ist
Reichel in seinen weiteren Ausführungen, daß, wo eine höhere
Pflicht zur Offenbarung besteht, die Verpflichtung zur Verschwiegen¬
heit zurücktritt. In dem von Reichel mitgeteilten Falle bestand
eine solche höhere Pflicht nicht, denn der Schweizer Arzt war nicht
verpflichtet, den recherchierenden französischen Beamten Mitteilung
zu machen, wie es nach der Meinung Reichels bei einem fran¬
zösischen Arzte der Fall gewesen wäre. (Fortsetzung folgt.)
Feuilleton.
Offener Brief an den Herausgeber dieser Wochenschrift.
Von Prof. V. Rozlcka in Prag,
Sie fragen mich, welche Stellung ich zu der Veröffentlichung des
„Klubs der jungen tschechischen Naturhistoriker und Aerzte“, die
in Nr. 18 der M. m. W. scharf kritisiert wird, einnehme. Ich antworte
Ihnen gern Folgendes:
Seit jeher war ich der Ansicht, daß es in wissenschaftlichen Fragen
fachlicher oder organisatorischer Art keine nationalen Unterschiede
geben darf. Und ich bin der festen Ueberzeugung, daß die größte
Zahl unserer Wissenschaftler ganz derselben Meinung ist. Die wissen-
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
810
DEUTSCHE MEDIZINISCHE »WOCHENSCHRIFT
Nr. 24
schaftliche Literatur einer kleinen Nation muß unbedingt, mag sie noch
so hoch stehen, Anschluß an eine große Literatur suchen, welche ihr
die Brücke zur internationalen Geltendmachung, ohne die sie nur
eine verlorene Arbeit darstellt, schlägt. Es ist' nur zu natürlich und
entspricht einer, wie ich glaube, naturgemäßen historischen Entwick¬
lung, wenn unsere Wissenschaft diesen Anschluß in Deutschland
gesucht hat, wo die machtvoll aufstrebende wissenschaftliche Kultur
dazu einlud. Die deutsche Wissenschaft war uns am nächsten, wir
haben, wenn wir aufrichtig sein wollen, von ihr die meisten An¬
regungen empfangen und das meiste gelernt. Wir sind auch das Schul¬
geld freilich nicht ganz schuldig geblieben, das sollte man niöht völlig
übersehen. Das Wirken eines Purkinje, Rokitansky, Skoda,
Albert, Spina, Prowazek u. a. zeugt deutlich davon, wie unsere
Talente die deutsche Wissenschaft befruchtet haben. Der Streit, ob
wir deutsch publizieren sollen oder nicht, ist bei uns schon lange in
positivem Sinne entschieden, und kein vernünftiger Kopf dürfte etwas
dagegen haben. Suchen ja doch auch andere, auch slawische, Nationen
die Gastfreundschaft der deutschen Literatur auf, ohne daß es jemand,
weder von Seite der betreffenden Nation, noch — wie ich ausdrücklich
hervorheben möchte — von deutscher Seite, beanstanden würde. Warum
sollte das gerade bei uns der Fall sein? Die deutschen Zeitschriften
und Bücher werden geradezu massenhaft bei uns gekauft, wir referieren
objektiv über alle Erscheinungen, welche Ihre Literatur bietet. Und was
die Publikationstätigkeit betrifft, so bietet uns keine andere Literatur
der Welt, und mag sie uns noch so sympathisch sein, eine auch nur
annähernd reiche und naheliegende Gelegenheit dazu wie eben die
deutsche. Solche ganz offenbare Tatsachen können doch von keinem
real denkenden Menschen verleugnet werden. Und das tut auch die
überwiegende Mehrheit unserer Wissenschaftler nicht. Unüberlegte
Kampfhähne gibt es freilich allerorten.
Ich und, wie ich meine, der größte Teil meiner Kollegen, teilen
den Standpunkt des in der „Bohemia“ zitierten Aufrufes nicht. Man
darf auch seine Bedeutung für unsere Verhältnisse nicht über¬
schätzen. Der Klub, welcher ihn veranlaßt hat, besteht, wie ich
mich informieren ließ, vorwiegend aus ganz jungen Herren, welche
zumeist der philosophischen Fakultät angehören, es ist ein ganz
privater Zirkel, der durchaus nicht den Charakter einer öffentlichen
Korporation hat, keinerlei offizielle Bedeutung besitzt und auch keinen
Einfluß in wissenschaftlicher Beziehung hat. Ehe man daran geht,
irgendwelche Aussagen zu kommentieren, sollte man sich vorerst
informieren, ob ihnen die notwendige Wichtigkeit zukommt. Die
„Bohemia“ hat sich ja reserviert ausgedrückt, aber eine Ihrer großen
medizinischen Wochenschriften ist auf den Leim gegangen. Das ist
für eine große Zeitschrift bedauerlich. Denn ein zu geringer Grad von
Reserve Dringt den Eindruck der Gehässigkeit und Demagogie her¬
vor. Es scheint der Sache ein ganz gewöhnlicher journalistischer
Mißgriff zugrundezuliegen.
In dieser Beziehung möchte ich Ihre Aufmerksamkeit den folgen¬
den Tatsachen zuwenden. Ich habe vor allem eruiert, daß weder die
national-demokratischen, noch überhaupt irgendwelche anderen tsche¬
chischen Blätter eine Nachricht des in der „Bohemia“ zitierten oder
inhaltlich ähnlichen Wortlautes während der letzten zwei Jahre gebracht
haben. Weiter zurück habe ich nicht nachgeforscht In der Redaktion
der „Bohemia“ erfuhr ich, daß die Notiz auf Grund eines eingesandten
Zeitungsausschnittes geschah. In der Redaktion des führenden national-
demokratischen Blattes „Närodni Listy“ wurde mir die — selbst¬
verständlich erwartete — Auskunft zuteil, daß eine solche Notiz
in seinen Spalten niemals aufgenommen würde. Schließlich erfuhr
ich von einem Mitgliede des genannten Klubs, daß jene Notiz
insofern mit dem Klub zusammenhängt, als sie tatsächlich von
einer Anzahl Mitglieder veranlaßt worden ist, daß dies aber im
Jahre 1918 zu einer Zeit geschah, wo die neugewonnene Freiheit
vielen zu Kopfe stieg, und daß sich damals, noch weniger aber heute,
die anderen Mitglieaer mit ihrem Inhalte identifizieren. Wie ich erfuhr,
erfolgten gleich damals von einer Anzahl von Herren öffentliche Ent¬
gegnungen. Von den meisten wurde der Aufruf aber in der damaligen
aufgeregten Zeit überhaupt übersehen, nicht zur Kenntnis genommen,
war also sozusagen ein Schlag ins Wasser, den nicht einmal die Fische
beachtet haben. Wenn also die „Bohemia“ diese vier Jahre alte, längst
vergessene und unbeachtet gebliebene Expektoration von neuem auf¬
gewärmt hat, so muß man sich fragen: cui prodest? Gewiß ist es
absolut nicht im Interesse der Zusammenarbeit deutscher und tsche¬
chischer Aerzte und Gelehrten, wenn sofche bedauerliche Aufrufe
erlassen werden. Aber diese Zusammenarbeit wird auch gestört, wenn
man derartige bedeutungslose und durch das Verhalten der Mehrheit
widerlegte Aussprüche unnötigerweise von neuem aufwärmt. Die
„Bohemia“ hat zwar ausgesprochen, daß sie nicht weiß, ob der ge¬
nannte Klub der Ansicht der tschechischen Gelehrten überhaupt Aus¬
druck gebe, obschon sie das sehr leicht wissen, und wenn nicht, so
doch sehr leicht hätte eruieren können, aber sie mußte wissen, daß
es sich um eine abgetane Sache handelt, welche zum Teil unbeachtet
und wirkungslos, zum Teil aber zurückgewiesen, schon vor geraumer
Zeit abgelaufen war. Dieses Verhalten will ich nicht weiter kriti¬
sieren. Die „Närodni Listy“ haben die Veröffentlichung des Auf¬
rufes seinerzeit abgeschlagen.
W. v. Leube f.
Am 16. V. starb W. O. von Leube im 80. Lebensjahr. Mit ihm
ist wiederum einer der Zeugen aus der klassischen Periode der deut¬
schen Medizin von uns geschieden, einer der Meister der Inneren
Klinik, die nicht vergessen werden, wenn ihre Arbeitszeit abgelaufen ist.
26 Jahre wirkte Leube in Würzburg, bis er 1911 sein Amt in die
Hände des im Vorjahre verstorbenen D. Gerhardt gab.
Ueber seinen Lebensgang hat Dietrich Gerhardt zu seinem
70. Geburtstag in dieser Wochenschrift berichtet; ich will mich jetzt
auf eine Kennzeichnung seines Lebenswerkes beschränken.
Was Leube für die Würzburger Klinik gewesen, wie er für
die Klinik gearbeitet, die praktische und wissenschaftliche Ausbildung
seiner Schüler in der Klinik gefördert hat, können die am besten
ganz ermessen, die seine Mitarbeiter waren. Es war bewunderns¬
wert, wie er, der eine so umfangreiche konsultative Tätigkeit ent¬
faltete und mit wissenschaftlicher Arbeit stets eifrig beschäftigt war,
dennoch in erster Linie für seine Klinik aufging. Den Vormittag
verbrachte er in ausführlichen Krankenvisiten im Spital und fand fast
immer noch in den Abendstunden Zeit zu wissenschaftlicher Tätigkeit
oder klinischer Durcharbeitung besonders wichtiger Krankheitsfälle.
Die Bedeutung W. v. Leube s liegt in den drei Eigenschaften,
die seinen Namen weit über die Leistungen vieler hinausheben:
seine hervorragende Diagnostik, seine markanten wissenschaftlichen
Verdienste, sein Lehrtalent. Der Kernpunkt seiner ganzen ärztlichen
Betätigung war seine diagnostische Kunst. Leubes klinische Tätig¬
keit weist ihm den Platz in der fast ausgestorbenen Kategorie der
alten Aerzte an, die auch ohne stetige Verwertung und übergroße
Wertschätzung der modern gewordenen Untersudlungstechniken
kraft einer natürlichen Begabung und scharfen diagnostischen Kritik¬
fähigkeit am Krankenbett allein das Richtige mit fast unfehlbarer
Sicherheit trafen. Dennoch war er wohl vertraut mit allen neuesten
Forschungen; ich weiß, wie viel Anregungen ich meinem Lehrer
Leube auf einem Arbeitsgebiet verdanke, das seinen Forschungen im
Grunde abgelegen sein mochte.
Leubes wissenschaftliche Arbeiten haben in der ersten Schaffens¬
periode rein physiologischen oder physiologisch-chemischen Inhalt.
Dann folgt, untermischt mit einzelnen rein klinischen Publikationen,
eine sehr große Reihe von Arbeiten, die sich* auf die Anwendung
physiologisdier Studien auf die Klinik beziehen. Durch die Unter¬
suchungen über den Magensaft bei Gesunden und Kranken und die
Verwertung der Magensonde zur Diagnose der Magenkrankheiten hat
er den Grundstein zur Ausbildung einer funktionellen Diagnostik der
Magenkrankheiten gelegt. Von weiteren grundlegenden 'Arbeiten tfjll
ich die Ernährung der Kranken vom Mastdarm aus erwähnen, die
Untersuchungen über die subkutane Ernährung, die Schilderungen
über die kryptogenetische Sepsis, über die Leukanämie, die Entdeckung
des Krankheitsbildes der nervösen Dyspepsie, die erste Beobachtung
der eintägigen Pneumonie, von Anthrax intestinalis, die Arbeiten über
die physiologische Albuminurie. Von zusammenfassenden Werken
muß die „Lenre vom Harn“, die Leube mit Salkowski herausgab,
.genannt werden, weiter seine mustergültige Bearbeitung der Behand¬
lung der diffusen Entzündungen der Nieren und endlich sein Buch
über die spezielle Diagnose der inneren Krankheiten, das uns seine
klinische Beobachtungsgabe in glänzendstem Lichte zeigt, immer
seltener sind die Meister einer solchen klinischen Darstellung gewor¬
den, deren die uns vorangegangene Zeit so viele besaß.
Man mag den Ruhm des Gelehrten nach dem bleibenden Wert
seiner Arbeit bemessen, zur vollen Würdigung seines erfolgreichen
Strebens gehört aber noch die Kenntnis von der Eigenart seiner her¬
vorragenden Persönlichkeit Leubes Wesen war von Güte und
Milde getragen; seinen Schülern und Assistenten, mit denen er in
engere Fühlung kam, war er der väterliche Freund, der durch die
warme Anteilnahme und Mitarbeit an ihren Plänen und Ideen wie
durch seine liebenswerte Persönlichkeit jeden an sich fesselte. Pro¬
tektion war ihm verhaßt; er bewertete nur die Arbeit^nicht die Person
und die rein persönlichen Vorzüge.
Auf seine Kranken, die aus allen Weitgehenden zu dem berühmten
Diagnostiker und Therapeuten kamen, wirkte Leube durch die
Madit seiner Persönlichkeit ebenso wie durch die konsequente Durch¬
führung seiner einfachen und zweckentsprechenden therapeutischen
Maßnahmen.
Die Würzburger Fakultät schuldete ihm besonderen Dank, da er
mit allen Kräften bemüht war, den unheilvollen Riß zwischen dem
alten, für Krankenhauszwecke unbrauchbar gewordenen Juliusspital
und den neu zu errichtenden Kliniken zu verhüten. Als er dann seinen
Wunsch an den starrsinnigen und unklugen Ablösungsbestrebungen
klerikal geleiteter Kreise scheitern sah, widmete er sich mit voller
Hingabe den Plänen der neuen Kliniken im Luitpoldspital, wenn er
sich auch bewußt war, daß er selbst nicht mehr dort die führende
Stellung einnehmen würde.
Leube verließ sein Arbeitsfeld, auf dem er in unermüdlicher
Schaffensfreudigkeit fast 30 Jahre gewirkt hatte, schon vor seinem
70. Lebensjahr. Mit seinem Scheiden aus der medizinischen Fakultät
in Würzburg ging ihr eine weithin werbende Kraft verloren. Der
Name Leube gehört nun der Geschichte der Medizin an als eines
der großen Aerzte und berühmten Kliniker aller Zeiten. Wir aber
sind unserm Lehrer Leube dankbar für alles das, was er uns als
Forscher, als Lehrer und als Mensch gab, und wollen ihm das Ver¬
sprechen, daß wir seine Oesinnung fortpflanzen werden, treulich
halten. _ Lüdke (Würzburg).
Digitized by Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
i. Juni 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
811
Zum 70. Geburtstage Ramon y Cajals.
Am l.V. dieses Jahres feierte S. Ramon y Cajal, der berühmte
spanische Neurologe, seinen 70. Geburtstag, und wir erfüllen ledig¬
lich eine Pflicht der Dankbarkeit, wenn wir aus diesem Anlasse des
großen Meisters gedenken, dessen Schriften der ganzen medizinischen“
und naturwissenschaftlichen Welt und insbesondere auch der deutschen
Medizin eine Fülle von Anregungen und Belehrungen geboten haben.
Cajal stammt aus dem Norden Spaniens, aus einer kleinen Stadt
der Provinz Navarra, studierte in Zaragoza und war von 1873 an
zunächst als Militärarzt tätig. Als solcher machte er 1874 eine Ex¬
pedition nach Kuba mit, erkrankte dort schwer, quittierte infolgedessen
seinen Dienst und trat
1875 als Assistent an der
.Anatomischen Anstalt zu
Zaragoza ein. Von da
ab entwickelte sich seine
Laufbahn in rascher
Folge. 1877 wurde ihm
ebendort eine Hilfspro-
fessurfürAnatomie über¬
tragen, und schon 1883
erhielt er das Ordinariat
für Anatomie in Valencia.
1887 siedelte er als Or¬
dinarius für Histologie
und allgemeine Patholo¬
gie nach Barcelona über
und wurde infolge seiner
glänzenden neurologi¬
schen Arbeiten 1892 in
gleicher Stellung nach
.Madrid berufen. Nach¬
dem er im Laufe von wei¬
teren 10 Jahren seinen
Weltruf begründet hatte,
wurde ihm von seiner
heimatlichen Regierung
ein eigenes „Laborato¬
rium für biologische
Forschungen" zur Ver- •
fügung gestellt, aus welchem seither eine glänzende Reihe von Arbeiten
hervorgegangen ist, die größtenteils in einer eigenenZeitschrift(„Trabajos
del Laboratorio" usw.), veröffentlicht wurden.
Cajal verfügt als Gelehrter und Mensch über viele ausgezeich¬
nete Eigenschaften, die ihm, besonders in unserem Lande, die höchste
Bewunderung eingetragen haben. Denn er arbeitet um der Sache
selbst willen, auf Pflicht und Gewissen, mit einer Willenskraft und
Ausdauer ohnegleichen, mit Geduld und mit Methode, im Technischen
wie im Geistigen, und dazu mit dem Erfolge des Talentes, das den
ihm eigentümlichen Bereich gefunden hat. Er gehört auf dem Felde
der Biologie zu den ersten Erscheinungen seines Jahrhunderts, und
der Geist der abendländischen Wissenschaften hat sich in ihm in so
reiner Weise verkörpert, daß seine Schriften von dem Augenblicke
an, wo er das Feld der Neurologie betrat, die internationale Anerken¬
nung besaßen. Außerordentlich viele Ehrungen sind ihm im Laufe der
Jahre von seiten der wissenschaftlichen Körperschaften zugefallen,
und wir können mit Befriedigung feststellen, daß unsere deutsche
Heimat in der Anerkennung seiner Leistungen in jedem Sinne vor¬
angegangen ist.
Was die sachlichen Erfolge Cajals anlangt, so kann sich nur
der eine richtige Vorstellung davon machen, der in der Geschichte
der Neurologie einigermaßen Bescheid weiß und die unendlichen
Schwierigkeiten kennt, welche sich einer genauen Erforschung des
anatomischen Substrates der Leitungsbahnen, insbesondere der zen¬
tralen Nervenendigungen entgegenstellten. Bis in die Mitte der 80er
Jahre hinein gab es noch keine Methode, mit welcher man in sicherer
Weise auch nur den Austritt eines Axons aus einer Nervenzelle hätte
nachweisen können. Nun veröffentlichte Golgi 1886 sein großes
Werk über das Zentralnervensystem, wodurch seine Chromsilber¬
methode allgemein bekannt wurde; aber der Autor geriet auf Abwege
und behauptete den unmittelbaren netzförmigen Zusammenhang aller
nervösen Teile, eine unmögliche Sache, wenn man bedenkt, daß in
einem leitenden Netze die Erregungen nach allen Richtungen hin sich
ausbreiten müssen, während physiologisch Leitungsbahnen bestimmter
Richtung bestehen. Da bemächtigte sich Cajal der Methode Golgis,
welche er wesentlich verbesserte, und trat von 1888 ab mit einer
schnellen Folge von Schriften hervor, in welchen die Grundlage zur
Neuronlehre gelegt wurde.
Unter der außerordentlichen Fülle der Beobachtungen aus den
ersten Jahren, unter denen viele das Rückenmark und das Kleinhirn
betreffen, ragt besonders hervor die Entdeckung der Endbäumchen,
weil dadurch das Golgische Netzwerk auseinandergelegt wurde und
bestimmte Vorstellungen über die Verknüpfung der Neuronen und die
Leitungsrichtungen innerhalb des Zentralnervensystems erworben wer¬
den konnten. Ebenso ergab sich mit Sicherheit die Folgerung, daß die
Dendriten rezipierende, zentripetal leitende Organe der Zelle sind, eine
Tatsache, die durch die Entdeckungen der Folgezeit vollauf bestätigt
worden ist. Weiterhin stammt aus dieser Zeit (1890) die fundamentale
| Entdeckung, daß die Nervenfasern von den zentralen Teilen her tnit
freien, amöboid beweglichen Enden auswachsen; lange Jahre später
hat dann der Amerikaner Harrison (1908) die ursprünglichen Dar¬
legungen Cajals auf dem Wege der Kultur in vitro bestätigen können.
Die erste Periode der Tätigkeit Cajals schließt mit dem giganti¬
schen Werke „Textura del Sistema nervioso“ (1897—1904) ab. In¬
zwischen war die Zellenkettentheorie und die Theorie der direkten
I Kontinuität des neurofibrillären Verlaufes besonders durch die Be¬
mühungen von Bethe (1903) wieder aufgelebt, aber eben zu dieser
' Zeit fand Cajal seine „photographische“ Silbermethode auf, welche
außerordentlich viel reinere und klarere Bilder lieferte als die Methode
Golgis, und an der Hand derselben hat er von 1903 ab die Neuron¬
lehre, indem er auf dem Wege histologischer, embryologischer und
experimenteller Untersuchungen die Einwände der Gegner bis in alle
Schlupfwinkel verfolgte, für immer festgestellt. Uebrigens wurde,
wie ich besonders hervorhebe, häufig übersehen, daß Cajal auch
ein Meister in der Handhabung der Ehrlichschen intravitalen Methylen¬
blaumethode ist und daß die am zentralen Nervensystem und den
Ganglien erhaltenen Resultate mit den Resultaten der Silbermethode
von jeher übereinstimmten.
Die neue Methode Cajals ermöglichte auch zum ersten Male
eine ungemein deutliche und reiche Ausfärbung der Heldschen „End¬
füßchen“, vermöge deren die Zweiglein der Endbäumchen sich an
außerordentlich vielen Punkten der Zelloberfläche und der Dendriten
festheften. So war der alten Forderung der Physiologie nach einer
kontinuierlichen Leitungsbahn Genüge getan, wobei zugleich die These
der Neuronisten, daß die Neuronen unter sich für die ganze Dauer des
Lebens „anatomisch getrennt“ bleiben, ihre endgültige Bestätigung
erfuhr. Die neue Silbermethode ermöglichte zugleich auch eine Dar¬
stellung der Plasmastruktur der Neuronen, und es wurden auf diese
Weise sehr viele neue Erfahrungen über den Aufbau der Zellen, der
Axonen und der peripherischen Endigungen aufgesammelt. Unter
der neuen Serie der Arbeiten Cajals seit 1903 ragen ferner in beson¬
derem Grade seine Untersuchungen über Nervenregeneration hervor,
welche den Autor als einen geschickten, erfindungsreichen Experi¬
mentator' zeigen. Vor diesen Untersuchungen hat man jedenfalls
keine zureichende Vorstellung davon gehabt, wie ungeheuer reich sich
das Auswachsungsvermögen des zentralen Stumpfes gestaltet. Dieser
entläßt zahllose Nervenfasern, welche sich in massenhafter Weise
teilen und somit ganze Gegenden bestreichen, wodurch die Wieder¬
auffindung und Neurotisation des peripherischen Stumpfes sich er¬
leichtert.
Von Cajal haben wir wohl mehrere hundert Arbeiten und Mit¬
teilungen, darunter auch große Hand- und Lehrbücher, sich erstreckend
auf die verschiedensten Gebiete der mikroskopischen Anatomie und
; allgemeinen Pathologie. Auch die letzten 10 Jahre haben den Ferner¬
stehenden kein Nachlassen seiner titanenhaften Arbeitskraft gezeigt.
Seine Tätigkeit hat in der geistig so reichen Zeit vor dem Kriege
die Völker verbinden helfen, und viele ausgezeichnete Gelehrte haben
ihm in neidloser Anerkennung die Hand gereicht, um sein Werk för¬
dern zu helfen. Möchte er in Madrid einen Nachfolger finden, welcher
seiner würdig ist! Martin Heidenhain (Tübingen).
Kleine Mitteilungen.
— Berlin. Im Reichsgesundheitsamt ist ein Entwurf für
i ein Reichsgesetz über Ausübung der Krankenpflege
j und der Säuglings- und Wochenpflege ausgearbeitet, der
dem Reichstage zugehen soll, nachdem die einzelnen Länder ihre
| Stellungnahme zu dem Entwurf dem Reichsgesundheitsamt mitgeteilt
| haben.
— Der Reichstag hat die Regierung ersucht, die wissen¬
schaftlichen Einrichtungen der Kaiser-Wilhelms-
Akademie für ärztlich- soziales Versorgungswesen zu
erhalten und ihre Umgestaltung in ein Forschungs¬
institut für ArbeitsWissenschaft in die Wege zu leiten.
Zur Abgabe eines Gutachtens waren in dieser Frage aufgefordert
worden die Geh.-Räte Kraus, Bier, Lubarscn (Berlin) und
; Aschoff (Freiburg). (Vgl. den Artikel von Grabowski in Nr. 10.)
— Die vom Statistischen Reichsamt auf Grund der Erhebungen
| über den Aufwand für Ernährung, Wohnung, Heizung und Beleuch¬
tung einer fünfköpfigen Familie berechnete Indexziffer ist für
die Lebenshaltungskosten im Durchschnitt des Monats Mai
auf 3462 gestiegen. Das bedeutet gegenüber dem Vormonat eine
Steigerung von 9 v. H. Vom März auf April betrug die Stei¬
gerung 20,3 v. H. Die Ernährungskosten zeigen im Monat
Mai eine geringere Steigerung als die Gesamtausgaben, und zwar
um 7,4 v. H.
— Der L. V. hat mit dem Reichspostministerium am 23. V. ein
Abkommen über die von den Krankenkassen für Post- und
Telegraphenbeamte zu zahlenden Gebühren getroffen.
— Am 1. VII. 1922 tritt die neubegründete Aerzte-Frauen-
Begräbniskasse des L.V. ins Leben. Der Beitritt steht alten
männlichen Verbandsmitgliedern bis zum 36. Lebensjahr offen, bis
zum 31. XII. können auch noch ältere Aerzte beitreten. In der Vor¬
standssitzung des L. V. am 16. V. wurde noch die Schaffung eines
Ausgleichsfonds beschlossen, aus dem bedürftigen Aerztewitwen die
j Aufrechterhaltung ihrer eventuellen Ansprüche an die Aerzte-Frauen-
, Begräbniskasse ermöglicht werden kann.
□ ifitized by Goosle
Original fram
CORNELL UNIVERSUM
812
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 24
— Bei der am 27. V. abgehaltenen Versammlung der Ver¬
sicherungskasse für die Aerzte Deutschlands wurde
mitgeteilt, daß das Gesamtvermögen 11 279 331 M. Beträgt und daß
7834 Mitglieder vorhanden sind. Es wurde ein Ueberschuß von
332 595 M. erzielt. Die Verwaltungskosten betrugen 15°/o. (Diese
billige Verwaltung wie das Gesamtgedeihen der Kasse ist vornehm¬
lich dem überaus verdienstlichen Wirken des Direktors der Kasse,
San.-Rat O. Salomon, zu verdanken.)
— Die Zahl der die Kreisarztprüfung ablegenden
Aerzte steigt in Preußen alljährlich. Im Jahre 1917 be¬
standen 14 Aerzte die Kreisarztprüfung, 1918 24, 1919 28 und 1920 39.
— Im Prüfungsjahr 1919/20 unterzogen sich 2381 Kandidaten
der Medizin der ärztlichen Prüfung, davon bestanden 2134.
Die Zahl der mit Erfolg geprüften Kandidaten betrug 1918 19 940,
1917/18 324, 1916/17 564 und 1915/16 »422 von 1059 ‘b*zw. 385, 617
und ,506 Medizinern, die sich zur Ablegung der Staatsprüfung ge¬
meldet hatten. .
— Nach den Zusammenstellungen des Badischen Statistischen
Landesamts hat sich die Zahl der Aerzte in Baden in der Kriegs¬
und Nachkriegszeit erheblich vergrößert. Während die Ge¬
samtzahl der approbierten Aerzte im Jahre 1913 noch 1300 betrug,
belief sie sich im Jahre 1920 auf 1603. Unter diesen befinden sich
67 nicht praktizierende Aerzte (1913 waren es 243) und 11 Militär¬
ärzte (1913: 53).
— Das Deutsche Zentralkomitee zur Bekämpfung
der Tuberkulose hat sich in einem an das Reichsministerium des
Innern gerichteten Schreiben für eine bessere Auslese der
zur Aufnahme in eine Lungenheilstätte bestimmten
Kranken ausgesprochen. Die zweckmäßigste Auswahl der Kranken
würde von den Chefärzten selbst getroffen. Diese Lösung der
Auslesefrage ist jedoch praktisch nicht leicht durchführbar. Es sollten
daher nur Fachärzte als Vorbegutachter in Frage kommen. Zur
Zeit bedürfen 10—15°.« der Heilstätteninsassen einer Heilstättenkur
nicht.
— Die Preise für die von den staatlichen Impfanstalten zu
liefernde Lymphe lauten vom 1. Juni: Für Apotheken: Ein¬
kaufspreis (Einzelportiön) 3 M., Abgabepreis an das Publikum 5 M.;
Einkaufspreis (Fünferportion) 6 M., Abgabepreis an das Publikum
9 M. Für Aerzte: Bei unmittelbarem Bezüge durch die Impf¬
anstalten Verkaufspreis (Einzelportion) 3 M., (Fünferportion) 6 M.
— Auf Gruna von Verhandlungen, die zwischen dem Vorstand
der Vereinigung der medizinischen Fachpresse und dem Vorsitzenden
des Deutschen Verlegervereins stattgefunden haben, soll bei Lite¬
raturangaben an den von der Vereinigung der medizinischen
Fachpresse im Jahre 1921 aufgestellten Regeln festgehalten werden,
insbesondere auch hinsichtlich der Reihenfolge von Jahres-,
Band- und Seitenzahlen. Es ist dringend erwünscht, daß die
Richtlinien der Vereinigung der medizinischen Fachpresse, die bis¬
her noch keinesfalls allgemein beachtet werden, sich bei allen Ver¬
lagsanstalten und in allen Zeitschriften durchsetzen. Das genannte
Verzeichnis der abgekürzten Titel medizinischer
Zeitschriften und Werke wird demnächst im Verlag von
Lehmann (München) erscheinen; seine Anschaffung wird allen lite¬
rarisch Arbeitenden empfohlen.
— Am 15. VI. war der 100. Geburtstag von Alfonso Corti,
dem Entdecker des nach ihm benannten Cortischen Organs. Corti
ist am 15. VI. 1822 in Gambarana geboren, war 1846 47 in Wien
Prosektor bei Hyrtl, ging dann nach. Würzburg, wo er seine be¬
deutungsvollen histologischen Untersuchungen anstellte, die seinen
Namen in der Geschichte der Medizin unvergessen gemacht haben.
Corti zog sich verhältnismäßig früh vom wissenschaftlichen Leben
zurück und starb am 2. X. 18/6.
— Ministerialdirektor a. D. Otto Naumann vollendete am
7. VI. sein 70. Lebensjahr. Naumann war der langjährige Leiter
der Hochschulabteilung des Preußischen Kultusministeriums und hat
in dieser Stellung ein außerordentliches Verständnis für alle Fragen
des medizinischen Hochschulunterrichts gezeigt.
— Dr. Haedenkamp, bisher in Obervellmar bei Kassel, ist an
Stelle des verstorbenen Kollegen Starke (vgl. Nr. 7 S. 236) zum
Geschäftsführer des L. V. gewählt.
— Der diesjährige Orthopädenkongreß findet am 25. und 26. IX.
in Breslau statt.
— Die diesjährige (XII.) Jahresversammlung der Gesellschaft
Deutscher Nervenärzte wird am 13- und 14. X. in Halle abgehalten
werden. Das Referatthema ist: Die Topik der Großhirnrinde in ihrer klinischen
Bedeutung. Referenten: Kurt Goldstein (Frankfurt a. M.) und O. Foerster
(Breslau). Anmeldungen an Dr. Mendel, Berlin W., Augsburger Str. 43-
— Prof. C. Stern in Düsseldorf, Marienstr. 3, bittet für das Referat, das er
für die Herbstversammlung des Vereins der Krankenhausärzte in
Hamburg über die Gehaltsverhältnisse der Krankenhausärzte zu
erstatten hat, um folgende Angaben: 1. Name des Krankenhauses und Zahl der
Betten? 2. Gehalt des leitenden Arztes? 3- Besteht volles Liquidationsrecht
in 1. und 2. Klasse? 4. Besteht Liquidationsrecht für die 3. Klasse und bei
welchen Patienten?
— Aerztlicher Fortbildungslehrgang über die gesundheit¬
liche Bedeutung der Leibesübungen vom 24. VII.—6. VIII. Kurs¬
gebühr: 825 M. für den I3tägigen Lehrgang, einschließlich Unterkunft und
ausreichender Verpflegung im Deutschen Stadion. Nähere Bestimmungen sind
beim Sekretariat der Deutschen Hochschule für Leibesübungen, Charlotten-
bürg 9, Deutsches Stadion, einzufordern. Ebendorthin sind Anmeldungen zu
richten. Leitung des Lehrganges: Geh.-Rat Bier.
— Pocken. Deulsches Reich (21.—27. V.): 2 (in Heilbronn). — Fleckflebe r.
Deutsches Reich (21.—27. V. mit Nachträgen): 5 (2t). — Oenickstarre. Deutsches
Reich (30.IV.-6 V.): 66. - Ruhr. Deutsches Reich (30.IV.-6. V.): 114; - Abdomi¬
nal typhus.- Deutsches Reich (30. IV.— 6. V.) : 151.
— Bremen. Die Bevölkerungsziffer betrug am 1. I. 1921
266317, am 1. VII. 1921 279516, am 1.1.1922 282 624. Der Ueber¬
schuß der Zuwanderung über die Abwanderung betrug 9414. Die
Gesamtsterblichkeit betrug 3269 (auf 10000 Lebende 117), die gün¬
stigste Ziffer, die Bremen je gehabt hat. Die höchste Gesamtsterb¬
lichkeitsziffer bestand 1904 (171 Todesfälle auf 10000 Lebende) und
1918 (167),
— Danzig.. Die Tagesordnung der am 24. VI. stattfindenden Sitzung
der Norddeutschen Gesellschaft für Gynäkologie enthält u.a. folgende
Vorträge: Winter (Königsberg i. Pr.): Zunehmende Verschlechterung des
Karzinommaterials. Petruschky (Danzig): Weitere Erfahrungen, über
Schwangerschaft und Nachkommenschaft spezifisch behandelter tuberkulöser
Frauen. Benthin (Königsberg i. Pr.): Zur Prognose und Therapie der ge¬
burtshilflich-gynäkologischen Peritonitis.
— Düsseldorf. An der Medizinischen Klinik der Akademie findet vom
16.— 21. X. ein Kursus der Herzkrankheiten statt. Anmeldungen
an das Sekretariat der Akademie für praktische Medizin, Moorenstr. 5.
— Erfurt. Der Allgemeine Aerztliche Verein von
Thüringen beging am 28. V. sein 50jähriges Stiftungsfest.
— Heidelberg. Eine Anzahl hervorragender schwedischer
Persönlichkeiten, darunter der bekannte Radiologe Prof. Forsell,
haben durch Vermittlung der Königin von Schweden dem Samariter¬
haus 300 000 Mark gespendet.
- München. Die Errichtung eines eigenen Städtischen
Gesundheitsamts mit einem Stadtarzt als berufsmäßigem
Stadtrat an der Spitze ist beschlossen.
— Nürnberg. Zur Bekämpfung der Tuberkulose hat
sich hier ein Zvveckverband gebildet. Im Falle eines Defizits
wird der Zweckverband an der Stadt, der Landes Versicherungsanstalt
und den Krankenkassen dert entsprechenden Rückhalt finden.
— Stuttgart. Am 28. HI. 1922 erschien eine Verordnung des
Staatsministeriums über die Gebühren der Aerzte, Zahnärzte
und Hebammen bei amtlichen Verrichtungen. — In Württemberg
ist etwa ein Drittel aller Kinder schon in den ersten
zehn Lebensjahren mit Tuberkelbazillen behaftet und tuber¬
kulosekrank. Von diesem Drittel, meist an innerer oder äußerer
Drüsen- oder an Knochentuberkulose Erkrankten, können aber nach
bisherigen Erfahrungen wenigstens drei Viertel bei rechtzeitiger Be¬
handlung geheilt werden. An die Oberämter und Oberamtsärzte er¬
ging deshalb am 20. I. 1922 eine ministerielle Weisung, eindring¬
lichst darauf hinzuwirken, daß in jedem Bezirk wenigstens eine
Tuberkulosefürsorgestelle errichtet wird, zu deren Einrich¬
tung und Betrieb ein nennenswerter Staatsbeitrag — durchschnittlich
für den Bezirk etwa 10 000 M. — in Aussicht gestellt werden kann.
Aufgabe dieser Fürsorgestellcn ist die frühzeitige Feststellung des
Leidens und Einweisung der Erkrankten in entsprechende Behandlung.
— Wien. Zur Feier des 100jährigen Geburtstages von Gregor
Mendel veranstaltet die Zoologisch-botanische Gesellschaft eine
Sitzung, auf der Prof. Tschermak die Festrede über die Be¬
deutung der von Mendel begründeten experimentellen Vererbungs¬
lehre halten wird.
— Riga. Dr. F. Werner wurde zum Leiter des Deutschen
Krankenhauses gewählt.
— Hochschuinachricbten. Berlin. Unser langjähriger hochge¬
schätzter Mitarbeiter Prof. Neuberg, Direktor des Kaiser Wilhelm-
Instituts für Biochemie und o. Honorarprofessor an ‘ der Universität,
wurde zum o. Professor an der Landwirtschaftlichen Hochschule er¬
nannt. Neuberg ist soeben auch vom Verein Deutscher Chemiker
dui^h Verleihung der Emil Fischer-Denkmünze ausgezeichnet worden.
Generaloberstabsarzt Schultzen ist zum Honorarprofessor ernannt
worden. Prof. Munk hat aus Brasilien eine Einladung erhalten, Vor¬
lesungen über Innere Krankheiten zu halten. —- Hamburg. Die bis¬
herigen außerplanmäßigen o. Proff. Hey nemann und Eugen Fränkel
wurden zu planmäßigen Ordinarien ernannt. — Marburg. Geh.-Rat
Franz Tuczek feierte am 11. VI. seinen 70. Geburtstag. Tuczek,
ein alter Westphal-Assistent, kam in jungen Jahren nach Marburg,
woselbst er sich habilitierte und mit 42 Jahren Ordinarius wurde.
Unter Tuczeks Schriften hat besonders seine pathologisch-anatomische
Forschung über die Dementia paralytica die Aufmerksamkeit der Fach¬
kreise erregt, a. o. Prof. Uffenorde (Göttingen) ist zum o. Professor
für Ohren-, Nasen- und Halskrankheiten ernannt worden (vgl. Nr. 19
S. 640). — Rostock. Dr. Stahl, 1. Assistent an der Medizinischen
Klinik, hat sich habilitiert -—Wien. Dr. Ko f ler hat sich für Pharma¬
kognosie habilitiert. — Graz. Prof. Habermann wurde zum Hof rat
ernannt. — Prag. Hofrat em. Prof. Theodor Petrina beging dieser
Tage seinen 80. Geburtstag. Petrina hat sich um die Erhaltung des
Deutschtums in Böhmen stets in hohem Maße eingesetzt und hat bei
allen Standesfragen eine führende Rolle gespielt. Die deutsch-böhmi¬
schen Aerzte haben ihm zu Ehren eine Petrina-Stiftung beschlossen. —
Rom. Zu Ehren des in den Ruhestand tretenden Pathologen Prof.
Ettore Marchiafava wurde ein Marchiafava-Preis gestiftet, der
für besondere Arbeiten auf dem Gebiet der Pathologischen Anatomie
verwendet werden soll.
— Gestorben. Geh.-Rat Georg Bayer, langjähriger Oberarzt
der Medizinischen Abteilung des Städtischen Krankenhauses Siloah in
Hannover, am 30. V.
Original from
CORNELL UNfVERSSP/
LITERATURBERICHT
Redigiert von Prof. Dr. R. von den Velden.
Zeitschriften: Berliner klinische Wochenschrift Nr. 22. — Münchener medizinische Wochenschrift Nr. 21. — Wiener klinische Wochenschrift Nr. 18-19- —
Wiener medizinische Wochenschrift Nr. 20. — Beiträge zur Klinik der Tuberkulose Bd. 50. — Zentralblatt iür Chirurgie Nr. 18. — Mitteilungen
_aus den Grenzgebieten der Medizin und Chirurgie Bd. 34 H. 5. — Zentralblatt für Gynäkologie Nr. 16 .__
Allgemeines.
♦♦ M. Vaerting, Die weibliche Eigenart im Männerstaat
und die männliche Eigenart im Frauenstaat. Karlsruhe,
Braunsche Hof buchdruckerei, 1921. 168 S. M. 25.—. Ref.: Max
Marcuse (Berlin).
Zu den Irrtümern, die man Wahrheit nennt, weil sie Jahrhunderte
alt geworden Sind (Spinoza), zählen die Verfasser (Bruder: Dr. med.
und Schwester: Dr. phil. Vaerting) die Anschauung, daß die der¬
zeitigen Unterschiede der Geschlechter schlechthin Geschlechtsunter¬
schiede und nicht viel mehr Macht unterschiede seien und daß
insbesondere die Vorherrschaft des Mannes im Staats- und Wirt¬
schaftsleben biologisch bedingt und ein Ausdruck eben jener Ge¬
schlechtsverschiedenheit sei. Um die Verfehltheit dieser Auffassung
aufzudecken und zu berichtigen, suchen die Verfasser an einem sehr
großen historischen und soziologischen Material nachzuweisen, daß
es „keine männliche Eigenschaft gibt, die nicht in irgendeinem
Volke auch bei Frauen ebenso als weibliches Charakteristikum vor-
kam“ und daß „die weibliche Eigenart im Männerstaat und die
männliche Eigenart im Frauenstaat“ identisch seien. Daß diese
Identität keine vollständige ist, kann auch von den Verfassern, die
ja auf den Nachweis, daß nur im Männerstaat die Frauen Kinder
gebären, im Frauenstaat dagegen die Männer —, verzichten, am
Ende wohl doch nicht übersehen werden; aber gewürdigt wird von
ihnen dieser Gegensatz zwischen der generativen Konstitution von
Mann und Weib nicht nach Gebühr. Mit dieser Anmerkung soll die
Idee, die dem Buche zugrundeliegt, nicht entwertet, sondern nur der
Fehler kritisiert werden, den die Verfasser begehen, indem sie zu
viel beweisen wollen und in dem an sich berechtigten Widerspruch
gegen die übliche oberflächliche, weil der unentbehrlichen Grundlage
übereinstimmender Vergleichsbedingungen ermangelnde Psychologie
der Geschlechter über ihr Ziel hinausschießen. Dieses Ziel ist eine
Neubegriindung der Psychologie von Mann und Weib,
und die vorliegenden Erhebungen und Untersuchungen, die in zwei
weiteren Bänden noch ergänzt und vertieft werden sollen; sind wohl
geeignet, den Weg dahin bereiten zu helfen.
Anatomie und Physiologie.
♦♦ Georg Ruges Präparierübungen. 5. Auflage von Walter
Felix (Zürich). Leipzig, W. Engelmann, 1921. 724 Seiten mit 267 Ab¬
bildungen. Geb. M. 155.—. Ref.: Eisler (Halle a. S.).
Bei der Besorgung der neuen Auflage hat Felix noch die Vor¬
arbeiten und Notizen Ruges, mit dessen Ansichten er durch zwanzig¬
jährige gemeinsame Tätigkeit vertraut war, benützen können, aber
außerdem den Text noch durch eine Reihe von Zusätzen, besonders
durch die Neuaufnahme eines Abschnitts über Darm- und Gekröse¬
entwicklung erweitert, auch die Zahl der Abbildungen erheblich ver¬
mehrt. Die „Anleitungen“ haben so allmählich den Umfang eines
Lehrbuchs angenommen, bilden jedenfalls in vielen Beziehungen eine
sehr erwünschte Ergänzung eines solchen, vor allem auch dadurch, daß
sie in Wort und Bild einen großen Teil der Variationen verzeichnen,
die dem Präparanten bei der Arbeit an der Leiche begegnen können.
Schon dadurch erhält das Werk für den Studierenden einen großen
Wert, wenn auch vielleicht in manchen technischen Einzelheiten an
den verschiedenen Anatomien abweichende Ansichten herrschen mögen.
Der echt Rugeschen Sorgfalt in der Bearbeitung des Inhalts entspricht
die Ausstattung des Buches durch den Verlag. Der Preis ist unter
heutigen Verhältnissen angemessen zu nennen.
Karl v. Frisch (Rostock), Die «.Sprache“ der Bienen. M. m. W.
Nr. 21. Der Blütenduft haftet den Körpern der Bienen an und zeigt
den Insassen des Stockes eine Trachtquelle an. Werbetänze siehe
M. m. W. 1920 Nr. 20 und 1921 Nr. 17. Das Auffinden wird dadurch
erleichtert, daß durch die Duftorgane der Biene die Umgebung der
beflogenen Pflanze in weitem Umkreis mit dem Duft geschwängert
wird. Lockende Flugtöne spielen keine Rolle.
E. Reiß (Frankfurt a. M.), Osmotischer Druck und seine Bedeutung
und Regulation im Tierkörper. Kl. W. Nr. 22. Uebersicht.
M. Braun (Breslau), Enthalten die Erythrozyten des strömenden
Blutes beim Menschen Traubenzucker? Kl. W. Nr. 22. Braun glaubt
nach dem Ergebnis seiner Versuche mit Sicherheit annehmen zu können,
daß die roten Blutkörperchen des Menschen zuckerhaltig sind.
Friedrich NoLtenius, Wirkung des Sauerstoffmangels in
größeren Höben beim Fliegen. M. m. W. Nr. 21. Erst bei längerem
Aufenthalt in Höhen um 600 m herum sind deutliche Ausfallserschei¬
nungen nachweisbar, Beeinträchtigrung der geistigen Leistung, Müdigkeit,
Kopfschmerzen, retrograde Amnesie.
Allgemeine Pathologie und Pathologische Anatomie.
♦♦ A. und Hans Löbbert (Hamburg), Genese und Therapie
der echten Geschwülste. Teil I. Hamburg, Conr. Behre, 1922.
15 S. M. 6.50. Ref.: P. Prym (Bonn).
Eine Erkrankung des Zellpro:oplasmas führt zur Bildung nackter
Kerne. Ein Teil dieser nackten Kerne „befruchtet“ eine andere in
ihrem Protoplasma geschädigte Zelle, deren Kern alteriert sein kann.
Dadurch wird das „Kraftzentrum“ der Zelle verstärkt und es entsteht
die Blastomzelle mit ihrem Bestreben, sich von der Umgebung abzu¬
sondern. — Es handelt sich also um Gedanken, ähnlich denen älterer
Geschwulsttheorien. Ueber die Therapie soll im nächsten Aufsatz
berichtet werden.
O. Lubarsch (Berlin), Stand dek* Geschwulstforschung. Kl. W.
Nr. 22. Kritische Uebersicht.
Le Blanc, Respiratorischer Gasaustausch und Lungendurch-
blutung unter normalen und krankhaften Zuständen der Atmungs¬
organe. Beitr. z. Klin. d. Tbc. 50 (Jub. Bd.). Die bei Erkrankungen der
Lunge eintretende kompensatorische Ueberventilation steht in engen
Beziehungen zu den Veränderungen der Blutzirkulation., Wird der
erkrankte Lungenbezirk vermehrt durchblutet, so tritt trotz Ueber¬
ventilation Störung des respiratorischen Gaswechsels, Verminderung
der Sauerstoffsättigung des akteriellen Blutes, ein. Wird’ der erkrankte
Bezirk vermindert durchblutet, so bleibt bei genügender Ueberventila¬
tion der atmenden Lungenteile eine Störung aus. Kollabierte Lungen¬
abschnitte haben verminderten Blutgehalt. Deshalb ist bei einseitigem,
geschlossenen Pneumothorax und raumbeengenden Vorgängen im
Thorax ein annähernd normaler Gasvvechsel möglich, solange die
atmenden Lungenteile genügend überventiliert werden können. Die
stärkste Schädigung de9 Gaswechsels bedingt das Oedem. Dagegen
bedingt Stauung ohne Oedem an sich keine Schädigung.
Joachim Schjerning, Zyanose und Pueumouose. Beitr. z. Klin.
d. Tbc. 50 (Jub. Bd.). Die lesenswerte Studie des Verfassers über die
Zvanose beschäftigt sich in erster Linie mit der Frage, inwieweit eine
Schädigung des Alveolarepithels der Lunge, also eine degenerative
Veränderung der atmenden Fläche, Pneumonose im Sinne Brauers,
Zyanose hervorrufen kann. Es gelang in Tierversuchen mit Chlor¬
inhalation in 2 Fällen eine Schädigung des Alveolarepithels zu erzielen,
die eine deutliche Abnahme des Sauerstoffgehaltes im arteriellen Blut
zur Folge hatte. Beim Menschen würde sich eine solche im Auftreten
von Zyanose äußern. Es ist anzunehmen, daß eine derartige Pneumo¬
nose, bei Herzfehlerstauung, Emphysem, Asthma, wie bei der Grippe,
in vielen Fällen eine Rolle spielt.
R. H. Jaffe und E. Löwenstein, Histologisches Reaktionsbild der
tuberkulösen Reinfektion. Beitr. z. Klin. d. Tbc. 50 (Jub. Bd.). Die
Meerschweinchenversuche der Verfasser ergaben beim reinfizierten Tier
als Ausdruck der stürmisch einsetzenden Reaktion eine akute Entzündung
mit ieukozytärer Exsudation, die schon in kurzem zur eitrigen Einschmel¬
zung des Reinfektionsherdes führt. Darauf folgt Abstoßung und Heilungs¬
vorgänge. Zu einer Bildung von Tuberkeln kommt es in diesen Stadien
nicht. Die regionären Drüsen fanden sich frei. Die eingedrungenen
Tuberkelbazillen wurden zuerst von Polymorphkernigen, dann von
großen Mononukleären phagozytiert. Der Schwerpunkt der Abwehr¬
bewegung liegt aber nicht in der Phagozytose, sondern in der Eiterung
und raschen Ausstoßung.
H. Kahler und K. Machold (Wien), Verhalten des Blutzuckers
nach Einnahme von Galaktose. W. kl. W. Nr. 18. Verfasser halten
den Nachweis von Blutzuckersteigerungen ([besser Vermehrung der
reduzierenden Substanzen im Blute) nach Galaktosedarreichung für
geeignet, die Probe auf alimentäre Galaktosurie zu ergänzen. Besonders
soll die Blutuntersuchung bei negativer Galaktosurie und Verdacht einer
Nierenaffektion unter Umständen eine Leberschädigung aufdecken
können. Verfasser bemerken aber zum Schluß, daß auch diese Methode
nicht imstande ist, jede Funktionsstörung anzuzeigen.
Franz Rost und Ellinger (Heidelberg), Weshalb ist bei zu
tiefer Narkose das ausfließeode Blut dunkel gefärbt? M. m. W. Nr. 21.
Tierversuche ergaben, daß bei jeder langdauernden Narkose, auch
bei Sauerstoffzuruhr, der austreibbare Sauerstoffgehalt des arteriellen
Blutes absinkt und spektroskopisch nachweisbares 'Methaemoglobin
auftritt.
Eduard Melchior und Martin Nothmann (Breslau), Einfluß
der Hodeoreduktioo auf die elektrische Erregbarkeit des peripheri¬
schen Nervensystems. Mitt. Grenzgeb. 34 H. 5. Unter 12 von 14 Fällen
von Kastration, Hemjkastration, Hodenatrophie und so weiter gelang
es mit 3,8 bis 7 MA eine KOeZ, mehrfach auch schon mit geringen
Stromstärken einen KSTe auszulösen. Chvostek war mehrfach nach¬
zuweisen, Trousseau nur einmal; in einem Falle lag eine ausge¬
prägte Tetanie vor, wohl Folge von Kriegsnährschaden. Auch bei 4
von 5 doppelseitig kastrierten Kaninchen trat elektrische Uebererreg-
barkeit auf. Die Verfasser nehmen die Befunde als Ausdruck einer
Störung des gesamten endokrinen Gleichgewichts.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSUM
814
LITERATURBERICHT
Nr. 24
Mikroben- und Immunitätslehre.
Pick, Anaphylaxie in ihrer Beziehung zu Störungen des Ver-
danongsapparates. W. m. W. Nr. 20. Wichtig ist, daß für die Diagnose
der Eiweißidiosynkrasie die Kutanreaktion neben der Feststellung der
während des Anfalls einsetzenden Leukopenie die Hauptrolle spielt.
Die mitgeteilten Tatsachen über experimentelle Anaphylaxie sind von
besonderem Interesse, weil sie auch eine Handhabe für eine erfolg¬
reiche Therapie bieten (Antianaphylaxie, Anti- oder Desensibilisierung).
H. Schloßberger, Resistenz der Tuberkelbazillen und verwandter
Bakterien gegenüber entfärbenden chemischen Einflüssen. Beitr. z.
Klin. d. Tbc. 50 (Jub. Bd.). Die Versuche, die mit Salpetersäure, Alkohol
und Natriumsulfit in verschiedener Konzentration an tierpathogenen
und saprophytischen Stämmen teilweise mit Tierpassage ausgeführt
wurden, ergaben eine Stütze für die Anschauung, daß ebenso wie bei
der Gramfestigkeit der Aufbau und die Struktur des Zellprotoplasmas
die wesentliche Ursache der Säurefestigkeit sind, mehr als rein chemische
Verhältnisse. Wahrscheinlich beruht die Steigerung der Virulenz, das
verlangsamte Wachstum auf künstlichen Nährböden, ebenfalls auf dieser
färberisch nachweisbaren Aenderung des physikalischen Aufbaues der
Bakterienzelle.
Strahlenkuade.
Friedrich Voltz (München), Sensibilität und Sensibilisierung
in der Strahleotherapie. M. m. W. Nr. 21. Eine Zelle ist um so
mehr radiosensibel, je mehr kinetische Energie in ihr enthalten ist,
um so weniger sensibel, je mehr potentielle Energie in ihr ist. An
Bohnen im Keimzustande und an Ovarien von Meerschweinchen wird
gezeigt, daß der galvanische Strom ausgesprochen wachstumshemmend
wirkt, ebenso wie die Röntgenstrahlen und die Gammastrahlen.
Allgemeine Diagnostik.
C. Lange (Berlin), Serodiagnose und Blutcbemismus. Kl. W.
Nr. 21/22. Eingehende Untersuchungen über die Beeinflussung der
Serodiagnose der Syphilis durch den veränderten Blutchemismus beim
Ikterus, bei Urämie und Hydräniie. Resultate der Serodiagnose bei
vorhandenem Blutikterus sind nur dann verdächtig, wenn es sich um
eine Cholazidämie handelt und nicht um eine isolierte Bilirubinämie.
Gallensäuren (ebenso Cholesterin und Seifen) können bei der Sero¬
diagnose eine positive Reaktion Vortäuschen oder eine vorhandene
verstärken. Sie setzen direkt am Komplement ein; deshalb ist bei
Lebererkrankungen der Komplementgehalt des Serums dem Gehalt an
Gallensäuren quantitativ umgekehrt proportional. .Eine sichere Be¬
wertung des Reaktionsausfalls in diesen Fällen ist gegeben durch
Titrierung des Komplements im ganz frischen Serum. (Komplement¬
gehalt des menschlichen Serums unter normalen Verhältnissen voll¬
kommen konstant.) Urämie und die dahin tendierenden Zustände
können die Reaktion nach der negativen Seite zu verschieben, durch
eigenartige Veränderung der Serumeiweißkörper (Umstellung des Ei¬
weißquotienten Globulin: Albumin). Hydrämie vermag die Seroreaktion
in der Richtung zu beeinflussen, daß die Reaktion fälschlicherweise
zu schwach ausfällt. Lange hat eine Kontrolltechnik der Serodiagnose
ausgearbeitet, die sämtlichen Anforderungen auch bei Urämie und Hy¬
drämie zu genügen scheint. Prinzip: Die Verschiebungen der Reaktion,
die durch chemische Veränderungen hervorgerufen werden, können
unabhängig von der eigentlichen Reaktion abgeschätzt werden. Näheres
siehe Originalarbeit.
Joh. Vorschütz und Jos. Vorschütz (Elberfeld), Bedeutung
der Hlmagglntlnatioii und Bakterienagglutination als Dlagnostikum
und ihre Erklärung. Mitt Grenzgeb.34 H. 5. Durch gleichzeitige
Bestimmung der Senkungsgeschwindigkeit der roten Blutkörperchen und
der Globuline (nach Bang durch Mikrokjeldahl) beim Gesunden und
einer Anzahl von entzündlichen Erkrankungen und Tumoren wird gezeigt,
daß beide parallel gehen. Kurz vor dem Tode sank die Agglutinations¬
fähigkeit. Durch die erhöhte Agglutination kann man manchmal bak¬
teriell entzündliche Prozesse (Lues congenita) und andererseits bei
Ausschluß entzündlicher Prozesse Tumoren diagnostizieren. Auch die
Gruber-Widal-Reaktion ist abhängig vom Agglutiningehalt und also
nicht spezifisch. Die Einspritzung von Eigenblut erhöht den Agglutinin¬
spiegel und wird bei septischen Erkrankungen empfohlen.
H. Kleinschmidt, Ist Perlsuchttuberkulin zur Kutandiafnostik
erforderlich? Beitr. z. Klin. d. Tbc. 50 (Jub. Bd.). Das humane Kuti-
Tuberkulin (Höchst) (übertrifft sowohl die Mischtuberkuline wie das
Perlsuchttuberkulin an Wirkung.
W. J ü 1 i c h, Leukopenie b e i bochfieberbafteo Erkrankungen. Beitr.
z. Klin. d. Tbc. 50 (Jub. Bd.). Bei hochfieberhaften Erkrankungen in
mittleren Lebensjahren, bei denen sich die mit Leukopenie einher¬
gehenden Erkrankungen ausschließen lassen (Typhus, Masern, auch
Grippel, liegt höchstwahrscheinlich Tuberkulose vor. Im Laufe der
Erkrankung zunehmende relative Polynukleose mit Lymphopenie, Ver¬
minderung der Mononukleären und Abnahme der Eosinophilen bedeutet
ungünstige Aussichten.
O. Weltmann und H. K. Barrenscheen (Wien), Neue Harnstoff-
realctioo und ihre klinische Verwertbarkeit. Kl. W. Nr. 22. Es wird
eine Harnstoffreaktion mitgeteilt (Harnstofflösung -f Ehrlichs Aldehyd¬
reagens gibt eine Gelbgrünfärbung), die vielleicht geeignet ist, dem
praktischen Arzt eine einfache Methode zur Reststickstoffbestimmung
im Serum an die Hand zu geben.
F. Mras (Wien), Kolloidale Benzoöharzreaktion im Liquor cere¬
brospinalis. W. kl. W. Nr. 18. Die einfache Reaktion weist eine
verhältnismäßig hohe Empfindlichkeit auf. Sie geht mit der Goldsol-
reaktion parallel, nicht mit den Globulinreaktionen.
Allgemeine Therapie.
♦♦ (Conrad Sick (Stuttgart), Die Krankenernährung begründet
auf der allgemeinen Ernährungslehre. Stuttgart, J. F. Stein¬
kopf, 1922. 87 S. M. 12.-. Ref.: H. Strauß (Berlin).
Das vorliegende Buch will eine Ergänzung zu dem im „Kranken-
pflegelehrbuch" etwas stiefmütterlich behandelten Kapitel der Kranken-
ernährung- abgeben und stellt eine sehr erfreuliche Erscheinung auf
dem Gebiete der Krankenpflegeliteratur dar. Die Darstellung ist, ob¬
wohl streng wissenschaftlich, doch leicht faßlich gehalten. Mit Rück¬
sicht auf das vorliegende Ziel wäre es aber vielleicht zweckmäßiger
gewesen, das Kapitel der Kochvorschriften etwas ausführlicher zu
gestalten und dafür die präzisen Kostzusammenstellungen für die
einzelnen Krankheiten wegzulassen, da solche Diätzettel geeignet sind,
sogar Aerzte zum Schematismus zu verleiten. Ferner besitzt die auf
S. 35 gebrachte Tabelle über den Geldwert von 100 g ausnutzbarem
Eiweiß, da sie aus dem Jahre 1914 stammt, heute nur noch historischen
Wert. Diese kleinen Ausstellungen sollen aber in keiner Weise den
praktischen Wert des höchst begrüßenswerten Buches herabsetzen,
welchem im Interesse einer rationellen Krankenernährung eine weite
Verbreitung zu wünschen ist.
O. Bruns und P. Rhesa, Qröfie des Luftwechsels bei künstlicher
Atmung. Beitr. z. Klin. d. Tbc. 50 (Jub. Bd.). Zur Prüfung des Luft¬
wechsels bei Wiederbelebungsapparaten ist die Passivität der Versuchs¬
personen beim Atmen notwendig. Der Nachweis der Passivität wird
durch die Kontrolle der Zwerchfellsbewegung erbracht, die durch
Messung der respiratorischen Druckwechsel in Brustkorb und Bauch¬
höhle und durch fortlaufende Messung des Bauchumfanges ausgeführt
wird.
J. Voigt (Göttingen), Proteinkörpertherapie und Bedeutung des
Schutzkolloides beiSiioerbydrosolen. Zbl. f. Gyn. Nr. 16. Salzlösungen
von einer relativ niedrigen Konzentration vermögen die Eigenschaften
eines ausgiebig geschützten Silberhydrosols durch Einwirkung auf das
organische Schulzkolloid ganz erheblich zu ändern. Zu analogen Ver¬
änderungen dürfte es bei dem Zusammentreffen ähnlicher Stoffe mit
dem Blut und den Körpersäften kommen.
Fredrik Jervell (Kristiania), Wirkung von Isoaggfutlninen und
Isolyslueo bei der Bluttransfusion. Mitt. Grenzgeb. 34 H. 5. Im An¬
schluß an 2 tödlich verlaufene Fälle bespricht Jervell die für Blut¬
transfusionen nötigen Vorsichtsmaßnahmen. Isoagglutinine und IsoJys/ne
im Blute des Spenders sind bedeutungslos; dagegen sind beide im
Blute des Patienten gefährlich. Doch kommen Isolysine nur bei gleich¬
zeitiger Anwesenheit von lsoagglutininen vor. Der Geübte kann sich
also auf die Vornahme einer mikroskopischen Agglutinationsprobe —
im hängenden Tropfen mit dem Serum des Patienten und den Blut¬
körpern des Spenders — beschränken. Der Mindergeübte tut gut,
mindestens im Zweifelsfall noch Hämolyseproben vorzunehmen.
Paul Rostock (Jena), Biologisches Verhalten der Qewebe und
Organe gegenüber physiologischer Kochsalzlösung und Normosallösuog.
Mitt. Grenzgeb. 34 H. 5. Die Dauer der Lebensfähigkeit der Gewebe
wurde mit der Tellurmethode bestimmt. Herz und quergestreifte
Muskulatur, Leber, Niere und Lunge von Ratten, menschlicher Muskel
und menschliche Venenintima lebten in der Normosallösung sämtlich
länger als in physiologischer Kochsalzlösung.
V. Kollert und W. Starlinger (Wien), Einwirkung einiger Diure¬
tika auf das Fibrinogen. W. kl. W. Nr. 19. Coffein natr. benzoic.
und Harnstoff hemmen die Kochsalzfällung des Fibrinogens, Theo¬
phyllin und Thyreoidin schwächen sie ab, Novasurol und Ammonium-
azetat sind ohne Einfluß auf die Fällung. Die hemmende Wirkung
des Harnstoffes zeigt sich auch in den geringen Konzentrationen, die
in den Körperflüssigkeiten auftreten. Coffein natr. benzoic. wirkt 68 mal
stärker als es seiner Alkaleszenz entspricht, ferner kommt auch dem
reinen Koffein die hemmende Wirkung zu, während sie dem Natr. benzoic.
fehlt. Die Prüfung einer großen Reihe von anderen Pharmaka ergab,
daß keinem anderen diese Wirkung zukommt. Es ist deshalb anzu¬
nehmen, daß auch in vivo die gerinnungshemmende Wirkung von
Koffein und Harnstoff vorkommt. Aus allen bisher bekannten Tat¬
sachen läßt sich mit ziemlicher Sicherheit schließen, daß die Wirkung
auf den Quellungszustand der Eiweißkörper mit den diuretischen Fähig¬
keiten in Zusammenhang steht.
F. Rohr (Wilhelmshöhe), Senfölprlefiuitz als Ersatz des Heub*
nerschen Senfwickels und der Noeggerath-Mertzschen Senf-
boluspackung. M. m. W. Nr. 21. 3 Tropfen Senföl werden mit
100 g Wasser durch langes Umrühren gründlich gemischt. Hieraus
wird ein Prießnitzscher Umschlag gemacht, bei Säuglingen bleibt die
Packung 3—4 Minuten, bei älteren Kindern 5—8 Minuten liegen. Das
Verfahren ist sehr wirksam und billig.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSITV
16. Juni 1922
LITERATURBERICHT
815
Innere Medizin.
Georg KIcmperer (Berlin), Qrundriß der klinischen Dia-
Rnostlk. 22. neubearbeitete Auflage. Berlin, August Hirschwald,
1922. 297 Seiten mit 109 Abbildungen. Oeb. M. 48.—. Ref.:
M. Mosse (Berlin).
Wer schon vor mehr als 25 Jahren als angehender Arzt aus dem
Klemperersehen Grundriß gelernt hat, darf sich als Referent nicht
mit der üblichen Bemerkung bescheiden, daß der große Erfolg des
Buches Zeugnis für seine Güte und Brauchbarkeit ablege. Das darf
er nicht — einmal aus Dankbarkeit für das Gelernte und dann vor
allem aus Liebe zur Sache. Und deshalb sei auf einige Ungenauig¬
keiten hingewiesen, die bei der Durchsicht der gut ausgestatteten und
mit schönen Abbildungen versehenen neuen Auflage auffallen. 1. Aus
der „lebhaften oder bleichen Farbe" des Gesichts kann man keinen
Rückschluß auf den Ernährungs- und Kräftezustand eines Menschen
machen. 2. Es dürfte sich empfehlen, nüchtern den Mageninhalt zu
aspirieren — nicht nur, wenn frühmorgens vor der Nahrungsaufnahme
Beschwerden geklagt werden. 3. Daß beim Gallensteinanfall „meist"
die vergrößerte, schmerzhafte Gallenblase fühlbar ist, entspricht nicht
den Erfahrungen der meisten Kliniker. 4. Schlechthin bei der Arterio¬
sklerose zu sagen: „Blutdruck erhöht", ist ungenau. 5. Der Arzt soll
nicht durch besondere Zeichen veranlaßt werden, die Zuckerprobe
vorzunehmen. 6. Aus der Darstellung der Erkrankungen der Drüsen
mit innerer Sekretion geht nicht hervor, daß es Erkrankungen einer
Drüse nur selten gibt. 7. Bei der Besprechung der Röntgenunter¬
suchung des Aneurysmas fehlt der Hinweis, daß man auch im schrägen
Durchmesser untersuchen soll. 8. Nähere Angaben über das Röntgen¬
bild des normalen Magens wären erwünscht.
♦♦ Wilhelm Stekel (Gastein), Die Sprache des Traums. 2 . ver¬
besserte Auflage. Wiesbaden, J. F. Bergmann, 1922. 447 S. M. 75.— •
Ref.: Th. Ziehen (Halle a. S.).
Die 1. Auflage erschien 1911 (539 Seiten). Abgesehen von manchen
Kürzungen sind die Aenderungen unbedeutend. Die genugsam be¬
kannten, oft an den Haaren herbeigezogenen Traumdeutungen, vor
allem in sexueller Richtung, beherrschen die Darstellung. Andererseits
glaubt Verfasser in den „feindlichen Regungen des Hasses" die „Grund¬
lage alles seelischen Geschehens" nachgewiesen zu haben. Das Kind
ist absolut egoistisch und „universell kriminell" (S. 444 u. 247). Die
Inzestliebe tritt als eine notwendige, sozusagen soziologische Einrichtung
auf, usf. Wissenschaftliche Bedeutung hat das Werk kaum. Selbst die
über 500 Traumprotokolle, die Verfasser mitteilt (namentlich auch von
Neurotikern, z. T. auch von Kindern), genügen den Ansprüchen einer
wissenschaftlichen Traumforschung methodologisch nicht und sind da¬
her auch nur mit größter Vorsicht als Material zu benutzen.
I. Re der (Gmünd), Fleckfiebertrefahr. W. kl. W. Nr. 18. Die
Gefahr der Einschleppung von Fleckfieber aus Rußland nach Mittel¬
europa veranlaßt den Verfasser, die für Erkennung lind Prophylaxe
notwendigen Gesichtspunkte kurz zusammenzustellen.
J. Oettinger und J. Halbreich (Witebsk, Rußland), Ephemere
Roseola beim Riickfallfieber. M. m. W. Nr. 21. In etwa 15°/ 0 der Fälle
ließ sich eine sehr rasch verschwindende Roseola feststellen, die
Lebensdauer der einzelnen Roseola beträgt 20 Minuten. Die Roseolen
sind kleiner als bei Fleckfieber und Thypus und stets ganz flach.
Gesicht, Ober- und Unterschenkel bleiben frei.
Erwin Thomas (Köln), Immunliquor-Transfusion bei Meningitis
cerebmspinalis. M. m. W. Nr. 21. Bei einem Kinde, das nach
Genickstarre einen großen Wasserkopf bekommen hatte, wurde viel
Liquor abgelassen und steril aufbewahrt. Dieser Immunliquor wird
einem an Meningitis cerebrospinalis frischerkrankten Knaben endolumbal
injiziert. Überraschend milder Krankheitsverlauf.
E. Mosler und H. Sachs (Berlin), Klinische Bedentnog der
Verlnderuogen der Initialschwankung im Elektrokardiogramm. Kl. W.
Nr. 22. Zu kurzem Referat nicht geeignet.
Graßl, Behandlung des endemischen Kropfes. M.]m. W. Nr. 21.
Im bayrischen Wald benutzt man als Volksheilmittel bei Kropf Um¬
schläge mit Eichenlohe und Lebertran innerlich. Der Lebertran enthält
kleine Jodmengen.
M. Kraßnig (Graz), Blutverfindernngen bei Stenosen der oberen
Luftwege. W. kl. W. Nr. 18. In 6 Fällen Vermehrung der Erythrozyten.
H. Grau, Erkiltungskatarrbe. Beitr. z. Klin. d. Tbc. 50 (Jub. Bd.).
Die Mehrzahl der sogenannten Erkältungskatarrhe wird durch An¬
steckung fortgepflanzt. Sowohl für die durch Erkältung, als die durch
Ansteckung entstandenen Katarrhe ist ein Darniederliegen der Abwehr¬
kräfte, oft neben besonderer Erregbarkeit des vegetativen Nervensystems,
ursächlich wichtig (Tuberkulose, exsudative Diathese, erschöpfende
Krankheiten). Allem. Anschein nach ist die Haut als Immunitätsorgan
auch für die Widerstandsfähigkeit gegen diese infektiösen Katarrhe
von Bedeutung, ein Schluß, der besonders durch therapeutische Er¬
fahrungen gerechtfertigt ist.
F. Blumenfeld. Bau des Gesichtsskeletts und des Brustkorbes
bei ToberknIÖsen. Beitr. z. Klin. d. Tbc. 50 (Jub. Bd.). Als Ergebnis
der bemerkenswerten Arbeit ist die Auffassung des Verfassers zu be¬
richten, daß der hohe Gaumen ebenso wie die asthenische Bauart des
Brustkorbes in ihrer gegenseitigen Beziehung als ein Ausdruck der in
beiden Störungen zum Ausdruck kommenden hypoplastischen Skeletts¬
entwicklung anzusehen sind, deren letzte erbliche Bedingtheit vielleicht
im endokrinen System beruht.
Afvid Walgren, Tuberkulöse Lymphome und Lungentuberkulose.
Beitr. z. Klin. d. Tbc. 50 (Jub. Bd.). Klinische Untersuchungen über
225 Fälle. Lungentuberkulose wurde in 15% neben Lymphom fest¬
gestellt. Lungentuberkulose tritt häufiger auf bei Menschen, die in der
Kindheit Drüsentuberkulose durchgemacht haben, als bei anderen. Die
Lungentuberkulose ist bei Kranken mit Drüsenschwellungen oft auffallend
gutartig, von langsamem Verlauf und geringen Beschwerden. Es scheint
also, daß das Lymphom in manchen Fällen die Entstehung einer Lungen¬
tuberkulose erschwert
W. Edel, Locus mluorls resistentiae hereditär!us der Lunge bei
chronischer Tuberkulose. Beitr. z. Klin. d. Tbc. 50 (Jub. Bd.). Unter
104 Familien mit 222 Personen fand sich bei 70 Familien, das heißt
in 67,1% der Fälle, Uebereinstimmung im Sitze der Ersterkrankung,
nach der gesamten Literatur in 71,4%. Von 70 Familien, bei denen
genaue Angaben über das Lebensalter Vorlagen, zeigte sich bei 24
die Bestätigung des Brehmerschen Gesetzes von der Erkrankung in
korrespondierendem Lebensalter.
Th. Landgraf, Wildbolzsche Eigenharnreaktion bei Tuberkulose.
Beitr. z. Klin. d. Tbc. 50 (Jub. Bd.). Nach den Ergebnissen seiner Versuche
hält der Verfasser die Eigenharnreaktion für spezifisch bei Tuberkulose
und den positiven Ausfall für eine Aeußerung einer aktiven Erkrankung.
W. Dreyfus und P. Hecht (Heidelberg), Senkungsprobe der roten
Blutkörperchen bei der chronischen Lungentuberkulose. M. m. W.
Nr. 21. Die Senkungsgeschwindigkeit der roten Blutkörperchen geht
der Bösartigkeit des anatomischen Prozesses in den Lungen parallel.
Kavernöse Phthisen zeigen stärkere Beschleunigung als die entsprechen¬
den Formen ohne Höhlenbildung.
Irma Neuer, Beobachtung an Tuberkulösen mit künstlichem
Pneumothorax. Beitr. z. Klin. d. Tbc. 50 (Jub. Bd.). Der künstliche
Pneumothorax pflegt tuberkulöse Nebenherde, auch an der anderen
Seite, auch im Darm günstig zu beeinflussen und die allgemeinen
Krankheitserscheinungen zu bessern. Diesem Augenblickserfolg schließt
sich fast stets besonders im 2. und 3. Monat nach der Anlage ein
Neuausbruch der Tuberkulose, besonders an der Pleura an, mit dem
auch ein Fortschreiten anderer Herde Hand in Hand gehen kann.
Diese Neuerkrankung pflegt in ihrer Verlaufsart der ursprünglichen zu
gleichen. Verfasser sieht die Ursache in konstitutionellen Eigenschaften.
Fr. Peemoeller, Lungenstreptotrichose. Beitr. z. Klin. d. Tbc. 50
(Jub. Bd.). Bericht über einen Fall von Lungengangrän, dicht unter
der Pleura liegend, anfangs mit Pleuritis exsudativa serosa kompliziert.
Durchbruch der Gangrän in den Pleuraraum, wahrscheinlich im An¬
schluß an Punktionen. Als Erreger wurde eine anaerob wachsende
Streptothrixart gezüchtet. Heilung durch, Rippenresektion, Spülen,
Jodkali innerlich. Ausführliche Literatur.
Herbert Peiper (Frankfurt a. M.), Erwiderung auf die Entgeg¬
nung von J. Boas. Mitt. Grenzgeb. 34 H. 5. Peiper bespricht kurz
die Böasschen Einwände, hält eine einwandfreie zuverlässige Methodik
noch nicht für vorhanden und damit die Lehre von den okkulten
Blutungen noch nicht für sichergestellt.
F. L. Bonn (Königsberg i. Pr.), Wasserversuch als differential-
diagnostisch* Mittel bei Ulkus und Karzinom d]es Magens. Mitt.
Grenzgeb. 34 H. 5. Kritische Besprechung der Ergebnisse von Gunder¬
mann und Düttmann (Bericht siehe D. m. W. 1921 S. 1239). Die
Nachprüfung am eigenen Material ergab keine eindeutigen Befunde.
Die Ergebnisse für die Pathologie und Differentialdiagnose von Ulkus
und Karzinom werden als zu wenig begründet und zu unsicher abgelehnt.
E. Ha dl ich (Altona), Bilirubinämie bei Ulcus duodeni. Kl. W.
Nr. 22. Zur Zeit der positiven Reaktion bestanden immer Schmerzen
und Beschwerden. Eine Beziehung zwischen den Beschwerden und
der Bilirubinämie war in den 59 Fällen unverkennbar. Negative Reak¬
tion bei einem Ulkus, das noch Beschwerden macht, erscheint als
Ausnahme. Erklärung vielleicht durch Spasmen der Gallengänge.
Differentialdiagnostisch z. B. gegen Cholezystitis ist die Reaktion nicht
brauchbar; vielleicht ist die Prüfung auf Bilirubinämie ein objektives
Merkmal zur Erfassung der Konstitution der Ulkus- und auch nervös
Magenleidenden.
F. Rosenthal und M. v. Falken hausen (Breslau), Ausscheidung
von Farbstoffen durch den Marensaft und die Galle. W.kl. W. Nr. 19.
Die von Saxl und Scherf (W. kl. W. Nr. 6) erhobenen Einwände
gegen die von den Verfassern als Leberfunktionsprobe ausgearbeitete
Ausscheidung von Methylenblau durch die Duodenalgalle sind nicht
stichhaltig, da innerhalb der gewählten Versuchszeiten die Farbstoff¬
sekretion durch den Magen belanglos ist, außerdem die Beimengung
von Magensaft zur Duodenalflüssigkeit durch die entstehende Trübung
erkannt werden müßte.
P. Saxl und D. Scherf (Wien), Bemerkungen zu den Ausführungen
von Roseothal und v. Falkenhausen. W. kl. W. Nr. 19. Die Zeit¬
differenzen zwischen der Ausscheidung von subkutan injiziertem
Methylenblau im Magen- und im Duodenalsaft waren in den Versuchen
des Verfassers nicht so groß wie bei Rosenthal und v. Falken-
hausen. Es müßte also in jedem einzelnen Falle sowohl Magensaft
wie Duodenalflüssigkeit untersucht werden.
K. Vogel (Dortmund), Aetiologie d er Hirschsprung scheu Krankheit.
Mitt.Grenzgeb.34 H.5. Vogel belegt durch Beispiele eigener Erfahrung:
überlanges Mesosigma, Krampfzustand des Sphinkter, durch Geistes¬
krankheit bedingt; einmal bestand anscheinend ein Krampfzustand für
die ersten Monate nach der Geburt; ein anderes Mal hat eine schwere
Darmkrankheit zu mehrfachen Narben im Dickdarm geführt, einmal
ein in das Cavum rectovaginale durchgebrochenes Pessar das Hindernis
gesetzt. Vogel fügt einen Fall von durch Narbe bedingter Erweiterung
im oberen Jejunum hinzu. **
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
816
LITERATURBERICHT
Nr. 24
Ottfried Müller und O. Brösamlen, Bluteosinophilie als Indi¬
kator für die Reaktionsfähigkeit. Beitr. z. Klin. d. Tbc. 50 (Jub. Bd.).
Ansteigen der Eosinophilenkurve nach Tuberkulindarreichung ist ein
günstiges Zeichen. Gleich bleiben oder Sinken der Kurve ein ungünstiges.
Die physikalisch-therapeutischen Maßnahmen wirken in ähnlichem Sinne
auf die Eosinophilenkurve ein, wie etwa die Tuberkuline. Das Ver¬
halten der Eosinophilen kann als allgemeiner Maßstab der Reaktions¬
fähigkeit des Körpers im Kampfe gegen die Infektionen angesehen
werden.
Herbert Ruef (Freiburg i. B.), Verschiebung des weißen Blut¬
bildes im Organismus. Mit». Grenzgeb. 34 H. 5. Ruef entnahm bei
Gelegenheit von chirurgischen Eingriffen Blut aus gesunden inneren
Organen; in diesen ist die Zahl der weißen Blutkörper größer als in
der Peripherie, und zwar nicht nur in den Blutbildungsstätten, sondern
auch in Magen, Leber und Niere, in geringerem Grade im Pankreas.
Die weißen Blutkörper in größeren Gefäßen und das rote Blutbild
waren frei von Schwankungen. Körperliche Anstrengungen bewirken
eine Zunahme der Leukozyten in der Peripherie, noch eine weitere
Steigerung im arbeitenden Muskel selbst.
Eifel dt (Rostock), Schwankungen des Blu'eefrierpunktes während
des Wasser- und Konzentrationsversuches. Mitt. Grenzgeb. 34 H. 5.
El fei dt hat zweimal, in selteneren Fällen auch dreimal den Blutgefrier¬
punkt bestimmt. Ist ö durch Wasserverarmung des Blutes erniedrigt,
so kann es sich bei normalen Nieren aus einer einmaligen großen
Wasserzufuhr auf normale Werte ausgleichcn. Wasserverarmung des
Organismus kann zu ^-Erniedrigung unter 0,60 führen. Pathologische
Aufstauung des Wassers kann ein in Wirklichkeit schlechtes <5 erhöhen,
so daß ein guter Wert vorgetäuscht wird. Wenn auch in den meisten
Fällen die <5-Kurve im Wasser- und Konzentrationsversuch der Kurve
der Blutwassermenge folgt, so kann doch <5 infolge extrarenaler Ur¬
sachen (Gewebswasserreserve) unverschlieblich bleiben. Diese extra-
renalen Faktoren müssen bei der Deutung berücksichtigt und es darf
nur am im Wassergleichgewicht befindlichen Patienten kryoskopiert
werden.
J. Brennsohn, Chronische ankylosierende WMHversteifting.
M. m. W. Nr. 21. Zu Fränkel in Nr. 13. Die Verknöcherung des
Bandapparätes gehört ebenso zum Krankheitsbilde wie die Ankylo-
sierung der kleinen Gelenke. Der Einwirkung der Kält? ist eine größere
Bedeutung beizumessen als dem Trauma.
H. Quincke (Kiel-Frankfurt a. M.), SnondytMis. Mitt. Grenzgeb. 34
H. 5. Ein halbes Dutzend Fälle von Spondylitis infectiosa benigna oder
mitis, einmal an Pneumonie, zum Teil an unklare fieberhafte Erkrankungen
sich anschließend, zum Teil ohne solche auftretend. In einem der
letzteren Fälle traten Zeichen von Druck aufs Rückenmark auf. Die
wirksamsten Heilmittel sind mechanische, Ruhe und Streckung.
S. Fraenkel, Snina vento«a multiplex adultorum. Beitr. z. Klin.
d. Tbc. 50 (Jub. Bd.). Bericht über einen Fall, der zuerst von Jüng¬
ling beschriebenen Erkrankung. Langh-nziehender Verlauf seit dem
Kindesalter. Befallensein zahlreicher Finger und Zehen Hmd Mittel¬
handknochen, daneben Iritis und Lungenspitzenherde. Die Knochen
sind von multiplen Horden von Granulationsgeweben wabenförmig
durchsetzt. Es wird für die verhältnismäßig gutartige Erkrankung
die in der Ueberschrift gegebene Bezeichnung vorgeschlagen.
G. Seck er, Meningitis tuberculosa. Beitr. z. Klin. d. Tbc. 50 (Jub.
Bd.). KlinischeAbhandlung unter Verwendung vonFällen des allgemeinen
Krankenhauses Barmbeck. Eine besondere Disposition zur Erkrankung an
Meningitis tuberculosa ist für Kinder vom ersten bis zweiten Lebens¬
jahr, in der Pubertät, für das weibliche Geschlecht gegenüber dem
männlichen, für die Monate August, September, für die von Masern
und Scharlach Genesenden und für Tuberkulöse nach überstandener
Grippe hervorgetreten. Im Kindesalter schienen besonders die Bron¬
chialdrüsen d^r Ausgangspunkt der Erkrankung zu sein. Die Prognose
war absolut ungünstig.
E. Siemerling und H. Oloff (Kiel), Pseodosklerose (Westphal-
Strümpell) mit Korneatrinjr (Kayser-Fleischer) und doppel¬
seitiger Scheinkatarakt. Kl. W. Nr. 22. Mitteilung eines Falles. Die
Scheinkatarakt war nur bei seitlicher Beleuchtung sichtbar und der
nach Verletzung durch Kupfersplitter entstehenden Katarakt sehr ähn¬
lich. Das elektive Ergriffensein bestimmter Abschnitte des Gehirns,
sowie die Pigmentierung, die sich im Auge auf der Descemetschqi
Membran und der vordem Linsenfläche bei der Patientin zeigt, ist
nur durch die Annahme eines besonderen Chemismus dieser Abschnitte
erklärlich (ursächlich wohl von der Leber ausgehende toxisch-infektiöse
Stoffe von Bedeutung).
I. Piticarlu (Cernauti, Rumänien), Behandlung der Myoklonien
und des Parkinsonschen Symptomenkomplexeg nach Encephalitis
enldemlca mit intravenösen Injektionen von eigener Lombalflussirkeit.
W. kl. W. Nr. 19. In 4 Fällen hatte die Injektion von 10 ccm Zere¬
brospinalflüssigkeit guten Erfolg.
Chirurgie.
R. v. Baracz (Lemberg), Behandlung der Aktinomvknse mit Kupfer-
sutfat. Zbl. f. Chir. Nr. 18. Auf Grund einer 19jährigen Erfahrung
an 35 Fällen empfiehlt Verfasser Injektionen von */,—1 0 / o Kupfersulfat¬
lösung in die aktinomykotischen Infiltrate. Die Behandlungsweise des
Verfassers ist eine kombinierte und beruht 1. in Einspritzungen der
Kupfersulfatlösungen behufs Tötung des Pilzes und Erweichung des
Infiltrates; 2. in mechanischer Entfernung des Pilzes mittelst Inzision
eventuell Exkochleation aller zugänglichen Abszesse und Fisteln; 3. in
Jodierung aller Fistelgärtge und Abszesse und Tamponierung mittelst
in Kupfersulfatlösung getränkter Gazestreifen, Umschlägen aus dieser
Lösung oder essigsaurer Tonerde bis zur Erweichung des Infiltrats;
in energischer Anwendung des Lapisstiftes zu Ende der Behandlung.
Einzelheiten im Original.
Tillmann (Luckau), Bemerkung zur Arbeit Kumer: Ueber
eine Form von chronischer Paronychie. Mitt. Grenzgeb. 34 H. 5.
Tillmann bringt zwei den von Kumer veröffentlichten (Bericht siehe
D. m. W. 1921 S. 973) zugehörige Fälle, von denen der eine durch
Extraktion der Fingernägel, Ausschaben und Jodtinkturbehandlung der
Nagelbetten, der andere durch 10°/ 0 ige Ichthyolsalbe erfolgreich be¬
handelt wurde.
Rocdelius (Hamburg), Makrocheüie. KI. W. Nr. 22. Fall von
Makrocheilie der Unterlippe auf Grund umschriebener Adenombildung.
Kombination mit Hasenscharte. Operative Behandlung wegen Gefahr
späterer Karzinomentwicklung.
J. F. S. Esser (Berlin), Rotation der Wange. M. m. W. Nr. 21*
Durch bogenförmige Umschneidung bis tief am Halse herunter und
Unterminierung wird die ganze Wange mobilisiert und läßt sich um
eine Achse mitten in der Wange in den Defekt hineindrehen. Zum
noch größeren Beweglichmachen wird am unteren Ende des Schnittes
noch ein 2 cm langer Schnitt nach oben aufgesetzt. Der sekundäre
Defekt läßt sich gut schließen. Nekrosen kommen nicht vor, der
Fazialis wird erhalten. Siehe das Buch des Verfassers „Die Rotation
der Wange", 1918 bei Vogel, Leipzig.
O.Ziegler, Chirurgische Behandlung der ausgedehnten einseitigen
Lungeneangrüo. Beitr. z. Klin. d. Tbc. 50 (Jub. Bd.). Bericht über
einen Fall von schwerster, fortschreitender Lungengangrän des rechten
Oberlappens. Heilung durch Kollapsbehandlung mit Hilfe von totaler
Thorakoplastik. Lehrreiche Röntgenbilder.
Hermann Küttner (Breslau). 266 Fälle von primfirem Karzinom
der Mundschleimhaut. M. m. W. Nr./21. Durch grundsätzliche Ver¬
wendung der Lokalanästhesie ging die Mortalität an Pneumonie auf
4,4% herunter. Stets radikale Drüsenausräumung mit Kreuzschnitt
bis zum Jugulum herunter. Radikaloperation war bei 61 °/ 0 der Kranken
möglich. Dauerheilung nach 3 Jahren beim Zungenkrebs 17°/ 0 , beim
Mundbodenkrebs ll°/ n , beim Tonsillenkrebs 7/7°/ 0 .
E. Melchior (Breslau), Peritonitis serosa acuta. Kl. W. Nr. 22.
Melchior hat an der Küttnerschen Klinik innerhalb der letzten Jahre
10 Fälle von idiopathischer seröser Peritonilis beobachtet Aetiologie
unbekannt; günstiger Verlauf; in 4 Fällen war die Laparotomie (die
wegen Annahme einer Appendizitis vorgenommen) von besonders
gutem Einfluß auf Beschwerden und objektiven Symptomenkomplex.
Felix Franke (Braunschweig), Appendizitis bei Situs loversus.
M. m. W. Nr. 21. 1 Fall von appendizitischem Abszeß. Der Situs
inversus wurde vor der Operation durch Untersuchung der Brustorgane
festgestellt.
K. Vogeler (Berlin-Steglitz), Pseudoanpendizitis. hervorgerufen
durch Dünndarmsnasmen. Zbl. f. Chir. Nr. 18. Verfasser beobachtete
bei einem gesunden, kräftigen Manne einen begrenzten Spasmus des
lleum kurz oberhalb der Bauhinschen Klappe. Die Erkrankung äußerte
sich wie eine Appendizitis. Die Folge war, daß eine solche diagnosti¬
ziert und der Kranke operiert wurde. Es ergab sich eine starke Ein¬
schnürung 2 cm lang in der Wand des lleum. Sie betraf etwas mehr
als die Hälfte des Umfanges des Darms; der Krampf löste sich erst
nach Bepinselung der Umgebung des Spasmus mit 10°/ 0 Kokainlösung.
Heilung.
J. Dubs (Winterthur), Diverticulitis perforafiva der Plexura aig-
moidea. M. m. W. Nr. 21. 54iähriger Mann erkrankt plötzlich an
Erscheinungen einer akuten Appendizitis, die Schmerzen sitzen aber
vorwiegend in der linken Unterbauchgegend. Früher einmal Proktitis.
Operation unter der Wahrscheinlichkeitsdiagnose Divertikulitis. Die
Flexur tumorartig verdickt, stecknadelkopfgroße Perforation an einem
Divertikel. Uebernähung, Heilung.
L. Drüner (Quierschied), Pelottenverschluß des künstlichen Afters.
Zbl. f. Chir. Nr. 18. Technische Mitteilung.
O. Hahn (Breslau), Kvphosis nsteo-chnndronathlca. Kl. W. Nr. 22*
Es gibt eine Form der Kvphose, die auf Veränderungen der Knornel-
Knochengrenze der Wirbelkörper beruht (sichtbar im Röntgenbild
frontaler Projektion). Solche osteochondropathischen Kyphosen sind
unbedingt von der gegen den krummen Rücken üblich gewordenen
Therapie auszuschließen, vor allem keine Turnübungen. Postulat: alle
Adoleszenten mit krummem Rücken unbedingt in frontaler Richtung
röntgen, bevor irgendwelche therapeutischen Maßnahmen getroffen
werden.
Walter Förster (Suhl), Vollkommene Luxation der Lenden-
wirbelsffule durch Unfall. M. m. W. Nr. 21. Bei'einem Kutscher,
der unter die Pferde geriet, trat eine komplette Luxatipn zwischen dem
3. und 4. Lendenwirbel nach der Seite ein. Lähmung beider Beine.
Einrenken in Narkose. Gipsbett. Als Patient sich aus dem Gipsbett
wälzte, um Suizid zu verüben, erneute Luxation. Diese läßt sicfi nicht
ganz^vollkommen beseitigen. Die Lähmung im rechten Bein besserte
sich wesentlich, links blieb eine völlige schlaffe Lähmung zurück.
-Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNiVERSITV
16. Juni 1922
LITERATURBERICHT
817
F- Schede (München), Punktion des prävertebralen Abszesses,
m. W. Nr. 21. Einstich 2 cm neben dem Dornfortsatz, der nach
dem Röntgenbild der größten Ausdehnung des Abszesses entspricht.
Zwischen 2 Querfortsätzen hindurch tastet man sich an der Selten-
“äche des Wirbels nach vorn bis in den Abszeß. Die genaue Tiefe
läßt sich an der Hand einer Röntgenaufnahme nach einem von Straub
ausgearbeiteten Verfahren berechnen. Eingespritzt wird nach Ent¬
leerung des Eiters Jodoformöl.
Al. Hof mann (Würzburg), Nachbehandlung der Osteomyelitis
mit dem Inftabschließenden Verband nach Bier. M. m. W. Nr. 21.
Sehr gute Ergebnisse bei der chronischen Osteomyelitis. Etwa 8 bis
14 Tage nach der Operation werden Drains und Tamponade entfernt
und die Wunde luftdicht verklebt. Verbandwechsel alle 14 Tage.
Auch bei der akuten Osteomyelitis guter Erfolg, wenn die Infektion
einen gutartigen Charakter hat, bei den schweren Fällen mit hohen
Temperaturen und schlechtem Allgemeinzustand ist nur ein einmaliger
Versuch mit dem abschließenden Verband erlaubt, es tritt sonst leicht
eine Nachsequestrierung ein.
Hubert Kunz (Wien), Operativ reheilte okzipitale Riudenepilep-
s»e nach Steckschuß. Mitt Grenzgeb. 34 H. 5. Anfälle, die neben
Kopfschmerzen und Parästhesien an Fingern und Zehen in eigentüm¬
lichen optischen Phänomenen bestehen: ein flimmernder Lichtkreis,
der sich vergrößert und von rechts nach links bewegt; eine Ein¬
schränkung des Gesichtsfeldes fehlte. Nur einmal trat ein typischer
epileptischer Anfall auf. Die Operation wurde unter Röntgendurch¬
leuchtung bei Tageslicht vorgenommen. Am Projektil fand sich steriler
Eiter.' l »er Erfolg war, abgesehen von einem einzigen kurzen Anfall
nach Ueberanstrengung, ein völliger.
Frauenheilkunde.
♦♦ M. Hofmeier (Würzburg), Handbuch der Frauenkrank¬
heiten. (17. Auflage von Schröder, Handbuch der Krankheiten
der weiblichen Geschlechtsorgane.) Leipzig, F. C. W. Vogel, 1922.
617 Seiten mit 10 Tafeln und 279 Textabbildungen. M. 125.—,
geb. M. 150.—. Ref.: Jolly (Berlin).
Als Lehrbuch und als Handbuch, zur Einführung und zur weiteren
Fortbildung gleich vortrefflich, erscheint das alte Schrödersche Werk
in der Hofmeierschen Bearbeitung in 17. Auflage. Die hohe Zahl der
Auflagen spricht mehr für die Güte des Werkes, als es empfehlende
Worte vermöchten.
Greil (Innsbruck), Intrauterine Keimlingsschädirnngen. W.kl.W.
Nr. IS. Besprechung vom Gesichtspunkte der Entwicklungsmechanik.
Das Keimplasma ist nicht, wie die phylogenetische Forschungsrichtung
annahm, starr, unbeeinflußbar. Ls kann sich vielmehr unter den
mannigfaltigsten äußeren und inneren Einflüssen in sehr verschiedener
Weise fortentwickeln. Die entwicklungsmechanische Analyse ist dazu
berufen, die Möglichkeiten einer Beeinflussung der Entwicklung —
eventuell auch durch ärztliche Maßnahmen — aufzudecken. Allerdings
fcteht sie noch ganz am Anfänge ihrer systematischen Ausbildung.
Das ist auch der Eindruck, den der Leser von den mit vielen lehr¬
reichen Beispielen erläuterten Ausführungen haben wird.
Dittel (Kairo), Varizen des Lifamentnoi latom, eine ektopische
Schwangerschaft vortäuschend. W. m. W. Nr. 20. Im mitgetejlten
Fall von scheinbarer ektopischer Schwangerschaft fand sich bei der
Laparatomie ein Tumor, welcher aus einem Paket stark erweiterter
Venen des Ligamentum latum der linken Seite bestand.
H. Krause (Würzburg), Vagitus uterinus. Zbl. f. Gyn. Nr. 16.
Kasuistischer Beitrag.
t Harns Ne vermann (Hamburg-Eppendorf), Bedeutung der kapillar-
mikro$Vopi»cbefl Befunde bei der Eklampsie. Zbl. f.Gyn. Nr. 16. Bei
Schwangerschaftstoxikosen spielen Kapillarveränderungen eine wichtige
Rolle. Es sind Verlängerung der Kapillarschlmgen ohne Schlängelung,
verlangsamte körnige Strömung in ihnen, Stasen, vereinzelt Gefä߬
krämpfe. Die Intensität dieser Erscheinungen läßt aber nicht ohne
weiteres Rückschlüsse auf die Schwere der Erkrankung überhaupt zu,
während dagegen beim einzelnen Fall im allgemeinen die Intensität
der Erscheinungen parallel mit dem Krankheitsverlauf geht. Diese
Kapillarveränderungen sind aber nicht für Eklampsie und ihre Vor¬
stadien charakteristisch. Sie finden sich auch bei anderen Erkrankungen.
Sie zeigen nur an, daß bei Schwangerschaftstoxikosen das Kapillar¬
system erkrankt ist. Nach vorbereitenden Tierversuchen wurde bei
Laparotomien und Kaiserschnitten beim Menschen festgestellt, daß die
Kapillaren "der inneren Organe sich hinsichtlich der Strömung genau
so verhalten, wie die an der Haut sichtbaren Kapillaren. Es ist also
hierdurch bewiesen, daß die an den Hautkapillaren sichtbaren Ver¬
änderungen sich in gleicher Weise auch an anderen Kapillaren des
menschlichen Körpers finden.
E. Weber (Blumenthal-Hannover), Seiteier Pall diphtherischer
Infektion neureborener Zwillinge. Zbl. f. Gyn. Nr. 16. Weibliche
Zwillinge bekamen am 4.-6. Tage post partum eine phlegmonöse
Entzündung der Bauchdecken (ausgehend je vom linken Labium maius).
In dem Vulvasekret des einen Zwillings fanden sich virulente Diphtherie¬
bazillen.
Fr. Chr. Geller (Dresden), Qenitalnervenkftrperchen in der Kli¬
toris und den kleinen Labien. Zbl. f. Gyn. Nr. 16. Anatomische
Untersuchungen. In den Genitalnervenkörperchen beginnt der sensible
Teil des für den Orgasmus so wichtigen Reflexbogens (Kehrer). Es
ist daher für die Kenntnis aller in dieses Gebiet gehörenden Fragen —
insbesondere wohl auch für die Dyspareunie — eine genaue Kenntnis
dieser nervösen Endorgane unerläßlich.
W. Lahm (Dresden), Sterilität der Frau. Zbl. f. Gyn. Nr. 16.
Verfasser sieht die Ovulation nicht mehr als einen nur vom Genitale
abhängigen Prozeß an, sondern als den Erfolg eines Syftipathikusreflexes.
Dieser Reflex tritt ein, wenn die arterielle Drucksteigerung in der Um¬
gebung des Follikels durch einen nervösen Impuls ganz beträchtliche
Grade annimmt. Bleibt der gedachte Sympathikusreflex aus oder ver¬
mag er infolge dauernder Hyperämie kaum noch eine Drucksteigerung
im Ovarium zu erzeugen, so wird die Ovulation nicht stattfinden
können und der Follikel verfällt der zystischen Entartung. So muß
langdauernde chronische Kongestion nach dem Ovarium bei sonst un¬
veränderter Stärke des sympathischen Impulses zur Abschwächung
oder Aufhebung der Follikelruptur führen und damit Sterilität bewirken.
E. Klaften (Wien), Ur»chrnniaa8«cheidung bei Frauenkrankheiten.
W. kl. W. Nr. 19. Besonders bemerkenswert ist die d : agnostische und
prognostische Bedeutung der Urochromogenausscheidung bei Puer¬
peralsepsis. In leichten Fällen wurde Urochromogenauscheidung stets
vermißt, in den schweren ging die Urochromogenausscheidung immer
frühzeitig zurück, wenn der Ausgang günstig war. Narkose und
Röntgenbestrahlungen vermögen die vorher fehlende Urochromogen-
aysscheidung hervorzulocken. In progredienten, vorgeschrittenen von
Lungentuberkulose und bei Bauchfelltuberkulose, ebenso bei Karzinom
ist die Reaktion häufig positiv. Akute Infektionskrankheiten führen
nicht zur Urochromogenausscheidung.
R. Th. v. Jaschke und R. Salomon, Flaortberapie und Bazillosan.
Zbl. f. Gyn. Nr. 16. Polemik gegen Loeser.
Krankheiten der Ohren.
Th. v. Liebermann (Budapest), Operativ behobene vollkommene
Taubheit infolge Gehörkoöchelcbenfixation. Kl. W. Nr. 22. Kasuistik.
Haut- uud Venerische Krankheiten.
♦♦ Hermann Schall (Königsfeld), Die Fortpflanzung. Die Ge¬
schlechtsorgane des Menschen und ihre Krankheiten.
Stuttgart J. B. Metzler, 1922. 271 Seiten mit 4 Tafeln und 170 z. T.
mehrfarbigen Abbildungen. Geb. M. 80.—. Ref.: Mamlock (Berlin).
Das Buch wendet sich jm Grunde an zwei verschiedene Leser¬
gruppen: Die ersten sieben Kapitel, das VII. übrigens nur bedingt,
eignet sich zur Belehrung des Nichtfachmannes, insbesondere wenn er
als Lehrer oder Erzieher die Jugend mit dem Geschlechts- und Fort¬
pflanzungswesen des Menschen vertraut machen will. Kapitel IX—XIII
handeln von Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett und sind schon
durch die Illustrationen als Unterweisung für Hebammen und Pflege¬
rinnen anzusehen; ob der angehende Mediziner Zeit und Lust hat,
neben den unmittelbar auf seine Bedürfnisse zugeschnittenen Werken
auch solch Allgemeinverständliches zu lesen, scheint fraglich. Selbst
die Darstellung der Mißbildungen, die ihn vielleicht noch am ehesten
interessieren könnte und die für die beiden erstgenannten Kategorien
von Lesern doch nur untergeordnete Bedeutung hat, bringt ihm nicht
viel. Umgekehrt ist für den Laien manches entbehrlich.
H. Citron (Berlin), Methodik für die Gewinnung der Wasser-
mannsnbstanz. KLW. Nr. 22. 1. Bei der Filtration eines Wassermann-
Hauptversuches durch Kieselgur wird aus einem positiven Serum stets
das Antigen zurückgehalten, aus einem negativen Serum in der Mehr¬
zahl der Fälle nicht. Weswegen negative Sera nicht gleichmäßig
reagieren, läßt sich zurzeit noch nicht übersehen. 2. Ein Syphilisserum
reagiert stets nach der Formel —1—1—{—f-, —, —. Ein von dieser Formel
abweichendes Ergebnis beweist einen Arbeitsfehler.
Kinderheilkunde.
K. Klare, Prognose der offenen Tuberkulose im Kindesalter.
Beitr. z. Klin d. Tbc. 50 (Jub. Bd.). Nur ein verschwindend kleiner
Teil der Kinder mit offener Tuberkulose überschreitet auch bei monate¬
langer Heilstättenbehandlung die Schwelle des Pubertätsalters.
Hygiene.
P. Uhlenhuth und E. Hailer, Desinfektion mit tuberkulösem
Auswnrf infizierter Wäsche. Beitr. z. Klin. d. Tbc. 50 (Jub. Bd.). Das
Alkali-Lysol und Parmetol eignen sich auch zur Desinfektion mit
Auswurf infizierter Wäsche, und zwar anscheinend sogar in 3°/ 0 iger
Verdünnung bei 2—4 ständiger Einwirkungszeit.
□ igitized by Gougle
Original fro-m
CORNELL UNIVERSSTV
818
LITERATURBERICHT
Nr. 24
Kritische therapeutische Rundschau.
Werner Schultz, Bronchialasthma und Lumbalpunktion. Th. d.
Gegenw. 1922 S. 92. — Felix Klewitz, Röntgenbestrahlung bei
Asthma bronchiale. M. m. W. 1922 S. 305. Es ist sicherlich gut, wenn
der Praktiker ein großes Arsenal von physikalischen und arzneilichen
Heilmethoden und Heilmitteln zur Behandlung des Bronchialasthmas
zu seiner geistigen Verfügung hält. Bald hilft Röntgenbestrahlung
des Brustkorbs, auf die Klewitz erneut hinweist, bald eine solche
der Milz; medikamentös kommen bekanntlich besonders die Jod¬
präparate, das Atropin sowie besonders das Kalzium für die Dauer¬
behandlung außerhalb der eigentlichen Anfälle in Betracht. Wenn
Werner Schultz auf die heilende Wirkung des Höhenklimas bei
Bronchialasthma aufmerksam macht, so ist daran zu erinnern, daß es
häufig der Klimawechsel als solcher ist, der einen günstigen Einfluß
auf das Leiden ausübt. Senator pflegte in seinen Vorlesungen zu
sagen, daß Asthmatiker, die von der Küste kommen, sich in Berljn
oft Wohlbefinden, ohne daß Berlin doch ein klimatischer Kurort sei.
Von Interesse erscheint, daß Werner Schultz in drei von vier
Fällen eine günstige Beeinflussung des Bronchialasthmas durch
Lumbalpunktionen beobachten konnte. M.
Wilhelm Hildebrandt und Wilhelm Geulen, Behandlung
großer Lungenabszesse nach Grippe. M. Kl. 1922 S. 304. Wer auch
nur einige Erfahrungen in der Behandlung von postgrippösen Pleura¬
empyemen hat, weiß, daß diese durch einfache Punktionen ohne
weitere Eingriffe zurückgehen können. Hildbrandt und Geulen
teilen eine lehrreiche Beobachtung mit, die, wie die Autoren mit
Recht betonen, zeigt, daß man bei ausgedehnten Eiterungen nach
Grippepneumonie mit operativen Eingriffen weise Zurückhaltung üben
muß. Ein Kranker, dessen Abszeßhöhle in der linken Lunge sich
gut in rechter Seitenlage bei abwärts gesenktem Brustkörbe ent¬
leerte, wurde angewiesen, diese Lage im Bett einzunehmen und
dabei die Hände auf den Fußboden aufzustützen. Durch diese
Tieflagerung des Brustkorbs, verbunden mit Seitenlagerung, eine
Methode, auf die zuerst Quincke zur Behandlung von Lungen¬
abszessen hingewiesen hat, gelang es, im Verein mit Terpentin¬
einatmungen, eine ausgezeichnete Wirkung zu erzielen. M.
D. Kling, Kobienbehandlunr der Ruhr. M. Kl. S. 46. Die Er¬
gebnisse seiner Beobachtungen führen den Autor zu dem Ratschlag,
„die Kohlenmedikation aus der Ruhrbehandlung zurückzuziehen“. Diese
Fassung einer individuellen Anschauung wird man in diesem Falle
nicht anders als unverantwortlich bezeichnen dürfen; denn
wenn der Autor dieses Resultat durch seine theoretischen Erwägungen
gestützt zu haben glaubt, so wird man demgegenüber gerade das
Gegenteil behaupten müssen: es fehlen ihm die Kenntnisse der experi¬
mentellen Grundlage dieser Therapie, die gerade in der für Ruhr
anzuwendenden Form mehrfach im Laufe der letzten Jahre mitgeteilt
wurden. Der Hauptfehler in den hier mitgeteilten Untersuchungen
liegt darin, daß Kling die Kohle bei Ruhr zu einer Zeit zur An¬
wendung brachte, wo ihre Anwendung gar nicht mehr berechtigt ist.
Diese „Nichtberechtigung“ oder, besser gesagt, die Aussichtslosig¬
keit der Kohlentherapie im Stadium der ausgedehnten Geschwüre
bedurfte aber nicht erst einer neuerlichen Bestätigung, da es ebenso
bekannt wie verständlich ist, die Kohle bei der Ruhr in den allerersten
Stadien der Erkrankung bzw. so frühzeitig als möglich anzuwenden,
solange eben die Krankheitsursache noch i m Darm adsorptionsfähig
ist. Dieser wichtigsten Hauptforderung der Adsorptionstherapie wurde
hier nicht entsprochen. (Beginn der Kohlenbehandlung hier am
8. Tage nach Erkrankung!) Der Einwand, daß eben die frühzeitig
und erfolgreich behandelten Fälle leichte Fälle waren, die auch
ohne diese Therapie ausgeheilt wären, und die daher für die Be¬
wertung dieser Therapie nicht herangezogen werden können, ist
selbstverständlich unzutreffend, denn aus leichten Fällen werden sehr
oft schwere, und das zu verhindern, ist die Hauptaufgabe der Kohlen¬
therapie bei der Ruhr wie der Adsorptionstherapie überhaupt. Die
unbedingt notwendige Verabreichung eines gut wirksamen Abführ¬
mittels (Dünndarmmittels) ist ebenfalls eine von allem Anfang an
gestellte Forderung, und ihre Erfüllung ist ebenso wichtig, wie die
gleichzeitige Verabreichung eines Spasmolytikums (Kampfer oder
Atropin) zur Beseitigung der Dünndarmspasmen (vgl. hierzu auch das
Referat über Kamillosan). Die Mißerfolge, die Kling zu verzeichnen
hat, sind somit die besten Bestätigung für die Richtigkeit jener
Forderungen, die allgemein gültige Grundsätze der Adsorptionstherapie
geworden sind, und deren Anwendung auch dort zu glänzenden
Erfolgen an einem nicht geringeren Materiale geführt haben, wo eben
die pharmakologischen Grundlagen der Adsorptionstherapie volle Be¬
rücksichtigung fanden. Diese Ergebnisse führten, im Gegensatz zu
Kling, nicht zu einer Ablehnung, sondern zu einer begründeten
Empfehlung der Kohlentherapie bei*der Ruhr. Die Modi¬
fikation der Verabreichung der Kohle, die Kling auf Grund der
Anschauungen von Nothnagel und Roßbach aus dem Jahre
1886 „für sonstige Zwecke“ empfiehlt, nämlich Kohle nur in Pulver¬
form und nie in feuchter Form zu verabreichen, ist ebenso falsch, wie die
theoretische Voraussetzung, auf die diese Medifikation aufgebaut ist. Sn.
In unserer „staphylokokkenreichen" Zeit spielt die Behandlung der
Paronychie eine große Rolle. Denn er (Zbl. f. Chir. 1921 Nr. 31,
Sitzungsbericht der Freien Vereinigung Wiener Chirurgen) berichtet
über günstige Erfahrungen mit der schon von Gussenbauer emp¬
fohlenen Drainage der hinteren Nagelfalztasche: Nach Abheben des
Nagelfalz mit einer Meißelsonde, wobei sich gewöhnlich der Abszeß
entleert, wird Borvaseline aufgetragen, dann ein kleiner in Sublimat¬
lösung aufbewahrter Pergamentstreifen soweit eingeschobea, daß er
sich einmal aufkrüllt. Darüber kommt ein Borvaselinelappchen und
weiter ein feuchter Verband mit volarer Spatelschiene. Der Verband
wird alle 12 Stunden von der Fingerspitze her befeuchtet und erst
nach 5 Tagen abgenommen. — Jerusalem fl. c.) verzichtet auf die
Drainage, er legt nach Abheben des Nagelfalz ein Stückchen aus¬
gekochten, mit Salbe beschickten Billroth-Batist auf und darüber einen
Verband an. Im ersten Beginn der Erkrankung sah Jerusalem
Erfolge durch Einträufeln von 10— 20<>/oiger Lapsislösung. v. Eisels-
berg (1. c.) empfiehlt bei beginnender Paronychie Biersche Stauung,
Frank (1. c.) rasches Eintauchen des Fingers in heißes Wasser.
Unter dieser Behandlung dürften die meisten Paronychien ohne Ver¬
lust des Nagels ausheilen und die radikalen Behandlungsmethoden:
Entfernen des Nagels oder Exzision des zentralen Nagelfalz, die
Schlesinger (Zbl. f. Chir. 1921 Nr. 19) empfiehlt, auf einige
wenige Fälle beschränkt bleiben, wo die Infektion schon in erheblichem
Umfang auf das Nagelbett übergegriffen hat. — Kumer (Grenzgeb.
33, H. 1—3) und Volkmann (Grenzgeb.33, H. 5) berichten über
chronische Paronychie, die fast nur beim weiblichen Geschlecht —
häufig infolge Maniküre — auftritt und durch einen soorähnlichen
Spaltpilz hervorgerufen wird. Bei diesem recht quälenden und lang¬
wierigen Leiden ist der ganze Nagelwall entzündlich geschwollen,
dabei besteht geringe Eiterung; manchmal sind mehrere Finger be¬
fallen. Volkmann empfiehlt Behandlung mit Argentum-nitricum-
Salbe. Referent sah gute und schnelle Erfolge nach Betupfep mit
Argentum-nitricum-Lösung und Höhensonnenbehandlung. P.
Hofbauer, Ovarialtheraple klimakterischer Toxikodermien. Zbl.
f. Gyn. 1922 Nr. 14. Hof bau er ist es gelungen, zwei Fälle präklimak¬
terischer Dermatosen durch Injektionen von Ovoglandol zur Heilung
zu bringen. Die guten Erfolge, die Luithlen bei ähnlichen Affek¬
tionen erzielen konnte, führt Luithlen in der Mehrzahl der Fälle
auf Kombination von Organ- (Eierstock, Schilddrüse und Hypophyse)
und Kolloidtherapie zurück. Eine möglichst vielseitige Nachprüfung
dieser Erfahrung erscheint wünschenswert, vor allem im Hinblick am
die Wirksamkeit der Organtherapie nach Abschluß der Wechseljahre. L.
Zieler und Birnbaum, Yatren. (Zwei Fälle von akuter gelber
Leberatrophie nach intravenöser Anwendung.) M. m. W. 1922 Nr. 18
Bei den beiden im Thema erwähnten Fällen handelt es sich um
2 Frauen, von denen die eine wegen Urethra- und Zervikalgonorrhoe
der Yatrenbehandlung unterworfen wurde. Beide Fälle kamen ad
exitum. Die Verfasser schließen aus diesen Erfahrungen auf eine
starke Giftigkeit der Yatrenlösung bei intravenöser Anwendung und
ermahnen zu peinlicher Beachtung der geringsten Nebenerschei¬
nungen, vor allem von seiten der Leber. Daß auch die Nieren¬
funktion beobachtet werden muß, hat seinerzeit Bauereisen her¬
vorgehoben. Irgendwelche Vorteile der intravenösen Yatrenbehand¬
lung des Trippers sind den Verfassern nicht aufgefallen. L.
R. Cords, Therapie der Conjunctivitis vernalis. Klin. Mbl. f.
Aughlk. 66 S. 470. — Wachtler, Therapie der Conjunctivitis vernalis
mit Afenil. Ebenda 67 S. 446. — Pichler, Afenil gegen Frfihjahrs-
katarrh. Ebenda 67 S. 447. — Egtermeyer, Klinische Erfah¬
rungen mit Afenil bei Frfihjahrskatarrh und Heufieberkonjunktivitis.
Ebenda 67 S. 448. Das Afenil, das in Ampullen von 10 ccm in 10°| 0 iger
Lösung in den Handel kommt, ist ein Chlorkalziumharnstoff, durch
intravenöse Injektionen (1—3) soll man dasselbe erreichen, wie
durch monatelanges Einnehmen von Chlorkalziuin. Unerwünschte
Nebenwirkungen wurden nicht beobachtet, während des Einströmens
geben die Kranken ein vor allem im Munde lokalisiertes Wärme¬
gefühl an. — Bei dem chronischen, oft sich durch viele Jahre hin¬
ziehenden sog. Frühjahrskatarrh der Augen mußte man sich bisher
auf Linderung der Beschwerden oder den lästigen, Luft und Licht
abschließenden Verband beschränken, nach dessen Fortlassung das
Leiden rezidivierte. Nach den vorliegenden Veröffentlichungen ist
in hartnäckigen Fällen ein Versuch mit Afenilinjektion gerechtfertigt.
Absolut sicher ist der Erfolg nicht, da unter der kleinen Zahl der
behandelten Patienten einer Reihe von schnell einsetzenden Heilungen
ebensoviel Mißerfolge, bei welchen das Krankheitsbild unverändert
blieb, gegenüberstenen. — Egtermeyer, der bei Frühjahrskatarrh
keine Besserung mit Afenil erzielte, konnte dagegen bei vier Fällen
von Heufieberkonjunktivitis in 3 Fällen durch 1 oder 2 Injektionen
die Anfälle völlig kupieren, im 4. Falle trat nach Besserung ein
Rezidiv ein. G. Abelsdorff (Berlin).
Benedek (Leipzig), Eadolombale Salvarsanbehandlunr. M. m. W.
Nr. 2. Benedek beschreibt zunächst das von ihm verbesserte Instru¬
mentarium zur Lumbalpunktion, bei dem er auf weite Kanülen be¬
sonderen Wert legt. Er erhält dadurch schnell die zur Verdünnung
der Salvarsanlösung erforderliche Liquormenge (90—150 ccm). Endo-
lumbal behandelt wurden von Benedek bisher 13 Fälle, und zwar
3 von Meningitis luetica, 5 von Lues cerebri und 5 von Tabes.
Im Durchschnitt erhielt jeder Patient 3—7 endolumbale Infusionen
in 14tägigen Abständen. Bei den von Benedek angewandten
kleinen Salvarsandosen waren die Nebenerscheinungen gering, doch
wird von einem Todesfall berichtet, der allerdings, wie Benedek
glaubt, nicht unmittelbar durch die Infusion herbeigeführt sein soll.
In einer späteren Arbeit soll über die therapeutischen Erfolge be¬
richtet werden. Ehe diese nicht vorliegen und als eindeutig günstig
und mit den bisherigen Methoden nicht erreichbar anerkanntwerden müs¬
sen, wird die ab wartende Haltung der allermeisten Therapeuten der endo-
lumbalen Behandlung!gegenüber nicht aufgegebenjwerden können. H.H.
Digitized by
C o gle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
r
VEREINS- UND KONGRESSBERICHTE
Redigiert von Ober-Reg.-Med.-Rat Dr. O. Strauß.
Berlin, Medizinische Gesellschaft, 17. V. 1922.
Aussprache über den Vortrag von Dührssen: Oie neue Geburts¬
hilfe. (Vgl. Nr. 15 S. 507 u. 23 S. 787.)
Ham bürger spricht über die Möglichkeiten zur Bekämpfung des
Kindbettfiebers.
Bumm: Dührssen hat die Behauptung aufgestellt, daß durch den
vaginalen Kaiserschnitt 50000 Kinder gerettet werden können. Nach
den Statistiken des Reichsamts starben 1913 von über 1 Million Geburten
55000 Kinder. l j a davon kamen tot zur Welt infolge Erkrankungen
der Mutter. Diese sind operativ nicht zu retten. Die Mehrzahl der
*/ ? anderen geht infolge der Kindslage zugrunde. Das Herausziehen
aieser Kinder ist die Ursache ihres Todes, und hierauf hat der vaginale
Kaiserschnitt keinen Einfluß. Bumm glaubt, daß durch diese Methode
höchstens 2—3000 Kinder gerettet werden können. Die neue Geburts¬
hilfe, von der Dührssen hinsichtlich seiner Methode gesprochen hat,
hat die vaginalen Methoden völlig verlassen, hat sich von der Furcht
vor dem Peritoneum frei gemacht und ist zum abdominellen Kaiserschnitt
übergegangen, der nur eine sehr geringe Mortalität aufweist. Man soll
möglichst wenig operieren, .wenn aber operiert werden muß, so ist der
abdominelle Kaiserschnitt die Methode der Wahl. Der vaginale Kaiser¬
schnitt ist eine glänzende Methode für die schnelle Entbindung Mehr¬
gebärender. der suprasymphysäre Kaiserschnitt hat aber alles überholt.
Abel:*Mit dem vaginalen Kaiserschnitt ist eine neue Epoche der
Geburtshilfe angebrochen, denn es gelingt mit dieser Methode, in jedem
Stadium der Geburt den Uterus zu entleeren, wenn nur Weichteil¬
hindernisse bestehen. Allerdings ist die Operation technisch schwieriger,
bei genügender Uebung ist sie aber durchaus nicht gefährlicher als
der abdominelle Kaiserschnitt. Die wichtigsten Indikationen des vagi¬
nalen Kaiserschnittes sind Placenta praevia und schlechte Erweiterung
des Muttermundes infolge von NarbenZügen usw. Es können in der
Tat viele Kinder mit dieser Methode gerettet werden, natürlich ins¬
besondere, wenn jede pathologische Geburt in die Klinik kommt. Da die
Bereitstellung von Betten Schwierigkeiten machen könnte, so werden sich
die von Dührssen angeregten geburtshilflichen Ambulatorien empfehlen.
Dies mußte in guter Zusammenarbeit mit dem praktischen Arzt geschehen.
Liepmann: Für den Privathaushalt eignen sich die Dührssenschen
Methoden nicht. Man soll solange wie möglich die natürliche Geburt
abwarten. Das Kindbettfieber ist bedingt durch die Schwierigkeiten
der Asepsis, insbesondere im Haushalt. Bei Benutzung der aktiven
Methoden wird das Kindbettfieber noch zunehmen. Die Nachbehand¬
lung schwieriger Geburten muß der Klinik verbleiben.
Max Hirsch: Mit der Rettung von Kindern durch eine Operations¬
methode kann man keine Bevölkerungspolitik treiben. Man muß fragen,
wie die Methoden auf die Fortpflanzungsmöglichkeiten und den Fort¬
pflanzungswillen wirken. Nur 40°/ 0 der Frauen, die mit dem abdomi¬
nellen Kaiserschnitt entbunden worden sind, kommen nach einer Statistik
der Gießener Klinik noch einmal zur Geburt. Unter dem gleichen
Gesichtspunkt müssen die anderen Vorschläge beurteilt werden.
Fritz Schlesinger: Unmöglich können alle Geburten in der
Klinik stattfinden., Da müssen die Geburtshelfer den Praktikern die
Wege weiseh. Die Muttermundinzisionen Dührssens waren eine
Erlösung für den Praktiker. Um das Kindbettfieber zu bekämpfen,
sollte man den Hebammen die innere Untersuchung verbieten.
Hammerschlag: Ganz kann man den Hebammen die innere
Untersuchung nicht verbieten, weil zahlreiche Geburten von Hebammen
allein ausgeführt werden. — Hammerschlag hat den vaginalen
Kaiserschnitt sehr häufig ausgeführt, hat aber immer wieder gefunden,
daß große Schwierigkeiten entstehen können, die das Leben der Mutter
gefährden. Die Methode wird daher nicht Allgemeingut der Praktiker
werden können. Hammerschlag selbst wendet die Methode jetzt
nur noch an, wenn das Kind noch nicht ausgetragen ist Zum Schluß
spricht er sich dafür aus, daß die Ausbildung der Mediziner in der
Geburtshilfe unbedingt verbessert werden muß.
Hamburger weist darauf hin, daß nach der Statistik auf dem
Lande weniger Frauen an Kindbettfieber sterben als in der Stadt.
Dührssen: (Schlußwort). Dresel.
XXXIV. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Innere
Medizin, Wiesbaden, 24.-27. IV. 1922.
Referent: Dr. Dresel,
Assistenzarzt an der II. Medizinischen Klinik der Charitl (Berlin).
(Fortsetzung aus Nr. 23.)
Schade (Kiel): Die Physikochemie des Bindegewebes und ihre
Bedeutung für die Lyinph- und Oedembildnog. Der Quellungsdruck
der Gewebe schwankt außerordentlich. Die QuellungsschwanKungen
sind durch H-lonenänderungen hervorzurufen. Weit größere Diffe¬
renzen sind durch mechanische Belastung zu erzielen. Alle Gewebe
scheinen aus zwei Quellungsantagonisten zusammengesetzt zu sein.
Bei zunehmender Alkaleszenz quillt, bei Säuerung entquillt das Binde¬
gewebe. Die Bedeutung dieser Quellungsvorgänge im Bindegewebe
uegt darin, daß dadurch eine wunderbare Anpassung zwischen Zelle
und Oewebe gegeben ist. Die Abpressung von Lymphe wird hier¬
durch bestimmt. Ebenso ist die Oedembildung auf diese Prozesse
zurückzuführen. Zahlreiche Belege werden hierfür beigebracht.
Högler und Daniel (Wien): lieber Quellungs- und Eutquelluogs-
vorgäoge im Blute nach Zufuhr verschiedener Salze., Mitteilung der
Ergebnisse eingehender Untersuchung über den Einfluß der ver¬
schiedenen Salze auf den Quellungszustand des Blutes.
Nonnenbruch (Würzburg): Ueber Eiweißeinstrom in die Blut-
bahn. Es kommt oft zu einem beträchtlichen Einstrom von Eiweiß
in die Blutbahn (nach Schwitzen, nach kochsalzreicher Trockenkost
usw.). Es handelt sich dabei nicht um einen Flüssigkeitsaustausch
zwisdien Serum und roten Blutkörperchen, wie mit Hämatokrit¬
bestimmungen festgestellt wurde. Das Gesamtbluteiweiß ist keine
konstante Größe. Welche Zellen oder Organe das Eiweiß bilden,
muß noch weiter untersucht werden. Bei der Durchströmung der
überlebenden Leber ließ sich kein Eiweißeinstrom nachweisen.
H. Löhr (Kiel): Ueber die Aenderung der physikalischen Struktur
der Blutflüssigkeit bei der Reizkörpertherapie und Blutkörperchen¬
senkungsgeschwindigkeit. In gemeinsamer Arbeit mit W. Löhr wurde
der Fibrinogengehalt, die Viskosität und Oberflächenspannung in
Plasma und Serum bei all den Fällen untersucht, die mit Beschleu¬
nigung der roten Blutkörperchensenkung einhergehen. Es kamen
hierfür in Betracht experimentell gesetzte Senkungsbeschleunigung im
Anschluß an Reizkörperinjektionen, sterile Operationen, sowie einzelne
Krankheitsgruppen interner und chirurgischer Art. Zunächst wurde
eine Vermehrung des Fibrinogens schon nach einigen Stunden fest¬
gestellt, mit Sicherheit aber nach Operationen am 5. Tage, parallel
laufend mit der Senkungsbeschleunigung. Anderseits ferner eine
wesentliche Zunahme der inneren Reibung nach Erniedrigung der
Oberflächenspannung im Plasma, im Serum nur Vermehrung der
Viskosität in gleichem Sinne, aber nicht der Oberflächenspannung.
Die Refraktion zeigte wechselnde Werte.
Strauß (Halle): Ueber Diurese. Die Diurese nach Zufuhr von
Diuretizis (Euphyllin und Novasurol) wird auf extrarenale Vorgänge
zurückgeführt. Es zeigt sich fast immer eine Verdünnung des Blutes
kurz nach der Injektion. Trinken von Wasser führt zu einer starken
Verdünnung des Blutes.
Oehme und O. Schultz (Bonn): Die Rolle der Blutkolloide bei
der Regulation der Diurese und des Wasserhaushalts. Mit Hilfe der
Refraktometrie und des Heßchen Viskosimeters wurden Aende-
rungen des kolloidalen Zustandes im Serum und ihre Beziehungen
zu-der Diurese im Wasserverbrauch und nach Diuretizis beobachtet.
Die Resultate stehen im Gegensatz zu den Eliingersehen Aus¬
führungen. Die Erythrozyten wurden als wasserspeichernd erkannt.
H. Freund (Frankfurt a. M.): Ueber den Einfluß des Quelluogs-
zustandes der Serumeiweißkörper auf ihr Lichtbrechungsvermögen.
Vergleichende Untersuchungen über die Aenderungen der Viskosität
und des Refraktometerwertes ergaben beim Koffein eine völlige
Parallelität, bei Schwermetallen keine Parallelität der Kurvenformen.
Droßbach (Würzburg): Untersuchungen über die Viskosität des
Blutes. Versuche mit der Heßschen Apparatur. Von 70—200 mm Hg
bleibt der Viskositätswert im Blut konstant und steigt dann erst lang¬
sam, nachher steil an. Im defibrinierten Blut war der Wert deutlich
geringer. Bei pathologischen Prozessen scheint zwischen Viskosität
und dem Transpirationsdruck kein bestimmtes Verhalten zu bestehen,
auch kein Abweichen von der Norm.
Bennhold (Hamburg): Ueber die Ausscheidung intravenös ein-
verleibter Farbstoffe bei Amyloidkranken. Versuche über den Verblefb
eingespritzten Kongorotes und über die Ausscheidungszeit bei ver¬
schiedenen Organerkrankungen. Bei Amyloidose zeigte sich, daß der
t Farbstoffschwund aus dem Serum sehr gesteigert ist. Dies hat zur
* Ursache, daß an den Prädilektionssitzen des Amyloids in Leber, Milz
und Glomeruli eine Anreicherung von Kongorot stattfindet.
Frey (Kiel): Ueber Beziehungen zwischen Organstoffwecbsel und
Blutzirkulation. 1 ccm n/ Milchsäure steigert den Blutdruck, aber
nicht bei intravenöser Injektion. Es scheinen die peripherischen
Nervenendigungen besonders empfindlich gegen die Stoffwechsel¬
produkte des Muskels zu sein. Dies kommt auch für die Herzaktion
weitgehend in Frage.
Heubner (Göttingen): Ueber Messung der Blutgerinnungszeit. Der
vor 2 Jahren demonstrierte Apparat arbeitete noch nicht einwandfrei.
Es zeigte sich, daß die Glassorte und die Dimensionen des Apparates
von Einfluß sind. In der jetzigen Form arbeitet er ganz einwandfrei.
Stüber (Freiburg i. Br.): Experimentelle und kolloidcbemische
Untersuchungen über das Wesen der Blutgerinnung. Es wird gezeigt,
daß das Fibrinferment durch Quellung das Blut zur Gerinnung bringt.
Damit wäre im Gegensatz zu der herrschenden Theorie der Ge¬
rinnungsprozeß ein rein physikalisch-chemischer Vorgang. Dasselbe
wird auch für die Wirkungsweise der gerinnungbeschleunigenden
Substanzen und besonders für den Blutkalk nachgewiesen.
C. Kayser (Berlin): Experimentelle Untersuchungen zur Beschleuni¬
gung der Blutgerinnung. Ausgehend von den Beobachtungen von
Nonnenbruch, der nachgewiesen hat, daß durch Euphyllin bzw.
Aethylendiamin eine Beschleunigung der Blutgerinnung und Ver¬
mehrung des Fibrinferments erzielt werden kann, wurde versucht,
durch gleichzeitige Zufuhr eines zweiten Gerinnungsfaktors eine ver¬
stärkte Wirkung zu erzielen. Es gelang, Aethylendiaminazetat mit
Kalksalzen in eine chemische Verbindung zu bringen. In experimen-
Digitized by Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSSTV
820
VEREINS- UND KONGRESSBERICHTE
Nr. 24
teilen Untersuchungen an Kaninchen konnte festgestellt werden, daß
die intravenöse Injektion von 1 ccm der 10°/oigen wäßrigen Lösung
dieses Präparates alle bisher bekannten blutgerinnungsfördernden
Mittel bei weitem übertraf. Untersuchungen an Menschen zeigten,
daß die intravenöse Injektion von 10 ccm einer 2'»oigen wäßrigen
Lösung unter Innehaltung einer sehr langsamen, mindestens 3 Mi¬
nuten währenden Injektionszeit keinerlei Nebenerscheinungen hervor¬
ruft und den beim Tier festgestellten Effekt in gleicher Weise er¬
reicht. Ein Fall von Hämophilie wurde ganz besonders gut beeinflußt
und die Blutung schon nach wenigen Minuten zum Stehen gebracht.
Besprechung. Lipschütz (Frankfurt a. M.): Hinweis auf
die Beeinflussung von Fermentvorgängen durch Dispersionsverände¬
rung der heterogenen Fermentteilchen, speziell die Wirkung auf die
biologische Oxydationsgeschwindigkeit. NaCl und KCl in 0,5%iger
Lösung bewirkt gegenüber destilliertem Wasser Steigerung um 40°/o,
0,1 prom. CaCL Hemmung um 60°/o; daher ist Ringerlösung in dieser
Hinsicht ein ungünstiges Milieu. Auch die Hormone wirken auf die
Oxydationsgeschwindigkeit spezifisch dynamisch, indem sie den Zu¬
stand der kolloidalen Fermente verändern.
De necke (Greifswald): Im gestauten Arm tritt eine Eindickung, im
anämischen Arm eine Verdünnung des Blutes ein. Die Werte hierfür sind
beim Gesunden sehr konstant. Kranke zeigen große Abweichungen.
Grafe (Rostock): Kleine Dosen von Tuberkulin haben beim
Tuberkulösen schon eine Aenderung der Senkungsgeschwindigkeit
zur Folge. Dies ist differentialdiagnostisch verwertbar.
Heubner (Göttingen) warnt vor einer Ueberschätzung der
Quellungsvorgänge usw. — Auch von amerikanischer Seite ist schon
darauf hingewiesen worden, daß die Kalziumfällung allein die Blut¬
gerinnungsverhinderung nicht erklärt.
Schürer (Mühlheim): Die Senkungsgeschwindigkeit kann nicht
allein durch das Fibrinogen bedingt sein.
Thannhauser (München): Eine gichtische Schrumpfniere hatte
auf Novasurol keine Diurese, aber eine Verdünnung des Blutes. Ein
anderer Nierenkranker hatte eine Veränderung des spezifischen Ge¬
wichts des Harns ohne Diurese. Das Novasurol ist aber bei Nierenkranken
unbedingt kontraindiziert, seine Anwendung ein schwerer Kunstfehler.
CI. Meyer: Mit Zunahme der Azidität des Blutes nimmt die Viskosi¬
tät ab, während das Blutkörperchenvolumen zunimmt. Das Maximum
dieser Veränderung fällt mit dem von lonenverschiebungen zusammen.
Ellinger (Schlußwort).
Schade (Schlußwort).
Schottmüller (Hamburg) macht Mitteilung über den günstige!*
Verlauf der Aortitis luica, wenn diese mit Salvarsan behandelt worden ist.
Boruttau (Berlin): Bemerkung zu den Vorträgen von Schäf-
fer, von Citron und Neukirch.
Mobitz (München).
Wenckebach (Wien) spricht über die Interferenz zweier Kur¬
ven im Anschluß an den Vortrag von Mobitz und über die Genese
der Hypertension.
Volhard (Halle) glaubt, daß neben der Heredität auch exogene
Momente bei der Hypertension mitspielen. (Fortsetzung folgt.)
46. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie,
Berlin, 19.—22. IV. 1922.
Berichterstatter: San.-Rat Dr. H. Stettiner (Berlin).
Dritter Sitzungstag.
Wullstein (Essen): Ueber Mu«kelVerpflanzung. Indikationen für die
Muskelüberpflanzung geben 1. Kinderlähmung, zerebrale wie spinale,
2. Lähmungen nach Apoplexie, 3. traumatische Veränderungen, 4. spa¬
stische Lähmungen, 5. progressive Muskelatrophie, 6. multiple Sklerose,
7. Skoliose, 8. angeborene Fußdeformitäten (Klumpfuß, Plattfuß),
9. ischämische Kontrakturen, 10. Genu recurvatum. Lähmungen nach
Apoplexie hat Redner bisher nicht operiert. Die Wirbelsäulenfälle,
welche vorgestellt werden, sind noch frischen Datums, sodaß er ein
definitives Urteil über sie nicht fällen will. Das Hauptmaterial bilden
die Kinderlähmungen, welche im Industriegebiet zu Hause sind und
wo 1909/10 große Epidemien herrschten. Man darf die Muskel¬
überpflanzungen nicht mechanisch machen, sondern soll sich für jeden
einzelnen Fall überlegen, wie man Vorgehen will, obwohl es auch
Vorkommen wird, daß man noch während der Operation den ur¬
sprünglichen Plan ändern muß. Im allgemeinen soll der Plan aber
genau vorher überlegt sein, zumal wenn, wie meist, mehrere Ope¬
rationen erforderlich sind, genau die Reihenfolge derselben vorher
bestimmt sein. Der oft mit der zerebralen Kinderlähmung verbundene
Idiotismus verdirbt die Operationserfolge. Nichtsdestoweniger wird
man auch in diesen Fällen oft aus sozialen Gründen zur Operation
schreiten. Es werden zunächst verschiedene Muskelverpflanzungen
am Rumpfe gezeigt: Ersatz des Kukullaris (Trapezius) durch den
Sternokleido und Levator scapulae und Rhomboideus major unter
Fixation des Schulterblattes durch den Latissimus dorsi. Totalskoliose
der Wirbelsäule durch beiderseitigen Latissimus dorsi unter Mit¬
verwendung des Levator scapulae oder Teres major und Cucullaris.
Den Ersatz des Levator durch den Pectoralis major nach Samter
(Königsberg) hatte er nicht Gelegenheit auszuführen. Als Ersatz für
den gelähmten Deltoides ist von Hildebrand der Pektoralis emp¬
fohlen. Derselbe ist aber bei Kinderlähmungen meist auch betroffen.
Daher hat er für ihn den Kukullaris oder, wenn auch dieser nicht
benutzbar, den Splenius capitis genommen. Jedenfalls soll man, wenn
irgend möglich, die Arthrodese vermeiden und, falls keine Muskel¬
überpflanzung möglich, lieber die Tenodese anwenden. Die freie
Muskeltransplantation (Gluck, Hildebrand) hat sich nicht halten
können. 1901 versuchte man daher Muskel unter Erhaltung des
Nerven zu verpflanzen, aber aucn dies genügte nicht, wie Versuche
von Hildebrand lehrten. Die Qgfäße müssen mit überpflanzt
werden. Es ist nun die Frage, ob die den Nerven begleitenden Ge¬
fäße allein genügen. Für einen Teil der Fälle scheint dies der Fall
zu sein. So nahm er zum Ersatz des Bizeps und Brachialis internus
die sternale und abdominale Partie des Pectoralis. major, ohne die
Stammgefäße erhalten zu können. Es folgen Vorstellungen von einer
großen Anzahl von Kindern, an denen fa§4t alle Arm- und Hand¬
muskeln durch Ueberpflanzung anderer Muskeln erfolgreich ersetzt
oder erst teilweise ersetzt sind, während noch weitere Operationen
in Aussicht genommen sind. Es kommt bei allen Muskelverpflanzungen
darauf an, daß an der Ansatzstelle möglichst Periost oder Knochen
mit entfernt wird und daß dem überprlanzten Muskel die richtige
Spannung gegeben wird. Ein besonderes Verfahren erfordern die
spastischen Lähmungen. Der spastische Muskel ist nicht gelähmt.
Bei ihm darf «iemals eine subkutane Tenotomie gemacht werden,
höchstens eine Sehnenverlängerung. Zum Ersatz der Hüftbeuger hat
Samter den Obliquus externus genommen, er selbst bediente sich
des Rectus abdominis, während er den Obliquus auf den lleopsoas
setzte. Am Knie hat er zum Ersatz des Quadrizcps den Sartorius,
Semimembranosus und Bizeps herangezogen, während Semitendinosus
und Grazilis als Antagonisten erhalten blieben. Stehen keine Muskeln
zur Verfügung, so ist die Tenodese zu machen, welche am Knie vorne
durch Anfrischung der Patella, im mittleren Teile durch die» Ligamenta
cruciata und hinten durch die C-Knorpel, welche durch ein Knochen¬
bohrloch hindurchgeführt werden, vollendet wird. Bei pathologischer
Luxation der Hüfte hat er in einem Little-Fall den Levator fasciae
latae fest angenäht. Bei Adduktionskontrakturen tritt die Obtura-
toriusdurchschneidung nach Selig in ihr Recht. Zum Schluß wendet
er sich der Operation des angeborenen oder erworbenen Platt- und
Klumpfußes zu. Plattfüße 2. Grades operiert er auch durch Muskel¬
überpflanzung und hatte gute Erfolge bei jungen Mädchen, welche
ein Jahr nach der Operation ihre Plattfußeinlage loswurden und ohne
Beschwerden gehen und tanzen konnten. Ebenso wird mit 100 o; 0
guten Resultaten der Klumpfuß durch Muskelüberpflanzung und
Faszien- und Sehnendurchschneidung, eventuell unter Resektion des
Taluskopfes, zur Heilung gebracht. Wenn die Operationsresultate bei
den oberen Extremitäten noch derartige sind, daß es mannigfaltiger
Eingriffe bedarf, so gibt es für ihn keine Fußdeformität, die er nicht
durch einen Eingriff in einer Sitzung restlos beseitigen kann. (Vor¬
stellung von Kindern im Alter von 6—18 Monaten mit operiertem Klumpfuß.)
Besprechung. Samter (Königsberg) betont ebenfalls die
Wichtigkeit der Mitnahme von Periost und Knochen bei der Muskel¬
überpflanzung und der Verleihung einer gewissen Spannung des
Muskels. Nach 2y 2 wöchiger Ruhigstellung soll mit Bewegungen be¬
gonnen werden. In einem Hüftfalle nahm er den Obliquus zum Er¬
satz der Glutäen und den Rektus für den lleopsoas. Ferner berichtet
er über einen Fall, in dem von Hoffa seinerzeit die Arthrodese
gemacht, dieselbe im nächsten Jahre von Lorenz gelöst und von ihm spä¬
ter unter Korrektur der Beinstellung neuerdings gemacht werden mußte.
Hildebrand (Berlin) spricht seine Genugtuung über die Ent¬
wicklung der Muskelverpflanzungen aus. Er bestätigt das Zugrunde¬
gehen des frei transplantierten Muskels, falls er nicht in Verbindung
mit Arterie und Vene bleibt.
G o e b e 11 (Kiel) erinnert an seinen auf der 84. Versammlung
Deutscher Naturforscher und Aerzte in Münster demonstrierten Fall
von gut gelungener freier Muskeltransplantation. Nach dem Vorgänge
von Jo res und Schmidt hatte er den Muskel vom Tage nach der
Operation an 2mal täglich faradisiert. Aber, immer wird dieser Erfolg
nicht erreicht, wie aus einem Falle hervorgeht, in welchem die Fara-
disierung automatisch alle 5 Minuten erfolgte, ohne den erwünschten
Erfolg zu erzielen. Er glaubt, daß man mit der freien Faszientrans¬
plantation dasselbe erreicht.
Perthes (Tübingen) tritt der von Wu 11stein aufgestellten
Reihenfolge für die Indikation der verschiedenen in Betracht kom¬
menden Operationen bei, an erster Stelle: Muskelüberpflanzung, an
zweiter Tenodese, erst an dritter Arthrodese. Am besten trennt man
bei der Tenodese die Sehnen an ihrem Ansatzpunkte ab, sucht sie
durch einen Knochenkanal zu führen und an einem anderen Punkte
anzuheften. Bei Insuffizienz der Glutäalmuskeln mit Spontanluxation
hat er ihren sehnigen Anteil teils am Trochanter major verknüpft,
teils am oberen Pfannenrande angenäht und so gute Resultate erzielt.
Payr (Leipzig) gibt als Beispiel für die für den Muskel not¬
wendige Erhaltung des arteriellen Zuflusses die Ueberpflanzung des
M. sartorius im Gegensatz zum Grazilis und Semitendinosus. Ersterer
kann ohne Schädigung der Gefäße überpflanzt werden. Man sieht
dann später den hypertrophischen Sartorius, während die anderen
Muskeln der Atrophie anheimfallen. Mit Erfolg hat er auch zu Ge¬
lenkbändern Teile von Muskeln verwendet, so mit Erfolg in 5 Fällen
durch Abspaltung von V* der Bizepssehne.
Schultze (Duisburg) bezweifelt, daß man beim Klumpfuß allein
mit Durchschneidungen und Muskelüberpflanzungen auskommt. Er
hält die Umpressung der Knochen für erforderlich, wie sie von ihm
seit Jahren mit Erfolg geübt wird.
Wullstein (Essen) fordert auf, daß beide im nächsten Jahre über die
Rezidive, vor allem auch die, die der eine vom anderen gesehen, berichten.
Digitized b 1
Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
VEREINS- UND KONORESSBERICHTE
821
16. Juni 1922
Rübs amen (Dresden): Behalten die bei der Harnröhreninsnffizlenz
Dich R. Franz inm>plaouerten Levaturbüadel ihre funktionelle Tätig¬
keit? Von 21 Fällen wurden 9 nach Franz (Wien) operiert. Die über¬
pflanzten Muskeln funktionierten noch nach 4 Jahren.
Schubert (Königsberg): Die bntstehuog der ischämischen Kon¬
traktur. Die ischämische Kontraktur kommt durch verminderte Blut¬
zufuhr zustande, aber es gelingt nicht, im Versuche durch Absperrung
oder Verminderung der Blutzufuhr eine solche herbeizuführen. Meist
kommt es zu Gangrän. Es spielen also dabei noch andere Vorgänge
mit, vermutlich Nervenschädigung. Man hat auch die Verbände für
das Zustandekommen derselben angeschuldigt. Aber es gibt auch
Fälle ischämischer Kontraktur, die nie einen Verband getragen haben.
Dagegen handelt es sich meist um eine Mitverletzung der Nerven
bei der Verletzung. Durch sie wird die genügende Ausbildung des
Kollateralkreislaufes verhindert und so das Auftreten der ischämischen
Kontraktur begünstigt.
Mayer (Charlottenburg): Theorie der Muskelatrophie nach experi¬
mentellen Untersuchungen. Aus den an Katzen und Kaninchen angestellten
Versuchen, welchen fixierende Verbände angelegt wurden, um dann
das Gewicht der Muskel der getöteten Tiere zu bestimmen, ergab
sich ein Zusammenhang zwischen Atrophie und Muskeltonus. Er-
I höhter Muskeltonus macht Atrophie, verminderter Hypertrophie. Der
gedehnte Muskel sowie auch der, dessen hintere Wurzeln durch¬
schnitten sind, verliert seinen Tonus und atrophiert nicht. Hierdurch
ist vermutlich auch die Atrophie der Muskelstrecker zu erklären.
Katzenstein (Berlin): Untersuchungen über die Elastizität von
Gelenkbändern. Die Versuche ergeben, daß dieselbe rechts stärker,
afs links, daß sie bei Kindern absolut und relativ geringer als bei
Erwachsenen ist. Bei Habitus asthenicus konnte eine Schwäche der
Dehnbarkeit und ein Nachlassen der Elastizität festgestellt werden,
ebenso bei Rachitis, sodaß diese direkt auch als eine Erkrankung
der Gelenkbänder aufzufassen ist. Schlechte Elastizität zeigt das
Vas deferens, sodaß die ungenügenden Erfolge der Leistenhoden¬
operation wohl hierin ihren Grund haben. Schließlich zeigte Redner
eine Anzahl von BildeVn von Plattfuß, Genu valgum und varum, in
denen Alkoholinjektionen in die Bänder eine Heilung herbeigeführt
hatten. (Fortsetzung folgt.)
DeutscherTuberkulosekongreB, Bad Kosen, I7.-I9.V.I922.
Berichterstatter: Prof. Dr. Möllers (Berlin).
Unter großer Teilnahme nicht nur der Tuberkulose- und Heil-
stättenärzte, sondern auch der Vertreter, der Reichs-, Landes- und
Kom/nunalbehörden, der Landesversicherungsanstalten, der Kranken¬
kassen, des deutschen Roten Kreuzes und der privaten Wohltätig¬
keitsorganisationen fanden die diesjährigen Versammlungen des deut¬
schen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose in Bad
Kosen vom 17. bis 19. Mai statt.
Erster Verhandlungstag.
Am ersten Verhandlungstage berichtete M. Kirchner (Berlin) in
der Sitzung der Lupuskommission über neuere Untersuchungen,
die er im Institut R. Koch über den Typus der Tnberkelbazillen bei
der Hatttfuherkillose vorgenommen hat. Von 36 untersuchten Fällen
ergaben 23 ein positives Resultat; bei 11 Kranken wurden humane,
bei 12 bovine Tuberkelbazillen festgestellt. Auffallend war der relativ
häufige Befund von abgeschwächten Tuberkelbazillenstämmen.
In der Erörterung teilte L. Rabinowitsch (Berlin) mit, daß
sie seit 1914 23 Lupusfälle untersucht habe, von denen 5 keine
lebenden Tuberkelbazillen enthielten. Von den 18 positiven Fällen
gehörten 12 dem humanen, 3 dem bovinen Typus an, während drei
Stämme als atypisch bezeichnet werden mußten.
Neufeld (Berlin) betont, daß zwar eine große Zahl der Tu¬
berkelbazillenstämme eine Abschwächung im menschlichen Körper
zeige, daß aber in keinem Falle bisher einwandfrei eine Umwand¬
lung des humanen in den bovinen Typus festgestellt sei. Die Ur¬
sache des gelegentlichen Ueberwiegens des bovinen Typus müsse
in örtlichen Verhältnissen liegen.
An der Erörterung beteiligten sich ferner Ziehler, A. Mayer,
Schilling und Weber.
In der anschließenden Tuberkuloseärzteversammlung be¬
gründete His (Berlin) die vom Präsidium getroffene Wahl des Themas
Behandlung der Tuberkulösen außerhalb von Heilstätte und Kranken¬
haus. Das deutsche Volk kann sich bei den großen wirtschaftlichen
Schwierigkeiten nicht den Luxus unwirksamer oder halbwirksamer
Maßnahmen gestatten, sondern muß völlig klar sehen, was die bis¬
her empfohlenen Mittel zu leisten wirklich imstande sind.
Das Hauptreferat über die speziHsche3Behandlung der Tuber¬
kulösen hielt v. Romberg (München), welcher als spezifische Heil¬
mittel einstweilen nur das Tuberkulin und die ihm verwandten, aus
sicheren Tuberkelbazillen gewonnenen Präparate anerkennt. Das
Problem der nützlichen Tuberkulinwirkung aut den Krankheitsherd
liegt in der richtigen Dosierung. Bei der Auswahl der einzelnen
Tuberkulinpräparate wird der verschiedene Gehalt der einzelnen
Mittel an wirksamen Substanzen in die erste Linie gestellt. Die per¬
kutane Methode Petruschkys, die Kutanimpfungen nach Sahli
und Ponndorf gestatten keine ausreichend sichere Dosierung, können
aber doch in geeigneten Fällen Gutes leisten.' Die Einspritzung der
Mittel unter die Haut oder in die Muskeln ist wegen der sicheren
Dosierung das am meisten empfehlenswerte Verfahren. „Das Tuber¬
kulin ist das bei vielen Kranken unentbehrliche spezifische Mittel zur
Förderung der natürlichen Heilungsvorgänge bei der Tuberkulose.
Unsere Sehnsucht gilt einem spezifischen Heilmittel, das wie das
Salvarsan, in den ersten Wochen nach der Syphilisansteckung den
Krankheitserreger vernichtet.“ Dem in Thüringen häufig angewandten
Ponndorfschen Impfverfahren steht der Vortragende skeptisch gegen¬
über. So wenig er bezweifelt, daß in leichten Fällen auch mit Ponn¬
dorf Gutes zu erzielen ist, so betont er doch auf das schärfste die
großen Gefahren der unterschiedslosen Anwendung der Methode bei
allen Formen der Tuberkulose, wozu die oft heftigen Beschwerden
des für den Kranken häufig recht schmerzhaften Verfahrens kommen.
Das Friedmannsche Mittel rechnet Romberg zu den nicht oder
nicht sicher spezifischen Proteinkörpern und sieht nach seiner Wir¬
kung keine Veranlassung es anzuwenden.
In der Besprechung betont,v. Hayek (Innsbruck) die Bedeutung
des Begriffs der positiven und negativen Anergie. Grau (Honnef)
ist ein Anhänger der intrakutanen Behandlungsmethode und möchte
das Ponndorfsche Verfahren nicht so völlig ablehnen. Engels¬
mann (Kiel) macht auf die Wichtigkeit fortlaufender Auswurfunter¬
suchungen für Diagnose, Verlauf und therapeutisches Handeln
aufmerksam. Hold ne im (Berlin) hat seit Jahren in der freien
Praxis mit der ambulanten Tuberkulinbehandlung die besten Er¬
folge gesehen. A. Mayer (Berlin) glaubt, daß die ambulante Tu¬
berkulinbehandlung nicht das leisten kann, was bisher Heilstätten
und Krankenhäuser erreicht haben, v. Drigalski (Halle) hat schwere
Bedenken gegen das in letzter Zeit in steigendem Umfange, oft in
recht heroischer Weise ambulant angewandte Ponndorfsche Ver¬
fahren, weil es keine exakte Dosierung zuläßt. Möllers (Berlin)
begrüßt die Ausführungen v. Rombergs über den praktischen Wert
der spezifischen Tuberkulosetherapie, weil sie geeignet sind, das Mi߬
trauen zu beseitigen, welches sich in manchen Aerztekreisen gegen
das Tuberkulin auf Grund der Ausführungen über die Tuberkulose¬
immunität auf dem vorjährigen Tuberkulosekongreß gebildet hatte.
Die bisher mit der prophylaktischen Anwendung der Tuberkulin¬
einreibungen nach Petruschky gemachten Erfahrungen hält Möl¬
lers. noch nicht für ausreichend und daher weitere Untersuchungen
insbesondere bei pirquetpositiven Kindern für erwünscht. Evers
(Mihla) hat methodische ambulante Tuberkulineinreibungen nach Pe-
truschky in einem ländlichen Bezirk mit bodenständiger Bevölke¬
rung ausgeführt und dabei festgestellt, daß diese Kinder trotz ihrer
ungünstigen Veranlagung sich erheblich besser entwickelten als die
nicht behandelten Jahrgänge.
Bräuning (Stettin) hat seit IV 2 Jahren bei etwa 150 pirquet¬
positiven klinisch gesunden Kindern von offen Tuberkulösen Tuber¬
kulinkuren nach Petruschky gemacht; er hat dabei keinen be¬
sonderen Nutzen, aber auch keinen Schaden gesehen. Bei 4—6 Fällen
trat während der Behandlung — aber nicht infolge der Behandlung —
eine manifeste Lungentuberkulose auf. Gerade in diesen Fällen .war
das Mittel dadurch von Nutzen, daß es diese frischen Erkrankungen
rechtzeitig zur ärztlichen Kenntnis brachte. Roth mann (Gießen)
berichtet über die Tuberkulinbehandlung des Lupus. Petzold be¬
handelt nur Fälle mit kleinen lokalen Herden ambulant.
An Stelle des erkrankten Berichterstatters Liebe übernahm Bac-
meister (St. Blasien) das Referat über Strahlenbehandlung bei Tuber¬
kulose. Er hält alle Strahlenarten für biologisch gleichwertig und
sieht in ihnen kein souveränes Tuberkulosemittel. Das Luftbad ist
die mildeste Form der Lichtbehandlung und dient durch den inten¬
siven Hautreiz zur Abhärtung schwächlicher Personen und zur Kräf¬
tigung des Gesamtorganismus. Die Sonnenbehandlung ist nicht nur
bei der chirurgischen Tuberkulose, sondern auch bei der primären
kindlichen Tuberkulose von besten Erfolgen begleitet. Die Röntgen¬
behandlung übt eine Reizwirkung auf das tuberkulöse Granulations¬
gewebe aus, welches noch nicht zu stark geschädigt ist; sie ist für
ambulante Kuren nicht zu empfehlen. In der Erörterung betont
Junker (Kottbus) die Wichtigkeit der Dosierung der Behandlung
und einer strengen.Anstaltsdisziplin. Flesch-FIebesius (Frank¬
furt a. M.) hält die biologische Wirksamkeit der verschiedenen Strahlen¬
arten für ziemlich gleichwertig. Der Wechsel des Hautreizes stellt
bei der chirurgischen Tuberkulose einen wichtigen therapeutischen
Faktor dar. Rau (Honnef) und Koch (Hohenlychen) haben bei
kritikloser Behandlung mit künstlicher Höhensonne und mit Sonnen¬
strahlen Schädigungen der Kranken gesehen. Böhnke (Berlin)
wünscht gesetzliche Beschränkung der Anwendung der Höhensonne
durch Nichtärzte. Geißler (Höchst) hat viele Fälle von Hilus-
drüsentuberkulose bei Kindern mit Höhensonne behandelt.
Als dritter Referent würdigte Klare (Scheidegg) die Bedeutung
der allgemein-hygienischen Behandlung, indem er auf die Hygiene
der Erziehung, Ernährung und Wohnungsfrage hinwies. Neben der
Isolierung der Bazillenstreuer ist die planmäßige Ertüchtigung der
Jugend besonders wichtig. Klare empfiehlt das „System Jeknneret“,
welches den Hauptwert auf die Verbindung von Sonnenbad mit einer
physischen Erziehung legt. Bei der Behandlung der tuberkulös In¬
fizierten steht die Bewegungskur im Vordergrund, bei den inaktiven
Tuberkulösen im Kindesalter die Ruhekur. Die aktiven Tuberkulösen
mit klinisch und röntgenologisch sicherem Befunde gehören in die
Heilstätte. Mit Dankbarkeit gedenkt Klare der hilfreichen Unter¬
stützung der amerikanischen Quäker. Solange wir nicht von dem
Friedensvertrag von Versailles befreit sind, sieht Klare keine Mög¬
lichkeit, für die Tuberkulösen in dem Maße zu sorgen, wie es die
Hygiene fordert, und die Gesunden vor Ansteckungsgefahren zu
schützen. In der Erörterung macht Loges (Düsseldorf) auf die
Digitized b'
Google
Original from
CORNELL UNIVERSUM
822
VEREINS- UND KONORESSBERICHTE
Nr. 24
Pflicht der Aerzte aufmerksam, immer wieder auf die Gefahren des
Alkohols und des Nikotins für unsere Jugend hinzuweisen. Börn¬
ste in (Berlin) betont, daß die Aerzte nicht nur Wahrheiten pre¬
digen, sondern auch selbst gesundheitsmäßig leben sollen. Schultzen
(Berlin) regt Vorträge und praktische Unterweisungen der prakti¬
schen Aerzte durch die Heilstätten- und Fürsorgeärzte an.
Zweiter Verhandlungstag.
In der öffentlichen Sitzung des Ausschusses besprach Gastpar
(Stuttgart) die Ueberwacbung der Tnberkulosegefährdeten. Da in
weiterem Sinne die gesamte nicht schon an Tuberkulose erkrankte
Bevölkerung als tuberkulosegefährdet anzusehen ist, muß das* öffent¬
liche Gesundheitsfürsorgewesen aus dem Zustand der Zersplitterung
herausgeführt und mit dem öffentlichen Gesundheitswesen und der
Gesundheitspolizei in engste Verbindung gesetzt werden. Nur so
werden die öffentlichen und privaten Mittel, die heute nach dem
Ort der größten Reklame wandern, tatsächlich an der jeweils bedrohten
Stelle eingesetzt. In eingehender Weise schildert dann Gastpar die
mustergültig von dem Stadtarzt von Stuttgart durchgeführte Verein¬
heitlichung des gesamten Medizinal- und Gesundheitsfürsorgewesens.
In der Erörterung spricht sich Bräuning gegen eine Vereinigung
aller Fürsorgeorgane in einer Hand aus und zieht für die großen
Städte das System der Spezialfürsorgestellen vor, deren Zusammen¬
halt beim Stadtmedizinalrat liegen muß. Auf dem Lande kommt da¬
gegen wegen der großen Entfernungen nur das System der Bezirks-
Fürsorge in Betracht. Hillenberg (Halle) wünscht, daß die prak¬
tischen Aerzte auf dem Lande die gesamte praktische Fürsorge über¬
nehmen, während die Leitung des gesamten Fürsorgewesens in den
Händen des Amtsarztes liegen soll. An der Aussprache über die
Ueberwachung der Tuberkulosegefährdeten beteiligten sich ferner
Güterbock (Berlin), Hardrath (Grimma), Lehmann (Düssel¬
dorf), Schulz (Schreiberhau), Peters (Potsdam), v. Drigalski
(Halle), Corvey (Detmold), Kirchner (Berlin), Pfarrer Lehmann
(Bad Liebenstein), v. Romberg (München), Steinebach (Wanne)
und Dohm (Hannover).
Den Hauptvortrag hielt Krautwig (Köln) über die Notwendigkeit
des Zusammenwirkens öffentlicher and privater Kräfte im Kampfe
gegen die Tuberkulose. Zum Wiederaufbau der schwer bedrängten
Volksgesundheit bedarf es eines planmäßigen, alle Kräfte zusammen¬
fassenden Vorgehens in der Gesundheitspflege, einer Oekonoinie der
Wohlfahrtspflege. Die Einzelfürsorge soll zur Familien- und Woh¬
nungsfürsorge unter sachverständiger Leitung zusammengefaßt werden.
Die Städte und Gemeinden bzw. leistungsfähige Gemeindeverbände
müssen mit Zuschüssen von Reich und Staat führend und helfend
vorangehen. Gemeinnützige Vereinigungen kirchlicher und weltlicher
Art sind als Mitarbeiter wertvoll, besonders aber eine Arbeitsgemein¬
schaft mit den Organen der Versicherungsgesetzgebung und den
Krankenkassen.
In der Erörterung wünscht Vogl (Liebenwerda) in Anlehnung an
die Wirtschaftsgebiete in tariflicher Beziehung, z. B. dem des Nieder¬
lausitzer Bergbaureviers, eine Zusammenfassung der großen Industrie¬
zentren Deutschlands zur Bekämpfung der Tuberkulose. Bornstein
(Berlin) macht auf die Landesausschüsse für hygienische Volksbeleh¬
rung und die Blätter für Volksgesundheitspflege aufmerksam.
A. Mayer (Berlin) wünscht, daß für Spenden an wohltätige
Vereinigungen wieder wie früher Steuerfreiheit gewährt wird. Wolff-
sohn (Hamburg) macht auf die Vorzüge der privaten Wohlfahrts¬
organisationen aufmerksam, welche leichter private Geldzuwendungen
erhalten als amtliche Behörden.
Rabnow (Berlin) hält das Zusammenarbeiten der drei Haupt-
träger des Gesundheitswesens in den Gemeinden — Gemeinde, Landes¬
versicherungsanstalt und Krankenkassen — für ein Gebot der Stunde.
Bielefeldt (Lübeck) wünscht, daß der Zusammenschluß der Arbeits-
emeinschaft nicht zwangsweise durch Gesetz, sondern freiwillig
urch Uebereinkommen geschieht, wie es in den Hansastädten der
Fall ist. A. Kohn (Berlin) betont, daß die Krankenkassen gern zur
Mitarbeit bereit sind, wenn die Gemeinden sie heranziehen und als
leichberechtigten Faktor auf dem Gebiete der Wohlfahrtspflege
etrachten. Lehmann (Bad Liebenstein) erklärt die Bereitwilligkeit
der Geistlichkeit, an dem Kampfe gegen die Tuberkulose gemeinsam
mit den Aerzten und Fürsorgeorganen teilzunehmen. Brehme (Altona)
schildert die berufständige Fürsorge im Eisenbahndirektionsbezirk
Altona. Dohm (Hannover) hält die Gewinnung von arbeitsfreudigen
Helfern durch Heranziehung von Männern und Frauen aus dem Volke
für besonders wichtig. Perscheid (Altenkirchen) teilt mit, daß die
vereinigten Krankenkassen des Kreises Altenkirchen im Jahre 1921
4 Mark pro Mitglied dem Gesundheitsamt für allgemeine Wohlfahrts¬
zwecke zur Verfügung stellten. Riedel (Nürnberg) teilt mit, daß die
Mittel zum Betritt) der Fürsorgestelle, des Walderholungsheims und
Kinderheims in Rückersdorf durch einen vom Verein zur Bekämpfung
der Tuberkulose begründeten Zweckverband aufgebracht würden.
Brecke (Stuttgart) schildert die Organisation der in Württemberg
begründeten Arbeitsgemeinschaft der reichsgesetzlichen Versicherungs¬
träger. Bezüglich der Ausbildung der Fürsorgerinnen will B recke
nicht nur auf die fachliche Ausbildung Wert legen, sondern besonders
auf Menschenkenntnis, ein warmes Flerz und Takt.
Dritter Verhandlungstag.
Der letzte Tag der Tuberkulosetagung war zunächst einer Sitzung
der Kommission für die Tuberkulosefürsorge im Mittelstände ge¬
widmet. Nach einleitenden Ausführungen des Vorsitzenden Kircn-
ner (Berlin) hielt Bergemann (Breslau) einen Vortrag über Mittel-
Verantwortlicher Redakteur: Geh. San.-Rat Prot Dr. J. S
standsfürsorge in Vergangenheit und Zukunft, in wel¬
chem er die besondere Notlage des heute so schwer bedrängten
Mittelstandes schilderte, der nicht der Segnungen der sozialen Ver¬
sicherungsgesetzgebung teilhaftig wird. An der Erörterung, bei der
auch die Frage der zweckmäßigen Ausbildung der Tuberkulose¬
fürsorgerinnen behandelt wurde, beteiligten sich v. Romberg (Mün¬
chen), Schultzen (Berlin), Pütt er (Berlin), v. Drigalski (Halle)
und Kirchner (Berlin).
Bei dem anschließenden Fürsorgestellentag, der von der
Kommission für den Ausbau des Auskunfts- und Fürsorgestellenwesens
für Lungenkranke veranstaltet wurde, erstattete nach einleitenden Aus¬
führungen des Vorsitzenden Freund (Berlin) den Bericht über die
Entwicklung des Fürsorgestellenwesens Kayserling (Berlin), dessen
Manuskript durch Hesse (Berlin) verlesen wurde. Kayserling
hält eine wirksame Verhütung der Tuberkulose ohne die gleichzeitige
entsprechende Fürsorge für den Kranken für undurchführbar und er¬
hebt die Forderung, daß allen durch vorgeschrittene Tuberkulose arbeits¬
unfähig Gewordenen das zu einer angemessenen Krankenpflege und
Prophylaxe benötigte Existenzminimum aus öffentlichen Mitteln ge¬
währt werde. In eingehender Weise bespricht Kayserling sodann
die gewaltigen, teilweise mit Unterstützung der Quäker durchgeführ¬
ten Leistungen der Landesversicherungsanstalt Berlin auf dem Gebiete
der Tuberkulosefürsorge. Als einheitlichen Namen schlägt er die
Bezeichnung: „Fürsorgestelle für Tuberkulöse“ vor.
In der Erörterung regt Neufeld (Berlin) die Beteiligung der
Tuberkulosefürsorgestellen an der wissenschaftlichen Forschung an.
Das zweite Thema des Fürsorgestellentages behandelte die Kioder-
fürsorge in deu Tuberkulosefürsorgestellen, zu welchem Stoeltzner
(Halle) vom Standpunkt des Kinderarztes una R. Lennhoff (Berlin)
als Vertreter der Aerzteschaft Stellung nahm.
Stoeltzner hält für die Erkennung der kindlichen Tuberkulose
die Tuberkulinreaktion von ausschlaggebender Bedeutung und emp¬
fiehlt für die Fürsorge besonders die kutane Impfung nach v. Pir¬
quet. Beim Säugling führt so gut wie jede tuberkulöse Infektion zu
einem unaufhaltsam fortschreitenden, tödlich verlaufenden Ausgang.
Im Spielalter sind alle tuberkulinpositiven Kinder als tuberkulös krank
und dementsprechend behandlungsbedürftig anzusehen. Im Schulalter
bedürfen nur die Kinder einer Behandlung, bei denen neben positiver
Pirquetprobe andere Erscheinungen vorliegen, die den Verdacht auf
eine tuberkulöse Erkrankung begründen. Die den tuberkulösen Kin¬
dern zufließenden Lebensmittelzulagen sollten nicht in kohlenhydrat¬
reichen, sondern in eiweiß- und fettreichen Lebensmitteln bestehen.
R. Lennhoff (Berlin) betont die Wichtigkeit des Zusammen-
arbeitens der Tuberkulosefürsorge mit der Säuglingsfürsorge, dem
Schqlarzt und den behandelnden Aerzten. Besonders eingehend erörtert
er die vielumstrittene Frage, ob die Fürsorgestellen auch die Kranken
behandeln sollen, und setzt auseinander, worauf der an manchen Orten
vorhandene Widerstand der Aerzteschaft gegen die Fürsorgestellen
zurückzuführen ist. Lennhoff erwartet von einer Verständigung
zwischen Aerzten und Krankenkassen das Aufhören des jetzt vielfach
vorhandenen Zustandes der Reizbarkeit. Er mahnt im allgemeinen zur
Vorsicht und Zurückhaltung und will die prophylaktische Tuberkulin-
und Strahlenbehandlung nidit wahllos allen Fürsorgestellen überlassen,
sondern nur dem geschulten Facharzt. Nach den bisherigen Feststel¬
lungen üben von 838 Fürsorgestellen nur 12,4o/o die ambulante Tuber¬
kulinbehandlung aus. Lennhoff hält eine grundsätzliche Regelung
der Behandlungsfrage z. Zt. noch nicht für möglich; einige besonders
geeignete Fürsorgestellen sollten gleichsam als Forschungsstellen zu¬
nächst mit der ambulanten Behandlung Erfahrungen sammeln. Das
Tuberkulose-Zentralkomitee könnte sich dann mit dem Aerztevereins-
bund ins Einvernehmen setzen und ein Rahmenabkommen schließen,
das aber an den einzelnen Orten Einzelvereinbarungen offenläßt und
bestehende bewährte Einrichtungen nicht aufhebt.
An die beiden Vorträge schloß sich eine auch den Vortrag
Kayserling umfassende ausgedehnte Aussprache an, an welcher
sich Pütt er (Berlin), Engelsmann (Kiel), Jae nicke (Apolda),
Braening (Stettin), Geißler (Höchst), Steinberg (Breslau),
Illing (Lübeck), Hillenberg (Halle), Osch mann (Erfurt), Sche¬
rer (Magdeburg), Zadek (Berlin), Jacoby (Berlin), Langer (Char¬
lottenburg), Ickert (Mansfeld), Riedel (Nürnberg) und die Referen¬
ten beteiligten. In der Erörterung wurde von mehreren Rednern
(Bräuning, Scherer, Langer) der Auffassung Stoeltzners
widersprochen, daß alle pirquetpositiven Säuglinge eine ungünstige
Prognose darböten. Mit der prophylaktischen Tuberkulinbehandlung
nach Petruschky haben Jaenecke und Hillenberg gute Er¬
folge bei Kindern gesehen. Bei den Wohnungsämtern haben manche
Fürsorgestellen wenig Entgegenkommen bezüglich der besonderen
Berücksichtigung tuberkulöser Familien gefunden. Gegen Uebertrei-
bungen beim Turnunterricht und bei sportlicher Betätigung wendet
sich Scherer (Magdeburg).
Während der Tuberkulosetagung fand in Bad Kosen ein Licht-
bildervortrag über Tröpfcheninfektion von Seiffert
(München), ferner dieVorführungderdreiTuberkulosefilme
von Klare, Dohm und der Ufa mit Begleitvortrag von Bornstein
statt, welche großen Beifall fanden. Anschließend an den Fürsorge¬
stellentag fanden Besichtigungen des Kinderheims des
deutschen Roten Kreuzes in Bad Sulza, der Fürsorge-
steile in Apolda und der Zeiß-Werke und klinischen
Anstalten in Jena statt. Vor der Tagung in Bad Kosen hatten sich
die Tuberkulosefürsorgeärzte in Halle versammelt, hinter¬
her fand die Jahresversammlung der Heilstättenärzte statt
walbe. — Druck von Oscar Brandstetter In Leipxlg.
Digitized by
Google
Original frorn
CORNELL UNIVERSUM
PRAEMEDICUS
Ofüzl«li» Mitteilungen der „Vereinigung Deutscher Medlzlnslprakttkanton" und des „Verbundes Deutscher Medlzlnersoheften"
VERLAG VON GEORG THIEME / LEIPZIG/ANTONSTR. 16
Nummer 10 Freitag, den 16. Juni 1922. 2. Jahrgang
Amtliche Bekanntmachungen
des Verbandes Deutscher Medizinerschaften.
Es wird gebeten, die Berichte über die örtlichen Medizinerschaften,
iür deren Einsendung sich die Herren Vertreter verpflichteten, bal¬
digst an die Redaktion des Praemedicus einzuschicken.
Den Medizinerschaften, die unser Verbandsorgan (Deutsche Medi¬
zinische Wochenschrift) im Laufe dieses Monats nicht bestellen, geht
die D. m. W. am 1. VII. auf unsere Veranlassung zu (lt. Beschluß des
Vertretertags).
Mitgliederversammlung
des Verbandes Deutscher Medizinalpraktikanten
(Ortsgruppe Leipzig)
vom 23. Y. 1922.
T ages Ordnung:
1. Die Verhandlungen über Medizinalpraktikanten-An-
gclegenheiten auf dem diesjährigen Vertretertag des Ver¬
bandes Deutscher Medizinerschaften: Vom Vorstand des
V.D. M.-Pr. nahmen die Herren Krebs und Neumann an dieser
Tagung teil. Herr Neumann hielt ein kurzes Referat über den gegen¬
wärtigen Stand der M.-Pr.-Bewegung. Herr Krebs forderte die Ver¬
treter der einzelnen Medizinerschaften auf, in den betreffenden Städten
(soweit dies bisher noch nicht geschehen ist) auf einen Zusammen¬
schluß der M.-Pr. hinzuwirken. — Auf die im Anschluß hieran eln-
gebrachten Anträge kann ich aus Platzmangel nicht näher eingehen.
2. Bericht über stattgehabte Besprechungen mit dem
Aerzte - und dem. Assistentenverband: a) Es wurde zunächst mit
dem Generalsekretär des Aerzteverbandes verhandelt. Dieser erklärte,
die Aerzteschaft stehe den Bestrebungen des V. D.'M.-Pr. durchaus
wohlwollend gegenüber. Er hielt es für wünschenswert, daß sich
die M.-Pr. an die bestehenden Aerzte- und Assistentenorganisationen
anschlössen, zumal der Praktikant ja eigentlich schon zu den Assistenten
zu rechnen sei. — Wir haben daraufhin dem Aerzteverband ein Schreiben
überreicht, in welchem wir um Angliederung des V. D. M.-Pr. an den
Aerzteverband nachsuchen. Eine Antwort ist bisher,'noch nicht ein¬
gelaufen. b) Auch zu dem Assistentenverband haben wir Beziehungen
angeknüpft. Wir fanden bei ihm ebenfalls freundlichstes Entgegen¬
kommen. — In Zukunft soll an den Vorstandssitzungen dieses Verbandes
regelmäßig ein Vorstandsmitglied des V. D. M.-Pr. teilnehmen. — Auch
ist geplant, eventuell beide Verbände zu einem Kartellverband zu¬
sammenzuschließen.
3. Die Frage der Medizinalpraktikanten-ßezahlung vor
dem „Sächsischen Gemeindetag“: In der für Ende voriger Woche
angesetzten Sitzung des Gemeindetages ist diese Angelegenheit nun
endlich zur Sprache gekommen. — Wir hatten hierzu eine Denkschrift
ausgearbeitet. Außerdem waren befürwortende Schreiben des Aerzte-
und des Assistentenverbandes nach Chemnitz, wo die’Sitzung statt¬
fand, abgegangen. — Hoffentlich haben die Behörden dieses Mal das
erforderliche* Einsehen! *
4. Propagandatätigkeit: Neugegründet: Ortsgruppe Rostock.
«Ferner sind die Medizinalpraktikanten von Elberfeld dem Verbände
beigetreten. — Die Gründung einer Ortsgruppe Dresden ist in Angriff
genommen.
Zur Beachtung! Ich möchte noch darauf hinvveisen, daß wir von jet/t
ab (dank dem Entgegenkommen des Verbandes Deutscher Mediziner¬
schaften) in der Lage sind, unseren Mitgliedern"wesentliche Preis¬
ermäßigungen für Bücher (und zwar wissenschaftliche und schöne
Literatur sowie Noten) und ärztliche Instrumente zu gewähren. —
Bestellungen bitte an die Adresse: V. D. M.-Pr., Leipzig, Krankenhaus
St. Jakob, Liebigstr. 20, Medizinal-Praktikanten-Kasino.
A ufruf!
Zum Schaden unseres Verbandes gibt es leider noch immer eine
Reihe von Städten, deren Medizinalpraktikanten unseren*Bestrebungen
völlig teilnahmslos gegenüberstehen. Wir fordern hiermit die Prak¬
tikanten aller dieser Städte, welche unserem Verbände noch nicht
angehören, dringend auf, sich zusammenzuschließen und unserer
Organisation beizutreten. Das erforderliche Propagandamaterial wird
zur Verfügung gestellt! Neu mann, Schriftführer.
Ueber die Art des Unterrichts in der Geschichte der Medizin.
Von Ober-Reg.-Med.-Rat Dr. W. Haberlin;,
Dozent für Geschichte der Medizin in Düsseldorf.
Als ich in D. m. W. 51 1919 meine Ansichten über die Notwendig¬
keit des medizingeschichtlichen Unterrichts an den .Universitäten ver¬
öffentlichte, gab ich am Schluß meiner Ausführungen auch eine
Uebersicht darüber, wie ich persönlich diesen Unterricht abzuhalten
gedenke. Nachdem nun die drei bedeutendsten Hochschullehrer dieses
Faches in Deutschland sich zu diesen Fragen geäußert haben 1 ) und
der Hallenser Fakultätentag sich mit überwältigender Mehrheit für
ein eigenes Kolleg in der Medizingeschichte ausgesprochen hat, dessen
Ausgestaltung in dem von Lu barsch hervorgehobenen Sinnne drin¬
gend zu wünschen wäre, steht es wohl nunmehr unzweifelhaft fest,
daß endlich die Geschichte der Medizin zu ihrem Recht in den
Unterrichtsplänen kommt, daß sie ein obligatorischer Unterrichts¬
gegenstand wird.
Herrscht in diesem Punkte eine vollkommene Uebereinstimmung,
so stehen sich hinsichtlich der Art, wie dieser Unterricht erteilt
werden soll, zwei Ansichten gegenüber.
Alle drei Hochschullehrer lennen, während ihre Ansichten über
die beste Zeit für die Abhaltung des Kollegs und die Anzahl der für
dieses notwendigen Stunden auseinandergehen, meine Ansicht, daß
„es ersprießlicher ist, an den Gipfelpunkten der Geschichte möglichst
lange zu verweilen und bestimmte Zeiten hervorzuheben, als jedes
Ereignis, auch das des allgemeinen Interesses weniger werte, zu er¬
wähnen“, ab. Sie sind der Ansicht, daß der Lehrgang im Zusammen¬
hänge das gewaltige Gebiet der Geschichte der Heilkunde von den
Urzeiten bis zur neuesten Zeit umschließen muß, daß Sonderkollegien
über einzelne Disziplinen und Zeiten, wie ich sie vorgeschlngen hatte,
nicht angebracht seien.
Diese Aeußetungen sind, weil sic sich auf langjährige Erfah¬
rungen stützen, von besonderem Werte, und, wer das Glück hat,
die ebenso geniale wie packende Art zu kennen, mit der diese Lehrer
unter voller Beherrschung des Stoffes ihre Materie abhandeln, wird
nur wünschen können, daß sie weiter wie bisher ihr großes Thema
in jährlichen Wiederholungen abhandeln und den Studierenden einen
Ueberblick über die Heilkunde und das Schaffen und Ringen der
Aerzte aller Zeiten geben. Aber ist wirklich dieser Weg der einzig
gangbare? Ist der von mir vorgeschlagene Weg, das Interesse der
Studenten dadurch zu fesseln, daß man die einzelnen Zeiten nicht
nur mit ihnen durcheilt, sondern in besonders hervorragenden Epochen
verweilt, nicht auch einer, der zum Ziele führt? Ich glaube doch
diese Frage bejahen zu dürfen, und, wenn ich die Vorlesungsverzeich¬
nisse der einzelnen Hochschulen durchblättere, so findet meine Ueber-
zeugung dadurch ihre wertvolle Stütze, daß andere Lehrer auch nach
diesen Grundsätzen verfahren. So ist an erster Stelle Neuburger
(Wien) zu nennen. Sehen wir uns die Vorlesungen an, die er im
Sommersemester 1919 ankündigte, so lesen wir, daß er Vorlesungen
hielt über: „Klassiker der Medizin, verbunden mit Lektüre ihrer
Schriften“, „Die Medizin in Wien im letzten Jahrhundert“, ..Aus
der Vergangenheit der Pharmazie“, „Die Medizin in der Bibel und
im Koran“. Andere Lehrer sprechen über andere Spezialdisziplincn,
wie Fischer (Wien) über „Geburtshilfe und Gynäkologie im Alter¬
tum“. Ich glaube daner, mit Recht behaupten zu können, daß beide
Unterrichtsarten nebeneinander bestehen bleiben kön¬
nen und müssen! Die Gesamtübersichten über den ganzen Ab¬
lauf der Geschichte der Medizin von ihren Anfängen bis zu Koch
und Lister werden stets ihre Berechtigung haben. Aber eins ist
dabei zu bedenken: Aus allen Veröffentlichungen geht die Tatsache
unweigerlich hervor, daß der gerade durch die Forschertätigkeit
der drei genannten Hochschullehrer ins Gewaltige angeschwoljene
Strom der medizinischen Geschichtskunde die Ufer des einheitlichen
Kollegs zu sprengen droht, daß es überall gilt, diesen Strom einzu¬
dämmen, und daß hierbei wichtige Entwicklungsphasen in der Ge¬
schichte gar nicht oder nur ganz kursorisch behandelt werden können.
Abgesehen davon kann natürlich in einem so allumfassenden Kolleg
ein Arztheld aus der Vergangenheit nicht die Würdigung erfahren, die
ein Sonderkolleg, das sich diesem Geist oder der Zeit," in der dieser
lebte, allein widmet, dafür aufbringen kann. Gerade was ich für so
erstrebenswert halte, den Arzt selbst in seinen Werken und mit
seinen Worten sprechen zu lassen und nicht immer nur über ihn
zu sprechen, kann m. E. nur in Sondervorlesungen erreicht werden.
In dieser Ueberzeugung haben mich meine Vorlesungen der letzten
Semester bestärkt. Nachdem ich in einem Semester „Die ärztliche
*) K. Sudhoff, Jahresk. f. ärztl. Fortbild. Septemherheft 1920. P. Diepgen. M Kl
l920INr.7; Fortschr. d. Med. 1920 Nr. 17; Th.Meyer-Steineg, B. kl. W. 1920 S. 158.
Deutsche Medizinische Wochenschrift Nr. 24
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
824
PRAEMEDICUS
Nr. 10
Kunst zur Zeit des Hippokrates“ geschildert hatte, sprach ich im
nächsten über „Die Geschichte der Chirurgie im Altertum“, dann
über „Die Geschichte des ärztlichen Standes“, um im nächsten
Semester über bedeutende Aerzte aller Zeiten zu reden. Diese Vor¬
lesungen finden das lebhafte Interesse der Zuhörer. Die Erlangung
iler Kenntnis der gesamten Medizingeschichte wird doch stets eine
Sache des Privatstudiums sein und wird sich ganz nach dem Interesse
richten, welches der Studierende überhaupt dem Fach entgegenbringt.
Will er sich einen kurzen Ueberblick verschaffen, so werden ihm
Diepgens 1 ) treffliche Bücher ein vorzüglicher Wegweiser sein.
Will er sich näher mit der Geschichte beschäftigen, so sind die Lehr¬
bücher von Neuburger 2 ) und Sudhof f-Pagel 3 ) hierzu wohl
geeignet. Vor allem aber wird dann den Studierenden ein Werk, wie
das herrliche neu erschienene von Meyer-Steineg-Sudhoff 4 ),
das zum erstenmal in Deutschland neben dem Ergebnis der neuesten
Forschungen das reiche Illustrationsmaterial zur Geschichte berück¬
sichtigt, dem Studierenden Führer und Förderer sein. Natürlich wird
der Lehrer stets bereit sein, besonders interessierte Schüler noch ein¬
gehender zu unterweisen.
Aber ebensowenig wie heut ein Professor der Welt- oder Kultur¬
geschichte sich darauf beschränkt, diesen gewaltigen Stoff im Zu¬
sammenhang vorzutragen — ich erinnere auch daran, wie gerade die
größten, wie ein Jacob Burkhardt, mit dem Thema seiner Vor¬
lesungen abwechselten —, so soll man auch den Unterricht der Ge¬
schichte der Medizin nicht in spanische Stiefeln einschnüren, sondern
jedem Hochschullehrer Gelegenheit geben, in seinem Sinne zum Wohle
des Ganzen zu wirken. Selbstverständlich darf auch der Lehrer, der
nur einzelne Zeiten und Disziplinen abhandelt, nie den Zusammenhang
mit dem Ganzen verlieren und muß immer wieder in seinen Dar¬
legungen auf die Gegenwart hinweisen, die von der Vergangenheit
lernen soll.
Freilich hat der Gedanke einer systematisch über eine große An¬
zahl von Jahren verteilten Darstellung der Geschichte der Medizin
nach Einzelheiten und Einzeldisziplinen einen erheblichen Nachteil,
der heut noch besonders schwer ins Gewicht fällt, wo sich die meisten
Lehrer der Geschichte der Medizin die Stunden für ihren Lehrgegen¬
stand abstehlen müssen, da ihre Mühe hierfür ihnen kein Brot gibt, sie
vielmehr sich durch anderweitige Tätigkeit ernähren müssen. Während
nämlich eine alles umfassende Geschichtsübersicht alle ein bis zwei
Semester erneut vorgetragen werden kann und so die Vorbereitungen
für diese Vorlesungen nur geringe Zeit in Anspruch nehmen, souaß
der größte Teil der vom Broterwerb freigelassenen Zeit der Forscher¬
tätigkeit zugutekommen kann, erfordert die Art, wie ich mir die
Durchführung des Unterrichts denke, alle Semester eine neue zeit¬
raubende Vorbereitung. Hier kämpft das Interesse des Lehrers mit
dem des Forschers. Aber auch hier naben uns die gewaltigen Forscher¬
arbeiten der heutigen Hochschullehrer die Entscheidung leicht gemacht.
Nach meiner Ueberzeugung ist von diesen soviel reines Gold ge¬
schürft worden, daß es nun Sache des Unterrichts ist, dieses in Münze
umzuprägen. Alle die Resultate der Forschungen erfordern aber,
sollen sie das Interesse der Studenten erregen und festhalten, ein
liebevolles Eingehen auf sie während der Vorlesungen. Dieses kann
aber besonders gut in Vorlesungen der von mir vorgeschlagenen Art
geschehen.
Ich hoffe, daß es mir in di.esen kurzen Darlegungen gelungen ist,
nachzuweisen, daß beide Wege, die Geschichte der Medizin zu lehren,
das eine Ziel erstreben und bei ihrer richtigen Durchführung auch
sicher erreichen werden, unsere Studenten wieder mit historischem
Geiste zu erfüllen und sie so zu echten Aerzten, wie sie uns der
Vater der Medizin, Hippokrates, schildert, heranzubilden. Gönnen wir
daher beiden Arten auch ihre Daseinsberechtigung.
i Medizinstudium in Leipzig.
Von cand. med. W. Seemann.
Auf Veranlassung des Verrags will ich versuchen, mit wenigen
Sätzen das Leben und Treiben in den Leipziger Kliniken zu oe-
schreiben, mit Hinweisen auf die sonstigen Verhältnisse, und so
Kollegen, die gern einmal nach Leipzig kommen wollen, an dieser
Stelle einige Auskünfte zu erteilen.
Im Gegensatz zu den kleineren idyllischeren Universitäten ist
Leipzig vor allem „Arbeitsuniversität“. Das soll heißen, wer nach
bestandenem Matur oder Physikum erst einmal mit Ruhe an die
Kollegs herangehen will und nebenbei recht eifrig Wanderungen
unternehmen und sich in die Sonne legen will, der soll lieber andern
Universitäten vor Leipzig den Vorzug geben. Als Großstadt ent¬
behrt Leipzig durchaus der landschaftlichen Schönheit, die einem
Rostock, Jena, Freiburg, Würzburg u. a. bieten. Oder man muß
zu mindest sehr weit von der Stadt wegflüchten.
Günstig ist die zusammengedrängte Lage der medizinischen
Institute und Kliniken. Der Stundenplan wird allmählich mit Be¬
teiligung der Studierenden weiter so ausgearbeitet werden, daß
noch bestehende Kollisionen bzw. absichtliche Kollisionen von Kol¬
legs für erste und fünfte Semester geschaffen werden.
*) Geschichte der Medizin. Sammlung Göschen. Berlin und Leipzig. Altertum 1913
Mittelalter 1914, Neuzeit 1919 - *) Geschichte der Medizin (bisher Altertum und Mittel-
alter) 2;Bände, Stuttgart 1908 und 1911. - •) Einführung in die Geschichto der Medizin
Berlin 1915. — ^Geschichte der Medizin im Ueberblick mtt Abbildungen. Jena 1921.
Für die Schriftieltung verantwortlich: Dr. Hans Hirschberg, Leipzig,
Auf die Besetzung unserer Lehrstühle können wir nur stolz
sein, und es erübrigt sich daher, an dieser Stelle über die wissen¬
schaftlichen und pädagogischen Fähigkeiten unserer Dozenten Worte
zu verlieren. Klagen, die hier und da über die Art des Praktizierens
und ähnliche Punkte ab und zu laut werden, haben ihren Grund
meist, wie überall, in der Unzulänglichkeit des jetzigen Studien¬
plans. Im übrigen pflegen die Dozenten jede Anregung gern auf-
zugreifen und sie zu verwerten. Dazu sorgt noch ein Stab von
zahlreichen tüchtigen beliebten Professoren und Assistenten für Ab¬
haltung einer Unzahl von Kursen. Das ist überhaupt ein Vorteil
in Leipzig, daß es eigentlich nichts gibt, in dem man sich nicht
besonders ausbilden könnte, zu jeder Hauptklinik mehrere Ergän¬
zungsvorlesungen, alle möglichen Kurse usw. usw., man muß sic
nur bezahlen können und Zeit dafür übrig haben. Vor allem ist
auch zu berücksichtigen das außerordentlich zahlreiche Material,
das demonstriert wird. Der Andrang in den Kliniken läßt zum Glück
doch so nach, daß er bald kaum mehr stören wird. Im übrigen
sorgen die andern Fakultäten unserer ehrwürdigen Alma mater
Lipsiensis ebenso für geistige Kultur wie die zahlreichen Bibliotheken,
insbesondere der Universität und der Deutschen Bücherei, eines
Instituts, das seinesgleichen sucht, in dem man einfach alles in
Deutschland Gedruckte, Bücher und Zeitschriften, Wissenschaft,
Kunst, Schöne Literatur, findet.
Die Lebenshaltung ist nicht teurer als anderswo. Zimmermieten
bewegen sich im Durchschnitt zwischen 150—250 M., Mittag- und
Abendbrot gibt es zu billigen Preisen im studentischen Mittags¬
tisch, in den Restaurationen im medizinischen Viertel gibt es Vor-
S reise. Das Arbeitsamt vermittelt Privatstunden und andere
Ite Arbeit.
Die Leipziger Klrmkcrschaft hat sich durch ihr Auftreten recht
beliebt gemacht. Im letzten Semester vermittelte sie zu wesentlich
verbilligten Preisen über 400 Bücher im Gesamtwert von über
20000 M. mit ca. 30—50% Rabatt pro Exemplar an die Kliniker,
abgesehen von der Vermittlung antiquarischer Bücher. Auch für
dieses Semester ist die Bücher- und Instrumentenbeschaffung bereits
im Gang. Durch Privatverträge ist es gelungen, die Schreib- und
Druckkosten für Dissertationen und Dissertationsauszüge erheblich
zu verbilligen.
Besonders fördernd auf das gute Einvernehmen im Medizinischen
Viertel wirken die historischen Feste der Kliniker.. Seit über
70 Jahren findet als Abschluß des Sommersemesters alljährlich das
klinische Vogelschießen statt. Fröhlicher Jahrmarktsbetrieb mit
Schießbude, Ringwerferbude und anderen Allotria leitet das Fest ein.
Dann geht es los auf den Vogel. Es ist immerhin eine Abwechs¬
lung, die Heroen der Wissenschaft hier einmal mit der Armbrust
arbeiten zu sehen. Der Schützenkönig wird feierlichst gekrönt und
in lustiger Prozession auf den Thron geführt. Nach launigen An¬
sprachen kommt das gemeinsame Abendessen. Eine reichhaltige
Tombola (ohne Nieten), eine unbarmherzige Bierzeitung, gemüt¬
licher Betrieb im lampiongeschmückten Garten und je nach der
Stimmung ein Tänzchen beschließen das originelle Fest und damit
das Semester. — Die Weihnachtsfeier erhält durch die Anwesenheit
der Dozentendamen ein etwas anderes Gepräge. Mehrere hundert
Personen füllen den Saal, um sich nach ausgezeichneten Kabarett¬
darbietungen und witzigem Schnitzelbankulk ganz und ausdauernd
dem fröhlichen Tanze hinzugeben.
Auf Grund der vom diesjährigen Vertretertag gegebenen Richt¬
linien wurde auch zu der Vorklinikerschaft insofern in festere Be¬
ziehungen getreten, als Kliniker und Vorkliniker nunmehr zur Medi¬
zinerschaft zusammengeschlossen worden sind. Bei dem allmählich
recht spärlich werdenden Nachwuchs würde die bisherige Trennung
nur zu organisatorischen Schwierigkeiten führen, und die Vereinigung
erleichtert die wirschaftlichen Einrichtungen ganz* außerordentlich.
Der Vorstand setzt sich in diesem Semester zusammen aus Herrn
cand. med. Seemann als 1. Vorsitzenden, Herrn cand. metf. Krapf
als 2. Vorsitzenden, Jierrn cand. med. Fickenwirth als Kassen¬
wart und Fräulein cand. med. Jahn als Schriftführerin. Die Herren
Schmidt und Köhler arbeiten für die Bücherorganisation, Herr
Erncsti für die Instrumentenbeschaffung,* Herr Horst mann sitzt
als unser Vertreter im Asta.
Die Herren Kollegen Matthes, Meißner und Stich bilden^
als Vorsitzender, Kassenwart und Schriftführer den Vorstand der*
Vorklinikerschaft und gehören als ' solcher gleichzeitig dem Vor¬
stand der Medizinerschaft an.
— Berichtigung. In dem Artikel Herszky in Nr. 9 „Zur Frage
des medizinischen Staatsexamens“ muß es heißen: statt „an 6 Kliniken
je 8 Tage = 48 Tage“ an 8 Kliniken je 8 Tage = 64 Tage= 2 l / a Monat.
Entsprechend der Anregung des letzten Vertretertages des Ver¬
bandes Deutscher Medizinerschaften betr. die Herstellung der Disser
tationsauszüge, hat sich der Verband mit mehreren Firmen in Ver¬
bindung gesetzt. Der Verlag G. Thieme, Leipzig, Antonstraße 15 erklär
sich bereit, die pflichtmäßigen 200 Auszüge der Doktorarbeit zu liefern
bei 2 Seiten Umfang für M. 423.50
* 4 „ „ „ „ 741.75
„ 6 „ „ „ .. 1244.25
,. 8 . 1525.90
Diese Preise sind entsprechend der Wirtschaftslage Schwankungen
•unterworfen.
Sidonlenstraße 66,IV. — Druck von Oscar Brandstetter ln Leipzig.
Difitized b 1
Google
Original from
CORNELL UNfVERSITY
Deutsche Medizinische Wochenschrift
Begründet von Dr. Paul Börner
HERAUSGEBER: VERLAO:
Geh. San.-Rat Prof. Dr. Schwalbe GEORG THIEME/LEIPZIG
Berlin-Charlottenburg, Schlüterstraße 53 Antonstraße 15
Nummer 25
Freitag, den 23. Juni 1922
48. Jahrgang
Aus der Dermatologischen Abteilung des Städtischen Kranken¬
hauses in Altona.
Zur Serodiagoose der Syphilis durch Ausflockung.
Von Prof. Dr. Carl Brock.
Bald nach der Bekanntgabe der von Wassermann, Neißer
und m i r entdeckten Reaktion begannen Versuche, die komplizierte
Kornplementbindungsmethode durch einfache Fällungs- bzw. Flockungs¬
reaktionen zu ersetzen. Diese Studien bewegten sich nach drei
Richtungen: Die einen versuchten Fällungen und Flockungen
zwischen Syphilisserum lind solchen chemisch charakteri¬
sierten Substanzen zu erhalten, von dendh man annahm, daß
sie als Bestandteil des „Antigens“ bei der Komplementbindungs¬
reaktion eine Rolle spielen. Hierher gehören die Versuche von
Borges-Meier mit Lezithin, von Elias und seinen Mitarbeitern
mit glykocholsaurem Na, von Herma n-Perutz mit gly-
kocholsaurem Na -f- Cholesterin.
Eine zweite Studienreihe beschäftigte sich mit der Unter¬
suchung von Globulinfällungen. (Klausner: dest. Wasser;
Bruck: Salpetersäure, Milchsäure, Alkohol.) Trotz ihres hohen
theoretischen Interesses haben die Arbeiten dieser beiden ersten
Gruppen zu praktisch verwertbaren Resultaten nicht geführt.
Eine dritte Reihe endlich verzichtet zur Darstellung von
Flockungsreaktionen auf das Arbeiten mit chemisch definierten Sub¬
stanzen, sondern mischt, wie bei der Komplementbindungsreaktion,
SyphiJisserum und Organextrakt und sucht durch bestimmte
Modifikationen der Technik den bei der Komplementbindufigs-
methode nicht wahrnehmbaren Fällungs Vorgang zur
sichtbaren Darstellung zu bringen.
Daß die Wa. R. ihrem Wesen nach auf meist subvisibel
bleibenden Fällungen beruht, haben schon Gay, Moreschi,
L. M i c h a e 1 i s, L i e f m a n n u. a. zu beweisen versucht. Der Erste,
der diese Fällungsvorgänge zu einer optischen Methode ver¬
wertete, war Jacobsthal, der im Ultramikroskop in der
Mischung Syphilisserum + Organextrakt eine eigenartige Schollen¬
bildung nachwies. Im Anschluß an diese Befunde habe ich dann
mit Hidaka 1 ) bereits im Jahre 1911 Untersuchungen darüber ver¬
öffentlicht, wie das bei der Einwirkung von Syphilisserum auf Organ¬
extrakt anscheinend entstehende, ultramikroskopisch sichtbare Prä¬
zipitat makroskopisch zur Anschauung gebracht werden kann.
Wir gingen damals so vor, daß wir 0,2 ccm Serum in physiologischer
Kochsalzlösung mit einer bestimmten Extraktdosis versetzten, 24 Stun¬
den bei 2—4° hielten und elektrisch zentrifugierten. Es
zeigte sich dabei, daß nach Aufschütteln des Zentrifugats bei Syphilis¬
seren eine deutliche makroskopisch sichtbare Flockung einge¬
treten war. während bei Nichtsypnilisseren der Bodensatz in diffuse
Trübung überging. Von 170 nach der W.N.B.-Re. positiv reagieren¬
den Seren zeigten 130 = 77o/o Ausflockung. Von 233 negativen
Seren flockten 11 aus = 4,7o/ 0 ; von diesen waren 7 sichere Syphilis-,
fälle, die übrigen sämtlich syphilisverdächtig. Bei einer Verstärkung
dieser Reaktion durch Zusatz von Mastixlösung ergab sich
eine Uebereinstimmung der positiven Seren in 92o/o der Fälle,
während von 73 negativen Seren 10 Flockung aufwiesen, unter denen
sich 5 Syphilis- und 5 syphilisverdächtige Fälle befanden. Wir haben
damals angesichts des beschränkten Untersuchungsmaterials und der
sich ergebenden, wenn auch nicht sehr erheblichen Differenzen
zwischen Komplementbindung und Flockungsreaktion, die Methode
für eine praktische Verwertung nicht empfohlen, sind aber hier etwas
ausführlicher auf diese Versuche zurückgekommen, um zu zeigen,,
daß die von Mei nicke einerseits und Sachs-Georgi anderseits
ausgearbeiteten Methoden nicht etwa ein neu entdecktes Prinzip
zur Grundlage haben, wie das heute vielfach angenommen zu werden
scheint. Es besteht aber zweifellos das Verdienst von Me in icke
und Sachs-Georgi darin, daß sie durch technische Vervollkomm¬
nungen (Cholesterinierung der Extrakte S.G.; Erhöhung der Serum-
und Kochsalzkonzentration M.) ein schon vor ihnen bekanntes Phä¬
nomen zur praktischen Verwertung reif gemacht haben. Dasselbe
gilt von der Hecht sehen Technik.
’) Bruck und Hidaka, Zschr. f. Tmmun.Forsch. 1911,8, S. 476.
Bei dem hohen praktischen Werte, der den Flockungsreaktionen
beigemessen werden muß, schien es uns daher von Interesse, unsere
älteren Versuche einer nochmaligen Ueberprüfung zu unterziehen
und zu sehen, ob wir nicht mit Hilfe der von uns angewandten
Zentrifugiermethode zu einer einfacheren und schnelleren
Flockungsreaktion gelangen können. Die Versuche wurden unter
dankenswerter Mitarbeit der Laborantin der Abteilung, K. B e h r -
mann, in großen Versuchsreihen ausgeführt.
Zunächst konnten wir die von mir und Hidaka mit der oben
beschriebenen Kältebindungsmethode erhobenen Befunde erneut be¬
stätigen. Es zeigte sich jedoch, daß man auch auf die Kältebindung
verzichten und die Reaktion sofort zum Ablauf bringen kann,
vorausgesetzt, daß man an Stelle alkoholischer Lebe rextrakte alko¬
holische Herzextrakte wählt.
Gibt man in kleine Reagenzröhrchen 0,2 ccm halbst, inaktives Serum,
füllt mit 0,8 ccm physiologischer Kochsalzlösung auf und fügt 1 ccm
einer langsam hergestellten alkoholischen (nicht cholesterinierten)
Menschenherzextraktverdünnung 1:5 (phys. NaCl-Lösung) hinzu, schüt¬
telt um und zentrifugiert 20 Minuten in der elektrischen Zentrifuge,
so erhält man bei allen Röhrchen einen Bodensatz, der nach mehr¬
maligem Umschütteln bei Nichtsyphilisseren in eine diffuse Trübung
übergeht, während bei positiven Seren eine makroskopisch ohne wei¬
teres sichtbare Flockung resultiert. Wir haben diese Reaktion an etwa
1000 positiven und negativen Seren geprüft und haben eine weit¬
gehende Uebereinstimmung mit der Kornplementbindungsmethode
gesehen. Diese Technik hat nur den Nachteil, daß zuweilen auch
bei negativen Seren das auftritt, was Näthan und andere bei der
S.G.R. beobachtet haben und was er treffend als „Ausfetzung“ be¬
schrieben hat, nämlich größere, unregelmäßig gestaltete, weiße
Flocken und Fetzen, die in der aufgeschüttelten Flüssigkeit schwim¬
men, mit der charakteristischen kleinflockigen Reaktion syphilitischer
Seren verwechselt und die Ablesung der Ergebnisse erschweren
können.
Aehnliche Beobachtungen machten K.Meyer sowie Gaethgens,
die 1919 die von uns bereits 1911 zur Darstellung der Flockungs¬
reaktion angewandte Zentrifugiermethode bei der S.G.R. herange¬
zogen. Auch Gaethgens fand, daß man die nach Sachs-Georgi
angesetzten Röhrchen sofort nach der Mischung zentrifugieren und
die Flockung zur Darstellung bringen kann. Es scheint sich jedoch
wegen der hierbei auftretenden Häufung unspezifischer Ausschläge
ihm und anderen (Ruete', Keining) die Zentrifugiermethöde nicht
besonders bewährt zu haben. Es ist auch klar, daß, wenn sich uns
bei der Untersuchung mit gewöhnlichen, nicht cholesterinierten Ex¬
trakten nach der Zentrifugierung die beschriebene Ausfetzung un¬
liebsam bemerkbar machte, difcse Erscheinung um so eher eintreten
wird, wenn man Versuchsröhrchen der die Flockung verstärkenden
Zentrifugierung unterwirft, die schon an und für sich nach einer
auf verschärfte Spontanflockung eingestellten Methode angesetzt sind.
Um nun den Nachteil der Ausfetzung und der durch sie bedingten
etwaigen unspezifischen Ausschläge zu umgehen, haben wir die
Ausschleuderung gewissermaßen umgekehrt, d. h. die entstehen¬
den Flocken nicht als leicht verklebenden Bodensatz des Röhr¬
chens, sondern auf die Oberfläche der Flüssigkeitssäule
ausgeschleudert. Wir erreichen das damit, daß wir an Stelle der
physiologischen Kochsalzlösung, die spezifisch schwere 10 p/o i g c
Kochsalzlösung verwenden. Wir konnten dies« höherkonzentrierte
Kochsalzlösung um so unbedenklicher wählen, als ja Mein icke
die Kochsalzresistenz der Syphilisflocken nachgewiesen hatte. In der
Tat konnten wir uns überzeugen, daß der 10‘Voige Kochsalzgehalt
des Mediums bei der Zentrifugiermethode weder die Entstehung der
Flocken verhindert, noch etwa bereits entstandene wieder zur Auf¬
lösung bringt.
Wir fanden weiter, daß es für die gleich zu beschreibende Technik
vorteilhaft ist, wenn man nicht vor jedem Versuch aufs neue an¬
gefertigte Extraktverdünnung verwendet, sondern sich eine einmal
hergestellte Extraktsuspension in größerer Quantität be¬
reitet, die sich mehrere Wochen konstant hält und als immer gleich¬
mäßiges Testmaterial direkt zum Versuch verwendet werden kann.
Die Technik unserer Reaktion ist daher äußerst einfach
und gestaltet sich folgendermaßen:
Extrakt. Man verwende ausschließlich alkoholische Herz-
extrakte ohne besondere Zusätze, am besten Menschenherz-
| extrakte, obwohl sich auch Pferde- und Rinderherzextrakte als ver-
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
826
DEUTSCHE MEDIZINISCHE [WOCHENSCHRIFT
Nr. 25
wendbar erwiesen. (In der Fleischmaschine fein verarbeiteter Herz¬
muskel wird gewogen, mit Quarzsand gründlich verrieben, mit der
5fachen Menge 96<yoigem Alkohol übergossen und unter täglichem
Umschütteln 14 Tage lang stehengelassen und filtriert.)
Herstellung der für den Versuch zu verwendenden
Extraktsuspension 1:1.
50 ccm Rohextrakt werden in eine trockene Flasche abgemessen
und nun die Hälfte dieser Menge, also 25 ccm physiologische
Kochsalzlösung , unter ständigem Umschütteln der Flasche
langsam (alle drei Sekunden etwa 0,5 ccm) zugegeben. Sind die
25 ccm zugesetzt, so wird nochmals umgeschüttelt und weitere 25 ccm
physiologische Kochsalzlösung rasch zugefügt. Man erhält auf
diese Weise eine vollkommen getrübte Extraktsuspension (1:1),
die in festverschlossener Flasche mit Glasstopfen bei Zimmer¬
temperatur verwahrt und haltbar ist (geprüft bis 2 Monate).
Die Suspension flockt nach einiger Zeit spontan vollkommen aus,
indem die Lipoide sich in der klar werdenden Flüssigkeit zu Boden
senken. Diese Spontanflockung schadet in keiner Weise, nur muß
natürlich die Extraktsuspension unmittelbar vor jedem Versuch wieder
stark umgeschüttelt werden, wobei die Lipoide sich wieder
völlig gleichmäßig verteilen 1 ).
Versuch. Man gibt 0,2 ccm y% Stunde bei 56° inaktiviertes
Serum in ein kleines, etwa 10 cm langes und 1 cm breites Reagenz¬
röhrchen und fügt 0,8 ccm 10o/ 0 ige Kochsalzlösung zu. Nun gibt
man von der eben beschriebenen, gut aufgeschüttelten Extrakt¬
suspension 0,2 ccm zu, schüttelt um und zentrifugiert sofort 20 Minuten
lang in der elektrischen Zentrifuge (bei 15 cm Radius etwa 2500
Umdrehungen). Entnimmt man dann die Röhrchen der Zentrifuge,
so sieht man, daß die Flüssigkeit wasserklar geworden ist und an
der Oberfläche ein weißliches Häutchen schwimmt. Hält man
die Röhrchen nun senkrecht gegen das Licht (am besten vor einen
dunklen Gegenstand) und bringt durch leichtes Schütteln das
Häutchen zur Verteilung, so sieht man, daß es sich bei negativen
Seren wieder in eine diffuse Trübung ohne Flockung auflöst (0),
während es bei positiven Seren in äußerst charakteristische und
ohne weiteres erkennbare kleine Flöckchen zerfällt, wobei je nach
der Stärke der Reaktion die Flüssigkeit an sich völlig klar bleibt
und nur Flocken trägt (-f-4-) oder sich mehr oder weniger trübt,
aber noch deutliche feine Flockung zeigt (-}-)*).
Besondere Kontrollen sind bei dieser Reaktion unnötig, voraus¬
gesetzt, daß die zu untersuchenden Seren klar sind und nicht etwa
an sich korpuskuläre Elemente enthalten! Nur ist es empfehlenswert,
bei jeder größeren Versuchsreihe ein sicher positives und ein sicher
negatives Serum mit anzusetzen.
Besondere Bemerkungen. Serum. Die Reaktion läßt sich
auch mit aktivem Serum und sogar mit frischem Vollblut
(0,5 ccm) anstellen. Nur gibt die aktive Untersuchung im allge¬
meinen schwächere Ausschläge als die inaktive. Es stimmt
dies überein mit der von H. Sachs gemachten Beobachtung, daß
aktive Seren zwar stärkere Komplementbindungs-, aber schwächere
Flockungsresultate ergeben. Die Unterschiede scheinen sich üb¬
rigens bei unserer Reaktion meist nur auf die schwach posi¬
tiven Seren zu beziehen. Stark positive Seren ergaben auch aktiv
meist einwandfrei positive Resultate, wenn auch die Stärke der Re¬
aktion bei der Verwendung inaktiver Seren häufig größer war. Bei
der Einfachheit und Schnelligkeit unserer Technik kann man natür¬
lich den aktiven und inaktiven Versuch vorteilhaft gleich¬
zeitig ansetzen.
Stark hämorrhagische Seren scheinen zuweilen eine leichte
Abschwächung unserer Reaktion zu zeigen, wenn wir auch bisher
noch kein hämorrhagisches Serum geftinden haben, das bei positiver
Wa.R. nach unserer Methode völlig negativ reagiert hätte.
Dagegen fiel die Reaktion bei zwei stark ikterischen Seren
völlig negativ aus, während die Wa.R. positiv war. Es steht dies
vielleicht damit im Zusammenhang, daß die Anwesenheit gallen¬
saurer Salze unsere Reaktion stark zu beeinträchtigen scheint und
daß Leberextrakte im Oegensatz zu Herzextrgkten nicht verwend¬
bar sind.
Die bei der S.G.R. von Nathan gemachte Beobachtung, daß
0,1 ccm oder geringere Serummengen positiv reagieren, während
0,2 negative Reaktion zeigt, haben wir Tbei unserer Methode nicht
*) Die aufpipettierte Extraktsuspension soll möglichst homogen Aussehen oder
höchstens eine ganz feine KOrnelung zeigen, die beim Zusatz der Extraktsuspension
zum Serum nicht mehr sichtbar sein darf. — Stark krümelige Extraktsuspensionen
sind nicht zu benutzen.
*) Auf das theoretische Interesse, das die beschriebene Methode zur Klärung
des Wesens der Syphilisflockungsreaktionen (und der Komplementbindungsreaktion)
haben dürfte, sei hier nur hingewiesen. Man sieht, daß es sich nicht um eine Aus¬
füllung gelöster Substanzen, sondern lediglich um eine zum sichtbaren Ausdruck
gelangende Zusammenballung feinst suspendierter Lipoidteilchen handelt, ein Vorgang,
der bei der Technik der Komptementblndungsreaktion unterhalb der sichtbaren Grenze
bleiben dürfte. Da diese .Verklebung* unmittelbar nach Vermischen von Syphilis¬
serum + Extraktsuspension eintritt (sie ist schon nach einige Minuten langem Zentri¬
fugieren zu demonstrieren), wird man kaum von einer echten Bindung eines
Reaktionskörpers im Syphilisserum mit den Lipoidteilchen sprechen können, sondern
es dürfte die Erscheinung für die Richtigkeit der Anschauung von H. Sachs sprechen,
daß der veränderte physikalisch-chemische Zustand des Mediums das ausschlaggebende
Moment darstellt Es dürfte lohnend sein und würde vielleicht gewisse Rückschlüsse
gestatten, an der Hand unserer Methode, diese physikalischen und chemischen Fak¬
toren genauer zu studieren. Derartige Versuche sind im Gange.
machen können. Dagegen wird bei höheren Serumdosen als 0,2 die
Reaktion — im Sinne von Nathan — eher schwächer als
stärker.
Extrakt. Die angegebene Extraktsuspensionsdosis von 0,2 pro
Röhrchen wird natürlich nicht immer allgemein gültig sein, obwohl
sich uns bei der Untersuchung mit 14 verschiedenen Herzextrakten
diese Dosis stets als die geeignetste erwiesen hat Ein Zuviel an
Extraktsuspension schwächt unsere Reaktion ebenso ab, wie ein
Zuviel an Serum. So fanden wir bei Verwendung von 0,3 Extrakt¬
suspension (statt 0,2) eher schwächere Ausschläge als stärkere. —
Immerhin ist es natürlich möglich, daß je nach der Stärke des ge¬
rade verwendeten Rohextraktes die Suspensionsdose Schwankungen
unterworfen sein kann. Es ist deshalb notwendig, vor der Ver¬
wendung einer Extraktsuspension diese an einer Reihe sicher posi¬
tiver und sicher negativer Seren auszutitrieren, um sich zu ver¬
gewissern, ob die empfohlene Dosis von 0,2 ccm auch für den
betreffenden Extrakt Geltung hat.
Resultate: Wir haben unsere Reaktion (B.R.) an einer großen
Anzahl (etwa 1500) Syphilis- und Nichtsyphilisseren, die von den ver¬
schiedensten Krankheiten stammten, geprüft Die Seren entnahmen
wir teils meiner Abteilung, teils wurden sie uns vom Serologisdien
Institut des Krankenhauses (Oberarzt Dr. Zeißler) in liebens¬
würdiger Weise zur Verfügung gestellt. Auch die Wassermann-
Untersuchungen wurden im Laboratorium des Herrn Dr. Zeißler,
also unabhängig von uns, ausgeführt und die Resultate erst nach
Eintragung der mit unserer Reaktion erzielten verglichen.
Es fand sich:
Völlige Ueberelnstimmung der Resultate der Wa.R. und der B.R. in . . 9,0%
Wa.R. schwach positiv (0 — + oder +, einmal + + +); B.R. negativ in . 4,4 °/°
Wa.R. negativ; B.R. schwach positiv in.4,0%
Wa.R. negativ; B.R. stark positiv in.1,4%
Wa.R. stark positiv; B.R. negativ.0,2%
Läßt man die schwach positiven Differenzen (die übrigens sämt¬
lich sichere Syphilisfälle betreffen) unberücksichtigt, so erhält man
also völlige Uebereinstimmung der Wa.R. mit der B.R.
in 08, 69/0 der Fälle. — Diejenigen Seren, die nach der B.R.
stark positiv, nach der Wa.R. negativ reagierten (1,4<>/o), stamm¬
ten von latenten Syphilitikern, einmal von einer sicheren kongeni¬
talen Syphilis, einmal von einer Aortitis und Arteriosklerose bei
epem 40jährigen Manne ohne Syphilisanamnese, diejenigen mit posi¬
tiver Wa.R. und negativer B.R. betrafen Fälle des Primär Stadiums,
wo zuweilen die Komplementbindungsmethode früher ein positives
Resultat ergibt als die B.R., während zuweilen die Verhältnisse ge¬
rade umgekehrt liegen.
Unspezifische Ausfälle unserer Reaktion haben wir bisher
niclrt beobachtet.
Die Methode (demonstriert in der Sitzung des Altonaer Aerzt-
liehen Vereins vom 29. III. 1922) hat sich uns also bisher so brauch¬
bar erwiesen, daß wir sie als Ergänzung und Kontrolle der Komp/e-
mentbindungsmethode zur Nachprüfung an größerem klinischen
Material empfehlen zu können glauben. Sie nat vor anderen
Flockungsreaktionen den Vorteil,
1 . daß sie mit einer stets gleichen, konstant bleiben¬
den Extraktsuspension ohne besondere Zusätze ar¬
beitet, daß also die Resultate von Zufälligkeiten einer
immer wieder erneut vorzunehmenden Extraktverdün¬
nung unabhängig sind;
2 . daß sie Brutschrank und besondere optische Me¬
thoden (Agglutinoskop) überflüssig macht.
3. daß sie durch den Fortfall eines längeren Brutschrank¬
oder Zimmertemperaturaufenthaltes etwaige unspezi¬
fische Ausflockungen vermeidet;
4. daß sie eine mit einfachster Technik auszuführende
Schne 11 reaktion darstellt, die scharfe und mit dem bloßen
Auge leicht erkennbare Ergebnisse zeitigt und — abgesehen von
der Inaktivierung — das Resultat in längstens einer halben
Stunde abzulesen gestattet 1 ).
l ) Setzt man die beschriebene Reaktion mit aktivem oder inaktivem Serum an und
läßt die Röhrchen, ohne zu zentrifugieren, 24 Stunden bei Zimmertemperatur stehen,
so bildet sich das beim Zentrifugieren sofort entstehende Häutchen auch spontan und
zeigt beim leichten Aufschütteln das gleiche charakteristische Verhalten. Auch diese
Methode, die also weder eines Brutschrankes noch einer Zentrifuge bedarf, ergab bisher
niemals unspezifische Resultate. (Wohl eine Folge des 10% Kochsalzzusatzes! Bekannt¬
lich sind ja unspezifische Ausschläge bei der bei Zimmertemperatur angesetzten SGR-
und MR. bzw. DM. nicht selten.) Da aber die positiven Ausschläge wesentlich schwächer
ausfallen als bei der Zentrifugiermethode und die letztere den Vorzug großer Schnellig¬
keit hat, würde die Ausführung der BR. bet Zimmertemperatur nuralsKontrollmethode
ln Frage kommen:
Röhrchen A.: 0,2 inaktives Serum -f 0J8 10% NaCl. -f 0,2 Extraktsuspension; sofort
zentrifugieren; ablesen.
„ B.: Dasselbe ohne Zentrifugieren 24 Stunden stehen lassen; Resultat ablesen,
bei etwaigen Differenzen 20' zentrifugieren und nochmals ablesen.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNÜVERSm 1
23. Juni 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
827
Aus der Chemischen Abteilung des Kaiser Wilhelm-Instituts für
experimentelleTherapie in Berlin-Dahlem. (Leiter: Prof.Neuberg.)
Ueber eine experimentelle Beeinflussung des Kohlenhydrat-
umsatzes durch Mineralwässer 1 ).
Von Dr. Paul Mayer in Karlsbad.
Wenn auch in den letzten Jahren manche Fragen über die
Wirkungsweise der Mineralwässer in vielen hauptsächlich auf die
Errungenschaften der physikalischen Chemie, auf das Studium det
Radioaktivität sowie des Mineralstoffwechsels und auf die Experi-
mentalarbeiten Pawlows aufgebauten Arbeiten einer wissenschaft¬
lichen Klärung zugeführt worden sind, so harrt doch noch eine
große Reihe von Problemen einer Lösung; und gerade für viele durch
tausendfältige Erfahrungen sichergestellte Wirkungen der Mineral¬
wässer fehlt uns heute noch jede exakte wissenschaftliche Deutung.
So steht es auch mit der Frage der Beeinflussung des Kohlen¬
hydratumsatzes durch gewisse Mineralwässer, deren Wirksamkeit
bei der Zuckerkrankheit seit Jahrhunderten empirisch festgestellt
ist. Ich denke dabei, als für mich am nächstliegenden, vor allem an
das Karlsbader Wasser.
Die Beeinflussung des Zuckerstoffwechsels durch tierische Zellen
ist infolge Mitwirkung des nervösen Apparates ein komplizierter
Vorgang. Einfacher liegen die Verhältnisse bei pflanzlichen Zellen,
ln dem letzten Jahrzehnt hat sich immer mehr und mehr heraus¬
gestellt, daß in wesentlichen Grundzügen der Zuckerumsatz bei
Tier und Pflanze ähnlich, ja zum Teil sogar gleich ist. Ich erinnere
nur daran, daß die Milchsäurebildung beiden Naturreichen gemein¬
sam ist, daß die Kofermente der Atmung identisch sind und sich
gegenseitig ersetzen können, und an anderes mehr. Ich habe daher
geglaubt, das Studium der Mineralwässer auf den vielleicht be¬
deutungsvollsten Fall des Zuckerabbaus in der Natur studieren zu
sollen, nämlich auf den der alkoholischen Gärung.
Die Lehre vom Chemismus der alkoholischen Gärung hat nun
in den letzten 12 Jahren eine gewaltige Umgestaltung und Aus¬
bildung erfahren, und zwar auf Grund der fundamentalen Arbeiten,
die in dieser Zeitspanne Neuberg 2 ) und seine Mitarbeiter ge¬
liefert" haben. Es mußte in gleicher Weise als ein Rätsel für den
tierischen- wie pflanzlichen Organismus erscheinen, wenn darge¬
botenes Kohlenhydrat in letzter Linie als Kohlensäure erscheint.
Denn in dem wohlbekannten Molekül des Zuckers ist keine Kohlen-
säuregruppc vorgebildet, sodaß bedeutsame intermolekulare Verschie¬
bungen stattfinden müssen, ehe Produkte entstehen, die Kohlen¬
dioxyd, sei es auf einem oxybiontischen, sei es auf aerobem Wege
liefern können. Im Jahre 1911 hat bekanntlich Neuberg das
Ferment Carboxylase aufgefunden, welches aus dem chemisch
wie biologisch aus Zucker ableitbaren Spaltungsprodukt Brenztrauben¬
säure Kohlensäure und Azetaldehyd erzeugt. Ich darf weiter be¬
tonen, daß der Parallelismus im Zuckerabbau im tierischen und
pflanzlichen Organismus so weit geht, daß nicht nur bei der Hefe
und höheren Pflanzen der Azetaldehyd ein obligatorisches Stoff-
wechselprodukt darstellt, sondern daß nach neueren Untersuchungen
von J. Hirsch 3 ) über den oxydativen Abbau des Zuckers in der
Muskulatur einerseits und nach Befunden von Stepp 4 ) im Blut
und Ham von Diabetikern anderseits der Azetaldehyd auch als Er¬
zeugnis des Tierkörpers aufgefunden ist, nachdem Anzeichen hierfür
durch eine Reihe anderer Arbeiten bereits gewonnen waren. Am
bedeutungsvollsten aber scheint mir, daß Neuberg und Hirsch 5 )
festgestellt haben, daß die Form des Zuckerabbaus durch
pflanzliche Zellen in alkalischem Milieu eine grundsätz¬
liche Abänderung erfährt.
Da zahlreiche Mineralwässer alkalisch reagierende Salze ent¬
halten, war der Gedanke nicht von der Hand zu weisen, daß bei
Zufuhr großer Mengen alkalischer Mineralwässer auch iin Tier¬
körper eine Abartung des Kohlenhydratstoffwechsels einsetzt. Be¬
züglich der Wirkungsweise der erwähnten alkalischen Mineralwässer
bediente ich mich aus den vorher erwähnten Gründen des Modell¬
versuchs an der Hefezelle. Ich nahm daher vergleichende
Vergärungen des Zuckers in Leitungswasser und in
Karlsbader Wasser vor bzw. in Auflösungen von Karls¬
bader Salz. Es zeigte sich dabei, daß die im Karls¬
bader W assc r vorhandenen Mineralstoffbestandteile
in unverkennbarer Weise die erwähnte Wandlung im
Kohlenhydratumsatz herbeiführen.
Es ist allgemein bekannt, daß normalerweise der Zucker durch
Hefe praktisch quantitativ in äquimolekulare Mengen Alkohol und
Kohlensäure zerfällt. Nach den von Neuberg begründeten An¬
schauungen entsteht dieser Alkohol über Azetaldehyd als Primär¬
produkt, der dann reduziert wird und den Weingeist liefert. Ich
will auf den komplizierten Mechanismus der Zuckerspaltung in
lebenden Zellen nicht eingehen und nur darauf hinweisen, daß diese
intermediäre Azetaldehydbildung normalerweise nicht zutagetritt, weil
eine vollkommene Kompensation der anzunehmenden intermediären
0 Nach einem am 17.01.1922 auf dem Balneologen-Kongreß ln Berlin gehaltenen
Vortage. — ■) Blochern. Zschr. 1911—1822. — •) Blochern. Zschr. 1921,117. — *) Zschr.
Lptyüol. Chtm. 19101 107 und 1921,114; Blochern. Zech. 1920,107. — •) Blochern. Zschr.
IW, 90- 1910. 100.
Oxydations- und Reduktionsvorgänge vorliegt. Wenn man aber
künstlich in die Oxydationsphase eingreift, sie fixiert, wie das durch
chemische Bindungsmittel für Azetaldehyd möglich ist, so kann man
in der Tat den Azetaldehyd in Massen, bis zu mehr als 75% der
Theorie, aus solchen Gäransätzen herausziehen. Da durch diese
Abfangung des Azetaldehyds seine nachträgliche Reduktion zu
Aethylalkohol verhindert wird, muß auch ein entsprechendes Re-
duktionsprodukt sich anhäufen. Dieses ist das aus einem Zucker-
halbmolekül entstehende, für Tier- und Pflanzenreich gleich wich¬
tige Glyzerin. Ganz ähnlich ist nun die Wirkung der alkalischen
Salze. Sie vermögen zwar nicht, wie die erwähnten Fixationsmittel
für Azetaldehyd, diesen zu fesseln, aber sie bewirken eine andere
außerordentlich interessante Umsetzung desselben, die in gleicher
Weise durch Fermente des tierischen und vegetabilischen Organis¬
mus zuwegegebracht wird, nämlich die sogenannte Dismutation oder
Cannizarösche Reaktion.
CH, • COH H, CH, • CH,OH
CH, • COH + O “ CH, • COOH
Unter der Wirkung schwachen Alkalis tritt in belebten Zellen
ein Ferment in Tätigkeit, das zwei Moleküle Azetaldehyd unter
Aufnahme von 1 Molekül Wasser dismutiert zu Aethylalkohol und
Essigsäure. Das haben für tierische Organe Battelli und Stern 1 )
sowie Parnas 2 ) und für pflanzliche Zellen Neuberg und seine
Mitarbeiter dargetan. Wenn nun dieser selbe Vorgang der Dis¬
mutation sich an dem Azetaldehyd abspielt, der beim physiologischen
Abbau des Zuckers auftritt, so müssen gleichfalls Essigsäure und
Sprit auftreten. Und da der ganze Vorgang auf eine Eliminierung
des Azetaldehyds hinauskommt, also der Fortschaffung einer Oxy¬
dationsstufe, so muß wieder ein reduktiver Ausgleich erfolgen. Er
liegt wieder vor in der äquivalenten Bildung von Glyzerin. Dem¬
gemäß ist bei der Zuckerspaltung in alkalischem Milieu folgender
Vorgang zu verzeichnen:
* 2 C.Hi.O, + H,0 = C,H s OH + CH, • COOH + 2 CO, + 2 C,H,0,
Diese Vergärungsform des Zuckers ist daher charakterisiert durch
eine beträchtliche Verminderung der Alkoholausbeute, die in der
Norm rund die Hälfte des angewandten Zuckers ausmacht und durch
ein vermehrtes Auftreten von Glyzerin und Essigsäure, die bei
dem gewöhnlichen Verlauf der Gärung nur in Spuren gebildet
werden.
Bei meinen Versuchen mit Karlsbader Wasser und Salz habe
ich mich, da es zur Konstatierung der Tatsache vollauf genügt, auf
die quantitative Bestimmung von Alkohol und Glyzerin beschränkt
Es hat sich gezeigt, daß bei dem Karlsbader Wasser selbst die
Ausschläge nicht sehr bedeutend sind. Ich erhielt bei Vergärung
10o/oiger Zuckerlösungen mit 100 g Hefe in 1 Liter Karlsbader
Mühlbrunn Werte von 45—46°/o Alkohol und 2,8.—3,2% Glyzerin,
gegenüber 47,5—49% Alkohol und 1,8—2,1% Glyzerin in den Kon¬
trolle rsudien mit der gleichen Menge Leitungswasser. Das ist
durchaus erklärlich, weil der Grad der Umsetzung nach dieser ab¬
geänderten Gleichung des Zuckerzerfalls eine Funktion der Hydroxyl-
ionenkonzentration, also des molekularen Gehalts an alkalischen
Stoffen ist und diese im Karlsbader Wasser nur in verhältnismäßig
geringer Menge vorhanden sind, da dasselbe von seinem wich¬
tigsten basischen Bestandteil, dem Natriumbikarbonat, nur 2 g im
Liter enthält.
Wesentlich deutlicher werden die Resultate bei Verwendung von
Karlsbader Salz, das 36o/o Natriumbikarbonat enthält. Je mehr Salz
den Gäransätzen zugesetzt wurde, um so geringer waren die AI-
koholausbeirten, und um so höher stiegen die Glyzerinwerte. Bei
Anwendung von 50 g Salz z. B. erhielt ich 39°/o Alkohol und
Glyzerin, bei Zusatz von 75 g Salz 33% Alkohol und 14 o/o Glyzerin,
gegenüber 48% Alkohol und 2o/ 0 Glyzerin in den Kontrollversuchen 3 ).
Im Zusammenhang mit diesen Ergebnissen habe ich mir die
Frage vorgelegt, welcher Bestandteil des Karlsbader Wassers für
dieses Ergebnis verantwortlich ist. Besondere Versuche zeigten,
daß in erster Linie das Natriumbikarbonat in Betracht kommt. Aber
die anderen Begleitstoffe sind nicht irrelevant. Es handelt sich im
wesentlichen um Kochsalz und Natriumsulfat. Keines dieser Salze
an sich bewirkte jene Gärungsabänderung, die zur verstärkten
Glyzerinerzeugung rührt, wohl aber unterstützen sie die Wirkung
des Natriumbikarbonats. Zu diesem Ergebnis bin ich dadurch ge¬
langt, daß ich Versuche anstellte, bei denen ich zu einer konstanten
Menge Natriumbikarbonat so viel Glaubersalz oder Kochsalz fügte,
wie es dem Verhältnis dieser Bestandteile in der angewandten
Menge Karlsbader Originalsalzes entsprach. Es zeigte sich, daß die
Wirkung des Natriumsulfats weit ausgesprochener ist als die des
Kochsalzes.
Somit kann man zusammenfassend sagen, daß der
Einfluß des Karlsbader Salzes bei einem deutlich ver¬
folgbaren Fall der Zuckerspaltung, nämlich dem der
alkoholischen Gärung, unverkennbar ist; damit ist
zum ersten Male eine qualitativ und quantitativ ge¬
nau beobachtete Abartung des Zuckerzerfalls unter
dem Einfluß der im Karlsbader Wasser enthaltenen
Mineralstoffe festgestellt.
*) Blochern. Zschr. 1910, 28. — ■) Ebenda. — •) Die ausführliche Veröffentlichung
der Versuche erfolgt In der Blochen. Zschr.
□ igitized by Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
328 DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT Ni.25
Im Anschluß an dieses Ergebnis habe ich Versuche über die mit Phosphaten eine so eklatante Wirkung auf den Blutzucker ein-
Beeinflussungdcs Blutzuckers durch Karlsbader Was- tritt, so erscheint es erklärlich, daß bei Kaninchen, bei denen es
ser an Kaninchen angestellt. Da diese noch nicht abgeschlossen durch wochenlange Zufuhr von Karlsbader Wasser zu einer An¬
sind, will ich an dieser Stelle nur auf einen mir nicht unwichtig er- reichcrung von Phosphaten gekommen ist, eine ähnliche Becin-
scheinenden Befund hirnveisen. Es handelt sich um Versuche an Kanin- fiussung des Blutzuckers stattfinden kann. Ich stehe daher nicht
eben, die mehrere Wochen lang mit Hafer ernährt und anstatt mit ge- an, das Sinken des Blutzuckers und das Ausbleiben
wohnlichem Wasser mit Karlsbader Mühlbrunnen getränkt wurden. einer alimentären Hyperglykämie nach Zufuhr großer
Ich beobachtete nun, daß nach genügend langer Zufuhr des Karls- Dosen Karlsbader Wasser als eine Phosphatwirkung
bader Wassers der Blutzuckergehalt auffallend niedrig wurde und anzusprechen. In welcher Weise sich aber der Wirkungsmecha-
daß cs nicht mehr gelang, eine alimentäre Hyperglykämie hervor- nismus der Phosphate geltend macht, darüber läßt sich heute meines
Zurufen. Während ein Tier z. B. vor dem Beginn der Karlsbader Erachtens noch nichts Positives aussagen. Ob die Herabsetzung des
Trinkkur einen Blutzuckcrgehalt von 0,095<>/o aufwies, fand ich nach Blutzuckers auf einer wirklichen oxydativen Zuckerzerstörung oder
vierwöchiger Einverleibung von Karlsbader Wasser, und zwar im vielleicht nur auf einer Zuckermaskierung durch Bildung von Hexose-
ganzen von 3130 ccm, also 115 ccm im Tagesdurchschnitt, bei wieder- diphosphorsäure oder ähnlichen Komplexen — eine durchaus nahe¬
holten Untersuchungen, während Welcher das Kaninchen immer liegende und der Prüfung zugängliche Annahme — zurückzuführen
weiter mit Karlsbader Mühlbrunnen getränkt wurde, nur Spuren bis ist, läßt sich heute, wie auch Elias und Weiß hervorheben, eben-
höchstens 0,05 o/u Zucker im Blut, und nach Zufuhr von 20 g Glukose sowenig entscheiden wie die Frage, ob der den Blutzucker herab-
per os trat nur eine sehr geringe Steigerung des Blutzuckers ein; setzende Vorgang sich im Blut allein abspielt oder auch in den
1—1 Vs Stunden nach der Glukosezufuhr, wo man beim normalen Geweben vor sich geht.
Kaninchen etwa 0,2o/o Zucker im Blute findet, waren nicht mehr Meine Befunde gewinnen übrigens ein erhöhtes Interesse durch
als 0,04—0,06<Vo auffindbar. Wie ist dieser Befund zu deuten? Da c j nc erst VO r kurzem erschienene Mitteilung von Arnoldi und
erinnere ich zunächst an die Ergebnisse von Wiechowski und Roubitschek 1 ) aus der Kraus sehen Klinik. Diese Autoren
seinen Mitarbeitern *) über die Wirkung des Karlsbader Wassers geben an, daß schon nach kleinen Dosen Karlsbader Salz oder
auf den Mineralstoffhaushalt des Organismus, und zwar kommen Karlsbader Wasser bereits 10 bis 30 bis 60 Minuten nach Zufuhr
hier besonders die Versuche von Stransky 2 ) in Betracht, welche derselben der Blutzuckergehalt bei Zuckerkranken meist deutlich
ungemein wichtige Aufschlüsse über die Phosphorsäurebilanz unter Z1 „„ Absinken gebracht wird. Arnoldi und Roubitschek wur-
dem Einflüsse von Karlsbader Wasser ergeben haben. Während den ZII ihren Versuchen von gänzlich anderen Gesichtspunkten aus
nämlich mit Hofer ernährte und mit Süßwasser getränkte Kaninchen veranlaßt als ich bei meinen experimentell am Kaninchen ange-
stets eine stark negative Phosphorsäurebilanz aufweisen, wird stellten Untersuchungen. Arnoldi faßt die von ihm und Rou-
diese durch Karlsbader Wasser in dem Sinne beeinflußt, daß die bitschck erhobenen Befunde als einen indirekten Beweis für eine
Phosphorsäureverluste während des Karlsbader Regimes wesentlich neue Theorie über den Diabetes auf, nach welcher die diabetische
herabgedrückt werden, ja sogar gelegentlich ein Phosphatansatz er- Stoffwechselstörung als Folge einer Störung im Zuckertransport
zielt wird. Es werden also unter dem Einfluß des Karlsbader anzusehen ist, einer Störung des Verhältnisses des Zuckerzuflusses
Wassers die Phosphate in höherem Maße im Organismus zurück- j„ s Blut zum Zuckerabfluß in die Gewebe. Infolge einer Aenderung
gehalten, trotzdem gar keine Phosphate zugeführt werden. Daß der Grenzflächen des Zellprotoplasmas, hervorgerufen durch ein ge-
diese Wirkung zum größten Teil auf dem Ueberwiegen des Sulfat- ändertes Verhalten des gegenseitigen Verhältnisses der Salze, sollen
10 ns im Karlsbader Wasser beruht, geht daraus hervor, daß mit die Gewebe für Zucker schwerer durchlässig sein, sodaß sich ein-
einem Sulfatgemisch von der Konzentration des Karlsbader Wassers ma l der Zucker im Blut staut und es zur Hyperglykämie kommt
das gleiche Ergebnis erzielt wird. Es ist also als sichergestellt zu und anderseits weniger Zucker in den Geweben zur Verbrennnung
betrachten, daß bei meinen Versuchen, bei denen nicht nur 8 Tage gelangt. Ich möchte nicht in eine Diskussion über die Berechtigung
lang, wie in den St ran sky sehen Versuchen, sondern durch 4 Wochen dieser Theorie der Störung des Elektrolytgleichgewichtes beim
Karlsbader Wasser einverleibt wurde, cs in erheblichem Maße zum Diabetes eintreten, aber ich möchte doch betonen, daß mir die
Ansatz des Phosphations gekommen sein muß. Frage, ob das Absinken des Blutzuckers unter dem Einfluß des
Die Bedeutung der Phosphate für die Stoffwechselvorgänge ist Karlsbader Wassers tatsächlich als Beweis für diese Theorie heran-
nun gerade in den letzten Jahren in erhöhtem Maße gewürdigt gezogen werden kann, noch keineswegs genügend geklärt zu sein
worden, und insbesondere sind wichtige Beziehungen des Phosphor- scheint. Gewiß könnte ja infolge der Phosphatanreicherung in den
säurions zum Kohlenhydratstoffwechsel aufgedeckt worden. Von be- Zellen, die ich als die Ursache des den Blutzucker herabsetzenden
sonderer Beachtung erscheint die Tatsache, daß nach den Unter- Vorgangs unter dem Einfluß des Karlsbader Wassers in meir/en
suchungen von Iwan off 3 ) einerseits und Harden und Young 1 ) Versuchen ansehe, eine Aenderung der kolloidchemischen Struktur
anderseits beim Abbau des Zuckers im Verlauf der alkoholischen der Zellgrenzflächen Zustandekommen. Aber anderseits darf doch
Gärung die Phosphorsäure einen begünstigenden Einfluß ausübt nicht übersehen werden, daß eine geringere Permeabilität der Ge-
und daß unter bestimmten Bedingungen die Hefe befähigt ist, webe für Zucker auch durch eine Veränderung am Zuckermolekül
Zucker mit Phosphorsäure zu einer organischen Verbindung zu- selbst Zustandekommen kann. Gerade weil wir nach neueren Er-
samincnzuschließen, die von Young 3 ) als Hexosediphosphorsäure kenntnissen anzunehmen geneigt sind, daß der im Blut kreisende
erkannt und von Neuberg 6 ) als Fruktosediphosphorsäure identi- Traubenzucker lediglich die Transportform des Kohlenhydrats im
fiziert worden ist. Von noch größerer Bedeutung für unser Problem Organismus darstcllt, daß aber als zelladäquate Form eine reak-
sind die Forschungen der letzten Jahre über die wichtige Rolle, welche tionsfähigere und leichter oxydable Kohlenhydratmodifikation (Enol-
dic Phosphorsäure bei den Energieiimwandlungen im Muskel spielt, form nach Wohl und Neuberg 2 )) in Betracht kommt, darf meines
Untersuchungen, welche an die Namen Fletsch er und Hopkins 7 ) Erachtens eine solche Möglichkeit keineswegs a priori abgelehnt
und Embden*) und Meyerhof' 3 ) anknüpfen. Wir wissen heute, werden. Daß die sterische Konfiguration des Kohlenhydratmoleküls
daß die Arbeitsleistung des Muskels nicht, wie man früher geglaubt für den Eintritt des Zuckers in die Zelle, für sein Verhalten in den
hat, auf einer Oxydation, sondern auf einer anoxybiotischen Zer- Organen, für seinen Uebertritt ins Blut und für seine Ausscheidung
legung’ des Zuckers beruht, daß sich während der Muskelarbeit durch die Nieren geradezu von ausschlaggebender Bedeutung sein
aus Kohlenhydraten Milchsäure bildet und daß der Abbau der muß, geht zur Eviuenz aus den neuesten bedeutsamen Forschungen
Kohlenhydrate zu Milchsäure über das von Embden isolierte Lak- des Groninger Physiologen Hamburger 3 ) hervor, der unter
tazidoger. geht, einer Kohlenhydratphosphorsäureverbindung, die mit anderem gezeigt hat, daß die Glomerulusmembran der Froschniere
der bei der alkoholischen Gärung auftretenden Hexosediphosphorsäure imstande ist, zwei fast miteinander identische Zucker, die nur eine
identisch oder wenigstens sehr nahe verwandt ist. Bei der Muskel- ganz geringfügige Strukturdifferenz zeigen, quantitativ voneinander
arbeit zerfällt das Laktazidogen in Milchsäure und Phosphorsäure; zu trennen. Seine Feststellungen, die durchaus geeignet erscheinen,
die Phosphorsäure bildet mit vorhandenen Hexosemolekülen wieder auf manche unserer Vorstellungen über die diabetische Stoffwechsel-
Ei exosediphosphorsäure, die wiederum unter Bildung von Milch- Störung umgestaltend zu wirken, zeigen auch, daß wir noch weit
säure und Phosphorsäure zerfällt. Man muß demnach annehmen, davon entfernt sind, die blutzuckerherabsetzende Wirkung des Karls-
daß der Abbau der Hexosen im Tierkörper nur unter intermediärer bader Wassers in eindeutiger Weise zu erklären. Das beeinträchtigt
Bindung an Phosphorsäure erfolgen kann. aber keineswegs die Bedeutung der Tatsache, daß die durch eine
Im Hinblick auf diese Befunde lag es nahe, an eine Wirkung jahrhundertalte Erfahrung erhärtete Wirksamkeit der Karlsbader
der Phosphate auf den Kohlenhydratstoffwechsel, vor allem auch Thermen beim Diabetes nun auch einer wissenschaftlichen Erklärung
auf den Blutzucker zu denken. In der Tat haben Elias und Weiß 10 ) zugeführt wird.
in der Wenckcbach sehen Klinik festgestellt, daß durch intra- Erwähnen möchte ich zum Schluß noch, daß auf Grund theoreti-
vcr.öse Einverleibung von Mono- und Dinatriumphospliat die ali- scher Ueberlegung und meiner experimentellen Untersuchungen man
mentäre Hyperglykämie deutlich herabgesetzt wird und daß auch bei meines Erachtens zu der empirischen Erfahrung der alten Aerzte
Diabetikern der Blutzucker für mehrere Stunden um 20—40°/o des zurückkehren sollte, die Diabetiker ein weit größeres Quantum
Anfangswertes sinkt, ja auch der Zuckergehalt des Harns zurück- Brunnen in Karlsbad trinken zu lassen, als dies zur Zeit üblidh ist.
geht, sogar für Stunden zum Verschwinden gebracht werden kann. - — —
Wenn also durch eine plötzliche Uebersclnvemmung des Blutes ') D. m. W. 1922 Nr. 8. — *) Chem. Ber. 1900, 33. — a ) Klin. Wschr. 1922, 9.
*) Wiechowski, Zschr.f. Baln. 1912,5; Sgalitzer, Ebenda 1914,7; Wiechowski
Pra«. m. Wschr. 1911, 39. ,J ) Biochem. Zschr 1921. 122. - 3 ) Trav. Soc. des Natura- _
listes 1905, 34 . M ) Prnc. Chem. S n\ 1005 . 21. - ') Biochem. Zschr 1911, 32. - *) Biochem.
Zschr. 1917,83; I9IH.8S; 1920, KU - •» Jmirn. nt Physiol. 1907,33. - Biochem. Zschr.
i'i’xb 45 ,' ? Sc . hr f - ph > siaL Chem. 1914. 93 u. 1921, 113. — *) Arch. 1920, 182. - l ‘>) B.
KL W . 1 ( J21 ( 33.
Digitized by Google
Original fram
CORNELL UNIVERSUM
23. Juni 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
829
Aus der III. Medizinischen Klinik der Universität in Berlin.
(Direktor: Oeh.-Rat Goldscheider.)
Die intravenöse Anwendung der Phenylchinolin¬
karbonsäure.
Zugleich ein Wort zur Lehre von der Heilentzündung.
Von Dr. Bruno Mendel.
Im Jahre 1908 fanden Nicolaier und Dohrn in der 2-PhenyI-
chinolin-4-Karbonsäure, dem. Atophan, ein Mittel, das die Harn¬
säureausscheidung beim Menschen in machtvoller Weise steigert.
Diese Entdeckung veranlaßte Weintraud, das Atophan in die
Therapie der Arthritis urica einzuführen. Bei seinen Versuchen an
zahlreichen Gichtikern machte er die Erfahrung, daß beim akuten
Qichtanfall die Schmerzen bereits wenige Stunden nach Verabreichung
des Medikamentes nachlassen, die Zeichen der akuten Entzündung,
Rötung und Schwellung, überraschend schnell zurückgehen. So zögerte
er denn nicht, das Atophan ein spezifisches Gichtmittel zu
nennen. . I i ;
Es ist begreiflich, daß in einer Zeit, in der Umber resigniert
den gänzlichen Bankrott aller medikamentösen Gichttherapie erklärte,
die überraschende Entdeckung der enorm gesteigerten Harnsäureaus¬
fuhr nach Atophandarreichung in die freudige Feststellung ausklang,
endlich das Gichtmittel gefunden zu naben, und daß es erst
geraumer Zeit bedurfte, ehe die zunächst auf die Gicht beschränkte
Atophanmedikation eine Erweiterung erfuhr.
Nachdem eine Reihe von Autoren (Heller, B. kl. W. 1911 Nr. 12,
Frankel, G. Klemperer, V. f. I. Med. u. Kdhk. Berlin, 15.1.1912
u.a.) über glänzende Erfolge der Atophantherapie beim akuten Gelenk¬
rheumatismus berichtet hatte, alle aber nur Mißerfolge bei der chro¬
nischen Formen gesehen, lag es nahe, dem Atophan außer seiner harn-
säureeliminierenden Wirkung, die beim akuten Gelenkrheumatismus
bedeutungslos ist, eine starke antiphlogistische Eigenschaft zu¬
zuschreiben. Den Beweis für die entzündungshemmende Wirkung
des Atophans erbrachten 1913 Starkenstein und Wiechowski
(Prag m. Wschr. 16.1.1913), indem sie die Senfölchemosis am Kanin¬
chenauge durch vorher verabreichte Atophangaben verhinderten.
Worauf die Entzündungshemmung beruht, ist bis heute noch nicht
geklärt. Auch die letzten Versuche von Starkenstein (Ther. Hmh.
1921 H.19), nach denen eine Gefäßdichtung durch Atophan, ähnlich
wie durch Kalzjym, auszuschließen'ist, haben zu keinem positiven
Ergebnis geführt.
Um dem Wesen der entzündungshemmenden Wirkung des
Atophans näherzukommen, habe ich auf den alten Coh nh e i m sehen
Versuch am Froschmesenterium zurückgegriffen.
Das Mesenterium eines männlichen Frosches (R. temp.), der nach Injektion
von 0,5 mg Kurare in den Rückenlymphsack in etwa einer Stunde vollkom¬
men gelähmt ist, wird vorsichtig freigelegt und unter das Mikroskop gebracht.
Man sieht dann in aller Deutlichkeit die in den Arterien in regelmäßiger pulsa-
torischer Beschleunigung dahineilenden roten Blutkörperchen, in den Venen
und Kapillaren das gleichmäßige Strömen des Blutes. Wir können den Axial¬
strom beobachten und den Wandstrom, in dem ab und zu ein. Leukozyt dahin¬
treibt, an der Gefäßwand hängen bleibt, um bald wieder von der Strömung
f'rigerissen zu werden. Sieht man diesem ungemein fesselnden Treiben lange
cenu; zu, so bemerkt man als Zeichen der beginnenden Entzündung, wie die
Leukozyten sich in immer größerer Zahl an der Venenwand sammeln, um dort
einen dichten Wall zu bilden. Nach einigen Stunden, oft früher, beginnt dann
die Diapedese.
Injiziert man bald darauf 5 mg Atophannatrium in den Brustlymphsack des
Frosches, so lichtet sich bereits nach kurzer Zeit der Leukozytenwall am Rande
des Gefäßes, ein Leukozyt nach dem anderen verliert den Kontakt mit der
Gefäßwand, und in kurzer Zeit ist nichts mehr von einer Randstellung der
weißen Blutkörperchen zu sehen. Die schon außerhalb der Gefäße befindlichen
Leukozyten verlieren ihre amöboide Beweglichkeit, nehmen zunächst wieder
Kugelform an, und schließlich ist das Gesichtsfeld erfüllt mit Trümmern zer¬
fallener Leukozyten.
Sechs Froschversuche dieser Art führten zu dem gleichen Ergebnis. Ein
Beispiel möge das Gesagte erläutern:
R. temp. 34 g.
7 l'hr o,5 mg Kurare in den Rückenlymphsack injiziert.
8 „ Vollkommene Lähmung, Freilegung des Mesenteriums.
1 „ Randstellung der Leukozyten.
3 Beginn der Diapedesis.
4 „ Injektion von 5 mg Atophannatrium in den Brustlymphsack.
4 20 „ Der Leukozytenwall lichtet sich.
4 40 „ Keine Randstellung mehr. Leukozytentrümmer außerhalb der Gefäße.
Weiteren 6 Fröschen wurde schon zu Beginn des Versuches Atophannatrium
in den Brustlymphsack injiziert. Obwohl bei keinem der Frosch versuche die
Diapedesis länger als 9 Stunden auf sich warten ließ, war bei den mit Atophan
vorbehandelten Fröschen selbst nach 12 Stunden nicht einmal eine Rand¬
stellung der Leukozyten festzustellen.
Die Versuche zeigen eindeutig die leukozytotropc Wirkur^g
des Atophans. Das Nichtzustandekommen bzw. Aufhören der
Randstellung: und das Sistieren der amöboiden Bewegung der weißen
ßlutzellen weist auf eine durch das Atophan bedingte Lähmung, die,
wie die Trümmer im Gesichtsfeld beweisen, fortschreitend zum Tode
der Leukozyten führen kann.
Einen weiteren Beweis für die leukozytotrope Wirkung der Phenyl¬
chinolinkarbonsäure bietet das Verhalten des weißen Blutbildes.
Bereits eine Stunde nach einer Gabe von 1 g Atophan ist bei Ge¬
sunden, noch besser aber bei bestehender Leukozytose, ein Sinken der
Leukozytenzahl festzustellen. Diese Leukopenie erreicht in kurzer
Zeit ihren niedrigsten Stand, bleibt über viele Stunden, oft bis zum
nächsten Tage, bestehen und kann durch erneut eingeschobene Ato¬
phangaben nicht weiter beeinflußt werden.
•irnnrt_ J
5 10 11 12 2 l
) 7 S
Die Leukozytenkurve eines Patienten
uhr mit akuter gonorrhoischer Arthritis möge
das Gesagte illustrieren; der Patient blieb
den ganzen Tag nüchtern. Er bekam um
8 und um 1 i Uhr je 2 Tabletten (= i g)
Atophan.
Ich verzichte auf die Wiedergabe
weiterer Tabellen, da die mit Hilfe der
Pappenhcim-Pipette in der Bürkerschen
Zählkammer angefertigten Blutbilder in
allen Fällen ein im wesentlichen gleiches
Verhalten der Leukozyten werte nach
al nnn
L
—
rfUUU
13000
12000
11000
3
r
,
\
7*
5
7_
10000
9000
6000
7nnn
Atophandarreichung erkennen ließen.
Nachdem wir durch unsere Versuche die leukozytenläh¬
mende und -vernichtende Wirkung des Atophans sichergestellt
und damit einen bescheidenen Einblick in den Vorgang der Entzün¬
dungshemmung gewonnen haben, erhebt sich die Frage, ob nicht
in eben dieser leukozytenvernichtenden Wirkung eine Bedingung für
die nach Atophangaben gesteigerte Harnsäureausfuhr gelegen ist.
Mit dieser Frage betrete ich einen Kampfplatz, auf dem noch
keine der vielen Parteien einen entscheidenden Sieg errungen hat.
Während die Erfinder des Atophans zunächst an eine vermehrte
Harnsäureproduktion dachten, die sie auf eine Beeinflussung der
bei der Bildung der endogenen Harnsäure wirksamen Faktoren zurück¬
führten, ist Weintraud, dessen Ansicht Fromherz und Baß
sich anschließcn, der Meinung, daß die Harnsäureausscheidung aus
einem Harnsäure Vorrat heraus stattfindet; die drei Autoren glauben
an eine spezifische Beeinflussung der Nieren durch Atophan. Gegen
diese Auffassung wendet sich Biberfcld, der experimentell nach-
weisen konnte, daß ein anderer Purinkörper, das Hydroxykoffein,
durch Atophan nicht nur nicht beschleunigt, sondern verlangsamt zur
Ausscheidung gelangt. Starkenstein dagegen hält es für wahr¬
scheinlich, daß unter dem Einfluß des Atophans die zum Zerfall
bestimmten Nukleoproteide schneller abgebaut werden und so eine
vermehrte Bildung der endogenen Harnsäure bedingen.
In diese Divergenz der Meinungen möchte ich nun eine neue Auf¬
fassung von dem Wesen delr harnsäureeliminierenden Wirkung des
Atophans hineintragen, die mir am ungezwungensten alle darauf bezüg¬
lichen Fragen zu beantworten scheint. Nachdem wir uns durch die
Versuche am Froschmesenterium von der leukozytenvernichtenden
Wirkung des Atophans überzeugt und beim Menschen nach Atophan¬
darreichung eine regelmäßig auftretende Leukopenie hatten feststelleu
können, liegt nichts näher, als die vermehrte Harnsäureaus-
Scheidung mit dem Leukozvtenzerfall in Zusammen¬
hang zu bringen, zumal bekannt ist, daß z. B. auch nach Röntgen¬
bestrahlung leukämisch Erkrankter mit dem Zerfall der weißen Blut¬
zellen stets ein Anstieg der Harnsäurekurve im Urin einhergeht.
Der Einwand, daß Kernsubstanzen nicht als Quelle der vermehr¬
ten Harnsäure in Betracht kommen können, weil eine Vermehrung der
Phosphorsäureausscheidung nach Atophan vermißt wird, kann nicht als
zu Recht bestehend anerkannt werden. Einmal stellt die bei der
Bildung von Harnsäure aus Nukleinsäure freiwerdende Phosphorsäure
quantitativ eine so geringe Menge dar, wie sie sich im menschlichen
Stoffwechsel mit Hilfe unserer unzureichenden Methoden kaum nach-
weisen läßt, und anderseits ruft das Atophan, wie Biberfeld nach¬
gewiesen, eine schnellere Ausscheidung von Phosphorsäure in den
ersten Stunden naqh seiner Darreichung hervor, die aber übersehen
wird, weil man in der Regel nicht den Stunden-, sondern den Tages¬
harn untersucht (Zschr. f. exper. Path. u. Ther. 1913, 13).
Es ist erstaunlich, daß die Erfinder des Atophans nicht mit zwin¬
gender Notwendigkeit dazu geführt wurden, die Erklärung für die
gesteigerte Harnsäureausfuhr in dem Leukozytenzerfall zu
suchen. Denn audh ihre Tabelle läßt in aller Deutlichkeit das mit
dem Sinken der Leukozytenzahl parallelgehende Steigen der Harnsäure-
werte erkennen (D. Arch. f. klin. M. 1908, 93).
Vermehrung der Ur.
im Vergleich zum
Blutkörperchen in 1 ccm Blut
Mittelwert
rote
weiße
Vorversuchstag
11 Uhr vormittags 5268803
6 Uhr nachmittags 5812000
6560
7496
3,1 g Atophan
+ I14,9°/o
11 Uhr vormittags 54P000
4468
6 Uhr nachmittags 5493600
5936
3,1 g Atophan
+ 13,9%
11 Uhr vormittags 5774000
6 Uhr nachmittags 5049600 ,
4375
7624
Nicolaier und Dohrn übersehen hier in Erwartung einer
Leukozytose die offensichtliche Leukopenie, sonst könnten sie nicht
erklären, ^nach Verabreichung der Phenylcinchoninsäure eine Ver¬
mehrung der weißen Blutkörperchen vermißt“ zu haben.
Betrachten wir nun die Harnsäurcausscheidung nach Atophan von
dem Gesichtspunkte des Leukozytenzerfalls, so kann es uns nicht
wundern, daß die Ätophanwirkung nicht der Größe der verabreichten
Digitized by
Gck igle
Original ffom
CORNELL UNÜVERS1TV
830
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 25
Dosis proportional ist und daß kein Unterschied der Wirkungsintensi¬
tät beim Gesunden und Gichtiker besteht. Ebenso liegt nichts Proble¬
matisches mehr ‘darin, daß in den ersten Stunden der Atophanwirkung
oft mehr Harnsäure ausgeschieden wird, als sich im Gesamtblute
normalerweise befindet (Baß). Auch der Streit (Deutsch, Retz-
laff, Dohrn), ob die Harnsäure im Blute nach Atophan vermehrt oder
vermindert ist, findet jetzt sein Ende. Denn ich gehe wohl nicht fehl,
wenn ich annehme, daß die aus den Kerntrümmern der Leukozyten
im Gewebe gebildete Harnsäure allmählich in den Kreislauf gelangt,
um dann bei einer bestimmten, den Schwellenwert im Bhite über¬
schreitenden Konzentration durch die Nieren eliminiert zu werden.
Es ist nun prinzipiell nichts Neues, wenn ich —- in Analogie mit
dem „Ueberschießen“ beim Wasserversuch — bei einer Ueberschwem-
mung des Körpers mit Harnsäure ein „Ueberschießen“ der Harn¬
säureelimination und dann — wie beim Wasserversuch die zunächst
paradox erscheinende Bluteindickung — ein Harnsäureminimum
im Blute finde. Die divergenten Befunde der Harnsäurekonzentration
im Blute nach Atophan sind also wohl dem Zeitpunkte der Unter¬
suchung und nicht der Methode zuzuschreiben.
Wie aber sollen wir den glänzenden therapeutischen Effekt des
Atophans beim akuten Gichtanfall mit unserer Theorie in Einklang
bringen, welche die gesteigerte Hamsäureausfuhr auf den Leukozyten¬
zerfall zurückführt, dem Atophan also seinen Rang als kausal wirkendes
Gichtmittel nimmt? In dieser Frage vertritt G. Klemperer ohne
Zweifel den einzig richtigen Standpunkt. Nicht die Harnsäure¬
mobilisation ist nach seiner Ansicht wesentlich für den
Heilcffekt, sondern eine komplizierte antiphlogi¬
stisch-analgetische Wirkung des Atophans. Ich möchte
diese Erklärung dahin erweitern, daß ich behaupte: die harnsaure
Diathese wird durch Atophan in keiner Weise beein¬
flußt, beeinflußt wird allein die akute Entzündung,
und zwar jede Entzündung, gleichgültig, wo sie ihren
Sitz hat, gleichgültig, wodurch sie entstanden. Dafür
spricht Starkensteins Versuch der Senfölchemosis am Kaninchen¬
auge, das beweist mein Versuch am Froschmesenterium und nicht
zuletzt eine Reihe klinischer Erfahrungen, über die ich jetzt kurz
berichten möchte.
Da Atophan vielen Patienten wegen seines schlechten Geschmackes
widersteht, bei andern Magen-Darmstörungen hervorruft, die sich in
Druckgefühl, Uebelkeit, Erbrechen und Durchfall äußern, sieht man
sich oft schweren Herzens genötigt, von der Atophanmedikation ab¬
zusehen. Schon aus diesem Grunde suchte ich ein intravenös-injizier-
bares Präparat. Aber noch ein anderer Gedanke bestimmte mich zur
intravenösen Anwendung. Ich wünschte, das Medikament in voller
Dosis an den Ort seiner Wirkung gelangen zu lassen; und gerade die
im Entzünduugsgebiete bestehende Hyperämie verbürgt uns bei intra¬
venöser Anwendung den besten Erfolg. Nachdem die ersten Ver¬
suche mit einer Lösung des Diäthylendiaminsalzes der Phenylchinolin¬
karbonsäure zu guten Erfolgen geführt hatten, die Injektion aber von
einer Dyspnoe mittleren Grades begleitet war, begrüßte ich es, daß
Dr. Silten (Kaiser Friedrich-Apotheke, Berlin) mir ein von allen
unerwünschten Nebenwirkungen freies Präparat herstellte, welches
ich wegen seiner leukozytotropen Wirkung Leukotropin genannt
habe. Die Ampullen (5 ccm) enthalten 0,5 g der mit Hilfe von Hexa¬
methylentetramin gelösten Phenvlchinolinkarbonsäure. Die Lösung
ruft keine Gerinnung der Blutflüssigkeit und keine Hämolyse hervor.
Um mich von der Ungefährlichkeit der intravenösen Injektion
des Leukotropins zu überzeugen und ein Urteil über den Grad seiner
entzündungshemmenden Eigenschaft zu gewinnen, versuchte ich das
Mittel zunächst in Gemeinschaft mit Tierarzt Schade an staupe¬
kranken Hunden. Bei einem Gewicht von 7—40 Pfund vertrugen
diese die Injektion von 4—8 ccm anstandslos. Selbst mehrmalige Injek¬
tionen an der gleichen Stelle, der engen V. metatars. dorsalis, führten
nicht zu Thrombenbildung. Die voll ausgebildete katarrhalische Staupe,
die mit einer akuten Entzündung sämtlicher Schleimhäute einhergeht,
wurde in der Mehrzahl der Fälle durch wenige Injektionen beseitigt.
Die besten Erfolge sahen wir bei frischer, erst wenige Tage bestehen¬
der Staupe, wenn täglich, spätestens aber jeden zweiten Tag injiziert
wurde. Am auffälligsten war das Versiegen der Eiterung aus Augen
und Nase nach 2—3 Injektionen. Auch der oft heftige Husten, der
auf eine Tracheitis und Bronchitis zurückzuführen ist, hörte in wenigen
Tagen auf. Ueberraschend war das Sistieren der schleimig-blutigen
Durchfälle; meist war der Stuhl schon nach zwei Injektionen normal
geformt. Nur die oft ausgedehnten Bronchopneumonien ließen sich
kaum beeinflussen; doch glauben wir das Auftreten dieser Kompli¬
kation in vielen Fällen durch unsere Injektion verhütet zu haben.
Es wurden 50 staupekranke Hunde mit Leukotropin behandelt.
Sechs schwere Fälle, die erst spät in unsere Behandlung traten, kamen
ad exitum. Die übrigen konnten nach 2—3 Wochen geheilt entlassen
werden. Viele davon wurden uns noch einige Wochen später von
den Besitzern gesund vorgeführt.
Nachdem die Versuche an Hunden mich von der Ungefähriichkeit
der intravenösen Injektion und der hervorragenden Bedeutung des
Leukotropins bei der Behandlung akuter Entzündungen überzeugt
hatten, verwandte ich das Medikament in der Therapie akut entzünd¬
licher Prozesse beim Menschen.
Zunächst beschränkte ich, um mir ein möglichst klares Bild von
der Wirkung des Leukotropins zu verschaffen, seine Anwendung aut
äußere Entzündungen, bei welchen der Erfolg oder Mißerfolg
einer therapeutischen Beeinflussung vor unseren Augen zutagetritt.
Ich bin Prof. Max Joseph zu Dank verpflichtet, der mir gestattete,
in seiner Poliklinik bei einer größeren Zahl von Patienten mit stark
nässenden, zum Teil weit ausgebreiteten akuten Ekzemen das Leuko¬
tropin zu injizieren. Der Erfolg der Therapie entsprach unseren Er¬
wartungen. Ekzeme, die seit Tagen und Wochen näßten und jeder
anderen Therapie getrotzt hatten, wurden — ohne jede andere medi¬
kamentöse Behandlung — durch wenige Injektionen, oft durch eine
einzige, zur vollständigen Eintrocknung gebracht. Drei kurze Kranken¬
geschichten zur Illustration:
V. R., 49 Jahre, Tischler, seit 14 Tagen universelles, stark nässendes
Ekzem, welches nur den behaarten Kopf und die Beine verschont hat. Intra¬
venöse Injektion von 5 ccm Leukotropin. Waschverbot. 2 Tage später:
Ekzem bis auf eine handtellergroße Fläche an der Schulter eingetrocknet.
Nochmals 5 ccm Leukotropin. 2 Tage später: Ekzem gänzlich trocken. Haut
schilfert ab.
Frau R. Sp., 54 Jahre, Ohrekzem, seit 5 Wochen bestehend. Das Ohr ist
gerötet, geschwollen, näßt sehr stark. Bisherige Therapie: Waschverbot. Puder¬
behandlung. Terpentininjektionen. Kein Erfolg. 5 ccm Leukotropin intravenös.
3 Tage später: Das Ohr ist blaß, abgeschwollen, näßt überhaupt nicht mehr.
Patientin beklagt sich: „Das Ohr jucke heftig, nachdem es seit gestern so
fürchterlich trocken geworden sei.“
Frau Ida Kl. 33 Jahre, mehrere Monate bestehendes nässendes Ekzem
beider Arme. Puder- und Salbenbehandlung hatten keine Besserung gebracht.
Status: Beide Arme hochrot, geschwollen, stark nässend, mit Eiterpusteln über¬
sät. Patientin fiebert. Therapie: 5 ccm Leukotropin. Waschverbot. In drei
Tagen: Arme blaß, abgeschwollen, trocken.
Dieser letzte Fall ist, ebenso wie eine Reihe gleicher Beobachtun¬
gen, von besonderem Interesse als Bestätigung der AnschauungUnnas
über das Wesen der Staphylodermien (D. m. W. 1921 Nr. 42 und 45)
Nach Unna sind es gerade die Leukozyten, die den Staphylokokken
ein Eindringen in die Haut ermöglichen. Die Staphylokokken locken
durch ihre Toxine die Leukozyten aus den Gefäßen, bringen sie durch
Giftwirkung in ihrem Machtbereich zum Zerfall und erzwingen sich
so durch chemotaktische Anlockung der „mobilen Sauerstofforte der
Haut“-die Zufuhr des lebensnotwendigen Sauerstoffs, ohne den sie
ersticken müßten. — In dem beschriebenen Fall haben wir eine auf
Staphylokokkeninfektion beruhende, jedenfalls aber sekundär durch
diese komplizierte Hautentzündung durch eine Injektion zur Heilung
gebracht, deren Wirkung auf einer Verhinderung der Chemo¬
taxis beruht.
Diese neuartige Therapie des akuten Ekzems erhebt keinen An¬
spruch auf Vollkommenheit, denn sic ist nicht imstande, das Ekzem
zum gänzlichen Verschwinden zu bringen. Dennoch muß es als ein
nicht zu unterschätzender Vorteil betrachtet werden, daß wir die
Möglichkeit haben, in kürzester Zeit durch eine in ihrer Anwendung
einfache, den Patienten nicht weiter belästigende Medikation ein
Ekzem aus dem nässenden in das trockene, schuppende Stadium über¬
zuführen Die bisher im Stadium madidans souveräne Puderbehand¬
lung, welche stets zusammenbackende, sekretverhaltende Krusten
erzeugte, wird in Zukunft durch unsere Injektionstherapie ersetzt
werden, die in vielen Fällen schneller und einfacher zum Ziele führt.
Die überaus günstigen Erfahrungen bei der Behandlung von Haut¬
entzündungen ermutigten mich, mit dem Leukotropin das große Gebiet
der akuten Entzündungen in der Inneren Medizin und Chirur¬
gie zu betreten. Auch hier waren die Versuche erfolgreich.
Aus der großen Zahl der behandelten Fälle möchte ich nur 4 kurz
skizzieren, um die Beeinflussung entzündlicher Prozesse verschieden¬
artigster Lokalisation und Aetiologie zu demonstrieren: 2 akute Gelenk¬
entzündungen, 1 Bronchitis, 1 Mastitis.
Durch die Liebenswürdigkeit des Prof. Klapp hatte ich Gelegen¬
heit, an seiner Poliklinik das Leukotropin anzuwenden. Aus der
Reihe der mit Prof. Klapp gemeinsam behandelten Fälle — vor¬
wiegend Arthritiden — möchte ich mit seiner Erlaubnis den folgenden
beschreiben:
Fall I. Frl. H., ?6 Jahre, früher'stets gesund. Am'lO.'III. 10 Uhr abends
plötzlich heftige Schmerzen im Bereich der linken Fußwurzel und des Mittel¬
fußes. die sich im Laufe der Nacht erheblich steigerten. Gegen V f 2 Uhr nachts
ein etwa J /., Stunde dauernder Schüttelfrost, dem ein Schweißausbruch und
Hitze folgte.
Befund am ii. III. In der Umgebung des linken Fußgelenkes besteht
ein Oedem. Die dorsalen Schleimbeutel weisen eine vermehrte Füllung auf. Fu߬
wurzel und Mittelfuß sind ringsherum sehr druckempfindlich. Der Gang ist
nur als Hackengang möglich.
Injektion von 5 ccm Leukotropin. Unmittelbar nach der Injektion Schmerzen
verschwunden. Patientin kann ohne Beschwerden den Schuh anziehen und
sogleich beschwerdefrei gehen.
18 . III. Bisher keine Beschwerden wieder. Patientin geht ohne jede
Störung.
8 . IV. Die Beschwerden sind bis heute nicht wieder aufgetreten.
Fall II. G. H., 33 Jahre, frühere Krankheiten ohne Belang. Mitte
August schwoll unter heftigen Schmerzen und Fieber das linke Fußgelenk an.
Im Laufe der nächsten Wochen nacheinander die Hand-, Ellenbogen-, Schulter-
und Kniegelenke. Patient war anderwärts -mit Aspirin und Yatren-Casein ohne
ErSolg behandelt worden.
Status: am 16. IX. Ellenbogen- und Handgelenke mäßig geschwollen.
Bewegungen sehr schmerzhaft. Hüftgelenke: Beiderseits bei Bewegung heftige
Schmerzen. Kniegelenke: In Beugestellung, leicht geschwollen. Maximal-Tem¬
peratur 39 °-
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
■23. Juni 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
831
i
Natrium salicylicum und — da Streptokokken im Blute nachgewiesen —
Trypaflavin intravenös Beides ohne Erfolg. Nach großen Dosen Atophan an
mehreren aufeinanderfolgenden Tagen: Temperaturabfall auf 38°. Die Schmerzen
bestehen aber unverändert heftig fort.
Am io. X. 5 ccm Leukotropin intravenös. Patient ist sofort nach der Injek¬
tion schmerzfrei. Maximal-Temperatur 37,4°. Da sich am nächsten Tage wieder
geringe Schmerzen im rechten Hüftgelenk einstellen, nochmals 10 ccm Leuko¬
tropin. Wieder sofort schmerzfzei. Maximal-Temperatur 36,9°. Patient ble'bt
die folgenden Tage schmerz- und fieberfrei. 7 Tage nach der ersten Injektion
verlaßt Patient das Bett, eine Woche später, von seinem akuten Gelenk¬
rheumatismus genesen, die Klinik.
Wegen Raummangels muß ich mich bei der Beschreibung der nächsten
Fälle kurz fassen.
Fall III. R., 40 Jahre, akute Bronchitis seit 2 Tagen. 10 ccm Leukotropin
intravenös. Bereits nach 3 Stunden stark verminderte Sekretion. Temperatur
von 38,30 (morgens) auf 37,40 (abends) zurückgegangen. Am nächsten Tage
Maximal-Temperatur 36,8°. Schon in der Nacht kein Auswurf mehr. Aus¬
kultation: Rasse’geräusche verschwunden.
Fall IV- Frau N., Mastitis purulenta. Bereits dreimal inzidiert. Neues Fieber,
neue Schwellung und Rötung bis in die Achselhöhle. An zwei aufeinander¬
folgenden Tagen 10 ccm Leukotropin intravenös. Rückgang des Fiebers, der
Rötung und Schwellung. Inzision unnötig.
Es wurden etwa 200 Kranke mit akut-entzündlichen Prozessen
verschiedenster Art mit mehr als 600 Leukotropininjektionen behan¬
delt. Irgendeine schädliche Nebenwirkung wurde in keinem Falle
beobachtet.
Idi bin nicht in der Lage, die Krankheiten einzeln aufzuführen,
bei denen die Anwendung des Leukotropins angezeigt ist. Das Indi¬
kationsgebiet umfaßt alle akuten Entzündungen.
Wie können wir nun die Erfolge unserer entzündungshem¬
menden Therapie mit der Lehre Biers von der Heilentzün¬
dung in Einklang bringen?
Mit seiner Hyperämiebehandlung sucht Bier die Entzündung,
die er für eine zweckmäßige Reaktion des Körpers und einen natür¬
lichen Heilvorgang hält, zu unterstützen, ja sogar künstlich herbei¬
zuführen. Er benutzt dabei zwei Methoden: die Behandlung mit aktiver
Hyperämie (Heißluftkasten) und mit passiver (Stauungshypenämie).
Bier empfiehlt den Heißluftkasten in erster Linie bei chronisch
gewordenen Entzündungsprozessen, d. h. dort, wo die entzündliche
Reaktion bereits ihr Ende gefunden hat. Erzielt er hier mit der
aktiven Hyperämie durch bessere Durchblutung und Ernährung glän¬
zende Erfolge, so ist das bei der chronischen Form der Entzündung,
die eben durch Herabsetzung der Lebensvorgänge (Temperaturerniedri-
gung von 1—2° über chronisch-entzündeten Gelenken) gekennzeichnet
„ ist, ohne weiteres verständlich. Wenn Bier dagegen, wie er selbst
schreibt, bei akuten Entzündungen mit der entzündungsstei¬
gernden Heißluftbehandlung nur Mißerfolge erlebt, so ist das
ein Beweis, daß akut entzündliche Prozesse durch entzündungs-
steigerndc Maßnahmen nicht günstig beeinflußt werden. Es drängt sich
uns deshalb die Frage auf, worauf denn die wunderbare Wirkung der
Bi ersehen Stauung auf diese akut entzündlichen Prozesse beruhe.
Wenn ich ein mit der Binde gestautes Glied näher betrachte, so
kann ich mich nun keineswegs davon überzeugen, daß ich es hier
wirklich mit gesteigerten Lebensvorgängen zu tun habe,
die das Wesen der Entzündung ausmachen und von einer der Natur
nachgeahmten, ja verstärkten Entzündung erwartet werden müssen.
Dagegen finde kh an einem nach Bier gestauten Gliede viele
Anzeichen für eine Herabsetzung der Lebensvorgänge. Die Ver¬
langsamung des venösen Stromes und der dadurch bedingte relativ
vermehrte CCX-Gehalt des Blutes sprechen schon von vornherein gegen
einen erhöhten Zellstoffwechsel. Zwar besteht im Zentrum eines Ent¬
zündungsgebietes Blutstromverlangsamung und CCL-Ueberladung; doch
ist die Entzündung hier bereits abgelaufen. Die vollentwik-
kelte Entzündung, wie wir sie in der Peripherie finden, ist nicht
durch Blutstromverlangsamung und CO ? -Uebersättigung, sondern im
Gegenteil durch eine mächtig beschleunigte Zirkulation
und einen durch die hellrote Farbe (Rubor) der Randteile kenntlichen
Sauerstoff re ichtum charakterisiert. Diese aktive Hyperämie
bedingt die stärkere Wärmebildung (Calor), ein Kardinalsymptom,
welches ich bei der Stauung gleichfalls vermisse. Wie soll auch eine
Erwärmung Zustandekommen, wo jeder kräftige Oxydationsprozeß
durch Sauerstoffmangel gestört ist und die sichtbare Erweiterung der
Hautgefäße die Wärmeabgabe beschleunigt! Die exakte Tiefenthermo-
metrie (B. Zondek) muß uns hier zu objektiven Ergebnissen führen.
Wie verhält es sich nun bei der Stauung mit einem weiteren Kardi-
nalsyir.ptom der Entzündung, dem Dolor? Wenn, wie Bier selbst
sdireibt, „die Schmerzstillung in manchen Fällen so außerordentlich
schnell — in Bruchteilen einer Stunde — eintritt, daß von irgendeinem
ernsthaften Einfluß des Mittels auf die Krankheitsursache keine Rede
sein kann“, so ist diese verminderte Schmerzempfindung
ein weiterer Beweis für die Herabsetzung det Lebens Vorgänge
im gestauten Gebiet.
Auch das Verhalten der Leukozyten bei der Stauung unter¬
scheidet sich merklich von dem im Entzündungsbereich. Während die
Entzündung mit lebhaft gesteigerter Leukozytenbewegung einher-
gehf, ist, wie Hamburger bestätigt, die Chemotaxis in dem mit C0 2
überladenen Stauungsgebiete beeinträchtigt. Ja, der Befund einer
Vermehrten Harnsäureausscheidung nach Stauungshyperämie (Heile)
spricht nicht nur für eine Lähmung, sondern für eine Vernichtung
weißer Blutzellen.
Ich fasse die Punkte, in denen die Stauung sich von der Entzündung
unterscheidet, noch einmal kurz zusammen.
Entzündung:
Beschleunigung des Blutstromes
Sauerstoffreichtum
erhöhte Temperatur
gesteigerte Schmerzempfindung
(Ueberempf indlichkeit)
gesteigerte Leukozytentätigkeit
gesteigerte Lebensvorgänge
Stauung:
Verlangsamung des Blutstromes
C0 9 -Ueberladung
herabgesetzte Temperatur
(noch durch Tiefenthermometrie zu
bestätigen).
verminderte Schmerzempfindung
verminderte Leukozytentätigkeit
herabgesetzteLebens Vorgänge
Nach diesen Ausführungen erscheint der geniale Gedanke Biers,
akute Entzündungen durch Stauung zu beeinflussen, in neuem Lichte.
An Stelle schroffer Widersprüche, die meine entzündungshemmende
Therapie von der Bierschen Stauung scharf zu trennen schienen,
tritt nun eine weitgehende Uebereinstimmung beider Behandlungs¬
methoden. . i 1 I ' S !
Was Bier durch die Stauung erzielt, erreiche ich durch die intra¬
venöse Injektion der Phenylchinolinkarbonsäure: eine Heilung akut
entzündlicher Prozesse durch Abschwächung oder
Hemmung der entzündlichen Reaktion.
In einem Punkte aber scheint mir das Leukotropin in intravenöser
Anwendung die Stauung an Wirksamkeit zu übertreffen. Das ist die
schmerzlindernde Wirkung, die wenige Minuten nach der Injektion in
Erscheinung tritt und den Kranken für viele Stunden von seinen
Schmerzen befreit.
Diese Schmerzhemmung aber ist nach den wichtigen Arbeiten von
G. Spieß von größter Bedeutung für den schnellen Ablauf einer
Entzündung. Die zahlreichen Erfolge mit Leukotropin, die nicht zum
geringsten Teil auf einer Ausschaltung des Entzündungsreizes be¬
ruhen, bestätigen den Nutzen einer Behandlung der über das Ziel
hinausschießenden krankhaften Ueberempfindlichkeit im Sinne Gold-
scheiders.
Aus dem Pathologischen Laboratorium'der Universität
in Amsterdam.
Ueber die Wirkung von Novokain auf den
Skelettmuskeltonus 1 ).
Von Dr. S. de Boer, Priv.-Doz. der Physiologie.
E. Meyer und L. Weiler (1) teilten im Jahre 1916 einen Fall
von Bauchmuskelstarre mit, die nach einer Tetanusinfektion 2 Jahre
lang andauerte. Diese Starre blieb nach Injektion von 0,02 g
Stovain in den Lumbalsack bestehen und ebenfalls nach einer
intramuskulären Einspritzung von Kurare. Indessen verschwand die
Starre nach einer intramuskulären Einspritzung von 10—15 ccm
l°/oiger Novokainlösung, während die direkte Muskelreizbarkeit un¬
verändert blieb. Nach Meyer und Weiler soll Novokain die
Elastizität der Muskeln verändern, ohne deren Kontraktilität zu be¬
einflussen. A. Fröhlich und H. H. Meyer (2) bleiben bei ihrer
Auffassung des zentralen Entstehens der Muskelstarre bei Tetanus;
sie erklären die Wirkung von Novokain dadurch, daß es die sensible
und motorische Innervation lähmt. Erich Meyer und Weiler (3)
beschreiben danach einen neuen Fall von Tetanus mit lokaler Muskel¬
starre im Bizeps. Hierbei verschwand die Starre nach intramuskulärer
Novokaininjektion, ohne daß die indirekte Reizbarkeit vom Plexus
brachialis aus vermindert und die willkürliche Kontraktilität auf¬
gehoben war. Beide Autoren sind der Meinung, daß die Starre also
nicht durch Impulse längs den motorischen Nerven unterhalten wird.
Sie weisen auf die Möglichkeit hin, daß Novokain die akzessorischen
Boekeschen Endplätzen vergiften könnte. O. Liliestrand und
R. Magnus (4) fanden, daß kleine Dosen Novokain die Muskelstarre
aufheben können, ohne die indirekte Muskelreizbarkeit zu beein¬
flussen. Diese Untersucher sind der Ansicht, daß Novokain in
kleinerer Dosis die Propriozeptoren der Muskeln vergifte, ohne die
motorische Innervation zu beeinflussen. Hierdurch soll die reflek¬
torische Muskelstarre aufgehoben werden, ohne daß die aktive spon¬
tane Kontraktilität gelitten hätte. Alms (5) hatte schon vorher
die Annahme verteidigt, daß Kokain den Muskeltonus aufhebe durch
Vergiftung der Muskelsensibilität. L. Weiler (6) stellte fest, daß
Kokain den systolischen Stillstand nach Digitalisvergiftung verhindern
kann, ohne die Kontraktilität und Reizbarkeit zu beeinträchtigen»'
Schmiedeberg (7) führt aus, daß Kokain die Digitaliskontraktur
wie auch die Tetanuskontraktur aufhebt, indem es die Elastizität
der Skelettmuskeln und des Herzmuskels vermindert. Nach Schmie-
deberg wirkt das Tetanusgift außer auf das Zentralnervensystem
auch auf die Muskeln direkt ein und kann so Dauerkontraktionen
bewirken. E. Frank und R. A. Katz (8) fanden, daß Novokain
die Skelettmuskelkontraktur, die nach Vergiftung mit kleinen Dosen
Nikotin entsteht, aufhebt. Nikotin wirkt in großer Dosis auf die
Muskelsubstanz selbst ein und verursacht in kleiner Dosis die Kon¬
trakturen durch eine Einwirkung auf rezeptive Substanz, wie dies
von Langley (9) schon festgestellt war. Frank (10) glaubt, daß
- ! i
*) Der Inhalt wurde mitgeteflt am Physiologentag In Amsterdam) (Dezember' J 921)
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSITV
832
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 25
der Miiskcltonus durch die parasympathischen Nerven unterhalten
wird. Anfangs schloß er aus der tonolytischen Fähigkeit des Kokains,
daß die sensiblen Muskelnerven mit den parasympathischen Tonus¬
nerven identisch seien. Wie Frank zu dieser Vorstellung kommt,
ist mir ein Rätsel. Ein Tonusnerv wird doch wohl hypolemmal en¬
digen und der sensible Nerv epilemmal. In diesem Zusammenhänge
sei daran erinnert, daß nach Boeke die akzessorischen Endplätt¬
chen mit myelinlosen Nervenfasern verbunden sind. Später kommt
Frank auf die Auffassung zurück, daß das Kokain an antidrom-
Icitcnd gedachten sensiblen Nervenendigungen angreifen würde.
Schließlich sei hier noch erinnert an die Mitteilungen J. S ch ül 1 e rs (11)
und Riessers (12) auf der 2. Tagung der Deutschen Pharmakologi¬
schen Gesellschaft und an meine Mitteilung in der Königlichen Aka¬
demie der Wissenschaften in Amsterdam (13).
Ich habe diese Untersuchungen mit dem Studium des Einflusses
von Novokain auf den normalen, nicht vergifteten Frosch begonnen.
Wenn man nämlich 5—10 Tropfen einer l°/oigen Novokainlösung unter
die Haut eines Frosches spritzt, so sind ungefähr nach einer halben
Stunde die Muskeln völlig ohne Tonus; der Frosch bleibt platt auf
dem Bauche liegen mit ausgestreckten Extremitäten. Die Haut¬
sensibilität ist intakt und ebenfalls die indirekte Muskelreizbarkeit.
Wenn man vor der Vergiftung den Schwellenwert desjenigen Reizes
bestimmt, der bei Anwendung auf den N. ischiadicus noch gerade
eine Kontraktion der Bcinmuskeln bewirkt, dann ist nach der Ver¬
giftung mit 5—10 Tropfen lo/oigen Novokains unter der Haut dieser
Schwellenwert nicht verändert. Auch wurde Novokain lokal in die
Muskeln injiziert nach dem Vorgänge Erich Meyers und Wei¬
lers. Wenn bei einem Frosch 2 Tropfen 1 obigen Novokains auf
2 ccm NaCl (0,65o'oig) in die Muskeln einer Hinterextremität injiziert
wurden, dann verloren diese völlig ihren Tonus. In die Muskeln
der andern Hinterextremität wurden dann 2 ccm 0,65°/oiges NaCl ohne
Novokain eingespritzt. Wir erhielten dann eine Variante zu den
Versuchen Brondgeests (Durchschneidung der Hinterwurzeln) und
de Boers (Durchschneidung der Rami communicantes).
Wenn wir solch einen Frosch am Kopf aufhängen 1 ), ist die
zwischen den Hinterextremitäten eingeschlossene Figur asymmetrisch:
Der Winkel an der Innenseite des Knies ist an der vergifteten Seite
mehr gestreckt und die Dorsalflexion des Fußes weniger stark als
an der anderen Seite. Außerdem sei noch bemerkt, daß das Hebe¬
phänomen des jungen Hering (14) an dem vergifteten Hinterfuß
völlig fehlt, wie dies auch von mir nach einseitiger Durchschneidung
der Rami communicantes beobachtet ward. Bekanntlich ist das Hebe¬
phänomen wohl vorhanden nach Durchschneidung der Hinterwurzeln.
Diese Beobachtung Herings kann ich völlig bestätigen.
Beim Frosch entsteht also Atonie der Skelettmuskeln nach sub¬
kutaner Injektion von Novokain und ebenfalls nach lokaler intra¬
muskulärer Einspritzung. Die Hautsensibilität und die indirekte
Muskelreizbarkeit sind dann bei Anwendung mäßiger Dosen völlig
intakt. Darauf wurde der Einfluß von Novokain auf die Muskel¬
kontrakturen untersucht, welche nach Vergiftung mit Rhodannatrium
entstehen. Von Miß Worthington (15) wurde festgestellt, daß'
nach Vergiftung von Froschmuskeln in einer 2fl'oigen NaCNS-Lösung
eine starke Kontraktur hervorgenifen wird, die von fibrillären Kon¬
traktionen begleitet ist. Danach fand Langley (16), daß eine
schwache Lösung (0,1— 0,5 o/o) bei Anwendung auf der Neuralregion
eine Kontraktur und fibrilläre Kontraktionen hervorruft, dagegen auf
die übrigen Teile des Muskels keinen Effekt ausübt. Hier aber
bewirkt eine starke Lösung wohl eine Kontraktur und fibrilläre
Kontraktionen. Demzufolge soll eine schwache Lösung die Kon¬
traktur und die fibrillären Kontraktionen durch Einwirkung auf die
rezeptive Substanz herbeiführen und eine starke Lösung dies hervor-
rufen durch Einwirkung auf die Muskelsubstanz selbst.
Nun wurde von mir untersucht, auf welche Weise Novokain diese
Kontrakturen und fibrillären Kontraktionen beeinflussen kann. Wenn
es richtig ist, daß schwache NaCNS-Lösungen Kontrakturen und
fibrilläre Kontraktionen erzeugen durch eine Einwirkung auf die
rezeptive Substanz, dann ist dies wahrscheinlich die rezeptive Sub¬
stanz des Tonussubstrates. Deshalb wurde erst der Einfluß einer
subkutanen Einspritzung untersucht. Wenn wir nun 1 ccm einer
2°, eigen NaCNS-Lösung in den dorsalen Lymphsack spritzen, ent¬
stehen bald darauf Kontrakturen, welche bei den Muskeln der Vorder¬
extremitäten stärker sind als bei denjenigen der Hinterextremitäten.
Der Frosch nimmt eine sehr typische Lage ein: Die Vorderextremi¬
täten werden gebeugt und adduziert, die Hinterextremitäten werden
derart kräftig gebeugt, daß die beiden Fersen unten auf den Rücken
zu liegen kommen. So entsteht eine sehr typische Haltung, die auf
gleiche Weise zum Vorschein tritt nach Vergiftung mit Nikotin.
Ich verfuhr nun so, daß ich erst einem Frosch Novokain (5—10 Tropfen
l°oiger Lösung) in den dorsalen Lymphsack einspritzte und nach
20—30 Minuten, wenn die Muskeln völlig atonisch geworden waren,
subkutan 1 ccm einer 2'Voigen NaCNS-Lösung. Das Resultat war
dann ganz anders, als wenn vorher kein Novokain injiziert war; es
entstand nämlich keine Spur von Muskelkontrakturen.
Man kann dieses Experiment auch noch in anderer Weise aus¬
führen. Erst spritzte ich 2 Tropfen einer lo/oigen Novokainlösung auf
2 ccm 0,65 'oiger NaCl-Lösung in die Muskeln einer Vorder- oder
') Man mul? dann dafür sorgen, daß die Mintcrextremitatcn sich nicht mit den
Fersen Kegcnceitiu stützen, wie sich dies in den Abbildungen zeigt, die Dusser de
Harren ne der Beschreibung seiner Hxperimcntc beifügt. Siehe hierüber Pfii’n'. Arcli.
i m, s »r*.
einer Hinterextremität. Sobald die Muskeln dieser Extremität völlig
tonuslos geworden waren, injizierte ich 1 ccm einer 2<yoigen NaCNS-
Lösung subkutan. Die Muskeln derjenigen Extremität, die zuvor
durch Novokain tonuslos geworden waren, zeigten nun keine Kon¬
trakturen, dagegen wohl die Muskeln der drei übrigen Extremitäten.
Auch konnte ich hierbei umgekehrt verfahren und erst durch subkutane
Einspritzung der üblichen NaCNS-Dosis in allen 4 Extremitäten
Muskelkontrakturen erzeugen. Wenn ich dann bei einer der Ex¬
tremitäten intramuskulär die gewöhnliche Dosis Novokain einspritzte,
verschwanden die Kontrakturen in dieser Extremität und wurden
die Muskeln derselben vollkommen atonisch.
Danach habe ich die Experimente fortgesetzt bei resezierten
Muskeln. Ich enthäutete die abgetrennte Hinterextremität eines
Frosches und legte diese in eine 2<yoige Lösung von NaCNS. Nach
kurzer Zeit entstanden in den Muskeln Kontrakturen und zugleich
Zackungen und fibrilläre Kontraktionen. Der Unterschenkel blieb
mehr oder weniger gestreckt, und die Zehen standen weit auseinander.
Dieses Resultat erhielt ich nicht, wenn ich in folgender Weise
operierte. Ich tauchte erst eine enthäutete Froschextremität in
Novokainlösung (1:1000 NaCl 0,65°/o) und ließ sie 20 Minuten darin
liegen. Danach brachte ich die Extremität in 100 ccm 0,65<yoiges
NaCl, dem 2 g NaCNS und V 10 g Novokain zugesetzt waren. Nun
entstand keine Spur von Muskelkontraktur und keine Spur von
fibrillären Kontraktionen oder Zuckungen. Auch habe ich diese
Experimente fortgesetzt bei einzelnen ausgeschnittenen Muskeln, z. B.
dem M. gastroenemius und dem Sartorius, die mit einem Hebel
verbunden wurden. Wenn man diese Muskeln in eine schwache
Lösung von NaCNS bringt, entsteht eine Kontraktur, die von Zuckun¬
gen und fibrillären Kontraktionen begleitet ist. Diese Erscheinungen
treten aber nicht auf, wenn der Muskel vorher 20 Minuten lang in
eine l°/ no ige Lösung von Novokain getaucht wurde und darauf der
NaCNS-Lösung die übliche Menge Novokain hinzugefügt war. sodaß
das Novokain in der Lösung in einer Konzentration von 1:1000 vor¬
kam. Diese letzteren Versuche mit einzelnen h'erausgeschnittenen
Muskeln sind indessen sehr zeitraubend, weil bei diesen resezierten
Muskeln die Empfindlichkeit für NaCNS sehr stark schwankt. Man
kann niemals vorher sagen, welche Dosis ein bestimmter Muskel
benötigt, um eine Kontraktur und Zuckungen zu bewerkstelligen.
Aus diesem Grunde hielt ich für diese Versuche einen Muskel
am geeignetsten, der aus mehreren Segmenten besteht, und zwar
wählte ich dazu den M. rectus abdominis. Dieser eignet sich darum
so gut für diese Experimente, weil die schwache Lösung ihre Wir¬
kung einer Vergiftung der Neuralregion jedes Segmentes verdankt.
Ich bestimmte dann erst für ein Segment die schwächste Lösung,
die bei ihm eine Kontraktur und Zuckungen hervorrief. Darauf
tauchte ich erst die übrigen Segmente 20 Minuten lang in eine
Novokainlösung (1:1000 NaCl; 0,65%ig). Schließlich setzte ich dieser
Lösung soviel NaCNS hinzu, daß deren Stärke dieselbe wurde, wie
in dem anfänglichen Experiment mit dem ersten Segment. Nun ent¬
stand in diesen Segmenten keine Kontraktur.
Aus diesen Untersuchungen können wir ebenso wie aus den¬
jenigen Franks und seiner Mitarbeiter und gleichzeitig aus den
Experimenten Riessers und Schüllers den Beweis erbringen,
daß Novokain in kleiner Dosis die rezeptive Substanz
des Tonussubstrates vergiftet. Durch diese Unter¬
suchungen hat die Erklärung Erich Meyers und Weilers
eine feste experimentelle Grundlage erhalten. Gleich¬
zeitig folgt aus diesen Untersuchungen, daß NaCNS
in kleiner Dosis in der rezeptiven Substanz des Tonus-
substrates angreift und so die Kontrakturen bewirkt.
Diese Wirkung von NaCNS wird antagonistisch be¬
einflußt durch Novokain 1:1000.
Die Ansicht Liljestrands und Magnus’, daß Novo¬
kain in kleiner Dosis ausschließlich die Proprio zep-
toCen der Muskeln vergifte und so bestimmte Muskel¬
kontrakturen oder den normalen Muskeltonus auf-
heben könne, hat sich somit als falsch erwiesen. Kleine
Novokain dosen heben also darum die Muskelstarre
beim Wundstarrkrampf auf, weil dadurch die rezep¬
tive Substanz des Tonussubstrates vergiftet wird.
Woraus diese rezeptive Substanz besteht, darüber lehren unsere
Untersuchungen uns nichts (bekanntlich betrachtet Boeke [17] das
periterminale Netzwerk als eben diese Substanz). Auch lehren unsere
Untersuchungen nichts über das Tonussubstrat selbst. Ob letzteres
mit dem Sarkoplasma identisch ist, wie Bottazzi (18) und neuer¬
dings auch Frank meint, auch darüber lassen unsere Untersuchungen
uns im Dunkeln. Zwar folgt aus ihnen, daß der Skelettmuskeltonus
nicht durch Impulse unterhalten wird, welche die Skelettmuskeln
längs den gewöhnlichen motorischen zerebrospinalen Bahnen er¬
reichen. Die Auffassung Dusser de Barennes (19), der glaubt,
daß die efferente Bahn des Tonusreflexbogens durch die motorischen
zerebrospinalen Bahnen gebildet werde, ist also entschieden verkehrt.
(Siehe hierüber auch Pflüg. Arch. 190 S. 41.)
Wir dürfen daher aus diesen Untersuchungen auch folgern, daß
die efferente Bahn des Tonusreflexbogens durch autonome Nerven¬
bahnen gebildet wird. Diese Untersuchungen schließen sich also
meinen früheren gut an, aus denen sich zeigte, daß der Skelett-
muskcltomis der hinteren Extremitäten reflektorisch unter¬
halten wird durch Impulse, w elche die Extremitäten längs den Nerven¬
bahnen des thorakalen autonomen Systems erreichen. In einer ein-
23. Juni ig22
DEUTSCHE MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT
833
ehenderen Darlegung hoffe ich gleichzeitig die Vorstellungen
ranks und seiner Mitarbeiter einer Besprechung zu unterwerfen.
Liljestrand und Magnus haben in zwei Versuchen, in denen
die Starre des Trizeps deutlich entwickelt war, das Ganglion stellatum
exstirpiert, da Erich Meyer und Weiler auf die Möglichkeit
hingewiesen hatten, daß die lokale Tetanusstarre vielleicht etwas
mit der akzessorischen sympathischen Innervation zu tun haben
könne. Die Starre blieb unverändert, während sie nach Durchschnei¬
dung des Brachialplexus sofort aufhörte. Für eine sympathische Ent¬
stehung der Tetanusstarre hat sich demnach — entsprechend ihrer
Erwartung — wie diese Untersucher sich ausdrücken, kein Anhalts¬
punkt gefunden.
Diese Auffassung würde stimmen, wenn bewiesen wäre, daß die
Tetanusstarre immer reflektorisch unterhalten wird. Es gibt jedoch
eine Reihe von Untersuchern, die der Meinung sind, daß das Te¬
tanusgift außer auf das Zentralnervensystem auch auf die Muskeln
direkt einwirkt und so zu Dauerkontrakturen Anlaß geben kann
(Schmiedeberg, Erich Meyer und Weiler, Zupnik). Wenn
das richtig ist, dann wird in diesen Fällen Exstirpation des Ganglion
stellatum selbstverständlich keinen Einfluß haben. Wenn Lilje¬
strand und Magnus die Starre verschwinden sehen nach Durch¬
trennung des Plexus brachialis, dann erinnert dieser Erfolg an eine
analoge Erscheinung nach Vergiftung mit Nikotin. Es ist bekannt,
daß nach Vergiftung mit Nikotin Muskelstarre entsteht, deren Genese
rein muskulär ist. Auch der isolierte Skelettmuskel erstarrt in Nikotin¬
lösung. Bei dem intakten Versuchstier aber verschwindet die Nikotin-
starre nach der Zerstörung des Rückenmarks. Und dieser Erfolg
ist ganz derselbe, wenn man die Starre hervorruft durch subkutane
Injektion oder durch lokale Bepinselung. Die Nikotinstarre, deren
Genese rein muskulär ist, verschwindet also durch Nervenreizung.
hi derselben Weise würde auch in den Experimenten Liljestrands
und Magnus’ die Tetanusstarre (von muskulärer Genese) ver¬
schwinden können, nach Durchtrennung des Plexus brachialis.
Von verschiedenen Untersuchern x ) wurde gefunden, daß der
Muskel im Zustand der Tetanusstarre bei elektrographischer Unter¬
suchung stromlos ist. Nun haben alle diese Untersucher diphasisch
abgeleitet. Ich habe in einer früheren Mitteilung 2 ) schon betont,
daß man in dieser Weise nur Stromschwankungen messen kann und
nicht eine lange dauernde Negativität des Muskels. Wenn nämlich
unter den beiden Ableitungselektroden das Potential während der
Kontraktur auf gleiche Höhe gebracht wird, dann wird bei diphasischer
Ableitung hiervon bei dem Meßapparat nichts zu merken sein, da
das Muskelgewebe unter beiden Ableitungspolen in diesem Falle
isoelektrisch ist. Ein Ausschlag des Saitengalvanometers erfolgt so¬
mit nur bei monophasischer Ableitung. Deshalb habe ich die Kontrak¬
tur, die nach Vergiftung mit Nikotin oder NaCNS entsteht, mit
dem Saitengalvanometer untersucht, indem ich monophasisch ab¬
leitete. Dabei stellte sich heraus, daß bei monophasi¬
scher Ableitung während dieser Kontrakturen die Mus¬
keln nicht stromlos sind. Es entsteht dann ein kontinuier¬
licher Strom, da sich das Muskelgewebe, das in Kontraktur ist, gegen¬
über einer abgetöteten Stelle elektronegativ verhält, nachdem der
Demarkationsstrom kompensiert war.
In dieser Beziehung weise ich darauf hin, daß die Leichenstarre
zufolge meiner früheren Untersuchungen (20) nichts anderes ist als
eine letzte Muskelkontraktur. Es ist nun von Bedeutung, daß von
Hermann auch unter monophasischer Ableitung ein kontinuierlicher
Strom gefunden wurde.
1. M. m. W. 1916 S. 1525. - 2. M. m. W. 1917 S. 289. - 3. M. m. W. 1917 S. 1569. -
4. Pflug. Arch. 1919,176, S. 168 u. M. m. W. 1919 S. 551. — 5. Arch. f. Physiol. 1886 Supple¬
mente. — 6. Arch. f. exper. Patb. u. Pharm. 1916,180, S. 131. — 7. Arch. f. exper. Path. u.
Pharm. 1917,82, S. 159. - 8. Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 1921,90, S. 149. — 9. J. of Physiol.
1914, 48, S. 73. — 10. B. kl. W. 1920 Nr. 31. - 11. Verh. D. pharm. Ges.: 2. Tagung. —
12. Verb. D. pharm. Ges.: 2. Tagung. — 13. Kon. Ak. v. Wetensch. in Amsterdam. S tzung
29. X. 1921. — 14. Pflüg. Arch. 1897, 68, S. 1. — 15. Proc. Soc. Exper. Biol. and Med. 1912,
9, S 88. - 16. J. of Physiol. 1916,50, S. 408. - 17. Brain 44, S. 1. - 1& Arch. f. Physi 1.1901
5. 377. - 19. Pflüg. Arch. 1916,166, S. 145. — 20. Zschr. f. Biol. 1913,61, S. 143.
Aus der Chirurgischen Universitätsklinik in Göttingen.
(Direktor: Prof. R. Stich.)
Das konstitutionelle Problem in der Chirurgie.
Von Dr. K. H. Bauer, Assistent der Klinik.
Wenn ich, gleichfalls auf Aufforderung der Schriftleitung, meinem
Aufsatz über Vererbung und Konstitution nunmehr einen weiteren
über obiges Thema folgen lasse, so muß ich hinsichtlich der grund¬
sätzlichen Einschätzung der Konstitutionslehre auf den erwähnten
Aufsatz verweisen.
Die Chirurgie beginnt als letzte unter den Einzeldisziplinen der
Medizin sich mit der Konstitutionslehre auseinanderzusetzen. Das hat,
*) Fröhlf cb und Meyer, Zbl. f. Physiol. 1912,26, S.269; Semerau und Weiler,
Zbl. f. Physiol. 1918, 33, S.69; Liljestrand und Magnus, Pflüg. Arch. 1919,176, S.204.
*) Pflüg. Arch. 1921,190, S. 41.
wie ich bereits in der Abhandlung „Konstitutionspathologie und Chirur¬
gie“ (D. Zschr. f. Chir. 1921, 162) ausfiihrte, eine Reihe tieferer Gründe.
Audi heute geht der Standpunkt der Mehrheit in der Chirurgie
als einer „praktischen Wissenschaft“ dahin, daß man sagt: Nicht das
konstitutionelle, sondern das anatomische, das lokalistische Prinzip
ist Ausgangspunkt der höchsten Triumphe der Chirurgie. Die Lokali-
sierbarkeit und die materielle Unterlage, das sind die vornehmsten
Voraussetzungen chirurgischen Handelns. Chirurgische Diagnostik ist
lokaje Diagnostik; chirurgische Therapie ist lokale Therapie; und ob
es sich um einen Ileus, ein Karzinom, um die Perforation eines Hohl¬
organs oder um eine Steineinklemmung handelt, in zahllosen Fällen
muß der Chirurg eingreifen, ganz gleichgültig, was für eine Konsti¬
tution der Kranke gerade hat. Also, so folgert man, wozu braucht
die Chirurgie eine Konstitutionspathologie!
Oder sehen wir hin auf Repräsentanten „moderner“ Chirurgie.
Wir lesen von amerikanischen Chirurgen, daß sie ihrem' Patienten zum
ersten Male gegenübertreten, wenn er ihnen in Narkose vorgefahren
wird, und dann nichts weiter sehen als an dem steril abgedeckten
„verschleierten Bild“ nur ein kleines Stück jodierter Bauenhaut, in
das sie laut Majoritätsbeschluß ihrer voruntersuchenden Spezialisten¬
republik einzusenneiden haben.
Ja, liegt in dieser Richtung die Entwicklung moderner Chirurgie,
dann muß man abermals fragen: Wozu braucht die Chirurgie eine
Konstitutionspathologie ?
Etwas anderes aber ist die chirurgische Praxis, etwas
anderes die Chirurgie als Wissenschaft.
Wenn wirAerzte und nicht nur Techniker sind, wenn wir an eine
Heil„kunst“ und nicht nur Virtuosentum glauben wollen, wenn uns
Wissenschaft Streben nach Erkenntnis des Wesens der Dinge und
Chirurgie als Wissenschaft Streben nach Erkenntnis des Wesens chirur¬
gischer Krankheiten ist, dann braucht auch die Chirurgie jenes neue
Forschungsprinzip der Konstitutionslehre, das eine neue und wichtige
Seite des Wesens chirurgischer Krankheiten aufzuzeigen verma g. Sie
braucht ein solches umfassendes neues Prinzip um so mehr, als sich
die Chirurgie heute in einer ganz offenkundigen wissenschaft¬
lichen Krisis befindet.
Früher gab es eine Zeit, wo chirurgische Praxis und Wissen¬
schaft weitgehend identisch waren, die Zeit des ersten Aufbaus
unserer heutigen chirurgischen Technik unter dem Schutze der Blut¬
leere, Narkose, Anti- und Asepsis, wo Technik Wissenschaft war'und
wissenschaftliche Fortschritte zumeist in der Technik sich offenbarten.
Heute jedoch ist das, was sich auf diesem Fundament der Narkose
usw. errichten ließ, ausgebaut. So sind uns denn auch große Neuerun¬
gen der Technik seit der Gefäß- und Thoraxchirurgie nicht mehr
Beschert worden. War gestern noch die operative Technik wissen¬
schaftliches Ziel, so ist sie heute bereits zur Voraussetzung
geworden.
In Zeiten wissenschaftlicher Wandlung ist ein grundsätzlich neues
Forschungsprinzip doppelt erwünscht. Das konstitutionellePrin-
zip berührt letzte Fragen vom Wesen der Krankheiten und ist —
allerdings allein dank der Neufundierung der Konstitutionsanalyse auf
dem Boden der exakten Genetik — zu einem Prinzip geworden, das
die Grenzpfähle der bisherigen Medizin nach allen Seiten und damit
auch in chirurgisches Neuland zu tragen gestattet.
Wenn einem Soldaten ein Querschläger die Aorta zerreißt, so
ist die Bedeutung seiner Konstitution gleich Null, wenn sich dagegen
ein Hämophiler ritzt und daran sich verblutet, so ist die Konstitution
alles. Zwischen diesen beiden seltenen Extremen liegt die große
Fülle der alltäglichen Krankheiten, bei denen beide große Ursachen¬
gruppen, exogene und endogene Faktoren, in variablem Verhältnis
miteinander konkurrieren. In Wirklichkeit ist eben Krankheit immer
die Resultante eines Kräfteparallelogramms, dessen einen Schenkel
die äußere Krankheitsursache, die Schädigung, dessen anderen die
Konstitution des Betroffenen darstellt, wie ich das ja früher schon
auseinandersetzte.
Diese letztere Seite allen Krankheitsgeschehens aber hat die
Chirurgie als Wissenschaft bislang, man kann sagen, völlig vernach¬
lässigt.
Es ist dies in mehrfacher Hinsicht verwunderlich, gibt es doch
nichts, was die Konstitutionskraft eines Organismus mit Vorsatz
derart bis zum Aeußersten beanspruchte, als wie gerade eine Operation.
Die operative Belastungsfähigkeit ist ein Test der Gesamt¬
konstitution wie kaum ein zweiter. Auch gibt es vielleicht kaum
ein Fach, wo sich die oft fatalistische Macht der Konstitution fühl¬
barer machte, als in der Chirurgie, wo sie sich z. B. einem der größten
Sehnsuchtziele der Chirurgie, der Organtransplantation, derart ent¬
gegenstemmt, daß man dank der „Individualität“ das Ziel überhaupt
als nie realisierbar erklärte. Bei der Bluttransplantation beginnt man
heute die Individuen zu klassifizieren, also dem nachzugehen, worin
das individuelle transplantatgefährdende Moment besteht — ein Bei¬
spiel typisch konstitutionellen Beginnens in der Chirurgie!
Diese Beispiele zu vermehren und das Tatsachenmaterial der
Bedeutung des konstitutionellen Prinzips für die Chirurgie aufzu¬
führen, verbietet der enge Rahmen dieses Aufsatzes, es muß dies einer
ausführlichen Abhandlung Vorbehalten bleiben. Hier kann es sich
eben nur um Grundzüge und -Perspektiven handeln.
Schon in der Pathogenese chirurgischer Krankheiten
spielt das konstitutionelle Problem eine große Rolle. Was spielen nicht
Digitized by
Gck igle
Original fro-m
CORNELL UNfVERSSTV
834
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr 25
noch der Fruchtwassermangel, die amniotischen Stränge, die Erb*
Syphilis, die Degeneration, die mechanischen Schädigungen und gar
endlich die toxisch-infektiösen Momente dort eine Rode, wo doch ein
ganzes Zeitalter bakteriologischer Hochflut genügt haben sollte, das
rätselhafte infektiöse Moment aufzuklären, und wo es sich um nichts
anderes als streng konstitutionelle, nur mit neuen Methoden weiter
aufklärbarc Krankheitsbilder handelt. All die „genuinen“, „idiopathi¬
schen“ und sonstwie ätiologisch dunklen Krankheiten finden in der
Konstitutionspathologie ihre besondere Heimstätte. Gerade die Stief¬
kinder der allgemeinen Pathologie sind die eigentlichen Lieblings¬
kinder der Koustitutionspathologie. Das allein schon sollte genügen,
die Konstitutionspathologie zu begrüßen.
Früher hieß es, nicht die End-, sondern die Anfangsstadien zeigten
uns Wesen und Werden der Krankheit. Die Konstitutionspathologie
macht den Zustand des Organismus nicht erst zu Beginn, sondern
schon vor Beginn der Erkrankung, nicht erst die entstandene, son¬
dern die zu entstehen drohende Krankheit* nicht das Anfangs-, son¬
dern das prämorbide Stadium zum Gegenstand ihrer Forschung.
Wie jedes Unkraut auf bestimmtem Boden, so gedeiht auch jede
Krankheit auf dem Terrain einer bestimmten Konstitution am besten.
Die Krankheit in Korrelation zur Konstitution zu brin¬
gen, ist ein Teil der Aufklärung der Pathogenese der Krankheiten.
Narkosentod und Status thymico-lymphaticus, Ptosen und Asthenie,
Ulcus ventriculi und „Neurasthenie“ seien einzelne bekanntere Beispiele.
All diese Momente der Pathogenese finden ihre Zusammenfassung
in der Summe endogener Krankheitsursachen, denen die
Konstitutionsanalyse nach dem Prinzip der Erbfaktorenanalyse und der
durch sie bedingten funktionellen Zusammenhänge mit neuen Methoden
zuleiberückt.
Die chirurgische Diagnostik stützt sich wie jede andere
Diagnostik auf die Symptome, die Krankheitszeichen. Symptome
setzen Krankheit voraus, sind also stets sekundär. Auch hier geht die
Konstitutionslehre einen Schritt weiter. Sie zieht zur Diagnostik nodi
die Stigmen, die der Krankheit noch vorangehenden und die erst
drohende Krankheit offenbarenden Krankheitszeichen heran. Zu den
Symptomen der Krankheit kommen die Stigmen der Erkran¬
kungstendenz. Gehäufte Stigmen genetisch zusammenhängender
Art bedingen, wenn sie morphologischer Art, den Habitus, wenn
sie psychisch-funktioneller Art sind, das Temperament. Wir dia¬
gnostizieren in Zweifelsfällen an dem Habitus mehr, als man gewöhn¬
lich nur ahnt. Die meisten Imponderabilien der Diagnostik, besonders
der gefühlsmäßigen, ankern im Habitus, sowohl im primären, der
Krankheit'vorangehenden, als auch im sekundären, der Krankheit
folgenden. Die Habituslehre ist ungemein ausbaufähig.
Ein besonderer Zweig der Habituslehre ist .die Typen lehre.
Wie es Krankheitstypen gibt, so gibt es Krankentypen. Nicht in dem
Sinne des sekundären Krankentyps, wie z. B. die Cholera oder der
Typhus jedem Kranken mit der Zeit ein charakteristisches Gepräge
verleiht, sondern in dem Sinne des vor jeder Krankheit schon vor¬
handenen typischen Konstitutionstyps mit der Prädisposition
für einen bestimmten genetisch einheitlichen Krankheitskreis
immer wieder bei Repräsentanten des Konstitutionstyps anzutreffenden
Krankheiten, z. B. Hernien, Ptosen, Belastungsdeformitäten, Varikosi¬
täten beim Konstitutionstyp des Asthenikers.
Wir sind eben im Irrtum, wenn wir glauben, alles diagnostiziert
zu haben, wenn wir die Diagnose immer mehr eingeengt haben, um
schließlich sagen zu können: hier sitzt das Uebel, die Cholelithiasis, der
Plattfuß, die arteriosklerotische Gangrän oder die Stauungsgallenblase.
Wir sehen den Baum und vergessen dabei seinen Grund, seine Wur¬
zeln. Jedes auch noch so lokale Leiden hat irgendwelche Haftwurzeln
im übrigen Organismus; die Konstitutionspathologie entkleidet viele,
scheinbar streng lokale und „selbständige“ Krankheitsbilder ihres rein
lokalen und selbständigen Charakters und macht sie zu bloßen Mani¬
festationen übergeordneter universeller Konstitutionsanoma¬
lien, die ebenso Gegenstand der Diagnostik werden müssen, wie ihre
Zweige, die früheren lokalen Krankheiten.
Eine streng konstitutionelle Diagnostik ist endlich auch noch die
funktionelle Diagnostik, richtet sie ja immer ihre Fragen
an die Reaktionsnorm des Einzeliudividuums und erteilt oft bereits
Antworten auf Fragen, bei denen uns die anatomische Diagnostik
noch keinerlei Abweichung von der Norm verrät. So verlegt auch
sie die Diagnostik weiter zurück auf die Zeit vor jedem stofflichen
Nachweis der betreffenden Alteration.
Differentialdiagnostisch entscheiden Stigmen, Habitus,
konstitutionell-anamnestische Winke, Konstitutionstyp und Krankheits¬
kreis oft mehr als ein ganzes Heer chemischer, physikalischer, sero¬
logischer oder sonstiger Taboratoriumsmethoden. Ich erinnere nur
z. B. an die Tuberkulose.
Die operative Indikationsstelle ist natürlich hinsicht¬
lich des konstitutionellen Einschlages sehr verschieden, je nachdem,
ob eine absolute, eine relative oder keine eigentliche Indikation vor¬
liegt. Es wäre verkehrt, bei der absoluten Indikation den Konstitutions¬
faktor gänzlich aus der Rechnung auszuschalten. Die Frage, ob pal¬
liativ oder radikal, ob ein- oder zweizeitig operiert werden soll, der
postoperative Verlauf, die Prognostik, das gäbe alles auch bei absoluter
Indikation Spielraum für die konstitutionelle Einstellung. Bei vielen
anderen Indikationen ist es geradezu entscheidend. So ist man mit
dem Aufkommen der Konstitutionspathologie und deren teilweise er¬
bittertem Kampf mit allen Operationen bei Ptosen zurückhaltend ge¬
worden, wenn man sie nicht ganz aufgegeben hat. Man vermeidet
heute ein in seinem bindegewebigen Aufhängeapparat nachgiebig
gewordenes Organ operativ zu fixieren mit einem Material, das seiuer
konstitutionellen Beschaffenheit nach selbst gleichfalls wieder nach¬
geben muß: eine Indikation zu konservativem Vorgehen aus typisch
konstitutionellen Gesichtspunkten heraus!
So wird z. B. in einer mehr als jetzt konstitutionell orientierten
Zeit der jetzige Streit, ob konservative, ob operative Therapie der
sog. chirurgiscnen Tuberkulose seine ganze Schärfe verlieren. Jede«
Organismus, wie er auch konstituiert sei, kann eine Tuberkulose er¬
werben. Den Verlauf diktiert aber fast einzig und allein die Kon¬
stitution des Betroffenen. Bei der Lungentuberkulose ist man sich
darüber auch längst im klaren. In der Chirurgie endet der Streit immer
damit, daß man sagt, man muß „individualisieren“. Damit fängt das
Problem aber erst an; nicht gefühlsmäßiges Bestimmen, sondern einzig
und allein streng konstitutionelle Untersuchung, worin das indi¬
viduelle Moment der verschiedenen Heiltendenz liegt, gibt hier die
Unterlage zur Indikation, ob konservativ oder operativ. Ich behalte
mir ausführliche Stellungnahme hierzu vor.
Eng verknüpft mit der Indikations- ist die operative Prognosen¬
stellung. Sie ist eine Rechnung, eine Bilanz mit der vorhandenen
Konstitutionskraft auf der einen, mit der zuzumutenden Operations¬
belastung auf der andern Seite. Den letzteren Faktor haben wir in der
Hand, können ihn variieren, je nach dem Konstitutionsfaktor. Die
unbekannte Größe Konstitutionskraft läßt sich durch die Konstitutions¬
analyse auflösen in einzelne individuelle Momente. Aus zerstreuten
Stigmen morphologischer und funktioneller Art, aus Habitus, aus Kon¬
stitutionsanamnese, aus dem Krankheitskreis des Konstitutionstyps
bestimmte Organ- und Funktionsschwachen herauszufinden, noch bevor
sie zur Ursache postoperativer Katastrophen geworden sind, stellt ein
konstitutionelles Problem für die Chirurgie von hohem Werte dar.
Probleme, wie Konstitution und Narkosentod, Konstitution und post-
operative Pneumonie, Konstitution und Thrombose, Konstitution und
postoperative Infektbereitschaft berühren eine Grundfrage operativer
Chirurgie, die Senkung der operativen Mortalität in nicht
abzuschätzender Tragweite.
Immer wieder wird guten Statistiken vorgeworfen, sie suchten
sich zur Operation nur die günstigsten Fälle aus. Wer bloß spie¬
lend operable Magenkarzinome operiert, hat selbstverständlich eine
„bessere“ Statistik als derjenige, der bis an die äußerste Grenze der
Operabilität geht. In ganz anderer Hinsicht ist das Aussuchen der
Fälle jedoch nicht nur nicht zu verwerfen, sondern geradezu zu
fordern, wo es sich darum handelt, mit konstitutionellen Methoden die¬
jenigen herauszufinden, die bei sonst gleichen Bedingungen dem glei¬
chen Eingriff nicht gewachsen sind oder bestimmte Komplikationen mit
größter Wahrscheinlichkeit erwarten lassen, nicht mehr „intuitiv“,
sondern nach einer wissenschaftlich exakt auszubauenden individuellen
Indikations- und Prognosenstellung.
Damit stellt sich auch die Konstitutionspathologie in dem heute
zum Austrag gelangenden Konflikt zwischen operativem
Radikalismus und reserviertem Konservativismus ent¬
schieden auf die Seite der Mäßigung. Sind schon alle Ptosenoperatio-
nen gegenüber konstitutionellen Argumenten im Weichen begriffen, so
werden auch andere radikale Eingriffe mit hohen Mortalitätszifferu aus
der technischen Aera der Chirurgie bei geänderter Auffassung vom
Wesen der betr. Krankheit seltener werden.
In einer ganz kurzen Spanne Zeit sahen wir z. B. bei der Operation
des Ulcus ventriculi ein gegenseitiges Ueberbieten au Radikalität, bis
wir schließlich bei der subtotalen Magenresektion angelangt waren.
Ueber der Freude der „relativ geringen“ Mortalität vergißt man, daß
es sich um ein Leiden handelt, bei dem die interne Behandlung an sich
schon durchaus mit zu konkurrieren imstande ist, daß die Kombination
der internen Therapie mit dem kleinen Eingriff der Gastroenterostomie
jeden anderen Vergleich aushält, daß ein Mensch ohne Magen, einem
funktionell hochbedeutsamen Organ, das der Mensch nur in der Ein¬
zahl besitzt, biologisch als ein Krüppel zu betrachten ist, daß selbst
bei den Ueberlebenden und Gesundenden die lebensverkürzende Wir¬
kung jener überradikalen Methoden mit in die Wagschale fällt. Ein
Ulcus ventriculi kann jeder akquirieren, daran hält wenigstens die
Mehrzahl der Internisten fest, die weitaus größere Mehrzahl der
Ulzera heilt aus bei jeder Behandlung, die den schädigenden Faktoren
Rechnung trägt. Es gibt eine konstitutionelle Ulkuskrankheit, aber
erade für dieses Ulkus hat die Eiselbe rgsehe Klinik den Begriff
es „chirurgisch unheilbaren Ulkus“ geprägt. Das sollte zu denken
geben.
Die die Natur des Kranken bei allen Krankengeschichten mit in
Rechnung stellende Konstitutionspathologie erkennt auch für die ope
rative Chirurgie nur ein höchstes Prinzip an, da$ sich bei genauerem
Zusehen auch als ein alles Naturgeschehen durchziehendes Naturgesetz
erweist, das Minimumprinzip, Prinzip des kleinsten Kraftmaßes oder
wie sonst man es noen benennen mag.
Nicht „Wunder der Technik“ zu schaffen, wo es sich um den
kostbarsten „Rohstoff“ Mensch handelt, sondern mit kleinstmöglichem
operativen Aufwand den individuell größtmöglichen Erfolg zu erzielen,
ist eine chirurgische Zielsetzung, dem wir auf dem Wege der Kon¬
stitutionsforschung näherzukommen hoffen dürfen.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSITV
23. Juni I W2
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
835
Aus der Universitäts-Hautklinik in Halle a. S.
(Direktor: Prof. Karl Grouven.)
Zur Frage der intravenösen Mischinjektionen (Hg + Sal-
varsan) in der Syphilisbehandlung unter besonderer Berück¬
sichtigung des Cyarsals 1 ).
Von Polizeiarzt Dr. V. Nagel.
Nachdem im Jahre 1919 Unser über seine Erfolge mit intra¬
venösen Sublimatinjektionen zusammen mit Neosalvarsan berichtet
hatte, gingen w egen des verhältnismäßig geringen Hg-Gehaltes, der
auf diese Weise dem Körper zugeführt wurde, und besonders wegen
der schmierigen Emulsion (schmutzig-grau-schwarze Farbe des Subli-
mat-Salvarsangemisches), die man aut diese Weise in die Blutbahn
ij ,Z rf r - e * e * n ^£ e ., Autoren bald zu Versuchen mit anderen löslichen
ng-Präparaten über. Besonders wurden solche mit Novasurol und
Embarin gemacht. Auch alle Derivate des Salvarsans, das Neosalvar¬
san, Salvarsannatrium, Silbersalvarsannatrium, Neosilbersalvarsan, wur¬
den bei dieser einzeitig kombinierten intravenösen Syphilisbehandlung
angewandt 6
Die oben erwähnten Nachteile waren die Veranlassung, nach
weiteren löslichen Hg-Präparaten zu suchen, bei denen sich die
chemische Umsetzung möglichst langsam vollzieht. So hat Oelze
. un Zusammenarbeiten mit der Firma J. D. Riedel, Berlin, das
Uyarsal gefunden, das die Paraverbindung der cyammerkurierten Sali¬
zylsäure in neutraler Lösung darstellt und in Ampullen zu 2,2 ccm
mit einem Hg-Gehalt von 0,02 im Handel ist. Die neutrale Lösung
wurde gewählt, da in alkalischer Lösung die Reduktion der Queck-
suberverbindung und damit die Oxydation des Salvarsans bedeutend
rascher in Erscheinung tritt.
Die Mischspritze, wie Oelze dieses Hg-Salvarsangemisch nennt,
bleibt etwa 1 Minute, völlig glasklar, erst nach mehreren Minuten
zeigt sich eine ganz geringe Trübung, die aber das Gemisch in bezug
auf Seine Durchsichtigkeit nicht beeinflußt, und erst nach mehreren
Stunden tritt eine regelrechte Trübung ein. Das Cyarsal hat also
den anderen löslichen Hg-Präparaten gegenüber den großen Vorzug,
daß es, wenigstens im Anfang, keine nennenswerte chemische Ver¬
bindung mit dem Salvarsan eingeht und dadurch das Gemisch nicht
zu einer unansehnlichen Emulsion macht. Es scheint afso, daß in
dem Cyarsal des Hg besonders fest gebunden ist (Oelze), was im
Hinblick auf die* Herstellung des Gemisches einen offensichtlichen
Vorteil bildet.
... Delze berichtet über sehr günstige Erfolge mit dieser neuen
„Mischspntze , die auch uns veranlagten, damit Versuche vorzu-
nenmen, nachdem die Firma J. D. Riedel uns in liebenswürdiger
weise die nötigen Versuchsmengen zur Verfügung gestellt hatte.
Lenzmann, Gutmann und Hey mann haben inzwischen über
ebenfalls vorgenommene Versuche berichtet 2). Es erschien uns von
besonderer Wichtigkeit, etwas über die Dauerwirkung dieser ein¬
zeitig kombinierten intravenösen Syphilisbehandlung zu erfahren, da
dies zur Beurteilung des therapeutischen Wertes des neuen Mittels
die Hauptsache ist.
Zunächst wurde das Cyarsal in Dosen von 0,045 intramuskulär
gegeben. Es wurde ebenso gut vertragen wie Novasurol, Embarin
und andere lösliche Hg-Präparate, ohne daß eine besonders erwäh-
nenswerte ^Wirkung sich zeigte. Wir gingen dann zu der intravenösen
Injekhon über und führten diese nur bei Kranken mit frischen
Sekundarerschemungen und 4fach positiver Wa.R. aus, um hier die
Wirkung auf die letztere zu erproben. Aus der Anzahl der mit
diesen Mischinjektionen Behandelten scheide ich bei meinen Betrach¬
tungen alle die aus, bei denen aus irgendwelchen äußeren Gründen
die Kur bis zum Schluß durchgeführt wurde. Es bleiben somit
noch 39 Patienten übrig, die sich auf 23 Männer und 16 Frauen im
Lebensalter von 17—41 JaTiren verteilen. Die Patienten wurden
zum größten Ted in der Klinik behandelt. Die Männer erhielten
10—12, die Frauen 12—16 Mischinjektionen.
Erstere bekamen Neosalvarsangaben von 0,45 bis 0,9 zusammen
& a « al bls 0,045 Hg-Gehalt, letztere Neosalvarsangaben
von 0,3 bis 0,45 zusammen mit den gleichen Mengen Cyarsal wie
die Männer. Beide Geschlechter erhielten eine Gesamtdosis von
3 -1? 6 J Neosalvarsan und 0,2 bis 0,3 metallisches Quecksilber bei
wöchentlich 2 Injektionen.
. Ver g( eicl ? A wurde eine gleiche Anzahl Patienten (23 Männer
j At \ rauen ! m,t g ,e, chfalls nur frischen sekundären Erscheinungen
und 4fach positiver Wa.R. mit der in unserer Klinik üblichen zwei¬
zeitig kombinierten Hg-Salvarsankur genau beobachtet. Diese Patien¬
ten erhielten während einer Kur jedoch nur 3 bis 4 g Neosalvarsan
und 12 intramuskuläre Injektionen mit Hg-salicylicum 0,1 bei wöchent¬
lich 1 Salvarsan- und 2 Hg-Injektionen.
Die Gesamtmenge des Salvarsans bei einer Kur war also be¬
deutend geringer als bei den mit Mischinjektionen Behandelten, da-
gegen die dem Körper zugeführte Menge Hg erheblich größer,
ein Umstand, der natürlich bei der Beurteilung der jeweiligen Resultate
nicht außerachtgelassen werden darf. Das Ziel einer möglichst ge¬
ringen Salvarsanzufuhr, worauf bereits Kolle bei Einführung des
9 Teilweise als Vortrag gehalten auf der dritten Tagung Mitteldeutscher Derma¬
tologen Jo Halle a. S. am 22.1.22. — ■) Die weiteren inzwischen erschienenen Mlt-
teflnoceo aber Cyarsal waren hü Niederschrift dieser Arbeit noch nicht bekannt
Silbersalvarsans als großen Vorteil hingewiesen hat, wird auf dem
Wege der Mischinjektionen also auch nicht erreicht.
Zunächst möchte ich noch erwähnen, daß die Mischinjektionen
als solche keinerlei technische Schwierigkeiten bereiteten. Der bereits
oben erwähnte glasklare Inhalt der Mischspritze ließ das Blut beim
Eindringen in diese ebenso gut erkennen wie bei der reinen Salvarsan-
injektion. Es stellten sich auch keine Thrombosen, auch keine Ver¬
härtungen der Venenwand ein, trotzdem bis 16 Mischspritzen gegeben
wurden. Ebenso wurden sämtliche Mischinjektionen gut vertragen,
selbst bei den hohen Neosalvarsandosen 0,9 -j- Cyarsal mit 0,045 Hg-
Gehalt.
Nebenerscheinungen stellten sich auch in keinem Fall so heftig
ein, daß die Kur etwa hätte unterbrochen werden müssen. Erbrechen,
Durchfall, Nierenreizungen (der Urin wurde regelmäßig kontrolliert),
Störungen von seiten des Zentralnervensystems, Dermatitiden traten
überhaupt nicht auf, Fieber und Kopfschmerzen gingen nicht über
das gewöhnliche Maß bei reinen Neosalvarsaiiinjektionen hinaus.
Stomatitis trat viel seltener und viel leichter auf als bei den mit der
zweizeitig kombinierten Hg-Neosalvarsaukur Behandelten. Ich komme
auf diesen Punkt später noch genauer zurück. Der anfangs häufig
auftretende angioneurotische Symptomenkomplex (Blutandrang nach
dem Kopf, Angstgefühl, ausgesprochener Luftmangel, Gefühl des Zu¬
sammengeschnürtseins der Brust) ließ sich durch langsamere Injek¬
tionen bald vermeiden. Teilweise wurde über einen unangenehmen,
nicht näher zu bezeichnenden Geschmack geklagt, der aber sehr
rasch verging.
Die klinischen Erscheinungen gingen während der Kur sämtlich
völlig zurück, aber wir haben den bestimmten Eindruck gewonnen,
daß die Erscheinungen langsamer verschwanden als bei der zwei¬
zeitig kombinierten Hg-Salvarsankur, insbesondere machte sich das
bei den nässenden Papeln und den breiten Kondylomen bemerkbar.
Auffallend langsam bildeten sich die Drüsenschwellungen zurück.
Die Wa.R. wurde zum Zwecke der Kontrolle ihrer Beeinflussung
durch die Mischinjektionen jedesmal nach durchschnittlich 3 bis
4 Injektionen angestellt. Auch hier zeigte sich entschieden eine
verlangsamte Beeinflussung im Vergleich zu den mit der zweizeitig
kombinierten Hg-Salvarsankur Behandelten.
Zur Kontrolle auf die Dauerwirkung wurden sämtliche Patienten
8 bis 12 Wochen nach Beendigung ihrer Kur wieder bestellt. Trotz¬
dem ich die Aufforderungen direkt an die Krankenkassen schickte,
ist doch eine Anzahl von Patienten nicht erschienen.
Klinische Rückfälle sah ich bis auf einen bei keinem der erschie
uenen Patienten.
In bezug auf die Wa.R. ergab sich nun Folgendes: Ich bezeichne
zur Vereinfachung die mit der einzeitig kombinierten Kur (Misch
Injektionen) Behandelten mit I, die mit der zweizeitig kombinierten
Kur (Hg intramuskulär) mit II.
Wa.R. nach der Kur bei
I In 30,6% positiv
II in 15,3°/o positiv
Wa.R. 8-12 Wochen
nach der Kur bei
I in 44,5°/ 0 positiv
II in 21,8% positiv
also serologische Rück¬
falle bei
I - 13,9%
11= 6£%
- Wir haben also ein erhebliches Plus zugunsten der zweizeitig
kombinierten Hg-Salvarsanbehandlung, das noch mehr in die Augen
fällt, wenn man sich die Einzelresultate ansieht, aus denen hervorgeht,
daß bei 12,7o/o der mit I behandelten Patienten die Wa.R. gänzlich
unbeeinflußt blieb, während bei den mit II behandelten Kranken die
Wa.R. stets so beeinflußt wurde, daß eine vierfach positive Wa.R. am
Schluß der Kur in keinem Fall mehr vorhanden war.
Wenn ich mir auch bewußt bin, daß bei der verhältnismäßig klei¬
nen Zahl von Patienten, auf die sich die obigen Beobachtungen er¬
strecken, ein endgültiges Urteil nicht fällen läßt, so scheinen mir doch
die Resultate injmerhin sehr bemerkenswert zu sein, da beide Gruppen
von Patienten zu gleicher Zeit und unter denselben äußeren Bedin¬
gungen behandelt wurden und da der Unterschied in den Erfolgen
der nach I und II behandelten Patienten sich wie 1:2 verhält. Ich
halte die Wa.R. trotz aller neueren gegenteiligen Behauptungen vor¬
läufig immer noch für das wichtigste Kriterium zur Beurteilung des
Erfolges einer antisyphilitischen Behandlung, und aus diesem Ge¬
sichtspunkt können wir nach unseren obigen Resultaten der einzeilig
kombinierten Hg-Salvarsanbehandlung nicht das Wort reden, sondern
müssen vorläufig die alte bewährte zweizeitig kombinierte Hg-Sal¬
varsankur immer noch für die energischere Behandlungsart der Syphilis
ansehen.
Auch theoretische Erwägungen führen mich zu demselben Schluß.
Wenn auch bei dem Cyarsal, wie oben bereits erwähnt, im
Gegensatz zum Sublimat und den anderen löslichen Hg-Präparaten in
den ersten Minuten der Mischung mit Salvarsan nur eine geringe
chemische Verbindung eintritt, so findet doch bei jeder Mischung eine
Reduktion des eingeführten Hg zu metallischem Quecksilber statt.
Das Salvarsan selbst wird dabei oxydiert (Rothman), und es ist
bekannt, daß oxydiertes Salvarsan eine große toxische Wirkung aus¬
üben kann.
Es scheint mir auch sicher zu sein, daß die intravenös zugeführten
löslichen Salze des Hg viel schneller wieder vom Körper ausgeschieden
werden als die unlöslichen Hg-Salze. (Siehe auch die eingehenden
Untersuchungen von Autenrieth und Montigny, M. m. W. 1920
Nr. 32.) Durch letztere wird eine Depotwirkung erreicht. Von diesen
Hg-Depots wird den Körpergeweben immer wieder von neuem Hg
zugefünrt, sodaß wir eine sehr lange Quecksilberwirkung haben.
Daß das dem Körper durch intravenöse Injektion einverleibte Hg
nicht die Wirkung hat wie das intramuskulär zugeführte Hg, dafür
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNiVERSlTV
836
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 25
scheint mir die verhältnismäßig seltene und dann nur leichte Stomatitis
ein untrüglicher Beweis zu sein.
Vielleicht wäre sogar die Behandlung der Syphilis noch erfolg¬
reicher, wenn es möglich wäre, auch das Salvarsan intramuskulär ein¬
zuverleiben, um auch hier eine nachhaltigere Wirkung zu erreichen.
Das Eingehen unbekannter chemischer Verbindungen mit dem
Salvarsan, die schnelle Ausscheidung des Hg durch den Urin, die
geringe sichtbare Quecksilberwirkung (Stomatitis!) und dazu die nach
unseren Erfahrungen schlechte Beeinflussung der Wa.R., besonders
auf die Dauerwirkung, scheinen mir doch Grund genug zu sein, nicht
ohne weiteres die alte bewährte zweizeitig kombinierte Hg-Salvarsan-
behandiung über Bord zu werfen.
Ich gebe zu, daß bei der neuen Methode der Syphilisbehandlung
ein wichtiges Moment, nämlich die Schmerzlosigkeit der Behandlung
— einwandfreie Technik vorausgesetzt — eine große Rolle spielt.
Eine zu starke Betonung derartiger Rücksichten für das therapeutische
Handeln des Arztes scheint mir jedoch nicht das Richtige zu sein.
Ich glaube vielmehr, daß auch heute noch die vor 28 Jahren von
Blaschko hinsichtlich der Erfolge der ersten intravenösen Sublimat¬
injektionen in der Syphilisbehandlung niedergeschriebenen Zeilen ihre
volle Berechtigung haben: „Vergleicht man die Baccellische Methode
mit Bezug aut ihre Wirksamkeit mit anderen Methoden, insbesondere
mit der Schmierkur und der Injektion unlöslicher Präparate, so scheint
sie an Kraft und Nachhaltigkeit der Wirkung diesen zurückzustehen,
von einer Ucberlegenheit kann auf keinen Fall die Rede sein, ebenso¬
wenig habe ich eine besondere Schnelligkeit der Wirkung konsta¬
tieren können.“
Zusammenfassung. 1. Die mit Cyarsal hergestellte Mischinjek¬
tion ist technisch die geeignetste. 2. Das Cyarsal macht keine nennens¬
werten Nebenerscheinungen, die klinischen Erscheinungen der Syphilis
bilden sich gut zurück, wenn auch nicht so prompt wie bei der zwei¬
zeitig kombinierten Hg-Salvarsanbehandlung. 3. Die Wa.R. wird durch
die Mischinjektionen nicht so gut beeinflußt wie durch die zweizeitig
kombinierte Hg-Salvarsanbehandlung, besonders was die Dauerwir¬
kung anbetrifft.
Angabe der Literatur kann wegen Raummangels nicht erfolgen.
Die Förderung der Blutbildung durch Eisen und Arsen.
Von Prof. Dr. Franc Möller in Berlin.
1. Eisen.
Man sollte glauben, daß es kein Arzneimittel gibt, dessen Stellung
in der Therapie sicherer begründet und allgemeiner anerkannt ist,
als das Eisen. Alle Zweifel an der Resorbierbarkeit von per os ein¬
geführten Eiseusalzen sind ja in den 00er Jahren des vorigen Jahr¬
hunderts durch zahlreiche einwandfreie Untersuchungen an verschie¬
denen Tierarten beseitigt worden, und die Arbeiten von Kunkel,
Cloetta, Abderhalden, mir selbst und Tartakowski sind
bisher als bündiger Beweis dafür angesehen worden, daß Eisensalze
und organische Eisenpräparate bei durch Blutentziehung anämisch
gemachten oder ganz jungen Tieren kurz nach Ablauf der Säuglings¬
periode die Hämoglobinbildung und die Gewichtszunahme fördern.
Sichergestellt schien auch die spezifische Wirkung auf die blut¬
bildenden Organe, nachdem ich bei anämisch gemachten Tieren nach
Zufuhr von Eisensalzen im Knochenmark viel mehr kernhaltige rote
Blutkörperchen und Mitosen feststellen konnte als bei gleichaltrigen
Kontrollieren des gleichen Wurfes, die ohne Eisen ernährt waren.
Eisensalze und Präparate, die das Eisen in komplexer organischer
Bindung, ähnlich wie im Hämoglobin, enthalten, wirken nach allem,
was wir wissen, prinzipiell in gleicher Weise. Bekanntlich kann man
das in einer Lösung eines anorganischen Eisensalzes als Ion enthaltene
Eisen durch Schwefelammonium in Form eines grünlichschwarzen
Niederschlags von Schwefeleisen ausfällen. Ionisiertes Eisen finden
wir nun nach Aufnahme anorganischer Eisensalze oder von orga¬
nischen Eisenpräparaten, in denen es in komplexer Bindung, d. h. in
Lösung nicht als einfaches Eisenion, sondern als komplexes, durch
Schwefelammonium nicht fällbares Ion enthalten ist, vor der Re¬
sorption im Dünndarm, nach der Resorption abgelagert in der Leber,
der Milz, den Lymphdrüsen und während und nach der Ausschei¬
dung in den Darmzotten und im Inhalt des Dickdarms. Zwischen
diesen Stationen aber ist das in Resorption befindliche Eisen
in komplexer und durch Schwefelammonium nicht nachweisbarer Form
im Blut enthalten. Die Bindungsform des Eisens wechselt also mehr¬
fach. Daher ist verständlich, daß die Bindungsform als solche thera¬
peutisch im Prinzip unwesentlich ist. Dagegen scheint in der Tat nur
dreiwertiges Eisen, nicht fünfwertiges, blutbildend zu wirken — ver¬
gleichbar der Wirksamkeit des dreiwertigen Arsens und der geringeren
Wirksamkeit des fünfwertigen.
Gegen diese Anschauungen sind in allerneuester Zeit von ameri¬
kanischer Seite Zweifel geäußert worden. Es wird, wie in Deutsch¬
land vor etwa vier Jahrzehnten, von neuem behauptet, die Annahme
des Praktikers, daß Eisen die Blutarmut günstig beeinflusse, beruhe
auf Täuschung. Bei den künstlich durch Blutentziehuug oder ein¬
seitige Milchernährung anämisch gemachten Tieren sei die Ursache
der Anämie in dem Fehlen von Vitaminen, nicht im Blutmangel zu
suchen. Der Zusatz des Eisens wirke nicht besser, sondern sogar oft
schlechter als Beigabe von nicht-eisenhaltigen Vitaminen zur Kost.
Eisenpillen und gar andere Eisenpräparate seien wertlos! Somit scheint
der alte Streit zwischen den jahrhundertealten Erfahrungen der ärzt¬
lichen Praxis und dem Laboratoriumsexperiment von neuem auf¬
zuleben.
Meines Erachtens sind die mit großem technischen Aufwand an¬
geführten amerikanischen Versuche nicht ausreichend, um den Wert
unserer bisherigen Arbeit in Frage zu stellen. Zuzugeben ist, daß
wir vor zwei bis drei Jahrzehnten ja noch nichts von Vitaminen
wußten und daß in der Tat die ausschließliche Ernährung wachsender
Hunde mit abgekochter Milch, vielleicht unter Zusatz von Weißbrot,
aber ohne Fleisch, Extraktivstoffe oder Gemüse Vitaminmangel nach
Monaten herbeiführen muß. Die Anämie ist daher als nicht aus¬
schließlich durch Eisenmangel, sondern außerdem durch Vitamin¬
mangel hervorgerufen anzusehen. Diese Störung ist aber — und daran
kann man eben nicht zweifeln — durch Zusatz von kleinen Mengen
anorganischer Eisensalze oder organischer Eisenpräparate beseitigt
worden. Hat doch Abderhalden bei kleineren Tieren und ich
bei Hunden die Zunahme der Gesamt- Blutfarbstoffmenge, gemessen
nach der Welk ersehen Methode, festgestellt. Nun können wir
allerdings heute mit Hilfe der in Amerika ausgearbeiteten Farbstoff¬
injektionsmethoden die Zunahme der Gesamt-blutfarbstoffmenge von
der der Gesamtmenge an Blutflüssigkeit trennen, und wissen, daß bei
tierischer und menschlicher Anämie zwar die Gesamtfarbstoffmenge
des Körpers unter die Norm sinkt, die Blutflüssigkeitsmenge dagegen
oft größer ist als normal. Es wäre daher interessant, unsere Versuche
mit diesen neuen Methoden im Hinblick auf die Aenderung des
Gesamtblutvolumens wieder aufzunehmen und festzustellen, ob nicht
außer der Neubildung des Blutfarbstoffs eine Besserung in dem
Flüssigkeitsaustausch zwischen Blut und Organen, ein Authören der
Oedembereitschaft durch Eisen herbeigeführt wird. Weiß doch der
Praktiker, daß die Oedeme des Anämischen nach Eisenmedikatiou
schwinden.
Gegen die amerikanische Versuchsanordnuug läßt sich außerdem
einwenden, daß man doch wohl' die technischen Schwierigkeiten der¬
artiger Versuche nicht genügend berücksichtigt hat. Wenn man die
deutschen Originalarbeiten eingehend studiert hätte, so würde man
ersehen haben, daß junge Tiere — Hunde wie Ratten — in sicher
eisenfreien Käfigen gehalten, am Verzehren ihres eigenen Kotes mög¬
lichst gehindert werden müssen und daß die Nahrung peinlichst von
Eisenspuren freizuhalten ist. Geschieht das nicht, so erzielt man keinen
ausreichenden, einer postinfektiösen oder chlorotischen Anämie etwa
vergleichbaren Grad von Hämoglobinarmut und sieht dann keine Wir¬
kung des medikamentösen Eisens. Endlich liegt ein neuer Beweis für
die spezifische Wirkung des Eisens auf die Blutbildung in der von
Mansfeld gefundenen Tatsache, daß bei anämisch gemachten Tieren,
deren Schilddrüse entfernt ist, zwar die sonst die Blutbildung fördernde
Wirkung der verminderten Sauerstoffspannung und der arsenigen
Säure ausbleibt, aber nicht die des Eisens. Dies spricht durchaus für
einen Eintritt des medikamentös gegebenen Eisens in das Eiwei߬
molekül zwecks Aufbau von frischem Hämoglobin.
Schwierig bleibt immerhin die Beantwortung der Frage, warum
das Eisen bei der Chlorose wirkt. Es erscheint äußerst naheliegend,
daß diese Krankheit irgendwie mit krankhaften Funktionsstörungen
der Geschlechtsorgane zusammenhängt, die normalerweise hormonale
Reizstoffe für die blutbildenden Organe liefern. Diese Anregung
scheint bei au Chlorose Erkrankten mangelhaft zu sein, sei es, daß die
wirksamen Stoffe in zu geringer Menge oder daß die Blutbildung
geradezu hemmende Stoffe gebildet werden. Vor allem die anorgani¬
schen Eisensalze sind kräftige Reize für die blutbildenden Organe.
Sie gleichen die Hemmung der Blutkörperneubildung aus. Ohne daß
ein für die Hämoglobinbildung fehlender Bestandteil neu zugeführt
wird, wirkt nach dieser bekanntlich von Noorden stammenden Auf¬
fassung das Eisen bei der Chlorose wie Sauerstoffmangel, arsenige
Säure oder unspezifische Reiztherapie (Bestrahlungen verschiedener
Art u. a.), nur daß bei Sauerstoffmangel (Höhenluft) und Arsen die
Wirkung auf die Blutbildung außerdem noch auf dem Wege über die
Schilddrüse gefördert wird.
Die dem Anämischen zuzuführende Eisenmenge muß pro Tag etwa
0,1 bis 0,2 g betragen. Die Auswahl des Präparats hängt von sekun¬
dären Momenten ab. Gerade Chlorotische vertragen oft die noch
letzthin von einem unserer ersten jüngeren Kliniker mit Recht als beste
Darreichungsform empfohlenen Blaudschen Pillen, schlecht, während
die Tinctura ferri pomati (3mal täglich 10 Tropfen nach dem Essen)
und das z. Zt. leider nicht erhältliche Ferrum albuminatum den Appetit
seltener ungünstig beeinflussen. Auch die Pilulae ferri lactici (Ferr.
lact. 3,0, Rad. Gent. pulv. 0,6, Extract. Gent. 1,8, M. f. Pil. XXX) werden
besser vertragen als die Blaudschen Pillen und sind, wenn auch teurer
als sie, doch immerhin viel preiswerter als die zahllosen auf dem Markt
befindlichen und meines Erachtens überflüssigen Präparate mit kom¬
plex gebundenem Eisen. Die Bekömmlichkeit der Blaudschen Pillen
wird durch einen Zuckerüberzug, wie ihn eine Komprettenform ent¬
hält, verbessert.
Noch nicht genügend erklärt scheint mir die einwandfrei fest¬
gestellte Tatsache, warum Trinkkuren von eisenhaltigen Mineral¬
wässern, die nur zwischen 0,03 bis 0,1 g Ferrohydrokarbonat im Kilo¬
gramm Wasser enthalten und bei denen pro Tag nicht immer die
sonst zur Wirkung notwendige Eisenmenge von 0,1 bis 0,2 g auf-
genommen wird, ebensogut, wenn nicht besser, auf die Behebung der
Anämie wirken als Eisenpillen oder Eisentropfen,
-Digitized by QoOölß
Original from
CQRNELLUNIVERSITY
23. Juni 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
837
2. Arsen.
Wie vorstehend schon erwähnt, ist pharmakologisch wirksam nur
dreiwertiges, nicht fünfwertiges Arsen, das im Körper zum Teil in
dreiwertiges umgewandelt wird. Ohne auf die Gift Wirkung der
arsenigen Säure einzugehen, soll hier nur hervorgehoben werden, dal}
weder die arsenige noch die Arsensäure etwa wie Eisen mit Teilen der
Zellsubstanz „erkennbare oder sonstwie nachweisbare Verbindungen
eingeht. Ihre Lösungen zeigen zunächst keine sichtbare morpho¬
logische oder funktionelle Wirkung, weder auf nervöse noch auf
andere organische Gebilde. Fermente werden durch Arsenik nicht
merklich verändert. Es ist bisher nicht festgestellt, ob die das Leben
der Zellen zerstörende Wirkung auf katalytischer Hemmung lebens¬
wichtiger Prozesse beruht (was unwahrscheinlicher ist) oder durch
chemische Bindung irgendeines für das Zelleben notwendigen Mini¬
mumstoffes des Protoplasmas zustandekommt“ (H. H. Meyer).
Daß minimal-wirksame Mengen von Arsenik die Oxydationen
hemmen, das Wachstum und den Stoffansatz, sowie die Blutbildung
fördern, steht fest. Es wurde auch schon hervorgehoben, daß die
Wirkung auf die Blutbildung nach Entfernung der Schilddrüse aus¬
bleibt, also indirekt durch Anregung oder Förderung der Tätigkeit
des Schilddrüsenhormons zustandekommt. Wachstumsförderung und
Zellzerstörung mögen wohl nebeneinander hergehen. Vielleicht wir¬
ken gerade die so erzeugten Zellzerfallstoffe anreizend auf die Assi¬
milation und Zellneubildung. Der therapeutischen Verwendung von
dreiwertigem Arsen kommt die Gewöhnung der Zellen an Arsen,
anderseits seine leichte Resorption und langsame Ausscheidung zugute.
Nach subkutaner Injektion werden nur 10 bis 20°o im Harn und 3 bis
4°o im Kot, nach Einnahme per os 4 bis 14^o im Harn und verhält¬
nismäßig mehr rm Kot ausgeschieden. Es bleibt aber immer eine er¬
hebliche Menge im Körper zurück, die vor allem in der normalen
Leber, aber auch in anderen Organen, wie den Knochen und den
Haaren, gespeichert wird. Eigenartig ist die Sneicherung des Arsens
in pathologischen Zellen; findet man doch im Karzinomgewebe mehr
Arsen als in den umgebenden Organzellen.
Welche Form der Zuführung man therapeutisch wählen soll, wird
noch immer eifrig diskutiert. Zweifellos ist die Wirkung sicherer nach
Subkutaninjektion genau dosierter Lösungen. Leider ist jedoch die
Einspritzung von Natrium arsenieosum (2—10 mg pro dosi), selbst
intramuskulär, oft recht schmerzhaft. Man zieht daher Natrium kako-
dvlicum in steigenden Dosen von 0,01 bis 0.1 g und wieder fallend bis
0,01 vor. Bei ihm stört nur der Knoblauchgenich aus dem Munde,
der nach Injektion von Solarson, das in letzter Zeit allerdings sehr teuer
geworden, fehlt. Morawitz empfiehlt Arsazctin, beginnend mit
0,02. bis zu 0,15 pro dosi steigend bei perniziöser Anämie. Schädi¬
gungen hat er danach niemals gesehen. — Die innere Verwendung
von Arsen ist viel unsicherer. Man verordnet Liquor Kalii arsenicosi,
3ma! täglich 2 bis 10 Tropfen, allmählich steigend, dann fallend, für
6 Wodien, oder die Pilulac asiaticae, die 1 mg Arsenik pro Pille
enthalten, beginnend mit 2 Pillen täglich, um bis zu 10 Pillen lang¬
sam zu steigen. Auf der Höhe bleibt man 2 Wochen und fällt all¬
mählich, um die Kur nach 6—8 Wochen zu beenden. Andere Arsen¬
präparate braucht man im allgemeinen nicht.
Von den arsenhaltigen Quellen kommt für uns in Deutschland jetzt
nur noch die Dürkheimer Maxquelle mit 17,4 mg Arsenik im Liter in
Betracht. Man steigt bei ihr in etwa 10 Tagen von 50 bis 100 ccm
pro Tag und erreicht so eine Tagesmenge von über 5 mg Arsenik.
Mit Recht sehr beliebt ist die Kombination von Eisen mit arseniger
Säure, die natürlich nur für innerlichen Gebrauch in Betracht kommt.
Man hat hier die Wahl zwischen der Tinct. ferri arsenicosi (Liquor
Kalii arsenic. 5,0, Tct. ferri oomati 5,0) und den Pil. ferri arsenic',
(mit 1 mg Arsenik und 6 cg Eisen pro Pille). Verhältnismäßig preis¬
wert sind außerdem die Kompretten Pil. Blaudii c. arid, arsenic. mit
oder ohne Zuckerüberzug, je nach Bekömmlichkeit. Arsen — wie
Eisenpräparate — gibt man immer nach dem Essen auf vollen Magen.
lieber die Behandlung der Krampfadern und ihrer
Folgezustände 1 ).
Von Dr. Th. Voeckler in Halle a. S.
L
Das Krankheitsbild der Varizen und ihrer praktisch wichtigsten
und zugleich unangenehmsten Komplikation, des Ulcus cruris, darf
als bekannt vorausgesetzt werden. Die Diagnose stößt so gut wie
niemals auf Schwierigkeiten und wird meistens vom Patienten selbst
gestellt.
Ich darf, ehe ich auf die Frage der Therapie eingehe, den
heutigen Stand unserer Kenntnisse über die Aetiologie und das
Zustandekommen der Krampfadern etwas eingehender behandeln,
weil dieser Punkt von Wichtigkeit für die einzuleitende Therapie ist.
Wir unterscheiden am Unterschenkel zwei Venensvsteme, ein
oberflächliches, unter der Haut gelegenes, das sein Blut in die
Vena saphena magna und parva sammelt und unterhalb des Foramen
ovale in die Vena femoralis ergießt, und ein tiefes, zwischen den
Muskeln gelegenes, dessen Blut direkt der Femoralvene zuströmt.
Zwischen beiden Venensystemen bestehen zahlreiche Verbindungen.
*) Vortrag, gehalten^aufjier Bahnarztversammlung in Pyrmont am 15. X. 1921.
Beide Venensysteme können für sich oder gemeinsam erkranken.
Vorzugsweise wird allerdings das Verbreitungsgebiet der Vena
saphena magna ergriffen.
Trotz ihrer großen Verbreitung und ihres langen Bekanntseins
— kannten doch schon die Aerzte des Altertums die Krankheit und
verstanden sich auf ihre blutige und unblutige Behandlung — ist
die Frage ihrer Entstehung bis heute noch nicht restlos geklärt.
Erwiesen ist zwar, daß mechanische Momente eine sehr erheb¬
liche Rolle für das Zustandekommen der Krampfadern spielen und
daß alles, was eine Blutdrucksteigerung in den Beinen erzeugt, unter
gewissen Bedingungen zur Ausbildung der Varizen führen kann; allein
welches diese Bedingungen sind, wissen wir nicht. Nicht jeder
Schwerarbeiter, nicht jeder stehend tätige Mensch erkrankt an Varizen,
und so kommen wir schließlich um die Annahme einer Prädisposition
nicht herum und sind genötigt, konstitutionelle Fehler anzunehmen,
um für die letzte Ursache eine Erklärung zu finden.
Die Medizin beschäftigt sich jetzt wieder mehr mit den Fragen
der Vererbung, Veranlagung und Konstitution; sie sind in letzter
Zeit besonders aktuell geworden. Man kann geradezu von einer
Aera der Konstitutionspathologic sprechen, die gegenwärtig die Aera
der zellulären Pathologie und die bakteriologische Aera abgelöst hat.
Hervorragende Aerzte der verschiedensten Disziplinen beschäftigen
sich eingehend mit diesen Dingen.
Von Bier ist der Begriff der Schwäche des Binde- und Stütz¬
gewebes aufgestellt worden; man begreift darunter einen Zustand,
bei dem die vom Mesoderm abstammenden Gewebe schwächer ent¬
wickelt sind, insuffizient bleiben und mechanischen Anforderungen
weniger gewachsen sind als bei Gesunden. Bei solcher Art in der
Anlage geschädigter Individuen begegnen wir häufig dem Auftreten
eines bestimmten Syndroms von Krankheitszuständen, nämlich Her¬
nienbildung, Eingeweidesenkung, Varizen, Hämorrhoiden, statische
Deformitäten und Plattfuß. Gewiß wird Ihnen schon das vielfache
Zusammentreffen einiger dieser Krankheitszustände begegnet und
aufgcfallcn sein.
Eine angeborene Schwäche der Venenwändc, eine frühzeitige
Neigung zum Elastizitätsverlust muß man wohl als letzte Ursache
für die Bildung von Varizen annehmen.
Vielleicht sind übrigens die Untersuchungsresultate Baek-
manns 2 ) geeignet, dieser immerhin etwas unklaren Vorstellung einer
konstitutionellen Gefäßwandschwäche einen positiven Hintergrund zu
geben. Er fand nämlich in langen Beobachtungsreihen an Venen
an akuten Krankheiten Verstorbener aller Altersklassen ganz un¬
regelmäßige und ohne in nachweisbarer Beziehung zur Umgebung
stehende Wandveränderungen im Sinne der Verdünnung und Ver¬
dickung, die noch nicht als pathologisch aufzufassen, sondern ins
Bereich des Physiologischen zu verweisen waren. Sie waren zahl¬
reich und wahllos über die Körpervenen verteilt, im einen Falle
mehr, im anderen weniger ausgesprochen. Kocher hält diese Unter¬
suchungsergebnisse für recht bedeutsam und will daraus einen „prä¬
varikösen Zustand“ ableiten.
Zu diesem ersten ätiologischen Faktor muß der zweite hinzu¬
treten, der in mechanischen Momenten zu suchen ist.
Unter diesen spielt die Hauptrolle die aufrechte Haltung des
Menschen. Die aufrechte Haltung verlängert die auf den Unter¬
schenkelvenen lastende Blutsäule um die Länge der Vena iliaca ex¬
terna und interna und Vena cava inferior. Damit wächst ganz erheb¬
lich der hydrostatische Druck.
Des weiteren wirkt druckvermehrend schwere körperliche, stehend
verrichtete Arbeit. Bereits jede tiefe Inspiration löst, da sie mit
Abwärtsbewegung des Zwerchfelles und Verkleinerung der Bauch¬
höhle verbunden ist, durch Drucksteigerung in der letzteren eine
rückläufige Wellt in der Saphena magna aus. Kräftige Kontraktion
der Bauchmuskulatur und Pressen, was mit schwerer Muskelarbeit
verbunden zu sein pflegt, wirkt in dieser Beziehung noch stärker.
Die Drucksteigerung veranlaßt eine sichtbare Erweiterung der
Venen, die bei Nachlassen des Druckes, ihrer Elastizität folgend,
wieder abschwellen.
In obigem Sinne schwache Venen halten aber auf die Dauer
dieser immer wiederkehrenden DrueKvermehrung nicht stand, büßen
durch dauernde Ueberdehnung allmählich ihre Elastizität ein und
verändern sich in ihrem histologischen Gefüge insofern, als die
muskulären Elemente verloren gehen und die Wandschichten all¬
mählich eine fibröse Umwandlung erfahren. Die Folge ist Erweite¬
rung und Verlängerung der Gefäße, die sich in stärkerer Schlänge¬
lung ausdrückt.
Wir dürfen in der schweren körperlichen, mit Stehen verbundenen
Arbeit die weitaus häufigste Veranlassung der Varizenbildung er¬
blicken. Gewisse Berufe sehen wir aus diesem Grunde besonders
bevorzugt, wie Schmiede, Bäcker, Kellner, Köchinnen und Wäsche¬
rinnen.
Daneben können allerdings auch noch andere Ursachen in Frage
kommen, die eine direkte Stauung in den Venen der Beine herbeizu¬
führen geeignet sind, wie intraabdominale Tumoren, Schwanger¬
schaft. Aszites, Herzfehler.
Ich darf noch pine anatomische Frage streifen, die immer als
grundsätzlich wichtig für das Zustandekommen der Varizen ange¬
sehen wird; es handelt sich um die Venenklappen.
Wir erinnern uns, daß die Venen Klappen besitzen und daß
diese am stärksten an den Venen der unteren Extremitäten aus-
l ) Arch. f. Anal. u. Phys. 1906
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
838
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 25
gebildet sind, wo die Blutströmung bei der Länge der Gefäße und
der aufrechten Haltung des Menschen am meisten erschwert und die
Gefahr einer Rückstauung am größten ist. Die Klappen stellen zwei
breitbasig der Wand sich ansetzende dünne Segel dar, die beim
strömenden Blute im Gefäßinneren flottieren und die sich in der
Richtung des Blutstromes öffnen und bei Rückstauung oder Rück¬
fluß schließen. Die Saphena magna soll durchschnittlich 16 Klappen j
besitzen, die sich gleichmäßig auf Fuß, Unter- und Oberschenkel
verteilen. Sie sollen den Zweck haben, die Blutströmung in den
Venen zu erleichtern, das Venenblut am Rückfluß zu verhindern und
dadurch, daß sie die Vene in mehrere kleine Abschnitte zerlegen,
den Druck der gesamten bis zum Herzen reichenden Blutsäule
zu unterbrechen und in zweckmäßiger Weise auf die Venenwand zu
verteilen. ....
Ob und wie weit die Klappen tatsächlich imstande sind, diesen
Funktionen zu genügen, scheint nach neueren Studien Ledder-
hoses 1 ) etwas zweifelhaft zu sein, der feststellte, daß die Klappen
die Rückstauung in den Beinvenen nicht zu verhindern mögen und
daß ferner die Klappen frühzeitig anfangen zugrundezugehen.
Ledderhose will dafür den histologischen Veränderungen der
Venenwand bezüglich des Zustandekommens der Varizen das größere
Gewicht beilegen. ' _
Immerhin hält noch heute die Mehrzahl der Physiologen und
Pathologen daran fest, daß die Schlußfähigkeit der Venenklappen
ein wesentlicher Faktor für eine geregelte Zirkulation in den Bein¬
venen ist und daß umgekehrt Insuffizienz der Klappen zu Störung
derselben führt.
Eine Insuffizienz der Klappen muß aber notwendig eintreten,
wenn die Venen sich unter den oben besprochenen Bedingungen er¬
weitern. . ¥T ^
Für die chirurgische Betrachtung sind nun seit den Unter¬
suchungen Trendelenburgs seine Theorien noch heute im wesent¬
lichen gültig.
Trendelenburg 2 ) zeigte, daß, wenn man einen an Varizen
leidenden Kranken horizontal niederlegt, die Unterschenkelvarizen
sofort kleiner und schlaffer werden. Sie bleiben jedoch gefüllt,
solange sie sich unter dem Niveau des Herzens befinden. Je mehr
man das Bein in horizontaler Lage weiter erhebt, d. h. im Hüft¬
gelenk beugt, desto vollständiger fließt das Blut aus den Varizen
ab. Bringt man bei noch erhobenem Beine den Körper in halb¬
sitzende Lage, so sieht man bei Klappeninsuffizienz das Blut rasch
wieder in die Saphena einfließen, und zwar nur bis zu einer Tiefe,
die jeweils dem Niveau entspricht, in welchem sich das Herz be¬
findet. Vena cava und iliaca einerseits und Saphena anderseits ver¬
halten sich also wie ein System kommunizierender Röhren im physi¬
kalischen Sinne. Steigt der Kranke vom Tische herunter, so strömt
plötzlich das Blut aus den oberen großen Venen mit großer Ge¬
schwindigkeit ein und füllt die Venen am Beine prall an.
Auf dieser Beobachtung basiert der Trendelenburgsche Versuch
zum Nachweise der Insuffizienz der Venenklappen. Derselbe ist für
die therapeutische Indikationsstellung sehr wichtig und ist überall
ausführbar, wo ein Untersuchungssofa zur Verfügung steht.
Man gibt dem Kranken auf, sich flach auf das Sofa zu legen,
und hebt das erkrankte Bein unter Beugung im Hüftgelenk an;
man sieht sofort, daß die Varizen zusammenfallen und die Saphena !
sich entleert. Die Entleerung kann durch Ausstreichen in zentri- j
petaler Richtung noch vervollständigt werden. Drückt man jetzt
mit den Fingern den Stamm der Saphena an der Innenseite des j
Oberschenkels unterhalb des Foramen ovale zu und senkt das Bein j
bzw. läßt den Patienten sich vorsichtig auf die Füße stellen, so j
bleiben zunächst die Varizen leer, um sich nach Vs Bis 1 Minute
von der Kapillaren her wieder schwach zu füllen. • Läßt man jetzt
den komprimierenden Finger los, so stürzt das Blut von oben her
in die freigegebene Ader und füllt augenblicklich die Venen
stramm an.
Trendelenburg zieht hieraus den zwingenden Schluß, daß
beim Varizenkranken das die Saphena und ihre Verzweigungen fül¬
lende Blut nur zum geringen Teile aus den Kapillaren stammt, seine
Hauptmasse vielmehr aus der Vena iliaca zu rück geflossen ist, und
vergleicht die Saphena mit einem toten Flußarm im Stromdelta,
dessen Füllung mehr von Ebbe und Flut als vom Zuströmen des
Flußwassers abhängig ist.
Dieser Versuch hat eine wichtige Ergänzung durch Trendelen-
burgs damaligen Assistenten Perthes 3 ) erfahren, die von großer
Bedeutung für die operative Therapie der Krampfadern ist. Perthes
konnte nachweisen, daß, wenn man die Patienten mit komprimierter
Saphena umhergehen ließ und dabei die Kompression beibehielt, sich i
nach wenigen Schritten bereits die Varizen verkleinerten und zu¬
sammenfielen, ja in einigen Fällen vollkommen verstrichen waren
im Gegensatz zu dem Kranken, den man ohne Kompression seiner
Saphena gehen ließ. Er zog daraus den wertvollen Schluß, daß,
wenn man die Saphena sperrte und damit die Rückstauung und den
Rückfluß aus der Vena iliaca aufhob, wieder ein Abfluß des venösen
Blutes aus dem Unterschenkel zustandekommt.
Der Vorgang ist nicht anders vorstellbar, als daß auf dem
Wege der kommunizierenden Venen alsdann das Blut aus den Haut¬
venen in die tiefen Venen abgesaugt und durch diese der Vena femoralis
zugeführt wird. Gerade der Gehakt mit seiner Inanspruchnahme
*> Ledderhose, Mltt. a.OrenzReb. 1906,15. — •)TrendeIenburg, Bruns Beitr.7.
- •»Perthes, Dm. W.[l896.
der Beinmuskulatur ist es, der die Blutzirkulation in den tiefen
Venen günstig beeinflußt, das Blut lebhafter vorwärts treibt und
die Saugwirkung vermehrt, wobei eine ganz wesentliche Rolle die
Klappenstellung und Klappenintaktheit der kommunizierenden Venen
spielt. Der Klappenschluß erfolgt hier bei Strömung des Blutes
nach der Peripherie hin, die Oeffnung beim Abfluß nach der Tiefe.
Die Ansicht einiger Autoren, daß die primäre Ursache zum
Zustandekommen der Varizen Insuffizienz der Klappen in den kom¬
munizierenden Venen wäre, durch die es ermöglicht würde, daß
bei der Muskelaktion das Blut sowohl nach der Tiefe wie nach der
Peripherie gepreßt würde und damit die Hautvenen dauernd in
überfüllten Zustand versetzt würden (Delore, zitiert nach Kocher),
kann angesichts des Perthesschen Versuches, wenigstens für die
Fälle mit positivem Trendelenburgschen Versuch, nicht aufrecht er¬
halten werden. Vielleicht aber spielt etwas Derartiges für die Fälle
mit negativem Trendelenburg eine Rolle (Kocher) 1 ).
Bevor wir diese Vorbesprechungen verlassen, noch ein Wort zur
Anatomie und Physiologie der varikösen Erweiterung selbst, des
eigentlichen Varix. Dieser stellt eine sackartig ampulläre Erweite¬
rung des Venenrohres dar, in derem Bereiche die muskulären und
elastischen Wandelemente verlorengegangen sind und die Venen¬
wand nur mehr aus meist hypertrophischem Bindegewebe gebildet
ist, ein Zustand, welcher als Phlebosklerose bezeichnet wird.
Es fiel bereits Trendelenburg auf, daß die variköse Er¬
weiterung nicht, wie man glauben sollte, oberhalb, d. h. proximal
von der Klappe, sondern unterhalb, distal derselben, ihren Sitz hatte.
Das wollte nicht ganz zu den Anschauungen passen, die er über die
Druckverhältnisse in den Venen hatte, und er erklärte sich diese
auffallende Tatsache mit der Annahme, daß die Venenwand unter¬
halb der Klappe am schwächsten entwickelt sei, da sie hier schon
unter normalen Verhältnissen den geringsten Druck auszuhalten habe.
Trendelenburg ging dabei von der Voraussetzung aus, daß immer
nur die zwischen zwei Klappen stehende Blutsäule auf der Wand¬
strecke laste, eine gewiß zu mechanische Vorstellung, die überdies
nicht hinreichend berücksichtigte, daß das Blut in der Vena sich
doch in dauerndem Strome befindet.
Zu einer ganz anderen Auffassung über die Entstehung der
Varizen hat diese Beobachtung Hazebroeck 2 ) geführt. Haze-
broeck behauptet und hat seine Behauptungen durch Experimente
an einem künstlich konstruierten Venensystem gestützt, daß die den
tiefen Venen stets dicht anliegenden Arterien stets und besonders
beim arbeitenden Muskel, in welchem das Blut lebhafter zirkuliert,
ihren Begleitvenen einen dem Pulsschlag synchronen Stoß versetzen
— Hazebroeck nennt dies hydraulische Widderwirkung —, wo¬
durch ein Wellenstoß in den Venen erzeugt wird, der sich auf der
Bahn der von Hazebroeck als klappenlos angenommenen kom¬
munizierenden Venen auf die oberflächlichen, dem Verbreitungs¬
bezirk der Saphena magna und parva entsprechenden Venen fortsetzt.
Bei bestehender Stauung im Gebiete der Saphena — diese muß er
immerhin als Vorbedingung zum Zustandekommen der Varizen an¬
erkennen — führe die Summation dieser von der Peripherie kom¬
menden intermittierenden Einzelstöße an den Bremsstellen des Blut¬
stromes, den Klappenringen der Saphenaäste, zu lokalen Erweite¬
rungen, deren Sitz unterhalb der Klappenenge auf diese Weise zwang¬
los erklärt werde.
Wenn wir auch Ledderhoses und Hazebroecks Studien
und Beobachtungen, die in bezug auf die. Bedeutung der Sdiluß-
unfähigkeit der Venenklappen für die Ausbildung der Varizen zu
etwas anderen Resultaten kommen als Trendelenburg, nicht
übergehen dürfen, so bleibt doch für den Arzt Trendelenburgs
Lehre so genial einfach und eben darum so überzeugend, daß er sie
nicht so leicht wird fallen lassen mögen, um so mehr, als die auf
dieselbe aufgebaute Therapie in ihren Erfolgen im wesentlichen un¬
bestritten ist.
Trendelenburg hat, wie bekannt, als rationelle Therapie der
Varizen und ihrer Folgezustände die Unterbindung -der Vena saphena
magna vorgeschlagen (1800). Auf ihr fußen alle später empfohlenen
Operationsmethoden.
Die Folgen der Varizenbildung sind:
1. lästige ausstrahlende Schmerzen im Unterschenkel, evtl, im
ganzen Beine;
2. leichte Ermüdbarkeit bei längerer stehender Arbeit;
3. Ernährungsstörungen der Unterschenkelhaut, Bildung chroni¬
scher Ekzeme, Entzündungen und Ulzerationen;
4. chronische Oedeme;
5. Thrombophlebitiden;
6. Blutungen durch Bersten eines Varix.
Die Therapie beseitigt diese, wenn sie die venöse Stauung im
Unterschenkel aufhebt und den venösen Rückfluß wieder ungestört
ermöglicht.
Diesen Forderungen der Therapie kann 1. durch unblutige und
2. durch blutige Behandlungsmethoden genügt werden.
L Unblutige Methoden. Für beginnende und milde Fälle
von Varizen ist eine rationelle Gymnastik von Vorteil, bestehend in
Massage, kühlen Waschungen mit Frottierungen der Haut und Kräf-
tigung der Beinmuskulatur durch passende Uebungen: systematisch
ausgeführtes tiefes Kniebeugen und besonders Radfahren wären hier*
l )Kocher, D. Zschr.f. Chlr. 1916,138.—j*)Hazebroeck, D.Zschr.f.Chlr. 1919,136.
Digitized by Google
Original from
CORUELL UNIVERSITY
23. Juni 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
839
für zu empfehlen, weil durch Inanspruchnahme der Beinmuskulatur
venöser Rückfluß befördert wird (Perthes).
In schweren Fällen, besonders wo Ekzem und Geschwürsbildung
droht oder schon beginnt, ist die Rückstauung des Blutes zu be¬
kämpfen. Das geschieht zweckmäßig durch einen gutsitzenden Kom¬
pressionsverband. Als solcher dominiert seit langem der Zinkleim¬
verband, der, gut angelegt, wie die Erfolge und der Zulauf der
Spezialisten für Beinleiden lehrt, in der Tat Gutes leistet. Haupt¬
sache ist, daß der Verband gut komprimierend wirkt, d. h. fest sitzt.
Das ist, ohne den Patienten zu belästigen, nur möglich bei sehr
exaktem Anlegen der Bindentouren, die besonders auf dem Spann,
über der Achillessehne und der Tibiakante mit einer dünnen Watte¬
schicht unterpolstert sein können.
Ist ein Geschwür vorhanden, so kommt auf dieses ein Lappen
mit Arg. nitric.-Salbe oder Nafalansalbe (in der Zusammensetzung
Naphthalani 30,0, Zinc. oxyd. und Adeps suill. ää 10,0).
Den Zinkleimvexband, bei welchem der flüssig gemachte Leim
auf die Haut und die Bindentouren gestrichen wird, wende ich nicht
mehr an, seitdem ich die Varikosanbinden kennen gelernt habe,
leimgetränkte Binden, die sofort gebrauchsfertig aus den Apotheken
erhältlich sind. 1—2 Binden genügen für einen Verband. Dieser
muß vom Fuße bis hart unterhalb des Kniegelenkes reichen und soll
erst angelegt werden, nachdem man vorher etwa 20 Minuten lang
das Bein hochgelegt und die Venen zur Entleerung und das Oedem
zur Verringerung gebracht hat. Ich lasse beim Fehlen von Ge¬
schwüren oder kleinen, mäßig sezernierenden Geschwüren den Ver¬
band 2—3 Wochen liegen und erneuere ihn dann.
An Stelle des Varikosanbindenverbandes kann auch eine gut und
festangelegte Trikotschlauchbinde oder eine der käuflichen Krampf¬
adergamaschen treten (Gummistrümpfe), die natürlich porös sein
müssen, um die Abdünstung der Haut nicht zu verhindern.
Die Kompressionsverbände sind fast immer anwendbar. Sie haben
nur eine Kontraindikation, d. i. die Phlebitis. Besteht eine entzünd¬
liche Venenthrombose, so ist auf jede -Kompression zu verzichten
und Ruhe und Hochlagerung anzuwenden.
Eine Mittelstellung zwischen unblutigen und blutigen Behand¬
lungsmethoden nehmen die Methoden ein, die eine Thrombosierung
der erweiterten Venen und Verwachsung ihrer Wände durch Kaute¬
risation, Elektropunktur oder durch Einbringung von chemisch wirk¬
samen Mitteln zu erreichen suchen. Haben die ersteren nur mehr
historisches Interesse, so scheint es, als ob man sich mit den In¬
jektionsmethoden gerade wieder in letzter Zeit etwas mehr be¬
schäftigt habe. Im Jahre 1916 empfahl Li ns er 1 ) erneut die In¬
jektion von lq/oiger Sublimatlösung in der Menge von 1—2 ccm in
die gefüllten Gefäße; der Patient soll bei diesem Eingriffe stehen
und das Bein leicht abgeschnürt sein, damit die Gefäße recht
strotzend gefüllt sind. Die Einspritzung soll mit ganz feiner Kanüle
ausgeführt werden, damit kein Rückfließen der Sublimatlösung ins
Gewebe erfolgen kann. Die Behandlung ist ambulant durchführbar
und soll hinsichtlich des Erfolges sehr sicher sein. Embolien hat der
Empfchler nicht beobachtet.
Zu gleichem Zwecke wird auch neuerdings auf eine Empfehlung
von Matheis 2 ) eine den Körpersäften isotonische Jodlösung (sog.
Preglsche Lösung) eingespritzt. Die Injektion erfolgt in größeren
Mengen (20—60 ccm) in die ausgestrichene und proximal abgedrückte,
also möglichst blutleere Vene, um möglichst unverändert und längere
Zeit mit der Gefäßwand in Kontakt zu kommen.
Eigene Erfahrungen über diese Methoden besitze ich mit der
Mehrzahl der Chirurgen nicht; ich möchte sie aber doch nicht für
so ganz harmlos halten. Zweifellos ist es ein unbehagliches Gefühl,
eine so starke Sublimatlösung der freien, ungesperrten Blutbahn ein¬
zuverleiben: auch ist die Gefahr einer Thrombenverschleppung nahe¬
liegend, und schließlich sehe ich auch bezüglich des sicheren Gefä߬
verschlusses durch den Thrombus etwas skeptisch. Uebrigens scheint
zur Erzielung eines Erfolges eine mehrmalige Wiederholung des
Eingriffe? erforderlich zu sein, wie ein Empfehler der Methode erst
jüngst zugegeben hat (Fabry 3 )). (Ein II. Schlußartikel folgt.)
Ausgang ist natürlich auch bei mir zu verzeichnen. Ich möchte
dem Praktiker zwei Fälle von Scheidenverletzungen vorführen, die
zwar nichts erschütternd Neues bieten, aber in ihrer Entstehung in
dem einen Falle, in ihrem Verlauf in dem anderen mir etwas Inter¬
esse zu bieten scheinen.
Der erste Fall, Luise Sch. (J.-Nr. 1288/20), war ein Versuch
am untauglichen Objekt: es lag gar keine Schwangerschaft vor.
Angestellte in einem Gasthause, wollte sie glaubhaft machen, daß sie
in der Nacht von einem Manne, der unter ihrem Bett sich versteckt
hätte, überfallen worden sei. Er habe sie aber nicht vergewaltigt,
„da sie stark blutete“. Das war in der Tat der Fall, sie war schwer
anämisch geworden. Nach Freilegung der Scheide sah man im linken
Scheidengewölbe eine tiefgehende, stark blutende Wunde, allem An¬
schein nach von einem Schnitt herrührend, glattwandig und scharf.
Die Person war nicht dazu zu bewegen, anzugeben, wie die Verletzung
zustandegekommen ist. Sie war nur so dumm zuzugestehen, daß sie
glaubte schwanger zu sein. Ein Kind hatte sie schon gehabt. Die
Sachlage war natürlich klar, immerhin die Unmöglichkeit, zu erfahren,
wie die Verletzung zustandegekommen war, bedauerlich; denn irgend¬
wie mußte ein scharfes Instrument in die Vagina hineinpraktiziert
worden sein. Die Bauchhöhle war offenbar nicht eröffnet, der Ver¬
lauf war unter lockerer Tamponade fieberlos und glatt.
Der zweite Fall betrifft eine Witwe F. (J.-Nr. 1400/21), die noch
in Behandlung ist 1 ), 2 Kinder hatte und jetzt seit Juni schwanger ist.
Sie kam mit 38,5°, ikterisch, mit trockener Zunge, kurz, unter dem
Bilde septischer Infektion als „Abortus imminens“ herein. Sie
blutete nicht, hatte peritoneale Spannung. Die Scheide wurde ent¬
faltet. Der Muttermund war geschlossen, kein Blut aus ihm. Der
Befund im Scheidengewölbe klärte die Sache. Hier war links ein
markstückgroßes, schmieriges Ulkus zu sehen mit gelblich-eitrigem
Belag. Auch hier schien eine pentrierende Verletzung nicht vorzu¬
liegen. Ein Stück Gaze wurde in die Scheide eingelegt und abgewartet.
Die Kranke ließ sich ebenfalls bis heute noch nicht herbei, zuzu¬
geben, daß sie abtreiben wollte, trotz allen Zuredens und der Ver¬
sicherung, daß ihr dadurch kein Schaden oder Nachteil entstünde.
Der Verlauf war der, daß andern Tags die Temperatur abfiel, die
peritonitischen Symptome zurückgingen, die Zunge feucht wurde,
der Ikterus schwand. Zum Ueberfluß wurde noch eine Wa.R. ge¬
macht, obgleich ich nicht weiß, ob syphilitische Infekte am Scheiden¬
gewölbe haften. Die Probe fiel negativ aus. Die Temperaturen
hielten sich meist unter 38°, vorerst war nichts Entzündliches nach¬
zuweisen, wiewohl die Kranke abfiel. Am 19. Tage wurde eine
derbe Schwellung der hinteren Vaginalwand bemerkbar, per rektum
wurde oben links eine empfindliche Infiltration nach gewiesen. Am
22. Tage war das Bild deutlicher, Punktion durch die hintere Scheiden^
wand ergab Kolieiter. Breite Eröffnung legte einen großen, stinken¬
den Abszeß frei, der paravaginal das ganze Cavum ischio-
rectale ausfüllte. Die Temperatur klingt ganz langsam ab,
in einiger Zeit ist mit Genesung zu rechnen. Die Schwangerschaft
besteht fort.
Wir hatten also nach einem vergeblichen Abtreibungsversuch
mit Verletzung des linken Scheidengewölbes eine schwere septische
Infektion vor uns. Sie tangierte zweifellos das Beckenperitoneum,
ohne die Bauchhöhle zu ergreifen. Dagegen trat eine wohl nicht
allzu häufige eitrige Einschmelzung des Cavum ischio-
rectale ein. Trotz allgemeiner Abgesdhlagenheit war die geringe
Höhe der Temperatur nach Abklingen des ersten schweren Infektes
bei der fortschreitenden Eiterung — allerdings gegen geringen Wider¬
stand — auffallend.
Das septische Status ließ bei nicht vorhandenem „Abortus
imminens“, bei fehlender Blutung und bestehender peritonealer Rei¬
zung ja von vornherein abwartend verfahren. Wir weisen rückblickend
nur auf die Wichtigkeit ausgiebiger und übersicht¬
licher Freilegung der Scheide und des Scheidenge¬
wölbes hin. Die Fältelung der Scheide mehrmals schwanger ge¬
wesener Frauen, zumal wenn sie, wie unsere Kranke, eine starke
Senkung der hinteren Vaginalwand hat. könnte sonst leicht das ursäch¬
liche Moment der Erkrankung übersehen lassen.
Austern Diakonissenkrankenhaus in Marienburg (Westpr.)
Verletzung des Scheidengewölbes bei Abtreibungsversuch 4 ).
Von Engen Schultze, Leitender Arzt.
Vielleicht ist schon eine kleine Besserung eingetreten. Aber „zeit¬
gemäß“ ist die Abtreibung immer noch, in der Großstadt wie in der
kleinen Stadt, und auf dem Lande. Mutter kommt mit der Tochter,
der ein „Unglück“ passiert ist, arm und reich haben ihre Wünsche,
und gar köstliche Versprechungen und Anerbietungen werden ge¬
macht, im übrigen „ist es ja jetzt auch erlaubt“. Das habe
ich nicht nur einmal gehört. So weit sind jene unerhörten
Zumutungen an den Aerztestand schon ins Volk ge¬
drungen!
Eine Reihe schwerster Infektionen bei gelungener oder mi߬
lungener Fruchtabtreibung mit langem Krankenlager oder tödlichem
i) Unser, M.KI. 1916 Nr. 34. - *) Matheils, Zbl. f. Chlr. 1921 Nr.8.'--«> Fabry,
M. Kl. 1920 Nr. 35. — *) Nach einer Demonstration am 2. XI. 192l^im Aerzteverein Marlen-
burg-Stuhm.
Eine Rötungsskala.
Von Prof. Dr. Leopold Freund und Reg.-Rat Prof. Eduard Valenta in Wien.
In der klinischen Symptomatologie spielen die Hautrötungen eine
große Rolle. Viele in krankhaften Zuständen des ganzen Organismus
wurzelnde Momente, mannigfache pathologische Veränderungen des
Hautorganes selbst geben zur Entstehung der Hautrötungen
Veranlassung, welche die Mediziner seit uralter Zeit als wichtige dia¬
gnostische Zeichen zu schätzen gelernt haben, aus deren weiterem
Verhalten sie oft praktische prognostische und therapeutische Schlüsse
ziehen. Diese Tatsache ist so bekannt, die Berücksichtigung etwa vor¬
handener Hautrötungen in seinen klinischen Schlußfolgerungen jedem
Arzte so geläufig, daß es wundernehmen muß, wie primitiv die Be-*
urteilung eines so wichtigen diagnostischen Merkmales auch jetzt
noch, in einer Zeit, wo alles in der Medizin wie in der gesamten Natur¬
wissenschaft nach Exaktheit drängt, in der Regel stattfindet. Man
begnügt sich mit der Charakterisierung der Rötung zumeist nach ihrer
l ) Inzwischen gesund entlassen.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
840
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 25
Nuance (hell-, dunkel-, kupfer-, blaurot usw.), sowie mit der beiläufigen
Abschätzung ihrer Intensität (intensiv, mäßig, schwach, blaßrot), zieht
zum Vergleiche die Rötung einer anderen Körperstelle beim gleichen
oder einem anderen Individuum heran, oder, wenn es sich um das
Verhalten derselben Rötung zu verschiedenen Zeiten handelt,* gibt
man an, „die Rötung habe stark oder schwach, zu- oder abgenommen“.
Es bedarf keiner großen Auseinandersetzung, daß diese Art der
Abschätzung von Rötungen auf Grund von Erinnerungsbildern von
früheren Stadien derselben nicht verläßlich ist, weil sie in jeweiligen
physischen und psychischen Zuständen der Untersucher sowie in den
verschiedenen physikalischen Bedingungen der Untersuchung wichtige
Fehlerquellen enthalten, die Irrtümern und Täuschungen Türe und
Tor öffnen; daß die approximativen Abschätzungen der Rötungsgrade
die wissenschaftliche Verwertung solcher Befunde sehr ungünstig
beeinflussen müssen, da die Auffassung von „stark, mäßig, schwach
usw.“ mangels eines genauen Maßes von verschiedenen Individuen
immer große Differenzen aufweist, die in der Subjektivität der ver¬
schiedenen Personen ihren Grund haben.
Soll die Beurteilung einer Hautrötung korrekt so stattfinden, daß
sich ein Leser ihrer Beschreibung, ohne sie gesehen zu haben, ein
zutreffendes Bild von derselben machen kann, muß 1. ihre Qualität
und 2. ihre Intensität möglichst exakt festgestellt werden. Dies kann
nur. unter Inanspruchnahme geeigneter Behelfe, z. B. der Farbenana¬
lysatoren erfolgen. Doch wäre das Arbeiten mit diesen Instrumenten
zu umständlich, daher nicht praktisch. Der durch seine künstlerische
Veranlagung wohlbekannte, ausgezeichnete Dermatologe Professor
Karl Kreibich in Prag hat in seinem „Lehrbuche der Hautkrank¬
heiten“ eine selbstverfertigte Farbentafel publiziert, in welcher die
verschiedenen Farbentöne der auf der' Haut vorkommenden Haut¬
rötungen sehr gut dargestellt sind. An der Hand einer solchen Farben¬
tafel läßt 9ich die Nuance, die Qualität einer Hautröte leicht
bestimmen.
Zur Bestimmung verschiedener Rötungsintensitäten haben
wir eine Rötungsskala nach folgendem Verfahren hersteilen lassen:
Aus Mischungen von Ruß mit verschiedenen Mengen von Zinkweiß
wurde eine Grauskala verfertigt, diese photographiert und die mittels
dieses Negativs hergestellte Druckplatte mit Karminrot eingewalzt
und auf hautfarbenes Papier gedruckt. Die einzelnen Farbfelder dieser
ungefähr in geometrischer Progression ansteigenden Rötungsskala
werden nachher noch mit dem Wolfschen Kolorimeter unter Benützung
einer gleichfarbigen Lösung geeicht. Die Skalen sind untereinander
vergleichbar, indem das stärkst gedeckte Feld vollständig deckt, also
im Ton überall gleich sein muß. Dieses Feld ist aber der Eichung
zugrundegelegt, da nach diesem die Vergleichsfarblösung 100 für
den Kolorimeter hergestellt und zur Eichung der übrigen Felder be¬
nutzt wird. Bei jeder Neuherstellung wird das am besten gedeckte
Feld der alten Skalen als Standard verwendet. Damit erscheint die
Frage der Vergleichbarkeit aller Skalen gelöst.
Die Messung des Rötungsgrades erfolgt in der Weise, daß die
gerötete Hautstelle an jedem Tage zu ungefähr gleicher Stunde, bei
möglichst gleicher Lichtintensität im diffusen Tageslichte (nicht direk¬
tem Sonnenlichte), welches immer unter gleichem Einfallswinkel auf
die zu prüfende Stelle auffallen soll, und aus immer gleicher Distanz
mit den einzelnen Stufen der an die betreffende Stelle angehaltenen
Rötungsskala verglichen und der in der Skala angegebene kolori-
metrische Grad jener Stufe notiert wird, deren Rötung mit jener der
zu prüfenden Stelle übereinstimmt. Werden diese Grade oberhalb
einer als Abszisse dienenden Geraden, in welcher die Meßtage ver¬
zeichnet sind, als Ordinaten eingetragen, erhält man eine Kurve,
deren Verlauf den Ablauf der Rötung sehr instruktiv graphisch
darstellt.
Das Gebiet, in welchem diese Rötungsskalen mit Nutzen ver¬
wendet werden können, ist ungemein groß: 1. Zunächst bieten
sie, wie der eine von uns (Freund) bereits an anderen Stellen 1 )
mit Radium- und Lichtstrahlen gezeigt hat, ein vorzügliches Mittel,
um die verschiedene Empfindlichkeit der Haut verschiedener Indi¬
viduen gegen die Einwirkung verschiedener chemischer, physikalischer
und biologischer Einflüsse und Reize zu bestimmen und um die Art
festzustellen, in welcher Weise die Hautreaktionen auf solche Reize
verlaufen (Hilfsmittel zur genaueren Beobachtung der Herxheimer- und
Pirquetschen Reaktion).
2. Sie können dazu dienen, die Intensität ünd den Verlauf der
verschiedenen Exantheme bei Variola, Morbillen, Skarlatina, Roseolen,
im Gefolge des Typhus, der Cholera, der Albuminurie, der Pyämie,
des Skorbuts, der Skrofulöse, Tuberkulose und Syphilis, der ver¬
schiedenen Kongestionen, Erytheme und aktiven und passiven Hyper¬
ämien der Haut, welche durch pathologische Zustände des Zirkula-
tions- und Respirationsapparates, des Intestinaltraktes, der Sexual¬
organe, der Leber, Milz, Harnorgane, durch Fieber, als Reflex
zentraler Nerven- und Gemütsbewegungen, durch Botulismus, Auto¬
intoxikation, Arzneivergiftung, Störungen der inneren Sekretion usw.
hervorgerufen werden, ferner die Intensität jener roten Flecke, welche
so viele idiopathische Dermatosen (Ekzem, Etwsipel, Pemphigus
usw. usw.) einleiten, genau zu messen und abzusenätzen, ob und um
'wieviel die heutige Intensität derselben gegenüber jener von gestern
oder zu einer anderen Zeit zu- oder abgenommen hat.
3. Auch in therapeutischer Hinsicht kann die Rötungsskala als ein
nützlicher und praktischer Behelf dienen, worauf hier zum ersten
l ) Sltzungsber.d. Ges. D. Aerzte in Wien, 9. VI. 1913, siebe W. kl. W. 1913,21; Arch.
I- Denn. u. Syph. 123, H. 3 und Strahlentherapie 1920.10, S. 1151 ff.
Male hingewiesen werden soll. Bei einer großen Anzahl von Heil¬
verfahren ist der Erfolg, trotzdem immer auf möglichst gleichmäßige
Dosierungen Bedacht genommen wird, bekanntlich aus dem Grunde
kein gleichartiger, weil entweder die verschiedenen Personen für die
betreffende Potenz verschieden empfindlich sind, oder weil die be¬
sonderen Eigentümlichkeiten ihrer Leiden die Ursache für die ver¬
schiedenen Reaktionen derselben abgeben. Ein jeder, der sich bei¬
spielsweise mit der Lichttherapie befaßt, hat gewiß die merkwürdige
Wahrnehmung gemacht, auf welch verschiedene Lichtdosen, die man
ja heutzutage mit dem Eder-Hechtschen Graukeilphotometer so zu¬
verlässig und genau messen kann, bei verschiedenen Individuen die
Alopecia areata ausheilt. Wenn aber in dem einen Falle eine geringe,
in dem anderen Falle eine große Dosis von Licht, in beiden Fällen
war sicherlich ein bestimmter Reaktionsgrad, ein bestimmter Grad von
Erythem der Haut notwendig, um die Papillen zur Reproduktion der
Haare anzuregen. Zur Feststellung dieses zur Erzielung eines be¬
stimmten therapeutischen Effektes notwendigen biologischen
Index bei derartigen Kuren scheint die Rötungsskala ein recht
brauchbarer Behelf zu sein, und zwar nicht nur bei der Strahlen¬
behandlung, sondern auch bei der Anwendung anderer therapeutischer
Faktoren, deren Wirkungen erst bei Erreichung gewisser Reizschwel¬
len- oder anderer Werte in Erscheinung treten. Korrekterweise soll
deshalb bei derartigen Behandlungen nicht nur das verabfolgte Mittel,
sondern auch der biologische Index möglichst genau abgemessen
werden.
Die Intensitätskontraste in unserer Rötungsskala sind derartige,
daß sic auch bei der Verwendung dieses Behelfes zur Beurteilung von
Rötungen, die der Farbennuance nach mit dem Rot der Skala nicht
ganz übereinstimmen, ihre Aufgabe erfüllen. Wenn man die Farben¬
nuance der Hautrötungen immer mit der Skala vergleichend beachtet,
kann man auch den Zeitpunkt, wo dazutretende Pigmentationen den
Farbenton beeinflussen, ziemlich genau feststellen.
Die Rötungsskalen werden von der Firma Herlango, Wien III,
Hauptstraße 95, hergestellt und in den Handel gebracht.
Ueber falsche Atmung.
Von San.-Rat Dr. Bruno Alexander in Bad Reichenhall.
Bei unseren Kranken finden wir infolger falscher Belehrung den
Glauben verbreitet, daß sie nur durch die Nase atmen müßten, im Turn¬
unterricht, beim Militär, von Aerzten ist Gleiches empfohlen — dagegen
sei Folgendes gesagt: Man sieht Mensch und Tier, insofern es sich um
gesunde Individuen handelt, in der Ruhe durch die Nase, bei größeren,
körperlichen Anstrengungen durch den Mund atmen. Winter 1902 in
Berlin konnte ich von einem geeigneten Standpunkt die in Reih und
Glied ohne Gesang Mittags zu den Kasernen zurückkehrenden Soldaten
oft gut beobachten — mindestens die Hälfte hatte den Mund geöffnet. —
Man vergleicht den Brustkorb in bezug auf Atemtätigkeit mit einem Blase¬
balg— bei mäßiger Bewegung genügt das starre, enge Luftzuführungsrohr
des Blasebalges — bei starker wird die Innenluft früher verdünnt, als
die Außenluft nachströmen kann — diese drückt die Wandung ein —
die Maschine stockt. Die Nase kann man, auch nach Berücksichtigung
der Nasenflügelsteifung und der wechselnden Füllung der Muscheln —
dem starren Luftzuführungsrohr gleichstellen. Bei Fortgesetzt starken
körperlichen Anstrengungen würde bei willkürlicher Nasenatmung
durch die übermäßige Luftverdünnung in der Lunge dasselbe geschehen
wie beim Blasebalg — wenn nicht reflektorisch ein Exspirationstetanus
eintreten und der weiteren Fortsetzung eines derartigen Versuches ein
Ziel setzen würde (Mein Artikel „Nasenatmung und Training“, Zschr.
f. physik. diät. Ther. 1904/05, 8). Aber auch schon früher bei geringer
Steigerung des Tempos kommt es durch Dyspnoe zu großer Blutdruck¬
steigerung, Pulsationen in den Schädelarterien und infolge Dehnung
der Aorta zu Druckschmerz unter dem Sternum — ein qualvoller
Zustand. — Nach meinem Selbstversuch — Bergbesteigung (1760 m)
1902 bei geschlossenem Mund — sind mir die Arteriae temporales er¬
weitert und dauernd so geblieben. Außer der üblen Wirkung auf
Herz und Gefäße kann die willkürliche Nasenatmung noch dauernden
Schaden verursachen, indem sie unbewußt zur Gewohnheit wird.
Es tritt dann eine Zwangsstellung des Atmungsapparates, wie bei
Nasenstenose, ein. Bauchatmung ist nicht zu erkennen, di^unteren
Rippen werden durch die kontrahierten Bauchmuskeln festgehalten —
das Individium atmet wie in einem festzugeschnürten Korsett — wie
bei der militärischen Paradestellung (Brust raus, Bauch rein). Unter den
Kranken, welche glauben, an „Asthma" und „Agoraphobie" zu leiden,
gibt es immer eine Anzahl, welche nur ein Opfer der Irrlehre Catlins
„Shut your mouth" — atmet durch die Nase sind und ohne „Kur" durch
einfache Belehrung geheilt werden können. Die operative Beseitigung
der Nasenstenose verdankt wenigstens zum Teil ihre Erfolge bei
„Asthma" der Heilung von dieser Zwangsatmung. Die Nase hat
vollkommenere Schutzvorrichtungen als der Mund — allerdings kommen
die Vorzüge der Nase nur der Luftqualität nicht der -quantität zugute.
Größerere körperliche Anstrengungen bedingen Mündatmung —
dabei ist ein geringerer Schutz vorhanden — das darf uns in unserer
Lebensführung nicht zurückhalten — den möglichen Schaden überwiegt
der Nutzen einer höchstgesteigerten körperlichen Leistung — wir
würden uns sonst selbst zu einem phlegmatischen Lebenswandel ver¬
urteilen. Die Künstler bilden ihre Läufer, Fechter, Soldaten im Sturm-
lauf mit geöffnetem Munde ab. — An der Wertschätzung der Nasen-
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY__. J
23. Juni 1M22
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
841
atmung wird nicht gerüttelt. Wer in der Ruhe nicht durch die Nase
atmen kann, wird auf Nasenstenose oder Krankheiten, welche
Dyspnoe verursachen, wie Herz- und Lungenleiden, untersucht und
behandelt. Der Sport wird auch deshalb empfohlen, weil er unsere
körperlichen Leistungen über die Anforderungen des Alltags erhebt —
diese werden dann weniger Anstrengungen, geringeres Sauerstoff¬
bedürfnis verursachen, weil unsere Bew egungen „ökonomischer“ werden.
Dann werden wir andauernder mit Nasenatmung auskommen können,
ohne einen Zwang auszuüben. Die ideale Atmung wird durch ein
feines Wechselspiel zwischen Nasen- und Mundatmung ermöglicht.
Dieses kann nicht gelehrt werden, sondern stellt sich bei angestrengter
körperlicher Arbeit — in höchster Entwicklung beim Sport (wie z. B.
beim Dauerlauf — selbstverständlich bei offenem Munde — auf ebener
Straße) von selbst ein. Von einer Bevorzugung der Nasen- oder
der Mundatmung darf überhaupt keine Rede sein. Die beiden At¬
mungswege müssen automatisch Zusammenwirken, als ob sic nicht
getrennt, sondern vereint wären, um dem Luftstrom immer ein genügend
weites Eingangstor zu bieten.
Handgriff zur Heilung des Singultus.
Von Dr. Heermano in Cassel.
Man faßt mit den Daumen beider Hände unter die Rippenbögen,
zieht sie auseinander und dehnt das Zwerchfell. Der Schlucken hört
auch in hartnäckigen Fällen sofort auf.
Chirurgische Ratschläge für den Praktiker.
Von Q. Ledderhose in München.
XXIII.
Erkrankungen der männlichen Geschlechtsorgane.
Die uns hier beschäftigenden Erkrankungen bilden ein Grenz¬
gebiet zwischen der Betätigung des operierenden Praktikers und des
chirurgischen Facharztes. In der Tat stellen die in Betracht kommen¬
den Eingriffe keine hohen Anforderungen an die operative Technik.
Mit der Bezeichnung Phimose wird eine Reihe von ätiologisch ver¬
schiedenen krankhaften Veränderungen der Vorhaut zusammengefaßt,
deren wesentliche, gemeinschaftliche Eigenschaft die . Unmöglichkeit
darsfellt, die Vorhaut ohne Gewaltanwendung über die Eichel zurück¬
zuschieben. Es wird häufig nicht genügend gewürdigt, daß bei
kleinen Kindern manche krankhaften Zustände Folge der Phimose
sind, mit deren Beseitigung sie verschwinden. Wenn die unter den
Begriff der Phimose fallende epitheliale Verklebung zwischen
Vorhaut und Eichel bei den Neugeborenen einen physiologischen Zu¬
stand darstellt, der sich in der Regel durch die kindlichen Erektionen
von selbst zurückbildet, so bekommt sie pathologische Bedeutung,
sobald die durch Smegma veranlaßte entzündliche Reizung Ursache
von vermehrtem Harndrang (Enuresis) oder Hvdrozele wird. Besteht
gleichzeitig mit oder auch ohne solche epitheliale Verklebung Ver¬
engung der Vorhautmündung bei verschiedener Länge der
Vorhaut selbst (enges Anliegen bis rüsselförmiges Vorragen), so kann
dies Ansammlung von Urin im Präputialsack mit entzündlichen und
geschvvürigen Folgen, Rückstauung des Urins in der Blase, ja selbst
in den Nierenbecken bedingen und durch starkes Pressen beim Uri¬
nieren die Entstehung von Nabel- oder Leistenbruch und von Mast-
darmvorfall verursachen. Es sollte deshalb bei diesen Erkrankungen,
insbesondere im kindlichen Alter, stets eine Untersuchung der Vor¬
haut stattfinden. Für die Indikation zur Behebung der epithelialen
Verklebung ist noch von Bedeutung, daß länger bestehende entzünd¬
liche Reizung leicht zu bindegewebigen Verwachsungen zwischen
Vorhaut und Eichel führt.
Die Verklebungen lassen sich häufig durch Zurückstreifen der
Vorhaut über den" Eichelkranz beseitigen; angesammeltes Smegma
wird entfernt; tägliche Wiederholung der Reposition hat noch eine
Zeitlang stattzufinden. Etwas festere Verlötung läßt sich meist mit
der Knopfsonde lösen. Ist die Vorhautöffnung angeboren oder
infolge von Entzündung oder von Vernarbung kleiner Einrisse so
eng, daß sic ausreichende Dehnung nicht zuläßt, so besteht die
Indikation zur Inzision, bei Kindern in Narkose, bei Erwachsenen
in Lokalanästhesie, welche auch ausreicht, wenn Spaltung der sog.
entzündlichen Phimose (gonorrhoische Balanitis, Schankergeschwür)
oder die Exstirpation des syphilitischen Primäraffektes in Betracht
kommt. Da starke Infiltration der Vorhaut mit anästhesierender
Flüssigkeit Gangrän verursachen kann, ist Leitungsanästhesie
nach H. Braun anzuwenden. Bei Erwachsenen werden mit 40 ccm
der Vj%igen Novokain-Adrenalinlösung neben der Wurzel des Penis
die Corpora cavemosa da, wo sie aus dem Symphysenwinkcl heraus¬
kommen, ringsherum in der Tiefe umspritzt, ferner wird subkutan
zirkuläre Umspritzung an der Peniswurzel vorgenommen. Man zieht
das äußere Blatt der Vorhaut soweit zurück, daß die Uebergangsstelle
zum inneren Blatt sichtbar wird, führt eine Hohlsonde in die Prä-
putialtasche ein (Obacht wegen Verwechslung mit der Harnröhre!)
und nimmt mittels der Schere die dorsale Längsspaltung auf der Sonde
vor. Am inneren Blatt endet der Schnitt etwa Vi cm von dessen An-
•atzsteiie entfernt. Der Rest wird durch zwei schräge, vom Wund¬
winkel ausgehende Schnitte gespalten, um das Roserschc Läppchen
zu bilden, das nach außen umgeschlagen und in das Schnittende des
äußeren Blattes eingenäht wird. Bei besonders enger äußerer Oeff*
nung muß zuerst deren Rand eingekerbt werden, um die Sonde ein¬
führen zu können. Ist die Vorhaut infolge chronischer Entzündung
verdickt und hypertrophisch, so verkleinert man sie durch schräges
Abtragen der Ecken von der Schnittwunde aus. Das Verwenden
dünnen Katguts zur Wundnaht hat bei Kindern den Vorteil, daß die
Fäden sich auflösen und abfallen, demnach nicht entfernt zu werden
brauchen. Die abnorm lange Vorhaut wird am besten von einem
kurzen Längsschnitt aus quer abgetragen. Die quere Amputation mit
einem Schnitt hat in der Hand Ungeübter schon öfter zu Mitentfernen
der Eichelspitze geführt, was, wie ich beobachtet habe, schwere
Blutung oder narbige Verengerung der Harnröhrenmündung zur
Folge haben kann. Daß in neuerer Zeit von verschiedenen Seiten
Verfahren empfohlen wurden zur Verbesserung des kosmetischen
Erfolgs der Phimosenoperation, bleibe nicht unerwähnt.
Die durch Zurückziehen der verengten Vorhaut hinter den Eichel¬
kranz zustandegekommeiie Paraphimose vermag der Arzt fast stets
unblutig zurückzubringen, wenn es sich nicht um veraltete Fälle han¬
delt. Nach vorausgegangenen kühlenden Umschlägen wird mit beiden
Daumen auf die Eichel gedrückt, während die übrigen Finger beider
Hände den einschnürenden Vorhautring nach vorn zu schieben ver¬
suchen. Bei sehr starker Schwellung, oder wenn die Schnürstelle
ulzeriert ist, läßt sich zuweilen Einschneiden der verlagerten Vorhaut¬
öffnung nicht umgehen (lokale oder allgemeine Betäubung). Es sollte
mehr, als es tatsächlich der Fall ist, bekannt sein, daß die rituelle
Beschneidung nicht ganz selten durch Infektion oder Blutung
den Tod verursacht hat und daß in zahlreichen Fällen durch Ansaugen
des Penis mit dem Munde zwecks Blutstillung Uebertragung von
Tuberkulose und Syphilis beobachtet wurde. Franz König, der
selbst in zwei Jahren drei Todesfälle nach der rituellen Beschneidung
sah, zwei durdir phlegmonöses Erysipel, einen durch Blutung, schreibt:
„Wir halten es für die Pflicht eines jeden Arztes, gegen die rituelle
Beschneidung in jedem Falle Einspruch zu erheben.“
Von den Neubildungen des Penis sind die gonorrhoischen spitzen
Kondylome an fehlender Infiltration ihres Bodens leicht als gut¬
artig zu erkennen und in einfacher Weise durch Abtragen mit der
Schere und Aetzen der Wundfläche zu behandeln. Am meisten Interesse
beansprucht der Peniskrebs, der in der Regel erst im vorgerückten
Alter in geschwüriger oder geschwulstartiger Form beobachtet wird.
Am häufigsten besteht äußerlich wie auch auf der Schnittfläche Aehn-
lichkeit mit dem Blumenkohl. Die Erkrankung pflegt an der Eichel
oder an der Vorhaut ihren Ausgang zu nehmen. Die Größe und
Härte der Wucherung, die fortschreitende Infiltration ihrer Basis
sowie die allmähliche Zerstörung des Penis sichern die Diagnose.
Verwechslungen sind im Anfangsstadium, zumal bei komplizierender
Phimose, möglich mit syphilitischem Primäraffekt oder später mit
phagedänischem Schanker. Regelmäßig werden die inguinalen Lymph-
drüsen und die retroperitonealen Beckendrüsen in Mitleidenschaft
gezogen. Die Schmerzen treten zurück gegenüber den durch die
jauchige Absonderung der Geschwürsfläche bedingten Beschwerden.
Ergriffensein der Harnröhre verursacht mehr oder weniger bedeutende
Störungen der Urinentleerung. Heilung ist nur zu erreichen durch
frühzeitige Amputation des Gliedes (Blutleere) und Ausräumung der
Leistendrüsen, auch wenn diese noch nicht sicher erkrankt sind.
Die herkömmliche Auffassung von der Aetiologie der Hydro -
cele testis ist die, daß bei kleinen Kindern traumatische Einflüsse
sowie balanitische Reizung infolge von Phimose, bei Erwachsenen
häufig Gonorrhoe, bei alten Männern mit Prostatahypertrophie zu¬
sammenhängende katarrhalische Veränderungen, und daß außerdem
Tuberkulose oder Syphilis der Hoden verantwortlich zu machen sind.
Damit ist aber offenbar die ätiologische Frage nicht erschöpft, viel¬
mehr kommen auch in jedem Lebensalter chronisch traumatische
Einwirkungen sow'ie Entwicklungsstörungen in Betracht. * Nicht nur
die mehrfächerigen sowie die am Kopf, am Körper oder an der
Hinterseite des Hodens gelegenen Wässersäcke, sondern auch ihrer
Lage nach als Hydrocele testis oder funiculi anzusprechende Gebilde
sind gewiß teilweise aus Zysten oder aus den sog. Hodenanhängen
hervorgegangen (Spermatozelen) oder stellen selbst Zysten dar. Diese
Auffassung gründet sich vornehmlich darauf, daß man in der Wand
der Hydrozeleii häufig Anhäufungen von versprengten Nebenhoden¬
kanälchen findet. Als Abarten der eigentlichen Hvdrozele sind weiter
zu nennen: die bilocularis, bei der der Sack des Wasserbruchs durch
eine enge Verbindung mit einem zweiten, innerhalb des Leistenkanals
oder properitoneal irn Bauchraum gelegenen in Verbindung steht, und
ferner die Hydrocele communicans, bei der offene Kommunikation mit
der freien Bauchhöhle vorhanden ist. Eine besondere Stellung nimmt
die Hämatozele ein, die durch geschichtete Wandung mit ein-
gelngerten Blutherden und hämorrhagischem Inhalt ausgezeichnet ist.
Für die diagnostische Beurteilung jeder Schwellung
innerhalb des Skrotums ist der Griff nach dem Samenstrang entschei¬
dend. Dessen Freisein spricht für Erkrankung der Hoden und ihrer
Hüllen, sein Begleitetsein von einem aus dem äußeren Leistenring
vortretenden Strang für Hernie. Die Hydrocele testis- wird weiter au
ihrer bimförmigen, oben abgerundeten und scharf abzugrenzenden
Gestalt erkannt. Zum Nachweis der Fluktuation muß gute Fixie¬
rung stattfinden; stark gespannte oder verdickte Sackwand erschwert
oder vereitelt diesen Nachweis. Ein wertvolles diagnostisches Hilfs¬
mittel ist die Prüfung auf Durchscheinen mittels des aufgedrückten
Stethoskoprohrs. Diese Prüfung fällt negativ aus bei frischem Blut-
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
842
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 25
erguß in die Scheidenhauthöhle und bei Hämatozele. Die Lage des
Hodens zur Hydrozele läßt sich meistens durch den bezeichnenden
Betastungsschmerz feststellen. Beim Zusammentreffen von Hydro¬
zele und Hernie können sich recht komplizierte topographische
Verhältnisse ergeben, die häufig erst durch die operative Autopsie
völlig klargestellt werden. Es kann sieb in dem nicht obliterierten,
offen gebliebenen Processus vaginalis peritonei gleichzeitig seröse
Flüssigkeit und Darm oder Netz befinden (Hydrocele communicans
mit angeborener Hernie). Es kann abgeschlossene Hydrozele des
Hodens oder Samenstrangs zusammen mit erworbener Hernie be¬
stehen. Es kann scheinbar Einstülpung eines erworbenen Bruch¬
sacks in eine Hydrocele testis oder funiculi (Hemia encystica) vor¬
liegen. Nach meinen Untersuchungen sind unter diesen Fällen solche,
bei denen nicht eine Hydrozele, sondern eine zystische Flüssigkeits¬
ansammlung innerhalb der Bruchsackwand besteht. Es kann ein er¬
worbener Leistenbruch vor oder hinter einer geschlossenen Hydro¬
zele des Hodens oder des Samenstrangs in den Hodensack hinab¬
steigen. Doch sind dies im ganzen seltene Fälle, die nur erwähnt
wurden, um darauf hinzuweisen, daß man sich insbesondere bei kleinen
und mittelgroßen Hydrozelen nicht mit deren Feststellung beruhigen,
sondern auch au etwaige Komplikationen mit Hernie denken und
sie bei der Untersuchung mit berücksichtigen soll. Krankhafte Ver¬
änderungen am Haupt- oder Nebenhoden sind bei gleichzeitiger dick¬
wandiger oder stark gespannter Hydrozele nicht immer festzustellen,
und man erlebt es, daß erst nach Entleerung des Wasserbruchs durch
Punktion Erkrankungen dieser Organe zutagetreten, auf die man
nicht gefaßt war.
Zahlreiche Fälle von seröser und fibrinöser Hydrozele sind spon¬
tan heilbar, wie der häufige, bei Sektionen erhobene Befund von
Verwachsungen der Scheidennautblätter beweist. Ferner werden sie
nach Beseitigung ihrer Ursache (Balanitis, Gonorrhoe, Zystitis) rück¬
gängig, und als Nebenerscheinung syphilitischer Orchitis verschwin¬
den sie wie diese nach spezifischer Behandlung. Erscheint ein Eingriff
angezeigt, so pflegt bei kleinen Kindern einmalige oder wiederholte
Punktion mittels dünner Hohlnadel auszureichen; aber auch bei
chronischer, nur mäßig großer, dünnwandiger Hydrozele der Er¬
wachsenen darf zunächst Entleerung .mit Trokar und Anritzen des
inneren Blattes durch den vorderen Rand des Rohrs versucht werden.
Bei alten Männern, denen man die Radikaloperation der Hydrozele
nicht zumuten mag, lassen sich durch Punktion, die je nach der
Schnelligkeit der Wiederanfüllung mit kürzeren oder längeren Zwi¬
schenräumen zu wiederholen ist, die mechanischen Beschwerden in
Schranken halten. Bei Erwachsenen bedient man sich am besten
eines dünnen Trokars. Nachdem die Lage des Hodens festgestellt,
die Einstichstelle mit 5%iger Jodtinktur bestrichen und durch Aethyl-
chlorid oder Novokainquaddel unempfincHich gemacht ist, wird mit der
linken Hand die betr. Skrotalhälfte fixiert und der Trokar, dessen
hinteres Ende sich gegen die rechte Hohlhand stützt, während mit
der Zeigefingerspitze die Grenze markiert ist, bis zu der eingestochen
werden soll, in der Mitte der Hydrozele senkrecht vorgestoßen. Nach
Herausziehen des Stachels wird das Trokarrohr gesenkt, und dann
erfolgt die Entleerung. Ist das Rohr entfernt, so bleibt die Stichstelle
unbedeckt. Von den verschiedenen zur Einspritzung in den durch
Punktion entleerten Hvdrozelesack empfohlenen Mitteln, welche einen
entzündlichen Reiz auf die Serosa ausüben sollen, hat nur die Jod¬
tinktur in größerem Umfang Verwendung gefunden, 5 bis 12 g
der frisch bereiteten Lösung sollen eingespritzt und in dem Hydro-
zelesack gelassen werden. Es tritt danach schmerzhafte Schwel¬
lung mit Exsudation in die seröse Höhle auf. Abgesehen von den
erheblichen Beschwerden, erfolgt Rückbildung erst im Verlauf von
Wochen, und es besteht keine Sicherheit gegen Rezidiv. Diese Be¬
denken haften der Schnittoperation nicht an, weshalb sie auch
das Injektionsverfahren fast ganz verdrängt hat. Lange Zeit war
die Radikaloperation nach v. Bergmann die Methode der Wahl;
neuerdingsi^wird das Verfahren nach Winkelmann vielfach bevor¬
zugt. Vollständige Unempfindlichkeit des Skrotums und seines Inhaltes
wird erzielt durch Umspritzen seiner Basis mit 20 bis 30 ccm i,4 0 /oiger
und Injektion von 10 ccm lo/oiger Novokain-Suprareninlösung in den
Samenstrang vor dem äußeren Leistenring. Nach Bestreichen der
Operationsgegend mit 5<>/oiger Jodtinktur wird von einem Längsschnitt
aus die Tunica vaginalis propria stumpf ausgelöst und inzidiert. Nach
v. Bergmann soll diese bis zum Hoden entfernt und nach Blut¬
stillung an der Wundfläche der Hoden zurückgelagert und die Haut¬
wunde vollkommen geschlossen werden. Nach Winkelmann wird
die gespaltene Tunika, evtl, nach teilweiser Resektion, umgekehrt,
nach hinten um den Hoden geschlagen und hier mit einigen Katgut-
nähten vereinigt. Diese Methode ist durch Einfachheit und geringere
Gefahr der Nachblutung mit Hämatombildung ausgezeichnet. Ob in
neuerer Zeit angegebene Verfahren, namentlich die Fensterung des
Hydrozelesaeks nach Kirschner, mit Sicherheit Rezidive vermeiden,
ist noch fraglich. In veralteten Fällen von Hvdrozele oder Hämato¬
zele mit weitgehend veränderter Wand hesteht Veranlassung zur
Exstirpation des ganzen Sackes samt dem Hoden, insbesondere dann,
wenn dieser stark atrophiert ist.
Die akute gonorrhoische Epididymitis ist ausgezeichnet
durch hochgradige Schmerzhaftigkeit, durch das nur sehr selten nach
außen Zutagetreten von Eiterung sowie durch den Endausgang in nar¬
bige Verödung des Organs, was bei doppelseitiger Erkrankung
Zeugungsunfähigkeit nach sich zieht. Die chronische Erkran-
kung des Hodens ist überwiegend tuberkulöser Natur und
wird m jedem Lebensalter — bei Säuglingen ebenso wie bei Grei¬
sen — beobachtet. Es ist wichtig zu betonen, daß die Hodentuber¬
kulose nur selten die einzige Lokalisation der Infektion darstellt, daß
vielmehr daneben andere tuberkulöse Organerkrankungen, insbeson¬
dere Lungenphthise, zu bestehen pflegen. Regelmäßig beginnt die
Hodentuberkulose am Nebenhoden schmerzlos und schleichend. Von
einem oder mehreren in dessen Schwanz vorhandenen Herden aus
wird nach und nach das ganze Organ ergriffen, das dann mit höckeriger
Oberfläche raupenartig dem Haupthoden von hinten her anliegt.
Im Stadium der Verkäsung kann der Prozeß längere Zeit stationär
bleiben; oft erfolgt ziemlich schnelle Vergrößerung etwa im Neben¬
hodenschwanz vorhandener Knoten, sie erweichen, und es tritt Durch¬
bruch nach außen ein, der in dünnflüssigen Eiter absondernde Fisteln
übergeht Nicht selten besteht gleichzeitig Hydrozele. Das Ueber-
greifen auf den Samenstrang verursacht dessen diffuse oder knotige
Verdickung. Der Haupthoden wird im allgemeinen erst nach längerer
Zeit ergriffen. Da das Leiden öfter doppelseitig ist, muß stets der
andere Hoden sorgfältig abgetastet werden, und es ist für die Gesamt¬
beurteilung von großer Bedeutung, festzustellen, ob etwa auch Prostata,
Samenblasen, Harnblase, Nieren und Lungen tuberkulös erkrankt sind.
Man findet zuweilen im Nebenhoden knotige Verdickungen, von
denen nicht sicher festzustellen ist, ob sie als Folge von Trauma, von
Gonorrhoe, von Influenza oder anderen Infektionskrankheiten auf¬
zufassen sind, die aber mit Tuberkulose nichts zu tun haben. Im
Gegensatz zur Tuberkulose haben die spätsyphilitischen
Hodenerkrankungen ihren primären Sitz im Haupthoden. Nicht
immer läßt sich eine scharfe Trennung machen zwischen der diffus
fibrösen, zu Schrumpfung und Verkleinerung des Organs mit Funk¬
tionsverlust führenden Form und der gummös-knotigen Erkrankung.
Das Freibleiben des Samenstrangs und wenigstens anfänglich des
Nebenhodens sowie das häufigere Auftreten von Hydrozele sind
wesentliche Merkmale gegenüber der Tuberkulose. Sowohl im Sta¬
dium der geschwulstartigen Verdickung als in dem des äußerlichen
geschwürigen Zerfalles ist die diagnostische Abgrenzung von malignen
Neubildungen nicht immer leicht. Die Wa R. oder die Probeexzision
mit nachfolgender mikroskopischer Untersuchung kommen als Hilfs¬
mittel in Betracht. Als Fungus benignus hat man es bezeichnet,
wenn erhebliche Granulationsmassen aus einem ulzerierten Gummi
des Hodens vorgewachsen waren. In bezug auf die Mannigfaltigkeit
der vorkommenden echten Geschwulst formen und die Neigung
zu Mischgeschwülsten steht der Hoden der Ohrspeicheldrüse nahe.
Von den bösartigen Neubildungen ist als häufigste das rundzeilige
oder spindelzellige Sarkom zu nennen, das im jugendlichen Alter
und später bis etwa zum 40. Lebensjahre aufzutreten pflegt. Wesent¬
lich seltener ist das primäre Hodenkarzinom (Zylinderzellen), an
dem vorwiegend ältere Personen erkranken und das frühzeitig Meta¬
stasen in den regionären Drüsen verursacht. Plötzliches, schnelles
Wachstum bestehender Hodenverhärtung, Uebergreifen auf die Um¬
gebung, später Erweichung, geschwürigcr Durchbruch nach außen
und jauchige Sekretion sind bei negativer Wa.R. die Hauptkennzeichen
zur diagnostischen Verwertung.
Daß die Hodentuberkulose in seltenen Fällen spontan zur
Ausheilung gelangt, ist sichergestellt. Bei ihrer Behandlung ist man,
wie gegenüber anderen Formen der chirurgischen Tuberkulose, immer
mehr konservativ geworden. Kräftige Ernährung, Ausnutzung der
Vorteile der Freiluft und der Sonnenbestrahlung, Tuberkulinkur, Ver¬
meiden mechanischer Schädigungen stehen im Vordergrund der ärzt¬
lichen Anordnungen. Scheint die Erkrankung auf den Nebenhoden
beschränkt zu sein und sind keine Anzeichen von Rückbildung vor¬
handen, so kommen auch bei bestehenden Fisteln Spaltung des Neben¬
hodens, Auskratzung oder Resektion sowie Nachbehandlung mit Jodo¬
form in Betracht. In vorgeschrittenen Fällen, wo der Samenstrang
und der Haupthoden ergriffen sind, das übrige Skrotum stark beteiligt
ist, Fistelbildung vorliegt und das Allgemeinbefinden leidet, ist die
Semikastration angezeigt, vorausgesetzt daß nicht ausgesprochene
Urogenitaltuberkulose Besteht. Gegenüber doppelseitiger Hoden¬
tuberkulose namentlich jugendlicher Personen wird man aus bekannten
Gründen mit der Exstirpation beider Hoden sehr zurückhaltend sein.
Versuche, nach solchen Operationen zur Verhütung von nachteiligen
Folgen allgemeiner Art noch gesunde Teile der ausgeschnittenen
Hoden in die Bauchmuskeln einzuheilen, sind bisher nicht über die
Bedeutung interessanter Experimente hinausgekommen. Die spezi¬
fische Behandlung der Hodensyphilis läßt hauptsächlich von
größeren Jodkaligaben Erfolg erwarten. Weiter können angezeigt
sein: Spaltung und Auskratzung der gummösen Herde, Radikal¬
operation der begleitenden Hydrozele und bei weitgehendem ge¬
schwürigen Zerfall mit Eiterung oder Jauchung, wenn spezifische
Mittel versagen, die Hodenexstirpation. Die bösartigen Neu¬
bildungen des Hodens geben nur Aussicht auf Heilung, wenn
frühzeitig die Radikaloperation vorgenommen wird, bei Karzinom
mit gleichzeitiger Ausräumung der Leistendrüsen. Die Kastration
wegen der verschiedenen vorstehend besprochenen Erkrankungen
wird in Lokalanästhesie nach den für die Operation der Hydrozele
angegebenen Regeln - ausgeführt. Namentlich wenn Fisteln oder
Geschwüre bestehen, ist es im Interesse der Asepsis zweckmäßig*
zunächst den Samenstrang vor dem äußeren Leistenring freizulegen,
seine Gefäße sowie das Vas deferens (nach Resektion, wenn es er¬
krankt ist) zu isolieren und sorgfältig zu unterbinden. Mit dem Hoden
muß die etwa erkrankte Skrotalhaut im Gesunden entfernt werden.
Digitized b"
Google
Original from
CORNELL UNfVERSITY
23 Juni 1M22
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
843
Standesangelegenheiten.
Rechtsfragen aus der ärztlichen Praxis.
Von Oberreichsanwalt Dr. Ebermayer in Leipzig.
(Fortsetzung aus Nr. 24.)
Bezüglich der Präge, ob einem Unfallverletzten usw. zugc-
mutet werden kann', sich behnfs Beseitigung der vorhandenen nach¬
teiligen Folgen einer Knr oder einer Operation zu unterwerfen.
steht die Rechtsprechung auf dem Standpunkt, daß eine solche
Verpflichtung keineswegs unbeschränkt bestehe. Ein Urteil des RO.
vom 26. II. 1917 erklärte die Verletzte nicht für verpflichtet, sich der
vom Haftpflichtigen verlangten uervenärztlichen Behandlung zu
unterwerfen, da ihr Hausarzt ihr erklärt hatte, es bestünden gegen
die nervenärztliche Behandlung schwere Bedenken. Hier, sagt das
Urteil, könne keine Rede davon sein, daß die Kranke böswillig
oder in schuldhaftem Eigensinn sich geweigert habe, sich der nerven-
ärztlichen Behandlung zu unterwerfen. Die Verpflichtung, sich einer
Operation zu unterwerfen, erkennt ein Urteil des RG. vom 27. VI.
1913 nur unter folgenden Voraussetzungen an: die Operation muß
nach dem Gutachten von Sachverständigen gefahrlos sein, und zwar
in dem Sinne, wie überhaupt nach dem Stande der ärztlichen Wissen¬
schaft von einer Gefahrlosigkeit gesprochen werden kann, d. h.
soweit nicht unvorhergesehene Umstände eine Gefahr bedingen.
Damit scheiden alle in der Narkose vorzunehmenden Operationen
aus, da bei ihnen die Möglichkeit tödlichen Ausganges nicht mit
Sicherheit auszuschließen ist. Die Operation darf ferner nicht mit
nennenswerten Schmerzen verknüpft sein. Weiter muß die Aus¬
führung der Operation eine beträchtliche Besserung der Leistungs¬
fähigkeit des Verletzten nach sachverständigem Gutachten mit Sicher¬
heit erwarten lassen, und endlich muß der Ersatzpflichtige dem
Verletzten zu erkennen gegeben haben, er sei bereit, für die Kosten
der Operation aufzukommen. Diese Entscheidungen werden sowohl
den Interessen des Verletzten als des Ersatzpflichtigen gerecht.
Mit Nachdruck wehren sich die Aerzte gegen die Heranziehung znr
Gewerbesteuer, indem sie unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung
des Reichsgerichts, des Kammergerichts und des Preußischen Ober¬
verwaltungsgerichts darauf hinweisen, daß die Ausübung der Heil¬
kunde auf Grund staatlich erteilter Approbation kein gewerbliches
Unternehmen sei, obwohl sie meist im Wege des privatrechtlichen
Vertrages ausgeübt und honoriert wird. Eine mit dieser Begründung
erhobene Beschwerde gegen einen Gewerbesteuerbescheid hat der
Rat der Stadt Dresden am 29. III. 1922 mit dem Hinweis zurück¬
gewiesen, daß die vom Beschwerdeführer erwähnte Rechtsprechung
nicht bestritten würde, daß aus ihr aber nicht die Befreiung von
der Gewerbesteuer folge. Für die Heranziehung zu dieser Steuer
seien lediglich die Bestimmungen der Gemeindesteuerordnung vom
30. VI. 1921 maßgebend. Diese machten die Gewerbesteuerpflicht
nicht davon abhängig, daß die selbständige Erwerbstätigkeit ein
Gewerbebetrieb im Sinne der Gewerbeordnung sei, erachte vielmehr
als Gewerbebetrieb jede fortgesetzte, auf Erwerb gerichtete Tätig¬
keit, bei welcher der wirtschaftliche Erfolg zum Vorteil oder Nach¬
teil des Unternehmers steht. Die Begriffsbestimmung sei dem § 11
des Gemeindesteuergesetzes entnommen, und für dieses Gesetz sei
anerkannt, daß die selbständige Berufstätigkeit der Aerzte, Rechts¬
anwälte, Künstler, überhaupt jede fortgesetzt auf Erwerb gerichtete
selbständige wissenschaftliche, künstlerische, schriftstellerische, unter¬
richtende und erziehende Tätigkeit unter den Begriff des Gewerbe¬
betriebs falle. Es erscheint dringend wünschenswert und
wird wohl auch dazu kommen, daß die oberste Finanz¬
behörde in- dieser sicherlich höchst zweifelhaften
Frage entscheidet. Angeblich soll der Deutsche Anwalts¬
verein beim Reichsfinanzhof bereits beantragt haben, daß dieser
diejenigen Landesgesetze, die die Heranziehung der Rechts¬
anwälte zur Gewerbesteuer bestimmen, wegen ihres Widerspruchs
mit den Reichsgesetzen als ungültig erklären solle. Rechts¬
anwälte und Aerzte befinden sich hier wohl in der gleichen Lage.
Der württembergische ärztliche Landesausschuß hat im Württemb.
Mediz. Korrespondczblatt 1922 sehr lesenswerte Ausführungen von
Dr. Reinert veröffentlicht, in denen an der Hand der Recht¬
sprechung nachgewiesen wird, daß der ärztliche Beruf nicht nur
kein Gewerbebetrieb im Sinne der Gewerbeordnung ist, sondern auch
nicht unter die Gewerbesteuer fällt (so Urteil des Kammergerichts
vom 19. X. 1914). Anläßlich des Notopfers hat der Reichsfinanz¬
minister selbst anerkannt, daß der freie Beruf kein Gewerbe ist.
Dr. Reinert hebt im einzelnen alle die Umstände hervor, durch
die sich die Tätigkeit des Arztes, abgesehen von dem Fehlen eines
fundierten Vermögens, grundsätzlich von derjenigen eines Gewerbe¬
treibenden unterscheidet, und stützt diese Ausführungen durch Hin¬
weis auf das reichsgerichtliche Urteil vom 30. IV. 1915, in dem be¬
gründet wird, daß und weshalb der Arztberuf kein freies Gewerbe
ist. Reinert weist sodann auch auf die wirtschaftliche Wirkung
einer Gewerbesteuer für Aerzte hin. Nach seiner wohl zutreffenden
Meinung müßte die Steuer abgewälzt werden, zunächst auf die
Krankenkassen, die zur Zeit das Hauptkontingent der Kranken stel¬
len, sodann auf die zum größten Teile unbemittelten Privatpatienten;
das eine wie das andere würde zu großen Härten und Unbillig¬
keiten führen und bei der notwendig werdenden Erhöhung der
Kosten ärztlicher Behandlung noch mehr Kranken, als es schon jetzt
der Fall ist, die Möglichkeit nehmen, sich in zweckentsprechende
ärztliche Behandlung zu begeben.
In der Deutschen Stfr.Z. 1922 S. 14 ff. bespricht Geh.-Rat
Schwalbe den Kampf gegen {das Geheimmittelanwesen. Er weist
zunächst darauf hin, daß 'der im Jahre 1910 dem Reichstag vor¬
gelegte Entwurf eines Gesetzes gegen Mißstände im Heilgewerbe
im Reichstag abgelehnt wurde und daß die Reichsregierung seitdem
weitere gesetzgeberische Versuche zur Bekämpfung dieses Unwesens
nicht gemacht habe, trotz der durch den Vertrieb und die Ver¬
wendung dieser Mittel hervorgerufenen ungeheueren Schädigung teils
der Gesundheit, teils des Geldbeutels. Als Beispiel führt er das
bekannte Rad-Jo-Mittel an, schildert die für dieses betriebene
Reklame, die vielfachen abfälligen Gutachten Sachverständiger über
den Wert des Mittels und die zahlreichen Prozesse, die der Fabri¬
kant gegen diejenigen teils mit, teils ohne Erfolg angestrengt
hat, die es gewagt haben, die Güte und Wirkung seines Ge¬
heimmittels zu bezweifeln, das das Hamburger Landgericht in
einem Urteil vom Jahre 1921 als eines „der übelsten Geheimmittel“
bezeichnet hat, für das eine „unlautere und an Schwindel grenzende
Reklame“ getrieben werde. Trotz dieses gerichtlichen Werturteils
und aller Warnungen hatte der Fabrikant nach eigener Angabe vom
Jahre 1921 einen Jahresumsatz von 5 Millionen Flaschen. Bei solcher
Sachlage dürfte allerdings ernstlich zu erwägen sein, ob nicht ge¬
setzgeberisches Eingreifen zum Schutze der Allgemeinheit und der
bekannten vielen Tausende, die nicht alle werden, dringend nötig
erscheint. Schwalbe gibt in dieser - Richtung wertvolle Andeu¬
tungen. Vor allem sollte seiner Meinung nach vom Reichsrat der
Verkehr mit Arzneien, die zur Verhütung, Linderung oder Heilung
von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden bei Menschen oder
Tieren dienen sollen, ferner von Kräftigungsmitteln für Menschen
oder Tiere, desgleichen von Säuglingsnährmitteln beschränkt oder
untersagt werden können, wenn von deren Anwendung eine Schädi¬
gung der Gesundheit zu befürchten ist, oder wenn sie in einer auf
Täuschung oder Ausbeutung der Abnehmer abzielenden Weise an¬
gepriesen oder vertrieben werden. Eine derartige Bestimmung, wie
sie schon § 6 des Gesetzentwurfs von 1910 im Auge hatte, wäre
wohl geeignet, die schlimmsten Mißstände zu beseitigen. In einem
Nachworte tritt Reichsgerichtsrat Dr. v. Feilitsch den SchwaIbe-
sehen Ausführungen durchaus bei, weist auf die Schwierigkeit hin,
die mit Strafe zu bedrohenden Tatbestände kriminalistisch hinreichend
scharf zu erfassen, und macht einige Gesetzesvorschläge zur Er¬
gänzung der Gewerbeordnung und des StGB., die sich aber nicht
sowohl gegen das Geheimmittelwesen als gegen das Kurpfuscher¬
tum, das mit jenem allerdings in engster Verbindung steht, richten.
Mit Recht sprechen Schwalbe und v. Feilitsch den Wunsch
aus, daß Staatsanwalt und Strafrichter schon jetzt von den leider
geringen Mitteln, die das Gesetz ihnen zur Bekämpfung des Geheim¬
mittelunwesens an die Hand gibt, ausgiebigen Gebrauch machen
mögen.
Schweden, dessen Strafgesetzgebung in mancher Richtung für
uns vorbildlich sein kann, hat bereits im Jahre 1916 ein Gesetz
gegen die Kurpfuscherei erlassen, wonach jeder mit Geldstrafe von
50 bis 1000 Kronen bestraft wird, der, ohne zur Ausübung des ärzt¬
lichen Berufes befugt zu sein oder gewesen zu sein, venerische
Krankheiten, Tuberkulose, Krebs oder ähnliche ansteckende Krank¬
heiten behandelt, zu deren Einschleppung oder Verbreitung im Reich
beiträgt. Bei gewerbsmäßiger Behandlung Gefängnis bis zu einem
Jahre. Die vorerwähnte Geldstrafe wird auch für den Fall ange¬
droht, daß jemand gewerbsmäßig den ärztlichen Beruf ausübt, ohne
hierzu befugt zu sein oder gewesen zu sein, und durch seine Be¬
handlung Gefahr für Leben und Gesundheit des Behandelten mit
sich bringt.
Unerhörte Zustände hat eine Verhandlung enthüllt, die im Herbst
des vorigen Jahres vor dem Schwurgericht in Potsdam stattfand.
Ein Arzt hatte sich mit einer bekannten Kartenlegerin zusammen¬
getan, die sich gleichzeitig mit Abtreibung befaßte, und beide be
trieben das Geschäft in ebenso umfangreicher als scheußlicher ^eise.
Die Kurpfuscherin narkotisierte, der Arzt operierte gegen Bezah¬
lung von 300 bis 600 M. für jeden Eingriff. Patientinnen mit
40° Fieber wurden entlassen, eine wurde sterbend auf der Straße
betroffen. Frühgeburten von 5 bis 7 Monaten blieben tagelang
in der Behausung liegen, dann wickelte die Angeklagte sie in
Zeitungspapier und warf sie auf den Hof, wo die Patientinnen oder
deren Männer die Pakete vergraben mußten. Der Arzt war in¬
zwischen an Syphilis erkrankt, bekam öfters Tobsuchtsanfälle, sodaß
er die Operationen unterbrechen mußte. Schließlich wurde er ver¬
haftet, nach 6 Wochen wieder entlassen, und das Treiben begann
von neuem. Als wieder einmal eine Patientin bei einer Operation
elend zugrundeging, machte der Arzt einen Selbstmordversuch und
wurde dann in die Irrenanstalt gebracht. In dem eingeleiteten
Strafverfahren verneinten die Sachverständigen das Vorliegen der
Voraussetzungen des § 51 StGB., die Geschworenen bejahten die
Schuldfrage, und der Arzt wurde wegen Lohnabtreibung zu 2 Jahren
Zuchthaus, die Kurpfuscherin zu 1 Jahre Gefängnis verurteilt. Schade,
daß der im Reichstage gestellte Antrag, die Abtreibung in Zukunft
straflos zu lassen, nicht schon Gesetz war!
In der Essener Arbeiterzeitung vom 19. XI. 1921 untersucht und
verneint Rechtsanwalt Goeper die Frage» ob das Impfgesetz eine
zwangsweise Vorführung zum Impfarzt zum Zweck der Impfung
gestatte. Er geht davon aus, daß das Impfgesetz nur die Nicht-
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSITV
844
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 25
Erfüllung der Impfpflicht mit Strafe bedrohe, Zwangsmittel aber
nicht zulasse. Er stützt sich dabei auf eine Reihe gerichtlicher Ur¬
teile und auf die Verhandlungen des Reichstages aus dem Jahre
1S74. Für Preußen läßt meines Erachtens die ständige Praxis des
Oberverwaltungsgerichts keinen Zweifel, daß die Polizei berechtigt
ist, zur Durchführung ihrer gesetzlichen Verfügungen über die Imp¬
fung die zwangsweise Vorführung des Kindes zur Impfung anzu¬
ordnen, auch unmittelbaren Zwang zur Herbeiführung der ver¬
weigerten Impfung von Kindern anzuwenden. Ich verweise auf
meine Ausführungen im 14. Berichte, D. m. W. 1914 Nr. 2 1.
(Schluß folgt.)
Gesetzesfragen.
Von S. Alexander in Berlin.
In den letzten Monaten ist die Bevölkerung Deutschlands mit einer
Reihe von Gesetzen bedacht worden, die in die Wirtschaft tief
einschneiden und demgemäß auch auf den ärztlichen Stand mittel¬
bar und unmittelbar einwirken. Diese Wirkungen in Beziehung auf
die Aerzte als Staatsbürger zu beleuchten, ist nicht unsere Aufgabe
und unsere Absicht. Dagegen scheint es angebracht, einige spezifische
Wirkungen auf den Stand und dessen Organisationen eingehender zu
behandeln.
Mit affenartiger Geschwindigkeit ist vom Reichstage an einem
Tage ein Entwurf in drei Lesungen durchgepeitscht worden, der eine
Aenderung des § 370 der Reichsversicherongsordnuiig darstellt. Dieser
bestimmt, daß, wenn bei einer Krankenkasse die ärztliche Versorgung
dadurch ernstlich gefährdet wird, daß die Kasse keinen Vertrag
schließen kann oder daß die Aerzte den Vertrag nicht einhalten, das
Oberversicherungsamt die Kasse ermächtigen kann, statt der Kranken¬
pflege oder der ärztlichen Behandlung eine bare Leistung bis zu
"/•! des Durchschnittsbetrages des gesetzlichen Krankengeldes zu ge¬
währen. Schon bei der Vorberatung des Entwurfes über die gesetz¬
liche Regelung des Verhältnisses der Aerzte zu den Krankenkassen
stellte sich heraus, daß die Aufsicht des Oberversicherungsamts den
Krankenkassen in diesen Fällen unbequem war, und der Entwurf hat
dieser Stimmung Rechnung getragen. Die Aenderung des neuen Ge¬
setzes gegenüber dem § 370 RVO. besteht nun darin, daß der Reichs¬
arbeitsminister im Falle eines Bedürfnisses Bestimmungen treffen
kann, wonach über die Vorschriften des § 370 hinaus die Kran¬
kenkassen ermächtigt werden, eine bare Leistung zu gewähren.
Wie der Reichsarbeitsminister gegebenenfalls das „Bedürfnis“ ein¬
schätzt, ob er die Ermächtigung au die Krankenkassen mit Sicherungen
gegen Mißbrauch schützen wird, ist völlig unklar. Für den Aerzte-
stand ist aber diese Klärung von großer Bedeutung. Denn wenn etwa
im Falle eines vertraglosen Zustandes jede Krankenkasse ermächtigt
würde, darüber zu entscheiden, ob eine ernste Gefährdung der ärzt¬
lichen Versorgung vorliegt, so wäre der Willkür Tür und Tor ge¬
öffnet, zumal alsdann auch der Zwang einer ärztlichen Krankheits¬
bescheinigung aufgehoben sein würde. Den größeren Schaden würden
allerdings dann nicht die Aerzte, sondern die Organe der Kranken¬
versicherung haben.
Daß unter dem geltenden §370 die Barleistung für die Kassen
nicht so ganz einfach lieget, erhellt aus einem Beschlüsse, den das
Oberversicherungsamt Dortmund in einem Streite wegen Einstellung
der ärztlichen Behandlung durch die Aerzte in Hagen über die Bar¬
leistung gefaßt hat. Der Kasse wird zwar die „widerrufliche“ Er¬
mächtigung erteilt, für die Barleistungen für ärztliche Behandlung
werden jedoch Gebührensätze vorgeschrieben, zu denen kaum ein
Arzt die Behandlung übernehmen dürfte. Resultat: entweder muß
der Versicherte aus seiner Tasche zuschießen oder die ärztliche Be¬
handlung entbehren, in beiden Fällen zum Schaden des Flilfesuchenden.
Es dürfte nicht unangebracht sein, bei dieser Gelegenheit eine
Frage der Auslegung eines Satzes der neuen preußischen Gebühren¬
ordnung zu streifen, die in das oben berührte Kapitel hineingehört.
§2 Abs. 3 lautet: „In dringenden Fällen sind von den gegen Krankheit
nach der RVO. Versicherten nur die Mindestsätze zu entrichten ...“
Schon bei den Vorverhandlungen haben die Kassenvertreter die An¬
schauung geäußert, daß diese Bestimmung Zwangscharakter hat und
nicht nur, wie die ganze Gebührenordnung, „mangels einer Verein¬
barung“, und in der „Ortskrankenkasse“ Nr. 7 versteigt sich Herr
Lehmann zu der Bemerkung, „daß nach den Ausführungen eines
Regierungsvertreters eine gültige Vereinbarung darin nicht zu erblicken
ist, wenn der Arzt die Ausführung seiner Dienste von der vor¬
herigen Anerkennung eines abweichenden Gebührensatzes abhängig
macht, sofern sich der Kranke in einer Notlage befindet“. Ob ein
Regierungsvertreter eine solche Aeußerung in ihrer Allgemeinheit ge¬
tan hat, ist sehr zweifelhaft, würde aber auch nicht ausschlaggebend
sein, da hierüber letzten Endes der Richter zu entscheiden hätte, nicht
die Regierung. Daß übrigens nicht alle Regierungsvertreter diesen
Standpunkt teilen, ergibt sich aus einem Aufsatz des Min.-Rat Prof.
Dr. Dietrich in Nr. 9 der „Volkswohlfahrt“, in dem er ausführt, daß
„der Mindestsatzzwang kein Behandlungszwang ist, d. h. daß jeder
Arzt das Recht, die Behandlung eines Kranken zu den Mindestsätzen
der Taxe, auch wenn der Kranke nach der Reichsversicherungsordnung
gegen Krankheit versichert ist, abzulehncn“. Erklärt dies der Arzt vor
Beginn der Behandlung und ist der Hilfesuchende mit einem höheren
Satze einverstanden, so liegt u. E. eine Vereinbarung vor, und die
Gebührenordnung scheidet nach § 1 aus. Anders liegt die Frage, ob
die Vereinbarung gültig ist, falls sie gegen die guten Sitten verstößt,
oder inwieweit der Arzt sich durch Unterlassung der Hilfeleistung straf¬
rechtlich oder ehrengerichtlich vergeht. Ueber diese Fragen kann im
Einzelfallc nur der Richter entscheiden.
Von den großen Fiaanzgesetzen, die der Reichstag Anfang April
verabschiedet hat, seien nur einige wenige erwähnt, weil sie Bestim¬
mungen enthalten, die auf Einrichtungen des ärztlichen Standes zu¬
treffen. So sind von der Vermögenssteuer befreit: rechtsfähige
Pensions-, Witwen-, Waisen-, Sterbe-, Unterstützungskassen; auch
nicht rechtsfähige, wenn die dauernde Verwendung der Ein¬
künfte für die Zwecke der Kasse gesichert ist. Dahin gehören alle
ärztlichen Versorgungs- und Unterstützungskassen, ferner Personen¬
vereinigungen, die ausschließlich gemeinnützigen Zwecken dienen, und
endlich gesetzliche Berufs- oder Wirtschafts Vertretungen sowie wirt¬
schaftliche Verbände ohne öffentlich-rechtlichen Charakter, deren
Zweck nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist.
Hier wird die Frage zu entscheiden sein, ob die kassenärztlichen
Vereine, die die Auszahlung der Honorare vermitteln, einen „wirt¬
schaftlichen Geschäftsbetrieb“ ausüben. Eine ähnliche Bestimmung
findet sich auch in dem Körperschaftssteuergesetz, das im
übrigen keine die Aerzte betreffende Aenderung erfahren hat. Im
Umsatzsteuergesetz ist die bisherige Auslegung über Besteuerung
ärztlicher Einkünfte durch eine gesetzliche Fassung ergänzt worden.
Danach sind Entgelte für ärztliche Hilfeleistungen steuerfrei, soweit
die Entgelte von den Krankenkassen zu zahlen sind. Die Steuer ist
auf 2 0 /o erhöht, doch gelten für Einnahmen aus Leistungen des Vor¬
jahres noch die alten Sätze. Aus dem Branntweinmonopolgesetz sei
erwähnt, daß beträchtliche Beträge aus den Einnahmen zur Bekämpfung
der Trunksucht und solcher Volksschäden, die mit dem Alkoholismus
Zusammenhängen, insbesondere Tuberkulose und Geschlechtskrank¬
heiten, verwendet werden sollen.
Eine nicht unbeträchtliche Ausdehnung hat die Erörterung über
die Heranziehung der Aerzte zur Gewerbesteuer gewonnen. Aus
verschiedenen Teilen Deutschlands ertönen Klagen über eine solche
Heranziehung seitens der Länder und Gemeinden. Während es noch
bis vor kurzem als historisches Recht, das auch durch höchstinstanz-
liche Entscheidungen geachtet worden ist, galt, den ärztlichen Beruf
nicht als Gewerbe aufzufassen, bahnt sich jetzt ein Umschwung an.
Aeußerlich ist dieser Stein ins Rollen geKomrnen durch das vom
Reiche beschlossene Landessteuergesetz vom 30. III. 1920, wonach die
Länder verpflichtet sind, Steuern vom Gewerbebetriebe zu erheben.
Auf Grund dessen sind auch die Gemeinden befugt, die Steuer den
Gewerbetreibenden aufzuerlegen, insoweit diese nicht ausdrücklich
davon befreit sind. Das ist z. B. in Preußen noch der Fall, wo Aerzte
durch Gesetz ausgenommen sind. In allen andern Fällen kann an der
formalen Berechtigung, die Gewerbetreibenden kraft ihres Gewerbes
zu einer Steuer zu veranlagen, nicht gezweifelt werden. Fraglich ist
nur, ist der Arzt ein Gewerbetreibender? Diese Frage ist
trotz einzelner Ausnahmebestimmungen der deutschen Gewerbeord¬
nung zugunsten der Aerzte nicht gelöst. Sie ist vieldeutig und deshalb
ungelöst, weil der Begriff des „Gewerbes“ weder gesetzlich noch
nach dem Gewohnheitsrecht feststeht. Daher resultiert die ungleiche
Entscheidung höchster Instanzen, je nachdem es sich um verwaltungs¬
rechtliche, Steuer- und bürgerlich-rechtliche Streitfragen handelt. Theo¬
retisch steht sowohl das Reichsgericht wie die öffentliche Meinung
auf dem Standpunkt, daß der ärztliche Beruf eine höhere Dienst¬
leistung schafft, die nicht in erster Linie auf den Erwerb gerichtet ist,
sondern ideale Interessen vertritt. Aus dieser Eigenart sind für den
Beruf Rechte und Pflichten erwachsen, die sonst dem Gewerbetreiben¬
den abgehen. Trotzdem ist die Gefahr, daß die Gemeinden, wenn sie
bei der jetzigen finanziellen Not von dem ihnen zustehenden Rechte
der Gewerbebesteuerung auch den Aerzten gegenüber Gebrauch
machen, recht behalten, nicht ausgeschlossen, zumal auch bei diesen
ein Zug, ihren Beruf mehr und mehr ausschließlich als
Erwerb aufzufassen, unverkennbar ist. Ein ausführliches
Gutachten des Prof. Dr. Schanze in Dresden, veröffentlicht im
Korr.Bl. Sachs. Nr. 9, kommt zu dem Schluß, daß die Aerzte nicht
gewerbesteuerpflichtig sind. Ob die höchste Instanz aber in diesem
Sinne entscheiden wird, steht dahin. Immerhin sollte die ganze Strö¬
mung uns zum Bewußtsein führen, wie wichtig es für unseren Stand
ist, seine idealen Aufgaben nicht hinter seine materiellen Interessen
zurücktreten zu lassen 1 ).
Mittelbar wirkt die „Vergewerblichung“ (s. v. p.) des Aerztestarides
auch auf eine Etikettenfrage ein, nämlich auf die Verleihung des
Titels Sanität«rat und Geheimer Sanitätsrat. Die D. m. W. hat ihre
Leser über diesen Sturm im Glase Wassei*, der sich besonders in
Oesterreich und in Bayern erhebt, wiederholt unterrichtet. Der
Parität halber sei aber neben dem temperamentvollen Süddeutschen
auch dem kritischen Norddeutschen ein Wort zu dieser Frage ge¬
stattet, die manchem, den es angeht, als eine wichtige Standesf^age
erscheint. Wodurch ist sie es geworden? Nicht dadurch, daß der Titel
auf Grund der Weimarer Verfassung nicht mehr verliehen oder daß
die Verleihung des Titels durch die Landesregierungen von der Reichs-
regierung beanstandet wird, sondern dadurch, daß den bisherigen In¬
habern gestattet worden ist, den Titel weiterzufülhren. Bekennen
wir es doch offen: ob beabsichtigt oder nicht beabsichtigt, wirkt der
Titel auf die große Menge als eine sichtliche Hervorhebung vor
anderen Berufsgenosseu. Da nun die Bevölkerung die Weimarer
M Diese wichtige Frage ist von unseren juristischen Mitarbeitern hier wiederholt
erörtert worden: vgl. 1905 Nr. 44, 1907 Nr. 20 u. 47, 1908 Nr. 10, 29 u. 41, 19>5 Nr 45^
1918, Nr. 49, siehe außerdem wieder oben die bedeutungsvollen'Ausführungen'von Ober¬
reichsanwalt Ebermayer S. 843. D. Red.
nigiriT^:! h .y SZo gle
Original from
CORNELL UNiVERSiTV
23. Juni 1922
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
845
Verfassung meist nicht im Kopfe hat, so gilt die unterschiedliche Be¬
handlung als Auszeichnung, die sich ideell und nicht minder auch
materiell in Taten umsetzt. Und das ist unbillig. Deshalb hätte, wie
man auch sonst über solche Verleihungen denken mag, mit dem
Momente der Versagung auch den bisherigen Inhabern die Führung
des Titels untersagt weiden müssen. Es sei dahingestellt, ob dies ohne
Gesetz möglich ist, aber Gesetze und Banknoten herzustellen, ist ja
bei uns nicht schwierig. Im übrigen bekennen wir uns offen zur
Verleihung, und zwar aus einem Grunde, der die Ethik unseres Standes
berührt und mit der Unterstellung unseres Berufes unter den Begriff
des Gewerbes zusammenhängt. Gerade wenn und weil wir das nicht
wünschen, gerade weil wir dahin zielen müssen, daß unser Beruf als
humanitärer, das allgemeine Wohl fördernder, auch von Staats wegen
unbedingt anerkannt wird, weil wir Aufgaben mit übernehmen und
durchführen, die von einem „Erwerb“ weit entfernt sind, könnten
diejenigen Aerzte, die sich dieser hohen Aufgaben bewußt sind, auch
nach außen hin als solche gekennzeichnet werden. Die Auslese zu
kennzeichnen, mag schwierig und mit häßlichen Fehlern behaftet sein,
aber unmöglich ist es nicht. Es sei nur daran erinnert, wie großen
Nutzen ein ständiges Vorschlagsrecht der gesetzlichen Standesver¬
tretungen stiften würde, die in der Lage wären, vermöge ihrer Perso¬
nalkenntnisse und Vertrauensorganisationen die Spreu von dem Weizen
zu trennen. Es wäre sicher kein großes Unglück, wenn solchen
Vorkämpfern für das öffentliche Wohl, auch ohne amtliche Stellung,
von Staats wegen ein gewisses Aequivalent zuerkannt würde, das
sie für den Aufwand an Mühe umj Zeit und für die nicht unbeträcht¬
lichen Verluste an ihrem Erwerb wenigstens ideell entschädigt. Hier¬
aus würde auch der Staat erheblichen Nutzen ziehen, denn er würde
dadurch auf die Betätigung vieler Aerzte für das öffentliche Wohl
befruchtend wirken. Die Gefahr der Züchtung von Egoisten und
Strebern darf davor nicht zurückschrecken, denn gesunder Egoismus
und ehrliches Streben nützt dem öffentlichen Wohl, und die anderen
— läßt man eben draußen. Zugegeben w'erden muß, daß, was dem
ärztlichen Stande recht, anderen Ständen mit höheren, das Volkswohl
fördernden Leistungen billig wäre. Zugegeben muß ferner werden,
daß eine Aenderung der Weimarer Verfassung sich kaum wird ermög¬
lichen lassen, aber gerade das bayrische Beispiel zeigt, daß trotz der
deutschen Verfassung die Landesgesetzgebung zur Verleihung von
Titeln nicht unzuständig ist. Es bedürfte dann nur der Vereinbarung der
Länder unter sich über die gegenseitige Anerkennung der Titel, die
auch vor der Revolution schon rechtens war. Schon die alten Griechen
und Römer ehrten diejenigen, die sich um däs Vaterland wohlver¬
dient gemacht haben.
Brief aus Württemberg.
Die Verhandlungen mit den Krankenkassen am die Anpassung der
Arzthunorare an die Geldentwertung erforderten natürlich auch in
Württemberg im abgelaufenen Vierteljahre eine energische Arbeit der
ärztlichen' Organisation. Von beiden Seiten kam der Wunsch, den
dauernden Verhandlungen ein Ende zu bereiten und einen geeigneten
Schlüssel für die selbsttätige Regelung zu finden. Die Krankenkassen
hatten eine Anlehnung an die Teuerungszulagen der Beamten vor-
gesdilagen. Die Aerzte lehnten dies aus grundsätzlichen Erwägungen
ab und schlugen die Reichsteuerungsindexziffer als Schlüssel vor.
Der einfache Weg, die Gebührenordnung auf bleibende Punktwerte
umzurechnen, also die einzelnen Verrichtungen mit ihrer Punkt¬
bewertung abzudrucken und zu verrechnen und das Ergebnis am Ende
mit der jeweiligen Reichsteuerungsindexziffer zu vervielfältigen, wurde
von den Krankenkassen und auch von einem Teil der Kollegen ab¬
gelehnt. In den Verhandlungen einigte man sich schließlich darauf,
auszurechnen, um wie viele Prozent die Reichsteuerungsindexziffer
seit dem Tage gestiegen ist, an dem die jeweiligen Geoühren aus¬
bedungen wurden.
Diese Trozentzahl soll maßgebend für die Teuerungszuschläge
sein. Für die besonderen Verrichtungen ist hierbei die am 1. IV. 1921
vereinbarte Württembergische Kassengebührenordnung maßgebend.
Für die Sprechstunden und Besuche eine Gebühr von 10 bzw. 20 Mark,
die mit Wirkung vom 1.1. 1922 vereinbart ist. Es ist daher die Reichs¬
teuerungsindexziffer der Gegenwart in ihrer prozentualen Steigerung
für die Sprechstunden und Besuche mit einer anderen Reichsteuerugs-
indexziffer zu vergleichen, wie die für die besonderen Verrichtungen.
Zugestanden wurde ferner von den ärztlichen Unterhändlern, daß
Sprechstundenberatungen, in welchen ein Krankenschein ausgefüllt
wird, ohne daß eine besondere Verrichtung vorgenommen wird, als
„Verwaltungsverrichtung“ nur mit der halben Beratungsgebühr bezahlt
werden sollen. Alle diese beiderseitigen Zugeständnisse wurden
schließlich durch einen Schiedsspruch Testgelegt. So erhalten also
die Aerzte für das 1. Vierteljahr 1922 12,05 Mark für die Sprechstunde,
24,10 Mark für den Besuch und 121 o/o Teuerungszulage auf die Sätze
der besonderen Verrichtungen der Württembergischen Krankenkassen¬
gebührenordnung.
Die Krankenkassen haben den Schiedsspruch für das 1. Vierteljahr
angenommen, wollen aber für das 2. Vierteljahr nochmals verhandeln,
sodaß das Ziel des Abbaues der Verhandlungen noch nicht voll
erreicht ist.
Mit der Landesversicherungsanstalt, den gewerblichen und land¬
wirtschaftlichen Berufsgenossenscbaften haben wir neue Verträge ge¬
schlossen, die weit einfacher sind als die mit den Krankenkassen und
hoffentlich für lange Zeit Honorarverhandlungen ausschließen. Für
jedes Gutachten haben wir einen Punktwert ausbedungen, der mit der
jeweiligen Reichsteuerungsindexziffer vervielfältigt wird, z. B. beträgt
der Punktwert für das große Invalidengutachten 31/3 Punkte. Die
Reichsteuerungsindexziffer wird monatlich veröffentlicht, und S^mal
dieser Ziffer ist die jeweilige Arztgebühr für das Invalidengutachten,
also im Monat April 31/3 X 31,75 — 105 Mark. Die Ausrechnung ist
spielend einfach und die Anpassung an den Geldwert für lange Zeit
gewährleistet.
Als eine neue Aufgabe hat uns die Durchführung des Jugendamts¬
gesetzes beschäftigt. Das Württembergische Jugendamtsgesetz sieht
in jedem Oberamt die Errichtung von Jugendämtern vor, bei deren
Zusammensetzung zwar an alle möglichen wohltätigen und Frauen¬
vereine gedacht ist, nur wurden leider die ärztlichen Vereine ver¬
gessen. Das Jugendamt soll Fürsorgerinnen anstellen und Beratungs¬
stellen einrichten. Der Württembergische Aerzteverband hat sich
auf den Standpunkt gestellt, daß Beratungsstellen nur von hauptamt¬
lichen Oberamtsärzten abgehaltcn werden sollen, weil nur dadurch
die scharfe Trennung von Beratung und Behandlung gewährleistet
äst. Die Fürsorgeschwester ist gut als Untergebene des Oberamts¬
arztes, sie kann leicht zur Pfuscherin werden, wenn sie selbständig
ohne ärztliche Aufsicht walten darf. Die Oberamtsärzte sind in Würt¬
temberg bereits hauptamtliche Schulärzte. Um sie auch zu Fürsorge¬
ärzten zu machen, bedarf es einer Aenderung unseres Oberamtsarzt¬
gesetzes, deren Einzelheiten der Württembergische Aerzteverband in
einer Denkschrift den Mitgliedern des Landtages dargelegt hat.
Die ernsteste Frage, welche die Aerzte in Württemberg beschäf¬
tigt, ist die Erwägung der Einführung des Numerus clausus. Die
Ueberfüllung des ärztlichen Standes macht uns große Sorge, und
unsere guten Einrichtungen erhöhen die Gefahr eines übergroßen
Zuzuges. Von allen Seiten fordern die Kollegen stürmisch den Schutz
der Organisation gegen neue Niederlassungen, und auf der anderen
Seite wächst das Heer der jungen Kollegen, die keine Existenz
finden können. Die Frage wird den 2. Württembergischen Aerztetag
in Ulm beschäftigen. Koebner (Stuttgart)
Zum 70. Geburtstag Herrmann Kümmells.
Am 22. V. beging Geh.-Rat Küinmell, derzeitiger Rektor der
Hamburgischen Universität, seinen 70. Geburtstag. Zahlreiche Ab¬
ordnungen von nah und fern gestalteten den Tag in dem Hause
des Jubilars, das, dank
den gesellschaftlichen
Talenten seiner fein¬
sinnigen Gattin, zu den
gastfreisten Hamburgs
gehört, zu einem wahren
Festtag. In der Tat
sind dem Leben und
Wirken Kümmells Er¬
folge, wie selten jemand,
beschieden gewesen.
Sohn einer alten Wal-
deckschen Familie, kam
er nach Absolvierung
seiner Studien zu
Schede nach Berlin in
das Städtische Kranken¬
haus im Friedrichshain
und mit diesem als
I. Assistent an das All¬
gemeine Krankenhaus in
Hamburg. Von dort
wurde er bald als Lei¬
tender Chirurg an das
Marienkrankenhaus be¬
rufen und nach dem
Weggang Schedes zu
dessen Nachfolger als
I. Chirurgischer Ober¬
arzt am Eppendorfer
Krankenhaus ernannt. Hier hat er in 25jähriger Tätigkeit eine große
Reihe von Schülern herangebildet, und der wissenschaftliche Weltruf
des Eppendorfer Krankenhauses ist zum großen Teil ihm zu ver¬
danken. Das Charakteristische im Leben und Streben Kümmells
ist die außerordentliche Begeisterungsfähigkeit und Energie, mit
der er an alles Neue herangeht, und die groß« Zähigkeit, mit der
er das, was er mit sicherem Blick für gut erachtet, durchsetzt. Ich
erinnere nur an den Kampf um den Wert der Kryoskopie des Blutes
für die Nephrektomie, den er jahrelang mit größter Zähigkeit durch¬
geführt hat und doch schließlich erreicht hat, daß mancher Saulus
zum Paulus w'urde. Seinen chirurgischen Ruhm hat Kümmell be¬
gründet durch die Ausführung der ersten Radikaloperation bei Blind¬
darmentzündung im Jahre 1889. Die damals beginnende epidemische
Form der Blinddarmerkrankungen hat seinen Ruf bald über den ganzen
Kontinent verbreitet. Seit Mitte der neunziger Jahre hat Kümmell
sich dann mit größtem Eifer den Fragen der Blasen- und Nieren¬
chirurgie zugewandt und ist einer der Vorkämpfer für den Ureteren-
katheterismus und die funktionelle Nierendiagnostik geworden. In
dem auf seine Initiative hin sehr bald nach Entdeckung der Röntgen¬
strahlen errichteten Institut wurde, wohl zum erstenmal, ein Nieren-
Qriginal from
CORNELL UNIVERSUM
Digitized by
Gck igle
846
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 25
stein röntgenologisch dargestellt. Die außerordentliche Energie und
Schaffensfreude, die durch sein ganzes Leben zieht, hat aber auch
den 70jährigen noch nicht verlassen. Im Weltkrieg hat er fünf
Jahre lang, fast ohne Urlaub, sein reiches Können in den Dienst
des Vaterlands gestellt, und noch heute sehen wir, seine Schüler,
mit Bewunderung, wie Kümmell sich mit jugendlicher Begeisterung
den äußerst schwierigen Problemen der Oesophaguschirurgie widmet,
wie er nicht geruht und gerastet hat, sich durch keinen Mißerfolg
hat abschrecken lassen, bis er, zäh seinen Weg verfolgend, in diesem
Frühjahr über positive Resultate von Oesophagusresektionen berichten
konnte. Daneben aber bearbeitet er mit gleichem Eifer und unge-
minderter Tatkraft alle anderen Gebiete der Chirurgie und er, der
Hauptförderer und Träger des Hamburger Universitätsgedankens,
hat in diesem Jahr das auf einer neugegründeten Universität recht
dornenvolle Amt des Rektors mit Freuden übernommen. Exegit
monumentum aere perennius. Kotzenberg (Hamburg).
Kleine Mitteilungen.
— Berlin. Der Reichstag verhandelte in seiner Sitzung am 14. VI.
über das Reichsjugendwohffahrtsgesetz in zweiter und drit¬
ter Lesung. Abg. Frau Dr. Lüders wies auf die Ersparnisse an
Geld und Menschenkraft hin, die das Gesetz durch die Zusammen¬
fassung der bestehenden Hilfswerke und Hilfsquellen herbeiführe, und
betonte, daß trotz der von verschiedenen Seiten laut gewordenen Be¬
denken mit der Vorlage ein gangbarer Weg geschaffen sei. Zum
Austrag von Klassengegensätzen biete gerade diese Vorlage keinerlei
Anlaß, sie sollten daher grundsätzlich beiseite gelassen werden.
Verschiedene Abänderungsanträge der äußersten Linken und der
äußersten Rechten wurden abgelehnt und die einzelnen Para¬
graphen im wesentlichen entsprechend der Ausschußfassung der Vor¬
lage angenommen. Das Gesetz wurde dann schließlich in zweiter
und sogleich auch in dritter Lesung angenommen, ebenso das
Einführungsgesetz mit der Abänderung, daß das Inkrafttreten auf ein
jahr hinausgeschoben wird, nämlich auf den 1. IV. 1924. (Vgl. 1921
Nr. 19.)
— Im Reichstagsausschuß für Bevölkerungspolitik
fand eine inoffizielle Sitzung statt, in der die Vertreter der
Naturheilmethode ihre Anschauungen über das Ge¬
setz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankh eiten aus¬
einandersetzten. Die Versuche der Naturheilkundigen das Be¬
handlungsverbot durch Nichtärzte (vgl. Nr. 10, S. 376) hier zu Fall
zu bringen fvgl. Nr. 21, S. 703 und Nr. 22, S. 742) wurden erfreu¬
licherweise abgelehnt. Hoffentlich folgt der Reichstag in seiner Ge¬
samtheit diesem Beispiel.
— Der Preußische Landtag nahm am 14. VI. in dritter Lesung
das Hebammengesetz (vgl. d. W. 1920 S. 1314 und 1921 S. 1432)
an, das am 1. IV. 1923 in Kraft treten soll. Die Entschließungen des
Ausschusses auf Gewährung einer Beihilfe für hilfsbedürftige Heb¬
ammen, die das 65. Lebensjahr vollendet haben, und auf die reichs¬
gesetzliche Regelung des Hebammenwesens wurden angenommen,
desgleichen ein Antrag zu § 18, wonach Hebammen, die sich gegen
Alter, dauernde Berufsunfähigkeit oder Invalidität versichern, die
Hälfte der Beiträge für eine Versicherung bis zur Höhe des Ruhe¬
geldes der Bezirkshebamme zu erstatten ist.
— In den Verhandlungen des Preußischen Landtags am 14. VI.
über den Haushalt des Ministeriums für Volkswohlfahrt
wurden die Anträge der Unabhängigen auf Sozialisierung der Kurorte,
der Heilquellen und der, ärztlichen Heiltätigkeit abgelehnt. Die An¬
träge betreffend das Wohnungswesen werden dem Siedlungsausschuß
überwiesen. Angenommen wurden u. a. Anträge auf bessere Milch¬
versorgung der Großstädte, auf Maßnahmen gegen die Einschleppung
von Seuchen aus dem Osten, Bekämpfung des Alkoholismus, auf
sozialhygienische Ausbildung und Fortbildung von Aerzten und Zahn¬
ärzten.
— Der Reichsminister des Innern hat im Einverständnis mit dem
Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft die Bundesstaaten
am 9. V. 1922 ersucht, ein Merkblatt zur Verhütung von
Unglü.cksfällen beim Gebrauch von arsenhaltigen Mit¬
teln (Schweinfurter Grün, Uraniagrün) gegen Pflanzenschädlinge
den beteiligten Kreisen bekannt zu geben.
— Ein an die Bundesstaaten gerichtetes Rundschreiben des
Reichsministers des Innern vom 26. IV. 1922 befaßt sich mit der
Verwendung von Talk und schwefliger Säure bei der
Herstellung von Müllereierzeugnissen (Graupen, Grütze,
Grieß, Reis, Scnälerbsen). Auf 100 g der verkaufsfähigen Ware dürfen
nicht mehr als 20 Milligramm schweflige Säure und lg Talk ver¬
wendet werden.
— Das jetzt bekannt gegebene Gesetz über das Brannt¬
weinmonopol vom 8. IV. 1922 enthält in §115 besondere Vor¬
schriften über die Verwendung des Methylalkohols. Methyl¬
alkohol ist nicht nur bei Nahrungs- und Genußmitteln untersagt,
sondern auch bei Riechmitteln und Mitteln zur Reinigung, Pflege und
Färbung der Haut, des Haares, der Nägel und der Mundhöhle. Als
Methylalkohol im Sinne dieser Vorschrift gilt auch der Holzgeist.
— Zur Durchführung einer schnellen und zweck¬
mäßigen orthopädischen Versorgung der Beschädig¬
ten sind nach einem Erlaß des Reichsarbeltsrnmisteriums an 62 Orten
des Reichs von Fachärzten geleitete orthopädische Versorgungsstellen
eingerichtet worden, die in Verbindung mit orthopädischen Werk¬
stätten, orthopädischen Abteilungen der Versorgungskrankenhäuser,
Universitätskliniken, Krüppelheimcn sowie orthopädischen Privat¬
firmen stehen und im Rahmen der geltenden Bestimmungen die ortho¬
pädische Versorgung der Beschädigten selbständig durchführen.
— Am 4. VI. fand in Herne der 1. Sanitätskolonnen-Ver¬
bands tag des Ruhr-Emscherverbandes statt. Es war bereits eine
Arbeitsgemeinschaft der Sanitätskolonnen Rhein¬
land-Westfalens mit dem Allgemeinen Knapp s ch aft s-
verein gegründet worden. Diese Arbeitsgemeinschaft will ein
Alarmierungssystem für größere Unglücksfälle ein¬
richten. Ferner soll ein Erlaß des preußischen Ministers des Innern
bevorstehen, wonach die Einführung eines allgemeinen amt¬
lichen Sanitätsdienstes überall in Aussicht genommen ist.
— Gegen die Steuerbelastung des zu ärztlichen
Zwecken benötigten Aethers und Alkohols wendet sich
ein an das Reichsfinanzministerium gerichteter Antrag des Württem-
berger Aerzteverbandes, des Verbandes der Krankenhausärzte
und der Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassenverbände, in welchem
näher ausgeführt wird, welche Verteuerung die Steuer für die Kranken-
hausbetricbe und für die Heilbehandlung mit sich bringen wird.
— In der am 12. d. Mts. unter dem Vorsitz von Staatsminister
Schmidt-Ott abgehaltenen Jahresversammlung der „Robert-
Koch-Stiftung zur Bekämpfung der Tuberkulöse“ wurde
Geh.-Rat Orth (an Stelle des verstorbenen v. Wald eye r-Hartz)
zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. An Unterstützungen wur¬
den bewilligt für Geh.-Rat Neufeld (Berlin) bis zu 40 000 M., für
; Dr. Schröder (Schömberg) bis zu 15 000 M. Insgesamt sind von
; der Stiftung seit ihrer Begründung (im Jahre 1908) mehr als 300000 M.
für wissenschaftliche Zwecke verausgabt worden. Das Vermögen der
Stiftung beträgt zur Zeit nominal rund 1V 2 Millionen M. Anträge zu
Unterstützungen an den Schriftführer J. Schwalbe.
— Der II. Württembe rgische Aerztetag findet am 28 ; und
29. Juni in Ulm statt. Vorträge halten: Prof. Veiel fUlm), „Die
neuen Anschauungen in der Behandlung des Diabetes melitus“; Prof.
Birk (Tübingen), „Die Prophylaxe der Rachitis“; Ober-Med.-Rat
Gnant (Stuttgart), „Das ärztliche Fürsorgewesen in der Gegenwart“.
— Die Deutsche Vereinigung für Krüppelfürsorge hielt ihren
VII. Kongreß in Dresden am 8 . und 9- VI. unter dem Vorsitz von San.-Rat
Dr. Schanz (Dresden) ab. Damit verbunden war eine Ausstellung über
Rachitis, die von der Deutschen Vereinigung lür Krüppeliürsorge zusammen
mit dem Deutschen Hygiene Museum Dresden veranstaltet war. Das sozial¬
hygienische Problem handelte Diet rieh (Berlin) ab. Aus den Ursachen des
Krüppeltums war nur die Rachitis herausgenommen, über die drei Referate
erstattet wurden. Ueber die Besonderheiten der Krüppelseele hielt der frühere
Staatsanwalt Wulffen (Dresden) einen glänzenden Vortrag, der sich nament¬
lich auf verbrecherische Neigungen und den Anteil der Krüppel Verbrecher in
der Kriminalistik bezog. Die übrigen Themata bezogen sich auf das Krüppel¬
gesetz und die Mitwirkung des praktischen Arztes, Erziehungsfragen und
Arbeitsbeschaffung, über Kostenfragen und die Unterbringung jugendlicher
siecher Krüppel.
— Der Verein sozialistischer Aerzte in Berlin hat eine Reso¬
lution zur Alkoholfrage gefaßt, in der er u. a. die dringende Mahnung
ausspricht, „ 1 . für gesetzliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Alkoholseuche
einzutreten; Gemeindebestimmungsrecht, Verbot der Verabreichung geistiger
Getränke an Jugendliche unter 18 Jahren; 2 . für eine alkoholfreie Jugend¬
erziehung die Stimme zu erheben und zu verlangen, daß in allen Schulen
hygienische Grundfragen mit Einschluß einer Antialkohol- und Sexualpädagogik
Berücksichtigung finden, wobei Arzt und Pädagoge Hand in Hand zu gehen
und durch ihr Beispiel auf die kommende Generation zu wirken hätten.“
— Der Vorstand des Bundes deutscher Assistenzärzte empfiehlt
den Ortsgruppen, die Aerztlichen Mitteilungen in Sammelsendungen beziehen
zu wollen und die Verteilung an die einzelnen Mitglieder einem Vertrauens¬
mann zu übertragen. Auf diese Weise können erhebliche Portokosten für den
L. V. erspart werden. Deshalb wird auch empfohlen, die noch ausstehenden
Beiträge für den L. V. für 1922 einzukassieren und als Sammelsendung an
den L. V. zu überweisen.
— Der Wiesbadener Röntgenologe Prof. Aiban Köhler ist von der
spanischen Gesellschaft für Elektrologie und Radiologie zum Ehrenmitglied
ernannt worden.
— Pocken. Deutsches Reich (28. V.—3. VI. mit Nachträgen): 15. — Fleclc-
fieber. Deutsches Reich (14.—20. V.): 8.— Genickstarre. Deutsches Reich(7.—13.
V.): 49. — Ruhr. Deutsches Reich (7.-13. V.): 63.— Abdominaltyphus. Deutsches
Reich (7.—13. V.): 132. — Lissabon und Patras werden als pestverseucht erklflrt.
Nicht mehr als pestverseucht gelten Tunis, Algier und Porto Rico.
— Hochschulnachrichten. Berlin. Geh.-Rat' Rubner tritt zum
1. X. auf Grund des Alterspensionsgesetzes zurück. — Frei bürg.
Prof. Ganß ist zum Oberarzt der Abteilung für Gynäkologie und Ge¬
burtshilfe am Allgemeinen Krankenhaus Barmbeck in Hamburg ge¬
wählt. — Gießen. Priv.-Doz. Siegel, Oberarzt an der Frauenklinik,
ist zum außerplanmäßigen a. o. Professor ernannt worden. — Hamburg.
Prof. Mühlens folgt im Juli einer Einladung der jugoslawischen
Regierung zum Studium und zur Begutachtung der Malariaverhältnissc
in Dalmatien und im Oktober einer Einladung der Medtzinischen
Fakultät in Barcelona zu Vorlesungen über Malaria, Spirochätosen und
die russischen Hunger- und Seuchenkatastrophen. — Leipzig. Prof.
Aß mann ist zum planmäßigen a. o. Professor für Physikalische und
diätische Therapie, Priv.-Doz. Dorner zum nichtplanmäßigen a. o.
Professor ernannt.
Di^t zc:: 4^- Go-glc
Original from
CORNELL UNfVERSITV
LITERATURBERICHT
Redigiert von Prof. Dr. R. von den Velden.
Zeitschriften: Klinische Wochenschrift Nr. 23. — Münchener medizinische Wochenschrift Nr. 22. — Wiener klinische Wochenschrift Nr. 20-21. — Zeit¬
schrift für klinische Medizin Bd. 94 H. 1-3. — Zentralblatt für Chirurgie Nr. 19-20. — Bruns Beiträge zur klinischen Chirurgie Bd. 125 H. 3- —
Zentralblatt für Gynäkologie Nr. 17-18. — Klinische Monatsblätter für Augenheilkunde April- u. Maiheft. — Monatsschrift für Kinderheilkunde Bd. 23
H. 1. — Zeitschrift für Kinderheilkunde Bd. 32 H. 5-6. — Archiv für Kinderheilkunde Bd. 71 H. 2. — Aerztliche Sachverständigen-Zeitung Nr. 8. —
Zahnärztliche Rundschau Nr. 12.
Geschichte der Medizin.
♦♦ E. Q. Browne (Cambridge), Arabian medicine. University
Press, 1921. 138 S. $ 12.—. Ref.: Julius Hirschberg.
Das Buch ist eine erfreuliche Gabe. Der Verfasser, G. Edward
Browne, M. B., F. R. C. P., Sir Thomas Adams’s Prof, of Arabic
in the University of Cambridge, hat also in seiner Jugend drei Jahre
Medizin studiert, ist 1911 in seinem 41. Jahre zum Mitglied des R.Collegs
der Aerzte erwählt worden und veröffentlicht hier die vier Fitzpatrick-
Vorlesungen über Arabische Heilkunde, die er im November 1919
und November 1920 an dem College of Physicians gehalten, — also
vor gereiften Aerzten. Der Verfasser hat die Vorlesungen ver¬
öffentlicht, wie er sie gehalten. Wir haben also nicht ein vollständiges
Lehrbuch vor uns, sondern eine planmäßige Anordnung von anregenden
Bemerkungen, welche teils die bekannten Tatsachen in angenehmer
Form uns wieder vorführen, teils Nenes enthalten, was der Verfasser
aus seiner tiefgründigen Bekanntschaft mit Handschriften, namentlich
auch der persischen Literatur, geschöpft hat. Die erste Vorlesung gibt
uns eine Einführung in die arabische Kultur und Medizin, ln der
zweiten Vorlesung bespricht er die klassische Zeit der arabischen
Heilkunde, indem er die vier. Hauptvertreter derselben kurz behandelt.
Alle sind Perser, welche Arabisch geschrieben haben. Der erste war
der Sohn des Rabban, eines jüdischen Arztes und Weltweisen aus
Meru. — Ali ibn Rabban, der in den Dienst des Kalifen trat und
um 850 u. Z. sein großes Werk über Medizin und Naturphilosophie
beendigte, „das Paradies der Weisheit", das Browne noch heraus¬
zugeben und zu übersetzen hofft. Der zweite ist ar-Razi aus der
Gegend von Teheran, der größte und selbständigste aller muselmännischen
Aerzte (+903), Verfasser sehr zahlreicher Schriften, z. B. der klassischen
über Pocken und Masern, des berühmten Kompediums an Mansur,
dessen lateinische Uebersetzung noch bis zum 17. Jahrhundert als
Lehrbuch an europäischen Universitäten benutzt wurde, und der unge¬
heuren Enzyklopädie der Medizin, al hawi, d. h. Continens. Der dritte
ist Ali ibnu’l Abbas (Haly-Abbas), gleichfalls ein Perser, „Sohn des
Zoroasfricrs, Verfasser des Königlichen Heilbuches", des ersten vollstän¬
digen Systems der Heilkunde. Der vierte und berühmteste ist Ibn
Sina (Avicenna), um 980 geboren, in der Gegend von Bochara, der
Verfasser des berühmten qanun, d. h. Kanon der Medizin, ln den
beiden ietzten Vorlesungen behandelt der Verfasser noch die Heilkunde
in der allgemeinen Literatur der Araber und Perser; die arabischen
Hospitäler, denen für eine Reihe von Jahrhunderten das christliche
Europa nichts an die Seite stellen konnte; die persische Literatur der
Heilkunde; den Nutzen und die Schwierigkeiten dieser geschichtlichen
Studien. Der Verfasser ist mit der deutschen Literatur wohl vertraut,
er nennt Cremer, Nöldicke, Brokelman n, Max Simon, Stein¬
schneider, Pagel, Sudhoff, Fonahn, Seligmann, Horn und
Jolly und lobt besonders Neuburgers Geschichte der Heil¬
kunde. (Die wichtige Frage, welche E. Browne nur berührt, aber
nicht zu oearbeiten -vermag, was denn die Araber selber geleistet,
hat für das Sondergebiet der Augenheilkunde ihre Lösung gefunden in
den Arbeiten von J. Hirschberg mit J. Lippert und E. Mittwoch.)
Biographie.
♦♦Ernst Hmeckel, Italienfallrt. Briefe an die Braut. 1859 60.
Leipzig, K. F.Koehler, 1921. 184S. Geb.M.45.—. Ref.: J.Schwalbe.
Den im vorigen Jahre von H.Schmidt herausgegebenen „Briefen
Haeckels an seine Eltern" (siehe die Besprechung 1921 Nr. 45 S. 1371)
reihen sich seine an die Braut gerichteten Briefe nicht nur chronologisch
an. Es ist von höchstem Reiz, zu sehen, welche Wandlung in den
3 Jahren seit dem Schluß seiner Würzburger Studienzeit^ in Haeckel
vor sich gegangen war, aber ebenso, festzustellen, worin er sich gleich
geblieben war. Wenn in Würzburg noch irgend ein Zweifel in ihm
wogte, ob er praktischer Arzt oder Naturforscher werden sollte — nach
Italien ging er schon mit den Plänen zoologischer Studien, fest ent¬
schlossen, durch sie sich die Grundlage für seine- wissenschaftliche
Laufbahn und für das mit seiner vielgeliebten Braut zu erbauende
Heim zu schaffen. Die Begeisterung für sein Mikroskop und für die
mit dessen Hilfe zu erschließenden Naturwunder war aus der Studien¬
zeit mitgenommen und noch gesteigert, seine grenzenlose Hingabe an
die Wissenschaft hatte in nichts von der Inbrunst gebüßt. Aber auch
seine künstlerische Phantasie und Hemmungslosigkeit, die in seine
wissenschaftliche Arbeit bis an sein Lebensende immer wieder hinein
sich verirrt, fast möchte ich sagen hineingepfuscht hat, nahm Haeckel
nach Italien mit, und ebenso die bis zum Kleinmut sinkenden Zweifel
an seiner Fähigkeit, das weit gesteckte Ziel zu erreichen. Erst als es
ihm in Messina gelungen war, seine Radiolarien zu entdecken und da¬
mit den Grund rur seine erste hervorragende Arbeit zu legen, war er
wohl endgültig von der Frage, ob er nicht doch lieber Landschafts¬
maler werden sollte, erlöst, und er wagte in einem Briefe den Wunsch,
„seine künftigen Tage mit seiner Herzallerliebsten in Jena oder sonst
einer kleinen Universität nahe einer einfachen und lieblichen Wald-
gebirgsnatur zuzubringen", auszudrücken — ein Wunsch, der ihm rest¬
los erfüllt werden sollte.
Physiologie.
♦♦ H. Fitting. Aufgaben und Ziele einer vergleichenden
Physiologie auf geographischer Grundlage. Jena, G. Fischer,
1922. 42 S. M. 6.—. RefT: Otto Kestner (Hamburg),
ln der tierischen Biologie hat sich in den leftten Jahren immer
deutlicher herausgestellt, daß die rein morphologischen Gesichtspunkte,
von denen aus früher die Anpassung behandelt wurde, zu nicnts ge¬
führt haben. Es ist nötig, bei allen Anpassung^- und Vererbungsfragen
die Tiere physiologisch zu untersuchen. Fitting setzt in der außer¬
ordentlich interessanten Bonner Rektoratsrede auseinander, daß das
für die Botanik genau so gilt. Um die vielen wichtigen Probleme
des Standorts und seiner Einwirkung, des Klimas, der Temperatur
usw., zu studieren bedarf es sorgfältiger physiologischer Studien, und
diese liegen bisher nur in spärlicher Weise vor. Fitting entwirft ein
Arbeitsprogramm, wie man diesen Fragen beigehen könne, und fordert
ein Zusammenarbeiten von experimenteller Tätigkeit und Beobachtung
in der freien Natur, wobei der ersteren die Führung zufallen wird.
Die Schrift ist auch für den Mediziner, der sich mit dem Studium der
Einwirkung der Außenwelt auf den Kranken befaßt, von größtem
Wert. Für jeden, der irgend eine Form der Klimatologie schreibt, ist
sie dadurch besonders wertvoll, daß der Rektoratsrede in einem
15 Seiten langen Anhang eine eingehende Literaturübersicht beigefügt ist.
K. v. Oettingen (Heidelberg), Biologische Unterschiede im Ver¬
halten des Blotes. KL W. Nr. 23. Kurze wissenschaftliche Mitteilung
von Ergebnissen von Versuchen, die den Parallelismus, der zwischen
zahlreichen Reaktionen des Blutes (Blutkörperchensenkung, Plasmafäll¬
barkeit, Plasmagerinnung, Bakterienagglutination, hämolytische Serum-
Wirkung und Kobragift aktivierende Wirkung des Serums! besteht,
dartun. Ursache wohl in variablen Eigenschaften der physikochemischen
Struktur der Blutflüssigkeit zu suchen. *
Allgemeine Pathologie und Pathologische Anatomie.
♦ ♦ Siegfrld Oberndorfer (München), Pathologisch-anatomi¬
sche Situsbilder der Bauchhöhle. München, J. F. Lehmann,
1922. 133 Seiten mit 92 Tafeln und 92 Abbildungen. Geb. M. 100.— .
Ref.: H. Strauß (Berlin).
Das Buch gibt eine Reihe hoch instruktiver, zum Teil sehr seltener
Sektionsbefunde des Abdomens in geradezu klassisch zu nennenden
photographischen Abbildungen mit einer Beschreibung des Befundes
und einer daneben gestellten Skizze wieder. Eine kurze Einleitung gibt
außerdem wertvolle Hinweise pathologisch-anatomischer und topo¬
graphisch-anatomischer Art unter klinischen Gesichtspunkten. Das
überaus lehrreiche Buch wird von Vertretern der verschiedensten
Zweige der praktischen Medizin, welche sich für Veränderungen in
der Bauchhöhle interessieren, mit Freuden begrüßt werden.
R. Rosen berg und M. Zielaskowski (Breslau), Diphtheriebazillen
in der Lunge und im Pleuraexsudat. KI. W. Nr. 23. Der Befund von
Diphtheriebazillen in der Lunge und im pleuritischen Exsudat ist für
Therapie und Prognose der Grundkrankheit ohne Bedeutung. Bei der
Seltenheit einer primären Diphtherie der unteren Luftwege wird vor
allem die mögliche Grundkrankheit zu berücksichtigen sein, mit deren
Abklingen auch der Weiterentwicklung der Diphtheriebazillen in Lunge
oder Pleura ein Ende gesetzt sein wird.
A. Nuß bäum (Bonn), Beziehungen der Knochengefäße zur akuten
Osteomyelitis. Zbl. f. Chir. Nr. 20. Anatomische Untersuchungen. Nur
die gegen die Epiphysenfuge ziehenden arteriellen Gefäße, die aus den
metaphysären Störungen und aus dem Diaphysenmarknetz entstehen,
sind wahre Endarterien im Sinne Cohnheims.
.Weicksel (Leipzig), Funktion der Milz unter physiologischen
und pathologischen Verhältnissen. Zschr. f. klin. M. 94 H. 1—3. Kurze
Besprechung der Beziehungen der Milz zur Leber, dem Knochenmark,
den Lymphdrüsen, sowie ihrer Bedeutung für den Blutzerfall und die
Bilirubinbildung.
W. Dietrich (Berlin-Dahlem), Resorption von Tetanusgift durch
den Darm. Kl. W. Nr. 23. Von dem mit Galle vorbehandelten Darm
werden recht erhebliche Giftmengen resorbiert, während eine Gift¬
resorption vom normalen Darm sich in den Versuchen nicht nach-
weisen ließ. Die Galle befördert die Resorption großer Moleküle.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
848
LITERATURBERICHT
Nr. 25
A. v. Wassermann und M. Ficker (Berlin-Dahlem), Die Rolle
von Aktivatoren bei der Bildung von giftigen Soaltprodukten im
Darminhalt. (Auf Grund von Versuchen mit Kojima). Kl. W.
Nr. 23. Kurze wissenschaftliche Mitteilung.
Zandren (Sabbatsberg), Pathologische Aminoazidurie. Zschr. f.
klin. M. 94 H. 1—3. Aus den Untersuchungen geht hervor, daß wir
die pathologische Aminoazidurie als ein spezifisches Symptom für eine
Störung der Leberfunktion betrachten müssen. Bei hochgradigem
Ikterus deutet normale Aminosäureausscheidung auf Stagnation, bei
Leberzirrhose tritt die übermäßige Ausscheidung erst im Schlußstadium
ein, bei Lungentuberkulose unterrichtet diese Untersuchung besonders
gut über den Zustand der Leber.
Mikroben- und Immunitätslehre.
J. John und K. Kassowitz (Wien), Häufigkeit und Dauer
der postiofektiösen Dipbtherielmmunität. Kl. W. Nr. 23. Die Unter¬
suchungen der Autoren haben ergeben, daß nach dem Ueberstehen
einer normalen Diphtherie ein verläßlicher durch Jahre anhaltender
Schutz von Neuerkrankung mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten
ist, daß aber nach schweren Formen der Erkrankung dieser Schutz
zweifelhaft, ja unwahrscheinlich und daher in solchen Fällen mit einer
Bereitschaft zu neuerlicher Erkrankung zu rechnen ist.
E. Weil und F. Breinl (Prag), Erzeugung von inapparenten, zu
aktiver Immunität führenden Fleckfieberinfektionen bei passiv immu¬
nisierten Meerschweinchen. W. kl. W. Nr. 20. Es ist den Verfassern
gelungen, eine Methode zu finden, die für die Immunisierung des
Menschen gegen Fleckfieber erfolgreich sein dürfte. Impft man
Meerschweinchen mit Fleckfieberimmunisierung und infiziert sie hierauf
mit mittleren Mengen Fleckfiebervirus (0,01—0,0001 g Gehirnsubstanz),
so erfolgt eine inapparente, fieberlos verlaufende Infektion, die daran
kenntlich ist, daß das Virus auf andere Tiere weiter übertragen werden
kann und dann auch wieder Fieber erzeugt. Die inapparente Infektion
bei Tieren, die mit Immunserum vorbehandelt sind, hinterläßt nun
einen wirksamen Schutz gegen nachfolgende Infektion mit großen
Virusmengen. Kleine Mengen Virus (0,00001 g Gehirn) hinterlassen
keine Immunität, große Mengen (0,01 g) erzeugen abortiven, fieberhaften
Ablauf und sind deshalb nicht zu brauchen.
Strahlenkuode.
♦+ H. Boruttau und L. Mann, Handbuch der gesamten
medizinischen Anwendungen der Elektrizität einschlie߬
lich der Röntgenlelfre. Bd. III. 1. Teil. Lieferung!. M. Levy-
Dorn (Berlin), Die Röntgenphysik, die allgemeine Röntgen¬
technik, das diagnostische Röntgenverfahren (Allgemeiner
Teil). Leipzig, Dr. W. Klinkhardt, 1822.. 141 Seiten mit 52 Ab¬
bildungen. Preis M. 67.50 Ref.: Otto Strauß (Berlin).
Das ausgezeichnete Handbuch von Boruttau-Mann ist bis jetzt
unvollendet geblieben. Seit einem Jahrzehnt warteten wir auf die
Veröffentlichung des III. Bandes. Es liegt nunmehr davon der erste
Abschnitt vor. Wenn das Werk sich auch in den folgenden Teilen auf
dieser Höhe halten sollte, dann dürfte es zu den besten Erscheinungen
auf dem Gebiete der zusammenfassenden Darstellungen der Röntgen¬
wissenschaft zu zählen sein. In der Besprechung des physikalischen
Teils hat Levy-Dorn bei aller Ausführlichkeit nie den Gesichtspunkt
aus den Augen verloren, daß das Buch für den Praktiker bestimmt ist,
und infolgedessen ein zu genaues Eingehen auf physikalische Probleme
mit der heute so beliebten Kurvendarstellung vermieden. Dafür findet
der Praktiker hier zahllose Winke und Hinweise, die ihm das Buch
höchst wertvoll erscheinen lassen werden.
Robert Jaeger, Siemens-Röntgen-Dosismesser. M. m. f W. Nr. 22.
Der schwache Ionisationsstrom in einer Ionisationskammer, die auf
die Haut aufgesetzt oder im Wasserphantom benutzt werden kann,
wird durch eine Verstärkerröhre so vergrößert, daß er sich mit Hilfe
eines technischen Zeigerstrommessers ermitteln läßt. Direkte Ablesung an
einem Meßtisch, dem ein Registrierapparat angeschlossen werden kann.
Allgemeine Diagnostik.
J. Christiansen (Kopenhagen), Ionometer. W. kl. W. Nr. 20.
Der einfache Apparat besteht aus einem U-förmigen Rohr mit ein¬
geschmolzenen Platinelektroden und einem Voltmeter. Jeder Apparat
muß mit Hilfe von Salzlösungen von bekannter Leitfähigkeit erst geeicht
werden.
Hausmann (Moskau), Polychemische Urobilinreaktion. Chloro¬
formextraktion nach Behandlung des Harns mit Schwermetallsalzen
oder Säuren. Zschr. f. klin. M. 94 H. 1—3. Es wird gezeigt, daß die
10°/ n ige Kupfersulfatlösung, in geeigneter Menge dem Harn zugesetzt,
nicht nur das Urobilin vom Chloroform extrahierbar macht, sondern
auch das Urobilinogen in Urobilin überführt, ferner daß auch starke
Lösungen aller anderen Schwermetallsalze und Säuren das Urobilinogen
in Urobilin überführen und dieses durch Chloroform extrahieroar
machen. Sonst geht bei diesem Verfahren nur Gallenfarbstoff in das
Chloroform über.
F. Goebel (Jena), Nachweis von Leuzin und Tyrosin im Harn.
Kl. W. Nr. 23. Wo der Befund nicht anderweitig gestützt wird, genügt
nicht der kristallographische Nachweis von Leuzin und Tyrosin, son¬
dern sind dieselben auch durch die Elementaranalyse zu identifizieren.
Allgemeine Therapie.
++ W. Zuelschaur (Berlin), Die Elektrizität im Dienste des
praktischen Arztes. Berlin, S. Karger, 1921. 164 Seiten mit
56 Abbildungen M. 24.—. Ref.: O. Strauß (Berlin).
Geleitet von der Absicht, dem Praktiker eine kurze Anleitung zum
rationellen Gebrauch elektromedizinischer Apparate zu geben, ihn vom
Techniker unabhängig zu machen und ihm unnütze Ausgaben zu er¬
sparen, hat Zuelschaur die Elektromedizin in einem gut verständlichen
Leitfaden kurz zusainmengefaßt. Zuelschaur hat die Grenzen seiner
Aufgabe sehr weit gesteckt und auch die Röntgentechnik sowie die
Lichttherapie miteinbezogen. Die letzteren Darstellungen können in
ihrer Kürze begreiflicherweise nur relativen Wert besitzen. Die Stärke
des Buches liegt in der anschaulichen Schilderung der Handhabung
elektrischer Apparate. An manchen Stellen (wie z. B. bei der Darstellung
des faradischen Bades, des Schneeschen Vierzellenbades usw.) hätte
ich eine etwas detaillierte Beschreibung der Anwendungsweise für
zweckmäßig gehalten.
Bernh. Fischer (Frankfurt a. M.), Intravenöse Menthol-Eukalyptol-
lojektionen bei Tuberkulose und der Einfluß intravenöser Oel'ojek-
tionen auf das Lunxenzewebe. M. m. W. Nr. 22. Versuche an Kanin¬
chen. Wenn nach Oelinjektionen im großen Kreislauf, namentlich im
Gehirn, Blutungen auftreten, sind dies Stauungsblutungen, Folgen einer
allgemeinen Kreislaufstörung, die mit der Fettembolie direkt nichts
zu tun haben. Die Infarktblutungen in den Lungen aber haben zur
Voraussetzung, daß dem Oel gewebsschädigende Substanzen zugesetzt
sind. Die Infarkte treten nur nach der ersten Injektion auf, später tritt
eine Art Anpassung an das schädliche Agens ein.
H. Halphehn (Prag), Matterkonipräparate. Kl. W. Nr. 23. Die
Versuche wurden angestellt am Meerschweinchenuterus. Die Wir¬
kungswerte der verschiedenen Mutterkornpräparate weichen erheblich
voneinander ab. Merkwürdig hoch haben sich Ergotin Bonjean und
Ergotin Wernich erwiesen. Aus den Tabellen in der Arbeit geht
hervor, daß die Wirkungsunterschiede der Drogen von ganz anderer
Größenordnung sind als die der untersuchten Präparate, sodaß auf
eine bisweilen recht unvollkommene Darstellung der Sekalepräparate
geschlossen werden muß. (Notwendigkeit einer Wertbestimmung und
Einstellung der Sekalepräparate.^ Die am Meerschweinchenuterus ge¬
messene Wirksamkeit nimmt durch bakterielle Gärung des in Wasser
aufgeschwemmten Drogenpulvers in hohem Grade zu.
H. Michael (Göttingen), Erfahrungen mit Yatren und die
Gefahren der intravenösen Anwendung des Mittels. Kl. W. Nr. 23.
Oertlich angewandt als Gaze, Puder oder Pulver hat sich Yatren in
der Wundbehandlung gut bewährt. Zu warnen ist vor intravenöser
Anwendung des Yatren pur. In der Gonorrhoefrage versagte die
Behandlungsweise gänzlich.
Krankenpflege.
♦♦ Haymann, Lehrbuch der Irrenheilkunde für Pfleger
und Pflegerinnen. Berlin, J. Springer, 1922. 148 S. M. 36?—.
Ref.: Liebers (Leipzig).
Das für Pfleger und Pflegerinnen bestimmte Lehrbuch der Psychiatrie
setzt zwar bei diesen zu seinem vollen Verständnis eine ziemlich gute
allgemeine Vorbildung voraus, wird aber dann seinem Zweck in voll¬
kommener und vorzüglicher Weise gerecht. In ausführlicher Dar¬
stellung werden zunächst die Allgemeinerscheinungen des Irreseins
behandelt, sodann die wichtigsten einzelnen Krankheitsbilder. Nach
kurzen Ausführungen über Wesen und Verlauf der Geisteskrankheiten
beschäftigt sich der letzte Abschnitt mit der Behandlung der Geistes¬
krankheiten unter vorzugsweiser Berücksichtigung der Aufgaben des
Pflegers. Dabei wird immer wieder darauf hingewiesen, daß der
Pfleger nicht mehr sein soll und sein kann als der brauchbare Gehilfe
des Arztes.
Innere Medizin.
++ Viktor Ruß (Wien), Studien über die Malaria in Nieder-
österreich. Wien, Fr. Deuticke, 1922. 39 S. M. 4.—. Ref.: Claus
Schilling (Berlin).
Die außerordentliche Verbreitung der Malaria im österreichischen
Heer, speziell auf dem italienischen Kriegsschauplatz, rührte nicht zum
mindesten davon her, daß die Soldaten eine Malariaerkrankung will¬
kommen hießen, weil sie den Abtransport aus der Front bedeutete.
Gegen dieses Argument erwiesen sich alle Verordnungen wirkungslos.
Bei Formationen, die die Chininprophylaxe gewissenhaft durchführten,
war die Zahl der Erkrankungen eine minimale (?Ref.). In Nieder¬
österreich wurde 1919 die Anzeigepflicht für Malaria und ein Zentral¬
kataster eingeführt, auch in Wien ein Zentralspital eingerichtet. Ano-
phelen gibt es in ganz Niederösterreich; trotzdem bis Oktober 1920
nur ganz wenige autochthone Fälle, wahrscheinlich weil die wenigen
warmen Sommertage nicht zur Reifung der Parasiten in der Mücke
Digitized b"
Google
Original from
CORNELL UNIVERSUM
23. Juni 1922
LITERATURBERICHT
849
genügen. Die weitere Einschränkung kann nur durch die Aufmerk¬
samkeit und Mitarbeit der praktischen Aerzte durchgeführt werden.
(Das gilt auch für Deutschland, Ref.)
tt. Molfmann (Tübingen), Die Nachkommenschaft bei endo¬
genen Psychosen. (Studien über Vererbung und Entstehung
geistiger Storungen II.) Berlin, Julius Springer, 1921. 233 Seiten
mit 43 Abbildungen. M. 136.—. Ref.: Siemens (München).
. Rüdin, der erste vererbungsstatistische Bearbeiter der Dementia
praecox, hatte versucht, die Erblichkeitsverhältnisse dieser Psychose
durch Untersuchung der Geschwister der Kranken zu klären. Dem
gleichen Ziel strebt Verfasser zu durch Untersuchung der Nach¬
kommen der Kranken, und er kommt auf diesem Wege zu wichtigen
Bestätigungen und Ergänzungen der Rüdin sehen Ergebnisse. Das
sehr schwer zu beschaffende Material wurde ihm durch die genealo¬
gische Abteilung der Münchener Forschungsanstalt für Psychiatrie zur
Verfügung gestellt. Verfasser fand, daß 9°/ 0 der Kinder Dementia
R raecox-Kranker wiederum erkrankt sind. Diese Tatsache, sowie einige
lebenbcfunde bestätigen die Vermutung Rüdins, daß die Dementia
praecox eine rezessive Erbkrankheit ist, der nach den Ausführungen
des Verfassers wahrscheinlich ein dihybrider Erblichkeitsmodus zu¬
grunde liegt. Beim manisch-depressiven Irresein, bei dem wegen
der graduellen Abstufung dieses Leidens die Untersuchungen noch
schwieriger waren, fand Verfasser 31 °/ n Kranke unter den Kindern der
Manisch-depressiven. Rezessive Erblichkeit kommt daher nicht in
Betracht, vielmehr muß gefolgert werden, daß höchstwahrscheinlich
ein dominanter Erbgang in irgendeiner Form vorliegt. Die Vermutung
dominant-geschlechtsgebundener Vererbung wird nach Verfasser trotz
des Ueberwiegens der Weiber unter den Manisch-depressiven durch
die Tatsachen nicht gestützt, ln einem Anhang geht Verfasser an
einem kleinen Material auf die Erblichkeitsverhältnisse der genuinen
Epilepsie ein. Soweit das Material einen Schluß zuläßt, spricht es
dafür, daß die Vererbungsverhältnisse bei der Epilepsie ähnlich liegen
wie bei der Dementia praecox. Schließlich erörtert Verfasser noch
die Erblichkeitsbeziehungen der paranoiden Psychosen. Es gelingt
ihm, für mehrere Fälle von Paraphrenie, Paranoia und paranoiden
Alterserkrankungen eine vererbungsbiologische Verwandschaft mit der
Dementia praecox nachzuweisen. Das Buch gehört sicher zu den wert¬
vollsten vererbungsbiologischen Arbeiten, die bisher auf psychiatrischem
Gebiete erschienen sind. Es ist nicht nur wichtig durch seine Ergeb¬
nisse, sondern auch hochinteressant in methodologischer Beziehung.
Oeller (Leipzig), Immunbfologie des Typhus. Zschr. f. klin. M. 94
H. 1—3. Zur Krankheitsdiagnose muß die Formdiagnose kommen, die
eine individuelle, immunbiologische Leistungsdiagnose in sich schließt.
Wir müssen den Zustand der Allergie zu erfassen suchen, den wir
wohl mit einer besonders gearteten Reiz- oder Reaktionsfähigkeit des
Organismus in Zusammenhang zu bringen haben. Das Ziel ist also
eine immunbiologische Konstitutionsdiagnose, wie am Typhusproblem
gezeigt wird.
J. H. Botteri (Sibenek [S. H. S.]), Echinokokkenanaphvlaxie.
W. kl. W. Nr. 21. Durch intrakutane Injektion von Hydatidenflüssig-
keit wird bei echinokokkenkranken Menschen eine sehr imposante
anaphylaktische Reaktion ausgelöst. Abgeschwächt wird die Allergie
durch Tuberkulinreaktionen, Typhusvakzin, Jodkali, Salvarsan u. a.,
zeitweise völlige Anergie besteht nur äußerst selten, wenn der Echino¬
kokkus vereitert ist. Es gelingt, mit der Reaktion ganz kleine Zysten
zu diagnostizieren.
C. B. Hör nicke (Göttingen), Mühlengeräusch. M. M. W. Nr. 22.
Bergarbeiter erleidet eine Thoraxquetschung. In einigen Metern Ent¬
fernung hört man ein mit dem Herzschlag synchrones mühlenartiges
Klappern. Bei Auskultation des Herzens wird das Geräusch noch stärker.
Im Laufe von 4 Stunden verschwindet das Geräusch allmählich. Exitus.
Hämatopneumothorax, eine Luftembolie im Herzen ist nicht nach¬
zuweisen.
Ohm (Berlin), Gestaltung der Strömkurve des Jugularveoen-
pnfses durch Arbeit und Füllung des Herzens unter normalen und
natbologischen Verhältnissen. Zschr. f. klin. M. 94 H. 1—3. Zu kurzem
Referat nicht geeignet.
Bruns und Roemer (Göttingen), Einfluß angestrengter körper¬
licher Arbeit auf radiographische Herzgröße, Blutdruck und Puls.
Zschr. f. klin. M. 94 H. 1—3. Die Ergebnisse zeigen, daß neben den
mechanischen Gesetzen noch zahlreiche andere Komponenten ma߬
gebend sind, daß beim körperlich sich anstrengenden Menschen bio¬
logische und psychische Vorgänge, speziell sympathikotone inotrope
Einflüsse auf Herznerven und Herzmuskel überwiegen über die rein
mechanischen Gesetze, die eine Zunahme des Herzvolumens bei Steige¬
rung des Aortendrucks verlangen.
W. Sandrock, Verbreitung der Lungentuberkuloseinfektion auf
dem Lande. M. m. W. Nr. 22. Hinweis auf die Gefahr der Verbreitung
der Tuberkulose unter den Schulkindern durch Lehrer, die an offener
Tuberkulose erkrankt sind.
Sternberg (Berlin), Neue Gesichtspunkte aus der physio¬
logischen Muskelphysik für die physikalische und ohysiologische
Therapie des Asthmas. Zschr. f. klin. M. 94 Fl. 1—3. Zur Erkenntnis
des wahren Wesens des Asthmas sind drei heterogene Wissensgebiete
zu einem Grenzgebiet zu verbinden, die Physiologie der Atembewe¬
gungen, der Sprachbewegungen, der Instrumentalbewegungen. Die
pädagogisch-didaktische Therapie ist die kausale Therapie und daher
die rationelle.
P. Starlingcr (Wien), Funktionsnachweis und Funktionsprüfung
der Schilddrüse. W. kl. W. Nr. 21. Verfasser hat eine Funktionsprobe
ausgearbeitet, die darauf beruht, daß die Schilddrüse Eiweiß abbaut.
Bestimmt man im Blute der Schilddrüsenvene Fibrinogen, Senkungs¬
geschwindigkeit der roten Blutkörperchen und Kochsalzflockung, so
findet man gegenüber dem Blute der Schilddrüsenarterie eine Zustands¬
änderung im Sinne einer Dispersitätsverminderung.
E. Hesse und L. Wörner (Stuttgart), Vergleichende Leberfunk¬
tionsprüfungen. Kl. W. Nr. 23. Die Widalschen Funktionsprüfungen
sowie der Urobilin- und Urobilinogen-Nachweis weisen nicht ein so ein¬
heitliches Resultat auf wie die Chromocholoskopie. Verfasser haben die
Chromodiagnostik bei Indigokarminapplikationen an 18 Lebergesunden
und 24 Leberkranken geprüft. Nach den gemachten Beobachtungen
bildet die Chromodiagnostik mit Indigokarmin eine wertvolle Hilfe zur
Beurteilung einer Leberschädigung, doch sind stets vergleichende
Funktionsprüfungen zu empfehlen. (Widal, Urobilin-Urobilinogenurie.)
L. v. Aldor (Karlsbad), Ursächlicher Zusammenhang der Gallen¬
steine mit dem Gallenblasenkrebs. W. kl. W. Nr. 21. Aus jahre¬
langen Beobachtungen von 360 Patienten mit chronischer Cholelithiasis,
bei denen niemals irgendwelche karzinomverdächtigen Symptome auf¬
traten, glaubt Verfasser einen Zusammenhang zwischen Gallenblasen¬
karzinom und Cholelithiasis ausschließen zu dürfen.
Gudzent und Keeser (Berlin), Experimentelle Beiträge zur
Pathogenese der Gicht. II. Mitt. Zschr. f. klin. M. 94 H. 1— 3. Es
werden in größeren Untersuchungsreisen die Werte für den Harnsäure¬
gehalt einzelner Gewebsorgane unter Mitbestimmung des Rest-N er¬
mittelt, sowohl an Leichen — wie an operativ gewonnenen Organen
wie an Organen von Hühnern. Weiter wird versucht, durch quantita¬
tive Bestimmung einiger Vorstufen der Harnsäure einen tieferen Einblick
in den intermediären Purinstoffwechsel zu bekommen.
H. Herschmann (Wien), Tuberkulotoxische Meningitis. W.kl. W.
Nr. 21. Hinweis auf eigene frühere Untersuchungen, die mit den Mit¬
teilungen Blatts (W. kl. W. Nr. 15) übereinsiimmen.
Koellner (Würzburg), Bedeutung des Nystagmus für die
Herddiagoose besonders bei Erkrankung des verlängerten Markes.
KI. W. Nr. 23. Kritisches Ucbersichtsreferat über unsere heutigen
Kenntnisse über die Arten und Entstehungsmöglichkeiten des Nystag¬
mus und ihre Bedeutung für die Herddiagnose.
Chirurgie.
J. S. Esser (Berlin), Schnittführungen in der struktiven Chirurgie.
M. m. W. Nr. 22. Technische Ratschläge für Schnittführungen zur
Lappenverschiebung. (Siehe auch Bruns Beiträge 1917 und D. Zschr.
f. Chir. 1917. , , . VT _
E. Bircher (Aarau), Instrumentelle Notizen. Zbl. f. Chir. Nr. 20.
Technische Mitteilung.
O. H. Peterssen (Dortmund), Primäre Deckung nach Thiersch
bei frischen Verletzungen mit großen Hautverlusten. Bruns Beitr.
M. Madien er (Kempten), Verpflanzung der Nebenschilddrüse im
allgemeinen und als Mittel gegen Paralysis agitans im besonderen.
Zbl. f. Chir. Nr. 20. Bei den Mißerfolgen der Heteroplastik kommt
für die Transplantation der Epithelkörper eigentlich nur die homo¬
plastische Uebertragung in Frage. Mit Borchers hält es Verfasser
für notwendig, daß keine Verpflanzung der Nebenschilddrüse aus¬
geführt werden sollte, ohne daß die Identität des Transplantates mit
einem Epithelkörper durch das Mikroskop nachgewiesen ist. Die
Ueberpflanzung der Nebenschilddrüse wurde meist bei postoperativer
Tetanie gemacht, einmal auch bei Paralysis agitans (Kühl). Auch
Verfasser hat die Transplantation bei einem 52 jährigen Manne gemacht,
der seit 7 Jahren an Paralysis agitans litt. Vorübergehende auffallende
Besserung, die aber bald wieder vollkommen nachließ. Auch späterhin
trat eine Besserung nicht ein. Verfasser hält es für wahrscheinlich,
daß die Nebenschilddrüsentransplantation keinen spezifischen Einfluß
auf die Paralysis agitans hat.
H. Knaus (Graz), Postoperative Tetauie nach Kropfoperation.
Bruns Beitr. 125 H. 3. Auf 619 Kropfoperationen der Jahre 1919, 1920
und 1921 fallen 5 Fälle von postoperativer Tetanie. In dem selbst
beobachteten Falle wurde ein großes Epithelkörperchen mit entfernt.
Die Ueberpflanzung von 3 Epithelkörperchen führte zur Heilung.
Eine genaue Untersuchung aller exstirpierten Kröpfe ergab, daß bei
106 Strumaoperationen 21 mal Glandulae parathyreoideae unabsichtlich
mit entfernt worden waren, wovon nur der eine oben erwähnte Fall
von schwerer Tetania postoperativa ergriffen wurde, während die
anderen 20 nicht die geringsten Symptome zeigten. Man soll daher
in jedem Falle von Strumaexstirpation auf mitentfernte Epithelkörper
untersuchen und diese eventuell sofort wieder reimplantieren.
E. Melchior (Breslau), Parathyreoprive* Koma. Zbl. f. Chir. Nr. 19.
Verfasser präzisiert nochmals das Krankheitsbild des von ihm aufgestellten
parathyreopriven oder parathyreotischen Koma und polemisiert gegen
Harttung. In dem von diesem mitgeteilten Falle dürfte es sich wohl
um eine Embolie handeln, deren näherer Hergang freilich unerklärt bleibt.
G. H. Feist und A. W. Bauer (Prag), Statistik des Brustkrebs.
Bruns Beitr. 125 H. 3. Nur 31 °/ 0 kommen innerhalb des ersten Viertel¬
jahres nach dem Auftreten des Leidens in Behandlung. Von den primär
radikal Operierten waren 44,3% wenigstens 3 Jahre, 39,7% wenigstens
5 Jahre nach der Operation noch gesund. Zahl der Heilungen nach
3 Jahren bei freien regionären Drüsen 72,7°/ 0 , bei bereits karzinomatösen
nur 33,3%. Lokale Rezidive wurden in 17% beobachtet. Zellarme
Karzinome, szirrhöse Tumoren geben eine ungünstigere Prognose als
die zellreichen soliden adenomatösen Formen. Ebenso ist die Prognose
für Tumoren mit unreiferen, stärker anaplastischen Zellen ungünstiger.
Digitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
850
LITERATURBERICHT
Nr. 25
42% aller Rezidivoperationen starben strotz lokaler Heilung an inneren
Metastasen. Nur ausgedehnteste Exzision der Weichteile, besonders
der Haut und des subkutanen Gewebes schützen gegen lokale Rezidive.
Fritz Kroh (Köln), Die künstliche ein- und doppelseitige Läh¬
mung des Zwerchfells. M. m. W. Nr. 22. Die Unterbrechung des
Phrenikus durch Novokain, Quetschung, Durchtrennung, Vereisung
führt zur Lähmung des Zwerchfells, der Tonus bleibt bestehen, völlig
entspannt wird das Zwerchfell also nicht. Zur Mobilisierung der Leber
für Operationen wird der linke Phrenikus blockiert, dann wird die
Leber durch die gesteigerte Tätigkeit des rechten Zwerchfells nach
unten gedrängt Die doppelseitige Blockierung oder Durchtrennung
ist das souveräne Mittel zur Behandlung des schwersten Singultus.
M. Bau mann (Hannover, Stumpfe Verletzungen der Bauch- und
Beckenorgane. Bruns Beitr. 125 H. 3. 3 Verletzungen des Dünndarms,
eine Leberruptur, eine Milzruptur, eine Nierenruptur und eine Zerreißung
der Harnröhre.
H. Broßmann (Jägerndorf), Exstirpation einer stielgedrehten
Wandermilz. Zbl. f. CHir. Nr. 19. Bei der 23 jährigen. im 3. Schwanger¬
schaftsmonate befindlichen Patientin wurde wegen linker Wanderniere
die lumbale Nephropexie gemacht. Gleich nach der Operation war
wieder die runde, bewegliche Geschwulst wie früher tastbar. Laparo¬
tomie. Vorfinden eines Tumors, der als dritte, dystopische Niere an¬
gesehen und belassen wurde. Geburt von Zwillingen. Im 45. Jahre
plötzliche Erkrankung mit Ileussvmptomen. Ueber dem linken Lig.
Poupartii übermannsfaustgroßer Tumor; stielgedrehte dritte dystopische
Niere oder stielgedrehte Ovarialzyste? Laparotomie. Sehr stark ver¬
größerte Milz. die um ihren Stiel 2 , / 9 mal gedreht war. Splenektomie;
Heilung. Befund: Totale hämorrhagische Nekrose infolge Thrombose
der V. lienalis und ihrer Aeste nach Stieldrehung.
W. Schmidt (Barmen), Therapie und Prognose des perforierten
Magen- und Zwötffingerdarmveschwüres. Bruns Beitr. 125 H. 3. So¬
fortige Operation bei schonendem Eingriff. Verschluß der Perforations¬
stelle durch Naht und Sicherung durch Auflagerung von Netzstückchen,
Reinigung der Bauchhöhle durch schonendes Austupfen. Kurzdauernde
Drainage durch Gazestreifen oder umwickeltes Gummidrain. Anlegung
einer Gastroenterostomia retrocolica posterior zwecks Sicherung der
Naht und Schaffung günstiger Heilungsbedingungen. Möglichst früh¬
zeitige Zuführung von Flüssigkeit und stärkenden Nahrungsmitteln.
Unter 19 Fällen 16 Heilungen. Von 10 2 1 /.,—5 Jahre nach der Operation
zurückliegenden Fällen sind 5 völlig beschwerdefrei, 4 müssen noch
diät leben, sind sonst gesund. Nur einer mußte noch in dauernder
ärztlicher Behandlung sein und einmal wegen Ulkus nachoperiert werden.
H. Steichele (Nürnberg), Appendixfrage an Hand von 1000 ope¬
rierten Fällen. Bruns Beitr. 125 H. 3. Je frühzeitiger im akuten
Stadium operiert wird, desto größer die Aussicht auf Heilung. Bei
perforierten Fällen ist eine Drainage der Bauchhöhle erforderlich.
Appendizitische Abszesse sind zweizeitig zu operieren, wenn die Appen¬
dix sich nicht sofort und mühelos finden läßt. Die Peritonitisoperation
ist mit einer ausgiebigen Spülung zu verbinden. Empfehlung des
Dauertropfklistiers.
De wes (Fischbachthal), 103 operativ behandelte appendizitische Ab¬
szesse, nebst einem Fall vonAppendix-Karzinoid. Bruns Beitr. 125
H. 3. 7 Todesfälle, darunter ein Spättodesfall, die übrigen an Lungen¬
embolie, Lebersepsis, schwerer fortschreitender Bauchwandphlegmone,
2 unter p#*ritonitischen Reizungen, 1 an Herzschwäche. Von 7 Kotfisteln
heilten alle bis auf eine spontan. Weitere Nachoperationen erforderten
3 Rezidive, 1 oostoperativer Ileus 1 Jahr nach der Abszeßoperation. Unter
denjenigen Fällen, in denen die Appendix nicht entfernt wurde, kamen
3 wegen eines Rezidivs wieder in Behandlung, 11 weitere Fälle waren
nach 2—8 Jahren ohne Beschwerden.
M. Molnär (Sopron), Diffuse PeHtonitis. verursacht durch eine
tuberkulöse Mesokolondrüsenperforation. Zbl. f. Chir. Nr. 20. Kasuistik.
G. Dütt mann (Gießen), Hemia ioguioalis dlrecta sioistra incar-
cerata- Zbl. f. Chir. Nr. 19. Kasuistik.
C. Bayer (Prag), Hemia juxtaveslcalis dextra incarcerata.
Zbl. f. Chir. Nr. 19. Kasuistik.
Hilgen reiner, Darmzerrelßunt durch eigenhändige Reposition
eines freien Leistenbmches. M. m. W. Nr. 22. Operation wegen
Erscheinungen einer Perforationsperitonitis. Wurmfortsatz ohne krank¬
hafte Veränderung. An einer in der Nähe des Leistenringes gelegenen
Dünndarmschlinge eine kirschgroße Perforation. Der Darm erschien
sonst an dieser Stelle ganz gesund. Nachträglich wurde festgestellt,
daß der Patient sich mit einem plötzlichen Ruck seinen Leistenbruch
reponiert'hatte.
H. Neuffer (Hinghwa, China), Modifikation der Leistenbruch-
operation nach Bassini-Hackenbruch. Zbl. f. Chir. Nr. 19. Technische
Mitteilung.
P. Sudeck (Hamburg-Barmbeck), Rektumprolapsoperation durch
Auslösung des Rektum aus der Excavatio sacralis. Zbl. f. Chir. Nr. 20.
Die vom Verfasser schon mehrfach mit Erfolg ausgeführte Operation
besteht aus der~Auslösung*des Colon pelvinum und der Ampulle aus
der Kreuzbeinhöhlung, völligen Streckung der Ampulle und Heraus¬
lagerung des Colon pelvinum aus dem kleinen Becken in die Bauch¬
höhle. Die Fixation wird erreicht 1. durch Promontoriumfixation der
Ampulle; 2. durch Hebung des Douglasschen Raumes und Fixierung
aes Colon pelvinum mittelst Peritonealnaht; 3. durch Fixation der
' m P ulle durch flächenhafte Verwachsungen am Kreuzbein. !
G. Petrdn (Upsala), Klinische Bedeutung der akzessorischen Nieren-
gefäße. Bruns Beitr. 125 H. 3. Mitteilung von 3 Nierenfällen,.in denen
akzessorische Nierengefäße die Ursache des Krankheitszustandes im
Nierenbecken respektiv in der Niere gewesen sind, und eines 4., in
welchem die Rolle des akzessorischen Gefäßes in ätiologischer Beziehung
nicht ganz klar war. Ungefähr jede 5. Niere hat abnorme Gefäßver¬
hältnisse. Bei jedem Patienten, der wiederholte Schmerzanfälle von
Nierenkoliktvpus oder wiederholte Pyelitisattacken erlitten hat, soll man,
wenn das Röntgenbild keinen Stein zeigt, und wenn der Harnleiter sich
auf normale Weise katheterisieren läßt und die Pyelographie dilatiertes
Nierenbecken zeigt, an ein abnormes Nierengefäß denken. Sobald
auch nur die Wahrscheinlichkeitsdiagnose Hydronephrose auf Grund
von akzessorischem Nierengefäß gestellt ist, liegt Indikation für ex-
plorativen Nierenschnitt vor.
C. H ar ms (Hannover), Solitäre Nierenzyiten. Bruns Beitr. 125 H.3.
H. Löwenstädt (Breslau), Physikalische Knochennntersachnngen
nach kurzdauernder Immobilisierung im Gipsverhande. Bruns Beitr.
125 H. 3. Weder durch die Bruchversuche, noch durch die Gewichts¬
bestimmung oder Röntgenbilder ist eine wirklich merkbare Atrophie
und ein Nachlassen der Bruchfestigkeit bei Gliedern im Gipsverbande
innerhalb 45 Tagen festzustellen. Stark in Anspruch genommene
Knochen und Stellen von Knochen scheinen am raschesten zu atrophieren.
M. Krabbel (Aachen-Forst), Funktionelle Frakturbehandlung. Bruns
Beitr. 125 H. 3. Sie besteht in frühzeitigen Bewegungsübungen und
Massage unter Verzicht auf fixierende Verbände und kann die Methode
der Wahl bei allen Frakturen werden, bei denen nach exakter Repo¬
sition sichere Retention der Bruch enden gewährleistet wird. Vorzüglich
geeignet sind Brüche in der Nähe der Gelenke.
P. Bull (Kristiania), Emhollsch* Gangrän der Gliedmaßeu, be¬
sonders der unteren. Bruns Beitr. 125 H. 3. Die Hauptursache
sind Herzkrankheiten. Die Embolien an den unteren Extremitäten
führen fast immer zu Gangrän. Zur Verhütung derselben kommt die
Embolektomie in Betracht, welche aber nur Erfolg verspricht, falls sie
nicht später als 12 Stunden nach Eintreten*der Symptome stattfinden
kann. Beschreibung der Technik. Selbst wenn die Anlegung einer
Naht der Arterie nach Entfernung des Embolus nicht glücken sollte,
wird der Zustand nicht schlimmer, als wenn der Embolus unangetastet
in der Arterie verblieben wäre. Zur Vermeidung der sekundären
Thrombose, soll man in 2% Natriumzitrat gelegte Kompressen be¬
nutzen und Hände und Instrumente ebenfalls in diese Lösung tauchen.
Jedenfalls soll man bei Herzkranken immer daran denken, daß plötzlich
auftretende Schmerzen oder Funktionsstörungen — ungeachtet ihrer
Lokalisation — von einer Embolie herrühren können.
R. Sommer (Greifswald), Neurlnomfraee. Bruns Beitr. 125 H. 3.
Bericht über 2 Fälle von typischer Verocavscher Neurinome in histo¬
logischer und klinischer Beziehung (reine solitäre Neurinome am Nervus
ulnaris und am Kleinhirnbrückenwinkel). Das Neurinom stellt eine
Geschwulstform dar und steht im Gegensatz zur Recklinghausenschen
Neurofibromatose.
Frauenheilkunde.
A. Greil (Innsbruck), Richtlinien der Knnstitutlonsnathftlnfle.
Bedeutung: der Gestationstoxonosen. Zbl. f. Gyn. Nr. 17. Zu kurzem
Referate nicht geeignet.
A. Mever (Tübingen). Zunahme der sterilen Ehen seit dem
Kriege. Kl. W. Nr. 23. Die sterile Ehe hat seit Kriegsschluß eine
auffallende Zunahme erfahren. Gonorrhoe, Genitaltuberkulose und
Hvpoplasie des Genitalapparates können nach den Erfahrungen Meyers
dafür nicht angeschuldigt werden. Wahrscheinlich hat der Krieg zu
Modifikationen der Vita sexualis geführt, die an der Zunahme der
Sterilität schuld sein können. Das Sterilitätspröblem darf nicht mit
den Augen des reinen Organspezialisten betrachtet werden.
E. Vogt (Tübingen), Sterilität und Snermalmmunltät. Kl.W.Nr.23.
Nach den Tierexnerimenten kann es beim Zusammenleben der Ehe¬
gatten und regulärem Sexualverkehr, auch beim Menschen zur Sper¬
maresorption und damit zur Bildung von Spermätoxinen kommen,
die das Zustandekommen einer ßpfruchtung verhindern können. Bei
Trennung derFhegatten und sexueller Abstinenz fällt die spermatoxische
Ladung des weiblichen Körpers weg, und eine vorher länger bestehende
Unfruchtbarkeit kann ihre natürliche Heilung finden. Erklärung mancher
sonst ganz unklaren Formen von Sterilität durch eine solche Sperma¬
immunität.
R. Falk (Kassel), Hvnnose in der Geburtshilfe und Gynäkologie.
Zbl. f. Gvn. Nr. 17. Verfasser hat bei Hyperemesis von der Hvpnose
zum Teil sehr gute Erfolge gesehen. — Ferner wurden 16 Fälle von
Dysmenorrhoe der hypnotischen Behandlung unterzogen. Nur drei
davon waren refraktär; die übrigen wurden geheilt. — Weiter gelang
es, die Menorrhagien ein-r 20jährigen Multipara von 10—14tägiger
Dauer auf 3 Tage zu reduzieren. Endlich berichtet Verfasser noch
über einen Fall von Frigidät, der durch Hypnose geheilt wurde.
K. Hellmuth (Hamburg), Künstlich erzeugte Glvkosurle und ihre
Bedeutung für die Prühdlavno«e der Gravidität. Kl. W. Nr. 23.
Die Phloridzinprobe nach Kamnitzer-Joseph und die Dextrose-
Suprareninprobe nach Roubitschek müssen nach den Erfahrungen
des Autors für die Frühdiagnose der Gravidität abgelehnt werden.
Die besten Ergebnisse*liefert die Belastungsprobe mit 100 g Dextrose
nach Frank-Nothmanjn.
Digitized b'
Google
Original from
CORNELL UNIVERSITY
23. Juni 1922
LITERATURBERICHT
851
M. Fraenkel (Charlottenburg), Die X-Strahlen bei der Hyper-
emesis gravidarum. Zbl. f. Oyn. Nr. 17. In 4 Fällen von Hyperemesis
gelang es, die Patientinnen durch 2 malige Bestrahlung mit je x /a E- D.
(im Abstand von 5 Tagen) auf die Magengegend von dem Erbrechen
ganz zu befreien.
Sigwart (Frankfurt a. M.), Wiederholte Extrauteringravidität der
eichen Seite. Zbl. f. Oyn. Nr. 18. Ein 23 jähriges Mädchen wurde
Monate, nachdem ihm die rechte Tube wegen isthmischer Schwanger¬
schaft entfernt worden war, wieder mit allen Zeichen hochgradiger
akuter Anämie in die Klinik eingeliefert. Bei der neuerlichen Laparo¬
tomie zeigte sich, daß sich auf dem kleinen Schleimhautrest des rechten
Tubenstumpfes wieder ein Ei angesiedelt hatte. (Bei der ersten Opera¬
tion war mit Rücksicht auf den schlechten Allgemeinzustand der voll¬
kommen ausgebluteten Patientin die Peritonisierung des Stumpfes
unterblieben.)
A. Hermstein (Breslau), Hoher Geradstand bei Stirnlage. Zbl.
f. Oyn. Nr. 17. II. Stirnlage mit Positio occipitalis sacralis bei einer
30jährigen IVpara. Wegen Schwerbeweglichkeit des Kindes war die
Wendung auf den Fuß unmöglich. Es wurde deshalb ein Extraktions¬
versuch mit der Kjellandschen Zange gemacht. Das Instrument glitt
aber wiederholt ab, sodaß schließlich die Geburt durch Perforation
beendigt werden mußte.
Hans Saenger (München), Kiellandsche Zange. M. m. W. Nr. 22.
Zu Zimmermann in Nr. 19. Der vordere Löffel muß stets zuerst
eingeführt werden. Vielfach sind unbrauchbare Zangen im Handel,
ln 100 Fällen sehr gute Resultate, namentlich 40 Entbindungen bei tiefem
Querstand verliefen auffallend glalt.
K. Heil (Darmstadt), Dammscbntz in linker Seitenlage. Zbl. f. Gyn.
Nr. 17. Der Dammschutz in linker Seitenlage verdient wegen der weit
besseren üebersichtlichkeit durchaus den Vorzug vor dem Dammschutz
in Rückenlage. Allerdings darf die Kreißende erst dann in Seitenlage
gebracht werden, wenn der Kopf durchschneidet.
Lahm (Dresden), Placenta bidiscoidalis. Zbl. f. Gyn. Nr. 18.
Kasuistischer Beitrag.
P. Lindig (Freiburg i. Br.), Geborteinfloß und konstitutionelles
Element in der Genese der Nengeborenen-Albnminurie. Zbl. f. Gyn.
Nr. 18. Bei der Eiweißausscheidung der Neugeborenen handelt es sich
um eine konstitutionelle Albuminurie, „die bei der Summe von Reizen,
die intra und post partum das disponierte Organ treffen können, bei
so gut wie jedem Neugeborenen in Erscheinung tritt".
J. Burgkhardt (Zwickau i. Sa.), Erfahrungen mit der para-
sakralen Anästhesie bei 130 vaginalen Operationen. Zbl. f.Gyn. Nr. 17.
Verfasser berichtet über 130 Fälle von parasakraler Anästhesie bei
gynäkologischen Operationen. Er kommt zu dem Resultate, daß die
parasakrale Anästhesie eine ideale Anästhesierungsmethode für vaginale
Operationen aller Art ist, da sie immer ausführbar und völlig un¬
gefährlich für die Kranke ist. Auch bei der therapeutischen An¬
wendung der parasakralen Anästhesie (Nürnberger) hat Verfasser
ganz außerordentlich gute Erfolge gesehen.
Maluschew (Subotika), Neues Operatioosverfahreo zur Behand-
hng größter Uterusprolapse. Zbl. f. Gyn. Nr. 17. Das Prinzip der
Operation besteht darin, daß von einer hinteren Kolpotomiewunde
aus die beiden Ligg. rotunda hervorgezogen, durch einige Nähte
vereinigt und auf der Vorderfläche der Portio befestigt werden.
Näheres muß im Original nachgelesen werden.
Dunkhase (Osnabrück), Myoma uteri mit hochgradigem Aszites.
Zbl. f. Gyn. Nr. 18. In einem Fall von benignem Uterusmyom fanden
sich 20 Liter Aszitesflüssigkeit im Abdomen. Verfasser führt dies
darauf zurück, daß mehrere fingerdicke Gefäße, die vom großen Netz
zum Tumor zogen, durch Lageveränderung der Geschwulst torquiert
wurden. Gleichzeitig kann es sich aber auch um eine Stauung in den
Beckengefäßen infolge von Druck des Tumors handeln.
Hansen (Hamburg-Barmbeck), Tubentorsion mit Hämatombilduug
und ihre Aetiologie. Zbl. f. Gyn. Nr. 18. Ein 14jähriges Mädchen
verspürte beim Turnen (Rumpfrückwärtsbeugen) plötzlich einen heftigen
später nachlassenden Schmerz im Leib. Am nächsten Morgen traten
beim Waschen die Schmerzen in verstärktem Grade auf. Patientin
wurde dann mit der Diagnose Appendizitis in das Krankenhaus ein¬
geliefert. Bei der Operation zeigte sich, daß eine Stieldrehung der
rechten Tube vorlag. Exstirpation. Heilung.
H e b e r e r (Dresden), Oberflächenpaplllom des Ovarloms. Zbl. f. Gyn.
Nr. 18. Fall von Eierstockspapillom, der für die intrazystische Ent¬
wicklung dieser Tumoren spricht.
Heinz Kustner (Breslau), Doppelmlfibildoof der weiblichen Geni¬
talien mit Ligamentum rectovesicale und stielgedrehtem Ovarialtumor.
Zbl. f. Gyn. Nr. 18. Kasuistischer Beitrag.
Augenheilkunde.
W. Clausen (Halle/Saale), Kongenitaler Enophthalmns. Klin. Mbi.
f. Aughlk. 68 April-Maiheft. In einem Falle von hochgradigem an¬
geborenen Enophthalmus mit Retractio bulbi wurde ein kosmetisch
sehr befriedigendes Ergebnis dadurch erzielt, daß der an Stelle des
Rectus externus vorhandene Sehnenstrang und ebenso der nicht ganz
normale Rectus internus ausgiebig von der Sklera abgelöst und dann
eine Sehnenverlängerung des Rectus internus nach Spaltung der Sehne
vorgenommen wurde.
W. Fi lato w (Odessa), Lidplastik mit waaderndem Stiel. Klin.
Mbl. f. Aughlk. 68 April-Maiheft. Bei einem Kranken mit narbigem
Ektropium beider Lider des rechten Auges infolge Milzbrand wurde
zunächst das obere Lid durch eine Plastik nach rricke ersetzt. Für
die Bildung des unteren Udes wurde ein 12 cm langer und 5 cm breiter
horizontaler Lappen aus der Brusthaut gebildet und zu einem röhren¬
förmigen Stiel vernäht. Nach je 2 bis 3>/ 9 Wochen wurde nun ab¬
wechselnd das eine oder andere Ende dieses Stieles in eine Wunde
erst in der Mitte des Halses, dann über dem horizontalen Ast des
Unterkiefers und endlich über dem Jochbogen eingenäht. Nachdem
der Lappen so an die richtige Stelle gekommen war, wurde mit ihm
eine Plastik des unteren Lides ausgeführt. Der Erfolg war gut.
A. Pil lat (Wien), Pneumokokkenkatarrh der Bindehaut. Klin. Mbl.
f. Aughlk. 68 April-Maiheft. Der Pneumokokkenkatarrh kommt häufiger
vor als bisher angenommen wurde. Zur mikroskopischen Untersuchung
ist ein Abstrich von dem Epithel der Augapfelbindehaut zu verwenden,
nicht das Sekret. Der Verlauf ist fast ausnahmslos günstig. Zur Be¬
handlung am geeignetsten ist 2° 0 /ige Höllensteinlösung.
A. H. Marcotty (Freiburgi. B.), Erkrankung der Bindehaut durch
Raupenhaare. Klin. Mbl. f. Aughlk. 68 April-Maiheft. Bei einem 8jäh¬
rigen Knaben, welcher mit einer Raupe ins Gesicht geworfen worden
war, fanden sich außer Knötchen in der Bindehaut auch solche in der
Haut der Lider, der Stirn und im Periost des Stirnbeins. Sie wurden
anfangs als Gebilde syphilitischer oder tuberkulöser Natur angesprochen,
doch ergab die mikroskopische Untersuchung einzelner ausgeschnittener
Knötchen in diesen Raupenhaare.
Siegfried Hoitasch (Prag), Blennorrhoe der Tränenröhrchen.
Klin. Mbl. f. Aughlk. 68 April-Maiheft. Oberhalb des inneren Lidwinkels
fand sich eine über erbsengroße Geschwulst, welche sich als eine Aus¬
buchtung des Tränenröhrchens erwies. Durchspülung und Sondierung
ergab Heilung. Pilzwucherungen (Aktinomyzes) lagen nicht vor.
E. Wölfflin (Basel), Halssympatbiknsreizang. Klin. Mbl. f. Aughlk.
68 April-Maiheft. In zwei Fällen von Operation eines Karzinoms am
Halse gelang es beim Menschen den Sympathikus elektrisch zu reizen,
worauf Erweiterung der Pupille und Lidspalte, sowie Tränenträufeln
eintrat.
A. Jeß (Gießen), Kupfertrübung der Linse. Klin. Mbl. f. Aughlk.
68 April-Maiheft. Die histologische Untersuchung eines Falles ergab,
daß die graugrüne sonnenblumenartige Zeichnung im Pupillargebiet
der Linse dadurch zustande kommt, daß zwischen Linsenkapsel und
Epithel eine außerordentlich dünne Schicht eines Kupfersalzes, wahr¬
scheinlich von Kupferkarbonat, abgelagert ist. Die Beobachtung be¬
weist ferner, daß das Kapselepithel schädliche Substanzen aus dem
Kammerwasser lange Zeit von der Linse zurückhaltcn kann und daß
bei der Linsenernänrung auch von vorn her aus dem Kammerwasser
Stoffe in diese eintreten können.
A. Hinger (Wien), Scheiokatarakt nach Kupfersplitterverletzuog.
W. kl. W. Nr. 21. 1 Fall.
Sadas Suganuma (Tokio), Juvenile rezidivierende Glaskörper-
blutong. Klin. Mbl. f. Aughlk. 68 April-Maiheft. In einem Falle von
rezidivierender Glaskörperblutung bei einem 24jährigen Lungenphthi¬
siker ergab die histologische Untersuchung eine tuberkulöse Phlebitis
retinae.
R. Mans (Rostock), Postlentikuläre Blutung. Klin. Mbl. f. Aughlk.
68 April-Maiheft. Nach Kontusion durch einen Holzklotz fand sich
im rechten Auge einer 50jährigen Frau außer einem Hyphäma unten
eine 2 mm hohe scharf begrenzte Blutung zwischenjhinterer Linsen¬
kapsel und vorderer Grenzschicht des Glaskörpers.
Ingolf Schiötz (Kristiania), Rotgrünblindheit als Erbeigenschaft.
Klin. Mbl. f. Aughlk. 68 April-Maiheft. Auf Grund eigener Unter¬
suchungen und sehr sorgfältiger kritischer Nachprüfung der veröffent¬
lichten Stammbäume kommt Verfasser zu dem Schluß, daß angeborene
Rotgrünblindheit ausnahmslos rezessiv-geschlechtlich gebunden vererbt
wird und keine einzige Ausnahme von diesem Gesetz nachgewiesen
worden ist.
Zahnbeilkunde.
Max Levy (Berlin), Ist die klinische Ausheilung der chronischen
Periodontitiden und ihrer Polgeerscheinungen (Granulome, Zysten)
durch Radiumbestrahlnng möglich? Zahnärztl. Rundsch. Nr. 12.
Während die Radiumbehandlung der chronischen Wurzelhauterkran¬
kungen bisher als fraglich galt, spricht sich Levy sehr optimistisch
über eine einstündige Bestrahlung mit 40 mg Radiumbromid aus. Nach
ihm ist die klinische Ausheilung der chronischen Periodontitiden und
ihrer Ausgänge in jedem Falle möglich. Levy hält daher die Be¬
strahlung einer blutigen Operation zum mindesten für gleichwertig;
nur für größere Zysten sei die Frage noch unentschieden.
Haut- und Venerische Krankheiten.
♦♦ Carl Bruck (Altona), Rezepttaschenbuch für Dermatologen.
Für die Praxis zusammengestellt. Berlin, J. Springer, 1922. 156 S.
M. 48.—. Ref.: Max Joseph (Berlin).
Dieser kleine Ratefeber soll während der Sprechstunde eventuell
Aufschluß geben, welches Medikament zu verordnen und wie es zu
verwenden ist.
□ igitized by
Gck igle
Original from
CORNELL UNIVERSITY
852
LITERATURBERICHT
Nr. 25
St.R. Brünauer (Wien), Behandlung gonorrhoischer Komplikationen
mit Mirion. W. kl. W. Nr. 20. Düren intramuskuläre Injektion von
Mirion werden Epidydimitiden günstig beeinflußt. Frische Fälle sind
kontraindiziert, da bei ihnen durch die Injektion die Entzündung
gesteigert wird, bei veralteten Fällen mit Narbenbildung ist Mirion
unwirksam.
W. Schönfeld (Greifswald), Vorbeugende Satvarsanbehaudlung.
M. m. W. Nr. 22. Die vorbeugende Behandlung der Syphilis bei
Prostituierten, bei weichen Schankern, bei erscheinungsfreien syphilis¬
verdächtigen Fällen ist abzulehnen. Stets muß die Diagnose sicher-
gestellt sein. Angebracht ist die Behandlung syphiliskranker Mütter
während der Schwangerschaft, um gesunde Kinder zu erzielen.
Kinderheilkunde.
Ida Winternitz (Prag), Erhebungen über Stillfähigkeit. Arch. f.
Kindhlk. 71 H. 2. Statistische Erhebungen ergeben, daß Stillfähigkeit
keine vererbbare Eigenschaft ist, daß Tuberkulose und Alkoholismus
in der Aszendenz der Mutter nicht immer ungünstig auf die Stillfähigkeit
wirken, daß Gesundheit und Ernährung der Ammen von wesentlichem
Einfluß auf die Stillfähigkeit sind.
W. Jakoby (Düsseldorf), Unterscheidungsreaktion zwischen
Frauen- und Kuhmilch. Mschr. f. Kindhlk. 23 H. 1. 1 ccm Frauen¬
milch und 1 ccm konzentrierte Schwefelsäure vom spezifischen Gewicht
1,82 ergibt eine Braunfärbung, 1 cm 3 Kuhmilch und 1 cm 3 Schwefel¬
säure eine Violettfärbung. Zusatz von nur 10°/„ Kuhmilch zur Frauen¬
milch zeigt bereits eine Farbendifferenz. Die Farbenunterschiede werden
bedingt durch die verschiedenen Eiweißkörper beider Milcharten.
Mattja Ambrozic (Wien), Nahrungsbemessung bei untergewich¬
tigen Säuglingen. Zschr. f. Kindhlk. 32 H. 5/6. Für das untergewichtige
und untermaßige Kind ergibt die Berechnung des Nahrungsbedarfes
nach dem Pirquetschen System für alle Kinder sofort die zum Ge¬
deihen notwendigen Nahrungsmengen; bei einer Berechnung nach
Rubner-Heubner ist erst durch die Berechnung des Nahrungsbedarfes
für einen gleichlangen, aber normalgewichtigen Säugling unter Berück¬
sichtigung des Energiequotienten, der dem Alter dieses entsprechend
jüngeren Kindes zukommt, der zum Gedeihen notwendige Nahrungs¬
bedarf festzustellen.
J. Rosenstern und Lauter (Berlin-Buch), Bedeutung der
Lösuogsform bzw. des Zerteiluogsgrades der organischen Nährstoffe
in der Säuglingsnahrung (Kristalloide, Kolloide, Suspensionen, Emul¬
sionen). Zschr. f. Kindhlk. 32 H. 5/6. Kolloide Stoffe (Eiweiß, Mehle)
können einen durch orale Gaben hypertonischer Salzlösungen ent¬
standenen Durchfall verhüten, während die kristalloiden Stoffe (Zucker)
ohne Einfluß sind.
A. Salomon (Frankfurt), Ctiiorspiegel und Verdauung unter be¬
sonderer Berücksichtigung fettreicher Nahrung. Zscnr. f. Kindhlk.
32 H. 5/6. Nahrungsaufnahme bringt beim jungen Säugling eine
vorübergehende Verminderung des Chlorspiegels im Blute, mit Aus¬
nahme der fettreichen Nahrungsmischungen, die — wahrscheinlich in¬
folge eines rascheren Chlortransportes aus den Chlordepots — ohne
Einfluß auf den Chlorgehalt des Blutserums sind.
J. Rosenstern (Berlin), Gehirnschädel der Frühgeburten und
seine Veränderungen, unter besonderer Berücksichtigung
der Kraniomalazie. Zschr. f. Kindhlk. 32 H. 5/6. Der Hirnschädel
des frühgeborenen Kindes zeigt, mit dem Grade der Untergewichtig¬
keit zunehmend, kleine bis geschlossene Nähte und Fontanellen und
selten Kuppen Weichheit. Ein in den letzten Schwangerschaftswochen
beim ausgetragenen Kinde sich abspielendes Hirn Wachstum, das das
frühgeborene Kind extrauterin durchmacht, im Verein mit einer diesen
Kindern eigentümlichen Hirnhypertrophie und einer rachitischen Ossi¬
fikationsstörung führt in den ersten 4 Lebensmonaten zum Mega-
zephalus des frühgeborenen Kindes.
Franz Hamburger (Graz), Kropf im Säuglingsalter. M. m. W.
Nr. 22. In Steiermark findet sich gar nicht so selten auch bei Säug¬
lingen eine Struma parenchymatosa mit Atemstörungen. Bei subster-
nalem Sitz wird der Stridor bei starker Beugung des Kopfes nach
vorn stärker. 2—3 mal wöchentlich 1 Milligramm Jodnatrium.
H. E. Anders und G. Stern (Rostock), Ist die WinVelsche Krank¬
heit der Neugeborenen eine Sensis? Arch. f. Kindhlk. 71 H. 2. Die
Winkelsche Krankheit ist als eine besondere Erscheinungsform der
Sepsis beim Neugeborenen aufzufassen.
O. Voigt (Kiel), Paratyohns-B-Erkrankungen bei Neugeborenen.
Mschr. f. Kindhlk. 23 H. 1. Mitteilung von drei Paratyphus-B-Erkran-
kungen bei jungen Neugeborenen, wobei in einem Faile die Infektion
wahrscheinlich durch die bazillenhaltige Milch der im Inkubationsstadium
der Krankheit befindlichen Mutter erfolgt ist. Ein Patient ging unter
den Erscheinungen einer Paratyphus-Sepsis (Meningitis, Pleuritis,
Peritonitis) zugrunde.
L. Schall (Tübingen), Ascites chylosus beim Säugling. Mschr. f.
Kindhlk. 23 H. 1. Kasuistik.
E. Slawik (Prag), Venen dvstrophie im Säuglingsalter. Zschr. f.
Kindhlk. 32 H. 5/6. Nur auf dem Boden einer angeborenen Minder¬
wertigkeit entwickeln sich bei atrophischen Kindern und unter dem
Wirken mechanischer Momente (z. B. auch Schreien) die pathologi¬
schen Venenerwcitcrungen. Als anatomische Grundlage findet sich
an den erweiterten Venen eine Atrophie der Muskulatur, eine spär¬
liche Entwicklung der elastischen Fasern und eine Wucherung des
Bindegewebes.
E. Lyon und J. Deutsch, Akute Leberatrophie im Kindesalter.
Zschr. f. Kindhlk. 32 H. 5/6. Uebergang eines Icterus catarrhalis in
eine subakute gelbe Leberatrophie.
H. Hummel (Würzburg), Knochenmark und Blutbild in ihrer
Beziehung zur apiastischen Anämie. Zschr. f. Kindhlk. 32 H. 5/6.
Nicht immer ist es erlaubt, bei Anämien aus dem Fehlen von Regenera¬
tionserscheinungen im peripheren Blute auf eine minderwertige Funk¬
tion des Knochenmarkes zu schließen. An der Hand eines Sektions¬
befundes wird gezeigt, daß bei erhaltener Knochenmarkstätigkeit ein
Fehlen der Ausschwemmung neuer Blutzellen die Ursache des klinischen
Befundes einer apiastischen Anämie sein kann.
Hans Behrendt (Dortmund), Proteinkörpertherapie kiodlicher
Anämien. Arch. f. Kindhlk. 71 H. 2. Tägliche Injektionen von 1 ccm
Serum brachten bei 5 von 7 kindlichen Anämien nach etwa 5 Wochen
eine auffallende Besserung des Blutbefundes; 2 Patienten zeigten bei
einer Besserung des Allgemeinzustandes keine Veränderung ihres
Blutstatus.
S.Rosenbaum (Marburg), Kalkzylinder im Säuglingsharn. Mschr.f.
Kindhlk. 23 H. 1. Nach größeren Gaben von Kalziumchlorid oder
Kalziumkarbonat fanden sich im Harn zylinderähnliche hyaline Gebilde,
die Konkremente von phosphorsaurem Kalk darstellen, und die in
phosphatreichen Harnen ausgeschieden werden. Eine pathologische
Bedeutung kommt den Gebilden nicht zu.
David Edv. Holmdahl (Lund), Myelodysplasielehre. Mschr. f.
Kindhlk. 23 H. 1. Entwicklungsgeschichtliche und klinische Unter¬
suchungen sprechen gegen eine besondere Häufigkeit oder eine Be¬
deutung der Spina bifida occulta und der Fovea coccygea beim Auf¬
treten der Enuresis im Kindesalter.
G. Richter (Jena), Wirkung des Homatropins auf das Auge des
Säuglings. Arch. f. Kindhlk. 71 H. 2. 0,01 mg Homatropin sind die
geringste Menge, mit der sich beim Säugling noch Lichtstarre erzeugen
läßt. Mydriasis erhält man noch mit einer Lösung von 0,00008, das ist
bei einer Verdünnung von 1:600000.
L. Stein (Wien), Prophylaktischer Kunstfehler. W. kl. W. Nr. 20.
Ein praktischer Arzt hatte den Eltern eines 3jährigen Kindes, das seit
einigen Tagen stotterte, empfohlen, es so lange die Worte wiederholen
zu lassen, bis es sic richtig spreche. Hierdurch entwickelte sich inner¬
halb 3 Wochen schweres klonisches Stottern. Man soll die Kinder
durch langsames Sprechen verhindern, daß sie sich selbst beim
Sprechen überhasten und auf diese Weise allmählich den Fehler
korrigieren.
Hygiene.
Wolf gang Weich ar dt und Theodor Steinbacher (Erlangen),
Familieugeschichtliche Erhebungen in Kreisen gelernter Industriearbeiter
Mittelfrankens. M. m. W. Nr. 22. In 50 Familien intelligenter, boden¬
ständiger gelernter Metallarbeiter wurde die jetzige Generation, ihre
Kinder, die Elterngeneration und zum Teil die Großeltern durchforscht.
Es zeigte sich bei diesem wertvollen Volksbestandteil mit dem sozialen
Aufstieg ein deutlicher Geburtenrückgang.
Sachverständigentätigkeit.
F. Zimmermann (Bingen l), Kriegs- und Unfallneuroseo im
Strafrecht und Strafvollzug. Aerztl. Sachverst. Ztg. H. 8. Die vor¬
wiegend psychologische Auffassung der Unfallneurosen setzt sich all¬
mählich durch. Bei Schreckneurosen und rein psychischen Storungen
nach Unfällen ist die Prognose sehr gut. Deshalb müssen die von
den Gerichten festzusetzenden Entschädigungen viel geringer sein £ls
vordem, trotzdem die Entschädigungsforderungen immer noch sehr
hoch sind. Bei der veränderten wissenschaftlichen Auffassung entsteht
hier die Frage, ob es sich dabei um bewußte Uebertreibung oder
juristisch um Betrugsversuche handelt. Dennoch warnt Verfasser, Un¬
fallneurosen durch das Strafrecht bekämpfen zu wollen. Der Neu¬
rotiker soll geheilt werden. Fallen die hohen Entschädigungen fort,
hat niemand mehr ein Interesse an einer Unfallneurose. •Oppenheim
erklärte die Simulation für selten und verhinderte dadurch jahrelang
jeden Strafrechtsschutz. Nägeli und Gaupp traten 1916 auf dem
Münchener Neurologentag dem scharf entgegen. Weil in der jetzigen
Uebergangszeit die Begutachtung noch nicht einheitlich, entstehen für
den Juristen Schwierigkeiten. Das Klagen des Neurotikers auf Armen¬
recht ist nicht immer harmlos, sondern hat manchmal eine lebhafte
Aehnlichkeit mit einem Erpressungsversuch, weil der Armenanwalt den
Wunsch hat, seine Gebühren vom Gegner bezahlt zu bekommen.
Aerztliche Schiedsgerichte haben keinen Zweck, da der Unfallneurotiker
nicht auf sie eingeht. Das Strafrecht muß versagen, solange die Aerzte
sich streiten. Schwierig ist auch der Unterschied zwischen Simulation
und Aggravation. Deshalb ist von strafrechtlichen Maßnahmen abzu¬
sehen. Gute Erfolge werden in der Schweiz erzielt, wo die Ent¬
schädigungsansprüche gesetzlich beschränkt sind. Strafverfolgung des
Unfallneurotikers ist abzulehnen, weil er kaum je kriminell wird.
Oppenheim, Gaupp und Nonne empfehlen Prozeßvermeidung, Ab¬
findung, kurze Schonungsrencen und heilkräftige Berufsarbeit. Kolb
schlägt bei Zweifel über Zurechnungsfähigkeit immer Anstaltsbeobach-
tung vor, was sehr wirksam sei. Als größte Wohltat bezeichnet Ver¬
fasser die Raschheit der Durchführung des Strafverfahrens, genau wie
im Zivilprozeß.
Digitized by
Go gle
Original from
CORNELL UNfVERSSTV
VEREINS- UND KONGRESSBERICHTE
Redigiert von Ober-Reg.-Med.-Rat Pr. O. Strauß.
Berlin, Medizinische Gesellschaft, 24. V. 1922.
Vor der Tagesordnung. Loeser und Israel: Zur Kenntnis
des Hermaphroditismas als innersekretorische Störung. Demonstration
zweier Schwestern mit Pseudohermaphroditismus. Die inneren Organe
wurden bei Laparotomie als weiblich gefunden. Vagina nur angedeutet,
großer Penis, weibliche Psyche. Pneumoradiographie des Nierenlagers
ergab eine deutliche Hyperplasie der linken Nebenniere bei beiden
Zwittern. Loeser gibt an, daß er auf den demonstrierten Schädel¬
platten die Gegend der Hypophyse nicht finden kann. Der Herm¬
aphroditismus wird auf die Veränderung der Nebennieren zurückgeführt.
Besprechung. Mosse: Die beiden Sellae turcicae sind auf beiden
Platten normal.
Bucky warnt davor, die Schatten unbedingt für die Größe der
Nebenniere anzusehen.
‘Israel: Bei normalen Fällen ist der Nebennierenschatten viel kleiner.
Kraus: Vor vielen Jahren wurde hier von Israel der erste Fall
von Hirsutismus mit Nebennierentumor vorgestellt.
Leschke demonstriert einen Patienten, der an hämolytischem
Ikterus und Gicht leidet. Beide Leiden sind schon bei dem Großvater
des Patienten vorhanden gewesen. Der Fall ist vor 10 Jahren von
Strauß eingehend beschrieben worden. Es wird die Frage erörtert,
ob nicht ein ätiologischer Zusammenhang zwischen Gicht und hämo¬
lytischem Ikterus besteht. Es empfiehlt sich, in Zukunft auf den Harn¬
säurestoffwechsel beim hämolytischen Ikterus zu achten. Es fand sich
ferner eine Herabsetzung der Thrombozytenzahl, eine Tatsache, die auf
vermehrten Zerfall von Thrombozyten in der Milz zurückgeführt wird.
Da doch die Möglichkeit besteht, daß durch den Zerfall eine Ver¬
mehrung der Purinkörperbildung bedingt ist, empfiehlt es sich wohl,
hier die Milz zu exstirpieren.
Besprechung. H. Strauß: Die Milz hat sich 13 Jahre nicht ver¬
ändert. — Die lokale Gewebsveränderung, die zum Ausfallen der
Harnsäure bei der Gicht führt, hängt mit. dem hämolytischen Ikterus
nicht zusammen. — Zur Operation hat Strauß bisher nicht geraten,
weil der Patient seit vielen Jahren die Krankheit gut überstanden hat
und angenommen wird, daß die Gicht eine Schwächung seiner Kon¬
stitution bedeutet, wodurch die Milzexstirpation eventuell gefährlich
werden könnte.
Kraus spricht sich für Milzexstirpation aus, weil die Operation
an sich ungefährlich ist und sehr nützlich werden kann.
Bucky: Die Feinstruktur der Materie mit besonderer Berücksich-
tigmg der Gewebe. Beim Mikroskop benutzen wir die Lichtstrahlen,
deren Wellenlänge verantwortlich ist für die Grenze des Sichtbaren.
Unterhalb der Wellenlänge des Lichts können wir kein Bild mehr er¬
warten. 10- 4 —10- 3 mm große Gebilde kann man mit dem Mikroskop
sehen, d at das Licht die Wellenlänge 10— 4 mm hat. Der Abstand der
Moleküle beträgt nur 10— 8 —10— 7 und ist daher mit den gewöhnlichen
Lichtstrahlen nicht darstellbar. Die Röntgenstrahlen haben eine Wellen¬
länge von 10- 8 —10- 7 , hiermit kann man also kleinere Gebilde dar¬
stellen als mit den Lichtstrahlen. Auf diese Weise gelang es, den
Aufbau des Atoms zu erforschen. Es folgen Ausführungen über die
Interferenz von Lichtstrahlen. Der Einfallswinkel und die Wellenlänge
stehen in fester Beziehung. Für jeden Einfallswinkel ist die Wellen¬
länge bestimmt, bei der es tu den gleichen Interferenzen kommen
kann. Des weiteren ist der Abstand der reflektierenden Flächen von
Wichtigkeit. Dieser Abstand muß bei der Kleinheit der Röntgen-
strahlenwellenlänge sehr klein sein, so klein, wie er technisch sich
nicht herstellen läßt, wie er sich aber in Kristallen findet. Schaltet
man ein derartiges Kristall in die gemischten Röntgenstrahlen einer
Röhre ein, so wird nur die Wellenlänge von dem Kristall reflektiert,
die dem Einfallswinkel entspricht. Durch Drehung des Kristalls kann
man dann die verschiedenen anderen Strahlen zur Reflexion bringen
und auf einem Kreisbogen als Röntgenspektrum auftragen. Umgekehrt
ist es möglich, bei bekanntem Röntgenspektrum Rückschlüsse auf den
Aufbau des zur Reflexion benutzten Körpers zu ziehen. Dies w r ird
an Beispielen mit Hilfe von Laue-Diagrammen demonstriert. Auch in
sogenannten amorphen Körpern findet der Röntgenstrahl noch reflek¬
tierende Flächen. Dort, wo die Kriställchen geordnet auftreten, kann
man von Fasern sprechen. Es existieren Ring- und Spiralfasern. Auch
organische Fasern geben charakteristische Diagramme. Haare, Chitin¬
platten von Krebsen usw. werden in ihren Diagrammen gezeigt. —
Es wird erörtert, welche Fortschritte diese Methode für die medizini¬
schen Wissenschaften bringen könnte.
Besprechung. Kraus fragt, ob in der Kolloidchemie Unter¬
suchungen über die Gitter der verschiedenen Dispersitätsgrade existieren
und ob die Untersuchungen vielleicht Aufklärung geben über die Tat¬
sache, daß man nur feuchte Gebilde mit Röntgenstrahlen zerstören kann.
Bucky: Die Diagramme stammen von trocknen Körpern.
Herzog: Getrocknete und gequollene Sehnen geben überraschen¬
derweise das gleiche Bild. Einem histologisch charakteristischen Ge¬
webe entspricht ein charakteristisches Bild. Dresel.
XXXIV. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Innere
Medizin, Wiesbaden, 24.-27. IV. 1922.
Referent: Dr. Dresel,
Assistenzarzt an der II. Medizinischen Klinik der Charite (Berlin).
(Fortsetzung aus Nr. 24.)
Dritter Verhandlungstag.
Referat von Biedl (Prag): Ueber die Hypophysis. In der Endo¬
krinologie ist noch alles im Fluß. Mehr als sonst ist hier eine
kritische Sichtung nötig. Die alte Zweiteilung der Hypophyse kann
nicht mehr aufrechterhalten werden. Schon lange bekannt ist der
Zvvischenlappen, der beim erwachsenen Menschen sehr klein gewor¬
den ist im Gegensatz zum Föt und dem Tier. Ein weiteres spezi¬
fisches Gewebe liegt um den Hypophysenstiel herum, die Pars
tuberalis, sowie einige Beihypophysen, z. B. am Rachendach. Die Pars
ant. und die Beihypophysen entstehen aus dem Rachendach; der Rest
ist ektodermal. Auch die Pathologie muß sich an die Strukturteile der
unterschiedlichen Anteile anschließen. Die Sekretion erfolgt in Form
von Lipoiden und Granula. Letztere als eosinophile und basophile
Körnelung. Diese Sekrete werden direkt in die Blutbahn abgesondert.
Der Vorderlappen ist also eine Blutdrüse. Auch das Kolloid des Vor¬
derlappens geht in die Blutbahn und wird nur bei Ueberproduktion
gespeichert. Dagegen sind der Zvvischenlappen und seine Kolloid¬
zysten keine Blutdrüse, sondern sezernieren entlang den Gewebs-
spalten im Hypophysenstiel in das Gehirn. Chemisch konnte aus dem
Vorderlappen ein Lipoid, das Tethelin, abgesondert werden, während
Zwischen- und Hinterlappen nach ihrer pharmakodynamischen Wirk¬
samkeit als histaminartige Körper angesehen werden müssen. Der Vor¬
derlappenextrakt hat eine wachstumsanregende Wirkung. Es läßt sich
jedoch therapeutisch die Wirkung nur in der 3. Wachstumsperiode,
d. h. in der Pubertät, verfolgen, wo in einem Jahr 20 cm Längen¬
wachstum und Entwicklung der sekundären Geschlechtsmerkmale zu
beobachten sind. Die Zusammenarbeit des ganzen Inkretapparates ist
bekannt. Wirkliche Hypophysenzerstörung führt trotz der Einwände
Aschners zur Kachexie. Die Nachahmung der Wachstumshemmung
durch Tieroperationen ist schwer zu beurteilen. Als Infantilismus
darf man weder die Fettsucht noch die Hemmung der Entwicklung
sekundärer Geschlechtsmerkmale rechnen. Letztere hängt aber zu¬
nächst von den Geschlechtsdrüsen ab, die bei den entsprechenden
F roehlich-Fällen auch atrophisch sind. Vielmehr handelt es-sidi
auch am Genitale nur um eine Dystrophie. Man muß eine Nanosomia
pituitaria von den hypophysären Infantilisten scheiden, bei denen
letzteren zugleich mit dem Aufhören der Entwicklung eine frühe
Senilität einsetzt. Im Gegensatz zu den geschilderten Hemmungen
rufen Reizprozesse, Tumoren usw. im Vorderlappen Riesenwuchs und
Akromegalie hervor. Die Stoffwechselstörungen bei dieser ist auf
die Pars intermedia zu beziehen. Das ist besonders der Fall, wenn der
allgemeine Riesenwuchs mit Hypoplasie der Genitalien einhergeht.
Die F roch lieh sehe Dystrophia adiposogenitalis kann unzweifel¬
haft sowohl nur von der Hirnbasis als auch nur vom Zwischenlappen
der Hypophyse (Verlegung des Sekretabflusses) selbst hervorgerufen
werden. Zwischen diesen beiden Extremen liegt die Mehrzahl der
klinischen Fälle. Ein neues Syndrom, das offenbar nur von der Hirn¬
basis abhängt und nur äußerlich dem Froehlich ähnlich sieht, besteht
in Atresia ani, Polydaktylie und Retinitis albuminurica, geistiger
Hemmung, Fettsucht und eigenartigen Wachstumsstörungen. Auch
beim Diabetes insipidus muß man sowohl eine Erkrankung entweder
der Hypophyse oder des Zwischenhirns annehmen, und es ist wohl
nicht möglich, klinisch die einzelnen Fälle zu differenzieren. Die
Erkrankungen der Hypophyse sind klinisch nur selten reine Bilder,
sondern meist solche der polyglandulären Erkrankung.
Stefan Lorant (Prag): Ueber Diabetes insipidus. Bei Stickstoff¬
gleichgewicht und purinfreier Ernährung wurde die Harnsäure im Urin
in Fällen von Diabetes insipidus untersucht. Es zeigte sich fast in
allen Fällen eine Störung der Harnsäureausscheidung sowie Verände¬
rung derselben nach Injektion verschiedener innersekretorischer Pro¬
dukte und von NaCl. Der Blutharnsäurewert lag bei allen Fällen an
der oberen Grenze des Normalen.
Kestner (Hamburg-Eppendorf): Gaswechseluntersuchungen bei
Hypophyseuerkraakungea. Der Gaswechsel wurde bei allen Kranken
mit endokrinen Störungen untersucht. Bei Hypophysenerkrankungen
zeigte sich in den Fällen von Dystrophia adiposogenitalis nur eine
eringe Steigerung des Umsatzes und der Nahrungsaufnahme. Auch
ypophysäre Zwerge zeigten deutliche Störung in Form einer Herab¬
setzung der spezifisch dynamischen Wirkung. Dasselbe zeigten einige
Fälle von endogener Fettsucht. Die Störungen konnten durch Injek¬
tionen von Hypophysenvorderlappenextrakten behoben werden.
Kowitz(Hamburg-Eppendorf): Die Bedeutung der gasanal