DISSERTATKM
22608
Heinrich Gundelfingen.
zur Geschichte des Deutschen Fruhhumanismus und zur
Losung der Frage iiber die urspriingliche
Konigsfelderchronik.
j» (Schv
iidruckerei ( ' Fragn
Heinrich Gundelfingen.
UM.'E[$ITYOr(.-IJfCf-l|.'
Dieser Aufsatz bildet Heft VI der in dem Verlag der
Universitatsbuchhandlung (Otto Gschwend) zu Freiburg in
der Schweiz erscheinenden Freiburger lustorischen Studien.
UM.'ErSnVOK.-llfCf-JI.'
Heinrich Gundelfingen.
Ein Beitrag
zur Geschichte des Deutschen Friihhumanismus und zur
Losung der Frage liber die urspriingliche
Konigsfelderchronik.
Dissertation
zur
Erlangung der Doktorwiirde
von der
philosophischen Fakultat
der
Universitat Freiburg in der Schweiz
von
Joseph Ferdinand Rtiegg
-*- «>-
Freiburg (Schweiz)
Buchdruckerei Gebrilder Fragniere
1910
UM /tr 51TY or CAUrCRMl.'
UM.'ErSnYOK.-LlfCf-ll.'
Meinen lieben Ettern
JOSEPH FIDELIS FERDINAND RUEGG
und
MARIA ANNA KATHARINA BARBARA geb. STAUB
in Dankbarkeit gewidmet.
UM.<Ersnvof(.'urcM.<
uhi/irsiiYorcAurciw
Inhaltsverzeichnis.
Seile
Einleitung und Verzeichnis der Werke Heinrich Gundelflngens 9
Seine Abkunft und Studien 14
Seine Tdtigkeit als Lehrer und Schriftsteller an der Universitdt
Freiburg i Br. 1471- 1488 * . 29
Werke : Militaria monimenta 33
Austria? principum chronici epitome triplex 35
Comitum Tyrolis successio 44
Descriptio confcederationis Helvetica; ... 51
Amoenitates urbis Lucernensis 55
Topographia urbis Bernensis 58
Origo, profectus et gesta incolarum et civium
de Hasli 63
Letzte Lebensjahre in Waldkirch und letzte Werke 1488—1490 . 66
Officium de beato Nicolao super Saxo heremita
Underwaldensi Helvetio 68
Historia Nicolai Underwaldensis eremitae 69
De thermis Badensibus 71
De thermis diversis 72
Excurse. 1. Gundelfingens Genealogie der Habsburger (2. Buch
der Austria?).
Sein Verhaltnis zu Mathias von Neuenburg und
zu dem sogn. Gregor Hagen bezw. zu einer Klin-
genberger — und zur Kdnigsfelder Chronik ... 76
2. Heinrich Gundelfingen und Albrecht von Bonstetten 108
UM.<Ersnvof(.'urcM.<
UM.'ErSnVOK.-llfCf-ll.'
Einleitung und Verzeichnis der Schriften
Heinrich Gundelfingens.
Nur sparliche und zum Teil unsichere Berichte gaben
uns bisher in wenigen gedruckten Werken Kunde von Hein-
rich Gundelfingen. Kurze Beachtung schenkten ihm O. Lo-
renz 1 , G. v. Wyfi- und P. Albert n , aber auch was diese
uns mitteilen ist so knapp, dafi wir daraus eine grundliche
Kenntnis und Wurdigung Gundelfingens nicht gewinnen
konnen.
Reichlich flieSen zwar auch die Quellen nicht, aus
denen wir Neues schopfen konnten; vereinzelte weit zer-
streute Notizen und Gundelfingens Werke bilden die Grund-
lage fur unsere Ausfiihrungen 4 .
Die zerstreuten Nachrichten finden an der betr. Stelle
ihren Quellennachweis \
') Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter I 3 (Berlin
1886) S. 266 ff.
') Geschichte der Historiographie in der Schweiz (Zurich 1895)
S. 139. Anmerkung.
") Die Geschichtschreibung in Freiburg im Breisgau (in Zeit-
schrift fur Geschichte des Oberrheins N. F. 16.) S. 538 ff.
') Weder ein Briefwechsel selbst noch Spuren eines solchen
liefien sich auffinden.
& ) Es eriibrigt uns an dieser Stelle alien jenen, welche in dieser
Arbeit, sei es durch freundl. Hinweise, sei es durch Ermc-glichung, die
Handschriften zu beniitzen, sowie durch Ubersendung solcher, uns
giitigst unterstutzten, den verbindlichsten Dank auszusprechen ; so be-
sonders den H. H. Prof. D r A. Biichi, der auch die Giite hatte, die
zweite Korrektur mitzulesen, Prof. Dr G. Decurtins und Prof.
D r G. Schniirer an der Universitat Freiburg i. Ue., sowie den titl. Vor-
standen vom Universitatsarchiv Basel, H. Oberbibliothekar Dr. C. Ch.
UM.'Ef5(TV0r CAUrCfNI'
10 Einleitung und Verzeichnis der Schriften H. Gundelfingens.
Gundelfingens "Werke aber sind folgende:
A. Ganz oder teilweise erhaltene:
1. (Austrian principum chronici epitome triplex.) '
1476 Juli — Dezember.
Original MS. der KK. Hofbibliothek in Wien. Cod.
merabranac. lat. N° 516 saec. XV. 4°.
Bernoulli; Stiftsarchiv in Beromiinster, H. H. Probst Estermann; Stadt-
archiv Freiburg i Pr. H Archivrat Prof. Dr P. Albert; Universitats-
archiv ebenda, H. Prof. D r H, Mayer ; Erzbischofl. Archiv ebenda,
H. H. Archivregistrator Steinbrenner; Kantons- and Universitats-Blb-
liothek Freiburg > Ue. H. Bibliothekar Nationalrat M. v. Diesbach;
K. Hofbibliothek in Hannover; K. K. Statthaltereiarchiv in Innsbruck;
Grofiherzogl. Generallandesarchiv in Karlsruhe ; Stadtarchiv Luzern,
H. Archivar Dr Weber; Bibliothek des Kapuzinerklosters in Romont,
Kt. Freiburg (Schweiz), R. P. Basile Bibliothekar; Stans, H. Staats-
archivar Dr. R. Durrer; K. K. Universitatsarchiv in Wien, Archivar
Dr Goldmann ; K. K. Hofbibliothek ebenda, Custos Prof. D* Mencik.
') Die Klammer zeigt an, dass der Titel dem betr. Werke nicht
von Gundelfingen selbst gegeben wurde. — Vielfach wurde diesem
Werke der Titel ..Historia Austriaca" gegeben, mit Unrecht, denn er
ist zu weit gefafit. Albert (\. c. S. 539) hat bereits darauf hingewiesen.
Gundelfingen selbst gab dem Werke keinen Titel. Auf Blatt 1 des
Original MS. ist von alter Hand folgender besser entsprechender Titel
eingetragen : ^Austria; principum chronici epitome triplex Henrici
Gundelfingen Constantiensis artium magistri ecclesie Friburgensis
sacellani ad Sigismundum Austrie, Stirie, Karinthie principem Triden-
tinorumque montium dominum.'' Nach diesem Titel: ..Quid hoc vo-
lumen intuerit, vide pagina 9 in operis divisione, Videtur autem scrip-
tum hoc opus a|nte?| annum 1480. D|atum] autem est Sigismundo
Austria? .... zwei Linien sind vollig ausradiert. vielleicht enthielten
sie bios den soeben erwahnten Titel Sigismunds. Diese Handschrift,
gebunden in Holzdeckel mit Pergamentuberzug ist 17X24,5 cm gross
und zahlt im ganzen 68 Blatter. Hievon sind 54 beschrieben; 1 Blatt
entfallt auf den erwahnten Titel und 53 Blatter auf die Schrift Gundel-
fingens. Ob es seine eigene ist konnen wir nicht sagen, die feinen
Korrekturen die sich darin finden diirften von seiner Hand stammen.
Den Text zieren funf hiibsche Initialen und 87 Einzelwappen, welche
alle von ein und demselben Kiinstler gemalt zu sein scheinen. Die
Wappen in den Initialen beziehen sich auf den Besitz Herzog Sigis-
munds, die iibrigen sind den sagenhaften Urfiirsten Alt-Osterreichs
beigegeben. Reiche Gold- und Silberauflage zeichnen sie aus. Auch
Albert (1. c.) nimmt an, es sei dies die Herzog Sigismund gewidmete
Ur schrift.
UM.'Ersnvof(AurcM<
Einleitung und Verzeichnis des Schriften H. Gundelfingens. 11
Kopie cbenda. Cod. chartac. lat. N° 3500 saec. XVI. 8°.
Gedruckt sind einige Bruchstiicke; die 3. Epitoma zum
grofiten Teil, in Petri Lambeci Comment, de Bibl.
Aug. Vindobonens. lib. II. Vindobonas An. 1619.
S. 83, 87, 465—509. Das bellum Burgundionum in
der 3. Epitoma ist auch gedr. von I. Blcesch im
Archiv des histor. Vereins des Kt. Bern. Bern 1880
Bd. 9. S. 192 ff.
2. Comitum Tyrolis successio.
Anhang in dem vorerwahnten MS. n° 1 ; von Gundel-
fingen aber als eigene Schrift fur sich aufgefafit.
Im Original f° 52-53.
Gedruckt in Petri Lambeci Comment. (1. c.) S. 509—511.
3. (Descriptio confcederationis Helvetica?.)
1477—1479 bezw. 1480.
Erhalten in einer
Kopie des Kapuzinerklosters in Romont, Kt. Freiburg
Schweiz. Cod. 1 chartac. 4° f° 11— 12 v . Ungedruckt.
4. (Amoenitates urbis Lucernensis, carmine descriptas)
von 1480/81.
Original verschollen; von Melchior Rufi ins Deutsche
ubersetzt und deutsch in seine Chronik aufgenommen
worden - und so erhalten geblieben.
Gedruckt in „Melchior Russen Eidgenossische Chronik,"
herausg. von Jos. Schneller, Bern 1834, S. 18 ff.
5. (Topographia urbis Bernensis.)
1486 September 20.
Erhalten in einer
Kopie im Cod. v. Romont; Vgl. oben n° 3.
Gedruckt v. Blcesch im Archiv des histor. Vereins des
Kt. Bern. Bern 1880 Bd. 9. S. 177 ff.
') Einc genaue Beschreibung dieses Buches erscheint in den
Freiburger Geschichtsblattern Kd. 17. Freiburg > Ue. 1910, unter dem
Titel: „Ein interessanter Codex des Kapuzinerklosters Romont."
-) Vgl. unten S. 55.
UM.'EISITYOrC.-UfCf-ll..'
12 Einleitung und Verzeichnis der Schriften H. Gundelfiiigens.
6. (Origo, profectus et gesta incolarum et civium
de Hash.)
Erhalten in einer
Kopie im Cod. v. Romont; Vgl. oben n° 3. — Ungedruckt. '
7. Officium de beato Nicolao super Saxo heremita
Underwaldensi Helvecio.
1487 88.
Original verschollen. Erhalten in einer beglaubigten
Kopie von 1650 kl. Folio, liegt bei den „Br. Klausen
Kanonisationsakten 1 * in der Pfarrlade Sachseln, Kt.
Obwalden.
Ungedruckt. Kleine Bruchstucke in P. A. Hugo, Nico-
lai de Rupe anachoret* vita ac res gestae. Freiburg
Schweiz 1636, S. 360, 365.
8. Historia Nicolai Underwaldensis eremitae.
1488 August 13.
Original verschollen. Erhalten in einer
Kopie vom Jahre 1591, kl. Folio, in Privatbesitz, und
ferner in der Kopie von 1650 Vgl. oben n° 7.
Ungedruckt. Kleine Bruchstucke in J. Joachim Eichorn :
..Miraculorum Helvetia? sidus, hoc est supernaturalis
ac stupenda Nicolai de Saxo, Anachoretae Under-
waldii vita, Rorschachii 1613, S. 33; in P. A. Hugo
1. c. S. 157 158, 184, 245; und J. Ming, Lebens-
geschichte des seligen Niclaus von Fliihe Bd. 3.
Luzern 1871. S. 298 300.
9. (De thermis Badensibus.)
1489.
Ein Bruchstuck ist gedruckt erhalten geblieben in • De
balneis, gedruckt Venetiis apud Juntas 1553, in dem
Abschnitt: -Conradi Gesneri excerptorum et obser-
vationum de thermis lib. f° 292 292 v .
Vermutlich als eigenes Werk anzusehen
') Die Zugehdrigkeit dieser Schrift ist noch nicht ganz sicher
UM.'Ersnvof(AurcM<
Einleitung und Vcrzcichnis der Schriften H. Gundelfingens. 13
10. (De thermis fdiversis])
sc. Pfafers, Leuk, Baden-Baden, Wildbad(en) und
Plummers.
Nur kleine Bruchstucke gedruckt erhalten in _De Bal-
neis" f° 294, 295* 96, 297, 297 v -, 298. Vgl. oben n° 9.
B. Verloren.
11. Monimenta militaria.
Vor 1476.
UM.<Ersnvof(AurcM.<
Seine Abkunft und Studien.
Heinrich Gundelfingens Abkunft scheint in einem ge-
heimnisvollen Dunkel zu liegen.
Schon auffallend ist die Verschiedenheit in der Schreib-
weise seines Namens, wie sie bereits zu Lebzeiten Gundel-
fingens auftrat. Er selbst schrieb sich in seinem, im Original
erhaltenen Werke ^Heynricus Gundelfingen de Constantia" '.
Zeitgenossische Aufzeichnungen und Kopien seiner Werke
nennen ihn aber „Henricus de Gundelfingen" '-'. Erstere
wic letztere Form ist uns mehrfach iiberliefert. Als dritte
ebenfalls aus Gundelfingens Zeit stammende Form finden wir
sodann die Bezeichnung ,Gundelfinger u :l . Zweifel an der
Identitat der Personlichkeit werden schon abgewiesen durch
das Vorkommen aller drei Namensformen in den Senats-
protokollen der Universitat Freiburg ' Br., in welchen ein
und dieselbe Person handelt.
') (1476) ..Austrie principum", — ferner (1458 Okt.) in G. Tcepke,
Die Matrikel der Universitat -Heidelberg (Heidelberg 1884) I 294. —
(1476 Dez. 11.) Senatsprotokoll der Universitat Freiburg 'Br. (Uni-
versitatsarchiv). — (1486 Sept. 20.) Topographia urbis Bernensis, Kopie.
') (1481 Mai 18.) Senatsprotokoll 1. c. — (1488 Aug. 13.) Historia
Nicolai. Kopie. — (1490 Aug. 29.) Jahrzeitbuch von Waldkirch N° 41
(Grofiherzogl. Generallandesarchiv in Karlsruhe). — (1490 Dez. 17.)
Jahrzeitbuch von Beromiinster (Propsteiarchiv Beromiinster, Kt. Luzern.)
') (1460 Okt. 8.) in H. Mayer, Die Matrikel der Universitat Frei-
burg i Br. vou 1460 1656 (Freiburg I Br. 1907) 19. (1471 Marz 7.)
ini Liber proclamationum et investiturarum der DiSzese Konstanz, im
erzbischofi. Di5zesanarcliiv Freiburg ■ Br. — (1477 Marz 8.) Senats-
protokoll. 1. c. (1490 Aug. 29.) Jahrzeitbuch von Waldkirch no 39 40.-
- Diese Listen unter Anm. 1, 2 und 3 liefien sich noch weiter tuhren"
UM.'Ef5(TV0r CAUrCfNI'
Verhaltnis H. Gundelfingens zu Propst Niklaus v. Gundelfingen. 15
Wir wahlen jene Bezeichnung, welche Gundelfingen
selbst in seinem erhaltenen Originalwerke sich gab.
Die Tatsache aber, dan Heinrich Gundelfingen neben
diesem sich auch den vollen Namen beilegte bezw. beilegen
liefi, welcher seine Zugehorigkeit zum adeligen Geschlechte
der ,von Gundelfingen" zeigt, flihrt uns zur Ansicht P.
Alberts, wonach „unser Gundelfingen ein Bastard des im
Lautertal des Amtes Miinsingen ansafiigen und 1546 ausge-
storbenen freiherrlichen Geschlechtes dieses Namens war" J .
In der Annahme P. Albert's, Heinrich mochte vielleicht
ein Sohn sein von Niklaus von Gundelfingen, dem Kon-
stanzer Generalvicar und Propst von Beromunster - werden
wir bestarkt durch folgende Anhaltspunkte :
Niklaus von Gundelfingen hielt sich grofitenteils in
Konstanz auf :( ; da£ unser Heinrich Gundelfingen diese
Stadt als Ort seiner Herkunft bezeichnet, tragt allein noch
nichts auffallendes an sich, erscheint uns aber in anderem
Lichte sobald wir in Betracht Ziehen, dass Heinrich an
beiden von ihm besuchten Universitaten von Studenten aus
Beromunster begleitet war. Geschah dies auf Fiirsorge von
Propst Niklaus ? Unter seiner Regierung trat Heinrich zum
Stifte Beromunster spater in noch engere Beziehungen, er-
hielt er ja die Anwartschaft auf ein Canonicat und ver-
schiedene Pfriinden, wie wir sehen werden.
') I. c. S. 539 Anmerkung 3.
'-') Beromunster — Miinster im Kt. Luzern; uber das Kollegiatstift
daselbst. Vgl. M. Riedweg, Geschichte des Kollegiatstiftes Beromunster
(Luzern 1881). — Niklaus von Gundelfingen war Propst dieses Stiftes
1435-1469 Riedweg, 281 ; nach Kindler von Knobloch, Oberbadisches
Geschlechterbuch I (Heidelberg 1898) S. 493 war Niklaus selbst ein
Sohn des Abtes Heinrich von St. Gallen, Freiherrn von Gundelfingen.
Die Art und Weise, wie Niklaus von Gundelfingen ..die gute
Pfarre im Argau" erhielt — offenbar ist Beromunster gemeint — lalit
ihn nicht in vorteilhaftem Lichte erscheinen. Vgl. Marmor, Zur Ge-
schichte des Bistums Konstanz, in Freiburger Diozesanarchiv (Freiburg
' Br. 1876) S. 346 47. — Propst Niklaus und unser Heinrich werden sowohl
miteiuander verwechselt als auch identifiziert.
) Er besuchte Beromunster so selten. dafi der Convent dieses
Stiftes sich beschwerte. Vgl. Riedweg, S. 281.
UM.'EISITYOrC.-UfCf-ll..'
16 Seine Abkunft und Studien.
Propst Niklaus hatte offenbar an Heinrich ein Interesse,
■was dadurch nicht unwahrscheinlich gemacht wird, wcnn
in den Stiftsakten von Beromunster von einem verwandt-
schaftlichen Verhaltnis zwischen beiden Obgenannten. auch
nirgends die Rede ist l ,
"Wir diirfen wohl mit ziemlicher Bestimmtheit annehmen,
dafi wir Heinrich als Sohn des Propstes Niklaus und als
seinen Geburtsort Konstanz anzusehen haben -.
Den Zeitpunkt seiner Geburt kennen wir nicht, eben-
sowenig seine erste Jugendzeit ; doch konnen wir annehmen,
dafi jener vor 1450 zu suchen ist, denn 1458 treffen wir
Heinrich an der Universitat Heidelberg, wo er unter dem
dritten Recto rate des Magisters Johann Trutzenbach von
Heilbronn, in der Zeit vom 11. — 30. Oktober als „Heinricus
Gundelfingen de Constancia" sich in die Universitatsmatrikel
eintragen liefi '.
Man konnte versucht sein, aus dem Datum der Matrikel
einen Schlufi auf das Alter Gundelfingens zu Ziehen. Fiir
die Aufnahme der Studenten an die Universitat war aber
damals auch in Heidelberg weder eine Altersgrenze fest-
gelegt \ noch eine gewisse Vorbildung verlangt •'; im allge-
meinen nimmt man ein Alter von 10 14 Jahren an".
Als Gundelfingens Begleiter lernen wir gegen unser
Erwarten nicht einen Konstanzer sondern Heinrich Lauffen
aus Beromttnster kennen 7 .
') Riedweg, S. 490.
'-') Wenn als andere Geburtsorte erwahnt werden; Freiburg (Leu,
Helvetisches Lexikon IX 346), ferner Luzern (O. Lorenz 1. c. I 124. —
A. Bernoulli, Die Luzerner Chronik des Melchior Rufe, (Basel 1872.) S.
94) so beruht dies auf Irrtum; eine andere Bezeichnung der Herkunft
Heinrich Gundelfingens als ..de Constantia" laftt sich keine nachweisen
aus seiner Zeit.
: > Tcepke, I 294. ' "
') Ebenda Einleitung S. XLIX.
) Ebenda S. XUI.
fi ) Mayer, Einleitung S. LXXXVII.
") Tcepke, I 294, Ein Konstanzer Student Diethelm Tyler
mochte sich vielleicht noch in Heidelberg befinden; 1454 hatte er sich
UM.'Ersnvof(AurcM<
H. Gundelfingen in Heidelberg 17
Von Studenten aus Beromiinster, ja von den Schweizern
uberhaupt wurde die Heidelberger Universitat vor Grtin-
dung einer solchen in Freiburg 'Br. und in Basel mit Vor-
liebe bezogen.
Beromiinster bcsafi geradezu eine Tradition, seit der
bertihmte Buchdrucker Helias Helie, Chorherr von Bero-
miinster an der Heidelberger Universitat sich aufgehalten
hatte '.
Als nun Gundelfingen mit seinem Gefahrten diese
Hochschule bezog, traf auch er dort Schweizer an ;
so die Briider Friedrich - und Burkard :! von Liitishoven,
zu welchen er hernach in Beziehung kam. Als Studienge-
nosse verdient aber besonders Thuring Fricker erwahnt zu
werden, der spatere Stadt- und Geschichtschreiber Berns,
der von 1456 1460 in Heidelberg den Studien oblag '.
In ihrem Kreise befand sich auch Wilh elm Dorflinger, der
Schwestersohn des obgenannten Helias Helie, dem er hernach
in der neuen Kunst des Blicherdruckens behulflich war '.
in die Matrikel einschreiben lassen. (Tcepke, I 278) Gundelfingen folgten
1459 am 2. Juli Markus Wecher (Swecher) am 18. Dezember Jakob und
Jeorius Richlin fratres. (Tcepke, I 299,300) Georg Richli war auch mit
Albrecht von Bonstetten befreundet und stand mit ihm im Brief-
wechsel. Vgl. Albert Biichi, Albrecht von Bonstetten, Briefe und aus-
gewahlte Schriften, in Quellen zur Schweizer Geschichte XIII. (Basel
1893) no 13 und 14. S. 24 ff. - Vielleicht vermittelte Richli Gundel-
fingen die Bekanntschaft mit Bonstetten!
') Inscribiert 1422 23 als: ..Helias (Helye) de Thuerego, canonicus
Beronensis, Constanc. dioc. d[edi|t, er wurde Baccalaureus artium 1425
im Januar; Tcepke, I 158. — Vgl. auch Riedweg, S. 482.
'-') Inscribiert 1449 Marz oder bald nachher ; Baccalaureus artium
1451 Januar 23., Tcepke, I 259., Magister artium 1454 Marz 8., Tcepke, II
392 393. — Vgl. auch Riedweg, S. 417. 490.
') Inscribiert 1450 Januar oder bald nachher ; Tcepke, I 263. —
Vgl. Riedweg, S. 415. 417.
4 ) Inscribiert 1456 als „Theringus Fricker de Bruek, cler. Con-
stanciensis die XIIII. Aprilis". Baccalaureus artium via moderna 1458
Januar 16. Tcepke, I 285., Magister artium 1460 Februar 27., Tcepke,
II 398. — Vgl. G. v. Wyfi, 131 ff. - O. Lorenz, I 129.
•'') Inscribiert 1457: _ Johannes D6rflinger de Verona [Berona]
XXI Aug.' - Tcepke, I 289. - Vgl. Riedweg, S. 483. 549.
2
/
UM.'Eisnvorc.-Liicf-ji..'
18 Seine Abkunft und Studien.
Nicht auf einen bloften Zufall mSchten wir es zuriick-
ftihren, dafi wahrend Gundelfingens Anwesenheit in Heidel-
berg daselbst noch mehrere Schweizer aus jenen Gegenden
eintrafen, in welchen der oben erwahnte Probst Niklaus
Macht und Einflufi besaE : so Conrad Luthard aus Brem-
garten, der spater Chorherr in Beromiinster wurde i ; Ulrich
Mentellar aus Beromiinster selbst, der ebenfalls hier ein
Canonicat erhielt - ; ferner Heinrich Scherer aus Sempach '•
und der Cleriker Johann Scherlebach aus Sursee 4 .
Gundelfingen kam in dieser "Weise bereits mit jenen
Leuten in Beriihrung, denen er spater am gleichen Stifte
ein Amtsgefahrte wurde.
Gemafi dem Brauche der damaligen Zeit wird Gundel-
fingen in Heidelberg zuerst der Artistenfakultat beigetreten
sein, zumal er spater den Titel Magister artium fiihrte.
Grofien Einflufe mag auch auf ihn der Umstand ausgeubt
haben, dafi er gerade in jenen Jahren seine Studienlauf-
bahn begann, in welchen die ersten Schritte zur Umge-
staltung insbesondere der Artistenfakultat getan wurden.
Es war die Zeit des einkehrenden Humanismus in
deutschen Landen ; Heidelberg war neben Erfurt "' die
Statte, von der aus ein frisches Leben den deutschen Geist
aufweckte. Noch regierte die alte scholastische Schule, aber
deren Kraft war nur mehr eine geteilte, seit im eigenen
Reiche Thomisten und Scotisten, diese beiden grofien
Parteien um die Oberherrschaft stritten.
Inzwischen hatte der Humanismus in Italien sich zu
voller Blute entfaltet und pochte nun auch an deutschen
Toren an.
') Inscribiert 1459 Marz 11., Baccalaureus artium via moderna
1461 Januar 19. Tcepke, I 296. — Vgl. Riedweg, S. 416. 492.
*) Inscribiert 1459 April 26. - Tcepke, I 297. - Vgl. Riedweg, S.
416. 492.
') Inscribiert als ..Heinricus seratoris" 1459 April 26. - Tcepke,
I 297. — Ein Johann Scherer war Chorherr in Beromiinster, Vgl.
Riedweg, S. 417.
4 ) Inscribiert 1459 Oktober 23. Tcepke, I 230.
'') Vgl. F. W. Kampschulte, Die Universitat Erfurt in ihrem Ver-
haltnisse zu dem Humanismus und der Reformation. Trier, 1858 60.
UM.'Ersnvof(AurcM<
H. Gundelfingen in Heidelberg 19
Es war Peter Luder, der ihm zuerst und zwar in Hei-
delberg Einlafi verschaffte '. Zwar vermochte er nicht so
recht in das neue Studium einzufiihren ; der „lockere
Vogel" king zu sehr am AuSerlichen, ohne in den tieferen
Sinn und Geist der Classiker einzudringen. Hierin war
Gundelfingen wohl sein ziemlich getreuer Schuler. Vielleicht
wurde er bereits durch Peter Luder mit dem einen oder
anderen Werke von Ovid, Virgil, Horaz und Cicero, Salust,
Plinius und Plutarch, Justinian, Persius, Aeneas Sylvius
und anderen mehr, bekannt gemacht, auf welche VerfaSer
sich Gundelfingen in seiner spateren schriftstellerischen
Tatigkeit beruft.
Wie jeder in Heidelberg Immatrikulierte, so war auch
Gundelfingen durch die Universitatsstatuten gehalten, der
bevorzugten Stellung eines akademischen Burgers sich
wiirdig zu erweisen durch eifriges Studium und Besuch
der Vorlesungen -.
Eine genauere Bestimmung der Artistenfakultat vom
9. April 1458 traf auch Gundelfingen, wonach die Horer
der Lectionen ebenfalls an den Ubungen iiber jenes Buch
teilzunehmen hatten, iiber welches gelesen wurde :t .
Etwas lebendige Leute scheint das Wintersemester von
1458 59 zusammengefuhrt zu haben, in deren Gesellschaft
Gundelfingen sich befand, errachtete die Artistenfakultat
sogar fur notig, das Larmen wahrend den Lectionen, Exer-
zitien und Disputationen zu verbieten ; das Zuspatkommen
in die Vorlesungen scheint bereits damals in Obung gewesen
zu sein 4 .
Nicht lange konnte Gundelfingen ruhigem Studium ob-
liegen, denn die gefxirchtete Pest, welche die deutschen
Gaue heimsuchte, hielt im Winter 1459 60 auch in Heidel-
berg Einkehr.
') Vgl. Allgemeine deutsche Biographie Bd. 19. S. 376 77.
! ) Tcepke, I Einleitung S. XIX.
') E. Winkelmann, Urkundenbuch der Universitat Heidelberg.
II. (Heidelberg 1886) S. 45 no 117.
*) Ebenda n° 398 vom 4. Nov. 1458.
UM.'EISITYOrC.-UfCf-ll..'
20 Seine Abkunft unci Studien.
Die Universitat sah hiedurch sich veranlafit, durch Be-
schlufi vom 2, Januar 1460 sowohl den Magistern wie auch
den Schtilern zu erlauben, von Heidelberg fortzuziehen l .
Schon anfangs Dezember hatte die Flucht vor der Pest
aus Heidelberg begonnen - ; unter den Fliichtlingen haben
wir wahrscheinlich auch Gundelfingen zu suchen.
Von seinen Gefahrten befinden sich zwar Thiiring
Fricker am 27. Februar 1460 noch in Heidelberg \ und
jener Heinrich Lauffen, der mit Gundelfingen sich immatri-
kulieren liefi, erlangte am 12. Juli desselben Jahres den
Grad eines Baccalaureus artium ', Wenn Gundelfingen
wegen der Pest vor diesem letzteren Zeitpunkte weggezogen
ist, so ist dies wohl der Grund, warum nicht auch er gleich
Heinrich Lauffen es zur Wiirde eines Baccalaureus brachte \
In dem gleichen Jahre 1460 erhielt Gundelfingen die
Anwartschaft auf ein Canon icat in Beromiinster, also noch
unter dem schon erwahnten Propst Niklaus von Gundel-
fingen ,: . Fliichtete sich Heinrich Gundelfingen von Heidel-
berg vielleicht nach Beromiinster, bis er die in Heidelberg
unterbrochenen Studien an der Universitat Freiburg 'Br.
wieder aufnahm ?
Diese im Jahre 1457 von Herzog Albrecht von Oester-
reich gegriindete Hochschule wurde 1460 eroffnet ; am 27.
April begann unter dem ersten Rector Mathaeus Hummel
die Aufnahme der Studenten '.
') Ebenda n° 400.
■) Tcepke, I Einleitung S. XLI.
:e ) Tcepke, I S. 398.
4 ) Via moderna. Tcepke, I 294.
') Die Baccalaureatslisten der Artistenfakultat sind sorgfaltig ge-
flihrt, Tcepke, I Einleitung S. XI. Gundelfingens Name fehlt somit nicht
etwa aus Versehen.
,! ) Kiichler A., Chronik von Sarnen (Sarnen 1895) S. 7. — Ried-
weg S 490. — Wenn Gundelfingen als Chorherr von Bern bezeichnet
wird {Albert, S. 538 ; Meyer, S. 9 10 Anmerkung, und mehrere altere Werke)
so beruht dies lediglich auf einer Verwechslung des Namens ..Berona"
=^ Beromiinster, mit ..Berna" —■ Bern.
T ) Zu Meyer, Vgl. auch Baumgarten, Freiburg > Br. (Die deutschen
UM.'Ef5(TV0r CAUrCfNI'
H. Gundelfingen in Freiburg • Br. 21
Heinrich Gundelfingen gehorte zu den ersten Hdrern
der neuen Hochschule ; er liefi sich daselbst als 127. am
8. Oktober gleichen Jahres in die Matrikel der Universitat
einschreiben. Hier lautet die Eintragung : -Henricus Gundel-
finger Constanc. dioc. eodem die 1 * '.
An demselben Tage liefi sich namlich als 126. offenbar
als Gefahrte Gundelfingens jener Burkard von Lutishofen
eintragen, dem v/ir bereits in Heidelberg begegnet sind '.
In Freiburg trafen sie bereits einen stattlichen Be-
kanntenkreis an, denn eine ansehnliche Zahl Lehrer und
Studenten war bereits aus Heidelberg dahin iibergesiedelt.
So kamen sie in Freiburg wieder zusammen mit Conrad
Stiirzel von Kinzingen einem hervorragenden und besonders
am cesterreichischen Hofe geschatzten Gelehrten, der schon
in Heidelberg Magister artium war und nun in Freiburg
einer der ersten Ordinarii der Artistenfakultat wurde :1 . In
Johannes Pfeffer von Widenberg, dem tiichtigen Theologen
und ersten Ordinarius begegnete ihnen ebenfalls ein alter
Heidelberger '.
Auch an der jungen Universitat Freiburg hatte Gundel-
Hochschulen, illustrierte Monographien, herausg. von Theod. Koppstein
I. Bd.) Berlin 1907.
') Meyer, S. 9.
'-') Ebenda : ..Burkardus de Lueteshofen pbr. Const, canonicus
Beronens. octava die Octobris." Dieser Eintrag zeigt auch im Vergleich
mit demjenigen Gundelfingens, dan Gundelfingen 1460 bios die An-
v/artschaft auf ein Canonicat in Beromiinster erhalten hat, niclit aber
schon ein Canonicat selbst, wie man nach Riedweg S. 490 annehmen
konnte, denn Gundelfingen wurde alsdann sogut wie Burkard auch den
Titel Canonicus iiihren. — Burkard.ist in der Zwischenzcit nun Priesterge-
worden ; er hatte sich eine Zeitlang in Wien aufgehalten und scheint
ein lockeres Leben gefuhrt zu haben (JRiedweg S. 447.). Eigentumlicher
Weise lafit er auch an der soeben eroffneten Universitat Basel im
Wintersemester 1460 61 sich in die Rektoratsmatrikel eintragen als :
.Burkhardus de Lutishoven canonicus beronensis". Gundelfingens Name
findet sich in der Basler Matrikel nicht.
*) Mayer, S. 4, an 8. Stelle ; weitere biogr. Angaben sowie Literatur
ebenda Anm. 8.
J ) Mayer, S. 3, an 1. Stelle, Vgl. ebenda Anm. 1.
UM.'Ersnvof(AurcM<
22 Seine Abkunft und Studien.
fingen reichlich Gelegenheit, mit tiichtigen Lehrern Umgang
zu pflegen. Neben dem als ersten Rector bereits erwahnten
Mathaeus Hummel, der beriihmt war als D r juris canon,
et medicinae und sowohl am Hofe Friedrichs III wie bei
Erzherzog Ferdinand von Oesterreich in hohem Amt und
Ansehen stand, fand er an der Artistenfakultat als deren
ersten Dekan den Magister Kilian Wolf von Haslach, seinen
direkten Vorgesetzten und Lehrer, wie wir wohl annehmen
durfen '. Dieselbe Fakultat besafi damals in den Magistri
Johann Molfeld von Meiningen und Conrad Arnold von
.Schorndorf sowie Johann Kerer von Wertheim - weitere her-
vorragende Gelehrte ''.
Auch Magister Johann Knapp von Reutlingen und
Ulrich Rotpletz, D r jur. can., diese beiden Zierden der
Universitat, werden Gundelfingen nicht unbekannt geblieben
sein 4 .
Reiche Anregung mochte er ebenfalls empfangen im
Verkehr mit Studienkameraden ; er traf unter diesen nicht
wenige, die spater zu gewaltigem Ansehen und grofiem
Ruhme gelangten, so Johannes Geiler von Kaisersperg, dem
wir hernach begegnen werden.
Im Jahre 1461 traf Gundelfingen in Freiburg wieder
mit Thuring Fricker zusammen, der nun als Magister sich
daselbst immatrikulieren liefi ■"', aber noch im gleichen Jahre
an die Universitat Basel zog '\ Zwei Jahre hernach trat
Johann Molitor aus Rastetten in den Freiburger Studenten-
') Er hielt Vorlesungen uber die Logik, die _vetus ars" —
Schreiber H., Geschichte der Albert-Ludwigs Universitat zu Freiburg
i Br. (Freiburg 1887) S. 49. -- Mayer, 3, 3 u. Anna.
') Nachmals Weihbischof v. Augsburg.
') Schreiber, 1. c. - Mayer, S. 3, 5 und 3, 6. und Anmerkungen
daselbst.
') Mayer, S. 5, 37 und 11, 151. und Anmerkungen.
') -Mgr. Turingus Fricker de Brugg Const, dioc. XVIII Januarii".
- Mayer, S. 12, 182 und Anm.
") Basel Rektoratsmatrikel 1. c. Liefi Thuring Fricker sich viel-
leicht auch zu gleicherzeit an zwei Universitaten einschreiben wie
Burkard von Liitishofen ?
Original from
UMVEISnYOFCAUFCfiMn
H. Gundelfingen in Freiburg i Br. 23
kreis ] und 1464 auch Jakob Wimpheling "-', zwei junge
Kraft e im Dienste des Humanismus, die spater Gundelfingen
weit iiberflugelten.
Nicht so leicht, wie wir die Gesellschaft, in der Gun-
delfingen sich befand, kennen lernen, konnen wir erfahren,
welchen Studien er oblag.
So viel ist sicher, dass auch er bei der Immatrikulation
die hieran geknupfte Verpflichtung ubernehmen mufite,
mindestens ein „Quindenium' - zu horen, wenigstens 15 Kol-
legstunden zu besuchen :i .
In der Lehrweise behielten bis 1484 die Nominalisten
(Thomisten) die Oberhand ; schon bald nach Eroffnung der
Universitat hatten zwar auch die Realisten (Scotisten) sich
Eingang zu verschaffen gewufit, wurden aber aufs heftigste
von ersteren bekampft '.
Gundelfingen hatte also Gelegenheit, beide Richtungen
kennen zu lernen.
Lehrgegenstand der Artistenfakultat waren die sechs
logischen Schriften des Aristoteles, die bekannt sind unter
der Bezeichnung „Organon" ■'.
Dafi Gundelfingen der Artistenfakultat angehorte, geht
hervor aus detn Protokoll dieser Fakultat vom 29. Dezember
1465, nach welchem er auch den Vornamen Johannes
fiihrte, und inzwischen Baccalaureus artium geworden war,
nun aber vom Magisterium zuriickgewiesen wurde „praecipue
propter deformitatem morum'" ".
Man mochte hier vielleicht versucht sein, in diesem
Johann Heinrich Gundelfingen eine von unserem Gundel-
') 8. Okt. - Mayer, S. 25, 58 und Anm.
-') 31. Oktobcr. — Mayer, S. 29, 1 und Anm.
') Mayer, Einleitung S. XXVII.
J ) Koenig, Znr Geschichte der Universitat Freiburg im 15., 16
und 19. Jahrh., im Freiburger Didzesanarchiv Bd. 22. (Freiburg 'Br
1892) S. 330 u. Anm. 1. — In Basel herrschten ebensolche Zankereien
wie in Freiburg. Vgl. Vischer, Geschichte der Universitat Basel (Basel
1860) S. 138 ff.
') Ebenda S. 328. — Vgl. auch Schreiber, S. 45 ff.
') Mayer, S. 9. Anm. 127.
UM.'EISITYOrC.-UfCf-ll..'
24 Seine Abkunft und Studien.
fingen verschiedene Personlichkeit zu vermuten, ist dies ja
das einzige uns bekannte Vorkommen eines zweiten Vor-
namens bei dem von uns behandelten Gundelfingen.
Nach den Freiburger Universitatsstatuten wurde nun
aber besonders strenge darauf geachtet, da£ vor der Er-
langung eines akaderaischen Grades der zu Promovierende
seinen Namen in der Universitatsmatrikel nachweisen
konnte '.
Einen zweiten Gundelfingen suchen wir in der Univer-
sitatsmatrikel vergebens, es bleibt uns nur iibrig die Iden-
titat mit unserem Heinrich Gundelfingen anzunehmen.
Ein eigentumliches Licht wirft auf diesen die Begrun-
dung, weshalb er nicht zur Erlangung des Magistergrades
zugelassen wurde. Wenn Gundelfingen nicht einen in jeder
Beziehung einwandfreien Lebenswandel gefuhrt hat, so mag
da vielleicht ein Grofiteil ^Erbgut" mit in die Wagschale
fallen, zudem hatte er bereits in Heidelberg an seinem
Lehrer Peter Luder ein Vorbild und an Burkard von Liitis-
hofen einen Studiengenossen, welche beide im Humanismus
den Verkiinder eines ungebundenen Lebens begrufiten.
Ob Gundelfingen den Grad eines Magister artium
schliefilich doch in Freiburg erlangte, ist uns nicht bekannt '-' ;
unmoglich ware es nicht, wenn die deformitas morum viel-
leicht bios als temporares HinderniS aufgefafit werden
darf. Sicher ist aus seiner eigenen und der Zeitgenossen
Bezeichnung, dafi er diese Magisterwurde erlangte.
Verweilte er in Freiburg auch nach 1465, dann wurde
er auch ein Studienkamerad Albrechts von Bonstetten, dem
nachmaligen Dekan des allbekannten Benediktinerstiftes
Einsiedeln, der spater in humanistischer Tatigkeit gleiche
Wege wie Gundelfingen wandelte — worauf wir unten noch
zu sprechen kommen aber dank weitreichenster Bezie-
') Mayer, Einleitung S. XXIX.
"') Wir haben alle gedruckten Matrikeln unisons t daraufhin abge-
sucht und auch die leider noch ungedr. Wiener Universitatsmatrikel
ergab hiefiir keineu Aufschlu§. Andere Glieder des Geschlechtes der
„von Gundelfingen" kommen wohl haufig vor.
UM.'Ef5(TV0r CAUrCfNI'
H. Gundelfingen studicrt Theologie 25
hungen zu fiirstlichen Hofen und angesehenen Zeitgenossen
einen weit grofieren Ruhm einheimste '. Eigenttimlicher
"Weise finden sich in Bonstettens Brief wechsel wider Er-
warten nicht die geringsten Anhaltspunkte iiber direkte
Beziehungen zwischen Bonstetten und Gundelfingen '-' ; aber
Rickli und Fricker diirften vielleicht die Briicke zwischen
den beiden bilden.
Es mangeln ferner jegliche Spuren von dauernderen
Beziehungen Gundelfingens mit den bereits oben erwahnten
Gelehrten und Studenten wie auch mit den neu an die
Freiburger Universitat kommenden Johann Fuchsmag von
Hall, dem Philologen und Historiker ', sowie Johann Reuchlin
von Pforzheim, dem spater so bedeutenden und gefeierten
Humanisten 4 .
Gundelfingen erscheint etwas vereinsamt, vielleicht zu-
riickgesetzt, aber warum ? Aus seinen spateren Werken
gellt es uns wie ein Klageruf entgegen, wenn er die Feder
ergreift und in Armut einen Gonner sucht, der seiner ge-
denkt. ''
In den Jahren vor 1470 verlegte er sich auch auf das
Studium der Theologie, wahrscheinlich nachdem er Magister
artium geworden war. Genaueres wissen wir weder hier-
uber noch wo er Theologie studiert und wann er Weihen
erhalten habe ; umso willkommener sind uns die wenigen
sicheren Nachrichten, welche ihn bereits als Inhaber von
kleinen Pfrunden zeigen.
Geweiht worden durfte er wohl sein noch zu Lebzeiten
des Generalvikars von Konstanz, der kein anderer war als
eben der schon genannte Niklaus von Gundelfingen, Propst
von Beromunster. Noch imTodesjahre dieses Propstes (1469),
wohl auf dessen Verwenden hin, erhielt Heinrich Gundel-
') Vgl. A. Biichi, Albrecht von Bonstetten (Frauenfeld 1889)
- Mayer, 36,2.
') A. Biichi, Briefe 1. c.
') 1469 Okt. 25. — Mayer, S. 44, 32 und Anm. 32.
4 ) 1470 Mai 19. - Mayer, S. 46, 6 und Anm. 6.
*') Topographia urbis Bernensis. — Historia Nicolai.
UM.'Ersnvof(AurcM<
26 Seine Abkunft und Studien.
fingen ein Lehen, die ^Giegenegg" auch 9 Kirchbfiel" ge-
nannt, damals zugehorend zur Kirche in Schwarzenbach
(Kt. Luzern) '.
Dazu besafi er bis 1471 auch das Rektorat der Pfarr-
kirche in Oberkirch (Kt. Luzern) ; am 23. Februar d. J. leistete
er aber freiwillig Verzicht auf diese Stelle '-'.
Der Umstand, dafi er auf diese Stelle freiwillig resig-
nierte, legt uns nahe, er habe das Oberkircher Rektorat
nicht bios inne gehabt und den Nutzen daraus gezogen
') Hieher gehort auch die folg. urkundl. Notiz: -Item 10 s. |an
eine Jahrzeit| dat Heinricus Hagen alias Bind von uf und ab der leen-
schaft cuinsdam boni dicti Giegenegg pertinantis ad feudum magistri.
Heinrici de Gundelfingen [auf dem Blattrande: -nunc magistri Petri
Kiindig" | cum orto et pratello juxta domum Thiiringi Scherers et certis
pertinentiis, utvidetur in littera emptionis inde confecta." -- Estermann
M., Zur Bruderklausengeschichte aus dem Archive Beromunster, in
Kathol. Schweizerblatter Bd. 7. (Luzern 1891) S. 261,262. auf Grund
des Urbars bezw. Jahrzeitbuches von Schwarzenbach. Dieses soeben
genannie Feudum war frei geworden durch den Tod des Chorherren
Mathias Kupfernagel 1469. — Die Kollatur besafsen Propst und Kapitel
von Beromunster (Riedweg S. 222). Gundelfingen besafj lediglich dieses
Feudum, nicht aber auch das Rektorat von Schwarzenbach. — Vgl.
Schneller, Die Kirche zu Schwarzenbach Kt. Luzern (Jahrzeitbucher
des Mittelalters) in Geschichtsfreund Bd. 3 (Einsiedeln 1848) S. 195. -
Nuscheler A., Die Gotteshauser der Schweiz, fortgesetzt von Konrad
Liitolf, in Geschichtsfreund Bd. 57 (Stans 1902) S. 110.
'"') ..die 23. Februarii 1471 magister Hainricus Gundel finger rector
ecclesie parrochialis in Oberkilch eandem suam ecclesiam libere resi-
gnavit". — Reg. proclamationum et investiturarum de annis 1469—1474
f° 84. (entnommen aus dem noch unveroffentlichten Teil des M. S.
zum Urkundenbuch des Stiftes Beromunster. St A. Luzern). — Gundel-
fingen erhielt am 5. April d. J. zum Nachfolger den Vikar Conrad
Hiltprant. - Ebenda f 86 v ..die 5. Aprilis e. a. data est proclamatio
Conrado Hiltprant presbitero Augustensis diocesis ad vicariam per-
petuam ecclesie parrochialis in Oberkilch vacantem per liberam resi-
gnationem magistri Hainrici Gundelfinger et per venerabilem dominum
Nicolaum abbatem monasterii S. Urban i in Nigra Silva (!) ord. Cister-
cien. literatorie presentato". Das Pra;sentationsrecht auf Oberkirch
hatte der Abt von St. Urhan, (Kt. Luzern), inne. — Vgl. Nuscheler, in
Geschichtsfreund Bd. 60 S. 187. - - Die Ausfuhrungen iiber die Pfarrei
Oberkirch von J. Bolsterli in Geschichtsfreund Bd. 22 S. 62 ff. sind
lilckenhaft.
UM.'EISITYOrCALlfCf-ll..'
H. G. wird Kaplan am Miinster zu Freiburg > Br. 27
sondern vielleicht auch selbst besorgt; damit wiirde aller-
dings die ohne jegliche Begriindung aufgestellte Ansicht,
Gundelfingen sei vor 1471 in Konstanz tatig gewesen, dahin
fallen '.
Gewifi legte er nicht ohne Grund sein Rektoratsanit
nieder ; zweifelsohne handelte er bereits in Hinblick auf
seine baldige Anstellung als Lehrer an der Universitat in
Freiburg.
Im Jahre 1469 war namlich an der Artistenfakultat
daselbst eine Stelle frei geworden, welche der bereits er-
wahnte Magister und Doktor Conrad Sturzel 5 Jahre hin-
durch inne gehabt hatte, der nun aber an die juristische
Fakultat ubertrat -'.
Wahrschcinlich hatte sich Gundelfingen urn den ledigen
Lehrstuhl beworben.
Hi emit in Zusammenhang steht jedenfalls auch Gundel-
fingens Ernennung zum Kaplan der ..Alt-Aetscherin Pfriinde u
am St. Johannes Baptisten Altar im Miinster zu Freiburg,
als welcher er am 7. Marz des Jahres 1471, also wenige
Tage nach dem Wegzug von Oberkirch erscheint f .
') Joachimsohu, Der Fruhhumanismus in Schwaben, in Wurtem-
berg. Vierteljahrhefte 5, (1896) S. 72 und hieraus Mayer S. 10. Anm.
Die Annahme Riedwegs (S. 490) Gundelfingen sei von 1461 71 Lehrer
der Rhetorik in Freiburg gewesen, beruht auf einer Verwechslung
mit dessen Tatigkeit von 1471—81.
I Hammer, H., Literarische Beziehungen und musikalischesLeben
des Hofes Herzog Siegmunds von Tirol, in Zeitschr. des Ferdinandeums,
III. F., 43. H. (Innsbruck 1899), S. 84.
') -die 7° (Marcii) date sunt absentie (?) magistro Hainrico Cundel-
finger capellano altaris S. Johannis Baptiste in ecclesia B. Marie Vir-
ginis usque apparitionem Michaelis archangeli". — Liber procl. et
investit. vom Jahre 1471 der DiOz. Konstanz im erbischofl. Archiv zu
Freiburg > Br.
Hienach scheint Gundelfingen einen Urlaub bis 8. Mai 1471 er-
halten zu lmben. Gundelfingen wird als Inhaber der Alt-Aetscherin
Pfriinde auch bestatigt durch eine Notiz iin liber beneficiorum in ec-
clesia parrochiali B. V. Maria? Friburgensis f° 20 v , im St. A. Freiburg
i,Br. — Vgl. Albert, 1. c. S. 538 Anm. 4. — Uber die Alt-Aetscherin
Pfriinde. Vgl. Zell, Fr., Beitrage zur Geschichte der Miinsterpfarrei in
UM.'Ersnvof(AurcM<
28 Seine Abkunft und seine Studien.
In den bisherigen Ausfuhrungen haben wir versucht
den Spuren Heinrich Gundelfingens nachzugehen und seine
Wege aufzudecken. Sparlich genug fliessen die Quellen, so
blieb nichts anderes iibrig als der Versuch, das Wenige
desto besser auszuniitzen. Etwas genaueren Aufschlufi er-
halten wir uber seine spatere Wirksamkeit.
Freiburg, in Freiburger Diozesanarchiv Bd. 22 (Freiburg 1892) S. 267.
— Ders. in Di&z. Arch. Bd. 16 (Freiburg 1883) S. 254, iiber dieselbe
Pfarrei handelnd, teilt init, daf$ am 23. Febr. 1442 der Generalvikar des
Bischofs Heinrich IV von Konstanz : Propst Niklaus von Gundelfingen
-anf die Bitte des Heinrich Vogt, Kaplan des Altars des HI. Johannes
Baptist im Minister, wegen geringfugigen Einkoinmens seiner Pfriinde
(18 9 Pfennige jahrlich) mit dieser eine andere Pfrunde desselben Al-
tares (7 9 Pfennige jahrlich) vereinigte".
Reicht Gundelfingens Anstellung als Kaplan des obgenannten
Altares vielleicht noch in die Zeit des Generalvikars und Propstes
Niklaus von Gundelfingen zuriick ?
Die Behauptung, Gundelfingen sei Kaplan in Freiburg in der
Schweiz gewesen, -welche von Petras Lambecius, Commentariorum
de Augustissima Bibliotheca Cajsarea Vindobonensi lib. II S. 466
zuerst und unbegriindeter Weise aufgestellt wurde, und in einer Reihe
von Werken bis auf Ottok. Lorenz, 1. c.S. 266 sich wiederfindet. beruht
auf Verwechslung. Wieso Potthast A., Bibliotheca histories inedii
xvi I (Berlin 1896) S. 564 zu der Bezeichnung konimen konnte
„Gundelfing, Henric, Frisingensis Helvetia capellanus", ist uns unbe-
greiflich.
UM.'ErSnVOK.-llfCf-JI..'
Seine Tjitigkeit als Lehrer und Schriftsteller
an der Universitat Freiburg i Br.
1471 1488.
Wean Gundelfingen vielleicht schon vor 1471 oder spates-
tens in diesem Friihjahre als Lehrer an die Universitat
Freiburg zu kommen trachtete, so gelangte sein Gesuch
doch erst im Winter dieses Jahres vor das Plenum der
Universitatsprofessoren zur Besprechung.
Am 31. Oktober 1471 wurde der aus Wien herberufene
Magister D r Johann Mosch von Altheim, ein tuchtiger Theo-
loge zum Rektor der Universitat gewahlt 1 . Eines der ersten
Geschafte seines Rektorates war die Aufnahme Gundel-
fingens in den Lehrkorper derselben.
Am 5. November namlich war schon wieder eine Uni-
versity tsversammlung; diese beschlofi hinsichtlich des aufzu-
nehmenden *Poeta" in vorsichtiger Weise, man moge diesen
zuerst fragen, ein wie hohes -Stipendium" er verlange.
Gundelfingen weilte offenbar in der Nahe des Ver-
sammlungslokales ; in seiner Antwort gab er kund, er wolle
taglich einmal lesen, die Ferien ausgenommen', und wiinsche
dafur eine Entschadigung von 24 Rhein. Gulden. Der Ver-
sammlung gefiel dieser Antrag und es wurde beschlossen,
durch Abgcordnete der Universitat auch der Burgerschaft
Freiburgs tiber die Anstellung eines Poeten Mitteilung
zu machen '.
') Schreiber, 1. c. 112 ff.
') Uber die damaligen Universitatsferien. Vgl. Baumgarten, 1. c.
S. 23. — Mayer, Einleitung S. LXV.
') ..respondit, se velle quotidie semel lcgere, diebus privatis et
capere 24. flor. Rhenenos. Senatsprotocoll 1. c. 1471 Nov. 5.
UM /tr 51TY or CAUrCRMl.'
30 Seine Tatigkeit als Lehrer und Schriftsteller.
Dies geschah und am 28. November erbielt Gundel-
fingen vorlaufig auf die Dauer eines Jahres als , ; Poeta u ,
als Lehrer der Dichtkunst Anstellung. Die Entschadigung
hiefur im Betrage von 24 Gulden wurde ihm gewahrt,
dafur aber wurde er verpflichtet, seine ordentliche Vorlesung
unentgeltlich zu halten und nichts zu beziehen aufier diesem
-Stipendium" ! .
Gundelfingen eroffnete seine akademische Lehrtatigkeit
noch am gleichen Tage seiner Anstellung mit einer offent-
lichen Vorlesung.
Nach damaliger Vorschrift musste er wohl gleich den
iibrigen Lehrern den Text seines Buches langsam vorlesen, da-
mit die Studenten nachschreibenbezw. den ihrigen verbessern
konnten. n Dann unterschied und erweiterte er ihn kunst-
gerecht (artificialiter) und driickte zuletzt den Inhalt summa-
risch in Schlussform (per modum conclusionis) aus\"
Gundelfingens Lehrtatigkeit gefiel offenbar der Univer-
sitat, denn schon am 10. Januar 1472 vertraute sie ihm die
weitere Aufgabe an, er solle auch „in oratoria arte" vor-
tragen; als hiefur geeignete Stunde wurde die dritte nach
dem Mittagsmahle ihm angewiesen, Taglich solle er eine
offentliche Vorlesung halten, wenn er aber raehrere
Ubungen einfiigen wolle, so habe das privatim zu geschehen :1 .
Gauz geeignet scheint die festgesetzte Stunde aber doch
nicht gewesen zu sein, denn zur selben Zeit fanden die
ordentlichen Disputationen der Artistenfakultat statt und
diese waren nicht selten. Gundelfingen musste bei der
Gelegenheit immer seine Vorlesungen ausfallen lassen, um
selber daran teilnehmen zu konnen und auch andere nicht
zu hindern'.
Wie Gundelfingen schon als Student von Kameraden aus
Beromiinster umgeben war, so traf dies auch jetzt wieder ein.
' ) Senatsprotokoll 1471 Nov. 28. — Laut den Universitatsstatuten
mufitc namlich jeder Hdrer seinem Lehrer ein Kollegiengeld im Be-
trage von 3 Bazen entrichten. Vgl. K6nig, 1. c. S. 23.
') Schreiber, 1. c. 44. Baumgarten, 1. c. 29.
') Senatsprotocoil von 1472 Jan. 10.
') Ebenda.
UM.'EISITYOrC.-UfCf-ll..'
H. Gundelfingen gelangt in den Universitatsrat 31
Viclleicht ist es seinem Beftirworten zuzuschreiben, dass
jener Friedrich von Lutishofen, Magister in artibus und
Chorherr von Beromiinster nun im Jahre 1472 ebenfalls an
der Artistenfakultat eine Lehrstelle erhielt, war er doch ein
alter Bekannter von Heidelberg her 1 .
Mit Heinrich von Hewen trat ein weiterer Chorherr
von Beromunster in Gundelfingens Kreis, zwar nicht als
Lehrer sondern als Schuler'.
"Wenn Gundelfingen es in etwas genau nahm, so war
es sicher in der Ausbezahlung seines Gehaltes. Schon am
23. Juli 1472, also bevor ein Jahr seit seiner Anstellung
verflossen, gelangte er bereits mit emer Reklamation an die
Universitat, welche ihm das zugesagte Stipendium voll zu
entrichten versprach und beifiigte, es werde auch kein
zweiter Lehrer der Rhetorik angestellt, bevor die Univer-
sitat besser bei Kasse sei :i .
Gundelfingen war somit wenigstens eine zeitlang vor
Konkurrenz gesichert.
Zum erstenmal gelangte er zu einer Wurde im akade-
mischen Senate im Sommer-Semester 1473. Am 30. April
fanden die "Wahlen statt; der bekannte Jurist Ulrich Rot-
pletz wurde Rektor und Gundelfingen sein zweiter Assessor 4 .
Es wurden namlich dem akademischen Senate je zwei
„Conciliarii., und -Assessores* 4 beigegeben; erstere vor-
nehmlich zur Unterstutzung des Rektors, letztere wurden
zwar vom Rektor beigezogen in polizeilichen und justiz-
amtlichen Geschaften, dienten aber doch zunachst dem
Dekan der Artistenfakultat, welche die grosste aller Fakul-
taten war'.
') Er lie£ sich in die Matrikel der Universitat eintragen am
29. Mai 1472. — Mayer, 1. c. 52,5. - Im Winter-Semester 1472 73 wurde
er bereits zum Assessor des Senatskollegiums gewahlt. — Senats-
protocoll 1472 Oktober 31.
') Mayer, 1. c. 52,6.
') Senatsprotokoll 1472 Juli 23.
4 ) Ebenda v. 1473 April 30.
r ') Schreiber, 1. c. 29. — Baumgarten, 1. c. 25. — Dekan der Ar-
tistenfakultat war in diesem Jahre Magister Johann Zurzach.
UM.'Ersnvof(AurcM<
32 Seine Tatigkeit als Lehrer und Schriftsteller.
Das Amt ernes ^Assessors" war fur Gundelfingen die
Stufe, um schon im Herbst desselben Jahres 1473 zu
der ungleich ehrenvolleren Stellung eines Dekans der Ar-
tistenfakultat zu gelangen 1 .
Als solcher, mit einem Rate von hochstens 12 Mit-
gliedern, hatte er die Aufgabe, die ihm unterstellte Fakultat
zu uberwachen, deren Geschafte zu fiihren, und seine be-
sondere Pflicht war es, die Magistri regentes seiner Fakul-
tat einzuberufen zu den Versammlungen, so z. B. am
1. September, wie alle Jahre ublich, in welcher Zusammen-
kunft die Vorlesungen und Ferieniibungen fiir das nachste
Jahr bestimmt wurderr'. Er hatte auch die* ordentlichen
Disputationen anzuordnen und zu leiten, welche jeden
Samstag im Sommer von Morgens 5 Uhr und im Winter
von 6 Uhr an gehalten wurden; er hatte ebenfalls die
Promotionen seiner Fakultat vorzunehmen '.
Gundelfingen kam in seiner Eigenschaft als Dekan noch
mehr in Beriihrung mit den verschiedenen angesehenen Ge-
lehrten der Universitat, deren Namen wir schon fruher
erwahnt haben.
Die reiche Anregung, welche dieser Verkehr mit sich
brachte, weckte in Gundelfingen den Gedanken, sich auch
selbst literarisch zu betatigen, vielleicht nicht ganz ohne
die Absicht, hiedurch seine Einkunfte zu verbessern, denn
dem einen und anderen seiner Kollegen war inzwischen
das Stipendium erhoht worden 1 .
Dem damaligen eifrigen Forderer der Universitat Frei-
burg gait auch Gundelfingens Zueignung seiner ersten Werke.
Es war Herzog Sigismund von Tyrol, welcher dieser
ruhmvollen Stiftung Albrecht VI. die 1458 bezw. 1463 unter
') Mayer, 1. c. 9, 137.
') Schreiber, 1. c. 44.
") Ebenda S. 43, 47.
') Z. B. dem Magister Sttirzel. — Vgl. Hammer Heinr., Literarische
Beziehungen und musikalisches Leben des Hofes Herzog Siegmunds
von Tirol, in Zeitsch. des Ferdinandeums fiir Tirol und Vorarlberg
3. Folge 43. Heft (Innsbruck 1899) S. 85. Anm. 1.
UM.'Ersnvof(AurcM<
Beginn der literarischen Tatigkeit H. Gundelfingens. 33
seine Obhut gekommen war 1 , seine besondere Aufmerksam-
keit schenkte, der einen ansehnlichen Kreis von Gelehrten
in seinen Dienst zog-. Als Freund und Macen der huma-
nistischen Richtung war er natiirlich auch Gegenstand hu-
manistischer Verehrung.
Gundelfingen versuchte hierin auch sein Moglichstes
als echter Sohn seiner Zeit.
Seine literarische Tatigkeit begann cr vor 1476; schon vor
diesem Jahre v/idmete er namlich dem Herzog Sigismund
eine Schrift, auf welche bis anhin niemand aufmerksam
gemacht hat.
Zwar ist diese weder im Original noch in Abschriften
uns erhalten geblieben, aber wir besitzen Kenntnis von
derselben durch einen Hinweis in Gundelfingens eigenem
Werke, seiner ^Austriae", indem er zu Herzog Sigismund
sagt: „si pectus tuum affectat ampliare principatum tuum
a Burgundionumque tyrannide terras tuas eripere : hec
Vegecii Egidii Galtherique in Alexandros „ Militaria moni-
menta", a me tue serenitati dicata, carptim seu quasdam
scintillulas excerpta omni cum studio diligentia opera vigi-
lantia perpendas u:1 .
') Baumgarten, 1. c. 13.
•) Von uns bereits erwahnte Gelchrte nebst anderen Kollegen
fanden sich am Hofe dieses Fxirsten zusammen, wie Johann Knapp,
Michel von Marpach, Mathceus Hummel, Martin Streichenbach, Jo-
hann Pfeffer von Widenberg, Conrad Arnold von Schorndorf, Hans
Costenzer, Conrad Stiirzel, u. a. m. — Vgl. Hammer, 1. c. S. 81 it.
;1 ) Original MS. f° 48 v . - Lambecius, 1. c. S. 505. — Unter Vege-
cius ist gemeint: Flavius Vegetius Rhenattts, romischer Militarschrift-
steller, urn 400 n. Chr., sein Werk handelt: de re militari. — Vgl.
Chevalier Ulysse, Repertoire des sources historiques du moyen age,
Bibliographic (Paris 1907) T. 2, 4636. — Teuffel-Schwabe, Geschichte
der rbmischen Literatur Bd. 2 s , S. 1105 ff. — Unter Egidius: Aegidius
de Columna, Romanus, ord. S. Augustini, archiepiscopus Bituricensis
(t 1316) sein Werk: de regimine principum libri 3, in lib. III. de re
militari. — Vgl. Potthast, 1. c. 1, 17. - Unter Gualtherus (nach Lam-
becius 1. c. S. 505): Philippus Gualterus Castellionis, episcopus Maga-
lonensis, qui carmine heroico libros novem de rebus gestis Alexandri
Magni composuit, quos inscripsit Alexandreida. — Es ist dies der be-
3
UM.'EisnvofG.urcrNi'
34 Seine Tatigkeit als Lehrei und Schriftsteller.
Gundelfingen schuf demnach aus oben angefuhrten
Quellen eine Zusammenstellung, vielleicht eine Unterweisung
iiber das Kriegfdhren 1 . Er verfasste dicse Schrift, wie
klar hervorgeht, in Hinblick auf den drohenden Burgunder-
krieg.
Die Vermutung aber, dafi der Abschluss der ^Ewigen
Richtung" zwischen den Eidgenossen und Herzog Sigismund
dieses erste Werk Gundelfingens mit veranlasste, diirfte
nicht unwahrscheinlich sein, da Gundelfingen auf jenes denk-
wtirdige allgemein von den Vertragschliessenden Parteien
bejubelte Ereigniss vom Jahre 1474 mit besonderer Freude
in sein em nachsten "Werke, der ^Austrise" hinweist. Dieses
Biindnis wurde am 30. Marz 1474 im Entwurfe festgesetzt
und am darauffolgenden 11. Juni besiegelt-.
Ungefahr in diese Zeit mochten wir die Ab-
fassung von Gundelfingens „Militaria monimenta'* und da-
mit den Begiun seiner .literarischen Tatigkeit setzen.
Sein erster Versuch, dem Herzog Sigismund sich zu
nahern, blieb nicht ohne Erfolg; vermutlich gelang dies
durch Vermittlung jener Freiburger Universitatslehrer,
welche bereits bei Sigismund zu Ansehen und Einfluss
gelangt waren 1 .
Er erhielt hievon Kunde am 11. Dezember 1476. Der
damals regierende Rektor Johannes G'eiler von Kaisersperg
berief namlich an diesem Tage die Professoren zu einer
Versammlung zusammen. Daselbst eroffnete er ein Schreiben
des Herzogs Sigismund, worin dieser den Wunsch aus-
sprach, es mochte die Universitat Freiburg den Magister
Heinrich Gundelfingen zu ihrem „Kollegiaten* aufnehmen,
kanntc Dichter der Alexandreis Waliher von Lille oder Chdtillon. —
Vgl. Chevalier, 1. c. 1, 1671 s. v. Gauiier tie Chdtillon.
') Eine Analogie hiezu bietet Johann Sef/ners, Lehre vom Krieg,
der ebenfalls aus Vegetias geschopft hatte ; herausgegeben von See-
miiller 1. c. VI. 1. — Vgl. dazu VI. 2.
-) Hieriiber Vgl. Dierauer J., Geschichte der Schweizerischen
Eidgenossenschaft Bd. 2 (Gotha 1892) S. 180 ff.
:( ) Vgl. oben Anm. 3.
UM.'EISITYOrC.-UfCf-ll..'
„Austriae principum chronici epitome triplex". 35
zum ordentlichen Lehrer in der Redekunst bezw. den hu-
manistischen Studien beforden 1 .
Gundelfingen mochte nicht wenig erfreut sein tiber
diese Erhebung, er schwur den Treueid und tibernahm die
Verpflichtung, ein halbes Jahr hindurch taglich uber die
erwahnten Facher zu lesen. Fur die Vorlesung iiber die
Rhetorik durfte er, wie schon anno 1470 keine Entschadigung
verlangen, im iibrigen war er gehalten gleich seinen Kollegen
und auch zu demselben verpflichtet.
Wahrend dies sich zutrug, war er bereits an der Fertig-
stellung seiner zweiten Schrift, seines Hauptwerkes be-
schaftigt, namlich der „Austriae principum chronici
epitome triplex".
In der Schilderung der Zeitereignisse reicht Gundel-
fingen hierin bis zum 29. Juni 1476-, und spricht von Karl
dem Kiihnen als von einem noch Lebenden 1 .
Hieraus ergibt sich, dafi Gundelfingen nach dem
29. Juni 1476 und vor dem 5. Januar 1477* die ^Austrias"
beendigt hat.
Er leitet dieses "Werk ein mit einer Widmung an
Herzog Sigismund, die an Lobes und Dankesspruchen iiber-
fliesst, womit er offenbar seine Erkenntlichkeit fur die
Befdrderung zum Ordinarius zu bezeugen sucht'. Die Er-
') «Assumptus est in collegiatum Magister Heinricus Gundelfingen
de Constancia ad preces literatorias principis uostri ducis Austria,
eo pacto, ut obligahis sit ad legendum in arte oratoria sive studiis
humanitatis." Senatsprotocoll von 1476 Dez. 11.
') Uber die Ereignisse dieser Zeit Vgl. Dierauer 1. c. 2. 234.
! ) Vgl. oben S. 33 ..si pectus tiium" etc.
') Tod Karls des Kiihnen in der Schlacht bei Nancy Gundel-
fingen erwahnt noch den Einfall in Savoyen, Burgund und Lothringen
„quas nuper tuorum exercitus invasit" (Orig. MS. f° 48 v ); dieser Be-
richt wurde also unmittelbar vor der Schlacht bei Nancy nieder-
geschrieben.
'') Die Adresse (Orig. MS. f° 1) lautet: ..Serenissimo illustrissimo-
que Sigismundo domus Austrie, Stirie, Karinthie etc. principi Tridenti-
norumque montium domino excellentissimo, nostre confederacionis jubari
splendidissimo Heynricus Gundelfingen de Constancia, arcium magister.
ecclesie Friburgensis capellanorum ultimus humilem obedienciam pers-
cribit et presens dedicat opusculum."
UM.'EISITYOrC.-UfCf-ll..'
36 Seine Tatigkeit als Lehrer und Schriftsteller.
wahnung von Sigismunds Gemahlin Elconora von Schott-
land benutzt er, urn deren Abstammung von dem Fiirsten
Brutus Trojanus einzuflechten. Hiebei nennt er als seine
Quelle -Gaufridi Monumentensis regum Brittanicorum
Cronicam" ', woraus er den fabelhaften Stammbaum von
Adam bis zum genannten Brutus, von dem die Fiirsten
Brittaniens, d. i. Schottlands und Englands abstammen
sollen, entnimmt.
Mit Spruchen aus Cicero, Seneca und Ovid legt Gundel-
fingen sodann dem Fiirsten nahe, in seiner Regierung Milde
obwalten zu lassen; darait Sigismund sehe, wie manche
seiner Vorfahren durch Frommigkeit, Milde, Ttichtigkeit,
Gerechtigkeit und andere Tugenden sich Ruhm erwarben,
unternimmt es Gundelfingen ^originis tue historiam ex aliis
chronographis"- zusammen zuschreiben,
Wie er diese Genealogic zu stande gebracht, sagt er
mit eigenen "Worten 5 , und gibt sodann iiber den Inhalt des
Werkes einen kurzen Ueberblick 1 . Nur zaudernd — bemerkt
') Galfridus Monmutensis, Archidiacon, hernach Bischof v. Asa-
phensis (+ 1154): Historia Britanniae libri XII, seu Britannias utriusque
regum et principum origo et gesta insignia, seu Historia Britonum. —
Vgl. Potthast, 1. 487.
') Orig. MS. fo 2v.
') ..Sane ut tuorum parentum originem lirapidius in nonnulla
redigam epithomata librum augustalem Francisci Petrarche (!), at pers-
picerem perutile fuit, Jordani Gottici cronicam adprime utilem: de
seva Gottorum irrupcione in urbem totamque Ytaliam pertractantemi
qua Romanorum nobilitas ferine in nichilum redacta extitit preter
paucos qui ad alpium juga evasere, eciam Hermani Contracti comitis
de Sulgow et Augustensis canonici cronographiam, Ottonis Frisingensis
episcopi comitis de Feringen historiam : de duabus civitatibus Augus-
tinum immitando dilucidantem, et nonnulam Matthei cronicam, ex qua
primorum Austrie ducum ac principum originem collegi, ac eciam alios
rerum gestarum et particularium narratores." (Orig. MS. f° 2^).
4 ) ..Procedit autem hec mea conscripcio per tria epithomata :
Primum autem continebit primorum Austrie principum guber-
namcn ac originem, a primi marchionis Abrahe gentilis temporibus ad
usque vacacionis, quo Austria imperio Romano vacaverat, tempus,
eciam magnam principum ac nominis mutabilitatem, Hoc ipsum corn-
plecti videbitur epithoma.
UM.'EISITYOrC.-UfCf-ll..'
„Austriae principum chronici epitome triplex". 37
er — mache er sich an das Werk, aber ein Kaiserwort,
eine Stelle aus Persius und ein Spruch Salomons bestarken
ihn in seinem Vorhaben und so geht er zum 1. Buche seiner
^Austriae" iiber.
Nochmals auf seine besondere Quelle fur den 1. Teil
des 1. Buches verweisend sagt er: „Primorum marchie
orientalis principum cronographiam, quantum ad primum
epithoma prosequar Matthei cuiusdam, qui hanc ipsam
conscripsit cronicam, stilum ac calamum parum immutan-
do" 1 . Hiemit suchte er offenbar die Glaubwiirdigkeit seines
Berichtes zu bestarken.
Was uns Gundelfingen in diesem 1, Teile bietet, ist bis
zu einem bestimmten Zeitpunkte lediglich die lateinische
Fassung der Osterreichischen Chronik von den 95 Herr-
schaften Alt-Osterreichs, der sog. Hagen Chronik-.
Den ganzen Knauel von Berichten iiber diese fabel-
haften Herrschaften hat Seemuller entwirrt und dabei auch
Gundelfingens Fassung in ihrem Verhaltnis zu den anderen
Berichten bestimmt : . Hienach haben wir bei Gundelfingen
den Bericht des Mattheus, welcher vermutlich der Bear-
beiter des Archetyps der gesamten Mischklasse 2' der sog.
Hagen Chronik ist, den uns Gundelfingen aufbewahrt hat.
Der Umstand aber scheint nicht beachtet worden zu
sein, dafi der Bericht des Mattheus, der Gundelfingen vor-
Secundum illustrium comitum Aventini montis, id est Avensberg
dictorum, e quibus tuum videris traxisse sanguinem Ruodolfi: videlicet
et Albrechti illustrissiinorum regum. primorumqrfe tue originis in
orientali marchia principum ac precedencium subsequencium comitum
gene|a|logiam explanat et dilucidat.
Tercium vero clarissimo tuo apici dedicavi, quem deus sempi-
terne custodiat. (Orig. MS. fo 3.)
') Orig. MS. fo 4.
"') Neu herausgegeben in M. G. H. Deutsche Chroniken VI. 1.
Halbbd. ; Kinleitung dazu im 2. Halbbd., von Joseph Seemuller
(Hannover 1906 9).
') 1. c. VI. 2. Seite CXCIV Zeile 35 ff ; S. CXCV. 1. ff; S. CXCVII
10 ff. ; S. CCXII ff. iiber die Fabelwappen — auch Gundelfingens ;
S. CCLXXIX. 29. ff,; S. CCXCI. 30. ff.; S. CCXCVII. 4.; S. CCXCVIII. 31. ff.
UM.'Ersnvof(AurcM<
38 Seine Tatigkeit als Lehrer und Schriftsteller.
lag, bios bis zu den beiden Fabel-Fiirsten Johannes und
Petrus sowie deren Schwester Elisabeth, bis in die Zeit
vor 896 reicht. So weit reicht in der gesamten Gruppe
der sog. Hagen Chronik der Bericht von den Fabelfursten
Alt-Osterreichs. Esscheint, dafi er als selbstandiges Ganzes
in Umlauf war.
Von der Stelle an, wo Mattheus aufhort, endigt auch
Gundelfingens Verwandschaft mit der genannten Gruppe
von Chroniken. Er hatte keine sog. Hagen Chronik zur
Vorlage und sah sich gezwungen, selbst nach Quellen um-
zusehen, um die mit dem Berichte des Mattheus begonnene
Fiirstenreihe fortzufuhren.
In der Widmung seiner -Austriae" zitierte Gundel-
fingen auch Otto v. Freisings Chronik'. In ausgiebigster
ja ausschliesslicher Weise hat er diese beniitzt, indem er
dieselbe fur den 2. Teil seines 1. Buches geradezu ausschrieb.
Sowohl eine Reihe von kleineren Notizen die er
bisweilen anders zusammenfugt, je nachdem die Fort-
fuhrung der Reihenfolge dies benotigte als auch grosse
Abschnitte sind Wort fur Wort aus Otto v. Freising und
dessen Continuatio Sanblasiana entlehnt.
Aus den vielen Parallelstellen greifen wir bios die
folgende als Beispiel heraus.
Qtto v. Freising. -'
,Nam illustrissimus mar-
chionis Alberti filius Leopal-
dus. Hie est Leopaldus,
qui cum patre suo Alberto
marchiam orientalem Ungaris
eripuit, ac inter caetera virtutis
suae opera exercitum Ovonis
Gundelfingen. 11
n Deinde Leopaldus Al-
berchti illustrissimi filius,
qui etiam marchiam orienta-
lem ab Ungaris eripuit, ac
inter caetera virtutis suae
opera exercitum Ononis Un-
garorum ducis innumerabilem,
') Vgl. oben S. 36. Anm. 3.
') Otto v. Freising's, Chronik in Scriptores reran) Germanicarum,
Schulausgabe Bd. 17. Th. 1. herausg. v. Wilmanns (1867) (daselbst
auch die Continuatio Sanblasiana) S. 286. c. 32.
') Orig. MS. fo 28,
UM.'Ersnvor«ufCM'
„AustriaE principutn chronici epitome triplex". 39
innumerabilem, fines suos ex fines suos ex improviso vas-
improviso vastantem, subito tantem, subito correptis ar-
correptis armis quod tamen mis, quod tamen in omni
in omni conflictu etiam for- conflictu etiam fortibus in-
tibus incautum est pene fundi- cautum est, pene funditus
tus cum paucis delevit." cum paucis delevit 1 ."
Otto v. Freising hatte diesen Passus dem Hermannus
Contractus von Reichenau entnommen, und dabei diesen
als seine Quelle auch mit Namen genannt. Gundelfingen
nennt diesen Hermannus auch als seine Quelle, offenbar
weil er hier gerade dessen Namen vor sich hatte, denn eine
direkte Benutzung ist nicht nachzuweisen.
Mit Jordanes mag es sich ebenso verhalten-.
Eine womoglich noch sklavischere Anlehnung zeigt
Gundelfingen bei Benutzung der Continuatio Sanblasiana.
Die weitlaufige Erzahlung der Continuatio von dem
Streit und dessen Folgen zwischen Konig Richard Lowen-
herz von England und Herzog Leopold von Osterreich, ent-
standen anlaiilich der Belagerung von Akkon im 3. Kreuz-
zuge 1191 bringt Gundelfingen genau und in extenso wieder 3 .
Gundelfingen scheint eine Handschrift vorgelegen zu
haben, in welcher Otto v. Freisings Chronik sowie deren
Fortsetzung zu einem Werk vereinigt war, denn Gundel-
fingen glaubte auch bei den Entlehnungen aus letzterer,
immer noch Otto v. Freising selbst zu folgen; er fuhrt z. B.
fur das Jahr 1195 noch Otto v. Freising als seinen Ge-
wahrsmann an 1 .
In welch naiver, unselbstandiger Weise Gundelfingen
') Weitere Parallelen zu Otto v. Freising, S. 259, 260, 267 finden
sich in Gundelfingen f° 27v, 28.
') Vgl. oben S. 36. Anm. 3.
") Vgl. Otto v. Freising, S. 466 und besonders S. 468 ff. „Hac
tempestate rex Anglorum" etc. mit Gundelfingen, Orig. MS. fo 28v : ff.
„Ea tempestate rex Anglorum" etc.
4 ) Orig. MS. fo 29v. Der Irrtum daselbst, dafi filr 1195 Hein-
rich IV. anstatt Heinrich VI. angefuhrt wird, kann leicht ein Versehen
des Schreibers sein.
UM.'EISnYOK.-LIICf-JI..'
40 Seine Tatigkeit als Lehrer und Schriftsteller.
Geschichte schrieb, zeigt er selbst, indem er nach Er-
wahnung des Jahres 1195 beifugt: -Hie videtur deficere
aliqua anno rum supputatio, fortassis septuaginta auni usque
ad Ottakarum regem Bohemie" 1 . Seine Vorlage, die Conti-
nuatio Sanblasiana reicht eben nicht so weit; offenbar
hatte Gundelfingen fur die betreffenden 70 Jahre keine
Quelle zur Verfiigung, der Miihe einer solchen nachzu-
spuren enthob er sich mit dieser Ausrede. Diese ist aber
auch ein weiterer Beweis, dafi Gundelfingen nicht aus der
sogn. Hagen Chronik geschopft hat, sonst hatte er sie wohl
gerade hier benutzt, urn die Liicke auszufullen'-.
Gundelfingen schliefit sein 1. Buch mit einem kurzen
Hinweis auf den Sieg Rudolfs von Habsburg iiber Ottokar
und dessen Erwerbung Osterreichs, womit er einen Uber-
gang zum 2. Buche herzustellen sucht.
Im 2. Buche fiihrt er uns die Abstammung der Habs-
burger von den Perleonen vor, anschliefiend daran in
unvollkommener Genealogie mit eingestreuten kleinen his-
torischen (annalistischen) Notizen die Glieder des Hauses
Habsburg bis auf Herzog Sigismund herunter .
Mit einer Betrachtung iiber die "Wandelbarkeit sowohl
der Herrschaften und des Namens Osterreich wie der "Welt
uberhaupt schliefit Gundelfingen dieses Buch ab 1 . Nachdem
er in der "Widmung der ^Austria;" Otto v. Freising als
seine Quelle bezeichnet, mufi es uns nicht wundern, wenn
er ihn hier nicht nochmals nennt, trotzdem er wiederum
aus ihm schopfte. Er zieht aber auch andere Berichte
heran, so sagt er: -sicuti Illirice testantur hystorie" ; wohl
nur um zu prunken denn eine direkte Beniitzung ist
nicht leicht festzustellen — verweist er auch auf eine Reihe
von Werken, welche von den Geschicken der Volker er-
zahlen, er bemerkt namlich -Extant super hoc Manethi
') Orig. MS, fo 29v.
') Vgl. zu dieser Liicke eine sclieinbar analoge in Deutche Chro-
niken VI. 2. CXCVI. 2. ff.
') Vgl. hieriiber den Exkurs S. 76 ff.
') Exclamacio mutabilitatis (Orig. MS. i°. 35v ff.)
UM.'EISITYOrC.-UfCf-ll..'
„ Austria: principum chronici epitome triplex". 41
Egipciaci, Diodori Siculi, Esgodi, Estii, Berosi, Caldei, Pompei
Trogi, JustiniCornelii, Julii Celsi, Varronis, Eusebii, Jeronimi,
Orosii, Jordani aliorumque quamplurimum tarn nostrorum
quam illorum, quos longum est enumerare monimenta prec-
lara'• , .
Gleichsam als Resultat der im 2. Buche aufgestellten
Genealogie der Habsburger gibt er noch als Anhang einen
Stammbaum dieses Geschlechtes bci 2 . Er bietet hierin den
Mannesstamm, iibersieht aber sogar Glieder, die er in seiner
Genealogie erwahnt hatte.
Zum dritten Buche betont Gundelfingen einleitend den
unschatzbaren Wert der Eintracht und die verderblichen
Folgen der Zwietracht. Mit heller Begeisterung weist er
sodann, den Boden der Zeitgeschichte betretend, hin auf die
^Ewige Richtung", wo das als unmdglich erschienene zur
"Wirklichkeit wurde, jene Einigung zwischen zwei Erbfeinden,
dem Habsburger Sigismund und den Eidgenossen gegen
Karl den Kiihnen von Burgund. Gundelfingen findet nicht
"Worte genug, um jenem Jubel iiber dieses Ereignis wurdigen
Ausdruck verleihen zu konnen, und wenn er die Eidge-
nossen zeichnet mit ihrem Antlitz und Freude strahlenden
Augen, so glauben wir auch Gundelfingen zu sehen, wie er mit
gehobenen Gefiihlen auf seiner Schreibstube alle jene Rumes-
taten und Siege der Eidgenossen, der Verbundeten Sigis-
munds aufzeichnet.
Er schrieb uber die gewaltigen Zeitereignisse unter
deren Eindruck, wie sollte es da nicht auch sein gutes
Recht sein, in lebhaftester Weise seiner Freude Ausdruck
verleihen zu durfen; da£ er dabei seinen Gonner Sigismund
besonders mit Lob uberschuttet, erklart sich schon aus der
Widmung des "Werkes.
In der Schilderung der Kampfe und Schlachten wird
bisweilen seine Sprache lebhaft und verfiihrt ihn zu einer
Begeisterung, welche die Darstellung des Historischen leider
zuriickdrangt, um sich selber breit zu machen.
') Orig. MS. io 36.
') Ebenda fo 37, 37v.
UM.'Ersnvor«ufCM'
42 Seine Tatigkeit als Lehrer trad Schriftsteller.
Man hat Gundelfingen vorgeworfen, er biete hier ledig-
lich humanistischen Wortschwall ' ; diese Beurteilung geht
entschieden zu weit. Gundelfingen mufi aus seiner Zeit
heraus beurteilt werden und da darf man nicht einseitig
nur den damaligen Hnmanismus im Auge behalten, sondern
hat auch jene tiefe freudige Erregung der Gemiiter ge-
biihrend zu beriicksichtigen, welche iiber die Niederwerfung
des machtigen, gefiirchteten, gemeinsam eidgenossisch-oster-
reichischen Feindes damals herrschte und auch in Gundel-
fingen zum Ausdrucke gelangte.
Gundelfingen bietet uns an historischem Gehalte zwar
nicht mehr viel Neues zu den anderen zeitgenossischen
Berichten, gleichw.ohl ist es zu verwundern, warum man
ihn bis anhin fast ganzlich ignoriert hat *-', seine Nachrichten
- wenn wir so sagen diirfen, als diejenigen der „Niederen
Vereinigung** nicht heranzog zum Vergleich z. B. mit den
schweizerischen Quellen.
Gundelfingen scheint in den Angaben iiber die Streit-
krafte wie auch iiber die Gefallenen ziemlich zuverlassig zu
sein ; mit Ausnahme der Schlacht bei Murten, wo er die
Zahl der Burgunder auf 60 000 und die Besatzung von
Murten auf 1200 Mann ansetzt, driickt er die Zahl der
Feinde nicht hinauf und die der eigenen Leute nicht her-
unter. Besondere Beachtung verdient sein Bericht iiber
den Kampf der Walliser gegen ein piemontesisch-lombar-
disches Heer' 1 , da wir gerade iiber dieses Ereignis so spar-
liche Nachrichten haben, dafi uns jeder Zuwachs aufierst
willkommen ist.
In der Beschreibung der Schlachten von Grandson und
Murten bringt Gundelfingen Einzelheiten, welche schwerlich
bios auf allgemeines Gerede zuriickzufiihren sind, so z. B.
ist sein Bericht iiber Grandson auch von Interesse, weil er
') Vgl. O. Lorenz, G. v. Wyss, 1. c. — u. a. m.
-) Ochsenbein, Quellen zur Geschichte der Schlacht bei Murten
kennt Gundelfingen nicht einmal!
') Vgl. Dierauer, 1. c. 2, 219 ff.
UM.'Ersnvof(AurcM<
..Austria; principum chronici epitome triplex". 43
bereits die Angabe enthalt, dafe der Besatzung dieser
Festung durch einen Eid das Leben garantiert worden sei.
"Wenn Gundelfingen audi selbst im Felde nicht mit-
gekampft hat, so besafs er in Freiburg doch genug Leute
um sich herum, welche an den Kriegsereignissen teilge-
nommen hatten. Veit Weber, der in Gedichten die
Schlachten gegen den stolzen Burgunder verherrlicht hat,
und vielleicht bei Gundelfingen, dem Lehrer der Dichtkunst,
hierin Unterweisung erhalten haben mochte, konnte ihm
wohl Mitteilungen machen iiber den Verlauf des Krieges.
Er wird aber nicht der einzige Bote gewesen sein, wie
schon ihre nicht immer ubereinstimmenden Zahlenangaben
zeigen.
Das letzte genau datierbare Ereignis, das Gundelfingen
in seiner Beschreibung des Burgunderkrieges erwahnt, ist
die Eroberung des "Wadtlandes und der Zug nach Lausanne
vom 29. Juni 1476.
Der Verlauf dieser Karapfe veranlassten Gundelfingen,
der Schilderung der Ereignifie noch philosophische Betrach-
tungen anzuschliefien und zwar nochmals iiber die Wandel-
barkeit der Dinge.
Es mag hier die Beobachtung nicht uninteressant sein,
dafi Gundelfingen hierin nicht, wie man erwarten mochte,
dem Aristoteles folgt, der doch damals ziemlich ausschliefi-
lich auch noch in Freiburg in Ehren stund 1 ; sondern Platon
und dem Neuplatoniker Philon. Gundelfingen scheint in
dem Streite der Nominalisten und Realisten auf die Seite
der let2teren sich gestellt zu haben.
Gundelfingen schliefit sein "Werk ab, indem er sich an
Herzog Sigismund personlich wendet und ihm nahe legt,
wie er iiber seine Untertanen in Milde und Gerechtigkeii
herrschen solle, wie er selber ein gutes Beispiel zu geben
und sich von verschiedenen Lastern frei zu halten habe 1 '.
') Noch 1477 mufiten alle ordentlichen Lehrer iiber die Mathe-
matik und die Ethik des Aristoteles vortragen. — Senatsprotocoll vor.
1477 September 17.
') -non te emolliat intus prodiga luxuries iuxta illud : ..Et Venus
UM.'Ef5(TV0r CAUrCfNI'
44 Seine Tatigkeit als Lehrer und Schriftsteller.
Mit einer nochraaligen Widmung empfiehlt sich alsdann der
Autor seinem Gonner.
Als Anhang zur „Austri«e" gab Gundelfingen seine
dritte Schrift bei: namlich die„Comitum Tyrolis SUCCessio" 1 .
Wir mochten vermuten, dafi er diese nach dem 11. Dez.
1476, seiner Erhebung zum Ordinarius, noch schnell in Eile
beigeftigt hat 2 , wenigstens scheint er sie, als er in der
Widmung der « Austrian u deren Einteilung aufstellte noch
nicht geplant zu haben.
Er versuchte hierin, weil Sigismund auch Tirol besafi,
dessen Ahnenreihe, die Herren Tirols in eine Reihenfolge
zu stellen, ausgehend von den Herzogen Karntens bis auf
Sigismund.
Bei genauer Prufung ergibt sich, dafi wir in dieser
Schrift nichts Eigenes von Gundelfingen vor uns haben, in-
dem er ohne Angabe einer Quelle einfach des Mathias
Neoburgensis Chronik ausgeschrieben hat '.
Sobald ihm diese Quelle nicht mehr zur Verfiigung steht,
sucht er moglichst schnell fertig zu werden, er weifi kaum
mehr als blofie Namen. Der Wert dieser Schrift ist so-.
mit gering *.
et vinum sublimia pectora frangunt". Si enim Bacho Venerique ope-
ram das, qui cetera subpeditare soles, jam sub luxurie juga venisti,
libertasque animi tui periit ac Veneris camino flagrante ebria mens
interim ebet." Orig. MS. i° 50.
J ) Orig. MS. f° 52, 53.
') Welche hernach dem Orig. MS. der „Austrice" beigebunden
wurde, auJSerlichunterscheidet sie sich nicht vom Orig. MS. der Austria.
'■') So Capitel 4. 5 ed von G. Studer, Bern 1866 S. 3, 4, 92, 93, Zeile
16- 20, 24, 25; Cap.' 15. Schlufi 13—17; Cap. 60, Z. 24-15 folg. Seite
— Nicht unmOglich ware es auch hier, dafi Gundelfingen aus einer
Quelle schopfte, welche ebenfalls fur Mathias als solche gedient
haben mag.
') Schon ein einziges Beispiel geniigt hier, urn das Verhaltnis
von Gundelfingen zu Mathias von Neuenburg zu zeigen.
Mathia; Neoburgensis Chron. j Gundelfingen Orig. MS. f° 52.
Cap. 5. S. 4. Z. 16.
_Quod Petrus rex Arragonum,
„Quod Petrus rex Arragonum, egre ferens pro avunculo suo Con-
Conradini proavunculus, egre fe- ' radino aliquibus machinationibus
Original from
UMVEHaiYOFCAUrCfiMA
„ Austria* principum chronici epitome triplex". 45
Beiuahe ein Urteil herrschte bisher iiber Gundelfingeus
-Austria;"; man hielt es fur wertlos, im besten Falle etwa
die Schilderung des Burgunderkrieges ausgenommen; also
einzig das 3. Buch sei einiger Beachtnng wert 1 . Hammer
bezeichnet das Werk geradezu als ^voll mittelalterlichen
Aberglaubens"-'; besonders sind es die zwei ersten Biicher,
welche Gundelfingen den Namen eines Phantasten einge-
tragen haben ! .
Fiir Gundelfingens ^Austria?" ist schon ihr Aufieres
charakteristisch. Die Pergamentblatter schmiicken hubsche
Initialen, ausgefiihrt mit der staunenswerten Feinheit der
mittelalterlichen Miniaturmalerei, die Schrift zeigt uns aber
bereits den auftauchenden Humanismus an '. Der Geist
der Ubergangszeit spricht sowohl hieraus, wie besonders
aus dem Aufbau des Werkes selbst.
Kritiklos schreibt Gundelfingen ab; hat er eine Quelle,
die ihm fur seinen Zweck dienlich ist, glucklich gefunden,
dann ntitzt er sie auch sklavisch aus ; er ist zu unselbst-
standig, um sich von ihr zu befreien und so verlafit er sie
erst, wenn sie versiegt. Stellt er aber einmal aus ver-
schiedenen Vorlagen Gesammeltes zusammen, dann schachtelt
er die Funde ineinander, bisweilen gluckt es ihm einen
rens, habitis machinationibus occul- ! per mare occultis insulam Sicilie
tis cum incolis insule Cecilie, per i ingressus, occisis Francigenis et
mare potenter insulam ingressus fugato Karolo insulam Sicilie oc-
occisis Francigenis et fugatoKarolo cupavit.."
insulam Cecilie occupavit."
') Vgl. C. M. Lichnowsky, Geschichte der Hauses Habsburg 1
(Wien 1836) S. 520 no 160. — J. G. Grdsse, Handbuch der Allgem.
Literaturgeschichte aller bekannten Volker der Welt 2 (Dresden 1846)
S. 627 meint, es sei gut, daft die Fabeln Gundelfingens noch nicht ge-
druckt seien. — O. Lor em, I. c. 267 G. v. Wyss, 1. c. 139. — Albert,
1. c. 540.
') 1. c. S. 101, der entweder nicht wei6, was man unter Aber-
glauben zu verstehen hat oder dann Gundelfingens Werk gar nicht kennt.
! ) Z. B. Lambecius, 1. c. S. 472 sagt : _meras continet absurdas
fabulas et nugatoria figmenta."
') Einzelne alte Abbreviaturen werden aber noch - wenn auch
nicht mehr consequent — beibehalten, s. z. B. fiir est.
UM.'Ersnvof(AurcM<
46 Seine Tatigkeit als Lehrer und Schriftsteller.
natiirlichen Zusammenhang zu finden, oft aber gelingt es
erst unter Zuhilfenahme von Spruchen aus Klassikern und
anderen Autoren, womit er zugleich seinera Werke noch
den Mantel des Humanismus umzuhangen sucht. Er gibt
zwar mebrmals selbst zu, dafi er keine gewandte Feder
fiihre - ob dies immer aufrichtig gemeint ist? — unrichtig
ist es vielfach nicht.
Er zeigt aber nicht in alien 3 Blichern der „Austriae'"
den gleichen Charakter, weil er in den ersten zwei Buchern
fremdeWerke ausschreibt, wahrend er im dritten uns Zeit-
geschichte mitteilt.
Die Sucht nach fabelhaften Genealogien wurde gerade
in seiner Zeit wieder modern, er su elite darum auch ihr
seinen Tribut zu leisten.
Wenn das 1. Buch einen eigenen historischen "Wert
nicht besitzt, so ist es doch von Wert bei der Bestimmung
des Verhaltnisses verschiedener Berichte in der Gruppe
der sogn. Hagen Chronik '. Viel wichtiger ist das 2. Buch,
welches Gundelfingen aus Quellen zusammengestellt hat,
die uns zum Teil verloren gegangen oder bios in verander-
ter Gestalt erhalten geblieben sind '-'. Das dritte Buch ist
ebenfalls aller Beachtung wert, wie eben bereits gezeigt
wurde ! .
Gundelfingen blieb der Erfolg seines Werkes nicht aus.
Er erhielt von Herzog Sigisniund einen neuen Beweis seiner
Gewogenheit, indem dieser ihn am 25. Januar 1477 zu
seinem Kaplan ernannte 1 , was offenbar nach Eintreffen der
„Austriai* erfolgtc. Auch die Universitat Freiburg ehrte
') Aus Gundelfingens Bericht uber die Fabel-Herrschaften
schbpfte wahrscheinlich Jakob Mennel fiir seine Cronica domus Aus-
strix et comitum de Habsburg. Vgl, Deutsche Chroniken, 1. c. VI. 2-
CCXCVIII. 31 ff.
-) Vgl. Exkurs S. 77 ff.
) Vgl. S. 41 ff.
') ..Herr Hainrictts Gundelfinger ist zu Caplan aufgenommen,
und in sunder schirni" Cod. 324 fo 84. (KK. Statihaltereiarchiv Inns-
pruck), der befr. Codex enthalt Erlasse Sigismunds.
UM.'EisuYorc.-urcf-ii.'
H. Gundelfingen wird Vice-Rector der Universitat. 47
Gundelfingen bald darauf, indem sie ihn am 8. Marz 1477
zum Consiliarius, zum Mitgliede des engeren Universitats-
rates wahlte'. Mit den Beforderungen Gundelfingens durch
Herzog Sigismund steht vielleicht auch seine alsbaldige
Ernennung zum Vize-Rektor der Universitat in Zu-
sammenhang.
Am 30. April 1477 wurde namlich Friedrich, Graf von
Hohenzollern als Rektor gewahlt. Auch in Freiburg war
es Ubung, hochadelige Studenten, wenn sie auch erst
Knaben sein mochten, mit der hochsten Wiirde der Univer-
sitat zu bekleiden. Die Burde dieses Amtes aber wurde
einem geschaftskundigeren Universitatslehrer iibertragen,
der den Titel Vice- oder Pro-Rektor fiihrte-', in unserem
Falle also Gundelfingen :! .
Als solcher lag ihm die Fuhrung der Universitatsbiicher
ob, vorab die Immatrikulationslisten. Er hatte die Univer-
sitatsversammlungen einzuberufen, durfte daselbst, gleich
dem Rektor, aber nur bei Stimmengleichheit mitstimmen.
Die Verfiigung uber Karzer und andere Strafen lag in
seinen Handen, und nicht bios die Bursen hatte er zu iiber-
wachen 1 sondern auch die Interessen und Rechte der
Universitat sorgsam zu wahren.
Eine Gelegenheit hiezu bot sich auch unter seiner
Amtstatigkeit und zwar der Biirgerschaft der Stadt Freiburg
gegeniiber. In entschiedener Weise wurde deren Ansinnen,
bei Inkorporationen auch ein Wort mitzusprechen von der
Universitat abgelehnt und diese Antwort hatte Gundelfingen,
der Vice-Rektor in Begleitung des Rektors Friedrich von
Hohenzollern sowie der beiden Doctoren Matz und Letscher,
der Burgerschaft mitzuteilen' 1 . Nicht lange hernach war
') ..receptus est ad consilium universitatis magister Heinricus
Gundelfinger." Senatsprotokoll von 1477 Marz 8.
) Baumgarten, 1. c. S. 20. Mayer, Einleitung S. XXVIII. XLV.
') Senatsprotocoll von 1477 April 30.
') Schreiber, 1. c. S. 39 ff.
') Senatsprotocoll von 1477 August 16,
UM.'EISITYOrC.-UfCf-ll..'
48 Seine Tatigkeit als Lehrer und Schriftsteller.
Gundelfingen abermals Abgeordneter, wiederum in Streit-
sachen mit der Burgerschaft '.
Als am 31. Oktober 1477 sodann als neuer Rektor
Doctor Ulrich Rotpletz gewahlt wurde, erhielt Gundelfingen
als erster Rat an seiner Seite Platz 2 .
Erst am 5. Juni 1478, als bereits Friedrich von "Wendels-
heim Rektor war, legte Gundelfingen als Vice-Rektor
Friedrichs von Hohenzollern, zugleich mit dem soeben ge-
wesenen Rektor Ulrich Rotpletz Rechenschaft ab iiber die
gefiihrte Verwaltung.
Nach der Verrechnung blieben der Universitat noch
ganze 13 s. 4 d., welche sie sogleich dem Pedellen iiberwies :i .
Unter dem Rektorate des Magisters Johannes Scherer
aus Freiburg' gelangte Gundelfingen am 30, Mai 1479 neben
dem auch bereits erwahnten Doctor Sturzel wiederum in
den Universitatsrat "'.
Diesem Rate war es zu verdanken, wenn in Freiburg
auf das Begehren der Jus Studierenden hin ein Lehrer fur
burgerliches Recht angestellt wurde „ne nostra universitas
discalciato pede ambularet" ''.
Gundelfingen wurde auch vom Rektor Johannes Scherer
bei Amtshandlungen beigezogen, so bei einer Neuvereidigung
des pflichtvergessenen Magister Johannes Nellinger ".
Im Jahre 1480 wurde der bekannte Magister Johannes
Knapp von Reutlingen zum Rektor gewahlt, neuerdings war
') Senatsprotocoll von 1477 Oktober 5.
-') ..Magister Heinricus de Gundelfingen de Constantia." — In
den Rat wurden ferner gewahlt: Magister Michahel Rindschenkel von
Marpach ; als Assessores : Magister Johannes Scherer und Magister
Nicolaus Glotterer. — Senatsprotocoll von 1477 Oktober 31.
') Senatsprotocoll von 1478 Juni 5.
*) Wohl derselbe, welcher unter dem Rektorate des Ulrich Rot-
pletz mit Gundelfingen im Rate safi.
') Mit den Assessoren Magister Sebaldus Karg de Ulma und
Magister Heinricus de Argentina. — Senatsprotocoll von 1479 April 30.
') Senatsprotocoll von 1479. Juni 5.
7 ) Ebenda.
UM.'EISITYOrC.-UfCf-ll..'
H. Gundelfingen von der Universitatsversammlung. 49
es Gundelfingen, nachdem er wahrend dem verflossenen
Winter 1479/80 zum zweiten Mai Dekan der Artistenfakul-
tat gewesen war, der jenem nebst Ulrich Rotpletz als Rat-
geber zur Seite gestellt wurde. Auch war er wiederum
Mitglied einer Deputation der Universitat an die Freiburger
Burgerschaft in deren neuen Streithandeln mit der Hoch-
schule'.
Interessanten Aufschlufi iiber Gundelfingen gibt uns
das Senatsprotokoll vom 18. Mai 1481 -'. Uber ihn selbst
wurde in der Versammlung dieses Tages verhandelt. Wir
vernehmen da, dafi Gundelfingen von der Universitat wieder
einmal die voile Ausbezahlung seines Gehaltes verlangte ;
zugleich wiinschte er von der Artistenfakultat zu der theo-
logischen ubertreten zu durfen. An Stelle der von ihm bis
anhin gehaltenen Vorlesungen uber die Dichtkunst und
Rhetorik gedachte er die Vorrede des HI. Hieronymus zur
HI. Schrift zu erklaren; nur wenige Schiiler habe er in
seinem Kolleg iiber Rhetorik und er habe in der freien
Zeit sich eigentlich mehr fur die theologische Fakultat vor-
bereitet, deren Schiiler zu sein er sich riihme :1 .
Wie die Universitat zu Gundelfingens Begehren sich
verhielt ersehen wir aus folgendem : zunachst stellte sie
fest, da& Gundelfingen im Jahre 1480 in der Zeit vom
Dienstag den 21. Juli, bis Montag den 16. Oktober kaum
15 Stunden zu lesen vernachlafiigt habe, zugezahlt sowohl
die Feiertage wie auch jene, an welchen zu lesen er sich
nicht verpflichtet glaubte. Fur diese Zeit solle ihm das
voile Stipendium ausgehandigt werden.
Von dem 16. Oktober ab habe er aber wegen der Pest
kein Kolleg gehalten bis zum Feste des HI. Hilarius
(13. Januar) 1481 '. Zu der Zeit sei er wieder in Freiburg
') Senatsprotocoll von 1480 August 26.
-) Rektor war Conrad Odernheim von Frankfttrt.
:I ) Demnach hatte Gundelfingen wohl in Freiburg Theologie
studiert ?
4 ) Auch andere Lehrer zogen von der Universitat wegen der
Pest zeitweilig fort, z. B. Doctor Gabriel Hochsteter von Hagnow
4
UM.'Ersnvof(AurcM<
50 Seine Tatigkeit als Lehrer und Schriftsteller.
eingetroffen, nachdem daselbst die Pestzeit vortibergegangen
war. Alsdann sei er verblieben, indem er iiber die Buco-
lica las und damit an der Artistenfakultat beschaftigt war
bis zutn St. Georgstag (23. April), an welchem er wieder-
holt seinen Gehalt reklamierte 1 .
Auch diesen versprach die Universitat zu entrichten,
fur die Zeit namlich vom 13. Januar bis 23. April 1481.
Keine Entschadigung erhielt Gundelfingen fur die Zeit
seiner Abwesenheit, d. i. vom 16. Oktober 1480 bis
13. Januar 1481.,
Die Universitat hielt mit ihm genaue Abrechnung, und
wenn sie ihm fur die zwei oben bezeichneten Termine den
vollen Gehalt ausbezahlte, obwohl er ein paar wenige
Stunden hatte ausfallen lassen, so tat sie dies nur unter
Beriicksichtigung anderweitiger Dienste, die er ihr geleistet
und welche sie auch weiterhin von ihm wiinschte, namlich
durch seine Tatigkeit als Brief- und Missivenschreiber.
Laut dem Protokoll scheint Gundelfingen mit dem ihm
zu teil gewordenen Bescheid der Universitat vollauf sich
befriedigt zu haben '-'.
Auf dem Begehren, an die Theologische Fakultat tiber-
treten zu diirfen, scheint er nicht beharrt zu sein, wenig-
stens vernehmen wir hieriiber nichts.
Weitere Beachtung verdient die Nachricht, er sei
wahrend einer bestimmten Zeit von Freiburg fern gewesen.
Wo hielt er sich aufterhalb Freiburgs auf ?
wandte sich in dieser Zeit nach Basel und Zurich. — Senatsprotocoll
von 1481. Mai 21. und August 5.
') Demnach hat Gundelfingen bereits vor dem 23. April und
nach dem schon friiher erwahnten dieses Begehren gestellt.
2 ) ..Item in eadem congregatioue inotus fuit articulus petitorius
per magistrum Heinricum de Gundelfingen; desideravit enim duo:
primo, ut sibi stipendium integre ab universitate persolveretur : se-
cundo, ut universitas lectiones in poesi hucusque factas velit commu-
tare, et consentire, ut loco predictarum lectionum in arte humanitatis
habitarum legere possit prologum S. Jeronimi super bibliam, attento
quod paucas habeat scolares in arte oratoria, et etiam quod modo de-
derit se vacando facultati theologice, cujus scolarem se fateretur,
UM.'EISITYOrC.-UfCf-ll..'
Descriptio confcederationis Helveticae. 51
Schrif ten Gundelfingens und einige weitere Begebenheiten
in seinem Leben bezw. Nachrichten iiber solche greiffen da
wieder enge ineinander und fuhren auf Schweizerboden.
Bei Abfassung des dritten Buches seiner ^Austria? -
mochte Gundelfingen bereits die Gelegenheit wahrgenommcn
haben, dafi er mit Leichtigkeit aus demselben eine zweite
Schrift zusammen setzen kbnne. Ohne Zweifel bald nach
der Beendigung des Burgunderkrieges, nachdem am 5. Januar
1477 Herzog Karl der Kuhne vor Nancy gefallen war, tat
er dies '. #
Diese neue Schrift tragt keine Bezeichnung, wenigstens
ist uns keine erhalten geblieben; es geht aber aus dem
Inhalte der Schrift hervor, dafi der Autor sie als eine Landes-
beschreibung der damaligen Eidgenossenschaft auffafite ; wir
wollen sie somit „Descriptio confoederationis Helveticae"
nennen "-'.
„De primo conclusit univcrsitas, quod quia seinel informasset
eundem, quod a fcsto Jacobi usque ad Galli anno [14|80 vix per quin-
denam neglexerit legere attentis vacationibus et aliis diebus, quibus
putaret se non esse astrictum ad legendum, sed enim a festo
sancti Galli anni ejusdem omnino absens propter pestem non
legit usque ad festum s. Hilarii, peste cessante reversus fuit, et no-
biscum permanens legit in Bucolicis et examinanter interdum in
facultate artistica fuit usque ad festum s. Georgii, quo instabit (!) ei
solvendum stipendium iterum. Placuit universitati, ut priimim stipen-
dium a festo s. Jacobi usque ad Galli sibi daretur integre, et a festo
s. Hilarii anno [14)81 usque ad festum s. Georii (!) etiam sibi daretur, et
solum stipendium a festo s. Galli usque ad Hilarii sibi defalcaretur
propter eius absentiam, et quia certas fecit epistolas pro universitate et
in ejus negotiis placuit universitati, ut in recompensam lectionum neg-
lectarum a festo s. Jacobi anni [14]80 usque ad Galli anni ejusdem et
a festo Hilarii anni [14)81 usque Georii ubi etiam parum legit, sit con-
tentus, satisfaciendo per huiusmodi labores habitos, scribendo epistolas
et missivas, de quibus universitas etiam grata vult esse. Hec conclusa
sunt eidem magistro dicto, et gratus fuit et bene contentus in omnibus
ian universitatis conclusis." Senatsprotocoll von 1481, Mai 18,
') „bella in ... . Belgarsum oppido a. d. 1476 calendis decem-
bris (!) gesta, ubi tandem Karolus Heduorum dux longe a suis luce se-
quenti inter hostium cadavera tiranidis sue penam luens perempta
repertus est." — Descriptio confoederationis Helvetica: f° 12v.
') Vgl. Verzeichnis der Schriften Gundelfingens, S., n° 3 u. Anm.
UM.'Ersnvof(AurcM<
52 Seine Tatigkeit als Lehrer und Schriftsteller.
In einem ersten Abschnitt gibt der Verfasser aus Julius
Caesar, Strabo u. a. eine BeschreibungAlt-Helvetiens und zahlt
dessen Gaue und Volksstamme auf '; die alten Namen der
verschiedenen Stamme scheint er mit Vorliebe zu benutzen,
sie kommen in dem 3. Buche der „Austri3e" wie in spateren
Schriften sehr oft vor. Auch einige der grofieren Fliisse
z. B. Rhone, Rhein und Aare, vergifit er nicht zu erwahnen
und benutzt sie zur Grenzbestimmung. Mit Freude erinnert
er an die Kriege der alten Helvetier und beruhrt auch
kurz das rcdende Wappen der Urner und Berner.
Zur neuen Zeit iibergehend verherrlicht er sodann in
ungemessenem Jubel die Eidgenossenschaft, welche schon
1600 (!) Jahre vor Caesar vorhergesagt worden sei.
In vielfach schon in der „Austria? u angewendeten
Redensarten fahrt die Erzahlung im Lobe der ihrer Ahnen
wiirdigen Eidgenossen fort und kommt alsdann auf den
Burgunderkrieg zu sprechen. Hier stimmen nicht bios die
Zahlen uberein- mit den im 3. Buche der „ Austrian" Mit-
geteilten sondern sowohl die Anordnung des Stoffes wie
auch ganze Partien. Es sind Ausziige aus der fur Herzog
Sigismund bestimmten Darstellung ; bisweilen sind die Satze
umstellt, doch aber so, dafi man Gundelfingens Charakter
') Wenn die Descriptio an einer Stelle sagt : „quibus limitibus
(naralich Alt-Helvetiens) adhuc duodecim Helvetiorum videlicet nos-
trorum federatorum pagi quinadmodo tempore Cesaris consistunt", so
kann dies nicht etwa als Beweis angesehen werden, diese Schrift sei erst
geschrieben worden, als bereits 12 Orle zur Eidgenossenschaft gehorten.
Gundelfingen fand in Alt-Helvetien 12 Volkerschaften und nun glaubt
er einfach, auch hierin eine Parallele zur neuen Schweiz ziehen zu
konnen, bei der Aufzahlung aber kommt er nicht uber 9 Orte hinaus,
er nennt nicht einmal alle eidgendssischen Orte, dafur fiigt er dann
die Mitverbiindeten einzelner Orte, namlich Appenzell uud Solothurn an.
') Eine einzige Abweichung enthalt die Angabe der bei Murten
erschlagenen Feinde ; in dem Werke an Sigismund gibt Gundelfingen
an, es seien 16000 auf dem Felde gebliebzn. Diese Zahl konnte er nun
wohl berichtigen, indem er auch die auf der Verfolgung Umgekomme-
nen hinzurechnete; und nebenbei bemerkt, schreibt er hier an die
siegreichen Eidgenossen selbst, somit mochte er auch versucht sein,
die Zahl der Vernichteten heraufzuschrauben ; er gibt hier 20000 an.
UM/irSIIVOKALirCfW
Descriptio confcederationis Helveticae. 53
ganz gut erkennt und nicht etwa an einen Nachahmer
Gundelfingens zu denken braucht.
Diese „Descriptio" ist zwar nirgends aufierlich als
Schrift Gundelfingens beglaubigt, aber alle Anzeichen weisen
daraufhin, dafi er sehr wahrscheinlich deren Verfasser ist 1 .
Zum Abschlufi der Schrift preist Gundelfingen die
kriegstiichtigen siegreichen und machtigen Eidgenossen, und
wirkungsvoll weist er auf Rom hin, die "Weltenbeherrscherin,
die gesturzt sei aus Zwietracht ; wahrnend erhebt er
seine Stimme vor der Zwietracht der Eidgenossen, welche
kaum den Gipfel des Ruhmes erreicht, der Uneinigkeit an-
heim zu fallen drohen und der Bestechlichkeit durch fremde
Geschenke.
Dieser Abschlufi der „Descriptio confcederationis Hel-
veticas" zeigt uns, dafi Gundelfingen unter dem Eindrucke
des Haders und Streites, wie dieser zwischen den Stadten
und Landern nach dem Burgunderkriege unter den Eid-
genossen ausbrach, geschrieben hat; hieraus ergibt sich fur
die Abfassungszeit dieser Schrift ein Terminus ante quern,
indem namlich hervorgeht, dafi diese vor der erfolgten
Einigung der Eidgenossen auf dem Tage in Stans, d. i. vor
dem 22. Dezember 1481 anzusetzen ist.
') Es geht dies am besten hervor aus der genauen Vergleichung
der beiden ganzen hier ia Betracht kommenden Schriften Gundel-
fingens. Ein kleines Beispiel mag schon die enge Verwandschaft zeigen :
„AustriaV Orig. MS. f° 39v. „Descriptio" Kopie fo 12.
..eorum civitates ac oppida ocius | ..eorum civitates ac oppida ocius
obsidere undique igne, ferro milite obsidere undique igne, ferro ac
invadere Ellengurt videlicet Bla- ; milite invadere Ellengurt videlicet
niont, Gramont, Orbe, Lile, Junge ! Bellemontem idemque Blamont,
aliaque plura solo coequare prece- Grammo, Orbe, Lile, Junge aliaque
pisti ac ferme totam dominorum , castra solo coequare ausi ac ferme
de Bellomonte terrain nactus mag- i totam dpminorum de Bellomonte
namque cedem circa Ellengurt ip- i terram nacti, magnam cedem circa
sis hostibus anno 1474 dominica oppidum Ellengurt Heduis intule-
proxima post Martini ceciderunt : runt cecideruntque eo die (domi-
namque ex Burgundionibus eo die , nica proxima post Martini wie an
duorum pugnatorum milia. 1 * f friiherer Stelle steht) ex Heduis
. duo fere pugnatorum milia."
Original from
UMVEHSIlYOFCAUFCfNIA
54 Seine Tatigkeit als Lehrer und Schriftsteller.
Zur Feststellung des Terminus post quern verhilft uns
die bereits erwahnte Nachricht der „Descriptio" vom Tode
Karls des Kuhnen.
Somit haben wir also bereits eine Zeitgrenze, innerhalb
welcher die Entstehung der „Descriptio" zu sixchen ist, d. i.
zwischen 1477 (Januar 5.) und 1481 (Dezember 22.) '
Nach dieser Feststellung eines Termins interessiert es
uns nun zu wissen, wera Gundelfingen die -Descriptio 1 " denn
eigentlich zugedachte.
Jedenfalls nicht den Bernern, sonst wiirde er nicht die
Form „veluti Bernenses consueverunt" gebrauchen, sondern
hatte dann die Form der Anrede angewandt.
An jemand anderem hatte Gundelfingen ein Interesse.
"Wir haben oben darauf hinge wiesen, dafi Gundelfingen
1460 die Anwartschaft auf ein Kan on ik at in Beromunster
erhielt' 2 . Dieses hatte er aber bis anhin noch nicht erlangt.
Der Rat der Stadt Luzern war es, welcher das Patronat
des Stiftes Beromunster inne hatte '. Diesen Rat gedachte
Gundelfingen mit seiner „Descriptio tt auf sich, den lang-
jahrigen Anwarter aufmerksam zu machen. Ohne Zweifel
geschah es nicht gar haufig, dass dem Luzerner Stadtrate
von fremden Gelehrten Schriften gewidmet wurden, umso
erfreuter mochte er gewesen sein.
') Den Termin noch enger begrenzen wiirde die Erwahnung des
Feldzuges gegen Mailand, falls namlich derjenige von 1479 gemeint ist
(Vgl. Dierauer, 1. c. 2, 254 ff.) Die ..Descripto" (Kopie fo 12v) sagt
namlich : „bella pene innumerabilia a Julii Cesaris tempore adhuc
usque diem adversus Anglos, Brittones ac Allogobres (!) idem Lamba-
dienses (offenbar verschrieben fur Lombard) Mediolanenses aliosque
principes ac dominos faustis auspiciis per nostros federates gesta". —
Unter dem Kampfe gegen die Allobroger ist -urohl der Burgunderkrieg
und unter jenem gegen die Lombarden jenes Gefecht der Walliser zu
verstehen Vgl. S. — "Wenn die Kopie der -Descriptio" Jahrzahlen
bringt wie z. B. 1481 und sogar 1574, so geht aber aus dem Textinhalt
klar hervor, das dies lediglich Fehler des unkundigen oder fliichtigen
Abschreibers sind ; weder die ..Ewige Richtung" mit Sigismnnd ist
1481 geschlossen noch die Schlacht von Hericourt 1574 geschlagen
worden. Es liessen sich noch mehrere solche Irrtumer der sehr fliich-
tigen Kopie anfilhren.
) Vgl. S. 20. - •') Vgl. Riedweg, S. 157. 291 ff.
UM.'Ef'-MTV Or C.'- LlfCR-JI,-
..Amcenitates urbis Lucernensis". 55
Soviel ist sicher, da6 Gundelfingen seine Absicht er-
reichte, indera er endlich in Beromiinster eine Chorherren-
stelle durch Luzern ' im Jahre 1480 - unter dem Propste
Jost von Silinen (1469 82) erhielt 5 .
Hieraus ergiebt sich mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit
einerseits, dafi Gundelfingen seine ..Descriptio u schon vor
1480 dem Luzerner Rate iiberreichte ' ; somit riickte der
Terminus ante quem noch naher zum Terminus post quern
und v/ir haben nun als Abfassungszeit 1477 — 1479 bezw. 1480.
Anderseits wird es uns nun klar, wie Gundelfingen dazu
kam, in einem lateinischen Gedichte die Annehmlichkeiten
der Stadt Luzern zu besingen. Dieses ist uns bekannt
unter dem Namen ,,Amoenitates urbis Lucernensis". Hiemit
wollte er offenbar dem hohen Rate der Stadt Luzern in
geziemender Weise den Dank abstatten fur seine Beforde-
rung zum Chorherren von Beromiinster "'.
Bald nach 1480 hat Gundelfingen sein poetisches W"erk
die -Amcenitates" dem Luzerner Rate iiberreicht, denn der
Luzerner Stadtscheiber Melchior Rufi konnte dasselbe be-
') Dies betont Gundelfingen ausdriicklich in seiner spiiteren,
ebenfalls dem Rate Luzerns gewidmeten ..Historia Nicolai". Vgl. S. 69.
') Die Angaben der Prftpste Bircher und Goldlin sind zweifel-
los richtig in Bezug auf Gundelfingens Ernennung zum Chorherren
Vgl. Estermann, S. 260. Wilhelm Dorflinger (1792 99) in Beromiinster,
gibt in seinem Manuscript iiber die Zeit Propst Jost's von Silinen eine
Lisle iiber den damaligen Bestand des Stiftes Beromiinster, aus welcher
hervorgeht, dafj Gundelfingen vor 1472 an der Spitze der sieben Chor-
herren — Subdiakonen stand. — Das ganze Stift bestund aus 7 Chor-
herrenpriestern, 7 Chorherren-Diakonen und ebensoviel Chorherren-
Subdiakonen. — Vgl. Estermann, 1. c. S. 261.
') Hernach Bischof von Sitten und Grenoble.— Vgl. Riedweg, 285 ff.
A. Liitolf, in Geschichtsfreund Bd. 15. und Allgem. Deutsche Bio-
graphic Bd. 14. S. 572.
') Vgl. unten S. 55, Anm. 1. Will der Chronist Ulrich RnjS mit
seinem Ausdrucke ..Commendatz" vielleicht die „Descriptio~
bezeichnen !
') A. Biichi erwahnt den Inhalt der ..Amcenitates" ausfuhrlich
in ..Die alteste Beschreibung der Schweiz" (Schweizerische Rund-
schau : Stans 1903 04 Bd. 4 S. 177.)
uM/irsuvorcAUfciw
56 Seine Tatigkeit als Lehrer und Schriftsteller.
reits in den ersten Abschnitten seiner Chronik, die er nach
1480 begann, verwenden '.
Wenn der Wert der Schrift ^Amcenitates'* an sich zwar
nicht gross ist'-, so ist sie doch wohl beach tens wert, als
eine der ersten humanistischen Schrifkn der Schweiz,
welche auf die Schonheit des Landes aufmerksam machen
und weil sie uns Fingerzeige fur Gundelfingens Biographie
zu geben vermag.
Rufi hatte die „Amcenitates u in der Fastnacht 1481
bereits in Handen, und wir konnen die Vermutung hegen,
Gundelfingen mochte wahrend der Zeit seiner Abwesenheit
von der Universitat Freiburg (16. Oktober 1480 bis
13, Januar 1481) vielleicht in Luzern selbst gewesen
sein, und in Beromiinster 1 '' wie auch in der Innerschweiz
') Vgl. G. v. Wy/i, 1. c. S. 138 ff. - Dieses Gedicht ist uns nur
durch Melchior Rub erhalten geblieben. — Vgl. S., n° 4. — Rufi sagt
namlich (S. 18 ff.) an den Rat der Stadt .Luzern sich wendend;
„Gnedigen Herren! Nachdem der hochgelert herr Heinrich Gundel-
fingen Pceta und Chorher zu Minister in Ergew [ Beromiinster | ein
Commendatz (!) und iiwer Statt Lutzern Gelegenheit in latinischen
Zungen gemacht und uch mine liehen herren ze gevallen geschenkt
hat, die will aber der vergangnen Fassnacht Wierung halb iiwer
schrieberie, ettlich klein zitt der muse verlichen gewesen ist, so meint
ich besser und loblicher gethon sin, solich zitt zu vertrieben mit
erberen arbeit dan mit springen und tantzen, damit ich doch niemer
keinen hannen gewinnen mdchte, und hab darumb dieselben geschrifft,
die von treffenlichem hochem klugen dichten der latin und mit lob-
wiirdiger Zierung der Worten gesetzt ist, in dies nachfolgend tutsch
mit hilff (!) bracht, als hienach." Run nahm die Translationen des
Niclas von Wyle zur Hand und mit derselben Hilfe brachte er die
Amcenitates in die deutsche Sprache. Vgl. Joachimsohn, 1. c. S. 102
■-') A. Bernoulli, Die Luzerne r Chronik des Melchior Run
(Basel 1872) S. 99. erkennt ihr nur einen untergeordneten kultur-
historischen Wert zu.
') Ober die Richtigkeit der Vermutung J. L. Aebi's (Geschichts-
freund Bd. 22. S. 234) Gundelfingen sei auch der Verfasser der vier
Hexameter auf dem ..Grabmal der Graf en Bero und Ulrich von Lenz-
burg in der Stiftskirche zu Beromiinster", wollen wir nicht ent-
scheiden; es ware ja m&glich, doch hatte Beromiinster residierende
Chorherren. welche wohl ebensogut im Stande waren ein paar Verse
zu Schmieden wie Gundelfingen.
uM/irsuvorcAUfciw
H. Gundelfingen verbleibt in Freiburg i Br. 57
Besuche gemacht und bei der Gelegenheit Anregung fur
weitere Schriften empfangen haben.
In diese Zeit nun von 1480 auf 1481 setzen die meisten
Geschichtschreiber, welche uber Gundelfingen etwas mit-
teilen, dessen endgiiltigen Wegzug von der Universitat Frei-
burg, indem Gundelfingen die Stelle eines Rektors der
Pfarrkirche in Sarnen erhalten habe; etliche glauben, er
habe in Sarnen selber Aufenthalt genommen.
Der erste, welcher Gundelfingen als Pfarrer von Sarnen
bezeichnet, ist Propst Bircher (1609 1641) von Beromiinster l ,
welcher die Archivalien des Stiftes ordnete und Abschriften
davon nahm, sein Bericht kann demnach auf urkundlichem
Material beruhen.
Uns ist es zwar nicht gelungen eine Bestatigung fur
den Bericht Bircher's zu finden. In den Proclamations-
und den Investierungslisten fanden wir bios die Namen der
Vikare in Sarnen, deren Rektor Gundelfingen gewesen
sein soil-. Ware Gundelfingen wirklich Rektor von Sarnen
gewesen, welche Stelle er nur durch den Rat Luzern's
hatte erlangen k6nnen :i , so hatte er doch wohl auch hie-
fur und nicht bios fur die Verleihung des Kanonikates in
Beromiinster den Luzernern gedankt, wie er das spater tat*.
Sollte Gundelfingen trotzdem die Rektoratswiirde in
Sarnen inne gehabt haben, so ist aber wenigstens soviel
sicher, dafi er nicht bleibenden Aufenthalt daselbst ge-
nommen hat; denn, nachdem er am 13. Januar 1481 wieder
an der Universitat eingetroffen war, verblieb er langere
Zeit daselbst.
') Estermann, 1. c. S. 260. — Riedweg, 1. c. S. 333 ff.
') Kaspar Linder 1465 Febr. 11., Marz 4., nach dessen Tod
Christophorus Spatz 1481 Nov. 18. — Liber procl. et investit. dioc.
Constantiensis im Erzbisch. Archiv. Freiburg i. Br.
'■') Indem Luzern um 1480 auch das Patronat von Sarnen in seine
Hand bekam. — Frdl. Mitteillung v. H. Staatsarchivar Dr Durrer, die
bestatigt wird durch einen Eintrag in dem soeben erwahnten Liber
procl. et invest, vom Jahre 1481 Januar 29. - Ist vielleicht Sarnen
zugleich mit Beromunster durch Papst Sixtus IV. 1480 Januar 13.
Luzern iiberwiesen worden? — Vgl. auch Riedweg, 1. c. S. 291. ff.
4 ) In der Vorrede zu seiner Historia Nicolai.
UM.'Ef'-MTV Or C.'- LlfCR-JI,-
58 Seine Tatigkeit als Lehrer und Schriftsteller.
Sein Versuch, an die theologische Fakultat iiberzutreten,
war ihm zwar mifigluckt; er blieb bei den Artisten und
wurde 1484 nochmals deren Dekan 1 . Die Vorlesungen tiber
die Dichtkunst scheint er doch fallen gelassen zu haben.
Er erhielt namlich am 13. August 1483 in diesem Fache
einen Nachfolger in Johannes Lunson von Bischofzell '-.
Gundelfingens Name kommt in den Protokollen immer
seltener vor. Am 16. Marz 1486 treffen wir ihn nochmals
zusammen mit Doctor Ulrich Rotpletz dem damaligen
Rektor, mit Doctor Johannes Knapp, Doctor Meninger',
dera Lizentiaten Johannes Zurzach ' und dem Magister
Johannes Costenzer, die gemeinsam 4 Goldgulden zusammen-
legen fur Michael Sorger, der sie schon Jahre hindurch in
ihren Arbeiten unterstiitzt und bis dahin noch keine Ent-
schadigung dafur erhalten habe '.
Gundelfingen scheint sich etwas zuriickgezogen zu
haben ; umso eif riger konnte er dem Studium der Philosophic
obliegen. Er erlangte denn auch hierin die Magisterwurde.
Dies mufi vor dem 20. September 1486 erfolgt sein, indem
er namlich unter diesem Datum bereits den Titel eines
Magisters Philosophiae sich beilegte ' ; .
Kunde hievon gibt uns eine Schrift Gundelfingens,
welche bekannt ist unter dem Namen „TopOgraphia urbis
Bernensis". 7
') Mayer, 1. c. S. 10. Anm.
-) Der auf ein Jahr angestellt wurde mit 15 fl. Entschadigung
und der Verpflichtung taglich eine Stunde zu lesen. — (Senatsprotocoll
von 1483 August 13.), er hatte sich am 4. April gl. Jahres immatri-
kuliert. — (Mayer, I. c. S. 76, 21.); 1484 wurde seine Anstellung auf
2 weitere Jahre erneuert und sein Gehalt auf 20 fl. erhoht - (Senats-
protocoll von 1484 Nov. 11. u. 16.)
') Johannes M&lfeld von Meiningen.
4 ) Johann Suter von Zurzach.
"') Senatsprotocoll von 1486 Marz 6.
") Vgl. unten S. 61. — Philosophen erwiihnt Gundelfingen auch
in seinen Werken. Vgl. oben S. 43.
7 ) Vgl. S. no 5. Den Inhalt dieser Schrift gibt A. Biichi, Die
altesten Beschreibungen der Schweiz, 1. c. S. 176.
UM /« S1TY or CAlirCRMl.'
-Topographia urbis Bernensis". 59
Er widmete diese, richtiger mit Descriptio bezeichnete
Beschreibung Bern's seinem geistlichen Mitbruder, dem
Beromiinster Chorherren Magister Peter Kistler, Propst des
Kollegiatstiftes in Zofingen (1476 1492) K
Wie er in humanistischer Gespriichigkeit selbst sagt,
fiihrten ihn nicht Freundschaftsbande zu Kistler, sondern
vielmehr der "Wunsch, dessen unbegrenzter Freigebigkeit
sich nahern zu konnen. Nicht iibel versteht er es, dem
reichen und sehr einflu&reichen Propst den armen Schreiber
gegenuber zustellen. Weil Propst Peter Kistler ein Stadt-
berner, sogar der Sohn eines bekannten Schultheifien von
Bern', habe er die Aufgabe gewahlt, dessen Vaterstadt in
einer Beschreibung zu verherrlichen ! .
Um dies fertig zu bringen mufiten Cicero, Vergil, Ovid,
Plinius, Aeneas Sylvius u. a. Federn lassen, vielleicht zog
er auch Justingers Bernerchronik zu Rate (?)
In ziemlich fliefiendem Latein berichtet Gundelfingen
iiber Berns Griindung durch Berchthold V, wobei er den
Namen Bern a_: die bekannte Sage vom Baren ankntipft''.
Eine eigentiimliche Nachricht bringt er iiber die Besiede-
lung des Uchtlandes bei, indem namlich Volker „ex Scandiis
ultimis Sarmathie (!) insulis ad 880 milia ripe Rheni ac
') War auch Chorherr und Pfarrer in Bern, Dekan des St. Vin-
zenzen Stiftes daselbst. — Vgl. Riedweg, S. 493. — Brunner Carl, Das
alte Zofingen und sein Chorherrenstift, Festschrift (Aarau 1877), S. 64.
Den Magistergrad hatte Kistler in Paris erlangt — Vgl. v. Miilinen
W. F., Jahrzeitbuch des Stiftes zu Zofingen, im Anzeiger fiir
Schweizer Geschichte, Bd. 7. S. 501.
•) Schultheiss Peter Kistler, bekannt durch den Twinghtrrenstreit.
! ) Vielleicht hatte Gundelfingen gerne eine Stelle in Bern, etwa
am St. Vinzenzenstifte angenommen. — Der oben erwahnte Thiiring
Fricker, seit 1470 Stadtschreiber Bern's konnte leicht fiir Gundelfingen
Beziehungen vermitteln, so vielleicht gerade mit Propst Kistler.
J ) Gundelfingen bezeichnet als Griinder Berchtold IV. indem er
diesen verwechselt; Berchtold IV. griindete Freiburg i. Ue.
') Bei Justinger Conr., Berner Chronik (ed. G. Studer. Bern
1870) S. 8.
uM/irsuvorcAUfciw
60 Seine TStigkeit als Lehrer tind Schriftsteller.
precipue in Oedlandia (!), a loci desertione dicta, minori
maiorique Burgundiis 1 * sich niedergelassen halten'.
Hatte Gundelfingen etwa Kenntnis von einer Sage, die
eine Parallele zum Berichte vom „Herkommen der Schwyzer
und Oberhasler 1 * ware*-'?
Im weiteren Verlaufe der Schrift schildert er die
geographische Lage der Stadt Bern und kennzeichnet ihr
ausseres Bild. Zu den Felsen, "Wallen und Tiirmen der-
selben vergisst er auch nicht die gesunde Bernerluft, er
freut sich am Reichtum an Feldfriichten und an den wohl-
gefullten Speichern. Seine Begeisterung verfuhrt ihn sogar
zum Dichten; in 13 Distichen versucht er Berns Lob zu
verkiinden und nennt dieses Machwerk eine Elegie (!) ; mit
mehr Recht bezeichnet er selbst seine Verse als holperig.
Besser als in der Dichtkunst scheint er im Berner Zeug-
hause bewandert zu sein. Da kntipft er mit besonderer
Freude historische Erinnerungen an die aufgespeicherten
Kriegsgerate und Siegestrophajen. Auf dem Gang durch die
Stadt schreitet er unter den bekannten Bogengangen durch
und bewundert auch den hiibschen Marktbrunnen, er be-
sucht das stattliche Rathaus und den vornehmen Gerichts-
saal und vergifit weder das neue grofiartige St. Vinzenzen-
munster noch auch die Weinkeller. Dafi er auch Berns
Silberschatze, die verschiedenen Kostbarkeiten der Kirchen
und Kloster und manches andere mehr kennt, zeigt nur
umso eher, dafi Gundelfingen aus eigener Anschauung
schreibt, wenn er dazu bisweilen auch fremde Worte braucht.
Er ist bewandert in der Stadtordnung wie in der Kenntnis
. x ) „Topographia" (gedr. v. Blcesch), 1. c. S. 180. — Gundelfingen
sch&pfte vielleicht aus Jordanes, den er in seiner ..Austriae" als Quelle
nannte. Vgl. S. 36. Anm. 3. — In Jordanes „de origine actibusque Gelarum"
(ed. Holder 1882) cap. 3. ist von der Insel Scandzia die Rede; „a
fronte posita et Vistula: fluminis, qui Sarmatiis montibus ortus". In
Cap. 17. ist die Rede vom Auszuge der Geten aus Scandza. In Cap. 4:
..Scandza quasi officina gentium aut certe velut vagina nationum".
Auch spricht Jordanes wiederholt von den Burgundern; in diesen sah
wahrscheinlich Gundelfingen die Ansiedler.
-') Vgl. iiber diese G. v. Wyfi, 1. c. S, 134.
UM.'EC:-ITY Of CALirCR'JI/
H. Gundclfingen wunscht eine Universitat in Bern. 61
der angesehenen eingebiirgerten Geschlechter. Wenn er
Beraer und Bernerinen als ungemein sympatische Leute
schildert, so machte er hierin ein Kompliment seinem alten
Studiengenossen Thiiring Fricker, bei dem er vielleicht auf
diesem Bernerbesuche eingekehrt und Gastfreundschaft ge-
nossen hatte. Fricker wies ihn vielleicht hin auf den
machtigen Propst Kistler, ura diesem einen Vorschlag zu
machen, den wohl Fricker selber auch begriifite. Gundel-
fingen wagt denn auch keck den Vorschlag, indem er Kist-
ler zuruft, Nichts scheine der Stadt Bern zu mangeln,
wenn sie nur eine hutnanistische Schule, eine Universi-
tat hatte.
In eindringlichen Worten legt Gundelfingen die Be-
deutung einer solchen Schule dar. Mit Cicero, Salust und
Plutarch riickt er als Zeugen auf, urn den Propst Kistler zu
bewegen, er mochte in Bern nach seiner Weisung ein-
wirken '.
Diese Aufmunterung umfafit einen grofien Abschnitt -
und schliefit die kulturhistorisch benierkenswerte Be-
schreibung Berns ab.
Die ^Topographia urbis Bernensis" ist auch aufierlich
als Werk Gundelfingens beglaubigt, indem sie seine Unter-
zeichnung tragt; diese lautet: ,Hec sunt que mihi Heinrico
Gundelfingen artium et philosophise magistro, studii Fri-
burgensis collegiato, Beronensis ecclesieque canonico minimo,
de urbe Bernensi armipotentissima in mentem subire anno
domini 1486 duodecimo kalendas octobris" \ Demnach
beendigte er am 20. September 1486 dieses Werk, besafi
') Probst Kistler wurde spater auch Chorherr in Bern; es scheint,
dafi Gundelfingens Anregung Folge geg<:ben wurde und gewissermassen
hat auch Gundelfingen ein Verdienst daran, wenn Heinrich Lupulus
eine humanistische Schule in Bern eroffnen konnte. — Vgl. hieriiber
Stammter J., der Humanist und Chorherr Heinrich Wolflin, genanut
Lupulus (1470-1534), in Kathol. Schweizerblatter N. F. 1887 S. 104 ff.
— Stcehelin, Huldreich Zwingli (Basel 1895) 1,27. Fluri A., Die ber-
nische Stadtschule und ihre Vorsteher bis zur Reformation. Berner
Taschenbuch 1893 94 (Bern 1894). S. 93.
') Auch heute noch, trotzdem ein Blatt der Kopie verloren ist.
') „Topographia" (ed. Blcesch) S. 190.
UM.'Ef'-MTV Or C.'- LlfCR-JI,-
62 Seine Tatigkeit als Lehrer und Schriftsteller.
damals bereits den Magistergrad in der Philosophic und
war in der Reihe der Beromiinster Chorherren der letzte 1 .
Mit der ^Topographia" 4 hatte sich Gundelfingen dem
Rate der Stadt Bern indirect zu nahern versucht; diesem
ersten Schritte folgte ein zweiter, mit einer Schrift an
diesen Rat selbst.
Zwar ist diese weitere Schrift noch nicht vollstandig
als "Werk Gundelfingens verburgt, aber verschiedene An-
zeichen weisen auf ihn als deren Verfafier hin.
Der Romonter Codex, welcher aus Zofingen stammt,
enthalt zwischen den Kopien der ^Topographia urbis
Bernensis* und der Descriptio confcederationis Helvetic*
eine weitere Kopie -. Alle drei Kopien riihren von dem-
selben Abschreiber her, der sie sehr wahrscheinlich auch
in Zofingen selbst hergestellt hat ; die Vermutung liegt nicht
fern, dieser Kopist, offenbar ein Chorherr Zofingens, habe
eine Sammlung von "Werken Gundelfingens angelegt und
uns in einer dritten Kopie ein weiteres Werk desselben
Autors aufbewahrt. Gundelfingen zahlte ja Zofinger Chor-
herren zu seinen Schulern, wie wir wohl annehmen diirfen \
wenn somit vielleicht einer aus diesen Schulern die Werke
seines Lehrers zu sammeln suchte, so lag in Zofingen be-
reits der Anfang hiezu: die Propst Kistler gewidmete
„Topographia u '.
Diese weitere Schrift tragt keinen Titel, iiberhaupt
') Mitveranlassung zur _Topographia" mochte vielleicht auch
ein Zofinger gewesen sein, der in Freiburg die Hochschule besuchte
und zweifelsohne Gundelfingen kennen lernte ; bereits am 26. Juli
1486 liess sich namlich daselbst Heinrich Horber, Canonicus in Zofingen
immatrikulieren (Mayer, 1. c. S. 84, 11.) Dieser mochte auch der Uber-
bringer der Schrift Gundelfingens an Peter Kistler, den Probst Zo-
fingens sein. — Seit Gundelfingens Tatigkeit als Lehrer an der Uni-
versitat Freiburg waren bereits mehrere Zofinger an dieser Hoch-
schule gewesen.
"') Vgl. S. No 6.
) Vgl. oben Anm. 1.
') Die den Bernern gewidmete Schrift aber konnte durch Kistler
selbst sehr leicht fiir Zofingen vermittelt werden.
uM/irsuvorcAurciw
Ein fragliches Werk H. Gundelfingens. 63
scheint ihr jeder Anhaltspunkt zur Eruierung deren Autors
zu fehlen, doch haben wir sie mit eigenen Worten zu be-
zeichnen als „Origo, profectus et gesta incolarum et
civium de Hasli".
Diese Schrift ist dem Rate und der Einwohnerschaft
der Stadt Bern gewidmet. Der Verfafier tut dies, von
Freunden gebeten, und verweist hiebei auf friihere historio-
graphische Schriften. Es ist nicht zu verkennen, dafi die
Widmung den Charakter Gundelfingen's tragt, die ihm ge-
laufige Phrase iiber seine Schreibweise kehrt ebenfalls
wieder'. Hiezu kommen noch als weitere Momente jene
oben erwahnten Nachrichten der .,Topographia~ uber die
Besiedelung des Uechtlandes und die Prophezeihung der
Eidgenossenschaft aus der ..Descriptio'' . welche in der
•.Origo" 4 wieder auftauchen. Zudem miissen wir im Auge
bebalten, dafi Gundelfingen ein sehr grofies Interesse daran
hatte, sich den Rat der Stadt Bern geneigt zu machcn,
wenn sein Vorschlag zur Griindung einer Schule ausgefiihrt
werden sollte und er vielleicht von den Bernern auch die
Verleihung einer Chorherrenstelle erwirken wollte, wie er
dies einige Jahre zuvor mit gutem Erfolg bei den Luzernern
getan hatte".
Eine Reihe von Momenten spricht somit dafiir, Gundel-
fingen als den Verfasser der -Origo" zu bezeichnen.
Mit wenigen, aber nicht unwichtigen Abweichungen
bietet die „Origo" lediglich die lateinische Fassung von
jenem, dem Eulogius Kiburger zugeschriebenen ,Herkommen
der Schwyzer und Oberhasler., :: .
Diese Werke zeigen uns, dafi Gundelfingen in Freiburg
eine ziemlich eifrige schriftstellerische Tatigkeit entfaltete.
') Z. B.
..Austria;".
..stiluin ac calamum parum
imniitando".
-Origo"'.
..quo quirem stilo cursibili et
piano uti".
') Die Berner besaBcn das Patronat am St. Vinzenzeustifte.
') Vgl. G. v. WyA 1. c. S. 134.
UM/ilSIIVOrCAUfCM/
64 Seine Tatigkeit als Lehrer und Schriftsteller.
Noch im Jahre 1487 treffen wir ihn an der Universitat; er
verlangte am 18. September von derselben ein weiteres
Mai das ihm schuldige , „Stipendium a . Diese liefi ihn, an-
statt das Geld auszuzahlen, wissen, dafi sie ihn gleich
anderen „Stipendiaten halte, nachdem diesen ihr „Stipen-
dium" entrichtet sei, wolle sie diese Verpflichtung auch
ihm gegeniiber erftillen '.
Bald nach diesem Vorkommnis zog Gundelfingen sich
in den Ruhestand zuruck, denn schon am 4. Februar 1488
wurde er auch in der «Lectur" der freien Kiinste, von der
er freiwillig zuriicktrat, ersetzt durch den Magister Johannes
RoBnagel von Wallenstadt - ; Johann Lunson war eben bios
die „Lektur u in der Dichtkunst iibertragen worden.
Gundelfingen hatte seit 1471 einen Lehrstuhl an der
Universitat Freiburg inne gehabt; er war zum Range eines
Ordinarius gelangt, er war tatig in der Universitatskanzlei
(Universitatskanzler?), wurde ofters in den Universitatsrat
berufen sowohl als Assessor wie als Consiliarius, mehrmals
hatte er die "Wurde eines Dekans der Artistenfakultat be-
kleidet und war sogar Vice-Rektor bezw. Rektor de facto.
Er schied von der jungen Hochschule nach 17jahriger
Wirksamkeit; er war ein Kollege der grofiten Gelehrten
seiner Zeit gewesen.
') Senatsprotocoll von 1487 September 18.
) Es geht dies hervor aus der Urkuhde, welche Herzog Sigis-
mund filr Johannes Rofinagel ausstellte : ..Bekennen als dann der ersam
unser getrewer lieber maister Hainrich Guncielfinger collegiat auf
unser hohen schuol zu Freyburg im Brysgew, der lectur in freyen
kiinsten, so er auf derselben hohen schuol gehabt hat, frey abgestanden
ist, und den ersamen unsern getreuen lieben maister Hansen Rofenagel
von Wallenstatt darzuo kumen hat lasse.
..Actum Inspruk an montag post purificationis Marie" (4. Febr.)
Copialbuch von 1488 f° 9CK K. K. Statthaltereiarchiv Innspruck.
Die Universitat Freiburg hatte um diese Investitur gebeten. —
,, Johannes RoBnagel de Walstatt clericus Curiens. dioc." hatte sich in
Freiburg immatrikulieren lassen am 4. Marz 1474 (Mayer, 1. c. S. 56,
16 u. Anm.); er war Magister geworden an der Artistenfacultat
1480 81; Dekan dieser Fakultat 1485 87 u. 1490 91. -Johann Rofinagel
kommt in den Senatsprotocollen ofters vor.
UM.'Ef:.iT¥or c.~ Lifcr:-Ji,-
H. Gundelfingens Abschied von der University 65
*
Er stand neben Geiler von Kaisersperg, urn nur diesen
aus der langen Reihe angesehener Freiburger zu erwahnen,
er sah die jungen Wimpheling und Reuchlin heranwachsen
und manchen Wissbegierigen mag er dem Humanismus zu-
gefuhrt haben, der spater seinen Lehrer an Bedeutung
weit ubertraf '.
Gundelfingen eroffnete als erster an seinem Lehrstuhle
eine Gelehrtenreihe, von denen nicht wenige zu den Zierden
nicht bios seines Faches sondern der Universitat uberhaupt
gehoren, wie Ulrich Zasius, Philomusus (Jakob Locher) und
Glarean (Heinrich Loriti) -.
') So z. B. diirfen wir wohl den Georg Eberbach von Rotten-
burg, den spateren Humanisten und Rektor an der Erfurter Universitat
als seinen Schuler ansehen ; dieser lieB sich in Freiburg immatrikulieren
am 10. Februar 1473 (Mayer, S. 54, 19); ferner die beiden Briider
Heinrich und Matheus Nythart von Ulm, Freunde der Humanisten,
immatrikuliert am 18. Oktober 1473 (Mayer, S. 55, 20 u. 21) nm nur
diese hier anzufiihren.
) Vgl. u ber diese, Schreiber, S. 68. 70.
uM/irsuvorcAiifciw
Letzte Lebensjabre in Waldkirch u. letzte Werke.
1488—1490.
Kenntnis von Gundelfingens Aufenthalt nach seinem
Riicktritt von der Universitat Freiburg erhalten wir aus
einer seiner nachsten Schriften.
Die Vorrede zu seiner „Historia Nicolai Underwaldensis
heremitae" unterzeichnete er namlich: ,,ex collegio Sylva-
censi alias * "Waldkirch a. d. 1488 idus augusti" ; zu be-
achten ist auch die Namensform, er schreibt sich: ,,Hen-
ricus de Gundelfingen artium et philosophize magister Bero-
nensis collegii canonicus".
Die Form : de Gundelfingen - zeigt, dafi Gundelfingen
in seiner Namenschreibung selbst nicht konsequent war.
Ferner ersehen wir hier aus einer Stelle allein schon, dafi
er zwei verschiedene Magister-Wiirden besafi, diejenige
der Artistenfakultat im allgemeinen und jene der Philo-
sophic im besonderen. Dafi er sich nicht mehr als Kolle-
giat der Universitat Freiburg bezeichnete, beweist, dafi er
aus deren Lehrkorper ausgetreten war, wie wir bereits ge-
sehen haben.
Gundelfingen zog von Freiburg weg und nahm seinen
Aufenthalt im Kollegiatstifte Waldkirch ! .
') Kopie gibt irrtiiralich actas.
") Falls dies nicht- auf Rechnung des Abschreibers zu setzen ist.
') Waldkirch an der Elz, heute Bezirksamtsstadt im badischen
Kreis Freiburg. - Im aufgehobenen Chorherrenstift ist heute eine
hfthere Privat-, Lehr- und Erziehungsanstalt.
UM.'Ef-:.iTY or c.'-Lircr:'!!/
H. Gundelfingen wird Frtihmesser in Waldkirch. 67
Dieses Chorherrenstift war 1430 durch Umwandlung
eines verarmten Frauenklosters entstanden, nachdem da-
selbst alle Klosterfrauen gestorben waren '. Nach Griindung
der Universitat Freiburg wurde dieses Stift so zu sagen
Versorgungsheim fur ausgediente Universitatslehrer, die
allda ihren Lebensabend zubringen konnten '.
Wie aus obigen Ausfiihrungen hervorgeht, hat Gundel-
fingen am oder nach dem 4. Februar, seinem Rucktritte
und vor dem 13. August 1488, dem Datum seiner .Historia
Nicolai" in Waldkirch eine Pfrunde erhalten :t .
Wie uns das Jahrzeitbuch von Waldkirch mitteilt, war
Gundelfingen Kaplan der St. Michaelskapelle 1 . Diese
Kapelle befand sich aufierhalb der Kollegiatkirche, aber
in deren Nahe und wurde auch Friihmesserei genannt ■".
Da verbrachte nun Gundelfingen den Rest seiner Tage und
er hatte hier genugend Mufse seiner schriftstellerischen
Tatigkeit obzuliegen.
Wir haben bereits seine „Historia Nicolai" erwahnt.
Es war namlich am 21. Marz 1487 der bis in weit ent-
fernte deutsche Gaue hinaus bekannte Eremit Nikolaus
von Flue gestorben r . Schon zu Lebzeiten stund dieser
merkwiirdige Mann im Rufe grofier Frommigkeit. Neben
') St. Margaretenkloster genannt, die Einkiinfte dieses Klosters
betrugen bei seinem ErlOschen noch 30 Mark Silber. Vgl. Werk-
mann L., Beitr^ge zar Geschichte der Frauenstiftes Waldkirch, iu
Freiburger Diozesanarchiv Bd. 3 (Freiburg 1868) S. 143, 147 ff.
') Svhreiber, S. 51 Anm.
') Propst war daselbst in dieser Zeit Georg Schnewelin von
Landech (1472—1508). - Vgl. Werkmann, S. 6. — Weiteres in Freibg.
Dioz. Arch. Bd. 24. S. 236 ff.
4 ) Anniversar v. Waldkirch no 41 fo 8, in Grofiherzogl. General-
landesarchiv in Karlsruhe.
") Werkmann, 1. c. S. 152, 157.
") Im Ranft bei Sachseln, im heutigen Kanton Obwalden (Schweiz)
— Die Quellen und Litteratur ilber Nikolaus von Flue siehe bei
Chevalier Utyfi, Repertoire des sources historiques du moyen age.
Bibliographie T. 2. (Paris 1907) Kolonne 3333 4, wo aber gerade
Gundelfingen fehlt.
uM/irsuvorcAUfciw
68 Letzte Lebensjahre in Waldkirch und letzte Werke.
ungezahlten Volksscharen besuchten ihn, auch hochange-
sehene Personen, darunter manche Gclehrte 1 .
Bald nach dem Tode dieses Volksheiligen verfafste
Gundelfingen, indem er keinen Zweifel trug, da£ der Da-
hingeschiedene bald canonisiert werde, zu dessen Ehre das
„Qfficium de beato Nicolao super Saxo heremita Under
waldensi Helvetio" '-'.
Da der Inhalt dieses Offiziums grofitenteils, sogar mit
denselben Worten in der ^Historia Nicolai" wiederkehrt-
sei hier nur kurz ein "Wort tiber dessen Form gesagt. Die
lateinische Sprachc handhabt Gundelfingen hier besser als
z. B. in der „Austrize". Die Hymnen aber sind wreniger
gegliickt, gerade hervorragend scheint der Dichter Gundel-
fingen nicht gewesen zu sein. Einzelne Verse fliefien zwar
leicht und sind hiibsch, aber gerade diese sind aus anderen
Hymnen entlehnt', denen gegeniiber Gundelfingens Mach-
werk durch den verschiedenen Versbau sich ziemlich deut-
lich kenntlich macht.
Gundelfingen hatte dieses Officium offenbar bereits fin-
den praktischen Gebrauch vorgesehen, indem er ihm nach
Art des gregorianischen Chorals auch Musiknoten beigab 1 .
Hiemit lernen wir ihn nun von einer neuen Seite kennen.
Gundelfingen hatte in Freiburg reichlich Gelegenheit
gehabt, bei ttichtigen Lehrern, wie Magister Conrad Stiirzel
und Johann Knapp Unterricht in der Musik zu erhalten;
') So: Johann Geiler von Kaisersperg anno 1472; Hans von
Waldheim 1474; Felix Fabri 1475; Albrecht von Bonstetten 1478 (Vgl.
Biichi, 1. c. S. 67). Alle diese erzahlen in ihren Schriften iiber Nikolaus
von Flue. — Vgl. G. v. Wy& 1. c. S. 148 49.
? ) Vgl. S. No. 7. - Holier, Bd. 3, 1673.
') Giitige Mitteilung v. H. Universitatsprof. D' P. Wagner,
Freiburg i. Ue.
4 ) Ming J., Der selige Bruder Nikolaus von Flue (Luzern 1861 78)
Bd. 2. S. 83 84 und Anm. 1. Renward Cysat, Stadtschreiber von
Luzern bezeugt 1591 durch einen Eintrag im Mannlehenbuch der
Stadt Luzern (St. A. Luzern) II. f° 408, dass das Officium „in der
kilchen ze bruchen." Vom Officium wie von der Historia nahm er
ein Vidimus.
uM/irsuvorcAUfciw
•H. GundeHingen schreibt iibcr den S. Nicolaus v. Flue. 69
Musik war an der Universitat Freiburg ein mit Eifer ge-
pflegtes Fach 1 . Die gewonnene Kenntnisse suchte er nun
vielleicht im Officium zu verwerten. Wie die Verse der
Hymnen eine Kompilation sind, so scheint dies auch beim
Choral der Fall zu sein.
Noch bevor er dieses Officium aus der Hand gab -
wie er selbst sagt machte er sich daran, zur grosseren
Ehre des verstorbenen Einsiedlers eine „Historia Nicolai
Unterwaldensis eremite" zu schreiben-'.
Er widmete 1488 ! diese Schrift dem Schultheissen und
Rate der Stadt Luzern 1 , da dieser ihm bereits friiher
grofies "Wohlwollen erwiesen habe ; '. Nicht ungerne sahe er
es, wenn die Luzerner seine r Historia 11 drucken Liefsen,
spater wolle er dann noch bessere Arbeiten tiber Bruder
Klaus schreiben; so sucht sich Gundelfingen in der Vor-
rede zur „Historia u dem Luzerner Rate zu empfehlen.
In diesem "Werke nun erzahlt er uns, was er sehr
wahrscheinlich bei einem . Besuche des Eremiten selbst be-
obachtet und gehort hat. Den Wunsch zu diesem Besuche
mochte schon Johann Geiler von Kaisersperg in ihm an-
geregt haben, der 1472 von der Universitat Freiburg aus
einen solchen Besuch ausgefuhrt und seinem Studiengenossen
und Kollegen Gundelfingen wohl hieruber Mitteilung
machen konnte.
Bei genauer Priifung ergibt sich, dafi Gundelfingen eine
') Schreiber, 1. c. S. 68. — Nicht unmoglich ware es, dafi Gundel-
fingen auch selbst iiber Musik vorgetragen habe. Der allgemeine
Ausdruck „Lectur in freyen Kiinsten" (Vgl S. 61, Anm. 2) begreift
auch das Musikfach in sich.
) Vgl. S. 66, n= 8. - Haller, 1. c. 1673.
a ) Vgl. oben, S. 66.
') SchultheiS war damals Ludwig Kramer. — Vgl. Liebenau Th v.,
Die Schultheissen von Luzern, in Geschichtsfreund Bd. 35. (Einsiedeln
1880) S. 110.
') Vgl. S. 55. - Hieraus geht auch hervor, wie nichtig die Be-
hauptung von O. Lorenz (S. 124) ist. wo er sagt : ..in den alten
Schweizerkantonen konnte Gundelfingen sich gewifi keiner Freunde
ruhmen".
UMKRSmWCAUFOW
70 Letzte Lebensjahre in Waldkirch und letzte Werke.
Pilgerreise nach Einsiedeln und an andere "Wallfahrtsorte
der Schweiz gemacht und wohl hiebei auch den Einsiedler
im Ranft besucht hatte.
Hierilber erstattet er uns Bericht, nicht wie man aus
anderen Quellen geschopftes wiedergibt, sondern wie man
aus eigener Erinnerung mitteilt, einige wenige Stellen aus-
genommen ' .
In Kiirze entwirft er uns ein Bild von „Bruder Klaus'"
fiber sein Leben vor dem Antritt des Einsiedlerlebens;
ausfuhrlicher berichtet er uber das letztere, er beschreibt
den Aufenthaltsort des Eremiten, dessen Tagewerk und
betont oftmals und bestimmt dessen langjahrige vollstandige
Enthaltung von jeglicher korperlicher Speise. Er teilt auch
verschiedene Lehren und Ermahnungen mit, die der Ein-
siedler wohl auch Gundelfingen gab, und in lebhafter, von
dem tiefen Eindruck des Besuches beeinflufiten Sprache
stellt er der genufisiichtigen Welt mit ihren Gewohnheiten
den einfachen Bruder Klaus gegeniiber, der keine Bediirf-
nisse kennt. In der Schilderung des Treibens der "Welt
liegt ein kleines Stuck Kulturgeschichte jener Tage. Der
Bericht uber den Eremiten aber, trotzdem er eine Lob-
rede ist, zeichnet sich aus durch Sachlichkeit^ Berichte
tiber Visionen und "Wunder fehlen vollstandig - ; manches,
was spater als Vision etc. erzahlt wird, finden wir bei
ihm noch natiirlich.
Gundelfingens „Historia'" ist durchaus selbstandig, um
dessen Verhaltnis zu anderen Biographen uber dieselbe
Persdnlichkeit zu kennzeichnen. Wenn inhaltlich iiberein-
stimmende Stellen sich finden 3 , so beweisen diese nur, dafi
') Indeni er sich auf Cfesar von Heisterbach und auf den HI.
Hieronymus beruft. Vgl. hierilber Riiegg F., Heinrich Gundelfingen,
ein zeitgenosssicher Biograph des Seligen Nikolans von Flue, in
Zeitschrift fiir Schweizerische Kirchengeschichte Bd 4. (Stans 1910).
Heft 2. S. 21 ff.
') Hinsichtlich der langjahrigen Enthaltsamkeit stellt er bios den
Tatbestand fest.
•") Formelle sind keine vorhanden.
UM.'Ef'-MTV Or C.'- LlfCR-JI,-
H. Gundelfingens ..Historia Nicolai Unterwaldcnsis eremitae".
die Schreiber dasselbe berichten und somit die Glaub-
wiirdigkeit erhohen.
Gundelfingen hatte neben dem Schatze eigener Er-
fahrung auch einen guten Gewahrsmann, von dem er sichere
Nachrichten iiber den Eremiten erhalten konnte. Es ist
dies der sogn. Bruder Ulrich im Moslin, der angeregt durch
Bruder Klaus unweit dessen Einsiedelei auch selbst ein
Eremitenleben fuhrte und von Gundelfingen ebenfalls be-
sucht wurde.
Gundelfingen flicht namlich in die „Historia Nicolai"
eine kurze Biographie des genannten Bruder Ulrich ' und
teilt mit, was er diesen iiber Bruder Klaus ausfragte, auch
beschreibt er uns Ulrich selbst.
Gundelfingens „Historia Nicolai" gehort als Werk
eines Zeitgenossen und Augenzeugen zu den wichtigsten
Quellenschriften iiber den Seligen Nikolaus von Flue und
ist eine der wertvollsten Schriften Gundelfingens iiberhaupt.
Wie der Rat von Luzern sich dem Verfasser des
-Officiums" und der ^Historia Nicolai", welche derselbe
schon auf Pergament geschrieben hatte, erkenntlich zeigte,
wissen wir nicht, sicher ist, dass der genannte Rat diese
Schriften in seine Hand erhielt '-.
Ob Gundelfingen die versprochene vollendetere Historie
iiber Nikolaus von Flue spater noch ausgefiihrt hat wissen
wir auch nicht, mochten es aber sehr bezweifeln, denn es
fehlt jeglicher Anhaltspunkt fur die Existenz dieses Werkes.
Hiugegen haben wir noch Kunde von einer anderen
Schrift Gundelfingens, die er nach dem Berichte Conrad
Gesner's im Jahre 1489 geschrieben hat.
Gesner betitelt dieselbe; „De thermis Badensibus" 3 .
"Wie wir aber sehen werden, ist dieser Titel zu enge gefafit
1 ) Welche vielfach irrtumlicherweise als ein Werk Gundelfingens
fflr sich betrachtet wurde. — Vgl. Haller, 1. c n° 1823.
') Und sie bewunderte, aber in fremde Hande kommen liefi und
erst 1591 durch Renward Cysat zu Sachseln wieder gefunden wurde;
(1. c. f° 408) heute ist ihr Aufenthalt neuerdings unbekannt.
) Vgl. S. no 9.
uM/irsuvorcAUfciw
72 Letzte Lebensjahre in Waldkirch und letzte Werke.
oder dann hat Gundelfingen iiber verschiedene Bader in
mehr als einem Werke geschrieben.
Leider bietet uns Gesner nur Bruchstiicke aus Gundel-
fingen. Das erste und grofite befafit sich mit Baden im
Aargau.
Wie aus diesem hervorgeht, beschreibt er einleitend
kurz die Lage Badens. Offensichtlicb.es Interesse hat unser
Humanist an den antiken Funden, welche auf den alten
Romerstatten in der Gegend von Baden und Brugg gemacht
wurden, er versucht sich sogar im Kopieren der Inschriften '.
Alsdann erwahnt er die einzelnen Badanstalten Badens und
streift hiebei auch die St. Verena Legende. Der Beniitzung
der gleichen Bader durch beide Geschlechter stellt Gundel-
fingen verschiedene, besonders die kirchlichen Gesetze
entgegen.
Das Wasser Badens findet er Schwefel- und Alaun-
haltig, geeignet verschiedene "Wirkungen hervorzurufen. Von
diesen gibt er eine ganze Reihe an, so z. B. meint er, sie
helfen bei Phlegma und schlechtem Humor wieder auf.
Nicht uninteressant sind die Ratschlage, welche Gyndel-
fingen fur einen richtigen Gebrauch der Bader erteilt. Er
glaubt, taglich sieben Stunden im Bade sollten genugen;
wahrend des Badens sei jeglicher Genufi von Speise und
Trank sowie auch das Schlafen zu vermeiden u. a. m.
Auch iiber die r Ieilquellen von Pfdfers- unterrichtet
uns Gundelfingen, die Gold enthalten und von einem natur-
lichen Feuer erwarmt seien ; man gebrauche diese vorziig-
lich gegen alle Arten Gicht.
Ebenfalls iiber die Bader in Leak"' weifi er Auskunft;
nach seiner Meinung enthalten letztere Kupfer und befordern
erfolgreich den Stuhlgang.
') Abgedr. in Mommsen Th., Inscriptiones confcederationis Hel-
vetia* latina: (Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft Zurich
Bd. 10.) S. 50 no 245.
') Kt. St. Gallen.
') Kt. Wallis.
UM /E( HTY or CAlirCfMl.'
H. Gundelfingen schreibt fiber verschicdene Bader. 73
Wie a us Gesner hervorgeht 1 schrieb Gundelfingen auch
iiber Baden-Baden, Wildbaden 2 und Plummers, hievon sind
uns aber nur wenige Satze ubermittelt.
Man wundert sich, wie Gundelfingen dazu kam, uber
diesen seinen Studien nicht nahe liegenden Gegenstand zu
schreiben. So unaufgeklart dies uns ist, so zeigt es doch,
daft er ein waches, fur Mannigfaltiges gewecktes Interesse
hatte. Baden im Aargau hatte er auf seiner Schweizerreise
wohl selbst besucht und da das lockere Leben und Treiben
beobachtet. Etwas Aufklarung gibt uns ferner die Matrikel
der Universit&t Freiburg, aus der wir ersehen, dass aus
Baden mehrere und sowohl aus nachster Nahe von Pfafers,
von Ragaz"', wie auch aus dem "Wallis 4 Studenten nach
Freiburg kamen, von welchen Gundelfingen sehr wohl das
eine und andere liber die betr. Bader vernehmen konnte.
Wildbad (en) war ferner ein von Gelehrten gerne aufge-
suchter Erholungsort '.
Gundelfingen hatte in Waldkirch auch eher Zeit,
seinem Gefallen nachzugehen.
"Wider Erwarten finden wir im Freiburger Senats-
protokoll seinen Namen im Jahre 1489 noch einnial, nun
aber zum letzten. Die Universitat hielt namlich am 19. August
mit alien ihren „Stipendiaten" vollstandige Rechnungsabnahme
uber ihre Pflichten und Guthaben. Wahrend Gundelfingens
Nachfolger Johannes Lunson und Johannes Rossnagel hier
als Gl&ubiger neben anderen auftraten, finden wir unseren
Gundelfingen als Schuldner, welcher der Universitat 20
Gulden zuriickbezahlte ".
') fo 297, 297v, 298.
') Wildbad, Wiirtemberg.
:I ) Johann Kesler, i'mmatrikuliert am 17. Juni 1484, wurde am
18. Mai 1486 pedellus fac. artium. (Mayer, 49, 7.)
4 ) Johannes Rotten, immatrikuliert am 15. Dezember 1484
(Mayer, 80, 7.), urn nur diese beiden aus der grossen Zahl der
Schweizer zn erwahnen.
') So nahm z. B. Johannes Heynlin aus Stein im Jahre 1478
daselbst Aufenthalt. Vgl. Hofifeld M., Johannes Heynlin aus Stein,
in Basler Zeitschrift fur Geschichte und Altertumskunde Bd. 7. S. 205.
") Der Grund hiefur ist nicht klar; vielleicht hatte sich beim
UM.'Ef'-MTV Or C.'- LlfCR-JI,-
74 Lctzte Lebensjahre in Waldkirch und letzte Werke.
Fast genau ein Jahr nach diesem Vorkommnis waren
Heinrich Gundelfingens Tage gezahlt. Wie das Jahrzeit-
buch des Stiftes Waldkirch uns sagt, starb er am Sonntag
nach Bartholomaei (d. i. am 29. August) 1490 ' und wurde
daselbst vor dem _Beiuhause u begraben 2 ,
Sein Testament machte er offenbar noch selbst und
zwar vor dem 19. Juli 1490 '; hierin verlangte er, dafi an
seinem Gedachtnistage bei seinem Grabe eine Miserere
gebetet werde ' ; dafur machte er eine Stiftung mit jahr-
lichem Ertrage von 6 ft. 3 d. '• ; auch das Kollegiatstift Bero-
miinster vergafi er nicht und stiftete dahin 3 ft ,; .
Mit Gundelfingen ist nicht einer der grofien Gelehrten
ins Grab gestiegen, aber eine fleifiige vorbereitende Kraft.
Seine ausschliefilich lateinischen W"erke zeigen ein humanis-
tisches Kleid, in das Wesen des Humanismus aber drang
er nicht. Er ist der Typus fur die Ubergangszeit, fur den
deutschen Fruhhumanismus.
Nachprtifen der Rechnungen ein Fehlbetrag ergeben auf seinen Conto;
oder hatte er etwa sein ..Stipendium" antecepiert und war gleich her-
nach von seiner Stelle zuriickgetreten? Die Stelle lautet: „Magister
Heinricus Gundelfingen viginti florenos remisit et solutus est" Iremisit
et ist aus dem Vorhergehenden zu erganzen.) Gundelfingen war aber
nicht allein in dieser Lage, er hatte auch liierin noch Kollegen, z. B.
den Johannes Zurzachcr.
') _item illo die (dominica post Bartholomaei [aus dem Vorher-
gehenden zu erganzen |) erit anniversarium venerabilis doinini magistri
Henrici de Gundelfingen capellani sancti Michaelis omniumquc paren-
tum et antecessorum eius" Anniversar von Waldkirch 1. c. no 41 f° 8.
') (venerabilis vir magister Henrtcas) |aus dem vorherg., wie in
Anm. 2. zu erganzen | Gundelfinger vor dem Beinhaus 1 miser(ere).
Anniversar v. Waldkirch n° 39 f° 69 und n° 40 f° 80 (dasselbe), beide
in Karlsruhe 1. c.
') An diesem Tage war bereits Jakli Biicher zu Sinspach ab-
gabenpflichtig auf Grund des Stiftungsbriefes. Anniversar 1. c. no 41 fo 8-
') Anniversar n° 39 f° 69 ; n° 40 f° 80.
') Anniversar n° 41 f° 8.
'') Riedweg, 1. c. S. 417. Ein irrefiihrendes Datum weist das
Anniversar von Beromiinster auf, indem Gundelfingens Gedachtnis
auf den 17. Dezember 1490 eingetragen ist. Das Richtige bietet
zweifelsohne Waldkirch. Vielleicht ist erst auf den 17. Dezember die
UM.'Ef'-MTV Or C.'- LlfCR-JI,-
H. Gundelfingen Bedeutung. 75
Mit seinen Werken erging es ihm gleich Albrecht von
Bonstetten und fiiglich passt auch fiir Gundelfingen
A. Biichi's Wort: „die Historiographie zeitigte neuere und
glanzendere Leistungen, so dafi die Schriften unseres Hu-
manisten der Vergessenheit anheimfielen und in Staub und
Moder von Archiven und Bibliotheken begraben blieben,
bis der Eifer einer neuern Zeit sie wieder zu Tage forderte '.
Grofieren Einfluft als durch seine Werke mochte
Gundelfingen fiir seine Zeit durch die Tatigkeit als Lehrer
humanistischer Wissenschaften ausgeiibt haben; die Gelegen-
heit, durch das lebendige "Wort auf die kommende Gene-
ration einzuwirken war ungleich wertvoller, und Gundel-
fingen hat geholfen eine Saat auszusaen und deren Wachs-
tum zu fordern, welche herrlich gedieh und sich entfaltete.
Von dem Ruhm des deutschen Humanismus zu seiner
Bliitezeit fallt auch ein Lichtstrahl zuriick auf einen seiner
Wegbahner: auf Heinrich Gundelfingen.
Nachricht vom Ableben Gundclfingens in Beromunster eingetroffen-
— Man beachte auch hier den Namen: ,ad annivcrsarium D(oraini]
Mfagistri| Heinrici de Gundelfingen H(uius) EJcclsiae] C|apellani] datur
1 £1." Anniversar v. Beromunster, St. A. Beromunster. — Gundelfingen
scheint auch die Pfriinde „Giegenegg'' (Vgl. S. 26) bis 1490 beibehalten
zu haben, denn erst in diesem Jahre erhalt er einen Nachfolger in
dem Magister Peter Kiindig. — Estermann, 1. c. S. 262.
') Buchi, Albrecht v. Bonstetten 1. c. S. 102.
UM/HSIIVOKAUfCRW
Exkurse.
1. Gundelfingens Genealogie der Habsburger
(2. Buch der Austria).
Sein Verhaltnis zu Mathias von Neuenburg und zu dem sogen.
Gregor Hagen bezw. zu einer Klingenberger-
sowie zu einer Konigsfelder Chronik.
Gundelfingen behandelt in diesem Buche das Haus
Habsburg, wobei er deutlich zeigt, dafi es ihm in aller-
erster Linie um den genealogischen Nachweis zu tun war;
jeweilige Zeitereignisse erwahnte er fast keine, und die
wenigen die er noch anfiihrt, nur kurz.
Einleitend bemerkt er, es sei dem Herzog Sigismund
die Geschichte der Grafen v. Habsburg aus alteren Zeit-
beschreibungen besser bekannt (als ihm selbst!), er beruhre
sie somit nur kurz 1 .
Er geht, wie schon friiher erwahnt, aus von der Ab-
stammung der Habsburger aus romischem Geschlechte.
Die Sage von der romischen Abstammung der Habs-
burger und anschliefiend daran die Frage nach der Existenz
einer Klingenberger Chronik fand bereits mehrfache Er-
forschung - ; nichtsdestoweniger miissen wir sie an dieser
') -qui tui originem tuorumque predecessorum gesta ac annalia
prioribus ex chronographis melius novisti." Orig. MS. f° 30. - Lam-
becius 476.
) Vgl. die Zusammenstellung der Litteratur hieriiber bei P. P.
Albert, Die habsburgische Chronik des Konstanzer Bischofs Heinrich
von Klingenberg in ZGO. N. F. 20 Bd. (Heidelberg 1905) S. 179. -
V. Thiel, Die Habsburger Chronik Heinrichs von Klingenberg, in M.I.
Mi/irsiivorcAurciNi/
Die Habsburger Stanimsage.
77
Stelle, soweit sie Gundelfingen betrifft, nochmals be-
handeln auf Grund eigener Untersuchung.
Beachtung fand, namlich das 2. Buch der Austrian,
Gundelfingens bisher insoweit als man in ihm Anhalts-
punkte erblickte, welche entweder fur oder gegen die
Existenz einer Klingenberger Chronik zu sprechen schienen.
Bisher war man allgemein der Ansicht, dafi Mathias
v. Neuenburg in seiner Chronik die romische Abstammung
der Habsburger, wenn auch vielleicht nicht selbst erfunden,
so doch zuerst uns iiberliefere. Neben Mathias stellte man
den Bericht, wie er uns in der sogn. Klingenberger Chronik
vorliegt 1 . Diesen fiigte man als dritten denjenigen Gundel-
fingens bei ; indern man nun alle drei miteinander verglich,
versuchte man das Verhaltnis dieser "Werke unter sich und
zu einer vermutlichen Chronik Heinrichs von Klingenberg
feststellen zu konnen.
Um dieses Verhaltnis und die Ausfuhrungen hieriiber
leichter priifen zu konnen, sind wir gezwungen, die be-
treffenden Stellen, obwohl sie in anderen Abhandlungen
schon mehrf ach zitiert sind, nochmals hier einfugen zu miissen.
Mathias v. Neuen-
burg '-.
1. Rudolf us comes
de Habsburg ex an-
tiquis progenitori-
bus ab urbe Roma
traxit originem.
Klingenberger
Chronik :; .
Von don Herren
von Habsburg.
1. Die selben graf-
fen warent von
Rom, in dise land preclare Romanorum
Gundelfingen *.
2. Religatis ac de-
portatis ob poten-
tis senatoris truci-
dacionem olim du-
obus fratribus,
6.G. 20. Bd. (Innsbruck 1899) S. 577. Anm. verspricht in einem An-
hang den 2. Teil von Gundelfingens -Austria?" 4 zu bieten ; diese Ver-
offentlichung ist wohl unterblieben, wir vermochten sie nirgends zu
finden.
') Die Klingenberger Chronik, herausg. von A. Henne v. Sar-
gans (Gotha 1861).
') S. 1. Z. 16 ff.
: ') S. 18 ff.
') Orig. MS. fo 29 ff. — Lambecius 476.
UM/irSIIVOKALirCfW
78
Exkurse. 1. Gundelfingens Genealogie der Habsburger.
2. Olim namque
duobus fratribus
potentis Romani
occisionem elimi-
natis ab urbe,
pater eoi'Lim, nobi-
lior Roma nus, dans
cuilibet eorum im-
mensam pecaniam
ipsos iussit paries
abire remotas. Qui
se in superior i Ale-
mannia receperunt.
3. Antiquior ante in
empcionem prediorum
ei municionum, junior
aulciu ad habendum
vasallorum in u I til iidi-
tiem conabatur. Pa ire
a mem post aliquos
annos filios visi-
tante, cum vidisset
senioris empta, eius
prudenciam com-
mendavit. Requirens
a litem a juniore, quid
egerit, ille : se om-
nia in n nam muni-
cionem tortissimam
collocasse. Hi iussis
omnibus vasallis
suis cum eorum li-
beris rnasculis optime
armatis venire ad
mo n tern
4. ubi castrum
Habsburgest collo-
kommen, und
warent von guotem
und altem geslecht
ze Rom, und warent
dennocht nit als rich
und als machtig als
si aber adenlich mit
iren taten warent.
Es fiiegte sich, dass
ir ainer von diesem
geslechte gaistlich
was, und kam von
Rom in dise land
und wart bischoffze
Strassburg, wan das
selb bistum in den
ziten in grossen eren
was,
2. und bracht also
smeii bruoder mit
im herus ... Also
halrF der bischoti"
sinem bruoder gar
j fast und gab im auch
grofj guot, wan er
was mac h tig und
1 rich . . . Ainsmals
do fiiegte es sich,
dass der bischoH" von
Strassburg wollte
besechen was sin
Bruoder gebuwen
hette, und kam also
mit vil herrschaft zuo
sinem bruoder gen
4. Habspurg. Und
do der bischoff di
familie Petre Leonis
dicte de Aventino
montc, a Julii Ce-
saris valentissimi
omnium principis
qui in vigore animi
non habuit parem
nee ante se nee post
se familia descenden-
tibus ipsisque ad
Alpium jugavenien-
tibus,
4. ubi nunc cas-
trum Habsburg
Lucernensem circa
lacum collocatum
cernitur.
3. Senior adeplus
prcdin ct possession-
nes junior ingencia
vasallorum dominia,
UMVE«Sm™FCAUF(»M
Die Habsburger Stammsage.
79
catum, illic patrem
traducens, illam for-
cium multitudinem,
quos et omnes eorum
posteros masculini
sexussuos et posteri-
tatis sue fideles vasal-
los, illis confitenti-
bus, patri probavit,
suum asseruit esse
castrum. Quo viso
pater in illius ani-
mosa nobilitate ga-
visus magnum the-
saurum destinavit
eidem.
5. Ex quibus frat-
ribus omnes de
Habsburg postea
processerunt.
vesti sach, do sprach
er zuo sinem bruo-
der : liber brnoder,
mich dunkt, du
habist gar wenig ge-
buwen nach der hilff,
die ich dir getan hab.
Der von Habspurg
antwurt sinem bruo-
der : herr und bruo-
der, morn sollent ir
erst recht sehen den
buw, den ich getan
hab ; wan er hat
haimlich nach alien
sinen dienern und
friinden geschickt.
Morndess do die
herren ufgestuonden,
do lag d;ts veld voll
volkes, und hattend
ir gezelt ufgeslagen,
herren, ritter und
knecht. Der bischoff
wond, er war be-
legen ; nain herr,
sprach der von Habs-
purg, das sind min
muren, die ich ge-
buwen hab; wan
wie guot min huss
ware, das hulff mich
nut, hette ich kain
5. dc quibus pos-
teri descenderunt
comites.
Et presertim Od-
bertus monasterii
s.mctiTruperti Nigre
Silve fundator, eius-
demque Silve pro
tunc tenens.
frund im land, die
sind mir behultfen in
alien minen noten ;
ich bin frdmd im
land, nun hab ich
mir selbst friind ge-
macht.
Das gefiel dem
bischoff wol und
was wiltig, sinem
bruoder ze hel/en.
Rieger zieht aus dem Vergleiche der Parallelen 2. 3. 5.
bei Mathias und Gundelfingen den Schlufi, da& beide Er-
zahlungen verwandt seien, da£ ferner die Zusatze bei
letzterem urspriingliche Bestandteile des Textes gewesen,
UHI««Sm"oFCAUFOW
80 Exkurse. 1. Gundelfingens Genealogie der Habsburger.
bei Mathias aber unterdriickt wurden. Rieger glaubt die
Annahme einer gemeinsamen Vorlage fur wohlberechtigt '.
Dem gegeniiber behauptet Thiel, dafi Gundelfingen die
Erzahlung des Mathias als Grundlage seines Berichtes be-
nutzte, dabei aber durch siilistische Anderungen und Inter-
polationen der Erzahlung ein glaubwiirdigeres Aussehen
verlieh -, Gleichwohl nimmt auch Thiel an, dais diese Ab-
stain mungssage vor Mathias von Neuenburg zuruckreiche,
beweist dies allerdings nicht, sondern verspricht sich hicr-
iiber Aufklarung von den inzwischen durch Dierauer ver-
offentlichten „Jahrbuchern" '.
In diesen letzteren findet sich die von Thiel erhoffte
Aufklarung nun leider nicht, hingegen ist eine wichtige
Parallele des Mathias von Neuenburg zu Gundelfingen so-
wohl Rieger wie auch Thiel eigentumlicher Weise entgangen,
welche beiden Aufklarung gebracht hatte, dem ersteren
hatte sie seine Vermutung bestatigt und dem letzteren ge-
zeigt, warum Gundelfingens Bericht ein glaubwiirdigeres
Aussehen besitzt.
Es ist dies die Stelle 4:
Mathias : Gundelfingen :
„ubi castrum Habsburg est i „ubi nunc castrum Habs-
collocatum." burg Lucernensem circa lacum
collocatum cernitur."
Aus dem Berichte Gundelfingens konnen wir deutlich
ersehen, nach und vor welchem Zeitpunkte seine Urquelle
niedergeschrieben worden ist ; es la&t sich der Terminus
post quem finden d. i. nach der Erbauung der sogn. Neu-
habsburg am Luzernersee, die bald nach 1232 errichtet
') Heinrich v. Klingenberg und die Geschichte des Hauses Habs-
burg, im Archiv fur Oesterreichische Geschichte Bd. 48 (Wien
1872) S. 322.
') Die Habsburger Chronik Heinrichs v. Klingenberg, in M.
I. 6. G. Bd. 20. (Innsbruck 1899) S. 579 ff.
') Chronik der Stadt Zurich, herausg. von Joh. Dierauer, in
Cjuellen zur Schweizer Geschichte 18. Bd. (Basel 1900).
UNIWISfffOfCAUFOW
Gundelfingen bietet die urspriinglichere Fassung. 81
worden war '. Gundelfingen gibt uns fernerhin den Ter-
minus ante quern: das Habsburgerschloss am Luzernersee
wurde im Jahre 1352 durch die Eidgenossen von Grund
aus zerstort-; in Gundelfingens klarem Bericht kann aber
nur das intakt bestehende und nicht das zerstorte Schlofi
gemeint sein, folglich mufi der Bericht nicht bios nach
der Erbauung dieses Schlofies 1232 sondern auch vor des-
sen Zerstorung 1352 aufgezeichnet worden sein.
Rieger war auf der ganz richtigen Spur, wenn er in
den Zusatzen Gundelfingens Bestandteile des urspriinglichen
Textes sah, die von Mathias v. Neuenburg aber unterdruckt
worden waren.
Eine solche Unterdruckung haben wir gerade in der
angefuhrten Stelle 4 nun vor uns; diese zeigt, dafi Mathias
den betreffenden Passus erst nach 1352 niedergeschrieben
hat : ; hieraus ist es aber auch nicht schwer zu erklaren,
warum Mathias ktirzte, da er nach zerstortem Neuhabsburg
nur mehr den eigentlichen Stammsitz: die Habsburg im
Aargau im Auge hatte.
Es ergibt sich somit folgendes Resultat iiber die Ab-
fassung der Habsburger Stammsage : Mathias v. Neuenburg
ist nicht der erste, welcher diese Sage aufzeichnete ; er
anderte die vor 1352 abgefafite Vorlage, nach 1352 dem
Tatbestande seiner Zeit anpassend um ' ; bei Gundelfingen
aber besitzen wir einerseits den urspriinglichen Bericht,
anderseits aber zugleich einen Hinweis auf die Ent-
stehung der Sage.
Letzteres wollen wir hier noch beriihren. Es zeigen
uns die Termini post quem und ante quem, die wir bei
Gundelfingen gefunden haben, in welchem Zeitraum diese
Habsburger Sage entstanden und aufgezeichnet wurde, d. i.
') Vgl. auch Dierauer, 1. 70.
') Klingenberger Chronik, S. 86.
') Dies gilt auch von dem Bericht der Klingenberger Chronik,
die ebenfalls Habsburg im Argau meint.
') Es betrifft dieses sein erstes Capitel ; hieraus scheint sich zu
ergeben, da£ Mathias uberhaupt nicht vor 1352 seine Chronik begann
ti
UM.'Ef'-MTV Or C.'- LlfCR-JI,-
82 Exkurse. 1. Gundelfingens Genealogie der Habsburger.
zwischen 1232, der Erbauung der Neuhabsburg und 1352,
der Zerstorung derselben.
Die Veranlassung zum Baue Neuhabsburgs war die
Trennung der grofien Giiter Rudolf des Alten gewesen durch
dessen zwei S6hne Albrecht den Weisen und Rudolf den
Schweigsaraen ' .
Auch der Bericht bei Gundelfingen erzahlt von zwei
Briidern, von welchen der altere sich weitere Giiter ver-
schafft, der jiingere aber Vasallen sich erwirbt. In der
Erwahnung des .Vaters der beiden Sonne bei Mathias mag
eine dunkle Erinnerung an Rudolf des Alten enthalten sein.
Die Verwandtschaft zwischen dem historischen und
dem sagenhaften Berichte ist unschwer zu erkennen und es
diirfte wahrscheinlich sein, dafi jene Gutertrennung und die
mit ihr verbundene Entwicklung des habsburgischen Hauses
in zwei Linien den Kern zur Sagenbildung bot '-'.
Dafi die Fabel von der romischen Abstammung beige-
zogen wurde lafit sich erklaren, indem auch andere Ge-
schlechter jener Zeit rait Vorliebe ihren Ursprung an
romische Familien ankniipften { .
Im Vergleich mit Gundelfingen zeigt Mathias eine Aus-
gestaltung des Sagenhaften, welche bereits den lehrhaften
Charakter aufnimmt und unwillkiirlich an das Gleichnis aus
der Bibel erinnert, das vom Wucher mit den Talenten
handelt.
Noch ausgepragter finden wir dasselbe in dem Berichte
der sogn. Klingenberger Chronik ; an Stelle des Vaters tritt
aber einer der beiden Briider als Bischof v. Strafiburg;
hier spielt offenbar eine feme Erinnerung an Werner I.
Bischof v. Strafiburg (1001 — 1028) den Erbauer der Habs-
') Vgl. Dierauer, 1, 70. - -) Vielleicht trug gerade die Kurz-
lebigkeit der Doppellinie dazu bei.
') Th. v, Liebenau, Die Anfange des Hauses Habsburg, im Jahr-
bach des heraldisch-genealogischen Vereins ..Adler" (Wien) 9, 123. —
Uber die Ableilung von den Perleonen, Vgl. Rieder, 324 ff. und Anni.
2, ebenda. — Thiel, 579. — Vgl. oben S. 36, Anm. 3 ..preter paucos
qui ad alpium iuga evasere" !
UM.'EC:-ITY Of CALirCR'JI/
Gundelfingens Quelle 83
burg im Aargau herein. Dafi hier nur mehr ein Bruder es
ist, der gepruft wird iiber die Verwendung der ihm ge-
schenkten Giiter, das mag auch zeigen, dafi die Kenntnis
von jener Doppellinie des Geschlechtcs verschwunden war.
Aus dem Verhaltnis Gundelfingens zu Mathias v. Neuen-
burg und zur sogn. Klingenberger Chronik haben wir gesehen,
dafi Gundelfingen weder aus der einen noch der andern
genannten Quelle geschopft hat.
Wo miissen wir nun seine Vorlage suchen?
Bereits Rieger ' und Scherer '-' wiesen auf Heinrich
v. Klingenberg bin.
Da etliche Annalenwerke und Chroniken aus den be-
treffenden Jahrhunderten verschollen oder verloren gegangen
sind. so scheint es wenig lohnend zu sein, dem Urheber
jener Sage bezw. der Ergriindung ihrer Aufzeichnung nach-
zugehen.
Auf einige Beobachtungen muss hier aber doch noch
aufmerksam gemacht werden.
In der von Albert neu bekannt gegebenen .historia
comitum Habsburgensium" jenes Klingenbergers, die in
Mennels ^chronica Haspurgica" enthalten ist, finden sich
namlich Stellen, denen eine Verwandtschaft mit Gundel-
fingen nicht abgesprochen werden kann :; .
') 1. c.
') Uber das Zeitbuch der Klingenberge, in St. Galler Mitteilungen
1. (St. Gallen 1862) S. 65 ff.
') P. P.Albert, Die habsburgische Chronik des Konstauzer Bischofs
Heinrich v. Klingenberg, in Z. G. O. N. F. 20. Bd. (Heidelberg 1905) S. 213 ff.
— Je weiter die Sage zeitlich von dem oben erwahnten historischen Hinter-
grund entfernt ist, uniso mehr verliert sie diesen aus den Augen. Dessen
ungeachtet konnen gleichwohl auch jtingere Sagen historische Reminis-
zeuzeu enthalteu, beeinflunt durch anderweitige Berichte. Es trifft
dies auch in unserem Falle zu. Zu dem bereits Erwahnten sei hier
nur noch ein Beispiel angefiihrt. Albrecht v. Bonstetten, der die
Habs burger von den Scipionen abzuleiten sucht und hernach einen
Sagcnbericht bietet, welcher demjenigen der sogn. Klingenberger
Chronik nahe verwandt ist, legt in dieseni dem Bruder des Bischofes
den Nameu Albrecht bei, womit Albrecht der Weise gemeint sein
mag. (Albrecht v. Bonstetten, Historia archiduc. Austria?.) MS. auto-
graph (?) XIV. 934 der Kgl. Hofbibliothek in Hannover f° 27v.
UM.'Ef'-MTV Or C.'- LlfCR-JI,-
84 Exkurse. 1. Gundelfingens Genealogie der Habsburger.
Noch Thiel konnte sich nicht erklaren, wie Gundel-
fingen dazu kam, die Habsburger als.Grafen „de Aventino
monte" zu bezeichnen ',
In der oben erwahnten „historia comitum Habsburgen-
sium" hebt mit Vers 143 folgende Stelle an :
„Austrasy ist sovil geseyt
Wie das die glaublich Schrift ausleyt,
Als Avenspurg die landtschaff schon
Und Lutzelburg on alien won '-'."
Konnte nicht diese Bezeichnung „ Avenspurg" , die von
Mennel aus dem lateinischen so ubersetzt wurde, dem
Gundelfingen die Veranlassung zu seiner Benennung der
Habsburger gewesen sein :H ? Im weiteren Verlaufe des
2. Buches der „Austriae" gebraucht Gundelfingen sogar selbst
neben „de Aventino monte" auch „Avensberg" als Bezeich-
nung fur Habsburg.
Von mehr Bedeutung ist eine weitere Notiz. Gundel-
fingen sagt namlich anschlie&end an die Abstammungssage
der Habsburger: ,,de quibus posteri descenderunt comites,
et presertim Odbertus inonasterii sancti Truperti Nigre
Silve fundator, eiusderaque Silve dominium pro tunc tenens",
Auch die ^historia comitum Habsburgensium" erzahlt von
einem Ottberth, dem Sohne des Konigs Odoberth, er habe
das Fiirstentum Habsburg erhalten,
,Und stifft ain closter in der eer
Sant Trutpert das zemal nit fer
Von Freiburg in dem Breisgau ist gelegen '."
Auffallend bleibt diese Uebereinstimmung immerhin,
auch wenn man dieselbe darauf zuruckfiihren mochte, es
') L c. 579.
') Albert, habsburgische Chronik 1. c. 216.
") Eigentiimlicher "Weise gebraucht auch der liber Augustalis die
Bezeichnung ..Rudolfus, comes de Avensperg" namlich fur Konig Ru-
dolph v. Habsburg. Vgl. unten S. 86.
4 ) Albert, 1. c. S- 217 Vers 213 ff.
UM.'Ef'-MTV Or C.'- LlfCR-JI,-
Gundelfingen und Klingenberg. 85
seien vielleicht beide Berichte direkt aus der „tertia vita
Sti. Truperti* geschopft 1 ,- was wir zwar bezweifeln.
Eine dritte Parallele endlich haben wir darin, daft so-
wohl Gundelfingen als die ^historia comitum Habsburgen-
sium* von einer Pilgerfahrt zum HI. Grabe berichten, welche
Albrecht, der Vater Konig Rudolfs unternommen hatte.
Gundelfingen 2 . historia comitum Habsburg 3 .
-Senior Alberchtus *Kung Rudolffs vater graf Albrecht,
dominico cum sepul- | Der was ain cristen also grecht,
chro carnis nexum ; Das er auf sich nam bilgerfart
solverunf '. Zum heiligen grab aus guterart".
Aus diesen drei Parallelen diirfte die Vermutung neue
Bekraftigung erfahren, es habe Gundelfingen eine Klingen-
berger Chronik gekannt in dieser oder jener Fassung.
Ubrigens hat Mennel die historia comitum Habsburgensium
stark iiberarbeitet, vielleicht sogar dies und jenes geandert,
woraus es erklarlich erscheint, dafi in anderen Angaben
Gundelfingen von demselben abweicht.
Ob nun Gundelfingen aus Klingenberg geschopft oder
sonst aus einer anderen Quelle, soviel steht fest, dafi er
seinen Bericht iiber die Habsburger vor Konig Rudolf I.
— vielleicht eine einzige Notiz ausgenommen " - einer bis
♦
') A.A. SS. Bolland. 26. April III. 427. - In dieser Vita wird
zuerst der Bericht iiber den Griinder des Klosters gefalscht, urn das
Kloster auf einen Habsburger zuruckfuhren zu kdnnen.
) Orig. MS. fo 31.
) 1. c. S. 220 Vers 336.
A ) Zu erganzen ist namlich aus dem Vorhergehenden -filiusque
eius Alberchtus in Longabardia".
') Es ist dies folgende Stelle :
Continuatio Sanblasiana (MG. SS. Gundelfingen (Orig. MS. f° 30v).
20. 314 Z. 23 27.)
,,Simili modo Rtiodolfus come! de
Pfullendoi f, sororius comitis Ruodolli
de Pregantin, omnia prcdia sua beredit
loco iiiiperatori Inididit. Pro his im-
pcrator Alberto comiti de Habis-
burc, qui filiam comitis Ruodolfi in
,,Anno domini 1167 Ruodolfi comitis
'Pragancia filiam matrimonio duxit.
Eiusdcmquc Albeiclui sororem duxit
Ruodoljj'us comes de Pfidlemlor/f, qui
ambo beredis loco itnperatori Friderico
omnia predia contradiderunt. Ea prop-
ter comes Alberchtus montis
Origins' from
UMVEHSIlYOFCAUFCfNIA
86 Exkurse. 1. Gundelfingens Genealogie der Habsburger.
anhin nicht wiedergefundenen Aufzeichnung entlehnte ; weder
in Mathias v. Neuenburg noch • in anderen auf uns ge-
koramencn Berichten konnen wir fiir Gundelfingens hier in
Betracht fallende Partien die Vorlage finden, die vor 1352
und vor Mathias aus dem oben angefiihrten Grunde aufge-
zeichnet wurde.
Um K6nig Rudolf kennzeichnen zu konnen, sah sich
Gundelfingen nach einer neuen Quelle um, und indem er
glaubte, einem Werke Petrarchas zu folgen schrieb er
die Charakterisierung sowohl Konig Rudolfs wie Konig
Albrechts wortlich aus dem liber augustalis des Benvenuti
de Rambaldis ab '.
In der "Weiterverfolgung von Gundelfingens Genealogie
der Habsburger kommen wir nun zu der Partie, fiir welche
matrimonio liabebat, concessit Turi- I Aventini, uxoris sue causa, que co-
censem comitatum et advocationem | mitis Ruodolffi de Prx-gancia (ilia ex-
Sechingensis ecclesie cum prediis
conquisitis de Biedirtan."
titcrat, adirc licreditatem huiusniodi
habebat, Pro lioc tamcn hereditatis
jure imperator Fridericus Alberchto
Thuricensem concessit comitatum
et Sechingensis ecclesie advocatiam
j cum prediis de Bydertan."
Die Verwandschaft zwischen diesen beiden Berichten scheint
aber bios eine mittelbare zu sein. - Vgl. ferner Regesta Habsburgica
1. bearbeitet von Harold Steinacker (Innsbruck 1905) n° 178. — Be-
merkenswert ware auch Gundelfingens zwar nur kurzer Bericht uber
die Niederlage der Ziircher bei Winterthur im Jahre 1292. Er sagt
von den Ziirchern: .Mille pugnatorum fuerunt cesi, pluresque captivati".
(Orig. MS. f° 31) — In Christian Kuchemeisters neue Casus monast.
S. Galli (herausg. v. J. Hardegger, in St. Galler Mitteilungen 1.
(St. Gallen 1862) S. 42. treffen wir einen verwandten Bericht tiber
dieselben Ziircher: ..und ward me denn tusend gefangen". Vitodu-
ran gibt keine Gesamtzahl an. — Der sogn. Ilagen 1. c. S. 169 § 353
fcennt von diesem Kampfe weder die Zahl der Gefallenen noch auch
den Ort des Schlachtfeldes.
') Rerum Germanicarura scriptores ex bibliotheca M. Freheri 2.
(Argentorati 1717) S. 19. Der liber augustalis gieng zeitweise unter
dem Namen Petrarchas und auch viele audere Schriftsteller waren in
diesem Irrtum befangen.
UM.'EC:-ITY Of CALirCR'JI/
Die Stammreihe Konig Rudolfs 87
Mathias von Neuenburg und der sogn. Hagen wiederum
Gundelfingens Vorlage gewesen sein sollen '.
Von Wichtigkeit ist, bei der Untersuchung dieses Ab-
schnittes Gundelfingens (G.) nicht bios die Chronik des
Mathias von Neuenburg (M.) - in ihrer allgemein bekannten
Gestalt sondern auch deren Varianten in der Ausgabe
Cuspinians (MC.) ;< zur Vergleichung heranzuziehen ; ferner
darf sich diese nicht bios erstrecken auf den sogn. Gregor
Hagen (H.) ' sondern hat auch die Konigsfelder Chronik und
zwar in ihren alteren Teilen (K.) wie in der von Gerbert
veroffentlichten jiingeren Fassung (KG.) zu beriicksichtigen "'.
Die zu vergleichende Partie hebt an mit der Gemahlin
Konig Rudolfs. Unsere samtlichen Chronisten benennen sie
als eine Grafin von Hohenberg' ; . Nur MC. H. und G.
kennen deren Namen Anna. "Wieder Alle aber kennen drei
Sonne Konig Rudolfs": Rudolf, Albrecht und Hartmann.
Ihre Reihenfolge ist aber verschieden. Mit M. hat G. Al-
brecht an erster und Rudolf an zweiter Stelle; MC. aber
und H. setzen Rudolf voran ; H. nennt aber gegenuber MC.
den Hartmann als zweiten Sohn, wofur Albrecht an die
dritte Selle ruckt.
Die Meldung, Hartmann sei im Rheine ertrunken findet
sich in alien Berichten. Als Ort dieses Ereignisses be-
zeichnen KG. (164) und H. (127,15) Kobolcz, wahrend MC.
') Vgl. O. Lorenz, i, 268 — Mayer, Chronik 1. c. 316 ff. — Thiel,
600 ff. — Jos. Seemuller, Zur Kritik der Konigsfelder Chronik, in den
Sitzungsberichten der K. Akademie der Wissenschaften zu Wien, philos.
histor. Klasse 147. Bd. (Wien.) Heft 2. S. 23. Anm. 1.
"-') (herg. v. Studer) S. 1 - 180.
') Ebenda, S. 181.
4 ) Seemuller, Deutsche Chroniken VI. 1.
*) Chronicon K&nigsfeldense, wir konnten die Ausgabe bentitzen
von Herrgott Gerbert, in Monnmentorum Aug. domus Austriacse torn.
IV. et ultimus (Typis Sanblasianis 1772) 161 ff. — Ober die urspriing-
liche Kbnigsfelder Chronik sowie die Fassung KG. Vgl. Seemuller, Zur
Kritik 1. c. ; iiber das Verhaltnis von H. zu K. Vgl. Seemuller, Deut-
sche Chroniken VI. 2. S. CCLX. Z. 3 ff.
u ) G. sagt Hohenburg, was offenbar bios ein Schreibfehler ist.
7 ) MC. allein sagt: tres filios inter alios (!).
UM.'Ef'-MTV Or C.'- LlfCR-JI,-
68 Exkurse. 1. Gundelfingens Genealogie der Habsburger.
M. und G. sagen bei Rheinau. G. allein gibt noch genauer
an, Hartmann habe Schiffbruch gelitten 1 . Nur MC. M.
und G. wissen die Begrabnisstatte Hartmanns -.
Diese Stelle ist besonders interessant wegen des Ver-
haltnisses von MC. zu M. und dieser beiden zu G.
MC. (180,7).
..apud Reynow in
Rheno periit et
cum matre par-
vulo fratre Karolo
in choro Basiliensis
ecclesie est sepul-
tus fc .
M. (13,7).
„prope Rinowe in
Reno submersus
Basilea cum matre
predicta et adhuc
uno filio parvulo in
choro maioris ecc-
lesie sunt sepulti 1 ",
G. (Orig. MS.
f° 31).
-qui naufragium
prope Rynow pas-
sus periit et in ecc-
lesie Basiliensis
choro cum matre
parvuloque filio se-
pulture traditur".
Unter den Differenzen fallt vor allem auf, dan G. das
Verbum im Prsesens bietet; dies erklart denn auch den
weiteren Unterschied, dass M. die Basler Kirche genauer
als Hauptkirche bezeichnet. Dies ist offenbar kein blofier
Zufall sondern entsprang dem Bedurfnis, einer Verwechs-
lung mit anderen Kirchen vorzubeugen wahrend in MC.
und G. es als selbstverstandlich hingestellt wird, dafi damit
die Hauptkirche gemeint sei. "Wir haben hier einen weiteren
Beweis zu dem obgn. (S. 81) dafi der Bericht des G. Ur-
sprunglicheres enthalt als M. Ist nun aber MC. alter als
G. oder verhalt es sich vielleicht umgekehrt? Durch die
richtige Erwahnung des Schiffbruches gewinnt G. bereits
einen Vorsprung, ihm ist es ferner selbstverstandlich, dafi
dieser im Rheine sich ereignete, wenn er bei Rheinau er-
folgt war. Merkwiirdig ist vollends der Bericht bei MC,
Hartmann sei mit dem kleinen Bruder Karl begraben an-
statt mit einem Sohnchen (worin M. mit G. verwandt ist) ;
hieraus entsprang fur MC. die Notwendigkeit, bei der Auf-
') Daii dies richtig ist, beweist das Kalendarium necrologicum
Basiliense, in BOhmer 1. F., Fontes rerum Germanicarum IV. S. 147, 148.
zum Jahre 1281 Dez. 21
') Ebenda.
UM/ilSIIVOrCAUfCM/
Die Stammreihe Konig Rudolfs. 89
zahlung der drei Sohne Konig Rudolfs die Interpolation
winter alios 4 * zu machen. G. allein zeigt den unverwischten
urspriinglichen Charakter und zwar den annalistischen. MC.
aber scheint trotz der Interpolation alter als M. zu sein '.
Nur mit K. - und H. bringt G. die Notiz, Rudolf, Konig
Rudolfs Sohn, habe die Tochter des Konigs von Bohmen
geheiratet. G. allein gibt dies noch genauer, indem er
Rudolf als Herzog von Schwaben und den Konig Bohmens
Ottokar nennt. K. H. und G. gemeinsam ist sodann der
Bericht, Rudolfs und seiner Gemahlin von Bohmen Sohn
sei Johann, der kxinftige Morder Konig Albrechts gewesen.
In G. allein folgt hierauf unmittelbar ein knapper anna-
listischer Vermerk uber das Gefecht Herzog Rudolfs von
Schwaben gegen die Berner an der Schofihalden, im Jahre
1289 :1 ; M. (22,13) kennt dieses Gefecht zwar auch, aber sein
Bericht ist grundverschieden und kennt gegeniiber G. keine
Zahl der Gefallenen. G. allein kennt den Tod des eben
genannten Rudolf. Anstatt nun wie MC. K. und H. rait der
Aufzahlung der Tochter Konig Rudolfs fortzufahren (M. fugt
eigene, hier nicht in Betracht fallende Capitel ein) greift G.
riickwarts und schachtelt den Passus ein: tres fuere uti
nonnulle applaudent nobis historie de Avensberg (!) filii
patrui regis Ruodolfi, etc. womit G. zeigen will, dais ur-
spriinglich die Grafen v. Habsburg, Lenzburg und Kiburg
„beinahe" eine einzige Familie gewesen sein soil en '.
In der Reihe der Tochter Konig Rudolfs zahlen K.
(114) und G. bios funf auf. (K. kiindet einleitend eine Reihe
von sechs an, aber korrigiert sich dann selbst) 5 ; bei MC.
(180) M (11.5) und H. (127,18) finden wir sechs. K. H.
') Vgl. hieniber auch unten S. 98 ff.
"') Warum wir die Stammreihe von K6nig Rudolf bis Kdnig
Albrecht nicht mit KG. bezw. als abhangig von H. (gegen die An-
nahme Seemullers) bezeichnen, soil diese Untersuchung zeigen.
') Orig. MS. f° 31: idemque Ruodolfus a. d. 1289 trecentos Bur-
gundie superioris Bernenses occidit, alios autem captivos abduxit, a
d. 1290 in Praga ad superos conscendit.
*) Orig. MS. fo 31v.
) Vgl. hieriiber Seemuller, zur Kritik S. 21 ff
UM/irSIIVOKALirCfW
90 Exkurse. 1. Gundelfingens Genealogie der Habsburger.
und G. nennen die erste Tochter Clementa, aller tibrigen
Tochter Namen sind ihnen ebenso unbekannt wie die Vor-
namen der Fursten, welche diese T6chter heirateten, aus-
genommen Wenzel Konig von Bohmen, der alien bekannt
ist, MC. (der keine Namen den Tochtern zu geben weifi)
und G sogar noch genauer als Sohn Ottokars, und der
nach K. und G. die Clementa heiratete; bei H. erhalt
Wenzel die zweite, und bei MC. erst die funfte Tochter.
Allen gemeinsam ist die Erwahnung des Herzogs von
Sachsen.
Aber weder aus M. noch aus H. oder K. konnte G.
den Bericht haben, dafi von zwei Tochtern eine dem Fursten
Nieder-Bayerns und die andere dem Herzog Ober-Bayerns
zugewiesen worden seien; M. K. und H. kennen hierin
bios ein Bayern; dieselben Berichte wissen auch nichts
von einem dux Vratislavie, der eine der Tochter Rudolfs
geheiratet habe, wie G. berichtet, der aber dafiir gegeniiber
M. K. und H. nicht weiss, dass eine Tochter dem March-
grafen von Brandenburg vermahlt wurde ; M. gibt die erste
Tochter an Karl III ; sowohl M. wie H. finden fur eine
Tochter keinen Mann.
Dieses merkwiirdige Verhaltnis der soeben angefuhrten
Gattenreihe wird uns aber klarer, wenn wir MC. in Be-
tracht ziehen. MC. namlich erwahnt die Herzoge von
Nieder- und Ober-Bayern wie auch den dux Vratislavie,
zu welchem MC. beisetzt : quo defuncto recepit marchionem
de Brandenburg. MC. hat also Kenntnis der zweimaligen
Vermahlung einer Tochter, G. kennt bios deren erste, M.
und H. bios deren zweite. MC. nennt den Gemahl der
funften Tochter Wenzel Konig von Bohmen, Sohn Ottokars 1 ,
ebenfalls eine Stelle, der G. am nachsten steht. MC. kennt
auch den Gemahl der sechsten Tochter, diese habe Karl,
den erstgeborenen des Konigs von Sizilien - zum Manne
erhalten, worin M. dem MC. nahe kommt.
') Mit dem Beisatz: per ipsum Rudolfum occisi.
') Mit der Erganzung: sive Apulien.
uM/irsuvorcAUfciw
Die Stammreihe Kdnig Albrechts. 91
Auf Grund des dargelegten Verhaltnisses in Betreff
dieser Partie der Stammreihe darf man fiiglich sagen,
es verhalten sich M. K. H. und G. zu MC. wie Auslaufer
zu ihrer Centrale. Dieser aber steht G. am nachsten '. M.
zeigt gegenuber MC. ganz deutlich, dass er die Genealogie
des letzteren summarisch zusammenf asste '-', M. hatte eben gar
nicht den Zweck im Auge eine Genealogie in seiner Chronik
zu bieten.
G. fuhrt auch die Stammreihe von diesen also ver-
heirateten Tochtern noch an 1 ; schon ein erster Blick auf
die genealogischen Tabellen, die sich aus den Berichten
unserer Chronisten (ohne MC.) aufstellen lassen, zeigt, dafi
G. weder aus M. noch aus H. geschopft haben kann; ab-
gesehen davon, dafi G. mehr bietet als M. und H., bemer-
ken wir hier als Beispiel bios den Unterschied, dafi G. eine
Grafin von Oetingen kennt, die von einer Tochter Konig
Rudolfs und dem Fiirsten Nieder-Bayerns abstammt, wo-
von sowohl M. wie H. nichts wissen.
MC. geht nach der Aufzahlung der Tochter Konig
Rudolfs und deren Manner sogleich iiber zur Stammreihe
Konig Albrechts. Da MC. nicht bios in der direkten Stamm-
reihe Konig Rudolfs mit den iibrigen Chronisten einig geht
und in den Grundzugen gleichsam ihren Ausgangspunkt
darstellt, sondern auch in der Stammreihe Konig Albrechts
dasselbe Verhaltnis zeigt, so scheint es, als ob die Auf-
zahlung der Kindeskinder Konig Rudolfs bei den letzteren
Geschichtschreibern eine Einschachtelung sei, welche diese
aus anderen Quellen bewerkstelligen mussten, das wtirde
dann auch die auffallende Differenz, welche in dieser ein-
') Trotzdem er bios ftinf Tochter kennt.
') So z. B. wo M. sagt (11. 21) : ex his itaque tribus (!) filiabus
multi duces Bawarie, Saxonie et marchiones in Brandenburg pro-
cesserunt.
) G. gibt in seiner Genealogie uberhaupt bei jedem Gliede auch
sofort seine eigene Nachkommenschaft an, wo er eine solche kennt.
G. zeigt das gleiche Schachtelungssystem wie K. Vgl. iiber letzteres
Seemuller, zur Kritik S. 8.
UM.'EC:-ITY Of CALirCR'JI/
92 Exkurse. 1. Gundelfingens Gencalogie der Habsburgcr.
geschachtelten Partie zwischen den verschiedenen Berichten
sich vorfindet erklaren.
Zur Ergriindung des Verhaltnisses der verschiedenen
Berichte tiber die Stammreihe Konig Albrechts lafit sich
eine doppelte Untersuchung anstellen, die eine umfasst die
Reihe der Personen, die andere deren Todesdaten und Be-
grabnisnachrichten.
Hiebei ist im Auge zu behalten, daS H. sein Material
fiir diese Stammreihe aus K. ' bezw. einem Auslaufer von
K. geschopft hat.
Samtliche Berichte kennen Konig Albrechts Gemahlin
und nennen sie als Tochter des Grafen von Tyrol; MC.
und M. allein erwahnen nicht, dafi sie eine Tochter Mein-
harts gewesen sei.
Deren Kinderreihe wird gemeinsam eroffnet mit Rudolf;
in der Angabe, dieser sei Konig von Bohmen gewesen
stimmen Alle ixberein; seine Gemahlin ist ihnen als eine
Tochter des franzosischen Konigs bekannt, einzig M. be-
zeichnet sie als Witwe des Konigs Wenzel von Bohmen ;
mit Namen belegen sie nur KG. H. und G. und zwar gibt ihr
ersterer den unrichtigen Namen Elisabeth gegenuber den
lezteren beiden, welche sie Blanka nennen '-'.
Friedrich der zweite Sohn wird in alien Berichten er-
wahnt; M. kennt seine Gemahlin nicht; MC. nennt sie eine
Tochter des Konigs von Arragon. H. und G. wissen auch
ihren Namen Elisabeth ; H. allein kennt den Namen ihres
Vaters Jakob, wahrend G. allein von einer Tochter Fried-
richs berichtet'.
') Vgl. Seemulter, Zur Kritik 1. c. S. 18. und Deutsche Chroniken
VI. 2. CCLX.
') Die Form, in welcher MC. und G. diesen Passus mitteilen ist
beachtenswert :
G. (Orig. MS. £° 32v). MC. (180) erwahnt:
_Ruodolfus primogenitus, qui ..Rudolfus primogenitus, qui
rex Bohemie factus est post Otta- factus est rex Bohemie et filiam
kari filiutn, regis Francie filiam regis Francie ducens sine liberis
Blankam ducens sine liberis vita est defunctus."
functa est."
J ) MC. und G. bieten wiederum eine Gegenuberstellung :
UM.'Ef'-MTV Or C.'- LlfCR-JI,'
Die Stammreihc Konig Albrechts. 93
Leopolds Gattin kennt M. allein nicht, die iibrigen be-
zeichnen sie als eine Tochter des Grafen von Savoyen. H.
nnd G. kennen ihren Namen Katharina. .MC. hat Kenntnis
von zwei Tochtern Leopolds, aber von keiner weiss er den
Namen, womit G. vollig einig geht'. H. nennt sie Katha-
rina und Agnes. M. berichtet bios von einer Tochter. In
dem Berichte iiber die Verheiratung dieser zwei Tochter
gehen MC. H. und G. einig. M, nennt ebenfalls einer Tochter
Gemahl als Hern ,de Kussi", und zwar in erster Ehe, in
zweiter Ehe habe sie einen Grafen ,,de Magdburg" geheiratet.
Gerade dieser Passus iiber Leopold und seinen Stamm
zeigt, dafi die verschiedenen Berichte sich auf einen Ur-
bericht zuriickfiihren lassen.
Heinrich, den vierten Sohn Konig Albrechts erwahnt
MC. nicht-'; M. nennt bios seinen Namen, wahrend H. und
MC. (180) sagt: ..Item Friedericus in Romanorum regcm in dis-
cordia electus et coronatus, qui ex filia regis Aragonum, sola relicta
filia que post comiti Karinthie data est, sine liberis est defunctus."
G. lautet : ..Secundus Fridericus postea in Romanorum regem electus
et coronatus. Elyzabeth Jacobi regis Arragonie filiam matrimonio
duxit, ex qua solam reliquit filiam, que postea comiti Karin|thi|e co-
pulata, sine liberis diem clausit extremum a. 1330, 12. die mens. Junii".
') Auch in dem Berichte iiber Leopold lafit sich zwischen MC.
und G. leicht die auffallende Parallele herausfinden. MC (181): -Item
Leopoldus strenuissimus, qui relictis duabus filiabus ex filia comitis
Sabaudie, quarum una postea data est duci de Sweinitz Silesie. alia
domino de Cusin Francie, sine aliis liberis |est| defunctus." G. (Orig.
MS. f" 29 v .): -Tercius Leopaldus strenuissimus, qui Heynricum impe-
ratorum de Lutzelburg (sic!) octingentis cum galeatis ad Ytaliam con-
duxit, adversus Switenses circa locum Aegre vel Morgarten dictum mi-
litum movens, notabilem prochdolor suorum militarum inibi stragem
ac cedem passus, vite mortem in Argentina commutans, a. 1326 ultima
mens. Febr. una cum uxore sua Katarina Sabaugiensi et filia in Regis-
campo sacrophago (!) mandatur ; relictis duabus ex filiabus filia comitis Sa-
baudie, quarum una data est duci de Swednitz Boloniensi, alia do-
mino de Cussino Francigene, ex qua domini de Cussino nati sunt."
Der Bericht iiber die Schlacht am Morgarten zeigt eine irrttimliche
Zusammensetzung zweier vermutlich annalistischer Notizen.
') Vielleicht ist dies bios ein Versehen des Schreibers durch
Ubersehen.
uM/irsuvorcAUfciw
94 Exkurse. 1. Gundelfingens Genealogie dcr Habsburger.
G. ihn und seine Gemahlin kennen; G. weiss aber gegen-
uber H. ihren Namcn Elisabeth nicht.
Otto, den funften Sohn kennen wieder alle Berichte.
MC. und G. bezeichnen seine Gemahlin als eine Tochter
des Herzogs von Niederbayern. M. und H. kennen auch
hierin bios ein Bayern; H. allein weiss ihren Namen
Elisabeth; deren zwei Sohne Friedrich und Leopold sind
alien bekannt.
Albrecht den Lahmen erwahnen wiederum Alle, ebenso
seine Gemahlin Johanna als Tochter des Grafen von Pfirt.
MC. allein kennt ihren Namen Johanna nicht.
Von den Tochtern Konig Albrechts wird Anna von
MC. gar nicht erwahnt, die ubrigen aber ohne Namen, aus-
genommcn Agnes und Katharina; M. kennt ebenfalls bios
diese beiden mit Namen, gegeniiber H. und G. die alle
Namen wissen; in der Aufzahlung ihrer Manner gehen
sie einig.
Warum MC. neben Katharina bios Agnes noch nennt 1 ,
wird uns erklarlich, wenn wir beriicksichtigen, dass uns in
den Genannten zugleich Wohltaterinen des Klosters Konigs-
felden begegnen. Daselbst wurdc diese Stammreihe auf-
gezeichnet; es geht dies aus MC. selbst hervor. MC. braucht
beim Abschlusse der Stammreihe die Verbalform des
Prassens, so sagt er, (181,10): -item- Agnes, quam ducens
Andreas rex Ungarie sine liberis est defunctus, que hodi-
erno die ducil vitam sanctam et beatam". Dicser Eintrag
zeigt an, dafi er zu Lebzeiten der Konigin Agnes aufge-
zeichnet wurde ;! und zwar nachdem sie im genannten
Kloster selbst Aufnahme gefunden hatte, dennin der zitierten
') In der Fassung dieser Stammreihe, wie sie Urstisen aufnahm,
sind die Namen auch der ubrigen Tochter bekannt (Studer, 1. c. 181.)
') Dieses item kehrt in dieser Stammreihe regelmassig wieder
um deren Glieder aneinander zu reihen ; dadurch unterscheidet sie
sich auch schon auBerlich von ihrer Fortsetzung.
! ) Hierauf machte bereits Studer aufmerksam. aber wurde nicht
beachtet ; er setzt die Enstehungszeit dieses Berichtes in die Jahre
1360 1364 Juni 11.
uM/trsiiYorcAiifciw
Ein wesentlicher Unterschied in den versch. Berichten. 95
Stelle ist offenbar nichts anderes gemeint als ihr kloster-
liches Leben.
Von welcher Bedeutung uns dieser Urastand ist, werden
wir unten sehen ; er zeigt uns aber auch, dafi der betreffende
Verfasser der Stammreihe die Namen der iibrigen Tochter
Konig Albrechts nicht mit Namen erwahnt etwa aus Un-
kenntnis, er setzt vielmehr deren Namen als bekannt vor-
aus und bezeichnet sie deswegen bios in der Redeweise
seiner Zeit, so wenn er sagt: item ducissa Lothringensis,
item comitissa de Oetingen.
Die Stammreihe welche uns MC. (und M.) bietet, unter-
scheidet sich in einem anderen Punkte wesentlich von den
iibrigen Berichten. MC. (und M.) 1 bieten bios eine Stamm-
liste, letztere hingegen suchen den einzelnen Personlich-
keiten auch Notizen iiber ihren Tod und Begrabnisort beizu-
fiigen. Aufmerksam hierauf macht uns in besonderer Weise
G. Dicse Notizen nun sind von grofier Wichtigkeit, um
uberhaupt Klarheit fiber das Verhaltnis der in Betracht
fallenden Chronisten zu einander zu erhalten. MC. und M.
bieten fur dicse Untersuchung keine Anhaltspunkte und
fallen einstweilen aufier Betracht.
Den Tod Konig Albrechts geben M. (42, 22) sowohl
wie H. (186, 2) und G. zum 1. Mai 1308. G. gibt das
Verbum im Praisens und vermerkt gegeniiber H. nicht, dafi
Albrecht in Konigsfelden beigesetzt wurde, weil Albrecht
da nur kurz ruhte und bald darauf nach Speyer uberfuhrt
wurde, es handelte sich um keine definitive Bestattung-.
Nicht uninteressant ist die Differenz zwischen H. und
G. hinsichtlich Elisabeths, Albrechts Gemahlin. H. (189, 15)
sagt, sie sei 1313 V. kal. nov. gestorben und zuerst zu "Wien
und hernach zu Konigsfelden begraben worden. Demgegen-
uber bringt G. das Jahr 1316, aber nicht als Todesjahr
') M. scluebt anderweitige Berichte ein.
') Nach anderen Berichten soil der Leichnam Albrechts ilber-
haupt nicht in Konigsfelden sondern in Wettingen aufbewahrt worden
sein bis zur Ueberfiihruiig nach Speier. Dann zeigt G. noch deutlicher
seine Richtigkeit.
UM.'EC:-ITY Of CALirCR'JI/
96 Exkurse. 1. Gtindelfingens Genealogie der Habsburger.
sondern als Zeitpunkt des Begrabnisses der Elisabeth in
Konigsfelden; das Verb stent hier im Perfect.
Auch die Notizen iiber Tod und Begrabnis der Sonne
und Tochter Konig Albrechts und der Elisabeth gewahren
noch weitere Einblicke in das Verhaltnis von H. zu G.
bezw. zu ihrer Quelle.
Von Rudolf wissen weder H. (178, 25) noch G. das
Todesdatum; von dessen Gemahlin Blanka erwahnt H.
(179, 3) unrichtig als Todesjahr 1300 (1305). G. kennt bios
den Namen der Gemahlin, nicht auch das Datum '.
Friedrichs, des nachmaligen Konigs Tod setzt H. (197, 1) -
in das Jahr 1330, ebenso G. der noch beifugt, Friedrich
werde (Praesens) ,in quodam Austrie claustro in octava
epiphanie" beigesetzt '. Den Tod der Gemahlin Friedrichs
kennt H. allein.
Leopolds Tod erfolgte nach H. (180,6) im Marz 1326,
nach G. starb Leopold zu Strafiburg und wird (Prassens)
gemeinsam mit seiner Gemahlin Katharina und einer Tochter
am letzten Februartage (28. Februar) in einem Sarkophage
zu Konigsfelden bestattet; K. bestatigt das Datum bei G.
mit „pridie kalendas martii (28. Februar). Der Bericht des
G. setzt einen friiheren Tod Katharinas sowie einer ihrer
beiden Tochter voraus (iiber welche wir an Todesnach-
richten in unseren Berichten sonst nichts erfahren, auher
was bei G. steht) und zeigt gute Bewandnis mit der Habs-
burgergruft in Konigsfelden: auch diese Textstelle bei G.
weist deutlich auf Konigsfelden selbst als deren Ent-
stehungsort hin.
Von Bedeutung ist der weitere Umstand, dan G. auch
fur Heinrich sowie dessen Gemahlin als Begrabnisort
Konigsfelden angibt, was H. nicht kennt. H. sagt irrtiim-
lich, Heinrich sei 1332 gestorben; demgegcnuber bringt G.
allein die richtige Angabe, Heinrich sei 1327 zugleich
') H. scheint unrichtig erganzt zu haben.
') Zu beachten ist, da6 H. dies nicht aus K. schftpft (?) Vgl
Seemiitter, 1. c. Note zu § 370.
') Orig. MS. fo 29v.
uM/irsuvorcAUfciw
Ein wesentlicher Unterschied in den versch. Berichten. 97
mit seiner Gemahlin in Konigsfelden begraden worben
(Perfect) ,in die Blasii" (3. Februar) G. kennt aber gegen-
iiber H. weder den Namen der Gemahlin Heinrichs noch
deren Tod, den H. im Herbst 1343 erfolgen lafit. Der
Bericht bei G. der den Begrabnisort kennt und auch weifi,
da£ "Heinrich und seine Gemahlin gemeinsam bestattet
sind, weist wiederum deutlich auf Konigsfelden hin,
als auf den Ort, wo er erstmals aufgezeichnet wurde,
und zwar erfolgte dies nach dem Tode der Gemahlin
Heinrichs, deshalb lautet bei G. das Verb im Perfect ,se-
pultus est".
Ottos Tod erfolgte nach H. (181, 10) im Jahre 1350,
nach G. aber 1367 jm Monat Februar. H. allein kennt
dessen Begrabnisort zu ,Newnperg*\ Den Tod der ersten Ge-
mahlin Ottos, Elisabeth kennt H. nicht, wohl aber G. der
das Jahr 1345 angibt 1 .
Albrechts des Lahmen Tod setzt H. (199, 21) auf
1358 III. kal. Aug. (30. Juli) und sagt, Albrecht sei in einem
Karthauserkloster Osterreichs begraben; G. aber berichtet,
Albrecht wird (Praesens) am 19. Juli 1368 -,in cenobio
Gemmikilch" begraben. H. allein kennt den Tod Johannas
der Gemahlin Albrechts.
Annas, der Tochter Konig Albrechts, Tod und Begrab-
nis ist sowohl H. wie G. unbekannt.
Die Konigin Agnes starb nach H. (192, 30) am Barna-
bastag (11. Juni) 1364 und wurde zu Konigsfelden begraben.
G. gibt nicht den Todestag, sondern sagt, Agnes wird
(Prasens) am 10. Juni 1364 in Konigsfelden beigesetzt. Den
Tod ihres Gemahls, des Konigs Andreas von Ungarn kennt
H. allein.
Elisabeth starb nach H. im Jahre 1352 und liegt zu
Konigsfelden; nach G. wird (Praisens) sie am 19. Mai 1352
in Konigsfelden beigesetzt.
') Vielleicht gehort dieses Datum in die Liicke von KG. — See-
mtiller, 1. c VI. 1 S. 180 ij 372 Anm. 8 zur Z. 9. setzte demnach in die
Liicke richtig die 40 er Jahre, wenn nach G. auch nicht das Todes-
datum Ottos gemeint ist, wie Seemiiller es annimmt.
7
UM/srsiTYOKAurcrw
98 Exkurse. 1. Gundelfingens Genealogie der Habsburger.
Guotas Tod kennt H. (193, 15) nicht, wohl aber deren
Begrabnisort zu Konigsfelden; G. dagegen sagt, sie sei am
5. Marz 1329 zu Konigsfelden begraben worden (Perfect).
Merkwurdigerweise kennt von der letzten Tochter
Katharina weder H. noch G. den Todestag, H. (194, 8)
allein bemerkt, sie sei zu Konigsfelden begraben worden ;
bevor dies erfolgte, scheint somit der Bericht in G. beendigt
worden zu sein.
Der Bericht iiber die Begrabnisstatten bei G. zeigt,
dafi er Konigsfelden viel naher stent als H. Auffallend
ist, dafi in G. bei den Begrabnisberichten unterschieden
wird im Gebrauch der Verbalform, bald treffen wir Perfect
und bald Praesens. Dafi dies nicht willkurlich angewendet
wird, zeigten bereits die obigen Ausfuhrungen bei den
einzelnen Berichten. Besonders bemerkenswert ist, dafi
wir gerade eine Grnppe von Berichten im Prassens (1352
Mai 19. — 1364 Juni 10. — 1368 Juli 19') haben, welche in
die gleiche Zeit fallen, in der MC. das Verb ebenfalls im
Prcesens gebraucht; K. schlicfit ebenfalls mit dem Datum
1364 Juni 10., mit dem Tode der Konigin Agnes.
In diesen 3erichten beruhren sich somit MC. K. und G.
sehr nahe.
Hieraus, wie aus dem dargclegten Verhaltnis der ver-
schiedenen Berichte zu einander ergeben sich die Resultate
fur die Bestimmung der Abfassungszeit und Zugehorigkeit
der Berichte bezw. der Vorlagen von MC. M. H. KG. und G.
MC. zeigt eine einheitliche Stammreihe von Konig
Rudolf und Konig Albrecht, diese weist auf Konigsfelden
hin, wo noch bei Lebzeiten der Konigin Agnes und zwar
zur Zeit, als sie dem Klosterverbande angehorte, diese
Stammreihe aufgezeichnet wurde; diese fand hcrnach Ver-
wendung sowohl in der urspriinglichcren wie in freierer
Fassung. In MC. ist sie am urspriinglichsten erhalten ge-
blieben. In M. treffen wir sie in freierer Gestaltung ver-
') Letzteres aber betrifft nicht Konigsfelden und gehort vielleicht
schon nicht mehr der ursprunglichen K. an.
uM/irsuvorcAUfciw
VerhSltnis der verschiedenen Berichte. 99
arbeitet, da M. sie auflost, um Berichte fiber Zeitereignisse
einflechten zu konnen, er verfahrt • dabei so griindlich, dafi
man nur mit Mtthe das genealogische Geriist herausschalen
kann.
Hinsichtlich der einheitlichen Stammreihe bilden K. H.
KG. und G. innerhalb der Gesamtgruppe unserer Berichte,
gegeniiber MC. und M. eine Sondergruppe.
Von letzteren zweien unterscheidet sich diese Sonder-
gruppe namlich dadurch, dafi sie nicht bios die Stammreihe
bietet sondern auch die Personalnotizen iiber Tod und
Begrabnis. K. ist nicht in der urspriinglichen Gestalt er-
halten aber zeigt in seinen Auslaufern H. KG. und G., dafi
wir K. auch zu dieser Sondergruppe zu rechncn haben.
Am deutlichsten zeigt G. uns den Charakter der
Sondergruppe, er kommt noch dem urspriinglichen Berichte
am nachsten, in ihm allein finden wir noch die annalistische
Form erhalten, in welcher der jeweilige Schreiber in
Konigsfelden Vergangenes im Perfect und sich gerade Er-
eignendes in der Prxsensform aufzeichnete; G. allein lafit
noch die ursprungliche Quelle durchblicken. Diese scheint
eher ein Totenregister (Anniversar?) oder ein Begrabnis-
buch (Depositionscatalog?) als ein Annalenwerk gewesen zu
sein, das etappenweise (Perfect, Pratsens) fortgefiihrt und
zu dessen Eintragungen einzelne annalistische Notizen beige-
geben wurden. Auch von letzteren besitzen wir einige bei G.
Zwischen Totenbuch und Annalenwerk lafit sich bei
der Gestalt, in der uns K. erhalten blieb, nicht leicht unter-
scheiden; G. mag leicht diese und jene annalistische Notiz
in Hinsicht auf den bios genealogischen Zweck seines
Buches weggelassen haben; was erhalten blieb zeigt uns
mit wenigen Ausnahmen (Gefecht bei Winterthur, an der
Schosshalden, am Morgarten) bios einseitig das Totenbuch;
immerhin ist wohl zu beachten, dafi G. bei der Erwahnung
des Todes Konig Rudolfs sagt: ^sicuti eius testantur anna-
lia obiit anno 1291" ',
') Orig. MS. fo 31.
UM.'Ef'-MTV Or C.'- LlfCR-JI,-
100 Kxkurse. 1. Gundelfingens Genealogie der Habsburger.
Vielleicht war derselbe Schreiber, welcher die Todes-
nachricht des Jahres 1352 (Praesens) in das Konigsf elder
Totenbuch eintrug, auch der Verfasser der einheitlichen
Stammreihe, die er zu Lebzeiten der Konigin Agnes auf-
stellte. Den Tod derselben vermerkte er aber nicht in diese
Stammreihe sondern ins Totenbuch und in G. blieb uns mit
grosser Wahrscheinlichkeit der Necroiog erhalten, den er
da eintrug 1 .
In KG. beweist gerade die Stammreihe, dafi ihre
Fassung gegeniiber K. liickenhaft ist, was KG. im Verhaltnis
zu MC. schon zeigt-. KG. kann so leicht auf Grand der
Beruhrung mit H. den Eindruck erwecken, als sei K. fur
die Stammreihe Konig Rudolfs, den ersten Teil der einheit-
lichen Stammreihe von H. abhangig, wahrend K. fur den
zweiten Teil, die Stammreihe Konig Albrechts anerkannter-
mafien die Quelle bildet :! . Wie wir aus den dargelegten
Untersuchungen sehen, besafi K. nicht bios den zweiten
Teil sondern die ganze Stammreihe einheitlich und konnte
so fur spatere Berichte die Vorlage bilden 1 . Seemuller deckt
selbst auch einige Bedenken auf, welche gegen die An-
nahme sprechen, das Verhaltnis von K. zu H. sei hinsicht-
lich der Stammreihe Konig Rudolfs gerade das umgekehrte
von demjenigen der Stammreihe Konig Albrechts'. Die
') Orig. MS, fo 66, er lautet vermengt mit der Stammreihe :
..Secunda Agnes, a rege Ungarie ducta, que post mariti mortem
ad monasterium in Regiscampo devenit, quod cum (MS. irrig non) exi-
guis gazis (hievon hat weder KG. noch H. Kenntnis, sie erwahnen
dafur andere Geschenke) et iminensis diviciis ac privileges dotavit,
celibem inibi peragens vitam patrisque mortem ingenti cum vigilancia
vindicans, eius occisores dominos videlicet de Warta, de Palma, de
Kschenbach eorumque complices trucidando fugando aliisque modis talio>-
nem redendo, in eodem monasterio sepelitur anno 1364 10. die men-
sis Junii".
') Wodurch Seemilllers Schlussurteil iiber das Verhaltnis des ver-
lorenen Originals von K. zur Ubcrlieferung in KG. eine weitere Be-
kraftigung erhalt, Deutsche Chroniken VI. 2. S. CCLXI Z. 32.
3 ) Wie Seemiiller, Zur Kritik S. 13 ff. bes. S. 21. feststellt.
4 ) Ebenda und deutsche Chroniken VI. 2. S. CCLX ff.
) Zur Kritik S. 31.
\
UM /K 51TY Or CALirCRMl.'
Era Kdnigsfelder Anniversar Oder ein Depositionscatalog ? 101
Rolle, welche MC. in dieser Frage spielt, zeigt, wie be-
griindet diese Bedenken sind.
Man muss aber auch im Auge behalten, dafi die ein-
heitliche Stammreihe bios die direkte Stammlinie enthalt;
derjenige Teil in M. H. KG. und G. welcher die Kindes-
kinder Konig Rudolfs anfiihrt, ist eine Einschachtelung in
die einheitliche Reihe und hinsichtlich dieser eingeschobenen
Partie hat Seemtiller recht, sie ist der direkten Stammreihe
von Haus aus fremd und j linger '.
Ob aber bereits die erste Verbindung von Totenbuch (Anna-
len?), Stammreihe und der Griindungsgeschichte Konigsfeldens,
K. diesen eingeschobenen Passus enthielt, das ist nicht so leicht
nachzuweisen ; aus K. schopfen M. H. KG. und G. und so
scheint es nicht unwahrscheinlich ; deren Verschiedenheit
innerhalb dem eingeschobenen Teile macht aber diese An-
nahme doch fraglich.
Die erste Fassung von K. wurde aufgezeichnet gleich
oder bald nach dem Tod der Konigin Agnes. Es scheint
sehr wahrscheinlich, dafi gerade ihr Hinscheid, der schmerz-
liche Verlust der grofien Gonnerin des Klosters Konigsfelden
die Veranlassung bot, unter Zuhilfenahme bereits vorliegen-
der Aufzeichnungen (Totenbuch, Stammreihe, etc.) der edlen
Wohltaterin ein schriftliches Denkmal zu setzen. In den
Jahren 1365 66 mufi dieses erfolgt sein-'.
Soweit reicht die alte Fassung von K. und wie wir
gesehen haben, hort auch MC beinahe in demselben Mo-
mente (genauer ein Jahr zuvor) auf.
K. erhielt eine Fortsetzung; dasselbe ist auch bei MC.
der Fall, aber MC. verlafit, "wie oben dargetan, bei der
Aufzahlung der Kindeskinder Konig Albrechts den gemein-
samen Boden, auf den sich MC. M. H. KG. und G. zu-
sammen fanden. und geht eigene Wege. Bei M. ergaben
sich bei denselben Kindeskindern nur mehr wenige (viel-
leicht bios zufallige) Parallelen, um nun vollstandig ausser
') Ebenda, S. 13.
*) Vgl. ebenda, S. 12.
UM/irSIIVOKALirCfW
1&2 Exkurse. 1. Gundelfingens Genealogie der Habsburger.
Betracht zu fallen, da er keine Anhaltspunkte mehr bietet,
welche fur die Untersuchung der Fortsetzung von K. be-
langreich waren.
Als abhaugig von der Fortsetzung der Konigsfelder
Chronik (FK.) erscheinen H. KG. und G.
Zwischen H. und G. bleibt das oben gekennzeichnete
Verhaltnis bestehen bis zum Eintritt der Stammreihe von
Herzog Leopold (f 1386 Juli 9.). Die Grundztige bleiben
dieselben, in den Einzelheiten aber weichen sie oft von
einander ab.
H. (198 § 398 ') wie G. kennen vier Sonne und zwei
Tochter Albrechts des Lahmen. Nach H. starb der erst-
geborne Rudolf 1365 VI. kal. aug. (27. Juli) und liegt zu
"Wien in S. Stephan begraben. Nach G. wird (Praesens)
Rudolf 1365 am Sonntag nach Jakobi (27. Juli) in S. Stephan
beigesetzt '-. Den Namen seiner ersten Gemahlin kennt G.
gegenuber H. nicht, sondern weifi bios, dafi sie eine Tochter
Konig Karls von Bdhmen war. KG. benennt sie irrig als
Elisabeth. In der Angabe der 2. Gemahlin stimmen H.
und G. iiberein. Friedrich starb nach H. (208 1) 1363 IV.
non nov. (2. Nov.) G. sagt aber richtig, er sei (Perfect) am
10. Dez. 1362 gestorben ; als dessen Begrabnisort nennen sie
beide S. Stephan in Wien. Albrechts Todesdatum kennt
weder H. noch G. ; letzterer aber berichtet er sei „circa
Brunn in Moravia" gestorben und in Wien begraben worden;
er habe die Universitat Wien gegrundet, welches Verdienst
nach H. (209, 22) erst dem gleichnamigen Sohne Albrechts
zukommt.
Die bisher so enge Verwandtschaft zwischen H.
und G. lockert sich. Es ist sehr wohl denkbar, das FK
') H. schSpft getreu aus FK.
') Orig. MS. f° 33v : ..qui mausoleum S. Colomanni mirifice et
sumptuoso opere complevit pluraque ecclesiis bona contulit - ecclesie
Wiennensis S. Stephani preposituram fundans, miroque opcre turris
structuram incipiens sine liberis decessit ac in eadem ecclesia anno
1365 dominica proxima post Jacobi sepelitur." KG. stimmt weder
mit H. noch mit G. in der Angabe des Todesdatunis iiberein.
UM.'Ef'-MTV Or C.'- LlfCR-JI,-
Stammreihc Albrecht des Lahmen. 103
dem H. noch nicht so weit fortgefiihrt vorlag als dem G.
G. kennt gegeniiber H. weder den Vornamen der ersten
Gemahlin Albrechts noch denjenigen derzweiten, bei letzterer
erwahnt er anstatt Beatrix von Niirnberg (bei H. 209, 5)
bios, sie sei eine Tochter des Herzogs von Holland. Her-
zog Leopolds Tod weifi H. (215, 24) bios mit dem Jahr
(1386) nicht aber auch mit dem Tage (9. Juli) zu datieren,
gegeniiber G. ' ; beiden gemeinsam ist die Angabe des Be-
grabnifies in Konigsfelden. G. weist also da wiederum auf
einen genaueren und wohl einen Konigsfelder Bericht hin.
G. kennt aTt>er nicht den Namen der Gemahlin Leopolds,
die H. (211, 15) mit Viridia bezeichnet, dafur weifi aber H.
nicht, dafi diese eine Visconti war, was wir aus G. erfahren,
in der Benennung ihres Vaters Barnabas Mediolanensis
gehen beide einig. Albrechts des Lahmen Tochter Katha-
rina nennt H. (190, 4) vor der Tochter Margareta, bei G.
ist dies umgekehrt. Von Katharina weifi H. bios, dafi sie
eine Clarissin war, G. aber ist genauer unterrichtet und
sagt, sie sei Abtissin eines S. Claraklosters in Wien gewesen.
Von Margareta weifi sowohl H. wie G. bios ihre Ver-
heiratung, hierin aber gehen H. und G. wiederum auseinander,
indem nach H. (199, 6) Margareta in erster Ehe mit dem
Herzog Meinhart von Baiern, in zweiter mit dem March-
grafen von Mahren vermahlt war, nach G. aber mit dem
Marchgrafen von Brandenburg. Nur mehr gemeinsam ist
H. (211, 15) und G. die Aufzahlung der vier Sohne Herzog
Leopolds, von einer Tochter Elisabeth hat G. keine
Kenntnis.
Gundelfingens Vorlage scheint hier geendet zu haben ;
er sucht denn auch schnell uber die folgenden Glieder hin-
wegzukommen, um alsdann bei Kaiser Friedrich in einer
Lobrede, die wenig tatsachliches bietet, langer zu verweilen
und mit Herzog Sigismund, Gundelfingens Gonner, seine
Ha"bsburger Genealogie abzuschliefien.
') G. (Orig. MS. fo 34) : ..Quartus Alberchti Contracti filius Leo-
paldus — in Sempach anno 1366 (offenbarer Schreibfehler statt 1386\
9. die mens, iulii bello periit, in Campo regis suis cum maioribus se-
pulture mandatus."
UM.'Ef'-MTV Or C.'- LlfCR-JI,-
104 Exkurse. 1. Gundelfingens Genealogie der Habsburger.
Auch dieser 3. und letzte Abschnitt des 2. Buches
zeigt, dafi G. nicht aus H. geschopft hat, wohl aber, dafi
sowohl H. wie G. auf Vorlagen beruhen, die . einander sehr
nahe verwandt sind.
Auffallend ist, dafi Gundelfingen bei Kaiser Friedrich
sagt, er sei der 17. Kaiser seit Augustus, und an einer
anderen Stelle bemerkt, das Haus Habsburg zahle bis zu
seiner Zeit bereits funf romische Konige 1 . Er scheint eine
Liste vor sich gehabt zu haben, an der er diese Glieder
abzahlen konnte. Vielleicht umfafite die urspriingliche
Konigsfelder Chronik eine grofiere Konigslisfe, als man
heute aus der iiberlieferten festzustellen vermag 2 . Gundel-
fingen hatte demnach nicht bios die Stammreihe der Konige
Rudolf und Albrecht sondern auch derjenige Teil von K.
vorgelegen, welcher der Stammreihe vorgeschoben wurde ;
bei ihm stofien wir sodann auch auf FK., die in ihren
annalistischen Beigaben bis 1411 reichte : \ die letzte Todes-
hachricht, die Gundelfingen bringt und die er nicht selbst
erlebt hatte, trifft gerade das Jahr 1411'.
"Wenn wir nun die Gesamtergebnisse unserer Unter-
suchung ubersehen, so ergibt sich zunachst die vollige Un-
richtigkeit der Meinung, Gundelfingen habe direkt aus dem
sogn. Gregor Hagen geschopft und der Umstand, dafi
Gundelfingen bios funf Tochter Konig Rudolfs kennt und
mit Hagen allein ' die erste dieser Tochter Clementa nennt,
erklare ausreichend und ohne Rest das Doppelverhaltnis
Gundelfingens zu Hagen und Mathias von Neuenburg, das
in den genealogischen Notizen Gundelfingens sich zeige ,! .
') In der Einleitung zum 3. Buche der Austria*, Orig. MS. f° 37 * ;
Gundelfingen bezeichnet daselbst Kaiser Friedrich als patruelis des
Herzogs Sigismufid.
') Vgl. Seemiiller, Zur Kritik 1. c. S. 49.
:l ) Ebenda.
') Orig. MS. fo 34: ..Primus enim [Leopaldi| filius Leopaldus
Magnus duxit Katherinam de Burgundia, anno 1411 quarta feria an-
garie penthecostes (3. Juni) ad superos conscendit."
') Seemiiller, Zur Kritik S. 23. Anmerkung 1, iibersieht hierin KG-
") Ebenda.
if C.-LKCr-ll:'
Riickblick und Endresultat dieses Exkurses. 105
Gundelfingens 2. Buch, iiber das Haus Habsburg ist
nicht bios keine Kompilation ans Mathias von Neuenburg
und Hagen, sondern ist uns sogar der Schliissel, der uns
zur Quelle fuhrt, aus der auch Mathias und Hagen, seine
angeblichen Vorlagen schdpften.
Gundelfingen ubernahm die Stammsage der Habsburger
aus einem Berichte, dessen Quelle nicht bios alter als
Mathias ist sondern auch dessen Fundgrube darstellt. In
der Aufzahlung der Stammreihe der Konige Rudolf und
Albrecht weist er sodann hin auf eine gemeinsame Quelle
MC, welche die einheitliche Stammreihe der Konigsfelder
Aufzeichnungen enthalt; diese wurde von Mathias zerrissen,
von dem Verfasser der Konigsfelder Chronik aber in sein
Werk unverstummelter aufgenommen und von hier aus
gehen die verschiedene Zweige, wie sie sich in H. KG. und
G. finden. Dieses Verhaltnis erklart uns auch, warum
Hagen auch mit Mathias von Neuenburg sich in einigen
Punkten beriihrt und beweist, dafi der Verfasser der Konigs-
felder Chronik nicht notig hatte, erst aus Hagen Ent-
lehnungen zu machen, um die Stammreihe K6nig Rudolfs
aufzustellen.
Die vor dem Tode der Konigin Agnes abgeschlossene
einheitliche Stammreihe (die nach ihrem Tode und vor
Anfang 1366 eine Erganzung erhielt ') bildete fur die Konigs-
felder Chronik den Grundstock; der Verfasser der Chronik
verwendete ihn und gestaltete ihn in der Stammreihe
Kdnig Albrechts mit Nachrichten aus einer zweiten Gruppe,
(Totenbuch oder ein Annalenwerk) weiter aus.
Noch deutlicher als die erste Gruppe zeigt die zweite
auf Konigsfelden als ihren Entstehungsort hin und diese
bestarkt infolge des Zusammenfallens ihrer Abfassungszeit
die Annahme, auch erstere sei am selben Orte entstanden.
Diesen zwei Gruppen fugte der Verfasser der Konigs-
') Vgl. Seemtiller. (zur Kritik S. 12) der die Abfassungszeit der
Stammreihe Konig Albrechts iiberhaupt zwischen Juli 1365 und Anfang
1366 setzt, da er bios auf K. bezw. KG. abstellt, welche in diesem
Punkte bereits als eine Forts etzung von MC. erscheinen.
UM.'Ef'-MTV Or C.'- LlfCR-JI,-
106 Exkurse. 1. Guadclfingens Genealogie der Habsburger.
felder Chronik einen dritten Teil bei, die Griindungs-
geschichte des Klosters Konigsf elden ; Gundelfingen beruck-
sichtigte diese nicht, weil es ihm nur urn genealogische
Nachweise zu tun war.
In Gundelfingen lafit sich ferner auch die der Konigs-
felder Chronik bezw. der Stammreihe Konig Rudolfs und
Albrechts vorgeschobene Konigsreihe, wenn auch nur mehr
schwach erkennen, deutlicher dafiir aber die Fortsetzung
der Chronik bis zum Jahre 1411.
In ihm allein treffen wir noch einen direkten Anklang
an den Rohbau des Konigsfelder Werkes, der in Mathias
von Neuenburg, in Hagen wie auch in der bei Gerbert er-
haltenen Fassung weit mehr verwischt ist. Er allein bietet
noch die annalistische Form, in welcher Vergangenes in
der Perfect- und eben sich Ereignendes in der Praesens-
form aufgeschrieben wurde; es schimmert durch die
Fassung Gundelfingens noch deutlich der Charakter der
urspriinglichen Konigsfelder Aufzeichnungen, speziell ihrer
2. Gruppe durch, die entweder ein Totenbuch mit anna-
listischen (Rand-) Notizen oder ein Annalenwerk selbst ge-
bildet haben.
Auf Annalen weist Gundelfingen wie oben bemerkt
selbst bin, indem er zum Todesjahre Konig Rudolfs sagt '•
-sicuti eius testantur annalia'' '.
Dieses annalistische Geprage erklart aber auch die
Knappheit und Kurze anderweitiger Berichte in Gundel-
fingens Genealogie, wie die oben erwahnten Gefechte bei
Winterthur und an der Schofihalden, dasselbe ist der
Fall bei der Erwahnung der Schlacht am Morgarten "-' und
bei Sempach 1 . Dafi die Vorlage Gundelfingens in den
ersten beiden die Zahl der Erschlagenen kennt, beweist,
') Orig. MS. f° 31. Dies zcigt auch, warnm Gundelfingen sich
gezwungen sah. die Charakteristik KOnig Rudolfs und Albrechts aus
anderen Autoren zu schopfen, seine annalistische Vorlage bot fur die-
selbe offenbar zu wenig.
') Vgl. S. 93, Anm. 1.
') Vgl. S. 103, Anm. 1.
Uhl/SrSIIYOKAUfCIW
Der Wert des 2. Buches von Gundelfingens ..Austria?'*. 107
dafi der betreffende Annalist mit den Ereignissen gut ver-
traut, zugleich aber auch ein Habsburger Freund war,
denn in den beiden ersten Gefechten siegten die Habs-
burger, da werden die Gefallenen ihrer Gegner genannt,
am Morgarten und bei Sempach aber waren sie die Unter-
legenen, hier wird die Zahl der Erschlagenen wohlwollend
verschwiegen, dafur aber die Niederlage beklagt oder bios
trocken registriert '.
Der Umstand, dafi Gundelfingen in so umfassender
"Weise, beinahe sein ganzes zweites Buch iiber die Habs-
burger auf den Konigsfelder Aufzeichnungen fufit, fiihrt zur
Vermutung, es mochte auch die Habsburger Stammsage,
wie sie sich in den, eingangs dieses Excurses erwahnten
"Werken findet, vielleicht aus Konigsfelden herruhren "-'.
Oder kannte man vielleicht in Konigsfelden eine Klingen-
berger Chronik und fiihrte sie weiter; deckt sich etwa in
letzter Linie gar die ganze Frage nach einer Klingenberger
Chronik mit derjenigen nach der ursprunglichen Fassung
der Konigsfelder Chronik bezw. ihrer einzelnen Teile?
Gundelfingen vermag uns diese Fragen noch nicht zu
heben, aber er bahnt doch den Weg zu ihrer Losung.
Dies alles zeigt, von welcher Bedeutung Gundelfingens
2. Buch seiner Austria? ist, um einer Losung der Frage
nach der Klingenberger Chronik naher zu kommen und um
die Entstehung und die urspriingliche Fassung der Konigs-
felder Chronik zu erkennen ; es behauptet hierin neben
Mathias von Neuenburg und dem sogn. Gregor Hagen einen
vollends ebenbiirtigen ja hoheren "Wert.
Gundelfingens Bericht ist umso mehr beachtenswert
gerade deshalb, weil er zu befangen war, das gefundene
Material selbstandig zu verarbeiten und somit uns seine
Vorlage getreuer wiedergibt.
') Vgl. S. 103 Anmerkung 1.
-') Der lehrhafte Charakter der Stammsage weist schon eher auf
einen geistlichen Verfasser bin als auf einen Laien.
uM/irsuvorcAUfciw
2. Heinrich Gundelfingen und Albrecht
von Bonstetten.
Auf ein Verhaltnis zwischen diesen beiden Friih-
humanisten haben bereits in besonderer Weise hingewiesen
A. Biichi, hinsichtlich Ubereinstimmungen in deren Werken
zur Geschichte Osterreichs ', und G. Tobler, der die eigen-
artige Ubereinstimmung in deren literarischer Tatigkeit
hervorhebt'-'.
Urn hieriiber eine kleine Untersuchung anzustellen, mag
es nicht unangezeigt erscheinen, die in Betracht fallenden
"Werke Gundelfingens und Bonstettens vorerst in chrono-
logischer Reihe einander gegenuber zu setzeu.
Gundelfingen. Bonstetten :i .
1. „ Austria? principum chro- a) *Germania praelia Karoli
nici epitome triplex." (1476) I quondam Burgundise."
2. Hierin im 3. Buche r Bel-
lum adversus Burgundi-
ones u . (1476)
3. „Descriptio confcederacio-
nis Helveticae." (vor 1479
bezw. 1480)
4. ..Amcenitates urbis Lucer-
nensis." (ca. 1480)
5. ..Topographia urbis Ber-
nensis." (1486)
6. ^Historia Nicolai Under-
waldensis eremita? (1488
Aug. 13.)
(1477)
b) „Historia fratris Nicolai
de rupe heremite Under-
waldensis." (1479)
c) Superioris Germanise con-
fcederacionis descriptio.
(1479)
d) Historia domus Austriae.
(1491)
') 1. c. 110 115.
') In d. Jahresbcrichten der Geschichtswissenschaft 12. Jahrgang
1889 (Berlin 1891) Abt. 2. S. 176.
') Vcrzeichnis seiner Schriften Vgl. Biichi, 125 126.
UM.'Ef'-MTV Or C.'- LlfCR-JI,-
Vcrgleichung ihrer Werke. 109
Dieser Liste konnten noch folgende "Werke beigefugt
werden.
[Alexandri] „militaria moni- I „Alexandri Magni de situ
Jndie ad Aristotelem. (1495)
Officium horae canonice '.
menta." (vorl476) Vgl. S. 33.
Officium de beato Nicolao.
Vgl. S. 68.
Da aber diese letzteren nur bios aufierlich im Titel
sich beriihren, gehen wir nicht naher auf sie ein.
Von ersteren aber entspricht
N° 1 = d; 2 — a; 3, 4, 5 = c; 6 = b.
Schon diese bios ausserliche Gegenuberstellung scheint mit
Evidenz eine Verwandtschaft in der literarischen Tatigkeit
Gundelfingens und Bonstettens zu erweisen.
Da uns der Briefwechsel Bonstettens keinen Aufschlufi
zu geben vermag, so sind wir lediglich auf eine Vergleichung
der betreffenden "Werke angewiesen.
Hier heben wir zunachst hervor das Verhaltnis von
Gundelfingens „Austriae" zu Bonstettens ,Historia domus
Austria?", von N° 1 zu d; hierin ist umso auffallender, dafi
beide "Werke dieselbe Einteilung aufweisen, wahrend sie
in der Ausfuhrung, rait einzelnen Ausnahmen, weit aus-
einandergehen.
Was den Bericht Bonstettens iiber die Geschichte Alt-
Oesterreichs anbelangt, so ist dieser hier so gekurzt, dafi
seine Quelle schwer zu ergrunden ist. Seemuller suchte
sie nachzuweisen und betrachtet einen deutschen Auszug
aus dem sogn. Hagen als Bonstettens Vorlage -.
Wurde Bonstetten dem Berichte Gundelfingens iiber
Alt-Oesterreich gefolgt sein, dann wurde Bonstetten doch
gewifi den ersten Besiedler des Landes nicht .Stockerus"
nennen 1 , wohl aber ^Abraham* wie Gundelfingen dies tut.
Nach Bonstetten griindete der erste Landesbesiedler den
„comitatum Stirie", hievon weifi Gundelfingen nichts '.
') Vgl. ebenda.
') Deutsche Chroniken, VI. 2. S. CCXCVII Z. 22 ff.
3 ) MS. Hannover. 1. c. f° 8.
') Auch der sogn. Hagen nicht.
UM.'EfJ.ITY or C.'-Lircr:'!!/
110 2. Heinrich Gundelfingen und Albrecht von Bonstetten.
Uberraschender ist folgende Stellc : Gundelfingen erzahlt
namlich von einem heiligen „ Amman", der Marckgraf in
Pannonien gewesen sein soil; bei Bonstetten finden wir
aber: ,,Js [populus] quemdam superillustrem virum Amonem
nomine in ductorem primum delegit, ante hoc de marchio-
nibus invenio nihil"*.
Das zeigt deutlich, warum Bonstettens Bericht gekurzt
erscheint; er hatte keine Vorlage, aus welcher er die lange
Reihe von Marchgrafen und Fiirsten vor „Amman" ent-
lehnen konnte, cr hatte somit auch Gundelfingens ^Austriae"
nicht vor sich, denn er hatte aus ihr schon Aufschlufi
erhalten -.
Welchen Quellen Bonstetten in seinen Ausfuhrungen
ixber das Haus Habsburg folgt, hat Buchi bereits nach-
gewiesen :1 .
Wo Bonstetten mit Gundelfingen verwandt ist, bildet
die Konigsfelder Chronik beinahe regelmafiig die Brucke
zwischen beiden.
Zv/ei einzige Stellen neben der verwandten Einteilung
des "Werkes sind es, welche eine Verwandtschaft der Er-
zahlungen Bonstettens und Gundelfingens nahe zu legen
scheinen, indem beide die Habsburg an den Vierwald-
stattersee verlegen und den Herzog Albrecht als Griinder
der Universitat Wien bezeichnen '.
In vielen anderen Punkten weichen die beiden aber
vollstandig von einander ab, eine formelle Ubcreinstimmung
fehlt durchwegs.
Wenn wir nun alles das in Betracht Ziehen, so diirfte
sich wohl ergcben, dafi Bonstetten Gundelfingens voll-
') MS. Hannover fo 10.
') Auch diese Stelle beweist, da6 Bonstetten den sogn. Hagen
nicht kannte, denn aus ihm hatte er gleichwie aus Gundelfingen das
Mangelnde erganzen kdnnen. Vgl. Buchi 1. c, S. 114, dessen Annahme
von einer Abhangigkeit Bonstettens von Gundelfingen oder Hagen in
der besprochenen Partie haltlos wird.
') 1. c. 113 14. 116.
') Welchen Irrtum Gundelfingen in seinem Stammbaum der
Habsburger aber berichtigt. - Buchi, 1. c. 114 hat ebenfalls auf diese
beiden Stellen hingewiesen.
UM.'EC:-ITY Of CALirCR'JI/
Personliche Beziehungen Gundelfingens zu Bonstetten. Ill
standiges "Werk nicht in Handen gehabt hat. Aber beniitzte
cr vielleicht Ausziige? Die Moglichkeit einer solchen Be-
niitzung kann ja nicht abgelehnt werden. Ein anderer
Umstand aber ist noch in Betracht zu Ziehen, namlich die
Schweizerreisc Gundelfingens von 1480 81, auf welcher
dieser in Einsiedeln wahrscheinlich den Dekan Albrecht
v. Bonstetten personlich gesprochen hat. Hiebei mag
manqhes Wort tiber Geschriebenes und noch zu Schreiben-
des gefallcn sein. Wenn man Bonstettens Bericht uber
Alt-Oesterreich aufmerksam durchgeht und ihn vergleicht
z. B, mit demjenigen Gundelfingens, so bekommt man
wirklich den Eindruck, Bonstetten habe da etwas zu-
sammengeschrieben, das er nur vom Horensagen her kannte
und wenigstens noch in Erinnerung, wenn auch unklarer
hatte, so z. B. fafite er den Ortsnamen ..Stocharus" als
Personennamen auf, indem er nicht mehr wufite, dafi unter
diesem Namen bios der Ansiedelungsort nicht aber der
Ansiedler ^Abraham" selbst gemeint sei.
Die beiden Hauptwerke Gundelfingens und Bonstettens
in ihrcr Gesamthcit miteinander verglichen, mul man sagen,
die Beriihrungspunkte sind vielleicht fast eher zufallige und
allzu sparliche, um einc direkte Abhangigkeit des einen
vom andern zu erweisen.
An dieser Stelle miissen wir auch das Verhaltnis von
N° 5 zu d kurz hineinbeziehen. N° 5 ist ebenfalls alter
als d); in diesen beiden nun finden sich einige wenige aber
genaue Parallelen. Mit dieser Abhangigkeit verhalt es
sich nun aber also: Gundelfingen benutzte in seiner Topo-
graphia urbis Bernensis vier kleine Stellen aus des Aeneas
Sylvius Beschreibung der Stadt Wien'. Bonstetten schricb
1491 diese Beschreibung des Aeneas ganz ab und einver-
leibte sie seiner Historia domus Austria?, Die vermeintliche
Abhangigkeit beruht also lediglich auf der Benutzung einer
gemeinsamen Vorlage und ist ein Zufall -. Vielleicht wurde
') Aenca; Sylvii, postca Pii Pape II. Historia rerum Friderici III.
Imperatoris (Helmstadii 1700) S. 7.
') Eine solche Stelle ist folgende :
uM/irsuvorcAUfciw
112 2. Heinrich Gundelfingen und Albrecht von Bonstetten.
Bonstetten durch Gundelfingen auf Aeneas Sylvius aufmerk-
sam gemacht. Benotigt hatte Bonstetten dics.-n Anstofi
zwar nicht, er war so wie so ein Bewunderer des Aeneas
Sylvius '.
"W"as das Verhaltnis von N° 2 zu a) anbelangt, wo
Gundelfingen und Bonstetten Zeitgeschichte schreiben,
ist vor allem zu bemerken, da£ auch hier eine Abhangig-
keit Bonstettens von Gundelfingen, der fruher geschrieben,
nicht nachzuweisen ist. Beide Berichte sind selbstandig,
in einzelnen Zahlenangaben stimmen sie uberein, in anderen
weichen sie von einander ab; von einem Gefechte im
Wallis berichtet Bonstetten nichts, wohl aber Gundelfingen.
Eine mehr formelle Ubereinstimmung scheint zwar doch
sich zu finden ; in Anschlu.fi an die Schlacht von Murten
beide bringen namlich den Vers:
Gundelfingen. Bonstetten -
„incidis in scillam cupiens „incidit in Silleam rabiem
vitare Caribtim. - volens vitare Charibtim."
Dies ist aber wohl bios ein zufiilliges Zusammentreffen,
das entstanden aus der beiderseitigen Kenntnis desselben
Dichters.
In Betracht kame nun das Verhaltnis vo.i N° 3, 4 und
5 zu c). 4 und 5 fallen zeitlich nach c). Formelle Vcr-
wandtschaft ist in diesen zwei letzteren nicht nachzuweisen.
Inhaltlich ist beiden gemeinsam der Ruhm der schonen
Gegend und der hubschen Gebaude. Merkwiirdig ist aber
z. B. dafi Gundelfingen bci Bern bios 20 Commitate mit
12000 kriegstiichtigen Leuten erwahnt gegeniiber Bonstetten
Gundelfingen. Bonstetten (MS. Hannover 1° 16 v ).
,.fenestre, que undique vitree ..modo fenestra- undique vitrei*
perlucent in domibus, multa et , perlucent, in doniibus multa et
mundu suppellex."
inunda suppellex."
') Auch hatte Bonstetten in Italien studiert und wahrscheinlich
die Reise seines Abtes Gerold zu Pius II. nach Puteoli mitgemacht
Vgl. Biichi, Bonstettens Brief e I. c S. 63.
) Bonstellens, Beschreibung der Burgunderkrie^e, herausg, im
Archiv fQr Schweizer. Gesch. Bd. 13. (Zurich 1862) S. 294.
UM.'Ef-:.iTY or c.'-Lircr:'!!/
H. Gundelfingen, der erste Beschreiber der Schweiz ? 113
mit 24 Commitaten und 20000 Kriegern. Hatte Gundel-
fingen aus Bonstetten geschopft, so konnten wir gerade
diese Differenz nicht begreifen; das vorhin als beiden ge-
meinsam Erwahnte ist wohl eher auf die humanistische
Lobrednerei zuruckzufiihren ; die wichstigsten Anhaltspunkte
in N° 4 und 5 im Verhaltnis zu c) sprechen gegen eine
Entlehnung aus Bonstetten durch Gundelfingen.
"Wie verhalt es sich nun mit N° 3 zu c)?
In friiheren Untersuchungen haben wir darauf hinge-
wiesen l , dafi N° 3 mit Riicksicht auf die Abfassungszeit
und Uberreichung an den Rat Luzerns zwischen den
5. Januar 1477 und 1479 bezw. 1480 fallen mufi. Merk-
wiirdiges Zusummentreff en !
Auf Veranlassung von Freunden aus Luzern verfafite
Bonstetten 1479 seine Descriptio 2 .
Was Gundelfingens Descriptio bietet, ist zwar hochst
unvollkommen, aber doch weist er auf die alte Gauein-
teilung hin, zu welchen Bistiimern die heute gehoren, er
nennt die grofieren Fliisse, d:e Grenzen, ja er wagt auch
einen Fingerzeig auf das Feldzeichen der Urner und
Berner, er bereits hebt die Kriegsmacht der Eidgenossen
hervor.
Wurden etwa die Luzerner durch Gundelfingens Werk
angeregt zum Wunsche, eine genauere, eine ausfuhrlichere
Beschreibung der Eidgenossenschaft zu erhalten und zwar
von einem der Ortlichkeit naher sich befindenden und so-
mit auch besser mit ihr bekannten Verfasser? Da war
gerade Bonstetten die geeignete Personlichkeit.
Melchior Rufi kannte Gundelfingen und Bonstetten, er
gehort offenbar unter die Luzerner Freunde Bonsttetens \
unter jene, welche Bonstettens Descriptio veranlafiten.
Ist am Ende gar Gundelfingens Descriptio bald nach
dem 5. Januar 1477 abgefafit und dem Rate Luzerns noch
') Vgl. S. 55.
') Biichi, 64 - Derselbe, Bonstettens Briefe 221 ff.
J ) Vgl. Biichi, Bonstettens Briefe S. 83 und ebenda Anmerk. 3.
ferner S. 95.
8
UM/irSIIVOKALirCfW
114 2. Heinrich Gundelfingen und Albrecht von Bonstetten.
vor 1479 tibereicht worden? Damit wiirde diese Schrift
Gundelfingens die Prioritat vor derjenigen Bonstettens er-
langen, und nicht mehr Bonstetten ware der erste Be-
schreiber der Schweiz, sondern Gundelfingen.
Die al teste W"idmung der Descriptio Helv. Bonstettens
ist an den Dogen Mocenigo von Venedig gerichtet unterm
25. Februar 1479. Begreiflicher "Weise sagt er darin nicht,
Freunde in Luzern hatten ihn zu dieser Schrift aufgefordert,
das hatte Bonstetten weniger Ruhm eingebracht, als wenn
er sein Werk als Resultat eigenen Impulses uberreichen
konnte, so bemerkt er denn in der ganz humanistischen
Widmung, da£ ihn das allgemeine Interesse fur gewaltige
kriegstuchtige Volker zur Beschreibung der Eidgenossen-
schaft bewogen habe '.
Die Kriegstuchtigkeit und den Kriegsruhm der Eid-
genossen hebt auch Gundelfingen in seiner Descriptio be-
sonders hervor. Bonstetten tut dasselbe aber in feinerer
Form, was fur seine Schrift uberhaupt gilt.
Eine direkte Abhangigkeit der beiden Schriften ist
nicht nachzuweisen. Gundelfingens Descriptio Helv. scheint
sich zu derjenigen Bonstettens zu verhalten wie etwa ein
erster fliichtiger Entwurf zu seiner spateren umge-
arbeiteten Ausfiihrung.
Als letzte Parallele bietet sich nun N° 6 zu b). Gundel-
fingens Schrift ist spater und mu&te somit zu Bonstetten
in einem Abhangigkeitsverhaltnis stehen. Da aber beide
Berichte durchaus selbstandig sind, so trifft dies nicht zu 2 .
Ziehen wir nun aus all diesen Ausfuhrungen das End-
resultat, so ergibt sich ein mehr negatives.
') Wenn Bonstetten diese Schrift zuerst an auswartige Hdfe
sandte, bevor er sie den Eidgenossen vorlegte, so zeigt dies nur, wie
Bonstetten als echter Sohn seiner Zeit bestrebt war, mit den Fiirsten
und Macenen des Humanismus in Beziehung zu treten, am einen
mOglichst grossen Kreis von Verehrern sich zu erwerben.
') Vgl. F. Ruegg, Heinrich Gundelfingen, ein zeitgen6ssischer
Biograph des seligen Nikolaus von Flue in Zeitschrift fur Schweizer
Kirchengesch. (1910) S. 34.
uM/irsuvorcAUfciw
Ihr Verhaltnis erkliirt sich auch aus den Zeitereignissen. 115
Der Umstand, dafi Gundelfigen und Bonstetten eine
Reihe Parallelen geschaffen, durfte sich erklaren lassen,
weil sowohl bei ersterem wie bei letzterem die in Betracht
fallenden Schrif ten aus den Zeitumstanden und Ereignissen
hervorgegangen sind. Gundelfingen sowohl wie Bonstetten
hatten am Hause Habsburg und an den Eidgenossen, um
weitere nicht zu erwahnen, ein grofies personliches Interesse.
Der Burgunderkrieg und seine Folgen einerseits sowie die
Personlichkeit eines Bruder Klaus andererseits waren dazu
angetan, dafi mehrere Schriftsteller auf demselben Boden
sich treffen konnten.
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Freiburg, Schweiz. — Buchdruckerei Gebriider Fragniere
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14 DAY USE
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